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German Pages 240 [236] Year 2013
Wernfried Heilen et al.
Additive für wässrige Lacksysteme
Wernfried Heilen: Additive für wässrige Lacksysteme © Copyright 2009 by Vincentz Network, Hannover, Germany
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Umschlagbild: Evonik Tego Chemie GmbH, Essen
Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
Wernfried Heilen et al. Additive für wässrige Lacksysteme Hannover: Vincentz Network, 2009 (FARBE UND LACK EDITION) ISBN 978-3-7486-0207-1 © 2009 Vincentz Network GmbH & Co. KG, Hannover Vincentz Network, P.O. Box 6247, 30062 Hannover, Germany Das Werk einschließlich seiner Einzelbeiträge aus Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urhebergesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Verlagsverzeichnis schickt Ihnen gern: Vincentz Network, Plathnerstr. 4c, 30175 Hannover, Germany Tel. +49 511 9910-033, Fax +49 511 9910-029 E-mail: [email protected], www.farbeundlack.de Satz: Maxbauer & Maxbauer, Hannover ISBN 978-3-7486-0207-1
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Farbe und Lack Edition
Wernfried Heilen et al.
Additive für wässrige Lacksysteme
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Auf ein Wort
Auf ein Wort Der Reiz, dieses Buch gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus der Rohstoffindustrie zu verfassen, liegt für mich darin begründet, dass ich seit fast 30 Jahren mit der Wasserlacktechnologie sowohl als Formulierer als auch als Anwender von Additiven vertraut bin. Oft habe ich dabei ein Standardwerk vermisst, welches die Hintergründe der Additivtechnologie erläutert und mir gleichzeitig die Wahl des richtigen Additivs erleichtert hätte. Zugegeben, als ich meinen ersten Wasserlack für Metallfensterrahmen entwickelt hatte, war dieser Versuch nicht mit Erfolg gekrönt. Dies lag sicherlich einerseits an den nur spärlich verfügbaren Bindemitteln und Additiven, aber auch an der fehlenden Literatur, die es ermöglicht hätte, sich mit diesem Thema vor dem ersten Versuch intensiv zu beschäftigen. Der heutige Entwicklungsstand der Wasserlacktechnologie erlaubt den Übergang von konventionellen lösemittelhaltigen Lacken hin zu wässrigen Produkten auf immer mehr Gebieten. So beträgt der Wasserlackanteil bereits heute im Segment Heavy Duty ca. 8 %, Can Coating und Kunststofflacke jeweils 37 %, Holzlacke 23 %, allgemeine Industrielacke 36 % und im Automobillack (OEM) 68 % gefolgt von 90 % im Bereich Bautenschutzfarben. In der Automobilindustrie wurde der Wechsel bereits Anfang der siebziger Jahre mit der Einführung der Elektrotauchlackierung teilweise vollzogen. In mehreren Schritten folgten der Füller und der Wasserbasislack. Der Wasserklarlack wird zwar serienmäßig erprobt, hat sich allerdings noch nicht durchgesetzt. Insgesamt betrachtet gehört der Wasserlack in dieser Industrie ebenso wie bei den Bautenschutzfarben zum Stand der Technik. In der Metalllackierung werden wässrige Systeme vorwiegend als wärmehärtende Systeme zur Beschichtung von Haushaltsgeräten, Landmaschinen usw. eingesetzt. Zunehmend finden wässrige Beschichtungen aber auch in industriellen Holzbeschichtungen (Fensterrahmen, Parkett etc.) Einsatz. Wie in meinem ersten Buch mit dem Titel „Silicone resins and their combinations“, Vincentz Network, glaube ich auch in diesem Buch einen Mittelweg zwischen praxisorientierter Anschaulichkeit und wissenschaftlicher Tiefe, soweit dies für das einzelne Thema ohne Know-how-Verlust für das jeweilige nternehmen mglich ist, gefunden zu haben. Für die, die sich erstmalig mit diesem Thema auseinWernfried Heilen: Additive für wässrige Lacksysteme © Copyright 2009 by Vincentz Network, Hannover, Germany
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Auf ein Wort
ander setzen wollen, bietet dieses Buch eine Übersicht über die wichtigsten Erkenntnisse und Einsatzgebiete der Additive für wässrige Systeme in verschiedensten Marktsegmenten. Mein Dank gilt den Kolleginnen und Kollegen, die dieses Buch durch ihre Arbeit mit gestaltet haben, aber auch der Evonik Tego Chemie GmbH und der Firma Nuplex Resins für die Bereitstellung von Literatur und Bildmaterial. Wernfried Heilen Essen, Januar 2009
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Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis 1
Einleitung...........................................................................
18
2 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.3.1 2.1.3.2 2.1.3.3 2.1.4 2.1.4.1 2.1.4.2 2.1.4.3 2.1.4.4 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4 2.2.5 2.2.6 2.3 2.3.1 2.3.1.1 2.3.1.2 2.3.2
Netz- und Dispergieradditive........................................... Wirkmechanismen............................................................... Pigmentbenetzung............................................................... Dispergierung...................................................................... Stabilisierung....................................................................... Elektrostatische Stabilisierung............................................ Sterische Stabilisierung....................................................... Elektrosterische Stabilisierung............................................ Einflüsse auf die Rezeptierung............................................ Viskosität............................................................................. Farbstärkeentwicklung........................................................ Verträglichkeit..................................................................... Stabilität............................................................................... Chemische Strukturen......................................................... Polyacrylatsalze................................................................... Fettsäure- und Fettalkoholderivate...................................... Acrylat-Copolymere............................................................ MSA-Copolymere................................................................ Alkylphenolethoxylate......................................................... Alkylphenolethoxylate-Ersatzstoffe.................................... Netz- und Dispergieradditive in verschiedenen Marktsegmenten............................................................................ Baufarben............................................................................ Direktanreibung................................................................... Pigmentkonzentrate............................................................. Holz- und Möbellacke.........................................................
21 21 21 23 24 24 25 26 26 26 27 27 28 28 29 29 30 30 31 31 32 32 32 32 33
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European Coatings Conference www.european-coatings.com
High Performance Waterborne Clearcoats Die Wasserlack-Technologie FOUXJDLFMUTJDISBTDI VOEJOUFOTJWF'PSTDIVOHFOIBCFOBVDI)PDIMFJTUVOHT 8BTTFSLMBSMBDLFIFVUFTPXFJUHFCSBDIU EBTTTJFJISF MzTFNJUUFMCBTJFSUFO7PSCJMEFSJO'SBHFTUFMMFOLzOOUFO Deshalb widmet sich die European Coatings Conference, vom 12.–13. November 2009JO#FSMJO [VN[XFJUFO.BMEFN5IFNBÃ)JHI1FSGPSNBODF8BUFS CPSOF$MFBSDPBUT² VNOFVFTUF&OUXJDLMVOHFOVOE'PS TDIVOHTFSHFCOJTTF[V3PITUPGGFOVOE'PSNVMJFSVOHFO EJFTFS4ZTUFNFWPS[VTUFMMFOVOE[VEJTLVUJFSFO XBT IFVUFNJU8BTTFSMBDLTZTUFNFONzHMJDIJTUVOEXBT OPDI OJDIU Zukünftige Termine sowie Informationen [VXFJ UFSFO-BDLWFSBOTUBMUVOHFOVOUFSXXXFVSPQFBO DPBUJOHTDPNFWFOUT
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23 Uhr
Inhaltsverzeichnis
2.3.2.1
2.3.2.2
Direktanreibung...................................................................
33
Direktanreibung...................................................................
33
Industrielacke......................................................................
2.3.3.2
Pigmentkonzentrate.............................................................
2.3.4
2.3.4.1
2.3.4.2
2.4
Druckfarben.........................................................................
Direktanreibung...................................................................
Pigmentkonzentrate.............................................................
Rub-Out...............................................................................
36
Zetapotential........................................................................
36
2.5.4
Viskosität.............................................................................
2.7
33
34
34
Farbstärke............................................................................
2.6
33
Teilchengröße......................................................................
2.5.2
2.5.5
33
34
Prüfmethoden......................................................................
2.5.3
33
Tipps und Tricks..................................................................
2.5
2.5.1
33
Pigmentkonzentrate.............................................................
2.3.3
2.3.3.1
Zusammenfassung...............................................................
34 35
36 39
Literaturhinweise.................................................................
40
3
Entschäumung von Beschichtungssystemen...................
41
3.1.1
Schaum................................................................................
42
3.1
3.1.1.1
3.1.1.2
3.2
3.2.1
3.2.2
3.2.2.1
3.2.2.2
Entschäumungsmechanismen..............................................
Ursachen von Schaum.........................................................
Arten von Schaum...............................................................
Entschäumer........................................................................
Aufbau von Entschäumern..................................................
Mechanismen der Entschäumung........................................
Entschäumung über Drainage/langsame Entschäumung....
42
42
42
45
45 45
45
Eintrittsbarriere/Eintrittskoeffizient....................................
46
Spreitungsmechanismus......................................................
48
3.2.2.6
Überbrückungs-Entnetzungsmechanismus.........................
50
3.2.2.8
Spreitungs-Wellen-Mechanismus........................................
51
3.2.2.3
3.2.2.4
3.2.2.5
3.2.2.7
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Überbrückungsmechanismus..............................................
Überbrückungs-Dehnungsmechanismus.............................
Entschäumung über eine spreitende Flüssigkeit..................
47
49 51
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10 3.2.2.9
Inhaltsverzeichnis
3.3 3.3.1 3.3.1.1 3.3.1.2 3.3.1.3 3.3.1.4 3.3.1.5 3.3.1.6 3.3.1.7 3.3.1.8 3.3.2 3.3.3 3.4 3.4.1 3.4.2 3.4.3 3.4.4 3.5 3.5.1 3.5.2 3.5.3 3.5.4 3.6 3.7 3.8
Einfluss von Füllstoffen auf die Wirkung von Entschäumern...................................................................... Chemie und Formulierung von Entschäumern.................... Wirkstoffe in Entschäumern................................................ Siliconöle (Polysiloxane)..................................................... Mineralöle........................................................................... Pflanzliche Öle.................................................................... Polare Öle............................................................................ Molekulare Entschäumer (Gemini-Tenside)........................ Hydrophobe Partikel............................................................ Emulgatoren......................................................................... Lösemittel............................................................................ Entschäumerformulierungen............................................... Bezugsquellen für Entschäumer.......................................... Produktauswahl nach Bindemitteln..................................... Reinacrylatdispersionen...................................................... Styrol-Acrylatdispersionen.................................................. Vinylacetat basierende Dispersionen................................... Polyurethandispersionen...................................................... Produktauswahl nach Anwendungssystemen...................... Einfluss der Pigment-Volumen-Konzentration (PVK)......... Art der Einarbeitung des Entschäumers.............................. Eintrag von Scherkräften bei der Applikation..................... Tensidgehalt der Formulierung............................................ Tipps und Tricks.................................................................. Zusammenfassung............................................................... Literaturhinweise.................................................................
4 4.1 4.1.1 4.1.2 4.2 4.2.1
Rheologieadditive.............................................................. Allgemeine Beurteilung von Rheologieadditiven............... Marktübersicht..................................................................... Grundeigenschaften der verschiedenen Rheologieadditive................................................................................ Erwartungen an Rheologieadditive..................................... Rheologie.............................................................................
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51 52 52 53 53 53 54 54 54 54 55 55 55 56 56 57 57 57 57 58 58 58 58 58 59 60 61 61 61 62 63 63
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Inhaltsverzeichnis
4.2.2 4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.3.4
11 64 67 67 68
4.4 4.4.1 4.4.1.1 4.4.1.2 4.4.2.3 4.4.2 4.5 4.6
Anwendungsbeispiel............................................................ Ethoxylierte und hydrophob modifizierte Urethane............ Synthese............................................................................... Assemblierungseigenschaften von HEUR-Additiven.......... Von Selbstassemblierungsverhalten zu Assemblierungsverhalten.............................................................................. Hydrophobes/hydrophiles Gleichgewicht von wässrigen Farben und Lacken.............................................................. Verbesserte Farbaufnahme durch die Verwendung von HEUR.................................................................................. Alkalisch verdickende Emulsionen: ASE und HASE......... Synthese............................................................................... ASE...................................................................................... HASE................................................................................... Interaktion mit den Bindemitteln........................................ Thixotropie und HASE........................................................ Ausblick............................................................................... Literaturhinweise.................................................................
5 5.1 5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.1.4 5.1.5 5.1.6 5.1.7 5.2 5.2.1 5.2.2 5.2.2.1 5.2.2.2 5.2.2.3 5.2.2.4
Substratnetzadditive.......................................................... Wirkmechanismus............................................................... Wasser als Lösemittel.......................................................... Oberflächenspannung.......................................................... Ursache der Oberflächenspannung...................................... Auswirkung der hohen Oberflächenspannung des Wassers Substratnetzadditive sind Tenside........................................ Wirkweise der Substratnetzadditive.................................... Nebenwirkungen von Substratnetzadditiven....................... Chemische Struktur der Substratnetzadditive..................... Gemeinsamkeiten der Substratnetzadditive........................ Chemischer Aufbau lackrelevanter Substratnetzadditive.... Polyethersiloxane................................................................. Geminitenside...................................................................... Fluortenside......................................................................... Acetylendiole und Modifikationen......................................
86 86 86 87 87 88 90 90 91 91 91 92 92 93 93 94
4.3.5
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70 72 73 75 75 76 77 81 83 84 84
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12 5.2.2.5
5.2.2.6
5.2.2.7
Inhaltsverzeichnis
Sulfosuccinate......................................................................
94
Alkylphenolethoxylate (APEO)...........................................
95
Alkoxylierte Fettalkohole....................................................
5.3
Anwendungsgebiete der Substratnetzadditive.....................
5.3.2
Reduktion der statischen Oberflächenspannung..................
5.3.1
5.3.3 5.3.4
5.3.5
5.3.6
5.3.6.1
Grundeigenschaften der verschiedenen Additivklassen......
Mögliche Schaumstabilisierung..........................................
Effektive Reduktion der statischen Oberflächenspannung versus Verlauf...................................................................... Reduktion der dynamischen Oberflächenspannung............
Welche Eigenschaften korrelieren mit welcher praktischen Anwendung?..................................................... Krater...................................................................................
95
96
96
96
97 97
97
98
98
5.3.6.2
Benetzung und Zerstäubung von Spritzlacken....................
99
5.3.6.4
Verlauf.................................................................................
100
5.3.6.3
5.3.6.5
5.4
5.5
5.5.1
5.5.2 5.6
5.6.1
5.6.2
5.6.3
5.6.4
5.6.5
5.6.6
5.6.7
5.6.8
5.6.9 5.7
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Wiederbenetzbarkeit, Überdruckbarkeit und Überlackierbarkeit..................................................................................
Spritznebelaufnahme...........................................................
Einsatz der Substratnetzadditive nach Marksegmenten......
Tipps und Tricks..................................................................
99
100 101
102
Substratnetzadditive im Lack optimal formulieren.............
102
Messmethoden zur Bestimmung der Oberflächenspannung..............................................................................
103
Farbton Metallic..................................................................
Statische Oberflächenspannung........................................... Dynamische Oberflächenspannung.....................................
103
103
104
Dynamik – Statik................................................................
104
One Spray Path....................................................................
106
Keilspritzen..........................................................................
105
Kratertest.............................................................................
106
Spritznebelaufnahme...........................................................
107
Literaturhinweise.................................................................
108
Rakelaufzug.........................................................................
Analytische Testmethoden..................................................
107
108
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Inhaltsverzeichnis
13
6 6.1 6.1.1 6.1.1.1 6.1.1.2 6.2 6.2.1 6.2.1.1 6.2.1.2 6.2.1.3 6.2.1.4 6.2.2 6.3 6.4
Performance durch Co-Bindemittel................................ Herstellung der Co-Bindemittel.......................................... Sekundärdispersionen.......................................................... Polyesterdispersionen.......................................................... Polyurethandispersionen...................................................... Anwendungsbeispiele für Co-Bindemittel........................... Co-Bindemittel für ein besseres Eigenschaftsprofil............ Beeinflussen der Antrocknungsgeschwindigkeit................. Verbesserung der Haftung................................................... Einstellen der Balance zwischen Härte und Flexibilität..... Glanz................................................................................... Co-Bindemittel für Pigmentpasten...................................... Zusammenfassung............................................................... Literaturhinweise.................................................................
109 110 110 113 114 115 115 116 116 119 120 121 123 124
7 7.1 7.1.1 7.1.2 7.1.3 7.1.4 7.1.4.1
Entlüfter............................................................................. Wirkungsmechanismus von Entlüftern............................... Auflösen von Mikroschaumblasen...................................... Aufsteigen von Mikroschaumblasen im Lackfilm.............. Wie Mikroschaum im Lackfilm verhindert wird................ Wie Entlüfter gegen Mikroschaum wirken......................... Entlüfter begünstigen das Auflösen bzw. die Bildung von kleinen Mikroschaumblasen................................................ Wie Entlüfter das Auflösen von Mikroschaumblasen begünstigen.......................................................................... Chemische Zusammensetzung von Entlüftern.................... Hauptanwendungen nach Bindemittelsystemen.................. Hauptanwendung nach Marktsegmenten............................. Tipps und Tricks.................................................................. Wirksamkeit von Entlüftern beurteilen............................... Prüfmethode für niedrig- bis mittelviskose Lackformulierungen.................................................................... Prüfmethode für mittel- bis hochviskose Lackformulierungen....................................................................
125 126 126 128 130 131
7.1.4.2 7.2 7.3 7.4 7.5 7.6 7.6.1 7.6.2
7.6.3
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Weitere Prüfmethoden zu Mikroschaum............................
131 132 133 134 135 136 136 137 137
137
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14
Inhaltsverzeichnis
7.7 7.8
Schlussfolgerung.................................................................. Literaturhinweise.................................................................
138 139
8 8.1 8.1.1 8.1.2 8.1.3 8.1.4 8.1.5 8.1.6 8.1.7 8.2 8.2.1 8.2.2 8.2.3 8.2.4 8.3 8.4 8.4.1 8.4.1.1 8.4.1.2 8.5 8.6 8.6.1 8.6.2 8.7 8.8 8.8.1 8.8.2 8.8.3 8.9
Verlaufadditive................................................................... Wirkungsmechanismus....................................................... Wirkungsmechanismus in wässrigen Systemen ohne Co-Lösemittel...................................................................... Ablaufen.............................................................................. Total Film Flow................................................................... Wirkungsmechanismus in wässrigen Systemen mit Co-Lösemitteln.................................................................... Wirkungsmechanismus eines thermisch härtenden wässrigen Systems mit Co-Lösemitteln.............................. Oberflächenspannungsgradienten........................................ Zusammenfassung............................................................... Chemie der Wirkstoffe........................................................ Polyethersiloxane................................................................. Polyacrylate......................................................................... Nebeneffekte von Polyethersiloxanen.................................. Gleitfähigkeit....................................................................... Filmbildung......................................................................... Hauptanwendungen nach Marktsegmenten......................... Industrielle Metalllackierung.............................................. Elektrotauchlackierung....................................................... Wasserbasislacke................................................................. Industrielacke...................................................................... Bautenschutzfarben............................................................. Dispersionsfarben................................................................ Dispersionslacke.................................................................. Zusammenfassung............................................................... Prüfmethoden...................................................................... Messung des Verlaufs.......................................................... Messung des Verlaufs und Ablaufens mittels der DMA..... Messung der Gleiteigenschaften.......................................... Literaturhinweise.................................................................
140 140
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140 141 142 143 143 145 146 146 146 148 149 149 151 152 152 152 153 153 154 154 154 154 155 155 156 156 157
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Inhaltsverzeichnis
15
9
Wachsadditive....................................................................
158
9.1.1
Natürliche Wachse...............................................................
158
Wachse fossiler Herkunft....................................................
159
9.1
9.1.1.1
9.1.1.2
9.1.2
9.1.2.1
9.1.2.2
9.2
9.2.1
9.2.1.1
Rohstoff Wachs....................................................................
Wachse aus nachwachsenden Rohstoffen............................
Halbsynthetische und synthetische Wachse........................
158
159
160
Halbsynthetische Wachse....................................................
160
Vom Wachs zum Wachsadditiv...........................................
163
Synthetische Wachse...........................................................
Wachs und Wasser...............................................................
Wachsemulsionen................................................................
161
163
163
9.2.1.2
Wachsdispersionen..............................................................
164
9.3
Wachsadditive für die Lackindustrie...................................
165
9.2.2 9.3.1
9.3.2
9.3.2.1
9.3.2.2
9.3.2.3
9.3.2.4
Mikronisierte Wachsadditive............................................... Wirkungsmechanismus....................................................... Lackeigenschaften...............................................................
Oberflächenschutz...............................................................
164 165 167 167
Glanzreduzierung................................................................
170
Haptik und Struktur.............................................................
172
9.4
Zusammenfassung...............................................................
Rheologiesteuerung.............................................................
172
10
Lichtschutzmittel...............................................................
174
10.2
Licht und fotooxidativer Abbau...........................................
174
10.1
10.3
10.3.1
10.3.1.1
10.3.2
10.3.2.1
10.3.2.2
10.4
10.4.1
10.4.2
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Einführung..........................................................................
173 174
Stabilisierungsmöglichkeiten für Polymere.........................
177
Wirkungsmechanismus von UV-Absorbern........................
178
UV-Absorber.......................................................................
Radikalfänger......................................................................
178
182
Antioxidantien.....................................................................
182
Lichtschutzmittel für wässrige Lacksysteme.......................
185
Sterisch gehinderte Amine..................................................
Marktübersicht.....................................................................
Anwendungsgebiete und Marktsegmente............................
183
186
190
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16
Inhaltsverzeichnis
10.4.2.1
Anwendungsspezifische Produktauswahl............................
190
10.6
Prüfmethoden und analytischer Nachweis..........................
192
HALS..................................................................................
192
10.5
10.6.1
10.6.2
10.6.3
10.6.3.1
10.6.3.2
Schlussfolgerung..................................................................
UV-Absorber.......................................................................
192
192
Bewitterungsmethoden und Beurteilungskriterien..............
192
Weitere Beurteilungskriterien.............................................
193
Kurzzeitbewitterung............................................................
193
10.7
Literaturhinweise.................................................................
193
11
Gebinde- und Filmkonservierung...................................
195
11.1
11.2
11.2.1
11.2.2
11.2.3
Nachhaltige und effektive Gebinde- und Filmkonservierung.................................................................................
Gebindekonservierung.........................................................
Wirkstoffklassen.................................................................
Auswahl der Wirkstoffe für die Konservierung..................
Betriebshygiene...................................................................
11.3
Filmkonservierung..............................................................
11.3.2
Alternativen.........................................................................
11.3.1
Herkömmliche Filmkonservierer........................................
195
197
197
199
200 200
201
203
11.3.3
Neue, „alte“ Filmkonservierer.............................................
204
11.4
Externe Einflussgrößen........................................................
207
11.3.4
11.5
11.6 12
12.1
12.2
12.2.1
12.2.2
12.2.3
12.3
12.3.1
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Verbesserung der ökotoxikologischen Eigenschaften.........
Ausblick...............................................................................
205
207
Literaturhinweise.................................................................
208
Hydrophobierungsmittel...................................................
209
Funktionsweise....................................................................
209
Allgemeines.........................................................................
209
Kapillare Wasseraufnahme.................................................
209
Wirkungsweise von Hydrophobierungsmitteln...................
211
Hydrophobie........................................................................
Chemische Strukturen.........................................................
Lineare Polysiloxane und organofunktionelle Polysiloxane................................................................................
211
213
215
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Inhaltsverzeichnis
12.3.2 12.3.3 12.3.4 12.3.5 12.3.5.1 12.3.5.2 12.4 12.4.1 12.4.2 12.4.3 12.4.4 12.4.5 12.5 12.6 12.6.1 12.6.2 12.6.3 12.6.4 12.6.5 12.7
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Siliconharze/Siliconharzemulsionen................................... Weitere Hydrophobierungsmittel......................................... Herstellungsverfahren von linearen Polysiloxanen............. Herstellung von Siliconharzemulsionen.............................. Sekundäremulsionsverfahren.............................................. Primäremulsionsverfahren.................................................. Wässrige Fassadenfarben.................................................... Kunststoffdispersionsfarben................................................ Dispersionssilikatfarben...................................................... Dispersionsfarben mit Silikatcharakter (SIL-Farben)......... Siloxanfassadenfarben mit starkem Abperleffekt................ Siliconharzfassadenfarben................................................... Schlussfolgerung.................................................................. Grundlagen zur Vertiefung.................................................. Fassadenschutztheorie nach Künzel.................................... Messung der kapillaren Wasseraufnahme (w-Wert)............ Wasserdampfdiffusion (sd-Wert).......................................... Künstliche Beschmutzung................................................... Pigment-Volumen-Konzentration (PVK)............................. Literaturhinweise.................................................................
215 216 216 217 217 218 218 218 218 219 219 220 222 222 222 223 223 224 225 226
Lebensläufe........................................................................
227
Index...................................................................................
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Einleitung
1
Einleitung Wernfried Heilen
Wässrige Beschichtungsstoffe haben im Vergleich zu den konventionellen lösungsmittelhaltigen Systemen deutlich unterschiedliche Eigenschaften. Der Grund sind die physikalischen Eigenschaften des Wassers, welches als primäres Lösungsmittel in wässrigen Beschichtungsstoffen eingesetzt wird. Die Verdampfungswärme von Wasser ist im Gegensatz zu vielen anderen Lösungsmittel sehr hoch [1]. Dies hat zur Folge, dass lufttrocknende Systeme bei niedriger Temperatur und/oder hoher Luftfeuchtigkeit langsamer trocknen. Entsprechend hohe Energiemengen müssen bei wärmehärtenden Systemen aufgewendet werden. Zur Optimierung der Trocknung und Verfilmung können für die Formulierung lösungsmittelhaltiger Systeme eine Vielzahl von Lösungsmitteln mit unterschiedlichen Verdampfungskoeffizienten und Siedepunkten eingesetzt werden. Im Gegensatz dazu stehen dem Formulierer von wässrigen Beschichtungsstoffen nur wenige Lösungsmittel zur Verfügung, die als wasserlösliche Co-Lösungsmittel verwandt werden können. Wasser hat als stark polares Lösungsmittel eine vergleichsweise hohe Oberflächenspannung. Dadurch bedingt als auch durch den besonderen Aufbau der Bindemittel in Form nicht völlig dissoziierter Polyelektrolyte bzw. kolloidaler Systeme oder Dispersionen auf Basis verschiedener Polymere treten sowohl bei der Herstellung sowie bei der Applikation typische Besonderheiten auf. Dies machte die Entwicklung spezieller Additive erforderlich. Essentiell für die Herstellung von wässrigen Beschichtungsstoffen wie auch für lösungsmittelhaltige Systeme sind •
Netz- und Dispergiermittel.
•
Entschäumer
•
rheologisch wirksame Additive.
Von besonderer Wichtigkeit in wässrigen Formulierungen sind aber auch
Im Gegensatz zu lösungsmittelhaltigen Beschichtungsstoffen, wo heute überwiegend polymere Netz- und Dispergieradditive Einsatz finden, werden in wässrigen Wernfried Heilen: Additive für wässrige Lacksysteme © Copyright 2009 by Vincentz Network, Hannover, Germany
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Einleitung
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Systemen nach wie vor sowohl Polyphosphate, Salze von Polyacrylsäure als auch, wenngleich auch bezüglich der Ökotoxizidität umstritten, Alkylphenolethoxylate eingesetzt. Um organische Pigmente zu stabilisieren, werden Fettsäure- und Fettalkoholderivate zunehmend und auch polymere Acrylat-Copolymere verwendet. Als Verursacher für den Schaum gelten die bei der Herstellung der wässrigen Binde mittel verwendeten Emulgatoren aber auch die o.g. Netz- und Dispergiermittel. Außerdem können nicht assoziativ wirksame Verdicker wie z.B. von Cellulosederiva ten, die viele hydrophile Segmente im Molekül haben, die Schaumbildung fördern. Bei den heute verwendeten Entschäumern handelt es sich um komplexe Mischungen aus verschiedensten Wirksubstanzen, dazu zählen Mineralöle, Polyethersiloxane, Wachse, gefällte Kieselsäuren usw. Zur Steuerung der Viskosität in allen Scherbereichen und den damit verbundenen Eigenschaften wie Verlauf, Ablaufen, Absetzverhalten und Lagerstabilität werden sowohl anorganische als auch synthetische Verdicker eingesetzt. Die in diesem Buch beschriebenen Polyurethanverdicker gehören zur Klasse der assoziativen Verdicker. Die Verdickungswirkung dieser Produkte ist systemabhängig und wird durch die Rezepturbestandteile stark beeinflusst. Aufgrund der hohen Oberflächenspannung des Wassers können auf ungenügend gereinigten Substraten Oberflächenstörungen und Haftungsprobleme auftreten. Deshalb müssen notwendigerweise in Abhängigkeit vom Substrat •
Substratnetzmittel
und •
Haftvermittler
als Additive bzw. Co-Bindemittel in wässrigen Beschichtungsstoffen eingesetzt werden. Auch Entlüfter, die sich besonders bei der Airless-Applikation bewährt haben, sind für viele Formulierungen unabdingbar. Die auch in lösungsmittelhaltigen Lacksystemen üblicherweise als Verlaufmittel auf Basis von Polyethersiloxanen bzw. Polyacrylaten eingesetzten Produkte werden in wässrigen Systemen nur dort eingesetzt, wo noch wie in Einbrennsystemen größere Mengen Co-Lösungsmittel mitverwandt werden. Dabei entstehen in vielen Fällen Oberflächenspannungsgradienten, die den Einsatz der o.g. Produkte unumgänglich machen. Auch wegen den häufig gewünschten positiven Nebeneffekten, wie z.B. die Reduzierung der Gleitreibung können Polyethersiloxane eingesetzt werden. Neben Polyethersiloxanen werden auch häufig Wachse verwandt.
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Einleitung
Nicht eingegangen wird in diesem Buch auf die für wässrige Dispersionen heute noch notwendigen Filmbildehilfsmittel. Diese sind hinsichtlich ihrer Wirkung ausreichend gut in der Literatur beschrieben. Um den applizierten wässrigen Beschichtungsstoff vor Filmabbau zu schützen, ist der Einsatz von Lichtschutzmitteln ebenso wie die Verwendung von Filmkonservierungsstoffen zwingend notwendig. In der zuvor beschriebenen Abfolge sind auch die Kapitel dieses Buches geordnet. Abschließend wird auf die Hydrophobierungsmittel, die vorwiegend im Fassadenschutz Einsatz finden, eingegangen.
Literaturverzeichnis [1]
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Kittel, „Lehrbuch der Lacke und Beschichtungen“, Band 3, S. Hirzel Verlag, StuttgartLeipzig 2001
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Wirkmechanismen
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Netz- und Dispergieradditive Frank Kleinsteinberg
Es ist unbestritten, dass das Dispergieren von Pigmenten der aufwändigste Schritt der Lackherstellung ist. Bei weitem schwieriger ist jedoch das Stabilisieren der dispergierten Teilchen gegen Reflockulation. In wässrigen Formulierungen steht der Lackhersteller einem weiteren Problem gegenüber. Die hohe Oberflächenspannung des Wassers widerspricht naturgemäß jeder Benetzung von niederenergetischen Oberflächen. Solange die Systeme als einfache Dispersionsfarben beschrieben werden konnten und die eingesetzten Pigmente anorganischer Natur waren, reichten Netzmittel mit anionischem Charakter aus. Der Wunsch nach brillanten Farbtönen, hohen Farbstärken und Transparenz kann jedoch nur von organischen Pigmenten erfüllt werden. Organische Pigmentoberflächen zählen zu den niederenergetischen Oberflächen. Das Benetzungsverhalten der Additive muss demnach deutlich gesteigert werden. Ein weiteres Problem ist die große Oberfläche der feinteiligen organischen Pigmente. Die Stabilisierung solcher Pigmente ist mit einfachen Mitteln nicht mehr möglich. Moderne Netz- und Dispergieradditive sind Polymere mit höchster Leistungsfähigkeit. Das Zusammenspiel von Pigmentbenetzung und Pigmentstabilisierung macht diese Produktgruppe so einzigartig und die Erklärung der verschiedenen Phänomene manchmal schwierig. Im Folgenden wird die Wirkungsweise von Netz- und Dispergieradditiven erklärt und ihre Relevanz für unterschiedliche Phänomene diskutiert. Die verschiedenen chemischen Konzepte werden erläutert und ihr Stellenwert in verschiedensten Marktsegmenten erörtert.
2.1
Wirkmechanismen
Um die Wirkmechanismen von Netz- und Dispergieradditiven zu beschreiben, wird der Vorgang der Pigmentdispergierung in drei Abschnitte unterteilt: • • •
Pigmentbenetzung Zerkleinerung der Pigmentteilchen Stabilisierung der Pigmentteilchen
2.1.1
Pigmentbenetzung
Die Vorgänge bei der Benetzung eines Feststoffes durch eine Flüssigkeit können annähernd durch die Young-Gleichung beschrieben werden: Wernfried Heilen: Additive für wässrige Lacksysteme © Copyright 2009 by Vincentz Network, Hannover, Germany
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22 s
Netz- und Dispergieradditive
=
oder – s
sl
+
l
· cos
sl
/
l
= cos
mit : Oberflächenspannung des Festkörpers s γsl: Grenzflächenspannung Festkörper/Flüssigkeit : Oberflächenspannung der Flüssigkeit l : Kontaktwinkel Festkörper/Flüssigkeit (siehe Abbildung 2.1). Bei spontaner Benetzung oder auch Spreitung wird der Kontaktwinkel gleich Null, wodurch der Cosinus gleich 1 wird. Dies ist der Fall, wenn: l
=
s
–
sl
Um Benetzung zu erhalten, muss die Oberflächenspannung der Flüssigkeit kleiner als die des Festkörpers sein. Eine Flüssigkeit mit geringer Oberflächenspannung benetzt Pigmente besser als eine Flüssigkeit mit hoher Oberflächenspannung. Ein Additiv, das die Benetzung fördern soll, muss daher in erster Linie die Oberflächenspannung reduzieren. Das Additiv adsorbiert während der Benetzung auf der Oberfläche des Pigmentes. Die noch großen Pigmentteilchen werden umhüllt. Die Wechselwirkungen zwischen den Pigmentteilchen werden dadurch verringert und die Viskosität des Mahlgutes gesenkt. Die Senkung der Mahlgutviskosität ist ein erster Indikator für die Benetzung der Pigmentteilchen. Nur bei sehr guter Benetzung der Pigmentoberflächen kann eine optimale Zerkleinerung der Agglomerate erfolgen. Eine optimale Zerkleinerung
Abbildung 2.1: Kräftegleichgewicht nach Young
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Wirkmechanismen
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bedeutet die Erreichung der größtmöglichen Oberfläche. Je größer die erreichte Oberfläche, desto mehr Licht kann absorbiert werde, d.h. je höher ist die resultierende Farbstärke. Transparenz und Deckvermögen sind ebenfalls von der Teilchengröße abhängig. Während organische Pigmente bei kleinerer Teilchengröße eine höhere Transparenz zeigen, durchlaufen anorganische Pigmente bei abnehmender Teilchengröße ein Maximum des Deckvermögens bei /2 [1]. 2.1.2
Dispergierung
Bei der Dispergierung werden die Pigmentagglomerate mechanisch zerkleinert. Dazu stehen viele verschiedene Maschinen zur Auswahl. Das einfachste Gerät zur Dispergierung ist der Dissolver. Mit einer geeigneten Mahlscheibe können einfache anorganische Pigmente wie Titandioxid mit gutem Resultat dispergiert werden. Bei schwieriger zu dispergierenden organischen Pigmenten dient der Dissolver nur zur Vormischung. Um die gewünschte feine Vermahlung zu erhalten, ist eine Perlmühle empfehlenswert. Netz- und Dispergieradditive helfen bei der Dispergierung, indem sie für schnelle Benetzung der neuen Grenzflächen sorgen und so die Dispergierzeit herabsetzen. Zusätzlich adsorbieren Additivmoleküle auf den neu entstandenen Grenzflächen. Die Wechselwirkungen zwischen den immer feineren Pigmentteilchen werden minimiert und so die Viskosität auf gleichem Niveau gehalten. Gleichzeitig werden die Pigmentteilchen gegen Flockulation stabilisiert. Ohne Stabilisierung würden sich die Primärteilchen des Pigmentes wieder zusammen lagern und die ins System gebrachte Energie wieder abgeben. Jeder Dispergiervorgang, die Zerlegung von Aggregaten und Agglomeraten, erfordert den Eintrag von Dispergierenergie. Die zu leistende Arbeit berechnet sich allgemein nach: dW = · dA mit W: Grenzflächenarbeit : Oberflächenspannung A: Grenzfläche Die Gleichung zeigt, dass für die Vergrößerung der Oberfläche A während des Dis pergiervorgangs – durch Zerteilung der Agglomerate – ein der Oberflächenspannung proportionaler Energieeintrag dW notwendig ist. Je kleiner nun die Oberflächenspannung, desto größer ist die Oberflächenänderung bei gleicher eingebrachter Dispergierenergie. Genauso gut kann man formulieren, dass für eine bestimmte Oberflächenänderung in Gegenwart eines Dispergieradditivs – also bei
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Netz- und Dispergieradditive
verminderter Oberflächenspannung – weniger Dispergierenergie notwendig ist. Damit werden Netz- und Dispergierhilfsmittel zu den wichtigsten Funktionsträgern bei Dispergiervorgängen. Sie verkürzen durch die Reduktion des Kontaktwinkels die Dispergierzeit. Sie vermindern den notwendigen Energieeintrag, und sie verhindern die Reagglomeration während des Dispergiervorganges [2]. 2.1.3
Stabilisierung
Die Grundvoraussetzung für die Stabilisierung der fein verteilten Teilchen ist die Adsorption der Additivmoleküle auf der Pigmentoberfläche. Die Additivmoleküle müssen Gruppen oder Segmente enthalten, die starke Wechselwirkungen mit der Pigmentoberfläche eingehen können. Mögliche Wechselwirkungen sind Ionenbindungen, Dipol-Dipolkräfte, Wasserstoffbrückenbindungen. Zur Stabilisierung der Teilchen sind mehrere Mechanismen denkbar, die im Folgenden diskutiert werden. 2.1.3.1
Elektrostatische Stabilisierung
Ein in wässrigen Medien sehr wichtiger Mechanismus zur Stabilisierung von Pigmentteilchen ist die elektrostatische Abstoßung. Man nutzt hier die Coloumbschen Wechselwirkungen zwischen gleich geladenen Teilchen, die sich über die DLVOTheorie (benannt nach Derjagin, Landau, Verwey und Overbeek) beschreiben lässt. Im Falle der Pigmentstabilisierung dissoziiert das auf der Pigmentoberfläche adsorbierte Netz- und Dispergieradditiv in einen anionischen Polymeranteil und kationische Gegenionen. Diese sind nicht adsorbiert und bilden als bewegliche, diffuse Ladungswolke den äußeren Rand der Polymerhülle. Es entsteht eine elektrische Doppelschicht, die dazu führt, dass die Teilchen sich abstoßen und so gegen Flockulation stabilisiert sind.
Abbildung 2a: Elektrostatische Stabili sierung
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Abbildung 2.2b: Sterische Stabilisierung
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Elektrolytzusätze besonders von mehrwertigen Kationen destabilisieren die elektrochemische Doppelschicht. Die Balance zwischen anionischem Polymerrest und diffuser Kationen-Wolke kann zerfallen und die Stabilisierung wird zerstört. Das Zetapotential beschreibt die elektrostatischen Wechselwirkungen innerhalb der Polymerhülle. Je kleiner der nummerische Wert desto geringer ist die elektro statische Stabilisierung. Das Zetapotential gibt keine Auskunft über die sterische Stabilisierung, da bei diesem Vorgang keine Ionen entstehen und somit kein Potential erfasst werden kann (Abbildung 2a). 2.1.3.2
Sterische Stabilisierung
In wässrigen Medien ebenfalls verbreitete Art der Stabilisierung ist die sterische Stabilisierung. Die adsorbierten Additivmoleküle bilden hierbei eine Polymerschicht um das Pigmentteilchen. Diese Polymerschicht besteht aus den Ankergruppen des Additivs und einer diffusen Schicht aus Polymerketten. Für eine optimale Stabilisierung müssen diese Polymerketten im umgebenden Wasser/BindemittelGemisch sehr gut löslich sein. Sie bilden die äußere Hülle um das stabilisierte Pigmentteilchen. Nähern sich zwei Pigmentteilchen, beginnen sich die Polymerschichten zu überlappen. Dies führt zu einer Abstoßung. Ein anschauliches Modell ist das, der zwei Kugeln, die Drahtfedern auf der Oberfläche tragen. Wenn sich die Kugeln nähern, verhindern die Federn eine Berührung der Oberflächen. Der thermodynamische Ansatz geht davon aus, dass Konfigurationsfreiheitsgrade verloren gehen. Die Verringerung des Freiheitsgrads der Bewegung der Ketten bedeutet eine Abnahme der Entropie. Um den Entropieverlust auszugleichen und die Beweglichkeit der Ketten wieder herzustellen, müssen die Pigmentteilchen ihren Abstand erhöhen. Die freie Energie lässt sich beschreiben als G = H –T S mit H: Änderung der Enthalpie S: Änderung der Entropie T: absolute Temperatur Wichtige Faktoren für die Effektivität der Stabilisierung sind die Stärke der Adsorption der Polymere auf der Oberfläche, die Vollständigkeit der Polymerhülle und deren Dicke. Die Dicke der Polymerschicht und somit die Stabilisierung wird erhöht, indem die Polymerketten des Additivs mit Bindemittelmolekülen wechselwirken [3] (Abbildung 2b).
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Netz- und Dispergieradditive
2.1.3.3 Elektrosterische Stabili sierung
Abbildung 2.2c: Elektrosterische Stabilisierung
2.1.4
Bei den komplexen Aufgaben, die an Netzund Dispergieradditive besonders in wässrigen Systemen gestellt werden, ist es sinnvoll, elektrostatische und sterische Effekte zu kombinieren. Dieses Prinzip wird auch als elektrosterische Stabilisierung bezeichnet. Moderne Netz- und Dispergieradditive für wässrige Anwendungen arbeiten nach dem Prinzip der elektrosterischen Stabilisierung. Nur solche Additive können hohe Anforderungen bezüglich Stabilisierung und Lagerstabilität erfüllen.
Einflüsse auf die Rezeptierung
Die verschiedenen Mechanismen der Stabilisierung rufen Phänomene hervor, die bei der Rezeptierung von Mahlgütern und Pigmentkonzentraten von großer Bedeutung sind. 2.1.4.1
Viskosität
Ein wichtiges Beispiel hierfür ist das unterschiedliche Verhalten der Additive bezüglich Viskositätssenkung bei verschiedenen Einsatzkonzentrationen. Ein vorwiegend elektrostatisch stabilisierendes Additiv zeigt bei Zugabe zum Mahlgut eine starke Viskositätssenkung. Das Additiv adsorbiert auf der Pigmentoberfläche und reduziert sofort die Wechselwirkungen zwischen den Pigmentteilchen. Die Folge ist eine starke Reduzierung der Viskosität. Bei höherer Dosierung kann eine leichte Erhöhung der Viskosität festgestellt werden. Aus der höheren Konzentration an Polymer resultiert ein höherer Festkörper der Anreibung, der zu einer leicht erhöhten Viskosität führt.
Abbildung 2.3: Viskositätsverhalten bei Direktanreibung
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Ein anderes Verhalten zei gen hochpolymere Additive, die sterisch oder elektro sterisch stabilisieren. Eine Gegenüberstellung von Additivzugabe und resultierender Viskosität zeigt das Vorhandensein eines für die Viskositätssenkung optimalen Konzentrationsbereichs.
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Wirkmechanismen
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Abbildung 2.4: Viskositätsverhalten in Pigmentkonzentraten
Additivkonzentrationen unterhalb dieses Bereichs sind nicht ausreichend, um die Pigmentteilchen zu stabilisieren. Die Pigmentteilchen können noch miteinander in Wechselwirkung treten. Dies führt zu einer erhöhten Viskosität. Aber auch eine Zugabe jenseits des optimalen Bereichs führt zu höherer Viskosität des Pigmentkonzentrates. Die starke Erhöhung ist mit höherem Polymeranteil und steigendem Festkörper nicht alleine zu erklären. Vielmehr sind die Additivmoleküle im äußeren Bereich der Polymerhülle nicht mehr in der Lage, sich eindeutig zu orientieren. Nähert sich ein anderes Pigmentteilchen, können diese Additivmoleküle auch mit diesem Pigmentteilchen und der umgebenen Polymerhülle wechselwirken. Diese Wechselwirkung führt zu einer eingeschränkten Beweglichkeit der Pigmentteilchen und damit zu höherer Viskosität. 2.1.4.2
Farbstärkeentwicklung
2.1.4.3
Verträglichkeit
Eine Betrachtung der Farbstärkeentwicklung bezogen auf die Einsatzkonzentration zeigt jedoch ein anderes Verhalten. Hier wird deutlich, dass eine höhere Konzentration an Additiv eine höhere Farbstärke zeigt. Die Kurve endet allerdings in einem Plateau, eine weitere Zugabe führt nur zu unwesentlicher Verbesserung. Durch den höheren Anteil an Additiv wird die Pigmentbenetzung verbessert und die Farbstärke gesteigert. Extreme Konzentrationen führen jedoch zu Doppelbelegung auf der Pigmentoberfläche, die Pigmentbenetzung kann so nicht verbessert werden und eine Farbstärkeerhöhung wird nicht erzielt (Abbildung 2.5, Seite 28). Bei erhöhter Konzentration des Netz- und Dispergieradditivs kann auch eine Verbesserung der Verträglichkeit zwischen Pigmentkonzentrat und Basisfarbe (Farbpastenaufnahme) beobachtet werden. Die bessere Farbpastenaufnahme führt zu
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Netz- und Dispergieradditive
Abbildung 2.5: Farbstärkeentwicklung über Additivkonzentration (schematisch)
niedrigeren Rub-Out-Werten. Die eingesetzten Additive beinhalten hydrophile Strukturelemente in Form von hydrophilen Seitenketten oder salzartigen Gruppen. Diese hydrophilen Strukturen orientieren sich zum wässrigen Medium. Je mehr Additiv eingesetzt wird, desto hydrophiler ist das Pigmentteilchen und desto verträglicher ist das Pigmentkonzentrat mit der wässrigen Basisfarbe. 2.1.4.4
Stabilität
Da die Stabilisierung, wie schon beschrieben, von der Dicke der Polymerhülle um das Pigmentteilchen abhängt, kann auch ein Zusammenhang mit der Additivkonzentration gefunden werden. Eine höhere Konzentration an stabilisierendem Additiv führt zu einer stabileren Dispersion.
2.2
Chemische Strukturen
Um die Pigmentteilchen zu stabilisieren, sind grundsätzlich zwei Molekülsegmente erforderlich. Zum einen die pigmentaffine Ankergruppe, die auf der Pigmentoberfläche adsorbiert, zum anderen die in Wasser löslichen Seitenketten, die die sterische Stabilisierung hervorrufen. Da die pigmentaffine Gruppe meistens hydrophob ist und die lösliche Seitenkette hydrophil, spricht man bei Netz- und Dispergieradditiven von amphiphilen Strukturen. Die einfachste amphiphile Struktur wäre ein Tensid. Tenside sind aufgrund ihres niedrigen Molekulargewichts zur Stabilisierung von Pigmentteilchen nicht geeignet.
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Chemische Strukturen
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Auf dem Markt erhältliche Produkte sind fast immer polymere Strukturen. Die Polymere können mit verschiedenen funktionellen Gruppen mit hoher Pigmentaffinität (Ankergruppen) ausgerüstet sein. Als Ankergruppe für organische Pigmente kann z.B. ein aromatischer Ring dienen. Die Adsorption erfolgt über van-derWaals-Kräfte. Die Adsorption auf anorganischen, oxidischen Pigmentoberflächen erfolgt über Wasserstoffbrücken und induzierte Dipole. Hydroxylgruppen und Carbonylgruppen können hier eingesetzt werden. Die Kombination aus beiden, die Carboxylgruppe, zeigt ebenfalls starke Affinität zu anorganischen Pigmenten. Additive mit Stickstoffgruppen (z.B. Amin- oder Imin) zeigen besonders gute Adsorption auf Russ-Oberflächen. Additive ohne Stickstoffgruppen sind nur bedingt für Pigmentruße geeignet. 2.2.1
Polyacrylatsalze
Einfache Polymere zur Stabilisierung von Pigmenten in wässrigen Farben sind Polyacrylat-Salze. Sie zeichnen sich durch eine hohe Säurezahl aus. Die hohe Säure zahl ermöglicht eine gute Haftung auf anorganischen Pigmenten. Der starke Salzcharakter dieser Produkte ermöglicht einen hohen Dissoziationsgrad in Wasser und somit eine gute elektrostatische Stabilisierung. Gängige Gegenionen sind Natrium und Ammonium. Ammonium-Polyacrylate zeichnen sich durch eine Abbildung 2.6a: Beispielstruktur Polyacrylat salz höhere Wasserfestigkeit aus. 2.2.2
Fettsäure- und Fettalkoholderivate
Polyacrylat-Salze sind jedoch nicht geeignet, um organische Pigmente zu stabilisieren. Als einfache Strukturen gelten Fettsäurederivate. Die Fettsäurechemie liefert sehr pigmentaffine Strukturen auch für organische Pigmente und Pigmentruße. Als hydrophilen Gegenpart dient eine Polyetherkette. Die so erhaltenen Fettsäureethoxylate sind hervorragende Emulgatoren und führen zu sehr verträglichen Pigmentanreibungen. Wie bei den Polyacrylat-Salzen ist die Wasserbeständigkeit der Fettsäureethoxylate ebenfalls eingeschränkt. Im Gegensatz zu Polyacrylat-Salzen lassen sich mit Fettsäureethoxylaten auch Pigmentkonzentrate formulie- Abbildung 2.6b: Beispielstruktur Glycerinfett ren. säureethoxylat
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30 2.2.3
Netz- und Dispergieradditive
Acrylat-Copolymere
Acrylat-Copolymere sind ebenfalls geeignet, Pigmentkonzentrate zu formulieren. Die Vielfalt an verfügbaren Monomeren lässt die Entwicklung von Netz- und Dispergieradditiven zu, die für alle Pigmenttypen geeignet und mit vielen Bindemitteln verträglich sind. Acrylat-Copolymere können zudem sehr wasserbeständig eingestellt werden. Auch bei Acrylat-Copolymeren dienen hydrophile Polyetherketten der sterischen Stabilisierung der Pigmentteilchen. Es ist möglich A-B-Copolymere oder auch kammartige Polymere zu erhalten.
Abbildung 6c: Beispielstruktur Meth-Acrylat-Polyether-Copolymer
2.2.4
MSA-Copolymere
In MSA-Copolymeren wird der Polymerrücken aus Maleinsäureanhydrid aufgebaut. Die Copolymere sind meistens kammartig. Auch hier werden zur sterischen Stabilisierung der Pigmente Ethoxylate als Seitenketten eingesetzt. Die MSAChemie bietet nicht die Vielfalt der Acrylat-Chemie, es können trotzdem für alle Pigment-Typen geeignete Additive erhalten werden. Die Additive zeichnen sich ebenfalls durch sehr gute Wasserbeständigkeit aus.
Abbildung 2.6d: Beispielstruktur MSA-Polyether-Copolymer
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Chemische Strukturen
2.2.5
31
Alkylphenolethoxylate
Sehr preiswerte Moleküle mit sehr guter Dispergierwirkung sind Alkylphenolethoxylate (APE). Wegen ihrer breiten Verträglichkeit und ihrer starken Emulgierwirkung können sie zur Herstellung von Universalpasten dienen. Diese Pigmentpasten sind in wässrigen wie auch in lösemittelbasierten Basisfarben verträglich. Durch Hydrolyse kann aus APEs Nonylphenol entstehen. Nonylphenol ist sterisch dem weiblichen Hormon Östrogen sehr ähnlich und kann mitunter im Organismus die gleiche Wirkung erzielen. In Gewässern führt es dazu, dass die Wasserorganismen nur noch weibliche Nachkommen haben und so innerhalb von wenigen Generationen aussterben. Der Einsatz von APEs wird daher als sehr kritisch angesehen. Im amerikanischen Raum finden APEs noch breite Verwendung. Abbildung 2.6e: Nichtionische APE-Struktur 2.2.6
Alkylphenolethoxylate-Ersatzstoffe
Alternativen zu APEs stellen sog. Guerbet-Derivate (modifizierte Fettsäureethoxylate) und modifizierte Polyether dar. Da letztere nur Polyetherbindungen enthalten, sind sie hydrolysestabil und auch für Außenanwendungen geeignet.
Abbildung 2.6f: Guerbet-Derivat (R= Fettsäure oder Phosphat)
Abbildung 2.6g: Modifizierter Polyether
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32
2.3
Netz- und Dispergieradditive
Netz- und Dispergieradditive in verschiedenen Marktsegmenten
Netz- und Dispergieradditive werden sowohl für die Direktanreibung von Farben und Lacken als auch für Pigmentkonzentrate eingesetzt. Da diese unterschiedlichen Einsatzgebiete teils sehr verschiedene Ansprüche an die Additive stellen, muss bei der Betrachtung der Marktsegmente auch jeweils zwischen diesen beiden Gebieten unterschieden werden. 2.3.1
Baufarben
2.3.1.1
Direktanreibung
Bei der Herstellung von wässrigen Baufarben werden Füllstoffe wie Calciumcarbonate und Titandioxid als Mahlgut verrieben. Die Dispergierung dieser Stoffe erfordert keinen größeren Aufwand. Wegen ihrer hervorragenden Viskositätssenkung werden meistens Polyacrylat-Salze zur Dispergierung der Teilchen eingesetzt. Die elektrostatische Stabilisierung reicht im Falle der Direktanreibung aus und auch ihr Preis-Leistungsverhältnis passt zu dieser Anwendung. 2.3.1.2
Pigmentkonzentrate
Die Pigmentkonzentrate, die in Baufarben eingesetzt werden, kann man in mehrere Gruppen unterteilen. Zum einen die Gruppe der Voll- und Abtönfarben. Hierbei handelt es sich im eigentlichen Sinne um farbige Dispersionsfarben, die alleine als Volltonfarben eingesetzt werden können oder zum Tönen von weißen Basisfarben dienen. Ihr Pigmentgehalt ist relativ niedrig. Sie bestehen außerdem aus Bindemittel und als Netz- und Dispergieradditive enthalten sie geringe Mengen Fettsäureethoxylate. Die zweite Gruppe sind die bindemittelfreien Tönpasten. Sie enthalten größere Mengen an Fettsäurederivate und werden zum Abtönen von weißen Basisfarben oder zur Farbtonkorrektur eingesetzt. Zu diesem Marktsegment gehören auch hochwertige Pigmentkonzentrate, die auf Acrylat- oder MSA-Copolymere basieren und aufgrund ihrer Kostenstruktur nur in Ausnahmefällen verwandt werden. Diese hochwertigen Pigmentkonzentrate werden bei Fassadenfarben mit Abperleffekt oder bei Silikatfarben wegen des sehr hohen pH-Wertes eingesetzt. Sehr verbreitet im Baufarbensektor sind so genannte Universalpasten. Diese wässrigen Pigmentkonzentrate können nicht nur für wässrige Basisfarben, sondern auch zum Einfärben von lösemittelbasierten Alkydlacken benutzt werden. Bis vor kurzem wurden für diese Universalpasten Alkylphenolethoxylate verwendet. Als Ersatzstoffe dienen heutzutage spezielle Fettsäurederivate (Guerbet-Derivate) und modifizierte Polyether.
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Netz- und Dispergieradditive in verschiedenen Marktsegmenten
2.3.2
Holz- und Möbellacke
2.3.2.1
Direktanreibung
33
Wie schon in Baufarben werden bei der Direktanreibung von Titandioxid und Eisenoxiden in Holzlacken Polyacrylat-Salze eingesetzt. Werden transparente anorganische Pigmente angerieben, muss auf höherwertige Acrylat- und MSA-Copoly mere zurückgegriffen werden. 2.3.2.2
Pigmentkonzentrate
Die Verwendung von sehr feinen transparenten Pigmenten und die mitunter hohen Anforderungen an Beständigkeiten bedingt den Einsatz von leistungsstarken und chemisch beständigen Acrylat- und MSA-Copolymeren. Auch für die Herstellung von Mattierungsmittelpasten muss wegen der hohen Dispergierleistung auf diese Produkte zurückgegriffen werden. 2.3.3
Industrielacke
2.3.3.1
Direktanreibung
Um die hohen Anforderungen an Beständigkeit und Bewitterungsstabilität zu erfüllen, werden vor allem Acrylat- und MSA-Copolymere eingesetzt. Auch die Verwendung von sehr feinen organischen Pigmenten benötigt den Einsatz dieser hochwertigen und leistungsstarken Netz- und Dispergieradditive. 2.3.3.2
Pigmentkonzentrate
In Industrielacken besteht zwischen Direktanreibung und Pigmentkonzentrat wenig Unterschied. Es muss darauf hingewiesen werden, dass die Pigmentkonzentrate in Industrielacken meistens bindemittelhaltig sind. Die Verträglichkeit zwischen Anreibeharz und Netz- und Dispergieradditiv ist daher von großer Wichtigkeit. 2.3.4
Druckfarben
2.3.4.1
Direktanreibung
Der klassische Weg der Druckfarbenherstellung beinhaltet die Verwendung einer Harzlösung. Diese basiert auf einem sauren Styrolacrylat- oder Reinacrylat-Harz, das mit Aminen neutralisiert wasserlöslich wird. Diese Harzlösung kann Pigmentteilchen sehr gut stabilisieren, die Pigmentbenetzung ist normalerweise nicht ausreichend. Gerade bei Pigmentrußen wird dies durch hohe Viskosität und niedrige Farbstärke deutlich. Der Einsatz von geeigneten Additiven mit besonders guten Netzeigenschaften ist hier von Vorteil.
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34
Netz- und Dispergieradditive
2.3.4.2
Pigmentkonzentrate
2.4
Tipps und Tricks
Neben dieser harzhaltigen Pigmentanreibung werden verstärkt bindemittelfreie Konzentrate entwickelt. Durch die Vermeidung der Harzlösung kann besonders die Wasserbeständigkeit stark gesteigert werden. Um die besonderen Anforderungen nach sehr hohem Pigmentgehalt von sehr feinen farbstarken Pigmenten erfüllen zu können, werden auch hier Acrylat- und MSA-Copolymere eingesetzt. Bei der Auswahl des passenden Netz- und Dispergieradditivs steht in erster Linie die Eignung der gewählten Struktur für das zu dispergierende Pigment sowie die Verträglichkeit des Additivs mit der Bindemittelmatrix im Vordergrund. Die Eignung des Additivs für das Pigment wird im Kapitel 2.3 Chemische Strukturen beschrieben. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine Additivstruktur mit Säuregruppe sehr gut für anorganische Pigmente geeignet ist. Ein Additiv mit Stickstoffgruppe benetzt Russoberflächen. Die Verträglichkeit des Additivs mit der Bindemittelmatrix kann im wässrigen Medium nur in Verbindung mit Pigment geprüft werden. Durch die tensidische Struktur hydrophobe Ankergruppe und hydrophile Seitenkette einiger Additive kann es vorkommen, dass diese Additive alleine nicht wasserlöslich sind. Bei Anwesenheit von Pigmentteilchen orientieren sich die Additivmoleküle mit der hydrophoben Seite zum Pigment. Das hydrophile Segment ragt ins Wasser und das Pigmentteilchen inklusive Additivhülle wird „wasserlöslich“. Der pH-Wert ist ebenfalls von großer Wichtigkeit. Um Schockerscheinungen zu vermeiden, müssen der pH-Wert der Pigmentanreibung/des Pigmentkonzentrates und der des Auflackbindemittels bzw. der Basisfarbe auf gleichem Niveau liegen. In vielen Fällen, gerade bei anorganischen Pigmenten und Pigmentrußen, muss der pH-Wert des Pigmentkonzentrates angepasst werden. Als Neutralisationsmittel dienen u.a. Amine und Alkalihydroxide. Die Neutralisation sollte nach Abschluss der Benetzung des Pigmentes durch das Additiv erfolgen. Bei vielen anorganischen Pigmenten kann eine freie Säuregruppe besser zur Adsorption des Additivs beitragen als eine neutralisierte Säuregruppe.
2.5
Prüfmethoden
2.5.1 Teilchengröße Das primäre Kriterium für eine Dispergierung ist die Teilchengröße. Sie bestimmt die Güte der Dispergierung. Durch Bestimmung der Teilchengröße lässt sich der Endpunkt der Dispergierung sehr gut festlegen. Die einfachste Art die Teilchengröße von anorganischen Pigmenten zu bestimmen, ist der Grindometer-Aufzug. Eine Probe des Mahlgutes wird auf ein Grindometer aufgestrichen. Große Partikel
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werden durch das Rakel verschoben und erzeugen Streifen im Aufzug. Die Größe des größten Partikels kann direkt an der Skala abgelesen werden.
Mit dem Grindometer lässt sich, ein wenig Übung vorausgesetzt, das Oberkorn des Mahlgutes schnell und einfach bestimmen. Jedoch kann keine Teilchenverteilung gemessen werden. Bei bindemittelfreien Dispergierungen, die sehr schnell trocknen, und bei Korngrößen kleiner 5 m, versagt das Grindometer sehr schnell.
Mit feineren Messmethoden wie Laserbeugung oder Ultraschall lassen sich auch sehr kleine Teilchen und Teilchengrößenverteilungen messen. Aufgrund des hohen Aufwandes sind diese Methoden für die tägliche Laborpraxis jedoch ungeeignet. Ob die gewünschte Teilchengröße erreicht ist, lässt sich mithilfe sekundärer Indizien sehr verlässlich bestimmen. So ist bei organischen Pigmenten die Farbstärke von der Teilchengröße abhängig. Durch Messung der Farbstärke zu unterschiedlichen Zeitpunkten der Dispergierung kann die Farbstärkeentwicklung gemessen und so der Endpunkt der Dispergierung bestimmt werden. 2.5.2 Farbstärke Zur Bestimmung der Farbstärke wird eine Probe des Mahlgutes in einer geeigneten Lackformulierung aufgelackt und appliziert. Die Beurteilung erfolgt optisch oder mithilfe eines Spectralphotometers gegen die gleiche Menge einer Standardanreibung. Nun wird die Menge des zu beurteilenden Mahlgutes angepasst. Ergeben beide Proben den gleichen optischen Eindruck, lässt sich aus den verschiedenen eingesetzten Mengen die relative Farbstärke der Probe in % zum Standard errechnen. Diese relative Bestimmung der Farbstärke ist sehr aufwändig, liefert aber auch sehr aussagekräftige Vergleichsdaten. Diese Methode wird vor allem von Pigment herstellern angewendet. Um einen absoluten Wert zu erhalten, wird die Theorie nach Kubelka-Munck eingesetzt. Hierbei werden Remission und Transmission ins Verhältnis gesetzt. Die Addition der Remissionswerte über den gesamten Wellenlängenbereich liefert einen Wert für die Farbstärke. In der Praxis hat diese Methode einen systematischen Fehler, da es nicht möglich ist, eine unendlich große Schichtdicke zu applizieren. Diese Methode ist daher zur Pigmententwicklung ungeeignet. Pigmenthersteller bevorzugen die Bestimmung der relativen Farbstärke. Farbstärke nach Kubelka-Munck: K (1–R)2 FS = ––– = ––––––– S 2R K = Absorptionkoeffizient S = Streukoeffizient R = Reflexion bei unendl. hoher Schichtdicke (dadurch keine Veränderung des Reflexionsgrades).
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Netz- und Dispergieradditive
2.5.3 Rub-Out Um die Stabilisierung der Pigmentteilchen zu überprüfen, bietet sich ein Rub-OutTest an. Im Rub-Out können die Verträglichkeit von Pigmentkonzentraten, die Flockulationsneigung von Pigmentteilchen oder Aufschwimmerscheinungen festgestellt werden. Dazu reibt man einen Teil des feuchten, aber bereits angetrockneten Lackfilms mit dem Finger oder einem Pinsel. Haben sich die Pigmente entmischt oder liegen sie stark flockuliert vor, so wird durch den mechanischen Vorgang des Reibens wieder eine homogene Verteilung hergestellt. Die Viskosität ist im angetrockneten Lackfilm bereits stark erhöht. Die wieder homogene Verteilung der Pigmentteilchen wird so stabilisiert. An der Farbdifferenz zum ungeriebenen Film erkennt man das Ausmaß der Pigmentseparation oder der Flockulation. Der Farbunterschied wird meist als Abstand der Farborte E angegeben. E ist dimensionslos. Bei einem E unter 0,5 ist kein Farbunterschied sichtbar. Im Automobilbereich wird ein E < 0,3 verlangt. Zwischen 0,5 und 1,0 ist der Farbunterschied nur leicht sichtbar. Im Baufarbensektor ist ein E < 1,0 ausreichend. Ein E größer 1 ist nicht mehr akzeptabel. 2.5.4 Viskosität Die Viskosität eines Mahlgutes muss auf das Dispergieraggregat abgestimmt sein. Ist die Mahlgutviskosität zu hoch, kann das Aggregat beschädigt werde. Ist die Viskosität zu niedrig, werden nicht genügend Scherkräfte übertragen, um die Pigmentagglomerate zu zerstören. Die Viskosität ist auch ein wichtiges Indiz für die Stabilität eines Pigmentkonzentrates. Eine Änderung des rheologischen Verhaltens während der Lagerung bedeutet meist eine unzureichende Stabilisierung der Pigmente. Eine einfache Methode die Viskosität zu bestimmen, ist die Messung der Auslaufzeit. Bei Mahlgütern ist die Viskosität jedoch meistens zu hoch, um mit einem Auslaufbecher gemessen werden zu können. Um die Viskosität genau zu bestimmen, wird häufig ein Rotationsviskosimeter eingesetzt. Mithilfe eines Rotationsvikosimeters können komplette Fließkurven eines Materials gemessen werden. Eine solche Fließkurve liefert Aussagen über das Fließverhalten des Materials von der Herstellung über den Transport bis zur Applikation. Wichtig für die Viskositätsmessung mit einem Rotationsviskosimeter ist die richtige Methode für den gegebenen Einsatz zu finden. Bei der Entwicklung eines Pigmentkonzentrates sind auch Fließeigenschaften bei sehr niedriger und sehr hoher Scherung von Bedeutung. Bei der Qualitätskontrolle reicht meistens eine Zweipunktmessung bei niedriger und mittlerer Scherrate aus. 2.5.5 Zetapotential Die elektrostatische Stabilisierung lässt sich durch Messung des -Potentials charakterisieren und setzt die Bildung einer elektrischen Doppelschicht voraus. Parti-
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kel mit einer geladenen Oberfläche – wie zum Beispiel Metalloxid-Pigmente – adsorbieren in einer Elektrolytlösung Gegenionen. Diese Ionen bilden eine unbewegliche starre Schicht, die als Sternschicht bezeichnet wird. Auf diese Schicht folgt die diffuse Ionenwolke, die sowohl gleichsinnig geladene Ionen als auch Gegenionen enthält. Bewegt sich ein Partikel, wird ein Teil der locker gebundenen diffusen Schicht abgeschert. Das Potential an dieser Scherebene wird als -Potential bezeichnet und ist von Bedeutung für die Beurteilung der Stabilisierung einer Dispersion. Je höher das -Potential ist, desto besser ist eine Dispersion durch elektrostatische Stabilisierung gegen Flockulation geschützt. Die Messung des -Potentials kann mittels Elektroakustik erfolgen. Diese Methode zeichnet sich dadurch aus, dass auch konzentrierte Dispersionen bis zu einem Volumenanteil von 50 % Pigment untersucht werden können. Traditionelle, optische Messmethoden zur -Potential-Bestimmung, die auf der Messung der elektrophoretischen Beweglichkeit basieren, können nur in sehr verdünnten Systemen angewendet werden. Diese starke Verdünnung bei der Untersuchung von Belegungen der Pigmentoberfläche durch Additive führt beispielsweise zu einer Veränderung des Adsorptionsgleichgewichts und somit zu Messwerten, die nicht der Realität entsprechen.
Bei den elektroakustischen Methoden zur -Potential-Bestimmung unterscheidet man zwei Messprinzipien in Abhängigkeit von der treibenden Kraft. Legt man ein elektrisches Wechselfeld an eine Dispersion geladener Teilchen an, werden die Partikel zu Schwingungen und zur Emission von Schallwellen angeregt. Als Messwert erhält man bei dieser Methode die elektrokinetische Schallamplitude (ESA). Ist die treibende Kraft eine Ultraschallwelle, kann ein elektrisches Signal detektiert werden und es wird ein kolloidaler Vibrationsstrom (CVI) gemessen.
Die Abbildung 2.7 zeigt das CVI-Prinzip. Eine hochfrequente Schallwelle, die durch einen Piezokristall im Messsensor erzeugt wird, durchläuft die Dispersion. Das akustische Signal regt die Partikel zu Schwingungen an. Je höher die Trägheit des Partikels ist, desto schlechter können sie der Schallwelle folgen und desto größer ist die Phasenverschiebung. Die diffuse Ionenwolke reagiert ohne zeitliche Verzögerung auf die Schallwelle, so dass jedes Teilchen mit seiner Ionenhülle zu einem Dipol wird, der ständig seine Richtung ändert. Zu einem bestimmten Zeitpunkt weisen die Dipole in eine Richtung, so dass ein elektrisches Feld entsteht und der kolloidale Vibrationsstrom durch zwei Elektroden gemessen werden kann.
Abbildung 2.7: Messprinzip bei Verwendung einer Ultraschallwelle als treibende Kraft
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Netz- und Dispergieradditive
Die Abbildung 2.8 stellt den Aufbau des Messsensors dar. Ein zylindrisches Piezoelement generiert nach Anlegen eines Radio-Frequenz-Pulses einen akustischen Puls, der zur internen Kalibrierung einen Einschwingquarz durchläuft. Der Einschwingquarz ist um einen Pufferstab erweitert, dessen akustische Impedanz der Dispersion mehr angepasst ist als dem Material des Einschwingquarzes. Das Ende des Pufferstabs ist mit Gold beschichtet und bildet eine Elektrode zur Messung des elektrischen Signals. Die zweite Abbildung 2.8 Aufbau des Messsensors erforderliche Elektrode wird vom Stahlmantel gestellt. Wenn der Messsensor nun in eine Probe eingetaucht wird, kann ein kolloidaler Vibrationsstrom zwischen der Goldelektrode und dem Edelstahlmantel detektiert werden. Der gemessene kolloidale Vibrationsstrom ist, wie folgt, mit dem -Potential verbunden:
: Dielektrizitätskonstante des Vakuums Ks : Leitfähigkeit der Dispersion : Dielektrizitätskonstante des Mediums Km : Leitfähigkeit des Mediums : -Potential : Dichte des Partikels p : Gewichtsanteil des Partikels : Dichte des Systems s : dynamische Viskosität : Kreisfrequenz
0
m
Aus der Gleichung geht hervor, welche Parameter einen Einfluss auf das -Potential haben. Ein hoher Wert der Dielektrizitätskonstante bedingt ein niedrigeres -Potential. Wasser mit einer Dielektrizitätskonstante von 80 und einem sehr polaren Charakter schwächt die Dipole, während beispielsweise in einem unpolaren Lösemittel wie Heptan die Dipoleffekte stärker zum Ausdruck kommen. Des Weiteren führt ein hoher Gewichtsanteil zu einem niedrigeren -Potential, weil die einzelnen Partikel mit zunehmendem Gewichtsanteil näher zusammenrücken und die elektrischen Doppelschichten der Partikel überlappen. Eine hohe dynamische
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Zusammenfassung
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Abbildung 2.9: -Potentialkurven unterschiedlicher Dispergieradditive an Eisenoxidgelb
Viskosität beeinflusst die Trägheit des Partikels, was dazu führt, dass die Ionenwolke sich leichter gegen die Partikel im Medium verschieben lässt. Die Dichtedifferenz zwischen Partikel und Medium muss möglichst groß sein, damit sich das Medium relativ zum Partikel bewegt und Dipole entstehen, die zur Messung des kolloidalen Vibrationsstroms beitragen.
Anhand von Additiv- und pH-Titrationen kann man mit elektroakustischen Messungen auf Wechselwirkungen zwischen Pigmenten und Additiven schließen und somit die elektrostatische Stabilisierung von Pigmenten charakterisieren. Für Eisenoxidgelb-Pigmente hat sich herausgestellt, dass Additive mit einem starken ionischem Charakter die elektrostatische Stabilisierung fördern, während Additive ohne polare Ankergruppen die Oberfläche nicht benetzen [4]. Würde die Pigmentoberfläche durch das nicht-ionische Additiv benetzt, müsste die Abschirmung der teilweise geladenen Pigmentoberfläche durch das Additiv zu einer messbaren Potentialänderung führen.
2.6
Zusammenfassung
Netz- und Dispergieradditive erfüllen verschiedenste Funktionen innerhalb einer Lackrezeptur. Sie dienen der Pigmentbenetzung und der Stabilisierung der dispergierten Pigmentteilchen. Dadurch verkürzen sie Dispergierzeit und senken die Viskosität. Die Dosierung des Additivs hat entscheidenden Einfluss auf verschiedene Eigenschaften des Mahlgutes, wie: – – – –
Viskosität Farbstärke Verträglichkeit Lagerstabilität.
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Netz- und Dispergieradditive
Die Oberflächenspannung hat starken Einfluss auf die Pigmentbenetzung. Im wässrigen Bereich werden zwei Stabilisierungsmechanismen angewendet: – sterische Stabilisierung – elektrostatische Stabilisierung. Die Struktur von Netz- und Dispergieradditiven wird durch die Anforderungen Pigmentbenetzung bzw. Ankerung und Stabilisierung geprägt. Die Strukturen sind daher meistens tensidisch. Je nach Anforderung stehen verschiedene chemische Konzepte zur Wahl. Die einfachsten Strukturen basieren auf Fettsäurechemie. Bei hohen Ansprüchen an die Beständigkeit werden Acrylat-Copolymere und MSA-Copolymere eingesetzt. 2.7 [1] [2] [3] [4]
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Literaturhinweise Brock, Groteklaes, Mischke, Lehrbuch der Lacktechnologie, 2. Auflage, Vincentz Network 2000 Tego Journal 2006 J. Bieleman, Additives for Coatings, Wiley/VCH 2001 GdCH-Tagung 2008
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Entschäumung von Beschichtungssystemen
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Entschäumung von Beschichtungssystemen Jürgen Kirchner
Allgemeines Als Schaum bezeichnet man ein kolloides System aus einem Gas umgeben von flüssigen oder festen Zellbrücken. Schaum mindert die Qualität einer Beschichtung. Die Entstehung von Schaum ist ein häufig auftretendes Phänomen bei der Herstellung und Applikation von Farben und Lacken, das zu einer Störung der optischen und technischen Eigenschaften einer Beschichtung führt. Zudem stört die Bildung von Schaum in den Produktionsprozessen, welche z.B. durch einen reduzierten Energieeintrag bei Dispergierprozessen, geringere Kesselfüllmengen oder Probleme bei der Lackabfüllung führen können. In einer Beschichtung bewirkt Schaum eine Beeinträchtigung der optischen Eigenschaften, welche z.B. durch Oberflächenstörungen oder einer Reduzierung des Glanzes und der Transparenz erkennbar sind. Zudem können durch Schaum entstandene Fehlstellen in der Beschichtung die Schutzwirkung einer Beschichtung vor eindringenden Medien deutlich verschlechtern. Für die Entstehung von Schaum kommen mehrere Ursachen in Frage. Dies können z.B. sein: • mechanischer Eintrag von Luft bei Misch- oder Applikationsprozessen • Verdrängung von Luft von Oberflächen in Benetzungs- oder Dispergierprozessen • Entstehung von Gasen aus chemischen Reaktionen • Kocherbildung durch zu schnelle Trocknung Das Vorhandensein von grenzflächenaktiven (amphiphilen) Substanzen in Farben und Lacken führt häufig zu einer zusätzlichen Stabilisierung des Schaums. Um die Entstehung von Schaum bei der Herstellung und Applikation von Farben und Lacken zu vermeiden und entstandenen Schaum wirkungsvoll zu zerstören ist die Verwendung von Entschäumern und Entlüftern notwendig [1]. Wernfried Heilen: Additive für wässrige Lacksysteme © Copyright 2009 by Vincentz Network, Hannover, Germany
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Entschäumung von Beschichtungssystemen
3.1 Struktur von Schaum Um die Mechanismen der Entschäumung zu erklären, ist es erforderlich, den Aufbau und die Stabilisierung von Schaum zu verstehen. Entschäumung bedeutet immer eine Störung der Stabilisierungsmechanismen von Schaum. 3.1.1
Schaum
Schaum ist eine Verteilung eines gasförmigen Stoffes in einer Flüssigkeit oder einem Feststoff in dem der Volumenanteil des Gases überwiegt. In einem Schaum sind die gasförmigen Bläschen durch flüssige oder feste Wände voneinander getrennt. Die Entstehung eines festen Schaums erfolgt häufig über einen vorher gebildeten flüssigen Schaum. 3.1.1.1
Ursachen von Schaum
Das gleichzeitige Vorhandensein von einem Gas und einer Flüssigkeit führt nicht zwangsläufig zur Bildung von Schaum. Erst durch eine intensive Vermischung der beiden Stoffe miteinander erfolgt eine Feinverteilung des Gases in der Flüssigkeit. Hierbei werden neue Grenzflächen zwischen dem Gas und der Flüssigkeit gebildet. In vielen reinen Flüssigkeiten sind die neu geschaffenen Grenzflächen nicht stabil. Dies führt dazu, dass die Gasblasen schnell aufsteigen und an der Oberfläche zerplatzen. Erst durch die Anwesenheit grenzflächenaktiver (amphiphiler) Substanzen in der Flüssigkeit wird die Luft in Form von Schaum stabilisiert (Abbildung 3.1) [2, 3]. Die Stabilisierung geschieht durch Orientierung der grenzflächenaktiven Substanzen an den neugebildeten Grenzflächen zwischen der Flüssigkeit und der Luft. In der Praxis ist das Vorhandensein grenzflächenaktiver Substanzen praktisch unvermeidbar, da ihre Verwendung für eine Vielzahl anderer Eigenschaften, wie z.B. als Netz- und Dispergiermittel, Emulgator oder Substratnetzmittel unverzichtbar ist [4, 5]. 3.1.1.2
Arten von Schaum
Schäume können in Hinblick auf ihren Aggregatzustand oder die Struktur des Schaumes klassifiziert werden. Man unterscheidet zwischen flüssigen und festen Schäumen. Flüssige Schäume Als flüssigen Schaum bezeichnet man die Verteilung von Gas in Flüssigkeiten. Frisch gebildete flüssige Schäume sind meistens nicht stabil und unterliegen einer zeitlichen Veränderung ihrer Struktur. Hierbei geht der Schaum häufig in eine stabilere Form über. Wird keine stabile Form erreicht bricht der Schaum mit der Zeit vollständig zusammen.
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Struktur von Schaum
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Feste Schäume Als gezielt hergestelltes Erzeugnis kommen feste Schäume in der Farben- und Lackindustrie allenfalls in Spezialanwendungen z.B. Montageschäumen vor. In der Praxis sind feste Schäume häufig in Form von Lufteinschlüssen in getrockneten Lackfilmen oder als Krater und Pinholes in Folge von an der Oberfläche ausgetretenen Luftblasen eher unerwünscht. Eine weitere Unterscheidung von Schäumen ist über ihre Struktur möglich. So unterscheidet man in den so genannten Mikro- und Makroschaum sowie in trockenen und nassen Schaum. Mikroschaum Als Mikroschaum werden kleine Luftblasen im flüssigen Lack oder im trockenen Lackfilm eingeschlossene Gasblasen bezeichnet. An der Grenzfläche der Gasblasen des Mikroschaumes bildet sich eine einfache Tensidschicht aus. Einflussgrößen, die das Vorhandensein von Mikroschaum fördern, sind z.B. eine hohe Lackviskosität oder niedrige Temperaturen [1, 5]. Für die Beseitigung von Mikroschaum werden spezielle Entlüfter verwendet, welche in einem separaten Kapitel behandelt werden. Makroschaum Als Makroschaum oder auch Oberflächenschaum bezeichnet man an der Oberfläche sichtbaren Schaum. Makroschaum wird durch eine dünne Lamelle aus Flüssigkeit zur umgebenden Atmosphäre abgegrenzt ist. Die Oberfläche der Lamelle ist auf der der Gasblase zugewandten Seite sowie auf der der Atmosphäre zugewandten Seite jeweils mit einer Tensidschicht belegt. Diese doppelte Belegung der Lamelle wird auch als Duplexschicht bezeichnet (Abbildung 3.1). Ein weiteres Unterschei dungskriterium für Makro schaum ist der Wassergehalt der Lamelle. Durch aufsteigende Luftblasen frisch gebildeter Makroschaum wird von dicken, Lamellen begrenzt und bildet eine kugelartige Form aus. Dieser Schaum wird daher auch als Kugelschaum bezeichnet. Durch die Schwerkraft induzierte Drainage fließt Wasser zwischen
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Abbildung 3.1: Entstehung und Stabilisierung von Schaum in einer Flüssigkeit. Mikroschaum wird in der Flüssigkeit durch eine einfache Tensidschicht stabilisiert. Tritt die Schaumblase als Makroschaum an die Oberfläche findet eine Stabilisierung der Schaumlamelle durch eine doppelte Tensidschicht (Duplexfilm) statt.
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Entschäumung von Beschichtungssystemen
Tabelle 3.1: Gasvolumen von Schäumen [7] ϕ = Vg / (Vg + Vl) Gasdispersion
ϕ = 0, 52
Kugelschaum
0,52 < ϕ < 0,74
Polyederschaum
ϕ > 0,74
Vg = Gasvolumen, Vl = Flüssigkeitsvolumen
den Schaumlamellen ab bis die einzelnen Gasblasen nur noch durch sehr dünne, aber sehr stabile Lamellen von einander abgetrennt werden. Die ursprüngliche Kugelform der einzelnen Blasen geht hierbei in eine stabilere polyedrische Form über. Dieser Schaum, der aus viel Gas und wenig umgebendem Wasser besteht, wird als trockener Schaum oder auch Polyederschaum bezeichnet [1, 4–6]. Für die Unterscheidung zwischen Kugelschaum und Polyederschaum können die in Tabelle 3.1 genannten Volumenanteile des Gases im Schaum herangezogen werden. Charakteristisch für Gasdispersionen ist, dass der Volumenanteil des Gases vom Volumenanteil des Wassers übertroffen wird. Zeitliches Verhalten von Schaum/Drainage Die meisten Schäume sind thermodynamisch instabil und unterliegen mit der Zeit einer strukturellen Veränderung. Die Wirkung der Gravitation auf Schäume führt zu einem als Drainage bezeichneten Abfließen der Flüssigkeit aus den Schaumlamellen. Hierdurch nimmt die Schichtdicke der Lamelle ab. Kleine Luftblasen lösen sich durch Diffusion auf wodurch die Anzahl der Lamellen und der Knotenpunkte zwischen den einzelnen Lamellen deutlich ab nimmt. Bei fortgesetzter Drainage geht der Kugelschaum in Polyederschaum über, was zu einer Deformation der Lamelle und zu einer Vergrößerung der Lamellenradien führt. Drainage erzeugt in manchen Schäumen eine so hohe Spannung in den Lamellen, dass die Lamellen und damit der Schaum spontan zusammenbrechen.
Abbildung 3.2: Struktur von Schaum
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Tenside können die durch Drainage entstehenden Spannungen in der Lamelle kompensieren, Dies geschieht z.B. durch sterische Effekte oder elektrostatische Abstoßung. Hierdurch wird einer fortgesetzten Ausdünnung der Lamelle durch Drainage entgegengewirkt. So stabilisierte Polyederschäume zeichnen sich durch eine sehr hohe Stabilität aus. Um ihre Entstehung zu verhindern bzw. entstandene Polyederschäume zu zerstören, ist der Einsatz von Entschäumern notwendig [3, 6, 8].
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Entschäumer
3.2
Entschäumer
3.2.1
Aufbau von Entschäumern
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Um die Wirkmechanismen von Entschäumern zu verstehen, ist es erforderlich zu wissen, dass Entschäumer grundsätzlich aus einem in dem Anwendungsmedium unlöslichen bzw. partiell löslichem Wirkstoff (häufig auch als Öl bezeichnet), einem hydrophoben Partikel oder aus einer Mischung von beidem besteht. Eine nähere Betrachtung der Zusammensetzung von Entschäumern findet in Kapitel 3.3 statt. 3.2.2
Mechanismen der Entschäumung
Entschäumer werden für die Beseitigung von Makroschaum eingesetzt. Für eine wirkungsvolle Entschäumung muss ein Entschäumer in der Lage sein, die Stabilität einer Schaumlamelle zu durchbrechen. In der Fachliteratur werden mehrere mögliche Entschäumungsmechanismen diskutiert, welche meistens als Abfolge aus mehreren nacheinander ablaufenden Teilmechanismen erklärt werden können. Zum besseren Verständnis werden zunächst die Teilmechanismen vorgestellt, um anschließend das Zusammenwirken der Teilmechanismen miteinander zu erläutern. 3.2.2.1
Entschäumung über Drainage / langsame Entschäumung
Um entschäumend zu wirken, muss ein Entschäumer in der Lage sein aus der Schaumlamelle heraus in die Grenzfläche zwischen der Flüssigkeit und dem schaumbildenden Gas eindringen zu können. Die stabilisierenden Tenside in der Lamelle setzen dem Eindringen des Entschäumertröpfchens einen Widerstand entgegen, welcher auch als Eintrittsbarriere bezeichnet wird. Manche Entschäumer sind nicht in der Lage, diese Eintrittsbarriere zu überwinden. Für diese Entschäumer wird auch die Bezeichnung langsame Entschäumer verwendet. Sie wirken erst nach ausreichender Ausdünnung der Lamelle durch fortgesetzte Drainage. Durch die abfließende Flüssigkeit in den Lamellen nimmt die Schichtdicke der Lamelle ab. Die Entschäumertröpfchen (Öltröpfchen) werden im Verlauf dieses Prozesses in den Flächen der Lamellen eingeschlossen, oder sie wandern in die Knotenpunkte zwischen den Lamellen. Bei fortgesetzter Drainage übt die enger werdende Lamelle einen Kapillardruck auf das Entschäumertröpfchen aus. An einem kritischen Punkt der Drainage ist der Kapillardruck in den oberen Schaumblasen ausreichend hoch, dass das Öltröpfchen die Oberfläche der Lamelle durchstoßen kann und die Lamelle zusammenbricht [5, 8]. Der Zusammenbruch der Lamelle bewirkt eine mechanische Belastung der benachbarten Lamellen. In vielen Fällen ist diese Belastung ausreichend, um die benachbarten Lamellen ebenfalls zum Zusammenbrechen zu bringen. In durch Drainage ausgedünnten Schäumen führt dies häufig zu einer Kettenreaktion, welche zum Zerplatzen weiterer Luftblasen bis hin zur fast vollständigen Entschäumung führt. Nach diesem spontanen Schaumzusammenbruch zurückbleibende Luftblasen bleiben oftmals über einen langen Zeitraum stabil.
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Entschäumung von Beschichtungssystemen
Die Geschwindigkeit und Wirksamkeit der Entschäumung über Drainage ist für viele Prozesse in der Farben- und Lackindustrie nicht ausreichend. Hier besteht ein Bedarf nach Entschäumern mit schnelleren, wirkungsvolleren Entschäumungs mechanismen [8]. 3.2.2.2
Eintrittsbarriere (Entry Barrier)/Eintrittskoeffizient (Entry Coefficient)
Die Eintrittsbarriere beschreibt den kinetischen Widerstand, welcher durch das Entschäumertröpfchen überwunden werden muss, um die Oberfläche der Entschäumerlamelle zu durchstoßen. Der erste Schritt für die Entschäumung mit einem Entschäumer ist immer der Eintritt des Entschäumertröpfchens in die Lamellenoberfläche, also an die Grenzfläche zur Luft. Hierzu ist es erforderlich, dass der Entschäumer eine geringe Oberflächenspannung hat [2, 3]. Kommt ein Entschäumertröpfchen aufgrund von Bewegungen in der Lamelle, wie z.B. durch Drainage induzierte Strömungen in Kontakt mit der Außenschicht der Lamelle, muss es die Eintrittsbarriere der Lamellenoberfläche überwinden, um in die Grenzfläche zwischen der Lamelle und Luft wandern zu können. Die Eintrittsbarriere der Lamellenoberflächen wird durch die schaumstabilisierenden Tenside bestimmt. Systeme mit geringer Tensidkonzentration, unterhalb der kritischen Micellkonzentration, haben eine geringe Eintrittsbarriere. Mit steigendem Tensidgehalt an der Grenzfläche der Lamelle bis zur vollständigen Absättigung mit Tensiden nimmt die Eintrittsbarriere zu. Eine weitere Einflussgröße auf die Eintrittsbarriere ist die Mobilität der Tenside. In dynamischen Prozessen Abbildung 3.3a: Verteilung von Entschäumer wird neuer Schaum erzeugt oder die tropfen in einer Lamelle Lamelle unterliegt mechanischen Belastungen durch Dehnung. Zur Ausbildung eines stabilen Schaumes müssen die neu geschaffenen Oberflächen schnell mit Tensiden belegt werden. Im System mit weniger mobilen Tensiden verzögert sich die Tensidabsättigung der Lamelle. An diesen temporär nicht ausreichend stabilisierten Stellen der Lamelle ist der Eintritt eines EntschäumertröpfAbbildung 3.3b: In die Lamellenoberfläche chens in die Lamelle erleichtert [8]. eingedrungenes Entschäumertröpfchen
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Entschäumer
Hat ein Entschäumertröpfchen die Eintrittsbarriere überwunden und ist an die Grenzfläche der Lamelle gewandert, wird sein Verhalten durch den Eindringkoeffi zienten bestimmt. Der Eindringkoeffizient (Entry Coefficient) E beschreibt den thermodynamischen Gleichgewichtszustand eines Öltropfens an der Grenzfläche zwischen Luft zu Wasser der Lamelle [4, 5]. E=
AW
+
OW
–
OA
Ist der Eindringkoeffizient negativ, so ist eine vollständige Benetzung des Entschäumertröpfchens mit der flüssigen Phase der themodynamisch stabilste Zustand. Dass bedeutet, dass der Öltropfen wieder zurück in die wässrige Phase migrieren würde. Nur wenn der Eindringkoeffizient positiv ist, bleibt ein Entschäumertropfen an der Oberfläche der Lamelle. Ein positiver Eindringkoeffzient des Öles ist eine wichtige Voraussetzung für das funktionieren vieler Entschäumermechanismen. Um wirkungsvoll zu Entschäumen, müssen Enschäumer zusätzlich zu einem positiven Eindringkoeffizienten noch weitere Anforderungen erfüllen [8]. 3.2.2.3
Überbrückungsmechanismus
Voraussetzung für den Überbrückungsmechanismus ist, dass ein Entschäumertröpfchen die Eintrittsbarriere der Lamelle überwunden hat und einen positiven Eindringkoeffzienten besitzt. Durchstößt der Entschäumertropfen die Lamelle auch auf der anderen Seite, findet eine Überbrückung der Lamelle satt. Das Verhalten eines Entschäumertröpfchens in der Lamelle wird durch den Überbrückungskoeffizienten (Bridging Coefficient) B ausgedrückt. Nur ein positiver Überbrückungskoeffizient kann zu einer Destabilisierung der Lamelle durch nachfolgende Entschäumungsmechanismen führen. Ist der Überbrückungskoeffizient negativ, überbrückt das Entschäumertröpfchen die Lamelle ohne sie zu destabilisieren. B=
2 AW
+
OW
2
–
2 OA
Der Betrag des Überbrückungskoeffizienten ist vom Kontaktwinkel: Entschäumertröpfchen – Flüssigkeit – Luft und damit von der Geometrie des Entschäumertröpfchens und der Dicke der Lamelle abhängig (Abbildungen 3.5a und b, Seite 48). Verändert sich die Lamellenschichtdicke durch Drainage, kann sich auch der Betrag des Überbrückungskoeffizienten verändern. Ferner besteht die Möglichkeit, dass der
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Abbildung 3.4: Überbrückung einer Entschäumerlamelle
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Entschäumung von Beschichtungssystemen
Abbildung 3.5a: Ein Kontaktwinkel W von kleiner als 90° führt zu einem negativen Überbrückungskoeffizienten
Abbildung 3.5b: Ein Kontaktwinkel W von größer 90° zu einem positiven Überbrückungskoeffizienten
überbrückende Entschäumertropfen durch Aufnahme von gespreitetem Entschäumeröl wächst. Beide Fälle können einen Übergang von einem negativen zu einem positiven Überbrückungskoeffizienten hervorrufen und somit eine stabile in eine instabile Überbrückung verwandeln. Ein positiver Überbrückungskoeffizient ist Voraussetzung für eine Entschäumung nach dem Überbrückungs-Dehnungsmechanismus und den Überbrückungs-Entnetzungsmechanismus [6, 8]. 3.2.2.4
Spreitungsmechanismus
Eine Entschäumung über Spreitung ist nur bei Verwendung von Ölen mit einer geringen Oberflächenspannung möglich. Ist ein Entschäumertröpfchen in die Lamellen eingedrungen, verteilt es sich an der Oberfläche der Lamelle (Spreitung). Das Vermögen eines Entschäumers an der Lamellenoberfläche zu spreiten wird über einen positiven Spreitungskoeffizienten beschrieben. S= σAW - σOW - σOA
Abbildung 3.6 a: Entschäumertröpfchen an der Lamellenoberfläche
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Abbildung 3.6b: Spreitung eines Entschäumertröpfchens an der Lamellenoberfläche
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Entschäumer
Die Spreitung von Öl an der Lamellenoberfläche bewirkt eine Veränderung der Tensidkonzentration auf der Lamellenoberfläche [4, 5]. Die neu geschaffene Grenzfläche Öl/Wasser reduziert die Eintrittsbarriere für weitere Entschäumertröpfchen und erleichtert damit weiteren Entschäumertröpfchen durch das gespreitete Öl in die Lamellenoberfläche einzudringen und die Oberfläche des gespreiteten Öles zu vergrößern. In Beschichtungssystemen können die durch Spreitung entstandenen Öllinsen nach Trocknung zu Oberflächenstörungen, wie z.B. Kratern oder Fischaugen führen. Ein positiver Spreitungskoeffzient ist eine Grundvoraussetzung für das funktionieren der nachfolgend beschriebenen Mechanismen zur Entschäumung über eine spreitende Flüssigkeit oder für den Spreitungs-Wellen-Mechanismus [8]. 3.2.2.5 Überbrückungs-Dehnungs mechanismus Voraussetzung für den ÜberbrückungsDehnungsmechanismus ist ein positiver Überbrückunskoeffizient. Der Mechanismus funktioniert auch in dicken Schaumlamellen. Ein Entschäumertröpfchen dringt in eine Lamelle ein und überbrückt die Lamelle. Hierbei bildet der Entschäumertropfen eine bikonkave Tropfenform aus, also einen Tropfen mit seiner dünnsten Stelle in der Mitte des Tropfens. Eine mechanische Belastung der Lamelle, z.B. durch unkompensierte Kapillarkräfte an der Grenzfläche Entschäumer-Luft oder Entschäumer-Wasser bewirkt eine Dehnung und damit auch eine weitere Ausdünnung des Tropfens. Ist der Tropfen nicht mehr in der Lage die mechanische Spannung zu kompensieren, kommt es zum Riss des Tropfens und damit zu einer Destabilisierung der Lamelle und zum Zusammenbruch der Schaumblase.
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Abbildung 3.7a: Überbrückendes Entschäumertröpfchen mit positivem Überbrückungskoeffizienten
Abbildung 3.7b und c: Dehnung des Entschäumertröpfchens bis zum Riss
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Entschäumung von Beschichtungssystemen
Grundvoraussetzung für den Überbrückungs-Dehnungs-Mechanismus ist, dass der Entschäumertropfen deformierbar ist. Wegen ihrer starren Geometrie können hydrophobe Festkörper nicht über den Überbrückungs-Dehnungsmechanismus entschäumen [5, 6, 8]. 3.2.2.6
Überbrückungs-Entnetzungsmechanismus
Analog zum Überbrückungs-Dehnungsmechanismus tritt beim Überbrückungs-Entnetzungsmechanismus ebenfalls zunächst ein Entschäumertröpfchen in die Lamelle ein und überbrückt die Lamelle. Voraussetzung hierzu ist, dass die Eintrittsbarriere der Lamelle überwunden wird und das System einen positiven Überbrückungskoeffizienten hat. In tensidarmen Systemen würde der Entschäumertropfen spontan entnetzen. In tensidreichen Systemen, wozu auch Farben und Lacke gezählt werden können, findet jedoch keine spontane Entnetzung statt, da das Entschäumertröpfchen durch die Tenside im Umgebungsmedium ausreichend benetzt wird. Die Benetzbarkeit des Entschäumertröpfchens kann über den Kontaktwinkel des Entschäumertröpfchens zur umgebenden Flüssigkeit beschrieben werden. Ist der Kontaktwinkel kleiner 90° findet eine Benetzung des Entschäumertröpfchens statt. Bildet der Entschäumertropfen eine linsenförmige Form in der Lamelle aus, entstehen an der Spitze der Lamelle ausreichend hohe Kontaktwinkel zur Entnetzung mit nachfolgendem Zusammenbruch der Schaumblase [6, 8]. Findet an Stelle von Entnetzung eine weitere Deformation der Linse statt, geht der Mechanismus in den Überbrückungs-Dehnungsmechanismus über. Es ist wahrscheinlich, dass der Überbrückungs-Entnetzungsmechanismus eher höherviskosen Entschäumern zugeordnet werden kann, welche stabilere Entschäumerlinsen ausbilden. Für niedrigviskosere Entschäumer ist eine Entschäumung über den Überbrückungs-Dehnungsmechanismus wahrscheinlicher.
Der Überbrückungs-Entnetzungsmechanismus konnte bisher an hydrophoben Partikeln nur in Systemen frei von starken Tensiden bewiesen werden. In real vorkommenden tensidreichen Lacksystemen ist ein Überbrückungs-Entnetzungsmechanismus über hydrophobe Partikel unwahrscheinlich. Aufgrund des sehr schnellen Entnetzungsprozesses konnte der Mechanismus für Öle noch nicht eindeutig nachgewiesen werden [8]. 3.2.2.7 Entschäumung über eine spreitende Flüssigkeit Abbildung 3.8: Überbrückungs-Entnetzungsmechanismus
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Ein möglicher Mechanismus für die Entschäumung über Spreiten ist der SpreadingFluid Mechanismus. Bei diesem Mecha-
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Entschäumer
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nismus führt die Spreitung entlang der Spreitungsrichtung zu einer Strömung in der Lamelle (Marangoni-Strömung). Dies hat zur Folge, dass eine Ausdünnung der Lamelle an dieser Stelle statt findet, welche an dieser Stelle zum Reißen der Lamelle und damit zum Schaumzusammenbruch führt [3, 5, 6, 8]. Das Spreiten eines Entschäumeröles Abbildung 3.9: Entschäumung über in der Schaumlamelle konnte in Expe- Spreitung rimenten nachgewiesen werden. Eine Destabilisierung der Schaumlamelle über eine Marangoni-Strömung erscheint plausibel, konnte bisher aber nicht experimentell nachgewiesen werden [8]. 3.2.2.8
Spreitungs-Wellen-Mechanismus
Der Spreading-Wave-Mechanismus konnte nur bei langsam wirkenden Entschäumern festgestellt werden. Der Mechanismus funktioniert nur bei sehr dünnen Entschäumerlamellen mit einer Dicke von ca. 1 m. Die Spreitung des Entschäumers führt zu einer Störung und Ausdünnung der die Lamelle stabilisierenden Tensidschicht. Hierdurch entstehen Spannungen in der Lamelle welche durch eine Deformation der Lamelle kompensiert werden müssen. So entstehen Lamellen mit wellenartigen Strukturen ungleichmäßiger Lamellenschichtdicke. Gegenüber einer ungestörten entschäumerfreien Lamelle ist die Struktur dieser Lamelle geschwächt. Der Spreading-Wave-Mechanismus wirkt als nichtlokaler Mechanismus nicht an der Eintrittsstelle des Entschäumertröpfchens. Vielmehr erstreckt sich die durch den Entschäumer verursachte Störung über eine größere Fläche der Lamelle. Der Mechanismus konnte nur bei langsam wirkenden Entschäumern in hinreichend großen Entschäumerlamellen beobachtet werden. In Experimenten konnten Lamellen mit Wellenlängen im Millimeterbereich mit Amplituden im Nanometerbereich gemessen werden. Die durch den Entschäumer verursachte Störung erstreckte sich über die gesamte Schaumlamelle [8]. 3.2.2.9
Einfluss von Füllstoffen auf die Wirkung von Entschäumern
Feststoffe können ebenfalls nach einigen der beschriebenen Mechansimen (z.B. Bridging-Dewetting-Mechanismus) entschäumend wirken. Durch das Füllen eines Entschäumeröls mit einem Feststoff kann die Wirksamkeit deutlich über die Wirksamkeit der Einzelkomponenten hinaus erhöht werden [1, 8]. Der hierzu benötigte Füllgrad beträgt nur wenige Prozent. Zu hohe Füllgrade führen zu einer zu hohen Viskosität des Entschäumeröles und reduzieren die Fließfähigkeit und Deformierbarkeit des Entschäumeröles. Die Wirksamkeit des Öles würde damit verloren gehen. Für
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Entschäumung von Beschichtungssystemen
eine optimale Wirkung des Feststoffes ist es erforderlich, dass der Feststoff die Oberfläche des Öltröpfchens belegt. Ein zu hydrophober mit dem Öl zu verträglicher Feststoff würde vollständig von dem Öl benetzt werden. Bei einem zu hydophilen Feststoff hingegen besteht die Gefahr, dass er vom Öltröpfchen abgezogen wird und in die wässrige Phase des Lackes übergeht. In beiden Fällen würde die Wirksamkeit des Entschäumers zurückgehen. Die Füllung nimmt Einfluss auf die Eintrittsbarriere und den Überbrückungsmechanismus eines Entschäumeröles. Einfluss auf die Eintrittsbarriere Über die Oberflächenbelegung des Öltröpfchens mit dem Füllstoff wird eine unregelmäßige Oberfläche des Entschäumertröpfchens erzeugt. Der Füllstoff stört die Symmetrie zwischen den Phasen (Luft/Öl/Flüssigkeit) und bewirkt dadurch einen Art Stecknadeleffekt, welcher einen einfacheren Eintritt in die Lamelle, also eine Absenkung der Eintrittsbarriere ermöglicht. Viele Entschäumeröle sind erst durch Füllung in der Lage die Eintrittsbarriere zu überwinden und die Lamellenoberfläche zu durchstoßen[3,8]. Einfluss auf die Überbrückung Durch ihre Spreitung haben Öle eine Vergleichsweise geringe Eindringtiefe in die Lamelle. Das führt dazu, dass ein gespreitetes Öltröpfchen erst bei sehr weit fortgeschrittener Drainage, wenn die Lamellen bereits sehr weit ausgedünnt sind, die Lamelle überbrücken kann. Über die nichtverformbaren Füllstoffe wird die Eindringtiefe in die Lamelle deutlich erhöht. Hierdurch findet eine Überbrückung bereits schon bei höheren Lamellendicken statt [8].
3.3
Chemie und Formulierung von Entschäumern
3.3.1
Wirkstoffe in Entschäumern
Wirkstoffe unterschiedlichen chemischen Aufbaus können für die Formulierung von Entschäumern verwendet werden. Für die Wirksamkeit des Entschäumers ist es immer entscheidend, dass der Entschäumer im jeweiligen Anwendungsmedium eine partielle Unverträglichkeit hat, welche die stabile Ausbildung von Entschäumertröpfchen im System erlaubt, ohne Filmdefekte oder Oberflächenstörungen durch eine zu große Unverträglichkeit zu erzeugen. Entschäumung ist damit immer ein Kompromiss zwischen Wirksamkeit und Verträglichkeit. Eine gleichzeitige hohe entschäumende Wirkung muss zudem erfüllt sein. Nachfolgend werden die am häufigsten verwendeten Wirkstoffe für Entschäumer beschrieben. In der Praxis der Entschäumerformulierung werden oftmals Kombinationen der Wirkstoffe zu besonders wirksamen Enschäumern formuliert.
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Chemie und Formulierung von Entschäumern
3.3.1.1
53
Siliconöle (Polysiloxane)
Die Wirkstoffklasse der Siliconöle umfasst reine Siliconöle und die Gruppe der organisch modifizierten Polysiloxane. Reine Siliconöle sind in vielen Anwendungen zu unverträglich und werden daher hauptsächlich in geringer Dosierung als Siliconspitze in Kombination mit anderen Entschäumerwirkstoffen eingesetzt. Durch organische Modifizierung von Polysiloxanen z.B. mit Polyethern kann die Verträglichkeit des Entschäumers auf spezielle Anwendungssysteme eingestellt werden. Die Siliconchemie bietet eine sehr große Bandbreite zur Modifizierung von Polysiloxanen. Hieraus ergibt sich eine außerordentlich hohe Vielfalt möglicher Polysiloxane und die Möglichkeit auf spezifische Anwendungssysteme optimierte Polysiloxane synthetisieren zu können. Siliconentschäumer können deswegen zu Recht als die in der Farben- und Lackindustrie am breitesten eingesetzten Entschäumerwirkstoffen bezeichnet werden [4]. 3.3.1.2
Mineralöle
Als Mineralöle für Entschäumer werden meistens hochgereinigte Paraffinöle oder Weißöle verwendet. Gegenüber technischen Qualitäten bieten sie den Vorteil, dass die Öle stabil gegen Umwelteinflüsse sind und nicht verharzen oder ranzig werden. Weißöle sind farblos, geruchslos und frei von aromatischen Verbindungen. Die aliphatische Struktur der Mineralöle machen die Wirkstoffe sehr hydrophob, wodurch sie nur eine geringe Verträglichkeit mit wässrigen Lacken haben. Hieraus ergeben sich Limitierungen bei der Einsetzbarkeit in vielen Lacksystemen. Mineralöle werden bevorzugt als Entschäumerrohstoffe für Bautenfarben im hohen bis mittleren PVK-Bereich verwendet. In sensibleren Anwendungen neigen Mineralöle zum Aufschwimmen oder zu Störungen der Oberfläche, wie z.B. einem geringen Glanz oder der Ausbildung einer schmierigen Oberfläche und dem damit verbundenen von Bautenfarben bekannten Foggingeffekt [9]. 3.3.1.3
Pflanzliche Öle
Ansprüche an die Umweltverträglichkeit und die Verwendung nachwachsender Rohstoffe kommen zunehmend auch bei der Entwicklung von Entschäumerwirkstoffen zum Tragen. Pflanzenöle spielen hierbei eine zunehmend größere Rolle. Die Entschäumerwirkstoffe bestehen aus Triglyceriden von gesättigten oder ungesättigten Fettsäuren. Der aliphatische Fettsäurerest macht die Wirkstoffe sehr hydrophob, was die Breite der Verwendbarkeit dieser Entschäumerrohstoffe einschränkt. Vergleichbar zu Mineralölen werden planzliche Öle bevorzugt als Entschäumerrohstoffe für Bautenfarben im hohen bis mittleren PVK-Bereich verwendet. In sensibleren Anwendungen neigen Pflanzenöle dazu, auf der Formulierung aufzuschwimmen oder die Oberflächenqualität der Beschichtung zu stören.
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Entschäumung von Beschichtungssystemen
3.3.1.4
Polare Öle
3.3.1.5
Molekulare Entschäumer (Gemini-Tenside)
3.3.1.6
Hydrophobe Partikel
3.3.1.7
Emulgatoren
Die breiten Variationsmöglichkeiten bei der Herstellung synthetischer Polymere geben eine ideale Möglichkeit auf spezifische Lacksysteme zugeschnittene Polymerwirkstoffe zu erzeugen. Häufig verwendete Öle sind Fettsäuren, Fettsäurealkohole, Polyether, Alkylamine, Alkylamide, Tributylphosphate oder Thioether. Über die Polarität der Öle lässt sich sehr gut die Verträglichkeit im Anwendungssystem einstellen. Häufig werden polare Öle auch in Kombination mit anderen Entschäumerwirkstoffen verwendet, um die Verträglichkeit der Formulierung einzustellen [8]. Eine neue Klasse von Entschäumern sind die so genannten molekularen Entschäumer oder Gemini-Tenside. Vergleichbar zu Tensiden besitzen molekulare Entschäumer grenzflächenaktive Eigenschaften und die Entschäumermoleküle orientieren sich ebenso wie Tenside an der Oberfläche von Schaumlamellen. Die Stabilisierung der Schaumlamelle wird durch den molekularen Entschäumer gestört und damit die Schaumlamelle zerstört. Im Gegensatz zu allen anderen Entschäumerwirkstoffen wirken molekulare Entschäumer also nicht als Öltröpfchen über ihre Unverträglichkeit im System. Die im vorigen Absatz beschriebenen Mechanismen für die Entschäumung können daher nicht auf molekulare Entschäumer angewandt werden. Mögliche Anwendungen für molekulare Entschäumer sind z.B. UV-, Möbel-, Automobillacke oder Druckfarben [10, 11]. Hydrophobe Partikel können in wässrigen Formulierungen ebenfalls entschäumend wirken. In der gängigen Praxis werden hydrophobe Partikel nur in Formulierung mit Entschäumerölen verwendet. Häufig verwendete hydrophobe Partikel sind oberflächenmodifiziertes Silica, Aluminiumoxid, Harnstoff, Wachse (z.B. Magnesiumstearate) oder polymere Partikel (z.B. Polyamide, Polypropylene). Partikel mit einer unregelmäßigen amorphen Struktur sind meist wirksamer als runde oder glatte Teilchen [1, 3, 4]. Die Hydrophobie des Partikels sollte so gewählt werden, dass das Partikel sich bevorzugt zu der Grenzfläche des Entschäumeröles zur wässrigen Phase orientiert. Ein mit dem Entschäumeröl zu verträgliches Partikel würde vollständig vom Öl umgeben, ein zu hydrophiles Partikel hingegen würde aus dem Öltröpfchen in die Wasserphase migrieren. In beiden Fällen würde die Wirksamkeit des Entschäumers nachlassen. In der Praxis haben sich partiell hydrophobierte Partikel als besonders wirksam erwiesen [4]. Für die Herstellung wässriger Entschäumeremulsionen werden Emulgatoren als Stabilisierungsmittel verwendet, um die im Emulgierprozess hergestellten Entschäumertröpfchen gegen Koaleszenz und Separation des Emulsion zu schützen.
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Chemie und Formulierung von Entschäumern
3.3.1.8
Lösemittel
Einige Entschäumer werden auch als Anlösung in organischen Lösemitteln angeboten. Die Auswahl des Lösemittels richtet sich nach dem zu lösenden Entschäumerwirkstoff und der Anwendung des so formulierten Entschäumers. 3.3.2
Entschäumerformulierungen
In Entschäumern werden häufig Kombinationen aus den beschriebenen Wirkstoffen eingesetzt. Hierdurch lassen sich Eigenschaften, wie die Wirksamkeit gegen Makro- und Mikroschaum oder die Verträglichkeit mit dem Anwendungssystem gezielt einstellen. Die Füllung des Entschäumeröles mit einem hydrophoben Partikel führt oftmals noch mal zu einer deutlichen Steigerung der Wirksamkeit [3]. Darüber hinaus werden Entschäumer in unterschiedlichen Lieferformen angeboten. Als Konzentrate, Emulsionen und Lösungen. Die Vor- und Nachteile der einzelnen Lieferformen können der Tabelle 3.2 entnommen werden [12]. 3.3.3
Bezugsquellen für Entschäumer
In der Tabelle 3.3 (Seite 56) wird eine Übersicht über die bedeutenden global agierenden Entschäumerhersteller und Entschäumerarten geben. Aufgrund der hohen Anzahl von Entschäumeranbietern kann die Übersicht nicht den Anspruch der Vollständigkeit erfüllen. Entschäumerhersteller mit nur regionaler Bedeutung oder auch Entschäumerhersteller, welche nicht in die Farben- und Lackindustrie liefern sind in der Übersicht nicht berücksichtigt [12]. Tabelle 3.2: Vergleich der Lieferformen von Entschäumern Konzentrate
Emulsionen
Aktivgehalt
100 %
10 bis 60 %
Füllung
meistens ja
meistens ja
selten
Lösemittelfrei
meistens
meistens
nein
Verdünnbarkeit
gut
begrenzt
sehr gut
Lagerfähigkeit
lang
begrenzt
lang
Frostbeständigkeit
ja
nein
ja
Einarbeitung
Scherkraftreich notwendig
leicht
leicht
Wirksamkeit
sehr hoch
hoch
mäßig
Verträglichkeit
in manchen Systemen gut kritisch
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Lösungen 60 %
sehr gut
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Entschäumung von Beschichtungssystemen
Tabelle 3.3: Übersicht verschiedener Entschäumerhersteller Chemische Basis Hersteller
Markenbezeichnung
Ashland Inc.
„DrewPlus“ „Antispumin“
Air Products and Chemicals Inc.
„Surfynol“ „Dynol“
Byk Chemie GmbH „Byk“ Ciba AG
„Efka“
Cognis GmbH
„Dehydran“ „Foamaster“
Dow Corning Corporation
DC
Evonik Tego Chemie GmbH
„Tego Foamex“ „Tego Twin“
Münzing Chemie GmbH
„Agitan“
Mineralöl Siliconöl
•
3.4
„Worlée Ad“
?
•
•
• •
• •
•
Molekularentschäumer
•
• • • •
•
• •
•
•
•
•
•
•
•
Ultra Additives Inc. „DeeFo“ Worlée-Chemie GmbH
•
Pflanzenöl Polymer
•
• •
•
•
Produktauswahl nach Bindemitteln
Die Verwendung von Entschäumern ist in praktisch allen wässrigen Beschichtungsformulierungen notwendig. Wichtige Auswahlkriterien für den richtigen Entschäumer sind die Art des Bindemittelsystems und der verwendeten Lösemittel. Für die Stabilisierung wässriger Bindemittel ist häufig die Verwendung externer Emulgatoren notwendig. Je nach Chemie des Bindemittels und des Stabilisierungssystem gibt es zwischen einzelnen Bindemittelklassen große Unterschiede in der Art und Menge der verwendeten Emulgatoren. Für die Entschäumung bedeutet das, dass die Hydrophobie des Entschäumers an die Chemie des Bindemittels und die verwendeten Emulgatoren angepasst sein muss. In den wenigsten Fällen hat man eine genaue Kenntnis über die genaue Zusammensetzung des verwendeten Bindemittels. Über Erfahrungswerte lassen sich aber für einzelne Bindemittelklassen allgemeine Empfehlungen für die Entschäumerauswahl aussprechen. 3.4.1
Reinacrylatdispersionen
Für die Entschäumung und Entlüftung von Reinacrylatdispersionen werden bevorzugt Entschäumer mit schwach bis mittelstark ausgeprägter Hydrophobie verwen-
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Produktauswahl nach Bindemitteln
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det. Stärker hydrophobe Typen führen meistens zu einer großen Unverträglichkeit. Wegen ihrer guten Verträglichkeit und Glanzhaltung sind häufig verwendete Entschäumer auf Basis von modifizierten Polysiloxanen oder siliconfreier Polymerer. Im Bautenfarbenbereich werden häufiger auch Mineralöle eingesetzt. 3.4.2
Styrol-Acrylatdispersionen
Zur Entschäumung von Styrol-Acrylatdispersionen werden Entschäumer mit mittlerer bis sehr starker Hydrophobie verwendet. Typen mit guter Wirksamkeit in Reinacrylatdispersionen zeigen häufig in Styrol-Acrylatdispersionen eine geringere Wirkung. Je nach Anwendungsgebiet werden Entschäumer unterschiedlicher Chemie eingesetzt. Häufig verwendete Entschäumer in matten Bautenfarben sind Mineralölentschäumer, Entschäumer auf Basis natürlicher oder synthetischer Öle oder modifizierte Polysiloxanentschäumer. In Anwendungen mit geringerer PVK und für Anwendungen außerhalb des Bautenfarbensektors werden meistens besser verträglichere Entschäumer auf Basis modifizierter Polysiloxane oder siliconfreier Polymere verwendet. 3.4.3
Vinylacetat basierende Dispersionen
Bevorzugte Entschäumer für vinylacetatbasierende Dispersionen besitzen eine mittlere bis stark ausgeprägte Hydrophobie. Je nach Anwendungsgebiet werden Entschäumer unterschiedlicher Chemie eingesetzt. Häufig verwendete Entschäumer in matten Bautenfarben sind Mineralölentschäumer, Entschäumer auf Basis natürlicher oder synthetischer Öle oder modifizierte Polysiloxanentschäumer. In Bautenfarben mit geringerer PVK und damit höheren Anforderungen an die Oberfläche und den Glanz werden meist besser verträglichere Entschäumer auf Basis modifizierter Polysiloxane oder siliconfreier Polymere verwendet. 3.4.4
Polyurethandispersionen
Für die Entschäumung von Polyurethandispersionen werden Entschäumer mit einer vergleichsweise geringen Hydrophobie eingesetzt. Die beste Balance aus Verträglichkeit und Wirksamkeit kann in wässrigen Polyurethansystemen mit Entschäumern auf Basis modifizierter Polysiloxane oder siliconfreier Polymere erzielt werden.
3.5
Produktauswahl nach Anwendungssystemen
Schaum ist in wässrigen Farben- und Lackformulierungen praktisch unvermeidlich. Zusätzlich zur Berücksichtigung des verwendeten Bindemittels können noch weitere Kriterien für die Auswahl des richtigen Entschäumers herangezogen werden. Dies können z.B. sein:
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58 • • • •
Entschäumung von Beschichtungssystemen
Pigment-Volumen-Konzentration (PVK) Art der Einarbeitung des Entschäumers Eintrag von Scherkräften bei der Applikation Tensidgehalt der Formulierung
3.5.1
Einfluss der Pigment-Volumen-Konzentration (PVK)
Formulierungen mit einer niedrigen PVK oder Klarlacke reagieren im Allgemeinen empfindlicher auf Filmstörungen hervorgerufen durch Entschäumer als Formulierungen mit einer höheren PVK. In Formulierungen mit einer niedrigen PVK müssen daher besser verträgliche, weniger hydrophobe Entschäumer eingesetzt werden. 3.5.2
Art der Einarbeitung des Entschäumers
Als Entschäumerkonzentrate angebotene Entschäumer mit 100 % Wirkstoffgehalt und stark hydrophobe Entschäumer erfordern eine scherkraftreiche Einarbeitung zur Erzeugung ausreichend feiner Entschäumertröpfchen. Kann der Entschäumer nicht mit ausreichend hohen Scherkräften eingearbeitet werden, sollten besser verträgliche Entschäumer oder bereits voremulgierte Entschäumeremulsionen oder Lösungen von Entschäumerwirkstoffen in Lösemitteln verwendet werden. 3.5.3
Eintrag von Scherkräften bei der Applikation
In Formulierungen für deren Applikation hohe Scherkräfte erzeugt werden, wie z.B. Airlessspritzen können häufig stärkere, hydrophobere Entschäumer eingesetzt werden. Durch die bei der Applikation eingetragenen Scherkräfte erfolgt eine weitere Tröpfchenverkleinerung des Entschäumertröpfchens und damit eine Verbesserung der Verträglichkeit des Entschäumers. 3.5.4
Tensidgehalt der Formulierung
Hohe Tensidgehalte, wie sie zum Beispiel benötigt werden, um kritische Substrate zu benetzen, führen häufig zu einer reduzierten Wirksamkeit des Entschäumers. In Formulierungen mit hohen Tensidgehalten empfiehlt sich oftmals die Verwendung stärkerer, hydrophoberer Typen. In Formulierungen, welche sensibel auf hydrophobe Entschäumer reagieren, ist oftmals die Verwendung eines milderen Entschäumers in einer höheren Dosierung die einzige Möglichkeit.
3.6
Tipps und Tricks
Die Verwendung von Entschäumern ist in vielen Anwendungen unvermeidlich. Um eine optimale Entschäumung zu erreichen, sind bei der Verwendung von Entschäumern die folgenden Punkte zu beachten.
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Tipps und Tricks
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• Auf eine ausreichende Einarbeitung des Entschäumers ist zu achten. Entschäumer müssen eine eingeschränkte Verträglichkeit mit dem zu entschäumenden System haben. Eine nicht ausreichende Einarbeitung kann zu Oberflächenstörungen und Kratern führen. • Konzentrate von Enschäumern müssen besonders scherkraftreich eingearbeitet werden. Konzentrate sollten bevorzugt schon in das Mahlgut gegeben werden. • Das Auftreten von Schaum ist immer auch von den Applikationsbedingungen abhängig. Bei der Prüfung von Entschäumern muss die Wirksamkeit und die Verträglichkeit unter anwendungsnahen Bedingungen geprüft werden. • Durch die Zugabe einers Entschäumers zum Mahlgut kann die Verträglichkeit des Entschäumers im System verbessert werden.
• Eine leichte Unverträglichkeit des Entschäumers kann durch die zusätzliche Zugabe von grenzflächenaktiven Additiven, wie z.B. Substratbenetzungsadditiven oder Gleit- und Verlaufsadditiven verbessert werden. • Häufig lässt sich die beste Entschäumung mit einer Kombination von Entschäumern erreichen. Durch die Aufteilung der Entschäumer auf das Mahlgut und das Auflackgut lassen sich die besten Ergebnisse erzielen.
3.7
Zusammenfassung
Schaum ist kein homogenes Gebilde. Je nach Luftgehalt und Zusammensetzung der flüssigen Phase kann Schaum sehr unterschiedliche Eigenschaften haben. Zudem verändern viele Schäume über die Zeit ihre Struktur. Einen universellen Entschäumer, der alle Arten von Schaum zerstören kann, gibt es nicht. Anhand von Untersuchungen an einfachen Modellsystemen konnten verschiedene Mechanismen für die Entschäumung experimentell nachgewiesen werden. Einige der nachgewiesenen Mechanismen ergänzen sich über Wechselwirkung miteinander. Das Zusammenwirken anderer Mechanismen schließt sich hingegen aus. Die Komplexität von Farben- und Lackformulierungen lässt eine direkte Untersuchung der Entschäumungsmechanismen in praxisnahen Systemen nicht zu. Dies macht die Suche nach dem richtigen Entschäumer für die Formulierung eines wässrigen Lackes auch heute noch zu einem nicht unwesentlichen Teil von Empirie abhängig. Wichtige Entscheidungskriterien für die Auswahl des richtigen Entschäumers sind u.a. die Chemie des Bindemittels, Art des Anwendungssystems, die Pigment-Volumen-Konzentration, die Applikationsmethode und nicht zuletzt auch die Einarbeitungsbedingungen für den Entschäumer. Die Anwendungsempfehlungen des Entschäumerherstellers geben zudem hilfreiche Hinweise für die Auswahl des richtigen Produktes. Eine endgültige Bestätigung der Wirksamkeit des gewählten Entschäumers ist am Ende aber immer nur über Versuche unter praxisnahen Bedingungen möglich.
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60 3.8
Entschäumung von Beschichtungssystemen
Literaturhinweis
[1]
H. F. Fink, W. Heilen, O. Klocker, G. Koerner, Entschäumer und Entlüfter in wässrigen oder lösemittelarmen Lacksystemen, Goldschmidt informiert, S. 9–21 [2] Roland Sucker, Katrin Lehmann, Schaum-Killer Entschäumer für die Herstellung von Polymerdispersionen, Farbe und Lack 4/2007, S. 100–104 [3] Ashland Deutschland GmbH, ANTISPUMIN – Entschäumer und Entlüfter, 12/2006 [4] Dr. Ralf R. Schnelle, Otto Klocker, Keeping ahead of foam control, Asia Pacific Coating Journal 6/2004, S.14 –17 [5] Dr. Ralf R. Schnelle, Otto Klocker, Defoaming of PU Coatings – Preventing of fast escaping gas with new additives, European Coatings Journal 12/2004, S. 26 –31 [6] Carsten Penz, Wirkungsmechanismen siloxanbasierter Schauminhibitoren in Mineralöl, Essen 2005, Dissertation an der Universität Essen, Fachbereich Chemie [7] Hans-W. Mindt und Wolfgang Ottow GbR, Literatur- und Internetrecherche zum Themengebiet Schaum [8] Nikolai D. Denkov, Mechanisms of Foam Destruction by Oil-Based Antifoams, Langmuir 2004, 20. 9463–9505 [9] Dr. Ulrich Zorll, Römpp Lexikon – Lacke und Druckfarben, Thieme-Verlag, S. 39 und 194 [10] Wim Stout, Christine Louis, Molecular Defoamers – Resolving stability and compatibility problems, European Coatings Journal, 4/2005, S. 132–137 [11] K. Lehmann, P. Hinrichs, S. Maslek, Siloxan-based Gemini Surfactants – A novel class of low foaming substrate wetting agents, European Coatings Journal, 5/2004 [12] Erich Karsten, Lackrohstofftabellen, 10. Auflage Herausg. Olaf Lüchert, Vincentz Network 2000
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Allgemeine Beurteilung von Rheologieadditiven
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Rheologieadditive Dr. Olivier Guerret
Wasser ist kostengünstig, natürlich, gesundheitlich unbedenklich, weitgehend verfügbar und regenerativ. Folglich trägt angesichts der wirtschaftlichen Aspekte, der Vorschriften oder der langfristigen Nachhaltigkeit alles dazu bei, die Verwendung von Wasser in Farb- und Lacksysteme zu erhöhen. Allerdings hat Wasser Eigenschaften, die seine Verwendung als alleiniges Lösemittel in Lacksystemen technisch einschränken. Die Polarität von Wasser führt zu einer hohen Oberflächenspannung. Diese hat wesentliche Auswirkungen auf das Leistungsprofil des Lackes. Aus diesem Grund werden beispielsweise für Hochglanzanwendungen weiterhin Alkydharzfarben und -lacke auf Lösemittelbasis hergestellt, die besser geeignet sind, einen hohen Glanz zu erzielen. Einer der Aspekte, ein Rheologieadditiv, wie beispielsweise ethoxylierte und hydrophob modifizierte Urethane (HEUR) oder hydrophob modifizierte und alkalisch verdickende Emulsionen (HASE), einzusetzen, ist die Interaktion zwischen Wasser und den anderen Lackbestandteilen. Durch Verringerung der Oberflächenspannung haben HEUR- und HASE-Additive direkten Einfluss auf die Qualität des Films, die Farbaufnahme und die Nassschleiffestigkeit zusätzlich zur Regelung der offensichtlich mit der Rheologie verbundenen Eigenschaften wie Topfzeitstabilität (Verarbeitungszeitraum), Streichfähigkeit, Filmbildung, Verlauf usw. Rheologieadditive dienen somit nicht nur dazu, die Viskosität eines Lackes zu regulieren, sondern sie lösen ebenfalls die durch die Partikelverteilung entstehenden Probleme in der Formulierung.
4.1
Allgemeine Beurteilung von Rheologieadditiven
4.1.1
Marktübersicht
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Rheologieadditive
trennung, soll sie/er beim Rühren festkörperreich erscheinen oder soll sie/er gute Streich- und Rolleigenschaften aufweisen. Alle diese Aspekte werden über die Rheologie gesteuert. Rheologie ist das Ergebnis der Interaktion der Rheologieadditive und den anderen Komponenten wie Bindemittel, Pigmente, Lösemittel und natürlich Wasser selbst. Es gibt verschiedene chemische Typen von Rheologieadditiven für Lacke und Farben auf Wasserbasis: • synthetische Verdickungsmittel wie cellulosehaltige Ether (HEC), Polyurethane (HEUR), alkalisch verdickende Acrylatemulsionen (HASE) und Polyether • mineralische Verdickungsmittel wie Bentonit, Atapulgit oder • natürliche Verdickungsmittel wie Alginat, Guar und Gummi-Xanthan. Dies sind die gebräuchlichsten Produkte, die als Rheologieadditive in wässrigen Systemen verwendet werden. Sie alle haben Vor- und Nachteile, wobei die gebräuchlichsten die synthetischen Verdickungsmittel sind und kontinuierlich weiterentwickelt werden, um den Erwartungen der Formulierer Rechnung zu tragen. 4.1.2
Grundeigenschaften der verschiedenen Rheologieadditive
Die drei am häufigsten verwendeten Verdickungsmittel sind in Abbildung 4.1 mit den Eigenschaftsprofilen der wässrigen Lacksysteme dargestellt. Dabei zeigt sich, dass das kostengünstigste Rheologieadditiv, eine alkalisch verdickende Emulsion,
Abbildung 4.1: Vergleich zwischen den verschiedenen Vor- und Nachteilen der wichtigen Rheologieadditiven für wässrige Systeme. Die Kriterien zwischen 1 Uhr und 4 Uhr beziehen sich auf die Verarbeitungskriterien, während sich die übrigen auf den Marketingwert der Farben beziehen.
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Erwartungen an Rheologieadditive
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einige technische Nachteile in Bezug auf die Formulierung von Glanzlacken (Verlauf), Wasseraufnahme, Offenzeit und pH-Abhängigkeit besitzt. Polyurethane sind höherpreisig, dafür bieten sie gute Eigenschaften in Bezug auf den Verlauf, Wasserbeständigkeit und Offenzeit. Sie sind speziell für Glanzlacke geeignet. Ihr Preis ist bedeutend höher als bei HASE-Produkten. Cellulosehaltige Ether werden noch immer in Bezug auf die Offenzeit als gut betrachtet. Die Schwächen der HEC liegen in ihrer Pulverform und ihrer Empfindlichkeit gegenüber Bakterien: aufgrund von strengeren Vorschriften für die Verwendung von Bioziden in wässrigen Lacksystemen wird der mikrobiologische Schutz durch die Verwendung von HEC erschwert und kostenintensiver. Im Weiteren werden HEUR-Additive und auf alkalisch verdickende Emulsionen (ASE und HASE), die das reichhaltigste Produktportfolio für die Modifizierung von Formulierungen darstellen und am besten geeignet sind, behandelt.
4.2
Erwartungen an Rheologieadditive
4.2.1
Rheologie
In zahlreichen Büchern wird die Theorie über Rheologie erklärt, siehe [1]. Rheologie ist die Wissenschaft, die den Fluss und die Deformation von Materialien beschreibt. Im Weiteren beschränken wir uns auf den Fluss von wasserbasierten Beschichtungen, der durch die Viskosität des Lacksystems gekennzeichnet ist. Die Abhängigkeit der Viskosität von der Scherung charakterisiert verschiedene Rheologieprofiltypen: • Das ideale Newton’sche Profil ist durch eine konstante Viskosität nach Scherung gekennzeichnet. • Das nicht Newton’sche Profil ist scherratenabhängig und zwei Unterprofile beschreiben die meisten Fälle: – Das pseudoplastische Profil zeigt ein Abfallen der Viskosität mit Scherung (Scherverdünnungsverhalten). – Das Dilatanzprofil zeigt ein Ansteigen der Viskosität mit Scherung (Scherverdickungsverhalten). Diese Profile sind wichtig, um modellhaft darzustellen, wie sich Farbformulierungen verhalten, wenn sie aufgestrichen oder aufgesprüht werden. Man sollte versuchen, Dilatanzprofile zu vermeiden. Ziel der Arbeit muss sein, das Newton‘sche Fließverhalten mit dem pseudoplastischen Verhalten in Einklang zu bringen. Pseudoplastizität ist wichtig, um Segregationsprobleme bei hoher Scherviskosität zu vermeiden. Das Rheologieprofil kann ebenfalls zeitabhängig sein. Dies trifft zu, wenn die zum Erreichen eines Viskositätsplateaus erforderliche Zeit bei konstanter Rate lang ist.
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Dieses Phänomen wird Thixotropie genannt, das häufig mit einem pseudoplastischen Profil verwechselt wird. Dieses Phänomen erweist sich als vorteilhaft, wenn es notwendig ist, dass die Viskosität nach dem Auftragen der Farbe langsam ansteigt. Messen des Rheologieprofils eines Lacksystems
Der Formulierer bestimmt das Rheologieprofil seiner Formulierungen mit Hilfe eines Rheometers. Um Farben und Lacksysteme zu untersuchen, benutzt man üblicherweise dynamische Rheometer. Historisch haben sich Farbformulierer auf vier Messungen beschränkt, um sich mit der Rheologie zu befassen: Brookfield-Viskosität bei 10 U/Min. und 100 U/Min. (das jeweils den 1 bis 10s –1-Scherratenbereich abdeckt), Kegel-Platte-Viskosität: allgemein als ICI-Viskosität bekannt, misst eine hohe Scherviskosität 10 4 s –1. Der dritte Messungstyp ist die Stormer-Viskosität (mittlere Scherviskosität, 10 2 s –1). Manche Formulierer konzentrierten sich nur auf wenige Messungen, um ihr gewünschtes Viskositätsprofil zu definieren. Diese Rheometer arbeiten allerdings bei konstanter Scherung und sind nur geeignet, um einen Punkt auf der Rheologiekurve anzugeben. Die Scherraten, die das Viskositätsprofil einer Farbe oder eines Lackes beschreiben, sind viel weitreichender als drei oder vier Punkte, wie in der Tabelle 4.1 veranschaulicht wird. Daher ist die Verwendung von oszillierenden Rheometern immer üblicher geworden, um die verschiedenen bei Farben und Lacken auftretenden Phänomene vorherzusagen. Diese oszillierenden Rheometer gewähren Zugang zu allen Aspekten der Rheologie bei Scherraten, die zwischen 10 –4 und 10 5 s –1 schwanken. Bei solchen Geräten können z.B. die Frequenz, die Dehnung und der Druck vorgewählt werden. Thixotropes Verhalten wird zusätzlich in zeitabhängiger Funktion ermittelt. Die Daten, die aus solchen Messungen extrahiert werden, sind Kriech- und Kriech erholungswerte, viskoelastische Module (mit ihren elastischen Komponenten und der viskosen Komponente) und die Fließgrenze. Tabelle 4.1: Typische Reichweite von Scherraten für verschiedene Beschichtungssituationen Prozess
Scherrate (s –1)
Sedimentation
R2>R3) b) Rheologieprofil von zwei HEUR-Additiven mit denselben hydrophoben Kettenenden, jedoch ist das Molekulargewicht von PEG1 doppelt so hoch ist wie das Molekulargewicht von PEG2
gewicht, während das Newton’sche schwächere hydrophobe Gruppen, aber längere PEG-Ketten aufweist. Dies wird in der Abbildung 4.5 dargestellt, wo wir auf der einen Seite die Wirkung der Variierung der Größe des hydrophoben Kettenendes in einer Reihe von HEUR-Additiven mit demselben Polyethylenglykol-Kern zeigen (Abbildung 4.5a), während wir auf der anderen Seite zeigen, dass ein Verdoppeln der Kettenlänge des Polyethylenglykols in einem pseudoplastischen HEUR zu einem Verfall des Rheologieprofils zu höheren Werten führt (Abbildung 4.5b). Das für die Erstellung der Abbildung 4.5b verwendete Polyurethan ist dasselbe wie in der ersten technischen Untersuchung (s. Abbildung 4.3). Anhand dieser Untersuchung versteht man, dass nicht nur die Viskosität von der Änderung des Molekulargewichts beeinflusst wird, sondern ebenfalls das Profil. Die längeren Ketten führen üblicherweise zu einem höheren viskosen Verhalten, während kürzere Ketten ein elastischeres Verhalten bieten. 4.3.3
Von Selbstassemblierungsverhalten zu Assemblierungsverhalten
Das Selbstassemblierungsphänomen hat einen starken Einfluss auf die Herstellung von HEUR-Additiven. Daher sind die im Handel angebotenen HEUR-Additive üblicherweise eine Mischung aus einem HEUR, einem Tensid und Wasser. Die Rolle des Tensids besteht darin, die Viskosität durch Unterbrechen der intermizellären Verkettungen zu verringern und die Stärke des assoziativen Netzwerks durch Verdünnen der hydrophoben Interaktionen, wie im Abbildung 4.6 dargestellt, zu reduzieren. Anhand einer solchen Strategie bewegen sich die typischen Viskositäten der im Handel angebotenen HEUR-Additiven zwischen 2000 und 5000 cts, während der typische HEUR-Gehalt von 15 bis 30 Gew.% variiert. Dieser For-
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mulierungsschritt kann sich ebenfalls als nützlich erweisen, um ein breiteres Feld von chemischen Variationen für das Anpassen von HEUR-Additiven zu öffnen. Wenn man beispielsweise die Größe der hydrophoben Kettenenden erhöht, verschiebt sich die Strukturierung des Bulk-PUs von einer kontinuierlichen Polyethylenglykolphase zu einer kontinuierlichen hydrophoben Phase. Wenn es dazu kommt, wird das Verdün- Abbildung 4.6: Beitrag eines mit einem nen mit Wasser durch ein sehr langsames HEUR-Additiv formulierten Tensids. Das Verdicken des PEGs eingeschränkt. Das Tensid verdünnt die intermizelläre Interak Hinzufügen des Tensids kann daher die tion durch Erhöhen der Anzahl von Mizel len und schwächt die Blume wie Mizellen Selbstorganisation aus dem Gleichge- durch Interaktion mit den hydrophoben wicht bringen und ein schnelleres und Gruppen des HEUR-Additives leichteres Verdünnen ermöglichen. Dank einer solchen Technologie konnten in Wasser HEUR-Additive mit hydrophoben Ketten bis zu einer Länge von 26 Kohlenstoffatomen formuliert werden. Am Ende ist die Wahl des Tensids nicht ohne Nebenwirkungen: Die Stabilität der Mischung wird gefährdet, wie auch die Endanwendungseigenschaften. Die Tenside sind nicht-ionische Tenside. Um eine zufriedenstellende Stabilität zu gewährleisten, ist es erforderlich, das Drei-Komponenten-Phasendiagramm zu bestimmen, welches das Verhältnis zwischen Wasser, Tensid und HEUR-Additiv festlegt. Anschließend muss die Stabilität nach der Lagerung bei verschiedenen Temperaturen geprüft werden. Wenn dies erfolgt ist, müssen die Anwendungseigenschaften des HEURAdditives bei Vorhandensein des Tensids erneut untersucht werden. Diese Prüfung ist von großer Bedeutung, da der Wirkungsmodus von HEUR in Farben und Lacken wie die Formulierungen nicht nur darin besteht, selbst ein Netzwerk aufzubauen, sondern ebenfalls mit dem Bindemittel zu interagieren. Es gibt zwei wesentliche Typen einer Interaktion zwischen einem Bindemittel und einem HEUR-Additiv, und dies erklärt oft, warum das Wechseln eines Bindemittels in einer Formulierung die Rheologie komplett ändert: • Interaktion mit der Tensidschicht des Bindemittels • Interaktion mit dem Polymer des Bindemittels Das Beimischen eines externen Tensids, um das HEUR-Additiv zu formulieren, kann diese Interaktionen verändern, da es selbst in der gleichen Weise mit dem Bindemittel interagieren kann. Daher müssen bei der Optimierung einer chemischen Struktur eines HEUR-Additives stets die von der Verdünnung mit einem Tensid hervorgerufenen zusätzlichen Parameter berücksichtigt werden.
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Hydrophobes /hydrophiles Gleichgewicht von wässrigen Farben und Lacken
Die Empfindlichkeit der HEUR-Eigenschaften gegenüber dem Tensid ist in Wirklichkeit eine Darstellung ihrer Empfindlichkeit gegenüber irgendeinem dritten Bestandteil, welcher das hydrophobe / hydrophile Gleichgewicht beeinflusst. Die Fähigkeit eines HEUR-Additives mit Dispersionen zu interagieren zusätzlich zu seinem Selbstassemblierungsverhalten, wird Assemblierungsverhalten genannt. Sie kann von einer Dispersion zu einer anderen stark schwanken. Es wurde gezeigt, dass ein HEUR-Additiv, dem ein Newton’sches Verhalten zugeschrieben wird, zu einer pseudoplastischen Formulierung führen kann, wenn die Interaktionen zwischen den hydrophoben Ketten des Urethans und der Oberfläche der Dispersion deutlich stärker werden als die Assemblierungsinteraktionen zwischen den Kettenenden der Polyurethane. Ein solches Beispiel wird in der Abbildung 4.7 dargestellt, in der die Rheologieprofile von zwei Seidenglanzlacken zu sehen sind. Der eine Seidenglanzlack wurde unter Verwendung eines standardmäßigen europäischen Ethylenvinyl-Acetat-Bindemittels und das andere unter Verwendung einer amerikanischen Styrol-Acryl-Dispersion hergestellt. Selbstverständlich drückt sich das Assemblierungsverhalten stärker in der Hochglanzformulierung mit einem hohen Dispersionsanteil als in Seidenglanzlacken aus, in denen die Selbstassemblierungseigenschaften überwiegen.
Abbildung 4.7: Rheologieunterschied zwischen zwei Seidenglanzformulierungen mit einem ähnlichen HEUR-Additiv (ausgewogenes Profil), je nach der Wahl des Bindemittels.
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4.3.5
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Verbesserte Farbaufnahme durch die Verwendung von HEUR
Ein weiteres Beispiel des Assemblierungsverhaltens von HEUR ist das Phänomen der Farbaufnahme. Das der Formulierung beigemischte Pigment ist üblicherweise ein mit einem Tensid formuliertes organisches Pigment. Das Vorhandensein einer solchen Spezies in der Formulierung verursacht Interaktionen mit dem HEURAdditiv, die den Aufbau und die Stärke des assoziativen Netzwerks verändern [15]. Abhängig vom Pigment kann bei einer Formulierung mit einem HEUR-Additiv die Viskosität um 70 % herabgesetzt werden. Dadurch können Lagerungs- und Rub-Out-Probleme verursacht werden. Dieser Nachteil ist besonders stark bei pseudoplastischen HEUR-Additives, da deren Eigenschaften auf dem sehr starken Assemblierungsverhalten ihrer Kettenenden beruhen. Die schnelle und gute Lösung wäre, pseudoplastische Polyurethanverdickungsmittel bei der Verwendung von Pigmentpasten zu vermeiden und diese durch acryloder cellulosehaltige Verdickungsmittel zu ersetzen. Allerdings kann diese Option aufgrund der spezifischen Qualitäten von Polyurethanverdickungsmitteln nicht zur Regel werden: bessere Auftragungseigenschaften, insbesondere in Bezug auf das Fließen und das Egalisieren, Unabhängigkeit vom pH-Wert der Formulierung, besserer Widerstand gegen Nassschleifen oder Absorption (s. Abbildungen 4.2 und 4.3). Daher war es wichtig, den Formulierern HEUR-Additive zu liefern, die weniger empfindlich gegenüber Formulierungsänderungen sind. Die Hauptparameter, die untersucht wurden, um ihre HEUR-Additive anzupassen, waren die hydrophoben Segmente und die Länge der Polyethylenoxidhauptkette. Es wurden lineare lange hydrophobe Kettenenden (C12 bis C22) bevorzugt eingesetzt und es stellte sich heraus, dass die Steuerung des Verzweigungsgrads an den Kettenenden sowie das Ausnutzen der Polydispersion des Polymers zu einer besseren Robustheit der Formulierung führt und zusätzlich in Bezug auf die Farbaufnahme Verbesserungen erwartet werden können. Durch Ausweiten des Polydispersionsindexes von Polyurethan wurde festgestellt, dass der Aufbau des Netzwerks komplizierter wird als mit einer engen Molekulargewichtverteilung. Daraus folgt für das intermizelläre Netzwerk, dass die langen Ketten in der Lage sind, sich nicht nur am Nachbarmizell zu verankern, sondern auch darüber hinaus. Die Mittelung von Selbstorganisierungseigenschaften der Makromoleküle verleiht dem assoziativen Netzwerk eine höhere Stabilität. Bei der Verwendung von Kettenenden, die nicht mehr linear sind, bleibt die Viskosität nach der Einfärbung mit Pigmentpasten stabil. Eine Theorie ist, dass die verzweigten hydrophoben Gruppen weniger fähig sind, sich bei der Assemblierung zu verhaken. Ihr wesentlicher Assemblierungsmodus basiert auf schwachen Van der Waals- oder Debye-Kräften. Ähnliche Kräfte können zwischen einem organischen Pigment und den verzweigten Hydrophoben erzeugt werden. Demzufolge entsteht, wenn die Pigmentpartikel zum Lack hinzugefügt werden, ein neues Netzwerk.
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Abbildung 4.8: Vergleich des Verhaltens einer engen Molekulargewichtsverteilung von HEUR-Additiven mit linearen Endgruppen (links) und von einer weiten Molekulargewichtsverteilung von HEUR-Additiven mit verzweigten Endgruppen (rechts) während der Einfärbung. Links ist zu sehen, dass die Volumenfraktion des Pigments die Entfernung zwischen Latexpartikeln erhöhen kann, wodurch die Verkettung durch kurze Urethanketten erschwert wird: das assoziative Netzwerk geht verloren. Rechts behalten die Ketten der weiten Poly dispersion eine Verbindung zwischen den Partikeln bei, während eine gewisse schwache zusätzliche Interaktion mit dem Pigment auftritt.
Dieses Netzwerk kann einen ähnlichen Energiepegel aufweisen wie das Netzwerk ohne Pigment. Wenn die assoziativen Kräfte teilweise von der Verhakung verursacht werden, erzeugt das Hinzufügen des Pigments schwächere assoziative Kräfte, was die Viskosität herabsetzen kann. Diese Auswirkungen sind in Abbildung 4.8 zusammengefasst. Als Beispiel für die Leistungsfähigkeit steht ein Urethan mit einer PEG-Hauptkette, die durch ein Molekulargewicht von 30.000 g/mol und ein IP von 2,5 gekennzeichnet ist. Dieser Vergleich erfolgte mit einem Urethan, das ein ähnliches Rheologieprofil aufweist. Die Kettenenden bestehen aus einer hydrophoben verzweigten C30-Gruppe. Wir haben ihre Leistungsfähigkeit in einer matten Farbe verglichen (Tabelle 4.2). Zusätzlich zu diesen Rheologiedaten hat ein Ausreibtest einen Intensitätsverlust mit dem Standard-PU von 4,2 gezeigt, während das neue HEUR-Additiv nur eine Schwankung von 0,1 % aufwies. Dieser Ausreibtest ist ein starker Hinweis auf die hohe Pigmentverträglichkeit in der Formulierung, was ein indirekter Beweis
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Alkalisch verdickende Emulsionen: ASE und HASE
Tabelle 4.2: Matte Farbe mit einem Styrol-Acryl-Bindemittel und einer PVK von 76 % und 0,27 Gewichtsprozent Urethan (ein Referenzbindemittel und ein Bindemittel der neuen Generation). Rheologiemessungen erfolgten vor und nach dem Beimischen von 5 Gew.% schwarzem Pigments in der Formulierung. Referenz vorher
Schwankung (%) nach Einfärbung
Neues HEUR-Additiv vorher
Neues HEUR-Additiv nachher
Brookfield (100 U/Min.)
6400
3250
6750
4750
Stormer
125
115,5
126
129
dafür ist, dass das Pigment zu dem von der neuen HEUR-Generation aufgebauten assoziativen Netzwerk beiträgt. Dank dieser neuen Entwicklung kann der Formulierer heute ein Urethanverdickungsmittel verwenden, selbst wenn die Farbaufnahme ein Problem darstellt. Wenn allerdings das Leistungsprofil eines HEUR-Additives nicht absolut erforderlich ist, könnte die Verwendung einer verdickenden Acrylatemulsion eine kostengünstige Alternative darstellen. Der nachfolgende Abschnitt ist diesem Produkttyp gewidmet.
4.4
Alkalisch verdickende Emulsionen: ASE und HASE
4.4.1
Synthese
(Hydrophobe) alkalisch verdickende Emulsionen (HASE oder ASE) bezeichnen einen Typ von Polymeren in Emulsionsform, die hauptsächlich aus Acryl- oder Methacrylsäure (zwischen 40 und 70 Gew.%), einem Acrylester (Butyl- oder Ethylacrylat in einem Verhältnis von 60 zu 30 %) synthetisiert wird. Bei HASE steht das H für einen anderen Typ von Co-Monomeren, die aus methacrylhaltigen Makromonomeren gemäß der allgemeinen Formel bestehen (Abbildung 4.9) . Die Struktur vom Typ Methacryl kann in eine Struktur vom Typ Vinyl oder Malein verändert werden, jedoch wird sie oft so gewählt, dass sie leicht mit Acrylstern und Methacrylsäure co-polymerisieren kann. Das Verhältnis dieser drei Monomertypen regelt die Löslichkeit des Polymers nach der Neutralisierung. Die typische Eigenschaft von (H)ASE ist, dass sie bei einem niedrigem pH (pH 7) gut löslich sind. Das Verdicken der Ketten zwischen diesen beiden
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Abbildung 4.9: Methacrylhaltiges Makromonomer
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pH-Werten ist abhängig von der Anzahl von carbonhaltigen Endgruppen: je höher, desto schneller. Es kann durch das Beimischen von gut wasserlöslichen Monomeren, welche sulfon- oder phosphonhaltige Endgruppen enthalten, beschleunigt werden [16]. Alles in allem sind Alkali-ASE und -HASE reaktive Produkte, die, wenn sie in die Gegenwart von Alkalien gebracht werden, sehr schnell ein Gel bilden, das Verarbeitungsprobleme auslöst. Daher muss deren Verwendung in einem Betrieb gründlich vorbereitet werden. 4.4.1.1
ASE
Wenn das Polymer löslich wird, beginnt man, seine Verdickungseigenschaften zu beobachten. Im Gegensatz zur HEUR-Additiven, in denen die Verdickungswirkung aufgrund der hydrophoben Endgruppen hauptsächlich auf dem assoziativen Netzwerk basiert, ist es im Fall von ASE das Binden von Wasser rund um die anionischen Gruppen, die die Viskosität erzeugen. Die Verhakungen der Polymerketten wären in reinen anionischen Polymeren nicht zuverlässig, und daher verbinden die neutralen, flexiblen hydrophoben Monomeren von Ethylacrylat die Ketten leicht miteinander, wodurch ein zuverlässiger Verdickungseffekt erreicht wird. Das Molekulargewicht der ASE ist der dritte Parameter, der die Verdickungswirkung des Polymers beeinflusst. Das Molekulargewicht wird durch Verwendung eines Übertragungsmittels, wie beispielsweise ein wasserlösliches Thiol, angepasst. Unter diesen drei Parametern entscheidet das Molekulargewicht über das Rheologieprofil der ASE: die niedrigsten führen zu fast Newton’schen Profilen und die höchsten führen zu einem pseudoplastischen Verhalten. Der typische Bereich von Molekulargewicht reicht von 50.000 g/mol bis 10 6 g/mol. Es besteht die Möglichkeit, die Effizienz von pseudoplastischer ASE durch einen gewissen Grad der Vernetzung im Molekül zu verstärken. Hierzu verwendet man multifunktionale Monomere wie beispielsweise Divinyl-Benzol, Methylen-bis-Acrylamid oder Polyethylenglykol-Dimethacrylat. Der Verdickungsmechanismus von ASE wird in Abbildung 4.10 geschildert. ASEPolymere haben ein Selbstassemblierungsverhalten: Die Interaktionen der Ketten in der Formulierung werden von dem Segment der Ketten, die reicher an Acrylester sind und daher aus dem Wasser ausgestoßen, zur Verhakung gezwungen. Die Schwierigkeit, dieses Selbstassemblierungsverhalten zu steuern, liegt im Mangel einer Steuerung der Sequenzierung von Monomeren während der Synthese. Da ASE-Polymere hauptsächlich mit Wasser interagieren, bestimmen sie weitgehend die Eigenschaften der Formulierung. Sie eignen sich gut, um eine Grundverdickung zu günstigsten Kosten zu erreichen, jedoch sind sie nicht zweckmäßig, aus der schlechten Verträglichkeit der verschiedenen Komponenten der Formulierung entstehende Probleme zu lösen. Eine ihrer Schwächen besteht darin, dass sie stark von der Ionisation von Wasser abhängen. Man kann beobachten, dass die Viskosität
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Alkalisch verdickende Emulsionen: ASE und HASE
abfällt, wenn eine gewisse Menge von Ionen in die Formulierung eingebracht wird. Dies könnte während der pH-Anpassung einer Formulierung der Fall sein, wodurch sich erklären lässt, warum einige Formulierer eher organische Amine als Natriumcarbonat verwenden, um deren pH-Wert zu erhöhen.
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Abbildung 4.10: Verdickungsmechanismus von HASE. Polymerketten immobilisieren Wasser, um anionische Funktionen entlang der Ketten zu lösen, während Zonen, die reich an Ethylacrylaten sind, ein Verhaken zwischen den verschiedenen Ketten ermöglichen. Dieses Netzwerk ist dreidimen sional.
Um ASE ein Assemblierungsverhalten zu verleihen, das sich besser an die Rheologieeigenschaften von Farben anpasst und sowohl mit Dispersion als auch Pigmenten interagiert, müssen hydrophobe Monomere auf die Kernstruktur aufgepfropft werden. Daher muss man Zugang zu HASE haben. 4.4.1.2
HASE
HASE muss als Kammmakromolekül angesehen werden, das durch eine ähnliche Hauptkette wie ASE gekennzeichnet ist, auf der man ein organisches Tensid aufgepfropft hat (Abbildung 4.11). Die Tensidstruktur basiert allgemein auf einem Polyethylen-/Propylenglykol mit einem hydrophoben Kettenende. Diese Struktur kann die gleiche sein, wie die für die Herstellung von HEUR gewählte Struktur. Folglich sollte das potenziale Assemblierungsverhalten in HASE ähnlich dem von HEUR sein. Allerdings führt der grundlegende Unterschied zwischen dem linearen TriblockHEUR und dem Kamm-Polymer-HASE zu verschiedenen Wirkungsmechanismen. So lässt sich erklären, warum HASE die geeigneten Rheologiemodifizierungsmittel sind, um die Farbakzeptanz zu gewährleisten und leistungsfähige Produkte gegen Synärese sind: Aufgrund der Struktur bieten sie geeignete Rheologieprofile. Wie bei HEUR-Additiven zu sehen war, ist das Verstehen der Selbstassemblierungseigenschaften der Schlüssel, um die Assemblierungseigenschaften zu verstehen. Es wurde gezeigt, dass
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Abbildung 4.11: Allgemeine Architektur einer verdickten HASE: in Schwarz das Kerngerüst von Ethylacrylat und Methacrylsäure, Polyethylen glykolseitenketten mit einem hydrophoben End gruppenabschluss in Grau
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sich HEUR-Additive mehr oder weniger wie dysfunktionelle Tenside verhalten. Ihre Mobilität in einer verdünnten Lösung ist hoch. HASE-Additive als ASE-Untergruppe binden zuerst Wasser über die polyelektrolytische Hauptkette. Die Mobilität von Wasser rund um ein Makromolekül wird dadurch extrem eingeschränkt. Dementsprechend ist die Mobilität des Kammtensids ebenfalls eingeschränkt und wird vom strukturellen Aufbau der Hauptkette bestimmt. Von einer Kammarchitektur ist bekannt, dass die Flexibilität des Moleküls zuerst von der Dichte der auf das Gerüst aufgepfropften Seitenketten beeinflusst wird [17]. Normalerweise beginnt die sterische Hinderung, bei über 60 Gew.% aufgepfropfter Ketten eine bedeutende Rolle zu spielen. In einer üblichen HASE schwankt die Menge von Spezialmonomer zwischen 0,5 und 15,0 % und liegt somit weit unter den Grenzen. Daher sind die HASE-Makromoleküle ziemlich flexibel und können viele Konformationen annehmen.
Abbildung 4.12: Phänomen der Selbstassemblierung einer HASE mit niedrigem Molekulargewicht. Die Form der Mizellen ist abhängig vom Verzweigungs grad und von der Länge der seitlichen Ketten.
Abbildung 4.13: Phänomen der Selbstassemblierung einer HASE mit hohem Molekulargewicht und Darstel lung der Verdickung der hydrophoben (grün) Bereiche durch ein Hydrophob (gelb). Der Einfachheit halber sind nur zwei Ketten verhakt, die Wirklichkeit ist jedoch viel komplexer. Die hydrophoben Bereiche reichen von 10 nm bis mehrere hundert, wenn sie durch eine hydrophobe Substanz verdickt werden.
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Um die Art des Assemblierungsverhaltens von HASE in einer Beschichtungsformulierung zu verstehen, wird angenommen, dass eine HASE-Lösung vorliegt, zu der langsam eine Dispersion zugemischt wird. Die ursprüngliche Organisation der Lösung wird zwischen zwei extremen Fällen, die in den Abbildung 4.12 und 4.13 dargestellt sind, schwanken. Der erste Fall entspricht einem HASE mit niedrigem Molekulargewicht. Diese Moleküle haben eine leicht helikale Struktur und tragen eine kleine Menge von Spezialmonomer. Die Moleküle weisen einen gewissen Grad von Mobilität auf und, je nach der Größe der Seitenketten, führen sie zu verschiedenen Assemblierungsarten.
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Durch Einwirken auf die Anzahl der EO/PO-Einheiten und durch Variation der Hydrophobizität der Endgruppen wird das Gleichgewicht zwischen intramolekularer und intermolekularer Selbstassemblierung abgestimmt. Dieses Verhalten ist ähnlich der Blume der HEUR-Mizellen. Um die Analogie noch weiter voranzutreiben: die einzigen vorneutralisierten handelsüblichen HASE mit angemessenen Festkörpern sind genau von diesem Typ, da sie mit ähnlichen Ausrüstungen wie die HEURs gehandhabt werden können. Wie in dem Fall von HEUR ist der Polydispersionsindex ein Schlüsselparameter, um die den Formulierungen verliehene Stabilität zu erklären. Aufgrund der Polymerisierung mit freien Radikalen in Emulsion schwankt die Polydispersität einer HASE zwischen 2 und 6. Diese hohe Dispersität beweist sich nicht nur in der Kettenlänge, sondern auch in der Zusammensetzung der Kette aufgrund der unterschiedlichen Reaktivität aller Co-Monomere. Daher ist die Selbstorganisation einer HASE robuster als die eines HEUR, weil sie auf einer großen Varietät von Zusammensetzungen basiert, die sich besser anpassen kann, wenn der Formulierung eine externe hydrophobe Komponente hinzugefügt wird. Der zweite Fall betrifft stark verhakte Moleküle mit höherem Molekulargewicht (Abbildung 4.13). In diesem Fall bauen die Moleküle einen „Käfig“ mit immobilisiertem Wasser, in welchem sich hydrophobe Endgruppen assemblieren und kleine interne hydrophobe Bereiche definieren. Die Abmessungen der durch die Selbst assemblierung gebildeten hydrophoben Käfige bewegen sich im Nanometerbereich, aus diesem Grund sind HASE-Gele transparent. Das Verdicken dieser Mizellen ist ein spezifisches Phänomen, das insbesondere die sehr gute Stabilität von organischen Pigmenten in einer Formulierung erklärt. Die Stabilität der organischen Pigmentdispersion in der Wasserphase wird durch die Enthalpie gesteuert und ist weniger von den ursprünglichen Mischungsbedingungen abhängig. Um alle Rheologieprofiltypen mit HASE zu erreichen, ist es wichtig, mit den verschiedenen vorher erwähnten Parametern zu arbeiten. In den Abbildungen 4.14 und 4.15 (Seite 80) kann man die Auswirkungen des Variierens des Typs der hydrophoben Endgruppe, das Molekulargewicht und die Größe der hängenden Ketten beobachten. Wenn die Rheologieprofiltypen zahlreich sind, ist es schwer, ein Newton’sches Verhalten wie mit HEUR zu erreichen. HASE wird stets einen gewissen Grad von Scherverdünnung beibehalten, und der Parameter, der es ermöglicht, diese Eigenschaft abzustimmen, ist eindeutig das Molekulargewicht. Eine Änderung des hydrophoben Monomers wird hauptsächlich das Medium und die hohe Scherviskosität beeinflussen. D.h. je größer die hydrophobe Gruppe ist, umso geringer ist die Viskosität bei einer hohen Scherrate. Seine Länge wirkt sich ebenfalls auf das Rheologieprofil aus und erhöht mit ansteigender Länge das pseudoplastische Verhalten.
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Abbildung 4.14: Variation des Rheologieprofils von HASE mit ähnlichem Molekularge wicht gemäß den hydrophoben Gruppen R1–3, die jeweils HASE 1 bis 3 entsprechen. Die Hydrophobe sind gemäß R1> R2 > R3 klassifiziert.
Abbildung 4.15: HASE 4 und HASE 5 sind nur aufgrund ihres Molekulargewichts unterschiedlich: Molekulargewicht (HASE 4) > Molekulargewicht (HASE 5). HASE 6 hat dasselbe Molekulargewicht wie HASE 4, jedoch ist die Länge der hängenden Ketten um 20 % länger
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Alkalisch verdickende Emulsionen: ASE und HASE
4.4.2.3
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Interaktion mit den Bindemitteln
Diese Gesetze basieren aus- Tabelle 4.3: Liste der Eigenschaften der in dieser schließlich auf der Selbstas- Untersuchung verwendeten HASE in Bezug auf die Vielseitigkeit von HASE semblierung jeder HASE und Eigenschaften der hydrophoben Gruppe je nach der Interaktion mit HASE dem Bindemittel und den Pig- HASE 7 Linear C12 menten kann das Rheologiepro- HASE 8 Octyl-Phenol fil selbstverständlich stark verHASE 9 Linear C22 ändert werden, wie im Fall von HEUR zu beobachtet war. Dies HASE 10 Nonyl-Phenol impliziert, dass ein Formulierer HASE 11 C16-Guerbet-Alkohol wahrscheinlich mehr als nur ein HASE-Verdickungsmittel benötigt, um alle seine Farbformulierungen herzustellen. In Zeiten, wo sich alles um Rationalisierung und Kostensparung dreht, ist dies jedoch nicht zufriedenstellend. Um dieser Schwäche von HASE entgegenzuwirken, ist es möglich, molekulare Strukturen von HASE mit einem sehr vorhersehbaren Rheologieprofil zu identifizieren, unabhängig von dem in der Formulierung verwendeten Bindemittel. Das Auswählen eines spezifischen Hydrophobs ist vorteilhaft, um eine Serie von vielseitigen HASE zu erhalten [18]. Die nachfolgende Untersuchung beschreibt dieses besondere Phänomen. In dieser Untersuchung gehen wir davon aus, dass der Formulierer zwei Mattlacke mit jeweils 5 und 15 % Bindemittel herstellen möchte. Sein Ziel wäre, ein Verdickungsmittel zu finden, das ihm ermöglicht, so viele Bindemittel wie möglich zu qualifizieren, was sich positiv auf seine Kostenstruktur auswirken könnte. Es wurden drei Bindemittel ausgewählt: ein Ethylenvinylacetat und zwei StyrolAcryl-Bindemittel mit unterschiedlichen Kohlenstoffgehalten (das EVA wurde nur in der 15 %-Formulierung verwendet). Wir haben für diese Untersuchung verschiedene HASE-Additive verwendet, die entsprechend dem Kommentar in Tabelle 4.3 variieren, deren sonstigen Eigenschaften jedoch annähernd gleich sind (Molekular gewicht und Länge der Seitenketten). Der Guerbet-Alkohol ist durch eine Formel folgenden Typs gekennzeichnet, worin R1 und R2 zwei aliphatische lineare Ketten sind. Die Anzahl von Kohlenstoff atomen in einem Guerbet-Alkohol berücksichtigt die Kohlenstoffatome von R1 und R2 plus zwei.
Die Lacksysteme mit 5,0 % Bindemittel wurden mit 0,3 % Verdickungsmittel hergestellt, während für die Lacke mit 15,0 % Bindemittel 0,14 % Verdickungsmittel verwendet wurde. In Bezug auf die Rheologie waren die Zielsetzungen für alle Lacke wie folgt:
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Abbildung 4.16: GuerbetAlkohol mit aliphatischen linearen Resten
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Rheologieadditive
Abbildung 4.17: Brookfield-, Stormer- und ICI-Viskositäten von fünf Formulierungen, die jeweils 5,0 % eines Styrol-Acryl-Bindemittels SA1 und 0,3 % HASE, 5,0 % eines StyrolAcryl-Bindemittels SA2 und 0,3 % HASE, 15,0 % SA1-Bindemittel, 15,0 % SA2-Bindemittel und 15,0 % eines EVA-Bindemittels enthalten, wobei die drei letzten 0,14 % HASE enthal ten. Die gestrichelten Linien stellen die angestrebten Viskositäten (mittlere Linien) und die für jeden Fall zulässigen Grenzwerte dar.
Die Brookfield-Viskosität sollte bei 10 U/Min. ca. 14.000 mPa.s (± 25,0 %) betragen, die Stormer-Viskosität ca. 120 KU (± 20,0 %), die Kegel-Platte-Viskosität ca. 1,1 (± 20,0 %). Die Ergebnisse dieser Untersuchung sind in Abbildung 4.17 dargestellt. Man kann sehen, dass unter allen Verdickungsmitteln nur die HASE 11 mit einer hydrophoben Guerbet-C16-Endgruppe geeignet wäre, die erwartete Rheologie mit jedem beliebigen Bindemittel zu erreichen. Für die anderen HASE kann man erkennen, dass HASE 8, 9 und 10 ein stärkeres Assemblierungsverhalten aufweisen als HASE 11, wenn sie mit dem Styrol-Acryl-Bindemittel kombiniert werden, jedoch ist deren Reaktion stark von dem Anteil der Dispersion abhängig sowie ebenfalls von dem Anteil der kohlenstoffhaltigen Gruppen im Bindemittel. Diese sind mit dem EVABindemittel sehr schwach. Das Verhalten von HASE 7 ist von der Menge der Acrylbindemittel abhängig: Es ist nur für das SA1-Bindemittel bei 5 % und das SA2Bindemittel bei 15 % effizient. Im Gegensatz zu HASE 9 und 10 könnte HASE 7 sowohl in SA1 enthaltenen als auch in SA2 enthaltenen Formulieren verwendet werden, jedoch wäre eine höhere Dosierung erforderlich, um die Viskositäten anzupassen. Im Fall von HASE 8 erweist es sich bei einer niedrigen Scherrate als
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Alkalisch verdickende Emulsionen: ASE und HASE
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sehr effizient, wenn wir jedoch erwägen, die Menge zu senken, würden die hohen Scherviskositäten viel schlechter ausfallen. Dies beweist, dass HASE 8 ein starkes Selbstassemblierungsverhalten aufweist, während HASE 11 ein Assemblieren mit den Bindemitteln allgemein vorzuziehen scheint. HASE 11 trägt ein spezifisches Kettenende, das weniger selbstassemblierend ist, da es zwei Seitenketten mit acht Kohlenstoffatomen hat. Im Gegensatz zu den Seitenketten der anderen HASE, die stark dazu tendieren, sich zu reihen und zu verhaken (die Tendenz zur Reihung wird von den Phenolgruppen im Fall von HASE 8 und HASE 10 verstärkt), führen die Iso-C16-alkoholhaltigen Ketten zu einem gewissen Störungsgrad. Dies impliziert, dass das Selbstassemblierungsverhalten stärker von dem Ausstoßen der Seitenketten aus der wässrigen Phase als von den Assemblierungskräften zwischen den hydrophoben Gruppen abhängig ist. Daher sind die C16-Kettenenden fähig, mit einem ähnlichen Intensitätsgrad sowohl miteinander als auch mit externen hydrophoben Gebilden, wie z.B. Dispersionen, zu interagieren. Dadurch erklärt sich, warum die Rheologieprofile von mit einem solchen Verdickungsmittel formulierten Lacken besser berechenbar sind, unabhängig von dem verwendeten Bindemittel. 4.4.2
Thixotropie und HASE
Wie in der Einleitung erwähnt, wird Pseudoplastizität häufig mit Thixotropie verwechselt. Soweit dem Autor bekannt ist, weist zurzeit nur ein auf dem Markt angebotenes Produkt („Thixol 53L“-haltige Farbe) ein echtes thixotropes Verhalten auf (s. Abbildung 4.18, Seite 84). Der Thixotropieaspekt kommt von der Tatsache, dass die Viskosität bei einer gegebenen Scherrate Zeit braucht, um ein Plateau zu erreichen. Diese Zeitabhängigkeit fügt dem gesamten Konzept in Bezug auf die Selbstassemblierung einen kinetischen Aspekt hinzu, welcher nur auf einer thermodynamischen Analyse basiert. Wie lange dauert es, bis eine Interaktion erfolgt? Es scheint, dass mehrere strukturelle Parameter die Kinetik der Netzwerkunterbrechung oder die erzeugte Kinetik steuern. In einer Veröffentlichung zeigen Tam et. al., dass die Länge der Seitenkette von höchster Bedeutung ist, und sie fanden heraus, dass ein Optimum von 10 Einheiten für die PEGs zur besten Effizienz führt [19]. Die chemische Eigenschaft einer solchen Seitenkette ist ebenfalls von höchster Bedeutung: Sie erfordert den Aufbau von schwachen Interaktionen zwischen Hydrophoben. Folglich wird ein aliphatischer Anteil gegenüber einem aromatischen Anteil bevorzugt. Um ein Kristallisierungsphänomen, das das Assemblierungsverhalten verstärken würde, zu vermeiden, muss der Fettalkohol ein Guerbet-Alkohol wie vorstehend beschrieben sein [20]. Die Verwendung eines solchen thixotropen Produktes ist vielfach. Bei Anwendung in einer Holzbeize oder in einem Spritzlack bietet es ein einmaliges Egalisierungsvermögen. Wenn die Farbe geschert wird, fällt ihre Viskosität sehr schnell ab, bei-
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Rheologieadditive
spielsweise, wenn das Farbsystem durch eine Düse fließt. Nach diesem Stress benötigt die Farbe Zeit, um sich wieder zu verdicken, so dass sich die Tröpfchen spreizen können und somit neben einem guten Verlauf ein sehr gutes Egalisierungsvermögen gewährleistet wird.
4.5 Ausblick
Abbildung 4.18: Rheologieprofil einer „Thixol 53L“-haltigen Farbe, mit den zurzeit einzigen thixotropem HASE-Additiv. Beginnend im Ruhestand (Punkt A) fällt die Viskosität mit einer Scherrate bis zum Punkt B ab. Wenn die Farbe bei konstanter Scherrate gerührt wird, sinkt die Viskosität bis zu C. Eine Verringe rung der Scherrate führt bis zu Punkt D, und bei erneutem Ruhestand kehrt die Viskosität langsam wieder zu A zurück.
Die Welt der wässrigen Farbsysteme verändert sich: Viele Farben und Lackhersteller entwickeln ihre eigenen Dispersionen für wässrige VOCfreie Farben und Lacke, jedoch wird dann der Bedarf an neuen Additiven, die für diese Bindemittel geeignet sind, extrem hoch.
Bei der Verbesserung von Farben und Lacken wird man sich allerdings erst heute bewusst, dass ein Teil der Aufgabe darin besteht, Komponenten zu entfernen und die Formulierung zu vereinfachen. HEUR und HASE sind Schlüsselelemente für einen solchen Vereinfachungsprozess. Diese Vereinfachung ist nicht nur aus Kostengründen, sondern auch in Bezug auf die Nachhaltigkeit wesentlich. Die Einführung von VOC-freien Lösungen muss mit niedrigeren Kosten für die Farbenhersteller erfolgen. Dies ist nur möglich, wenn die geeigneten Rheologiezusatzstoffe verwendet werden, um die Leistungen der Hauptbestandteile der Farben zu optimieren. 4.6 [1]
[2] [3] [4] [5] [6] [7]
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Literaturhinweise Mezger T., The Rehology Handbook (Coating Compendia), Ed. Vincentz Network Gmbh & Co., Hannover, 2006 Shear Stress controlled rheometers. Rheometer Haake, Rheostress RS 15, cone and plate 60 mm, 1° angle Suau J.M., in „Les Latex Synthétiques“, Edited by Daniel JC, Pichot C Editions TEC & Doc, Lavoisier, Paris, 2006, 531 Dehm D.C., Hoy K.L., Hoy R.C., Union Carbide Patent US 4496708, 1985 Lundberg D.J., Glass, J.E., Eley R.R., J Rheol., 35 (6), 1255, 1991 Bergh J.S., Lundberg D.J., Glass J.E., Prog. Org. Cat., 17, 155, 1989 Cota I., Chimentano R., Sueiras J., Medina F., Catalysis communications, 9 (11), 2008, 2090
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Literaturhinweise
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Danksagung Bei der Erarbeitung dieses Kapitels waren die Beiträge von Dr. Denis Ruhlmann, verantwortlich für F&E für Farben und Beschichtungen sowie von Herrn Jean Marc Suau, verantwortlich für F&E für neue Moleküle bei Coatex, eine wertvolle Hilfe.
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Substratnetzadditive
Substratnetzadditive Kirstin Schulz
Benetzen, ein Thema mit dem wir jeden Tag umgehen, welches aber trotzdem nicht immer einfach zu lösen ist. Im Alltag begegnet uns das Thema beim Abwasch in der Küche. Die fettige Pfanne lässt sich mit reinem Wasser nicht benetzen; folglich auch nicht reinigen. Ein kleiner Spritzer Spülmittel und die Benetzung des Fettes durch das Spülwasser ist möglich. Nun lassen sich die fettigen Bestandteile problemlos entfernen. Um in der Bildsprache zu bleiben, kann die fettige Pfanne im Lackalltag ein mangelnd entfettetes Blech oder ein Kunststoff mit einer sehr niedrigen Oberflächenspannung sein, welcher mit einem wässrigen Lack beschichtet werden soll. Aber besonders wässrige Lacke zeigen häufig Defizite in der Benetzung von Untergründen. Dies beruht auf der vergleichsweise hohen Oberflächenspannung der wässrigen Lacke im Vergleich zu lösemittelhaltigen. Durch den Einsatz von Substratnetzadditiven kann diese Schwäche vollständig beseitigt werden. Eine störungsfreie Benetzung niedrigenergetischer Untergründe wird durch die Reduktion der Oberflächenspannung ermöglicht. In diesem Kapitel werden Grundlagen und Anwendungsgebiete der Substratnetzadditive beleuchtet.
5.1
Wirkmechanismus
5.1.1
Wasser als Lösemittel
Im Zuge der VOC-Verordnungen und dem zunehmenden Bewusstsein des Umweltschutzes wird Wasser als Lösemittel für Lacke immer interessanter. Aber Wasser unterscheidet sich gravierend von den klassischen Lösemitteln. Das vergleichsweise kleine Wassermolekül ist ein starker Dipol und die einzelnen Wassermoleküle besitzen untereinander sehr starke Anziehungskräfte. Daraus resultiert eine sehr hohe Oberflächenspannung. Eine Folgeerscheinung ist der hohe Siedepunkt des Wassers. Zusätzlich ist Wasser für viele Stoffe ein hervorragendes Lösemittel. Es löst Feststoffe, Gase und Flüssigkeiten. Auf einige Besonderheiten, wie die hohen Oberflächenspannung und deren Auswirkungen wird im Folgenden eingegangen. Abbildung 5.1: Benetzung eines wässrigen Lackes ohne/mit Substratnetzadditiv auf PTFE
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Wernfried Heilen: Additive für wässrige Lacksysteme © Copyright 2009 by Vincentz Network, Hannover, Germany
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Wirkmechanismus
5.1.2
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Oberflächenspannung
Die Oberflächenspannung ist ein Grenzflächenphänomen zwischen einer Flüssigkeit und einem Gas wie etwa der Luft. Das zwei Phasen System Flüssigkeit/Luft bildet eine gemeinsame Grenzfläche an welcher intermolekulare Kräfte wirken. Wie groß oder klein die Grenzfläche Flüssigkeit/Luft sein wird, bestimmt maßgeblich die Oberflächenspannung der Flüssigkeit. Generell ist die Oberflächenspannung die Grenzflächenspannung von Festkörpern und Flüssigkeiten gegenüber der Dampfphase bzw. Luft. Die Oberflächenspannung ist definiert als die Kraft in der Oberfläche pro Längeneinheit und hat die Dimension mN/m. Gleichung 5.1: Oberflächenspannung
Mit Oberflächenarbeit bezeichnet man die Arbeit, die nötig ist, um unter reversiblen Bedingungen und bei isothermem Verlauf die Oberfläche zu bilden oder zu vergrößern. Direkt nach der Ausbildung der Oberfläche erhält man Werte für die Oberflächenspannung, die vom Gleichgewichtszustand des zwei Phasen Systems abweichen. Dieser Effekt wird dynamische Oberflächenspannung genannt. Die statische Oberflächenspannung hingegen beschreibt den Gleichgewichtszustand [1]. 5.1.3
Ursache der Oberflächenspannung
Die Ursache der Oberflächenspannung sind die anziehenden Kräfte zwischen den einzelnen Molekülen in der Flüssigkeit, die in der Grenzfläche nicht ausgeglichen sind. Im Inneren der Flüssigkeit ist ein Molekül von Nachbarmolekülen umgeben. Die anziehenden Kräfte der Moleküle im Inneren der Flüssigkeit heben sich auf, die wirkenden Kräfte sind im Gleichgewicht. Einem Molekül in der Grenzfläche fehlen Nachbarmoleküle zum Wechselwirken. Die Kräfte sind folglich nicht ausgeglichen und es entsteht eine ins Flüssigkeitsinnere gerichtete Kraft.
Abbildung 5.2: Kräfteverhältnisse in der wässrigen Phase und in der Grenzfläche zu Luft
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Substratnetzadditive
Diese Kraft bewirkt, dass Moleküle aus der Grenzfläche ins Flüssigkeitsinnere wandern. Die Flüssigkeit ist daher bestrebt, ihre Oberfläche zu verkleinern. Die Kugelform ermöglicht, dass möglichst viele Moleküle im Inneren verbleiben und die Grenzfläche zu Luft so klein wie möglich ist. Mit dieser geometrischen Form wird der energetisch günstigste Zustand erreicht. Um die Oberfläche einer Flüssigkeit zu vergrößern, d.h. Moleküle aus dem Inneren and die Grenzfläche zu bringen, muss Energie aufgewendet werden. Der Energieaufwand ist umso größer, je höher die Oberflächenspannung ist [1]. Wasser hat im Vergleich zu gängigen Lösemitteln eine sehr hohe Oberflächenspannung. Gerade diese hohe Oberflächenspannung des Wassers ist die Ursache für die generell schlechte Substratbenetzung wässriger Lacke gegenüber lösemittelhaltigen Lacken. Das Verhältnis aus der verrichteten Arbeit und der daraus resultierenden Oberflächenvergrößerung wird Oberflächenspannung oder auch Oberflächenarbeit genannt. In der Praxis findet die Oberflächenvergrößerung generell beim Applizieren wie z.B. beim Lackieren (Erzeugen vieler kleiner Tröpfchen) statt. Je höher die Oberflächenspannung der Flüssigkeit ist, desto mehr Energie muss aufgewendet werden, um eine gewünschte Oberflächengröße zu erzielen. Diese Kräfte können nicht beliebig variiert werden, denn im Alltag wird der Lack mit einem Pinsel verstrichen oder die gegeben Drücke an einer Pistole müssen ausreichen, um den Lack zu applizieren und entsprechende Tröpfchengrößen zu erzeugen. Folglich ist die Anpassung der Oberflächenspannung des Lackmaterials sehr entscheidend für ein gutes Applikationsverhalten der wässrigen Lacke. 5.1.4
Auswirkung der hohen Oberflächenspannung des Wassers
Die für den Lackformulierer offensichtlichste Auswirkung der hohen Oberfläche spannung des Wassers ist das mangelhafte Benetzungsverhalten auf verschiedenen, meist niedrig energetischen Untergründen. Eine vollständige Benetzung eines Lackes auf dem Untergrund ist eine wichtige Voraussetzung zur optimalen Haftung und Schutzfunktion der Beschichtung. Das Benetzen ist die Ausbildung einer geschlossenen Grenzfläche zwischen einer Flüssigkeit und einem Feststoff. Im Lackbereich unterscheidet man zwischen der Pigment- und Substratbenetzung. Im Folgenden wird nur die Substrat- bzw. Untergrundbenetzung weiter behandelt. Die Benetzung beruht auf der Wechselwirkung der jeweils polaren und unpolaren Anteile der freien Oberflächenenergien der Flüssigkeit und des zu benetzenden Substrates, die eine gemeinsame Grenzfläche ausbilden. Die freien spezifischen Oberflächenenergien setzen sich additiv aus dem polaren und unpolaren Anteil zusammen. Generell sind Systeme bestrebt, den energetisch niedrigsten Zustand anzunehmen. Dieser Zustand stellt sich im Zwei-Phasen-System Flüssigkeit/
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Wirkmechanismus
Substrat dadurch ein, dass ein Flüssigkeitstropfen auf einem Substrat nur bis zum Gleichgewichtszustand der wechselwirkenden Kräfte auseinander fließt [1]. Als Resultat bildet der Flüssigkeitstropfen einen Randwinkel/Kontaktwinkel auf einem Substrat. Der Kontaktwinkel ist charakteristisch für eine bestimmte Flüssigkeit und das entsprechende Substrat.
Abbildung 5.3: Kontaktwinkel verschiedener Flüssigkeiten mit unterschiedlichen Ober flächenspannungen auf einem Substrat
Die Zusammenhänge zwischen den Oberflächenenergien werden in der YoungGleichung beschrieben. Gleichung 5.2: Young-Gleichung
Die Substratbenetzung ist folglich von der Oberflächenspannung Flüssigkeit der benetzenden Flüssigkeit, der Oberflächenspannung Substrat und der Grenzflächenspannung Substrat/Flüssigkeit zwischen der Flüssigkeit und dem Feststoff ab. Je größer der Kontaktwinkel ist, desto schlechter ist das Benetzungsverhalten. In Extremfällen, Kontaktwinkel >120° werden sogar Abperleffekte erzeugt (siehe Kapitel 12). Je kleiner der Kontaktwinkel ist, desto besser ist das Benetzungsverhalten. Aus der Gleichung lassen sich folgende Regeln zur Benetzung ableiten: • Ein Substrat mit hoher Oberflächenenergie ist relativ leicht zu benetzen. • Eine Flüssigkeit mit niedriger Oberflächenenergie benetzt vergleichsweise gut. Übertragen auf die Lacktechnik ist die Schlussfolgerung aus den oben genannten Regeln: die Oberflächenspannung des Lackes muss niedriger sein als die Oberflächenenergie des Substrates, um dieses erfolgreich zu benetzen. Genau darin liegt aber die Schwierigkeit des lack5.1: Oberflächenspannungen verschietechnischen Alltags, wenn Wasser Tabelle dener Lackkomponenten als Lösemittel verwendet wird. Die OberflächenspanOberflächenenergien in der Tabelle Flüssigkeit nung in mN/m 5.1 verdeutlichen, dass Wasser mit Wasser 73 73 mN/m mit Abstand die höchste Alkydharze 33 bis 60 Oberflächenspannung besitzt [2]. Für Wasser als universelles Lösemittel, welches verschiedenste Substrate benetzen soll, sind obige Regeln nicht erfüllt und die Benet-
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Butylglykol
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Isopropanol
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n-Oktan
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Hexamethylsiloxan
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Substratnetzadditive
zung wässriger Lacke auf niedrigenergetischen Untergründen wie Untergrund OberflächenKunststoff stellt eine Herausfordeenergie in mN/m rung für den Lackfor-mulierer dar. PTFE (Teflon) 20 Um das Ungleichgewicht zu behePE 31 ben, und eine erfolgreiche Benetzung des wässrigen Lackes auf dem PS 40 gegebenen Untergrund zu erzielen, Aluminium 40 gibt es zwei Möglichkeiten. EntPMMA 46 weder wird die Oberflächenenergie Stahl 50 des Untergrundes erhöht, oder die Oberflächenspannung des Wassers wird erniedrigt. DieVorbehandlung metallischer Untergründe durch Reinigung führt, z.B. durch die Entfernung der Ziehfette, zu einer Erhöhung der Oberflächenenergie. Gleiches gilt für die Corona-Vorbehandlung oder das Beflammen von Kunststoffoberflächen. Hierbei wird eine hoch-energetische Oberfläche durch Oxidation erzeugt. Diese zusätzlichen Arbeitsschritte im Lackierprozess sind sehr zeit- und kostenaufwendig. Eine Alternative dazu, eine gute Benetzung auf niedrigenergetischen Untergründen zu erzielen, ist die Reduktion der Oberflächenspannung des wässrigen Lackes durch Substratnetzadditive. Bei den schwierigsten Untergründen, wie z.B. Polyethylen oder -propylen, ist eine Kombination beider Verfahren notwendig, um eine gute Benetzung und ausreichende Haftung der Lacke zu gewährleisten. Tabelle 5.2: Oberflächenenergien verschiedener Substrate
5.1.5
Substratnetzadditive sind Tenside
Tenside sind bifunktionelle Verbindungen mit mindestens einem hydrophoben und einem hydrophilen Molekülteil. Tenside orientieren sich aufgrund ihrer Struktur an jegliche Grenzflächen. Im Fall von Wasser als Lösemittel drängt der hydrophobe Teil des Substratnetzadditives aus der wässrigen Phase heraus, wohingegen der hydrophile Teil eine hohe Verträglichkeit mit dem Medium besitzt. Die Unverträglichkeit mindestens eines Teils des Substratnetzadditives im Medium ist die Triebkraft der Tenside sich an Grenzflächen zu orientieren. Viele Tenside finden in der Waschmittelindustrie oder Kosmetik und Lackindustrie Verwendung. 5.1.6
Wirkweise der Substratnetzadditive
Substratnetzadditive reichern sich in der wässrigen Phase in der Grenzfläche Flüssigkeit/Luft an, wobei sich der unpolare Teil zur Luft und der polare Teil in die wässrige Phase orientieren. Eine Anreicherung in der Grenzfläche Wasser/Luft mit Substratnetzadditiven beeinflusst die Oberflächenspannung der wässrigen Phase. Bei reinem Wasser sind alle Wassermoleküle in der Grenzfläche Wasser/Luft von Wassermolekülen in der Flüssigkeitsphase umgeben. Wasser als Dipol besitzt
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Chemische Struktur der Substratnetzadditive
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starke Wechselwirkungskräfte, die eine hohe Oberflächenspannung erzeugen. Die Zugabe von Substratnetzadditiven zu Wasser bewirkt eine Änderung des Kräfteverhältnisses der wechselwirkenden Moleküle in Abbildung 5.4: Minimierte resultierende Kraft der Grenzfläche. Die Substratnetz- F2 , durch Substratnetzadditive in der Grenz additive verdrängen dabei die Was- fläche flüssig/gasförmig sermoleküle. Die Wechselwirkung zwischen Substratnetzadditiv und Wasser sind wesentlich geringer als die zwischen Wassermolekülen alleine. In das Kräftediagramm muss demnach nicht mehr die Wechselwirkung zwischen verschiedenen Wassermolekülen, sondern zwischen Tensid- und Wassermolekülen eingesetzt werden. Innerhalb dieser Grenzfläche reduzieren sie die ins Flüssigkeitsinnere gerichtete Kraft der wässrigen Lösung. Die direkte Folge ist die deutliche Reduktion der Oberflächenspannung der wässrigen Phase. Folglich kann ein wässriger Lack durch Zugabe eines Substratnetzadditivs Untergründe mit niedriger Oberflächenspannung benetzen. Dadurch entsteht ein geschlossener Film auch bei geringen Schichtdicken. Gleichzeitig ist der Lack weniger krateranfällig (siehe Kratertest). 5.1.7 Nebenwirkungen von Substratnetzadditiven Die bekannteste Nebenwirkung der Substratnetzadditive ist die mehr oder minder stark ausgeprägte Schaumneigung. Wird durch einen mechanischen Prozess, wie Pumpen, Umfüllen oder auch nur Rühren, Luft in das System eingetragen, orientieren sich die Substratnetzadditive an diese neu geschaffene Grenzfläche Luftblase/Lack und stabilisieren die Luftblase im System. Kleine Blasen verbleiben im System und können zu Nadelstichen und Kochern führen. Die großen Blasen steigen auf und bilden einen stabilen Schaum an der Lackoberfläche (siehe Kapitel 3 und 7). Generell neigen sehr hydrophile, gut wasserverträgliche Substratnetzadditive am stärksten zur Schaumbildung. Eine weitere Eigenschaft ist die mehr oder weniger ausgeprägte verbleibende Hydrophilie der ausgehärteten Lacke. Diese kann zur Beeinträchtigung von Feuchtraumbeständigkeiten führen.
5.2
Chemische Struktur der Substratnetzadditive
5.2.1
Gemeinsamkeiten der Substratnetzadditive
Die Substratnetzadditive besitzen jeweils einen hydrophoben und einen hydrophilen Molekülteil, der charakteristisch ist. Dieser kann chemisch jedoch völlig unterschiedlich sein. Der hydrophobe Molekülteil kann eine KohlenwasserstoffKette von ca. 8 bis 22 Kohlenstoff-Atomen sein. Bei leistungsfähigen Substrat-
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Substratnetzadditive
netzadditiven ist dieser hydrophobe Teil eine Siloxan-Kette oder eine perfluorierte Kohlenwasserstoff-Kette. Der hydrophile Molekülteil ist entweder eine negativ oder positiv elektrisch geladene oder eine neutrale polare Kopfgruppe. Dieser Strukturaufbau, mit einem hydrophilen und einem hydrophoben Molekülteil, auch amphiphil genannt, führt zu den grundlegenden Eigenschaften der Substratnetzadditive. Sie orientierten sich an jede Grenzfläche und bilden in hoher Konzentration Micellen in der flüssigen Phase. Sie werden nach der Art ihrer hydrophilen Kopfgruppen in Klassen eingeteilt, wie z.B. ionische und nicht ionische oder amphotere Tenside. Zu den anionischen Tensiden zählen die klassische Seife und auch die Sulfosuccinate, welche Bedeutung in wässrigen Lacken besitzen. Zu den nichtionischen Tensiden zählen z.B. die Nonylphenolethoxylate. Im Lackbereich finden häufig Polyethersiloxane, Fluortenside, Alkoxylate, Allylphenolethoxylate, Sulfosuccinate und Geminitenside Verwendung. 5.2.2
Chemischer Aufbau lackrelevanter Substratnetzadditive
5.2.2.1
Polyethersiloxane
Polyethersiloxane bestehen aus einer kurzkettigen Siloxan-Kette und einer Poly ethermodifizierung. Die lineare Siloxan-Kette ist hydrophob, die Polyethermodifizierung stellt den polaren Teil des Moleküls dar. In der Lackindustrie wird häufig von Silikonadditiven gesprochen und viele Formulierer assoziieren damit direkt Krater, die durch Siliconöl entstehen können. Daher wird der Einsatz dieser Produktgruppe manchmal vermieden, obwohl sich Polyethersiloxane wesentlich vom Siliconöl unterscheiden. Silicone bestehen aus einzelnen Siloxaneinheiten. Dabei sind die Siliciumatome, die durch das Ausbilden von Bindungen zu Sauerstoff ihr Oktett (Elektronenschale) nicht erreichen, mit organischen Resten abgesättigt. Die Zusammensetzung der Siloxaneinheit ergibt sich unter Berücksichtigung der Tatsache, dass jedes Sauerstoffatom als Brückenglied zwischen je zwei Siliziumatomen liegt, d.h. dass eine Siloxaneinheit ein bis vier weitere Substituenten aufweisen kann, je nach Anzahl der frei gebliebenen Valenzen am Sauerstoff. Siloxaneinheiten können also mono-, di-, tri- und tetrafunktionell sein. Das Polydimethylsiloxan (Siliconöl) ist ein hydrophobes, unpolares Molekül, welches nicht wassermischbar ist. Es weist eine sehr niedrige Oberflächenspannung im Bereich von ca. 22 mN/m auf. Dieses so genannte Siliconöl besitzt so wenig intermolekulare Wechselwirkungskräfte, dass es nach Viskositäten klassifiziert wird. Über einen sehr großen Bereich steigt die Viskosität linear, aber fast temperaturunabhängig, zum Molekulargewicht des Siliconöls an. Diese Grundeigenschaften machen das Siliconöl zu einem hervorragenden Benetzungsmittel und auch Schmierstoff. Nachteilig im Lackbereich ist die exponentiell ansteigende Kraterneigung des Siliconöl mit steigendem Molekulargewicht, gerne genutzt bei Hammerschlageffekten, aber unerwünscht in den
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Chemische Struktur der Substratnetzadditive
meisten Lackanwendungen. Daher werden nur modifizierte kurzkettige Siloxan-Ketten als Substratnetzadditive verwendet. Die Modifizierung ist der Schlüsselfaktor die Kraterneigung auszuschließen. Ein schematischer Aufbau eines polyethermodifizierten Siloxans, welches als Substratnetzadditiv genutzt wird, ist in Abbildung 5.5 dargestellt.
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Abbildung 5.5: Schematischer Aufbau eines Polyethersiloxans
Bei diesem Aufbau bleiben die positiven Eigenschaften des Siliconöls (niedrige Oberflächenspannung, hohe Grenzflächenaktivität) erhalten und werden um die Verträglichkeit in wässrigen Lacken ergänzt. Damit wird ein Kraterrisiko, wie häufig befürchtet, ausgeschlossen. In Abhängigkeit des Polyethers sind die Produkte mehr oder weniger schaumstabilisierend. Je höher der relative Si-Anteil im Molekül ist, desto grenzflächenaktiver ist das Substratnetzadditiv. Die Substratnetzadditive besitzen bis zu sieben Siloxaneinheiten. Polyethersiloxane mit einer längeren Siloxankette werden zu den Verlaufsadditiven gezählt (siehe Kapitel Verlaufadditive). Substratnetzadditive auf Basis von Polyethersiloxanen sind besonders geeignet die statische Oberflächenspannung zu reduzieren. Als Resultat verbessern sie die Untergrundbenetzung, Zerstäubung bei Spritzapplikation, die Krateranfälligkeit und den Verlauf von wässrigen Lacken. 5.2.2.2
Geminitenside
5.2.2.3
Fluortenside
Bezeichnung für ionische und nichtionische Tenside, die je zwei hydrophobe und hydrophile Gruppen im Molekül enthalten. Gemini-Tenside zeichnen sich durch ungewöhnlich hohe Grenzflächenaktivität aus. Einige Produkte zeigen zusätzlich zu den sehr guten Benetzungseigenschaften ein sehr schaumarmes Verhalten. Perfluortenside, allgemein Fluortenside genannt, gehören zu den perfluorierten Verbindungen. Perfluorierte organische Verbindungen zeichnen sich dadurch aus, dass alle Wasserstoff-Atome des Kohlenstoff-Gerüsts durch Fluor-Atome ersetzt sind. Dieser Molekülteil der Fluortenside ist hydrophob. Der hydrophile Teil kann eine Ethoxylatkette oder ein Carboxylat sein. Generell zeichnen sich Fluortenside durch hohe Polarität, hohe thermische und chemische Stabilität, hohe Beständigkeit gegenüber UV-Strahlung und Verwitterung aus und sind schmutz-, fett-, öl- und wasserabweisend. Perfluortenside (PFT) können in folgende Gruppen unterteilt werden: • perfluorierten Alkansulfonate, • perfluorierten Carbonsäuren und • Fluortelomeralkohole.
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Substratnetzadditive
Aufbau eines Carboxylat modifizierten Fluortensids: Rf- CH2CH2~ CH2CH2COO – Li+,
Rf = F(CF2CF2)3–8
Die deutlichen stärkere Reduktion der statischen Oberflächenspannung einer wäss rigen Phase, im Vergleich zu anderen chemischen Klassen, lassen sich auf die Fluorkohlenstoffkette F(CF2 CF2)3 – 8, zurückführen. Der Fluorkohlenstoffanteil bewirkt eine sehr starke Orientierung zur Grenzfläche, ein Effekt, der sich aus der schwachen Affinität der Fluorkohlenstoffmoleküle zu Wasser und den gering ausgeprägten Wechselwirkungen zwischen den Fluorkohlenstoffketten ergibt. Anwendungen für die verhältnismäßig hochpreisigen Fluortenside basieren auf dem hohen Benetzungsvermögen. Fluortenside sind erforderlich, um Oberflächen mit den niedrigsten Oberflächenenergien zu benetzen. Obwohl Fluortenside die Benetzung dieser und anderer Oberflächen mit Wasser zunächst fördern, kann die getrocknete Lackoberfläche anschließend schwer wiederbenetzbar sein. Die Fluortenside orientieren sich so, dass eine fluorkohlenstoffartige Oberfläche entsteht. Die Produkte finden unter Bedingungen Anwendung, bei denen andere Substratnetzadditive chemisch zersetzt würden, etwa unter der Einwirkung von starken Oxydationsmitteln, Säuren oder Alkalien. Nachteilig in der Anwendung der meisten Fluortenside sind die begrenzte Verträglichkeit und die starke Schaumneigung [4]. Die temporären Diskussionen bezüglich der Bedenklichkeit der Fluortenside beruhen im rein anthropogenen Ursprung der Stoffklasse. Sie lassen sich weltweit in Gewässern, in der Atmosphäre sowie in humanem und tierischem Gewebe und Blut nachweisen. Die ökologischen Daten können den entsprechenden Technischen Merkblättern entnommen werden. 5.2.2.4
Acetylendiole und Modifikationen
5.2.2.5
Sulfosuccinate
Das wohl bekannteste Substratnetzadditiv in der Lackwelt ist das Acetylendiol. Es kombiniert benetzungsfördernde und entschäumende Eigenschaften in einem Molekül und fördert in vielen Fällen auch den Verlauf. Aufgrund des niedrigen Molekulargewichtes ist es sehr wirksam in der Reduktion der dynamischen Oberflächenspannung. Es zeichnet sich durch gute Verträglichkeit, einfache Handhabung und durch gute Beständigkeit in Feuchtraumtesten aus. Polyethylenmodifizierungen erhöhen die Wasserlöslichkeit und erhöhen die biologische Abbaubarkeit [5] . Die Reduktion der statischen Oberflächenspannung ist mittelmäßig. Sulfosuccinate werden in der Praxis in Sulfobernsteinsäurediester und Sulfobernsteinsäurehalbester unterteilt. Sulfobernsteinsäureester, die nicht mehr als 8 Kohlenstoff-Atome pro Ester-Gruppe enthalten, sind wasserlöslich. Sulfosuccinate werden als hoch leistungsfähige oberflächenaktive Substanzen in sehr vielen Bereichen als Substratnetzadditive oder Emulgatoren eingesetzt. Meistens weisen sie ein hohes Schaumvermögen auf [6].
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Chemische Struktur der Substratnetzadditive
5.2.2.6
Alkoxylierte Fettalkohole
95
Tabelle 5.3: HLB-Werte
HLB-Wert Fettalkoholalkoxylate gehören zur der 1,5 bis 3,0 Gruppe nichtionischer Tenside, die durch Entschäumer Umsetzung mit Ethylenoxid, Propylenoxid W/O-Emulsionen 3,0 bis 8,0 oder Butylenoxid mit primären langket- Netzmittel 7,0 bis 9,0 tigen Fett- bzw. Oxo-Alkoholen gewonnen O/W-Emulsionen 8,0 bis 18,0 werden. Fettalkoholpolyglycolether weisen Waschmitteltenside 13,0 bis 15,0 ein inverses Lösevermögen auf, d.h. ihre 12,0 bis 18,0 Löslichkeit in Wasser nimmt mit steigender Lösevermittler Temperatur ab. Sie zeigen ein hohes Waschund Dispergiervermögen und stellen schaumarme, biologisch leicht abbaubare Produkte dar. In Lacken sind sie schaumarm und zeigen eine mäßige Reduktion der dynamischen und statischen Oberflächenspannung.
Der HLB-Wert ist ein Maß für die Wasser- bzw. Öllöslichkeit von vorwiegend nichtionischen Tensiden und die Stabilität von Emulsionen. HLB ist eine Abkürzung von hydrophilic-lipophilic balance. Der HLB-Wert eines Tensid- oder Emulgatorgemisches lässt sich aus den Werten seiner Bestandteile additiv berechnen Die Berechnungsmethode kann aber auf Polypropylenglycolether, Polyethersiloxane sowie anionische Tenside nicht angewandt werden. Die Skala reicht dabei in der Regel von 1 bis 20. Substanzen mit niedrigem HLBWert ( 0° ≤ 90° durch die Einwirkung der Schwerkraft zu unterdrücken, ist eine möglichst hohe Viskosität erforderlich. Um diese aus rheologischer Sicht konträren Eigenschaften anzupassen, ist es bei der Formulierung wässriger Lacke übliche Rheologieadditive mit scherverdünnendem Fließverhalten einzusetzen. Die von Orchard und Overdiep vorgeschlagenen mathematischen Rechenmodelle sind geeignet, Voraussagen hinsichtlich des „Total Film Flow“ und des Ablaufens zu erarbeiten.
Oberflächenstörungen, die auf die Entstehung von Oberflächenspannungsgradienten während der Applikation und Aushärtung der wässrigen Lacke zurückzuführen sind, können durch die Verwendung von Polyethersiloxanen oder Polyacrylat basierenden Additiven vermieden werden. Diese „Surface Flow Control-Additive“ werden aber auch häufig wegen ihrer positiven Nebeneffekte eingesetzt.
Kurzkettige Polyethersiloxane (Silikontenside) fördern die Substratbenetzung sowie die Spritznebelaufnahme, haben aber eine geringe Auswirkung auf den „Surface Flow“. Langkettige Polyethersiloxane erzeugen eine Oberflächenglätte durch die Reduzierung des Gleitwiderstandes und verhindern den sog. Blocking-Effekt in dispersionsbasierenden wässrigen Lacken.
Die Einsatzmengen zur Erzielung eines vergleichbaren Eigenschaftsprofils sind bei wässrigen Beschichtungssystemen im Gegensatz zu lösemittelhaltigen Systemen allerdings um den Faktor 3 höher.
8.8
Prüfmethoden
8.8.1
Messung des Verlaufs
Am sinnvollsten ist die Beurteilung des Verlaufs am getrockneten Lackfilm, da das Auftragsverfahren bzw. die Randbedingungen der Applikation (Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Schichtdicke, Verdünnung, Zerstäubung usw.) das Ergebnis entscheidend beeinflussen können. Dabei spielt die visuelle Betrachtung nach wie vor eine sehr wichtige Rolle bei der Beurteilung des Verlaufs [13], sie wird aber zunehmend durch objektive optische Messungen ersetzt. Sog. DOI-Messungen („Distinction of Image“) sind in erster Linie für Autolacke im Einsatz. Bei dieser
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Verlaufadditive
Messung wird die Verzerrung eines Spiegelbildes am glänzenden Lackfilm als Basis für die Auswertung genommen. Durch Verwendung eines Goniophotometers lässt sich die Lichtstreuung einer glänzenden Oberfläche messen, wobei die sog. „ALFA“-Werte (Lichtstreuung beim Messwinkel von 45° in einem Winkelbereich von 0,6°) verlaufsrelevant sind.
Durch neue Entwicklungen im Bereich der Lasertechnik wurden weitere Möglichkeiten zur Beurteilung der Oberflächenbeschaffenheit geschaffen. So existieren Geräte, welche mit Hilfe von Laserstrahlen die Topographie eines Lackfilms abtasten und in dreidimensionalen Grafiken darstellen können. Diese Methode hat sich zur Charakterisierung von relativ kleinen Oberflächen (einige mm² bis einige cm²) und von lokalen Oberflächenstörungen (Krater, Nadelstiche usw.) bewährt. Die Rauhigkeit der Oberfläche kann mit sehr großer Genauigkeit angegeben werden. Ebenfalls basierend auf Laserstrahlreflexion arbeitet ein Messgerät der Firma BykGardner („Wave-Scan“). Dabei wird die Welligkeit der glänzenden Lackoberfläche entlang einer Linie von 10 cm Länge analysiert. Als Maß für den Verlauf werden dimensionslose Zahlen für die „kurze Narbe“ oder „kurze Welle“ sowie für die „lange Narbe“ oder „lange Welle“ angegeben. 8.8.2
Messung des Verlaufs und Ablaufens über DMA
Das Prinzip der dynamisch-mechanischen Analyse [14] ist eine sich zeitlich ändernde sinusförmige mechanische Beanspruchung der Probe. Diese Beanspruchung kann in Abhängigkeit von der Temperatur durchgeführt werden. Über die DMA können die Kraftamplitude, die resultierende Verformungsamplitude sowie die Phasenverschiebung ∆ψ zwischen Kraft- und Verformungsamplitude gemessen werden. Das Ergebnis dieser Messungen ist die Berechnung des komplexen Moduls G* der Probe sowie die Bestimmung von tan = G”/G’.
Der Elastizitätsmodul G* setzt sich aus einem Realteil, dem Speichermodul (G’) und einem Imaginärteil, dem Verlustmodul (G”), zusammen. Der Speichermodul beschreibt den Teil der mechanischen Energie, die bei einem Scher-/Dehnungs experiment vom System gespeichert werden kann. Der Verlustmodul hingegen ist ein Maß für die vom Material dissipierte Energie (von mechanischer in Wärme umgewandelte Energie). Der Verlauf wird über folgende Gleichung errechnet: Gleichung 8.12
ist definiert als die Frequenz mit der die Probe untersucht wurde. In dem Vortrag von Hester und Squire [15] werden die mittels der DMA gefundenen Ergebnisse ausführlich diskutiert und sind deshalb hier nur kurz erwähnt.
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Literaturhinweise
8.8.3
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Messung der Gleiteigenschaften
Zur Messung der Gleiteigenschaften hat sich eine Prüfmethode bewährt, bei der die Reibungskraft gemessen wird. Ein 500 g Gewichtsstein wird auf einer definierten Filzunterlage von einer Zugmaschine gleichmäßig über die Lackoberfläche gezogen. Die dazu benötigte Kraft wird mit einem elektronischen Kraftaufnehmer gemessen. Durch kleine Variationen an der Messgeometrie wird die Reibung zwischen zwei lackierten/bedruckten Flächen ermittelt. Diese Prüfung wird bei konstanter Geschwindigkeit durchgeführt und erlaubt eine reproduzierbare Messung mit hoher Genauigkeit. Der Gleitwiderstand ist dann besonders klein, wenn die Wechselwirkungen innerhalb des Gleitmittelfilms und zwischen Film und gleitendem Festkörper klein sind. 8.9 Literaturhinweise [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] [8] [9] [10] [11] [12] [13] [14] [15]
Kittel; „Lehrbuch der Lacke und Beschichtungen“, Band 3, S. Hirzel Verlag, StuttgartLeipzig, 2001 S. E. Orchard; Appl. Sci. Res. Section A, Vol. 11 (1962) Martin Bosma et. al.; Progress in Organic Coatings, 55 (2006), 97–104 T. C. Patton; “Paint Flow and Pigment Dispersion”, 2 nd Ed. NY, Wiley, 1979 J. Bielemann; „Lackadditive“, Wiley, 1998 W. S. Overdiep; Progress in Organic Coatings, 14 (1986), 159–175 F. Thys u. Martin Bosma; Pinture e Vernici (05/2006) S. Kojima; Polymer Engineering and Science, Vol. 33, No. 20 (1993), Vol. 35, No. 13 (1995), Vol. 35, No. 24 (1995) G. Hobisch et. al.; Surface Coatings Intl. Part A (07/2003) K. H. Käsler et. al.; Coating (01/1996), 25–27 M. A. Grolitzer; “Surface Defect Control in wb. Coatings”, Vortrag New Orleans, 22–24.2 (1995) W. Heilen et. al.; Tego Journal (03/2007) W. Scholz; „Acrylat-Verlaufsadditive und Wachse“, Seminar Additive in der Lack industrie Technische Akademie Esslingen DMA aus Wikipedia R. D. Hester u. D. R. Squire; „The Rheology of wb. Coatings”, Vortrag New Orleans, 14–16.2 (1996)
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Wachsadditive
Wachsadditive Anne Drewer
Hört man das Wort Wachs, denkt man zunächst an Begriffe wie Kerze oder Biene. Wenn man es im Kontext Lack verwendet, wird das Wort jedoch wesentlich vielschichtiger, denn es ist der Oberbegriff für den Bereich Additive auf Wachsbasis. Seit Tausenden von Jahren werden Wachse zum Schutz von Oberflächen eingesetzt. Nicht immer geht es dabei um Oberflächenschutz alleine, sondern in vielen Fällen auch um die Kombination mit Eigenschaften wie Haptik, Struktur, Rheologie oder auch Mattierung der Oberflächen. Diese Effekte macht sich die Lackindustrie vielfältig zu nutze. In den meisten Fällen sind die heutigen speziell entwickelten Wachsadditive für die Lackindustrie Produkte mit kombinierten Eigenschaften. Wie vielfältig die Anwendungen von Wachsadditiven in wässrigen Lacksystemen sind, welche Lackeigenschaften sich mit ihnen verbessern lassen und wie man das richtige Produkt für die gesuchte Eigenschaft in der Fülle des Angebots findet, wird in diesem Kapitel beschrieben.
9.1 Rohstoff Wachs Wachs ist ein Sammelbegriff für eine bestimmte Gruppe organischer Verbindungen. Klassifizieren lassen sie sich durch folgende Eigenschaften: • • • •
Im Gegensatz zu Ölen und Fetten beträgt der Schmelzpunkt von Wachsen mindestens 40 °C. Die Schmelzviskosität von maximal 10 Pa.s. bei 10 °C oberhalb des Schmelzpunktes unterscheidet Wachse von Kunststoffen und Harzen. Bei mäßiger Temperaturerhöhung treten bei Wachsen im Gegensatz zu natürlichen Harzen keine chemischen Veränderungen auf. Durch Erhöhung der Temperatur wird die Löslichkeit der Wachse in geeigneten Lösemitteln verbessert. Eine spezifische Eigenschaft von Wachsen ist die Polierbarkeit unter leichtem Druck.
9.1.1
Natürliche Wachse
Natürliche Wachse kommen aus den unterschiedlichsten Bereichen. Sie haben keine definierte chemische Zusammensetzung, sondern sind Mischungen verschiedener Komponenten, die in ihren Mengenverhältnissen auch noch variieren können. Zusätzlich sind natürliche Wachse durch Verunreinigung mehr oder weniger stark Wernfried Heilen: Additive für wässrige Lacksysteme © Copyright 2009 by Vincentz Network, Hannover, Germany
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Rohstoff Wachs
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gefärbt. Die natürlichen Wachse haben in den letzten Jahrzehnten gegenüber den synthetischen Wachsen immer mehr an Bedeutung in der Lackindustrie verloren. Erfreuen sich aber jetzt durch den Trend zu nachwachsenden Rohstoffen wieder einer größeren Nachfrage. 9.1.1.1 Wachse aus nachwachsenden Rohstoffen Hierbei handelt es sich um Wachstypen, die durch Reinigung gewonnen werden, eine chemische Veredelung findet nicht statt. Diese Wachse können sowohl tierischer als auch pflanzlicher Herkunft sein. Bei Bienenwachs (tierisch) variiert die Farbe des Rohwachses in Abhängigkeit der von den Bienen besuchten Blüten von hellgelb bis dunkelbraun. Durch die Reinigung und Bleichung wird das Wachs weiter bearbeitet. Es besteht hauptsächlich aus Palmitatmyricylester, Fettsäure, kleinen Mengen Kohlenwasserstoff und Cholesterolester. Das Wachs ist weich und mit der Hand knetbar. Der Schmelzpunkt liegt zwischen 62 °C und 65 °C. Carnaubawachs ist das bekannteste der pflanzlichen Wachse. Es wird von der brasilianischen Carnaubapalme gewonnen. Der Baum scheidet dieses Wachs ab, um seine Blätter und den Stamm vor dem Austrocknen zu schützen. In Abhängigkeit von der Qualität kann die Farbe von dunkelbraun bis gelb variieren. Ein Hauptanwendungsgebiet des Carnaubawachses „prime yellow“ ist in der Lackindustrie bei Dosenlacken, hierfür ist eine lebensmittelrechtliche Zulassung notwendig. Ansonsten finden Carnaubawachse Anwendungen in Fußboden- und Autopflegemitteln. Hauptbestandteile des Wachses sind Cerotinmyrilcylester und kleine Mengen Säure, Alkohole und Kohlenwasserstoffe. Carnaubawachs ist hart und spröde, der Schmelzpunkt liegt zwischen 82 °C und 86 °C. 9.1.1.2 Wachse fossiler Herkunft Paraffin ist ein Öldestillat, ein Bestandteil der so genannten Wachsfraktion einer Erdöldestillation. Weiteres Raffinieren kann auf Grund unterschiedlicher Schmelzpunkte erfolgen. Daher sind diese Paraffine auch nach Schmelzpunkt und Reinheit zu differenzieren. Die Schmelzpunkte der einzelnen Fraktionen liegen zwischen 52 °C und 64 °C. Paraffine bestehen aus gesättigten Kohlenwasserstoffen mit geradliniger Kettenstruktur (Abbildung 9.1). Sie haben ein opakes Aussehen und einen fettähnlichen Charakter.
Abbildung 9.1: Paraffinwachse sind gesättigte Kohlenwasserstoffe mit geradliniger Kettenstruktur
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Wachsadditive
Abbildung 9.2: Mikrokristalline Wachse haben eine verzweigte Kettenstruktur
Mikrokristalline Wachse, Öldeposite, werden aus dem Rückstand der Öldestillation gewonnen. Die Trennung erfolgt durch Lösen des Wachses in unterschiedlichen Stufen und durch anschließende Ausfällung. Dieser Prozess ist wesentlich umfangreicher als die Gewinnung von Paraffin. Da mikrokristallines Wachs Öl viel stärker bindet als Paraffin, findet man in den mikrokristallinen Wachsen immer einen geringen Anteil an freiem Öl. Die Schmelzpunkte der Wachse liegen zwischen 50 °C und 90 °C. Die Struktur ist im Gegensatz zu den Paraffinen verzweigt (Abbildung 9.2). Mikrokristalline Wachse sind flexibler und zäher als Paraffin und erscheinen leicht klebrig. Rohes Montanwachs wird durch die Extraktion von Braunkohle mit Hilfe geeigneter Lösemittel gewonnen. Nur einige Kohlevorkommen enthalten genügend Wachs, um diese Extraktion mit einer lohnenden Ausbeute zu betreiben. Die wichtigsten Abbaugebiete liegen in Ostdeutschland und Amerika. Montanwachse bestehen vorwiegend aus sauren Estern, freien Säuren und Harzen. Die Farbe variiert zwischen braun und schwarz. Der Schmelzpunkt des amerikanischen Wachses liegt zwischen 85 °C und 88 °C, bei dem Deutschen zwischen 83 °C und 89 °C. Montanwachs ist glänzend, hart und spröde. 9.1.2
Halbsynthetische und synthetische Wachse
Im Vergleich zu den natürlichen Wachsen haben die synthetischen und halbsynthetischen Wachse heute einen wesentlich größeren Stellenwert bei der Herstellung von Wachsadditiven für Lackanwendungen. (Voll-)synthetische Wachse sind chemisch gut definiert und stehen in großen Mengen in gleich bleibender und reproduzierbarer Qualität zur Verfügung. Sie sind frei von Verunreinigungen. Halbsynthetische Wachse werden aus natürlichen Rohstoffen durch chemische Prozesse gewonnen und dadurch besteht auch bei diesen Wachsen die Möglichkeit direkten Einfluss auf die Eigenschaften zu nehmen. 9.1.2.1
Halbsynthetische Wachse
Amidwachse: Durch eine Kondensationsreaktion zwischen einer Fettsäure und einem Amin entstehen primäre, sekundäre und tertiäre Amide sowie sekundäre Bisamide. Die zwei wichtigsten Gruppen sind die primären Amide (R-CO-NH2), und die sekundären Bis-amide (R-CO-NH-X-NH-CO-R wobei X= Diaminrest, R= z.B.
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Rohstoff Wachs
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Stearinsäure, Palmitinsäure oder Ölsäure). Für primäre Amide variiert der Schmelzpunkt von 60 °C bis 100 °C und für sekundäre Bis-amide von 110 °C bis 145 °C.
Modifizierte Montanwachse: Rohe Montanwachse werden raffiniert und mit Chromsäure oxidiert. Die Estergruppen werden durch die Oxidation in Säure- und Alkoholgruppen aufgespalten. Dadurch verschwindet auch der größte Nachteil des Montanwachses, seine dunkle Farbe. Danach werden die Carboxylgruppen wieder mit Alkoholen verestert. Der eingesetzte Alkohol und die Durchführung der Reaktion bestimmen die Eigenschaften dieser modifizierten Montanwachse, z.B. den Schmelzpunkt. 9.1.2.2
Synthetische Wachse
Bei den vollsynthetischen Wachsen unterscheidet man Homopolymere und Copolymere. Zu den Homopolymeren gehören die Fischer-Tropsch-Wachse. Diese Wachse entstehen bei der Hydrierung von Kohlenmonoxyd, als Katalysator wird Kobalt eingesetzt. Die Reaktion findet unter einem Druck von 7 bar und einer Temperatur von 185 °C bis 205 °C statt. Die FT-Wachse bestehen aus Kohlenwasserstoffen und einigen oxidierten Gruppen. Fischer-Tropsch-Wachse haben lange aliphatische Ketten mit verhältnismäßig kurzen Seitenketten. Abhängig vom Schmelzpunkt, der zwischen 90 °C und 100 °C liegt, kann man eine Vielzahl von Fraktionen herstellen. Die Wachse sind weiß und hart.
Polyethylen- und Polypropylenwachse sind ebenfalls Homopolymere, die durch Polymerisation der jeweiligen Monomere, Ethylen und Propylen, erzeugt werden. Polyethylenwachs ist eins der bekanntesten synthetischen Wachse, das in zwei Varianten verfügbar ist: LDPE (Low Density Poly Ethylene) mit niedriger Dichte und HDPE (High Density Poly Ethylene) mit hoher Dichte. LDPE-Wachse entstehen durch Polymerisation von Ethylen bei sehr hohem Druck und Sauerstoff als Initiator. Durch die schlecht zu kontrollierende Reaktion ist der Molekülaufbau sehr unregelmäßig; das Wachs hat sehr verzweigte Ketten (Abbildung 9.3). HDPE-Wachse bilden die wichtigste Gruppe der Polyethylenwachse. Sie entstehen durch Polymerisation unter niedrigem Druck. Die Moleküle sind unverzweigt und dadurch sehr dicht gepackt. Der Schmelzpunkt von Polyethylenwachsen liegt zwischen 80 °C und 140 °C (Abbildung 9.4, Seite 162).
Abbildung 9.3: LDPE-Wachs ist ein Polyethylenwachs mit geringer Dichte und ver zweigter Struktur
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Wachsadditive
Abbildung 9.4: HDPE-Wachs ist ein Polyethylenwachs mit hoher Dichte und unver zweigter Struktur
Zu den Copolymerwachsen gehören die Produkte auf Basis von Ethylen-VinylAcetat (EVA). Der Gehalt an Vinylacetat beträgt 6 % bis 20 %. Der Schmelzpunkt der Wachse liegt zwischen 87 °C und 92 °C.
Wachse die, wie beispielsweise Polyethylenwachse, reine Kohlenwasserstoffverbindungen sind, können wegen ihrer geringen Polarität nicht in Wasser emulgiert werden. Um sie für wässrige Systeme einsetzbar zu machen, müssen in die Polymerketten eine geringe Anzahl polarer Gruppen eingebaut werden. Dies ist auf verschiedene Weise möglich.
1. Durch Copolymerisation mit einem polaren Monomer, z.B. Acrylsäure oder Vinylacetat. 2. Durch radikalisches Pfropfen von ungesättigten polaren Gruppen auf die unpolare Kohlenwasserstoffkette. Die Reaktion von Polypropylen mit 0,5 % Maleinsäure anhydrid reicht aus, um das Polypropylenwachs emulgierbar zu machen. 3. Durch die Oxidation des Wachses. Die Kohlenwasserstoffketten werden bei hoher Temperatur in Verbindung mit einem Metallkatalysator durch Luftsauerstoff oxidiert, wobei Keton-, Ester- und Säuregruppen gebildet werden. Dieses Verfahren wird häufig bei HDPE, Fischer-Tropsch- und mikrokristallinen Wachsen angewandt. Siehe Übersicht der Rohwachse (Abbildung 9.5).
Abbildung 9.5: Übersicht der Rohwachse
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Vom Wachs zum Wachsadditiv
9.2
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Vom Wachs zum Wachsadditiv
Die Rohwachse liegen je nach Herkunft in verschiedenen Formen und Größen vor, z.B. als Granulat, Plättchen, Pulver oder auch in großen Wachsplatten. So kann man sie meistens nicht in Lacksystemen einsetzen. Die Wachse müssen zunächst in eine Form gebracht werden, die eine problemlose Einarbeitung in die unterschiedlichen Lacksysteme ermöglicht, d.h. aus den Wachsen müssen Wachsadditive gemacht werden. Dazu gibt es unterschiedliche Verfahren, allen gemeinsam ist eine deutliche Reduzierung der Teilchengröße der Wachspartikel (< 25 m). 9.2.1
Wachs und Wasser
9.2.1.1
Wachsemulsionen
Unter Wachsemulsionen versteht man sehr fein verteilte Wachspartikel im Medium Wasser. Eigentlich handelt es sich im engeren Sinne nicht um eine Emulsion, da hier die Wachsteilchen in fester Form im Wasser vorliegen. Bei einer transparenten Emulsion liegt der Hauptanteil der Wachspartikel unter 100 nm. Man kann also auch hier von Nanotechnologie sprechen.
Um Wachse in Wasser emulgieren zu können, werden Emulgatoren benötigt, die als Vermittler zwischen dem polaren Wasser und dem unpolaren Wachs fungieren. Emulgatoren weisen in ihrer Molekülstruktur zwei unterschiedliche Segmente auf: einen unpolaren, lipophilen (hydrophoben) Teil, der mit dem Wachs verträglich ist, und einen polaren, hydrophilen und somit wasserverträglichen Teil. Das unpolare Segment wird durch eine längere Alkylkette realisiert, das polare Segment ist entweder ionisch (anionisch oder kationisch) oder nichtionisch aufgebaut.
Jedes Wachsteilchen ist von Emulgatormolekülen umhüllt, wobei die unpolaren Segmente sich zum Wachs orientieren und die polaren Segmente ins Wasser ragen (Abbildung 9.6). Die Wachsteilchen sind auf diese Weise in der wässrigen Phase stabilisiert. Ist die Emulgatormenge nicht ausreichend, wird ein Teil des Wachses nicht benetzt und rahmt es an der Oberfläche der Emulsion auf. Von den ionischen Wachsemulsionen sind für wässrige Lackanwendungen die anionischen Emulsionen am weitesten verbreitet. Die Emulgatoren bestehen aus einer mit einem Amin neutralisierten längerkettigen Fettsäure. Die Wahl der Fettsäure und des Amins hat großen Einfluss auf die Qualität der Emulsion, wie auch auf die Eigenschaft des Endproduktes, z.B. Teilchengrößenver-
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Abbildung 9.6: Wachsteilchen in einer Wachs emulsion
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Wachsadditive
teilung und Transparenz. In den meisten Fällen wird Ölsäure eingesetzt, man kann aber auch mit Stearinsäure oder Palmitinsäure arbeiten. Als Amin kommt beispielsweise Di-Ethyl-AminoEthanol (DEAE) zum Einsatz. Kationische Emulsionen sind hauptsächlich in der Leder- und Textilindustrie gebräuchlich und finden in der Lackindustrie selten Anwendung. Die zweite für Lackanwendungen wichtige Gruppe von Wachsemulsionen sind die nicht ionischen Emulsionen. Die hierfür benötigten Emulgatoren zeichnen sich dadurch aus, dass sie im Wasser nicht ionisieren; die polaren Segmente enthalten z.B. Hydroxyl- und Ethergruppen. Die gebräuchlichsten nichtionischen Emulgatoren für Wachse sind ethoxylierte Fettalkohole. Oft ist es sinnvoll, in nichtionische Emulsionen eine geringe Menge KOH einzusetzen, um freie Säuregruppen des Wachses zu neutralisieren. Abbildung 9.7: Teilchengrößen messung mit Hilfe von Laser diffraction
9.2.1.2
Wachsdispersionen
Im Unterschied zu den Wachsemulsionen haben wässrige Wachsdispersionen eine andere Teilchengrößenverteilung. Während die Wachsteilchen in einer Wachsemulsion kleiner 1 μm sind und daher keinen Einfluss auf den Glanz haben, sind die Wachsteilchen in einer Dispersionen in den meisten Fällen zwischen 1 μm bis 20 μm groß. Sie reduzieren den Glanz in einem Lacksystem. Der Grund dafür ist ein anderer Herstellprozess. In einer Wachsdispersion wird weniger Emulgator eingesetzt, das Produkt wird Nassvermahlen. Die erzielbare Teilchengröße steht in Abhängigkeit zur Vermahlzeit (Abbildung 9.7). 9.2.2
Mikronisierte Wachsadditive
Mikronisierte Wachsadditive sind pulverförmige Produkte mit einer mittleren Teilchengröße von 4 μm bis15μm. Durch ihre sehr hohe Feinheit und dem unpolaren Chavrakter gehören sie zu der Kategorie der „nicht frei fließenden“ Pulver. Mikronisierte Wachsadditive lassen sich durch die Zusammensetzung und die Eigenschaften der Rohwachse und der Teilchengrößenverteilung charakterisieren. Diese Parameter werden durch den Produktionsprozess eingestellt. Im Mahlprozess werden die Wachsteilchen durch einen expandierenden Luftstrom auf Ultraschallgeschwindigkeit (500 m/s) gebracht, beschleunigt und, durch das Gegeneinander-
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schlagen der Teilchen, zerkleinert. Ein Vorteil dieses Prozesses, der in einer Luftstrahlmühle durchgeführt wird, ist, dass hierbei keine Verunreinigungen durch Metallabrieb der Mühle auftreten. Das vermahlene Wachs wird anschließend mit einem Sichtrad klassifiziert. Die feinen Wachsteilchen werden über das Sichtrad aus der Mühle gefördert, das zu grobe Material fällt wieder zurück in die Mahlzone. Durch die Einstellung der Frequenz des Sichtrades wird die Produktqualität gesteuert (Abbildung 9.8). Die Teilchengrößenverteilung liefert Informationen über die Qualität der mikronisierten Wachsadditive. Die wichtigsten Kenndaten sind Abbildung 9.8: Luftstrahlmühle zur Herstellung mikronisierter die mittlere Teilchengröße (d50) und die höchste Wachse Teilchengröße (d100). „d50“ bedeutet, dass 50 % der Teilchen eine Teilchengröße haben, die gleich dem angegebenen Wert ist oder darunter liegt. Der Wert von d100 gibt die maximale Teilchengröße an, einschließlich des Überkorns. Aufgrund der großen Polaritätsunterschiede zwischen Wasser und Wachs ist es eine Herausforderung, mikronisierte Wachsadditive zu entwickeln, die problemlos in wässrigen Systemen eingesetzt werden können. Wachse können chemisch modifiziert werden; durch den Einbau polarer Strukturen lassen sie sich dann auch in wässrige Systeme recht einfach einarbeiten. Außerdem bietet die Polymerchemie die Möglichkeit Substanzen zu synthetisieren, die zwar im engeren Sinne keine Wachse sind, sich aber durchaus wachsartig verhalten und in ihrer Polarität so eingestellt sind, dass sie ebenfalls für wässrige Formulierungen geeignet sind.
9.3
Wachsadditive für die Lackindustrie
9.3.1
Wirkungsmechanismus
Beim Einsatz eines Wachsadditives in einem Lacksystem sind zwei Einflussgrößen wichtig: • der Einfluss der Wachsbasis, also der physikalischen/chemischen Eigenschaften der Wachse (wie Polarität, Schmelzpunkt) und • der Einfluss der Teilchengröße. Während der Trocknung des Lackes verteilen sich die Wachsteilchen in der Lackschicht. Je nach Dichte der Wachsteilchen und der Verdunstungskräfte im Lack orientieren sich die Wachsteilchen an der Lackoberfläche. In vielen Fällen sind
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Wachsadditive
Abbildung 9.9: Wirkungsmechanismus von Wachsadditiven
Abbildung 9.10: Wachseigenschaften in Abhängigkeit vom Schmeltzpunkt und der Polarität
sie, genau wie Pigmente oder Mattierungsmittel, im Lackfilm homogen verteilt. Wachsadditive sind im Gegensatz zu Silikonen nicht oberflächenaktiv. Das eingesetzte Wachsadditiv beeinflusst die Lackeigenschaften des trockenen Films je nach Schmelzpunkt und Polarität des Wachses (Abbildung 9.9). Abbildung 9.10 zeigt einige dieser Effekte und ihre Korrelation mit Schmelzpunkt und Polarität der Wachsbasis. Sie verdeutlicht, dass Wachse mit einem niedrigen Schmelzpunkt (100 °C wie HDPE-Wachse alleine oder auch modifiziert mit z.B. Amidwachsen oder PTFE sind die richtige Wahl zur Verbesserung der mechanischen Beständigkeit. Oberflächenglätte Zur Erhöhung der Oberflächenglätte (Slip) ist der Schmelzpunkt des Wachsadditives ebenfalls entscheidend. Im Gegensatz zur mechanischen Beständigkeit sind hier Additive mit niedrigem Schmelzpunkt gefragt, wie Paraffin- und Carnaubawachse. Carnaubawachs wird häufig in Can- und Coil Coating-Systemen eingesetzt zur Verbesserung der Oberflächenglätte. Aber nicht in allen Fällen wird hoher Slip gewünscht. Für Sportböden und Parkett- und Fußbodenbeschichtungen im Allgemeinen kann ein hoher Slip gefährlich sein und bei Papierbeschichtungen kann er die Stapelbarkeit negativ beeinflussen. Bei diesen Anwendungen wird eher nach
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Wachsadditive für die Lackindustrie
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Abbildung 9.12: Oberflächenglätte in einem wässrigen Acrylat-Parkettlack
Abbildung 9.13: Messung des Kontaktwinkels
Anti-Slip gefragt. Polypropylenwachse geben aufgrund des hohen Schmelzpunktes Anti-Slip-Effekte. Abbildung 9.12 zeigt den Einfluss des Schmelzpunktes auf Slip bzw. Anti-Slip-Eigenschaften. Gemessen wird die Erhöhung der Oberflächenglätte in Prozent im Vergleich zum Lacksystem ohne Wachsadditiv. Dabei wird die Kraft gemessen, die benötigt wird, ein Gewicht über die Oberfläche zu ziehen. Wasserfestigkeit Eine Eigenschaft von Wachsadditiven, die nichts mit dem Schmelzpunkt, sondern mit der Polarität der Wachbasis zu tun hat, ist die Wasserfestigkeit. Wachsadditive auf Basis sehr unpolarer Wachse, wie Paraffine, erzeugen Lackoberflächen auf denen das Wasser nicht mehr spreiten kann, den so genannten Entenrückeneffekt. Das Wasser perlt ab. Dieser Effekt wird z.B. für Außenanstriche im Malerlackbereich, für Gartenmöbel und auch für Druckfarben eingesetzt. Den Einfluss der Wachsbasis kann man am einfachsten über die Messung des Kontaktwinkels eines Wassertropfens messen. Je höher der Kontaktwinkel, desto mehr hat sich der Wassertropfen zusammengezogen, und um so unpolarer ist die Oberfläche (Abbildung 9.13).
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Wachsadditive
Abbildung 9.14: Wasseraufnahme von Verpackungslacken
In Tabelle 9.2 ist der Effekt in einer PU-Außenwandbeschichtung zu Dosierung Kontaktwinkel sehen. Unpolare Oberflächen bedeuWachsemulsion, Basis Paraffin Wassertropfen ten allerdings auch ein Risiko für 0% 76° Haftungsverlust. Beim Einsatz von 0,5 % 86° unpolaren Wachsadditiven ist die 1% 103 Haftung aus diesem Grund immer Festes Wachs auf die Gesamtrezeptur zu prüfen. Bei polareren Wachsen ist der Einfluss auf die Haftung eher gering. Ein zweites Beispiel zeigt den Einfluss des Paraffins auf die Wasseraufnahme von Papier. Bei Lebensmittelverpackungen und auch bei Waschmittelkartons soll möglichst keine Feuchtigkeit durch das Papier penetrieren. Hier können Paraffinwachse als Barriere dienen (Abbildung 9.14). Tabelle 9.2: Wasserabweisung in einer PUAußenwandbeschichtung
Anti-Blocking Ein weiterer Effekt der Polarität ist der Einfluss auf das Blockingverhalten eines Lackes. Hierbei geht es um das Verkleben von ausgehärteten Lackoberflächen durch Druck, z.B. beim Stapeln. Man kennt den Effekt auch von Fensterlacken. Die durch das Paraffinwachs unpolaren Lackoberflächen neigen weniger zum Zusammenkleben als polare Oberflächen (Abbildung 9.15). Beim Blocktest werden zwei lackierte Substrate nach 24 h Raumtrocknung übereinander gelegt und mit einem 1 kg Gewicht beschwert. Nach 1 Stunde bei 40 °C werden die Oberflächen wieder getrennt und das Blockingverhalten beurteilt. 9.3.2.2
Glanzreduzierung
Die Mattierung von Lackoberflächen entsteht dadurch, dass einfallendes Licht diffus reflektiert wird. Durch diese Lichtstreuung erscheint die Oberfläche matt. Hervor-
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Wachsadditive für die Lackindustrie
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Abbildung 9.15: Anti-Blocking-Test an einem Dispersionssystem mit unterschiedlichen Wachsen
Abbildung 9.16: Mattierung eines wässrigen Acrylat-Parkettlacks
gerufen wird diese Mikrorauhigkeit von kleinen Teilchen in der Lackoberfläche. Diesen Effekt können auch Wachsadditive hervorrufen. Normalerweise denkt man bei Mattierung eher an Kieselsäuren. Bei dem Einsatz von Wachsadditiven kann man mechanische Beständigkeit und Glanzreduzierung kombinieren. Wachsdispersionen und mikronisierte Wachsadditive haben aufgrund ihrer Teilchengrößenverteilung mehr oder weniger starken Einfluss auf den Glanzgrad von Lacksystemen (Abbildung 9.16). Je nach gewünschtem Glanzgrad liegt die Zusatzmenge des festen Wachses zwischen 2 % bis 10 %. Bei stumpfmatten Systemen empfiehlt sich die Kombination mit Kieselsäure. Durch die Kombination ist die effizienteste Mattierung mit dem besten Oberflächenschutz gewährleistet (Tabelle 9.3, Seite 172).
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Wachsadditive
Wie schon im Kapitel 9.2.2 über mikronisierte Wachsadditive erwähnt, Glanz 60° Stahlwolle besteht im wässrigen Bereich die Test Schwierigkeit, Wachsadditive zu Ohne Wachs + finden, die ohne Emulgator in einem 17 3–4 3 % Mattierungsmittel wässrigen System lagerstabil sind 6 % Wachsadditiv* + und nicht an der Oberfläche aufrah11 2 3 % Mattierungsmittel men. Hierfür gibt es speziell modifiBasis der „Wachslegierung“: mod. HDPE zierte Wachsadditive, die zum einen aufgrund ihrer Chemie selbst bei niedrigen Scherkräften problemlos einzuarbeiten sind, eine hervorragende Mattierung zeigen und durch den hohen Schmelzpunkt einen ausgezeichneten Oberflächenschutz bieten. Neu sind auch so genannte Wachslegierungen, die durch das Zusammenschmelzen verschiedener Wachsbasen eine höhere Polarität und eine hervorragende mechanische Beständigkeit bieten. Tab. 9.3: Mattierung und Abriebtest eines UV-Holzlackes
9.3.2.3
Haptik und Struktur
Design und Mode sind häufig der Antrieb für die Modifizierung der optischen Eigenschaften von Lackoberflächen. Speziell die Oberflächen von Kunststoff lackierungen sind diesem Trend durch die Ansprüche der Verbraucher unterworfen. Auch für Kunststoffteile, wie z.B. in der Unterhaltungselektronik, entsteht ein Trend zu strukturierten Oberflächen. Auch hier können Wachsadditive eingesetzt werden. Die Wachsteilchen ragen aus dem Lackfilm und erzeugen so die Struktur. Verschiedene Teilchengrößenverteilungen erlauben eine Vielzahl von unterschiedlichen Strukturen und haptischen Effekten. Sehr feine Strukturen geben eine sehr schöne gleichmäßige Mattierung und einen sehr weichen Soft-Feel-Effekt. Sie werden häufig für die Innenverkleidung von Autos oder Flugzeugen verwendet. Sehr grobe Strukturen können unebene Untergründe kaschieren. Selbstverständlich findet man strukturierte Oberflächen auch in Möbellacken oder im Verpackungslackbereich, wie auch auf Handyschalen. 9.3.2.4
Rheologiesteuerung
Effektlacke nehmen heute nicht nur in der Autoindustrie sondern auch im Industrielackbereich einen großen Teil des Marktes ein. Dieser Markt besteht in Europa hauptsächlich aus umweltfreundTab. 9.4: Einfluss von Rheologieadditiven auf lichen wässrigen Beschichtungen. In die Orientierung von Effektpigmenten lösemittelhaltigen Systemen werden Flop Index seit Jahren Ethylenvinylacetat (EVA) BYK-mac basierte Wachsadditive zur Orientierheologisch modifizierende 19,8 rung von Effektpigmenten und zur Wachsemulsion, Basis mod. EVA Reduzierung der Absetzneigung einAcrylatverdicker 16,8 gesetzt. Aufgrund des unterschied-
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Zusammenfassung
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lichen rheologischen Verhaltens von wässrigen Systemen zeigte der Einsatz von konventionellen Wachsadditiven in diesen Systemen bisher nicht die gewünschte Verbesserung. Mit der Entwicklung neuer modifizierter EVA-Wachsemulsionen besteht nun die Möglichkeit, die Rheologie von wässrigen Effektlacken positiv zu beeinflussen und dadurch die Orientierung der Effektpigmente zu optimieren (Tabelle 9.4)
9.4
Zusammenfassung
Der Einsatz von Wachsadditiven bietet eine Vielzahl von Möglichkeiten, die Lackeigenschaften in wässrigen Systemen zu beeinflussen. Wichtig ist hier die richtige Wachsbasis/Wachskombination zu finden. Entscheidend für die zu erreichenden Eigenschaften sind der Schmelzpunkt der Wachsadditive für den optimalen Oberflächenschutz, die Polarität für Wasserfestigkeit und Anti-Blocking. Zusätzlich ist die Teilchengröße des Wachsadditives von entscheidender Bedeutung für den Glanz bzw. der Mattierung und der Oberflächeneffekte wie Struktur und Haptik. Durch rheologiemodifizierende Wachsadditive besteht die Möglichkeit, die Orientierung von Effektpigmenten zu optimieren.
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Lichtschutzmittel
10 Lichtschutzmittel Dr. Adalbert Braig
10.1
Einführung
Moderne Beschichtungssysteme müssen über ihre dekorative Funktion hinaus in aller Regel auch eine Schutzfunktion für das Substrat übernehmen. Dabei sind sie selbst einer Vielzahl an Umwelteinflüssen, wie z.B. der schädigenden Wirkung der UV-Strahlung, ausgesetzt. Dies führt in vielen Fällen zu einer drastischen Verkürzung der Lebensdauer solcher Beschichtungen, welche durch Einsatz geeigneter Lichtschutzmittel um ein Vielfaches verlängert werden kann. Die UV-Stabilisierung von Lacken erfolgt in den meisten Fällen über den kombinierten Einsatz von UV-Absorbern und von Radikalfängern. Während erstere durch Herausfiltern des eingestrahlten UV-Lichts primär für die Farbtonhaltung und/oder den Schutz des Substrats selbst verantwortlich zeichnen, verhindern Radikalfänger den fotooxidativen (lichtinduzierten) Abbau der Bindemittel und gewährleisten somit neben einer hohen Glanzhaltung vor allem die Integrität der Beschichtungen durch eine Vermeidung von Rissbildung. In den folgenden Kapiteln werden im Anschluss an einen kurzen Abriss über das Thema „Licht und fotooxidativer Abbau“ die Möglichkeiten zur Stabilisierung von Lacken, die Funktionsweise und chemischen Klassen von Lichtschutzmitteln, sowie deren Anwendungsgebiete und Auswahlkriterien näher beleuchtet.
10.2
Licht und fotooxidativer Abbau
Das gesamte Spektrum der die Erde umgebenden elektromagnetischen Strahlung reicht von extrem kurzwelliger und damit extrem energiereicher kosmischer Höhenstrahlung bis hin zu langwelligen und entsprechend energiearmen Radiowellen. Dieses Gesamtspektrum beinhaltet den in diesem Zusammenhang wichtigen UV/VIS-Bereich, der sich nach DIN 5031 wie folgt untergliedern lässt: UV-C: Wellenlängenbereich 100–280 nm UV-B: Wellenlängenbereich >280–315 nm UV-A: Wellenlängenbereich >315–380 nm UV-VIS: Wellenlängenbereich >380–720 nm („sichtbares Licht“) Wernfried Heilen: Additive für wässrige Lacksysteme © Copyright 2009 by Vincentz Network, Hannover, Germany
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Licht und fotooxidativer Abbau
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Je kurzwelliger dabei das eingestrahlte UV-Licht ist, desto energiereicher und damit schädigender ist seine Wirkung auf Polymere (Lacke/Bindemittel). Glücklicherweise werden die Wellenlängen mit < 290 nm bereits weitestgehend durch die uns umgebende Ozonschicht (vorausgesetzt diese Abbildung 10.1: Jablonski-Termschema (gestrichelte Pfeile: Desaktivierung durch Strahlung; gewellte ist intakt) absorbiert, so dass Pfeile: strahlungslose Desaktivierung; IC: Internal lediglich etwa 6 % der gesam- Conversion ; ISC: Intersystem Crossing; CR: foto ten UV-Strahlung tatsächlich chemische Reaktion) die Erdoberfläche erreicht. Die Energie dieser Strahlung ist immer noch für einen fotochemischen Abbau/ Spaltung vieler kovalenter Bindungen von Polymeren ausreichend und kann somit im Ergebnis zu der eingangs erwähnten Rissbildung und damit dem Verlust der Integrität von Beschichtungen führen. Grundvoraussetzung für einen solchen Licht induzierten Abbau ist allerdings eine Absorption des eingestrahlten Lichts durch das Bindemittel selbst und/oder herstellungsbedingte Verunreinigungen wie z.B. Katalysatorreste oder Hilfsstoffe, denn nur die zugeführte Energie (in Form von Licht), welche tatsächlich absorbiert wird, kann in der Folge fotochemische Prozesse auslösen. Vor diesem Hintergrund betrachtet sind chemisch reine Polymere wie Polyethylen oder PMMA (keine Absorption im Bereich von 300 – 400 nm) per se fotochemisch stabil, während Polymere, welche UV-absorbierende Gruppen enthalten grundsätzlich gegenüber Abbauprozessen anfällig sind. In Abbildung 10.1 (Jablonski-Termschema) sind die wichtigsten Vorgänge schematisch dargestellt: Danach wird die in Form von Licht zugeführte Energie von den Molekülen absorbiert und sie gehen dabei aus dem Singulett-Grundzustand S0 in energiereichere angeregte Zustände (S1, T1) über. Bei den Molekülen muss dabei zwischen zwei Arten von Elektronenzuständen unterschieden werden, d.h. dem Singulettzustand S (gepaarte Elektronenspins) und dem Triplettzustand T (ungepaarte Elektronenspins). Die Wahrscheinlichkeit einer chemischen Reaktion im angeregten Zustand erhöht sich dabei mit dessen Lebensdauer. Da die Lebensdauer des angeregten Triplettzustands T1 länger als die des entsprechenden Singulettzustands S1 ist, laufen die meisten fotochemischen Reaktionen aus dem angeregten Triplettzustand heraus ab [1].
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Lichtschutzmittel
Abbildung 10.2: Schematische Darstellung der Foto oxidation von Polymeren P (*): kann enthalten: Hilfs stoffe, C=O, Hydroperoxide, Katalysatorreste
Entsprechend der im Jablonski-Termschema dargestellten Vorgänge hat ein Molekül, welches sich im angeregten Zustand S1 befindet, verschiedene Möglichkeiten der Desaktivierung, also die aufgenommene Energie wieder abzugeben [2]. Neben einer fotochemischen Reaktion kann die Desaktivierung sowohl in Form von Strahlung (Fluoreszenz) als auch strahlungslos erfolgen. Der energetisch am tiefsten liegende Triplettzustand T1 wird unter Umkehr des Elektronenspins durch einen strahlungslosen Übergang S1 T1 gebildet, welcher als „Intersystem Crossing“ bezeichnet wird. Aus T1 kann die Abgabe der Energie dann wiederum in Form von Strahlung (Phosphoreszenz) oder von fotochemischen Reaktionen erfolgen.
Diese theoretischen Ausführungen sind einerseits für das Verständnis von fotochemischen Abbauprozessen von Polymeren, andererseits auch des Wirkungsmechanismus von UV-Absorbern von Bedeutung. Auf deren Wirkungsmechanismus wird in Kapitel 10.1 näher eingegangen, es sei aber bereits an dieser Stelle erwähnt, dass sich die Vorgänge bei den UV-Absorbern deutlich von den im Jablonski-Termschema dargestellten Abläufen unterscheiden und unterscheiden müssen. Im Falle von Polymeren führt die Absorption des UV-Lichts zur Bildung freier Radikale, welche mit anwesendem Sauerstoff reagieren können und in Folge zu fotooxidativen Abbauprozessen führen. Solche Prozesse, bei denen sich sowohl Kettenreaktionen, als auch Kettenspaltungen und Kettenverzweigungen abspielen, lassen sich in verschiedene Einzelreaktionen (Abbildung 10.2) unterscheiden [3].
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Stabilisierungsmöglichkeiten für Polymere
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10.3 Stabilisierungsmöglichkeiten für Polymere Wie bereits in Kapitel 10.2 erläutert, sind fotooxidative Prozesse an eine Absorption des eingestrahlten Lichts durch das Polymere bzw. enthaltene absorbierende funktionelle Gruppen oder Hilfsstoffe etc. geknüpft. Diese Gruppen werden auch als Chromophore Ch bezeichnet und können durch Absorption des Lichts in die erwähnten angeregten Zustände Ch* übergehen. Aus diesen angeregten Zuständen heraus ist eine Reihe von Folgereaktionen möglich: • Desaktivierung und Rückkehr in den Grundzustand über Fluoreszenz oder strahlungslose Desaktivierung (Wärme). Ein solcher Prozess ist für das Polymere unschädlich und führt in der Folge zu keinen Abbaureaktionen • Zerfall in Radikale und anschließende Weiterreaktion mit dem Polymeren und/oder mit Sauerstoff • Radikalbildung unter Wasserstoffabstraktion vom Polymeren • Energieübertragung (z.B. auf Sauerstoff resultierend in der Bildung von Singlettsauerstoff 1O2 ) Die aufgelisteten Folgereaktionen führen zu einer Schädigung des Polymeren, zeigen aber gleichzeitig die Wege und Möglichkeiten auf [4–6], welche grundsätzlich zur Stabilisierung in Frage kommen (Abbildung 10.3):
Danach besteht eine erste Möglichkeit im Einsatz von UV-Absorbern, welche in Konkurrenz zu den absorbierenden Gruppen im Polymeren das schädigende UVLicht herausfiltern noch ehe Ch* entstehen kann. Voraussetzung ist eine rasche Absorption und Umwandlung des absorbierten Lichts in Wärme.
Abbildung 10.3: Schematische Darstellung des fotooxidativen Abbaus von Polymeren, sowie der Stabilisierungsmöglichkeiten. Ch: Chromophor; P: Polymer
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Lichtschutzmittel
Da UV-Absorber definitionsgemäß (siehe Kapitel 10.3.1) an der äußersten Ober fläche nicht oder nur unzureichend absorbieren können, lässt sich die Bildung von Ch* durch UV-Absorber alleine nicht vollständig unterdrücken. Daraus resultiert als weitere prinzipielle Stabilisierungsmöglichkeit der Einsatz so genannter Quencher, welche den angeregten Zustand zu löschen vermögen. Zu dieser Klasse gehören beispielsweise Nickelverbindungen, die jedoch in der Praxis aus Toxizitätsgründen und aufgrund ihrer Eigenfarbe für die Stabilisierung von Beschichtungen keine Bedeutung erlangt haben. Wenn eine Bildung von Radikalen bereits erfolgt ist, können diese durch den Einsatz von Radikalfängern unschädlich gemacht und damit Weiterreaktionen unter Schädigung des Polymeren verhindert werden. Eine vierte Möglichkeit besteht in der Verwendung von Peroxidzersetzern, die in der Lage sind, potenziell gebildete Peroxide zu zerstören. Dazu gehören insbesondere sekundäre Antioxidantien, wie z.B. Phosphite. Für die Stabilisierung von Beschichtungen spielt aber auch diese Möglichkeit – von Ausnahmen abgesehen – nur eine untergeordnete Rolle. In Schlussfolgerung hat sich für die Praxis anwendungsspezifisch vor allem der kombinierte Einsatz von UV-Absorbern und Radikalfängern oder von Radikalfängern alleine durchgesetzt. 10.3.1
UV-Absorber
Bei den UV-Absorbern muss zunächst zwischen anorganischen und organischen Produkten unterschieden werden. Während es sich bei ersteren idealerweise um nanoskalige und damit vorzugsweise kurzwellig absorbierende Metalloxide auf Basis von Titandioxid, Zinkoxid oder Ceriumoxid handelt, sind letztere durch eine ganze Reihe unterschiedlichster chemischer Klassen repräsentiert, die sich auch hinsichtlich ihrer Absorptionscharakteristika deutlich unterscheiden. Dazu gehören [7–14]: • 2-(2-Hydroxyphenyl)-Benzotriazole • 2-Hydroxy-Benzophenone • 2-Hydroxyphenyl-Triazine • Oxalanilide • Cyanoacrylate • Salicylsäurederivate • Hydroxyphenyl-Pyrimidine All diesen Klassen ist gemein, dass sie das eingestrahlte UV-Licht absorbieren und in für das Polymere unschädliche Wärme umwandeln können. Für die Stabilisierung von Beschichtungen haben sich über die Jahre die oberen vier Klassen a–d etabliert.
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Abbildung 10.4: Grundstrukturen der wichtigsten UV-Absorberklassen zur Stabilisierung von Beschichtungen.
Die Grundstrukturen dieser vier Verbindungsklassen sind in Abbildung 10.4 wiedergegeben. Den verschiedenen UV-Absorberklassen lassen sich charakteristische UV-Absorptionsspektren (Abbildung 10.5, Seite 180) bzw. UV-Transmissionsspektren (Abbildung 10.6, Seite 180) zuordnen. Davon abweichend können insbesondere im Falle der Hydroxy-Phenyl-Triazine die Absorptionsmaxima durch geeignete Substitutionsmuster (Beispiel Tris-Hydroxy-Phenyl-Triazine mit Absorptionsmaximum bei 360 nm) nochmals deutlich in den längerwelligen Bereich verschoben werden, was für längerwellig empfindliche Substrate wie z.B. Holz von Interesse ist. Wie aus Abbildung 10.5 ersichtlich ist, lassen sich die „klassischen“ UV-Absorber hinsichtlich ihrer Absorptionscharakteristika wie folgt beschreiben: Oxalanilide weisen ein Absorptionsmaximum im Bereich von ca. 300 nm auf. Hydroxy-Benzophenone, Hydroxy-Phenyl-Triazine und Hydroxy-Benzotriazole zeigen demgegenüber zwei Absorptionsmaxima (kurzwellig bei ca. 300 nm und längerwellig bei >320 nm). Die kurzwellige Absorption ist dabei bei den HydroxyPhenyl-Triazinen am stärksten ausgeprägt. Hydroxy-Phenyl-Benzotriazole weisen mit einem zweiten Absorptionsmaximum bei >340 nm die breiteste spektrale Abdeckung auf. Die exakte Lage der Absorptionsmaxima und die Höhe der Extinktion hängen letztlich von den Substitutionsmustern (siehe Abbildung 10.4) der jeweiligen Moleküle ab.
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Abbildung 10.5: Absorptionsspektren verschiedener UV-Absorberklassen (c = 10 mg/l in CHCl3; 1 cm Küvette) 1 = Oxalanilid; 2 = Hydroxy-Phenyl-Benzotriazol; 3 = Hydroxy-Benzophenon; 4 = Hydroxy-Phenyl-Triazin
Abbildung 10.6: Transmissionsspektren verschiedener UV-Absorberklassen (c = 50 mg/l in CHCl3; 1 cm Küvette) 1 = Oxalanilid; 2 = Hydroxy – Phenyl-Benzotriazol; 3 = Hydroxy-Benzophenon; 4 = Hydroxy-Phenyl-Triazin
Noch besser als durch die reinen Absorptionsspektren wird die Breite der spektralen Abdeckung durch die in Abbildung 10.6 dargestellten Transmissionsspektren verdeutlicht. Daraus wird ersichtlich, dass je weiter die Absorptionskante in den längerwelligen Bereich verschoben ist, desto mehr schädliche UV-Strahlung kann herausgefiltert werden.
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Die Wirksamkeit von UV-Absorbern wird neben der reinen Absorptionscharakteristik vor allem über das Lambert-Beer’sche Gesetz definiert: E = Abs = · c · d = log I0 /I mit E: Extinktion Abs: Absorbance I0: Intensität des einfallenden Lichtes I: Intensität des austretenden Lichtes ε: Extinktionskoeffizient (l/Mol cm) c: Konzentration (Mol/l) d: Schichtdicke (cm) des Lackfilms, des Substrats, der Messzelle Die wellenlängenabhängige Extinktion kann als Maß für die Filterwirkung eines UVAbsorbers angesehen werden, d.h. je höher die Extinktion bei einer gegebenen Wellenlänge, desto mehr Licht wird herausgefiltert. Wie aus dem Lambert-Beer’schen Gesetz ersichtlich ist, ist die Extinktion direkt proportional zum einer molekülspezifischen Konstanten – dem Extinktionskoeffizienten –, der Einsatzkonzentration (-menge) c an UV-Absorber und der Schichtdicke d des applizierten (unpigmentierten) Polymers bzw. des Lackes. Bei einer Halbierung der Schichtdicke muss demzufolge zur Erzielung des gleichen Filtereffekts die Einsatzkonzentration an UV-Absorber verdoppelt werden. Gleichzeitig wird durch das Lambert-Beer’sche Gesetz verdeutlicht, dass an der äußersten Oberfläche (d = 0) definitionsgemäß keine Absorption möglich ist (vgl. Kapitel 10.3). 10.3.1.1 Wirkungsmechanismus von UV-Absorbern Wie bereits in Kapitel 10.2 angedeutet, müssen sich bei UV-Absorbern die Desaktivierungsprozesse von den im Jablonski-Termschema (Abbildung 10.1) dargestellten Abläufen unterscheiden und sie müssen die aufgenommene Energie abführen/ umwandeln, ehe unerwünschte Nebenreaktionen eintreten können. Daraus resultiert, dass die Umwandlung der Energie im Singulettzustand S1 ablaufen muss und Intersystem Crossing, also der Übergang von S1 nach T1 und damit Phosphoreszenz ausgeschlossen sein müssen [7]. Bei den Wirkungsmechanismen von UV-Absorbern ist zwischen phenolischen UV-Absorbern (z.B. Hydroxy-Benzophenone, Hydroxy-Phenyl-Triazine, Hydroxy-Phenyl-Benzotriazole) und nicht-phenolischen wie den Oxalaniliden zu unterscheiden. In Abbildung 10.7 (Seite 182) ist die Energieumwandlung phenolischer UV-Absorber am Beispiel von Hydroxy-Phenyl-Benzotriazolen dargestellt:
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Abbildung 10.7: Energieumwandlung phenolischer UV-Absorber am Beispiel von Hydroxy-Phenyl-Benzotriazolen nach Otterstedt [15]
Demzufolge kommt es nach der Absorption des eingestrahlten Lichts im angeregten Singulettzustand zu einem Protonentransfer vom Sauerstoff zum Stickstoff. Im Anschluss bildet sich aus dem Fototautomer („Ketoform“) unter strahlungsloser Desaktivierung (Abgabe von Wärme) der ursprüngliche Grundzustand („Enolform“) wieder zurück. Vergleichbare Untersuchungen an Oxalaniliden [13, 16] weisen auf einen intramolekularen Protonentransfer zur Energieumwandlung hin. 10.3.2 Radikalfänger In Kapitel 10.3 wurde darauf verwiesen, dass angeregte Chromophore Ch* unter Radikalbildung weiter reagieren können (siehe Abbildung 10.3). Um solche Weiterreaktionen zu unterbinden, müssen Produkte zum Einsatz kommen, welche die gebildeten Radikale abfangen und damit mögliche Kettenreaktionen unterbrechen oder verhindern können. Solche Produkte werden allgemein als Radikalfänger bezeichnet. Zu den bekanntesten Vertretern dieser Klasse gehören Antioxidantien und sterisch gehinderte Amine. 10.3.2.1 Antioxidantien
Entsprechend ihrem Wirkungsmechanismus wird bei den Antioxidantien zwischen primären Antioxidantien (kettenabbrechende Wirkung [17] über einen radikalischen Mechanismus) und sekundären Antioxidantien (Zersetzung von Peroxiden über einen ionischen Mechanismus) unterschieden. Auf letztere wird in diesem Zusammenhang nicht näher eingegangen.
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Abbildung 10.8: Schematische Darstellung des Wirkungsmechanismus sterisch gehinderter Phenole
Bei den primären Antioxidantien handelt es sich vorzugsweise um sterisch gehinderte Phenole. Der Wirkungsmechanismus dieser Klasse ist schematisch in Abbildung 10.8 wiedergegeben:
Gemäß Gleichung (1) kommt es dabei zunächst zur Bildung eines Phenoxyradikals. Die Stabilität bzw. Reaktivität dieses Radikals hängt gemäß Gleichung (2) maßgeblich von den Substituenten R1 und R2, d.h. der Möglichkeit zur Resonanzstabilisierung (Delokalisierung des Elektrons) ab. Je stabiler das Phenoxyradikal, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass es selbst weitere Kettenreaktionen auszulösen vermag. Dies wird üblicherweise durch die Wahl besonders sperriger Reste R1 und R2 (z.B. tert. Butyl) erreicht.
Im Hinblick auf die Stabilisierung von Beschichtungen besteht ein wesentlicher Nachteil dieser Verbindungsklasse darin, dass ihr Wirkungsmechanismus nichtzyklischer Natur ist, d.h. die Produkte werden nach einer gewissen Zeit verbraucht und stehen für eine weitere Unterbindung von Radikalreaktionen nicht mehr zur Verfügung. Demzufolge werden sie auch vorzugsweise als Prozessstabilisatoren wie z.B. in der Kunststoffverarbeitung eingesetzt. 10.3.2.2 Sterisch gehinderte Amine
Bei dieser Verbindungsklasse handelt es sich fast ausnahmslos um Derivate des 2,2,6,6-Tetramethylpiperidins (Abbildung 10.9). Im allgemeinen Sprachgebrauch und in der Literatur werden diese Produkte zumeist kurz als „HALS“ bezeichnet, eine Namensgebung, welche sich vom englischen Ausdruck „Hindered Amine Light
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Stabilizers“ ableitet. Diese Bezeichnung soll auch hier in der weiteren Erörterung verwendet werden.
Abbildung 10.9: Allgemeine Struktur sterisch gehinderter Amine auf Basis von 2,2,6,6Tetramethylpiperidin
Dem Substituenten R kommt dabei insofern eine wichtige Bedeutung zu, als sich darüber sowohl die Basizität des HALS-Produktes als auch die Geschwindigkeit steuern lässt, mit der das Nitroxylradikal als die eigentliche aktive Wirksubstanz gebildet wird. Darauf wird in Kapitel 10.3.2.2 näher eingegangen.
Basizität von HALS Allgemein kann gesagt werden, dass HALS, bei denen der Stickstoff der Piperidingruppe mit Wasserstoff oder einer Methylgruppe substituiert ist eine hohe Basizität mit pKb-Werten von ca. 5 aufweisen. Dies kann in manchen Fällen in wässrigen Beschichtungssystemen, welche mit Aminen neutralisiert sind zu einer Verschiebung des pH-Wertes und in der Folge zu einer Destabilisierung der Systeme führen. HALS, deren Piperidinstickstoff dagegen mit z.B. COCH3 oder O-Alkyl substituiert ist, zeigen keine Basizität mehr und weisen pKb-Werte im Bereich von ca. 10–12 auf. Wirkungsmechanismus von HALS Der Wirkungsmechanismus von HALS wurde in einer Vielzahl wissenschaftlicher Arbeiten untersucht, welche im Wesentlichen an festen oder flüssigen Modellsyste men durchgeführt wurden. Inwieweit sich diese Ergebnisse präzise auf die Vorgänge in Polymeren oder Lacken übertragen lassen, ist unklar. Im Unterschied zur
Abbildung 10.10: Schematische Darstellung des Wirkungsmechanismus von HALS („Denisov-Zyklus“)
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Wirkungsweise primärer Antioxidantien ist der Wirkungsmechanismus von HALS jedoch zyklischer Natur – eine entscheidende Voraussetzung für ihre Eignung zur Langzeitstabilisierung von Beschichtungen. Die bekanntesten Erklärungen zum Wirkungsmechanismus von HALS beruhen auf Arbeiten von Denisov und sind im sogenannten „Denisov-Zyklus“ schematisch in Abbildung 10.10 dargestellt [18]: Danach erfolgt in Anwesenheit von Sauerstoff und UV-Licht in einem ersten Schritt die Transformation des HALS 1 in die eigentliche aktive Spezies, das Nitroxyl radikal 2. Eine Bildung des Nitroxylradikals ausgehend von protoniertem HALS ist unmöglich, zumindest aber stark erschwert. Das gebildete Nitroxylradikal kann in einem nächsten Schritt freie Radikale, welche z.B. aus der Weiterreaktion angeregter Chromophore Ch* entstanden sind unter Bildung des Aminoethers 3 abfangen. Durch Reaktion des Aminoethers 3 mit Peroxyradikalen kommt es zur Bildung der instabilen Zwischenstufe 4, welche ihrerseits unter Rückbildung des Nitroxylradikals 2 und zu harmlosen Endprodukten R=O und R’OH zerfällt. Damit steht das Nitroxylradikal für einen weiteren Zyklus zur Verfügung.
10.4 Lichtschutzmittel für wässrige Lacksysteme Grundsätzlich betrachtet sind alle Lichtschutzmittel, welche ursprünglich für den Einsatz in lösemittelbasierende Systeme entwickelt wurden, auch für wässrige Lacksysteme geeignet. Die Schwierigkeit besteht „lediglich“ in der angestrebten leichten Einarbeitbarkeit dieser Produkte in solche Systeme. Während großen Lack- oder Bindemittelherstellern prinzipiell die Möglichkeit einer Einarbeitung in die organische Phase, d.h. im Verlauf der Bindemittelsynthese offen steht, stellt dieser Weg für den weitaus größeren Teil der Lackhersteller keine Alternative dar. Die Industrie hat daher in den vergangenen Jahren erhebliche Anstrengungen unternommen, auf Basis existierender und bewährter Lichtschutzmittel wasserverträgliche Produktformen zu entwickeln, welche eine leichte und nachträgliche Einarbeitung in die Lacksysteme gestatten. Konzeptionell verbergen sich dahinter nachfolgende Produktformen: • hydrophile Lichtschutzmittel wie z.B. das in Tabelle 10.1 aufgeführte HydroxyPhenyl-Benzotriazol I (BTZ-1). Die durch die Seitenkette erreichte Polarität der Verbindung ist in den meisten Fällen ausreichend, um eine Einarbeitung auch ohne zusätzliche Verwendung eines Cosolvens zu ermöglichen [19]. • Feststoffdispersionen: bei diesen Produkten handelt es sich um feste UV-Absorber und/oder sterisch gehinderte Amine (Tabelle 10.1), welche in Gegenwart von Dispergierhilfsmitteln und kleineren Mengen Lösemittel (z.B. Glycolether) in Wasser eindispergiert sind. Der Gehalt an Aktivsubstanz liegt in den meistem Fällen um ca. 50 %. Trotz einer gewissen Sedimentationsneigung lassen sich diese Produktformen aber in aller Regel wieder problemlos aufrühren [20].
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Abbildung 10.11: Partikelverteilung und Partikelgröße von Nano-Dispersionen ermittelt mit einer Ultrazentrifuge (links) und TEM (rechts)
• Emulsionen: in diese Kategorie fallen Präparationen, bei denen die Lichtschutzmittel unter Verwendung von zumeist höheren Mengen an nicht-ionischen Emulgatoren in wasserverdünnbare Formen überführt werden. Aufgrund der hohen Emulgatoranteile besteht allerdings eine gewisse Gefahr in einer Erhöhung der Wasserempfindlichkeit der Beschichtungen. • Neat (Novel Encapsulated Additive Technology): eine neuere Technologie besteht in der Herstellung von Nano-Dispersionen mit mittleren Teilchengrößen von
15 ppm CIT/MIT enthält, versuchte man seitens des Gesetzgebers diesem Umstand zu begegnen. Allerdings konnten viele Produkte, die ohne diesen R-Satz und entsprechendem Warnhinweis in Verkehr gebracht werden sollten und daher weniger als diese 15 ppm CIT/MIT enthielten, vielfach nicht mehr ausreichend geschützt werden. Als Kompensation griff man nun wieder stärker auf das Benzylisothiazolinon (BIT) zurück, das bereits bekannt war und nun mehr auch für andere Anwendungen als erste Wahl galt. Die geringere antimikrobielle Wirkung wurde durch höhere Zugabemengen kompensiert, allerdings zeigte BIT im Gegensatz zu CIT/MIT eine deutliche Wirkungslücke gegenüber Pseudomonaden, die als Biofilm-Bildner in technischen Anlagen unvermeidbar sind. Erst durch die Hinzunahme eines weiteren Isothiazolinon Moleküls, Methylisothiazolinon (MIT), konnte diese Lücke wirkungsvoll geschlossen werden. Heute existieren sowohl BIT als alleinige Aktivsubstanz oder in Kombination mit (MIT/BIT, 1:1). Letztere Kombination erlangte mit Beginn des 2. Jahrtausends zunehmend an Bedeutung und kann wohl in Europa als die am weitest verbreitete Wirkstoffformulierung für die Konservierung technischer Produkte bezeichnet werden. Beide Wirkstoffe, MIT und BIT, zeichnen sich durch höhere Stabilität, allerdings auch durch geringere Aggressivität verglichen zum CIT aus. Faktoren, die zum einen eine höhere Einsatzkonzentration solch moderner Konservierer bedingen, zum anderen in Punkto Humantoxizität sich durchaus positiv darstellen. Gerade letztere, eher „weiche“ Faktoren sind mittlerweile zu den bestimmenden Auswahlkriterien geworden und es ist absehbar, dass Parameter wie Raumluftemission, Öko- und Humantoxizität noch weiter an Bedeutung gewinnen werden. 11.2.2
Auswahl der Wirkstoffe für die Konservierung
Ungeachtet der deutlich erhöhten Stabilität der Isothiazolinone BIT und MIT gegenüber der des CITs ist es für eine verlässliche Konservierung unbedingt erforderlich, Informationen über das zu konservierende Produkt in die Konservierungsstrategie einfließen zu lassen [3]. So ist neben der Fragestellung, ob ein Produkt beispielsweise
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für den Transport in tropische Regionen ausgestattet werden soll oder lediglich eine Verweilzeit von höchstens einer Woche in einem Zwischenlagertank überstehen muss, ebenso zu beachten, welche weiteren chemischen Komponenten in dem Produkt vorhanden sind oder welche hygienischen Rahmenbedingungen auf das Produkt bereits bei der Fertigung und im Nachfolgenden bei der Lagerung einwirken. Vielfach wird die Konservierung als unzureichend beschrieben, ohne vorher die Parameter für eine funktionsfähige Konservierung abgesteckt bzw. geprüft zu haben. Nicht selten weisen Polymerdispersionen Überschüsse an Reduktionsmitteln (z.B. Sulfite) oder Oxidationsmitteln (z.B. Peroxide) auf [4], die zwar aus Sicht des Herstellers nicht mehr relevant sind, im Falle der Konservierungsmittel jedoch großen Einfluss haben können. So ist z.B. BIT sehr instabil in Gegenwart von Oxidantien, CIT hingegen wird bevorzugt durch nukleophile Schwefel Verbindungen angegriffen; die Anwesenheit solcher Restmengen von Redoxreagenzien führt vielfach zum teilweisen oder nahezu vollständigen Abbau der Wirkstoffe. Häufig sind entsprechend ausgestattete Produkte nicht mehr ausreichend geschützt und weisen mehr oder minder starken Befall auf. Auch Amine, die beispielsweise zur pH-Wert-Regulierung eingesetzt werden, können vor allem im leicht bis stärker basischen Bereich sowohl MIT als auch BIT in ihrer Stabilität stark beeinflussen. 11.2.3
Betriebshygiene
Größtes Augenmerk im Sinne einer funktionierenden Gebindekonservierung sollte heutzutage auch auf die Betriebshygiene gerichtet sein. In Anbetracht der mehr und mehr reduzierten Wirkstoffauswahl sowie der verminderten Reaktivität der Wirkstoffe, ist die Gebindekonservierung nur noch begrenzt geeignet, hohe Keimeinträge, die durch Rohstoffe, wie beispielsweise Wasser, Polymere, etc. bereits während der Produktion eingetragen werden, zu kontrollieren. Der Anwender einer Gebindekonservierung, aber auch der Lieferant entsprechender Konservierungsmittel sollte daher nicht nur die rechtlichen und anwendungsspezifischen Parameter für sein späteres Produkt kennen, sondern ist vielmehr gehalten, auch den Produktionsprozess zu hinterfragen und zu optimieren. So ist es bereits vielfach gelungen, durch Hygienepläne, regelmäßige Prüfintervalle, geeignete Auswahl der Wirkstoffe sowie intelligente Dosiersysteme und -mengen, ein funktionstüchtiges Konservierungssystem aufzubauen, das modernsten Anforderungen auf der einen aber auch Kosteneinsparungen auf der anderen Seite genügt.
11.3
Filmkonservierung
Bereits seit langem ist der Bewuchs von Pilzen und Algen auf Oberflächen beschrieben [5], wurde aber in früherer Zeit eher als wissenschaftliche Erhebung, denn als Problem behandelt. Insbesondere durch den verbreiteten Einsatz der Fassadendämmung im privaten Baubereich und der damit verbundenen veränderten Bauphysik, die zur Taubildung auf der Außenhülle entsprechend gedämmter Objekte führt, trat
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die Problematik bewachsener Organismus Minimale Hemmkonzentration [ppm] Fassaden durch Algen und OIT Carbendazim Schimmelpilze zunehmend Alternaria alternata 1,5 >1.000 in den Focus der Öffentlich[6] Aspergillus niger 5–10 5 –10 keit . Große Probleme traten Aureobasidium pullulans 0,3 0,1– 0,5 bereits in den 80er und späten Chaetomium globosum 4 0,5 90er Jahren des letzten Jahrhunderts auf [7]. Seitdem ist Cladosporium 0,5 0,5 deren Vermeidung mit hohen cladosporoides 5 1,0 Anstrengungen der Herstel- Gliocladium virens 2,5 0,5 ler und Entwickler entspre- Penicillium glaucum chender antimikrobieller Be- Rhodotorula rubra 5 5 schichtungssysteme verbun- Sclerophoma pithyophila 2,5 0,5 den. Ausgangspunkt eines Sporobolomyces roseus 1 1–2 solchen Bewuchses sind in Trichoderma viride 0,5 1–2 der Regel hohe Feuchtege- Ulocladium atrum 2,5 500 halte auf der Oberfläche, die 11.2: Minimale Hemmkonzentrationen von in Kombination mit Nährstof- Tabelle Carbendazim und Octylisothiazolinon gegenüber feinträgen, chemischen Fak- verschiedenen Schimmelpilzen toren und ausreichend eingetragenen Pilzsporen und/oder Algenzellen als Startpunkte dienen [8]. Im Rahmen immer höheren Energiesparanforderungen (vgl. EnEV Juli 2007, [9]) werden auch zukünftig Gebäude durch einen mehr oder minder hohen Isolieraufwand geschützt, wodurch das bekannte „Taubildungsphänomen“ an den Außenseiten hervorgerufen wird [10]; so dass die Frage nach wirksamen Mitteln, um das damit verbundene Wachstum zu verhindern oder zu verzögern, sich auch weiterhin in besonderem Maße stellen wird. Diese so genannte „filmschützende“ Ausrüstung von Beschichtungen hat neben ästhetischen Gesichtspunkten vor allem auch werterhaltenden Charakter, verhindert sie doch hohen Aufwand an Material und Arbeitskraft, um entsprechenden Befall zu beseitigen. Die Auswahl entsprechender Aktivsubstanzen gestaltet sich in der heutigen Zeit jedoch zunehmend schwieriger und macht neue Ansätze erforderlich. 11.3.1
Herkömmliche Filmkonservierer
Bis heute sind sowohl fungizide als auch algizide Wirkstoffe unverzichtbar, um eine größtmögliche Schutzfunktion in der Beschichtung zu erzielen. Durchgesetzt haben sich hierbei Kombinationen aus beiden Wirkstoffklassen, um einen möglichst breiten Einsatzbereich abzudecken. Dabei stehen vor allem Wirkung, Rezepturverträglichkeit, UV-/pH-Stabilität, Auswaschbeständigkeit als chemische, physikalische und biologische Parameter im Blickpunkt. Faktoren, die ein Wirkstoff allein nicht erfüllen kann. Daher ist der Bedarf nach Kombinationen an Wirkstoffen nach wie vor gegeben. Größte Marktdurchdringung erzielte in der Vergangenheit der Aufbau
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Tabelle 11.3: Fungizide Wirkstoffe für die Filmkonservierung und deren Hauptmerkmale Fungizider Wirkstoff
Hauptmerkmal
Carbendazim
• Wirkungslücke gegenüber den Schwärzepilzen Alternaria, Ulocladium • Hohe Stabilität gegenüber UV und Alkalität • Geringe Auswaschtendenz • EU-Klassifizierung als CMR-Substanz Kategorie II (mutagen und teratogen) • Kennzeichnung >1000 ppm mit R 46
IPBC
• Breitwirksames und potentes Fungizid, ohne bekannte Wirkungslücke • Hohe Verfärbungsrisiken • Temperaturempfindlich, instabil bei Alkali- und UV-Einflüssen • Hautsensibilisierung möglich • AOX relevante Substanz
OIT
• Breitwirksames und potentes Fungizid, ohne bekannte Wirkungslücke • Verhältnismäßig stabil, auch gegenüber Alkalität • Hohe Wasserlöslichkeit • Tendenz zur Auswaschung • Hautsensibilisierung möglich
DCOIT
• Breitwirksames und potentes Fungizid, ohne bekannte Wirkungslücke • Geringe Wasserlöslichkeit, gute Auswasch beständigkeit • Instabil gegenüber UV, Temperatur, Alkalität • Starker Hautsensibilisierer • AOX relevante Substanz
ZPT
• Geringe Wasserlöslichkeit und Auswaschbarkeit bis in den leicht alkalischen pH-Bereich • Breites Wirkspektrum, geringere Wirksamkeit gegenüber einigen Pilzen verglichen zu OIT und IPBC • Kann mit Metallionen farbige Komplexe bilden, hohes Verfärbungsrisiko • UV-Instabilität • Unter Alkalieinfluss sehr hohe Wasserlöslichkeit und schnelle Auswaschung
Carbendazim, Octylisothiazolinon (zwei Fungizide) und Triazin bzw. Diuron (jeweils Algizide). Der Grund ist aus Tabelle 11.2 (OIT/Carbendazim) ersichtlich. Während Carbendazim ein sehr stabiles Fungizid, jedoch mit einer Wirkungslücke gegenüber Alternaria und Ulocladium spezies darstellt, ist das OIT sehr wirksam, jedoch deutlich weniger stabil, in der Kombination decken beide aber die relevanten Schimmelpilze ab. Die Auswahl des Algizides, der dritten Komponente, orientierte sich wie auch heute wieder an den individuellen Bedürfnissen des Beschichtungsherstellers.
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Tabelle 11.4: Algizide Wirkstoffe und deren Hauptmerkmale Fungizider Wirkstoff
Hauptmerkmal
Diuron
• hoch potent • EU-Klassifizierung als CMR-Substanz Kategorie III • Hohe Auswaschbarkeit • Hydrolyse in Gegenwart von Alkali • UV-Instabilität • AOX relevante Substanz
Terbutryn
• Bereits in sehr geringen Konzentrationen wirksam gegen Algen • Relativ stabile Substanz, geringe Wasserlöslichkeit, hohe Auswaschbeständigkeit • negative Einstufung bzgl. aquatischer Toxizität innerhalb der EU
Cybutryn (Mctt)
• Bereits in sehr geringen Konzentrationen wirksam gegen Algen • Relativ stabile Substanz, geringe Wasserlöslichkeit, hohe Auswaschbeständigkeit • negative Einstufung bzgl. aquatischer Toxizität innerhalb der EU • ungünstigeres Preis-/Leistungsverhältnis
Es existieren neben den oben genannten natürlich einige andere in der Praxis verwendete Wirkstoffe oder Kombinationen aus diesen. Eines haben alle Wirkstoffe in ihrer puren Form gemeinsam: es gibt keinen kompletten Wirkstoff, ein jeder ist mit positiven wie auch negativen Attributen verknüpft. Als bekannteste verwendete Fungizide können wohl 2-n-Octyl-4-isothiazolin-3-on (OIT), 4,5-Dichloro2-n-Octyl-4-isothiazolin-3-on (DCOIT), Zink-bis-(2-pyridinthiol-1-oxid) (ZPT), 3-Iod-2-propynyl-butyl-carbamat (IPBC) und Carbendazim genannt werden. Bei den Algiziden ist die Auswahl etwas begrenzter, hier wird in der Regel auf die Triazine Terbutryn und Cybutryn (Mctt) oder das Phenylharnstoffderivat Diuron zurückgegriffen (s. Tabelle 11.3 und 11.4). 11.3.2
Alternativen
In diesem Kontext bewegt sich zur Zeit der Hersteller von Beschichtungssystemen und letztlich eng damit verbunden auch der Anbieter der Aktivstoffe für den Filmschutz. Es scheint daher nahe liegend, angesichts der Forderungen nach immer günstigeren toxikologischen Profilen, kombiniert mit gesteigerter Performance eines Wirkstoffes, nach neuen Wirksubstanzen für die Filmkonservierung als Lösung zu streben. Demgegenüber stehen momentan jedoch die immensen finanziellen Anstrengungen im Rahmen der Biozidprodukte Richtlinie (BPD), die erhebliche Ressourcen für die Zulassung der „alten“ Wirkstoffe binden, sowie das
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Risiko, ob ein mit hohem Kostenaufwand zu entwickelnder und zuzulassender Wirkstoff später überhaupt eine Marktdurchdringung zu den dann erforderlichen Preisen erzielen könnte. 11.3.3
Neue, „alte“ Filmkonservierer
In Anbetracht dieser Lage werden in naher Zukunft wohl keine absoluten „New comer“ auf dem Beschichtungssektor zu finden sein, die Tendenzen gehen vielmehr in Richtung Optimierung und Kombinationen von vorhandenen Wirksubstanzen, um gezielt komplementäre und auch synergistische Wirkungen zu erzielen. Beides vor dem Hintergrund, die Einsatzmengen bei gleicher Wirkung zu reduzieren.
Eine Möglichkeit, diesen Anforderungen zu genügen, besteht darin, die bereits bekannten, zugelassenen und vielfach bewährten Wirkstoffe entsprechend zu modifizieren und in spezielle Formulierungs- und Darreichungsformen zu bringen, so dass deren Wirksamkeit, Verträglichkeit und chemisch-physikalische Eigenschaften gezielt verbessert werden, welches letztlich mit einer verbesserten Performance des jeweiligen Wirkstoffes einhergeht. Die Wirksamkeit einer Substanz oder besser noch die einer Kombination aus Aktivsubstanzen definiert sich im Wesentlichen über eine langfristige verfügbare Wirksamkeit im Beschichtungsmaterial. Dabei sind hier in erster Linie Einflussgrößen wie Auswaschung, Alkalität, Temperatur und UV zu nennen. Die Erfahrungen in Labor und Praxis zeigen, dass durch diese eingesetzte Technologie der Verkapselung von Wirkstoffen die Langzeit-Eigenschaften von Wirkstoffen zur Filmkonservierung erheblich verbessert werden. Die bekanntermaßen guten Wirkungen der jeweiligen Substanzen werden nicht beeinträchtigt, gleichzeitig können aber die Einflüsse der Störfaktoren, wie pHWert, Auswaschung, Temperaturempfindlichkeit und/oder UV-Strahlung, deutlich zurückgedrängt und kompensiert werden. So kann z.B. im Falle des Zinkpyrithions die Einsatzmenge gegenüber der herkömmlichen Konzentration vergleichbarer Zinkpyrithion-basierter Konservierer reduziert werden, da zum einen die hohe Auswaschtendenz mit steigendem pHWert in der Beschichtung sowie die Empfindlichkeit gegenüber UV stark herabgesetzt ist, zum anderen die Verfärbungsrisiken über Metall-Pyrithion-Komplexe minimiert werden. Octylisothiazolinon (OIT) zeigte sich in manchen Anwendungen angesichts seiner relativ hohen Wasserlöslichkeit als verhältnismäßig schnell auswaschbar und kann in solchen Fällen bereits innerhalb von 6 bis 9 Monaten aus der Beschichtung ausgewaschen werden. Durch den Einsatz von verkapseltem Octylisothiazolinon ist die Auswaschbeständigkeit signifikant erhöht worden. Es finden sich, wie beispielhaft in Abbildung 11.4 gezeigt, nach 12 Monaten noch 50 % des ursprünglichen Gehaltes an gekapseltem Wirkstoff, während der freie bereits nach einem halben Jahr vollständig ausgewaschen wurde. Die gesteigerte Wirkung durch die langfristigere verfügbare Menge an Octylisothiazolinon ist aus Abbildung 11.5 ersichtlich.
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Filmkonservierung
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Abbildung 11.4: Vergleich von freiem (F) und verkapseltem (P) Octylisothiazolinon (OIT) Gezeigt werden die verbleibenden Mengen an OIT aus frei (F) und verkapselt (P) Produkt in einem Farbsystem nach 6 bzw. 12 Monaten Freibewitterung in Speyer; Ausgangsmenge waren 300 ppm OIT
Abbildung 11.5: Wirkung von verkapseltem OIT in der Freibewitterung Gezeigt eine Acrylat-Fassadenfarbe a) ohne Konservierung, b) mit 300 ppm OIT unverkap selt, c) 300 ppm OIT verkapselt nach 18 Monaten Freibewitterung in Speyer, Deutschland
Gleiche positive Veränderungen in punkto Stabilität im Beschichtungsfilm können exemplarisch für Diuron als Algizid aufgezeigt werden. Die sehr schnelle Auswaschung und UV-Instabilität ist durch Kapseltechnologie extrem minimiert. In den aufgezeigten Ergebnisse zeichnen sich die gesteigerten Langzeitwirkungen bereits ab (s. Abbildung 11.6, Seite 206). 11.3.4
Verbesserung der ökotoxikologischen Eigenschaften
Neben den beschriebenen chemisch-physikalischen Parametern, die durch die Verkapselung deutlich verbessern werden, lassen die damit verbundenen Stabilitätserhöhungen in den jeweiligen Anwendungen auch niedrigere Einsatzmengen
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Abbildung 11.6: Gegenüberstellung Diuron frei (F) und verkapselt (P) Gezeigt sind die verbleibenden Mengen an freiem (F) und Verkapseltem (P) Diuron in 4 verschiedenen Farbsystemen P1-P4 nach 2 Tagen Wässerung im Laborversuch
Abbildung 11.7: Toxikologisches Profil von freiem und verkapseltem Diuron und Terbutryn Dargestellt sind die nach OECD 201 bestimmten EC50-Werte für jeweils freies (F) und verkapseltes (P) Terbutryn und Diuron.
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Ausblick
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zu. „Kompensationsdosierungen“, also bewusste Überdosierung zum Ausgleich hoher Wirkstoffverluste durch chemisch-physikalische Einflüsse, gehören damit der Vergangenheit an, was letztlich eine nicht unerhebliche Reduktion des Eintrages in unser Ökosystem bedeutet. Zusätzlich zeigen die entsprechend modifizierten Wirkstoffe selbst auch günstigere toxikologische und ökotoxikologische Profile auf. Dies sei am Beispiel der Algizide exemplarisch demonstriert (s. Abbildung 11.7). In einer Studie gemäß OECD 201 zur Bestimmung der Algentoxizität wurden sowohl freies als auch verkapseltes Terbutryn und Diuron verglichen. Es zeigen sich für Terbutryn 19-fach verringerte Toxikologische Werte, für Diuron eine Minimierung um den Faktor 7 gegenüber dem jeweiligen freien Wirkstoff.
11.4 Externe Einflussgrößen Neben der Vielzahl der physikalisch/chemischen Faktoren, die die Auswahl eines Wirkstoffes für eine funktionierende Konservierung beeinflussen, sind neben den Impulsen von wissenschaftlichen Institutionen, sowie Umwelt- und Verbraucherschutz-Organisationen, so genannte NGOs („non governmental organisations“), auch solche von zulassungsrechtlicher Seite zunehmend von Bedeutung. Durch das Inkrafttreten der Biozidprodukte-Richtlinie (BPD 98/8/EC) in der Europäischen Union, die zum Ziel hat, alle bioziden Wirkstoffe zu erfassen und zu bewerten, hat sich die Wirkstoffauswahl bereits deutlich reduziert. Es ist anzunehmen, dass bis zur vollständigen Umsetzung dieses Regelwerkes nochmals eine „Aufkonzentration“ der Wirksubstanzen stattfinden wird. Des Weiteren wirken Gefahrstoffverordnung (67/548/EEC), Zubereitungsrichtlinie (99/45/EC) und Chemikalienverbotsverordnung (76/769/EEC) ebenfalls auf Auswahl und Konzentration der Wirkstoffe. Zukünftig werden nur zugelassene Wirkstoffe – und zwar spezifisch für die jeweiligen Produkttypen (Anwendungszweck) – noch eingesetzt werden können. Daher ist es heute mehr denn je von großer Wichtigkeit, die Perspektive der eingesetzten Konservierung genau zu hinterfragen. In Bezug auf die beschriebenen regulatorischen Einflussfaktoren seitens Zulassungsbehörden bzw. durch Aktivitäten von NGOs werden Biozide bzw. Biozidformulierungen mit besonders günstigen Nutzen/Risiko-Eigenschaften noch weiter stark an Bedeutung gewinnen. Die Bewältigung der Aufgabe, dem Anwender auch künftig bestmögliche und sichere Lösungspakete für die Konservierung vielfältiger Produkte zur Verfügung zu stellen, kann nur durch ein hohes Maß an Innovationspotential sichergestellt werden.
11.5 Ausblick In Anbetracht der Komplexität, der bei der Auswahl des geeigneten Konservierers, welche nicht mehr allein abhängig von der besten Performance im jeweiligen System ist, sondern vielmehr durch mindestens ebenso komplexe regulatorische und
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ökotoxikologische Faktoren bestimmt wird, Rechnung getragen wird, wird sich die verfügbare Anzahl an Substanzen eher verkleinern, anstatt durch neue Wirkstoffe vergrößert zu werden. Betrachtet man die Anforderungen für die Filmkonservierung, so bietet sich ein viel versprechender Ansatz mit Hilfe von Verkapselungstechnologie, die sowohl eine Verbesserung der Performance als auch der ökotoxikologischen Eigenschaften ermöglicht und bereits heute klar aufzeigt, dass sich Anforderungen nach „immer weniger“ verbunden mit „besserer Leistungsfähigkeit“ nicht grundsätzlich entgegenstehen. Diese Ansätze leisten mit Gewissheit einen sehr großen Beitrag, die bestehenden Beschichtungssysteme unter oben genannten Gesichtspunkten auf vielfache Weise gegenüber Bewuchsanfälligkeit nachhaltig zu verbessern. Für die Gebindekonservierung zeichnen sich eher bereits angedeutete „Optimierungen“ ab, das heißt, Auswahl milderer Wirkstoffe, Produktspezifische Anwendung und schließlich intelligenter Einsatz des Wirkstoffes. Sowohl in der Film- wie auch der Gebindekonservierung bieten solche Ansätze und Konzepte hohe Potentiale zur Nachhaltigkeit und Wertschöpfung bei gleichzeitiger Kosteneinsparung. 11.6
Literaturhinweise
[1]
K.-H. Wallhäuser, Praxis der Sterilisations-Desinfektions-Konservierung, 1995, 5. Auflage, S. 433 [2] H. G. Schmitt, Konservierung Kosmetischer Mittel, Kreuznacher Symposium 1986, S. 12 –14 [3] K.-H. Wallhäuser, Praxis der Sterilisations-Desinfektions-Konservierung, 1995, 5. Auflage, S. 438 – 439 [4] J. Gillat, The Microbial Spoilage of Polymer Dispersions and Its Prevention, in W. Paulus, Directory of Microbicides, 2005, S. 222 [5] M. Goll, G. Coffey (1948), Paint, Oil and Chemical Review III, 16, S. 14 [6] K. Sedlbauer, M. Krus, K. Breuer, W. Hofbauer (2004), Algenbildung aufgrund Tauwasser an Außenfassaden – Welche Einflussmöglichkeiten gibt es?, Tagungsbeitrag für Hindelanger Baufachkongress 2004 [7] E. Bagda (2004), Algen Pilze Fassaden, Praxis kompakt 1, Maurer Verlag, Geislingen Deutschland, S. 61–70 [8] Th. Warscheid (1999), Mikrobieller Befall und Schädigung von Baustoffen, in Biozide in Bautenbeschichtungen, Kontakt&Studium, Expert Verlag, Renningen Deutschland, S. 10 –27 [9] EnEV, Bundesgesetzblatt Teil I Nr. 34, 26. Juli 2007 [10] M. Nay, P. Raschle (2004), Algen Pilze Fassaden, Praxis kompakt 1, Maurer Verlag, Geislingen Deutschland, S. 37–60
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Funktionsweise
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12. Hydrophobierungsmittel Thomas Matten
12.1 Allgemeines Das Beschichten von Gebäuden und Fassaden ist eine jahrhundertealte Tradition und diente ursprünglich primär der optischen Verschönerung. Heute sind die Anforderungen an überwiegend wässrige Fassadenfarben wesentlich größer. Zum einen müssen sie eine hohe Wetterresistenz aufweisen, darüber hinaus aber auch eine einfache und sichere Verarbeitung gewährleisten. Zudem müssen die heute verwendeten Beschichtungen Schutzfunktionen gegen Regen, Feuchtigkeit und Emissionen erfüllen, um die Oberflächen vor saurem Regen, Befall von Mikroorganismen oder Sonneneinstrahlung zu schützen. Die Wasserabweisung erfolgt über den Einsatz von Hydrophobierungsmitteln. In der Geschichte wurden zur Hydrophobierung natürliche Fette und Öle zur Reduzierung der Wasseraufnahme verwendet. Heutzutage werden neben Wachsen hauptsächlich siliciumorganische Verbindungen als Hydrophobierungsmittel verwendet. Dazu zählen Siliconöle, funktionelle Polysiloxane und Siliconharze.
12.2 Funktionsweise 12.2.1 Kapillare Wasseraufnahme Die Wasseraufnahme von Beschichtungsstoffen oder porösen Untergründen erfolgt meistens über Kapillarkräfte. In Kapillaren, Spalten und Poren wird Wasser aufgesaugt. D.h. Wasser steigt entgegen der Erdanziehung nach oben auf. Die Kapillarität ist ein Oberflächen- und Grenzflächenspannungsphänomen zwischen Wasser und Feststoff und lässt sich anschaulich am Verhalten von Flüssigkeiten in engen Zylindern (Kapillaren) darstellen. Wird eine Kapillare vertikal in eine benetzende Flüssigkeit gestellt, so steigt die Flüssigkeit in der Kapillare über das Flüssigkeitsniveau im Gefäß empor (Abbildung 12.1). Diese Erscheinung bezeichnet man als kapillare Aszension (Aufstieg). Kann die Kapillare hingegen von der Flüssigkeit nicht benetzt werden, so wird der Spiegel in der Kapillare unter das Niveau der umgebenen Flüssigkeit gedrückt (Kapillardepression). Die Ursachen für diese Erscheinung sind die Grenzflächenspannungen zwischen den drei verschiedenen Phasen: der Oberfläche der Kapillare, der Flüssigkeit und der Luft. Wernfried Heilen: Additive für wässrige Lacksysteme © Copyright 2009 by Vincentz Network, Hannover, Germany ISBN: 978-3-86630-845-9
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Hydrophobierungsmittel
Abbildung 12.1: Kapillarität einer benet zenden Flüssigkeit
Abbildung 12.2: Kapillaraszension und -depression Gleichung 12.1
Benetzt eine Flüssigkeit eine Festkörper oberfläche, so breitet sich die Flüssigkeit auf der Festkörperoberfläche aus und vergrößert damit ihre Oberfläche (s. Kapitel 5 Substratnetzadditive) Dem wirkt die Oberflächenspannung σ entgegen, die eine Verkleinerung der Oberfläche anstrebt. Es entsteht eine Zugkraft, die die Flüssigkeit in der Kapillare aufsteigen lässt. Die Zugkraft entsteht, indem die Flüssigkeit mit der Kapillarwand einen Rand- bzw. Kontaktwinkel Θ bildet, der für benetzende Flüssigkeiten kleiner ist als 90°. Durch den Benetzungsvorgang der Flüssigkeit an den Wänden, wird die Oberfläche der Flüssigkeit im Inneren der Kapillare gekrümmt. Die Krümmung, mit dem Radius rm des Meniskus, führt zu einem Druckunterschied, dem sogenannten Kapillardruck pk. Da der Kapillardruck niedriger ist als der umgebene Atmosphärendruck, wird die Flüssigkeit in der Kapillare durch den höheren Außendruck nach oben gedrückt, bis das hydrostatische Gleichgewicht erreicht ist. Der Kapillardruck nimmt mit abnehmendem Radius zu.
Die Steighöhe ist, wie beim kapillaren Druck, umgekehrt proportional zum Porenradius. Je kleiner die Kapillare, desto höher steigt die benetzende Flüssigkeit. Im Falle von Wasser beschreibt folgendes Gesetz diesen Zusammenhang: Gleichung 12.2
rW s Q g r
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= Dichte der Flüssigkeit (kg/m3) = Oberflächenspannung (J/m2 oder N/m) = Kontaktwinkel = Erdbeschleunigung (m/s2) = Radius der Kapillare (m)
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Funktionsweise
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Für Wasser bei 20°C ergibt sich daraus Gleichung 12.3
Eine Kapillare mit dem Radius r = 1m ergibt dies eine Steighöhe von 0,014 mm, bei r = 1mm entspricht h = 14 mm und 1 m = 14,0 m. 12.2.2 Hydrophobie
Abbildung 12.3: Wassertropfenform in Abhängigkeit vom Randwinkel
Hydrophobie kommt aus dem griechischen und bedeutet „wassermeidend“ oder „wasserfeindlich“ und beschreibt eine Nichtbenetzung von Wasser auf einer Substrat oberfläche. Bei einem Kontaktwinkel gegenüber Wasser von > 90° spricht man von Hydrophobie. Kontaktwinkel >140° zählen zu den stark hydrophoben Oberflächen. Fassadenschutzfarben mit Abbildung 12.4: Randwinkel eines Wassertropfens auf stark ausgeprägtem Kontakt- hydrophober Oberfläche winkel werden im Kapitel 12.4.3 beschrieben. Es sollte jedoch darauf hingewiesen werden, dass die Größe des Kontaktwinkels einer Oberfläche keinen Rückschluss auf eine gute Kapillarhydrophobierung des Fassadenfarbsystems zulässt, sondern nur ein Maß für den Abperleffekt einer Oberfläche beschreibt [1]. 12.2.3 Wirkungsweise von Hydrophobierungsmitteln Wie im Kapitel 12.2.1 beschrieben kann Wasser kapillar aufsteigen, wenn die Kapillare benetzt werden kann. Für den Schutz von Baustoffen bedeutet das, eine Nichtbenetzung des Wassers zu erlangen. Dies wird erzielt, indem Hydrophobierungsmittel, wie Silicone und Paraffine die Kapillaren auskleiden. Durch die geringe Oberflächenspannung der Hydrophobierungsmittel erhöht sich die Grenzflächen-
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Hydrophobierungsmittel
energie zwischen Kapillarwand und der Flüssigkeit (Wasser), d.h. eine Erhöhung des Randwinkels in der Pore. Der Zusammenhang zwischen freien Grenzflächenenergie, Oberflächenspannung und Kontaktwinkel wird in der Young Gleichung im Kapitel Substratnetzmittel behandelt. Der Vorteil des Einsatzes von Siliconen als Hydrophobierungsmittel ist der, dass sie zusätzlich durch ihre geringe Oberflächenspannung in hohem Maße spreitungsfähig sind. D.h. sie bilden einen molekularen Film an den Kapillarwänden. Somit reduzieren die Silicone die freie Oberflächenenergie des Substrates und geben den Kapillaren ihre typischen Eigenschaften. Bei porösen Materialien wird durch eine Siliconisierung die Durchlässigkeit für Luft und auch für Wasserdampf nicht oder nicht wesentlich gemindert. Sie kleiden die Porenwände aus, ohne diese zu verstopfen. Flüssigem Wasser wird der Eintritt in die Poren infolge der Vergrößerung der Grenzflächenspannung verwehrt [2]. Hingegen sind organische Hydrophobierungsmittel, wie Paraffine, nicht spreitungsfähig und besitzen keinen gute Verankerung zum Untergrund. Bei porösen Materialien verschließen sie die Poren und nehmen Einfluss auf die Wasserdampfdiffusion. Ein weiterer Nachteil des Einsatzes von Paraffinen ist der, dass es zu
Abbildung 12.5: Alkoxyreaktion der Siliconharze
Abbildung 12.6: Verankerung der Polysiloxane über Sauerstoffdipole
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Chemische Strukturen
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Haftungsproblemen führt, wenn man versucht eine zweite Beschichtung auf diesen zu applizieren. Da es zu keinem Verbund mit dem Farbsystem kommt, verliert sich ferner im Laufe der Zeit deren hydrophobierende Wirkung durch Witterungseinflüsse wie Regen. Beim Einsatz von Siliconölen und -harzen ist die hydrophobierende Wirkung permanent, da sie besonders fest an den Kapillarwänden verankert werden. Dies geschieht auf unterschiedliche Weise: Zum einen über Siloxandipole, wobei sich die Sauerstoffatome des Siloxanes zur festen Oberfläche orientieren (s. Abbildung 12.6), während sich die Methylgruppen zu einer dichten Packung ausrichten. Hier erfolgt die Steigerung des Hydrophobieeffektes durch die Verdichtung der Methylengruppenpackung. Zum anderen führen reaktive Gruppen, wie Alkoxygruppen der Siliconharze, zu einem festen Verbund mit dem Füllstoff oder Substrat. Sie reagieren unter Abspaltung von Alkohol (Methanol, Ethanol) und gewährleisten somit eine dauerhafte Hydrophobierung, die nicht durch Witterungseinflüsse verringert werden kann (s. Abbildung 12.5).
12.3 Chemische Strukturen Die Silicone lassen sich allgemein in die Produktgruppen Öle, Fette, Harze und Kautschuk gliedern. Als Hydrophobierungsmittel für wässrige Farbsysteme haben sich die Siliconöle und -harze durchgesetzt. Bei den Siliconen handelt es sich um siliciumorganische Polymere mit Si-O-Si Bindungen. An die weiteren freien Valenzen des Siliciums sind organische Reste, meist Methyl- über Si- C Bindungen, geknüpft. Aufgrund ihrer Bindungen nehmen Silicone somit eine Mittelstellung zwischen anorganischen und organischen Polymeren ein; im Besonderen zwischen Silicaten und organischen Polymeren [2]. Die Bindungen sind sehr stabil und geben den Siliconen hochinteressante Merkmale. Um nur einige zu nennen: Sie besitzen thermische Eigenschaften und sind wetterstabil. Ferner besitzen Sie eine hydrophobierende Wirkung, sind oberflächenaktiv und besitzen Trenn- und Gleiteigenschaften. Der einfachste lineare Polymeraufbau eines Silicons mit Organogruppen ist demnach.
Abbildung 12.7: Einfachster linearer Siliconaufbau
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Hydrophobierungsmittel
Aufgrund der Verbindung des Siliciumatoms mit dem Sauerstoff (Siloxan) und organischen Restgruppen, spricht man bei den Siliconen auch von Polyorganosiloxane oder Organopolysiloxane. Bei der Vielfältigkeit der Verbindungstypen und Möglichkeiten hat sich das Einführen von Siliconbaueinheiten als nützlich erwiesen. Mit diesen lassen sich die recht komplizierten Polymergebilde der Polysiloxane einfach und übersichtlich darstellen. Dabei gliedert man die Siloxaneinheiten nach ihrer Funktionalität d.h. nach den freien Valenzen des Sauerstoffes am Silicium. Die Einheiten sind demnach mono, di, tri und tetrafunktionell. Im weiteren Verlauf werden die Einheiten als M, D, T und Q Einheiten abgekürzt (s. Tabelle 12.1). M-Siloxaneinheiten können sich mit ihresgleichen aufgrund ihrer Monofunktionalität nur einmal zu einem Hexaorganodisiloxan des Typs M2 verbinden. In Kombination mit höherfunktionellen Einheiten dienen die M- Siloxane als Kettenstopper. R3Si-O-SiR3 (M2) Die difunktionellen D-Einheiten ergeben mit sich selbst ringförmige Siloxane. Der kleinste Cyclosiloxan besteht aus drei Einheiten (D3), aber auch D4 und D5 Siloxane sind erhältlich. Kombinationen mit M- Einheiten ergeben kettenförmige lineare Siloxane. Miteinander verknüpft ergeben T-Siloxane räumlich vernetzte Moleküle und in Kombination mit mono- und difunktionellen Einheiten harzförmige Makromoleküle [2]. Tabelle 12.1: Mono-, di-, tri- und tetrafunktionelle Siloxane [4]
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Strukturschema
Zusammenfassung
Funktionalität
Symbol
R3Si-O-
R3SiO
monofunktionell
M
R2SiO2/2
difunktionell
D
RSiO3/2
trifunktionell
T
SiO4/2
terafunktionell
Q
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Chemische Strukturen
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12.3.1 Lineare Polysiloxane und organofunktionelle Polysiloxane Lineare Polysiloxane werden allgemeinsprachlich als Siliconöle bezeichnet. Deren Molekülaufbau besteht lediglich aus M- und D- Einheiten. M-D-D-D-D-D-M
Lineare organofunktionelle Polysiloxane, sind ebenfalls primär aus M- und DEinheiten konstruiert. Sie enthalten zusätzlich noch mindestens eine funktionelle Gruppe über einer Silicium Kohlenstoff Bindung. Als Hydrophobierungsmittel sind die aminofunktionellen Polysiloxane relevant, welche häufig auch als Siliconöle bezeichnet werden.
Lineare Polysiloxane werden entweder als flüssige Ölkonzentrate oder gelöst in Lösemitteln geliefert. Sie sind aber auch als Emulsionen erhältlich. Diese Produkte erzielen eine gute Hydrophobierung, reduzieren die Wasseraufnahme in Farben und implizieren einen hohen Kontaktwinkel. Höhere Kontaktwinkel sind aufgrund des damit verbundenen Abperleffektes von Fassadenfarben wünschenswert. Um diesen Effekt zu erzielen, sind Randwinkel an der Farboberfläche von mehr als 140° nötig. Emulsionen ergeben zuerst eine geringere Wirksamkeit im Hinblick auf den Randwinkel, da amphiphile Substanzen in den Emulsionen den Hydrophobieeffekt reduzieren. Wenn aber durch Regen alle hydrophilen Emulgatoren ausgewaschen wurden, erhöht sich auch der Randwinkel der Farbe. Hingegen verleihen Lösungen von Polysiloxanen einer Farbe sofort höhere Kontaktwinkel, da sie keine Emulgatoren beinhalten. Die Annahme, dass das Abperlen von Regentropfen zu einem sauberen Bild der Fassade beitragen würde, kann leider nicht bestätigt werden. Vielmehr ergaben Untersuchungen eher eine erhöhte Affinität zur Verschmutzung (s. Tabelle 12.3, Seite 221).
Lineare Polysiloxane besitzen eine sehr gute Beständigkeit gegen UV-Strahlen, Hitze, Regen und sind außerdem sehr alkalibeständig, weshalb sie gerne in Dispersionssilikatfarben eingesetzt werden. 12.3.2 Siliconharze / Siliconharzemulsionen Siliconharze unterscheiden sich von den bisher behandelten Siliconölen dadurch, dass hier zusätzlich zum kettenbildende Dimethyldichlorsilan, netzwerkbildende Trichlorsilane als Grundbaustein eingesetzt werden. Zur Veranschaulichung wird eine einfache Kombinatorik von den vier Grundbausteinen M, D, T, und Q erstellt. Demnach gibt es 15 möglichen Kombinationen (s. Tabelle 12.2, Seite 216):
Die Kombinationen DM, DD und MM enthalten keine Verzweigungen und gehören daher nicht zu den Harzen. Kombinationen mit Q-Einheiten haben eine untergeordnete Bedeutung zur Hydrophobierung von Farben. Es bleiben daher nur die Möglichkeiten TD, TM, TDM und TT, die alle in technischen Harzprodukten realisiert sind [3].
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Hydrophobierungsmittel
Tabelle 12.2: Kombinationsmöglichkeiten nach Noll: Chemie und Technologie der Silicone [3] Klasse
Siloxaneinheiten
Klasse
Siloxaneinheiten
1
QT
9
QDM
2
QD
10
TDM
3
QM
11
QTDM
4
TD
12
TT
5
TM
13
DD
6
DM
14
MM
7
QTD
15
QQ
8
QTM
Zur Herstellung von Siliconharzen, die für den Einsatz in Siliconharz-Fassadenfarben verwendet werden, haben sich derzeit Harze etabliert, die auf den Bauelementen TT, TD und TDM basieren. TT- Siliconharze verfilmen, je nach Kondensationsgrad, bei Raumtemperatur zu klaren, harten bis zu spröden Filmen. TD oder TDM Harze trocknen je nach Verhältnis zu weichen bis harten Filmen. Zum Einsatz in Fassadenfarben, besonders in Siliconharzfassadenfarben, werden ausschließlich wässrige Harzemulsionen verwendet. 12.3.3 Weitere Hydrophobierungsmittel Neben Polysiloxanen werden in der Praxis auch Paraffine (ungesättigte Hydrocarbonate mit der allgemeinen Formel CnH 2n+2 mit n im Bereich von 25–50), Polyethylen und Polypropylen-Wachse verwendet. Diese Polymere haben eine Molekularmasse von 1000 bis 4000. Sie sind unlöslich in Wasser und organischen Lösemitteln und werden in Form von mikronisierten Dispersionen angewendet (wässrig und lösemittelhaltig). Auch Polyfluorcarbonate finden Verwendung, ihre Molekularmassen befinden sich im Bereich 1000 und 5000 [4]. 12.3.4 Herstellungsverfahren von linearen Polysiloxanen Ausgangsprodukte zur Herstellung von Polysiloxane sind Chlorsilane, die durch Hydrolyse zu oligomeren und /oder cyclischen Dimethylsiloxanen umgesetzt werden. Bei der klassischen Methode wird Dimethyldichlorsilane in Dimethylsiloxane überführt. Es entsteht ein Gemisch aus cyclischen und linearen OH-endständigen Oligomeren. Je nach Hydrolysebedingung lässt sich das Verhältnis von cyclisch zu linear sowie ihre Kettenlänge beeinflussen.
Abbildung 12.8: Hydrolyse von Dimethyldichlorsilan Abbildung 12.8: Hydrolyse von Dimethyldichlorsilan
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Chemische Strukturen
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Abbildung 12.9: Additionsreaktion von Allylamin zu aminofunktionellen Polysiloxan
Bei der kontinuierlichen Hydrolyse kann das Silan vollständig in lineare OH-endständige Siloxane überführt werden. Dies geschieht durch eine Aufspaltung der Siloxanbindung mittels eines Katalysators. Das Cyclosiloxan wird in diesen Prozess kontinuierlich abdestilliert und in den Hydrolysekreislauf zurückgeführt [3].
Die in beiden Prozessen anfallende Salzsäure wird wieder mit Methanol zu Methylchlorid umgesetzt und in die Silansynthese zurückgeführt.
Der zweite Schritt nach der Hydrolyse ist entweder die Polykondensation der linearen Siloxanoligomere, oder die Polymerisation der Cyclosiloxane zu linearen Polysiloxanen. Dieser Vorgang kann sowohl alkalisch als auch sauer katalysiert werden. In beiden Fällen handelt es sich um eine Gleichgewichtsreaktion, die über die Reaktionsbedingungen bestimmt werden kann. Je nach Bedingung werden Siloxanketten gespalten oder neu geknüpft. Diesen Vorgang nennt man Äquilibrierung [3] . Mit Hilfe der Äquilibrierung kann die gewünschte mittlere Kettenlänge des Siliconöls eingestellt werden. Organofunktionelle Polysiloxane werden meist mittels Hydrosilylierung hergestellt. Verwendung finden dabei SiH-funktionelle Siloxane, die über eine radikalische Additionsreaktion mit den Doppelbindungen von Vinyl oder Allyl Verbindungen reagieren. Als Katalysator wird bevorzugt Platin verwendet. In der unteren Reaktionsgleichung ist eine vereinfachte Darstellung der Addition von Allylamin zu einem aminofunktionellen Polysiloxan zu sehen (Abbildung 12.9). 12.3.5 Herstellung von Siliconharzemulsionen Zur Herstellung von Siliconharzen stehen verschiedene Verfahren zur Auswahl: 12.3.5.1 Sekundäremulsionsverfahren Bei dieser klassischen Methode wird im ersten Verfahrensschritt ein festes Siliconharz hergestellt. Durch eine katalytische Polykondensation, wie bei den Ölen beschrieben, werden aus den Silanmonomeren ein vernetztes noch flüssiges Oligomer hergestellt. Dieses Oligomer wird weiter zu einem Festharz kondensiert, das noch lösbar ist in aromatischen oder aliphatischen Lösemitteln. Anschließend wird in einer zweiten Stufe das Festharz in geeigneten Lösemitteln gelöst, bevor es dann in einem dritten und letzten Schritt in Wasser emulgiert wird. Die resultierenden
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Hydrophobierungsmittel
Siliconharzemulsionen können aufgrund dieses Verfahrens Restlösemittelanteile von bis zu 15 % enthalten. Moderne Herstellungsverfahren erlauben es jedoch heute auch Sekundäremulsionen mit geringeren Lösemittelgehalten herzustellen. Siliconharzemulsionen, welche über ein vorgefertigtes Polymer hergestellt werden und anschließend emulgieren, werden als Sekundäremulsion bezeichnet. 12.3.5.2 Primäremulsionsverfahren Eine weitere Möglichkeit Siliconharzemulsionen herzustellen, diesmal aber lösemittelarm, ist die Emulsionspolykondensation. Bei diesen Primäremulsionsverfahren kann ein lösemittelfreies, flüssige Oligomerharz in den Emulsionstropfen weiter zum Festharz kondensieren oder es wird von Anfang an ein Silan/Siloxan/ Siliconharz-Gemisch verwendet. Für die Herstellung von Primäremulsionen ist die Verwendung von Lösemitteln nicht erforderlich. Somit können die Emulsionen als sehr lösemittelarm betrachtet werden.
12.4 Wässrige Fassadenfarben 12.4.1
Kunststoffdispersionsfarben
Bei den Dispersionsfarben gibt es eine große Produktvielfalt. Sie reicht von atmungsdichten, glänzenden bis zu offenen, matten Systemen. Die glänzenden Farben haben einen höheren Bindemittelanteil und sind deshalb weniger atmungsaktiv. Durch ihren geschlossenen Farbfilm schützen sie zwar die Fassade sehr gut vor Schlagregen und Feuchtigkeit, sind aber nicht wasserdampfdiffusionsfähig. Hingegen sind die oberkritisch formulierten matten Dispersionsfarben atmungsaktiv, benötigen aber Siliconharze oder Polysiloxane um die Kapillaren auszuklei den. Unter Verwendung von Siliconharzen zählen sie wieder zur Kategorie der Siliconharzfassadenfarben. 12.4.2 Dispersionssilikatfarben Das charakteristische Bindemittel von Dispersions-Silikatfarben ist Wasserglas. In Dispersionssilikatfarben kommen Kaliumsilikate als Lösung oder Hydrat, sogenannte Kaliwassergläser, zum Einsatz. Diese sind gegenüber den Natriumwassergläsern beständiger und neigen weniger zur Salzausblühung. Zur Stabilisierung wird neben Wasserglas zusätzlich ein organisches Bindemittel wie z.B. Styrolacrylat Dispersion verwendet. Nach DIN 18363 darf dieser Anteil aber nicht mehr als 5 % organisches Polymer übersteigen. In Verbindung mit weiteren Hilfsmitteln sind Dispersions-Silikatfarben gegenüber Reinsilikatfarben monatelang stabil und direkt verarbeitungsfähig. Reine Silikatsysteme müssen vorher gemischt und eine Reifezeit überdauern; sie sind zweikomponentig. Silikat-Farbsysteme trocknen sowohl physikalisch durch Verdunstung von Wasser als auch chemisch. Dabei laufen viele
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Wässrige Fassadenfarben
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Abbildung 12.10: Reaktionsgleichung Silikate
Reaktionen gleichzeitig ab. Bei der Verkieselung reagieren die alkalischen Silikate mit Kohlendioxid aus der Luft unter Bildung entsprechender Carbonate und Silicagel [5] (s. Abbildung 12.10). Auf mineralischen Untergründen reagieren Silikate unter Bildung von Calciummetasilikaten auch mit dem Calciumhydroxid. Anstriche auf Basis von Wasserglas sind starr spröde und haben eine typische mineralische, matte Erscheinung. Außerdem sind sie sehr offenporig und damit atmungsaktiv. Um die kapillare Wasseraufnahme zu reduzieren finden dort lineare (funktionelle) Polysiloxane Einsatz. Wegen des hohen pH-Wertes von Wassergläsern ist der Einsatz von Siliconharzen nur bedingt möglich, außerdem sollten nur sehr alkalistabile Dispersionen, Hilfsstoffe und Pigmente verwendet werden. Des Weiteren sollten bestimmte Vorsichtsmaßnahmen [6] eingehalten werden: • • • •
Augenschutz Vermeiden von Hautkontakt; unverzüglich bei Kontakt mit viel Wasser spülen Spritzer auf Glas, Aluminium und Lack wegen starker Verätzung vermeiden Einsatz von alkalistabilen anorganischen Pigmenten, Additiven und Dispersio nen
12.4.3 Dispersionsfarben mit Silikatcharakter (SIL-Farben) Dispersionsfarben mit Silikatcharakter werden schon seit mehr als 25 Jahren verwendet. Aufgrund ihrer Formulierung mit Quarzmehl oder anderen mineralischen Füllstoffen sind sie besonders offenporig bzw. kapillaraktiv. Zur Verminderung ihrer Wasseraufnahme werden deswegen Siliconharze oder funktionelle Polysiloxane eingesetzt. Sie werden besonders dort eingesetzt, wo eine mineralisch matte Optik gewünscht wird. 12.4.4 Siloxanfassadenfarben mit starkem Abperleffekt Vor einigen Jahren kamen Farben auf den Markt, die durch ihre starke Hydrophobie auffielen. Die Wasserabweisung an der Farboberfläche ist so enorm, dass Wasser in Tropfen an dieser regelrecht abperlen, etwa wie an einem Lotusblatt. Um einen solchen Abperleffekt zu erzielen benötigt man Randwinkel >140°. Farben dieser Art bekamen deshalb den Beinamen Lotuseffektfarben. Hervorgerufen wird dieser Abperleffekt durch Verwendung geeigneter Hydrophobierungsmittel und durch eine spezielle Oberflächenstruktur der Beschichtung. Mit Hilfe von bestimmten Füllstoffen wird eine Mikronoppen-Struktur produziert, die in Kombination von
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Hydrophobierungsmittel
aminofunktionellen Polysiloxanen einen starken Abperleffekt hervorrufen. Bei der Rohstoffauswahl sollten alle Komponenten möglichst emulgatorarm sein, da ansonsten der Effekt verschlechtert wird. Netzmittel und Emulgatoren verkleinern den Randwinkel und zerstören den Abperleffekt. Aus diesem Grund werden Polysiloxane verwendet, die in Lösemitteln gelöst und nicht in Wasser emulgiert sind. Diese Farben zeichnen sich durch eine geringe Wasseraufnahme und hohe Wasserdampfdiffusion aus. Ein Nachteil von Lotuseffektfarben ist ihre hohe Verschmutzungsneigung (s. Tabelle 12.3, Seite 221). 12.4.5 Siliconharzfassadenfarben Ein wichtiger Bestandteil in Siliconharzfassadenfarben sind Siliconharzemulsionen, die als Co–Bindemittel oder Hydrophobierungsmittel dienen. Die Einsatzkonzentration von Siliconharzen in Beschichtungen beläuft sich auf 2 % bis 12 %. In Siliconharzfassadenfarben werden öfters auch Kombinationen von Siliconharzen und modifizierten Siliconölen verwendet. Die Farben sind augrund ihrer Atmungsaktivität überkritisch formuliert (s. PVK), d.h. sie besitzen einen geringeren Bindemittelanteil und hohe Anteile an Pigmenten und Füllstoffen. Die Siliconharze reagieren rasch über die Alkoxy-Reaktion mit sich selbst und den Füllstoffen zu einem Netzwerk und sind somit besonders früh und dauerhaft wasserabweisend. Da Siliconharze die Poren der Farbe nur auskleiden, haben sie auch keine oder nur geringfügig Auswirkung auf die Wasserdampfdiffusionsfähigkeit der Beschichtung. Die Höhe der Atmungsaktivität der Farbfilme hängt primär von der Art und der Höhe des eingesetzten organischen Bindemittels (z.B. Styrol/Acrylat Dispersionen) und nicht vom Siliconharz ab. Es besteht auch kein Unterschied zwischen den harten Siliconharz-Typen, die überwiegend auf T-Einheiten, oder den flexibleren TD-Siliconharzen mit höherem D-Anteil basieren. Durch die geringe Oberflächenspannung und das daraus resultierende Kriechvermögen verteilen sich die Siliconharze auf den Wandungen großer und kleiner Poren ohne den Porenradius zu verändern [2]. Deshalb ist es ist auch fraglich, ob man Siliconharze als Bindemittel anerkennen kann und in der PVK–Berechnung mit einbezieht. Siliconharze haben eine geringere Verschmutzungsneigung als die linearen nichttrocknenden Polysiloxane (Siliconöle). Aufgrund des öligen Charakters der linearen Polysiloxane und ihrer Thermoplastizität, vermutet man eine höhere Affinität zum Schmutz, da sie ein Aufkleben der Schmutzpartikel an der Farboberfläche begünstigen. Das Phänomen zur Schmutzanfälligkeit ist bis heute nicht ganz aufgeklärt. Bekannt ist, dass die Schmutzaufnahme von Einflußgrößen, wie Glasübergangstemperatur (Tg), Rauigkeit, Art des Schmutzes (hydrophob, hydrophil), die Witterungsverhältnisse (Sahara-Wetter oder Industrie) und vielen anderen Umständen abhängt. Die Beschreibung der Wirkungsweise zwischen den Einflussgrößen ist derzeit jedoch nicht möglich. Der Sachverhalt der Anschmutzneigung kann nicht einfach nur über die Thermoplastizität oder die Härte der Siliconharze erklärt werden, sondern ist
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Wässrige Fassadenfarben
Tabelle 12.3: Verschiedene Fassadenfarben im Vergleich Farbe
WasserWasserabsorption dampfdiffusion
Verschmutzungsgrad VG [%]
Kontaktwinkel [°]
W24-Wert
Freibewitterung
sofort nach 3 Minuten
Sd-Wert [m]
Schmutzmaschine
(n. 24 Monaten)
SHF Farbe 1 TD Harz (soft)
0,06
0,089
20,1
9,4
104
60
SHF Farbe 2 TD Harz (hart)
0,11
0,099
19,9
17,0
107
88
Dispersionsfarbe 1 Aminosiloxan Emulsion
0,09
0,088
21,4
14,6
120
62
Dispersionsfarbe 2 Aminosiloxan Lösung
0,09
0,083
22,2
16,5
135
121
0,08
0,073
25,7
29,7
148
145
0,09
0,020
12,1
27,3
94
84
Lotuseffektfarbe Silikatfarbe Aminosiloxan Emulsion
wesentlich komplexer. Dies zeigt Tabelle 12.3. Dort wurden in einer überkritischen Farbe je 8 % von zwei aminofunktionellen Polysiloxanen (Dispersionsfarbe 1&2), ein Siliconharz mit hohem T-Anteil (hart)- und ein TD –Harz mit niedrigen T-Einheiten (soft) verglichen (SHF 2 &1). Neben der w24-Wasserabsorption wurden die Atmungsaktivität, die Kontaktwinkel und die Anschmutzneigung in der Freibewitterung und in einer Schmutzmaschine simuliert. In der künstlichen Beschmutzung zeigte das weichere TD-Harz die geringste Affinität zum Schmutz. Das härtere Siliconharz zeigte in der Schmutzmaschine die größte Verschmutzung, gefolgt von beiden Amino-Polydimethylsiloxanen. In der Freibewitterung hingegen zeigten die unterschiedlichen Harze vergleichbare Werte. Die ermittelten sd-Werte sind ebenfalls ähnlich, ob mit Öl oder Siliconharz. Das lässt den Schluss zu, dass der Verzweigungsgrad eines Siliconharzes weder eine Aussage über die Verschmutzungsneigung, noch über deren anderen Leistungsmerkmale Abbildung 12.11: Fassadenfarben nach künstlicher Beschmutzung zulässt.
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Hydrophobierungsmittel
12.5 Schlussfolgerung Aufgrund der hohen Kombinationsmöglichkeiten der Silicone stehen der Bautenfarbenindustrie eine große Produktvielfalt zur Verfügung. Diese ermöglichen Formulierern leistungsfähige Fassadenschutzfarben zu entwickeln, die einerseits atmungsaktiv sind und auf der anderen Seite Schlagregen und anderen Witterungseinflüssen trotzen können. Wegen der hohen Effizienz, der dauerhaften Wirkungsweise und der Überstreichbarkeit, haben sich Polysiloxane und Siliconharze gegenüber anderen Hydrophobierungsmitteln im Markt durchgesetzt.
12.6 Grundlagen zur Vertiefung 12.6.1
Fassadenschutztheorie nach Künzel:
In Künzels Fassadenschutztheorie aus den 60zigern spielen zwei Eigenschaften eine wichtige Rolle: die Wasseraufnahmekapazität des Substrates und die Wasserdampfdurchlässigkeit der Beschichtung. Er zeigte die Notwendigkeit einer schützenden Beschichtung vor Feuchtigkeit und die Atmungsaktivität gegenüber Wasserdampf auf. Zwei Messgrößen wird in seiner Theorie eine besondere große Bedeutung beigemessen. Erstens dem Wasseraufnahmekoeffizienten (w-Wert) und zweitens der Wasserdampfdiffusion (sd-Wert). Der w-Wert stellt die kapillare Wasseraufnahme eines porösen Baustoffes in Abhängigkeit von der Zeit dar und wird in kg/m2 √h angegeben. Beim sd-Wert handelt es sich um den Wasserdampf-Durchlasswiderstand einer Beschichtung. Er wird in Metern angegeben. Je größer der Wert, desto höher ist der Widerstand und somit die Diffusionsundurchlässigkeit des Farbfilms. Für eine optimale Farbe sollen beide Werte gegen Null gehen. Künzel legte die Werte für die damaligen Ansprüche von Beschichtungen fest. Kapillare Wasseraufnahme w-Wert ≤ 0,5 kg/m2 √h Wasserdampfdiffusion sd-Wert ≤ 2 m Als Ergebnis aus dem Produkt w * sd soll sich ein Wert ≤ 0,1kg/m√h ergeben (Darstellung s. Abbildung 12.12 gestreifte Fläche).
Abbildung 12.12: Fassadenschutztheorie nach Künzel
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Beschichtungen, die innerhalb der gelben Fläche liegen, boten für damalige Anforderungen den größten Schutz. Durch Künzel angeregt
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Grundlagen zur Vertiefung
und wegen Erhöhung der Qualitätsanforderungen von Außenfarben, wurde die Entwicklung in den letzten Jahrzehnten immer weiter optimiert. Siliconharzfassadenfarben erzielen heute wWerte unter 0,1 kg/m2 √h und sd-Wert < 0,14 m. 12.6.2 Messung der kapillaren Wasseraufnahme (w-Wert)
Abbildung 12.13: Prüfung der Wasseraufnahme nach EN 1062-3
Die kapillare Wasseraufnahme wird in Anlehnung an EN 1062-3 bestimmt. Als Substrat dienen Prüfkörper aus Kalksandstein. DIN EN 1062-3 schreibt eine dreimalige Wässerung der beschichteten Prüfsteine vor. Dabei werden die wasserlöslichen Bestandteile der Farbe herausgewaschen. Die vierte Wässerung wird dann für die Berechnung des w24-Wertes herangezogen. Der w-Wert ist definiert als aufgenommene Wassermenge in kg pro Fläche in m2 und der Wurzel aus der Zeitdauer. Beispiel: Wasseraufnahme 0,5 kg/m2 nach 24 Stunden Wasserlagerung:
Die Genauigkeit des ermittelten w-Wertes nimmt mit zunehmender Schichtdicke der Beschichtung zu. Der w-Wert selber ist schichtdickenunabhängig, denn die Saugwirkung des Untergrunds verliert an Einfluss, solange die Barrierewirkung der Beschichtung erhalten bleibt (Abbildung 12.13, Tabelle 12.4). 12.6.3 Wasserdampfdiffusion (sd-Wert)
Nach Künzel lässt sich ein quantitativer Zusammenhang zwischen der wasserabweisenden Wirkung einer Beschichtung und ihrer Atmungsaktivität, ihrer Durchlässigkeit gegenüber Wasserdampf, herstellen. Nach DIN EN ISO 7783-2 wird Tabelle 12.4: Klassifizierung der Wasseraufnahme nach EN 1062-3 Klasse
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Wasserabsorption
w-Wert
III
Niedrig
< 0,1
II
Mittel
0,1 bis 0,5
I
Hoch
> 0,5
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Hydrophobierungsmittel
Tabelle 12.5: Einteilung nach der Wasserdampf-Diffusionsstromdichte Klasse
Wasserdampf-Diffusionsstromdichte V
sd
g/(m2 ·d)
g/(m2 ·d)
m
I (hoch*)
>150
>6