1813 – Festrede zur Jahrhunderterfeier der Stadt und der Universität Gießen gehalten am 1. Juni 1913 [Reprint 2021 ed.] 9783112466360, 9783112466353


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1813 – Festrede zur Jahrhunderterfeier der Stadt und der Universität Gießen gehalten am 1. Juni 1913 [Reprint 2021 ed.]
 9783112466360, 9783112466353

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1813 Festrede zur

Jahrhundertfeier der Stabt und Universität Gießen gehalten am 1. Juni 1913

Pros. D. Samuel Eck Rektor der Ludwigzuniversität

Verlag von Alfred Töpelmann (vormals 3- Nicker) Gießen 1913

hochgeehrte Festversammlung!

Mitbürger!

Kollegen!

Kommilitonen!

Meine Damen und Herren!

3u einer Jahrhundertfeier versammelt.

zurück.

Nach

vergangenen

sind wir in diesem festlichen Raum

Tagen

unseres

Volkes

schauen

wir

Lin Zwiefaches steht damit an der Schwelle unsrer Gedanken.

Die Tatsache zuerst, daß der Geist diese wunderbare Zähigkeit besitzt, Vergangenheit nicht vergangen sein zu lassen, aus seinem Gegen­

wartsleben diese Toten anzuhauchen, daß sie in seinem Bewußtsein wie Lebende wieder wandeln auf grünem Plan,

ihr

Schmerz

und

ihre

Freude, ihr Kampf und ihr Sieg wie heute Miterlebtes uns durch die

Seele zieht.

Line wunderbare Fähigkeit,

was wäre der Mensch -

was wäre ein Volk, eine Nation ohne diese stolze herrscherkrast über

Steigt auf

Tod und Vergangenheit, die unserm Bewußtsein eignet?

aus den Tiefen des Gewesenen, Niemals-wiederkehrenden, ihr ernsten Schatten der Geschichte, daß wir Luch als Lebende schauen!

Aber weiter: unsre Vergangenheit!

Nicht wie ein Schauspiel,

ein grandioses, aber doch ein Schauspiel nur, sehen wir heute fremder

Schicksal, mächtig, ungeheuer, aus der Bühne der Weltgeschichte sich voll­

ziehen.

wir, wir selbst, so wie wir sind, sind an dieser Vergangen­

heit unmittelbar beteiligt.

Man kann der Hellen Wipfel und der stolzen

Kronen sich nicht freuen, ohne des Stammes zu gedenken, der sie trägt

Man kann alle Fülle und allen Reichtum, aber auch alle Sorge und

alle Not der Gegenwart nicht voll, bewußt empfinden, ohne zu fragen,

wie das wurde, aus welchen Schmerzen es geboren, mit welchen Hoff­ nungen es ins Leben getreten ist.

Unsre Vergangenheit!

Line Nation

4 ist nicht ein Wesen, das an irgend einem heute aus blanker Erde wächst: sie ist nur, was sie wurde — und sie wurde, was sie ist, nur

durch die Kraft und die Tat derer, die ihren Namen zuvor geführt,

ihre Sprache zuvor geredet, ihr tiefstes Empfinden zuvor bestimmt, wir gedenken der Vergangenheit heute, weil es unsere Vergangenheit

ist, weil auf ihr unsere Gegenwart sich erbaut und wir im voraus gewiß sein wollen, daß das Beste jener Tage durch die 100 Jahre, die uns von ihnen trennen, nicht ausgelöscht sein kann aus dem Grunde

deutschen Lebens.

1813! — Tin Jahr der Schlachten,

unerhörten Blutvergießens

auf deutscher Erde; in den wenigen Wochen,

da in dem Jahre die

Waffen ruhen, gezwungen ruhen, gefeffelt von der unheimlichen Macht der klugen Staatsmänner, geht tiefe fingst und wilde Empörung durch

die Seele der Besten: sie wollen den Frieden nicht, sie wollen schlecht­ hin Sieg oder Untergang — und ein Jubelruf entringt sich ihrer Brust, als das Schwert - das gute Schwert Blüchers — wieder aus der Scheide

die Kanonen wieder ihre donnernde Sprache führen dürfen,

fährt,

wofür das Blut?

Wofür kämpften sie?

Wofür türmten sie Leichen

über Leichen?

wir wollen die fintwort auf die Frage nicht auf der Oberfläche suchen.

Sie kämpften zweifellos dafür,

eine Nation für sich sein zu

dürfen, ein Volkstum, das sich alle Ordnungen seines Lebens aus eige­ nem Empfinden, nach eignem Willen gestalten durste.

Nicht um die

Freiheit überhaupt - die gibt es gar nicht - erhoben sie die Waffen, sie taten es um die Freiheit, die sie meinten, d. i. um das Recht, aus eigner Tiefe heraus ihr Leben leben, ihre Gedanken denken, ihr Haus,

ihre Stadt, ihren Staat erbauen zu dürfen.

Da sollte der Fremde

ihnen nichts drein reden, und mochten seine Gedanken noch so groß

und frei, und seine Gesetze noch so neuzeitlich-freisinnig erscheinen.

Sie

wollten sie selbst sein und bleiben.

Aber was war dies deutsche Selbst, wollte?

Gern

scheidet

man,

wenn man

das

jener

sich hier

Tage

behaupten

gedenkt,

die

Zeiten voneinander: die Zeiten der Gedanken und die Zeiten der Tat.

5 Großes, gewiß, hatte unsre deutsche Erde auch zuvor

erzeugt:

eine

Dichtung ohnegleichen in der Neuzeit, eine Wissenschaft, die die Führung in der Veit an sich gerissen hatte,-

die eine hatte im Herzen dieses

Landes, am Fuße der Thüringer Berge sich wundersam entfaltet, die

andere hatte von der äußersten Gstgrenze her, eine schwere Gedanken­ masse, sich herübergewälzt; beide vereint hatten der deutschen Köpfe und Herzen sich bemächtigt: man kann sie nicht voneinander trennen:

Goethe und Kant.

Nicht darauf kommt es an, daß

der Laus dieser

Flüsse sich begegnete, und sie vereint den einen mächtigen Strom deut­ schen

Geisteslebens bildeten,

darauf vielmehr, daß diese Dichter im

eigentlichen und schwersten Sinne Denker waren, daß sie in die plasti­ schen Gestalten ihrer Phantasie und in den rhythmischen Fluß ihrer

Rede die ganze Not und befreiende Macht tiefster Welt- und Lebens­

anschauung hineinzugestalten wußten, — darauf, daß diese Denker der Wissenschaft letzthin Dichter waren, die in nüchterne Kategorientafeln

und langgesponnene Gedankenschlüsse eine

Glut innerer Ergriffenheit,

die ganze Wucht persönlicher Gemütsüberzeugung Hineinzugeheimnissen

wußten; dort war die Dichtung auf deutschem Boden nicht zu leichtem flüchtigem Spiel der Erholung, hier war die Wissenschaft in deutschen

Köpfen nicht zu bloßem kühlem Wissen da: beide vereint, wahlver­ wandt, wurzelten in der Tiefe kraftvollen Gemütslebens und ließen

aus dieser Tiefe ihre stolzen Lebensbäume wachsen.

Dennoch in einer Welt der Gedanken,

sagt man, lebte diese

deutsche Seele und die Zeit der Tat kam über sie.

Sie zertrümmerte

die Gedankengebilde, stellte die Träumer vor die einfachsten Fragen der Existenz, des nackten Lebens, und es zeigte sich, daß all dies Denken

und Dichten keinen Fußbreit

deutschen Landes zu verteidigen,

deutsche Hütte vor roher Gewalt zu wahren vermochte.

keine

Es mußte

eine neue Zeit auf deutscher Erde die Männer der Tat ins

Leben

rufen: nur ein neues Geschlecht konnte die neuen furchtbaren Schicksals­

fragen bewältigen. So scheiden wir.

Und

gewiß, wer wollte die, ich meine sehr

banale, Wahrheit in Zweifel ziehen: neue Zeiten brauchen neue Männer?

6 Allein in der Wirklichkeit, in oer geschichtlichen Wirklichkeit, scheiden sich die Seiten so, mit einem Messerschnitte, voneinander nie; die eine wächst aus der anderen hervor, die neuen Ranken setzen an den alten Zweigen an, ja, sie saugen ihren Saft aus dem alten Stamme, der ur­ alten Wurzel. In Halle hat man 1806 die ersten Folgen des ver­ nichtenden Schlages von Jena erlebt: Schleiermacher und Steffens haben vom Tore aus der wilden Flucht preußischer Kolonnen zugesehen, sie sind in ihren Wohnungen ausgeplündert worden, ihre Uhren, ihr Geld, alles ist der fremden Soldateska in die Hände gefallen, sie leben von Kartoffeln und trockenem Brot, mehr haben sie nicht. Aber sich beugen werden diese deutschen Professoren nicht. Sie werden mit dem unter­ legenen, schmachvoll zusammenbrechenden Staat leben oder sterben. Der Zorn des Imperators freilich wird die deutsche Hochschule auflosen: die Studentenschaft hat, angeblich oder wirklich, auf offenem Markt dem Allgewaltigen ein pereat zu bringen gewagt. Woher dieser Trotz? und sollte wirklich ein Studentenstreich die Rache herausfordern können, der eine deutsche Hochschule zum Gpfer fallen mutz? Studentenstreiche in allen Ehren! Aber ich denke, wenn sie so schwer gewogen werden sollen, dann mutz ein eigen-tiefer Sinn hinter ihnen verborgen fein. Napoleon ahnte ihn frühe schon; er glaubte ihn verachten zu dürfen, und der grimmige Hatz, mit dem er ihm begegnete, zeigte doch, daß er in ihm eine Wirklichkeit vor sich sah, ihm unfaßbar, unbegreiflich, aber eben darum für ihn furchtbar, unbezwinglich. Deutscher Ideologie^ rief er 1813 seinem Staatsrat zu, muß man alles Unglück, das Frank­ reich betroffen hat, zuschreiben, hat der Scharfblick des Haffes hier recht gesehen, so steht in dieser Ideologie der große Zusammenhang der Zeiten vor uns. In einer ideellen Welt hatten diese Deutschen zu leben und zu atmen gelernt. Auf ideelle Kräfte bauten sie: das uner­ hörte Neue der Zeit war, datz diese ideellen Kräfte sich als das Realste erwiesen, was es überhaupt gibt, daß sie fähig waren, dem Rad der Weltgeschichte in die Speichen zu fallen, unbezwingliches Schicksal doch zu bezwingen. In den Tagen des Friedens haben sie sich wohl aus­ gebaut, aber sie waren mit sich selbst allein beschäftigt gewesen, sie

7

hatten sich um die Welt um sie her kaum kümmern können, jetzt in -en Tagen der Not, der Schmach, der verderbens erwiesen sie sich als das, was sie waren, reale Kräfte zu realem handeln: deutsche Tat ist

aus deutschem Gedanken geboren. Und wirklich, nicht nur Napoleon hat die Gefahr diese Ideo­ logie gewittert, -

„Nicht Gespenster,

die lvirklichen, sie dringen auf mich ein!" die Zerschlagenen sahen in ihr alsbald die einzige Rettung.

Die Hal­

lenser Professoren entsandten eine Deputation zu dem flüchtigen König an den Hof nach Memel,

in den äußersten nordöstlichen Winkel der

zertrümmerten Monarchie.

In der Rudienz, die sie nach Mitte Rugust

1807 hatten, ist das kühne Königswort gesprochen worden:

„Der

Staat muß durch geistige Kräfte ersetzen, was er an physischen verloren

Das war der Sinn der Männer, die

hat."

gaben.

damals

den König um­

Und alsbald ward das Wort wirklich in Tat umgesetzt: jenes

Königswort ist die eigentliche Gründungsurkunde der Universität Berlin. Man muß dies Blatt deutscher Geschichte recht eingehend lesen:

es ist

eines der stolzesten Ruhmesblätter aus unserer Geschichte, ein Ruhmes­

blatt aus einem Jahr der Schmach: mitten im allgemeinen verderben, unter den blinden,

verständnislos dreinschauenden Rügen französischer

Späher, haben die Beyme, Schleiermacher, Fichte, Humboldt den Plan

der neuen Hochschule entworfen und durchgeführt: der Wissenschaft eine

Heimstätte, während die Welt in Trümmern liegt- die Gedanken zuerst

sollen gehütet werden, sie werden Leben in die toten Gebeine hauchen.

Und doch, so eng der Zusammenhang der Zeiten uns bei dieser Vergegenwärtigung deutscher Ideologie erscheint, es ist nicht der ganze Zusammenhang: war denn diese deutsche Seele wirklich - zuvor, ehe die harten Jahre kamen, - die Träumerseele, als die man sie uns

schildern möchte?

Fast fünfzig Jahre zuvor, gleich nach

dem sieben­

jährigen Kriege, hatte Lessing seine Minna von Barnhelm

gedichtet.

Der König, gegen den er heimlich zornige Briefworte schrieb, der freie

deutsche Mann gegen den despotischen Herrscher,

hatte ihm den Ge-

8 danken der Dichtung eingegeben.

Herrn hatte Kant seine Himmels"

Demselben allergnädigsten König und

„Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des

gewidmet und das

Grundbuch

der deutschen Philosophie,

Kants Kritik der reinen Vernunft, trägt an seiner Spitze den Namen

des preußischen Kultusministers Freiherrn v. Zedlitz.

Goethe endlich:

eine Ahnung echten Heldentums ist dem Knaben in der freien Reichs­

stadt zuerst an den Taten Friedrichs aufgegangen, und als die Kunde seines Todes ihn in Italien erreicht, hält er für einen Augenblick inne

im Schauen der ewigen Bildwerke, im Ergründen der unvergänglichen Naturgesetze, er sinnt, wie der große König nun mit den Heroen seines

Gleichen sich im Schattenreiche unterhalten wird.

Ich meine das ge­

Friedrich war die Tat auf deutschem Boden.

nügt.

Er selbst der

Philosoph und Dichter auf dem Thron, aber in herrlichem Heldenleben

ein unbezwinglich-reiner Wille.

Und dieser Wille galt dem Staat!

d. h. der einheitlichen Zusammenfassung aller Volkskraft zu selbstän­

digem Leben und in sich freier Entfaltung.

Jawohl,

ein Wille zur

Macht war in dieser Königsseele lebendig und dieser Wille hatte sich bewährt, als eine Welt in Waffen wider ihn stand.

Mag an diesem

Willen noch so viel dynastische Überlieferung und dynastischer Ehrgeiz

beteiligt sein, zuletzt doch war es reiner Wille, der sich dem Gedanken der Königspflicht beugte und den Staat, das Ganze, schlechthin über Lust und Leben des Einzelnen erhob.

In Preußens König ging den

Deutschen inmitten ihrer schwächlichen Kleinstaaterei und ihres kläglich zusammenbrechenden römischen Reiches der Gedanke des Staats in seinem

souveränen Einheitswillen und seinem stolzen Selbstbewußtsein auf. Den Deutschen, sage ich.

Denn weithin über Preußens Grenzen

hinaus zog dieser Staatsgedanke allen Stahl in deutschen Männerherzen

an sich.

Alle schmachvolle Erinnerung an Rheinbund und Westfälisches

Königreich - ich will von ihnen kein Wort weiter sagen — ist ausgelöscht, meine ich, in einer großen Tatsache: die Führer der Freiheits­

kriege, die Größten von 1813,

sind dem preußischen Staat in den

Jahren der Not geschenkt von dem ganzen deutschen Vaterland: zu dem Hannoveraner Scharnhorst, dem Franken Gneisenau, dem Mecklenburger

9 Blücher gesellen sich der Dithmarsche Niebuhr, der Rügener L. ITC. Arndt, der Sachse Fichte, und mitten unter ihnen, sie alle um Haupteslänge

überragend, der Größte unter den Großen, der Deutscheste unter den Deutschen jener Tage, das Rind der Nassauer Berge und der Lahn, der Freiherr Karl von und zum Stein.

Wenn man wägen, nicht zählen

will, dann darf man getrost im Gedenken jener Tage sagen:

„Das ganze Deutschland mußt' es sein!"

Und man versteht es, was Fichte 1808 in Berlin gesprochen: ich rede zu Deutschen schlechtweg, von Deutschen schlechtweg. Deutschland allerdings,

Aber das ganze

das (Eifen dieser Männer, wie mit Allgewalt

hingezogen zu dem einzigen echten politischen Gebilde jener Tage: dem Staat Friedrichs des Großen.

Wie?

Brach er denn nicht hoffnungslos zusammen, dieser Staat

unter den raschen,

erbarmungslosen Schlägen des genialen korsischen

Emporkömmlings?

Jawohl, das war geschehen.

(Es war, als ob in

diesem Staat nur zwei Augen gewacht, alle übrigen geschlafen hätten; und wie nun die einzig wachen sich auch geschloffen hatten, da war

niemand mehr da, die Zeichen der Zeit zu erkennen, die Schritte des

nahenden Schicksals zu messen.

1808, am 24. Januar, einem „ehedem

in diesen Ländern viel gefeierten Tag, dem Geburtsfest des großen Königs", predigt in der Dreifaltigkeitskirche in Berlin Friedrich Schleier­

macher.

Er redet über die rechte Verehrung gegen das einheimische

Große aus einer früheren Zeit.

(Er hört vernehmlich und laut Wunsch

und Klage: „(v, wenn der große König noch da wäre."

(Er weiß

diesen König zu würdigen — würde er sonst ihn 22 Jahre nach seinem

Tode zum Gegenstand seiner predigt wählen?

Aber er stimmt in den

Wunsch nicht ein: wenig ehrenvoll, schimpflich findet er es für ein ganzes Volk, sein Wohlergehen, seine Selbständigkeit nur hoffen zu

wollen von einem Einzelnen, von Eines Kraft, von Eines Art zu han­ deln.

War sein Geist einheimisch geworden in seinem Volk,

dann

mußte das Volk in seinem Geist gelernt haben, sich selbst zu helfen in

der Zeit der Prüfung und Bedrängnis.

Und hätte es das nicht ge­

lernt, dann könnte auch eine Auferstehung des Toten ihm nicht helfen:

10 er würbe, ein Lebendiger, inmitten von Toten, stehen, die er zuvor

nicht hätte, die er jetzt nicht wurde beleben können.

Furchtbar klingt

die Prophetenstimme des großen Predigers in die zerschlagene Gemeinde

hinein: wenn ihr euch nicht selber Helsen wollt, dann soll kein Stein auf dem andern bleiben, dann soll euer Haus wüste gelassen werden.

Das Volk, das ganze Volk!

Noch vor der Schlacht bei Jena

schreibt der Literal Johannes Falk in Weimar ein phantastisches Ge­

spräch nieder.

Auf einem Fußwege im Elysium begegnet Friedrich

seinen Generalen.

(Er hat Runde erhalten von dem kläglichen Ende

des heiligen römischen Reiches deutscher Nation.

Zielen fragt: Friedrich, was würdest du wohl tun, wenn du jetzt wieder aus die Oberwelt zurückkehren müßtest? Friedrich: vor allen Dingen würde ich Frankreich mit seinen

eigenen Waffen

zu schlagen suchen.

Man

muß

mit

dem Zeitalter

Schritt halten. Zieten: Marsch! vorwärts! Friedrich: Zuvörderst also müßten wir den versuch machen,

durch Aufhebung gehässiger Privilegien, Exemtionen des Adels usw. die

ganze Nation in unser Interesse zu ziehen.

Winterfeld: Aber die Folgen! die Folgen! Friedrich: Daran sind wir. Erstens: ich würde die Franzosen

mit einer kräftigen, aus dem Kern deutscher Bürgerschaft und

Land­

leute zusammengesetzten Armee angreifen, sie in einer tüchtigen Bataille

zu schlagen suchen.

Zweitens: man würde mich sodann - und wohl

mit einigem Recht - den Befreier von Teutschland nennen.

Drittens:

ich würde mich ohne Umstände noch auf dem champ de bataille zum Kaiser von Teutschland erklären und mir die Krone selbst aufs Haupt setzen.

Die ganze Nation!

Eine Armee aus dem Kern deutscher Bürger­

schaft und Landleute! Ich denke, wir hören aus den Worten des damals noch recht leichtherzigen Literaten die großen Reformgedanken Steins

und Scharnhorsts uns entgegenklingen.

nicht,

Aber der Literat ahnte gar

welche Riesenarbeit mit diesem Programm vorgezeichnet war.

(Es galt nicht mehr und nicht weniger, als, wie Schleiermacher sagte,

11 den Geist Friedrichs in der ganzen Nation bis in ihre kleinen und

kleinsten Glieder hinein einheimisch machen.

Das aber hieß,

ein tief­

stes Problem der Weltgeschichte an einem Punkte losen, wie Geist und

Wille der einsamen Großen zu Besitz und Kraft der Massen zu werden vermögen.

Sie bewundern ist leicht, ihr Heldentum staunend anschauen

ist wie Heller Sonnenblick in trübem Alltagsleben - aber ihr

Leben

nachleben, ihre Schmerzen nachempfinden, ihre Taten nachtun - wie

sollen die Kleinen das erlangen? Allein der Literat wußte noch ein anderes nicht.

Cr wußte nicht,

daß diese Arbeit längst schon in Angriff genommen war. er es auch wissen?

Wie sollte

An einer Stelle im Vaterland war das geschehen,

von der man damals wenig redete.

1780 war

der Freiherr vom

Stein in preußische Dienste getreten, 1784 war er Direktor der west­ fälischen Bergwerke geworden.

(Ein verlottertes Wesen hatte er vor­

gefunden, mit kräftiger Hand griff er ein, für den Staat die Schätze

zu heben, die in der Tiefe lagen.

Ein harter Wille zwang die Berg­

leute zu Fleiß und Ordnung, unerbittlich forderte er von ihnen

höchste Arbeits- und Crtragsleistung. großen Königs.

Das war ganz

die

der Geist des

Aber die Denkschriften Steins aus dieser Zeit betonen

vielmehr den Gegensatz zur inneren Politik seines Herrn.

(Ein Geist

des vertrauens und der Freiheit soll an die Stelle des absolutistisch-

bureaukratischen Regierens treten.

Nichts soll verloren gehen von der

rücksichtslosen Anspannung aller Kräfte.

Aber diese Kräfte sollen sich

selbst von innen heraus regen und lenken.

Die Knappschaft wählt

ihre Ältesten selbst, sie werden ihr nicht mehr von der Regierung ge­

setzt.

Sie nimmt die Ordnung ihrer Angelegenheiten selbst in die Hand.

Das ist „die erste Selbstverwaltung, die Stein ins Leben gerufen hat."

Ewig denkwürdig wird dieser Beginn seiner Laufbahn bleiben.

Seine

Reform im Kohlen- und Cisengebiet im Westen hat den Grund gelegt zur kühnsten (Entfaltung deutscher Arbeitskraft, die wir heute kennen, sie hat die fast märchenhafte Möglichkeit geschaffen, daß der schwerste

Schlag, der deutsche Industrie und deutschen handel damals traf,

das

Kontinentalsystem, zum Segen des Vaterlandes ausschlug: Steins Geist

12 schwebt über den zahllosen Essen und Schloten der Kruppschen Werke

an der Ruhr. Aber denkwürdig noch mehr, daß die Reform der Jahre 1807/8 fünf Jahre vor der Revolution von 1789 eingesetzt hat. Falk

meinte, man müsse Frankreich schlagen mit den eigenen Waffen.

Und

gewiß, so ist es geschehen: die ganze Nation, die gleiche, freie, brüder­ lich geeinte, sie allein konnte das große Werk vollbringen.

Aber wie

nahe sich die Reformgedanken Steins und die Ideen der Revolution

berühren: an zwei Zügen wird der tiefe Gegensatz handgreiflich. In Paris beginnt man mit großen weithin schallenden Worten,

und sie haben sofort das Ganze, Allgemeine, - ja in wenig Jahren die Welt im Kuge: Frankreichs neue Ideale für alle Völker, sie alle mit gleicher Freiheit und Gleichheit, mit gleicher Verwaltung und Ge­

setzgebung beglückt - Stein fängt in engstem kleinem Kreise an: nur diesem Kreise ist seine Reform angepaßt.

Und dabei bleibt er. (Es

hebt ihn aus die höhen der Weltgeschichte seiner Zeit, ihn haßt der

Imperator mit ganz persönlichem haß, ein Geächteter mutz er fliehen über die Grenzen seines Vaterlandes, in Prag und Petersburg wie zuvor in Königsberg arbeitet sein leidenschaftlich-universaler Geist an dem Werk der Rache und Befreiung.

Aber er denkt nicht daran, die

Reform, die ihm in Preußen die Grundlage zu diesem Werk schaffen

soll, auf andere Völker zu übertragen.

Mit schärfstem Blick beobachtet

er die Lebensverschiedenheiten der Völker. (Eines schickt sich nicht für alle. Böhmen und Ungarn, Polen und Rußland bedürfen anderer

Verwaltung, anderer Gesetzgebung als die heißgeliebte deutsche Heimat. Und seine Denkschriften darum halten sich meilensern von aller 6galit6,

sie bauen gerade auf das Zusammenwirken individuell verschiedenster Kräfte, die nur durch peinlichste Sorge um ihre individuelle Sonderart

in ihrer Wirksamkeit erhalten und gefördert werden können: der Uni­ versalmonarchie stellten sich in Steins Geist die Individualstaaten ent­ gegen;

der Gedanke des Individuellen, in der Philosophie der Zeit

am klarsten von Schleiermacher und Wilhelm v. Humboldt herausge­

arbeitet und alsbald auf die Staatsgebilde bezogen, ist die treibende Kraft in der Seele des großen deutschen Staatsmannes.

13 Und dazu das Andere, noch Bedeutsamere: in Paris verkündet man der Nation Rechte, Menschenrechte.

Und man ist überzeugt, diese

Rechte aus einem Füllhorn des Glücks über alle Welt ausschütten zu können.

Freilich, es zeigte sich auch hier,

datz das Glück und

Recht den Menschen nie ohne Opfer zuteil wird.

forderten Opfer von den Beglückten.

Bis

das

Und die Glückbringer

zum Wahnwitz steigerten

sie ihre rücksichtslosen Opferforderungen: Menschenleben, ungezählt, für diese Menschenrechte.

Aber

die die

wissen gar nicht, was sie tun. der liberte und der gloire Fieberparoxysmen

diese Opfer bringen müssen, die

Lin Rausch hat sie ergriffen, im Rausch

werden sie festgehalten, bis sie wie in

zusammenbrechen, die blutende Welt,

die bis zur

Ohnmacht entkräftete Nation, die Idole des Glücks von sich wirft, einer kläglichen Reaktion und Restauration in die Arme fällt. - Wie anders Stein! lesen.

Freiheit und Gleichheit ist auch in seinen Reformgedanken zu

Beschränkung des persönlichen Regiments des Königs, Aufhebung

der Leibeigenschaft, der Zehnten und Frohnden, der Patrimonialgerichte,

des Zunftzwanges, Selbstverwaltung der Städte, der Provinzen, bis zu

dem kühnsten,

noch undurchführbaren,

Gedanken

das alles ist wie aus dem Geist von 1789

der Reichsstände Aber ein

geboren.

zer­

trümmerter Staat wagt es, denen, die ihm angehören, diese Güter der Freiheit zu verheißen.

Sie müssen wissen, jeder Bürger der Stadt und

jeder Bauer im Dorf, daß

von diesen Gütern schlechterdings

keines

ihnen zu wirklichem Gebrauch bereit stehen wird, wenn sie nicht zuvor

für den Staat Gut und Leben dranzusetzen gewillt sind.

Das Opfer

wird hier nicht im Rausch geleistet, die Pflicht wird in nüchterner Er­ kenntnis härtester Notwendigkeit getan.

Ja, mehr als das: nicht dazu

bietet der Staat seinen Bürgern und Bauern die Freiheit an,

sie in diesem hohen einzigen Worte träumend schwelgen,

damit

er bietet sie,

um für sich das Recht zu gewinnen, die befreiten freien Kräfte bis zum

äußersten anspannen zu können; harte Pflichtbewußtsein

er rechnet von vornherein auf das

seiner Glieder.

Darum, wenn der Berliner

Prediger als Interpret Steinscher Reform zu der Gemeinde redet, nichts

von schallenden Worten hören wir aus seinem Munde.

Fast hausbacken

14

fordert er zuerst Arbeitsamkeit und Sparsamkeit als herrschende Tugen­ den seines Volkes, rechtliches Wesen und Biederkeit als die Zeugen wahren Gemeinsinns, und das hohe Wort der Freiheit klingt erst an,

wenn er es mit zwei anderen tiefinnerlichsten in feste Verbindung zu

bringen weiß: Freiheit des Glaubens und des Gewissens.

wirklich, das war, um es kurz zu sagen, in Paris und Königs­ berg ein Weg mit fast gleichen Endpunkten, aber in entgegengesetzter

Richtung: dort von der Freiheit zu den (vpfern, hier von der Pflicht zur Freiheit.

War die Nation gerüstet, diesen Weg in dieser Richtung

zu betreten?

Man predigt tauben Ohren,

willig sind zu hören.

wenn die herzen nicht

In Ostpreußen, in Königsberg werden die Re­

formgedanken in Wirklichkeit umgesetzt.

Dort lassen die Januar- und

Februartage 1813 das wundervolle Schauspiel sehen, pork, der Adlige von echtem Schrot und Korn,

wie der eiserne

sich widerstrebend

in

Ist es Zufall, daß wir aus

den Dienst Steinscher Volkserhebung stellt.

diesem Boden stehen und daß auf diesem Boden das Ungeheure gelingt? Dort hatte Kant, der Alte von Königsberg, sein überreiches Leben ge­

lebt.

Dort hatte er seine praktische Vernunft wie einen Eisenguß in

die Seelen seiner Schüler hineingebildet.

Und die führenden ostpreußi­

schen Männer von 1813 sind fast ausnahmslos seine Schüler gewesen. Wie viel stolze Überlieferung dieser Grenzmark deutschen Lebens daran

beteiligt war, zuletzt hatte Kants Moral die Geister gestählt und den weg gewiesen, der allein zur Rettung führen konnte: Pflicht, du großer

erhabener Name,

der

du nichts Beliebtes,

was Einschmeichelung bei

sich führt, in dir fassest, aber auch nicht drohst, sondern bloß ein Ge­ setz aufstellst, welches von selbst Eingang ins Gemüte findet, welches

ist der deiner würdige Ursprung?

edlen Abkunft?

wo findet man die Wurzel deiner

von der Pflicht zur Autonomie und Freiheit.

Sie

allein hält den Schlüssel in der Hand, der die Tore einer intelligiblen,

einer ewigen Welt zu öffnen vermag,

würde und Persönlichkeit!

sie allein führt zu Menschen­

Ja, sie allein nötigt die Seele, die sich ihr

beugt, den unnennbaren Namen der Gottheit auf die sterblichen Lippen zu nehmen. —

15

Vas ist noch einmal deutsche Ideologie, beinahe in überschwäng­ lichster Form.

Und die Ideologen wahrhaftig haben Kant gehört und

verstanden, sie haben es vermocht, diese furchtbar ernsten Gedanken in unvergleichlich melodischen Klängen in Gemüt und Willen dieses Volkes

hineinzusingen, Denker

im

vom

fernen Südwesten reicht Friedrich Schiller

äußersten Nordosten

die

dem

Hand zum unlöslichen Bunde.

Wirklich, auch der Süden darf nicht fehlen im großen Jahr.

Neben

Tyrol der eine Mann Friedrich Schiller, der ja wohl ein Heer zu

wiegen vermag,

wie schwer er wiegt,

das zeigt kein anderer so

handgreiflich, wie der größere Freund, der zaudernd in Weimar diesem

Schauspiel der Jahre folgt, bis Schiller, der Tote, erwacht in seiner Seele und er sich zurufen läßt: Komm, wir wollen dir versprechen

Kettung aus dem tiefsten Schmerz, Pfeiler, Säulen kann man brechen, Aber nicht ein freies herz.

Denn es lebt ein ewig Leben,

(Es ist selbst der ganze Mann, In ihm wirken Lust und Streben,

Vie man nicht zermalmen kann.

wirklich, nicht zermalmen,

von 1807 bis 1813 - ich will die

Zeit der Schmach aufs kürzeste bemessen - welch eine namenlose Fülle

von Leid umschließen diese Jahre! kurze Stunde sich

wissen wir nicht,

wie in eine

eine Ewigkeit von Schmerz zu sammeln vermag?

Nun aber schließt sich eine Stunde an die andere; flüchtige Sonnenblicke durchbrechen die Wolken: Tyrol, Spanien, Aspern erinnern daran, daß es immer noch blauen Himmel über dem Dunkel gibt; aber es erinnert

nur daran: wirklich hell wird es nicht.

An den

Siegeswagen

des

genialen Unersättlichen gespannt, ziehen Deutschlands Krieger dem furcht­ baren Schicksal auf Kußlands Eisgefilden entgegen.

dennoch brechen nicht.

nennen: den Keichsfreiherrn vom Stein. zu sich gerufen.

Die freien Herzen

Statt aller lassen Sie mich wieder den einen Der Zar hat den Geächteten

Er hat sich geweigert, in russische Dienste zu treten.

16 Aber als freier Mann, ein Pilger fern von der Heimat, lebt er grau­

sige Wintermonate am Hofe des Zaren.

Und dieser Fremde, der ein

Fremder bleiben will, lenkt die Geschicke des Landes. Seine offene Denkschrift führt den Sturz des leitenden Staatsministers herbei. Unter seinen Augen entwerfen und erzwingen deutsche Offiziere, die Clausewitz, Chazot, Stülpnagel, Dörnberg, Barnekow den einzig möglichen, aber

russisch-nationalem Empfinden aufs tiefste widerstrebenden Feldzugsplan. Der volle Mut und die tapfere Wahrhaftigkeit des deutschen Ritters üben einen unwiderstehlichen Zauber auf die Gesellschaft, Damen wie

Herren des Zarenhofes. Aber der bedeutende Anhang, den er in den Salons der Residenz gewinnt, dient nur einem Ziel: Auf der weichen Seele Alexanders hämmerte sein festes Wort wie einer der Eisenhämmer von der Ruhr, bis daß sie hart genug war, dem Ungeheueren zu be­ gegnen.

Und wenn die Flammen von Moskau auf andere wie die

letzten Schrecken eines Weltbrandes wirken — Stein ist unbeschreiblich

froh: „wir werden die Fahrt nach (Drei, nach (Drenburg antreten müssen; ich habe mein Gepäck im Leben schon zwei-, dreimal verloren,

was tut’s!"

Vas freie herz kann leben auch ohne Gepäck.

Aber freilich, auch wenn sie in sich fest bleiben, unerschütterlich

dem genialen Dämonischen die Stirne bietend-das Vaterland zu be­ freien aus eigner Rraft scheint ihnen nicht gegeben. Sie suchen nach Hilfe allum. Eine stolze Erinnerung bleibt es freilich, wie die freien Herzen es sind, die die Welt in Bewegung setzen für 1813: Stein in

Rußland, Gneisenau in England, Scharnhorst sterbend, den tragischsten Cod dieses Jahres-auf dem Wege nach Wien.

Und eine stolze Er­

innerung bleibt es, nicht nur wie auf den Schlachtfeldern überall preu­ ßische Linie und Landwehr voran stürmt in die Reihen des Feindes,

noch mehr wie Bülow in der Mark, Blücher in Schlesien Kampf und Sieg, Schlag um Schlag ertrotzen von den fremden Gberfeldherren, die eine klägliche Diplomatie ihnen gesetzt hat.

Dennoch, es gelingt nur

mit fremder Hilfe.

von Osten rollt Lawinen gleich herüber Der Schnee- und Eisball, wälzt sich groß und größer!....

17 Dom Ozean, vom Belt her, kommt uns Rettung, So wirkt das All in glücklicher Verkettung! Fremde Hilfe. (Ein Stachel, scheint es, bleibt damit doch im deutschen Gemüt! wir haben es nicht selbst vermocht. Aber die Männer jener Tage, auch wenn der Zorn sie immer wieder faßt, daß Diplomaten» und Fürstenschwäche sich auf die höhe ihrer Kraft nicht will heben lassen,-sie haben im Tiefsten dennoch anders empfunden. „So wirkt das RII in glücklicher Verkettung." Goethe hat in diesen Jahren dem ungeheuren Spruch nachgedacht: „nemo contra deum nisi deus ipse“. Gegen den Allgewaltigen, der wirklich wie das Schicksal mit schwerem Tritt über die Schaubühne (Europas ge­ wandelt war - sind menschliche Kräfte zu gering, wohlan, so ruft man höhere herbei, wer wüßte es nicht, - wir brauchen nur an diesen einen Zug uns zu erinnern - wie durch die Lieder unserer Freiheits­ sänger ein tieffrommer Ton hindurchklingt - ein Ton sehr verschieden moduliert; weich, fast jungfräulich zart bei Schenckendorf oder Körner hart, das (Eifen in Melodie gegossen, bei Friedrich Rückert oder Ernst Moritz Rrndt. Aber wie verschieden, er fehlt bei keinem. Und wie mächtig er das Empfinden beherrscht, das spüren wir bis auf diesen Tag, wenn das Weihelied deutscher Studentenkommerse uns von jugend­ lichen Kehlen in die Seele klingt: wem soll der erste Dank erschallen? Dem Gott, der groß und wunderbar, Aus langer Schande Nacht uns allen 3n Flammen auf gegangen war; Der unsrer Feinde Trotz zerblitzet, Der unsre Kraft uns schön erneut Und auf den Sternen waltend sitzet von Ewigkeit zu Ewigkeit! Dem Gott der Dank! Zu ihm zuvor das heiße Flehen! Aber so einfach, wie es klingt, ist das nicht. So auf der Oberfläche, nur eben eine willkommene Zugabe zu anderen Kräften, die sich als nicht ausreichend erweisen, läßt sich Gebet und Frömmigkeit in schwerer

18 Stunde nicht als Wahrheit, darum auch nicht als wirkliche Kraft er­

weisen.

halbwahr,

(Es ist ein gemeines Sprichwort: Not lehrt beten,

wie dieses, ist auch das andere:

Not bricht Eisen — wenn sie das tut,

so wird es nur geschehen in starken Seelen,

die gerade, wenn alle

Stützen wanken, auf sich selber vertrauen lernen.

Wenn diese, die freien

herzen, nach göttlicher Hilfe, nach ewigen Kräften ausschauen, dann können sie es nicht tun in äußerlicher Weise, in der auch zwei Türken­

heere, wie Luther spottet, jedes für sich, den höchsten um den Sieg (Es muß hier anders begründet sein

ihrer Waffen anflehen können.

und es ist hier anders begründet.

Fichte spricht 1808 von den Grund­

zügen deutschen Wesens in der Geschichte. Einer rückt ihm in den Mittelpunkt

(Er nennt nicht viele Namen.

deutscher Geschichte.

des deutschen Mannes Martin Luther ergriff ein

Die Seele

allmächtiger Trieb,

er wurde das Leben seines Lebens und setzte in ihm immerfort das

letzte auf die Wage.

(Es war die Angst um das ewige heil.

(Er glaubte

im Ernst, es gebe eine Seligkeit, und hatte den festen Willen, selig zu werden.

Und wie mit dem eigenen das heil aller unsterblichen Seelen

ihm auf dem Spiele stand, ging er allen Ernstes allen Teufeln in der

Hölle furchtlos entgegen. das Fichte.

Natürlich und durchaus kein Wunder nennt

Und deutsches Volk vernahm die Stimme dieses von der

Ewigkeit begeisterten Anführers.

Um den Himmel und die ewige Selig­

keit vergoß es in langen furchtbaren Kriegen sein Blut.

Venn diese

Angst um die Seligkeit und die Hoffnung auf sie sollte Kindern und Enkeln bleiben, ungeborene Nachkommenschaft sollte die Früchte dieser Ewigkeitsmühen bis auf diesen Tag genießen.

„Vies nun ist ein Be­

leg von deutschem Ernst und Gemüt."

Bis auf diesen Tag soll das wirken. Durch die Briefe Friedrich Schleier­ machers aus diesen Jahren, erschütternde, aber tapfere Briefe zieht sich wie ein roter Faden die Überzeugung: Napoleon haßt deutschen Glauben

wie deutsche Spekulation.

Darum wird es noch wieder Märtyrer geben,

wissenschaftliche wie religiöse. Art wird ausbrechen.

Ein Religionskrieg nach alter

Denn nicht um äußere Freiheit und

deutscher äußere

Güter wird der Kampf gekämpft werden, unsere Gesinnung, unsere Reli-

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gion, unsere Geistesbildung wird sein Gegenstand sein,

wenn das aus

dem Spiele steht, dann werden die Könige nicht mehr mit gedungenen Heeren, dann werden die Völker mit ihren Königen gemeinsam kämpfen, dann werden Volk und Fürsten auf schönere Weise, als es seit Jahr­

hunderten der Fall gewesen, vereinigt werden.

„Wohl denen,

erleben; die aber sterben, daß sie im Glauben sterben."

die es

Vie Universal­

monarchie scheint die Universalreligion nach sich zu ziehen,

eine Ver­

wischung aller geschichtlichen Gegensätze in ihr, einen erzwungenen Aus­ gleich ihrer tiefen Verschiedenheiten zumal aus deutschem Boden.

Auch

das wird er durchsetzen wollen, der Ulächtigste dieser Erde, wie ihm ja alles ein Spiel ist. und alle List.

Schleiermacher will ihm dazu einräumen alle Kraft

Aber er weissagt ihm und läßt die Weissagung drucken

1806: es wird ihm mitzlingen, er wird mit Schanden bestehen.

Venn

gerade, wenn in ihrem Tiefsten die deutsche Seele erregt wird, wird Deutschlands unsichtbare Kraft sich erheben mit nicht geahnter Gewalt, würdig seiner alten Heroen,

seiner vielgepriesenen Stammeskraft!-

wenn das wunder geschieht, ruft er den gebildeten Verächtern der Re­ ligion zu,

dann werdet ihr vielleicht glauben wollen an die lebendige

Kraft der Religion und des Christentums.

„Aber, selig sind die, durch

welche es geschieht, die, welche nicht sehen und doch glauben."—Nicht

darauf kommt es an,

ob Napoleonische Absichten von dem protestan­

tischen Theologen richtig gedeutet sind-darauf allein, daß er die Ge­ fühle der Besten aus den Jahren der Schmach genau auszudrücken ge­

wußt hat:

sie sahen das Tiefste, Innerste, was jemals deutsche Seele

bewegt hat, in Gefahr.

ITtit deutschem Land, mit Sitte und Recht, mit

Dichtung und wisienschast wäre ihnen auch das Letzte zusammengebrochen,

woran in vergangenen Tagen der Verwüstung dies Volk sich gehalten,

woran es sich immer wieder aufgerichtet hatte, sein Gott und sein Glaube.

Aber die konnten ja nicht zusammenbrechen.

im Herzen der freien Männer.

Sie waren der Herzpunkt

Sie waren das heiligste Heiligtum, das

ihnen unentweiht bleiben mußte in aller zeitlichen Zerstörung, die un­

sichtbare ewige Welt, an die keine sichtbare Gewalt und List zu rühren vermochte —hier war der letzte Anker der Hoffnung, hier die demütig-

20 stolze Zuversicht auf die Kräfte des Alls, die mit freien Herzen sich ver­

binden werden: sie sahen nicht fremde Waffen nur auf deutschem Boden, sie spürten ahnungsvoll ihn selbst, den Ewigen, inmitten der

Weltempörung kämpfend: der deutsche Gott im deutschen Glauben. Lassen

Sie mich mit Fichte sagen: „dies nun ist ein Beleg von deutschem Ernst und

Gemüt".

Und mit Goethe rückschauend

auf das große Jahr

klinge es auch durch unsere Seele:

Nun töne laut: der Herr ist da!

von Sternen glänzt die Nacht. Er hat, damit uns heil geschah, Gestritten und gewacht.

Für alle, die ihm angestammt, Für uns war es getan.

Und wie's von Berg zu Bergen flammt Entzücken flamm hinan!

Ich habe bei dem versuch, 1813 uns

hochgeehrte Nnwesende!

verständlich

zu machen, weite Zusammenhänge deutschen Geisteslebens

vor Ihnen aufrollen müssen.

unzerriflen.

Diese Zusammenhänge sind bis heut noch

Trotz allem, was seitdem deutscher Gedanke, deutsche Tat­

kraft, deutscher Staatswille Großes, herrliches auf deutschem Boden ge­ leistet haben — wir können die tiefen (Quellen der Kraft nicht entbehren,

die damals lebendig sprudelten.

Nein, meine deutschen Freunde, kein

leichtes Lächeln soll über unsere Lippen ziehen, wenn wir deutscher Ideo­ logie, deutschen Pflichtbewußtseins, deutschen Glaubens gedenken.

Sie

sollen bleiben und wirken, wie 1813, so heut und immer, die unsicht­ baren Kräfte im sichtbar herrlichen Vaterland!

CS9

Hof- und Univ.-Druckerei (Dtto Rindt, Gießen.