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German Pages 348 Year 2020
Eckehart Velten Schäfer Dogtown und X-Games – die wirkliche Geschichte des Skateboardfahrens
Kulturen der Gesellschaft | Band 42
Eckehart Velten Schäfer (Dr. phil.), geb. 1973, lehrt Sportsoziologie und lebt als Publizist in Berlin.
Eckehart Velten Schäfer
Dogtown und X-Games – die wirkliche Geschichte des Skateboardfahrens Körper, Räume und Zeichen einer Bewegungspraktik zwischen Pop- und Sportkultur
Das Vorliegende ist eine leicht überarbeitete und aktualisierte Fassung einer 2017 am Arbeitsbereich Soziologie und Sportsoziologie im Institut für Sportwissenschaft der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg eingereichten und 2018 dort verteidigten Dissertation. Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 427495674.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2020 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagabbildung: Mark Lehmann, 1. Berliner Skateboard-Verein Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-5096-9 PDF-ISBN 978-3-8394-5096-3 https://doi.org/10.14361/9783839450963 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschaudownload
Inhalt
Dank ..................................................................................... 7 Vorbemerkung............................................................................ 9 1. 1.1. 1.2. 1.3. 1.4. 1.5. 1.6.
Übers Skateboardfahren schreiben ................................................ 11 Der eigene Körper und andere Quellen................................................................ 16 Neue Spiele und Skateboarding......................................................................... 19 Subjektivierung im Sport ............................................................................... 30 Praxeologische Genealogie ............................................................................. 34 Viermal Skateboarding in drei Elementen............................................................45 In die Postmoderne rollen? .............................................................................. 49
2. Körper ............................................................................. 53 2.1. Eine kleine Geschichte der Skateboard-Manöver ..................................................56 2.1.1. Das ›sixties paradigm of skateboarding‹ ................................................. 58 2.1.2. Vertikales Skateboarding ...................................................................... 63 2.1.3. Street Skateboarding ............................................................................ 71 2.1.4. Zwischen Stunt- und Longboarding ......................................................... 74 2.2. Bewegungsmuster und Fahrweisen ................................................................... 78 2.2.1. ›A sport of control‹ ............................................................................. 83 2.2.2. Aggression und Zähmung ..................................................................... 88 2.2.3. ›Schwarz‹ werden .............................................................................. 103 2.2.4. ›When things get gnarly‹ ...................................................................... 113 2.3. Skateboarding und das Sportfeld ..................................................................... 124 3. Räume ........................................................................... 135 3.1. Bewegungsräume und Skateboard-Terrains ....................................................... 137 3.1.1. Parkplatz, Piste, Zementwelle................................................................ 138 3.1.2. Pool, Fullpipe, Halfpipe......................................................................... 143 3.1.3. Curbs, Rails, Fun-Box............................................................................ 147 3.1.4. Big-Air, Plaza, DIY ................................................................................ 154
3.2. Selbstbildung und Raumkonstitution ................................................................159 3.2.1. Mit Kind und Kegeln .............................................................................162 3.2.2. Die Entdeckung einsamer Inseln ............................................................166 3.2.3. Fenster in der Zitadelle ........................................................................ 175 3.2.4. Stadtalpinismus und Skateboardinstitute ............................................... 183 3.3. Skateboarding und die Stadt ......................................................................... 193 4. Zeichen ........................................................................... 205 4.1. Skateboard-Texte, Autorschaft und Publika ....................................................... 208 4.1.1. Skateboarding unter dem Bewegtbildmonopol ........................................... 210 4.1.2. Surf Movies und die VHS-Revolution ........................................................ 214 4.1.3. Sponsor-Me-Tapes und Camcorder-Kriege .............................................. 223 4.1.4. Internet, TV, Konsolen ......................................................................... 230 4.2. Skater-Figuren ........................................................................................... 238 4.2.1. Spielkind und Sportstar ....................................................................... 239 4.2.2. Rebell und Boy Scout ........................................................................... 249 4.2.3. Artist und Thug ................................................................................... 261 4.2.4. Gladiator und Hipster........................................................................... 273 4.3. Skateboarding und die Konsumkultur............................................................... 286 5. 5.1. 5.2. 5.3. 5.4. 5.5.
Wirkliche Geschichte des Skateboarding ......................................... 299 Kompetenzen, Materialien und Bedeutungen...................................................... 300 Diskontinuitäten und Kontingenzen ................................................................. 306 Sportiver und gesellschaftlicher Wandel ............................................................ 311 Subkultur und Olympiasport ............................................................................ 316 Exkurs über Skateboards und Waschmaschinen ................................................ 320
6.
Literatur und Quellen ............................................................. 327
Dank Ich bedanke mich bei Prof. Dr. Thomas Alkemeyer, der das Risiko eingegangen ist, einen voll – und außeruniversitär – berufstätigen Promovenden zu akzeptieren, der sich zu diesem Zeitpunkt zwar erkennbar mit seinem Thema auskannte, nicht aber unbedingt in der Soziologie. Dass sich letzteres seither doch deutlich geändert hat, verdanke ich auch der Möglichkeit, als Nicht-Kollegiat an Workshops und Veranstaltungen des Oldenburger DFG-Graduiertenkollegs »Selbstbildungen« teilzunehmen. Ein Dankeschön gilt auch Univ.-Prof. Dr. Stephan Moebius als CoBetreuer der Arbeit. Mit Dr. Julia Hahmann durfte ich einige theoretische Aspekte des Textes diskutieren, was mir mehr geholfen hat, als sie vielleicht denkt. Gegen Ende des Schreibprozesses gab mir Veith Kilberth aus nicht nur sozialwissenschaftlicher Sicht einige fruchtbare Hinweise, sondern auch aus der Insiderperspektive eines langjährigen Protagonisten der Praktik in Deutschland. Ihm, den Fotografen Mark Lehmann, Dirk Pfeiffer und Helge Tscharn, dem »Red Bull Content Pool« sowie Hans-Jürgen Cola Kuhn vom 1. Berliner Skateboardverein schulde ich zudem Dank für den Zugang zu aussagekräftigem Bildmaterial. Auch allen anderen, mit denen ich in den vergangenen Jahren über den Stand meines Vorhabens sprechen durfte, die mir Hinweise, Kritik und Kraft zukommen ließen oder die mich einfach nur auszuhalten hatten, sei an dieser Stelle von Herzen gedankt. Gewidmet ist die Arbeit in diesem Sinne ganz besonders Dunja und Liv Stamer sowie Ortrud und Karl Schäfer, der leider nicht mehr sein Haupt schütteln kann über den eleganten Unsinn seines verlorenen Sohnes – sowie den fast unübersehbar vielen Menschen, mit denen ich in den vergangenen drei Jahrzehnten das erleben durfte, worum es in diesem Buch geht. Nur einige davon werden im Text namentlich erwähnt, aber wirklich alle sind gemeint.
Vorbemerkung
Hinsichtlich einer geschlechtersensiblen Sprachpraxis wird in diesem Buch nach Maßgabe des Verlages und des Dudens, der den Gebrauch von Großbuchstaben innerhalb von Worten ebenso verbietet wie den von Sonderzeichen, die »Schrägstrich-Schreibweise« verwendet. Die Rede ist also von »Skateboarder/innen« statt von »SkateboarderInnen«, »Skateboarder_innen« oder »Skateboarder*innen«. In Fällen, in denen die Deklination eine Auflösung dieser Kurzform gebietet – wenn also von »den Skateboarder/-innen« gesprochen werden müsste –, wurden in einigen Fällen die maskuline und die feminine Form nebeneinandergestellt, also von »den Skateboarderinnen und Skateboardern« geschrieben. Häufiger aber wurde an solchen Stellen versucht, das Problem durch Umschreibungen oder nicht-vergeschlechtliche Synonyme zu vermeiden, also beispielsweise von »den Fahrenden« oder »den Aktiven« berichtet, auch wenn das vielleicht nicht immer zu den elegantesten Formulierungen führte. Wenn hingegen nur eine maskuline oder feminine Form gebraucht wird, sind an der betreffenden Stelle auch nur Männer oder Frauen gemeint. Wer sich hiervon in irgendeiner Weise irritiert fühlt, sei um Nachsicht gebeten. Angesprochen fühlen sollen sich im Folgenden nicht nur »Mann und Frau«, sondern alle Geschlechtskonstruktionen.
Sofern nicht anders ausgezeichnet – »Hervorh. EVS« – stammen Hervorhebungen, die sich in im Text wiedergegebenen wörtlichen Zitaten finden, aus dem Original. Bei einer Übernahme aus Quellentexten wurde auch die Form der Hervorhebung beibehalten – also beispielsweise die Großschreibung ganzer Wörter. Hervorhebungen in zitierten Quellen- wie Sekundärtexten wurden jedoch nicht generell übernommen, sondern nur dann, wenn dies im Kontext der Arbeit sinnvoll war. Wörtliche Zitate aus älteren deutschsprachigen Texten wurden an die gültigen Rechtschreibregeln angepasst. Hinter grammatikalischen oder orthografischen Fehlern in Zitaten wurde » [sic!]« eingefügt, um kenntlich zu machen, dass diese Fehler nicht auf den Verfasser zurückgehen.
1. Übers Skateboardfahren schreiben
Die Recherche für diesen Text begann im weitesten Sinn an Heiligabend im Jahr 1984, als der damals knapp zwölfjährige Autor ein rotes Skateboard aus Plastik geschenkt bekam, eines der preisgünstigen Modelle, die seinerzeit über die Kataloge von Versandhäusern vertrieben wurden. Seither ist kein Monat vergangen, in dem der Autor nicht zumindest einmal auf einem Skateboard gestanden wäre. Einige Jahre lang – von 1986 bis etwa 1993 – waren Skateboards bei weitem das Wichtigste in seinem Leben. Seither hat er schätzungsweise 30 Skateboards verschlissen, sich eine gravierende und zahlreiche leichte Verletzungen zugezogen, viele Manöver gelernt und andere wieder vergessen. Mit Umzügen, Studium und Berufseintritt traten allmählich andere Dinge in den Vordergrund, doch hat er Skateboarding und die sich darum gruppierende Kultur bis heute nie aus den Augen verloren und seit der Jahrtausendwende auch hin und wieder als Journalist darüber geschrieben. Viel von dem, um das es hier geht, wurde also am eigenen Körper erlebt. Das betrifft zunächst das Skateboardfahren selbst: So hat der Autor die vier Zeitabschnitte, in die sich die folgende Überblicksdarstellung der Geschichte der Skateboard-Praktik gliedern wird und die sich sehr grob den 1960er und 1970er sowie den 1980er, 1990er und den Jahren nach 2000 zuordnen lassen, selbst durchlaufen, wenn auch anfangs historisch verspätet. Die ersten, naiven und von einer Kultur des Skateboarding isolierten Rollversuche in einem südbadischen Dorf führten in einem Freundeskreis, der mehrheitlich in klassische Mannschaftssportarten involviert war und zudem, wie regional üblich, regelmäßig Skifahren ging, zunächst wie selbstverständlich dazu, Slalom- und Abfahrtsstrecken abzustecken und mit Vaters Stoppuhr wöchentlich den ›Dorfmeister‹ zu ermitteln – ziemlich genau die Variante von Skateboarding, die seit den 1960er Jahren in den USA und vor allem den 1970er Jahren in den USA und Westeuropa tatsächlich vorherrschte. Dass mit Skateboards in den 1980er Jahren ganz andere Dinge möglich waren, erfuhr diese Clique durch einen architektonischen Zufall. Inmitten des Dorfes, direkt vor der Schule, befand sich ein besonderer Platz: eine ovale Fläche am Fuße eines steilen Hangs, die talseitige Flanke, nur von einem Zugang durchbrochen, von einem knapp einen Meter hohen, wellenartig vom Boden aufsteigenden Hügelbeet-Wulst markiert und auf der Stirnseite von einem Springbrunnen ab-
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geschlossen, der aus zwei weiteren, dicht aufeinander folgenden Wellen bestand, die äußere höher als die innere. Vielleicht hatte man bei der Planung an die Wasser des nahen Bodensees gedacht. Der Platz sollte dem zuvor gegen Widerstände in die Kreisstadt eingemeindeten Dorf einen Treffpunkt geben, an dem es seine Identität pflegen könne, doch bis auf ein paar Jugendliche mit Mofas mieden die Einwohner/-innen die moderne Anlage. Bald wurde sie vernachlässigt, der Brunnen lag trocken, die Beete wurden kaum gepflegt. Die Existenz dieses Arrangements aber sprach sich bis Konstanz, damals ein Zentrum des Skateboarding in Süddeutschland, herum – und für Könner/-innen waren die Hügel mit ihren fein gepflasterten Rundungen, waren die Wellen des Brunnens ein offenbar lohnendes Ausflugsziel. Die Clique vom Dorf traute ihren Augen kaum, als sie eines Tages die Städter/innen zufällig dort traf: Solche Rundungen konnten, woran sie zuvor nicht einmal gedacht hatten, nicht nur befahren, sondern regelrecht geritten werden. Es war möglich, samt Skateboard aus ihnen heraus und in sie hinein zu springen. Beeindruckt waren die Freunde von der Idee, derlei überhaupt zu versuchen. Geradezu fasziniert aber waren sie von der Ästhetik dieser Bewegungen: Wie Körper sich in Rundungen schmiegten, sich komprimierten, mit Energie vollsaugten, für einen Moment eins wurden mit dem Terrain, um sich dann kraftvoll von diesem abzustoßen. Nach diesem Tag tauschten die Dörfler die schmalen Fiberglasplanken aus dem Kaufhaus, die sie inzwischen den Plastikbrettern vorzogen, gegen jene großen, mit einem speziellen Haftbelag beklebten und auf viel breiteren Achsen montierten Skateboards aus Holz, die die Städter/-innen benutzt hatten. Sie fanden heraus, wo sich ›richtige‹ Rollen bestellen ließen, sie stiegen von Joggingschuhen auf feste und flache Sohlen um. Von nun an ließen sie die Stoppuhren zuhause und übten sich täglich in den Rundungen jener Blumenrabatten. Einige Zeit später, als sie sich gut genug fühlten, um sich dort nicht schämen zu müssen und als sich ein Anlass ergab, wagten sie sich erstmals an den Ort, an dem die wundersamen Skateboarder/-innen aus der Stadt zuhause waren: die baufällige, unbeheizbare, mit einem harten und glatten Zementboden ausgestattete Turnhalle eines alten Kasernenkomplexes. Dort übte man sich nicht nur auf Skateboards, sondern trainierten zu festgelegten Zeiten andere Mitglieder des Konstanzer Roll- und Eissportclubs (KREC) Sportarten wie Rollhockey und Rollkunstlauf. Außerdem traf man zuweilen auf Kunstradfahrer/-innen, auf Radballer/-innen und zuweilen auch auf die Fahnenschwinger/-innen und Peitschenknaller/-innen der badischen Fasnacht. Für die Skateboarder/-innen gab es Rampen aus Holz, deren Form entfernt an die Blumenrabatten im Dorf erinnerte – und vor allem ein geradezu unerhörtes Bauwerk, an dessen Existenz nicht mit Skateboarding infizierte Bekanntschaften trotz wortreicher Beschreibungen kaum glauben mochten: Zwei identische, einander gegenüberliegende Rundungen aus Holz von über drei Metern Höhe, deren oberste zwanzig oder dreißig Zentimeter senkrecht aufstiegen: eine Halfpipe.
1 Übers Skateboardfahren schreiben
Am Tag des ersten Besuches der Dörfler fand darin ein Wettkampf statt. Zwei verwegen aussehende, offenbar im Publikum berühmte junge Männer – Claus Grabke aus Gütersloh und Nicky Guerrero aus Kopenhagen, wie sich herausstellte, damals mit die besten in Europa – stachelten einander unter ohrenbetäubendem Johlen des Publikums zu immer höheren und kühneren Sprüngen an, schwangen sich in einarmige Handstandpositionen auf die Kante und rauschten oder schleiften in verschiedensten Positionen mit ihren Brettern auf derselben entlang. Das wollte, das musste der Autor auch versuchen. Und offenbar waren die Blumenrabatten auf dem Dorf eine gute Schule und die lokalen Skateboardgrößen erwiesen sich als vorzügliche Lehrer: Thomas Kelloggs Keller, Ralf Pogo Vogt, Andreas Bolle Tesch, Bernt Jahnel, Wolfgang Woopi Markus und manchmal noch Petra Milka Müssig, bevor sich diese auf ihre mit mehreren Weltmeisterinnentiteln gekrönte Snowboardkarriere konzentrierte. Schon etwa zwei Jahre später konnte der Autor selbst über die Kante der Halfpipe springen und es gelangen ihm Handstandmanöver. In den folgenden Jahren verbrachte er so viel Zeit wie möglich auf der Halfpipe, besuchte lokale Szenen in Süddeutschland, der Schweiz und Ostfrankreich und nahm auf ambitioniertem, wenn auch nie spitzenmäßigen Niveau an Wettkämpfen teil. Bei kleineren Contests war er zuweilen Punktrichter. Diese kleine Karriere verebbte in den frühen 1990er Jahren – nicht nur, weil sich der Autor eine komplizierte Fraktur zugezogen hatte und eine Weile zu Vorsicht gezwungen war, sondern auch, weil das Halfpipefahren plötzlich aus der Mode kam. Ein neuer Typus, eine neue Generation von Aktiven tauchte auf. Manche der neuen Skater/-innen verachteten das Fahren auf dafür konstruierten Rampen; andere konnten damit nichts anfangen. Auf Basis des Ollie, des Abspringens von horizontalen Flächen durch das ›Kicken‹ des Hecks, erschlossen sie andere Spielräume: Sie sprangen Treppen hinunter, auf Parkbänke oder kleine Mauern hinauf und über Hindernisse hinweg, wobei sie während der Sprünge die Bretter unter den Füßen um deren Längs- oder Querachse wirbeln lassen konnten. Auch der Autor übte sich in den Techniken des Street Skateboarding und besuchte die Orte, an denen sich die neuen Skater versammelten. Doch fand er dabei nie die gleiche Freude wie beim Fahren in der Vertikalen. Zwischen etwa 1993 und 1996 ließ sich nicht einmal in Berlin, wo der Autor ein Studium aufgenommen hatte, jene Handvoll Gleichgesinnter auftreiben, ohne die das Fahren auf Halfpipes auf Dauer keinen Spaß macht. Die Rampen am Eisstadion Wilmersdorf oder im Kreuzberger Böcklerpark verwaisten und verfielen. Der Autor holte das Skateboard jetzt deutlich seltener aus der Ecke. Das änderte sich um 1997, als in Parkanlagen, etwa im Volkspark Friedrichshain, plötzlich Rampen eines neuen Typs errichtet wurden: Die so genannten MiniRamps – verkleinerte Halfpipes von maximal zwei Metern Höhe und ohne vertikalen Abschluss – sollten vor allem die erste Welle des Inlineskating (vor dessen Transformation zu einem Gesundheitssport) bedienen, führten aber auch zu ei-
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nem Revival von Skateboardtechniken aus dem 1980er Jahren. Etwa um die Jahrtausendwende erlebte, nicht zuletzt aufgrund von Entwicklungen in den USA, die im Folgenden noch eine Rolle spielen werden, auch das eigentliche vertikale Skateboarding einen neuen Aufschwung, auch wenn es nie wieder in dem Maße zur dominierenden Variante wurde wie vor 1990. In Berlin eröffnete die Skatehalle an der Revaler Straße mit einer großen Halfpipe, in der Folge entstand auch an öffentlichen Orten wieder vertikales Terrain, wenn auch meist keine Halfpipes, sondern runde Pools aus Zement. Seither genießt der Autor diese Formenvielfalt, auch wenn er inzwischen die Mini- der vertikalen Rampe vorzieht. Für die Arbeit am vorliegenden Text hat er sich auch praktisch wieder dem Street Skateboarding zugewandt, um seinen Einblick in dieses Segment zu vertiefen; dabei besuchte er regelmäßig die ›wilden‹ Skateboardorte an der Warschauer Brücke in BerlinFriedrichshain und am Kreuzberger Wassertorplatz sowie die für Street-Techniken ausgelegten Zweckanlagen am Columbiadamm in Berlin-Neukölln und auf dem früheren Flughafen Tempelhof. Aus demselben Motiv mischte er sich dort und im Gleisdreieckpark zwischen Kreuzberg und Schöneberg auch gelegentlich unter die Longboarder/-innen und beobachtete das Downhillskaten am Teufelsberg. Körperlich wie mental erlebt hat der Autor Skateboarding in den vergangenen 30 Jahren aber nicht nur als vielfältige und herausfordernde Bewegungspraktik, sondern auch als formative Kultur, mithin als das, was die Soziologie eine Technologie des Selbst nennt, als Praktik einer Veränderung und Umformung der eigenen Person. Ohne dass er dies zu einem identifizierbaren Zeitpunkt in einer bewusst zu nennenden Weise entschieden hätte und auch ohne manifesten Gruppendruck betrieb er Skateboarding immer auch mit dem Motiv, ein anderer zu werden – und später dann, derselbe zu bleiben. Der Kontakt mit der Kultur des Skateboarding der mittleren 1980er Jahre in der südwestdeutschen Provinz veränderte sein Selbstbild, seine kulturellen Vorlieben, seine Haltungen, ja seine expliziten politischen Vorstellungen schleichend, aber nachhaltig. Synchron mit seinen Fortschritten auf dem Skateboard distanzierte er sich von zuvor durchaus geliebten Aktivitäten – etwa vom Handball- wie vom Fußballsport, die er parallel ausgeübt hatte. Seine frühere Mitgliedschaft im Nachwuchs der lokalen Blaskapelle und seinen einstmaligen Gefallen an Charts-Pop, an klassischer, aber teils auch an volkstümlicher Musik vergaß er geradezu mit dem ganzen Körper. Mit Skateboarding gingen stattdessen schnell eine ehrliche Vorliebe und ein gewisses Expertentum für Musik aus dem Punk- und Hardcoreschema einher, die er noch kurz zuvor als amorphen Krach empfunden hatte. Falco und Status Quo wurden von The Vandals, Peter and the Test Tube Babies, Agent Orange, Dead Kennedys, Black Flag und den älteren Platten der Bad Brains sowie der 7 Seconds abgelöst. Schon damals war nicht nur dem Autor klar, dass diese und ähnliche musikalische Vorlieben nicht zufällig von sehr vielen in der Szene geteilt wurden. Die schnellen, treibenden, geraden, harten und – im Unterschied zu vielen Metal-Bands – leichtfüßigen
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Basslinien passten zu den Schwungbewegungen beim Halfpipefahren. So oft wie möglich wurden Musikanlagen auf die Plattform gestellt; man sprach dann augenzwinkernd von Ohrendoping. Umgangssprachlich wurde umgekehrt die Distanz, die zu Beginn der 1990er Jahre neben dem Autor auch viele andere Halfpipefahrer/-innen gegenüber den technisch diffizilen Street-Manövern mit ihren vielen Flips und Drehungen wahrten, schon damals auf Musikstile bezogen: In Anspielung auf die musikalische wie modische Annäherung des Street Skateboarding an Hiphop – nach hinten gedrehte Baseballmützenschirme – war unter den HalfpipePopulationen gelegentlich ein wenig selbstentschuldigend von Kappendrehertricks die Rede, die man ja wirklich nicht können müsse. Zurück kam dann, die Rampenpunker hätten einen Stock verschluckt. Begleitet wurden diese durch die Gleichsinnigkeit von Sound und täglicher sportiver Bewegung vielleicht besonders eingefleischten Musikvorlieben von einem distinktiven Kleidungsstil: Nicht immer saubere Jeans mit Löchern und – im Unterschied zum damals modischen Karottenschnitt – unbedingt geraden Beinen, blanke oder mit Skateboardlogos bedruckte T-Shirts, Kapuzenpullover, High-Top-Stoffturnschuhe, vorzugsweise mit Skateboard-typischen Gebrauchsspuren sowie kurz geschorene, zuweilen gefärbte oder gebleichte Haare setzten die Skater sowohl von den Normalen als auch den Poppern und Ökos ab, aber auch von den Metal-, Gothic- und den traditionellen Punk- oder den New-Wave-Fans mit ihren Haarsprayfrisuren. Diesem Stil entsprach ein Set von Haltungen und Meinungen, das oft in Rhetoriken eines radikalen, auf seine Weise elitären Individualismus Ausdruck fand. Am größten fiel dabei die Distanz zu einerseits den ostentativ gut gelaunten und optimistischen Poppern sowie andererseits den romantischen Ökos aus, die habituelle Bestände und Redeweisen der Hippiebewegung konserviert hatten. Im Umfeld des Autors – und das ist seiner Ansicht nach zumindest für Deutschland durchaus verallgemeinerbar – war Skateboarderinnen und Skateboardern insbesondere alles verhasst, was mit Ganzheitlichkeit oder Naturverbundenheit zu tun hatte. Dieses Set an mit dem Skateboard verbundenen Haltungen und Meinungen mündete nach 1990 gar nicht selten in einen wohl spezifisch deutschen, pessimistischen, subkulturellen, juvenilen Antifa-Linksradikalismus. Konkrete Features dieses Selbstveränderungsprogramms rund um das Skateboard mögen national, regional oder sogar lokal spezifisch sein, der jeweiligen Jugendszenelandschaft geschuldet. Verallgemeinern lässt sich, dass nicht nur der Autor durch Skateboarding in eine neue zweite Haut schlüpfte, die den familiären Habitus – kulturkonservative, klassisch bildungsorientierte Kleinbürgerlichkeit, altsprachliches Gymnasium – überlagerte. Das Skateboardfahren brachte beim Autor ganz offenbar »Körper gewordene Routinen […] in Fluss« (Alkemeyer/Schmidt 2003, S. 82), seine »Familienähnlichkeit« (ebd., S. 83) zum Musik- und Körperschema des Hardcore spezifizierte eine neue Verfestigung. In der Altersgruppe des Au-
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tors traf die von Gebauer, Alkemeyer, Boschert, Schmidt und Flick (vgl. 2004, S. 9296) vorgebrachte These in vielen Fällen zu, eine bestimmte Fraktion des Kleinbürgertums – Individuen aus aufstiegsgewohnten Familien, die zu dieser Zeit verstärkt an soziale Grenzen stießen und Selbststeigerungswünsche nun sportiv auslebten – hätte eine Klassendisposition zu Selbstveränderungspraktiken wie dem Skateboardfahren. Die Mitglieder der durchschnittlich fünf bis zehn Jahre älteren Lehrgeneration hatten hingegen meist Fabrikarbeits- und Handwerkshintergründe, denen sie mittels Skateboarding teils nach oben entkamen. So absolvierte eine der zentralen Figuren dieser Szene zunächst eine Ausbildung in einem Holzberuf, um später zum Planer von Skateboardanlagen und dann zu einem gefragten Gestalter von gastronomischen Innenräumen aufzusteigen. Dabei spielten nach eigener Einschätzung dieser Person nicht zuletzt ästhetische Kompetenzen eine Rolle, die in langjähriger Verbindung mit der Skateboard-Kultur erworben wurden.
1.1.
Der eigene Körper und andere Quellen
Der Autor könnte noch lange weitererzählen. Was hier folgt, ist aber keine Autobiographie. Die Beziehung des Verfassers zu ihrem Gegenstand wurde zunächst vor allem deshalb so ausführlich dargelegt, um die Position zu verdeutlichen, aus der die Arbeit geschrieben wurde. Dennoch ist diese 30 Jahre umfassende Felderfahrung natürlich ein relevanter Teil der Quellenbasis dieser Untersuchung. Der Autor konnte oder kann viele der Bewegungen auf Skateboards, die in der folgenden Darstellung neben anderem eine wichtige Rolle spielen werden, selbst vollführen und hat dies tausendfach getan. Darunter sind auch Manöver, die heute aus der Mode gekommen sind und im Feld daher kaum noch zu beobachten wären. Diese praktisch-sinnliche Kompetenz und körperliche Erfahrung ist für die folgende wissenschaftliche Ausarbeitung insofern von Bedeutung, als dass sie dem Autor das Privileg einer »in den Intelligenztheorien oft vernachlässigte[n] Art und Weise des Verstehens« gewährt, des Verstehens »mittels des eigenen Körpers« (Bourdieu 1992, S. 205). Das bezüglich des konkreten Vollzugs vergangener sozialer Praktiken und Versionen von Praktiken beklagte »Zugänglichkeitsproblem« hinsichtlich der »Materialität« von Körperbewegungen (Reckwitz 2008a, S. 197) besteht für den Verfasser der Arbeit weit weniger als für nicht in solchen Bewegungen Geübte. In der Gegenwart und in der Rückschau können insofern die »langwierigen sozialen und zugleich körperlichen Prozesse eines habitus in the making gleichsam an sich selbst« beobachtet werden (Schmidt 2012, S. 39). Freilich hat der Verfasser den Aufbau seines Skateboard-Habitus – anders als Loic Wacquant (2003) seine Boxer-Werdung »im amerikanischen Ghetto« – natürlich nicht von Anfang an als Recherche betrieben und dementsprechend objektivierend beobachtet; es wurden auch keine Feldnotizen angelegt. Deshalb und auf-
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grund dessen, dass Teile dieser Geschichte nun schon Jahrzehnte zurückliegen, der Autor auf diese Teile seines eigenen Lebens aus einer Perspektive des Heute blickt und sich darüber hinaus natürlich interpretierende Redeweisen der Szene, deutende Darstellungen von Skateboarding in Nischen- und Massenmedien sowie auch Ergebnisse akademischer Wissensproduktion unter seine Erinnerungen gemischt haben können, muss das Teilnehmerwissen des Verfassers umsichtig methodisch kontrolliert und müssen diese eigenen Erfahrungen durch andere Quellen abgestützt werden – schon, um der Gefahr des Abgleitens ins Anekdotische zu entgehen. Bei dieser Abstützung von im Wortsinn erfahrenem Wissen verlässt sich die Arbeit auch nicht auf das neben der Feldnotiz zweite große ethnografische Quellengenre der qualitativen Interviews mit Praktizierenden, obwohl es dem Autor aufgrund seines Hintergrunds im deutschen, europäischen und teils auch im Kontext der USA und Kanadas relativ leicht gefallen wäre, relevante Gesprächspartner/innen zu finden. In einem gewissen Sinn misstraute er diesen möglichen Quellen aus ähnlichen Gründen wie sich selbst. Für die Zwecke einer historisch angelegten Untersuchung wie der vorliegenden schien es angemessener, in schriftlichen wie bildlichen Quellen nach jeweils zeitgenössischen Äußerungen zu suchen, wenn denn Deutungen und Einschätzungen aus der Perspektive der Teilnehmerschaft gefragt sind. Auch diese sind natürlich quellenkritisch zu behandeln; sie müssen untersucht und dürfen nicht einfach ratifiziert werden. Das hierzu verwendete Material sammelte der Autor ab etwa Mitte der 1990er Jahre, als die Recherche zum Vorliegenden in einem bereits etwas engeren Sinn begann. Zu dieser Zeit studierte der Autor im Hauptfach Geschichtswissenschaft und in den Nebenfächern Politikwissenschaften sowie Internationale Beziehungen in Afrika und Asien an der Humboldt-Universität zu Berlin. Obwohl in seinem stark von traditioneller politischer Geschichtsschreibung und klassischer politischer Theorie geprägten akademischen Umfeld kein Gedanke daran aufkam, dass etwas dermaßen Profanes und Abseitiges wie das Skateboardfahren jemals ein relevantes Forschungsthema sein könne, legte der Verfasser während dieses Studiums – wenn auch ohne konkretes Ziel und eher beiläufig – eine kleine Sammlung vor allem von Texten aus verschiedenen deutsch- und englischsprachigen Skateboardmagazinen, aber auch von Videomaterialien an, die ihm die SkateboardPraktik, deren Geschichte und ihre jeweils aktuellen Umformungen zu charakterisieren schienen. Auch auf diese kleine Sammlung, die andernfalls recht aufwändig zu recherchieren gewesen wäre, konnte nun zurückgegriffen werden. Im engsten Sinn begannen die Vorarbeiten zu diesem Text im Jahr 2011, als der Autor von einem ihm bekannten Publizisten gebeten wurde, für einen Fotoband einen journalistischen Text des Arbeitstitels »Was ist Skateboarding?« zu verfassen. Dieser Band ist bis heute aus verschiedenen Gründen nicht erschienen. Doch im Zusammenhang mit dieser weit gefassten Frage begann der Autor, nicht nur die
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inzwischen recht breite und weiter anwachsende wissenschaftliche Literatur zum Thema zu sichten, sondern sich auch systematischer nach weiterem Quellenmaterial umzusehen. Dieses ist nun Grundlage der vorliegenden wissenschaftlichen Ausführungen. Das Archiv der Arbeit umfasst erstens natürlich Texte aus verschiedenen Nischenmagazinen der Praktik – von den führenden US-amerikanischen Printperiodika SkateBoarder, Thrasher und Transworld Skateboarding Magazine (TWS) über die besonders in den 1990er Jahren international prägende Zeitschrift Big Brother und bundesdeutsche Magazine wie Monster und Boardstein bis hin etwa zum britischen Skateboard!, dem österreichischen Yeyo und Online-Medien wie Jenkem. Teils halfen bei der Durchsicht Nachdruck-Anthologien, etwa eine Sammlung schwer zugänglicher Texte aus dem SkateBoarder der 1970er Jahre (Friedman/Stecyk 2000) oder eine Kompilation von Artikeln aus Big Brother (Cliver/Carnie 2016). Eine zweite wichtige Quellengattung sind Videomaterialien. Hier reicht das Spektrum von dem frühen Autorenfilm »Skaterdater« (Black 1965) über von Skateboardfirmen produzierte Sport- und Musikvideos wie zum Beispiel die in der Skateboard-Kultur klassischen Filme »SkateVisions« (Hoffman 1984), »The Bones Brigade Video Show« (Peralta/Stecyk 1984) und »The Search for Animal Chin« (Peralta/Smythe 1987), an denen sich die Spezifika dieses für die Praktik eminent wichtigen Textgenres sehr prägnant zeigen lassen, bis hin zu Dokumentationen. Unter diesen sind neben dem viel gesehenen und auch sehr instruktiven Film »Dogtown and Z-Boys« (Peralta 2001) etwa die Dokumentation »Bones Brigade. An Autobiography« (Peralta 2012), Rosenbergs (2012) mit »Waiting for Lightning« betiteltes Portrait des Skateboarders Danny Way und Hills (2007) Annäherung an den Skateboardunternehmer Steve Rocco zu nennen. Die mittlerweile unübersehbare Anzahl besonders jener Sport- und Musikvideos von Skateboardfirmen zwang hier zu einer sehr selektiven Herangehensweise. Skateboard-Lehrbücher aus verschiedenen historischen Phasen der Praktik enthalten nicht nur – nicht immer sehr zuverlässige, in ihren Eckdaten aber gelegentlich benutzbare – Geschichtsdarstellungen, sondern sind auch hinsichtlich der Transformationen von typischen Körpertechniken, bevorzugten Orten, benutzten Materialien und typischen Repräsentationen der Praktik aufschlussreich (vgl. z.B. Torbet 1976; Davidson/Klein 1976; Stauder 1977; Böhm 1990; Seewaldt 1990; Mokulys/Nawrocki 1990; Kane 1992; Krosigk 2009). Michael Brookes (2005) viel gelesenes Buch »Concrete Wave« liefert nicht nur nützliche Eckdaten, sondern enthält auch interessante Texte von und Interviews mit Aktiven oder Personen, die organisatorische Funktionen in der Praktik einnehmen oder eingenommen haben; außerdem finden sich hier Nachdrucke bzw. Auszüge aus heute so gut wie unzugänglichen Texten des SkateBoarder aus den 1960er Jahren – so kann Brookes Reader heute als Materialsammlung dienen. In ähnlicher Hinsicht ist auch Mortimers (2008) Interview- und Textsammlung »Stalefish« von Bedeutung. Darüber hinaus gibt es teils sehr aufschlussreiche biografische Darstellungen über bzw.
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von Protagonisten wie Tony Hawk (Hawk 2001), Andy Howell (Howell/Greeven 2005), Titus Dittmann (2012) oder Jocko Weyland (2002), der als Journalist und langjähriger Skateboarder ein enges Verhältnis zu vielen zentralen Figuren der Praktik unterhält. Schließlich bieten in Buchform vorliegende, mal mehr und mal weniger kommentierte Sammlungen über verschiedenste in der Praktik zu unterschiedlichen Zeitpunkten gebräuchliche Artefakte und Symboliken tiefe Einblicke in die sich mehrfach verschiebenden praktischen Bedürfnisse und ästhetischen Horizonte im Skateboarding sowie über die Konstruktion der Nischenwirtschaft der Praktik – etwa über Skateboards und ihre Grafiken (Cliver 2009; Hardisty 2009; Tseng/McKee 2010; Carayol 2014), über Skateboard-Sticker (Munson/Cardwell 2004), über Street Wear und Mode mit Skateboard-Bezug (Vogel 2007) und über Skateboard-Schuhe (Blümlein/Schmidt 2010). Solche Publikationen über Gebrauchsgegenstände, die in jüngeren Jahren im Zuge einer Art Selbsthistorisierung der Praktik in wachsender Anzahl erscheinen, wurden in der wissenschaftlichen Literatur bisher kaum ausgewertet. Doch auch diesbezüglich musste eine Auswahl getroffen werden.
1.2.
Neue Spiele und Skateboarding
In welches Feld wissenschaftlicher Arbeiten fügt sich die Auswertung dieses Materials ein? Worauf kann sie zurückgreifen, wie kann sie den Forschungsstand erweitern? Dass im ausgehenden 20. Jahrhundert eine ganze Reihe sportiver oder sportähnlicher Praktiken eines neuen Typs entstehen und dass diese eine andere Art von Aktiven produzieren und anziehen als die klassischen Wettkampf- und Verbandssportarten, ist der Sport- und Sozialwissenschaft nicht entgangen. Daher kann sich die Arbeit auf eine ganze Reihe von Untersuchungen stützen, die die »Sportivität« (Kaschuba 1997) dieser Neuen Spiele1 , zu denen auch das Skateboardfahren gehört, allgemein in den Blick nehmen. Am prägnantesten unterscheidet die schon zitierte, 2004 erschienene, knappe und sehr modellklare Studie von Gebauer, Alkemeyer, Boschert, Schmidt und Flick das herkömmliche von diesem neuartigen Sporttreiben: Anstelle von Vereinen und Verbänden stiften informelle Stil1
Das Vorliegende schließt sich dem Sprachgebrauch bei Gebauer et al. (2004) an, die als »Neue Spiele« vor allem urbane Straßensportpraktiken wie Skateboarding, Inlinehockey und dergleichen im Blick haben. In einem engeren Sinn als »Neue Spiele« oder »New Games« werden in der zeitgeschichtlichen Forschung indes jene nicht selten komplex verregelten Gruppenspiele bezeichnet, die im Gefolge von 1968 entstanden und jenseits der Codes von Wettkampf, Konkurrenz, Sieg und Niederlage etc. planvoll und ganz unmittelbar emanzipatorische Lernprozesse induzieren sollten – von elaborierten Rollenspielen über Krieg, Frieden oder den Zustand der Welt bis hin zu Fußball auf zwölf Tore oder Ähnlichem (vgl. dazu Lattke 2019).
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Gemeinschaften den Zusammenhalt und Orientierungshorizont der Teilnehmer/innen (vgl. Gebauer et al. 2004, S. 14ff). Diese Praktiken verlassen die Funktionsräume des klassischen Sports und suchen sich neue Orte (vgl. ebd., S, 25ff), sie haben sehr oft eine sehr intime Beziehung zu technischen Sportgerätschaften, die gewissermaßen einverleibt werden (vgl. S. 71ff), sie zielen weniger auf einen formalisierten, objektivierten Leistungsvergleich als auf Körpergenuss, Selbststeigerung und Selbstveränderung (vgl., S. 109) durch eine praktische Irritation von Routinen des körperlichen Habitus (vgl. Alkemeyer/Schmidt 2003). Das für diese Praktiken benötigte Bewegungswissen sowie das für sie konstitutive »Stil-Können« (Stern 2010, S. 151ff) eignen sich die Fahrenden nicht zuletzt im versierten Gebrauch neuer, oft audiovisueller Medien an (vgl. ebd., S. 169ff). Diese Praktiken bilden sich seit den 1970er Jahren in einer schleichenden Kongruenzbewegung von Pop- und Sportkultur heran, in deren Schnittpunkt auch Skateboarding verortet werden kann (vgl. Schmidt 2002, S. 19). Auch zum Skateboardfahren selbst ist der vorliegende Text beileibe nicht die erste Untersuchung. Eine breitere sozialwissenschaftliche und ethnografische Befassung mit dem Skateboardfahren gibt es seit gut 20 Jahren – und sie beginnt nicht zufällig um die Mitte der 1990er Jahre. Um zu verstehen, warum das so ist, reicht ein letzter Blick nach Konstanz. Die alte Halfpipe, eine neue und bessere war wegen Nachbarschafts-Beschwerden über Fahrgeräusche gesperrt, stand in der Jägerkaserne, etwas abgelegen in einer Art Niemandsland zwischen Zentrum und Industriegebiet, gleich neben der damaligen Unterkunft für Asylbewerber/-innen. Noch heute ist die Gegend nicht schick, was etwas heißen will in dieser schmucken Stadt. Die Street Skater/-innen mit ihren Ollies und Baseballmützen trafen sich dagegen an der Marktstätte, dem Eingang zur in den 1980er Jahren renovierten Altstadt. Dort gibt es es eine offen gestaltete, damals als überaus ›modern‹ geltende Unterführung unter der Bahnlinie hindurch in Richtung Konzil und See. Der Untergrund ist abschüssig und fein gefugt; man muss nicht einmal anschieben. Es gibt Treppen und Kanten in verschiedenen Höhen und auch Laternen, so dass man in der Nacht fahren kann – und es gab oft ein staunendes Publikum, frisch von den Ausflugsdampfern, die im Stadthafen anlegen. Weil die Skater/-innen dort sehr sichtbar waren und zudem gelegentlich kleine Unfälle mit Passanten oder Passantinnen hatten, waren sie stets ein Thema. Von der Halfpipe dagegen wussten nur wenige in der Stadt, obwohl die dortige Crew in der Szene deutschlandweit bekannt war, während es von den Marktstättenleuten nach Kenntnis des Autors niemand zu einem überregionalen Ruf brachte. Ganz ähnlich ist die Aufmerksamkeit bis heute in der wissenschaftlichen Literatur verteilt. Es fällt sehr auf und ist für die vorliegende Untersuchung auch ein Problem, dass es über die Halfpipe-Zeit der 1980er Jahre kaum Arbeiten gibt, geschweige denn über die von jenem Slalom- und Figurenskaten bestimmten 1970er oder gar 1960er Jahre. Bis heute hat diese selektive Aufmerksamkeit Folgen für die
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Beforschung der Praktik. So kommt etwa die bedeutende Köln/Bonner HalfpipeSzene in Peters’ (2016) umfangreicher Ethnographie über das Skateboardfahren in der Domstadt nicht vor. Doch obwohl sich die Literatur über Skateboarding nur mit den jüngsten 25 Jahren der mittlerweile mehr als 50 Jahre umfassenden Geschichte der Praktik befasst, weist sie eine erhebliche Bandbreite auf – nicht nur gemessen an der Zahl der bedruckten Seiten, sondern auch an der Verschiedenheit der Deutungen und Lesarten. Wer an dieser Stelle aufgrund peripheren Vorwissens aus Zeitungen oder Magazinen eine lange Liste romantischer Narrationen von städtischer Jugendrebellion erwartet, wird sich wundern: Zwar versuchen fast alle Texte über Skateboarding, anhand mehr oder minder normativer Maßstäbe den sozialen Charakter dieser Praktik und ihrer Subjekte zu ermessen, es sind im Ergebnis aber alle denkbaren Positionen besetzt. Mal klingen Perzeptionen von »working class youth sport heroes« an (vgl. Young/Atkinson 2008, S. 34), mal gelten Praktiken wie auch das Skateboardfahren als Verkörperung einer tiefenentspannten »Leisure Class«, die von ihren Skateboards auf eine »Loser Class« hinabschaut und dabei den »flüssigen Kapitalismus« performiert (vgl. Alkemeyer 2007, S, 18). Mal sind Skater/-innen urbane Guerillas, die eine »weiche« gegen die »harte Stadt« aufrichten und behaupten (vgl. Flutsy 2000), mal sind sie Opfer von Verdrängung und stadträumlichem Ausschluss (vgl. Németh 2006) – und dann stehen Skateboard-Parks plötzlich als habituelle Schulen des Neoliberalismus (vgl. Howell 2008) und Skateboarder/-innen als »shock troops of gentrification« in Verdacht (vgl. Howell 2005). Mal weisen Skateboarder eine zwar widersprüchliche »alternative masculinity« auf, die aber zentrale Features einer herrschenden Form von gemachter Männlichkeit zurückweist (vgl. Beal 1996). Und mal produzieren sie einen zutiefst geschlechtshierarchischen »street habitus« und erscheinen als ausnehmend misogyne Machobande (vgl. Atencio et al. 2009). Mal prägt Skateboarder/-innen »subkultureller« Eigensinn und leisten sie »offenen sozialen Widerstand« (Beal 1995), dann sollen sie wieder Charaktermasken der Ellenbogenmentalität abgeben (Kowalski 2004). Zuweilen lavieren sie zwischen »urbaner Rebellion und neoliberalem Selbstentwurf« (Schweer 2014) oder ist die Rede von einem »productive encounter« von »governance and resistance« in der Skateboard-Kultur (Lombard 2016). Iain Borden (2001) beobachtet eine gelebte Kritik der kapitalistischen städtischen Oberflächen. Für Kusz (2007, S. 126) transportieren Skateboard-Bilder dagegen einen »new cultural racism«; nicht unähnlich liest Yochim (2010) die Praktik als Reformulierung der Dominanz von weißer Männlichkeit in Abwehr ihrer Herausforderung durch Feminismus sowie nicht-weiße und sexuelle Minderheiten. Butz (2012) untersucht den Zusammenhang zwischen dem Skateboardfahren in trockenen Swimmingpools sowie Punkbzw. Hardcore im Kalifornien der 1980er Jahre und fragt, ob die als männlich veranschlagten Skateboarder ihrem Sexismus davonfahren können. Porter (2014)
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feiert die oft unsichtbaren Frauen im Skateboarding und Peters (2016, S. 305) die Kölner Street Skateboarder/-innen als partizipatorische urbane »Commonisten« – und das ist nur eine Auswahl. Wie ist mit diesem Stimmengewirr umzugehen? Auf einen genaueren Blick zeigen sich bestimmte Gruppierungen in diesen Urteilen über Skateboarder/-innen: Generell scheint erstens das mit Blick auf die 1990er Jahre gezeichnete Bild erheblich freundlicher auszufallen als die Portraits der Praktik und ihrer Subjekte nach der Jahrtausendwende. Zweitens fällt auf, dass – mit der signifikanten Ausnahme zweier Aufsätze von Ocean Howell (vgl. 2005, 2008) – Texte, die sich mit den räumlichen Verhältnissen der Praktik befassen, eher dazu neigen, Skateboarding als rebellisch zu perzipieren, während Texte, die auf Fragen von Geschlecht und Ethnizität abstellen, zu normativ negativen Charakterisierungen neigen. Wenn es nun – und nicht weniger nimmt die Arbeit sich vor – darum gehen soll, eine Route durch die Geschichte der Praktik zu finden, die diese gegensätzlichen Lesarten zumindest nachvollzieh- und diskutierbar macht, ist es erstens nötig, die »missing stories« (Donnelly 2008b, S. 198) der Praktik aufzuarbeiten, also die Umstände, Dynamiken und Brüche in ihrer Geschichte zu rekonstruieren, die zu so unterschiedlichen Ergebnissen führen. Dazu ist es zweitens geboten, sich zunächst nicht auf eine Perspektive einzulassen, die auf normative Maßstäbe von progressiv und regressiv zielt, sondern nüchtern zu rekonstruieren, was die Praktik wann konkret ausmacht. Und drittens ist es hilfreich, sich zunächst anzusehen, wie genau sich welche Untersuchungen ihrem Gegenstand nähern. Dies soll nun am Beispiel jener zwei der bisher insgesamt fünf deutschund englischsprachigen Monografien2 über Skateboarding geschehen, die sich vordringlich mit dem sozialen Geschlecht und der Ethnizität der Praktik befassen. Bourdieu warnt in seinem »Programm für eine Soziologie des Sports«, gerade solche Klassifikationen würden »viel zu rasch« vorgenommen. Die Aufgabe der Soziologie bestehe darin, »die Merkmale zu entwickeln, die bedingen, dass ein Sport mit den Interessen, den Vorlieben, dem Geschmack einer bestimmten sozialen Gruppe Affinitäten aufweist« (Bourdieu 1992, S. 194). Wie also geht Emily Chivers 2
Zu erwähnen sind noch zwei weitere jüngere deutschsprachige Dissertationen, die sich in einem etwas weiteren Sinne mit Skateboarding befassen: Bock (2017) untersucht die »Kommunikative Konstruktion von Szenekultur« anhand von Skateboard-Content in Onlinemedien, wobei die Praktik als »Sinnstiftung und Orientierung im Zeitalter der Digitalisierung« in den Blick kommt. Bock (2018, S. 156) unterstreicht dabei auch die Wechselwirkungen zwischen praktizierendem Körper und seiner Medialisierung hinsichtlich von »Körperwissen«, szenespezifischen Normen und »Ästhetisierungsoptionen« – ein Thema, auf das auch diese Arbeit noch ausführlich eingehen wird. Pachl (2017, S. 130) widmet sich dem »Phänomen Skatesticker« und zeigt u.a. auf, dass in Skateboard-bezogenen Grafiken vielfach »Adaptionen aus dem Bereich der Kunst« hinsichtlich der »Motivik, des künstlerischen Stils oder der angewandten künstlerischen Strategie« vorgenommen werden.
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Yochim (2010) in ihrer Studie »Skate Life. Re-Imagining White Masculinity« vor? Sie untersucht die – nach ihrer Beobachtung männliche und weiße – SkateboardSzene in der Universitätsstadt Ann Arbour und im Süden des US-Bundesstaates Michigan um die Mitte der 2000er Jahre, zu der die Autorin (vgl. ebd., S. 5) über ihren langjährigen Lebensgefährten und Ehemann Zugang hat. Yochim (2010, S. 77) geht von der These aus, »the practice’s subcultural roots« seien »mostly a discoursive production of the media«. Sie versteht Skateboarding als »corresponding culture« (S. 17), indem Skateboarder/-innen ihre Identitäten stets zwischen Nischen- und Massenmedien aushandelten. Das erste Kapitel ihrer Untersuchung besteht aus einer Rekonstruktion von Motiven, die amerikanische Massenmedien der Praktik seit den 1960er Jahren zuschreiben. Vor diesem Hintergrund breitet Yochim ihre aus qualitativen Interviews, einer Textanalyse der MTVShow Jackass – in der der Skateboarder Bam Magera allerlei derbe Jungenspäße auf eigene und auf anderer Kosten vollführt – und aus einer exemplarischen Auseinandersetzung mit den Narrativen zweier Skateboard-Videos aus den frühen 2000er Jahren gewonnenen Ethnografie der Praktik aus: In einer Mischung von einerseits Narrationen der Mehrheitsgesellschaft und andererseits damit teils konfligierenden, dieselben aber auch teils ratifizierenden Repräsentationen entstehe eine neue, veränderte, aber dennoch dominante Version weißer männlicher Identität. In ihren »values and ideas« (Yochim 2010, S. 80) durchbrechen männliche Skateboarder »some gender norms«, indem sie sich etwa traditionell weiblich veranschlagte Features wie Eleganz oder Sinn für Ästhetik aneignen; daraus formen sie eine neue Männeridentität um Züge wie Individualismus, Expressivität und Authentizität (ebd., S. 78), die sie als »perpetual Peter Pans« (S. 158) in einer »never-ending adolescence« (S. 111) zelebrieren. Dabei bedienten sie sich bei Nicht-Weißen: So werde Black Culture und würden Afroamerikaner/-innen in Skateboard-Videos zu »a series of stylistic signifiers« (S. 151) degradiert, die nur dazu diene, weiße Skateboarder mit »borrowed authenticity« (ebd.) zu präparieren und ihnen »borrowed legitimacy« als Adepten einer »culture of cool« (S. 148) zu verschaffen. Wirkt aber diese Identitätskonstruktion nur im Kopf? Wie kommt sie in die Körper und damit in die Welt? Diesbezüglich bleibt Yochim unbestimmt. Zwar erfährt man in dem Buch vage, welcher Art des Skateboardfahrens die von Yochim untersuchte Szene nachgeht – offenbar Street Skateboarding –, doch ist auffallend, dass die Dimension körperlicher Bewegung fast vollständig ausgeblendet ist. Die nahezu einzige Stelle, an der sie konkrete Bewegungen beschreibt, bezieht sich nicht auf das Skateboardfahren, sondern das Ansehen von Skateboard-Videos (vgl. Yochim 2010, S. 160f). Es ist nun tatsächlich sehr aufschlussreich, Skateboarder/innen beim Videokonsum zu beobachten – sie vollziehen in Andeutungen die gesehenen Bewegungen mit, sie ›schauen mit dem Körper‹, sie lassen sich affizieren. Der Verweis auf diesen betont körperlichen Textkonsum kann eine Replik sein auf jenen »beständigen historischen und soziologischen Zweifel« gegenüber textua-
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listischen Verfahren, der sich nicht mit der Annahme begnügen möchte, dass Bezeichnungsvorgänge das Bezeichnete – hier die Identität von Skateboard-Aktiven – mitkonstituieren, sondern genau wissen will, wie das geschieht (Reckwitz 2008a, S. 200). Dennoch bleibt der weitgehende Ausschluss ausgerechnet des Körpers aus Yochims Untersuchung bemerkenswert. So verspricht das Kapitel »Freedom on four wheels«, sich »holistically« mit der »construction of male youths’ identity« durch Skateboarding zu befassen (Yochim 2010, S. 80), ohne auch nur ein Manöver zu untersuchen. Keine der 13 Fragen auf Yochims Interviewbogen bezieht sich direkt auf Körpererleben (ebd., S. 182). Yochim schreibt, Skateboarding sei »characterized by movement« – und meint doch nicht etwa Bewegungen von Körpern auf Skateboards, sondern die Fluktuation der Szenemitglieder sowie die volatilen Freundschaften zwischen ihnen (vgl. S. 81). Sie nennt den »skate shop« als den Ort, an dem Skateboarder/-innen durch Videokonsum, Gespräche und andere Interaktionen eine »seemingly ›authentic‹ definition of their practice« entwürfen (S. 77). Doch bei aller Wichtigkeit dieser Videos, auf die noch einzugehen sein wird, und auch der Shops als Wohnzimmer der Szenen findet Selbstbildung primär am Skate Spot statt: an den Orten, an denen die Praktik ausgeübt wird. So bleibt von Yochims instruktiver Arbeit auch die Aufforderung, den Blick systematisch auf die körperlichen Vollzüge zu richten. Schon eher in diesem Sinn legt Konstantin Butz (2012) seine Studie »Grinding California. Culture and Corporeality in American Skate Punk« an. Die eingangs aus dem Erleben berichtete Verwandtschaft von Skateboardbewegungen in vertikalen Wänden mit dem musikalischen und dem Bewegungsschema des Punk/HardcoreStils wird in dieser Untersuchung systematisch rekonstruiert. Skateboarding – vor allem in jenen trockenen Swimmingpools, die nicht nur einer seiner mythischen Orte sind, sondern tatsächlich eine erhebliche Rolle in seiner Geschichte spielen – und Punk/Hardcore überschneiden sich im südkalifornischen Suburbia der ausgehenden 1970er und 1980er Jahre in dem musikalisch-sportiven Hybriden Skate Punk. Die Verbindung besteht in einer geteilten Motorik, die Butz nach Enda Duffy »adrenaline aesthetics« nennt (Butz 2012, S. 256ff). Wenn die Aussagen des SkateboardProtagonisten Steve Alba gegenüber Butz zutreffen, sind es Skateboarder – nämlich er selbst, Tony Alva, Steve Olson und Fausto Vitello, Gründer des Skateboardund Musikmagazins Thrasher, die 1978 auf einem Konzert von Dead Kennedys, The Cramps und The Clash den Slam Dance ›erfinden‹, die noch rauere, US-amerikanische Version des britischen Pogo (Butz 2012, S. 102). Butz versucht nun, das Verhältnis zwischen dieser geteilten Motorik von Skateboarding und Punk/Hardcore auf der einen und den kulturellen Zeichen und Codes von Skate Punk auf der anderen Seite genauer zu eruieren. Letztere begutachtet er ähnlich skeptisch wie Yochim: Skate Punk ist demnach eine kulturell-politische Bewegung, die die weiße, patriarchale, wohlsituierte Welt der kalifornischen Vorstädte ambivalent von innen angreift (Butz 2012, S. 88) – den Egoismus der neoliberalen
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Tax Payers’ Revolt (vgl. ebd., S. 47ff), rassistische Minorisierungsängste der dominierenden weißen Mittelklasse, das seinen Aufstieg beginnende politische Christentum (vgl. S. 35), den von Konformitätsdruck geprägten Alltag in wohlgeordneten suburbanen Zonen. Von innen heißt dabei freilich, dass die Involvierten dieser corresponding cultures nicht nur meist Angehörige eben dieser Schichten sind, sondern auch das Macht- und Repräsentationssystem, das sie angreifen, nicht ganz hinter sich lassen können. So seien zum Beispiel die von privilegierten Positionen ausgehenden Praktiken der Selbststilisierung als Minderheit, des Sich-zur-Zielscheibe-Machens durch Kleidung und Auftreten, an die Existenz tatsächlich Marginalisierter gebunden und könnten die wirkmächtigen Bilder von diesen noch bestärken (vgl. Butz 2012, S. 126). Wiewohl die symbolische Selbstmarginalisierung gelegentlich in reale Viktimisierung durch Polizei oder »Jocks« mündet (vgl. ebd., S. 87), gebe es immer wieder Fälle, in denen rassistische Klischees durchschlügen. Zugleich würden Geschlechterhierarchien reproduziert: In den Repräsentationen von Skate Punk tauchten Frauen gar nicht, als bewunderndes Beiwerk oder – seltener – als Sexualobjekt auf. Anders als der frühe Londoner Punk, der viel auch mit Gender-Ambivalenz provozierte, wendet sich der kalifornische Hardcore durch ein offensives Display von Schmerz und Gewalt gegen die niceness der Vorstädte. Bilder verwundeter Männerkörper stießen junge Frauen ab. So entstehe ein symbolisches Reservoir »that the respective boys/men could use to deal with the identity crisis and the contradictions that follow from the fact, that as intersectionally privileged subjects, they try to adopt the identity of the social other« (S. 94). Butz’ Interpretation der Texte von Skate Punk in den 1980er Jahren entspricht also in etwa derjenigen von Yochim. Ihn interessiert aber auch, ob und wie »bodily movement« zur »mediation of rebellious momentum in skate punk culture« beiträgt (Butz 2012, S. 21). Dabei lautet seine von Gumbrecht inspirierte These, das Bewegungserleben selbst – auf Skateboards wie in der Musikkultur – könne »moments of lived intensity« enthalten »that escape appropriating interpretations as well as meaning attributions and representation«. Momente nomadischer Mobilität und in Bewegung geschaffene »spaces of smooth fluidity« böten den Subjekten eine mikropolitische »chance to loosen those axes of differentiation that are crucial when it comes to the construction and attribution of identity« (ebd., S. 266). Bewegung wäre dann nicht nur der Moment, in dem Bedeutung ratifizierend verkörpert wird, sondern zugleich auch ein Moment potenzieller praktischer Irritation, in dem sich gegebene Verfestigungen auflösen und neue herausbilden können. Diese Spannung zwischen Bedeutung und Bewegung ist eines der Probleme, auf die das Folgende immer wieder zurückkommen wird. Zwei weitere der insgesamt fünf größeren Monographien über Skateboarding befassen sich in einem weiteren Sinn mit dem Verhältnis von Skateboarding zu seiner städtischen Umwelt. Iain Bordens Untersuchung »Skateboarding, Space and the
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City. Architecture and the Body« (2001) ist die älteste wissenschaftliche Buchpublikation über Skateboarding. Borden analysiert die Praktik im Sinne einer von Henri Lefebvre inspirierten Architekturgeschichte. Neben symbolischen Hervorbringungen und körperlichen Bewegungen kommt so eine dritte Dimension in den Blick, die eine historische Darstellung über Skateboarding zu berücksichtigen hat: die Orte und Räume, an und in denen sich Skateboarder/-innen bewegen, die Artefakte, die sie als Terrains benutzen. »Time, space and social being are inter-produced«, schreibt Borden, »space-production […] must be seen as a process involving not only theories but also practices, objects, ideas, imagination and experience« (Borden 2001, S. 11). Nach einer kurzen technischen Geschichte des Skateboards (vgl. ebd., S. 13-28) wendet sich Borden Skateboarding als einer Praktik zu, die aufgrund spezifischer körperlicher Fertigkeiten auf Skateboards, auf Basis von Fantasien von Ozean und Brandung situativ erlebbare Mikroräume an Orten schafft, an denen ohne diese Fertigkeiten und Fantasien auch solche Räume nicht existieren: Auf Schrägen etwa unter Brücken oder am Rand von Schulhöfen, später in leer stehenden Swimming Pools werden, so Borden, bereits in den 1960er, verstärkt aber ab Mitte der 1970er Jahre zunächst Bewegungen von Wellenreitern emuliert: »Cities thus suddenly, it seemed, obtained ocean-like forms« (S. 33). Wer sich zu diesen Räumen Zutritt verschaffen kann, erlebt sie mit verschiedenen Sinnen. Die Textur der Oberflächen verursacht spezifische Geräusche (vgl. Borden 2001, S. 35), Körper können sich – etwa in vertikalem Terrain – für kurze, intensive Momente schwerelos fühlen (vgl. ebd., S. 36). Mit der Steigerung von Körpertechniken kann die Praktik in ihrer Geschichte und können einzelne Skateboardfahrer/-innen nicht nur neue Orte für ihre räumlichen Hervorbringungen zu nutzen lernen, sondern auch denselben Orten neue räumliche Ebenen entlocken. Borden, selbst ein teilnehmender Zeuge des Skateboarding der späteren 1970er Jahre, macht dies anhand der Entstehung des vertikalen Skateboardfahrens plastisch: An der Kante der Steilwand erschließt körperliche Praxis einen »micro space of the skateboard wheel and truck in relation to that edge […] measured in fractions of an inch« (S. 37), der zugleich eine weite Welt von Fantasie, Emotion und Erfahrung offeriert. Zentral für diese »theorized history of skateboarding« (S. 265) ist ein Konzept von Raum, das Borden unter dem Rubrum »Body Space« ausführt. Sowohl auf »gefundenen« Architekturen wie jenen Schrägen oder Schwimmbecken als auch in »konstruierten« Skateparks bestehe die Architektur der Praktik im Sinne Lefebvres in einer Praxis, die Räume schafft. Solcher Körperraum entsteht in einer »dynamic intersection of body, board and terrain«. Er wird nicht entworfen, sondern in actu ertastet; Body Space ist insofern ein »gestural space of flow and action« (S. 96), der in Bewegung ein physikalisches Außen jenseits des Körpers – das Terrain und das Skateboard – integriert. Er entsteht, so Borden, »dialektisch«: Die Technologie und Gestalt des Skateboards sowie und vor allem die architektonischen Formen des Terrains können den Bewegungen des Körpers entgegenstehen
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oder sie unterstützen. So ist Architektur nicht mehr ein Außen des Körpers, sondern entsteht in der Beziehung zwischen Körper, Skateboard und Terrain: »The spaces created are thus parts of the skater as well as of the terrain, and each is a unique, active production« (S. 104) – ein Prozess, in dem die beteiligten Elemente einander bearbeiten und verändern: »It is not only the city but the body that is changed in the engagement of skater, skateboard and street architecture«, schreibt Borden am Beispiel des Street Skateboarding nach 1990 (S. 200). Vor allem am Beispiel des Street Skateboarding, das um 1990 zur dominierenden Version der Praktik aufsteigt, entwickelt Borden sein politisches Argument: Die moderne Stadt sei ein Agglomerat der Produktion – von Waren, von Wissen, von Arbeitskraft. Skateboarder/-innen aber reinterpretieren »the spaces of economic production into areas of broader creativity« (Borden 2001, S. 187). Diese Aneignung könne in direkter symbolischer Konfrontation geschehen, wenn etwa gerade Zentren der Macht wie Rathäuser, Banken etc. bespielt werden. Oft stünden aber Räume im Mittelpunkt, »which symbolize not through overt iconography but through expansivity of space«: Zonen, die Borden in Anlehnung an Lefebvre und Barthes als »spatial degree zero« bezeichnet (ebd., S. 188). Wo städtischer Raum mehr Funktion als Bedeutung hat und besonders in Zeitfenstern, in denen auch die Funktion (etwa eines Parkplatzes) still liegt und nur die Formen bleiben, finden sich Skateboardorte. In solchen Zonen von Nullarchitektur – Borden nennt das englische Milton Keynes als Beispiel – etablieren Skater/-innen rhythmische Dissonanzen: im engsten Sinn durch das ständige Rattern, Klicken, Kratzen, Knirschen, Klatschen und Poppen, das ihre Aktivität verursacht, in einem weiteren etwa dadurch, dass sie verweilen, wo gehuscht werden soll (Borden 2001, S. 198f). Skateboarding ist situationistisches Derive und Detournement, seine Spuren auf dem Stadtmobiliar sind »counter-inscription« (ebd., S. 210). Skateboarding wertet übersehene, vernachlässigte Orte auf und entwirft neue Stadtpläne, in denen nicht Prachtbauten dominieren, sondern alltägliche, spezifisch nutzbare Orte (S. 221ff). Die Praktik unterstreiche einen spezifischen Gebrauchswert von Stadtmobiliar (S. 237), sei »productive-of-nothing-labour« und »disruptive to the optimal management of urban space« (S. 231). Entsprechend zeichnet Borden ein noch recht bruchloses Bild einer antagonistischen »Subkultur«: Zwar registriert er – vor allem nach 1990 – »explicitly sexist articles, photographs and advertisements« (S. 147) sowie homophobe Tendenzen (S. 148) und schreibt, Skateboarder produzierten sich selbst »as heterosexual males with a particular construction of masculinity« (S. 148). In seiner Darstellung wird das aber gewissermaßen von Motiven wie »rejection of society« (S. S. 151ff) und »rejection of the family« (S. 165ff) aufgewogen; auch unterstreicht er Widerstände gegen die »commodification of skateboarding« (S. 159). In der 2018 erschienenen, überarbeiteten und zeitlich fortgeschriebenen Neuauflage seines ›Standardwerks‹
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von 2001 nimmt Borden zwar jüngere Kritiken an der Identitätspolitik in der Praktik auf, verteidigt aber grundsätzlich die »dispersed and partipicant-based nature« (Borden 2018, S. 283) einer Praktik, die unter dem Strich in ihrer Teilnehmerschaft eine »different life perspective« installiere, in der »participation, expression, satisfaction and community« bis heute wichtiger seien als »scores, fame, riches or power« (ebd., S. 284f). Während sich also Iain Borden in einer schwerpunktmäßig theoretischen Hinsicht vordringlich mit den mikroräumlichen Verhältnissen des Skateboardfahrens bis zur Jahrtausendwende befasst, passt Christian Peters’ 2016 erschienene Darstellung »Skateboarding. Ethnographie einer urbanen Praxis« ihren Gegenstand in das konkrete, mesoräumliche Umfeld der deutschen Großstadt Köln ein. Die Untersuchung ist im Grunde rund um die langjährige und in der Stadt zeitweise sehr prominent geführte Auseinandersetzung um das Skateboardfahren auf der Domplatte organisiert. Diese wurde während Peters’ von 2007 bis 2013 andauernden Feldstudien dahingehend entschieden, dass der Kölner Skateboardszene ein hochwertiger Ersatzort angeboten wird, während das Fahren vor dem Dom – der als Skateboard-Ort in ganz Deutschland und darüber hinaus bekannt war – seit dem Sommer 2011 verboten ist. So bekommt Peters Skateboarding tatsächlich in dem Sinn als urbane Praktik in den Blick, als dass nicht nur die Interaktion zwischen den Fahrenden und den Oberflächen und Artefakten einer Straßenlandschaft untersucht wird, sondern auch das so konflikt- wie aufschlussreiche Wechselverhältnis zwischen Skateboarding und dem politisch-planerischen Zusammenhang namens städtischer Raum in einem konkreten Fall. In dieser sich über Jahre zuspitzenden Auseinandersetzung erweist sich das Skateboardfahren als Kristallisationspunkt, anhand dessen sich Praktiken und Motivlagen von Stadtpolitik in einem Konflikt mit jenem neuen Bündel städtischer Praktiken plastisch machen lassen, die Peters nach Häußermann und Siebel »neue Urbanität« nennt (vgl. Peters 2016, S. 9). Peters’ vor allem auf Interviews und Notizen aus über 80 Feldbesuchen basierende Untersuchung unterscheidet sich dadurch grundlegend von den Studien Bordens, Yochims und Butz’, dass sie nicht oder nur sehr am Rande daran interessiert ist, was das Skateboardfahren aus seinen Subjekten macht – wie sich also Personen, die sich über Jahre intensiv in dieser Praktik üben, in das kulturelle Hierarchie- und Differenzsystem einer zeitgenössischen westlichen (Stadt-) Gesellschaft einpassen: So geht Peters etwa auf die in der Literatur ansonsten – und ausweislich der bis heute auffallenden männlichen Prägung der Praktik auch mit gutem Grund – so prominent diskutierte Frage nach der Vergeschlechtlichung nicht ein. In Peters’ eher von sportwissenschaftlichem und geografischem Interesse ausgehender Untersuchung steht im Vordergrund, wie Skateboarding genau gemacht wird. So entsteht u.a. eine trennscharfe und instruktive Typologie zeitgenössischer »Praktiken des Skateboardfahrens«, die die feinen – Außenstehenden kaum unmit-
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telbar einsichtigen, aus Sicht der Skateboarder/-innen aber erheblichen und teils als Distinktionskriterium innerhalb der Szene dienenden – Unterschiede zwischen etwa dem Fahren in einem »Skatepark« oder einer »Skatehalle«, auf einer »Skateplaza« sowie dem »Street-Skaten« und dem »DIY-Skaten« sehr plastisch macht (vgl. Peters 2016, S. 134-168). Dabei scheint Peters allerdings den Ethos seiner KernBeobachtungsgruppe – der sogenannten Dom-Posse – zu ratifizieren. Deswegen erscheint Street Skateboarding (neben DIY-Skateboarding, also dem Fahren auf illegitim selbstgebauten Anlagen im öffentlichen Raum) gewissermaßen als die authentische Gestalt der Praktik und andere Formen derselben werden weniger aufmerksam betrachtet, wenn nicht als defizitäre Versionen des Skateboardfahrens in den Blick genommen. Sebastian Schweers (2014) kurze Studie über »Skateboarding. Zwischen urbaner Rebellion und neoliberalem Selbstentwurf« hingegen folgt wiederum einem eher politisch-normativem Erkenntnisinteresse. Allerdings fragt Schweer anders als Yochim und Butz nicht danach, ob sich die Praktik in einer progressiven oder regressiven Weise in das soziale Differenzsystem von Gender, Race und Class einfügt, sondern untersucht, inwieweit die Praktik »im veränderten institutionellen Umfeld des postfordistischen Verwertungsregimes« zu vereinnahmen oder bereits integriert sei (Schweer 2014, S. 10). So untersucht Schweer u.a. in Anlehnung an Jacques Rancière aus einer politologischen Perspektive den auch bei Peters im Blickpunkt stehenden Kölner Konflikt und vergleicht ihn mit einer ähnlichen Auseinandersetzung um das Southbank-Kulturzentrum in London. Dabei steht die Frage im Mittelpunkt, ob sich die Skateboarder/-innen in diesen Konflikten letztlich einer »Platzzuweisung« (ebd., S. 109) unterordnen oder ob sie im »Kampf um die Anerkennung als sprachfähiges Wesen« (S. 23) bestehen. Während Schweer den Kölner Konflikt »klar als Platzzuweisung« (S. 109) deutet, hätten sich die Londoner Skateboarder/-innen, die ihre später auch tatsächlich erfolgreiche Kampagne für den Status Quo allgemein gegen die seit Margaret Thatcher in Großbritannien sprichwörtliche TINA-Politik (›There Is No Alternative‹) richteten, politisch behauptet – obwohl zu ihrem Erfolg auch beitrug, dass die Stadt London die traditionsreiche Skateboard-Nutzung dieses Ortes zugleich zu einem Teil ihrer Stadtmarke erklärte. Weiterhin gleicht Schweer, der offenbar über Teilnehmerwissen verfügt, jüngere Entwicklungen der Praktik – etwa das Aufkommen des hochkommerziellen, massenmedialisierten Wettkampfformats Street League Skateboarding seit 2010 – mit allgemeinen Charakterisierungen der Postmoderne beziehungsweise des Postfordismus nach Fredric Jameson und David Harvey ab. Da der Kapitalismus nach »Überakkumulationskrisen« auf »Authentizitätsreservoirs« angewiesen sei, um dem »tendenziellen Fall der Profitrate« zu entgehen (ebd., S. 154), rücke Skateboarding in den Fokus des postfordistischen Verwertungsregimes. Der Umstand, dass sich rund um die Praktik, vor allem in den USA, aber mittlerweile auch in Europa,
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ein Milliardenmarkt an Soft Goods – Modeartikel, Schuhe etc. – etabliert hat, der etwa 90 Prozent der Skateboard-bezogenen Umsätze auf sich vereint, zeige die Praktik als »Produktivkraft« (ebd., S. 153ff) einer postfordistischen Stil-Industrie. Bestimmte Eigenschaften der Praktik und ihrer Subjekte – Mobilität, Flexibilität, Individualismus, Risikofreude – machten die Praktik, die Schweer nach Boltanski und Chiapello als eine »Künstlerkritik« versteht, »anfällig für die Akkulturation« durch den postfordistischen Kapitalismus (Schweer 2014, S. 63). Auch sei die Praktik ein »geschichtsphilosophisch adäquater Ausdruck« der »beschleunigten postmodernen Welt« (ebd., S. 66). Die Frage, ob die Praktik aufgrund solcher Features akkulturiert werde oder nicht, so Schweers Fazit, lasse sich nicht substanziell beantworten, sondern nur kontextabhängig: Ähnlich wie Peters diese beiden Formen der Praktik als das eigentliche Skateboarding zu betrachten scheint, nennt auch Schweer die situative Aneignung von städtischen Orten im Street Skateboarding sowie die dauerhaftere Okkupation durch DIY-Anlagen als wahrscheinlichstes Umfeld eines Skateboardfahrens »im eigenen Recht« (S. 168), das Potenziale habe, sich der Akkulturation zu entziehen und sogar über den Kapitalismus hinauszuweisen. Zu den Desiderata dieser Studie zählt sicherlich – die Rede vom »geschichtsphilosophisch« adäquaten »Ausdruck« deutet es an – das Fehlen jeder handlungsbezogenen Optik, aus der sich rekonstruieren ließe, wie sich ausgerechnet das Skateboardfahren in der Tat zu einer Praktik entwickelt, die in der beschriebenen Weise als »Produktivkraft« eines postfordistischen, ästhetischen Kapitalismus fungiert.
1.3.
Subjektivierung im Sport
Um nun eine sinnvolle Gesamtschau auf die Skateboard-Praktik zu geben, muss die Arbeit alle diese Perspektiven und Vorgehensweisen berücksichtigen. Sie muss sich mit formativen symbolischen Darstellungen der Praktik ebenso befassen wie mit ihren konkreten körperlichen Bewegungen, sie muss die körperzentrierten MikroRäume, die Skateboarder/-innen in ihren Bewegungen erschaffen und in denen sie jene Erlebnisse haben, um die es ihnen geht, ebenso in den Blick bekommen wie das Verhältnis dieses Treibens zur Stadt und ihrer Politik. Sie muss immer wieder genau hinsehen, was Skateboarder/-innen genau tun und muss fragen, was diese Aktivitäten aus den Aktiven machen. Nicht zuletzt muss sie die Subjekte, die sich im Zusammenspiel jener Repräsentationen und Bewegungen in diesen Mikro- und Mesoräumen heranbilden, vor den Hintergrund jenes sozialen Wandels stellen, der die westlichen Gesellschaften gerade in dem Zeitraum erfasst, in dem die Praktik entsteht und sich – so viel lässt sich nun sagen – mehrfach grundlegend umbildet. Wie aber kann eine solche Darstellung den gegebenen Forschungsstand erweitern, wie ist sie zu diesem Zweck sinnvoll anzulegen, auf welche Fragen will
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sie Antworten geben? Wohl wissend, dass viele Involvierte eine solche Klassifizierung ablehnen und im Gegensatz zu einem Großteil der einschlägigen Literatur, nähert sich die Untersuchung dem Skateboard nicht aus dem Blickwinkel einer Subkultur- oder Post-Subkultur-Forschung, sondern aus Richtung einer qualitativ operierenden, historisch interessierten Soziologie über Sport. Sie konzentriert sich also nicht primär auf die Suche nach oder das Dementieren von rebellischen, antihegemonialen, emanzipatorischen Potenzialen im Skateboarding, sondern geht zunächst vom Sportfeld aus und fragt nach der Wirkung des Aufkommens dieser Praktik auf dieses Feld. Bourdieu bemerkt, dass innerhalb desselben das »Auftreten einer neuen (etwa Windsurfen oder Wellenreiten)« oder die »Verbreitung einer bestehenden Sportart wie etwa Tennis« in neue Trägerschichten zu »systematischen Transformationen« führt (Bourdieu 1992, S. 195f): Tritt eine neue Position auf, rekonfigurieren sich nicht nur die Beziehungen innerhalb dieses Raums oder Felds und beginnen sich deshalb die anderen Einwohnerinnen desselben zu verändern, sondern distanziert sich unter Umständen das gesamte Feld von gewohnten Nachbarschaften und knüpft neue Kontakte – oder es dehnt sich aus und bildet neue Schnittmengen. Wie weit reicht diese Verschiebung? Wie genau trägt die Skateboard-Praktik zu ihr bei – jenseits der offensichtlichen Tatsache, dass sie eine außerordentlich kreative Sportpraktik ist, indem sie Sportmöbel wie die Halfpipe oder Slopestyle-Elemente hervorbringt, die in jüngeren Jahren eine ganze Reihe olympischer Sportdisziplinen generiert haben? Diese Anlage der Arbeit, die auch mit ihrem institutionellen Umfeld verbunden ist, bringt es aber keineswegs mit sich, die Frage nach der Beziehung der Praktik zu jenen Prozessen sozialen Wandels des späteren 20. und einsetzenden 21. Jahrhunderts aus dem Auge zu verlieren: Indem sie jener Richtung der Sportsoziologie folgt, die den Sport als einen »relativ autonomen Raum« betrachtet, aber doch annimmt, dass »in diesem Raum Kräfte sind, die sich nicht nur auf ihn selbst applizieren« (Bourdieu 1992, S. 196f), misst sie dem Sport eine gewisse »Indikatorfunktion« hinsichtlich des Sozialen und dessen Veränderungen zu (Gebauer et al. 2004, S. 17). Dies freilich weniger in dem Sinn, dass Sport insofern als »Detektor von neuen sozialen Entwicklungen aufgefasst werden« könne (ebd., S. 18), als dass in ihm der »in der Tiefe vorbereitete gesellschaftliche Wandel körperliche Gestalt« annehme (S. 17). Dann wäre Sport nur eine Anzeigetafel, ein Überbau von Basisprozessen und Gesellschaft wäre etwas ihm Vorgängiges und Äußerliches. Vielmehr geht das Vorliegende davon aus, dass Sport zunehmend – man denke nicht nur an die rapide Ausbreitung des eigentlichen Sports in den Medien, sondern auch an die mediale Sportifizierung des Musizierens, Kochens und sogar Verliebens – den Einzelnen Orientierung dabei gibt, sich gelingend zu vergesellschaften. Bei Nicht-Involvierten wirkt er als säkulare Religion, als formative Sprech- und Wahrnehmungsweise, als handlungsleitende Metapher, bei Involvierten unmittelbar körperlich als aus- und eingeübtes Wertesystem.
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Gerade weil Sport in einem relativ autonomen Raum stattfindet, ist in ihm das Soziale und auch dessen Wandel erkennbar: Er kann in spielerischer Zuspitzung zeigen, was zu welchem Zeitpunkt Gesellschaftsfähigkeit ausmacht. So gesehen gibt die Analyse des Sports Hinweise darauf, »welche Codes, Körperroutinen, und Wunschstrukturen« sich Einzelne in jeweiligen historisch-kulturellen Kontexten einverleiben müssen, um »zum zurechenbaren, vor sich selbst und anderen anerkannten ›Subjekt‹ zu werden« (Reckwitz 2010a, S. 14). Die Arbeit misst also am Beispiel des Skateboardfahrens jenen Prozess sozialen Wandels, der sich im ausgehenden 20. Jahrhundert vollzieht, indem sie herausarbeitet, wie sich in dieser gesellschaftlichen Verschiebung der Menschenschlag verändert, der sich im Sport formt. Dazu scheint sich Skateboarding insofern besonders gut zu eignen, als an seinem Beispiel dieser Umbruch anhand nur einer Praktik untersucht werden kann: Die Arbeit wird zeigen, dass sich Skateboarding noch in den frühen und mittleren 1970er Jahren als vergleichsweise herkömmlicher (Freizeit-)Sport beschreiben lässt, während es nach einer Rekonfiguration in den ausgehenden 1970er Jahren eine Referenzpraktik für jenes »inszenatorisch-präsentatorische« Sporttreiben wird, das sich laut Schmidt (2002, S. 31) seitdem neben dem traditionellen Wettkampfund Vereinssport etabliert. Mit Blick gerade auf die vorliegende Literatur zum Skateboarding macht es dieses Ansinnen nötig, zwei Begriffe zu erläutern, die in diesem Zusammenhang oft fallen und – obwohl sie zuweilen »als Synonyme« (Zima 2000, S. 24) verwendet werden – nicht dasselbe bezeichnen, wenn sie auch eng zusammenhängen, nämlich Subjekt bzw. Subjektivität und Identität. Die Begriffe »Identität« oder »kollektive Identität« sind besonders in ethnologischen oder an den Cultural Studies orientierten Arbeiten allgegenwärtig, die sich mit Stil-Gemeinschaften oder Subkulturen befassen (vgl. z.B. Kage 2002, S. 13ff). »Subjekt« und »Subjektivität« sind dagegen Termini, die in jüngerer Zeit vor allem in poststrukturalistisch informierten soziologischen und kulturwissenschaftlichen Texten Verwendung finden. Wie verhalten sich die Begriffe zueinander und wie ist in der Arbeit mit ihnen pragmatisch umzugehen? »Identität« hat eine lange Geschichte, nicht zuletzt als schillernder Kampfbegriff. Verstanden als eine ethnische Substanz, als verpflichtendes regionales oder nationales Erbe, lässt sich Identität entweder harmlos-konservativ als Heimatverbundenheit oder aggressiv als Kern eines kulturalistischen Neo-Rassismus im Sinne einer »Alternative zum Prinzip der Gleichheit« artikulieren (vgl. Krebs 1988). Zugleich beschäftigt die Diskussion darüber, inwieweit sich mit Erfahrungen von Marginalisierten oder durch das Durchkreuzen gesellschaftlich sanktionierter geschlechtlicher Identität emanzipatorische Strategien von ›Identitätspolitik‹ formulieren lassen, auch die gesellschaftliche Linke (vgl. Bublitz 2000; Grossberg 2007). Ziel dieses gegenläufigen politischen Einsatzes von Identität ist Gleichheit im Sinne von Gleichberechtigung durch die Anerkennung von Differenz. Doch hat sich
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das Vokabular von Identität und ›Identitätskonstruktion‹ auch als wissenschaftliches Programm etabliert. Identität meint dann, wie Kaschuba (1999, S. 132) formuliert, »bewusste wie unbewusste« Aspekte eines »umstandslose[n] So-Sein[s]«, aber auch eines »absichtsvolle[n] So-Sein/So-Erscheinen-Wollen[s]«. Es seien »stets zugleich reflexhafte, alltägliche Selbstverständlichkeiten und Standorte, die unser Identisch-Sein mit uns ausmachen, aber eben auch strategische Setzungen und Selbstverständnisse, die bewusste Effekte unserer Selbstdarstellung und unserer Wahrnehmung durch andere erzeugen sollen«. Identität beschreibt demnach »die Kennzeichnung eines Bildes und eines Prozesses zugleich: die Vorstellung eines sozialen So-Seins wie den Vorgang der gesellschaftlichen Aushandlung dieser Vorstellung« (ebd., S. 134). Der jüngere Begriff des »Subjekts« soll die »gesamte kulturelle Form« erfassen, in welcher »der Einzelne als körperlich-geistig-affektive Instanz in bestimmten Praktiken und Diskursen zu einem gesellschaftlichen Wesen wird« (Reckwitz 2010a, S. 17). Begriffe wie »Identität« und »Selbst« – die bei Reckwitz synonym verwendet werden – seien, obwohl sie »eine längere Tradition haben«, als »dem Subjektkonzept gegenüber nachgeordnet« zu behandeln (ebd.). Dann beschreibt »Identität« einen »spezifischen Aspekt« der »Subjektform«, nämlich »die Art und Weise, in der in diese kulturelle Form ein bestimmtes Selbstverstehen eingebaut ist, wobei diese Identität immer direkt oder indirekt auch mit einer Markierung von Differenzen zu einem kulturellen Anderen verknüpft ist« (ebd.) Als Beispiel nennt Reckwitz den »Proletarier«: Dessen »routinisiertes Selbstverstehen« heißt »proletarische Identität« – aber »die Subjektform in ihrer Konstituierung von Körper, Psyche und implizitem Wissen« umfasse »mehr als allein diese Ebene der Selbstinterpretation« (ebd.) Identität ist dann also ein »sekundärer Begriff«, eine »Teilkomponente des Subjekts«: die »Identifizierung der einzelnen Person als Wesen mit bestimmten Eigenschaften in Differenz zu anderen im Rahmen der kulturellen Subjektordnung« (Reckwitz 2008b, S. 79), die »innerhalb einer umfassenderen, körperlich-psychischen, letztlich vorreflexiven Subjektivierungsweise […] zu situieren« ist (S. 80). Der Vergleich macht deutlich, dass sich der Sprachgebrauch überschneidet: Kaschubas »Identität« meint nicht nur die bewussten, sondern auch die unbewussten – in Reckwitz’ Worten vorreflexiven – Aspekte des So-Seins, bezieht sich also auch auf Bereiche, die in Reckwitz’ Unterscheidung der Konstitution des Subjekts zugerechnet werden. Auch hinsichtlich der Referenzen zeigen sich Parallelen; Reckwitz und Kaschuba berufen sich ganz ähnlich etwa auf Pierre Bourdieu (vgl. Kaschuba 1999, S. 39ff; Reckwitz 2010a, S. 39ff) und Judith Butler (vgl. Kaschuba 1999, S. 161ff; Reckwitz 2010a, S. 81ff). Die englischsprachige ethnografische Literatur zu Praktiken wie Skateboarding schließlich, die in der vorliegenden Arbeit verwendet wird, gebraucht Identity zumeist ganz ähnlich wie Kaschuba in einem Sinn, der auch das
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abdeckt, was Reckwitz als Subjektivität beschreibt, während ›Subject‹ nicht selten als unspezifisches Synonym für Individuum verwendet wird. Für das Folgende ist es nötig, zu einem pragmatischen Umgang mit dieser Begriffsverwirrung zu gelangen. Wenn im Folgenden von Skateboard-Subjekten oder davon die Rede ist, wie das Skateboardfahren seine Teilnehmer/-innen subjektiviert, sind allgemeine Eigenschaftsbündel oder routinisierte Zielhorizonte des (Sport-)Subjekts gemeint, die sich in jenem Prozess sozialen Wandels verändern, der mit den 1970er Jahren einsetzt – etwa Disziplin versus Impulsivität oder objektivierte Leistung versus ästhetische Orientierung. Wenn dagegen über die Identitäten der Teilnehmer/-innen oder deren Identifizierung durch Skateboarding gesprochen wird, geht es darum, wie die Subjekte der Praktik in der Ausübung derselben nach den Kriterien von Geschlecht, Klasse und Ethnizität spezifiziert werden beziehungsweise welche dieser sozialen Identitäten die Praktik prägen, welche sozialen Gruppen eine spezielle Affinität zu ihr ausbilden und welche in der Tendenz von ihr abgestoßen werden könnten.
1.4.
Praxeologische Genealogie
Das Folgende ist nicht die Arbeit eines versierten Theoretikers, sondern Resultat der Suche eines Praktikers nach Instrumenten zur Verwissenschaftlichung von Erfahrung. Im akademischen Rahmen wurde der Verfasser 2012, fachfremd in der Soziologie und mehr als ein Jahrzehnt nach seinem letzten Besuch in einer Universität, mit einem umfangreichen Manuskript vorstellig, das vom fachlichen Standpunkt wohl als laienhaft anzusehen war. Beim Abfassen dieses Textes diente jenes Papier vor allem als Materialsammlung. Dennoch strukturieren die drei einfachen Prinzipien, nach denen der Autor schon sein erstes Manuskript aufzubauen versuchte, im Grunde auch die nunmehr vorliegenden Ausführungen: Dass sich nämlich erstens das, was Skateboarder/-innen sind oder darstellen, seit 1960 mehrfach gravierend verändert, dass diese Verschiebungen zweitens vordringlich damit zu tun haben müssen, was Skateboarder/-innen tun – nämlich Skateboard fahren – und dass sich drittens dieses Treiben am sinnvollsten anhand der Fragen deklinieren lässt, wie genau auf Skateboards gefahren wird, wo das stattfindet und welche symbolischen Darstellungen und Interpretationen dieser Aktivität jeweils welchen Sinn zuschreiben. Ohne dass er von jüngeren Entwicklungen der Sozialtheorie Kenntnis gehabt hätte, tendierte der Autor von Anfang an dazu, sein Teilnehmerund Erfahrungswissen nach Art jener »mehr oder weniger sichtbare[n] praxistheoretische[n] Perspektive« zu organisieren, die ein »Großteil der aktuellen Kulturtheorien teilt« (Moebius 2010, S. 123). Fassen ließ sich dieser naive Ansatz in einer theoretischen und methodologischen Orientierung, die sich als praxeologisch und genealogisch bezeichnen lässt.
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Was damit gemeint ist, wird auf den folgenden Seiten erläutert. Wichtig sind dabei vor allem Pierre Bourdieus Habituskonzept und Michel Foucaults Überlegungen zur Genealogie als »wirkliche Historie«, die sich in Spezifikation durch den »Stil«-Begriff der klassischen Cultural Studies und das Modell einer Geschichtsschreibung sozialer Praktiken, das Shove at al. jüngst vorgelegt haben, zu dem verbinden, was das Vorliegende unter wirklicher Geschichte versteht. In seinem »Entwurf einer Theorie der Praxis« unterschied erstmals Pierre Bourdieu (2012, S. 147) zwischen einer »phänomenologischen« oder subjektivistischen, einer »objektivistischen« und einer »Erkenntnisweise, die wir praxeologische nennen wollen«. Praxeologische Kulturtheorien sind Handlungstheorien, die menschliche Aktivität weder auf Entscheidungen autonomer Subjekte, noch allein auf übermächtige Strukturen zurückführen. Sie bilden einen »Knotenpunkt« zwischen objektivistischen und subjektivistischen Theorien (Moebius 2010, S. 123). Sie gehen, hierin ähnlich wie Giddens (1995, S. 77), von einer Dualität von Handeln und Strukturen aus: Einzelne und Gesellschaft konstituieren sich in sozialen Praktiken, die nicht nur »die Summe von Einzelhandlungen« sind (Moebius 2010, S. 124), sondern »Teil übersubjektiver Handlungsgefüge« (ebd., S. 124). Selbst- und Ordnungsbildung sind wechselseitig konstitutiv. Aus dieser Sicht besteht das Leben der Menschen aus einem Geflecht sozialer Praktiken. Reckwitz definiert eine soziale Praktik als »sozial geregelte, typisierte, routinisierte Form des körperlichen Verhaltens (inklusive des zeichenverwendenden Verhaltens)«, die »spezifische Formen des impliziten Wissens, des Know-How, des Interpretierens, der Motivation und der Emotion« beinhaltet (Reckwitz 2010a, S. 135). Praktiken sind also gesellschaftlich situierte Routinen, in denen aus Einzelnen Subjekte werden. Sie lassen sich danach befragen, wie sie »›subjektivieren‹, d.h. welche Dispositionen eines zugehörigen Subjekts sie nahe legen und über welche Wege ihnen diese Modellierung eines entsprechenden Körpers, eines Wissens und einer Psyche gelingt.« (S. 135). Denn erst »indem sich der einzelne [sic.] bestimmten kulturellen Ordnungen unterwirft, die ihm körperlich und psychisch die Merkmale akzeptabler Subjekthaftigkeit ›einschreiben‹«, kann er jene »Kompetenzen von Selbstregierung, Expressivität, rationaler Wahl etc. ausbilden«, die ein Subjekt im individualistischen Verständnis a priori ausmachen (Reckwitz 2008b, S. 78). Da soziale Praktiken körperlich vollzogen werden, wenden sich Praxistheorien gegen mentalistische Denkstile. Schon für Mauss ist das »Zusammenspiel von Körper und moralischen, intellektuellen Symbolen« evident (Mauss 1989, S. 206). Der Fokus auf die »gegenseitige Abhängigkeit von körperlichen Verhaltensweisen und mentalen Phänomenen« (Schmidt 2012, S. 59) gehört zum Grundbestand von Praxistheorien. Entsprechend privilegieren sie praktisches, implizites Wissen gegenüber Konzepten von Rationalität. Ein zentrales Problem ist es also, Handlungsmotive jenseits rationaler Intentionen zu fassen. Theodore R. Schatzki
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verbindet »doings« und »sayings« in dieser Absicht durch drei »major avenues of linkage«: »understandings […] of what to say and what to do«, »explicit rules, principles, precepts, and instructions« und »›teleoaffective‹ structures« – »embracing ends, projects, tasks, purposes beliefs, emotion, and moods« (Schatzki 1996, S. 89). Praxistheorien brechen also mit der Vorstellung, Handlungen seien exklusiv auf rationale, vernunftgesteuerte Entscheidungen zurückzuführen. Der Abschied von »mentalistischen« Perspektiven und ihrem »›intentionalen Vokabular‹« (Reckwitz 2000, S. 168), darf aber nicht zu einer zu rigiden Abgrenzung führen: »Practices consist of both types of actions or rather various elements that are, to a greater or lesser degree, intentional or routinised.« (Everts et al. 2011, S. 325). Gleichfalls in verschiedener Konsequenz rehabilitieren Praxistheorien die seit dem Cultural Turn der 1960er und 1970er Jahre zunächst vernachlässigten Aspekte von »Materialität, Medialität und Artefakten« (Moebius 2010, S. 126): Menschen sind heute vielleicht mehr denn je von Infrastrukturen, Technologien, Waren, Dingen und von materiellen wie immateriellen, innovativen wie traditionellen Artefakten umstellt, die sich in vielfältiger Weise mit ihrem Handeln zu sozio-materiellen Arrangements verweben. Der Gebrauch dieser Artefakte, Technologien und Infrastrukturen kann das Leben verändern und neue Praktiken initiieren – auch mit Überraschungseffekten: So ist etwa der Fotokopierapparat, seit den 1960er Jahren bekannt und während der 1970er und 1980er Jahre allgemein verbreitet, eine Büromaschine. Aber er fungiert auch als Kulturträger: Ohne billig und schnell zu vervielfältigende Plakate, Handzettel und Fanzines ist etwa die Punk/Hardcore-Kultur der 1970er und 1980er Jahre kaum vorstellbar (vgl. Butz 2012, S. 140). Im Skateboarding spielt der Videorekorder eine nicht unähnliche Rolle, auf die noch einzugehen sein wird. So lässt sich davon sprechen, dass auch nicht-menschliche Einheiten als Impulsgeber des Sozialen wirksam werden, dass sie gewissermaßen handeln können – im Sinne von Unterschiede herbeiführen. Was in der Arbeit aus einer solchen Perspektive in den Blick genommen werden soll, sind individuell-kollektive Prozesse, in denen sich Einzelne – mittels des Gebrauchs von Skateboards – körperlich-mental neu zu erfinden, überkommenen alltagskulturellen Mustern zu entfliehen, sich also von dem, was sie zu sein gelernt haben, zu distanzieren versuchen. Nichts anderes ist das Thema schon der Subkulturstudien nach Art des CCCS. Durch style distanzieren sich die Punks in Dick Hebdiges einst viel zitierter – und mittlerweile oft unterschätzter – Studie von der parent culture. Während diese Elternkultur als alltagsnatürlich erscheint, wirkt der Stil der Jugendsubkulturen wie ein »unnatural break« (Hebdige 1979, S. 90). »Style« ist gegenüber den allgegenwärtigen Kleidungen und Haltungen der Elternkultur »intentional communication«, er ist »obviously fabricated«, eine »visible construction, a loaded choice. It directs attention to itself; it gives itself to be read« (ebd., S. 101, Hervorh. EVS).
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Diese Betonung des Intentionalen scheint quer zu liegen zur soeben referierten Haltung der Praxeologie. Tatsächlich hat der britische Punk – mehr als der amerikanische Punk/Hardcore – gewissermaßen Autorinnen und Autoren, denen eine Intention zuzuschreiben wäre, nämlich beispielsweise die Designerin Vievienne Westwood und den Organisator Malcolm McLaren (vgl. Savage 2001, S. 118ff). Doch ist der Intentionsbegriff der Subkulturforschung nicht rationalistisch gefasst. Man entscheidet sich nicht in einer vernünftigen Erwägung, durch Stil zu schocken; täte man dies, dann wüsste man nicht, wie das geht. Vielleicht trifft das Wort Trachten dieses nicht-rationale Wollen. Stil zu haben ist eine Operation überwiegend impliziten Wissens, die in interkorporeller Kommunikation (vgl. Meuser 2006, S. 103) vollzogen wird. Gerade für solche Praktiken des Anders-Sein-Wollens gilt, was Joas (1995, S. 16) im Allgemeinen schreibt: dass der »Körper dem Handelnden« nie »unmittelbar gegeben« sei – sondern als »Körperschema«, das wiederum, wie Bergmann und Hoffmann schreiben (1985, S. 103) als »Resultat eines intersubjektiven, eines sozialen Prozesses« der »Verschmelzung […] von fungierendem ›I‹ und sozialem ›Me‹« angesehen werden kann. Hebdiges Terminus parent culture erinnert zweifellos an Bourdieus Habitustheorie. Lässt sich also diese Konzeption – ein dauerhaftes stilistisches Trachten taugt als Distanzierung vom Habitus – auch in den Kategorien des ersten Praxeologen ausdrücken? Eine erste Antwort muss wohl skeptisch ausfallen. Ganz anders als bei Hebdige ist Stil in Bourdieus Wortgebrauch Teil jener Elternkultur. Durch Stil oder Geschmack, also durch die richtigen Manieren, Bücher, Filme, Themen, kulinarischen Vorlieben, Sportarten usw., performieren Einzelne nolens volens ihre soziale Stellung, geben sich als Angehörige einer bestimmten Schicht zu erkennen. »In der Beziehung dieser beiden den Habitus definierenden Leistungen: der Hervorbringung klassifizierbarer Praxisformen und Werke zum einen, der Unterscheidung und Bewertung der Formen und Produkte (Geschmack) zum anderen« schreibt Bourdieu, »konstituiert sich die repräsentierte soziale Welt, mit anderen Worten der Raum der Lebensstile« (Bourdieu 1987, S. 277f). Bourdieus Habituskonzeption wird oft als eine Großtheorie verstanden, die die Kräfte der Beharrung betont und den Habitus als quasi unentrinnbar veranschlagt. Doch zeigen Alkemeyer und Schmidt u.a. am Beispiel von Skateboard-Praxen, dass sich auf einen zweiten, genaueren Blick auch bei Bourdieu anders gelagerte Hinweise finden: Das »Habituskonzept«, schreiben sie, schließe »durchaus Akte der praktischen Distanzierung und Veränderung habitueller Prägungen jenseits von Objektivierung und bewusster Reflexion« mit ein (Alkemeyer/Schmidt 2003, S. 92). So betont Bourdieu in seinem knappen Text über Sportsoziologie, dass »die Probleme, die der Unterricht einer körperbezogenen Praktik aufwirft, […] eine Reihe höchstrangiger theoretischer Fragen« aufleuchten lassen, »insofern die Sozialwissenschaften eine Theorie der Verhaltensweisen aufzustellen suchen, die weitestgehend jenseits des Bewusstseins vollzogen werden« (Bourdieu 1992, S. 205). Im
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mimetischen, auf Zeigen und Nachahmen basierenden Sport-Lernen, so Alkemeyer und Schmidt (vgl. 2003, S. 92), erwerben Trainierte ein »praktisch-körperliches Vermögen zur (Selbst-)Kritik, (Selbst-)Regulierung und Korrektur jenseits von Bewusstwerdung oder Sprache«. Zwar gilt Bourdieus Werk üblicherweise als »durch ein hohes Maß an Konstanz und Kohärenz« geprägt (Schwingel 1995, S. 12), doch deute er in seinem Spätwerk an Beispielen aus dem Sport, Tanz oder Schauspiel einen »Doppelcharakter« des Körpers an: Er ist nicht nur ein »Übertragungs- und Reproduktions-, sondern auch ein Erkenntnismedium sozialer Strukturen« (Alkemeyer/Schmidt 2003, S. 93). Der Habitus kommt immer wieder in Situationen der »Unangemessenheit oder des Misslingens der von ihm hervorgebrachten Praxen«, die zu »Momenten der Distanz und Korrektur«, zu einem »Nachspüren« führen, in denen sich der Habitus anhand einer »spezifischen Intelligenz und Selbststeuerungskapazität des vergesellschafteten Körpers« neu orientieren könne (ebd., S. 94). Der praktische Sinn, das »Verstehen mittels den eigenen Körpers« (Bourdieu 1992, S. 205) wirkt also nicht nur als Platzanweiser, sondern bringt als synthetischer Sinn auch Situationen eines intuitiven Antizipierens von Tendenzen hervor, die dem Feld immanent sind und kann insofern Anpassungsprozesse initiieren und Verunsicherungen des Habitus anstoßen (vgl. Meuser 2006, S. 101). Eine weitaus deutlichere Akzentverschiebung von der Struktur zum Handeln gibt es bei Michel Foucault. Noch in »Überwachen und Strafen«, seiner Geschichte der körperlichen und mentalen Produktion des modernen Subjekts und der »gelehrigen Körper« der Moderne, ist der Körper eine passive Zielscheibe von Mächten und Disziplinen: »Aus einem formlosen Teig, aus einem untauglichen Körper macht man die Maschine, deren [sic.] man bedarf« (Foucault 1994, S. 173). Hier ist Foucault ein »Fordismustheoretiker«, der die soziale Homogenität auf dem »Höhepunkt des keynesianischen Wohlfahrtsstaates« verarbeitet (Lemke 2003, S. 260; vgl. Fraser 2003, S. 239). Später nennt er diesen Determinismus einen Fehler und interessiert sich »mehr und mehr […] für die Interaktion zwischen einem selbst und anderen und für die Technologien individueller Beherrschung, für die Geschichte der Formen, in denen das Individuum auf sich selbst einwirkt, für die Technologien des Selbst« (Foucault 1993, S. 27). Foucault erarbeitet diese Technologien, die »es dem Einzelnen ermöglichen, […] Operationen an seinem Körper oder seiner Seele, seinem Denken, seinem Verhalten und seiner Existenzweise vorzunehmen«, um »sich so zu verändern, dass er einen […] Zustand des Glücks, der Reinheit, der Weisheit, der Vollkommenheit oder der Unsterblichkeit erlangt«, am Beispiel antiker und christlicher Meditationstechniken. Unter diesen unterscheidet Foucault zwei Pole: die »Übung in Gedanken« und die »Übung in der Realität« – Melete und Gymnasia – sowie ein »Spektrum mittlerer Möglichkeiten« (Foucault 1993, S. 49). Melete ist die innerliche Vorbereitung körperlich-sinnlicher Handlungen. Gymnasia bezeichnet umgekehrt eine körperliche
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»Übung in realen Situationen, auch wenn diese künstlich herbeigeführt werden«, die wiederum innerliche, seelische Effekte hat (ebd., S. 48). Diese »Sorge um sich selbst« (S. 28) kann zugleich auch die Sorge um den Staat meinen (S. 29). Genau hier ist der Ausgangspunkt der Theorie der Gouvernementalität, der Selbsterkenntnis zum Zweck der Selbstverbesserung durch Selbstbeherrschung. Hier spricht der postfordistische (und, wenn man will, praxeologische) Foucault. Die »Beziehung zwischen Fremd- und Selbstkonstitution« wird in seinen Kategorien nun »aufgelockert« (Alkemeyer/Schmidt 2003, S. 96). Nun ist Macht weniger von »Determination in einem strikten Sinn« als von »Offenheit und Unabgeschlossenheit« gekennzeichnet (Lemke 1997, S. 301). So ist »Freiheit« zugleich »Existenzbedingung der Macht« wie auch das, was sich dieser entgegenstellt; es gibt also keine Macht ohne Widerstand, Foucault überwindet seine negative Bestimmung desselben (ebd., S. 301). Gemeinsam ist Foucaults und Bourdieus Theorien über die Verkörperung des Sozialen also eine Perspektivenverschiebung: Zunächst betonen sie eher die Determination, während sie später dem Körper/Subjekt eine aktivere Rolle zugestehen. So lassen sich Foucaults Konzeption der Technologien des Selbst und Bourdieus Gedanken über praktische Reflexion zusammenführen: Das Skateboardfahren wäre dann eine Technologie des Selbst, die in praktischen Reflexionen operierend den Habitus neu orientieren oder nuancieren kann. Foucaults Unterscheidung zwischen Melete und Gymnasia scheint zudem einen Zugriff auf die Bewerkstelligung dieser Selbstveränderung zu ermöglichen – im Fall des Skateboarding als Selbsttechnik wäre hier an das Wechselverhältnis von Videostudium und körperlicher Rezeption zu denken, das bereits angedeutet wurde und noch zu thematisieren sein wird. Natürlich ist dieses praktische Distanzieren und Ausprobieren keineswegs »beliebig und kriterienlos«, sondern »in eine kollektive Praxis und einen gesellschaftlichen (Angebots-)Raum eingebettet, der (Körper-)Modelle, Praxisformen und Selbsttechnologien zur Verfügung stellt« (Alkemeyer/Schmidt 2003, S. 96). Foucaults Verweis auf diese einerseits primär gedanklichen und andererseits zuvörderst körperlichen Selbsttechnologien erinnert an ein weiteres theoretischmethodisches Problem der Arbeit: das Verhältnis von Praktiken und Diskursen. Besagte Videos etwa sind zugleich elaborierte Texte, die zur Interpretation herausfordern, wie sie ihre Publika offensichtlich körperlich-sinnlich affizieren – wie ist das Verhältnis von Text und Affekt zu fassen? Unter den konstruktivistischen Gesellschafts- und Kulturtheorien gibt es grob zwei Familien, die einerseits auf Bourdieu und andererseits auf einen anderen als den gerade angesprochenen Teil des Werks von Foucault zurückgehen, nämlich auf seine archäologische Diskursanalyse. Nach Reckwitz stehen sich ein praxeologisches »Implizitheitsargument« und »Materialitätsargument« sowie auf der anderen Seite ein diskurstheoretisches »Signifikationsargument« und ein »modernisierungstheoretisches Argument des technisch-institutionellen Primats der Diskurse in der Sinnproduktion der Moder-
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ne« zunächst gegenüber (Reckwitz 2008a, S. 191): Praxeologie geht davon aus, dass das Soziale und Kulturelle »primär und in letzter Instanz im impliziten Wissen und impliziten Sinn« existiert. Dem diskursivierten Sinn kommt dabei eine »abgeleitete Bedeutung« zu, Diskurse knüpfen aus diesem Blickwinkel an ein Reich des Impliziten nur an und kommen »gewissermaßen immer schon zu spät« (ebd., S. 191). Dann erscheinen Diskurse als »ein intellektueller Überbau von Aussagen, die gewissermaßen auf der Materialität des verkörperten und material verankerten Wissens ›aufsitzen‹« (ebd., S. 192). Die Diskurstheorie argumentiere dagegen, dass »das Soziale/Kulturelle dort vorkommt, wo Handlungen und Dinge etwas für andere bedeuten«. Diskurse sind aus dieser Hinsicht »Signifikationsregime, die jegliche Form menschlichen Handelns als sinnhaftes Handeln fundieren« (Reckwitz 2008a, S. 192). Praktiken »erscheinen dann als ›immer schon‹ diskursiv imprägniert, wenn sie von sozialer Relevanz sein wollen« (ebd., S. 193). Unter den Bedingungen zumindest der modernen, zutiefst von Texten aller Art durchzogenen Gesellschaft müssten Diskurse als »primäre Sinngeneratoren für Ordnungen des Denkbaren und Sagbaren« verstanden werden: Sie prädeterminieren auch, was in nichtdiskursiven Praktiken »über kurz oder lang praktikabel und nicht praktikabel wird« (S. 193). Beide Vokabulare degradieren einander also zunächst zu sekundären Phänomenen: Die Praxeologie hält Diskurse für bestimmte, oft auf spezielle Artefakte oder Technologien gestützte »Aktivitäten der Produktion und Rezeption von Äußerungen, die von einem impliziten Wissen der Hervorbringung und Rezeption getragen werden« (S. 194). Umgekehrt werden auch nichtdiskursive Praktiken als Diskurse oder Kommunikationssysteme gelesen, etwa das »körperliche Verhalten von Geschlechtern« (S. 194). Lassen sich diese Ansätze kommensurabel machen? Reckwitz argumentiert, dass sie sich – sofern sie sich ernst nehmen – in der Forschungspraxis überschneiden und so diese Differenzen »aufweichen« können (Reckwitz 2008a, S. 195): Die Praxeologie steht, zumal wenn sie sich mit vergangenen Praktiken oder Formen von Praktiken befasst, vor dem Problem, dass eine unmittelbare Datenerfassung durch teilnehmende Beobachtung und eine Erfassung von Praktiken, die »ohne Worte auskommen« (ebd., S. 196), meist nicht möglich ist und die Analyse dann vom Explizierten – Beschreibungen etwa in Handbüchern und Egodokumenten wie Briefen, Tagebüchern etc. sowie Spuren von Praxis in Artefakten – auf das Implizite schließen muss, auf das sie zunächst abzielt. Da solche Überlieferungen aber »nicht selten einen normativen Charakter haben« (S. 197), muss die Praxeologie erstens quellenkritisch fragen, im Kontext welcher Differenz- und Signifikationssysteme solche Beschreibungen etwa in Manualen entstanden sind – und darüber hinaus damit rechnen, dass solche normativen Anweisungen, sofern man sie als wirksam und relevant einschätzt, die körperlich-materialen Praxen dann eben tatsächlich diskursiv imprägniert haben könnten. Umgekehrt steht die Diskursanalyse hinsichtlich des Explizierten, auf das sie sich verlässt, stets vor dem
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»methodischen Problem der Plausibilisierbarkeit der implizit angenommenen Diffusion diskursiver Codes« (S. 199) und vor der Frage, inwiefern die Codes eines rekonstruierten Diskurses »tatsächlich über die Binnenstruktur« dieses Diskurses »hinaus, in die politischen oder privaten Praktiken hinein« wirken (S. 200). Daher muss Diskursanalyse ihre textuelle Rekonstruktion kontextualisieren – also tendenziell auch mit sozialen Praxen jenseits des Textes in Verbindung bringen. Insofern sind Praxeologie und Diskursanalyse nicht als einander ontologisch dementierende Theorierichtungen zu verstehen, sondern als »methodische Komplexe«, die einander ergänzen (Reckwitz 2008a, S. 200). Sie nehmen das geregelte menschliche Verhalten dann als »instabile Praxis/Diskurs-Formationen« in den Blick (ebd., S. 201). So lassen sich Praktiken und Diskurse als »aneinander gekoppelte Aggregatzustände der materialen Existenz von kulturellen Wissensordnungen begreifen« (S. 202). Reckwitz schlägt in diesem Sinne einen »praxeologischkulturtheoretischen« Ansatz vor, der das Soziale als Gewebe von Praktiken versteht, die »sich als Wiederholung und permanente Verschiebung von Mustern der Bewegung und der Äußerung von aktiven Körpern und Dingen« beschreiben lassen, die zugleich durch Formen impliziten Wissens wie Know-How, »interpretatives Wissen routinierter Selbstzuschreibungen, Komplexe kulturell modellierter Artefakte und Motivationen zusammengehalten« werden (S. 202). Diskurse sind aus dieser Sicht »Praktiken der Repräsentation«, in denen »Objekte, Subjekte und Zusammenhänge auf eine bestimmte, regulierte Weise dargestellt werden und in dieser Darstellung als sinnhafte Entitäten erst produziert werden« (S. 203). In diesen geregelten Darstellungsweisen stellt sich mithin her, was sich die »Historizität« von Praktiken nennen lässt, ihre »zeitgenössische Sinnhaftigkeit, Logik, Bedeutung und Wirkmächtigkeit« (Haasis/Rieske 2015, S. 38). In diesem Sinn ist das Vorliegende also praxeologisch – es betrachtet die zu untersuchende Geschichte der verschiedenen Gestalten der Skateboard-Praktik als eine Folge von Praxis/Diskursformationen, die immer wieder instabil werden und sich rekonfigurieren. Genealogisch ist die historische Perspektivierung dieses Stoffes, die aus diesen Formationen und Transformationen ein Gesamtbild zeichnen will, ohne dabei falsche Kontinuitäten zu konstruieren. Dabei lehnt sich die Arbeit an Foucaults Konzeption der Genealogie als wirkliche Historie an (vgl. Foucault 2002; vgl. Schäfer/Alkemeyer 2018, S. 109-111). Diese Methode sucht – anders als teils bis heute die traditionelle Geschichtsschreibung – nicht nach einem kohärenten, identischen Kern von Geschichte und glaubt nicht an die Kontinuität historischer Entwicklungen, sie sucht nicht nach dem Ursprung der Dinge. Sie erhebt also nicht den Anspruch, »in die Zeiten hinabzusteigen« und zu demonstrieren, »dass die Vergangenheit noch da ist und die Gegenwart noch immer insgeheim mit Leben erfüllt« (Foucault 2002, S. 172). Stattdessen forscht ihr »auflösender Blick« (ebd., S. 179) nach der Herkunft, nach »vielfältigen subtilen, einzigartigen, subindividuellen Merkmale[n]«, die sich »kreuzen und ein schwer zu entwirrendes Netz« bil-
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den (S. 171). Diese Konstellation oder jeweilige Gegenwart bleibt stets prekär. Ihre Verfestigung wie Destabilisierung ist kontingent. Es sind gezielte Vorhaben und Erfindungen, aber auch Nebeneffekte und Wechselwirkungen, es sind aber auch »die Zufälle, die winzigen Abweichungen – oder totalen Umschwünge –, die Irrtümer, falschen Einschätzungen und Fehlkalkulationen […], die hervorgebracht haben, was für uns existiert und Geltung besitzt« (S. 172). Daher gibt es keine vereinheitlichende Kraft, die eine solche Konstellation zusammenhält. Ihre Einheit ist ein Effekt temporär vernetzter und kollaborierender Elemente, doch diese Wirkung muss nicht von Dauer sein. Den Vorgang, der von einer älteren Gegenwart in eine jüngere führt, analysiert Genealogie daher nicht als Entwicklung – sie fokussiert also nicht die vergangene Konstellation und betreibt nicht deren Fortschreibung unter Berücksichtigung neuer Faktoren. Stattdessen richtet sie den Blick auf die neue Konstellation und untersucht deren Zusammensetzung in modifizierten Kräfteverhältnissen. Der Punkt, an dem diese neue Konstellation in Erscheinung tritt, bezeichnet deren Entstehung. Die Analyse der Entstehung will zeigen, »wie […] Kräfte aufeinander einwirken, wie sie miteinander streiten oder gegen widrige Umstände ankämpfen« (Foucault 2002, S. 175), wie Elemente des Lebens also kooperieren oder sich abstoßen und zu einer neuen Verfestigung oder zur Auflösung einer bestehenden führen. Entstehung beschreibt »nicht die notwendige Folge von Dingen, die sich seit langem vorbereitet hätten, sondern die Bühne, auf der die Kräfte sich in Gefahr begeben und aufeinander stoßen; die Bühne, auf der sie siegen, aber auch überwältigt werden können« (ebd., S. 185). Historische Dynamiken bewohnen den Raum zwischen diesen Kräften, es ist niemand ursächlich für sie verantwortlich. Veränderungen einer Konstellation ergeben sich durch Ersetzung, Modifikation und Verschiebung der beteiligten Kräfte und Elemente. Genealogie rekonstruiert aufeinander folgende Gestalten einer Praktik, indem sie das praktische Um- und Neuschaffen, das Rearrangieren und Umlenken bereits vorhandener und die Einbeziehung neuer Elemente anleuchtet. Will die Genealogie ein derart »barbarisches Gewimmel« überblicken, muss sie die Dinge aus verschiedenen Winkeln und Distanzen betrachten. Sie »fürchtet sich nicht vor dem Blick von unten«, aber sie schaut auch »von oben herab« (Foucault 2002, S. 181). Die »wirkliche Historie sieht sich die Dinge aus nächster Nähe an«, doch »reißt sie sich« auch »von ihnen los, um sie aus der Distanz zu betrachten (ähnlich dem Blick eines Arztes, der eindringt, um eine Diagnose zu stellen und den Unterschied zu benennen)« (ebd., S. 182). Dieses Verfahren macht sich nicht zur »Magd der Philosophie« (ebd.), es ersetzt allgemeine Theorien sozialer Ordnungen, der Subjektivität, des Geistes. Es erforscht die konkreten Kontexte und Umstände ihrer Entstehung und Herkunft aus disparaten Quellen. Es ist entmystifizierend, denaturalisierend und desubstanzialisierend. Wirkliche Historie »erschüttert, was man für unerschütterlich hielt; sie zerbricht, was man als eins empfand« und zeigt
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als »heterogen, was mit sich übereinzustimmen schien« (S. 173). Sie zerlegt das vermeintlich Kompakte in Komponenten, macht Diskontinuitäten sichtbar, zeigt das Verfestigte in seiner Einzigartigkeit, Zufälligkeit und damit Veränderbarkeit, als Effekt seiner kontingenten Verschachtelung mit einer Vielzahl anderer, heterogener Ereignisse. Erzielt wird so ein »Verfremdungseffekt« (Saar 2003, S. 167), eine bestimmte Gegenwart wird als Gleichzeitigkeit des Ungleichartigen erkennbar. Die Genealogie wendet sich auch gegen den »Irrtum«, der Leib »unterliege allein den Gesetzen der Physiologie und sei daher der Geschichte entzogen« (Foucault 2002, S. 179). Elementar formt er sich in historischen Mustern, er »wird vergiftet, von Nahrung und von Werten«, von Essgewohnheiten »genauso wie von Moralgesetzen«, die solche enthalten, er bildet »Resistenzen« von physiologischer Natur und kultureller Provenienz aus (S. 179). Der Körper ist »einer ganzen Reihe von Regimen unterworfen, die ihn formen, etwa dem Wechsel von Arbeit, Muße und Festlichkeiten« (S. 179) – oder eben dem Sport. Das Verfahren zerlegt auch das vermeintlich Überdauerndste, den Leib/Körper und die Einheit des Subjekts. Es erzählt dem Leib und dem Subjekt in konkreten Beschreibungen die Geschichte seines Werdens, seiner heterogenen Entstehung. Durch Befremdung schließt es auf, wie es zu einer bestimmten Gegenwart kommen konnte, wie genau man zu dem- oder derjenigen gemacht wurde, die oder der man ist (vgl. Saar 2003, S. 170). Indem so »ontologische Effekte« (ebd., S. 171) kontingenter Ausformungen sozialer Ordnungen und ihrer verkörperten Subjekte aufgedeckt werden, verlieren diese ihre Selbstverständlichkeit. Ein solches Verfahren, so Foucault, blickt statt auf »ferne Höhen«, »die edelsten Zeiten, die erhabensten Formen, die abstraktesten Ideen, die reinsten Ausprägungen von Individualität« auf das konkrete »Nächstgelegene« (Foucault 2002, S. 181). Was also ist dieses Nächstgelegene, was sind die vielfältigen Kräfte, Zufälle, Erfindungen, Infrastrukturen, Artefakte, Fehleinschätzungen, Entscheidungen, Planungen, Empfindungen, Fähigkeiten, Wissensformen, Routinen, Interpretationen, Bilder usw., deren Effekte, deren Wechselwirkungen in der praktischen Geschichte des Skateboarding eine Rolle spielen? Ein überraschender Mitspieler ist etwa das Material Polyurethan, das Skateboarding Mitte der 1970er Jahre, Jahrzehnte nach seiner Erfindung (im Dritten Reich durch die I.G. Farben) durch eine rapide Verbesserung des Kurvenverhaltens der Rollen zunächst zu einem ernsthaften Sport zu machen scheint. Ein anderer sind bestimmte versicherungsrechtliche Lagen in den USA, die dem Skateboardfahren nicht viel später eine ganz andere Richtung geben, indem sie ihm seine legitimen Terrains entziehen. Weitere Faktoren werden sich noch vorstellen, darunter Medientechnologien, Infrastrukturprojekte der Wasserwirtschaft und des Schnellstraßenbaus, ja sogar spezifische Wetterlagen. Der Umgang mit einer solchen »Fülle angesammelten Materials« erfordert »präzises Wissen« und »Geduld« (Foucault 2002, S. 166). Für die Zwecke des Vorlie-
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genden ist aber auch ein Instrumentarium vonnöten, das es einerseits erlaubt, das Material grob genug zu sortieren, um einen sinnvollen Überblick geben zu können, das aber andererseits flexibel genug bleibt, die Verschachtelung der Faktoren und die Wechselwirkungen zwischen ihnen nicht zu planieren. Solche Werkzeuge bieten Shove, Pantzar und Watson (2012) in ihrem Modell der Dynamik sozialer Praktiken. Dabei benutzen sie (Street-)Skateboarding selbst als Beispiel: Diese Praktik bestehe, schreiben sie, aus einem komplexen Amalgam aus Skateboards »[…] and street spaces along with the bodily competences required to ride a board and to use the affordances of the street to turn tricks; the rules and the norms that define the practice of skateboarding; its meanings to practitioners and to outsiders including its partially oppositional character […]« (Shove et al. 2012, S. 7). Shove, Pantzar und Watson zerlegen Praktiken in drei basale Klassen von »Elementen« und verstehen sie als »active integrations of material, competence and meaning« (Shove et al. 2012, S. 24). Als »Kompetenzen« veranschlagen sie (ebd., S. 14) »skill, know-how, and technique«, also »multiple forms of understanding and practical knowledgeability« (S. 23) – verschiedene Wissensformen von implizitem WieWissen bis zu reflektiertem, verstehenden Wissen und ausgebildeten Fähigkeiten. »Materialien« sind demnach »things, technologies, tangible physical entities and the stuff of which objects are made«, ferner »infrastructures, tools, hardware and the body itself« (S. 23). Als »Bedeutung« fassen Shove, Pantzar und Watson all das, was sich explizit und implizit von der Teilnahme an einer Praktik erwarten lässt, was ihre Teilnehmer/-innen motiviert, was die Praktik sozial erkennbar macht. Explizite Bedeutungen umfassen demnach »symbolic meanings, ideas and aspirations«; gemeint ist hier die »social and symbolic significance of participation at any one moment«, also die sozial geregelte Repräsentationsweise einer Praktik. Als implizite Bedeutung kann das gefasst werden, was Schatzki als »teleoaffektive Strukturen« einer Praktik beschreibt, also mentale Aktivitäten aller Art, Emotionen und Motivlagen – kurzum das Sinnen und Trachten, das einer Praktik innewohnt. Die geschichtliche Dynamik von Praktiken resultiert in diesem Modell aus dem Wechselspiel von practice-as-entity und practice-as-performance. Mit ersterem ist die Praktik als ganze, als »recognizable conjunction of elements« gemeint, mit letzterem sind die »countless recurrent enactments« der Praktik angesprochen, »each reproducing the interdependencies of which the practice is comprised« (Shove et al. 2012, S. 7). Soziale Praktiken sind also als Einheiten erkennbare Serien von Standardsituationen. Als Entitäten perpetuieren sie sich, wenn die tätigen Verbindungen zwischen ihren Elementen in ihren einzelnen Performances aufrechterhalten werden. Sie verschwinden, wenn diese Verbindungen verblassen. Hinsichtlich des Untersuchungsgegenstandes lässt sich der Stabilitätszustand einer Praktik nach Hebdige vielleicht »homology« nennen: ein »symbolic fit between the values and lifestyles of a group, its subjective experiences, and the (…)
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forms it uses to express or reinforce ist focal concerns« (Hebdige 1979, S. 113). Wenn sich aber ein Element verändert, wenn also neues Material auftaucht, die Kompetenzen einen Sprung machen oder sich Bedeutungen verschieben, verändern sich auch die anderen Elemente und damit die practice-as-entity. Und wenn die Verbindungen zwischen den Elementen, wenn also die Homologie verblasst, wenn eine Praktik oder Form einer Praktik zu wenig »internal reward« bietet oder ihr »symbolic or normative anchoring« verliert (Shove, Watson & Pantzar 2012, S. 75), verschwindet sie. Mit diesem Modell lassen sich nicht nur die Transformationen der hier untersuchten Skateboard-Praktik erfassen, sondern auch die Popularitätswellen in ihrer Geschichte: Mehrfach – nämlich (in den USA) in den späteren 1960er, gegen Ende der 1970er und zuletzt in den frühen 1990er Jahren ›stirbt‹ sie – um stets verändert zurückzukommen.
1.5.
Viermal Skateboarding in drei Elementen
Beim Versuch, dieses Modell für die in diesem Sinne wirkliche Geschichte einer konkreten Sportpraktik zu nutzen, ergeben sich allerdings Probleme. Es scheint empirisch kaum möglich, einzelne Elemente von Praxis eindeutig einer dieser drei Klassen zuzuordnen. Die Klassifikation hängt stets auch von der Beobachterperspektive ab: Was aus einem Blickwinkel als Kompetenz erscheint, kann aus einer anderen Perspektive Bedeutung sein; viele Materialien sind zugleich Träger von Bedeutungen und Kompetenzen. Dem Nutzen dieses Ansatzes muss das keinen Abbruch tun – schließlich ist die Einordnung der Elemente in jene drei Gruppen eine Analysestrategie und keine substanzielle Klassifikation; im Gegenteil beeinflussen und überschneiden sich diese Klassen von Elementen per definitionem. Es scheint insofern für die Zwecke des Vorliegenden aus forschungs- bzw. darstellungspraktischen Gründen nützlich, diesen Katalog der Elemente von Praxis durch eine pragmatische Setzung etwas umzugruppieren, ohne freilich seine Prämissen im Grundsatz anzutasten. Die wichtigste Umstellung, die im Folgenden vorgenommen wird, betrifft die impliziten Bedeutungen, also jenes individuell-kollektive Trachten, das sozialen Praktiken stets innewohnt. Bei der Untersuchung von Sport ist es nämlich ganz und gar unmöglich, diese Elementenklasse – und sei es nur heuristisch – von den Kompetenzen, also dem Bewegungswissen von Sporttreibenden zu scheiden: Wie untrennbar sportive Bewegung mit jenem motivational knowledge verbunden ist, das sich in ihnen herstellt und spezifisch verkörpert, zeigt das Beispiel einer Torfrau oder eines Tormanns im Handball: »Man muss schon ein bisschen verrückt sein«, sagt ein erfahrener Schlussmann während der Herren-Europameisterschaft 2016 einem Journalisten, »eigentlich stellt sich keiner freiwillig in die Kiste und lässt sich die Bälle mit 120 Kilometern« aus nächster Nähe »am Kopf vorbeischießen.«
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Dennoch positionieren sich Handballtorhüter/-innen in Erwartung der harten Lederkugel reflexhaft gerade so, dass sie möglichst viel Trefferfläche bieten. Ihre Körper dementieren den Instinkt nicht auf das Torhüten eingestellter Körper, die sich ducken oder schützen würden. Die Schlussleute haben den Sinn des Spiels, also das Abwehren des Balls, so weitgehend verkörpert, dass sie nicht einmal den Schmerz spüren, wenn sie »einen Ball aufs Ohr« bekommen. Es gebe im Gegenteil nichts »Angenehmeres, als einen Ball zu halten« (Seele 2016). Entsprechend werden im Folgenden die Motivstrukturen, die seine Bewegungen fördern und fordern, als Teil der Kompetenzen von Skateboarding diskutiert. Diese Setzung beschreibt zugleich ein zentrales Kriterium, um das sich das Folgende organisiert: Die Geschichte der Praktik wird vom Spiele her anhand mehrerer einander ablösender und zugleich auseinander hervorgehender Sets von körperlichen Bewegungen entwickelt. Jede dieser bislang vier Manövergenerationen weist ein typisches Bewegungsmuster auf, also einen typischen Grundmodus von Bewegung – und diese Bewegungsmuster können wiederum in verschiedenen Fahrweisen auftreten. Um vorab ein Beispiel zu geben: Das Fahren in einer Halfpipe, einem Pool oder etwas Ähnlichem kennt vier Trick-Sorten: Luftsprünge (Airs), Handstände auf der Kante (Handplants), Manöver, bei denen mit einem Fuß von der Kante abgesprungen wird (Footplants) und Liptricks, bei denen die Achsen, der Bauch, das Heck (Tail) oder der Bug (Nose) des Brettes mit der Kante spielen; zusammen bilden diese Tricks die Manövergeneration des vertikalen Skateboarding. Gekennzeichnet ist diese von einer bestimmten Art und Weise körperlicher Bewegung, etwa von druckvollen, repetitiven, rhythmischen Schwungbewegungen in den Rundungen, die eine hohe Grundgeschwindigkeit generieren (Pushen) und von häufigen Kopfüber- oder Nahezu-Kopfüber-Situationen etwa bei Handplants und bestimmten Airs: Dies ist das Bewegungsmuster des Skateboardfahrens in Steilwänden. Ausgeführt und erlebt werden kann dieses Bewegungsmuster aber in unterschiedlichen Intensitätsgraden und gemäß zu unterscheidender Motivationen: Es kann in verschiedene Fahrweisen zerfallen. Bei dieser feinen, aber wichtigen Unterscheidung kann zum Beispiel eine Rolle spielen, ob die jeweils vollführten Übungen zu einem bestimmten Zeitpunkt gerade in actu erfunden werden oder ob sich die Fahrer/-innen auf Erfahrungen anderer, gar auf Lehrbücher stützen können. Zweitens wird sich zeigen lassen, dass die Oberflächen der befahrenen Artefakte wichtig sind: Es ist ein großer Unterschied, ob Skateboarder/-innen typischerweise eigens für Skateboarding errichtete Artefakte benutzen, die ihre Bewegungen unterstützen – oder solche, die nicht zum Skateboardfahren gedacht sind. Jeder dieser Fahrweisen ist eine typischerweise prägende Konstellation von Motiven, ein spezifisches Trachten, in Schatzkis Kategorien eine bestimmte teleoaffektive Orientierung inhärent und zuzuordnen, von der sich annehmen lässt, dass sie von Aktiven, die diese Bewegungen tagtäglich mit Begeisterung vollführen, einverleibt wird. Anhand dieses mit den jeweiligen Fahrweisen verbundenen Trach-
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tens und jener körperlich-mentalen Haltungen, von denen diese Fahrweisen zugleich hervorgebracht werden und die sie ihrerseits bestärken und reproduzieren, lassen sich Subjektivität und Identität der jeweils typischen Subjekte der Praktik ermessen. Um sich bei dieser nicht-exakten Vermessung – die allein nur eine Tendenz ergibt und auch zusammenspielt mit etwa sozialen Kodierungen, die diese jeweiligen Fahrweisen mit anderen, sportiven oder kulturellen Praktiken teilen – nicht nur auf zeitgenössische oder rückblickende (Selbst-)Interpretationen verlassen zu müssen, wird im Folgenden versucht, dieselbe kategorial abzustützen. Dazu scheint sich die hinsichtlich der Neuen Spiele viel diskutierte Typologie des Spielens nach Roger Caillois (1982) anzubieten. In dieser Weise werden sich bereits anhand der körperlichen Bewegungen, die die Praktik zu bestimmten Punkten in ihrer Geschichte jeweils bestimmen, Hinweise darauf ergeben, welche sozialen Tugenden und Orientierungsmuster sie Praktizierenden gibt und welche sozialen Gruppen sie typischerweise jeweils rekrutiert oder abstößt. Diese charakteristischen Bewegungsmuster und Fahrweisen, anhand derer sich die Praktik periodisieren lässt, bilden sich in Wechselbeziehung zu bestimmten Materialien, also Artefakten, Technologien, Werkstoffen, berührbaren stofflichen Einheiten und so weiter. Diese sind die zweite Klasse von Elementen, anhand derer im Folgenden die Praktik des Skateboardfahrens analysiert werden soll. In der Darstellung werden dabei allerdings die körpernächsten Materialien wie die Skateboards selbst, ihre Lenkmechanismen, die Rollen, die Schutzausrüstung etc. aus Gründen der Darstellungsklarheit den Kompetenzen zugeordnet. Als Materialien stehen vor allem die städtischen Flächen und Möbel im Fokus, die sich Skateboarder/-innen der unterschiedlichen Gestalten der Praktik zum Terrain machen und die in ihrem Sprachgebrauch gewöhnlich zur Unterscheidung verschiedener Varianten der Praktik herangezogen werden – etwa als Vertical Skateboarding oder Street Skateboarding. Bei der Bestimmung des Beitrags der jeweils typischen Terrains der Praktik zu den sozialen Tugenden und spezifischen sozialen Affinitäten, die dieselbe jeweils bestimmen und die sie zugleich reproduziert, kann an Bordens Konzept von praktischer Architektur angeknüpft werden. In Anlehnung an dasselbe werden zunächst die Bewegungsräume rekonstruiert, die die Praktik jeweils schafft und in denen sie sich zugleich in ihrer jeweiligen Variante oder Gestalt konstituiert. Jedem Bewegungsmuster ist demnach schematisch ein Bewegungsraum zuzuordnen, ein körperzentrierter MikroErlebnisraum, der durch Bewegungen auf Skateboards an jeweils bestimmten Klassen von Artefakten situativ realisiert wird. Ein und derselbe Bewegungsraum kann aber – analog zur Unterscheidung zwischen Bewegungsmuster und Fahrweise – erhebliche Unterschiede aufweisen. Es wurde schon angesprochen, dass dies einerseits mit der Oberfläche der jeweils typischerweise befahrenen Artefakte zusammenhängt – mit ihrem planerischen Status, also der Frage, ob sie Skateboard-Zweckartefakte sind oder zweckentfremdet werden. Der dem-
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entsprechend spezifizierte Bewegungsraum wird als Body Space bezeichnet; jeder Fahrweise ist im Modell der vorliegenden Arbeit also ein solcher zugeordnet. Um die Frage, was das Skateboardfahren wann ausmacht und welche Haltungen und Orientierungen es seinen Subjekten in seinen verschiedenen Gestalten jeweils nahe legt, umfassender beantworten zu können, müssen die jeweilig typischerweise genutzten Terrains aber nicht nur hinsichtlich ihrer Oberflächen, sondern auch als Orte betrachtet werden, also als Punkte, an denen sich die Mächte und Diskurse der (westlichen) Stadt des späteren 20. und frühen 21. Jahrhunderts treffen und an denen daher die von diesen bestimmten Funktionszuschreibungen für bestimmte Zonen und Plätze konkret werden. Es ist sehr naheliegend, dass es hinsichtlich der sozialen Tugenden und im Selbstverstehen der Teilnehmer/-innen einen erheblichen Unterschied ausmacht, ob sie ihrer sportiven Betätigung überwiegend an legitimen oder aber an illegitimen oder gar illegalen Orten nachgehen. Hierbei ist zu beachten, dass ihre Aktivitäten im Rahmen unterschiedlicher Diskurse und Politiken der Stadt unterschiedlich bewertet und behandelt werden; relevant ist hier etwa der Übergang vom sogenannten Neorealismus der 1990er Jahre – von der die Politik der Zero Tolerance – zu Leitbildern der Creative City nach der Jahrtausendwende. Nach dem Modell von Shove, Pantzar und Watson sind als drittes Element sozialer Praktiken implizite und explizierte Formen von Bedeutung zu untersuchen. Wie bereits erläutert, lässt sich dabei der Bereich impliziter Bedeutung – also des Trachtens, das sich mit der jeweiligen Gestalt der Praktik verbindet – von den körperlichen Kompetenzen nicht trennen und wird daher im Folgenden der Analyse der Kompetenzen zugeschlagen. Insofern bleiben in einer dritten Dimension die Texte der Praktik als Untersuchungsgegenstand – also all die Arten und Weisen, in denen Skateboarding explizit beschrieben oder abgebildet wird. Anhand der Narrationen in Skateboard-Videos, anhand von Grafiken auf Skateboards und T-Shirts, die in der Praktik eine erhebliche Rolle spielen, anhand aber z.B. auch von einschlägigen Song-Texten aus verschiedenen Abschnitten der Geschichte der Praktik lässt sich rekonstruieren, was jeweils mit Skateboarding und der sozialen Figur des Skateboarders oder der Skateboarderin verbunden wird; diese Darstellungen sind naheliegenderweise keine bloßen Reflexe der körperlich-räumlichen Praxis, sondern gehen in diese mit ein und bestimmen sie mit. Sie tragen zu den teleoaffektiven Strukturen der Bewegungen bei, die die Arbeit in der Analyse der Fahrweisen und Body Spaces herauszuarbeiten versucht. Doch sind diese Darstellungen nicht nur in ihren Inhalten zu deuten, sondern auch in ihrer Materialität zu betrachten. Das gilt besonders für das in der Geschichte des Skateboarding entscheidende Videomedium. Indem sich bestimmten Phasen der Beschleunigung im kollektiven Bewegungslernen der Skateboarder/innen bestimmte Innovationssprünge in der Medientechnik zuordnen lassen, ist gerade das bewegte Bild auch eine basale Materialie der Praktik. Zudem wird sich
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zeigen, dass die Entwicklung des Videomediums, die gerade während des Beobachtungszeitraums große Sprünge macht, ihrerseits auf die deutbaren Inhalte dieser Repräsentationen zurückwirkt, indem mit diesen Innovationen immer wieder neue Autoren-Einheiten möglich werden, mit denen wiederum spezifische Darstellungsabsichten einhergehen können. Die Karriere des Bedeutungselements, also der sich mehrfach deutlich verschiebenden Art und Weise der Darstellung von Skateboarding, wird dementsprechend vor dem Hintergrund eines Zusammenhangs diskutiert, der sich Sendeverhältnis nennen lässt und auf die Frage antwortet, wer wann überhaupt in der Lage ist, solche Bilder über die Praktik zu produzieren und auch zu versenden (vgl. Schäfer 2015b). Dieser Aufbau spezifiziert die drei Dimensionen, anhand derer die im obigen Sinn wirkliche Geschichte der Praktik zu rekonstruieren ist: Erstens Körper und der Sinn ihrer Bewegungen, zweitens Räume und die Bedingungen ihrer Realisierung sowie drittens Zeichen und die Kontexte ihrer Produktion. Die Darstellung folgt einem Längsschnittformat: Zunächst wird in drei großen Abschnitten jeweils die Karriere des Bewegungselements, dann die der räumlichen Hervorbringungen und schließlich die der Darstellungsweisen und Repräsentationen durch die vier angenommenen historischen Gestalten der Praktik verfolgt. Dabei werden die Elemente, die einander ja stets bearbeiten, immer wieder aufeinander bezogen. Ein Schlussteil zieht dann ein Resümee und arbeitet heraus, welche Gewinne aus der angewendeten Methode einer wirklichen Historie gezogen werden können – also einer auf Transformationen und Brüche statt auf Kontinuitäten sowie auf Herkunft und Entstehung statt auf Ursprung und Entwicklung abstellenden Geschichte der Wechselwirkungen der Elemente der Praktik und der Effekte, die sich zwischen ihnen ergeben.
1.6.
In die Postmoderne rollen?
Die Arbeit nimmt die Skateboard-Praktik in ihrem drei Hauptteilen also aus einer Nahsicht als Subjektivierungsweise, als Selbsttechnik, als Medium von Selbstbildung im Kontext der westlichen Gesellschaften des ausgehenden 20. und frühen 21. Jahrhunderts in den Blick. Da Selbst- und Ordnungsbildung aus praxeologischer Perspektive wechselseitig konstitutiv sind, ist damit zugleich stets auch die Subjektordnung angesprochen, die in diesen individuell-kollektiven Subjektivierungsprozessen aufgerichtet bzw. dementiert wird. Deshalb spielt in der Arbeit neben dieser Frosch- stets auch eine Theaterperspektive, neben der Nah- auch eine Draufsicht eine Rolle. Aus diesem Blickwinkel thematisiert die Untersuchung anhand einer Selbsttechnik jenen großen Umbruch, der sich in den westlichen Gesellschaften zwischen den 1960er Jahren und der Jahrtausendwende vollzieht.
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Das Vor- und das Nachher dieser Transformation werden mit Begriffen wie Industriegesellschaft versus postindustrielle Gesellschaft, Fordismus versus Postfordismus oder »Organisierte Moderne« versus »Postmoderne« (vgl. Reckwitz 2010b, S. 75) beschrieben. Bleibt man zunächst bei Reckwitz’ (2012) Vokabular und Perspektive, ist dieser Wandel gekennzeichnet und wird vorangetrieben von einem umfassenden »Prozess gesellschaftlicher Ästhetisierung«. Ein »Code des SozioTechnischen« (Reckwitz 2010b, S. 338) wird abgelöst und umgearbeitet von einem »Kreativitätsdispositiv« (Reckwitz 2012, S. 20ff), einem gesellschaftlich situierten Wunsch nach und Imperativ der Kreativität (vgl. ebd., S. 10), der ein gesellschaftliches »Regime des ästhetisch Neuen« (ebd.) als Horizont von individuell-kollektiver Selbst- wie sozialer Ordnungsbildung installiert. Anhand der Skateboard-Praktik, so eine These der Arbeit, kann nun dieser Wandel anhand der Karrieren aller ihrer Elemente exemplarisch nachvollzogen werden. Am Beispiel der Kompetenzen der Praktik lässt sich zeigen, wie ab den späteren 1970er Jahren ein damals neuartiger Modus von Sportbewegung entsteht: An die Stelle objektiver Messbarkeit sportlicher Performances treten subjektive, ästhetische Horizonte von Leistung. Dabei tritt Skateboarding, indem es motorische Familienähnlichkeiten nicht mehr nur zu anderen Praktiken des Sportfeldes, sondern auch zu spezifischen – und sogar wechselnden – popmusikalischen Stilkulturen aufbaut und unterhält, zumindest in Teilen aus dem klassischen Sportfeld heraus. Seine Bewegungsmuster distanzieren sich von jener disziplinären, zu einer Trennung von Training und Ernstfall, zu einem verwissenschaftlichten Üben im Hinblick auf ein standardisierendes Perfektionieren neigenden Formatierung, die etwa den klassischen Individualsportarten eigen ist. Es richtet sich stattdessen auf die »Treue zum Stil« (Gebauer et al. 2004), auf ein (vermeintlich) authentisches Enactment bestimmbarer Haltungen. Grundsätzlich, wenn auch in unterschiedlicher Intensität und in gewissen Wellenbewegungen, geht es im Skateboarding mehr um das Erfinden, Variieren, Adaptieren und Neu-Machen von Bewegungen als um den objektivierenden Abgleich mit anderen Aktiven. Zweitens nutzt Skateboarding ab den späteren 1970er Jahren die städtische Umwelt in einer neuen Weise als Material. Skateboarder/-innen betrachten und begehen die topografische Vielfalt einer Stadt in der gleichen Weise wie Natursportler/-innen die Schnellen eines Flusses oder die Flanken eines Berges. Sie behandeln die Stadt als zweite Natur, wobei sie deren Schönheiten und Sehenswürdigkeiten nach sehr eigenen, praxisimmanenten Kriterien bewerten. Sie werden also in gewisser Hinsicht zu Vorreitern einer »neuen Urbanität« (vgl. Häußermann/Siebel 1987); sie etablieren eine städtische Praktik, die sich nicht in die geordnete Funktionalität der Stadt einordnet, sondern auf den Genuss ihrer Oberflächen abstellt und dabei oft gerade vernachlässigte Zonen von Nullarchitektur oder so genannte Nicht-Orte zu Bühnen situativer, körperzentrierter Raumkonstitution macht und
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so körperpraktisch wie in der ausschweifenden mit dem Skateboardfahren verbundenen Bildproduktion ästhetisch inszeniert und aufwertet. Ferner fällt die Praktik seit den ausgehenden 1970er Jahren durch einen für eine sportive Praktik ungeahnten Output an Bedeutungsträgern, also an grafischen Zeichen, bewegten Bildern und sonstigem Material auf. Aufgrund vor allem im Detail noch zu rekonstruierender Details insbesondere der Lehr- und Lernkultur der Praktik, so die dritte These, stellt sich in dieser eine totemische Zeichenproduktion her, die einen Grenzbereich zwischen jugendlicher Devianz und subkulturellen Praktiken der Markierung und Abgrenzung auf der einen und einer spezifischen Form von Warenästhetik auf der anderen Seite konstituiert. So entstehen in der zunächst randständigen Skateboard-Kultur zu einem historisch sehr frühen Zeitpunkt nolens volens gewisse Grundformen jenes zeitgenössischen, »identitätsorientierten« (vgl. Meffert/Burmann 2002) Marketings, das ab den 1990er Jahren nicht nur, aber besonders auf dem expandierenden Jugendmarkt eine wichtige Rolle spielt und diesen in gewisser Weise erst konstituiert. Zugleich trägt diese Zeichenproduktion im Verlauf der 1990er Jahre zu einer Erosion der Hierarchien zwischen high und low im Feld der (Hoch-)Kultur bei; gerade Skateboarding erreicht im Kunstfeld spätestens ab der Jahrtausendwende eine Präsenz, die unter sportiven und sportlichen Praktiken ihresgleichen sucht. Insofern kann die Praktik mit Sicherheit in angedeuteter Weise als Indikator jenes sozialen Wandels der westlichen Gesellschaften im ausgehenden 20. Jahrhundert angesehen werden, indem sie diesen aufgrund ihres intensiven physischen Vollzugs besonders prägnant verkörpert. Darüber hinaus aber wäre zu fragen, ob die Praktik dergestalt nur als eine spezifische Nischenkultur anzusehen ist, die jene umfassende kulturelle Transformation spielerisch verdichtet und so besonders deutlich aufführt – oder ob sie nicht auch als eine ästhetische Praktik anzusehen ist, die jenen Wandel in einer relevanten Breite und Wirkmächtigkeit selbst mit antreibt. Damit ist die quantitative Dimension des Skateboardfahrens angesprochen, die in der Arbeit ansonsten eine untergeordnete Rolle spielt. Auf diese Frage wird das Vorliegende noch einmal etwas ausführlicher zurückkommen. An dieser Stelle mag zunächst der Hinweis genügen, dass die Skateboard-Praktik in Deutschland und Europa bis heute eher eine Nischenaktivität bleibt, während sie in den USA längst ein massenhaft betriebenes Bewegungshobby darstellt und sich seit den späteren 1990er Jahren auch zu einer populären Publikumssportart entwickelt hat. Allerdings ist die alltagskulturelle Präsenz der Praktik mit Blick auf allein Teilnahmezahlen ohnehin nur schwer zu fassen. Erstens betreiben Skateboarder/-innen ihre Praktik oft mit einem Aufwand, der eine Entsprechung nur in den Profibereichen herkömmlicher Sportarten findet: wenn möglich täglich, oft mehrere Stunden. Fokussierte eine Umfrage nicht nur die Nennungen der betreffenden Praktik, sondern die in der jeweiligen Stadt tatsächlich aktiv betriebenen Sportstunden, fiele die Statistik
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bereits anders aus. Zudem ist die Skateboard-Praktik – auch wenn sie inzwischen oft in Zweckanlagen betrieben wird – durch ihren öffentlichen Charakter zumindest in der Tendenz weit sichtbarer als zahlenmäßig vergleichbar minoritäre Sportarten: In einer angenommenen Kleinstadt mit 20.000 Einwohnern kann eine 20-köpfige Skateboard-Clique für eine dauerhafte Sichtbarkeit der Praktik sorgen, obwohl sie nur ein Promille der Bevölkerung stellt. Im Verlauf der folgenden Untersuchung werden drei Beispiele aus Köln, London und Philadelphia unter anderem zeigen, dass das Raumverhalten vergleichsweise kleiner Gruppen von Skateboarderinnen und Skateboardern selbst in vergleichsweise großen Städten zumindest phasenweise ein sensibles Politikum abgeben kann. Vor allem aber überragt die alltags- bzw. jugendkulturelle Bedeutung der Praktik offenbar bei weitem die numerische Beteiligung. Insbesondere in Jugendmarktstudien – auch darauf wird die Arbeit noch eingehen – wird immer wieder deutlich, dass Skateboarding von vielen Jugendlichen als bewundernswert, ja orientierend angegeben wird, die selbst nicht aktiv Skateboard fahren. Augenscheinlich umgibt die Praktik auch in Europa und der Bundesrepublik, wo sie rein zahlenmäßig bis auf Weiteres wenig relevant zu sein fortfährt, in sicherlich wechselnder Intensität, aber doch stets in signifikantem Ausmaß eine Art kulturelle ÜberLebensgröße. Dieser »Kultstatus« (Lamprecht/Stamm 2002, S. 108) strahlt offenbar weit über den eigentlichen Kreis der Teilnehmer/-innen hinaus ab. Anhand der Körpertechniken, des Raumverhaltens sowie der Zeichenproduktion der Praktik zu rekonstruieren, warum das so ist, stellt eine Aufgabe dar, der sich diese Arbeit anzunehmen hat – und der sie sich im nun folgenden ersten Abschnitt zunächst anhand der Kompetenzen der Praktik, also ihrer körperlichen Bewegungen und darin eingelassener Momente impliziten Sinns, zu widmen beginnen wird.
2. Körper
Wenn heute von Skateboarding die Rede ist, hat man meist Bilder wie dieses im Kopf: junge Leute, weit überwiegend Männer, die mit den Möbeln des Straßenlands spielen. Dabei dauert es fast 30 Jahre, bis die um 1960 entstandene sportive Praktik zu derartigen Manövern in der Lage ist. Foto: Helge Tscharn
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Eine soziale und kulturelle Praktik wie das Skateboardfahren ist, wie sich nach Shove, Pantzar und Watson sagen lässt, eine aktive Integration von Kompetenzen, Materialien und Bedeutungen (Shove et al. 2012, S. 24). In den Worten von Andreas Reckwitz hat man es mit einer gesellschaftlich geregelten und in Routinen gegossenen Form des körperlichen Verhaltens zu tun, das implizites Wissen, spezifische Wünsche, Motivationen und Erwartungshorizonte produziert und reproduziert (Reckwitz 2010a, S. 135) und sich im Rahmen sozio-materieller Arrangements entfaltet; Schatzki spricht von einem sich zeitlich und räumlich entäußernden »nexus of doings and sayings« (Schatzki 1996, S. 89). Analysieren lässt sich die Geschichte einer solchen Praktik nach Shove, Pantzar und Watson anhand der Karrieren ihrer einander stets bearbeitenden Elemente; eine praxeologische Genealogie einer sozialen und kulturellen Praktik oder, wie sich in Anlehnung an Foucault sagen lässt, ihre wirkliche Historie hat dann die Interdependenzen und die Wirkungs- und Rückwirkungsgeflechte zwischen diesen Elementen zu rekonstruieren. Dennoch werden im Folgenden zu heuristischen Zwecken eben diese drei Klassen von Elementen zunächst voneinander isoliert. Anhand ihrer jeweiligen Karrieren werden, vereinfacht zusammengefasst unter den Überschriften Körper, Raum und Zeichen, in den drei Hauptteilen der Arbeit zunächst jene drei Transformationen der Skateboard-Praktik, von denen das Vorliegende ausgeht und die es rekonstruieren will, aus einer Nahsicht betrachtet. Dabei wird es freilich darauf ankommen, diese Karrieren jener drei Klassen von Elementen der Praktik immer wieder aufeinander zu beziehen. Abschließend wird der Versuch einer Synopse der jeweiligen Gestalt der Praktik unternommen, die schließlich – gewissermaßen in einer Theaterperspektive – auch gesellschaftstheoretisch diskutiert werden kann. Der Folgende erste dieser drei Hauptabschnitte der Arbeit widmet sich dem Körper – verstanden als lebendiger, spürfähiger, ›intelligenter‹ Organismus – und seinen Bewegungen auf Skateboards. Selbstverständlich und wie soeben dargelegt stehen diese Bewegungen in engster Verbindung mit den Räumen, die sie an bestimmten Orten und auf spezifischen Oberflächen herstellen und bespielen. Sie sind auch nicht von dem zu trennen, was im Folgenden als Dimension der Zeichen verhandelt wird. Dennoch wird versucht, von gerade diesen Elementen zunächst zu abstrahieren. Wie einleitend dargelegt, kann das freilich in Gänze
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nicht gelingen. Im Rahmen einer pragmatischen Setzung werden im folgenden ersten Abschnitt unter dem Rubrum des Körpers die Entwicklung der SkateboardKörpertechniken in ihrer Beziehung zu den basalsten, körpernächsten Materialien – wie Skateboards und zum Beispiel Schutzausrüstung – sowie zu den körpernächsten Elementen von Bedeutung untersucht, also dem impliziten Sinn dieser Bewegungen, den Motivationshorizonten, die in sie eingelassen sind und den physio-psychischen Erlebnissen, die diese Bewegungen versprechen und bereithalten. In einem ersten Schritt werden dabei zunächst die nach Annahme des Vorliegenden vier Generationen von Skateboard-Manövern rekonstruiert, die sich zwischen dem Aufkommen der ersten Skateboards um 1960 bis zum heutigen Tag ergeben. Aufgezeigt werden soll dabei in erster Linie, wie diese Sets von Tricks miteinander zusammenhängen und an welchen Stellen Brüche und einschneidende Transformationen zwischen ihnen liegen. Welche Bewegungen haben welche Herkunft? Welche Manöver sterben wann aus, welche werden unter welchen Umständen wiederentdeckt? Welche Körpertechniken überdauern diese Transformationen der Praktik – und wie formen sie sich dabei um? In Beantwortung solcher Fragen wird zunächst eine Basis dessen gelegt, wovon im Nachfolgenden gesprochen wird. Im Sinn der genealogischen Perspektive wird das auf den ersten Blick scheinbar Kompakte – ›das‹ Skateboardfahren – in Komponenten zerlegt. Dabei wird deutlich, wie schnell und dynamisch sich diese Praktik immer wieder spezifisch neu verarbeitet, verschiebt und verändert. Hinsichtlich des wissenschaftlichen Schreibens über die Skateboard-Praktik wird aus diesem Blickwinkel unter anderem klar, dass und warum dabei eine gewisse diachrone Strenge vonnöten ist. Angesichts der vielfältigen Transformationen bereits der körperlichen Bewegungen der Praktik erweist es sich als problematisch, beispielsweise Feldforschungen aus dem Jahr 2005, 2010 oder 2015 umstandslos mit Befunden aus Texten abzustützen, die auf Beobachtungen aus den frühen 1990er Jahren beruhen – oder heutige Deutungen der Praktik in das Skateboardfahren des Jahres 1975 oder gar 1965 hineinzulesen. In einem zweiten Schritt werden diese Manövergenerationen oder Sets von Tricks zunächst als Bewegungsmuster vermessen und dann nach Fahrweisen spezifiziert. Dabei wird nach dem Sinn dieser Bewegungen gefragt, also nach in den Vollzug dieser Manöver typischerweise eingelassenen Wünschen, Motivationshorizonten und nach den Bewegungserlebnissen, die sie üblicherweise bereithalten, nach dem jeweils spezifischen Spirit des Skateboardfahrens. Insofern diskutiert der zweite Abschnitt des Kapitels, wie sich innerhalb der jeweiligen Gestalt der Praktik spezifische »Vollzugskörper« heranbilden, wie das Skateboardfahren seine Teilnehmer/-innen subjektiviert und identifiziert – wie also die Subjekte der Praktik in zunächst ihrem körperlichen Tun anerkannte und »kompetente, d.h. mitspielfähige« (Alkemeyer/Michaeler 2013, S. 215) Skateboarder/-innen werden und sich zugleich in kulturelle Ordnungen von Identität und Differenz einsortieren.
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Ein dritter, abschließender und ausblickender Abschnitt resümiert erstens die Positionen, die die Skateboard-Praktik seit den 1960er Jahren im Feld des Sports einnimmt und versucht zu ermessen, inwiefern das Auftreten dieser Praktik die Positionen und Beziehungen innerhalb des Raums der Sportarten verändert und damit das Sportfeld selbst verschiebt. Anhand der Körpertechniken des Skateboarding kann dabei erstens gezeigt werden, dass die Praktik, die zunächst Bewegungen aus einer ganzen Reihe anderer Sportarten in sich aufnimmt und einschmilzt, zum Ausgangspunkt einer Familie verwandter Praktiken wird, die ihrerseits auf Skateboardtechniken bauen und mitunter sogar Veränderungen nachvollziehen, die sich im Skateboardfahren ergeben. Anhand der Analyse der Bewegungsmuster und Fahrweisen wird zweitens deutlich, dass Skateboarding nicht nur neue Tricks und Techniken ins Sportfeld einführt, sondern auch neue Modi des Sportreibens. Skateboarding steht nicht nur, wie schon Schmidt (2002, S. 19) schreibt, mit im »Schnittpunkt« einer in den 1970er Jahren einsetzenden Kongruenz von Sport- und Popkultur; es scheint diese Schnittmenge maßgeblich zu eröffnen. Indem gezeigt werden kann, dass, wie und wo sich Skateboarding zwischen Pop- und Sportkultur immer wieder neue Positionen sucht, wird die Wirkung dieser – in Deutschland und Europa mitunter noch immer als flüchtige Mode apostrophierten – sportiven Praktik auf das Feld des Sports sichtbar: Skateboarding ist Angelpunkt eines neuen Bereichs »präsentatorisch-inszenatorischer« Sportbetätigung (Schmidt 2002, S. 31), der sich seit den ausgehenden 1970er Jahren neben dem Vereins- und Wettkampfsport etabliert. Und der klassische moderne Sport ist umgekehrt gezwungen, auf dieses Auftreten eines neuen Musters zu reagieren, wobei sich auch sein Gesicht wahrnehmbar wandelt.
2.1.
Eine kleine Geschichte der Skateboard-Manöver
Als Ausgangspunkt der Rekonstruktion der in diesem Sinne körperlichen Praxen von Skateboard-Aktiven gibt die Untersuchung also zunächst einen kleinen Überblick über die bislang vier typischen Manöver-Generationen, die das Skateboardfahren seit seinem ersten Aufkommen in den späten 1950er Jahren an der Westküste der USA ausmachen. Diese Aufstellung ist – schon aufgrund des über weite Strecken ihrer Geschichte sehr unregulierten Charakters der Praktik – notwendigerweise recht holzschnittartig, aber dennoch eine unverzichtbare Grundlage einer im Sinne des Vorliegenden wirklichen Geschichte des Skateboardfahrens. Die Zäsuren in dieser kleinen Geschichte der Skateboard-Manöver werden dabei anhand von einschneidenden Veränderungen der jeweils typischen Sets an Bewegungen rekonstruiert – und nicht anhand der Popularitätswellen des Skateboardfahrens, die teils quer zu den Diskontinuitäten und Transformationen der folgenden klei-
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nen Manövergeschichte der Praktik liegen. Zur Orientierung wird zunächst aber ein kleiner Überblick über den Verlauf dieser Skateboard-Wellen gegeben. So erstreckt sich die Gestalt des Skateboardfahrens, die im Folgenden das Skateboarding der langen 1960er Jahre oder nach einer Bemerkung des SkateboardProtagonisten Stacy Peralta das sixties paradigm of skateboarding genannt wird, über zwei Boom-Phasen der Beteiligung am Skateboarding. Bereits um die Mitte der 1960er Jahre erleben die USA eine erste Skateboardwelle, die indes 1966 bereits wieder verebbt. Um 1973 setzt – vor allem ausgelöst durch das Aufkommen neuer, aus dem Kunststoff Polyurethan verfertigter Rollen, die die Bodenhaftung und damit die Fahreigenschaften von Skateboards entscheidend verbessern (vgl. Brooke 2005, S. 46f) – ein zweiter Skateboard-Boom ein, der dann auch das damalige Westeuropa in Größenordnungen erfasst. Körpertechnisch zerfällt dieser zweite Boom der 1970er Jahre indes in zwei sehr unterschiedliche Arten des Skateboardfahrens: Während – zumal in Europa – bis zum Ende dieses Jahrzehnts im Grunde jene Manöver typisch bleiben, die bereits in den 1960er Jahren prägend sind, beginnt in den USA bereits in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre eine neue Manöver-Generation aufzukommen: das vertikale Skateboarding oder kurz Vert. Zunächst koexistiert und konkurriert diese Version des Skateboardfahrens mit den ganz anders gearteten Bewegungen der älteren Gestalt. Doch nachdem die Praktik insgesamt um 1979 und 1980 ein zweites Mal fast vollständig verschwindet, bleibt das vertikale Skateboarding gewissermaßen übrig – und bestimmt die Art und Weise, in der während des bereits dritten (in Europa zweiten) Booms der Praktik bis etwa 1990 üblicherweise gefahren wird. Wiederum bilden sich aber zugleich – besonders in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre – bereits die Körpertechniken des Street Skateboarding heraus, die nach einem weiteren weitgehenden Kollaps der Praktik in den frühen 1990er Jahren zur dominierenden Variante des Skateboardfahrens aufsteigen. Dieser vierte Boom – dem bisher kein weiterer gravierender Einbruch mehr gefolgt ist – mündet in etwa um die Jahrtausendwende abermals in deutliche Veränderungen der Skateboard-Körpertechniken: Es setzt sich nunmehr zwar in der Breite keine grundlegend neue Generation von Skateboard-Manövern durch, doch differenziert sich das Skateboardfahren in sehr verschiedene Zweige aus. Neben einem neuen Bereich, der als Mega-, Big Air- oder Stuntboarding angesprochen werden kann und der sich als eine Extremisierung von Techniken sowohl des vertikalen als auch des Street Skateboarding charakterisieren lässt, treten dabei ganz anders geartete Varianten der Praktik wie beispielsweise das neuerdings populäre Longboarding, das teils an Körpertechniken der 1970er Jahre anknüpft und nicht zuletzt auch als ein nostalgisches ›Revival‹ zu verstehen ist. Welche Körpertechniken etwa der 1970er Jahre feiern nun nach 2000 ein Comeback? Welche Bewegungen der 1980er und 1990er Jahre sind es genau, die zugleich extremisiert werden? Wie verhalten sich die verschiedenen Generationen
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von Skateboard-Bewegungen überhaupt zueinander, wie unterscheiden sie sich und wie hängen sie zugleich doch zusammen? All das soll nun etwas genauer rekonstruiert werden, ohne sich dabei allzu sehr in den Details zu verlieren.
2.1.1.
Das ›sixties paradigm of skateboarding‹
Unter dem »sixties paradigm of skateboarding« (Peralta 2001, 00:49:12) – man könnte auch vom horizontalen Skateboarding sprechen – wird, wie schon erläutert, im Vorliegenden ein Zeitabschnitt gefasst, der vom Aufkommen kommerziell gefertigter Skateboards gegen Ende der 1950er Jahre über den ersten, noch auf die USA beschränkten Skateboardboom der mittleren 1960er bis zum Ende eines in den USA bereits zweiten, in Deutschland und Europa jedoch ersten Skateboardbooms in den ausgehenden 1970er Jahren reicht. Obwohl dieser Abschnitt der Praktik also fast 20 Jahre umfasst, spielt er in sozialwissenschaftlichen Arbeiten über Skateboarding für gewöhnlich so gut wie keine Rolle; immer wieder scheint sogar davon ausgegangen zu werden, die Praktik sei überhaupt erst in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre entstanden. Dabei erweisen sich diese zwei Jahrzehnte Vorgeschichte nicht nur als überaus vielgestaltig, sondern sie eignen sich auch hervorragend zur Konturierung dessen, was heute landläufig unter Skateboarding verstanden wird: Vieles von dem, was die heutige Skateboard-Praktik als einen wohl beispielhaften Fall der Neuen Spiele auszeichnet (vgl. Gebauer et al. 2004), trifft auf diese Gestalt der Praktik nämlich noch nicht oder nur eingeschränkt zu. In dieser Zeitspanne werden auf Skateboards zunächst Bewegungen aus anderen Sportpraktiken nachgeahmt. Dabei entstehen rasch verschiedene Disziplinen innerhalb der Praktik: Zu unterscheiden ist zwischen den Racing-Varianten Slalom und Downhill, einem (für heutige Begriffe etwas irreführend) Freestyle genannten Kunst- und Figurenskaten sowie den ›athletischen‹ Varianten Hoch- und Weitsprung. Besonders in den 1970er Jahren zeichnen sich dabei bereits weitgehende Spezialisierungstendenzen ab: Wer zu dieser Zeit an allen Unterarten der Praktik teilnehmen will, braucht dazu bis zu fünf verschiedene Skateboards: Ein zum Figurenskaten auf flachem Untergrund gedachtes Skateboard, das deutlich kürzer und schmaler ausfällt als ein heutiges Modell, ein schlankes, wendiges SlalomSkateboard, bei dem die Rollen freigestellt sind, um ein plötzliches Einbremsen durch Kontakt zwischen Rolle und Brettunterseite in scharfen Kurven zu vermeiden und ein deutlich längeres und breiteres Downhill-Board mit ebenfalls freigestellten Rollen, aber längerem Radstand und weitaus breiteren Achsen als beim Slalommodell, wodurch Laufstabilität bei hohen Geschwindigkeiten erreicht wird. Hinzukommen können noch spezielle Bretter für Hoch- und Weitsprung. Bei diesen kommt es mehr auf die Qualitäten als Absprung- beziehungsweise Landeplattform an als auf das Roll- oder Lenkverhalten. Ebenfalls schon in den 1970er Jahren
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beginnen erste Experimente mit Segel-Skateboards, für die Bretter mit an Windsurfboards erinnernden Mastfüßen entworfen werden. Bereits diese Bandbreite an Skateboards weist darauf hin, dass die Soziologie hier nach dem geflügelten Wort von Norbert Elias zunächst als Mythenjägerin gefragt ist. Die dabei aufzuklärende, nahezu allgegenwärtige Erzählung ist die, dass Skateboarding in direkter Linie vom Wellenreiten abstamme. So lässt nicht nur Butz (2012, S. 53) seinen kursorischen Überblick über die Geschichte des Skateboarding im »ancient Hawaii« beginnen, wo schon lange vor dem Eintreffen der sogenannten Entdecker/-innen an das heutige Wellenreiten erinnernde Bewegungen in der Brandung ausgeführt wurden, zumeist in kultischen Kontexten. Wie selbstverständlich nennt etwa auch Brooke seine Chronik des Skateboarding »The Concrete Wave« – und bereits in den 1960er Jahren singt das kalifornische Musikerduo Jan and Dean vom »Sidewalk Surfing«. Eines der ersten kommerziell gefertigten Skateboards trägt denn auch den Namen »Sidewalk Surfer« und das 1962 auf den Markt gebrachte Skateboard der Firma »Makaha«, das in seiner Funktionsweise bereits an heutige Skateboards erinnert, ist nach einem bekannten Surfstrand auf Hawaii benannt (Seewaldt 1990, S. 10). Und spätestens seit dem Dokumentarfilm »Dog Town and Z-Boys« (Peralta 2001) und dem Spielfilm »Lords of Dogtown« (Hardwicke 2005) ist diese Ursprungsgeschichte des Skateboardfahrens auch einem breiteren Publikum bekannt. Doch so plausibel das klingt und so sehr es zutrifft, dass viele der frühen Skateboarder/-innen tatsächlich auch surften, so sehr bestimmte organisatorische Prinzipien der Praktik aus der Surf-Kultur stammen und so stichhaltig immer wieder konkrete Bewegungstransfers zwischen den Praktiken nachgewiesen werden können, so verengt ist diese große Geschichte vom Surfen an Land. Die 1960er Jahre kannten eben nicht nur das »Sidewalk Surfer«-Skateboard, sondern auch ein »Roller Derby« genanntes Brett – und die 1970er Jahre eine Skateboardfirma namens »Earth Ski«. Tatsächlich zeigt Willards (2004, S. 189) Durchsicht des SkateBoarder von 1975 bis 1978, dass die Praktik zu dieser Zeit in Artikeln und Anzeigen »metaphorically« mit einem weiten Spektrum sportiver Praktiken in Verbindung gebracht wird, das »surfing, skiing, ice skating, auto racing, ballet, gymnastics, trackand-field high jumping, and ice hockey« umfasst. Und liegt denn beim Anblick zeitgenössischer Skateboarder/-innen, die das Brett unter den Füßen wirbeln lassen oder seitlich auf Treppengeländer springen, um mit der Bauchseite des Boards darauf abzurutschen, die Assoziation des Wellenreitens wirklich so nahe? Es scheint sich jedenfalls zu lohnen, auch andere mögliche Vorläuferinnen in den Blick zu nehmen. Mit dem Blick speziell auf die 1970er Jahre scheint es sich sogar zu empfehlen, mit dieser Suche nach den Quellen des Skateboarding nicht beim Surfen, sondern beim alpinen Skifahren zu beginnen, das zu dieser Zeit schon durch Rennanzüge, aerodynamische Helme etc. das Bild der Praktik zuweilen prägt, auch wenn es
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mittlerweile kaum noch mit Skateboards in Zusammenhang gebracht wird. Tatsächlich sehen sich Skateboarder/-innen der 1960er und 1970er Jahre durchaus auch als Verwandte des Skisports. Bereits das Editorial der 1965 erschienenen Nullnummer der ersten Fachzeitschrift namens Quarterly SkateBoarder stellt eine Verbindung zu beiden Praktiken her: »It’s similar in many ways to surfing and to skiing«, heißt es dort (zit.n. Brooke 2005, S. 33). Noch ein Jahrzehnt später steht in Lehrbüchern, das »Skilaufen« sei neben dem Surfen der »nächste Verwandte« von Skateboarding (Davidson/Klein 1976, S. 18), sei doch der »Bewegungsablauf beim Skifahren« demjenigen »beim Rollbrettfahren sehr ähnlich«. In anderen Büchern heißt es, »gute Skifahrer« könnten »in der Regel auch exzellente SkateboardExperten« werden (Stauder 1977, S. 33). In den 1970er Jahren ist diese Ski-Nähe sogar zeitweise bestimmend, da die Racing-Varianten zu ›Königsdisziplinen‹ des Skateboarding werden. In dieser Verwandtschaft entsteht zudem eine grundlegende Skateboard-Körpertechnik: Der Slalom zwischen den Kegeln zwingt den Körper in eine rhythmische Kurvenbewegung, in der das Skateboard Geschwindigkeit aufnimmt. Dieser Effekt des »Pumpens«, der in der Trick-Literatur der 1970er Jahre stets mit dem Skifahren und weniger mit dem Wellenreiten in Verbindung gebracht wird (vgl. Torbet 1976, S. 56) hat bis heute basale Bedeutung. Ohne Spuren geblieben sind dagegen andere Techniken der Ski-Traditionslinie, etwa die so genannte Parallelstellung: Noch in den mittleren 1970er Jahren stehen etliche bekannte Aktive in den Racing-Disziplinen – beispielsweise die Skateboarder Bobby Piercy, Randy Smith und auch die Skateboarderin Robin Logan – nicht etwa, wie man es heute kennt, seitlich mit gespreizten Beinen auf dem Brett, sondern mit parallelen Füßen in der Mitte des Skateboards, ungefähr so wie auf einem Mono-Ski. Diese Position, erläutern Davidson und Klein (1976, S. 51) »erleichtert es Ihnen zwar, sich in die windschlüpfrige Position (Stromlinienform) zu begeben, sie beeinträchtigt aber auch die Manövrierfähigkeit und erschwert den Absprung vom Brett, wenn es Ihnen mal aus der Kontrolle gerät«. Wie sehr diese alpin orientierte Inkarnation von Skateboarding noch in den späten 1970er Jahren die Phantasie der Skateboard-Hersteller anregt, zeigt auch der semi-dokumentarische Film »Skateboard Madness« (Pena/Jepsen 1980). Darin sind gegen Ende speziell für die Parallelstellung entwickelte Boards zu sehen, mit denen noch weit engere Slalomkurven in höheren Frequenzen möglich sind als mit herkömmlichen Slalombrettern – und als Zubehör werden sogar Skistöcke benutzt. Doch hinterlässt neben dem Skifahren natürlich auch das Wellenreiten seine Spuren bereits im ersten Bewegungsrepertoire der Praktik. Um diese realistisch einschätzen zu können, müssen jedoch zunächst anachronistische Vorstellungen vom »Big-Wave-Surfing« (vgl. Bette 2005, S, 88) ausgeblendet werden. Das Wellenreiten der 1950er und 1960er Jahre, auf das sich das frühe Skateboarding bezieht, hat mit solchen Praktiken nur wenig gemein. Gesurft werden nämlich »bis in die 60er Jahre« (Strauss/Dunn 2015, S. 116) vordringlich mäßige Wellen auf jenen lan-
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gen, vergleichsweise schwerfälligen Brettern, die man auch im Wellenreiten heute Longboards nennt. An das Fahren im Tunnel großer Brecher, an scharfe Wendungen kurz unter deren Krone oder gar an Sprungmanöver, wie sie aus heutigen Aufnahmen bekannt sind, ist dagegen noch kaum zu denken. Die Manöver des Wellenreitens dieser Zeit, die zunächst in Skateboard-Manöver umgesetzt werden können, sind weit weniger spektakulär. Virtuosität zeigen Surfer/-innen damals eher auf dem Board als durch spektakuläre Bewegungen mit dem Brett. Während des Abreitens der Welle tippeln sie etwa mit den Füßen ans Heck oder an den Bug, drehen sich in eine Rückwärtsposition oder versuchen, sich auf dem Brett auf den Rücken zu legen und wieder aufzustehen. Aus solchen Bewegungen entstehen in den 1960er Jahren Skateboard-Manöver, die dem Freestyle, also dem Flachland-Figurenskaten, zuzurechnen sind. Das Hinlegen auf dem fahrenden Brett heißt im Wellenreiten wie Skateboarding Coffin, aus dem Hang Ten der Surfer/-innen, bei dem das Brett vom Bug aus dirigiert wird (so dass, daher der Name, alle zehn Zehen überstehen) wird das Skateboard-Manöver Nose Wheelie, bei dem das Brett nur auf der Vorderachse rollt, während die beiden hinteren Räder in der Luft bleiben – der Wheelie (später auch als Manual bezeichnet) ist im Gegensatz zum Coffin und ähnlichen längst vergessenen Tricks bis heute in verschiedenen Variationen ein gebräuchliches Manöver. Es lassen sich im Bewegungsrepertoire der Skateboarder/-innen der 1960er und 1970er Jahre also durchaus vom Surfing inspirierte Manöver nachweisen, doch bezieht sich der Einfluss des Wellenreitens auf nur eine von mehreren Disziplinen und ist insgesamt weitaus geringer, als es der populäre Mythos will. Als für das Repertoire des Skateboarding zunächst mindestens ebenso bedeutend wie das so oft verklärte Wellenreiten erweisen sich zwei weitere Sportarten, die heute weitab dieser Praktik angesiedelt zu sein scheinen. Die 360ies etwa – also Pirouetten auf den Hinterrädern oder nur auf einem der Hinterräder, die im Figurenskaten lange zum Standard gehören –, verweisen auf das Eis- und Rollschuhlaufen als weitere Quellpraktik. Zudem ist speziell die Flachland-Disziplin zunächst stark von turnerischen Bewegungselementen geprägt. Ein großer Teil ihrer Manöver besteht im Grunde darin, sich in verschiedenen Körperstellungen auf dem langsam rollenden Brett zu behaupten. Übungen dieser Provenienz sind etwa der L-Sit und der V-Sit, bei dem sich die Fahrer/-innen seitlich sitzend mit den Armen über das Brett stemmen, bis ihre Silhouetten entweder an ein »L« oder an ein »V« erinnern (Davidson/Klein 1976, S. 77f) – eine Kraftübung. Der Christie, der gleichermaßen zum Standardprogramm gehört, ist dagegen eine Balanceübung, bei der Skateboarder/-innen sich in »Parallelstellung« auf das Brett hocken oder stellen und ein Bein nach vorne oder zur Seite hinausstrecken (vgl. ebd., S. 65), deutschsprachige Trickbücher nennen das Manöver auch »Seitenwaage« (Stauder 1977, S. 63). Beim Spinner springen die Fahrer/-innen eine 360-Grad-Pirouette über dem Brett (vgl. Davidson/Klein 1976, S. 75). Üblich sind auch verschiedene Variationen des Hand-
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stands auf dem rollenden Skateboard – seitlich, gerade oder als Quasimodo, einer Art Kombination aus L-Sit und Handstand, bei dem man sich zwischen den gespreizten Beinen mit den Händen auf dem Board abstützt; auch Kopfstand-Fahrten werden gezeigt (vgl. Stauder 1977, S. 101). Dem heutigen Auge noch befremdlicher mag die aus der Leichathletik stammende Übung anmuten, die bereits auf der Titelseite der ersten Ausgabe des SkateBoarder zu sehen ist: Ein Teenager überspringt eine Hochsprunglatte, während das Brett darunter hindurch fährt und der Skateboarder nach dem Hindernis wieder auf dem Brett landen wird (vgl. Brooke 2005, S. 33); auch in dem kurzen Kunst/Dokumentarfilm »Skaterdater« von Noel Black (1965), der 1966 in Cannes eine Goldene Palme gewinnt und sogar für einen Oscar nominiert wird, ist dieses Manöver zu sehen. Diese Disziplin wird bei den meisten Wettkämpfen der 1960er und 1970er Jahre ausgetragen und kann sich in der Bundesrepublik unter der Ägide des Deutschen Rollsport-Bundes (DRB) bis in die mittleren 1980er Jahre behaupten. Beim etwas früher aus der Mode gekommenen Skateboard-Weitsprung oder Barrel Jump werden dagegen zwei Skateboards benutzt: Auf dem einen fahren die Skateboarder/-innen auf das (gelegentlich aus Fässern o.ä. bestehende) Hindernis zu, um sich möglichst hoch und weit abzustoßen, das Hindernis in der Luft zu überwinden und danach auf dem Lande-Skateboard eine Ziellinie zu überqueren. Parallel zu diesen aus anderen sportiven Praktiken übernommenen Übungen entstehen indes bereits zur Zeit dieses gewissermaßen vorgeschichtlichen Skateboarding im Figurenskaten auch Körpertechniken, die als genuine SkateboardBewegungen gelten können. Hierbei ist neben diversen Board Pickups (vgl. Stauder 1977, S. 57-59) oder Board Mounts, also Methoden, das Skateboard vom Boden aufzuheben oder auf ein rollendes bzw. »umgekipptes Skateboard« aufzuspringen (ebd., S. 86f), vor allem an Kickturns zu denken. Dabei wird das Skateboard entweder auf dem Bug oder Heck belastet, so dass die unbelastete Seite vom Boden abgehoben und in einer Drehung umgesetzt werden kann. Von dieser Technik entwickeln sich mehrere Varianten, etwa das »Gehen mit dem Board«, eine Aufeinanderfolge von Bug- und Heck-Kickturns mit Drehwinkeln von vielleicht 25 oder 30 Grad, die eine trippelnde Vorwärts- oder Rückwärtsbewegung markiert (S. 67) oder die Endovers, eine Abfolge von Bug- und Heck-Kickturns um jeweils 180 Grad (Torbet 1977, S. 59). Als avancierteste Kick-Turn-Übung aber gilt das »Beschleunigen auf ebener Fläche (Kick-Turning, Tick-Tacking, Jetten)« (Stauder 1977, S. 75): eine schnelle und rhythmische Aneinanderreihung von (zumeist Heck-)Kickturns nach links und rechts um 40 oder 50 Grad, die bei etwas Üben das Skateboard nach vorne und sogar (leicht) bergauf in Bewegung setzt, ohne dass mit einem vom Brett genommenen Fuß anzuschieben wäre. Diese Bewegung steht körpertechnisch wiederum in enger Verbindung mit jenem Pumpen, also der Beschleunigungskurve des Slaloms (vgl. ebd. S. 76).
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Die Skateboard-Disziplin Hochsprung – im Bild eine Trainingseinheit beim 1. Berliner Skateboardverein im Eisstadion Wilmersdorf – ist heute weitgehend vergessen. In den 1970er und in Ausläufern auch in den 1980er Jahren gehört sie aber zum festen Programm von Skateboard-Wettkämpfen. Foto: Mark Lehmann
2.1.2.
Vertikales Skateboarding
Als vertikales Skateboarding lässt sich unter dem Gesichtspunkt einer Systematik der Körpertechniken ein Zeitraum zusammenfassen, der von etwa Mitte der 1970er Jahre bis etwa 1990 reicht und von einem weitgehenden Abschied von den horizontalen Manövern des Racing-, Hochsprung- und Freestyle-Skateboarding der langen 1960er Jahre geprägt ist. Wie schon das Kapitel über diese Zeit umfasst auch der
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folgende Abschnitt zwei Wellen des Skateboarding: Der Weg der Praktik in die Vertikale beginnt in etwa 1975, also zunächst parallel zum weiterhin dominierenden Modell von Slalom, Freestyle und Hochsprung. Nach einem erneuten tiefen Einbruch der Popularität der Praktik, auf dessen Hintergründe einzugehen sein wird, setzt sich die vertikale Variante des Skateboardfahrens dann in den frühen 1980er Jahren gegen alle anderen Varianten durch, um gegen 1990 zwar nicht ganz zu verschwinden, aber doch hinter das dann als Regelpraxis etablierte Street Skateboarding zurückzutreten. In dieser Zeitspanne prägt das Skateboardfahren ein erstes eigenständiges Set an Bewegungen aus, das keine Präzedenzen in anderen Praktiken mehr kennt und bis heute Teile der gängigen Körpertechniken mitbestimmt. Wohl deshalb gilt die Mitte der 1970er Jahre auch vielfach als die eigentliche Geburtsstunde der Praktik. Wie dezidiert sich dieses Skateboarding der ausgehenden 1970er und 1980er Jahre von der zuvor vorherrschenden Gestalt der Praktik unterscheidet, zeigt bereits die veränderte Form der Bretter. Von der Vielzahl der Slalom-, Downhill-, Hochsprung- oder Freestyle-Spezialboards überlebt nur das Letztere: Unter einem Freestyle-Skateboard der 1980er Jahre hat man sich ein relativ schmales Brett mit kleinen Rädern, kurzem Radstand und geraden Kanten vorzustellen, bei dem Nose und Tail fast gleich lang sind, das Brett also hinten wie vorne in etwa gleich weit übersteht; zudem ist es wichtig, dass die Breite der Achsen exakt derjenigen des Boards entspricht, so dass es gut auf der Kante steht, auf der sich viele Manöver abspielen. Das ›Normalskateboard‹ der 1980er Jahre aber ist – wie seine Achsen – fast doppelt so breit wie und deutlich länger als ein Freestyle-Skateboard, hat aber eine zumeist sehr kurze Nose. Am augenfälligsten ist jedoch das Concave: Die Skateboards sind nicht länger flach, sondern in sich gebogen; eine Art Mulde entlang der Längsachse garantiert einen sicheren Stand unter der Einwirkung der in Steilwänden auftretenden Kräfte. Aus ähnlichen Gründen ist das Tail nun stets aufgebogen, im Jargon spricht man vom Kicktail. Die Genese des Repertoires des vertikalen Skateboarding beschreibt der auch jenseits der Teilnehmerschaft viel gesehene Dokumentarfilm »Dog Town and ZBoys« (Peralta 2001). Demnach entsteht das vertikale Skateboardfahren ab etwa 1975 maßgeblich in einer kleinen Gruppe von Teenagern, die zugleich viel Zeit mit dem Wellenreiten verbringt und dessen – gegenüber den 1950er und 1960er Jahren allerdings stark veränderte und dynamisierte – Bewegungen zunächst auf Teerschrägen und später in die Steilwände leer stehender Schwimmbecken überträgt. Dass, wie aus einiger Distanz noch ein Vierteljahrhundert später recht pauschal über die Körpertechniken des Skateboardfahrens geschrieben wird, »in Steilwänden« das »Big-Wave-Surfing und das Spiel mit der Brandung nachvollzogen« werde (Bette 2005, S. 88), trifft erst zu diesem Zeitpunkt zu – und, wie sich gleich zeigen wird, auch nur für eine relativ kurze Zeitspanne.
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Die Bedeutung dieser kleinen, lokalen Könnerschaft, der nicht nur in dem erwähnten Dokumentarfilm, sondern auch in dem Spielfilm »Lords of Dogtown« (Hardwicke 2005) Denkmäler gesetzt sind, für die Entwicklung der Praktik ist unbestreitbar und kann kaum zu sehr betont werden. Dennoch ist festzuhalten, dass die Grundbewegung, auf der dieser Aufbruch in die Vertikale beruht und die, wie der Dokumentarfilm deutlich zeigt, das Surfen dieser Clique auf den Schrägen prägt, im Grunde keine andere ist als das Pumpen – jene rhythmische Beschleunigungskurve, die im Slalomskaten entstanden war. Auch sind die Mitglieder dieser Gruppe nicht die ersten, die auf Skateboards in den Wänden trockener Schwimmbecken experimentieren. Das vermutlich älteste Bild eines Skateboarders, der sich in einer solchen Steilwand bewegt, stammt aus dem Jahr 1965 (vgl. Borden 2001, S. 34). Der tatsächlich originäre Beitrag jener »Z-Boys«1 zum vertikalen Skateboarding besteht vielmehr darin, dass sie die Oberkante dieser Steilwände in den Blick zu nehmen und zu bespielen beginnen. Solche Manöver an der Kante einer Steilwand werden Liptricks genannt und bilden die älteste der insgesamt vier Manöverfamilien des vertikalen Skateboarding. Im Wellenreiten wird die Krone einer brechenden Welle als Lip bezeichnet, und auch in der Brandung werden Bewegungen an der Lip erst in den 1970er Jahren zum Standard. Während – wie angesprochen – das Wellenreiten in den 1960er Jahren im Regelfall noch darin besteht, sich mit der Welle in einer sanft mäandernden Bewegung in Richtung Strand tragen zu lassen und währenddessen Kunststücke auf dem Brett zu vollführen, etabliert sich in den 1970er Jahren ein neuer Modus des Wellenreitens auf deutlich kleineren und wendigeren Surfboards in zusehends größeren Wellen: Nun wird zunehmend ›gegen‹ die Welle gesurft, werden im Wellental wie eben auch an der Lip scharfe Kurven angesetzt. Ein Protagonist dieser neuen Art des Wellenreitens ist der hawaiianische Surfer Larry Bertleman, der seine Kurven fast auf der Stelle zieht und dabei mit einer Hand ins Wasser greift – was das Setzen der Kurven erleichtert, aber auch als eine ästhetische Geste zu verstehen ist. Die Z-Boys vollziehen nun dieses Manöver an Land nach und nennen es nach seinem Inspirator, nämlich Bert. Obwohl Manöver wie der Bert zunächst nicht in Steilwänden stattfinden, tragen sie zum Aufbruch in die Vertikale bei, indem sie zu einer grundlegenden Änderung der Körperhaltung führen. Während das horizontale Skateboarding (mit Ausnahme der Abfahrtshocke im Downhill) von einer mehr oder minder aufrechten Haltung auf einem rollenden oder schwingenden Brett gekennzeichnet ist, induzieren solche Bewegungen jenen dynamischen Wechsel zwischen Kompression und Streckung, der das ›Ausreiten‹ einer gerundeten Wand ermöglicht. Auch beim 1
Der Name bezieht sich auf ein Surf-Geschäft namens »Zephyr« in Santa Monica im Großraum Los Angeles, in dessen Umfeld sich die Gruppe aufhält und dessen Besitzer sie als Werbemaßnahme mit Material unterstützen.
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Pumpen, also jener beschleunigenden Kurventechnik, werden in den gerundeten Steilwänden die Körper weit mehr komprimiert als zwischen den Slalomkegeln; entsprechend setzt die anschließende Streckung des Körpers auch weit mehr Energie frei. Erst durch diese Neuadaption der Pump-Bewegung, die im Steilwandskateboarding analog zum Wellenreiten Carving genannt wird, rückt die Lip etwa um 1976 tatsächlich in Reichweite und entstehen erste Manöver an oder kurz unter der Kante dieser steilen vertikalen Wände. Eine Basistechnik ist dabei die Übertragung des Kickturns von flachen in steile Terrains: Anders als beim Carven können Skateboarder/-innen mit dieser Technik auf der Stelle wenden, was das repetitive Aufschaukeln an einander gegenüberliegenden Wänden erleichtert, das unerlässlich ist, um die Kante zu erreichen. Lässt sich aber diese Wendetechnik noch mit den Top Turns der Surfer/-innen vergleichen, gibt es bereits für ein zweites grundlegendes Manöver des vertikalen Skateboarding in den Körpertechniken des Wellenreitens keinen Vorläufer mehr: Beim Fakie verzichten die Fahrer/-innen auf eine Drehung und fahren die Wand entweder vorwärts hinauf und rückwärts hinunter oder umgekehrt auf der Gegen-Wand. Die Bezeichnung, die vergleichbar etwa auch im Halfpipe-Snowboarding verwendet wird, entsteht wohl in dem zunächst naheliegenden Spiel, wer aus einer Gruppe am höchsten in eine Wand vorstoßen kann: Ohne Drehung gilt die die Bewegung als gefaked. Bereits der Fakie hat keine Entsprechung im Bewegungsrepertoire des Surfens, wo eine vergleichbare Bewegung unmöglich ist. Gleiches gilt für den Wheeler (nicht zu verwechseln mit dem weiter oben beschriebenen Flachland-Trick Wheelie): Skateboarder/-innen nähern sich der Lip schwungvoll und zugleich kontrolliert genug, einen Kickturn oder Carve so anzusetzen, dass sie im Moment der Drehung mit den Rädern auf der Kante fahren. Dieses Manöver wiederum lässt sich zum Grind ausbauen, bei dem statt eines Rades die Achse auf der Kante gleitet und dabei das ›malmende‹ Geräusch hervorruft, auf das sich die Bezeichnung bezieht. Noch weiter über das Surfen hinaus weist eine zweite Gruppe von Liptricks: Manöver, bei denen sich der Körperschwerpunkt so weit auf die Plattform am oberen Rand und damit ›aus der Wand hinaus‹ verlagert, dass am höchsten Punkt für einen kurzen Moment eine Unterbrechung stattfindet. Der Klassiker unter diesen Manövern ist der Rock ’n’ Roll (vgl. Böhm 1990, S. 71), bei dem das Skateboard aus der Vorwärts-Aufwärtsfahrt mit dem Bauch auf die Plattform geschoben wird, bis sich nur noch die Hinterachse ›in‹ der Rundung befindet. Mit einer abrupten 180Grad-Drehung tauchen die Fahrer/-innen danach wieder in dieselbe ein – so dass sie den Schwung aus dieser Körperdrehung als zusätzliches Energiepotenzial in ihre Fahrt mitnehmen. Geübtere Fahrer/-innen setzen den Rock ’n’ Roll daher auch zum Schwungholen ein. Ein weiterer Beschleunigungstrick ist im Steilwandskaten der Axle Stall (vgl. ebd., S. 70), bei dem die Skater/-innen wiederum aus der Vorwärts-Aufwärtsfahrt beide Achsen auf die Kante bringen, kurz innehalten und
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danach mit frischem Schwung die Fahrt fortsetzen. Noch stärker lässt sich beschleunigen, wenn Axle Stall oder Rock ʼnʼ Roll so schräg angefahren werden, dass der Brett-Bauch bzw. die beiden auf der Kante platzierten Achsen zu rutschen beginnen; im Jargon wird das erste Manöver Boardslide und das zweite 50-50 Grind genannt. Eine weitere Liptrick-Gruppe bilden die Manöver, bei denen das Heck des Skateboards (Tail) Kontakt mit der Kante bekommt. Auch diese Manöver lassen sich als Tail Slides in einer Weise anfahren, die das Heck auf der Kante gleiten lässt. Obwohl also das vertikale Skateboarding seine körpertechnischen Wurzeln unübersehbar in einem Rückgriff auf das dynamische Surfen der 1970er Jahre findet, lässt das Arsenal seiner Bewegungen dasjenige des Wellenreitens sehr schnell und sehr weit hinter sich. Erst recht gilt dies für die Manövergruppe der Aerials oder kurz Airs, die wohl die wichtigste körpertechnische Innovation der sogenannten Z-Boys und ein Hauptcharakteristikum des vertikalen Skateboarding ist. Airs, also Sprünge aus einer vertikalen Wand mit (oder beim Air-to-Fakie ohne) Drehung in der Luft und Landung in eben dieser Wand, werden laut der Dogtown-Dokumentation um 1976 vom Skateboarder Tony Alva erfunden2 : Als Skateboarder/-innen in den Rundungen immer höhere Geschwindigkeiten erreichen, bietet sich der Air als eine Methode an, diesen Schwung über die Kante mitzunehmen. Letztlich sind Airs nichts anderes als in die Luft verlängerte Carves oder Kick Turns – seinerzeit eine kühne, präzedenzlose Bewegungsidee. Die Grundvarianten sind dabei der Frontside- und der Backside Air, je nachdem sich der Körper mit der Brust (Frontside) oder dem Rücken (Backside) nach außen dreht (vgl. Böhm 1990, S. 79). Diese Variationen werden nach und nach durch verschiedene Griffarten ausdifferenziert. Wenn bei der Backside-Drehung mit der vorderen Hand an die im Sprung obere Kante des Bretts gegriffen wird, heißt das Manöver Backside Air. Wenn die hintere Hand an die im Sprung untere Kante des Brettes greift, spricht man vom Indy Air. Wenn die vordere Hand um den vorderen Fuß herum ebenfalls an die untere Kante greift, ist es ein Mute Air. Die Standardvariante des Frontside Air wiederum liegt dann vor, wenn die hintere Hand an die im Flug obere Brettkante fasst. Wenn hingegen die vordere Hand an die untere Kante greift, heißt das Manöver Lean Air (vgl. Böhm 1990, S. 78; zuweilen findet sich auch die Schreibweise Lien Air). Ein frontside gedrehter Mute Air wird Slob Air genannt – und so weiter. Dabei ist wichtig, dass diese unterschiedlichen Griffe ans Brett nicht etwa, wie Stern (vgl. 2010, S. 67) über vergleichbare Snowboard-Sprungmanöver schreibt, lediglich stilistische »Mikrogesten« in der Art von »Kopfhaltungen und Blickrichtungen beim Sprung«
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Andere Vermutungen bezüglich der Urheberschaft nennen freilich George Orton in Florida als den Erfinder des Airs (vgl. Borden 2001, S. 38).
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sind. Sie konstituieren ein jeweils anderes Verhältnis zwischen Skateboard, Körper und Terrain und bilden unterschiedliche Manöver, die sich mehr oder minder klar nach Schwierigkeitsgraden hierarchisieren lassen: Aufgrund des Ausfallens des Vorderarms als Schwungarm und aufgrund des tiefen Körperschwerpunks, zu dem etwa der Lean-Griff zwingt, ist diese Variante eines frontside gesprungenen Airs schwieriger als die Standardvariante mit dem Griff der Hinterhand an die obere Kante des Brettes; ähnlich kann der Indy Air, bei dem tendenziell der Kopf den tiefsten Punkt des Systems aus Körper und Skateboard bildet, als schwieriger gelten als die Backside-Standardversion. Zunächst nur einen Sonderfall des Airs stellt der Ollie dar, der nach dem Spitznamen seines Erfinders Alan Ollie Gelfand benannte ›Air ohne Anfassen‹. Dabei wird an der Kante die Nose des Skateboards abrupt angehoben, zugleich vollführen die Füße – besonders der vordere – eine ›ziehende‹ Bewegung. So hebt das Brett, dessen Vorderteil sich in diesem Moment in einer ›über-vertikalen‹ Position befindet, von der Lauffläche ab. In der Vertikalen lässt sich der Ollie als Frontsideund Backside-Manöver ausführen, eine vergleichsweise leichte Variante ist der Fakie Ollie (Böhm 1990, S. 72), also der ohne Griff ans Brett gesprungene drehungslose Air aus der Rückwärts-Aufwärtsfahrt in die Vorwärts-Abwärtsfahrt. Vom Fakie Ollie entsteht schon früh – um 1979 – die anspruchsvolle Variante Caballerial, bei dem aus der Rückwärts-Aufwärtsfahrt eine 360-Grand Drehung ›ohne Anfassen‹ gesprungen wird, die wie beim Fakie Ollie in die Vorwärts-Abwärtsfahrt mündet. Die für das vertikale Skateboarding nach den Airs signifikanteste ManöverFamilie ist die der Handplants oder Inverts. Im Unterschied zum Handstand des Flachlandfahrens der 1960er und 1970er Jahre, bei dem das Brett als Plattform für eine Turnübung dient, ist der Handplant ein Manöver von Körper und Skateboard: Die Skateboarder/-innen fahren vorwärts die Wall hinauf, um sich an der Kante durch dosierte Rücklage in eine Kopfüber-Position zu bringen, in der eine Hand das Brett greift und sich die andere an der Kante abstützt; gelandet wird dann wie bei einem Air. Entstanden ist dieses Manöver vermutlich aus einem hoch in der Wand angesetzten Bert, bei dem mit der Vorderhand an die Kante des Brettes gegriffen wurde. Auch den Handplant gibt es in beiden Drehrichtungen und jeweils verschiedenen Varianten. Der Standard-Griff ist hier der Mute Grab (vgl. Böhm 1990, S. 76). Der backside gegriffene Handplant hingegen kann aufgrund der prekäreren Balance als deutlich schwieriger gelten und heißt nach seinem Erfinder David Andrecht kurz Andrecht. Der Frontside Handplant (vgl. ebd., S. 77) sowie der auf dem Indy Air basierende Egg Plant, bei dem die Skater/-innen sich auf die vordere Hand stützen, gelten als die schwierigsten Varianten. Die vierte Manöverfamilie im vertikalen Skateboarding ist schließlich die der Footplants. Dabei stoßen sich die Skateboarder/-innen an der Kante mit einen Fuß ab, um dann wiederum wie bei einem Air zu landen. Dabei lässt sich zwischen einerseits dem Fastplant und andererseits dem Boneless unterscheiden (vgl. Böhm
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1990, S. 81). Beim Fastplant erfolgt dieses Abstoßen mit dem hinteren Fuß und ist der Kontakt zwischen Kante und Fuß nur flüchtig, beim Boneless hingegen springen die Fahrenden mit dem vorderen Fuß regelrecht ab. Auch die Variationen des Boneless lassen sich nach Schwierigkeitsgraden einstufen: Die Backside-Version, bei der sich die Fahrer/-innen das Brett beim Absprung von der Kante von hinten unter den Vorderfuß schieben, ohne es dabei sehen zu können, wird von den allermeisten Involvierten als schwieriger empfunden als die Frontside-Version. Damit wäre die vertikale Manövergeneration in aller Kürze beschrieben. Dass dieselbe in den 1980er Jahren die Praktik dominiert, heißt freilich nicht, dass es zu dieser Zeit keine anderen Formen von Skateboarding gäbe. Auch das klassische Freestyle-Skaten besteht weiter – mit zu Musik choreographierten Läufen und einer erheblichen Variationsbreite an Flachland-Manövern. Dabei werden klassische Elemente wie Wheelies, aber auch turnerische Übungen wie die Handstandfahrten perfektioniert. Wie angedeutet spielen auch die Kanten des stehenden Skateboards eine erhebliche Rolle: Die so genannten Rail-Tricks, bei denen Skateboarder/-innen aus dem Stand auf der Kante das Brett unter sich wirbeln lassen, sind eines der prägenden Manöver-Genres im Freestyle der 1980er Jahre. Solche Flips des Brettes lernen Freestyler/-innen auch aus dem Fahren auszulösen, später gelangt diese Technik im Street Skateboarding zu großer Bedeutung. Noch viel mehr gilt das indessen für die Technik des Ollie, die im Freestyle der 1980er Jahre aus der vertikalen in eine horizontale Situation übersetzt wird. Ist der Ollie innerhalb des FreestyleKosmos wie im vertikalen Skateboarding noch ein Manöver unter vielen, steigt er in den 1990er Jahren zur alles bestimmenden Körpertechnik auf. In den 1980er Jahren gehört Freestyle zwar fest zum Programm etwa jedes Wettkampfs, entwickelt sich aber mehr und mehr zu einem Randphänomen. Freestyle-Aktive sind fast nie zugleich in Steilwänden anzutreffen und umgekehrt – die Körpertechniken unterscheiden sich einfach zu sehr. Ebenfalls zunächst randständig ist das in den 1980er Jahren allmählich entstehende Street Skateboarding, das zunächst Steilwandmanöver auf Straßenmobiliar nachspielt. In Ermangelung einer Halfpipe oder eines Pools wird der nächste Randstein gegrindet. Sogar vom Handplant entsteht dabei eine Straßen-Variante: der Street Plant, bei dem der einarmige Handstand auf der Kante einer Steilwand auf dem Boden nachgeahmt wird. Gerade die Street Plants, von denen es in den früheren 1980er Jahren viele Varianten gibt, die teils an Breakdance-Figuren erinnern, sind signifikant für diesen Zeitraum. Denn dieses Manöver, das sich kaum in einen Bewegungsfluss integrieren lässt, zeigt, wie sehr Street Skateboarding noch Mitte der 1980er Jahre gegenüber dem vertikalen Fahren ›rezessiv‹ ist: Es ist vertikales Skateboarding ohne eine Vertikale, die körpertechnischen Impulse kommen zu dieser Zeit eindeutig aus dem Fahren in der Steilwand. Als sich Street Skateboarding nach etwa 1990 als dominante Version des Skateboardfahrens durchsetzt und sich, wie wir gleich sehen werden, die Richtung des Bewegungstransfers zwischen
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Virtous, aber statisch: Das klassische Kunst- und Figuren- oder »Freestyle«-Skating gerät im Verlauf der 1980er Jahre weitgehend aus der Mode. Während solche Manöver auf den Kanten des stehenden Boards fast völlig verschwinden, werden andere Techniken aus dieser einst populären Variante von Skateboarding grundlegend für das Bewegungsarsenal des Street Style. Foto: Mark Lehmann
vertikalem und Street Skateboarding umkehrt, verschwindet konsequent auch der Street Plant.
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2.1.3.
Street Skateboarding
Nach den Erinnerungen von Tony Hawk (vgl. 2001, S. 151) wird Street Skateboarding um etwa 1989 – in Europa vielleicht etwas später – populärer als das vertikale Fahren. Und Street Skateboarding ist wohl die Gestalt der Praktik, die bis heute landläufig gemeint ist, wenn man vom Skateboardfahren spricht. Unter dem Gesichtspunkt der Körpertechniken bezeichnet Street Skateboarding, Street Style oder New School eine Art des Skateboardfahrens, die aus der Vertikalen in die Horizontale zurückkehrt, sich dort aber weit mehr Spielmöglichkeiten erfindet als während der 1960er oder 1970er Jahre. Dafür ist vor allem das Ollie-Manöver entscheidend, das – wie soeben gezeigt – zunächst in den ausgehenden 1970er Jahren in der Vertikalen entsteht und im Verlauf der 1980er Jahre in der zunehmend abseitigen Freestyle-Disziplin auf horizontales Terrain übertragen wird. Dort verbreitet sich diese Technik indes ab etwa 1990 rapide. Bald sind bereits weniger geübte Skateboarder/-innen in der Lage, von horizontalen Flächen samt Skateboard auch in voller Fahrt abzuspringen, ohne abbremsen und das Brett aufheben zu müssen. In der Folge wird alltägliches Straßenland als vielseitiges Skateboardterrain nutzbar. Wie genau diese Technik funktioniert, kann im Journal of Applied Biomechanics nachgelesen (vgl. Frederick et al. 2006) oder mithilfe eines Kugelschreibers und zwei Streichholzschachteln auf dem Schreibtisch nachgestellt werden: Wird der Stift so über die Schachteln gelegt, dass ein Ende von etwa anderthalb Zentimetern übersteht, lässt sich mit einem kräftigen Tippen auf das überstehende Ende ein Effekt auslösen, bei dem der Stift die Tendenz gewinnt, schräg nach oben und hinten wegzuspringen. Nicht anders wird der Ollie aus der Horizontalen ausgelöst: Der durch das Kicken des Tails erzeugte Sprungimpuls wird durch eine ziehende Bewegung des Vorderfußes in einer Weise unterstützt und kontrolliert, die das Brett schließlich parallel zum Boden in der Luft stehen und den Bewegungen der Füße wie von selbst folgen lässt. Dass sich Skateboarding als Street Style wiederum neu zusammensetzt, wird schon in der sich abermals rapide verändernden Form der Skateboards sichtbar: Mit den 1990er Jahren verschwinden mit den kleinen, nicht zuletzt auf stehende Manöver ausgerichteten Freestyle-Skateboards die letzten Spezialmodelle für einzelne Disziplinen. Doch hinterlassen diese deutliche Spuren im Zuschnitt des am Street Skateboarding orientierten ›Normalmodells‹ der 1990er Jahre. Dieses lässt sich als eine Kreuzung der steilwandtauglichen Skateboards der 1980er Jahre mit Freestyle-Brettern beschrieben: Nach 1990 ist ein typisches Skateboard deutlich schmaler als das für die Vertikale ausgelegte Modell, aber zugleich auch deutlich breiter und länger als ein Freestyle-Board. An letzterem orientieren sich aber einige charakteristische Eigenheiten: Die Kanten sind gerade geschnitten, die Nose wird gegenüber dem Vert-Brett erheblich vergrößert, so dass Bug und Heck des Skateboards kaum noch zu unterscheiden sind. Das macht das Skateboard insgesamt
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wendiger und flexibler; die tendenzielle Angleichung der Nose an das Tail wird zugleich dem Umstand gerecht, dass Skateboarder/-innen in den 1990er Jahren zunehmend ›beidfüßig‹ fahren, also nicht mehr so klar definiert ist, welcher Fuß vorn und welcher hinten steht. Bemerkenswert ist auch, dass sich die Rollen stark verkleinern: Große Radien, die geeignet sind, hohe Geschwindigkeiten zu halten, stehen im Street Skateboarding zunächst nicht mehr im Zentrum; leichtere, kleine Räder kommen stattdessen den Ollie-Manövern entgegen. Diese Verschmelzung des Steilwand- und Flachlandskateboards charakterisiert sehr treffend auch das Manöver-Set des Street Style, das insgesamt als Amalgamierung von vertikalem und Freestyle-Skateboarding bezeichnet werden kann: Drei der vier Manövergruppen, die sich nach Hälbich (vgl. 2008, S. 18) im Street Skateboarding unterscheiden lassen, sind letztlich vertikaler Herkunft, nämlich Ollies, Grinds und Slides. Die vierte Gruppe – die Wheelies/Manuals – stammt, wie wir gesehen haben, aus dem Figurenskaten bereits der 1960er und 1970er Jahre. Grosso modo lässt sich sagen, dass Street Skateboarding nach 1990 die vertikale Manöverfamilie der Liptricks aufgreift und sie mit den dynamischeren Elementen des klassischen Freestyle verbindet. Eher statische vertikale Bewegungen wie zum Beispiel Hand- und Footplants treten nach 1990 ebenso in den Hintergrund wie etwa die Freestyle-Tricks auf der Kante des stehenden Bretts. Kennzeichnend für Street Skateboarding ist zudem, dass kaum einzelne Tricks aufgeführt, sondern sehr oft Kombinationen aus diesen vier Manövergruppen gebildet werden, die in einem übergreifenden Bewegungsablauf miteinander verkettet sind: Statt, wie zwischen Steilwänden, auf der einen Seite der Rampe etwa einen Frontside Grind zu fahren und auf der anderen Seite einen Backside Air, vollführen Street Skateboarder/-innen Bewegungszusammenhänge wie beispielsweise einen Ollie Kickflip to Grind 180 – was bedeutet, sich vorwärts einem Hindernis zu nähern, per Ollie vom Boden abzuspringen, das Brett dabei einmal um die Längsachse wirbeln zu lassen, mit der Achse auf der Kante jenes Mäuerchens, Blumenkastens o.ä. zu landen und auf ihr bis an deren Ende zu gleiten, um dann mit einer halben Drehung auf den Boden zurückzuspringen und sich rückwärts vom Obstacle zu entfernen. Im Street Style stellen die Manöverfamilien also weniger, wie noch im vertikalen Skateboarding, einen Kanon dar, aus dem einzelne Bewegungen ausgewählt werden, sondern eher ein Arsenal, eine Art Baukasten, aus dessen Elementen sich derartige Manöverketten zusammenstellen lassen. Ausgangspunkt ist dabei sehr oft die Ollie-Technik, die das Erreichen etwa von Kanten, auf denen solche Grindbewegungen auszuführen sind, erst ermöglicht. In Kombination mit Drehungen des Körpers oder/und Skateboards um 180 Grad oder sogar 360 Grad sowie des Brettes unter dem Körper um seine Längsoder Querachse – also als Kickflip bzw. Varial – spielt der Ollie im Street Style aber auch eine wichtige Rolle als eigenständiges Manöver. Von solchen Dreh- und Wirbelbewegungen des Brettes unter dem Körper entstehen schier unzählige Versio-
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nen und Kombinationen. So verbindet der 360 Flip einen 360-Grad-Varial mit einem Kickflip, während die Skateboarder/-innen sich vorwärts bewegen; ein Kickflip 180 hingegen kombiniert einen Kickflip mit einer halben Drehung des Brettes und des Körpers, so dass das Manöver in der Vorwärtsfahrt beginnt und in der Rückwärtsfahrt endet. Ein Fakie Kickflip ist ein Kickflip aus der Rückwärts- in die Rückwärtsfahrt; ein Fakie 180 Kickflip bewegt die Fahrer/-innen dagegen aus der Rückwärts- in die Vorwärtsfahrt. Ein Nollie Kickflip ist ein Kickflip, der durch ein Kicken der Nose ausgelöst wird, ein Switch Kickflip ist ein Nollie Kickflip aus der Rückwärtsfahrt – oder, anders betrachtet, ein Kickflip mit vertauschtem Vorder- und Hinterfuß, worauf die Bezeichnung Switch abzielt. Ein Heelflip ist ein Kickflip, bei dem sich das Brett nicht nach innen um seine Längsachse dreht, sondern nach außen; natürlich sind auch davon viele Variationen möglich. Im Unterschied zum Ollie und seinen Varianten werden die Wheelies oder Manuals dagegen kaum als isolierte Flachlandübungen gezeigt, sondern fast nur in Kombination mit anderen Bewegungen; in der Regel springen die Fahrer/-innen dabei auf eine höher gelegene Ebene, die dann auf zwei Rädern überquert wird. Ähnlich verhält es sich mit Grinds und Slides. Auch diese aus dem vertikalen Skateboarding bekannten Manöver werden nun zu einem breiten Sortiment ausdifferenziert, das üblicherweise in Verbindung mit Ollies zur Aufführung kommt. Dabei werden Slides wie Grinds um einige Variationen erweitert, die in den Pools und Halfpipes der 1980er Jahre nur selten zu sehen sind: Je nach Einsprungwinkel und dem Teil des Brettes, der Kontakt mit der berutschten Unterlage hat, unterscheidet man die Slides etwa zwischen Boardslide, Lipslide, Tailslide und Noseslide; bei den Grinds vervielfältigt sich die Zahl der Varianten analog, indem etwa die bestehenden Versionen des Grinds auf der Vorderachse ausgeführt werden; man spricht dann vom Nose Grind. Um diese Bewegungen des Street Skateboarding nach 1990 richtig einzuschätzen, ist es freilich wichtig, deren Dimension im Auge zu haben: In den vergangenen zehn oder 15 Jahren etwa im Internet verbreitete Videosequenzen von Leuten, die sich auf Skateboards weite Treppenfluchten hinunterstürzen, bilden die Street-Version der Skateboard-Praktik in ihrer hier zunächst in Rede stehenden Entstehungsphase zwischen in etwa 1990 und den mittleren bis späteren 1990er Jahren nicht ab. Die experimentierende Fusion mit dem Repertoire des Freestyle äußert sich vielmehr bis in die zweite Hälfte der 1990er Jahre in hochgradig komplizierten, aber in der Tendenz kleinteiligen und technischen Manövern. Im Unterschied zu einer später entstehenden, schnelleren und spektakuläreren Version von Street Skateboarding, die dessen Bewegungen gleichsam vergrößert und im Folgenden als Makro-Street-Skateboarding dingfest gemacht wird, lässt sich diese kleinteilig-technische Variante der früheren 1990er Jahre als Mikro-Street-Skateboarding bezeichnen.
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Während also dieses eher kleinteilige Street Skateboarding der insofern kurzen 1990er Jahre etliche Körpertechniken der randständigen, aber innovativen FreestylePraktik der 1980er Jahre in sich aufnimmt, verschwindet Freestyle als eigenständige Disziplin nach 1990 fast völlig. Das Steilwandskaten hingegen existiert zwar weiter, gerät gegenüber Street Skateboarding nun aber seinerseits in die ›rezessive‹ Position. Schnell kehrt sich die Richtung des Bewegungstransfers zwischen den Fahrstilen um: Sind es um 1985 noch Street Skater/-innen, die Manöver des Steilwandskatens nachahmen und zitieren, werden nun im Steilwandfahren Körpertechniken aus dem Street Style adaptiert. Am augenfälligsten wird diese Verschiebung in der Manöver-Familie der Airs, die sich nach 1990 grundlegend verändert: Die klassische Technik zum Auslösen eines Airs besteht seit den späten 1970er Jahren darin, an der Kante oder kurz darunter ans Brett zu greifen und den überschüssigen Schwung in ein Sprungmanöver mitzunehmen. Diese rückblickend Early Grab genannte Technik verschwindet nun zugunsten des Late Grab: Skateboarder/-innen nehmen nun nicht nur den Schwung aus ihrer Bewegung mit, sondern springen an der Kante aktiv mit einer Ollie-Bewegung ab und ›fangen‹ das Brett am höchsten Punkt (zuweilen ist daher auch vom gecatchten Air die Rede). Mit der neuen Technik sind deutlich höhere Sprünge möglich; der Unterschied ist vergleichbar mit dem zwischen Straddle und Flop im leichathletischen Hochsprung. Zugleich geraten nun auch im Steilwandskaten eher statische Manöver aus der Mode, etwa die Hand- und Footplants – während auch in der vertikalen Disziplin komplexe technische Liptricks inklusive Flip-Techniken einen Aufschwung nehmen.
2.1.4.
Zwischen Stunt- und Longboarding
Zwischen den späten 1990er Jahren und der Jahrtausendwende ist eine weitere, vorerst letzte signifikante Transformation der typischen Skateboard-Manöver zu verzeichnen, die sich – wie schon angesprochen wurde – freilich weniger klar als Durchsetzung einer neuen dominanten Manövergeneration charakterisieren lässt als etwa der Übergang vom Slalom- und Figurenskaten zum Steilwandskaten oder die Durchsetzung des Street Skateboarding gegen das Letztere. Vielmehr besteht diese bisher letzte Veränderung des Fahrens auf Skateboards erstens im Hinzutreten einer neuen Klasse von Bewegungen, die Manöver des Steilwandskatens radikalisiert; zweitens unterliegen die soeben geschilderten typischen Bewegungen des Street Skateboarding infolgedessen gleichfalls einer gewissen Vergrößerung. Und drittens treten – nicht zuletzt auch als eine Gegenbewegung – Gestalten des Skateboardfahrens auf, die sich als ›Revivals‹ älterer, teils aus den 1970er Jahren stammender Genres deuten lassen. Die sichtbarste Neuerung von Skateboardbewegungen, die im Zuge dieser schleichenden Transformation um die Jahrtausendwende zum Repertoire
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der Körpertechniken der Praktik hinzutritt, ist mit einer neuen, am Reißbrett entstandenen Klasse von Terrain verbunden: den sogenannten Mega- oder BigAir-Ramps, auf deren Genese im zweiten Abschnitt der Arbeit noch genauer einzugehen sein wird. Es handelt sich dabei um riesige Zweckanlagen, die aus einer an eine Skisprungschanze erinnernden Anlaufspur mit Schanzentisch und hölzernem Aufsprunghügel bestehen, der dann in eine riesige Steilwand mündet. Ein ›Lauf‹ auf einer solchen Anlage dauert zehn bis 15 Sekunden und besteht aus zwei gigantischen Airs: Einem ersten, der vom Schanzentisch über eine breite Lücke auf den Aufsprunghügel führt und einem zweiten, der auf der die Anlage abschließenden Steilwand vollführt wird. Insbesondere der erste dieser beiden Sprünge ist neu im Skateboarding, das bis dahin derartige raumgreifende Flüge über eine Distanz von nicht selten zwanzig Metern bei mehreren Metern Flughöhe nicht kennt. So sind auch die Manöver, die während dieses Flugs vollführt werden – meist verschiedene Kombinationen aus Salti und Schrauben – eine Neuheit im Skateboardfahren. Der zweite Air eines solchen Laufs folgt dagegen im Prinzip dem Muster der herkömmlichen Airs an einer Steilwandarchitektur, indem über deren Kante hinausgesprungen und innerhalb derselben gelandet wird. Allerdings sind die Walls, die eine solche Anlage abschließen, mindestens doppelt so hoch wie die in den 1980er Jahren typischerweise befahrenen gerundeten Steilwände. Insofern reduziert diese Anlage das Repertoire des zweiten Manövers nicht nur auf Air-Manöver, insofern schon die hohe Geschwindigkeit, mit der diese Wand angefahren wird, es praktisch unmöglich macht, etwa einen Liptrick oder Handplant folgen zu lassen, sondern sie sorgt auch für eine enorme Vergrößerung dieser Airs analog zu den Dimensionen dieser Wände. Das Online-Skateboardmagazin Jenkem (vgl. Kerr/Miller 2015) findet für diese Art des Skateboardfahrens den pejorativ gemeinten Begriff Stuntboarding. Die Körpertechnik des Mega-Skateboarding ist eine Mischung aus einem stark vergrößerten vertikalen Skateboarding und einer neuen Klasse von Körpertechniken, die an Bewegungen etwa aus Praktiken wie Freestyle Motocross (FMX) oder dem Freeriding auf Snowboards oder Ski erinnert, wo zu dieser Zeit spektakuläre Flüge über Klippen auf sehr steilen Tiefschneeflanken Verbreitung finden. Wie sich leicht denken lässt, ist der Teilnehmerkreis eines solchen Big-Air-Skateboarding sehr eng begrenzt und erstreckt sich auf weit weniger als ein Promille der Aktiven. Doch beeinflusst diese im Rahmen neuartiger Sportevents wie der X-Games des US-amerikanischen Sportfernsehnetzwerks ESPN nach der Jahrtausendwende breit medialisierte Extremisierung von Skateboard-Körpertechniken auch Skateboarder/-innen, die eine solche Anlage nie betreten. Die Vergrößerung der Bewegungen durch dieses und ähnliche Formate beginnt Mitte der 1990er Jahre damit, dass im Interesse eines Massenpublikums das in der Praktik selbst zu die-
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ser Zeit weitgehend unpopuläre vertikale Skateboarding wiederbelebt wird3 (vgl. Schäfer 2015a, S. 163). Aber auch in der Disziplin, die bei solchen Wettkämpfen als Street Skateboarding ausgetragen wird, greift eine gezielte Neudimensionierung: Die Veranstalter/-innen entwerfen Parcours, die hohe, spektakuläre Sprünge aus allerlei Schanzen und Rampen privilegieren. Es ist bezeichnend, dass ausgerechnet der Halfpipe-Skateboarder Tony Hawk in den Street Contests der X-Games zunächst stets vordere Plätze belegt, obwohl er – wie er selbst einräumt – keineswegs ein besonders befähigter Street Skateboarder ist (vgl. Hawk 2001, S. 150). Nicht zuletzt im Gefolge dieser gezielten Spektakularisierung ist, so meint das Vorliegende zu erkennen, auch im eigentlichen Street Skateboarding spätestens um die Jahrtausendwende eine Vergrößerung oder Megaisierung der Bewegungen zu verzeichnen. Zumindest in einem signifikanten Segment der Teilnehmerschaft bricht sich ein ›Trend zum Stunt‹ Bahn. Dinces (2011, S. 1525) etwa charakterisiert »skateboarding after the X-Games« mit »bigger tricks, bigger falls, and bigger payouts«. Natürlich ist es schwer zu sagen, wo genau eine Grenze zu ziehen wäre zwischen einem ›noch normalen‹ und einem ›megaisierten‹ Street Skateboarding – sind schon zehn Treppenstufen ›mega‹ oder erst 15 oder 20? Unübersehbar aber ist im Rückblick die Gesamtentwicklung: Irgendwann in den ausgehenden 1990er Jahren und spätestens um die Jahrtausendwende verschiebt sich in erheblichen Teilen der Teilnehmerschaft von Street Skateboarding der individuell-kollektive Ehrgeiz: Statt es sich zum Ziel zu machen, beispielsweise einen dreifachen statt eines zweifachen Kickflips einen Randstein hinauf zu schaffen, verlegt man sich auf eine Steigerung der zu überspringenden Distanzen und Höhenunterschiede, wozu naheliegenderweise auch immer höhere Geschwindigkeiten nötig sind. Diese vergrößerte Variante des Street Skateboarding wird im Vorliegenden zur Abgrenzung vom vergleichsweise langsamen und auf technische Raffinesse ausgerichteten Street Skateboarding der früheren 1990er Jahre als Makro-Street-Skateboarding bezeichnet. Unterhalb jenes Mega- und Stuntboarding sowie dieser megaisierten Version von Street Skateboarding differenziert sich indessen das körpertechnische Arsenal der Praktik seit der Jahrtausendwende noch weiter aus. Es darf nicht übersehen werden, dass beileibe nicht alle Street Skateboarder/-innen diesem Trend zum Stunt folgen – was sich in nach der Jahrtausendwende in durchaus nicht seltenen Klagen darüber ausdrückt, im Skateboarding werde Coolness heutzutage an der Zahl möglichst waghalsig übersprungener Treppenstufen gemessen (vgl. Kowalski 2004). Neben einem solchen, diese Megaisierung zumindest in der Tendenz verweigernden Street Skateboarding halten, re-etablieren oder etablieren sich zahlreiche andere Versionen der Praktik. Das eigentliche vertikale Skateboarding 3
Hierfür wird etwa Tony Hawk, der Star des vertikalen Skateboarding der 1980er Jahre, der sich bereits weitgehend zurückgezogen hatte, reaktiviert (vgl. Hawk 2001, S. 190).
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auf Halfpipes oder in Pools ist zwar weiterhin eine eher marginale Variante, doch scheint sich zumal in neueren Skateboard-Anlagen, die am Street-Skateboarding orientierte Elemente mit Rundungen kombinieren, eine Art Allround-Stil zu entwickeln, der verstärkt auch wieder Elemente aus dem vertikalen Bewegungsarsenal aufgreift. Am auffälligsten ist in den jüngeren Jahren jedoch eine rapide Verbreitung von Longboarding. Übergroße Skateboards, die sich in ihrem Zuschnitt an DownhillBretter aus den 1970er Jahren anlehnen – lange Radstände, freigestellte Räder, breite Achsen und im Vergleich zum ›Normalskateboard‹, das weiterhin in etwa die Maße der mittleren 1990er Jahre aufweist, um gut 50 Prozent längere Decks – sind heute auch in deutschen und europäischen Städten kein seltener Anblick. Zuweilen scheint es sogar so, als seien im Stadtbild mehr Long- als herkömmliche Skateboards zu sehen; teils scheint Longboarding als eine eigenständige, vom Skateboarding zu unterscheidende Praktik angesehen zu werden. Tatsächlich sind auf diesen Skateboards die allermeisten seit den 1980er Jahren entstandenen SkateboardKörpertechniken gar nicht möglich. Das Fehlen etwa eines aufgebogenen Kicktails verhindert das Ollie-Manöver und schließt so die meisten Bewegungen des zeitgenössischen Street Skateboarding aus, während diese Bretter für Manöver aus der Tradition des Steilwandskatens zu groß, zu schwer und zu ungelenk sind. Wenn Longboards nicht tatsächlich zum Downhillskaten benutzt werden, das in den letzten Jahren eine gewisse Renaissance erfährt, dienen sie mal als städtisches Transportmittel, mal scheinen sich auch fitness- oder gesundheitssportliche Anwendungen abzuzeichnen. Daneben sind Versuche zu beobachten, auf Longboards Körpertechniken zu entwickeln, die jenseits der Bewegungsarsenale von Street- und Steilwandskateboarding anzusiedeln sind. Wer auf den üblichen Videoplattformen im Internet nach »Longboard Tricks« oder »Longboard Tutorials« sucht, stößt schnell auf eine große Zahl entsprechender Inhalte, von denen einige – Stand Herbst 2019 – weit über eine Million Aufrufe aufweisen. Vorgeschlagen werden dort Manöver, die teils an Surfbewegungen der 1960er Jahre anknüpfen, indem sich die Fahrer/-innen in rhythmischer Kurvenfahrt auf dem Brett mal an den Bug und mal ans Heck bewegen, dabei die Füße über Kreuz setzen (Cross Step) oder das Brett mit dem Rücken zur Fahrtrichtung steuern. Ein anderes in solchen Tutorials oft gesehenes Manöver ist der sogenannte Ghost Kickflip – eine Bewegung, die im Figurenskaten der früheren 1970er Jahre als Board Mount bekannt war: Die Fahrer/-innen steigen in maßvoller bis langsamer Fahrt vom Brett ab und geben ihm mit dem Spann eines Fußes einen Impuls, der eine Wirbelbewegung um die Längsachse auslöst, während derer die Fahrer/-innen mit einem schnellen Schritt oder Satz wieder aufsteigen. Nicht selten ist in solchen Quellen auch die Tiger Claw zu sehen: Die Fahrer/-innen lassen sich das Brett aus gleichfalls maßvoller bis langsamer Fahrt in die vordere Hand schnippen und springen nach einigen Schritten mit dem Brett in der Hand wieder auf – solche Bewegungen erinnern an die An-
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fangszeiten des Street Skateboarding, bevor die Ollie-Technik allgemein verbreitet war. Doch auch jenseits der neuerdings allgegenwärtigen Longboards verdeutlicht das in jüngeren Jahren wieder stark anwachsende Sortiment an unterschiedlichen Skateboard-Modellen, wie sehr sich die Praktik ausdifferenziert. Für jenen neuen Bereich des Mega- oder Stuntboarding werden gegenüber dem ›Normalmodell‹ leicht vergrößerte Skateboards angeboten, die einen festeren Stand ermöglichen sollen und einen weiteren Radstand aufweisen, der für einen ruhigeren Lauf bei extremen Geschwindigkeiten sorgt; die Dimensionen von Longboards erreichen diese Bretter allerdings nicht. Im Zuge einer gewissen Selbsthistorisierung der Praktik werden von etlichen Skateboardfirmen in jüngeren Jahren zunehmend und mit einigem Erfolg auch sogenannte Re-Issues vermarktet, also historische Modelle wieder aufgelegt. Auch schmale, extrem wendige Slalomboards nach Art der 1970er Jahre sind wieder auf den Straßen zu sehen, ohne dass freilich der Slalom als Disziplin ein breites Comeback erführe. Selbst jene in den 1970er und 1980er Jahren üblichen Anfängerbretter aus Plastik, mit denen der Autor einst begonnen hatte, sind vielerorts wieder im Angebot, wenn diese Penny Boards heute auch mit besseren Fahrgestellen, Kugellagern und Rollen ausgestattet sind. Und schließlich gelangen offenbar auch Segel- oder Kite-Skateboards zu einer neuen Popularität.
2.2.
Bewegungsmuster und Fahrweisen
Inwiefern lohnte sich nun dieser bei allem Trickchinesisch knapp gehaltene und sicherlich nicht vollständige Überblick über die typischen Sets von SkateboardManövern hinsichtlich einer wirklichen Historie der Praktik und ihrer Subjekte? Bis hierher zeigt diese Darstellung, dass die Entwicklung der Körpertechniken im Skateboarding keineswegs linear verläuft, sondern zwei scharfen Brüchen und einer schleichenden Transformation unterworfen ist – in den späteren 1970er Jahren, als das Bewegungsset des Slalom- und Figurenskatens durch dasjenige des Steilwandskatens ersetzt wird, um etwa 1990, als Street Skateboarding wiederum an die Stelle des Steilwandfahrens tritt und um etwa die Jahrtausendwende, als diese beiden Bewegungsarsenale im Gefolge neuer, massenmedialisierter Sportspektakelformate wie der X-Games eine Radikalisierung erfahren und weitere Varianten hinzutreten. Dabei deutete sich an, dass sich das, was Skateboarder/-innen zu verschiedenen Zeiten mit ihren Skateboards tun, fundamental unterscheidet, obwohl sich anhand bestimmter Körpertechniken durchaus auch Verbindungen zwischen diesen Manövergenerationen aufzeigen lassen. In einem zweiten Schritt wird nunmehr versucht, diese vier ManöverGenerationen als Bewegungsmuster zu analysieren und diese Muster wiederum hinsichtlich ihrer jeweiligen Fahrweise zu spezifizieren. Was ist, wird dabei ge-
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fragt, das jeweils Typische an diesen Sets von Skateboardbewegungen, welcher Sinn oder Spirit wohnt diesen so deutlich voneinander abgrenzbaren Generationen körperlicher Bewegung jeweils inne, welche teleoaffektiven Orientierungen und Horizonte schwingen in ihrem Vollzug mit und machen diese Bewegungen jeweils als Skateboarding spezifisch wieder- und anerkennbar? Welche Art von Körpererlebnis offerieren Skateboardbewegungen üblicherweise zu welchem Zeitpunkt? Indem auf solche Fragen nach intrinsischen Neigungen der körperlichen Vollzüge von Skateboarding geantwortet wird, lassen sich auch dahingehend Schlüsse ziehen, was diese Muster von Skateboard-Bewegungen jeweils mit und aus denen machen, die sich freiwillig, enthusiastisch und nicht selten tagtäglich in eben diesen üben. Die Praktik – aus Gründen der Modellklarheit noch beschränkt auf das Element der Kompetenzen – wird im Folgenden insofern als Selbsttechnik betrachtet. Gefragt wird danach, wie sich ihre Teilnehmer/-innen in ihrem Tun als spezifisch gesellschaftsfähige Wesen subjektivieren und zugleich im Differenzsystem von gender, race und class identifizieren – wie also die alltägliche Handlungsroutine der Praktik bestimmte allgemeine »Eigenschaftsbündel« (Reckwitz 2010a, S. 9) wie z.B. Disziplin oder Impulsivität, Leistungsethos oder Hedonismus, Hierarchiefähigkeit oder Individualismus und Kreativität (re-)produziert und dabei zugleich geschlechts- oder klassenbezogene sowie ethnische Habitus aufruft und bearbeitet. Wie aber lassen sich diese Bewegungsmuster und Fahrweisen hinsichtlich der mit ihnen verbundenen Haltungsneigungen, hinsichtlich ihres, wenn man so will, Eigensinns messen? In welchen Kategorien lässt sich der jeweils spezifische Zusammenhang aus einem Set an bestimmten körperlichen Bewegungen und einem in diese Bewegungen eingelassenen Komplex aus Motivlagen, Wünschen und erwartbaren Körpererlebnissen, einem Sinnen und Trachten, das sich mit der Ausübung dieser Bewegungen verbindet, fassen? Dafür scheint sich Roger Caillois’ Typologie des menschlichen Spielens anzubieten, die gerade im Zusammenhang mit dem Aufkommen so genannter Neuer Spiele im ausgehenden 20. Jahrhundert viel diskutiert wird. Caillois (1982, S. 19f) unterscheidet bekanntlich einerseits zwischen zwei Modi des Vollzugs von Spielen – nämlich die tendenziell verschulte, reglementierte, organisierte Spielweise des Ludus sowie die spontanere, tendenziell ungeregelte und unberechenbare Paidia. Daneben identifiziert er vier Spielmotivationen oder Spielinhalte, die jeweils als Ludus oder Paidia verfolgt werden können: Agon, Mimikry, Ilinx und Alea, also Wettstreit, Verkleidung, Nachahmung und Inszenierung, physio-psychische Rauscherlebnisse sowie Zufalls- und Glücksspiele. Anhand dieses Rasters lassen sich nun, so Gebauer et al. (2004, S. 120), die neueren sportiven von den klassischen Sportpraktiken absetzen: Funktionieren diese mehr oder minder als ludischer Agon – also als reglementierte Form von Wettkampf –, träten in den neueren sportiven Spielen »die Maske (mimikry) und die Suche nach
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dem Rausch (ilinx) in den Vordergrund« und verbänden sich in neuen Formen »mit dem Prinzip des Wettstreits (agon)«. Umstritten ist in dieser Diskussion der Stellenwert von Alea, also des Glücksund Zufallsprinzips. Gebauer et al. (2004, S. 120) argumentieren, dass der Zufall, der nicht nur beim Glücksspiel, sondern auch im klassischen Sport als »Zufall des Ortes und der Zeit, der äußeren Bedingungen und der persönlichen Form« wichtig sei, in den neueren, zumal den riskanten sportiven Praktiken seine »konstitutive Rolle verloren« habe. Denn hier werde der Zufall aus gutem Grund »völlig auszuschalten versucht«: »Risikosport ist nicht Zufallssuche, sondern eine Wette der Teilnehmer mit sich selbst […]. Im Risikosport will der Athlet beweisen, dass er stärker ist als die Gefahr und auf diese Weise den Wert seiner Person demonstrieren«. Nach Stern (2010, S. 120) lässt sich »das Aleatorische« oder die »Risikothematik« hingegen »quer zu den Kategorien Agon, Alea und Ilinx an Caillois’ Schema anbinden«. Riskante sportive Praktiken seien ein »Spiel mit dem Risiko« (S. 118): Gerade das stets verbleibende Element des Nicht-Berechenbaren mache deren Reiz aus und konstituiere diese Hazard-Spiele geradezu. Nicht unähnlich benutzt Le Breton (1995, S. 13) in seiner Diskussion neuer, riskanter Praktiken wie »Extremski« oder S-Bahn-Surfen den Begriff des Ordals: Dieses sei ein zeitgenössisches, säkularisiertes Gottesurteil, ein »individuelles Rechtsmittel« und eine »unbewusste Figur«, mittels der »jemand, indem er sich dem Risiko unterwirft, den Tod bittet, zu entscheiden, ob sein Leben noch einen Wert hat«. Entwickelt wird das Ordal bei Le Breton im Anschluss an das Ilinx-Kriterium bei Caillois, also als Steigerung des Schleuderlustspiels: Das Ordal spitze dieses »durch eine Transformation des Einsatzes von physischem Gleichgewicht zu physischer Existenz« maximal zu (ebd., S. 21). In einem ähnlichen Sinn versteht das Vorliegende die Alea-Thematik: Das Aleatorische umfasst stets Ilinx, setzt aber noch etwas drauf: Geschwindigkeiten, Sprunghöhen bzw. Sprungdistanzen, Druckverhältnisse, Momente der Kompression des Körpers oder Katapulteffekte, die stets schon deshalb Grenzgänge bleiben, weil sie von der menschlichen Physis nur unvollkommen beherrscht werden können. In solchen aleatorischen Momenten geben sich Skateboarder/-innen zwar nicht einer Zufallssituation vollständig hin wie etwa Glückspieler/-innen. Doch akzeptieren sie in aleatorischen Bewegungen den Zufall als Mitspieler: Jedes kurze Erschrecken über vielleicht ein unerwartetes Geräusch, das die Räder machen, über einen plötzlichen Fotoblitz, über eine unerwartete Unebenheit der Lauffläche kann ein kleines, aber fatales Zucken in den Beinen oder einen sekundenschnell falsch nuancierten Körperschwerpunkt nach sich ziehen, der sich unter Umständen nicht mehr korrigieren lässt. Aus diesem leicht bearbeiteten Kriterienkatalog können nun Kombinationen gebildet werden, anhand der sich die typische Fahrpraxis auf Skateboards erfassen lässt. Dabei ist erstens davon auszugehen, dass – wenn auch eines dieser Cha-
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rakteristika jeweils im Vordergrund stehen mag – stets mehrere dieser Motivklassen präsent sind und dass diese aufeinander wirken. So können in den jeweiligen Konstellationen verschiedene Nuancen von Agon, Mimikry, Ilinx und Alea auftreten: Manchmal mag Agon die klassische, objektivierend vergleichende Konkurrenz zwischen Teilnehmern meinen, doch in Bezug auf Alea ist Agon die Mutprobe, der Kampf gegen sich selbst, gegen den ›inneren Schweinehund‹. In Bezug auf Mimikry hingegen – also auf das Nachahmen, die Verkleidung, die Ästhetisierung von Bewegungen – ist Agon das Trachten nach der richtigen Haltung, nach authentischem Stil. Unter Ilinx versteht das Folgende allgemein jene physio-psychische Gelingensfreude, die sich immer dann einstellt, wenn das Brett ›macht, was es soll‹. Dies kann recht unspektakuläre Erfolgserlebnisse beschreiben, wenn sich also zum Beispiel bei einem Flip das Brett tatsächlich in der intendierten Weise unter den Füßen dreht. In Bezug auf eine Bewegung in einer hohen Steilwand kann Ilinx aber auch in einem regelrechten biochemischen Kick bestehen, also in einem ›Adrenalin-Erlebnis‹. Zweitens ist, es wurde bereits angesprochen, in einer solchen Analyse damit zu rechnen, dass sich nicht nur zwischen den Manövergenerationen, sondern auch innerhalb eines Sets von Tricks die Fahrweise verändern kann – dass sich also der Sinn des Spiels verändert, obwohl im Grunde die gleichen Bewegungen vollführt werden. Dies drückt sich in einer Verschiebung des Verhältnisses von Agon, Mimikry, Ilinx und Alea aus – wenn etwa eine Klasse von Bewegungen, die einst als Mutprobe galt, in späteren Zeiten allgemein so selbstverständlich beherrscht wird, dass sich das Adrenalin-Erleben abschleift. Verbunden mit solchen Vorgängen können innerhalb eines Bewegungsmusters auch Verschiebungen der Modi des Spielens auftreten: Gerade hinsichtlich einer Praktik wie Skateboarding, die sich in ihren Bewegungen binnen eines halben Jahrhunderts dreimal ›neu erfindet‹, ist mit einer steten Pendelbewegung zwischen einer impulsiven, spielerischen und kreativen Paidia-Orientierung in jeweiligen Inventionsphasen und einer relativen Verschulung in Abschnitten der Routinisierung und Standarisierung zu rechnen. Richtet sich nun der Blick von den körperpraktischen Routinen des Skateboarding auf die Subjekte dieser Praktik, rückt der Körper als »Vollzugskörper« (Alkemeyer/Michaeler 2013) in den Fokus. Der Körper ist nicht »super-evident« (Fuchs 2005, S. 48) und damit soziologischer Analyse enthoben, er ist nicht »die angebliche Einheit und Kontinuität des Subjekts« (Schäfer/Alkemeyer 2018, S. 110). Das Vorliegende versteht den Körper aber auch nicht als jenen »formlosen Teig« und »untauglichen Körper« aus dem »man« macht, was man braucht (Foucault 1994, S. 173), und nicht im Gegensatz dazu als »happy body«, also als einen »befreiten und erlösten Körper« (Schroer 2005, S. 19) – und schließlich auch nicht im Sinne eines »mehr oder weniger stabilen Produkts von Inkorporierungsprozessen des Sozialen« (Alkemeyer/Michaeler 2013, S. 218). Der Körper wird vielmehr als ein »Bündel […] diffus vorhandener, (noch) undefinierter und undefinierbarer Dispositionen«
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fokussiert, die »als Medium der Praktiken nur in je spezifischen […] Ausformungen beobachtbar und damit verfügbar sind« (ebd.). Diese Dispositionen sind keine »in den Akteuren ›schlummernde‹ oder psychische oder inkorporierte Strukturen im Sinne einer okkulten oder überdauernden Erzeugungsgrundlage konkreter […] Verhaltensweisen«. Sie sind keine fixen Programmierungen, sondern »Potenzialitäten«. Diese »befähigen« dazu, »gewisse Dinge zu tun, sofern sie in überindividuellen praktischen Zusammenhängen aktiviert und mobilisiert« werden, sie stecken »Repertoires« von »heterogenen, ungestalteten ›Anlagen‹ wie noch undefinierten Bewegungen, Fertigkeiten oder Empfindungen« ab, deren »Aktivierung, Aktualisierung, konkrete Ausformung oder auch Unterdrückung an bestimmte praktische Situationen, Infrastrukturen und soziomaterielle Arrangements gebunden ist« (Alkemeyer/Michaeler 2013, S. 219). Vollzugskörper sind demnach ein »emergentes Phänomen« (ebd, S. 218), sie bringen diese Repertoires in eine Ordnung, die sich »ausschließlich im Vollzug einer bestimmten Praktik bzw. eines bestimmten Spiels« herstellt: »Vollzugskörper sind Körper, deren Dispositionen unter der Ägide der überindividuellen Intentionalität und der (normativen) Anforderungen einer Praktik bzw. eines Spiels selektiv aktualisiert und in der Praxis selbst situationsadäquat eingestellt und konstelliert werden« (ebd., S. 220). Freilich heben Alkemeyer und Michaeler, die diese Überlegungen anhand einer Trainingseinheit im gehobenen Nachwuchsvolleyball anstellen, auch hervor, dass »keine Trainingssequenz […] beim Nullpunkt« ansetzt, sondern »bei einem bereits für den Sport disponierten […] Körper« (2013, S. 221). Für das Folgende, das ja bestrebt ist, in historischer Hinsicht die Konstitution von Subjekten zu erfassen, die in dauerhafter Übung bestimmte Vollzugskörper heranbilden, liegt darin die Aufforderung, sich nicht zu sehr auf statische, letztlich prä-praktische, in diesem Sinn »okkulte« Klassifikationen etwa von maskulinen oder femininen Körperdispositionen zu verlassen, sondern immer wieder mit dem Blick auf die konkreten Bewegungen zu rekonstruieren, wie genau solche Dispositionen aufgerufen und bearbeitet werden. Dabei spielen, um im Beispiel zu bleiben, hinsichtlich der praktischen Vergeschlechtlichung dieser Vollzugskörper einerseits körperlich-mentale Prädispositionen eine Rolle, die im Vollzug von Skateboardbewegungen mobilisiert und aktualisiert werden oder aber diesem Vollzug abträglich sind und dergestalt prädisponierte Subjekte von der Praktik fernhalten. Andererseits sind auch in diese Bewegungsvollzüge bereits eingelassene Elemente von Bedeutung zu beachten, die diese zum Beispiel geschlechtlich markieren, indem sie kinästhetische Ähnlichkeitsbeziehungen zu anderen Praktiken herstellen, die bereits eindeutig identifiziert sind.
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2.2.1.
›A sport of control‹
Wie lässt sich nun aufgrund dieses Kriterienkataloges das Bewegungsmuster jenes Skateboarding der 1960er und 1970er Jahre erfassen, das sich vor allem um Slalomund Abfahrtsläufe, ein Kunst- und Figurenskaten turnerischer Provenienz und sogar um Hoch- und Weitsprungpraktiken gruppiert – und in welche Fahrweisen ist dieses Bewegungsmuster zu spezifizieren? Welchem geteilten Sinn gehorchen die Manöver dieser Frühform der Praktik, die Bewegungen aus anderen sportlichen und sportiven Praktiken nachahmt und anpasst? Welches Trachten verleiben sich die Teilnehmer/-innen dieser Form des Skateboardfahrens in ihrem alltäglichen Treiben ein? Ist es überhaupt sinnvoll, den Bewegungen einer Praktik, die sich aus derart heterogenen Quellen speist, ein bestimmtes Bewegungsmuster zuzuschreiben, was ist also das Typische an den Bewegungen einer Variante des Skateboardfahrens, die zu dieser Zeit Techniken aus so unterschiedlichen Praktiken wie Skifahren, Turnen, Wellenreiten und sogar Leichathletik in sich aufnimmt, ohne dass zunächst eine eindeutig dominierende Variante zu auszumachen wäre? In der Tat scheint es nur schwerlich plausibel, beispielsweise eine typische Art von Körpererlebnis mit dieser Frühform von Skateboarding zu verbinden, die dessen Subjekte sich einverleiben könnten. Zu unterschiedlich gestalten sich in dieser Hinsicht schon das Slalom- und das Figurenskaten, geschweige denn der Skateboard-Hochsprung. Was sich als übergreifendes Charakteristikum all dieser so unterschiedlichen körperlichen Vollzüge dingfest machen lässt, scheint sich zunächst eher im Negativen bestimmen zu lassen – im Abgleich mit all dem, was die sport- und körpersoziologische Literatur als typisch für jene jüngeren, präsentatorisch und inszenatorisch angelegten sportiven Praktiken herausarbeitet, zu denen das heutige Skateboardfahren sicherlich zu zählen ist: Der Sinn des Spiels mit dem Skateboard entspricht zu diesem Zeitpunkt noch ganz und gar nicht dem, was diese Arbeiten als neue Sportivität charakterisieren. Alle diese Bewegungen werden nicht primär »verlaufsorientiert experimentierend und fließend« vollzogen, was als Merkmal Neuer Spiele gelten kann (Gebauer et al. 2004, S. 119). Sie gehorchen auch nicht zuvörderst jener Art von »choreografischen Strategien«, die Stern (2010, S. 155ff) als Charakteristikum der neuen Sportivität herausarbeitet. Skateboarding lässt sich in dieser seiner frühen Gestalt nicht zuvörderst als jenes »demonstrative Spiel mit dem Körper« (Alkemeyer 2007, S. 6) kennzeichnen, das die Performances sogenannten Trendsports kennzeichnet. Es tritt nicht, was Lamprecht und Stamm (2002, S. 107) als Kennzeichen solcher Praktiken hervorheben, mit dem Selbstverständnis einer »Gegenbewegung« zum herkömmlichen Sport an und dementiert zunächst auch nicht den Wettkampfgedanken in seiner klassischen Form. Skateboarding entsteht in den ausgehenden 1950er und vor allem den 1960er Jahren zwar in einer kindlichen, experimentierenden, von Paidia geprägten Fahr-
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weise, die zunächst erproben will, was mit Skateboards gemacht werden kann. Doch zeigt sich, dass mit den aus Sportpraktiken wie dem Skifahren, Turnen oder Eis- bzw. Rollkunstlauf übernommenen Übungen auch vergleichsweise sportnahe Bewegungsmotive in die Praktik importiert werden und dieselbe daher recht schnell in Richtung einer sportorientierten Fahrweise tendiert. Nicht umsonst gehen die frühesten Expertinnen und Experten der Praktik wie selbstverständlich davon aus, dass Skateboarding sich per se außerordentlich gut für sportlichen Wettstreit eigne und für eine Zukunft in der Welt des organisierten Sports bestens gerüstet sei. So spekuliert die 1965 erschienene Nullnummer des Quarterly Skateboarder – der ersten Fachzeitschrift überhaupt – bereits über eine Aufnahme ins Programm der Olympischen Spiele und ordnet das Skateboardfahren zwischen Ski und Surfing ein: »It’s similar in many ways to surfing and to skiing, not only in maneuvers and techniques […].« Gegenüber dem Wellenreiten aber sei Skateboarding der » […] more ›measurable‹ sport […] and therefore lends itself more to competition: In the slalom there is no question on who the winner is […]. Flatland […] performance will be a matter of judgement but at least the asphalt isn’t moving – everyone gets an equal opportunity« (zit.n. Brooke 2005, S. 33). Skateboarding, behauptet dieses erste Manifest der Praktik weiter, sei »a sport of skill« und »a sport of control«. Es sei »up to you«, appelliert der Verfasser an die Teilnehmer/-innen, »to see that skateboarding does not become a sport of rebels and radicals. It’s a sport for young sportsmen« (ebd.). Natürlich ist Letzteres auch ein Wunsch, offenbar gibt es Rebellen und Radikale, an die hier gedacht ist. Es scheint aber, als hätte sich eine solche sportbezogene Fahrweise in der Praktik zunächst recht rasch und längerfristig durchgesetzt. Speziell für die früheren 1970er Jahre, als der zweite Boom des Skateboardfahrens in seinem sixties paradigm einsetzt, lässt sich im Rückblick »a real drive to establish and legitimize skateboarding as a sport with defined rules, associations, and competitions« erkennen (Porter 2014, Pos. 101) – auch wenn in der damaligen Skateboard-Publizistik gelegentlich darüber geklagt wird, dass die wettkampfförmige Kodifizierung und Organisierung nicht schnell genug vorankomme (vgl. Klein/Davidson 1976, S. 92). Die hier vom Quarterly Skateboarder behauptete und geforderte Neigung des Skateboardfahrens zu Vergleich und Wettkampf lässt sich tatsächlich in allen Disziplinen dieser ersten Gestalt der Praktik rekonstruieren. Am deutlichsten wird dies am Beispiel der Hoch- und Weitsprungpraktiken, bei denen die vom Brett aus übersprungene Latte bzw. die zwischen dem Absprung- und dem Landeskateboard liegende Distanz als objektives Leistungskriterium und alleinige Motivation der Bewegung fungiert. Und kaum minder sichtbar bestimmen solche klassischen wettkampfsportlichen Züge die Racing-Disziplinen, die einen Hauptarm im Skateboarding der 1960er und 1970er Jahre bilden und wohl besonders in den 1970er Jahren als dessen Leitdisziplinen gelten können. Slalomskaten zielt darauf ab, eine
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einzige Körpertechnik – das erwähnte Pumpen, die Beschleunigungskurve – unter allerorts tendenziell identischen Bedingungen zum Zweck eines per Zeitmessung vorgenommenen (oder im Parallelslalom direkten) Vergleichs zu perfektionieren. In den Racing-Disziplinen besteht der Sinn des Spiels letztlich allein im Erzeugen und Kontrollieren von Geschwindigkeit hinsichtlich einer objektivierten Messung von Leistung, selbst wenn nicht immer eine Stoppuhr im Gebrauch ist. Obwohl es, wie im Skirennsport, auch im Skateboard-Racing natürlich mehr und weniger elegante Fahrer/-innen gibt, spielt eine spezifische Ästhetisierung der Bewegungen, eine »Treue zum Stil« (Gebauer et al. 2004), keine Rolle. Aufgrund dieser intrinsischen Sportneigung des Slalomskatens wird diese Variante des Skateboardfahrens heute – ganz im Gegensatz zu jenem Leitartikel des Quarterly SkateBoarder – in der Szene nicht selten aus dem Kanon anerkannter Bewegungen auf Skateboards hinausdefiniert. Als die Skateboardmedien 2015 (oft ablehnend) über die sich bereits abzeichnende Olympiainklusion der Praktik diskutieren, befindet zum Beispiel ein redaktioneller Kommentar des Onlinemagazins Jenkem, Slalom habe mit dem eigentlichen Skateboardfahren ohnehin nichts zu tun und könne daher ruhigen Gewissens dem IOC überlassen werden: »Going fast while doing skateboard tricks is cool, just watch any Busenitz4 clip for proof, but once going fast becomes the trick, all coolness evaporates faster than a drop of sweat on a hot black leather jumpsuit.« Downhill und Slalom böten, argumentiert der Kommentar weiter, alles, was die Olympier »[…] could ever want from a sport: It’s easy to judge since it’s based on time and not style, it promises high-speeds and high-speed wipeouts, and its athletes wear tight, form-fitting, ridiculous outfits. What more could producers ask for?« (Kerr/Miller 2015). Weniger deutlich scheint sich eine sportorientierte Fahrweise zunächst mit der Disziplin des Kunst- und Figurenskatens zu verbinden, die den zweiten Hauptarm der Praktik unter dem sixties paradigm bildet – geht es hier doch zuerst um Virtuosität. Natürlich sind die Figurenskater/-innen auch um ›Ausdruck‹ bemüht, doch handelt es sich auch hierbei kaum um eine distinkte Skateboard-Ästhetik. Das Figurenskaten, dessen zeitgenössische Bezeichnung einem heute landläufigen Verständnis von ›Freestyle‹ vielleicht ein wenig zuwiderläuft, ist formal recht weitgehend reglementiert. Es gilt beispielsweise als ›Foul‹, mit einer Hand auf den
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Dennis Busenitz ist ein derzeit populärer professioneller Skateboardfahrer, dessen Bewegungen in weiten Teilen des kundigen Publikums als außerordentlich elegant gelten – und der dafür bekannt ist, technisch komplexe Tricks auch bei sehr hoher Fahrgeschwindigkeit auszuführen zu können.
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Boden zu fassen oder den Fuß zu einem anderen Zweck als dem des Anschiebens vom Brett zu nehmen. Zudem ist die Auswahl an Manövern, die entweder aus dem turnerisch-tänzerischen Bereich oder aus dem 1960er-Jahre-Modus des Wellenreitens stammen, beschränkt und in Lehrbüchern kodifiziert. Viele Übungen lassen sich darüber hinaus durchaus nach objektiven Kriterien bewerten: Wie weit beziehungsweise wie lange wird eine Hand- oder Kopfstandfahrt, ein V- oder L-Sit durchgehalten? Ist der Körper bei einem Christie sauber ausbalanciert? Das Figurenskaten der 1960er und 1970er Jahre funktioniert sehr ähnlich wie der Eis- oder Rollkunstlauf – mit Punkten für den Schwierigkeitsgrad und einer Art B-Note für die Ausführung. Zudem lässt sich im Figurenskaten sich das Verhältnis zwischen Körper und Skateboard als ein turnerisches beschreiben. Nach Gebauer et al. (2004, S. 69f) sind Gerätschaften des klassischen Sports wie »Schwebebalken, Klettergerüste, verschiedenartige Kombinationen von Stangen, Leitern, Balken und Seilen« den Aktiven äußerliche »Gegen-Stände im wörtlichen Sinn«, die als Plattform zur Einübung von Körpertechniken dienen. In den neuen Spielen dagegen vollziehe sich »im praktischen Gebrauch […] ein Anschmiegen der Technik an den Körper und umgekehrt.« Ohne in Abrede zu stellen, dass die Figurenskater/-innen der 1960er und 1970er Jahre eine teils erhebliche Virtuosität im Umgang mit ihrem Gerät entwickeln, tendiert das Figurenskaten jener Jahre auch nach diesem Maßstab in den Bereich des klassischen Sports: Bei Manövern wie dem Quasimodo, dem V-Sit oder L-Sit oder den Hand- und Kopfstandfahrten ist das langsam und gleichförmig vorwärts rollende Skateboard nicht viel mehr als eine Unterlage für Bewegungen, die auch ohne Brett eingeübt werden können. Zumindest in diesen gymnastischen Manövern benutzen die Figurenskater/-innen der 1960er und 1970er Jahre ihr Sportgerät kaum anders als Turnerinnen einen Schwebebalken. Skateboarding entsteht also als »kindliche Nachahmung« von Bewegungen aus anderen Sportpraktiken und wäre nach Caillois (1982, S. 46) insofern anfangs als ein unorganisiertes Verkleidungsspiel zu verstehen. Selbstverständlich muss auch das Downhill-Skaten nicht zwangsläufig in Wettkampfkontexten praktiziert werden, sondern kann auch ›nur zum Spaß‹ vollzogen werden, zum Genuss eines Geschwindigkeitserlebnisses – das mit dem Skateboard-Racing eng verwandte alpine Skifahren klassifiziert Caillois (ebd.) in Nachbarschaft zu Alpinismus und »Kunstsprüngen« als ludischen Ilinx. Gerade die Racing-Praktiken des Skateboardfahrens bringen ferner durchaus Gefahren mit sich, indem nicht selten Geschwindigkeiten erreicht werden, die ein Ablaufen und dergestalt kontrolliertes Abbrechen einer Fahrt schwierig machen können. Ein intendiertes ›Spiel mit dem Risiko‹, also ein gezieltes Eingehen von Gefahren in der Art eines sportiven Ordals ist auch darin jedoch nicht vordergründig zu sehen. Insgesamt scheint sich im Skateboarding in dieser seiner frühen Gestalt – besonders in den 1970er Jahren – eine zunehmend ›ernsthafte‹, sportorientierte Fahrweise Bahn zu brechen, die sich an Horizonten
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der Kontrolle und Effektivierung von Bewegungen hinsichtlich mehr oder minder formalisierter Ziele ausrichtet. Diese Orientierung von Skateboardbewegungen in der Frühphase der Praktik lässt sich nicht nur daran festmachen, dass Wettkampftätigkeit zu dieser Zeit tatsächlich eine erhebliche Rolle spielt; so berichtet etwa das britische Magazin Skateboard! in seiner Erstausgabe für 1977 euphorisch von der ausgeprägten Wettkampfszenerie in den USA (vgl. N.N. 1977, S. 1). Das Vorherrschen einer vergleichsweise traditionellen sportbezogenen Fahrweise ist zugleich der Grund wie das Resultat des Umstands, dass viele Protagonistinnen und Protagonisten dieser Jahre in anderen Praktiken entsprechend vorgebildete Vollzugskörper schon mitbringen. So verfügt zum Beispiel, wie Porter (2014, Pos. 156) berichtet, die seinerzeit bekannte Figurenskaterin Ellen O’Neal über eine gründliche Ballettausbildung; Ellen Berryman, eine zeitgenössisch gleichfalls sehr bekannte und körpertechnisch herausragende Fahrerin, hatte einen »gymnast background« (ebd., Pos. 151). Derart prädisponierte Skateboard-Körper importieren mit bestimmten Bewegungen auch bestimmte Haltungen zu diesen Bewegungen und zum Selbst mit in die Praktik. Diese ausgeprägten Beziehungen zu Praktiken wie Ski, Tanz oder Turnen führen auch zu einer Vergeschlechtlichung der Praktik, die nur mit heutigem Vorwissen erstaunen kann: Skateboarding ist zu dieser Zeit längst nicht so exklusiv männlich markiert wie in späteren Abschnitten seiner Geschichte. Dies registriert auch Yochim – wenn auch eher beiläufig – in der fast einzigen Passage ihrer Untersuchung, die sich konkret mit Skateboardbewegungen befasst. Um die Mitte der 1970er Jahre, schreibt sie, ist Skateboarding »[…] more akin to gymnastics or dance and involved performing a variety of tricks with the skateboard on flat ground, including handstands and lifts. Because of its relationship to the more ›artistic‹ pursuits of dance – or even ice skating – women’s role in the practice did not seem contradictory« (Yochim 2010, S. 52). Ähnlich beschreibt Porter (2014, Pos. 255) in ihrer Geschichte der Frauen im Skateboarding diese Zeit als »golden days« weiblicher Beteiligung und schätzt das Verhältnis zwischen Männern und Frauen auf etwa 75 zu 25 Prozent (Pos. 101). Von numerischer Parität ist diese Relation zwar noch weit entfernt, sie entspricht aber wohl grosso modo den zu dieser Zeit im Sport überhaupt üblichen geschlechtlichen Beteiligungsquoten5 . Mädchen und Frauen sind zu dieser Zeit – wohlgemerkt – nicht nur im turnerisch-tänzerischen Figurenskaten stark vertreten; auch im Racing gibt es bekannte Protagonistinnen wie etwa Robin Logan, die heute wieder an Longboard-Rennen teilnimmt. Die geschlechtlich vergleichsweise ausgeglichene Beteiligung ist insofern nicht nur in der Verwandtschaft des Figurenskatens mit 5
Nach Schmidt (vgl. 2012, S. 86) sind Frauen beispielsweise im deutschen Vereinssport in den 1950er Jahren sogar in einem Verhältnis von 1:8 unterrepräsentiert.
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Tanz, Eislauf und Turnen begründet, sondern auch in der engen Beziehung der Racing-Bewegungen zum Skifahren, das zu dieser Zeit längst nicht mehr exklusiv männlich ist. Dennoch irrt Porter (2014, Pos. 255), wenn sie mit dem Blick allein auf die Vergeschlechtlichung die Praktik in dieser frühen Gestalt pauschal als »inclusive pursuit« charakterisiert. Offenbar ist Skateboarding gerade in den »goldenen Tagen« weiblicher Beteiligung in diesen körperpraktischen Verwandtschaftsbeziehungen zu Tanz und Ballett, zum Eislauf und zum Skifahren ganz eindeutig als eine Aktivität von Weißen markiert – insbesondere gilt das bis heute, ganz sicher aber für die 1970er Jahre für Ski (vgl. Brayton 2005, S. 366). Und legt man den gewonnenen Überblick über die Skateboard-Fahrweise der 1960er und 1970er Jahre neben Nagels (2003, S. 80) Schema schichtenbezogener Sportpräferenzen, scheint sich gleichfalls ein recht exklusives Sozialprofil zu ergeben: Wenn »unteren Sozialschichten« eher »volkstümliche« Sport-Praktiken mit Körperkontakt zuzuordnen sind, in denen »Kraft und Schmerzunempfindlichkeit«, ein »instrumenteller Körperbezug und eine »kollektive Leistungskomponente« wichtig sind, während »obere Sozialschichten« eher »moderne Sportarten« bevorzugten, die ohne Körperkontakt auskommen, »Technik und Ästhetik« demonstrieren sowie einen »gesundheitsdienlichen Körperbezug« und eine »individuelle Leistungskomponente« aufweisen, wäre Skateboarding – zumal das Figurenskaten – zu dieser Zeit weit eher den oberen Mittelschichten zuzuordnen als etwa den Unterklassen.
2.2.2.
Aggression und Zähmung
Wer sich einen so knappen wie plastischen Überblick über die Unterschiede zwischen diesem Skateboarding der langen 1960er Jahre und der vertikalen Gestalt der Praktik verschaffen will, die ab etwa 1975 zunächst parallel zum sixties paradigm entsteht und nach der ›Wiedergeburt‹ des Skateboardfahrens in den frühen 1980er Jahren zur dominierenden Variante aufsteigt, kann sich mit zwei einfachen Internetsuchen behelfen. Unter den Suchwörtern »Hester vs. Alva« findet sich ein bis heute in einschlägigen Netzwerken kursierender Ausschnitt aus einem Fernsehbericht, der ein Parallelslalomrennen zwischen Henry Hester und Tony Alva bei einer 1976 ausgetragenen Weltmeisterschaft im Skateboardfahren zeigt: Eine hektische Sportreporterstimme kommentiert eine Szenerie um eine abgesperrte Piste, um Startrampen, um elektronische Zeitmessvorrichtungen und aerodynamische Rennanzüge. Unter den Suchwörtern »Bones Brigade Video Show« finden sich dagegen nur wenige Jahre jüngere Aufnahmen, die kreuz und quer durch eine Steilwandanlage jagende und hoch über die Kanten fliegende Skateboarder zeigen –statt des Reporters ›kommentiert‹ ein Punk/Hardcore-Song das Geschehen. Obwohl in beiden Sequenzen im Grunde das gleiche Sportgerät benutzt wird und, wer genau hinsieht, die pumpende Kurventechnik der Slalomstarter in den Schwung-
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bewegungen der Steilwandfahrer erkennen kann, zeigen die beiden Aufnahmen kaum noch die selbe Aktivität. Offensichtlich verschiebt sich der Sinn von Bewegungen auf Skateboards zwischen den mittleren 1970er und den frühen 1980er Jahren drastisch. Diese Verschiebung ist im Folgenden zu rekonstruieren. Einen Ansatzpunkt dafür bietet eine weitere Filmsequenz: Der Dokumentarfilm »Dogtown and Z-Boys« (Peralta 2001) rekonstruiert die Erfindung dieses Steilwandskatens durch die in der Skateboard-Kultur bis heute zu recht legendäre Clique um den Surf- und Skateboardladen Zephyr in einem unterprivilegierten Stadtteil von Santa Monica im Großraum Los Angeles, der im zeitgenössischen Jugendslang Dogtown genannt wird. Als besonders erhellend hinsichtlich der tiefgreifenden Umbildung des Skateboardfahrens, die zugleich Bedingung und Begleiterscheinung seines Aufbruchs in die Vertikale ist, erweisen sich dabei Aufnahmen von einem Freestyle-Wettkampf im Sommer 1975, die die Performances jener als Z-Boys bekannten Clique aus Dogtown dem damals vorherrschenden sportorientierten Skateboarding gegenüberstellen (vgl. Peralta 2001, 43:44 – 50:07). Letztere zeigen klassische eistänzerische Bewegungen wie Pirouetten und gymnastische Übungen wie Handstand- und Kopfstandfahrten auf gleichmäßig rollenden Brettern; ein Teilnehmer beendet seinen Lauf sogar damit, vom Skateboard abzulassen und einen sauberen Flic-Flac zu turnen. Bei den Z-Boys steht dagegen die Fahrt des Skateboards selbst – ihre Dynamik, ihre Ästhetik – im Mittelpunkt: Abrupte Tempo- und Richtungswechsel, scharfes Bremsen durch ein kontrolliertes Querstellen der Räder aus voller Fahrt und ein tiefer Körperschwerpunkt statt aufrechter Haltungen kennzeichnen ein neues Verhältnis zwischen Körper, Skateboard und Terrain – eine ungekannte Haltung auf dem Brett und zum Skateboarding überhaupt, eine ganz anders geartete Interpretation des Skateboardfahrens auf ebenen Flächen, mithin eine neue Fahrweise, die auch neue Manöver hervorbringt. In einem Interview mit Michael Brooke bringt Z-Boy Nathan Pratt dieselbe nicht nur auf den Punkt, sondern gibt ihr zugleich einen Namen: »Our concept of Freestyle was entirely different; nobody did handstands or wheelies or any of that kind of junk. It was performance style, not trick style. We said we’re going to skate our way, not their way. We went into that contest and did fullout, high-performance, aggressive skating« (zit.n. Brooke 2005, S. 57). Für das, was heute als Skateboarding bekannt ist, ist diese aggressive Fahrweise erstens insofern grundlegend, als dass in ihr eine neue Beziehung von Körpern und Skateboards entsteht, die sich vom instrumentellen, turnerisch geprägten KörperGerät-Verhältnis absetzt und das Skateboard nun ganz wie der von Michael Polanyi (1985, S. 22) beschriebene Blindenstock eine »empfindungsbegabte Verlängerung« des Körpers wird oder, wie Borden (2001, S. 100) schreibt, sich in ein »prothetic device« verwandelt, in eine »extension of the body as kind of a fifth limb«. Zweitens –
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damit verbunden und noch viel folgenreicher – ist die Entstehung der präzedenzlosen Bewegungen der vertikalen Manövergeneration, die jenseits aller Vorstellungen des sportorientierten Skateboardfahrens der 1970er Jahre liegt, nur auf Basis einer solchen Fahrweise vorstellbar. Das Skateboarding der Z-Boys ist geprägt von einer impulsiven, spontanen, improvisierenden und experimentierenden Haltung, die sich laut Peraltas Dokumentation schon während jenes Flachland-Contests darin äußert, dass sie sogar während ihrer Wettkampfläufe neue Manöver erproben, statt wie die anderen ein Programm abzuspulen. Wie diese von Paidia bestimmte Haltung eines permanenten Experimentierens und Improvisierens in die Entstehung von Steilwandmanövern mündet, verdeutlichen etwa Tony Alvas Schilderungen der Erfindung des Skateboard-Airs: Diese seinerzeit unerhörte Bewegung entspringt nicht aus einer Idee oder Planung, sondern ergibt sich gewissermaßen folgerichtig aus der Dynamik der Bewegung in Steilwänden selbst – nämlich als eine mehr oder minder spontane Umsetzung überschüssigen Schwungs in ein Sprungmanöver über der Kante: »Aerials came from surviving […]. It was something instinctive. Either you made it or you ended up on the bottom of the pool, a bloody mess. It happened by total spontaneous combustion. Then we realized that there was an endless array of things we could do« (zit.n. Vivoni 2010, S. 93f) Nicht nur der Air, sondern auch andere Steilwandmanöver resultieren aus einer Haltung der Paidia, aus dem »Spontane[n] und Zügellose[n] im Sport«, aus einer »triebhafte[n] und unbegrenzte[n] Entfaltung« (Stern 2010, S. 81f) körperlich-mentaler Affekte. Ganz in diesem Sinn portraitiert der SkateBoarder im Juni 1977 beispielsweise den zu diesem Zeitpunkt 14-jährigen Z-Boy Paul Cullen: Dessen »skate activities«, so das Magazin, »constantly blow out of the unprepared and unaware« (Stecyk/Friedman 2000, S. 66). Ähnlich wie Alva charakterisiert auch der überaus prominente Skateboarder Tommy Guerrero das Erfinden von Manövern: »You know how progression is. It happens really natural. It’s not like you suddeny announce ›I’m going to pioneer the ollie‹« (zit.n. Mortimer 2008, S. 36). Von einer neuen, auf das Erleben des Körpers in Bewegung zielenden Art des Skateboardfahrens zeugen schon viele Namen, die im emergenten vertikalen Skateboarding für Manöver gefunden werden: Während etwa aus dem Figurenskaten stammende Bezeichnungen wie L-Sit oder V-Sit die entsprechende Körpertechnik nüchtern beschreiben, zielen Manövernamen nun auf etwas ganz anderes ab. Die Bezeichnung Grind für das malmende Rutschen mit einer Achse auf der Kante der Wand etwa beschreibt eine Bewegung auch als Erlebnis, als Gefühl und als Haltung und hat zudem eine lautmalerische Komponente. Ähnliches gilt für die Bezeichnung Rock ’n’ Roll: Dieser Name für ein basales Manöver aus der Familie der Liptricks dürfte zunächst die Geräusche beschreiben, die es verursacht: ein dumpfer und kurzer Laut, der entsteht, wenn die Bauchseite
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des Brettes bis zum Anschlag der Hinterachse auf die Plattform geschoben wird, ein Schleifen oder Schnalzen, das hör- und spürbar ist, wenn anschließend eine abrupte 180-Grad-Wendung vollzogen wird und der Bauch des Skateboard dabei auf der Kante mitrutscht – und das dunkle Rollgeräusch beim abschließenden Wiedereintauchen in die Wand. Darüber hinaus – und damit ist ein zweites grundlegendes Charakteristikum des emergenten Steilwandskatens angesprochen – empfindet das Kurz-Kurz-Lang des Wortes Rock ’n’ Roll womöglich den Rhythmus eines Gitarrenriffs nach, das man bei der Erfindung und Benennung des Manövers im Ohr hatte. Jene aggressive Fahrweise, die das Steilwandskateboarding zugleich hervorbringt und prägt, entsteht in einer kinästhetischen Intimbeziehung zu einem speziellen popmusikalischen Genre, nämlich Punk/Hardcore. Systematisch aufgearbeitet ist diese gemeinsame Motorik von Punk/Hardcore-Musik und Pool-Skateboarding in der hervorragenden Studie von Konstantin Butz, die unter anderem darauf verweist, dass im Kalifornien der mittleren und späteren 1970er Jahre der Musik- bzw. Tanzund der Fahrstil gleichzeitig, in räumlicher Nähe und personeller Überschneidung entstehen (vgl. Butz 2012, S. 102). Verkürzt lässt sich sagen, dass bereits die Schwungbewegungen in solchen Steilwänden – schnelle, rhythmische Gewichtsverlagerungen – ein permanentes Spielen mit dem Kontrollverlust darstellen, das mit dem Slam Dancing vor der Bühne gleichsinnig ist. Diese geteilte Motorik von Punk/Hardcore und Steilwandskateboarding nennt Butz in Anlehnung an Enda Duffy »adrenaline aesthetics« (Butz 2012, S. 256ff): Die Geschwindigkeit von Skateboardbewegungen in Steilwänden trifft den Speed der Musik, die Bereitschaft der Skateboarder/-innen, Verletzungen in Kauf zu nehmen, parallelisiert gewisse Praxen der Selbstverwundung, die Elemente der Performances vieler Hardcore-Bands sind (vgl. ebd., S. 93). Es sei in diesem Kontext »›no surprise that every kid with a skateboard got into punk rock‹«, zitiert Butz den seinerzeit sehr und bis heute prominenten vertikalen Skateboarder Steve Alba (S. 265). Ihm zufolge waren die ersten Steilwandskater im Kalifornien der mittleren bis späteren 1970er Jahre »the same guys that made up slam dancing« (S. 102). Auch Peraltas Dogtown-Dokumentation setzt die neue Fahrweise immer wieder in Bezug zu ›harter‹ Gitarrenmusik. Punk, so schon Schmidt (2002, S. 59), macht Mitte der 1970er Jahre gegen das »hohle Pathos der Rock-Kultur Front«, indem er »in einer radikalen Reduktion der Ausdrucksmittel einfache Rhythmen, existenzielle Kraft und Körperlichkeit« betont. Ähnlich reduziert das Steilwandfahren das Skateboardfahren, indem es turnerisch-tänzerische Schnörkel streicht. In der Entschlüsselung der energetischen Rhythmen gerundeter Steilwände steht diese Form des Skateboardfahrens dem Punk-Tanz Pogo oder Slam Dance nahe: Wie beim Geschubse vor der Bühne werfen die Fahrer/-innen mit ihrem Körper förmlich um sich; wie beim Pogo spielen sie mit dem Kontrollverlust, indem sie sich unberechenbaren Dynamiken aussetzen. Es verwundert nicht, dass es im Steil-
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wandskateboarding neben dem Rock ’n’ Roll ein Manöver namens Pogo gibt – das, wie beim Tanz, gewissermaßen eine Steigerung des Rock ’n’ Roll darstellt. Jene Adrenalin-Ästhetik beschränkt sich indessen nicht auf einen Rhythmus, der die Schwungbewegungen des vertikalen Skateboardfahrens unterstützt. Vielmehr bricht sich mit dem Skateboarding der Z-Boys in der Skateboard-Praktik umfassend Bahn, was sich mit Schmidt (2002, S. 31) eine »präsentatorisch-inszenatorische« Sportivität nennen lässt: Der eigentliche Sinn der körperlichen Bewegungen besteht in einer spezifischen Ästhetisierung derselben, die sich an das Punk/Hardcore-Schema anlehnt; nun erst wird die Treue zum Stil zum entscheidenden Kriterium des Skateboardfahrens. Dutzende Male ist etwa in Peraltas Dokumentation über die Z-Boys von Style die Rede; der Stil erscheint dabei sowohl als entscheidender Horizont einzelner Skateboard-Performances wie auch als Instanz der Vergemeinschaftung der Teilnehmerschaft, also als Kriterium von Einund Ausschluss in die oder aus der Gruppe und somit der Konstitution einer distinkten Kultur des Skateboardfahrens: »Style was like the most important thing«, sagt etwa Alva in dem Dogtown-Film (Peralta 2001, 00:28:05). Und Z-Boy Wenzel Ruml fügt hinzu: »I think there was one thing that really bound us all together: That we all…, we all possessed a surf style. There was no one in our group that wasn’t flowing.« (Peralta 2001, 00: 28:26 – 00:28:40) Wessen Bewegungen hingegen einen »cockroach style«, »no style« oder einen »bad style« aufweisen, der »stinkt« und gehört nicht dazu, so viele Tricks er auch vollführen können mag, erläutert ein weiterer Protagonist in Peraltas Dokumentation (00:28:44 – 00:29:06). Tatsächlich definiert nun – neben ähnlichen Qualifizierungen wie radical oder kurz rad6 – eine Haltung von »aggressiveness« (vgl. Brooke 2005, S. 78) eine gelungene Skateboard-Performance. Auf ihrem Weg in die Vertikale tasten sich Skateboarder/-innen rasend voran; sie lernen, die Energiepotenziale gerundeter Wände zu mobilisieren und entscheiden situativ und in actu, in welche Manöver sie dieselbe einfließen lassen. Der Sinn des Spiels besteht weniger darin, gegebene Bewegungen zu perfektionieren, sondern auf neue Bewegungen zu kommen. Motivation dieses Treibens im Modus der Paidia ist einerseits Mimikry – indem Skateboarder/-innen zunächst ›Wellenreiten an Land‹ spielen, streifen sie eine Maske über, führen sich selbst als eine distinkte Gruppe, als eine sehr eigene, geheimnisvolle Kultur auf. Zur Hauptsache aber zielt dieses Spiel auf das Ilinx-Kriterium. Im Sich-Berauschen am Kick im Körper, an eigentlich unmöglichen Bewegungen, haftet dieser Fahrweise aber auch etwas Aleatorisches an: Diese Manöver in Steilwänden sind zumindest anfangs stets ein Sprung ins Ungewisse. 6
In Großbritannien erscheint in den 1980er und 1990er Jahren sogar ein zeitweise viel gelesenes Skateboardmagazin namens »r.a.d.« – ausbuchstabiert »read and destroy«.
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Nachvollziehbar bildet sich in Routinen dieser Art eine andere Version des Sportsubjekts heraus als innerhalb der älteren, mehr oder minder sportnahen Fahrweise des sixties paradigm. Produzieren sich im Vollzug dessen ludisch-agonalen Bewegungsmusters jene »young sportsmen«, die der Quarterly SkateBoarder einst beschwor, zeigt sich die nun aufsteigende aleatorische Padia-Ilinx-MimikryVersion des Skateboardfahrens als eine Schule jener »rebels« und »radicals«, vor denen die Zeitschrift im gleichen Atemzug warnte. Besonders signifikant unterscheiden sich diese beiden Versionen des Skateboard-Subjekts hinsichtlich ihrer Vergeschlechtlichung. Mit dem Entstehen der vertikalen Manövergeneration in der aggressiven Fahrweise von Dogtown ist eine auffällige und rapide Maskulinisierung der Praktik und ihrer Subjekte verbunden und sind jene mit dem Slalomund Figurenskaten verbundenen »golden days« weiblicher Beteiligung Geschichte. Porter (2014, Pos. 248) bringt diese Tendenz des »alienating« der Frauen »from the skate scene« mit der Adaption einer »punk mentality« durch weite Teile der Teilnehmerschaft in Verbindung: »With the emergence of punk the emphasis for skateboarding seemed to shift towards being a proof of masculinity rather than an inclusive yet challenging pursuit« (Porter 2014, Pos. 255). Ähnlich zitiert Porter (ebd., Pos. 259) den heutigen Skateboard-Funktionär Don Bostick: »The guys sort of machoed them out of the way«: Eingeschüchtert von einer neuen »frat club mentality« (Pos. 264) und einer veränderten »attitude towards female participation« (Pos. 255) ziehen sich die allermeisten Mädchen und Frauen aus der Praktik zurück. Indem nun das Verfahren einer wirklichen Geschichte die »gegenseitige Abhängigkeit von körperlichen Verhaltensweisen und mentalen Phänomenen« fokussiert (Schmidt 2012, S. 59), muss es solche Attitüden und Mentalitäten – Becky Beal (1996, S. 213) spricht interessanterweise von »nicht-intentionalem« Sexismus – nicht als geistige Phänomene hinnehmen, sondern kann sie als physio-psychischen Spirit beschreiben, der sich in der Motorik der aggressiven Fahrweise begründet und plausibilisiert. Hierin widerspricht das Vorliegende Konstantin Butz in seiner ansonsten inspirierenden Analyse des kalifornischen »Skate Punk« der ausgehenden 1970er und 1980er Jahre: Mit Bezug auf Gumbrechts Überlegungen zur »Präsenz« argumentiert Butz, gerade im intensiven körperlichen Erleben jener Adrenalin-Ästhetik könnten Aktive der Vergeschlechtlichung gewissermaßen entfliehen. »In moments of lived intensity that escape appropriating interpretations as well as meaning attributions and representation […] skate punks face the chance to loosen those axes of differentiation that are crucial when it comes to the construction and attribution of identity« (Butz 2012, S. 266).
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Im Gegensatz dazu kommt das Vorliegende zu dem Schluss, dass die aggressive Fahrweise das Körper- und Selbstverhältnis der Skateboarder/-innen in einer ganz anderen Weise bestimmt als herkömmliche Vereins- und Wettkampfsportarten. Das disziplinierte, faire, freundlich-harmlose Sportsubjekt der Angestelltengesellschaft wird durch einen expressiven, wilden und lauten ›zornigen jungen Mann‹ ersetzt – und zugleich werden in einer negativen Mobilisierung bestimmter Features eines zu dieser Zeit hegemonialen weiblichen Körperhabitus für Frauen und Mädchen hohe Schranken aufgerichtet. Für die Zeit der Entstehung des Steilwandskatens in den späteren 1970er Jahren kann man – zumal im kalifornischen Kontext, der bereits vom beginnenden Aufstieg des politischen Christentums geprägt ist (Butz 2012, S. 35) – davon ausgehen, dass jene grundlegend kontrollierten, defensiven und geschlossenen Körperhaltungen, die patriarchalisch als »zutiefst mit der den Frauen angemessenen moralischen Haltung und Zurückhaltung verknüpft« gesetzt werden (Bourdieu 2005, S. 55), noch sehr virulent sind. Solche physio-psychischen Dispositionen weiblicher Zurückhaltung konterkariert das improvisierende Wagnis- und Schleuderrauschspiel der aggressiven Fahrweise in einem permanenten, druckvollen Wechsel von Kompression und Streckung, in prekären KopfüberSituationen, in seinem Spiel mit dem Kontrollverlust. Mit der aleatorischen Grundierung der aggressiven Fahrweise wird im Vergleich zur älteren Gestalt des Skateboarding die Bereitschaft zur Inkaufnahme von Verletzungen und Schmerzen deutlich aufgewertet. Le Bretons (2003 S. 129) Beobachtungen zur Sozialität von Schmerzen unterstreichen insofern einen maskulinisierenden Impetus der aggressiven Fahrweise: Die »Erziehung in Familie und Schule« kultiviere bei einem Jungen eine »standhafte Haltung gegenüber dem Schmerz« und erwarte von ihm, »dass er die Zähne zusammenbeißt, um nicht als ›Heulsuse‹ zu gelten«, während es »dem Mädchen« erlaubt sei, »seine Gefühlswelt frei zu entfalten«, weil »Sensibilität als Teil der weiblichen Reize« angesehen sei. Ähnlich schreibt Löw (2001, S. 91), dass »Jungen zu wenig lernen, sich vor Verletzungen zu schützen und auf den eigenen Körper zu achten«, während Mädchen beigebracht wird, »dass ihr Körper permanent potentiell bedroht ist.« Tatsächlich kommt in ethnografischen Befragungen männlicher Skateboarder immer wieder eine Frauen pauschal unterstellte Verletzungsscheu zur Sprache (vgl. Beal 1996, S. 214). Beal kritisiert solche Einlassungen Jugendlicher als naturalisierende Ideologie und als Hintergrund eines ausschließenden und entmutigenden Verhaltens gegenüber Frauen. Doch verweisen solche Redeweisen zwar sicherlich nicht auf ›natürliche‹ Gegebenheiten, aber doch auch auf ceteris paribus wirksame habituelle Hemmungen. Dieses wie magisch funktionierende Zusammenspiel zwischen einer machtvollen, hier auf Ausschluss zielenden Anrufung und einem unwillkürlichen, als komplementärer Selbstausschluss wirkenden Nachgeben ist genau das, was sich mit Bourdieu als symbolische Gewalt analysieren lässt: ein Herrschaftsverhältnis, das »weder unmittelbar bewusst wird noch offen zutage tritt« (Moebius/Wetterer 2011,
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S. 2), weil es wesentlich auf einer vorreflexiven Ebene körperlich verinnerlichter Einstellungen operiert. Le Bretons Erkundungen zur Sozialität des Schmerzes helfen indes auch bei einer weiteren – nämlich schichtenbezogenen – Konturierung dieses ›rebellischen‹ und ›radikalen‹ Skateboard-Männerkörpers, der sich in der aggressiven Fahrweise des Steilwandskatens in den ausgehenden 1970er Jahren bildet. Denn Schmerztoleranz ist nach seinen Beobachtungen nicht nur geschlechtlich, sondern zugleich auch klassenspezifisch unterschiedlich habitualisiert: Die Armen verachten den Schmerz und die verweichlichten wie verweiblichten Oberschichtkinder, die nichts aushalten können, schreibt Le Breton anhand seiner Untersuchungen in Armensiedlungen in der Pariser Peripherie. Schmerzen müssten in diesen Milieus »schon sehr stark sein und das tägliche Leben fast unmöglich machen, damit ihnen Aufmerksamkeit geschenkt wird« (Le Breton 2003, S. 149). Diese Beobachtungen decken sich mit Nagels (vgl. 2003, S. 80) Schema schichtenbezogener Sportpräferenzen, das Schmerztoleranz mit Unterklassigkeit in Verbindung bringt. Andererseits betont die aggressive Fahrweise in ihrer grundlegend ästhetischen Orientierung gerade auch ein Merkmal, das nach Nagel wiederum sozial gehobene Sportlichkeit signalisiert. In feministischen oder an critical whiteness orientierten – häufig textualistisch vorgehenden – Analysen der Identitätspolitik in der Skateboard-Praktik wird der Verweis auf deren unterklassige Herkunft oft als bloße Strategie intersektional privilegierter junger weißer Männer verhandelt, sich selbst diskursiv zu minorisieren und so weiße männliche Dominanz neu zu legitimieren (vgl. Kusz 2007; Yochim 2010). Aus einer praxeologischen, den Körper fokussierenden Perspektive wird hingegen deutlich, dass jene aggressive Fahrweise tatsächlich vor dem – verbürgten – unterklassigen Hintergrund der Protagonisten von Dogtown rekonstruiert werden muss. Diese agieren jenes Muster von Maskulinität auf Skateboards aus, das Connell (2015, S. 168ff) unter der Überschrift »Live fast and die young« an Beispielen aus der australischen Unterschicht als »protestierende Männlichkeit« untersucht und als »marginalisierte Form von Männlichkeit« beschreibt, die »Inhalte der hegemonialen Männlichkeit aufgreift, diese aber im Kontext der Armut modifiziert« (ebd., S. 173): Junge Männer, deren Machtanspruch permanent von ihrer sozioökonomischen Position dementiert wird (vgl. S. 175), konstruieren ihr Selbst in Praktiken körperlicher Gewalt, in heterosexuellem Abenteurertum und in Risikoaktivitäten wie »wilde[m] Motorradfahren« (S. 170), während sie organisierten Sport langweilig finden. Typisch für diese Männer sei ferner eine impulsive, unbeherrschte Genussorientierung (sobald sie einmal Geld haben, werfen sie es aus dem Fenster) – und ein ausgeprägter »Sinn für Selbstdarstellung, der im herkömmlichen Rollenverständnis entschieden weibliche Züge aufweist«, etwa in Form sorgfältig kuratierter Tätowierungen (S. 171).
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In der aggressiven Fahrweise, in der in den ausgehenden 1970er Jahren das vertikale Skateboarding entsteht, wird nun diese habituelle Protestmännlichkeit tatsächlich unterklassiger Protagonisten sowohl hinsichtlich der körperlichen ›Härte‹ als auch der ästhetischen Selbstdarstellung raffiniert und auf eine gewisse Spitze getrieben – und zugleich zum stilistischen Imperativ auch für junge Männer ausgerufen, die diesen Hintergrund nicht teilen. Als Stil ist Dogtown – wie alle popoder subkulturellen Styles – dabei natürlich nicht ›authentisch‹, sondern durchaus auch fabriziert: So erinnert sich etwa der Z-Boy Nathan Pratt in Peraltas Film, der Zephyr-Besitzer und Z-Boys-Kapitän Skip Engblohm habe ihn korrigiert, wenn er unter seinen Augen beim Fahren einen Arm »falsch« hielt und ein Manöver daher nicht »gut« aussah (Peralta 2001, 00:42:27). Authentizität ist innerhalb von StilGemeinschaften oder Jugendsubkulturen und vielleicht besonders im Skateboarding stets ein Instrument interner Hierarchisierung (vgl. Beal/Weidman 2003). Nimmt man aber die Prämisse ernst, dass Elemente von Stil »bei langer intensiver Übung« ihrerseits »zu Bestandteilen des körperlichen Habitus« werden können (Gebauer et al., 2004, S. 17), stellt sich die Frage, inwieweit junge Männer aus der Mittelschicht, die der aggressiven Fahrweise und dem Style von Dogtown nacheifern, sich tatsächlich auch wirksam nach unten von ihrem Klassenhabitus distanzieren. Diese Frage nach einem habituellen Abstieg durch Skateboarding wird im Folgenden noch einmal aufgegriffen. Festzuhalten ist an dieser Stelle, dass die aggressive Fahrweise von Dogtown hinsichtlich der Strukturkategorie Klasse so sehr inkludierend sein und unterklassigen Jugendlichen durch die körperlich-mentale Vermittlung spezifischer ästhetischer Kompetenzen nicht minder eine Habitusflucht nach oben eröffnen kann, wie sie hinsichtlich ihrer Vergeschlechtlichung exkludierend wirkt. Zumindest teilweise offen bleiben muss hier zunächst die Frage nach der ethnischen Selektivität der aggressiven Fahrweise. Während Skateboarder/-innen des sixties paradigm »tended to be white, blond-haired and called Chip or Brad« (Borden 2001, S. 141), sind die Frontleute des vertikalen Skateboarding in den 1980er Jahren ethnisch deutlich diverser. Auffallend ist indes, dass namhafte Afroamerikaner wie etwa Marty Grimes oder Steve Steadham zunächst eine Ausnahme bleiben, während gleichzeitig – von Christian Hosoi, Adrian Demain und Lester Kasai bis zu Steve Caballero, Ray Rodriguez und Eddie Elguerra – nicht wenige der präsentesten und prominentesten Aktiven ozeanischen, asiatischen oder südamerikanischen Hintergrunds sind. Die auffallend geringe Beteiligung von Afroamerikaner/-innen an dieser Gestalt des Skateboardfahrens lässt sich allein mit dem Blick auf die Kompetenzen der Praktik nicht hinreichend erklären, zumal Connell (vgl. 2015, S. 170) das beschriebene Muster von Protestmännlichkeit nicht nur in der weißen Unterschicht, sondern »vor allem« auch in »ethnischen Minderheiten und Straßenbanden« findet. Diese nur partielle Öffnung der Praktik für People of Color hat offenkundig damit zu tun, dass das Punk/Hardcore-Schema, als dessen sporti-
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ver Arm das vertikale Skateboardfahren zu dieser Zeit betrachtet werden kann, für afroamerikanische Jugendliche ganz generell nicht attraktiv ist. Die Gründe hierfür vermutet die Arbeit auf der Bedeutungsebene; sie wird im dritten Abschnitt ausführlich auf diesen Punkt zurückkommen. Bis hierher wurde ein pointiert rebellisches und wildes Bild des vertikalen Skateboarding gezeichnet: In einer impulsiven, von einer Haltung der Paidia angetriebenen und auf Körperrauscherlebnisse sowie Risiken ausgerichteten Gestalt erobert die Skateboard-Praktik in den ausgehenden 1970er Jahren in kühnen körpertechnischen Improvisationen den vertikalen Spielraum. Als als treibende Kraft sowie als Resultat dessen wurde eine – weibliche Beteiligung tendenziell ausschließende und einen unterschichtsaffinen Körperhabitus zum stilistischen Ideal erhebende – spezifische Form von juveniler gemachter Männlichkeit erkannt. Doch finden sich, besonders mit Blick auf die ausgehenden 1980er Jahre, auch zahlreiche Schilderungen und Charakterisierungen des vertikalen Skateboarding, die dieses Bild geradezu Lügen strafen. So sagt etwa der soeben bereits zitierte Skateboarder Tommy Guerrero mit Blick auf das vertikale Skateboarding der späten 1980er Jahre: »Vert was pretty compulsory. There was pretty much the same bag of tricks that everybody drew from, though some could do them longer, faster, higher, or more stylishly than others […]. ›Do a standard trick here and then this trick or that trick‹« (zit.n. Howell/Greeven 2005, S. 29). Noch pointierter schließt das Magazin Jenkem in seiner gleichfalls bereits zitierten Abhandlung der Frage, welche Gestalten der Praktik dem Olympischen Komitee ruhigen Gewissens überlassen werden könnten, neben dem Slalom- gerade auch das vertikale Fahren pauschal aus dem Bereich schützenswerter Formen eines ›authentischen‹ Skateboarding aus: Man habe sich Vert vorzustellen wie »[…] a gymnast’s floor routine, highly regimented and strategically planned for maximum points. Judges have a list of the skater’s proposed runs and judge them accordingly on their difficulty and execution.7 Did the young Belgian competitor do a stalefish instead of the stinkbug8 like he said he was going to? Dock him half a point. Olympic Skateboring [sic.] is about preparation and precision, no none of free-wheeling soul skater shit.« (Kerr/Miller 2015) Auch wissenschaftlich wurde in jüngerer Zeit das Steilwand- bzw. »Ramp«-Skateboarding, das soeben als experimentierend, impulsiv, improvisierend und innova-
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Dies ist eine wohl satirische Übertreibung. Nach Kenntnis des Autors werden bei VertContests vor den Läufen bis heute keine solchen Listen der zu vollführenden Manöver eingereicht. Stalefish und Stinkbug sind spezielle Variationen des Frontside Air.
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tiv vorgestellt worden war, im Vergleich zu Street Skateboarding als ganz im Gegenteil stark durchreglementiert, unkreativ und konformistisch qualifiziert (vgl. Chiu 2009). Und von Atencio et al. (2009, S. 14) gleichfalls nach der Jahrtausendwende befragte Street Skateboarder/-innen assoziierten gerade die Variante der Praktik, die soeben als praktizierter Ausbund an juveniler Protestmännlichkeit portraitiert wurde, mit einer »devaluated form of masculine habitus that was considered suburban and feminine«. Offenbar ist vertikales Skateboarding also nicht gleich vertikales Skateboarding. Vielmehr scheint der Vollzug eines Bewegungsmusters, nämlich schnelle, rhythmische Schwungbewegungen, häufige Kopfübersituationen etwa bei Handplants und bestimmten Airs, in zwei deutlich zu unterscheidende Fahrweisen zu zerfallen. Allem Anschein nach schleift sich jene aggressive Fahrweise im Verlauf der 1980er Jahre ab oder wird eingehegt – nach Maßgabe solcher Einschätzungen in einer Tendenz zu Standardisierung und Re-Ludifizierung, die mit beträchtlicher Dynamik zu einem wenn auch modifizierten wettkampfsportlichen Modell zurücktendiert, während die Ilinx-Orientierung und die aleatorischen Momente der aggressiven vertikalen Fahrweise erodieren. Welche konkreten Hinweise untermauern solche Urteile und wie wäre eine solche Transformation innerhalb des vertikalen Bewegungsmusters zu erklären? Anzeichen einer derartigen Um- bzw. Rückbildung der aggressiven Fahrweise ergeben sich – nur scheinbar paradox – beim Blick auf den Modus der ManöverInnovation in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre. Während des letzten Jahrfünfts der Dominanz vertikaler Körpertechniken fällt eine geradezu inflationär anwachsende Liste so genannter Signature Tricks auf – Manöver, die als Markenzeichen von Skateboard-Stars fungieren. Eine unvollständige Aufzählung reicht von Alan Gelfands nach seinem Spitznamen benannten Ollie, Steve Caballeros Caballerial, Eddie Elguerras Elguerrial und Darryl Millers Miller-Flip über Jeff Phillips’ Phillips 66, Claus Grabkes Claus Flip und Christian Hosois Christ Air bis hin zu Mike McGills McTwist und Tony Hawks McHawk. Vollziehen sich nun die Bewegungsinnovationen in der Emergenzphase des Steilwandskatens – wie etwa die oben beschriebene Erfindung des Air-Manövers durch Tony Alva und auch des Ollies durch Alan Gelfand oder des Caballerials durch Steve Caballero – noch mehr oder minder als spontane Improvisationen aus der Bewegungsdynamik in Steilwänden, scheint in der Spätphase des vertikalen Skateboarding das Erfinden eine Pflicht zu werden. Sehr anschaulich schildert dies der vertikale Skateboarder Mike McGill in dem Dokumentarfilm »Bones Brigade. An Autobiography«, der die Stars des Steilwandfahrens der mittleren bis späteren 1980er Jahre portraitiert. Um sein Standing unter den »elite guys« zu halten, berichtet McGill, habe er irgendwann geradezu damit beginnen müssen, sich über seinen eigenen Beitrag zur Geschichte der Skateboardmanöver Gedanken zu machen:
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»Seeing guys like my hero Alan Gelfand invent the Ollie… I mean, that was, wow, you know, that’s a legacy for him. And then Caballero doing the Caballerial. Wow, that’s great, you know. What am I gonna do?« (Peralta 2012, 00:57:27 – 00:57-39). McGill berichtet weiter, er habe sich »für sechs oder sieben Monate« mit der Idee seines McTwist-Manövers – einer 540-Grad-Drehung aus der Vorwärts-Aufwärtsin die Vorwärts-Abwärtsfahrt, die als Salto mit halber Schraube gesprungen wird – befasst, nachdem er eine ähnliche Bewegung bei einem Rollerskater gesehen hatte. Erst dann sei er daran gegangen, die Bewegung, vor der er zunächst große Angst gehabt habe, tatsächlich nach und nach einzutrainieren (vgl. Peralta 2012, 00: 58:35 – 00:58:44). McGills Signature Trick, der viel Aufsehen erregt, setzt dann die Konkurrenz unter Druck – so dass Tony Hawk wenig später mit dem McHawk kontert, einer 720-Grad-Drehung aus der Rückwärts-Aufwärts- in die VorwärtsAbwärtsfahrt. Diese Erfindungen sind also, ganz anders als noch Tony Alvas erster Skateboard-Air, gewissermaßen ludischen Charakters: Sie entstehen planvoll, um einen Unterschied zu machen, ganz so wie der Gienger-Salto im Geräteturnen. Steilwandskateboarding kehrt sozusagen zu jenem »Trick Style« zurück, von dem sich die Z-Boys in ihrem »Performance Style« so dezidiert abgesetzt hatten. Was aber sind mögliche Hintergründe dieser Umbildung? Ein wichtiger Faktor ist der allgemeine Lernfortschritt. Sind die ersten Airs, Grinds und Rock ’n’ Rolls der Generation von Dogtown noch jeweils kleine, präzedenzlose Körpersensationen, entwickeln sich diese Manöver allmählich zu Standardbewegungen. Es differenzieren sich jene vier Manöver-Familien aus, aus denen auswählend bald Tausende ihre Runs komponieren. Und da die Manöver innerhalb der einzelnen Familien hinsichtlich ihres Schwierigkeitsgrades recht eindeutig hierarchisiert werden können, ergibt sich spätestens in den mittleren 1980er Jahren eine Art Katalog objektiver Kriterien zur Bewertung einer Fahrt, die jener Polemik von Jenkem gegen das vertikale Skateboarding zumindest in der Tendenz ein Stück weit recht zu geben scheint: Wurden alle Trickfamilien bedient? Wie schwierig sind die Manöver, die jeweils ausgewählt wurden? Gibt es ein ›Gefälle‹ im Run, kommen also die schwierigen Tricks am Anfang – oder gelingen sie auch am Ende des Laufs? Müssen die Fahrer/-innen zwischen zwei schwierigen Manövern ein leichtes einschieben, um sich zu sammeln – oder klappen auch die schweren Wall to Wall? Wie hoch werden Airs gesprungen, wie lange Handplants gestalled? Ausweis dieser Re-Sportifizierung des vertikalen Skateboarding in den ausgehenden 1980er Jahren ist auch die Rückkehr des Metermaßes als Kriterium. Zwar wird die Höhe der Airs in einem vertikalen Wettkampf-Run eher per Augenmaß gemessen, doch finden am Rande von Wettkämpfen oder Skateboard-Meetings Highest-Air-Events statt, bei denen die Fahrer/-innen tatsächlich vor riesigen Meßlatten um den höchsten Sprung konkurrieren. Insgesamt ist das vertikale Skateboarding in den späteren 1980er Jahren auf bestem Wege, abermals – wie schon
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in den früheren bis mittleren 1970er Jahren – auch eine Wettkampfsportart mit sogar ganz erheblicher Publikumswirkung zu werden. Im Rückblick auf diese Zeit schreibt 1992 das Skateboardmagazin Thrasher über das vertikale Skateboardfahren: »It was Christian’s [Hosoi] style brah against [Tony] Hawk the mad scientist, and the crowds ate it up. Most tricks were about how high you could go, or how many handplant variations you could flap« (Dirtball 1992, S. 28). Mit der Aufrichtung einer Art Pflichtprogramms im dergestalt eingehegten oder gezähmten vertikalen Skateboarding re-etablieren sich ludische Züge der »Strukturierung und Reglemetierung« (Stern 2010, S. 80): Der relativ hohe Grad an objektiver Vergleichbarkeit, der sich in dieser Umbildung ergibt, fördert klassische agonale Strategien der Auswahl und Anordnung der Manöver. Bei sich schnell entwickelnden körpertechnischen Standards verliert das im Paidia-Modus des aufsteigenden vertikalen Skateboardfahrens noch sehr stark akzentuierte Charakteristikum des Aleatorischen an Bedeutung: Beim Erlernen einer neuen Air-Variante ist nun, anders als in der Erfindungzeit, zwar die Flugphase neu, die Landung aber schon bekannt. Zum Hintergrund dieser Verschiebungen gehört auch und vor allem, dass das Steilwandskaten in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre immer sicherer wird. Wichtig ist dabei der Umstand, dass sich die Art der befahrenen Steilwände verändert – werden in der Entstehungszeit weit überwiegend nicht zum Skateboardfahren errichtete Architekturen wie die legendären abgelassenen Swimmingpools amerikanischer Bauart befahren, verbreitet sich die vertikale Variante der SkateboardPraktik in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre zur Hauptsache auf Zweckarchitekturen wie zumeist aus Holz gebauten Halfpipes, deren Oberflächen eigens für Skateboardbewegungen optimiert sind. Auf diesen Aspekt der Materialität wird im zweiten, mit den Raumpraktiken des Skateboarding befassten Abschnitt der Arbeit noch genauer einzugehen sein. Eine tragende Rolle bei dieser Re-Ludifizierung und Ent-Aleatorisierung des Steilwandskatens spielt aber auch das sukzessive verbesserte Schutzequipment. Tragen etwa die Z-Boys in Peraltas Dokumentation überhaupt keine Schützer und sind auch die in den Lehrbüchern der 1970er Jahre abgebildeten Praktizierenden allenfalls mit unzweckmäßig schweren und das Gesichtsfeld einschränkenden Motorradhelmen, mit Fußballtorwarthosen und dünnen Kniepolstern etwa aus dem Volleyball ausgestattet, stehen in den späteren 1980er Jahre leichte, aber solide Helme sowie vor allem hochspezifische Knieschützer zur Verfügung: dicke Polster, die aus mehreren Lagen teils speziell entwickelter Schaumstoffe bestehen, bedeckt mit soliden Plastikkappen. Oft werden darunter noch besondere Neoprenstrümpfe getragen, die durch einen hufeisenförmigen Polsterwulst rund um die Kniescheine den bei Stürzen auftretenden Druck besser verteilen und zugleich dafür sorgen,
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dass dieser Druck die Schützer nicht verrutschen lässt (was zu gefährlichen Verdrehungen der Kniescheibe führen kann).
Der Blick auf die Füße zeigt: Dieser im Westberlin der mittleren 1980er Jahre aufgenommene Vert-Skateboarder wird seinen Handplant nicht stehen. Doch muss man sich auch im Rückblick keine Sorge um ihn machen. Er wird das Manöver »bailen«, also kontrolliert abbrechen und auf den Knieschützern abrutschen – um womöglich sofort den nächsten Versuch zu starten. Foto: Mark Lehmann
Notabene dienen diese Knee Pads – anders als Helme, Ellenbogen- oder Hüftpolster – dabei nicht nur dem Schutz. Sie sind vor allem integraler Bestandteil von Lernprozessen, indem sie es ermöglichen, sich neue Manöver Schritt für Schritt anzueignen. Das ›Stürzen‹ auf die Knie ist, so gefährlich es aussieht, mit dieser Ausrüstung weitgehend unproblematisch: Fahrer/-innen können sich in der Rundung getrost auf die Schützer fallenlassen, um in einer knienden Position die steile Rundung hinabzurutschen und den nächsten Versuch zu starten. Dieses kontrollierte Abbrechen eines Manövers wird im Jargon Bail genannt und ist Routine; in den späteren 1980er Jahren wird vermutlich jeder zweite vertikale Run auf den Knien beendet worden sein. Dass es somit möglich ist, fast jede Bewegung kontrolliert und gefahrlos abzubrechen, führt zu der Praktik des Posens: Auch, wer etwa einen bestimmten Air nicht beherrscht, setzt oft mit vollem Schwung einen Sprung über die Kante an, um dann geplant abzuknien. So ist es möglich, sich etwa in Flugphasen einzufühlen, ohne gleich ›Ernst machen‹ zu müssen mit der Landung. Auf diese Weise lassen sich aber auch Fähigkeiten vortäuschen: durch Fotos von Manövern,
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die man noch nie gestanden hat. Der Autor erinnert sich in diesem Zusammenhang an viele leidenschaftliche Bilddiskussionen: Ist das besonders spektakuläre Manöver auf diesem oder jenem Foto nun real – oder nur geposed? Verletzen jedenfalls können sich dergestalt ausgestattete Skateboarder/-innen im Grunde nur bei unkontrollierten Stürzen, die der Jargon der Praktik im Unterschied zu den wohldosierten Bails als Slams bezeichnet. Diese treten auf, wenn sich Fahrer/-innen zu spät zum Abbruch entscheiden und die rettende Knieposition nicht mehr erreichen können, wenn sie durch einen falschen Körperschwerpunkt in einem Sprung zu weit nach innen getragen werden und nicht mehr in der Rundung, sondern an deren Fuß aufschlagen – oder wenn sie vom Gelingen einer Bewegung ausgehen, aber beim Landen von einem plötzlichen Überdreher oder einem abrupten Hängenbleiben der Hinterräder an der Kante überrascht werden. In solchen Fällen helfen auch die besten Knieschützer wenig, weil man dann oft auf die Seite stürzt. Es ist, wie Latour (2007, S. 123) schreibt, ein erheblicher Unterschied, »einen Nagel mit und ohne Hammer einzuschlagen, Wasser mit und ohne einen Wasserkessel zu kochen, Vorräte aufzubewahren mit und ohne einen Korb […].« Und es ist eine jeweils ganz andere Sache, ob man mit oder ohne dicke Schaumstoffpolster in einer Steilwand Skateboard fährt. Indem sie nicht nur im Notfall schützen, sondern ein sicheres Bailen ermöglichen und die Möglichkeit geben, jede Bewegung ohne Konsequenzen rückgängig zu machen, wirken die Knieschützer in einem sozio-materiellen Arrangement ganz in Latours Sinn als eine mitspielende Instanz auf das vertikale Skateboardfahren ein: Sie bestimmen die Charakteristik des entwickelten oder eingehegten vertikalen Skateboarding der späteren 1980er Jahre mit, indem sie sehr deutlich die Risiken senken. Sie schleifen – in Grenzen – die Mutprobenhaftigkeit und Improvisationsneigung des Steilwandskatens ab, indem sie ein sicheres, planvolles Lernen möglich machen. So tragen diese Knieschützer ganz maßgeblich zu einem außerordentlich schnellen körpertechnischen Fortschritt im vertikalen Skateboarding dieser Zeit bei, der in die Etablierung eines neuen Kanons an Bewegungen mündet. Solche Verschiebungen stehen im Hintergrund, wenn das vertikale Skateboarding, das in seiner Entstehungszeit als adrenalinschwangerer, experimentell-kreativer, gefährlicher und prekärer körperpraktischer Männlichkeitsbeweis zu gelten hatte, im Rückblick auf die letzten Jahre seiner rund ein Jahrzehnt umfassenden Dominanz in der Praktik plötzlich als reglementiert, sportnah, langweilig und sogar feminin qualifiziert wird. Ob diese modifizierte, eingehegte Motorik jener späteren Gestalt des vertikalen Skateboardfahrens, die wieder stark von einem ludischen Modus geprägt scheint und in deren Fahrweise sich vergleichsweise traditionelle agonale Züge mit Ilinx und Alea zumindest die Waage halten, auch tatsächlich eine in ähnlichem Sinn modifizierte Teilnehmerschaft zu rekrutieren tendiert, ist in Ermangelung quantitativer Daten kaum seriös zu beantworten. Es gibt frei-
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lich in den Szenemedien entsprechende Vermutungen: 1992 behauptet etwa der Thrasher in einem Text über das Ende des Steilwandskatens, die Mehrheit der »vert pros« seien »kids from middle class backgrounds« gewesen (Dirtball 1992, S. 28) – trifft das zu, ließe sich konstatieren, dass mit der gewissermaßen verbürgerlichten Fahrweise des späteren vertikalen Skateboarding auch eine entsprechende Neuzusammensetzung der Praktizierenden verbunden gewesen wäre. Sowohl Borden (vgl. 2001, S. 143ff) als auch Porter (2014, Pos. 290) heben ferner hervor, dass im vertikalen Skateboarding der zweiten Hälfte der 1980er Jahre – wenn auch von einem sehr niedrigem Niveau ausgehend – weibliche Beteiligung wieder sichtbarer wird, etwa in Gestalt von Cara-Beth Burnside oder Lori Rigsby. Ob dies tatsächlich einer allgemein zählbaren Veränderung in der Teilnehmerschaft entspricht, die sich mit der skizzierten Einhegung der aggressiven vertikalen Fahrweise erklären ließe, oder nur Ausdruck einer weniger maskulinistischen Bildpolitik von Zeitschriften und Skateboardfirmen, muss zunächst gleichfalls dahingestellt bleiben. Es fällt jedoch auf, dass (mit signifikanten Ausnahmen wie der Street Skateboarderin Elissa Steamer) ein Großteil jener seit den 1970er Jahren ersten breiteren Generation weiblicher Skateboardstars um beispielsweise Lyn-Z Hawkins Pastrana, die um die Jahrtausendwende bekannt wird und in den 1990er Jahren mit dem Skateboardfahren begann (vgl. Beal 2013, S. 87), tatsächlich vertikales und gerade nicht das während ihrer Jugendzeit in der Praktik eigentlich vorherrschende Street Skateboarding betreibt.
2.2.3.
›Schwarz‹ werden
Um 1990 bricht diese tendenziell sportorientierte Rückentwicklung des vertikalen Skateboarding mit dem Aufstieg des Street-Skateboarding zur dominierenden Form der Praktik indessen zunächst abrupt ab. Alles, was mit Skateboards zu tun hat, verändert in den frühen 1990er Jahren gegenüber der Zeit jenes entwickelten, re-ludifizierten Steilwandskatens so grundlegend wie offenkundig sein Gesicht: Die Manöver, die befahrenen Artefakte, die überwiegend bevorzugte Musik, der Schnitt und auch die grafische Gestaltung von Skateboards sowie die Bekleidung und das Selbstverständnis der Teilnehmer/-innen. Auch hinsichtlich der Skateboard-Körper, die in diesem ersten Abschnitt der Arbeit im Fokus stehen, wird das überdeutlich: Im Steilwandskateboarding der 1980er Jahre ausgebildete Vollzugskörper sind nun plötzlich nur noch sehr eingeschränkt mitspielfähig. Das gilt selbst für den Körper von Tony Hawk, des neben Christian Hosoi unangefochtenen Skateboardstars der vertikalen Ära. In seinen Memoiren bringt Hawk diese plötzliche Entwertung seines Körpers auf den Punkt: »I street skated for fun, but I never felt as comfortable or as confident on the street as I was on a ramp. I enjoy it, but have to work harder at street skating. I remember
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slamming over and over trying lipslides down a handrail. I felt like I was eleven years old again learning tricks at Oasis.9 I’m also afflicted with vertosis, a disease street skaters diagnose quickly and harshly: Vert skaters have a ›vertish‹ style (not a lot of pop10 in their kickflips, a little more heavy-footed on tricks etc.) when they are street skating« (Hawk 2001, S. 150). Offenbar bildet das nunmehr aufkommende Street Skateboarding also Vollzugskörper, die sich deutlich von denen des vertikalen Skateboarding in seiner aggressiven wie gezähmten Fahrweise abheben. Die Reichweite einer Einstellung auf das vertikale Bewegungsmuster – was Hawk »Vertosis« nennt – hinsichtlich der Mitspielfähigkeit im Street Skateboarding kann kaum überschätzt werden: Es gibt nach Wissen des Autors tatsächlich kaum Beispiele für Skateboarder/-innen, die im vertikalen wie im Street Skateboarding gleichermaßen anerkannt sind: Selbst, wer sich – wie Hawk schreibt – das neue Manövergenre in »harter Arbeit« aneignet, gilt plötzlich als tendenziell ›unauthentisch‹. Insofern trifft Peters’ (2016, S. 42) Beobachtung, »dass Vert- und Street-Skater zwei relativ autonome« Sub-Szenen mit »nur geringen Überschneidungen« darstellten, auch in historischer Hinsicht zu. Im Sinn einer wirklichen Geschichte des Skateboardfahrens liegt es nahe, die erhebliche szeneinterne Polemik, die seinerzeit mit der Ablösung des vertikalen durch das Street Skateboarding als dominante Variante der Praktik verbunden ist, nicht nur mit dem Generationswechsel in Verbindung zu bringen, der sich zugleich vollzieht: Im vertikalen und im Street Skateboarding bilden sich jeweils verschiedenartig disponierte Skateboard-Körper als Produkt wie Erzeugungsgrundlage differierender Haltungen und Geschmäcker; die verschiedenen Skateboard-Körper, so lässt sich zuspitzen, erkennen einander nicht mehr. Auch dieses inkorporierte Missverstehen illustriert Hawk in seinen Erinnerungen: »Being a vert skater felt like being a leper«, schreibt er drastisch über die frühen 1990er Jahre (Hawk 2001, S. 170); an anderer Stelle (ebd., S. 154) spricht er von einer »separation between skaters«, die um 1991 plötzlich aufgetreten sei, von einer »›us vs. them‹ mentality« in der Szene: »Skating began to resemble high school (which is ironic because most skaters hate high school and felt like misfits), with little cliques that didn’t associate with other, ›lesser‹ skaters« (Hawk 2001, S. 154). Auf diese zeitweise sehr tiefgreifende Spaltung der Skateboardwelt wird im dritten, mit der Zeichenproduktion der Praktik befassten Abschnitt der Arbeit noch ein9 10
Gemeint ist der kalifornische Skatepark, in dem Tony Hawk als Kind das Skateboardfahren erlernte. »Poppen« ist ein lautmalerischer Ausdruck für das Vollführen des für das Street Skateboarding grundlegenden Ollie-Manövers. Mit der Redewendung, jemand habe zu wenig Pop, ist gemeint, dass der- oder diejenige keine hohen Ollies springen könne.
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mal genauer einzugehen sein. Im Vorgriff lässt sich sagen, dass diese Dissonanzen auch mit aggressiven Markenpolitiken ökonomischer Einheiten in der Skateboardindustrie zu tun haben, die dieselben noch befeuern und ausnutzen. Im Folgenden aber soll es zunächst darum gehen, genau zu rekonstruieren, inwiefern sich die Ära der sogenannten New School des Street Skateboarding körperpraktisch so krass von der Old School der vertikalen Ära abhebt. Das Bewegungsmuster des Street Style lässt sich wiederum anhand der Bezeichnungen charakterisieren, die Skateboardbewegungen nun gegeben werden. Wieder sind darunter einerseits fantasievolle Wortschöpfungen für Manöver, deren verbale Beschreibung mehrere Sätze erfordert. So bezeichnet etwa Impossible eine hochgradig komplexe Bewegung, bei der die Fahrer/-innen das Brett zunächst wie bei einem gewöhnlichen Ollie kicken, dann aber seinen Impuls, schräg nach hinten wegzuspringen, nicht durch jene Ziehbewegungung des vorderen Fußes konterkarieren, die es bei einem Ollie in eine horizontale Position in der Luft bringt, sondern diesen Impuls des Brettes mit dem hinteren Fuß noch dergestalt unterstützen, dass sich das Brett gewissermaßen einmal um denselben ›wickelt‹, bis es sich nach Abschluss dieser Rotation wieder in seiner Ausgangsposition befindet und die Fahrer/-innen den Vorderfuß aufsetzen können. Andererseits und vor allem sind aber Beschreibungen wie jene üblich, der schon in der oben stehenden Manövergeschichte der Praktik als für Street Style typische Bewegung vorgestellt wurde. Beschreibt etwa Rock ’n’ Roll das Geräusch, das Gefühl, den Rhythmus und das Erlebnis eines vertikalen Manövers, benennt Ollie Kickflip to Grind 180 drei verkettete Bewegungen: den Kickflip auf ein Hindernis, das Abrutschen von dessen Kante auf der Achse sowie den Abgang mit halber Drehung. Street Skateboarding ist also im Allgemeinen dermaßen variantenreich, dass es unmöglich ist, jede der unzähligen Möglichkeiten, Bewegungen miteinander zu verketten, mit einem speziellen Namen zu versehen. Allgemein lässt sich das Bewegungsmuster von Street Skateboarding also als kombinatorisch charakterisieren: Street Skateboarder/-innen sind gewissermaßen Trick Jockeys: Wie DJs setzen sie ein schier unendliches Reservoir aus Zitaten, Versatzstücken und neuen Elementen immer wieder anders zusammen. Es wurde jedoch bereits im obigem Überblick über die Manövergenerationen angedeutet, dass auch dieses Bewegungsmuster in zwei verschiedene Fahrweisen zerfällt: In einem Zeitraum zwischen etwa 1990 und vielleicht 1997 oder 1998 dominiert eine in der Tendenz eher kleinteilige Fahrweise, deren individuell-kollektiver Ehrgeiz auf das Vollführen komplexer technischer Bewegungen konzentriert ist und die oben als Mikro-Street-Skateboarding bezeichnet wurde, während in etwa ab 2000 ein Makro-Street-Skateboarding regiert, das sich statt auf technische Schwierigkeiten zusehends auch auf überwundene Höhen und übersprungene Weiten orientiert. Natürlich ist es im Detail schwierig, diese beiden Fahrweisen hinsichtlich sowohl der Bewegungen als auch in der zeitlichen Folge sauber zu trennen, da zwi-
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schen jenem Mikro- und diesem Makro-Modus von Street Skateboarding letztlich nur graduelle Unterschiede in der Dimensionierung liegen. Dass aber zwischen dem emergenten Street Skateboarding der früheren 1990er Jahre und seiner späteren Gestalt kategorisch unterschieden werden muss, ist zumindest aus der Binnenperspektive unumstritten. So spricht etwa Hälbich (2008, S. 62-65) in seiner – offenkundig aus eigener praktischer Erfahrung geschriebenen, aber theoretisch wie methodisch konturlosen – »Geschichte des Skateboardings von den Anfängen bis heute« von einer »Übergangsphase«, die sich von 1991 bis 1995 erstrecke. Geprägt gewesen sei dieselbe davon, dass rasch immer komplexere technische Tricks, insbesondere »Kickflipvariationen« entstanden seien. Dabei habe man »wenig Wert auf klare, sichere Bewegungen« gelegt, wodurch sich Skateboarding zusehends zu einem »für Außenstehende […] schwer zu begreifenden Sport« (ebd., S. 63) entwickelt habe. Auch wenn sich Hälbich an dieser Stelle in der Bewertung ohne weitere Umstände die Position von Bob Denike (vgl. 2004) zueigen macht, eines bis heute wichtigen Funktionärs der Skateboardindustrie, zeigt seine Einschätzung doch, dass sich die Fahrweise des Street Skateboarding im Verlauf der 1990er Jahre deutlich verschiebt. In die gleiche Richtung weist auch ein in verschiedensten Hinsichten interessantes Dokument aus der Skateboardindustrie, in dem sich deren maßgebliche Akteurinnen und Akteure dazu verabreden, eben jene kleinteilige, technisch orientierte Fahrweise des Mikro-Street-Skateboarding zu überwinden. Das ökonomisch-organisatorische Expertensystem der Praktik ist um 1994 höchst unzufrieden mit dieser Fahrweise. Der – in der Vorrede zu diesem Abschnitt erwähnte – drastische Popularitätseinbruch des Skateboardfahrens in den frühen 1990er Jahren soll wettgemacht werden. Dazu ist es aus Sicht der Industrie unerlässlich, die hyperkomplexen und kleinteiligen Bewegungen jener Mikro-Fahrweise des Street Skateboarding in einer Weise zu verändern, die die Praktik wieder spektakulärer und vermarktbarer macht. 1995 schließen sich nicht zuletzt in dieser Absicht die wichtigsten Firmen der Nischenökonomie zum bis heute existierenden Branchenverband International Association of Skateboarding Companies (IASC) zusammen. Aus dem Protokoll eines im Januar 1994 stattgefundenen Vorbereitungstreffens zur Gründung der IASC geht hervor, was sich die an diesem Treffen teilnehmenden Skateboardfirmen anstelle dieses Mikro-Street-Skateboarding wünschen: »Right now the general public can’t understand skateboarding. It’s too technical and too inconsistent. […] Right now skating does not look fun. […] We must encourage some change. Modern street skating is rad but we must add to it. Just think if we could have the street scene of today PLUS the mini ramp scene from 89 PLUS the vert scene from 86 […]« (IASC 1994).11 11
Das Protokoll dieses Treffens ist seit Jahren unter der Internetadresse www.dansworld.com/meeting-html zugänglich. Der Autor hat versucht, seine Authentizität durch
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Dieser Wunsch sollte sich bald erfüllen – vor allem durch die X-Games des USamerikanischen Sportfernsehnetzwerks ESPN, die 1995 als eXtreme Games erstmals ausgetragen werden und in verschiedener Hinsicht erhebliche Auswirkungen auf Skateboarding nehmen (vgl. Rhinehart 1998, 2008), nicht zuletzt auch hinsichtlich der Körpertechniken. Im Zusammenhang mit diesem neuen, massenmedialisierten Wettkampfformat von Skateboarding beginnt eine nachhaltige Vergrößerung der Bewegungen, die zur Transformation von Street Skateboarding in seine Makro-Fahrweise führt. Anders als Hälbich, der den Start der X-Games als unmittelbares Ende jener »Übergangsphase« der Vorherrschaft kleinteiliger und technikorientierter Bewegungen annimmt (vgl. Hälbich 2008, S. 65), geht das Vorliegende allerdings davon aus, dass diese Transformation der Fahrweise des Street Skateboarding sich erst in den ausgehenden 1990er Jahren und um die Jahrtausendwende in der Breite Bahn bricht, also nach einigen Jahren ›Inkubationszeit‹. Vom Einfluss der X-Games auf die Vollzüge und Bedeutungen der Praktik wird noch ausführlicher die Rede sein. Hier müssen zunächst die Konturen jener kleinteiligen Street-Fahrweise der früheren 1990er Jahre rekonstruiert werden, die der Skateboardindustrie offenbar per se als Vermarktungshemmnis gilt. Wie also lässt sich Street Skateboarding in dieser Mikro-Fahrweise charakterisieren? Es radikalisiert offensichtlich jenes Prinzip der improvisierenden Innovation von Bewegungen und des Kombinierens von Bewegungselementen, das schon die Fahrweise des entstehenden vertikalen Skateboarding bestimmt hatte. MikroStreet-Skateboarding besteht im permanenten Versuch, neue Bewegungselemente oder Variationen zu ›erfinden‹ bzw. bereits bekannte Elemente in immer neuen Verkettungen zu kombinieren. Und anders als im vertikalen Skateboarding, wo – nachdem die vier Familien von Manövern einmal ausgearbeitet sind – das Erfinden eines Signature Tricks zu einer aufwändigen Angelegenheit wird, avanciert im Street Skateboarding körpertechnische Innovation zu Jedermanns Sache. Bei der enormen Anzahl der Möglichkeiten, die sich bei diesen Verkettungsmanövern ergeben, können sehr viele Teilnehmer/-innen zu dem Erlebnis gelangen, mutmaßlich die ersten zu sein, die einen speziellen Bewegungsablauf an einem speziellen Hindernis vollführen. Gerade beim Variieren von Flip-Manövern akzentuiert StreetSkateboarding das experimentelle Erforschen dessen, was überhaupt möglich ist: Nicht wenige der unüberschaubaren Varianten und Kombinationen von Wirbelbewegungen des Skateboards um seine Längs- oder Querachse sind wohl tatsächlich zufällig entstanden. Hälbich charakterisiert diese auf die Spitze getriebene kom-
schriftliche Anfragen bei als TeilnehmerInnen genannten AkteurInnen sowie auch beim Betreiber dieser Webseite zu verifizieren, Antworten blieben aber aus. Da das Dokument allerdings bereits bei Borden (vgl. 2001, S. 26) zitiert ist, scheint es gerechtfertigt, es unter einem gewissen Vorbehalt zu benutzen.
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binatorisch-erfinderische Fahrweise des Street Skateboarding in den frühen bis mittleren 1990er Jahren treffend: »Die Tricks wurden immer komplexer und technischer […]. Ziel war es, immer schwierigere Manöver mit oftmals kaum noch nachvollziehbaren Kickflipvariationen zu zeigen« (Hälbich 2008, S. 63). Anesprochen sind damit zwei Charakteristika dieser Mikro-Fahrweise des Street Skateboarding. Erstens kehrt das gegen Ende der vertikalen Epoche zum Ludischen zurückpendelnde Skateboarding in einen impulsiv-kreativen Paidia-Modus zurück – und zweitens entzieht sich diese Fahrweise fast mehr noch als in der Entstehungszeit des vertikalen Skateboarding allen Formen von Messbarkeit und Vergleich. Es ist kein Zufall und nicht nur den zunächst zurückgehenden Teilnehmerzahlen geschuldet, dass in den frühen 1990er Jahren die Wettkampftätigkeit nahezu zum Erliegen kommt. Der Autor, der zu dieser Zeit bei den wenigen in Südwestdeutschland und der Nordschweiz verbliebenen Contests zuweilen als Punktrichter fungierte, erinnert sich an Situationen, in denen das dargebotene Feuerwerk an »kaum noch nachvollziehbaren Kickflipvariationen« unter den Judges Schulterzucken auslöste – zumal höchstens jedes zweite versuchte Manöver auch tatsächlich gestanden wurde. Wer kann schon entscheiden, ob es schwieriger ist, etwa nach einer halben Körperdrehung mit der Nose an einer Kante zu gleiten und mit einer halben Drehung abzuschließen – oder vielleicht auf der Hinterachse über das Hindernis zu rollen, bevor man es mit einem Kickflip wieder verlässt? Wiegt ein Varial vor einem Grind einen 360-Grad-Abgang nach einem Boardslide auf? Es ist im Anschluss daran bezeichnend, dass die wissenschaftliche Thematisierung von Skateboarding als widerständige »Subkultur« mit Beobachtungen und Befragungen beginnt, die Becky Beal um 1990 im damals neuen Street Skateboarding vornimmt. Dessen Aktive stellen sich verbal gegen »elite competition« (Beal 1995, S. 261): »No exclusive positions, no championships, no elite standards, no end goal to achieve, and nothing to win […]«, resümiert Beal (ebd., S. 257) empathisch. Doch hätte sie derartige Beobachtungen nur wenige Jahre zuvor in der Vert-Szene kaum machen können. In der explizierten Wettkampfkritik dieser Street Skateboarder/-innen zeigt sich exemplarisch, wie sehr Haltungen, die man oft als mental veranschlagt, körperpraktisch grundiert sind. Der mit dem klassischen Sport verbundene, auf Objektivierung und Vergleich basierende Wettkampfgedanke wird von dieser Art des Skateboardfahrens in actu hintertrieben. Das klingt auch in einem namentlich nicht gekennzeichneten Text unter der Überschrift »Contests suck« an, den das Skateboardmagazin Thrasher im April 1992 druckt: »How is it possible to judge something that comes from the soul? Where can you find qualified and unbiased observers to tabulate an art form? How can you
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process a large amount of skaters in a limited amount of space so they can best demonstrate their creative talents?« (N.N. 1992, S. 38). Dass Skateboarding »aus der Seele« komme, dass sein Kern »kreatives Talent« sei, dass sich diese sportive Praktik am treffendsten gar als »Kunstform« beschreiben lasse – all das sind besonders in der Zeit nach 1990 ausgesprochen häufige Redeweisen der Szene über sich selbst. Regelmäßig werden Protagonisten und (die sehr wenigen) Protagonistinnen zu dieser Zeit als Artists vorgestellt, beispielsweise in den Bildunterzeilen der Szenemagazine. Gemeint ist damit weniger der der deutsche Wortsinn der Zirkus-Artistik, sondern der englische der Künstler/-innen und Performer/-innen. Die Sozialwissenschaft darf solche Selbstbilder nicht einfach ratifizieren. Doch scheint in der gerade zu dieser Zeit so weit verbreiteten Rhetorik von den Skateboarder/-innen als Artists etwas expliziert zu werden, das in den Vollzugskörpern dieser Gestalt der Praktik eingestellt ist: jene spontaneistische, kreativ-kombinatorische Fahrweise des Mikro-Street-Skateboarding, die in Caillois’ Begriffen im Modus der Paidia spielt und die den aleatorischen Ilinx-Kick, den Wagnisrausch der aggressiven Fahrweise, der schon im späteren vertikalen Skateboarding deutlich eingehegt worden war, zunächst noch weiter zurückdrängt. Nun ist Ilinx wieder jene vergleichsweise unspektakulärere, aber die Teilnehmer/-innen nichtsdestotrotz zutiefst erfüllende Gelingensfreude, dass das Skateboard macht, was es soll. Anders als im Steilwandskateboarding, das den Körper oft in Kopfüber-Situationen bringt, ist der Kopf nun wieder stets der höchste Punkt im Zusammenhang von Körper und Skateboard. Street Skateboarding ist in jeder Hinsicht verspielter als seine vertikale Variante. Street Skater/-innen fahren nicht einfach über einen Platz, sie lassen dabei das Brett unter den Füßen rotieren, ändern immer wieder die Fahrtrichtung und versuchen, jegliches Mäuerchen und jede kleine Schräge in ihr Spiel mit einzubeziehen. Die aggressive, mit dem Kontrollverlust spielende Haltung des vertikalen Skateboarding macht einer verschnörkelten, experimentierenden und doch – im Erfolgsfall – die ›totale Kontrolle‹ über das Brett und sein mannigfaltiges Wirbeln und Zwirbeln zelebrierenden Stilistik Platz. Es ist nicht nur allgemeinen jugend- oder stilkulturellen Konjunkturen geschuldet, dass Street Skateboarding nun auch seine popmusikalischen Bezüge weitgehend umstellt: So sehr das rasende Vert-Skaten mit dem Pogo oder Slam Dance und den ›geraden‹ Takten des Hardcore und Punk gleichsinnig ist, so offenkundig lässt sich diese neue Fahrweise mit den synkopischen Rhythmen von Hiphop in Verbindung bringen. Der Spielinhalt des emergenten Street Skateboarding nach 1990 ist in Caillois’ Begriffen zuvörderst Mimikry, ein Spiel von Nachahmung und Verkleidung. Es ahmt Manöver, die aus dem vertikalen Skateboarding stammen, in einer neuen Weise nach und amalgamiert sie mit solchen des Freestyle; es maskiert sich in einer neuen Ästhetik in dem »Vergnügen«,
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dass »man ein anderer ist« (Caillois 1982, 30): Street Skateboarding ist nicht nur Hinsichtlich seiner Zeichen, auf die später noch einzugehen sein wird, sondern auch in seiner Motorik eine »performance of ›blackness‹« (Brayton 2005, S. 365). Es weist eine »Familienähnlichkeit« zu den Bewegungen »beim [Reggae- und Hiphop-, EVS] Tanzen, Deejaying und Streetballspielen« auf, die Alkemeyer und Schmidt (2003, S. 83) um die Jahrtausendwende im Berliner Yaam-Club beobachtet haben – einem Freigelände, auf dem bis heute Black Music mit sportiven Praktiken in einer kulturellen Gesamtperformance kombiniert wird. Zum dortigen Sportangebot gehörte neben Streetball bis in die späteren 1990er Jahre und nach einem Umzug des Clubs auch Mitte der 2000er Jahre nicht umsonst auch das Skateboardfahren, bis es nach einem weiteren Umzug wohl aus Platzgründen verschwindet. Tatsächlich fallen das Aufkommen von Streetball und Street Skateboarding zeitlich zusammen. Im Basketball wird laut Schmidt (2002, S. 74) in den ausgehenden 1980er Jahren eine neue, »spektakuläre, afroamerikanische Spielweise« sichtbar, in der sich Spieler/-innen durch »virtuose individuelle Improvisationen« situativ aus ihrer Funktion im Team lösen und solo performen. Aus dieser »spezifischen afroamerikanischen Spielweise« sei Streetball hervorgegangen. Diese Art zu spielen, so Schmidt im Anschluss an Nelson George, sei von »black aesthetics« geprägt; es gehe nicht nur ums Gewinnen, sondern fast mehr um den Stil der Würfe und Dribblings: Slam Dunks erzielen nicht nur Punkte, sondern ästhetisieren den Akt des Punktens. Schwier (1998, S. 17f) verbindet diesen Stil des Basketballspielens mit Hiphop und Street Skateboarding: Hier werde der »Begriff Coolness« körperlich aufgeführt, Streetball und Skateboarding vereine »eine ›coole Haltung‹«, die sich in einer Verwebung von »Handlungspraxis, Dresscode, Verhaltensmuster und Musik« herstelle und sich als »nach außen distanziert, ichbezogen und überlegen« beschreiben lasse. Für den Basketball bezeichnet Nelson George (vgl. 1999) diesen spezifischen Spielmodus als »intimidation through improvisation« (zit.n. Schmidt 2002, S. 75). Ähnlich spricht John Fiske von einer zumal im Sport beobachtbaren »expressive[n] Körpersprache und Redeweise« der Afroamerikaner/-innen. Er sieht eine »schwarze Expressivität«, die mit »Improvisation in Verbindung« stehe und ein »nicht nur ein bevorzugtes, sondern auch ein notwendiges Merkmal des schwarzen Stils« sei (Fiske 2001, S. 219). Eine gelebte »Vitalität des improvisierenden schwarzen Körpers« lässt sich laut Fiske (ebd.) als stumme Seite der »Oralität« schwarzer Kultur verstehen und sei »immer eine Bedrohung für die weiße Macht« (Fiske 2001, S. 221; vgl. zur »Oralität« auch Rose 1994, S. 64-98). Diese schwarze Körperlichkeit ist für Fiske – anders als »Whiteness«, die »not an essential racial category« sei, sondern als »strategical deployment of power« (Fiske 1996, S. 42) verstanden werden müsse – quasi eine Substanz zweiter Ordnung: Obgleich Blackness von einem unsichtbaren, weil als ›normal‹ gesetzten weißen Zentrum aus in einer Strategie
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des Othering erzeugt wird, seien »schwarze Expressivität und Improvisation nicht ausschließlich Produkte weißer Unterdrückung und Strukturen (obwohl dies teilweise der Fall ist), sondern werden an den Schnittstellen von weißer Macht und schwarzen Lokalitäten produziert« (Fiske 2001, S. 243). Nun geht es, wie gesehen, schon im vertikalen Skateboarding um eine von den Aktiven als authentische körperpraktische Expression reklamierte Ästhetisierung von Bewegungen – doch in einer spürbar anderen Weise als im Street Skateboarding nach 1990. In Steilwänden stehen Kontraktion und Streckung, Beschleunigung und das Prekäre im Mittelpunkt. Street Skateboarding dagegen inszeniert – wie schon jener Performance Style des Flachlandfahrens der Z-Boys, jedoch mit weitaus mehr körpertechnischen Möglichkeiten und in einer anderen Rhythmik und Ästhetik – schon die zunächst langsame Fahrt auf ebener Fläche als variantenreiche Improvisation, als eine Performance des Akts des Fahrens. Ganz so, wie es im Streetball weniger darum geht, besonders schnell zu laufen, sondern überraschende Haken zu schlagen oder der Gegenseite den Ball demonstrativ zwischen den Beinen hindurchzudribbeln. Eine solche Nähe zwischen Streetball und Street Skateboarding erscheint nur auf einen ersten Blick weit hergeholt. Denn tatsächlich zeigt etwa Hills (2007, 00:59:51 – 01:00:31) Dokumentation »The man who souled [sic.] the world« über den Aufstieg von Street Skateboarding eine längere Szene, in der teils sehr bekannte (männliche, schwarze wie weiße) Skateboarder mit offenkundiger Begeisterung und Befähigung Streetball spielen. Die Galionsfiguren des vertikalen Skateboarding hätten sich niemals bei der Ausübung einer Teamsportart ertappen lassen – und es hätte wohl auch keine gegeben, die ihren Vollzugskörpern so nahe gewesen wäre. In Anlehnung daran kann das kombinatorische, akzentuiert erfindungsorientierte Street-Skateboarding in seiner Entstehungszeit mit einer coolen Fahrweise in Verbindung gebracht werden. Die Motorik der Praktik lehnt sich im Kontext der Rezeption des Hiphop durch weiße Jugendliche, die zeitgleich mit StreetSkateboarding in den frühen 1990er Jahren einsetzt (vgl. Kitwana 2005, S. 26f), an körperpraktische Muster von Black Culture an. Zwar sind – worauf im dritten Abschnitt der Arbeit noch einzugehen sein wird – solche »afroamerikanophilen« Praktiken weißen »Minoritär-Werden[s]« (vgl. Ege 2007, S. 147f) in einer normativen Hinsicht nicht unproblematisch, führen sie doch einen »gemeinsamen Glauben ans eigene Bild vom Fremden« auf (Alkemeyer/Schmidt 2003, S. 83). Doch ist gleichwohl festzustellen, dass mit dem Aufstieg der coolen Fahrweise nach 1990 plötzlich eine ganze Generation einflussreicher Frontleute mit afroamerikanischem Hintergrund auftritt – Shiloh Greathouse, Ray Barbee, Jovontae Turner, Ron Chatman, Ron Allen, Stevie Williams etc. – und sich die Adaption von Blackness in den Bewegungen des Street Skateboarding dergestalt als inkludierend erweist.
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Diese ambivalente Einfärbung der Praktik bereits in ihren körperlichen Bewegungen ist die auffälligste Neu-Nuancierung im Street Skateboarding. Gemäß der Argumentation, das starke Hervortreten von Ilinx und aleatorischen Elementen in besonders der aggressiven vertikalen Fahrweise sei als körperpraktische Grundierung einer Marginalisierung von weiblicher Beteiligung zu verstehen, müsste im Gegenschluss die coole – zunächst geschwindigkeits- und risikoarme, technisch ausgerichtete, überwiegend wieder ebenerdig stattfindende – Fahrweise den hegemonialen Körperhabitus von Mädchen und Frauen entgegenkommen. Dennoch ist zunächst in der Breite keineswegs ein signifikantes Ansteigen weiblicher Beteiligung zu registrieren. Und der Blick auf die Körperbewegungen führt auch hinsichtlich schichtenspezifischer Affinitäten zunächst nicht weiter. Der Thrasher etwa will nach 1990 eine signifikante Veränderung der Herkunft der Involvierten registrieren: Nun kämen viele aus den »worst parts of town« (Dirtball 1992, S. 28). Doch wäre nach Nagels These vom Zusammenhang zwischen Schmerzunempfindlichkeit und Unterschichtaffinität im langsamen und kleinteiligen Street Skateboarding nicht eine gerade umgekehrte Entwicklung zu erwarten? An dieser Stelle scheint die Analyse der Kompetenzen und Vollzugskörper hinsichtlich der sozialen Identifizierung der Teilnehmer/-innen nach Geschlecht und Klasse an Grenzen zu stoßen; anführen ließe im Sinne der bisherigen Rekonstruktion allenfalls, dass Street Skateboarding trotz seines zunächst eher kleinteiligen Charakters eine erhebliche Schmerztoleranz erfordert, insofern zwar weit weniger schwere und spektakuläre, aber dafür häufige kleinere Stürze zu erwarten sind und beim Street Skateboarding selten Schutzausrüstung getragen wird. So zentral das Element körperlicher Bewegung zumal bei der Untersuchung von sportlichen oder sportiven Praktiken ist, kann es doch von Impulsen überlagert werden, deren Herkunft im Element der Materialien oder im Bedeutungselement zu suchen ist. Im entstehenden Street Skateboarding nach 1990 scheint etwa Vergeschlechtlichung mehr im Bereich der raum- und ortsbezogenen sowie der Zeichenpraktiken zu wirken. In die erste Richtung weist auch jene knappe, weiter oben bereits zitierte Stelle bei Yochim (2010, S. 52), in der sie den textualistischen Rahmen ihrer Arbeit verlässt: Dass sich heutiges »street and flatland skateboarding« als weniger »open to women« erwiese als das Slalom- und Figurenskaten der früheren 1970er Jahre, habe mutmaßlich mit der »public nature« von Street Skateboarding sowie seiner »frequent reliance on trespassing« zu tun. Ähnlich ließe sich, wenn die zitierte Beobachtung des Thrasher denn zutrifft, auch eine gegenüber der Spätphase des vertikalen Skateboarding zunehmende Beteiligung unterprivilegierter Schichten am Street Skateboarding sozialräumlich erklären: Nun sind auch Kinder aus Nachbarschaften mitspielfähig, in denen sich aufwändige Sportarchitekturen wie Halfpipes seltener vermuten lassen. Inwiefern Raumpraktiken und inwiefern auch formative Darstellungsweisen von Street Skateboarding das Gesicht der Teilneh-
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merschaft dieser Gestalt der Praktik bestimmen, wird gemäß des Aufbaus der Arbeit im zweiten und dritten Abschnitt noch eingehender diskutiert. Wie schon die Fahrweise des vertikalen Skateboarding im Laufe der 1980er Jahre einer signifikanten Rekonfiguration unterliegt, vollzieht sich eine solche in den späten 1990er Jahren und um die Jahrtausendwende auch in der Fahrweise des Street Skateboarding. Wie die Darstellung der Manövergenerationen im ersten Teil dieses Abschnittes behauptete, erlebt das zunächst eher langsam rollende, auf hochgradig komplexe, aber wenig gefährliche Manöver abzielende StreetSkateboarding zumindest in nicht unerheblichen Teilen eine starke Vergrößerung; es wechselt von jener Mikro-Fahrweise in eine hier als Makro-Modus bezeichnete Gestalt, die durchaus wieder stark auf ›Adrenalin-Erlebnisse‹ orientiert. Da das Vorliegende aber davon ausgeht, dass diese Vergrößerung der Bewegungen des Street Skateboarding mit dem Aufkommen des im folgenden Abschnitt so genannten Mega-Skateboarding in Verbindung steht, wird diese Rekonfiguration im letzten Abschnitt der Analyse des Kompetenzelements der Skateboard-Praktik behandelt.
2.2.4.
›When things get gnarly‹
Noch 2002 spricht Schmidt (vgl. S. 77) – wie das Veröffentlichungsdatum seines Buches vermuten lässt, wohl mit Blick auf Street Skateboarding in den späteren 1990er Jahren – von einem »neuen Realismus des Zeigens«, der sich in derartigen Praktiken neuer Sportivität Bahn breche: »Durch ihre Nähe zur sozialen Praxis« stünden diese in »Kontrast zu den Verselbständigungstendenzen des medialen Hochleistungssports« und trügen »zur Erneuerung der Rückbezüge des Sports auf die Sozialwelt bei.« Doch kurz darauf entsteht mit dem so genannten Big-Airoder Mega-Ramp-Skateboarding eine Variante der Praktik, die allenfalls an die Sozialwelt der »Voladores« anknüpft – jener rituellen mexikanischen Früh-BungeeSpringer, die sich seit alten Tagen und noch zu Caillois’ (1982, S. 32) Zeiten »auf die Spitze eines zwanzig bis dreißig Meter hohen Mastes« begeben, um mit einem Seil an den Füßen abzuspringen und kurz über der Erde hängen zu bleiben. Die Analogie trägt noch ein Stück weiter: Wie diese Voladores benutzen die MegaSkateboarder eine berechnete Anlage, um für ein Publikum ein körperliches Extremereignis herbeizuführen – und erfüllen damit eher, was Stern (vgl. 2010, S. 67) im Gegensatz zu Schmidt über Praktiken wie Freiklettern, Snowboarding oder Gleitschirmfliegen schreibt: Dass deren Bewegungen mit dem Alltagstreiben der Menschen nämlich gerade keine Beziehung mehr hätten. Bei einem näheren Blick auf die bisher skizzierten Transformationen der Skateboard-Bewegungen erstaunt das Aufkommen des Mega-Skateboarding zunächst: Hatte sich das Skateboardfahren doch um 1990 zunächst von hohen Steilwänden und von Zweckarchitekturen überhaupt verabschiedet. Die Ent-
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stehung des Mega- oder Big-Air-Skateboarding stellt, wie in einem weiteren Vorgriff auf den dritten Hauptabschnitt der Arbeit gesagt werden kann, in der Geschichte der Praktik schon insofern eine Besonderheit dar, als dass es immer in Wettbewerbskontexten steht. Es handelt sich um eine genuine Zuschauersportart, Mega-Skateboarding ist der Höhepunkt einer für Massenpublika geplanten Vergrößerung von Skateboard-Bewegungen vertikaler Herkunft, die in den späten 1990er Jahren einsetzt und eng mit Sportspektakelevents nach Art der 1995 gestarteten X-Games des US-amerikanischen Sportfernsehnetzwerkes ESPN zusammenhängt. Die X-Games und ähnliche Formate wie etwa die Gravity Games des Konkurrenzsenders NBC, die zwischen 1999 und 2006 stattfinden (vgl. Beal 2013, S. XIX), wirken freilich weit über ihren naheliegenderweise eng begrenzten Teilnehmerkreis hinaus. Wenn es im Folgenden um die Fahrweise im Mega-Skateboarding geht, ist zunächst also nach den Gemeinsamkeiten und den Unterschieden des eigentlichen Mega- oder Big-Air-Skateboarding und jenes megaisierten Street-Skateboarding im Makro-Modus zu fragen, von dem bereits verschiedentlich die Rede war. Ersteres kommt außerhalb ausnehmend straff organisierter Kontexte gar nicht vor. Neben jenen Wettkampf-Spektakeln beziehungsweise dem Üben für dieselben werden derartige Riesenschanzen höchstens exklusiv im Rahmen von MarketingStunts im engsten Wortsinn errichtet, mittels derer Skateboard- bzw. dem Skateboarding nahe stehende Mode- und Schuhfirmen wie vor allem DC für sich werben, mal mit Publikum und mal unter Ausschluss jeder Öffentlichkeit nur für Videoaufnahmen. Die spektakulärste Aufführung von Mega-Skateboarding besteht wohl im Sprung des Skateboarders Danny Way über die Chinesische Mauer im Jahr 2005 (vgl. Rosenberg 2012). In beiden Fällen gehorcht Mega- oder Big-AirSkateboarding einer überaus rigiden ludisch-agonalen Formatierung: Geht es bei jenen Werbe-Stunts meist um »Weltrekorde« – z.B. für den weitesten Sprung auf einem Skateboard (vgl. Rosenberg 2012, 00:05:10) – werden Big-Air-Performances etwa im Rahmen der X-Games mithilfe spezieller Bewertungssoftware vermessen, die neben der Schwierigkeit auch die Höhe der beiden Flüge auf einem solchen Mega-Skateboarding-Arrangement zur Berechnung der Punktzahl für einen Lauf heranzieht. Selbst gegenüber den Halfpipe-Contests der späten 1980er Jahre ist dies ein signifikanter Schritt in Richtung Objektivierung: Auch seinerzeit wird zwar die Höhe von Airs berücksichtigt, allerdings meist per Augenmaß geschätzt – kniehoch, hüfthoch, kopfhoch, sehr hoch. Mit dem Mega-Skateboarding kehrt dagegen das klassische Institut des Rekords in die Praktik zurück. Zugleich sind die Bewegungen dieser Skateboard-Voladores natürlich von Ilinx geprägt – Caillois benutzt jene mexikanischen Turmspringer in seinem Modell, um das Spiel des Köperrausches zu illustrieren. Das überragende Charakteristikum dieser Bewegungen ist aber das Aleatorische: Können etwa Caillois’ Voladores nur dann verunglücken, wenn das Tau nicht hält oder seine Länge falsch berechnet ist, liegt das Risiko beim Mega-Skaten noch immer im eigenen Körper.
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Jedes Wackeln in der Anfahrt, das kleinste Missverhältnis des Körperschwerpunkts und jedes Verpushen – im Jargon des vertikalen Skateboarding bezeichnet das Verb jegliche Inkongruenzen zwischen der Schwungbewegung und der Rundung der Wand, also im Verhältnis zu dieser entweder zu früh oder zu spät eingeleitete Gewichtsverlagerungen – kann gravierende Konsequenzen nach sich ziehen. MegaSkateboarding ist Extremsport, indem es eine absolute Grenze überschreitet: Es produziert Geschwindigkeiten, Katapulteffekte und Rotationsimpulse am fliegenden sowie Druckverhältnisse und Kompressionsmomente am anfahrenden bzw. landenden Körper, die von der Physis selbst bestens eingestellter Vollzugskörper nicht mehr vollständig zu kontrollieren sind; auch das Bailen ist unter diesen Bedingungen, anders als noch in der Spätphase des vertikalen Skateboarding, nicht mehr grundsätzlich gefahrlos. Mega-Skateboarding ist in diesem Sinn ein Ordal, freilich nicht mehr, wie im Fall von Le Bretons U-Bahn-Surfing, ein »individuelles Rechtsmittel«, sondern ein akribisch geregeltes, berechnetes und kommodifiziertes Massenereignis. Die spektakulären Bewegungen des Mega-Skateboarding zielen auf Thrill statt Stil – nicht einmal primär auf den Thrill oder Kick im praktizierenden, sondern vordringlich im zuschauenden Körper. So konstituiert sich Skateboarding als ein Gladiatorentum, das zur Unterhaltung anderer den Körper buchstäblich aufs Spiel setzt. Deshalb ist Mega-Skateboarding in den Skateboard-Szenen selbst umstritten. Für Aufsehen sorgt etwa ein Unfall bei den X-Games 2007, als der australische Skateboarder Jake Brown nach einer leicht verzogenen Landung des ersten, raumgreifenden Fluges beim Ansetzen des zweiten in Rücklage gerät, hoch über die Steilwand hinausschießt, aber viel zu weit nach innen getragen wird und als Konsequenz dessen 45 Fuß in die Tiefe stürzt. Brown, ein nur 1,60 Meter messender, leichter und sehniger Mann, bleibt minutenlang liegen, kann dann aber die Rampe erstaunlicherweise auf eigenen Füßen verlassen (vgl. Higgins 2007). Dennoch löst dieser Slam in der Skateboard-Kultur heftige Diskussionen aus. Shaun White, mehrfacher Olympiasieger im Halfpipe-Snowboarding und X-Games-Gewinner im Halfpipe-Skateboarding, kündigt danach an, an solchen Mega-Skateboarding-Konkurrenzen nicht teilnehmen zu wollen (vgl. ebd). Zumindest in Teilen der Skateboard-Teilnehmerschaft gilt Mega-Skateboarding, um ein letztes Mal die mehrfach zitierten Kommentatoren von Jenkem zu Wort kommen zu lassen, als inakzeptabel, weil ›unauthentisch‹: Das Mega-Fliegen sei dermaßen »gnarly«, so Kerr und Miller, »[…] that I don’t even think it can rightly be called skateboarding – it’s stuntboarding to the extreme, and would rightly draw a huge audience waiting to see […] people falling so hard their shoes fly off«. Eine solche Aktivität sei »not made for everyday humans like you and me. No, this is a sport best left to Olympian gods« (Kerr/Miller 2015).
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Wohlgemerkt hat sich das IOC bei seiner Disziplinenwahl für die Olympischen Sommerspiele in Tokio 2020 gegen Mega-Skateboarding entschieden; soweit sich über die Medien verfolgen ließ, stand dessen Aufnahme auch nie zur Debatte. Ein Grund dafür dürfte gewesen sein, dass Skateboarding bei den Sommerspielen von Tokio 2020 geschlechtlich ausgewogen präsentiert werden soll: 40 Frauen und 40 Männer werden nach jetzigem Stand in den Disziplinen Street Skateboarding und Park Skateboarding, also dem Befahren eines an Straßenmobiliar orientierten Parcours bzw. einer Landschaft aus Elementen von Pools und Bowls, um Gold konkurrieren (vgl. Schäfer 2016) – und da die X- wie die Gravity Games Mega-Skateboarding für Frauen nie angeboten haben, hätten sich wohl gar nicht genug Teilnehmerinnen für eine Big-Air-Konkurrenz finden lassen. Die Teilnehmerschaft des Mega-Skateboarding ist nicht nur sehr eng begrenzt, sondern wird üblicherweise von der jeweiligen Event-Organisation ausgewählt. Schon aus diesem Grund erübrigt sich eine Diskussion der vergeschlechtlichenden, schichtenbezogenen und ethnisierenden Impulse und Affinitäten dieser Gestalt der Praktik weitgehend – wenn es auch auffällt, dass weit überwiegend weiße Männer am Mega-Skateboarding teilnehmen, während etwa die Street League Skateboarding in jüngsten Jahren sehr eindrucksvoll von dem Afroamerikaner Nyjah Huston dominiert wird und ein sehr multikulturelles Starterfeld aufweist. Die seit 2010 ausgetragene, mit Preisgeldern in Millionenhöhe verbundene und ebenfalls im US-amerikanischen Sportfernsehen ausgestrahlte Street League Skateboarding ist – neben den sogenannten Street-Skateboarding-Konkurrenzen der XGames sowie der sogenannten Dew-Tour und einer Reihe ähnlicher Formate – das heute treibende Format der Sportifizierung von Skateboarding; an ihrem Vorbild werden sich auch im Jahr 2020 die Olympischen Sommerspiele von Tokio in ihrer Aufführung der Praktik orientieren. Befahren werden dabei HindernisParcours, die dem Straßenterrain nachempfunden sind. Schon diese Formate haben eine erhebliche Ausstrahlung auf die Teilnehmer/-innen des nicht organisierten und nicht wettkampfförmigen Skateboarding. Dies freilich weniger im Sinne einer Vergrößerung von Bewegungen: In diesen Formaten werden wie beim Mega-Skateboarding auf Big-Air-Rampen Bewertungsprogramme wie etwa »Instant Scoring Experience« (ISX) eingesetzt, die jedem Manöver in Echtzeit eine Punktzahl zuordnen; die Bestnote ist wie lange Zeit beim Turnen eine Zehn. Dies fördert während dieser Events Taktiken, die der Skateboard-Praktik lange fremd waren: Fahrer/-innen können je nach Spielstand »kalkulieren, ob sie einen einfachen, aber sicheren Trick machen wollen […] oder einen riskanten, aber hochdotierten« (Schweer 2014, S. 118). Dergestalt akzeptieren die Teilnehmer/-innen solcher Wettkämpfe obskure Parameter von EDV-Programmen als Maßstab eines guten Skateboarding und verleiben sich diese ludisch-agonale Bewegungslogik praktisch ein. Und dass sich solche Maßstäbe einer objektiven Hierarchisierung von Skateboardbewegungen zumindest in Ansätzen auch auf Skateboarder/-innen übertra-
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gen, die diese Contests nur als Publikum verfolgen, darf wohl angenommen werden. Gewichtiger als diese Tendenzen einer objektivierenden Sportifizierung sind im Skateboarding nach dem Jahr 2000 aber jene angesprochenen allgemeinen Vergrößerungstendenzen, die sich zumindest mittelbar mit den Big-Air-Praktiken etwa der X-Games in Verbindung bringen lassen. In die Logik des Makro-StreetSkateboarding gibt der erwähnte Street-League-Seriensieger Nyjah Huston in einem 2012 erschienen Interview mit dem Transworld Skateboarding Magazine einen Einblick. Nachdem es ihm – nach, wie er einräumt, einem sehr harten Sturz – gelungen sei, das Geländer einer 24-Stufen-Treppe per Smith Grind zu bezwingen, sei er nun auf der Suche nach neuen Herausforderungen. »What’s too big? When would you max out?«, fragt ihn daraufhin der Interviewer. Und Huston antwortet: »Dude, I don’t know. I’d love to get into the 30s, because I can’t really think of anyone that’s done a proper 30-stair steep rail. I know there’s been mellow ones but I want to do a proper 30-stair rail. It’d be sick. I’ve got this one 34 that I wanna go try« – »You’d be cooking at the bottom of that thing.« – »Yeah, dude, that’d be gnarly« (Duffel 2012, S. 107f). Ob Huston dieses 34-Stufen-Geländer inzwischen tatsächlich bewältigt hat, entzieht sich nach einer mit vertretbarem Aufwand betriebenen Recherche der Kenntnis des Autors, unwahrscheinlich ist es freilich nicht. Für die hier vorgenommene Analyse der Fahrweise dieses megaisierten Street Skateboarding relevant sind aber in jedem Fall die Motivlagen, die in seiner Antwort mitschwingen: Huston sucht nicht etwa ein »sanftes« 30-Stufen-Geländer, bei dem die körpertechnische Herausforderung eher auf Balancekompetenzen abzielen würde, weil die per Grind zu überwindende Strecke dann sehr lang und es bei entsprechend geringerer Geschwindigkeit schwieriger wäre, das Gleichgehwicht zu halten; ein sanftes Geländer wäre auch weit weniger gefährlich. Er will sich am Geländer eines »steilen« und daher »richtigen« Treppenabsatzes beweisen, weil nur das wirklich »gnarly« sei – und weil es vor ihm noch niemand geschafft habe. Wenige Seiten weiter in derselben Ausgabe des Magazins findet sich eine Bildserie über die damals jüngste Großtat des Skateboarders Aaron Homoki, der eine 20-Stufen-Treppe per Kickflip Melon12 hinunterspringt. »When things get this gnarly and your jaw hits the floor, it’s best to leave word to the pros«, heißt es im Text zu den Fotos (Muller/Callahan 2012, S. 112). Anders als im Fall von Hustons Vorhaben eines 34-Stufen-Geländer-Grinds ist Homoki nicht der erste, der diese Treppe springt. Im Gegenteil ist diese an einer kalifornischen Schule befindliche Treppe 12
Gemeint ist ein Ollie mit Drehbewegung des Brettes um seine Längsachse, bei dem nach dieser Drehung das Brett in einem speziellen griff mit der Hand ›gefangen‹ und während der Flugphase festgehalten wird.
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als El Toro 20 ein Begriff in der Szene und häufig in Skateboardmedien abgebildet. Man kann aber davon ausgehen, dass Homoki auf diesem Bild der zu diesem Zeitpunkt erste ist, der dokumentieren kann, gerade dieses, schon auf flacherem Untergrund »notorisch schwierige« (ebd.) Manöver genau an dieser steilen und weiten Treppe vollführt zu haben, denn sonst wäre die Bildstrecke nicht gedruckt worden. Und seither wurden, wie sich ohne Überprüfung mit einiger Sicherheit behaupten lässt, zumindest in Skateboardmedien, die etwas auf sich halten, auch keine Bilder anderer Skateboarder/-innen mehr veröffentlicht, die einen Kickflip Melon an den El Toro 20 zeigen: Denn dies wäre abd – already been done – und in dem Bereich der Praktik, der sich als Makro-Street-Skateboarding bezeichnen lässt, zutiefst verpönt. Diese Fahrweise, die sich aufgrund des diesbezüglich inflationären Gebrauchs jenes mit »krass und beängstigend« oder ähnlich zu übersetzenden Slang-Wortes als Gnarly Street Skateboarding charakterisieren lässt, ist sogar noch aleatorischer als diejenige der Mega-Skateboarder im engen Sinn: Während sich diese aufgrund ihrer berechneten Anlage sicher sein können, dass ihr Schwung zur Überwindung jener Lücke zwischen Schanzentisch und Aufsprunghügel ausreicht und sie selbst nur die Kanalisierung dieses Schwungs zu bewerkstelligen haben, müssen jene vor dem Absprung jeweils selbst abschätzen, ob sie schnell genug fahren, um nicht in die Treppe zu stürzen. Diese Abwägung bleibt gerade dann, wenn das versuchte Manöver tatsächlich in erwünschter Weise nbd ist – never been done – eine Herausforderung. Diese Praktik des permanenten Übertrumpfens seiner selbst und anderer ist zutiefst agonal, steht doch in der Zahl der Stufen ein mehr oder minder objektiver Maßstab des Vergleiches zur Verfügung. Dieses vergrößerte Street Skateboarding ist aber auch ludisch, indem diese nbd-Manöver wie die Signature Tricks im späteren vertikalen Skateboarding keineswegs aus spontanen Impulsen einer dynamischen Session erwachsen, sondern von langer Hand geplant und auch akribisch vorbereitet werden. Im Unterschied vielleicht zum Stabhochsprung spielen bei diesen Rekordversuchen in Sachen Street Skateboarding freilich weiterhin auch spezifische ästhetische Horizonte eine große Rolle. Nicht selten sind derartige Exkursionen regelrechte Foto-Operationen, die von Anfang an auf Kameras zugeschnitten sind – wobei nicht nur das Manöver, sondern auch das Umfeld aufwändig bildlich inszeniert wird. Ob im Mega-Skateboarding auf Big-Air-Schanzen, ob in den Sportarenen der Street League Skateboarding oder in diesem megaisierten Street Skateboarding, das um den höchsten Treppensprung konkurriert: Nach der Jahrtausendwende bilden sich neue Nuancen von Skateboardkörpern heraus, die sich vom Artist des entstehenden Mikro-Street-Skateboarding der frühen 1990er Jahre abheben. Mal indifferent, mal eher ironisch und zuweilen sehr polemisch wird in den Szenemedien in diesem Zusammenhang häufig der Ausdruck Athlete verwendet. Schon um 2003 ist diese Bezeichnung so verbreitet, dass etwa das Australian Skateboarding Magazi-
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Ob das Springen dieses »Gaps« am Kölner Großmarkt bereits als »megaisiertes« oder »Makro-Street-Skateboarding« zu bezeichnen ist oder noch nicht, mag dahingestellt sein. Jedenfalls vergrößern sich die Bewegungen des Street Style in den späteren 1990er Jahren erheblich. Foto: Helge Tscharn
ne (ASM) schreibt, es sei »our duty to turn back the clocks and abolish the words ›extreme‹ and ›athlete‹ from the skateboarding vocabulary« (zit.n. Lombard 2010, S. 477). Gezielt oder unfreiwillig wird in dieser Wortwahl deutlich, dass sich zumindest diese Form der Praktik samt ihrer Vollzugskörper mit einer erheblichen Dynamik in Richtung dessen bewegen, was die meisten Skateboarder-/innen verbal traditionell von sich weisen: Sport – in verschiedenen Schattierungen.
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Befragt man nun diese athletischen Körper der Praktik nach ihrer sozialen Identität, ergibt sich besonders hinsichtlich der Vergeschlechtlichung ein widersprüchliches Bild. Die Tendenz zur Gnarliness, die nicht nur jenes Big-Air, sondern auch die Makro-Fahrweise des Street Skateboarding prägt und hervorbringt, ist nach Atencio, Beal und Wilson (2009, S. 17) für Mädchen und Frauen eine »particularly problematic endeavour«, weil ausnehmend deutlich von »male power« strukturiert. Diesen risikobetonten Formen von Street Skateboarding wohne eine Privilegierung »of masculine habitus according to the distinction and operation of risk« (ebd., S. 9) inne. Ihre Feldforschungen im kalifornischen Street Skateboarding zeigten, dass »[…] the embodiment of risk-taking dispositions worked as the primary social mechanism through which gendered skaters became positioned as either legitimate or inauthentic« (Atencio et al. 2009, S. 10). »By aligning themselves with the dominant logic of risk«, schreiben Atencio, Beal und Wilson (2009, S. 11) weiter, trügen einige Skateboarderinnen zu ihrer »subjugation« noch selbst bei: »Two of them went so far as to say that they respected men skaters because they would often take more risks in comparison to women« (ebd., S. 12). Es wurde umgekehrt freilich auch darauf hingewiesen, dass unter Umständen gerade die Maskulinität dieser jugendlichen Risikokultur Mädchen und jungen Frauen eine Handhabe gebe, sich von jüngst wieder im Aufschwung befindlichen Sozialnormen einer »emphasized feminity« praktisch zu distanzieren: »Skater girls willingly accepted the risks involved in skateboarding as a way of setting them apart from emphasized feminity. […] The hard work that these girls put into skateboarding gave them bragging rights, endless amounts of fun, and a feeling of pride at being able to enter the male-dominated skater world. To the girls we spoke with, such pleasure was well worth the work« (Kelly et al. 2005, S. 118f). Wiewohl sie nicht sehr konkret auf körperliche Bewegungen eingehen, wählen Atencio, Beal und Wilson in ihrer Analyse des »street habitus« einen ähnlichen Fokus wie die vorliegende Untersuchung. Nach der hier getroffenen Unterscheidung zwischen einem körper-technizistischen und kleinteiligen Mikro-StreetSkateboarding der früheren 1990er Jahre und einem vergrößerten Makro-StreetSkateboarding, das seinen Aufstieg spätestens ab der Jahrtausendwende unter dem Einfluss des Aufkommens neuer, spektakulärer Massenmedienformate von Skateboarding nimmt, wäre diese Form eines Skateboard-Habitus, der kulturelles Kapital so unmittelbar und exklusiv an Waghalsigkeit bindet, indes konkreter als Habitus eines vergrößerten Makro-Street-Skateboarding, als Mega-Habitus oder megaisierter Street Habitus zu klassifizieren. Dieser nach der Jahrtausendwende zunehmend zu beobachtende StraßenHabitus des risikobetonten Street Skateboarding ist laut Atencio et al. (2009,
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S. 10) unübersehbar mit »notions of an urban underclass« verbunden – angezeigt freilich von den Körpern junger Männer, die selbst meist nicht der Unterschicht entstammten. Das entspricht Befunden, die eine Reihe anderer lokaler Untersuchungen nach 2000 ausweisen oder behaupten (vgl. Woolley/Jones 2001; Donnelly 2008b; Vivoni 2009). Ein anderes Bild ergibt indes Yochims Untersuchung der Skateboard-Szene in Ann Arbor und im US-Bundesstaat Michigan: »Several« der von ihr beobachteten und befragten Skateboarder/-innen lebten in Trailer Parks (vgl. Yochim 2010, S. 20). Interessant sind Yochims leider nur kursorische Beobachtungen zur Rolle von Klassenzugehörigkeit bei der Produktion jener im risikobetonten, vergrößerten Street Skateboarding wieder stark hervortretenden stilisierten Protestmännlichkeit in zweierlei Hinsicht. Erstens spricht es für die schichtenbezogene Inklusivität dieser Form von verkörperter Skateboard-Haltung, dass Yochim die Unterklassigkeit eines beträchtlichen Teils ihrer Untersuchungsgruppe nach eigenen Worten zunächst »invisible« blieb (ebd., S. 20). Offenbar verwischen sich also die ansonsten stark hervortretenden habituellen Differenzen zwischen Mittel- und Unterschichtkindern zusehends, wenn beide Gruppen ihre Körper auf Skateboards zu ›Härte in Eleganz‹ erziehen. Und zweitens gibt Yochim immerhin einen Hinweis darauf, dass diese »notions of an urban underclass« auf Jugendliche und junge Erwachsene mit eher bürgerlichem Hintergrund bei dauerhafter physio-psychischer Einübung durchaus Effekte eines – wenn auch nicht so empfundenen – habituellen Abstiegs durch Skateboardfahren haben können: Ein anderer Teil ihrer Untersuchungsgruppe stammt zwar aus Mittelklassefamilen; diese jungen Männer zwischen 20 und 30 Jahren hätten sich aber davon entfernt und lebten nun »on their own working class incomes«; womöglich reichte ihnen die Anerkennung in ihrer Szene und sie konzentrierten ihre ›Selbstverwirklichung‹ konsequent auf das Skateboardfahren. Solche intensiv körperlich vollzogenen Routinen von Klassenmaskerade sind demnach nicht nur ein folgenloses Schauspiel. Ein tief eingeschliffener Skateboard-Straßen-Habitus kann durchaus ein Vergessen bestimmter Features von kulturellem Kapital bewirken oder auf biografische Wege führen, auf denen klassenherkunftsbezogene Kompetenzen des Geschmacks und Verhaltens nicht mehr so leicht wirksam zu machen sind. Auch hierin zeigt sich der Körper als produktives Medium, das den Habitus irritieren und verändern kann. Eingeschliffen wird diese stilisierte Unterklassigkeit nicht nur durch Skateboardbewegungen, sondern etwa auch durch Essgewohnheiten, die in SkateboardMedien erstaunlich oft thematisiert werden. Auch wenn es in der Szene inzwischen Vegetarier/-innen und Veganer/-innen gibt, sind diese kulinarischen Vorlieben im Allgemeinen ausgesprochen unterklassig. Diesbezüglich typisch ist über weite Strecken der Geschichte der Praktik wohl eine 1997 im SkateBoarder veröffentlichte Umfrage unter bekannten Aktiven, die nicht zuletzt auf Ernährung abstellt. Auf die Frage »what have you eaten today« fallen Antworten wie »smoothie, turkey
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sandwchich« (Chad Muska), »pancakes, […] late night burgers« (Kareem Campbell), »Kingfoot turkey sandwich with avocado« (Drake Jones), Vitamintabletten nebst »Subway footlong roasted chicken breast, and some candy. That’s pretty good for me ›cause I never eat really« (Kenny Hughes) oder – bei Marc Johnson – gleich »Coca-Cola, baby« (N.N. 1997, S. 64-68). Zusammenfassend lässt sich bis hierhin sagen, dass die massive Kommerzialisierung der Praktik nach der Jahrtausendwende einerseits eine pointiert maskuline Vergeschlechtlichung nach sich zieht, indem von neuen massenmedialen Formaten wie den X-Games eine unübersehbare Vergrößerung der Skateboardbewegungen ausgeht, die einen wieder stark risikobezogenen Skateboard-Habitus nach sich zieht. Andererseits aber wirkt dieselbe Kommerzialisierung dieser Tendenz auch entgegen, indem gerade große kommerzielle Einheiten – schon zum Zweck der Markterweiterung, teils aber auch auf Druck aus der Teilnehmerschaft – weibliche Beteiligung gezielt zu fördern bemüht sind. So veranstalten die X-Games wie die Street League Skateboarding heute stets auch Frauenkonkurrenzen. Und schließlich darf nicht übersehen werden, dass sich unterhalb der Ebene eines wie stark auch immer vergrößerten Skateboarding stets weite Bereiche der Praktik erhalten, die von solchen Tendenzen eines Gnarly Skateboarding weniger berührt sind. Atencio et al. (2009, S. 9) verweisen ganz richtig darauf, dass weiterhin »›multiple and competing‹ […] versions of skateboarding« bestehen. Wer eine Skateboardkarriere anstrebt, kann sich der Logik des Going Big kaum entziehen; wer indes nur Spaß haben und als Mitglied einer Szene anerkannt sein will, ist bis heute keineswegs gezwungen, 20-Stufen-Ollies zu versuchen. So besteht am vom Autor während des Abfassens dieser Arbeit bevorzugten Skateboard-Spot – einer Anlage am Rand des Berliner Volksparks Hasenheide – in Gestalt einer rund zwei Meter hohen ›Riesentreppe‹ mit zwei sehr breiten und hohen Stufen zwar die Möglichkeit zu riskanten Makro-Manövern. Doch in den vergangenen zweieinhalb Jahren wurde er kaum Zeuge von solchen Versuchen. Weit überwiegend bespielen die Skateboarder/-innen auf ›der Heide‹ ein Sammelsurium maximal kniehoher Zementelemente (Curbs) mit verschiedenen Grind- und Slide-Manövern. Gefragt sind hier weiterhin eher kleinteilige Techniken; die überwiegend beobachtbare Fahrweise erinnert nicht selten an die früheren 1990er Jahre. Im alltäglichen Treiben an solchen Orten ist wenig zu spüren von der jener Logik des permanenten Übertrumpfens unter dem Regime des Never Been Done. Hier herrscht weiterhin ein kooperativer Spirit vor: Oft ergeben sich etwa spontane, informelle ›Übungsgruppen‹ auf verschiedensten Könnensniveaus. Jemand versucht ein Manöver, andere schließen sich an, Fortschritt und Gelingen werden durch Gesten von Unterstützung und Beifall honoriert: Das Agonale artikuliert sich hier als gemeinsamer Kampf um einen Trick. Nicht zuletzt bildet sich gerade in jüngeren Jahren ein breiter Bereich von Skateboard-Praktiken heraus, die mit den hier beschriebenen Körpertechniken nur
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wenig zu tun haben. Auf kleinen Penny-, wendigen Slalom- oder gar schlanken Freestyle-Boards in der Art der 1980er Jahre, die jüngst ein erstaunliches Comeback erleben, zieht eine ungekannte Diversität in die Praktik ein. Gerade in diesen Bereichen scheint die Teilnehmerschaft in jüngeren Jahren stark zu wachsen – und innerhalb derselben nicht nur der Anteil der Mädchen und Frauen, sondern auch der inzwischen Älteren, die zwar die Freude an der rollenden Bewegung kultivieren, sich aber nicht einem Regime von Gnarliness unterwerfen wollen. Am deutlichsten wird diese Tendenz im Longboarding, mit dem dieser Überblick über die Bewegungsmuster und Fahrweisen des Skateboarding schließt. Interessant ist Longboarding nicht nur, weil diese Bretter in den Innenstädten derzeit fast häufiger sind als herkömmliche Skateboards – sondern auch, weil Longboards aus bestimmten Teilen der Szenen Feindseligkeit entgegenschlägt. »Longboards sind Wrongboards«, überschreibt unlängst die Wochenzeitung Jungle World einen offenbar von einem Skateboarder verfassten Artikel, der diese Polemiken in geballter Form wiedergibt (vgl. Taylor 2015). Longboarder/-innen, insinuiert der Text, seien Poser, also unauthentische Skateboarder/-innen. Es handle sich um Trendsurfer/-innen, die versuchten, am Style und am Cool von Skateboarding zu partizipieren, ohne sich den Mühen und Gefahren der Praktik auszusetzen. Kaum etwas, heißt es im Text, »irritiert echte Skateboarder mehr, als mit Longboardern in einer Kategorie gruppiert zu werden«, sei doch das Longboard »objektiv regressiv«, indem es der »progressiven Evolution« des Skateboards den Rücken kehre. In einer pseudotheoretischen Wendung heißt es, das Longboard erweise sich als »der Heidegger der Skateboard-Welt« und werde als Fashion-Accessoire überhaupt eher getragen als gefahren. Solche Polemiken ähneln auffallend denjenigen, die Atencio et al. (2009, S. 10) gegenüber weiblicher Beteiligung registrieren: »[…] they would rarely attempt difficult tricks and would only ›putt around on the board‹ […]«. Tatsächlich sind auf Longboards die meisten zeitgenössischen Skateboardmanöver nicht möglich – wegen ihrer Länge, ihres Gewichts, der breiten Achsen und vor allem wegen des Fehlens eines Kicktails, was das Ollie-Manöver vereitelt. Insofern zwingt das Longboard seine Fahrer/-innen geradezu zu einem alternativen Skateboarding. Das Artefakt nimmt nicht nur die Möglichkeit, etwa zehn Treppen zu springen, es entlässt auch aus der unausgesprochenen Pflicht, derlei zu versuchen. Longboards können zwar – was ausweislich des anschwellenden einschlägigen Videooutputs im Internet jüngst auch zuzunehmen scheint – für Downhillfahrten auf Bergstraßen benutzt werden, die an jene Praktiken von »Extremski« erinnern, auf die etwa Le Breton (vgl. 1995, S. 22) bei seinen Überlegungen zum Ordal zu sprechen kommt. Im städtischen Gebrauch dienen Longboards auch als Verkehrsmittel, wozu sie aufgrund ihrer weichen Rollen und ihrer hohen Laufstabilität gut geeignet sind. Auch eher gesundheitssportliche und völlig neue Varianten wie ein Skateboardwandern könnten in kommenden Jahren mehr Verbreitung finden.
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Im urbanen Freizeitgebrauch aber spult Longboarding zwar drei Jahrzehnte der Manövergeschichte des Skateboardfahrens zurück, behält aber den Spirit dieser Jahrzehnte bei: eine grundlegende Orientierung auf die Ästhetisierung von Bewegungen. Aktuell entstehende Longboard-Fahrweisen aktualisieren Körpertechniken aus einer Zeit, in der Skateboarding noch schwerlich als Stilkultur zu beschreiben ist, scheinen aber darauf abzuzielen, gerade diese Körpertechniken nun doch noch zu stilisieren. Genau auf diesen Punkt zielen authentizistische Polemiken wie der zitierte Text der Jungle World: Longboards gebieten, das Skateboardfahren körpertechnisch wie ästhetisch noch einmal neu zu erfinden – ausgehend von einem Punkt in seiner Geschichte, der vor seiner körperlich-mentalen Subkulturalisierung und Maskulinisierung liegt. Dies ist ein Hintergrund dessen, dass das Longboard für viele Mädchen und Frauen augenscheinlich das Skateboard der Wahl ist.
2.3.
Skateboarding und das Sportfeld
Wie lässt sich nun diese kleine Geschichte der Skateboardmanöver in den Raum der Sportarten eintragen? Welcher Art sind die »systematischen Transformationen«, die sich dort laut Bourdieu (1992, S. 195f) ergeben, wenn sich neue Praktiken festsetzen? Zunächst soll kurz aufgezeigt werden, dass und inwiefern die beschriebenen Körpertechniken des Skateboarding im Lauf der Jahrzehnte verschiedene weitere sportive Praktiken oder Sportarten begründen – oder doch zumindest von bereits existierenden neue Versionen entstehen lassen. Um zu umreißen, wie bedeutend diese vom Skateboarding eingeführten Körpertechniken jeweils sind, wird dabei auch versucht, einen zumindest rudimentären Überblick über die zahlenmäßige Relevanz der Skateboard-Praktik in ihrer jeweiligen historischen Gestalt zu geben – ein zugegeben allerdings recht schwieriges Unterfangen mit nur begrenzter Aussagenkraft. Verlässliche Zahlen ließen sich womöglich durch recht aufwändige Recherchen etwa in Verkaufsstatistiken des Sporthandels ermitteln, doch macht sich das Vorliegende dies ausdrücklich nicht zur Aufgabe. So ist die Arbeit auf verstreute, teils widersprüchliche und kaum belegte Angaben angewiesen, die mit Vorsicht zu behandeln sind und wenig mehr als vage Tendenzaussagen ermöglichen. In einem zweiten Schritt soll ermessen werden, inwieweit und wie genau die Bewegungsmuster und Fahrweisen der Praktik innerhalb des Sportfeldes einen neuen Modus etablieren, der sich als eine »Pop-Werdung« des Sporttreibens und der Subjekte sportlicher oder sportiver Praktiken fassen lässt (vgl. Schäfer/Alkemeyer 2018). Abschließend und ausblickend wird die Überlegung angestellt, inwiefern sich durch das Auftreten dieses so hochgradig wie spezifisch ästhetisierten Pop-Sports nicht nur die Gestalt anderer Sportpraktiken modifiziert, sondern sich das Sportfeld insgesamt in neue Nachbarschaften begibt.
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In welcher Beziehung stehen also wann die Körpertechniken des Skateboarding zu seinen Nachbarinnen im Raum des Sports? Hinsichtlich der Körpertechniken des Slalom- und Figurenskatens der langen 1960er Jahre konnte herausgearbeitet werden, dass sich diese – verbreiteten Legenden zum Trotz – keineswegs nur aus dem Wellenreiten speisen. Insbesondere hinsichtlich seiner versportlichten Version der mittleren 1970er Jahre lässt sich eine erhebliche Bandbreite an Quellpraktiken identifizieren: Neben dem Surfen, dessen Stellenwert bei der Entstehung des Skateboardfahrens jedoch häufig überschätzt wird, waren dies das alpine Skifahren, das Eis- und Rollschuhlaufen, aber auch das Turnen und in gewissem Sinn sogar die Leichathletik. Skateboarding ist in dieser Zeit zunächst eine zwar neue, aber mehr oder minder traditionell orientierte Praktik des Freizeitsports, die besonders in der ersten Hälfte und um die Mitte der 1970er Jahre mit sogar erheblicher Dynamik in Richtung Wettkampfsport tendiert. Über das Ausmaß dieses in zwei Wellen von Popularität und Beteiligung verlaufenden ersten Skateboardbooms kursieren geradezu fantastische Angaben. So sollen allein zwischen 1962 und 1967 schon rund 50 Millionen Skateboards verkauft worden sein (vgl. Krosigk 2009, S. 16) – wobei diese enorme Zahl nicht nur schlecht belegt ist, sondern zumindest teilweise damit zu erklären, dass die über Spielwarengeschäfte vertriebenen Skateboards dieser Zeit überaus preisgünstig sind, so dass z.B. bereits bei Defekten der Räder ein komplettes neues Skateboard gekauft wird und die Zahl verkaufter Skateboards beileibe nicht mit einer mutmaßlichen Zahl von Aktiven gleichzusetzen ist. Für die 1970er Jahre, als Skateboarding Westeuropa und auch Westdeutschland erreicht, kursieren freilich kaum minder kühne Annahmen: Allein für die Bundesrepublik wird in sb, einem Fachblatt für Sportund Spielanlagenbau, die Verbreitung der Praktik in näherer Zukunft auf sechs Millionen Teilnehmer/-innen geschätzt (vgl. Tietz 1978, S. 513). Worauf sich diese Schätzung stützt, ist kaum noch zu recherchieren; zu registrieren ist indes, dass die Angaben in einem Umfeld publiziert werden, das zu Übertreibungen neigen dürfte – der Autor des betreffenden Textes macht sich auch später sehr klar für den Bau von Skateboardanlagen bestimmter Hersteller stark. Festzuhalten ist dennoch, dass Skateboarding in dieser seiner Frühphase zumindest kurzzeitig eine Popularität erlebt haben dürfte, die es erst um die Mitte der 1990er Jahre wieder erreicht. Aufgrund seines andere Praktiken emulierenden Charakters und der Kurzfristigkeit dieser beiden Booms ist dennoch nicht davon auszugehen, dass die Praktik in dieser Zeit nachhaltige Wirkungen auf das Sportfeld entfaltet. Das beginnt sich mit dem Aufkommen des vertikalen Skateboarding zu ändern, das vor allem in den USA in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre eine erste Blüte erlebt und sich nach 1980 nicht nur in Westeuropa, sondern bereits auch in Japan sowie lateinamerikanischen Staaten wie Brasilien zu verbreiten beginnt. Zwar ist das Ausmaß dieser Konjunktur des Skateboarding mutmaßlich geringer: Das Grünflächen-Fachblatt Neue Landschaft weiß 1989 zwar von »ca. 18 Millionen«
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Aktiven in den USA und »ca. 2 Millionen Skateboardfahrer[n] zwischen 8 und 16 Jahren« in »England« zu berichten (Tietz 1989, S. 690) – doch sind andere Angaben vermutlich verlässlicher: Demnach gibt es auf dem Höhepunkt des vertikalen Skateboardbooms weltweit zwei bis drei Millionen Skateboarder/-innen (vgl. Seewaldt 1990, S. 21; Gunkel 1992, S. 150). Diese Welle scheint also flacher auszufallen als beide vorhergehende, sie ist hinsichtlich der Positionierung der Praktik im Sportfeld aber dennoch viel bedeutsamer: Im Steilwandskaten prägt die Praktik erstmals ein eigenes Set von Körpertechniken aus, das nun nicht mehr andere Sportarten nachahmt, sondern selbst auf Nachbarinnen des Skateboarding abzustrahlen beginnt beziehungsweise eine solche Nachbarschaft erst herstellt. So kehrt sich schon zu diesem Zeitpunkt der Bewegungstransfer zwischen dem Wellenreiten und dem Skateboardfahren um. Das Steilwandskaten entsteht zwar in Adaption von Surfbewegungen, doch reicht sein Bewegungsarsenal schnell über das Wellenreiten hinaus. Spätestens seit der Entstehung des Airs in den späteren 1970er Jahren sind es Wellenreiter/-innen, die ihrerseits neuartige Skateboardbewegungen zu adaptieren versuchen (vgl. Borden 2001, S. 38). Darüber hinaus tauchen Bewegungen aus dem vertikalen Skateboarding in gleich einer ganzen Reihe sportiver Praktiken auf (vgl. Schäfer 2015b): In Skateboard-Steilwänden oder ähnlichen Terrains versuchen sich bald, was etwas in Vergessenheit geraten ist, Rollerskater/-innen, die aufgrund der festgeschnallten Rollschuhe Air-Techniken sogar weiter entwickeln als es im Skateboarding möglich ist. So wird etwa das im vertikalen Skateboarding der ausgehenden 1980er Jahre Furore machende Manöver McTwist (oder 540) zuerst auf Rollschuhen vollführt. Umgekehrt werden im vertikalen Rollerskating Skateboard-Airs zitiert, etwa durch bestimmte Griffe an die Schuhe. Als eng mit dem Skateboardfahren verwandte, aber kurzlebige Praktik ist für die ausgehenden 1980er und frühen 1990er Jahre das Snakeboarding zu erwähnen: Auf Snakeboards sind Fahrer/-innen mit Fußschlaufen auf einer in ihrer Querachse beweglichen skateboardähnlichen Konstruktion verankert. Aber auch vom BMX-Radfahren entsteht in den 1980er Jahren eine vertikale Variante, die deutlich unter dem Einfluss von Skateboarding steht: So werden Skateboard-Liptricks wie die Grinds nachgeahmt – durch Rutschen auf den langen Rasten, die an den Naben der BMX-Räder angebracht werden, auf der Kante. Zugleich sind schon um 1980 erste Ausläufer der Praktik im Wintersport zu beobachten, als Experimente mit Snowboard-Halfpipes beginnen, auf denen bald auch Kurzskifahrer/-innen anzutreffen sind (vgl. Crane 1996). Laut Ross Rebagliati – jener erste Olympiasieger im Halfpipe-Snowboarding von 1998, der seine Goldmedaille zunächst gleich wieder abgeben sollte, weil er positiv auf Marihuana gestestet worden war – nimmt die bis heute virulente Aufspaltung von Snowboarding in einen Racing- und einen Halfpipe/Slopestyle/Big-Air-Zweig ihren Anfang um 1980: Snowboarder/-innen von der Ostküste der USA seien vom Skifahren gekom-
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men, während an der Westküste das Skateboardfahren die Referenzpraktik gewesen sei (vgl. Rebagliati 2009, S. 13). Mit den 1980er Jahren etabliert sich also, obwohl Skateboarding zu diesem Zeitpunkt eine zahlenmäßig vergleichsweise begrenzte Teilnehmerschaft aufweist, zusehends eine ganze Familie von ähnlichen Praktiken, die einen erheblichen Teil dessen umfasst, was bis heute – wenig glücklich – als Trendsport oder wohl treffender als Action Sports bezeichnet wird. Unabhängig von den notorischen Popularitätsschwankungen der Praktik verfestigt sich seither im Sportfeld eine neue Position, deren Herkunft eng mit dem Skateboardfahren verknüpft ist. So wird beispielsweise das Snowboard-Halfpipefahren schon 1998 olympisch – und das olympische Kurzskifahren in Halfpipes folgt nicht lange danach. Vielleicht ist die zentrale Stellung von Skateboarding innerhalb dieses Felds neuer sportiver Praktiken ein Grund dafür, dass Studien für das Deutschland der mittleren 1990er Jahre wiederum hohe Popularitätswerte für Skateboarding ermitteln: Nachdem – gemessen etwa am Umsatz des führenden deutschen SkateboardHändlers Titus Dittmann – noch zu Beginn der 1990er Jahre die Zahl der Skateboarder/-innen um zwei Drittel zurückgeht (vgl. Dittmann 2012, S. 222), bekennen sich schon 1996 in der Studie Jungsein in Deutschland immerhin 3,5 Prozent der Jugendlichen zur »Skateboard-Szene« (Heinzlmaier 1999, S. 23). 1998 ermittelt die Jugendmarktstudie Icon Kids & Youth unter 12 bis 17-jährigen Deutschen sogar 16 Prozent »Fans« von Skateboarding (ebd., S. 24). Diese Umfragen stehen in einem gewissen Widerspruch zu etwa der 1997 und 1998 in Nordrhein-Westfalen und Sachsen bei Über-18-Jährigen durchgeführten MAREPS-Studie: In einer Liste von über 100 Bewegungspraktiken taucht Skateboarding überhaupt nicht auf; nicht einmal das Inline-Skating steht demnach unter den 100 bei Volljährigen beliebtesten Sportpraktiken (vgl. Rütten 2002, S. 118). Tatsächlich lassen die beiden erstgenannten Studien ungewiss, wie viele dieser »Fans« des Skateboardfahrens auch selbst aktiv sind. Dem Skateboardfahren, so lassen sich die Studien aber deuten, wird eine ›überlebensgroße‹ Bedeutung zugemessen, weil diese Praktik zentral ist für eine breitere sportive Jugendkultur, die als cool gilt, auch wenn man sie persönlich nicht ausübt. In den USA rechnen die Verkaufsstatistiken der National Sporting Goods Association derweil für 1995 mit 4,5 Millionen Aktiven (Howell 2008, S. 476) – und die Zahlen wachsen zumindest dort schnell weiter. Die Schlüsselposition des Skateboarding innerhalb der Familie der Action Sports lässt sich indes nicht nur anhand solcher Umfragen vermuten, sondern auch anhand der Körpertechniken zeigen: So vollziehen diese verwandten Praktiken jene sich um 1990 vollziehende Umstellung des Skateboardfahrens von der vertikalen Manövergeneration auf Street Style nach. Hinsichtlich des Snowboarding fällt etwa auf, dass in dessen Halfpipe-Variante jene Handplant-Manöver, die auch in den Resten des vertikalen Skateboarding aus der Mode geraten, gleichfalls kaum noch zu sehen sind. Zudem entsteht sowohl im Snowboarding als
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auch im Kurzskifahren mit dem Slopestyle ein urbaner Wintersport: In Skigebieten werden Boarderparks installiert, die allerlei Boxen und Rails anbieten, auf denen sich aus dem Street Skateboarding stammende Grind- und Slide-Manöver auf Snowboards und Kurzski adaptieren lassen; auch Slopestyle ist längst olympisch. Im Snowboarding wird die Anpassung von »flatland skate moves to a snowy slope« als »jibbing« bezeichnet – und wie im Skateboarding synthetisieren konstruierte Slopestyle-Elemente zunächst gefundene Terrains: »All stumps, logs, rock ledges, fences and trees become fair game«, beobachtet zeitgenössisch der Thrasher, es sei nun »common to witness a pack of snowboarders taking hits at a long wooden railing or picnic table at a resort’s mountain lodge« (Kanights 1992, S. 55). Doch auch auf Rollerskates, die nach 1990 weitgehend von Inline-Skates abgelöst werden, werden Körpertechniken des Street Skateboarding verarbeitet. Das Inline-Skating, das in den 1990er Jahren zunächst von der dem Skateboardfahren ähnlichen Variante Aggressive Inline bestimmt ist, bevor es sich zu einer Volkslaufund Gesundheitssport-Praktik wandelt, erobert zunächst die Steilwände, bevor seine Teilnehmer/-innen beginnen, wie im Street Skateboarding Treppen zu springen oder Geländer zu sliden und zu grinden. Im BMX ist gleichfalls eine derartige Tendenz zu beobachten. Und auch im Wassersport brechen sich Körpertechniken des Street Skateboarding Bahn: Mit Wakeboarding – eine Art Wasser-Snowboarding an speziellen Rundkurs-Liften – entsteht eine weitere Skateboard-ähnliche Praktik, in der etwa das Abspringen mit dem Brett aus dem Wasser Ollie genannt wird (obwohl davon bei durch Fußschlaufen fixiertem Board eigentlich nicht die Rede sein kann). Zudem sind auch Wakeboard-Anlagen, wie sie in Deutschland seit den späteren 1990er Jahren Verbreitung finden, nicht selten mit schwimmenden Boxen oder aufgebockten Balken ausgestattet, an denen Manöver vollführt werden, die nicht nur wie die Boardslides der Street Skater/-innen aussehen, sondern auch so heißen. Mit dem Aufkommen des Mega-Skateboarding nimmt die Praktik zwar – erstmals nach Jahrzehnten – selbst wieder Körpertechniken aus anderen Praktiken auf; neben dem Snowboarding ist dabei an das Motorrad-Kunstspringen Freestyle Motocross (FMX) zu denken, das in Deutschland bei Shows wie »Night of the Jumps« aufgeführt wird. Andererseits aber treiben auch Snowboarder/-innen ihre Emulation von Skateboardbewegungen weiter, indem sie nun zunehmend die Berge verlassen und in Städten, die sich aufgrund ihrer Schneeverhältnisse und Topografie dazu eignen, Wintersport auf Stadtmobiliar vollführen – das Internet ist voll von solchen Aufnahmen. Ähnlich wird im Wellenreiten die Nachahmung von Skateboard-Manövern weiter verfeinert, indem nun nicht nur vertikale Techniken wie Airs (vgl. Higgins 2010), sondern zunehmend auch solche des Street Style adaptiert werden. 2011 schreibt etwa eine Firma für Surf- und Skateboardmode einen Preis von 10.000 US-Dollar für einen filmisch dokumentierten Kickflip auf einem Surfboard
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aus; als der entsprechende Clip von dem Surfer Zoltan Torkos eingereicht wird, verdoppelt man den Preis für einen Surfboard-Kickflip über der Lip. Auf Surfingportalen wird bereits darüber spekuliert, ob mit den sich verbreitenden Wave Pools – also Anlagen, die gleichmäßige Wellen in einem großen Becken erzeugen – nicht auch im Wellenreiten Obstacles Einzug halten könnten, also wiederum aus dem Skateboarding herrührende Elemente wie die Rails, Boxen und Schanzen, die es im Wakeboarding schon gibt (Heyden 2016). Für eine Übersetzung von Skateboard- in Surf-Manöver bietet sich offenbar die urbane Nischenform des Reitens ›stehender Wellen‹ wie etwa im Eisbach des Englischen Gartens in München an (vgl. Lob 2010). Das Inline-Skaten verwandelt sich um etwa 2000 in einen Gesundheitssport; mit dem Fahren auf Kickrollern und Waveboards entstehen aber neue Praktiken, die der Familie der skateboard-artigen Bewegungshobbies zugerechnet werden können. Dass Skateboarding eine solche Vielzahl an urbanen, aber auch winter- und sogar wassersportlichen Derivaten ausbildet und deren Körpertechniken über Jahrzehnte sozusagen fernsteuert, sorgt neben neuen Medienformaten wie den X-Games zumindest in den USA dafür, dass das Original um 2000 zum Massenphänomen gerät. 2005 zählt die National Sporting Goods Association 12 Millionen Skateboarder/-innen in den Vereinigten Staaten – der Vergleich zu knapp zehn Millionen Aktiven im American Football und 14,5 Millionen im Baseball verdeutlicht die Dimensionen (vgl. Howell 2008, S. 476). In Deutschland und Europa fallen die Zahlen hingegen weitaus geringer aus, was auch damit zu tun haben dürfte, dass diesseits des Atlantiks die X-Games weder ein Household Name noch prominent zu empfangen sind. Nach Hauts vor wenigen Jahren im ländlichen Rheinland-Pfalz sowie in Saarbrücken durchgeführter Studie sind Praktiken wie Skateboarding in Deutschland »zahlenmäßig irrelevant« (Haut 2011, S. 152), zeigten sich »nennenswerte Häufigkeiten« doch »bestenfalls für Beachvolleyball und Snowboard. Weitere, wie etwa das Skateboardfahren, Klettern oder Kinball« lägen »bei weniger als 1 Prozent der Aktiven« (ebd., S. 171). Wenige Jahre zuvor kommen Tomlinson et al. (vgl. 2005, S. 56) in einer unveröffentlichten Studie für Sports England zu ähnlichen Ergebnissen; Skateboarding rangiert hier neben Motocross, Bungee- oder Fallschirmspringen unter den marginalen Exoten. Doch zeigte der hier gegebene Überblick über die Familie der Action Sports, dass Skateboarding auch hierzulande selbst aus der Perspektive des klassischen Leistungssports nicht vernachlässigt werden sollte: Es bietet eine allgemeine Bewegungsbildung, die für mehrere olympische Disziplinen relevant ist – gerade für solche, in denen die Bundesrepublik bisher nicht gut abschneidet. Es gibt also keinen Grund, in Diskussionen über Sportförderung Skateboardanlagen gegen andere Infrastrukturen aufzurechnen. Dass Skateboarding – in den Disziplinen Street und Park, worunter man sich das Befahren jeweils spezieller Parcours vorzustellen hat – im Sommer 2016 in das Programm der Olympischen Sommerspiele von Tokio 2020 aufgenommen wurde,
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dürfte freilich weniger mit seiner so ungleich verteilten zahlenmäßigen Relevanz zu begründen sein; Sportarten wie Moderner Fünfkampf oder Skeleton machen ja deutlich, dass diese für das Spitzenevent des klassischen Wettkampfsports ohnehin nicht entscheidend ist. Weit eher dürfte es darum gehen, dass um Skateboarding aufgebaute Sport-Medienevents wie die X-Games nicht nur in den USA, sondern auch in Ländern wie Brasilien und neuerdings im asiatischen Raum eine ernsthafte Konkurrenz für die IOC-Spiele darstellen, indem sie einen neuen Spirit des Sports aufführen. Diesen versucht Olympia in den Winterspielen schon länger zu adaptieren und glaubt ihn nun offenbar auch in den Sommerspielen nicht länger links liegen lassen zu können. Hinsichtlich dieser neuen Action-Sportivität machte die Arbeit deutlich, dass Skateboarding und nicht etwa das Wellenreiten deren zentrale Praktik ist: Die noch immer zu hörende Rede, es handle sich beim Skateboardfahren um eine »veralltäglichte, urbanisierte und entnatürlichte Form des Wellenreitens«, die man in Ermangelung der »natürlichen Wellen eines Ozeans« betreibe, um »ähnliches fingiert zu erleben« (Bette 2005, S. 88), trifft nur einen kurzen historischen Moment. Tatsächlich ist das heutige Surfing weit eher ein Skateboarding auf dem Wasser als umgekehrt das Skateboardfahren ein Wellenreiten an Land. Entstanden ist dieser neue Sport-Spirit seit den 1970er Jahren in jener Amalgamierung von Pop- und Sportkultur, die 2002 Robert Schmidt bahnbrechend kartiert hat. Doch zeigt die vorliegende Arbeit, dass Schmidts (2002, S. 59) konkrete Analyse dieser Konvergenzbewegung im ausgehenden 20. Jahrhundert in der Einschätzung fehlgeht, dass innerhalb derselben »die Erschütterungen durch Punk […] nur von kurzer Dauer« gewesen seien. Denn nicht erst »mit der Entstehung von Disco« und daran angeschlossener Praktiken wie Rollerskating oder Aerobic öffnet »sich der popkulturelle Raum schließlich auch gegenüber der Sportkultur«. Der Blick auf die Körpertechniken der Action Sports zeigt vielmehr, dass die SkatePunk-Motorik der ausgehenden 1970er Jahre eine ganz zentrale Rolle in der Konstituierung jener Action Sports spielt, an denen nun auch das IOC nicht länger vorbeigehen will – wenn auch viele der in der Punk/Hardcore-Motorik entstandenen Skateboardbewegungen wie etwa der Ollie in späteren Arrangements umgeformt werden. Rekonstruieren lässt sich jener Hybride eines Pop-Sports in einer Analogie zum ›E‹ und ›U‹ im musikalischen Feld (vgl. Schäfer/Alkemeyer 2018, S. 108): Das Machen und Genießen jeder, also auch klassischer Musik, ist nicht nur eine geistigintellektuelle, sondern auch eine körperlich-sinnliche Erfahrung (vgl. Frith 1999, S. 160). Doch ist mit E-Musik ein distinktiver Gestus der Vergeistigung und Negation von Körperlichkeit verbunden. Nicht nur, aber auch und besonders die zeitgenössischen populären U-Formate der Musik von Blues bis Techno zielen demgegenüber, so Paula-Irene Villa (2004, S. 128), »auf das leibliche Erleben«, sie bezwecken die »Erzeugung größtmöglicher leiblich-affektiver Intensität«. Pop ist, anders gesagt, Musik, die in die Glieder fährt und sich dort – zumal seit dem Aufkommen
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der Musikvideos und des Musikfernsehens in den frühen 1980er Jahren – mit Codes und Bildern verbindet (vgl. Diederichsen 2014, S. 73). Eine analoge Unterscheidung lässt sich auch im Sportfeld treffen: Der E-Sport zielt auf zählbare Leistung, sein Körpererleben ist disziplinär formatiert. Seine Motorik wird naturwissenschaftlich analysiert und zerfällt in Training und ›Ernstfall‹. Der U-Sport kennt diese Trennung nicht und unterwirft sich keiner höheren formalen Instanz und objektivierter Messung. Über dem Ergebnis rangiert die Herbeiführung dessen, was Gerhard Schulze (1992, S. 736) unnachahmlich »vorübergehende psychophysische Prozesse positiver Valenz (›schöne Erlebnisse‹)« nennt. Das gilt für traditionellere Freizeitsportformate wie Wandern oder Radfahren, vor allem und spezifisch aber auch für die jüngere Familie von Praktiken, die hier in Frage steht. Denn deren oft riskante Bewegungen des Rollens, Gleitens und Springens zielen offensichtlich sehr zugespitzt auf die Intensität des körperlichen Erlebens (vgl. Alkemeyer/Schmidt 2003; Gebauer et al. 2004). Vom traditionelleren Freizeitsport heben sich diese Praktiken auch dadurch ab, dass sich in ihnen das erprobende Aufsuchen »ungewöhnlicher Erfahrungswelten« (Stern 2010, S. 270) stark auf ein Enactment spektakulärer Bilder stützt und sich, wie der gegebene Überblick deutlich macht, oft in innigen Beziehungen zu bestimmten musikalischen Stilen vollzieht. So konstituieren die Bewegungen des Pop-Sports eine geteilte soziale Motorik und einen korrespondierenden Spirit (vgl. Gebauer et al. 2004; Stern 2010), der eine Organisation in transnationalen Stilgemeinschaften befördert. Wenn also Popmusik nach Diederichsen (2014, S. 80) »genau die Musik« ist, »bei der man wissen will, wie der Sänger aussieht«, ist Pop-Sport analog dazu derjenige Sport, bei dem man wissen will, welche Musik die Praktizierenden hören. Der hier gegebene Abriss der Skateboard-Körpertechniken zeigt, dass die Praktik nicht nur die bei weitem älteste und variantenreichste, sondern auch die beispielhafte Praktik eines solchen Pop-Sports ist. Zugleich lenkt die konkrete Rekonstruktion der Dynamiken in der Abfolge ihrer Manöver-Generationen den Blick auch auf den Sport im Pop. Im Bestreben, jene neueren sportiven Praktiken vom klassischen Sportbegriff kategorisch abzusetzen, scheinen viele wissenschaftliche Arbeiten über solche Praktiken zu einer starren Typisierung zu neigen, die Praktiken wie hier das Skateboardfahren zuvörderst hinsichtlich ihrer Gegensätze zum klassischen Sport thematisiert. Aus einer Nahsicht zeigt sich demgegenüber das eigentlich Interessante an diesem Spannungsverhältnis: dass und wie sich die Praktik nämlich zwischen diesen Polen von Pop und Sport immer wieder neu mit ihren Nachbarinnen im Raum der Sportarten in Beziehung setzt, wie ihre und deren Bewegungsmuster einander permanent bearbeiten und dabei immer wieder neue Oppositionen, Synthesen und Hybriden hervorbringen, die sich als prinzipiell instabil, flüssig und wandelbar darstellen. So verwirft die Skateboard-Praktik in der Geschichte ihrer Fahrweisen zweimal ganz grundlegend die ludisch-agonale Ausrichtung des klassischen Sports –
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in der Emergenzphase des Steilwandskatens in den ausgehenden 1970er und frühen 1980er Jahren sowie mit im Aufkommen des Street Style nach 1990. Doch beide Male pendelt die Praktik auch wieder zurück: im späteren, hier als entwickelt und gezähmt charakterisierten vertikalen Skateboarding der ausgehenden 1980er Jahre und ein zweites Mal im megaisierten und versportlichten Street Skateboarding seit der Jahrtausendwende. Zweimal verwirft die Praktik also Horizonte objektivierbarer Leistung zugunsten von Orientierung an Stil, an geteilter motorischer Ästhetik, zweimal gewinnt das Zählbare in jeweils besonderen Formen nach einiger Zeit wieder an Bedeutung – und der weitere Verlauf ist offen, trotz oder wegen der olympischen Adaption der Praktik. Diese Pendelbewegung ist freilich nicht so zu verstehen, dass der der Sport-Pol konstant bliebe, während Praktiken wie das Skateboardfahren und seine Verwandten gelegentlich in Richtung Pop ›ausreißen‹ und dann doch wieder ›eingefangen‹ werden. Vielmehr verändern sich beide Seiten in diesen Prozessen von Abstoßung und Annäherung. Skateboarding lässt sich immer wieder neu auf zumindest Teile der Ordnung des Sports ein und formt sie für sich um. Doch auch der Sport eignet sich Features dieser neuen, pop-sportiven Praktiken an. Wie die jüngeren Trend- oder Action Sports einen spezifischen Gestus der Selbstästhetisierung und das Feiern der erlebten, gern improvisierten Bewegung mit neuen, formalisierten oder informellen Impulsen von Verregelung und Wettstreit amalgamieren, bezieht sich auch der Sport, bezieht sich dessen Publikum und sein Expertensystem in spürbar neuen Weisen auf den Körper und dessen Ausdruck: Wo noch in den 1970er Jahren das Grandstanding – das Agieren ad spectatores, das Kabinettstückchen für die Tribüne, mithin das Heraustreten aus der Funktion im Spiel nebst exzessivem Jubel – verpönt oder verboten ist (vgl. Guttmann 1979, S. 22), gestikuliert man nach Torerfolgen heute in der Art von Rockstars. Man schämt sich inzwischen für Rumpelfußball, selbst wenn das Ergebnis stimmt. Kreativspieler/-innen sind das Gebot der Stunde, nicht selten sind dieselben auch Modeikonen und reüssieren in Sachen Design. Gesprintet und gesprungen wird längst gern auch vor urbaner Kulisse, der Skilanglauf zieht aus den Bergen an innenstädtische Uferpromenaden. Wo einst im günstigen Fall der sachlich-fachliche Kommentar regierte und im ungünstigen der kryptonationalistische Ausfall, lässt man nunmehr Fußball-Herrenländerspiele in Rap-Tracks analysieren – und wozu einst die Gelehrten schwiegen, darüber zu philosophieren ist heute fast Pflicht. Sind jene neuen, mit den Wassern des Pop gewaschenen Sportpraktiken mit der These überschätzt, das offenkundige Aufweichen jener »Opposition von ›Athleten‹ und ›Ästheten‹«, die (vor allem männliche) Heranwachsende nicht nur im Frankreich noch der ausgehenden 1960er Jahre dazu zwingt, Farbe zu bekennen (Eribon 2016, S. 155), habe mit ihrer Ankunft im Raum der Sportarten zu tun? Die post- oder spätmoderne Subjektordnung stellt sich in einem alle Felder des Sozialen umfassenden »Prozess gesellschaftlicher Ästhetisierung« (Reckwitz 2012)
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her. Derselbe attackiert und delegitimiert ab den 1960er Jahren zunächst jenen für die ältere Ordnung der »Organisierten Moderne« bestimmenden »Code des SozioTechnischen« (Reckwitz 2010b, S. 338), der »Leistungen […] grundsätzlich gradualisiert und quantifiziert« (ebd., S. 357) und ein allgemeines »Postulat von Effizienz als Berechenbarkeit« und »Standardisierung« (S. 339) formuliert – wird aber ab den 1980er und 1990er Jahren selbst zu einem neuen Imperativ der Selbst- und Ordnungsbildung. Eine sportive und kulturelle Praktik wie das Skateboardfahren, die ihre Teilnehmer/-innen einerseits das impulsive körperliche Experiment, das Kreieren von Bewegungen und Varianten von Bewegungen, die stilistische Maskerade, das spontane Er- und Ausleben des Moments körperlich aufführen und habitualisieren lässt und all das zugleich doch immer wieder neu in herkömmliche Muster des Quantifizierens und Vermessens einordnet, scheint diesen hegemonisierenden Ästhetisierungsprozess im Sportfeld zumindest sehr prägnant anzuzeigen. Sie nimmt im Raum der Sportarten, der sich seit den 1970er Jahren zunächst dem Raum einer U-Ästhetik nähert und in jüngeren Jahren neue Affinitäten zur E-Kunst und zum E-Denken zu entdecken beginnt, zumindest die Rolle einer Türöffnerin ein. Denn Skateboarding braucht, wie sich im weiteren Verlauf der Arbeit herausstellen wird, gerade einmal 20 Jahre, um von vermüllten Ruinengrundstücken mit ausgetrockneten Schwimmbecken in die Sphären der Hochkultur vorzudringen.
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Auf sogenannten Mega-Ramps werden nach der Jahrtausendwende Körpertechniken hauptsächlich aus der Ära des vertikalen Skateboarding nach Plan extremisiert. Hier fliegt der US-amerikanische Skate-Profi Tom Schaar in Tehachapi (Kalifornien) in eine Dimension, die von der menschlichen Physis nie ganz zu beherrschen ist. Foto: Mike Blabac/Red Bull Content Pool
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Im ersten Hauptabschnitt der Arbeit war es darum gegangen, zunächst die Bewegungen der Skateboard-Praktik in einer Abfolge von vier Manövergenerationen darzustellen. Daraufhin war danach gefragt worden, inwiefern diese verschiedenen Bewegungs-Sets zugleich sinnvolle Einheiten sind, in deren Vollzug sich die Körper der Beteiligten in jeweils spezifischen Weisen bilden. Es hatte sich dabei gezeigt, dass sich der Modus sowie die Charakteristika und Zielhorizonte der Bewegungen der Frühphase der Praktik mit ihren Slalomrennen und tänzerisch-turnerischen Flachlanddarbietungen recht drastisch von jener Gestalt des Skateboardfahrens abheben, die mit hoher Geschwindigkeit in steilen Wänden experimentiert und dabei nolens volens neue Formen von Bewegung auf vier Rollen entwirft – und dass sich letztere wiederum deutlich von späteren Formen der Praktik unterscheiden lässt, nicht nur anhand der Manöver, sondern auch anhand deren Sinns. Deutlich wurde so, dass und wie verschiedene Generationen von SkateboardBewegungen verschiedene Versionen eines Skateboard-Sportsubjekts herstellen. Sie kultivieren und fordern verschiedene individuell-kollektive Eigenschaftsbündel wie etwa Disziplin oder Kreativität, Kontrolliertheit oder Risikofreude, eine kooperative oder wettkämpferisch konfrontative Haltung. Darüber hinaus ließ sich andeuten, dass diese verschiedenen Formen des Skateboardfahrens die Tendenz haben, jeweils bestimmte soziale Identitäten – Geschlechter, Schichten, Ethnizitäten – in besonderer Weise anzuziehen, zu privilegieren, zu reproduzieren oder auch abzustoßen und auszugrenzen, indem sie in deren Körper eingeschriebene Verhaltensmuster anrufen und abfragen oder Ähnlichkeiten zu Aktivitäten aufweisen, die von einer dieser sozialen Gruppen typischerweise sehr oft oder aber gar nicht ausgeübt werden. Dabei zeigte sich drittens, dass sich die Modi und Charakteristika des Skateboardfahrens innerhalb einer Manövergeneration verändern können, dass sich also der Sinn der Praktik verschieben kann, während im Grunde die gleiche Art von Bewegungen vollführt wird. Zu den Ergebnissen des ersten Abschnitts der Arbeit gehört aber auch die Erkenntnis, dass die zunächst vorgenommene Fokussierung der Kompetenzen, also der konkreten Bewegungen der Praktik, hinsichtlich all dieser Fragen zwar aufschlussreich ist, aber auch an Grenzen stößt. Immer wieder musste sich die Darstellung, um ihren Faden nicht zu verlieren, mit dem Hinweis auf Späteres behelfen – auf die räumlichen Verhaltensweisen und Verhältnisse der Praktik des
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Skateboardfahrens nämlich und auf deren Zeichengebrauch. Offenbar bedarf die Darstellung also weiterer Schichten. Im Folgenden soll nun das bisher entstandene Bild hinsichtlich der räumlichen Dimension des Skateboardfahrens ergänzt werden. Dabei geht die Arbeit im Grunde genau so vor wie schon im ersten Abschnitt: Zunächst wird ein Überblick darüber gegeben, wo, also in welchen Räumen und auf welchen Artefakten oder Flächen sich Skateboarding in welchem Abschnitt seiner Geschichte typischerweise vollzieht. In einem zweiten Schritt wird gefragt, was diese typischerweise ausgewählten Terrains mit und aus denen zu machen tendieren, die diese Räume, Artefakte und Flächen täglich aufsuchen und sich an ihnen spielend abarbeiten – in welchen Weisen also die befahrenen Terrains Einfluss nehmen auf jene Prozesse von Subjektivierung und Identifizierung, die im ersten Teil bereits anhand der Bewegungen der Praktik in den Blick genommen worden waren. Drittens und ausblickend wird dann nach dem wechselseitigen Verhältnis dieses Treibens im Raum zu jenem größeren Zusammenhang gefragt, der diese Räume, Artefakte und Flächen zur Verfügung stellt – der westlichen Stadt im ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhundert.
3.1.
Bewegungsräume und Skateboard-Terrains
Bereits im ersten Abschnitt der Arbeit war deutlich geworden, wie zentral das Räumliche in der Skateboard-Praktik ist: Die körperlichen Bewegungen des Skateboardfahrens waren ohne Verwendung eines raumbezogenen Vokabulars kaum zu beschreiben gewesen – so konnte besonders die Manövergeneration der 1980er Jahre gar nicht anders genannt werden denn Steilwand- oder vertikales Skateboarding oder kurz Vert. Auch im Fall des Mega-Skateboarding nach der Jahrtausendwende und jenes vergrößerten oder megaisierten Street Skateboarding, das in seinem Sog entsteht, hatten sich Raum-Metaphern nicht vermeiden lassen – und das Racingund Figurenskaten der langen 1960er Jahre war im Kontrast zum vertikalen gelegentlich auch als horizontales Skateboarding bezeichnet worden, auch wenn Slalomkurse zumeist und Downhillstrecken natürlich immer abschüssig sind. Im Unterschied wiederum dazu könnte man das Street Skateboarding, dessen Hauptcharakteristikum ja darin besteht, aus der Ebene auf etwas hinauf- oder über etwas hinüberspringen zu können, das mehrstöckige Skateboardfahren nennen. Was aber ist eigentlich das Horizontale am horizontalen, das Vertikale am vertikalen, das Mehrstöckige am mehrstöckigen Skateboarding und was genau beschreibt das Präfix Mega? Dies ist zu klären, bevor im Folgenden die verschiedenen Typen von horizontalen, vertikalen, mehrstöckigen und Mega-Terrains vorgestellt werden können, auf denen seit den 1960er Jahren Skateboards bewegt werden. Die Antwort fällt zunächst nicht schwer: Das Horizontale am horizontalen
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Skateboarding ist der Bewegungsraum, in dem das Bewegungsmuster des horizontalen Skateboarding entsteht und den es zugleich herstellt – und so weiter. Diese vier historischen Bewegungsräume des Skateboardfahrens sind körperzentrierte Mikro-Erlebnisräume, die Skateboarder/-innen in ihren Bewegungen aktiv und situativ hervorbringen – in Löws (2001, S. 159) Begriffen in einem Prozess des »Spacing«, der auf einer »Syntheseleistung« durch implizites, verkörpertes Bewegungswissen fußt. De Certeau (1988, S. 218) schreibt kurz und bündig: Raum sei ein »Ort, mit dem man etwas macht«. Der Sitz dieser Mikroräume ist zunächst der praktizierende Körper, denn sie sind Personen ohne Skateboard-Kompetenzen – oder Kompetenzen in den verwandten Praktiken – unsichtbar und verschlossen. Diese Bewegungsräume sind insofern distinktiv und verbindend: Sie können nur auf Skateboards oder verwandten Geräten erlebt werden, sofern die Kompetenzen der Fahrer/-innen dazu ausreichen. Die Fähigkeit, in sie vorzustoßen und sie auch wieder sicher verlassen zu können, macht in räumlicher Hinsicht die jeweilige Mitspielfähigkeit eines Körpers in der Skateboard-Praktik und die Zugehörigkeit eines Einzelnen zur Szene aus. Mit dem Ausdruck Terrain sind im Folgenden diejenigen Artefakte gemeint, die sich die Fahrer/-innen innerhalb der jeweiligen Gestalt der Praktik typischerweise aneignen, um jene Bewegungsräume zu realisieren. Diese sollen nun zunächst möglichst knapp und doch ausreichend genau vorgestellt werden. Grundsätzlich gibt es dabei zwei Typen von Terrain – erstens in der Stadt (oder anderswo) gefundene Artefakte, die die Konstitution der jeweiligen Bewegungsräume ermöglichen und zweitens Zweckartefakte, die eigens zur Realisierung solcher Bewegungsräume konstruiert werden. In der chronologischen Übersicht wird sich – mit der signifikanten Ausnahme des Mega-Skateboarding – die Tendenz abzeichnen, dass innerhalb der jeweiligen Bewegungsmuster der Praktik zunächst gefundenes Terrain vorherrscht, stets aber schnell Versuche folgen, entsprechende Zweckarchitekturen zu entwerfen. Die Darstellung wird deshalb jeweils zunächst den jeweiligen Bewegungsraum einer Gestalt der Praktik beschreiben und benennen und anschließend typische Artefakte der Realisierung.
3.1.1.
Parkplatz, Piste, Zementwelle
Worin besteht also im Sinne dieser Definition die typische mikroräumliche Hevorbringung des horizontalen, also des Racing- und Figurenskatens der 1960er und früheren 1970er Jahre? Was ist in dieser Zeit jenes zugleich distinktive und verbindende Bewegungs-Habitat der Praktik? Wo und in welcher Weise lässt sich einer horizontalen Fläche oder abschüssigen Straße in rollender Bewegung gewissermaßen eine neue räumliche Schicht hinzufügen, indem ein spezifisches Verhältnis von Körper, Brett und Terrain gefunden wird, das nur auf Skateboards (und verwandten Geräten) realisiert werden kann? Hinsichtlich der turnerischen Züge des
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Figurenskatens sowie der Hoch- und Weitsprung-Praktiken fällt es zunächst sehr schwer, sich im Sinne dieser Bestimmungen einen distinktiven Bewegungsraum vorzustellen. Denn obwohl Manöver wie etwa die Christies, die V- oder L-Sits sowie die Hand- und Kopfstandfahrten sicherlich ein spezielles Verhältnis zwischen Körper, Brett und Terrain herstellen, beschreibt dieses Verhältnis kaum einen exklusiven Mikroerlebnisraum – denn diese Übungen sind nicht skateboardspezifisch und lassen sich auch ohne rollenden Untersatz vollführen. Erfolgversprechender scheint die Suche nach einem solchen distinktiven Mikro-Erlebnisraum zu sein, wenn man im horizontalen Skateboarding nicht diese Bewegungen auf dem Brett ins Auge fasst, sondern die Bewegungen mit dem Brett – etwa das Pumpen, jene beschleunigende, rhythmische Kurventechnik, die im Slalom entsteht, oder das Kickturning oder Jetten im Figurenskaten, also das In-Bewegung-Bringen des Brettes durch eine Folge dynamischer Rechts- und Linksversetzungen, das im Grunde der selben Körpertechnik gehorcht wie das Pumpen. Auch das Drehen von 360ies, also Pirouetten, basiert auf diesem Prinzip des Auslösens und rhythmischen Verstärkens von Drehmomenten. Dass bei dieser Technik zwischen dem sich bewegenden Körper, dem Skateboard und dem Terrain ein besonderes Verhältnis entsteht, das nur aufgrund von Skateboard-Wissen hergestellt werden kann, lässt sich der Trick-Literatur der 1970er Jahre recht deutlich entnehmen. Über das Erlernen des Jettens oder Kickturnings heißt es etwa: »Anfangs werden Sie sicherlich nicht so recht vom Fleck kommen: Sie beherrschen die Bewegungen [also die schnellen Rechts-Links-Kickturns, EVS] zwar prima, das Brett aber rollt keinen Zentimeter vorwärts, von Beschleunigen keine Spur. In dieser Situation hilft nur eins: Üben!« (Stauder 1977, S. 76). Solange also nicht der richtige Rhythmus der Kurvenfahrt erspürt wird und die Amplitude der Kickturns zu diesem Rhythmus passt, bleibt jener MikroKörperraum verschlossen, in dem sich ohne Gefälle und ohne ein Anschieben mit einem vom Brett genommenen Fuß eine Bewegung von Skateboard und Körper erzeugen lässt. Und umgekehrt droht – sehr schnell in der Ära der Rollen aus Ton, aber durchaus auch nach der Einführung der griffigeren Polyurethanrollen Anfang der 1970er Jahre – ein unkontrolliertes Ausbrechen, wenn Rhythmus oder Amplitude der Bewegung überzogen werden. Der horizontale Bewegungsraum weist dann den Unkundigen jäh die Tür. Dies schildert schon 1964 der Song »Sidewalk Surfin‹« des kalifornischen Duos Jan and Dean: »You’ll probably wipeout when you first try to shoot the curve/Bust your buns, bust your buns now […]«. Jan und Dean zu Ehren wird der distinktive und verbindende Bewegungsraum, den das horizontale Skateboarding hervorbringt und der es ganz wesentlich ausmacht, im Folgenden als Curve-Raum oder The Curve bezeichnet. Wo wird nun typischerweise auf Skateboards geturnt und auch The Curve realisiert? Die naheliegendsten Terrains, auf denen besonders das Kunst- und Figurens-
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katen in den 1960er und dann wieder in den 1970er Jahren seinen Anfang nimmt, sind zunächst öffentlich zugängliche Flächen mit glattem Asphalt- oder Plattenbelag – zum Beispiel Parkplätze, sanft abschüssige oder ebenerdige Wege in Parks, die Gehwege am Rand wenig befahrener Straßen etwa in Wohngebieten oder diese Straßen selbst. Solche Terrains sind in den Trickbüchern der 1970er Jahre zu sehen: Das Titelbild von Stauders (vgl. 1977) Publikation zeigt eine Gruppe von Skateboarderinnen und Skateboardern erkennbar im Münchner Olympiapark, eine Vielzahl von Bildern stammt von einem asphaltierten Platz vor einer kleinen Anhöhe, der sich dem Augenschein nach gleichfalls dort befinden könnte, die Fototexte weisen die Örtlichkeit leider nicht aus. Laura Torbet (vgl. 1977 S. 46) zeigt ähnliche Terrains, die Abbildung Nr. 33 könnte eine Strandpromenande sein, Nr. 47-75 (vgl. ebd., S. 5571) zeigen einen asphaltierten Weg in einem Park, auch hier fehlen Ortsangaben. Auf ähnliche Terrains verweisen auch Davidson/Klein (1976): Auf dem Buchtitel ist eine offensichtlich in Deutschland gelegene Parkanlage zu sehen. Die anders als dieses Bild wohl aus der US-amerikanischen Originalausgabe des Buches stammenden Bilder zeigen oft Parkplätze. Der 1965 entstandene Kunst/Dokumentationskurzfilm »Skaterdater« (Black 1965) führt die ruhigen Straßen eines behüteten amerikanischen Mittelstandsvororts als Skateboard-Terrain vor – Orte, an denen andere Kinder Radfahren oder mit Bällen spielen. Doch offensichtlich findet schon das Figurenskaten, das (abgesehen vom glatten Belag) zunächst ja kaum besondere Anforderungen an sein Gelände stellt, gelegentlich auch auf konstruiertem Terrain statt. So gibt es bei Torbet (vgl. 1977, S. 46 rechts oben) Bilder, die offensichtlich in einer Halle entstanden sind – ausweislich einer gut besetzten Tribüne im Bildhintergrund offenbar während eines Wettkampfs oder einer Vorführung. Auch bei Davidson/Klein findet sich eine Reihe von Sporthallenbildern, die augenscheinlich aber nicht aus einem Wettkampfgeschehen stammen.1 Ob übliche Sporthallenböden für das Figurenskaten tatsächlich so gut geeignet oder nicht doch etwas zu rutschig sind, mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls entstehen in den USA bereits in den 1960er (vgl. Brooke 2005, S. 32) und dann – nun auch in Europa und in der Bundesrepublik – wieder in den 1970er Jahren Zweckanlagen, die stets auch Flächen für das Figurenskaten bereithalten. In einem bundesdeutschen Fachblatt für Sportanlagenplanung heißt es, ein »einfacher asphaltierter Platz« reiche aus (vgl. Tietz 1978, S. 514). Der Dokumentarfilm »Dogtown and Z-Boys« (Peralta 2001, 43:44 – 50:00) zeigt freilich Aufnahmen von einem Skateboardwettkampf, bei dem zum Figuren- wie zum Slalomskaten Flächen aus speziell beschichtetem Sperrholz angelegt wurden.
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Diese Bilder, die offensichtlich der deutschen Ausgabe des zuerst in den USA erschienenen Buches hinzugefügt wurden, könnten freilich gestellt sein; auf die »Politik« dieses Buches wird später noch näher eingegangen.
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Auch Slalom kann auf gefundenen Terrains stattfinden, also auf Straßen oder Wegen in Parks – mit improvisierten Toren, etwa abgelegten Kleidungsstücken. Doch produziert diese Leitdisziplin des horizontalen Skateboarding zumindest bereits insofern Zweckanlagen, als dass sich in den Trickbüchern der 1970er Jahre stets Hinweise zur Bekegelung finden, die in der Regel von damaligen SkateboardSportverbänden ausgegeben werden. So ist der deutschen Ausgabe von Torbets (vgl. 1977, S. 114f) Buch das entsprechende Reglement des – kurzlebigen – Dachverbands Deutscher Skateboardfahrer e.V. (DDS) angefügt, der zugleich den Kern der Europäischen Skateboard Association (ESA) bildet. Demnach ist Slalom als Parallelslalom definiert und die Bekegelung folgendermaßen geregelt: Höhe der Startplattform 1,5 Meter, Breite der Startzone auf der Plattform 1,5 Meter, Länge der Startrampe 5 Meter, erster Pylon 6 Meter nach der Startrampe, Abstand zwischen den 20 in einer Linie ausgerichteten Pylonen jeweils 4,5 Meter, Anfahren des ersten Pylonen obligatorisch von rechts, elektronische Zeitnahme empfohlen. Ähnliche Hinweise finden sich bei Davidson/Klein (1976, S. 56f). Stauder (vgl. 1977, S. 118) nennt noch das empfohlene Gefälle der ›Piste‹: 3,5 Grad. In den USA bestehen demnach nur in Details andere Regelungen (vgl. Stauder 1977, S. 115). Es kann durchaus davon ausgegangen werden, dass sich diejenigen, die sich damals in Slalom üben, zumindest ungefähr an diese Hinweise gehalten haben. Auch solche Slalomstrecken werden in den 1970er Jahren eigens angelegt, etwa 1978 in München (vgl. Tietz 1978, S. 514), wobei dort das Geläuf zugleich auch für das Figurenskaten genutzt werden sollte und daher auf das Gefälle verzichtet wurde. Eigens angelegte Downhillstrecken hat es in der Bundesrepublik nach Kenntnis des Autors dagegen nie gegeben. Bei Torbet (1977, S. 97) findet sich allerdings der Hinweis, »ein Bodenbelag aus Plastik« könne es ermöglichen, »hügelige Parkwiesen oder Sandgelände mit Skateboardbahnen zu belegen«. Auf solchen könne man »Slalom oder Abfahrt üben, ohne andere zu gefährden, weil die Skateboardfahrer hier ganz unter sich sind.« Üblicherweise müssen Downhillstrecken aber gesucht und gefunden werden. »Am besten eignen sich […] freiliegende, von uneingezäunten Wiesen umgebene Gelände«, empfiehlt Stauder (1977, S. 31), »daher kann die ausgedehnte Suche nach einem passenden Trainingsgelände zeitaufwendig verlaufen«. Zumindest bei Wettkämpfen werden in dieser Zeit in der Bundesrepublik Straßen aber auch offiziell und polizeilich für Skateboard-Rennen abgesperrt (vgl. ebd. S. 119). In den USA dagegen gibt es auch speziell angelegte DownhillPisten: So weist der Montebello Skatepark im kalifornischen Nine Acres dem von Tietz (vgl. 1989, S. 690) veröffentlichten Bauplan zufolge insgesamt 3,5 Hektar Fläche auf – inklusive eines Schlepplifts von 84 Metern Länge. Insgesamt gibt es dort fünf Abfahrten: eine »Riesen-Slalom-Rennstrecke«, eine Piste mit fest installierter elektronischer Zeitmessung, eine spezielle Strecke für »Einzel-Slalom«, eine Fortgeschrittenen-Übungsstrecke und eine besonders lange und anspruchsvolle »Großer-Preis-Bahn« am Rand der Anlage.
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Bedienen solche Zweckanlagen neben dem Figurenskaten das aus der SkiTraditionslinie hervorgegangene Racing, entstehen in den USA vereinzelt schon im ersten Skateboardboom der mittleren 1960er Jahre und gehäuft seit der Mitte der 1970er Jahre auch Zweckanlagen, die sich am Bewegungsvorrat des Wellenreitens orientieren. Der Skateboarder Paul Fisher erwähnt für 1966 einen »new skatepark in Orange County that was one of the first […] of its kind«, dessen »most striking feature« ein »large blue concrete hill« darstellte, »that had waves from top to bottom and side to side that created the image of low undulating moguls« (zit. Nach Brooke 2005, S. 32). Ab 1975 kommt es zu einem regelrechten Bauboom in Sachen Skateboarding. Borden (vgl. 2001, S. 59) zufolge sind bereits 1977 bis zu 20 größere Anlagen in Betrieb und zahlreiche weitere geplant. Typisch für diese frühen Anlagen sind neben Freestyle-Flächen und Racing-Pisten Mogul Fields, also flache Hügel und Mulden, die aus der Vogelperspektive an noch nicht brechende Wellen erinnern sowie Snake Runs – abwärts geneigte, mäandernde Mulden mit ›Steilkurven‹. Auch in der Bundesrepublik gibt es einzelne solche Anlagen. In Hamburg entsteht 1980 ein Skatepark, der laut Tietz (1989, S. 690) 400 Quadratmeter umfasste und aus einer »stark modellierten Asphaltfläche aus Heißbitumen mit drei Mulden im Durchmesser von 6,00 bis 7,00 und 1,00 bis 2,00 Meter Tiefe« bestand. Auch die bereits erwähnte Münchner Anlage wies fünf mehr oder minder wellenartige Elemente aus »einem neuartigen, oberflächengehärteten Leichtbeton« auf, die laut Tietz (1978, S. 513) »ein deutsches Architektenteam nach gründlichem Studium von Skateboardanlagen in Amerika« konzipiert hatte; diese »Skate Hills«, die »vom TÜV empfohlen« wurden, waren so ausgerichtet, dass sie eine Art Slalombahn mit etwa einem Meter hohen Steilkurven bildeten. Besonders hinsichtlich dieser surf-orientierten Anlagen erhebt sich die Frage, inwieweit sie noch als horizontales, also als Curve-Terrain eingestuft werden können, denn optisch mögen insbesondere einige der US-amerikanischen Anlagen dieser ersten Generation mit teils hohen Steilkurven bereits recht vertikal anmuten – etwa »Concrete Wave« in Anaheim (Kalifornien) oder »Solid Surf« in Fort Lauderdale (Florida). Diese Anlagen folgen allerdings einem »linear approach to skatepark design« (Borden 2001, S. 59): Sie sind so geplant, dass sie in einem einzigen, langen Ritt durchfahren werden müssen. Diese Planung verhindert ein repetitives Befahren einander gegenüberliegender Wände, das ein Aufschaukeln in die Vertikale erfordert. Zudem fehlen Plattformen am oberen Rand dieser Steilkurven, von denen aus gestartet werden könnte und die für vertikale Manöver wie den Rock ’n’ Roll nötig sind; auch weisen diese Steilkurven noch keine von einem Steinwulst oder einem Stahlrohr definierte Oberkante auf: das so genannte Coping, das für das vertikales Skateboarding, wie sich zeigen lassen wird, wichtig ist. Auch steilere Snake Runs werden letztlich mit der Slalomtechnik des Pumpens durchfahren, etwa in der Art einer Bob-Bahn. Hinsichtlich der an ihnen anzuwendenden Körpertechniken handelt es sich also um horizontales Terrain. Zuweilen werden in den
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Steilkurven tatsächlich Kegel befestigt, man spricht dann vom Banked Slalom (vgl. Torbet 1977, S. 92). Obwohl zur Bauzeit mancher dieser Anlagen der ersten Generation bereits vertikales Skateboarding auf gefundenen Terrains praktiziert wird, ist daran in diesen frühen Zweckanlagen noch nicht gedacht. Viele der frühen Planer/-innen »had never even seen skateboarders in action«, erklärt sich dies Borden (2001, S. 60). Stattdessen gießen sie einfach ihre Fantasien vom Wellenreiten an Land in Beton.
3.1.2.
Pool, Fullpipe, Halfpipe
Mit dem vertikalen Skateboarding beginnt, wie der erste Abschnitt der Arbeit zeigte, in einem gewissen Sinn das zeitgenössische Skateboardfahren. Im vertikalen Terrain entstehen die Basismanöver, die später auf die Straße übertragen werden und das ausmachen, was man bis heute landläufig Skateboarding nennt: die Boardslides auf Treppengeländern, die Grinds auf allerlei Kanten und selbst der Ollie entstehen an der Kante von Steilwänden. Der vertikale Bewegungsraum ist also von großer Bedeutung für die Praktik. Wie aber lässt er sich beschreiben und benennen, was ist das Vertikale am vertikalen Skateboarding? In Anlehnung an Borden (vgl. 2001, S. 38), der selbst der Geburt des vertikalen Skateboarding in den späteren 1970er Jahren als teilnehmender Zeuge beiwohnte, wird der körperzentrierte Mikro-Erlebnisraum in der Vertikalen hier The Edge genannt. Stofflich-architektonisch beschreibt dieser vertikale Bewegungsraum die letzten Zentimeter und die Kante einer vertikal auslaufenden Steilwand mit gerundetem Fuß. Um nun in diesem körperzentrierten Mikro-Erlebnisraum manövrieren zu können, reicht es noch nicht, einfach genug Schwung zu haben, um an die Kante zu gelangen. Ein Körper, der den Edge-Raum betreten will, muss im Moment des Erreichens der Kante seinen Schwerpunkt so ausrichten, dass er eine Zone erreicht, die zwischen einem Oben-Hinaustreten und einem Wieder-Hineinfallen liegt. In dieser Zone stellt sich, wie Kane (1990, S. 59) schreibt, »ein Gefühl von Schwerelosigkeit« ein. Natürlich sind auch an der schwungvoll angefahrenen Kante einer Steilwand die Gesetze der Physik in Kraft. Doch lastet in dieser Position weniger Druck auf dem Brett als in der Ebene. Ein schwaches Ziehen mit der Hand und eine kaum merkliche Neujustierung des Körperschwerpunktes reichen etwa aus, um das Brett nach innen von der Wand zu lösen und fliegen zu lassen; der Edge-Raum verstärkt so die Impulse, die dem Skateboard mit Händen oder Füßen gegeben werden. Es ist mithin kein Zufall, dass in diesem Bewegungsraum in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre jenes nun schon häufiger zitierte Manöver des Ollie entsteht. Der Edge-Raum ist gewissermaßen ein körpertechnisches Laboratorium, das hohe Anforderungen an den Körper stellt: So verlangen Air-Manöver nach einem anderen Punkt in der Zone zwischen Obenstehen und Hineinfallen als etwa Handplants – und der Liptrick Rock ’n’ Roll ein anderes Verhältnis zwischen
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Körper und Terrain als der Liptrick Grind. Doch für erfahrene Körper ist in dieser Zone das Skateboard in einer Art und Weise manövrierbar, die am Boden gar nicht vorzustellen ist. Was aber sind wann die typischen Artefakte, in denen Edge-Räume realisiert werden? Skateboarding ist reich an Mythen, doch einer trifft tatsächlich zu: Das vertikale Skateboardfahren entsteht zunächst weitgehend in den legendären leer stehenden kalifornischen Schwimmbecken – und nicht in den Zweckarchitekturen von Skateparks. Seine Entstehung ist das Resultat einer Verkettung von Umständen: Mitte der 1970er Jahre erlebt Kalifornien extrem heiße und trockene Sommer, die den notorischen Wassermangel im Großraum Los Angeles so weit zuspitzen, dass die Verwaltung die Bürger/-innen unter anderen Wassersparmaßnahmen auch dazu aufruft, ihre Backyard Pools nicht zu befüllen (Peralta 2001, 32:05). Willard (vgl. 2004, S. 186) identifiziert als weiteren Faktor neben einer allgemeinen Wirtschaftskrise das Interstate-Autobahnbauprogramm: Bis in die 1960er Jahre bildet jener im Jugendslang Dogtown genannte Stadtteil von Santa Monica, in dem das vertikale Skateboarding ab etwa 1976 entsteht, den Endpunkt der Route 66 – der lange Zeit wichtigsten Nordost-Südwest-Verbindung in den USA – und lebt von Stränden und Vergnügungspiers. Nach der Eröffnung der neuen Schnellstraßen wird diese Gegend jedoch vom Tourismus abgehängt. Zudem lassen die neuen Highways im Raum Los Angeles neue, weiter außerhalb gelegene Vorstädte entstehen. So ist Dogtown in Teilen von Leerstand geprägt, was über Jahre für ein erhebliches Angebot trockener Pools kalifornischer Bauart2 – mit gerundeten Wänden statt, wie in Europa, üblicherweise quaderförmigem Aushub – sorgt. In diesen Pools beginnt die örtliche Surf- und Skateboard-Clique der viel zitierten ZBoys mit ihren vertikalen Bewegungsexperimenten. Eine Rolle spielt dabei auch ein sozialer Faktor: Diese Clique stammt aus marginalisierten Familienverhältnissen und hat ganz einfach keine Eltern, die sie regelmäßig zu den damals bestehenden Skateparks chauffieren und dort den Eintritt bezahlen könnten. Neben diesen Pools sorgt der Wassermangel dieser Jahre für eine weitere, weniger bekannte Sorte gefundenen vertikalen Terrains. Um diese Versorgungsprobleme zu beheben, werden nämlich ambitionierte Wasserwirtschaftsprojekte mit gigantischen Fern-Pipelines angeschoben. Daher warten just zu dieser Zeit im Hinterland kalifornischer Städte und im Westen des Bundesstaates Arizona vielerorts Röhren-Elemente aus Beton mit mehreren Metern Durchmesser auf ihre Versenkung im Boden. Diese werden zu einem populären Fotomotiv – und auch zu einem weiteren Spielplatz von Skateboard-Aktiven, die in diesen Fullpipes das Abenteuer suchen, über die Vertikale (›Neun Uhr‹) hinaus bis in die ›Zehn-Uhr-‹ oder nahe an die ›Elf-Uhr-Position‹ zu fahren (vgl. Borden 2001, S. 43f). 2
Womöglich besteht – neben ästhetischen Vorlieben – ein Grund für diese Form der PoolArchitektur auch in der Wasserersparnis durch die gerundeten Wandfüße.
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Beide Sorten gefundenen vertikalen Terrains, besonders aber die Backyard Pools, finden ab 1977 Eingang in die Skatepark-Architektur. Nun entsteht bereits eine »second generation« (Borden 2001, S. 60) von konstruierten Anlagen, die nunmehr stets auch auf vertikales Skateboarding ausgelegt ist. Als Muster dieser neuen Anlagen gilt ein Skatepark, der 1977 in der Ortschaft Upland im San Bernadino Valley östlich von L.A. eröffnet. Diese Anlage heißt nicht nur »The Pipeline« und lässt mithin die Surf-Assoziationen hinter sich, sondern verarbeitet »in exaggerated form the pipes, ditches and pools found in the Los Angeles area (especially the nearby Mount Baldy full pipe)« (Borden 2001, S. 61). Im Gegensatz zu den linearen Parks sind die tiefen und steilen Pools von Upland auf ein repetitives Befahren der Wände ausgelegt und bilden so erstmals ein konstruiertes Terrain zur Realisierung von Edge-Räumen. Um etwa 1978 ist die planerische Evolution konstruierter Pools dann abgeschlossen, als – auf vielfachen Wunsch von Aktiven, die mit dem Fahren gefundener Pools vertraut sind – die Oberkanten der Wände mit Coping-Partien versehen werden, also leicht nach innen überstehenden Wülsten, wie sie auch Swimming Pools aufweisen und die zum vertikalen Skateboardfahren (als Untergrund für Grinds und zum Auslösen von Airs) fast unverzichtbar sind. Allerdings erweist sich die Ära dieser Skateparks der ersten wie auch der zweiten Generation – die sich zeitgleich auch in Großbritannien, kaum aber in Deutschland verbreiten – als kurzlebig: Bereits 1978 beginnt sich in den USA, speziell auch in Kalifornien, das Problem abzuzeichnen, das schon in den Jahren 1979 und 1980 zur Schließung der allermeisten dieser Anlagen führt: Die in der Regel kommerziellen Betreiber/-innen können keine bezahlbaren Haftpflichtversicherungen finden (Borden 2001, S. 175). Diese »liability crisis« (ebd., S. 174) wird vielfach als Hauptgrund dafür genannt, das Skateboarding um 1980 zum zweiten Mal fast vollständig ausstirbt – übrigens auch in Europa, wo die rechtliche Lage ganz anders ist. So kehrt das vertikale Skateboarding zunächst zwangsläufig auf gefundene Terrains zurück. Zudem sind derartige Schwimmbecken nicht einmal in den USA landesweit verbreitet, und in Europa, Lateinamerika oder Japan wird man nicht zum Skateboardfahren gebaute, aber dennoch befahrbare Pools fast vergeblich suchen. Die Wiedergeburt und der neuerliche transnationale Boom, den das vertikale Skateboarding nach 1980 erlebt, verdanken sich weitgehend einer neuen, weitaus preisgünstigeren und zur Not auch flexibel ab- und wieder aufbaubaren Sorte von Zweckarchitektur zur Realisierung von Edge-Räumen: der Halfpipe, die sich nach 1980 als Standard-Terrain vertikaler Skateboard-Praxis durchsetzt und um etwa 1982 ihre im Grunde bis heute bekannte Form annimmt. Die ersten Halfpipes, die bereits um 1977 auftauchen (vgl. Borden 2001, S. 78), sind zunächst tatsächlich nichts anderes als nachempfundene, beiderseits auf Neun Uhr abgeschnittene Fullpipes oder Pipelines – daher rührt auch der Name. Um 1980 beginnt aber eine architektonische Optimierung: So werden
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Heute muss man kaum noch erklären, was eine Halfpipe ist. In seiner frühen Form – noch ohne Flachstück zwischen den beiden Rundungen – erinnert das Sportmöbel noch an seine Herkunft, nämlich riesige Röhrenelemente, die im Kalifornien und Nevada der späteren 1970er Jahre im Rahmen von Wasserwirtschaftsprojekten auf ihre Versenkung warteten und das vertikale Skateboarding mit inspirierten. Das hier abgebildete Exemplar stand 1979 im Westberliner Eisstadion Wilmersdorf und gehörte zu den ersten seiner Art in Deutschland. Foto: Hans-Jürgen Kuhn/1. Berliner Skateboardverein
zunächst durch das Anschrauben eines Stahlrohrs auf den Kanten der Walls die Coping-Partien der Pools adaptiert; eine zweite Verbesserung, die ebenfalls auf Pool-Architektur zurückgeht, besteht im Einfügen eines Flachstücks (das Flat) zwischen den Rundungen, was für das Fahren von Bedeutung ist: So lassen sich während einer Durchfahrt statt nur einer zwei Schwungbewegungen ansetzen, wodurch mehr Geschwindigkeit erzielt werden kann. Drittens wird ein Stück reiner Vertikale (das Vert) am oberen Ende der Wände angefügt, die damit nicht mehr bei Neun Uhr enden. Diese Veränderung ist insofern wichtig, als dass sie sicherstellt, dass die Fahrer/-innen – wenn sie keine Fehler machen – mit den Körpern bei Airs exakt über der Absprungstelle bleiben, also weder die Tendenz bekommen, beim Wiedereintritt mit dem Hinterrad hängen zu bleiben, noch zu weit nach innen zu geraten und nahe des Wandfußes zu landen.
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Das Wissen über solche Halfpipes (oder Ramps) wird seit den frühen 1980er Jahren unkommerziell wie kommerziell verbreitet. Laut Borden (vgl. 2001, S. 77) hatte der US-amerikanische Anbieter Rampage Company schon um 1980 mehrere Tausend Baupläne in insgesamt 45 Staaten verkauft. Solche Pläne werden aber auch kostenlos verbreitet, etwa durch Publikationen in Skateboard-Magazinen. Um die Mitte der 1980er Jahre etablieren sich so in der westlichen Welt (aber auch in einigen lateinamerikanischen Ländern, in Japan und ansatzweise in Osteuropa) derartige Sportmöbel. Zumindest in der Tendenz werden sich diese Halfpipes in den 1980er Jahren immer ähnlicher. In der Bundesrepublik definiert etwa der Deutsche Rollsport-Bund (DRB, inzwischen Deutscher Rollsport- und Inline-Verband, DRIV) – auf dessen zumindest zeitweise nicht zu vernachlässigendes Wirken in der Praktik noch etwas ausführlicher einzugehen sein wird – im Jahr 1988 in seiner »Wettkampfordnung Skateboard« folgende »Mindestanforderungen«: Radius der Rundungen drei Meter, Vertikale mindestens 0,1 Meter, Breite mindestens sechs und »Flachboden« mindestens drei Meter (vgl. Tietz 1989, S. 696). Während das Verhältnis zwischen den Radien der Rundungen (Transitions, Trannies), dem vertikalen und dem Flachstück fürderhin weitgehend unverändert bleibt, verändern sich seit den späteren 1980er Jahren die Maßstäbe erheblich. Grundsätzlich gilt dabei, dass aus größeren Radien höhere Sprünge möglich sind. Zudem werden mancherorts mit Elementen wie Channels, also zu überspringenden Unterbrechungen der Wände, erhöhten Sektionen (Extensions) sowie manchmal auch Spines – zwei Stirn an Stirn gebaute Halfpipe-Rundungen, die sich an den Coping-Rohren treffen und Transfers von der einen in die andere Transition ermöglichen – die Spielmöglichkeiten erweitert.
3.1.3.
Curbs, Rails, Fun-Box
Im Vergleich zu gefundenen Backyard Pools und Fullpipes sowie auch großen Zement-Skateparks macht also schon die Halfpipe die Praktik von architektonischen Gegebenheiten unabhängiger. Erst recht aber lässt sich dies hinsichtlich des Street Skateboarding sagen, das um etwa 1990 zur dominanten Variante von Skateboarding aufsteigt: Hauptsächlich auf Basis einer Adaption der Ollie-Technik erschließt Skateboarding das Straßenland neu – nicht abermals als horizontalflächiges, sondern diesmal als eben mehrstöckiges Terrain. Dem Street Skateboarding bietet sich die städtische Landschaft nicht mehr als Ebene, sondern als Relief dar, zwischen dessen Ebenen sie sich bewegen können. Die Oberflächen der Artefakte im Stadtraum werden auf der Basis dieses neuen Körperwissens als System von Lücken und Verbindungen, von Absprung- und Landeplätzen wahrgenommen. Die Lücken zwischen diesen Ebenen, zwischen etwa Treppenabsätzen und Geländern, die besprungen werden sollen, zwischen dem Boden und Kanten von kleinen Mauern, Parkbänken etc., die als Terrain genutzt
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werden: All das sind die distinktiven, da nur auf Skateboards und verwandten Geräten zu betretenden – oder besser: zu durchmessenden – Bühnen dieses insofern mehrstöckigen oder mehrlagigen Skateboardfahrens. Dessen Bewegungsraum wird im Vorliegenden The Gap getauft. Diese Bezeichnung ist im Jargon des Street Skateboarding tatsächlich üblich, wird aber meist in einem etwas engeren Sinn gebraucht und bezeichnet »einen Absatz von einer höheren zu einer tieferen Ebene«, den »man mit einem Skateboard überspringen kann« (Peters 2016, S. 326), also etwa eine Böschung. Das erfolgreiche Durchmessen von Gap-Räumen erfordert ein komplexes Bündel inkorporierter Abschätzungsprozesse: Die Fahrer/-innen müssen nicht nur genau wissen, welche Geschwindigkeit dazu erforderlich ist, sie müssen zugleich die Beschaffenheit der Landefläche antizipieren: Ist sie abschüssig, muss der Körperschwerpunkt entsprechend nach vorn verlagert werden, ist sie rau oder besteht etwa aus einzelnen Platten mit Stößen in der Fugung, empfiehlt sich eine leichte, aber nicht übertriebene Rücklage, um die Räder nach der Landung über solche Unebenheiten zu drücken. Ist kein einfacher Sprung geplant, sondern eine Landung etwa zum Boardslide oder Grind auf einer Kante, einem Geländer oder etwas Ähnlichem, muss die Beschaffenheit des Materials hinsichtlich seiner Rutscheigenschaften eingeschätzt werden. Gegebenenfalls ist zugleich das Umfeld, ist der Verkehr im Auge zu behalten – und so weiter. Diese Umstellung von Edge- auf Gap-Räume ist die mikroräumliche Basis einer im Vergleich zum vertikalen Paradigma noch viel weitergehenden transnationalen Verbreitung der Praktik, da die zur Realisierung derselben zu findenden Artefakte wie Treppenfluchten, Parkbänke, Handläufe, die Kanten von Blumenkästen usw. in prinzipiell allen Städten oder Ortschaften, auch in kleineren, vorkommen. Statt um spektakuläre architektonische Profile geht es nun um Alltagsumwelten. Sind vertikale Terrains, ob gefunden oder konstruiert, grundsätzlich knapp, ist die Zahl geeigneter Artefakte nun fast unendlich. »The city is the hardware«, schreibt in diesem Sinne Borden (2001, S. 173). Während vertikales Skateboarding – ganz gleichgültig ob in gefundenen Backyard Pools, konstruierten Zement-Anlagen oder auf hölzernen Halfpipes – stets in suburbanen Zonen spielt, verlegt sich die Praktik auf der Suche nach GapRäumen auch in die Zentren der Städte. Das mag einerseits mit einer Suche nach Bewunderung und einem Willen zur Selbstausstellung zu tun haben. Bette etwa vermutet, durch »Laufen, Skateboardfahren und Breakdancing« werde der »Körper in den städtischen Innenbezirken selbstbewusst vorgeführt und theatralisch als Kommunikationsthema installiert.« Jugendliche nutzten solche Praktiken, um sich »auf den Straßen und Plätzen gewissermaßen ›zu Wort melden‹« zu können; sie
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»experimentieren an ihren Körpern und drücken sich in Gestalt nonverbaler Kommunikationen aus und versuchen sich so von der dominanten Erwachsenenkultur abzusetzen. In einer Phase, in der andere Ressourcen von ihnen in der Regel noch nicht angeeignet werden können, stellt der Körper für sie eine Instanz dar, mit deren Hilfe sie sowohl soziale Konsonanz und Aufstiegsbereitschaft als auch Dissonanz und Konfrontation demonstrieren können« (Bette 2005, S. 78f). Andererseits stellt Gunkel (1992, S. 151) fest, dass »entgegen häufig vertretener Auffassungen […] der Showeffekt, das Skaten vor einem Publikum eine untergeordnete Rolle« spiele und »das Skaten auf zentralen Plätzen […] stärker unter dem Gesichtspunkt gesehen« werden müsse, »dass hier in der Regel reichlich Raum, ›weich‹ zu fahrende Flächen und Architektur zum ›Befahren‹ vorhanden sind«. Steven Flutsy unterstreicht nach nächtlichen Begegnungen mit einer Skateboard-Clique in Bunker Hill – dem Central Business District von Los Angeles –, dass diese zwar den »prime ›crete« und die »agglomeration of low curbs, wide expanses of pavement, flights of gentle steps, and networks of handrails ideal für slides and grinds« (2000, S. 154) an diesem zentralen Ort sehr schätzt, im Alltag aber einen weniger im Fokus etwa von Wachdiensten oder der Polizei stehenden »decrepit warehouse district« bevorzugt (2000, S. 153). Diese Eroberung des Stadtraums beginnt im Grunde bereits mit dem Niedergang der Skateparks am Ende der 1970er Jahre, wenn auch Street Skateboarding, wie im ersten Abschnitt der Arbeit dargelegt, hinsichtlich der Körpertechniken zunächst das zweitrangige, also Impulse empfangende und verarbeitende Genre des Skateboardfahrens bleibt. Zunächst rücken dabei Curbs in den Fokus: Kantoder Bordsteine, die in den USA in der Regel ein wenig höher sind als in Europa und, etwa zur Abteilung von Parkplätzen, häufig freistehend vorkommen sowie (zum Schutz der Reifen einparkender Autos) zuweilen ein leicht angeschrägtes Profil aufweisen. Auf diesen kleinteiligen Curbs lassen sich zunächst auch ohne einleitende Ollie-Bewegung die im vertikalen Bewegungsraum entstandenen Slide- und Grindtechniken adaptieren (vgl. Borden 2001, S. 178). Bis etwa um die Mitte der 1980er Jahre verlagern sich diese Techniken analog zum steigenden Ollie-Niveau von den Curbs an die Kanten höherer Objekte wie Parkbänke oder Planters, also Blumenkästen; teils können – ebenfalls auf Basis von Ollie-Techniken – auch kleine Kurven an Hauswänden gedreht werden, die auf geschrägten Anlaufflächen anzufahren sind, sogenannte Wallrides. Um 1987 (vgl. Borden 2001, S. 181) machen erste Fotos von Grind- und Slide-Manövern auf Handrails, also Treppengeländern, Furore in der Skateboard-Welt. Zunehmend rücken nun auch Treppen oder Böschungen als Hindernisse in den Fokus, bis um etwa 1990 das allgemeine körpertechnische Niveau einen Stand erreicht, der eine Ablösung des vertikalen Skateboarding als Standardgenre der Praktik mit sich bringt.
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In den ausgehenden 1980er Jahren wird Skateboarding durch die Basistechnik des Ollie – Abspringen aus der Horizontalen durch das Kicken des Hecks – prinzipiell unabhängig von aufwändigen Zweckarchtitekturen. Nun wird tatsächlich die ganze Stadt und ihr alltäglichstes Mobiliar – wie 1989 dieses Treppengeländer in der englischen Kleinstadt Shrewsbury – zum Spielplatz. Foto: Rainer Nootz
Gewissermaßen verarbeitet werden diese Erkundungen des städtischen Mobiliars indes von Anfang an auch in Zweckarchitekturen, die Curbs, Rails etc. ersetzen sollen. Zunächst sind dies oft sehr einfache, von Involvierten selbst gebaute und beispielsweise am Rande von Parkplätzen oder ähnlichen Orten gelagerte Elemente wie Slide Bars – also ›künstliche‹ Curbs, zum Beispiel aufgebockte T-Träger-Reste
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oder längere, schwere Balken, auf die zum Sliden und Grinden Rohre oder Kantenprofile aufgeschraubt werden. Mit einfachsten Mitteln lassen sich so auch hybride Skate-Terrains kreieren, indem etwa ein Slide Bar über ein Parkplatz-Beet oder eine kleinere Böschung gelegt wird. Solche primitiven Selbstbauelemente spielen eine nicht zu unterschätzende Rolle im Skateboarding; noch 2001 veröffentlicht der SkateBoarder – wenn auch mit leicht ironischem Unterton – einschlägige Bauanweisungen (vgl. Klein 2001, S. 64). Weitere typische Selbstbau-Elemente, für die gleichfalls immer wieder Baupläne in Skateboardheften veröffentlicht werden, sind Quarter-Ramps und Banks, also Schwungrampen mit und ohne Rundungen, wobei die Quarter-Ramp in der Konstruktion etwas anspruchsvoller ausfällt und mit Plattform und Coping-Partie ausgestattet wird. Ebenfalls populär sind Jump Ramps oder Launch Ramps, knie- bis hüfthohe Holzkonstruktionen ohne Plattform, über die gesprungen werden kann – der Autor hat in den ausgehenden 1980er Jahren am Selbstbau mindestens eines halben Dutzends dieser Rampen mitgewirkt. Es sind nicht zuletzt diese einfachen Zweckartefakte, auf denen Teilnehmer/-innen ihre Körpertechnik üben und auf denen Street Skateboarding im Verlauf der 1980er Jahre zur dominierenden Gestalt der Praktik aufsteigt. Gelagert werden solche Selbstbauelemente entweder in einer elterlichen Garage, von wo sie nicht selten über erhebliche Distanzen auf Skateboards zu ihren Einsatzorten transportiert werden. Gelegentlich wird aber auch versucht, solche selbstgemachten Obstacles vor Ort zu deponieren, sie also etwa in einem Gebüsch nahe der zur Nutzung auserkorenen Fläche zu verstecken. Nicht selten werden sie an solchen Plätzen aber dennoch gefunden und offiziellerseits entsorgt. Diese Vergänglichkeit ist in dieser Grassroots-Architektur indessen bereits berücksichtigt: Die Elemente sind bewusst einfach gehalten, so dass Verluste leicht zu kompensieren sind. Manche Crews, die einen solchen Ort unterhalten, legen für Reperaturen und Neubauten regelrechte Materiallager an, nicht selten in einer gewissen Distanz zum Lagerplatz der fertigen Obstacles, um eine allfällige Mitentsorgung zu vermeiden. Stets halten sie die Augen offen etwa für an Baustellen anfallende Balken-, Träger- oder Verschalungsbretterreste, die dann auch auf Vorrat eingesammelt oder entwendet werden. Solche Projekte sind typisch für die mittleren bis späten 1980er und frühen 1990er. Zuweilen funktionieren sie über etliche Jahre und werden von einer älteren an eine jüngere Crew übergeben. Diese Selbstbau-Elemente spielen in der architektonischen Geschichte der Skateboard-Praktik auch deshalb eine bedeutende Rolle, weil sie als Ideenfundus für eine erste Generation professionell konstruierten Gap-Terrains fungieren, das sich in Europa und Deutschland – noch vor den USA, wo sich bis Ende der 1990er Jahre das Versicherungsproblem als Hemmschuh erweist – in der ersten Hälfte der 1990er Jahre (auch unter dem Eindruck der ersten Inline-Skate-Welle) Bahn zu brechen beginnt: Eine Schräge zum Schwungholen, eine Quarter Ramp (zuweilen mit Spine) für Liptricks, ein Slide Bar oder Curb sowie eine Jump Ramp
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gehören in den 1990er Jahren zur Standardausstattung auch von offiziellen auf Street Skateboarding zielenden Anlagen, die selbst in kleineren Orten errichtet werden. Kernstück aber ist zumeist ein Multifunktionsmöbel zur Synthetisierung von Gap-Räumen, das verschiedenste Elemente des im Stadtraum zu findenden Mobiliars in sich vereinen soll: die sogenannte Fun Box (zuweilen auch als Pyramide oder Pyra bezeichnet). Darunter hat man sich einen in der Regel rund zwei auf drei bis zwei auf vier Meter messenden Tisch in vielleicht einem bis anderthalb Metern Höhe vorzustellen. Eine der Längsseiten ist oft als Quarter Ramp ausgebaut, also mit Transition und Coping, die gegenüberliegende Längsseite ist oft eine Bank, also eine einfache Schräge ohne Rundung. Eine der beiden Stirnseiten bildet eine Art Auffahrt (mit oder ohne Rundung) und die gegenüberliegende Stirnseite ist oft als Treppe angelegt, über die ein Rail, also ein Geländer montiert wird. In Gestalt der QuarterRamp-Seite bietet eine Fun Box also eine Reminiszenz an das vertikale Skateboarding, während die rundungslose, oft weniger steile Bank-Seite Manöver ermöglichen soll, wie sie im Stadtraum vielleicht auf Rollstuhl- oder Kinderwagenauffahrten am Rande von Treppenfluchten vollführt werden. Die Treppenseite erlaubt einerseits Ollie-Manöver von oben nach unten, andererseits aber auch kleinräumigere Ollie-Grinds an den (oft mit Metallprofilen beschlagenen) Kanten der Stufen. Das Rail kann wie auf der Straße geslidet oder gegrindet werden. Für Geübtere bieten sich zudem Möglichkeiten für sogenannte Transfers, indem etwa von der Stirnseiten-Auffahrt in einem 90-Grad-Winkel (ein solches Arrangement bezeichnet man als einen Hip) auf eine der Längsseiten gewechselt oder von einer zur anderen Längsseite quer über den Tisch (oder sogar wiederum im 90-Grad-Winkel direkt auf das Rail) gesprungen werden kann. Die Fun Box soll also verschiedenste städtische Möbel vereinen, indem deren Potenzial für Skateboardmanöver extrahiert und in eine kompakte Anordnung gebracht wird. Rund um derartige Allround-Elemente etabliert sich (zumal in Deutschland) um die Mitte der 1990er Jahre eine Art Standard-Anlage für Skateboarding und Inline: Eine Teerfläche von vielleicht 30 mal 20 Metern, an den Stirnseiten QuarterRamps oder Banks zum Schwungholen, dazwischen die Fun Box, am Rand vielleicht ein Slide Bar und eine Jump Ramp; Skateboarder/-innen sprechen vom BQFP – dem Bank-Quarter-Funbox-Park. Errichtet werden diese Anlagen in Parks, neben Sportanlagen und – nach Erfahrung des Autors nicht selten – Recyclinghöfen: überall, wo 30 auf 20 Meter Boden günstig zur Verfügung stehen. Oft werden solche Anlagen von Verwaltungen im Zusammenhang mit Raumnutzungskonflikten beschlossen. Sie sind dann mit der Erwartung verbunden, dass das wilde Street Skateboarding aufhört. So sind diese Skateparks ein Instrument räumlicher Entmischung: Sie sollen die Praktik, in Gap-Räumen von Zweckbauwerken unabhängig geworden, relokalisieren: »Skateparks forward exclusionary politics intent on marginalizing skateboarders from urban centers«, schreibt Vivoni (2009, S. 132).
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In den 1990er Jahren entsteht die sogenannte Fun-Box als Multifunktionsmöbel für Körpertechniken aus dem Street Style. Indem verschiedene im Straßenland zu findende Elemente in Abstraktion nachgebaut werden, will man das um 1990 ›auf die Straße‹ umgezogene Skateboarding wieder in ausgewiesenen Funktionsräumen von Sport und Freizeit lokalisieren – was freilich nicht immer gelingt. Dieses Exemplar befindet sich neben dem Fußballplatz im Konstanzer Vorort Dettingen-Wallhausen und wird kaum genutzt, weil u.a. zu wenig Platz zum Anschieben eingeplant wurde. Foto: Eckehart Velten Schäfer
Ob ein solches Kalkül aufgeht, hängt von der konkreten Gestaltung dieser Anlagen ab – sind diese doch, anders als die Halfpipes, die fast immer einen exklusiven Zutritt zum Edge-Raum bieten, lediglich Alternativen zum allgegenwärtigen Spielplatz der Stadt. Die Realität in den bundesdeutschen 1990er Jahren scheint sich oft so darzustellen, dass die Anlagen im BQFP-Stil nur wenig genutzt werden und sich Skater/-innen weiterhin an gefundenen Artefakten versammeln. Obwohl auch in den Fachpublikationen für Planung und Verwaltung schon lange darauf hingewiesen wird, dass Skateparks unter Einbeziehung derjenigen geplant werden müssten, die sie dann benutzen sollen (vgl. Groh et al. 1998), reißen in den 1990er Jahren (und in zumal kleineren Städten bis heute) die Klagen über ›lieblose‹, standardisierte Elemente nicht ab, die zwar stets TÜV-zertifiziert sind, aber den Anforderungen der Praktik kaum entsprechen. Immer wieder lassen sich bis heute »Investitionsruinen« finden, die gar nicht benutzbar sind, weil zum Beispiel kein ausreichender Platz zum Anlaufnehmen eingeplant wurde (vgl. Peters 2016, S. 125) oder die Fun Box zu klein und flach oder zu steil und hoch ausfällt. Der Bau von Halfpipes hört hingegen in den 1990er Jahren zunächst fast vollständig auf. Die bestehenden vertikalen Rampen verwaisen vielerorts. An ihrer
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Stelle werden häufig Mini-Ramps errichtet – verkleinerte Halfpipes, die bei einer Höhe von anderthalb bis zwei Metern enden und deren Walls nicht vertikal sind. Mini-Ramps kommen in den späten 1980er Jahren im versportlichten vertikalen Skateboarding als Übungsgeräte auf, die von »Profis« dazu verwendet werden, vor allem neue Liptricks zu üben, »die sie nachher in der Halfpipe verwenden wollen« (Mokulys/Nawrocki 1990, S. 7). Schnell etablieren sie sich aber als eigenständiges Element. Stadtverwaltungen sehen in ihnen oft den Vorteil geringerer Gefährlichkeit, was aber nur eingeschränkt zutrifft. Aufgrund der kurzen Walls enden Stürze auf diesen Rampen meist direkt im Flachstück; zudem sind in kurzen Wänden kontrollierte Bails schwieriger als in langen Transitions. Aus diesem Grund werden in Mini-Ramps entgegen allen Empfehlungen oft keine Schützer getragen.
3.1.4.
Big-Air, Plaza, DIY
Bis hierher zeigte der knappe Abriss der Bewegungsräume des Skateboarding und der Orte ihrer Realisierung eine stereotypische Abfolge: Zuerst werden jene MikroErlebnisräume, die sich dem horizontalen, vertikalen und dem Bewegungsmuster des Street Style zuordnen lassen, jeweils auf gefundenem Terrain entdeckt und erprobt. Dann entstehen daran angelehnt Zweckartefakte, die eine ›synthetische‹ Realisierung von Curve-, Edge- und Gap-Räumen ermöglichen. Die körperräumliche ›Erfindung‹ des Mega- oder Big-Air-Skateboarding aber, um die es abschließend zunächst gehen soll, bricht mit dieser Reihenfolge: Anders als die horizontalen, vertikalen oder mehrstöckigen Terrains existiert das Mega-Terrain nur in konstruierter Form. Die Big-Air oder Mega-Ramp ist nicht, wie die Halfpipe oder Fun Box, ein architektonisch verfeinertes Skateboard-Artefakt, das auf zu findende Stadtmöbel verweist, sondern eine am Schreibtisch gemachte Erfindung, die außerhalb jeden Bezuges zum städtischen Leben in kurzeitig eingerichteten Arenen sportiven Spektakels existiert – sowie zu Trainingszwecken auf dem abgelegenen Privatland sportlicher Protagonisten oder ihrer Sponsoren (vgl. Higgins 2006). Mehr oder minder öffentlich zugänglich sind, etwa als Attraktion im Rahmen von Skate Camps, also kommerziellen Skateboard-Ferienlagern, allenfalls sogenannte Mini-Mega-Ramps: stark verkleinerte Versionen der Mega- oder Big-AirRampe, auf denen das typische Bewegungserlebnis des Mega-Skatens, das primär durch die schiere Gewalt der dabei auftretenden physikalischen Kräfte charakterisiert ist, auch nicht oder nur sehr eingeschränkt zur Entfaltung kommt. Da sich die Manöver des Mega- oder Big-Air-Skatens ohne eine Beschreibung der Architektur gar nicht hatten vorstellen lassen, wurde schon im ersten Teil der Arbeit skizziert, was man sich unter einer solchen, stets aus Holz gefertigten Zweckanlage vorzustellen hat: Eine lange, steile Anlaufbahn, die 15 oder 20 Meter Höhenunterschied überwindet und in eine überdimensionale Launch-Ramp mündet, auf die eine 20 Meter und mehr messende Lücke folgt. Gelandet wird in einem
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sanft geneigten Aufsprunghang, der nach einem Flachstück in eine gigantische Quarterramp mündet, die in ihren Abmessungen eine typische Halfpipe-Wall um mindestens das Zweifache übertrifft und insofern auch Airs in mindestens doppelter Höhe ermöglicht oder erzwingt. Der Bewegungsraum dieses Mega- oder Big-Air-Skateboarding ist nicht nur deshalb eine Besonderheit im Skateboarding, weil er nur auf entsprechenden Zweckanlagen realisiert werden kann, sondern auch insofern, als dass er sozusagen unausweichlich wird, wenn jene Schanze einmal erreicht ist: Während auch eine noch so perfekt gebaute Halfpipe den Zutritt zum Edge-Raum nicht garantiert, weil ihre beiden Wände die gleiche Höhe aufweisen und demzufolge die Fahrer/-innen zum Sprung über die Kante durch Körperbewegungen zusätzliche Geschwindigkeit generieren müssen, gleicht die Mega-Ramp einem Körperkatapult: Wer den Anlaufturm hinabgefahren ist, wird stets und von selbst über jene Lücke ›geschossen‹; im Unterschied etwa zu Edge-Räumen kommt es im Bewegungsraum des Mega-Skatens weniger darauf an, ihn betreten zu können, als darauf, ihn sicher zu verlassen. Deshalb wird dieser Bewegungsraum hier The Flight genannt. Jacob Rosenbergs Dokumentarfilm »Waiting for Lightning« zeigt die Entstehung dieser Architektur. In den ausgehenden 1990er Jahren beginnt die Skateboard-Schuhfirma DC mit architektonischen Experimenten, um spektakuläre Videos um ihren Profi-Skater Danny Way produzieren zu können. Zunächst entsteht dabei eine stark vergrößerte Halfpipe mit einem hoch darüber hinausragenden Anfahrtsturm (vgl. Rosenberg 2012 00:56:38ff). 2002 wird dann die Big-Air- oder Mega-Ramp in ihrer bis heute gebräuchlichen Form ›erfunden‹ (vgl. Rosenberg 2012, 01:02:03ff). Vorgestellt wird sie 2003 in einem Video von DC, wenig später etabliert sie sich bei den X-Games. Diese Architektur hat aber auch Vorläuferinnen außerhalb der Praktik. Im Snowboarding entstehen in der ersten Hälfte der 1990er Jahre im Rahmen von Wettkampf- und Showevents wie etwa Air&Style mobile Zweckarchitekturen für »Big-Air«-Shows, die es möglich machen, alpine Klippensprünge in steile Hänge vor städtischem Publikum aufzuführen; allerdings bestehen diese Arrangements nur aus dem Kicker und dem Aufsprunghügel, die Wall für einen zweiten Flug fehlt. In weiten, raumgreifenden Vorwärtsflügen zu durchmessende Sprung- und Landearchitekturen sind ferner auch auf den Dirt Roads des BMX anzutreffen, wo sie – anders als in der Racing-Variante von BMX – nicht im Rahmen eines Wettlaufs übersprungen werden, sondern der Sprung selbst im Vordergrund steht. In den 1990er Jahren werden ähnliche, nur weitaus größer dimensionierte Schanzen und Aufsprunghügel auch in der Freestyle-Variante des Motocross – FreestyleMotocross oder FMX – gebräuchlich und (auch in Europa) durch Publikumsevents wie Night of the Jumps oder King of Dirt bekannt. In einem weiteren Sinn ist die Mega-Ramp aber auch mit jenen Konstruktionen verwandt, die ab den 1960er Jahren US-amerikanische Stuntmen wie Robert Craig Evel Knievel (1938-2007) für ih-
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re medial vermarkteten Rekordsprünge über aufgereihte Autos, Busse oder sogar Canyons benutzen – nur, dass es Knievel bei seinen Stunts um die reine, voreingestellte Weite geht und nicht darum, den Sprung selbst durch Salti oder Schrauben als Ereignis aufzuführen. Für die Alltagspraxis fast aller Skateboarder/-innen spielen solche Architekturen allerdings keine unmittelbare Rolle. Nach Kenntnis des Autors wurde in Deutschland erst einmal eine Mega-Rampe aufgebaut, nämlich bei den bisher einzigen X-Games auf deutschem Boden in München 2012, einem offenbar nicht allzu positiv verlaufenen Markttest dieses Events für die Bundesrepublik. Dem Autor ist kein halbes Dutzend deutscher Aktiver bekannt, die jemals auf einer solchen Anlage gefahren sind. Aber auch die Terrains des unter dem Eindruck der X-Games und ähnlicher Formate megaisierten Street Skateboarding sind – obwohl sie sich im Straßenland befinden – nicht überall verfügbar: Eine 15- oder 20-stufige Treppe mit entsprechendem Geländer oder eine herausfordernd tiefe Böschung, die zugleich einen ausreichenden Anlauf und eine geeignete Landefläche aufwiese, findet sich nicht an jeder Ecke, nicht einmal in jeder Stadt. Solche Orte sind meist aus SkateboardMedien bekannt und tragen, ähnlich wie alpinistische Routen, in den Szenen Eigennamen. Nicht selten reisen die oft professionellen oder semiprofessionellen Frontleute des Makro-Street-Skateboarding ganz wie Bergsteiger/-innen in eine andere Stadt oder gar ein anderes Land, um sich an einem dieser Orte zu versuchen. So sind etwa jene im ersten Abschnitt erwähnten El Toro 20 ein feststehender Begriff; sie sind nach einer Schule benannt. 1997 sorgt der Leap of Faith in San Diego für Furore, eine Sprungmöglichkeit, die über ein Treppengeländer etwa sechs Meter in die Tiefe führt. Nach einer Reihe von Unfällen wird dieser Sprung 2002 baulich vereitelt (vgl. Mortimer 2008, S. 96f). In Berlin gibt es den Heitmann-Gap, der zuerst vom Skateboarder Chris Heitmann bezwungen wurde. Der älteste dieser Orte ist wohl der Gonz Gap in San Francisco, der, obwohl bereits in den späten 1980er Jahren von Mark Gonzales eröffnet, noch lange eine Herausforderung ist (vgl. Hawk 2001, S. 150). Aktuell sind die Lyon 25, die 2015 von Aaron Homoki erstmals gesprungen wurden, ein Maß der Dinge in Sachen Distanz- und Höhen-Ollie-Rekord. Natürlich gibt es in lokalen Zusammenhängen auch kleinere Landmarken, deren exzeptioneller Charakter in Relation zum vor Ort jeweils vorherrschenden Niveau des Könnens besteht. Das übliche Terrain der Praktik besteht nach der Jahrtausendwende – im Unterschied zu den 1990er Jahren – indes in Zweckanlagen. Die Bilder in Magazinen oder Videos, die weit überwiegend gefundene Street-Terrains zeigen, seien irreführend, schreibt 2005 Arne Fiehl (2005, S. 3) im Vorwort einer Sondernummer des Magazins Boardstein zum Thema Skateparks: »Den ein oder anderen mag es abschrecken, ein Skatemag zu kaufen, in dem nur Fotos aus […] Skateparks zu sehen sind«. Sei es doch »ungeschriebenes Gesetz, außerhalb von Contestartikeln u.ä. keine Bilder aus Skateparks zu zeigen. […] Das gilt halt einfach als uncool.«
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Die »typische Art von Skateparks, die wir in Deutschland vorfinden«, sei gerade in den Fachpublikationen »verpönt« – dabei spiele sich dort »der Großteil« des Skateboardfahrens ab. Mit diesem neuerlichen Aufschwung konstruierter Terrains wird die Praktik im Stadtraum weniger sichtbar, da diese Anlagen in Erholungs- und Sportzonen errichtet werden. So erklärt sich wohl eine gelegentlich artikulierte gefühlte Abnahme der tatsächlich keineswegs einbrechenden Skateboard-Praktik. Spätestens seit der Jahrtausendwende herrschen auch in den USA, wo noch während der 1980er und 1990er Jahre Zweckanlagen aus den geschilderten rechtlichen Gründen selten sind, solche konstruierten Orte in der Praktik vor: Ab den ausgehenden 1990er Jahren ändern sich Staat für Staat die gesetzlichen Grundlagen hinsichtlich der Haftpflicht bei »hazardous sports« (vgl. Howell 2008, S. 491; Borden 2001, S. 175), so dass Betreiber/-innen nicht länger befürchten müssen, mit Klagen überzogen zu werden. Zudem hatte die Erfahrung offenbar erwiesen, dass derartige Klagen tatsächlich nicht so häufig vorkamen wie zuweilen wohl befürchtet. 1997 gibt das amerikanische Freizeitraumplanungs-Magazin Parks and Recreation Entwarnung: »City-run skateparks« seien zu Unrecht als »recipe for disaster« verschrien gewesen (Rankin/Payne 1997, S. 54). Im Sommer 1997 verkündet auch der SkateBoarder den »Return of Skateparks«: In den USA gebe es nun wieder 150 Anlagen (Mortimer 1997, S. 112) – eine Zahl, die sich nach 2000 schnell steigert. Hinsichtlich der Gestaltung dieser Anlagen sind im Groben zwei Typen zu unterscheiden: Einmal der Allround-Park, der oft architektonische Elemente des vertikalen Skateboarding – also Rampen oder Wände mit Rundungen – in freilich meist verkleinerter Form mit Elementen kombiniert, die Straßenterrains nachempfunden sind; weiterhin sind auch Mini-Ramps oft Bestandteil solcher Anlagen. Öffentliche Halfpipes werden hingegen auch nach der Jahrtausendwende kaum gebaut. Wenn an vertikales Skateboarding gedacht ist, entstehen nach der Jahrtausendwende – auch in Deutschland und auffallend oft in Österreich – meist Bowls oder Pools mit vertikalen Sektionen. In der Bundesrepublik werden nach 2000 im Rahmen mehrerer Landesgartenschauen derartige Anlagen errichtet, in Städten wie Stuttgart oder München sind in jüngerer Zeit aufwändige Bowl-Parks entstanden – wenn auch eine Anlage, die in etwa derjenigen Form von Bowl-Landschaft entspräche, die bei den olympischen Spielen in der Disziplin Park Skateboarding befahren werden wird, in der Bundesrepublik bisher nicht existiert. Will der organisierte deutsche Sport in dieser Disziplin jemals Erfolge sehen, wäre hier dringend Abhilfe zu schaffen. Selbstverständlich sind diese Bowl-Parks Zweckarchitektur, also in ihren Abmessungen und Oberflächen auf Skateboarding ausgelegt. Auffallend ist aber, dass sie gar nicht so selten eigentlich dysfunktionale Elemente aus der tatsächlichen, gefundenen Schwimmbeckenarchitektur enthalten – zum Beispiel weist der vor
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einigen Jahren im Berliner Gleisdreickpark errichtete Bowl einen Love Seat 3 als zusätzliche architektonische Herausforderung auf. Eine planerische Orientierung von Zweckanlagen neuerer Bauart an gefundenen Terrains lässt sich aber insbesondere bei Anlagen eines neuen Typs beobachten, die auf die Körpertechniken von Street Skateboarding abzielen. Diese werden nun oft so gebaut, als seien sie gerade nicht zum Skateboardfahren gedacht: Versuchten jene Fun-Box-Parks der 1990er Jahre typischerweise, den Skateboard-Nutzen gefundener Artefakte in Gestalt sozusagen ›abstrakter‹ Möbel anzubieten, werden nun »echte Elemente aus dem urbanen Raum verbaut« (Schweer 2014, S. 79). Solche Anlagen werden »Skate-Plaza« genannt und sind »auf den ersten Blick nicht zwingend als ein für Skateboarder eingerichteter Platz« zu erkennen (ebd., S. 79), gelegentlich werden sogar tatsächlich bestehende ›gefundene‹ Orte in anderen Städten kopiert.4 Diese Parks werden besser angenommen als diejenigen im Stil der 1990er Jahre. Dass sich ein solches realitätsnahes Muster von Skateparks tatsächlich durchsetzt, liegt wohl auch daran, dass Planungsprozesse heute oft partizipativer ablaufen als in den 1990er Jahren, als Anlagen häufig von Verwaltungen aus in Katalogen angebotenen Standardelementen zusammengestellt werden. Besonders in der zweiten Hälfte der 2000er Jahre ist zudem ein verstärkter Rückgriff auf Selbstbau-Praktiken zu verzeichnen – freilich unter Einsatz neuer Materialien und Bautechniken. Wurden während des Aufstiegs des Street Skateboarding in den ausgehenden 1980er und frühen 1990er Jahren vergleichsweise simple, bewegliche Artefakte wie Launch Ramps und Slide Bars in Eigenregie verfertigt, kommt das Do It Yourself im Sportanlagenbau nunmehr in einem technisch fortgeschritteneren und stadträumlich weitaus offensiveren Modus daher: Nun werden dauerhafte, also fest installierte architektonische Interventionen vorgenommen, was von Curbs oder Bänken, deren Kanten zur Verbesserung ihrer Slide- und Grindqualitäten mit Stahlprofilen beschlagen werden bis hin zu regelrechten (An-)Bauten aus Zement reichen kann. Mal werden dabei beispielsweise Teile einer Böschung zu einer Bank auszementiert, um die Möglichkeiten eines gefundenen Spielorts zu erweitern, mal werden Rundungen oder Schrägen an ausgediente Ladekanten auf Industriebrachen angesetzt, sodass diese in der Art von Quarterramps angefahren werden können. Oft folgen diese DIY-Anlagen der Devise, mit vergleichsweise kleinen Eingriffen eine große Wirkung zu erzielen, indem etwa zwei Artefakte zu einem ›ver3
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Love Seats sind aus der Wand des Pools etwa einen halben Meter unter der Kante hervormodellierte ›Nasen‹, auf denen die BenutzerInnen in tatsächlich mit Wasser gefüllten Becken mit den Oberkörpern unter der Wasseroberfläche (Arm in Arm) sitzen können. Ein prominentes Beispiel in den USA ist die Mitte des vergangenen Jahrzehnts errichtete Anlage in Kettring (Ohio), die die »John F. Kennedy Plaza« in Philadelphia kopiert, auf der kurz zuvor nach einer längeren Auseinandersetzung das Skateboardfahren verboten worden war (http://robdyrdekfoundation.org).
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bunden‹ werden. Zuweilen, wenn diese Aktivitäten über einige Jahre unbemerkt bleiben oder toleriert werden, wachsen sich solche Anlagen aber auch zu großen, Stück für Stück aneinandergesetzten Komplexen aus. So erreicht das sogenannte Burnside Project unter einer Schnellstraßenbrücke in Portland (Oregon) bereits in den 1990er Jahren Ausmaße, die über offiziell gefertigte Anlagen weit hinausgehen – eine vielgestaltige Landschaft aus Transition-Elementen: ineinander übergehende Teile von Pools, Bowls und allerlei gerundete Walls, die die lokale Crew ständig erweitert und mehrfach auch in Eigenregie überarbeitet (vgl. Borden 2001, S. 76). Vielfach stellen diese DIY-Anlagen aber auch auf Terrains des Street Skateboarding ab und ersetzen zum Beispiel die beweglichen (und oft ein wenig klapprigen) Slide Bars in der Art des älteren DIY durch fest zementierte Curbs. Zur Verbreitung dieses neuen Modus von DIY trägt ab 2005 der in den Szenen viel gesehene Videofilm »The Strongest of the Strange« des schwedischen Skateboard-Profis Pontus Alv bei, der heute als Künstler firmiert (vgl. Alv 2005; Peters 2016, S. 157f; Schweer 2018). Dieses manifestartige und im Stil von Authentizität ästhetisierte Video gibt nicht nur en passant Einblicke in das handwerkliche Arbeiten mit Blitzzement und provisorischen Schalungen, sondern ruft DIY als romantische Gegenbewegung von unten aus, die einer Professionalisierung, Versportlichung und ›Entseelung‹ von Skateboarding in professionell gebauten Zweckanlagen entgegenstehe. Wiewohl Impulse auch dieses neuen DIY aus den USA kommen, hat der Film einen europäisch-lokalistischen Unterton: Schaut nicht auf Amerika und auch nicht nur auf Skateboard-Metropolen wie Barcelona oder London, sondern baut euch in einer verlassenen Ecke Eurer unspektakulären, verregneten Kleinstadt Euer eigenes Paradies! Macht Skateboarding wieder rau und echt! Dieser Film hat – nicht nur, aber auch in Europa, wo die Praktik ganz im Gegensatz zur zeitgleichen Entwicklung in den USA weiterhin zahlenmäßig marginal bleibt – eine nachhaltige Wirkung. Tatsächlich entstehen auch in der Bundesrepublik zahlreiche kleinere und größere DIY-Anlagen, die jeweils für einen oder zwei Sommer bestehen, bevor sie seitens der Stadtverwaltungen abgeräumt werden. Gelegentlich werden DIY-Spots aber auch nachträglich oder bereits vor dem Baustart legitimiert, wie etwa im Fall der 2er genannten Anlage in Hannover, deren Erbauer/-innen sich anschließend in der Skatepark-Konstruktion professionalisierten (vgl. Schweer 2014, S. 64).
3.2.
Selbstbildung und Raumkonstitution
Dieser knappe und schematische Abriss einer Geschichte der Skateboard-Terrains zeigt bis hierher erstens, dass und wie in der Praktik immer wieder neue Klassen von städtischen Artefakten körperpraktisch ausgelesen und anschließend zu Sportmobiliar synthetisiert werden, das weit über die Praktik hinaus Verwendung
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findet. Nicht nur die Halfpipes der 1980er Jahre, sondern auch in den 1990er Jahren für Street Skateboarding konstruierte Elemente sind in diversen Sportpraktiken gängig. Skateboarding erfindet nicht nur sich selbst immer wieder neu, es nimmt in diesen Rekonfigurationen auch immer wieder Einfluss auf die Gestalt benachbarter sportiver Praktiken und damit auf die Entwicklung des Sportfelds insgesamt. Zweitens lässt sich die Praktik anhand eines solchen Überblicks über ihre Bewegungsräume und Terrains zumindest idealtypisch im Stadtraum lokalisieren: Sowohl das Racing- und Figurenskaten der langen 1960er Jahre als auch das vertikale Skateboarding sind im Grunde suburbane Praktiken, wobei sich vielleicht sagen lässt, dass das vertikale Skateboarding auf gefundenen Terrains eher in dysfunktionalen, vernachlässigten suburbanen Zonen stattfindet und das vertikale Skateboarding auf Zweckarchitekturen in intakten suburbanen Umgebungen, wenn nicht in Funktionsräumen des Sports. Street Skateboarding dagegen, ob in seiner frühen, kleinräumigen oder seiner späteren, megaisierten Variante, bespielt innenstädtische Quartiere und Geschäftsviertel, aber auch Industrie- und Gewerbegebiete. Mit dem verstärkten Bau von Skateparks und Skate-Plazas ab etwa der Jahrtausendwende wird die Praktik hingegen wiederum oftmals in Funktionsräumen von Freizeit und Erholung angesiedelt – während ihre neuesten wettkampfsportlichen Formate, etwa auf Mega-Ramps, in temporale Event-Bereiche eingeschlossen sind, die zum urbanen Leben keinerlei Bezug haben. An diesem Punkt ist anzusetzen, wenn es nun im zweiten Teil dieses Abschnittes um die Frage geht, wie die jeweils typischerweise befahrenen Terrains der Praktik dazu beitragen, dass sich deren Subjekte bestimmte gesellschaftliche Verhaltensmuster einverleiben und dass die Praktik in bestimmten Gestalten bestimmte soziale Gruppen bevorzugt rekrutiert und andere ausgrenzt und abstößt. Die jeweils typischen Terrains sind in dieser Hinsicht in ihrer Örtlichkeit zu befragen: Jedes dieser Artefakte ist ein Punkt im sozialen Gefüge des städtischen Raums – also »als Ort konkretisierte[r] Raum«. In Zusammenspiel oder Widerstreit planerischer Funktionsbestimmungen und menschlicher Praxis – also in der »Art der ›in ihm‹ stattfindenden Interaktion, die den Ort erst zu dem werden lässt, was er ist« erhält jeder einzelne dieser Punkte seinen konkreten »räumlichen Charakter« (Schroer 2006, S. 115). In einem ähnlichen Sinn beschreibt Vivoni (2009, S. 130) das Skateboardfahren als eine »alternative sport practice engaged in the production of contradictory spaces«. Umschrieben ist damit zunächst nur der sehr nahe liegende Sachverhalt, dass Orte, an denen Skateboarding illegal ist, auf Teilnehmer/-innen, die sich dort tagtäglich aufhalten, eine andere Wirkung entfalten als Orte, an denen es geduldet, legitim oder vorgesehen ist. Darüber hinaus reagieren aber nicht nur bestimmte Fahrweisen mit bestimmten körperbezogenen Features geschlechtlicher, Klassenund auch ethnischer Habitus, sondern sind auch bestimmte Sorten von städtischen
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Orten zum Beispiel als »gendered spaces« zu verstehen (vgl. Rodenstein 2005, S. 12) oder verbinden sich mit anderweitigen Mustern gruppenspezifischen Raumverhaltens. Weiterhin besteht aber auch ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen den jeweils befahrenen Artefakten und der Skateboard-Praktik. Verdeutlichen lässt sich dieser anhand Läpples (vgl. 1992) Modell der vier »Komponenten« städtischen Raums. Die erste Komponente sind die stofflichen Artefakte als »materielles Substrat ökonomisch-sozialer Funktionszusammenhänge«. Zweitens nennt er die »Praxis der mit der Produktion, Nutzung und Aneignung des Raumsubstrates befassten Menschen« (ebd., S. 196), drittens ein »Regulationssystem«, das als »Vermittlungsglied zwischen dem materiellen Substrat […] und der […] Praxis« fungiert und Eigentumsformen, kulturelle Normen, rechtliche Regelungen etc. artikuliert. Viertens gibt es »ein mit dem materiellen Substrat verbundenes räumliches Zeichen-, Symbol- und Repräsentationssystem«: Im Raum arrangierte Artefakte zeigen die ihnen zugedachten Funktionen an und bieten eine »affektive Identifikationsmöglichkeit« (S. 197). Auf dieser Ebene zeigen sich Orte als schön, hässlich oder bedrohlich und vermitteln »›hochselektive, spezifische Gebrauchsanweisungen‹, die das räumliche Verhalten der Menschen vorstrukturieren« (ebd.). Letzteres greift das Konzept der »Affordanzen« (vgl. Gibson 1979) von Dingen oder – in unserem Beispiel ausschließlich – von Artefakten auf, womit die »Qualitäten und Gebrauchsgewährleistungen« gemeint sind, die »ein praktischer Sinn an ihnen zugleich (kognitiv) erkennt und (körperlich-praktisch) realisiert« (Schmidt 2012, S. 66). Skateboard-Manöver bewegen sich zunächst auf der zweiten dieser Ebenen; sie sind Praxis. Dass sich Aktive gerade dieses Artefakt und kein anderes für ihre Praxis ausgesucht haben, liegt an dessen Affordanzen. Manche Artefakte bieten sich einer Skateboardnutzung geradezu unwiderstehlich an. Ihr Skateboard-Handeln setzt die Fahrer/-innen in Beziehungen zum Regulationssystem, das über dessen Legitimität entscheidet – dies beschreibt jene mittelbare Rückwirkung des Artefakts auf die Befahrer/-innen. Insofern das jeweils bespielte Artefakt stets Substrat eines gesellschaftlichen Verhältnisses ist, nehmen die es Bespielenden in seine Oberfläche eingeschriebene Funktionszusammenhänge in ihre Praxis auf: Ist das Artefakt nicht zum Skaten gedacht, wird es Skateboard-Bewegungen auf ihm tendenziell behindern und die Akteur/-innen zu einem experimentierenden, auf seine partielle Ungeeignetheit antwortenden Umgang mit sich zwingen – nach Caillois’ Kriterien zu einem Spiel im Modus der Paidia. Ist das Artefakt hingegen Resultat einer (kompetenten) Skateboard-bezogenen Planung, wird es Bewegungen ludifizieren; es wird sie unterstützen, aber auch im Sinne des in seine Oberfläche eingegangenen Planungswissens mitbestimmen. Auch diese Überlegung beschreibt einen zunächst sehr simplen Zusammenhang: Standardisierte Artefakte standardisieren die Praktik, nicht nur die einzelne Performance, sondern auch die practice-
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as-entity: Werden typischerweise Zweckartefakte befahren, fallen diese vermutlich überall ähnlich aus, womit einzelne Aufführungen von Skateboarding überörtlich vergleichbarer werden, die Praktik neigt sich dann zum Agonalen. Werden typischerweise gefundene Artefakte bespielt, sind einzelne Performances an verschiedenen Orten schwerer zu vergleichen, die Wettkampfeignung der Praktik als Ganzer geht dann zurück. Diese Überlegung geht ein in eine dritte Dimension, in der die Terrains mit den Subjekten der Praktik reagieren. Jene Bewegungsräume der Praktik haben ein jeweils spezifisches Eigenleben, sie haben spezielle emotional-affektive Inhalte, indem sie bestimmte Erlebnisse bereithalten, besondere Zutrittsbedingungen formulieren oder indem aus Sicht des praktizierenden Körpers der Aufenthalt in ihnen beispielsweise die Tendenz aufweisen kann, als lange andauernd zu erscheinen oder aber als Moment blitzartig zu verschwinden. Mit Bezug auf Lefebvre schreibt Borden, die Skateboard-Praktik trage nicht nur durch verschiedenste Formen spezieller Zweckartefakte zur Architekturgeschichte bei, sondern ganz wesentlich auch in den Bewegungen des Systems Körper/Skateboard und den spezifischen Verhältnissen, die dieses situativ zum befahrenen Terrain herstellt: »This contribution lies […] in the performative, representational aspects of skateboarding – its spaces of representation – wherein skateboarders re-imagine architectural space and thereby recreate both it and themselves into super-architectural space« (Borden 2001, S. 89). In dem jeweils konkreten Moment, in dem der praktizierende Körper in der Konstitution eines situativen Mikro-Erlebnisraums das Artefakt und sich selbst »neu erschafft«, befindet er sich, wie sich in Anlehnung an Borden sagen lässt, im Body Space dieser konkreten Bewegung auf diesem konkreten Artefakt. Für die Zwecke der historischen Periodisierung und Typisierung, die das Vorliegende verfolgt, lässt sich das folgendermaßen übersetzen: Wie im ersten Teil Bewegungsmuster und Fahrweise keine Synonyme darstellen, sondern das zweite das erste spezifiziert, ist im Folgenden Body Space nicht etwa ein anderes Wort, sondern eine historische Konkretisierung von Bewegungsraum: So ist etwa der in einem Backyard Pool zu findende Edge-Raum ein anderer als der in einer Halfpipe zu realisierende.
3.2.1.
Mit Kind und Kegeln
Wie lassen sich nun diese Überlegungen zur Örtlichkeit, Oberflächlichkeit und Körperlichkeit von Skateboard-Terrains auf die einzelnen Abschnitte des oben gegebenen Überblicks anwenden, begonnen mit jener Frühphase der Praktik in ihren langen 1960er Jahren? »Skateboarding«, schreibt Borden (2001, S. 139) mit Blick auf spätere Gestalten der Praktik, »attempts to separate itself from such groups as the family […]«. Doch in der hier zunächst im Fokus stehenden Frühphase der Prak-
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tik kann davon noch nicht die Rede sein. Die Orte des Skateboardfahrens, die etwa »Skaterdater« (Black 1965) für die Zeit des ersten, auf die USA beschränkten Skateboard-Booms vorführt, sind im Gegenteil stets Punkte innerhalb der Räume eines traditionellen, wohlgeordneten Mittelschichthabitats: Der Gehsteig vor der Einfahrt, eine sanft geneigte, aufgeräumte Straße, die aber nicht in die Fremde führt – in diesem Skateboarding vor der Haustür bewohnt die Praktik geradezu idealtypische Orte der weißen Mittelklasse, der funktionierenden amerikanischen Vorstadtwelt. Dieses Skateboarding im Familienmodus ist hier auch in räumlicher Hinsicht »tied closely to suburban white children« (Yochim 2010, S. 33). Aus Yochims Überblick über die Diskursivierung von Skateboards durch die amerikanische Massenpresse lässt sich für die 1960er Jahre hinsichtlich der Orte und Räume der Praktik zwar auch herauslesen, dass Skateboards in diesem ersten Boom in Schulen oder Shopping Malls mitgebracht, dort auch benutzt und schließlich oft verbannt werden, weil sie lärmen und man etwa Zusammenstöße von »›runaway boards‹« mit Passantinnen und Passanten fürchtet. Generelle SkateboardVerbote, wie sie einzelne amerikanische Städte schon in den 1960er Jahren erlassen, sind aber letztlich behütende Akte aus Sorge primär um die Gesundheit der jugendlichen Teilnehmer/-innen und nicht, wie später, Manifestationen einer Angst um die öffentliche Ordnung oder die Unversehrtheit von Stadtmobiliar (vgl. ebd., S. 37). Einige Gemeinden reagieren denn auch damit, Sicherheitsschulungen für Skateboarder/-innen anzubieten oder zusammen mit den Eltern Orte zu schaffen, an denen die Praktik sicher und geordnet ausgeübt werden könne (vgl. ebd., S. 38). Aber auch die Zweckanlagen der 1970er Jahre sind räumliche Arrangements von Ordnung – und nicht zuletzt von Familie. Der Bauplan jenes oben erwähnten Montebello-Skateparks in Nine Acres ist auch diesbezüglich sehr aufschlussreich: Mit zwei großen Parkplätzen, mit Geschäften, Bistro, mit einem »Picknickbereich« und einem »Zuschauergehweg« zu den einzelnen Terrains (vgl. Tietz 1989, S. 690) erinnert die Anlage an jene Mischung aus Sport- und Vergnügungseinrichtung, die in dieser Zeit auch in den ersten Water Parks und Erlebnisbädern angeboten wird. Die Anlage rechnet offensichtlich fest mit Begleitpersonen wie zum Beispiel Eltern, die selbst nicht Skateboardfahren wollen und macht auch für diese Gruppe spezielle Angebote. Die BBC-Dokumentation »Skateboard Kings« (Ové 1978) enthält Bilder aus Skateparks, in denen Skateboarder/-innen in ›Gänsefahrt‹ durch das Terrain geschleust werden, während sich Geschwister und Eltern in Wartesälen mit Flipper- und Spielautomaten oder Kaffee und Kuchen bei Laune halten. Über die Einhaltung der Regeln und die Nicht-Überziehung der jeweils zeitlich begrenzt gebuchten »Session« wachen durch spezielle Kleidung und Armbinden kenntliche »Skate Guards«. Das Institut einer solchen »skate police (some with their own uniforms, no less)« ist damals in Zweckanlagen weit verbreitet. Zuweilen, so Mortimer (vgl. 1997, S. 112), unterziehen die Ordnungskräfte Besucher/-innen, die als anspruchsvoll eingestufte Terrains befahren wollen, einer Befähigungsprüfung.
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Diese Skateparks situieren die Praktik in Kontexten von Familienausflügen, in denen auch die Familienkutsche, die Eltern, die Geschwister und der Hund ihren Platz finden. Eine Alternative zu solchen kommerziell-familiären Örtlichkeiten bietet, vielleicht besonders in der Bundesrepublik, der Verein. Zumal in ihrer Versportlichungsphase in den früheren bis mittleren 1970er Jahren tendiert die Praktik schon wegen der von ihr bevorzugten Terrains ganz deutlich in Richtung einer Organisierung. So schreibt Stauder (1977, S. 32) hinsichtlich der Erschließung von Downhillstrecken: »Da es Einzelgänger im Skateboard-Sport so gut wie nicht gibt, kann und sollte die Pistensicherung von der Gruppe arbeitsteilig übernommen werden.« Es werden Personen mit einer gewissen gesellschaftlichen Autorität, mindestens sollten sie volljährig sein, benötigt, um die temporäre Aneignung einer Straße als Skateboard-Piste durchzusetzen. Auch wenn zumindest in der Bundesrepublik der 1970er Jahre zunächst gerade »Abfahrten nicht Programmpunkt von Wettbewerben« sind, weil »spektakuläre Stürze« dem »gesamten Skateboardsport« nur schaden könnten (Stauder 1977, S. 115), kommt Mitte der 1970er Jahre nicht nur hierzulande ein schwunghafter Organisierungs- und Versportlichungsprozess in Gang, der sich immer stärker auf die Racing-Disziplinen und insbesondere den Slalom auszurichten scheint. Während es in den USA schon in den 1960er Jahren Skateboard-Wettkämpfe gibt, die vor hohen Tribünen stattfinden (vgl. Seewaldt 1990, S. 11), beginnt das organisierte, wettkampfförmige Skateboarding in Deutschland im Sommer 1976, als der Skateboard-Club Tegernseer Tal e.V. eine bayerische Meisterschaft veranstaltet, die ein »geruhsames, aber schon geachtetes Familienfest« gewesen sein soll (Stauder 1977, S. 115, Hervorh. EVS). Im Herbst 1976 finden die »Ersten Nationalen Münchner Skateboard-Meisterschaften« statt: »Mehrere Tausend Zuschauer verfolgten« Stauder zufolge »gespannt den Parallelslalom, waren Zeugen beachtlicher Hochsprungleistungen und so mancher gekonnter Freestylekür« (ebd.) Kurz darauf gründen sich in München die bereits erwähnten organisatorischen Strukturen Dachverband Deutscher Skateboardfahrer (DDS) und Europäische Skateboard Association (ESA). In Westberlin entsteht 1977 der 1. Berliner Skateboardverein e.V., der bis heute existiert und derzeit 350 Mitglieder aufweist. Nach dem Rückzug und der Auflösung der Münchner Verbände übernimmt ab 1978 der Deutsche Rollsportbund (DRB) die Organisation einer regelmäßigen Deutschen Meisterschaft und lässt sich von seinem Engagement im Skateboarding auch nicht abbringen, als die Praktik in der Bundesrepublik um 1979 zunächst fast völlig verschwindet (Seewaldt 1990, S. 25). Ähnlich wird aber auch aus den USA von Involvierten berichtet, dass Skateboardwettkämpfe zu dieser Zeit Ereignisse sind, bei denen »most of our parents« anwesend gewesen seien und sich für ein »Bankett« in Schale geworfen hätten (vgl. Brooke 2005, S. 32). Und auch in den USA gibt es speziell in den 1970er Jahren mehrere Sport- bzw. Aktivenverbände im Skateboarding, zum Beispiel die U.S. Skate-
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boarding Association, die Pro-Am Skateboarder Racers Association und die International Skateboard Association (vgl. Yochim 2010, S. 45ff) sowie noch einige andere. Dieser hohe Grad an Organisation und sukzessive Verregelung trägt nun zur Konstitution eines spezifischen Body Space der sportorientierten horizontalen Fahrweise der früheren und mittleren 1970er Jahre bei, die sich insbesondere am Beispiel des Slalomskatens dingfest machen lässt. Jene von den Verbänden vorgegebenen akribischen Reglements zur Bekegelung etwa von Slalomstrecken, die mit der Höhe der Anfahrtsrampen und, wie wir gesehen hatten, der Neigung der Piste auch die Fahrgeschwindigkeit und mithin den Rhythmus der Schwünge nahezu exakt vorgeben, machen den spezifischen Curve-Raum des Slalom-Racing zu einem Mikro-Erlebnisraum, in dem die Ordnung und Geregeltheit dieser Form des Skateboardfahrens körperlich zu spüren ist und einverleibt werden kann. Der Body Space eines Slalomrennens gewährt, wie schon gesagt, nur denjenigen Zutritt, die das richtige Verhältnis aus Rhythmus und Amplitude der Bewegung finden. Er erfordert und fördert eine vollkommene Regelmäßigkeit und Geordnetheit der Bewegung in einer wohlproportionierten Dosierung der Impulse, die der Körper dem Skateboard gibt. Seine Konstitutiva sind Kontrolle und Mäßigung – er gebietet, nicht zu viel zu wollen, den beschleunigenden Effekt der seriell und rhythmisch ausgelösten Drehmomente nicht zu überziehen. Zwischen den exakt regelmäßig angeordneten Pylonen eines genormten Slalomparcours bietet sich kein situatives Erlebnis, sondern wirkt ein Imperativ kontrollierter Gleichmäßigkeit in einem Prozess und einem Zustand, der für die Dauer der Fahrt durchgehalten werden will: »[…] Kurvenfahren […] mit vollem Körpereinsatz unterstützen. Arme und Schultern sollten die Fahrt mit gleichzeitigen Auf- und Abwärtsbewegung begleiten. Die Geschwindigkeit […] durch […] Be- und Entlasten vergrößern. Belastung: auf das Skateboard herunter, Entlastung: sich wieder von ihm erheben, sich aufrichten. Am besten kommen Sie durch die Slalomstrecke, wenn Sie dieses Wechselspiel perfekt beherrschen. […] Einen Kegel anfahren, […] belasten und durch die Entlastung sich wieder von ihm entfernen. […] Wiederaufrichten […] mehr auf dem vorderen Fuß, der hintere unterstützt die Balance und liegt eigentlich nur mit dem Ballen auf dem Skateboard. Die Bewegungen des Oberkörpers […] trotz vollen Körpereinsatzes auf ein Minimum reduzieren […]. Denken Sie immer ›einen Kegel voraus.« (Torbet 1977, S. 96). Ist der Body Space beim Jetten im Figurenskaten und beispielsweise beim Spacewalking, also dem Jetten nur auf den Hinterrädern (vgl. Stauder 1977, S. 74) im Vergleich dazu noch eine variantenreiche Hervorbringung, indem dort mehr Unregelmäßigkeit geduldet ist und ausgeglichen werden kann und auch ein Austarieren, also Balanceaspekte eine Rolle spielen, erschaffen sich die Vollzugskörper der Skateboarder-Praktik im Mikro-Bewegungsraum des Slaloms in einer Einför-
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migkeit, die selbst im traditionellen Wettkampfsport ihresgleichen sucht: Zwar sind Rhythmus und Gleichmäßigkeit auch im Ski-Slalom die Devise, doch ist dort weder das Terrain so stereotyp wie beim Skateboard-Slalom, noch sind die Tore bei jedem Rennen in gleicher Weise ausgferichtet, nämlich exakt in einer Linie und exakt in gleichen Abständen (oder, beim Skateboard-Riesenslalom, in einem gleichfalls vordefinierten Zickzackmuster). Die Geschichte meidet den Konjunktiv, doch ist im Nachhinein die rhetorische Frage erlaubt, welche Position im Sportfeld die Skateboard-Praktik heute einnähme und welche Charakteristik sie sich erworben hätte, wenn sich diese Form des Skateboardfahrens als Leitdisziplin erhalten hätte: Es fällt nicht schwer, sich die wissenschaftlichen Expertisen, die Trainingsmethoden-Workshops und die Windkanalexperimente vorzustellen, mit denen sich der Zutritt zu und die Bewegung in diesem Körperraum hätte optimieren lassen.
3.2.2.
Die Entdeckung einsamer Inseln
Doch stattdessen findet die Untersuchung ihre Skateboarder/-innen, wie wir inzwischen wissen, nur wenige Jahre später in den Vorgärten ruinöser, zum Verkauf stehender oder anderweitig temporär unbewohnter kalifornischer Einfamilienhäuser wieder, in die sie üblicherweise eingebrochen sind, um in trocken liegenden Swimmingpools sportive Bewegungen zu erproben und zu erfinden. Diese Becken werden, wie die Dogtown-Dokumentation (Peralta 2001, 34:08 – 34:40) schildert, nicht viel anders ausgespäht, als Kleinkriminelle ihre Objekte ausbaldowern: Die Skateboarder/-innen streifen durch die Straßen oder begeben sich mit Feldstechern auf Anhöhen und suchen so systematisch nach Häusern, die aussehen, als seien sie unbewohnt oder die Bewohner/-innen im Urlaub. Sie führen Werkzeug mit, zum Beispiel Wasserpumpen und Schläuche zum Absaugen von Restpfützen oder Besen, Schaufeln und dergleichen zum Entfernen von Unrat aus dem Objekt der Begierde. Sie stellen regelrechte Wachposten auf, die vor der Polizei oder sonstigen Störungen warnen sollen, sie legen sich Fluchtwege zurecht und müssen nicht selten auch tatsächlich türmen. Peralta selbst (vgl. 2001, 36:28) berichtet im Film von einer Begebenheit, bei der er vor der Polizei auf einen Baum geflüchtet sei und dann um seine Entdeckung bangte. Der Kontrast dieser Orte zur behüteten Wohnstadt in »Skaterdater«, der Kontrast auch zu jenen Wegen in Parks oder den Parkplätzen und erst recht zu jenen Zweckanlagen mit Picknickplatz, Geschäften und Cafeteria und allen anderen Orten, an denen sich die Skateboarder/-innen der 1960er und 1970er Jahre aufhalten, könnte nicht größer sein. Diese Praktiken des Suchens und Findens sind nicht nur illegitim, sondern illegal, zumal die Skateboard-Aktivität auf ihren neuen Terrains nun Spuren zu hinterlassen beginnt, etwa durch Abrieb am Coping oder Fahrspuren in den Wänden. Der Bruch mit jenem älteren Skateboarding im Famili-
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enmodus ist in jeglicher Hinsicht drastisch. Diese Form des Skateboardfahrens ist nichts mehr, was Jugendliche stolz – Papa, guck mal – vor den Eltern aufführen, die auf speziellen »Zuschauerwegen« zum Ort des Geschehens gewandert sind. Diese Praktiken sind ein Heranwachsenden-Geheimnis, das zuhause verschwiegen wird und auch verschwiegen werden muss: »My dad would have killed me if he’d had to pay for this«, sagt etwa Paul Constantineau in Peraltas Film (2001, 36:17). Auch diese Art von Orten drängt die, die sie betreten und sich dort aufhalten, zur Organisierung, allerdings in einer ganz anderen Art als etwa in den Skateboard-Verbänden der langen 1960er Jahre. Diese Orte fordern und fördern verschworene Gemeinschaften aus Gleichaltrigen, die sie gemeinsam finden, benutzen – und in gewisser Weise auch verteidigen: Zwar zeigt Peraltas Film auch Szenen, in denen Dutzende junge Männer (und wenige zusehende Frauen) am Rand sitzen und offenbar eine Art Party zugange ist, doch sind diese Orte generell rar und müssen, weil es mit ihnen bei zu hoher Frequentierung schnell vorbei sein kann, sozusagen verwaltet werden. In der Z-Boys-Dokumentation (Peralta 2001, 40:48) berichtet etwa Wenzel Ruml, es habe gelegentlich Abstimmungen darüber gegeben, ob man neue Interessierte an einen solchen Ort mitbringen dürfe. Habe man sich daran nicht gehalten und den Ort eines solchen Pools eigenmächtig preisgegeben, sei man mitunter selbst vom Fahren ausgeschlossen worden. Es bedarf nicht viel soziologischer Fantasie, solche Pools als »gendered spaces« (Rodenstein 2005, S. 12) zu erkennen: An diesen Orten finden, verstärkt noch von der quasi-kleinkriminell gerahmten Erschließung, Formen von Interaktion statt, die sich nach Rhinehart (2005, S. 250f)5 in einer Analogie mit dem »Herrn der Fliegen« umschreiben lassen: Wie die Figuren in William Goldings berühmten Roman stranden die Jugendlichen, die einen Backyard mit geeignetem Pool finden, gleichsam auf einer paradiesischen Insel. Unter Goldings Figuren bricht sich, weil sie auch nach der Landung im vermeintlichen Paradies von gesellschaftlich dominierenden Sozialnormen und Praktiken geprägt bleiben, in Abwesenheit der Einhegung durch Autoritäten der Erwachsenenwelt nicht etwa friedvolle Kooperation Bahn, sondern spitzen sich erlernte soziale Verhaltensmuster zu Gier, offenen Machtkämpfen und blutiger Gewalt zu. Tatsächlich benutzt zum Beispiel der in den 1980er Jahren bekannte Skateboarder Lance Mountain selbst die Analogie zu Goldings Roman, um die Formen von Interaktion zu beschreiben, die sich mitunter an nicht-überwachten Orten des frühen vertikalen Skateboarding ergeben: »[…] it’s Lord oft the Flies. If one kid can’t cope, then he gets tortured. People did it to me and I could take it so I never thought it was lame. There was a kid, Mark
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Rhinehart befasst sich in diesem Text mit sexistischen Bildern auf Skateboards und in Werbeanzeigen von Skateboardfirmen in den Szenemedien um die Mitte der 1990er Jahre. Die Analogie zum »Herr der Fliegen« bezieht er sehr allgemein auf ›Alternative Sports‹.
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Poots, who was duct-taped up, put in a trash can, dropped into the pool and left there, and that was fine […]« (zit.n. Mortimer 2008, S. 92f). Natürlich ist diese suburbane Pool-Jagd nicht wirklich kriminell, auch ist jenseits eines solchen Bullying von auffälliger Gewalt innerhalb solcher Crews nichts bekannt. Doch herrschen an solchen insularen Orten in der Stadt zwar informelle, aber ausgeprägte Hierarchien: Bestimmend sind die, die den Pool körperlich ›beherrschen‹6 – und das sind wiederum diejenigen, die die meisten Runs bekommen, weil sie sich durchsetzen können: sehr wahrscheinlich also, zumal im Setting der 1970er Jahre, junge Männer. Die im Spielfilm von Hardwicke als Lords of Dogtown portraitierten männlichen Pool Skateboarder der ersten Stunden sind in diesem Sinne auch Lords of the Flies. Darüber hinaus sind diese Orte schon per se genderselektiv: Solche Backyard Pools definieren wohl geradezu jene Sorte von »kritischen Räumen«, von denen Eltern zumal der 1970er Jahre ganz besonders ihre Töchter fernhalten. Diese elterliche Perzeption, so Madlener (vgl. 2003, S. 83f) in ihrer Untersuchung über Geschlechterverhältnisse in der Berliner Graffitiszene, geht dann im weiter oben angedeuteten Modus von symbolischer Gewalt auf die Mädchen und jungen Frauen selbst über. Weiterhin ist mit den Orten dieser suburbanen Pool-Jagd unter den konkreten Umständen der Vorstädte von Los Angeles in den ausgehenden 1970er Jahren durchaus auch eine ethnische Selektivität verbunden. Häuser mit Pools finden sich dort in vornehmlich weißen Gegenden, mögen diese zu dieser Zeit auch sozioökonomisch perforiert und teils heruntergekommen sein. In einer »kritischen Lektüre« des hier schon so oft zitierten und mehrfach preisgekrönten DogtownDokumentarfilms fragt nun Kusz, ob diese bewundernd vorgebrachte Geschichte von den wilden jungen Leuten, die in Vorgärten eindringen, um dort Skateboarding neu zu erfinden, in der amerikanischen Öffentlichkeit heute nicht ganz anders erzählt und gelesen werden würde, wenn diese Jugendlichen überwiegend eine dunklere Hautfarbe gehabt hätten: »I think a fruitful question to consider is: Would the Z-Boys’ urban, economically depressed origins, juvenile criminal transgressions, and disregard for (white) private property be warmly remembered, celebrated, and pleasurably offered to 6
Die Redeweise, jemand sei an einem bestimmten Skateboard-Ort ›derRuler‹ ist als Ausdruck von Anerkennung in der Szene bis heute weit verbreitet. Allerdings wird diese Redeweise oft in einem nicht-exklusiven Sinn verwendet; ein Ort kann durchaus mehrere Ruler haben, zum Beispiel auf verschiedenen Niveaus des Könnens. Der Titel Ruler wird auch oft etwa nach Shows, Meetings oder Wettkämpfen quasi als rhetorischer Trostpreis für LokalmatadorInnen verwendet: Dann heißt es beispielsweise, der auswärtige Pro X habe vielleicht die ›härtesten‹ Tricks gemacht, doch eigentlich geruled habe der Local Y. Gemeint ist die Rede vom Rulen dann als gewissermaßen architektonisch-ästhetisches Kompliment: Im Skateboarding von Y sei der Ort selbst am besten zu ›erkennen‹ gewesen.
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audiences, or would their story be told through a radically different interpretative frame of suspicion, alarm, outrage, discipline, and punishment?« (Kusz 2007, S. 119). Notabene geht es Kusz an dieser Stelle nicht zuvörderst darum, die historischen Praktiken der damaligen Pool-Jagd als ethnisch exkludierend zu brandmarken, sondern primär um eine Kritik an deren Repräsentation und Rezeption in den USA nach dem 11. September 2001. Dennoch lässt sich im Anschluss daran durchaus die Frage stellen, ob nicht nur die sogenannten Z-Boys, sondern auch andere Gruppen, die in den ausgehenden 1970er und frühen 1980er Jahren solche Orte erschließen, mit ihren zuweilen schon zeitgenössisch prominent berichteten Aktivitäten so einfach durchgekommen wären und teils, wie etwa Stacy Peralta selbst, ihren sozialen Aufstieg darauf hätten bauen können, wären sie nicht – überwiegend – weiß oder zumindest nicht schwarz gewesen. Hätte man sie im umgekehrten Fall nicht noch viel entschiedener verfolgt? Hätte sich, wenn sie wieder einmal vor der Polizei flohen, nicht womöglich ein Schuss gelöst? Insofern geht mit der Örtlichkeit dieser Pools zumindest mittelbar ein ethnisierender Impuls einher: Whiteness gehört zu den Bedingungen, die diese Praktiken in gegebener Form ermöglichen. Was aber erleben die Skateboarder/-innen in diesen Pools? Inwiefern wird die dort praktizierte Form von vertikalem Skateboarding von den Oberflächen dieser Artefakte mitgeprägt? Wie wird der Edge-Raum in solchen gefundenen vertikalen Terrains konkret konstituiert und erspürt, wie subjektiviert er also wann? Wie der obige Überblick über die historischen Terrains der Praktik zeigte, wird der Edge-Raum in diesen gefundenen Artefakten um etwa 1976 erstmals betreten, also gewissermaßen erfunden. Er ist entsprechend zunächst ein Sensationserlebnis, in dem sich physio-psychische Erfahrung mit symbolischer Bedeutung zu einem eigentümlichen und sehr intensiven Reizschema verbindet. Das Manövrieren an der Kante, so nochmals Kane (1990, S. 59), ruft »ein Gefühl von Schwerelosigkeit« hervor; beim »Fahren über Coping und Fliesen7 « schreibt er weiter, »scheint die Zeit sich auszudehnen«. Und Borden bemerkt: »The space of the edge was, then, not just a quantitative dimension (as might be the high-jumper’s consideration of the bar), nor just an experiential engagement between skateboard and architecture, but simultaneously more meaningful: the symbolic limit of danger and achievement, the boundary and terrain deepest within the skater as well as the furthest limit of her or his externalized activity […]« (Borden 2001, S. 38).
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In den abgelassenen Schwimmbecken Kaliforniens, in denen ab etwa 1975 das vertikale Skateboarding ›erfunden‹ wird, ist unterhalb der Kante in der Regel eine Reihe Fliesen angebracht, was später teils auch in Skateboard-Zweckarchitekturen imitiert wird, um diesen ein ›authentisches‹ Gepräge zu verleihen.
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In den ja nicht zum Skateboardfahren gebauten Wänden eines Backyard Pools bleibt der Edge-Raum stets etwas Besonderes. Wer jemals einen Run in einem solchen Pool gesehen oder gar selbst versucht hat, kann sagen, warum: Anders als in späteren vertikalen Zweckartefakten wie den Halfpipes beginnen solche Runs nicht etwa damit, dass die Skateboarder/-innen ihre Bretter an die Kante stellen und per Drop in direkt auf eine vertikale Wand zusteuern. Sie beginnen fast immer vom Boden des Pools aus, meist im Shallow End, also der flacheren Zone, die es in sehr vielen dieser Pools gibt. Die Fahrer/-innen carven dann ein- oder zweimal im vorderen Bereich, um mit mehr Geschwindigkeit ins Deep End vorzustoßen. Dort wird vielleicht ein lang gezogener Carve unterhalb der Kante angesetzt, um noch mehr Schwung zu holen, bis schließlich, also nicht selten in der insgesamt schon vierten oder fünften Wand, ein Trick an der Kante möglich wird. Selten werden mehr als zwei oder drei Manöver am Stück gefahren, die tatsächlich im Edge-Raum stattfinden. Meist sind sind die Runs auch recht kurz und umfassen nicht mehr als sechs, sieben oder acht Walls. Es ist aufgrund der nicht für die Nutzung durch Skateboarder/-innen vorgesehenen Grundrisse dieser Pools auch gar nicht so leicht, überhaupt eine Line zu finden, auf der es möglich ist, vier oder fünf oder mehr vertikale Walls nacheinander mit für Manöver an oder über der Kante ausreichendem Schwung zu ›treffen‹. Auch geübtere Fahrer/-innen brauchen häufig viele Versuche, um einen Pool richtig zu lesen, also dessen Lines zu finden. Das Erreichen des Edge-Raums ist in einem Backyard Pool also der Höhepunkt eines Runs und muss jedes Mal aufs Neue erarbeitet werden. Zudem sind die Wände dieser Pools aus der Perspektive einer SkateboardNutzung sehr unregelmäßig modelliert – sowohl in der Gestaltung der Oberflächen als auch in der Konzeption der Radien der Rundungen, die von Wand zu Wand sogar desselben Pools durchaus variieren können und für Skateboard-Zwecke zudem extrem steil ausfallen. Auch sind die Wände und die Böden aus Skateboard-Sicht von gefährlichen Störelementen durchzogen – es gilt etwa, an der Kante eingesetzte Leitern oder Love Seats zu beachten, im Zentrum des Pool-Bodens lauert meist ein Abflussloch und knapp unter der Kante können Überlaufschächte, im Jargon Death Boxes genannt, bei einem Hängenbleiben der Räder empfindliche Stürze auslösen. Nicht selten versperrt ein an kritischer Stelle befindlicher Überlaufschacht eine Line in den Edge-Raum. All diese Hindernisse müssen permanent vermieden oder virtuos überspielt werden. Es kommt nicht selten vor, dass Fahrer/-innen ihre Line falsch taxieren und auf dieser mit vollem Tempo genau auf ein solches geführt werden. In solchen von Experimentalismus, Impulsivität, Improvisation und Wagnis – die Arbeit hatte im ersten Teil hinsichtlich der aggressiven Fahrweise von einem Ilinx-Alea-Skateboarding im Modus der Paidia gesprochen – geprägten Runs ist The Edge ein stets besonders prekäres Erlebnis, das sich in Absetzung vom später
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untersuchten Halfpipe Edge vielleicht als Backyard Edge bezeichnen lässt. Hier führen Airs meist nicht sehr hoch über die Kante, aber vielleicht in gefährliche Ecken der Wände. Grinds und Slides sind oft eher angedeutet als voll definiert durchfahren, mehr ein Huschen und Wischen eines in jeder Faser engagierten Körpers. Es ist nicht verwunderlich, dass sich die Fahrweise in diesen gefundenen Architekturen dem klassischen Agon fundamental entzieht: Diese Form des vertikalen Skateboarding gleicht – zumal die Orte schnell gewechselt werden müssen, da in einem dergestalt gefundenen Pool oft nicht länger als zwei oder drei Tage gefahren werden kann – weit eher einer Serie subkultureller und suburbaner Erstbegehungen denn einem Wettkampfsport, bei dem ja die Bedingungen allerorts zumindest ähnlich sein sollten. Folgerichtig macht die Z-Boys-Clique ausweislich des Dokumentarfilms die größten körpertechnischen Fortschritte, als sie legitim und über Wochen ein und denselben Pool befahren darf: Der Vater eines schwer erkrankten Teenagers hatte das seinem Sohn zuliebe erlaubt (Peralta 2001, 01:15:42 – 01:16:52). Es ist insofern auch kein Zufall, dass nicht die Generation des Backyard-PoolFahrens jenes re-sportifizierte vertikale Skateboarding der späteren 1980er Jahre entwickelt und beherrscht, das im ersten Teil vorgestellt wurde, sondern Leute wie Tony Hawk, der das Fahren in einer der wenigen nach 1980 verbliebenen Anlagen mit zum Zweck des Skateboardfahrens in optimierter Form nachempfundener Pool-Architektur erlernt. In diesen Skateparks sind die Wände der Pools zumindest im Vergleich zu den gefundenen Architekturen weit weniger steil, so dass hier jenes sichere Bailen zu Lernzwecken auf allmählich verbesserten Knieschützern praktiziert werden kann, von dem im ersten Teil als Ermöglichungsbedingung jener gezähmten und re-ludifizierten vertikalen Fahrweise der späteren 1980er Jahre die Rede war. In einem Backyard Pool ist das Bailen hingegen nur eingeschränkt möglich, weil die Wände so steil sind, dass die meisten Stürze ohnehin an deren Fuß enden und von einem intendierten Abknien misslungener Bewegungen abzuraten ist. Zudem fehlen in zum Skateboardfahren konstruierten Pool-Architekturen die gefährlichen Störelemente und sind die Anlagen so gestaltet, dass Wall to Wall in der Vertikalen gefahren werden kann und der Zugang zu derselben nicht erst gefunden und erarbeitet werden muss. Dennoch sind auch diese an Pool-Architekturen angelehnten Skateparks noch nicht das Substrat, auf dem sich das vertikale Skateboarding nachhaltig versportlichen kann: Erstens sind sie dafür zu selten – und zweitens sind diese wenigen, in den ausgehenden 1970er Jahren quasi als Bauexperimente entstandenen Anlagen noch so unterschiedlich gestaltet, dass von überörtlicher Vergleichbarkeit kaum die Rede sein kann. Die Vollzugskörper der Fahrer/-innen sind dermaßen auf ihren Home Turf eingestellt, dass im Grunde stets die jeweils Einheimischen gewinnen und diese ohnehin noch vergleichsweise seltenen Wettkämpfe subsequent eher den Charakter von Meetings oder Festivals tragen. Tony Hawk berichtet von diesem Umstand aus seiner Jugendzeit sehr plastisch in seinen Memoiren:
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»It’s not that I couldn’t skate well at other parks […] but I could skate Del Mar in my sleep. […] I skated so obsessively that my knowledge of Del Mar was second nature. I skated much better there than anywhere else. Even though I’d made an effort to adapt to different terrain, I would always be known as the […] skater […] who could only win contests at Del Mar« (Hawk 2001, S. 68). Es ist erst das Sportmöbel Halfpipe, das in den späteren 1980er Jahren das vertikale Skateboarding zumindest ansatzweise zu einer Sportdisziplin re-arrangiert. Auf ihren in mehreren Schritten optimierten, im Verlauf der 1980er Jahre überörtlich immer ähnlicher gestalteten, perfekt glatten und perfekt gerundeten Sperrholzoder Stahllaufflächen, in ihren zum Skateboardfahren berechneten und mit vergleichsweise sanften Kreisradien versehenen Rundungen wird das vertikale Bewegungsexperiment von Dogtown zur zwar herausfordernden, aber doch auch berechenbaren sportiven Routine. Standardisiert wird schon die Schwungbewegung: Müssen Skater/-innen in Pools zwischen zwei Krümmungen navigieren – nämlich der Krümmung der Wand von unten nach oben sowie der seitlichen Krümmung – und dabei einen Ausgang in den Edge-Raum erst finden, führt in den einander gegenüberstehenden und in sich geraden Wänden der Halfpipe jede Durchfahrt direkt zur Kante. Ein typischer Halfpipe-Run besteht also nicht, wie eine Fahrt in einem Backyard Pool, aus drei oder vier prekären Vorstößen in den Edge-Raum, sondern aus etwa 15 Walls8 , die allesamt in einen vertikalen Mikro-Erlebnisraum führen. Schon das ist ein Grund dafür, dass das körpertechnische Niveau des vertikalen Skateboarding mit der Verbreitung der Halfpipes sehr schnell ansteigt und sich die sportliche Spitze – wie berichtet – gezwungen sieht, mehr oder minder planmäßig stets neue Manöver zu erfinden. In diesem Zuge verändert sich auch das Erlebnis des Edge-Raums: Der Halfpipe-Edge-Raum ist für Skateboarder/-innen beileibe nicht mehr »the furthest limit of her or his externalized activity« (Borden 2001, S. 38), sondern ein Raum routinemäßigen Aufenthalts: Indem die Durchfahrten durch die perfekt ebenmäßige Rampe nun kaum noch Aufmerksamkeit erfordern, sondern komplett automatisiert erfolgen, nimmt man in einer Halfpipe das eigentliche Fahren kaum noch wahr und erlebt sich stets im Raum an und über der Kante. Obwohl also beim Fahren in einem Backyard Pool und in einer Halfpipe im Grunde die gleichen Manöver vollführt werden, erfordern und befördern die beiden Artefakte ganz andere körperliche Einstellungen. Der Autor kann aus Erfahrung berichten, dass selbst relativ fortgeschrittene Halfpipe-Kompetenzen noch
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15 Walls entsprechen rund einer Minute; von der Anstrengung her ist das Halfpipefahren in etwa mit einem langen Sprint (400 Meter-Lauf) zu vergleichen, so dass mehr als 15 Wände in einem Run kaum möglich sind.
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lange nicht zum Befahren eines gefundenen Pools befähigen, sondern diese Umstellung einige Arbeit erfordert (was freilich auch umgekehrt in gewisser Weise zutrifft). In solcher Hinsicht ist das Halfpipe- im Unterschied zum Pool-Fahren nach etwa Sterns (2010, S. 145) Kriterien eine durchaus traditionelle Sportpraktik: Die Fahrer/-innen gehen in gewissen Grenzen »standardisierten Bewegungen und Körpertechniken in normierten Räumen« nach. Auch geben Halfpipes »der sportlichen Praxis als gebaute Institution« eine »klare Struktur und Führung«, was Gebauer et al. (2004, S. 33) als Charakteristikum des herkömmlichen Sportmodells erachten. Ferner finden sie sich gerade nicht in einer »zentralen Lage«, was gleichfalls oft als typisch für die neuen sportiven Praktiken veranschlagt wird (ebd., S. 31). Im Gegenteil lösen Halfpipes die Praktik aus einer »Einbettung […] in das städtische Leben« (ebd.). Darüber hinaus ist mit den Halfpipes gegenüber den Backyard Pools eine ganz neue örtliche Situation verbunden: Die Rampen stehen stets an legitimen Orten, ihre Benutzung ist daher immer in der einen oder anderen Form verregelt. Dabei lassen sich freilich erhebliche Unterschiede zwischen den USA und Europa sowie der Bundesrepublik feststellen. In den USA werden Backyard Pools und kommerzielle Skateparks zunächst hauptsächlich von Backyard Ramps abgelöst, also auf Privatgründstücken errichteten Halfpipes. Dies erfordert – wie das Pool-Jagen – auch informelle, ›verschworene Gemeinschaften‹, die allerdings weit verbindlicher funktionieren und langfristiger ausgerichtet sein müssen: Selbst bei weitgehendem Selbstbau kostet eine mittelgroße Halfpipe in den 1980er Jahren zwischen 10.000 und 20.000 Dollar, hinzu kommen Kosten für den Unterhalt, etwa für verschlissene Belagplatten; gelegentlich werden diese Mittel gemeinschaftlich aufgebracht. Darüber hinaus müssen sich die jeweiligen Betreiber/-innen darauf verlassen können, dass auswärtige Nutzer/-innen sie nach Verletzungen nicht verklagen, was aber offenbar gelegentlich geschieht: Im Rückblick nennt zumindest der Thrasher auch »lawyers and lawsuits« als Verantwortliche für den Niedergang des vertikalen Skateboarding um 1990: »Whatever happened to ramps in backyards? Ask a lawyer about liability insurance […]« (Dirtball 1992, S. 30). Aus dem gleichen Grund sind kommerziell wie kommunal betriebene Halfpipes in den USA in den 1980er Jahren, wie wir gesehen hatten, selten (vgl. Vivoni 2009, S. 51ff). Die wenigen mehr oder minder öffentlich zugänglichen Anlagen stellen in den USA zunächst hauptsächlich große Non-Profit-Organisationen zur Verfügung. Hawk (vgl. 2001, S. 182) berichtet, er sei zeitweise viel auf einer Halfpipe der erzkonservativen YMCA gefahren. In Europa und Deutschland dagegen sind nicht Backyard Ramps, sondern kommunal oder vereinsmäßig betriebene Halfpipes die Regel. Daneben gibt es speziell in den ausgehenden 1980er Jahren auch eine Reihe kommerziell betriebener Anlagen. Anders als etwa jene amerikanischen Skateparks der 1970er Jahre richten sich diese aber strikt an den jugendlichen Nutzerinnen und Nutzern aus
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– Cafés für Eltern hätten geradezu als Affront gegolten. Da sich, solange die Rampe TÜV-geprüft ist und ordnungsgemäß gewartet wird, das Haftpflichtversicherungsproblem nicht stellt, sind die Hürden für den Bau und Betrieb solcher Anlagen in der Bundesrepublik und Europa generell niedriger als in den USA. Eine wichtige Rolle spielen bei der Trägerschaft von Halfpipes rechtlich privilegierte Vereine, mal mit soziokulturellem Profil, mal klassische Sportvereine aus dem Rollsportbereich oder auch breit aufgestellte Klubs. Es kann nicht verwundern, dass der Deutsche Rollsport-Bund (DRB), später umgetauft in Deutscher Rollsport- und Inline-Verband (DRIV), gerade in den 1980er Jahren wieder eine gewichtige Rolle im bundesdeutschen Skateboarding spielt. Nicht wenige gerade geübtere Skateboarder/-innen besitzen den Rollsportpass Skateboard des DRB – ein blassblaues Dokument mit Stempeln und Unterschriften, mit Spalten für sportmedizinische Regeluntersuchungen und nicht ohne den Hinweis, dass jedwede »Manipulation« strafbar sei. Zumindest in Baden-Württemberg, seinerzeit das Aktionsfeld des Autors, stehen in den ausgehenden 1980er Jahren die wichtigsten Halfpipes allesamt auf dem Gelände von Sportvereinen: in Freiburg, Karlsruhe, Konstanz und Stuttgart. Auch in Münster, das in den 1980er Jahren unter dem Einfluss der Skateboardhandelskette Titus zu einem Zentrum des Skateboarding in Deutschland und Europa wird, ist mit der Turngemeinde Münster zunächst ein traditioneller Verein involviert; später betreibt hier der Verein für die Förderung der Jugendkultur e.V., der trotz seines eher soziokulturell anmutenden Namens dem DRIV angehört, die überregional bekannte Skateboardanlage »Skater’s Palace« (vgl. Janssen 1999, S. 6). Auch wenn sich diese Vereine ihrerseits bemühen, in ihren Strukturen und Usancen flexibel sein9 , bleibt dieser Kontakt mit der Welt des organisierten Sports nicht ohne Folgen für die Praktik und ihre Subjekte. Auch in den USA spielt während der 1980er Jahre mit der 1983 gegründeten National Skateboarding Association (NSA) eine landesweit agierende und in einzelne Bundesstaatsverbände gegliederte Non-Profit-Organisation eine wichtige Rolle in der Praktik. Die NSA, maßgeblich aufgebaut von Daniel und Don Bostick sowie Frank Hawk – Tony Hawks Vater –, ist im Unterschied zum DRB zwar kein Sportverband mit lokalen Vereinen, die etwa Halfpipes anböten, organisiert aber eine landesweite Wettkampfserie und führt eine Rangliste, die in der Teilnehmerschaft sowie in den Szenemedien der 1980er Jahre als Maß der Dinge im wettkampfförmigen Skateboarding anerkannt ist (vgl. Hawk 2001, S. 73f).
9
Zumindest in Deutschland hält sich eine sportvereinsmäßige Rahmung der Praktik nicht überall nur kurzfristig. Noch 1999 gibt die NOK-Zeitschrift Olympische Jugend dafür einige Beispiele und zugleich den Sportvereinen Tipps zum Umgang mit SkateboarderInnen: Erfolg versprächen »offene Konzepte, die […] den selbstbestimmten Zugang zum Course ermöglichen«; anstelle von »Trainern« seien »versierte Fahrer der örtlichen Skaterszene« einzuspannen, FahrerInnen seien bei der Anlagenplanung mit einzubeziehen etc. (Janssen 1999, S. 6).
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Zu den die Praktik des vertikalen Skateboardfahrens – in ihren Performances wie auch als ganze – re-ludifizierenden und re-agonalisierenden Oberflächen der Halfpipe gesellt sich dergestalt eine gegenüber den Backyard Pools deutlich geregeltere und organisiertere Örtlichkeit. Bildlich gesprochen entdecken nun auch zwar nicht die Eltern, aber doch erwachsene Autoritäten jene einsamen Inseln und setzen dem Herr-der-Fliegen-Spiel gewisse Grenzen. Trifft Madleners (vgl. 2004, S. 84) Feststellung zu, dass gemäß herrschender Muster sozialisierte Mädchen und junge Frauen eher zu »institutionalisierten« Spielorten neigen, ist das räumliche Setting einer Halfpipe geschlechtlich inkludierender als die Situation um einen gefundenen Pool. In diese Richtung weisen auch jene schon im ersten Teil der Arbeit angesprochenen, freilich nach dem Jahr 2000 gemachten Beobachtungen, nach denen Skateboarderinnen gegenüber dem Street Skateboarding das Ramp Skateboarding bevorzugen – teils aus eigener Wahl, teils auch als Effekt einer Verdrängung von männlich dominierten Orten des Street Skateboarding (vgl. Atencio et al. 2009, S. 6). Wir hatten bereits gesehen, dass es zumindest in den ausgehenden 1980er Jahren wohl tatsächlich Anzeichen einer wieder ansteigenden weiblichen Beteiligung an der Praktik gibt. Zugleich lassen sich solche Halfpipes in den USA wohl eher in bessergestellten und damit tendenziell weißen Vierteln erwarten – und wirken auch in Europa und Deutschland die vereinsmäßigen Kontexte dieser Anlagen in einer gewissen Weise sozial selektiv. Allerdings sollte diese räumliche Einhegung der Skateboard-Praktik ohnehin nicht von langer Dauer sein. Denn eine neue Generation schifft sich, um ein letztes Mal William Golding zu bemühen, nur wenige Jahre später wieder ein – und findet diesmal nicht nur einzelne einsame Inseln, sondern ein unübersehbares Netz von solchen Orten, ein weit verzweigtes und unübersichtliches, abenteuerliches und aufregendes Archipel.
3.2.3.
Fenster in der Zitadelle
In der Wirtschaftspublizistik ist jüngst oft von disruptiven Technologien die Rede. Gemeint sind damit technische Innovationen, die ganze Geschäftsfelder umwälzen, indem sie Praktiken des Konsumierens nachhaltig verändern – wie etwa bestimmte Angebote der sogenannten Share Economy im Bereich der Nahverkehrsoder der Beherbergungsbranche. Dass im Fall des Skateboardfahrens das OllieManöver eben eine solche Disruption mit sich bringt, wurde bereits im ersten Teil der Arbeit ausführlich gewürdigt: Es ermöglicht den Praktizierenden den Aus- und Aufbruch aus den geschützten Räumen der Halfpipes, es definiert ganz prinzipiell die ganze Stadt als Spielfeld – auf dem sich Street Skateboarder/-innen so gut auskennen wie nur wenige andere. Mit dem Skateboardfahren auf der Straße ist eine Kenntnis der gebauten Umwelt verbunden, die tatsächlich ihresgleichen sucht.
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Dies bezieht sich einmal auf die Oberflächen von Straßen und Plätzen: Der Autor erinnert sich an eine Situation, in der er, mit dem Skateboard in einem Ost-Berliner Altbauviertel unterwegs, von einem Rollstuhlfahrer gefragt wurde, auf welchem Weg in Richtung der nächsten U-Bahn-Station mit dem überaus groben Berliner Kopfsteinpflaster und jenen mit ausgetretenen Platten belegten und mitunter merklich in Richtung der Fahrbahn geneigten Gehsteigen zu rechnen sei, die das Rollstuhlfahren sehr beschwerlich machen können. Offenbar wusste dieser Verkehrsteilnehmer um das gesteigerte Oberflächen-Wissen, das mit der Benutzung von Skateboards verbunden ist. Darüber hinaus geht mit Street Skateboarding eine intime raum-zeitliche Kenntnis der Stadt einher, in der sich Skateboarder/-innen stets mit offenem Auge für potenziell geeignete Artefakte und Orte bewegen. Sie wissen, wann sich etwa jene innenstädtischen Geschäftsviertel und Einkaufstraßen mit ihren oft verführerisch glatten, großzügig gestalteten Oberflächen befahren lassen, die man im Anschluss an Edward Soja (1996, S. 17) die »Zitadelle« nennen kann – oder welche Zeitfenster sich zum Skaten in Gewerbegebieten eignen, wo Laderampen mit ihren gut zu grindenden, oft mit Stahlprofilen beschlagenen Kanten locken. Sie wissen aber auch um Zonen städtischer Deinvestition, in denen der zeitliche Befahrbarkeitsfaktor weniger relevant ist, weil es dort weniger Wachschutz gibt und etwaige Anwohner/-innen solcher Zonen üblicherweise weniger schnell nach der Polizei rufen bzw. diese seltener dorthin ausrückt. Dieses Skateboardfahren in der Stadtnatur beobachtet der Anthropologe Horst Ehni um die Mitte der 1990er Jahre in der Skate-Szene am Potsdamer Platz in Berlin, genauer wohl am Kulturforum vor dem Eingang der Gemäldegalerie. Die dortigen Oberflächen – eine weite Fläche aus glatten Belagplatten mit Treppen und Blumenkastenkanten in verschiedensten Höhen, vor allem aber die leichte Neigung der gesamten Anlage, die sogar das Anschieben weitgehend erübrigt – machen dem praktischen Sinn des Street Skateboarding ein fast unwiderstehliches Angebot. Der Platz erscheint wie eigens zum Streetskaten erdacht. Solche Plätze gibt es in vielen Städten, nicht selten entstammen sie ähnlichen Kontexten eines architektonischen Modernismus, der großzügig plant und auf Pflastersteine verzichtet. Oft spielen solche Orte in den in ihrer neuen Unabhängigkeit von Zweckarchitekturen zunächst ›dezentrierten‹ lokalen Szenen eine Rolle als Treff- und Orientierungspunkt oder »Homebase« (vgl. Peters 2016, S. 11). Und nicht selten sorgt ihre illegitime Skateboard-Nutzung für kontroverse Debatten – etwa hinsichtlich der Domplatte in Köln (vgl. Peters 2016), hinsichtlich der Southbank in London (vgl. Schweer 2014, Borden 2016) oder hinsichtlich der auch als Love Park bekannten John F. Kennedy Plaza in Philadelphia (vgl. Howell 2005; Németh 2006). Um nun solche umstrittenen Orte befahren zu können, prägen Skateboarder/innen spezifische Tugenden und Disspositionen aus: Es gibt, schreibt Ehni, eine spezifische »Antidisziplin«, die »in der Sache des ›Skatens in der Stadt‹ selbst begründet sein« müsse (Ehni 1998, S. 120), nämlich
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»[…] die Fähigkeit herumzuvagabundieren, um nicht-überwachte Raum- und Zeitnischen zu nutzen, […] die direkte Auseinandersetzung und das intelligente Streiten für das Skaten mit den Trägern der Macht, […] Redegewandtheit, aber auch Doofstellen, penetrante Hartnäckigkeit, aber auch liebenswerter Gehorsam gehören ebenso dazu, wie gegebenenfalls Mut oder der kleine Verrat im Interesse der großen Sache« (Ehni 1998, S. 119). Ehni bemerkt sehr richtig, dass diese Haltung nicht vorschnell als allgemeine, politisch artikulierte oder bewusste Opposition überinterpretiert werden sollte. Wer danach etwa von einem normativen Standpunkt aus suchte, würde wohl nicht selten enttäuscht; auch Street Skateboarding kann, wie Peters (2016, S. 286) aus seinen Kölner Beobachtungen folgert, »nicht aus sich selbst heraus als eine genuin politische Praktik begriffen werden«. Es geht zunächst und vor allem um das Skateboardfahren und die Erlangung oder Verteidigung der Möglichkeiten dazu. Dennoch sedimentieren in diesen Taktiken zur temporären Aneignung bestimmter Orte spezielle, gelegentlich tief eingeschliffene Einstellungen, die einen zumindest metapolitischen Charakter haben: Selbst Tony Hawk – der in der Szene nicht selten als idealer Schwiegersohn und Good Guy verspottete Skatepark- und HalfpipeExperte – wirft in seinen Erinnerungen eine entsprechende rhetorische Frage auf: »How do you know you’re not a skateboarder? You feel safe around policemen« (Hawk 2001, S. 276). Diese Antidisziplin der Street Skateboarder/-innen bildet sich in einer spezifischen Klasse jener körperzentrierten Mikro-Bewegungsräume, die wir als The Gap bezeichnet hatten und konstituiert dieselbe zugleich. Die Charakteristik dieser Räume lässt sich in einem Vergleich mit dem Curve-Raum des Slalomfahrens besonders plastisch machen. Instruktiv ist in dieser Hinsicht ein mit »Skate of the Art« überschriebener Text, den Stacy Peralta schon 1985 angesichts des ersten Aufblitzens von Street Skateboarding im Stil einer Zukunftsvision verfasst: »Years ago light posts, cars and buildings were purposely avoided while skating streets […]. Now they are the way, the ride […]. There are no more white lines to stay within, sidewalks to conform to or bases to tag. It’s all an open highway with hydrants, curbs, bumpers, shopping carts, door handles and pedestrians. […] The skater is not a separate entity from his terrain […]. Now he is the terrain with all of its intricate pieces« (zit.n. Weyland 2002, S. 247). Stellen sich also jene Curve-Räume des Slalomskatens in einem Verharren in einer von Gleichmäßigkeit geprägten Bewegungsfolge auf einem gleich bleibenden, ebenen Substrat her, sind diese gefundenen Gap-Räume gerade das Gegenteil: Jede Bewegung, die eine Lücke zwischen Ebenen überwindet und eine Verbindung zwischen städtischen Artefakten herstellt, ist ganz anders als die vorige oder nächste. Im Unterschied auch zu Edge-Räumen, die stets aus einer vertikalen Wand mit
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einer durch ein Coping definierten Kante betreten werden, sind die Eingänge und Ausgänge von Gap-Räumen an jedem Artefakt – auch an direkt nebeneinander liegenden – jeweils ganz anders geartet: hinsichtlich ihres Belags und Materials, ihrer Rutschigkeit oder Griffigkeit, ihrer Neigung, hinsichtlich besonderer Zusatzhindernisse, hinsichtlich auch des fußläufigen oder Fahrzeug-Verkehrs. Street Skateboarder/-innen »sind« im Moment ihrer Aktion die Diversität all dieser Bedingungen. Die gefundenen Gap-Räume sind Räume der Antizipation, in denen Körper voll auf das Vorher und das Nachher konzentriert sind. Der Akt des Brückenschlagens selbst bleibt im Bewegungserlebnis der Aktiven des Street Skateboarding in seiner Mikro-Fahrweise tendenziell eine Lücke. Diese permanente, aber unspezifische, polyvalente Vorbereitetheit der auf Gap-Räume eingestellten und dieselben hervorbringenden Skateboard-Körper schließt ein stets aktivierbares Improvisationspotenzial ein: Bemerken Fahrer/-innen etwa bei der Kontaktaufnahme ihres Skateboards mit einem Artefakt, auf dem ein Boardslidemanöver intendiert ist, dass dieses nicht erwarteter Weise rutscht, sind alternative Ausgänge der Bewegung möglich – zum Beispiel kann, wenn das Brett aufgrund dessen die Tendenz gewinnt, sein Tail nach vorne zu schieben, spontan ein Abgang to fakie gewählt, das Artefakt also rückwärts verlassen werden. Peters (vgl. 2016, S. 145) beobachtet ähnlich an der Kölner Domplatte, dass sich an einer dortigen, vergleichsweise kurzen Treppe die Bedingungen durch die Bewegungen von Passantinnen und Passanten während des Anlaufs und Sprungs der Skateboarder/-innen oft in einer Art veränderten, dass sich diese während des Manövers »auf eine andere Landung einstellen« mussten. Die Körper, die sich in der Konstitution dieser Bewegungsräume bilden, entwickeln einen sehr ausgeprägten praktischen Sinn für die Affordanzen von Artefakten einer Vielzahl von Oberflächen, für das Finden von verschiedensten Überbrückungen und Verbindungen an einem oder an benachbarten Artefakten – und oft in Nachbarschaft zu anderen Aktiven: Street Skateboarding ist nicht nur ein individueller, sondern auch ein kollektiver Prozess. Die Freude am Fahren entsteht nicht nur im Gelingen der eigenen Manöver, sondern auch im Fluss oder Flow einer Session, also im gemeinsamen Fahren – wenn die die Lines der Einzelnen harmonieren und sich so zu einer gemeinschaftlichen Fahrleistung ergänzen, ist hinterher die Rede davon, die Session habe eine ›gute Energie‹ gehabt und so auch die Einzelnen gepushed. In diesem gemeinsamen Fahren nehmen die anderen Skateboarder/-innen den Charakter von sich bewegenden Obstacles an: Wird aus dem Augenwinkel registriert, dass sich auch jemand anderes auf ein anvisiertes Hindernis zubewegt, ist man bestrebt, nicht den Fluss der eigenen Fahrt abzubrechen, sondern nur ein wenig abzuschwingen und an einem anderen Artefakt ein Manöver zu setzen: The Gap ist in diesem Sinn immer auch die Lücke zwischen Ko-Praktizierenden. Es
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ist erstaunlich, wie gut sich Skateboarder/-innen aufeinander abstimmen können; an Körperhaltungen, vorbereitenden Bewegungen wie dem Zurechtrücken der Füße erkennen sie intuitiv recht gut, wo andere hinfahren wollen und auch, ob diese etwa intendieren, über etwas hinwegzuspringen oder sich nur an dessen Kante entlangzumanövrieren. Zum scharfen Abbremsen oder Absteigen, zu BeinaheZusammmenstößen kommt es auf solchen Plätzen eher, wenn andere Geräte wie BMX-Räder oder Inline-Skates auftauchen, weil die Fahrer/-innen die Bewegungen und Fahrwege der jeweils anderen Gruppe weniger gut ›lesen‹ und antizipieren können. Zumindest in Teilen erklären sich so auch die gelegentlichen Neckereien oder Spannungen zwischen etwa den Skateboard- und BMX-Szenen – die jeweils anderen ›fahren dir immer so dumm in den Weg‹. Aus diesem Blickwinkel lässt sich noch ein zweites Mal zu Beals (1995, S. 258ff) berühmtem Aufsatz über Skateboarding als »social resistance« zurückkehren: Hatte sich im ersten Abschnitt der Arbeit die in ihren um 1990 geführten Interviews so drastisch verbalisierte Wettkampfkritik als Explikation jener kombinatorisch-inventorischen, technisch-kleinteiligen Fahrweise des aufsteigenden Mikro-StreetSkateboarding einordnen lassen, die sich dem objektivierenden Vergleich entzieht, ist das Kernstück von Beals Text vor dem Hintergrund jener spezifischen Antidisziplin des Skateboarding zu verstehen, die Ehni beschreibt. Beal hatte bei einem Street Contest im Bundesstaat Colorado das Folgende beobachtet: Trotz mehrfacher Aufrufe seitens der Wettkampfleitung von der Colorado Skateboarding Association – der Regionalgliederung der NSA – hatte sich eine erhebliche Zahl von Aktiven nicht bereitgefunden, das Regime der Wettkampfsituation dahingehend zu akzeptieren, dass um den Contest herum zu bestimmten Zeiten nur bestimmte Teilnehmende auf dem Parcours fahrberechtigt sind. Daraufhin hatten die Regelbrecher/innen disqualifiziert werden sollen. Doch reagierte ein erheblicher Anteil der Teilnehmerschaft mit einer Boykottdrohung, so dass die Wettkampfleitung nachgeben musste. Schon im Titel ihres Aufsatzes deutete Beal dies als »Disqualifikation des Offiziellen«. Donnelly (2008b, S. 201) kritisiert an dieser Argumentation, Beal konzentriere sich zu sehr auf eine Minderheit unter den Skateboarder/-innen, ihre Verallgemeinerung dieser Widerstandshandlung sei also überzogen. Tatsächlich sind aber genau solche Situationen für die frühen bis mittleren 1990er Jahre charakteristisch: So enden auch in Deutschland nach 1990 gleich zwei vom DRB organisierte Contests aus ähnlichen Gründen im Tumult (vgl. Schäfer 2000). 1996 kommt es beim Münster Monster Mastership, dem damals größten internationalen Wettkampf, sogar zu schweren Handgreiflichkeiten: Als die Practice Session, das freie Fahren auf dem Parcours, für beendet erklärt wird und etliche (männliche) Skateboarder der Aufforderung, den Platz zu verlassen, nicht nachkommen, stoßen diese und der Ordnerdienst hart zusammen; einem Skateboarder wird dabei das Schlüsselbein gebrochen (vgl. Schweer 2014, S. 122). Die Durchsetzung solcher raum-zeitlichen
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Reglements scheint Skateboarder/-innen zu dieser Zeit aufs Tiefste zu provozieren: Während Halfpipes wie Backyard Pools ihre Benutzer/-innen lehren, dass stets nur eine Person fahren kann, unterlaufen solche Regimes denjenigen praktischen Sinn, den der Flow einer Street-Session mit sich bringt. Die Offiziellen nehmen dann die Rolle jener Ordnungsmächte auf öffentlichen Plätzen ein, denen aus dem Weg zu gehen im Alltag der Praktik tägliche Übung und zentrale Fähigkeit ist. Es ist deshalb für einige Jahre nicht nur schwierig, die vielgestaltigen Performances von Street Skateboarding zu bewerten, sondern überhaupt geordnete Wettkämpfe zu organisieren. Daher kann es nicht verwundern, dass die verbandsmäßige Rahmung der Praktik in der ersten Hälfte der 1990er Jahre zunächst drastisch an Bedeutung verliert. In den USA bricht die NSA zusammen, aus ihr geht 1994 die Organisation World Cup Skateboarding (WCS) hervor, die aber mehr eine Art Eventagentur ist als ein Sportverband nach europäischem Verständnis (vgl. Beal 2013, S. XVIII). Auch in Deutschland ist der DRB zunächst nachhaltig desavouiert. In der Folge findet in den späteren 1990er Jahren, als die Wettkampftätigkeit allmählich wieder auflebt, eine Privatisierung der Formate statt. Deutschland bleibt insofern eine Ausnahme, als dass hier in Gestalt des Cup Of Skaters (COS) bald eine neue Wettkampfserie entsteht, die – ohne dass dies allen Teilnehmenden bewusst wäre – vom DRB bzw. dem DRIV als nationale Meisterschaft sanktioniert ist. In allerjüngster Zeit hat indes die Einfügung der Praktik in das olympische Sportsystem – das von seinen Sportarten einen dauerhaften nationalen wie internationalen Wettkampfbetrieb fordert –, zu einer Art Verdopplung der Deutschen Meisterschaft geführt: Die COS-Serie besteht zwar weiter, wurde aber seitens des DRIV dezertifiziert, der nun wieder seine eigene, offizielle Deutsche Meisterschaft ausrichtet. In den USA ist diese Einpassung in den Kanon des IOC in den allerjüngsten Jahren etwas anders verlaufen. Während die X-Games weiterhin ein privatwirtschaftliches Format bleiben und so in Konkurrenz zu den Spielen des IOC verharren, wurde das 2010 gleichfalls privat gestartete Wettkampfformat Street League Skateboarding (SLS) als olympische Qualifikationsserie kooptiert. Zuvor allerdings konnte gerade die SLS als Musterbeispiel eines privatisierten Wettkampfbetriebes gelten, in dem sich Sport und Show vermischen: Die Starter/-innen mussten vertraglich zusichern, nicht bei Konkurrenzevents wie dem 2008 etablierten Maloof Money Cup (MMC) oder der Dew Tour anzutreten, einer von der gleichnamigen Softdrinkmarke initiierten Serie (vgl. Beal 2013, S. 57). Und auch in Europa sind besonders nach 2000 viele große, internationale Contests, selbst wenn sie als »Europameisterschaft« oder ähnlich auftreten, tatsächlich Invitationals, auf denen nur die Werksfahrer/-innen der jeweiligen szeneökonomischen Sponsoren auftreten oder zumindest keine Fahrer/-innen, die an deren direkte Konkurrenz gebunden sind. Wie sich unter dem neu hinzugetretenen Einfluss des olympischen Systems
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die Spitzenwettkampfformate im Skateboarding weiter entwickeln, bleibt bis auf weiteres abzuwarten. An solche Probleme ist um 1990 in jenem Mikro-Street-Skateboarding, zu dem wir nach diesem Ausblick nun zurückkommen, hingegen noch kein Gedanke. Dass diese Form des Fahrens sowohl in ihren körpertechnischen Kompetenzen als auch in seinem habitualisierten Raumnutzungsverhalten jedweder Form von Wettkampf zunächst intrinsich fern stand, wurde im Obigen bereits herausgearbeitet. In gleicher Richtung wirkt aber auch die de-institutionaliserte Örtlichkeit ›der Straße‹ auf die Praktizierenden ein. Weil Skateboarder/-innen nach 1990 zunächst keine Institutionen mehr brauchen, die aufwändige Zweckarchitekturen zur Verfügung stellen könnten, gliedern sich die lokalen Szenen schnell in viele noch kleinere, oft stadtteilbezogene und nicht selten voneinander im Grunde isolierte Einheiten auf, die sich jeweils ihren eigenen Ort zum Fahren suchen. Auch dadurch sinkt die ludisch-agonale Neigung der Praktik als ganzer: Denn eine Clique mag auf das Fahren an Treppen spezialisiert sein, eine andere befährt üblicherweise eher flaches Terrain mit Curbs – wer ist nun ›besser‹? Zugleich sind mit dieser De-Zentrierung der Szenen gegenüber dem Setting der Halfpipes Tendenzen einer sozialen Öffnung und Schließung der Teilnehmerschaft verbunden. Auch Yochim (2010, S. 52), die ihre Analyse der Praktik ansonsten textualistisch anlegt, macht in einer bereits angesprochenen Passage die »public nature« von Street Skateboarding und seine »frequent reliance on trespassing« als Gründe für die zunächst weiterhin geringe weibliche Beteiligung an dieser Form von Skateboarding aus, deren zunächst kleinteilige, mehr auf Technik denn auf Wagnis abstellende Fahrweise maskuline Habitus von Härte gegen den eigenen Körper eigentlich weniger privilegiert als frühere oder und spätere Gestalten der Praktik. An den typischerweise gefundenen Orten und Artefakten des emergenten Street Skateboarding nach 1990 kehrt also einerseits zunächst jene Form von Interaktion zurück, die sich schon den ›einsamen Inseln‹ der Backyard Pools attestieren ließ: Befragungen von aktiven Street Skateboarderinnen – freilich nach der Jahrtausendwende vorgenommen – bestätigen dies: »›Fighting (with the men) for a spot‹« sei ermüdend, männliche Kommentare zur eigenen Performance entmutigend (vgl. Atencio et al. 2009, S. 12). Die Straße, auf die die Praktik nun zurückkehrt, ist »structured by male power« – und das noch viel weiter reichend und tiefer wurzelnd, als bei Atencio et al. (2009, S. 17) gemeint. Vom öffentlichen Herumhängen, das mit Street Skateboarding verbunden ist, werden Frauen seit Beginn der Urbanisierung im 18. und 19. Jahrhundert in einem langfristigen Prozess der Vergeschlechtlichung von Raumverhalten entfremdet. Zunächst sollen Diskurse und Praktiken der Moral die nach Auflösung der ländlichen Großfamilie prekäre Kontrolle über Frauen und deren Sexualität wiederherstellen. Später gehen diese zunächst moralisch begründeten Bewegungseinschränkungen in Diskurse und Praktiken des Schutzes über. So wer-
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den, wie Renate Ruhne (2011, S. 191) schreibt, in langfristigen Prozessen der »Normverinnerlichung« vergeschlechtlichte »Unsicherheiten und Ängste« produziert, die eine »Ausgrenzung bzw. Selbstausgrenzung aus dem öffentlichen Raum« bewirken, obwohl (sexualisierte) Gewalt gegen Frauen und Mädchen weit öfter im Privaten als in der Öffentlichkeit vorkommt und auf der Straße weit überwiegend junge Männer zu Opfern von (nicht sexualisierter) Gewalt werden (vgl. ebd., S. 30f). Ob eine »Mehrzahl der Mädchen« bis heute »ein sich reduzierendes räumliches Verhalten« erlernt und eine Mehrheit der »Jungen ein expandierendes« (Löw 2001, S. 92), ist inzwischen durchaus umstritten. Andere Stimmen betonen, »den typisch ›raumgreifenden‹ Jungen und das typisch ›zurückgezogene‹ Mädchen« gebe es nicht mehr (Madlener 2004, S. 78). So sei zum Beispiel nicht mehr davon ausgehen, dass bereits geschlechtertypische Bekleidung Mädchen »in ihrem persönlichen Körper- und Bewegungsraum« einschränke10 . Indes ist jene vergeschlechtlichungsimmanente »Ausgrenzung und Selbstausgrenzung« aus dem öffentlichen Raum zumindest zum hier fraglichen Zeitpunkt – nämlich um 1990 – weiterhin virulent: Gestützt auf Untersuchungen im deutschsprachigen Raum eben dieser Jahre zeigt Madlener diesbezüglich signifikante Verhaltensunterschiede, die gerade das Alter von zehn oder zwölf Jahren betreffen, in dem oft mit dem Skateboardfahren begonnen wird: Demnach nutzen Mädchen »in jeder Region, in jedem Alter und innerhalb jeder Schicht« öffentliche Straßen und Plätze generell seltener zum Spielen als gleichaltrige Jungen. Mädchen im beginnenden Teenager-Alter wenden sich zudem in der Tendenz dem privaten Raum zu, während sich Jungen vom Elternhaus entfernen (vgl. ebd., S. 74). Zudem bezögen Jungen die (gebaute) Umwelt mehr ins Spiel ein als Mädchen, die mit Annäherung an die Pubertät zum Rückzug in Zweierfreundschaften neigten, anstatt wie die Jungen zum Anschluss an größere Gruppen (vgl. S. 76). Nun sind Texte aus der Pädagogik mitunter vorsichtig zu behandeln, weil sie ausgesprochen oder implizit normative Konzepte von gelungener oder misslungener Geschlechtsidentität beinhalten können. Zudem befindet sich die Gesellschaft zumindest der westlichen Staaten hinsichtlich solcher Rollenordnungen unzweifelhaft im Wandel. Doch lässt sich wohl festhalten, dass zentrale räumliche Praktiken des Street Skateboarding – das Herumhängen und Umherziehen auf den Straßen, die Inkaufnahme von Konflikten mit Autoritäten oder das Vordringen an wiederum ›verbotene‹ Orte – von gemäß vorherrschender Muster sozialisierten Mädchen mehr Überwindung fordern als von unter gleichen Umständen aufgewachsenen
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Jüngst scheint es allerdings diesbezüglich auch zu Gegenbewegungen zu kommen. Mit der Erhebung des ›Models‹ zu einem sehr relevanten Rollenmuster schon für recht junge Mädchen gehen Diskurse und Praktiken der emphasized feminity einher, die teils durchaus wieder bewegungseinschränkende Bekleidung zum Imperativ erheben (vgl. Kelly et al. 2005).
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Jungen: Street Skateboarding führt nicht selten gerade in jene raum-zeitlichen Zonen der städtischen Umwelt, die laut Ruhne (2011, S. 23) als »Angsträume« vergeschlechtlicht sind: Orte unklarer Nutzung mit wenig sozialer Kontrolle, Unterführungen, nicht-überwachte Zonen des Transits, Innenstädte bei Nacht, zuweilen auch Tiefgaragen. Mit dieser vergeschlechtlichenden Schließung der Praktik durch ihre örtliche De-Zentrierung ist im Bezug auf die soziale Schichtung indes eine Öffnung verbunden. Zumindest in der Tendenz macht Street Skateboarding die Praktik auch für jene zugänglich, die zu Zweckanlagen wie Halfpipes aus sozial-räumlichen Gründen keinen Zugang haben: So macht der Thrasher 1992 die suburbane Abgeschiedenheit des Vertskatens als Grund für seinen Niedergang aus: »Off the record, most pros say Rocco11 or the mags caused vert’s demise, but perhaps it was vert’s inaccessibility to the urban lifestyle. It’s merely a matter of demographics. Where in the city will you find public ramps? Nowhere except for Australia and Europe. The suburbs are the last bastions of middle class America, and therefore they hold the key to where vert came from and where it is going. […] The majority of vert pros are kids from middle class backgrounds who have had access to skate facilities in their communities. On the other hand, some of the greatest street skateboarders have come from the worst parts of town and know the true meaning of street life. Therefore it’s only logical that there will be a line and a difference« (Dirtball 1992, S. 28). Mit dem Street Skateboarding auf gefundenen Artefakten geht eine Öffnung der Praktik auch vielfach für People of Color einher. Jenes ›Schwarz-Werden‹ des Skateboardfahrens nach 1990, das oben anhand der Fahrweise des aufsteigenden Street Skateboarding rekonstruiert wurde, hat insofern auch einen örtlichen Hintergrund.
3.2.4.
Stadtalpinismus und Skateboardinstitute
Zur Erinnerung: Das Street Skateboarding der praktizierten Antidisziplin und des Streifens durch die Stadt reißt mit den späten 1990er Jahren nicht ab. Dennoch hatte es das Vorliegende als gerechtfertigt erachtet, spätestens 2000 eine weitere Zäsur zu setzen: Nun tritt erstens mit jenem Mega-Skateboarding eine neue Klasse von Bewegungen und Terrains hinzu, die zweitens auch auf die Praktiken eines bestimmten Bereichs im Street Skateboarding großen Einfluss hat: Diese beiden
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Gemeint ist Steve Rocco, Eigentümer der Skateboardmarke World Industries, die um 1990 für den Umschwung zum Street Skateboarding steht und für ausgesprochen aggressives Geschäftsgebaren bekannt ist. In Kapitel 4 wird von Rocco und World Industries noch die Rede sein.
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neuen Versionen des Skateboardfahrens beruhen auf einer erheblichen Vergrößerung der Bewegungen, die kategorial zu würdigen ist. Drittens war unterhalb der Ebene jenes Mega-Skateboarding und dieses Markro-Street-Skateboarding eine weitere Verschiebung auch dessen zu beachten, was weiterhin Street Skateboarding genannt wird, ohne zum Bereich des Makro-Street-Skateboarding gerechnet zu werden: Obwohl fortgesetzt tatsächlich auf der Straße gefahren wird, kann davon ausgegangen werden, dass diese Normalvariante des Skateboardfahrens nach dem Skatepark-Bauboom um die Jahrtausendwende überwiegend auf Zweckarchitekturen stattfindet. Den örtlichen Bedingungen und der Raumproduktion dieser drei Versionen des Skateboardfahrens ist nun im Detail nachzugehen – wobei hinsichtlich des konstruierten Terrains der Sonderfall jenes avancierten DIY mittels Blitzzement zu berücksichtigen ist, das gleichfalls nach der Jahrtausendwende um sich greift. Zumindest ein kurzes Schlaglicht ist auch auf das räumliche Verhalten von unorthodoxen neueren Skateboard-Praktiken auf Longboards oder Pennyboards zu werfen. Hinsichtlich des Mega-Skateboarding kann dabei der Aspekt der Örtlichkeit recht knapp verhandelt werden: Da diese architektonischen Arrangements ohnehin fast ausschließlich im Zusammenhang mit Wettkampfevents auftreten, lohnt es sich wenig, danach zu fragen, wie etwa die typischen Orte dieser Praktik mit der Fahrweise auf jenen Skateboard-Riesenschanzen korrespondieren und welchen Einfluss sie womöglich auf die sozialen Gruppen nehmen, die diese Form des Skateboardfahrens rekrutiert, werden die Teilnehmer/-innen dieser Events doch im Wesentlichen durch die Veranstalter/-innen festgelegt. Nimmt man jedoch an, dass ein Zusammenhang besteht zwischen der Vergrößerung vertikaler Körpertechniken im Mega-Skateboarding und jener Megaisierung oder Vergrößerung des Street Skateboarding ab etwa 2000, rückt die Frage nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden dieser beiden spezifisch vergrößerten Bewegungsräume in den Fokus. Gemeinsam haben der Flug-Raum der Skateboard-Voladores auf jenen riesigen Sprungarrangements und der vergrößerte Gap-Raum des Makro-StreetSkateboarding eine Bezeichnung: Mega-Skateboarding firmiert, wie gesehen, auch als Big-Air-Skateboarding; auch die Fahrweise des vergrößerten Street Skateboarding wird vielfach als Going Big beschrieben. »Big« beschreibt dabei, so hier die These, nicht nur technisch-formal das zu beobachtende räumliche Ausmaß solcher Manöver, also die Distanzen und Höhen, die dabei durchmessen und überwunden werden, sondern auch den Body Space, also den konkreten körperzentrierten Bewegungsraum, in dem sich diese Fahrweisen herstellen und der zugleich in ihnen entsteht. Mega-Skateboarding vergrößert die Sprungmanöver des vertikalen Skateboarding in einer Art und Weise, dass nunmehr der Flug selbst als Element des Fahrens in den Mittelpunkt rückt. Über das Gelingen oder Misslingen eines Airs in einer
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klassischen Halfpipe entscheidet der Moment des Absprungs. Stimmt der Schwerpunkt, das Drehmoment, die Körperspannung – wird The Edge also in korrekter Haltung betreten –, ist eine Landung an der richtigen Stelle programmiert: Die Fahrer/-innen spüren in der Regel schon vor dem höchsten Punkt, ob das Manöver ›passt‹ oder nicht. Deswegen können missglückte Airs auch frühzeitig und vergleichsweise sicher in einem Bail abgebrochen werden. Im Flight-Raum des MegaSkateboarding ist das anders: Auch wer den Absprung richtig trifft, kann sich einer sicheren Landung nicht gewiss sein – denn der Flug dauert so lange und führt den Körper so hoch und so weit, dass während des Fliegens Fehler passieren können. Umgekehrt gilt dies allerdings nicht: Die Impulse, die von einer Vor- oder Rücklage, einer falschen Fußstellung oder einem unausgeglichenen Drehmoment auf das Verhältnis von Körper und Skateboard ausgehen, potenzieren sich unter den extremen Druck- und Geschwindigkeitsverhältnissen in diesen Anlagen so sehr, dass sie in der Luft kaum abgefangen werden können. Im Flug-Raum des Mega-Skateboarding, so lässt sich zusammenfassen, sind zwar Fehler möglich, aber kaum Korrekturen. Nicht unähnlich verhält es sich mit einem Ollie über 20 Stufen oder jenem Grind auf einem steilen 30-StufenGeländer, von dem im ersten Teil der Arbeit schon die Rede war: Auch hier dehnt sich der Aufenthalt im Gap-Raum dermaßen aus, dass der Akt des Überbrückens selbst in den Vordergrund rückt; im Unterschied zur Mega-Ramp müssen die Fahrer/-innen indes zusätzlich den Zugang zum Bewegungsraum selbst erarbeiten: Ist die Flughöhe und Flugweite in einem Big-Air-Arrangement mathematisch vorgegeben und ›sitzt‹ dessen Bewegungsraum insofern nicht minder im Artefakt als im Körper, ist dies bei einem Mega-Gap im Street Skateboarding nicht der Fall. Doch auch hier ist der Flug oder Sprung nun selbst das Erlebnis, nicht die Verbindung zwischen zwei Artefakten oder Flächen. So kann sich der Skateboarder Jamie Thomas, wenn er in der Erzählung nicht zu sehr übertreibt, sich noch Jahre nach seinem Leap of Faith – dem Springen jenes annähernd sechs Meter (!) tiefen Gaps in San Diego, von dem bereits die Rede war – noch ganz genau an die Flugphase erinnern: »It’s the scariest thing that I’ve done to this day […]. I went back to the starting point, bent down to tie my shoe, and looked to my right and saw a dead bird. Oh no, I thought, I hope that’s not an omen. […] I pushed toward [sic.] it and was completely, absolutely frightened. But I tried to breathe through it […]. I pushed off and ollied […]. I remember dropping in the air and thinking, Dude, this is way higher than I imagined. There’s no way I’m going to ride away from this. No way. Then: I just did something wrong. What did I get myself into? I landed, my board broke and I rolled out of it. My ankle was hurting […]« (Mortimer 2008, S. 100). Dergestalt vergrößerte Bewegungsräume sind, wie sich unschwer vorstellen lässt, zunächst Räume extremer körperlicher Sensation, die Selbststeigerung in orda-
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len Adrenalin-Erlebnissen anbieten. Doch entstehen sie in und formen zugleich höchst kontrollierte und ludische Dispositionen. Von spontanen Improvisationen oder spielerischem Variieren in der Luft oder auf jenem 30-Stufen-Geländer ist abzuraten. Während Street Skateboarder/-innen, wie weiter oben angesprochen, etwa beim Boardslide auf der Kante einer Parkbank noch während des Manövers impulsiv entscheiden können, etwa einen Rückwärtsabgang zu versuchen, weil vielleicht das vordere Rad leicht bremsend auf der Sitzfläche schleift und das Brett deswegen ohnehin dazu tendiert, sein Tail gegenüber der Nose nach vorn zu schieben, wird bei Big Moves auch im Street Skateboarding nicht experimentiert. Wer solche Body Spaces betreten will, muss nicht nur genau wissen, welches Manöver wie versucht werden soll, sondern sollte das Obstacle zuvor auch genau erforschen. Im Makro-Modus des Street Skateboarding wird nicht einfach losgefahren und das Glück herausgefordert. Nicht selten ist an ›großen‹ Gaps etwa zu beobachten, dass Fahrer/-innen ohne Erfahrung mit diesem konkreten Artefakt zunächst von unten ein paar Stufen hinaufsteigen, um dann aus der Hand aufs Brett zu springen und dabei zu fühlen, wie es sich auf der gegebenen Oberfläche landet. Oder sie fahren mehrfach von oben auf den Absatz zu, um jeweils kurz vor dem Absprung abzubrechen – so versuchen sie, zu erspüren, ob ihre Geschwindigkeit im Verhältnis zum Hindernis stimmt. Jamie Thomas berichtet, er habe sich auf den Leap of Faith über einen Zeitraum von sechs Monaten intensiv mental – Foucault, siehe oben, würde hier von Melete sprechen – vorbereitet: »I’d go look at the gap and think about doing it and eventually I said I wanted to do it« (Mortimer 2008, S. 96). Am Tag des Versuchs springt er zunächst ohne Skateboard hinunter, um zu sehen, ob seine Beine das aushalten. Dann folgt der Sprung mit dem Skateboard. Thomas landet auf dem Brett, das Brett zerbricht, er humpelt davon – aber der Sprung ist auf Video aufgenommen. Thomas versucht sich nie wieder an diesem Spot, auch wenn in der Szene darüber gestritten wird, ob der Sprung als gestanden zu werten ist. Solche Big Moves finden außerhalb des Flows einer Session, also der individuell-kollektiven Dynamik des gemeinsamen Fahrens in einem vielfach bewegten, lebendigen Umfeld statt: Einzelne oder wenige versuchen sich am Hindernis, andere ›Expeditionsmitglieder‹ bilden ein Publikum, feuern die Aktiven an, fotografieren oder filmen, rufen im Notfall den Krankenwagen. Sie halten aber auch Ausschau nach etwaigem Wachschutz und sichern den Versuch hinsichtlich etwaigen Verkehrs: Sie übernehmen für diejenigen, die sich selbst am Big Move versuchen wollen, all die Funktionen des Checking, also des »körperlich-sinnlichen Abtastens der Umwelt«, das ansonsten mit Street Skateboarding verbunden ist. Diese »Handlungsfähigkeit des Skaters, sich den wechselnden […] Konstellationen des städtischen Raumes blitzschnell anpassen zu können« (Peters 2016, S. 145), wird gewissermaßen in dieses Begleitteam ausgelagert, sodass sich die jeweiligen Fahrer/innen ganz auf den intendierten großen Satz einstellen können. Insofern wird
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nicht nur, wie Peters (2016, S. 146) weiter feststellt, beim Fahren auf den Zweckartefakten einer Skateboardhalle oder eines Skateboard-Parks »der Raum als aktiver Mitspieler der Praktik« tendenziell »aus-« oder »gleichgeschaltet«, sondern auch im Street Skateboarding in seiner megaisierten Form. Dieser an den Alpinismus gemahnende Expeditionscharakter von Big Moves ergibt sich schon daraus, dass in den Zweckanlagen, in denen nach der Jahrtausendwende überwiegend gefahren wird, wirklich extreme Architekturen wohlweislich fehlen. Mit der Rückkehr der Skateparks und Skateplazas ist aber nicht nur der Versuch verbunden, die Fahrer/-innen von allzu riskanten Manövern abzuhalten, sondern auch anderweitig erzieherisch auf sie einzuwirken. Besonders drastisch fallen solche Versuche mancherorts in den USA aus. Besonders dort sind nicht wenige der nach der Jahrtausendwende entstehenden Skateparks bereits in ihrer Örtlichkeit überaus stark verregelt – also eingezäunt und mit festen Öffnungszeiten, Mitgliedsgebühren und überwachendem Personal ausgestattet. An solchen Orten gelten über eine Verpflichtung auf Schutzbekleidung hinaus oft sehr strikte Verhaltensregeln: Wer beispielsweise um 2010 den von der kalifornischen Stadt Malibu geförderten Skatepark »Papa Jack’s« benutzen will, muss zuvor einen dicht und in kleinen Buchstaben bedruckten Vertrag unterschreiben, der neben einem Haftungsausschluss eine lange Liste von Geboten und Verboten beinhaltet: »[…] no alcohol or controlled substances […], no smoking […], no skating or bikes in neighbouring parking lots […], no soliciting or unauthorized sales […], no chewing gum in the skatepark and no food, or beverages in the skate areas, no graffiti, no profanity […]. I willingly agree to comply with the stated and customary terms and conditions of participation. If, however, I observe any unusual significant hazard during my presence or participation, I will remove myself from participation and bring such to the nearest official immediately […]« (City of Malibu, 2010). Mit ihrer Unterschrift werden Skateboarder/-innen an solchen Orten buchstäblich zu einer Art Polizei ihrer selbst – und im Kleingedruckten finden sich noch weitere erstaunliche Hinweise: Die Unterzeichner/-innen anerkennen beispielsweise, dass sich die Stadt Malibu das Recht vorbehält, während des Fahrens im Skatepark von ihnen entstandene Fotos kostenfrei als Werbematerial zu nutzen. Bei Verstößen aller Art können Nutzer/-innen vom Besuch der Anlage ausgeschlossen werden, wobei kein Ersatz der Mitgliedsgebühren erfolgt. Derart regelbewehrte Anlagen sind in den USA tatsächlich keine Seltenheit, auch wenn das Reglement nicht immer so bärbeißig klingt wie in Malibu (vgl. Vivoni 2009, S. 138; Chiu 2009, S. 30f). Die starke Verregelung und auch der abschließbare Charakter dieses Typus von Skateparks haben indes nicht nur normierende und exkludierende, sondern gerade hinsichtlich der Vergeschlechtlichung der Praktik auch inkludierende Effekte: Gerade gegenüber dem Skateboardfahren ›auf der Straße‹ bieten sie Mädchen und jungen Frauen bessere Teilnahme- und Lernmöglichkeiten, weil bestimmte ma-
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chistische Formen von Interaktion dort weitaus seltener sind – und nicht zuletzt deshalb, weil in solchen eingeschlossenen Anlagen Frauen und Mädchen vorbehaltene Sessions organisiert werden können. Von Atencio et al. (2009, S. 14) befragte Skateboarderinnen »described typically supervised skate parks where women-only skateboarding events took place as being ›positive‹ and ›empowering‹ spaces. This was in contrast to the men, who found less value in these ramp spaces and valorised street spaces«. Auch die Gruppe von Skateboarderinnen, die Kelly et al. (2005, S. 137) für ihre Untersuchung weiblicher Skateboard-Identitäten interviewt haben, nennt sich »park friends« und versammelt sich in und um eine Zweckanlage. Im Verlauf insbesondere des vergangenen Jahrzehnts ist freilich andererseits – nicht nur in den USA – aufgrund verbreiteter Unzufriedenheit mit solchen Reglements ein offenerer Typ von Anlagen hinzugekommen, der keine Einzäunung, Mitgliedsausweise und derartige Verträge kennt und nicht zuletzt von Instanzen aus der Skateboardszene unterstützt wird. So fördert die Tony Hawk Foundation nur Anlagen, die einen kostenfreien Zugang bereithalten; ähnlich sind auch die Förderbedingungen der Rob Dyrdek Foundation (vgl. Atencio/Beal 2016). Allerdings können in solchen öffentlich-privaten Anlagen dennoch Ausschlussmechanismen wirken. Bereits vor der Errichtung verlangen US-amerikanische Gemeinden von Ingteressierten nicht selten, einen erheblichen Teil der Gelder durch die Einwerbung von Spenden oder Sponsorenmitteln selbst aufzubringen. In einigen Bundesstaaten, zum Beispiel Oregon, gibt es zumindest zeitweise sogar entsprechende Gesetze: Dort müssen 60 Prozent der Mittel bei Sponsoren beschafft werden. In Philadelphia sollten die Befürworter/-innen eines großen Skateparks um die Jahrtausendwende sogar mit nicht weniger als vier Millionen Dollar in Vorleistung gehen (vgl. Howell 2008, S. 482). Dies sind Dimensionen, die einen Zusammenschluss zu einer ökonomisch handlungsfähigen Rechtsperson verlangen, die in der Lage ist, mit hohen Summen zu hantieren. Darüber hinaus werden die Nutzer/-innen dieser Anlagen oft mittelbar dafür verantwortlich gemacht, dass von ihr keine Störung der Ordnung in ihrer näheren Umgebung ausgeht – ansonsten kann die Schließung drohen. Der Stadtsoziologe Ocean Howell, in den 1990er Jahren selbst ein herausragender professioneller Street Skateboarder, diskutiert solche Örtlichkeiten der Praktik vor dem Hintergrund des stadtpolitischen Paradigmas des New Public Management als »neoliberal playground«: In »exchange for a park, skateboarders are typically required to secure private funding, supervise and police themselves, maintain order in surrounding neighbourhoods, and more […]«. Solche Anlagen fungierten als »concrete curriculum for self-management«. Sie förderten »flexibility, ownership, personal responsibility, self-suffiency« und trainierten somit Dispositionen, die – wie Howell schreibt – für »neoliberal social, civic, and economic relations« entscheidend seien (Howell 2008, S. 480).
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Auch in Deutschland gibt es Anlagen mit festen Öffnungszeiten, Eintrittsgeldern und einem mehr oder minder strikten Reglement. In der Regel sind dies Anlagen in Hallen mit kommerziellen oder halbkommerziellen Betreiberstrukturen. Da solche Indoor-Anlagen im Unterhalt sehr teuer sind – Parcours für Street Skateboarding brauchen viel Platz, es kann aber nur eine begrenzte Zahl an Gästen eingelassen werden – gibt es neben den Eintrittsgebühren häufig noch Werbepartnerschaften mit ökonomischen Akteur/-innen aus der Skateboard-Lifestyle- oder der Sportwirtschaft. In der Berliner Skateboardhalle im Bezirk Friedrichshain etwa gibt es Ermäßigungen für Mitglieder des 1. Berliner Skateboardvereins, ansonsten kann pro Session bezahlt oder können Abos erworben werden. Dass von solchen Orten, an denen ein Nachmittag Skateboardfahren so teuer ist wie eine ermäßigte Kinokarte, eine gewisse soziale Selektion ausgeht, dürfte einleuchten – und zumal in Ländern wie Deutschland sind diese Hallen im Winter oft die einzigen Orte des Skateboarding, da Rollsplit das Fahren auf der Straße behindert. Tatsächlich finden in dieser Halle aber auch ›Ladies Nights‹ statt, die sich reger Beteiligung erfreuen und als Treff- bzw. Kristallisationspunkt eine wichtige Rolle spielen für die in Berlin jüngst festzustellende Zunahme weiblicher Beteiligung. Mit Blick auf »Skate-Novizen« erkennt auch Peters (2016, S. 149) diesen formal reglementierten Orten zumindest jenseits des finanziellen Aspekts zu, einen »›barrierefreien‹ Szene-Einstieg« zu gewähren. Als »neoliberale Spielplätze« im Sinne Howells treffend zu charakterisierende Skateboardinstitute hingegen sind in der Bundesrepublik und zumindest den westeuropäischen EU-Staaten weitgehend unbekannt. Eine Mehrzahl der Skateboard-Anlagen ist in Deutschland bereits seit den BQFP-Parks in der Art der 1990er Jahre öffentlich finanziert und, solange es Licht und Wetter erlauben, jederzeit frei zugänglich in Parks oder an ähnlichen Orten installiert. Eine Verpflichtung zum Spendensammeln vor der Errichtung einer Skateboardanlage gibt es nicht und die Reglementierung an solchen Orten geht selten über Hinweisschilder hinaus, die darum bitten, sich Schutzbekleidung anzulegen und Abfall zu entsorgen. Eine Überwachung dieser Regeln findet üblicherweise gar nicht oder nur sehr punktuell statt. Dennoch unterscheidet sich das Skateboardfahren an solchen Orten vom Befahren gefundener Spots natürlich hinsichtlich ihrer Legitimität; um sich diese anzueignen, ist ein im Sinne Ehnis antidisziplinäres Verhalten nicht erforderlich. Hierin lässt sich auch ein – ceteris paribus – inkludierender Impetus der Örtlichkeit erkennen. Erlebbar ist der institutionalisierte Charakter von Zweckanlagen freilich auch in actu, also in der konkreten Interaktion von Körper, Skateboard und Artefakt. Wie schon im Vergleich von Backyard Pool und Halfpipe deutlich wurde, wirken auch diese Zweckartefakte zur Realisierung von Gap-Räumen verregelnd und standardisierend auf die Bewegungen der Körper und den Mikro-Raum, den diese hervorbringen. Es ist ein erheblicher Unterschied, ob Skateboarder/-innen aus einer für
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Kinderwägen und Rollstühle gedachten Schräge auf die Kante eines Blumenkastens zum Grind springen oder aus einer Bank in einer Zweckanlage auf einen speziell dafür konzipierten Curb. Im ersten Fall ist der Grind bereits deutlich schwieriger zu ›treffen‹, weil Schräge und Kante nicht als Arrangement konzipiert und deshalb nicht in einer Linie angelegt sind. Zudem wird sich die Kante selbst aufgrund ihres Materials dem Manöver gegenüber häufig widerspenstiger verhalten, während sich der Skate-Curb in seiner optimierten Oberflächengestaltung ›wie auf Schienen‹ grindet. Dies deckt sich im Groben mit Peters (2016, S. 146-153) Einschätzungen. Im Anschluss an John Bale qualifiziert er mit Zweckartefakten bestückte »Skateparks, -hallen und Streetplazas« als »›Sportscapes‹«, die der »Wettkampfidee und Leistungsideologie des Sports«, also einer ludisch-agonalen Neigung der Praktik, Vorschub leisten (ebd. S. 147).
Die Art von Skate-Parcours, auf der etwa bei der Street League Skateboarding – hier der US-amerikanische Profi Nyjah Huston 2017 in München – gefahren wird, stellt den bisherigen Höhepunkt eines ›sportifizierten‹ Terrains für Strret Style dar. Solche Anlagen sind auf »Progression« in der Manöverentwicklung ausgelegt, lassen aber tendenziell Improvisationsvermögen und Kreativität beim Fahren ins Hintertreffen geraten. Foto: David Wagner
Freilich ist mit konstruiertem Terrain, das Skateboardbewegungen unterstützt, und ist mit solchen Orten, an denen sich stets sehr viele und auf sehr unterschiedlichen Niveaus agierende Skateboarder/-innen versammeln, auch eine Beschleunigung des individuell-kollektiven Lernens verbunden. Eine Differenzierung ist auch hinsichtlich der Skateplazas – jener Zweckanlagen, die aussehen, als sei-
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en sie nicht zum Skaten gedacht – vorzunehmen: Je mehr sich die Architektur solcher Orte tatsächlich an gefundenen Artefakten im Stadtraum orientiert, desto weniger kommt jener ludisch-agonale Impetus konstruierter Oberflächen zur Wirkung. Vivoni (2010, S. 63ff) betont überdies, dass zumindest nicht formal überwachte Zweckanlagen in der Praxis seitens der Benutzer/-innen oft hybridisiert werden, also mit gefundenen Elementen angereichert: Skateboarder/-innen manipulieren die gegebenen Obstacles durch das Hinzufügen von zusätzlichen Elementen wie Supermarkt-Paletten, provisorischen zusätzlichen Schrägen durch angelehnte Bohlen und Bretter oder durch das Hinzustellen anderswo weggetragener Parkbänke oder Mülltonnen zum Überspringen. Auch fügen sie etwaigen Sponsorenlogos eigene Signets hinzu. Sie entwerfen eigene Regeln für den Gebrauch dieser Orte – und schlagen Lücken in etwaige Umfriedungen. So bleiben auch solche Orte »sites for both practicing and contesting urban governance« (Vivoni 2009, S. 130). Das jüngere DIY-Skateboarding hingegen ist in seiner Örtlichkeit und in seiner oberflächen- und körperbezogenen Raumkonstitution nicht nur auf der Ebene explizierter Repräsentationen wie Pontus Alvs erwähntem Film-Manifest, sondern auch körperpraktisch eine Art Gegenmodell zum Fahren in solchen Anlagen. Zwar sind auch in Eigenregie errichtete Skateboard-Artefakte Zweckarchitekturen, doch erfordern ihre – zumeist – unprofessionell modellierten Oberflächen eine improvisierende, impulsive, experimentalistische, von Paidia bestimmte Fahrweise. Sie stellen auch kein vorstrukturiertes Terrain dar, weil die Fahrer/-innen selbst sie ständig durch Anbauten an ihre Bedürfnisse anpassen. Jenes »roughe Skaten zuhause« (Peters 2016, S. 157), das Alvs Film propagiert, findet also durchaus seine Entsprechung in der körperräumlichen Praxis. In ihrer Örtlichkeit sind solche illegalen Selbstbauanlagen mit den Backyard Pools der ausgehenden 1970er Jahre zu vergleichen – mit allen spezifisch vergemeinschaftenden wie ausschließenden Begleiterscheinungen. Mit Ausnahme größerer, von Anfang an öffentlich geduldeter oder sogar geförderter Anlagen wie etwa dem 2er in Hannover werden diese Orte ›nicht an die große Glocke gehängt‹, weil dann zu fürchten steht, dass sie von offizieller Seite schneller beseitigt werden. Auch wenn, wie nicht nur Peters (vgl. 2016, S. 147) beobachtet, die Grenzen zwischen dem Fahren in sportorientierten Zweckanlagen, auf ›der Straße‹ sowie auf DIY-Terrains im Alltag fließend sind und nicht wenige Skateboarder/-innen angeben, Zweckanlagen als Übungsorte für das Fahren auf der Straße zu nutzen, bleibt für die Zeit nach der Jahrtausendwende wohl festzustellen, dass die Orte, Oberflächen und körperräumlichen Hervorbringungen einer ›Normalvariante‹ von Skateboarding sich insgesamt in eine stärker ludische und auch agonale Richtung zu tendieren beginnen. Nicht selten haben freilich gerade wissenschaftliche Texte über die Praktik die Tendenz, den Umstand zu marginalisieren, dass eine Mehrheit der Teilnehmer/-innen Zweckanlagen bevorzugt. Gelegentlich scheint eine Neigung zu bestehen, bestimmte Teilnehmerperspektiven, nämlich diejenigen
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Improvisierte, aus Blitzzement selbst gegossene DIY-Anlagen wie diese 2005 im US-Bundesstaat Florida entstandene Landschaft bringen eine ganz andere Fahrpraxis hervor als Sport-Parcours in Hallen oder jene Halfpipe im Hintergrund. Obwohl auch solche Anlagen Zweckarchitektur sind, geht von ihnen eine materiale Widerspenstigkeit aus, die eine an Kreativität und Implsivität orientierte Fahrweise befördert. Insofern kann das DIY-Skaten auch als eine Art Gegenprogramm zu rezenten Sportifizierungstendenzen im Skateboarding betrachtet werden. Foto: Dirk Pfeiffer/pipeshots.com
›echter‹ Street Skateboarder/-innen, zu übernehmen, die solche Orte und Modi des Skateboardfahrens gern als unauthentisch abqualifizieren. Diese Tendenz einer romantisierten Forschung im Sinne der Selbstbeschreibungen des Feldes kann auch zur Folge haben, die in ihrer eigenen Weise durchaus ludisch-agonalen und somit auch spezifisch sportförmigen Züge jener Teile von Street Skateboarding zu übersehen, die im Vorliegenden als megaisiertes Street Skateboarding charakterisiert wurden: jene beschriebenen Praktiken der Treppenstufenrekordjagd. Noch weniger Beachtung finden gemeinhin die räumlichen Praxen der jüngeren unorthodoxen Varianten der Praktik, also vor allem des Longboarding. Im urbanen Gebrauch – dem Cruising – bespielen Longboarder/-innen zumeist ähnliche Orte wie etwa die Figurenskater/-innen der 1970er Jahre, beispielsweise asphaltierte Wege in Parks oder breite Gehsteige mit glattem Belag. In ihrer Praxis gewinnen sie diesen Oberflächen eine spezielle Variante jenes Curve-Raums des Slaloms ab, der sich in einem ›richtigen‹ Verhältnis von Rhythmus und Amplitude seriell ausgelöster Drehmomente herstellt. Allerdings kommt der auf totaler Gleichmäßigkeit und Regelhaftigkeit beruhende und diese Dispositionen zugleich för-
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dernde ludisch-agonale Grundcharakter des Body Space der Slalomskater/-innen in Longboard-Bewegungen nicht zur Wirkung, da das Schwingen des Körpers und Bretts hier nicht auf ein Schnellerschein ausgerichtet ist und jene oben bechriebene Konkretion des Slalom-Körperraums durch Vorgaben zu Startrampen, Streckenneigung und Bekegelung entfällt. Im Longboarding werden diese schwingenden Bewegungen in der Regel zum Genuss ihrer selbst ausgeführt. So begrenzt die Möglichkeiten des Longboardfahrens in der Stadt auch sein mögen, indem sich etwa die meisten Fahrer/-innen nicht längerfristig flüssig durch den Raum bewegen können, sondern aufgrund fehlender OllieKompetenzen immer wieder – etwa vor Bordsteinen – anhalten und absteigen müssen, so befreiend kann dieser Körperraum zugleich sein: Befreiend von den Affordanzen jener 10-Stufen-Treppe am Wegesrand, die nun nicht mehr dazu einlädt (und zugleich gebietet), in einem kühnen Satz überwunden zu werden, sondern nun wieder in die Fläche zurücktritt, aus dem sie der zum Ollie befähigte praktische Sinn des Street Skateboarding gelöst hatte. Befreiend – zumindest im Grunde – aber auch von den subkulturellen Normen, den Verhaltensmustern und individuell-kollektiven Zwängen, die sich in mehr als 50 Jahren Benutzung von Skateboards im bebauten Raum aufgebaut haben.
3.3.
Skateboarding und die Stadt
Skateboarder/-innen, das zeigte dieser zweite Abschnitt aus der Nahsicht, spielen auf vielfältige Weise mit Artefakten, die an verschiedensten Orten im städtischen Raum zu finden sind. Ihr praktischer Sinn liest deren Affordanzen aus und benutzt sie zunächst zweckfrei und spielerisch. Doch erweist sich dieses Spielen schon deshalb als produktiv, weil es verschiedene Generationen von Zweckarchitektur hervorbringt, die auch in anderen sportiven Praktiken genutzt werden und deren Bewegungen mitbestimmen. Darauf ging bereits der erste Abschnitt der Arbeit ein. Im folgenden Ausblick zum zweiten Abschnitt soll es in einer Draufsicht zusammenfassend und vertiefend vor allem darum gehen, wie der planerische, ökonomisch-soziale Zusammenhang, der die bespielten Artefakte in ihrer Oberflächlichkeit produziert und in ihrer Örtlichkeit definiert, mit dem Treiben auf Skateboards umgeht: die westliche Stadt bzw. die Stadtpolitik im ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhundert. Die These ist dabei die, dass eine soziale und kulturelle Praktik wie das Skateboardfahren – wohl gerade weil sie, zumindest in Europa und der Bundesrepublik, numerisch vergleichsweise marginal bleibt – einen (vermeintlichen) Paradigmenwechsel in den Diskursen und Praktiken des Managements von Städten anzeigen kann. Überprüft wird diese These anhand der Beispiele von Nutzungskonflikten
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um auf Skateboards bespielte städtische Plätze, die eine gravierende Veränderung des planerisch-ökonomischen Status der Praktik seit den 1990er Jahren anzeigen. Was ist das also für eine Stadt, deren Möbeln Skateboarder/-innen in den ausgehenden 1970er Jahren vertikale Bewegungsräume abgewinnen? In die Straßen welcher Form von Stadt ergießen sie sich um 1990? Weshalb baut diese Stadt gerade nach der Jahrtausendwende so viele Skateboard-Zweckanlagen? Folgt man Henri Lefebvre, fällt der Beginn der Geschichte des Skateboardfahrens in den 1960er und 1970er Jahren ziemlich genau mit einer »kritischen Phase« der »Industriestadt« zusammen, die im 19. und 20. Jahrhundert die mittelalterliche »Handelsstadt« abgelöst hatte, die ihrerseits auf die »politische Stadt« der Antike gefolgt war (vgl. Lefebvre 2003, S. 27-29). Während Lefebvre in den 1970er Jahren die weiteren Entwicklungen dieser seither vielfach aus- und angerufenen sowie für überwunden erklärten Krise der Stadt noch in einer »›black box‹« verborgen scheinen, wird ab den späteren 1980er Jahren unter Überschriften wie Global Cities oder Glokalisierung systematisch in diese Black Box des post-industriellen Städtischen hineingesehen. Eine historische Soziologie westlicher Städte seit den 1960er Jahren kann zwar nicht mit wenigen Absätzen umrissen werden, doch lassen sich einige Eckpunkte setzen, zwischen denen der Gegenstand des Vorliegenden sinnvoll zu diskutieren ist: Im Zusammenhang mit Verschiebungen der Internationalen Arbeitsteilung beginnt sich spätestens in den ausgehenden 1970er Jahren das Städtesystem zu wandeln. Große Metropolen lösen sich tendenziell aus jenen Umlandbeziehungen, an die sie durch das industrielle Produktionsschema gebunden waren. Diese »Global Cities« bilden ein neues, transnationales, prosperierendes Netzwerk von Standorten der ›Global Players‹. Indem diese Metropolen nicht mehr »nur die Funktionen eines zentralen Orts« gegenüber ihrem traditionellen Umland erfüllen, sondern untereinander »systemisch […] zusammenhängen«, distanzieren sie sich zusehends von anderen, kleineren, aber einst gleichfalls wichtigen Städten, die tendenziell ins Hintertreffen geraten und teils mit Schrumpfungsprozessen zu kämpfen haben (vgl. Sassen 1996, S. 71ff). Dabei geraten die Städte nicht nur als ganze, sondern auch in ihren Teilen in die Kräftefelder dieser neuen Geografien des Weltmarkts. Quer selbst durch die Global Cities tun sich neue Gräben auf. Am Beispiel der – in mancherlei Hinsicht freilich eher einzigartigen als typischen – Global City Los Angeles wurden Szenarien eines ambivalenten sozialräumlichen Differenzierungsprozesses gezeichnet, der zur Ausprägung eines lose zusammenhängenden Konglomerats spezifischer Kristallisationspunkte neigt, unter denen Soja (1996, S. 17) unter anderem die »Exopolis« als ausufernden suburbanen Gürtel, die »Ethni-City« als Refugium und Getto ethnisierter Unterschichten und die »Cosmopolis« des globalen Reichtums unterscheidet. Werden in diesem Netzwerk die Knotenpunkte der neuen internationalen Arbeitsteilung umfassend geschützt – Soja spricht von der »Zitadelle« als »Panoptikum« – werden andere, oft eng benachbarte Zonen Teile einer trans-
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nationalen Welt lokaler Armut. Obwohl sich europäische Städte mit Los Angeles schwer vergleichen lassen, wurde auch in Städten des alten Kontinents um 2000 ein sozial-räumlicher Zerfall in Zonen der Macht- und Konsumkonzentration sowie Zonen der Abgehängten diagnostiziert. Wenngleich die hiesigen Verhältnisse weit von den »amerikanischen Hyperghettos« entfernt seien, dringe doch die ethnisch-soziale Segregation dramatisch vor (Häußermann/Kapphahn 2000, S. 18). Konsens scheint bei all dem zu sein, dass die Industriestadt der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sozialräumlich stark von einer vergleichsweise abgesicherten unteren Mittelklasse aus qualifizierter Arbeiterschaft und Angestellten charakterisiert ist, die aufgrund ihrer Lohnarbeit kleine Vermögen aufbauen können. Ab den 1970er stößt dieser Zustand an Grenzen, gerade die traditionellen Facharbeiterviertel erfahren durch Arbeitsplatzabbau, Deindustrialisierung und Wegzug in ›sichere‹ Vorstädte eine massive Abwertung, nicht wenige verwandeln sich in konfliktreichen Prozessen in Ethni-Cities. Immer wieder kommt es in der westlichen Stadt der 1970er bis 1990er Jahre zu mancherorts permanenten, mancherorts vorübergehenden Phasen innenstädtischen Leerstands und einer Verwahrlosung ganzer Stadtteile. Besonders gravierend fallen solche Prozesse in Städten aus, die nicht zum globalen Netzwerk der neuen Metropolen zählen und mit Deindustrialisierung, Dequalifikation und einer rapiden Alterung der Bevölkerung zugleich konfrontiert sind. Ab den 1980er Jahren beginnen die Städte auf diese ihre viel zitierte Krise in einer spezifischen Art und Weise zu reagieren. Viele treffen dabei in verschiedenen Nuancen eine richtungsgleiche Entscheidung: Die Stadt wird nicht mehr nur, wie im Zeitalter der klassischen Industriestadt, als Infrastruktur und Absatzmarkt des produzierenden Gewerbes »gemanaged«, nun wird die Stadt selbst als Unternehmen entworfen. Harvey spricht 1989 von der »unternehmerischen Stadt«, die die »Manager-Stadt« abzulösen im Begriff sei. Unternehmerische Städte treten auf nationaler und internationaler Ebene als Konkurrentinnen um (Human-)Kapital, um Arbeitsplätze und Steuergelder auf. Dabei betrachtet die unternehmerische Stadt ihren Inhalt, also Architektur, Artefakte, Traditionen, Landschaften, Mythen, Bilder, Träume und Menschen, im Grundsatz als Kapitalie. Grosso modo lässt sich nun die unternehmerische Strategie für jene Krise der Stadt in zwei historische Varianten unterscheiden, die sich teils widersprechen und aufeinander folgen, sich teils aber auch ergänzen und zwischen den Polen der »harten« und der »weichen Stadt« (vgl. Raban 1974) pendeln, also einerseits der Stadt als materiellem Rahmen aus Architektur, Gesetzen, Normen und Funktionszuweisungen und andererseits der gelebten, erlebten, subjektiven Stadt »built of each urbanite’s experiental perceptions of the ›hard city‹« (Flutsy 2000, S. 150). In den 1980er und 1990er Jahren herrscht dabei eine Politik der harten Stadt vor, die Desintegration und der Erosion ihrer Normen und sozialräumlichen Funktionszuweisungen primär durch Law and Order begegnet: Einerseits wird versucht, eine
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Dependance der Global City anzuziehen, indem baulich wie sozial abgeschottete Zitadellen entstehen, also zentrale »Dienstleistungskomplexe«, die zwar »in sich stark verflochten« sind, »nicht aber mit der übrigen Stadt« (Häußermann/Kapphahn 2000, S. 255). Den potenziellen Beschäftigten dieser Central Business Districts (CBD) genannten, quasi-exterritorialen Geschäftsviertel werden Gated Communities als Wohnsitze angeboten. Zugleich werden abgehängte Gebiete mit eiserner Faust zur Ordnung gerufen – diese in der Kriminologie als »Neorealismus« apostrophierten Politiken und Diskurse kulminieren in den 1990er Jahren unter Schlagworten wie Zero Tolerance und Broken Windows (vgl. Lüdemann/Ohlemacher 2002, S. 143ff). Ziel dieser Politik ist eine konsequente Wiederdurchsetzung der harten Stadt. Zugleich aber beginnen Debatten, die sich später zu Politiken einer – eher – weichen unternehmerischen Stadt verdichten. Bereits Mitte der 1980er Jahre wird registriert, dass »städtische ›Kulturpolitik‹« sich zu einem »wichtigen Instrument ökonomischer Restrukturierungspolitik im Wettlauf der Standorte« entwickle und hierbei eine »geplante ›Urbanität‹« zur Strategie der Wahl zu werden beginne (Esser/Hirsch 1987, S. 32). In den 1990er Jahren setzen breitere Debatten über »culture as an economic base« ein (Zukin 2005, S. 284f). Dabei lassen sich wiederum grob zwei Varianten unterscheiden: Einerseits gibt es im Top-Down-Verfahren implementierte Prozesse, die die ›Kulturalisierung‹ einer Stadt durch spektakuläre, weltweit ausstrahlende Zentren von Hochkultur anstreben – nach dem Beispiel der baskischen Industriemetropole, die sich 1997 mit der Eröffnung einer Guggenheim-Dependance auf die Weltkarte der ›Kultur‹ katapultiert, hofft man auf den »Bilbao-Effekt« (Springer 2007, S. 84). Andererseits werden Stadtkulturpolitiken im Bottom-Up-Modus erprobt, die keinem Masterplan folgen, sondern durch das Setzen von Bedingungen – etwa das Fördern von Zwischennutzungen – auf ein Wachsen-Lassen zielen (vgl. ebd. S. 159). Solche Politiken sind typischerweise mit einem Rückgriff auf die weiche Stadt verbunden, die dann als Potenzial statt Bedrohung perzipiert wird. Nach der Jahrtausendwende werden insbesondere diese weicheren kulturalistischen Stadtpolitiken im Bottom-Up-Modus forciert. Es stellt sich nämlich heraus, dass die erwünschten Arbeitskrafteliten insbesondere der immer rasanter aufsteigenden Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) harte Stadtpolitiken oft gar nicht schätzen. Bereits in den 1990er Jahren wurde etwa in Frankfurt a.M. gerade bei jungen Angestellten der IKT-Branche eine deutliche Präferenz für Altbauquartiere nachgewiesen (vgl. Löw 2001, S. 107). Spätestens um die Jahrtausendwende wird dann immer deutlicher, dass gerade diese, nicht selten selbst in pop- oder gegenkulturellen Jugendszenen aufgewachsenen Professionellen der IKT-Branche keineswegs immer gesteigerten Wert auf entmischte Wohngebiete, schneidige Funktionsarchitektur oder jene »intelligenten Gebäude« legen, die Sassen (1996, S. 131) noch Mitte der 1990er Jahre als Symbol der Global City nennt.
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Um eine kritische Masse von Fachkräften der so genannten Kreativwirtschaft anzuziehen, bräuchten aufstrebende Städte vielmehr ein »people climate even more than they need a business climate«, schreibt dann nach der Jahrtausendwende Richard Florida (2004, S. 283) und gibt den Startschuss zu einer Politik des universellen ›Szenebezirks‹, die unter dem Mantra TTT – Talent, Technologie und Toleranz – zu einem neuen Leitbild der Stadt aufsteigt, an dem sich nach 2000 immer mehr Verwaltungen orientieren (vgl. Löw 2010, S. 13ff). Die Kreativwirtschaft, schreibt der Regionalplaner Klaus Brake, der in den späten 1990er Jahren an einer entsprechenden Studie zur Berliner Stadtentwicklung beteiligt war, brauche stets »Anregungen von anderen Menschen, Kulturen und Milieus«, um auf »möglichst originelle Ideen zu kommen« und diese »Inspirationen« dann auch »erproben« zu können. Daher müsse für sie eine Umgebung geschaffen und auch erhalten werden, »die ausgesprochen vielfältig ist, indem sie in hoher Dichte die unterschiedlichsten Aktivitäten, Ausdrucksformen und Angebote bereithält« (Brake 2012). Derartige Konzepte geben nach 2000 rasch »das dominierende Paradigma« ab, auf dem »eine Neubewertung des Kulturbereichs durch die Politik basiert« (BarberKersovan 2007, S. 25). Notabene werden damit keineswegs dosierte Politiken von Law and Order obsolet, noch werden, worauf nicht zuletzt Brake (2012) nachdrücklich hinweist, Tendenzen zu Segregation und Verdrängung revidiert. Doch etabliert sich ein neuer Stil von »kulturinstrumentalisierender Stadtpolitik« (vgl. Güntner 2011), der ein lebendiges Nachtleben fördert, weiche Drogen nicht mehr so konsequent verfolgt, Führungen durch die lokalen Street-Art-Landschaften veranstaltet und künstlerisch-kreative Zwischennutzungen in der Hoffnung fördert, »kunstinduzierten Aufwertungsfällen« von Stadtquartieren jenseits von deren »in der Regel informellen Initiierung« planvoll nachhelfen zu können (Springer 2007, S. 156). So entstehen, wie Güntner anhand des Programms der Europäischen Kulturhauptstädte verdeutlicht, »Indikatorensets« zur Formulierung neuer Stadtleitbilder, die auf »ökonomische Effekte von Kultur und Diversität« abstellen (Güntner 2011, S. 53). Die Kulturhauptstädte sollen »mittels kultureller Instrumentarien Lösungswege für gesellschaftliche Entwicklungsprobleme in Europa« aufzeigen, indem sie nicht zuletzt Wege zu einer »Schaffung neuer Strukturen des Wirtschaftens und Lebens und neuer Arbeitsplätze in den Städten und Regionen Europas« vorzeichnen (ebd., S. 48). Am Beispiel des Skateboardfahrens lassen sich nun diese beiden, teils aufeinander folgenden und sich teils auch überlappenden und ergänzenden Szenarien der unternehmerischen Stadt wie in einem Brennglas zeigen. Denn erstens gehört jene Krise der Stadt zu den Entstehungsbedingungen seiner heutigen Gestalt: Wir hatten gesehen, dass das Aufkommen des für die Praktik so folgenreichen vertikalen Skateboarding in den ausgehenden 1970er Jahren viel mit einer sozioökonomischen Perforation des Großraums Los Angeles zu tun hatte, die entsprechende Terrains – nämlich jene verwaisten, leerstehenden Swimmingpools – überhaupt
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zur Verfügung stellt. Ähnlich sorgt das Zerfallen des Stadtraums in einerseits Zonen der Zitadelle und andererseits eng benachbarte, wenig beaufsichtigte und teils vernachlässigte Räume für eine kritische Masse an für das Street Skateboarding geeigneten Orten. Und zweitens reagieren diese Politiken der harten bzw. weichen Stadt sehr pointiert auf Praktiken wie das Skateboardfahren. Gerade um 1990, als Skateboarder/-innen den Funktionsräumen der Halfpipe entkommen und sich auf Basis der Ollie-Technik urbane Terrains aneignen, steigt in den USA, teils aber auch Europa, zunächst die Politik der harten Stadt zum Leitbild auf. Die Devise dieser am so genannten Broken Windows-Theorem von James Q. Wilson und George L. Kelling orientierten Politik lautet ›wehret den Anfängen‹: »Verlassene oder verwahrloste Gebäude, Abfall, Unrat und Müll auf den Straßen und Gehwegen, weggeworfene Bierflaschen und Getränkedosen […], Zigaretten, Präservative, […] Graffiti« und »aufgegebene Autos ohne Nummernschild« seien Anzeichen »fehlender informeller sozialer Kontrolle«. Ein solches Defizit lade zu »abweichendem Verhalten« ein: »Herumlungern von Personen, lärmende Jugendliche, Vandalismus, Obdachlose, Bettler, Drogenabhängige, Prostitution, Betrunkene, psychisch Kranke, Auseinandersetzungen zwischen Personen in der Öffentlichkeit […]«. Von dort aus sei es nicht weit bis zu schweren Verbrechen (Lüdemann/Ohlemacher 2002, S. 143). Die Gegenstrategie ist die sprichwörtlich gewordene Nulltoleranz gerade bei Bagatelldelikten und Ordnungswidrigkeiten, die Härte gegenüber jedweder Form abweichenden Verhaltens. Graffiti etwa wird möglichst sofort entfernt: Ertappte Writer/-innen müssen im New York der mittleren 1990er Jahre in auffälligen Westen die Wände reinigen (ebd., S. 147). Dass eine Praktik wie das zugleich aufkommende Street Skateboarding in solcher Hinsicht als »abweichendes Verhalten« irgendwo zwischen Vandalismus, weggeworfenen Getränkedosen und Drogenkonsum eingeordnet wird, liegt nahe. In einem solchen Szenario erscheint das Skateboard geradezu als symbolisches Vehikel stadträumlichen Verfalls (vgl. auch Vivoni 2009, S. 143). Und tatsächlich wird 1996 gerade in New York eine drakonische Gesetzgebung verhängt, die den Gebrauch von »roller skates, inline skates or a skateboard on public street, highway or sidewalk in such a manner as to endanger the safety or property of another« scharf sanktioniert (zit.n. Chiu 2009, S. 35). Die Polizei verhängt drastische Geldstrafen, selbst Mitarbeiter/-innen von Grünflächenämtern und der Verkehrsbehörde sind zur Konfiskation von Skateboards berechtigt. Unter Umständen werden im Wiederholungsfall sogar gerichtliche Vorladungen ausgesprochen. Auf dieser Basis entwickelt sich in New York, wie Chiu schreibt, ein Skateboard-Behinderungssystem, das auch private Wachdienste und informelle Zusammenschlüsse von Privatpersonen umfasst (ebd., S. 36). New York ist dabei kein Einzelfall: Bereits 1992 verbietet das kalifornische Huntington Beach, einer der Geburtsorte der Praktik, das Fahren auf der Straße. In Cape May (New Jersey)
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ist um 2000 sogar das bloße Tragen eines Skateboards auf Straßenland strafbar (vgl. Németh 2006, S. 299). Solche Gesetze, die es in den USA zu dieser Zeit vielerorts gibt, werden um die und nach der Jahrtausendwende nicht etwa ganz kassiert. Doch zeigen sich bald stadtpolitische Thematisierungen von Skateboarding, die die Praktik in einer ganz neuen Weise betrachten. So wird etwa in Chicago in den 2000er Jahren, auch im Hinblick auf die letztlich gescheiterte Olympiabewerbung für 2016, an einem jüngeren und sportiv-coolen Image für die sprichwörtliche Stadt der Schlachthöfe im Rust Belt gearbeitet. Dabei setzt man auf Kultur – in Kombination mit Praktiken neuer Sportivität. Zum Kernstück dieses Vorhabens wird die Lake Front, die repräsentative Meile am Lake Michigan. Dort wird zunächst das SüßwasserWellenreiten, das nach Unfällen jahrzehntelang verboten gewesen war, wieder erlaubt (vgl. Vivoni 2010, S. 12). Zudem werden nicht weniger als drei großzügige Skateparks an der Ufermeile angelegt – in unmittelbarer Nähe großer KulturBauprojekte im hochkulturellen Bereich (vgl. ebd., S. 54ff). Während im CBD und in anderen Zonen Gesetze das Skateboardfahren noch strikter verbieten, wird es zugleich in Versuche einbezogen, eine neue Stadtmarke zu entwickeln: »The city that plays«. Vivoni bringt dieses Projekt einer coolen, postmodernen KulturmetropolenOberfläche auf den Begriff: »Skateparks and Skateplazas emerge as key sites within the making of leisure cities. These public spaces contribute to the crafting of a new identity that promotes alternative sports and embraces youth, creativity, and diversity« (ebd., S. 37). In einer etwas anderen Weise interessant ist in diesem Zusammenhang auch der Konflikt um das Skateboardfahren auf der als Love Park bekannten John F- Kennedy Plaza in Philadelphia, der die Metropole um die Jahrtausendwende für einige Jahre umtreibt und mehrfach soziologisch untersucht worden ist (vgl. Howell 2005; Németh 2006). Der Platz, 1965 eingeweiht, verfällt in den 1980er Jahren im Zuge jener Politik öffentlicher Deinvestition, die für die Reagan-Ära prägend ist. Er entwickelt sich dann zu einem Refugium für Obdachlose und Randgruppen, bis ihn Ende der 1980er Jahre Skateboarder/-innen als »skateboard heaven« erkennen. »With its open plan, stairs, handrails, marble benches and granite planters« (Howell 2005, S. 34) wird Love Park nach 1990 zu einem mythischen Ort des Street Skateboarding, der häufig in Skateboard-Magazinen oder Skateboard-Videos zu sehen ist. Doch Ende der 1990er Jahre will die von den Demokraten gestellte Stadtregierung den Platz, um das Zentrum für Bürokomplexe wieder attraktiv zu machen, einer gehobenen Boulevard-Nutzung zuführen (vgl. Németh 2006, S. 304ff). Gegen diese Pläne wehrt sich ein »Skateboard Advocacy Network«, das von Skateshops über Hochschulpersonal bis in die Wirtschaft reicht und dem sich nicht nur die Denkmalschützer/-innen von der »Independence Hall Association« anschließen, sondern im Bürgermeisterwahlkampf von 2003 auch die republikanische Opposition (vgl. Howell 2005, S. 35).
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Zwar endet der Konflikt nach einigen Jahren ganz ähnlich, wie auch Chicago mit Skateboarding umgeht, nämlich mit einem Verbot des wilden Fahrens bei Ersatz durch eine Zweckanlage. Doch wird die Praktik während des langen Streits in einem neuen Licht diskutiert. Die Befürworter/-innen argumentieren mit Imagegewinnen für die Stadt und einem ökonomisch produktiven Charakter von Street Skateboarding. In der Tat hatten sich um den Platz etliche Skateboard- und Lifestylegeschäfte angesiedelt, zudem lockt sein Mythos die X-Games zwei Mal nach Philadelphia, was geschätzte 80 Millionen Dollar in die Stadt bringt (vgl. Howell 2005, S. 34). Auch werden die Obdachlosen durch die Skateboard-Nutzung nach und nach verdrängt. Schließlich wandelt sich die Stimmung der lokalen Medien: Hatten diese in den 1990er Jahren die Skateboarder/-innen noch als Rauminvasoren und teils als »Ratten« bezeichnet, sprechen Kommentare nun von »Serendipity« (ebd., S. 37) und anerkennen, dass Skateboarding dem Ort, seiner Umgebung sowie der Stadt Impulse gegeben habe. Doch am Ende lässt sich die Stadtregierung nicht erweichen. Németh (2006, S. 299) wertet die Geschichte von Love Park als einen Sieg der harten Stadt: Es habe sich ein Konzept von »adult space«, von Disziplin, Ordnung und Reproduktion von Arbeitskraft gegen juvenile, spielerische, unproduktive Zwecke durchgesetzt. Howell (2005, S. 33) dagegen sieht einen klassischen Fall von stadträumlicher Aufwertung durch spontane, zunächst durchaus antisystemische kulturelle Praxis: Nolens volens hätten die Skateboarder/-innen zunächst als »shock troops of gentrification« gewirkt, indem sie die Obdachlosen und Randgruppen vom Platz vertrieben; anschließend seien sie gewissermaßen der selbst ausgelösten Dynamik zum Opfer gefallen, indem das Skateboardfahren auf dem Platz diesen erst wieder in den Fokus gerückt habe. Weniger der Ausgang des Konflikts als der Streit selbst zeigt, wie sich der Charakter des Skateboardfahrens auf der Straße aus Sicht des planerisch-ökonomischen Zusammenhangs ›städtischer Raum‹ um die Jahrtausendwende umzuwälzen beginnt. Schreibt Borden (2001, S. 231) noch recht ungebrochen, Street Skateboarding sei rebellisch, indem es Architekturen einfach konsumiere, die der Produktion von Waren, Dienstleistungen und Wissen sowie der Reproduktion von Arbeitskraft gewidmet seien, zeigt sich nun immer deutlicher, dass das selbe Treiben bei langer Dauer und Verschiebungen in der Rahmung wertschöpfend sein kann: Die zunächst subjektive und nur in Nischen relevante Aufwertung und Ästhetisierung eines verlorenen Orts objektiviert sich schließlich zählbar – in den Millionen der X-Games und in potenziellen Effekten auf die Stadtmarke, die die Verwaltung hier allerdings noch nicht aufgreift. Ganz anders verhält sich die Stadtverwaltung im Konflikt um die Southbank in London (vgl. Schweer 2014, S. 87-96). Das am Themseufer gelegene städtische Kunst- und Kulturhaus bietet dem Street Skateboarding in der britischen Hauptstadt ein herausragendes Terrain, da es dort Treppen, Ledges, Planters, Schrägen etc. gibt, die auch bei schlechter Witterung zu befahren sind, weil sie sich unter ei-
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nem auf Stelzen gesetzten Teil des Gebäudes befinden. Als das Kulturhaus im Jahr 2013 bekanntmacht, man sei aufgrund von Budgetkürzungen gezwungen, mehr Geld zu verdienen und wolle daher den zu diesem Zeitpunkt seit mindestens 20 Jahren mit Skateboards bespielten überdachten Raum in Ladenlokale umgestalten, entsteht eine Gegenkampagne unter dem Slogan Long Live Southbank. Unterschriften werden gesammelt, Kundgebungen organisiert und stadtweit wird vor allem im Kulturbereich mobilisiert. Dennoch soll zunächst auch hier die Planung durchgesetzt eine Zweckanlage als Alternative angeboten werden. Doch am Ende obsiegt die Kampagne für das Skateboardfahren. Der Wendepunkt tritt ein, als sich 2014 der damalige Bürgermeister Boris Johnson auf die Seite der Skateboarder/-innen schlägt. Auch in diesem Fall ist der Verlauf der Debatte aufschlussreich für den Status der sozialen und kulturellen Praktik Skateboarding im Zusammenhang der Stadt. Die Kampagne stellt sich einerseits ganz allgemein gegen die Logik vermeintlicher Sachzwänge, die angeblich zur Inwertsetzung dieses Ortes keine Alternative zulassen. Zum anderen bringen die Unterstützer/-innen aber auch ein Argument vor, das zwar kritisch klingt, letztlich aber sehr konstruktiv ist: Gerade als ungeplanter Ort des Street Skateboarding bilde die Southbank einen lebendigen, authentischen Gegenpart zu Tendenzen der planerisch-ästhetischen Homogenisierung im Londoner Stadtraum (vgl. Schweer 2014, S. 89). Gerade dieses Argument greift nun Johnson in seiner Positionierung auf: Nur so, wie er sei, trage der Ort zur kulturellen »›vibrancy‹« der Stadt bei. Die Southbank in ihrem gegenwärtigen Zustand sei ein internationaler Publikumsmagnet, der dabei helfe, London als die »›great city it is‹« zu erhalten (ebd., S. 93). Offenbar hat Boris Johnson also in diesem Fall verstanden, was Planer/-innen wie Brake oft vergeblich betonen: Aufwertungsprozesse, die auf Serendipity beruhen, also auf zunächst ungeplanten, spontanen, gar antisystemischen kulturellen Aktivitäten, unterliegen aus der Perspektive des Planungssystems stets der Gefahr einer Selbstabschaffung; ihre Zentren müssen gewissermaßen vor ihrem eigenen Erfolg geschützt werden. Für deutsche Verhältnisse muss diese scharfe Gegenüberstellung jener »harten« und »weichen« Politik der unternehmerischen Stadt allerdings relativiert werden: In Deutschland wird – bei allem Getöse in bestimmten Medien – Nulltoleranz nie so akzentuiert zur stadtpolitischen Devise wie etwa im New York der 1990er Jahre. Das zeigt auch der Umgang mit dem Skateboardfahren: So gibt es stets auch Versuche, Skateboarding sozialarbeiterisch-integrativ in die Jugendpolitik einzubinden, etwa in der »Suchtprävention« (vgl. Senatsverwaltung 1991). Auch lassen die während der späteren 1990er Jahre aufgekommenen Ansätze des Quartiermanagements in ›problematischen‹ Stadteilen soziokulturelle Vorhaben »mit erheblichen inhaltlichen Gestaltungsmöglichkeiten« zu (Güntner 2007, S. 399). Vielleicht aber werden auch jene kulturinstrumentalisierenden Ansätze von Stadtpolitik hierzulande nicht so smart verfolgt wie anderswo: So nimmt nur kurz vor dem
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Londoner Konflikt der Streit um das Skateboardfahren auf der Kölner Domplatte – die in der Bundesrepublik einen ähnlichen Status hatte wie die Southbank in Großbritannien – den traditionellen Verlauf: Verbot und Ersatzort. Dabei kommt eine konsequente Politik der Wiederdurchsetzung der planerisch-ökonomisch definierten Platznutzung zur Wirkung. So werden die Curbs, deren Beschädigung durch die Skateboarder/-innen stets als Verbotsgrund angeführt wird, nun seitens der Stadt selbst in einer Weise eingefräst, die sie für Skateboards unbenutzbar macht (vgl. Peters 2016, S. 69). Wohl auch als Reaktion darauf entstehen in Köln vermehrt DIY-Anlagen. Doch gibt es auch in der Bundesrepublik in jüngerer Zeit Beispiele, in denen Skateboarding als Medium stadträumlicher Aufwertung fungieren soll: So wird im Rahmen der Internationalen Bauausstellung »Stadtumbau Sachsen-Anhalt 2010« in Halle an der Saale eine großzügige Skateboardanlage vor dem Neustädter Zentrum errichtet, dem zentralen Ort jenes riesigen Neubauviertels im Stil des DDRModernismus, das vor Ort in Anspielung auf die vietnamesische Hauptstadt als HaNeu bekannt und seit der politischen Wende von 1989/1990 mit Problemen von massivem Leerstand und Schrumpfung der Bevölkerung konfrontiert ist. So wollen die Planer/-innen »einen weit über Halle hinausstrahlenden lebendigen Anlaufpunkt im Zentrum von Neustadt (und nicht etwa außerhalb davon)« schaffen und »einen zeitgemäßen und urbanen« Akzent setzen (IBA 2008, S. 24). Bestandteil des Projekts ist auch eine »Kooperationsvereinbarung« zwischen der Stadt und einem eigens zu diesem Zweck gegründeten Skateboarder-Verein, der »eine Mitverantwortung für die ordnungsgemäße Nutzung der Anlage übernimmt und dafür bestimmte Vermarktungsrechte erhält« (ebd., S. 25). Mehrere Jahre nach der Einweihung läst sich zwar nicht sagen, dass sich ganz HaNeu im Aufschwung befände. Dennoch ist der hochwertig ausgeführte Skatepark meist gut besucht und wohl tatsächlich ein Treffpunkt für Jugendliche auch aus anderen Statteilen. Auch in der schwach besuchten Passage des Neustädter Zentrums wird seither verstärkt geskatet. Bei seinem letzten Besuch vor Ort im Sommer 2015 traf der Autor zwei Skateboarder an, die sich nach ihren Auskünften in Kreativberufe orientieren und in der Nähe des Skateparks in preisgünstige und geräumige Wohnungen gezogen sind. Sie berichteten, es gebe in ihrem Umfeld ›einen kleinen Trend‹, es ihnen nachzutun. Den Ausgang des von ihm untersuchten Konflikts um das Skaten auf der Kölner Domplatte sieht Peters (2016, S. 304) als ein »Indiz dafür«, dass »insbesondere die Stadtzentren einem zunehmenden neoliberalen Ökonomisierungsdruck« ausgesetzt seien, der sich nicht nur in »vermehrten ordnungsrechtlichen Eingriffen« der Stadtverwaltungen, sondern auch in »einer immer weiter voranschreitenden Ökonomisierung des allgemeinen Stadt-Verständnisses« manifestiere. Praktiken wie das Skateboardfahren, »das Pflanzen von Nussbäumen auf öffentlichem Grund«, der »Bau von Fahrradrikschas«, die »Installation von Solarbürgeranlagen oder eben
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den Bau einer Skateanlage im DIY-Format« seien demgegenüber Ausdrucksformen einer Stadtgestaltung als »kollaborative Praxis«, die die Rathäuser und Verwaltungen zwar nicht ganz ausschließt, ihnen aber die »jahrzehntelang unangefochten selbstverständliche Initialkompetenz nimmt« und »selbstbewusst ein nicht kommerzielles, eher spielerisches Verständnis von Stadt gesellschaftlich zu re-etablieren und lokalpolitisch umzusetzen versucht« (ebd.). Diese Opposition zwischen »neoliberaler« Ökonomisierung und »spielerischer« Stadtgestaltung ist aber, wie das Vorliegende zeigen wollte, zunehmend prekär. Wenn auch noch immer viele lokale Verwaltungen ›zu ihrem Glück gezwungen‹ werden müssen, können alle diese Praktiken der weichen Stadt im Sinne gerade einer spezifisch neoliberalen, unternehmerischen Stadtpolitik überformt werden. Florida, dessen Schriften als ein Handbuch für solche Politiken zu verstehen sind, erfasst Skateboarding zwar nicht explizit in seinem »Bohemian Index«, der urbane Lebensqualität im Sinne der »Creative Class« misst (Florida 2005, S. 297), spricht aber von einer derartige Praktiken umfassenden »new hegemony of the street«, die ein günstiges »people climate« für die kreativen Klassen schaffen könne (Florida 2004, S. 182). Während der Auseinandersetzung in Philadelphia tritt er sogar selbst, von den Unterstützer/-innen eingeladen, auf dem dort umstrittenen Platz auf. In diesem Sinn kann gerade auch der unterbleibende ordnungsrechtliche Eingriff eine »neoliberale« Ordnungsmaßnahme sein. Nicht selten sind ja diejenigen, die sich in urbanistischen Aktivitäten wie Bäumepflanzen, Street Art, Errichten von Bürgersolaranlagen und vielleicht auch Skateboardfahren gefallen, mit den ›Kreativen‹ durchaus tendenziell identisch, die die Städte rekrutieren wollen. Die »kollaborative Praxis« dieser selbstbewussten Initiativen »mündiger Bürger« (Peters 2016, S. 304) schafft dann wie von selbst jenes Richtige-Leute-Klima, von dem Florida schreibt – und das in Strategien des »inszenierten Urbanismus« (El Khafif 2009, S. 189ff) herzustellen bei unklarer Wirksamkeit viel Geld kosten kann. Indem die Verwaltung Zonen öffentlicher Deinvestition selektiv jenen zupackend handelnden Bürgerinnen und Bürgern in Eigenregie und, im Falle unvorhergesehener Probleme, auch in Eigenverantwortung überlässt, kann sie auch durch Passivität Prozesse einer zuvorkommenden oder verdrängenden Landnahme durch erwünschte soziale Gruppen initiieren. Denn gar nicht so selten ist ja an verwahrlosten Orten, die so situativ angeeignet und verschönert werden, nicht einfach Nichts, sondern finden dort Interaktionen von weniger erwünschten Gruppen statt, etwa die als Trinkerszene verpönte soziokulturelle Praktik des ›Die-Stadt-zur-Eckkneipe-Machens‹. In solchen Szenarien der Kreativenstadt können gutwillige Stadtgärtner/-innen und kann vielleicht sogar Urban Knitting auf eine spezifische, weiche Art und Weise letztlich jene informelle soziale Kontrolle über Orte unklarer Nutzung herstellen, gegen deren Fehlen die Nulltoleranzstadt der 1990er Jahre mit Überstunden bei der Polizei und teuer bezahlten Wachdiensten ankämpft.
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Dass Köln sich – anders als wenige Jahre später London im Fall der Southbank – gegen Skateboarding auf der Domplatte entschied, statt »das kulturelle Potenzial des Skateboardfahrens in der Stadt« (Peters 2016, S. 167) zu erkennen und die Skater/-innen so in die Stadtmarke zu integrieren wie es jener ältere DumontReiseführer vormachte, der Köln mithilfe von Skateboardbildern vor dem Dom erzählte (vgl. ebd.), scheint in diesem Sinne einer eher traditionellen Strategie der Ökonomisierung des Stadtraums zu folgen als einer spezifisch neoliberalen. Die Entscheidung mag damit zu tun gehabt haben, dass die konkrete Kundenbasis der Geschäfte und Restaurants rund um den Dom eine eher gesetzte und konservative ist, der die spezifische körperpraktische Street-Culture-Ästhetisierung dieses Orts durch Skateboarder/-innen nicht zugänglich ist oder unangemessen erscheint. Denn die Praktik produziert während der 50 Jahre ihres Bestehens eine solche Vielzahl an teils widersprüchlichen Elementen und Ebenen von Bedeutung, dass es nach wie vor sehr stark von den jeweiligen konkreten Umweltbedingungen abhängen kann, ob ihre Form der Raumaneignung eher unter dem Rubrum der Trinkerszene oder dem der Nussbaumpflanzer/-innen einsortiert wird. Mit der Produktion und Transformation dieser Bedeutungsschichten aber wird sich der folgende, letzte Abschnitt dieser Arbeit eingehend befassen.
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Nach 2000 wird Skateboarding »galeriefähig«. 2014 lud die abgebildete Einladungskarte zu Kay Walkowiaks Videoarbeit »Minimal Vandalism« in die Berliner Galerie Feldbusch Wiesner. Doch schon 2002 war ein befahrbarer Skateboard-Bowl Teil der documenta in Kassel. Dieses Ausgreifen ins Feld ästhetischer und künstlerischer Praktiken gehört zu den auffälligsten Merkwürdigkeiten von Skateboarding. Abb.: Kay Walkowiak/Feldbusch Wiesner
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Betrachtet man eine soziale Praktik wie das Skateboardfahren nach dem Modell von Shove, Pantzar und Watson als sozial situierte, serielle und aktive Integrati on von Kompetenzen, Materialien und Bedeutungen, muss sich die Arbeit nun in einem dritten Abschnitt der Bedeutungsproduktion in der Geschichte des Skateboarding zuwenden. Da im Vorliegenden die Ebene impliziter Bedeutungen, also der Sinn des Spiels, jene Zielhorizonte und Erlebnispotenziale, die von sportiven Bewegungen auch zu heuristischen Zwecken kaum zu isolieren sind, dem Element der Kompetenzen zugeschlagen wurde, bleibt für diesen dritten Abschnitt die Ebene explizierter, formulierter Bedeutungen: Wie wird das Skateboardfahren wann dargestellt? Wie kooperieren diese Darstellungen mit den bislang herausgearbeiteten Dispositionen, also jenen Einstellungsbündeln und Affinitäten zu oder aber Ausschlusswahrscheinlichkeiten für bestimmte soziale Gruppen, die sich Aktive der Praktik in ihren körperlichen und räumlichen Routinen einverleiben und in denen sie sich zugleich als sozial erkennbare ›Skater/-innen‹ herstellen? Die Texte der Praktik, in denen solche Repräsentationen transportiert werden, sollen nachfolgend am Beispiel diverser Zeichengenres zum Gegenstand werden – anhand etwa gedruckter oder online veröffentlichter Texte im engsten Sinn, anhand der Art und Weise, wie Skateboarder/-innen auf Fotos oder in Videos dargestellt sind, anhand aber auch von Modestilen, von Grafiken auf T-Shirts, Stickern und den Bauchseiten von Skateboards sowie anhand der Texte von Pop-, Punkoder Hiphopstücken, die sich mit dem Skateboardfahren befassen. Dabei ist ein »aktivistische[s] Verständnis von Bezeichnungsvorgängen« (Koschorke 2012, S. 22) zugrunde zu legen: Das Repräsentieren ist Praxis und trägt zur Konstitution des Bezeichneten bei. Die Untersuchung nähert sich diesen Texten der Praktik dabei indessen nicht nur in einer interpretierenden Weise. Gerade in der Befassung mit einer so wenig formal institutionalisierten Aktivität wie dem Skateboardfahren wird ja deutlich, wie sehr Darstellungen einer Praktik nicht nur Bedeutungen transportieren, sondern zugleich auch Material sind, indem sie Kompetenzen vermitteln und modifizieren. In einem ersten Schritt werden die Repräsentationen der Praktik daher in ihrer Materialität betrachtet: Mit den gerade im hier beobachteten Zeitraum von den 1960er Jahren bis ins beginnende 21. Jahrhundert enormen Entwicklungen der Medientechnik sind erstens bestimmte Sprünge und Transformationen in der Körpertechnik des Skateboardfahrens verbunden. Und zweitens verändern diese medientechnischen Entwicklungen mehrfach die typischerweise anzunehmende Au-
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torschaft dieser Darstellungen, was drittens zu signifikanten Veränderungen nicht nur in deren Bedeutungen, sondern auch bezüglich der Gruppierungs- und Vergemeinschaftungsprozesse innerhalb der Praktik führt oder führen kann. Im Fall der Skateboard-Kultur ist, wie sich zeigen wird, mit diesen Verschiebungen weiterhin eine stetige, teils geradezu rasende Ausweitung und Ausdifferenzierung der Produktion ästhetischer Zeichen verbunden, die der Praktik allmählich zu einer charakteristischen Position zwischen dem Sport-, dem Musik-, dem Mode- und sogar dem Kunstfeld verhilft. Dieser große Zusammenhang von Bedeutungsproduktion und Autorschaft, von medientechnischer und körpertechnischer Gestaltung der Praktik sowie ihrer gesellschaftlichen Positionierung wird im Folgenden als Sendeverhältnis des Skateboarding untersucht. Erst in einem zweiten Schritt werden diese Darstellungen gelesen und gedeutet. Dabei konstruiert die Arbeit Bedeutungskorridore, zwischen deren Polen sich die phasentypischen Repräsentationen von Skateboarding jeweils einordnen lassen: Was konkret wird den in die Praktik Involvierten also wann an orientierenden Rollenmodellen vorgesetzt? Zwischen den Sozialfiguren versierter Sportstars, wilder Rebellen und Rebellinnen der Vorstadt, urbanen Performance-Artists und Frontleuten eines Stunt-Gladiatorentums ergibt sich dabei eine Reihe von Facetten. Diese verschiedenen zu umreißenden Figurationen des oder der jeweils typischerweise in den Texten der Praktik dargebotenen Skateboard-Aktiven werden dabei auf die in den ersten beiden Abschnitten rekonstruierten Fahrweisen und körperräumlichen Hervorbringungen bezogen, innerhalb derer sich die Praktik bildet. Erst mit dem Auftragen dieser Schicht des Symbolischen lässt sich der erhobene Anspruch einer genealogischen und praxeologischen wirklichen Historie des Skateboardfahrens einlösen, indem die Geschichte der Praktik anhand der Wechselwirksamkeit ihrer Elemente rekonstruiert wird. In einem dritten Schritt wird die Zeichenproduktion der Praktik ausblickend vor dem Hintergrund jenes sozialen Bereichs diskutiert, in dem die in den westlichen Gesellschaften des letzten Drittels des 20. Jahrhunderts auftretenden Jugend-, Sub- oder Stilkulturen, so rebellisch, anti-systemisch und unkonformistisch sie sich auch geben und selbst perzipieren mögen, stets und zuvörderst anzusiedeln sind: in der Konsumkultur. Die These dabei ist die, dass die sozio-materiellen Arrangements der Skateboard-Praktik seit der zweiten Hälfte der 1970er Jahre nolens volens ein variantenreiches Experimentierfeld für bestimmte Formen kommerzieller Bedeutungsproduktion abgeben, die erst deutlich später – nämlich mit den einsetzenden 1990er Jahren – in der Wirtschafts- bzw. Marketingwissenschaft kategorial erfasst und breit diskutiert werden: Ein Neben- oder Beiprodukt des Skateboarding ist die spezifisch post- oder spätmoderne Jugendmarke. Und nicht zuletzt darin, so lässt sich an dieser Stelle ein Ergebnis der vorliegenden Arbeit vorwegnehmen, liegt die gewissermaßen überlebensgroße kulturelle Bedeutung, jener »Kultstatus« (Lamprecht/Stamm 2002, S. 108), der der Skateboard-Praktik auch in Eu-
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ropa und Deutschland allgemein zugemessen wird, obwohl sie hier zahlenmäßig weiterhin ein relatives Randphänomen bleibt.
4.1.
Skateboard-Texte, Autorschaft und Publika
Zu den konstitutiven Merkmalen jenes Modus sportiver Bewegung, der hier als Pop-Sport klassifiziert wurde, zählt erstens die Organisation in transnationalen Szenen statt in Vereinen und Verbänden. Gekennzeichnet sind solche Praktiken zweitens auch von einer Orientierung der Bewegungen auf Körpererlebnis und Körpergenuss statt auf objektivierbare Leistung und von einer intimen kinästhetischen Beziehung zu bestimmten popmusikalischen Stilen. Verbunden ist mit diesen Praktiken drittens – und damit zusammenhängend – ein Drang zu einer spezifischen Ästhetisierung des sich bewegenden Körpers, der sich in einer engen Beziehung zu spektakulären, stilistisch inszenierten Bildern herstellt. Stern (2010, S. 151) hat diese »intermediale Konstellation aus modernen digitalen Medien und Körperbewegungen« anhand der Bild- und Körperpraktiken von Snowboard-Aktiven der späteren 2000er Jahre aufgearbeitet. Demnach ist das »Stil-Können« – die Kompetenz, »sowohl Stil in den Aufführungen anderer […] beurteilen zu können, als auch Stil in die eigenen Bewegungen einzuarbeiten« (ebd., S. 168) – in diesen neuen sportiven Praktiken zentral für Prozesse der Vergemeinschaftung und Mechanismen der Distinktion. Die von Stern beobachteten Snowboarder/-innen fotografieren und filmen sich während des Tages fortwährend, um sich abends zu gemeinsamer Bildbearbeitung und Bilddiskussion zu versammeln. Stern versteht diese Körper/Bild-Praxis als eine informelle Lehr- und Lernkultur, innerhalb derer diese Bildaufnahmen »nicht allein als ›Erinnerungsbilder‹ fungieren, sondern eine konstitutive Rolle bei der Formierung und Bearbeitung des Stils spielen« (Stern 2010, S. 167). Indem sie ihre Aufnahmen mit im Internet, auf DVD oder in gedruckten Fachmagazinen verfügbaren Bildern vergleichen, erzeugen sie in dieser »Bildpraxis ihre eigenen Stilmuster« (ebd., S. 174) und editieren mit ihren Bildern ihre Bewegungen. So wird jene ästhetische Typik körperlich-bildlich erzeugt, die innerhalb solcher Stil-Gemeinschaften als »Mittel sozialer Kohäsion« (S. 17) wirkt. Dieses dynamische Wechselspiel zwischen Bild und Bewegung macht die Körper zu Zeichen, die auch jenseits der Ausübung der Praktik signifikant bleiben: Stil wird »von der sportlichen Bewegung gelöst« (S. 183), die Teilnehmer/-innen erkennen einander auch jenseits der jeweiligen Praktik. Nun sind freilich Bewegungspraktiken, die sich in dieser Art als Stil-Kulturen beschreiben lassen, viel älter als das von Stern bei jenen Snowboard-Aktiven beobachtete Arsenal an Medientechnologie. Wie stellt sich also diese »Bilder-KörperKonnektivität« (Diederichsen 2014, S. 73) zu Zeiten her, in denen die Praktizieren-
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den weder mit Videokameras noch digitaler Fototechnik ausgerüstet sind und an ein gemeinsames Bearbeiten solcher Aufnahmen schon deshalb nicht zu denken ist, weil die Teilnehmer/-innen weder über tragbare Computer mit entsprechender Software noch über das Internet verfügen, das ihnen die Möglichkeit gibt, Vergleichsmaterial zu betrachten oder die eigenen Aufnahmen den kundigen Augen einer tendenziell unbegrenzten Öffentlichkeit darzubieten? Wie wird unter solchen Bedingungen Stil aus Bildern extrahiert und in Bewegungen eingearbeitet? Wie kommt Stil in diese Bilder hinein? Und wer bildet, wo nicht die Teilnehmer/-innen selbst, die Autorschaft dieser Bilder? In welcher Beziehung steht diese wann zu den Bildinhalten? Was macht die technisch rasend fortscheitende Medialisierung mit der Praktik als ganzer? All diese Fragen sind gemeint, wenn im Folgenden vom Sendeverhältnis die Rede ist. Und da das Skateboardfahren neben dem Wellenreiten die älteste und am kontinuierlichsten ausgeübte Praktik jener sportiven Stil-Gemeinschaften darstellt, scheint sein Beispiel geeignet, die Genese dieser intermedialen Konstellation aufzuarbeiten. Dabei wird sich erweisen, dass die medientechnische Entwicklung nicht nur auf die Herstellung von Stil, sondern auch auf die Produktion der zu stilisierenden Bewegungen selbst einen immer wieder entscheidenden Einfluss nimmt. Um nur einen Aspekt vorab herauszugreifen: Ohne medientechnische Innovationen wie den Videorekorder beziehungsweise das VHS-Format in den frühen 1980er Jahren wäre all das, was man heute als Skateboarding und auch als SkateboardKultur kennt, kaum vorstellbar. Schon insofern wird deutlich, dass die hier zu diskutierenden Abbildungen der Praktik dieser gegenüber nicht sekundär sind, sondern das Bezeichnete ganz wesentlich mit herstellen. Der folgende Abschnitt versucht erstens, noch vor jeder inhaltlichen Deutung all dieser Bilder und Narrationen bestimmten Sprüngen in der SkateboardKörpertechnik bestimmte Sprünge in der Videotechnik zuzuordnen – wohlverstanden nicht als deren ›Ursachen‹, aber doch als ihre jeweilige Ermöglichungsbedingung: Lässt sich bereits das im Vergleich zum Slalom- und Figurenskaten körpertechnisch weit anspruchsvollere vertikale Skateboarding kaum ohne den in den frühen 1980er Jahren verbreiteten Videorekorder vorstellen, nehmen in genauer darzustellender Weise die Bewegtbild-Innovationen der 1990er – hauptsächlich Camcorder und laientaugliche digitale Schnittechnik – erheblichen Einfluss auf die Popularisierung der Techniken des Street Skateboarding, deren Komplexität diejenigen des Steilwandskatens noch einmal erheblich übersteigt. Dass um 2000 ein auch durch neue massenmediale Formatierungen der Praktik ausgelöster Trend zur Extremisierung von Skateboardbewegungen einsetzt, wurde schon verschiedentlich angeführt. Im Folgenden richtet sich der Blick darüber hinaus auch auf die Wirkungen von Videospielen, die um 2000 als neues Medienformat hinzukommen – und wird sowohl eine weitere Beschleunigung des Bewegungsler-
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nens als auch eine Vervielfältigung der Stile durch das Internet und seine sozialen Medien thematisert. Zweitens – noch immer diesseits einer interpretierenden Lektüre – wird anhand von Beispielen gezeigt, wie sich die sportive Skateboard-Praktik dabei zunehmend in eine auch ästhetische Praktik verwandelt, wie sich also sozusagen die, siehe oben, um 1990 erfolgte Ausrufung eines ›künstlerischen‹ Skateboardsubjekts allmählich verifiziert: Spätestens in den früheren 1980er Jahren greift die Praktik zunächst in einer zu dieser Zeit für das Sportfeld höchst ungewöhnlichen Intensität in den Bereich der Mode aus. Und nach 1990 erreichen ihre Ausläufer zunächst das ›Low‹ des Kunstfeldes, besonders die aufkommende Street Art – um schließlich nach 2000 in für eine genuin sportive Praktik doch erstaunlichem Maße in die Welt der Hochkulturgalerien, sogar in die Sphäre der documenta und Venedig-Biennale vorzustoßen. Auch diese kulturelle Arrondierungsbewegung, die die Publika ästhetischer Zeichen aus der Skateboard-Praktik weit über den Kreis der aktiv Teilnehmenden ausdehnt, lässt sich nicht ›ursächlich‹, aber doch wiederum im Sinne einer Ermöglichungsbeziehung mit jenen technischen Sprüngen der Aufzeichnung und Versendung audiovisueller Materialien in Verbindung bringen, die daher das Gerüst der folgenden Ausführungen bilden. Denn mit jener Multiplikation der Stile, die mit der zunehmenden ›Barrierefreiheit‹ des Videomediums einhergeht, ist in der Skateboard-Praktik spätestens ab 1990 eine rasante Vervielfältigung auch ihrer nischenökonomischen Einheiten verbunden, die – schon, um sich in zeitweise hochgradig polemisch geführten regelrechten ›Zeichenkriegen‹ voneinander abzusetzen – einen in jeder denkbaren Beziehung ausufernden grafisch-künstlerischen Output generieren, der schließlich die Praktik als ganze weit ins Feld des Ästhetischen zu transportieren hilft.
4.1.1.
Skateboarding unter dem Bewegtbildmonopol
Wie also stellt sich dieses Sendeverhältnis in der Frühphase des Skateboarding – während jener langen 1960er Jahre – dar? Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen ist die zunächst scheinbar einfache Frage, wie sich eine sportive Praktik mit hochgradig komplexen körperlichen Bewegungen weitgehend jenseits formaler Lehr- und Lerninstanzen wie Verbänden, Vereinen und Trainingspersonal überhaupt in mehreren Wellen mit je deutlich verschiedenen Bewegungsmustern transnational verbreiten kann? Skateboarding wird, wie eine Nahsicht auf den Kompetenzerwerb zeigt, durch »learning by doing« erlernt (vgl. Peters 2016, S. 248-263): durch Versuch und Irrtum, durch Nachahmung anderer sowie durch verbal explizierte Tipps von Erfahreneren und durch das Vormachen zu Lehrzwecken. In der Draufsicht sind es aber letztlich stets Text- und Foto-Medien sowie bewegte Bilder, die Skateboard-Kompetenzen aus lokalen Könnerschaften zumeist im Westen der USA »abstrahieren« und über Ozeane transportieren (Shove et al.
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2012, S. 43). Zu unterscheiden sind dabei Nischen- oder Core-Medien, die von der oder zumindest aus der Nähe der Teilnehmerschaft produziert werden, nur auf dieselbe zielen und den Anspruch formulieren, eine Innenansicht der Praktik abzubilden. Auf der anderen Seite stehen Massenmedien, die mit Blick auf ein breiteres und unspezifischeres Publikum über das Skateboardfahren berichten und nicht nur den Anspruch haben, diesem die Spezifika der Praktik nahezulegen, sondern zugleich stets bemüht sind, das Berichtete auf die Zuseher/-innen zuzuschneiden. Dabei ist, wie Yochim (vgl. 2010, S. 17) bemerkt, keineswegs von einer kompletten Trennung dieser Sphären auszugehen. Die Textgenres beziehen sich immer wieder aufeinander – und sei es, um sich von der jeweils anderen Seite abzusetzen. Das Feld der Nischenmedien gestaltet sich in den 1960er und 1970er Jahren noch recht übersichtlich. Maßgeblich ist im kurzen, noch fast ausschließlich auf die USA beschränkten Skateboard-Boom der mittleren 1960er Jahre die Zeitschrift Quarterly Skateboarder, die 1965 als Nebenprodukt einer Surf-Publikation erstmals erscheint, allerdings mit dem jähen Ende dieser ersten Welle nach nur vier Ausgaben wieder einschläft. Zehn Jahre später wird die Zeitschrift als SkateBoarder unter der Ägide von Steve Pezman, dem Macher des Magazins Surfer, wiederbelebt. Bis 1978 wächst die Publikation in Umfang und Auflage, bevor sie – analog zum beginnenden zweiten Verschwinden der Praktik – massiv an Auflage verliert und als Gegenstrategie damit beginnt, auch über Praktiken wie BMX zu berichten. 1980 wird das Heft in Action Now umbenannt, um diesen breiteren Fokus auch im Titel zu repräsentieren – allerdings ohne Erfolg: 1982 stellt Action Now sein Erscheinen just zu dem Zeitpunkt ein, als die Praktik ihren neuerlichen Aufstieg im Zeichen der vertikalen Manövergeneration beginnt (vgl. Brooke 2005, S. 71). Die Rolle als (nicht nur für die USA) maßgebliche Skateboard-Nischenmedien übernehmen dann zunächst vor allem der Thrasher und etwas später auch das etwas anders ausgerichtete Transworld Skateboarding Magazine. Wie also gestaltet sich das Verhältnis von Bild und Bewegung, von Darstellung und Körper zu dieser Zeit? Bei einem Nischenmagazin wie dem SkateBoarder liegt das Augenmerk durchaus auch auf der Frage, wie es sich praktisch Skateboardfahren lässt. Besonders in seiner zweiten Erscheinungsperiode während des Booms der 1970er Jahre legt das Blatt daher viel Wert auf hochwertige Bilder, die eine inspirierende Wirkung haben sollen. Als Quelle konkreten Bewegungswissens für die Teilnehmer/-innen der sich in den USA rasch landesweit und sukzessive auch nach Europa verbreitenden Praktik kommt die Zeitschrift andererseits nur eingeschränkt in Betracht. Ihre Berichte und Bilder konzentrieren sich weit überwiegend auf die in der Mitte der 1970er Jahre boomenden kommerziellen Skateparks in Kalifornien, die indes mit Ausnahme Floridas in weiten Teilen selbst der USA unbekannt sind – ganz zu schweigen von Staaten wie der Bundesrepublik. So schreibt und fotografiert der SkateBoarder zunächst in gewisser Weise an weiten Teilen der Teilnehmerschaft vorbei. »In most cases«, resümiert Brooke (2005,
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S. 71), »readers were treated to images that did not reflect their true skating environment«. Die tatsächlich praktizierende Leserschaft kann diese Bilder und Berichte zwar bewundern, mit ihnen in ihren eigenen Rollversuchen aber nicht viel anfangen. Aufseiten der Massenmedien berichten in den USA bereits in den 1960er und dann wieder in den 1970er Jahren große Zeitungen und Magazine zeitweise recht intensiv über das Skateboardfahren, vor allem kalifornische Blätter wie die Los Angeles Times. Hinsichtlich der hier zunächst im Blickpunkt stehenden Frage, inwieweit Darstellungen des Skateboardfahrens tatsächlich in seine Fahrpraxis eingehen, sich also mit Körpern verbinden, scheinen diese Berichte wenig ergiebig. Mit wenigen Ausnahmen wie eines schon 1964 gedruckten Coverbilds des Magazins Life, das die Skateboarderin Pat McGee in einer Handstandfahrt zeigt (vgl. Brooke 2005, S. 27), machen diese Darstellungen aus einer distanzierten, teils ironischen und amüsierten, selten begeisterten und oft besorgten Erwachsenenperspektive für Außenstehende Sinn aus der Praktik; sie produzieren also eher Bedeutungen, als dass sie Material – also zum Nachspielen anregende Abbildungen oder Beschreibungen von Bewegungen – lieferten (vgl. Yochim 2010, S. 35-45). Ganz anders verhält sich dies mit dem Fernsehen. Statt statischer Pressefotos kann es bewegte Bilder vom Skateboardfahren liefern, die körperlich-sinnlich zur Nachahmung animieren – und dass diesbezüglich audiovisuelle Materialien gegenüber Fotos und Text weitaus das ›stärkere‹ Medium sind, dürfte unmittelbar einsichtig sein. In den 1960er und 1970er Jahren hat nun das Fernsehen ein weitgehendes technisch-soziales Monopol auf solche Bilder vom Skateboardfahren: Technisch in dem Sinn, dass zu dieser Zeit bereits bestehende Systeme des privaten Filmens im Grunde nur dann gesendet – also anderen vorgeführt – werden können, wenn diese Publika die Filmenden zuhause besuchen oder umgekehrt, sozial mit Blick darauf, dass sich das Kinosystem als Konkurrentin um die Produktion und den Vertrieb von Bewegtbildern mit dem Ende der Wochenschauformate und dem Aufstieg des Fernsehens zum gesellschaftlichen Leitmedium aus dem ›Aktuellen‹ zurückzieht und sich zunächst weitgehend auf fiktionale Inhalte konzentriert. Unter solchen technisch-sozialen Bedingungen sind immer dann, wenn das Fernsehen die Praktik für berichtenswert hält, seine Bilder die weitaus wirkmächtigsten und maßgeblichsten Darstellungen des Skateboardfahrens. Zumal in Phasen eines schnellen Wachstums der Praktik inspiriert das, was Fernsehredaktionen als Skateboarding versenden, ganz entscheidend die Rollversuche von Anfängerinnen und Anfängern und prägt die Praktik in ihren konkreten Vollzügen auf diese Weise nachhaltig mit. Und das, was diese Redaktionen versenden, ist Skateboarding als schneller neuer Sport. Bereits 1965 berichtet das Format »Wide World of Sports« von ABC über die erste US-amerikanische Landesmeisterschaft im Skateboardfahren, die im kalifornischen Anaheim stattfindet (vgl. Beal 2013, S. 11). Diese massennmediale Aufmerk-
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samkeit setzt sich in den 1970er Jahren nach dem Wiederauftauchen der Praktik fort, wobei Wide World of Sports weiterhin eine gewisse Vorreiterrolle einnimmt. Skateboarder/-innen sind Mitte der 1970er aber auch in anderen amerikanischen TV-Formaten zu sehen. So zeigt etwa die CBS-Show »Challenge of the Sexes«, die Frauen und Männer gegeneinander antreten lässt, 1976 einen Vergleich zwischen der Skateboarderin Robin Logan und dem Skateboarder Ernie Martin, bei dem Logan sich durchsetzt (vgl. Porter 2014, Pos. 141). Signifikant ist, dass das Fernsehen bereits in den 1970er Jahren nicht nur über das Skateboardfahren berichtet, sondern sich durch die Entwicklung von Wettkampfformaten aktiv in die Gestaltung der Praktik einmischt. So geht eine Serie von Downhill-Rennen auf dem Signal Hill bei San Diego, die von 1975 bis 1978 stattfindet, auf eine Initiative des Senders ABC zurück, der Inhalte für das Format »The Guinness Book of World Records« braucht (vgl. Beal 2013, S. 15). Wie sehr das Fernsehmedium – und damit zunächst viel eher die Massen- als die Nischenmedien – die Praktik während der 1970er Jahre auch körpertechnisch definieren, zeigt sich besonders in der großen Bedeutung des Skateboard-Slaloms zu dieser Zeit: Aus Sicht der Redaktionen ist eine Konzentration auf diese Disziplin nur logisch, denn Slalom ist spannend und für das Publikum selbsterklärend. Bemerkenswert ist, dass Slalom im führenden Nischenmedium SkateBoarder zugleich eine weitaus weniger prominente Rolle spielt. In seinem zweiten Publikationszyklus zwischen 1975 und 1982 hebt das Fachblatt nicht ein einziges Mal Bilder Slalom praktizierender Skateboarder/-innen auf seine Titelseite (vgl. VSM 2007). Dass Slalom dennoch für einen Großteil der Aktiven während der 1970er Jahre als Königsdisziplin gilt, viel praktiziert wird und bei Wettkämpfen stets das größte Publikum anzieht, illustriert die Wirkmacht des Fernsehens auf dieses Skateboarding im Zeitalter des Bewegtbildmonopols. Seinen Niederschlag findet dieses Sendeverhältnis auch in einem weiteren Genre von Skateboard-Texten, die zumal in den 1970er Jahren erhebliche Wirkungen auf die konkrete Ausübung der Praktik haben und gewissermaßen zwischen Nischen- und Massenmedien anzusiedeln sind: jene Skateboard-Lehrbücher, aus denen zumal im ersten Teil der Arbeit viel zitiert wurde. Auch in diesen Publikationen, die speziell auf Anfänger/-innen zielen und diesen neben Tipps zur Pflege des Skateboards, Empfehlungen zu Schutzausrüstung und kurzen Texten über die Vergangenheit und mögliche Zukunft der Praktik vor allem einen Kanon an Manövern sowie bildlich-textliche Übungshinweise anbieten, spielt der Slalom neben dem Kunst- und Figurenskaten stets eine Hauptrolle. Diese meist unter den Namen bekannter Aktiver erschienenen Publikationen orientieren sich insofern hinsichtlich der konkret zur Nachahmung empfohlenen Bewegungen oft mehr an der Massen- als an der Nischenmedialisierung der Skateboard-Praktik (vgl. Torbet 1976; Davidson/Klein 1976; Stauder 1977).
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Dass in der Praktik während ihrer langen 1960er Jahre also, wie in den ersten Abschnitten herausgearbeitet, körpertechnisch, körperräumlich und auch hinsichtlich der Organisation und des Modus der Vergemeinschaftung der Teilnehmer/-innen ein »real drive to establish and legitimize skateboarding as a sport with defined rules, associations, and competitions« vorherrscht (Porter 2014, Pos. 101), ist demnach nicht zuletzt der Ägide eines technisch-sozialen Verhältnisses geschuldet, welches das Massenmedium Fernsehen gegenüber allen anderen denkbaren Quellen der Inspiration von Skateboard-Bewegungen privilegiert. Wie vereinheitlichend sich dieser »Einbahnstraßencharakter des Bilderstroms« (Castells 2001, S. 387) – innerhalb dessen jene von Stern herausgestellte »intermediale Konstellation« des Erwerbs von Stil-Können undenkbar erscheint – auf die Praktik auswirkt, wird im Folgenden gewissermaßen auch im Rückblick auf diese schon kaum noch vorstellbare Ära deutlich.
4.1.2.
Surf Movies und die VHS-Revolution
Die Neugeburt des Skateboardfahrens als Stil-Gemeinschaft vollzieht sich ab etwa 1975 zunächst parallel zum sportorientierten Figuren- und Slalomskaten und bleibt nach einem zeitweisen Verschwinden der Praktik um 1980 gewissermaßen übrig. Die Arbeit hatte schon rekonstruiert, inwiefern sich im sogenannten DogtownStil der ästhetische Akt und das Erlebnis des Fahrens vor ein messbares ›Ergebnis‹ dieser Körperbewegungen schieben, wie also Treue zum Stil zum Kriterium von Distinktion und Gemeinschaftsbildung in der Praktik wird und wie diese Kompetenzverschiebung einen neuen – den vertikalen – Bewegungsraum in den Blick rückt und herstellt. Wie aber kann sich dieser zunächst minoritäre und subkutane Umschwung vom Manöver-Beherrschen zum Stil-Können in jener Einbahnstraßenhaftigkeit der Bewegtbildproduktion überhaupt vollziehen? Die Verschiebung im Sendeverhältnis, die den Aufstieg des Dogtown-Stils mitbestimmt, ist mehr sozialer als technischer Natur. In Kalifornien entsteht in den ausgehenden 1960er und vor allem in der ersten Hälfte der 1970er Jahre rund um das Wellenreiten eine regelrechte Film-Subkultur, die erstmals Sport mit Ästhetiken der counter culture zusammenbringt. Dutzende Filmemacher/innen aus den Surf-Szenen rüsten sich mit mehr oder minder professionellen Kameras und Projektoren aus, filmen an den Stränden, produzieren im Stil der psychodelischen Rockkultur gestaltete Flyer und tingeln in Kleinbussen umher, um ihre Filme in Klubhäusern, Bars, Aulen oder Gemeindesälen vorzuführen. Laut Lawler (2011, S. 142) vollziehen sich diese Aufführungen in einem improvisierten Happening-Format, schon weil gelegentlich die Tonspur fehlt: »[…] »narrating the footage live and playing rock ’n’ roll as films were being shown«. Von diesen Streifen, für Lawler »some of America’s first ›indie‹ films«, sollen in etwa 1000 Stück entstanden sein (vgl. ebd.). In diesen Aufführungen zelebriert und konstituiert
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sich die Surfszene als Gemeinschaft und erfindet ein Genre: die gegenkulturelle Sportdokumentation. Sportive Bewegungen werden für sich allein als ästhetische Ereignisse und als spirituelle Erfahrung dargestellt und im Akt der Aufführung mit popmusikalischen Ästhetiken verschmolzen.1 Ohne dieses Bildgenre, das in etwas akkulturierteren Formen bald auch in einige größere Filmproduktionen einfließt, in denen die ästhetisierten Surfbilder dann in mehr oder minder elaborierte Spielhandlungen eingerahmt werden, ist die Entstehung des Dogtown-Stils und des subsequenten vertikalen Skateboarding kaum zu verstehen. Diese spezifische Art des Skateboardfahrens, die mit ihrem tiefen Körperschwerpunkt, ihrem betonten Wechsel von Kompression und Streckung und mit ihren abrupten und scharfen Richtungsänderungen körperpraktisch die Vorbedingung des Vorstoßes in die Vertikale darstellt, entsteht in einem Enactment der hochgradig ästhetisierten Bilder solcher Surf Movies auf festem Terrain. Besonders imponiert der Dogtown-Clique, die solche Vorführungen oft besucht, offenbar ein unter anderem durch solche Filme bekannt gewordener Wellenreiter aus Hawaii, den die Z-Boys zur Zeit ihrer Bewegungsexperimente auf Skateboards in natura nie gesehen hatten: »Larry Bertleman had a fundamental impact on the Z-Boys thing. The Z-Boys thing was Larry Bertleman on concrete«, sagt der Dogtown-Protagonist Nathan Pratt in Peraltas (2001, 0:24:39) Dokumentarfilm. In das nach Bertleman benannte Manöver Bert, das im ersten Teil der Arbeit als eine signifikante frühe Bewegung des Dogtown-Stils vorgestellt wurde, ist also eine spezifische Ästhetisierung bereits eingebaut. Ganz generell geht dieses neue Stil-Skateboarding, das sich vom vorhergegangenen Geschwindigkeits- bzw. Geschicklichkeits-Skateboarding kategorial abhebt und den Ausgangspunkt der bis heute bekannten Gestalten der Praktik markiert, also von einem individuell-kollektiven, kreativen Nachahmen und Aneignen gegenkulturell stilisierter Filmaufnahmen von Surfbewegungen auf Skateboards aus. In körperlicher Auseinandersetzung mit solchen planvoll stilisierten, live oder im Film mit spezifischen Sounds unterlegten Bewegtbildern erfinden die Z-Boys erstens jene aggressive Fahrweise, von der im ersten Abschnitt der Arbeit berichtet wurde, und führen das Moment stilistischer Distinktion in die Skateboard-Praktik ein. Damit etabliert sich zweitens ein Modus von Vergemeinschaftung, der für die nunmehr entstehende, distinkte Skateboard-Kultur bis heute kaum weniger prägend ist als jener Vorrat an Körpertechniken, der seit Dogtown im Skateboarding immer wieder transformiert und re-arrangiert wird: die Gruppierung von Sub-Stilgemeinschaften um spezifisch affektiv geladene Markenzeichen, denn die
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In gewisser Weise erinnern diese Aufnahmen ein wenig an die Olympiafilme von Leni Riefenstahl, die ja auch körperliche Bewegung als ästhetische Ideologie zeigen. Auch hinsichtlich der Gestaltungsmittel, etwa der sehr tiefen Kameraposition, gibt es gewisse Parallelen zwischen Riefenstahl und auch jüngeren Skateboard-Videos.
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so genannten Z-Boys von Dogtown sind ja zunächst nichts anderes als das WerbeTeam des lokalen Surf- und Skateshops Zephyr. Von dieser Markenzentrierung der Praktik und ihren Konsequenzen für ihre Platzierung im Raum des Sports – sowie für ihr Ausgreifen in allerlei ästhetische Praktiken, die dem Sport klassischerweise eher fern liegen, wird weiter unten noch detaillierter die Rede sein. Von den aus der Adaption jener stilisierten Bilder der Surf Movies hervorgegangenen Skateboard-Manövern der Z-Boys entstehen nun bald ihrerseits wiederum planvoll ästhetisierte Filmaufnahmen. Aus diesen setzt sich etwa Peraltas (2001) viel zitierte Filmdokumentation maßgeblich zusammen. Zeitgenössisch zeigt auch der ähnlich wie diese Wellenreiterstreifen aufgebaute, aber schon professionellere und in Kinos vorgeführte Film »Skateboard Madness« (Pena/Jepsen 1980) solche Bilder, bei dem Hal Jepsen die Kamera führt, ein Protagonist schon jener Surf-MovieSzene. Eine mit der Surf-Kultur vergleichbare Szenerie umherschweifender Filmer/-innen entsteht im Skateboarding dennoch nicht – wohl, weil sich die Praktik wenige Jahre später schon wieder in einer Phase zwichenzeitlichen Niedergangs befindet. Die Ästhetisierung des Dogtown-Stils vollzieht sich daher zunächst vor allem im Printbereich der Nischenmedien: Im SkateBoarder erscheint ab 1975 eine Serie von Features und Portraits, in denen Craig R. Stecyk – alias John Smythe alias Carlos Izan alias »Lowboy« –, der notabene zugleich ein Partner im Zephyr-Shop ist, seine Z-Boys und ihr Skateboarding blumig schildert und spektakulär fotografiert. Auch Glen E. Friedmans Fotografien tragen zum szeneinternen Ruhm von Dogtown maßgeblich bei. Prägend für diese Artikelserie, die in der SkateboardKultur bis heute als »Dogtown Files« Kultstatus genießt und im Jahr 2000 in Buchform nachgedruckt wird (Stecyk/Friedman 2000), ist erstens ein spezieller Bildstil, der auch die Skateboardfotografie späterer Zeiten bestimmt: So lässt etwa der Einsatz extremer Weitwinkelobjektive Skateboard-Airs bei entsprechend tiefer Kameraposition weit spektakulärer wirken, als sie in natura ausgesehen haben müssen. Zweitens schreibt der heute als Künstler lebende Stecyk in einem sehr eigentümlichen Stil, der irgendwo zwischen New Journalism, Gang-Slang und sozialtheoretischen Einsprengseln schillert. Diese Texte, besonders aber die spektakulären Fotos, haben in den ausgehenden 1970er Jahren sicherlich einen inspirierenden Impetus auf die Teilnehmerschaft der Praktik. Unmittelbar nachzuahmen sind sie von dieser allerdings weniger, da nicht sichtbar wird, wie sich Skateboarder/-innen überhaupt in solche Positionen begeben können. Diese Frage aber wird zu Beginn der 1980er Jahre mit der gesellschaftlichen Verbreitung einer technischen Innovation obsolet, die sowohl auf die Körpertechnik als auch auf die innere Verfasstheit der Praktik kaum zu überschätzende Wirkungen hat: die Durchsetzung des Videorekorders und des VHS-Standards in den USA und den Staaten des ›Westens‹ (Zielinski 2010, S. 404f). Hierdurch gewinnt das Publikum eine völlig neue Souveränität über die Bilder: Es kann diese zu jeder Tages- und Nachtzeit beliebig oft ansehen, zurück- und vor-
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spulen sowie auf Zeitlupe schalten. Das ermöglicht, wie sich denken lässt, gegenüber dem bis dahin flüchtigen Fernsehmedium, erst recht aber gegenüber Texten und Fotos, einen weitaus schnelleren Transfer von Bewegungswissen innerhalb der transnational verstreuten Szenen. Wie schwer im Rückblick das Lernen fällt, als es noch »no skate videos to study« gibt, schildert der Skateboarder und Autor Jocko Weyland (2002, S. 156f): In seiner abgelegenen Kleinstadt habe er zwar stets die Magazine verschlungen, signifikante Fortschritte aber nur nach persönlichen Treffen mit anderen Aktiven erzielen können. Diese Beschränkung entfällt nun weitgehend. Insofern lässt sich sagen, dass ohne die Rewind-Taste des Videorekorders das vertikale Skateboarding mit seinen hochgradig komplexen Körpertechniken kaum mit gehabtem Impetus eine transnationale ›Welle‹ hätte machen können. Auch Hawk (2001, S. 82) beschreibt, welch jähen Popularitätsschub das Videomedium im Skateboarding nach sich zog. So lässt sich zugespitzt zusammenfassen, dass sich Skateboarding seit der Durchsetzung des Videorekorders in einer gesellschaftlichen Nische etabliert, die sich unverhofft im Gebrauch von Medientechnik auftut. In der historischen Rückschau kann kaum zu deutlich unterstrichen werden, welch basale Bedeutung bereits die Verbreitung von VHS und Videorekorder – und beileibe nicht erst die »Digitalisierung« – für die »Speicherung und Multiplikation« von hochspezifischen »Wissenbeständen« wie »Körperwissen […], Wissen um Normen, Werte, szenespezifische Leitideen, Ästhetisierungsoptionen etc.« (Bock 2018, S. 156) für die Praktik hat. Denn erstens ist damit im Skateboarding eine gewisse Immunisierung gegenüber Darstellungen in herkömmlichen Massenmedien verbunden: Es kann nichts von dem, was noch so große Zeitungen oder reichweitenstarke TV-Stationen über Skateboarding schreiben oder senden, den Körpern/Subjekten der Praktik ohne Weiteres so nahe kommen wie diese zunächst auf VHS-Kassetten kursierenden und von den Einzelnen dutzend-, wenn nicht hundertfach verschlungenen Nischenvideos, die Manifeste dessen sind, was sie zugleich lehren. Als Konsequenz jener Video-Revolution hat nunmehr dieses Format in den 1980er Jahren weitgehend ein Monopol auf den Zugang zu den Aktiven der Praktik. Für eine ›diskursanalytische‹ Beforschung derselben ist daraus die Folgerung zu ziehen, dass massenmedialer Skateboard-Content unter diesen Bedingungen zwar mittelbar auf die Praktik zurückwirken kann, indem er etwa (stadt-)politische Entscheidungen mitbestimmt, die die Praktik betreffen. Problematisch ist aber die stillschweigende Annahme, solche Repräsentationen ›von außen‹ hätten nach dem Aufkommen des Skateboard-Videos noch einen so direkten, unmittelbaren formativen Einfluss auf die Subjekte der Praktik wie das vor der Durchsetzung von VHS und Videorekorder der Fall war. Und zweitens verändert diese partielle Öffnung des Sendeverhältnisses die Autorschaft audiovisueller Materialien über das Skateboardfahren. Auf Basis des Videorekorders als universelle Abspielplattform können bewegte Bilder nun auch jen-
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seits des Fernseh- und Kinosystems an verstreute Publika versendet werden – zunächst ganz wörtlich, nämlich per Post –, ohne dass die Filmemacher/-innen durch die Lande ziehen müssten wie zur Zeit jener Surf Movies noch der mittleren 1970er Jahre. Da das Produzieren und Bearbeiten von Videomaterial während der 1980er noch relativ aufwändig bleibt, während VHS die Hürden beim Versenden drastisch absenkt, steht die Autorschaft von Skateboard-Bewegtbildern nun zwar noch nicht für einzelne Teilnehmer/-innen offen, durchaus aber für Einheiten mittlerer Größe und Potenz: Im Skateboarding übernehmen zunächst zwar nicht die einschlägigen Nischenmedien2 , aber die Skateboardfirmen selbst die Rolle der primären Bewegtbildproduzentinnen. Auf Basis des Videorekorders sowie in der Tradition jener Surf Movies – und wohl auch unter dem Eindruck des Musikvideos, das mit dem Start von MTV zugleich seinen Aufstieg zum jugendkulturellen Leitmedium beginnt –, entsteht in den 1980er Jahren das Bildgenre Skateboard-Video, das bis heute in der Praktik eine enorme Rolle spielt. Darunter sind zunächst auf VHS-Kaufkassetten vertriebene (und tausendfach kopierte) Filme in der Länge von meist etwa 45 Minuten zu verstehen, in denen Firmen aus der Skateboardindustrie das Können und den Stil ihres Teams, also ihrer Werksfahrer/-innen, in einer spezifischen, auf das Image der jeweiligen Firma zurückverweisenden Ästhetisierung präsentieren. Die Skateboard-Videos der 1980er Jahre sind prototypische »rock videos about sports« (Klein 1999, S. 52). Angesichts des Aufkommens des Videorekorders ruft zeitgenössisch der Künstler Nam June Paik begeistert die »video revolution« aus – nun hätten die Bürger/-innen der bis dato erdrückenden und kulturell-politisch homogenisierenden Bildmacht des Fernsehmediums endlich etwas entgegenzusetzen (vgl. Butz 2012, S. 187). Im Rückblick diagnostiziert Castells (2001, S. 386) deutlich nüchterner den Beginn der »Differenzierung des Massenpublikums« auch durch das Aufkommen des Videorekorders. In der Kultur des Skateboarding, die sich in den ästhetisierten Bilderwelten dieser Videos als solche herstellt und reproduziert, orientiert sich diese Differenzierung fortan an affektiv aufgeladenen Markenzeichen einer – zunächst – marginalen Nischenökonomie, denn in letzter Instanz wird das Skateboardfahren seither in körperpraktischer Auseinandersetzung mit Videoclips erlernt, die zugleich Imagefilme von Skateboardfirmen sind. Von diesem Zeitpunkt an sind in der Skateboard-Kultur in jene Prozesse praktischer Intersubjektivität und
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Selbst die führenden amerikanischen Skateboardmagazine wie Thrasher und Transworld beginnen erst weit in den 1990er Jahren mit der Produktion eigener Videoinhalte. Ein Grund dafür erschließt sich nicht auf den ersten Blick – womöglich spielen dabei Absprachen mit den Skateboardfirmen eine Rolle, die als Anzeigenkundinnen erheblichen Einfluss auf die Magazine ausüben.
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interkorporaler Kommunikation, in denen sich diese als Gemeinschaft konstituiert, Motive einer spezifischen warenästhetischen Besonderung quasi stets schon eingebaut. Gerade in seinen subkulturellen Phasen, in denen das Fernsehen keine Rolle spielt, eignet sich Skateboarding insofern nicht als Beleg für den »beruhigende[n] Schluss«, dass »die Macht des Mediums […] auf sportlichem Gebiet begrenzt ist« (Penz 2009, S. 111) – es geht dabei im Skateboarding in weiten Abschnitten seiner Geschichte freilich eher um eine hochkomplexe Landschaft von Nischen- statt um die herkömmlicchen Massenmedien. Der 1984 erschienene Film »The Bones Brigade Video Show« (Peralta/Stecyk 1984) der Skateboardfirma Powell-Peralta, der wohl das epochemachende Skateboard-Video der 1980er Jahre ist, ruft in seiner Einganssequenz jene VideoRevolution denn auch ganz konsequent und selbstbewusst als Markenrevolution aus: Zunächst erscheint ein fiktiver TV-Moderator, der einen Hundefuttertest und ein Skateboard-Feature ankündigt, wobei er ein No-Name-Plastikboard nach Art der 1970er Jahre ins Bild hält. Dann schwenkt die Kamera auf den Firmeneigner Stacy Peralta, der als früherer Dogtown-Protagonist auch eine Skateboard-Legende ist. Peralta springt auf, greift zu einer Spitzhacke und zertrümmert den Bildschirm, um mit dem Ausruf »Now this is a Skateboard!« ein Powell-Peralta-Markenbrett aus den qualmenden Resten seines Fernsehgeräts zu ziehen. Wenn schon die Vorkriegs-Hollywood-Filme zu Marcel Mauss’ (1989, S. 202, Hervorh. EVS) Lebzeiten auf die »Gangart« junger französischer Frauen derart abstrahlten, dass ihm bei deren Anblick die »Erleuchtung« kam, die »Stellung der Arme, der Hände während des Gehens« seien eine »soziale Eigenheit« und nicht »einfach ein Produkt irgendwelcher rein individueller […] Handlungen«, lässt sich die Wirkung dieser Skateboard-Videos auf ihr begieriges Nischenpublikum erahnen, das sie förmlich aufsagt. Sie konstituieren innerhalb der Stil-Gemeinschaft aller Skateboarder/-innen eine Reihe sub-stilistischer Markengemeinschaften. Schon seit den 1960er Jahren nehmen die Werksteams von Skateboardfirmen in der Praktik die Position ein, die im traditionellen Sport Mannschaften oder Vereinen zukommt. Im Dogtown-Stil aber wird ein bestimmter ästhetischer Modus von Körperbewegungen erstmals einer spezifischen Marke, nämlich Zephyr, zugeordnet. Dieses Prinzip macht schon vor dem Videorekorder Schule in der Praktik: Wie selbstverständlich erinnert sich Hawk in seinen Memoiren (2001, S. 49), um 1981 habe Santa Cruz einen Hardcore-Punk-Stil »gehabt«, G&S dagegen einen »smooth and clean style«, Variflex sei an einem eher technischen Stil zu erkennen gewesen – und so weiter. Mit dem Format des Skateboard-Videos aber lässt sich diese Beziehung zwischen Markenzeichen und bestimmten Stilen körperlicher Bewegung weltweit übertragen und von den Werksteams auf die Körper der Kundschaft ausweiten. So entsteht in der Skateboard-Video-Revolution in den frühen 1980er Jahren jener typische »Kreislauf« zwischen Bewegungskultur und Jugendmarketing,
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den Schwier (2006, S. 323) als allgemeines Merkmal von Trendsport erkennt. Vor diesem Hintergrund ist es auch nicht verwunderlich, dass – wie Yochim (2010, S. 140) durchaus befremdet registriert – diese Videos als »authentische« Zeugnisse gelten, obwohl bekannt ist, dass sie »promotional materials« sind. Eine ›authentische‹ Repräsentation von Skateboarding ist nämlich eine, die sich mit erlebter Erfahrung deckt. Diederichsen (2014, S. 138) schreibt treffend, dass »echt« in solchen tatsächlich ja grundlegend artifiziellen Pop-Stil-Gemeinschaften nichts anderes bedeutet, als dass »andere Leute dieses Artefakt – sein Argument, seinen Gedanken, seine Pose – leben können«. Wenn nun schon beim Bewegungslernen bestimmte Warenästhetiken praktisch einverleibt werden, ist es nur folgerichtig, dass dergestalt ästhetisierte Aufnahmen den bereits entsprechend ›imprägnierten‹ Körpern/Subjekten als »echt« erscheinen. Und insofern trifft es auch zu, dass die vielgestaltigen grafischen Entäußerungen dieser hochspezifischen Warenästhetik, die – nicht zuletzt – auch auf Aufklebern verbreitet werden, zu »Symbolen und Identifikationsmerkmalen der Skater« werden und als »skatekulturkonstituierende Elemente« fungieren (Pachl 2017, S. 2). Nur mussten sich diese Sticker dazu nicht erst »von der solitären Werbefunktion eines typischen Werbeaufklebers« (ebd.) ablösen: Diese Zeichen waren, zumindest seit den späteren 1970er Jahren, nie etwas anderes. Entstehen also die Bilder, die von Skateboard-Aktiven zur Zeit der Dominanz des Racing- und Figurenskatens nachgespielt werden, in den Massen- wie den Nischenmedien redaktionell, werden im Grunde schon seit seit Dogtown, spätestens aber im Genre Skateboard-Video spezifisch kommerziell ästhetisierte Stile für körperliche Bewegungen und Gemeinschaftsbildung in den Szenen mitbestimmend. Ein Gradmesser dieser markenbezogenen Vergemeinschaftung ist, um noch einmal auf jene Skateboard-Aufkleber zurückzukommen, ein Ritual, das in den 1980er und 1990er Jahren zu jedem größeren Skateboard-Event gehört: Beim sogenannten Sticker Toss werfen die Teamrider/-innen Aufkleber mit Firmen-Logos oder anderen auf diese Labels verweisenden Motiven ins Publikum, das sich darum förmlich balgt: »People killing each other over stickers is a sad thing to watch«, kommentiert noch nach der Jahrtausendwende lakonisch der Skateboard-Profi Mike Vallely (zit.n. Munson/Cardwell 2004, S. 61). Eine Folge dieser warenästhetischen Grundierung der Skate-Kultur ist auch ein spezifisches Leseverhalten in der Skateboard-Szene. Diese stört sich keineswegs daran, dass die Nischenmagazine zu einem Drittel bis fast der Hälfte aus Werbestrecken bestehen.3 Im Gegenteil werden die Ads der Labels sogar mit besonderem Interesse betrachtet: Sie unterscheiden sich oft kaum vom redaktionellen Content, 3
Eine Stichprobe ergab beispielsweise für die Maiausgabe 1992 des deutschen Magazins Monster bei insgesamt 67 Seiten 24 ganzseitige Werbeanzeigen. Die jährliche »Sammlerausgabe« des SkateBoarder vom Sommer 1997 enthält 53 ganzseitige Werbeanzeigen bei 147 Seiten
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indem sie gleichfalls ästhetisierte Aufnahmen von Skateboardbewegungen enthalten – und sie haben einen Nachrichtenwert: Welches Team ehrt wen mit einer großen Ad, wer wird dagegen nicht mehr representet, wer kann welche Manöver – und wer ist Pro geworden, wird also von einer Skateboardfirma mit einem unter ihrem oder seinem Namen vertriebenen Skateboard bedacht? Weithin werden diese Ads wie Statements von alten Bekannten gelesen und sind auch diesbezüglich ein Gesprächsthema. Es passt ins Bild, dass der deutsche Skateboard-Handelsriese Titus Dittmann (vgl. 2012, S. 233) später das Printformat »Magalog« erfindet und in seinen Memoiren stolz berichtet, der Ausdruck sei in das »Lexikon der deutschen Sprache« eingegangen. Eine Revolution geht mit diesem modifizierten Sendeverhältnis aber nicht nur hinsichtlich einer warenästhetischen Aufladung der Bewegungen und damit der Körper und der Kultur der Skateboard-Praktik einher, sondern – und das nicht zuletzt – natürlich auch in ihrer ökonomischen Struktur. Spätestens mit seinem Aufkommen gilt, dass unweigerlich untergeht, wer immer in der Skateboardindustrie diese Klaviatur der stilistischen Identifikation seiner Produkte nicht beherrscht. Tatsächlich korrespondiert, wie sich zeigen wird, mit jeder Transformation des Bewegungsmusters und der Bewegungsräume im Skateboarding nicht nur eine Verschiebung im Sendeverhältnis, sondern auch eine Verschiebung der Autorschaft von Skateboard-Bewegtbildern, mit der wiederum eine jeweils neue Generation von Skateboardmarken verbunden zu sein scheint. Nachvollziehen lässt sich dies anhand der von Cliver (vgl. 2009, S. 68-107) zusammengetragenen Sammlung von Skateboards aus den 1960er Jahren bis zur Jahrtausendwende: Mit dem Aufstieg des vertikalen, stilistisch orientierten Skateboarding verschwinden – mit Ausnahmen wie G&S – auch die Hersteller der Skateboards, die in jener älteren, am Slalom- und Figurenskaten orientierten Gestalt von Skateboarding gebräuchlich sind. Dabei wäre es diesen Firmen mit ihrer teils langjährigen Erfahrung sicher nicht schwer gefallen, nun auf die etwas anders geschnittenen Steilwand-Skateboards umzustellen. Sie sind also nicht technisch, sondern stilistisch überholt. Das gilt für viele Traditionsfirmen – wie zum Beispiel neben dem für lange Zeit führenden Skateboardhersteller Bahne auch für die Skifirma Blizzard, die während der 1970er Jahre spezialisierte Slalomskateboards herstellt und ferner für Boulder, Bel Air, Edwards, Fox, Functional Design, Harbour, Hobie, Haut, Logan Earth Ski, Makaha, Powerflex, Rollerboards und noch einige mehr. An ihre Stelle treten neben Zephyr bzw. später Z-Flex neue Marken wie die während der 1980er Jahre dominierenden ›großen Drei‹ Powell-Peralta, Vision und Santa Cruz – und etliche kleinere von Alva über Blockhead und die ›Kultmarke‹ Dogtown bis zu Zorlac (vgl. Cliver 2009, S. 134-261). Heftumfang, das Transworld Skateboarding Magazine vom März 2012 weist bei insgesamt 139 Druckseiten sogar 63 ganzseitige Werbeanzeigen auf.
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Die popkulturelle Ästhetisierung von Skateboard-Bewegungen in den Skateboard-Videos – und damit prinzipiell auch der Bewegungen auf den Brettern – ist also eine Konsequenz jener Verschiebung des Sendeverhältnisses, die Skateboardfirmen als Autorinnen bewegter Bilder vom Skateboardfahren zulässt. In seiner Konstitution als eine distinkte Kultur oder als Lebensstil ist Skateboarding von Anfang an eine Markenkultur. Bald entsteht folgerichtig ein neues Genre von Skateboard-Texten, denn die Stärke dieser Marken zeigt sich darin, dass sie nun das zu betreiben beginnen, was in der Marketingtheorie eine Markenerweiterung genannt wird: Sie suchen nach neuen Produkten für ihre Logos. Naheliegend kommen sie zunächst auf die Mode. T-Shirts mit Firmensignets hatte es zwar auch in den frühen 1970er Jahren schon gegeben, doch im Verlauf der 1980er Jahre entwerfen Skateboardfirmen nach und nach ganze Bekleidungslinien – eine »Mode nach der Mode« (vgl. Vinken 1994), die Jeans, Elemente von Collegekluft (Kapuzenpullover), Strandkleidung (Shorts) und Elemente von Sportbekleidung (Jogginghosen) zu einem sportiv-urbanen Modestil kombiniert, der später als »Street Wear« von sich reden macht. Stellvertretend für diese erste Skateboardmodewelle, die weit über die Teilnehmerschaft der Praktik selbst hinausgreift, kann die Bekleidungslinie von Vision genannt werden, die das bis heute im Bereich der jungen Mode gebräuchliche Rubrum »Street Wear« bereits in den frühen 1980er Jahren im Namen trägt (vgl. Brooke 2005, S. 112f). Vision Street Wear ist schon deshalb hervorzuheben, weil dieses Label gestalterisch so innovativ ist, bereits in den frühen 1980er Jahren jene brustfüllenden Logos zu verwenden, die in der Mainstream-Jugendmode erst nach 1990 – prominent etwa bei Tommy Hilfiger – zeitweise zum Standard werden (vgl. Klein 1999, S. 28). Doch produzieren forthin auch viele andere Skateboardmarken mit gegen Ende der 1980er Jahre stark steigender Tendenz Mode. Der deutsche Street Skateboarder Holger von Krosigk blickt ironisch auf diese Zeit zurück: »[…] Painter-Cap mit hochgeklapptem Schirm und Vision-Street-Wear-Shirt. Am besten noch die engen Jogging-Hosen mit aufgedrucktem Knochenmuster von Powell dazu, nicht zu vergessen ein Hip-Bag um die Hüften […]. Wie konnten wir nur?« (Krosigk 2009, S. 101) Mit diesem Ausgreifen in den Modebereich beginnt eine Metamorphose der sportiven Praktik Skateboarding – die sich, wie wir gesehen hatten, bereits in den ausgehenden 1970er Jahren mit einem bestimmten Genre populärer Musik verbunden hatte – zu einer zunehmend breit gefächerten ästhetischen Praktik. Auch diese kulturelle Arrondierungsbewegung wird nachstehend weiter verfolgt.
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4.1.3.
Sponsor-Me-Tapes und Camcorder-Kriege
Spielt also der Videorekorder ab den frühen 1980er Jahren eine Schlüsselrolle bei der Verbreitung der komplexen Manöver des Steilwandskatens und auch bei deren spezifischer, markenästhetischer Stilisierung, erlebt das Sendeverhältnis bewegter Skateboard-Bilder während der 1990er Jahre eine weitere, gravierende Öffnung. Um das Jahr 1990 werden, in etwa zeitgleich mit der Ausbreitung von Street Skateboarding, zunächst Camcorder zum Alltagsgegenstand, also leichte, tragbare Videokameras mit integriertem, zunächst analogem Bildspeicher (vgl. Willett 2009, S. 7ff). Etwas später, um etwa die Mitte der 1990er Jahre, verbreiten sich dann digitale Videokameras nebst erschwinglichen Personal Computern mit zunehmend laientauglichen Bildschnittprogrammen sowie allmählich auch digitale Fotoapparate und entsprechende Software. Vollzieht sich die Stilisierung von Skateboard-Bewegungen in den ausgehenden 1970er und den 1980er Jahren noch in einer Situation, innerhalb derer Skateboarder/-innen ästhetisierte Bewegungen nachahmen, die sie entweder in jenen Surf Movies oder aber in Skateboard-Videos gesehen haben, rückt nun allmählich jener Zustand näher, den Stern eine intermediale Konstellation nennt: Zunehmend werden Teilnehmer/-innen selbst technisch in die Lage versetzt, Skateboard-Aufnahmen zu erstellen und zu bearbeiten – während die Möglichkeit des Versendens dieser Bilder technisch noch begrenzt bleibt. Unzweifelhaft tragen die Camcorder zu einer weiteren förmlichen Explosion von Skateboard-Bewegungswissen bei, die gegenüber dem vertikalen mit dem nun aufsteigenden Street Skateboarding verbunden ist: Das Aufkommen jener neuartigen, hochgradig komplexen, kleinteiligen Körpertechniken, die Street Skateboarding zunächst prägen, lässt sich mit dieser neuen Technologie in Verbindung bringen. Die Camcorder ermöglichen eine folgenreiche Veränderung des Produktionsmodus der Videos: Die preisgünstigen Kameras können bedenkenlos an die Skateboarder/-innen selbst verteilt werden, die einander dann über längere Zeiträume filmen können, als es unter (semi-)professionellen Bedingungen – etwa mit teureren Kamerateams oder geliehener Technik – denkbar gewesen wäre. Als Ergebnis dessen entsteht weitaus mehr Manöver-Material, das in diesen Videos zusammengeschnitten und dann von deren Publikum nachspielend erlernt werden kann. Zudem erleichtern es solche Kameras auch den Printmagazinen, auf Basis von Videostills mit weitaus geringerem Aufwand und zu erheblich geringeren Kosten als mit analoger Fototechnik Bildserien zu produzieren, die zudem eine weitaus höhere Frequenz aufweisen, als selbst die schnellsten Motoren für Analogkameras liefern können. Aus beiden Gründen trägt die Popularisierung dieser neuen Videoaufnahmegeräte ab etwa 1990 unbestreitbar zu einer weiteren Beschleunigung der Verbreitung noch komplexerer Skateboard-Manöver bei (vgl. Griffin 2010; Schäfer 2015a, S. 159).
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Inwiefern aber führt diese neue Technik auch zu einer weiteren Verschiebung der Autorschaft von Skateboard-Videos – und welche Folgen hat diese für die Praktik? Es ließe sich vermuten, dass mit diesem technischen Schritt in Richtung einer Individualisierung der Bildproduktion auch eine Individualisierung der Bildinhalte verbunden sei. Generell lässt sich für das private Filmen jedoch festhalten, dass dieses zunächst so aufregende Medium – ganz anders als in der Fantasie Nam June Paiks und eines zeitgenössischen Videoaktivismus – keineswegs dazu führt, dass nun in der gesellschaftlichen Breite neue Perspektiven auf das Soziale gewonnen würden. Vielmehr gelangt die Amateurfilm-Forschung zu einem eher gegenteiligen Fazit: In den allermeisten Fällen wird das Filmmedium in privaten Händen seit den 1950er Jahren zu einem Werkzeug der Reproduktion dominanter Normen im persönlichen Nahbereich, gewissermaßen am eigenen Beispiel – was zur Hegemonie dieser Vorstellungen und Praktiken ›richtiger‹ Ordnung eher beitrage, als sie zu unterminieren (vgl. Buckingham 2009, S. 25; Zimmerman 1995). Ähnlich führt der Camcorder in der Skateboard-Kultur zunächst nicht etwa primär dazu, dass nun einzelne Teilnehmer/-innen Bewegungsästhetiken entwürfen, die sich von jenen aus den Firmen-Videos abgrenzten. Im Gegenteil dient ein erheblicher Teil dieser ›individuellen‹ Videos dazu, die eigenen Bewegungen so zu editieren, dass sie zum Stil bestimmter Marken passen. Mit dem Camcorder entsteht das bis heute verbreitete Bildgenre der Sponsor-Me-Tapes: Diese Aufnahmen sind nichts anderes als Bewerbungsunterlagen für Werksteams. Werden sie in den 1990er Jahren denselben direkt zugesandt, hofft man heute, auf Videoportalen entdeckt zu werden, wenn dort die eigenen Aufnahmen entsprechende Resonanz erfahren (vgl. auch Yochim 2010, S. 140; Peters 2016, S. 239). Dass mit den Camcordern und etwas später mit der Laien-Schnitttechnik die Hürden nun auch hinsichtlich der Produktion von Bewegtbildern deutlich sinken, führt zunächst zu einem Ansteigen der Zahl und einer funktionalen Aufwertung der Skateboard-Videos. In den früheren 1990er Jahren, als die Wettkampftätigkeit in der Praktik weitgehend darniederliegt, werden die Videos sogar zeitweise zum eigentlichen Habitat von Skateboarding. Gerade in dieser Zeit gibt es zahlreiche Skateboarder/-innen, die zu Prominenz in den Szenen gelangen, ohne sich jemals in persona zu zeigen (vgl. Hälbich 2008, S. 63). Mit dieser Multiplikation der Videos geht indes eine Multiplikation nicht nur der Manöver, sondern auch der Stile des und damit der Marken im Skateboarding einher: Wer in der Praktik ein Video produzieren kann, kann auch ein Label etablieren. Die für die 1990er Jahre zu konstatierende Tendenz der Skateboard-Nischenökonomie »from a big company industry to a small, nimble company industry« (Peralta 2012, 01:40:08) hat unabweisbar mit diesen Innovationen der Videotechnik zu tun. Tatsächlich tritt mit dem Street Skateboarding nicht nur jene neue Generation von Körpertechniken und Aktiven auf, die sich als New School von der Old School des vertikalen Skateboarding absetzt, sondern auch eine neue Kohorte von Skateboardlabels. Jene im Nachhin-
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ein befremdliche polemische Grundhaltung, in der sich nach 1990 die Ablösung des vertikalen durch das Street Skateboarding vollzieht, hat ihre Gründe nicht nur in einer veränderten Einstellung der Körperbewegungen, die sich nun oft mit Hiphop statt mit Punk/Hardcore synchronisieren, sondern auch in der Eigenlogik warenästhetischer Unterschiedsproduktion: Die neuen Marken müssen sich von den alten abheben, um deren Platz einnehmen zu können. Während die Inhalte dieser Unterscheidung weiter unten gedeutet werden sollen, geht es hier zunächst darum, die Tiefe dieses Einschnitts zu verdeutlichen: Von den drei dominierenden Skateboardmarken schaffen zwei – nämlich Powell-Peralta und Vision – den Sprung in die 1990er Jahre tatsächlich nicht; auch die Marke Santa Cruz verliert ihre einst so prominente Stellung. An ihre Stelle tritt ein Konglomerat aus in den Szenen so genannten Kleinen Firmen (vgl. Hälbich 2008, S. 58), die sich als »skater owned« ausgeben, während viele von ihnen – zum Beispiel New Deal, Plan B, 101 und Blind – in einem ökonomischen Netzwerk rund um die neue, auf Street Skateboarding abstellende Marke World Industries zusammenhängen (vgl. Dinces 2011, S. 1523). Gerade die frühen 1990er Jahre erleben geradezu eine Flut an neuen Skateboardlabels, von denen einige bis heute bestehen: Alien Workshop (gegründet 1990), Birdhouse (1992), Chocolate (1994), Element (1992), Flip (1991), Girl (1993), Real (1991), Stereo Sound Agency (1992), Think (1990) und Zero (1996) gehören zu den größeren. Zwischen den alten und den neuen Marken entbrennt in der ersten Hälfte der 1990er Jahre ein regelrechter Image-Krieg, in dem es darum geht, die Glaubwürdigkeit der stilistischen Identitäten der jeweils anderen Seite zunichte zu machen. Der deutsche Skateboard-Großhändler Titus Dittmann schreibt in seinen Memoiren über das Skateboard-Geschäft in den frühen 1990er Jahren: »Es entstanden viele kleine neue Brands, die richtig aggressiv auf die großen losgingen, allen voran Steve Rocco mit World Industries. Sie setzten auf vergleichende Werbung mit immer der gleichen Botschaft: ›Die Big 54 sind nicht authentisch, die sind nichts für echte Skateboarder, die zocken uns nur ab‹. Und die Jungen haben den Alten in der Tat das Leben schwer gemacht, plötzlich gab es Old School und New School, und am Ende haben nur drei der Big 5 überlebt.« (Dittmann 2012, S. 225f). Ausgetragen wird diese Auseinandersetzung um die ›Authentizität‹ teils schon über die Namen der Marken: So ist die von World Industries geförderte Neugründung Blind schon in der Selbstbezeichnung eine Attacke auf Vision, was
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Gemeint sind hier neben den soeben genannten drei Skateboardfirmen Vision, Powell-Peralta und Santa Cruz auch die Achsenfirmen Tracker und Independent, deren konkurrierende Eigentümer zugleich die beiden führenden Skateboardmagazine dieser Jahre besitzen, also das Transworld Skateboarding Magazine bzw. den Thrasher.
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Skateboarder/-innen sofort verstehen. Als Santa Cruz versucht, sich mit einer technologischen Neuerung im Street Skateboarding zu etablieren – auf der Bauchseite von Skateboards dieser Marke wird zeitweise ein Rutschbelag namens »Everslick« aufgebracht, der Boardslide-Manöver an Curbs erleichtern soll – reagiert World Industries mit dem Satireprodukt »Neverslick«, einer Art Samtbezug für Skateboard-Unterseiten. Auch diese Botschaft erreicht ihr Publikum: Wer »Everslick« braucht, kann nicht Skateboard fahren (vgl. Hälbich 2008, S. 57). Hauptkampfplatz dieses Krieges der Marken sind indes teils ironische, teils außerordentlich polemische Subvertising-Kampagnen in den Printmagazinen, die oft auf das ›gegnerische‹ Firmenimage zielen, zuweilen aber auch auf die Eigner/-innen persönlich. Nachdem etwa Powell-Peralta eine Anzeige hatte drucken lassen, die jene Kleinen Firmen als bloße Geldmacherei verspottete, erscheint in den großen Magazinen als Replik eine Anzeige des Blind-Chefs Mark Gonzales, in der sich der seinerzeit sehr bekannte Skateboarder an George Powell wendet: »Dear George! After seeing all the ads lately (especially yours) making fun of new or small companies I realized how stupid I was for having one. Dude, you were right, small companies are cut! Anyway […] we all agree we should try to be big time just like you guys. Here’s a picture of our new graphics and logo. I hope they’re OK. And if there’s anything that we’re doing wrong, just make another ad and we’ll change it. Sincerely, Mark Gonzales. P.S.: Do you think that I should kill myself?« (vgl. Repro bei Hälbich 2008, S. 58). Die Anzeige zeigt Skateboards, auf denen bekannte Skateboard-Grafiken von Powell-Peralta verballhornt werden. So reckt der Skelett-Torso, der ein in den 1980er Jahren sehr bekanntes Powell-Peralta-Modell ziert, in der von Blind nachgeahmten Version der Grafik kein blankes Schwert in den Himmel, sondern eine geschälte Banane. »One ad took Powell down«, blickt der frühere SkateboardProfi Kris Markovic zurück (Hill 2007, 00:32:24). Danach, erinnert sich auch der Skateboarder Jeremy Klein in Hills Dokumentation dieses Markenkrieges, habe niemand mehr die Originale kaufen wollen (ebd., 0:32:52). In diesen Auseinandersetzungen um das ›echte‹ Skateboarding erweist sich jene körperlich-praktische Intimbeziehung, die die Skateboardmarken während der 1980er Jahre zur Teilnehmerschaft aufbauen, als fragil: Kann ein Artefakt nicht mehr stilistisch gelebt werden, ist es nicht mehr zu gebrauchen. Darüber hinaus geraten die Skateboardmarken zeitweise als solche unter Druck, indem diese Entzauberung der alten Marken zunächst ein symbolisches Vakuum hinterlässt. In diese Lücke stoßen Blank Boards, also unbedruckte Skateboards, die zum Beispiel Skateboard-Läden bei den selben Wood Shops bestellen, die auch die Marken mit Rohlingen bedienen, sie dann aber unbedruckt verkaufen. Die Blanks sind den Marken-Skateboards qualitativ ebenbürtig, aber preisgünstiger, da sich ihre Anbieter/-innen keine Werksteams halten, keine Videos drehen oder Anzeigen schalten
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müssen, um ihre Marken ästhetisch aufzuladen. Nach 1990 werden Blanks zeitweise regelrecht Mode. Der Autor gehört zu den Skateboarder/-innen, die zeitweise die Grafiken von Skateboards mit Terpentin entfernten, wenn sie keine Blanks bekommen konnten. Diese Tendenzen sind für die Skateboardmarken offensichtlich so bedrohlich, dass sie ihren Zeichenkrieg um die Mitte der 1990er Jahre einstellen und sich zu einem gemeinsamen Vorgehen gegen die Blank Boards verabreden. Das bereits zitierte Gründungspapier des Branchenverbandes IASC lässt keinen Zweifel: »If the blank war progresses any further we could find the industry regressing back. We have been promoting sales of blank boards by allowing our riders to ride them. Today when being a professional skateboarder you don’t have to travel, enter contests, do demos, take photos, wear company or ride company products […] We will encourage the media not to show boards without graphics or logos and photographers not to shoot photos of team riders unless they are supporting their sponsor by riding a board with company graphics and wearing company T’s, hats etc.« (IASC 1994). Was alle – alte wie neue – Skateboardmarken als Bedrohung empfinden müssen, lässt sich freilich auch als Chance verstehen: Das gesamte organisatorische System der Praktik, wie es sich seit den späten 1970er Jahren etabliert, basiert letztlich auf dem Prinzip der Marke: Vergleichsweise teure Markenskateboards erzeugen das Geld für große Marken-Teams, von den Marken finanzierte Contests, für die Videos, mittels derer sich Skateboarding verbreitet und als Kultur konstituiert sowie für jene Ads, von denen die Magazine leben. Das von der IASC auch in späterer Zeit immer wieder vorgebrachte Argument, Blanks gefährdeten die SkateboardKultur, kann insofern auch gewendet werden – weniger markengestützte Stilvorlagen, weniger Contests und weniger Magazine könnten auch Raum schaffen für eine stärker an einem Grassroots-Modus orientierte Version der Praktik. Insofern ist es nicht nur eine Frage des persönlichen Geschmacks, ob ein Skateboard mit Firmenlogos und Grafiken versehen ist oder nicht; es geht dabei, bezogen auf die kleine Welt des Skateboards, durchaus um ein gesellschaftliches Verhältnis. Mit der Vervielfältigung der Marken geht naheliegenderweise ein rapide steigender Bedarf an distinktivem Design einher. Es ist daher nicht erstaunlich, dass grafische Gestaltung im Skateboarding immer wichtiger wird. Nun stellt etwa der Thrasher nicht nur Fahrer/-innen vor, sondern gleichberechtigt auch Grafiker/-innen (vgl. Lowboy alias Stecyk 1993, S. 33-37). Darin zeigt sich eine gegenüber den 1980er Jahren noch einmal signifikante Aufwertung von Grafik und Design in der Skateboard-Kultur. Doch steigert sich der Bedarf an Grafik nicht nur aufgrund der Multiplikation der Labels, sondern auch aufgrund einer massiven Beschleunigung des gestalterischen Outputs dieser Marken. Werden Skateboard-Grafiken in den 1980er Jahren in etwa in Zweijahresabständen und zumeist nur maßvoll verändert,
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legen in den frühen 1990er Jahren viele Labels fast monatlich neue Grafiken auf. So haben die Skateboardfirmen, die sich im Januar 1994 zu jener erwähnten Absprache zur Gründung der IASC treffen, nicht nur Probleme mit unbedruckten Boards, sondern auch mit zu oft neu bedruckten. Ihrem Agreement zufolge sehen die Labels bezüglich dieses »new graphic problem« durchaus Handlungsbedarf, weil eine galoppierende Ästhetisierung zu Überhitzung führe: »Slowing down graphic change was discussed […]. It was accepted that this was killing deck sales. A distributor will only take ten of a board, a shop will only take one, both then expect a new graphic next time. Reducing the rate of change across the whole industry was brought up but no final solution was agreed. Some in the room said that they have already been slowing down or are about to do so, others said that it was impossible to slow now. ACTION: We all agreed that it was a serious situation which needs further discussion« (IASC 1994). Skateboarding wird so zur ersten sportiven Praktik, die sich geradezu symbiotisch mit dem Gestalterischen verbindet – und es gibt wohl bis heute keine andere Form sportiver Bewegung, in der diese Vermählung fester stünde. In dieser Überschneidung beginnt sich die Praktik derart intensiv mit jugendkulturellen Codes des Cool aufzuladen, dass heute etwa 90 Prozent des Umsatzes von Skateboard- und skateboardbezogenen Firmen mit Soft Goods wie Mode und dergleichen erzielt werden und nur etwa zehn Prozent mit tatsächlich zum Skateboardfahren benötigten Gegenständen wie Brettern, Achsen oder Rollen (vgl. Schweer, 2014, S. 154). Eine wichtige Wegmarke dieser (jugend-)kulturellen Aufladung von Skateboarding ist darin zu sehen, dass sich die Grafiken nun gleichsam von Skateboards wie Kapuzenpullis gleichermaßen zu lösen beginnen und die Praktik allmählich ins Kunstfeld zu diffundieren beginnt: Die in den 1990er Jahren entstehende und schnell expandierende ästhetische Praktik Street Art steht eng mit der Skateboard-Kultur beziehungsweise der Skateboard-Industrie in Verbindung. Street Art kombiniert Ästhetiken, Techniken und Praktiken des Old School Graffiti mit teils neuen und teils älteren Elementen und Techniken der Avantgardekultur und auch der politischen Propaganda zu beispielsweise großflächig öffentlich plakatierten, ihren Hinter- bzw. Untergrund kommentierenden, neo-dadaistischen Bild- und Textcollagen aus sogenannten Cut Outs und Roll Ons (vgl. Krause/Heinecke 2010, S. 75 bzw. 81) oder arbeitet mit der Technik des Pouchoir, also verschiedensten Formen von Sprühschablonen (vgl. ebd., S. 83), mit Siebdruck-Verfahren oder herkömmlicher Pinsel-Malerei. Vom klassischen Sprayen unterscheidet sich dieses »Post-Graffiti« (Waclawek 2012) nicht nur in den neuen ästhetischen Nuancen, die mit dem erweiterten Handwerkszeug der Street Artists einhergehen, sondern etwa auch darin, dass die Cut Outs, Roll Ons und die Schablonen von Street Art oft am Computer reproduzierbar sind, die Künstler/-innen also dasselbe
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Stück an verschiedenen Orten anbringen und so immer wieder neu kontextualisieren (vgl. ebd., S. 132). Mit der Skateboard-Kultur beziehungsweise der Skateboard-Industrie stehen diese Street-Art-Szenen nicht nur insofern in Verbindung, als dass etwa Shepard Fairey, den Waclawek (2012, S. 74) als frühes »Synonym für die Street-ArtBewegung« bezeichnet, als Jugendlicher selbst Skateboard-Profi werden wollte – und seine Inspiration in erheblichem Maße aus der Zeichenproduktion des Skateboarding bezieht (vgl. Reinecke 2010, S. 56). Sondern generell lässt sich sagen, dass die Skateboard-Industrie, die besonders nach 1990 in ihrer Zersplitterung in Dutzende, wenn nicht Hunderte größerer, kleinerer und Mini-Labels einen enormen Hunger nach Grafik und Gestaltung entwickelt, in vielen Fällen den Street-Art-Leuten Brotberufe anbietet, auch wenn einige derselben sich durch den Gebrauch von Tarn- oder Szenenamen in ihrer Kunstproduktion gegenüber dieser »Durchdringung des Street-Art-Feldes mit kommerziellen Feldern« wie »vor allem der Mode- und Skateboardindustrie« Distanz zu wahren versuchen (Reinecke 2012, S. 145). Zeitgleich mit dem Aufstieg von Street Art im Gefolge der Skateboard-Kultur erlebt tatsächlich auch die Skateboard-bezogene Modeindustrie in den 1990er Jahren einen weiteren Boom. Im Unterschied noch zu den 1980er Jahren sind es nun nicht mehr nur Skateboardmarken, die Bekleidung für Skateboarder/-innen herstellen, sondern entsteht eine Vielzahl an Labels, die sich ausschließlich mit Mode befassen, sich aber dabei – gestalterisch und in Mission Statements – auf Skateboarding beziehen. Mit »Marken wie Fuct, XLarge, […] Supreme und Silas and Maria aus London oder Neighborhood aus Japan«, so etwa der Modejournalist Steven Vogel in einem Interview, bilde sich in den frühen 1990er Jahren zwischen den popkulturellen Schemata von Punk/Hardcore und Hiphop eine neue modische Sprache (Waldt 2007). Verlängern lässt sich diese Liste um das 1995 begründete und in entsprechenden Kreisen prominente Label Bounty Hunter (Vogel 2007, S. 32ff) oder die seit 1997 bestehende Marke The Quiet Life sowie noch etliche andere (vgl. ebd, S. 218ff). Überaus signifikant für die ästhetisierende Potenz der Skateboard-Praktik ist zudem der Umstand, dass sich in den 1990er Jahren die robusten Produkte von Firmen wie Carhartt oder Dickies – beides traditionsreiche US-amerikanische Hersteller von Berufsbekleidung – durch den Gebrauch im Skateboarding so sehr mit Coolness aufzuladen beginnen, dass sie bald in den Szeneclubs tragbar werden. Zugleich (und etwas paradox) stiften bestimmte Techniken der Zeichenproduktion im Skateboarding der 1990er Jahre eine Verbindung in das politisch-aktivistische Feld. Um die Mitte der 1990er Jahre wird das Verfremden von politischen oder kommerziellen Plakaten zur verbreiteten Aktionsform. In der Bundesrepublik erscheint zum Beispiel 1997 das »Handbuch der Kommunikationsguerilla« einer linken Gruppe (vgl. a.f.r.i.k.a. 1997), die die »kulturellen Grammatiken durch-
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einanderzuwirbeln« verspricht (Baumgärtel 1997), 1999 bringt Kalle Lasn solche Interventionstaktiken auf den Begriff »Cultural Jamming«: »Konzerne machen Werbung, Culture Jammer machen Anti-Werbung. Eine professionelle Anti-Werbung imitiert das Feeling und das Aussehen der Anzeige, auf die sie abzielt. Sie nutzt das Überraschungsmoment, in dem die Betrachter plötzlich bemerken, dass das, was sie sehen, genau das Gegenteil von dem ist, was sie erwartet haben. Anti-Werbung oder Subvertising ist starker Tobak. Sie schneidet durch den Hype und den strahlenden Glanz unserer medialen Realität und enthüllt schlagartig, indem sie auch falsche Erwartungen weckt, das leere Innenleben des Spektakels« (Lasn 2005, S. 135). Das »Feeling« einer Anzeige zu imitieren, um deren Gehalt in einer überraschenden Pointe auf den Kopf zu stellen: Nichts anderes hatten wir soeben als eine der bevorzugten Kommunikationstaktiken im Image-Krieg der sogenannten Kleinen Firmen der 1990er Jahre gegen die etablierten Skateboardhersteller der 1980er Jahre kennengelernt – nur dass derartige Techniken im Skateboarding nicht gegen »das leere Innenleben des Spektakels« und dergestalt gegen Marken überhaupt in Anschlag gebracht werden, sondern von Marken gegen andere Marken eingesetzt. Dass solche Techniken des Subvertising im Zeichengebrauch der Skateboard-Kultur gerade der früheren 1990er Jahre so verbreitet sind, spricht per se noch nicht für eine Involvierung in jenen aktivistischen Mobilisierungszyklus der Globalisierungskritik, dem sich Kalle Lasn und die Bewegung des Culture Jamming in einem weiteren Sinn zuordnen lassen. Da aber auch besonders die frühere Street Art – etwa in Gestalt von Jamie Reid, der schon ab den ausgehenden 1980er Jahren das Konzept Subvertising erprobt (vgl. Reinecke 2012, S. 61) – zu derlei Attacken auf Werbung im öffentlichen Raum neigt, lassen sich doch gewisse Überschneidungen der Milieus vermuten.
4.1.4.
Internet, TV, Konsolen
Die Technologie des Camcorders, die das Produzieren von Videomaterial drastisch erleichtert, lässt sich also nicht nur mit jener zunächst hypertechnischen Fahrweise in Verbindung bringen, die das Street Skateboarding in seinem Mikro-Modus der früheren 1990er Jahre prägt. Indem die Videotechnik nun noch kleinere Einheiten als Autoren von Skateboard-Bildern zulässt, befördern die Camcorder zudem eine weitere ökonomische Umgestaltung der Skateboardindustrie – und damit auch ein rasch expandierendes Angebot an widerstreitenden Stilen. Ferner war zu verzeichnen gewesen, dass sich in dieser Multiplikation von Stilen – und Labels – ein enormer Hunger auf ästhetischen Content herstellt, der die Skateboard-Praktik insgesamt nolens volens immer weiter in die Felder von Design und ansatzweise auch schon von Kunst ausgreifen lässt. Die so entstandene Nischenkultur, in der
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»Kommunikation über neue Tricks und Bewegungen […] größtenteils« über »Videos, die in der Szene kursierten« stattfindet (Hälbich 2008, S. 63) und in der sich zugleich zunehmend Personen mit küstlerischen Ambitionen tummeln, durchläuft nun in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre und um besonders nach der Jahrtausendwende eine weitere Rekonfiguration. Der erste für diese Umgestaltung relevante Einschnitt in das Sendeverhältnis des Skateboarding ist dabei freilich weniger technologischer als vielmehr wiederum sozialer Natur: Mit den nun schon öfter erwähnten X-Games von ESPN und vergleichbaren, etwas später aufgekommenen Konkurrenzformaten wie den Gravity Games von NBC oder später der Street League Skateboarding wendet sich das Massenmedium Fernsehen nach Jahrzehnten der Indifferenz mit Macht wieder der Skateboard-Praktik zu – wohl auf der Suche nach Sportformaten für die sogenannte MTV-Generation, die von den klassischen Fernsehsportarten eher gelangweilt ist. Technisch sowie rechtlich (Sendelizenzen) möglich ist ein solches Format zu diesem Zeitpunkt zwar schon länger, nämlich seit den ausgehenden 1970er Jahren, als das Kabelfernsehen in den USA das Aufkommen erster landesweit operierender Special-Interest- oder Spartenkanäle wie CNN (Sendestart 1980) oder eben MTV (1981) und ESPN nach sich zieht. Und das Konzept, nicht nur über bestehende Sportevents zu berichten, sondern eigene zu ›erfinden‹, gehört – salopp gesagt – zur DNA des 1979 in Bristol (Connecticut) gegründeten Sportkanals, der anfangs nicht zuletzt mit Berichten über ›Sportarten‹ wie Tractor Pull reüssiert. Doch schien es dem ESPN-Management während der 1980er Jahre offensichtlich aussichtsreicher, sich zunächst den Mainstream-Sportarten zuzuwenden: Der ›Durchbruch‹ erfolgt 1987 durch den Erwerb prioritärer Senderechte für die National Football League. Dass aber nur wenige Jahre später eine teils ›gegenkulturell‹ konnotierte Praktik des ›Pop-Sports‹ wie Skateboarding so attraktiv erscheint, dass sich die Verantwortlichen mit hohem Aufwand und anfangs auch erheblichem unternehmerischen Risiko an die Konstruktion eines Events wie der X-Games machen, zeugt wohl tatsächlich vor allem vom prägenden Einfluss des Musikfernsehens, das während der 1980er Jahre mit einer ungeahnten Dynamik zum jugendkulturellen Leitmedium überhaupt aufsteigt. Wie massiv diese Medienformate à la X-Games alsbald in die körperlichen Vollzüge von Skateboarding eingreifen, wurde bereits diskutiert: Im Sinne der angenommenen Sehinteressen eines breiteren Publikums werden die Bewegungen der Praktik gezielt vergrößert; neue Klassen von Sportmöbeln sowie EDV-gestützte Bewertungssysteme sorgen für eine Re-Sportifizierung der Praktik, die weit über den engen Teilnehmerkreis dieses neuen Wettkampfskatens ausstrahlt. Alle Skateboarder/-innen, die es in den 1990er Jahren mit den X-Games zu tun bekommen, verspüren sofort die »insane power of television«, erinnert sich Tony Hawk (2001, S. 206). Wie schon in den 1970er Jahren ABC macht sich nun ESPN daran, die Skateboard-Praktik zumindest in ihrer wettkampfsportlichen Spitze neu zu edi-
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tieren. Dennoch ist festzuhalten, dass auch ein dann bereits als Mediengigant zu bezeichnendes Netzwerk wie ESPN der Praktik nicht einfach seine Vorstellungen überstülpen kann, sondern sich auf teils wohl unerwartet komplizierte Aushandlungsprozesse einlassen muss, auf die in der Arbeit später zumindest im Groben noch eingegangen wird. Und auch die showorientierten Formate, die andere Sender im Gefolge der X-Games rund um Skateboarding oder bekannte Skateboarder/innen entwerfen, sind nicht einfach Neuauflagen etwa jener erwähnten Gameshow der 1970er, in der Robin Logan gegen Ernie Martin angetreten war: »Jackass« mit Bam Magera oder die Reality-Serie »The Life of Ryan« um den Street Skateboarder Ryan Sheckler (vgl. Beal 2013, S. 37) – beide von MTV produziert – stellen auf eben jene Szene-Codes ab, die seit 1984 von den Skateboard-Videos verbreitet werden. Nach der Jahrtausendwende entstehen sogar Spartensender, die sich ausschließlich oder hauptsächlich auf Praktiken der ›Action Sports‹ spezialisieren und sich noch weit mehr als die X-Games auf Szeneästhetiken einlassen, zum Beispiel der 2003 vom Medienimperium Fox gestartete Kanal »Fuel-TV«. Dennoch spielen bei jener Megaisierung und Versportlichung von SkateboardBewegungen um die Jahrtausendwende neben solchen auf Zielgruppenanalysen beruhenden sozialen Rekonfiguration des Sendeverhältnisses auch technologische Innovationen eine Rolle. Sehr einflussreich ist dabei der Boom der Videospiele, der gleichfalls um 2000 einsetzt: Mit »Tony Hawk Pro Skater« wird gerade auch ein Skateboard-Spiel außerordentlich erfolgreich. Es ist z.B. der in den USA meistverkaufte Playstation-Content im Weihnachtsgeschäft 1999 (vgl. Hawk 2001, S. 247) und bis heute eines der kommerziell erfolgreichsten Spiele überhaupt. In vielen dieser Spiele lassen sich ›überlebensgroße‹ Manöver vollführen: Die Avatare oft realer Skateboarder/-innen springen von Hausdächern, über Straßen hinweg und ziehen gigantische Airs aus kleinen Rampen. Hier »übersteigert« die »virtuelle Spielwelt […] in der realen Bewegungspraxis angelegte[n] Elemente« und wirkt »an der […] Ausrichtung der Trendsportart mit« (Schwier 2006, S. 327). Ein weiterer versportlichender Effekt dieser Spiele besteht darin, dass auch sie objektivierte Bewertungsskalen enthalten. Hawk (2001, S. 261) erzählt dazu eine Anekdote: Ein ihm bekannter Skateboarder sei von einem Jungen gefragt worden, ob er wohl einen Benihana könne. Das habe dieser verneint, er könne aber eine Madonna, ein im Groben ähnliches Manöver – woraufhin das Kind verwundert gefragt habe, wie es möglich sei, dass er zwar das im Videospiel höher bewertete Madonna-Manöver beherrsche, nicht aber den nach Maßgabe der Konsole leichteren Benihana. Die nachhaltigste nach 2000 einsetzende Verschiebung im Sendeverhältnis besteht aber in der Videofähigkeit des Internets, im Aufkommen videofähiger Mobiltelefone mit rapide steigender Aufnahmequalität sowie der Sozialen Medien. Im Jahr 2000 wird die erste Videoblog-Datei hochgeladen (vgl. Willett 2009, S. 9). Schon etwa fünf Jahre später erlebt das Videoportal Youtube seinen großen Boom, etablieren sich Netzwerkmedien in der Breite und tragen die meisten westlichen
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Teenager tatsächlich stets Videokameras bei sich, deren Bildqualität diejenige der Camcorder der 1990er Jahre spielend übertrifft. Auch schneiden lassen sich die Aufnahmen bald auf Mobilgeräten. Diese neue medientechnische Konstellation öffnet also sowohl die Produktion als auch das permanente Versenden oder Zur-VerfügungStellen von bewegten Bildern prinzipiell für Einheiten jeder erdenklichen Größe – von einzelnen Aktiven über Skateboardfirmen und Nischenmedien bis hin zu kommerziellen Medienriesen. Und alle diese Akteurinnen und Akteure nutzen diese Möglichkeit weidlich: Mit etwas Abstand zum Sendetermin veröffentlichen Fernsehsender wie ESPN lange Ausschnitte aus ihrer Skateboard-Berichterstattung auf Videoplattformen, Skateboardfirmen füttern die Onlineauftritte der Skateboardmagazine sowie Special-Interest-Portale wie Mpora mit Vorschauen auf oder Ausschnitten aus ihren neuesten Videos, lokale Cliquen zeigen Footy ihres Stils und Könnens sowie der Spots ihrer Stadt, Einzelne – auch Anfänger/-innen – präsentieren Tutorials zu den verschiedensten Skateboard-Manövern. Als permanente Bilddatenbank hebt das Internet jene spezifische Konnektivität von Bildern und Körpern, die sich als ein Merkmal von Pop-Sport erweist, auf eine neue Ebene. Nun ist ein medientechnisches Niveau erreicht, das im Sinne Sterns intermediale Bild/Körper-Praxen zulässt und fördert. Nachvollziehbar verdichtet sich auf dieser Basis die informelle Lehr- und Lernkultur der Praktik noch weiter, indem Teilnehmer/-innen nun gezielt nach bestimmten Manövern suchen können – wer wissen will, wie etwa ein Heelflip geht, findet sofort verschiedenste Videoanleitungen. Das Internet entörtlicht ferner das Skateboardfahren, indem etwa traditionelle Lernspiele wie Game of Skate oder Add a Trick5 nun mit Bekannten in anderen Städten, wenn nicht auf anderen Kontinenten gespielt werden können. Schon in den 1980er Jahren werden Skateboard-Videos oft unmittelbar vor dem Fahren konsumiert, um sich zu motivieren – nun aber ist es nicht selten sogar möglich, sich hinsichtlich eines spezifischen Ortes audiovisuell aufzuputschen, indem man im Netz nachsieht, wie andere dort fahren. Dass sich die Praktik nach der Jahrtausendwende zwischen jenem megaisierten Street Skateboarding, das Kompetenz in Treppenstufen zählt, und jenen eher sanften, zurückgenommenen Longboard-Techniken in eine Vielzahl von parallel praktizierten Gestalten ausdifferenziert, hat insofern einen Hintergrund nicht zuletzt in den Möglichkeiten des Internets. Das Netz befördert Peer-to-Peer-Vernetzungen und somit die Entstehung von ›Szenen in der Szene‹. Allein auf einer szene-unspezifischen Plattform wie Facebook findet sich eine Vielzahl an speziellen skateboard-bezogenen Gruppen, die sich speziellen Fahrweisen widmen – klassisches Halfpipe-
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Beim Game of Skate geht es um das Nachvollziehen eines von Mitspieler/innen vorgegebenen Manövers, nach jeweils fünf Fehlschlägen (so viele Buchstaben hat »Skate«) scheidet man aus. Bei Add a Trick ist jedem nachgemachten Manöver ein weiteres hinzuzufügen, ähnlich dem Kinderspiel »Ich packe meinen Koffer«.
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oder Pools-Skaten, Longboarding, neuerdings auch wieder Slalom, Downhill und sogar klassisches Freestyle nach Art der 1980er Jahre – oder aber spezielle Gruppen organisieren, wie etwa Ältere und häufig auch Frauen oder sexuelle Minderheiten. Für Berlin etwa informiert eine Gruppe für »Genderqueer Skate Punks« rege darüber, wann und wo sich Gleichgesinnte zum Skateboardfahren treffen. Neben dem Sportfernsehen, das schon aus Gründen der Markterweiterung an weiblicher Beteiligung interessiert ist, sind solche Netzwerke von Gleichen ein wichtiger Grund für die jüngst merkliche geschlechtliche Diversifizierung der Teilnehmerschaft (vgl. MacKay/Dallaire 2013). Das Videomaterial, das in solchen Netzwerken häufig kursiert, unterscheidet sich signifikant von den professionellen Skateboard-Videos. Obwohl im Allgemeinen zu beobachten ist, dass auch einzelne Teilnehmer/-innen teils avanciertes, mit Musik unterlegtes Material produzieren, entsteht im Internet und in den sozialen Netzen ein neues Skateboard-bezogenes Bildgenre, das im Jargon als Edit bezeichnet wird: kurze, vergleichsweise wenig bearbeitete und kaum ästhetisierte Bildschnitze, die quasi als Notizen von Bewegungen dienen, oft nur ein einziges Manöver zeigen und auch nicht mit Musik unterlegt werden. Wer sich überwiegend in Bildwelten solcher Edits bewegt, kann seine Praxis durchaus an Material bilden, das den stilisierten und spektakularisierten Clips professioneller Produktionen in gewisser Weise entgegensteht. Doch wäre die Folgerung verfehlt, dass diese weitgehende Öffnung des Sendeverhältnisses jenen markenbezogenen Modus von Vergemeinschaftung in der Praktik revidiere. Hardisty meint sogar, die Zuordnung von Markenimages und skateboardfahrenden Körpern habe sich nach der Jahrtausendwende gegenüber den 1980er Jahren noch intensiviert. In den 1980er Jahren habe man sich einen Markenwechsel bestimmter Frontleute noch weit leichter vorstellen können als heute: »If you were to take Zero for an example, it’s really hard to imagine one of their pros leaving to ride for the Stereo Sound Agency, but it’s not such a stretch to imagine a Stereo rider going to Chocolate or Habitat […] Nowadays, if Chris Cole left Zero to skate for Chocolate, you’d expect him to undergo a make over – dress more like a regular dude, lose the bandanas and chain wallets and start doing a lot more manuals« (Hardisty 2009, S. 10). Die ästhetischen Differenzen zwischen den Skateboardlabels säßen, so zumindest Hardisty, heute mehr denn je nicht nur in den Produkten, sondern vor allem in den Körpern (Hardisty 2009, S. 10). Es ist in diesem Sinne bezeichnend, dass sich im Jahr 1995 vor der Erstausgabe der ESPN-Spiele die stärksten Widerstande innerhalb der Szenen gegen das neue Format nicht etwa dagegen richteten, dass dessen Macher/-innen die Praktik durch die Re-Inthronisierung der Halfpipe und später des Mega-Skatens körperpraktisch neu zu editieren bestrebt sind, sondern gegen das Ansinnen, dass die Fahrer/-innen T-Shirts mit den Logos der Sponsoren der X-
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Games tragen sollten statt der Signets ihrer Markenteams. In diesem Punkt muss ESPN tatsächlich nachgeben. Nicht nur Hawk (2001, S. 189) erinnert sich, dass die X-Games daran fast gescheitert wären, wobei der verbreitete Unmut weniger von den Skateboardfirmen ausgegangen sei, die sich diese Werberechte für das Event hätten abkaufen lassen können, als von den Aktiven selbst, die sich durch das Ansinnen kulturell missachtet sahen: »Every skater freaked. There was no way anyone would skate if we had to wear corporate logos […] and not […] our own«. Dass sich auch andere mächtige ökonomische Einheiten, die sich im Gefolge der X-Games für Skateboarding zu interessieren beginnen, bestimmten Gepflogenheiten der Szenen zunächst unterwerfen müssen, zeigen ab dem Ende der 1990er Jahre die massiven Schwierigkeiten, die Nike bei seinen Versuchen hat, sich in der Skateboard-Kultur zu etablieren. 1997 startet der Sport- und Lifestylekonzern einen ersten Vorstoß, der daran scheitert, dass sich die Skateboarder/-innen bzw. die führenden Meinungsmacher/-innen unter diesen von Nike nicht angemessen repräsentiert fühlen (vgl. Blümlein/Schmid 2010, S. 292). Daraufhin taucht 2001 die formal eigenständige, aber tatsächlich vom Konzern abhängige Marke Savier auf, die als eine Tarnmarke gelten muss. 2004, als diese Verflechtung bekannt wird, es aber Nike bereits gelungen war, unter der Klarmarke namhaftes Personal an sich zu binden, verschwindet Savier (vgl. ebd., S. 338). Dennoch gibt es weiterhin Widerstände gegen den Sportartikelriesen, die sich selbst um eine Marke kristallisieren: Consolidated baut sich, unter anderem mit dem an das bekannte Nike-Motto aufsetzenden Slogan »Don’t do it« (vgl. Carayol 2014, S. 189), zur Anti-Nike-Marke auf und nennt sein Team Don’t do it Army. Nike wiederum scheut keine List, Scott Bratrud, den wichtigsten Grafiker gerade dieser kleinen Anti-Nike-Marke, angeblich zunächst hinter deren Rücken dazu zu bewegen, eine Sonderedition des Schuhmodells Dunk zu gestalten. Consolidated reagiert wiederum mit dem Satire-Schuhmodell Drunk, dessen Design das NikeModell lächerlich machen soll (vgl. Blümlein/Schmidt 2010, S. 372). Dennoch wirkt diese Kollaboration mit dem in den Szenen krediblen Gestalter als Ratifizierung der Skateboard-Authentizität von Nike. Zu den Kompromissen, zu denen der Gigant gezwungen wird, gehört es, Produkte zunächst stets auch über kleine Skateshops zu vertreiben – viele Skateboarder/-innen hatten befürchtet, Nike könnte seine enorme Marktmacht dazu benutzen, diese kleinen Geschäfte, die in den Szenen immer auch einen Treffpunktcharakter und lokal wichtige organisatorische Funktionen innehaben, zugunsten seiner Flagship-Stores zu zerstören (vgl. Beal 2013, S. 31f). Diese sich über mehrere Jahre hinziehende markenpolitische Vorgeschichte eines Skateboardschuhs zeigt, wie sophisticated die warenästhetisch grundierte StilDistinktion im Skateboarding nach 2000 funktioniert. Trotz des Drängens großer Konsumgüterkonzerne in die Praktik – auf Nike folgt etwa Adidas mit einem Skateboard-Team – multipliziert sich die Zahl der Labels deshalb auch weiter: »Ba-
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sement brands, emboldened by the communication abilities of the internet, are popping up daily«, beobachtet Hardisty (2009, S. 9). Diese Labels sind nun geradezu archetypische postmoderne Unternehmen: »Most companies now start from a small team of pros and some type of art director or designer and they establish their ideas in an organic fashion, arriving at a foundation of aesthetic sensibilities that are reflected in graphics, videos, the types of clothing and accessories produced by the company and really, even the types of terrains their skaters privilege. The companies then attract more riders who buy into that vision« (Hardisty 2009, S. 9f). Wie solche Labels arbeiten, zeigt exemplarisch die Industrie für Skateboardschuhe, die während der späteren 1990er Jahre nicht nur einen Boom erlebt, weil sich Schuhe ähnlich wie Mode auch außerhalb der aktiven Teilnehmerschaft verkaufen lassen, sondern gleichfalls eine förmliche Explosion der Anzahl von Labels: Gibt es in den 1980ern im Grunde drei große Hersteller, sind es um 2000 schon in etwa 50 (vgl. Beal 2013, S. 32). Dass in den Geschäftspraktiken dieser Labels neben hohem Design- und Markenführungsgeschick auch eine gewisse Hemdsärmligkeit im Umgang mit gewissen neuen Formen internationaler Arbeitsteilung eine Rolle spielt, die die stoffliche Produktion betriebswirtschaftlich marginalisieren und es den Marken erlauben, sich voll auf die Produktion ästhetischer Unterschiede zu konzentrieren, machen die Schilderungen von Blümlein und Schmidt aus dem Innenleben der Skateboardschuhbranche deutlich: »The shoe boom had turned into a gold rush«, schreiben Blümlein und Schmidt mit Blick auf die erste Hälfte der 2000er Jahre: »All you needed was a suitcase filled with $ 5000 in cash, the telephone number of a shoe manufacturer (read: sweatshop) and a plane ticket to Bangkok. Three months later, you’d have a container full of shoes in your back yard. Now, whether you knew to sell these puppies was entirely your problem« (Blümlein/Schmidt 2010, S. 284). Mit ein nur wenig »extra cash«, sei es auch möglich (gewesen), die Maschinen in den Fabriken, in denen die bereits arrivierten Schuhmarken produzieren ließen, für eine »extra shift« zu gewinnen – »making identical shoes […] with your company’s logo« (ebd.). Salopp ausgedrückt tritt nach der Jahrtausendwende in der Skateboard-Kultur neben Street Wear und Street Art zunehmend auch ein Street Capitalism. So reüssiert die Praktik nach 2000 gleichzeitig sowohl als eine zumindest in den USA massenmedial vermarktete, aber trotz ihrer mittlerweile Jahrzehnte umfassenden Geschichte noch immer mit dem Ruch von Neuheit umwehte Sportart als auch als ein symbolischer Ankerpunkt eines common sense of cool: Das alltagsästhetische Schema eines »Skateboard-BMX-Indiepop-Hiphop-Komplexes« (Caden-
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bach 2008) um Street Wear, Street Art und neuerdings vielleicht auch Street Food wird im Trendjournalismus ganz zu recht als Inbegriff einer urbanistischen »Street World« um »Graffiti, Skateboards und Tattoos« (Gastmann et al. 2008) annonciert, die in Cafés der zeitgenössischen Bohème so gängig ist wie an der Universität, im Silicon Valley, in Berliner Start-ups und, wie Richard Florida (2004, S. 116) für die USA nach 2000 eindrücklich schildert, zumindest am »casual friday« sogar in den Räumen der »oldest and most prestigious law firm in town«. Dieses ästhetische Schema bleibt dabei aber stets polyvalent genug, um ›authentischen‹ Street-Flair zu verbreiten, Limonaden oder auch Automobile6 verkaufen zu helfen und zugleich immer weiter ins Kunstfeld vordringen zu können. In der Kunst etablieren sich nach 2000 nicht nur Grafiker/-innen oder Street Artists wie Shepard Fairey oder in Berlin Dave the Chimp, die der SkateboardKultur entstammen oder sich zumindest auf diese berufen (vgl. Chimp 2012), mit teils hochpreisigen Ausstellungen. Die fortgesetzte ›Kulturalisierung‹ von Skateboarding erschöpft sich auch nicht darin, dass sich in jüngeren Jahren doch eher provinzielle Europäische Kulturhauptstädte in ihrem – wie wir im zweiten Abschnitt gesehen hatten – Ansinnen, Kultur als neue ökonomische Basis zu entwickeln, zuweilen gern bei »imagineries of skateboarding, street dance, parcours« bedienen, um einen »discourse of cultural diversity« zu produzieren, »that does not seek the origins or authenticity of cultural products, but underlines the production of urbanness, urban culture and creativity« (Lähdesmäki 2010, S. 7). Umgekehrt adaptiert die Grafikproduktion verschiedenster Skateboard-Labels in jüngerer Zeit vielfach Motive, Stile oder »künstlerische Strategien« auch aus dem hochkulturellen Bereich (vgl. Pachl 2017, S. 130). Darüber hinaus werden auch etliche einstige Skateboard-Profis wie Ed Templeton und Mark Gonzales als Personen Teil der Kunstwelt – und wird ab den ausgehenden 1990er Jahren neben seinen gestalterischen Entäußerungen sogar das Skateboardfahren selbst galerietauglich. So wird im Dezember 1998 im Städtischen Museum Mönchengladbach eine Art Parcours für den Street-Skateboarder Mark Gonzales errichtet. Im Jahr 2000 stellt Michael Majerus im Rahmen seiner Installation »if we are dead so it is« eine Skateboard-Miniramp im Kölner Kunstverein auf, die im Frühjahr 2012 im Rahmen einer Werkschau im Stuttgarter Kunstmuseum erneut gezeigt wird (vgl. Frenzel 6
So beginnt die Erfolgsgeschichte von Red Bull – die im Wesentlichen daraus besteht, ein bereits seit Jahrzehnten bestehendes Produkt unter dem Einsatz enormer Gelder für Marketing und Markenführung mit neuer Bedeutung aufzuladen (vgl. Fürweger 2008), um die Mitte der 1990er Jahre mit Eventmarketing insbesondere auch in sportiven Praktiken wie Skateboarding. In den 2000er Jahren bauen aber auch Automobilkonzerne wie FIAT – in Gestalt des »FIAT Freestyle Teams« rund um Skate- und Snowboarding –, Mercedes-Benz mit seinem vor allem auch auf die USA abzielenden Online-Livestylemarketingtool »mb!« und auch die Marke BMW, die sogar ein eigenes Skateboard mit Einzelradaufhängung als Werbegag erfinden lässt, in ihren Markenführungskonzepten auf das Cool des Skateboarding.
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2012). Im Jahr 2002 erlebt die documenta die Installation »Free Basin«, ein – zum Fahren vorgesehener – Skateboard-Pool des Kollektivs SIMPARCH (vgl. Chasin 2006). 2007 sind auf der Kunstbiennale Venedig künstlerische Skateboard-Videos zu sehen (vgl. Richter 2007); auch 2011 wird während der Biennale im Rahmen des Projekts »Venice in Venice« – eines Zusammentreffens des kalifornischen Venice, das als eine Wiege von Skateboarding und Street Culture gilt, mit der klassischen europäischen Kulturmetropole, nach deren Vorbild das amerikanische Venice einst gebaut wurde – im Kunst-Kontext geskatet. Zugleich gastiert im Berliner Kunstraum Bethanien für sechs Monate die Kunstgruppierung BISAR, die unter anderem mit den Techniken des DIY-Skateanlagenbaus eine befahrbare Bodenskulptur vor dem Haus errichtet und in Berlin für einen kleinen DIY-Boom sorgt (vgl. Schäfer 2011). Wenige Monate später baut eine Gruppe namens 3eck im Rahmen der Ausstellung »Rampenlicht« im Berliner »Stattbad Wedding« einen befahrbaren Skateboard-Pool. Auch die Video-Arbeit »Minimal Vandalism« von Kay Walkowiak, die u.a. 2014 in der arrivierten Berliner Galerie Feldbusch Wiesner gezeigt wird, versetzt Körpertechniken des Street Skateboarding in den Raum der Kunst.
4.2.
Skater-Figuren
DeeDee, die Trainerlegende und Vaterfigur in jenem Studio, in dem Loic Wacquant seine eigene körperlich-mentale Boxer-Werdung studierte, soll sich das Boxen seinerseits anhand von Ausschnitten aus berühmten Kämpfen angeeignet haben, die zu seiner Jugendzeit gegen kleine Münze in den Film-Jukeboxen New Yorker Bars zu sehen waren (vgl. Wacquant 2003, S. 110). Ähnlich, das zeigte der bis hier gegebene Überblick über die Produktion und Rezeption von Zeichen in der Skateboard-Praktik, erlernen Skateboarder/-innen ihre Körpertechnik letztlich immer auch anhand von Videobildern. Medientechnischen Innovationsschüben lassen sich im Skateboarding insofern stets auch körpertechnische Kompetenzsprünge zuordnen. Anders als die Trainingsvideos in klassischen Wettkampfsportarten sind diese Bilder jedoch in der Regel aufwändig ästhetisiert, so dass sie nicht nur Können, sondern auch Stil vermitteln und sich zwischen Bewegungen und Abbildungen ein Kreislauf von Bedeutungen etabliert. Indem die Innovationsschübe der audiovisuellen Medien zwischen den 1960er und 2000er Jahren jeweils neue Autorenschaften zulassen, beeinflusst die technische Entwicklung des Videomediums die soziale Ordnung und die ökonomische Struktur der Praktik: Da die Autor/-innen bewegter Bilder vom Skateboarding sehr oft zugleich Unternehmungen der Nischenökonomie sind, ergibt sich in der Skateboard-Kultur eine spezifische Vergemeinschaftung anhand der stilistischen Identitäten von Skateboard-Labels. Insofern ist mit der fortschreitenden Individualisierung der Fähigkeit, bewegte Bilder zu produzieren und zu versenden,
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eine Multiplikation auch der Stile und Marken verbunden – ein Zusammenhang, der die sportive Praktik des Skateboardfahrens immer stärker in eine ästhetische Praktik transformiert, indem damit ein enormer Hunger nach Grafik und Design verbunden ist. So verschafft sich Skateboarding seit den ausgehenden 1970er Jahren nicht nur im Sportfeld eine Repräsentanz, sondern bildet zugleich spezifische Schnittmengen mit den Feldern von Pop-Kultur, Design, Mode und schließlich sogar Hoch-Kunst – und auch politischem Aktivismus. In dieser polyvalenten Position besteht die alltagskulturelle Besonderheit, die Über-Lebensgröße, jener »Kultstatus« (Lamprecht/Stamm 2002, S. 108), der dem Skateboardfahren auch wissenschaftlich immer wieder zugeschrieben, aber nie wirklich rekonstruiert wird. Bis hierher fokussierte die Arbeit die Zeichenproduktion der SkateboardKultur also vor allem in ihrer Materialität und hinsichtlich von deren Effekten auf die innere Ordung sowie die gesellschaftliche Platzierung der Praktik zwischen dem Feld sportiver und ästhetischer Praktiken. Wenn es nun abschließend darum geht, diese Bilder und andere mit der Praktik verbundene Zeichen als »documents of identity« (Yochim 2010, S. 149) zu lesen und zu interpretieren, müssen die herausgearbeiteten inhärenten Dynamiken und Unterscheidungszwänge dieses nischenökonomischen Systems von Bedeutungsproduktion – das, wie deutlich wurde, zeitweise von außerordentlich aggressiven Strategien geprägt ist –, stets mitgedacht werden. Um der inhaltlichen Streuung der Repräsentationen von Skateboarding gerecht zu werden, die aus dieser Situation resultieren, konstruiert das Folgende für jede historische Gestalt der Praktik einen Bedeutungskorridor zwischen den Polen jeweils zweier Schattierungen eines skatenden Sportsubjekts, innerhalb dessen die explizierten Bedeutungen angesiedelt werden können, die jeweils zeitgenössisch mit Skateboarding in Verbindung gebracht werden. Als Texte werden dabei sowohl nischen- als auch massenmediale Repräsentationen ausgewertet. Neben audiovisuellen und fotografisch-textlichen Darstellungen finden auch andere Zeichengenres Berücksichtigung, etwa Grafiken auf Skateboards oder Songtexte, die sich mit Skateboarding befassen. Zurückgreifen kann dieser Teil der Arbeit auch auf einen erheblichen Korpus an Sekundärliteratur, ist doch die Textanalyse in wissenschaftlichen Texten über Skateboarding oft die Methode der Wahl. In Erweiterung dieser oft nur interpretativen Zugänge ist das Folgende indes darauf bedacht, die Ergebnisse der textlichen Lektüre an die Erträge zurückzubinden, die sich in den ersten Abschnitten aus der Analyse der Körperbewegungen sowie der räumlich-örtlichen Skateboard-Praxen ergaben.
4.2.1.
Spielkind und Sportstar
Wann wird Skateboarding also wie dargestellt? In »Skaterdater«, jenem im Jahr 1966 in Cannes prämierten, 17-minütigen Semi-Dokumentarfilm über den ersten
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Skateboardboom der 1960er Jahre (Black 1965), folgt die Kamera ohne jeden Kommentar zunächst einer Gruppe von weißen, männlichen Skateboardfahrern zwischen zehn und vielleicht 14 Jahren auf dem Weg durch eine Wohnvorstadt. Sie machen Straßen und Gehsteige unsicher, fahren zu einem Einkaufszentrum, kaufen sich Softdrinks vom Taschengeld und machen kindliche Späße. Eingebettet in diese sportdokumentarischen Bilder zeigt der Film aber auch eine Spielhandlung: Einer der Jungen stößt am Anfang des Films beim Fahren fast mit einem Mädchen zusammen, das mit seinem Fahrrad unterwegs ist. Nachdem der Junge auf dem Parkplatz des Einkaufszentrums ein sich küssendes Paar in einem Auto sieht, hält er auf dem Rückweg an, als die Gruppe wieder dem Mädchen mit dem Fahrrad begegnet. Ohne dass der Film einen Dialog zeigen würde, wird deutlich, dass der Junge mit dem Skateboard und das Mädchen mit dem Fahrrad zu flirten beginnen. Am Ende trägt der Junge das Skateboard unter dem Arm und entfernt sich mit dem Mädchen, das nun sein Fahrrad schiebt, während die Gruppe der Jungs auf ihren Skateboards in die Gegenrichtung davonrollt. In diesem Film wird das Skateboardfahren als ein kindliches Spiel erzählt, als Praktik eines unschuldigen Heranwachsens, die aber mit dem Ende der Kindheit zusehends in den Hintergrund tritt – wenn erwachsene Themen wie die Liebe in das Leben dringen. Auch wenn wohl kaum davon auszugehen ist, dass zeitgenössisch viele Skateboarder/-innen diesen Film zu sehen bekommen, markiert er doch einen Pol des Bedeutungskorridors, der in den 1960er Jahren mit dem Skateboardfahren verbunden ist – das unschuldig und sorglos, aber geschickt und neugierig sport-spielende Kind in einer heilen Umgebung. Die Jungen in dem Film sind allesamt weiß; nicht nur ihre suburbane Umgebung, sondern auch ihr Äußeres macht sie als Mittelschichtkinder kenntlich. Sie fahren zwar barfuß, tragen aber identische, elegante Windjacken mit einem Aufdruck in der Art eines Club-Signets. Nichts könnte dieser kleinen und behüteten Welt ferner liegen als rassistische Gewalt, soziale Unruhen, Bürgerrechtsbewegungen und Gegenkulturen – all das, was die USA zu gerade dieser Zeit zu prägen und beschäftigen beginnt. Zwar entsteht in Kanada bereits 1966 mit dem Nischenfilm »The Devil’s Toy« (Jutra 1966), der jugendliche Skateboarder bereits im Konflikt mit der Polizei zeigt, eine Art Gegenrepräsentation zu »Skaterdater«, die viel von dem vorwegnimmt, was ab den 1980er Jahren die Narrative von Skateboard-Videos bestimmt. Doch scheint die Darstellung in »Skaterdater« zeitgenössisch besser zu treffen. Sie deckt sich weitgehend mit einem Tenor in den Beschreibungen der Praktik, der damals in US-amerikanischen Massenmedien vorherrscht. Skateboarding wird zwar zuweilen als Problem beschrieben, weil sich die Teilnehmer/-innen verletzen oder der Lärm ihrer Rollen als Belästigung empfunden wird – in »Skaterdater« gibt es eine Spielszene, in der eine entnervte Ladenbetreiberin Kieselsteine vor ihr Geschäft streut, damit die Jungen hinfallen (Black 1965, 03:46) –, die Praktik wird aber in den allermeisten Fällen gerade nicht mit jenen ›rebellischen‹ Tendenzen in Verbindung
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gebracht, die die USA zu dieser Zeit ansonsten umtreiben. »Skateboarding«, bilanziert Yochim (2010, S. 36), »was troubling because it appeared to put children at risk for accidents and injuries […] not because it was tied to adolescent misbehaviour«. Im Gegenteil, mutmaßt Yochim (ebd., S. 40), stehe das zeitweise Verschwinden des Skateboards aus den Zeitungen in den ausgehenden 1960er Jahren mit Entwicklungen wie dem Anschwellen der Vietnam-Proteste und den aufrührenden Jahren um die Ermordung Martin Luther Kings und John F. Kennedys in Verbindung, die die öffentlichen Diskussionen mit ganz anderen, viel ernsteren Themen besetzen. Der andere Pol des Bedeutungskorridors, in dem sich Skateboards in den 1960er und 1970er Jahren bewegen, ist der des Sports. Bereits in den 1960er, verstärkt aber in den frühen 1970er Jahren wird Skateboarding sowohl von Massen-, als auch von Nischenmedien als eine anspruchsvolle Sportart thematisiert. Das Aufkommen jener zweiten großen Skateboardwelle in den früheren 1970er Jahren wird üblicherweise und auch im Vorliegenden mit der Einführung der Polyurethanrolle im Jahr 1973 in Verbindung gebracht. Yochim (2010, S. 43) rekonstruiert sehr plastisch, wie diese und andere technische Innovationen am Skateboard – wie die zeitweise um sich greifenden Fiberglasbretter oder verbesserte Lenkmechanismen – von den Massenmedien der USA zum Anlass genommen werden, Skateboarding auch diskursiv als »a wholly American […] sport, an activity to be taken seriously rather than a forgettable fad« zu legitimieren. Das Skateboard ist nun kein Kinderspielzeug oder Bastelstück mehr, sondern gewissermaßen ein rollender Nachweis amerikanischen Erfindungsgeistes und technologischer Kompetenz. Solche Be-Deutungen von Skateboards durch die Massenmedien lassen sich anhand der Grafiken sozusagen szeneintern ›verifizieren‹, die Herstellerfirmen zu dieser Zeit des sportorientierten Slalom- und Figurenskatens auf die Bauchseiten ihrer Skateboards drucken. In den 1960er Jahren finden sich dort noch häufig Bilder, die sich deutlich an Kindern als Zielgruppe orientieren. So zeigen etwa die Skateboards des Herstellers Nash (vgl. Cliver 2009, S. 51) harmlos-kindliche Comicfiguren im Stil der Zeit und die weit verbreiteten Skateboards von Roller Derby (vgl. ebd., S. 55) ein handschriftliches Firmenlogo, das an Spielzeugverpackungen erinnert. In den 1970er Jahren beschränken sich die Skateboard-Grafiken hingegen zumeist auf (oft einfarbige) Firmenlogos, die in ihrer Gestaltung nun wohl technische Avanciertheit und sportliche Seriösität ausstrahlen sollen – so erinnern die Modelle von Turner Summer Ski (vgl. S. 125) auch in ihrer grafischen Gestaltung an Skifirmen dieser Zeit oder hätte der Firmenschriftzug von Variflex (vgl. S. 126f) auch zu Tennisschlägern gepasst, während das Logo von New Sport (vgl. S. 100) auf jeder Trainingsjacke gut ausgesehen hätte. Das Signet von Bahne (vgl. S. 68), einem der führenden Skateboardhersteller der 1970er Jahre, hätte in seiner modernistischen Anmutung vielleicht auch Konsumgüter wie HiFi-Anlagen zieren können. Diese Skateboards wollen ›ernstgenommen‹ werden und Sportgeräte sein.
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Besonders um die Mitte der 1970er symbolisiert Skateboarding keineswegs eine urbane Jugendrebellion – sondern will als seriöse Sportart wahrgenommen werden und bildet auch entsprechende organisatorische Strukturen aus. Von dieser Zeit erzählt auch der »Rollsportpass Skateboard«, der in der Bundesrepublik vom Deutschen Rollsportbund (DRB) ausgegeben wird. Das abgebildete Exemplar stammt sogar aus der zweiten Hälfte der 1980er Jahre. Abb.: Eckehart Velten Schäfer
Von einem heutigen Vorwissen von einer Skateboard-Subkultur darf man sich beim Blick auf die typischen Repräsentationen von Skateboarding in den 1970er Jahren nicht täuschen lassen. Gerade der für dieses allgemeine Vorwissen sehr bestimmende und auch im Vorliegenden viel zitierte Dokumentarfilm über Dogtown und die Z-Boys (Peralta 2001) erzählt, wie Yochim (2010, S. 41) sehr richtig bemerkt,
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»not […] the whole story«: Im Gegenteil verengt er die Geschichte des Skateboarding in den 1970er Jahren, indem er ex post nach den Ursprüngen all dessen sucht, was man heute noch mit dem Skateboardfahren verbindet. Formen und Gestalten der Praktik, die in eine ganz andere Gegenwart hätten führen können, wären sie nicht aus verschiedenen Gründen verschwunden, werden hingegen ausgeblendet oder kleingeredet. Auch im damals führenden Nischenmedium SkateBoarder dominiert zu dieser Zeit bei weitem noch nicht das Bild der rebellischen Skateboarder/innen, obwohl dort Stecyks erwähnte Dogtown-Textserie seit 1975 erscheint. Das Blatt hat, wie Brooke (2005, S. 71) schreibt, während dieser Zeit »a hard time deciding how to handle the sport’s more aggressive turn, which was unappealing to some advertisers«. Tatsächlich bestimmt sich das Rebellische an Dogtown ja zunächst in Differenz zu dem, was zeitgenössisch als Skateboarding repräsentiert wird – »a daring and graceful sport requiring a particular set of skills rather than a fleeting childhood fad« (Yochim 2010, S. 41). Bereits um die Mitte der 1970er Jahre werden in amerikanischen Massenmedien Gerüchte kolportiert, Skateboarding könnte ins Programm der Olympischen Spiele von Moskau 1980 aufgenommen werden (vgl. ebd., S. 48). Im Skateboard-Boom der mittleren 1970er Jahre bringt die Praktik ihre ersten vertitablen Sportstars hervor. Als Verkörperung dieses Typus kann der Slalom- und Figurenskater Ty Page gelten, der ab 1976 von Bill Riordan gemanaged wird – einem seinerzeit sehr bekannten Sportpromoter, der unter anderem den Tennisprofi Jimmy Connors vertritt. Riordan entwickelt zusammen mit dem amerikanischen Basketballfunktionär Jack Dolph ein Kinderformat rund um Skateboarding für CBS (vgl. Yochim 2010, S. 49). Und ganz anders, als man mit heutigem Vorwissen vermuten würde, hält Riordan nicht etwa den Skateboarder Ty Page für den ›jungen Wilden‹ in seinem Portfolio, sondern im Gegenteil den Tennisspieler Jimmy Connors: Stamme dieser noch aus »the age of the anti-hero«, sei Page eine bestens vermarktbare Persönlichkeit, nämlich überaus »clean-cut«: »[…] everybody wants to mother him« (ebd., S. 49). 1976 ist der Sportmarketingprofi so sehr von der Zukunft von Skateboarding als Wettkampfsport überzeugt, dass er weitere Frontleute unter Vertrag nimmt, darunter auch Ellen O’Neal und Laura Thornhill (vgl. S. 52). Besonders letztere ist in den 1970er Jahren eine prägende Figur, weil sie sowohl im damals vorherrschenden Slalom- und Figurenskaten als auch – als eine der wenigen Frauen – im Steilwandskaten hervortritt. Als Skateboarding 1978 im Beiprogramm des Musikfestivals »Cal Jam II« präsentiert wird, bestreitet Thornhill vor einem Publikum von 350.000 Personen die wohl bis heute größte SkateboardLiveshow (vgl. Beal 2013, S. 67). Es ist leicht nachzuvollziehen, dass diese Sportstars bereits recht gut verdienen. Laut Yochim (vgl. 2010, S. 49) schätzt Riordan das Einkommen von Ty Page im Jahr 1976 auf 100.000 Dollar: Preisgelder, Saläre der Skateboard-Firmen und auch durch Fernsehspots für allerlei Konsumgüter.
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Besonders aktiv ist in letzterer Hinsicht der Softdrinkkonzern Pepsi, der auf dem Höhepunkt der Skateboardwelle der 1970er Jahre in verschiedenen Ländern – auch in der Bundesrepublik – sogenannte Pepsi-Skateboard-Teams aus jeweils bekannten Aktiven zusammenstellt (vg. Seewaldt 1990, S. 25). In den USA legt Pepsi sogar die Broschüre »Have a Pepsi Day – the Safe Way« mit Trick-Tipps in Worten und Bilderserien auf (Pepsi 1978). Per Coupon kann darin eine komplette PepsiSkateboard-Ausrüstung bezogen werden: Pepsi-Skateboard-Helme, Pepsi-Knieund Ellenbogenschützer, ein »Bank & Bowl« sowie ein spezieller »Free Style Shoe« mit Pepsi-Logo, Pepsi-Lederhandschuhe, Pepsi-Skateboard-Club-T-Shirts, sogar Pepsi-Skateboards und eine Pepsi-Skateboard-Tasche, in der sich all das verstauen lässt. Weiterhin bietet die Broschüre ein Fachausdrücke-Glossar und ein »Safety Quiz« samt Antworten: »Should you skateboard on public streets – No. Do the top professionals wear protective equipment – Yes. Do pedestrians have the rightof-way in sidewalks and in crosswalks – Yes«. Als Leitsatz gibt Pepsi folgenden Ratschlag aus: »Know your limits and stay within them« (Pepsi 1978, S. 3). All das klingt noch sehr wenig nach urbaner Rebellion oder physio-psychischer Selbstüberschreitung, sondern nach jener kontrolliert-effektiven Fahrweise, die im Vorliegenden mit dem Slalom- und Figurenskaten der 1970er Jahren verbunden werden konnte. Nur nach heutigem Vorwissen überraschend ist daher das Titelbild des Lehrbuches »Sport und Spaß mit dem Rollerbrett« (Davidson/Klein 1976). Es zeigt eine junge Frau mit Kurzhaarschnitt und taubenblauem Trainingsanzug in sanfter Kurvenfahrt. Der Buchtitel verbindet also mit dem Skateboardfahren in zugespitzter Form das Klischee jenes »robust, wetterfest und freundlich-naiv gezeichneten Typus’ des herkömmlichen Vereinssportlers«, der laut Wolfgang Kaschuba (1997, S. 242) bis in die 1970er Jahre das Gesicht des herkömmlichen Sports prägt – und der sich laut Robert Schmidt »durch kurzen und unauffälligen Haarschnitt« und eben einen »grauen oder dunkelblauen« Sport-Overall auszeichnet, der wiederum »in seiner pragmatischen Zweckmäßigkeit dem aus der Arbeitswelt bekannten ›Blauen Anton‹ nachempfunden« wirke (Schmidt 2002, S. 27). Allerdings tauchen die Bilder dieser Protagonistin sowie einer Gruppe ähnlich aufgemachter Männer und Frauen offenbar nur in der deutschen, nicht aber der früher erschienenen USA-Ausgabe des Buches auf. Sie wurden, wie ein Hinweis auf der letzten Umschlagseite verrät, von »der Firma Adidas zur Verfügung« gestellt. Hinter dieser Bebilderung steht offenbar ein mit dem Interesse eines großen Sportartikelherstellers unterfütterter Versuch, die neue Praktik des Skateboardens in den kulturellen Raum des in der Bundesrepublik zu dieser Zeit als respektabel anerkannten Sports einzuschreiben. Demgegenüber lassen die offenkundig aus der amerikanischen Originalausgabe des Buches stammenden Bilder wie auch die Fotos in den Lehrbüchern Stauders (vgl. 1977) oder Torbets (vgl. 1977) keine derart deutliche Bildpolitik erkennen: Sie zeigen junge Männer und Frauen in Jeans und T-Shirts, zuweilen gepaart mit
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Sportiv, unauffällig, weiblich? Die Art von Persönlichkeit, die man landläufig dem Skateboardfahren zuschreibt, hat sich immer wieder gravierend verändert: Titelbild eines einst viel gelesenen Skateboard-Einführungsbuches aus dem 1983 erloschenen Traditionsverlag Gerhard Stalling in Oldenburg aus dem Jahr 1976. Abb.: Stalling/Repro Eckehart Velten Schäfer
Elementen funktionaler Sportkleidung wie etwa gepolsterten Fußballtorwarthosen. Relevant ist an dieser Stelle aber vor allem, was alle diese Skateboard-Bilder nicht zeigen: Es fehlen jegliche Anzeichen einer ästhetischen Besonderung, also einer distinkten Skateboard-Kultur, die sich in einem bestimmten Bekleidungsstil ausdrücken könnte. Ganz in diesem Sinn wird Skateboarding in den Lehrbüchern
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dieser Zeit auch textlich charakterisiert. Es handle sich um ein »Freizeitvergnügen« für alle, die »beruflich bedingten Bewegungsmangel […] ausgleichen« wollen und »Freude an jeglicher ›Frischluftbetätigung‹« haben, wobei sich auf einem Skateboard »vom geruhsamen Freizeitspaß bis hin zum Leistungssport« vielfältige Möglichkeiten ergäben (Stauder 1977, S. 33). Es bleibt eine Besonderheit der Skateboard-Praktik, dass sie bereits in ihrer frühen, hier als sportähnlich klassifizierten Gestalt oft zum Sujet von populärer Musik wird. Bereits in den 1960er Jahren singt – wie erwähnt – das kalifornische Schlagerduo Jan and Dean über »Sidewalk Surfing«. Der Skateboard-Boom der 1970er Jahre aber fällt mit einer regelrechten Welle von Musikstücken mit Skateboardbezug zusammen. Hofmeister (vgl. 2001) zählt in dieser kurzen Zeitspanne mehr als ein Dutzend Gruppen mit Skateboard-Songs. So nimmt die französische Schlagersängerin Rika Zarai den Song »Super Skate« auf; in England veröffentlich die Gruppe Streetkid den Titel »Skateboard Harmony« und eine Formation namens Daffy Duck die Stücke »Skate City« und »Skateboard Honeymoon«; The Carvells haben einigen Erfolg mit »Skateboard« – der Titel wird wohl deshalb wiederum in Frankreich von den Skateboard Rollers nachgespielt und in Schweden von den KenthErics. In Italien hat Zack Ferguson mit »Skateboard Dancinʼ« einen Hit. Erwähnenswert ist auch die New Yorker Soft-Pop-Gruppe Sneakers and Lace, die 1976 eine ganze LP mit Skateboard-Titeln veröffentlicht. Weitere Namen, die genannt werden können, sind die Roller Cats mit »Hey, Skate Roller«, Joey and the Hotshots mit »Skate City Run«, Ricky and the Kween Teens mit »Skate-Out«, die Buddys mit »Going up Getting down« sowie The Mixtures, The Rivals und ähnliche. Das Thema ist dermaßen verbreitet, dass selbst die Kölner Mundartrockband Bläck Fööss ein Stück mit dem Titel »Rollbrett« beisteuert. Den großen bundesdeutschen Skateboard-Hit aber landet der Pop- und Schlagerinterpret Benny mit »Skateboard-Uh-ah-ah«, einem Stück, das wiederum von der britischen Combo The Copains stammt, die zu dieser Zeit noch eine ganze Reihe ähnlicher Songs produziert: »Heut scheint die Sonne wieder wie gemalt/Und wie blankes Eis schimmert der Asphalt/Raus aus der Schule und dann rein in die Jeans/Die paar Hausaufgaben schaffen wir doch mit links [Refrain]: Skateboard, uh-ah-ah, Citysurfing, ah-ah/Skateboard, uh-ah-ah, komm und fahr mal mit/Skateboard, uh-ah-ah, Asphaltrennen, ah-ah/Skateboard, uh, ah-ah, ist der große Hit/ Roadrunner-Joe, das ist ein ganz heißer Freak/Er hat ein silbernes Brett mit Raketenantrieb/Lola und Fred kommen zusammen an/Auf einem Bügelbrett mit einer Hupe dran/Abends dann nach Sonnenuntergang/Sind die Straßen richtig leer/Und wir beide fahren ganz allein/Durch das weite Lichtermeer. Lass’ deine Haare in der Brise weh’n/Dass die Mopedmacker ihre Augen ver-
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dreh’n/Leg dich in jede Kurve, die du kriegst/Streck die Arme aus und stell dir vor, dass du fliegst.« (Benny 1978). Alle diese Musikstücke sind Genres zuzurechnen, die mit heutigem Vorwissenkeineswegs mit dem Skateboardfahren in Verbindung stehen: »Es handelt sich meist um eine Vermischung sämtlicher Mainstream-Musikstile der vergangenen Zeiten: Pop, etwas Rock, eine Prise Schlager und eine Handvoll Disco«, schreibt Hofmeister (2001, S. 87). »Hinter den meisten Bands« vermutet er »von der Musikindustrie zusammengewürfelte Männlein und Weiblein, die dem entsprechenden Label ein möglichst großes Stück vom Skateboardkuchen abschneiden« sollten. Textlich deutet der Benny-Song in seiner Erzählung vom abendlichen »Lichtermeer«, von Skater/-innen, die vor dem Anlegen der »Jeans« ihre »Hausaufgaben« erledigen und mit den »Mopedmackern« nichts zu tun haben wollen, die Praktik als gesellschaftlich akzeptables, harmlos-romantisches Hobby für gutartig heranwachsende »Lolas« und »Freds«, was sich auch in der Anmutung des Interpreten selbst widerspiegelt, der – etwa in der ZDF-Hitparade von Dieter Thomas Heck – genre- und zeittypisch dosiert und gemäßigt androgyn auftritt. Wie grundlegend sich solche Darstellungen von den kulturellen Codes abheben, die sich schon zeitgleich rund um den Dogtown-Stil mit Skateboarding zu verbinden beginnen und einige Jahre später zum bestimmenden Schema der Praktik aufsteigen, wird im Folgeabschnitt der Arbeit rekonstruiert. Hier bleibt zunächst die Frage, wie eine in mehrere verschiedene, massenmedientaugliche Disziplinen ausdifferenzierte, zumindest in der Tendenz für junge Männer wie Frauen attraktive, mit technisch mittlerweile hoch entwickelten Sportgeräten und zunehmend mit speziellen Zweckanlagen ausgestattete sowie auch kulturell legitimierte Sportpraktik wenige Jahre später abermals in sich zusammenbrechen kann, um dann in ganz anderer Gestalt wieder zurückzukommen. Sind doch noch um die Mitte der 1970er Jahre alle Expertinnen und Experten dieses »popular family sport« (Yochim 2010, S. 48) sicher, dass derselbe »ein Stadium erobert hat, von dem aus er nicht wieder sehr weit zurückfallen kann« (Davidson/Klein 1976). An dieser Stelle lässt sich nun sagen, dass die Praktik hinsichtlich ihres Bedeutungselements während ihres Booms der 1970er Jahre zu unspezifisch geworden sein könnte, um eine fest abonnierte Teilnehmerschaft auszuprägen. Nicht wenige Skateboarder/-innen wenden sich um 1979 oder 1980 einfach dem Rollerskating zu, das die nächste sportive Jugendmode wird. Der Hauptgrund für das Verschwinden dieser frühen Gestalt von Skateboarding muss aber wohl tatsächlich – wie schon verschiedentlich angedeutet – im US-amerikanischen Versicherungssystem gesucht werden: Öffentliche wie private Betreiber/-innen müssen Angst vor Klagen nach Verletzungen haben. Nachdem Organisationen und Institutionen wie die U.S. Product Safety Commission oder das Consumer Affairs Committee der Americans for Democratic Action auf dem Höhepunkt
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der Skateboardwelle der 1970er Jahre abermals eindringlich vor den Gesundheitsgefahren des Skateboarding warnen (vgl. Yochim 2010, S. 45), setzen Versicherungen ihre Haftpflichtpolicen für Zweckanlagen so hoch an, dass ein Betreiben solcher Anlagen sehr schwierig wird. Laut Brooke (vgl. 2005, S. 67) kommt es – anders, als später für die 1990er Jahre berichtet wird – in den 1970er Jahren auch tatsächlich zu einer Vielzahl solcher Klagen, was wiederum einen Hintergrund im amerikanischen Krankenversicherungswesen hat, das die Eltern eines Kindes mit beispielsweise einer skateboard-bedingten Knochenfraktur zu solchen Schritten mitunter zwingt. Jedenfalls sehen die Szene-Medien im Herbst 1978 wieder Wolken aufziehen: »Unless some insurance carrier can be found to write liability insurance for the owners at an affordable price, we could see the demise of the industry we love so well« (zit.n. Brooke 2005, S. 66). Was aber ist eigentlich dran an den Gefahren der Praktik, die hinter diesem Versicherungsproblem stehen? Natürlich ist es riskanter, Skateboard zu fahren, als es zu unterlassen. Wie gefährlich Skateboarding in diesen wie in späteren Zeiten im Vergleich zu anderen sportiven Praktiken tatsächlich ist, bleibt indes umstritten. Eine britische Studie aus dem Jahr 1983 etwa berichtet, dass 1982 mehr Verletzungen durch Rollerskating klinisch behandelt werden mussten als SkateboardUnfälle in der »skateboarding epidemic of 1977«. Allerdings seien die Rollerskater/-innen dieser Zeit leichter verletzt gewesen als die Skateboarder/-innen der späteren 1970er Jahre: Hatten von diesen rund 60 Prozent »fractures and dislocations«, komme man im Rollerskating auf nur 32 Prozent (Bunker 1983, S. 205). Im Gegensatz dazu berichten Hassan und Dorani (1999, 350) mit Blick auf das nordöstliche England des Jahres 1997, Skateboardverletzungen seien nicht nur seltener als Verletzungen durch Inline-Skating, sondern »in contrast to the findings of earlier studies« auch harmloser. Dies könnte für die in dieser Arbeit vorgebrachte These sprechen, dass Street Skateboarding vor seiner Vergrößerung in den ausgehenden 1990er Jahren vergleichsweise risikoarm ist. Eine schwedische Studie aus dem Jahr 2001 stuft klinisch behandelte Skateboard-Verletzungen generell als »minor to moderate« ein (Forsman/Erikson 2001, S. 325) – wobei freilich Frakturen als »moderat« gelten –, registriert aber ein signifikantes Ansteigen der Verletzungen zwischen 1995 und 1998. Auch dies kann auf jene Vergrößerung der Fahrweise hindeuten, ist aber auch vor dem Hintergrund steigender Teilnehmerzahlen zu sehen. Da letztere exakt kaum zu beziffern sind, ist ein solches Verhältnis schwer zu ermitteln. Ebenso fehlen systematische Vergleiche zwischen Skateboard- und Verletzungen etwa beim Skifahren oder auch im Vereins- und Wettkampfsport. Unzweifelhaft hat aber die Gefährlichkeit als Element von Bedeutung, hat also das ständige Reden darüber massive Auswirkungen auf die Praktik. In der Bundesrepublik wird im Sommer 1977 kurzzeitig über ein Skateboardverbot diskutiert, in Ländern wie Schweden wird das nach 1980 tatsächlich zeitweise weitgehend umgesetzt (vgl. Forsman/Erikson 2001, S. 325). In den USA schlägt sich dieser Gefahren-
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diskurs zwischen 1976 und 1979 in einer langen Reihe von Patenten für SkateboardBremsvorrichtungen nieder. Den Anfang macht im März 1976 ein System, bei dem vor der Nose des Skateboards ein Pedal angebracht wird, mit dem die Hinterräder gebremst werden können (vgl. Banks/Granillo 1976). Im darauf folgenden Jahr werden drei weitere Bremssysteme mit Pedalen patentiert (vgl. Bayer/Schwarzer 1977; Johnson 1977; Sullins 1977). Es folgt eine Konstruktion, bei der die Fahrer/innen einen Hebel in der Hand halten, um die Hinterräder blockieren zu können (vgl. Krausz 1978); eine andere Vision sieht sogar eine fünfte Rolle vor, die allein dem Bremsen dienen soll (vgl. Johnson 1978). 1979 und 1980 folgen noch zwei weitere Patente (vgl. Johnson 1979; Heilig 1980). Aus heutiger Sicht wirken diese allesamt nie in Serie gegangenen Ideen skurril, wenn nicht selbst gefährlich. Aber sie zeigen sehr plastisch, wie sich jene allgegenwärtige Rede von der besonderen Gefährlichkeit des Skateboardfahrens materialisiert, die – wiewohl in Europa und Deutschland etwa die versicherungsrechtlichen Bedingungen ganz andere sind – offenkundig auch diesseits des Atlantiks greift und auch hier zum zeitweisen Verschwinden der Praktik um 1980 beiträgt.
4.2.2.
Rebell und Boy Scout
Mit dem Aufkommen des vertikalen Skateboarding in den ausgehenden 1970er und frühen 1980er Jahren verändern sich auch die Bedeutungen, die der Praktik zugeschrieben werden, drastisch. Weil die Massenmedien einige Jahre kaum noch Notiz vom Skateboardfahren nehmen oder gelegentlich den vermeintlich endgültigen Tod des Skateboards analysieren (vgl. Yochim 2010, S. 54), werden die Deutungen des vertikalen Skateboarding in seiner Formierungsphase fast ausschließlich in Nischenmedien formuliert. Und da sich deren Content insbesondere durch die Erfindung des Skateboard-Videos in diskutierter Weise in die Mitspielkörper schon beim Bewegungslernen nachhaltig einschreibt, scheint es evident, dass für das vertikale Skateboarding Repräsentationen in den Massenmedien generell weitaus weniger relevant sind als diejenigen den Nischenmedien. Dies berücksichtigend lässt sich für den Zeitabschnitt des vertikalen Skateboarding ein Bedeutungskorridor zwischen einer rebellischen und mit Skateboarding verbundenen Figur abstecken, die nachfolgend als Boy Scout charakterisiert wird. Diese beiden Repräsentationen – und Schattierungen dazwischen – folgen grosso modo zeitlich aufeinander, koexistieren und überlagern sich aber auch. Bereits in den ersten Abschnitten der Arbeit wurde untersucht, wie sich ein solches rebellisches Skateboarding ab den späteren 1970er Jahren körperpraktisch inkarniert: An überwiegend prekären, illegalen Örtlichkeiten und auf den steilen, unregelmäßigen, nicht zum Skateboardfahren gedachten Oberflächen suburbaner Backyard Pools entsteht eine experimentierend-impulsive, auf Geschwindigkeit, Gefahr und Körperrausch abstellende, häufig in Kopfüber-Situationen führende
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Fahrweise, die von Skateboarder/-innen oft als radikal oder aggressiv bezeichnet wird und kinästhetisch eng mit den Rhythmen und Haltungen des zeitgleich aufsteigenden Punk/Hardcore-Schemas verwandt ist. Expliziert wird dieser physiopsychische und räumliche Zusammenhang, der sich mit Butz (2012, S. 256) als adrenaline aesthetics qualifizieren ließ, erstmals in der erwähnten, ab 1975 im SkateBoarder erscheinenden Dogtown-Artikelserie von Craig R. Stecyk – die, wie erläutert, im Kontext des 1970er-Skateboarding freilich zunächst eine minoritäre Deutung darstellt und sich von zeitgenössisch weitaus verbreiteteren und prägenderen, eher sportorientierten Darstellungen der Praktik in Nischen- wie in Massenmedien abhebt. Ihren Bruch mit der Bedeutungswelt des herkömmlichen Sports vollzieht Stecyks blumige Skateboard-Rhetorik dabei in enger Anlehnung an zeitgenössische gesellschaftskritische Diskurse, die Luc Boltanski und Ève Chiapello (2006, S. 81) als spezifische »Künstlerkritik« der counter culture identifizieren. So entwirft der heute tatsächlich als Künstler tätige Stecyk im Juni 1976 in einem mit »Fear of Flying« überschriebenen und mit seinen Fotografien des jugendlichen Z-Boy-Protagonisten Paul Constantineau bebilderten Text im SkateBoarder am Beispiel des Skateboardfahrens eine Art Theorie der Geschwindigkeit als vitale Erfahrung, die das Artifizielle und Entfremdete der modernen Gesellschaft in einem körperlich-sinnlichen Rausch beiseite schiebt: »In the final analysis, truth always evolves from the state of total madness. Everyone has their own spatial orientation which is basically a combination of awareness, balance, and experience. A large order of co-related spatial orientations results in a like system called dimension […]. For each dimension, there exists [sic.] objects, persons, and concepts, all with similar spatial orientation. For example, American technology has produced a generation of mutants who relate only to the two-dimensional (flat) world, due to prolonged exposure to television. These persons only relate to photographic representations, feeling the medium to be the absolute truth, it being impossible to them to perceive the difficulties and non-structured events of everyday 3-D life as being more real than the flat, static photograph. Aspects of this phobia are the terms photographic proof, seeing is believing, a picture’s worth more than a thousand words, visual verification, picture perfect, pictorial splendour etc. […]« (zit.n. Friedman/Stecyk 2001, S. 12). Es entbehrt nicht der Ironie, dass hier gerade Stecyk, dessen inspirierende Repräsentationen von Skateboarding sich auf seinen technisch hoch entwickelten und damals überaus originellen sportfotografischen Stil stützen, derart gegen eine Kultur des Bildes wettert. Und ohne den Teenagern und Twens, die im Artikel vorkommen oder ihn damals lesen, zu nahe zu treten, darf man wohl annehmen, dass wenige von ihnen diesen Text tatsächlich verstehen. Was an Stecyks Artikeln zeitgenössisch fasziniert, ist ihr Sound der Besonderung. Er teilt dem Publikum mit,
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dass Skateboardfahren und besonders dasjenige der Z-Boys ›mehr als Sport‹ sei, nämlich eine Welterfahrung, ein praktiziertes höheres Wissen, erlebte Philosophie. Skateboarder/-innen erscheinen in seinen subkulturell-romantischen Darstellungen als urbane Militante einer umherschweifenden »skate guerilla« (Stecyk/Friedman 2000, S. 78), die den Artefakten einer erstarrten Gesellschaft in kreativer Rebellion neues Leben abgewinnen. Der Unterschied zu jenen Repräsentationen von Skateboarding als Freizeitspaß und Leistungssport, die noch zeitgleich in Massenwie Nischenmedien verbreitet werden, könnte kaum größer sein. In der Wiedergeburt des Skateboardfahrens als Subkultur in den frühen 1980er Jahren werden solche Bedeutungen zunächst im 1981 gegründeten Magazin Thrasher transportiert, das den mittlerweile in Action Now umbenannten SkateBoarder als führendes Nischenmedium ablöst. Auch Stecyk schreibt – zuweilen als »Lowboy« – zeitweise viel in diesem Magazin. Anders als der SkateBoarder, der sich im Niedergang der Praktik durch eine Diversifizierung der berichteten Sportpraktiken zu retten versuchte, setzt Thrasher von Anfang an auf jene neue Verwandtschaft der Praktik mit dem Punk/Hardcore-Schema und ist neben einem Skateboardstets auch ein Musikmagazin mit Konzert- und Plattenkritiken, Veranstaltungshinweisen (zunächst schwerpunktmäßig für die Bay Area um San Francisco und Südkalifornien) und Bandportraits. Verbunden damit ist in den 1980er Jahren eine ostentativ subkulturelle Rhetorik mit antikapitalistischer oder zumindest gegen ›die Konzerne‹ gerichteter Spitze. »Thrasher is not about hypocrisy or selling out to corporate America. We are about skate and destroy«, erläutert Gründer Fausto Vitello noch 20 Jahre später die Mission seines Heftes (zit.n. Brooke 2005, S. 95). Der Slogan »skate and destroy«, vom Thrasher auf Aufklebern verbreitet, wird zu einem viel zitierten Topos in diesem rebellischen Skateboarding nach Dogtown. Breit popularisiert wird er in den Skateboard-Szenen aber vor allem als Titel und Refrain eines 1983 veröffentlichten Musikstücks der Hardcore-Band The Faction. Diese ist in der Skateboard-Szene zu dieser Zeit schon deshalb außerordentlich beliebt, weil ihr Bassist Steve Caballero zugleich einer der prominentesten Protagonisten des vertikalen Skateboarding ist und noch heute als Skateboardlegende gilt. Der Songtext zeichnet ein ganz anderes Bild der Praktik und ihrer Subjekte als das oben zitierte Stück von Benny: »Forget the light, skate and destroy/Pass the jogger, skate and destroy/Kick that bike, skate and destroy/It’s not a cause or a political belief/It’s something in my thinking/If you agree it’s cool by me/At least I’m not a robot/I’m not afraid of things I read/I won’t divide my friends up/[…]/The cops are coming after me/Their sons are BMXers/They always try to stop me/But urethane’s faster than boots/So what who cares I know I don’t/Be a hood, don’t be good […]« (Faction 1983). Der im Sinne des genealogischen und praxeologischen Verfahrens wirkliche Unterschied zwischen diesem und dem Benny-Song besteht darin, dass zwischen der
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Geste sowie dem Sound dieses Stücks und dem vertikalen Skateboardfahren eine Familienähnlichkeit besteht. Ob die meisten Skateboarder/-innen vor der Zäsur der späten 1970er Jahre Fans eines Benny-Sounds gewesen sind, mag dahingestellt bleiben. Ganz sicher aber hört ein Großteil von ihnen nach der Transformation vom horizontalen zum vertikalen Skateboarding Musik in der Art von The Faction, Black Flag, Gang Green, Agent Orange und vieler anderer Punk/Hardcore-Bands, die seit den späteren 1970er Jahren Skateboard-Songs veröffentlichen und sich nicht selten auch als Aktive in Szene setzen. An dieser Stelle signifikant sind aber auch die Unterschiede in der textlichen Deutung: In scharfem Gegensatz zum Text von Benny erscheinen Skateboarder/-innen hier als eigensinnige Bad Boys, zusammengeschweißt in einer Hood oder Gang. Sie sind stets auf der Flucht vor der Polizei, halten zu ihren Crews und grenzen sich zugleich von anderen Bewegungspraktiken wie BMX ab. In der Distanzierung von den »Robotern« der Mehrheitsgesellschaft greift auch dieser Text ein typisches Motiv gegenkultureller Künstlerkritik auf. Sehr deutlich lässt sich diese rebellische Lesart von Skateboarding nun auch auf den Bauchseiten der Skateboards finden. Nüchterne Firmenlogos werden durch aufwendige Vierfarbgrafiken ersetzt, die sich oft an der Formensprache von Territorialmarkierungen durch Gangs und an den Ästhetiken des Punkrock-Schemas orientieren. Aus der Jugendslangbezeichnung Dogtown wird eine Marke mit dem Signet eines Grabkreuzes, auf dem sich »Dog« und »Town« beim »O« treffen (vgl. Cliver 2009, S. 75). Frühe Graffiti-Lettern, Totenschädel und Monsterfiguren dienen als Totems einer spezifischen subkulturellen Absonderung und Vergemeinschaftung im Zeichen des Punk/Hardcore-Schemas. Typisch dafür sind etwa die detailliert ausgeführten, grausigen Schrumpfköpfe des als Pushead bekannten Grafikers, der für Bands des Punk/Hardcore sowie Heavy-Metal-Schemas Plattencover gestaltet und während der 1980er Jahre die Skateboardgrafiken der kleinen Marke Zorlac entwirft (vgl. Cliver 2009, S. 255-261). Die Skateboardmarken geben zwar in ihrem Bestreben, sich voneinander zu unterscheiden, ihren Zeichensprachen verschiedene Nuancen: Vision etwa benutzt auch grelle, in Neonfarben gehaltene Popart-Grafiken wie etwa auf dem Modell »Aggressor« von 1986 (vgl. Cliver 2009, S. 241) oder dem Modell »Psycho Stick« (vgl. S. 242) sowie nicht-figürliche Muster und gilt besonders gegen Ende der 1980er Jahre als die Marke der Popper auf Skateboards; G&S (vgl. S. 159-162) und kleinere Labels wie zum Beispiel Blockhead (vgl. ebd., S. 146f) versehen ihre Bretter oft mit ›künstlerisch‹ gehaltenen Motiven und appellieren so an die ›intellektuellen‹ Skateboarder/-innen. Doch von wenigen Ausnahmen abgesehen kommt keine Marke ohne Grafiken mit »Deathhead« durch die 1980er Jahre (vgl. Fiehl 2004, S. 8). So gibt es auch bei Vision das Modell »Street Sweeper«, das ein Sensenmann ziert (vgl. Cliver 2009, S. 238). Als stilbildend können die elaborierten, meist mit Darstellungen von Skeletten arbeitenden Bilder des für Powell-Peralta tätigen Grafikers V.C. Johnson gelten, der in seiner Arbeit laut Selbstauskunft den Vietnamkrieg verar-
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beitet und trotz der subkulturellen Anmutung seines Werks als Referenzen »Dürer, Eichenberg, Escher« angibt (vgl. ebd., S. 182).
Die Entstehung des vertikalen Skateboarding in den legendären trockenen Swimmingpools im Großraum Los Angeles ab etwa 1975 verwandelt eine bis dato respektable Freizeitsportart mit erheblicher wettkampfsportlicher Tendenz in eine regelbrechende Subkultur, die heute weit jenseits der Skateboard-Szenen nostalgisch gefeiert wird, etwa in dem Spielfilm »Dogtown Boys« (engl. »Lords of Dogtown«) von Catherine Hardwicke. Verbunden ist damit freilich auch eine symbolische wie tatsächliche Verdrängung von Frauen aus der Praktik, die erst in jüngster Zeit allmählich zurükgedreht zu werden scheint. Abb.: Sony Pictures
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Die Repräsentationen jenes rebellischen vertikalen Skateboarding spezifizieren insbesondere die Vergeschlechtlichung der Praktik. Wenn auch Jahrzehnte später nachgestellt, illustriert das Cover des Spielfilms »Lords of Dogtown« – Titel der deutschsprachigen Version ist »Dogtown Boys« – diese neue Darstellungsweise von Skateboarding sehr treffend (vgl. Hardwicke 2005): Verwegen dreinschauende junge Männer in subkultureller Anmutung und leicht breitbeiniger Haltung, teils mit nacktem Oberkörper. Solche Männer-Bilder repräsentieren jene stilistisch raffinierte Protestmännlichkeit von Dogtown, die im ersten Abschnitt der Arbeit als Produkt wie Erzeugungsgrundlage der aggressiven Fahrweise im aufsteigenden Steilwandskaten der ausgehenden 1970er Jahre identifiziert wurde und sind typisch für die Darstellungen von Männern in den Skateboard-Nischenmedien dieser Zeit. Frauen hingegen sind in Skateboard-Videos und Nischenmagazinen nun sehr selten präsent. Als Aktive kommen sie in den frühen 1980er Jahren generell kaum noch vor – und die insgesamt gleichfalls eher spärlichen Abbildungen von Frauen, die als schmückendes Beiwerk gezeigt oder als Betties, also Skateboard-Groupies, adressiert werden, sind häufig sexualisiert. Anders als die Bilder von Männern, die diese meist wild und kühn, aber auch abgerissen, subkulturell und antibürgerlich präsentieren, entsprechen die Frauen-Bilder in den Nischenmagazinen sehr häufig herkömmlichen heterosexuellen Schönheitsnormen vom Bikini oder Hot Pants tragenden kalifornischen Beach Girl (vgl. Butz 2012, S. 179ff). Typisch dafür ist etwa »SkateVisions«, das erste Skateboard-Video der Marke Vision aus dem Jahr 1984 (Hoffman 1984). Frauen kommen in dem rund 30-minütigen Film nur in zwei Szenen vor: In der Eingangsszene, die den halbwüchsigen Skateboarder Mark Gator Rogowski7 beim Verlassen des Elternhauses zeigt, ruft ihm eine keifende Frauenstimme hinterher, ob er sein Zimmer aufgeräumt habe. Etwas später erschrecken die männlichen Protagonisten zwei junge Frauen, die in sehr knappen Badeanzügen vor einem öffentlichen Telefon stehen, indem sie auf ihren Skateboards unerwartet und äußerst knapp an ihnen vorbeirasen. Komplexer ist die Repräsentation von Ethnizität in der Bilderwelt des rebellischen Skateboarding. Einerseits ist Nicht-Weißes sowohl in den Grafiken präsent – etwa in den an Gang-Graffiti gemahnenden Lettern auf Skateboards, T-Shirts und Stickern – und zeigen sowohl Nischenmagazine als auch die Skateboard-Videos der 1980er Jahre zahlreiche (fast immer männliche) Aktive vordringlich asiatischen oder lateinamerikanischen Hintergrunds, die keine Randfiguren sind, sondern teils ganz zentrale Protagonisten der Praktik. Afroamerikaner/-innen sind zu dieser Zeit im Skateboarding generell selten – und bestimmte Darstellungen von ›Rasse‹ in den Skateboard-Nischenmedien dieser Zeit zeigen einen eklatanten Mangel an Sensibilität gegenüber rassistischen Diskursen und Repräsentationen 7
Mark Rogowsi wurde Ende der 1990er Jahre wegen Mordes an einer jungen Frau – laut Urteil eine Beziehungstat unter starkem Drogeneinfluss – zu lebenslanger Haft verurteilt.
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von Blackness. Santa Cruz zum Beispiel, die neben Powell-Peralta und Vision in den 1980er Jahren führende Skateboardmarke, versieht noch 1989 ihr Video »Streets on Fire« mit einer mehr oder minder offen rassistischen Rahmenhandlung: Während der weiße Skateboarder Jason Jesse wegen Skateboardfahrens in der Öffentlichkeit zum Tode verurteilt wird, kommt sein Zellennachbar »Big Mike«, als großer, schwerer Mann mit Dreadlocks ein Klischee des schwarzen Gangsters, für mehrere Tötungsdelikte mit wenigen Jahren davon. Diese Spielhandlung will überzogene Polizeieinsätze gegen Skateboarder/-innen kritisieren und ratifiziert zugleich rassistische Topoi von schwarzen Kriminellen, die der Justiz ein Schnippchen schlagen, während tatsächlich sozialer Ausschluss, ökonomische Degradierung, rassistische Polizeipraktiken und drakonische Urteile schon bei eigentlich geringfügigen Delikten die Haftanstalten weit überproportional mit schwarzen Menschen füllen (vgl. Butz 2012, S. 191). Dieser aus heutiger Sicht erstaunliche Mangel an Einsicht zeigt zugespitzt die Widersprüche jener suburbanen Rebellion von Skateboarding und Hardcore/Punk in den ausgehenden 1970er und frühen 1980er Jahren: Gemessen an herrschenden Mustern und Geschmäckern geht sie in Lumpen, ihre Praktiken von Selbstverletzung und ihr symbolisches Display von Gewalt sowie ihre ›primitive‹, atemlose, lärmende Musik verstoßen gegen die Normen der niceness, der herrschenden weißen Wohlanständigkeit von Suburbia. Im Kontext des vorstädtischen Kaliforniens der ausgehenden 1970er und einsetzenden 1980er Jahre ist Punk/Hardcore und auch das eng verwandte vertikale Skateboarding allerdings eine »›attack from within‹« (Butz 2012, S. 88), also in dem Sinn eine anti-weiße Rebellion, dass ihre selbst zumindest überwiegend weißen jugendlichen Teilnehmer/-innen die stillschweigende Normalität und Unsichtbarkeit hegemonialer Mittelklasse-Whiteness in symbolischen Praxen angreifen und durch ihre Verstöße gegen diese Normen auch sichtbar machen, ohne freilich diesen diskursiven Rahmungen ganz entkommen zu können. Während in der weißen Mittelschicht demographische Verschiebungen Minorisierungsängste auslösen, ruft sich die Punk/Hardcore-Jugend zur white minority aus und macht sich in ihren kulturellen und symbolischen Praxen auch tatsächlich zur Zielscheibe der Mehrheitsgesellschaft – doch bleibt der spezifisch subkulturelle Topos von der weißen Minderheit stets ambivalent. Einerseits verbinden sich damit in den US-amerikanischen 1970er Jahren explizit antirassistische subkulturelle Positionen wie etwa der Hillbilly Nationalism sozial deklassierter, weißer Jugendlicher aus armen, nach dem Zweiten Weltkrieg aus den südlichen Appalachenstaaten in die nördlichen Industriezentren migrierten (Farm-)Arbeiterschaftsfamilien, die um 1968 ihre Heimat »Appalachia« als »interne Kolonie« ausrufen und sich in Gruppierungen wie der Young Patriots Organization (Y.P.O.) in der Rainbow Coalition um die Black Panthers Party organisieren (vgl. Sonnie/Tracy 2011). Allerdings sind diese Milieus eher im Norden und Osten der USA verbreitet als in Kalifornien. Andererseits prägen sich an den Rändern
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der Punk/Hardcore-Szene in den 1980er Jahren die Kerne des rassistischen Teils der Skinhead-Kultur aus. Von dieser Ambivalenz zeugt etwa der zeitgenössische Song der Dead Kennedys mit dem Titel »Nazi Punks Fuck Off«, aus dem bei allem Schimpfslang ja immerhin hervorgeht, dass es solche »Nazi Punks« zu dieser Zeit tatsächlich in gewissen Größenordnungen gibt. In der Kultur des vertikalen Skateboarding ist offen explizierter oder gar ausagierter Rassismus zwar selten, doch macht das zitierte – nicht unbedingt typische – Beispiel aus dem Video von Santa Cruz deutlich, dass diese selbstgewählte Marginalisierung weißer Jugendlicher auf der Existenz soziostrukturell ausgegrenzter und sozial degradierter ethnischsozialer Milieus basiert. Wenn etwa die in den 1980er Jahren populäre SkatepunkBand The Descendents das weiße Suburbia als »Babylon« besingt, dem sich auf Skateboards entkommen lasse (vgl. Butz 2012, S. 122), wendet sich ein Motiv des schwarzen Reggae gegen ein Leben in sozialer Sicherheit, von dem tatsächlich Ausgegrenzte träumen. Solche anti-weißen Symbolpolitiken von ›Rasse‹ benutzen in diesem Sinn verschiedene Grade und Formen ›geborgter‹ Marginalität. So erschließt sich zumindest teilweise, wieso (mit signifikanten Ausnahmen wie etwa der schwarzen Band Bad Brains, die in den 1980er Jahren mit Hardcore-Sound bekannt wird, bevor sie zu einem schwärzeren Stil-Hybriden übergeht) hauptsächlich junge weiße, in Größenordnungen aber auch hispanische und asiatische Amerikaner/-innen Affinitäten zum Punk/Hardcore-Schema und damit auch zum rebellischen vertikalen Skateboarding entwickeln: Obwohl sich Punk/Hardcore in seiner Ästhetik der ›Härte‹ ostentativ und polemisch vom ›weichen‹ New Age-, Hippie- und psychodelischen Schema absetzt, das trotz seines demonstrativen Abschieds von bürgerlicher Weißheit gleichfalls stets »ein überwiegend weißes Phänomen« darstellt (Richter 2016, S. 11), basiert Punk/Hardcore auf einer funktional ganz ähnlichen Politik der Erzeugung von Differenz zur Elternkultur durch »Downdressing« (ebd.). Für diejenigen, die ohnehin ›unten‹ sind oder deren Familien dem Unten entkommen konnten, ergibt diese Stilpolitik nur wenig Sinn. Mit Abstrichen beim Reggae, der historisch und musikalisch nicht umsonst dem Punk (weniger dem Hardcore) noch am nächsten steht, operiert das Distinktionsmoment des schwarzen Cool seit den Anfängen von Blues und Jazz – wenn nicht nicht in der Konstruktion hybrider afrozentrischer Stile – in einem Modus des Updressing: Funktional ähnlich wie die zumeist aus Arbeiterund Angestelltenschichten stammenden britischen Teddy Boys der 1960er Jahre, die sich in einem »symbolischen Diebstahl« am Edwardian Style Insignien der Oberklasse aneignen, um in einen Fantasie-Kontinent aus »Western, Gangstern, Luxus, Glamour und Automobilen« (Hebdige 1979, S. 50) auszuwandern, sind diese schwarzen Stile in den USA geprägt von einer Bricolage des Luxus – von den übereleganten Zoot Suits und Continentals der Jazzer der 1940er Jahre (vgl. Rabe 2012, S. 195) bis zum Bling Bling des Gangsta Rap.
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Diese Repräsentationen eines rebellischen – rauen, antibürgerlichen, männlich-heterosexuellen – Skateboarding werden allerdings im weiteren Verlauf der 1980er Jahre deutlich revidiert. Während das in Form der Halfpipe zunehmend standardisierte vertikale Terrain sowie nicht zuletzt das soziomaterielle Arrangement des Bailens die aggressive Fahrweise des frühen Steilwandskateboarding reludifizieren und abschleifen, arbeiten Skateboardmarken als maßgebliche Produzentinnen von Bildern der Praktik an einer gleichsinnigen Neuinszenierung. Benutzt etwa das in der vertikalen Ära des Skateboarding führende Label Powell-Peralta um 1980 zunächst drastische subkulturelle Marker wie beispielsweise brennende Autos für seine Ads (vgl. Peralta 2012, 31:19), produziert die selbe Marke gegen 1990 eine ganz andere Bilderwelt, die selbst Tony Hawk (2001, S. 152) als bekanntester Powell-Peralta-Teamrider als »clean cut«, sportorientiert und wettkampfbezogen charakterisiert: »Powell was all about dominating contests.« Diese Bewegung von einer subkulturell orientierten zu einer unkontroversen, sauberen Darstellung von Skateboarding lässt sich auch in einem Vergleich der beiden bekanntesten Videos von Powell-Peralta zeigen. Das bereits erwähnte Video »The Bones Brigade Video Show« (Peralta/Stecyk 1984) platziert die Praktik am gesellschaftlichen Rand: In einer rudimentären Rahmenhandlung folgt die Kamera dem Skateboarder Lance Mountain durch einen heruntergekommenen Stadtteil, wobei er mit Trinkern fraternisiert und allerlei Verbote übertritt, um schließlich über einen hohen Bretterzaun zu steigen und an einer geheimen Session in der Halbruine eines Pools teilzunehmen. Deutlich anders wird Skateboarding bereits in dem 1987 veröffentlichten Powell-Peralta-Video »The Search for Animal Chin« (Peralta/Smythe 1987) dargestellt. Dieses Video, das mit enormem Aufwand – es enthält zum Beispiel Aufnahmen aus einem Helikopter – produziert wird und den »Zenit« der Skateboard-Videoproduktion im Stil der 1980er Jahre darstellt (Griffin 2010), zeigt gegenüber dem älteren Film eine grundlegende Verschiebung der Erzählung vom Skateboardfahren an. Auffallend ist zunächst, wie sehr »Animal Chin« von Anspielungen auf ältere Skateboard-Videos und auch auf Hollywood-Filme durchzogen ist. Schon die Eingangsszene zitiert jenes ältere Video der »Bones Brigade«: Wieder sieht man Stacy Peralta vor seinem Fernsehgerät und wieder erscheint dort jener fiktive Moderator, von dem weiter oben schon die Rede war. Diesmal interviewt er einen fiktiven Skateboard-Unternehmer in weißem Anzug, der mit Marketing-Ausdrücken um sich wirft. Und wiederum ähnlich wie im Video von 1984 steht Peralta plötzlich auf und zerstört seinen Fernseher, diesmal durch einen Wurf aus dem Fenster. Anschließend läuft eine grafisch an den Beginn von »Star Wars« erinnernde Schriftinformation über den Bildschirm: »Dark forces« hätten die Skateboard-Welt infiltriert, daher sei der »62-jährige Hardcore Skater Won Ton Animal Chin« – eine stets nur schemenhaft auftauchende Kunstfigur, die den Spirit des Skateboarding verkörpern soll – untergetaucht. Nunmehr seien »Hardcore Skaters« aus aller Welt
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auf der Suche nach ihm. In diesem Rahmen zeigt das Video die Powell-PeraltaWerksfahrer auf ihrer Gralssuche, die sie kreuz und quer durch die USA führt, wobei sie »Animal Chin« natürlich nicht finden, aber immer wieder interessante Menschen, bunte Abenteuer und herausragende Skateboard-Orte, die sie dann ›spontan‹ befahren, was den Hauptteil des Videos ausmacht. Zwischen diese Action-Szenen werden aber immer wieder auf die Handlung bezogene Weisheiten geschnitten. So erläutert eine ihrer Reisebekanntschaften den fünf Freunden, wie Animal Chin nicht gefunden werden kann, durch überzogenen Ehrgeiz nämlich: »If you look too hard you’re never gonna find him!« Was die Freunde dann tatsächlich finden, ist eine für damalige Verhältnisse extrem aufwändige und vielgestaltige, eigens für das Video errichtete (und nach den Dreharbeiten wieder abgebaute) Halfpipeanlage inmitten einer Wildnis. Nach einer ausgiebigen Action-Passage, die für die Verhältnisse der Zeit im vertikalen Skateboarding Standards setzt, endet das Video mit einer gestellten Lagerfeuer-Szene: Während die Kamera immer wieder über deren abgestellte Powell-Peralta-Skateboards huscht, tauschen sich die fünf Protagonisten über die Erlebnisse ihrer Reise aus: Nein, wir haben »Animal Chin« nicht gefunden, aber eine gute Zeit erlebt. Wir könnten noch ewig weitersuchen, der Weg ist das Ziel. Die letzten Bilder des Videos sind mit einer Sprecherstimme unterlegt: »As long as Skaters keep searching for Chin, they’ve already found him.« Dieses Video, das die Bones-Brigade-Protagonisten Tony Hawk, Lance Mountain, Mike McGill, Steve Caballero und Tommy Guerrero, die tatsächlich auf sportlicher Ebene Konkurrenten sind, bei ihrer gemeinsamen Selbsterfahrung zeigt, appelliert zwar weiterhin an subkulturelle Motive: die Suche nach einem wahren Spirit des Skateboarding jenseits von Kommerz und Konkurrenz. Dennoch unterscheidet sich die Repräsentation der Praktik fundamental von der in jenem nur drei Jahre älteren Video. Zeigte »The Bones Brigade Video Show« als Rahmenhandlung eine semi-dokumentarische Kamerafahrt durch ein von Armut geprägtes Viertel, kappt der konstruierte Road Trip in »The Search for Animal Chin« jedwede Bezüge zur urbanen Realität. Eine Szene, in der die Freunde in einem heruntergekommenen Motel nächtigen und dort nachts im trockenen Pool skaten, distanziert sich sogar ganz ausdrücklich von regelverletzendem Verhalten: Die Skateboarder fragen den Motel-Manager zuvor um Erlaubnis. Besonders aber jene Lagerfeuersequenz am Schluss des Videos, in der die Protagonisten einander mit skateboardphilosophischen Statements traktieren, lässt von der aggressiven, auf Abgrenzung und Konfrontation abstellenden Fahrweise und Haltung von Dogtown letztlich nur eine unkontroverse Pfadfinderromantik übrig. Die Pfadfinder-Assoziation drängt sich dabei gar nicht von ungefähr auf: Tatsächlich wird die National Skateboarding Association, von der bereits die Rede war, 1983 maßgeblich von Tony Hawks Vater Frank – einem Korea-Veteranen – zunächst in Kooperation mit den Boy Scouts of America gegründet (vgl. Beal 1995, S. 257). Die
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NSA funktioniert ganz ähnlich wie die Little League Baseball, die gleichfalls Frank Hawk einige Jahre zuvor in seiner Wohnumgebung zu etablieren geholfen hatte, um seinen älteren Sohn Steve zu unterstützen und im Auge zu behalten. Ziel der NSA, die von allem maßgeblichen Skateboardfirmen unterstützt wird, ist eine Etablierung von Skateboarding als anerkannte Sportart – und im Verlauf der 1980er Jahre ist sie damit auch durchaus erfolgreich. Obgleich in der Führung der NSA die Herausgeber der beiden großen Skateboardmagazine, also Thrasher und Transworld, vertreten sind, lässt sich grosso modo sagen, dass das 1983 von Larry Balma gegründete Transworld Skateboarding Magazine eher für einen Kurs der Sportifizierung und ein gesellschaftlich akzeptables Skateboarding steht und der 1981 gegründete Thrasher für subkulturalistische Haltungen und Rhetoriken. »To differentiate their audience from Thrasher they downplayed the antiestablishment ethos«, schreibt Beal (2013, S. 21) über die Gründungsintention von Transworld. In diesem Sinn konterkariert Transworld den erwähnten Thrasher-Slogan »skate and destroy« durch den Leitsatz »skate and create«, der gleichfalls auf T-Shirts und Aufklebern vertrieben wird. Wie schon kurz erwähnt, gehört zum Hintergrund dieser Differenzierung, dass die Eigentümer und Herausgeber der beiden Magazine nicht nur publizistisch, sondern auch als Miteigner der beiden größten Hersteller von SkateboardAchsen in den 1980er Jahren konkurrieren: Larry Balma von Transworld gehört die Firma Tracker und Fausto Vitello vom Thrasher die Firma Independent.8 Der Typus des Boy Scout in jenem späteren, eingehegten vertikalen Skateboarding wird wohl beispielhaft verkörpert von Tony Hawk: 1968 in Kalifornien in eine nach eigener Darstellung liebevolle und unterstützende Familie geboren, ist für ihn das Skateboardfahren stets vor allem Sport. Seine Autobiographie ist, so ergiebig sie sich für die vorliegende Arbeit immer wieder erwies, über weite Strecken nichts anderes als eine Aneinanderreihung von – meistens für ihn siegreich verlaufenen – Wettkämpfen. Hawks Skateboard-Sozialisation findet nicht etwa auf einer jener ›einsamen Inseln‹ statt, die im zweiten Abschnitt als typische Örtlichkeit des emergenten vertikalen Skateboarding der ausgehenden 1970er und frühen 1980er Jahre beschrieben wurden, sondern in einem sehr behüteten Kontext: Er erlernt das Skateboardfahren in den wenigen nach 1980 verbliebenen Skateparks mit vertikaler Zweckarchitektur, zu denen ihn seine Familie chauffiert, solange er noch kein Auto hat. Später skatet er vor allem auf seiner eigenen Halfpipe hinter 8
Eine ähnliche Verquickung von Skateboard-Medien und Skateboard-Geschäft gibt es auch in Deutschland. Das Monster Skateboard Magazin, das von 1982 bis 2015 gedruckt erscheint, ist anfangs und über lange Zeit ein Projekt des Skateboard-Großhändlers Titus Dittmann. Als sich 1991 zwei seiner Mitarbeiter mit einem eigenen Großhandel selbstständig machen und in scharfe Konkurrenz zu Dittmann treten, gründen sie auch ihr eigenes Magazin: Limited. Beide Hefte drucken über lange Zeit fast nur Texte über und Bilder von Skate-Profis, die in Teams fahren, die vom jeweiligen Großhändler vertrieben werden (vgl. Dittmann 2012, S. 228).
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seinem Haus, das er 1988, mit gerade einmal 20 Jahren, erwirbt (vgl. Hawk 2001, S. 138). Der Skatepark-Hintergrund ist seinem technisch sehr avancierten, mehr auf Trick-Können denn auf stilistische Performance abstellenden Skateboarding – er selbst attestiert sich einen »robot style« (vgl. ebd., S. 68) – auch stets anzusehen. Auf den Wettkämpfen der NSA in den 1980er Jahren begegnet er stets seinem Vater, der als Offizieller vor Ort ist und oft auch seiner Mutter, die ihren Mann unterstützt. Nicht selten findet Skateboard-Kultur für den jungen Tony Hawk in seinem Elternhaus statt, wo seine Mutter die Jugendlichen bekocht. Noch 1998, als er sich mit 30 Jahren eine Managerin sucht, nachdem ihm die X-Games mit der Wiedereinführung der Halfpipe im kompetitiven Skateboarding gewissermaßen eine zweite Karriere ermöglicht hatten, fällt seine Wahl zunächst auf seine Schwester Pat. Tony Hawk ist alles andere als ein Drop Out – er geht zur High School, obwohl er sie nach eigenem Bekunden hasst, er beendet das College, obwohl er es für seine Pläne als unnütz empfindet. Er nimmt keine Drogen, raucht nicht, trinkt stets in Maßen und hört keine Punk- oder Hardcore-Musik, sondern New Wave (vgl. ebd. S. 89). Seinen Bruder zitiert er in seinen Memoiren zustimmend mit der Einschätzung, er sei »›pathologically nonconfrontational‹« (vgl. S. 75). Für die Figur des Rebellen des früheren, vertikalen Skateboarding der aggressiven Fahrweise steht dagegen zwar nicht unbedingt beispielhaft, aber in höchster Zuspitzung Jay Adams. Im Jahr 1961 im kalifornischen Venice in ärmliche, von Drogen und Alkohol zerrüttete Verhältnisse geboren, gelangt er in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre im Teenageralter als Mitglied jenes als Z-Boys bekannt gewordenen Zephyr-Teams zu früher und schneller Berühmtheit. Ganz anders als etwa im Falle Hawks spielt sich seine Skateboard-Sozialisation hauptsächlich in der gefundenen vertikalen Architektur und in der prekären Örtlichkeit der Backyard Pools von Santa Monica statt. Ausweislich der Aufnahmen etwa in Peraltas DogtownFilm ist sein Skateboarding dynamisch, impulsiv und performance-orientiert; sein Stil gilt noch heute vielen Aktiven als legendär und auch als Vorbild. Adams’ professionelle Karriere ist indes von kurzer Dauer. An Wettkämpfen nimmt er nur sehr selten teil, und als Skateboarding um 1980 zunächst verschwindet, gleitet er in das Straßengang-Milieu ab. Jay Adams verkörpert – mit allen hässlichen Seiten – gerade das, was in der vorliegenden Arbeit nach Connell als Protestmännlichkeit der Skateboardszene beschrieben wurde, inklusive »Schwulenklatschen« (Connell 2015, 170): 1982 wird er im Alter von 21 Jahren, was in den zahlreichen nach seinem Tod selbst in deutschen Zeitungen erschienenen Nachrufen fehlt, im Zusammenhang mit einem brutalen, mit dem Tod eines der Opfer endenden Überfall einer Straßengang auf ein homosexuelles Paar vor einem Club zu seiner ersten Haftstrafe verurteilt (vgl. Smith 2014). Adams’ weiteres Leben ist von Gefängnisaufenhalten wegen Gewalt- oder Drogendelikten und oft nur kurzen
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Phasen in Freiheit geprägt. Im Sommer 2014 stirbt er mit nur 53 Jahren in Mexiko an einem Herzinfarkt.
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Der Korridor zwischen anti-weißen Rebellen und mehr oder minder weißen Boy Scouts, innerhalb dessen sich die Repräsentationen von Skateboarding während der 1980er Jahre verorten lassen, verliert um 1990 so schnell an Relevanz wie – zumindest zunächst – das vertikale Terrain und etliche seiner typischen Manöver, zum Beispiel die Handplants. Mit dem nun aufkommenden Street Skateboarding verschieben sich die Bedeutungen, die der Praktik zugeschrieben werden und die sie sozial erkennbar machen, in ihrer Nuancierung sehr deutlich. Unübersehbar unterliegen die Praktik und ihre Subjekte nach 1990 erstens einer ReSubkulturalisierung. Schien Skateboarding in den ausgehenden 1980er Jahren − eingehegt in die Funktionsarchitekturen der Halfpipes, zunehmend bestimmt von Verbänden und Organisationen, entschärft in seiner Zeichenproduktion und reludifiziert in seinen zunehmend standardisierten Körpertechniken − bereits zum zweiten Mal in seiner Geschichte auf dem Weg zu einer akzeptierten Sportart, schlägt ihr nunmehr in der Öffentlichkeit wieder Ablehnung entgegen. Wie Kusz (2004, S. 198) schreibt, werden Praktiken des »Extremsports«, zu denen er auch Skateboarding zählt, gerade zu Beginn der 1990er Jahre zumindest in den USA als abwegige Hobbys von »Slackern« und Verlierern »dämonisiert«. Angesichts der nun massiv in den öffentlichen Raum drängenden Skateboarder/innen hegt die Massenpresse – auch unter dem Einfluss stadtpolitischer Diskurse von Zero Tolerance und Broken Windows – gegenüber »›those dudes in backward baseball caps who dart between cars, plow into pedestrians and gouge the granite in public plazas« nun wieder Vorbehalte. Diese speisen sich nun, anders als in den 1960er oder 1970er Jahren, allerdings weniger aus einer Sorge um die Teilnehmer/-innen, sondern aus Vorbehalten gegenüber ihnen. Der Tenor der USamerikanischen Massenmedien wie der Stadtpolitik tendiert, wie Howell (2005, S. 34) am Beispiel des Medientenors um den im zweiten Hauptteil der Arbeit beschriebenen Raumnutzungskonflikt in Philadelphia herausarbeitet, in den frühen 1990er Jahren »›to the punitive, with more and more communities restricting skateboarding as dangerous, destructive, even anti-social.‹« Zugleich und dadurch bedingt kehren auch die Skateboarder/-innen ihre Differenzen zur Elternkultur sowie herrschenden Mustern der Mehrheitsgesellschaft wieder stärker hervor und beziehen sich wieder exklusiver auf sich selbst: In einer weiteren – der insgesamt bereits dritten – Experimentier- und Inventionsphase der Praktik werden ihre körperlichen Bewegungen wie ihre kulturellen Codes einmal mehr zum von außen schwer nachvollziehbaren und einzuschätzenden Geheimwissen, das zudem in einer Uneingeweihten weitgehend unzugänglichen Ni-
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schenmedienwelt aus nur an bestimmten Orten erhältlichen Videoclips verbreitet wird. Wie Hälbich (2008, S. 64) schreibt, ist den Skateboardszenen nun wieder ein starkes Bedürfnis zu attestieren, sich (auch von anderen Jugendkulturen wie besonders der Techno- und House-Szene, nicht zuletzt von Skateboarder/-innen älterer Schule) »abzugrenzen und sich in seiner Nische zu verkriechen, wodurch man sich ganz bewusst dem Interesse der Massenmedien entzog«. Im Zuge dieser Re-Subkulturalisierung der Praktik wird zunächst und zuvörderst jene sozial akzeptable Boy-Scout-Version des Skateboard-Subjekts delegitimiert, die sich in den ausgehenden 1980er Jahren herausgebildet hatte. Darüber hinaus wird aber auch das subkulturelle Muster des rebellischen Skateboarding nicht einfach rehabilitiert, sondern erheblich überarbeitet: Das subkulturelle Skateboard-Narrativ der 1990er Jahre unterscheidet sich deutlich von dem der ausgehenden 1970er und 1980er Jahre. Es wurde bereits angesprochen, dass sich um 1990 der Übergang vom vertikalen zum Street Skateboarding außerordentlich polemisch vollzieht; im Folgenden wird es nun darum gehen, diesen Konflikt ›inhaltlich‹ zu vermessen. Dabei, so die These, lässt sich ein zwischen den Polen Artist und Thug – also Künstler/-in und Taugenichts – ein neuer Korridor abstecken, innerhalb dessen die Praktik nach 1990 symbolisch angesiedelt ist. Verdeutlicht werden soll dabei, wie sich die im ersten Abschnitt rekonstruierte coole, künstlerische Fahrweise des emergenten Street Skateboarding auf der Ebene von Bedeutungs- und Zeichenproduktion ko-konstituiert – und wie auf dieser Ebene die Identität von Aktiven der Praktik konstruiert wird, also ihr soziales Geschlecht, ihre Schichtenzugehörigkeit und ihre Ethnizität. Hinsichtlich zunächst der Vergeschlechtlichung ist der Umstand signifikant, dass besonders zu Beginn der 1990er Jahre – zeitgleich mit dem Aufkommen der Blank Boards, um die sich die Skateboardfirmen so große Sorgen machen – zunächst in Teilen und an den Rändern der Szenen das Schema jenes heterosexuellen, maskulinistischen Cool prekär wird, das spätestens seit Dogtown die Selbst- und Fremdwahrnehmung der Praktik regiert. So berichtet nicht nur Yochim (2010, S. 6) aus ihrer High-School-Zeit von einem »extremely talented skateboarder, swimmer, and artist who occasionally had the audacity to wear skirts to school« – eine Angewohnheit, für die er im Jahr 1993 von einem »self-proclaimed jock« derart brutal attackiert worden sei, dass er bis heute Gehhilfen brauche. Auch der Autor erinnert sich an einen zu dieser Zeit zuweilen ähnlich auftretenden Skateboarder, der freilich nicht zum Gewaltopfer wurde, sondern einfach das Interesse verlor. In vom Heute aus auf frühere Zeiten zurückblickenden Studien über Skateboarding wird häufig übersehen, dass es für diese Version einer SkateboardIdentität in der Praktik zu dieser Zeit ein prominentes Vorbild gibt: den Skateboarder Simon Woodstock, der zumeist in einem Clownskostüm, zuweilen aber auch in Frauenkleidern auftritt und dessen Skateboard-Performance überwiegend darin besteht, eben eine solche im Grunde zu verweigern und stattdessen
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›unsinnige‹, Skateboarding karikierende Bewegungen zu vollführen und auch ansonsten gegen die kulturellen Normen der Praktik zu verstoßen: »I would make it mandatory to wear gold jump suits« antwortet er beispielsweise dem SkateBoarder 1997 auf die Frage, was er an der Skateboard-Kultur verändern möchte. Als Lieblingsmusik gibt er mit Boy George, Morrissey und George Michael drei mehr oder minder deutlich homosexuell kodierte Pop-Interpreten an (vgl. N.N. 1997, S. 59). Woodstock, der als einer der ersten Skateboarder/-innen als eine Art Ein-MannMarke agiert, stößt gewissermaßen in jenes semantische Vakuum, das sich quasi als Kollateralschaden des beschriebenen Zeichenkriegs der Marken der New School gegen die der Old School zumindest zeitweise auftut. Auch das Ende seines ›Phänomens‹ hängt mit einem jener für Skateboarding so typischen Image-Kämpfe zusammen: In einer Subvertising-Ad kapert Woodstock zunächst den »Devil Man« – eine Strichmännchen-Teufelsfigur, die in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre in zahlreichen Grafiken der im Street Skateboarding führenden Marke World Industries auftaucht – und zeigt ihn einer Zeichnung in einem schwulen Sexualakt mit Steve Rocco, dem Eigner von World Industries. Obwohl gerade diese Marke, wie wir gesehen hatten, in den 1990er Jahren dafür bekannt ist, Grafiken anderer Labels polemisch zu verfremden, strengt Rocco einen Rechtsstreit an, der nach seiner Darstellung in Hills (vgl. 2007, 01:18:05) Dokumentation zu Woodstocks Rückzug aus der Skateboard-Kultur führt. Damit endet – von einer Grafik von Antihero aus dem Jahr 1997 abgesehen, die eine als schwul interpretierbare Zeichnung kopulierender Heuschrecken zeigt (vgl. Carayol 2014, S. 27) – für lange Zeit die explizite Thematisierung von Homosexualität in der SkateboardKultur. Für deren Homophobie noch in den 1990er Jahren gibt es einen erst Jahre später öffentlich gewordenen, aber spektakulären Beleg: Als 1998 der Street Skateboarder Tim von Werne in einem Interview mit dem SkateBoarder offen über sein Schwulsein sprechen will, hintertreibt das Management seines Sponsors – Tony Hawks Label Birdhouse – das Erscheinen dieses Interviews. Von Werne zieht sich daraufhin aus dem Skateboarding zurück (vgl. Welch 2016). Besonders die Grafiken, T-Shirts, Aufkleber und Ads, die World Industries in der ersten Hälfte der 1990er Jahre produziert, reaffirmieren eine heterosexuellmaskuline Kodierung der Praktik gegen die Irritationen, die mit SkateboardDarstellungen à la Simon Woodstock verbunden sind. Erweisen sich in den 1980er Jahren »skulls, bones, vomit, or comically butchered faces« als typische Motive von Skateboard-Grafiken (Carayol 2014, S. 18), sind solche Bilder um 1990 am Ende ihres ›Schockpotenzials‹. Nun bemühen sich die Labels um eine ›neue Anstößigkeit‹. Dabei spielen, anders als in den 1980er Jahren, nicht zuletzt hetero-sexualisierte und sexistische Darstellungen von Frauen eine Rolle, die in den Szenen gelegentlich als »non-PC graphics« gefeiert werden (ebd., S. 42). Ein prominentes Beispiel ist ein Bild einer nackten, blonden, masturbierenden Frau, die der in den 1990er Jahren gefragte Grafiker Marc McKee 1991 für ein World-Industries-Modell des
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Skateboarders Randy Colvin entwirft. Laut McKee, der damals nicht nur für World Industries, sondern auch für das Pornoheft Hustler arbeitet (vgl. ebd., S. 43), ist dieses Motiv einem Poster im Männer-Erotikmagazin Penthouse nachempfunden (vgl. ebd., S. 42). Ausgeliefert wird das Brett in einer Sichtschutzhülle mit der Aufschrift »Censorship is weak as fuck«. Ein ähnlich drastisch hetero-sexualisiertes Motiv entwirft McKee 1993 für das Modell des afroamerikanischen Street Skateboarders Kareem Campbell: Im Pinup-Stil der amerikanischen 1950er zeigt es eine gleichfalls blonde Frau, die in einer knappen Jeans und einem goldenen Bikinioberteil auf dem Boden kniet und in einer zweideutigen Pose einen zylinderförmigen Schokoladenriegel zum Mund führt (vgl. Tseng/McKee 2011, S. 26). Statt der von V.C. Johnson benutzten Totenschädel und Skelette sind in McKees Grafiken überhaupt die Wünsche und Praktiken heterosexueller junger Männer ein Standardelement, wenn auch nicht immer gleichermaßen pornografisch. So zeigt eine Serie von Grafiken für die World-IndustriesTochter Blind sehr unvorteilhafte Karikaturen der Teamrider Jordan Richter, Henry Sanchez und Rudy Johnson beim Masturbieren, beim Pornoheftlesen auf der Toilette und offensichtlich beim Analverkehr mit einer nicht im Bild befindlichen Frau (vgl. ebd., S. 35). Eine weitere Grafik für ein Jordan-Richter-Modell gibt im Stil eines Aufklärungsbuches eine Anleitung zum Über- und Abstreifen eines Kondoms (vgl. Carayol 2014, S. 31). Zeitweise gibt es im Umkreis von World Industries sogar ein Skateboard-Label mit dem Namen Bitch. Derartige Motive sind während der 1990er Jahre in Skateboard-Kultur weit verbreitet. Am Beispiel von in den mittleren bis späteren 1990er Jahren im Skateboardmagazin Big Brother erschienenen Ads der Street-Wear-Marken Thieves und Fuct zeigt Rhinehart (vgl. 2005, S. 248f), wie sehr zu dieser Zeit sexistisches Bildmaterial in der Skateboard-Kultur um sich greift – selbst wenn dieses Material in Begleittexten häufig ironisch eingerahmt wird: Es handle sich nur um eine billige Taktik zur Umsatzsteigerung. Macht die Skateboard-Kultur der 1980er Jahre also Mädchen und Frauen zunächst weitgehend unsichtbar, drängen nun verstärkt Bilder von passiven, teils sexuell objektivierten Frauen in die Zeichenproduktion der Praktik. Besonders stark macht sich diese Sexualisierung in dem nischenökonomischen Netzwerk um die nunmehr führende Marke World Industries bemerkbar. Nicht nur die beschriebenen Skateboard-Grafiken machen dies deutlich, sondern auch der Umstand, dass derartige Bilder gehäuft in der nun neuen Nischenzeitschrift Big Brother auftauchen, die wiederum – wir kennen das Muster inzwischen – vom Eigentümer von World Industries eigens gegründet wird, um den Zeichenkrieg gegen die Old School auf noch breiterer Basis zu führen. Auch der Zwang zur Differenz zu den älteren, nunmehr erwachsenen und sauberen Skateboardmarken bestärkt also die Propagierung solcher Motive. Neben den häufig illegitimen, prekären Terrains, auf die die Praktik um 1990 nach der Dekade der Halfpipe zurückkehrt, sorgt nicht zuletzt diese Bilderwelt dafür, dass sich Street Skateboarding nach einer kurzzeitigen Ir-
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ritation zu Beginn der 1990er Jahre seiner maskulinistischen Vergeschlechtlichung rückversichert, obwohl seine zunächst eher kleinteilige, technikorientierte Fahrweise männliche Körperhabitus weit weniger privilegiert als etwa das Skateboardfahren in gefundenen Pools. Gerade Big Brother, das nach einigen Jahren tatsächlich von Larry Flint, dem berühmt-berüchtigten Herausgeber des Hustler, übernommen wird, ist generell »›full of gross boys stuff‹«, wie eine von Atencio et al. (2009, S. 13) interviewte jugendliche Skateboarderin sagt. Zugleich ist aber gerade dieses, in seinen pornografischen Motiven Mädchen und Frauen ausschließende Nischenmagazin in Fragen von ›Rasse‹ weitaus aufgeschlossener als etwa die älteren Skateboardmagazine. So widmet Big Brother im Lauf der 1990er Jahre der schwarzen (vgl. Cliver/Carnie 2016, S. 38), der asiatisch-amerikanischen (vgl. ebd., S. 84) und der LatinoSkateboardszene (vgl. ebd, S. 118) spezielle Schwerpunktausgaben, die trotz des stets ironischen Grundgestus dieses Periodikums ganz bewusst als jeweils »straightforward celebration« angelegt sind, wie Sean Cliver, ein früherer Redakteur des Magazins, schreibt (S. 38). Und auch Skateboard-Grafiken zumal von World Industries adressieren nach 1990 ›Rassenfragen‹ und Rassismus in der amerikanischen Populärkultur – nicht selten ganz direkt und ungebrochen, fast schon in der Art von Agit-Prop. Als beispielsweise im Herbst 1990 drei dutzend Mitglieder des Ku Klux Klan, geschützt von 3500 Polizistinnen und Polizisten, in Washington D.C. aufmarschieren, veröffentlicht Real Skateboards – gleichfalls eine Tochter von World Industries – eine Grafik, die einen gelynchten, an einem Baum aufgehängten Klansmann zeigt (vgl. Carayol 2014, S. 147). Ähnlich direkt ist eine Grafik, die das Skateboard-Label American Dream Incorporated 1996 für den afroamerikanischen Skateboarder Ron Allen entwirft: eine Reproduktion jenes ikonischen Pressefotos aus dem Jahr 1968, auf dem der im weißen Amerika besonders verfemte Black-Panthers-Vorsitzende von San Francisco, Dexter Woods, auf einer Demonstration in ein Walkie-Talkie spricht. Die Idee zu dieser Grafik hat der zu dieser Zeit im Skateboarding sehr einflussreiche afroamerikanische Grafiker Alyasha Owerka-Moore (vgl. ebd., S. 128). Sehr explizit ist auch ein 1995 wiederum von McKee – der selbst einen amerikanisch-asiatischen Familienhintergrund hat – gestaltetes Skateboard von World Industries für den damals populären Street Skateboarder Chico Brenes, einen geborenen Nicaraguaner, der als Kind in die USA eingewandert war: Es zeigt eine Zeichnung einer hispanischen Familie, die wohl auf der Flucht vor der Grenzpolizei bei Dunkelheit über einen Highway hastet – vor dem Hintergrund eines jener Warnschilder mit dem Piktogramm einer rennenden Familie, die die kalifornische Schnellstraßenbetriebsgesellschaft Caltrans um 1990 bei San Diego aufstellt, um Autofahrer/-innen vor Flüchtenden auf der Fahrbahn zu warnen (vgl. S. 148). Mit einer Grafik, die einen Kriegshäuptling in vollem Ornat zeigt, bekennt sich 1992 Tommy Guerrero – als Teamrider von Powell-Peralta schon vor 1990 eine zentrale
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Figur im Skateboarding und bis heute eine Legende – zu den bis dato unbekannten nordamerikanisch-indigenen Wurzeln seines ethnisch sehr diversen Hintergrunds (vgl. ebd., S. 145). Ironisch und auf maximale Schockwirkung angelegt ist dagegen ein Sub-Genre von Skateboardgrafiken, das als »reverse racism« bekannt ist (vgl. Carayol 2014, S. 126). Typisch hierfür ist eine 1992 von McKee entworfene World-Industries-Grafik, die eine Comicfigur eines auf einem Baumwollfeld schlummernden Schwarzen zeigt und sämtliche rassistischen Klischees aus der Zeit der Sklaverei in einer drastisch zugespitzten Form verdichtet. Begleitet wird die Grafik in einer zuerst im Thrasher erschienenen Ad von einem langen, zielsicher provozierend mit »The Napping Negro« überschriebenen Text: »Negroes have always shared a bright and colourful history with white people. Beginning in the 1600's they were taken from their homes, shackled, piled into ships, and then transported to America. Over the next three centuries they were bought, sold, enslaved, tortured, raped, and killed. Then, in 1954, they were allowed to drink from the same water fountains and that pretty much took the fun out of everything. […] Now, for the first time, the world industries mint can bring back some of those great memories through the magic of this marvellous commemorative oil painting entitled ›The Napping Negro‹. Yes, ›The Napping Negro‹ is so masterfully painted that it can virtually transport you back to a simpler time, when coloured people knew their place. Go ahead, take a closer look. Notice the attention to every detail, the idle farm tools, the partially eaten watermelon, the dreamy chicken leg and, of course, those big olʼ lips. It almost makes you feel like giving that lazy, good for nothinʼ cotton picker the whippinʼ of his life, doesn’t it? You’ll also find that it’s the perfect ice breaker for non segregated parties and other ›mixed‹ social functions. Your friends of color will no doubt get many laughs seeing how great their grandparents whiled away their lives and at the same time feel a deep sense of appreciation that they are even allowed in the same room as you. And, for all you rich people, you will no doubt agree that this will make a great companion piece to that beautiful lawn jockey proudly displayed in your front yard. Plus, besides being a fine piece of art, it’s a great investment that will no doubt appreciate in value as time passes by. So go ahead, order ›The Napping Negro‹ today, you’ll be glad you did.« (zit.n. Tseng/McKee 2011, S. 40). Obwohl diese Grafik auf eine Anregung des afroamerikanischen Skateboard-Profis Jovontae Turner zurückgeht, auf dessen Modell sie auch erscheint, und obwohl dieser Text in seinem über-provozierenden Duktus sehr deutlich macht, dass hier weißer Rassismus karikiert wird und nicht schwarze Menschen, entbrennt um diese Grafik eine heftige Rassismus-Debatte (vgl. Carayol 2014, S. 126), die World Industries mit einer Reihe ähnlicher Grafiken noch anfacht: Gleichfalls 1992 portraitiert McKee den französischstämmigen Randy Colvin als Napoleon auf einem sinkenden
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Schiff und den irischstämmigen Chris Branagh als Mafia-Kind, das von Gangstern mit einem Stein am Fuß in einen Fluss geworfen wird. 1993 erscheint ein weiteres Jovontae-Turner-Modell, auf dem dieser als entlaufener Sklave mit durchtrennter Kette grinsend auf einem Baum sitzt, während ein Suchtrupp mit geiferndem Bluthund ihn übersieht (vgl. Tseng/McKee 2014, S. 53). Der erwähnte Chico Brenes wird als kleiner, dicker, schnauzbärtiger Latino abgebildet, der – in den USA gängigen Klischees über südamerikanische Immigration entsprechend – am Straßenrand Orangen und Blumen verkauft (vgl. Carayol, S. 134). Auch bezüglich asiatischer Amerikaner/-innen gibt es ähnliche, verbreitete Klischees bildlich überaffirmierende Skateboard-Grafiken, entworfen etwa von Moish Brenman, der einer jüdisch-chinesischen Familie entstammt (vgl. ebd., S. 135). Begleitet sind solche antirassistischen Grafiken besonders in den früheren 1990er Jahren nicht selten von einer expliziten Klassenrhetorik. So ordnet der zu dieser Zeit sehr prominente Street Skateboarder Tom Knox 1992 in der Septemberausgabe des Thrasher, also zu Beginn der heißen Phase des Wahlkampfes zwischen George Bush senior und Bill Clinton, in einer Kolumne das Skateboardfahren den Ausgebeuteten und Ausgegrenzten zu, an die in den Vereinigten Staaten weder seitens der Demokraten noch der Republikaner gedacht werde: »America is controlled by the police and the police protect only a chosen few. Those chosen few are usually rich white folks. I personally have never been helped by an officer of the law, only hassled. Hassled for playing on my so-called toy. […] I know cops have a lot more to do than hassle skaters, but skateboarders aren’t dangerous so they are prime targets. […] Why is it that that rollerbladers and bike riders don’t get hassled? Is it because the people doing it are considered normal by our society’s standards? […] We are not controlled by television and school like the mainstream. The government wants us all to think the same, so the system will remain the same. Tax the poor and middle class, while the rich become yet even more wealthy. […] The system we are taught to believe in is not what we think. […] It is time we start asking government at all levels for change in the interest of the people. They need to lose their greed and start working for us. Whether we are black or white, football player or skateboarder, we need government that can make things better for us« (Knox 1992, S. 22). Ob die Debatten über Klasse, Ethnizität und Rassismus, die ab 1990 unter den oft halbwüchsigen Involvierten der Skateboard-Praktik – die jene Grafiken und Ads der Labels und auch die Texte in den Magazinen genau verfolgen und auch viel darüber sprechen – angestoßen werden, den normativen Kriterien gestrenger Akademiker/-innen genügen, die sich im Nachhinein mit ihnen befassen, mag dahingestellt sein. Unzweifelhaft aber verändert sich das Reden über ›Rasse‹ in der Skateboard-Kultur nach 1990 massiv und rapide. Nolens volens rassistische Darstellungen wie in der Rahmenhandlung jenes beschriebenen Santa-Cruz-Videos aus
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den späten 1980ern sind in dieser Form wenige Jahre später kaum noch vorstellbar und, soweit der Autor sehen kann, auch nicht zu verzeichnen. Die in den 1980er Jahren anti-weiße Skateboard-Kultur bewegt sich nunmehr positiv auf ein Schema von ›schwarzer Kultur‹ zu, während sie sich zugleich ihrer exkludierenden heterosexuellen Maskulinität versichert. Ganz in diesem Sinn deutet Sean Brayton (2005) anhand von Material aus den 1990er Jahren die Selbststilisierung männlicher, weißer Street Skateboarder: In einer überspitzten »performance of ›blackness‹« (ebd., S. 365) erscheine Whiteness als »something to be rejected« (ebd., S. 368). Besonders eine Ad um den Street Skateboarder Chad Muska präsentiert in Braytons Augen einen geradezu beispielhaften »white negro«, ein »ghetto child« mit allen Insignien des ›schwarzen Gangsters‹. Allerdings sei, so Brayton, diese Art symbolischen Schwarz-Werdens auch nicht-schwarzer Jugendlicher mit einer gesellschaftsmächtigen Klischierung von Black Culture verbunden: »Essentialized black style takes up residence in the rebellious white body« (Brayton 2005, S. 365). »Skateboard texts«, bilanziert Brayton diese Identitätspolitik, konstruieren einen »cooler shade of white« (ebd., S. S. 366), indem »blackness« auf eine »univocal expression of ›thug resistance‹« reduziert wird (ebd., S. 368) – und zwar »at the expense of heterogenous black subjectivities and via the exclusion of (white) female skaters« (ebd., S. 368). Insofern seien solche »narratives of renegade white masculinity« zwar nicht als (weißer) »backlash«, aber als ein »black-lash« zu entziffern (ebd., S. 359): In der Kultur des Street Skateboarding nach 1990, so lässt sich Braytons Argument zusammenfassen, regiere das Klischee-Ideal eines toughen, schwarzen, männlichen, heterosexuellen Getto-Taugenichts, das den uncoolen, vernünftig-rechtschaffenen weißen Mittelschichtmann aus den Vorstädten verlacht und an dem sich weiße, braune, gelbe, aber auch die nunmehr in erheblicher Zahl auftretenden schwarzen Skateboard-Kids orientieren. Diese Ökonomie der ethnisch-sozialen Identifizierung auf Skateboards lässt sich mit einigen Abstrichen und Modifikationen auch auf bundesrepublikanische und europäische Verhältnisse übertragen, wo der Diskurs der ›Leitkultur‹ als Whiteness einzusetzen wäre. Auch hierzulande ist mit dem Aufkommen von Street Skateboarding und von Hiphop in der Skateboard-Kultur unabweisbar ein deutliches Ansteigen der Zahl von Aktiven mit migrantischem Hintergrund zu verzeichnen. Freilich ist die mit Hiphop verbundene Adaption von Black Culture durch in den bundesrepublikanischen Verhältnissen der 1980er und 1990er Jahre marginalisierte Jugendliche mit oft türkischem oder arabischem Hintergrund ihrerseits ein komplexer Prozess, der an dieser Stelle nicht ausführlich diskutiert werden kann (vgl. dazu Gündüz 2015; Saied 2012; Dietrich/Seeliger 2012). In den USA wie in Europa spielen bei der Formulierung solcher ›schwarzer‹ Identitäten analog zum sich zeitgleich vollziehenden Aufstieg des Hiphop in den Mainstream der Populärkultur auch im Skateboarding »mostly white males in their 40s« eine wichtige Rolle, die nicht selten die Skateboardlabels leiten, die derartige
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Repräsentationen produzieren (Rhinehart 2005, S. 249). Auch schwarze Jugendliche müssen diese angeblich authentische Form von Blackness erst erlernen. Dennoch scheint es zumindest hinsichtlich der US-amerikanischen 1990er Jahre angebracht, die nach der Jahrtausendwende oft sehr generell vorgebrachte These vom Skateboarding als Selbstbildungstechnik weißer Männlichkeit (vgl. Yochim 2010, vgl. auch Butz 2012) zu revidieren. Es stilisieren sich nach 1990 nicht nur weiße Jugendliche im Gebrauch von Skateboards als »Wigger« und »Wanksta« (Kitwana 2005), es nehmen auch in erheblicher Anzahl und mit einem nicht zu ignorierenden Impetus Nicht-Weiße als sportliche Frontleute, als Ideengeber/-innen und Gestalter/-innen aktiven Einfluss auf die Kultur des Skateboarding und nicht zuletzt die Art und Weise, wie in dieser auf Ethnizität Bezug genommen wird. Die Appropriation von Black Culture im Street Skateboarding nach 1990 ist bei Weitem nicht vollumfänglich als eine ›feindliche Übernahme‹ durch Weiße charakterisierbar. Augenfällig wird diese ambivalente Bewegung eines alltagsästhetischen ›Schwarz-Werdens‹ von Street Skateboarding nicht nur in jener Neusynchronisierung der Körpertechniken des frühen Street Skateboarding mit den Rhythmen des Hiphop, von der bereits die Rede war, und auch nicht nur in den veränderten grafischen Sprachen der Skateboardlabels, sondern nicht zuletzt im gleichsinnig veränderten Dresscode. An die Stelle des anti-weißen Downdressing wie auch jener elaborierteren, teils wieder sportbezogenen und in der Tendenz zuweilen durchaus preppy9 anmutenden Skateboardmode der ausgehenden 1980er Jahre à la Vision Street Wear treten zwei neue Stilvarianten, die sich teils überlappen und hybridisieren. Zum einen wird – die überraschende, im Street Skateboarding nach 1990 vollzogene Metamorphose von Carharrt oder Dickies zu Club Wear wurde bereits angesprochen – nicht nur aus pragmatischen Gründen, sondern auch als Statement von Blue-collarness häufig Arbeitsbekleidung getragen bzw. deren Ästhetik in Skateboardmode überführt, so der Modejournalist Steve Vogel: »Arbeitsbekleidung ist größer, sitzt lockerer, baggier und ist außerdem robust, verfügbar und billig. Wenn man sich mal die Sachen von Carhartt oder Dickies anschaut, da halten die Hosen auch mal drei Jahre lang. […] Streetwear-Marken haben ihre Inspiration daraus gezogen. Stüssy ist ganz klar eine Surf-Marke mit Elementen der Funktionalität von Arbeiterkleidung« (zit.n. Waldt 2007). Zum anderen regiert der Stil des ›Gettos‹ – neben den umgedrehten Baseballmützen am sichtbarsten in Gestalt jener übergroßen und extrem tief sitzenden Hosen, die für den Hiphop besonders der 1990er Jahre kennzeichnend sind. In wohl keiner Jugendszene, nicht einmal im Hiphop selbst, wird der prison yard sag – der 9
Der schwer zu übersetzende Ausdruck preppy bezieht sich auf den vermeintlichen oder tatsächlichen Stil von zumeist wohlhabenden Jugendlichen, die in Prep Schools gehen; im Deutschland der 1980er Jahre wäre Popper ein Synonym.
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tiefe Sitz der Hosen und die Übergröße der T-Shirts lässt sich als Ästhetisierung schlecht sitzender Gefängniskleidung sowie des in Haftanstalten üblichen Gürtelverbots deuten (vgl. Rapp 2012, S. 164) – so auf die Spitze getrieben wie im Skateboarding. Dort werden die Hosen zeitweise so weit, dass »die Funktionalität« der Kleidung erheblich unter dem modischen Statement leidet (Hälbich 2008, S. 64). Dieser Bezug auf das metaphorische amerikanische Getto steht aber nicht für einen Stil der performierten Ärmlichkeit wie etwa das Downdressing der weißen (und lateinamerikanischen) Punks, sondern für die Aufwertung eines spezifischen Mode- und Markenbewusstseins: Mit Hälbich (vgl. ebd.) lässt sich sagen, dass unter diesem stilistischen Paradigma die ›richtige‹ Kleidung weit wichtiger wird als noch in den 1980er Jahren: »Hatte jemand die falschen Schuhe an, wurde er als Skateboarder nicht akzeptiert.« Aus Sicht eines schwarzen Jugendlichen erzählt der Rapper Lupe Fiasco in dem Track, mit dem er seine Karriere startet, von dieser Annäherung schwarzer und der zunächst weiß kodierten Jugendkultur des Skateboarding, die sich nach 1990 vollzieht. Im Text spielt nicht zuletzt der Bekleidungsstil eine wichtige Rolle: »[…] And this one right here/I dedicate this one right here/To all my homies out there grindinʼ/You know what I’m saying?/Legally and illegally, ha ha!/[…]/Branded since the first kick flip he landed/Uh, labelled a misfit, abandoned/Ca-Kunk, CaKunk, Ca-Kunk10 /His neighbours couldn’t stand it/So he was banished to the park/Started in the morning wouldn’t stop till after dark […]/Before he knew he had a crew/That weren’t no punks/In their spitfire shirts and their SB dunks/They would push till they couldn’t skate no more/Office building, lib wasn’t safe no more/Just the freedom was better than breathing they said/And the escape route, they used to escape out/When things got crazy they needed to break out […]« (Fiasco 2007) Die, wie der Kontext nahe legt, auch oder vor allem aus weißen Jugendlichen bestehende »Crew«, auf die der rappende Erzähler hier beim Skateboardfahren trifft, qualifiziert sich also nicht zuletzt deshalb als Bezugsgruppe, weil es sich nicht um abgerissene »Punks« handelt, also um jene weißen Downdresser, für die Hiphop so wenig Verständnis hat – sondern um Leute, die sich in ihren »Spitfire Shirts« und »SB Dunks«11 durchaus zu kleiden wissen. Doch obwohl sich die Kleidung und auch die Musikvorlieben im Street Skateboarding nach 1990 auf das Hiphop-Schema zubewegen, bleibt die Beziehung
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»Ca-Kunk« ist wohl hier als lautmalerische Umschreibung des Geräusches zu verstehen, das ein Street Ollie hervorruft. »Spitfire« ist eine unter SkateboarderInnen zu dieser Zeit beliebte Räder- und Kleidungsmarke, mit den »SB Dunks« sind die von der Firma Nike nach der Jahrtausendwende auf den Markt gebrachten Turnschuhe der Seitenlinie Nike SB (Nike Skateboard) gemeint.
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zwischen Hiphop und Street Skateboarding insgesamt deutlich einseitiger als zuvor diejenige zwischen dem vertikalen Skateboarding und Hardcore/Punk. Während Skateboarder/-innen sich dem Hiphop annähern, spielen Skateboards in Rap-Lyrics oder in der Selbstdarstellung von Größen des Hiphop nur selten eine bedeutende Rolle. Anders als in den ausgehenden 1970er und frühen 1980er Jahren entsteht keine regelrechte Schnittmenge zwischen der SkateboardBewegungskultur im engeren Sinn und der Hiphop-Musikszene. Von frühen Ausnahmen wie Skatemaster Tate bereits in den ausgehenden 1980er Jahren oder den Beasty Boys abgesehen – also weißen Formationen, die vom Punk/HardcoreSchema zum Hiphop oder Rap gewechselt waren oder sich dazwischen aufhielten –, bleiben Lupe Fiasco sowie Pharell Williams, der gegen Ende der 2000er Jahre sogar ein eigenes Skateboard-Label namens Ice Cream gründet und den umgekehrten Crossover vom Hiphop zu der Rockband N.E.R.D. wagt, so weit der Autor sehen kann, die einzigen namhaften Rapper/-innen, die sich explizit auf Skateboarding beziehen. Die Beziehung zwischen der Skateboard- und der Hiphop-Kultur im weiteren Sinne stellt nach 1990 weniger eine Überschneidung zwischen den Kulturtechniken des Skateboardens und Musizierens her als vielmehr zwischen dem Skateboardfahren und dem Zeichnen, Gestalten, der Kunst – angefangen bei der mit Hiphop und Rap eng verbundenen Graffiti-Kultur. Verkörpert wird diese neue Schnittmenge etwa von Andy Howell, einem seinerzeit sehr bekannten (weißen) Street Skateboarder, der – anders als eine Überzahl der Frontfiguren des vertikalen Skateboarding der 1980er Jahre – von der Ost- und nicht der Westküste der USA stammt. Howell, so der (schwarze) Skateboardprofi Sal Barbier, »didn’t look like he was from San Jose, were they’re wearing leopard-skin kneepads and playing bass guitar when they’re not skating. He had this whole other vibe of graffiti-slash-hip-hop-slashskate« (zit.n. Howell/Greeven 2005, S. 44).12 In den 1990er Jahren finanziert Howell, der bereits als Jugendlicher in Virginia Beach rund um seine Grafiken ein fotokopiertes Skate-Fanzine namens Sic Nature fabriziert, mit seinen Einkünften als Skateboarder ein Studium an einer Kunstschule in Atlanta, zu dieser Zeit eine Hochburg des Hiphop. Dort praktiziert er zunächst vor allem Graffiti, wobei er die Formen der ›Straße‹ mit seinem Kunstschulwissen verbindet und rasch auch unter schwarzen Artists Anerkennung findet (vgl. ebd., S. 108). Ausgestattet mit diesen ästhetischen Kompetenzen beginnt Howell um 1989 als einer der ersten professionellen Skateboarder, die Grafiken für seine Bretter und T-Shirts selbst zu entwerfen. Während seine Gangsta-Rap-Formation Mass Prophets nicht über eine regionale Bekanntheit hinauskommt – die Veröffentlichung einer 12
Andy Howell ist nicht verwandt und nicht zu verwechseln mit dem im Vorliegenden mehrfach zitierten Stadtsoziologen Ocean Howell, der in den 1990er Jahren gleichfalls als herausragender Street Skateboarder gilt.
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LP auf dem Label des damals prominenten, Grammy-ausgezeichneten HiphopProduzenten Dallas Austin scheitert letztlich (vgl. Howell/Greeven 2005, S. 115) – gründet er mit New Deal und Element, Sophisto und Girly Things nacheinander zwei Skateboard- und zwei Modelabels, die in einer jugendkulturellen Schnittmenge von Skateboarding und Hiphop zeitweise sehr erfolgreich sind und zunächst hauptsächlich auf Howells ästhetischen Konzepten beruhen. Howell, selbstbewusst genug, sein Hauptquartier in Atlanta mit Andy Warhols Factory zu vergleichen (ebd., S, 109), beansprucht im Rückblick, in seiner Arbeit eine »third zone of the in-betweens« gefunden zu haben, die »the lines between fine art and commercial« verwischt: »It was everything that expressed who we were but it also was about selling products.« Tatsächlich etabliert sich Howell in beiden Welten: Während er verschiedene Agenturen für Jugendkultur-Marketing etabliert und verkauft, findet seine Arbeit allmählich Eingang in das Kunstfeld, das sich spätestens um 2000 und in den USA schneller als in Europa sub- und jugendkulturellen ästhetischen Schemata öffnet. In der Kunst wird Howell 2003 durch eine Einzelausstellung in der Kantor Gallery in Los Angeles bekannt, die sich nach dem Tod seines Vaters in teils figürlichen und hiphop-affinen Grafiken, teils aber auch in abstrakten Gemälden dem klassischen Sujet der Vanitas widmet (vgl. Howell/Greeven 2005, S. 216). Denkt man daran, dass das New Yorker MoMA noch 1991 in dem Katalog »High and Low« Graffiti wie Karikatur und Comic apodiktisch der Trivialkultur zugeordnet hatte (vgl. Reinecke 2012, S. 151), wird die Dynamik dieser Karriere deutlich. Kann Howell insofern als Prototyp des Skateboarders als Artist gelten, steht exemplarisch für die Figur des Thug der bereits erwähnte Afroamerikaner Jovontae Turner. Sein Stil ist in den frühen bis mittleren 1990er Jahren für viele Street Skateboarder/-innen ein Vorbild (und für ältere bis heute) – u.a. seine unnachahmlich beiläufigen, eben coolen 360 Flips. Im Unterschied zu Howell, der aus geordneten Verhältnissen stammt und über eine akademische Ausbildung verfügt, liegt Turners Herkunft im Dunklen. In einem Interview mit dem Skateboard-Kultur-Blog the chromeball incident (vgl. Swisher 2013) bezeichnet der bei San Francisco aufgewachsene Turner seine Mutter als »Model«, über seinen Vater ist nichts bekannt. Turner verkörpert eine schwarze Version jener Protestmännlichkeit, von der bereits die Rede war. Auffallend ist etwa seine Vorliebe für das ›wilde‹ Fahren von Gebrauchtwagen: Laut Selbstauskunft kauft er zu Zeiten seiner SkateboardKarriere monatlich ein neues Altfahrzeug, um es dann mit Vorsatz buchstäblich zu Schrott zu fahren (vgl. Swisher 2013). Anders als der einige Jahre ältere Andy Howell gehört Turner zu denjenigen Skateboarder/-innen der früheren 1990er Jahre, die kaum jemals an Wettkämpfen teilnehmen und deren Ruhm in den Szenen sich ausschließlich auf ihre Videoparts stützt. Wie schon Jay Adams gelingt es Turner nicht, sich langfristig auf Skateboarding zu konzentrieren; ähnlich wie in Adams’ Fall ist auch seine Karriere trotz zweifellos überragender Anlagen sehr kurz. Und
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ähnlich wie Adams kann sich Turner zunächst nicht von ›der Straße‹ distanzieren: In den späteren 1990er Jahren beginnt er, in San Francisco Drogen zu verkaufen, »and it basically got to the point where I was either going to end up in jail or dead« (zit.n. Swisher 2013). Anders als Adams gelingt es Turner später allerdings, mit zumindest zeitweise einigem Erfolg zwar nicht mehr fahrerische, aber ästhetische Kompetenzen zu Markte zu tragen, die mit Skateboarding in Verbindung stehen: Ab 2010 macht er als Designer und als Aushängeschild von ihm selbst gegründeter Street-Wear-Modelabels von sich reden. Howells und Turners Karrieren zeigen jeweils auf ihre eigene Weise, wie eng sich im Street Skateboarding eine sportive Praktik mit ästhetischen Praktiken von Gestaltung und Design verschränkt – worin sich Turners Lebenslauf auch von Jay Adams’ abhebt. Nach 1990 wird in der Skateboard-Kultur das Entwerfen von styles, von Lettern, Schriftzügen, Logos etc. zu einer gängigen Praktik der Treue zum Stil. Sind in den 1980er Jahren viele Skateboarder/-innen zugleich Musiker/-innen im Punk/Hardcore-Schema, wird nun das Zeichnen zu einer in den Szenen anerkannten ›zweiten Kulturtechnik‹. Sind schon in den 1970er Jahren Sport und populäre Musik zunächst »unlikely bedfellows« (Hughson 2008, S. 54), gilt das erst recht für Sport und Kunst.
4.2.4.
Gladiator und Hipster
Bereits mit Blick auf die Körpertechniken und Terrains der Praktik war festzustellen, dass die bisher letzte hier in Frage stehende Rekonfiguration der Praktik vager konturiert ist als die Umstellung vom Slalom- und Figurenskaten auf das vertikale Skateboarding oder die Durchsetzung von Street Skateboarding nach 1990: Es ist kein einschneidender Impuls wie die plötzliche Schließung der Skateparks um 1980 festzustellen, die das Vert-Skatens auf gefundenen Architekturen zurückwirft, und keine disruptive Körpertechnik wie der Ollie auszumachen, die die Praktik um 1990 umwälzt. Stattdessen tritt mit dem Mega-Skateboarding einerseits ein neuer, hochgradig kompetitiver, die Bewegungen des vertikalen Skateboarding vergrößernder Bereich hinzu, der allmählich auch auf Street Skateboarding abfärbt und auch in diesem Bereich eine Megaisierung der Körpertechniken bewirkt sowie in eine allgemeine Kommodifizierung der Praktik mündet. Andererseits provoziert dieselbe wiederum Gegenbewegungen: Das die Grassroots der Praktik anrufende DIY-Skaten sowie das Fahren auf Longboards oder Penny Boards, die zu einem despektakularisierten Skateboarding zwingen, sind davon die am deutlichsten artikulierten. Entsprechend breit fächern sich seit der Jahrtausendwende auch die Darstellungen auf, die Interessierten, Aktiven und einer allgemeinen Öffentlichkeit vom Skateboardfahren erzählen und die Praktik so auch mitbestimmen. Der Korridor an Bedeutungen, die der Praktik nun zugeschrieben werden, spannt sich zwi-
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schen zwei weit auseinander liegenden Polen auf, die beide auch innerhalb der Skateboard-Kultur durchaus negativ konnotiert sein können: Auf der einen Seite steht die Figur eines Stuntman oder Gladiatoren, der aus der Praktik zum Nervenkitzel anderer ein lebensgefährliches, warenförmiges Spektakel macht. Auf der anderen Seite findet sich die Figur oder das Klischee des Hipsters – im Sinne des heutigen Wortgebrauchs (vgl. Greif et al. 2012) –, der Skateboards angeblich nur zum Distinktionsgewinn benutzt, ohne sich tatsächlich auf sie einzulassen. Diese beiden nun neuen Pole der Erzählung vom Skateboarding werden im Folgenden ausgeleuchtet. Zumindest punktuell wird aber auch aufgezeigt, wie sich in der breiten Zone zwischen diesen Eckpunkten die Repräsentationen des Skateboardfahrens und seiner Subjekte verändern. In Zuspitzung bringt der Dokumentarfilm »Waiting for Lightning« (Rosenberg 2012) die Figur des Skateboard-Stuntmans auf den Punkt – eine Biographie des Skateboarders Danny Way, der als körpertechnischer ›Erfinder‹ des Mega-Skateboarding gilt. Der Film ist um einen beispiellosen Skateboard-Stunt aufgebaut, nämlich Danny Ways Sprung über die chinesische Mauer im Jahr 2005 mithilfe einer Big-Air-Rampe, deren Anlaufturm auf der einen und deren Aufsprungfläche auf der anderen Seite derselben errichtet wird. Das im chinesischen Fernsehen live übertragene Spektakel soll vor allem der Skateboardschuhmarke DC in der Volksrepublik einen kommerziellen Schub geben. Der Film stellt allerdings den damit verbundenen »Weltrekord« für den weitesten Sprung auf einem Skateboard in den Vordergrund – und die Gefährlichkeit des Unterfangens, denn nur drei Jahre zuvor war, wie seinerzeit auf den vermischten Seiten der Weltpresse berichtet wurde, bei einem ähnlichen Versuch mit einer Fahrradschanze der chinesische Extremsportler Wang Jiaxiong tödlich verunglückt (vgl. N.N. 2002). Rosenbergs Film lässt die Biografie seines Protagonisten auf diesen einen Stunt zulaufen, indem zwischen den Vorbereitungen des großen Mauersprungs und den Stationen seines Lebens hin- und hergeblendet wird. So erscheint der Sprung als Krönung eines harten Lebenskampfes, eines Ringens um Anerkennung, das aus der Namenlosigkeit zum Ruhm führt: eine Kindheit in einer vielfach zerrissenen, immer wieder tief stürzenden Familie von weißen Hippies, ein eines Tages in Haft erhängt aufgefundener Vater, ein zwar liebevoller, aber gleichfalls sehr früh verstorbener Stiefvater, eine Mutter, die im Film immer wieder über emotionale Überforderung, häufige Abwesenheit und auch Drogenprobleme spricht – und zwei Brüder, die sich mit Leib und Seele dem Sport verschreiben und es so am Ende zu Ansehen und Wohlstand bringen, obwohl anfangs niemand an sie glaubt13 – from rags to riches, der amerikanische Traum. 13
Danny Ways älterer Bruder Damon gilt in den frühen 1990er Jahren gleichfalls als hoch talentierter Skateboardfahrer, wird aber bei einer handgreiflichen Auseinandersetzung mit ›Jocks‹ so schwer am Kopf verletzt, dass er seine Laufbahn beenden muss. Als Gründer und Miteigen-
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Rosenbergs Film, der sich – sein Protagonist Danny Way ist als eine Galionsfigur der X-Games in den USA einem breiteren sportinteressierten Publikum bekannt – nicht nur an ein Nischenpublikum richtet, repräsentiert das Skateboardfahren ganz anders als die Nischenmedien noch der mittleren 1990er Jahre. Der Sprung erscheint in Rosenbergs Film nicht nur als finale Befreiung des Protagonisten aus jenem ›verkrachten‹ Hippie-Umfeld, das seine Kindheit und Jugend belastet, sondern auch als Ausweis amerikanischen Mannesmutes, amerikanischer Athletik und nicht zuletzt amerikanischer Ingenieurskunst, indem immer wieder auf die Schwierigkeiten bei der Konstruktion der Rampe eingegangen wird, der Way sein Leben anvertraut. Dieser patriotische Subtext wird durch die an vielen Stellen des Films auftauchende US-Nationalflagge unterstrichen. Zuweilen meint man die wirtschaftliche und politische Rivalität zwischen den USA und der Volksrepublik China durchscheinen zu sehen, deren großes symbolisches Bauwerk im Film von einem Amerikaner ›bezwungen‹ wird, nachdem zuvor ein Chinese tragisch gescheitert war. Aus dieser Erzählung spricht eine Umwertung von Skateboarding, wie sie mit Blick auf die Massenmedien nach der Jahrtausendwende schon Howell (2008, S. 482) herausarbeitet: So zitiert 1998 die Los Angeles Times einen früheren Vorsitzenden der American Psychological Association mit den Worten, Skateboarding sei »›more in tune with what America is all about than the traditional three Bs‹« – Basketball, Baseball und Bowling –, weil es jenseits der Verregelung jener traditionellen Sportarten Risiko, Kreativität und Individualismus betone. 2006 schreibt das Entrepreneur Magazine, das Skateboardfahren fördere Haltungen wie ein unerbittliches Streben nach zunächst unerreichbaren Zielen, die auch in unternehmerischer Hinsicht unerlässlich seien. In diesem Sinne konsequent wird im Jahr 2006 der Skateboarder und Skateboard-Unternehmer Jamie Thomas, der uns im Zusammenhang mit dem Leap of Faith bereits begegnet ist, von der Unternehmensberatung Ernst & Young in der Region San Diego als »Entrepreneur des Jahres« ausgerufen, mache ihn doch sein »›unstoppable drive and fearless approach to anything he does‹« nicht nur zu einem großartigen Skateboarder, sondern auch zu einem »›winning businessman‹«. Die New York Times wiederum zitiert Thomas’ Reaktion auf die Ehrung: Er betrachte seine Skateboardkarriere als sein persönliches »›boot camp for business‹«. Als Ausgangspunkt dieser diskursiven Neufassung von Skateboarding sind sicherlich die X-Games anzusehen, von denen jener soeben zitierte Artikel der Los Angeles Times aus dem Jahr 1998 unter der Überschrift »X-Games Offer Rush of Risk and Profits« denn auch berichtet (zit.n. Howell 2008, S. 482). Die X-Games
tümer der Skateboardschuhfirma DC gehört er heute aber zu den bestimmenden Personen der weltweiten Skateboardindustrie.
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und verwandte Formate rekonfigurieren nicht nur die Körpertechniken der Praktik, indem sie zunächst die aus der Mode gekommene Halfpipe als zentrale Disziplin re-installieren und später mit der Mega-Ramp ein neues, auf Spektakel berechnetes Skateboard-Terrain sowie Echtzeitsoftware zur objektiven Messung von Skateboard-Performances einführen, sondern sie erzählen mit aller Reichweite und Bildgewalt des Fernsehens auch in einem ganz neuen Tonfall vom Skateboardfahren. Rhinehart analysiert, wie die X-Games neue »pecking orders« im Skateboarding einzuziehen bestrebt sind: ESPN zeigt, wie etwa der Skateboarder Chris Senn nach den ersten X-Games klagt, fast ausschließlich »who got first through eighth when they should be showing all the rad stuff that happened‹« (zit.n. Rhinehart 1998, S. 405). Tatsächlich hebt sich diese Konzentration auf Wettkampfplatzierungen deutlich von der Art und Weise ab, in der Nischenmagazine zumeist von Contests berichten: Auch diese drucken zwar die Ergebnisliste, ihre Bilder und Texte heben aber nicht selten Teilnehmer/-innen hervor, die nicht zu den ›sportlich Besten‹ zählen, sondern gegenüber früheren Auftritten große Fortschritte zeigen, einen besonders eigenständigen Stil entwickeln – oder auch nur durch ›Party-Stunts‹ auffallen. So erlebt der soeben als prototypischer Skateboard-›Artist‹ vorgestellte Andy Howell seinen Durchbruch als Profi bei einem Contest, in dem er es nicht einmal unter die ersten zehn schafft, aber ein sehr originelles Manöver vollführt und dafür mit dem eigentlichen Hauptpreis ausgezeichnet wird, nämlich einem ganzseitigen Foto im Thrasher (vgl. Howell/Greeven 2005, S. 30). Mit den X-Games ist freilich nicht einfach eine Rückkehr zu herkömmlichen Sport-Erzählungen verbunden. Sie zeigen ihre Top-Skateboarder/-innen nicht etwa klassisch als konkurrierende, faire Sportsleute, sondern – ein wenig an die Show etwa US-amerikanischer Wrestler/innen gemahnend – als Rivalinnen und Rivalen, die ihr Aufeinandertreffen durchaus persönlich nehmen. Vor, während und nach den Wettkämpfen, erinnert sich der für dieses Format von ESPN als zugkräftiger Star reaktivierte Tony Hawk an die ersten Ausgaben der X-Games, wurden permanent Clips eingespielt, die ihn selbst und den Halfpipe-Skateboarder Andy Macdonald als Platzhirsche beim großen Revierkampf darstellten: »They’d manufacture dramatic tension during the contest by pitting Andy Macdonald against me. They made it seem as though weʼd had some huge rivalry going since grad school and had come to the Extreme Games Thunder Dome to duke it out like gladiators. […] Andy won the vert contest and, according to ESPN, the ›rivalry‹ was full blown now; tensions would be high next year when we did battle. All we needed was a skate Cesar sitting above the ramp giving the thumbs-up or thumbs-down signal« (Hawk 2001, S. 201f). Während Skateboard-Videos eine individuell-kollektive Interpretation von Stil durch das Team einer Marke zum Inhalt haben, stellt die Dramaturgie der X-
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Games auf individuelle sportlich-persönliche Rivalitäten ab. Solche Erzählungen vom Skateboardfahren bringen, wie Rhinehart schon 1998 (S. 411) prophezeit, »some mutant amalgam of what is now skateboarding« hervor, indem sie Teilnehmer/-innen, die mit ihnen aufwachsen, in ihrer Haltung zur Praktik beeinflussen – nicht nur im Bereich dieses neuen, gezielt spektakularisierten, wettkampfförmigen Mega-Skateboarding, sondern auch in jenem vergrößerten Street Skateboarding, in dem sich die Protagonisten und Ptotagonistinnen in einem über Nischenmedien vermittelten permanenten Fernduell um immer größere Gaps bekriegen. Dass Skateboarder/-innen nach der Jahrtausendwende im Jargon zuweilen als ›Athletes‹ bezeichnet werden, war im ersten Teil der Arbeit erwähnt worden. In Anlehnung an Hawks Wortwahl lässt diese spezifischen Re-Sportifizierung, die im Skateboarding nach 2000 um sich greift und für die Skateboarder wie Danny Way exemplarisch stehen, auch als Gladiatorisierung bezeichnen. Wie lässt sich nun dieses Gladiatorentum näher charakterisiseren? Kusz (2003, S. 155) deutet diese Umwertung von Skateboarding und »Extremsport«, die sich in den US-amerikanischen Massenmedien vollzieht und für die auch Rosenbergs Film ein Beispiel gibt, im Licht der amerikanischen Kultur nach dem 11. September 2001 als »white male backlash«. Nun würden, schreibt er über Praktiken wie B.A.S.E.Jumping, »extreme skiing«, Alpinismus bzw. Klettern, aber auch mit Blick auf BMX und Skateboarding, derartige Aktivitäten nicht mehr als randständig oder gar unamerikanisch – weil nicht in klassischer Weise kompetitiv – abgetan. Im Gegenteil rankten sich um sie nunmehr Erzählungen von einer »fraternity of American masculine icons« und Motive der »American mythology of the frontier« (Kusz 2004, S. 203). Während weiße Männer in Sportarten wie Football und Basketball nicht mehr allein im Rampenlicht stünden, böten die neuen Nischenpraktiken wieder Raum für Motive einer »strong, proud, confident, unconstrained, and unapologetic white male athletic masculinity« (Kusz 2003, S. 155). Im Licht der Diskurse von critical whiteness – die in etwa zeitgleich mit der patriotischen Welle nach den Terrorangriffen von New York aufkommen und sich stets kritisch auf eben diese beziehen – unterzieht Kusz (vgl. 2007) auch den allgemein und im Vorliegenden viel zitierten Dokumentarfilm »Dogtown and Z-Boys« (Peralta 2001) einer sehr kritischen Lektüre. Im Ergebnis erscheint diese überaus einflussreiche Repräsentation des Skateboardfahrens als Paradebeispiel eines »new cultural racism«, dessen Ziel es sei, »to render invisible white privilege, while highlighting particular whites as economically underprivileged and socially marginalized all the while leaving whiteness still firmly centered in American culture and society« (ebd., S. 126): Peralta benutze die Unterschichtzugehörigkeit seiner Frontleute, um durch eine Weiße-als-Opfer-Erzählung die gesellschaftliche Dominanz von Weißheit zu verbrämen und letztlich zu rechtfertigen. Dabei würden nicht nur weibliche Stimmen – diejenige von Peggy Oki, der einzigen Frau in der Z-BoysClique –, sondern auch die asiatisch-amerikanischen Protagonisten Shogo Kubo
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und Jeff Ho sowie der Afroamerikaner Marty Grimes in einer schein-multikulturellen Strategie von »marginalized inclusion« (ebd., S. 123) ausgebeutet. Der augenscheinlich nicht-weiße Hintergrund des Protagonisten Tony Alva, dessen Skateboarding und Persönlichkeit in »Dogtown and Z-Boys« eine Hauptrolle einnimmt, widerspreche dieser Lektüre nicht, da diese – in der Skateboard-Kultur indes wohlbekannte – Herkunft im Film nicht als solche ausdrücklich thematisiert, »let alone substantively discussed« (S. 124) werde. Ähnlich liest Yochim (2010) anhand freilich nur zweier Beispiele SkateboardVideos nach der Jahrtausendwende als Dokumente weißer Dominanz. Zwar präsentierten die meisten Videos »multicultural casts that include white, African American, Latino, and Asian skateboarders« (ebd., S. 148), doch übergingen ihre Darstellungen von »cultural, racial, and class differences« die »issues of power crucial to understanding such difference« (S. 149) und ignorierten die gesellschaftlichen Beziehungen »that subordinate nonwhites« (S. 153). So widmet sich in »The DC Video«, 2003 vom Mode- und Skateboardschuhlabel DC veröffentlicht14 , eine längere Passage dem afroamerikanischen Street Skateboarder Stevie Williams. Dieser wird beim Fahren in den heruntergekommenen, teils mit Müll bedeckten Straßen des Nordens von Philadelphia als Getto-Skater inszeniert, am Ende seines Auftritts streckt er in einer Gangsta-Pose sein Kinn nach vorne und reckt seine Faust in Richtung Linse, um seinen DC-Fingerring zu zeigen. Für Yochim ist dieser Versuch »to present a black skateboarder as a product of authentic black culture« nicht mehr als eine Ratifizierung von »stereotypes of African Americans as aggressive products of the ghetto« zum Zweck der Markenführung von DC (S. 150). Die vorliegende Arbeit vertritt zwar auch die These, dass nach 2000 die Orientierung an Hiphop und Black Culture, die in den 1990er Jahren körperpraktisch wie in der Bedeutungsproduktion von Skateboarding zentral ist, ein wenig in den Hintergrund tritt und, wie noch zu erläutern sein wird, in Bezugnahmen auf Rocker- und Hipster-Stile spezifische Formen von Weißheit eine symbolische Wiederaufwertung erfahren. Dennoch sind Lektüren wie die von Yochim nicht unproblematisch. Es ist zwar unbestreitbar, dass Skateboard-Videos zu romantischinspirierenden und daher auch klischeebehafteten Bildern neigen, statt tragfähige Analysen von Rassen- und Klassenbeziehungen anzubieten. Selbstverständlich sind auch die beschriebenen Bilder von Stevie Williams kein Dokumentarfilm, sondern eine stilistische Inszenierung, und natürlich sind diese Videos nicht allein dadurch ›progressiv‹, dass sie auch Nicht-Weiße zeigen. Doch ist im konkreten Beispiel durchaus davon auszugehen, dass Williams mit seiner Darstellung in jenem Video einverstanden war. Es scheint gewagt, ausgerechnet eine Figur wie den zu dieser Zeit bereits sehr prominenten, ökonomisch bestens etablierten und stilis-
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Dieses Video macht auch die Mega-Rampe erstmals im Skateboarding bekannt.
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tisch überaus einflussreichen Skateboarder15 Stevie Williams ohne weitere Prüfung als Schaufensterpuppe eines »tokenism that maintains the centrality of whiteness« (S. 102) einzuführen. Gerade Williams, der sich als Modegestalter und Stil-Vorbild etabliert, dürfte auf die Art seiner Darstellung in diesem Video Wert gelegt und Einfluss genommen haben. Yochims Kritik der Repräsentation von Ethnizität in diesen Nischenvideos fußt auf der These, dass hier nicht-weiße bzw. Black Culture einem aus »white […] skateboarders« (Yochim 2010, S. 153) bestehenden Publikum als »lifestyle choice« (ebd., S. 151) dargeboten werde. Doch scheint es widersprüchlich, dass eine weitgehend textualistisch argumentierende Untersuchung gerade an dieser Stelle offenbar nicht davon ausgeht, dass sich die »diversity evident in skateboard videos« (S. 102) auch im Publikum finde. Beiläufig merkt Yochim (ebd.) an, dass ein von ihr im Rahmen der Untersuchung befragter nicht-weißer Skateboarder nach der Lektüre ihres Manuskripts der These von der weißen Dominanz mit Leidenschaft widerspricht – »he took issue with my […] characterization« – und ihr nicht nur eine lange Liste farbiger Skateboarder/-innen schickt, die in der Praktik prominent repräsentiert sind, sondern auch eine Handvoll nicht-weißer Jugendlicher nennt, die Yochim bei ihren Feldforschungen in der Universitätsstadt Ann Arbour (Michigan) offenbar nicht ›gefunden‹ hat. Womöglich sei die Situation in dieser Stadt auch gar nicht typisch, wendet der junge Mann ein. Yochim kontert den fundamentalen Einspruch ihrer Untersuchungsperson mit einem Verweis auf die Weißheit von »mainstream depictions of skateboarding« (ebd.) An dieser Stelle scheinen die Grenzen von Yochims Analyse deutlich auf: In dem ihrer Untersuchung vorangestellten, weitgehend auf Texten aus Massenmedien basierenden Geschichtsüberblick lässt sie etwa auf eine von 1985 bis 1993 andauende »Phase« (vgl. Yochim 2010, S. 56ff) sogleich die Zeit der X-Games ab 1995 folgen (vgl. ebd., S. 61ff). Von der radikalen Umgestaltung, die die Praktik gerade zwischen 1985 und 1993 erlebt, als sie sich in der Transformation vom Steilwand- zum Street Skateboarding zeitweise förmlich spaltet, nimmt sie keine Notiz – wie infolgedessen auch von dem weiter oben ausführlich dargestellten und diskutierten Umstand, dass sich die Polemik, die diesen Umbruch begleitet, gar nicht zuletzt auf die Darstellung von ›Rasse‹ in der Bilderwelt der Skateboard-Praktik bezieht. Im Grunde zieht Yochim eine gerade Linie ›weißer Dominanz‹ von 1960 bis nach 15
Im Videospiel Tony Hawk Pro Skater gibt es schon zu dieser Zeit einen Stevie-William-Avatar als Spielfigur, bereits ein Jahr vor dem DC-Video, auf das sich Yochim hier bezieht, hatte Williams sein eigenes Skateboard- und Modelabel DGK gegründet und in einem millionenschweren Geschäft mit der Sportartikelmarke Rebook assoziiert. DGK gilt – ganz im Gegensatz zu Yochims Lektüre von Williams Auftritt in jenem DC-Video – als Ausgangspunkt des skurban style, eines über Skateboarding hinaus in die Hiphop-Kultur ausgreifenden Modestils, der tatsächlich gerade von den Topoi des Gefängnisses und des Gettos symbolisch Abschied nimmt, indem er etwa engere Hosen im Hiphop etabliert (vgl. Beal 2013, S. 83f; Ali 2008).
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die Jahrtausendwende. Eine genealogisch und praxeologische Arbeit, die nicht nur die Texte, sondern auch die Bewegungen sowie die Räume der Praktik betrachtet und nicht auf Kontinuitäten, sondern Brüche und Transformationen abstellt, setzt sich hingegen Irritationen aus – und schärft ihren Blick entsprechend auch für Texte, die nicht in eine solche lineare Konstruktion passen. So komplex und widersprüchlich die Verhandlungen von ›Rasse‹ in der Skateboard-Praktik sicherlich sind, scheinen doch manche Arbeiten gerade in ihrer kritischen Absicht Gefahr zu laufen, sich als Folge einer gewissen normativen Überfrachtung paradoxerweise selbst an jener sozialen Invisibilisierung Nicht-Weißer zu beteiligen, die aufzudecken sie antreten – oder als Folge einer zu pauschalen Draufsicht: Wenn etwa Butz (2012, S. 268) die Whiteness der Praktik mit dem Satz belegt, dass, wer heute an Skateboarding denke, weiße »role models« wie Tony Hawk oder Danny Way vor Augen habe, verfehlt er die Perspektive nicht nur eines Szene-, sondern auch eines breiteren US-amerikanischen Medienpublikums. Während Danny Way zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von Butz’ Studie tatsächlich noch von Bedeutung ist, rangieren Figuren wie der afroamerikanische Seriensieger der Street League Skateboarding, Nyjah Huston, Paul P-Rod Rodriguez oder der bereits seit den frühen 1990er Jahren prominente und weiterhin durch in hoher Frequenz veröffentlichte Video-Edits außerordentlich präsente Street Skateboarder Daewon Song weit vor dem seit 15 Jahren nicht mehr wettkampfaktiven Halfpipe-Dinosaurier Tony Hawk. Nicht zu widersprechen ist hingegen Yochims (2010, S. 154ff) Lektüre der von ihr untersuchten Skateboard-Videos als »hypermaskulin«, die sich durchaus verallgemeinern lässt. Mit der Vergrößerung der Skateboard-Bewegungen, die mit Formaten wie den X-Games um die Jahrtausendwende in der Praktik Fuß fasst, spitzt sich die maskuline Vergeschlechtlichung körperpraktisch zu, indem jene »distinction of risk« in den Vordergrund tritt, die nach Atencio et al. (2009) die SkateboardPraktik gegenüber Mädchen und Frauen so exklusiv macht. Nachvollziehen lässt sich diese Dynamik etwa anhand der Slam Sections in Skateboard-Videos, also Zusammenstellungen der Unfälle, die beim Drehen aufs Band gelangen. Diese sind zwar schon immer ein Standardelement, doch zeigen sie in den 1980er und frühen 1990er Jahren oft eher harmlose, komisch anmutende Stürze und Begebenheiten – nicht unähnlich den Pleiten-, Pech- und Pannen-Shows im Fernsehen. In den ausgehenden 1990er Jahren und nach der Jahrtausendwende spitzen sich diese Unfallbilder dagegen analog zu den zusehends höheren Treppen, längeren Geländern und größeren Gaps drastisch zu. Auch wenn diese Sequenzen von Schmerz und Leiden gelegentlich ironisiert werden – Berner (2016, S. 102) diskutiert das am Beispiel eines 2013 vom Thrasher produzierten Videos mit dem prominenten Skateboarder Ali Boulala, in dem dieser seine schmerzhaften Fehlversuche an jener als Lyon 25 bekannten Treppenflucht, von der schon die Rede war, durch theatralisches Herumkriechen karikiert – lassen sich solche Darstellungen als Manifeste »beson-
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derer Härte gegen das eigene Leiden« lesen (ebd., S. 101), die an Protestmännlichkeiten appellieren. In den ersten beiden Hauptabschnitten der Arbeit wurde herausgearbeitet, dass jene Extremisierung der Vollzüge der Praktik, die zu solchen Feiern maskuliner Härte führen, mit deren Kommerzialisierung ab der zweiten Hälfte der 1990er Jahre in Verbindung steht. Doch andererseits sind gerade die großen kommerziellen Einheiten, die nun ins Skateboarding drängen, schon aus Gründen der Markterweiterung durchaus an Bildern interessiert, die auch Frauen und Mädchen ansprechen. In den Nischenmedien ist weibliche Teilnahme weiterhin nur wenig präsent, selbst wenn etwa der SkateBoarder bereits 2001 »Diversity« zu den Top Five der »100 Greatest Things about Skateboarding« zählt16 (vgl. Klein/Meza 2001, S. 89). Die X-Games hingegen nehmen 2003 Frauen-Konkurrenzen ins Programm, 2005 setzt die neu gegründete Action Sports Alliance, in der sich auch viele Skateboarderinnen organisieren, eine prominentere Ausstrahlung derselben und eine schrittweise Angleichung der Kompensationen und Preisgelder für Skateboarderinnen durch (vgl. Beal 2013, S. 40). Gleichfalls ab 2003 wird im gesamten anglophonen Raum die aus 25 Folgen bestehende Sportdokumentationsserie Hardcore Candy in Massen- oder zumindest populären Fernseh-Spartenkanälen gesendet, die sich Frauen in Praktiken wie Skateboarding und Snowboarding widmet.17 Mit Sicherheit tragen solche Fernsehformate tatsächlich zum langsamen, aber stetigen Ansteigen weiblicher Beteiligung am Skateboardfahren bei, indem sie entsprechende Vorbilder bieten. Allerdings, so Donnelly (2008a), sei die Darstellung von weiblicher Teilnahme in diesem (obwohl von Frauen produzierten und präsentierten) Programm sehr widersprüchlich. Indem es stets männliche Kronzeugen wie Tony Hawk oder Chris Senn benutze, um den in den Beiträgen gezeigten Skateboard-Performances von Mädchen und Frauen Legitimität zu verleihen (vgl. ebd., S. 132ff) und indem es diese Performances an einem »male standard« – nämlich körperlich-mentale Risikofreude sowie Schmerz- und Verletzungstoleranz – messe (vgl. S. 136ff), anstatt einen Raum zu öffnen, in dem Mädchen und Frauen selbst ihren Zugang zu diesen Praktiken entwerfen könnten (vgl. S. 141), unterstreiche das Format nolens volens die Dominanz junger Männer in denselben (vgl. S. 142). In ähnlicher Richtung kritisieren Atencio et al. (2009, S. 16), dass mediale Repräsentationen auch von Contests und Events, die sich exklusiv an Skateboar-
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Die entsprechende Ausgabe des Heftes (Mai 2001) straft diese Behauptung allerdings Lügen: Auf knapp 130 Seiten finden sich nur sechs Bilder von Frauen: fünf Models in Street-Wear-Ads, eine wohl zufällig im Bild befindliche Passantin, aber keine einzige aktive Skateboarderin. Die Reihe läuft im Einzelnen in den kanadischen Programmen OLN und WTSN (Women’s Television Sports Network), später im kalifornischen Sender KDOC und landesweit in den USA im Action-Sports-Kanal FUEL, in Australien im Australian Broadcasting Network sowie im britischen Extreme Channel Digital (vgl. Donnelly 2008a, S. 142).
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derinnen richteten, eine »non-subversive form of feminity (e.g. family friendly, middle class and heterosexual)« propagierten. Vor allem unterhalb der Ebene der Massen- sowie auch der Nischenmedien von Thrasher bis Transworld wird aktive weibliche Teilnahme in einer nicht letztlich auch für Männer formatierten Weise sichtbar. Protagonistinnen wie Elissa Steamer, Lyn-Z Hawkins Pastrana, Leticia Bufoni, Mimi Knoop, Karen Jonz und viele andere füttern das Internet mit in sportlicher Hinsicht avanciertem Bildmaterial. Auf Plattformen in sozialen Medien zeigen Hunderte einschlägiger Gruppen nicht nur die Praxis von Skateboarderinnen aus einer Grassroots-Perspektive, sondern mischen sich auch aktiv in die Art und Weise ein, wie Geschlecht im Skateboarding repräsentiert wird. Nun bleiben beispielsweise explizit hetero-sexistische Motive in Ads oder auf Skateboards und T-Shirts – die es weiterhin gibt, wenn auch nach Eindruck des Verfassers mit abnehmender Tendenz – nicht mehr unwidersprochen: So ist 2013 das Label Enjoi gezwungen, ein Motiv zurückzuziehen, das in Internetforen als »Normalisierung von häuslicher Gewalt und Vergewaltigung« kritisiert wird: Binnen weniger Tage unterzeichnen 1800 Personen eine Petition, die mit einer Straßendemonstration vor dem Firmensitz droht (vgl. Carroll 2013). Dass sich jene für die 1990er Jahre so typischen »non-PC-graphics« auf dem Rückzug befinden, hat neben solchem Druck aus der Teilnehmerschaft eine Ursache aber auch darin, dass gerade die großen Labels sich nun zusehends abermals am ernsthaften Sportfach orientieren. Hardisty (2009, S. 9) nennt zudem praktische Gründe: »With the ever increasing scale of street skateboarding – bigger gaps, longer rails, higher stairs« verschleißen Skateboards immer schneller, sodass viele Labels gezwungen sind, verstärkt auch preisgünstigere Bretter anzubieten, die ohne allzu aufwändige Grafiken daherkommen und optisch teils an die sportorientierte Skateboard-Gestaltung der früheren 1970er Jahre anknüpfen. Der Blick unter die Skateboards zeigt aber auch, dass diese Tendenz zur grafischen Abrüstung beileibe nicht umfassend ist: Die Bauchseiten der Bretter halten noch immer eine Vielzahl expliziter Statements bereit. Weiterhin gibt es – neben Message-Labels, die schon in Namen wie Politic Skateboards, Unbelievers Skateboards oder Wounded Knee Skateboards eine Botschaft vor sich hertragen – sehr explizite Message-Grafiken, die politisch-soziale Themen adressieren. So bedruckt Consolidated 2007 ein Skateboard mit einer Grafik, die zum Ausdruck bringen soll, Skateboarder/-innen seien »›accepting of homosexuality‹«18 (zit.n. Carayol 2014, S. 26f). Weiterhin ist Rassismus ein verbreitetes Sujet (vgl. ebd., S. 132; 136-139). Andere
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Von – besonders wohl männlichen – homosexuellen Skateboardern wird dies freilich lange Zeit anders gesehen. So nennt Brian Anderson, ein in den ausgehenden 1990er Jahren populärer Street Skateboarder, gewisse Ängste um seine Karriere als Grund dafür, dass er mit seinem Coming Out bis in den Herbst 2016 gewartet habe: »It was the industry that scared me« (vgl. Hendrikx 2016).
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Grafiken thematisieren – aktuellen Entwicklungen folgend und teils sehr drastisch – Polizeigewalt und Gegenwehr (vgl. S. 62-65), die amerikanische Waffenkultur (vgl. S. 169), christlichen Fundamentalismus und das Fernsehpredigertum (vgl. S. 156-160; 165; 170), die Börsenkrise von 2008 und den finanzialisierten Kapitalismus (vgl. S. 185-187; 199), die Kommerzialisierung von Skateboarding (vgl. S. 190), Saatgutpatentierung durch den viel kritisierten Agrarkonzern Monsanto bzw. industrielle Landwirtschaft im Allgemeinen (vgl. S. 193; 197), die Pharmaindustrie (vgl. S. 195), den US-Präsidenten George W. Bush – eine Grafik des Labels $lave besteht aus seinem Konterfei und den Worten »Thanks for Nothing« (vgl. S. 209) –, den Irakkrieg von 2003, der als Öl-Krieg dargestellt wird (vgl. S. 215) sowie Militarismus im allgemeinen (vgl. S. 217). Eine um 2000 vielbesprochene Grafik Scott Bratruds für ein Board von Consolidated (vgl. S. 35) zeigt eine Hebamme, die über einem blutigen Laken ein Neugeborenes im Arm hält, das freilich schon stark behaart ist und eine Halbglatze hat. Über dem Bild steht der Satz »Congratulations! It’s a man!« – was sich im Kontext einer Skateboard-Grafik durchaus als eine Ironisierung der der maskulinen Vergeschlechtlichung der Praktik verstehen lässt. In Skateboard-Grafiken auch nach der Jahrtausendwende wird, wobei freilich derartige ›feministische‹ Statements eher selten sind, gewissermaßen die komplette linke bis linksliberale Agenda durchgenommen, wenn auch die message-orientierten Labels nunmehr marginaler sind als etwa in den 1990er Jahren, als mit World Industries die fraglos führende Marke auch derartige Grafiken druckt. Zwar zieht die mit den X-Games und verwandten Formaten verbundene Kommodifizierung ohne Zweifel ein breites, eher sportorientiertes Segment in der Teilnehmerschaft der Praktik nach sich, das sich als »not attracted to its oppositional identity« beschreiben lässt (Lombard 2010, S. 480). Andererseits identifiziert David Graeber (2013, S. 234) anarchistische Baumbesetzer/-innen und »städtische Hardcore-Fans und Skater-Punks« als tragende Kräfte der militanten Demonstrationen gegen die WTO in Seattle im Jahr 1999, die einen ganzen Mobilisierungszyklus gegen ›Globalisierung‹ und derartige ›Gipfel‹ der Mächtigen nach sich zieht. Das österreichische Skateboardmagazin YeYo veröffentlicht 2003 eine Titelgeschichte »Stimmen gegen den Krieg«, in der sich fast alle in Österreich bekannten Skateboarder/-innen zu Wort melden. Gerade im deutschsprachigen Raum wird Skateboarding nicht selten in antirassistische Kulturfestivals eingebunden (vgl. Mai 2012). Möglicherweise sind freilich nach der Jahrtausendwende explizit politische Positionierungen häufiger in europäischen Ländern anzutreffen, in denen Skateboarding weiterhin eine Nischenpraktik bleibt. Wie sich jene spezifische Sportifizierung und Kommerzialisierung der Praktik nach der Jahrtausendwende ihre Gegenbewegungen selbst erschafft, zeigt unter anderem auch eine nach allen früheren Maßstäben erstaunliche und paradoxe Entdeckung der Motorrad- und Rockerkultur durch Skateboarder/-innen. Es sind einerseits gerade die X-Games, die dieses Thema im Skateboarding aufzu-
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bringen helfen: Das Event startet 1995 mit Skateboarding, Inline-Skating, Bungee Jumping, Sky Surfing, Street Luge, Eco Challenge, BMX Dirt Jumping, Barefoot Jumping, Sportklettern und Mountain Biking, lässt die meisten dieser Praktiken aber je nach Quote fallen. Nach 2000 wird neben dem Skateboardfahren Freestyle Motocross (FMX) als zweite Kerndisziplin installiert, also ein vergrößertes BMX Dirt Jumping mit Motorrädern, das den Flugmanövern im Big-Air-Skateboarding auch körperpraktisch ähnelt. Symbolisch ratifiziert wird diese neue Nachbarschaft der Praktik, wenn man so will, durch die Eheschließung zwischen der Skateboarderin Lyn-Z Hawkins und dem FMX-Star Trevis Pastrana. Doch wandelt sich die Gestalt der Lieblingsmotorräder der Skateboard-Praktik alsbald von der Crossmaschine zum Chopper. Nicht nur Claus Grabke, der im Deutschland der 1980er Jahre führende Halfpipe-Skateboarder, der später auch als Mitgründer des Modelabels Homeboy sowie als Musiker und Produzent im Punk/Independent-Schema bekannt ist, inszeniert sich mittlerweile mit Vollbart und langen Haaren nebst Lederkutte und hat teilweise auf die Konstruktion von Custom Bikes umgesattelt. Auch bis heute aktive professionelle Skater/-innen geraten bisweilen fast in Erklärungsnot, wenn ihre Selbstinszenierung ohne knatternde Verbrennungsaggregate auskommt. So fragt 2012 das Transworld Skateboarding Magazine den Skater Dennis Busenitz: »These days, everyone seems to have their motorcycle or car as part of their image. We’re not going to see a bunch of beat-up diesel cars in your next video part, are we?« – »Probably not. You’ll see a bunch of beat-up kids. My new image: beat-up kids. It’s like the opposite of the freeriding motorcycle dude« (Brooks 2012, S. 70). Diese auffallende symbolische Motorisierung der Skateboard-Kultur lässt sich als ein maskulin-authentizistisches und – mit Abstrichen hinsichtlich der Latinos, unter denen es eine sogar recht ausgeprägte Rocker-Kultur gibt – überwiegend weiß kodiertes Kontra zum Skateboarding à la ESPN verstehen, wiewohl sie auch auf eben dieses zurückgeht. In einer etwas anderen Weise wird auch das DIY-Skateboarding als ein romantischer Konter gegen X-Games, Street League Skateboarding und neuerdings auch auf die 2016 beschlossene Olympiadisziplin Skateboardfahren inszeniert. In ihrer Zeichen- und Bedeutungsproduktion ist die Skateboard-Praktik besonders nach 2000 von einer erstaunlichen jugend-, stil- und, wie wir gesehen hatten, zunehmend sogar hochkulturellen Polyvalenz geprägt, die, wie Carayol (2014, keine Seitenzahl) im Vorwort seiner Sammlung »subversiver« Skateboard-Grafiken schreibt, bis heute verhindert, dass Skateboarding zum »next skiing« wird. Irgendwo zwischen Street Culture und Galerie ist schließlich der zweite Pol des Bedeutungskorridors anzusiedeln, innerhalb dessen Skateboarding nach 2000 narrativ verortet wird – und der sich von diesen Rocker-Repräsentationen wiederum sehr deutlich abhebt. Zu umschreiben ist dieser Pol wohl mit Schlagworten wie
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Hipster (vgl. Greif 2012), Bobo – also »bourgeois bohemian« (vgl. Brooks 2002) – oder Creative Class (Florida 2004). Gemeint ist damit ein vage umrissenes soziales und kulturelles Milieu, das laut Greif (2012, S. 28), »die Subkultur als Elite« darbietet. Der »Hipster« hat dabei eine lange Geschichte: Mit Blick auf die 1940er Jahre beschreibt der Topos ein schwarzes, mit Jazz verbundenes Milieu, typisch verkörpert vielleicht vom Musiker Theolonious Monk. In den 1950er und frühen 1960er Jahren bezeichnet der Ausdruck vordringlich Norman Mailers sprichwörtlichen White Negro, also weiße junge Männer, die sich die »exotische Energie« und das »coole Wissen« des schwarzen Amerika körperlich-mental aneignen (ebd., S. 26). Seit etwa der Jahrtausendwende sind hingegen jüngere urbane Berufstätige gemeint, die in ›kreativen‹ Werbe- oder Medienberufen arbeiten, ökonomisch oft abgesichert sind, über eine gute Ausbildung verfügen und ein stark ausgeprägtes Interesse an Kunst und (oft Avantgarde-, Gegen- oder Pop-)Kultur zeigen sowie meist mehr oder minder liberalen Werten folgen, ohne sich unmittelbar politisch zu positionieren. Diese – zunächst und vielleicht überwiegend – weißen Städter/-innen erheben ironisch, aber auch nostalgisch, gerade dasjenige alltagskulturelle Schema zum Stil, dem die Sub- oder Stilkulturen im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts stets zu entkommen trachteten – eine »suburbane Form der ›Weißheit‹ […], die man mit den mit der Kultur der siebziger Jahre assoziiert, als die angelsächsischen Bewohner aus den Zentren in die Vorstädte flohen, aber auch mit den vorgeblich nicht endgültig assimilierbaren weißen Ethnien der Iren, Italiener, Polen usw.« (ebd., S. 28f). Durch die Ästhetisierung dieser lange ungangbaren Zeichenwelt qualifizieren sich Hipster allgemeiner als »Personen, die über die quasi übernatürliche Inselbegabung verfügen, die winzigen Verschiebungen, die innerhalb der Konsumgesellschaft noch Distinktion erlauben, zu erkennen und aufzugreifen« (S. 31). Insignien dieser stilisierten suburbanen oder ländlichen Weißheit der 1970er Jahre sind zunächst unter anderem Accessoires wie Trucker-Kappen, »eine gewisse Amateurporno-Ästhetik«, der »›Pädophilen‹-Schnauzer« und Bärte im Allgemeinen – sowie jene auch als wife-beater bekannten Feinripp-Unterhemden, die nach der Jahrtausendwende als Oberbekleidung tragbar werden (vgl. Greif 2012, S. 28). Zu diesem Kosmos – Greif (ebd.) nennt ausdrücklich »Skater« als eine den Hipstern verwandte Gruppierung – können auch Skateboards gehören, dann aber freilich spezielle: Zu diesen Retro-Markern, um die sich der Hipster-Stil der 2000er Jahre versammelt, passen gerade nicht die zeitgenössischen, mit gewissermaßen antisuburbanen Bedeutungen – nämlich in den 1980ern mit Punk/Hardcore und in den 1990er Jahren mit Hiphop – aufgeladenen Skateboards und Skateboard-Manöver, sondern sozusagen ›prähistorische‹ Bretter und Bewegungsweisen aus der Zeit des Slalom- und Figurenskatens der frühen bis mittleren 1970er Jahre. Insofern ist das jüngste Aufkommen von Longboards, also historischen Downhill-Brettern, und von Pennyboards aus Plastik, die sich optisch (nicht tech-
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nisch) an jenen einst in Kaufhäusern vertriebenen Spielzeug-Brettern orientieren, mit der Entdeckung von Skateboards durch Hipster verbunden. So erklärt sich auch die oft so polemische Ablehnung von Long- und Pennyboards durch die Kernszenen der Skateboard-Kultur: Diese Bretter und der Gebrauch, zu dem sie animieren und zwingen, erinnern an eine Zeit, in der Skateboarding noch kein Symbol innenstädtischer Coolness war. In diese Ablehnung mischen sich also Motive jener Straßen- und Protestmännlichkeit, die Skateboarding seit seiner (Sub-)Kulturalisierung in den ausgehenden 1970er Jahren kultiviert: Ist doch die Hipster-Kultur ab etwa 2000 nach einem Bonmot von Thomas Meinecke der erste Stil, der »Vollbärte als unmännlich« zu erkennen gibt (Meinecke/Schumacher 2012, S. 178). Eklektizistische Hipster mit Skateboards sind vom re-sportifizierten Gladiatorentum der X-Games so weit entfernt wie von authentizistischen Rockeroder DIY-Szenen, aber in ganz anderer Richtung.
4.3.
Skateboarding und die Konsumkultur
Dieser kleine Überblick über die Modi und Motive der Zeichenproduktion der Skateboard-Praktik zeigte eine Auffälligkeit, auf die abschließend noch einmal genauer einzugehen ist, weil sie nicht nur für die innere Verfasstheit der Skateboard-Kultur charakteristisch ist, sondern auch viel darüber sagt, wie die Praktik mit jenen Prozessen sozialen Wandels in Verbindung steht, die seit dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts in den westlichen Gesellschaften greifen: Die maßgeblichen Sprecherinnen, die nicht nur vom Skateboardfahren erzählen, sondern zugleich auch seine Körpertechniken mitformulieren, sind seit den ausgehenden 1970er Jahren nicht etwa primär Mannschaften, individuelle Stars, Verbände oder – zumindest bis zur Durchsetzung der X-Games um die Jahrtausendwende – Sportjournalistinnen und Sportjournalisten, sondern Marken. Diesbezüglich offeriert die Arbeit die These, die Skateboard-Praktik habe nolens volens in ihrer zunächst randständigen Nische Formen von Warenästhetik und Marketing hervorgebracht, die später im Marketing der Konsumgüterindustrie – besonders im nach 1990 einsetzenden Run auf den sogenannten Jugendmarkt (vgl. Klein 1999, S. 68) – breit aufgegriffen werden. Dem soll abschließend etwas detaillierter nachgegangen werden. Heute ist die Feststellung, dass sich, wie Axel Honneth sagt, Individuen »in einem Ensemble persönlich konsumierter Güter ausdrücken« (zit.n. Drügh 2011, S. 21), nicht viel mehr als eine Binsenweisheit. Und schon Dick Hebdige weiß, dass sich Individuen über symbolischen Konsum in Differenz zu oder Übereinstimmung mit anderen setzen und so Gemeinschaften bilden. Seine Subkulturtheorie geht – anders als sie zuweilen offenbar verstanden wird – keineswegs davon aus, dass am Anfang solcher Kulturen oder Stile ein ›unschuldiger‹ Moment stehe,
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eine reine Idee, die dann kommerzialisiert werde: »Such a subculture«, schreibt Hebdige (1979, S. 95), »is concerned first and foremost with consumption. […] It communicates through commodities even if the meanings attached to these commodities are purposedly distorted or overthrown.« In der Skateboard-Kultur setzt diese Identifikation durch stilisierte Güter nun aber offenbar sehr früh ein und fällt besonders intensiv aus. Insofern lässt sich behaupten, dass in dieser Nische – so rebellisch sie sich zeitweise auch perzipieren mag – bereits in den ausgehenden 1970er Jahren en passant bestimmte Modi der Markenführung entstehen, die teils erst deutlich später in die Marketingtheorie eingehen und besonders nach 1990 als deren Nonplusultra zu gelten beginnen. Oder kurz gefasst: Es sind die Skateboarder/-innen, die im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts die zeitgenössische Jugendmarke erfinden. Erste, oberflächliche Evidenz für diese Behauptung ist schnell zur Hand. Brookes viel gelesenes Buch »Concrete Wave« (2005) ist über weite Strecken im Grunde eine Geschichte der Taten von Marken. Auch Peraltas Dokumentarfilme »Dogtown and Z-Boys« (2001) sowie besonders »Bones Brigade. An Autobiography« (2012) enthalten en passant lange Passagen über Firmenimages und Werbeästhetik – und Hills 2007 unter dem Titel »The man who souled the world« erschienenes Portrait des Skateboardunternehmers Steve Rocco und seiner Marke World Industries ist insgesamt nichts anderes als eine ganz direkt erzählte, teils überaus unterhaltsame Lektion in aggressiver Jugendmarkenführung. Doch um die These ausführlicher belegen zu können, folgt hier zunächst eine – sehr geraffte – Modellgeschichte jenes Bündels aus strategischen und affektiven Beziehungen zwischen Produzierenden, Produkten und Kundschaft, das man heute landläufig eine Marke nennt. Dabei zielt die Darstellung nicht auf eine politökonomische »Ableitung« oder Wesensbestimmung der Marke und der Warenästhetik, wie sie – neben vielen anderen Einsichten – klassisch Wolfgang Fritz Haug (1971, S. 8) anbietet. Es geht vielmehr um die Frage, wann und wie konkret »in die warenförmigen Dinge […] kulturelle Bedeutungen und Praktiken eingeschrieben« werden (Drügh 2011, S. 15). In einem zweiten Schritt wird überprüft, inwiefern sich vor diesem Hintergrund die These halten lässt, dass gerade die SkateboardPraktik ein frühes Experimentierfeld zeitgenössischer Formen der Bindung von Kundschaft an Produkte und Logos darstelle. Abschließend wird diskutiert, was der dabei erarbeitete Befund über die Praktik und ihre Subjekte sagt: Sind diese, salopp formuliert, durchmanipulierte ›Markenopfer‹ – oder können sich kulturelle Bedeutungen, Codes, Haltungen, ja sogar politische Statements, die in jüngeren Jahren in Warenästhetik und Markenführung Einzug halten, von der Ware ablösen? Markierungen auf wirtschaftlichen Gütern, vor allem Eigentums- oder Herkunftskennzeichen, sind seit dem Altertum bekannt. Die in den USA üblichen Bezeichnungen Brand und Branding gehen auf Brandzeichen in der Viehherdenwirtschaft des 19. Jahrhunderts zurück. Das aber, was man heute unter einer Marke
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versteht, nimmt seinen Anfang mit der industriellen Massenproduktion des 19. Jahrhunderts. Durch diese erodieren zunächst die zuvor oft auf persönlicher Bekanntschaft basierenden Beziehungen zwischen Produzierenden und Kundschaft; die Geschichte der zeitgenössischen Marke ist nichts anderes als eine Abfolge verschiedener Versuche, eben diese in immer neuen Formen wieder aufzurichten beziehungsweise sie strategisch zu ersetzen. Zunächst ist mit dem »Markenprodukt« des späten 19. und früheren 20. Jahrhunderts nichts anderes als ein Versprechen der Hersteller verbunden, eine Ware – in Zeiten fehleranfälliger Produktionstechnologie und begrenzter Vertriebsreichweiten – überregional in einheitlicher Aufmachung, Portionierung und Qualität anzubieten (vgl. Meffert/Burmann 2002, S. 20). So erst wird es für Verbraucher/-innen wieder möglich, zu bestimmten Sorten und Herstellern etwa von Seife oder Mehl eine ›Treue‹ aufzubauen. In diesem Sinn beschreibt die Marke nur einen »Merkmalskatalog« und Werbung bezieht sich zunächst eng auf »physisch fassbare[r] Konsumgüter« (ebd.), obwohl es natürlich Ausnahmen gibt.19 Generell werden Marken zu dieser Zeit »tactical and reactive« geführt (Aaker/Joachimsthaler 2000, S. 7). Auf Basis von Absatzanalysen agieren Markenmanager/-innen zunächst mit Instrumenten wie Preispolitik, mit Anreizen für Verkäufer/-innen, Veränderungen der Verpackung oder des Produktes kurzfristig auf identifizierte Absatzprobleme und die Werbung – oder pejorativ: Reklame – macht die Kundschaft auf diese Manöver aufmerksam. In zumindest bundesdeutschen Lehrbüchern wird ein solches Konzept der »Marke als Technik« noch nach 1960 propagiert (vgl. Hellmann 2003, S. 69 ff). Zugleich setzt aber eine nachhaltige Verschiebung ein: Dass ein Produkt überall in gleicher Qualität angeboten wird, ist nun kein Verkaufsargument mehr. »Innovationen als traditioneller Markenkern« können wegen der »hohen Imitationsgeschwindigkeit nur noch kurzfristig für […] Profilierung« sorgen (Meffert/Burmann 2002, S. 23). Als Sättigungstendenzen in den ausgehenden 1960er Jahren den »Anbietermarkt« zunehmend in einen »Käufermarkt« zu verwandeln
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Etwa in der Mode spricht Werbung schon früh von mehr als dem Produkt. Berühmt werden bereits in frühen 20. Jahrhundert die Arrow men der gleichnamigen US-amerikanischen Herrenkonfektionsfirma, die zu einem Ideal elegant-urbaner Männlichkeit avancierten und, wiewohl überwiegend fiktionale Illustrationen, sogar Fanpost erhielten (Tungate 2013, S. 13). Hierzulande verzichtete etwa die Spirituosenmarke Asbach Uralt in Annoncen bereits der 1920er Jahre zugunsten von historisierenden Sujets auf grafische Abbildungen und teils sogar textliche Beschreibungen des Produktes, um an einen Kundenkreis national-konservativer Männer zu appellieren (Bergler 1969, S. 67-71). Im Deutschland des früheren 20. Jahrhunderts schaltet sich im »Werkbund« eine Art Geschmackserziehungsbewegung zwischen Hersteller und Verbraucher, die gegen schrille Gestaltung und Werbung »bildungsgetränkte Praktiken im Umgang mit Waren« initiiert und Funktionalität sowie Qualität propagiert (König 2011, S. 173).
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beginnen (Schmidt 1999, S. 526), setzt ein mal langsamerer und mal schnellerer, nicht immer kontinuierlicher, aber im Grunde doch klar zu bestimmender Prozess der Verlegung des Fokus von Werbung und Markenführung vom Produkt auf die Käufer/-innen ein: Das Stoffliche tritt allmählich hinter die Marke, das mit Bedeutung aufgeladene Logo, die gefühlten Qualitäten und Unterschiede zurück. Ein frühes Paradebeispiel ist die in den 1960er Jahren einsetzende Kampagne um die Pepsi Generation, die sich – wie ein Nachruf auf den seinerzeit zuständigen Markenmanager formuliert – erstmals radikal auf die »attributes of people who buy Pepsi« konzentriert und nicht auf die »attributes of the product such as taste and price« (Steward 2007). In dieser Fokussierung der Kundschaft lassen sich zwischen 1960 und 2000 verschiedene »Entwicklungsstufen« ausmachen (Meffert & Burmann 2002, S. 21-30). An deren Ende steht ein neuer Begriff der »Marke als Persönlichkeit« (vgl. Hellmann 2003, S. 77ff). Wie grundlegend sich die »Marke als Persönlichkeit« bzw. die »identitätsorientierte Markenführung« von der klassisch-modernen »Marke als Technik« unterscheidet, zeigt besonders plastisch der Vergleich populärer Werbekritiken der 1950er und 1990er Jahre: Während Vance Packard in seinem Bestseller über die »Hidden Persuaders« der Werbung noch vorwirft, pawlowsche Botschaften über die »Hintertreppe der Tiefenpsychologie« (Packard 1962, S. 9) auf einer Ebene »unterschwelliger Wahrnehmung« zu verbreiten, hat Naomi Klein in »No Logo« ein Panorama vor sich, in dem Werbe- und Markenbotschaften keineswegs mehr »versteckt« werden müssen, sondern sich im Gegenteil Teenager und Twens selbst mit plakatgroßen Herstellerlogos auf ihrer Kleidung schmücken und eine ostentative Identifikation mit Waren zum persönlichen Stil erhoben wird. Bewerkstelligt wird diese Verschiebung durch grob drei Modi der Kundschaftsansprache, die historisch aufeinander folgen, einander aber nicht ablösen, sondern bis heute überlagern und überlappen. Jeder dieser Modi ist mit bestimmten Kommunikationsstrategien verbunden, die auf neue Technologien zurückgreifen oder neue Ansatzpunkte der Kontaktaufnahme mit Menschen finden. Bereits in den 1950er Jahren wird erstens die bis dahin als mehr oder minder anonym und gesichtslos perzipierte Masse der Kundinnen und Kunden mit demoskopischen Verfahren in bestimmte »Zielgruppen« unterteilt, was sowohl eine detailliertere Adressierung bereits bestehender Kundschaften als auch das Erkennen und Kontaktieren neuer Absatzmärkte ermöglicht (vgl. Schmidt 1999, S. 523). Dabei ist die rasche allgemeine Verbreitung des Telefons in den westlichen Gesellschaften überaus wichtig, die das Erheben entsprechender Daten erleichtert. Später übernimmt EDV – von den ersten, vergleichsweise primitiven Programmen zur Auswertung von Umfragen und anderen Daten zum Konsumverhalten bis zu den heutigen gigantischen Big-Data-Sammlungen in Sozialen Netzwerken oder Onlineshops – die Hauptrolle in einer sukzessive immer engmaschigeren, wissenschaftlich und technisch vorgehenden Identifizierung von Kundschaftsgruppen.
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Mit der creative revolution der 1960er Jahre, für die etwa die Arbeit des New Yorker Werbers Bill Bernbach beispielhaft ist (vgl. Levenson 1997), gewinnt zweitens ein literarisch-mentaler Modus von Werbung und Markenführung an Bedeutung, an dem sich bis heute viele Werber/-innen mit künstlerischem Anspruch an ihre Arbeit orientieren. Diese Kampagnen entwerfen teils ironische, oft originelle und manchmal auch dosiert anstößig und rebellisch anmutende Erzählungen über Artefakte, die als solche auch jenseits der technisch-materiellen Eigenschaften des Produkts ins Gespräch kommen und so gefühlte Qualitäten herstellen sollen. Dabei ist das Medium der Fotografie von Bedeutung, die sich als Visualisierungsmittel in der Werbung gleichfalls um 1960 endgültig gegen die bis dahin – zumal in Europa – vorherrschende Illustration durchsetzt (vgl. Sobieszek 1988, S. 126). Spätestens in den 1970er Jahren übernimmt dann das Fernsehen die Hauptrolle. Noch später ist bei solchen Kampagnen das Medium sprichwörtlich die Botschaft: So machen um 2005, als in den USA die Sony Playstation und andere Produkte in Graffitioder Street-Art-Manier beworben werden, »graffadi« und »brandalism« von sich reden (Moore 2007, S. 140): Auf gemieteten Oberflächen, teils aber auch auf ›wilden‹ Untergründen gehen Marken ›auf die Straße‹. Etwaige Geldstrafen sind dabei im Kampagnenbudget schon eingerechnet, mögliche juristische Auseinandersetzungen gelten als Extra-PR. In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre wird dieses Instrumentarium des Zielens auf die Kundschaft statt der Bewerbung der Produkte durch einen körperlich-sinnlichen Modus der Erlebbarkeit von Marken ergänzt. Zunächst werden dabei Erlebnisse und Marken durch Sponsoring und Eventmarketing verbunden, etwa durch das Aufhängen von Bannern und Logos auf Musikfestivals (Meffert & Burmann 2002, S. 23). Ungefähr ab 1990 wird dann auch die (Innen-)Architektur zu einem zentralen Werbemedium: Die Kosmetikkette Body Shop bewerkstelligt ihre globale Expansion zum Beispiel zunächst fast ohne klassische Werbung, indem sich die Filialen selbst wie »three-dimensional advertisements for an ethical and ecological approach to cosmetics« anfühlen (Klein 1999, S. 29). In diesem Sinn begehbare Markenpersönlichkeiten sind auch die nach dem Vorbild von Nike nach 1990 zunächst im Jugendmode- und Sportsektor, dann aber auch sehr prominent in der Unterhaltungs- und Kommunikationstechnologiebranche aufkommenden Flagship Stores (vgl. Aaker/Joachimsthaler 2000, S. 180). In Integrationen von »Design, Kunst und Computeranimation« entstehen so »Kunstwelten, in denen Produkte und Produktnutzer zelebriert werden« (Schmidt 1999, S. 531). Klein (1999, S. 29) fasst dieses werbliche Zielen auf den Körper folgendermaßen zusammen: »Nineties-style branding inceasingly seeks to take […] associations out of the representional realm and make them a lived reality«. Die Konzeption der »Marke als Persönlichkeit«, zu der diese Techniken hinführen, wird in der Marketingtheorie durch David A. Aakers berühmtes Buch »Managing Brand Equity« (1991) eingeführt und systematisiert. Eine solche Identifizie-
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rung von Ware und Kundschaft im Zeichen von brand identity hat für die Firmen demnach zwei große Vorteile: Erstens sind Konsumentinnen und Konsumenten, die sich in der Ware selbst erleben, zum Bezahlen eines Aufschlags bereit, wodurch der Markenname selbst zur Kapitalie wird. Als erstes spektakuläres Beispiel für diesen »Fiktionswert« (Drügh 2011, S. 22) gilt der Verkauf von Kraft im Jahr 1988: Der Nahrungsmittelkonzern wechselt aufgrund seiner starken Marke zu einem Vielfachen des Buchwerts die Eigentümer/-innen (vgl. Klein 1999, S. S. 7). Zweitens lässt sich auf der Basis einer starken Markenidentität eine im Grunde unbegrenzte Bandbreite von Waren und Dienstleistungen verkaufen. Als Beispiel dafür gilt der Aufstieg von Virgin von einem Schallplattenversand zu einem Mischkonzern mit unter anderem Bankdienstleistungen, Flug- und Zuglinien sowie Hochzeitsboutiquen und Juwelenhandel, der sich im Verlauf der 1980er und 1990er Jahre vollzieht. Möglich gemacht habe dies eine zeitgeistige »brand essence« von »iconoclasm« (Aaker/Joachimsthaler 2000, S. 46). In der Praxis entstehen diese Konzeptionen also einige Jahre vor ihrer Aufnahme in die Marketingtheorie. Klein (1999, S. 3) verortet das Aufkommen der »seemingly innocuous idea […] that successful corporations must primarily produce brands as opposed to products« in der Mitte der 1980er Jahre. Historisch erlebt die Markenwertorientierung daraufhin einen zunächst sehr raschen und scheinbar nicht aufzuhaltenden Aufstieg – bis sie im Jahr 1993 einen schweren Rückschlag hinnehmen muss: Als am Marlboro Friday der Tabakkonzern Philip Morris ankündigt, den Preis seiner Parademarke zu senken, um mit so genannten No-Name- bzw. White-Label-Produkten besser konkurrieren zu können, scheint die Ära des Branding zunächst schon wieder beendet. Die Welt der Werbeagenturen wird von Panik erfasst, die Wirtschaftspresse schreibt einige Monate lang von einem neuen Zeitalter des Preis- statt des Markenbewusstseins (vgl. Klein 1999, S. 15). Dies erweist sich in der Folge als übertrieben, doch sind Konsumgütermarkt und Marketingstrategie seither zwischen preisgünstigen Hausmarken und hochpreisigen Markenprodukten beziehungsweise zwischen Pricing und Branding gespalten. Signifikant ist dabei, dass ganz besonders die junge Kundschaft – die soziologische und ›gefühlte‹ Definition von ›Jugend‹ erweitert sich zugleich erheblich – weiterhin zu Markenprodukten neigt (vgl. ebd., S. 68). Deshalb wird gerade der ›Jugendmarkt‹ für Markenmanager/-innen in den 1990er Jahren zentral. Nicht zuletzt auf seiner Basis scheint der Erfolg und die gesellschaftliche Prägekraft von Brand Identity heute so groß wie nie. Dies wiederum hat seinen Grund auch in neuen Strategien des Branding, die die Ansprache der Kundschaft noch weiter verfeinern. Um 2000 entdeckt die Marketingtheorie das Phänomen und Instrument der »brand community«, das die identitätsorientierte Markenführung weiterentwickelt (vgl. Muniz/O’Guinn 2001). Durch die Unterstützung oder bestenfalls das Stiften von mehr oder minder festen Fan-Gemeinschaften, die sich um bestimmte Marken und Produkte ranken, lässt
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sich die Identifizierung von Ware und Kundschaft noch vertiefen. Nunmehr versuchen die Marken also, nicht nur Beziehungen zu Einzelnen aufzubauen, sondern Beziehungen zwischen diesen herzustellen und sich so noch tiefer in deren Alltag einzuschalten.20 Auch diese Idee entsteht nicht an Marketinglehrstühlen, sondern greift bestehende Phänomene auf. In Deutschland wäre etwa an die Opel-Mantaoder Golf-GTI-Clubs der 1980er Jahre zu denken oder an die Gemeinschaft um den Citroen 2-CV (›Ente‹). Nicht selten bilden sich solche Gruppen um Produkte, die nicht mehr angeboten werden; noch Ende der 2000er Jahre gibt es solche Gemeinschaften etwa um den seit 1998 nicht mehr vertriebenen PDA Apple Newton oder um 3com Audrey, ein 2001 vom Markt genommenes Tool für PDA (vgl. Schau/Muniz/Arnould 2009, S. 33). Zur Vorgeschichte von Brand Communities zählt die Marketingtheorie freilich auch die Subkulturen seit den 1960er Jahren, die als Totems oft Produkte benutzen, deren Hersteller davon nicht selten überrascht sind. Zum Beispiel werden Arbeitsschuhe von Doc Martens im Punk- und Independent-Schema oder Turnschuhe von Adidas im frühen Rap zu einem Statement kultureller Zugehörigkeit. Ähnlich verhält es sich auch mit jener kulturellen Umdeutung der Arbeitskleidung von Carhartt oder Dickies im Skateboarding, von der bereits die Rede war. In den 1990er Jahren wird nun zunehmend versucht, solche Gruppierungen nicht nur zu pflegen, wenn es sie schon gibt, sondern sie gezielt zu initiieren, etwa durch interaktive Webseiten, reale Treffen – sogenannte brand fests – und avancierte Formen von Eventmarketing, die zuweilen sogar politische Interventionen umfassen. So sponsort Nike 2002 in Berlin einen illegalen Club (vgl. Borries 2004, S. 62). Adidas ermutigte in jüngerer Zeit Schul-Footballteams in den USA, sich von rassistischen Namen und Maskottchen à la ›Redskins‹ zu trennen – unterstützt von Präsident Barack Obama (Smith 2015). Nun werden nicht mehr nur Werbebanner auf Sportereignissen aufgehängt, sondern versucht, ganze Sportarten oder Szenen zu stiften. Dafür ist etwa die Adidas Streetball Challenge im Deutschland der früheren 1990er Jahre ein Beispiel: In einer landesweiten Serie von Basketball-, Graffiti und Musikevents importiert die Marke eine ganze Sportpraktik und macht sich zum Mittelpunkt einer erlebbaren Szenerie von Coolness (vgl. Aaker 2000, S. 190ff). Ähnlich etabliert sich Red Bull in den 1990er Jahren: Neben einem aggressiven Sponsoring in bestehenden Praktiken wie nicht zuletzt im Skateboarding tragen selbst erfundene ›Sportarten‹ wie das sogenannte Air Race oder zeitweise Crushed Ice zum Erfolg bei.
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Bezeichnenderweise verschieben sich dabei auch die gesellschaftstheoretischen Bezüge der Marketingliteratur: Operiert Aaker bei seiner Konstruktion einer »Persönlichkeit« von Marken noch hauptsächlich mit der klassischen Entwicklungspsychologie, werden nunmehr vornehmlich historische und soziologische Konzepte von Vergemeinschaftung oder die Subkulturtheorie herangezogen, nicht selten auch praxeologische Ansätze.
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In Markengemeinschaften tauschen sich die ›Mitglieder‹ über Produkte und ihren Gebrauch aus. Sie lernen sich kennen, zuweilen bilden sich sogar persönliche Beziehungen, die dann stets an diese Marke erinnern. Für die Hersteller hat dies nicht nur den Vorteil, dass sich so Markenbindungen erheblich vertiefen, sondern dass diese Gemeinschaften in gewisser Weise auch an der Marke arbeiten und schon in ihrem Dasein für dieselbe werben – man spricht vom »user generated branding« (vgl. Burmann/Arnhold 2008). Darüber noch hinausgehend wird in manchen Fällen – etwa bei LEGO – die Kundschaft nicht nur organisiert, sondern sogar in gewissen Grenzen an der Gestaltung der Produkte beteiligt (vgl. Schau/Muniz/Arnould 2009, S. 30). Ließ sich der Sieg des Images über das Stoffliche mit dem Slogan »Das Marketing ist das Produkt« umschreiben (Deininger 1995), ist mit dem Community-Branding seit den späteren 1990ern eine weitere »revolution in both marketing thought and practice […] at hand« (Schau/Muniz/Arnould 2009, S. 30). Auf den Punkt bringen lässt sich dieser Modus von »cocreation« in der neuerdings prominenten Formel »the customer is the company« (ebd., S. 31). Vor dem Hintergrund einerseits dieses kleinen Überblicks über die Geschichte der kommerziellen Kommunikation im ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhundert und andererseits etlicher im Verlauf der Arbeit gewonnener Erkenntnisse über die Marken- und Identitätsökonomie im Skateboarding lässt sich nun die These von der Skateboardkultur als frühem Experimentierfeld neuer Praktiken von Marketing und Branding sytematischer stützen. Sowohl das Konzept und die Praktiken der Identitätsmarke als auch das der Markengemeinschaft gelangen im Skateboarding zu sehr frühen Blütephasen. Das signalisieren, wie schon angesprochen wurde, bereits die im Skateboarding gebräuchlichen T-Shirts: Der Durchbruch der Identitätsmarke in der Jugendkultur lässt sich laut Klein (1999, S. 28) unter anderem daran festmachen, dass um 1980 die Firmenlogos zunächst von der Innen- auf die Außenseite von Bekleidung wandern, um in der Mitte der 1980er Jahre ein »active fashion accessory« zu werden und sich allmählich »from a three-quarter-inch emblem into a chest-sized marquee« zu verwandeln – kaum jemand aber benutzt so früh so große Logos wie die in den 1980er Jahren etablierte Skateboard-Modelinie Vision Street Wear. Ferner zeigt schon die erwähnte Praktik des Sticker Tossing auf Contests und Events die konstitutive Bedeutung von Logos in der Skateboard-Kultur. Etwas zugespitzt lässt sich sogar sagen, dass dieselbe als distinkte soziale Welt oder Subkultur bereits in den ausgehenden 1970er Jahren von innerhalb ihrer Nische überaus starken Identitätsmarken gewissermaßen gestiftet wird und sich seither in Markengemeinschaften gliedert. Den Ausgangspunkt dieser Entwicklung markieren wohl Kundschaftsbindungspraktiken lokaler kalifornischer Surf-Shops in den 1950er und 1960er Jahren, die jeweils herausragende Surfer/-innen mit kostenfreiem oder vergünstigtem Equipment ausrüsten, um zugleich für sich zu werben. Die Skateboardfirmen bereits der 1960er und frü-
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hen 1970er Jahre übernehmen dieses Prinzip und unterhalten zur Vermarktung ihrer Produkte Teams von Repräsentantinnen und Repräsentanten. Weisen diese zur Zeit des Slalom- und Figurenskatens noch keine identifizierbare stilistische Identität auf, ändert sich das mit dem Stil von Dogtown, der von Anfang an eine bestimmte Ästhetik körperlicher Bewegung mit einem Logo verbindet. Die so oft beschworenen Z-Boys sind Botschafter einer bereits 1975 voll formierten Identitätsmarke. Auch wenn diese spezielle Marke recht kurzlebig ist, setzt sich das Konzept, dass Skateboardfirmen bestimmte ästhetische Ideen darstellen sollten, forthin im ökonomischen System der Praktik fest. Deshalb kann Tony Hawk, wie weiter oben schon berichtet, bereits um 1980 ganz selbstverständlich verschiedene Skateboardlabels mit fein unterscheidbaren Fahrstilen in Verbindung bringen. Gezielt und doch unwillkürlich eignen sich Teilnehmer/-innen und kommerzielle Einheiten der Praktik schon seit den ausgehenden 1970er Jahren erstaunliche Kompetenzen in Sachen Markenführung an. Wenn Stacey Peralta (2012, 00:31:19) über die Maxime berichtet, die um 1980 für die Gestaltung von Ads bei seiner damals neuen Marke Powell-Peralta gegolten habe, klingt er wie ein Werbeprofi späterer Tage: »Let the magazines show skateboarding. We show ideas and images.« In einer zunächst nischenhaften Kultur, in der sich schon um 1980 fein unterschiedene Markenidentitäten mit distinkten Stilen körperlicher Bewegung vermählen, sind die geschilderten Markenführungstechniken der literarisch-mentalen sowie körperlich-sinnlichen Identifizierung sehr früh sehr weit fortgeschritten. Im allgemeinen Sportmarkt ist es zu diesem Zeitpunkt dagegen noch kaum möglich, etwa mit Nike oder Adidas auch spezifische Stile von körperlicher Bewegung zu verbinden. Erst einige Jahre später – mit der 1985 gestarteten Kampagne um den Basketballer Michael Jordan – beginnt Nike in großem Stil mit der Arbeit an einem ›eigenen‹ Sportethos. Das Hauptwerkzeug ist dabei eine Serie spektakulärer Kinound Fernsehspots, die Jordan den Beinamen ›Air‹ einbringen. Diese ersten »rock videos about sports« führen, wie Klein (1999, S. 52) schreibt, »sports into the entertainment world« ein und machen sowohl Nike als auch Jordan zu ›Superbrands‹. Die kleinen Skateboard-Marken aber kommen in ihrer Nische nicht nur früher auf dieses Instrument, sondern erzielen mit ihren auf VHS vertriebenen Filmen qualitativ auch mehr Wirkung als Nike mit seinen Spots, weil die Skateboard-Videos nicht nur ein bestehendes Sportspiel neu in Szene setzen, sondern als Lehrmaterial fungieren: Sie bringen die Identität ihrer Marken viel näher an die Körper der Zusehenden heran. Insofern kann man davon ausgehen, dass nicht nur die sportiven Botschafterinnen und Botschafter von Powell-Peralta, Vision, Santa Cruz oder G&S jeweils für einen distinkten Stil von Bewegungen auf Skateboards stehen, sondern in gewissen Grenzen auch die jeweilige Kundschaft: Die Skateboard-Kultur bereits der 1980er Jahre ist nichts anderes als ein System aus miteinander kommunizierenden und
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sich zugleich voneinander abgrenzenden Markengemeinschaften, die sich um »totemische« (Loret 1996, S. 37ff) Symboliken und Zeichenstile gruppieren. Zwar gründen die Labels keine Vereine und unterhalten zunächst auch keine User-Foren, aber sie stiften Stile und veranstalten brand fests: Wie Rockbands gehen die Teams auf Tour und zeigen sich auf Shows, während derer das Publikum den Teams mitunter recht nahe kommt und zuweilen sogar gemeinsam mit diesem fahren kann. Skateboardprofis dürften seit jeher mehr Show-Auftritte haben als Wettkampftermine. Wie wichtig die Rolle ist, die Markenidentitäten und Markengemeinschaften innerhalb der Skateboard-Kultur spielen, zeigt sich auch darin, dass jene Polemiken der Old-School- gegen die New-School-Marken zu Beginn der 1990er Jahre die Szenen zeitweise tatsächlich zu spalten drohen – und dass sich die in diese Kontroversen verwickelten Labels der Nischenökonomie der Praktik erst dann zusammenfinden, als Skateboarding mit dem Aufkommen der Blank Boards seinen eigenen ›Marlboro Friday‹ erlebt, insofern Skateboards zeitweise zur Pricing- statt Branding-Ware zu werden drohen. »I hate to bring in ad speak, but branding rules skateboarding now«, schreibt Hardisty gegen Ende der 2000er Jahre (2009, S. 9). Viele der im dritten Abschnitt der Arbeit gestreiften Phänomene unterstreichen indes, dass dies sogar schon seit den späten 1970er Jahren der Fall ist. Die bemerkenswerte Sophistication der Taktiken, die Nike um die Jahrtausendwende zum Eintritt in die Skateboard-Kultur zu entwickeln gezwungen ist, die Entschlossenheit, mit der die Skateboarder/innen Mitte der 1990er Jahre ›ihre‹ Logos gegen die der X-Games verteidigen, das Sticker Tossing in den 1980er, aber auch die so gewitzten wie aggressiven Adbusting-Kampagnen der New-School gegen die Old-School-Marken nach 1990 zeigen: Skateboarding ist über weite Strecken seiner Geschichte so sehr wie kaum eine andere Praktik der Jugendkultur von Marken und deren vergemeinschaftenden Identitäten geprägt. Zunächst ohne große Etats und spezialisierte Expertise erweist sich Skateboarding als früher und rauer Spielplatz jener Modi von Marketing, die gegen Ende des 20. Jahrhunderts den ›Jugendmarkt‹ konstituieren und ausbeuten. Die Jugendlichen, die in einem solchen Umfeld aufwachsen, die ihren Sport in einem körperlichen Studium nach Markenimages ästhetisierter Videoclips erlernen und dabei mit dem enormen grafischen Output einer unübersehbaren Zahl von Labels umgehen, bilden sich en passant zu naturals einer jugendkulturellen Markenwelt. Skateboarder/-innen sind ›Young Urban Brand Natives‹ – und es ist aus diesem Grund auch alles andere als erstaunlich, dass gerade Skateboarding den Expertinnen und Experten des so genannten Jugendmarkts seit den 1990er Jahren als eine »Schlüsselszene« gilt (Heinzlmaier 1999, S. 24). Was sagt nun dieser Befund über die Praktik und deren Subjekte? Aus zwei unterschiedlichen, aber ergebnisgleichen Perspektiven können diese Befunde in eine kulturpessimistische Verdammung dieser ›Markenopfer‹ münden. Aus einer tradi-
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tionsmarxistischen Sicht ließe sich argumentieren, dass die Subjekte einer derartigen Praktik kaum etwas anderes darstellen können als vollständig fetischisierte Opfer von Warenästhetik. In einer aktiven Zusammenschaltung von Bildern und Körpern bilden sich Skateboard-Subjekte zu »aktiven Kunden«, die »einen individuellen Lebensstil aus […] symbolischen Gütern zusammenstellen« (Reckwitz 2012, S. 139), zu mithin beispielhaften Subjekten einer spätkapitalistischen ästhetischen Ökonomie (vgl. ebd., S. 138). Doch muss dabei in Betracht gezogen werden, dass dieser Bild-Körper-Konnex auch überraschende Ergebnisse zeitigen kann. Erstens sind die Skateboarder/innen nicht nur aktive Kundinnen und Kunden, sondern auch »produktive Zuschauer« im Sinne Rainer Winters (1995). Diederichsen schreibt über Popmusik, dass das »Format« als Effekt entsteht – »nicht in der Produktion, nicht in der Abspielstelle, sondern in der Rezeption« (Diederichsen 2014, S. XVIII). Gerade so werden die Bewegungsweisen, Ästhetiken, Haltungen und Botschaften, die etwa Skateboard-Videos an ihr Publikum herantragen, nicht einfach im Original in dessen Beine und Köpfe kopiert. Die Rezeption ist kein flinkes Auspacken, sondern ein langwieriges »reverseal« (Shove et al. 2012, S. 48) durch lokale Publika unter stets verschiedenen Bedingungen. Und zweitens ist die im Vorliegenden rekonstruierte Genealogie der Ästhetik von Skateboardmarken auch eine Geschichte gescheiterter, delegitimierter Warenästhetik: Die Markenexpertise, die sich Skateboarder/-innen einverleiben, schließt auch spezifische Kritikfähigkeiten ein. Es bleibt also prinzipiell unberechenbar, was aus all den Fiktionen wird, die Skateboard- und andere Marken mit ihren Produkten verbinden. Aus einer eher konservativ-kulturkritischen Sicht ließe sich – im Gegensatz zur Fetischismuskritik, aber mit ähnlichem Verdikt – vorbringen, dass zwar nicht die Subjekte durch diese warenästhetische Kommunikation kompromittiert sein müssen, wohl aber die Geschichten, die an diese Waren geheftet werden, per se entwertet und gewissermaßen in der Ware gefangen sind. Dieser Form von Konsumkritik aber lässt sich mit Wolfgang Ullrich antworten: Redet nicht, wer sich heute über die Fiktionen entrüstet, die mit Duschcremes oder Skateboards nur deshalb verbunden werden, um mehr davon zu verkaufen, wie die Sittenwächter des 17. Jahrhunderts? Damals wurde gegen die Romanschriftstellerei polemisiert, weil das wahre Buch zur menschlichen Erbauung ja längst vorliege. Diesem Argument der »Reduktion von Fiktion auf Lüge« hält Ullrich (vgl. 2011, S. 114) entgegen, dass heute niemand mehr bezweifelt, wie sehr Romane ihre Leser/-innen ergreifen, inspirieren und die Welt befragen lassen können. Warum aber sollte das für Fiktionen, die zum Verkauf anderer Ware als bedruckten Papiers ersonnen werden, grundsätzlich nicht gelten? Natürlich ist jene Adidas-Offensive gegen rassistische Football-Maskottchen oder die World-Industries-Grafik um den ›Napping Negro‹ zunächst nur Imagepflege. Aber sind diese Kampagnen deswegen unpolitisch? Thomas Frank (1997, S. 173)
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führt jene kulturelle und ästhetische »divisiveness«, die in die Rebellion von 1968 mündete, auf eine »fictional liberated generation« zurück, die die Werbung in der creative revolution schon seit 1960 bildmächtig beschworen habe – und die sich dann nicht zuletzt gerade gegen die ›Manipulationen‹ des ›Konsumismus‹ wandte. So sind auch die Elemente von Ausbruch und Freiheit, die Skateboardmarken immer wieder mit ihrer Ware verbinden, nicht notwendig nur kommerzielle Lügen. Vielleicht nicht von allen, vielleicht nicht heute oder morgen, aber sie könnten ernst genommen werden – was umso wahrscheinlicher wird, je apodiktischer die soziale Realität diese Fiktionen dementiert.
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5. Wirkliche Geschichte des Skateboarding
Was konnte nun die vorliegende Arbeit zum bereits über die Skateboard-Praktik Geschriebenen beitragen, inwieweit lässt sie darüber hinaus blicken? Zum guten Ton sollte es gehören, offen mit den Grenzen und Desiderata einer Untersuchung umzugehen – und derer gibt es einige. In dem Bestreben, die vorliegende Literatur zum Skateboarding um eine diachrone Rekonstruktion zu ergänzen, wurde die Geschichte der Praktik über einen Zeitraum von mehr als 50 Jahren verfolgt. Um einen solchen Überblick in handhabbarem Umfang zu gewährleisten, musste dieselbe streckenweise einerseits in einer sehr distanzierten, von regionalen und nationalen Umständen abstrahierenden Draufsicht betrachtet werden. Andererseits lebt die gewählte praxeologisch-genealogische Methode gerade davon, sich immer wieder sehr nah an den konkreten körperlichen und räumlichen Vollzug einer kulturellen und sozialen Praktik sowie an den mit ihr verbundenen Zeichengebrauch heranzuzoomen, um diese Elemente dann aufeinander beziehen zu können. Zwischen diesen beiden Zielsetzungen besteht eine Spannung, die sich nicht ganz auflösen lässt. Obwohl die Praktik weltweit stark von US-amerikanischen Impulsen beeinflusst wird, ergeben sich schon zwischen ihrem Vollzug in den Vereinigten Staaten und den westeuropäischen Gesellschaften Unterschiede, die wohl nicht immer angemessen berücksichtigt werden konnten. Besonders problematisch wird dies in der jüngsten Rekonfiguration der Praktik um die Jahrtausendwende. Während Skateboarding in den USA seit den ausgehenden 1990er Jahren zu einer massenhaft betriebenen und von Massenmedien formatierten Sportpraktik wird, bleibt es in Europa weiterhin ein Nischenphänomen. Der Einfluss gerade von Formaten wie den X-Games kann in den USA kaum überschätzt werden, während er in Europa und Deutschland – also jenseits des Sendegebietes von ESPN – nur mittelbar zur Wirkung gelangt. Inwieweit die etwa im ersten Abschnitt der Arbeit diagnostizierte Vergrößerung der Skateboardbewegungen im Gefolge der neuartigen Sportspektakelformate auch in Europa greift, verdiente eigentlich eine detailliertere Darstellung. Auch jene trockenen Schwimmbecken, in denen im Kalifornien der ausgehenden 1970er Jahre die Weichen in Richtung dessen gestellt werden, was heute landläufig als Skateboarding bekannt ist, hat es in Europa nie gegeben. Um diesem Umstand gerecht zu werden, wäre es wohl nötig, einen Vergleich zwi-
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schen einem europäischen und einem amerikanischen Skateboarding anzustellen und innerhalb der USA zwischen Ost- und Westküste zu unterscheiden. Doch auch hinsichtlich der Bedeutungsebene müssten regionale Umstände stärker differenziert werden. Ist doch Skateboarding außerhalb der USA stets und zuallererst als amerikanisch konnotiert, selbst zu Zeiten, in denen es in den USA vielleicht als unamerikanisch gilt. Insofern steht die Praktik in Europa und Deutschland a priori stets in einem gewissen kosmopolitischen Licht, während diese Bedeutungsebene in US-amerikanischen Diskursen fehlt. Interessant wäre es in diesem Sinne auch, die Texte von Skateboarding in Kontexten zu analysieren, in denen der Hintergrund der counter culture der 1960er und 1970er Jahre fehlt. In Afrika, im Nahen und Mittleren Osten oder in der Volksrepublik China – die, wie man annehmen darf, schon bald eine Generation hervorragender Skateboarder/-innen produziert haben wird, sollte es über 2020 hinaus bei der im Sommer 2016 beschlossenen Olympiainklusion der Praktik bleiben – verbinden sich mit den Vollzügen des Skateboardfahrens womöglich ganz andere Bedeutungen als in den westlichen Gesellschaften, die ihr »68« auf ähnliche Weise erlebt haben. Insofern kann sich die Arbeit trotz ihres Gestus einer Gesamtdarstellung und ihres Anspruchs, den bestehenden Korpus an Literatur systematisch zu historisieren, nicht als Endpunkt oder Resümee einer wissenschaftlichen Thematisierung der Praktik verstehen, sondern eher als eine Art Rahmenerzählung, die kaum weniger Fragen aufwirft, als sie beantwortet – wenn auch hoffentlich neue.
5.1.
Kompetenzen, Materialien und Bedeutungen
Dennoch konnte die Arbeit den sport- und sozialwissenschaftlichen Kenntnisstand über das Skateboardfahren an etlichen Stellen erheblich erweitern und an anderen Stellen abrunden und einordnen. Sie bot im ersten, auf die Körperkompetenzen der Praktik fokussierten Abschnitt eine trennscharfe Unterscheidung der bislang vier Generationen von Skateboard-Manövern seit den 1960er Jahren. Sie rekonstruierte, wie diese Bewegungsmuster zusammenhängen und inwiefern sie doch nicht linear auseinander hervorgehen, sie machte deutlich, wann und wie auf Skateboards vollführte Körpertechniken Bewegungen aus anderen Bewegungspraktiken verarbeiten und umformen und zugleich auf verwandte Praktiken oder Varianten von solchen abstrahlen oder dieselben erst zu konstituieren helfen. Nachdem die Praktik in den 1960er und früheren 1970er Jahren selbst Körpertechniken beileibe nicht nur – wie oft angenommen – aus dem Wellenreiten, sondern maßgeblich auch aus dem alpinen Skifahren, dem Turnen und auch dem Eislauf aufgenommen hatte, löst sie sich in den ausgehenden 1970er Jahren von solchen Präzedenzen und entwickelt ein eigenes Repertoire an sportiven Körpertechniken. Dieses figuriert sich mehrfach um und bestimmt die auf Snowboards und Ski, auf Roller- und In-
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lineskates, auf BMX-Rädern und ab einem bestimmten Zeitpunkt auch auf Surfbrettern vollführten Bewegungen maßgeblich mit – auch in deren Veränderungen. Skateboarding ist nicht nur symbolisch, sondern vor allem auch körpertechnisch das Zentrum einer ganzen Familie neuerer sportiver Praktiken, die sinnvoller als Alternative Sports oder Action Sports bezeichnet sind denn mit dem in der deutschen Debatte gebräuchlichen, aber unglücklichen Ausdruck Trendsport. In dieser Nahsicht auf die Körpertechniken wurde deutlich, wie instabil beziehungsweise dynamisch sich die konkreten Vollzüge dieser formal nach wie vor kaum kodifizierten sportiven Praktik darstellen. Die vier historischen Bewegungsmuster des Skateboardfahrens – ein Slalom- und Figurenskaten der 1960er und früheren 1970er Jahre, das Steilwandskaten der 1980er Jahre, das Street Skateboarding der 1990er Jahre und ein hier als Mega-Skateboarding bezeichneter Abschnitt seit etwa der Jahrtausendwende, der Körpertechniken der vertikalen Generation sowie des Street Skateboarding vergrößert und extremisiert – zerfallen in jeweils zwei grob zu unterscheidende Fahrweisen: Auf eine jeweils radikal auf das Neu- und Andersmachen von Bewegungen abstellende, von Haltungen des Experimentalismus, der Improvisation und Impulsivität bestimmte Inventionsphase folgt eine Phase der relativen Standardisierung und Rückversportlichung, wobei sich beide Modi überlagern und überschneiden können. Entziehen sich die Körpertechniken innerhalb jenes Inventionsmodus schon durch ihre Vielgestaltigkeit und Inkonsistenz den Messbarkeits- und Objektivierungskriterien des klassischen Wettkampfsports, pendeln sie doch immer wieder in dessen Richtung zurück. Es ist daher zwar sinnvoll und auch naheliegend, jene neueren sportiven Praktiken, zu denen auch das Skateboardfahren zählt, soziologisch vom traditionellen Vereins- und Wettkampfsport abzugrenzen. Doch zeigt die hier vorgenommene, detaillierte Untersuchung einer dieser Praktiken über mehrere Jahrzehnte, dass solche Modellierungen nicht zu statisch und binär ausfallen dürfen. Skateboarding ist nicht das Andere des herkömmlichen Sports, sondern bezieht sich immer wieder neu auf denselben, bildet sich in dieser Beziehung vielfach um und bringt zwischen den Polen von Pop- und Sportkultur immer wieder neue Hybriden hervor, die ihrerseits auf die Gestalt des mittlerweile in mancherlei Hinsicht gar nicht mehr so traditionellen Sports Einfluss nehmen. Wissenschaftliche Texte über Aktivitäten neuerer Sportivität neigen mitunter dazu, sich auf die sich vom herkömmlichen Vereins- und Wettkampfsportmodell abhebenden und dadurch scheinbar ›interessanteren‹ Züge der jeweiligen Praktik zu konzentrieren. Auf diese Art wird aber immer nur die halbe Geschichte erzählt. Der erste Hauptabschnitt der Arbeit rückte die körperlichen Bewegungen des Skateboardfahrens als Selbsttechnik in den Fokus, was einen originellen Aspekt der Untersuchung darstellt: Wird doch ausgerechnet das, was Skateboarding und ähnliche Praktiken wirklich ausmacht, in der einschlägigen Literatur vielfach nach wie vor marginalisiert: die konkreten körperlichen Vollzüge. In Anlehnung an Ro-
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ger Caillois’ Typologie des menschlichen Spielens konnten die historischen Fahrweisen der Praktik zwischen den Spielmodi Ludus und Paidia als verschiedene Kombinationen aus den Spielzielen Wettstreit, Maskierung, Körperrausch und Hazard dingfest gemacht werden. So ergaben sich erste, wenn auch nicht hinreichende Indizien dafür, welche sozialen Eigenschaftsbündel und Verhaltenmuster sich Teilnehmer/-innen der Praktik wann in ihren Routinen einverleiben müssen, um als kompetentes Subjekt der Praktik anerkannt zu werden – und welche sozialen Gruppen nach geschlechtlicher, ethnischer und schichtenbezogener Identität zu welchem Zeitpunkt besondere Affinitäten zum Skateboardfahren ausbilden und welche umgekehrt abgestoßen werden könnten. Die jeweils vorherrschende Form des Skateboardfahrens ruft bestimmte Körperhabitus auf und aktualisiert sie – wobei damit zu rechnen ist, dass physio-psychische Dispositionen auch irritiert und verschoben werden können, wenn sich Einzelne intensiv bestimmten körperlichen Übungen aussetzen. Darüber hinaus stehen die jeweils typischen Bewegungsmuster und Fahrweisen der Praktik in kinästhetischen Verwandtschaftsbeziehungen zu anderen Sportpraktiken, insbesondere aber zu bestimmten popmusikalischen Schemata bzw. bilden sich in diesen Beziehungen erst heraus: So ist die Entstehung des Steilwandskatens der 1980er Jahre nur in Verbindung mit der Motorik des Punk/Hardcore-Schemas vorstellbar – und das Street Skateboarding der 1990er Jahre lehnt sich sehr eng an den Rhythmus und das Körperverhältnis des Hiphop. Bei allen sukzessiven Versportlichungstendenzen markiert dieser Umstand, salopp formuliert, eine DNA der Praktik. So orientiert Skateboarding zumindest seit seiner ersten Transformation in den ausgehenden 1970er Jahren die Mitspielkörper seiner Subjekte in seiner Pendelbewegung zwischen Sport- und Popkultur grosso modo stets auch auf ästhetische Horizonte von sportiver Leistung. Aus der Analyse des Kompetenzen-Elements der sozialen Praktik Skateboarding ergibt sich hinsichtlich der Subjektivität und sozialen Identität der Teilnehmerschaft grob das folgende Bild: In ihrer ersten Inkarnation als Slalom- und Figurenskaten kommt die Praktik in ihren engen Bezügen zu Aktivitäten wie längst nicht nur dem Wellenreiten, sondern – zeitweise fast wichtiger – dem Skifahren, Turnen, Rollschuh- oder Eislaufen dem herkömmlichen Sportmodell relativ nahe. Sie rekrutiert ihre Subjekte in der Mittelschicht und ist geschlechtlich vergleichsweise inkludierend, aber fast exklusiv weiß. In ihrer zweiten, auf das vertikale Steilwandfahren abstellenden Gestalt verwirft die Praktik zunächst die Bewegungslogiken des herkömmlichen Sports radikal; in Familienähnlichkeit zum Punk/Hardcore-Schema bildet sie ein eigenständiges, um repetitive, druckvolle Schwungbewegungen sowie prekäre und riskante Kopfüber-Situationen gruppiertes Bewegungsmuster aus. Diese spezifische Umstellung von einem sport- zu einem stilorientierten Skateboardfahren – in Anlehnung an den Teilnehmerjargon lässt sich dieser Stil als Dogtown-Style oder als aggressive Fahrweise bezeichnen –
5 Wirkliche Geschichte des Skateboarding
ist begleitet von einer Marginalisierung weiblicher Teilnahme, während bestimmte Formen sehr körperharter Unterschichtmännlichkeit in einer eigentümlichen Weise ästhetisch aufgeladen und zum Stil erhoben werden. Für das Street Skateboarding nach 1990 ist vor allem sein popstilistischer Übergang von Punk/Hardcore zu Hiphop signifikant, das Skateboardfahren orientiert sich nun körperpraktisch an Mustern von Black Culture und Coolness – während das Mega-Skateboarding nach 2000 zumindest in einem neuen, hochgradig wettkampforientierten Teilbereich seine Bewegungen signifikant vergrößert und dabei gewisse Anleihen bei einer wiederum eher weiß kodierten, teils ›rockistischen‹ Stuntmankultur nimmt. In ihrem zweiten Hauptabschnitt unterlegte die Arbeit diese Ansätze einer an den Körperbewegungen ansetzenden Genealogie der Skateboard-Subjekte mit den materiellen Substraten, auf denen die Praktik vollzogen wird. Ein Überblick über die seit den 1960er Jahren jeweils typischerweise befahrenen Terrains zeigte zunächst, wie die Praktik in zwei Zyklen jeweils bestimmte Formen städtischer Architektur in spielerischen Akten der Raumkonstitution hinsichtlich ihrer kinetischen und kinästhetischen Energien ausliest und daraus sukzessive verschiedene Klassen von Sportmöbeln formt, auf denen sich jene Familie von um Skateboarding gruppierten Praktiken entfaltet – einerseits die vertikalen Halfpipes und andererseits verschiedenste Varianten von Kickern, Rails, Boxen und Curbs, wie sie nicht nur im Skateboarding, sondern auch im Slopestyle auf Ski und Snowboards, aber auch im BMX-Radfahren sowie etwa in Wassersportarten wie Wakeboarding gebräuchlich sind und gegenwärtig sogar für das Wellenreiten diskutiert werden. Darüber hinaus rekonstruierte dieser zweite Abschnitt, wie SkateboardTerrains in ihren Oberflächen und in ihrer Örtlichkeit Einfluss auf die jeweils vorherrschende Fahrweise nehmen, in der sich die Subjekte der Praktik bilden. Hinsichtlich der Oberflächen ließ sich zum Beispiel zeigen, warum sich das vertikale Skateboarding in seiner Emergenzphase der ausgehenden 1970er Jahre so gravierend von einer späteren, wieder sportnäheren Gestalt des Steilwandfahrens unterscheidet, die gegen Ende der 1980er Jahre vorherrscht: In diesem Zeitraum entsteht mit der Halfpipe eine vertikale Skateboard-Zweckarchitektur, deren planvoll optimierte und überörtlich standardisierte Oberflächen die Bewegungen der Fahrer/-innen unterstützen, gegenüber etwa jenem Manövrieren in den berühmten leerstehenden Swimmingpools, in denen das vertikalen Skateboardfahren zunächst entsteht, erheblich sicherer machen, aber dabei auch vereinheitlichen. Mit der Örtlichkeit der jeweils typischen Terrains lässt sich, um ein Beispiel aus einer anderen historischen Phase der Praktik herauszugreifen, beispielsweise erklären, wieso das Street Skateboarding um 1990 eine auffallend maskuline Vergeschlechtlichung aufweist, obwohl seine zunächst relativ risikoarme, kleinteilige, tänzerisch-spielerische und technikorientierte Fahrweise nach herrschenden Mustern männlich sozialisierte Körper nicht erkennbar privilegiert: Seine typischen Orte befinden sich nicht selten in jenen Zonen der städtischen Umwelt, die als
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vergeschlechtlichte Angsträume markiert sind. Umgekehrt ist mit dem Aufkommen geplanter Zweckanlagen auch für Körpertechniken des Street Skateboarding um die Jahrtausendwende eine merkliche Tendenz zu geschlechtlicher Inklusion verbunden, weil an diesen Orten formelle oder informelle Regeln gelten, die einem ›auf der Straße‹ vorherrschenden Ellenbogenverhalten zorniger junger Männer Grenzen setzen. Schließlich zeigte der zweite Abschnitt in einer Draufsicht, wie Skateboarding mit dem Zusammenhang namens ›städtischer Raum‹ korreliert. Ihr tägliches spielerisches Treiben stellt Skateboarder/-innen ohne ihr Zutun – und teils in exponierter Position – in verschiedenen Weisen in planerisch-politische Diskurse, die die in den westlichen Gesellschaften seit Mitte der 1970er Jahre ausgerufene Krise der Stadt bearbeiten. So wird Skateboarding um 1990 nach seiner Rückkehr von den fast immer versteckt gelegenen, suburbanen Orten des Steilwandfahrens unter dem Paradigma der ›harten Stadt‹ als Symbol sozialräumlichen Niedergangs identifiziert und – in den USA freilich drastischer als in Deutschland und Europa – entsprechend drakonisch verfolgt. Doch als um 2000 Diskurse der creative city den stadtpolitischen Revanchismus von Zero Tolerance zu überlagern und zu ergänzen beginnen, wandelt sich auch die Perzeption von Skateboarding: Was zuvor als Sachbeschädigung und Belästigung wahrgenommen wurde, gilt nun zunehmend als Feature zeitgemäßer Stadtmarken. Zuweilen wird Skateboarding inzwischen sogar als Werkzeug stadträumlicher Aufwertung perzipiert, weil Planer/innen das Skateboardfahren zunehmend als eine ästhetische Praktik ansehen, mit der ein ganzes Bündel hipper jugendkultureller Marker in Verbindung steht. In solchen Konzeptionen, Politiken und Umfeldern kann sich die im Skateboarding zunächst zweckfrei und situativ vollzogene subjektive Umwandlung oft dysfuktionaler Orte zu Hotspots einer Sub-, Stil- oder Jugendkultur ökonomisch messbar objektivieren. Der dritte Abschnitt der Arbeit befasste sich anhand der Zeichenproduktion der Praktik unter anderem mit der Frage, wie sich gerade Skateboarding – und nicht andere zunächst marginale, im Stadtraum vollziehbare Praktiken des Freizeitsports wie etwa Tischtennis oder Federball – im Verlauf seiner Geschichte so sehr mit Codes von Coolness auflädt, dass manche Stadtplaner/-innen nach der Jahrtausendwende in der Praktik einen Schlüssel zum urbanen Cool erkennen. Eine Antwort lässt sich unter anderem mit dem Blick auf den Verbreitungsmodus von Skateboarding seit den früheren 1980er Jahren geben: Die Praktik bewerkstelligt ihre transnationale Expansion in einem weitgehend trainer- und verbandslosen Umfeld über einen langen und prägenden Zeitraum hauptsächlich durch aufwändig ästhetisierte Musik- und Skateboarding-Videoclips, die zugleich Imagefilme von Skateboardmarken sind. Die Publika dieser Videos verleiben sich so mit dem Wissen über Skateboard-Manöver in ihren täglichen praktischen Übungen zugleich warenästhetisch spezifizierte Stilistiken ein. Skateboarder/-innen wach-
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sen auf diese Art in eine intime Vertrautheit nicht nur mit dem Musikvideo als Leitmedium der Pop- und Jugendkultur, sondern auch mit den Feinheiten und Distinktionen jugendbezogener Warenästhetik hinein. En passant bilden sie sich gewissermaßen zu Naturals des heutigen Markenkapitalismus. Ging schon der erste Abschnitt der Arbeit auf die impliziten Bedeutungen, also auf die Zielhorizonte ein, die sich in die kompetenten Bewegungen der Praktiziernden einschreiben, setzte sich der dritte Abschnitt mit den explizierten Bedeutungen auseinander, die dem Skateboardfahren in seiner Geschichte zugeschrieben werden und die nicht nur aus den körperlichen und räumlichen Praxen der Praktik ›Sinn machen‹, sondern dieselben umgekehrt auch initiieren und bearbeiten. Insofern erwies sich das Sendeverhältnis als eine entscheidende Größe in der Geschichte der Skateboard-Praktik. Seine sportnächsten Gestalten – auf dem Höhepunkt des Slalom- und Downhillskatens um die Mitte der 1970er Jahre und im Gefolge der X-Games seit der Jahrtausendwende – nimmt das Skateboardfahren zu Zeiten an, in denen jeweils die Redaktionen großer Fernsehsender gestaltenden Einfluss auf die Praktik nehmen können und nehmen. Dabei unterscheiden sich die übermittelten Erzählungen über die Frontleute der Praktik freilich erheblich: Skateboard-Stars der 1970er Jahre werden in kaum einer anderen Weise medialisiert als das Spitzenpersonal herkömmlicher Sportarten. Heute hingegen präsentieren die X-Games und vergleichbare Formate ihre Spitzen-Aktiven in der Art von Gladiatoren, die nicht nur sportliche Konkurrenzen austragen, sondern auch persönliche Rivalitäten. In dieser Verschiebung der Erzählungen von Sportler/-innen sind gewissermaßen all diejenigen Szenemythen aufgehoben, die sich zwischen den ausgehenden 1970er und den mittleren 1990er Jahren um das Personal der Praktik rankten, als subkulturelle Nischenmedien den Ton in der Frage angaben, wer Skateboarding authentisch verkörpere – von regelbrechenden Rebellinnen und Rebellen aus Suburbia über urbane Performer/-innen, die einen Beef miteinander haben oder ›sich battlen‹ – bis hin zu wirkmächtigen Klischeebildern machohafter Gangstas, Hustlers und Thugs aus den innenstädtischen Gettos. Freilich hat sich das Sendeverhältnis zwischen jener ersten und dieser zweiten Phase sportorientierter Repräsentationen von Skateboarder/-innen nachhaltig geöffnet. Verfügten die Sportformate amerikanischer Sender wie ABC und NBC in den 1970er Jahren noch über ein weitgehendes Monopol auf die Produktion und das Versenden inspirierender Bewegtbilder vom Skateboardfahren und bestimmten so fast im Alleingang über das, was als Skateboarding und Skateboarderin verbreitet wurde, mussten sie ihre Bildmacht seither Schritt für Schritt teilen: Anfang der 1980er Jahre versetzte zunächst der Videorekorder die damals vergleichsweise kleinen Skateboardfirmen in die Lage, ihre eigenen Ideen und Ästhetiken der Praktik weltweit zu verbreiten. Die Camcorder und laientauglichen Schnittprogramme der 1990er Jahre sowie die Mobiltelefonkameras und Netzwerkmedien der 2000er und 2010er Jahre ermöglichten es seither prinzipiell allen Involvierten, nicht nur als
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Empfangende frei wählen zu können, was man sich als Skateboarding vorsetzen lässt, sondern auch als Sendende einem theoretisch grenzenlosen Publikum seine eigene Version davon mitzuteilen. Im Ergebnis dessen hat sich die schon immer recht vielgestaltige Skateboardkultur gerade in den jüngsten Jahren zu einem schier unentwirrbaren Dschungel von koexistierenden oder konkurrierenden Szenen in der Szene ausgewachsen, der eine Antwort auf die Ausgangsfragen dieser Arbeit – was ist Skateboarding, wie wird es genau gemacht, wie formt es diejenigen, die es tun – zunehmend unmöglich erscheinen lässt. So hat etwa die Gladiatorenfigur des Skateboarding à la X-Games gleich verschiedene Alternativpraktiken und Gegenrepräsentationen auf den Plan gerufen – von der verschworenen Gemeinschaft, die sich eine städtische Brache sucht, um dort nur für sich und im eigenen Recht eine SelbstbauSkateboardanlage zu improvisieren über im Skateboarding neue Annäherungen an authentizistische Rocker- und Kuttenromantik bis hin zu nostalgischen Hipstern, die auf unzeitgemäßen Skateboards die 1970er Jahre wiederaufleben lassen.
5.2.
Diskontinuitäten und Kontingenzen
Die Arbeit hatte sich vorgenommen, sich auf das »Vorbewusste, Körperliche, Implizite und Praktische« zu konzentrieren, ohne dabei das Diskursive »als feindlichen Pol […] auszuschließen« (Brümmer 2009, S. 44). Auf diese Weise lassen sich die interviewbasierten und/oder textualistisch angelegten Untersuchungen, die bei weitem den Großteil der Literatur über die Skateboard-Praktik ausmachen, nicht nur hinsichtlich der Frage ›unterfüttern‹, wie die in ausgewählten Texten der Praktik analysierten Diskurse tatsächlich in die Welt kommen und dort wirksam werden sollen. Indem die vorliegende Arbeit sich der Mühe unterzieht, die Praktik zunächst in ihre Elemente zu zerlegen, die Karrieren derselben in Nah- und Draufsichten im Detail zu verfolgen, um das heuristisch Isolierte dann wieder zusammenzuführen, setzt sie sich darüber hinaus auch weitaus mehr Irritationen aus als viele ältere Untersuchungen und entwickelt eine gesteigerte Sensibilität für Diskontinuitäten und Brüche in der Geschichte der Praktik. In einer solchen Hinsicht erscheint das Untersuchte dann weniger monolithisch und auch wandelbarer. Konkret reißt dieses Verfahren etwa eine Lücke in die These einer kohärenten ›weißen Dominanz‹ im Skateboarding, die seit Yochims (2010) Arbeit über die Skateboardszene in der kleinen Universitätsstadt Ann Arbour (Michigan) immer wieder zitiert wird. Ausgehend von einer lokalen Beobachtung – nur eine kleine Minderheit der von ihr gefundenen Beobachtungsgruppe war phänotypisch nichtweiß – und gestützt auf die kritische Lektüre lediglich zweier Skateboard-Videos, die nach Yochims Deutung stereotype Bilder von Schwarzer Kultur transportieren, bezieht diese These in ihrer Untersuchung ihre Plausibilität nicht zuletzt daraus,
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dass Yochim den ›Ursprung‹ dieser Weißheit hauptsächlich anhand von Texten aus amerikanischen Massenmedien bis in die 1960er Jahre ›zurückverfolgt‹. Dies ist das Vorgehen, von dem Foucault (2002, S. 172) die Genealogie absetzt: In »die Zeiten hinabzusteigen«, um zu zeigen, »dass die Vergangenheit noch da ist und die Gegenwart noch immer insgeheim mit Leben erfüllt«, ist nach seiner Definition gerade das Gegenteil von wirklicher Historie. Besieht man hingegen die Herkunft einer Gegenwart unbeeindruckt von der Scheinautorität eines Ursprungs, richtet sich der Blick auf jene »vielfältigen subtilen, einzigartigen, subindividuellen Merkmale«, die sich »kreuzen und ein schwer zu entwirrendes Netz« (ebd., S. 171) bilden, das sich zu einer konkreten Gegenwart verfestigt oder eine solche destabilisiert und auflöst. Aus einer solchen Perspektive weicht das scheinbar Monolithische schnell auf. Wer den Blick im konkreten Fall von den Texten zunächst einmal abwendet und auf die tiefen Umbrüche richtet, die die Praktik in ihren anderen Elementen um 1990 erlebt – auf das jähe Unbrauchbarwerden der in der vertikalen Variante der Praktik gebildeten Vollzugskörper, auf die stadträumliche Verlagerung, auf den Generationenwechsel, auf die heftigen Polemiken zwischen New School und Old School –, wird schnell sensibel für mögliche Diskontinuitäten. Und findet bei einem weiteren Nachsuchen in der Tat auch Texte, die sich jener großen Linie entziehen. ›Rasse‹ und Rassismus spielen, wie die vorliegende Arbeit zeigen konnte, in der Bedeutungsproduktion der Praktik besonders während der 1990er Jahre eine dermaßen prominente Rolle, dass sich die These von einer fortgesetzten und unreflektierten weißen Dominanz in der Skateboard-Kultur nicht halten lässt, zumal zu dieser Zeit eine prominente Generation nicht-weißen Spitzenpersonals auftritt. Die Ethnizität der Skateboard-Kultur unterliegt erheblichen Schwankungen, die es genau zu rekonstruieren gilt. Das Vorliegende kommt diesbezüglich zu dem Schluss, dass die spezifische Versportlichung, der die Praktik seit etwa 2000 im Gefolge der X-Games und ähnlicher Formate unterliegt, gegenüber den auf Black Culture orientierten 1990er Jahren eine gewisse sektorale ›Entfärbung‹ mit sich bringt. Diese greift sowohl in einem bestimmten Bereich des nun hinzutretenden Wettkampfskateboarding, nämlich im Big-Air-Skaten auf Mega-Rampen, als auch in einer bestimmten authentizistischen Gegenbewegung, die sich auf die weiße Rockerkultur bezieht. Zuweilen scheinen also solche großen Linien, so aufklärend kritisch sie in Yochims Untersuchung auch gemeint sind, gerade das zu verdecken, dessen Fehlen kritisiert werden soll: im diskutierten Fall die schwarze Agency im Skateboarding. Ein anderes Beispiel für den Nutzen wirklicher Historie liegt darin, dass sie die präsentistischen Standbilder, die weite Teile der mehr oder minder ethnografisch orientierten Aufsatzliteratur über Skateboarding produzieren, dynamisch verbinden kann. Verdeutlichen lässt sich das etwa anhand der Diskussion über die Vergeschlechtlichung der Praktik. So beobachtet Beal in den frühen 1990er Jahren (vgl.
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Beal 1996, S. 208-212) im Skateboarding eine »alternative masculinity«, die mit zentralen Features hegemonialer Männlichkeit bricht: Ermunterung und Kooperation statt Dauerkonkurrenz, Teilnehmerkontrolle und »self-expression« statt Konformität gegenüber »adult authority«. Indem zugleich andere patriarchale Features wie »sex segregation« affirmiert würden, zeige die Praktik die »contradictions that arise when people negotiate new social relations« (vgl. ebd., S. 204). Gut zehn Jahre später erkennt ein von Beal mitverfasster Aufsatz (Atencio et al. 2009, S. 11-15) hingegen keinerlei »alternative« Ansätze mehr. Die Praktik sei von einer »dominant logic of risk« durchzogen, die Frauen und Mädchen symbolischer Gewalt unterwerfe. Abschließend wird gegen die Subkulturperspektive diskutiert, inwieweit gerade in der Kommerzialisierung der Praktik Ansätze zu einer »less dicriminatory« Version von Skateboarding lägen, da die nun massiv in der Skateboard-Kultur auftretenden großen kommerziellen Einheiten schon aus Interesse an einer Marktausweitung weibliche Teilnahme fördern. Verfolgt man nun aber genau die Veränderungen, denen die Praktik in der Zeit zwischen diesen beiden Aufsätzen unterliegt, lassen sich die beiden Texte, die aufeinander keinen Bezug nehmen, obwohl der zweite den ersten dementiert, widersprüchlich verbinden: In einer Nahsicht auf die Karrieren der Elemente der Praktik konnte das Vorliegende zeigen, dass sich gerade die Kommerzialisierung der Praktik nach 2000, die im jüngeren Aufsatz als Ausweg aus deren Hypermaskulinität verhandelt wird, in ihrem Streben nach spektakulären Bildern zugleich auch als Auslöserin einer Vergrößerung der Bewegungen auf Skateboards erweist, die jene kooperative statt kompetitive Interaktion, die Beal im älteren Aufsatz noch als »alternativ« ins Auge springt, zumindest in bestimmten Bereichen der SkateboardKultur durch neue Formen einer maskulinistischen Konkurrenz um Risiko und Härte ersetzt. Indem wirkliche Historie die Dynamik einer sozialen Praktik anhand der komplexen Wechselwirkungen zwischen deren Elementen rekonstruiert, vermeidet sie in diesem Fall ein Missverständnis, das Atencio, Beal und Wilson in ihrem Text von 2009 zumindest insinuieren: dass nämlich die exkludierende Maskulinität der Skateboard-Praktik ein Feature gerade der subkulturellen Tradition der Praktik sei. Die vorliegende Arbeit konnte hingegen ein komplexeres Bild erarbeiten: Die auffallende Maskulinisierung des Skateboardfahrens im emergenten Steilwandskateboarding der ausgehenden 1970er Jahre geht in der Tat auf eine subkulturelle Vergemeinschaftung im Zeichen der aggressiven Fahrweise von Dogtown zurück. Dass aber in Teilen des Street Skateboarding nach der Jahrtausendwende die Waghalsigkeit und Körperhärte einer stilisierten Form von Protestmännlichkeit so zentral wird, hat mehr mit einer Bearbeitung der Praktik durch große kommerzielle Akteure zu tun als mit einem subkulturellen Ethos. Denn die sich gerade erst formierende, für Massenmedien und Mehrheitsgesellschaft uninteressante Form des Street Skateboarding der frühen 1990er Jahre hatte zwar neben explizit
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antirassistischen teils auch explizit sexistische Zeichen produziert – so viel Widerspruch muss Geschichtsschreibung aushalten –, zugleich aber eine überaus kleinteilige, mehr auf Technik denn Risiko abstellende Fahrweise ausgeprägt, die keineswegs Schmerz und Gefahr zum zentralen Distinktionskriterium erhob. Diese Einstellung stellte sich erst im Zuge einer ›Bearbeitung‹ durch einen Mainstream her. Indem wirkliche Geschichte die »gegenseitige Abhängigkeit von körperlichen Verhaltensweisen und mentalen Phänomenen« fokussiert (Schmidt 2012, S. 59), kann sie nicht nur den – wie Beal (1996, S. 213) schreibt – »nicht-intentionalen« Sexismus in der Skateboardszene als eine physio-psychische Haltung verstehen, die nicht zuletzt in bestimmten Fahrweisen und Körperräumen entsteht und in anderen weit weniger akzentuiert auftritt. In der konzeptuellen Verbindung von körperlich-räumlichem Verhalten und mentalen Dispositionen findet sich auch eine Erklärung zum Beispiel dafür, dass sich Skateboarder/-innen zu bestimmten Zeitpunkten der Geschichte der Praktik – nämlich um 1980 und dann wieder 1990 – sehr akzentuiert wettkampfkritisch äußern und zu anderen Zeiten nicht: Zu diesen beiden Zeitpunkten befindet sich die Praktik jeweils in einer Transformationsund Inventionsperiode, in der auf nicht zum Skaten konstruiertem Terrain eine experimentierende, improvisierende und deshalb jeweils sehr inkonsistente Fahrweise entsteht, die dem Objektivierungsimperativ des Wettkampfs entgegenwirkt. Zu anderen Zeiten hingegen – etwa im vertikalen Skateboarding der späten 1980er Jahre oder im Skateboarding nach 2000 – lassen standardisierte Zweckarchitekturen und eine gewisse Kanonisierung der Körpertechniken solche wettkampfkritischen Haltungen in den Hintergrund treten. Die praxeologische und genealogische Rekonstruktion einer wirklichen Geschichte zeigt an dieser Stelle, dass beim Schreiben über die Skateboard- und auch über andere wenig reglementierte Praktiken neuer Sportivität ein hohes Maß an historischer Genauigkeit vonnöten ist. Die Arbeit zeigt in ihren Ergebnissen, wie wichtig ihr methodisches Postulat ist, sich davor zu hüten, etwa Beobachtungen aus der heutigen Gegenwart mit Untersuchungen aus den 1990er Jahren abstützen zu wollen oder vorschnelle Verallgemeinerungen zu treffen, die möglicherweise im Rückblick Sinn, Kontinuität und Einheitlichkeit stiften, wo tatsächlich Diskontinuität herrschte und Prozesse von Transformation griffen. Was für historisch interessiertes Schreiben ohnehin eine Binsenweisheit darstellen sollte, gilt offenbar in ganz besonderer Feinheit für sich so rasch und so nachhaltig transformierende soziokulturelle Bewegungspraktiken wie das Skateboardfahren: Befasst man sich aus einer Nahsicht mit solchen Gegenständen, kann offensichtlich bereits das Jahr 1995 zu einer ganz anderen Gegenwart gehören als etwa das Jahr 2005 oder 2015. Das Heranzoomen an diese interdependenten Elemente schärft so den Blick für die partielle Kontingenz und Ereignishaftigkeit, der die Transformationen sozialer
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Praktiken auch unterworfen sind. So stehen bei der für die Praktik überaus folgenreichen Geburt des vertikalen Skateboarding in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre gleich mehrere disparate Faktoren Pate: Zu dieser Zeit ist Kalifornien nicht nur von einer Wirtschaftskrise, sondern auch von einer Folge extrem heißer und dürrer Sommer betroffen, weswegen in erheblichen Größenordnungen trockene Swimmingpools zur Verfügung stehen, in denen ein Steilwandskaten erfunden werden kann. Darüber hinaus warten im Hinterland vielerorts gigantische Röhrensegmente aus Beton auf ihre Verbauung im Rahmen von Wasserwirtschaftsprojekten, die wiederum bei der Erfindung der Halfpipe als Inspiration dienen. Zudem wird es gegen Ende der 1970er Jahre aufgrund der damals geltenden Haftpflichtversicherungsgesetze fast unmöglich, Zweckanlagen zum Skateboardfahren zu betreiben, weil die Policen unbezahlbar sind. Dies bewirkt eine zusätzliche Verknappung von Skateboard-Terrains, die den Trend zu den gefundenen Pools noch verstärkt (vgl. Schäfer 2015b, S. 70). Wären alle diese Umstände nicht zusammengetroffen, wäre die Geschichte der Skateboard-Praktik womöglich ganz anders verlaufen – und damit womöglich die Geschichte von zumindest Teilen des Sportfeldes. Vielleicht hätte sich, wie etwa im Fall von Snowboarding oder BMX, neben der subkulturellen Variante ein sportähnlicher, von Racing-Disziplinen beherrschter Zweig des Skateboardfahrens erhalten. Und vielleicht wäre Skateboarding dann nicht erst im Sommer 2016 zu einer Olympiadisziplin ernannt worden, sondern früher – wenn auch in einer mutmaßlich anderen Gestalt. Nicht zuletzt bestärkt der detaillierte diachrone Blick auf die Dynamik einer sozialen Praktik die Einsicht, dass bei der Analyse in der Tat weder den Doings noch den Sayings ein ontologischer Vorrang einzuräumen ist. Kompetenzen, Materialien und Bedeutungen einer Praktik kommen gleichermaßen als Auslöser von Transformationen in Frage: Wird die Umgestaltung vom Slalom- und Figurenskaten der früheren zum vertikalen Skateboarding der ausgehenden 1970er Jahre maßgeblich von der Frage nach sich bietendem Terrain bestimmt, ist der Übergang vom vertikalen zum Street Skateboarding Konsequenz eines Kompetenzsprungs: Mit der Verbreitung der Ollie-Technik bietet sich der Praktik die gebaute Umwelt nicht mehr als flächig dar, sondern als vielgestaltiges Relief – wodurch die seltenen Steilwände an Attraktivität verlieren. Jene jüngste Rekonfiguration aber, die mit dem X-Games und vergleichbaren Formaten verbunden ist und nach einigen Jahren Inkubationszeit die Bewegungen der Praktik generell vergrößert, die EDVbasierte Bewertungsprogramme und entsprechende Verhaltensroutinen einführt und Skateboarding so für Olympia schon vorbereitet, geht eindeutig von der Zeichenproduktion aus: Die Redakteur/-innen amerikanischer Sportsender beginnen – zum zweiten Mal nach den 1970er Jahren – damit, die Praktik ganz unmittelbar zu editieren – in ihren Repräsentationen, in ihrem Mobiliar und sehr nachhaltig auch in ihren körperlichen Bewegungen (vgl. Schäfer 2015a, S. 162).
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5.3.
Sportiver und gesellschaftlicher Wandel
Skateboarding erwies sich nicht zuletzt durch den Umstand als interessanter Untersuchungsgegenstand, dass sich an seinem Beispiel der Unterschied zwischen recht herkömmlichem (Freizeit-)Sport sowie den sogenannten Neuen Spielen spätoder postmoderner Observanz am Beispiel nur einer Praktik zeigen ließ. Untersucht man dieselbe als Technologie des Selbst, lässt sich ihren Transformationen eine Indikatorfunktion hinsichtlich sozialen Wandels zuerkennen. Dies allerdings nicht in dem Sinn, dass diese Rekonfiguration lediglich einen sich auf einer tiefer anzusiedelnden Strukturebene vollziehenden Prozesses widerspiegle. Vielmehr bringt ein praxeologisches und genealogisches Verfahren Ordnungs- und Selbstbildung als wechselseitig konstitutiven Prozess in den Blick. Als Anzeiger gesellschaftlichen Wandels kann eine Praktik wie das Skateboardfahren insofern in dem Sinne angesehen werden, als sie Umgestaltungen eben dieses ko-konstitutiven Zusammenhanges der einzelnen Selbste und der Gesellschaft, die sie bilden und von der sie geformt werden, aufgrund ihres besonders intensiven und akzentuiert körperlichen Vollzuges ausnehmend prägnant verkörpert. Nach Reckwitz (vgl. 2010b, S. 75) lässt sich nun die Moderne als Sequenz dreier Subjektordnungen modellieren: der »bürgerlichen Moderne«, der »organisierten Moderne« und der »Postmoderne«. In einem Kräftefeld zwischen »materialer Kultur« (Artefakte, Technologien, industrielle Revolutionen) und »ästhetischen Bewegungen« entsteht eine Folge »dominanter Subjektkulturen«. Das »moralisch-souveräne Allgemeinsubjekt« der bürgerlichen Moderne wird gefolgt vom »nach-bürgerliche[n] Angestelltensubjekt« der Organisierten Moderne und dem »konsumtorische[n] Kreativsubjekt« der Postmoderne. Die »ästhetischen Bewegungen« – die Romantik des 19., die Avantgarden des frühen und die counter culture des ausgehenden 20. Jahrhunderts – wirken als Katalysatoren dieser Transformationen, indem sie die jeweils ältere Ordnung herausfordern und delegitimieren, zugleich aber auch zur Verfestigung einer neuen hegemonialen Ordnung beitragen. Subjektivierung findet in drei miteinander verwobenen »Komplexe[n] von Aktivitäten« statt: in Praktiken der Arbeit, der Freundschaft und Intimität sowie in Selbsttechniken, also Aktivitäten, in denen das Subjekt »jenseits von Arbeit und Privatsphäre unmittelbar ein Verhältnis zu sich selbst herstellt« (ebd., S. 16), womit Reckwitz vor allem Medien- und Konsumpraktiken meint. Das Sportreiben, das bei Reckwitz kaum eine Rolle spielt, gehört zu diesen Selbsttechniken – und das Skateboardfahren, wie es im Vorliegenden rekonstruiert wurde, lässt sich in dieses Modell sozialen Wandels geradezu musterhaft eintragen: Demnach wäre erstens das Slalom- und Figurenskaten der 1960er und früheren 1970er Jahre noch der Angestelltenkultur zuzurechnen: Es tendiert zu einem klassischen Modell des Wettkampf- und Leistungssports, das mit dem für die Organisierte Moderne konstitutiven »Code des Sozio-Technischen« (Reckwitz
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2010b, S. 338) korrespondiert, indem es »Leistungen […] grundsätzlich gradualisiert und quantifiziert« (ebd., S. 357) und ins Wissenschaftliche neigende Ansätze von ›Training‹ entwirft. Es ist bestrebt, sportliche Körpertechniken gemäß eines »Postulat[s] von Effizienz als Berechenbarkeit« und »Standardisierung« (ebd., S. S. 339) zu optimieren: In diesem Sinne wirken nicht nur die ganz auf Geschwindigkeit und Stromlinienform abstellenden Racing-Techniken dieser älteren Gestalt des Skateboardfahrens, sondern auch der Kanon des Figurenskatens mit seinen turnerischen Bewegungen. Diese ludisch-agonale Orientierung der Vollzugskörper der Praktik korreliert mit nach Normmaßen mit Pylonen möblierten Slalom-Pisten oder Anlagen mit Vorrichtungen zur elektronischen Zeitmessung – und Erzählungen von Skateboarder/-innen, die wie in jenem Skateboard-Song von Benny, vor dem Anlegen der »Jeans« noch brav die Hausaufgaben erledigen. Das vertikale Skateboarding der aggressiven Fahrweise von Dogtown hingegen – und als Nachhall wohl auch das aufsteigende Street Skateboarding um 1990 – passt zweitens als sportive Verkörperung jener counter culture in dieses Modell, die das Angestelltensubjekt der Organisierten Moderne delegitimiert und angreift: Es kennt kaum noch objektive Parameter von Leistung. Der Sinn der Praktik besteht nun nicht mehr in »Standardisierung und objektive[m] Leistungsvergleich« (Stern 2010, S. 152f), sondern in einem »entgrenzten […] und spielerischen Begehren nach intensiven Erfahrungen des Ichs« (Reckwitz 2010b, S. 443), in einer Erweiterung und Überschreitung des Selbst in der leibhaftigen Irritation von Routinen und Normalitätserwartungen (vgl. Alkemeyer/Schmidt 2003). Diese verkörperte Haltung korrespondiert mit einer kreativen Revolution auf den Bauchseiten der Bretter, auf denen nicht länger nüchterne Schriftzüge prangen, sondern in der Regel komplexe, mit den ästhetischen Horizonten von Punkrock-Rebellion, mit Horrormotiven oder der Anmutung von Streetgang-Zeichen spielende Vierfarbgrafiken – und mit Darstellungen von Skateboard-Subjekten als eine kleine Minderheit, die gegen alle Normen anrollt. Nach Boltanski und Chiapello (2006, S. 81) ist diese Form des Skateboardfahrens eine Verkörperung jener spezifischen »Künstlerkritik« der Gegenkulturen an der Zerstörung des Authentischen im bürokratischen Kapitalismus, in Reckwitz’ Begriffen lässt sie sich als sportiver Arm des »Kreativitätsdispositivs« (Reckwitz 2012, S. 49) auffassen: In Praxen, die auf ein ständiges Umformen, Erfinden und Neumachen von Bewegungen zielen, verkörpert sich ein breit gefächertes »soziales Netzwerk von gesellschaftlich verstreuten Praktiken, Diskursen, Artefaktsystemen und Subjektivierungsweisen« der Kreativität, das im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts die Angestelltenkultur zunächst attackiert. Drittens ließen sich dann wohl bestimmte Versionen eines mittelbar und unmittelbar ›x-gameisierten‹, also spezifisch rückversportlichten Skateboardfahrens, die um die Jahrtausendwende aufzutreten beginnen, als diejenige Formen der Selbsttechnik Skateboarding beschreiben, die nach dieser Herausforderung
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der älteren Ordnung zur Stabilisierung einer neuen Hegemonie beitragen: In ihnen treffen sich offenbar die Orientierung am impulsiven Moment und am selbstüberschreitenden Körpererlebnis mit von EDV-Programmen objektivierten Horizonten von Leistung. Diese Gestalten der Praktik vermischen das Trachten nach einer »Treue zum Stil« (Gebauer et al. 2004), nach einer expressiven Ästhetisierung bewegter Körper mit einer permanenten, wenn auch nicht immer ausgesprochenen Konkurrenz um die Anzahl übersprungener Treppenstufen. Da nun die Suche nach beziehungsweise das Dementieren von ›widerständigen‹ Elementen in der Skateboard-Praktik noch immer die Fragestellung eines Großteils der entsprechenden Literatur beherrscht, kommt auch das Vorliegende um ein diesbezügliches Resümee nicht herum. Was ist also der Beitrag der Praktik zur Stabilisierung der neuen postmodernen Subjektordnung – und welche Elemente der Praktik sperren sich vielleicht dagegen? Nicht nur als »hegemonial«, sondern als »hegemonisierend« – also nicht nur als ordnungskonform, sondern als aktiv ordnungsbildend (vgl. Opratko 2012, S. 139f) – ist die Skateboard-Kultur in einer Gesamtschau sicherlich in ihrer warenästhetischen Zeichenproduktion anzusehen. Dieser gelingt es in einer teils geradezu fantastischen Feinheit der Unterscheidungen, das Immergleiche – ein Brett aus sieben Lagen Sperrholz, Achsen und Rollen, Kapuzenpullover, T-Shirts, Sportschuhe – immer wieder als etwas ganz aufregend Neues zu verkaufen. Die Praktik bzw. deren Industrie ist eine Großmeisterin in der Herstellung jenes Rohstoffs der postmodernen ästhetischen Ökonomie, den Reckwitz (2012, S. 45) »das Neue III« nennt. Gemeint ist ein gefühltes Neues, dessen Wert sich »nicht über seinen Ort in einer Fortschrittssequenz in die Zukunft hinein, sondern über seinen momenthaften ästhetischen Reiz in der Gegenwart« bestimmt und der »immer wieder von einer nächsten sinnlich-affektiven Qualität abgelöst wird«. Hegemonisierend ist Skateboarding zweitens auch in der physio-psychischen Produktion einer Form von maskuliner Identität, die jenem Modell der hegemonialen Männlichkeit rechtschaffener, vorstädtischer »Männer von Vernunft« (vgl. Connell 2015, S. 225ff) einen Typus gegenüber- und an die Seite stellt, der Elemente einer marginalisierten »protestierenden Männlichkeit« à la »Lebe wild und gefährlich« aufgreift und mit Zügen eines expressiven Künstlersubjektes verbindet. Zu denken ist an gnarly Skateboarding als Äquivalent für »wildes Motorradfahren« (ebd., S. 170), an den im Skateboarding akzentuiert kultivierten »Sinn für Selbstdarstellung, der im herkömmlichen Rollenverständnis entschieden weibliche Züge aufweist« (ebd., S. 171). Dieser ›neue Mann‹ des Skateboarding begründet seine Position nicht etwa, wie Männer der klassischen und neueren Mittelschichten, innerhalb einer Opposition ›männlicher Rationalität‹ und ›weiblicher Intuition‹ durch technische Kompetenz, sondern sticht Frauen durch eine vermeintlich überlegene Erlebnisfähigkeit aus, die ihm in Begriffen der Skateboardkultur zu einem privilegierten Zugang zu Authentizität verhilft (vgl. Beal/Weidman 2003). Das hegemoniale
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Männlichkeitsmodell des verantwortlichen, hart arbeitenden, weißen Familienvaters wird durch eine buntere, dauerjuvenile, verspielte, ästhetisch orientierte Version herausgefordert, ohne dass dadurch die gesellschaftliche Geschlechterhierarchie grundsätzlich in Gefahr geriete. Drittens – und damit verbunden – eignen sich die Subjekte der Praktik in ihrem Treiben Dispositionen an, die in der »projektbasierten Polis« der postmodernen Ordnung (Boltanski/Chiapello 2006, S. 154) als »Indikatoren erhöhter employability« gelten und besonders, wenn auch längst nicht mehr ausschließlich, in der sogenannten Kreativwirtschaft hoch im Kurs stehen, nämlich »flexibles, ›modelsprengendes‹ [sic.] Denken, Autoritätskritik, Kreativität, Risikobereitschaft und Eigenverantwortung« (Schweer 2014, S. 11). Auch in dieser Hinsicht erscheint Skateboarding als spezifisch postmoderne »Produktivkraft« (ebd., S. 152ff). Skateboarder/-innen qualifizieren sich nicht nur als »aktive Kunden«, die die Kunst der Distinktion durch symbolischen Konsum auf die Spitze treiben (vgl. Reckwitz 2012, S. 139), sondern auch als geradezu ideale (Selbst-)Beschäftigte zu Mustersubjekten einer »ästhetischen Wirtschaft«, in deren Zentrum »keine rationalen oder kognitiven Prozesse, sondern solche der sinnlich-emotionalen Affiziertheit« stehen (ebd., S. 140). Auf der Suche nach dem hingegen nicht-integrierbaren Rest nennt Dinces (2011, S. 1528) naheliegend das Raumverhalten zumal im Street Skateboarding. Ähnlich schreibt Schweer (2014, S. 168), dass »im kairotischen Moment, den Raum nach skateboardbezogenen Maßgaben zu rekonzeptualisieren«, die »Logik des Privateigentums performativ durchkreuzt« und die »kommodifizierte Urbanität« als »Allemende« genutzt werde, als »Bühne der Kreativität wie der prinzipiellen Gleichrangigkeit aller sprechenden Tiere«. In der »Erschaffung und Okkupation eigenlogischer Skateboardplätze wie den DIY-Spots und in der selbstbewussten Verteidigung eigener Plätze« liege ein »politischer Spieleinsatz, welcher auch künftig zu Konflikten« und zu politischer Ermächtigung führen könne. Allerdings zeigt gerade Schweer (vgl. S. 93) ja selbst, dass inzwischen nicht nur geplante Skateboard-Zweckanlagen als Instrumente einer stadträumlichen Aufwertung konzipiert werden, sondern mitunter selbst das wilde, eigentlich illegitime Skaten auf der Straße als Teil von Stadtmarken legitimiert und so in Wert gesetzt werden kann. In Anlehnung an Schweer (2014, S. 168), dessen Untersuchung um das Problem der hegemonialen Integration des Skateboardfahrens durch den postfordistischen Kapitalismus kreist, lässt sich wohl festhalten, dass sich keine per se antisystemischen Elemente mehr isolieren lassen, aber die Praktik ein »dialektisches Vexierbild« bleibt, in dem »immer der Umschlag von Rebellion in Akkulturation und vice versa« möglich ist: So wenig sich die Praktik heute noch euphorisch als widerständige urbane Intervention beschreiben lässt, so wenig ist Skateboarding umgekehrt ganz ungebrochen als exemplarische Charakterschule einer postmoder-
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nen Hegemonie einzusortieren. Zwar mag Skateboarding ein »Eigenschaftsbündel« kultivieren, das sich um »Experimentalismus«, eine »spielerische Haltung«, um »Kreativität«, um eine »Orientierung am Moment« und die »ständige Bereitschaft zur Selbstveränderung« gruppiert (Reckwitz 2010a, S. 9). Doch sind beileibe nicht alle Formen und Quanten solcher Dispositionen dem Idealcharakter eines »spätmodernen Arbeitssubjekts« (ebd.) auch tatsächlich zuträglich. So wenig ihre eingefleischte Markenkompetenz Skateboarder/-innen unwiderruflich zu manipulierten Puppen des Jugendmarketing macht, so wenig steht geschrieben, dass sie jenes Eigenschaftsbündel auch wirklich auf dem Arbeitsmarkt verkaufen können und verkaufen wollen. Wie die Akkulturation einstmals antisystemischer Praktiken funktioniert, zeigt beispielhaft der jüngere Veganismus: Noch Mitte der 1990er Jahre stellt sich dieser vor allem als randständiges Feature radikaler Tierbefreier/-innen dar und ist – zumindest in Berlin – hauptsächlich in den Volxküchen besetzter Häuser anzutreffen. Im vergangenen Jahrzehnt hingegen steigt er zum Lifestyle nicht zuletzt auch junger urbaner Eliten auf, indem sich seine Diskurse um Speziezismus und Ressourcenverteilung zum Distinktionsmerkmal eines bewussten Konsums umgruppieren und zudem mit Motiven der Selbstoptimierung vermengen: Vegane Ernährung, heißt es heute, sei gesund, mache schön und leistungsfähig. Im Skateboarding hingegen ist diese Amalgamierung mit Optimierungsdiskursen zumindest auf einer ganz basalen Ebene weitgehend ausgeblieben. Zwar sind Skater/-innen geradezu virtous, wenn es um Selbstdarstellung und um ein Display von Geschmack und Coolness geht. Doch ihr Verhältnis zum eigenen Körper scheint sich bei aller Ästhetisierung weiter an jenem »auf individuellen Lustgewinn zielenden, oft selbstzerstörerischen Gebrauch« zu orientieren, mit sich dem laut Alkemeyer (2007, S. 16) die Gegenkultur der 1960er und 1970er Jahre »aus den Disziplinarordnungen von Fabrik, Schule und Armee« herausnimmt. Die Vollzugsskörper, die die Praktik heranbildet, sind – trotz aller Versportlichungstendenzen der jüngeren Jahre – bis heute grosso modo weder nach sportlichen Gesichtspunkten optimiert noch Ausweise einer »durchtrainierten und […] ganzheitlich entspannten Leisure-Class«, mittels derer sich diese von einer »gesundheitlich sichtlich angeschlagenen Loser-Class« distanziere. Sie verkörpern nicht ungebrochen »den Geist und die Haltung eines neuen, ›flüssigen‹ Kapitalismus« (ebd., S. 18). Die permanente Feier des ›Schrottens‹ des eigenen Körpers im Skateboarding kann im Kontext von Gender als hegemonisierend gelesen werden. Doch ist sie zugleich nicht nur die Kehrseite der »Selbstoptimierungen des Fitnessports« (Alkemeyer 2007, S. 18), sondern steht diesen bis heute sogar recht schroff entgegen.
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5.4.
Subkultur und Olympiasport
Die ewige Suche der Cultural Studies nach etwaigen politischen oder anti-hegemonialen Gehalten in Prakriken wie hier dem Skateboardfahren führt zu der gerade auch hinsichtlich des Skateboarding vieldiskutierten Frage, ob und wann dieselbe als eine Subkultur zu bezeichnen ist – und was, wenn ja, genau mit diesem Ausdruck gemeint sei. Beim Lesen der Arbeit wird aufgefallen sein, dass sie sich einen vergleichsweise freihändigen Umgang mit Begriffen wie Szene, Subkultur, Stil-Kultur und Stil-Gemeinschaft oder auch Pop- und Jugendkultur erlaubte und diesbezüglich nicht in Feinheiten einstieg – das Begriffs- und Definitionsangebot an »posttraditionellen Gemeinschaften« (vgl. Hitzler et al. 2009) wurde in jüngeren Jahren noch um »neo-tribes«, »lifestyle groups«, »taste cultures« oder »figurations« und mehr erweitert (vgl. Young/Atkinson 2008, S. 30f). Legitim schien diese Fahrlässigkeit aus dem Grund, dass sich die Arbeit nicht primär auf die Suche nach einem emanzipatorischen Subjekt oder Konzept begab, sondern das Skateboardfahren immer vom Sportfeld aus betrachtete. Klar ist indes, dass die mit dem Terminus Subkultur in den 1970er Jahren im Birminghamer CCCS noch emphatisch verbundenen Konzeptionen von Rebellion durch Stil und »Resistance through Rituals« (vgl. Hebdige 1979; Hall/Jefferson 1976) als Werkzeug soziologischer Gegenwartsanalyse an Kraft und Nutzen verloren haben, seit sich die postmoderne Subjektordnung als »Mainstream der Minderheiten« (vgl. Holert/Terkessides 1996) darbietet, der zumindest in der Tendenz »jede Modulation diesseits der Grenze von Eigentum und Wertgesetz« (Opitz 2004, S. 91) nicht nur duldet, sondern teils geradezu prämiert und Heranwachsende in diesem Supermarkt der Besonderung je nach Lust und Laune shoppen gehen können. Ohne, dass immer ganz klar wird, ob nun die Tauglichkeit dieser Konzeptionen für zeithistorische Forschungen über Kultur und Gesellschaft der Nachkriegszeit bezweifelt wird oder ihre Relevanz für im Heute angesiedelte Studien, wurde die klassische Subkultur-Konzeption der Cultural Studies in diesem Sinne vielfach revidiert. Von einem normativen Standpunkt wird dabei kritisiert, dass sich diese klassische Subkulturtheorie zu einseitig auf jugendkulturelle symbolische Klassenpolitiken konzentriere, während soziale Strukturkategorien wie Ethnizität und Geschlecht zu wenig berücksichtigt würden. Aus einer eher historisch-empirischen Sicht wird angemerkt, dass die Homogenität und Abgeschlossenheit dieser Subkulturen gegenüber einem gesellschaftlichen Mainstream oft überzeichnet sei (vgl. Reinecke 2012, S. 111). Mit Blick auf Skateboarding spricht entsprechend Yochim von einer »corresponding culture«, um die »false binary between subculture and
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mainstream« zu vermeiden1 (Yochim 2010, S. 17). Ähnlich argumentiert auch Donnelly, um freilich Skateboarderinnen und (vor allem) Skateboardern umgekehrt zugleich – dann wieder normativ argumentierend – ein »elitist and exclusionary« Verhalten zum Vorwurf zu machen (Donnelly 2008, S. 202). Thornton (vgl. 1995) arbeitet am Beispiel von Techno- und House-Clubbing unter anderem heraus, dass subkulturelle Gemeinschaften keine herrschaftsfreien Räume sind, sondern in ihrem Inneren selbst von informellen, aber zuweilen stark ausgeprägten Hierarchien subkulturellen Kapitals geprägt. Hinsichtlich der Skateboard-Praktik ergibt sich demnach die Besonderheit, dass deren Theoretisierung als widerständige Subkultur mit Beals Aufsatz von 1995 zu einem Zeitpunkt beginnt, an dem die Annahme ungebrochener jugendlicher Stil-Rebellionen eigentlich bereits als revidiert gelten kann. Beals Ansatz hat aber zumindest insofern seine Berechtigung, als dass die Identifikation mit sportiven Subkulturen, weil sie besonders intensive Spieleinsätze fordern, etwa am Beispiel von Snowboarding als ausnehmend »strong and distinct« beschrieben worden ist (Coates et al. 2010, S. 1095). Von einem Stil-Zapping, das für popmusikalische Gemeinschaften prägend geworden sei, könne bei Praktiken mit derart intensiver körperlicher Komponente keine Rede sein. Teilnehmer/-innen fühlten sich auch lange nach dem Verlassen des Kernalters stark mit diesen Bewegungskulturen verbunden. Young und Atkinson (vgl. 2008, S. 8) empfehlen darüber hinaus, gerade sportive Subkulturen stärker als dynamische Felder zu betrachten, in denen es nicht nur zu Absorptions- und Assimilierungsprozessen kommen kann, sondern umgekehrt auch zu Momenten des Anhaltens und Einfrierens dieser Assimilation und zu »Verstärkerprozessen« – die etwa durch Veränderungen in ihrem Umfeld angestoßen werden und Integration oder Kommerzialisierung stoppen, wenn nicht zumindest partiell rückgängig machen können. Die vorliegende Rekonstruktion der Geschichte des Skateboarding zeigt nun grob zwei Abschnitte – die Zeit der Ausbildung des vertikalen Skateboarding in den ausgehenden 1970er und die Entstehungszeit des Street Skateboarding in den frühen 1990er Jahren –, in denen die Praktik mit etwas Vorsicht und ohne normative Überfrachtung in dem Sinn als subkulturell betrachtet werden kann, dass sie stark auf Abgrenzung von der Mehrheitsgesellschaft und auch von anderen Jugendkulturen bedacht ist; dies gilt sogar gegenüber recht eng verwandten Praktiken wie etwa BMX oder Aggressive Inline. In diesen beiden Zeitabschnitten, in denen sich jeweils die körperlichen Bewegungen der Praktik stark verändern, scheint
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Dieser Befund liegt allerdings gar nicht so fern von den ›Klassikern‹ der Subkulturstudien: Schon Hebdige schreibt über Punk, die Entstehung solcher Gemeinschaften sei stets mit ambivalenten, zwischen heimlicher Faszination und schriller Hysterie pendelnden Deutungen durch die Massenmedien verbunden, die gewissermaßen die semantische Manövriermasse dieser Gemeinschaften darstellen (Hebdige 1979, S. 92f).
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sich die interne Hierarchie stärker über stilistische, auch modische Zugehörigkeit zu definieren, während in den jeweils darauf folgenden Phasen einer spezifischen Versportlichung die fahrerische Leistung, also die Trickkompetenz in den Vordergrund tritt. Insbesondere in den frühen 1990er Jahren sind, mit freilich erheblichen Abstrichen bei der Vergeschlechtlichungsthematik, explizit politische Rhetoriken nicht selten. Zwar ist Skateboarding keine Oppositionsbewegung, sondern eine sportive Praktik, doch ist die Teilnehmerschaft zumindest in deutschen und europäischen Kontexten, wo Skateboarding quantitativ eine Nischenpraktik bleibt, von einer deutlichen und stabilen Mitte-Links-Positionierung geprägt, die – betrachtet man das Skateboardfahren als Sportart – durchaus auffällig ist. In herkömmlichen Sportarten sind so homogene politisch-kulturelle Orientierungen nicht anzutreffen. Insbesondere ist manifester, aggressiver, abwertender Rassismus außerordentlich selten, wenn es auch zu Äußerungen eines positiven, exotistischen Rassismus kommen kann; in Deutschland wird Skateboarding nicht zufällig immer wieder in Kulturevents ›gegen Rechts‹ einbezogen. Ängste um einen Verlust der vermeintlichen subkulturellen Authentizität prägen aktuell erhebliche Teile der szeneinternen Debatten über die Olympiainklusion. Formuliert wird der Wunsch nach einem Olympisch-Werden der Praktik freilich schon seit 1965. Auf dem Höhepunkt der eher sportorientierten Gestalt des Slalom- und Figurenskatens kommen um die Mitte der 1970er Jahre erstmals Gerüchte um eine bevorstehende Aufnahme ins Olympiaprogramm auf. Recht konkret im Raum steht eine solche erstmals 1984, als eine Skateboard-Show einen Teil der Schlusszeremonie der Olympischen Sommerspiele von Los Angeles bildet (vgl. Schäfer 2018, S. 46). 2007 wird dann etwas voreilig Vollzug gemeldet – damals sollte, wie nicht nur der Berliner Tagesspiegel zu berichten wusste, Skateboarding unter dem Dach des Weltradsportverbandes UCI in die IOC-Spiele einbezogen werden, mit dem die auch hinsichtlich einer Olympiainklusion gegrüpndete International Skateboarding Federation (ISF) zu diesem Zweck kooperierte (vgl. N.N. 2007). Dies scheiterte jedoch einerseits an der Teilnehmerschaft; zudem spielte eine Rolle, dass sich in der Skateboardindustrie auch Widerstände gegen diese Kooperation mit dem umstrittenen und der Praktik fremden Verband ergeben (vgl. Beal 2013, S. 36). Im Sommer 2014 fand dann im Rahmen des Sports Lab der Young Olympic Games in Nanjing ein von der ISF veranstalteter Demonstrationswettkampf statt (vgl. Schäfer 2014). Und im Sommer 2016 wurde tatsächlich beschlossen, bei den Sommerspielen von Tokio im Jahr 2020 jeweils 40 Frauen und Männer in den Disziplinen Street Skateboarding und Park Skateboarding starten zu lassen. Dabei kooperieren der traditionelle Weltrollsportverband FIRS und die ISF – auch als Resultat eines Einigungsdrucks, der seitens des IOC auf die konkurrierenden Verbände ausgeübt wurde. Ob Skateboarding nach den Spielen von Tokio im Programm bleibt, ist un-
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gewiss, da den veranstaltenden Städten in der jüngsten Olympiareform erhebliche Auswahlrechte zugestanden wurden. Unwahrscheinlich ist es jedoch nicht. Während große Teile der Skateboardindustrie und etliche wettkampfsportliche Frontleute der Praktik in den jüngsten Jahren auf dieses Ziel hingearbeitet hatten und die Entscheidung nun mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen, ist der Tenor der Debatten in erheblichen Teilen der Teilnehmerschaft weiterhin zwiespältig, wenn nicht überwiegend ablehnend. Schweer (2014) fasst diese Diskussionen zusammen und macht sich dabei die verbreitete Olympiakritik weitgehend zueigen: Zwar sei zuzugestehen, dass ein Einschluss ins olympische Programm in nichtwestlichen Staaten insofern positive Effekte haben könne, als dass »der olympische Ritterschlag« dort unter Umständen die institutionellen und infrastrukturellen Bedingungen entscheidend verbessern könnte (ebd., S. 136). Allerdings sei dann eine »von oben implementierte Entwicklung« (ebd.) absehbar, die Skateboarding als »geplante Tätigkeit auf speziellen Trainingsplätzen zwecks Olympiaqualifikation« zu organisieren drohe (ebd., S, 137). Für die westlichen Länder befürchtet Schweer nicht nur eine weitere Kommerzialisierung (ebd., S. 131), sondern auch eine fortgesetzte Verschulung und Einhegung der Praktik durch mehr »Akzeptanz« und mehr Skateboardanlagen. Denn damit werde zugleich die »Toleranz für diejenigen Skateboardfahrer« sinken, die »sich außerhalb derselben aufhalten«. Eine Exklusion der Praktik aus dem öffentlichen Leben stehe zu fürchten (ebd., S. 135). Es kann freilich auch bezweifelt werden, dass Olympia sich auf die alltäglichen Skateboard-Praxen zumindest in den westlichen Gesellschaften gravierend auswirken wird. Dass damit in großem Maßstab eine weitere Sportifizierung durch straff organisierte Qualifikationsrunden verbunden sein könnte, zeichnet sich bei allen Organisierungstendenzen in der wettkampfsportlichen Spitze der Praktik zumindest nicht bruchlos ab. Und als »massen (-medial) kompatibles Format etabliert« (Schweer 2014, S. 127) ist die Praktik durch die X-Games oder die Street League Skateboarding (SLS) ohnehin bereits – mit allen im Vorliegenden beschriebenen Folgen. Werden die Olympischen Spiele diese Sportifizierung der Praktik wirklich noch spürbar verschärfen? Oder sind sie einfach nur ein Event mehr, von dem die meisten Skateboarder/-innen kaum Notiz nehmen werden? Könnten die IOC- den ESPN-Spielen am Ende sogar den Rang ablaufen? Selbst wenn es zu Letzterem käme, wären die Effekte differenziert zu betrachten: Ist es nicht am Ende sogar besser für die Teilnehmer/-innen an der sport- und wettkamporientierten Spitze der Praktik, wenn eine, wie kommerziell auch immer ausgerichtete, Sportbürokratie an Formaten arbeitet statt Fernsehredaktionen, die ihre Events ganz unmittelbar editieren – und stets mit dem Auge auf die Quote? Immerhin hat sich das IOC nicht für das maximale Spektakel entschieden, also für die Mega-Ramp oder eine große Halfpipe – sondern mit Street und Park Skateboarding für Formate, die für ein Massenpublikum schwieriger nachzuvollziehen sind.
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5.5.
Exkurs über Skateboards und Waschmaschinen
Die vorliegende Arbeit war schon aufgrund ihrer Entstehungsgeschichte nicht primär darauf angelegt, Beiträge zur soziologischen Theoriebildung zu leisten. Ihr Autor eignete sich einige Werkzeuge an und versuchte auf diese Weise – hoffentlich mit Erfolg – ein langjährig angesammeltes Erfahrungswissen für eine qualitative Soziologie über Sport fruchtbar zu machen. Dennoch soll auf den folgenden Seiten im Rahmen eines ausblickenden Exkurses abschließend versucht werden, den hier verfolgten praxeologisch-genealogischen Ansatz und die Ergebnisse der Arbeit auf jene Gruppe von soziologischen Ansätzen zu beziehen, zu denen die Praxistheorie laut Reckwitz (2003, S. 287) »größtmögliche Entfernung« hält – nämlich sozioökonomische Strukturtheorien. Denn offenbar ist deren Vokabular ohnehin nicht ganz zu vermeiden, wenn etwa diejenige Ordnung zu charakterisieren ist, die ab den 1960er Jahren von jenem »Kreativitätsdispositiv« umgeformt wird. Diese ältere Ordnung stehe, so Reckwitz (2012, S. 138) »auf der Grundlage standardisierter Massenproduktion« und verfolge ein »emphatisches Leitbild des Sozialen«, das die »Organisation als prototypische Einheit einer wohlgeordneten Sozialität« bestimmt – was wiederum »als Kehrseite der Massenproduktion die Massenkonsumtion der breiten Mittelschicht« voraussetzt. Sozioökonomisch ausgearbeitet wurde jener Zusammenhang von Massenproduktion, Massenkonsum und durchorganisierter Gesellschaft seit den 1970er Jahren von der sogenannten Regulationsschule, deren profilierteste Vertreter in der Bundesrepublik Joachim Hirsch und Roland Roth sind. Grob vereinfacht bestand deren Projekt darin, jenseits starrer altmarxistischer Konzeptionen von Basis und Überbau zu einer nicht-finalistischen Theorie kapitalistischer Krisen und einem nicht-linearen Verständnis der Transformationen kapitalistischer Gesellschaften zu gelangen. Dazu unterschied man zwischen einer ökonomischen Verwertungslogik – dem Akkumulationsregime – und der gesellschaftlichen Regulationsweise, ohne dabei diese einfach aus jenem ›ableiten‹ zu wollen. Die »krisenhafte Dynamik kapitalistischer Entwicklung« werde, wie Sabine Fromm schreibt, »zwar ökonomisch ausgelöst, in ihrem Verlauf aber sozial ausgehandelt« (Fromm 2004, S. 16). Jene ältere Ordnung, die Reckwitz die Organisierte Moderne nennt, die aber auch oft als Industriegesellschaft bezeichnet wird, nennt die Regulationsschule Fordismus und sieht sie in den USA um 1960 und in Europa zehn Jahre später an Grenzen stoßen. Fordismus bezeichnet aus dieser Sicht »die kapitalistische Formation, die sich in den dreißiger bis fünfziger Jahren dieses Jahrhunderts im Gefolge von Weltwirtschaftskrise und Weltkrieg zunächst in den USA« herausbildet (Hirsch/Roth 1986, S. 46). Gegenüber seiner Vorgänger-Formation – der »großen Industrie«, die in einer »quasi nichtkapitalistischen, durch Subsistenzproduktion und traditionelle Lebensformen geprägten sozialen Umwelt« situiert ist –, setzt sich der Fordismus in
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einem krisenhaften, uneinheitlichen Prozess des Übergangs von einer »extensiven« zu einer »intensiven, auf tayloristische Arbeitsorganisation und Massenproduktion von Konsumgütern gestützten Akkumulationsstrategie« (S. 48) durch. »Paradigmatischer Organisator« (S. 51) dieser »Durchkapitalisierung der Gesellschaft« ist Henry Ford. Der Taylorismus ist die »arbeitsorganisatorische Basis für die Massenproduktion von Konsumgütern«, etwa durch das sprichwörtliche Fließband (S. 50; vgl. auch Loacker 2010, S. 24ff). Zum Fordismus wird der Taylorismus durch ein relativ hohes Lohnniveau, das Arbeiter/-innen potenziell dazu befähigt, ihre eigenen Produkte zu kaufen. Dieses Prinzip des »pile it high, sell it cheap« (Opitz 2004, S. 97), also das Realisieren hoher Profite über riesige Stückzahlen bei vergleichsweise geringen Preisen, wird Skalenökonomie genannt. Dieselbe kommt in die Krise, als sich bei den typischen Massenprodukten – Autos, Kühlschränke, Waschmaschinen, Fernseher usw. – Marktsättigungstendenzen zeigen (vgl. Wittke 1995, S. 87). Zugleich stößt der korporatistische Staat, nach der Auflösung traditioneller Netze sozialer Sicherung vor rasant steigende Kosten kollektiven Konsums gestellt, an fiskalische Grenzen. Zudem kommt es zu einer praktischen Überforderung der Fabrikarbeiter/-innen durch die permanente Verfeinerung der Arbeits- und Betriebsorganisation und fortschreitende Rationalisierung. Insofern zeigt der tätige Mensch die »sozio-technischen Grenzen des tayloristischen Rationalisierungsparadigmas« (Scherrer 1992, S. 33f) auf: In seinem körperlichen und mentalen Vermögen erschöpfen sich »die in der tayloristischen Arbeitsorganisation liegenden Produktivitätsreserven und damit die Möglichkeit zur kontinuierlichen Erhöhung der relativen Mehrwertrate« (Hirsch/Roth 1986, S. 79). Postfordismus bezeichnet dagegen die »Wiederherstellung des Profits« als Antwort auf diese Krise. Das Fließband hatte zwar die Massenproduktion standardisierter Güter zu kleinen Preisen ermöglicht, dies aber durch einen »weitgehenden Verlust an technischer Flexibilität« erkauft. Die Mikroelektronik als neue Basistechnologie hat nun die »entscheidende Qualität«, dass »die spezifischen Prozessinformationen nicht mehr in der Maschine vergegenständlicht werden müssen«, was »Automatisierung selbst bei kleinen Stückzahlen möglich und rentabel macht« (Hirsch/Roth 1986, S. 107). Im Idealfall wird unter diesem Prinzip ein Produkt »erst gekauft und dann gefertigt« (Opitz 2004, S. 97). Die Skalenökonomie kann daher durch eine Ökonomie der Geschwindigkeit – kurzfristige Anpassung an Schwankungen und Trends, starke Verfeinerung der Marktsegmentierung – abgelöst werden. Der Lohnkompromiss zerbricht; Rationalisierung und eine globalisierte Arbeitsteilung (zunächst südamerikanische, dann asiatische Weltmarktfabriken, Fall des Iron und des Bamboo Curtain) führen zu Massenarbeitslosigkeit in den Industriestaaten. Der entsprechende Kaufkraftausfall wird auf den liberalisierten internationalen Märkten kompensiert, so dass der Profit gewährleistet bleibt, obwohl das Rückgrat des Massenkonsums in den alten Industriegesellschaften in Teilen verloren geht. Die ökonomische Seite dieses Arguments besteht also in einer Rettung der These
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von der im Kapitalismus tendenziell fallenden Profitrate. Diese Gesetzmäßigkeit führe Wirtschaft und Gesellschaft immer wieder an Punkte des Umbruchs. Wie aber verhalten sich in diesen Vorstellungen Wirtschaft und Gesellschaft generell zueinander? Setzt die Regulationsschule ihr Projekt der Vermeidung einer ›Ableitung‹ auch um? Für Gramsci, von dem die Debatte um den »Fordismus« ausgeht, hat das ritualisierte Fühlen des Alltags, hat der »Volksglauben« die »gleiche Energie wie materielle Gewalten« (Ellferding/Volker 1986, S. 65). In seinem Fragment über »Amerikanismus und Fordismus« sieht er dessen Durchsetzung in Italien als keineswegs selbstverständlich an. Als eine Bedingung dafür, nicht etwa als eine Konsequenz einer quasi selbsttätigen, im Kapitalverhältnis angelegten Umwälzung nennt er den Bedeutungsverlust jener semi-feudalen, kleinbürgerlichen Agrar-Rentiers, die das Leben in den südlichen Kleinstädten dominierten (Gramsci 1971, S. 293). Ein fordistisches Wirtschaften – dem er ambivalent gegenübersteht – sei ohne passende Menschen nicht möglich, also nicht ohne Arbeiter/-innen und Angestellte mit einem »specific mode of living and of thinking and feeling life« (ebd., S. 302). Insofern interessiert er sich für die Art und Weise, wie diese Menschen geformt würden und blickt dabei u.a. auf die amerikanische Prohibition (vgl. S. 279) und auf den städtischen Massenmenschen betreffende Sexualdiskurse, die zu dessen Kontrolle einen »new myth of the ›savage‹ on a sexual basis« aufrichteten, obwohl »Monstrositäten« in Wirklichkeit häufiger auf dem Land vorkämen (S. 295). Am Ausgangspunkt der Fordismusdebatte steht also eine offene Vorstellung des Zusammenhangs von Ökonomie, Gesellschaft und Geschichte. Obwohl sich Gramsci weder explizit erklärt noch Begriffe konsistent verwendet, verweist seine Perspektive auf Untersuchungsfelder, die auch in den praxeologischen Blick rücken. Ähnlich skizzieren Hirsch und Roth ein weites Feld an »Vergesellschaftungsformen« – von Familienleben über Geselligkeitspraktiken bis zu einer neuen »privaten ›Konsumarbeit‹« in den Supermärkten einer »Selbstbedienungsgesellschaft« (Hirsch/Roth 1986, S. 116) – in denen sich Subjekte bilden. Hirsch und Roth räumen sogar ein »Scheitern der marxistischen Klassenanalyse« (ebd., S. 179) ein, könne diese doch Prozesse der Selbstbildung nicht fassen: Politische Kollektivsubjekte etwa ließen sich, schreiben sie in Anlehnung an E.P. Thompson und offenbar mit Blick auf die Gegenkultur bzw. die Neuen Sozialen Bewegungen der 1960er bis 1980er Jahre, »nicht einfach sozialstrukturell ›ableiten‹, sie entstehen vielmehr in einem Prozess der Selbsterzeugung, in dem sie gemeinsame Deutungen, Organisationsformen, kulturelle Praktiken, Symbole etc. entwickeln« (ebd., S. 195; Hervorh. EVS). Es scheint insofern auf einen ersten Blick nicht fair, der Regulationsschule vorzuwerfen, »soziale Verhältnisse nur auf der Aggregatsebene institutioneller Strukturen des Lohnverhältnisses« (Mahnkopf 1989, S. 112) zu thematisieren. Auf einen zweiten Blick wird indes deutlich, dass Hirsch und Roth doch wieder in den Ablei-
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tungsmodus geraten, sobald sie über Einzelne (als Masse) sprechen. Dann ist wieder von einer »Übertragung der Logik des Taylorismus« auf Freizeit oder Konsum die Rede (Hirsch/Roth 1986, S. 60; Hervorh. EVS), werden die »sozialstrukturellen Umschichtungen« bei der Durchsetzung des Fordismus »von einer […] tiefgreifenden Veränderung der Vergesellschaftungsformen begleitet« (ebd., S. 56; Hervorh. EVS) und schafft, wie Revelli (1997, S. 4) geradezu in Umkehrung von Gramscis Überlegungen schreibt, »die Fabrik […] die Gesellschaft«. Überdeutlich wird der Rückfall, wenn es bei Hirsch und Roth (1986, S. 58; Hervorh. EVS) kulturkritisch heißt, dass sich im Fordismus Massenkonsum als »die Menschen in den kapitalistischen Produktions- und Reproduktionszusammenhang scheinbar nahtlos einbindende[r] Prägestempel psychischer Strukturen und sozialer Verhaltensweisen« erweise und das »fordistische Subjekt« durch »extreme Fremdbestimmung und Funktionalisierung sowie daraus resultierendem Realitäts- und Ichverlust« geprägt sei, dass es unter »Leere und Beziehungsarmut« leide und oft in »individuelle Selbstdarstellungsmanöver« flüchte (ebd., S. 61; Hervorh. EVS). Die naheliegendste Erklärung für diese argumentative Inkonsistenz liegt wohl darin, dass Hirsch und Roth in dieser kulturpessimistischen Breitseite die künstlerkritischen Diskurse jener Kollektivsubjekte ratifizieren, denen sie eine »Selbsterschaffung« zubilligen. Mit ähnlich deduktivistischer Haltung gerät der Postfordismus in den Blick. Dessen Akkumulationsregime entspricht eine »radikale Flexibilisierung der Arbeitskräfte, die sich in grundsätzlich veränderten Arbeitsteilungsverhältnissen, neuen Formen der raum-zeitlichen Verbindung von Mensch und Maschine sowie gänzlich neuen qualifikatorischen und arbeitsorganisatorischen Schichtungen« bilde (Hirsch/Roth 1986, S. 109). Ein neuer Typ von Massenarbeitern und Arbeiterinnen, der »sich als hochgradig segmentiert und parzelliert« (ebd., S. 113) darstelle und zunehmend im Billiglohnbereich zu verorten sei, stehe einer neuen Gruppe von Beschäftigten gegenüber, für die sich die »tayloristische Tendenz der Zerstückelung, Monotonisierung und Dequalifizierung in Richtung auf ›job enrichment‹ und ›job enlargement‹« umkehre (S. 110). Hinsichtlich dieser zweiten Gruppe werde im postfordistischen Akkumulationsregime die »Subjektivität der Arbeit« neu bewertet: Während diese im fordistischen Modell als »Herausforderung, als Gefahr« betrachtet worden sei, fungiere sie nun als »Voraussetzung der produktiven ›Ordnung‹« (Revelli 1997, S. 26). So greife aber dieselbe zugleich umfassender auf den Einzelnen zu – und mache das auf Flexibilisierung und Beschleunigung abstellende Akkumulationsregime die postfordistischen Subjekte zu einer »Ansammlung isolierter […] normalisierter und in ihren Reaktionen überwachter Arbeits- und Konsumnomaden« (Hirsch/Roth 1986, S. 120). Dass eine so gelagerte Regulationstheorie ihre eigenen Prämissen verfehlt, ist auch innerhalb der sozioökonomischen Struktursoziologie registriert worden. Theoretisch verstehe die Regulationsschule Geschichte als »Prozess ohne Subjekt« und betone die »Kontingenz zwischen Akkumulationsregime und Regulationswei-
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se«, schreibt etwa Scherrer (1992, S. 57). Doch stünden »diese Bekenntnisse gegen den Funktionalismus in einem gewissen Widerspruch zu der Art und Weise, wie die Regulationisten die bisherigen Akkumulationsregime und Regulationsweisen darstellen« (ebd., S. 58). Die postulierte Absetzbewegung vom »technologischen Determinismus«, so Mahnkopf (1989, S. 101), bleibe »unfertig« und lasse eine »gravierende soziologische Lücke« (ebd., S. 111) – da handelnde Einzelne in dieser letztlich noch immer auf die Konstruktion einer allgemeinen Strukturtheorie des Kapitalismus fokussierten Perspektive fehlen, kann auch nicht geklärt werden, wie die stillschweigend angenommenen Struktureffekte der ›Verwertungslogik‹ die Menschen in Massen infizieren sollen. Aufgrund der Kulturalisierung der Sozialwissenschaft und der gleichzeitigen Ent-Soziologisierung der Wirtschaftswissenschaft in den vergangenen Jahrzehnten wurde die Frage, wie diese Lücke ausgefüllt werden könnte, seither nicht sehr intensiv diskutiert. Einen allgemein-theoretischen Vorschlag macht Fromm (2004): Sie konstruiert für den Fordismus und Postfordismus jeweils eine »hegemoniale Narration« (ebd., S. 70), ein »Ordnungsprinzip, einen kulturellen Code« (S. 173), der die Notwendigkeiten dieser gesellschaftlichen Formationen für die Einzelnen rationalisierbar machen soll. Diese Narrationen, nämlich »Formierung« bzw. »Fluktuation«, seien »nicht nur ›stories‹, mit denen soziale (oder natürliche) Wirklichkeiten beschrieben werden, sondern tragen zu deren Konstitution bei« (S. 68). Allerdings verharrt Fromms Modell auf einer mentalen, ja rationalistischen Ebene – obwohl sie feststellt, dass »interne Kohärenz« für den »Erfolg einer Narration« wichtiger sei als eine rationale »Verifikation« (S. 70) und obwohl sie am Beispiel der postfordistischen Kultur eine »Internalisierung« des Marktes diagnostiziert (S. 27). In dieser mentalistischen und rationalistischen Ausrichtung scheint dieses Konzept in seiner Erklärungskraft beschränkt. Überzeugend ist dagegen die Rekonstruktion der Entstehung der industriellen Massenproduktion in der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg bei Wittke (1996). Am Beispiel der auf Waschmaschinen spezialisierten Teile der Elektroindustrie dekonstruiert Wittke zunächst die »Rationalisierungsperspektive« (ebd., S. 11), die stillschweigend davon ausgeht, dass sich die standardisierte Massenproduktion als qualitativer Umschlag innerhalb eines im 19. Jahrhundert einsetzenden linearen Prozesses der Rationalisierung gewissermaßen logisch ergibt. Tatsächlich ereignet sich in der Elektroindustrie der tayloristische Durchbruch aber keineswegs dort, wo er aus diesem Blickwinkel zu erwarten wäre, nämlich in den avancierten Berliner Großbetrieben vor dem Zweiten Weltkrieg. So lasse sich etwa in den Siemenswerken bis 1939 »allenfalls in Ansätzen von der Herausbildung – und schon gar nicht von einer Durchsetzung – tayloristisch-fordistisch organisierter Massenproduktion sprechen« (S. 31). Stattdessen bricht sich diese an gemäß der technizistischen Rationalisierungsthese überaus unwahrscheinlichen Orten Bahn, nämlich in den »Klein/Mittelbetriebe[n] in der Provinz« (S. 33).
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Im Sinn der vorliegenden Arbeit ist aber vor allem interessant, wie Wittke soziale Praxis und die Herausbildung der Strukturen des fordistischen Wirtschaftsund Sozialmodells als wechselseitig konstitutiven Prozess in den Blick bekommt: Während die strukturbezogene Regulationstheorie die »Nachfrageseite […] nur als ökonomisches Aggregat« (Wittke 1996, S. 24) behandelt, also – wie etwa Revelli (1996, S. 4) – von der »Erschaffung des Marktes durch die Produktion« ausgeht, spricht Wittke von einer »Konsumgüterrevolution« (Wittke 1996, S. 85), die auf »eigenlogischen« menschlichen Wünschen und Routinen so sehr basiert wie sie diese zugleich unterstützt und verfestigt. Im Fall der Waschautomatenbranche sind dies veränderte Normen und Praktiken von »sauber« und »schmutzig« (ebd., S. 73). Wittke versteht diese Verschiebung menschlicher Alltagshandlungen nicht als ökonomisch »determiniert« oder »oktroyiert« (S. 69). So eröffnet er eine Perspektive auf eine Interaktion zwischen in einer bestimmten Weise produzierten (und nur deshalb auch allgemein verfügbaren) Artefakten, kollektiv-individuellen Wunschhorizonten sowie sozialen Normen und Ordnungen. Nicht zuletzt wird eine »ausgeprägte geschlechtsspezifische Segmentation« (S. 33) re-installiert, indem die Praktik der Maschinenwäsche traditionelle Arbeitsteilungen mit neuen Bedeutungen der ›modernen Hausfrau‹ abstützt. So bietet Wittkes Genealogie der Waschmaschine Raum für Studien, die Praktiken des sauberen westdeutschen Nachkriegssubjekts im Sinne eines ko-konstituiven Wechselverhältnisses mit gesellschaftlichen Ordnungen von Geschlecht und Familie, aber eben auch mit einem Zusammenhang aus einer bestimmten Produktionsweise und einer bestimmten, eben fordistischen, Beschäftigungs- und Lohnstruktur in Verbindung bringt, die jene Ordnungen und Selbsttechniken über Jahrzehnte abstützt und sie lebensweltlich plausibilisiert. Parallel dazu ist nun Skateboarding, wie es im Vorliegenden rekonstruiert wurde, hinsichtlich des Postfordismus zunächst eine soziokulturelle Praktik, in der in kreativen Körperbewegungen und einer spielerischen Umnutzung urbanen Mobiliars ein so starker eigenlogischer, kollektiv-individueller, physio-psychisch grundierter Wille zur Produktion cooler Zeichen heranwächst, dass es in der SkateboardKultur – wie wir gesehen hatten – etwa zu Beginn der 1990er Jahre sogar zu einer wirtschaftlich dysfunktionalen Überhitzung ihrer ästhetisch-affektiven Geschwindigkeitsökonomie kommt. Insofern ist Skateboarding nicht nur »adäquater Ausdruck der […] postmodernen beschleunigten Welt« (Schweer 2014, S. 60, Hervorh. EVS) oder »anfällig« (ebd., S. 63) für eine postfordistische Akkulturation, die es wie von Außen befällt. Die Praktik hat vielmehr an dessen Aufrichtung durchaus ihren Anteil: zunächst in ihrer kleinen Nische, in der sie nolens volens frühe und radikale Formen zeitgenössischer Identitätsmarkenführung erfindet – und später als »symbolic or normative anchoring« (Shove et al. 2012, S. 75) eines jugendkulturellen Cool und viel zitierte Schüsselszene des Jugendmarktes. Zugleich und umgekehrt sind weder die postfordistischen Musterbetriebe der Skateboardkultur,
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die im Kern aus einer ästhetischen Idee und einer Werkbank in Fernost bestehen, noch die labelbezogene Vergemeinschaftung und die Ästhetisierungspraktiken in der Skateboard-Kultur in heutiger Form und Dynamik ohne jene Produktionstechnologien und Arbeitsteilungen möglich, die Automatisierung selbst bei kleinen Stückzahlen möglich und rentabel machen – und lassen insofern Sedimente des projektbasierten postfordistischen Unternehmens-, Arbeits- und Sozialmodells die Lebensform SkateboarderIn zusehends gangbar und erstrebenswert aussehen und tragen so zur Stabilisierung und Legitimierung der Praktik bei. Solange eine sozioökonomische Formationstheorie im engen Wortsinn eine Strukturtheorie bleibt, indem sie also als kritisch gewendete Modernisierungstheorie deren »asymmetrische Leitunterscheidung« zwischen »Struktur« und »Kultur« reproduziert (Bonacker/Reckwitz 2007, S. 9), so lange sie ›das‹ fordistische oder postfordistische Subjekt und den Aufstieg sowie Verfall solcher Formationen sozioökonomisch bzw. technologiedeterministisch ›ableitet‹ und so lange sie etwa zur Großerzählung von der kontinuierlichen, linearen Rationalisierung neigt, liegt in der Tat eine unüberwindbare Distanz zwischen solchen Ansätzen und einem praxeologisch-genealogischen Verfahren, wie es im Vorliegenden zur Anwendung kam. Diese Distanz besteht im Fehlen jeder handlungstheoretischen Perspektive. Wird aber von dieser Mystik der geheimnisvollen, weil körperlosen ›Übertragung‹ sozioökonomischer Strukturprinzipien auf die Welt der Menschen abgesehen, gibt es keinen Grund, jene asymmetrische Leitunterscheidung von Struktur und Kultur nun in Umkehrung zu verfechten. Dann wird sichtbar, dass sich beide Theoriefamilien immerhin mit ähnlichen Gegenständen befassen – mit Praktiken des Arbeitens und Konsumierens zum Beispiel und mit der Gesellschaftsmächtigkeit von Artefakten und Technologien. Insofern bestünde ein alternativer Schluss dieser Arbeit in der Frage, ob nicht jene Ordnungen, die in wechselseitig konstitutiven Praktiken der Selbstbildung entstehen, wieder mehr unter politisch-ökonomischen Gesichtspunkten betrachtet werden sollten. Und ob es nicht wunderlich ist, dass in der Soziologie sozioökonomische Strukturbegriffe weitgehend verschwunden sind, während beileibe nicht nur das linke Feuilleton vor Ökonomisierungsthesen nur so überquillt und so genannte wirtschaftliche Sachzwänge weite Teile der öffentlichen Debatte und des Handelns der politisch Verantwortlichen bestimmen: Der Alltagsplausibilität dieser angeblichen Alternativlosigkeiten in skizzierter Weise nachzuspüren, könnte ein gesellschaftlich lohnendes wissenschaftliches Vorhaben sein.
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Die postmigrantische Gesellschaft Ein Versprechen der pluralen Demokratie 2019, 280 S., kart., 18 SW-Abbildungen 19,99 € (DE), 978-3-8376-4263-6 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4263-0 EPUB: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-4263-6
Maria Björkman (Hg.)
Der Mann und die Prostata Kulturelle, medizinische und gesellschaftliche Perspektiven 2019, 162 S., kart., 10 SW-Abbildungen 19,99 € (DE), 978-3-8376-4866-9 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4866-3
Franz Schultheis
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Soziologie Sybille Bauriedl, Anke Strüver (Hg.)
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Weert Canzler, Andreas Knie, Lisa Ruhrort, Christian Scherf
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Juliane Karakayali, Bernd Kasparek (Hg.)
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