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German Pages [420] Year 2015
Studien zu Politik und Verwaltung Begründet von Christian Brünner ∙ Wolfgang Mantl ∙ Manfried Welan Herausgegeben von Ernst Bruckmüller ∙ Klaus Poier ∙ Gerhard Schnedl ∙ Eva Schulev-Steindl
Band 84
Theo Öhlinger / Klaus Poier (Hg.)
Direkte Demokratie und Parlamentarismus Wie kommen wir zu den besten Entscheidungen?
2015 Böhl au Verl ag Wien · Köln · Graz
Gedruckt mit Unterstützung durch die Steiermärkische Landesregierung – Wissenschaft und Forschung
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar.
© 2015 by Böhlau Verlag GmbH & Co.KG, Wien Köln Weimar Wiesingerstraße 1, A-1010 Wien, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrektorat: Wolfgang J. Fink Einbandgestaltung: Michael Haderer, Wien Satz: Bettina Waringer, Wien Druck und Bindung: Druckerei Theiss, St. Stefan im Lavanttal Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the EU ISBN 978-3-205-79665-7
Vorwort
Am 18. Dezember 2014 konstituiert sich im österreichischen Parlament eine „parlamentarische Enquete-Kommission“, die der Hauptausschuss des Nationalrates am 23. September 2014 auf gemeinsamen Antrag aller im Nationalrat vertretenen Parteien beschlossen hat.1 Diese gemäß § 98 GOG des Nationalrates eingerichtete Enquete-Kommission „betreffend Stärkung der Demokratie in Österreich“ beschäftigt sich einerseits mit der Aufwertung direktdemokratischer Instrumente auf der Grundlage eines bereits 2013 eingebrachten Vorschlages („Demokratiepaket 2013“) einschließlich dazu eingebrachter Abänderungsvorschläge sowie der Ergebnisse des hierzu durchgeführten Begutachtungsverfahrens, andererseits mit Möglichkeiten zur Aufwertung der parlamentarischen Arbeit und der Optimierung parlamentarischer Abläufe und Rahmenbedingungen. In mehreren Sitzungen sollen bis zum Sommer 2015 Ergebnisse erarbeitet werden. Stimmberechtigte Mitglieder der proportional zusammengesetzten Kommission sind 18 Nationalratsabgeordnete aller Parteien; weitere neun Bundesratsmitglieder oder Expertinnen bzw. Experten werden als ständige Mitglieder mit Rederecht von den Parteien nominiert. Zusätzlich wurden nach einer öffentlichen Ausschreibung aus den Bewerbungen acht Bürgerinnen und Bürger mittels Los ermittelt, die ebenso mit Rederecht an den öffentlichen Sitzungen der Kommission teilnehmen. Die Diskussion über „mehr direkte Demokratie“ in Österreich hat sich in den vergangenen Jahren intensiviert und kommt mit dieser Enquete-Kommission wohl zu einem (vorläufigen?) Höhepunkt. Sowohl die Diskussion und insbesondere das Begutachtungsverfahren zum „Demokratiepaket 2013“, der Arbeitsplan der Enquete-Kommission sowie viele Tagungen, Publikationen und Meinungsäußerungen – nicht zuletzt auch von zivilgesellschaftlichen Initiativen – in den letzten Jahren und Monaten zeigen einerseits die Breite des Themas und die – in vielen Punkten – kontroversen Positionen auf, weisen andererseits aber auch auf eine gewisse Versachlichung der Diskussion in Österreich hin. Vor- und Nachteile werden häufiger und ausgewogener gegenübergestellt und auch die Einbettung der direkten Demokratie in den größeren Zusammenhang der Funktionsweise der in erster Linie repräsentativen 1
Siehe dazu und zu weiterführenden Unterlagen http://www.parlament.gv.at/PERK/NRBRBV/NR/ PARLENQU/PEKDEMO/ (abgerufen am 1. Dezember 2014).
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Vorwort
Demokratie wird verstärkt zum Thema gemacht, samt Überlegungen, auch andere Verbesserungsmöglichkeiten insbesondere der parlamentarischen Prozesse zu prüfen. Den Versuch einer Versachlichung der Diskussion haben die Herausgeber bereits im November 2012 im Rahmen der „Initiative Mehrheitswahlrecht und Demokratiereform“ durch die Organisation eines Symposiums im Parlament – auf Einladung der damaligen Parlamentspräsidentin Barbara Prammer – angestrebt. Die in der öffentlichen Diskussion vorherrschende Gegenüberstellung aufgreifend war der Titel des Symposiums die Frage „Direkte Demokratie vs. Parlamentarismus: Wie kommen wir zu den besten Entscheidungen?“ Barbara Prammer nahm zu diesem Titel in ihrem Grußwort Stellung und plädierte für die Umformulierung in „Direkte Demokratie und Parlamentarismus“ und inhaltlich für Reformen, die auf ein gedeihliches Ineinanderwirken beider Demokratieprinzipien abzielen. Diesen Formulierungsvorschlag Barbara Prammers haben wir gerne übernommen und – da zum Themenbereich (direkte) Demokratie/Parlamentarismus auch seitens der Wissenschaft in jüngster Zeit verstärkt und in kontroversieller Weise Stellung bezogen wurde – im Vorfeld der parlamentarischen Enquete-Kommission Wissenschafterinnen und Wissenschafter aus dem Öffentlichen Recht und der Politikwissenschaft eingeladen, für den vorliegenden Sammelband unter dem Titel „Direkte Demokratie und Parlamentarismus: Wie kommen wir zu den besten Entscheidungen?“ einen Beitrag zur Verfügung zu stellen. Der Sammelband sollte unter diesem Generalthema Raum sowohl für eine detaillierte Auseinandersetzung mit dem parlamentarischen Entwurf („Demokratiepaket 2013“) wie auch für grundsätzliche rechtspolitische Ausführungen zu aktuellen Fragen der direkten Demokratie in Österreich und/oder des Parlamentarismus bieten. Die genaue Akzentuierung blieb jedem Autor/jeder Autorin frei gestellt. Wir freuen uns sehr, dass es – obwohl wir diese Einladung erst in der ersten Hälfte des Septembers 2014 ausgesprochen haben – einer großen Zahl an Autorinnen und Autoren möglich war, einen Beitrag für den vorliegenden Sammelband zu übermitteln. Die Beiträge setzen unterschiedliche Schwerpunkte, wodurch der Band insgesamt den Themenbereich in großer Breite abdecken kann. Zu Beginn des Buches stehen grundsätzliche Beiträge zur Frage der Qualität, Reformbedürftigkeit und Reformierbarkeit der Demokratie in Österreich sowie zur Frage der Qualität politischer Entscheidungen. Es folgen Beiträge, die sich besonders mit dem Parlamentarismus sowie Möglichkeiten der Stärkung des Parlamentarismus beschäftigen. Als Überleitung zu den Schwerpunktbeiträgen zur Reform der Instrumente der direkten Demokratie im Engeren zeigen dabei allgemeiner gehaltene Beiträge zur Demokratieform die Bandbreite der Positionen und der – weit über die Agenda der Enquete-Kommission hinausgehenden – Reformmöglichkeiten und -wünsche
Vorwort
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auf. Mehrere Beiträge sind in weiterer Folge den Begriffen, Funktionen, Zielen und Wirkungen der direkten Demokratie gewidmet. Eine Reihe von Autoren beschäftigt sich daran anschließend mit dem „Demokratiepaket 2013“ sowie einzelnen rechtlichen Problemen, wie insbesondere Grenzen und allfälligen Beschränkungen der direkten Demokratie. Schließlich finden sich Beiträge zu Fragen der direkten Demokratie auf Landes- und Gemeindeebene. Abgerundet wird der Band am Ende durch ein Resümee, in dem die wesentlichen Positionen der Autorinnen und Autoren zusammengefasst sind. Der Dank der Herausgeber gilt zuerst allen Autorinnen und Autoren, die trotz der knappen Frist bereit waren, an diesem Projekt mitzuwirken, und die den Band mit ihren interessanten, facettenreichen und tiefgehenden Beiträgen auszeichnen. Dank für die Unterstützung bei der redaktionellen Betreuung des Buches dürfen wir ganz besonders Mag. Katharina Konschegg und Dr. Hedwig Unger aussprechen. Ebenso danken wir den Sponsoren für die Unterstützung dieses Buches sowie der „Initiative Mehrheitswahlrecht und Demokratiereform“, namentlich dem Sprecher, Zweiter Präsident des Nationalrates a.D. Univ.-Prof. i.R. Dr. Heinrich Neisser, sowie dem Sekretär, Prof. Herwig Hösele, für die damalige Ausrichtung des Symposiums, das für uns der inhaltliche Ausgangspunkt des nun vorliegenden Buches war. Unser Dank gilt auch dem Böhlau Verlag, namentlich Dr. Peter Rauch, Mag. Johannes Rauch und Dr. Eva Reinhold-Weisz, für die Aufnahme des Buches in das Verlagsprogramm und Mag. Bettina Waringer für die hervorragende Betreuung bei der graphischen Herstellung des Buches. Wir freuen uns auch, dass dieses Buch als erstes Buch der „Weißen Reihe“ im Böhlau Verlag unter neuer Herausgeberschaft und in einem modernisierten Layout erscheint. Dank gilt dabei den neuen Reihenherausgebern em.o.Univ.-Prof. Dr. Ernst Bruckmüller, Ass.-Prof. Dr. Klaus Poier, Ass.-Prof. Dr. Gerhard Schnedl und Univ.-Prof. Dr. Eva Schulev-Steindl, die die Reihe von den Begründern em.o.Univ.-Prof. Dr. Christian Brünner, em.o.Univ.-Prof. Dr. Dr.h.c. Wolfgang Mantl und em.o.Univ.-Prof. Dr. Dr.h.c. Manfried Welan kürzlich übernommen und dieses Buch in die Reihe aufgenommen haben. Wir freuen uns, mit dem vorliegenden Sammelband einen gebündelten Input für die aktuelle politische Diskussion über die Reform der Instrumente der direkten Demokratie und des Parlamentarismus, und dabei insbesondere für die parlamentarische Enquete-Kommission „betreffend Stärkung der Demokratie in Österreich“, vorlegen zu können. Das Buch zeichnet sich dabei auch dadurch aus, dass es – was selten der Fall ist – interdisziplinär sowohl Autorinnen und Autoren aus dem Öffentlichen Recht als auch aus der Politikwissenschaft vereint, zu einem gemeinsamen Themenbereich aus jeweils unterschiedlichen Blickwinkeln und mit un-
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Vorwort
terschiedlichen Methoden Stellung zu nehmen. Dieses Buch zeigt, dass dabei sehr fruchtbringende neue Einblicke gewonnen werden können, die in der politischen Diskussion und Entscheidungsfindung nutzbar gemacht werden sollten. Wien/Graz, Dezember 2014
Theo Öhlinger und Klaus Poier
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
I. Reform und Zukunft der Demokratie in Österreich Reinhard Heinisch/Kristina Hauser Österreich und die Zukunft der Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . 13 David F. J. Campbell Reformvorschläge für Österreichs Demokratie: Diskussionspunkte zur Demokratiequalität . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Peter Filzmaier/Flooh Perlot Wie wir entscheiden: Formen der demokratischen Organisation von Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 Heinrich Neisser Zukunftsperspektiven der österreichischen Demokratie . . . . . . . . . . 79 Herwig Hösele Das Volk ist klüger als manche denken . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 Alexander Balthasar Zur Frage nach der Qualität einer demokratischen Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
II. Stärkung der repräsentativen Demokratie und des Parlamentarismus Tamara Ehs Das Unbehagen im Parteienstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Ludger Helms Warum der Parlamentarismus nicht ausgespielt hat . . . . . . . . . . . . 135 Katharina Pabel Überlegungen zur Stärkung des Parlamentarismus . . . . . . . . . . . . 153
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Inhalt
Andreas Khol Zweifel am Allheilmittel Direkte Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . 161 Wolfgang Mantl Reform als Hürdenlauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Gerhart Holzinger Gedanken zur Demokratiereform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179
III. Weiterentwicklung der Instrumente der direkten Demokratie und ihre Grenzen Anna Gamper Was heißt „mehr direkte Demokratie“? Versuch einer Sichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 Klaus Poier Gegensatz, Ergänzung, Korrektiv: Welche Funktionen der direkten Demokratie sollen gestärkt werden? . . . 201 Sieglinde Rosenberger/Jeremias Stadlmair Direkte Demokratie – Regierungstechnik oder Instrument der BürgerInnen? . . . . . . . . . .227 Christoph Konrath Das Recht geht vom Volk aus? – Anmerkungen zu Vorschlägen für Demokratiereformen in Österreich 2011–2013 . . . . . . 253 Theo Öhlinger Möglichkeiten und Grenzen der direkten Demokratie . . . . . . . . . .289 Clemens Jabloner Schrankenloses Plebiszit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 Franz Merli Themenbeschränkungen der direkten Demokratie . . . . . . . . . . . . 311 Harald Eberhard Auf dem Weg zu mehr direkter Demokratie? . . . . . . . . . . . . . . . 325
Inhalt
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Christoph Bezemek In der Mittlerrolle – Vom Diskurs zwischen Repräsentanten und Repräsentierten . . . . . . . 339 Peter Bussjäger/Niklas Sonntag Zur Bundesverfassungskonformität des Veto-Referendums . . . . . . . .349 Werner Pleschberger Kommunale direkte Demokratie in Österreich – Strukturelle und prozedurale Probleme und Reformvorschläge . . . . . . 359 Klaus Poier Direkte Demokratie und Parlamentarismus: Wie kommen wir zu den besten Entscheidungen? Zusammenfassende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .397 Verzeichnis der Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . .405
Reinhard Heinisch/Kristina Hauser
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I. Einleitung Beinahe zwei Drittel der EU-BürgerInnen vertrauen weder ihren Parlamenten noch ihren Regierungen. Bei den Parteien ist der Vertrauensschwund noch krasser. 78 % der Befragten haben hier eine negative Meinung.1 Unter dem Stichwort Korruption finden sich in allen EU-Staaten Parteien und die eigenen Politiker an der Spitze der Rangliste.2 Auch in Österreich ist seit den späten 70er Jahren das Vertrauen in Parteien, Parlament oder Regierung im Schwinden. Eine große Mehrheit der ÖsterreicherInnen denkt, dass die zentralen Reformen nicht umgesetzt werden3, die Unzufriedenheit mit dem gegenwärtigen Kabinett Faymann liegt laut IMAS-Umfrage bei 77 %4 und der Vertrauensindex – der Saldo aus Vertrauen und Nichtvertrauen – liegt für die derzeitigen Regierungsmitglieder im Durchschnitt bei 3,14.5 Die Ursachenforschung für dieses Phänomen erweist sich als denkbar schwierig, da es weder einfache noch offensichtliche Erklärungen gibt. Österreich geht es vergleichsweise gut. Die Rezession ist weitgehend bewältigt und die Wirtschaft leistungsfähiger als anderswo. In Bereichen wie Lebensqualität, Umwelt, sozialer und persönlicher Sicherheit sowie Infrastruktur zählt das Land zur internationalen Spitze. Dennoch sind viele Menschen mit den Leistungen der Politik unzufrieden. Jedoch ausgerechnet dort, wo gerade ExpertInnen demokratiepolitischen Handlungsbedarf orten, etwa bei der politischen Integration von Menschen mit Migrationshintergrund6 oder der viel zu hohen Medienkonzentration7, ist das Interesse der breiten Öffentlichkeit gering.
1 Europäische Kommission (2014b), Standard Eurobarometer 81, 62. 2 Europäische Kommission (2014), Standard Eurobarometer 397, 23. 3 OGM (15. Dezember 2013): Kein guter Start für die neue Regierung. 4 Wiener Zeitung.at (17. August 2014), 77 % mit Regierung unzufrieden. 5 Die Vertrauenswerte reichen von +45 (Heinz Fischer) bis -19 (Kathrin Nachbaur), die Werte für die Regierungsmitglieder liegen in dem Bereich von +22 (Sebastian Kurz) bis -13 (Gabriele Heinisch-Hosek), OGM (19. September 2014): APA/OGM Vertrauensindex. 6 Z.B. Biffl und Faustmann (2013), Österreichische Integrationspolitik im EU-Vergleich. 7 Weder (2009), Österreich.
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Sich über die Demokratie Gedanken zu machen ist eine Sache, sie in ihrem Wesen zu verstehen eine andere; so wird erstaunen, dass die Wissenschaft mit diesem Konzept ringt und Versuche einer genauen empirischen Analyse nicht leicht fallen.
II. Symptome und Ursachen einer Krise Nicht nur in Österreich, sondern in vielen reichen, wirtschaftlich scheinbar erfolgreichen Staaten mit sozial relativ abgesicherten Gesellschaften stoßen wir auf fundamentale Kritik am politischen System. Die Symptome dafür sind die zunehmenden Behauptungen, dass das politische System zu wenig auf Wähleranliegen reagiere, dass sich gewählte Amtsträger immer mehr dem Populismus zuwenden würden, anstatt politische Führungsqualitäten zu zeigen, dass politische Eliten den Kontakt mit den Normalbürgern verloren hätten, und dass Politiker allzu oft daran scheitern würden, politische Visionen zu formulieren – und vor allem überzeugend zu erklären, wofür sie und ihre Partei eigentlich stehen. Diese Trends spiegeln sich nicht nur in Meinungsumfragen wider, sondern auch in Wahlergebnissen, öffentlichen Debatten, in den editorials der Zeitungen sowie in diversen Reformversuchen jüngerer Zeit, welche die Responsivität der Demokratie für Wähleranliegen und die Effektivität von governance erhöhen sollten. In zahlreichen europäischen Ländern, die in Sachen effizienter Verwaltung, sauberer Politik und demokratischer Rechtsstaatlichkeit Vorbildfunktion hatten wie etwa Schweden, Norwegen, Dänemark, die Niederlande oder selbst die Schweiz, konnte man beachtliche Wahlerfolge rechtspopulistischer Protestparteien, die das bestehende System angreifen, beobachten. Die französische Nationale Front spricht mit Blick auf Letzteres gerne von der dominanten „Classe Politique“. In Staaten mit Politikverdrossenheit herrscht das Empfinden, dass Wahlen nichts verändern, dass folglich die demokratischen Institutionen die Kosten, die sie verursachen, schlicht nicht wert sind, und dass eine plakative und vermarktete Politik substanzielle Debatten längst ersetzt hat. Die Zwänge, welchen Regierungen von Seiten internationaler Märkte und durch politische Integration ausgesetzt sind, führen zu einer öffentlichen Wahrnehmung der Reduktion politischer Handlungsspielräume, die gewählte Funktionäre zu machtlosen Technokraten macht. Politikern wird vorgeworfen, ihren Einflussverlust zu überspielen, indem sie zunehmend symbolische Politik betreiben, die in erster Linie dem Eigenmarketing dient und sich der Medienlandschaft anbiedert, welche, wie Neil Postman8 bemerkt hat, von Personalisierung, infotainment und Ratings besessen ist. Der politische Soziologe 8
Postman (1985), Amusing ourselves to death.
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Colin Crouch stellt in seinem Werk „Post-Democracy“ die heutigen Demokratien als Gemeinschaften dar, in welchen Wahlen und sogar die Übertragung von Macht zu bloßen Spektakeln und Wettbewerben zwischen Public Relations-ExpertInnen werden, die jeden kleinen Aspekt der Debatte schon im Voraus bestimmen und kontrollieren.9 Bürger werden hier zu unbeteiligten Zuschauern degradiert. Viele Kritiker schließen sich deshalb Habermas an und beklagen den Niedergang der demokratischen Öffentlichkeit, die als Opfer eines rücksichtslosen Prozesses von Kommerzialisierung in den Massenmedien gesehen wird.10 Im österreichischen Kontext konstatieren KritikerInnen jedoch, dass die negativen Veränderungen der Demokratie gar nicht jüngeren Datums seien, sondern die Bevormundung der Bevölkerung durch politische Eliten Folge eines Systems von Parteipatronage wäre, das sich unmittelbar nach der Gründung der Zweiten Repu blik etabliert habe. Proporz und Klientelismus seien Ergebnisse demokratischer Aushandlungsprozesse, die nach Gründung der Zweiten Republik notwendig waren, um die seinerzeitigen politischen und sozialen Kluften zu überwinden, sich aber danach verselbstständigt haben.11 In weiterer Folge, so die Behauptung, hätten die traditionellen Parteien nie wirklich gelernt, wie politischer Wettbewerb in einer Demokratie funktioniere. Mittlerweile haben sich aus Volksparteien beziehungsweise aus Massenparteien, wie man diese in der Politikwissenschaft nennt, sogenannte „Kartellparteien“ entwickelt, die alle wichtigen Institutionen durchziehen und die durch permanente Besetzung politischer und wirtschaftlicher Schlüsselpositionen öffentliche Ressourcen zu sich umverteilen.12 Es heißt, diese Parteien seien weder von ihren WählerInnen noch Parteimitgliedern besonders abhängig, sondern vor allem von ihren Machtpositionen im Staat. Solange selbst geringe gemeinsame Mehrheiten eine Regierungsbildung ermöglichen, bleibe das bisherige System stabil. Diese Sichtweise mag zu einseitig sein. Dennoch muss wohl festgehalten werden, dass Österreichs Konsensdemokratie zwar lange Zeit auf die breite Unterstützung der Öffentlichkeit zählen konnte, aber nicht in der Lage war, eine Kultur der Bürgerbeteiligung zu etablieren – Modernisierung kam vor allem von oben. Diese Legitimität ist nun ins Wanken geraten. Nicht nur das, auch die politischen Präferenzen der österreichischen Mittelstandsgesellschaft werden zunehmend amorph. Mit dem Aufweichen der sozialen Milieus und der Auflösung der politischen Lager wurde es schwieriger für Parteien, eindeutige politische Interessen und Ziele auszumachen, diese zu bündeln und gegebenenfalls mit dem politischen Gegner auszutauschen. 9 10 11 12
Crouch (2004), Post-Democracy. Habermas (1962), Strukturwandel der Öffentlichkeit. Gehler (2006), Die zweite Republik – zwischen Konsens und Konflikt. Katz und Mair (1995), Changing Models of Party Organization and Party Democracy.
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Die Individualisierung der Lebensstile, größere Mobilität, höhere Bildung und allgemein größerer Wohlstand brachten eine Aufsplitterung der Wählerpräferenzen mit sich ebenso wie zahlreiche neue Themen, die von der Politik nur ungenügend vertreten werden. Angesichts dessen ist es wenig überraschend, dass Bürger und Bürgerinnen mit der bestehenden Politik weniger anzufangen wissen und politische Partizipation abnimmt, vor allem wenn man bedenkt, dass es in Österreich kaum gesellschaftliche Räume und Institutionen gibt, die nicht von den etablierten politischen Kräften durchzogen sind und wo sich somit unabhängige zivilgesellschaftliche politische Aktivitäten entfalten könnten. Aus dieser kritischen Sichtweise hat die Demokratie in Österreich ein Nachfrageproblem, das heißt die Menschen reagieren mit Resignation und Entfremdung auf die Politik und ziehen sich ins Private zurück.13 Andere politische Beobachter vertreten einen optimistischen Standpunkt und meinen, dass die österreichische Gesellschaft heute demokratischer, inklusiver und toleranter geworden sei, als sie es in der Vergangenheit war. Manche gehen so weit zu behaupten, dass neue Kommunikationsformen – vor allem die neuen Medien – neue Wege für den Ausdruck und die Organisation einer lebendigen Demokratie eröffnet haben. Sie sehen eine (junge) computeraffine Bevölkerung, die besser gebildet und im Umgang mit Medien besser geübt ist und auf die traditionelle politische Aufrufe, ideologische Parolen und altmodische Kampagnen wenig Anziehungskraft haben. Die moderne Öffentlichkeit ist verstärkt in der Lage, die traditionellen politischen Strategien, welche BürgerInnen bislang eher vom demokratischen Prozess fernhielten, zu durchschauen. Bei diesem Ansatz hat die Demokratie ein Angebotsproblem, da sie weder einen stimulierenden Diskurs noch relevante Ergebnisse produziert. Kurz, die profunde Entfremdung und „Systemverdrossenheit“ gegenüber den politisch Mächtigen führt zu einer Kultur des Protestes und dem Wunsch nach neuen Parteien.14 Dieses Bedürfnis wird jedoch entweder von Nischenparteien oder Protestparteien befriedigt, die nicht in der Lage sind, breite demokratische Reformprozesse durchzuführen – häufig auch, weil sie von den etablierten Parteien, die um ihre Einflusspfründe fürchten, ausgegrenzt werden (cordon sanitaire).
III. Demokratie – Verständnis und Konzeption Versteht man den Begriff Demokratie entweder als Herrschaft des Volkes – so, wie er ursprünglich in der Antike verwendet wurde – oder als Volkswillen (volonté génerale)15,
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Ulram (2006), Politische Kultur der Bevölkerung, 523. Plasser und Ulram (1996), Veränderungen in den politisch-sozialen Spannungslinien in Österreich. Rousseau (2008)[1762], Der Gesellschaftsvertrag.
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kommt man nicht umhin, sich eine grundsätzliche Frage zu stellen; und zwar jene, wie man denn das mitbestimmende und zu vertretende Volk definieren kann. Soll dieses alle von den politischen Entscheidungen berührte BewohnerInnen eines Territoriums beinhalten oder lediglich bestimmte Untergruppen? Von der griechischen Antike bis zur Gegenwart wurde der Begriff Volk in der Regel auf bestimmte mehr oder weniger exklusive Gruppen beschränkt, unterschieden nach Geschlecht, Alter, Rasse, Einkommen, Nationalität, Eignung und dergleichen. Ebenso wie die Begriffe Volksherrschaft und Volkswillen nicht unproblematisch sind, so ist das Konzept Demokratie selbst nicht immer eindeutig fassbar, da es in der politischen Theorie und Politikwissenschaft eine Vielfalt von Demokratiedefinitionen gibt, darunter einige, die einander widersprechen.16 Von jeher besonders umstritten war der politische Zielkonflikt zwischen Freiheit und Gleichheit – zwei Konzepte, die für jede Demokratie von fundamentaler Wichtigkeit sind. Viele Demokratiekonzepte haben teilweise gegensätzliche Auffassungen von diesen Begriffen. Die westliche liberale Demokratietradition betont freie Wahlen, politischen Wettbewerb und Partizipation, wobei den Dimensionen politische Gleichheit der Bürger, persönliche Freiheit und begrenzte Staatsmacht eine zentrale Bedeutung zukommt.17 Umfassendere Definitionen beinhalten zusätzliche Charakteristiken, wie etwa Rechtsstaatlichkeit, vertikale sowie horizontale Verantwortlichkeit und die Fähigkeit, auf Bürgeranliegen angemessen zu reagieren.18 So lässt sich wie bei vielen komplexen Konzeptionen auch beim Konzept der Demokratie ein essentieller Kern herausdestillieren, um Voraussetzungen zu definieren, die für jede Demokratie unerlässlich sind und an denen die Demokratiequalität gemessen werden kann. Am bekanntesten ist in der politikwissenschaftlichen Demokratietheorie wohl die Arbeit von Robert Dahl, in dessen Werken sich klare empirisch quantifizierbare Bedingungen und Kriterien für Demokratie befinden.19 Nach westlichem oder liberalem Verständnis erachtet man die Demokratie als Form der Volkssouveränität20, wobei die Macht der Regierung grundsätzlich begrenzt ist. Die Basis jeglicher Demokratie sind liberale Freiheitsrechte; sie bedarf zudem des Rechtsstaates und baut auf regelmäßige und friedliche Machtwechsel zwischen den Parteien. Damit dies tatsächlich geschieht, braucht die Demokratie den Wettbewerb zwischen verschiedenen politischen, klar voneinander abgrenzbaren Alternativen und die Partizipation einer verfassungsrechtlich gleichgestellten Bürgerschaft. 16 17 18 19 20
Inkeles (1993), Measuring Democracy; Schmidt (2006), Demokratietheorien. Lauth (2004), Demokratie und Demokratiemessung. Diamond und Morlino (2004), An Overview. Dahl (1956), Preface to Democratic Theory; Dahl (1971), Polyarchy; Dahl (1989), Democracy critics. Streng genommen geht das britische System zwar von der Souveränität des Parlaments und nichts des Volks aus, de facto ist der Unterschied jedoch ein semantischer.
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Repräsentative Demokratie hängt auch an den Institutionen und Mechanismen für die Artikulierung, Mobilisierung und Aggregation von Wählerpräferenzen, die wiederum Entscheidungsfindung, Gesetzgebung und -implementierung sowie Judikation gestalten. Die angewandten Regeln wie etwa direkte oder indirekte Demokratie, Einerwahlkreise oder ein Listensystem, Mehrheits- oder Verhältniswahlsystem, parteienzentrierte oder kandidatenzentrierte Systeme führen zwar alle zu demokratischen Ergebnissen, sind jedoch unterschiedlich repräsentativ. In den USA beispielsweise machen weiße Männer knapp 31 % der Gesamtbevölkerung aus, besetzten aber 65 % aller gewählten Funktionen.21 Demokratie setzt zudem Verantwortlichkeit voraus, in dem Sinn, dass politische Entscheidungen klar gewissen Individuen und/oder Institutionen zuordenbar sein müssen. Dadurch können WählerInnen und miteinander im Wettbewerb stehende Institutionen entsprechend auf politische outcomes reagieren – vor allem, wenn diese nicht die öffentliche Zustimmung finden sollten. Kurz, Transparenz und Offenheit sind wichtige Kriterien für die Qualität des demokratischen Prozesses. Von Demokratien wird zudem erwartet, dass die politisch Verantwortlichen Willens sind, die Anliegen der Bevölkerung wirklich aufzugreifen. Demokratie braucht aber auch eine funktionierende Zivilgesellschaft mit Institutionen wie unabhängigen Medien, autonomen watchdog-Gruppen, die sich mit öffentlichen Belangen beschäftigen, sowie religiösen Organisationen, Interessengruppen und auch privaten Unternehmens- und Arbeiterverbänden, die alle ein Gegengewicht zur Regierungsmacht darstellen. Abgesehen davon fordern moderne Auffassungen von Demokratie soziale und wirtschaftliche Arrangements, welche gleiche Chancen für alle BürgerInnen, unabhängig von Klasse, Geschlecht, Religion oder ethnischer Zugehörigkeit ermöglichen. Wirtschaftliche Stabilität und sozialer Frieden, meist in Verbindung mit Transfermechanismen und Umverteilung wie man sie aus modernen Wohlfahrtsstaaten kennt, werden als ebenso essentiell für westliche Demokratien erachtet. Zwar besteht weitgehend Übereinstimmung, welche Elemente zumindest theoretisch Bestandteil der Demokratie sein sollten, und dennoch reicht, wie Robert Dahl selber vermerkt, keine reale Demokratie an das konzeptionelle Ideal der Dahl’schen Polyarchie22 heran. Das Zusammentreffen der politischen Wirklichkeit mit idealen Vorstellungen von Demokratie führt dazu, dass das Demokratiekonzept an politische Rahmenbedingungen oder konkrete historische Erfahrungen angepasst wird. 21 22
Baxter und Keene (10. Oktober 2014), Excessive Political Power. Dahl (1971), Polyarchy: Participation and Opposition.
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Beispielsweise stand für den aus Österreich stammenden Ökonomen und politischen Wissenschaftler Joseph Schumpeter (1883–1950) bei der Demokratie der Aspekt des Wettbewerbs und der Wahlmöglichkeit weit über der Bedeutung von Partizipation23. Immerhin hatten er und andere Denker seiner Generation erlebt, wie Demokratien unter der begeisterten Anteilnahme der Volksmassen demontiert und in Europa in totalitäre faschistische und kommunistische Diktaturen verwandelt wurden. Im Sinne dessen, dass populär und populistisch nahe beisammen liegen, stand eine ganze Generation von Demokratietheoretikern allzu partizipatorischen Demokratieformen, die zu einer Diktatur der Mehrheit oder zu Schlimmerem führen könnten, skeptisch gegenüber. Es ist ja auch dieser Gedanke, dem allzu wankelmütigen Volksempfinden Schranken aufzuerlegen, dem etwa das deutsche extrem repräsentative und somit in höchstem Grade indirekte demokratische System entspricht.24 Verteidiger der repräsentativen Demokratie verweisen in diesem Zusammenhang auch gerne auf Abstimmungen in der direkt-demokratischen Schweiz, die zu Konflikten zwischen der dortigen mehrheitlichen Volksmeinung und der europäischen Menschenrechtskonvention führten (u.a. beim Minarett-Streit oder dem Flüchtlingsschutz und Asylrecht).25 Ein besonders mächtiger Ast auf dem weitverzweigten Baum der Demokratiekonzeptionen ist eben jener der direkten Demokratie. Diese Form geht nicht nur unmittelbar auf die attische Demokratie Solons im 7. Jahrhundert v. Chr. zurück, sondern findet sich auch als zentrale Demokratieform in wichtigen neuzeitlichen Staaten wie der Schweiz und (auf regionaler und lokaler Ebene) in Teilen der USA der Gründerepoche wieder. Ein wichtiger Aspekt der direkten Demokratie ist nicht nur die Unmittelbarkeit des Einbezogen-Werdens der politisch Betroffenen in den Entscheidungsprozess, sondern auch der Aspekt der gelebten Praxis dieses Prozesses. Das heißt, demokratische Politik wird hierbei nicht nur auf einen einmaligen Akt der Entscheidung, etwa durch eine Volksabstimmung, reduziert, sondern wird als Prozess einer permanenten Einbindung und Deliberation in Form von Bürgerräten, Dialogforen und BürgerInnenaktivismus verstanden. Demokratie meint hier auch eine erlernte Praxis, die in Form von Sozialisierung durch Eltern, die Gemeinschaft oder die Schule weitervermittelt wird und somit quasi zu selbstverständlichem Verhalten wird. Dies hat, wie Carol Pateman in ihren Arbeiten ausführt, wichtige Implikationen für die Ausgestaltung der politischen Bildung als Demokratiekunde und die möglichst frühe Beteiligung junger Menschen an demokratischen Prozessen.26 23 24 25 26
Schumpeter (1942), Sozialismus, Kapitalismus und Demokratie. Scheuch (2002), Platz der direkten Demokratie. Amnesty International (2014), Schweiz in Strassburg. Pateman (1976), Participation.
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IV. Demokratie – Umsetzung und Qualität in realen Umständen Demokratiekonzepte werden häufig von modifizierenden Aspekten begleitet: liberale Demokratie, Konkordanzdemokratie, Sozialdemokratie, ausschließende Demokratie, industrielle Demokratie, Wirtschaftsdemokratie etc. Diese Modifikationen erinnern uns daran, dass Demokratie einst eine normative Utopie und damit eine Quelle für das Streben nach weiteren Aktionen war, ebenso wie ein ausbaufähiges Ideal, das an spezifische Umstände angepasst wurde. Vor allem das angelsächsische Demokratiekonzept hat immer die Bedeutung freier Wahlen betont, welche in Kombination mit Freiheitsrechten und der Rechtsstaatlichkeit die Definitionsstandards für eine liberale Demokratie setzten. Im Gegensatz zu den angelsächsischen Ländern verfügt Österreich über keine historischen Erfahrungen mit liberaler Demokratie, welche auf Interessenwettbewerb und die demokratische Ermächtigung der Bürger baut. Wie bereits eingangs beschrieben, war die politische Realität in der Zweiten Republik lange Zeit von einem Konkordanzmodell geprägt, in welchem Elitenkonsens und arrangierte politische Entscheidungen einen generellen Wunsch nach politischer Stabilität und sozialer Harmonie widerspiegelten.27 Trotz der Tendenz zur Dominanz von Eliten, Insiderpolitik, Klientelismus und einem Mangel an Transparenz genoss das Modell – nicht zuletzt wegen seines für die Bürger sehr zufriedenstellenden Outputs (v.a. in Bezug auf Wirtschafts-, Beschäftigungs-, und Sozialpolitik) – hohe Legitimität und wurde als ein Garant für ein faires Ausbalancieren verschiedener Interessen und für proportionale politische pay-offs verstanden. Die Konkordanzdemokratie wurde somit zur grundlegenden Charakteristik der österreichischen Nachkriegsdemokratie. Nachdem viele ihrer ursprünglichen Voraussetzungen erodierten, wurde die Konsensdemokratie zunehmend in Frage gestellt und begann langsam zu verkümmern. Nichtsdestotrotz haben sowohl ihr institutionelles Gefüge als auch die ihr inhärente politische Kultur überlebt und üben nach wie vor großen Einfluss aus. Keine Konzeptualisierung von Demokratie in Österreich darf dieses Faktum ignorieren. Alternative Demokratiekonzepte werden von wieder anderen Überlegungen geleitet, wie etwa jener von der Demokratie als politischem Marktplatz, auf dem sich im Wettbewerb der Interessen, Ideen und politischen Akteure die populäreren Angebote und attraktiveren Proponenten durchsetzen. Aus dieser Perspektive ist die Demokratie der sicherste Garant vor dem Zugriff auf individuelle Freiheiten und Eigentumsrechte im Namen diverser vorgeblich heilsbringender Ideologien. Die Demokratie wird nach diesem Konzept auch als jene Form der politischen Herr27
Lijphart (1977), Democracy; Lijphart und Crepaz (1991), Corporatism and Consensus Democracy.
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schaft gesehen, in der es zu der relativ fairsten und rationalsten Verteilung materieller Güter kommt.28 Im Gegensatz dazu findet sich in marxistischen und anderen Ansätzen der Linken Kritik an der bürgerlichen Demokratie, die teilweise als politische Übergangsform verstanden wird und wobei der Fokus eher auf soziale Grundrechte und die Vergesellschaftung der Produktionsgüter gelegt wird. In jedem Fall bietet die Demokratie politischen AktivistInnen die Möglichkeit, politische Überzeugungsarbeit zu leisten, damit durch Bewusstseinsbildung in der Masse der Bevölkerung Wahlen das politische System dahingehend verändern, dass der Macht von Kapital und Wirtschaft Grenzen gesetzt werden können.29 Neben Demokratiekonzepten, die unterschiedlichen Denkschulen entsprechen, finden wir auch populäre aber weniger fundierte Vorstellungen von Demokratie, welche etwa der italienische Politikwissenschaftler Giovanni Sartori 30 dem „Zeitalter der verwirrten Demokratie“ („the age of confused democracy“) zugeordnet hat. Er verweist damit auf die Tatsache, dass die demokratische Freiheit manchmal mit totaler Unbeschränktheit verwechselt wird und jeder Eingriff in die individuelle Autonomie als unbotmäßige Einschränkung der persönlichen Freiheit gewertet wird. Ähnlich sind populistische Auffassungen von Demokratie zu verstehen, wo diese schrankenlos als ein Instrument für die Umsetzung des angenommenen einheitlichen Volkswillens betrachtet wird. Diese Sichtweisen disqualifizieren pluralistische Interessenpolitik und legitime Minderheitenanliegen als undemokratisch. Ebenso problematisch sind immer öfter zu vernehmende demokratiepolitische Vorstellungen, wonach politischer Kompromiss und Ausgleich als Schwäche, Intransparenz oder gar Verfälschung des „reinen“ Volkswillens interpretiert wird. Im Gegenzug finden wir in der Praxis verstärkt Bemühungen der Politik, unpopuläre Entscheidungen zu vermeiden, indem man die Entscheidung verlagert: Man greift bei komplexen Materien etwa zu direktdemokratischen Instrumenten, stellt aber dann weder die Konsequenzen noch Kosten so dar, dass diese auch umfassend verstanden werden könnten. So konnte man gut beobachten, dass bei mehreren Referenden über EU-Verträge die BürgerInnen oft nur eine geringe Vorstellung vom Abstimmungsgegenstand hatten. Zwar scheinen solche Entscheidungen direktdemokratischer Natur zu sein, werden jedoch von Parteien instrumentalisiert, um einen Mobilisierungseffekt zu erzielen oder sich der Verantwortung zu entziehen (man denke etwa an die Volksbefragung zur Wehrpflicht 2013).
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Olson (2000), Power and prosperity. Harrington (1981), Marxism and Democracy. Sartori (1987), Theory of Democracy, Part 1 The contemporary debate, 6.
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In der Politikwissenschaft gilt es nicht nur Demokratiekonzepte zu beschreiben, sondern es geht auch darum, die Güte der Demokratie zu messen. Entsprechend der verschiedenen Auffassungen und unterschiedlich weitgefassten Definitionen gibt es auch unterschiedliche Demokratie-Indizes und Ranglisten, je nachdem wie stark bestimmte Kriterien gewertet und in welchem Umfang bestimmte Attribute hinzugenommen werden. International gibt es hunderte Versuche, die Demokratie und ihre Qualität zu quantifizieren und reihen, wobei hier oft auch eng verwandte Konzepte wie politische Reaktionsfreudigkeit, institutionelle Kapazität, Rechtsstaatlichkeit und (democratic) governance empirisch erfasst werden. Solche Indizes werden von internationalen Organisationen wie der Weltbank31 oder Nichtregierungsorganisationen (Freedom House Index32), Stiftungen (Bertelsmann Transformation Index33), Universitäten (Democratic Audit/LSE34), Medien (Economist Intelligence Unit35) oder einzelnen Forschern (Polyarchy Data Set36) zusammengestellt.37 Im österreichischen Kontext zählen wohl die Arbeiten von Pelinka, Liebhart und Sickinger im Auftrag des Dr.-Karl-Renner-Instituts38 ebenso dazu wie David Campbells Reihungen der Staaten nach Demokratiequalität.39 Ebenfalls erwähnt werden sollte an dieser Stelle das AGORA Demokratieforschungsprojekt der Österreichischen Gesellschaft für Politikwissenschaft, die Aktivitäten des Demokratiezentrums Wien und ganz besonders das „Austrian National Elections Study Project – AUTNES“.40 31 Weltbank.org. 32 Freedomhouse.org. 33 Bertelsmannstiftung. 34 Democratic Audit UK. 35 Economist, The. 36 Coppedge. 37 Für eine umfassende Liste international wichtiger Indizes und Datenquellen zur Demokratie und zu verwandten Konzepten siehe Democracy Barometer at a Glance: http://www.democracybarometer.org/links_en.html (11.10.2014). 38 Pelinka, Liebhart und Sickinger (2009), Indikatoren für Demokratiequalität. 39 Campbell (2008), The Basic Concept for the Democracy Ranking; Campbell und Barth (2009), Wie können Demokratie und Demokratiequalität gemessen werden? 40 Der Forschungsschwerpunkt des AGORA-Demokratieprojekts liegt auf der Evaluierung von Demokratiequalität in Österreich, aber auch von Demokratie in Europa. In diesem Zusammenhang wurden bereits mehrere Publikationen erstellt, die letzte 2002, die sich explizit mit Demokratiequalität auseinandersetzt (Agora 2010). Das Demokratiezentrum Wien ist eine wissenschaftliche Non-Profit-Organisation, welche sich u.a. mit Grundfragen der politischen Kultur und des politischen Systems Österreichs im europäischen Kontext, Demokratisierungsprozessen und ihren historischen Entwicklungen, aktuellen gesellschaftspolitischen Debatten u.Ä. auseinandersetzt. Das Zentrum ist auch im Bereich der politischen Bildung aktiv (Demokratiezentrum Wien 2010). AUTNES wiederum beinhaltet eine Kooperation der Universitäten Wien und Innsbruck und arbeitet an einer umfassenden Wahlstudie zu Österreich, welche Wähler, Parteien und Medien erforscht (AUTNES – Austrian National Elections Study 2010).
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Weniger der konkreten quantifizierbaren Demokratiequalität als den Herausforderungen, denen die österreichische Demokratie gegenüber steht, widmete sich in den letzten Jahren (seit 2011) die interdisziplinäre Arbeitsgemeinschaft unter Leitung eines der Autoren dieses Textes „Zukunft der Demokratie“ der Österreichischen Forschungsgemeinschaft. Einige Themen, die in dieser ARGE sowie in von ihr veranstalteten Konferenzen diskutiert wurden, sollen im Folgenden vorgestellt werden.
V. Österreichische Demokratie – Gegenwart und Zukunft Zu Beginn des 21. Jahrhunderts und 60 Jahre nach Gründung der Zweiten Republik gibt es wachsende Sorgen bezüglich der Anpassungsfähigkeit der österreichischen Demokratie sowohl in Hinblick auf die dynamischen Veränderungen in der österreichischen Gesellschaft als auch im internationalen Umfeld. Obwohl Österreichs politisches System weiterhin innerhalb normaler Parameter funktioniert – Bürger gehen nach wie vor zahlreich zur Wahl, politische Institutionen erfüllen die ihnen zugedachten Aufgaben, die Nation ist noch immer ein Modell für politische Stabilität und sozialen Frieden – gibt es ausreichend Gründe, einige der generellen Annahmen zur österreichischen Demokratie und der Richtung, die sie zuletzt eingeschlagen hat, zu hinterfragen. Das Projekt der ARGE „Zukunft der Demokratie“ begann mit einer umfassenden Bewertung des aktuellen Stands der österreichischen Demokratie und deren Zukunftsperspektiven in fünf Analysedimensionen: 1. Repräsentative Demokratie: Eine Bewertung ihrer Regeln und Institutionen 2. Die Rolle der Zivilgesellschaft: Einstellungen, Funktionen und Institutionen 3. Das Ende der Konkordanzdemokratie: Die wirtschaftlichen und sozialen Voraussetzungen der österreichischen Demokratie 4. Der Einfluss der Internationalisierung: Eine Immigrationsgesellschaft wider Willen und ihre demokratische Zukunft 5. Die Konstruktion einer demokratischen Öffentlichkeit: Die Rolle der Neuen Medien und politischer Bildung Im Folgenden sollen einige spezielle Herausforderungen, die die Zukunft der österreichischen Demokratie betreffen, exemplarisch herausgegriffen und analysiert werden.
VI. Herausforderungen Die Wahlbeteiligung und politische Partizipation sind generell im Abnehmen begriffen, vor allem bei jüngeren ÖsterreicherInnen. Dieser Mangel an politischer Be-
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teiligung drückt auch ein spezielles Desinteresse an einer Karriere in der Politik aus. Das Image von PolitikerInnen ist schlecht und Österreichs traditionelle Parteien kämpfen mit immer größeren Schwierigkeiten, die WählerInnen zu erreichen sowie politische Entscheidungen und deren Konsequenzen zu kommunizieren. Bei besonders hervorstechender Wahlmüdigkeit, wie bei den EU-Wahlen (Wahlbeteiligung von 45,4 %)41 oder den letzten Präsidentschaftswahlen (Wahlbeteiligung von 53,6 %)42, werden Rufe laut, welche die politische Legitimation und Relevanz der betroffenen Institutionen hinterfragen. Hierin liegt zweifellos eine der Hauptherausforderungen für die österreichische Demokratie. Im Speziellen gilt es sich jedoch folgenden Themen zu stellen.
A. Die abnehmende Relevanz des Politischen Nicht nur in Österreich, sondern in vielen Staaten konstatieren politische BeobachterInnen einen Niedergang politischer Gestaltbarkeit. Einige sehen den Kern des Problems in modernen Wahlkampagnen. Diese Kampagnen bauen auf klassische Werbestrategien und behandeln WählerInnen wie KonsumentInnen, indem sie diese auffordern, ein bestimmtes „Angebot“ einer Partei oder eines Politikers oder einer Politikerin zu „kaufen“. Aus dem Politischen wird somit ein Produkt. Solche Strategien lassen WählerInnen zurück, die sich manipuliert und desillusioniert fühlen.43 Obwohl es in diesem Forschungsbereich eindeutig zu früh ist, für Österreich verbindliche Aussagen zu treffen, muss wohl festgehalten werden, dass dies keine österreichischen Spezifika sind und daher kaum Veränderungen in der österreichischen Demokratie relativ zu anderen Staaten erklären. Beispielsweise zeigen gerade die USA, die wohl ein Extrembeispiel des modernen electioneering darstellen, dass die politische ideologische Auseinandersetzung in den letzten Jahrzehnten zugenommen hat und nun weiter in die Bevölkerung hineinreicht als zuvor. Dies hat die Zustimmung zu demokratischen Institutionen wie Parteien und Gesetzgebungsorganen sogar erhöht. Andere sehen die Ursache für die Abnahme der politischen Legitimität der demokratischen Institutionen im Verlust politischer Macht und des politischen Einflusses gegenüber wirtschaftlichen Institutionen und internationalen Akteuren. Natürlich lässt sich ein gewisser Kompetenzverlust nationaler Politik vis-à-vis
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SORA/ISA (2014), Wahlen zum Europaparlament. SORA/ISA (2010), Wahl zum Bundespräsidenten. Plasser und Ulram (2004), Parteienwettbewerb in der Mediendemokratie; Plasser und Ulram (2004), Öffentliche Aufmerksamkeit in der Mediendemokratie.
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etwa der europäischen Ebene eindeutig messen44 und ebenso offensichtlich ist die Tatsache, dass dies kleinere Staaten eher trifft als größere. Allerdings betrifft dieser Autonomieverlust besonders die Wirtschaftspolitik, wo Österreich jedoch im europäischen Vergleich seit dem EU-Beitritt relativ erfolgreich agiert. In wichtigen Bereichen wie der Kernenergie, der Neutralität, der biologischen Landwirtschaft oder bei Sozial- und Umweltstandards konnte Österreich seine Politik weitgehend behaupten. Dort, wo der Verlust der Eigenständigkeit besonders augenscheinlich ist, wie etwa bei der Währung, ist dieser Effekt durch die seinerzeitige Bindung des Schillings an die Deutsche Mark und an die Währungspolitik der Bundesbank, auf die Österreich noch weniger Einfluss hatte als heute im System der europäischen Zentralbanken, wohl ein symbolischer. Des Weiteren standen dem Nachteil, sich einem europäischen Regelwerk zu unterwerfen, auch konkrete Vorteile gegenüber, die für ein kleines exportabhängiges und auf den Import von Knowhow und Kapital angewiesenes Land unerlässlich sind. In anderen Bereichen musste sich Österreich an globale Veränderungen anpassen, die Folge politischer und ökonomischer Umwälzungen im ehemaligen Ostblock und in Asien waren oder sich aus der Revolution der Informationstechnologien ergeben haben – beides sind Entwicklungen jenseits des Einflussbereichs österreichischer Politik. Hier den Kompetenzverlust der österreichischen Politik als eine zentrale Ursache für Politikverdrossenheit anzusehen, scheint gewagt. Eher anzunehmen ist, dass nationale politische Akteure die Strategie verfolgen, unangenehme Veränderungen und politisch sensible Maßnahmen internationalem Druck zuzuschreiben, aber jedwede Erfolge sich selbst zuschreiben. Kent Weaver nennt diese Strategie in seiner Arbeit die Politik der blame avoidance und des credit claiming und begründet dies mit einem negativity bias der WählerInnen. Anders ausgedrückt heißt dies, dass Politiker versuchen, jedwede Schuldzuweisung zu vermeiden, allerdings jeden noch so kleinen positiven Verdienst für sich beanspruchen, da sie davon ausgehen, dass die WählerInnen einen Negativbias haben, also eine Tendenz, Verlusten gegenüber empfindlicher zu reagieren als gegenüber Gewinnen.45 Auch spielt parteitaktisches Kalkül eine Rolle, da Regierungsparteien in der Regel verpflichtet sind, gemeinsame internationale oder europäische Beschlüsse mitzutragen, was für Oppositionsparteien jeweils eine politische Angriffsmöglichkeit eröffnet. Kurzum, das Empfinden des Machtverlustes scheint eher Folge des nationalen politischen Diskurses zu sein. Im Übrigen ist die Thematisierung der Kompetenzverteilung zwischen nationaler und supranationaler Ebene durchaus ein legitimes Thema der 44 45
Falkner (1993), Sozialpartnerschaftliche Politikmuster und Europäische Integration. Weaver (1986), The Politics of Blame Avoidance.
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österreichischen Demokratie und sollte als solches nicht als problematisch empfunden werden.
B. Das Problem des Aufstiegs des Populismus und des Abstiegs des Konsensmodells Seit den 1980ern ist Österreich mit einem starken Anstieg populistischer Politik auf allen Ebenen konfrontiert46. Dies kann teilweise als Antwort auf die Unfähigkeit des demokratischen Prozesses gewertet werden, auf Bürgeranliegen angemessen einzugehen. Teilweise ist diese Entwicklung auch angetrieben von einem Zeitgeist, der Tauschgeschäfte in der Politik grundsätzlich mit größtem Misstrauen betrachtet, was langfristig die Grundlage der repräsentativen Demokratie – nämlich Interessenmediation – unterminiert. Eine der Folgen ist, dass sich Wahlen zunehmend zu Wettbewerben zwischen einer traditionellen Partei und einem populistischen Herausforderer entwickelten. In mehreren Bundesländern (Kärnten, Tirol, Vorarlberg und Wien) ist eine der zwei großen Parteien der österreichischen Nachkriegszeit in der politischen Bedeutungslosigkeit verschwunden. Während die Erosion der eng geknüpften ideologischen Lager der 1960er ein willkommener Aspekt für Österreichs gesellschaftliche Modernisierung war, braucht eine moderne funktionierende Demokratie politische Organisationen, welche ihre Informations-, Mobilisierungsund Organisationsfunktionen an den WählerInnen ausrichten. In der Populismusforschung wird grundsätzlich zwischen Angebots- und Nachfragefaktoren unterschieden und in der Tat trifft auf Österreich beides zu. Das heißt, es gibt einerseits angebotsseitig eine Palette populistischer Akteure und andererseits eine breite Bevölkerungsschicht, bei der eine Nachfrage nach populistischen Botschaften herrscht und die für diese Politik empfänglich ist – unter populistischen Botschaften versteht man solche, die im Kern zwei ideologische Themen verknüpfen: die Betonung eines einheitlichen und aus „kleinen Leuten“ bestehenden Volks einerseits und üble Eliten (fremde Gruppen), die dem Volk schaden andererseits.47 Die durch Populisten betriebene Unterstellung eines einheitlichen Volkswillens negiert den Interessenspluralismus und populistische Politikstile machen eine differenzierte Auseinandersetzung mit komplexen Materien schwierig. Da populistische Parteien politischen Kompromissen entweder prinzipiell oder auf Grund extremer Standpunkte oft negativ gegenüberstehen, wird Konsenspolitik weniger häufig mitgetragen und es kommt somit vielfach zu Blockaden, was wiederum den 46 47
Heinisch (2003), Success in Opposition. Mudde (2004), The Populist Zeitgeist.
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Wählerunmut über die Problemlösungskapazität der Politik steigert. Allerdings ist sich die empirische Politikwissenschaft grundsätzlich noch nicht einig, ob Populismus der Demokratie wirklich schadet, da Letzterer auch bestehende politische Machtkartelle bekämpft und so zu Reformen beiträgt.48 Kurzum, die Abnahme der Konsenspolitik und eine geringfügig zunehmende Polarisierung im österreichischen politischen System ist demokratiepolitisch sicher keine besondere Herausforderung. Eher ein Problem ist es, wenn eine bei Wahlen erfolgreiche Partei auf Grund ihrer populistischen Positionierung und Rhetorik als Koalitionspartner de facto nicht zur Verfügung steht oder von den dominanten Parteien nicht akzeptiert wird (cordon sanitaire) und damit bestehende Mehrheitsverhältnisse und Koalitionsformen einzementiert werden. Das Problem hierbei ist weniger der Populismus an sich als vielmehr die Beibehaltung des Status quo trotz eines klaren Auftrags seitens der Wähler, die eigentlich durch ihre Stimmabgabe bzw. die Wahl des populistischen Herausforderers ein Zeichen gesetzt hätten.
C. Das Problem der Führungsschwäche und die Rolle von Persönlichkeit in der modernen Politik Der andauernde Erfolg populistischer Parteien und PolitikerInnen weist auf drei Defizite der österreichischen Politik hin: erstens der manifeste Mangel an politischer Führungskraft, welcher uninspirierte und desinteressierte BürgerInnen hervorruft; zweitens das vielfache Unvermögen, eine kohärente politische Vision zu artikulieren, welche die jeweils eigene Partei klar von ihren Mitbewerbern abhebt, ohne gleichzeitig in populistische Rhetorik abzugleiten, und dabei mehr als nur Technokratisches zu bieten hat. Österreichs zwei große Parteien sind nach wie vor stark dem Klientelsystem vergangener Jahrzehnte als Instrument für Wählermobilisierung verhaftet bzw. halten sie am Bild des median voters49 fest – mit dem Resultat, dass sie kaum über andere Strategien verfügen, WählerInnen zu motivieren. Ein drittes Problem zeigt sich bei der Förderung politischer Talente innerhalb von Parteien. Strukturen und Mechanismen der parteiinternen Rekrutierung, die vor allem Loyalität und Konformität belohnen und in Sachen Geschlecht und Alter oft traditionelle Begebenheiten reproduzieren, führen zu politischen KandidatInnen, welche sich zwar im Parteiapparat zurecht finden, aber oft schlecht mit den Anforderungen einer Demokratie im Informationszeitalter umgehen können.
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Mudde und Rovira-Kaltwasser (2012), Populism in Europe and the Americas. Downs (1957), An Economic Theory of Democracy.
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Dass hier die österreichischen Traditionsparteien Handlungsbedarf haben, wird von diesen auch nicht mehr geleugnet und bedarf hier keiner weiteren Analyse. Der zentrale Ansatz muss jedoch sein, vor allem den Anteil an Frauen und Jungen in den untersten Ebenen und in lokalen Gremien zu erhöhen, da diese die Rekrutierungspools der Parteien für Karrieren in der Landes- und Bundespolitik darstellen. Die Beförderung einzelner Persönlichkeiten ins nationale Rampenlicht mag symbolisch wichtig sein, ersetzt jedoch nicht verjüngte und nach Geschlechtern ausgeglichene Parteikader.50
D. Die Monopolisierung von Macht, die Problematik uneindeutiger Verantwortlichkeit und Reformresistenz Nicht wenige Experten51 interpretieren die Gründe für die negativen Trends der österreichischen Demokratie als hausgemacht und verweisen besonders auf zwei Aspekte. Zum einen ist dies die Diskrepanz zwischen formaler und realer Macht im politischen System, zum anderen die undurchschaubare Verteilung von Kompetenzen im österreichischen Bundesstaat. Das föderale österreichische System baut auf ein ausgefeiltes institutionelles Inventar mit neun Landesregierungen, einem Zwei-Kammern-Parlament und einem unabhängigen Gerichtswesen. Die reale politische Macht ist jedoch in der Exekutive konzentriert, während regionale Anliegen durch vertikale Parteikanäle transportiert werden und nicht durch das föderale System. Der Bundesrat scheint, auch auf Grund seiner geringen Kompetenzen, wenig relevant, und der Nationalrat, obwohl verfassungsrechtlich mit weit größeren Befugnissen als der Bundesrat ausgestattet, segnet die Gesetzesentwürfe der Regierung bzw. der großen Parteien ohne viel Aufsehen ab. Die Gewaltentrennung ist somit schwach und die Umsetzung von Verfassungsgerichtsurteilen lässt bei politisch besonders inopportunen Entscheidungen zu wünschen übrig (z.B. Ortstafeln, Asyl- und Fremdenrecht) beziehungsweise wird nach Möglichkeit einer Anfechtung mit einer Zweidrittellösung vorgebeugt. Mit anderen Worten: politische Macht in Österreich ist nach wie vor monopolisiert und wird – mit Ausnahme der schwarz-blauen/orangen Koalition (2000–2007) – von den zwei traditionellen Regierungsparteien ausgeübt. Das andere große Problem des österreichischen Föderalismus stellt die undurchsichtige Verteilung von Kompetenzen im politischen System dar. Hier ist vor allem die enge Verflechtung von EntscheidungsträgerInnen52 hervorzuheben. Der österreichische Bundesstaat gilt als der zentralistischste 50 51 52
Stöckl und Walter (2014), Repräsentation durch politische Parteien. U.a. Schaller und Welan (1998), Demokratie- und Verfassungs(Reform); Konrath (2011), Austria after the Convention; Pürgy (2011), Die Bedeutung der Verfassung im politischen System. Winkler (2011), Kompetenzzersplitterung und Verantwortungsdiffusion.
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aller Bundesstaaten53 und weist zudem noch spezifische systemische Defizite auf, die Gegenstand einer jahrzehntelangen Reformdebatte sind, die jedoch immer wieder im Sand verlief. Zu diesen systemischen Schwächen zählen a) die große Zersplitterung der Kompetenzen54, die selbst Fachleute die Übersicht verlieren lässt, b) das Fehlen eines äußeren Ordnungsrahmens, c) die nicht nachvollziehbare Verteilung von Aufgabenfeldern unterschiedlicher Breite zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, d) die unübersichtliche Vielfalt der Kompetenztypen, e) die mangelnde Flexibilität in der Aufgabenverteilung (etwa zwischen Bund und Ländern) und dadurch geförderte Erstarrung sowie f ) die mangelnde Europatauglichkeit.55 Neben den daraus resultierenden rechtlichen, verwaltungstechnischen und budgetären Problemen ergeben sich auch demokratiepolitische Konsequenzen: das Kompetenzwirrwarr der Verfassung trägt zur Intransparenz der Politik bei, da es nahezu unmöglich ist, politische Verantwortung eindeutig zuzuordnen und als Wählerin bzw. Wähler darauf entsprechend zu reagieren. Die Vielzahl an Akteuren sowie die undurchsichtige Verteilung von Zuständigkeiten erlaubt Blockadestrategien und eröffnet zahlreiche Möglichkeiten zu strategischen Machtspielen. Des Weiteren finden politische Akteure Gelegenheit, zwar politische Leistungen einzufordern, die Sorge um deren Finanzierung jedoch anderen zu überlassen. Ganz grundsätzlich begünstigt dieses System etwa im Vergleich zum Schweizer Föderalismus56 eine für die SteuerzahlerInnen vollkommen intransparente Verteilung der Kosten und Risiken, wobei der Fall der Kärntner Hypo Alpe-Adria nur ein extremes Beispiel darstellt. Die fehlende Kostenwahrheit führt zunächst zu von der Politik geschürten überzogenen Erwartungen, denen nicht entsprochen werden kann, was den Verdruss der WählerInnen erhöht. Weiters wird auch ein rationales, prioritätengeleitetes Vorgehen mangels Unübersichtlichkeit unmöglich gemacht (z.B. Vergabewesen) beziehungsweise können Sonderinteressen häufig durch Insider-Wissen oder politische Verbindungen durchgesetzt werden. Damit dennoch Budgetdisziplin erreicht 53 54
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Wiederin (2011), Föderalismus in Österreich. Allein die Stammurkunde enthält ungefähr 125 Tatbestände. Daneben gibt es ca. dreißig Tatbestände außerhalb des B-VG und ungefähr zwanzig sogenannte Kompetenzdeckungsklauseln. Dazu kommen ungefähr hundert weitere Verfassungsbestimmungen in Bundesgesetzen, die Regelungen enthalten, die nach den allgemeinen bundesstaatlichen Normen nicht zulässig wären. Schließlich ist die Finanzverfassung außerhalb der Stammurkunde angesiedelt. Neben den vier Haupttypen, die in den Artikeln 10, 11, 12 und 15 grundgelegt sind, existieren je nach Zählung zwischen zehn und zwanzig Untertypen, dazu Sonderkompetenzordnungen für die Abgaben, für Schulen und für das öffentliche Auftragswesen, die wiederum mit eigenen Typen und Abwandlungen der allgemeinen Regeln aufwarten können. Madner (2010), Wirtschaftsverfassung und Bundesstaat. Grotz und Poier (2010), Zwischen Gemeinschaftsprojekt, Tauschgeschäft und Symbolpolitik.
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wird, bedient sich die Regierung einer permanenten Rhetorik des Sparens und der Kürzungen, wodurch allerdings der Eindruck der abnehmenden politischen Gestaltbarkeit verstärkt wird. Daraus folgt, dass man beiden Kartellpartien vorwirft, trotz ihrer Machtfülle nicht besonders effektiv zu regieren, was sich angesichts der zahlreichen ungelösten Strukturprobleme auch nicht unbedingt widerlegen lässt. Aus diesen Gründen fordern ExpertInnen seit Jahrzehnten eine Reform der kompliziert angelegten Bundesstaatlichkeit sowie eine Angleichung der Formalverfassung an die politische Realität.57 In einem von der Arbeitsgruppe „Zukunft der Demokratie“ angeregten Forschungsprojekt konnte Willroider58 anhand gelungener und gescheiterter Reformen59 zeigen, dass Letztere von den Interessen und dem von den AkteurInnen erzeugten Druck abhängen. Dies ist jedoch nicht im trivialen Sinn zu verstehen, dass den AkteurInnen einfach der Elan ausgeht oder sie das Interesse verlieren, sondern insofern, als das die Interessenslage und die bestehende politische Konstellation die strategische und taktische Vorgehensweise bestimmen. Akteurinnen und Akteure haben oft ein Interesse als reformatorisch wahrgenommen zu werden oder sehen keine Möglichkeit, einen bestehenden öffentlichen Reformdruck weiter abzublocken, obwohl ihnen an der tatsächlichen Umsetzung aus machtpolitischen Gründen wenig gelegen ist. Reformen können auch ein willkommener Anlass sein, politische Mitbewerber zu schwächen, da systemische Veränderungen auch mit einer neuen Verteilung von Machtressourcen einhergehen. Durch die Beeinflussung etwa des Aushandlungsmodus, die angestrebte inhaltliche Breite einer Reform, die Art der Einbindung der Öffentlichkeit und dergleichen können Reformen von AkteurInnen unterlaufen werden und von vornherein zum Scheitern verurteilt sein, obwohl politische AkteurInnen den Reformprozess allem Anschein nach vorwärtstreiben. Ebenso erklärt diese Arbeit überzeugend, warum unter scheinbar ähnlichen Konstellationen dennoch einige Reformen gänzlich oder zumindest teilweise erfolgreich zuwege gebracht werden konnten. Reformen sind somit als wichtiger Teil der symbolischen Politik zu verstehen und spielen eine gewichtige Rolle in den strategischen Überlegungen im Parteienwettbewerb. Aus politikwissenschaftlicher Sicht sind somit kleinere Reformschritte eher von Erfolg gekrönt als große Reformprojekte, da bei letzteren die drohende Neuverteilung der Machtmittel im Vorhinein weniger kalkulierbar ist als bei überschaubaren Schritten, worauf die tendenziell risikoscheuen politischen Akteure den Status quo einer Reform mit offenem Ausgang vorziehen. 57 58 59
Schaller (2002), Demokratie- und Verfassungs(reform)-Diskussionen in Österreich (1955–1997). Willroider (2013), Kontinuität im Wandel. (1) Dritte Republik der ÖVP-Niederösterreich, (2) die 3. Wahlrechtsreform 1992, (3) die Bundesstaatsreform 1987–1994, (4) der Österreich Konvent, (5) die Haushaltsrechtsreform 2007/2013, (6) die Verwaltungsrechtsreform 2012.
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E. Die Stärkung der Zivilgesellschaft und der Direkten Demokratie Die Behauptungen von Demokratie-Müdigkeit in Österreich sind nicht neu. Die Entzauberung der Politik tauchte bereits in den späten 1970ern und frühen 1980ern auf, als die Unzufriedenheit dieser Zeit ihren Niederschlag in BürgerInnen aktivismus, grass roots-Kampagnen und Protestaktionen fand, welche schließlich in zwei neue Parteien mündeten, die wiederum den politischen Pluralismus im Land messbar verstärkten.60 In der Zwischenzeit scheint dieser Trend seinen Zenit bereits überschritten zu haben und sich sogar zurück zu entwickeln, welches die Sorge um die österreichische Demokratiequalität rechtfertigt. Daten zum Vertrauen in Institutionen in Österreich bestätigen die niedrige Meinung, welche BürgerInnen von politischen Parteien haben. Jedoch zeigt sich, dass zivilgesellschaftliche Institutionen wie etwa die Nachrichtenmedien, Arbeitsmarktverbände oder die Kirche kaum besser abschneiden, sondern teilweise sogar schlechter.61 Interessanterweise genießen jene Institutionen, welche den Staat und seine Autorität repräsentieren – z.B. das Justizsystem und die Polizei – weit höheres Vertrauen. Diese Trends befinden sich durchaus im Einklang mit ähnlichen Entwicklungen in anderen Ländern.62 Es ist hierzulande auch Tradition, dass BürgerInnen jenseits von konventioneller Parteipolitik nur sehr wenig in der Politik partizipieren. Tatsächlich stellt das Fehlen außerparlamentarischer Opposition ein typisches Merkmal österreichischer Politik dar. Dadurch haben viele ÖsterreicherInnen die Einstellung, dass Reformen von oben initiiert werden müssen, was die Möglichkeiten der Zivilgesellschaft noch weiter reduziert.63 Allerdings muss auch gesagt werden, dass es gerade auf lokaler und regionaler Ebene dennoch eine Vielzahl von Initiativen und ein punktuell starkes zivilgesellschaftliches Engagement gibt, wenn man beispielsweise an die etwa 40 Bürgerräte (30 davon allein in Vorarlberg) denkt. Regionen und Gemeinden können auch als Experimentierfelder direktdemokratischer Politik angesehen werden, allerdings kommt es vor, dass diese lokal angestrengten direktdemokratischen Entscheidungen hin und wieder in einem rechtsfreien Raum stattfinden. Ziel der Politik sollte es sein, die BürgerInnenbeteiligung nachhaltig zu unterstützen und auszubauen, etwa durch die Weiterentwicklung der Rechtslage und der Verbesserung des Rechtsschutzes für die direkte Demokratie auf kommunaler Ebene. Nicht einzusehen ist 60 61 62 63
Crepaz (1994), From Semisovereignty to Sovereignty. SWS Demokratiemonitoring (2012), Demokratiemonitoring, 2. Europäische Kommission (2009), Standard Eurobarometer 72, 116–126. Dolezal und Hutter (2007), Konsensdemokratie unter Druck?
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auch, dass in einem so kleinen Land die Rechtslage in Bezug auf die Abhaltung und Konsequenzen von Volksabstimmungen, Volksbefragungen und Volksbegehren von Bundesland zu Bundesland verschieden ist. Die Einbindung von Bürgern und Bürgerinnen sowie die logistische Unterstützung von Initiativen gelten als essentiell für die Zukunft der österreichischen Demokratie. Hier könnte die Einrichtung von Bürgerbüros nach dem Vorbild des Vorarlberger Büros für Zukunftsfragen wegweisend sein.
F. Österreich als „Immigrantendemokratie“ und das Problem politischer Inklusivität Während Fragen zur europäischen Integration und wirtschaftlichen Globalisierung relativ große Aufmerksamkeit in der Politik erfahren haben, wird die Rolle Österreichs als Einwanderungsland ausgeklammert. Obwohl Österreich auf Grund seiner bewegten Vergangenheit eine lange Geschichte als Einwanderungsland hat, war das Selbstbild geraume Zeit das eines Transitlandes. Selbst als den ursprünglich nur temporär angeworbenen GastarbeiterInnen ein Niederlassungsrecht sowie Familiennachzugsrechte eingeräumt wurden, kam es im öffentlichen Diskurs nicht zu einer Anerkennung als Einwanderungsland.64 Wie auch im restlichen Europa, so wird auch in Österreich Migration normalerweise als „Problem“ behandelt, das es zu lösen gilt und aus den Perspektiven des Arbeitsplatz- und Ressourcenwettbewerbs diskutiert. Zudem liegt der Fokus auf dem Aspekt der kulturellen Integration, die in der Realität häufig als Assimilation gefordert wird. Das Ergebnis ist eine Verschiebung der Last auf MigrantInnen, von denen verlangt wird, dass sie die Erwartungen der Mehrheitsgesellschaft sowohl bezüglich des Arbeitsmarkts als auch bezüglich kultureller Integration erfüllen. Die Vorteile von Immigration und ihre Konsequenzen für die österreichische Gesellschaft – Stichwort demographischer Wandel – und das politische System werden kaum diskutiert. Die Qualität der österreichischen Demokratie wird allerdings auch davon abhängen, wie der politische Wille von Menschen mit Migrationshintergrund in den demokratischen Entscheidungsprozess eingebunden werden kann. Trotz des dominanten Diskurses über kulturelle Integration wird man von Individuen mit Migrationshintergrund mit völlig unterschiedlichen Erwartungen an das Leben nicht verlangen können, sich so zu verhalten, als wären sie nur in Österreich sozialisiert worden. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang auch die Tatsache, dass Österreich mit zu den restriktivsten Ländern gehört, was die Verleihung der Staatsbürgerschaft an ImmigrantInnen 64
Bauböck und Perchinig (2006), Migrations- und Integrationspolitik.
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betrifft. Wenn auch im Vergleich zu Deutschland weniger zögerlich, wird die Staatsbürgerschaft erst nach zehnjährigem Aufenthalt und nur unter der Bedingung vergeben, die alte Staatsbürgerschaft aufzugeben. Außerdem wird die Verleihung der Staatsbürgerschaft noch immer als Endstufe der Integration angesehen und nicht als Voraussetzung für eine gelingende Integration.65 Eine relative institutionelle Toleranz findet man hingegen gegenüber dem Ausleben religiöser Überzeugungen, auch jenen von Fremden, welche v.a. auf die legale Anerkennung des Islam im Jahre 1912 zurückgeht.66 Eine Konsequenz daraus ist, dass liberale Regulierungen in den letzten Jahren gestärkt wurden. Andererseits steht diese relative institutionelle Toleranz in scharfem Kontrast zu recht platten rassistischen Attitüden und fremdenfeindlicher Rhetorik in der Politik.67 Des Weiteren ist hervorzuheben, dass Integrationspolitik – wie in vielen anderen europäischen Ländern auch – beim Innenministerium angesiedelt ist, diesem Politikbereich also eine sicherheitsrelevante Komponente zugeschrieben wird.68 Hafez hebt besonders hervor, dass die relativ frühe Einbindung der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (ab 1979) vor allem als Instrument zu sehen ist, wodurch der Staat die Möglichkeit geschaffen hat, die Ausrichtung des Islam in Österreich dahingehend zu beeinflussen, dass dieser mit der österreichischen Gesellschaft vereinbar bzw. an diese angepasst wurde. Demokratietheoretisch bedenklich ist in diesem Kontext auch die geringe soziale Mobilität von Menschen außerhalb der Ober- und Mittelschicht – ein Phänomen, dass zwar allgemein in Österreich gilt, von dem aber MigrantInnen und Personen mit Migrationshintergrund besonders stark betroffen sind, da die meisten von ihnen anhand ihrer Bereitschaft ausgewählt wurden, in für ÖsterreicherInnen wenig attraktiven Bereichen tätig zu sein. Diese Tatsache führt dazu, dass Immigranten und ihre Kinder in sozialen Umständen gefangen sind, die von schlechter Ausbildung, begrenztem sozialen Aufstieg und sozioökonomischer Marginalisierung geprägt sind. Angesichts der Tatsache, dass in Österreichs Bildungssystem soziale Klasse nach wie vor der dominante Faktor für die spätere Karriere ist und dass viele ImmigrantInnen mit kulturell traditionellem, ländlichem oder Arbeiterklassenhintergrund nicht über die Mittel verfügen, ihre Kinder durch das Bildungssystem zu lotsen und damit ihrem sozialen Milieu zu entkommen, braucht es zielgerichtete Programme, um die potenziell negativen Konsequenzen zu vermeiden, die mit sozioökonomischer Segregation verbunden sind. Initiativen wie etwa die des ehema65 66 67 68
Borkert (2013), What Dialog on Integration?! Hafez (2013), The Incorporation of Muslim Denominations. Wodak und Köhler (2010), Wer oder was ist „fremd“? Sohler (1999) in: Borkert (2013).
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ligen Integrationsstaatssekretärs Kurz, Förderklassen für nicht muttersprachliche Kinder einzurichten, stießen auf heftigen Widerstand. Obwohl der Vorschlag auf wissenschaftliche Expertise zurückging, wurde dieser unter dem Argument, dass diese Klassen eine weitere Kluft zwischen österreichischen Kindern und solchen mit Migrationshintergrund erzeugen würde, zurückgewiesen. Dies ist einer von vielen Fällen von knowledge shelving im Bereich der österreichischen Integrationspolitik, wie Borkert zeigt. Das heißt, dass die Politik zwar Studien in Auftrag gibt, die Resultate dann allerdings häufig nicht umgesetzt werden. Abgesehen davon, dass sich die österreichische Gesellschaft damit der Talente und sonstiger Beiträge seiner neuen BürgerInnen beraubt, liegt hier auch ein erhebliches Konfliktpotenzial vor. Der wachsende Bevölkerungsteil mit Migrationshintergrund wird sich einen Platz in der Gesellschaft und im demokratischen Entscheidungssystem suchen, auf die eine oder andere Weise. Ein demokratisches System, welches den Reichtum seiner diversifizierten Bevölkerung ignoriert, indem es nicht allen BürgerInnen die gleichen Mitsprachemöglichkeiten gewährt und notwendige (initiale) Förderleistungen verweigert, entzieht sich zudem selbst wertvolles Talent und Potenzial.
G. Politische Bildung und Jugendkultur in Österreich Eine andere Facette in Hinblick auf die Stärkung einer demokratischen Öffentlichkeit ist die Rolle von politischer Bildung, welche in Österreich traditionell vernachlässigt wurde und einen entsprechenden Einfluss auf die Tatsache haben mag, dass ÖsterreicherInnen politische Entscheidungen gerne dem Staat und anderen Autoritäten übertragen. Politische Bildung war sowohl eine verspätete Erfindung (einem ministeriellen Erlass aus 1978 folgend) als auch eine unvollständige. Nach wie vor wird Politik in Schulen nicht als ein gleichwertiger Unterrichtsgegenstand gewertet. Wenn politische Bildung stattfindet, dann meist nur in Hinblick auf formelle Regierungsinstitutionen und Geschichte. Laut Filzmaier und Klepp69 gibt es auch nur wenige Studien, die sich mit den Einstellungen junger ÖsterreicherInnen und ihrer politischen Bildung auseinandersetzen. Angesichts der schlechten Informationslage müssen Schlüsse aus den wenig vorhandenen und sehr allgemein gehaltenen Wertestudien gezogen werden, oder man gleitet ins Anekdotische ab. Während Österreichs Jugend für radikale oder ungewöhnliche politische Einstellungen wenig empfänglich scheint – im Grunde spiegelt sie die Gesamtbevölkerung wider – gibt es ein signifikantes Segment, das sich einen autoritären Führer wünscht (fast 20 %). 69
Filzmaier und Klepp (2009), Mehr als Wählen mit 16.
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Ein Viertel der untersuchten jungen ÖsterreicherInnen möchte überhaupt nichts mit politischen Parteien zu tun haben, obwohl gleichzeitig eine „unkritische Anerkennung staatlicher Autorität“ ausgedrückt wird. Viele JungwählerInnen glauben zudem, dass „die Wirtschaft wichtiger als die Politik“ ist.70 Noch bedenklicher ist, dass die Arbeit von Nicht-Regierungsorganisationen und nicht-konventioneller Politik entweder ausgeblendet oder als irrelevant betrachtet wird. Dementsprechend ist auch nur ein Viertel der jungen ÖsterreicherInnen beispielsweise bereit, politische Petitionen zu unterzeichnen oder sich für nicht-konventionelle Politik zu engagieren. Die Einstellungen von SchülerInnen sind natürlich in Zusammenhang mit jenen von LehrerInnen zu sehen. Die verfügbaren Daten deuten auch hier auf eindeutige Defizite hin, die Bedeutung der demokratischen Ermächtigung der BürgerInnen im Sinne von empowerment zu erkennen. Gleichzeitig zeigen die Umfragen auf, dass sich viele LehrerInnen überfordert und allein gelassen fühlen mit der Komplexität aktueller nationaler und internationaler Politik. Bisherige und gegenwärtige Schulreformdiskussionen (Gesamtschule, neue Lehrerausbildung, Zentralmatura, PISA usw.) lassen den Bereich politische Bildung beinahe gänzlich vermissen. Da hier weder von den zuständigen Ministerien, noch der Opposition, noch den LehrerInnen und ihren Interessenvertretungen besonderer Druck zu erwarten ist, wäre es wichtig, dass sich das österreichische Parlament dieser Thematik annimmt.
H. Die Rolle der Neuen Medien in der österreichischen Demokratie Eine wichtige Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie ist eine demokratische Öffentlichkeit, deren Etablierung einerseits eng mit den Medien als Forum des öffentlichen Diskurses und andererseits mit politischer Bildung und politischem Bewusstsein verknüpft ist. Obwohl Österreichs Medienlandschaft sich langsamer ändert, als es in anderen Ländern der Fall ist, und gleichzeitig stark vom großen nördlichen Nachbarn geprägt wird, entsteht eine neue Medienrealität – unter anderem durch die zunehmend wichtigere Rolle privater Fernsehsender, dem steigenden wirtschaftlichen Druck auf traditionelle Qualitätszeitungen, dem Entstehen einer neuen IT-Infrastruktur gemeinsam mit der Entwicklung des Web 2.0, der Etablierung von sozialen Online-Netzwerken und dem Bloggen. Diese Trends produzieren widersprüchliche Ergebnisse.71 Einerseits wird die Öffentlichkeit in dem Maße segmentiert, wie sich die Märkte und Narrative der Medien vervielfälti70 71
Ibid.: 345. Weiss (2013), Segmentierung politischer Kommunikation in Milieus.
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gen, so dass kollektive politische Erfahrungen, die die Entwicklung einer gemeinsamen Bürgererfahrung begünstigen, immer seltener werden. Daraus resultieren immer größere Schwierigkeiten für die Eliten, relevante Bevölkerungsgruppen mit einheitlichen Botschaften zu erreichen, die gleichzeitig komplexe Entwicklungen erklären und politische Entscheidungen verteidigen sollen. Andererseits eröffnen die neuen Medien bis dato unbekannte Wege für demokratische Beteiligung und politischen Aktivismus, was neue Freiheiten bringt und vor allem grassroots-Organisationen außerhalb der traditionellen Einflussmechanismen begünstigt. Bis dato liegen keine verbindlichen Aussagen über die Rolle neuer Medien in der Demokratie in Deutschland und Österreich vor, allerdings werden in einem von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und der ARGE „Zukunft der Demokratie“ geplanten Konferenz im November 2014 erste Ergebnisse eines umfangreichen DFG-Projektes zu diesem Thema präsentiert werden.
VII. Schlussfolgerungen Der Zustand der Demokratie in Österreich muss, wie in anderen westlichen Demokratien auch, vor dem Hintergrund der Globalisierung und dem damit einhergehenden gesellschaftlichen Wandel analysiert werden. Was eine rasche Anpassung an diese Vorgänge in Österreich verhindert hat bzw. zum Teil noch verhindert, ist das Erbe der Nachkriegszeit – sprich des Proporzes und der Konsensdemokratie.72 Diese hatten nicht nur enormen Einfluss auf die formalen politischen Institutionen und die sehr spezifische und komplexe Ausgestaltung des österreichischen Föderalismus, sondern vielmehr auch auf die politische Kultur im Land. Während die Kartelloder Großparteien versuchen, nach wie vor an ihren traditionellen Machtpositionen und -strukturen festzuhalten, steht die Bevölkerung vor der Herausforderung, sich in einem diversifizierten politischen Umfeld durch mehr Aktivismus an der Politikgestaltung in einem de-facto Mehrebenen-Regierungssystem zu behaupten und ihre politische Partizipation neu zu gestalten. Eine besondere Herausforderung stellt, durch die Öffnung der Grenzen innerhalb des Schengen-Raums, der allgemein höheren Mobilität von Personen/Arbeitskräften sowie dem derzeitig enorm ansteigenden Flüchtlingsstrom aus Krisengebieten, der Umgang mit Personen nicht-österreichischer Herkunft dar. Deren Inklusion bzw. Teilhabe am politischen Leben ist ein wichtiger Schritt zu einer Gesellschaft gleicher BürgerInnen, die Grundvoraussetzung jeder Demokratie ist. Hier ist auch die bedeutende Rolle der Medien hervorzuheben, die durch ihre Arbeit wichtige Meinungsträger und -multiplikatoren 72
Heinisch (2002), Populismus, Proporz, Pariah.
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sind. Schlussendlich spielt in der Ausgestaltung der Demokratie politische Bildung eine zentrale Rolle. Anstatt etwa Politik in der Schule in Form von nüchterner Institutionenlehre zu vermitteln, sollte die Betonung auf aktive Beteiligung und prozessorientierte und kenntnisreiche Praxis gelegt werden (z.B. das Organisieren von Initiativen, das Schreiben von Petitionen, die Nutzung sozialer Netzwerke und digitaler Medien, Übungsparlamente etc.). Nur durch eine derartige Ausgestaltung der politischen Bildung kann das Bewusstsein für die Notwendigkeit der Beteiligung zur Erhaltung einer lebendigen Demokratie geweckt werden.
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Reformvorschläge für Österreichs Demokratie: Diskussionspunkte zur Demokratiequalität
I. Einleitung: Forschungsfrage Der hier vorgestellte Kurzbeitrag beschäftigt sich fokussierend mit folgender Forschungsfrage: Welche Reformvorschläge für Österreichs Demokratie lassen sich zur Diskussion stellen? Es soll dabei ein breites Spektrum an Diskussionspunkten angedacht und aufgespannt werden. So gesehen sollen diese vorgebrachten Diskussionspunkte ein maximales Spektrum an Möglichkeiten und Optionen andeuten. Es geht um denkbare und denkmöglich innovative Ansätze.1 Es wird also nicht behauptet, dass alle Diskussionspunkte verwirklicht werden sollen. Grundsätzlich kann jeder Diskussionspunkt für sich betrachtet und bewertet (evaluiert) werden. Theoretische Basis beziehungsweise theoretischer Ausgangspunkt für die Reformvorschläge hier ist das Konzept (sind die Theorien) der Demokratiequalität. Damit erhalten Reformvorschläge dann eine Plausibilität und Rechtfertigung, wenn sie grundsätzlich geeignet sind, zu einem Mehr an Demokratiequalität beizutragen. Das kann beispielsweise Fortschritte im Hinblick auf Freiheit, Gleichheit oder nachhaltige Entwicklung bedeuten.2 Nachhaltigkeit zeigt hier ebenfalls mehrere Querverbindungen zu human development auf.3 In einem anderen Denkansatz könnte die Zunahme von Demokratiequalität auch in einer Wechselwirkung von Grundrechten4 einerseits und Macht-ausbalancierenden Strukturen5 andererseits gesehen beziehungsweise verstan1 2
3 4 5
Vergleiche mit Campbell/Carayannis (2013). Im Sinne eines Überblicks zu Demokratiequalität siehe: Barth 2010 und 2011; Campbell et al. 1996; Campbell/Schaller 2002; Campbell 2008; Campbell 2012; Campbell/Barth 2009; Campbell et al. 2013; Campbell/Carayannis 2014; und Campbell et al. 2015. Für einen generellen Überblick zur Institutionalisierung der liberalen Demokratie siehe Helms 2007. Aus der Perspektive von Demokratietheorie und Demokratiequalität siehe hier Guillermo O’Donnell 2004a. Grundrechte ließen sich dabei im Sinne der human rights bei Guillermo O’Donnell (2004a: 12, 47; 2004b) verstehen. Bei den für Demokratie genannten (konzeptionellen) Dimensionen könnten die Macht-ausbalancierenden beziehungsweise Macht-ausgleichenden Strukturen der Dimension der Kontrolle (siehe Lauth 2004: 77–96) zugeordnet werden.
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den werden.6 Die hier im Folgenden genannten Reformvorschläge haben den Charakter von kurzen Diskussionspunkten. Sie lassen sich als (diskursischen) Input für Möglichkeiten einer Verbesserung von Österreichs Demokratiequalität verstehen.
II. Reformvorschläge für Österreichs Demokratie: Diskussionspunkte zu Demokratiequalität Vielfach platziert sich die österreichische Demokratiequalität im internationalen Vergleich mit den anderen OECD-Ländern7 hoch bis sehr hoch, aber nicht über alle Dimensionen und Indikatoren.8 Im Sinne eines weitergehenden Lernens für Österreichs Demokratiequalität (so die These) erscheint vor allem die Identifikation der potenziellen Problemfelder als relevant, da natürlich im Besonderen dort Reformen von Politik und Demokratie greifen sollen und müssten. Innovationsnotwendigkeiten verorten sich für Österreichs Demokratiequalität vor allem für Pressefreiheit, Gender-Gleichheit und einer konsequenteren Eindämmung und Bekämpfung von Korruption. Der dringendste Handlungsbedarf für Österreichs Demokratiequalität besteht aber vor allem bei einer verbesserten Integration von MigrantInnen (nicht-EU-BürgerInnen)9 und einem verbesserten Zugang zu StaatsbürgerInnenschaft (Staatsbürgerschaft).10 Politiken der Inklusion und Exklusion (Inklusion/Exklusion) erhalten hier eine besondere Bedeutung, wobei von der Position (Perspektive) der Demokratiequalität der Fokus und die Aufgabe darin besteht, über Politik (Politiken) mehr Inklusion zu erreichen.11 6 7 8 9 10
11
Siehe Campbell (2002: 19). Derzeit umfasst die OECD (Organization for Economic Co-Operation and Development) 34 Mitgliederländer (http://www.oecd.org/about/membersandpartners/). Siehe beispielsweise wiederum Campbell 2012, Campbell/Carayannis 2014 und Campbell et al. 2015. Hier wären also vor allem StaatsbürgerInnen gemeint, die nicht über die Staatsbürgerschaft eines Mitgliedslandes zur EU (Europäischen Union) verfügen. Dieser Befund ergibt sich vor allem dann, wenn zwei Indikatoren des Migrant Integration Policy Index (MIPEX) einer näheren Betrachtung unterzogen werden (Huddleston et al. 2011): einerseits der „overall score (with education)“ sowie andererseits der „access to nationality“ (Zugang zu StaatsbürgerInnenschaft). Dieser Index misst also die Integration von MigrantInnen beziehungsweise Nicht-StaatsbürgerInnen in eine Gesellschaft und Demokratie. Bei beiden Indikatoren fällt die österreichische Demokratiequalität komparativ deutlich abgeschlagen aus – bei MIPEX allgemein belegt Österreich nur Rangplatz 26 (von 33) und beim Zugang zur StaatsbürgerInnenschaft sogar nur mehr Rangplatz 30 (von 33) (für das Jahr 2010). In diesem Zusammenhang ist die Beobachtung interessant, dass die schlechte Performanz von Österreich beim MIPEX offenbar nicht auf die politischen Rechte und bürgerlichen Freiheiten, so wie bei Freedom House definiert und gemessen, negativ abfärbt. Eine These wäre, dass AusländerInnenintegration dort (bei Freedom House) nicht (genügend) hoch gewichtet Eingang findet (siehe Freedom House 2011a, 2011b, 2011c und 2011d). Das Buch (Ataç/Rosenberger 2013) plädiert überzeugend dafür, warum der Begriff der „Integration“ teilweise problematisch ist und tendenziell durch den Begriff der „Inklusion“ abgelöst werden soll.
Reformvorschläge für Österreichs Demokratie
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Ferner ist Integrationspolitik mit benachbarten Politikfeldern wie Asylpolitik vernetzt.12 Österreichs StaatsbürgerInnenschaft kennt kein jus soli, sondern wendet ein reines jus sanguinis an: Automatischer Erwerb von StaatsbürgerInnenschaft erfolgt noch immer über die StaatsbürgerInnenschaft der Eltern, Geburt in Österreich und Residenz während Kindheit und Jugend werden dabei und dafür ausgeblendet. Damit entscheidet faktisch Abstammung (also auch ein biologisches Prinzip) über politische Rechte und automatische politische Partizipation an Österreichs Demokratie.13 Dies lässt sich nur schwer in Einklang bringen mit den entwickelten Qualitätsstandards einer Demokratie des 21. Jahrhunderts und steht letztlich – konsequent gedacht – im Widerspruch zu Fairness und der universellen Gleichheit der Menschenrechte.14 Konsequent gedacht zeichnet sich hier auch ein Konflikt mit der Freiheit („freier Freiheit“) ab. Reformen von StaatsbürgerInnenschaft in anderen europäischen Ländern (wie in Deutschland), die sich während der letzten Jahre ergaben, sind hier nicht nach Österreich durchgedrungen und wurden nicht in den österreichischen politischen Mainstream-Diskurs aufgenommen.15
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Inklusion/Exklusion wird (werden) hier (Ataç/Rosenberger 2013) als neues „Doppel-Konzept“ eingeführt. Das soll heißen, dass sich Inklusion und Exklusion zueinander im Sinne eines Kontinuums darstellen lassen. Noch bedeutsamer aber ist hier das Verständnis, dass Inklusion und Exklusion (als Modalitäten) auch gleichzeitig auftreten können und häufig auch auftreten werden, hier also politische Prozesse der Öffnung und Schließung parallel greifen. Für Migration bedeutet das, dass im Rahmen von Migrationspolitik komplexe Abstufungen an Inklusion und Exklusion vielfach gleichzeitig auftreten. Damit entwickelt sich die Positionierung von MigrantInnen in unterschiedlichen Rechtsdimensionen (Rechtssphären) unterschiedlich und geschehen Phänomene und Prozesse von Inklusion/Exklusion oft in Wechselhaftigkeit. Während beispielsweise politische Rechte zumeist mit StaatsbürgerInnenschaft verknüpft sind, können soziale Rechte auch auf Aufenthalt basieren. Siehe Rosenberger 2010. Dazu soll ferner angemerkt werden: „Bedenklich für Demokratiequalität ist, wenn ein bedeutender Anteil der Wohnbevölkerung nicht im Besitz der Staatsbürgerschaft ist beziehungsweise sich dieser Anteil sogar vergrößert: Denn das könnte dazu führen, dass manche Parteien, die an Wahlstimmenmaximierung interessiert sind, den StaatsbürgerInnen ‚auf Kosten‘ der Nicht-StaatsbürgerInnen Wahlversprechen geben. … Je größer der Anteil der Nicht-StaatsbürgerInnen, desto höher fällt das populistische Potenzial für den Parteienwettbewerb aus. Soll dem Populismus ein effektiver Riegel vorgeschoben werden, müsste der Anteil der Nicht-StaatsbürgerInnen an der Wohnbevölkerung möglichst verringert werden“ (Campbell 2002: 30–31). Laut Pelinka (2008) bedarf es in Österreich einer systematischeren konzeptionellen Reflexion über den demos, also: „Wer ist das Volk?“. Diese Reflexion müsste in Richtung von mehr Inklusion gehen (siehe auch Valchars 2006). Verweigert Österreichs Politik auch in den kommenden Jahren die Einführung einer jus-soli-Komponente in das Staatsbürgerschaftsgesetz, so ist nicht ausgeschlossen, dass die reine jus-sanguinis-Ausgestaltung noch rechtlich auf dem „Verfassungswege“ (national, supranational oder international) angefochten wird.
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Von diesem komparativen empirischen Befund ausgehend lassen sich damit folgende Diskussionspunkte für Reformvorschläge von Österreichs Demokratie und Demokratiequalität zur Diskussion stellen: 1. StaatsbürgerInnenschaft: Die Einführung einer gleichberechtigten jus soli-Komponente16, parallel zum jus sanguinis, ist dringend notwendig.17 Zu Doppel- und MehrfachstaatsbürgerInnenschaft sind unterschiedliche Positionen denkbar und natürlich legitim, es gibt jedoch gute Argumente für deren Zulassung.18 2. Gender-Gleichheit, Pressefreiheit, verbesserte Integration von MigrantInnen und Eindämmung von Korruption: Das sind Bereiche und Politikfelder, in denen sich Österreich nicht so gut beziehungsweise sogar schlechter positioniert (wenn komparativ betrachtet).19 Reformen von Österreichs Demokratie sollten deshalb intensiver auf diese Anwendungsbereiche von Policy (Politiken)20 fokussieren.21 3. Ausbalancierung von politischer Macht: Macht korrumpiert und absolute Macht korrumpiert absolut.22 Für Demokratie und Demokratiequalität ist es somit essenziell, dass übermäßige Machkonzentrationen verhindert werden. Für Westeuropa wurde konkret empirisch statistisch errechnet, dass Regierungsparteien ein höheres Risiko dafür tragen, bei Wahlen zu verlieren als zu gewinnen.23 Das wäre somit auch eine Manifestation des Phänomens, warum es in Demokratien regelmäßig zu Regierung/Oppositions-Zyklen 16
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Jus soli würde (wie bereits ausgeführt) implizieren, dass es in Österreichs Politik weniger Spielraum für Populismus gäbe, da wir dann eine Situation von mehr Deckungsgleichheit zwischen Bevölkerung (Wohnbevölkerung) und Wählerinnen/Wählern vorfinden würden. Österreichs Traditionsparteien sollten sich solchen Überlegungen mehr öffnen. Jus soli würde hier bedeuten: Jeder, der beziehungsweise die in Österreich geboren wird, erhält automatisch die österreichische StaatsbürgerInnenschaft. Dies könnte (eventuell) auch auf solche Personen ausgeweitet werden, die eine Mindestanzahl an Wohnjahren während der Kindheit und/ oder Jugend in Österreich verbringen. Für Prozesse einer verantwortungsvollen und nachhaltigen Globalisierung sind Doppel- und MehrfachstaatsbürgerInnenschaft entscheidende Elemente. Warum soll es für (politisch souveräne) Individuen hinnehmbar sein, sich von einem Staat verbieten zu lassen, die ursprüngliche StaatsbürgerInnenschaft zu behalten und andere StaatsbürgerInnenschaften zusätzlich zu erwerben? Siehe Campbell et al. 2015. Zu einem innovativen Politikfeld wie Kulturpolitik siehe ferner Rohn (2013). Zu Politikfinanzierung siehe beispielsweise Sickinger (2009) und Zögernitz/Lenzhofer (2013). Das eine historisch berichtete Originalzitat dazu lautet: „Power tends to corrupt, and absolute power corrupts absolutely. Great men are almost always bad men“ (John Emerich Edward Dalberg Acton, first Baron Acton, 1834–1902): http://www.phrases.org.uk/meanings/absolute-power-corrupts-absolutely.html Siehe Müller/Strøm (2000: 589).
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und politischen Schwingungen (Links-rechts-Schwingungen) kommt.24 Eine Besonderheit für Österreich ist, dass es hier auf Ebene des nationalen Parlaments (im Nationalrat) seit der Nationalratswahl 1983 durchgehend eine „rechte“ (mitte-rechts/rechte) Mandatsmehrheit gibt. Umgekehrt lässt sich zur Diskussion stellen, dass – möglicherweise in Reaktion auf die Koalitionen von ÖVP/FPÖ und ÖVP/BZÖ (schwarz-blau beziehungsweise schwarz-orange) auf Bundesebene im Zeitraum 2000–200725 – für die österreichischen Landtage erstmals ab 2005 eine „linke“ Mandatsmehrheit resultierte, wenn die Landtage nach Bevölkerung gewichtet aggregiert werden.26 Die Fortsetzung von Großen Koalitionen (SPÖ und ÖVP) auf Bundesebene lässt hier unter Umständen eine Erosion linker Landtagsmehrheiten erwarten.27 Für eine verbesserte politische Machtausbalancierung wird hier deshalb zur Diskussion gestellt: Amtszeitbegrenzungen von exekutiven Spitzenpositionen in der Politik: Amtszeitbegrenzung (Amtszeitbeschränkung) heißt, dass eine konkrete („natürliche“) Person nicht über ein bestimmtes Maß an Zeit (Jahren) eine bestimmte Funktion (ein bestimmtes Amt) ausüben (beziehungsweise wiederausüben) darf – hier geht es im Besonderen um die gesamte, also „maximale“ Zeit möglicher Amtsausübung. Bisher ist in Österreich im politischen Bereich lediglich die Funktion der/des Bundespräsidentin/en formell mit einer Amtszeitbegrenzung gekoppelt, jedoch nicht die/des Bundeskanzlerin/s, obwohl diese Position (BundeskanzlerIn) sogar mehr Machtausübung akkumuliert (als BundespräsidentIn). Es erscheint für Österreich angebracht, darüber nachzudenken, auch die Funktion des/der Bundeskanzlerin/s mit einer Amtszeitbegrenzung zu versehen.28 Denn es ist eine Denkeinschränkung, zu behaupten, Amtszeitbegrenzungen können nur für solche politischen Positionen gelten, die direkt durch WählerInnen gewählt werden (wie das zur Zeit für die/den BundespräsidentIn in Österreich gilt). Amtszeitbegrenzungen lassen sich genauso diskutieren und anwenden für politische Institutionen aus der institutionellen Logik eines parlamentarischen Systems heraus (also für Siehe dazu Campbell 1992. Für eine Analyse von Österreichs Bundesregierung in diesen Jahren siehe Wineroither (2009). Siehe dazu Campbell (2007: 392-393). Die konkreten Zahlen für Österreichs Landtage nach 2007 müssten erst noch berechnet oder aktualisiert werden, um hier die Zeitreihe 1945–2007 fortzusetzen. Als Zeitrahmen für eine Amtszeitbegrenzung der/des Bundeskanzlerin/s lassen sich (in Summe) acht bis zehn Jahre zur Diskussion stellen. Für die Konkretisierung des Designs von Amtszeitbegrenzungen bestehen unterschiedliche Möglichkeiten.
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die/den BundeskanzlerIn).29 Wobei im Falle Österreichs auch genauso über Amtszeitbegrenzungen von Landeshauptleuten nachgedacht werden sollte.30 Amtszeitbegrenzungen stellen sich gegen Machtverzerrungen.31 Grundsätzlich sollten PolitikerInnen solche Amtszeitbegrenzungen als eine Chance sehen, da dies Politik (und Gesellschaft) dynamischer macht, und sich PolitikerInnen vermehrt über verschiedene Ebenen (wie Länder-, nationale und EUEbene) und Institutionen (wie BundeskanzlerIn und BundespräsidentIn) bewegen würden. Vermehrte Amtszeitbegrenzungen wären auch ein Beitrag für die positive Entwicklung einer „Rücktrittskultur“ in Österreich. In der Rücktrittskultur drückt sich wesentlich die politische Kultur eines politischen Systems aus, die Rücktrittskultur wird damit zu einem Parameter für Political Leadership.32 Rücktrittskultur repräsentiert so etwas wie die oft (analytisch) vernachlässigte oder (politisch eventuell gerne) übersehene komplementäre Gegenseite, die ebenfalls notwendig ist, damit ein politisches System offen sein kann für Einstieg und (Wieder-)Neueinstieg von PolitikerInnen. Rücktrittskultur sagt spiegelverkehrt (indirekt) auch etwas darüber aus, wie weit politische Gestaltungsmöglichkeiten einer Bevölkerung (von Wählerinnen und Wählern) gehen.33 Es soll auch noch auf den folgenden zusätz29 30 31
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Siehe dazu auch die Debatte in der österreichischen Tageszeitung DER STANDARD vom 30.09.2014 (http://derstandard.at/2000006255003/Demokratie-gern-in-kleinen-Happen). Gerade in Österreich gibt es teilweise „über-lange“ Amtszeiten von Landeshauptleuten (Campbell 2007: 400). Die „Institution der Amtszeitbegrenzung“ hätte auch höchst effektiv ein Phänomen wie Silvio Berlusconi in Italien verhindert, dass also eine Person fast zwanzig Jahre hindurch (mit „Zwischen-Unterbrechungen“) die Funktion des Ministerpräsidenten ausübt (http://en.wikipedia.org/wiki/Silvio_Berlusconi). „Berlusconi“-Phänomene könnte es auch in anderen (westlichen) Demokratien geben, vor allem dann auch, wenn es zu keiner Institutionalisierung und Implementierung von Amtszeitbegrenzungen kommt. Siehe dazu Jankowitsch (2013). Regina Jankowitsch (2013: 76–77) stellt eine „Rücktrittstabelle“ zur Diskussion. Entlang von acht Dimensionen wird aufgezeigt, in welchen Szenarien und Fällen ein Rücktritt empfehlenswert wäre beziehungsweise zumindest erwogen werden müsste: (1) Wahlniederlage – dann, wenn es ein Persönlichkeitswahlkampf oder ein Themenwahlkampf mit schweren Verlusten ist; (2) Proteste könnten ebenfalls zu Rücktritt führen; (3) Scheitern eines eigenen Projekts, wenn es mit einem Rücktrittsangebot oder einer negativ ausgegangenen Vertrauensfrage verknüpft ist; (4) gesundheitliche Gründe können eine Auszeit nahe legen; (5) Job- oder Berufswechsel verlangen politischen Rücktritt; (6) eigenes Fehlverhalten, vor allem wenn es einen „schweren Fehler“ darstellt, muss in Rücktritt münden; (7) Fehlverhalten anderer, das einen „gravierenden Schaden“ nach sich zieht, sollte ebenfalls zu Rücktritt führen, beziehungsweise sollte das dann erwogen werden; (8) Vertrauensverlust in den eigenen Reihen wird zu einem Rücktritt führen, vor allem, wenn es nicht gelingt, die eigene Mannschaft wieder zu motivieren und zu aktivieren.
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lichen Aspekt hingewiesen werden: Es lässt sich vielfach argumentieren, dass politische Schwingungen (Links-rechts-Schwingungen) für politische Sys teme wichtige Aufgaben der Selbstorganisation und Reform übernehmen. Institutionalisierte Amtszeitbegrenzungen (wie oben andiskutiert) würden solche Prozesse dabei unterstützen und mehr Flexibilität ermöglichen.34 Reformvorschläge für die Länderebene in Österreich: Für Österreichs Länderebene lassen sich folgende Reformvorschläge diskutieren – Begrenzung von Amtszeiten („term limits“) für die Landeshauptleute35; generelle Abschaffung des „Proporz“ auf Landesebene in allen Bundesländern; generelle Einführung der Direktwahl von BürgermeisterInnen in allen Bundesländern; sowie eine mögliche Direktwahl von Landeshauptleuten36 – bei Re-Arrangierung der Machtbalance37 auf Landesebene.38 Volksabstimmungen und Volksbefragungen (Direkte Demokratie): Parlamentarismus wird häufig mit „indirekter Demokratie“ gleich gesetzt, und Volksabstimmungen stehen für „direkte Demokratie“. Dabei muss einem natürlich bewusst sein, dass es nicht nur ein Verständnis von direkter Demokratie gibt, sondern, dass direkte Demokratie Unterschiedliches meinen und adressieren kann.39 Direkte Demokratie verweist auf einen Pluralismus an Instrumentarien und Maßnahmen. Direkte Demokratie wird in Politik und Politikwissenschaft häufig mit einer gewissen Ambivalenz diskutiert, vor allem auch, wenn es darum geht, ob direkte Demokratie und ihre Anwendungen ausgeweitet werden sollen. Eine Schlüsselfrage dabei ist: Sollen Volksbegehren mit einer Mindestanzahl an Unterschriften automatisch einer Volksabstimmung zugeführt und unterzogen werden? (Soll das Parlament mit „qualifizierter Mehrheit“ dagegen berufen können?) Kritik an mehr Volksabstimmungen: Gegen einen vermehrten Einsatz von Referenda sprechen folgende Befürchtungen: Politik (Politik-Zyklen) würde zu kurzfristig werden; Blockade von Prozessen einer weitergehenden EU-InZu Flexibilität und QuereinsteigerInnen in der Politik siehe ferner Jankowitsch (2005). Dies wäre dann damit in konsequenter Analogie zur Amtszeitbegrenzung der/des Bundespräsidentin/en (bereits bestehend) und der/des Bundeskanzlerin/s (hier zur Diskussion gestellt). Würden Landeshauptleute direkt durch Wählerinnen und Wähler in ihren Bundesländern gewählt werden, so würde die Einführung von Amtszeitbegrenzungen natürlich zusätzlich Sinn machen. Das wäre dann eine Symmetrie zur bereits existierenden Amtszeitbegrenzung für Bundespräsident Innen. Siehe dazu wiederum Campbell (2007: 402). Für eine mögliche allgemeine Reform des Wahlrechts (auf nationaler Ebene) siehe bei Klaus Poier (2001) seine Überlegungen zu einem „minderheitenfreundlichen Mehrheitswahlrecht“. Siehe dazu Marc Bühlmann (2013).
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tegration; ein populistischer Missbrauch von Themen (beispielsweise gegen MigrantInnen)40. Moderne Demokratien werden ferner durch den Umstand herausgefordert, dass Wahlbeteiligungen sinken.41 Wahlbeteiligungen zu direkter Demokratie sind dabei häufig noch niedriger als zu Parlamentswahlen.42 Argumente für mehr Volksabstimmungen: Für die Verwendung von Referenda kann sprechen, dass ihnen möglicherweise auch ein innovatives Momentum zufallen und zukommen könnte, beispielsweise wenn es die politischen Parteien (Regierungsparteien) im Rahmen des Parlamentarismus nicht schaffen, sich auf eine Position (Mehrheitsposition) zu einem wichtigen Thema zu einigen (hier also die politischen Parteien die Themen unerledigt „blockieren“). So gesehen wäre direkte Demokratie in ihrem gesamten Spektrum an Möglichkeiten eine mögliche Bereicherung.43 Unbestreitbar bleibt auch, dass direkte Demokratie den Parlamentarismus (indirekte Demokratie) nicht ersetzen, sondern nur ergänzen kann (und darf ).44 Für den Modus, dass Volksbegehren mit einer Mindestunterschriftenanzahl verpflichtend einer Volksabstimmung zugeführt werden, würde sprechen, dass die Bevölkerung beziehungsweise die WählerInnen ein Thema auf die politische Agenda setzen könnten, welches die regierenden Parteien (Regierungskoalitionen) chronisch ignorieren. Für solch ein Szenario wäre deshalb die Entscheidung Das wäre möglicherweise der Fall, wenn StaatsbürgerInnen über Nicht-StaatsbürgerInnen abstimmen. Hier könnten Einfallstore für vermehrten Populismus entstehen. Das wirft Fragen nach einer möglichen „Wahlpflicht“ auf, die jedoch bisher meist nur am Rande diskutiert werden. Dazu führt Benedikt Philipp Kleer aus: „Die oft geäußerte Annahme, dass der Volksentscheid als ein Instrument der direkten Demokratie eine tatsächliche breitere Inklusion hervorbringt, ist kritisch zu sehen. Viel mehr zeigt sich, dass sich die Exklusion der bei Wahlen zunehmend fernbleibenden Gruppe, Personen mit niedrigem Einkommen und niedriger Bildung, im direktdemokratischen Instrument verstärkt. Der Volksentscheid führt nicht zu einer höheren Inklusion, sondern eher zur Streuung der sich bereits beteiligenden Bürger_innen auf verschiedene Beteiligungsinstrumente, wobei auch für diese Gruppe eine geringe Beteiligung nachweisbar ist.“ Siehe Kleer (2014). Jüngere Erfahrungen mit Referenda in den USA zeigen, dass Referenda manchmal einen „progressiveren“ Ausgang nehmen, als es der parteipolitische Wettbewerb in einem bestimmten Bundesstaat erwarten lassen würde. Wie Marc Bühlmann (2013) dazu ausführt: „Further, direct democratic institutions should be seen as complementary to representative democracy. There is no question of either representative or direct democracy. The distinction between direct and representative democracy is not exclusionary, but the two concepts are complementary. In fact, an enlargement of representative systems by direct democratic institutions seems to be an interesting – given the growing mistrust and apathy in established democracies, perhaps even inevitable – innovation of a democratic system“ (http://link. springer.com/referenceworkentry/10.1007%2F978-1-4614-3858-8_483#page-1).
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wichtig, was eine gute notwendige Mindestanzahl an Unterschriften denn dann sein müsste? 250.000 Unterschriften wären wahrscheinlich zu wenig, 640.000 Unterschriften (so um die zehn Prozent der Wahlberechtigten) eventuell ausreichend. Diese Referenzlatte könnte aber auch deutlich höher gelegt sein – beispielsweise auf 25 % aller Wahlberechtigten.45 Volksbefragungen: Für Österreich wurde und wird diskutiert, ob Volksbegehren mit einer Mindestunterschriftenanzahl verpflichtend einer Volksbefragung zugeführt werden sollen, wobei das Ergebnis der Befragung politisch nicht bindend wäre.46 Dieser Variante an direkter Demokratie käme möglicherweise ebenfalls ein Innovationspotenzial zu. Solche Volksbefragungen wären für das gesamte nationale politische System denkbar oder könnten sich jeweils auch nur auf ein bestimmtes Bundesland beziehen: Wir hätten dann die Anwendung des Modus von Volksbegehren-mit-Mindestunterschriftenanzahl-und-folgender-Volksbefragung auf der Ebene (im Kontext) der einzelnen Bundesländer. Möglicherweise wäre es für die derzeitige Situation in Österreich realistischer (auch besser), die Vorstellung der „Mindestunterschriftenanzahl“ mehr in Richtung Volksbefragung und weniger in Richtung Volksabstimmung zu überdenken und zu prüfen – das könnte sowohl für die Bundesebene als auch die Landesebene geschehen und gelten. Ausklammerung bestimmter Themen für Volksabstimmungen und Volksbefragungen (bei automatischer Kopplung an eine „Mindestunterschriftenanzahl“): Wird die Idee der „Mindestunterschriftenanzahl“ weiter entwickelt, so müsste ferner diskutiert werden, ob gewisse Themen nicht durch direkte Demokratie (in dieser Weise) entschieden werden dürften. Beispiel hier wäre, dass eine Einschränkung von Grundrechten nicht auf der Agenda einer Volksabstimmung oder Volksbefragung stehen sollte (dürfte). Ferner müssten Bezüge zwischen EU (EU-Integration und EU-Gesetzgebung) und direkter Demokratie (in Österreich) geklärt werden. Politische Bildung: Im österreichischen Schulsystem (etwa Sekundarschule) sollte umfassender und konsequenter politische Bildung eingeführt werden. Politische Bildung ließe sich dabei als eine „demokratische Bildung“ („Demokratie-Bildung“) konzipieren (auch als eine solche bezeichnen und umbenennen?).47 Politische Bildung (Demokratie-Bildung) würde helfen Siehe dazu ebenfalls Campbell (2002: 39). Das wäre gleichsam ein wichtiger Unterschied zwischen Volksbefragung (nicht bindendes Ergebnis) und Volksabstimmung (bindendes Ergebnis). Für Curricula der Politikwissenschaft an Österreichs Universitäten stellt sich damit die Frage, inwieweit es hier nicht einen gewissen Reformbedarf gäbe, damit AbsolventInnen der Politikwissenschaft
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beziehungsweise einen Beitrag leisten, WählerInnen bei qualitativen Entscheidungen zu unterstützen. Betreffend die professionelle Ausbildung von JournalistInnen (für ein breites Spektrum an Medien und Organisationen) stellt sich zusätzlich die Frage, inwiefern es nicht auch hier Bedarf und Notwendigkeit für mehr institutionelle Ausbildungsangebote auf Hochschulniveau (Universitäten und Fachhochschulen) geben sollte. Ist Österreichs Politik der Ansicht, dass qualitätsvoller Journalismus die Demokratie fördert, so sollte sich die öffentliche Hand vermehrt überlegen, dafür auch Ausbildungsplätze zu organisieren und zu finanzieren.48 Democratic Audit von Österreichs Demokratie und Demokratiequalität: Bisher wurden das politische System Österreichs, seine Demokratie und Demokratiequalität, noch keinem systematischen „Democratic Audit“ (mit wissenschaftlicher Begleitung) unterzogen.49 Dafür ließe sich beispielsweise das Verfahren von IDEA50 einsetzen und anwenden.51 Es wäre aber genauso möglich, verschiedene Verfahren zu poolen beziehungsweise hybrid zu kombinieren.52 Betreffend Democratic Audit besteht folgendes zentrales Argument. Wahlen richten sich an die Wählerinnen und Wähler, repräsentieren und bilden damit die Interessen der StaatsbürgerInnen ab. Ein Democratic Audit hingegen erfasst die gesamte Bevölkerung (Wohnbevölkerung) einer Demokratie (Gesellschaft). In dieser Hinsicht ist ein Democratic Audit potenziell repräsentativer und inklusiver bezogen auf Vorstellungen und Anliegen einer Gesellschaft zu Demokratie und Demokratiequalität. Es gäbe ferner gute Argumente dafür, Democratic Audits in gewissen (regelmäßigen) Zeitabständen zu wiederholen. Democratic Audits käme damit eine Aufgabe der Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung von Demokratie und Demokratiequalität zu.53
auch dafür ausgebildet und berechtigt sind, politische Bildung (Demokratie-Bildung) an Österreichs Schulen zu unterrichten. Siehe dazu weiters Iris Ullmann et al. 2013. Bisherige Versuche der österreichischen Politikwissenschaft, die österreichische Politik davon zu überzeugen, waren nicht erfolgreich. IDEA: International Institute for Democracy and Electoral Assistance (http://www.idea.int/). Siehe: IDEA 2008, auch Beetham 1994 sowie Beck/Schaller 2003. Für ein interessantes Beispiel für einen Democratic Audit in Costa Rica siehe Cullell (2004). Im österreichischen Kontext wäre es genauso denkbar, einen Democratic Audit auch für ein einzelnes Bundesland durchzuführen. Dem könnte dann Pilotcharakter für andere Bundesländer und das gesamte nationale System zukommen.
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III. Schluss: Rückreflexion auf die Reformvorschläge für Österreichs Demokratie Unsere Forschungsfrage lautete: Welche Reformvorschläge für Österreichs Demokratie lassen sich zur Diskussion stellen? Was folgte, war ein kurzer Exkurs, der verschiedene Diskussionspunkte zu Demokratiequalität in Österreich und ihre Verbesserungen eben zur Diskussion stellte. (Anders formuliert entstand damit ein „Kleines Manifest der Demokratiereform für Demokratiequalität in Österreich“.) Wobei aber in der Einleitung explizit darauf hingewiesen wurde, dass diese Diskussionspunkte nicht als ein Gesamtpaket gesehen werden müssen. Also jeder Diskussionspunkt kann einzeln für sich betrachtet und evaluiert werden.54 Es geht hier mehr um denkmögliche Anregungen für Diskussion und Demokratiediskurs. Demokratie ist nicht fix und starr, sondern Demokratie unterliegt einem stetigen Wandel. So gesehen brauchen Demokratie und Demokratiequalität auch Innovationen für Veränderungen, die letztlich Verbesserungen ermöglichen sollen. Die größten Unsicherheiten bestehen eventuell im Hinblick auf die direkte Demokratie und ihre Ausweitungen, da hier Neuland und unerschlossenes Terrain betreten werden. Das soll jedoch nicht als ein generelles und automatisches Argument gegen mehr direkte Demokratie missverstanden werden. Ferner wurde ein Bereich in der hier präsentierten Kurzanalyse überhaupt nicht angesprochen: Wie sollen die Bezüge zwischen Österreichs Demokratie und der EU-Ebene gedacht werden, wenn wir uns der Aufgabe stellen, Österreichs Demokratiequalität zu verbessern? Das wäre gleichsam eine weitere „Frontier“ für Demokratie und Demokratiequalität.
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Es wurde natürlich Wert darauf gelegt, zu vermeiden, dass einzelne Diskussionspunkte einander widersprechen.
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Wie wir entscheiden: Formen der demokratischen Organisation von Gesellschaften
Die Frage, wie wir entscheiden, lässt sich aus einer politikwissenschaftlichen Perspektive unter mehreren Aspekten betrachten: Erstens stellt das politische System mit seinen Institutionen und institutionalisierten Prozessen der Beteiligung die Rahmenbedingungen für die politische Mitwirkung der Bevölkerung dar. Da westliche Demokratien praktisch durchgehend repräsentativ organisiert sind, also auf der zeitlich begrenzten Übertragung der politischen Macht vom Souverän, der Bevölkerung, auf RepräsentantInnen in Form von Wahlen beruhen, sind zweitens die konkreten Spielregeln dieser Wahlen ein weiterer wesentlicher Baustein, der die Entscheidungsprozesse beeinflusst. Auf Ebene der einzelnen WählerInnen kommen drittens Überlegungen zur individuellen Entscheidungsfindung im Sinn von Theorien der Wahlentscheidung zum Tragen. Der Artikel stellt auf Basis dieser Dreiteilung im Folgenden einige grundlegende Aspekte zu politischen Systemen (Kapitel I.), zu Wahlsystemen (Kapitel II.) und zu Theorien der Wahlentscheidung (Kapitel III.) vor. Abschließend werden als Exkurs Daten zur Volksbefragung zur Wehrpflicht in Österreich Anfang 2013 präsentiert.
I. Parlament, Wahlrecht und Direktdemokratie im internationalen Vergleich Politische Systeme gelten als Diktaturen, falls die Struktur und Merkmale der Gewaltenteilung fehlen, oder als Demokratien, falls die erwähnte Struktur und die Merkmale vorhanden sind (siehe Abbildung 1). Dazu kommen noch etliche Merkmale, wie die Form des Mehrparteiensystems, freie Wahlen, Meinungs- und Versammlungsfreiheit, Partei-, Verbands- und Vereinsgründungsfreiheit sowie eine mehr oder minder starke Ausprägung der Direktdemokratie. Im Regelfall werden Demokratien zudem danach unterschieden, wie genau die Struktur der Gewaltenteilung von Regierung und Parlament bzw. die wechselseitige Kontrolle der Staatsgewalten sowie das Wahlrecht, Parteiensystem und die direkte Demokratie organisiert sind1 (siehe dazu die Abbildung 2). 1
Vgl. Pelinka, Anton: Grundzüge der Politikwissenschaft. Wien 2004.
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Abbildung 1: Struktur demokratischer Systeme
Regierende
(indirekt) gewählte VolksvertreterInnen bzw. Regierung
staatliche und nicht-staatliche Entscheidungsträger
politischer Prozess
freie Meinungs- und Willensbildung
Regierte
BürgerInnen mit Partizipationsrechten
Parteien und Interessengruppen
Betrachtet man die Form der Konfliktregelung als Indikator für die politische Kultur, können Demokratien zudem unterschieden werden in wettbewerbsorientierte Konkurrenzdemokratien, häufig mit Mehrheitswahlrecht und Einparteienregierungen, sowie in konsensorientierte Konkordanzdemokratien mit Verhältniswahlrecht und aus mehreren Parteien bestehenden Koalitionsregierungen.2 Die Konsequenzen dieser Unterscheidung sind vielfältig: Mehrheitswahlen fördern nicht nur Einparteienregierungen, sondern – siehe unten – auch ein Zweiparteiensystem. Verhältniswahlen machen demgegenüber Koalitionsregierungen und ein Mehrparteiensystem wahrscheinlicher. In Österreich etwa war es nach den Ereignissen vom Februar 1934, bei denen es zu gewaltsamen Konflikten zwischen den politischen Lagern kam, dem Ständestaat bzw. Austrofaschismus von 1934 bis 1938 und der Zeit des Nationalsozialismus von 1938 bis 1945 naheliegend, für die Zweite Republik einen möglichst breiten Konsens zu verfolgen.3 Angestrebt wurden die Verhältniswahl, eine anteilige Vertretung mehrerer Parteien im Parlament und in Koalitionsregierungen – Ausnahmen waren die absoluten Mehrheiten bzw. Alleinregierungen der ÖVP von 1966 bis 1970 und der SPÖ von 1970 bis 1983. In den Bundesländern gibt es teilweise noch heute ein Proporzsystem, was bedeutet, dass alle Parteien mit einem bestimmten Stimmenanteil auch in der Regierung vertreten sein müssen. In den USA wiederum entspricht die Konkurrenzdemokratie dem Wettbewerbsgedanken als Element der politischen Kultur.
2 3
Vgl. Lijphart, Arend: Patterns of Democracy. Government Forms and Performance in Thirty-Six Countries. New Haven 1999. Vgl. Pelinka, Anton/Rosenberger, Sieglinde: Österreichische Politik. Grundlagen. Strukturen. Trends. Wien 2000.
Wie wir entscheiden: Formen der demokratischen Organisation von Gesellschaften
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Vergleicht man die Vor- und Nachteile dieser beiden Modelle, müssen die Effizienz von Entscheidungen und der Gedanke der Gerechtigkeit abgewogen werden: Konkurrenzdemokratien haben eine Struktur, die darauf ausgerichtet ist, den Mehrheitswillen möglichst „rasch“ und institutionell ungehindert durchzusetzen – sie sind gekennzeichnet durch Einparteienregierungen, unitarisch und haben kaum plebiszitäre Mitbestimmung. Im britischen System etwa dominiert das Verständnis, dass die Abgeordneten einer Partei für ihr Programm gewählt wurden, und dass sie dieses umzusetzen haben. Sind die WählerInnen damit unzufrieden, werden die Abgeordneten beim nächsten Mal abgewählt. Für die Effizienz der Programmumsetzung muss es klare Mehrheiten geben, damit nicht, wie in Koalitionsregierungen, durch Kompromisszwänge eine Politik des kleinsten gemeinsamen Teilers gefördert wird. Die Opposition nimmt nicht am politischen Entscheidungsprozess teil. Koalitionen gibt es nur in Kriegs- und sonstigen Krisenzeiten. Drittparteien spielen eine untergeordnete Rolle. Nach dem Grundsatz der Parlamentssouveränität haben Gemeinden bzw. Regionen keinen kompetenzrechtlichen Anspruch, Gesetze zu beschließen. Dieser Unitarismus bzw. Zentralismus wird nur abgeschwächt, wenn das Parlament freiwillig Politikbereiche abtritt. Andere Staaten4 wie Österreich, aber auch die Bundesrepublik Deutschland, die USA und insbesondere die Schweiz, haben demgegenüber einen ausgeprägten Föderalismus mit autonomen Kompetenzen für die Bundesländer bzw. Einzelstaaten und Kantone. Konkordanzdemokratien beruhen dabei auf dem Prinzip einer fairen Repräsentation im Entscheidungsprozess und nehmen dafür in Kauf, dass die Entscheidungsverfahren schwerfällig sind. Es gilt beispielsweise als gerecht, wenn eine Partei mit etwa 25 % der Stimmen auch – mit Ungenauigkeiten auf Grund der Wahlarithmetik – ungefähr 25 % der Mandate erhält. Wurde oben das britische System als Beispiel erwähnt, so bietet sich die Schweiz als Konterpart an: Sie besteht aus 20 Voll- und sechs Halbkantonen, die jeweils eine eigene Verfassung haben, Parlament und Regierung sind stark föderalistisch geprägt. Auf allen Ebenen stehen für politische Grundsatzentscheidungen die Elemente der direkten Demokratie (Volksabstimmungen/-befragungen usw.) im Mittelpunkt, während diese in Großbritannien nicht vorgesehen sind. Für Verfassungsänderungen ist in der Schweiz eine Volksabstimmung vorgeschrieben: Eine bundesweite Mehrheit in Prozent aller Stimmen und auch eine „Kantonsmehrheit“, d.h. eine Stimmenmehrheit in der Mehrzahl der Kantone, sind dafür erfor4
Für einen Überblick über Westeuropa vgl. z.B. Ismayr, Wolfgang (Hg.): Die politischen Systeme Westeuropas. Mehrere Auflagen. Wiesbaden 2009.
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derlich. In Großbritannien genügt für Verfassungsänderungen die einfache Parlamentsmehrheit. In repräsentativen Demokratien sind weiters zu unterscheiden: Präsidentielle Systeme, in denen die Regierung dem Parlament politisch nicht verantwortlich ist, und parlamentarische Systeme, in denen die Regierung dem Parlament politisch verantwortlich ist.5 Auch dazu ein Beispiel: In Österreich ist die Regierung als Exekutive ein Kollegialorgan, der Bundeskanzler ist lediglich Primus inter Pares und hat keine formalen Bestimmungsrechte über andere Mitglieder der Bundesregierung. Wenn eine Regierung für ihre Politik im Parlament keine Mehrheit findet, kann sie durch ein (politisches) Misstrauensvotum der Legislative abgewählt werden. In der Bundesrepublik Deutschland gilt dasselbe, dort verfügt der Bundeskanzler über eine Richtlinienkompetenz ohne Weisungsbefugnisse. Für seine Abwahl ist zugleich eine neue Regierungsmehrheit erforderlich (konstruktives Misstrauensvotum). Artikel II der Verfassung der USA besagt hingegen: „The executive power shall be vested in a president of the United States of America.“ Der Präsident der USA bleibt demnach als alleiniges Exekutivorgan im Amt, auch wenn er im Kongress für seine Politik keine Mehrheit findet, die MinisterInnen sind lediglich ein Hilfsapparat. Seine Abberufung (impeachment) durch den Kongress als Parlament ist nicht bei politischem Missfallen, sondern gemäß Verfassung nur bei Landesverrat, Bestechung und anderen schweren Verbrechen und Vergehen möglich. Parlamente weisen auch mehrere und zum Teil sehr unterschiedliche Ausprägungen auf, beispielsweise ob sie im Ein- oder Zweikammersystem organisiert sind, jedoch auch in ihrem Charakter als a) Redeparlamente, die als Bühne (Arena) der politischen Diskussion vor allem Forum der öffentlichen Meinung sein sollen, und/ oder b) Arbeitsparlamente, in denen nicht RednerInnen, sondern ExpertInnen im Mittelpunkt stehen. Die Unterscheidung zeigt sich am deutlichsten am Stellenwert der Ausschüsse: In einem Arbeitsparlament, wie im US-Kongress, werden wesentliche Teile der Arbeit in die Ausschüsse verlagert. In Redeparlamenten sind diese Ausschüsse Hilfsorgane und, wie beispielsweise in Großbritannien, nicht in den Gesetzgebungsprozess eingebunden, sondern lediglich mit schwachen Kontrollmöglichkeiten ausgestattet. Österreich und die Bundesrepublik Deutschland stellen einen Mischtyp dar.6
5
6
Vgl. Hartmann, Jürgen: Vergleichende Regierungslehre und Systemvergleich, in: Berg-Schlosser, Dirk/Müller-Rommel, Ferdinand (Hg.): Vergleichende Politikwissenschaft. Ein einführendes Studienhandbuch. Opladen 1997, 27–48. Vgl. von Alemann, Ulrich: Parlamentarismus, in: Nohlen, Dieter/Schultze, Rainer-Olaf (Hg.): Lexikon der Politikwissenschaft. Band 2. München 2005, 652–656.
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Vom Parlamentarismus sind andere Formen der Demokratie zu unterscheiden. Die unmittelbare Demokratie ist – in überschaubaren Systemen – eine Basisdemokratie ohne repräsentative Volksvertretung. Historisches Vorbild ist die Agora des griechischen Marktplatzes, wo sich die BürgerInnen zur gemeinsamen Entscheidungsfindung versammelten. Aktuell gibt es derart basisdemokratische Entscheidungen in Landsgemeinden der Schweiz oder town meetings in den USA. In großen und komplexen Gesellschaften ist eine vollkommene Basisdemokratie kaum möglich, doch kann eine direkte Beteiligung der BürgerInnen mittels Volksabstimmungen und -befragungen sowie Volksbegehren vorgesehen sein.7 Sowohl in der Verfassung der USA von 1787 als auch im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland 1949 sind solche Referenden nicht vorgesehen, weil – jeweils geschichtlich erklärbar – Angst vor der Emotionalität des Volkswillens als kurzzeitige Momentaufnahme bestand. Sowohl in den USA als frühe Demokratie als auch in der Bundesrepublik nach der Zeit des Nationalsozialismus war das Vertrauen in direkte Entscheidungen des Volkes gering. Auch heute gibt es in beiden Staaten nur auf Länderebene Volksbegehren, Volksbefragungen und Volksabstimmungen. In abgeschwächter Form ist dieses Misstrauen auch ein Grund für die bis heute vergleichsweise geringe Ausprägung der unmittelbaren bzw. direkten Demokratie in Österreich. Volksabstimmungen und -befragungen können durch das Volk selbst (bottom up) oder die Volksvertretung (top down) ausgelöst werden. In Österreich haben Volksabstimmungen rechtliche Verbindlichkeit, während Volksbefragungen nur beratenden Charakter haben.8 In Großbritannien kann nur das Parlament eine Volksabstimmung anordnen. Die Mehrheitspartei macht das sehr selten, d.h. im Regelfall nur, wenn absehbar ist, dass das gewünschte Ergebnis erzielt werden wird. Erreichen hingegen Volksbegehren in der Schweiz und in Italien eine bestimmte Unterschriftenzahl, ist eine Volksabstimmung verpflichtend. In Österreich müssen Volksbegehren ab 100.000 Unterschriften im Parlament behandelt werden, das über die Durchführung oder Nicht-Durchführung einer Volksabstimmung entscheidet.
7 8
Für eine grundsätzliche Systematik politischer Beteiligung vgl. Kaase, Max: Vergleichende Politische Partizipationsforschung, in: Berg-Schlosser/Müller-Rommel 1997, 159–174. Vgl. Pelinka/Rosenberger 2000.
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Abbildung 2: Politische Systemformen im internationalen Vergleich USA
Großbritannien
Frankreich
BR Deutschland
Systemtyp
präsidentielle Demokratie
parlamentarische Demokratie (Westminster-Modell)
parlamentarische (realpolitisch semipräsidentielle) Demokratie
parlamentarische Demokratie
Staatsstruktur/-organisation
föderalistisch ++
unitar (regionalisiert)
unitar (regionalisiert)
föderalistisch +
Parlament
Zweikammersystem; transformativ
Zweikammersystem (nachgeordnete 2. Kammer); Arena / Redeparlament
Zweikammersystem (nachgeordnete 2. Kammer; von Regierung dominiert)
Zweikammersystem; stark transformativ
Parteien system
Zweiparteiensystem
Zweiparteiensystem
Mehrparteiensystem (2-Block)
Mehrparteiensystem (pivotal)
Wahlsystem
relative Mehrheitswahl
relative Mehrheitswahl
absolute Mehrheitswahl
Verhältniswahl / (Mischsystem)
Direkte Demokratie (auf Bundesebene)
nicht vorhanden gering entwickelt 0 (0) ê (elitär orientiert; konsultativ)
nicht vorhanden gemäßigt 0 entwickelt + ê (elitär orientiert)
II. Wahlsysteme A. Grundlegende Wahlsysteme Wahlsysteme und Wahlen sind – siehe wiederum Abbildung 2 – eine weitere Unterscheidung von Demokratietypen und werden oft als Faktor der demokratischen Qualität eines politischen Systems gesehen. Drei Fragestellungen stehen im Mittelpunkt: Nach welchem der möglichen Wahlsysteme wird gewählt? Wer ist aktiv und passiv wahlberechtigt? Wie hoch ist die Wahlbeteiligung? Unter der Überschrift Wahlsysteme wird insbesondere analysiert, wie die Umwandlung von Stimmen in Parlamentssitze geregelt ist und welche vor- und nach-
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Italien
Schweiz
Österreich
EU
parlamentarische Demokratie
Direktorialregierung
parlamentarische (nach Verfassung semipräsidentielle) Demokratie
supranationale rganisation O
unitar (regionalisiert)
föderalistisch +++
föderalistisch +
„föderalistisch“
Zweikammersystem transformativ und Arena
Zweikammersystem; transformativ und Arena
Zweikammersystem (nachgeordnete 2. Kammer); transformativ und Arena
Einkammersystem
Mehrparteiensystem (2-Block)
Mehrparteiensystem
Mehrparteiensystem (pivotal)
Mehrparteiensystem
Verhältniswahl mit Mehrheitsprämie
Verhältniswahl
Verhältniswahl
länderspezifisch (zumeist Verhältniswahl)
stark entwickelt ++ é (basis demokratisch)
stark entwickelt +++ é (basis demokratisch)
gemäßigt entwickelt + êá (elitär orientiert; beschränkt basisdemokratisch)
nicht vorhanden 0
teiligen Auswirkungen sich für das Parteiensystem ergeben. Unterschieden werden insbesondere das Mehrheitswahlrecht und das Verhältniswahlrecht.9 Die Mehrheitswahl in Verbindung mit Ein-Personen-Wahlkreisen führt – etwa in den USA und mit Abstrichen in Großbritannien und Frankreich – mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Zweiparteiensystem. Nach dem Prinzip „The Winner Takes All“ erhält nur der Wahlsieger ein Mandat, der Verlierer nichts. Drittparteien können daher relative Erfolge nicht umsetzen.
9
Für einen internationalen Überblick vgl. Poier, Klaus: Wahlsysteme im internationalen Vergleich – ein Überblick, in: Poier, Klaus (Hg.): Demokratie im Umbruch. Perspektiven einer Wahlrechtsreform. Wien 2009, 41–73.
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Das Verhältniswahlrecht lässt in Verbindung mit der Wahl von Parteilisten (und nicht Einzelkandidaten) ein Vielparteiensystem entstehen, das die Gefahr einer Zersplitterung in sich birgt, wenn der Verhältnisgrundsatz nicht beschränkt wird. In der Bundesrepublik Deutschland und Österreich geschieht das durch Mindestprozent-Klauseln von fünf bzw. vier Prozent, wobei jedoch trotzdem Parteien, die weniger als die erforderlichen Prozent der Stimmen erhalten haben, mit Direkt- und Grundmandaten in das Parlament einziehen können.10 Die Entscheidungsfindung und Handlungsfähigkeit von Regierung und Parlament könnte durch eine Vertretung vieler Klein- und Kleinstparteien gefährdet sein. In der deutschen Weimarer Republik genügte weniger als ein Prozent der Stimmen für einen Sitz im Reichstag. Es gab Negativmehrheiten gegen alles und kaum noch Positivmehrheiten für Gesetzbeschlüsse, wobei es teilweise zu seltsamen Allianzen von Nationalsozialisten und Kommunisten kam. Frankreich (1958) und Italien (1993) sind auch aus diesem Grund von der Verhältniswahl abgegangen. In Israel (1948) und Nordirland (1998) wurde hingegen bewusst die Proportionalität eingeführt. In Israel, um jüdisch-orthodoxen/religiösen Parteien Mitspracherechte zu sichern, in Nordirland der katholischen Minderheit. Für die Wahlen zum Europäischen Parlament ist das Wahlsystem überhaupt den Mitgliedsländern überlassen. Es muss weiters zwischen relativer und absoluter Mehrheitswahl unterschieden werden. Bei einer relativen Mehrheitswahl gewinnt nach britischem und US-amerikanischem Vorbild der im Wahlkreis Erstplatzierte das Mandat, unabhängig von seiner Stimmenzahl und dem Vorsprung gegenüber den anderen Kandidaten (first past the post). Gibt es etwa vier KandidatInnen, ist ein Wahlsieg mit 25,01 % der abgegebenen Stimmen möglich, obwohl drei Viertel der WählerInnen einen anderen Abgeordneten wollten. Deren Stimmen sind verloren. Gewinnt umgekehrt ein Kandidat mit 80 oder 90 %, hat er überzählige Stimmen, die er gar nicht benötigt, und die auch keine zusätzlichen Mandate bringen. In Frankreich gilt die absolute Mehrheitswahl, d.h. der Erstplatzierte muss mindestens 50 % plus eine Stimme erreichen. Bei mehr als zwei KandidatInnen führt das häufig zu einem zweiten Wahlgang als Stichwahl. In jedem Fall gibt es eine unmittelbare Verbindung zwischen BürgerInnen und VolksvertreterInnen („Das ist der/die Abgeordnete meines Wahlkreises!“), während in der Verhältniswahl für Parteilisten gestimmt wird.
10
Die Grundmandatshürde berechnet sich bei Nationalratswahlen in Österreich für jeden Regionalwahlkreis über die Zahl der im entsprechenden Landeswahlkreis abgegebenen gültigen Stimmen dividiert durch die im Landeswahlkreis zu vergebenden Mandate.
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Als Grundlage des aktiven Wahlrechts gilt in demokratischen Systemen das allgemeine und gleiche Wahlrecht (für Frauen und Männer nach einem gesetzlichen Mindestalter) als unbestritten. Den scheinbar klaren Bedingungen – Mindestalter, Staatsbürgerschaft und das Fehlen von Ausschlussgründen – kann man jedoch verschiedene kritische Fragen gegenüberstellen. Sollen beispielsweise nur StaatsbürgerInnen oder alle SteuerzahlerInnen in einem politischen System aktiv und/oder passiv wahlberechtigt sein? In Folge von Migrationsbewegungen, insbesondere aber in der EU mit ihren Freiheiten der Niederlassung und der Wahl des Arbeitsplatzes steigt die Zahl von Personen, die den Normen (Gesetzen) eines Systems unterworfen sind, ohne sich an deren Zustandekommen beteiligen zu können. Zwar können bei den Wahlen zum Europäischen Parlament in Österreich auch EU-BürgerInnen ohne österreichische Staatsbürgerschaft ihre Stimme abgeben, wenn sie sich dafür registriert haben (was 2014 rund 33.000 der insgesamt rund 520.000 EU-BürgerInnen in Österreich gemacht haben11). Alternativ können sie KandidatInnen ihres Heimatlandes wählen. Eine Teilnahme etwa an einer Nationalrats- oder Landtagswahl ist ebenso wenig vorgesehen wie die Möglichkeit, sich an Instrumenten der direkten Demokratie wie Volksbegehren, Volksbefragung oder Volksabstimmung zu beteiligen. In Sachen Wahlalter hat gerade in Österreich die Senkung der Hürde auf 16 Jahre im Jahr 2007 gezeigt, dass es keine natürliche Grenze gibt, sondern es letzten Endes um politische Entscheidungen geht. Die Wahlbeteiligung selbst ist ein Indikator für politische Beteiligung. Moderne Demokratien sind mit dem Phänomen einer teilweise stark rückläufigen Wahlbeteiligung konfrontiert. In Österreich lag die Wahlbeteiligung bei Nationalratswahlen zuletzt 2013 bei etwa 75 %, das ist ein im internationalen Vergleich sehr hoher Wert. Bei einzelnen Landtagswahlen – etwa in Vorarlberg (2004) und Tirol (2003) – betrug die Wahlbeteiligung jedoch nur rund 60 %, bei den Wahlen zum Europäischen Parlament als bisher niedrigstem Wert (2004) gar nur 42 %. Oft steigt allerdings die Wahlbeteiligung gerade bei großen Konflikten und Krisen, während sie bei einer subjektiven Zufriedenheit der Bürger sinken kann. Somit ist eine zurückgehende Wahlbeteiligung ebenso wenig als Indiz für eine Krise des politschen Systems zu werten wie es umgekehrt falsch wäre, sich bei einer niedrigen Wahlbeteiligung keine Gedanken über eine mögliche Politikverdrossenheit und die Demokratiequalität zu machen.12
11 12
Bundesministerium für Inneres: Europawahl 2014 – Endgültige Zahl der Wahlberechtigten. http:// www.bmi.gv.at/cms/BMI_wahlen/europawahl/2014/WahlberechtigteE.aspx, 20.10.2014. Vgl. Lipset, Seymour Martin: Political Man. The Social Bases of Politics. Baltimore 1981.
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B. Persönlichkeitswahl, Listenwahl und weitere Formen Neben den Kategorien Mehrheits- und Verhältniswahl lassen sich Wahlsysteme noch nach dem Persönlichkeitselement unterscheiden, das daran gekoppelt ist. Mehrheitswahlen sind stets Persönlichkeitswahlen, d.h. dass in erster Linie KandidatInnen gewählt werden. Verhältniswahlen sind demgegenüber zumeist Listenwahlen, bei denen die Wählerschaft ihre Stimme für ein ganzes Angebot an KandidatInnen – eben eine Liste – abgibt.13 Damit gewinnen Parteiorganisationen an Bedeutung, da sie die Listenerstellung über interne Prozesse regeln, aber auch die Persönlichkeitswahl bedeutet nicht, dass Parteien keine Rolle spielen. Sie treten nur mitunter hinter die Person zurück. Bei Listenwahlen finden sich unterschiedliche Methoden, eine stärkere Personalisierung zu schaffen und die Partei als moderierende Instanz zu schwächen. In Deutschland geschieht dies beispielsweise in der Form, dass WählerInnen bei Bundestagswahlen zwei Stimmen abgeben können. Die Erststimme wird für KandidatInnen im jeweiligen Wahlkreis abgegeben, die Zweitstimme für eine Partei. Für die Mandatsberechnung zählt in erster Linie die Parteistimme, sollte aber eine Partei durch die Erststimmen mehr Wahlkreise (und damit Mandate) gewonnen haben, so stehen ihr Überhangmandate (zusätzliche Sitze) zu. Seit 2013 werden so genannte Ausgleichsmandate vergeben, um trotz Überhangmandaten die notwendige Zahl an Zweitstimmen pro Sitz im Bundestag für alle Parteien in etwa gleich zu halten.14 In Österreich gibt es mit dem System der Vorzugsstimmen ebenfalls die Möglichkeit, seine Präferenz für einen Kandidaten oder eine Kandidatin auszudrücken und diese direkt zu unterstützen. Zwar werden bei Nationalratswahlen grundsätzlich Listen gewählt, allerdings kann über Vorzugsstimmen die Reihung auf diesen Listen beeinflusst werden. 2013 wurden Vorzugsstimmen für KandidatInnen auf der Bundesliste erlaubt und die zuvor als zu hoch kritisierten Hürden für tatsächliche Umreihungen gesenkt: Auf der Ebene der Regionalwahlkreise sind nun mindestens 14 %, im Landeswahlkreis mindestens zehn Prozent (oder ein der Wahlzahl entsprechender Anteil) und auf Bundesebene mindestens sieben Prozent für eine Vorreihung nötig. Bezugsgröße ist der Stimmenanteil für die Partei auf der jeweiligen Ebene. Entsprechende Regelungen finden sich auch auf Landes- und Gemeindeebene in unterschiedlichen Variationen. Zuletzt konnten etwa WählerInnen bei der Vorarl13 14
Pelinka 2004, 79. Bundeswahlleiter: Erläuterung des neuen Verfahrens der Umrechnung von Wählerstimmen in Bundestagssitze. http://www.bundeswahlleiter.de/de/aktuelle_mitteilungen/downloads/20131009_ Erl_Sitzzuteilung.pdf, 20.10.2014.
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berger Landtagswahl insgesamt fünf Vorzugsstimmen vergeben (maximal zwei für eine/n KandidatIn). Gemein ist diesen Möglichkeiten üblicherweise, dass Stimmen nur für PolitikerInnen der gewählten Partei abgegeben werden können bzw. anderenfalls verfallen. In Niederösterreich ist das anders: Bei Gemeinde- und Landtagswahlen schlägt dort die Vorzugsstimme für eine Person die Parteistimme.15 Die Vergabe von Stimmen für KandidatInnen unterschiedlicher Parteien kennt man demgegenüber unter dem Begriff des Panaschierens, wie es etwa in der Schweiz Anwendung findet. Voraussetzung ist ein Mehrstimmenwahlsystem, also eine Regelung, bei der WählerInnen mehr als eine Stimme vergeben können. Diese verlieren beim Panaschieren ihre Gültigkeit auch dann nicht, wenn sie auf unterschiedliche Parteien bzw. KandidatInnen unterschiedlicher Parteien aufgeteilt werden. Eine in Zusammenhang mit dem Panaschieren weitere Möglichkeit ist das Kumulieren, also die Abgabe mehrerer Stimmen für einen Kandidaten oder eine Kandidatin. Das System der single transferable vote ist eine zusätzliche Variation, die beispielsweise bei Parlamentswahlen in Australien oder Irland eingesetzt wird. Dabei handelt es sich um eine Mischform zwischen Verhältnis- und Mehrheitswahl, bei der mehrere KandidatInnen pro Wahlkreis gewählt werden. Bei diesem Verfahren erstellen WählerInnen eine Reihung der von ihnen präferierten KandidatInnen. Sobald ein Kandidat bzw. eine Kandidatin in einem Wahlkreis die notwendige Stimmenanzahl geschafft hat16, werden keine weiteren Stimmen auf ihn oder sie angerechnet, sondern an die jeweils nächstgereihten Personen vergeben. Die Liste wird zudem von unten durchgearbeitet, wobei jene Namen mit den wenigsten Stimmen gestrichen werden und die nächst höher gereihten Personen zum Zug kommen. Damit soll dem Problem des Stimmenverfalls bei Mehrheitswahlen (siehe oben) gegengesteuert werden.
C. Beispiele alternativer Entscheidungsformen abseits von Wahlen Wahlen sind ein wesentliches Element repräsentativer Demokratien, allerdings nicht die einzigen Gelegenheiten, bei denen BürgerInnen Entscheidungen treffen. Neben etablierten Formen direkter Demokratie – wie Volksbefragung, Volksbegehren und Volksabstimmung in Österreich – wird die Beteiligung auch in Formaten diskutiert, die über eine punktuelle Festlegung hinausgehen. Beispielhaft können die Konzepte der liquid democracy und deliberative Verfahren genannt werden. 15 16
Perlot, Flooh: Niederösterreich, in: Karlhofer, Ferdinand/Pallaver, Günther (Hg.): Gemeindewahlen in Österreich im Bundesländervergleich. Innsbruck 2013, 67–86. Die ebenfalls durch unterschiedliche Berechnungsverfahren festgelegt werden, etwa durch die Hareoder die Droop-Quota; vgl. http://www.wahlrecht.de/lexikon/stv.html, 20.10.2014.
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Liquid democracy17 hat insbesondere durch den zeitweiligen Aufschwung der Piratenpartei in Deutschland vermehrt Aufmerksamkeit erhalten. Wiewohl sich unterschiedliche Varianten der Theorie entwickelt haben, geht es im Kern darum, aus der Sicht des Konzepts starre Verhältnisse zu verflüssigen. Gemeint sind insbesondere die Wahl von KandidatInnen für einen mehrjährigen Zeitraum, die Festlegung für denselben Zeitraum, wer Regierte und wer Regierende sind und die Entscheidung für oder gegen gesamte Themenblöcke in Form von Wahlprogrammen, ohne einfache Möglichkeiten, während einer Legislaturperiode direkt über Gesetze zu entscheiden. Die liquid democracy will demgegenüber einen laufenden Abstimmungsprozess etablieren, der den Wahlberechtigten nicht nur im Rhythmus von Wahlen die Möglichkeit gibt, ihre Stimme abzugeben, sondern permanent Entscheidungen über einzelne Vorhaben vorsieht. Dies geschieht entweder persönlich18 oder mittels delegate voting, also der Weitergabe der eigenen Stimme an einen wie auch immer zu definierenden Delegierten, der dann gesammelt die Stimmen mehrerer Personen abgibt. Vereinfacht gesagt kann jeder Bürger und jede Bürgerin damit laufend entscheiden, ob er oder sie sich persönlich an Abstimmungen beteiligen will, oder einen Repräsentanten bzw. eine Repräsentantin bestimmt. Ziele des Konzepts sind unter anderem mehr Transparenz und eine verbesserte Durchlässigkeit zwischen Regierenden und Regierten, beides Ansprüche, deren Umsetzbarkeit auch kritisch gesehen wird.19 Das Modell kann ebenso als Abkehr von der Idee des freien Mandats, also der Unabhängigkeit der Gewählten von den Wählenden, gesehen werden, indem etwa Delegierten Vorgaben für deren Abstimmungsverhalten gemacht werden können. Mit einer Entscheidungsfindung abseits von Wahlen beschäftigen sich auch Modelle der deliberativen Demokratie. Diese Theorie setzt den Schwerpunkt auf die Entscheidungsfindung durch, mehr oder weniger stark formalisierte, öffentliche Kommunikation.20 Inhaltliche Resultate werden bei Deliberationsprozessen zunächst hintangestellt und der Prozess betont, der die Legitimation des demokratischen Systems sicherstellt.21 17 18 19 20 21
Vgl. LiquidDemocracy e.V., https://liqd.net, 20.10.2014. Bei der Umsetzung spielen technische Systeme und eine Stimmabgabe online eine zentrale Rolle. Vgl. Vogelmann, Frieder: Flüssige Betriebssysteme. Liquid Democracy als demokratische Machttechnologie, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 48/2012, 40–46. Vgl. Buchstein, Hubertus: Jürgen Habermas, in: Massing, Peter/Breit, Gotthard (Hg.): Demokratietheorien. Von der Antike bis zur Gegenwart. Schwalbach im Taunus 2005, 53–260. Strecker, David/Schaal, Gary S.: Die politische Theorie der Deliberation: Jürgen Habermas, in: Brodocz, André/Schaal, Gary S. (Hg.): Politische Theorien der Gegenwart. Band 2. Opladen 2006, 99–148. Vgl. dazu auch Habermas, Jürgen: Three Normative models of Democracy, in: Benhabib,
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Deliberative Vorgänge stellen hohe Ansprüche, sowohl an die Durchführung, als auch an die Teilnehmenden, insbesondere wird eine rationale und sachliche Diskussion vorausgesetzt, ein Argumentations- und ein Reaktionsgebot. Als Vorteile werden u.a. eine bessere Informiertheit und ein besseres Verständnis für das jeweils diskutierte Thema gesehen, das auch ein Gefühl für Argumente gegen den eigenen Standpunkt beinhaltet. Die deliberative Demokratie ist im Kontext neuer technischer Kommunikationsmöglichkeiten in den vergangenen Jahren stärker rezipiert worden.22
III. Theorien der Wahlentscheidung Neben der Frage, wie Entscheidungen gefällt werden können, beschäftigt die Politikwissenschaft und speziell die Wahlforschung, wie (Wahl-)Entscheidungen inhaltlich zustandekommen. Die dazu entwickelten Modelle setzen in ihren Zugängen unterschiedliche Schwerpunkte. So betont der mikrosoziologische Erklärungsansatz der Columbia School23 soziale Komponenten des Wahlverhaltens. Er stellt in der Analyse auf das Individuum, also den Wähler oder die Wählerin ab, und sieht diese als Teil von sozialen Gruppen und in einen gesellschaftlichen Kontext eingebunden. Das Lebensumfeld, das so genannte Milieu, beeinflusst die Wahlentscheidung letztendlich. Ist das Milieu in sich konsistent und homogen, dann führt das zu einem stabileren Wahlverhalten als wenn Gruppenmitglieder so genannten cross pressures ausgesetzt sind. Damit sind den eigenen Ansichten und Präferenzen widersprechende Einflüsse gemeint, die die Wahlentscheidung unsicherer machen, erschweren oder generell zu einer Nichtteilnahme an der Wahl führen können. Die stark rezipierte Cleavage-Theorie von Lipset und Rokkan24 erklärt das Wahlverhalten demgegenüber mit sogenannten gesellschaftlichen Konfliktlinien (cleavages). Dabei werden vier grundsätzliche cleavages für westeuropäische Staaten identifiziert: Zentrum vs. Peripherie, Kirche vs. Staat, Stadt vs. Land und Arbeit vs. Kapital, die durch aktuelle und gegenwärtige Konfliktlinien ergänzt werden. Cleav
22 23 24
Seyla (Hg.): Democracy and Difference. Contesting the Boundaries of the Political. West Sussex 1996, 21–30. Vgl. Perlot, Flooh: Deliberative Demokratie und Internetforen – nur eine virtuelle Diskussion? Baden-Baden 2008. Vgl. Lazarsfeld, Paul/Berelson, Bernard/Gaudet, Hazel: The People’s Choice. How the Voter Makes Up his Mind in a Presidential Campaign. New York 1944. Vgl. Lipset, Seymour Martin/Rokkan, Stein: Party systems and voter alignments: Cross-national perspectives. Toronto 1967.
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ages sind Produkte gesellschaftlicher Modernisierung, entsprechend wandelt sich ihre Bedeutung laufend und sie können durch Veränderungen ebenso aktiviert wie in einen latenten Zustand versetzt werden. Dieser, auch als makrosoziologischer Ansatz bezeichnete Zugang, fokussiert stärker auf die Gesellschaft und weniger auf die Wahlentscheidung des Einzelnen. Er wird als Erklärung für das Entstehen und Verschwinden von politischen Parteien herangezogen. Demnach können sich neue Parteien entlang neuer oder aktivierter Konfliktlinien bilden, wie etwa sich die Grün-Bewegungen rund um einen ökologischen cleavage entwickelt haben. Grundsätzlich finden sich die Konfliktlinien in der Struktur nationaler Parteiensysteme wieder und bestimmen im Wesentlichen das Wahlverhalten der BürgerInnen, indem beispielsweise gläubige KatholikInnen eher Parteien wählen, die diese Werte ebenfalls vertreten, während sie nur unterdurchschnittlich von Personen mit schwacher oder fehlender Kirchenbindung gewählt werden. Der sozialpsychologische Ansatz der Michigan School25 setzt sich demgegenüber verstärkt mit der Wahlentscheidung des Einzelnen auseinander und sieht diese durch kurzfristige und langfristige Einflüsse geprägt. Kurzfristig werden dabei etwa die Beurteilung der antretenden KandidatInnen oder aktuelle Sachthemen in einer Gesellschaft gesehen, langfristig wirkt sich die Parteiidentifikation als psychologische Zugehörigkeit, Nähe oder Distanz zu politischen Gruppierungen aus. Letztere wird im Zuge der Sozialisation erworben und von dieser geprägt und bestimmt zudem als Filter das Spektrum kurzfristiger Einschätzungen. Eine hohe Parteiidentifikation kann demnach zu einer positiveren Beurteilung von KandidatInnen dieser Partei bzw. von deren Programmen führen und die Wahrscheinlichkeit einer entsprechenden Stimmabgabe erhöhen. So genannte rational choice-Ansätze, zurückgehend vor allem auf Anthony Downs26, bedienen sich einer Markt-Analogie von Angebot (Parteien) und Nachfrage (Wählerschaft) und konzentrieren sich auf die Wahlentscheidung als Produkt von rationalen Überlegungen der Wählerinnen und Wähler. Vereinfacht folgten diese der Frage, was ihnen am meisten nütze. Die Abwägung von pro- und contra-Argumenten geschieht anhand der subjektiv wahrgenommenen programmatischen Positionierung von Parteien (issue voting). Parteien versuchen diesen Schritt zu antizipieren und richten sich auch an den Interessen der Wählerschaft aus, um ihre Stimmen maximieren zu können. Zentral ist die These, dass Parteien nicht
25 26
Vgl. Campbell, Angus/Converse, Philip E./Miller, Warren E./Stokes, Donald E.: The American Voter. New York 1960. Vgl. Downs, Anthony: An Economic Theory of Democracy. New York 1957.
Wie wir entscheiden: Formen der demokratischen Organisation von Gesellschaften
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Wahlen gewinnen wollen, um Programme umzusetzen, sondern sich Programme geben, um Wahlen zu gewinnen. Zweiter Faktor in der Entscheidung ist eine retrospektive Beurteilung der Arbeit von Parteien, das retrospective voting27. Fällt das Urteil etwa über eine Regierung positiv aus, kann diese mit einer Wiederwahl rechnen, im negativen Fall kommt es hingegen zu einer Abwanderung früherer Stimmen. Fiorina28 nimmt in dieses Modell zusätzlich die Parteiidentifikation mit auf und nähert sich so dem sozialpsychologischen Ansatz etwas an. Diese grundlegenden Modelle haben unterschiedliche Stärken und Schwächen und werden durch aktuelle Entwicklungen laufend herausgefordert. So haben einige der grundlegenden Konfliktlinien des cleavage-Ansatzes an Bedeutung verloren, gleichzeitig sind neue Parteien entstanden, die sich nicht ohne weiteres in die vierteilige Kategorisierung einordnen lassen (z.B. rechtspopulistische Parteien). Das Konzept der Parteiidentifikation ist damit konfrontiert, dass die psychologische Verbundenheit zwischen Parteien und ihren WählerInnen tendenziell schwächer wird. Das so genannte dealignment29 beschreibt diese Auflösung von Parteibindungen, die sich – trotz punktuellem realignment einzelner gesellschaftlicher Gruppen im Sinn des Aufbaus neuer Bindungen – empirisch etwa durch den Anteil an Stamm- und WechselwählerInnen belegen lässt30. Neuere Ansätze wie beispielsweise der Kausalitätstrichter31 kombinieren mehrere Elemente. Im Konzept des funnel of causality laufen in einem mehrstufigen Prozess kurz- und langfristige Einflüsse zusammen. Langzeitdeterminanten (Wirtschafts- und Sozialstruktur, Parteiidentifikation, ideologische Grundorientierung und Selbsteinschätzung) wirken sich auf aktuelle politische Präferenzen in Bezug auf Parteien und Themen, die Einschätzung der aktuellen Lage, die retrospektive Leistungsbeurteilung der amtierenden Regierung, die Einschätzung der zur Wahl stehenden KandidatInnen und die damit verknüpften Erwartungen an künftige Leistungen aus. Die genannten Ansätze setzen sich in erster Linie mit Entscheidungen bei Wahlen auseinander, sie lassen sich aber auch auf direktdemokratische Anlässe, wie etwa die Teilnahme an einer Volksabstimmung oder Volksbefragung in Österreich, an27 28 29 30
31
Vgl. Fiorina, Morris: Retrospective voting in American national elections. New Haven 1981. Fiorina 1981. Vgl. Dalton, Russel/Wattenberg, Martin: Parties without partisans. Oxford 2000. Vgl. für Österreich u.a. Plasser, Fritz/Seeber, Gilg: Wahlentscheidung in der Boulevard-Demokratie: Die Kronen Zeitung, News Bias und Medieneffekte, in: Plasser, Fritz (Hg.): Politik in der Medienarena. Praxis politischer Kommunikation in Österreich. Wien 2010, 273–312. Miller, Warren E./Shanks, J. Merrill: The New American Voter. Cambridge 1996.
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wenden. Zwei wesentliche Unterschiede existieren: Erstens stehen bei derartigen Gelegenheiten keine Parteien zur Wahl, sondern das pro und contra zu bzw. zwei Möglichkeiten bei einem konkreten Thema. Überlegungen zur Parteiidentifikation würden damit in den Hintergrund treten. Dem ist entgegenzuhalten, dass sich im Vorfeld direktdemokratischer Entscheidungen auch politische Parteien deklarieren und Empfehlungen abgeben. Erachtet man beispielsweise den Obmann oder die Obfrau einer Partei für besonders kompetent in der betroffenen Sachfrage, so ist nicht auszuschließen, dass man als WählerIn deren Präferenz eher folgt als den Aussagen von PolitikerInnen, die man persönlich ablehnt. Dazu kommt, dass gerade Volksabstimmungen und Volksbefragungen in Österreich durch den Nationalrat bzw. die Bundesregierung32 initiiert und vorbereitet werden und somit die politischen Parteien von Anfang an in den Prozess involviert sind. Zweitens werden Entscheidungen über vergleichsweise einfache Sachfragen getroffen. Diese Einschätzung bezieht sich nicht auf die inhaltliche Komplexität des zu behandelnden Themas, die durchaus groß sein kann. Vielmehr geht es darum, im Sinne eines single issue eine Festlegung zu treffen – während man bei Wahlen längerfristige, für die Dauer einer Legislaturperiode gültige, Entscheidungen zu einem ganzen Paket an Maßnahmen (dem Wahlprogramm der jeweiligen Partei) fällt. So gesehen ist es möglich, dass kurzfristigen Faktoren bei direktdemokratischen Entscheidungen eine größere Bedeutung zukommt. Dagegen spricht, dass auch so entschiedene Sachfragen in einem größeren politischen Kontext stehen, der bis hin zu taktischen Überlegungen einer Unterstützung oder Schwächung von Proponenten des jeweiligen Vorschlags reicht.
IV. Exkurs: Volksbefragung zur Wehrpflicht 2013 Die Volksbefragung über die allgemeine Wehrpflicht am 20. Jänner 2013 ist das jüngste Beispiel einer österreichweiten, direktdemokratischen Abstimmung abseits von Wahlen. Es war die erste bundesweite Volksbefragung seit der Einführung der entsprechenden Möglichkeit 1989. 52,4 % der Wahlberechtigten beteiligten sich an der Befragung, die die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten stellte (siehe Abbildung 3), nämlich der Einführung eines Berufsheeres und eines bezahlten freiwilligen Sozialjahres oder der Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht und des Zivildienstes. Die Beibehaltung der Wehrpflicht erhielt knapp 60 % Zustimmung.
32
Formal erfolgt die Anordnung durch den Bundespräsidenten.
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Abbildung 3: Antwortmöglichkeiten der Volksbefragung 201333 Sind Sie für die Einführung eines Berufsheeres und eines bezahlten freiwilligen Sozialjahres?
40,3
Sind Sie für die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht und des Zivildienstes?
59,7
Angaben in Prozent
Zur Volksbefragung wurde im Auftrag des ORF eine Wahltagsbefragung durchgeführt, bei der 1.028 wahlberechtigte Personen telefonisch zwischen 17. und 20. Jänner 2013 interviewt wurden.34 Ähnlich wie bei Wahlen wurden neben Motiven auch soziodemographische Variable wie Geschlecht und Alter erhoben, was einen Blick auf das Stimmverhalten der jeweiligen Gruppen zulässt und einen deskriptiven Vergleich mit den oben angeführten Theoriemodellen ermöglicht. Das Ergebnis zeigt deutliche Unterschiede im Abstimmungsverhalten (siehe Abbildung 4), große Abweichungen bestehen beispielsweise zwischen jüngeren und älteren Befragten, zwischen ArbeiterInnen, Angestellten und Selbständigen und zwischen Personen mit formal niedriger und hoher Bildung. Der Gegensatz Stadt vs. Land ist ebenso sichtbar wie eine unterschiedliche Stimmabgabe nach Parteipräferenz, die sich mit den von den Parteien artikulierten Positionen weitgehend deckt.
Abbildung 4: Abstimmungsverhalten bei der Volksbefragung 2013 pro Berufsheer
pro Wehrpflicht
*
Gesamt
41
59
Männer
-4
4
Frauen
4
-4
bis 29 Jahre
21
-21
30 bis 59 Jahre
-2
2
-10
10
-9
9
60 Jahre und älter ArbeiterIn
33 34
Bundesministerium für Inneres. Wien 2013. http://www.bmi.gv.at/cms/BMI_wahlen/volksbefragung/Ergebnis_endg_Stimmk.aspx, 20.10.2014. Institut für Strategieanalysen (ISA)/Institute for Social Research and Analysis (SORA): Wahltagsbefragung zur Volksbefragung über die allgemeine Wehrpflicht im Auftrag des ORF. Wien 2013. http://www.strategieanalysen.at/wahlen/vb2013/, 20.10.2014.
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AngestellteR
4
-4
Selbständig
2
-2
keine Matura
-6
6
Matura oder höher
13
-13
Urbanisierungsgrad**: dicht
11
-11
Urbanisierungsgrad: mittel
0
0
Urbanisierungsgrad: gering
-9
9
SPÖ***
29
-29
ÖVP
-28
28
FPÖ
-16
17
BZÖ
-24
24
Grüne
38
-38
Angaben in Prozent-Punkt-Differenz vom erhobenen Gesamtergebnis. * Als Referenz wird das in der Wahltagsbefragung erhobene Ergebnis der Volksbefragung verwendet, daher weichen die Werte minimal vom offiziellen Endergebnis ab. ** Gemeindeeinteilung nach der Systematik der Statistik Austria zur Veranschaulichung des Stadt-Land-Gegensatzes. *** deklariertes Wahlverhalten der Befragten bei der Nationalratswahl 2008.
Es lassen sich in den Daten beispielhaft Indizien für die genannten Ent scheidungsmodelle finden35: Der Status als ArbeiterIn kann etwa ebenso als Zugehörigkeit zu einem bestimmten gesellschaftlichen Milieu interpretiert werden wie eine selbständige Tätigkeit, das unterschiedliche Stimmverhalten in Gebieten mit dichtem und geringem Urbanisierungsgrad als Ausdruck des cleavage zwischen Stadt und Land, der sich auch an Sachfragen (im konkreten Fall etwa über die Bedeutung der allgemeinen Wehrpflicht für den Katastrophenschutz) festmachen lässt. Die Parteiidentifikation, die hier allerdings nur behelfsmäßig über das Wahlverhalten abgebildet werden kann, findet ebenfalls deutlichen Niederschlag in dieser direktdemokratischen Entscheidung.
35
Zur genaueren Bewertung der einzelnen Variablen wären weiterführende statistische Verfahren notwendig, da es an dieser Stelle aber um eine beispielhafte Darstellung geht, entfallen diese Berechnungen.
Wie wir entscheiden: Formen der demokratischen Organisation von Gesellschaften
75
V. Fazit und Empfehlungen „Wie wir entscheiden“ – das ist sowohl politikwissenschaftlich als auch politisch gesehen eine zentrale Frage, die den Kern demokratischer Systeme berührt. Sie ist alles andere als einfach zu beantworten, da sie sowohl individuell – auf Ebene der BürgerInnen – wie auch systemisch (auf Ebene institutioneller Rahmenbedingungen) betrachtet werden kann. Hinzu kommt eine prozessorientierte Ebene des realen Ablaufs von Entscheidungsprozessen in der Realpolitik bzw. Verfassungswirklichkeit. Die Festlegung auf ein bestimmtes Wahlrecht beispielsweise schränkt mögliche Entscheidungsoptionen automatisch ein und nimmt Möglichkeiten vorweg. Wenn man in Österreich nur einer Partei seine einzige Stimme geben kann und allen anderen Parteien keine Stimme, so entspricht das kaum der komplexen Wirklichkeit politischer Meinungen: Praktisch niemand wird von Partei A und deren Personen, Positionen und Programmen zu 100 % überzeugt sein, und die Parteien B, C, D usw. alle in gleichem Ausmaß 100 %-ig ablehnen. Die Möglichkeit einer Reihung der Parteien nach der individuellen Präferenz – oder die Vergabe von Punkten o.ä. – ist jedoch definitiv ausgeschlossen, was den Entscheidungsspielraum auf weniger Optionen reduziert. Bei der Analyse geht es weniger um eine Bewertung, ob ein bestehendes System besser oder schlechter als eine Alternative ist, sondern um die Beurteilung, welche Effekte es hat und inwieweit diese sich mit den definierten Zielen einer demokratischen Gesellschaft vereinbaren lassen. Das gesellschaftliche Dilemma ist nicht das „richtige“ oder „falsche“ Wahlsystem für ein Gemeinwesen, sondern ein ungenügendes Politikwissen und Bewusstsein über dessen spezifische Vor- und Nachteile gegenüber Alternativsystemen. Eine entsprechende Diskussion findet jenseits kleiner Fachöffentlichkeiten kaum statt. Das zu verbessern, sollten zugleich politische und mediale MeinungsführerInnen als ihre Aufgabe verstehen. Neben der eigentlichen Entscheidung, sei es bei Wahlen oder direktdemokratischen Anlässen, kommt dem Prozess der Willensbildung eine wesentliche Funktion zu. Auch hier gilt, dass institutionelle Vorgaben auf individuelle Überlegungen Einfluss nehmen können und eine gewisse Richtung vorgeben. Ein Mehrheitswahlrecht kann mitunter die Zahl der als chancenreich eingeschätzten KandidatInnen drastisch reduzieren, ein Verhältniswahlrecht taktischen Überlegungen zur Zusammensetzung einer kommenden Regierung mehr Raum verschaffen. Veränderungen der formalen Entscheidungsprozesse sind zudem sensibel, denn Demokratie in EU-ropa und insbesondere Österreich gilt momentan als ein relativ starres politisches System mit ineffizienten Entscheidungsmechanismen sowie Blockadesituationen zwischen den angeblich unzureichend am Gemeinwohl inte-
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ressierten Parteien, und ist durch ein Negativimage fast aller politischen AkteurInnen sowie eine tiefgreifende PolitikerInnen-, Parteien- und Medienverdrossenheit – also Elitenverdrossenheit und Vertrauenskrise – gekennzeichnet. Gerade deshalb genügt es freilich nicht, Inhalte einzelner Politikfelder als policies zu verändern, sondern es müssen auch die Strukturen des politischen Systems – als das „wie“ der Entscheidung – modernisiert werden. Das bedeutet, dass sowohl der institutionelle Rahmen von Politik (polity) als auch die politischen Entscheidungsprozesse (politics) in ihren Grundstrukturen eines Wandels bedürfen. Zu den politischen Strukturveränderungen zählt als Möglichkeit neben Wahlrechtsreformen, einer Stärkung der Rolle des Parlaments bzw. der Abgeordneten gegenüber Regierung und Parteien oder etwa der Föderalismusdebatte auch die Intensivierung der Direktdemokratie. Neben vermehrten Petitionsrechten und Bürgeranfragen an das Parlament o.ä. steht vor allem die Frage von verpflichtenden und allenfalls vom Ergebnis her bindenden Volksabstimmungen/-befragungen auf allen Ebenen (Gemeinde, Land, Bund) ab einer bestimmten Unterschriftenzahl der Wahlberechtigten im Mittelpunkt. An dieser Stelle lassen sich jedoch auch unabhängig von der verpflichtenden Durchführung und verbindlichen Wirkung Schlüsselfragen der Direktdemokratie ausmachen: Sind qualifizierte Mehrheiten in Sonderfällen sowie allenfalls von Abstimmungen ausgeschlossene Themenbereiche wie internationale Verträge oder Grund- und Menschenrechte erforderlich? In welchen Stadien von Gesetzgebungsprozessen soll überhaupt direktdemokratische Mitsprache möglich sein? Welche Hürden bzw. Unterschriftenzahlen dafür gibt es? Als Diskussionsgrundlage bzw. als neuer Gedanke ist zu überlegen, inwiefern nicht anstatt einer Berechnung anhand aller Wahlberechtigten ein Prozentsatz der Zahl tatsächlicher WählerInnen der jeweils letzten Wahl festgelegt werden soll, womit auch regionale Unterschiede der jeweiligen Wahlbeteiligung berücksichtigt werden könnten. An welche Formalismen ist – nicht nur bei Volksbegehren – die Leistung von Unterschriften gebunden? In welcher Form (siehe e-voting) gibt es Abstimmungen? Trotz hohen Aufwands am fairsten wäre die parallele Kombination möglichst vieler Unterzeichnungsmöglichkeiten (in Printform und online), um eine ungewollte Diskriminierung von Bevölkerungsgruppen nach soziodemographischen Kriterien wie Alter usw. zu verhindern. Auch kann der Kontrollaufwand (siehe das Beispiel der Europäischen Bürgerinitiative insbesondere in Deutschland) aus politikwissenschaftlicher Sicht gering gehalten werden. Welche (Informations-)Fristen und Sachlichkeitsgebote sind schließlich gewünscht oder realistisch? Gibt es für Volksabstimmungen Quoren, d.h. eine Mindestbeteiligung zu deren Legitimierung? Zu beachten ist, dass – siehe das Beispiel
Wie wir entscheiden: Formen der demokratischen Organisation von Gesellschaften
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Italien – Quoren auch die demokratiepolitische Auseinandersetzung minimieren können, wenn für einzelne Akteure das (diskursive) „Ignorieren“ einer Volksabstimmung zwecks Verhinderung der Mindestbeteiligung als Strategie vielversprechender erscheint, als im Dialog um eine Mehrheit für den eigenen Standpunkt zu werben. Brauchen wir vielleicht doppelte Mehrheiten nach schweizerischem Vorbild gegen Minderheitsbenachteiligungen bzw. eine Mindestzahl von Unterschriften pro Bundesland? Dazu als hypothetisches Beispiel: Nach derzeitigem Stand wäre es so, dass klare 80 %-Mehrheiten in den vier bevölkerungsreichen Bundesländern Wien, Nieder- und Oberösterreich sowie Steiermark mit jeweils knapp einer Million oder mehr Wahlberechtigten automatisch zu einer Gesamtmehrheit führen, selbst wenn in den fünf anderen Ländern 100 % gegenteiliger Meinung sind. Ein Aspekt wird in der Gestaltung des „Wie wir entscheiden“ aber viel zu wenig berücksichtigt: In welche Rahmenbedingungen der politischen Bildungsarbeit wird das Wahlrecht und werden die allfällige Einführung direktdemokratischer Möglichkeiten eingebunden? Ist mehr politische Beteiligung das gemeinsame Ziel, so wäre u.a. zu berücksichtigen, dass a. die Zugangsmöglichkeiten für InitiatorInnen von Bürgeranliegen nicht so gestaltet werden, dass sie nur für etablierte PolitakteurInnen (etwa Parteien und Medien sowie auch Unternehmen und „große“ NGOs) nutzbar sind, b. Volksbefragungen/-abstimmungen nach Erfahrungswerten ein größeres Ungleichgewicht der Beteiligung nach beispielsweise formalem Bildungsgrad oder Höhe des Einkommens haben, als in der Wahlbeteiligung nachgewiesen sind, c. neben der (Fach-)Kompetenz zum Inhalt eines Bürgeranliegens und einer Rechtsberatung für Formalia die Notwendigkeit besteht, dass alle beteiligten AkteurInnen auch ein gutes Basiswissen über die Gesamtstruktur des politischen Systems haben, und d. Politische Bildung dafür vor allem in der Erwachsenenbildung (sowie für „Twens“ als eigentliche Problemgruppe mangelnden Politinteresses) systematisch gestärkt werden müsste, wo es jedoch kaum entsprechende Strukturen gibt. Weil ein Systemwandel mit Wahlrechtsreformen und/oder mehr Direktdemokratie nicht automatisch zum Einstellungswandel und mehr Beteiligungsbereitschaft führt, sollten somit Begleitprogramme für eine Stärkung der politischen Kultur – insbesondere des Verständnisses und Vertrauens in politische Institutionen und Akteure – gestärkt werden.
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Peter Filzmaier/Flooh Perlot
Dazu zählen einerseits eine radikale Intensivierung von Politischer Bildung nach deutschem Vorbild (zentrale und regionale Koordinationsstellen sowie Kooperationskonzepte für alle Akteure, alleiniges Pflichtfach und zentrales Unterrichtsprinzip im Schulbereich sowie eigenständiges Studium dafür, strukturelle Verankerung in der Erwachsenenbildung und für junge Erwachsene usw.), und andererseits die Schaffung von standardisierten Aus- und Fortbildungsstudien bzw. -programmen für politische Akteure, inkl. öffentlich Bediensteten als MultiplikatorInnen und Anlaufstellen für Bürgeranliegen usw. Diese Beispiele sind als Informations- bzw. Kompetenzbasis und somit Vorbereitung auf eine politische Entscheidung aus demokratiepolitischer Sicht insofern relevant, da sie die Aufklärung und Einbindung der Betroffenen zum Ziel hat. Direktdemokratische Instrumente, egal ob Wahlen, Volksbegehren o.ä., sind in diesem Sinn nicht allein daran zu messen, was mit ihnen wie oft und unter welchen Auflagen entschieden werden kann. Sie können vielmehr als Beitrag zu einer lebendigen Auseinandersetzung mit politischen Inhalten gesehen werden, die im Idealfall zu einer besser informierten und politisch involvierteren Gesellschaft beitragen können.
Heinrich Neisser
Zukunftsperspektiven der österreichischen Demokratie
I. Demokratie als Reformauftrag Demokratie wird im Allgemeinen als Staatsform und als Lebensform angesehen. In beiden Fällen wird ihr dynamischer Charakter betont. Dynamische Demokratie bedeutet vor allem die Notwendigkeit, demokratische Entscheidungen als innovative Gestaltungsprozesse zu verstehen. Moderne Demokratien sind Systeme, die aufgrund ihrer immanenten Dynamik ständige Änderungen notwendig machen.1 Der Begriff der Demokratiereform impliziert eine substanzielle Änderung und Weiterentwicklung demokratischer Strukturen. Dieser Begriffsumfang entspricht allerdings nicht der politischen Realität in Österreich. Meist werden Reformen als „Demokratiepakete“ angekündigt, obwohl sie bestenfalls als „Päckchen“ bezeichnet werden können. Als Demokratiereform bezeichnet man in der Praxis das, was man für eine solche hält. Ein Blick auf die österreichischen Bemühungen einer Demokratiereform ergibt ein heterogenes und kasuistisch anmutendes Bild. Bemühungen waren zwar häufig, die Ergebnisse jedoch dürftig. Die Zurückhaltung bei Reformen des politischen Systems lässt sich wohl auch aus der Scheu der politischen Akteure, ein Risiko einzugehen, erklären. Ausgeprägte Traditionen standen den Herausforderungen eines Wandels der politischen Kultur gegenüber.2 Die Traditionen standen auch in einer engen Beziehung mit der Stabilität des österreichischen politischen Systems. Demokratie wurde weniger als Garant demokratischer Fortentwicklung eher als Gewährleistung von sozialer, wirtschaftlicher und politischer Stabilität angesehen. Diese Sichtweise hatte in der Demokratie der Zweiten Republik eine besondere Bedeutung. Meinungsumfragen brachten und bringen immer wieder zum Ausdruck, welche Bedeutung Sicherheit und Stabilität im öffentlichen Bewusstsein besitzen.
1
2
Heinrich Neisser, Demokratiereform in Österreich: Potentiale und Instrumente, in: Pelinka/Plasser/Meixner (Hg.): Die Zukunft der österreichischen Demokratie. Trends, Prognosen und Szenarien, Wien 2000, Schriftenreihe des Zentrums für angewandte Politikforschung Bd. 22, 423. Peter Gerlich/Roman Pfefferle: Tradition und Wandel, in: Dachs/Gerlich et al.: Politik in Österreich, Wien 2006, 501 ff.
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Heinrich Neisser
II. Die Stabilität der österreichischen Demokratie Das Stabilitätsbedürfnis liegt im Allgemeinen in der menschlichen Natur, im Besonderen aber in der der Österreicherinnen und Österreicher begründet. Sicherheit, geordnete Entwicklungen und eine friedliche, möglichst konfliktfreie Gesellschaft sind die zentralen Wünsche des Souveräns. Die Orientierung an derartigen Einstellungen führte zu einer kontraproduktiven Behäbigkeit der Reformverantwortlichen. Stabilität wurde zu einem Mythos des österreichischen politischen Systems. Sie verdeckt den Blick auf Änderungsnotwendigkeiten. Die politische Grundordnung des Staates, nämlich die Verfassung, wurde nie kritisch in Frage gestellt. Überlegungen einer Gesamtreform der Verfassung oder auch nur der grundlegenden Prinzipien der Konstitution wurden von vornherein als aussichtslos eingestuft. Die Stabilität des österreichischen politischen Systems garantierte allerdings nicht nur die Nominalverfassung, an ihre Seite trat noch eine Realverfassung, legitimiert durch ihre praktische Wirksamkeit. Mit dem Dualismus von Nominal- und Realverfassung konnte man die Herausforderungen der Zeit ganz gut bewältigen. Alles garantiert Stabilität: eine Regierung, meist als große Koalition gepriesen, ein wenig aufmüpfiges Parlament, eine strukturkonservative Sozialpartnerschaft, eine Konkordanzdemokratie, die möglichst intransparente Kompromisse produzierte, und eine harmlose Bürgerschaft, die mehr oder weniger dankbar die Segnungen der Politik entgegennahm. Der oft beschworene Paradigmenwechsel liegt vor allem in der Herausforderung, dem Volk bei politischen Entscheidungen einen anderen Stellenwert einzuräumen, als dies bisher üblich war. Relativ spät hat sich in Österreich eine Demokratiereformdebatte etabliert, die über elitäre Zirkeln und wissenschaftliche Veranstaltungen hinausreicht. Sie gefährdet keineswegs die Stabilität unseres politischen Systems, sie zwingt vielmehr die etablierten politischen Repräsentanten, in einen Dialog einzutreten, der das Gesicht unserer Demokratie verändert und ungeahnte Chancen für zukünftige Entwicklungen bietet. Die grundsätzliche Reform unseres politischen und gesellschaftlichen Systems wird nicht mehr in Konventen und Kommissionen debattiert, die meist zur Nabelbeschau etablierter Repräsentanten verkamen. Die zentrale Herausforderung besteht darin, neue Dialogformen zu konzipieren und zu schaffen. Es ist dies eine Vielfalt von Ebenen, auf denen diskutiert werden muss. Sie berühren staatliche Institutionen, Gruppen der Zivilgesellschaft, Vertreter der Theorie und der Praxis.
Zukunftsperspektiven der österreichischen Demokratie
81
III. Das Spannungsfeld zwischen repräsentativer und direkter Demokratie Das Spannungsfeld zwischen beiden Formen der Demokratie ist bereits in der österreichischen Bundesverfassung vom 1. Oktober 1920 enthalten. Der programmatische Grundsatzartikel ist Art. 1, der Folgendes festlegt: „Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus.“ Die organisatorische und materielle Konkretisierung dieses Programmsatzes erfolgt in der Bundesverfassung. Sie normiert die Strukturen einer repräsentativen Demokratie (parlamentarischen Demokratie), in der die Möglichkeiten einer direktdemokratischen Einflussnahme eine eher marginale Rolle spielen. Kelsen, ein authentischer Kommentator des Textes der Bundesverfassung, bezeichnet die verfassungsrechtlich vorgesehenen Rechts institute der Initiative und des Referendums als „eine Annäherung an das Prinzip der unmittelbaren Demokratie“3. Volksbegehren und Volksabstimmung waren die plebiszitären Elemente der österreichischen Bundesverfassung, zu denen erst spät die Möglichkeit einer Volksbefragung kam.4 Alle diese Instrumente der direkten Demokratie können nur mit Zustimmung der Repräsentanten der Republik Österreich realisiert werden: Ein Volksbegehren kann nur vom Nationalrat als verbindliches Bundesgesetz beschlossen werden; die Durchführung einer Volksabstimmung findet nur statt, wenn der Nationalrat einen derartigen Beschluss fasst; die Durchführung einer Volksbefragung muss vom Hauptausschuss des Nationalrates aufgrund eines Antrages seiner Mitglieder oder der Bundesregierung beschlossen werden. Mit anderen Worten, die Anwendung der direktdemokratischen Instrumente liegt fest in der Hand der repräsentativen Demokratie. Das ist auch mit eine Ursache, warum sich in Österreich bis heute keine Tradition der direkten Demokratie entwickeln konnte. In diesem Zusammenhang muss objektiverweise allerdings darauf hingewiesen werden, dass die direkte Demokratie im Bereich der Länder und der Gemeinden in Österreich weitaus substanziellere Entwicklungen erfahren hat, als dies etwa im Bund der Fall war. Es waren auf Landesebene nicht unwesentliche Projekte, die von plebiszitären Entscheidungen beeinflusst wurden (z.B. die Bewerbung für eine Olympiade in Innsbruck, oder die Errichtung eines Musiktheaters in Linz). Nicht zu vernachlässigen ist auch die Rolle von plebiszitären Instrumenten im kommunalen Bereich, von denen oft auch wesentliche Impulse für die allgemeine Diskussion der direkten Demokratie ausgingen.
3 4
Kelsen/Fröhlich/Merkl: Die Bundesverfassung vom 1. Oktober 1920, 66. Die Möglichkeit einer Volksbefragung wurde durch eine B-VG-Novelle im Jahre 1988 in die Verfassung aufgenommen (Art. 49b B-VG). Sie muss eine Angelegenheit von grundsätzlicher und gesamtösterreichischer Bedeutung betreffen, für die der Bundesgesetzgeber zuständig ist.
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Die verfassungsrechtlichen Beschränkungen der direkten Demokratie auf Bundesebene waren ein wesentliches Hindernis dafür, dass sich in Österreich eine besondere Kultur plebiszitärer Mitbestimmung entwickelte. Obwohl schon die Verfassung des Jahres 1920 die Möglichkeiten von Volksbegehren und Volksabstimmung vorsah, war in der Periode der innenpolitisch zerklüfteten und parteipolitisch fragmentierten Landschaft der Ersten Republik eine Durchführung plebiszitärer Aktionen ein staatsgefährdendes Risiko. 44 Jahre nach dem Inkrafttreten der Österreichischen Bundesverfassung fand erstmals ein Volksbegehren statt, das allerdings erhebliches Aufsehen erregte. Das sogenannte Rundfunkvolksbegehren war eine spontane Reaktion auf einen provokanten Akt der politischen Machtaufteilung zwischen den damaligen Koalitionspartnern ÖVP und SPÖ im Staatsrundfunk. Eine Unterstützung durch die damals unabhängigen Printmedien brachte mit mehr als 833.000 Unterzeichner des Volksbegehrens ein bemerkenswertes Ergebnis, das zunächst zu einem einigermaßen unabhängigen Rundfunk und Fernsehen führte. Mittlerweise sind die Effekte dieses ersten Volksbegehrens durch eine jahrzehntelange Politik einer zunehmenden Politisierung des Medienbereiches wieder paralysiert worden. Von den folgenden Volksbegehren – bis heute sind es 37 – erzielten nur wenige eine Wirkung auf den politischen Entscheidungsprozess. Von grundlegender Bedeutung waren die beiden Volksabstimmungen, die auf Bundesebene durchgeführt wurden: Am 5. November 1978 brachte die Volksabstimmung eine Ablehnung des Kernkraftwerkes Zwentendorf und damit ein folgenwirksames Nein zur Kernenergie in Österreich; die Volksabstimmung vom 12. Juli 1994, sie war obligatorisch, weil der EU-Beitritt die Verfassung in ihren Grundzügen änderte, legitimierte den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union. Beide Entscheidungen betrafen grundlegende Lebensfragen der österreichischen Gesellschaft und waren damit ein einprägsames Beispiel plebiszitärer Gestaltungsmöglichkeiten. Das lässt sich allerdings von der im Jänner 2013 durchgeführten Volksbefragung über das österreichische Bundesheer nicht behaupten. Diese Aktion war ein klassisches Beispiel der Instrumentalisierung von plebiszitären Mitbestimmungsmöglichkeiten durch die politischen Parteien. Sie war auch von der Fragestellung deplatziert und hat die Grundfragen der österreichischen militärischen Landesverteidigung beiseite liegen lassen. Die österreichische Wehrpolitik nach diesem plebiszitären Ereignis beweist die Sinnlosigkeit und die Erfolglosigkeit derartiger Appelle an das österreichische Bundesvolk. Nach den bisherigen Erfahrungen mit der direkten Demokratie kann man diese im österreichischen politischen System eher als Randbereich ansehen. Dies soll durch die in Gang gesetzte Debatte über die direkte Demokratie in Österreich geändert werden. Ziel ist eine Entwicklung zu einer komplementären Demokratie, in der direktdemokratische Verfahren und repräsentative Verfahren als zwei Säulen
Zukunftsperspektiven der österreichischen Demokratie
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gleichberechtigt nebeneinander stehen.5 Das Prinzip der Volkssouveränität würde dann durch zwei Säulen umgesetzt und konkretisiert werden. Dadurch würde sich auch eine neue Balance zwischen direkter und repräsentativer Demokratie ergeben.
IV. Das Dilemma des österreichischen Parlamentarismus Debatten über die parlamentarische Demokratie finden in einem eigenartigen Spannungsfeld statt. Sie stellen die Realität parlamentarischer Institutionen einem Idealbild des Parlamentarismus gegenüber, das in der politischen Geschichte kaum jemals verwirklicht wurde. Parlamentsreformen haben die Tendenz, sich auf ein Ziel zuzubewegen, das allerdings nie erreicht wird. Sie machen die Kluft, die zwischen der Formalverfassung und der Realverfassung besteht, besonders deutlich. Drei Beispiele zeigen dies: • Die Stellung des Parlaments als Volksvertretung bedeutet Repräsentation des Wählerwillens und der Nähe zum Bürger. Das ist jedoch nicht die politische Wirklichkeit. Der Durchschnittstypus des Parlamentariers ist der Vollstrecker des Willens jener Partei, der er sein Mandat verdankt. Seine Sprache ist floskelhaft, er vollzieht meist parlamentarische Rituale, die die Bürgerinnen und Bürger nicht verstehen. • Das Parlament rühmt sich des Öfteren seiner „Budgethoheit“. Das klingt nach Macht und Gestaltungswillen. In der politischen Praxis ist jedoch das Gegenteil der Fall. Obwohl in einer Budgetreform der vergangenen Jahre die infrastrukturelle Ausstattung des Nationalrates für Budgetdebatten verbessert wurde, bleibt die Volksvertretung bei der budgetären Beschlussfassung weiter ein bloßes Ratifikationsorgan, das budgetpolitisch bedeutungslos agiert. • Das Parlament ist im Konzept der Verfassung Gesetzgeber. Doch gibt ihm auch diese Funktion wenig de facto politische Autonomie, da das Parlament mit einem Gesetzesbeschluss im Regelfall das absegnet, was bereits woanders entschieden wurde. Alle diese Beispiele demonstrieren, dass eine Parlamentsreform sinnvollerweise das anstreben soll, was erreichbar ist. Wenn man von der Aufwertung des Parlaments spricht, geht es eigentlich nur um eine graduelle Verbesserung der Funktionen. Im Bereiche der Kontrolle ist das Parlament relativ gut ausgestattet. Die nunmehr auf-
5
Zum Konzept der komplementären Demokratie siehe Gerhard Schuster: Komplementäre Demokratie, in Diendorfer (Hg.): Direkte Demokratie: Forderungen – Initiativen – Herausforderungen, Working Paper des Demokratiezentrums Wien, Heft 1, 2013, 28 ff.
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grund eines Konsenses der Fraktionen vorgesehene Einigung, dass Untersuchungsausschüsse auch als Minderheitenrecht eingesetzt werden können, vervollständigt das Instrumentarium parlamentarischer Kontrolle und macht es zu einem System, das durchaus auch den Standards in anderen Ländern entspricht. Für den Bereich der Gesetzgebung erscheint es jedoch sinnvoll, die Entscheidungsstrukturen des Parlaments vor allem dadurch zu verbessern, dass dem Parlament jene Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, um im Gesetzgebungsprozess Entwicklungen und Inhalte kritisch nachvollziehen zu können.
V. Die Herausforderungen der direkten Demokratie Die Diskussion über eine Ausweitung der Instrumente der direkten Demokratie ist zum Fokus der Demokratiereformdiskussion geworden. Die Erwartungslage ist groß. Man sieht in der direkten Demokratie eine Möglichkeit zur Korrektur der repräsentativen Demokratie. Direkte Demokratie versucht Antworten auf die Unzulänglichkeiten des repräsentativen Systems in der Demokratie zu geben. Die Vorstellungen der Bürgerinnen und Bürger haben sich geändert, sie wollen mehr Entscheidungen selbst treffen. Damit ist gleichsam ein Politisierungsschub verbunden. Dieser kommt auch in der Meinung zum Ausdruck, dass eine starke Beteiligung an der direkten Demokratie zu einer höheren Wahlbeteiligung führen würde. Die Forderung nach mehr direkter Demokratie ist Ausdruck einer allgemeinen Systemkritik. Sie richtet sich gegen das politische Establishment, gegen eine Deparlamentarisierung von Politik und gegen Intransparenz von Entscheidungsprozessen. Sie gründet im Ohnmachtsgefühl des Volkes gegenüber der Allmacht der politischen Parteien. Die Debatte über die direkte Demokratie ist maßgeblich aus dem Unbehagen der Wählerschaft und einer zunehmenden Politikverdrossenheit entstanden. Gerade diese Ursachen muss man berücksichtigen, wenn man Argumente bewertet, die gegen den Ausbau der direkten Demokratie vorgebracht werden. Es ist das vor allem der immer wieder in die Diskussion geworfene Einwand, dass das Volk nicht genügend Wissen und Reflexionsvermögen habe, um über komplexe Fragen entscheiden zu können. Diese Auffassung erinnert an ein elitäres Demokratieverständnis, wie es in der realistischen Theorie von Joseph Schumpeter zum Ausdruck kommt.6 Er sieht eine elitäre Struktur in Demokratie als unvermeidlich an, weil er von einer tiefen Skepsis gegenüber der politischen Mündigkeit der Bürger ausgeht, die außerhalb ihres Nahbereiches („local affairs“) Schwierigkeiten haben, 6
Joseph A. Schumpeter: Capitalism, Socialism and Democracy, 1942 London/New York.
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an einer politischen Willensbildung teilzunehmen. Für Schumpeter ist daher Demokratie im Kern eine Methode zur Ermittlung des politischen Führungspersonals, nämlich zur Bestimmung von gewählten Repräsentanten. Aus dieser theoretischen Position ergibt sich zwangsläufig eine zentrale Präferenz für die repräsentative Demokratie. Schumpeters Position ist in mehrfacher Hinsicht kritisch zu hinterfragen. Sie ist vor allem durch die Entwicklung der Wissensgesellschaft und durch die Bedeutung der modernen Kommunikationstechnologien nicht mehr „realistisch“. Es besteht kein Zweifel, dass eine funktionierende direkte Demokratie politisch interessierte, nach Möglichkeit gut informierte und engagierte Menschen braucht. Die große Herausforderung besteht darin, dass politische Interesse zu wecken. Es ist daher notwendig, dass man mit der institutionellen Ausweitung der partizipativen Demokratie gleichzeitig auch Begleitprogramme festlegt, die sich der Problematik der Information und der Motivation für die Instrumente der direkten Demokratie widmen. Sie betreffen die Bereiche der politischen Bildung, der Erwachsenenbildung und der Medienpolitik. Damit könnte man auch Versuchen, plebiszitäre Demokratie zur Spielwiese für populistische Aktionen zu machen, entgegenwirken.
VI. Chancen und Grenzen der parlamentarischen Enquete-Kommission Das parlamentarische Enquete-Recht gehört zur Tradition der Parlamente. Neben dem Aspekt parlamentarischer Untersuchung (Untersuchungsausschüsse) hat es auch den Sinn einer qualifizierten parlamentarischen Information. Diese sogenannten Gesetzgebungsenqueten dienen der sorgfältigen und tiefgehenden Vorbereitung von Gesetzesvorhaben. Der österreichische Nationalrat hat in diesem Zusammenhang die Möglichkeit, parlamentarische Enqueten durchzuführen oder Enquete-Kommissionen einzusetzen.7 Enquete-Kommissionen dienen der „Vorbereitung von Entscheidungen über umfangreiche und bedeutsame Angelegenheiten“8. Die Einsetzung erfolgt durch den Hauptausschuss des Nationalrates, wobei auch eine Frist für die Berichterstattung gesetzt werden kann. Die Enquete-Kommission hat ihre Arbeit mit einem Bericht abzuschließen, in dem alle Meinungen wiederzugeben sind. Der Hauptausschuss des Nationalrates hat am 23. September 2014 die Einsetzung einer Enquete-Kommission „zur Stärkung der Demokratie in Österreich“ beschlossen. Der Beschluss erfolgte aufgrund eines Antrages, der von allen Klubvor7 8
§ 98 des Geschäftsordnungsgesetzes des NR. § 98 Abs. 4 GOG-NR.
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sitzenden der derzeit im Nationalrat vertretenen sechs Parteien eingebracht wurde. Der Auftrag an die Kommission umfasst zwei Bereiche. Im ersten geht es um die Aufwertung direktdemokratischer Instrumente, wobei folgende Vorgaben zu beachten sind: • Aufwertung von Volksbegehren und Volksbefragungen: Erfolgreiche Volksbegehren werden künftig einer Volksbefragung unterzogen, wenn das Parlament nicht den Forderungen Rechnung trägt. Voraussetzung: Die Initiative muss von mehr als zehn Prozent der Wahlberechtigten – bzw. 15 % im Falle von Verfassungsgesetzen – unterstützt und in Form eines konkreten Gesetzesanliegens eingebracht werden. Unzulässig ist jedenfalls eine Volksbefragung über ein Volksbegehren, das gegen geltendes EU-Recht, Völkerrecht oder gegen Grund- und Freiheitsrechte verstößt. • Aufwertung der parlamentarischen Behandlung aller Volksbegehren. Über jedes erfolgreiche (100.000 Unterschriften) Volksbegehren soll eine eigene Nationalratssitzung stattfinden, in denen den Initiatoren des Volksbegehrens ein Rederecht zukommt. • Volksbegehren und Bürgerinitiativen sollen künftig elektronisch unterstützt werden können. Darüber hinaus wird der Kommission der Auftrag erteilt, eine „Modernisierung parlamentarischer Abläufe und Rahmenbedingungen“ zu diskutieren. In diesem Zusammenhang werden drei Ziele formuliert: • Die Aufwertung und Weiterentwicklung der direkten Demokratie benötigen eine Reihe von Anpassungen im Parlamentarismus und bei den Arbeitsbedingungen der Abgeordneten. Auch die parlamentarischen Klubs und die Parlamentsdirektion benötigen Weiterentwicklung, um diese Aufgaben erfolgreich wahrnehmen zu können. • Besonders bedeutsam ist es, das Verhältnis zwischen den Abgeordneten bzw. den parlamentarischen Organen und den Wählerinnen und Wählern zu analysieren und zu verbessern. Mehr Transparenz und eine attraktivere und verständliche Darstellung der Abgeordneten und eine interaktive Kommunikation mit den Wählerinnen und Wählern sind zu fördern. • Die Abläufe im Nationalrat sowie die öffentliche Darstellung des Nationalrates und seiner Abgeordneten müssen optimiert und den Entwicklungen in der Kommunikationstechnologie angepasst werden. Dies gilt sowohl für die Arbeit im Ausschuss wie im Plenum. Es ist das erste Mal, dass sich der Nationalrat im Rahmen einer Enquete-Kommission mit Grundsatzfragen der demokratischen Entwicklung befasst. Bemerkenswert erscheint auch, dass der Diskurs in der Kommission nicht nur zwischen Abgeordneten
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und Experten erfolgen soll, sondern acht Bürgerinnen und Bürger miteinbezieht, die nach einem bestimmten Verfahren ausgewählt wurden. Für die Arbeit der Kommission sind sieben Sitzungstermine vorgesehen, die jedenfalls dann öffentlich durchgeführt werden, wenn Expertinnen und Experten angehört werden. Die Protokolle der Sitzungen werden auf der Homepage des österreichischen Parlaments veröffentlicht. Grundsätzlich ist die Vorgangsweise der Beauftragung einer Enquete-Kommission positiv zu sehen. Eine derartige Einrichtung ist eine geeignete Plattform für einen Dialog zwischen Politikern, Experten sowie Vertretern der Bürgerschaft. Vor allem die erwähnte Verbesserung der Transparenz der Arbeit der Abgeordneten sowie der parlamentarischen Entscheidungsprozesse ist ein wesentlicher Ansatz für eine Parlamentsreform. Ob es allerdings zu einer grundsätzlichen Auseinandersetzung über die Zukunft der Demokratie in Österreich kommen wird, ist fraglich. Der Zeitplan ist knapp bemessen: sieben Sitzungen mit thematischen Vorgaben und zeitlichen Beschränkungen, eine Redezeit von fünf Minuten (für Experten können spezielle Redezeiten festgelegt werden) für die Teilnehmer – das sind Vorgaben, die nur bei außerordentlicher Disziplin aller Teilnehmer zu einem Ergebnis führen können. Es wäre wünschenswert, dass der Nationalrat im Anschluss an diese Enquete eine Art „Demokratiereformdiskussionsprogramm“ überlegt, das eine ständige Kommunikation zwischen ihm und den wesentlichen demokratiepolitischen Akteuren möglich macht.
VII. Perspektiven zukünftiger Reformen Der derzeitige Stand der Demokratiereformdiskussion in Österreich gibt Anlass zu einem gewissen Optimismus. Dass sich die Volksvertretung mit der Rolle des Volkes in der Demokratie befasst, mag als ein positives Signal angesehen werden. Es ist zu hoffen, dass die Enquete-Kommission zu einem Ergebnis führt, das danach umgesetzt wird und die Instrumente der direkten Demokratie in Österreich weiter entwickelt. Es wäre durchaus fantasievoll, wenn es zu neuen Kombinationen zwischen den Instrumenten der direkten Demokratie und repräsentativen Entscheidungsprozessen im Parlament käme; so etwa, wenn der Nationalrat das Recht bekommt, im Rahmen der Vorbereitung einer Gesetzesinitiative eine Volksbefragung zu grundsätzlichen Fragen abzuhalten. Wesentlich erscheint mir aber, dass das Parlament ein neues Selbstverständnis braucht. Dazu dient sicher eine Verbesserung der Entscheidungsprozesse. Diese sollte einen offenen politischen Diskurs ermöglichen. Entscheidungsfindung müsste für alle, im Besonderen auch für die Bürgerinnen und Bürger nachvollziehbar sein, das verfügbare Wissen sollte allen Betroffenen und Interessierten zugänglich sein.
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Dass Probleme der Demokratiereform im Rahmen einer Enquete-Kommission diskutiert werden, ist schon allein deshalb zu begrüßen, weil die Debatte nunmehr dort stattfindet, wo sie von allem Anfang an hin gehört: nämlich auf den Boden des Parlaments. Es ist zu hoffen, dass diesem Beispiel viele weitere folgen. Die bedeutendste Rolle im Prozess der Weiterentwicklung der Demokratie kommt dem Wahlrecht zu. Es wäre eine dringliche und notwendige Aufgabe, wenn sich möglichst bald eine Enquete-Kommission mit der Reform der Auswahl der Repräsentanten unserer Demokratie auseinandersetzen würde.
Herwig Hösele
Das Volk ist klüger als manche denken Befunde und Forderungen der Initiative Mehrheitswahlrecht und Demokratiereform
„Wieviel Verdruss darf den Wählern zugemutet werden, ehe dieser Verdruss die Demokratie gefährdende Ausmaße annimmt?“, fragte der Leiter der Wiener Redaktion der „Salzburger Nachrichten“, Andreas Koller, in einem Leitartikel vom 18. Februar 2014. Ein Zyniker könnte evidenzbasiert antworten: „Viel. Mehr als man glaubt.“ Tatsächlich ist Kritik und Selbstkritik der Demokratie innewohnend. Tatsächlich wurden Entartungserscheinungen der Politik stets kritisiert. Man könnte die Geschichte der Demokratie als die Geschichte permanenter Skandale, Fehler und Streitereien schreiben – allein deshalb, weil nur in der Demokratie Meinungs- und Medienfreiheit herrscht, während in Diktaturen und autoritären Systemen versucht wird, dies alles zu vertuschen und Kritik und Kritiker zu unterdrücken. Aber überall regt sich der Freiheitsdrang. Nur eine vitale Demokratie verfügt über eine permanente Selbstreinigungs- und Korrekturkraft. Insofern kann die Geschichte der Demokratie auch als Erfolgsstory erzählt werden.
I. Die demokratische Entwicklung Österreichs nach 1945 Dennoch müssen Verdrossenheits- und Protestphänomene ernst genommen werden. Denn es gibt ohne Zweifel Phasen, in denen demokratische Strukturen besonders gefährdet sind. Es geht daher auch um die sorgfältige Analyse der Spielarten, Strukturen und Ausprägungen der Demokratie. Man kann die demokratische Entwicklung in Österreich nach 1945 grob in fünf Phasen einteilen: a. Die Wiederaufbauphase, geprägt durch die große Koalition, wobei es bereits in den späten 1940er und frühen 1950er Jahren erste Kritik am Proporz und Parteienstaat gab. b. Das Ende der großen Koalition und der demokratische Aufbruch in den 1960er und 1970er Jahren, beginnend mit dem erfolgreichen Rundfunkvolksbegehren, getragen von den unabhängigen Zeitungen 1964, über das Ende der großen Koalition 1966, zunächst mit der VP-Alleinregierung Klaus und dann ab 1970 mit der Alleinregierung Kreisky bis 1983. Diese Phase brachte einen
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großen Liberalisierungs- und Demokratisierungsschub. Es gab auch beachtliche Diskussionen zu mehrheitsbildenden und persönlichkeitsorientierten Wahlrechtsreformen. Die zunehmende Kritik am Politik- und Regierungsstil in den 1980er und 1990er Jahren, der sich zunächst an der führungsschwachen SP/FP-Koalition unter Fred Sinowatz 1983 bis 1986 entlud. Damals erlebte die Debatte um mehr Kontrolle und die direkte Demokratie einen ersten Höhepunkt, die Schaffung von Landesrechnungshöfen und Volksrechtegesetzen, wobei die Steiermark vielfach Pionierfunktion hatte, waren die Folge. 1987 kam es zur Neuauflage der „großen Koalition“; Jörg Haider, dessen FPÖ erstarkte, sprach von der „Dritten Republik“, die Grünen etablierten sich als parlamentarische Kraft. Obwohl die große Koalition mit dem EU-Beitritt ein großes Projekt hatte, schwand ihr Rückhalt in der Bevölkerung. Der Ruf nach einem neuen Wahlrecht als Ausweg wurde wieder lauter. Der Ausbruch aus der von Wahl zu Wahl kleiner gewordenen großen Koalition durch Wolfgang Schüssels Regierungsbildung mit der Haider-FPÖ von Februar 2000 bis Jänner 2007, die dazu führte, dass bei den Wahlen 2002 der Abwärtstrend gebrochen wurde, die Wahlbeteiligung stieg und sowohl ÖVP in großem als auch SPÖ in kleinerem Ausmaße erstmals seit langem Stimmenzuwächse erzielten, während die FPÖ bzw. später das BZÖ deutliche Rückschläge hinnehmen mussten. Auch noch 2006 erzielten die SPÖ und die ÖVP deutlich mehr Stimmen als zu Ende der großen Koalition 1999, die ÖVP hatte weder 1990 noch 1994, 1995 und 1999 ein so „gutes Ergebnis“ erzielt als bei dieser Wahlniederlage gegen die die Gusenbauer-SPÖ. Die Neubildung der Koalition der einstigen Großparteien, nunmehrigen Traditionsparteien SPÖ und ÖVP 2007, die ihren Niedergang bei den Wahlen 2009 und 2013 und das Anwachsen des Protests weiter beförderte. Zugleich wurden die Kritik am „Stillstand“ und die Rufe nach Reformen immer lauter. 2008 bildete sich daher auch die „Initiative Mehrheitswahlrecht (und – seit 2010 – Demokratiereform, kurz IMWD), weitere zivilgesellschaftliche Initiativen folgten.
II. Nationalratswahl 2013 und Demokratiebefund 2014 Die letzte Nationalratswahl vom 29. September 2013 brachte mehrere demokratiepolitisch sehr nachdenklich stimmende Ergebnisse: Trotz des wesentlich verbreiterten Angebots von aussichtsreich für den Nationalrat kandidierenden
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Parteien und intensiver Bewerbung der Briefwahlmöglichkeit gab es erstmals seit 1945 mehr Nichtwähler, als die stimmenstärkste Partei Wähler auf sich vereinigen konnte: 1,601.668 Nichtwähler zu 1,252.430 SPÖ-Wählern. Mit den 89.656 Ungültig-Wählern ergibt sich eine Zahl von 1,691.324 Wahlberechtigten, die sich für keine der wahlwerbenden Parteien entscheiden konnten. Die Wahlbeteiligung ist gegenüber der letzten Nationalratswahl 2008 um weitere 3,9 % auf 74,9 % gesunken. 2002 betrug sie noch 84,27 %, 1995 85,98 %, von 1945 bis 1986 immer über 90 %. Bemerkenswert ist auch die Talfahrt der beiden „Traditionsparteien“, die seit 1987 mit der Schüssel-Unterbrechung 2000–2007 die „große Koalition“ bilden. Vereinigten SPÖ und ÖVP 1987 noch 84,4 % der gültigen Stimmen auf sich und verfügten auch über eine bequeme Verfassungsmehrheit, ging diese erstmals 1994 verloren. 2013 verfügen die beiden Traditionsparteien nur mehr über eine hauchdünne absolute Stimmenmehrheit von 50,8 % der gültigen Stimmen, was einen Verlust von weiteren 4,5 % bedeutet. Gemessen an den Wahlberechtigten verfügen SPÖ und ÖVP nur mehr über 37 % der Stimmen. Dieses permanente Absinken von SPÖ und ÖVP, wenn sie gemeinsam eine Regierung bilden, hängt wohl insbesondere auch mit dem Bild des gefühlten „Stillstands“ und dem Anschein der permanenten Blockade bzw. Proporzpackelei sowie der Meinung, man könne wählen, was man wolle, es komme ohnehin die ewig gleiche Regierungskonstellation heraus, zusammen. Das geltende Wahlrecht erzwingt in Verbindung mit der „Ausgrenzung“ der FPÖ diese Situation. Die nach der Nationalratswahl erfolgte Regierungsbildung setzte diesen Erosionsprozess fort – Umfragen signalisierten, dass die SP/VP-Koalition die ersten acht Monate des Jahres 2014 über keine Mehrheit bei der Bevölkerung mehr verfügte. Die IMWD legt seit 2011 alljährlich rund um den Verfassungstag am 1. Oktober ihren „Demokratiebefund“ vor, der sich auch auf empirische Daten stützt. Laut Demokratiebefund 2014 hat die Unzufriedenheit der Bevölkerung bis August 2014 leider neue Rekordwerte erreicht. In der alljährlich durchgeführten, im August abgeschlossenen Expertenbefragung der Initiative erhielt die Politik generell einen Zufriedenheitswert (nach dem Schulnotensystem) von 2,89, wobei die Gemeinde-Ebene mit 2,51 gefolgt von der Landesebene mit 2,99 am relativ besten abschnitt, während die Bundesebene mit 3,22 (2013 noch 2,86) sogar hinter die europäische Ebene 3,16 (2013: 3,19) zurückfiel. Im September 2014 kam es durch die Regierungsumbildung – wie auch die OGM-Exklusivumfrage für die IMWD zeigt – zu einer Trendumkehr, deren Nachhaltigkeit abgewartet werden muss und wesentlich von der Kraft und dem Willen der Parteien zur Auflösung des Reformstaus abhängt. Das Vertrauen in die Politik ist gegenüber dem Vorjahr von 23 % auf 28 % gewachsen, während das Misstrauen
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von 78 % auf immer noch sehr bedenkliche 70 % gesunken ist. 22 % sind optimistisch, dass die neuformierte Regierung den „Stillstand“ überwinden wird, 55 % glauben das nicht, 23 % sind noch abwartend.
III. „Große Koalitionen“ sind protestfördernde Anomalien Alle Empirie lässt befürchten, dass diese Trendumkehr nicht langfristig wirkt, sosehr wenigstens eine mittelfristige Erholung wünschenswert wäre. Spätestens seit 1987 zeigt sich, dass sowohl SPÖ als auch ÖVP Wählervertrauen und Integrationskraft verlieren, wenn sie gemeinsam in der Regierung sind (Große Koalitionen sind daher europaweit eher Anomalien, weil im „Kampf“ um die Nr.1-Position das ständige Schielen, was dem „Regierungspartner“ nützt oder schadet und wie man ihn „überholen“ oder in der Wählergunst distanzieren könnte, zu vielerlei Blockaden und den Anschein des permanenten Koalitionsstreits führt, was bei einer Koalition einer größeren mit einer kleineren Partei nicht zwangsläufig der Fall ist). Daher hat die IMWD, der mit Sprecher Heinrich Neisser, Theo Öhlinger, Klaus Poier und dem Verfasser dieses Textes (als Sekretär der Initiative) eine ganze Reihe von Autoren dieses Buches angehört, seit der Gründung auch mit eigenen Modellen auf ein Wahlrecht gedrängt, das mehrheitsfördernd ist und Abgeordnete gegenüber dem Parteiapparat stärkt. Laut einer im „Demokratiebefund 2013“ veröffentlichten OGM-Umfrage treten 58 % für eine Direktwahl der Abgeordneten und 67 % für Volksentscheide ein. Es gibt zahlreiche Wortmeldungen für eine Wahlrechtsreform in diese Richtung – von den „Altpolitikern“ Franz Vranitzky, Erhard Busek und Franz Fischler genauso wie von Michael Häupl und Erwin Pröll. Aber diesen Deklarationen folgen keine oder bestenfalls kleine Taten. Die kosmetische Veränderung beim Vorzugsstimmensystem bei Nationalratswahlen brachte real bisher nichts, interessant hingegen ist das neue wirksamere Vorzugsstimmensystem bei den Vorarlberger Landtagswahlen. Knapp vor den Nationalratswahlen 2013 sah es kurz so aus, als ob in einem Kraftakt in letzter Minute tatsächlich eine Stärkung direktdemokratischer Elemente – verpflichtende Volksbefragung (nicht Abstimmung!), wenn ein Volksbegehren von mindestens 10 % der Wahlberechtigten unterstützt, aber sein Anliegen von Parlament und Regierung nicht umgesetzt wird – beschlossen würde. Das „Establishment“ in Gestalt u.a. von Bundespräsident Dr. Heinz Fischer und Nationalratspräsident i.R. Univ.-Prof. Dr. Andreas Khol – früher einmal Verfechter dieser Form der direkten Demokratie, wie in Schriften der Politischen Akademie der ÖVP, aber auch im Regierungsprogramm 2000 nachgelesen werden kann –, aber auch des damaligen Verwaltungsgerichtshofpräsidenten Univ.-Prof. Dr. Clemens Jabloner stoppte diese Reform. Der Präsident des Verfassungsgerichtshofes, Univ.-Prof. Dr.
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Gerhart Holzinger hingegen ist ein ständiger Mahner für Reformen des Wahlrechts, der direkten Demokratie und des Föderalismus. Das genannte „Establishment“ eint die Sorge vor der Unberechenbarkeit des Volkes, man traut der Bevölkerung nicht zu, richtig zu entscheiden. Meiner festen Überzeugung nach aber ist das Volk viel klüger und verantwortungsbewusster als dass es dem Boulevard, Populisten und Demagogen auf den Leim geht. Und vor allem wird die repräsentative Demokratie durch die direkte Demokratie nicht ausgehebelt. Denn nach einer Volksbefragung kann das Parlament noch immer aus staatpolitischen Gründen anders entscheiden – es besteht allerdings eine wesentlich größere Begründungs- und Dialogpflicht. Das ist ja einer der Hauptkritikpunkte an der gegenwärtigen Spielart der Politik, dass über die Köpfe der Bürger hinweg entschieden wird. In seiner Streitschrift „Schafft die Politik ab!“ sieht auch der bekannte Publizist Andreas Unterberger die „Direkte Demokratie“ (er schreibt Direkt bewusst groß) als wichtigen Ansatz, um das Unbehagen an der Demokratie in Österreich zu bekämpfen.
IV. Codewort „Direkte Demokratie“ Weniger rigoros formuliert es Heinrich Neisser im „Demokratiebefund 2014“: „,Direkte Demokratie‘ ist ein Codewort geworden, das vor allem die ,Wutbürgerschaft‘ kalmieren und ihr positive Perspektiven vermitteln soll. Es geht dabei nicht um einen radikalen politischen Strukturwandel, sondern um eine Verstärkung einzelner Instrumente der partizipativen Demokratie, ohne das Prinzip der repräsentativen Demokratie in Frage zu stellen. Von besonderer Wichtigkeit ist es, nicht nur die institutionellen Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung zu verbessern, sondern auf die Bürgerinnen und Bürger einzuwirken, ihre Mitwirkung verantwortungsvoll wahrzunehmen und populistische Partizipation zu verhindern.“ Und ebenfalls im „Demokratiebefund 2014“ findet sich die Feststellung: „Es sollte aber bewusst sein, dass der notwendige Ausbau der direkten Demokratie nicht ,die‘ Problemlösung für das politische System in Österreich ist, sondern auf sich allein gestellt Stückwerk bleiben muss. Es gilt insbesondere die Stellung des Parlaments als dem zentralen Ort im demokratischen Prozess und das Selbstverständnis der MandatarInnen als seine wesentlichen Akteure zu stärken. Ein persönlichkeitsorientiertes Wahlrecht, das die Abhängigkeit von Parteiapparaten verringert und eine direktere Rückkoppelung zu den WählerInnen sicherstellt, ist daher unabdingbar. Es ist also eine die Demokratie vitalisierende neue Balance von selbstbewussten MandatarInnen und engagierten BürgerInnen zu finden. Das bedingt auch die Förderung von Vielfalt, Unabhängigkeit und Qualität von Medien, die für die Demo-
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kratie systemrelevant sind, und intensivierte politische Bildung und Medienbildung in allen Lebensabschnitten sowie die Nutzung der Chancen, die die digitale Welt für Bürgerpartizipation bietet (Stichwort „liquid democracy“, open space, vgl. Demokratiebefund 2012).“ Im Herbst 2014 publizierte der Think Tank Bertelsmann Stiftung die gemeinsam mit dem Staatsministerium Baden-Württemberg durchgeführte Studie „Partizipation im Wandel – Unsere Demokratie zwischen Wählen, Mitmachen und Entscheiden“. Eine der Kernaussagen ist „Gut gemachte Bürgerbeteiligung erhöht die Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie und stärkt das Vertrauen auch in die repräsentativen Institutionen.“ Im Jahr 2013 hat dieselbe Bertelsmann Stiftung unter dem Titel „Gespaltene Demokratie“ festgestellt: Die sinkende Wahlbeteiligung ist „eine besorgniserregende, wenngleich nicht unmittelbar gefährliche Entwicklung“. Bedenklich werde die Entwicklung erst, wenn gewisse Bevölkerungsgruppen nicht mehr zur Wahl gehen und die Demokratie zur „gespaltenen Demokratie“ machen. Es „bleiben immer mehr Einkommensschwache und Bildungsferne“ der Wahl fern. Während in der Bundesrepublik 68 % aus der oberen Sozialschicht sich als sichere Wähler deklarierten, waren es bei der „unteren Schicht“ nur 31 %. Eine ähnlich besorgniserregende Entwicklung zeigt sich bei den jüngeren Bevölkerungsschichten, während Ältere ihr Wahlrecht wesentlich stärker ausüben. Ein ähnliches Bild gibt es auch in Österreich. In der Bertelsmann-Studie lautet eine weitere Schlussfolgerung: „Die Jüngeren sind verstärkt im Internet politisch aktiv. Doch gerade die neuen Beteiligungsformen sprechen vor allem die gebildete Mittelschicht an. Das führt zu einer weiteren Verschärfung der politischen Ungleichheit.“
V. Politische Bildung und Medienbildung haben Priorität Wie die Möglichkeit des Wählens ab 16 einerseits, die sinkende Wahlbeteiligung der jüngeren Generation andererseits und die gleichzeitig gegebenen immer stärkeren Möglichkeiten der digitalen Mitwirkung und Diskussion zeigen, sind forcierte politische Bildung und Medienbildung ein Gebot der Zeit. Auch in der ExpertInnenbefragung des Demokratiebefundes 2014 hat die Intensivierung der politischen Bildung Platz 1 bei den Wünschen. Alle Studien zeigen, dass das politische Interesse signifikant mit dem formalen Bildungsgrad steigt, betont zum Beispiel der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier. Mehr politische Bildung würde allen, vor allem auch SchülerInnen mit Migrationshintergrund nützen. In einem Essay vom 17. Juli 2014, der in der „Kleinen Zeitung“ erschienen ist, betont Filzmaier wörtlich: „Politische Bildung ist am besten geeignet,
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einen ,cordon sanitaire‘ gegen Sprechdurchfall zu schaffen. Wer politisch gebildet ist, hat eine höhere Hemmschwelle, undemokratisch zu schimpfen. Sachdebatten werden wahrscheinlicher. Didaktiker sind zudem überzeugt, dass politisches Streiten lernbar ist.“ Dass Bildung ein entscheidender Faktor für Geschichts- und Demokratiebewusstsein ist, hat auch eine Studie des Wiener Zeithistorikers Oliver Rathkolb in Zusammenarbeit mit dem Institut Sora im Auftrag des Zukunftsfonds der Republik Österreich ergeben. Wesentliche Empfehlungen dieser am 7. Mai 2014 präsentierten Studie sind: 1. Der Ausbau der politschen Bildung in allen Schulformen, 2. der Ausbau der geisteswissenschaftlichen Fächer in den berufsbezogenen Schulformen und Ausbildungseinrichtungen, 3. die Förderung der Auseinandersetzung mit der Geschichte des Nationalsozialismus und des 2. Weltkrieges mit Kooperationspartnern, die auch bildungsfernere Schichten erreichen, wie etwa die politischen Akademien, die Bildungseinrichtungen der Gewerkschaften und Kirchen, von Betriebsräten und Mieterbeiräten, Gemeindevertreterverbänden und anderen NGOs, 4. die konsequente Berücksichtigung dieser historischen Epoche und der Lehren daraus in den Massenmedien insbesondere auch im ORF. Es geht auch um die Integration der brieflichen und digitalen Möglichkeiten in das demokratische System wie z.B.: Onlinesammelsysteme und Briefabstimmungsmöglichkeiten für Bürgeranfragen, Petitionen, Volksbegehren, Volksbefragungen, Volksabstimmungen und bei der europäischen Bürgerinitiative, verantwortungsbewussten Umgang mit Web 2.0-Demokratie, wie u.a. liquid democracy und open government. Es ist sehr zu hoffen, dass bei der im Dezember 2014 konstituierten parlamentarischen Enquetekommission – deren Einsetzung hat die IMWD bereits 2008 erstmals gefordert – endlich substantielle Fortschritte erzielt werden. Staatsreform und Demokratiereform dürfen nicht weiter jahrzehntelang zerredet und zur unendlichen Geschichte werden. Eindeutig aber ist, dass diese Reformen wichtige strukturelle Maßnahmen zur Stärkung der Demokratie sind, dass es aber letztlich auf den mündigen Bürger ankommt. Anlässlich des 25. Jahrestages des dankbaren Gedenkens an den großartigen Erfolg der Bürgerrechtsbewegung in der DDR im Herbst 1989 sprach es der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck, selbst Mitinitiator derselben, klar aus: „Wir dürfen niemals vergessen, dass unsere Demokratie nicht nur bedroht ist von Extremisten, Fanatikern und Ideologen, sondern dass sie ausgehöhlt werden und ausdörren kann, wenn die Bürger sie nicht mit Leben füllen.“
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Als Lehre aus der Geschichte rief er zu stärkerem demokratischen Engagement auf. „Nur so finden Intoleranz, nationalistische Hybris, Hass und Gewalt keinen Nährboden.“ Es ist die gemeinsame Verantwortung von Politik, Medien und Zivilgesellschaft, unsere Demokratie vital und zukunftsorientiert zu gestalten. Sämtliche Demokratiebefunde und mehr über die Initiative Mehrheitswahlrecht und Demokratiereform unter www.mehrheitswahl.at bzw. www.demokratie-reform.at.
Alexander Balthasar
Zur Frage nach der Qualität einer demokratischen Entscheidung
I. Einleitung A. Die Frage nach dem Maßstab Die Herausgeber dieses Bandes haben dessen einzelne Beiträge um das Begriffspaar1 „Direkte Demokratie und Parlamentarismus“ gruppiert, jedoch unter dem spezifischen Gesichtspunkt der Frage nach „den besten Entscheidungen“. Dies impliziert die – im Kern ganz traditionelle2 – Annahme, es sei überhaupt möglich und erstrebenswert, zu „besten“ Entscheidungen zu gelangen, und setzt damit seinerseits jedenfalls voraus, dass • ein tauglicher Maßstab, an dem die betreffenden Entscheidungen gemessen (und, gegebenenfalls, für „bestens“ befunden) werden können, entweder objektiv („an sich“) existiere und als solcher auch ausreichend präzise erkennbar sei, oder zumindest, dass • die betreffenden Mitglieder der Rechtsgemeinschaft eine derartige Existenz und Erkennbarkeit sämtlich „für sich“ (inter-subjektiv) unterstellen, d.h. gemeinsam daran glauben.3 Auf dieser Basis differenzieren wir gegenwärtig, geradewegs mit Blick auf demokratisch strukturierte Systeme („government of the people“4) – in denen nackte Repres1 2
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Die gewählte Konjunktion deutet darauf hin, dass jedenfalls kein „aut … aut“, sondern viel eher ein „vel … vel“, vielleicht sogar ein „et … et“ gemeint sei. Vgl. die ersten beiden Sätze der Nikomachischen Ethik des Aristoteles (H.v.m.): „Jede Kunst und jede Lehre, ebenso jede Handlung und jeder Entschluss scheint irgendein Gut zu erstreben. Darum hat man mit Recht das Gute als dasjenige bezeichnet, wonach alles strebt.“ Genau dies ist wohl der eigentliche Sinn von Kelsens Grundnorm: trotz, auf der erkenntnistheoretischen Ebene, fundamentaler Skepsis eine zumindest inter-subjektiv überzeugende Legitimationsbasis – anhand derer die bereits von Augustinus thematisierte (und von Bodin wieder aufgegriffene) Frage nach dem entscheidenden Unterschied zwischen einem (Rechts-)Staat und einer Räuberbande einzig beantwortet werden kann – bereitzustellen. Die nachfolgenden Differenzierungen sind der bekannten Gettysburg-Formel Abraham Lincolns („government of the people, by the people, for the people“) entnommen.
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sion seitens der Regierung5 gerade kein ausreichendes Legitimationskriterium der Herrschaftsbegründung bzw. -erhaltung über das eigene Volk darstellt – üblicherweise6 zunächst einmal7: • Geht es primär darum, dass in der betrachteten Entscheidung der subjektive Wille des Volkes als solcher möglichst authentisch zum Ausdruck komme („input-legitimacy“, „government by the people“, „Authentizität“) 8, • oder doch eher, in extremis selbst der communis opinio entgegengesetzt, um die objektive Qualität des Produkts („output-legitimacy“, „government for the people“, „Effektivität“)?9
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Dies wäre das schlichte, von Lincoln stillschweigend vorausgesetzte „government on the people“. Siehe bereits etwa Arthur Benz, Postparlamentarische Demokratie? Demokratische Legitimation im kooperativen Staat, in: Michael Greven (Hrsg.), Demokratie – eine Kultur des Westens? 20. Wissenschaftlicher Kongreß der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft (1998), 201 ff., 202, unter Berufung auf Fritz Scharpf. 7 Eine eigenständige prozedurale Kategorie („Legitimation durch Verfahren“, so der Titel einer berühmten Studie von Niklas Luhmann [ex 1969], bzw. „procedural“/„throughput“ „legitimacy“, vgl. Meg Russel, The Contemporary House of Lords [2013], 237 f.) ist m.E. wenig sinnvoll, da die legitimierende Wirkung eines bestimmten Verfahrens ja rationalerweise erst wieder nur an einem bestimmten inhaltlichen Maßstab bewertet werden kann. Richtig ist aber, dass die Akzentverlagerung auf das Verfahren unter dem Gesichtspunkt der Dämpfung der Erwartungen, bis zu welchem Grade das jeweilige inhaltliche Ziel sich überhaupt erreichen lasse, sinnvoll sein kann. 8 In einer prägnanten Formulierung von Cornelius Castoriadis (Gesellschaft als imaginäre Institution. Entwurf einer politischen Philosophie [dt. 1984/1990], 609): „… unser Ziel …, weil wir es wollen und weil wir wissen, dass auch andere Menschen diesen Willen haben …“ (H.i.O.). Dies ist freilich im Kern nichts anderes als die traditionelle Formel der französischen Könige: „car tel est notre plaisir“; selbst diese aber wurde, wiewohl als solche der römischen Rechtssprache entlehnt und keineswegs zwingend im Sinne der berüchtigten Sentenz Juvenals (Satiren VI, 223: „Hoc volo, sic iubeo: sit pro ratione voluntas“) zu verstehen, gerne auf „bon plaisir“ – mit der ursprünglichen Bedeutung „vernünftiger Wille“ – abgeschwächt wiedergegeben (siehe Gabriel Demante, Observations sur la formule „Car tel est notre plaisir“ dans la chancellerie française, in: Bibliothèque de l’école des chartes 54 [1893], 86 ff., sowie Albrecht Dihle, Die Vorstellung vom Willen in der Antike [1985], 149 ff.; vgl. auch Felix Uhlmann, Das Willkürverbot [Art. 9 BV] [2005], 1). 9 An dieser Stelle gerät die politische Theorie freilich leicht, zumindest vordergründig, in ein Spannungsverhältnis zum gegenwärtigen realen Machtgefüge; siehe hiezu näher jüngst Alice Baderin, Two forms of realism in political theory, EJPT 2014, 132 ff. Allerdings dürfte sich gerade im hier gegebenen Kontext der Hegel zugeschriebene Aphorismus „Wenn die Tatsachen nicht mit der Theorie übereinstimmen, umso schlimmer für die Tatsachen“ als gar nicht so absurd erweisen. Vgl. allerdings auch die Rechtsprechung des VfGH, „wonach ein anhaltender Widerstand der Bevölkerung“ (gegen eine bestimmte Regelung) „allenfalls ein Indiz für die Unsachlichkeit“ (dieser Regelung) „sein …, für sich alleine jedoch noch keine Unsachlichkeit begründen kann“ (cit. Erkenntnis vom 23.9.2014, G 44/2014, V 46/2014, Rz. 60 [H.v.m.], u.Hw. schon auf VfSlg. 13.543/1993).
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B. Die in Betracht zu ziehenden Instrumente Die Herausgeber nennen – lediglich – zwei prozedurale bzw. instrumentelle Optionen der Zielerreichung: eben „direkte Demokratie“ und „Parlamentarismus“; dabei fällt immerhin auf: i. Der Bezug auf die demokratische Regierungsform findet sich nur in einem der beiden einander gegenübergestellten Begriffe, was gerade vor dem Hintergrund, dass ja bekanntlich die Institution eines „Parlaments“ – und auch das politische Bestreben nach einer Vorrangstellung gerade dieser Institution, also der „Parlamentarismus“ – zwar durchaus regelmäßig in deliberativen bzw. partizipativen, keineswegs aber stets in spezifisch demokratischen Bezügen wurzelt, nicht gänzlich bedeutungslos erscheint. ii. „Tertium non datur“ – offenbar hängt die gesuchte Qualität der Entscheidungen eines demokratisch strukturierten Gemeinwesens nur vom richtigen Ausmaß des Einsatzes eines der beiden genannten Instrumente – nicht aber etwa auch vom Aktionsradius eines Staatsoberhauptes oder Regierungschefs, oder von der Güte geeigneter beratender10 oder kontrollierender11 Einrichtungen oder Verfahren12 – ab?
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Dabei wäre im Grundsatz nicht nur an förmliche beratende Organe – wie, auf EU-Ebene, den Ausschuss der Regionen oder den Wirtschafts- und Sozialausschuss – oder an eigene, zur spezifischen Interessensvertretung berufene Organe (wie, im österreichischen Verfassungsgefüge, insbesondere die Organe der „sonstigen Selbstverwaltung“ nach Art. 120a-120c B-VG), zu denken, sondern auch an den Staatsoberhaupt, Regierung und Parlament beigegebenen öffentlichen Dienst. Freilich liegt auch gegenwärtig noch das gesetzliche Hauptaugenmerk auf der Unterstützung der vorgesetzten Organe durch Befolgung von deren Weisungen (Art. 20 Abs. 1 B-VG i.V.m. § 44 Abs. 1 BDG), nicht auf deren sachkundiger Beratung. 11 Jedenfalls einmal mittels der verschiedenen Gerichtsbarkeiten, des Rechnungshofes, der Volksanwaltschaft, aber auch, in bestimmten Konstellationen, durch unabhängige Verwaltungsbehörden (wie etwa die Datenschutzbehörde), oder, unterstützt durch entsprechende Transparenzbestimmungen, durch die „Zivilgesellschaft“ (vgl. Art. 15 Abs. 1 AEUV). 12 Der „offene … Dialog“ i.S.d. Art. 11 Abs. 2 EUV (der „Organe“ mit der „Zivilgesellschaft“) lässt sich, anders als die europäische Bürgerinitiative i.S.d. Art. 11 Abs. 4 EUV, kaum als Instrument der „direkten Demokratie“ klassifizieren, stellt jedoch eine der produktivsten Neuerungen im Bereich politischer (deliberativer) Partizipation seit langem dar; siehe Alexander Balthasar, Die Europäische Bürgerinitiative und andere Instrumente der direkten Demokratie in Europa, in: Peter Bußjäger/ Alexander Balthasar/Niklas Sonntag (Hrsg.), Direkte Demokratie im Diskurs. Beiträge zur Reform der Demokratie in Österreich (2014), 5 ff., 10 ff. Ebensowenig „direktdemokratisch“ ist die vom EGMR immer wieder hervorgehobene Rolle der Medien als „public watchdog“ (vgl. Christoph Grabenwarter/Katharina Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention5 [2012], § 23, Rz. 42, 50) oder jene in der vorigen FN angesprochene der „Zivilgesellschaft“.
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iii.
Im Zeitalter von „multi-level-governance“ wäre wohl nicht nur jeweils eine einzige staatliche Ebene zu betrachten, sondern jedenfalls das Zusammenspiel sämtlicher in Betracht kommender Ebenen (von der globalen über die kontinentale bis hin zur regionalen und lokalen Ebene) mitzubedenken13, wobei die Beantwortung der im Sammeltitel gestellten Frage nicht nur an sich auf jeder Ebene anders zu beantworten, sondern überdies von der im konkreten Fall auf den jeweiligen anderen Ebenen gefundenen Antwort abhängig sein wird.14 Nun ist schon richtig, dass alles mit allem irgendwie zusammenhängt, eine jede thematische Grenze daher schon deshalb zur Kritik an ihr und zur anschließenden Überschreitung reizt; nicht darum, diesem Reiz um seiner selbst willen nachzugeben, soll es jedoch im Folgenden gehen, sondern darum, (ohne Anspruch auf Vollständigkeit!) aufzuweisen, was bei der gegebenen Fragestellung tatsächlich alles notwendigerweise mitzubedenken ist.
II. Zum Maßstab und seinen Implikationen A. Volonté générale Wenn die Auffassung Jean-Jacques Rousseaus zutrifft, wonach „la volonté générale est toujours droite et tend toujours à l’utilité publique“15, dann scheint der einleitend aufgerissene Gegensatz zwischen „input-legitimacy“ und „output-legitimacy“ insoweit aufgehoben werden zu können, als die Bildung eben dieser – infalliblen16 – „volonté générale“ gelingt. Freilich nennt bereits Rousseau, wenngleich nur nebenbei, eine ganz wesentliche, keineswegs triviale Voraussetzung dieses Gelingens: jene der hinreichenden Information17; das Schwergewicht seiner Analyse ist jedoch moralischer Natur: 13
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Siehe, mit Blick auf die Zusammenarbeit der Parlamente im EU-Raum, schon Johannes W. Pichler/ Alexander Balthasar, Evaluation, in: Dies. (Hrsg.), Open Dialogue between EU Institutions and Citizens – Chances and Challenges (2013), 293 ff., 298, sowie, jüngst und ausführlich, Werner Patzelt, Zur Lage der Parlamente in der Europäischen Union, ZSE 2014, 68 ff. Siehe, geradewegs mit Blick auf die Einsatzmöglichkeiten der direkten Demokratie, schon Alexander Balthasar, Demokratie im europäischen Mehrebenensystem: ein Plädoyer für das Machbare, in: Alexander Balthasar/Peter Bußjäger/Klaus Poier, Herausforderung Demokratie (2014), 163 ff., 197 f. Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat social, II/3 (hier und im Folgenden zitiert nach der von Bruno Bernardi besorgten Ausgabe [2001]). Sogar die römisch-katholische Kirche folgt sichtlich mittlerweile dieser Konzeption Rousseaus, wenn sie (in Lumen Gentium II/12) festhält: „Universitas fidelium, qui unctionem habent a Sancto (cf. 1Io 2,20 et 27), in credendo falli nequit, …“ „… peuple suffisamment informé“ (Du Contrat social, II/3); bekanntlich hat nachmals gerade die
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Die häufigen Abweichungen zwischen der faktischen „volonté de tous“ und der eigentlich zu bildenden „volonté générale“ seien vor allem darauf zurückzuführen, dass der je Einzelne bei der Bildung der „volonté générale“ primär auf sein eigenes Interesse statt auf das Gemeinwohl blicke18; denn (nur) dann bzw. insoweit letzteres der Fall ist19, zeige sich das Gemeinwohl mit solch einleuchtender Klarheit, dass dafür die Urteilskraft des gesunden Menschenverstandes genüge.20 Lediglich als Rückfallposition findet sich überdies die Überlegung, selbst die Verfolgung von Privatinteressen sei solange unschädlich, als die Individuen ihre je eigenen Interessen ohne Absprache21 untereinander bildeten und lediglich in dieser gleichgewichtigen Mannigfaltigkeit, nicht aber mittels „associations partielles“22, in die politische Kommunikation einspeisten; denn dann werde sich – quasi mittels einer „unsichtbaren Hand“, wie dies Adam Smith mit Blick auf den allgemeinen Wohlstand nur wenig später meinte23 – die „volonté générale“ als Mittelwert schon einstellen …24 Auch wenn diese spezielle Konfiguration eines politischen Dialogs heute, angesichts der Verfügbarkeit elektronischer Kommunikations- und Informationsverarbeitungsinstrumente, jedenfalls praktikabler wäre als jemals zuvor; realistisch ist sie, schon mit Blick auf die natürliche Tendenz eines jeden Individuums, sich mit Gleichgesinnten zwecks Erhöhung des gesamtgesellschaftlichen Gewichts in Interessenverbänden (worunter letztlich auch politische Parteien25 fallen) zusammenzuschließen, nicht.26
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Wiener Nationalökonomische Schule die verzerrenden Folgen unvollständiger Information für das Marktgeschehen thematisiert. Du Contrat social, II/3, aber vor allem IV/1 und 2. „Tant que plusieurs hommes réunis se considèrent comme un seul corps“ (Du Contrat social, IV/1). „… le bien commun se montre partout avec évidence, et ne demande que du bon sens pour être aperçu“ (Du Contrat social, IV/1). Die Anbindung an Descartes und, über diesen, an die antike Stoa (siehe hiezu näher Pierre Hadot, Qu’est-ce que la philosophie antique? [1995], 398 f.), ist hier offensichtlich. Einen bemerkenswerten Nachhall dieses Gedankens zeigt noch Art. 63 Abs. 1 dGG (… „ohne Aussprache“ …). Ganz anders nun Art. 11 Abs. 1 und Abs. 2 EUV, wo jeweils zumindest auch auf „repräsentative Verbände“ rekurriert wird. Adam Smith, An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations (IV 2.9; H.v.m.): „By preferring the support of domestic to that of foreign industry, he intends only his own security; and by directing that industry in such a manner as its produce may be of the greatest value, he intends only his own gain, and he is in this, as in many other cases, led by an invisible hand to promote an end which was no part of his intention. Nor is it always the worse for the society that it was no part of it. By pursuing his own interest he frequently promotes that of the society more effectually than when he really intends to promote it.“ Du Contrat social, II/3. Zu deren verfassungsmäßiger Legitimation siehe § 1 Abs. 1 PartG; Art. 10 Abs. 4 EUV. Damit kann auch die Frage nach der Plausibilität der Grundannahme heute auf sich beruhen.
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Dann aber erfordert die Bildung der – einem die Notwendigkeit einer Entscheidung zwischen „in-put-legitimacy“ und „out-put-legitimacy“ abnehmenden – „volonté générale“ bereits nach Rousseau stets das Vorhandensein der Kombination von • (gegenstandsadäquat) ausreichender Information und • moralischer Gemeinwohlorientierung, zumindest bei der Mehrheit der zur Mitwirkung an der Entscheidung Berufenen.27 Was bedeutet dieser Befund nun für die hier gegebene Fragestellung, wenn diese – zweifellos wünschbare – Kombination (in ausreichender Quantität wie Qualität) weder unter den zur Teilhabe an der „direkten Demokratie“ Berechtigten, noch unter den – im Wege eines demokratischen Verfahrens (oder auch anders28) bestellten – Parlamentsmitgliedern29 (mehr30) anzutreffen sein sollte? Denn die Pointe der Konzeption Rousseaus ist ja, dass im Falle der Unmöglichkeit der Bildung einer „volonté générale“ überhaupt keine zureichende Legitimation der etwa dennoch, mittels der bloßen „volonté de tous“, getroffenen, Entscheidung vorliege, also eine demokratische Entscheidung entweder sowohl „input-“ als auch „output“-legitimiert sei, oder aber weder in der einen noch in der anderen Hinsicht.31
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Kritisch jedenfalls etwa Pierre Bourdieu, Das Mysterium des ministerium. Vom Einzelwillen zum „Allgemeinwillen“, in: Ders., Politik. Schriften zur Politischen Ökonomie 2 (ed. Franz Schultheis/Stephan Egger 2013), 305 ff., 308 f. Vgl. auch den Beschluss des dBVerfG vom 4.7.2012, 2 BvC 1/11 u.a., Rz 47ff. „Ceci suppose, il est vrai, que tous les caractères de la volonté générale sont encore dans la pluralité …“ (Du Contrat social, IV/2). Russel (House of Lords, 29, 32, 280) zeigt, dass das britische Oberhaus in seiner ganz traditionellen Zusammensetzung (also vor der Zulassung von weltlichen nichterblichen Sitzen vor ca. 50 Jahren bzw., seit 15 Jahren, sogar der Beschränkung der erblichen Sitze auf eine Minorität) zuletzt wesentlich weniger aktiv und einflussreich gewesen war als seitdem (wo es sich auf seine nunmehrige stärkere Expertise stützen kann). Der – etwa in Art. 38 dGG paradigmenhaft zum Ausdruck gebrachten – Idee parlamentarischer Repräsentation nach hätten natürlich die – eben deshalb sowohl mit Immunität wie mit „freiem Mandat“ ausgestatteten – Abgeordneten beide Voraussetzungen in ausreichendem Maße mitzubringen. Gerade die vordergründige Steigerung des parlamentarischen Gewichts im derzeit nahezu ubiquitären parlamentarischen Regierungssystem – also der tatsächlichen Bildung (und Stützung!) der Regierung für die Dauer einer parlamentarischen Wahlperiode aus dem Kreise der jeweiligen Parlamentsmehrheit – erschwert dem Parlament freilich die Bildung der „volonté générale“ erheblich, weil sowohl Majorität wie Minorität Sachfragen stets gegen Machtfragen abzuwägen haben. Auch schon Rousseau selbst rechnete mit einer solchen Möglichkeit, vgl. die Fortsetzung des gerade oben in FN 27 gebrachten Zitats (Du Contrat social, IV/2): „quand ils cessent d’y être, quelque parti qu’on prenne il n’y a plus de liberté.“ Es trifft zu, dass Rousseau auch einmal ausführt (Du Contrat social, II/12): „D’ailleurs, en tout état de cause, un peuple est toujours le maître de changer ses lois, même les meilleures; car s’il lui plaît de se faire mal à lui-même, qui est-ce qui a droit de l’en empêcher?“ Aber dieses obiter dictum (arg „d’ailleurs“) darf nur vor dem Hintergrund der bereits früheren Aussage (a.a.O., I/7; H.n.i.O.): … la puissance Souveraine n’a nul besoin de garant envers les sujets, parce qu’il est impossible que le
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Letzterenfalls lautet, in dem dann vorliegenden (gegenwärtig leider nicht mehr gänzlich abweisbaren32) Dilemma, die Kernfrage: Gibt es zu den hier einzig zur Diskussion gestellten beiden Optionen vielleicht doch noch eine Alternative? Oder, etwas konkreter: Ist, allenfalls, die „volonté générale“ – in diskurstheoretischer Reformulierung33 jenes (freilich lediglich in einer „idealen Sprechsituation“34 erzielbare)
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corps veuille nuire à tous ses membres, et nous verons ci-après qu’il ne peut nuire à aucun en particulier“ – als ein „rhetorisches“, d.h. ein solches ad absurdum verstanden werden (so schon Kurt Weigand in seinen Herausgeberanmerkungen Nr. 43 zu Buch II und Nr. 25 zu Buch I der von ihm besorgten Ausgabe in deutscher Übersetzung: Staat und Gesellschaft [1959]). Tatsächlich ließen sich gegen die (nach dem Gesagten ohnedies lediglich rhetorische) Frage auch grundlegende Einwände erheben: Denn wenn schon dem Individuum kein schrankenloser Verzicht auf seine (Grund-)Rechte zugebilligt wird, insbesondere dann nicht, wenn dieser Verzicht auch die Rechtsstellung anderer oder öffentliche Interessen oder den Kern der Menschenwürde tangiere (vgl. etwa Antje von Ungern-Sternberg, Autonome und funktionale Grundrechtskonzeptionen – Unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, in: Nele Matz-Lück/Mathias Hong [Hrsg.], Grundrechts und Grundfreiheiten im Mehrebenensystem – Konkurrenzen und Interferenzen [2012], 69 ff., 90 ff.; Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 18, Rz. 32 f.), dann ist umso weniger vorstellbar, dass eine Vielzahl von Individuen – zumindest ausreichend viele Angehörige eines „Volkes“ – legitimerweise mit Wirkung auch auf die überstimmten Teile des Volkes deren vitale Interessen ohne zwingende Notwendigkeit (sondern vielleicht lediglich aus einer Laune heraus) schädigen dürften. Erfolgt dies dennoch, dann ist die Sphäre des völkerrechtlichen Sezessionsrechts der beeinträchtigten Teile des bisherigen Volkes jedenfalls erreicht, ebenso wie, heutzutage, jene der Verpflichtung anderer Staaten zur Intervention („responsibility to protect“). Es genügt hier, auf die – mittlerweile die weitere Erfüllung selbst vitaler Staatsaufgaben gefährdende – chronische Überschuldung selbst der allermeisten Mitgliedstaaten der EU hinzuweisen, die ja, in aller Regel, von demokratischen Regimes zu verantworten ist, ohne dass hiefür eine zwingende (rationale) Notwendigkeit vorgelegen wäre. Zu den bereits gegenwärtigen Konsequenzen – einem Auseinanderfallen demokratischer Standards innerhalb der EU (in „die selbstreferentielle Demokratie der Gläubiger“ einer- und in die „duldende Demokratie der Schuldner“ andererseits) – siehe erst jüngst Dimitris Triantafyllou, Die asymmetrische Demokratie, EuR 2014, 458 ff. Als Bindeglieder lassen sich bei Jürgen Habermas (Theorie des kommunikativen Handelns 2: Zur Kritik der funktionalistischen Vernunft [1981]) die Konzeptionen eines „Generalized Other“ von George Mead (a.a.O., 61 ff.; Habermas paraphrasiert hier [62] diese Konzeption exakt entlang der Unterscheidung von „volonté générale“/„volonté de tous“, ohne freilich hierauf explizit zu verweisen: „Die Autorität, mit der die Instanz des ‚verallgemeinerten Anderen‘ ausgestattet ist, ist die eines allgemeinen Gruppenwillens; sie fällt nicht mit der Gewalt der generalisierten Willkür aller Einzelnen zusammen ….“ [H.i.O.]) sowie die „kollektive Identität“ Emile Durkheims (73 ff, insbes. 85 f.; Habermas gewinnt hier vor allem die letztliche Fundierung des Normbewusstseins im „religiösen Symbolismus“ bzw. im Sakralen, bis hin zur Formulierung: „allein die zur Diskursethik entfaltete, kommunikativ verflüssigte Moral kann … die Autorität des Heiligen substituieren …“ [140]) aufweisen. Siehe etwa Jürgen Habermas, Erläuterungen zur Diskursethik (1991), 163; Ders., Entgegnung, in: Axel Honneth/Hans Joas (Hrsg.), Kommunikatives Handeln. Beiträge zu Jürgen Habermas’ „Theorie des kommunikativen Handelns“ (2002), 327 ff., 352 (mittels zustimmender Zitierung von Albrecht
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Ergebnis, dem „alle möglicherweise Betroffenen als Teilnehmer an rationalen Diskursen zustimmen könnten“35 – nicht auch auf andere Weise und zumindest in einer besseren „out-put“-Annäherung bildbar? Nun war bekanntlich schon Rousseau der Auffassung, eine demokratische Regierung eigne sich nur für Götter36, und es haben sich nicht nur seinerzeit der aufgeklärte (wie schon der unaufgeklärte) Absolutismus37 und, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Henri de St. Simon38, sondern auch, in der Mitte des 20. Jahrhunderts, etwa Joseph Schumpeter39 und, noch gegen Ende dieses Jahrhunderts, Giandomenico Majone (dieser geradewegs mit Blick auf die Gründungsfinalität der nunmehrigen Europäischen Union40) jeweils klar für ein primär am „output“ orientiertes Konzept ausgesprochen, jeweils mit deutlicher Sympathie für eine hochqualifizierte, hauptberufliche Bürokratie als Garanten des Gemeinwohls.41 Wellmer), aber auch schon Ders., Theorie des kommunikativen Handelns 1: Handlungsrationalität und gesellschaftliche Rationalisierung (1981), 71. Siehe auch das in der nächsten FN gebrachte Zitat von Apel. 35 Cit. Jürgen Habermas, Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats (1994/1998), 138 ff., 161., ebenso bereits Ders., Erläuterungen, 154 f., Theorie des kommunikativen Handelns 1, 71; ebenso, mutatis mutandis, Karl-Otto Apel, Wahrheit als regulative Idee, in: Ders., Paradigmen der Ersten Philosophie (2011), 322 ff., 348: „Wahrheit … ist derjenige Konsens, der in einer unbegrenzten Forschergemeinschaft zuletzt erreicht würde, wenn der Forschungsprozeß unter idealen kommunikativen (auf die intersubjektive Verständigung bezogenen) Bedingungen und epistemischen (auf die jeweils gegebenen Wahrheitskriterien bezogenen) Bedingungen über jeden faktischen Konsens kritisch hinausgehend – also potentiell unendlich – fortgesetzt werden könnte“ (H.i.O.). Vgl. aber auch etwa Pierre Bourdieu, Mysterium, 311 ff. 36 Du Contrat Social, III/4: „S’il y avait un peuple de Dieux, il se gouvernerait Démocratiquement. Un Gouvernement si parfait ne convient pas à des hommes.“ Wichtig ist es, hier die Beschränkung dieser Sentenz auf die „Regierung“ nicht zu übersehen, allerdings auch mitzubedenken, dass der komplementäre Terminus „Gesetzgebung“ bei Rousseau noch einen wesentlich eingeschränkteren Anwendungsbereich hatte als unser Art. 18 Abs. 1 B-VG, so dass diese Sentenz für den Löwenanteil unserer gegenwärtigen einfachen Gesetzgebung durchaus ihre Berechtigung behält. 37 Siehe etwa Christian Seiler, Der souveräne Verfassungsstaat zwischen demokratischer Rückbindung und überstaatlicher Einbindung (2005), 27 ff. 38 Es fällt schwer, in dessen europapolitischen Forderungen (vgl. deren Zusammenfassung etwa bei Bernard Voyenne, Histoire de l’idée fédéraliste [1976], 260 ff., 287) nicht eine visionäre Vorwegnahme der Gründungsfinalität der nachmaligen Europäischen Union (siehe übernächste FN) zu erblicken. 39 Joseph Schumpeter, Capitalism, Socialism and Democracy (ex 1942, ed. Joseph Stiglitz 2010), 260 f. 40 Siehe näher die bei Balthasar, Mehrebenensystem, 171, do. FN 26, gegebenen Belege. 41 Dies jeweils in der – zwar keineswegs unvernünftigen, leider aber auch nicht gänzlich zwingenden – Erwartung, dass sich die nach dem Gesagten erforderliche Kombination von Logos und Ethos noch am ehesten in einer überschaubaren Anzahl von Personen, die nach persönlicher Fähigkeit rekrutiert werden und zeitlebens unter spezieller disziplinärer Verantwortlichkeit stehen, finden werde. Vgl. aber erst vor kurzem wieder Robert Menasse, Der Europäische Landbote. Die Wut der Bürger
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Sieht man genau zu, dann ist diese Option – bei aller Hoffnung ihrer Vermeidbarkeit, die er insoweit mit Tacitus42 teilte – auch schon für Alexis de Tocqueville die wahrscheinlichste gewesen.43 Aber auch ein John Stuart Mill hielt selbst ein Parlament für ungeeignet, legislative Aufgaben zu erfüllen44, und Hans Kelsens Vorschlag, anstelle einer im voraus bestimmten Anzahl von Abgeordneten es den politischen Parteien freizustellen, je nach gerade zu beratender Materie Experten ihres Vertrauens zu nominieren, erfolgte zwar mit Blick auf die damalige „russische Sowjetverfassung“, nimmt aber bereits die nachmalige Arbeitsmethode des Rates der Europäischen Union45 – also eines ihrer beiden formell gesetzgebenden Organe46 –vorweg.47 Im Bereich der anderen Staatsfunktionen ist die Wirkmächtigkeit dieses Paradigmas noch auffälliger: nach dem Vorbild der bereits seit längerem in die „Unabhängigkeit“ entlassenen Gerichtsbarkeit(en) haben gegenwärtig die „unabhängigen“ Verwaltungsbehörden – also jene, deren Aktivitäten jedweder politischer Ingerenz maximal entzogen sind – Hochkonjunktur48, in einem Ausmaß, dass manchem die
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und der Friede Europas oder Warum die geschenkte Demokratie einer erkämpften weichen muss (2012), 18 ff., 21 ff., 41 f., 71 f. Dessen Generalthema war bekanntlich das „ruere in servitium“ des Prinzipats gewesen (siehe Annalen 1, 7, 1). Vgl. etwa Michel Hereth, Tocqueville zur Einführung2 (2001), 94 ff. „But it is equally true, though only of late and slowly beginning to be acknowledged, that a numerous assembly is as little fitted for the direct business of legislation as for that of administration. There is hardly any kind of intellectual work which so much needs to be done, not only by experienced and exercised minds, but by minds trained to the task through long and laborious study, as the business of making laws. This is a sufficient reason, were there no other, why they can never be well made but by a committee of very few persons. A reason no less conclusive is, that every provision of a law requires to be framed with the most accurate and long-sighted perception of its effect on all the other provisions; and the law when made should be capable of fitting into a consistent whole with the previously existing laws. It is impossible that these conditions should be in any degree fulfilled when laws are voted clause by clause in a miscellaneous assembly. The incongruity of such a mode of legislating would strike all minds, were it not that our laws are already, as to form and construction, such a chaos, that the confusion and contradiction seem incapable of being made greater by any addition to the mass.“ (Cit. Representative Government, Kapitel 5). Gemeint ist hier die – praktisch entscheidende – Ebene der Arbeitsgruppen. Blickt man auf die Ebene unterhalb der formellen Gesetzgebung, dann hat gerade erst der Vertrag von Lissabon die legislativen Befugnisse der Europäischen Kommission – also wiederum eines primär als (nach Art. 17 Abs. 3 UAbs. 3 EUV „in voller Unabhängigkeit“ agierende!) Bürokratie zu qualifizierenden Organs – deutlich erweitert (vgl. insbesondere Art. 290 AEUV). Kelsen (Vom Wesen und Wert der Demokratie2 [1929], 44 f.) glaubte, mit diesem seinem Vorschlag dem „Argument von der mangelnden Fachqualität der Parlamente“ den Wind aus den Segeln nehmen zu können. Allein die EU verfügt gegenwärtig über mehr als 30 „Agenturen“, dazu kommen – manchmal mit einer EU-Agentur kooperativ verschränkte – nationale unabhängige Behörden, vor allem im
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hier gegebene Fragestellung geradezu schon als Scheingefecht, als Ablenkung von der sich heute bereits stellenden eigentlichen Alternative, erscheinen mag.
B. Stufenbau der Rechtsordnung Auch wenn wir Kelsens Plädoyer für einen „politischen Relativismus“ respektieren; zur vollen Entfaltung vermag dieses, wenn überhaupt49, so doch lediglich auf der allerobersten Ebene einer Rechtsordnung zu gelangen, wo der – wenn überhaupt, so nur dort im Wortsinne von jeder rechtlichen Erwägung freie, d.h. „absolute“ – „Souverän“ seine allererste Entscheidung fällt. Auf den abgeleiteten Stufen der jeweiligen Rechtsordnung ist der jeweilige Rechtssetzer dagegen bereits durch die jeweils übergeordneten Schichten der Rechtsordnung gebunden, und zwar umso mehr, je dichter das dortige Normenmaterial bereits ist. In unserer aktuellen Rechtsordnung finden wir – abgesehen von globalen Bindungen durch die Satzung der Vereinten Nationen sowie das völkerrechtliche ius cogens – nun jedenfalls seit dem Vertrag von Lissabon einen ganz beachtlich intensiven Wertekatalog, in Gestalt des Art. 2 EUV, vor, wobei dieser wiederum, entsprechend dem zweiten Erwägungsgrund der Präambel zum EUV, im Lichte des „kulturellen, religiösen und humanistischen Erbes Europas“ zu verstehen ist. Die interpretative Sinnermittlung dieser „Werte“ – im Lichte des „Erbes“ – mag für uns alle mit praktischen intellektuellen Schwierigkeiten behaftet sein; im rechtspolitischen Belieben des Interpreten steht sie nicht.50 Nun deklariert der EUV die genannten „Werte“ – wohl schon mit Ausnahme der in der Präambel genannten „unverletzlichen und unveräußerlichen Rechte des Menschen“ – lediglich als solche, „auf die sich“ derzeit „die Union gründet“ und die derzeit „allen Mitgliedstaaten … gemeinsam“ sind, also gerade noch nicht als in alle Ewigkeit unveränderlich. Gleichwohl handelt es sich bei diesen Werten bereits derzeit um einen vom je einzelnen Mitgliedstaat – jedenfalls, solange er nicht die Option des vollstän-
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Bereich der Regulierung, aber auch im grundrechtlichen Bereich (Datenschutz). Als paradigmatisch mag das primärrechtlich geregelte Europäische System der Zentralbanken (ESZB; Art. 282 ff. AEUV) gelten (siehe näher etwa François Lafarge, L’indépendence des autorités européennes de surveillance, Revue française d’administration publique 2012, 677 ff.; Ders., Les autorités européennes de surveillance, la régulation financière et l’union bancaire européenne, in: André Dellon/Laurent Vidal [Hrsg.], Les réformes des régulations financières [2013], 199 ff.). Siehe näher zu den Grenzen dieses Konzepts Balthasar, Mehrebenensystem, 179 ff., und oben FN 31. Siehe näher zur normativen Relevanz dieses „Erbes“ Alexander Balthasar, The Future Legal Relevance of the “Cultural, Religious and Humanist Inheritance of Europe”, Vortrag anlässlich der Third Annual Conference of the Czech Association for European Studies Prague 12.–13. June 2014 (zugänglich unter: http://www.bka.gv.at/DocView.axd?CobId=56092 ).
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digen Austritts nach Art. 50 EUV in Betracht zieht – realistischerweise ausschließlich vorgefundenen, im Kern unbedingt zu beachtenden und allenfalls in Nuancen beeinflussbaren Normenbestand, an dem insoweit jedwedes nationale Entscheidungsinstrumentarium – jedenfalls der im Sammel-Titel genannten Art51 – zerschellt. Nichts anderes gilt von einer Vielzahl vergleichbarer Normen, vor allem den mittlerweile in mehrfacher Weise kodifizierten, im Kern internationalen Grundrechten, aber auch dem sonstigen, immer dichter werdenden inter- bzw. supranationalen Normenbestand (der, zumindest von der Warte eines kleineren Staates wie Österreich aus betrachtet, wohl punktuell, aber kaum mehr in seinem „Wesensgehalt“ veränderbar erscheint). Was wir also bereits an dieser Stelle festhalten können, ist: Der Maßstab, an dem sich bei uns gegenwärtig jedwede rechtspolitische Entscheidung messen lassen muss, ist nur mehr mittelbar – insoweit eben Art. 2 EUV, zu seiner näheren Sinnermittlung, auf das „europäische Erbe“ rückverweist – ein autonomer politischer (moralischer, weltanschaulicher, philosophischer, religiöser); primär ist er bereits ein rechtlicher, und zwar ein der künftigen demokratischen Aktion weitestgehend entzogener.52 Dieser Befund ist nun – jedenfalls für Österreich, das, bei aller überbordenden Quantität des einfachen Bundesverfassungsrechts und der (zumindest nominellen) Existenz auch einer bundesverfassungsrechtlichen Grundordnung, doch, anders als die Bundesrepublik Deutschland vor der Wiedervereinigung mit ihrem Art. 79 Abs. 3 dGG53, niemals unter dem Eindruck einer verfassungsrechtlichen „Ewigkeitsklausel“ gestanden ist – wesentlich weniger trivial als es auf den ersten Blick scheinen möchte: Denn wenn (abgesehen vielleicht von der Austritts-Option54) jedwede demokratische Aktion bereits an rechtliche Vorgaben – die ja ihrerseits keineswegs nur ganz large, noch eine erhebliche Bandbreite unterschiedlicher Akzentsetzungen zulassende „Schranken“ darstellen müssen, sondern durchaus auch schon höchst
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Etwas bessere Chancen mögen (verfassungs-)gerichtliche „Entscheidungen“ – die ja, ihrem primären Anspruch (und ihrer österreichischen Bezeichnung) nach, „Erkenntnisse“ des anzuwendenden Rechts, nicht politische Rechtssetzung sind – vorfinden. Wenn seinerzeit Max Horkheimer noch in emanzipatorischer Absicht formulierte: „Was jeweils gegeben ist, hängt nicht allein von der Natur ab, sondern auch davon, was der Mensch über sie vermag. Die Gegenstände und die Art der Wahrnehmung, die Fragestellung und der Sinn der Beantwortung zeugen von menschlicher Aktivität und dem Grad ihrer Macht“ (Nachtrag [ex 1937], wieder abgedruckt in: Ders., Traditionelle und kritische Theorie. Fünf Aufsätze6 [2005], 261 ff., 261; H.n.i.O.), so erkennen wir, im hier gegebenen Zusammenhang, heute das passivische Potential dieser Aussage. Nunmehr eröffnet ja Art. 146 dGG einen der „Gesamtänderung“ nach Art. 44 Abs. 3 B-VG vergleichbaren, für das deutsche Volk auch tatsächlich gangbaren Ausweg. Es mag hier (angesichts der gänzlichen Unwahrscheinlichkeit eines solchen Schrittes) dahingestellt bleiben, bis zu welchem Grade selbst ein Austritt aus der EMRK geeignet sein könnte, den wesentlichen Inhalt der dort kodifizierten Bindungen abzustreifen.
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bestimmte rechtliche Handlungsaufträge implizieren können – gebunden ist, dann stellt sich nicht so sehr – wie der Sammel-Titel insinuiert – die Frage, welche Spielart demokratischer Aktion denn für diese Funktion der Vollziehung rechtlicher Vorgaben55 am besten geeignet sei, sondern bereits, vorgelagert, jene, ob bzw. inwieweit „demokratische Aktion“ hiefür überhaupt noch die „am besten“ geeignete Form der Entscheidungsfindung sei, oder ob wir hier nicht viel eher bereits eine (allenfalls spezifische) Form der Gerichtsbarkeit benötigten?56
III. Zum verbleibenden Aktionsradius „demokratischer Entscheidungen“ Wenn wir die zuletzt aufgeworfene Frage etwas freundlicher formulieren, und daher, positiv gewendet, nach jenen Bereichen suchen, in denen „demokratische Aktion“ derzeit überhaupt noch einen Sinn ergebe, dann lassen sich die folgenden auflisten:
A. „Législation démocratique – c’est le reste“? Wie schon Adolf Merkl im Prinzip richtig erkannte, verbleibt dem jeweiligen, im Stufenbau der Rechtsordnung untergeordneten Organ in dem Ausmaß, in dem die übergeordnete Rechtsschicht noch keine Festlegung getroffen hat, Raum zur Konkretisierung.57 Diese Spielräume können (und sollen!) von der jeweiligen unteren Ebene durchaus für rechtspolitische Gestaltung genützt werden – allerdings 55
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Zur Zeit der Erlassung der Stammfassung des B-VG konnte die Einsicht, dass es sich nicht nur bei der Justiz, sondern auch bei der Staatsfunktion „Verwaltung“ um „Rechtspflege“ handle – diese Einsicht ist heute selbstverständlich geworden, weshalb wir ja jetzt nicht mehr nur Justiz-, sondern auch Verwaltungsgerichte mit reformatorischer Entscheidungsbefugnis haben – noch eigens hervorgehoben werden (siehe Hans Kelsen/Georg Fröhlich/Adolf Merkl, Die Bundesverfassung vom 1. Oktober 1920 [1922], 192). Obwohl bereits zur selben Zeit Alfred Verdroß die Gebundenheit auch schon des Gesetzgebers mit aller Klarheit ausgesprochen hatte (Zum Problem der Rechtsunterworfenheit des Gesetzgebers, JBl. 1916, 471 ff., insbes. 483 ff.), ja Adolf Merkl bereits selbst die – noch einem Verfassungsprinzip untergeordnete – Verfassungsgesetzgebung als „Rechtsanwendung“ zu deuten erwog (Das doppelte Rechtsantlitz, JBl. 1918, Teil 1, 425 ff., 425, do. FN 3), dauert offenbar dieselbe Einsicht in Bezug auf diese Staatsfunktion noch etwas länger. Man könnte jedenfalls nicht sagen, dass ein (kollegial verfasstes) Gericht für die Wahrnehmung legislativer Aufgaben strukturell ungeeignet wäre, vgl. immerhin § 11 OGHG sowie die Pflicht des VfGH, als „negativer Gesetzgeber“ möglichst schonend zu verfahren, was auch ein gewisses Ausmaß positiver legistischer Kunst voraussetzt. Beachte auch, dass schon seinerzeit in Frankreich, unter Philipp IV., die ursprünglich politischen „parlements“ zu veritablen Gerichten wurden. Auch René Marcic hat sich bekanntlich, in seinem Buch Der Richterstaat (1957), für die Aufwertung des Richters gegenüber dem Gesetzgeber ausgesprochen, freilich ohne dem Richter dann auch genuin legislative Aufgaben zuzuweisen. Merkl, JBl. 1918, 426 f.
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erfordert die Analyse der verbleibenden Nischen ebenso wie deren im Lichte der jeweiligen rechtspolitischen Zielsetzungen optimale Ausfüllung jedenfalls heute wohl ein derartiges Ausmaß an Subtilität und legistischer Filigranarbeit, dass hiefür – in federführender Rolle – wohl weder ein Parlament noch gar Instrumente der direkten Demokratie als besonders geeignet erscheinen.58 Das heißt freilich keineswegs, dass deswegen „demokratische Aktion“ in der Politik im allgemeinen und in der Gesetzgebung im speziellen auch schon überhaupt entbehrlich wäre; genau gegenteilig, so scheint es, könnte gerade eine von unrealistischen Erwartungen59 entlastete „demokratische Aktion“ ihr – für eine Gesellschaft „endlicher Geister“60 unverzichtbares61 – kritisches Potential erst voll ausschöpfen, was im Folgenden vornehmlich am Beispiel des österreichischen Verfassungsrechts demonstriert sei: 58
Es genügt, hier im Wege eines Größenschlusses auf die oben in FN 44 wiedergegebenen Ausführungen John Stuart Mills zu verweisen. Vgl. auch Marcic, Richterstaat, 235 ff., zu den Anforderungen legistischer Kunst. Allerdings könnte hier vielleicht eine gezielte Assistenz moderner künstlicher Intelligenz lindernd wirken (siehe näher Alexander Balthasar, Electronic Decision-Making in the Field of Law with special regard to the European Union, in: Peter Parycek/Manuel Kripp/Noella Edelmann [Hrsg.], CeDEM 11 Proceedings of the Conference for E-Democracy and Open Government [2011], 335 ff., insbes. 339 ff.). 59 Obwohl das B-VG die Staatsfunktion „Gesetzgebung“ primär dem Parlament zuweist, war dieses doch noch niemals in der Lage, dieser Zuweisung auch tatsächlich substantiell gerecht zu werden: bekanntlich beruhen nicht nur die allermeisten Gesetze auf Regierungsvorlagen, sondern begegnen gerade die ausnahmsweise doch gestellten Initiativanträge in aller Regel herber Kritik (wegen unterlassenen Begutachtungsverfahrens ebenso wie wegen weniger ausführlicher Materialien). Umgekehrt weist gerade die EU, in der die Kommission in aller Regel über ein „Initiativmonopol“ verfügt (Art. 289 Abs. 1 AEUV), eine – in Österreich völlig unbekannte (siehe unten FN 104) – Begründungspflicht selbst für generelle Rechtsakte (Art. 296 Abs. 2 AEUV) auf. 60 Zu diesem epistemologischen kommt natürlich das moralische Argument: Die schulmäßige Lehre von der Gewaltenteilung zwischen Legislative und Exekutive beruht ja darauf, dass die Freiheit gefährdet wäre, wenn beide Funktionen (die auf die Erlassung allgemeiner Anordnungen und die auf die Entscheidung von Einzelfällen gerichtete) in einer Hand vereinigt wären (Rousseau, Du Contrat social, III/4, 16; Charles de Montesquieu, De l’Esprit des lois, XI/6), in Verbindung mit der evidenten Unabweislichkeit der Besorgung der Exekutive durch eine Bürokratie. Daraus folgt jedoch keineswegs zwingend, dass die Legislative nicht federführend in bürokratischen Formen besorgt werden dürfe, sondern lediglich, dass exekutive und legislative Funktionen nicht von derselben Bürokratie besorgt werden sollten (Ansätze einer derartigen Gewaltenteilung bietet einmal die Aufgabenteilung in föderalen Systemen, sei es der österreichischen „mittelbaren Bundesverwaltung“, sei es der weitgehenden Vollziehung des Unionsrechts durch nationale Verwaltungen, zum andern aber auch die „Unabhängigkeit“ von Verwaltungsgerichten wie schon bestimmter Verwaltungsbehörden) sowie, dass die Legislative der Bürokratie nicht unkontrolliert überlassen werden sollte. 61 Wie Jürgen Habermas schon früh festgehalten hat, darf der (naturgemäß stets kontrafaktische) „Entwurf einer idealen Kommunikationsgemeinschaft“ nicht dazu führen, dass auf die Durchführung realer Diskurse zugunsten „monologisierter Scheindialoge“ verzichtet würde (siehe Theorie des kommunikativen Handelns 2, 145; vgl. auch Faktizität und Geltung, 649).
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Alexander Balthasar
B. Deliberative Demokratie62: Petition, Initiative, Resolution – Formulierung von Zielsetzungen An erster Stelle wäre zu nennen die Formulierung politischer Zielsetzungen als solcher, also noch ohne Bedachtnahme auf die – im Falle der angestrebten Umsetzung – erforderliche rechtstechnische Einkleidung. Solche „Adressen“ (in der äußeren Form von „Resolutionen“) sind seit jeher zentraler Bestandteil parlamentarischer Kommunikation mit der eigenen Regierung gewesen63, auch „Volksbegehren“ („Ini tiativen“) bieten nunmehr diese Formulierungs-Variante64, womit sie sich insoweit der schlichten „Petition“65 angenähert haben.66 Gerade wenn aber ein Volksbegehren keinen ausformulierten Gesetzesvorschlag enthält, ist eine direkte Einbringung im Parlament – wie derzeit in Österreich nach wie vor einzig vorgesehen67 – von der Sachlogik her keineswegs zwingend; vielmehr könnte, in dieser Konstellation, das Vorbild der Europäischen Bürgerinitiative, die sich gerade nicht unmittelbar an den Unionsgesetzgeber, sondern zunächst an die Kommission richtet68, und damit in rechtstechnischer Hinsicht die ordnungsgemäße
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Siehe zu diesem Begriff, auch mit Blick auf die jüngere Bedeutung des Begriffes der „partizipativen“ Demokratie, näher Alexander Balthasar, The European Citizens’ Initiative – an Instrument Rather of Deliberative than of Participatory Democracy?, in: Johannes W. Pichler/Bruno Kaufmann (Hrsg.), Modern Transnational Democracy (2011), 33 ff., 37 ff. Siehe gegenwärtig auf nationaler Ebene Art. 52 Abs. 1 3. Fall B-VG („Der Nationalrat und der Bundesrat sind befugt, … ihren Wünschen über die Ausübung der Vollziehung in Entschließungen Ausdruck zu geben“), zumal unter den Begriff „Ausübung der Vollziehung“ auch die Erstellung von Regierungsvorlagen i.S.d. Art. 41 Abs. 1 B-VG fällt (vgl. nur Theo Öhlinger/Harald Eberhard, Verfassungsrecht9 [2012], Rz. 582, Bernhard Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht4 [2013], Rz. 841; von anderen Perspektiven aus kann diese Frage freilich auch anders beantwortet werden, vgl. Martin Paar, Sind Regierungsvorlagen der Staatsfunktion Gesetzgebung oder der Staatsfunktion Vollziehung zuzurechnen?, JRP 2009, 234 ff., insbes. 244 f.; vgl. auch das Urteil des EuGH vom 14.2.2012, C-204/09 [Flachgas Torgau], insbes. Rz. 42 ff.). Auf EU-Ebene siehe Art. 225 AEUV. Seit BGBl. 1988/685 verlangt Art. 41 Abs. 2 B-VG nicht mehr, dass das Volksbegehren „in Form eines Gesetzesantrages gestellt“ werde; auch Art. 11 Abs. 4 EUV verlangt nur inhaltliche „Vorschläge“, keinen ausformulierten Entwurf. Art. 11 StGG; §§ 100ff GOGNR, aber auch Art. 148a Abs. 1 B-VG; Art. 41 Abs. 4, Art. 43 f. EUGRC bzw. Art. 227 f. AEUV. Die ursprünglich allein zulässige Variante des Volksbegehrens korreliert dagegen mit der Regierungsvorlage. Art. 41 Abs. 2 B-VG i.V.m. § 19 Abs. 1 des Volksbegehrensgesetzes 1973. Die Europäische Bürgerinitiative erlangt damit formell die gleiche Stellung wie die beiden formellen Gesetzgebungsorgane, die ebenfalls lediglich die Kommission um die Vorlage eines Vorschlages ersuchen dürfen (Art. 225, 241 AEUV).
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Ausarbeitung unberührt lässt, durchaus als nachahmenswert empfunden werden.69 Jedenfalls aber dürfte hier noch mehr Potential schlummern: • Gerade im „kooperativen Bundesstaat“ wäre es etwa keineswegs abwegig, derartige (parlamentarische oder direktdemokratische) „Adressen“ nicht nur an die jeweilige eigene Regierung, sondern auch, „transkompetent“70, an die übrigen, „gegenbeteiligten“ neun Regierungen oder auch Parlamente richten zu können.71 • Nachdem manche Landesverfassungen auch das Institut eines von Gemeinden gestellten Begehrens („Gemeindeinitiative“)72 kennen, könnte man sich ja auch davon inspirieren lassen und auch an „Stufen-Begehren“ denken, also an Initiativen, die – welchen Kompetenzbereich sie auch immer letztlich berühren mögen – zunächst einmal auf lokaler Ebene73 beginnen, und erst dann, wenn sie dort ausreichende dezentrale Resonanz finden sollten74, von übergeordneten Einheiten75 übernommen werden. 69 70
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Siehe bereits Balthasar, Bürgerinitiative, 17. Gegenüber der in Art. 41 Abs. 2 B-VG enthaltenen Klausel („Das Volksbegehren muss eine durch Bundesgesetz zu regelnde Angelegenheit betreffen“) lassen sich die gleichen Einwände erheben wie sie hier, etwas weiter unten im Text, zur entsprechenden, in Art. 49b Abs. 1 B-VG enthaltenen Einschränkung vorgetragen werden. Vgl Art. 21 Abs. 2 Satz 2 Stmk. L-VG. Blickt man über den nationalstaatlichen Rahmen hinaus, dann bietet, im Rahmen der Europäischen Union, immerhin Art. 12 lit. f. EUV bereits einen Ansatz derartiger unmittelbarer interparlamentarischer Kooperation; jedenfalls im Verhältnis zum sonstigen Ausland müsste dagegen wohl die Befugnis des Bundespräsidenten zur Vertretung der Republik nach Außen berücksichtigt werden (so dass sich derartige innerstaatliche – parlamentarische wie direktdemokratische – Resolutionen unmittelbar an die – dem BPräs. gegenüber vorschlagsberechtigte – Bundesregierung zu richten hätten; ein derartiges Resolutionsrecht gibt es nun zwar für die beiden Häuser des Bundesparlaments, nicht aber für die Landtage, oder gar für direktdemokratische Initiativen. Dasselbe gilt, mutatis mutandis, für den Anwendungsbereich des Art. 16 Abs. 2 B-VG). Art. 71 Stmk. L-VG (derzeit jedoch ausschließlich „in Form eines Gesetzesentwurfes“), Art. 37 Abs. 1 2. bzw. 3. Fall Tir. LO (auch in Form eines … einfachen Vorschlages“). Interessanterweise sehen nicht nur diese beiden Länder (in Art. 74 Abs. 2 Z 5 Stmk. L-VG bzw. Art. 60 Abs. 2 3. TB Tir. LO), sondern überdies Niederösterreich (Art. 47a Abs. 2 NÖ LV) auch die qualifizierte Form – Durchführung einer Volksbefragung auf Initiative einer bestimmten Anzahl von Gemeineden – vor. Als Volksbegehren auf Gemeindeebene oder als Gemeinderatsbeschluss. Die organisatorischen (und finanziellen) Anforderungen an die Durchführung eines Volksbegehrens auf Bundesebene sollten keineswegs unterschätzt werden (vgl. bereits Theo Öhlinger, Grenzen der direkten Demokratie aus österreichischer Sicht, in: Balthasar/Bußjäger/Poier, Herausforderung Demokratie, 49ff., 55); vermutlich erklärt sich ein Gutteil der üblichen Enttäuschung über das Ausmaß der unmittelbaren Resonanz (siehe unten im Text bei FN 86) auch aus diesem für die Proponenten übermäßig hohen Mitteleinsatz, der dann in besonders vehementer Weise auf „sofortige Belohnung“ drängt. Bei der hier vorgeschlagenen Stufung wäre dieses (Miss-)Verhältnis doch zumindest deutlich entschärft. Als Volksbegehren auf Landes- oder Bundesebene, aber eben auch als an die Bundesebene adressierte Landtagsbeschlüsse.
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Das auf der Ebene des österreichischen Bundesverfassungsrechts jüngere Instrument der „Volksbefragung“ hat von Anfang an76 lediglich „eine Angelegenheit von grundsätzlicher und gesamtösterreichischer Bedeutung“ zum Gegenstand77, nicht aber einen bereits ausformulierten Gesetzestext. Auch wenn bisher auf Bundesebene erst einmal zum Einsatz gekommen, spräche doch nichts dagegen, grundlegende politische Weichenstellungen hinkünftig öfters bereits in einem vergleichsweise frühen, noch grundsätzlichen Stadium der rechtspolitischen Überlegung „vors Volk“ zu bringen, vor allem freilich dann, wenn zumindest in der der Befragung vorangehenden Diskussion tatsächlich die – im realen politischen Handeln zur Auswahl stehenden – Alternativen78 ernsthaft offengelegt79 und fair abgewogen würden.80 Nun darf (auch81) eine gesamtösterreichische Volksbefragung derzeit nur „eine Angelegenheit …, zu deren Regelung die Bundesgesetzgebung zuständig ist“, betreffen, und lediglich auf Beschluss des Nationalrates durchgeführt werden. Auf beide Einschränkungen ließe sich m.E. unschwer verzichten:
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Eingeführt mit BGBl. 1988/685, also exakt jener Novelle, mit der auch das ältere Instrument des Volksbegehrens davon befreit wurde, lediglich einen ausformulierten Gesetzesentwurf zum Gegenstand haben zu können. Jedenfalls dieses Kriterium versteht sich nahezu von selbst, kann also kaum als „absurde Fesselung“ (Peter Pernthaler) begriffen werden. Vgl. Art. 49b Abs. 2 B-VG („alternative Lösungsvorschläge“). Zum hohen Standard „amtlicher Abstimmungserläuterungen“ in der Schweiz vgl. Nadja Braun Binder, Instrumente der direkten Demokratie im Mehrebenensystem: Erfahrungen aus Deutschland und der Schweiz unter Berücksichtigung des Verfahrens im Vorfeld (Vorprüfungsverfahren und Informationsszenarien), in: Bußjäger/Balthasar/Sonntag, Direkte Demokratie, 61 ff., 70 f. Die bislang einzige Volksbefragung – über die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht i.S.d. Art. 9a Abs. 3 B-VG – krankte vor allem daran, dass in der öffentlichen Diskussion gerade nicht offengelegt wurde, dass die in den Vordergrund gestellten Vorteile für einen Teil der Bevölkerung (Katastrophenhilfe durch das Bundesheer, aber auch soziale Betreuung durch den Zivildienst [!]) nur mit erheblichen Grundrechtseingriffen (im Kontext des Art. 4 EMRK, aber – angesichts der nach wie vor gegebenen Beschränkung der Wehrpflicht auf „männliche Staatsbürger“ – auch in jenem des Art. 7 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 B-VG) für einen anderen Teil der Bevölkerung zu lukrieren sind (mit der zusätzlichen Pikanterie, dass nur der allerkleinste Teil der in den kommenden Jahren belasteten Staatsbürger bei der Befragung bereits teilnahmeberechtigt war, wohl aber nahezu alle künftig Begünstigten). In ähnlicher Weise können ausgabenrelevante Entscheidungen nur dann seriöserweise vom Volk getroffen werden, wenn diesem nicht der (populistische) Eindruck vermittelt wird, die im Falle der Befürwortung einer bestimmten Maßnahme erforderlichen zusätzlichen Finanzmittel stünden ohne Notwendigkeit einer Nichtausgabe an anderer Stelle zur Verfügung. Zum Volksbegehren siehe gerade oben FN 70.
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Selbst wenn man den Begriff „Bundesgesetzgebung“ nicht wörtlich, sondern die Bundesverfassungsgesetzgebung mitumfassend82 versteht83, bleiben etwa Angelegenheiten im Rahmen der Europäischen Union mit Rückwirkungen auf Österreich – etwa solche der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik – ausgeschlossen, ohne dass hiefür ein einsichtiger Grund ersichtlich wäre. • Warum soll das Volk als Ganzes keine Gelegenheit haben, seine Sicht der Dinge von sich aus an die repräsentativen Instanzen84 heranzutragen?85 Auch im Falle einer Übernahme sämtlicher hier gemachter Erweiterungsvorschläge dürfte man jedoch in Österreich weiterhin mit dem Standardeinwand der Nutzlosigkeit mangelnder Rechtsverbindlichkeit wegen konfrontiert werden.86 Auch wenn dieses – im Kern dezisionistische – Argument die mittelfristige Überzeugungskraft bloßer rationaler Gründe (ebenso wie indirekter Sanktionsmittel87) doch deutlich unterschätzen dürfte88; ließen sich die – auf welchem der vordargestellten (parlamentarischen wie direktdemokratischen) Wege immer getroffenen – „politischen Zielsetzungen“ nicht zumindest teilweise sehr wohl mit rechtlicher Verbindlichkeit ausstatten, ohne den kunstvollen Bau der geltenden Rechtsordnung zu beeinträchtigen? Ich denke hier an eine eigene Normen-Kategorie, der Sache nach den „Staatszielen“ verwandt, jedoch im Gegensatz zu den derzeit bestehenden89 formell einzuordnen etwa im „Mezzanin“ zwischen einfachem Gesetzesrecht und Verfassungsrecht. Als solche wären sie – hinsichtlich ihrer Bindungswirkung auf die Masse des einfa82
Damit wären etwa gesamtösterreichische Befragungen über eine Veränderung der Kompetenzverteilung – etwa mit dem Ziel der Verbundlichung des Baurechts oder der Ermächtigung der Länder zur Einhebung von Steuern – ebenso denkbar wie über eine Neugliederung des Bundesgebiets, eine Neustrukturierung der Gerichtsbarkeit oder der Volksanwaltschaft. 83 Siehe Franz Merli, Glosse zu Art. 49b B-VG in: Korinek/Holoubek (Hrsg.), Österreichisches Bundesverfassungsrecht (1. Lfg. 1999), Rz. 18 f.; a.A. Heinz Mayer, Bundes-Verfassungsrecht. Kommentar4 (2007), 236. 84 Anders als nach § 19 Abs. 1 des Volksbegehrensgesetzes ist das Ergebnis der Volksbefragung nach Art. 49b Abs. 3 B-VG „dem Nationalrat sowie der Bundesregierung vorzulegen“. 85 Bezeichnenderweise (für den eher auf Dezision statt auf Deliberation angelegten Denkmodus) wird das hiefür erforderliche Modell – Koppelung eines Volksbegehrens mit einer Volksbefragung – derzeit lediglich von der Warte des Volksbegehrens aus (Verstärkung von dessen faktischer Verbindlichkeit), nicht aber, wie hier, von jener der Volksbefragung aus diskutiert und gefordert. 86 Zuletzt klingt er ganz deutlich bei Öhlinger, Grenzen, 52 ff., an. 87 Für den Nationalrat sei auf das Misstrauensvotum nach Art. 74 B-VG (für die Landtage auf eine vergleichbare Befugnis oder sogar eine direkte Abwahlkompetenz) hingewiesen; und eine relevante Wähleranzahl ernsthaft zu verprellen, dürfte sich heute eigentlich keine politische Partei mehr leisten können. 88 Siehe Balthasar, Bürgerinitiative, 21, do. FN 65, u.Hw. auf Gerald Häfner. 89 Siehe etwa Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht, Rz. 89 ff.
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chen Gesetzesrechts und noch tieferer Normenstufen – grundsätzlich justiziabel, ohne doch jemals genuines Verfassungsrecht, unter Einschluss der Grundrechte, beeinträchtigen zu können.90 Naturgemäß käme die Erlassung solcher Normen freilich nur im jeweils eigenen Kompetenzbereich in Betracht.
C. Kontrollierende Demokratie: Gewährleistung von öffentlicher – rationaler wie moralischer – Rechenschaft Jedenfalls ein ganz wesentlicher Teilaspekt des gegenwärtigen demokratischen Systems ist die nicht nur (staats-91)rechtliche92, sondern bereits politische Verantwortlichkeit der (in aller Regel bürokratisch unterlegten) Regierung gegenüber dem jeweiligen Parlament, die in letzter Konsequenz zum jederzeitigen Amtsverlust der Regierung führen kann93, aber natürlich bereits vorgelagerte Informationsrechte94 impliziert. Vor allem95 diese parlamentarischen Informationsrechte wiederum lassen sich erfahrungsgemäß zwar nicht durch genuin direktdemokratische Instrumente,
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Sollte dies nicht auch, selbst für den Fall der Beschlussfassung ausschließlich mit Mitteln der direkten Demokratie, dem VfGH und seinen in VfSlg. 16.241/2001 aufgestellten Maßstäben genügen können? Immerhin bliebe so auch der einfache Gesetzgeber stets vorrangig an das über den „politischen Zielsetzungen“ angesiedelte Recht gebunden bzw. dürfte er die „Zielsetzungen“ nur insoweit berücksichtigen, als dies, im Lichte höherrangigen Rechts, unbedenklich wäre (in exakt diesem Ausmaß bestünde freilich sehr wohl eine Befolgungsverpflichtung, jedoch wiederum mit erheblichem rechtstechnischen Spielraum). Überdies besteht eine konkurrierende – wegen der relativen Sachferne der Strafjustiz freilich nicht gänzlich unproblematische – strafrechtliche Verantwortlichkeit (etwa nach § 302 StGB). Art. 76 B-VG; Art. 247 AEUV. Art. 74, aber auch, mit Blick auf den Bundespräsidenten, Art. 60 Abs. 6 B-VG; Art. 10 Abs. 2 UAbs. 2, Art. 17 Abs. 8 EUV. Unmittelbar über Art. 52 Abs. 1 ersten und zweiten Fall, Art. 53 B-VG (bemerkenswerterweise bestehen gegenüber dem Bundespräsidenten keine derartigen Informationsrechte [!]), mittelbar jedoch auch über die parlamentarischen „Hilfsorgane“ Rechnungshof und Volksanwaltschaft. Vergleichbares gilt auf der Ebene der Europäischen Union (Art. 226, 228, 230 Abs. 2 AEUV; der Europäische Rechnungshof ist, anders als der Europäische Ombudsman, jedoch nicht dem Europäischen Parlament zugeordnet, sondern ein eigenständiges Organ [Art. 13 Abs. 1 EUV, Art. 285 ff. AEUV]). Prinzipiell ließe sich natürlich auch daran denken, etwa ein Volksbegehren auf Abberufung der Regierung (oder des diese tragenden Bundespräsidenten!) durchzuführen (angesichts der derzeitigen in Art. 41 Abs. 2 B-VG enthaltenen Klausel [„muss eine durch Bundesgesetz zu regelnde Angelegenheit betreffen“] wäre die Zulässigkeit de constitutione lata freilich höchst zweifelhaft, gerade auch unter systematischer Einbeziehung des zweiten Satzes des Art. 49b Abs. 1 B-VG).
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jedoch durch individuelle (grundrechtliche96) Informationsrechte97 wirksam verstärken. Die grundsätzliche Ambiguität dieser Kontrolle wurde jedoch erst jüngst – in Zusammenhang mit den vom Europäischen Parlament anlässlich der bevorstehenden Bestellung der neuen Kommission veranstalteten „Hearings“98 – in einem Pressekommentar trefflich auf den Punkt gebracht: „Das Problem daran ist nur, dass in einem deklariert großkoalitionären Rahmen Postenbesetzungen im Zug von politischen Tauschhandeln stattfinden, während die Hearings ein quasi-wissenschaftliches, über Politik erhabenes Prozedere sind.“99 Mit anderen Worten: Stärkt die externe (parlamentarische bzw. zivilgesellschaftliche) Kontrolle die Bildung der „volonté générale“ durch die Regierung, oder schwächt sie diese vielleicht sogar?100 96
Mittlerweile liegen bereits einige (in der Stringenz der Argumentation freilich nicht gänzlich überzeugende) Entscheidungen des EGMR vor, die auch einen individuellen Anspruch auf Erlangung von Information durch öffentliche Stellen aus Art. 10 EMRK ableiten (Urteil vom 28.11.2013, Nr. 39534/07, Österreichische Vereinigung/A, Rz. 41; Urteil vom 26.8.2009, Nr. 31475/05, Kenedi/H, Rz. 43; Urteil vom 14.4.2009, Nr. 37374/05, Társaság/H, Rz. 35; Entscheidung vom 10.7.2006, Nr. 19101/03, Sdružení/Cz; siehe näher Alexander Balthasar, Right of Access to Information? Prolegomena to a rising issue with due consideration of the legal nature of information, in: Alexander Balthasar/Melanie Sully [Hrsg.], Public Sector Information – Open Data – What is fair: Free Access or Fees? [2014], 17 ff., 19 f., do. FN 16). Siehe auch bereits oben FN 12 zur spezifischen – grundrechtlich besonders geschützten – Rolle der Medien. 97 Art. 20 Abs. 4 B-VG; Art. 15 Abs. 1, Abs. 3 AEUV. 98 Solche sind zwar in Art. 17 EUV nicht ausdrücklich vorgesehen, liegen, angesichts des dortigen Erfordernisses eines parlamentarischen „Zustimmungsvotums“ bereits vor der Ernennung, dort jedoch jedenfalls näher als im österreichischen Recht, wo die vom Bundespräsidenten frei ernannte Regierung sich lediglich danach dem Nationalrat „vorzustellen“ hat (Art. 70 Abs. 3 B-VG). Geradezu verboten wäre die Durchführung solcher „Hearings“ – etwa auf Ersuchen des BPräs. – freilich schon de constitutione lata nicht, sie förmlich vorzuschreiben, wäre durchaus eine rechtspolitische Überlegung wert. 99 Die Presse vom 9.10.2014, 7. Das Zitat setzt sich fort: „Insofern lässt es sich objektiv schwer vermitteln, warum die blass wirkende tschechische Kandidatin für den Justizposten … durchgewunken wurde, während ihre ebenfalls farblose slowenische Kollegin abgeschossen wurde.“ In dieselbe Richtung auch etwa Der Standard vom 10.10.2014, 40, und Die Presse vom 10.10.2014, 8 („Unredliches Machtspiel des EU-Parlaments“). 100 Dieselbe Frage stellt sich offenbar sogar schon in Bezug auf die derartiger Kontrolle jedenfalls rechtlich wesentlich weiter entrückte Strafgerichtsbarkeit (vgl. den beklemmenden Kommentar von Hans Bachmann, Strasser, Täter, Opfer: Vorsicht, Schadenfreude!, in Die Presse, 17.10.2014, mit der bereits einleitenden Frage: „Darf der Rechtsstaat Exempel statuieren oder soll sich seine Richterschaft unbeeinflusst von öffentlicher oder politischer Meinung … verhalten?“).Vgl. auch bereits oben FN 29 zu den Gründen, warum im Parlament selbst – unter den Rahmenbedingungen des gegenwärtigen parlamentarischen Regierungssystems – die Fähigkeit zur Bildung der „volonté générale“ abgenommen hat.
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Oder, nochmals anders: In dem Maße, in dem die externe Kontrolle – wozu natürlich gerade auch spezifische Zustimmungserfordernisse in Sachfragen, insbesondere101 im Bereich der (formellen102 wie materiellen103) Gesetzgebung, zu zählen sind – zu einem Mehr an Rationalität104 wie Moralität des Regierungshandelns – und damit insgesamt zu einer größeren Annäherung an die ideale „volonté générale“ – führt, wird diese externe Kontrolle zu einer erheblichen Qualitätsverbesserung des jeweiligen Endproduktes führen105 und sollte daher durchaus noch intensiviert werden; in dem Maße allerdings, in dem diese Kontrollrechte ihrerseits für rational nicht begründbare, ja „unredliche Machtspiele“106 missbraucht würden, 101 Angesichts der Erfahrungen mit dem seinerzeitigen Beschaffungsvorgang „Eurofighter“ ließe sich durchaus überlegen, die Abschlusshürden für privatrechtliche Verträge ab gewissen Volumina deutlich zu erhöhen (etwa jenen für Staatsverträge anzugleichen, also eine grundsätzliche Abschlusskompetenz des Bundespräsidenten, auf Vorschlag der Bundesregierung, bei politischer Bedeutung jedoch auch eine Genehmigungspflicht zumindest durch den Hauptausschuss des Nationalrates vorzusehen). 102 Bekanntlich hat sich ja die Zuschreibung der primären Gesetzgebungskompetenz an die Parlamente aus einer ursprünglichen bloßen Zustimmungsbefugnis (vgl. die seinerzeitige Promulgationsformel: „Mit Zustimmung beider Häuser des Reichsrates finde Ich anzuordnen wie folgt“) entwickelt. 103 Während das österreichische Bundesverfassungsrecht parlamentarische Zustimmungserfordernisse zu Verordnungen nur (mehr) ganz ausnahmsweise vorsieht (vgl. Art. 18 Abs. 3, Art. 55 Abs. 4 und Abs. 5 B-VG), schreiben die Art. 290 und 291 AEUV regelmäßige Mitwirkungsbefugnisse der beiden Organe des formellen Gesetzgebers an der delegierten wie Ausführungsgesetzgebung der Kommission fest. Hier bestünde also auf nationaler Ebene durchaus noch rechtspolitischer Spielraum. 104 Hier ist insbesondere an die Einforderung einer ausreichende Begründung der von der Regierung vorgeschlagenen Gesetzgebung zu denken (de constitutione lata freilich vorgeschrieben nur auf der EU-Ebene [Art. 296 Abs. 2 AEUV], nicht jedoch auch im österreichischen Verfassungsrecht, wie der VfGH erst jüngst, in seinem Erkenntnis vom 23.9.2014, G 44/2014, V 46/2014, Rz. 62, wieder bekräftigte. Nur wenige Tage später führte er allerdings aus: „Gesetzliche Maßnahmen, die eine nachgewiesene strukturelle Ungleichheit von Männern und Frauen tatsächlich ausgleichen sollen, können daher als rechtliche Ungleichbehandlung gerechtfertigt sein“ [cit E vom 27.9.2014, V 5/2014-17, Rz. 29] und scheint damit hier sehr wohl ein vorgängiges Ermittlungsverfahren zu fordern). 105 In grundsätzlich gleicher Weise wie gegenwärtig in Art. 12 lit. b EUV den nationalen Parlamenten in Bezug auf die EU-Gesetzgebung zugewiesen, sollte das Erfordernis der (primär parlamentarischen, aber grundsätzlich [Stichwort „Vetoreferendum“ !] auch direktdemokratisch wahrnehmbaren) „externen“ Zustimmung zu bürokratischen Legislativvorhaben jedenfalls eine ausreichende Prüfung der Notwendigkeit, aber auch der Verhältnismäßigkeit, schließlich aber auch der horizontalen wie vertikalen Kohärenz garantieren. 106 Siehe die Überschrift des dritten in FN 99 zitierten Presseartikels. Vgl. auch schon Udo Di Fabio, Eine demokratische Zäsur?, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9.6.2014, zur Frage der Bestellung des Kommissionspräsidenten nach den letzten Wahlen zum EU-Parlament, deutlich kritisch gegenüber der „Selbstermächtigung“ des Parlaments mittels der Aufstellung von „Spitzenkandidaten“: „Weder Rat noch Parlament sollen wie zwei Lokomotiven aufeinander zufahren und einen Machtkampf inszenieren …“
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verlöre schon deren Handhabung auf gegenwärtigem Niveau an demokratischer Legitimation.
D. Demokratie und Milizgedanke Rousseau glaubte noch, dass „la voix publique n’élève presque jamais aux premières places que des hommes éclairés et capables …“107 Tocqueville war hier schon vorsichtiger und empfahl, den für den Erfolg der Demokratie unverzichtbaren Geist der Freiheit von unten nach oben, beginnend also in lokalen Bezügen, einzuüben.108 Tatsächlich bietet sich auch gerade hier – oder am Fuße der staatlichen institutionellen Hierarchie – ein breites Feld, in dem Bürger nebenberuflich Verantwortung in öffentlichen Angelegenheiten übernehmen können109, ja vielleicht – mit einem Blick auf die desolaten öffentlichen Haushalte – ohnedies bald müssen.110 Je solider aber diese Basis111, umso weniger Bedenken wird man dann auch auf den höheren Ebenen unseres Gemeinwesens gegenüber parlamentarischen wie unmittelbaren zivilgesellschaftlichen Partizipationsinstrumenten vom Standpunkt der notwendigen Qualität der so getroffenen Entscheidungen haben.
107 Du Contrat social, III/6. 108 Hereth, Tocqueville, 52 ff., 56 ff., 64 ff. 109 Als bereits derzeit vorhandene – aber durchaus generalisierbare – Modelle wären etwa zu nennen: die Freiwillige Feuerwehr, die Milizkomponente des Bundesheeres, die „Mitwirkung“ des Volkes an der Rechtsprechung (Art. 91 Abs. 1 B-VG), die vorarlberger Bürgerräte, die religiöse und die sonstige Selbstverwaltung, aber etwa auch, im privatwirtschaftlichen Bereich, sogenannte „Nahversorgungs-Vereine“ (siehe http://derstandard.at/2000007406601/Buerger-Greissler-als-Massnahme-gegen-die-Landflucht ). Vgl. aber auch oben (im Text bei FN 72 ff.) zum Vorschlag eines „Stufen-Begehrens“. 110 Zur grundrechtlichen Unbedenklichkeit siehe Art. 4 Abs. 3 lit. d EMRK („normale Bürgerpflichten“). 111 Vgl. auch Bernhard Ehrenzeller, Direkte Demokratie und Parlamentarismus in der Schweiz, in: Balthasar/Bußjäger/Poier, Herausforderung Demokratie, 23 ff., 26 (H.n.i.O.): „Der stete Ausbau der Volksrechte erfolgte in einem jahrzehntelangen Transformationsprozess von unten nach oben …“
Tamara Ehs
Das Unbehagen im Parteienstaat Thesen zur (Re-)Demokratisierung
I. Einleitung Das Ausmaß an Bürgerengagement, das in den vergangenen Jahren zum Themenbereich „Demokratie“ an die Öffentlichkeit getreten ist, widerspricht der oft ins Feld geführten These von der Politikverdrossenheit.1 Viel eher zeichnet sich mit jenen Demokratieinitiativen, die jenseits des etablierten Institutionengefüges agieren, eine Parteienverdrossenheit ab.2 Das Unbehagen in der Demokratie gilt daher eigentlich dem Parteienstaat, der trotz abnehmender gesellschaftlicher Verankerung den umfassenden Machtanspruch stellt. Aufgrund gravierender Veränderungen im österreichischen Parteiensystem3 fehlen heute aber selbst Parteimitgliedern und Stammwähler_innen Identifikationsmöglichkeiten; stattdessen können sie sich des Eindrucks nicht erwehren, dass politische Entscheidungen der Parteispitze von der Basis abgekoppelt sind. Während engagierte Parteimitglieder darauf abzielen, die Parteistrukturen durch mehr Basisdemokratie und Partizipation der Mitglieder zu reformieren, fordern zahlreiche Demokratieinitiativen eine direkte, also nicht durch Parteien vermittelte Beteiligung der Bürger_innen an politischer Macht. Da die moderne Demokratie „innerhalb der sozialen Wirklichkeit von heute“4 jedoch nur als grundsätzlich parlamentarische Form realisierbar ist und selbst die oft zum Modell genommene Schweiz nicht ohne eine starke Stellung des Bundesparlaments auskommt, bedarf die Etablierung von mehr bürgerlicher Partizipation zugleich der Reform des Parlamentarismus. Ein Mehr an Demokratie lässt sich im bestehenden System nicht verwirklichen, ohne die repräsentativen Institutionen selbst substanziell zu demokratisieren. Der als strukturell notwendig erkannte Par1
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Einen konzisen Überblick über die einzelnen Demokratieinitiativen der letzten Jahre sowie über ihre Forderungen und Ideen gibt das Demokratiezentrum in der Broschüre von Diendorfer (Hg.) Direkte Demokratie, insb. 26 f. Näher z.B. Rattinger, Abkehr von den Parteien? Hierzu näher Müller, Wahlen und Dynamik des österreichischen Parteiensystems seit 1986. Zur internationalen Dimension siehe Mair, Ruling the Void. So schon Kelsen, Demokratie, 44.
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lamentarismus muss so gestaltet werden, dass Bürgerengagement überhaupt Erfolg haben kann. Diese Lehre kann aus den bislang im B-VG verankerten Einrichtungen der direkten Demokratie gezogen werden. Denn diese sind nicht prinzipiell schwach, sondern setzen, um wirkmächtig zu sein, eine parlamentarische Demokratie und hierbei wiederum durch das freie Mandat starke, souverän agierende Nationalratsabgeordnete voraus. Sie basieren auf einer Demokratietheorie, die Parteien zwar in konstruktiver Weise integriert, aber die Beteiligung des Volkes nicht auf den Wahlakt beschränkt. Allerdings ist die Republik Österreich eine zweimalige Parteiengründung (1918 und 1945), wurde also nie revolutionär durch das Volk auf den Weg gebracht. Und die Zweite Republik realisierte über viele Jahre hinweg eine Zweieinhalbparteiendemokratie, in der Abgeordnete von der Parteispitze eher abhängig denn autonom und Oppositionsrechte nur schwach ausgeprägt sind. Es ist kein Zufall, dass die Forderungen nach mehr direktdemokratischen Elementen mit jenen nach stärkeren Oppositionsrechten und einer Personalisierung des Wahlrechts zeitgleich und gerade nun erhoben werden, da jenes „hinkende Dreiparteiensystem“5 unter dem Eindruck einer allgemeinen Demokratiekrise aufbricht. Denn die Pluralisierung und Fragmentierung des Nationalrats macht die unzureichende Umsetzung der im B-VG grundgelegten Demokratietheorie eindrücklich bewusst. Die Demokratisierung im Sinne einer steten Erweiterung der Demokratie ist nämlich im B-VG angelegt, bloß niemals umfassend in Angriff genommen worden. Da der Begriff „Demokratie“ nur einen Prozess der Willensbildung, ein politisches Ordnungssystem umschreibt, aber seine inhaltliche Ausgestaltung schon aufgrund des Relativitätsgedankens offen bleiben muss, kennt das B-VG in seiner Stammfassung das Wort „Demokratie“ nicht einmal als Nomen und führt es nur in eigenschaftswörtlicher Verwendung (Art. 1) an. Nach Adolf Merkl zieht sich „das demokratische Gedankengut […] sozusagen wie ein roter Faden durch das B-VG“.6 Allein, es gilt, diesen roten Faden aufzunehmen. Ich werde im Folgenden nach einer Erörterung der gegenwärtigen demokratischen Krise näher auf die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte des B-VG auf der Grundlage von Hans Kelsens Demokratietheorie eingehen. Darauf basierend stelle ich einige Überlegungen zur Frage, wie wir zu den besten Entscheidungen kommen könnten, vor.
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Vgl. Pelinka, Österreich. Merkl, Die Baugesetze der österreichischen Bundesverfassung, 81.
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II. Demokratiekrise Die Demokratie wird nicht erst seit Kurzem in der Krise gesehen, sondern erscheint vor dem Hintergrund eines wohl nie zu erreichenden Idealbildes immer unzureichend. Allerdings mehren sich in den letzten Jahren die herrschaftskritischen Gegenwartsdiagnosen und mit ihnen die Forderungen nach „mehr“ oder „echter“ Demokratie. Denn institutionell-staatliche Strukturen korrespondieren stets mit ökonomischen Rahmenbedingungen, und die multiple (Wirtschafts-, Finanz-, Staatshaushalts- etc.)Krise führte zu einer Verschiebung in der Organisation politischer Macht. Alexander Gallas und Jörg Nowak weisen darauf hin, dass die repräsentative Demokratie schon seit rund 40 Jahren sukzessive ausgezehrt wird. Die Infrastruktur des nach dem Zweiten Weltkrieg errichteten klassenbasierten Regimes politischer Repräsentation – also gewerkschaftliche Organisation, industriepolitische Arrangements, Wohlfahrtsstaat, öffentlicher Sektor, Diskurse des „sozialen Ausgleichs“ – werde seit den späten 1970er Jahren zersetzt. Dadurch werde die politische Repräsentation vor allem der subalternen Interessen strukturell blockiert.7 Was bleibe, sei eine „Wahlautokratie“, also jene leere Hülle von Demokratie, die Colin Crouch nach Jacques Rancière als „Postdemokratie“ bezeichnet. Dieser Prozess der Entdemokratisierung bildete sich in der Etablierung neuer Governance-Formen ab. Nicht mehr der demokratische Weg zu den besten Entscheidungen steht im Mittelpunkt, sondern „gutes Regieren“. Die Exekutive dehnte allmählich ihre Entscheidungsbefugnisse auf Kosten der Legislative aus und „deliberative Netzwerke“ wirtschaftlicher, wissenschaftlicher und politisch-administrativer Eliten ersetzten die demokratische Notwendigkeit gesamtgesellschaftlicher Partizipation und Vertretung.8 Und je virulenter die ökonomische Krise wurde, desto mehr schwappte sie auf den Staat über. Die Politik in Zeiten der Wirtschaftskrise zeigt heute beispielhaft, wie „die brüchig gewordene Zustimmung durch exekutiven Zwang ersetzt“ und „die Wirtschaftspolitik unabhängig von der Notwendigkeit subalterner Zustimmung“ gemacht wird.9 Hinzu kommen die entpolitisierend wirkende Rede von der „Alternativlosigkeit“ und eine demobilisierende Regierungstechnik, die den Konflikt am liebsten ausschalten und allein durch „Evidenz“ ersetzen möchte. In dieser „Postpolitik“10 blieben viele Stimmen ungehört, weil sie ihre bisherige parteipolitische Vertretung verloren: Die Sozialdemokratie hatte sich im Gefolge 7 8 9 10
Vgl. Gallas/Nowak, Die Krise der Demokratien. Vgl. Bieling, European Governance. Oberndorfer, Vom neuen, über den autoritären zum progressiven Konstitutionalismus?, 77 und 85. Žižek, Die Tücke des Subjekts.
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der Ereignisse von 1989 neu ausgerichtet (Stichwort: Dritter Weg)11; und auch bei den christdemokratischen Parteien „verblassten die Markenkerne“12. Beider Abkehr von ihren bisherigen Gesellschaftsentwürfen bei gleichzeitiger Unterordnung unter scheinbare Sachzwänge überließ insbesonders die subalternen Gesellschaftsschichten nun den Populist_innen. Denn diese halten als einzige noch die demokratisch wichtige „politische Tradition des Konflikts zwischen dem Volk und den Herrschenden“13 hoch und aufrecht. Andere ungehört gebliebene und nicht mehr parteipolitisch vertretene Stimmen verlagern ihre Opposition in den nicht-institutionalisierten politischen Bereich und formieren sich in sozialen Protestnetzwerken und Bürgerinitiativen, die die Antwort auf ihr Unbehagen in der direkten Demokratie suchen. Beide Wege sind Ausdruck einer Parteienverdrossenheit und einer weit fortgeschrittenen Erosion der politischen Infrastruktur, die diverse Interessen nicht mehr hinreichend abbildet; und sie sind daher in ihrem Anliegen legitim. Problematisch hingegen ist die gemeinsame Zielrichtung, wenn sie den Grund der Demokratiekrise nicht in der Entpolitisierung des Konflikts und der Entdemokratisierung durch Auszehrung der Strukturen erkennt, sondern die repräsentative Demokratie an sich als Übel versteht.
III. Vom Wesen und Wert des Parlamentarismus Schon Hans Kelsen hat in Zeiten einer ähnlichen Demokratiekrise, nämlich jener im Zuge der Wirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre, seine Schrift Vom Wesen und Wert der Demokratie (1. Auflage 1920) überarbeiten müssen und sie unter anderem um ein Kapitel zur Reform des Parlamentarismus ergänzt. Es beginnt mit den Worten: „Die Reform des Parlamentarismus könnte in der Richtung versucht werden, das demokratische Element wieder zu stärken.“14 Neben einer Empfehlung, „das Volk an der Gesetzgebung in einem höheren Maße zu beteiligen“ und insbesonders der Volksinitiative „mehr Raum zu geben“, ja ihre Durchführung „technisch möglichst zu erleichtern“15, widmet Kelsen seine Aufmerksamkeit vor allem den Abgeordneten und den parlamentarischen Strukturen. Er wendet sich zum Beispiel gegen die Immunität der Abgeordneten und schlägt vor, ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Wählerschaft zu festigen, indem sie von dieser auch jederzeit wie11 12 13 14 15
Instruktiv hierzu Ther, Die neue Ordnung auf dem alten Kontinent. Vgl. Wagner, Wandel und Fortschritt in den Christdemokratien Europas. Rancière, Das Unvernehmen, 111 ff. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, 38 (Hervorhebung im Original). Ebd., 39.
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der abberufen werden können. Und gegen das Argument der „Volksfremdheit“, das meint, dass dem Parlament die nötige Fachkenntnis fehle, nimmt Kelsen eine Idee von R. M. Delannoy auf: Das Mandat im Nationalrat soll nicht die gesamte Legislaturperiode lang an eine bestimmte Person gebunden sein, sondern je nach Bedarf entsendet die Partei zur Beratung und Beschlussfassung aus den Reihen ihrer Mitglieder jene Expert_innen, die am besten am Zustandekommen eines bestimmten Gesetzes mitwirken können.16 Aus Kelsens Überlegungen geht klar hervor, dass zwar die direktdemokratischen Instrumente „auch bei grundsätzlicher Aufrechterhaltung des parlamentarischen Prinzips einer Weiterentwicklung fähig und bedürftig“17 sind, jedoch aufgrund ihres Zusammenspiels mit den repräsentativen Demokratiestrukturen nur gemeinsam mit diesen reformiert werden können. Er sah in direktdemokratischen Elementen durchaus eine Stärkung der Demokratie im Sinne der Erhöhung der grundsätzlichen Akzeptanz des Parlamentarismus („Es wäre durchaus im Interesse des parlamentarischen Prinzips selbst, wenn die Berufspolitiker, die heute eben Parlamentarier sind, ihre ja begreifliche Abneigung gegen das Institut des Volksentscheids zurückdrängten …“18), warnte jedoch davor, den Parlamentarismus per se als „volksfremd“ zu bezeichnen. Denn die Alternative einer ausschließlich direkten Demokratie sei im modernen Massenstaat nicht realisierbar. Wer sich gegen den Parlamentarismus ausspricht, wendet sich laut Kelsen eigentlich gegen die Demokratie und ebnet der ständischen Gliederung des Staates oder gar der Diktatur den Weg. Er appelliert deshalb: „Davon, ob das Parlament ein brauchbares Werkzeug ist, die sozialen Fragen unserer Zeit zu lösen, davon hängt die Existenz der modernen Demokratie ab. […] Darum ist die Entscheidung über den Parlamentarismus zugleich eine Entscheidung über die Demokratie.“19 Folglich ist es auch für die im Dezember 2014 gestartete parlamentarische Enquetekommission unerlässlich, die Reformfrage nicht auf die unmittelbare Demokratie zu verengen. Denn damit würde sie vom eigentlichen Thema ablenken: Wie (re-)demokratisieren wir den Gesetzgebungsprozess? Wie machen wir das Parlament zu einem brauchbaren Werkzeug, um gemeinsam mit direktdemokratischen Initiativen unsere Probleme zu lösen? Immerhin ist Gesetzgebung eine Verbundaufgabe, an der immer mehrere Organe mitwirken: Parlament, Regierung, Interessensorganisationen, Bürger_innen etc. Der Schweizer Staatsrechtswissenschafter Georg Müller geht sogar so weit, zu 16 17 18 19
Vgl. Delannoy, Von der gebundenen Liste zur reinen Parteiwahl. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, 38. Ebd., 38 f. Ebd., 27.
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sagen: „Gesetzgebung ist keine originär-kreative Aufgabe des Parlaments, sondern eine Kontrolle der von Regierung und Verwaltung geleisteten Vorarbeiten und getroffenen Vorentscheidungen.“20 Dem Parlament die Alleinstellung im Gesetzgebungsprozess zuzuerkennen, muss dieses ja überfordern und es in der Kritik als schwach erscheinen lassen. Es gilt daher im Zuge der Demokratiereform zweierlei zu verwirklichen: Den Bürgerinnen und Bürgern im Gesetzgebungsverbund mehr Gewicht beizumessen und das Parlament in seiner Kontrollfunktion der von den Verbundorganen geleisteten Vorarbeiten zu stärken. Die Enquetekommission darf deshalb nicht den Fehler begehen, die mittelbare gegen die unmittelbare Demokratie diskursiv auszuspielen und dabei die grundsätzliche Entdemokratisierungsdimension der zurzeit stattfindenden Reorganisation politischer Herrschaft zu ignorieren. Sie bedarf vielmehr der thematischen und methodischen Erweiterung: Sie muss sich der Vorteile einer institutionalisierten parlamentarischen Deliberation bewusst werden und den Parlamentarismus durch neue und weitere Partizipationsformen (re-)demokratisieren. Dies bedeutet neben der Expertise von Sachverständigen auch die Einbindung des großen Repertoires von Bürgerengagement in den Reformprozess, der wiederum mit der Einrichtung und Abhaltung einer Enquetekommission in sieben Sitzungstagen nicht abgeschlossen sein kann. International erfolgreich angewandte Partizipationsverfahren sind demnach nicht nur bereits im Rahmen der Enquete zu verwirklichen, sondern als Infrastruktur der (Re-)Demokratisierung auf Dauer – etwa in Form eines „Demokratiebüros“21 im Parlament – zu institutionalisieren. Denn die in den vergangenen Jahren laut gewordenen Forderungen nach mehr und vor allem direkter Demokratie beinhalten nicht den Wunsch nach einer bloßen Abstimmungsdemokratie, sondern zielen auf Mitentscheidung ab. Nicht der Moment des Plebiszits steht im Vordergrund, sondern der Prozess der Gesetzwerdung. Das Parlament wird sich für mehr Gesetzgeber_innen öffnen müssen.
IV. Zur Geschichte der direkten Demokratie auf Bundesebene Im als Spielregelverfassung konzipierten B-VG findet die Demokratie ihren Ausdruck als Verfahren, um gesellschaftliche Interessensgegensätze in Form von Kompromissen verhandelnd einem Ausgleich zuzuführen – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Da der moderne Staat nicht nur aus Hans Kelsens sozialer Wirklichkeit
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Müller, Elemente einer Rechtsetzungslehre, 190, Rz. 350. Siehe hierzu zum Beispiel die Ideen der IG Demokratie unter www.demokratiebuero.at.
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der 1920er Jahre „notwendig und unvermeidlich ein Parteienstaat“22 war, wurde die Republik als radikalparlamentarische Demokratie konstitutionalisiert. Die Klassengegensätze sollten durch Parteien vermittelt, in einem rationalisierten Verfahren, dem das Parlament als öffentliche Bühne diente, politisch behandelt werden. Vor allem die Sozialdemokratie sah allein im Parlamentarismus das Vehikel raschen gesellschaftspolitischen Fortschritts und nahm die direkte Demokratie in jenen politisch höchst unruhigen Zeiten der Lagergegensätze nicht in ihrer Möglichkeit als „Gaspedal“ (Volksinitiative), sondern bloß als „Bremspedal“ (Vetoreferendum) der Politik wahr. Immerhin galt es das Volk, das eben noch des Kaisers Untertan war, erst zur Demokratie zu erziehen.23 Deshalb wurden auch die zur Entstehungszeit des B-VG allenthalben noch geäußerten Versprechen und Forderungen direktdemokratischer Elemente nicht oder nur sehr zögerlich erfüllt.24 So gab es zwar die bekannten Regelungen im B-VG und ab Juni 1921 auch ein Volksbegehrensgesetz (BGBl. 367/1921, ersetzt durch BGBl. 181/1931), doch Konkretisierungen zum Volksabstimmungsgesetz ließen ein Jahrzehnt auf sich warten (BGBl. 297/1929), wurden aber auch dann nicht praktiziert. Nach dem Verfassungsbruch zweier faschistischer Regime war das B-VG im Jahr 1945 zwar in seiner Fassung von 1929 wieder in Kraft gesetzt, aber die Meinung vertreten worden, dass das Volksabstimmungsgesetz und das Volksbegehrensgesetz außer Kraft getreten seien. Erst in den 1950er Jahren gab es wieder eine zögerliche Aufnahme des Themas „direkte Demokratie“. Im Februar 1952, April 1955 und November 1956 waren Regierungsvorlagen für ein Volksbegehrensgesetz und Volksabstimmungsgesetz eingebracht worden. Es sollte für ein neues Volksabstimmungsgesetz aber noch bis 1958 (BGBl. 13/1958), und für ein neues Volksbegehrensgesetz gar bis 1963 (BGBl. 197/1963) dauern. So fand mit dem Rundfunkvolksbegehren 1964 erst 44 Jahre nach der Beschlussfassung über das B-VG das erste bundesweite Volksbegehren statt.25 Als sich in den frühen 1980er Jahren unter dem Eindruck der ersten Anzeichen der Erosion von Strukturen des klassenbasierten Regimes politischer Repräsentation das Zweieinhalbparteiensystem zu verändern begann, wurden die Elemente direkter Demokratie zum Mittel der Oppositionsparteien und für den politischen Wettbewerb instrumentalisiert. Sowohl die unter Jörg Haider neu aufgestellte, nun populistische FPÖ, als auch die aus dem basisdemokratischen Bürgerengagement jenseits des institutionalisierten Gefüges hervorgehende Bewegung der Grünen er22 23 24 25
Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, 20. Vgl. Ehs, Erziehung zur Demokratie. Hierzu ausführlicher Ehs/Willroider, Parlamente unter Druck, sowie Poier, Direkte Demokratie. Vgl. Neisser, Demokratiereform in Österreich, 423.
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kannten die Chancen des Volksbegehrens für die politische Mobilisierung. Was bald als Missbrauch gebrandmarkt und daher 1998 (BGBl. 160/1998) abgeschafft wurde, war ursprünglich als Ergänzung des freien Mandats gedacht gewesen: Die Möglichkeit, dass nicht nur Wahlberechtigte, sondern auch Nationalrats- (und Landtags-) abgeordnete Volksbegehren einleiten können. Da es FPÖ und Grünen an wirksamen Oppositionsrechten wie beispielsweise der Einsetzung von Untersuchungsausschüssen fehlte und zudem das freie Mandat im System der Zweiten Republik keine Anerkennung erfahren konnte, mutierte das Volksbegehren zum inoffiziellen Oppositionsrecht. Herbert Schambeck stellte kritisch fest: „Da Volksbegehren nicht die Aufgabe haben, von Parlamentariern aus das Wählervolk zu motivieren, sondern vielmehr umgekehrt Anregungen an die Gesetzgebung heranzutragen, zeigt das Volksbegehrensgesetz, welche Verwendung eine Einrichtung der direkten Demokratie in dem Parteienstaat erfahren kann.“26 Da Volksbegehren demnach in großer Zahl von den Oppositionsparteien oder zumindest parteinah initiiert wurden, nahm sie die Nationalratsmehrheit der beiden großen Volksparteien stets auch nur als Anliegen einer oppositionellen Minderheit und nicht als Anregungen „aus dem Volke“ wahr. Was Hans Kelsen in Bezug auf Volksinitiativen bei seinen Überlegungen zur Reform des Parlamentarismus einst im Sinn gehabt hatte, kam durch die reale Ausgestaltung des parlamentarischen Systems nie zum Tragen: „Wenn schon die Wählerschaft ihren Vertrauensmännern im Parlament keine bindenden Instruktionen geben darf, dann muß doch zumindest die Möglichkeit bestehen, daß aus dem Schoße des Volkes Anregungen laut werden, nach denen das Parlament die Richtung seiner gesetzgebenden Tätigkeit bestimmen kann.“27 Die Einrichtungen insbesonders des Volksbegehrens aber auch anderer Instrumente der direkten Demokratie haben in der demokratietheoretischen Logik des B-VG also die Aufgabe, das freie Mandat zu ergänzen. Will die Enquetekommission die rechtspolitische Geschichte des schwierigen Umgangs mit Elementen der unmittelbaren Demokratie in Österreich verstehen und etwas daran ändern, muss sie sich daher auch mit dem freien Mandat, den Oppositionsrechten und allgemein mit dem herrschenden Demokratieverständnis zwischen Regierungs- und Oppositionsparteien auseinandersetzen.
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Schambeck, Die Demokratie, 239. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, 40.
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V. Ideen zur Reform des Parlamentarismus Da nicht einmal die oft als Vorbild zitierte Schweiz ohne ein starkes Bundesparlament auskommt – die Staatslehre spricht akkurat von einer „halb-direkten Demokratie“ – bedarf der Erfolg neuer Partizipationsinstrumente zugleich einer Stärkung des österreichischen Parlamentarismus. Denn sowohl Volksinitiativen als auch potentiell vetoreferendumsfähige Interessen müssen bereits im Rahmen des parlamentarischen Prozesses Berücksichtigung finden können. Zudem wird jede Erweiterung direktdemokratischer Instrumente Auswirkungen auf die Konfliktführung und Entscheidungsfindung (politics) haben, die ohne Veränderungen im Parlamentarismus (polity) – gerade hinsichtlich des freien Mandats – nicht erfolgreich sein können. Zuletzt verdeutlichten die Verhandlungen zum Demokratiepaket 2013, dass sich die Reform zurzeit nur auf einzelne, im Gesamtmaßstab unzureichende Aspekte konzentriert, die allein nicht geeignet sind, die bestehenden Strukturen wirklich zu (re-)demokratisieren. Die im Initiativantrag eingebrachten Neuerungen betreffen vor allem administrative Voraussetzungen für qualifiziert unterstützte Volksbegehren, sind aber durch relativ hohe Hürden und komplexe Verfahrensbestimmungen „so konzipiert, dass ein häufiger Einsatz eher ausgeschlossen werden kann.“28 Eine Demokratiereform, die diesen Namen verdient, muss den gesamten parlamentarischen Prozess in den Blick nehmen und die Abläufe und Strukturen so gestalten, dass bürgerliche Partizipation nicht die unwillkommene Ausnahme darstellt, die es möglichst zu verhindern gilt. Um zu den besten Entscheidungen29 zu gelangen, genügt es nicht, einige zaghafte Elemente der Volksgesetzgebung ins bestehende System zu streuen. Es bedarf vielmehr einer grundlegenden Reform des Parlamentarismus. Im Folgenden stelle ich skizzenhaft einige Anregungen vor, die unter anderem gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen im Rahmen der Arbeitsgruppe #besserentscheiden entstanden sind.30 Ich gehe in diesen Ausführungen nicht näher auf die Möglichkeiten der praktischen Ausgestaltung direktdemokratischer Bürgerbeteiligung ein; dies ist anderen Beiträgen des Sammelbandes vorbehalten. Jedoch präsentiere ich Ideen zur Stärkung des demokratischen Elements im parlamentarischen System, die die Vorbedingung und Grundlage für ein Gelingen möglichst breiter bürgerlicher Partizipation ausmachen: 28 29
Konrath, Das Demokratiepaket 2013, 378. Unter „besten Entscheidungen“ verstehe ich Entscheidungen, die in einem fairen und korrekten Gesetzgebungsverfahren entstanden sind, das durch Öffentlichkeit und breite Mitwirkungsrechte die Legitimation und Akzeptanz durch die Rechtsunterworfenen sichert. 30 www.besserentscheiden.at.
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Ein Blick in das Programm der Regierung Faymann II offenbart – wie viele Arbeitsübereinkommen gleich welcher Koalition zuvor – bereits zu Beginn ein grundlegendes Dilemma österreichischen Demokratiebewusstseins. Im Abschnitt Zusammenarbeit der beiden Regierungsparteien wird ein Verzicht auf die Ausübung des freien Mandats vereinbart. Für den Fall, dass doch die eine Regierungspartei die andere überstimmt, ist gar ein Automatismus für einen Neuwahlantrag vorgesehen.31 Die Bundesregierung verwirklicht mit einer solchen Vereinbarung weniger die zeitliche Gewaltenteilung, vielmehr setzt sie ein demokratiepolitisch fatales Zeichen. Denn immerhin zielen Nationalratswahlen auf die Wahl eben des Nationalrats ab; nicht direkt gewählt wird hingegen die Bundesregierung. Das Scheitern einer Regierungskoalition bedeutet nicht das Scheitern der Arbeit aller Nationalratsabgeordneten – zumal in Zeiten einer immer kleiner werdenden „großen Koalition“. Da es im Parlament bereits ein Problembewusstsein hierfür gibt, hat sich die ehemalige Nationalratspräsidentin Barbara Prammer für ein Neuwahlverbot nach norwegischem Vorbild ausgesprochen. Nach diesem Modell müssten sich nach der Aufkündigung eines Koalitionsvertrags im Nationalrat neue Mehrheiten aufgrund der bei der letzten Wahl ermittelten Mandate finden; auch Minderheitsregierungen wären möglich. Dies würde nicht nur die Kosten einer Neuwahl sparen, sondern vor allem den Parlamentarismus stärken, weil Parteien – oder gar Abgeordnete verschiedenster Parteien auf Grundlage ihres freien Mandats – Sachkoalitionen statt Parteikoalitionen eingehen könnten. Für die Verwirklichung von Sachkoalitionen bedarf es jedoch gar nicht des vorangegangenen Scheiterns einer Regierung. Vielmehr könnten künftige Bundesregierungen in ihren Arbeitsprogrammen koalitionsfreie Räume vereinbaren. Damit wäre sowohl die gedeihliche Zusammenarbeit zweier oder mehrerer Koalitionspartner gesichert als auch der Raum für freie parlamentarische Handlungen und Mehrheitsbildungen eröffnet. Was bei den vergangenen Regierungsverhandlungen auf Bundesebene noch überlegt wurde, ist auf Landesebene, etwa in Salzburg, bereits verwirklicht: ÖVP, Grüne und Team Stronach definierten in insbesonders gesellschaftspolitisch umstrittenen Bereichen vorab koalitionsfreie Räume32 und realisierten diese zum Beispiel bei den Themen Drogenpolitik und Waffengesetzen. Während die Grünen in diesen Fragen mit der oppositionellen SPÖ stimmten, sicherte die FPÖ der Landesregierung die Mehrheit.
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Vgl. Arbeitsprogramm der österreichischen Bundesregierung 2013–2018, 6. Vgl. Arbeitsübereinkommen 2013–2018. Grundlagen für die Zusammenarbeit von ÖVP, Grünen und Team Stronach, Abs. 2.3, 64.
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Mittels koalitionsfreier Räume könnten auch die im Nationalrat vertretenen Parteien ihrer Linie größtenteils treu bleiben, ohne die Regierungszusammenarbeit zu gefährden. Viel weniger als bisher müsste auf Kosten der innerparteilichen Demokratie und mittels Klubzwang nach außen hin Einigkeit dargestellt werden, wo weltanschauliche Grundsätze gegeneinander stehen. Diese Maßnahme würde den Nationalrat und die politische Debatte insgesamt beleben. Bisweilen wäre dadurch auch eine wieder stärkere ideologische Akzentuierung der Parteien zu erwarten; Normatives müsste nicht mehr entsorgt werden, was vielleicht gar der Parteienverdrossenheit vieler Bürgerinnen und Bürger entgegenwirkte. Die Instrumente des Neuwahlverbots und der Einrichtung eines koalitionsfreien Raumes ebnen dem freien Mandat den Weg. Der Klubzwang kann zwar durchaus als Preis für kollektives Handeln manchmal in Kauf genommen werden, um einen mühsam erzielten Kompromiss für die gesamte Fraktion verbindlich zu machen; er wird aber zum Problem, wenn der Klub nur ausführt, was die Parteispitze beschlossen hat – wie es vor allem dann oft geschieht, wenn Partei- und Regierungsspitze ident sind. Ein Zuwiderhandeln einzelner Abgeordneter ist dann nicht nur aus Gründen der eingeforderten Parteidisziplin problematisch, sondern mitunter gar koalitionsgefährdend. Denn je kleiner die „große Koalition“ wird, desto weniger Raum gewährt sie für die Ausübung des freien Mandats. Das freie Mandat, das den Abgeordneten eigentlich flexibel und kompromissfähig machen soll, ist deshalb realiter durch Regierungsvereinbarungen und mangelnde Abbildung der innerparteilichen Diversität im Nationalrat paternalistisch an die Parteispitze gebunden. Während die Basis der Demokratie der Pluralismus ist, agieren Parlamentsparteien, zumal wenn sie an der Regierung sind, innerparteilich monolithisch. Dieses Paradigma der Einheit wird nebst Klubzwang noch durch das geltende Wahlrecht und vor allem die praktizierte Listenerstellung gestützt. Die personelle Zusammensetzung eines Nationalratsklubs ist meist schon vor der Wahl fixiert. Wer ein Mandat erhalten soll, wird schlicht auf allen drei Ebenen nominiert, sodass selbst ein Scheitern im Regionalwahlkreis über die Landesliste oder spätestens über die Bundesliste abgefangen wird. Dieses Vorgehen erzeugt und stärkt Loyalitäts- beziehungsweise Abhängigkeitsverhältnisse gegenüber der Parteiführung und schwächt zugleich das freie Mandat. Denn wer von der Linie abweicht, gewinnt vielleicht die Gunst der Wählerschaft, verliert aber jene der Parteispitze, wie zuletzt der Fall der SPÖ-Abgeordneten Sonja Ablinger zeigte. Um das freie Mandat zu stärken, müssten demnach das Wahlrecht personalisiert und die Parteien in ihrer Möglichkeit, Listen zu erstellen, beschränkt werden. Nach einer Idee Klaus Poiers könnten 100 Abgeordnete direkt in den Wahlkreisen und
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die Restlichen über Landes- beziehungsweise Bundeslisten gewählt werden. 33 Das würde die solcherart in den Nationalrat Gewählten nicht nur autonomer gegenüber dem Klub machen, sondern verspricht zugleich mehr Bürgernähe. Das heißt nun nicht, dass sich Abgeordnete nicht mehr in Fraktionen zusammenschließen dürfen, um arbeitsteilig einen Kompromiss zu erzielen, sondern dass der Diskurs um die Mehrheit, der das Wesen der Demokratie ausmacht, wieder freier gestaltet werden muss. Für Oliver Lepsius ist die arbeitsteilige Willensbildung durch freie Stellvertreter_innen „daher nicht nur ein Gebot zur Organisationsoptimierung der Mehrheit, sondern auch die beste Mitwirkungsform für die Minderheit.“34 Gerade weil Abgeordnete nicht nur Boten sind, also kein imperatives Mandat haben, können sie Koalitionen eingehen – nicht nur mit ihren Fraktionskolleg_innen und mit Abgeordneten des Regierungspartners, sondern auch mit der Opposition. Letzteres harrt im „Land der vorsichtigen Demokratie“35 jedoch noch der Umsetzung. Da diese größere Unabhängigkeit eines personalisiert gewählten Mandatars vielleicht den Zugriff auf parteiinterne Strukturen und dort generiertes Wissen schmälert, bedarf das freie Mandat grundsätzlich einer besseren Ressourcenausstattung. Bislang sind die österreichischen Abgeordneten in ihren Möglichkeiten zur Facharbeit ziemlich eingeschränkt, stehen ihnen doch deutlich weniger personelle und finanzielle Ressourcen zur Verfügung als beispielsweise den Abgeordneten zum deutschen Bundestag. Mandatar_innen sind daher zumeist auf die Expertise von Ministerien oder Interessenvertretungen angewiesen und damit jedenfalls stets einen Schritt hinterher. Das schlägt sich auch in der Zahl der Regierungsvorlagen gegenüber jener der Initiativanträge nieder. Ein demokratischer agierendes Parlament hat deshalb eine bessere Ressourcenausstattung zur Vorbedingung. Man könnte etwa mit Blick auf die Usancen im Europäischen Parlament die Gelder nicht den Fraktionen, sondern den einzelnen Abgeordneten zukommen lassen. Außerdem könnte (und sollte) im Parlament ein parteiübergreifender wissenschaftlicher Dienst eingerichtet werden und/oder parlamentarische Ausschüsse würden in bestimmten Bereichen auf die Legislativdienste der Ministerien zugreifen dürfen. Die Beamt_innen würden dann in der betreffenden Frage nicht mehr dem/der Minister_in, sondern dem/der Nationalratspräsident_in unterstehen. Last, but not least: Da die Demokratiereform zeitlich mit dem Umbau und der Sanierung des Parlaments zusammentrifft, eröffnet sich die wohl einmalige Chance, 33 34 35
Vgl. Poier, 100 DirektmandatarInnen für Österreich. Zur Diskussion dieses Vorschlags siehe Ehs/ Willroider, Forderungen und aktuelle Ideen zur Reform des österreichischen Parlamentarismus. Lepsius, Kelsens Demokratietheorie, 84. Karlhofer, Land der vorsichtigen Demokratie, in: Österreichische Gemeindezeitung 2012, 14.
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der Demokratie im doppelten Sinne „neue Räume“ zu schaffen. Als Ort der Macht ebenso wie der Repräsentation kommt dem Parlament sowohl hoher Symbolgehalt als auch die ganz praktische An- und Herausforderung zu, ein Ort der demokratischen Begegnung zu sein. Die Enquetekommission könnte einen Beitrag dazu leisten, diese funktionellen Fragen bei den Erörterungen zur Stärkung der Demokratie einzufordern: Sollten zur Belebung des Parlamentarismus vielleicht zwei Rednerpulte im Nationalratssaal installiert werden – zur Rede und Gegenrede? Könnte man, wie zum Beispiel in Schweden, die Nationalratsabgeordneten nicht nach Parteien, sondern nach Ländern gruppieren, um neue Gruppendynamiken zur erreichen?
VI. Conclusio Die genannten Vorschläge zur Stärkung des Parlamentarismus greifen ineinander und bereiten wiederum den Instrumenten der direkten Demokratie den Weg. Was bislang die praktischen Durchsetzungsmöglichkeiten direktdemokratischer Mittel begrenzt hat, ist ident mit jenen Widernissen, denen ein demokratischer, nicht allein durch innere Parteilogik bestimmter Parlamentarismus ausgesetzt ist. Die unmittelbare Demokratie kann nur in Korrespondenz mit einem soliden Parlament funktionieren. Der Ausbau der direkten Demokratie in Österreich hat daher nicht den Ausbau des Parlamentarismus zum Gegner, sondern beide bedingen einander. Wer sich nicht für ein starkes Parlament einsetzt, wird auch mit den durchschlagkräftigsten direktdemokratischen Instrumenten keine Verbesserung der Demokratie und keine „besten Entscheidungen“ erreichen. Es muss bei einer Demokratiereform darum gehen, das demokratische Element des Parlamentarismus (wieder) zu stärken. Dafür ist es notwendig, Bürgerinnen und Bürger an der Gesetzgebung im Rahmen jener Organisationen zu beteiligen, in denen sie sich heute engagieren. Das sind oftmals nicht mehr die Parteien, sondern außerhalb des demokratischen Institutionengefüges stehende Initiativen. Ihnen im Parlament Raum zu schaffen, bedarf der Reform parlamentarischer Strukturen und Abläufe. Es wird nicht ausreichen, neue Partizipationsverfahren (Stichwort: Verlosung von Rederechten an acht Bürger_innen) nur im Rahmen der Enquete zu verwirklichen und danach wieder zur gewohnten Tagesordnung überzugehen. Die Infrastruktur zur (Re-)Demokratisierung muss auf Dauer institutionalisiert werden. Denn das Parlament muss – in den Worten Hans Kelsens – (wieder) „ein brauchbares Werkzeug“ werden, „die sozialen Fragen unserer Zeit zu lösen“.
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Das Unbehagen im Parteienstaat
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Ludger Helms
Warum der Parlamentarismus nicht ausgespielt hat Man hat zu Recht schon oft festgestellt, dass die Parlamentarismuskritik beinahe so alt sei wie der Parlamentarismus selbst.1 Tatsächlich wurde die Evolutionsgeschichte des Parlamentarismus begleitet von einer Vielzahl unterschiedlich akzentuierter „Verfallsthesen“. Wer den im Zuge dieser Auseinandersetzungen vorgetragenen Positionen nachgeht, erkennt rasch, dass sich die Herausforderungen zwar gewandelt, erweitert und vermehrt haben, es ein „goldenes Zeitalter“ des Parlamentarismus aber gleichwohl niemals gegeben hat.2 Ein nicht geringer Teil der Kritik an der parlamentarischen Demokratie und ihren Protagonisten3 erscheint überzogen und wenig überzeugend begründet.4 Nichtsdestoweniger gehört es geradezu zur politischen Pflicht der Anhänger und Verteidiger des Parlamentarismus, sich mit dieser Kritik bereitwillig auseinanderzusetzen.5 Von einer Herrschaftsordnung, die im Kern auf dem Prinzip der öffentlichen Begründung und Kritik an Positionen und Entscheidungen basiert, darf in der Tat eine besondere Bereitschaft zur öffentlichen Auseinandersetzung über ihre eigenen Grundlagen erwartet werden. Zu den zentralen Punkten der Parlamentarismuskritik gehört seit Jahrzehnten die These, dass der Parlamentarismus durch strukturell minimierte Partizipations1
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Der Begriff „Parlamentarismus“ wird im Rahmen dieses Beitrags sowohl als Synonym für die repräsentative Demokratie als auch als speziellere Bezeichnung für die parlamentarische Demokratie verwendet, welche (im Gegensatz zum Typus der präsidentiellen Demokratie) durch das Prinzip der parlamentarischen Verantwortlichkeit der Regierung gekennzeichnet ist. Vgl. etwa Ludger Helms, Metamorphosen des Parlamentarismus in Europa – Eine Auseinandersetzung mit der „Fortschrittsthese“ Armin von Bogdandys, in: Leviathan 33 (2005), 544–560, hier 545–546. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die zusätzliche Nennung der weiblichen Form und speziellere Konstruktionen hier und im Weiteren verzichtet, verbunden mit der ausdrücklichen Absage an jede Form der Diskriminierung. Vgl. statt vieler, allerdings mit Konzentration auf die deutsche Diskussion, Eberhard SchuettWetschky, Parlamentarismuskritik ohne Ende? Parteidissens und Repräsentationskonzepte, am Beispiel der Entparlamentarisierungs- und Gewaltenteilungskritik, in: Zeitschrift für Politikwissenschaft 15 (2005), 3–33. In der öffentlichen Verantwortung steht dabei auch die Parlamentarismusforschung, zu deren Aufgaben es gerechnet werden muss, die öffentliche Diskussion mit der Formulierung geeigneter Bewertungsmaßstäbe zu befruchten; vgl. Matthew Flinders/Alexandra Kelso, Mind the Gap: Political Analysis, Public Expectations and the Parliamentary Decline Thesis, in: British Journal of Politics and International Relations 13 (2011), 249–268.
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möglichkeiten der Bürger und ein problematisches System der Elitenherrschaft gekennzeichnet sei – ein Regime, dass möglicherweise gut genug für frühere Entwicklungsphasen der Demokratie, aber niemals mehr als eine „zweitbeste Lösung“ gewesen sei und jedenfalls den veränderten gesellschaftlichen und politisch-kulturellen Gegebenheiten der Gegenwart nicht angemessen sei. Auf entsprechende Positionen trifft man auch in der seit einigen Jahren in Österreich geführten Verfassungs- und Demokratiereformdiskussion. Ausgehend von der Überzeugung, dass die Dignität der repräsentativen Demokratie keine prinzipiell geringere ist als jene der direkten Demokratie6, werde ich in diesem Beitrag argumentieren, dass eine Verbesserung der demokratischen und entscheidungspolitischen Leistungsfähigkeit des österreichischen Regierungssystems weniger durch die Schaffung neuer direktdemokratischer Instrumente als vielmehr durch systemimmanente Optimierungen der repräsentativen Demokratie zu erreichen ist. Im Zuge dessen ist zu verdeutlichen, dass eine Verteidigung der Prinzipien und Ideen parlamentarischer Demokratie nicht gleichzusetzen ist mit einem generellen Lob für den Zustand des Parlamentarismus in der Zweiten Republik. Verbesserungen in der Ausgestaltung parlamentarischen Regierens erscheinen wünschenswert und möglich.
I. Licht und Schatten der repräsentativen Demokratie Die parlamentarische Demokratie beruht auf der Idee und dem Versprechen, im Zuge der demokratischen Wahl von Volksvertretern im Parlament die Interessen der gesamten Bevölkerung eines Gemeinwesens zu repräsentieren und den Repräsentationsgedanken auch in den Inhalten staatlicher Entscheidungspolitik zum Ausdruck kommen zu lassen.7 Demokratisch gewählte legislative Versammlungen verkörpern insbesondere eine der wichtigsten institutionellen Säulen des politischen Gleichheitsprinzips, das die Demokratie gegenüber anderen, nicht-demokratischen Regimen auszeichnet. Durch das Institut des allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrechts wird „die Äquidistanz der repräsentierten Bürger zu den Orten
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Vgl. Peter Graf von Kielmansegg, Demokratische Legitimation, in: Hanno Kube et al. (Hrsg.), Leitgedanken des Rechts: Paul Kirchhof zum 70. Geburtstag, Bd. 1, Heidelberg 2013, 641–651, hier 645. Dabei geht es analytisch differenziert um eine formale und inhaltliche Dimension der Repräsentation. Vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Demokratie und Repräsentation, in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie: Studien zur Verfassungstheorie und zum Verfassungsrecht, 2. Aufl., Frankfurt a.M. 1992, 397–405, hier 391–393.
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politischer Entscheidungsmacht“ gewährleistet.8 Dabei gilt das Parlament als zentrales Repräsentationsorgan des Volkes gemeinhin unabhängig von der exakten Höhe der Wahlbeteiligung. Als maßgeblich wird das Recht zur Beteiligung an Parlamentswahlen, nicht die tatsächliche Wahlbeteiligung betrachtet. Als vollständig unerheblich darf das Ausmaß an Wahlbeteiligung in einem System bei näherer Betrachtung allerdings nicht gelten. Obwohl in Politik und Wissenschaft keine Einigkeit über eine zufriedenstellende Höhe der Wahlbeteiligung besteht, gerät der Anspruch des Parlaments, in seiner Zusammensetzung und in seinen politischen Handlungen die Interessen des gesamten Volkes zu repräsentieren, zumindest latent unter Druck. Das hat damit zu tun, dass bei einer geringen Wahlbeteiligung der relative Anteil sozial besser gestellter Wähler tendenziell wächst9, wodurch es im Weiteren auch zu einer stärkeren Berücksichtigung klassenspezifischer Interessen in der Politik parlamentarisch verantwortlicher Regierungen bzw. regierender Parteien kommt, da Politiker dazu neigen, die Interessen von Wählern ernster zu nehmen als jene von Nichtwählern.10 Vielen jüngeren Repräsentationsverständnissen zufolge geht es aber ohnehin gar nicht ausschließlich um die angemessene Berücksichtigung der Interessen des wahlberechtigten Teils der Bevölkerung, sondern all jener, die von diesen Entscheidungen betroffen sind.11 Dabei kann es sich potentiell auch um Menschen jenseits der Grenzen eines Gemeinwesens handeln, da viele der möglichen Folgewirkungen politischer Entscheidungen (etwa im Bereich der Produktion und Nutzung von Kernenergie sowie zahlreicher klimapolitischer Entscheidungen) schwerlich auf ein bestimmtes Staatsgebiet beschränkt sind. Selbst wenn man den Kreis der Betroffenen enger fassen und auf die innerhalb der Grenzen eines bestimmten Gemeinwesens lebenden Menschen beschränken wollte, ist die Gruppe der Wahlberechtigten einer-
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So Danny Michelsen/Franz Walter, Unpolitische Demokratie: Zur Krise der Repräsentation, Frankfurt a.M. 2013, 295–296. Das Beteiligungsgefälle zwischen unterschiedlichen Bildungsschichten hat sich in den vergangenen Jahrzehnten zudem deutlich verstärkt; vgl. dazu Klaus Armingeon und Lisa Schädel, Social Inequality in Political Participation: The Dark Sides of Individualisation, in: West European Politics 38 (2015), 1–27. Vgl. Philippe C. Schmitter/Alexander H. Trechsel (co-ordinators), The Future of Democracy in Europe: Trends, Analyses and Reforms (Integrated Project “Making Democratic Institutions Work”, Council of Europe), Brüssel 2004, 30. Vgl. auch Lisa Hill, Turnout, Abstention, and Democratic Legitimacy, in: Jason Brennan/Lisa Hill, Compulsory Voting: For and Against, Cambridge 2014, 125–153, hier 137–141. Die hat freilich in der Demokratietheorie längst zu Vorschlägen einer elektoralen Ermächtigung aller Betroffenen geführt. Vgl. etwa Robert E. Goodin, Enfranchising All Affected Interests, and Its Alternatives, in: Philosophy & Public Affairs 35 (2007), 40–68.
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seits und jener, die von den politischen Entscheidungen von Regierungen und Parlamenten unmittelbar betroffen sind, andererseits nicht deckungsgleich. Zu nennen sind zum einen Staatsbürger, die altersbedingt noch über kein Wahlrecht verfügen, deren Interessen im Sinne einer Politik der Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit nach heute verbreiteter Auffassung aber ebenso ernst zu nehmen und zu schützen sind wie jene von Bürgern, die den Anforderungen an das Mindestwahlalter genügen.12 Ebenso zu nennen ist die beträchtliche Zahl von Wohnbürgern, die ganz unabhängig von ihrem Lebensalter selbst dann vom Wahlrecht ausgeschlossen sind, wenn sie sämtliche der politisch betrachtet naheliegenden Kriterien – von einer angemessenen Sprachkompetenz, die zur Beteiligung am politisch-gesellschaftlichen Diskurs in der jeweiligen Landessprache befähigt, über einen festen Wohnsitz bis hin zu Eigentum und unbeschränkter Steuerpflichtigkeit mit konkreter Steuerleistung – erfüllen. In vielen Fällen markiert der Ausschluss vom Wahlakt sogar nur die Spitze des Eisbergs einer weitreichenden staatlich sanktionierten Ohnmacht von Nicht-Staatsbürgern.13 Aber abgesehen von diesem spezielleren Problem, über das sich lange handeln ließe, ist auch die im engeren Sinne entscheidungspolitische Leistungsbilanz der repräsentativen Demokratie keine durchwegs strahlende. Repräsentative Demokratien können selbst während besonders glücklicher historischer Entwicklungsphasen eines Gemeinwesens selten uneingeschränkt für sich in Anspruch nehmen, in ihren Entscheidungen wirklich alle gesellschaftlichen Interessen „in angemessener Weise“ berücksichtigt zu haben. Wie auch? Dass es grundsätzliche Auffassungsunterschiede über die konkrete Berücksichtigungswürdigkeit divergierender gesellschaftlicher Interessen in staatlichen Entscheidungen gibt, markiert ein genuines Merkmal von Politik überhaupt. Unabhängig davon stellen Entscheidungen, die ein hohes Maß an Problemlösung mit einem hohen Maß an gesellschaftlicher Anerkennungswürdigkeit zu verbinden wissen, in den meisten Gemeinwesen ein kostbares Gut dar, 12
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Vgl. Bernward Gesang (Hrsg.), Kann Demokratie Nachhaltigkeit?, Wiesbaden 2014. In diesem Kontext wurde verschiedentlich für die Schaffung eines „Elternwahlrechts“ argumentiert, dessen normative Legitimation und zu erwartenden Folgen in der politischen Praxis jedoch in hohem Maße ungewiss bleiben. Vgl. etwa Bettina Westle, Wahlrecht von Geburt an – Rettung der Demokratie oder Irrweg?, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen 37 (2006), 96–114; John C. Lau, Two Arguments for Child Enfranchisement, in: Political Studies 60 (2012), 860–876; Achim Goerres/ Guido Tiemann, Kinder an die Macht? Die politischen Konsequenzen des stellvertretenden Elternwahlrechts, in: Politische Vierteljahresschrift 50 (2009), 50–74. Das gilt auch und sogar in besonderem Maße für die Situation in Österreich. Vgl. Sieglinde Rosenberger, Inklusive Demokratie? Die politischen, sozialen und religiösen Rechte von Wohnbürgern ohne österreichische Staatsbürgerschaft, in: Ludger Helms/David M. Wineroither (Hrsg.), Die österreichische Demokratie im Vergleich, Baden-Baden 2012, 383–403.
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um das lange gerungen werden muss. Für viele Länder lassen sich Beispiele schlechter politischer Programme mit einer bescheidenen Problemlösungsfähigkeit, mit sehr ungleich verteilten Belastungen und einer geringen gesellschaftlichen Unterstützung finden, für die regierende Eliten verantwortlich zeichnen. Streng genommen verkörpern allein die Parlamente das Wahlvolk als Ganzes. Zwar sind in normativer Hinsicht freilich auch die Regierungen zu einer gebührenden Beachtung und zum Schutz des Gemeinwohls verpflichtet. Gleichzeitig ist es grundlegenden Ideen zur Ausgestaltung der parlamentarischen Demokratie als Parteiendemokratie gemäß aber auch das Recht der mit der Regierung beauftragten Parteien, für eine bestimmte Zeitlang ihren spezielleren, im Wahlkampf beworbenen politischen Zielen auf der Ebene staatlicher Politik zum Durchbruch zu verhelfen.14 Auf spezifische Weise institutionell eingehegt bleibt die Ermächtigung der Regierung zu politischer Gestaltung dabei durch das Prinzip einer parlamentarischen Verantwortlichkeit des Regierungshandelns.15 In der Praxis sieht sich das Konzept der verantwortlichen Parteienregierung jedoch mit vielfältigen Problemen konfrontiert, von denen hier nur vier herausgegriffen sein sollen, die im Kontext dieses Beitrags als besonders relevant erscheinen: Ein erstes Problem besteht darin, dass das politische Mandat von Regierungen ungewiss bzw. stark umstritten sein kann. Jedenfalls auf den ersten Blick eindeutig liegt der Fall nur in Systemen, in denen es im Gefolge von Parlamentswahlen zur Regierungsbildung durch nur eine Partei kommt, die alleine über eine parlamentarische Mehrheit verfügt.16 Ähnlich klare Verhältnisse bestehen in Ländern mit komplexe14
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In der politikwissenschaftlichen Literatur wird dabei unter Betonung der Regierungsfunktionen politischer Parteien von „party government“ gesprochen. Vgl. Peter Mair, The Challenge of Party Government, in: West European Politics 31 (2008), 211–234. Gemäß der in der jüngeren Politikwissenschaft prominenten Vorstellung einer „demokratischen Delegationskette“ fungiert die parlamentarische Versammlung gegenüber der Regierung dabei als unmittelbarer „Agent“ des Wahlvolkes, dem die Rolle des übergeordneten „Prinzipals“ am Beginn der Delegationskette zukommt. Vgl. Kaare Strøm, Delegation and Accountability in Parliamentary Democracies, in European Journal of Political Research 37 (2002), 261–289. Entgegen eines weit verbreiteten Missverständnisses wird die parlamentarische Kontrolle der Regierung dabei keineswegs ausschließlich von der parlamentarischen Opposition, sondern im Sinne auf spezifische (in aller Regel nicht-öffentliche, aber umso effektivere) Weise auch von den Regierungsfraktionen ausgeübt. Vgl. Werner J. Patzelt, Parlamente und ihre Funktionen, in: ders. (Hrsg.), Parlamente und ihre Funktionen: Institutionelle Mechanismen und institutionelles Lernen im Vergleich, Wiesbaden 2003, 13–49, hier 29–36. Allerdings entspricht der parlamentarischen Mehrheit in solchen Systemen häufig keine absolute Mehrheit einer Partei auf der Ebene des Stimmenanteils. So verfügte etwa in Großbritannien keine einzige der zahlreichen Einparteienregierungen nach 1945 über eine absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Deren parlamentarische Mehrheitsbasis war vielmehr den spezifischen Verzer-
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ren Vielparteiensystemen nur im Falle eines Wahlsieges von Parteien, die bereits vor der Wahl in Form einer Koalitionsaussage eine Zusammenarbeit auf Regierungsebene angekündigt haben. Da diese Bedingung nur in den wenigsten Fällen erfüllt ist, handelt es sich bei der großen Mehrzahl schließlich geschmiedeter Regierungsbündnisse um Koalitionen zwischen Parteien, die im Wahlkampf gegeneinander angetreten sind und mit Blick auf ihr individuelles Abschneiden zudem keineswegs immer für sich in Anspruch nehmen können, einen „Wahlsieg“ (im Sinne einer mindestens relativen Verbesserung ihres Ergebnisses gegenüber der vorausgegangenen Wahl) errungen zu haben.17 Ein zweites mögliches Problem ist darin zu sehen, dass regierende Parteien ihr tatsächliches Handeln nicht unbedingt strikt an jenen Zielen ausrichten, für die sie jedenfalls von einem Teil der Wähler politische Unterstützung erhalten haben. Das kann sehr unterschiedliche Gründe haben. Dazu können freilich im Einzelfall bewusst gegebene „leere Versprechen“ zählen, was in der Praxis jedoch vermutlich sehr viel seltener der Fall ist, als eine gleichermaßen populäre wie populistische mediale Schelte vermuten ließe.18 Häufiger mag die mangelnde Umsetzung von konkreten Plänen mit dem unüberwindbaren Widerstand politischer Widersacher zu tun haben. Bei Koalitionsregierungen läuft ein politischer „Riss“ häufig gar quer durch die Regierung selbst.19 Zumindest hinter den maximalen Zieldefinitionen jeder einzelnen Koalitionspartei müssen Koalitionsregierungen gleichsam zwangsläufig zurück-
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rungswirkungen des britischen Wahlsystems zu verdanken. Die Mehrzahl britischer Beobachter betrachtet diese Wirkungen dabei ausdrücklich als eine „exaggerative quality“ des Wahlsystems; so John Curtice, So What Went Wrong with the Electoral System? The 2010 Election Result and the Debate About Electoral Reform, in: Parliamentary Affairs 63 (2010), 623–638, hier 632. Vgl. die kritische empirische Bilanz bei Mikko Mattila/Tapio Raunio, Does Winning Pay? Electoral Success and Government Formation in 15 West European Countries, in: European Journal of Political Research 43 (2004), 263–285. Einen konzisen Überblick über den komplexen Gegenstand bietet Benjamin Nyblade, Government Formation in Parliamentary Democracies, in: Wolfgang C. Müller/Hanne M. Narud (Hrsg.), Party Governance and Party Democracy, New York 2013, 13–31. Die Befunde der jüngeren empirischen Forschung, denen zufolge die Nichterfüllung bestimmter, seitens der Regierung beförderter Erwartungen zu signifikanten Kosten auf der Ebene der politischen Unterstützungsbereitschaft der Bevölkerung führen, sind geeignet, die mögliche Versuchung regierender Parteien, unrealistische Erwartungen zu schüren, weiter zu drosseln. Vgl. Neil Malhotra/Yotam Margalit, Expectation Setting and Retrospective Voting, in: The Journal of Politics 76 (2014), 1000–1016. In diesem Sinne weist der berühmte griechisch-amerikanische Politikwissenschaftler George Tsebelis jeder einzelnen Koalitionspartei den Status eines „partisan vetoplayers“ zu. Vgl. George Tsebelis, Vetoplayers: How Institutions Work, Princeton 2002; ferner Wolfgang C. Müller/Thomas Meyer, Mutual Veto? How Coalitions Work, in: Thomas König/George Tsebelis/Marc Debus (Hrsg.), Reform Processes and Policy Change: How Do Veto Players Determine Decision-making in Modern Democracies?, New York 2010, 99–124.
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bleiben, ohne dass darin eine gezielte politische Veruntreuung des Wählerwillens zu sehen wäre.20 Ebenfalls von diesem möglichen Vorwurf ausgenommen sind all jene Entscheidungen, die Regierungen zu plötzlich auftretenden Herausforderungen treffen müssen, von denen zum Zeitpunkt der Wahl noch gar keine Rede war. Angesichts der rasant gestiegenen Geschwindigkeit des globalen politischen Prozesses sind solche Entscheidungen heute weniger außergewöhnlich und selten als noch vor einigen Jahrzehnten.21 Ein weiteres, ganz anders gelagertes Problem besteht darin, dass nicht immer als sicher vorausgesetzt werden kann, dass regierende Parteien in ihrem politischen Handeln ein hinreichendes Maß an Respekt gegenüber politischen Minderheiten an den Tag legen. Um den Ansprüchen der liberalen Demokratie in Abgrenzung zu einem populistischen Demokratieverständnis zu genügen, sind speziellere Präferenzen und Zielsetzungen stets mit Blick auf die damit verbundenen Auswirkungen auf gesellschaftliche Minderheiten zu überprüfen.22 In der Praxis kommt dabei entscheidende Bedeutung dem institutionellen Typus des politischen Systems zu: Während ein Zurückbleiben regierender Parteien hinter selbst gestrickten politischen Agenden typisch vor allem (wenn auch nicht nur) für komplexe Regierungssysteme mit vielen „Mitregenten“ und „Gegenregierungen“ ist, finden sich Beispiele für ein Regierungshandeln, bei dem die verantwortlichen Akteure eine faktische Mehrheits tyrannei etablieren, praktisch nur in strukturell machtkonzentrierenden Systemen. Als tendenziell auch seitens der Demokratietheorie unterschätztes Problem ist schließlich zu nennen, dass die faktischen Wirkungen einer Regierungszeit den demokratisch legitimierten zeitlichen Rahmen der Regierungsverantwortung deutlich übersteigen können. Das gilt insbesondere für die Entscheidungen von Regierungen, die für sehr lange Zeiträume amtieren. Selbst für politische Systeme, in denen es 20
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Als zentrales Referenzdokument für eine Überprüfung der „politischen Standfestigkeit“ von Koalitionsregierungen gemessen an deren ursprünglichen Zieldefinitionen haben sich in der politischen Praxis Koalitionsverträge herausgebildet. Vgl. dazu Wolfgang C. Müller/Kaare Strøm, Coalition Agreements and Cabinet Governance, in: Kaare Strøm/Wolfgang C. Müller/Torbjörn Bergman (Hrsg.), Cabinets and Coalition Bargaining: The Democratic Life Cycle in Western Europe, Oxford 2008, 159–199. Vgl. Henning Laux/Hartmut Rosa, Zeithorizonte des Regierens, in: Karl-Rudolf Korte/Timo Grunden (Hrsg.), Handbuch Regierungsforschung, Wiesbaden 2013, 83–92. Viele institutionell komplexe Demokratien, wie Österreich oder Deutschland, kennen in Gestalt eines weit ausgebauten Systems der Verfassungsgerichtsbarkeit eine spezielle Instanz, die selbst die Entscheidungen breiter demokratisch legitimierter Mehrheiten auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüfen können, wobei es häufig um Aspekte des Minderheitenschutzes geht. In einigen Ländern wird diese Bedeutung der Verfassungsgerichtsbarkeit durch deren politischen Beschuss durch populistisch auftretende Mehrheiten anschaulich unterstrichen, so in Ungarn. Vgl. László Sólyom, Ende der Gewaltenteilung: Zur Änderung des Grundgesetzes in Ungarn, in: Osteuropa 63 (2013), 5–12.
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typischerweise umfassende Alternationen an der Regierung mit einem vollständigen Austausch der regierenden Parteien und des Regierungspersonals gibt, wie traditionell in Großbritannien, wurde nachgewiesen, dass im Gefolge von Machtwechseln nur wenige Entscheidungen der Vorgängerregierung wirklich zurückgenommen werden.23 Neu an die Regierung gelangende Parteien haben vielmehr üblicherweise mit einem komplexen politischen Erbe zu leben, wodurch deren politische Innovationsund Gestaltungsfähigkeit gegebenenfalls empfindlich eingeschränkt sein kann. Trotz alledem: Gegenüber den denkbaren Alternativen, den politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozess in einem komplexen Flächenstaat zu organisieren, handelt es sich bei der repräsentativen Demokratie parlamentarischen Typs immerhin um einen gezielten institutionellen Versuch, die erwünschte und erstrebte Integration unterschiedlicher gesellschaftlicher Interessen, einen fairen Interessenausgleich und im Zuge dessen eine größtmögliche Anerkennungswürdigkeit von staatlichen Entscheidungen systematisch zu befördern. Das gilt vom Anspruch her für jede einzelne Entscheidung auf der Ebene staatlicher Politik, welche stets den Mindeststandards von „limited government“ und „responsible government“ entsprechen sollten. Weil ein gewisser „bias“ in der Politik einzelner Regierungen im Sinne des „party government“ jedoch auch in normativer Hinsicht als akzeptabel gilt, kennen alle parlamentarischen Demokratien die Möglichkeit eines institutionell vorgezeichneten Wechselspiels zwischen Regierung und Opposition, welches man auch als Ausdruck einer „temporalen Gewaltenteilung“ beschrieben hat.24 Speziell mit Blick auf die Bedeutung repräsentativer Organe für die Demokratie ist mit Ernst-Wolfgang Böckenförde festzustellen, dass diese im Kern „die Bedingungen der Möglichkeit einer demokratischen Herrschaftsorganisation“25 darstellen. „Und zwar nicht als ,zweiter Weg‘ oder Konzession an räumlich-technische oder zahlenmäßige Gegebenheiten, sondern als ursprünglich notwendig.“26 Allerdings wird dem auch von den meisten Befürwortern der direkten Demokratie selten grundsätzlich widersprochen. In den demokratiepolitischen Reformdebatten in Österreich und anderswo geht es nicht wirklich darum, die repräsentative Demokratie durch ein rein direktdemokratisches System abzulösen, sondern durch bestimmte direktdemokratische Verfahren zu ergänzen. Im Zentrum des nächsten Abschnitts steht deshalb auch keine ausgreifende Auseinandersetzung mit der Unmöglichkeit, das „plébiscite de tous les jours“ zur Staatsform zu erheben, sondern 23
Vgl. Richard Rose/Philipp L. Davies, Inheritance in Public Policy: Change without Choice in Britain, New Haven 1994. 24 So Winfried Steffani, Gewaltenteilung und Parteien im Wandel, Opladen 1997, 43. 25 Vgl. E.-W. Böckenförde, a.a.O. (FN 7), 388. 26 Ebd.
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die Diskussion ausgewählter Probleme der direkten Demokratie als mögliche spezifische Ergänzung der repräsentativen Demokratie.
II. Das unterschätze Problempotential direktdemokratischer Verfahren In Anknüpfung an den oben entwickelten Punkt ist zunächst festzustellen, dass die Schaffung neuer direktdemokratischer Instrumente mit unmittelbarer Entscheidungsverbindlichkeit auf Bundesebene27 den in Österreich lebenden Menschen ohne Wahlrecht in keiner Weise ein Mehr an institutionalisierter Partizipation bieten würde, weil sie von diesen Verfahren ebenso ausgeschlossen wären wie bei den Nationalratswahlen. Die Schaffung neuer direktdemokratischer Verfahren würde aber nicht nur die Beteiligungsmöglichkeiten der vom Wahlakt ausgeschlossenen Gruppen nicht erweitern. Sie droht weitere Ungleichheiten zu schaffen, da direktdemokratische Verfahren die erwiesene Tendenz besitzen, die ohnehin sozial Starken in einem System – jene, die über einen Vorsprung an Bildung, materieller Sicherheit und Zeit verfügen – weiter zu stärken. In parlamentarischen Systemen mit direktdemokratischen Verfahren ist die Beteiligungsrate der Bürger bei Volksabstimmungen üblicherweise signifikant geringer als bei Parlamentswahlen, womit der oben bereits angesprochene „Klassen-Bias“ bei ersteren potentiell noch stärker zum Tragen kommt als bei letzteren – sowohl was die Frage betrifft, wer entscheidet, als auch wie in der Sache entschieden wird. Als vielfach empirisch erwiesen gilt insbesondere der „Zusammenhang zwischen fiskalkonservativem Abstimmungsverhalten und der Sozialstruktur der Beteiligung“.28 Es geht aber nicht nur um traditionell ökonomische Konfliktkonstellationen, die durch direktdemokratische Entscheidungsverfahren zugespitzt werden könnten. Zu
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Die im Bundes-Verfassungsgesetz niedergelegten direktdemokratischen Verfahren können aus international vergleichender Perspektive betrachtet als ansehnlich gelten. Mit Blick auf den Umfang der direktdemokratischen Beteiligungsrechte erscheint Österreich in der bekannten Studie von Gross und Kaufmann immerhin in der dritthöchsten von insgesamt sieben Kategorien. Vgl. Andreas Gross/Bruno Kaufmann, IRI Europe Länderindex Volksgesetzgebung 2002. Ein Design und Ratingbericht zu den direktdemokratischen Verfahren und Praktiken in 32 europäischen Staaten, Amsterdam 2002. So Wolfgang Merkel, Volksabstimmungen: Illusion und Realität, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 44–45/2011, 47–55, hier 54. Zu den erstaunlichsten Befunden einer jüngeren empirischen Studie gehört es daher, dass im Rahmen einer Bevölkerungsumfrage die verbreitete Überzeugung zutage gefördert wurde, dass die „ärmeren sozialen Schichten“ zu den großen Gewinnern eines Ausbaus der direkten Demokratie in Österreich gehören würden. Vgl. Studiengruppe „International Vergleichende Sozialforschung“, Universität Graz/Institut für Empirische Sozialforschung, Wien: Direkte Demokratie in Österreich. Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage, Graz/Wien 2012, 26.
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den entschiedensten Verfechtern direktdemokratischer Verfahren gehören weltweit, und so auch in Österreich, rechtspopulistische Parteien, die entsprechende Verfahren anstreben, um damit die politische Durchsetzungsmacht „des Volkes“ zu entfesseln. Zu den sozial Schwachen bzw. Verwundbaren gehören in dieser Konstellation nicht so sehr ökonomisch schwache Staatsbürger als vielmehr potentiell die Gesamtheit an Migranten unabhängig von spezielleren Unterschieden. Wenn es richtig ist, dass die unterschiedlichen Institutionen und Verfahren der Demokratie – darunter auch jene der direkten Demokratie – bestimmte politisch-kulturelle Bedingungen voraussetzen, zu der in gesellschaftlich komplexen Gemeinwesen auch ein angemessenes Maß an Respekt und Toleranz gegenüber Personen mit einem wie auch immer konkret beschaffenen „Migrationshintergrund“ gehören29, mag es fraglich erscheinen, ob von einem Vorliegen der Voraussetzungen für eine institutionell entfesselte Direktdemokratie in Österreich bis auf Weiteres gesprochen werden sollte. Im internationalen Vergleich belegt Österreich jedenfalls nicht nur einen Spitzenplatz mit Blick auf die Wahlerfolge rechtspopulistischer Parteien, sondern auch hinsichtlich einer empirisch zweifelsfrei dokumentierten Fremdenfeindlichkeit, Minoritäten- und Randgruppen-Antipathie.30 Dazu passt es, dass in einer anderen Bevölkerungsumfrage, welche insgesamt eine beträchtliche Unterstützung für einen Ausbau der direkten Demokratie in Österreich indiziert, „kleinere Volksgruppen in Österreich“ von den Befragten treffsicher als jene identifiziert werden, die die größten Nachteile von erweiterten direktdemokratischen Verfahren zu erwarten hätten.31 Freilich ist der gesellschaftliche und politisch-kulturelle Kontext politischer Institutionen keine dauerhaft stabile Größe. Einstellungen und Werte unterliegen vielmehr einem kontinuierlichen Entwicklungsprozess in ungewisser Richtung mit potentiell gravierenden Folgen auch auf das Funktionsprofil politischer Institutionen. So zeigen die jüngeren schweizerischen Erfahrungen, dass ab einem gewissen Grad bzw. Ausmaß gesellschaftlicher Intoleranz direktdemokratische Verfahren nicht mehr, wie lange angenommen, als institutionelles „Sicherheitsventil“ gegen größere Wahlerfolge rechtspopulistischer Parteien funktionieren, sondern es vielmehr sowohl zu weitreichenden Erfolgen von Rechtspopulisten als auch zu gravierend minderheitenfeindlichen Volksentscheidungen kommen kann. 29
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Zur Bedeutung gesellschaftlicher und politisch-kultureller (sowie weiterer) Faktoren für die Vermeidung „tyrannischer Volksentscheide“ siehe im schweizerischen Kontext auch Adrian Vatter/Deniz Danaci, Mehrheitstyrannei durch Volksentscheide? Zum Spannungsverhältnis zwischen direkter Demokratie und Minderheitenschutz, in: Politische Vierteljahresschrift 51 (2010), 205–222. Vgl. Sieglinde Rosenberger/Gilg Seeber, Kritische Einstellungen: BürgerInnen zu Demokratie, Politik, Migration, in: Regina Polak (Hrsg.), Zukunft. Werte. Europa. Die europäische Wertestudie 1990–2010: Österreich im Vergleich, Wien 2011, 165–189. Vgl. Studiengruppe „International Vergleichende Sozialforschung“, a.a.O. (FN 28), 17, 26.
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Im Rahmen einer kritischen Würdigung der direkten Demokratie ist weiters darauf hinzuweisen, dass diese den strukturell Schwächeren und den situativen Verlieren von Volksentscheiden wenig anzubieten hat: Gegenüber den Verfahren der repräsentativen Demokratie ist mindestens der nicht beteiligungsberechtigte Teil der Wohnbevölkerung bei der Volksgesetzgebung der institutionalisierten Anwaltschaft verantwortlicher Volksvertreter bzw. Inhaber von Regierungsämtern mit einem Blick für das größere Ganze und der Verpflichtung, die Belange der Allgemeinheit bzw. aller Mitglieder des Gemeinwesens nach Kräften zu schützen, beraubt. Ein institutionalisiertes Prinzip politischer Verantwortlichkeit der Entscheidungsakteure, welches im Zentrum der repräsentativen Demokratie steht – vom Zwang der öffentlichen Rechtfertigung in parlamentarischen Befragungen bis hin zur Möglichkeit der Abwahl –, kennt die direkte Demokratie nicht. Zudem sind konfliktentschärfende Kompromisslösungen zwischen unterschiedlichen Gruppen unter den Bedingungen der direkten Demokratie durch den Entscheidungsmodus des „Entweder/Oder“ im Vergleich zu der Funktionsweise des Parlamentarismus strukturell minimiert. Trotz ihrer unvermeidbaren Neigung zur entscheidungspolitischen „Simplifizierung“ eignen sich aus der Gesellschaft heraus initiierte sachpolitische Abstimmungen jedoch auch und insbesondere nicht für die Behandlung von plötzlich auftauchenden, dringlichen Entscheidungserfordernissen, da direktdemokratische Verfahren unter sonst gleichen Bedingungen bedeutend zeitintensiver sind als Entscheidungsverfahren im Rahmen repräsentativdemokratischer Strukturen. Abgesehen davon fehlt der direkten Demokratie der charakteristische politisch-gesellschaftliche Ausgleichsmechanismus der repräsentativen Demokratie: die Neuverteilung von politischer Gestaltungsmacht im Zuge von Alternationen an der Regierung. Zu Recht hat man in der politikwissenschaftlichen Forschung darauf hingewiesen, dass die Stabilität und die politische Wohlfahrt demokratischer Systeme in einem hohen Maß an der Zustimmung der politischen Verlierer einer Wahl hängen.32 Die Aussicht auf einen Macht- und Politikwechsel im Zuge künftiger Wahlen befördert die Unterstützungsbereitschaft des politischen Systems und möglicherweise auch die Toleranz gegenüber den Entscheidungen amtierender Regierungen. Auch in dieser Hinsicht hat die direkte Demokratie wenig Vergleichbares zu bieten.33 32 33
Christopher J. Anderson/André Blais/Shaun Bowler/Todd Donovan/Ola Listhaug, Losers’ Consent: Elections and Democratic Legitimacy, Oxford 2005. Allerdings gibt es bescheidene empirische Hinweise darauf, dass es möglicherweise ähnliche Effekte geben könnte. Die Befunde des schweizerischen Politikwissenschaftlers Marc Bühlmann suggerieren, dass sich die Frustration von Bürgern, die nicht in den repräsentativen Körperschaften des Systems vertreten sind, in Systemen mit weitreichenden direktdemokratischen Beteiligungschancen
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Mindestens ein weiteres Problem kommt hinzu: Viele positive Würdigungen der direkten Demokratie beziehen sich auf die schweizerischen Erfahrungen, zu denen in der Summe ein außerordentliches hohes Maß an Lebenszufriedenheit gehört.34 Aber politische Institutionen sind mit Blick auf ihre erhofften und erwiesenen Wirkungen stets in ihrem jeweiligen Kontext zu betrachten. Vom gesellschaftlichen Kontext war bereits die Rede35; nicht minder bedeutend ist jedoch der institutionelle Kontext. Diesbezüglich ist insbesondere daran zu erinnern, dass die Schweiz keine parlamentarische Demokratie ist. Das zentrale institutionelle Merkmal der parlamentarischen Demokratie ist die parlamentarische Verantwortlichkeit der Regierung, ihre weithin sichtbarste Manifestation der Gegensatz zwischen Regierungsmehrheit und parlamentarischer Opposition. Anders als im schweizerischen Regierungssystem kommt diesem institutionalisierten Gegensatz in der parlamentarischen Demokratie für die Orientierung der Bürger im politischen Prozess und die Zurechenbarkeit von politischen Entscheidungen eine herausragende Bedeutung zu. Direktdemokratische Verfahren aber kommen faktisch ganz überwiegend der parlamentarischen Opposition zugute.36 Historisch war dies trotz der Eigenheiten des Regierungssystems selbst in der Schweiz zu beobachten. Tatsächlich waren es vor allem die Oppositionsparteien, die von den unterschiedlichen Instrumenten der direkten Demokratie hinsichtlich ihres entscheidungspolitischen Einflusses profitierten. Um Entscheidungen der Regierung „referendumsfester“ zu machen, wurden in einem langwierigen historischen Prozess schrittweise immer mehr politische Parteien mit direktdemokratisch relevanter Oppositionsmacht in den Kreis der Regierungsparteien im schweizerischen Bundesrat kooptiert.37 Im Kontext parlamentarischer Systeme erwächst aus dieser
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in geringerem Maße auf deren politische Unterstützungsbereitschaft niederschlagen, wofür nicht die Nutzung der Instrumente, sondern bereits deren bloßes Angebot verantwortlich zu sein scheint. Vgl. Marc Bühlmann, Direkte Demokratie und politische Unterstützung, in: Markus Freitag/Uwe Wagschal (Hrsg.), Direkte Demokratie. Bestandsaufnahmen und Wirkungen im internationalen Vergleich, Berlin 2007, 217–250, hier 244. Vgl. Bruno S. Frey/Alois Stutzer/Susanne Neckermann, Der Staat als Glücksmaximierer?, in: Zeitschrift für Staats- und Europawissenschaften 7 (2009), 724–741, hier 733–734. Eine weit ausgreifende kritische Würdigung des Zusammenhangs unterschiedlicher gesellschaftlicher Konstellationen und den zu erwartenden Wirkungen unterschiedlicher direktdemokratischer Instrumente bietet Heidrun Abromeit, Nutzen und Risiken direktdemokratischer Instrumente, in: Claus Offe (Hrsg.), Demokratisierung der Demokratie: Diagnosen und Reformvorschläge, Frankfurt a.M. 2003, 95–110. Das belegt auch eine nähere Betrachtung der Geschichte der Volksbegehren in der Zweiten Republik; vgl. Sieglinde Rosenberger/Gilg Seeber, Volksbegehren in Österreich: Zivilgesellschaft durch direkte Demokratie?, in: Der Bürger im Staat 4/2007, 233–239, hier 238. Vgl. Ludger Helms, Politische Opposition: Theorie und Praxis in westlichen Regierungssystemen, Opladen 2002, 168.
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spezifischen politisch-institutionellen Ermächtigung der Opposition jedoch die Gefahr, dass die institutionell vorgezeichnete und funktional hochrelevante Aufgabenteilung zwischen Regierung und Opposition – welche im nicht-parlamentarischen System der Schweiz keine annähernd vergleichbare Rolle spielt – systematisch unterlaufen wird. Der Zusammenhang zwischen „großen“ bzw. „übergroßen“ Regierungskoalitionen und direkter Demokratie ist schon oft diskutiert worden, üblicherweise mit dem Hinweis, dass bestimmte direktdemokratische Verfahren die Gründung von großen oder gar faktischen Allparteienkoalitionen eher befördern. Gelegentlich wurde allerdings auch anders herum argumentiert, dass es in parlamentarischen Systemen mit Großen Koalitionen zum Ausgleich der Schaffung zusätzlicher direktdemokratischer Verfahren bedürfe.38 Im Lichte der oben vorgetragenen Befunde der Forschung betrachtet mag man die positiven Wirkungen bezweifeln.39 Speziell im österreichischen Kontext ist auch darauf hinzuweisen, dass es um die Zukunftsfähigkeit der Großen Koalition im Lichte der historischen Entwicklung der Stimm- und Mandatsverteilung bei Nationalratswahlen ohnehin nicht besonders gut bestellt ist. Mit ihrem möglichen Ende würde ein vermeintliches Kernmotiv für die Einrichtung von potentiell „korrigierenden“ Volksentscheiden entfallen. Umgekehrt könnten signifikant erweiterte Volksrechte das Überleben wie auch immer gearteter „übergroßer“ Koalitionen, gegen deren Existenz und Wirken sich ein Gutteil des Unmuts und der Kritik der Befürworter einer neuartigen Volksgesetzgebung in diesem Land richtet, ironischerweise gar befördern.
III. Parlamentarisches Regieren als beständige Herausforderung Im Zentrum der international geführten Diskussionen über die Optimierung der repräsentativen Demokratie stehen Reformen am institutionellen Regelwerk. Das ist insofern verständlich und sinnvoll, als den Institutionen erwiesenermaßen eine hohe Prägekraft auf den politischen Prozess zukommt. Sie strukturieren nicht nur die Interaktionen zwischen handelnden Akteuren, sondern schaffen zugleich bestimmte Möglichkeiten und Anreize sowie Grenzen politischen Handelns. Sie sind 38 39
Vgl. so Franz Walter, Die ziellose Republik: Gezeitenwechsel in Gesellschaft und Politik, Köln 2006, 152–153. Mit guten Gründen hat man sich in Deutschland nach der abermaligen Bildung einer Großen Koalition nach der Bundestagswahl von 2013 für die Dauer der 18. Legislaturperiode zur Stärkung anderer Oppositionsrechte – wie eines betont minderheitenfreundlichen Verfahrens zur Einsetzung von Untersuchungsschüssen und Enquetekommissionen sowie für Subsidiaritätsklagen beim Europäischen Gerichtshof – entschieden.
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zudem, trotz aller bekannten Schwierigkeiten, noch immer vergleichsweise leichter und wirkungsvoller zu verändern, als viele andere Faktoren, die einen Einfluss auf die Strukturen politischer Willensbildung und Entscheidungsfindung besitzen. Dies ist nicht der Ort, um eine ausgreifende Agenda möglicher Optimierungsmaßnahmen kritisch zu würdigen. Die innerhalb wie außerhalb der österreichischen Diskussion lancierten Reformvorschläge reichen von Reformen innerparteilicher Demokratie, über Frauenquoten und Amtszeitbeschränkungen bis zu vielfältigen Vorschlägen zur Reform des Wahlsystems.40 Nicht alles aber kann den Institutionen bzw. möglichen institutionellen Reformen überlassen werden. In der Politikwissenschaft herrscht ein weitreichender Konsens darüber, dass die Institutionen das Handeln und die Interaktionen von individuellen Akteuren (Politikern und Bürgern) und kollektiven Akteuren (etwa Parteien und Interessengruppen) zwar in beträchtlichem Maße prägen, aber nicht determinieren. Obwohl es eine historische Errungenschaft und ein konstitutives Merkmal des demokratischen Verfassungsstaates ist, dass er die Handlungsmöglichkeiten politischer Machthaber und die Wirkungen persönlichkeitsbezogener Faktoren institutionell beschränkt, hängt ein Teil der Leistungsfähigkeit eines Gemeinwesens am Ende gleichwohl von den Leistungen der Akteure ab. Deswegen müssen sich demokratiereformpolitische Agenden über den Bereich der Institutionenreform hinaus erstrecken und sowohl die politischen Eliten als auch die Bürger mit einschließen. Der Schwerpunkt liegt dabei traditionell auf den politischen Eliten, häufig in Gestalt umfangreicher Bestandsaufnahmen des Ausmaßes der Professionalisierung.41 Es geht aber nicht nur um Karrierewege und -muster, sondern auch um das konkrete Verhalten von Inhabern parlamentarischer Mandate bzw. Regierungsämter. Von einem verantwortungsvollen Politiker wird man eine bestimmte Grundhaltung erwarten wollen, die nicht zuletzt an Kriterien einer persönlichen und amtsbezogenen Integrität ausgerichtet ist.42 Zugleich sollte klar sein, dass für 40
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Vgl. C. Offe, a.a.O. (FN 35); Ludger Helms, Demokratiereformen: Herausforderungen und Agenden, in: Aus Politik und Zeitgeschichte Nr. 44–45/2011, 12–18. Vgl. speziell zur österreichischen Diskussion Anton Pelinka/Fritz Plasser/Wolfgang Meixner (Hrsg.), Die Zukunft der österreichischen Demokratie: Trends, Prognosen und Szenarien, Wien 2000; Klaus Poier, Demokratie im Umbruch: Perspektiven einer Wahlrechtsreform, Wien 2009; Anton Pelinka, Demokratiepolitische Reformagenden im Vergleich, in L. Helms/D. Wineroither, a.a.O. (FN 13), 425–441. Vgl. etwa Klaus von Beyme, Die politische Klasse im Parteienstaat, Frankfurt a.M. 1992; Jens Borchert, Die Professionalisierung der Politik: Zur Notwendigkeit eines Ärgernisses, Frankfurt a.M. 2003; Michael Edinger/Werner J. Patzelt (Hrsg.), Politik als Beruf: Neue Perspektiven auf ein klassisches Thema (Sonderheft 44/2010 der Politischen Vierteljahresschrift), Wiesbaden 2010. Vgl. Peter Rinderle, Welche moralischen Tugenden braucht der Politiker in der liberalen Demokratie?; in: Zeitschrift für Politik 50 (2003), 397–422.
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eine Befreiung der repräsentativen Demokratie aus deren vielfach dokumentierter zumindest latenter Legitimationskrise ein allgemeines Wohlverhalten nach den Regeln des politischen Anstands und rechtlicher Unbescholtenheit nicht genügt. Ebenso wenig können sich die gewählten Repräsentanten vor allem auf ein geduldiges Zuhören verlegen, um damit ihre Bereitschaft zu nachhaltiger Responsivität zu demonstrieren. Trotz des letztlich nicht vollständig auflösbaren Spannungsverhältnisses zwischen Demokratie und Führung43 benötigen repräsentative Demokratien ein gewisses Maß an „leadership“, womit nicht ausschließlich responsives Handeln gemeint sein kann.44 Es gehört zu den Eigenheiten der repräsentativen Demokratie, dass es Politikern in Wahlämtern relativ wenig nützt, besser zu sein als ihr Ruf. Die „Reputation“ von Entscheidungsträgern wurde in der jüngeren Forschung zu Recht als eines der Kernelemente von politischem „Führungskapital“ identifiziert.45 Da jedoch erzielte Leistungen in hohem Maße im Auge des Betrachters liegen, muss zu den weiteren Voraussetzungen des Gelingens einer gemeinwohlorientierten und nachhaltigen Entscheidungspolitik auf der Ebene des Staates auch eine angemessene Urteilsfähigkeit auf Seiten der Gesellschaft gerechnet werden. Hier ist, und war immer schon, die politische Bildung gefordert, welche sich nicht auf die bloße Vermittlung eines basalen Sachwissens über politische Strukturen beschränken darf, sondern nach Entwicklung von „Demokratiekompetenz“ streben muss.46 Angesichts der zum Teil atemberaubenden populistischen Verflachung der Medienberichter-
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Vgl. etwa John Kane/Haig Patapan (Hrsg.), The Democratic Leader: How Democracy Defines, Empowers, and Limits Its Leaders, Oxford 2012. So schon Giovanni Sartori, The Theory of Democracy Revisited, Chatham 1987, 170; vgl. Ludger Helms, Democratic Political Leadership in the New Media Age: A Fairwell to Excellence?, in: British Journal of Politics and International Relations 14 (2012), 651–670. In der jüngeren Demokratietheorie drehen sich viele Diskussionen um die Möglichkeiten einer angemessenen Verbindung von Repräsentation und Führung, wobei Repräsentation zunehmend als etwas im Zuge von politischer Führung zu Erschaffendes begriffen wird. Vgl. etwa András Körösényi, Political Representation in Leader Democracy, in: Government and Opposition 40 (2005), 358–378. In anderen Beiträgen geht es spezieller um die bis vor kurzem kaum gestellte Frage des Verhältnisses zwischen Repräsentation und staatlicher Steuerung im Bereich der Reformpolitik, wobei Formen der symbolischen Repräsentation für neuartige Strategien weicher Steuerung eine herausragende Bedeutung zugemessen wird. Vgl. Gerhard Göhler, Durchsetzung von Reformen? Über den Zusammenhang von Repräsentation und Steuerung in der Demokratie, in: Markus Linden/Winfried Thaa (Hrsg.), Krise und Reform politischer Repräsentation, Baden-Baden 2013, 173–193. Vgl. Mark Bennister/Paul ’t Hart/Ben Worthy, Assessing the Authority of Political Office-Holders: The Leadership Capital Index, in: West European Politics 38 (2015), i.E. Vgl. Dirk Lange/Gerhard Himmelmann (Hrsg.), Demokratiekompetenz: Beiträge aus Politikwissenschaft, Pädagogik und politischer Bildung, Wiesbaden 2005.
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stattung über Politik vor allem in vielgelesenen Gratistageszeitungen wie „Heute“ und „Österreich“ ist ein aufklärerisches Gegensteuern durch Qualitätsmedien und die Wissenschaft heute jedoch dringlicher denn je. Aus international vergleichender Perspektive betrachtet erscheinen einige der österreichischen Printmedien in der Tat nicht nur als hartnäckige Verteidiger des politischen Status quo47, sondern zugleich und insbesondere als Instanzen, die entscheidend mitverantwortlich für das auffallend geringe Ansehen sind, welches Politiker in der Gesellschaft genießen. In Einzelfällen offensichtlichen Fehlverhaltens mag eine scharfe öffentliche Verurteilung gerechtfertigt sein, aber eine mehr oder minder pauschale Verunglimpfung der politischen Klasse als Gruppe überbezahlter Lobbyisten in eigener Sache wird den Tatsachen nicht gerecht und befördert möglicherweise gar eine gewisse Verdrossenheit an der Demokratie auch auf Seiten politischer Entscheidungsträger, welche einem mutigeren Agieren im Wege steht.
IV. Schlussbemerkung: Repräsentation als politische Beziehung und Optionen des Neubeginns Tatsächlich handelt es sich, wie die italienische Politikwissenschaftlerin Nadia Urbinati bemerkt, bei politischer Repräsentation nicht um etwas, das bereits durch die Wahl von Repräsentanten zustande kommt, sondern um eine komplexe politische Beziehung zwischen Repräsentierten und Repräsentanten.48 Diese wird in der öffentlichen Diskussion jedoch allzu oft auf ein Set an Verpflichtungen letzterer verkürzt. Auf die Gefahr hin, den vermeintlichen Zumutungen der repräsentativen Demokratie eine weitere hinzuzufügen, sei in diesem Zusammenhang daran erinnert, dass eine Beziehung – auch in der Politik – stets beiden Seiten etwas abverlangt. Ein gewisses Maß an konditioniertem Vorschussvertrauen und Respekt auf Seiten der Wähler für ihre Repräsentanten, basierend auf der Einsicht in die Schwierigkeiten effektiver politischer Problemlösung, könnte sich bei der Suche nach den Bedingungen für die bestmöglichen Entscheidungen als wichtige Ressource erweisen. Diese Forderung muss keineswegs als „blauäugig“ gelten, noch sollte sie als Aufforderung gelesen werden, die politischen Eliten schlicht gewähren zu lassen. Ihrer gesamten Konzeption nach sowie auch mit Blick auf ihre möglichen Wirkungen in der Verfassungspraxis demokratischer Systeme sind Wahlen nicht ausschließlich Akte der politischen Ermächtigung (im Sinne prospektiver Wahlentscheidungen),
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Vgl. A. Pelinka, a.a.O. (FN 40), 439. Vgl. Nadia Urbinati, Representative Democracy and Its Critiques, in: Sonia Alonso et al. (Hrsg.), The Future of Representative Democracy, Cambridge 2011, 23–47, hier 44–45.
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sondern zugleich Instrumente politischer Kontrolle (im Sinne retrospektiver Wahlentscheidungen).49 Mit einer behutsamen Öffnung der Parteilisten für Nationalratswahlen zugunsten einer Berücksichtigung von Personen, die keine klassische Parteikarriere hinter sich haben, könnten insbesondere die Altparteien ihrerseits ein Zeichen für einen ernstgemeinten Neubeginn setzen. Sinnvoll verstärkt werden könnte dieser Zug durch einen Ausbau des Präferenzstimmensystems bis hin zur Schaffung vollständig offener Listen mit der Möglichkeit zur gezielten Nichtwahl bzw. Abwahl einzelner Kandidaten. Würde damit vor allem das Prinzip der Verantwortlichkeit von Abgeordneten gegenüber den Wählern deutlich gestärkt, so steht mit Blick auf das politische Agenda-Setting aus der Gesellschaft heraus in Gestalt des Volksbegehrens nach Art. 41 Abs. 2 B-VG, mittels dessen das Parlament zur Beschäftigung mit einem Gegenstand verpflichtet werden kann, in Österreich bereits seit langem ein wichtiges Instrument zur Verfügung. Dass sich dieses mit Blick auf seine Einsatzbedingungen von einem Verfahren, das zunächst die Parteien begünstigte, hin zu einem Instrument der Zivilgesellschaft gewandelt hat50, ist nur zu begrüßen. Dass politische Beteiligung von Bürgern in den demokratischen Systemen der Gegenwart ohnehin nicht auf die Inanspruchnahme spezieller institutioneller Verfahren beschränkt ist, sondern potentiell eine Vielzahl legitimer Formen des unkonventionellen politischen Engagements einschließt, ist beinahe zu selbstverständlich geworden, um noch der besonderen Erwähnung zu bedürfen. Allerdings erscheint gerade dieses Reservoir an möglichen Aktivitäten in Österreich im internationalen Vergleich betrachtet weiterhin eher wenig genutzt zu werden.51 Darin muss man nicht zwingend ein Problem erkennen. Ob indes tatsächlich davon ausgegangen werden sollte, dass eine im Ergebnis größere Demokratiezufriedenheit52 in Österreich ausgerechnet durch einen signifikanten Ausbau politischer Beteiligungsrechte in sachpolitischen Fragen zu erreichen sei, erscheint auch im Lichte dieser Befunde besehen zweifelhaft. In der Summe der Argumente spricht jedenfalls bedeutend mehr dafür, bei der Suche nach dem besten Entscheidungssystem und den besten Entscheidungen einer umsichtigen Optimierung der Verfahren der repräsentativen Demokratie den Vorzug zu geben. 49
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Vgl. W. Robert Reed/Joonmo Cho, A Comparison of Prospective and Retrospective Voting with Heterogenous Politicians, in: Public Choice 96 (1998), 93–116; Richard Mulgan, Holding Power to Account: Accountability in Modern Democracies, Basingstoke 2003. Vgl. S. Rosenberger/G. Seeber, a.a.O. (FN 36), hier 235. Vgl. Fritz Plasser/Gilg Seeber, Politische Kultur und Demokratiebewusstsein in der Zweiten Republik im internationalen Vergleich, in: Helms/Wineroither, a.a.O. (FN 13), 271–292, hier 281–282. Diese ist im internationalen Vergleich betrachtet im Übrigen bereits durchaus ansehnlich; vgl. ebd., 285–286.
Katharina Pabel
Überlegungen zur Stärkung des Parlamentarismus
I. Ausgangspunkt In der Diskussion um das Thema direkte Demokratie versus Parlamentarismus ist keine Entweder-Oder-Entscheidung zwischen unmittelbarer (direkter) Demokratie und repräsentativ-demokratischem System zu treffen. Es geht um eine sinnvolle Kombination beider Formen der Demokratie mit dem Ziel, zu möglichst guten Entscheidungen zu kommen. „Gute Entscheidungen“ ist natürlich ein hehres Ziel. „Gute Entscheidungen“ heißt einerseits in der Sache gute Entscheidungen, also sachangemessene, zukunftsweisende Entscheidungen, die die anstehenden Probleme lösen und die die Zukunft positiv gestalten. Andererseits heißt gute Entscheidungen auch, dass sie auf eine Art und Weise zustande kommen, die von den Bürgern – oder jedenfalls von der Mehrheit der Bürger – getragen und akzeptiert wird. Hier setzt die Frage an, wie man Entscheidungen organisiert, strukturiert und legitimiert, um beide Elemente einer möglichst guten Entscheidung bestmöglich zu verwirklichen. Neben der Befassung mit der Erweiterung direkt-demokratischer Elemente erscheint es hilfreich, auch die repräsentativ-demokratischen Strukturen näher zu betrachten und einige Überlegungen zur Stärkung des Parlaments anzustellen.
II. Die Stärkung der Funktion des Parlaments als Forum der Bürgerinnen und Bürger Das von den Bürgerinnen und Bürger gewählte Parlament kann im Konzert der Staatsorgane etwas Besonderes leisten: Vor den Augen der Öffentlichkeit können im Parlament Diskussionen geführt werden. Das Parlament bietet ein Forum für Rede und Gegenrede und für den Austausch von Argumenten. Strukturiert nach den Regeln der Geschäftsordnung ist das Parlament der Raum, in dem die Abgeordneten als Repräsentanten des Volkes aktuelle Fragen des tagespolitischen Geschehens und die Grundlagen für die zukünftige Entwicklung diskutieren können.1 1
Zur Funktion des Parlaments in der repräsentativen Demokratie siehe etwa Rill/Schäffer, in: Kneihs/Lienbacher (Hrsg.) Rill/Schäffer-Kommentar Bundesverfassungsrecht (Loseblatt, Stand: 2014) Art. 1 B-VG (2001) Rz. 26 ff.; Brenner, Das Prinzip Parlamentarismus, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.) Handbuch des Staatsrechts III3 (2003), § 44 ibs Rz. 25 ff.
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Eine Stärkung des Parlaments in dieser Funktion als Forum der direkt gewählten Abgeordneten und damit mittelbar auch als Forum der Bürgerinnen und Bürger muss zeigen, dass im Parlament relevante, spannende und brisante Debatten stattfinden und dass diese informiert, seriös und differenziert geführt werden. Das bedeutet zunächst einmal einen Anspruch an jeden einzelnen Abgeordneten. Ihn treffen die Erwartungen an das Parlament, vor der Öffentlichkeit repräsentativ die Diskussionen zu Fragen zu führen, die angesichts der aktuellen und zukunftsweisenden Probleme in einer Gesellschaft auftreten. In diesem Zusammenhang ist auf Seiten der Bürgerinnen und Bürger häufig eine gewisse Ermüdung bei der Wahrnehmung parlamentarischer Diskussionen festzustellen.2 Debatten erscheinen uninteressant, weil sie – tatsächlich oder vermeintlich – nach einem bestimmten Schema ablaufen. Es treffen Abgeordnete aufeinander, deren Position aufgrund ihrer Parteizugehörigkeit bekannt ist. Die Zuhörer bezweifeln, ob es wirklich um einen Austausch von Argumenten in der Sache und um das Auffinden der besten Entscheidung geht. Sie befürchten vielmehr, dass vorher fixierte, der Parteiraison geschuldete Positionen ausgetauscht werden, die neben einer Entscheidung in der Sache jedenfalls auch der Machterhaltung oder Machterringung zugunsten der jeweiligen Partei dienen. Die Debatte spiegelt für Bürgerinnen und Bürger dann weniger ein Austauschen von Argumenten im Ringen um die bestmögliche Entscheidung wider, sondern wird als ein schematisches Aufeinandertreffen von politischen Kontrahenten gesehen. In der Wahrnehmung solcher Debatten tritt die Sachfrage regelmäßig in den Hintergrund.3 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie die Funktion des Parlaments gestärkt werden kann. Auf die Strukturierung von Debatten durch die verschiedenen Parteien, die im Parlament in den Klubs widergespiegelt werden, kann und soll nicht verzichtet werden. Es dient auch für Bürgerinnen und Bürger der Übersichtlichkeit vertretener Positionen, wenn sie grundsätzlich mit einer oder mehreren Parteien verbunden werden können. Allerdings ist der Anspruch an die Debatte im Parlament doch eine Auseinandersetzung in der Sache. Man darf nicht übersehen, dass die parlamentarische Debatte in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit in einen Vergleich, wenn nicht gar in Konkurrenz zu Gesprächssendungen im Fernsehen tritt. Das macht es für die Abgeordneten nicht leichter, und zwar schon allein deswegen, weil die Medien zumeist durch Zitierung (oder Wiedergabe) der poin2 3
Siehe jüngst für den Deutschen Bundestag Roger Willemsen, Das Hohe Haus (2013). Manche Beobachtungen lassen sich auf den österreichischen Nationalrat übertragen. Siehe dazu auch Adamovich/Funk/Holzinger, Österreichisches Staatsrecht I. Grundlagen (2011) Rn. 11.006; Öhlinger, Direkte Demokratie: Möglichkeiten und Grenzen, Zur aktuellen Diskussion über einen Ausbau direktdemokratischer Verfahren der Gesetzgebung, ÖJZ 2012, 1054 (1056 f.).
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tierten „Sager“ aus den parlamentarischen Debatten berichten. Umgekehrt wird der Auftritt eines Abgeordneten in einer Talk-Show geradezu selbstverständlich als „Verlängerung“ der parlamentarischen Debatte gesehen.4 Hier tritt die Ermüdung des Zusehers wegen eines schematischen, reflexhaften Aufeinandertreffens der Angehörigen verschiedener Parteien möglicherweise noch schneller ein. Es erscheint wünschenswert, jenseits der festgefahrenen Zuordnungen eine echte Diskussion zu wagen. Den Zuhörern ist es zuzutrauen, dass sie es nicht unbedingt als ein Zeichen von Schwäche auslegen, wenn Zweifel an Lösungsvorschlägen aufgegriffen und erörtert werden und nicht nur reflexhaft abgewiesen werden. Einen Beitrag zur Stärkung der freien Debatte im Parlament könnte es leisten, wenn bei bestimmten einzelnen Fragestellungen und Abstimmungen im Nationalrat der Klubzwang aufgehoben wird.5 Eine solche Aufhebung des Fraktionszwangs und sogenannte Freigabe von Abstimmungen erfolgt im Deutschen Bundestag von Zeit zu Zeit bei Abstimmungen, die von den einzelnen Abgeordneten besondere Gewissensentscheidungen verlangen.6 Beispiele sind etwa die Regelung des Schwangerschaftsabbruchs oder die gesetzliche Regelung der Präimplantationsdiagnostik. Auch die Frage der Verlängerung von Verjährungsfristen für NS-Verbrechen oder aber auch die Entscheidung über die Verlegung der Hauptstadt von Bonn nach Berlin wurden unter Aufhebung des Fraktionszwangs getroffen. Eine solche Aufhebung des Klubzwangs hat Auswirkungen auf die parlamentarische Debatte. Hier steht jede Rednerin und jeder Redner in der Pflicht, ihre bzw. seine eigene, persönliche Position darzulegen.7 Für die Zuhörer wird die Diskussion so spannender, sie kann sich nicht auf die Präsentation von Parteipositionen beschränken. Die Erfahrungen in Deutschland zeigen, dass gerade diese seltenen Debatten, in denen der Fraktionszwang aufgehoben ist, von der interessierten Öffentlichkeit als Besonderheit wahrgenommen werden. Sie ragen aus dem parlamentarischen Alltag heraus und entwickeln sich gelegentlich sogar zu „Sternstunden des Parlaments“.
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5 6 7
Siehe zur „Digitalen Demokratie und Partizipation“ auch Bußjäger, Plebiszitäre Demokratie im Mehrebenensystem? – zur Theorie direkter Demokratie in föderalen und konföderalen Systemen, in FS Pernthaler, Vom Verfassungsstaat am Scheideweg (2005) 85 (102 f.). Siehe zum „Fraktionszwang“ Berka, Verfassungsrecht5 (2014) Rz. 536. Vgl. etwa aus den Informationen der Bundeszentrale für politische Bildung, http://www.bpb.de/ politik/grundfragen/deutsche-demokratie/39331/bundestag?p=all (geprüft am 4.11.2014). Vgl. hingegen zum „Imperativen Mandat“ Rill/Schäffer Art. 1 Rz. 17.
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III. Die Stärkung des Parlaments durch Stärkung der Rechte der Opposition Anknüpfend an diese Überlegungen zur Stärkung der Debatte soll nun ein Blick auf die besondere Rolle der Opposition im Parlament geworfen werden. Die Opposition steht der regelmäßig von der Parlamentsmehrheit getragenen Regierung gegenüber. Die Funktion der Kontrolle der Regierung, die dem Parlament von Verfassungs wegen aufgetragen ist, wird daher in erster Linie durch die Opposition wahrgenommen. Allerdings ist „die Opposition“ kein einheitlicher Block, sondern besteht zumeist aus mehreren politischen Parteien mit ganz unterschiedlichen Ausrichtungen. Gerade im Fall einer Großen Koalition ist dies typischerweise der Fall.8 Damit die Oppositionsparteien in der Lage sind, die Kontrolle der Regierung (mit-)wahrzunehmen, sind jene rechtlichen Befugnisse bzw. Instrumente in den Blick zu nehmen, die nach dem B-VG und der Geschäftsordnung des Nationalrates in die Hand der parlamentarischen Minderheit gelegt sind.9 So bietet etwa das parlamentarische Fragerecht eine Möglichkeit, die Regierung durch gezielte Fragen zu kontrollieren.10 Anknüpfend an die vorangegangenen Überlegungen zur Stärkung der parlamentarischen Debatte könnte man auch hinsichtlich der Ausgestaltung des Fragerechts an Varianten denken, die sowohl eine Stärkung dieses Instruments der parlamentarischen Minderheit bewirken als auch eine spannende parlamentarische Debatte fördern. So könnte eine andere Dramaturgie der Fragestunde (durchaus auch in einer medial vermittelbaren Art und Weise) den Effekt dieses Mittels stärken. Zu denken wäre zum Beispiel an eine Anwesenheitspflicht der Regierung insgesamt während der Durchführung der Fragestunde. In diesem Zusammenhang ist auch die nun schon lang andauernde Debatte um die Ausgestaltung des besonderen Kontrollinstruments des Untersuchungsausschusses als Minderheitenrecht von Belang.11 Untersuchungsausschüsse sind Mittel des Nationalrates zur Kontrolle der Geschäftsführung der Bundesregierung. Sie können einzelne Vorgänge im Bereich der Verwaltung zu politischen Zwecken aufklären und an die Öffentlichkeit bringen. Dabei liegt es in der Verantwortung des Untersuchungsausschusses und der in ihm vertretenen politischen Parteien, diesen nicht 8 9 10 11
Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht10 (2014) Rz. 354. Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht Rz. 471 ff. Berka, Verfassungsrecht Rz. 574; Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht Rz. 472. Vgl. etwa Ermacora, Die politische Kontrolle, in Schambeck (Hrsg.) Das österreichische Bundes-Verfassungsgesetz und seine Entwicklung (1980) 511 (526); Widder, Parlamentarische Untersuchungsausschüsse aus der Sicht des Bundes, in Schäffer (Hrsg.) Untersuchungsausschüsse. Politische Praxis – rechtliche Neugestaltung (1995) 27 (32 f., 68 f.); Konrath, Reform der Untersuchungsausschüsse und Überlegungen zur Einführung eines Organstreitverfahrens, JBÖR 2010, 25 ff.; Berka, Verfassungsrecht Rz. 578.
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als ein reines Medienspektakel zu inszenieren, sondern mit Augenmaß und der selbst im politischen Meinungskampf gebotenen Sachlichkeit die durch das Untersuchungsverfahren erlangten Informationen in transparenter Weise zu nutzen.12 Die Erfahrungen mit den Untersuchungsausschüssen der letzten Jahre ließen zumindest in der Außenwahrnehmung den Eindruck zu, dass die im Besitz der parlamentarischen Mehrheit befindlichen Parteien die effektive Durchführung und den sinnvollen Abschluss mancher Untersuchungsverfahren nicht zuließen. Das löst jedenfalls bei den Beobachtern, möglicherweise auch bei den Beteiligten, eine gewisse Frus tration aus. Die jüngsten Initiativen für die Einführung des Rechts zur Einsetzung von Untersuchungsausschüssen als ein Minderheitenrecht sind vielversprechend.13 Vertreter der im Nationalrat vertretenen politischen Parteien haben einen Vorschlag vorgelegt, nach dem wie bisher der Nationalrat jederzeit einen Untersuchungsausschuss einsetzen kann und darüber hinaus auf Verlangen eines Viertels der Mitglieder des Nationalrates ein Untersuchungsausschuss einzusetzen ist. Entsprechend der vorgeschlagenen Änderung der Verfahrensordnung für parlamentarische Untersuchungsausschüsse sollen bei Untersuchungsausschüssen, die auf Verlangen einer Minderheit eingesetzt wurden, der Minderheit auch im Verfahren einzelne Rechte zukommen. Diese betreffen etwa die Mitbestimmung des Gangs des Verfahrens und die Beweiserhebung. Solche Regelungen stellen sicher, dass das Untersuchungsrecht zu einem wirklichen Kontrollinstrument in den Händen (auch) einer Minderheit wird. Ein Hauptargument gegen ein Minderheitenrecht ist die sicherlich ernstzunehmende Gefahr eines missbräuchlichen, inflationären Einsatzes von Untersuchungsausschüssen, der die Effektivität der parlamentarischen Arbeit behindern würde.14 Zur Vermeidung einer Vielzahl von parallel arbeitenden Untersuchungsausschüssen, von denen im Hinblick auf die Arbeitsüberlastung in erster Linie die kleinen parlamentarischen Klubs betroffen wären, sieht der vorgelegte Vorschlag zur Einführung des Minderheitenrechts vor, dass ein Abgeordneter, der ein Verlangen auf Einsetzung unterstützt hat, bis zur Beendigung der Tätigkeit des daraufhin eingesetzten Untersuchungsausschusses kein weiteres Verlangen unterstützen darf. Damit wird einerseits eine zu große Anzahl von gleichzeitig arbeitenden Untersuchungs12
13 14
Vgl. zu rechtlichem Rahmen und Praxis der Untersuchungsausschüsse Kahl, in: Korinek/Holoubek (Hrsg.) Österreichisches Bundesverfassungsrecht (Loseblatt, Stand: 2013) Art. 53 B-VG (2005); Berka, Verfassungsrecht Rz. 576; Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht Rz. 467 f. Vgl. die entsprechenden Initiativanträge NR 718/A XXV. GP; NR 719/A XXV. GP vom 22.10.2014. Vgl. zu diesem Argument schon Jahnel, Überlegungen für die Neuordnung des Rechts der Untersuchungsausschüsse im Land Salzburg, in FS Hofer-Zeni (1998) 107 (117).
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ausschüssen verhindert. Andererseits kann stets durch Mehrheitsbeschluss ein weiterer Ausschuss eingerichtet werden, sollte es etwa aufgrund aktueller Ereignisse notwendig erscheinen, ein weiteres Untersuchungsverfahren einzuleiten. Sinnvoll ist es, dass der Initiativantrag ein Streitbeilegungsverfahren zur Entscheidung über Streitigkeiten in Zusammenhang mit der Einsetzung und der Tätigkeit der Untersuchungsausschüsse vorsieht.15 Konkret wird vorgeschlagen, dass der Verfassungsgerichtshof über im Einzelnen aufgezählte Meinungsverschiedenheiten entscheiden kann. Das Streitbeilegungsverfahren ist demnach aus dem parlamentarischen Bereich ausgelagert; der Verfassungsgerichtshof wird mit weiteren Zuständigkeiten versehen, die ihn auf ein Feld führen, das in Deutschland durch das Organstreitverfahren abgedeckt ist.16
IV. Die Rolle des Parlaments im Prozess der Europäisierung Eine wichtige Funktion üben Nationalrat und Bundesrat auch als nationales Parlament im Prozess der Europäisierung aus. Es ist bekannt, dass der Nationalrat durchaus eine Reihe von Informations-, Mitbestimmungs- und Kontrollrechten an Rechtsetzungsakten, aber auch anderen Entscheidungen auf europäischer Ebene hat. Darüber hinaus ist der Nationalrat bei der Umsetzung von Unionsrecht in nationales Recht zentrales Rechtsetzungsorgan.17 Im Folgenden soll das Augenmerk nicht auf diese Kompetenzen im Einzelnen, sondern vielmehr auf die Funktion des Parlaments im Ganzen gelegt werden. Meiner Ansicht nach würde der Parlamentarismus gestärkt, wenn der Nationalrat seine „Brückenkopf-Funktion“ für Europa im Mitgliedstaat bewusster und stärker wahrnehmen würde. Es sollte nicht der Eindruck vermittelt werden, dass Akte aus Brüssel „über den Nationalrat kommen“ und ohne Änderungsmöglichkeit in das nationale Recht übernommen werden. Vielmehr gilt es, die Möglichkeiten, die auch dem österreichischen Parlament zur Verfügung stehen, aktiv in Anspruch zu nehmen und entsprechend in der Öffentlichkeit zu diskutieren. So ist es positiv zu werten, wenn Bundesrat und Nationalrat aktiv von der Möglichkeit einer Subsidiaritätsrüge gegenüber Rechtsetzungsvorschlägen der Union Gebrauch machen und ihre Bedenken äußern.18 Trotz des ge15 16 17 18
Vgl. dazu auch Konrath, Reform der Untersuchungsausschüsse 25. Zum Organstreitverfahren in Deutschland siehe für alle Hillgruber/Goos, Verfassungsprozessrecht3 (2011) Rz. 303 ff. Berka, Verfassungsrecht Rz. 322 ff.; Öhlinger in Korinek/Holoubek (Hrsg.), Österreichisches Bundesverfassungsrecht (Loseblatt, Stand: 2013) Art. 23e (2002) Rz. 5 ff. Berka, Verfassungsrecht Rz. 325; Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht Rz. 187a; vgl. dazu auch Pabel, Die Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips durch die Parlamente der Mitgliedstaaten, JRP 2011, 287; Pabel, 90 Jahre Bundesverfassung 35 ff.
Überlegungen zur Stärkung des Parlamentarismus
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legentlich sicher stark technischen Inhalts sollte darüber nachgedacht werden, ob und wie entsprechende Diskussionen besser in die Öffentlichkeit gelangen können.
V. Schluss Die vorangehenden Gedanken zur Stärkung des Parlamentarismus zielen in erster Linie auf eine Stärkung des Kommunikationsprozesses zwischen dem Parlament und den Wählerinnen und Wählern ab. Durch diesen fortwährenden Dialog kann auch jenseits der nur alle fünf Jahre stattfindenden Stimmabgabe bei Wahlen zur demokratischen Legitimation beigetragen werden.
Andreas Khol
Zweifel am Allheilmittel Direkte Demokratie
I. Die parlamentarischen Demokratien Europas im internationalen Leistungswettbewerb In der Europäischen Union bestehen staatliche politische Systeme, die durch ähnliche Merkmale geprägt sind – es gibt gleichsam eine gemeinsame öffentliche Ordnung, einen ordre public européen: • • •
Parlamentarische Demokratie nach den Maßstäben des Europarates; Europäische Menschenrechtskonvention und Europäische Sozialcharta; eine immer stärker dem Umweltschutz verpflichtete soziale Marktwirtschaft.
Diese Merkmale machen Europa aus. Wir Europäer messen andere Länder mit dieser, unserer Elle. Lange Jahre sah es so aus, als würde dieses europäische Modell nicht nur seinen von ihm gestalteten Ländern Freiheit, Wohlstand, Rechtsstaatlichkeit und soziale Sicherheit bringen, sondern auch gleichzeitig allen anderen Staaten zum Vorbild dienen. So verfolgten wir die verschiedenen jährlich erscheinenden internationalen Messungen über den Fortschritt dieser Demokratie mit Befriedigung: Fortschritte zur Demokratie gab es zuerst in Lateinamerika, dann nach der Wende 1990 in Mittel- und Osteuropa, dann erfüllte uns der „arabische Frühling“ mit Hoffnung. Diese Fortschritte in europäischen Augen wurden in den letzten Jahren zunehmend in Frage gestellt. Das jährlich erscheinende Demokratie-Barometer von Freedom House zeigt zunehmend Rückschritte auf. Die Demokratien werden immer weniger, der arabische Frühling ist beispielsweise im arabischen Sommer verdorrt. Sogar in der EU wird daran gerüttelt: David Cameron stellt seit langem die Europäische Menschenrechtskonvention in Frage und will nun seit Neuem Großbritanniens Mitgliedschaft kündigen – damit stellt sich automatisch die Frage der Mitgliedschaft im Europarat und damit auch in der EU. Im Parallellauf dazu Viktor Orban, der sich von der liberalen Demokratie abkehren will. Dramatisch ist der sich verdichtende Eindruck, dass diese unsere Demokratien eben nicht mehr vom System her zu den besten Entscheidungen im Sinne der Fragestellung dieses Sammelwerkes kommen. Die immer zahlreicheren, großen autoritären Marktwirtschaften scheinen zunehmend den Wettbewerb mit demokratischen
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sozialen Marktwirtschaften zu gewinnen: beispielhaft verdeutlicht am Vergleich zwischen den beiden Giganten China und Indien. Wo steigt das Pro-Kopf-Einkommen der Bevölkerung stärker, ist die soziale Sicherheit größer, wird das Verbrechen und die Korruption erfolgreicher bekämpft, gibt es annähernd gerecht verteilte Lebens- und Aufstiegschancen, werden die Rechte der Frauen respektiert?, um nur einige Parameter zu nennen. In diesem Wettbewerb hat China die Nase weit vorn!
II. Krisenhafte Entwicklungen in vielen Demokratien in Europa In Europa nähern sich viele unserer bewährten parlamentarischen Demokratien unaufhaltsam einer Krise des Systems, ausgelöst durch die auf Grund der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise nicht mehr bewältigbaren Folgen der immer schneller zunehmenden Verschuldung. Fast alle europäischen parlamentarischen Demokratien sind schwer verschuldet und die meisten kommen damit nicht zu Rande. Ihre Parlamente und Regierungen waren wohl in der Lage, den stetig wachsenden Wohlstand annähernd konfliktfrei und gerecht zu verteilen, sind aber unfähig, die notwendigen Reformen zur Erzielung eines annähernd ausgeglichenen Staatshaushalts und die damit verbundenen Eingriffe in die gewohnten großzügigen Sozialleistungen zu entwerfen und durchzusetzen. Reformer werden abgewählt, Reformen daher zu „Reformettes“, wie jetzt in Frankreich. Ohne die Brachialgewalt der Europäischen Union wären Länder wie Griechenland, Portugal, Spanien und Irland nicht in der Lage gewesen, aus eigener politischer Kraft die notwendigen Reformen durchzusetzen, sie wären zahlungsunfähig geworden und hätten wahrscheinlich einen weltweiten wirtschaftlichen und auch sozialen Zusammenbruch verursacht. Große Länder wie Frankreich und Italien sind reformunfähig geworden. In fast allen Parlamenten, selbst dort, wo es ein Mehrheitswahlrecht gibt, splittert sich das Parteiensystem auf, entstehen laufend neue Parteien und schaffen den Einzug ins Parlament, werden absolute Mehrheiten oder stabile Regierungsmehrheiten immer seltener. Die traditionellen großen Volksparteien der rechten und linken Mitte verlieren an ihren Rändern. Nationalistische Rechtsparteien und nihilistische Protestparteien ziehen in die Parlamente ein. Regierungsbildungen dauern immer länger, Regierungsmehrheiten entstehen aus zwei und mehr inhomogenen Parteien. Vielparteien-Koalitionen werden nötig, sie bröckeln oft schnell nach ihrer Bildung, Regierungen werden schwach und schwächer. Immer die nächste Wahl und die Konkurrenz im Auge wird der Populismus zum System. Elektronische, neue und klassische Medien spielen dabei eine beschleunigende Rolle. So entstehen Blockaden, werden wichtige Entscheidungen nicht getroffen. Der zeitgeistige Meinungsdruck regiert. Zwei Beispiele der Gegenwart: die Versorgung mit billiger Energie zu
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international wettbewerbsfähigen Preisen wird zu einer Lebensfrage für den europäischen Wohlstand. Die Förderung von Schiefergas und Schieferölen wie in den USA und Kanada spielt weltweit dabei eine entscheidende Rolle. Europa ist nicht in der Lage, hier umweltgerecht und zweckmäßig zu handeln: Forschungs- und Versuchsverbote blockieren jeden Schritt in diese Richtung. Der Umgang mit gentechnisch veränderten Lebensmitteln in manchen Ländern Europas folgt ähnlichen Mustern.
III. Entwicklungen der Parlamentarischen Demokratie in Österreich Österreich fügt sich in dieses Bild. Das Parteiensystem ist reichhaltiger geworden, sechs Parteien sind im Nationalrat vertreten. Die mittelgroße Koalition der beiden ehemals großen Volksparteien im Zentrum hat um Haaresbreite gerade noch die absolute Mehrheit der Mandate erreicht – nur wenige tausend Stimmen mehr für das an der Vier-Prozentmarke gescheiterte BZÖ und es hätte nicht mehr zu einer Mehrheit gereicht. Die nächste Nationalratswahl wird hier möglicherweise eine neue Ära im österreichischen Regierungssystem erzwingen. In der Praxis bedeutet dies ein sehr schwer gewordenes Regieren: Es ist ein österreichisches Alleinstellungsmerkmal, dass zu einem wirkungsvollen Regieren eine Zweidrittelmehrheit im Nationalrat erforderlich ist. Davon ist die mittelgroße Koalition seit der Wahl 2008 weit entfernt. Das bewirkt ein zusätzliches Reformhindernis – in der Regierungspraxis bedeutete dies, dass solche Mehrheiten nur mit Hilfe der Grünen und unter Schmerzen erreicht werden können und erreicht wurden – ein Vorgeschmack auf zukünftiges Regieren? Der Druck der Massenmedien, der oben als allgemein erfahrbares Phänomen beschrieben wurde, wiegt in Österreich besonders schwer: eine Folge der Kombination der überaus erfolgreichen Kronen Zeitung mit den beiden Gratiszeitungen auf ostösterreichischem Boden. Dazu kommt der im unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit Schielen auf die Quote betriebene Kampagnen-Journalismus. Alle Regierungen seit 2006 folgten dem in Österreich seit der Monarchie erprobten Regierungsgrundsatz des Ministerpräsidenten Baron Eduard Taaffe. Er diente Kaiser Franz Joseph 26 Jahre in Spitzenpositionen, davon 15 Jahre als Ministerpräsident. Ihm wird der Satz zugeschrieben: „Wir müssen halt weiter wurschteln und weitergfrettn“, im Politologen-Jargon die Strategie des „Muddling Through“. So werden kleinere und oft halbherzige Maßnahmen gesetzt, größere aber unabweisbare Reformen können nur in wenigen Ausnahmefällen erreicht werden. Die fehlenden Zweidrittelmehrheiten und das wechselseitige Blockieren innerhalb der Regierung erzeugten eben Blockaden, die im Parlament regelmäßig nicht aufgelöst werden konnten. Kern des ständigen Streits ist die Frage: Einsparen oder Steuern erhöhen!
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Feierliche Schwüre bei Regierungsbeginn nach Neuwahlen wirken nur kurze Zeit: was in der Koalitionsvereinbarung paktiert und in der Regierungserklärung feierlich verkündet wird, scheitert einfach viel zu oft im Parlament, oder schon vorher an den Sozialpartnern, oder auch immer öfter an Föderalismus und Gemeindeautonomie. Ohne den Druck der EU wären viele Maßnahmen der Budget-Gesundung nicht zustande gekommen – kleinere Länder wie Österreich können, wie die Praxis zeigt, nicht so wie die großen in der EU dem Druck der Europäischen Kommission widerstehen. So ist auch in Österreich die repräsentative parlamentarische Demokratie unter Druck gekommen, eingebettet in die gesamteuropäische Wirklichkeit. Zwei Patentrezepte dagegen sind auf dem Markt: der Übergang vom Verhältniswahlrecht zu einem Mehrheitswahlsystem, und das Blockadebrechen durch direkte Demokratie. Ein Mehrheitswahlsystem sollte handlungsfähige Regierungen bringen, die nicht zu in sich wenig harmonischen Koalitionen gezwungen würden, sondern rasch entscheidende Alleinregierungen bewirken sollten. Ein nicht schlüssiger Vorschlag: auch ein Mehrheitswahlrecht brächte einer Regierung in Österreich nicht die fürs Regieren unabdingbare Zweidrittel-Mehrheit. Darüber hinaus fände ein solcher Vorschlag nicht die Zweidrittelmehrheit im Nationalrat – die neuen kleineren Parteien würden nie ihrer eigenen Vernichtung zustimmen. Auch in den drei annähernd gleich großen Parteien SPÖ, ÖVP und FPÖ fände sich keine Mehrheit. Abgesehen davon erzeugte ein Mehrheitswahlrecht in Österreich große Repräsentationsmängel im Nationalrat: In Wien brächte die eine größere Partei wahrscheinlich keine Vertreter ins Parlament, im österreichischen Westen die andere… Bliebe das andere Patentrezept: die indirekte, also repräsentative Demokratie in Österreich durch eine direkte, also plebiszitäre Demokratie zu ersetzen. So könnten durch Volksinitiativen Gesetze erzwungen werden, auf die sich die Regierungsparteien im Nationalrat nicht einigen können.
IV. Einrichtungen der Direkten Demokratie in Österreich und Vorschläge zu ihrer Ausweitung (Das Demokratiepaket) Die österreichische Bundesverfassung vom Oktober 1920 sah Volksabstimmungen nur für eine Gesamtänderung der Bundesverfassung oder über einen Gesetzesbeschluss des Nationalrats vor. In beiden Fällen musste also das Parlament vorher den Gesetzesvorschlag beschließen, der dann einer Volksabstimmung unterworfen wurde. Die gleichermaßen vorgesehenen Instrumente des Volksbegehrens und der Volksbefragung wurden als zahnlose Instrumente eingerichtet. Dieses Misstrauen gegenüber der direkten Demokratie hatte auch einen tief sitzenden Grund: die
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innere Zerrissenheit Österreichs; keine der österreichischen Bundesverfassungen wurden je in einer Volksabstimmung vom Bundesvolk bestätigt – man war sich in den politischen Kreisen 1920 und 1945 klar, dass Mehrheiten für die Republik beziehungsweise für das Wiedererstehen Österreichs nicht gesichert wären. Die direkte Demokratie wurde daher auf Bundesebene bis herauf in die jüngste Geschichte selten bemüht. In letzter Zeit erhielten die Volksbegehren auf Bundesebene eine größere Bedeutung als Mittel der politischen Mobilisierung vor allgemeinen Wahlen. Volksbegehren wurden im Nationalrat zwar regelmäßig beraten, führten aber in der Regel nicht zu den geforderten Gesetzesbeschlüssen – was nicht ausschließt, dass Forderungen in Volksbegehren später aufgegriffen und entsprechende Gesetze von der Regierungsmehrheit eingebracht und beschlossen wurden. Auch auf der Ebene der Länder wurden direktdemokratische Mittel selten eingesetzt, öfter aber auf den Ebenen der Gemeinden und Städte und in Wien, wo sie sich durchaus zur Konfliktlösung und Entscheidungsfindung bewährten. Der recht weit verbreitete Unmut über die Blockaden der Regierungstätigkeit im Lande wurde zu einem ständigen Gegenstand in der medialen Berichterstattung. Immer mehr verstärkte sich die öffentliche Meinung, dass ein Brechen der Blockaden vom Parlament nicht zu erwarten wäre, sondern nur vom Volksgesetzgeber. Die politische Diskussion, deren witzige und aberwitzige Windungen ich miterlebt habe, aber nicht nacherzählen will, endete in einem Demokratiepaket im Nationalrat, das von den Regierungsparteien und den Grünen im Parlament entworfen und von den Regierungsparteien eingebracht wurde. Es sollte im Juli 2013 knapp vor den Wahlen ohne langes Fackeln (also ohne Begutachtung und längere Expertendiskussion) beschlossen werden. Neben einer Reihe von Maßnahmen zur Erleichterung von Volksbegehren, und zur besseren, breiteren und öffentlichen Beratung im Nationalrat enthielt der Vorschlag ein besonderes Regelwerk: Qualifizierte Volksbegehren, die von einer großen Zahl von Unterschriften unterstützt werden, führen zwingend zu einer Volksbefragung: bei einfachgesetzlichen Regelungen zehn Prozent der Stimmberechtigten, also ca. 600.000 Unterschriften, bei Verfassungsgesetzen 15 %, also ca. 900.000. Diese Volksbefragung wäre zwar nicht bindend für den Gesetzgeber, aber in der politischen Realität wirkte sie wie eine bindende Volksabstimmung, darin ist sich die Mehrheit der Gutachter einig. Die Initiativen könnten auf Erlass von Bundesgesetzen und Bundesverfassungsgesetzen einschließlich der Gesamtänderung der Bundesverfassung abzielen. Als Grenzen wurde der Verstoß gegen völkerrechtliche Verpflichtungen und gegen Recht der EU genannt, und die Verletzung oder Abschaffung von verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Eine gerichtliche Vorprüfung der Zulässigkeit fände nicht statt.
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Auf öffentlichen Druck und wegen der innerparteilichen Opposition wurde die schnelle Beschlussfassung abgeblasen und ein Begutachtungsverfahren eingeleitet. In beiden Regierungsparteien wurde nämlich offen der Aufstand gegen eine abgehoben agierende Klubführung vorbereitet. Die Gutachten gewichtiger Organe und öffentlicher Einrichtungen sind durchaus überaus kritisch: Bundespräsident, Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshof, Rechnungshof, ÖGB, WKÖ, AK, Österreichischer Seniorenrat, Sozialminister, um nur einige zu nennen. Für manche NGOs ist der Entwurf zu wenig weitgehend, andere stimmen ihm zu. Die neue Bundesregierung stellte zu diesem Demokratiepaket eine parlamentarische Enquete-Kommission in Aussicht. Sie beginnt im Dezember 2014 und soll in acht Sitzungen bis zum Juni 2015 abgeschlossen werden. Ist nun diese massive Ausweitung der Direkten Demokratie in Österreich in der Lage, die Blockaden in der Reformtätigkeit wirksam zu brechen und die krisenhaften Entwicklungen der parlamentarischen Demokratie zu bekämpfen? Der Verfasser dieser Zeilen ist nicht dieser Meinung und begründet dies im Folgenden. • • • •
Die Krisenerscheinungen der parlamentarischen Demokratie werden nicht beseitigt, sondern eher verschärft; mögliche Verfassungsänderungen erhöhen die Instabilität des ganzen Systems; Steuern, Abgaben und der Staatshaushalt müssen ausgenommen sein, sonst brechen die Staatsfinanzen zusammen; die Rechtssicherheit erfordert eine Vorprüfung durch den Verfassungsgerichtshof.
V. Kritik und Verbesserungsvorschläge zum Demokratiepaket A) Diese Maßnahmen der Direkten Demokratie verstärken die Krisenerscheinungen der Demokratie: Reformunfähigkeit und Blockaden Ernst-Wolfgang Böckenförde hat schon 1983 (!) in seinem Buch „Demokratie und Repräsentation: Zur Kritik der heutigen Demokratiediskussion“ (Hannover 1983 u.a.) auf folgende Phänomene bei Volksentscheid und Volksbegehren hingewiesen: „Jedes Volksbegehren ist abhängig von einer Initiative, die es in Gang bringt. Sie legt die Fragestellung des Volksbegehrens fest. Diese Initiative ist stets eine Sache Weniger, sei es einzelner Personen, sei es einer bestimmten Gruppe … Politische Aktivität und die damit einhergehende Mobilisierung ist daher wie von selbst eine
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Sache von Minderheiten … Hierzu tritt die wachsende Zahl und die zunehmende Komplexität der anstehenden Entscheidungen.“ Der damalige Präsident des Verwaltungsgerichtshofes, Univ.Prof. Dr. Clemens Jabloner, leitet die Zusammenfassung der sehr kritischen Stellungnahme des Verwaltungsgerichtshofs mit den Worten ein: „Zusammenfassend darf daher angeregt werden, die Einführung des neuen Instruments gründlich zu überdenken. Dabei sollte auch vor Augen stehen, dass mächtige Medien und auch das schiere Gold beträchtlichen Einfluss auf die Stimmungslage der Menschen ausüben können.“ Beide Autoren weisen auf bedenkenswerte charakteristische Züge hin: Bei der Festlegung des Volksbegehrens sind genauso Minderheiten, allerdings in der Regel nicht gewählt legitimierte tätig, die Diskussion, die Konsensbildung und die Kompromissfindung, wie sie in Parlamenten erfolgt, fehlt also. Jabloner weist auf die Rolle von Medien und finanziellen Interessen hin. Beides bestärkt die Annahme, dass diese Art der Direkten Demokratie nicht geeignet ist, inhaltlich unpopuläre Entscheidungen herbeizuführen und Entscheidungsblockaden zu brechen. Im Gegenteil: Die Erfahrungen beispielsweise im amerikanischen Bundesstaat Kalifornien sind nicht ermutigend: Dieses Land, eine der größten Volkswirtschaften der Welt, kann seine Budgetprobleme nicht lösen und gerät immer wieder ins Trudeln. Der Grund dafür ist vor allem Proposition 13: mit diesem Volksbegehren wurde 1973 die Grundsteuer ermäßigt und zugleich eingeführt, dass Steuergesetze Zweidrittelmehrheiten im Parlament benötigen … Solche Volksbegehren haben über die Jahre Steuerkürzungen und Budgetbelastungen normiert, ohne Bedeckung. Die Möglichkeiten von Volksbegehren dieser Art in Österreich würden in der politischen Praxis bewirken, dass vor jeder wichtigen Wahl, im Bund oder im Land, Volksbegehren populäre Anliegen aufgreifen und damit kampagnisieren und mobilisieren. Die Aufsplitterung der Parteienlandschaft wird dadurch gefördert, das Regieren nicht erleichtert, sondern erschwert. Massenmedien, insbesondere der ORF würden noch bedeutsamer, als sie es heute schon sind. Aus der „vierten Gewalt“ würde die erste! Dieses Zusammenspiel von Finanzkraft durch Insertion, Populismus, Medienmacht, Wahlinteressen und Machterhalt wird von Theoretikern regelmäßig übersehen.
B) Mögliche Verfassungsänderungen können das ganze politische System destabilisieren Das Demokratiepaket ermöglicht Verfassungsgesetzgebung im Wege der Volksinitiative wie oben beschrieben. Damit ist nicht nur eine Gesamtänderung der Bundesverfassung möglich – allerdings wenig wahrscheinlich –, aber wesentliche und wichtige Verfassungseinrichtungen erscheinen gefährdet: Einrichtungen des Föderalismus,
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die verfassungsgesetzlich verankerten Sozialpartner, Volksgruppenrechte, über die Grundrechte hinausgehende Rechte von Religionsgemeinschaften, Staatszielbestimmungen, der Weg der Gesetzgebung, das Wahlrecht, die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern, die Gemeindeautonomie und das Recht auf Selbstverwaltung – all dies könnte hinweggefegt werden, finden sich eine initiative Gruppe und unterstützende Medien. Vor allem wären verfassungsgesetzlich bestimmte Regeln und Begrenzungen für diese Art der Direkten Demokratie leicht zu beseitigen … Es ist daher unerlässlich, die gesamte verfassungsrechtlich gesicherte Grundordnung des Staates von diesen qualifizierten Volksbegehren auszunehmen. Es bleiben dann immer noch weitreichende Möglichkeiten: im Strafrecht, im bürgerlichen Recht, im gesamten Arbeits- und Sozialrecht, im Bildungswesen.
C) Der Eingriff in bescheidmäßig oder gerichtlich zuerkannte Rechte muss ausdrücklich ausgeschlossen werden In der Vorlage ist zwar vorgesehen, dass die Verletzung von verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten ebenso wie deren Abschaffung nicht Gegenstand eines Volksbegehrens sein können, das ist aber keine Gewähr gegen ein durch Volksbegehren erzwungenes Maßnahmegesetz z.B. gegen ein bestehendes Baurecht oder ein gerichtliches Urteil.
D) Staatshaushalt, Steuer- und Abgabengesetze müssen ausgenommen werden Zur Begründung sei auf Kalifornien verwiesen – durch derartige Initiativen wurde dort nicht nur der Staatshaushalt nachhaltig aus jeder Ordnung gebracht und mussten dann Sozialleistungen ebenso gekürzt werden, sondern auch die Energie- und Wasserversorgung gerieten ins Trudeln. Befürworter verweisen auf die Schweiz, wo auch Steuerfragen Gegenstand der Volksrechte sein können – aber wer die Schweiz in ihrem lang gewachsenen System kennt, weiß, dass dieser Vergleich unzulässig ist. Kulturelle Traditionen, Sprachenvielfalt, Vermögensverteilung, gesellschaftliche Gliederung, Medienlandschaft, Parteien und das Regierungssystem der sog. Konkordanz in der Regierung des Landes sind einzigartig in Europa, ebenso wie seine Geschichte: Es blieb von zwei Weltkriegen verschont.
E) Eine Vorprüfung durch den Verfassungsgerichtshof ist unerlässlich Wenn der Verfassungsgesetzgeber sich wirklich zu einer so weitgehenden Änderung der Verfassungsordnung entschlösse, selbst in den hier angeregten Begrenzungen
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und damit aus der mittelbaren Demokratie eine plebiszitäre macht, dann wären zumindest die rechtsstaatlichen Garantien zu stärken und das ganze Verfahren vom Anfang an der Kontrolle der Gerichtbarkeit zu unterwerfen. Volksbegehren, die zu einer Volksbefragung und damit zu einem Akt der Gesetzgebung führen sollen, müssen den dafür in der Verfassung vorgesehenen Voraussetzungen entsprechen. Eine nachprüfende Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof z.B. nach Durchführung der Volksbefragung wäre dabei nicht sachgerecht. Wenn ein Vorschlag in einem Volksbegehren von 600.000 Menschen unterstützt wird, und dann in einer Volksbefragung sich beispielsweise 2,000.000 Menschen dafür aussprechen, wird es für den Gerichtshof sehr schwer, das alles als verfassungswidrig zu erklären. Viele Voraussetzungen sind zu prüfen und einzuhalten: Kompetenzfragen, rechtssystematische Fragen, Grundrechtsfragen, Fragen des internationalen und europäischen Rechts sowie bestehender Einzelrechte. Jedes Volksbegehren, das hinreichend unterstützt eingebracht wird, sollte daher vorab vom Verfassungsgerichtshof daraufhin überprüft werden, ob es den Voraussetzungen der Bundesverfassung für derartige Volksbegehren entspricht. Nur wenn dies der Fall ist, sollte es als Volksbegehren dem Volke zur Unterstützung vorgelegt werden. Eine post festum, also nach der Volksbefragung erfolgte Prüfung und Feststellung der Verfassungswidrigkeit würde das Gericht bei der Entscheidungsfindung unter enormen Druck setzen und im Falle der Aufhebung wegen Verfassungswidrigkeit möglicherweise zu krisenhaften Erscheinungen führen.
F) Weitere wichtige Kritikpunkte aus der Begutachtung: volle Kostenwahrheit und 30 %-Quorum Vor allem der Rechnungshof fordert energisch in zwei seiner Stellungnahmen eine vollständige und nachvollziehbare Kostendarstellung ein. In der Stellungnahme des Finanzministeriums wird dieser Punkt genauer ausgeführt und angeregt, nach dem System der wirkungsorientierten Folgenabschätzung (WFA) die Kosten abzuschätzen. Dafür müsste dann ein realistischer, nachvollziehbarer Bedeckungsvorschlag vorgelegt werden. Für die Volksbefragung müsste ganz im Sinne einer Demokratie-Initiative ein Quorum von 30 % festgelegt werden.
VI. Feststellungen zum Schluss Die Krisenerscheinungen der europäischen parlamentarischen Demokratien sind mit den Mitteln einer verstärkten direkten Demokratie nicht zu beheben. Im Ge-
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genteil: eine Verstärkung dieser Einrichtungen verschlimmert die Situation eher. Nach dadurch längerfristig entstehenden Krisen wird es verstärkt zu präsidialen Demokratien mit eingeschränkten parlamentarischen Rechten kommen. So schließe ich mich den Staatsrechtslehrern Werner Kägi aus der Schweiz und Rudolf Steinberg aus Deutschland an. Eine Analyse von Steinberg in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ Nr. 227 vom 30.9.2013, 7) endet mit dem Satz: „Die Reform von Parteien, Parlamenten, Wahlsystemen, staatlicher Organisation und Verfahren wie auch der Öffentlichkeit etwa in den alten und neuen Medien ist ein ehrenwerteres Bestreben als das Verlangen nach den grobschlächtigen Instrumenten direkter Demokratie.“
Wolfgang Mantl
Reform als Hürdenlauf „Wo dagegen nichts herrscht als das Ideal des Unpolitischseins, die Scheinidylle von Ruhe und Ordnung, da sollte dies im modernen Zeitalter keineswegs als Zeichen der Sicherheit, sondern im Gegenteil als Alarmsignal gewertet werden: Früher oder später wird es zur Explosion des Kessels kommen, dessen Sicherheitsventile man zuschraubte.“ 1
I. Politische Kultur in der Aufklärungswelt Jedes politische, rechtliche und wirtschaftliche System ist im steten Wandel begriffen. Diesen Wandel ohne Katastrophen rational zu gestalten, ist eine schwierige Aufgabe, die durchaus mit einem Hürdenlauf zu vergleichen ist. Man muss dabei über theorielose Frustrationsrevolten hinausgehen und Reformen erfinden, die dann auch durchgesetzt werden müssen, was besonders schwierig ist, denn Reformen tun weh. Die Politik geht dem Recht voraus und ist aber selbst sehr stark von der Kultur und dem Verhalten der jeweiligen Akteure bestimmt. Es geht für Bürger, Politiker und Beamte immer darum, „Soap-Opera-Lässigkeit“ zu überwinden und jede Selbstblockade aufzuheben. Ohne Systematik, Nüchternheit und Ernsthaftigkeit in der politischen Arena verliert man die Rolle als politischer Akteur und wird nur Objekt einer von anderen bestimmten Politik. Aufgabe ist es, Ideen in die Wirklichkeit umzusetzen, nur so kann die zukunftslose Konvergenz von Denken und Handeln in einem selbstzufriedenen geschlossenen Alltag vermieden und gleichzeitig die Schrankenlosigkeit freischwirrender Assoziationen proaktiv verhindert werden. Eine der größten Aufklärerinnen Österreichs im 20. Jahrhundert, die politische Spitzenjournalistin und Schriftstellerin Hilde Spiel hat dies immer wieder einge1
Christian Graf von Krockow: Reform als politisches Prinzip. München 1976, 30. Wie stets bin ich meinen Mitarbeiterinnen Ariane Filzmoser und Maria Mantl zu großem Dank verpflichtet.
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mahnt.2 Der Beitrag Hilde Spiels trägt den Titel „Ende der Narrenfreiheit“: „Wir wissen es alle: die Aufklärung ist in Gefahr. Sie, die Illumination des Geistes, die Austreiberin der schädlichen Mythen, des Aberglaubens und irrationalen Vorurteils, die allein uns retten kann vor dem Lemmingsturz, wird neuerdings wieder angezweifelt und bekämpft. (…) Mit dem Mythos beginnt es, und es endet mit der Verbrennung von Büchern und Menschen.“ Ein Politiker – greifen wir ihn heraus – braucht Erfahrung und in Stresssituationen hohe Professionalität. Ich bezeichne dieses Arbeitsethos und diese Arbeitskraft eines Politikers als seine „Intensität“. Er muss einen letztlich kühlen, kontrollierten Umgang mit der Macht haben, er muss sich aber keineswegs dafür entschuldigen, dass er auf der Welt ist. Wie jeder Mensch, sogar wohl mehr, darf der Politiker niemals „wahrnehmungsmüde“ werden. Nur so kann er der Entschlackung und Verschlankung Österreichs dienen und damit auch seiner Verwestlichung. Diese Verwestlichung bedeutet, dass wir uns deutlicher denn je, auch bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts zurückgehend, der Aufklärungstradition Österreichs bewusst werden sollen. In die katholische Hochstimmung der Barockzeit mit ihrer leuchtenden Architektur und Musik platzte die Aufklärung geradezu hinein. Es handelte sich dabei um einen erhellenden, oft schmerzlichen Prozess. Die Aufklärung ist eine Tochter des Christentums und des Judentums (Haskala), sie ist eine schwierige Tochter, aber doch eine Tochter.3 Aufklärung gibt „Erleuchtung“, Mündigkeit, Autonomie, Toleranz, Vernunft und Fortschritt durch freie Wissenschaft und Kunst. Immer wieder durch Gegenbewegungen gehemmt, wie die Romantik, brach sich dieser Aufklärungsstrom doch seine Bahn, wenn auch im 20. Jahrhundert durch Faschismus, Nationalsozialismus und Kommunismus brutal unterbrochen. Jedenfalls ist diese Aufklärungswelt der letzten 250 Jahre mitsamt ihren noch aus der religiösen, alteuropäischen Welt stammenden Wurzeln ein politischer Weg zur „liberalen Systemkonstruktion“ mit Verfassungsstaat, Menschenrechten, Industrialisierung, Urbanisierung und Marktwirtschaft geworden. All meine Erfahrung aus teilnehmender Beobachtung und wissenschaftlicher Bearbeitung der Politik kommen zum Schluss:4 Wehklagen und Resignation sind keine Antwort auf die Herausforderungen der Zeit, auch nicht eine wachsende Moralisierung und Emotionalisie2 3 4
Vgl. Josef Krainer/Wolfgang Mantl/Manfred Prisching/Michael Steiner (Hg.): Nachdenken über Politik. Jenseits des Alltags und Diesseits der Utopie. Graz-Wien-Köln 1985, 231 f. Eine Übersicht über religiöse und säkulare Positionen bieten Franz Lackner/Wolfgang Mantl (Hg.): Identität und offener Horizont. FS f. Egon Kapellari [z. 70. Geb.]. Wien-Graz-Klagenfurt 2006. Dazu, Texte aus vier Jahrzehnten vereinend Wolfgang Mantl: Politikanalysen. Untersuchungen zur pluralistischen Demokratie. Wien-Köln-Graz 2007.
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rung der Politik. Wir müssen mehr und länger arbeiten und unseren Erfindergeist weltgewandt entwickeln. Wachheit und Nüchternheit machen uns erst zukunftsfähig. Mein Schwager Heribert Gasser hat dies im Gespräch einmal aphoristisch zugespitzt formuliert: „Wir sollen keine großen Zwerge, sondern zumindest kleine Riesen sein.“
II. Direkte Demokratie in Politik und Recht Die österreichische Rechtsentwicklung seit 18485 brachte – über eine jeweilige Wahlrechtsänderung hinausgehend – eine Zunahme der direkten Demokratie. Von Anfang an zeichnet sich die jüngere verfassungsgeschichtliche Entwicklung durch die Betonung der Kontrolle aus, in jüngster Zeit etwa durch die umfassende neue Gestaltung der Verwaltungsgerichtsbarkeit und zuletzt durch die Strukturierung der Untersuchungsausschüsse in einer komplizierten Form, vor allem gekennzeichnet durch die Möglichkeit der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses als Minderheitsrecht (ein Viertel der Abgeordneten zum Nationalrat). Es ist auffallend, dass die vorhandenen Möglichkeiten einer direktdemokratischen Einflussnahme erst langsam in Anspruch genommen wurden: 1964 gab es das erste Volksbegehren, 1978 die erste Volksabstimmung und erst 2013 die erste Volksbefragung (zum Thema Wehrpflicht). Das demokratische „Urproblem“ der Mitwirkung des Bürgers an der Staatswillensbildung wurde lange Zeit hindurch mit Hilfe des Wahlrechts zu repräsentativen Staatsorganen zu lösen getrachtet. In den letzten Jahrzehnten haben sich jedoch auch Wünsche nach neuen Formen der direkten Mitwirkung der Bürger an Sachentscheidungen verstärkt, die weder durch Verfeinerung des Repräsentativsystems, noch durch innerparteiliche Demokratie und gesellschaftliche Selbstorganisation allein befriedigt werden können.6 Die Expansion des Bildungswesens seit den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts hat auch das Autonomiebewusstsein des Bürgers vergrößert, das sich pragmatisch in rechtlich geregelten, demokratischen Mitwirkungsformen zu manifestieren sucht, gerade wenn es anarchistischen Utopien etwas entgegensetzen will. Man kann von einem säkularen Trend zur Verstärkung der direkten Demokratie in der Gesetzgebung und der Partizipation der Verwaltung sprechen. Ausgangs5
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Einen vortrefflichen Einstieg in die Thematik bieten Walter Berka: Verfassungsrecht. Grundzüge des österreichischen Verfassungsrechts für das juristische Studium. 5. A. Wien 2014. – Theo Öhlinger/Harald Eberhard: Verfassungsrecht. 10. A. Wien 2014 Sehr differenziert Peter Bußjäger/Alexander Balthasar/Niklas Sonntag (Hg.): Direkte Demokratie im Diskurs. Beiträge zur Reform der Demokratie in Österreich. Wien 2014.
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punkt aller realistischen Konzepte ist auch in der gegenwärtigen Diskussion die grundsätzliche Anerkennung von Arbeitsteilung und Repräsentation als dem Hauptfunktionsmuster moderner Staatlichkeit (auch in der Schweiz), in das es mit politischer Vernunft und Klugheit direktdemokratische Elemente einzugliedern gilt. Meiner Überzeugung nach wird eine neue Positivierung nach wie vor der Verfassung des modernen Parteienstaats dienen. Es müssen neue Motoren erfunden werden, wenn man „Gefäßstörungen“ des politischen Systems vermeiden will, wenn man den politischen Prozess, in dem sich auch neue Faktoren zu Wort melden, normativ durch deren Einbindung in ein verfahrensförmig geregeltes Mitwirken effektiv gestalten will. Die Spontaneität des Gestaltungswunsches muss in Rechtsförmigkeit übergeleitet werden. Spontaneität allein ist zu wenig, kann sogar durch ihre irrationalen Bestandteile gefährlich werden. Die rechtsstaatliche Form verfestigt freilich die Spontaneität und lässt sie gleichsam zu Normen gerinnen. Spontaneität im gesellschaftlichen Raum soll jedoch nicht einer rigorosen Ritualisierung wie in Diktaturen geopfert werden. Rechtsänderungen sind durch ihre Stabilisierungsfunktion gekennzeichnet. Die Anpassung an neue Situationen hat im Wege des demokratisch geordneten Rechtserzeugungsverfahrens zu erfolgen. Verfassungsrechtsänderung, nicht Verfassungsrechtswandlung ist der Kerngedanke in österreichischer Juristentradition. Die Mitwirkung des Bürgers an Sachentscheidungen, eingepasst in die repräsentative Demokratie, ist seit 50 Jahren der Ruf der Zeit gewesen: als direkte Demokratie in der Gesetzgebung und als Partizipation in der Verwaltung. Und es muss hier schon gesagt werden, dass bei all diesen Themen die österreichischen Länder die „Pfadfinder“ dieser Neuerungen waren und ein breites Repertoire an direktdemokratisch-partizipatorischen Instrumenten geschaffen haben, oft von großer Originalität, wie etwa in der Steiermark die sogenannte Kontrollinitiative in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, dergestalt, dass zwei Prozent der zum Landtag Wahlberechtigten das Antragsrecht auf Durchführung von Akten der Gebarungskontrolle durch den Landesrechnungshof eingeräumt erhielten (bisher noch nicht aktualisiert).7 Jedenfalls muss man sich klar sein: Was die politische Kultur nicht an persönlichen Qualitäten, Tugenden und akzeptierten Gerechtigkeitsvorstellungen enthält, kann keine Verfassung „herbeinormieren“. Verfassungsreform muss sich auf das
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Der Diskussionsstand der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts rechtsvergleichend und mit Normtexten wiedergegeben bei Christian Brünner/Wolfgang Mantl/Dietmar Pauger/Reinhard Rack: Verfassungspolitik. Dokumentation Steiermark. Wien-Köln-Graz 1985.
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Mögliche und Machbare beschränken und kann nur so allgemeine Enttäuschung vermeiden. Die Verfassung ist keine „magische Formel“. Es geht in realistischer Sicht um ein akzeptiertes Mischungsverhältnis von repräsentativer und direkter Demokratie. Für die direkte Demokratie spricht, dass sie im Stande ist, Mängel der Repräsentation zu kompensieren, indem sie den Bürgern Mitgestaltungsmöglichkeiten einräumt, freilich mit wirkungsvollen Konsequenzen, die über das bisherige Volksbegehren – eigentlich nur ein prozeduralisiertes Petitionsrecht – hinausgehen. Direkte Demokratie kann nur dann überzeugen, wenn sie „von unten“ entsteht und nicht von den politischen Parteien oder von Großverbänden instrumentalisiert wird. Eine Gesamtbewertung gelangt zu dem Schluss, dass direkte Demokratie Ergänzung und Korrektiv, jedoch nicht Ersatz der Repräsentation sein soll. Die weitgehende Formgebundenheit der direkten Demokratie in Österreich lässt Repräsentation und Partizipation nicht dichotomisch auseinanderlaufen. Dabei soll festgehalten werden, dass Einflussnahme möglichst auch in den frühen Prozessen der Rechtserzeugung, also der Initiative und der Meinungsformulierung, noch vor der Willensentscheidung stattfinden soll. Das aktionenrechtliche Denken seit der römischen Antike verdunkelt den Blick dafür. Gerade die Erkenntnis, dass es sich um einen längeren Prozess handelt, unterstützt die Forderung nach früher Information über die jeweils aktuelle Causa (auch hier die Schweiz als Vorbild). Wer möglichst frühzeitig mitreden kann, der redet am erfolgreichsten mit. Die willensbildende, verantwortliche Entscheidung liegt dann „schließlich“ bei Parlament, Regierung und Verwaltungsbehörden. Es ist stets in Erinnerung zu rufen, dass Österreich ein Land ist, in dem die politischen Parteien durch mehr als ein Jahrhundert Identifikationsflächen emotioneller Beheimatung („Lagerbindung“), zweimal Staatsgründer 1918 und 1945, in der Ersten Republik auch Staatszerstörer und in der Zweiten Republik Staatserbauer waren. Ein solches Land hat deshalb ein ausgeprägtes parteienkritisches, ja parteienverdrossenes Klima hervorgebracht, weil sich in den Jahrzehnten der Machtausübung vor allem in den beiden ehemaligen Großparteien SPÖ und ÖVP sowie auch in den Großverbänden unzweifelhaft auch Negatives ansammeln konnte, von dem strengen, manchmal überstrengen Vergrößerungsglas der Medien scharf wahrgenommen. Eine vollmundige Verheißungsrhetorik ist politisches Flagellantentum und hilft nicht weiter. Das Konfektionskleid der Zukunftsangst tragende Kommentatoren, die nichts zu sagen haben, aber dauernd reden, und besserwisserische Leserbriefschreiber, kennzeichnen den politischen Alltag. Das Tremolo einer hochgradig nervösen Orchestrierung der Innenpolitik, zumal seit der Wirtschafts- und Finanzkrise
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2008, hat sich gesteigert. Manchmal ist der unbefangene Beobachter dazu geneigt, geradezu Erbarmen mit den Politikern einzumahnen. Und es ist auch die Vernunft, die Rationalität einzumahnen, die das Kernstück der Repräsentation in der pluralistischen Demokratie mit Parlament und Parteien ausmacht: mit Gesprächsbereitschaft, mit Reden und Verhandeln unter plausiblen Vernunftkriterien. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 erschien zumindest in der nördlichen Hälfte der Welt das Parlament endlich unangefochten. Das ist aber keineswegs ein gesicherter Befund der Verfassungsgeschichte. Ich bin trotzdem optimistisch bezüglich der Zukunft des Parlaments. Das gründet auf der historischen Erfahrung, dass es dem Parlament immer wieder gelungen ist, als „lernende Institution“ einen vitalisierenden Funktionenwandel zu finden – in letzter Zeit eben durch die Betonung der Kontroll- und Öffentlichkeitsfunktion.8 Dies ist heute mit starker medialer Resonanz in der Tat Allgemeingut geworden, liegt doch in der Öffentlichkeit eine Annäherung an die Aufklärungsideale vernünftiger Rechtserzeugung. Der Aktionsradius wurde vor allem durch die neuen elektronischen Medien verstärkt. In dieser Welt ist die Übermittlung von Kritik, Protest, aber auch Verwerfung und Hass leichter möglich als bisher. Die elektronischen Möglichkeiten der jungen Generation und die klassischen, traditionellen Medien sind Setzer von Themen und Promoter von Personen geworden. Die Öffentlichkeit macht Geheimhaltung und Vertraulichkeit schwierig. Es gibt eine hohe „Prämie der politischen Beachtung“ für den denjenigen, der diese Schutzzonen des Entzugs der Öffentlichkeit durchbricht. Schon seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts begleitete Parteienkritik die Zweite Republik. Diese Kritik schlug sich in wachsender Politikverdrossenheit nieder, die eigentlich eine Politikerverdrossenheit ist. Ausgangspunkt der Kritik war und ist die skeptische Frage, ob die Parteien ihren Funktionen gerecht werden, nämlich die politischen Rechte der Bürger zu aktivieren, und andererseits die Bürger arbeitsteilig von Politik zu entlasten, schließlich die Integration und Legitimation des politischen Systems zu bewirken und damit verbunden sozial akzeptierte Leistungen und Innovationen zu produzieren. Die Agenda hat sich von der Output-Orientierung (Effektivität und Effizienz des Staatshandelns) zur Input-Orientierung (Mitwirkung durch „wirkliche Bürgerinstrumente“) verschoben. Dies alles unter dem Prätext, dass Österreich eine ausgeprägte Parteiengesellschaft und einen ausgeprägten Parteienstaat aufwies. Glaubwürdigkeits- und Vertrauensverluste durch unsanktionierte Korruptionsfälle und Bürokratisierung sowie Ver8
Dazu weltweit eine der ersten fundierten interdisziplinären Erkundungen des Themenbereichs: Christian Brünner (Hg.): Korruption und Kontrolle. Wien-Köln-Graz 1981.
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schwendung treffen gerade mittlere und größere Parteien, also vor allem die sozialen Integrationsparteien wie SPÖ und ÖVP besonders stark. Es gibt sogar so etwas wie eine „Parteienflucht“. Wer will noch in die Politik gehen? Dennoch hat der in Parlament und Parteien verwirklichte Repräsentationsgedanke eine Lebenskraft bewiesen, die nur den erstaunen kann, der die unausweichliche Heterogenität und die Realität des komplizierten arbeitsteiligen, konfliktreichen modernen Staates mit der verlockenden Idealität der abgeschlossenen und homogenen Insel Utopia verwechselt.9 Diese Einsicht darf aber keineswegs der Notwendigkeit von Reformen ausweichen. Die Pluralisierung der Lebenswelt führte zu einer Pluralisierung des Parlaments, gerade durch das Verhältniswahlrecht. Ein pittoreskes Parlament der vielen Farben halte ich für schlicht leistungsschwach. In der Ukraine zeigt sich nach den jüngsten Parlamentswahlen die Schwierigkeit einer Regierungsbildung, wenn sieben Parteien im Parlament vertreten und sogar 29 Gruppierungen zur Wahl angetreten sind. Die zwei größten Parteien erreichten miteinander nicht die absolute Mehrheit und brauchen daher einen dritten Partner, wodurch die Regierungsbildung und dann die Regierungsarbeit sich als überaus schwierig gestalten werden. Meine Skepsis gegenüber einer Pluralisierung des Parlaments um jeden Preis, auch um den Preis der Emotionalisierung und Irrationalisierung durch, wie man früher gesagt hat, „Splitterparteien“, gründet auf einem Systemvergleich seit Jahrzehnten. Viele der Neugründungen seit den 50er Jahren in zahlreichen Ländern Europas konnten sich nicht halten und verschwanden wieder. Wie stark sind die Zukunftsaussichten von Team Stronach und der Gruppe Neos? Die Grünen bilden in diesem Kaleidoskop des Zersplitterns die Ausnahme einer dauerhaften Neugründung in den 80er Jahren. Sie wurden zu einer neuen Parteienfamilie, freilich unter Verzicht auf die funkelnde Spontaneität ihrer Frühphase. Mein beharrlicher Hinweis auf die wieder untergegangenen Neugründungen der vergangenen Jahrzehnte kann auch keine vollständige Beruhigung schaffen, da es immer wieder nachkommende Neugründungen gibt. Die direkte Demokratie in der Gesetzgebung und die Partizipation in der Verwaltung geben immerhin die Hoffnung auf ein Auftreten neuer Themen durch neue Personen und Gruppen quer zu den bisherigen Formationen. Diese Querlage kann sehr vitalisierend wirken. Es muss aber stets wiederholt werden, dass es der Formalisierung als rechtsförmiger Regelung des Zugangs zur Politik- und Rechtsgestaltung bedarf.
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Vgl. Wolfgang Mantl: Repräsentation und Identität. Demokratie im Konflikt. Ein Beitrag zur modernen Staatsformenlehre. Wien-New York 1975.
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Wolfgang Mantl
Es werden in der nächsten Zeit Reformen der Demokratie auch auf Bundesebene weitergetrieben werden, so die in den Ländern schon mehrfach positivierte Volksabstimmung nach einem qualifizierten Volksbegehren aufgreifend. Daneben ist die Tagesordnung reich genug an Sachproblemen: Fortsetzung der europäischen Integration als „Kraftnahrung“ für Österreich. Die EU ist keine elitäre Farce. Der Ruf nach einem Mehrheitswahlrecht ist so gut wie verstummt. Es blieb der Ruf nach Personalisierung des Wahlrechts und nach direkter Demokratie. Die imponierenden Ansätze bei Klaus Poier10 sind weitgehend auf die Personalisierung des Wahlrechts „gestutzt“ worden und leben auch in den direktdemokratischen Postulaten weiter. Abschließend ist festzuhalten, dass der vorstaatliche Raum wichtiger denn je ist. Parteien müssen lernen und müssen das Gelernte umsetzen. Angst ist jedoch keine Antwort, sondern nur die Suche nach Alternativen. Wir müssen vage Wünsche und Emotionen „politisieren“ und „rationalisieren“. Ein realistisches Menschenbild der Mitte ist immer gekennzeichnet durch das Vertrauen der Menschen in sich selbst und das Vertrauen in die anderen Menschen!
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Vgl. Klaus Poier: Minderheitenfreundliches Mehrheitswahlrecht. Rechts- und politikwissenschaftliche Überlegungen zur Frage des Wahlrechts und der Wahlsystematik. Wien-Köln-Graz 2001.
Gerhart Holzinger
Gedanken zur Demokratiereform
I. Seit langem ist bekannt, dass sich die verfassungsrechtlich festgelegten Strukturen unseres Staates in mancher Hinsicht – vorsichtig ausgedrückt – als suboptimal erweisen. Dies gilt vor allem für das Bund-Länder-Verhältnis, dessen hauptsächliche Mängel in Doppelgleisigkeiten und Kompetenzüberschneidungen sowie im weitgehenden Auseinanderfallen von Aufgaben- und Ausgabenverantwortung liegen. Diese Mängel fallen umso schwerer ins Gewicht, als sie staatsfinanziell besonders wichtige Bereiche betreffen: Bildung, Gesundheit einschließlich der Krankenanstalten, Teile des Sozialwesens und vor allem auch die Förderungsverwaltung der Gebietskörperschaften. Ungeachtet einer Vielzahl politischer Ankündigungen und Versprechen hat sich an diesen strukturellen Defiziten über die Jahrzehnte hinweg im Kern nichts geändert. Vielmehr lässt sich beobachten, dass praktisch jede Reforminitiative zu einer letztlich unauflöslichen Pattsituation führt. Sie endet dann in der Beibehaltung des Status quo – auch wenn ihn alle Beteiligten als unbefriedigend empfinden. Zum Schluss heißt es dann immer: „Dann bleibt es eben so!“
II. Dieser Befund macht ein grundsätzliches Problem unseres politischen Systems deutlich: nämlich die mangelnde Fähigkeit zu notwendigen strukturellen Reformen. Mehr und mehr drängt sich der Eindruck auf, dass dies nicht allein dem mangelnden Reformwillen der Politik – also der handelnden Personen – zuzuschreiben ist, sondern einer Schwäche des politischen Systems selbst. Zudem ist unverkennbar – aktuelle Meinungsumfragen machen das mehr als deutlich –, dass die Unzufriedenheit breiter Bevölkerungskreise mit der Politik – und ihren Vertreterinnen und Vertretern – ein besorgniserregendes Ausmaß erreicht hat. Gleichzeitig nimmt auch das Interesse an der Politik und vor allem für die Politik ab. Diese Entwicklung lässt sich nicht einfach damit abtun, dass dies die unvermeidliche Konsequenz unserer modernen Leistungsgesellschaft sei. Also einer Ge-
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Gerhart Holzinger
sellschaft, in der dem Einzelnen und seinen Interessen eben mehr Gewicht beigemessen wird als dem Gemeinwohl, den Interessen der Gesellschaft oder dem staatlichen Interesse; in der häufig Eigennutz vor Gemeinschaftssinn geht. Das mag schon seine Richtigkeit haben. Eines darf aber nicht übersehen werden: Es gibt keine Demokratie ohne Demokraten! Ohne Engagement jeder einzelnen Bürgerin und jedes einzelnen Bürgers – ohne zivilgesellschaftliches Engagement also, kann Demokratie nicht gelingen. Das bedeutet aber, dass die gegenwärtige Vertrauenskrise unserer Demokratie uns alle angeht! Es ist zu kurz gedacht, die Ursache dafür allein bei der Politik und „bei den Politikerinnen und Politikern“ zu suchen. Sie in die Rolle des „Sündenbocks“ zu drängen, löst das Problem nicht, sondern verschärft es. Das ändert allerdings nichts daran – und insofern ist die Stärkung unserer Demokratie sowohl eine Holschuld des Bürgers als auch eine Bringschuld der Politik –, dass in erster Linie die Politik aufgerufen ist, nach Wegen zu suchen, um die Teilnahme der Bürgerinnen und Bürger am politischen Prozess zu erleichtern und zu fördern.
III. Seit Jahrzehnten wird darüber nachgedacht, was unternommen werden könnte, um unser demokratisches System am Leben zu erhalten. Die Botschaft lautet allseits: „Demokratiereform“. Gelingt es, diese Botschaft mit Leben zu erfüllen, könnten in der Tat wieder mehr Menschen motiviert werden, sich für Demokratie und Politik einzusetzen. Und ausschließlich darum geht es – um nicht mehr und nicht weniger! Im Mittelpunkt aller Überlegungen sollte die Frage stehen: Wie kann die Beteiligung des Einzelnen wieder gestärkt werden? Ganz konkret: Wie wird die Stimme des Einzelnen im politischen System wieder mehr wert? Nur dann nämlich, wenn die Meinung des Einzelnen mehr Gewicht bekommt, wird man ihn zu mehr Teilnahme am demokratischen Prozess motivieren können. Derzeit entsteht doch bei vielen Mitbürgerinnen und Mitbürgern der Eindruck, dass es letztlich egal sei, wem man seine Stimme gebe, wie man sich als Wählerin oder Wähler entscheide. Am Ende – so wird gesagt – komme doch immer wieder das Gleiche heraus. Es ändere sich nichts. Es bleibe „alles beim Alten“. Wie kann man diesem immer mehr um sich greifenden Defätismus begegnen?
IV. Eine Demokratiereform, die ihrem Namen gerecht werden will, müsste in erster Linie beim Wahlrecht ansetzen. Es gilt, – in welcher Form auch immer – die Instrumente der Persönlichkeitswahl zu stärken, um eine engere Beziehung zwischen den
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Wählerinnen und Wählern und den gewählten Abgeordneten sicherzustellen. Das geltende Wahlrecht führt in der Praxis dazu, dass im Wesentlichen die politischen Parteien bzw. deren Organe über die personelle Zusammensetzung der gesetzgebenden Körperschaften entscheiden. Der Wählerin und dem Wähler bleibt nur die Entscheidung zwischen – in der Realität weitgehend anonymen – Parteilisten. Dazu kommt – um ein weiteres Detail anzusprechen –, dass etwa auch die Nachbesetzung eines freigewordenen Mandats dem direkten Einfluss der Wählerin oder des Wählers entzogen ist. Die guten Erfahrungen mit dem Institut der Bürgermeisterdirektwahl, das seit geraumer Zeit vielerorts, durchaus mit demokratischem Zugewinn, praktiziert wird, sollten Mut machen, auch im Wahlrecht für die gesetzgebenden Körperschaften die Elemente der Persönlichkeitswahl zu stärken. In einzelnen Bundesländern, etwa in Vorarlberg oder im Burgenland, gibt es erste Ansätze dazu. Selbstverständlich dürfen dabei die Chancen der Wahlwerberinnen und Wahlwerber nicht davon abhängen, wer über mehr finanzielle Mittel für die Wahlwerbung verfügt. Dieses Problem lässt sich allerdings durch Regelungen lösen, die eine transparente Finanzierung der Wahlwerbung sicherstellen. In einem ersten Schritt sollte also ernsthaft daran gegangen werden, die Elemente der Persönlichkeitswahl im Wahlrecht zu den gesetzgebenden Körperschaften zu stärken. Ähnliches gilt aber – zum Zweiten – auch für die Instrumente der direkten Demokratie! Zum einen: Volksbegehren müssen ernst genommen werden. Bisher haben sie, von wenigen Ausnahmen abgesehen, kaum etwas bewirkt. Allzu oft wurden sie „schubladisiert“. Tausende Unterschriften, mit denen politisches Engagement bezeugt wurde, waren wenig bis nichts wert. Dann kann es aber auch nicht überraschen, wenn das Vertrauen in die Politik – und auch in die Demokratie – schwächer wird und das Interesse am politischen Diskurs und am politischen Engagement sinkt. Und zum anderen: Die Instrumente der direkten Demokratie dürfen nicht parteipolitisch vereinnahmt oder gar instrumentalisiert werden. Das schwächt ihren Wert als unmittelbaren Ausdruck des Volkswillens. Wohl lässt sich das Beispiel der Schweiz, wo die direkte Demokratie seit langem mit Erfolg geübt wird, nicht unbesehen auf Österreich übertragen. Dennoch: Auch Österreich sollte mehr direkte Demokratie wagen. Das könnte ein Weg sein, um wieder mehr Menschen für Politik zu interessieren und zu politischem Engagement zu ermutigen. Die Zeit ist reif dafür, und vor allem die Menschen in unserem Land sind reif dafür. Überlegungen zu einer Reform des Wahlrechts und der direkten Demokratie werden übrigens schon seit langem angestellt. Bereits Ende der 1960er Jahre (!) sprachen sich etwa Broda und Gratz vonseiten der SPÖ und Diem und Neisser vonseiten der
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ÖVP für eine Verstärkung der Elemente der Persönlichkeitswahl aus und empfahlen dabei teilweise genau jene Modelle, die heute, also rund 50 Jahre später, wieder diskutiert werden. Die Wahlrechtsreform 1970 hat dann allerdings – um „ein höheres Maß an Gerechtigkeit in der Mandatsverteilung“ herbeizuführen – ganz im Gegenteil zu einer Verstärkung der Proportionalwahl und damit der Listenwahl geführt. Gleiches gilt übrigens auch für die Wahlrechtsreform 1992: Entgegen den damaligen Ankündigungen, eine verstärkte Personalisierung des Wahlrechts vorzusehen, hat das damit geschaffene Vorzugsstimmensystem den Einfluss der Wähler auf die personelle Zusammensetzung der gesetzgebenden Körperschaften keineswegs verstärkt. Auch für den Ausbau der Instrumente der direkten Demokratie gab es schon vor Jahrzehnten Vorschläge, die in ähnlicher Form auch heute wieder diskutiert werden. Zum Dritten ist schließlich dem – offenbar weit verbreiteten – Missverständnis entgegenzutreten, dass der Ausbau der direkten Demokratie zu einer Schwächung des Parlamentarismus führen soll. Ganz im Gegenteil: gerade auch die Stärkung des Parlaments muss ein wichtiges Anliegen der Demokratiereform sein! Im Wesentlichen geht es dabei darum, die Kontrollfunktion des Parlaments gegenüber der Regierung zu stärken und damit das in der österreichischen Realverfassung aus vielerlei Gründen besonders ausgeprägte Übergewicht der Regierung gegenüber dem Parlament zu reduzieren. Ansatzpunkte einer solchen Reform wären zum einen die Verbesserung der Arbeitsbedingungen des Parlaments als Ganzem sowie der einzelnen Abgeordneten und zum anderen der Ausbau der Rechte der parlamentarischen Minderheit. Es ist daher dringend einzumahnen, das Vorhaben einer Demokratiereform tatsächlich und rasch zu realisieren. Dazu bedarf es auch keiner neuen Expertengremien. Entsprechenden Reformwillen vorausgesetzt, könnte man sich rasch auf eines der vielen Modelle einigen, die dafür längst ausgearbeitet sind. Die Reform der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse könnte ein ermutigendes Zeichen für die politische Machbarkeit solcher Veränderungen sein. Dabei könnte sich zudem auch die am deutschen Beispiel orientierte Übertragung der Streitentscheidung an den Verfassungsgerichtshof als vorteilhaft erweisen. Werden damit doch politische Streitfragen zwischen parlamentarischer Mehrheit und Minderheit zu Rechtsfragen transformiert, was den rationalen Diskurs strittiger Positionen fördern könnte, für die bisher allein eine politische Entscheidung, also letztlich eine der parlamentarischen Mehrheit, in Betracht kam. Die Reform der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse ist jedenfalls ein Schritt in die richtige Richtung – ein Schritt zur Stärkung des Parlamentarismus und damit hin zu einer lebendigeren Demokratie! Ihm sollten weitere folgen, um unsere Demokratie für die Bürgerinnen und Bürger attraktiver zu machen.
Anna Gamper
Was heißt „mehr direkte Demokratie“? Versuch einer Sichtung*
I. Begriffe und Konzepte A. Problemstellung Direkte Demokratie, Partizipation, Bürgernähe und -beteiligung, Deliberation, Transparenz, öffentlicher Diskurs und Referenden – dies sind nur einige der Begriffe1, die in den letzten Jahren weltweit und auch in Österreich in Diskussionen über die Frage auftauchen, ob gerade die „Krise des Parlamentarismus“2 zum Anlass genommen werden solle, über eine stärkere unmittelbare Einbindung des Volkes nachzudenken.3 Paradox an dieser Fragestellung ist, dass ein Mehr an direkter Beteiligung des Volkes per se keiner Stärkung des Parlamentarismus zu dienen scheint: Im Gegenteil, damit käme gerade ein Misstrauen des Volkes gegenüber dem Parlament zum Ausdruck, dass dieses einer Bändigung durch seinen Herrn,4 den Demos, bedürfe, statt umgekehrt im Parlament den Bändiger eines unberechenbaren Volkswillens zu sehen. Dass eine stärkere unmittelbare Beteiligung des Volkes auch Ansporn zu Verbesserungen des parlamentarischen Systems im Sinne von demokra* 1 2
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Herzlicher Dank ergeht an Herrn Univ.-Ass. Mag. Christoph Schramek für seine Hilfe bei der redaktionellen Ausgestaltung der Fußnoten. Dazu auch Gamper, Forms of Democratic Participation in Multi-level-Systems, in Fraenkel-Haeberle et al. (Hg.), Citizen Participation in Multi-level Democracies (im Druck). Vgl. auch den mit Fragezeichen versehenen Titel („Parlamentarismus in der Krise?“) eines am 21.10.2013 abgehaltenen Symposiums der Österreichischen Gesellschaft für Gesetzgebungslehre (Tagungsband in Vorbereitung). Zum aktuellen Stand der Demokratiereformdiskussion vgl. etwa Poier (Hg.), Demokratie im Umbruch (2009); ders., Direkte Demokratie – Rückblick und Ausblick, in FS Korinek (2010) 67 ff.; Öhlinger, Direkte Demokratie: Möglichkeiten und Grenzen, ÖJZ 2012, 1054; Österreichische Juristenkommission (Hg.), Direkte Demokratie (2014); Bußjäger et al. (Hg.), Direkte Demokratie im Diskurs (2014); Konrath, Das Demokratiepaket 2013, in Baumgartner (Hg.), Jahrbuch Öffentliches Recht (2014) 345 (347 ff.). Vgl. kontrastiv bereits Rousseau, Du Contrat Social (1762) 1. Buch, 1. Kapitel (Übersetzung): „Der Mensch ist frei geboren und überall liegt er in Ketten. Manch einer glaubt, Herr über die anderen zu sein, und ist ein größerer Sklave als sie.“
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tischem Wettbewerb5 und Kontrolle gäbe, wäre dennoch ebenso wenig auszuschließen wie Befürchtungen, dass Politik stärker popularisiert, weniger professionell und unter Umständen sogar weniger verfassungsfreundlich würde.6 Auch wenn sich ein gewisser Trend zu mehr direkter Demokratie insgesamt abzuzeichnen scheint,7 ändert dies weder etwas am Umstand, dass die repräsentative Demokratie in der Staatenwelt die weitaus vorherrschende Demokratieform darstellt und an diesem Befund weder kurz- noch mittelfristig große Änderungen zu erwarten sind;8 noch ist damit Klarheit verbunden, von welcher Art von „direkter Demokratie“ gesprochen wird respektive wie die eingangs erwähnten Begriffe dabei verstanden werden. Auch in der österreichischen Diskussion scheint nicht immer klar zu sein, welche Stärkungen der direkten Demokratie9 gemeint sind: Einzelne Autoren etwa gehen so weit, Direktwahlen – trotz der klassischen Funktion der Wahl als Instrument der repräsentativen Demokratie – der direkten Demokratie im weiteren Sinne zuzuordnen10 bzw. für das Wahlrecht Elemente einer stärkeren 5
Um einen demokratischen Wettbewerb im demokratietheoretischen Sinn handelt es sich zwar insofern nicht, als in einer Demokratie der Demos immer ungeteilter Träger der Herrschaftsgewalt ist, der nicht in Wettbewerb zu anderen Machthabern steht. Durch die Differenzierung in verschiedene Demokratieformen kann ein solcher Wettbewerb allerdings zwischen den Trägern mittelbarer und unmittelbarer Demokratie entstehen, wobei die Repräsentanten auf Grund des Erfordernisses ihrer Wahl durch das Volk freilich in keinem echten Wettbewerbsverhältnis zu diesem stehen. 6 Ausgewogen zu Stärken und Schwächen beider Demokratieformen Öhlinger, ÖJZ 2012, 1061. 7 Dieser Trend zeigt sich einerseits im verstärkten Einsatz vorhandener plebiszitärer Instrumente (dazu Tierney, Constitutional Referendums: A Theoretical Enquiry, The Modern Law Review 3 [2009], 360 sowie ders., Whose Political Constitution? Citizens and Referendums, German Law Journal 2013, 2185 [2188]), andererseits in der Zunahme von Verfassungsbestimmungen, die Plebiszite ermöglichen (Binzer Hobolt, Direct Democracy and European Integration, Journal of European Public Policy 2006, 153 f. sowie Morel, Referendum, in Rosenfeld/Sajó [Hg.], The Oxford Handbook of Comparative Constitutional Law [2012] 501 [509 f.]). 8 Vgl. etwa Frankenberg, Democracy, in Rosenfeld/Sajó (Hg.), The Oxford Handbook of Comparative Constitutional Law (2012) 250 (252); Cruz Villalón, Grundlagen und Grundzüge staatlichen Verfassungsrechts: Vergleich, in von Bogdandy et al. (Hg.), Handbuch Ius Publicum Europaeum (2007) 729 (764 f.). Für Österreich vgl. etwa Lachmayer, Repräsentative Demokratie als verfassungsrechtliche Systementscheidung, in Gamper (Hg.), Entwicklungen des Wahlrechts am europäischen Fallbeispiel (2010) 71 ff., sowie Öhlinger, ÖJZ 2012, 1055. 9 Zu verschiedenen Verknüpfungen mit anderen Demokratiemaßnahmen auch Merli, Langsame Demokratie, in GS Walter (2013) 487 (489). 10 Vgl. Poier, Sachunmittelbare Demokratie in Österreichs Ländern und Gemeinden: Rechtslage und empirische Erfahrungen im Überblick, in Neumann/Renger (Hg.), Sachunmittelbare Demokratie im interdisziplinären und internationalen Kontext 2008/2009 (2010) 31. Zumindest missverständlich äußerte sich der VfGH zur Direktwahl des Bürgermeisters in VfSlg. 13.500/1993: „Wenn ein verfassungspolitisches Bedürfnis besteht, auf Gemeindeebene ein solches duales Verwaltungssystem zu errichten, so darf dies nicht mittels einfachen Gesetzes befriedigt werden; eine solche Ände-
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Personalisierung einzufordern,11 was die Verbindung zwischen Repräsentanten und Repräsentierten trotz Aufrechterhaltung des Repräsentationskonzepts stärken soll. Andere betonen das Konzept der Transparenz,12 die Demokratie – im Sinne ihres begrifflichen Kerns als Herrschaft und damit Entscheidungsmacht des Volkes – freilich nur ergänzen13, nicht aber ersetzen kann. Wieder anderen – und hier liegt wohl der Schwerpunkt der bisherigen österreichischen Diskussion –14 geht es nicht nur, aber doch in erster Linie um Fragen der plebiszitären Demokratie: Auch darunter kann jedoch durchaus Unterschiedliches verstanden werden, zumal die plebiszitäre Demokratie genau genommen eher semi-direkte als direkte Demokratie darstellt:15 Die meisten Plebiszite, so auch die klassische österreichische Trias von Volksabstimmung, Volksbegehren und Volksbefragung, ersetzen die repräsentative Demokratie ja nicht, sondern knüpfen vielmehr an diese an. Lediglich das Instrument der „Volksgesetzgebung“, deren Zulässigkeit der VfGH allerdings im Rahmen des geltenden demokratischen Bauprinzips längst verworfen hat,16 käme ohne selbständige Willensbildung der Repräsentanten aus; erst recht in seiner Reinform, wonach die das Anliegen eines Volksbegehrens bestätigende Volksabstimmung einen umsetzenden Beschluss repräsentativer Organe überhaupt zu ersetzen zu vermag.17
rung bedarf vielmehr – wie auch die anderen verfassungsgesetzlichen Ausnahmen vom repräsentativ-demokratischen Grundprinzip der Verfassung – der bundesverfassungsgesetzlichen Verankerung gem. Art. 44 Abs. 1 B-VG.“ (Hervorhebung der Verfasserin). Eine Differenzierung traf der VfGH (18.9.2013, WIII4/2013) hingegen insofern, als die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet seien, „Unionsbürgern über die Teilnahme an den Kommunalwahlen hinaus auch sonstige, insbesondere direktdemokratische Beteiligungsrechte in der Gemeinde einzuräumen“. 11 Vgl. dazu insbesondere die bei Poier (Hg.), Demokratie im Umbruch (2009) in Teil II versammelten Beiträge. Zur Personalisierung des Wahlrechts auch Öhlinger, Verhältniswahlrecht oder Mehrheitswahlrecht. Auf der Suche nach einem idealen Wahlsystem in Österreich, in Gamper (Hg.), Entwicklungen des Wahlrechts am europäischen Fallbeispiel (2010) 281 (292 f.) und Poier, Ein Mehrheitswahlrecht für Österreich? Italienische Lehren für die österreichische Diskussion, ibidem, 297 (313 f.). 12 Dazu insbesondere Feik, Öffentliche Verwaltungskommunikation (2007) 89 ff. m.w.N.; aus politikwissenschaftlicher Perspektive vgl. etwa Schiller, Direkte Demokratie: Eine Einführung (2002) 45 f. 13 Differenziert zu Vorzügen und Nachteilen der Transparenz für Demokratie Blount, Participation in constitutional design, in Ginsburg/Dixon (Hg.), Comparative Constitutional Law (2011) 38 (51 f.). 14 Vgl. zum aktuellen Stand bereits oben FN 3. 15 Dazu Gamper, Staat und Verfassung3 (2014) 227 f. 16 VfSlg. 16.241/2001. Vgl. zusammenfassend Gamper, Parlamentarische Rechtsetzung und direkte Demokratie: verfassungsrechtliche Grenzen, in Lienbacher/Pürgy (Hg.), Parlamentarische Recht setzung in der Krise (im Druck) 114 ff. 17 Eine solche Reinform verwirklichen die – möglicherweise verfassungswidrigen (vgl. dazu schon Gamper, Direkte Demokratie in den Gemeinden, RFG 2011, 66 [69 f.]) – Bestimmungen in §§ 124 ff. Steiermärkisches Volksrechtegesetz (LGBl. 1986/87 i.d.F. LGBl. 2014/98).
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Weitgehendere Forderungen nach einer gestärkten plebiszitären Demokratie konzentrieren sich auf die Volksabstimmung, weil es sich dabei um das einzige Plebiszit handelt, das rechtlich verbindliche Volksentscheidungen gewährleistet, während genügsamere Vorschläge sich auf die Herabsetzung der Hürden von Volksbegehren oder den verstärkten Einsatz von Volksbefragungen beschränken.18 Letztgenannte Möglichkeit fand im Ausschussantrag zu einem neuen „Demokratiepaket 2013“19 Verankerung, der eine unter der Voraussetzung eines qualifiziert unterstützten Volksbegehrens sowie des Nichtvorliegens gewisser Ausschlussgründe obligatorische Volksbefragung vorsieht. Trotz mancher Anklänge an die obligatorische Volksabstimmung bei Gesamtänderung der Bundesverfassung im Sinne des Art. 44 Abs. 3 B-VG wäre diese obligatorische Volksbefragung aber eben doch nur eine Volksbefragung – und damit, was immer ihr Ergebnis sein mag, ohne Verbindlichkeit in der rechtlichen Durchsetzung des in ihr zum Ausdruck kommenden Anliegens.20 Ob der politische Druck, den eine derartige Volksbefragung auslöst, die rechtliche Schwäche der Volksbefragung zu kompensieren vermag, sei dahingestellt; empirische Daten liegen, was die Bundesebene anbelangt, insofern kaum vor, als die bisher einzige Volksbefragung diejenige zur Frage des Erhalts der Wehrpflicht war.21 Warum allerdings eine Volksbefragung zumal bei schwacher Beteiligung einen höheren politischen Druck auslösen sollte als ein stark unterstütztes Volksbegehren, das unter den Voraussetzungen des Art. 41 Abs. 2 B-VG jetzt schon im Nationalrat zu behandeln wäre, erscheint nicht zwingend einsichtig.
B. Das „Referendum“ Gerade die Volksbefragung ist aber ein gutes Beispiel dafür, wie unscharf Begrifflichkeiten im Zusammenhang mit dem Thema „direkte Demokratie“ verwendet werden und welche substanziellen Missverständnisse dies gegebenenfalls zur Folge hat. Dies liegt insbesondere daran, dass der Begriff des „Referendums“, der vor allem in der englischsprachigen Literatur eingesetzt wird, teils im engeren Sinn nur für die Volksabstimmung (binding referendum), teils undifferenziert auch für die
18 Zusammenfassend Öhlinger, ÖJZ 2012, 1058. 19 Vgl. zur Genese den Antrag IA 2177/A BlgNR XXIV. GP, den Abänderungsantrag zu IA 2177/A XXIV. GP vom 28. Juni 2013, Beilage 1/3 sowie den Antrag gemäß § 27 Abs. 1 GOG-NR zu IA 2177/A XXIV. GP vom 28. Juni 2013, Beilage 1/4, deren weitere Behandlung vertagt wurde. Ausführlich dazu Konrath, Demokratiepaket 355 ff. sowie Gamper, Rechtsetzung 118 ff. 20 Vgl. dazu näher Gamper, Rechtsetzung 118 ff. 21 Volksbefragung vom 20.1.2013.
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Volksbefragung (advisory referendum) verwendet wird.22 Auf diese Weise wurde beispielsweise das schottische Referendum vom 18.9.2014 zu Unrecht als „Volksabstimmung“ über die Frage der Unabhängigkeit eingeschätzt. Richtigerweise handelte es sich dabei um ein Plebiszit, das nach österreichischer Terminologie als Volksbefragung zu bezeichnen gewesen wäre. Nach der Kompetenzverteilung zwischen Vereinigtem Königreich und Schottland23 ist der Kompetenztatbestand „Union of the Kingdoms of Scotland and England“ nämlich ein dem Vereinigten Königreich vorbehaltener und damit sowohl der Entscheidungsbefugnis des schottischen Parlaments als auch der des schottischen Volks entzogen. Daran änderte auch die The Scotland Act 1998 (Modification of Schedule 5) Order 2013 – eine von der Königin nach Zustimmung sowohl beider Häuser des Parlaments in Westminster als auch des schottischen Parlaments erlassene, als „subordinate legislation“ bezeichnete Verordnung, zu der der Scotland Act 1998 in Sec. 30 Abs. 2 ermächtigt – nichts: Sie fügte zwar § 5a in Anhang 5 Teil I Scotland Act 1998 ein, wonach der vorbehaltene Kompetenztatbestand „Union of the Kingdoms of Scotland and England“ nicht den Kompetenztatbestand „referendum on the independence of Scotland from the rest of the United Kingdom if the following requirements are met“ beinhalten soll; bei diesen „requirements“ handelt es sich jedoch lediglich um einige technische Voraussetzungen des Referendums. Diese Formulierung kann daher wohl nur so verstanden werden, dass zwar die Zulässigkeit der Anordnung des Referendums – das in weiterer Folge durch ein schottisches Gesetz, den Scottish Independence Referendum Act 2013, geregelt wurde – kompetenzrechtlich außer Streit gestellt, die Kompetenzverteilung über die Frage der Unabhängigkeit als solche aber nicht verschoben und auch eine Verbindlichkeit des Ergebnisses des Referendums für das Parlament in Westminster nicht festgelegt wurde. Auch wenn sohin das Referendum zu Gunsten einer schottischen Unabhängigkeit ausgefallen wäre, hätte das Parlament – trotz des enormen politischen Drucks der Entscheidung – keine Unabhängigkeitsgesetzgebung erlassen müssen. Von Mullen und Tierney wurde zwar ein Vergleich zum bereits 1979 über eine Schottlandautonomie durchgeführten Referendum gezogen, das die Nichtinkraftsetzung der autonomierelevanten Bestimmungens des davor verabschiedeten Schottlandgesetzes sowie dessen Aufhebung zur Folge hatte – dies war aber nur der Fall, weil dieser Automatismus zuvor gesetzlich bestimmt worden war (und im Übrigen durch ein späteres Gesetz im Rahmen der „ungeschriebenen“ Verfassung auch ohne Weiteres wieder hätte besei-
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Vgl. auch Morel, Referendum 508. Anhang 5 Teil I Art. 1 lit. b Scotland Act 1998.
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tigt werden können).24 Das Referendum des Jahres 2014 hatte jedoch weder eine solche Gesetzgebung als Voraussetzung, noch ist der Vorgang von der Konstruktion her mit dem damaligen vergleichbar: Es ging 2014 nicht darum, das Volk in einem Vetoreferendum über Annahme bzw Geltung eines bereits beschlossenen Gesetzes abstimmen zu lassen, sondern durch das Referendum eine Gesetzgebung über die Unabhängigkeit Schottlands zu initiieren. Selbst wenn die zuvor erwähnte kompetenzrechtliche Ermächtigungsgesetzgebung als Selbstbindung Westminsters gedeutet werden könnte, im Falle eines „Ja“ die Unabhängigkeit Schottlands gesetzlich beschließen zu müssen, hätte es diese Selbstbindung auf Grund der Doktrin der Parlamentssouveränität jederzeit wieder verwerfen können.25 Da dies im selben „juristischen Atemzug“ möglich gewesen wäre, kann von einer rechtlichen Bindungswirkung dieser Volksabstimmung wohl kaum gesprochen werden. Im wesentlichen Unterschied zum kontinentaleuropäischen Modell der „Volksgesetzgebung“ gibt es im Vereinigten Königreich nämlich keine „geschriebene“ (d.h. in höherem formalen Rang als einfache Gesetze stehende) Verfassung, die dem Parlament zunächst eine Umsetzungsverpflichtung auferlegt und ein „Volksgesetze“ rückgängig machendes Gesetzgebungsverfahren zum Zwecke der Vermeidung eines parlamentarischen „Umgehungsgeschäfts“ überhaupt an eine Volksabstimmung als contrarius actus bindet oder jedenfalls in eine chronologisch spätere Phase verweist. Dass es auch in anderen Staaten zwischen Volksabstimmung und Volksbefragung einen Unterschied gibt und letztere gerade nicht als „Referendum“ bezeichnet werden soll, geht aus der ursprünglichen Anordnung der katalanischen Regionalregierung hervor, die für den 9.11.2014 eine „nicht referendumsmäßige Volksbefragung“ („consulta popular no refrendaria“)26 über die Unabhängigkeit Kataloniens angeordnet hatte. Da die spanische Regierung durch ihre Anfechtung des die Volksbefragung anordnenden Dekrets sowie einiger Bestimmungen des diesem als rechtliche Grundlage dienenden katalanischen Gesetzes vor dem spanischen Verfassungsgericht eine Suspension gem. Art. 161 Abs. 2 der spanischen Verfassung erwirkte,27 kündigte die katalonische Regionalregierung am 14.10.2014 an, eine „alternative“ Befragung über die Unabhängigkeit Kataloniens abzuhalten. Diese Befragung soll 24
Mullen/Tierney, Scotland’s Constitutional Future: The Legal Issues, Edinburgh School of Law Research Paper No. 16 (2013) 8. 25 Mullen/Tierney, Future 8. 26 Vgl. Decreto 129/2014, de 27 de septiembre, de convocatoria de la consulta popular no refrendaria sobre el futuro político de Cataluña, gestützt auf das Regionalgesetz Llei 10/2014, del 26 de setembre, de consultes populars no referendàries i d’altres formes de participació ciutadana, dessen Art. 8 den nicht-bindenden Charakter der Volksbefragung festlegt. 27 TC 5829-2014, 29.9.2014, TC 5830-2014, 29.9.2014.
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außerhalb der üblichen technischen Modalitäten einer Volksbefragung stattfinden, für deren Durchführung die Regionalregierung, anders als die spanische Regierung, eine rechtliche Handhabe sieht. Inwiefern es sich dabei überhaupt noch um eine Volksbefragung im formellen Sinn und nicht nur um eine unverbindliche Meinungsumfrage durch einen „politischen Auftraggeber“ handelt, wird möglicherweise wiederum vom spanischen Verfassungsgericht entschieden werden.
C. Direkte und partizipative Demokratie – ein pleonastisches Staatsziel? Ein anderes Beispiel für eine gewisse Begriffsverwirrung im Zusammenhang mit der direkten Demokratie stellt Art. 1 Abs. 4 der Vorarlberger Landesverfassung dar. Erst 2013 eingefügt,28 lautet diese Bestimmung folgendermaßen: „Das Land bekennt sich zur direkten Demokratie in Form von Volksbegehren, Volksabstimmungen und Volksbefragungen und fördert auch andere Formen der partizipativen Demokratie.“ Aus dieser differenzierten Formulierung soll offenbar ein Unterschied zwischen „direkter“ Demokratie – die mit den drei klassischen Plebisziten gleichgesetzt wird, obwohl es sich dabei im Grunde um semi-direktdemokratische Instrumente handelt – und „partizipativer“ Demokratie hervorkommen. Widersprüchlich daran ist, dass die Formulierung „auch andere Formen der partizipativen Demokratie“ ja voraussetzt, dass bereits zuvor, nämlich im Zusammenhang mit den direkt-demokratischen Plebisziten, von „Formen der partizipativen Demokratie“ die Rede ist. Ob nun direkte oder partizipative Demokratie der jeweils über- oder untergeordnete Begriff oder beide überhaupt synonym zu verstehen sein sollen, geht auch aus den Erläuterungen nicht klar hervor:29 Unter den „andere[n] Formen der partizipativen Demokratie“ seien demnach „zusätzliche Möglichkeiten der Teilnahme und der Mitwirkung des Volkes bzw. von Bürgern, zweckmäßig und sinnvoll, um das Zusammenwirken der staatlichen Entscheidungsträger (insbesondere der Organe der Gesetzgebung und der Verwaltung) und der sie legitimierenden Bürger in den verschiedensten Sachbereichen zu intensivieren.“30 Als praktisch besonders relevantes Beispiel werden die „Bürgerräte“ erwähnt, die „unter Teilnahme von nach dem Zufallsprinzip und unter Beachtung der Diversität ausgewählten Personen die Möglichkeit [bieten sollen], allgemeine oder konkretere Themen (insbesondere der Gesetzgebung und der Verwaltung) in einem gut strukturierten Prozess zu erörtern 28
29 30
LGBl. 2013/14. Dazu auch Bußjäger, Entwicklungen in der direkten Demokratie und Bürgerbeteiligung in Vorarlberg, in ders. et al. (Hg.), Direkte Demokratie im Diskurs (2014) 151 (159 f.) sowie Gamper, Rechtsetzung 113. Erläuterungen der RV Blg. 1/2013 XXIX. GP des Vorarlberger Landtages. ErlRV Blg. 1/2013 XXIX. GP 2.
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und die einschlägigen staatlichen Entscheidungsträger zu beraten“.31 Weitere Formen der „Bürgerbeteiligung außerhalb der klassischen Formen der direkten Demokratie“ (worunter offenbar wiederum die plebiszitäre Demokratie verstanden wird), wie etwa die Bürgerbegutachtung von Gesetzesentwürfen oder besondere Beteiligungsrechte von Kindern und Jugendlichen, seien ebenfalls darunter zu subsumieren. Anders als offenbar in den Instrumenten der direkten Demokratie, werde durch Bürgerräte nicht unmittelbar Einfluss auf die Staatsgeschäfte genommen, ziele die Methode doch auf eine „für die teilnehmenden Bürger und die staatlichen Entscheidungsträger wechselseitig gewinnbringende Rückkoppelung und damit ein stärkeres Miteinander“ ab.32 Soll daraus allgemein ableitbar sein, dass partizipative Demokratie, anders als direkte Demokratie, bloß mittelbaren Einfluss auf die Staatsgeschäfte nehme, so stellt sich umgekehrt die Frage, warum beispielsweise eine rechtlich unverbindliche Volksbefragung als Instrument der direkten Demokratie derartigen unmittelbaren Einfluss haben soll. Auch kann der direkten Demokratie nicht abgesprochen werden, ebenfalls „wechselseitig gewinnbringende Rückkoppelung und damit ein stärkeres Miteinander“ zu gewährleisten. Die grundlegende Frage – aber diese stellt sich sowohl im Fall der direkten als auch der partizipativen Demokratie – ist vielmehr, ob die jeweilige, je nachdem stärkere oder schwächere Art der Teilhabe eher als kontrollierende „Vetomacht“ empfunden wird oder es, positiv gewendet, um ein harmonisches „Miteinander“ von Repräsentanten und Volk geht. Beide Aspekte sind niemals auszuschließen, sofern Teilhabe nur überhaupt garantiert wird, wobei mit der Verbindlichkeit und Rigidität der Volksrechte wohl auch die Erwartungshaltung steigt, dass es damit zu mehr Kontrolle und gegebenenfalls Ausübung von Vetorechten kommen wird. Direkter Demokratie kann keinesfalls abgesprochen werden, auch partizipativ zu sein – ausgenommen die Reinform der „Volksgesetzgebung“, in der das Volk ohne irgendein Zutun der Repräsentanten agiert,33 sodass der Begriff der Partizipation oder Teilhabe, der ja das Vorhandensein zumindest einer anderen „pars“ voraussetzt, hier im Grunde verfehlt ist.34 Bei den anderen Formen der direkten (richtiger: semi-direkten) Demokratie verknüpft sich die Willensbildung von Repräsentanten und Repräsentierten als zwei komplementären partes. Freilich zeigt sich aber auch hier ebenso wie in der repräsentativen Demokratie, dass das Volk in Wahrheit nie bloß „pars“ ist, da es umfänglich seine Repräsentanten auf verschiedenen Ebenen und in verschiedenen Organen bestimmt: In jeder Demokratie und selbstverständ31 ErlRV Blg. 1/2013 XXIX. GP 3. 32 ErlRV Blg. 1/2013 XXIX. GP 3. 33 Vgl. dazu bereits oben FN 17. 34 Vgl. Gamper, Forms (im Druck).
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lich auch nach dem Demokratiekonzept der österreichischen Bundesverfassung, wonach das Recht vom Volk ausgeht, muss sichergestellt sein, dass das Volk, ob repräsentiert oder unmittelbar, der alleinige Träger der Herrschaftsgewalt ist. In diesem Sinne kann das Volk nie bloß demokratischer Partizipant neben einer anderen „Herrschafts-pars“ sein,35 sondern es kann höchstens dahingehend einen Unterschied geben, ob es seine Herrschaftsgewalt mittelbar oder unmittelbar ausübt. Bemerkenswert an Art. 1 Abs. 4 der Vorarlberger Landesverfassung ist jedenfalls, dass die Thematik der direkten bzw. partizipativen Demokratie als Staatszielbestimmung formuliert wurde.36 Demokratie als Verfassungsthema fällt sonst ja in die Domäne politischer Grundrechte bzw. des Staatsorganisationsrechts. Dass eine „Förderung“ dieser Demokratieformen durch ein Bundesland als Verfassungsauftrag formuliert wird, ist daher durchaus neuartig. Subjektive Rechte werden damit dennoch nicht verankert, was zumindest in gewisser Hinsicht eine Achillesferse auch der bestehenden direktdemokratischen Instrumente trifft.37
II. Direkte Demokratie als „totes Recht“ Ein Paradoxon der österreichischen Diskussion um mehr direkte Demokratie ist, dass etliche einschlägige Instrumente jetzt schon rechtlich existieren, ohne jedoch in der Praxis Anwendung zu finden,38 gleichzeitig aber der Ruf nach Einführung neuer Instrumente erschallt. Beispielsweise ist es dem Nationalrat seit der Erlassung des B-VG 1920 möglich, einen Gesetzesbeschluss einer Volksabstimmung unterziehen zu lassen, wenn er es beschließt oder die Mehrheit der Mitglieder des Nationalrats es verlangt.39 Von dieser Möglichkeit einer fakultativen Volksabstimmung wurde jedoch überhaupt erst ein einziges Mal Gebrauch gemacht, nämlich im Zusammenhang mit der geplanten Einführung des AKW Zwentendorf.40 Ebenso wenig 35 Vgl. Gamper, Forms (im Druck). Art. 2 der liechtensteinischen Verfassung, wonach die Staatsgewalt im Fürsten und im Volk verankert sei, entspricht aus diesem Grund keiner reinen Demokratie (vgl. näher Gamper, Autochthoner versus europäischer Konstitutionalismus?, in FS Delle Karth [2013] 263 [271 ff.]). 36 Viele der traditionelleren Staatsziele haben freilich einen indirekten Demokratiebezug, etwa zur Funktion des Rundfunks, zum Minderheitenschutz, zur Rolle der Sozialpartner in demokratischer Selbstverwaltung oder im Zusammenhang mit der Erziehung österreichischer Schüler. 37 Vgl. dazu unten V. 38 Zu rechtspolitischen Hintergründen Öhlinger, ÖJZ 2012, 1055 f. Vgl. auch Schäffer, Über die Schwäche der Volksbegehren in Österreich, in FS Öhlinger (2004) 412 ff. 39 Art. 43 B-VG. 40 Volksabstimmung vom 5.11.1978. Vgl. näher Stelzer, Direkt-demokratische Elemente in der Verfassung – eine rechtsvergleichende Betrachtung, in FS Maurer (2001) 1019 (1029 f.).
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wäre es schon angesichts der 117 Novellierungen des B-VG seit seiner Wiederverlautbarung im Jahre 1930 unangebracht erschienen, von der ebenfalls seit 1920 bestehenden Möglichkeit der fakultativen Volksabstimmung wegen Teiländerung der Bundesverfassung Gebrauch zu machen, wofür lediglich ein Drittel der Mitglieder des Nationalrats oder Bundesrats ausgereicht hätte.41 Bedenkt man, wie tiefgreifend das B-VG im Laufe des letzten Jahrhunderts verändert wurde, hätte auch über die Frage, ob eine obligatorische Volksabstimmung auf Grund (möglicherweise schleichender) Gesamtänderung der Bundesverfassung erforderlich gewesen wäre, m.E. wesentlich ernster nachgedacht werden müssen, als dies geschehen ist.42 Erst wesentlich später, nämlich im Jahr 1988,43 wurde dagegen die Volksbefragung eingeführt, die auf Grund eines auf Antrag seiner Mitglieder oder der Bundesregierung gefällten Beschlusses des Nationalrats stattzufinden hat. Die erste – und bisher einzige – Volksbefragung auf Bundesebene fand gleichwohl erst im Jahre 2013 statt.44 Hier stellt sich tatsächlich die Frage, welchen Sinn es einerseits hat, neue Instrumente der direkten Demokratie einzuführen – wofür es ja eine entsprechend positive Willensbildung im Nationalrat bräuchte –, wenn der Nationalrat andererseits seit jeher nicht bereit ist, vorhandene Instrumente in der Praxis einzusetzen. Was das im „Demokratiepaket 2013“ vorgeschlagene Doppelplebiszit anbelangt, so hätte sich der Nationalrat freilich immer noch viel Spielraum vorbehalten, nicht nur, was die Frage der rechtlichen Umsetzung eines durch Volksbefragung bestätigten Volksbegehrens, sondern auch bereits, was die Frage des „Ob“ der Durchführung einer Volksbefragung anbelangt.45
41 42
43 44 45
Art. 44 Abs. 3 2. Untertatbestand B-VG. Vgl. in Bezug auf die Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 Gamper, Landesverwaltungsgerichte im Spannungsfeld der Bauprinzipien der Bundesverfassung, in Bußjäger et al. (Hg.), Die neuen Landesverwaltungsgerichte (2013) 1 (8 ff.). BGBl. 1988/685. Volksbefragung vom 20.1.2013. Eine Volksbefragung fände gem. Art. 49c Abs. 2 (neu) B-VG unter bestimmten Voraussetzungen zwingend dann statt, wenn der Nationalrat keinen dem qualifiziert unterstützten Volksbegehren entsprechenden Gesetzesbeschluss fasste; falls er einen Gesetzesbeschluss fasste, dieser aber bloß unwesentlich vom Volksbegehren abwiche, fände die Volksbefragung gem. Art. 49c Abs. 3 (neu) B-VG nicht statt; die unwesentliche Abweichung würde vom Nationalrat selbst mit Beschluss festgestellt, doch könnte der VfGH gem. Art. 141a Abs. 2 (neu) B-VG von den Initiatoren des Volksbegehrens angerufen werden, um festzustellen, ob ein Gesetzesbeschluss nicht bloß unwesentlich vom Volksbegehren abweicht.
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III. Länder und Gemeinden als Innovationslaboratorien „weicher“ direkter Demokratie? Auch auf Landes- und Gemeindeebene, wo das Spektrum direktdemokratischer (in der Terminologie der Vorarlberger Landesverfassung wohl auch: partizipativ-demokratischer) Instrumente teilweise vielfältiger ist als auf Bundesebene,46 fällt der Befund, wie stark vorhandene Instrumente in der Praxis Anwendung finden, ähnlich ernüchternd aus. Zwar gibt es leichtere Schwankungen zwischen Bundesländern, zwischen dem Einsatz einzelner Plebiszite und wohl auch zwischen Landes- und Gemeindeebene, doch kann jedenfalls nicht davon gesprochen werden, dass plebiszitäre Demokratie in Österreichs Ländern und Gemeinden intensiv „gelebt“ würde.47 Dagegen, so scheint es, würden „weiche“, d.h. außerplebiszitäre und rechtlich unverbindliche Formen der Bürgerbeteiligung gerade auf Gemeindeebene stärker genutzt.48 Dabei handelt es sich um Formen der Bürgerbeteiligung, die sowohl für repräsentative Gemeindeorgane als auch Bürger insofern attraktiv wirken, als sie für erstere keine rechtlichen Zwänge herbeiführen, für letztere aber unbürokratischer und thematisch möglicherweise weitreichender sind. Wenn etwa Gemeinden Kommunikationsforen im Internet anbieten, über die Bürger unverbindlich Meinungen abgeben können,49
46 Dazu Mayer, Plebiszitäre Instrumente in der staatlichen Willensbildung, in FS 75 Jahre Bundesverfassung (1995) 341 (348 ff.); Marko, Direkte Demokratie zwischen Parlamentarismus und Verfassungsautonomie, in FS Mantl (2004) 335 ff.; Pernthaler/Gstir, Direkte und repräsentative Demokratie auf Gemeindeebene, ZfV 2004, 748 ff.; Gamper, RFG 2011, 67 ff.; Giese, Direktdemokratische Willensbildung in der Gemeindeselbstverwaltung – Stand, Rechtsfragen, Perspektiven, in FS 50 Jahre Gemeindeverfassungsnovelle (2012) 109 ff.; Mayrhofer, Landtagswahlen und direkte Demokratie, in Pürgy (Hg.), Das Recht der Länder Bd. I (2012) 153 ff.; Oberndorfer, 8. Teil. Einrichtungen der direkten Demokratie in den Gemeinden, in Pabel (Hg.), Das österreichische Gemeinderecht (2013); Madlsperger, Instrumente der direkten Demokratie auf Gemeindeebene, RFG 2014, 140 ff.; Poier, Instrumente und Praxis direkter Demokratie in Österreich auf Länder- und Gemeindeebene, in Bußjäger et al. (Hg.), Direkte Demokratie im Diskurs (2014) 141 ff. 47 Vgl. empirisch Poier, Demokratie 44 ff.; Karlhofer, Direkte Demokratie – ja, aber? Stand und Perspektiven kommunaler Bürgerbeteiligung, in FS 50 Jahre Gemeindeverfassungsnovelle (2012) 143 (153 ff.). Zu Volksbegehren auf Bundesebene schon Schäffer, Schwäche 414 ff. Bemerkenswert daher die Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage, wonach ein breiter Konsens der Österreicher darüber festgestellt werden könne, dass ein Ausbau der direkten Demokratie wünschenswert sei (vgl. Haller/Feistritzer, Direkte Demokratie in Österreich. Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage, in Bußjäger et al. [Hg.], Direkte Demokratie im Diskurs [2014] 95 [104 f.]). 48 Einen guten Überblick über mögliche Mischungen „weicher“ und „harter“ Instrumente der direkten Demokratie auf Gemeindeebene verschafft das – von Österreich bislang allerdings noch nicht ratifizierte – Zusatzprotokoll zur Charta der lokalen Selbstverwaltung des Europarats. 49 Vgl. dazu Parycek et al., Online-Bürgerbeteiligung für Gemeinden, RFG 2014, 146 ff.
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ohne dass ein Themenverbot50 gilt oder Bürger zur Durchführung des Plebiszits in Amtsräumlichkeiten erscheinen müssen, oder in Gemeindeversammlungen Gelegenheit bieten, sich informell auszutauschen und Informationen zu erlangen, sind dies alltägliche Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung, die aus juristischer Sicht allerdings keine unmittelbaren Rechtsfolgen auslösen. Derartige informelle Möglichkeiten beruhen letztlich auf allgemeinen Menschenrechten wie insbesondere Kommunikations- und Versammlungsfreiheit,51 sind insofern grundsätzlich zulässig und nur in wenigen Fällen überhaupt rechtlich geregelt. Dass diese Instrumente für die Ebene der Gemeinden besonders geeignet sind, weil die dort anstehenden Sachthemen überschaubarer sein dürften und gleichzeitig die Bürgernähe größer ist, was z.B. auch „echte“ Zusammenkünfte in Form von Gemeindeversammlungen oder Bürgerräten ermöglicht, dürfte außer Zweifel stehen. Die Frage ist allerdings, ob sich direkte Demokratie auf derartige „weiche“ Instrumente beschränken sollte. Ob nämlich diese informelle und unverbindliche Bürgerbeteiligung tatsächlich auch Demokratie im Sinne von „Volksherrschaft“ und damit effektive politische Willensbildung ermöglicht, hängt letztlich von der Bereitschaft der Repräsentanten ab, Anliegen der Bürger auch dann ernstzunehmen, wenn diese keiner juristisch zwingenden Durchsetzung unterliegen.
IV. Plebiszitäre Hürden und Schutz der Verfassung Eine andere Möglichkeit der Stärkung direkter Demokratie bestünde darin, den Gebrauch vorhandener Instrumente zu erleichtern, indem deren Hürden abgesenkt würden, die auch im Vergleich zwischen Bund, Ländern und Gemeinden durchaus unterschiedlich gestaltet sind.52 Beispielsweise könnten etwa bei Volksbegehren sowohl im Einleitungs- als auch Eintragungsverfahren die zu erreichenden Beteiligungserfordernisse abgesenkt, Volksbefragungen oder Volksabstimmungen unter bestimmten Bedingungen obligatorisch53 oder zumindest die Voraussetzungen für 50 51 52 53
Vgl. dazu noch unten IV. Zum Begriff der „Versammlungsdemokratie“ vgl. Mantl, Parlament im Stresstest, in FS Berka (2013) 539 (545). Vgl. dazu die bereits oben in FN 46 angeführte Literatur. Die wenigsten dieser Plebiszite sind derzeit obligatorisch ausgestaltet; wo eine obligatorische Durchführung gefordert ist, hängt dies zumeist vom Vorhandensein atypischer Ausnahmekonstellationen (z.B. Gesamtänderung der Bundesverfassung, Gemeindefusion) ab. Fakultative Plebiszite hängen in nicht seltenen Fällen davon ab, ob repräsentative Organe ihre Durchführung beschließen; auf Landes- und Gemeindeebene finden sich allerdings immer wieder Beispiele (vgl. dazu die oben in FN 46 angeführte Literatur), wo ein Plebiszit auch auf einen entsprechend unterstützten Antrag von Bürgern durchgeführt werden muss.
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deren Durchführung vereinfacht werden. Wie weit man darin gehen will, ist zunächst eine rechtspolitische Frage. Aus der verfassungsgerichtlichen Judikatur zum demokratischen Bauprinzip54 lässt sich einerseits nur die allgemeine Formel gewinnen, dass die repräsentative Demokratie im Wesenskern, die direkte Demokratie im Randbereich55 des demokratischen Bauprinzips steht; andererseits erscheint de constitutione lata das Instrument der „Volksgesetzgebung“ ausgeschlossen, das einzuführen paradoxerweise wohl gerade einer Volksabstimmung gem. Art. 44 Abs. 3 B-VG wegen Gesamtänderung der Bundesverfassung bedürfte.56 Größere Veränderungen im Gefüge der beiden Demokratietypen könnten freilich auch dann auftreten, wenn die Willensbildung im Rahmen der repräsentativen Demokratie nachhaltig und regelmäßig behindert würde: etwa durch einen massiven Ausbau obligatorischer Volksabstimmungen oder die Verpflichtung, über Volksbegehren auch dann parlamentarisch zu beraten, wenn diese von einer sehr niedrigen Beteiligungsquote getragen wären. Dies gilt wohl angesichts der „Homogenitätsklammer“ des demokratischen Bauprinzips grundsätzlich für alle Ebenen – Bund, Länder und Gemeinden – gleichermaßen; graduelle Unterschiede sind freilich möglich, weil das Verhältnis zwischen repräsentativer und direkter Demokratie auf Landesebene in concreto in der Bundesverfassung gar nicht geregelt ist, daher nur allgemeinste Vorgaben, wie sie der VfGH aus dem demokratischen Bauprinzip ableitet, dafür anwendbar sein können.57 Für die Gemeinden wiederum gibt es eine explizite Bestimmung in Art. 117 Abs. 8 B-VG,58 aber auch hier wurde die systemimmanente Geltung des demokratischen Bauprinzips mit seinem Regel-Ausnahme-Verhältnis in Bezug auf repräsentative und direkte Demokratie vom VfGH59 festgestellt. 54 55
56 57 58 59
Vgl. etwa VfSlg. 13.500/1993, 16.189/2001, 16.241/2001, 19.711/2012. Auszunehmen ist hier wohl wiederum die obligatorische Volksabstimmung wegen Gesamtänderung der Bundesverfassung, die selbst unter dem Schutz des Art. 44 Abs. 3 B-VG steht; vgl. auch Ermacora, Die Bedeutung der Überprüfung von Bundesverfassungsgesetzen durch den österreichischen Verfassungsgerichtshof, JBl 1953, 537 (539); Gamper, Direkte Demokratie und bundesstaatliches Homogenitätsprinzip, ÖJZ 2003, 441 (446); dies., RFG 2011, 67; dies., Rechtsetzung 108 ff.; Bußjäger, Plebiszitäre Demokratie im Mehrebenensystem? Zur Theorie direkter Demokratie in föderalen und konföderalen Systemen, in FS Pernthaler (2005) 85 (106 ff.); Adamovich/Funk/ Holzinger/Frank, Staatsrecht2 (2011) 131; Berka, Verfassungsrecht5 (2014) 37 sowie Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht10 (2014) 56. Dies dürfte jedenfalls aus VfSlg. 16.241/2001 abzuleiten sein. Fraglich ist, ob eine enge Beschränkung dieses Instruments auf einzelne Themengebiete eine Gesamtänderung ausschließen könnte. Kritisch zu einer undifferenzierten Anwendung der auf die direkte Demokratie auf Bundesebene bezogenen Regelungen der Bundesverfassung auf die Landesebene Öhlinger, ÖJZ 2012, 1055 m.v.w.N. Stolzlechner, Art. 117 B-VG, in Kneihs/Lienbacher (Hg.), Rill-Schäffer-Kommentar (6. Lfg. 2010) Rz. 30. Vgl. zum Telos dieser Bestimmung bereits Gamper, RFG 2011, 66 f. und 69 f. VfSlg. 13.500/1993.
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Bei manchen Plebisziten sind Themenverbote60 vorgesehen, die verhindern sollen, dass dem Plebiszit Angelegenheiten unterzogen werden, die entweder nicht in die Zuständigkeit der betreffenden Gebietskörperschaft – bei Gemeinden etwa nicht in den eigenen Wirkungsbereich61 – fallen oder die aus rechtspolitischen Gründen einer unmittelbaren Willensbildung des Volks entzogen sein sollen. Dazu gehören etwa „eingriffssensible“ Bereiche wie Grundrechte oder Abgaben62, bei denen der jeweilige Gesetzgeber, der diesbezüglich Themenverbote vorsieht, abseits der Kompetenzfrage offenbar auch Misstrauen hegt, das Volk könne diese Angelegenheiten in einer unerwünschten oder vom Gesetzgeber als verfassungsfeindlich eingestuften Art und Weise behandeln. Man denkt dabei unwillkürlich an das Ergebnis der vor einigen Jahren in der Schweiz durchgeführten Volksabstimmung zum Verbot von Minaretten, das trotz Spannung zur in Art. 9 EMRK und Art. 15 der Schweizerischen Bundesverfassung verankerten Religionsfreiheit im Verfassungsrang erlassen wurde.63 Auf der anderen Seite soll nicht vergessen werden, dass auch die Repräsentanten keineswegs als unfehlbarer Garant verfassungskonformer Gesetze angesehen werden können: Wurden etwa nach dem jüngsten Tätigkeitsbericht des VfGH allein im Jahre 2013 52 unterschiedliche Gesetzesnormen geprüft und davon 27 zumindest teilweise aufgehoben,64 wird darin deutlich, dass die Repräsentanten vor der Erlassung verfassungswidriger Gesetze keineswegs zurückscheuen. Zu überlegen wäre aber, jedenfalls bei „fundamentalen“ Volksentscheiden die Hürde einer (qualifizierten) Mindeststimmbeteiligung einzuziehen, ähnlich wie dies durch das (in manchen Fällen noch erhöhte) Präsenzquorum bei Beschlussfassungen in Parlamenten zum Ausdruck gebracht wird.
V. Subjektive Rechte und Rechtsschutz Erleichterungen im Zusammenhang mit bisher schon ausgeübten Instrumenten wären auch in durch den VfGH bisher restriktiv gehandhabten direktdemokrati60 61 62
63 64
Dazu etwa Gamper, RFG 2011, 68 f.; dies., Direkte Demokratie in Wien als Land und Gemeinde, RFG 2014, 135 (139); Öhlinger, ÖJZ 2012, 1059 f. Vgl. Art. 117 Abs. 8 B-VG. Vgl. dazu auch am Fallbeispiel Kolonovits, Problem der zulässigen Fragestellung bei Volksbefragungen – am Beispiel der geforderten Volksbefragung zur Ausweitung des „Parkpickerls“ in Wien, in FS Berka (2013) 505 ff. Art. 72 Abs. 3 der Schweizerischen Bundesverfassung, angenommen in der Volksabstimmung vom 29. November 2009. Bericht des Verfassungsgerichtshofes über seine Tätigkeit im Jahr 2013, abrufbar unter , 54 (abgerufen am 27.10.2014).
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schen „Annexbereichen“ vorstellbar: Diese betreffen den prozeduralen Zugang, die Durchführung eines Plebiszits als subjektives Recht vor dem VfGH einzuklagen, aber auch die Möglichkeit, ein durchgeführtes Plebiszit wegen Rechtswidrigkeit anzufechten. So vertrat der VfGH in mehreren Verfahren – ohne nähere Begründung – die Ansicht, dass aus der Bundesverfassung zwar ein Recht auf Teilnahme an einer angeordneten Volksabstimmung, selbst im Falle der Gesamtänderung der Bundesverfassung aber kein Recht auf Durchführung einer solchen abzuleiten sei.65 Allerdings nützt dem Bürger, der den Verdacht einer ohne Volksabstimmung durchgeführten Gesamtänderung der Bundesverfassung hegt, das Recht auf Teilnahme an einer Volksabstimmung wenig, wenn diese entgegen Art. 44 Abs. 3 B-VG nicht durchgeführt wird. Richtig ist, dass beide Rechte unterschiedliche Aspekte betreffen, dass aber das demokratiepolitisch wichtigere Recht jenes auf Durchführung einer Volksabstimmung darstellt, weil es das Recht auf Teilnahme im Größenschluss wohl implizieren würde und weil die Frage, ob im Fall der gravierendsten aller Verfassungsänderungen eine Volksabstimmung durchgeführt wird, für die Demokratie entscheidender erscheint als die vergleichsweise kleinere Frage, ob einzelne Personen an der Teilnahme gehindert wurden. Woher nun der VfGH aus dem positiven Recht ableiten will, dass es kein Recht auf Durchführung einer Volksabstimmung gebe, bleibt unklar. Sieht man Art. 44 Abs. 3 1. Untertatbestand B-VG im Lichte des Art. 1 B-VG als ein Wesenselement des demokratischen Bauprinzips an,66 so erscheint es gleichzeitig als Systemwidrigkeit, den Bürgern im Hinblick auf die entscheidendste Verfassungsfrage keine Rechte zu geben, die Abhaltung der Volksabstimmung auch subjektiv einzufordern. Auf diese Weise könnten sich Repräsentanten – konkret der Bundespräsident, der die Volksabstimmung fälschlicherweise nicht anordnet und ein gesamtänderndes Bundesgesetz ohne Volksabstimmung kundmacht, oder die Bundesregierung, die diese nicht bei ihm beantragt – über das Erfordernis der Volksabstimmung hinwegsetzen, ohne dass denjenigen, die an dieser Volksabstimmung teilnähmen, hinreichende Möglichkeit zuteil würde, diese Vorenthaltung unmittelbar, d.h. außerhalb von Wahlen,67 geltendzumachen. Im Grunde sind es also immer nur Repräsentanten des Volks – als Organe der verschiedenen Staatsgewalten –, die eine entsprechende Außerkraftsetzung im Rahmen der abstrakten und konkreten Normenkontrolle oder eines Gesetzgebungsverfahrens veranlassen könnten, obwohl unmittelbar Betroffener das Volk selbst ist. Auch vor 65 66 67
Vgl. VfSlg. 17.588/2005, 19.085/2010, 19.170/2010. Vgl. dazu bereits oben FN 55. Selbst die Geltendmachung der politischen oder rechtlichen Verantwortlichkeit des Bundespräsidenten wäre maßgeblich vom Willen repräsentativer Organe abhängig.
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dem Hintergrund, dass der VfGH im Falle anderer Plebiszite ein Grundrecht auf deren Durchführung anerkannt hat,68 erscheint es einigermaßen spitzfindig, gerade im Hinblick auf dieses wohl wichtigste aller Plebiszite ein derartiges Recht zu verneinen. So folgenreich auch die Anerkennung eines solchen Rechts im Hinblick auf die dann zu erwartenden – schwierigen – meritorischen Erörterungen über möglicherweise auch nur behauptete Gesamtänderungen sein könnte, wäre doch zumindest zu erwarten, dass die Behauptung, ein Recht auf Durchführung einer Volksabstimmung existiere nicht, von der Rechtsprechung begründet würde. Ein ähnliches Beispiel betrifft die Anfechtung der Ergebnisse von Plebisziten.69 Hier vertritt der VfGH in ständiger Rechtsprechung eine restriktive Haltung zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen, wobei er dies damit begründete, dass die Anfechtungsbefugnis nicht jeder an der Teilnahme berechtigten Person schlechthin zukommen müsse,70 auch wenn Art. 141 Abs. 3 B-VG71 vorsehe, dass der (Bundes-) Gesetzgeber das Recht auf Anfechtung des Ergebnisses von Volksbefragungen derart zu gestalten habe, dass eine solche (Rechts-)Ausübung tatsächlich ermöglicht werde.72 Ein aus der bloßen Teilnahme an direktdemokratischen Instrumenten ohne Erfüllung von bestimmten Formalerfordernissen erfließendes subjektives Recht einzelner Personen auf Überprüfung von Abstimmungsergebnissen sei weder in den die direktdemokratischen Instrumente regelnden Bestimmungen des B-VG noch in Art. 141 Abs. 3 B-VG vorgesehen, sondern könne ihnen allenfalls durch ihre besondere Rechtsstellung in diesen Verfahren zukommen.73 Nur angerissen werden kann an dieser Stelle das Problem, dass diese restriktive Haltung des VfGH zur direkten Demokratie und ihren jeweiligen – von ihm teilweise gerade nicht als Rechte angesehenen – „Annexbereichen“ deshalb besonders sensibel erscheint, weil die Verfassungsgerichtsbarkeit selbst in einem „counter-majoritarian dilemma“ 74 steckt. Das ihr immanente Spannungsverhältnis zum Demokratieprinzip – nicht-volksgewählte Richter, die Gesetze aufheben, die ihrerseits von einem volksgewählten Organ beschlossen und von allen möglichen anderen demokratisch legitimierten Verfassungsorganen miterzeugt wurden – wird im Grunde nur dadurch aufgelöst, dass die Aufgabe der Wahrung der Verfassung als der de68 69 70 71 72 73 74
Beispielsweise sprach der VfGH in VfSlg. 19.711/2012 von einem „verfassungsgesetzlich gewährleistete[n] Recht auf Durchführung einer Volksbefragung auf Gemeindeebene“. Dazu bereits Gamper, RFG 2014, 137 f. VfSlg. 13.828/1994, VfGH 18.9.2013, WIII4/2013. Aufgehoben durch die Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle, BGBl. I 2012/51; vgl. nunmehr Art. 141 Abs. 1 lit. e B-VG. VfSlg. 9234/1981, 13.839/1994, VfGH 18.9.2013, WIII4/2013. VfSlg. 15.816/2000, VfGH 18.9.2013, WIII4/2013. Grundlegend dazu Bickel, The Least Dangerous Branch (1962).
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mokratisch höchstlegitimierten Rechtsquelle dem Gericht eine demokratische Legitimation im funktionalen Sinn verleiht.75 Noch erhöht wird diese demokratische Funktion des VfGH in Fällen, da es nicht nur um die Bewahrung der Verfassung, sondern des Verfassungskerns geht: Der „konzentrierten“ Demokratie, die Art. 44 Abs. 3 1. Untertatbestand B-VG durch die Verdoppelung der demokratischen Willensbildung (durch die Repräsentanten und direkt durch das Volk) festlegt, würde mit der Anerkennung eines Grundrechts auf Durchführung (und damit auch Durchsetzung) einer Volksabstimmung im Fall einer Gesamtänderung jedenfalls eher Rechnung getragen.
VI. Schlussfolgerungen Die vielfältigen Forderungen nach Veränderungen im Bereich der direkten Demokratie bedürfen zunächst einer Klärung der verwendeten Begrifflichkeiten sowie einer Systematisierung. So könnte eine Belebung der direkten Demokratie im Grunde auch ohne Verfassungsänderung erfolgen, indem bestehende Instrumente aus ihrem Dasein als „totes Recht“ zum Leben erweckt würden. Eine weitergehende Stufe würde dadurch erreicht, dass rechtliche Änderungen zwar nur bestehende Instrumente beträfen, diese aber im Gebrauch beteiligungsfreundlicher gestaltet bzw. mit umfassenderen subjektiven Rechten und damit auch Rechtsschutzmöglichkeiten verknüpft würden; dafür kann ein Vergleich der im gesamten österreichischen Mehrebenensystem gewonnenen Erfahrungswerte zu unterschiedlichen Gestaltungsformen hilfreich sein. Die radikalste Veränderung bestünde in der Einführung neuer direktdemokratischer Instrumente, die allerdings unterschiedlich weitgehend gestaltet sein können: Während etwa die Einführung des im Rahmen des „Demokratiepakets 2013“ vorgeschlagenen Doppelplebiszits m.E. keine Gesamtänderung der Bundesverfassung auslösen würde, wäre dies im Falle der allgemeinen Einführung des Instruments der „Volksgesetzgebung“ anzunehmen. Gleichzeitig ist freilich zu berücksichtigen, dass diejenigen Instrumente, deren Einführung keine Gesamtänderung der Bundesverfassung bedeutete, eben auch keine wesentliche Verschiebung im Verhältnis zwischen direkter und repräsentativer Demokratie bewirkten. Fundamentalere Forderungen nach mehr direkter Demokratie blieben dadurch klarerweise unerfüllt. Nachzudenken wäre indes nicht nur über die direkte Demokratie als politisches Instrument oder Kommunikationsmedium, sondern auch über die Inhalte selbst, bei denen Bürgern offenbar daran gelegen ist, stärker unmittelbar 75
Dazu ausführlich Gamper, Landesverwaltungsgerichte 23 ff.; dies., Regeln der Verfassungsinterpretation (2012) 214 f.
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einbezogen zu werden. Nicht zuletzt die verschiedenen regionalen Referenden, die 2014 in Europa stattfanden, zeigen, dass bei gewissen politischen Fragen ein „Recht auf direkte Demokratie“ als Annexrecht ganz anderer Rechte, wie etwa dem nach Selbstbestimmung, eingefordert wird – selbst wenn es nach der nationalen Verfassung gar nicht existiert.
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Gegensatz, Ergänzung, Korrektiv: Welche Funktionen der direkten Demokratie sollen gestärkt werden?* I. Die Forderung nach Demokratiereform als Ausgangspunkt Forderungen nach mehr Demokratie bzw. nach einer Reform der Demokratie, ihrer institutionellen Grundlagen und prozessualen Abläufe, sind in demokratischen Systemen – und erst recht in Bezug auf nichtdemokratische – mannigfaltig anzutreffen; Demokratiereform ist damit empirisch betrachtet ein Dauerthema und ein Dauerdesiderat. Aus einem demokratischen Ideal heraus ist auch die normative Verpflichtung abzuleiten, Strukturen und Mechanismen des politischen Systems stets weiterzuentwickeln und anzupassen, um ein möglichst hohes Maß an Demokratie – sich dem Ideal annähernd – zu verwirklichen.1 In diesem Sinne kann Demokratiereform auch als Daueraufgabe verstanden werden. Dabei wird freilich praktisch nie an einem Strang gezogen, denn die Vorstellungen, was Demokratie ist bzw. sein soll und wie eine Verbesserung der bzw. ein Mehr an Demokratie erreicht werden können, gehen im Detail weit auseinander. Es herrscht keine Übereinstimmung über einen Idealtypus der Demokratie, vielmehr findet sich in der Praxis wie in der Demokratietheorie eine große Zahl unterschiedlicher Vorstellungen und Modelle.2 Der Ruf nach Reformen wird verständlicher Weise dann besonders laut, wenn die Unzufriedenheit hoch ist. Nach allgemeiner Einschätzung trifft dies derzeit in vielen europäischen Ländern und besonders auch in Österreich für das politische *
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Der vorliegende Beitrag ist eine grundlegend erweiterte und überarbeitete Fassung eines Vortrags des Autors zum Thema „Direkte Demokratie vs. Parlamentarismus: Zur aktuellen Diskussion in Österreich aus verfassungsrechtlicher und verfassungspolitischer Sicht“, gehalten anlässlich des Symposiums „Direkte Demokratie vs. Parlamentarismus: Wie kommen wir zu den besten Entscheidungen?“ der „Initiative Mehrheitswahlrecht und Demokratiereform“ am 5. November 2012 im Parlament in Wien. Für die Unterstützung bei der Materialrecherche danke ich Katharina Holzmann und Mag. Julia Juri, BA. Vgl. etwa Heinrich Neisser: Demokratiereform in Österreich: Potentiale und Instrumente, in: Anton Pelinka/Fritz Plasser/Wolfgang Meixner (Hg.): Die Zukunft der österreichischen Demokratie. Trends, Prognosen und Szenarien, Wien 2000, 423–438, hier 423. Vgl. insbesondere Manfred G. Schmidt: Demokratietheorien. Eine Einführung, 5.A., Wiesbaden 2010; mit besonderem Blick auf Österreich vgl. Gary S. Schaal/Oliver W. Lembcke: Perspektiven zeitgenössischer Demokratietheorie, in: Ludger Helms/David M. Wineroither (Hg.): Die österreichische Demokratie im Vergleich, Baden-Baden 2012, 101–124.
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System zu. Dabei hat der Befund differenzierter auszufallen. Sowohl im europäischen wie auch im historischen Vergleich ist die Zufriedenheit mit der Demokratie an sich in Österreich nach wie vor sehr hoch, im Langzeitvergleich eher sogar steigend denn fallend.3 Eine große Mehrheit wünscht sich keine andere Staatsform.4 Andererseits zeigen sich dennoch (zumindest allgemein als solche angesehene) Krisenphänomene des politischen Systems, wie etwa ein zunehmender Vertrauensverlust von Institutionen, Parteien und Politikern5, der Zulauf zu Protestparteien6 bzw. die vermehrte Gründung von (nicht selten bloß kurzfristig) erfolgreichen Protestparteien7 und sinkende Wahlbeteiligungen8. Viele dieser Phänomene werden auch mit einer „Verdrossenheit“ der Bürgerinnen und Bürger begründet, wobei in der Literatur und Diskussion unterschiedliche Einschätzungen gegeben werden, ob sich die Verdrossenheit in erster Linie gegen „Politik“ an sich oder (nur) gegen „Parteipolitik“, gegen „die Politiker“ oder gegen „die Parteien“, oder allenfalls auch nur gegen manche Parteien – insbesondere die traditionellen Volksparteien9 –, richtet. 3 Vgl. Fritz Plasser/Gilg Seeber: Politische Kultur und Demokratiebewusstsein in der Zweiten Republik im internationalen Vergleich, in: Ludger Helms/David M. Wineroither (Hg.): Die österreichische Demokratie im Vergleich, Baden-Baden 2012, 269–291, hier 283–288. 4 Demgegenüber stehen allerdings Umfrageergebnisse, dass zumindest in Österreich gleichzeitig auch die Zustimmung zu einem „starken Führer, der sich nicht um das Parlament und Wahlen kümmern muss“ auf 29 % (2014) zugenommen hat; vgl. eine Studie von Oliver Rathkolb/Martina Zandonella/Günther Ogris, http://www.sora.at/fileadmin/downloads/projekte/2014_Presseunterlage_Geschichtsbewusstsein-und-autoritaere_Einstellungen.pdf (abgerufen am 2.12.2014). 5 Vgl. etwa die Ergebnisse des Standard Eurobarometer der Europäischen Kommission vom Frühjahr 2014, http://ec.europa.eu/public_opinion/archives/eb/eb81/eb81_publ_de.pdf, 64-70 (abgerufen am 8.12.2014). 6 Zum Zusammenhang zwischen Demokratiekritik und dem Erfolg der FPÖ in Österreich vgl. etwa Reinhard Heinisch: Demokratiekritik und (Rechts-)Populismus: Modellfall Österreich?, in: Ludger Helms/David M. Wineroither (Hg.): Die österreichische Demokratie im Vergleich, Baden-Baden 2012, 361–382; zu Populismus und direkter Demokratie vgl. Sieglinde Katharina Rosenberger: Demokratie und/versus Populismus, in: Andrei S. Markovits/Sieglinde K. Rosenberger (Hg.): Demokratie. Modus und Telos. Beiträge für Anton Pelinka, Wien/Köln/Weimar 2001, 101–116, hier 108–110. 7 Hingewiesen sei exemplarisch etwa auf die Liste Martin (Europawahlen 2004 und 2009), die Liste Fritz Dinkhauser in Tirol (Landtagswahlen 2008 und 2013, Nationalratswahl 2008) oder zuletzt bundesweit in Österreich die Gründung des Team Stronach und der Neos 2012. 8 Die Wahlbeteiligung ist auf allen Ebenen in Österreich – wie auch in vielen anderen Ländern – in den vergangenen Jahrzehnten gesunken. Allerdings wird in der Diskussion – insbesondere auch unter Hinweis auf niedrige Beteiligungsraten in der Schweiz – durchaus auch eingewendet, dass eine niedrige Wahlbeteiligung auch ein „Wohlstandsphänomen“ im Sinne einer grundsätzlichen Zufriedenheit mit dem politischen System darstellen kann. 9 Vgl. Hans Herbert von Arnim: Volksparteien ohne Volk. Das Versagen der Politik, München 2009.
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Die Zielrichtung der Unzufriedenheit bleibt damit letztlich diffus und ist in der Praxis wohl auch labil und wechselhaft. Weitgehende Einigkeit besteht allerdings darüber, dass Unzufriedenheit, Vertrauensverlust und Verdrossenheit in Österreich besonders durch das erneut in die Krise geratene System der Großen Koalition beflügelt wurden und werden. Die Regierungsparteien SPÖ und ÖVP sind seit der Neubildung der Großen Koalition 2007 wie in der Spätphase der Großen Koalition von 1987 bis 200010 bislang nicht in der Lage, große Reformen zustande zu bringen, und vermitteln weitgehend ein Bild von jeweils bereichsbezogener Reformverweigerung und Blockadepolitik und damit gemeinsamen Reformunvermögens. Dem gegenüber steht ein in den Medien seit Jahren gezeichnetes Bild des Reformstaus, das zwar angesichts der im internationalen Vergleich guten Kennzahlen Österreichs insbesondere im Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Sozialbereich11 überzogen sein mag, in einigen Bereichen – wie insbesondere etwa mit Blick auf eine maßgebliche Bundesstaats- oder Bildungsreform – jedenfalls gerechtfertigt erscheint.12 Erwartungen und Erfüllungen klaffen damit weit auseinander, was offenkundig auch zu dem dramatischen Zustimmungsverlust der Regierungsparteien bei Nationalratswahlen führte, die in der Zweiten Republik lange Zeit gemeinsam über 90 % der Stimmen erzielten und seit der Wahl 2006 von gemeinsamen 69,7 % auf gerade noch 50,8 % der Stimmen bei der Wahl 2013 zurückfielen.13 Für die nächsten Wahlen werden vielfach gar ein Unterschreiten der 50 %-Marke und damit die Notwendigkeit einer Mehrparteien- oder Minderheitsregierung erwartet.14 Die österreichische Konkordanzdemokratie scheint damit endgültig ihre Grundlage verloren zu haben:15 Weder können die traditionellen Parteien – kompromisshaft, aber eben doch – eine ausreichende Politikgestaltung vornehmen und damit eine akzeptierte Output-Leistung erbringen, noch verfügen 10
Vgl. zur damaligen Diskussion etwa Alfred Payrleitner (Hg.): Aufbruch aus der Erstarrung. Neue Wege in die österreichische Politik, Wien 1999. 11 Vgl. zuletzt Franz Marhold/Klaus Poier (Hg.): Arbeits- und Sozialrecht in Zeiten der Krise. Gesellschaft & Politik, H. 4-2013/1-2014, Wien/Graz 2014. 12 Vgl. Anton Pelinka: Die demokratiepolitische Reformagenda im Vergleich, in: Ludger Helms/ David M. Wineroither (Hg.): Die österreichische Demokratie im Vergleich, Baden-Baden 2012, 423–439, hier 426–433. 13 Vgl. Klaus Poier: Nationalratswahl 2013: Die österreichische Parteienlandschaft im Umbruch, in: Beatrix Karl u.a. (Hg.): Steirisches Jahrbuch für Politik 2013, Wien/Köln/Weimar 2014, 189–195. 14 Vgl. etwa Andreas Khol: MIGROKO vor dem Ende? Auf dem Weg in eine neue Republik, in: Andreas Khol u.a. (Hg.): Österreichisches Jahrbuch für Politik 2013, Wien/Köln/Weimar 2014, 3–14. 15 Vgl. etwa Ludger Helms/David M. Wineroither: Nationalrat, Bundesregierung und Bundespräsident: Die gouvernementale Arena im internationalen Vergleich, in: Ludger Helms/David M. Wineroither (Hg.): Die österreichische Demokratie im Vergleich, Baden-Baden 2012, 147–170, hier 153.
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sie mehr über eine breite Zustimmung in der Bevölkerung und damit eine entsprechende Input-Legitimation. Wie die aktuellen Probleme des politischen Systems insbesondere in Bezug auf die Große Koalition nicht neu auftreten, sondern zum Teil seit Langem vorhanden, zum Teil über Jahrzehnte gewachsen sind, sind auch die Rufe nach Alternativen und Reformen in Österreich nicht neu, aktuell aber wohl auf einem neuen Höhepunkt angelangt. Die Reformvorschläge sind weitreichend und vielschichtig, zielen auf grundlegende verfassungsrechtliche Änderungen und (auch nur) einen Wandel der politischen Kultur. Gefordert werden etwa neue Koalitionsvarianten (in einzelnen Bundesländern auch bereits gelebt16), eine Reform des Wahlrechts (insbesondere eine stärkere Personalisierung, zum Teil auch mehrheitsfördernde Elemente anstrebend)17 und eine Stärkung des Parlaments.18 Ebenso wird in der Diskussion19 immer wieder ein Mehr an direkter Demokratie als Reformoption angesichts der Krisenphänomene des politischen Systems thematisiert.20 Diesbezügliche Forderungen stammen nicht zuletzt aus den Reihen einer großen Zahl an neuen zivilgesellschaftlichen Einrichtungen, die sich in den letzten Jahren mit dem gemeinsamen Ziel einer Demokratiereform in Österreich gebildet haben.21 Als vorläufiger Höhepunkt 16
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Jüngst gibt es etwa seit 2013 in Kärnten eine Koalition aus SPÖ, ÖVP und Grünen und in Salzburg eine Koalition aus ÖVP, Grünen und Team Stronach. Eine Koalition aus ÖVP und Grünen gibt es zudem seit 2013 in Tirol und seit 2014 auch in Vorarlberg. In Oberösterreich gibt es bereits seit 2003 eine Zusammenarbeit von ÖVP und Grünen, in Wien seit 2010 eine Koalition aus SPÖ und Grünen. Vgl. etwa Klaus Poier (Hg.): Demokratie im Umbruch: Perspektiven einer Wahlrechtsreform, Wien/Köln/Graz 2009. Vgl. im Überblick etwa Ludger Helms: Demokratiereformen: Herausforderungen und Agenden, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 61 (2011), H. 44-45, 12–18; Wolfgang Mantl: Parlament im Stresstest, in: Rudolf Feik/Roland Winkler (Hg.): Festschrift für Walter Berka, Wien 2013, 539–548. Auch in der Bevölkerung wird der Ausbau der direkten Demokratie für wünschenswert gehalten, so etwa die Ergebnisse der Studie Max Haller/Gert Fesitritzer: Direkte Demokratie in Österreich. Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage, in: Peter Bußjäger/Alexander Balthasar/ Niklas Sonntag (Hg.): Direkte Demokratie im Diskurs. Beiträge zur Reform der Demokratie in Österreich, Wien 2014, 95–115, hier 104–108. Siehe dazu zuletzt etwa die Beiträge in Alexander Balthasar/Peter Bußjäger/Klaus Poier (Hg.): Herausforderung Demokratie. Themenfelder: Direkte Demokratie, e-Democracy und übergeordnetes Recht, Wien 2014; Peter Bußjäger/Alexander Balthasar/Niklas Sonntag (Hg.): Direkte Demokratie im Diskurs. Beiträge zur Reform der Demokratie in Österreich, Wien 2014; Österreichische Juristenkommission (Hg.): Direkte Demokratie. 9. Oktober 2012, Stadtsenatssitzungssaal des Wiener Rathauses, Wien 2014. Vgl. dazu etwa die umfassende Aufstellung von Demokratieinitiativen auf der Homepage des Demokratiezentrums Wien, http://www.demokratiezentrum.org/themen/direkte-demokratie/demokratie-initiativen.html?tx_jppageteaser_pi1%5BbackId%5D=2185 (abgerufen am 8.12.2014).
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der aktuellen Diskussion wurde nun eine parlamentarische Enquete-Kommission „betreffend Stärkung der Demokratie in Österreich“ mit Start im Dezember 2014 eingesetzt, die sich insbesondere mit der Aufwertung direktdemokratischer Instrumente sowie der parlamentarischen Arbeit und der Optimierung parlamentarischer Abläufe und Rahmenbedingungen beschäftigen soll.22 In diesem Beitrag wird der Fokus im Folgenden allein auf die Reformoption eines Ausbaus der direkten Demokratie – grundsätzlich verstanden als Mitwirkung des Volkes an Sachentscheidungen23 – gelegt und dabei insbesondere den mit einer derartigen Reform verbundenen Zielen nachgegangen. In der Diskussion über Vor- und Nachteile der direkten Demokratie bzw. ihres Ausbaus fehlt es nämlich in der Regel an einer differenzierten Betrachtung, was unter direkter Demokratie konkret verstanden wird und mit einer Reform erreicht werden soll. Ein vergleichender Blick in die Fülle der Ausgestaltungsmöglichkeiten der Instrumente der direkten Demokratie zeigt dabei allerdings schnell, dass direkte Demokratie ganz unterschiedliche Zielsetzungen, Funktionen und Wirkungen umfassen kann. Beispielhaft sei an dieser Stelle nur an den fundamentalen Unterschied zwischen einer Volksabstimmung, die ein Parlament über ein von ihm bereits beschlossenes Gesetz mehrheitlich anordnet, und einer Volksabstimmung, die von Bürgerinnen und Bürgern gegen ein vom Parlament beschlossenes Gesetz angestrebt wird, hingewiesen. Wenn man einen Ausbau der direkten Demokratie als Reformoption diskutiert, gilt es daher angesichts dieser Unterschiede jedenfalls, Funktionen direktdemokratischer Instrumente sowie mögliche Wirkungen einer konkreten Reformrichtung vor dem Hintergrund vorgelagerter politischer Reformziele zu bewerten. In den folgenden Kapiteln wird zuerst als Grundlage dem im Diskurs unterschiedlichen grundsätzlichen Verständnis von direkter Demokratie im Verhältnis zur repräsentativen Demokratie nachgegangen. In weiterer Folge werden die unterschiedlichen Funktionen, die direkte Demokratie – je nach Ausgestaltung und Rahmenbedingungen – erfüllen kann, dargelegt und diskutiert und schließlich wird versucht, auf dieser Grundlage aktuelle (rechts-)politische Reformzielsetzungen mit den Funktionen direkter Demokratie zu verknüpfen.
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Siehe dazu und zu weiterführenden Unterlagen http://www.parlament.gv.at/PERK/NRBRBV/NR/ PARLENQU/PEKDEMO/ (abgerufen am 8.12.2014). Siehe zur Frage der Begrifflichkeit Kapitel II.
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II. Zum Verhältnis von repräsentativer und direkter Demokratie Häufig werden „mittelbare“ und „unmittelbare“ Demokratie dichotomisch als Gegensatzpaar gegenübergestellt:24 Bei der mittelbaren Demokratie wählt das Volk Repräsentanten, die in weiterer Folge allein berufen sind, Sachentscheidungen (und ebenso weitere Personalentscheidungen) zu treffen. Bei der unmittelbaren Demokratie entscheidet das Volk hingegen auch selbst in Sachfragen. Während der Begriff der unmittelbaren Demokratie eindeutiger gefasst ist (im Sinne der Entscheidung des Volkes über alle betreffenden Personal- und Sachfragen),25 bleibt der Begriff der mittelbaren Demokratie dabei insofern uneindeutig, als eine rein mittelbare Staatsführung ohne unmittelbare Mitwirkung des Volkes, nämlich zumindest bei Wahlen, keine Demokratie mehr darstellen würde; Demokratie setzt damit zumindest einen gewissen Grad an unmittelbarer Entscheidungsbefugnis des Volkes voraus. Zum einen stellt sich damit die Frage, in welchem Ausmaß eine solche unmittelbare Mitwirkung bei Personalentscheidungen als Mindestmaß für das Vorliegen einer Demokratie erforderlich ist,26 zum anderen relativieren über ein solches Mindestmaß hinausgehende Entscheidungsrechte des Volkes in Personalfragen27 die „Mittelbarkeit“ der Demokratie weiter. Eine rein dichotomische Unterscheidung von mittelbarer und unmittelbarer Demokratie ist damit schon theoretisch schwierig, in der Praxis relativiert sie sich angesichts – insbesondere nach Bereichen und Ebenen – unterschiedlicher, zum Teil sich auch überlagernder Mitwirkungsformen des Volkes noch viel mehr. Allen modernen Staaten ist freilich gemein, dass sie überwiegend nach dem Prinzip der mittelbaren Demokratie verfasst sind und in unterschiedlichem, aber jedenfalls geringerem Ausmaße Elemente der unmittelbaren Demokratie aufweisen. In der Theorie angelegt, in der Praxis
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Vgl. etwa Burkhard Schöbener/Matthias Knauff: Allgemeine Staatslehre, 2.A., München 2013, § 5 Rz. 57–64. Freilich bleibt auch bei der unmittelbaren Demokratie das Problem bestehen, dass das Volk (zumindest bei größeren Entitäten) nicht in der Lage ist, getroffene Entscheidungen auch selbst ohne Repräsentanten zu vollziehen, was in der Regel auch – man denke nicht zuletzt an Ermessensspielräume – Entscheidungsbefugnisse mitumfasst. Eine zur Gänze unmittelbare Staatsführung erscheint aus diesem Grunde nicht realisierbar und damit auch theoretisch kaum begründbar. Siehe Art. 3 1. ZPEMRK, der die Verpflichtung zu freien und geheimen Wahlen „in angemessenen Zeitabständen“ statuiert (vgl. dazu Christoph Grabenwarter/Katharina Pabel: Europäische Menschenrechtskonvention, 5.A., München 2012, § 23 Rz. 109). Z.B. in Österreich die Direktwahl des Bundespräsidenten oder in den meisten Bundesländern der Bürgermeister; in anderen Ländern sind aber weit darüber hinausgehende Direktwahlmöglichkeiten von Amtsträgern bekannt (wie z.B. in den USA die Direktwahl von Richtern, Lehrern oder Sheriffs).
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verdeutlicht treten mittelbare und unmittelbare Demokratie daher in „Mischungsverhältnissen“28 auf. Als Synonyme werden in der Literatur und Diskussion für mittelbare Demokratie „repräsentative Demokratie“, für unmittelbare Demokratie „partizipative“29, „plebiszitäre“30 oder „direkte Demokratie“ verwendet. Ohne auf die anderen Begriffe in diesem Beitrag näher eingehen zu können,31 wird der Begriff der „direkten Demokratie“ bei genauerer Betrachtung in der Regel enger verstanden als jener der „unmittelbaren Demokratie“, nämlich – wie hier – bloß Sachentscheidungen und nicht auch Wahlen umfassend (manche sprechen daher auch von „sachunmittelbarer Demokratie“32). Da Forderungen nach mehr „unmittelbarer Demokratie“ häufig gleichzeitig Vorschläge für mehr direkte Demokratie und für weitergehende Gestaltungsmöglichkeiten im Wahlrecht (mehr Direktwahlen, Vorzugsstimmensysteme, Mehrfachstimmgebung etwa in Form des Stimmensplittings etc.) umfassen, verschwimmt diese begriffliche Unterscheidung in der Praxis nicht selten. Im Diskurs – vor allem speziell auf Österreich bezogen – über „direkte Demokratie“ (im dargelegten Sinne auf Sachentscheidungen bezogen) werden nun vor allem die Begriffe der „repräsentativen“ und „direkten Demokratie“ gegenüber- bzw. nebeneinandergestellt. Im Wesentlichen lassen sich in den dabei vertretenen Vorstellungen drei Kernpositionen identifizieren: (A) repräsentative und direkte Demokratie werden als Gegensatz verstanden, weshalb letztlich auch eine Entscheidung zugunsten des einen oder des anderen Prinzips zu fällen sei; (B) direkte Demokratie wird als Ergänzung zur repräsentativen Demokratie verstanden, wobei es graduell das richtige Ausmaß an direktdemokratischen Elementen im repräsentativen System zu finden gelte; und 28 29
Schöbener/Knauff, Staatslehre (Fn. 24), § 5 Rz. 63. Vgl. neuerdings auch Art. 1 Abs. 4 der Vorarlberger Landesverfassung, der zwischen „direkter“ und „partizipativer“ Demokratie zu unterscheiden scheint. Vgl. dazu Peter Bußjäger: Entwicklungen in der direkten Demokratie und Bürgerbeteiligung in Vorarlberg, in: Peter Bußjäger/Alexander Balthasar/Niklas Sonntag (Hg.): Direkte Demokratie im Diskurs. Beiträge zur Reform der Demokratie in Österreich, Wien 2014, 151–162, hier 159 f.; sowie den Beitrag von Anna Gamper in diesem Buch. 30 Vgl. etwa Anna Gamper: Staat und Verfassung. Einführung in die Allgemeine Staatslehre, 3.A., Wien 2014, 200, Fn. 187, die plebiszitäre als den gegenüber der direkten Demokratie engeren Begriff ansieht; eine Unterscheidung zwischen „plebiszitär“ (von oben) und „direktdemokratisch“ (von unten) schlagen Joseph Marko/Klaus Poier: Die Verfassungssysteme der Bundesländer: Institutionen und Verfahren repräsentativer und direkter Demokratie, in: Herbert Dachs u.a. (Hg.): Politik in Österreich. Das Handbuch, Wien 2006, 943–958, hier 952, vor. 31 Vgl. dazu den Beitrag von Anna Gamper in diesem Buch. 32 Vgl. Peter Neumann: Sachunmittelbare Demokratie im Bundes- und Landesverfassungsrecht unter besonderer Berücksichtigung der neuen Länder, Baden-Baden 2009.
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direkte Demokratie wird – im Sinne einer Unterform zu Punkt (B) – als Korrektiv verstanden, das Defiziten im repräsentativen System entgegenwirken solle.
A. Repräsentative Demokratie und direkte Demokratie als Gegensatz Die „Gegensatz-These“ zeigt sich im Diskurs über direkte Demokratie am augenscheinlichsten daran, dass die Befürworter jeder Seite das jeweils andere Modell der Demokratie – in einer gewissen „Kampfrhetorik“ – als defizitär darstellen.33 Direkte Demokratie sei in diesem Sinne die „echte“, „wahre“ Demokratie, während repräsentative Demokratie auf einer elitär-oligarchischen Verfremdung des Demokratiegedankens beruhe. Aktuelle Krisenphänomene der politischen Systeme werden dabei primär als Probleme der repräsentativen Verfasstheit und der repräsentativen Institutionen (Parteien, Parlament, Regierung) angesehen. Nur mit der Durchsetzung der „echten“ – nämlich direkten – Demokratie könnten das politische System bzw. die Demokratie „gerettet“ werden. Umgekehrt sehen die Gegner der direkten Demokratie bei dieser vor allem die Gefahr einer populistisch gesteuerten, unsachlich agierenden Mehrheit. Nur die repräsentative Demokratie garantiere eine sachrationale legitime Herrschaft.34 Die „Gegensatz-These“ ist in Österreich allerdings besonders auch durch die Judikatur des Verfassungsgerichtshofs35 angelegt, der in seinen Leitentscheidungen zur Bürgermeister-Direktwahl sowie zur „Volksgesetzgebung“ in Vorarlberg36 festge33 34
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Vgl. in diesem Sinne auch den Beitrag von Christoph Konrath in diesem Buch. Vgl. zur diesbezüglichen Diskussion in Deutschland etwa Werner J. Patzelt: Populäre Missverständnisse „direkter Demokratie“ als Herausforderung von Politik und politischer Bildung, in: Peter Neumann/Denise Renger (Hg.): Sachunmittelbare Demokratie im interdisziplinären und internationalen Kontext 2008/2009. Deutschland, Österreich, Schweiz, Baden-Baden 2010, 211–233. Diese Judikatur ist allerdings bekanntlich auf gehörige Kritik in der Literatur gestoßen. Vgl. etwa Peter Bußjäger: Plebiszitäre Demokratie im Mehrebenensystem? – zur Theorie direkter Demokratie in föderalen und konföderalen Systemen, in: Karl Weber/Norbert Wimmer (Hg.): Vom Verfassungsstaat am Scheideweg. Festschrift für Peter Pernthaler, Wien/New York 2005, 85–114; Anna Gamper: Direkte Demokratie und bundesstaatliches Homogenitätsprinzip, in: Österreichische Juristen-Zeitung, 58 (2003), H. 12, 441–448; Joseph Marko: Direkte Demokratie zwischen Parlamentarismus und Verfassungsautonomie. Anmerkungen zu den Erkenntnissen des Verfassungs gerichtshofs zur Bürgermeisterdirektwahl und zur Vorarlberger Referendumsinitiative, in: Hedwig Kopetz/Joseph Marko/Klaus Poier (Hg.): Soziokultureller Wandel im Verfassungsstaat. Phänomene politischer Transformation. Festschrift für Wolfgang Mantl zum 65. Geburtstag, Band I, Wien/ Köln/Graz 2004, 335–355; Stefan Storr: Die Maßgabe der österreichischen Bundesverfassung für sachunmittelbare Demokratie in Bund und Ländern, in: Peter Neumann/Denise Renger (Hg.): Sachunmittelbare Demokratie im interdisziplinären und internationalen Kontext 2008/2009. Deutschland, Österreich, Schweiz, Baden-Baden 2010, 96–116, hier 108–115. Art. 33 Abs. 5 und 6 der Vorarlberger Landesverfassung hatten vorgesehen, dass ein Volksbegeh-
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stellt hat, dass mit dem Bundes-Verfassungsgesetz 1920 eine „Systementscheidung“ für ein „repräsentativ-parlamentarisches System“ erfolgt sei.37 Mit der Bürgermeister-Direktwahl werde – nach der damaligen Verfassungsrechtslage38 – ein „Wechsel im System“ ohne bundesverfassungsrechtliche Ermächtigung „zu einem dualen, auch Elemente einer direkt-demokratisch gestalteten Bestellung eines monokratischen Führungsorgans enthaltenden System“ konstituiert.39 Mit der „Volksgesetzgebung“ würde „ein Konkurrenzmodell zum parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren konstituiert, das mit dem repräsentativ-demokratischen Grundprinzip der Bundesverfassung“ bzw. dem „bindenden Grundsatz der mittelbaren (parlamentarischen) Demokratie nicht mehr vereinbar“ sei.40 Dem wurde und wird mit dem Argument zu entgegnen versucht, dass trotz derartiger direktdemokratischer Elemente die Dominanz des repräsentativ-demokratischen Prinzips, insbesondere auch in der Praxis, bestehen bliebe.41 Der Verfassungsgerichtshof sprach sich allerdings gegen eine derartige „quantitative Betrachtung“ aus. Auch wenn eine „Volksgesetzgebung“ nicht „zum Normalfall“ würde, sei vielmehr für einen Übergang vom „repräsentativ-demokratischen zum plebiszitär-demokratischen System“ maßgeblich, dass eine Volksgesetzgebung für jedes beliebige Gesetz möglich wäre.42 Ein verschärfter Gegensatz zwischen direkter und repräsentativer Demokratie wird begrifflich auch geschaffen, wenn – anders als im überwiegenden Sprachge-
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ren, das von wenigstens 20 v.H. der Stimmberechtigten gestellt wird, einer Volksabstimmung zu unterziehen ist, wenn es der Landtag ablehnt, dem Volksbegehren Rechnung zu tragen. Hat das Landesvolk in dieser Volksabstimmung entschieden, dass dem Volksbegehren Rechnung zu tragen ist, so hatte nach der damaligen, vom Verfassungsgerichtshof aufgehobenen Verfassungsrechtslage der Landtag einen dem Volksbegehren inhaltlich entsprechenden Gesetzesbeschluss zu fassen. Vgl. exemplarisch Konrad Lachmayer: Repräsentative Demokratie als verfassungsrechtliche Systementscheidung in Österreich, in: Anna Gamper (Hg.): Entwicklungen des Wahlrechts am europäischen Fallbeispiel, Wien/New York 2010, 71–91. In weiterer Folge wurde die Bürgermeister-Direktwahl durch die Novelle BGBl. 1996/659 bundesverfassungsrechtlich abgesichert (Art. 117 Abs. 6 B-VG), allerdings ohne Volksabstimmung und damit nicht als Gesamtänderung der Bundesverfassung gemäß Art. 44 Abs. 3 B-VG. VfSlg. 13.500/1993, Punkt III.3. VfSlg. 16.241/2001, Punkt 3.2.2.3. So wird selbst in der Schweiz immer wieder darauf hingewiesen, dass bei bloß etwa zehn Prozent der Gesetze direktdemokratische Verfahren zur Anwendung kommen. Vgl. etwa Bernhard Ehrenzeller: Stabilität und Identität im Zeitalter der Globalisierung, in: Joseph Marko/Klaus Poier (Hg.): Politik, Staat und Recht im Zeitenbruch. Symposion aus Anlass des 60. Geburtstags von Wolfgang Mantl, Wien/Köln/Graz 2001, 129–139, hier 137 f. VfSlg. 16.241/2001, Punkt 3.2.2.3. Vgl. – einen solchen „Normalfall“ für das Vorliegen einer Gesamtänderung gemäß Art. 44 Abs. 3 B-VG voraussetzend – Peter Oberndorfer: Kommentar zu Artikel 1 B‑VG, Stand: 3. Lieferung (2000), in: Karl Korinek/Michael Holoubek (Hg.): Österreichisches Bundesverfassungsrecht. Textsammlung und Kommentar, Wien/New York Loseblattsammlung, Rz. 10.
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brauch – zwischen „direkter“ und „semi-direkter Demokratie“ unterschieden wird.43 Unter direkter Demokratie wird nach dieser Definition nur die „echte“ Volksgesetzgebung ohne Mitwirkung repräsentativer Organe verstanden, während bei Formen der Mitwirkung des Volkes eingebunden in die repräsentative Demokratie (bloß) von „semi-direkter“ Demokratie gesprochen wird.44
B. Direkte Demokratie als Ergänzung der repräsentativen Demokratie Die sozusagen gemäßigtere Position blickt nicht auf einen idealtypischen Gegensatz zwischen repräsentativer und direkter Demokratie, sondern sieht in den Instrumenten der direkten Demokratie eine Möglichkeit der „Ergänzung“ der in der Praxis primär repräsentativ verfassten Demokratie.45 Die direktdemokratische Ergänzung kann dabei völlig unterschiedlichen Ausmaßes sein, von bloßen „Spurenelementen“46 in einem System bis hin zu weitreichenden Mitwirkungs- und Mitentscheidungsrechten des Volkes, wobei diese auch je nach Bereich47 oder Ebene48 unter43
Der Begriff stammt – für die Hinweise danke ich Dr. Uwe Serdült vom Zentrum für Demokratie Aarau (ZDA) – möglicherweise aus Frankreich und wird in der Schweiz verwendet; vgl. Chantal Mollex: Le Fonctionnement actuel de la démocratie semi-directe dans la Confédération helvétique. Mémoire de Diplôme d’études supérieures, Bordeaux 1960; in der Schweiz jedenfalls schon bei Jean Meynaud (Hg.): Etudes Politiques Vaudoises, Lausanne 1963. In Österreich findet sich der Begriff etwa bei Gamper, Staat (Fn. 30), 200 und 226–232; Oberndorfer, Art. 1 B-VG (Fn. 42), Rz. 15; Peter Pernthaler: Das System der semidirekten Demokratie in Österreich, in: Stefan Brink/Heinrich Amadeus Wolf (Hg.): Gemeinwohl und Verantwortung. Festschrift für Hans Herbert von Arnim zum 65. Geburtstag, Berlin 2004, 745–760; Heinz Peter Rill: Möglichkeiten und Grenzen des Ausbaus direkt-demokratischer Elemente in der österreichischen Bundesverfassung, Wien 1987, 7; vgl. auch den Beitrag von Anna Gamper in diesem Buch. 44 Kritisch zum Begriff der „halbdirekten“ Demokratie etwa Bernhard Ehrenzeller: Direkte Demokratie und Parlamentarismus in der Schweiz, in: Alexander Balthasar/Peter Bußjäger/Klaus Poier (Hg.): Herausforderung Demokratie. Themenfelder: Direkte Demokratie, e-Democracy und übergeordnetes Recht, Wien 2014, 23–32, hier 26. 45 Vgl. exemplarisch Karl Korinek: Das Petitionsrecht im demokratischen Rechtsstaat, Tübingen 1977, 33, der auf die Funktion von Petitionsrecht und Volksbegehren als „plebiszitäre Ergänzungselemente der repräsentativ-demokratischen Ordnung“ hinweist. 46 Vgl. etwa schon Kurt Strele: Rechtsstaat und Demokratie im neuen Österreich. Eine staatsrechtliche Studie über Entwicklungsprinzipien der österreichischen Bundesverfassung, Innsbruck 1931, 46, der vom „dekorativen Charakter“ der direkten Demokratie in Österreich spricht. 47 So können etwa je nach Themenbereich Instrumente der direkten Demokratie zulässig oder unzulässig sein. Vgl. zur aktuellen Diskussion in Österreich etwa Theo Öhlinger: Grenzen der direkten Demokratie aus österreichischer Sicht, in: Alexander Balthasar/Peter Bußjäger/Klaus Poier (Hg.): Herausforderung Demokratie. Themenfelder: Direkte Demokratie, e-Democracy und übergeordnetes Recht, Wien 2014, 49–64, hier 55–60; vgl. auch mehrere Beiträge in diesem Buch, speziell darauf fokussiert und die Rechtslage in Österreich auf Bundes- und Landesebene darstellend den Beitrag von Franz Merli. 48 So ist etwa die direkte Demokratie sowohl in Österreich wie in Deutschland auf Landes- und
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schiedlich stark verankert sein können. Mit der Einrichtung direktdemokratischer Elemente können – wie unten noch näher gezeigt wird – viele und völlig unterschiedliche Zielsetzungen verfolgt werden, die das Verfassungs- bzw. politische System – von wenig bis sehr stark – beeinflussen und prägen können.
C. Direkte Demokratie als Korrektiv Die dritte Position sieht die Verankerung von Instrumenten der direkten Demokratie als Ergänzung des repräsentativ-demokratischen Systems vor allem unter dem Gesichtspunkt einer Korrektur in Richtung mehr Partizipation und Mitbestimmung der Bürgerinnen und Bürger vor dem Hintergrund der „Mediatisierung und Beherrschung der Politik durch die Parteien“49. Direktdemokratische Elemente
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Gemeindeebene wesentlich stärker ausgebaut als auf Bundesebene. Vgl. zu Österreich etwa Harald Eberhard: Gemeinderecht, in: Erich Pürgy (Hg.): Das Recht der Länder. System. Band I. Landesverfassungsrecht und Organisationsrecht, Wien 2012, 593–648, hier 617–620; Michael Mayrhofer: Landtagswahlen und Direkte Demokratie, in: Erich Pürgy (Hg.): Das Recht der Länder. System. Band I. Landesverfassungsrecht und Organisationsrecht, Wien 2012, 153–212, hier 206–212; Anna Gamper: Direkte Demokratie in der Gemeinde, in: Recht & Finanzen für Gemeinden, 9 (2011), H. 2, 66–71; Karim Giese: Direktdemokratische Willensbildung in der Gemeindeselbstverwaltung – Stand, Rechtsfragen, Perspektiven, in: Arno Kahl (Hg.): Offen in eine gemeinsame Zukunft. Festschrift 50 Jahre Gemeindeverfassungsnovelle, Wien 2012, 109–141; Kristina Madlsperger: Instrumente der direkten Demokratie auf Gemeindeebene, in: Recht & Finanzen für Gemeinden, 12 (2014), H. 3, 140–146; Klaus Poier: Sachunmittelbare Demokratie in Österreichs Ländern und Gemeinden: Rechtslage und empirische Erfahrungen im Überblick, in: Peter Neumann/Denise Renger (Hg.): Sachunmittelbare Demokratie im interdisziplinären und internationalen Kontext 2008/2009. Deutschland, Österreich, Schweiz, Baden-Baden 2010, 31–56; Klaus Poier: Instrumente und Praxis direkter Demokratie in Österreich auf Länder- und Gemeindeebene, in: Peter Bußjäger/Alexander Balthasar/Niklas Sonntag (Hg.): Direkte Demokratie im Diskurs. Beiträge zur Reform der Demokratie in Österreich, Wien 2014, 141–150. Zur Rechtslage in Deutschland vgl. etwa Frank Decker: Sachunmittelbare Demokratie auf der Ebene der Länder, in: Peter Neumann/Denise Renger (Hg.): Sachunmittelbare Demokratie im interdisziplinären und internationalen Kontext 2009/2010. Deutschland, Liechtenstein, Österreich, Schweiz und Europa, Baden-Baden 2012, 29–47; Otmar Jung: Direkte Demokratie in den deutschen Bundesländern. Historische Entwicklung – aktuelle Rechtslage – empirische Erfahrungen, in: Österreichische Juristenkommission (Hg.): Direkte Demokratie. 9. Oktober 2012, Stadtsenatssitzungssaal des Wiener Rathauses, Wien 2014, 21–55. Peter Neumann: Regelungsbestand der Sachunmittelbaren Demokratie in Deutschland 2009, in: Peter Neumann/Denise Renger (Hg.): Sachunmittelbare Demokratie im interdisziplinären und internationalen Kontext 2008/2009. Deutschland, Österreich, Schweiz, Baden-Baden 2010, 13–30; Franz Merli: Kommentar zu Artikel 41 Absatz 2 B-VG, Stand: 1. Lieferung (1999), in: Karl Korinek/ Michael Holoubek (Hg.): Österreichisches Bundesverfassungsrecht. Textsammlung und Kommentar, Wien/New York Loseblattsammlung, Rz. 10 m.w.N.
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sollen dabei Schwächen der demokratischen Rückkoppelung und Legitimation entgegenwirken und eine Öffnung des in gewisser Weise oligarchisch geschlossenen politischen Establishments ermöglichen. Direktdemokratische Einrichtungen sollen derart „Korrektiv“, freilich aber nicht „Ersatz für die Repräsentation“ sein.50
D. Zwischenresümee Die begriffliche Darlegung hat gezeigt, dass sowohl in der Theorie wie in der Praxis keine einheitliche Begriffsverwendung vorliegt und es daher schon deshalb immer wieder zu Verwirrungen kommt.51 Freilich können mit der bestimmten Verwendung von Begriffen auch sprachlich (rechts-)politische Ziele und Positionen untermauert werden.52 In diesem Beitrag wird in weiterer Folge der Begriff der „direkten Demokratie“ wie im üblichen allgemeinen Sprachgebrauch insofern weit verstanden werden, als alle Formen der unmittelbaren Beteiligung des Volkes an Sachentscheidungen – ob allein oder gemeinsam mit Repräsentanten – mitumfasst sein sollen, während er insofern eng gefasst ist, als er sich eben nur auf Sachentscheidungen und nicht auf Personalentscheidungen bezieht. Das Verständnis des Verhältnisses von repräsentativer und direkter Demokratie als Gegensatz, Ergänzung oder Korrektiv soll primär als empirischer Befund aufgezeigt sein. Unabhängig von verfassungsrechtlichen Fragen – insbesondere in welchem Ausmaß die Verankerung direkt-demokratischer Elemente verfassungsrechtlich zulässig ist und für welche Reformen es allenfalls einer (Gesamt-)Änderung der Bundesverfassung bedarf53 –, die rechtsdogmatisch beantwortet werden müssen, plädiert der Autor für die rechtspolitische Diskussion dafür, repräsentative und direkte Demokratie nicht mittels einer stereotypen Dichotomie gegeneinander „ausspielen“ zu wollen. Der Blick sollte vielmehr auf die Funktionen gelegt werden, die Elemente der direkten Demokratie in einem politischen System erfüllen können. Diese Funktionsleistungen sollten den politischen Zielsetzungen einer Demokratiereform gegenübergestellt werden. 50 51
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Wolfgang Mantl: Repräsentation und Identität. Demokratie im Konflikt. Ein Beitrag zur modernen Staatsformenlehre, Wien/New York 1975, 275. Im internationalen Vergleich ist die unterschiedliche Begriffsverwendung noch heterogener, nicht nur wegen der unterschiedlichen Bedeutung von (ähnlichen) Begriffen in verschiedenen Rechtssystemen, sondern schon in den jeweiligen Sprachen. Zur Begrifflichkeit sei nochmals auf den Beitrag von Anna Gamper in diesem Buch hingewiesen. Zu Politik und Sprache vgl. grundlegend etwa Wolfgang Mantl: Sprache und Politik (erstmals 1985), in: Wolfgang Mantl: Politikanalysen. Untersuchungen zur pluralistischen Demokratie, 15–32; Oswald Panagl (Hg.): Fahnenwörter der Politik. Kontinuitäten und Brüche, Wien/Köln/Graz 1998. Vgl. exemplarisch Öhlinger, Grenzen (Fn. 47), 49–52.
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III. Zu den Funktionen direkter Demokratie In der Literatur und Diskussion finden sich häufig Gegenüberstellungen einzelner Vor- und Nachteile der direkten Demokratie. Weit seltener wird systematisch da rauf eingegangen, welche Funktionen direkte Demokratie in einem politischen (Verfassungs-)System erfüllen soll bzw. kann.54 Wenn man die vielfältigen denkbaren Funktionen direkter Demokratie näher betrachtet – hier in einem weiten Sinne verstanden als Leistungen der direkten Demokratie im Willensbildungs- und Entscheidungsprozess des politischen (Verfassungs-)Systems, insbesondere auch aus dem Blickwinkel, mit welcher Zielsetzung Instrumente der direkten Demokratie in Anspruch genommen werden können55 –, zeigt sich schnell, wie groß die Bandbreite der Ausgestaltungsmöglichkeiten der Instrumente der direkten Demokratie ist und welch unterschiedliche – zum Teil auch konträre – Zielsetzungen und Funktionsleistungen damit jeweils verbunden sein können. Freilich sind bei Instrumenten der direkten Demokratie auch bezogen auf eine konkrete Ausgestaltung und einen bestimmten Anlassfall in der Regel gleichzeitig mehrere Funktionen und Zielsetzungen zu erkennen bzw. denkbar. Als Prämisse für die folgende Diskussion verschiedener Funktionsleistungen der direkten Demokratie wird hinsichtlich der Akteure im politischen Prozess angenommen, dass – wie in parlamentarischen Systemen typisch und damit auch für das politische System Österreichs grundsätzlich zutreffend – die Regierungsparteien mit der Mehrheit im Parlament gleichgesetzt werden können und Mehrheiten gegen die Regierung im Parlament für den Regelfall nicht zustande kommen. Der Regierungsmehrheit stehen in diesem Sinne die Oppositionsparteien als (homogene oder heterogene) Minderheit im Parlament gegenüber. Weiters kann – empirische Studien belegen dies – davon ausgegangen werden, dass auch die Instrumente der di54
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Vgl. zuletzt etwa die umfassende Literaturanalyse bei Stefan Vospernik: Modelle der direkten Demokratie. Volksabstimmungen im Spannungsfeld von Mehrheits- und Konsensdemokratie – Ein Vergleich von 15 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, Baden-Baden 2014, 57–64 m.w.N. In diesem Beitrag geht es vorwiegend darum, einen (ersten) Blick auf Funktionen und Ziele der direkten Demokratie zu lenken und dabei die große Bandbreite aufzuzeigen. In einer näheren Betrachtung wäre im Detail etwa zu unterscheiden, welche normativ-institutionellen Funktionen direkte Demokratie erfüllt; welche Ziele der historische Gesetzgeber mit der rechtlichen Etablierung direktdemokratischer Instrumente verfolgte; welche Ziele politische Akteure bei der konkreten Auslösung direktdemokratischer Verfahren verfolgen; welche Auswirkungen Instrumente direkter Demokratie ex post mit sich bringen (insbesondere auf Machtgefüge, Parteiensystem, gesellschaftlichen Zusammenhalt, wirtschaftliche Entwicklung eines Landes etc.). Eine systematische Literaturanalyse bietet etwa Florian Grotz: Direkte Demokratie in Europa: Erträge, Probleme und Perspektiven der vergleichenden Forschung, in: Politische Vierteljahresschrift, 50 (2009), H. 2, 286–305.
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rekten Demokratie in erster Linie von politischen Parteien dominiert werden – „von oben“ von den Regierungsparteien, „von unten“ von den Oppositionsparteien – und nur in seltenen Fällen ausschließlich Bürgerinnen und Bürger bzw. parteiunabhängige zivilgesellschaftliche Organisationen auftreten.56 Besonders stark trifft dies bei Referenden zu, bei Volksbegehren ist eine vergleichsweise stärkere Inanspruchnahme durch parteiunabhängige Akteure möglich und zu erkennen.57 In weiterer Folge sollen – ohne den Anspruch der Vollständigkeit zu erheben – mögliche Funktionen „direkter Demokratie“ aufgezeigt und kurz erläutert bzw. illustriert werden:
1. Absicherung des Status quo Instrumente der direkten Demokratie können die Funktion haben, den Status quo (verfassungs-)rechtlicher Regelungen besonders abzusichern – Änderungen sollen nur durch ein besonderes Verfahren und nach Überwindung zusätzlicher Hürden möglich sein. Diese Funktion kann insbesondere durch ein obligatorisches Referendum erfüllt werden, wie es etwa in Art. 44 Abs. 3 B-VG für den Fall der Gesamtänderung der österreichischen Bundesverfassung und auf Länderebene in Salzburg für den Fall der Gesamtänderung der Landesverfassung58 bzw. in Vorarlberg für eigens bezeichnete grundlegende Änderungen59 vorgesehen ist. Nicht nur Volksabstimmungen, sondern auch Volksbefragungen können dem Schutz des Status quo dienen, so ist beispielsweise in Kärnten eine verpflichtende Volksbefragung in einer Gemeinde vorgesehen, bevor eine Regierungsvorlage in der Landesregierung beschlossen werden darf, die den Untergang dieser Gemeinde durch Landesgesetz vorsieht.60 56
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Vgl. etwa Eike-Christian Hornig: Die Parteiendominanz direkter Demokratie in Westeuropa, Baden-Baden 2011; Werner Pleschberger/Christian Mertens: Zur Parteipolitisierung der direkten kommunalen Demokratie. Am Beispiel der Großstadt Wien, in: Mitteilungen des Instituts für Deutsches und Internationales Parteienrecht und Parteienforschung, 18 (2012), 24–35; Karl Ucakar: Direkte Demokratie und Parteien(staat), in: Eugen Antalovsky/Gemeinderatskommission „Forum Stadtverfassung“ (Hg.): Die Bürger und ihre Stadt. Direkte Demokratie in der Kommunalpolitik, Wien 1991, 303–307. Vgl. etwa Sieglinde Rosenberger/Gilg Seeber: Volksbegehren in Österreich. Zivilgesellschaft durch Direkte Demokratie?, in: Der Bürger im Staat, 57 (2007), H. 4, 233–239. Art. 23 Abs. 2 Salzburger L-VG. Gemäß Art. 35 Abs. 2 Vorarlberger Landesverfassung unterliegen verfassungsändernde Gesetzesbeschlüsse, durch die die Stellung Vorarlbergs als selbständiges Land aufgegeben, das Landesgebiet geschmälert, das gleiche und unmittelbare Wahlrecht zum Landtag aufgehoben oder die Rechte der Stimmbürger und der Gemeinden, Volksbegehren zu stellen sowie Volksabstimmungen und Volksbefragungen zu verlangen, beseitigt werden, jedenfalls der Volksabstimmung. § 7 Abs. 2 Kärntner Allgemeine Gemeindeordnung.
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Freilich kann auch dem Instrument des sogenannten „Veto-Referendums“61 – im Sinne des Rechts einer bestimmten Anzahl an Bürgerinnen und Bürgern bzw. einer parlamentarischen Minderheit, eine Volksabstimmung gegen einen Gesetzesbeschluss zu initiieren – in gewisser Weise grundsätzlich eine Status quo-begünstigende Wirkung zugeschrieben werden, da derartige Referenden eben gerade darauf gerichtet sind, Veränderungen zu verhindern. Unter diesem Blickwinkel wird der direkten Demokratie insgesamt immer wieder ein retardierender Charakter bescheinigt.62
2. Legitimierung besonders bedeutsamer Veränderungen Eng zusammen mit der Funktion der Absicherung des Status quo kann die Funktion der Legitimierung besonders bedeutsamer Veränderungen gesehen werden. Die – oben schon angesprochene – Verankerung obligatorischer Referenden kann in diesem Sinne auch dahingehend verstanden werden, dass die Änderung der Rechtsordnung in wesentlichen Punkten einer besonderen Legitimierung durch das Volk bedarf. Das Instrument fakultativer Referenden (allenfalls auch von ad hoc-Referenden63) kann ebenfalls in konkreten Anlassfällen die Funktion erfüllen, bei demokratie- und gesellschaftspolitisch als zentral eingeschätzten Fragen eine solche besondere Legitimierung von Entscheidungen herbeizuführen. Referenden mit dieser Zielrichtung müssen wiederum nicht unbedingt rechtlich bindend sein, sondern können auch in Form von konsultativen „Volksbefragungen“ stattfinden, wenn sich die Repräsentanten anstatt der rechtlichen einer politischen Bindung durch die Entscheidung des Volkes unterlegen.
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Vgl. etwa Stefan Hammer: Direkte Demokratie im österreichischen Verfassungsrecht: Repräsentative Demokratie und Föderalismus als Strukturbedingungen der Demokratiereform, in: Joseph Marko/Armin Stolz (Hg.): Demokratie und Wirtschaft, Wien/Köln/Graz 1987, 89–121, hier 112; Friedrich Koja: Das Verfassungsrecht der österreichischen Bundesländer, 2.A., Wien/New York 1988, 196; Heinz Mayer: Plebiszitäre Instrumente in der staatlichen Willensbildung, in: Österreichische Parlamentarische Gesellschaft (Hg.): 75 Jahre Bundesverfassung. Festschrift aus Anlaß des 75. Jahrestages der Beschlußfassung über das Bundes-Verfassungsgesetz, Wien 1995, 343–360, hier 352; siehe auch den Beitrag von Peter Bußjäger/Niklas Sonntag in diesem Buch. Vgl. etwa schon Hans Kelsen/Georg Fröhlich/Adolf Merkl (Hg.): Die Verfassungsgesetze der Republik Österreich. Mit historischen Einleitungen und kritischen Erläuterungen. Fünfter Teil: Bundesverfassung, Wien/Leipzig 1922, 121. Exemplarisch siehe die Situation im Vereinigten Königreich. Vgl. etwa Melanie Sully: Direct Democracy in the UK: a constitutional experiment, in: Peter Bußjäger/Alexander Balthasar/Niklas Sonntag (Hg.): Direkte Demokratie im Diskurs. Beiträge zur Reform der Demokratie in Österreich, Wien 2014, 47–59.
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3. Legitimierung von Regierungsentscheidungen Referenden (Volksabstimmungen wie Volksbefragungen) können andererseits auch das Ziel verfolgen, – allenfalls umstrittene – Regierungsentscheidungen durch das Volk zu legitimieren und damit quasi außer Streit zu stellen.64 Die Entscheidung würde damit sozusagen von einer bloßen Entscheidung der Regierungsmehrheit zu einer Entscheidung des gesamten Volkes. Referenden werden mit diesem Ziel in aller Regel nur dann von den Regierenden eingesetzt, wenn sie von einem Erfolg ausgehen; hohe Zustimmungsraten sind dann nicht selten. Damit steht angesichts der klaren Ausgangslage bei einem solchen Referendum nicht im Vordergrund, die Meinung der Bevölkerung zu erfragen bzw. eine Entscheidung herbeizuführen, sondern die politische Richtung zu legitimieren. Freilich kann es aber auch immer wieder Fälle geben, in denen das Referendum ein anderes als das erwartete Ergebnis bringt.65 4. Mobilisierung, Emotionalisierung für Regierungspolitik Von den Regierenden angestrebte Volksabstimmungen oder Volksbefragungen können besonders auch den Zweck verfolgen, für die Regierungspolitik zu emotionalisieren und zu mobilisieren. Insbesondere können sie auch darauf gerichtet sein, quasi durch eine solche Legitimierung eine Solidarisierung des Volkes mit der Regierung herbeizuführen, nicht selten gegen einen „Feind“ im Inneren oder Äußeren gerichtet.66 Eine derartige Mobilisierung kann freilich nicht nur durch Referenden, sondern allenfalls auch durch von Regierungsparteien initiierte Volksbegehren erreicht werden, so ungewöhnlich (und – je nach Standpunkt – allenfalls systemwidrig) dies auch angesichts der Regierungsmöglichkeiten, den Gesetzgebungsprozess einzuleiten und auch erfolgreich abzuschließen, erscheinen mag. 64
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Unter diesem Gesichtspunkt hätte etwa eine landesweit abgehaltene Volksabstimmung (oder allenfalls Volksbefragung) über die umstrittene Gemeindestrukturreform in der Steiermark für die sogenannten „Reformpartner“ SPÖ und ÖVP – bei aus Sicht des Autors positiv zu erwartendem Ausgang – zweckmäßig sein können. Zu dieser Reform vgl. etwa mehrere Beiträge in Beatrix Karl u.a. (Hg.): Steirisches Jahrbuch für Politik 2013, Wien/Köln/Weimar 2014. Als Beispiel kann etwa die Volksabstimmung vom 5. November 1978 über ein Bundesgesetz zur friedlichen Nutzung der Kernenergie in Österreich (Inbetriebnahme des Kernkraftwerkes Zwentendorf ) angesehen werden, die entgegen den Erwartungen mit 50,5 % Nein-Stimmen negativ ausging. Vgl. dazu etwa Erhard Angermann/Fritz Plasser: Wahlen und Wähler in Österreich 1977-1978, in: Andreas Khol/Alfred Stirnemann (Hg.): Österreichisches Jahrbuch für Politik 1978, München/Wien 1979, 1–23, hier 22 f. Als – regionales – Beispiel können etwa die Volksbefragungen im Mai 2010 im Burgenland angeführt werden, bei denen auf Betreiben des SPÖ-Landeshauptmanns „Mehrheitsfeststellungen“ (jeweils über 90 % Zustimmung) gegen das von der ÖVP-Innenministerin geplante Asyl-Erstaufnahmezentrum erfolgten. Vgl. dazu etwa Klaus Poier: Neue Belebung der sachunmittelbaren Demokratie in Österreich, in: Peter Neumann/Denise Renger (Hg.): Sachunmittelbare Demokratie im interdisziplinären und internationalen Kontext 2009/2010. Deutschland, Liechtenstein, Österreich, Schweiz und Europa, Baden-Baden 2012, 116–132, hier 121 f.
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Nicht selten werden Instrumente der direkten Demokratie mit dem Ziel der Mobilisierung besonders in Vorwahlzeiten eingesetzt.67 Im Übrigen kann der Einsatz von direkter Demokratie dabei auch unter der Zielsetzung verfolgt werden, dass derart eine Volksverbundenheit bzw. -nähe demonstriert werden soll, während die Entscheidung in der betroffenen Sachfrage zur Nebensache wird. Regierende nehmen allenfalls dabei auch Niederlagen in der Sachfrage hin, wenn sie durch diese Hinwendung an das Volk punkten können.68
5. Heraushalten von Themen aus dem Wahlkampf Umgekehrt kann die Inanspruchnahme von Instrumenten der direkten Demokratie aber gerade auch die Funktion haben, gewisse Themen aus einem späteren Wahlkampf herauszuhalten, wobei dieses Ziel von Regierungs- wie Oppositionsseite verfolgt werden kann. Indem für diese Themen ein besonderer direktdemokratischer Diskussions- und Entscheidungsprozess gewählt wird, werden sie quasi isoliert und zeitlich wie inhaltlich getrennt. Die Wirkung einer solchen Maßnahme wird dadurch unterstützt, dass Themen in der medialen Öffentlichkeit in der Regel einen gewissen Konjunkturverlauf haben und bei einer intensiven Diskussion nach einer gewissen Zeit „verbraucht“ sind und damit in den Hintergrund geraten. 6. Herbeiführung einer Entscheidung bei Nichteinigung im Repräsentativsystem Direkte Demokratie kann auch die Funktion erfüllen, in einer Sachfrage, die im Repräsentativsystem nicht gelöst werden kann, mittels Referendums eine Entscheidung herbeizuführen. Dies kann etwa dann angestrebt werden, wenn es widersprechende Positionen innerhalb einer Koalition gibt, die Regierungsparteien jedoch interessiert sind, das Thema quasi vom Tisch zu bekommen. Ebenso könnte es zu einer solchen Vorgangsweise kommen, wenn bei einem Thema die Positionen quer durch alle Parteien sehr heterogen sind und das Festlegen einer einheitlichen Parteilinie nicht gelingt oder zu großen Spannungen führen würde.69 67
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Als Beispiel können wieder die eben erwähnten Volksbefragungen im Burgenland dienen, die unmittelbar vor der bevorstehenden Landtagswahl 2010 abgehalten wurden. Auch in Wien wurde 2010 ein halbes Jahr vor der Landtagswahl eine Volksbefragung mit offenkundiger Mobilisierungsabsicht durchgeführt. Vgl. dazu etwa Poier, Belebung (Fn. 66), 120 f. Als Beispiel sei etwa auf die vom Bürgermeister betriebene „BürgerInnenumfrage“ in Graz 2012 hingewiesen. Vgl. – allerdings auf die Frage der rechtlichen Zulässigkeit dieser „BürgerInnenumfrage“ bezogen – Franz Merli: Langsame Demokratie, in: Clemens Jabloner u.a. (Hg.): Gedenkschrift Robert Walter, Wien 2013, 487–504, hier 491–495; siehe auch den Beitrag von Sieglinde Rosenberger/ Jeremias Stadlmair in diesem Buch. Unter diesem Gesichtspunkt wäre etwa aus Sicht des Autors schon vor Jahren eine Volksbefragung über ein generelles Rauchverbot in Gastronomiebetrieben in Österreich sinnvoll gewesen, ähnlich
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7. Durchsetzen politischer Forderungen gegen Regierungsmehrheit Instrumente der direkten Demokratie können freilich – in der letztlich weitgehendsten Form – die Möglichkeit eröffnen, politische Forderungen – sei es von Oppositionsparteien oder aus der Zivilgesellschaft – gegen eine Regierungsmehrheit durchzusetzen (sogenannte „Volksgesetzgebung“).70 In erster Linie kommt dafür eine von Bürgern initiierbare Volksabstimmung in Frage (entweder direkt oder auf einem Volksbegehren aufbauend).71 Dieselbe Wirkung kann faktisch allerdings auch durch eine rein konsultative Volksbefragung erzielt werden, wenn der politische Druck derart hoch ist, dass sich die Regierungsmehrheit einer solchen rechtlich nicht bindenden „Empfehlung“ sowohl aus wahltaktischen Gründen (im Hinblick auf eine dadurch drohende Niederlage) wie auch aus grundsätzlichen Überlegungen der mangelnden demokratischen Legitimation eines Zuwiderhandelns nicht wiedersetzen kann bzw. will.72 8. Veto gegen Regierungsentscheidungen Das schon angesprochene „Veto-Referendum“ ist primär darauf gerichtet, zwar nicht Veränderungen gegen eine Regierungsmehrheit durchzusetzen, jedoch von der Regierungsmehrheit angestrebte Veränderungen zu verhindern. Damit soll sozusagen idealtypisch die Mehrheit im Volk über ein basisdemokratisches Veto-Recht gegen eine „elitäre“ Regierungsmehrheit verfügen. Die Initiative zu einem solchen Recht kann je nach Ausgestaltung einer bestimmten Anzahl an Bürgerinnen und Bürger73
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wie etwa in Bayern, wo – allerdings aufgrund eines Volksbegehrens – am 4. Juli 2010 ein Volksentscheid abgehalten wurde. Empirische Untersuchungen zeigen allerdings, dass die Erfolgsquote derartiger „Volksinitiativen“ selbst in der Schweiz langfristig betrachtet relativ gering sind (nur etwa jede zehnte Initiative wird angenommen), während das im nächsten Punkt angesprochen „Veto-Referendum“ weit erfolgreicher ist (etwa jedes zweite derartige Referendum ist erfolgreich); vgl. etwa Anna Christmann: Das Vorbild unter der Lupe. Sachunmittelbare Demokratie in der Schweiz, in: Peter Neumann/Denise Renger (Hg.): Sachunmittelbare Demokratie im interdisziplinären und internationalen Kontext 2009/2010. Deutschland, Liechtenstein, Österreich, Schweiz und Europa, Baden-Baden 2012, 154–175, hier 159. Vgl. dazu nochmals die vom Verfassungsgerichtshof aufgehobene Regelung in der Vorarlberger Landesverfassung. Auf Gemeindeebene siehe etwa §§ 124 ff. Steiermärkisches Volksrechtegesetz. Vgl. dazu etwa die Volksbefragung in Österreich vom 20. Jänner 2013 zum Themenbereich Allgemeine Wehrpflicht und Zivildienst vs. Berufsheer, die – obwohl rechtlich nicht verbindlich – von allen Parteien als politisch verbindlich behandelt wurde. Auf Länderebene in Österreich kennen fünf Bundesländer dieses Instrument (siehe Art. 33 Burgenländisches L-VG, Art. 27 Niederösterreichische LV 1979, Art. 72 Steiermärkisches L-VG, Art. 39 Tiroler Landesordnung, Art. 35 Vorarlberger Landesverfassung). Siehe dazu den Beitrag von Peter Bußjäger /Niklas Sonntag in diesem Buch.
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oder einer parlamentarischen Minderheit74 zukommen. Fallweise ist auch vorgesehen, dass Akteure der Exekutive ein derartiges Instrument der direkten Demokratie in Gang setzen können.75 Ein solches Recht stärkt diese gegenüber der parlamentarischen Mehrheit und weist in Richtung eines präsidentiellen Regierungssystems.76 Gerade dieser möglichen „Veto“-Funktion direkter Demokratie werden in der Praxis gewichtige Auswirkungen und Vorwirkungen zugeschrieben. So wird etwa die Entstehung des Schweizer konkordanten Regierungssystems darauf zurückgeführt,77 ebenso ist nachvollziehbar, dass ein drohendes Veto-Referendum im Gesetzgebungsprozess einen großen Anreiz zu einem möglichst breiten politischen Konsens schafft.
9. Einbringen neuer Ideen, Chance für neue Gruppierungen Direkte Demokratie kann andererseits schlicht die Möglichkeit bieten, neue Ideen in den politischen Diskurs einzubringen bzw. sie über die Bühne direktdemokratischer Instrumente zu promoten. Diese Möglichkeit wird vor allem durch das Initiativrecht (Volksbegehren) geboten, kann aber etwa auch – mit wohl noch stärke74
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Dieses Recht kommt in Österreich gemäß Art. 44 Abs. 3 B-VG bei einer Verfassungsänderung einem Drittel der Mitglieder des Nationalrates oder des Bundesrates zu. Allerdings bedürfen Verfassungsänderungen gemäß Art. 44 Abs. 1 B-VG einer Zweidrittelmehrheit im Nationalrat, weshalb sich dieses „Minderheitenrecht“ relativiert, da derart in der Regel die Minderheit, die eine Verfassungsänderung nicht mitbeschlossen hat, weniger als das zur Einleitung einer Volksabstimmung notwendige Drittel ausmacht. Ein solches Recht kann z.B. dem Staatspräsidenten zukommen (siehe etwa Art. 11 der französischen Verfassung) oder etwa auch – wie in drei Bundesländern in Österreich, vgl. dazu Giese, Willensbildung (Fn. 48), 119 – einem Bürgermeister (siehe exemplarisch § 54 Abs. 2 Burgenländische Gemeindeordnung). Bekanntes und umstrittenes Beispiel sind dafür die Rechte des Reichspräsidenten in der Weimarer Verfassung. Vgl. dazu etwa Reinhard Schiffers: Elemente direkter Demokratie im Weimarer Regierungssystem, Düsseldorf 1971; Regina Notbauer: Direkte Demokratiekonzepte in der Weimarer Verfassung, in: Peter Bußjäger/Alexander Balthasar/Niklas Sonntag (Hg.): Direkte Demokratie im Diskurs. Beiträge zur Reform der Demokratie in Österreich, Wien 2014, 75–93. Die Einführung des fakultativen Gesetzesreferendums 1874 in der Schweiz bot demnach der Opposition immer stärkere Möglichkeiten, Vorhaben der Regierung zu behindern. Aus diesem Grund war es zweckmäßig, die Opposition „an Bord“ zu holen und sie bei entsprechender politischer Stärke in die Regierung aufzunehmen. Vgl. dazu etwa Yvo Hangartner/Andreas Kley: Die demokratischen Rechte in Bund und Kantonen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Zürich 2000, 380; Anna Christmann: Sachunmittelbare Demokratie in der Schweiz. Überblick und aktuelle Entwicklungen, in: Peter Neumann/Denise Renger (Hg.): Sachunmittelbare Demokratie im interdisziplinären und internationalen Kontext 2008/2009. Deutschland, Österreich, Schweiz, Baden-Baden 2010, 57–76, hier 64; siehe bereits Klaus Poier: Direkte Demokratie – Rückblick und Ausblick, in: Michael Holoubek/Andrea Martin/Stephan Schwarzer (Hg.): Die Zukunft der Verfassung – Verfassung der Zukunft? Festschrift für Karl Korinek zum 70. Geburtstag, Wien 2010, 67–80, hier 68 f.
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rem Gewicht – durch vom Volk initiierte Volksbefragungen erfolgen. Wenn direkte Demokratie von Regierungs- oder Oppositionsparteien genutzt wird, um politische Ideen auf diesem Weg zu befördern, dann bedeutet dies für sie eine zusätzliche zu den ohnedies schon bestehenden parlamentarischen Möglichkeiten. Im Vordergrund steht dabei vor allem die öffentliche Aufmerksamkeit und Mobilisierung, die derart erreicht werden kann. Für Bürgerinnen und Bürger sowie zivilgesellschaftliche Organisationen bzw. auch im Parlament nicht vertretene Parteien stellt dieser Weg hingegen ein wesentliches Betätigungsinstrument dar, insbesondere bietet es auch neuen Gruppierungen eine Chance, sich zu positionieren und Bekanntheit zu erlangen.
10. Mobilisierung, Emotionalisierung gegen Regierungspolitik Direkte Demokratie kann – wie sich schon aus den vorhergehenden Darlegungen erschließt – ganz besonders auch dazu dienen, gegen die Regierungspolitik zu emotionalisieren bzw. mobilisieren. Als Instrument kommen Referenden in Frage, durchaus mit großem Erfolg in der Praxis aber auch Volksbegehren. Häufig führt ein derartiger Einsatz der direkten Demokratie in weiterer Folge zu einem „Reflex“ auf Regierungsseite, die verfolgten inhaltlichen Ziele abzulehnen bzw. etwa ein Volksbegehren mit Nichtbeachtung zu „bestrafen“.78 Mittel- und langfristig ist es jedoch nicht selten, dass Themen dann doch von der Regierungsmehrheit aufgegriffen werden, insbesondere um einer weiteren Kampagnisierung den Wind aus den Segeln zu nehmen.79 Als problematisch bei einer Mobilisierung und Emotionalisierung durch direkte Demokratie – dies kann freilich auch zutreffen, wenn es von Regierungsseite kommt – wird vielfach angesehen, dass statt eines mehr oder weniger sachrationalen Diskurses die Gefahr einer populistischen Agitation droht. Auch wenn damit die Sachrationalität herkömmlicher politischer Entscheidungsprozesse wohl verklärend überhöht wird, kann eine aufgeheizte politische Diskussion, insbesondere wenn grundrechtliche Fragen und Rechte von Minderheiten betroffen sind80, wohl tat78
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Zur „Schwäche“ der Volksbegehren vgl. etwa Theo Öhlinger: Direkte Demokratie: Möglichkeiten und Grenzen. Zur aktuellen Diskussion über einen Ausbau direktdemokratischer Verfahren der Gesetzgebung, in: Österreichische Juristen-Zeitung, 67 (2012), H. 23/24, 1054–1061, hier 1055 f.; Heinz Schäffer: Über die „Schwäche“ der Volksbegehren in Österreich. Anmerkungen zur direkten Demokratie in Österreich, in: Stefan Hammer u.a. (Hg.): Demokratie und sozialer Rechtsstaat in Europa. Festschrift für Theo Öhlinger, Wien 2004, 412–433. Vgl. etwa Merli, Art. 41 Abs. 2 B-VG (Fn. 49), Rz. 10. Vgl. zur jüngsten Diskussion in der Schweiz etwa Andreas Glaser: Direktdemokratisch legitimerte Grundrechtseinschränkungen, in: Alexander Balthasar/Peter Bußjäger/Klaus Poier (Hg.): Herausforderung Demokratie. Themenfelder: Direkte Demokratie, e-Democracy und übergeordnetes Recht, Wien 2014, 65–98.
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sächlich zu besonders negativen Auswirkungen in Bezug auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt führen.81
11. Partizipation an sich, diskursive/deliberative Demokratie Direkte Demokratie kann schließlich – oder überhaupt zu allererst – die Funktion haben, ein Mehr an Partizipation der Bürgerinnen und Bürger zu ermöglichen. Neben das Recht zu wählen sollen damit auch Mitwirkungs- bzw. Mitentscheidungsrechte in Sachfragen treten. Hinsichtlich der möglichen Partizipationssteigerung durch direkte Demokratie wird allerdings immer wieder eingewendet, dass die Beteiligungsrate an Instrumenten der direkten Demokratie in der Regel deutlich unter der – ohnedies sinkenden – Wahlbeteiligung liegt. Aus diesem Grund werden mit dem erklärten Ziel der Sicherung der Repräsentativität82 auch immer wieder Mindestbeteiligungsquoren bei Volksabstimmungen83 gefordert.84 Dem Einwand geringer Beteiligung an Instrumenten der direkten Demokratie stehen allerdings Untersuchungsergebnisse gegenüber, dass die Beteiligung bzw. Nichtbeteiligung bei Wahlen und Instrumenten der direkten Demokratie nicht homogen verläuft und sich deshalb bei kumulativer Betrachtung sehr wohl eine Steigerung der Partizipation nachweisen lässt.85 Direkte Demokratie wird neuerdings vermehrt auch wieder mit dem Schlagwort „deliberative Demokratie“86 unter dem Gesichtspunkt diskutiert, dass sie einen (stär81
Daher auch die Argumente für Themenbeschränkungen bei Instrumenten der direkten Demokratie, siehe insbesondere den Beitrag von Franz Merli in diesem Buch. 82 Beispiele aus anderen Ländern, wie insbesondere Italien, zeigen allerdings, dass Mindestbeteiligungsquoren dazu führen können, dass Gegner in der Sache dazu aufrufen, an der Abstimmung nicht teilzunehmen, um die Abstimmung am Quorum scheitern zu lassen. Ist dies erfolgreich, kommt es zu einer hohen Zustimmung in der Sache (überwiegend gehen eben nur die Befürworter zur Abstimmung) und einer geringen Beteiligung, was die Repräsentativität der Abstimmung erst recht verschlechtert. 83 Siehe Art. 39 Abs. 4 Tiroler Landesordnung und § 131c Abs. 3 Wiener Stadtverfassung. 84 Vgl. etwa grundsätzlich Frank Meerkamp: Die Quorenfrage im Volksgesetzgebungsverfahren. Bedeutung und Entwicklung, Wiesbaden 2011. 85 Vgl. Uwe Serdült: Partizipation als Norm und Artefakt in der schweizerischen Abstimmungsdemokratie. Entmystifizierung der durchschnittlichen Stimmbeteiligung anhand von Stimmregisterdaten aus der Stadt St. Gallen, in: Andrea Good/Bettina Platipodis (Hg.): Direkte Demokratie. Herausforderungen zwischen Politik und Recht. Festschrift für Andreas Auer zum 65. Geburtstag, Bern 2013, 41–50. 86 Vgl. etwa Brigitte Geißel u.a.: Partizipation und Demokratie im Wandel – Wie verändert sich unsere Demokratie durch neue Kombinationen repräsentativer, deliberativer und direktdemokratischer Elemente?, in: Bertelsmann Stiftung/Staatsministerium Baden-Württemberg (Hg.): Partizipation im Wandel. Unsere Demokratie zwischen Wählen, Mitmachen und Entscheiden, Gütersloh 2014, 11–39.
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keren) Diskurs zwischen Repräsentanten und Repräsentierten zu befördern vermag.87 Insbesondere wird diese Zielsetzung bei der Verzahnung von Instrumenten der direkten Demokratie mit repräsentativ-parlamentarischen Verfahren, wie etwa in dem aus den deutschen Ländern bekannten „Drei-Stufen-Modell“, gesehen.88 Bei neuen, weitgehend informellen Verfahren, wie etwa auch dem „Bürgerräte“-Modell89, wird die Diskursfunktion direkter Demokratie besonders hervorgehoben.90
IV. Was soll/kann mit einer Aufwertung der Instrumente der direkten Demokratie erreicht werden? Diese – zweifelsohne noch erweiterbare – Aufstellung möglicher Funktionen und Ziele direkter Demokratie zeigt eine große Bandbreite. Angesichts der dabei dargelegten äußerst unterschiedlichen (zum Teil auch konträren) Funktionen, die Instrumente der direkten Demokratie erfüllen können, sollte der Verwendung des Sammelbegriffs „direkte Demokratie“ in der Diskussion um eine Demokratiereform wohl mit großer Vorsicht begegnet werden. Einzelne Vor- oder Nachteile, die „der“ direkten Demokratie immer wieder zugeschrieben werden, treffen in der Regel jeweils nur auf manche Instrumente in bestimmten Ausgestaltungsformen zu. Der gemeinsame Nenner aller Instrumente der direkten Demokratie ist in funktioneller Betrachtung hingegen sehr schmal und besteht vor allem in einem vorerst undifferenzierten Mehr an unmittelbarer Demokratie, das in weiterer Betrachtung hinsichtlich Ausmaß und Qualität der konkreten Rechte der Bürgerinnen und Bürger enorm variieren kann. Aus diesem Grund hilft – abseits von politischer Rhetorik – eine pauschale Gegenüberstellung von repräsentativer und direkter Demokratie nur wenig. Vielmehr sollte der Blick auf die Funktionen konkreter direktdemokratischer Instrumente in einer je spezifischen Ausgestaltung gerichtet werden. Dabei sind freilich auch noch die soziopolitischen Rahmenbedingungen bzw. die ein bestimmtes System prägende politische Kultur einzubeziehen, die kontextual Relevanz, praktische Inanspruchnahme und Funktionsleistungen (auch) der Instrumente der direkten Demokratie wesentlich beeinflussen können.91 87 88 89
90 91
Vgl. dazu insbesondere den Beitrag von Christoph Bezemek in diesem Buch. Vgl. auf Österreich bezogen etwa Öhlinger, Möglichkeiten (Fn. 78), 1057 f. Vgl. etwa Manfred Hellrigl: Bürgerräte in Vorarlberg, in: Peter Bußjäger/Alexander Balthasar/Niklas Sonntag (Hg.): Direkte Demokratie im Diskurs. Beiträge zur Reform der Demokratie in Österreich, Wien 2014, 163–168. Vgl. etwa auch Mundo Yang: Deliberative Politik von unten. Eine diskursanalytische Feldstudie dreier politischer Kleingruppen, Baden-Baden 2012. Vgl. etwa Grotz, Demokratie (Fn. 55), insb. 293 m.w.N.
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Eine sachbezogene Diskussion über eine Demokratiereform in Form einer Aufwertung der Instrumente der direkten Demokratie92 würde – was bislang kaum erfolgt93 – zuerst die Definition der übergeordneten Ziele einer solchen Reform erfordern. Auf dieser Grundlage sollte in einem weiteren Schritt geklärt werden, ob und in welcher Form diese Ziele durch Instrumente der direkten Demokratie (mit-)erfüllt werden können. Welche übergeordneten Ziele konkret verfolgt werden sollen, ist eine demokratie- und rechtspolitische Frage. In der allgemeinen Diskussion über die Reformbedürftigkeit des politischen Systems Österreichs werden – wie oben eingangs dargelegt – insbesondere die mangelnde Problemlösungsfähigkeit bzw. Reformkraft einerseits sowie eine sich auftuende Kluft zwischen der traditionellen politischen Elite und den sich Protestparteien zuwendenden bzw. durch Nichtbeteiligung stärker abwendenden Bürgerinnen und Bürgern beklagt. Es bietet sich daher an, hier der Frage nachzugehen, ob und wie durch eine Weiterentwicklung der In strumente der direkten Demokratie diesen beiden Entwicklungen entgegengetreten werden könnte. Hinsichtlich einer Steigerung der Problemlösungsfähigkeit, also der Effektivität im politischen System ist dabei festzuhalten, dass bei Instrumenten der direkten Demokratie sehr häufig gerade die gegenteilige Funktion hervorgestrichen wird.94 Obligatorische Referenden, wie oben dargelegt auch in Österreich, sichern den Status quo, „Veto-Referenden“, wie sie auf Landesebene zum Teil verankert sind, haben gerade die Verhinderung von Veränderungen im Auge. Eine Aufwertung dieser Form der direkten Demokratie – sowohl in rechtlicher Sicht wie auch durch eine stärkere Inanspruchnahme der ohnehin schon gegebenen Möglichkeiten95 – würde daher eher das Gegenteil als das angestrebte Ziel bewirken. Referenden „von oben“ eingesetzt könnten dann Reformen beschleunigen, wenn sie dazu dienen, eine politische Pattsituation zu durchbrechen. Insofern könnte in Österreich durchaus ohne gesetzliche Änderungen das Modell der Volksbefragung 2013 zur Wehrpflicht als Vorbild dienen. Direkte Demokratie kann auch dann ein Weg sein, um Reformen zu befördern, wenn das Einbringen neuer Ideen bzw. das Promoten bislang nicht 92
93 94
95
Vgl. nochmals den diesbezüglichen Auftrag an die parlamentarische Enquete-Kommission betreffend Stärkung der Demokratie in Österreich, http://www.parlament.gv.at/PERK/NRBRBV/NR/ PARLENQU/PEKDEMO/ (abgerufen am 8.12.2014). Vgl. in diesem Sinne auch Christoph Konrath in diesem Buch. Nochmals sei darauf hingewiesen, dass zu Beginn der Ersten Republik die direkte Demokratie wegen ihrer „retardierenden“ Wirkung nur in eingeschränktem Ausmaß verwirklicht worden sei. Vgl. nochmals Kelsen/Fröhlich/Merkl (Hg.), Verfassungsgesetze (Fn. 62), 121. Eine empirische Bestandsaufnahme der auf Länderebene in Österreich durchaus weitreichenden Instrumente der direkten Demokratie zeigt eine deutlich hinter der Rechtslage zurückbleibende Praxis. Vgl. näher Poier, Sachunmittelbare Demokratie (Fn. 48), 44–48.
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mehrheitsfähiger Vorschläge stärker ermöglicht wird. Hierzu würde das Instrument des Volksbegehrens in Österreich auch bereits eine bestehende Möglichkeit bieten, allerdings steht dem die dargelegte mangelnde Beachtung und Relevanz in der Praxis gegenüber. Eine bessere Wirksamkeit könnte dabei freilich schon durch eine Änderung der politischen Kultur erreicht werden, indem derartige Initiativen nicht „reflexartig“ abgelehnt, sondern ernsthafter aufgegriffen und diskutiert werden. Eine andere Möglichkeit der Steigerung der Wirksamkeit bestünde eben in der Verknüpfung von Volksbegehren mit einer Volksabstimmung im Sinne einer „Volksgesetzgebung“ oder allenfalls – wie im Zuge des „Demokratiepakets 2013“96 vorgeschlagen – zumindest mit einer Volksbefragung. Reformen, die von den politischen Eliten wechselseitig blockiert werden, könnten derart – sofern sie eine Mehrheit bei den Abstimmenden finden – durch das Volk durchgesetzt werden. In der öffentlichen Diskussion – insbesondere auch im Ausschussbegutachtungsverfahren zum „Demokratiepaket 2013“97 – wird eine solche Funktion der direkten Demokratie allerdings überwiegend nur von der Zivilgesellschaft gesehen und befürwortet, während aus dem Bereich der politischen Eliten vor allem die Gefahr zu weitgehender Veränderungen durch ein nicht durch Repräsentanten „gezügeltes“ Volk aufgezeigt wird. Eine derartige Beschleunigung der Entscheidungsfindung durch direkte Demokratie scheint letztlich zumindest in dieser weitgehenden Form daher kein mehrheitsfähiges Ziel innerhalb der politischen Elite Österreichs zu sein. Zum einen mögen tatsächlich ehrliche Bedenken bestehen, zum anderen würde eine solche Reform auch einen gewissen Machtverlust der Eliten, insbesondere der politischen Parteien98, bedeuten. Freilich ist auch festzuhalten, dass Veränderungen per se inhaltlich nicht Fortschritt, sondern selbstverständlich auch Rückschritt bedeuten können und daher nicht jedenfalls zur Beseitigung des beklagten „Reformstaus“ beitragen müssen. Hinsichtlich der Verringerung der beklagten „Kluft“ zwischen Repräsentanten und Repräsentierten könnte eine stärkere Inanspruchnahme von direkter Demokratie insofern grundsätzlich einen Beitrag leisten, als sich stärker partizipierende Bürgerinnen und Bürger auch intensiver mit Sachthemen auseinandersetzen und dabei auch ein besseres Verständnis für die Komplexität, Vielschichtigkeit und damit 96 Vgl. Christoph Konrath: Das Demokratiepaket 2013, in: Gerhard Baumgartner (Hg.): Öffentliches Recht. Jahrbuch 2014, Wien/Graz 2014, 345–379; Marlies Meyer: Das Demokratiepaket 2013 und aktuelle Entwicklungen, in: Erich Schweighofer/Franz Kummer/Walter Hötzendorfer (Hg.): Transparenz. Tagungsband des 17. Internationalen Rechtsinformatik Symposions (IRIS 2014), Wien 2014, 315–320. 97 Vgl. Konrath, Demokratiepaket (Fn. 96), 356. 98 Vgl. schon Poier, Rückblick (Fn. 77), 75 f.
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Schwierigkeit politischer Entscheidungen bekommen würden. Dies könnte durch nahezu alle Instrumente der direkten Demokratie erreicht werden. Volksabstimmungen und Volksbefragungen können der Verdrossenheit gegenüber Regierenden auch durch die Funktion der Legitimierung von Entscheidungen entgegenwirken, wenn damit quasi ein demonstrativer „Schulterschluss“ zwischen der Regierung und zumindest der Mehrheit der Bevölkerung erreicht wird. In ähnlicher Weise kann auch die Mobilisierung und Emotionalisierung durch Verfahren der direkten Demokratie Repräsentierte und Repräsentanten einander „näher“ bringen. Dabei gilt es freilich zu beachten, dass eine verschärfte politische Auseinandersetzung – in der Regel zwischen Regierung und Opposition, aber, wie das Beispiel der Volksbefragung 2013 in Österreich zeigt, auch zwischen Koalitionsparteien – auch desintegrativ in der Bevölkerung wirken kann (nicht muss). Allenfalls können in Sachfragen heterogene Positionen innerhalb der politischen Parteien auch deren Geschlossenheit gefährden.99 Eine geringere Polarisierung ist dabei wohl zu erwarten, je früher in einem Entscheidungsprozess eine Einbindung des Volkes vorgesehen bzw. je offener der Ausgang des Verfahrens ist – dabei etwa das Modell der „Bürgerräte“ im Vergleich zu einer bloßen Ja oder Nein-Frage am Ende eines Entscheidungsprozesses abwägend. Direktdemokratische Verfahren, die einen Diskurs zwischen Bürgerinnen und Bürgern institutionell ermöglichen – wie etwa im „Drei-Stufen-Modell“ vorgesehen100, aber auch durch eine aufgewertete Behandlung von Volksbegehren im Parlament zumindest angestrebt101 –, scheinen besonders geeignet, der „Kluft“ zwischen Repräsentanten und Repräsentierten und damit Verdrossenheitsphänomenen entgegenzuwirken.
V. Resümee und Ausblick Eine Demokratiereform durch eine Aufwertung der Instrumente der direkten Demokratie sollte – wie dargelegt – auf Basis zuerst zu definierender grundlegender politischer Ziele einer solchen Reform erfolgen. Als mögliche derartige Ziele wur99
Die derart gefährdete „vereinigte Kraft der Masse des kämpfenden Proletariats“ war im Übrigen einer der Hauptgründe der Ablehnung der direkten Demokratie durch Karl Kautsky, auf der auch die bis heute traditionell kritische Haltung der Sozialdemokratie historisch basiert; vgl. dazu Wolfgang Mantl: Eine frühe Weichenstellung zwischen Parlamentarismus und direkter Demokratie. Die Auseinandersetzung Kautskys mit Rittinghausen im Jahre 1893 (erstmals 1987), in: Wolfgang Mantl: Politikanalysen. Untersuchungen zur pluralistischen Demokratie, 143–166, insb. 161. 100 Vgl. nochmals Öhlinger, Möglichkeiten (Fn. 78), 1057 f. 101 Vgl. etwa den Vorschlag im „Demokratiepaket 2013“, die parlamentarische Behandlung von Volksbegehren durch die Abhaltung von zwei „Volksbegehren-Sitzungen“ aufzuwerten. Vgl. etwa Konrath, Demokratiepaket (Fn. 96), 368 f.
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den hier vor dem Hintergrund der aktuellen demokratiepolitischen Diskussion angenommen, durch direkte Demokratie die Reformkraft im politischen System zu steigern und der beklagten „Kluft“ zwischen Repräsentanten und Repräsentierten entgegenzuwirken. Eine Analyse anhand der möglichen Funktionen von direkter Demokratie hat in weiterer Folge gezeigt, dass hinsichtlich der Steigerung der Reformkraft eine Aufwertung obligatorischer Referenden oder des „Veto-Referen dums“ eher kontraproduktiv wären. Förderlich könnten vermehrte Volksbefragungen sein, wenn sie nicht bloß legitimierend wirken, sondern in Pattsituationen einen Durchbruch ermöglichen sollen, sowie aufgewertete Volksbegehren, wobei dabei am schärfsten die sogenannte „Volksgesetzgebung“ wirken würde. Hinsichtlich der Verbesserung der Repräsentationsbeziehung erscheinen Volksabstimmungen und Volksbefragungen ambivalent, weil sie einen Schulterschluss zwischen politischer Elite und Bürgerinnen und Bürgern herbeiführen, allerdings auch polarisieren und damit desintegrativ wirken können. Besonders förderlich erscheinen Instrumente, die in einem frühen Stadion stattfinden und einen Diskurs zwischen Bürgerinnen und Bürgern und Entscheidungsträgern befördern, also insbesondere aufgewertete Volksbegehren, allenfalls auch Volksbefragungen sowie neue Formen der Beteiligung wie etwa das „Bürgerräte“-Modell. Hinsichtlich des oben aufgezeigten Verständnisses von repräsentativer und direkter Demokratie als Gegensatz, Ergänzung oder Korrektiv löst verständlicher Weise vor allem das „Volksgesetzgebungsmodell“ den „Gegensatz“-Reflex – auf beiden Seiten der Diskutanten – aus, an dem dann aber nicht selten sämtliche Reformüberlegungen im Bereich der direkten Demokratie zu scheitern drohen. Für Befürworter eines Ausbaus erscheint alles andere nur als eine unzulängliche, aber wirkungslose „Behübschung“, für die Gegner bedeuten selbst kleinere Schritte – auch wenn sie bloß als „Korrektiv“ insbesondere zur Parteienstaatlichkeit dargestellt werden – bereits den Anfang vom Ende des repräsentativ-demokratischen Rechtsstaates. Von dieser dichotomischen Konfrontation sollte sich die Reformdiskussion weitgehend lösen, denn – wie aufgezeigt – können vielfältige Funktionen der direkten Demokratie auch durch andere Maßnahmen erreicht werden. Besonders beförderlich für die Diskussion erscheint es dabei, wenn direkte Demokratie in einer „neutraleren“ Betrachtung zuerst einmal als Ergänzung zur repräsentativen Demokratie diskutiert wird, was auch angesichts der großen Bandbreite unterschiedlicher möglicher Funktionen der Instrumente der direkten Demokratie angemessen erscheint.
Sieglinde Rosenberger/Jeremias Stadlmair
Direkte Demokratie – Regierungstechnik oder Instrument der BürgerInnen?
I. Einleitung Im Lichte von Krisen- und Erosionstendenzen repräsentativer Demokratien gehört der direkten Beteiligung von BürgerInnen das Interesse. In wissenschaftlichen ebenso wie in politischen Debatten werden alternative und innovative, ergänzende und korrigierende Partizipationsformen mit dem Anspruch diskutiert, angeregt und gefordert, sowohl die politische Partizipation zu intensivieren als auch die Verbindung zwischen BürgerInnen und repräsentativ-demokratischen EntscheidungsträgerInnen zu stärken. Viel beachtete und diskutierte Formate sind die unverbindliche Einbindung von BürgerInnen in deliberative politisch-administrative Prozesse und direkt-demokratische Verfahren.1 Letztere betreffen Instrumente zur Beteiligung von BürgerInnen an politischer Willensbildung und an Sachentscheidungen.2 Gleichzeitig ist die plebiszitäre Demokratie keineswegs unumstritten. Gegenstand kritischer Auseinandersetzung sind menschenrechtliche Themen, über die direkt-demokratisch mobilisiert und abgestimmt wird.3 Aber auch die Tatsache, dass sich plebiszitäre Instrumente als ein starkes Mittel für populistisches Regieren eignen, nährt kritische Stimmen. Denn gerade die rhetorischen Entwürfe zur „Dritten Republik“ in Österreich haben den Ausbau der Plebiszite bei gleichzeitigem Rückbau parlamentarischer Gremien vorgesehen.4 Mit direkter Demokratie werden also, nicht ungeteilt, Erwartungen auf mehr direkte Beteiligung bei Entscheidungen und mehr Druck auf politische Parteien und Regierungen verbunden. Sind diese Erwartungen aber auch realistisch? Dieser Beitrag widmet sich mit einer akteurszentrierten Perspektive den direkt-demokratischen Instrumenten der Zweiten Republik und versucht empirische Antworten auf die Fragen zu geben, welche Rolle Regierungen bzw. Regierungsparteien und 1 2 3 4
Dalton 2008; Geissel, Newton 2011; Geißel et al. 2014; Norris 2011; Plasser, Seeber 2012; Saward 2000; Smith 2009; Ulram 2000; Vana 2012. Maduz 2010, 1. Merli 2013; Heinisch 2012. Haider 1993.
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welche Rolle BürgerInnen bei der Anwendung direkt-demokratischer Instrumente zukommt. Sind im Laufe der letzten Jahrzehnte Recht und Praxis direkter Demokratie näher an die BürgerInnen gerückt oder sind direkt-demokratische Verfahren eher ein politisches Spiel geblieben, das die politischen Parteien gut zu spielen beherrschen? Wer profitiert davon? Angesichts des ehemals konkordanzdemokratischen und nach wie vor parteienstaatlichen Charakters österreichischer Politik betont Klaus Poier, dass die Instrumente der direkten Demokratie in der praktischen Nutzung hinter den rechtlichen Möglichkeiten zurückbleiben und zudem „weniger als Instrumente der Bürgerinnen und Bürger denn als solche der Parteien“ fungieren.5 Wolfgang C. Müller untersuchte vor der Reformierung des Volksbegehrensgesetzes im Jahre 1998 die direkte Demokratie unter dem Blickwinkel des parteipolitischen Wettbewerbs und kam zum Ergebnis, dass diese Instrumente sowohl elektorale als auch Positionierungseffekte haben.6 Von diesen Überlegungen angeregt gehen wir davon aus, dass der Ausbau direkter Demokratie – also die Beteiligung der BürgerInnen an Sachentscheidungen – angesichts sinkender Zustimmungsraten zu den Einrichtungen repräsentativer Demokratien durchaus auch im Interesse von Regierungen bzw. Regierungsparteien ist.7 Allerdings ist anzunehmen, dass Regierungsakteure rechtlich, mehr aber noch praktisch versuchen, Kontrolle über diese sie herausfordernden, unter Druck setzenden Partizipationsinstrumente zu erlangen. Nicht überraschend werden wir hier zeigen, dass die Entwicklung auch von einer Entformalisierung direkt-demokratischer Instrumente begleitet ist – insbesondere auf der lokalen Ebene greifen BürgermeisterInnen auf direkt-demokratische Instrumente zurück, wandeln diese aber ab, um rasch und flexibel auf günstige und nicht so günstige Themen reagieren zu können. Die Thesen, die diesen Beitrag leiten, lauten demnach: (1) die direkt-demokratischen Instrumente liegen zunehmend in den kontrollierenden, gestaltenden Händen der Regierenden/Regierungsparteien; (2) obwohl Regierungen direkt-demokratische Instrumente gestalten, intensivieren direkt-demokratische Instrumente dennoch die Einbindung von BürgerInnen in politische Entscheidungsprozesse. In der folgenden Darstellung und Diskussion rechtlich-institutioneller Aspekte sowie der Anwendung direkt-demokratischer Verfahren stützen wir uns auf die theoretisch-analytische Perspektive der Kontrolle der direkt-demokratischen In strumente durch Regierungen (Stichwort: Regierungskontrolle). In sich direkt oder
5 6 7
Poier 2014a, 21; Poier 2014b, 147. Müller 1998. Müller 1998; Häupl 2002.
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indirekt auf Michel Foucault beziehenden Schriften taucht immer wieder der Begriff der „Regierungstechnik“ auf. Wir leihen uns diesen Begriff aus, der kritisch die Beschränkungen souveräner Macht der BürgerInnen durch staatliche Apparate benennt.8 Die Fähigkeit, direkte Demokratie prozedural zu gestalten, gilt in dieser Betrachtungsweise als eine (weitere) Machtressource repräsentativer Einrichtungen. Der Politikwissenschafter Ian Budge spricht hinsichtlich der unterschiedlichen Intensitäten der Einflussnahme repräsentativer Organe auf direkt-demokratische Partizipation von einem „continuum of control“.9 Mit dieser analytischen Brille von Regierungstechnik bzw. Regierungskontrolle erheben und untersuchen wir die Anwendung der drei zentralen direkt-demokratischen Verfahren Volksabstimmung, Volksbefragung und Volksbegehren auf Bundes- und Länderebene. Der Beitrag basiert auf offiziellem Datenmaterial zu diesen Rechtsinstituten sowie auf Informationen der Landesregierungen zu entformalisierten Verfahren. Neben diesen Primärquellen stützen wir uns auf Studien zur rechtlichen Ausgestaltung und faktischen Nutzung direkt-demokratischer Instrumente. Analytisch werden die Instrumente in Hinblick auf die unterschiedlichen Formen der Einleitung und der rechtlichen/politischen Verbindlichkeit vergleichend untersucht, um so ein differenziertes Bild zum direkt-demokratischen Verhältnis von Regierungen und BürgerInnen zeichnen zu können.
II. Direkte Demokratie – eine Regierungstechnik nach der Konkordanzdemokratie? Der konsensorientierte Politikstil der Zweiten Republik basierte auf einer engen Bindung der Bevölkerung an die beiden Lagerparteien, unterstützt von einer hohen Wahlbeteiligung der Bevölkerung und einem hohen Organisationsgrad der politischen Parteien.10 Die sozialpartnerschaftliche Politikkoordination sicherte die Berücksichtigung der entlang von Arbeit und Kapital organisierten Interessen. Politische Parteien agierten als die Trägerinnen des politischen Systems, BürgerInnen waren außerhalb der parteipolitischen Kanäle kaum in politische Prozesse involviert. Kennzahlen wie Wahlbeteiligung, Parteienmitgliedschaft und Vertrauen illustrieren jedoch mittlerweile die Brüchigkeit dieser Einbindung in repräsentativ-demokratische Kanäle: Bis in die 1980er Jahre betrug die Wahlbeteiligung mehr als 90 %, im Jahre 2013 lag diese bei knapp 75 % der Wahlberechtigten; 1980 waren 28 % der
8 9 10
Saar 2007. Budge 2001. Lehmbruch 1967; Pelinka 2009; Plasser, Seeber 2012; Tálos 2010.
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Wahlberechtigten Mitglied bei einer politischen Partei, im Jahre 2008 noch 17 %. Hinsichtlich politischen Vertrauens gaben im European Value Survey 1990 noch 41 % der Befragten an, sehr hohes oder ziemlich hohes Vertrauen in das Parlament zu haben, 2008 waren es 30 %.11 Parallel zu diesen Veränderungen in den Einstellungen zu und der Einbindung in repräsentative Institutionen tauchen neue Ausdrucksformen politischer Beteiligung auf: Proteste und Initiativen gegen die Inbetriebnahme des Atomkraftwerks Zwentendorf und gegen den Bau des Kraftwerks Hainburg verdeutlichen die Schwäche der sozialpartnerschaftlichen Politik im Umgang mit neuen Themen.12 Mit den sozialen Bewegungen kamen im Jahre 1986 die Grünen in den Nationalrat. Und ebenfalls 1986 begann der elektorale Aufstieg der FPÖ, eine Partei, die Heinisch (2012) als „antistaatliche Protestpartei“ bezeichnet. Die FPÖ agiert nicht zuletzt mit direkt-demokratischen Instrumenten, lancierte Volksbegehren unter anderem gegen Zuwanderung und gegen eine weitere Integration Österreichs in die EU.13 Seit einigen Jahren sind in einigen Bundesländern die Grünen an der Regierung beteiligt, wodurch die Programmatik einer partizipativen politischen Kultur neue Chancen auf Realisierung hat.14 In europäischen Vergleichsstudien wird die direkt-demokratische Rechtslage in Österreich meist als gut ausgestaltet beschrieben. So stellt Scarrow eine Erweiterung der Instrumente im Zeitraum zwischen 1970 und 1999 fest.15 Auch Poier hebt den rechtlichen Ausbau ebenso wie die wachsende praktische Nutzung direkt-demokratischer Instrumente hervor.16 Gross und Kaufmann hingegen beziehen sich auf die faktische Situation und beurteilen diese etwas skeptischer. Sie klassifizieren Österreich in der Gruppe der sogenannten vorsichtigen direkten Demokratien, die dadurch gekennzeichnet ist, dass die direkt-demokratischen Verfahren überwiegend von Akteuren des repräsentativ-demokratischen Systems gestaltet und kontrolliert werden.17 Zu welchen Überlegungen und Ergebnissen kommen Studien, die die Effekte von direkt-demokratischen Instrumenten auf Regierungsparteien untersuchen? Wie so oft in der Welt der Wissenschaft sind die Ergebnisse nicht übereinstimmend, sondern hängen von einer Reihe von Annahmen und Perspektiven ab. So macht De 11 12 13 14 15 16 17
Van Biezen, Mair, Poguntke 2012; Voter turnout data for Austria http://www.idea.int/vt/countryview.cfm?CountryCode=AT (Zugriff vom 29.10.2014); Rosenberger, Seeber 2011. Gottweis 1997. Heinisch 2012, 365; Müller 1998. Dachs 2006. Scarrow 2001. Poier 2012. Gross, Kaufmann 2002, 14.
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Vreese die Konsequenzen von der Größe und dem Status als Regierungs- oder Oppositionspartei abhängig: Während für Oppositionsparteien Verfahren direkter Demokratie weniger riskant sind, könnten bei größeren und/oder Regierungsparteien die interne Konsolidierung sowie die Orientierung der WählerInnen zu Problemen führen.18 In einer Untersuchung zu von Regierungen initiierten Volksabstimmungen schließt Laurence Morel, dass Volksabstimmungen der Konsolidierung von Parteienpositionen abträglich seien und bei einer Zunahme von Volksabstimmungen die WählerInnen politische Parteien in Frage stellen könnten.19 Ian Budge hingegen betont ausdrücklich, dass politische Parteien in einem positiven, gestaltenden Verhältnis zur direkten Demokratie stehen: Erstens würden direkte Beteiligungsmechanismen nicht die Notwendigkeit einer Regierung an sich in Frage stellen, da diese für die Umsetzung der direkten Entscheidungen zuständig sei; zweitens haben politische Parteien die Aufgabe, BürgerInnen verstärkt zu informieren, sodass in direkten Beteiligungsverfahren die Qualität der Entscheidungsfindung zunehmen sollte.20 Nach Budge spielen allerdings die Art und Ausgestaltung des Instruments eine zentrale Rolle für die Kontrollierbarkeit durch politische Eliten. Der Autor differenziert zwischen Referenden und Initiativen und hebt Aspekte wie die rechtliche Notwendigkeit der Anwendung direkter Demokratie, die Möglichkeit den Zeitpunkt des Verfahrens zu bestimmen und allgemeine Verfahrensvorschriften festzulegen, hervor. Auf Basis dieser Möglichkeiten entstehe ein „continuum of control“, welches von maximaler Kontrolle für Regierungen zu minimaler Kontrolle und damit größtmöglichem Gestaltungsraum für BürgerInnen reicht.21 Auf der Idee des Kontroll-Kontinuums aufbauend, entwickeln und wenden wir hier ein analytisches Konzept zur Identifizierung der „Regierungskontrolle“ an, mit dem die österreichischen direkt-demokratischen Instrumente sowohl in rechtlicher als auch praktischer Hinsicht untersucht werden. Dieser Zugang nimmt erstens eine Unterscheidung zwischen zwei Formen direkter Demokratie vor, nämlich Initiativen (Volksbegehren) und Abstimmungen (Volksabstimmungen und Volksbefragungen) und operationalisiert zweitens „Regierungskontrolle“ entlang den Dimensionen Einleitung und rechtliche bzw. politische Verbindlichkeit. Um Aussagen über die Legitimationsfunktion direkter Demokratie für Regierungen machen zu können, berücksichtigen wir auch die Unterstützung/Beteiligung an und die Zustimmung zu den einzelnen Verfahren.22 18 19 20 21 22
Budge 2001; Morel 2001; Müller 1998; De Vreese 2006. Morel 2001, 63. Budge 2001, 85; Maduz 2010. Budge 2001, 72–75. Levi, Sacks, Tyler 2009.
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Das nächste Kapitel skizziert die rechtliche Entwicklung der direkt-demokratischen Instrumente mit der Perspektive, ob eine Stärkung der BürgerInnen oder eine Stärkung der Regierungen erfolgt ist.
III. Institutionalisierung direkter Demokratie – Stärkung der BürgerInnen oder der Regierungen? In der österreichischen Terminologie handelt es sich bei den direkt-demokratischen Instrumenten zentral um Volksabstimmungen, Volksbefragungen und Volksbegehren. Wobei an dieser Stelle zu erwähnen ist, dass das direkt-demokratische Repertoire über diese drei Instrumente hinausreicht und jedenfalls auch Petitionen und die parlamentarische Bürgerinitiative miteinschließt.23 Tabelle 1 gibt einen Überblick zu den institutionellen Rahmenbedingungen, differenziert nach den zwei für die Analyse von Regierungskontrolle relevanten Dimensionen Einleitung und Verbindlichkeit. Die Darstellung erfasst die Bundesund Länderebene; die Berücksichtigung der Gemeindeebene ist wegen der prekären Datenlage zur Nutzung und Beteiligung leider nicht möglich.24 Tabelle 1: Institutionelle Rahmenbedingungen direkter Demokratie in Österreich Dimension/ Einleitung des Instruments Verbindlichkeit des Instrument Ergebnisses Initiative: Volksbegehren BürgerInnen Nein Gemeinden (Bgld., NÖ, Stmk., Tirol, Vlbg.) Abgeordnete (Bund, bis 1998) Abstimmung: VolksabstimBürgerInnen (Bgld., NÖ, Stmk., Tirol, Vlbg.) Ja mung Gemeinden (NÖ, Stmk., Tirol, Vlbg.) Parlamente Nein; politische VerVolksbefragung BürgerInnen (alle außer Bund) bindlichkeit ist möglich Gemeinden (NÖ, Stmk., Tirol. Vlbg.) Abgeordnete (1/3 d. Abg. in Sbg., und Stmk.) Parlamente (Bund, NÖ, Stmk., Tirol, Vlbg., Wien) Regierungen (alle außer Bund, OÖ, Wien) Quelle: eigene Darstellung
23 24
Rosenberger, Stadlmair 2014. Eine explorative Untersuchung der Gemeindeebene bieten Dolezal und Poier 2012. Rechtlich sind Instrumente direkter Demokratie in Wien auf Gemeindeebene angesiedelt. Durch die Kongruenz von Wien als Land und Gemeinde werden diese hier als Länderinstrumente berücksichtigt.
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International werden zwei Formen unterschieden: Initiativen und Abstimmungen.25 Initiativen – in Österreich Volksbegehren – dienen den BürgerInnen der Artikulation von Interessen und der Einbringung von Gesetzesanliegen in das repräsentativ-demokratische System. Bei Abstimmungen – in Österreich Volksabstimmungen und Volksbefragungen – entscheiden BürgerInnen über eine sachpolitische Fragestellung. Volksabstimmungen und Volksbegehren waren bereits in der Ersten Republik in Salzburg, Tirol und Vorarlberg vorgesehen. Ab 1970 kam es zu einer „Entwicklung von West nach Ost“, die beiden Instrumente wurden schrittweise in allen Bundesländern institutionalisiert. Jüngeren Datums sind die rechtlich unverbindlichen Volksbefragungen: Erstmals 1975 in Kärnten eingeführt, sind sie seit 1988/89 in allen Bundesländern und auf Bundesebene vorgesehen.26
A. Einleitung: BürgerInnen und Eliten Die Einleitung ist für die Perspektive der Kontrollierbarkeit von großer Bedeutung: Wer ein Verfahren einleitet, bestimmt das Thema und den Zeitpunkt. Die rechtlichen Möglichkeiten der Einleitung wurden für BürgerInnen zusehends erweitert bzw. erleichtert.27 Im Folgenden skizzieren wir, welche AkteurInnen die direkt-demokratischen Instrumente einleiten können, und leiten daraus Implikationen für die Regierungstechnik ab. Volksbegehren können von BürgerInnen und in einigen Bundesländern von Gemeinden eingeleitet werden. Auf Bundesebene wurden die dafür erforderlichen Unterstützungserklärungen durch die Reformen des Volksbegehrensgesetzes von 1973 und 1998 auf mittlerweile ein Promille der Wohnbevölkerung gesenkt. Außer in Vorarlberg (Einleitung durch zwei wahlberechtigte Personen) sind die Quoren in den Bundesländern höher als auf Bundesebene.28 Bis 1998 bestand auf Bundesebene zudem die Möglichkeit der Einleitung durch Abgeordnete.29 Volksabstimmungen basieren auf Mehrheitsbeschlüssen im Nationalrat bzw. in Landtagen. Bei Änderungen der Bundesverfassung kann ein Drittel der Mitglieder des National- oder Bundesrates eine Volksabstimmung verlangen. Zudem sind unter bestimmten Umständen zwingende Volksabstimmungen in der Bundesver-
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Budge 2001; Maduz 2010. Adamer 1980, 39; Ucakar, Gschiegl 2012, 97–102. Kärntner Volksbefragungsgesetz 1975. Adamer 1980; Marko, Poier 1997, 826–30; Poier 2010a, 32–34. Poier 2010a, 42. Schaller 2002, 74.
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fassung und in den Landesverfassungen von Salzburg und Vorarlberg vorgesehen.30 Daneben gibt es eine Besonderheit zu beachten – in einigen Bundesländern kann von BürgerInnen und Gemeinden ein sog. Vetoreferendum eingeleitet werden.31 Dieses bezieht sich ausschließlich auf das Inkrafttreten eines bereits im Landtag beschlossenen Gesetzes. Diese Beschränkung ergibt sich aus dem (repräsentativ-) demokratischen Grundprinzip der Österreichischen Bundesverfassung: 2001 hat der Verfassungsgerichtshof die Möglichkeit der Vorarlberger Landesverfassung für verfassungswidrig erklärt, in der eine Gesetzesinitiative durch Volksbegehren unter bestimmten Voraussetzungen eine verbindliche Volksabstimmung vorgesehen hatte.32 Volksbefragungen in Angelegenheiten der Gesetzgebung und Vollziehung können mittlerweile in allen Bundesländern direkt von BürgerInnen eingeleitet werden, wobei die erforderlichen Unterstützungserklärungen von ein bis acht Prozent der Wahlbevölkerung schwanken.33 Zudem können in einigen Bundesländern Volksbefragungen von einer bestimmten Anzahl von Gemeinden oder Landtagsabgeordneten eingeleitet werden. Weiters sind Einleitungsmöglichkeiten für den Nationalrat auf Bundesebene und einige Landtage und Landesregierungen auf Länderebene vorgesehen. Einzig in Oberösterreich ist die Einleitung von Volksbefragungen ausschließlich durch BürgerInnen möglich.34 Eine Einleitung direkter Demokratie – mit entsprechender Gestaltung der Fragebzw. Themenstellung – durch BürgerInnen, Gemeinden oder durch Abgeordnete beschränkt die Kontrollierbarkeit durch Regierungen, sie setzt diese vielmehr unter Druck. Dies trifft auf Volksbegehren und Volksbefragungen zu. Eine Einleitung direkter Demokratie durch Regierungen bzw. parlamentarische Mehrheiten bedeutet Kontrollierbarkeit durch Regierungen. Dies trifft auf Volksabstimmungen zu, aber auch auf von Regierungen initiierte Volksbefragungen. Neben der Einleitung ist die rechtliche und politische Verbindlichkeit ein wesentlicher Aspekt, der die Kontrollierbarkeit durch Regierungen stärkt oder limitiert.
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Öhlinger 2005, 202; Poier 2010a, 36: Auf Bundesebene sowie im Bundesland Salzburg betrifft dies eine „Gesamtänderung“ der Bundes- bzw. Landesverfassung, in Vorarlberg ist eine obligatorische Volksabstimmung für bestimmte Teile der Landesverfassung vorgesehen (unter anderem für eine Änderung von Regelungen der direkten Demokratie). Öhlinger 2005, 205. Poier 2010b, 145; Poier 2010a, 41; Öhlinger 2005, 55; Art. 43 (3) B-VG. Poier 2010a, 39; Ausnahmen stellen Volksbefragungen über Gesetzgebungsangelegenheiten in Vorarlberg (20 %) und das Burgenland (nicht vorgesehen) dar. Ebd., 39–40.
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B. Verbindlichkeit: rechtlich oder politisch? Seit 1981 ist auf Bundesebene ein Volksbegehren, das 100.000 Unterstützungserklärungen oder ein Sechstel der Wahlberechtigten von drei Bundesländern erreicht, im Nationalrat zu behandeln.35 Diese Behandlung umfasst jedoch keine Verpflichtung zu einer dem Volksbegehren entsprechenden Beschlussfassung. Auf Länderebene sind die parlamentarischen Konsequenzen von Volksbegehren ähnlich gestaltet, allerdings sind die erforderlichen Quoren meist höher. Die Ergebnisse von Volksabstimmungen sind verbindlich, d.h. dem Entscheid der BürgerInnen ist durch Gesetzgebung Folge zu leisten. Volksbefragungen hingegen weisen keine formell-rechtliche Verbindlichkeit auf, wobei aber faktisch oft eine politische Verbindlichkeit zur Umsetzung zu beobachten ist.36 Was die Einschätzung der Regierungskontrolle von direkt-demokratischen Verfahren in Bezug auf die Verbindlichkeit anlangt, ergibt sich ein der Dimension Einleitung gegenläufiges Bild: Volksabstimmungen unterliegen bei der Einleitung der Kontrolle durch Regierungen und sind in der Umsetzung des Ergebnisses verbindlich; Volksbefragungen und -begehren können von einer Vielzahl von Akteuren eingeleitet werden und sind in der Umsetzung von den Interessen der Regierung bzw. der parlamentarischen Mehrheit abhängig. Diese Darstellung der rechtlich-institutionellen Ausgestaltung erlaubt, die Entwicklung wie folgt zusammenzufassen: (1) Obwohl in der Zweiten Republik die Instrumente direkter Demokratie für BürgerInnen zunehmend zugänglicher gestaltet worden sind, überwiegen weiterhin die Möglichkeiten politischer Eliten, direkt-demokratische Verfahren einzuleiten. Insbesondere dominieren politische Eliten die Instrumente mit rechtlicher Verbindlichkeit.37 (2) Die Einleitung rechtlich unverbindlicher Instrumente ist für viele Akteure – auch für BürgerInnen – möglich. Dies erlaubt die Schlussfolgerung, dass Einleitung und Verbindlichkeit in einem für Regierungen vorteilhaften Maß verknüpft sind. Inwiefern diese rechtlich verknüpften Aspekte sich auch in der praktischen Anwendung niederschlagen, ist Gegenstand der empirischen Darstellung im nächsten Kapitel.
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Müller 1998; bis 1981 waren 200.000 Unterstützungserklärungen nötig, dieses Erfordernis wurde halbiert. Poier 2010b, 76; Rosenberger, Stadlmair 2014. Poier 2014b, 148.
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IV. Direkte Demokratie in der Praxis Wie hat sich die Praxis direkter Demokratie in der Zweiten Republik entwickelt? Welche empirischen Trends sind erkennbar? Um diese Fragen zu beantworten, zeigen wir die Anwendung direkt-demokratischer Instrumente, abermals differenziert nach Einleitung und Verbindlichkeit, allerdings ergänzt um Daten zur Unterstützung/Beteiligung und Zustimmung. Es handelt sich um 78 Verfahren auf Bundesund Länderebene im Zeitraum zwischen 1956 und 2014.38 Um einen zeitlichen Vergleich zu ermöglichen, wurden Verfahren direkter Demokratie in Dekaden zusammengefasst.
A. Anwendung: Auf- und Ab-Phasen Die Nutzung direkter Demokratie ist von Auf- und Ab-Phasen geprägt, wobei der zahlenmäßige Höhepunkt in den 1980er und 1990er Jahren liegt.
Quelle: eigene Darstellung
Das erste direkt-demokratische Verfahren in der Zweiten Republik fand 1956 in Vorarlberg statt – das vom Landtag beschlossene „Betriebsaktionenverbotsgesetz“ wurde in einer von BürgerInnen eingeleiteten Volksabstimmung abgelehnt. Die 1960er Jahre waren die Zeit der besonders beteiligungsintensiven Volksbegehren:
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Auf Länderebene ist die Darstellung auf „erfolgreiche“ Volksbegehren beschränkt, d.h. auf jene, die die zur weiteren Behandlung im Landtag erforderlichen Unterstützungserklärungen erlangten (über nicht erfolgreiche Volksbegehren fehlen systematische Informationen).
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Das Rundfunk-Volksbegehren (17,3 % Beteiligung), das Volksbegehren zur Einführung der 40-Stunden-Woche (17,8 % Beteiligung) und das Volksbegehren zur Abschaffung der 13. Schulstufe (6,8 % Beteiligung). Alle drei wurden umgesetzt.39 In den 1970er Jahren kam es neben der Volksabstimmung über die Inbetriebnahme des Atomkraftwerks Zwentendorf und einem beteiligungsstarken Volksbegehren zur Fristenlösung auch zu ersten Volksbefragungen auf Länderebene. So fand in Wien 1973 eine Befragung über die Verbauung des Sternwarteparks und in Vorarlberg 1972 eine Befragung über Ladenschlussregelungen statt. Die Befragung in Vorarl berg war die erste Sammelvolksbefragung – sie enthielt mehrere Fragestellungen zum Thema. In den 1980er Jahren kam es zu einer deutlichen Zunahme aller drei direkt-demokratischen Verfahren: zwei Volksabstimmungen, 14 Volksbegehren und sieben Volksbefragungen. Thematisch behandeln die Volksbegehren häufig die Bereiche Umwelt und Energiepolitik40, Volksbefragungen beziehen sich in erster Linie auf Infrastrukturprojekte, aber auch auf einige umweltbezogene Themen.41 Im Zeitraum 1990 bis 1999 fanden abermals zwei Volksabstimmungen und 14 Volksbegehren statt, die Volksbefragungen nahmen mit neun Verfahren weiter zu. Thematisch haben abermals einige Verfahren einen Bezug zu Umweltpolitik: eine Volksbefragung 1990 in der Steiermark, bei der insgesamt 14 Fragestellungen zu Umwelt- und Verkehrspolitik abgefragt wurden, und das stark unterstützte Anti-Gentechnik-Volksbegehren 1997 (21,2 % Beteiligung).42 Zudem kam es im Umfeld des Beitritts Österreichs zur Europäischen Union zu zahlreichen direkt-demokratischen Verfahren: So wurden neben der obligatorischen Volksabstimmung (1994 auf Bundesebene) zwei Volksbegehren gegen den EU-Beitritt, sowie eine Volksbefragung abgehalten.43 Auch nach dem EU-Beitritt 1995 fanden Volksbegehren zu europäischer Integration statt (1997 zur Euro-Umstellung). Volksbefragungen umfassten in den 1990ern die Abhaltung von Großveranstaltungen, etwa 1991 in Wien zur Weltausstellung oder 1997 in Tirol, Kärnten und Salzburg über Bewerbungen für Olympische Spiele. In 39 40 41
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Pelinka 1994, 14. Zwei Begehren zum Atomkraftwerk Zwentendorf (1980), das Konrad-Lorenz-Volksbegehren zum Wasserkraftwerk in der Hainburger Au (1985) und das Volksbegehren Saubere Steiermark (1987). Beispiele sind die Befragung 1981 in Wien zum Bau eines Konferenzzentrums – zu dem ebenfalls ein Volksbegehren abgehalten wurde. In Wien fanden 1980 und 1981 zwei Sammelvolksbefragungen mit infrastrukturbezogenen Fragen statt. Umweltbezogene Befragungen wurden 1980 in Kärnten über ein Naturschutzgebiet sowie 1988 in Salzburg und 1989 in Vorarlberg über Verkehrspolitik durchgeführt. Götz 2005. Pelinka 1994; ein Volksbegehren wurde 1991 auf Bundesebene abgehalten, 1993 fanden ein Volksbegehren und eine Volksbefragung auf Landesebene in Salzburg statt.
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einem einzigen Verfahren ist Migrationspolitik als neues Thema direkter Demokratie zu erwähnen: Das 1993 von der FPÖ lancierte Volksbegehren „Österreich zuerst!“, das große mediale Aufmerksamkeit erlangte.44 Ab 2000 flaut die direkte Demokratie ab. Thematisch erfassten Volksbefragungen diverse Infrastrukturprojekte sowie abermals eine Bewerbung um Olympische Spiele.45 Bei den Volksbegehren sind Europäische Integration und Atomenergie häufige Themen. Zudem fand 2002 nach 1985/86 bereits das dritte Mal ein Volksbegehren zu Kampfflugzeugen statt. Indem Volksbegehren auch zu Bildungspolitik (2001), Sozialpolitik (2002) und Pensionen (2004) abgehalten wurden, verbreiterte sich das Themenspektrum. Seit 2010 ist wieder eine intensivere Nutzung direkter Demokratie zu beobachten. Die vier Volksbegehren prägen allerdings eine immer geringer werdende Unterstützung. Von den vier Volksbefragungen sind zwei als Sammelvolksbefragungen zu charakterisieren. Als Novum gilt die erste bundesweite Volksbefragung zum Thema Wehrpflicht im Jahre 2013. Dieser Zeitraffer der Anwendung direkt-demokratischer Instrumente zeigt einen leichten Überhang von Initiativen gegenüber Abstimmungen. Er zeigt weiters, dass die Verfahren ein breites Themenspektrum umfassen, jedoch Umwelt, europäische Integration und Infrastrukturprojekte dominieren.
B. Einleitung: Eliten- und BürgerInnen-Phasen Fünf Akteursgruppen können die Einleitung direkt-demokratischer Verfahren herbeiführen: BürgerInnen, Gemeinden, Abgeordnete, Parlamente und Regierungen. Im Folgenden betrachten wir die Einleitung nach diesen fünf Gruppen und stellen dabei sowohl Phasen verstärkter Aktivität von BürgerInnen als auch der politischen Eliten fest. In den 1980er Jahren wurden direkt-demokratische Verfahren mehrheitlich (16 von 23) direkt von BürgerInnen eingeleitet. Dies steht in Zusammenhang mit der Zunahme der Volksbegehren und der Möglichkeit in den meisten Ländern, Volksbefragungen und Volksabstimmungen direkt einzuleiten. So wurden eine Volksabstimmung 1988 im Burgenland und vier Volksbefragungen – 1980 in Kärnten, 1981 in Wien, 1988 in Salzburg und 1989 in Vorarlberg – direkt von BürgerInnen eingeleitet. Demgegenüber fand eine Einleitung durch politische Eliten wesentlich seltener statt und weist auf eine unterschiedliche Rolle von Oppositions- und Regie-
44 45
Kragl, Lehmann 1994; Liegl 2006; Rosenberger, Stadlmair 2014. Befragungen über die Errichtung eines Musiktheaters in Oberösterreich 2000, über Verkehrsplanung im Burgenland 2001 sowie über eine Olympia-Bewerbung 2005 in Salzburg.
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Quelle: eigene Darstellung
rungsparteien hin: Drei Volksbegehren wurden direkt von der Opposition eingeleitet, während eine Volksabstimmung und drei Volksbefragungen durch Regierungen bzw. deren parlamentarische Mehrheiten initiiert wurden. Die 1990er Jahre zeigen ein gänzlich anderes Bild: Nur sieben von 25 Verfahren gehen auf BürgerInnen zurück (zwei Volksbefragungen und fünf Volksbegehren). Alle übrigen Verfahren haben politische Eliten ausgelöst, wobei sich Oppositionsund Regierungsakteure etwa die Waage halten. Solange die rechtliche Möglichkeit der Einleitung durch Abgeordnete bestand, wurden sieben Volksbegehren durch Abgeordnete von Oppositionsparteien auf Bundesebene eingeleitet; dem gegenüber haben Regierungen bzw. deren parlamentarische Mehrheiten sieben Volksbefragungen und zwei Volksabstimmungen eingeleitet. Nach der Reform des Volksbegehrensgesetzes 1998 gewinnen die BürgerInnen und zivilgesellschaftlichen Gruppen wieder an Bedeutung. Allerdings zeigt sich, dass die formale Einleitung der eine Aspekt ist, die Unterstützung und Mobilisierung der andere. Faktisch bekamen auch nach der Reform des Volksbegehrensgesetzes zahlreiche Volksbegehren Unterstützung durch die Oppositionsparteien FPÖ oder die Grünen.46 Regierungen leiteten hingegen in diesem Zeitraum lediglich zwei Volksbefragungen ein, 2001 zu Infrastrukturprojekten im Burgenland und 2005 zur Olympia-Bewerbung in Salzburg. Seit 2010 sind gleich viele Einleitungen von BürgerInnen wie von Regierungen zu verzeichnen. Große mediale Aufmerk46
Rosenberger, Seeber 2007.
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samkeit erlangte die erste Bundes-Volksbefragung, die von den beiden Regierungsparteien sowie von FPÖ und BZÖ im Nationalrat beschlossen wurde.47 Wir stellen resümierend fest, dass zahlreiche Verfahren direkter Demokratie von BürgerInnen eingeleitet wurden, insbesondere Volksbegehren und Volksbefragungen. Ein Trend über die Dekaden hinweg liegt aber nicht vor. Vielmehr kam es in den 1980ern zu einer Phase stärkerer Nutzung direkter Demokratie durch BürgerInnen, gefolgt von einer Phase der Nutzung „von oben“, sowohl durch Regierungs- als auch Oppositionsparteien. Regierungsparteien greifen dabei vorranging das Instrument der Volksbefragung auf, Oppositionsakteure ausschließlich Volksbegehren. Im Zeitraum zwischen 2000 und 2009 wurde dieser Trend unterbrochen – BürgerInnen leiteten erneut mehr Verfahren ein. Seit 2010 schließlich dominieren wiederum Regierungsinitiativen.
C. Unterstützung/Beteiligung und Zustimmung Nicht nur das zahlenmäßige Aufkommen, sondern auch die Unterstützung/Beteiligung an und Zustimmung zu direkt-demokratischen Verfahren sind wichtige Indikatoren für die Rolle der BürgerInnen, der Legitimation von direkter Demokratie und der Regierungsakteure.48 Um trotz der geringen Zahl Trends der Beteiligung und Zustimmung darzustellen, haben wir die Verfahren Volksabstimmungen und -befragungen analytisch in Abstimmungen zusammengefasst.49 Volksbegehren werden im Zeitraum von 1980 bis 2009 von durchschnittlich sechs bis sieben Prozent der Wahlbevölkerung unterstützt, seit 2010 ist der Wert deutlich niedriger: Die letzten vier Volksbegehren wurden im Durchschnitt von 2,4 % der Wahlbevölkerung unterzeichnet. Drei der letzten vier Volksbegehren erreichten nicht die für eine Behandlung im Nationalrat erforderliche Hürde von 100.000 Unterstützungserklärungen. Dazu erklärte ein Initiator des aktuellsten und am geringsten unterstützten Volksbegehrens gegen Kirchenprivilegien: „Das Instrument ist tot.“50 Bei Abstimmungen (im weiteren Sinne) nimmt die Beteiligung seit den 1980ern leicht zu und beträgt bei den letzten vier Verfahren (seit 2010) 38,7 %. Dieser Wert liegt zwar nur etwa bei der Hälfte der Beteiligung bei Nationalratswahlen, eine Ten47 48 49 50
Parlament 2012. Levi, Sacks, Tyler 2009. Aufgrund der teilweise sehr geringen Fallzahlen ist bei Durchschnittswerten Vorsicht geboten, da einzelne Verfahren den Wert für den jeweiligen Zeitraum stark beeinflussen können. Die Presse 2013.
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Quelle: eigene Darstellung
denz sinkender Beteiligung ist aber für direkt-demokratische Abstimmungen nicht zu verzeichnen.51 Unterscheidet man zwischen BürgerInnen und politischen Eliten, zeigt sich, dass die 22 von Regierungen eingeleiteten Abstimmungen eine durchschnittlich höhere Beteiligung (40,4 %) aufweisen als die neun von BürgerInnen eingeleiteten Abstimmungen (26,9 %). Die Zustimmung bei Abstimmungen nimmt hingegen ab: Während im Zeitraum von 1970 bis 1999 BürgerInnen eher mit „Ja“ als mit „Nein“ abgestimmt haben, hat sich dies seit 2000 geändert. In den seither sieben abgehaltenen Abstimmungen wurden die Fragen eher mit „Nein“ beantwortet. Ausgehend von der Annahme, dass die von der oder dem jeweiligen InitiatorIn bevorzugte Option ein „Ja“, also eine Zustimmung wäre, stellt direkte Demokratie seit 2000 ein eher riskantes Verfahren für Regierungen dar. Abstimmungen weisen eine wesentlich größere Beteiligung als Volksbegehren auf. Dieser Trend verstärkt sich zusehends, indem die Beteiligung bei Volksbegehren rückläufig und bei Abstimmungen zuletzt zunehmend ist. Dies darf als zunehmende Regierungslastigkeit direkter Demokratie interpretiert werden. Eine Regierungslastigkeit zeigt sich zudem dadurch, dass die von Regierungen bzw. parlamentarischen Mehrheiten eingeleiteten Abstimmungen wesentlich höhere Beteiligungsraten aufweisen als die von BürgerInnen eingeleiteten. In diesem Befund 51
Voter turnout data for Austria http://www.idea.int/vt/countryview.cfm?CountryCode=AT (Zugriff vom 29.10.2014).
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steckt auch ein Hinweis darauf, dass regierungspolitisches Handeln durch direkte Beteiligung Legitimität erfährt.
D. Verbindlichkeit direkter Demokratie Volksabstimmungen sind das einzige Instrument, das politische Eliten an die Umsetzung des Ergebnisses bindet. Neben zwei von BürgerInnen eingeleiteten Vetoreferenden52 gab es bisher zwei fakultative53 und zwei obligatorische Volksabstimmungen: Die bundesweite Abstimmung 1994 über den Beitritt zur EU und die Abstimmung über eine Umstellung von Proporz- auf Mehrheitsregierungen in Salzburg.
Quelle: eigene Darstellung
Da Volksabstimmungen vergleichsweise selten zur Anwendung kommen und die Mehrheit der Verfahren Volksbefragungen und Volksbegehren unverbindlichen Charakters sind, ist die direkte Demokratie in Österreich als überwiegend rechtlich unverbindlich zu charakterisieren (sechs von 78 Verfahren waren rechtlich verbindlich). Berücksichtigt man allerdings auch die Umsetzung, dann wird klar, dass die von Regierungen eingeleiteten Volksbefragungen auch umgesetzt wurden, die von BürgerInnen eingeleiteten haben hingegen kaum eine inhaltliche Umsetzung erfahren: Von den insgesamt sieben von BürgerInnen eingeleiteten Landes-Volksbefragungen ist lediglich eines inhaltlich umgesetzt worden (Naturschutzgebiet Nockberge, Kärnten). 52 53
1956 in Vorarlberg und 1988 im Burgenland wurden jeweils vom Landtag beschlossene Gesetze beeinsprucht. Bundesweite Volksabstimmung 1978 über das AKW Zwentendorf und 1980 Volksabstimmung „Pro-Vorarlberg“ auf Landesebene.
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Bei Volksbegehren können einige Erfolge für die Anfänge direkter Demokratie verzeichnet werden, seit Mitte der 1990er Jahre waren Volksbegehren aber weitgehend erfolglos. Eine Initiative von BürgerInnen, die folglich die Themensetzung und Fragestellung bestimmt, hatte in den letzten Jahrzehnten kaum einen direkten Effekt auf politische Entscheidungen. Wer einleitet, entscheidet also indirekt auch darüber, ob die Ergebnisse politisch verbindlich werden oder politisch unverbindlich bleiben.
E. Entformalisierung direkt-demokratischer Verfahren durch „Umfragen“ und „Bürgerbefragungen“ Obwohl Regierungen über ein institutionelles Repertoire direkt-demokratischer Verfahren verfügen, mehren sich in den letzten Jahren die Verfahren, die zwar an das direkt-demokratische Rechtsinstitut Volksbefragung angelehnt sind, gleichzeitig dieses technisch und prozedural entformalisieren. Die offiziellen Bezeichnungen dieser Instrumente lauten „BürgerInnen-Umfrage“ und „Bürgerbefragung“. Kennzeichen sind ihr schneller und fluider Charakter, der den Regierenden ein großes Maß an Flexibilität gibt. Dieser Typus erlaubt den BetreiberInnen, bestimmte Aspekte an die jeweilige Interessenslage anzupassen, wie z.B. Fristen zu verkürzen, also kurzfristig zu reagieren; Themen zur Abstimmung zu bringen, die entweder als nicht direkt abstimmbar gelten oder nicht in deren Kompetenzbereich fallen; die Betroffenheit von Politik zu definieren und dementsprechend den Kreis der Teilnehmenden zu erweitern. Die Beispiele für diese von den jeweiligen Volksbefragungsgesetzen abweichenden Befragungen, die bisher ausschließlich von Regierenden (auf Länder- und Gemeindeebene) praktiziert wurden, mehren sich. So erlangte die „BürgerInnen-Umfrage“ über die Gestaltung der Mariahilferstraße in Wien bundesweite Aufmerksamkeit. Bei der Diskussion um die Befragung wurde die Betroffenheit kontroversiell behandelt. Wer ist betroffen und soll demnach mitabstimmen? Die AnrainerInnen, die Geschäftsleute und Gewerbetreibenden, EU-BürgerInnen oder ausschließlich österreichische StaatsbürgerInnen? Ist eine Befragung der ganzen Stadt Wien oder nur der angrenzenden Bezirke angebracht?54 Die Wiener Stadtregierung entschied sich für eine Befragung mittels Briefwahl in den angrenzenden Bezirken und unter Einschluss von EU-BürgerInnen. Das Ergebnis brachte eine Zustimmung zur von der Stadtregierung bevorzugten Option, sowie eine wahlähn-
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Wiener Zeitung Online 2014.
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liche Beteiligung von 68,1 %.55 Im Jahre 2014 ist der Umbau der Mariahilferstraße in eine Fußgängerzone im Gange.56 Ein anderes Beispiel auf Gemeindeebene ist die 2014 vom Bürgermeister der Gemeinde Gries am Brenner eigenmächtig durchgeführte Bürgerbefragung zur Unterbringung von AsylwerberInnen. Der Bürgermeister kam mit dieser Initiative zwar unter Druck der Landesregierung, gleichzeitig aber ist es ihm gelungen, mit der Befragung der GemeindebürgerInnen über die Zahl der aufzunehmenden Flüchtlinge eine Befriedung und Akzeptanz der Situation herbeizuführen.57 Klaus Poier beschreibt die im Jahre 2011 durchgeführte Briefumfrage in Kärnten, bei der Verhandlungsergebnisse der FPK-Regierung zum Konflikt über zweisprachige Ortstafeln durch ein positives (zwei Drittel der Befragten stimmten dem Verhandlungsergebnis zu) Ergebnis legitimiert wurden.58 Durch dieses Verfahren, das zwar einerseits einigen rechtlichen Standards nicht genügte, konnte aber andererseits der langjährige „Ortstafelstreit“ befriedet werden. Franz Merli thematisiert die auf einer „Richtlinie“ basierende Befragung zu Umweltschutz in der Stadt Graz 2012 und zeigt, dass verfassungsrechtliche Standards wie eine sachliche Beschränkung auf durch die Gemeinde zu regelnde Angelegenheiten oder die Beschränkung der Teilnahme auf österreichische StaatsbürgerInnen unberücksichtigt blieben.59 Auffallend ist, dass im Zuge mancher dieser Verfahren die politischen Rechte auf neue Gruppen erweitert werden – auf EU-BürgerInnen in Wien und auf Drittstaatsangehörige in Graz. Somit forcieren diese Verfahren auch Debatten über die Zusammensetzung des politischen Subjekts, das berechtigt wird, mitzuentscheiden. Selten wird im politischen wie wissenschaftlichen Diskurs das Anliegen, die Demokratie durch mehr direkt-demokratische Beteiligung zu verbessern, auch unter dem Blickwinkel der Ausweitung der politischen Rechte auf Nicht-StaatsbürgerInnen geführt. In dieser Hinsicht kommt den entformalisierten Instrumenten also Innovationspotential zu, auch die durch internationale Migration entstandenen gravierenden Demokratiedefizite anzugehen. Die entformalisierten Verfahren unterstreichen die Divergenzen in Recht und Praxis. Sie unterstreichen ganz besonders, dass Regierungsakteure direkt-demokratische Instrumente entformalisieren, um sie an die jeweiligen politischen und sachlichen Umstände anpassen zu können, und so eine weitgehende Kontrolle über die Rahmenbedingungen herstellen. Entformalisierte Verfahren erweisen sich also 55 http://www.wien.gv.at/verkehr/mariahilferstrasse/. 56 http://www.dialog-mariahilferstrasse.at/. 57 http://tirol.orf.at/news/stories/2662509/. 58 Poier 2012, 123. 59 Merli 2013, 491–495.
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als besonders geeignet für eine direkt-demokratische Regierungstechnik. Durch die hohe Beteiligung und Zustimmung der BürgerInnen und die anschließende Umsetzung jedoch werden derartige Verfahren politisch legitimiert, wenngleich diese auch als verfassungsrechtlich bedenklich bewertet werden.60
V. Direkte Demokratie: eine Technik der Regierenden Wie und in welchem Ausmaß kontrollieren Regierungen die Anwendung und Durchführung direkter Demokratie? Vor allem in den 1990ern haben Landesregierungen auf ein gesteigertes Partizipationsbedürfnis mit der Einleitung von Volksbefragungen reagiert und gleichzeitig die inhaltliche und prozedurale Kontrolle über die Verfahren übernommen. Regierende profitieren von dem Spiel mit der direkten Demokratie, das sie strategisch einsetzen: Sie demonstrieren nicht nur Bürgernähe, sondern sie können damit ihre Entscheidungen besser legitimieren, betreiben Agenda-Setting, positionieren sich mit Themen gegenüber der Bevölkerung und, wie die Beispiele oben zeigen, bringen für sie ungünstige Themen (wieder) von der Tagesordnung. Die Attraktivität von Befragungen, als „Umfrage“ oder „Befragung“ bezeichnet, unterstreicht den Stellenwert als Regierungstechnik: direkt-demokratische Rechtsinstitute werden auf der exekutiven Ebene situativ abgewandelt bzw. angepasst. Ein Stilmittel der direkt-demokratischen Regierungstechnik sind Sammelbefragungen: Die Hälfte der von Regierungen eingeleiteten Volksbefragungen beinhalten mehr als eine Fragestellung, häufig werden völlig unterschiedliche Themen paktiert. Beispielsweise umfasste die Volksbefragung in Wien 2013 Fragen zu Parkraumbewirtschaftung, Olympischen Spielen, kommunalen Dienstleistungen und erneuerbarer Energie. Die bisher umfangreichste Volksbefragung mit 14 Fragen zu umweltbezogenen Themen fand 1990 in der Steiermark statt. Diese Praxis demonstriert, dass nicht nur einzelne konkrete Sachthemen zum Gegenstand direkter Demokratie gemacht werden, sondern Regierungen mehrere Themenkomplexe der Aushandlung repräsentativer Politik entziehen und direkt an BürgerInnen übertragen. Welche Möglichkeiten haben Oppositionsparteien? Während bei Volksbegehren immer wieder eine Involvierung von Oppositionsparteien beobachtet werden konnte, sind Volksbefragungen ein den Oppositionsparteien fernes Instrument. Einzig über den Umweg einer Einleitung durch BürgerInnen ist ihnen dieses Instrument zugänglich.61 Oppositionsparteien können bei Volksbefragungen mo60 61
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bilisieren, formell sind aber ausschließlich Regierungen (in der Formulierung der Fragestellung und der Umsetzung des Ergebnisses) und BürgerInnen (durch Stimmabgabe) am Zuge. Dies erlaubt es Regierungsparteien, indem sie strittige Themen direkt an BürgerInnen delegieren, den Aushandlungsspielraum der Opposition zu reduzieren. Im plebiszitären Regieren verlieren Oppositionsparteien tendenziell an Möglichkeiten, Agenda-Setting und Politisierung von Themen zu betreiben. Wo liegen die Limitationen der direkt-demokratischen Regierungstechnik? Nachdem die Zustimmung der Bevölkerung bei direkt-demokratischen Verfahren der Regierungen in den letzten Jahren durchschnittlich unter der 50 %-Marke liegt, kann nicht von einer uneingeschränkten Unterstützung der Regierungsvorhaben durch BürgerInnen gesprochen werden. Vielmehr haben Regierungen Nein-Ergebnisse zu kalkulieren und ihren strategischen Einsatz direkt-demokratischer Instrumente entsprechend zu planen. Die Durchführung von Großereignissen, wie der Weltausstellung oder den Olympischen Spielen, ist erfahrungsgemäß in Wien auf direkt-demokratischem Wege eher nicht zu bewerkstelligen.62 Ob die Befragung zur Errichtung eines Asyl-Erstaufnahmezentrums durch die Landesregierung im burgenländischen Eberau, die eine Zustimmung von lediglich 5,5 % brachte, weitere ähnliche Ergebnisse erwarten lässt, bleibt fraglich.63 Eine direkt-demokratische Regierungstechnik stößt also weniger auf rechtliche Grenzen oder mangelnde Beteiligung, als vielmehr auf eine mäßige Unterstützung von Regierungsvorhaben. Wie steht es schließlich um die Legitimität der Ergebnisse direkt-demokratischer Instrumente und die Legitimität politischer Eliten? Legitimität, verstanden als Akzeptanz von Entscheidungen und Autoritäten,64 kann an der Beteiligungsintensität der BürgerInnen beobachtet werden. Hierzu ist empirisch feststellbar, dass die Beteiligung dann vergleichsweise hoch ist, wenn Volksbefragungen und -abstimmungen von Regierungen eingeleitet wurden. Daraus resultiert eine doppelte Legitimation: Direkt-demokratische Entscheidungen stützen sich auf BürgerInnen (durch Beteiligung) und Regierungen (durch die Einleitung); Regierungen werden bei Sachentscheidungen zusätzlich legitimiert, indem BürgerInnen an Volksbefragungen und -abstimmungen teilnehmen. Und die BürgerInnen nehmen deutlich stärker an von Regierungen als von BürgerInnen initiierten Verfahren teil.
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der UNO-City in Wien 1981 (Unterstützung durch die ÖVP) und die Errichtung eines Musiktheaters in Oberösterreich 2000 (von der FPÖ maßgeblich unterstützt). Die Abhaltung der Weltausstellung wurde 1991 von 35,2 % der Befragten unterstützt, eine Bewerbung um Olympische Sommerspiele 2013 fand eine Unterstützung von 28 %. Poier 2012, 122. Levi, Sacks, Tyler 2009, 356.
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VI. Schlussbemerkungen Dieser akteurszentrierte Beitrag hat sich mit den drei konventionellen direkt-demokratischen Instrumenten Volksabstimmungen, Volksbefragungen und Volksbegehren beschäftigt und diese mit der analytischen Brille der Kontrollierbarkeit durch Regierungen einerseits und dem Einfluss der BürgerInnen andererseits untersucht. Auf der Grundlage aller 78 auf Bundes- und Länderebene in der Zweiten Republik durchgeführten Verfahren können wir folgende Ergebnisse zusammenfassen: 1. Direkte Demokratie ist (auch) eine Regierungstechnik: Regierungen haben mittels direkter Demokratie auf das Partizipationsbedürfnis der BürgerInnen reagiert. Vor allem bei Volksbefragungen erlangen Regierungen Kontrolle über die Politisierung von Themen sowie über die Gestaltung der konkreten Entscheidungsverfahren. Dies zeigt nicht zuletzt die Praxis entformalisierter direkt-demokratischer Instrumente. Die Legitimität dieser Regierungstechnik basiert auf der zunehmenden Beteiligung von BürgerInnen an diesen Befragungsinstrumenten. 2. Direkte Demokratie stärkt (auch) den Einfluss von BürgerInnen: Die empirischen Ergebnisse zeigen, dass BürgerInnen zwar zunehmend weniger Verfahren einleiten, aber in steigendem Maße zu „EntscheiderInnen“ werden. Obwohl direkte Demokratie als Regierungstechnik zu interpretieren ist, ist über die Zunahme an Volksbefragungen und die Erweiterung informeller Instrumente eine stärkere Position der BürgerInnen sowohl bei der Politisierung von Themen als auch bei der Entscheidungsfindung zu beobachten. Oppositionsparteien verlieren tendenziell Einfluss sowohl an Regierungsparteien als auch an die partizipationsaffine Bevölkerung. Die Stärkung der BürgerInnen im politischen Prozess resultiert damit auch aus der Praxis, Volksbefragungen politisch verbindlich zu behandeln, insbesondere dann, wenn sie auf Regierungsinitiativen beruhen. 3. Zwischen Recht und Praxis direkter Demokratie entsteht eine neue Kluft. Beispiele der Entformalisierung direkter Demokratie durch Regierungen deuten darauf hin, dass die Anwendung direkter Demokratie den oft verlangten und zitierten Ausbau bereits praktiziert, wenn auch unter den formulierten Bedingungen von Regierenden. Die Ausführungen unterstreichen, dass direkt-demokratische Instrumente sowohl rechtlich, aber mehr noch praktisch an den repräsentativ-demokratischen Kanälen orientiert sind. Folglich könnte die Frage gestellt werden, ob direkte Demokratie jenseits der Parteiendemokratie überhaupt gestaltbar und praktizierbar ist? Und es stellt sich die Frage, ob in die Analyse der Einbindung und Positionierung
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der BürgerInnen in politische Prozesse nicht auch nicht-institutionelle Partizipationsformen (etwa Protest) und weitere institutionelle Formen (etwa Petitionen und Parlamentarische Bürgerinitiativen) berücksichtigt werden müssten. Insbesondere Letztere erfahren intensive Unterstützung bei den BürgerInnen, wobei BürgerInnen auch bei diesen Formen nur in Verbindung mit Akteuren und Institutionen repräsentativer Politik über ein Gestaltungspotential verfügen.
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Christoph Konrath
Das Recht geht vom Volk aus? – Anmerkungen zu Vorschlägen für Demokratiereformen in Österreich 2011–2013
Einleitung: Demokratie, Parteien, Parlamente 1. Die Ausweitung direktdemokratischer Instrumente auf Bundesebene, die teilweise auch Elemente sogenannter „Volksgesetzgebung“ enthalten, wurde in der 24. Gesetzgebungsperiode, beginnend im Herbst 2011, von allen im Parlament vertretenen politischen Parteien diskutiert und gefordert. Sie wurde, mit unterschiedlichen Akzentsetzungen, vor allem als Mittel für die stärkere und unmittelbare Einbindung der Bürgerinnen und Bürger in politische Entscheidungsprozesse präsentiert.1 2. Die Debatte ist nicht neu: Der Ausbau der direkten Demokratie ist seit den 1960er Jahren ein regelmäßig wiederkehrendes Thema österreichischer Innenpolitik. Die 1980er Jahre waren durch intensive und sehr grundsätzliche Auseinandersetzungen gekennzeichnet, die eng mit dem Aufkommen neuer sozialer Bewegungen und der Forderung nach Partizipation an hoheitlichen Entscheidungen in Verbindung standen.2 Gleichzeitig wurden bestehende Instrumente vereinfacht und die Grundlagen für deren Inanspruchnahme auf Länder- und Gemeindeebene ausgebaut. Diese Verbesserungen und auch ihre konkrete Anwendung sind jedenfalls seit dieser Zeit auch durch Interessen und Initiativen politischer Parteien geprägt.3 Ebenso scheinen die Inhalte der konkreten Vorschläge und die politischen und medialen Reaktionen darauf zumindest auf den ersten Blick nicht weiter neu: Im Wesentlichen haben die maßgeblichen politischen Parteien ältere Vorschläge auf1
2 3
Vgl. Haslauer, Wilfried (2012): Mehr direkte Demokratie auch in Salzburg. Salzburg Geschichte & Politik, 22. Jg., 5–16; Kurz, Sebastian (2013): Mehr Demokratie durch Volksabstimmung/Volksbefragung/Volksbegehren? In: Khol, Andreas/Ofner, Günther/Karner, Stefan/Halper, Dietmar (Hg.): Österreichisches Jahrbuch für Politik 2012, Wien u.a.: Böhlau, 433–441; Prammer, Barbara (2013): Wir sind Demokratie. Eine Ermunterung. Wien: Edition Ausblick, 97. Schaller, Christian (1997): Demokratie- und Verfassungs(reform)-Diskussionen in Österreich, Teil 2. Endbericht: Projekt Nr. 5584 des Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank. Wien. Poier, Klaus (2012): Neue Belebung der sachunmittelbaren Demokratie in Österreich? Aktuelle Trends und Entwicklungen, in: Neumann, Peter/Renger, Denise (Hg.): Sachunmittelbare Demokratie im interdisziplinären und internationalen Kontext 2009/2010, Baden-Baden: Nomos, 116 (127 f.).
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gegriffen und adaptiert. Neu waren nur einzelne Aspekte oder Modelle sonstiger Initiativen. Auch die Reaktionen und Bewertungen erfolgten der österreichischen Übung entsprechend: nämlich primär durch Verfassungsjuristen. Deren Urteil war insofern konservativ geprägt, als sie Demagogie, Polarisierung und fehlende demokratische Reife einwandten. Neu war hingegen, dass der Ausbau direktdemokratischer Instrumente und das „Unbehagen“ an politischen Institutionen und der Ausübung politischer Ämter erstmals von allen im Nationalrat vertretenen politischen Parteien und sämtlichen neuen politischen Initiativen vertreten wurden. Darüber hinaus brachten sich auch die Präsidentin des Nationalrates4 und der Präsident des Verfassungsgerichtshofes5 erstmals bzw. verstärkt in die Debatten ein und betonten die Reformbedürftigkeit des demokratischen Systems. Neu war schließlich auch der kommunikationstechnische und mediale Kontext, der aber in den Debatten kaum aufgegriffen und reflektiert wurde. 3. Vergleichbare Entwicklungen werden schon seit längerem in den europäischen Demokratien und weltweit6 beschrieben und gerade auch in Relation zu Parlamenten diskutiert.7 Die Erfahrung zeigt, dass an Parlamenten die Enttäuschung über und die Ansprüche an politische Institutionen und Entscheidungsformen am deutlichsten sichtbar werden. Folglich ist in den letzten 15 Jahren das Verhältnis zwischen Parlamenten und Bürgerinnen und Bürgern verstärkt in den Fokus politikwissenschaftlicher Forschung gekommen. Zunehmende Bedeutung erlangen dabei auch Fragen der Europäisierung.8 Nach wie vor gehört es aber zu den am wenigsten untersuchten Bereichen im Kontext des Parlamentarismus.9 Zu den wesentlichen, bislang erörterten Fragen zählen dabei Sichtbarkeit, Zugänglichkeit und Durchlässigkeit parlamentarischer Einrichtungen und Vorgänge. Der Ausbau direkter De4 5 6 7
8 9
Prammer, Demokratie (FN 1). Z.B. Kurier (2013): „Österreich braucht einen Demokratisierungsschub“. Interview mit dem Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs Gerhart Holzinger, 20.4.2013, 6. Vgl. Smith, Graham (2009): Democratic Innovations. Designing Institutions for Citizen Participation. Cambridge University Press. Siehe Leston-Bandeira, Cristina (2012): Studying the Relationship between Parliaments and Citizens, 18 Journal of Legislative Studies, 265–274; International Parliamentary Union/UN Development Program (Hg.) (2012): Global Parliamentary Report: The changing nature of parliamentary representation, Genf-New York. Im Überblick dazu Auel, Katrin/Raunio, Tapio (2014): Connecting with the Electorate? Parliamentary Communication in EU Affairs, 20 Journal of Legislative Studies, 1–12. Siehe dazu die Beiträge in Norton, Philip (Hg.) (2002): Parliaments and citizens in Western Europe, Harlow: Cass; Leston-Bandeira, Relationship (FN 7) 265 ff.
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mokratie ist dabei nur ein Element im Kontext von Durchlässigkeit, die sich auf die Möglichkeit, Anregungen „von außen“ einzubringen, bezieht. 4. Der Verlauf der österreichischen Debatten zu direkter Demokratie in der 24. Gesetzgebungsperiode legt es durchaus nahe, diese Forschungsansätze aufzugreifen. Zum einen, weil in den Debatten Bezug auf internationale Entwicklungen genommen wurde, zum anderen weil die präsentierten Vorschläge und deren Bewertung immer in Relation zum Parlamentarismus in Österreich gesetzt wurden. Die Debatte über den Ausbau der direkten Demokratie ist notwendig mit jener über Stand und Perspektiven der jeweiligen Ausgestaltung repräsentativer Demokratie und näherhin deren Offenheit bzw. Geschlossenheit für neue Entwicklungen und externe Einflüsse verbunden. Die Grundlage für eine solche Untersuchung bildet eine Vorstellung des Debattenverlaufs und der wesentlichen Vorschläge im I. Teil dieses Beitrags. Im II. Teil folgen dann Anmerkungen zu den normativen und pragmatischen Aspekten der in den Demokratiedebatten angesprochenen Themen und Fragestellungen. Anhand dieser kann deutlich werden, dass der Debattenverlauf in zweifacher Weise beschränkt war – nämlich aufgrund der fast ausschließlichen Diskussion über einzelne Vorschläge zur direkten Demokratie und aufgrund der theoretischen und methodischen Fokussierung auf den Bereich des österreichischen Bundesverfassungsrechts.
I. Debatten A. Ausgangspunkte 1. Den Kontext der Debatten über den Ausbau direkter Demokratie in der 24. Gesetzgebungsperiode bilden die seit längerem geführten Diskussionen über Zustand und Entwicklungsperspektiven von Politik und politischer Beteiligung in Österreich. Während über längere Zeit vor allem Wahlrechtsfragen im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen standen10, setzte ab 2010 – verbunden mit dem Auftreten prominenter Persönlichkeiten – eine zunehmende Verbreiterung ein11. Augenscheinlich über Entwicklungen in Deutschland (z.B. „Stuttgart 21“) und die Diskussionen über die demokratische Legitimität exekutiver Krisenbewältigung in der europäi-
10 11
Vgl. Poier, Klaus (Hg.) (2009): Demokratie im Umbruch: Perspektiven einer Wahlrechtsreform, Wien: Böhlau. Vgl. Hösele, Herwig (2010): Was ist faul im Staate Österreich? Wien: Molden; Radlegger, Wolfgang (2011): Vom Stillstand zum Widerstand. Zeit zum Wandel. Wien: Brandstätter.
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schen Finanz- und Schuldenkrise12 nahm auch in Österreich das Auftreten von und die Aufmerksamkeit für zahlreiche, seit längerem bestehende zivilgesellschaftliche Initiativen mit dem Ziel einer Demokratiereform zu. 2. Vor allem im Zusammenhang mit den zuletzt genannten Maßnahmen intensivierte die FPÖ die Forderung nach Volksabstimmungen über wichtige politische Fragen und den Ausbau direkter Demokratie im Allgemeinen.13 Der konkrete Anlass für die Aufnahme der Diskussionen über Demokratiereformen im parlamentarischen Bereich und damit in der Berichterstattung der Tagesmedien stand folglich auch im Zusammenhang mit fiskalpolitischen Maßnahmen. Im Kontext der Verhandlungen über eine mögliche Reform der EU-Verträge und im Vorgriff auf den Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion („Fiskalpakt“)14 nahm die Bundesregierung im November 2011 Verhandlungen mit den Oppositionsparteien über die verfassungsrechtliche Verankerung einer Schuldenbremse im Verfassungsrang auf. Während die Grünen dies aus grundsätzlichen Erwägungen ablehnten, war die FPÖ zu Verhandlungen bereit. Als Bedingung stellte sie dafür die Umsetzung ihres Modells der Volksgesetzgebung (siehe I.C.4.).15 Auf diese Bedingung wurde seitens der Regierungsparteien zwar nicht eingegangen, aber die ÖVP verwies darauf, dass auch sie ein Konzept zur Stärkung der direkten Demokratie vorbereite. Im Jänner 2012 beauftragte Bundesparteiobmann Michael Spindelegger dann die Junge ÖVP mit der Ausarbeitung näherer Vorschläge.16 In weiterer Folge spielte die Finanzkrise aber praktisch keine Rolle mehr für die Demokratiediskussion. 3. Im März 2012 schlug die Bundesregierung im Zuge der Präsentation von Einsparungsmaßnahmen vor, den Nationalrat und den Bundesrat zu verkleinern. Dazu wurde von Abgeordneten der Regierungsparteien ein Antrag in die Verhandlungen des Nationalrates eingebracht.17 Mit dem Vorschlag, die Mitgliederzahl des Nati12
13 14 15 16 17
Vgl. Pernice, Ingolf/Wendel, Matthias/Otto, Lars/Bettge, Kristin/Mlynarski, Martin/Schwarz, Michael (2012): Die Krise demokratisch überwinden. Reformansätze für eine demokratisch fundierte Wirtschafts- und Finanzverfassung Europas. Baden-Baden: Nomos; Oberndorfer, Lukas (2012): Krisenbearbeitung in der Europäischen Union, 45 Kritische Justiz, 26–38. Siehe etwa die aufgrund eines Verlangens der FPÖ einberufene 122. Sitzung des Nationalrates am 12.10.2011. BGBl. I 2013/17. Vgl. etwa APA0223 5 II 0354 WI vom 9.1.2012 und APA0250 5 II 0329 WI vom 17.1.2012. Vgl. APA0244 5 II 0414 WI vom 4.1.2012. Antrag der Abgeordneten Dr. Josef Cap, Karlheinz Kopf, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesverfassungsgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz geändert wird (Senkung der Mitgliederzahlen im National- und Bundesrat), 1864/A, XXIV. GP.
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onalrates neu im Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zu regeln18, sollte der Weg für Allparteienverhandlungen darüber eröffnet werden. Die Präsidentin des Nationalrates hat daraufhin eine „Arbeitsgruppe Parlamentarismusreform“ eingesetzt, die sich am 13. April 2012 konstituierte. Ausgehend von den möglichen Konsequenzen einer Verkleinerung des Nationalrates sollte diese Diskussionen über Parlaments- und Demokratiereformen führen. Die Arbeitsgruppe befasste sich in Folge vor allem mit Fragen der Wahlrechtsreform und des Ausbaus der direkten Demokratie.19 Über die Debatte zur Parlamentarismusreform im engeren Sinn wurden hingegen keine öffentlichen Aussagen gemacht. Im Kontext ihrer Beratungen haben alle Parlamentsparteien bis Juni 2012 Positionen zur Demokratiereform vorgelegt (siehe I.C.)
B. Initiativen und Forderungen 1. Die Demokratiereformdiskussion wurde zunächst nur auf Grundlagen von Konzeptvorlagen oder Punktationen geführt.20 Zum Teil handelte es sich um Elemente umfassenderer Reformvorschläge, die wie jene der ÖVP, der Initiative Mehrheitswahlrecht und Demokratiereform und von MeinOE/Volksbegehren Demokratie jetzt! z.B. auch Änderungen des Wahlrechts enthalten. Gesetzentwürfe für Reformen und mögliche Kompromisse wurden erst im Frühjahr 2013 vorgelegt. 2. Grundsätzlich lassen sich vier Gruppen von Forderungen und Proponentinnen und Proponenten für den Ausbau der direkten Demokratie unterscheiden: • Insbesondere seit Mitte/Ende der 1990er Jahren fordern mehrere, in der Regel kleine Parteien oder Vereine den Ausbau direkter Demokratie mit dem primären Ziel, einen Austritt Österreichs aus der EU zu erreichen und die Neutralität zu stärken. Der Fokus liegt auf Protest und teilweise besteht inhaltliche Nähe zur FPÖ. Zu diesen Gruppen zählen z.B. die EU-Austrittspartei Österreich oder die Initiative für mehr direkte Demokratie in Österreich. Keine dieser Gruppen ist aber an den laufenden Debatten über Demokratiereformen beteiligt, und auch von Seiten der FPÖ wird nicht auf sie Bezug genommen. 18 19
20
Die Mitgliederzahl ist in § 1 Nationalrats-Wahlordnung, BGBl. 1992/471 i.d.F. BGBl. I 2013/66 geregelt. Sie könnte jederzeit mit einfacher Mehrheit geändert werden. In der öffentlichen Sitzung des Verfassungsausschusses des Nationalrates am 10.4.2013 wurde der Diskussionsverlauf in der Arbeitsgruppe von einzelnen Abgeordneten erläutert und der Vorgangsweise bei der Erstellung des „Demokratiepakets“ von SPÖ und ÖVP entgegengesetzt. Siehe PK (2013): S-V-Demokratiepaket stößt auf massiven Widerstand der Opposition, Parlamentskorrespondenz Nr. 295/2013 vom 10.4.2013. Die Fundstellen sämtlicher Konzepte sind im Quellenverzeichnis angeführt.
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Im Unterschied dazu steht eine weitere, heterogene Gruppe, die sich für die Entwicklung neuer Formen politischen Engagements, politischer Partizipation und Entscheidungsfindung einsetzt. Die Zahl solcher Gruppen ist relativ groß, während der Wirkungsbereich meist lokal oder personell beschränkt bleibt. Dazu zählen „Mehr Demokratie Österreich“, „Volksgesetzgebung jetzt!“, die „Mutbürgerpartei Österreichs“, die „Aktion 21 – Pro Bürgerbeteiligung“, die „Initiative Zivilgesellschaft“ und die „IG Demokratie“. Gruppen wie „Mehr Demokratie“ oder die „IG Demokratie“ sind – neben eigenen Forderungen – offensichtlich bemüht, eine überregionale Vernetzungs- und Vertretungsbasis zu schaffen. Diese Gruppen stehen auch teilweise im Austausch mit politischen Parteien und „Mehr Demokratie“ wurde auch zu Hearings und Enqueten im Nationalrat und Bundesrat beigezogen. Vor allem „Mehr Demokratie“ und die „IG Demokratie“ orientieren sich an vergleichbaren Bewegungen in anderen europäischen Staaten. Gemeinsam ist den meisten Gruppen die Forderung nach Formen mehrstufiger Volksgesetzgebung, wie sie auch in deutschen Bundesländern bestehen, und einer Demokratiereform „von unten“, also der aktiven Mitwirkung an und Entscheidung über Demokratiereformen durch (alle) Bürgerinnen und Bürger.21 Damit ist in der Regel auch ein gewisses Maß an Skepsis gegenüber etablierten Formen repräsentativer Demokratie verbunden, die teilweise als defizitär betrachtet werden. Der Ausbau der direkten Demokratie zählt auch zu den Forderungen von Organisationen wie der „Initiative Mehrheitswahlrecht und Demokratiereform“ oder „MeinOE“ bzw. den Proponentinnen und Proponenten des Volksbegehrens „Demokratie jetzt!“ 2013. Beide werden bzw. wurden von prominenten Persönlichkeiten, die in der Regel bundes- und landespolitische Spitzenpositionen bekleidet haben, getragen, und setzen sich für eine umfassende Veränderung des politischen Systems und der politischen Kultur in Österreich ein. In gewisser Nähe dazu standen auch die Forderungen, der im Oktober 2012 gegründeten Bürgerbewegung Neos, die seit der 25. Gesetzgebungsperiode (Herbst 2013) als Partei im Nationalrat vertreten ist. Neos tritt in ihrem Programm für mehrstufige Formen der Volksgesetzgebung und darüber hinaus für eine starke Öffnung parlamentarischer Beratungs- und Entscheidungsprozesse ein. In der Regel wird auf Erfahrungen mit Bürgerräten, Bürgerhaushalten oder Konventsmodellen in Brasilien, Island, Kanada oder den USA verwiesen. Siehe dazu Smith, Innovations (FN 6), und Aitamurto, Tanja (2012): Crowdsourcing for Democracy: A New Era in Policy-Making, Helsinki: Parliament of Finnland – Committee for the Future.
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Die vierte Gruppe umfasst schließlich die in der 24. Gesetzgebungsperiode im Nationalrat vertretenen politischen Parteien, die in den Debatten bestimmend auftraten.
C. Die Vorschläge der Parlamentsparteien 1. Alle Parlamentsparteien haben bis Juni 2012 zum einen Vorschläge zur Reform bestehender Instrumente der direkten Demokratie, zum anderen neue Modelle für deren Ausbau vorgelegt. Erstere umfassen insbesondere Erleichterungen des Eintragungsverfahrens wie Online-Unterstützung oder vereinfachte Sammlung von Unterschriften. Neben diesen Vorschlägen für Adaptierungen bzw. Ergänzungen bestehender Instrumente haben sich die ÖVP, die FPÖ und die Grünen für die Einführung von Formen der „Volksgesetzgebung“ ausgesprochen. Die SPÖ hat sich dazu nicht eindeutig festgelegt. 2. Die Vorschläge der ÖVP und der FPÖ entsprechen im Wesentlichen dem bis 2002 bestehenden Modell der Volksgesetzgebung in Vorarlberg.22 Sie wurden in der politischen Präsentation und Diskussion aber mit Volksinitiativen in der Schweiz verglichen. Die vorgelegten Modelle stellen darauf ab, dass ein Volksbegehren über einen konkreten Gesetzentwurf, das von einer bestimmten Anzahl an Bürgerinnen und Bürgern unterstützt wird (ÖVP: zehn Prozent der Wahlberechtigten; FPÖ: vier Prozent der Wahlberechtigten), einer zwingenden Volksabstimmung zu unterziehen ist, wenn es vom Nationalrat abgelehnt wird. Eine Mehrheit für den Gesetzentwurf in der Volksabstimmung führt unmittelbar zu einem Gesetzesbeschluss. Daraus folgt, dass ein Gesetz auch gegen den Willen der Mehrheit des Nationalrates und ohne dessen – letzte – Mitwirkung an der Beschlussfassung zustande kommen kann („Automatismus“). Anders als in der Schweiz wird jedoch davon ausgegangen, dass das Volksbegehren zunächst parlamentarisch behandelt wird. Damit weisen die Vorschläge aber eher Ähnlichkeiten mit mehrstufigen Verfahren der Volksgesetzgebung in deutschen Bundesländern als mit der Schweiz auf.23 Außerdem sehen – wiederum 22
23
Ausführlich dazu Öhlinger, Theo (2001): Bundesverfassungsrechtliche Grenzen der Volksgesetzgebung. Zur Verfassungsmäßigkeit des Art. 33 Abs. 6 der Vorarlberger Landesverfassung. 52 Montfort, 402 (408 ff.). Vgl. zur direkten Demokratie in den deutschen Bundesländern im Überblick Neumann, Peter (2010): Regelungsbestand der Sachunmittelbaren Demokratie in Deutschland 2009. In: Ders./ Renger, Denise (Hg.): Sachunmittelbare Demokratie im interdisziplinären und internationalen Kontext 2008/2009, Baden-Baden: Nomos, 13–30, und Ennuschat, Jörg (2014): Volksgesetzgebung in den Ländern. In: Klut, Winfried/Krings Gunter (Hg.): Gesetzgebung. Heidelberg: C. F. Müller, 699–726; vgl. zur Situation in der Schweiz im Überblick Christmann, Anna (2012): Das Vorbild
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anders als in der Schweiz – weder der Vorschlag der ÖVP noch jener der FPÖ vor, dass der Nationalrat einen Alternativvorschlag zur Abstimmung vorlegen kann. 3. Der ÖVP-Vorschlag lehnt sich an ältere Vorschläge dieser Partei an, die so erstmals nach dem Volksbegehren „Konferenzzentrum Einsparungsgesetz“ formuliert wurden.24 Im Unterschied dazu sieht das ÖVP-Konzept für eine „Gesetzesinitiative des Bundesvolkes“ 2012 aber inhaltliche Beschränkungen vor. Initiativen sollen keine Gesamtänderung der Bundesverfassung, keine Einschränkung von Grund-, Menschen- und Minderheitenrechten sowie keinen Verstoß gegen Unions- oder Völkerrecht bewirken können. Zudem soll es im parlamentarischen Verfahren zu einem Dialog zwischen den Proponentinnen und Proponenten eines Volksbegehrens und den Abgeordneten kommen.25 4. Demgegenüber sieht der FPÖ-Vorschlag keine inhaltlichen Grenzen vor und setzt auf beschleunigte Behandlung von Initiativen im Parlament und unverzügliche Volksabstimmungen. Damit kann aber der durch Verfahrensfristen vorgesehene Distanzschutz bei Volksinitiativen in Frage gestellt werden.26 Ein Bundesgesetz, das auf diese Weise zustande kommt, soll nur durch eine neuerliche Volksabstimmung darüber geändert werden können. Weiters verlangt die FPÖ die Einführung einer „Vetovolksabstimmung“. Wie im Falle des Schweizer Referendums soll die Möglichkeit bestehen, dass eine bestimmte Zahl von Wahlberechtigten (dem Vorschlag nach 100.000) eine Volksabstimmung über einen Gesetzesbeschluss des Nationalrates verlangen kann. In ihrem Forderungskatalog und in ihren sonstigen Aussagen zum Ausbau direkter Demokratie betont die FPÖ regelmäßig das Schweizer Vorbild“. Ihre konkreten Vorschläge enthalten aber nur einzelne Elemente der Schweizer Volksrechte. Sie nehmen jedoch in keiner Weise auf das komplexe politische und rechtliche System der Schweiz27 Bezug und lassen damit auch offen, ob über
24 25 26
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unter der Lupe. Sachunmittelbare Demokratie in der Schweiz. In: Neumann, Peter/Renger, Denise (Hg.): Sachunmittelbare Demokratie im interdisziplinären und internationalen Kontext 2009/2010, Baden-Baden: Nomos, 154–175. Siehe dazu Rill, Heinz Peter (1987): Möglichkeiten und Grenzen des Ausbaus direkt-demokratischer Elemente in der Österreichischen Bundesverfassung, Wien: Orac, 13 f. Der Standard (2012): „Gravierender Systemwechsel“. Michael Völker im Gespräch mit Fritz Neugebauer, 16.6.2012, 13. Die Verfahrensfristen sollen entwicklungsgeschichtlich der Verhinderung von „Sturmpetitionen“ dienen. Vgl. dazu Merli, Franz (1999) Art. 41 Abs. 2 B-VG. In: Korinek, Karl/Holoubek, Michael (Hg.): Österreichisches Bundesverfassungsrecht. Textsammlung und Kommentar, Wien-New York: Springer, Rz. 12. Vgl. Christmann, Vorbild (FN 23).
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einzelne Instrumente hinaus ein grundsätzlicher Systemwandel – insbesondere auch in Bezug auf die Ausgestaltung des Rechtsstaats und die Stellung des Verfassungsgerichtshofes – angestrebt werden soll. 5. Im Unterschied dazu haben die Grünen ein im österreichischen Kontext neues Modell in die Debatte eingebracht, das explizit auf dreistufige Volksgesetzgebungsmodelle, wie sie auch in vielen deutschen Bundesländern bestehen, Bezug nimmt. Sofern ein Volksbegehren von vier Prozent der Wahlberechtigten unterstützt wird, soll es – im Falle mangelnder Einigung im parlamentarischen Verfahren – zu einer zwingenden Volksabstimmung führen können. Dieser Vorschlag, der in modifizierter Weise (Unterstützungsquoren, Verfahrensregeln etc.) auch von der damaligen Präsidentin des Nationalrates Barbara Prammer (SPÖ), „Mehr Demokratie“ und MeinOE vertreten wurde, stellt also ausdrücklich auf einen Beratungs- und Verhandlungsprozess zwischen den Initiatorinnen und Initiatoren und dem Nationalrat ab. Er wurde daher auch als Initiative zur Stärkung des Parlaments und als Alternative zum herkömmlichen Gesetzgebungsprozess präsentiert. Zugleich können solche Verfahren als Mittel gesehen werden, um Volksinitiativen einzuhegen und unter Umständen große Kampagnen zu vermeiden. 6. Demgegenüber hat sich die SPÖ zu keinem Zeitpunkt eindeutig festgelegt. In einem Vorschlag des SPÖ-Parlamentsklubs war zwar die Stärkung von Volksbefragungen und Volksabstimmungen vorgesehen, eine Aussage zu Volksgesetzgebung – in jedweder Form – fehlte aber. Der Bundesvorsitzende der SPÖ, Bundeskanzler Werner Faymann, hat demgegenüber mehrfach „zwingende Volksabstimmungen“, sofern ein Volksbegehren eine Unterstützung von ca. 700.000 Bürgerinnen und Bürgern erhalten hat, befürwortet.28 7. Alle vorgelegten Konzepte lassen die Rolle des Bundesrates offen. Das ist nicht nur deshalb naheliegend, weil dem Bundesrat eine untergeordnete Rolle zugewiesen wird, sondern weil sich alle Modelle – auch jene von ÖVP und FPÖ – an den mehrstufigen Verfahren der Volksgesetzgebung in deutschen Bundesländern zu orientieren scheinen. Diese sind jedoch auf Ein-Kammer-Parlamente ausgerichtet. Demgegenüber erfolgt die Gesetzgebung des Bundes in Österreich aber – von wenigen Ausnahmen abgesehen29 – gemeinsam durch Nationalrat und Bundesrat. Ebenso fehlen bei den Vorschlägen für Volksgesetzgebung andere Bedingungen, die auf den 28 29
Vgl. APA0310 5 II 0128 vom 13.5.2012. Öhlinger, Theo/Eberhard, Harald (2014): Verfassungsrecht, 10. Auflage, Wien: facultas.wuv, 145 ff.
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Umstand von „Bundesgesetzgebung“ abstellen, wie etwa ein Modell einer doppelten Mehrheit (Mehrheit der Wahlberechtigten und Mehrheit nach Bundesländern). 8. Während das ÖVP-Modell bereits auf eine relativ hohe Unterstützung für Volks initiativen setzt, die zu einer Volksabstimmung führen sollen, sehen FPÖ und Grüne relativ hohe Beteiligungsquoren für Volksabstimmungen vor (ein Drittel der Wahlberechtigten bei Bundesgesetzen, die Hälfte bei Bundesverfassungsgesetzen). Damit scheint nach wie vor das Kampagnisierungspotential jedenfalls mittlerer politischer Parteien ein wichtiges Element für Demokratiereformen zu sein.
D. Debattenverlauf 1. Die Arbeitsgruppe Parlamentarismusreform tagte nicht öffentlich, wenngleich sich einzelne Mitglieder regelmäßig zum Diskussionsverlauf äußerten.30 In – einzelnen – Kommentaren wurde dabei primär das Modell der ÖVP aufgegriffen und insbesondere als „Schwächung des Parlamentarismus“ kritisiert.31 Dahinter stand die – von der ÖVP aber so bis in den Juni 2012 kommunizierte – Auffassung, dass hoch unterstützte Volksbegehren ohne vorherige Befassung des Parlaments eine Volksabstimmung auslösen. Demgegenüber wurde gefordert, dass das Parlament im Gegensatz zur bestehenden Situation seine eigene Rolle und Verantwortung wahrnehmen und den Gesetzgebungsprozess stärker mitgestalten solle. Andere Kommentatoren ergänzten diese Argumentationslinie um Verweise auf populistische Instrumentalisierung und Dysfunktionalitäten direkter Demokratie.32 Befürworter direkter Demokratie wandten demgegenüber ein, dass sämtliche Grundrechtsbeschränkungen der jüngsten Zeit Ergebnisse „indirekter Demokratie“ wären. Sie betonten, die Dringlichkeit direkter Demokratie gerade dann, wenn Parlamente „gegen den Souverän [entscheiden]“. Zugleich wiesen sie aber darauf hin, dass die Modelle von Initiativen wie „Mehr Demokratie“ oder „Volksgesetzgebung jetzt“ von einem tiefen Bekenntnis für die Wahrung und den Ausbau der Grund- und Menschenrechte getragen wären.33 In den Expertenhearings, die im Parlament stattgefunden haben, wurde ebenso das Thema inhaltlicher Schranken angesprochen. Es wurde aber auch gefragt, ob die faktischen Voraussetzungen, wie z.B. ein ausreichendes Maß an po30 31 32 33
Siehe etwa Die Presse, 4.7.2012, 2. Z.B. Korinek, Karl (2012): Das Parlament muss wieder selbst entscheiden, Die Presse, 3.6.2012, 15. Z.B. Müller-Funk, Wolfgang (2011): Stärken Plebiszite die Demokratie?, Der Standard, 29.12.2011, 27. Z.B. Felber, Christian (2012): Direkte und indirekte Demokratie, http://www.mehr-demokratie.at/ component/content/article/36-entwicklung/511-christian-felber-direkte-und-indirekte-demokratie (Langfassung des Kommentars: Gegen eine „Diktatur auf Zeit“, Der Standard, 4.1.2012, 31.
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litischer Bildung, oder das mediale Umfeld in Österreich förderlich für den Ausbau direkter Demokratie seien oder nicht.34 2. Als im November 2012 der Plan, die Parlamentskammern zu verkleinern, wegen mangelnder politischer Unterstützung von den Regierungsparteien aufgegeben wurde, schien es, als ob damit auch die Demokratiereformdebatte auf parlamentarischer Ebene abgeschlossen sei.35 Die Arbeitsgruppe verständigte sich jedoch auf die Erarbeitung einzelner Reformvorschläge für die parlamentarische Behandlung von Volksbegehren und Bürgerinitiativen. Unabhängig davon präsentierten dann aber die Regierungsparteien SPÖ und ÖVP kurz vor Weihnachten 2012 ein „Demokratiepaket“, dessen Schwerpunkt die Einführung einer österreichweiten zentralen elektronischen Wählerevidenz bildete. Diese soll wiederum die Grundlage für die elektronische Unterstützung z.B. von Volksbegehren sein. Ergänzt wird das Demokratiepaket um Verbesserungen bei der parlamentarischen Behandlung von Volksbegehren, der Einführung einer sogenannten „Bürgeranfrage“ und Anpassungen bei der Vergabe von Vorzugsstimmen bei Nationalratswahlen.36 Die parlamentarischen Beratungen darüber wurden im Februar 2013 aufgenommen. Im Zuge eines Begutachtungsverfahrens im Ausschuss und einer öffentlichen Expertenanhörung haben vor allem Demokratieinitiativen und Oppositionsparteien heftige Kritik an den Vorschlägen geübt.37 Diese Kritik wurde nach zwei Volksbegehren, die im April 2013 nicht die notwendige Unterstützung von 100.000 Wahlberechtigten erreichten und von denen eines, nämlich „Demokratie jetzt!“, umfassende Demokratiereformen gefordert hatte, verstärkt. Das Scheitern der konkreten Volksbegehren wurde mit der fehlenden (parlamentarischen) Wirksamkeit des Instruments verbunden. Abhilfe könne nach Meinung der Kritikerinnen und Kritiker – darunter Vertreterinnen und Vertreter der Oppositionsparteien aber auch der ÖVP – nur durch umfassende Demokratiereformen und der Konsequenz von Volksabstimmungen geschaffen werden.38 34
35 36
37 38
Cap, Josef/Stürzenbecher, Kurt (2013): Mehr Demokratie durch Volksabstimmung/Volksbefragung/Volksbegehren? In: Khol, Andreas/Ofner, Günther/Karner, Stefan/Halper, Dietmar (Hg.): Österreichisches Jahrbuch für Politik 2012, Wien u.a.: Böhlau, 443 (445). Vgl. APA256 5 II 0487 vom 19.11.2012. Konrath, Christoph (2014): Das Demokratiepaket 2013. In: Baumgartner, Gerhard (Hg.), Jahrbuch Öffentliches Recht 2014, Wien: Neuer Wissenschaftlicher Verlag, 345 (349 f.). Siehe zur Präsentation und den Reaktionen darauf z.B. Der Standard, 21.12.2012, 8. Das Demokratiepaket wurde als Antrag 2177/A der Abg. Josef Cap, Karlheinz Kopf, Kolleginnen und Kollegen am 30.1.2013 in die parlamentarischen Verhandlungen eingebracht. PK, Demokratiepaket (FN 19). OÖN (2013): Fast sechs Monate vor der Wahl: ÖVP stellt erste Koalitions-Bedingungen. Spindelegger: 630.000 Unterschriften sollen Volksabstimmung erzwingen, 18.4.2013, 6.
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3. Erst in dieser Phase setzte eine breitere öffentliche Debatte sowohl über die Inhalte des Demokratiepakets und die Stellung des Parlaments ein, in der auch Josef Cap für die SPÖ die Ablehnung eines Ausbaus u.a. mit Verweis auf Minderheitenschutz und die Wahrung der Stellung der Sozialpartner begründete.39 In ähnlicher Weise erinnerte Bundespräsident Heinz Fischer daran, dass dem parlamentarischen Diskussionsprozess mit seiner Möglichkeit zum Kompromiss jedenfalls der Vorzug zu geben sei.40 Die Oppositionsparteien machten hingegen eine Zustimmung zum „Demokratiepaket“ von weitergehenden Reformen abhängig und verwiesen auf ihre bisherigen Vorschläge. Ebenso kündigte auch die ÖVP an, die Einführung eines Modells der Volksgesetzgebung zu einer Koalitionsbedingung nach der Nationalratswahl im Herbst 2013 zu machen.41 Ausgehend von einem Vorschlag des Grazer Verfassungsrechtlers Franz Merli im erwähnten Expertenhearing des Verfassungsausschusses42, haben die Oppositionsparteien aber gleichzeitig einen Kompromissvorschlag ausgearbeitet43, der von der ÖVP als Alternative zur Volksgesetzgebung aufgegriffen und in Folge auch von der SPÖ als Verhandlungsgrundlage akzeptiert wurde44. Demnach soll über Volksbegehren, die einen konkreten Gesetzentwurf enthalten und von einer qualifizierten Mehrheit unterstützt werden, im Falle der Ablehnung (=Nichtumsetzung) durch den Nationalrat eine Volksbefragung stattfinden. Eine solche wäre rechtlich unverbindlich und würde daher auch keine Gesamtänderung der Bundesverfassung erfordern und – im Unterschied zum „Automatismus“ – auch nicht die Stellung des Nationalrates verändern. 4. SPÖ, ÖVP und Grüne haben sodann den ursprünglichen Entwurf für das Demokratiepaket (siehe zuvor I.D.2.) durch einen sogenannten „gesamtändernden 39 40
41 42 43 44
SPÖ (2013): Cap: „Kompromissvorschlag“ wirft neue Fragen auf, OTS0224, 8.5.2013. Der Standard (2013): „Gibt auch weniger kluge Formen der Mitbestimmung“, Interview mit Bundespräsident Heinz Fischer, 30.4./1.5.2013, 7. Zum gleichen Zeitpunkt fand in der Tageszeitung „Der Standard“ ausgehend vom Vorschlag, einen zufällig ausgewählten Bürgerrat mit der Ausarbeitung einer ORF-Reform zu beauftragen (Wolf, Armin [2013]: ORF-Reform: Lasst uns das Los entscheiden, Der Standard, 4.5.2013, 35), eine Debatte über die zentrale Stellung von Parlamenten (Sperl, Gerfried [2013]: Armin Wolfs Abkehr vom Parlamentarismus, Der Standard, 6.5.2013, 23), die begrenzten Lösungskompetenzen von Bürgerinnen und Bürgern, alternativen Vorschlägen (Meinl-Reisinger [2013]: Der böse Wolf und die Reflexdenker, Der Standard, 8.5.2013, 39) und empirischen und theoretischen Argumenten für solche Modelle (Konrath, Christoph [2013]: Zeit, Parlamente zu öffnen, Der Standard (Online-Ausgabe), 10.5.2013) statt. Siehe APA0178 5 II 0175 vom 18.4.2013. PK, Demokratiepaket (FN 19). Siehe dazu Konrath, Demokratiepaket (FN 36), 350. PK (2013): Verfassungsausschuss: Über Demokratiepaket wird weiter verhandelt, Parlamentskorrespondenz Nr. 480/2013 vom 4.6.2013.
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Abänderungsantrag“ zum Antrag 2177/A ersetzt.45 Die wesentlichen Änderungen bestehen darin, dass die Bürgeranfrage gestrichen und ein Modell für eine zwingende Volksbefragung vorgeschlagen wurde. Eine solche Volksbefragung über ein „qualifiziert unterstütztes Volksbegehren“ soll allerdings nur zulässig sein, wenn das Volksbegehren einen konkreten Gesetzentwurf enthält und dieser nicht EU- oder Völkerrecht widerspricht oder die Abschaffung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte bewirken würde.46 Zugleich wurde aber etwa von Daniela Musiol für die Grünen betont, dass es sich bei der Umsetzung dieser Variante um einen Schritt zu mehr direkter Demokratie handeln sollte.47 Die Neufassung des Antrags wurde im Sommer 2013 einem weiteren Begutachtungsverfahren unterzogen, in dessen Rahmen 36 Stellungnahmen einlangten.48 Darunter waren die überwiegende Zahl der obersten Organe, einzelne Bundesministerien, acht Landtage bzw. Ämter der Landesregierung, Gemeinde- und Städtebund, die Sozialpartner und eine größere Zahl meist einschlägig engagierter NGOs. In allen Stellungnahmen wurden Verbesserungen der direkten Demokratie begrüßt. Unterschiedliche Auffassungen gab es jedoch zur Einführung qualifiziert unterstützter Volksbegehren und der damit verbundenen Volksbefragungen. Es wurde zwar nicht bestritten, dass dieses Modell im vom Verfassungsgerichtshof vorgegebenen Rahmen des Ausbaus direkter Demokratie bleibe. Allerdings wurde die Gefahr gesehen, dass es letztlich zu Verwerfungen im repräsentativ-demokratischen System führen könne. Die dazu vorgebrachten politischen Argumente nahmen teilweise auf Erfahrungen und Entwicklungstendenzen Bezug, haben diese aber nicht empirisch belegt. Ein weiterer Grund für die Ablehnung von Volksbefragungen wurde darin gesehen, dass deren Ergebnis keine unbeeinflusste Entscheidung des Gesetzgebers mehr ermögliche. Es wurde aber nicht dargelegt, warum sonstige Entscheidungen des Gesetzgebers unbeeinflusst erfolgen. Auf der anderen Seite stehen Stellungnahmen, denen die vorgeschlagenen Reformen nicht weit genug gehen, und die einen Ausbau direkter Demokratie im Sinne der mehrstufigen Volksgesetzgebung in deutschen Bundesländern fordern. 5. Der Verfassungsausschuss ist vor den Wahlen zum Nationalrat am 29.9.2013 nicht mehr einberufen worden. Weitere Verhandlungen über die Demokratiereform bzw. 45 46 47 48
Siehe Konrath, Demokratiepaket (FN 36), 351. Siehe Konrath, Demokratiepaket (FN 36) für eine ausführliche Darstellung und Diskussion. Wiener Zeitung (2013): Wie direkt darf Demokratie sein?, Wiener Zeitung, 1.6.2013, 11. Meyer, Marlies (2014): Das Demokratiepaket 2013 und aktuelle Entwicklungen, in: Schweighofer, Erich/Kummer, Franz/Hötzendorfer, Walter (Hg.), Transparenz. Tagungsband des 17. Internationalen Rechtsinformatik Symposions, Wien: ÖCG, 315 (319 f.).
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eine Auseinandersetzung mit den eingelangten Stellungnahmen haben daher in der 24. Gesetzgebungsperiode nicht mehr stattgefunden.
E. Referenzbeispiele 1. Nahezu zeitgleich mit dem Beginn der Debatten über die Reform direkter Demokratie fand von 3. bis 10.11.2011 die Eintragungswoche für das Volksbegehren „Bildungsinitiative“ statt. Gegenstand dieses Volksbegehrens war ein Forderungskatalog zur umfassenden Reform des österreichischen Bildungswesens vom Kindergarten bis zur Universität. Es enthielt allerdings keine konkreten Gesetzestexte. Dieses Volksbegehren wurde von 383.724 Personen unterstützt und wies unter seinen Proponentinnen und Proponenten ehemalige Spitzenpolitikerinnen und -politiker sowie anerkannte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf. Der Nationalrat setzte zur Vorberatung des Volksbegehrens einen sogenannten „besonderen Ausschuss“ ein, der sich am 1.2.2012 konstituierte und bis 31.5.2012 insgesamt fünfmal tagte. Damit sollten die Bedeutung des Volksbegehrens gewürdigt und übergreifende – nicht auf den Unterrichtsausschuss beschränkte – parlamentarische Debatten ermöglicht werden. Nach mehreren Anhörungen und Diskussionen mit Expertinnen und Experten erstattete der Ausschuss einen Bericht an den Nationalrat, der aber keine inhaltliche Stellungnahme zum Volksbegehren enthielt. In den Plenarberatungen am 14.6.2012 wurden einzelne Entschließungen angenommen, die allgemeine Bekenntnisse zur Fortsetzung der Reformen enthielten, obwohl die Bevollmächtigten konkrete Schritte eingefordert hatten.49 Auf dieses Beispiel lässt sich freilich in zweierlei Hinsicht Bezug nehmen: Zum einen kann darauf hingewiesen werden, dass umfangreiche Forderungskataloge eine „Umsetzung“ der Anliegen binnen angemessener Frist schwer bis unmöglich machen können. Zum anderen können an diesem Beispiel doppelt widersprüchliche Verhaltensweisen von Abgeordneten und Regierungsmitgliedern aufgezeigt werden: Zum Zeitpunkt der Beratungen über das Volksbegehren war die – jetzt maßgeblich von Parteien dominierte – Demokratiereformdiskussion schon in Gange. Das konkrete Volksbegehren hätte also bei allen Bedenken als Beispiel für einen neuen Umgang mit Anliegen von Bürgerinnen und Bürgern genutzt werden können. Zugleich betraf das Volksbegehren Themen, deren Dringlichkeit regelmäßig betont wird. Der Debattenanstoß hätte also auch in der Sache genutzt werden können,
49
Siehe dazu im Überblick die Meldungen Nr. 35/2012 vom 19.1.2012, 141/2012 und 143/2012 vom 1.3.2012, 296/2012 vom 16.4.2012 und 396/2012 vom 7.5.2012 der Parlamentskorrespondenz zu den Ausschussberatungen und Nr. 490/2012 vom 14.6.2012 zur Behandlung im Plenum.
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während durch die gewählte Vorgangsweise eher der Eindruck des „Abhandelns“ zu dominieren schien. 2. Ebenfalls zu beachten ist, dass gleichzeitig mit der Debatte über direkte Demokratie und vor dem Hintergrund der Forderung nach mehr Transparenz im Juni 2012 eine grundlegende Reform der Parteienfinanzierung vorgenommen wurde.50 Sowohl in den gesetzlichen Grundlagen als auch in den programmatischen Bekenntnissen zum neuen Gesetz wurde dabei die zentrale Rolle der politischen Parteien im demokratischen Prozess hervorgehoben.51 Von Experten wurde die Neuregelung einerseits in Hinblick auf Transparenzeffekte begrüßt. Andererseits wurde betont, dass sie im Effekt zu einer weiteren Abschließung des politischen Prozesses führen kann, da im Wesentlichen nur etablierte und bereits in den Parlamenten vertretene Parteien profitieren.52 3. Schließlich fand am 20.1.2013 die erste Volksbefragung auf Bundesebene statt, die die Zukunft der allgemeinen Wehrpflicht zum Inhalt hatte. Auffallend – aber auch im internationalen Vergleich nicht ungewöhnlich – ist die starke parteipolitische Vereinnahmung dieser Befragung. Das zeigt sich insbesondere bei Aussagen von ÖVP-Vertretern, die im Kontext der Landtagswahlen im Frühjahr 2013 auch regelmäßig auf einen „Erfolg der ÖVP“ bei der Volksbefragung verwiesen haben.53
II. Konzepte In den Debatten über Demokratiereformen ging es primär um Probleme der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit und der potentiellen Instrumentalisierung direkter Demokratie im Interesse populistischer Themen und Bewegungen. Gleichzeitig ging es um den Zustand und die Entwicklung des Parlamentarismus in Österreich, konkret des Nationalrates. Zum einen wurde gefragt, was der Ausbau direkter Demokratie für Rolle und Stellung des Nationalrates bedeuten kann. Zum anderen konnte der Eindruck entstehen, dass der Nationalrat und seine Abgeordneten offensichtlich nicht in der Lage sind, eine bestimmte Stellung im politischen System 50 51 52 53
BGBl. I 2012/56. Vgl. in diesem Zusammenhang auch das Plädoyer für die Parteiendemokratie, das Prammer, Demokratie (FN 1) prägt. Lenzhofer, Stefan (2013): Die neue Parteienfinanzierung: Ein Weniger an Demokratie, Die Presse, 4.7.2012, 26. Siehe nur die Selbstdarstellung auf http://www.oevp.at/team/spindelegger/2013_-_Das_Jahr_der_ OeVP.psp (13.6.2013).
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zu beanspruchen und zu erfüllen, und dass sie nur bedingt bereit sind, sich für die Anliegen und Vorschläge von Bürgerinnen und Bürgern zu öffnen. Den Diskussionen liegen also normative und pragmatische Fragen zu Grunde, die ich im Folgenden in Form kurzer Anmerkungen aufgreifen möchte.54 Damit lässt sich auch ein Rahmen für weitergehende politik- und rechtswissenschaftliche Analysen entwerfen, der gleichzeitig Anschluss an politikwissenschaftliche Diskussionslinien, die über Österreich hinausreichen, ermöglicht.
A. Demokratiereform 1. Die Demokratiereformdiskussionen 2011–2013 waren auf den Ausbau der direkten Demokratie und dabei wiederum auf die Einführung von Formen der Volksgesetzgebung fokussiert. Mit der Vorstellung des sogenannten „Demokratiepakets“ von SPÖ und ÖVP kamen auch einzelne Aspekte des Wahlrechts (Vorzugsstimmen, elektronische Wählerevidenz) sowie ein Vorschlag für die Einführung einer sogenannten „Bürgeranfrage“ hinzu. Für alle diese vorgeschlagenen Maßnahmen wurde ins Treffen geführt, dass sie einen Beitrag dazu leisten können, Bürgerinnen und Bürger unmittelbarer in politische Debatten und Entscheidungsprozesse einzubinden und damit auch helfen können, politische Blockaden zu überwinden. Zahlreiche der vorgeschlagenen Maßnahmen würden zumindest „technische“ Anpassungen des Bundesverfassungsrechts erfordern. Die Einführung von Instrumenten der Volksgesetzgebung würde aber wesentliche Änderungen des Bundes-Verfassungsgesetzes bedingen, die unter Umständen auch eine Gesamtänderung darstellen könnten.55 Die Debatten betrafen also Demokratie- und Verfassungsreformfragen. 2. Die Bewertung, ob bestimmte Veränderungen eine Reform darstellen, setzt zunächst Einverständnis über einen (normativen) Reformbegriff voraus. Mit Helms schlage ich vor, politische Reformen als das Ergebnis von Bestrebungen zu sehen, mit legalen Mitteln bestehende Strukturen so neu zu ordnen, dass dieser Prozess auf die eine oder andere Weise eine Umverteilung von Macht einschließt.56 Der 54
55
56
Der Zugang entspricht damit in etwa jenem, den Smith (Innovations [FN 6] 194 ff.) als „institutional theory of democracy“ bezeichnet und insoweit als adäquat für die Auseinandersetzung mit Demokratieinnovationen und -reformen beschreibt, als er eine Bewertung der demokratischen und praktischen Aspekte existierender Institutionen ermöglicht. Öhlinger, Theo (2012): Direkte Demokratie: Möglichkeiten und Grenzen. Zur aktuellen Diskussion über einen Ausbau direktdemokratischer Verfahren der Gesetzgebung. 120 Österreichische Juristenzeitung, 1054 (1055). Helms, Ludger (2011): Demokratiereformen: Herausforderungen und Agenden, Aus Politik und Zeitgeschichte 44–45/2011, 12.
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Hinweis auf legale Mittel hebt hervor, dass Reformen auf den Grundlagen und innerhalb der Grenzen einer bestehenden Verfassungs- bzw. politischen Ordnung vorgenommen werden. Das Erfordernis eines bestimmten Maßes an Umverteilung von Macht weist auf die Notwendigkeit substantieller Veränderungen im Macht- und Einflussgefüge eines politischen Systems hin. Damit können Reformen von Anpassungen oder Modernisierungen einzelner Systemelemente unterschieden werden. Einschränkend muss aber festgehalten werden, dass eine Qualifizierung letztlich immer erst nachträglich vorgenommen werden kann. Es ist nicht ausgeschlossen, dass zunächst gering erscheinende Anpassungen längerfristig große Auswirkungen nach sich ziehen können und umgekehrt die Potentiale großer Reformen ungenützt bleiben. 3. Im Hinblick auf Demokratiereformen im engeren Sinn betont Helms57, dass diese regelmäßig mit Verfassungsreformen einhergehen. Das muss aber weder notwendig noch erforderlich sein. Zum einen können wesentliche Reformthemen die detaillierte Ausgestaltung des Wahlrechts oder Geschäftsordnungen von Parlamenten betreffen, zum anderen lassen sich die Existenz- und Funktionsbedingungen von Demokratie nicht auf Rechtsfragen beschränken. 4. Demokratiereformen müssen nicht primär mit der Durchsetzung bestimmter Gruppeninteressen oder Ziele verbunden sein. Die Steigerung der Möglichkeiten zur politischen Partizipation kann auch für sich allein Sinn haben. Denn bereits im Akt des Mitredens- und Mitentscheidenkönnens werden Erfahrungen persönlicher Freiheit und politischer Subjektivierung vermittelt.58 Demokratiereformdebatten können dann unabhängig von ihren Ergebnissen auch als Selbstvergewisserungsprozesse verstanden werden, auf die demokratische Systeme letztlich als Garantie ihres Bestandes und ihrer Erneuerung angewiesen sind. In solchen Prozessen kann daher wieder bewusst werden, dass Demokratie auch eine spezifische Lebensform und gemeinschaftliche Praxis zum Ausdruck bringen soll59, ebenso wie sie auf rechtliche, soziale und materielle Rahmenbedingungen angewiesen ist, um möglichst vielen die Beteiligung an politischen Auseinandersetzungen ermöglichen zu können. 5. Ein vierter Aspekt ist schließlich die Frage der Motivation für den Beginn und die Durchführung von Demokratiereformdebatten. Das betrifft zum einen die Heraus57 58 59
Helms, Demokratiereformen (FN 56), 13. Vgl. Meyer, Katrin (2011): Kritik der Postdemokratie, 39 Leviathan 2011, 21 (35). Grundlegend dazu Möllers, Christoph (2008): Demokratie. Zumutungen und Versprechungen, Berlin: Wagenbach.
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forderungen, auf die reagiert werden soll. Zum anderen betrifft es die treibenden Persönlichkeiten hinter diesen Prozessen. Wenn es sich um Demokratiereformen im oben genannten Sinn handelt, also um substantielle Veränderungen im Machtgefüge eines politischen Systems, sind wir in der Regel mit einem Paradox konfrontiert: Demokratie wird heute im Kontext aller modernen rechtsstaatlichen Verfassungsstaaten als Form von Machtteilung verstanden.60 In einem System der Machtteilung führt jede Vermehrung von Macht im Sinne erweiterter Teilhabemöglichkeiten aber zugleich zur Begrenzung der Macht jedes am Prozess Beteiligten. Denn die Erweiterung von Handlungs- und Partizipationsmöglichkeiten muss mit der Bereitschaft der Beteiligten, in der Durchsetzung eigener Interessen mit anderen zu kooperieren und sich damit auch von diesen kontrollieren zu lassen, einhergehen.61 Historische Erfahrung wie normative Theorien gehen davon aus, dass erst die Beschränkung und Teilung von Herrschaftsmacht eine Vorbedingung zu ihrer Ausweitung und Stabilisierung in personeller, substantieller und zeitlicher Hinsicht ist.62 Das bedeutet aber zugleich, dass Beschränkung und Teilung auch (und gerade) im Interesse von Machteliten liegen (müssen), da sie schon in ihrem eigenen Interesse auf die freiwillige Kooperation anderer angewiesen sind.
B. Verfassungsreform 1. Verengung auf Verfassungsrechtsfragen 1. Diese vier (normativen) Aspekte von Demokratiereformen werden auch im bisherigen Verlauf der österreichischen Debatten erkennbar. Wie im I. Teil dargestellt wurde, haben etliche Initiativen seit längerer Zeit Demokratiereformen verlangt. Ein breiteres Interesse ist jedoch erst aufgekommen, nachdem sich auch einzelne Parlamentarierinnen und Parlamentarier bzw. Regierungsmitglieder die Forderung nach Demokratiereformen zu eigen gemacht und dies mit spezifischen Herausforderungen an das politische System begründet haben. Auffallend ist dabei, dass Demokratieverständnis und Reformbedürftigkeit (oder deren Gegenteil) von den maßgeblichen Akteurinnen und Akteuren als weitgehend selbstverständlich vorausgesetzt werden. Während im internationalen Vergleich sowohl kritische akademische als auch politische Debatten über Stand und Perspektiven (repräsentativer) De60 61 62
Siehe dazu noch unten B.1. Meyer, Kritik (FN 58) 34. Holmes, Stephen (2012): Constitutions and Constitutionalism. In: Rosenfeld, Michel/Sajó, András (Hg.): The Oxford Handbook of Constitutional Law, Oxford University Press, 191 ff.
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mokratie zunehmen und im Kontext von „Postdemokratie“ oder „Krise repräsentativer Demokratie“ verhandelt werden63, sind derlei Bezugnahmen in Österreich weitgehend ausgeblieben oder jedenfalls nicht vertieft worden. 2. Demgegenüber haben sich die Debatten zu einem relativ frühen Zeitpunkt auf verfassungsrechtliche Fragen und das Thema der Instrumentalisierung von Volksinitiativen bzw. deren Grenzen verengt. In unmittelbarem Zusammenhang mit beiden Themensträngen steht die Frage, wie weit komplexe Probleme überhaupt unter den gegebenen rechtlichen und praktischen Bedingungen breiter diskutiert und gegebenenfalls entschieden werden können. Die Verengung auf (Verfassungs-)Rechtsfragen hat zwei Dimensionen: Neben der methodischen Einschränkung kommt es in der Regel auch zu einer personellen Begrenzung auf Verfassungsexperten64, deren Urteil entscheidendes Gewicht in den Debatten zukommt65. Verfassungsexperten werden damit auch zu wesentlichen Akteuren in den Debatten, die einerseits – autoritativ – Bedingungen politischer Gestaltungsmacht aufzeigen sollen und andererseits zum Referenzpunkt politischer Auseinandersetzungen werden können. Augenfällig wird das auch daran, dass in den 2012 und 2013 stattgefundenen Expertenhearings des Nationalrates66 bzw. einer Enquete des Bundesrates67 Verfassungsjuristen als maßgebliche Teilnehmer eingeladen wurden. 3. Diese methodische und personelle Verengung kann Demokratiereformfragen primär nur durch die Vorgaben des bestehenden Bundesverfassungsrechts und dessen „Systementscheidung für repräsentative Demokratie“68 wahrnehmen. Damit wird 63
64 65
66 67 68
Vgl. aus der Vielzahl der Publikationen Alonso, Sonia/Kean, John/Merkel, Wolfgang (2011): The Future of Representative Democracy, Cambridge: Cambridge University Press; Meyer, Kritik (FN 58); Prammer, Barbara/Rosenberg, Barbara/Duffek, Karl (2011): Die Qualität der Demokratie. Kriterien, Befunde, Herausforderungen. Wien: Löcker; International Parliamentary Union/UN Development Program, Report (FN 7). Da es sich in aller Regel um Männer handelt, verwende ich hier auch nur die männliche Form. Grundsätzlich dazu Ehs, Tamara (2011): Verfassungspolitologie? Zur Bedeutung des B-VG aus politikwissenschaftlicher Sicht, 19 Journal für Rechtspolitik, 3–14; Somek, Alexander (2007): Wissenschaft vom Verfassungsrecht: Österreich. In: von Bogdandy, Armin/Cruz Villalon, Pedro/Huber, Peter M. (Hg.): Handbuch lus Publicum Europaeum. Bd. I: Grundlagen und Grundzüge staatlichen Verfassungsrechts. Heidelberg, Heidelberg: Müller, 637–662, Rz. 39. Cap/Stürzenbecher, Demokratie (FN 34), 445; PK, Demokratiepaket (FN 19). Parlamentarische Enquete des Bundesrates „Mehr direkte Demokratie, mehr Chancen für die Bürgerinnen und Bürger in den Ländern und Gemeinden“, 9.4.2013. Vgl. dazu Lachmayer, Konrad (2010): Repräsentative Demokratie als verfassungsgerichtliche Systementscheidung in Österreich. In: Gamper, Anna (Hg.): Entwicklungen des Wahlrechts am europäischen Fallbeispiel, Wien: Springer, 71–91.
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der Zugang zu Demokratiefragen durch das verfassungsrechtlich vorgefundene Organisationsmodell und dessen Bewertung in der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) geprägt. Dieses zeichnet sich durch eine dominierende Stellung der sogenannten „allgemeinen Vertretungskörper“ aus und beruht grundsätzlich auf zwei Vermittlungsstufen: der Wahl von Parlamenten durch das Volk und der spezifischen Abhängigkeit aller übrigen staatlichen Organe – seit 1929 mit Ausnahme des Bundespräsidenten – von den Parlamenten. Diese Abhängigkeit wird durch die parlamentarische Verantwortlichkeit der obersten Organe und durch die Bindung aller Organe der Vollziehung an das Gesetz gemäß Art. 18 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) gesichert. Aus dieser Logik folgt, dass es im österreichischen System keine von der repräsentativen Demokratie losgelöste direkte Demokratie gibt: das Volksbegehren ist auf ein Initiativrecht im Gesetzgebungsverfahren beschränkt, die Volksabstimmung erfolgt über Gesetzesbeschlüsse des Nationalrates. Der Nationalrat bleibt immer „Herr des Geschehens“69. Damit ist auch der Kerngehalt des demokratischen Grundprinzips umrissen, dessen Veränderung folglich sehr rasch mit einer Gesamtänderung der Bundesverfassung einhergehen könnte. Eine solche kann jedoch nicht ohne Volksabstimmung erfolgen. Diese Auffassung kann als Mainstream in der österreichischen Verfassungslehre gesehen werden, dem nur einzelne widersprechen. So weist etwa Peter Oberndorfer darauf hin, dass nicht nur potentielle Auswirkungen eines Ausbaus direkter Demokratie in verfassungsdogmatische Überlegungen einbezogen werden dürfen, sondern dass vielmehr überlegt werden sollte, ob Veränderungen zum Regelfall demokratischer Rechtserzeugung werden sollen.70 Konkret sollte also gefragt werden, ob etwa Formen der Volksgesetzgebung, die zunächst ein relativ hoch unterstütztes Volksbegehren und anschließend eine positive Volksabstimmung erfordern, parlamentarische Gesetzgebungsprozesse verdrängen oder wahrscheinlich nur Ausnahmefälle bleiben werden. In den bisherigen Debatten wurde diese Position aber zu keinem Zeitpunkt aufgegriffen.
2. Demokratiebegriffe 1. Wesentlich für den überwiegenden Teil der österreichischen Verfassungsrechtswissenschaft wie für den Verfassungsgerichtshof ist also ein auf die empirische Ebene geschichtlich fixierter Organisationsmodelle reduzierter Demokratiebegriff. Stefan
69 70
Öhlinger, Direkte Demokratie (FN 55), 1055. Oberndorfer, Peter (2000): Artikel 1 B-VG. In: Korinek, Karl/Holoubek, Michael (Hg.): Österreichisches Bundesverfassungsrecht. Textsammlung und Kommentar, Wien-New York: Springer, Rz. 15.
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Hammer71 hat schon vor längerer Zeit festgestellt, dass damit die normative und postulative Relevanz des Art. 1 B-VG72 hinwegdiskutiert wird. Im Ergebnis führt die Fokussierung auf das vorgefundene Organisationsmodell zu einem „versteinernden Demokratieverständnis“, das – im Sinne der Frage nach Demokratiereform (II.A.) – nur Anpassungen und Modernisierungen, aber ohne Gesamtänderung keine substantiellen Reformen ermöglicht. 2. Ein solches Verständnis blendet zwei Aspekte aus, die auch für die Verfassungsauslegung maßgeblich sein sollten73: Es lässt zum einen außer Acht, dass Begriffe wie „Demokratie“ in einer offenen Verfassung zugleich eine ständige Aufgabe und einen bereits erreichten Standard bezeichnen. Zum anderen negiert es das Faktum, dass die Verfassung von keinem durchgängigen und bruchlosen organisatorischen Demokratiekonzept getragen ist, sondern vor allem in Bezug auf Verwaltungsorganisation und Selbstverwaltung auch eine Reihe anderer Instrumente und Zugänge kennt.74 Hammer hat schon im Kontext der Demokratiereformdiskussionen der 1980er Jahre daran erinnert, dass auch die österreichische Bundesverfassung in der europäischen Tradition verfassungsstaatlicher Demokratie steht.75 Deren Demokratiebegriff zeichnet sich aber durch eine formale und inhaltsoffene Gestalt aus, die nicht unmittelbar in abgeschlossenen Inhalten fixiert und positiviert werden kann. Demokratie muss als normatives Konzept daher immer auch geeignet sein, ein kritisches Potential gegenüber bestehenden Zuständen zu entfalten. Damit lässt sich Demokratie auch nicht auf bestimmte Organisationsformen reduzieren, sondern ist erst dann institutionalisiert, wenn sie eine kritische Öffentlichkeit sichert. Die allgemeine Wahl von Parlamenten ist ein Element innerhalb der – in einer verfassungsstaatlichen Demokratie – institutionalisierten Bedingungen für diese Öffentlichkeit. Ob aber die konkreten parlamentarischen Strukturen ausreichen, um mit den Bürgerinnen und Bürgern in ein kritisch-diskursives Verhältnis treten zu können, und ob diese auch ausreichend Offenheit für Kritik und Alternativen zur herrschenden Politik ermöglichen, ist immer wieder zu überprüfen und zu hinterfragen. Folg71
72 73 74
75
Hammer, Stefan (1987): Direkte Demokratie im österreichischen Verfassungsrecht: Repräsentative Demokratie und Föderalismus als Strukturbedingungen der Demokratiereform. In: Marko, Joseph/ Stolz, Armin (Hg.): Demokratie und Wirtschaft, Wien u.a.: Böhlau, 89 (94). „Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus.“ Hammer, Direkte Demokratie (FN 71), 94 f. Vgl. bereits Öhlinger, Theo/Matzka, Manfred (1975): Demokratie und Verwaltung als verfassungsrechtliches Problem. 4 Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft, 445–462; siehe noch unten II.B.5. Hammer, Direkte Demokratie (FN 71), 96 f.
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lich kann repräsentative Demokratie auch nicht auf fixe organisatorische – konkret rein parlamentarische – Strukturen festgelegt werden, sondern ist immer wieder im Lichte des Wandels sozio-politischer Legitimationsbedingungen zu hinterfragen und zu erneuern.76
3. Juristische Analyse und politische Bewertung 1. Auffallend am Debattenverlauf in der 24. Gesetzgebungsperiode und den Kommentaren dazu ist aber, dass sie sich meist nicht auf diesen Abstraktionsgrad und auf theoretische Grundlegungen (und damit verbunden auch Entwicklungen der politischen Theorie) einlassen. Stattdessen wird in der Regel vom organisationsrechtlichen Befund der repräsentativen Demokratie (und den damit offensichtlich verbundenen Ansprüchen) unmittelbar auf deren Verwirklichung in Österreich geschlossen. Die gängigen Argumentationslinien betreffen dabei – wie oben in Kapitel I.D. deutlich wurde – die parlamentarische Praxis, die Rolle der politischen Parteien und deren Stimmungsmache im Verein mit Medien und Interessensgruppen. 2. Die Reaktion darauf scheint die Formulierung von Katalogen jener Themen zu sein, die bei allfälligen Reformen direkter Demokratie jedenfalls ausgenommen sein sollten, um „problematische Initiativen“ und populistische Instrumentalisierung zu vermeiden. Dazu zählen je nach Vertreterinnen und Vertreter Verfassungsrecht, Grund- und Minderheitenrechte, Steuerrecht oder durch Völker- und EU-Recht determinierte Regelungsbereiche. In die Letztfassung des Demokratiepakets (siehe oben I.D.4.) sind Verstöße gegen EU- und Völkerrecht sowie die Abschaffung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte als Ausschlusskriterien einer Volksbefragung aufgenommen worden.77 Wie Theo Öhlinger aber bemerkt hat, führen all diese Versuche zu Widersprüchen.78 Sie bekunden ein Misstrauen gegenüber der Rationalität von Initiativen von Bürgerinnen und Bürgern und wenden sich so letztlich gegen direkte Demokratie selbst. Damit stellen sie aber konsequenterweise auch in Frage, dass die Bürgerinnen und Bürger in der Lage sind, über eine Gesamtänderung der Bundesverfassung zu entscheiden. Gerade das ist aber in Österreich gefordert, und eine solche Abstimmung kann – wie auch jene über den EUBeitritt 1994 gezeigt hat, hochkomplexe Fragen betreffen.
76 77 78
Vgl. Smith, Innovations (FN 6), 4 ff. Konrath, Demokratiepaket (FN 36), 365. Öhlinger, Direkte Demokratie (FN 55), 1060.
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3. In den Zugängen, die viele Debattenbeiträge und Reaktionen prägen, werden in gewisser Hinsicht juristische Analyse und politische Bewertung vermischt. Würde man aber – wie im hier zitierten Beispiel von Hammer angeregt – auch die theoretischen und empirischen Grundlagen moderner Demokratie einbeziehen, könnte sich auch das sonst in der österreichischen Verfassungsrechtslehre oft bemühte Verhältnis von Demokratie und Rechtsstaat neu erschließen lassen.79 Dieses macht nämlich deutlich, dass in der modernen Verbindung von Demokratie und Rechtsstaat die Gesetzgebung immer formellen und materiellen Grenzen unterliegt. Diese werden vor allem durch Verfassung und Grundrechte, die jeweiligen Ausprägungen von Gewaltentrennung und -verbindung sowie die Rechtsprechung durch Gerichte und die Aufgabenübertragung an unabhängige Organe markiert. Besonders tritt diese Begrenzung aber in all jenen Bereichen hervor, wo eine Einbindung des Staates in inter- und supranationale Organisationen vorliegt.80
4. Die missverständliche Rede vom „Souverän“ 1. Das bedeutet, dass im modernen Verfassungsstaat jede Form von Gesetzgebung begrenzt ist und dahingehend auch kein Unterschied zwischen repräsentativer und direkter Demokratie besteht. Beide Formen der Willensbildung sind Ergebnis demokratischer Verfahren. Beide funktionieren daher auch immer vermittelt und sind nie Ausdruck souveräner im Sinne unmittelbarer und unbedingter Willensäußerung. Die Unterschiede zwischen beiden Formen liegen vielmehr in der Frage des Vorhandenseins institutioneller Orte und Verfahren, also den Möglichkeiten zur Verstetigung demokratischer Willensbildung und den Einflussmöglichkeiten auf die Entscheidungsfindung durch Formen der Auseinandersetzung und Kompromissbildung.81 Umgelegt auf eine konkrete Verfassung heißt das aber, dass jeder Ausbau direkter Demokratie auch im Lichte des Rechtsstaats und seiner Einrichtungen zu prüfen ist. Diese sind es denn auch, die einen Ausgleich für mögliche rechtsstaatliche und grundrechtliche Defizite direktdemokratischer Instrumente gewährleisten können. Wie Anna Christmann gezeigt hat, können mögliche Dysfunktionen kein 79
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81
Konrath, Christoph (2014): Demokratie und Rechtsstaat. Zur Bewertung von Vorschlägen zum Ausbau direkter Demokratie. In: Bußjäger, Peter/Balthasar, Alexander/Sonntag, Niklas (Hg.): Direkte Demokratie im Diskurs. Beiträge zur Reform der Demokratie in Österreich, Wien: new academic press, 127 (134 ff.). Insoweit kann die explizite Verankerung von Grenzen auch eine Möglichkeit sein, um spätere Enttäuschungen über die begrenzten Möglichkeiten von Gesetzgebung (jedenfalls aufgrund von Volksinitiativen) und unter Umständen sogar Verfassungskonflikte zu vermeiden. Möllers, Demokratie (FN 59) 29.
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Grundsatzargument gegen direkte Demokratie sein, wenn im Gegenzug ein ausgebauter demokratischer Rechtsstaat eine institutionell abgesicherte, unabhängige und transparente Überprüfung von direktdemokratischen Initiativen gewährleistet.82 Eine solche Sicht hat zwei Konsequenzen: die eine betrifft die methodischen Zugänge der Verfassungsexperten, die andere stellt wesentliche Argumente, auf die sich Befürworterinnen und Befürworter umfassender Demokratiereformen stützen, in Frage. 2. Die Aufmerksamkeit für das rechtsstaatliche Prinzip und damit für die bestehenden Einschränkungen gesetzgeberischer Möglichkeiten kann deutlich machen, dass der in Österreich vorherrschende Zugang, jeden Vorschlag für den Ausbau direkter Demokratie am „Demokratiekonzept des B-VG“ zu messen, nicht ausreicht.83 Wenn die theoretisch denkbaren und empirisch fassbaren Auswirkungen direktdemokratischer Instrumente auf das Gefüge von Demokratie und Rechtsstaat mitbedacht werden, wird eine alleinige Berufung auf ein Demokratiekonzept rasch zum Grundsatzargument gegen jede Form direkter Demokratie. Die Einbeziehung des Rechtsstaatskonzepts kann hingegen den Blick auf die letztlich entscheidende Frage der Ausgestaltung direkter Demokratie innerhalb eines bestimmten politischen und verfassungsrechtlichen Systems lenken.84 Gerade diese wurden aber in den österreichischen Debatten – weder von Reformkräften noch von den Kritikerinnen und Kritikern – vertieft. 3. Mit einer solchen Perspektivenerweiterung wird aber zugleich auch die in den österreichischen Debatten von Politikerinnen und Politikern ebenso wie von Demokratieinitiativen oft gebrauchte Rede vom „Souverän“, der mittels Instrumenten direkter Demokratie Parteien und parteipolitisch-besetzte Organe in Schranken weist, in Frage gestellt. Wie schon angemerkt wurde (II.A.4.), lässt sich die theoretische und historische Entwicklung des Verfassungsstaats durch ein zunehmendes Maß an Beschränkung, Bindung und Disziplinierung (staatlicher) Herrschaftsmacht sowie formaler und tatsächlicher Handlungsoptionen beschreiben. Diese läuft darauf hinaus, dass es im Verfassungsstaat keinen Souverän mehr geben kann. Denn die Staatsgewalt steht nicht mehr über dem Recht, sondern ist an ein ihr vorgegebenes Recht gebunden.85 82 83 84 85
Christmann, Anna (2012): Die Grenzen direkter Demokratie. Volksentscheide im Spannungsverhältnis von Demokratie und Rechtsstaat, Baden-Baden: Nomos. Konrath, Demokratie (FN 79) 134. Christmann, Grenzen (FN 82), 254 ff. Kriele, Martin (2003): Einführung in die Staatslehre. Die geschichtlichen Legitimitätsgrundlagen des demokratischen Verfassungsstaates, 6. Auflage, Stuttgart u.a.: Kohlhammer, 101. Zu beachten ist, dass
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Das Unbehagen an der Rede vom „Souverän“ scheint in den Demokratiereformdebatten mitzuschwingen, wenn gleichzeitig an die Wahrung der Grund- und Menschenrechte erinnert wird (siehe oben I.D.1.). Aber selbst dann bleibt die Begriffsverwendung noch missverständlich oder gar falsch. Sie lenkt nämlich von der komplexen Realität demokratischer Staaten ab und suggeriert stattdessen, dass die Macht des Volkes analog der Macht eines Monarchen funktioniere. Tatsächlich sind demokratische Staatsgebilde heute aber weder institutionell klar eingrenzbar noch folgen sie einem einheitlichen politischen Willen. Zugleich täuscht die Bezugnahme auf den (einen) Souverän über die in jeder Demokratie weiterbestehenden Asymmetrien von Handlungs- und Gestaltungsmacht hinweg (was bei der Begriffsverwendung durch Politikerinnen und Politiker passieren kann) oder fordert den Konflikt mit oder die Überwindung von ihnen (was in der Kritik von Demokratie initiativen mitschwingt). 4. Der bewusste Verzicht auf Begriffe wie „Souveränität“ kann hingegen in Demokratiedebatten, wie etwa Katrin Meyer im Anschluss an Hannah Arendt betont, das Geflecht von sozialen, rechtlichen, wirtschaftlichen und politischen Interaktionen in modernen Staaten sichtbar machen.86 Die Ausgestaltung von Machtteilung und Machtbegrenzung, die eine Demokratie prägen soll, muss sich daran orientieren. Damit kann sich auch ein Weg zu einer realistischeren Einschätzung der Vollzugsform demokratischer Herrschaft und so der eigentlichen Anliegen vieler Demokratiereforminitiativen eröffnen. Diese Einsicht steht letztlich – wenngleich auf anderer Grundlage – auch hinter den maßgeblichen theoretischen Bezugspunkten der österreichischen Bundesverfassung. Die Absage an Vorstellungen souveräner Macht und die Organisation staatlicher Herrschaft in einer Weise, die sicherstellt, dass kein Akteur des politischen Prozesses das Zentrum von Rechtssetzung und damit politischer Herrschaftsausübung allein besetzen kann, bildet schließlich einen der Kernpunkte im Denken Hans Kelsens.87
86 87
der in Staats- und Verfassungstheorie ebenso wie in der Verfassungsrechtsprechung gebräuchliche Begriff „Volkssouveränität“ nie bedeutet, dass das Volk unmittelbar Herrschaftsgewalt ausübt. „Volkssouveränität“ kann im Verfassungsstaat nur vermittelt gedacht werden und bezieht sich auf die Grundlage und den Ausgangspunkt demokratischer Herrschaft (240 ff). Meyer, Kritik (FN 58) 28. Kelsen, Hans (1928): Der soziologische und juristische Staatsbegriff, 2. Auflage, Tübingen: Mohr; Ders. (1929): Wesen und Entwicklung der Staatsgerichtsbarkeit. In: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Bd. 5, Berlin: de Gruyter, 30–84.
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5. Komplexe Demokratie 1. Eine verfassungsrechtliche Bewertung von Demokratiereformvorschlägen, die auch rechtsstaatliche Aspekte miteinbezieht, könnte es also ermöglichen, die Reichweite, Auswirkungen und Grenzen von Demokratiereformvorhaben im Gesamtkontext der Bundesverfassung präziser zu fassen als eine Bewertung, die nur auf ein bestimmtes Demokratiekonzept abstellt. Mit einer solchen Perspektivenerweiterung könnte zugleich ein Anschluss an die – insbesondere im verwaltungsrechtlichen Diskurs bekannte – Vielfalt demokratischer Legitimationsquellen, Rechtssetzungsverfahren und Steuerungsinstrumente vorgenommen werden, die traditionell im Kontext von Demokratie und Rechtsstaat bewertet werden.88 Damit können Instrumente direkter Demokratie auch in das im europäischen Vergleich vorzufindende Leitbild „komplexer Demokratien“ eingefügt werden. Dieses versteht Demokratie als „komplexes Arrangement verbundener Arenen […], von denen jede auf ihre Weise zur Legitimation von Politik beiträgt“89. Es stellt also den Versuch dar, demokratische Entscheidungsprozesse im Kontext hochdifferenzierter und pluralistischer Gesellschaften wahrzunehmen und entsprechend zu gestalten. Bezugspunkte dafür sind Interessenspluralismus, wissens(chafts)basierte Fragestellungen und Konflikte, Interesse und Betroffenheit, innerstaatliche und internationale Kompetenzüberlappungen, beschränkte Steuerungsmöglichkeiten durch Gesetze etc. 2. Die österreichische Bundesverfassung hat sich schon bislang als durchaus offen gegenüber solchen Entwicklungen und Einsichten erwiesen, wenngleich Entwicklungen wie die Partizipation Betroffener in Verwaltungsentscheidungen zunächst verfassungsrechtlich sehr umstritten waren.90 Seit langem kennt die Bundesverfassung neben parlamentarischer Gesetzgebung auch Formen kooperativen Handelns (z.B. als Art. 15a B-VG-Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern als Ausdruck kooperativen Exekutivföderalismus), anerkennt verschiedene Arten der Partizipation im Verwaltungsverfahren und lässt dabei durchaus weite Ermessensspielräume der Verwaltung zu. Ähnliches gilt wohl auch für die Weiterentwicklung von Par88 89
90
Grundlegend dazu Schindler, Benjamin (2010): Verwaltungsermessen. Gestaltungskompetenzen der öffentlichen Verwaltung in der Schweiz, Baden-Baden: Nomos. Benz, Arthur (1998): Postparlamentarische Demokratie? Demokratische Legitimation im kooperativen Staat. In: Greven, Michael Th. (Hg.): Demokratie – eine Kultur des Westens?, Opladen: Leske + Budrich, 201–222, 202. Siehe dazu insbesondere die umfassenden Darstellungen von Öhlinger, Theo (1982): Repräsentative, direkte und parlamentarische Demokratie. In: Krawietz, Werner/Topitsch, Ernst/Koller, Peter (Hg.): Ideologiekritik und Demokratietheorie bei Hans Kelsen, Berlin: Duncker & Humblot, 215– 229; Hammer, Direkte Demokratie (FN 71) 98 ff.
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tizipation und Instrumenten direkter Demokratie auf Gemeinde- und Länderebene.91 3. Mit diesem Hinweis auf die Vielfalt von Beratungs- und Rechtserzeugungsprozessen kommt auch die Frage nach der Bewältigung komplexer Sachverhalte und Fragestellungen mittels Instrumenten direkter Demokratie ins Spiel, die insbesondere von Kritikerinnen und Kritikern von Demokratiereform artikuliert wurde. Diese Problematik wird seit längerem unter der Bezeichnung „Governance“ ebenso im Kontext von Verwaltungs- und Politikreformen diskutiert. In konkreten Projekten werden – auch in Österreich – Lösungen erprobt und verwirklicht.92 Die Governance-Diskussion ist sowohl Ansatz als auch Programm zur Entwicklung eines Gegenbegriffs zu hierarchischer Steuerung geworden. Ihre Perspektiven sind von einem integrativen Ansatz geprägt, der Betroffene aktiv einbinden und Verhandlungslösungen und Anpassungen institutioneller Regelsysteme favorisieren soll. Andere – durchaus überlappende – Perspektiven finden sich in der Auseinandersetzung mit Modellen der Öffentlichkeitsbeteiligung und Mediation oder Anliegen kooperativen Verwaltungshandelns. Mit anderen Worten: es geht darum, Verfahrensweisen zur Bewältigung komplexer Probleme im staatlichen Bereich unter Einbindung möglichst vieler Betroffener zu entwickeln. 4. Governance-Ansätze stellen in vieler Hinsicht aber auch das Gegenbild zu Demokratieinitiativen dar. Wenn „Governance“ als Leitbild von Verwaltungsreformen gebraucht wird, ist regelmäßig auch vom „aktivierenden Staat“ die Rede. Governance wird als Möglichkeit verstanden, die in der Gesellschaft vorhandenen Potentiale für Wissen, Ressourcen und Engagement zur Lösung gesellschaftlicher Probleme zu aktivieren, um den Staat leistungsfähiger zu machen, ohne die Staatsquote zu erhöhen. Der Ansatz hat dabei nicht notwendigerweise Bürgerinnen und Bürger in ihrer Allgemeinheit, sondern vielmehr (jeweils bestimmte) zivilgesellschaftliche Organisationen und Interessensgruppen im Blick. An diese, die aber als „Bürgerinnen und Bürger“ adressiert werden, werden in der Regel hohe Erwartungen ge-
91
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Poier, Klaus (2014): Instrumente und Praxis direkter Demokratie in Österreich auf Länder- und Gemeindeebene. In: Bußjäger, Peter/Balthasar, Alexander/Sonntag, Niklas (Hg.): Direkte Demokratie im Diskurs. Beiträge zur Reform der Demokratie in Österreich, Wien: new academic press, 141–162. Siehe dazu die Beispiele und Diskussionen in Eberhard, Harald/Konrath, Christoph/Trattnigg, Rita/Zleptnig, Stefan (2006): Governance – zur theoretischen und praktischen Verortung des Konzepts in Österreich. 14 Journal für Rechtspolitik, 35–60; Bauer, Helfried/Dearing, Elisabeth (2013): Bürgernaher aktiver Staat. Public Management und Governance, Wien: ÖGB Verlag.
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richtet und ihnen wird ein durchaus hohes Maß an Verantwortung aufgebürdet.93 Demgegenüber stellen aber Demokratiereformdebatten auf Initiativen ab, die – jedenfalls im Idealfall – von Bürgerinnen und Bürgern aus Eigenem in Gang gesetzt und nicht primär einem staatlichen (im Sinne von hierarchisch-steuernden) Zweck dienen sollen. Insofern wird ein Wertungswiderspruch erkennbar, als im Fall von governance-bezogenen staatlichen Initiativen die Kompetenzen von Bürgerinnen und Bürgern vorausgesetzt und gewürdigt werden, während diese in anderen Fällen in Frage gestellt werden. 5. Die Debatten über Governance, komplexe Demokratie, Informalisierung von Entscheidungsfindung usw., die seit einiger Zeit wissenschaftlich und praktisch geführt werden, zeigen schließlich auch Wege auf, wie sich unterschiedliche „Arenen“ und Prozesse koppeln lassen. Gerade im Zusammenhang mit der Rolle von Parlamenten und formalisierten Rechtssetzungsverfahren hat etwa Martin Morlok auf das Zusammenspiel von formalen und informalen Verfahren hingewiesen.94 Er erinnert daran, dass die postulierte Autorenschaft des Parlaments für wichtige Entscheidungen nicht bedeutet, dass das Parlament in einem konkretistischen Sinn Autor der Gesetze sein muss: „Maßgebliche Selektionen können durchaus auch andernorts ausgeübt werden, solange das Parlament die Kontrolle – im Sinne von Steuern und Beeinflussen – darüber ausübt.“95 In diesem Sinne können Instrumente der direkten Demokratie und der daran anschließende Beratungsprozess zwischen deren Proponentinnen und Proponenten und Parlamentarierinnen und Parlamentariern in ein Ergänzungsverhältnis zum Parlament treten. Durch die Art und Weise ihrer Beratung können sie einen Beitrag zur Verbreiterung der parlamentarischen Diskussion und einen Anstoß zu einer Neubestimmung und Weiterentwicklung des Parlamentarismus unter zunehmend komplexen Bedingungen bieten.96 6. Aus diesen wenigen Anmerkungen wird deutlich, dass sich in den letzten Jahren insbesondere im Bereich staatlicher Verwaltung viele Ansätze zum Umgang mit komplexen Fragestellungen unter Einbindung teilweise sehr großer Zahlen an Bürgerinnen und Bürgern entwickelt haben bzw. mit großem Einsatz staatlicher Akteure entwickelt werden sollen. Umso auffallender ist es daher, dass in den De93 94
95 96
Eberhard u.a., Governance (FN 92), 40 f. Morlok, Martin (2003): Informalisierung und Entparlamentarisierung politischer Entscheidungen. In: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Bd. 62., Berlin: de Gruyter, 37–80. Morlok, Informalisierung (FN 94), 79. Vgl. auch Smith, Innovations (FN 6), 197.
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mokratiereformdebatten in Österreich weder auf die Entwicklungen in der Verwaltung noch (eingehender) auf jene in Ländern und Gemeinden eingegangen wurde. Gerade in diesen Kontexten könnte aber deutlich werden, wie sich der Umgang mit komplexen Themen organisieren lässt (oder scheitert), und welche Grundlagen für jene, die sich engagieren wollen und können, bestehen oder fehlen.97
C. Parlamentsreform 1. Die herrschende politische Praxis in Österreich stellt für Demokratieinitiativen ebenso wie für Politikerinnen und Politiker den Ausgangspunkt der Demokratiereformdebatten 2011 bis 2013 dar. Diese wird mit dem sinkenden Vertrauen von Bürgerinnen und Bürgern in politische Institutionen, der wachsenden Kluft zwischen Politik und Gesellschaft, der Abschließung politischer Gremien nach außen etc. in Verbindung gebracht. Als Ziel möglicher Reformen wird dementsprechend die stärkere Einbindung von Bürgerinnen und Bürgern und die Rückbindung politischer Entscheidungen an diese genannt. Vor diesem Hintergrund könnte man also meinen, dass pragmatische Fragen, also solche nach der Art und Weise von Handlungen, deren praktischen Konsequenzen und Wirkungen, ein wesentliches Element der Auseinandersetzungen bilden. 2. Diese Fragen stellen sich, wie in den Debatten mehrfach bemerkt wurde, auch schon unter den gegebenen Bedingungen. Die Bestimmungen des Verfassungsrechts und des Geschäftsordnungsgesetzes des Nationalrats regeln nur einzelne Bereiche des demokratischen Verfahrens wie die Wahl der Vertretungskörper, die Fassung rechtsverbindlicher Beschlüsse oder Kontrollrechte sehr genau. Sie lassen damit in vielen anderen Verfahrensfragen und insbesondere in jenen, die Anliegen von Bürgerinnen und Bürgern unmittelbar betreffen, einen relativ großen Gestaltungsspielraum. Dieser wird aber – worauf die Kritik zielt – nicht oder nur sehr beschränkt genutzt. Das betrifft etwa die parlamentarische Behandlung von Volksbegehren und parlamentarischen Bürgerinitiativen sowie den weiteren Umgang mit diesen, wahlkreis- oder interessensbezogene Fragestellungen oder die Abhaltung von parlamentarischen Enqueten. Entscheidend ist aber in all diesen Fällen, dass die Ini tiativen dazu immer nur von Abgeordneten bzw. der Mehrheit im Ausschuss oder im Plenum ausgehen können. Eine Ausnahme bildet nur die Verpflichtung, die 97
Im Unterschied zu den bundespolitischen Debatten wird dies aber auf Landesebene versucht. Die im Herbst 2013 eingesetzte Enquete-Kommission des Salzburger Landtags zur Vorbereitung neuer Mittel der Teilhabe, Mitbestimmung und direkten Demokratie bezieht diese Entwicklungen sehr deutlich in ihre Beratungen mit ein. Siehe dazu http://demokratie.salzburg.at.
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Bevollmächtigten eines Volksbegehrens zu den Ausschussberatungen hinzuziehen. Abgesehen davon haben Bürgerinnen und Bürger keinen Einfluss auf die weitere Verfahrensgestaltung. 3. Als wesentliches Argument für mehrstufige Verfahren bei der parlamentarischen Behandlung von Volksinitiativen bzw. Volksbegehren wurde in den Debatten angeführt, dass die Möglichkeit einer verpflichtenden Volksabstimmung die Bedeutung solcher Initiativen und deren parlamentarische Behandlung maßgeblich verändern würde. Parlamentarierinnen und Parlamentarier wären in solchen Fällen also immer mit dem Risiko konfrontiert, schlussendlich überstimmt zu werden. Offen bleibt dabei allerdings, warum primär durch den Ausbau einzelner Instrumente der direkten Demokratie ein Beitrag zur Überwindung der aktuellen Herausforderungen der repräsentativen Demokratie gelingen soll. Sämtliche Vorschläge, die bislang vorgebracht wurden, stellen nämlich auf Fälle ab, die aufgrund der hohen Anforderungen an Initiative, Bewerbung und Unterstützung eher den Ausnahmefall als die Regel politischer Debatten und Entscheidungen bilden werden.98 4. Diese Anmerkungen laufen zum einen darauf hinaus, dass der Ausbau direkter Demokratie nur ein Teil von Demokratie- und Politikreformen sein kann. Zum anderen weisen sie darauf hin, dass auch Reformen im Bereich direkter Demokratie davon abhängen, wie sich letztlich die Praxis im Umgang mit ihnen entwickelt. Das kann auch die abschließende Einbeziehung der Entwicklungen in anderen Parlamenten zeigen, die mit vergleichbaren Herausforderungen konfrontiert sind. Im bisherigen Verlauf der österreichischen Debatten wurde darauf allerdings nicht eingegangen.99 Sowohl in der Praxis von Parlamenten als auch in der politikwissenschaftlichen Auseinandersetzung ist das Verhältnis zwischen Parlamenten und ihren Angehörigen einerseits und Bürgerinnen und Bürgern andererseits erst in den letzten zwanzig Jahren stärker in den Mittelpunkt gerückt. Forschungsschwerpunkte zuvor waren etwa das Verhältnis zwischen Parlamenten und Regierungen oder der Verwaltung. 98
99
Vgl. Smith, Innovations (FN 6), 111 ff. Ich übersehe dabei nicht, dass direkte Demokratie maßgeblichen Einfluss auf die politische Kultur der Schweiz hat. Gerade das Veto-Referendum (über einen Gesetzesbeschluss), das in Österreich nur von der FPÖ gefordert wird, bewirkt eine weite Einbeziehung gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Gruppen und Verbände in den Gesetzgebungsprozess (Christmann, Vorbild [FN 23]). Es darf aber nicht außer Acht gelassen werden, dass auch in der Schweiz Instrumente direkter Demokratie nur ein Element in einem komplexen demokratischen System bilden. Dies, obwohl es der Titel der Arbeitsgruppe „Parlamentarismusreform“ eigentlich nahelegen würde, sich mit spezifisch parlamentsbezogenen Fragestellungen zu befassen.
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Den Ausgangspunkt der neuen Entwicklungen stellen in der Regel politische Apathie und Vertrauensverlust in politische Institutionen, ebenso wie veränderte Ansprüche an die Tätigkeit von Politikerinnen und Politikern dar. Entscheidend sind aber auch technologische und mediale Veränderungen. Das Internet hat die Tätigkeit von Parlamenten und deren öffentliche Wahrnehmung in einer Weise verändert, die zuvor unvorstellbar war. Während lange nur relativ kleine und spezialisierte Gruppen in der Lage waren, parlamentarischen Prozessen zu folgen, ist dies nun praktisch für jeden möglich. Damit werden aber Ansprüche und Erwartungen an Parlamente als gleichsam sichtbarste politische Organe und Institutionen formuliert und verstärkt. Das betrifft insbesondere Fragen der eigenständigen Rolle und Aufgabenwahrnehmung von Parlamenten und ihr Verhältnis zur jeweiligen Regierung.100 In Reaktion darauf haben Parlamente seit ca. Mitte der 1990er Jahre Strategien und Programme entwickelt, um eben dem zu begegnen. Diese lassen sich grob in zwei Bereiche teilen: die Öffnung von Institutionen und die Öffnung von Verfahren. Erstere beziehen sich vor allem auf Vermittlungsinitiativen wie Parlamentsführungen, Informationszentren, Bildungs- und Schulprogramme und den Ausbau elektronischer Informationsangebote. Zweitere betreffen das parlamentarische Verfahren und die parlamentarische Praxis im engeren Sinn, also die Einbindung von Bürgerinnen und Bürgern sowie deren Organisationen in parlamentarische Prozesse.101 Dementsprechend knüpft auch der wissenschaftliche Diskurs primär an Praxiserfahrungen an, versucht diese zu erheben, mit Theoriemodellen in Verbindung zu bringen und kritisch zu evaluieren.102 5. Parlamente zeichnen sich seit jeher durch ein Paradox aus: Sie sollen – unter modernen Bedingungen verstärkt – allen Angehörigen eines politischen Verbands offenstehen und unter dem Anspruch allgemeiner Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit handeln. Das schließt ein, dass es jeder Bürgerin und jedem Bürger potentiell möglich sein muss, Mitglied eines Parlaments zu werden, und dass alle Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit haben, den Verhandlungen und Entscheidungen ihres Parlaments zu folgen, um so (Entscheidungs-)Grundlagen für ihr persönliches politisches Handeln zu erlangen. Zugleich ist es empirisch unbestritten, dass Parlamente zu jenen Institutionen gehören, denen aufgrund der Ansprüche an 100 Leston-Bandeira, Relationship (FN 7), 268 f.; Dalton, Russell/Scarrow, Susan/Cain, Bruce (2003): New Forms of Democracy? Reform and Transformation of Democratic Institutions. In: Cain, Bruce/Dalton, Russell/Scarrow Susan (Hg.): Democracy Transformed?, Oxford: Oxford University Press, 1–22. 101 International Parliamentary Union/UN Development Program, Report (FN 7). 102 Smith, Innovations (FN 6).
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sie und der erlebten Wirklichkeit am meisten Misstrauen und Unverständnis in der Öffentlichkeit ebenso wie in der Wissenschaft entgegengebracht werden.103 Wesentliche Erklärungsansätze dafür finden sich in der Kreation und Zusammensetzung von Parlamenten, also im Wahlrecht und in der Struktur politischer Parteien. Die Widersprüche, die Parlamente nach innen und außen prägen, sind aber auch in ihrer inneren Organisation und den sie prägenden Regeln und Konventionen zu suchen.104 Rechtssetzer, -unterworfene und -anwender sind bei parlamentarischen Verfahrensregeln identisch. Damit weisen sie eine große Nähe zu informalen Regeln auf, die sich durch Einvernehmlichkeit und Reziprozität der Interessen der Beteiligten auszeichnen. Das ermöglicht in der Anwendung und Auslegung zum einen Flexibilität: wenn alle übereinstimmen, kann abweichend von den geltenden Regeln vorgegangen werden. Zum anderen geht Einvernehmlichkeit oft mit Verfestigung bestehender Praktiken und Abschließung gegenüber Einflüssen und Interventionen von außen einher: Einmal vereinbarte Vorgangsweisen oder vorgenommene Auslegungen können nur dann verändert werden, wenn sich alle Beteiligten einen Gewinn davon versprechen. Auslegung und Anwendung vor allem der Geschäftsordnung bleiben damit weitgehend jenem Kreis vorbehalten, der diese als – ganz im informalen Sinn – „sein Regelwerk“ begreift. Nach außen hin wird eine solche Praxis in der Regel schwer kommunizierbar und damit oft Ursache für die widersprüchliche Wahrnehmung parlamentarischer Praxis.105 Mit diesen Anmerkungen kann deutlich werden, warum gerade „Öffnung“ den internationalen Diskurs über Parlamentsreformen dominiert und warum diese so schwer und langwierig zu erreichen ist, wenngleich Fehlentwicklungen und Reformdruck zunächst von allen Beteiligten gleichermaßen wahrgenommen werden. Ebenso kann in diesem Licht das auch und gerade in Österreich gebrauchte Argument plausibel werden, dass erst Änderungen der rechtlichen Grundlagen zu Änderungen der Praxis (die eigentlich schon jetzt möglich wären) führen. 6. Die maßgeblichen Themen für Parlamentsreformen werden im Wechselspiel zwischen praktischen Erfahrungen und wissenschaftlicher Evaluation gewonnen. Die untersuchten Beispiele sind dabei weit gestreut, wobei aber vor allem nordeuropä-
103 Loewenberg, Gerhard (2007): Paradoxien des Parlamentarismus. Historische und aktuelle Gründe für Fehlverständnisse in Wissenschaft und Öffentlichkeit, 38 Zeitschrift für Parlamentsfragen, 816. 104 Vgl. Loewenberg, Paradoxien (FN 103) 818 f. 105 Konrath, Christoph (2012): Parlamentarismus zwischen Recht und Politik. In: Ehs, Tamara/ Gschiegl, Stefan/Ucakar, Karl/Welan, Manfried (Hg.): Politik und Recht. Spannungsfelder der Gesellschaft, Wien: facultas.wuv, 107 (127).
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ische Parlamente106 und – relativ – junge Parlamente107, aber auch regionale Parlamente108 in den Blick kommen. Ebenso werden aber auch klassische Beispiele wie jene des Vereinigten Königreichs109, Frankreichs110, Italiens111 oder Deutschlands112 zunehmend in dieser Weise untersucht. Ausgangspunkt der damit einhergehenden Debatten und Entwicklungen ist oft eine Positionierung, die nicht davon ausgeht, dass die Bevölkerung das Vertrauen in Politik, Parteien und politische Institutionen verloren hat. Vielmehr wird gefragt, was politische Institutionen falsch gemacht haben, und was von ihnen vernünftigerweise an Veränderungen erwartet werden kann.113 Ansatzpunkt ist dann die Sichtbarkeit und Transparenz politischer Institutionen. Das betrifft zunächst die – in Europa selbstverständliche – Öffentlichkeit von parlamentarischen und politischen Prozessen und deren faktische und mediale Zugänglichkeit. Über das vermeintlich Offensichtliche hinaus betrifft das aber Fragen danach, was tatsächlich in parlamentarischen Prozessen zugänglich gemacht wird, z.B. ob die maßgeblichen Quellen und Einflüsse, auf denen ein Gesetzentwurf fußt, offengelegt werden. Ebenso betrifft es die Nachvollziehbarkeit und Erklärung von Verfahren und Inhalten, was unmittelbar auf Fragen der Präsentation schließen lässt, aber mittelbar weit in die Verfahrensgestaltung hineinreicht. Die zweite, maßgebliche Fragestellung bezieht sich auf Erreichbarkeit und Responsivität von Parlamenten. Auch das beginnt wiederum bei selbstverständlich scheinenden Beispielen wie der Zugänglichkeit von Parlamenten für Schulen und interessierte Besuchergruppen sowie Einzelpersonen. Neben dieser gleichsam ersten Ebene, auf der heute viele Parlamente ein breites Angebot zur Verfügung stellen, geht es aber um die Veränderungen im Verhältnis politischer Entscheidungsträge106 Arter, David (2012): The Finnish Eduskunta: Still the Nordic ‘Vatican’?, 18 Journal of Legislative Studies, 275–293; Andeweg, Rudy (2012): A Least Likely Case: Parliament and Citizens in the Netherlands, 18 Journal of Legislative Studies, 368–383. 107 Azevedo-Harman, Elisabete (2012): Parliaments and Citizens in Sub-Saharan Africa, 18 Journal of Legislative Studies, 419–440. 108 McLaverty, Peter/MacLeod Iain (2012): Civic Participation in the Scottish Parliament Committees, 35 International Journal of Public Administration, 458–470. 109 Norton, Philip (2012): Parliament and Citizens in the United Kingdom, 18 Journal of Legislative Studies, 403–418. 110 Costa, Olivier/Lefébure, Pierre/Rozenberg, Olivier/Schnatterer, Tinette/Kerrouche, Eric (2012): Far Away, So Close: Parliament and Citizens in France, 18 Journal of Legislative Studies, 294–313. 111 Russo, Federico/Verzichelli, Luca (2012): Parliament and Citizens in Italy: An Unfilled Gap, 18 Journal of Legislative Studies, 351–367. 112 Saalfeld, Thomas/Dobmeier, Ralf (2012): The Bundestag and German Citizens: More Communication, Growing Distance, 18 Journal of Legislative Studies, 314–333. 113 Arter, Eduskunta (FN 106) 290 f.
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rinnen und -träger zu den Bürgerinnen und Bürgern. Weltweit zeigen sich dabei Auseinandersetzungen über die Neudefinition politischer Ämter, ihrer Wahrnehmung und Professionalisierung114, die nicht von den Entwicklungen und Perzeptionen der Parlamente als Institution getrennt werden können. Der dritte Bereich in Bezug auf die Öffnung von Parlamenten betrifft schließlich deren Durchlässigkeit. Das bezieht sich auf die Möglichkeit, Anregungen „von außen“ in politische Entscheidungsabläufe einzubringen, die dann eine institutionalisierte Behandlung erfahren. Das betrifft zum einen die Möglichkeit, parlamentarische Prozesse zu initiieren. Darunter fallen Instrumente direkter Demokratie oder Formen von Petitionen, die einen Gesetzgebungsprozess auslösen können. Dazu gehört ebenso – z.B. vermittelt durch Petitionen (in Österreich: parlamentarische Bürger initiativen) – die Möglichkeit, parlamentarische Kontrolle anzuregen.115 Fragen der Durchlässigkeit betreffen aber auch den weiteren bzw. sonstigen Verfahrensverlauf. Dazu zählen Formen und Verfahren, in denen Expertinnen und Experten ebenso wie (interessierte oder zufällig ausgewählte) Bürgerinnen und Bürger in Beratungsprozesse einbezogen werden oder in denen sich parlamentarische Ausschüsse mit Experteninstitutionen und Interessensgruppen austauschen. Beides kann etwa in Form von Stellungnahmerechten, Hearings, Konferenzen oder partizipatorischen Ansätzen zur Beratung und Entscheidungsfindung institutionalisiert werden.116 Schon die Vielfalt der hier nur angesprochenen Möglichkeiten macht deutlich, dass direkte Demokratie in der weltweiten Praxis und deren wissenschaftliche Reflexion nur einen Teilbereich in Hinblick auf die „Durchlässigkeit“ von Parlamenten darstellt. 7. Die bislang durchgeführten Studien zeigen, dass es sich bei all diesen Initiativen um Praktiken handelt, die erst etabliert werden müssen. Sie machen auch deutlich, dass weder der Ausbau der verschiedenen Beteiligungsformen noch der Öffentlichkeit und der Zugänglichkeit zu Parlamenten und ihren Angehörigen eine Garantie dafür bilden, dass das Vertrauen in politische Institutionen wieder steigt. Tatsächlich zeigt sich, dass in den letzten fünfzehn Jahren das Vertrauen in Parlamente noch stärker gesunken ist, obwohl diese weltweit nie aktiver waren, was Aktivitäten für Bürgerinnen und Bürger betrifft.117 114 115
116 117
International Parliamentary Union/UN Development Program, Report (FN 7). Leston-Bandeira, Cristina (2012): Parliaments’ Endless Pursuit of Trust: Re-focusing on Symbolic Representation, 18 Journal of Legislative Studies, 514–526; Hough, Richard (2012): Do Legislative Petitions Systems Enhance the Relationship between Parliament and Citizen?, 18 Journal of Legislative Studies, 479–495. International Parliamentary Union/UN Development Program, Report (FN 7), 32 ff. Leston-Bandeira, Relationship (FN 7) 265; Dies., Parliaments (FN 115) 514 ff.
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Die zentrale Herausforderung scheint dabei darin zu bestehen, dass sich die Initiativen nicht auf einzelne Organe, wie z.B. die Präsidentinnen und Präsidenten von Parlamenten und die Parlamentsverwaltungen, die in deren Auftrag tätig werden, beschränken. Entscheidend für Veränderungen scheint vielmehr die Übernahme dieser Ansätze in alle Tätigkeitsbereiche des Parlaments, der im Parlament vertretenen Parteien und der Abgeordneten zu sein. Zu diesen Fragen findet derzeit aber weder in Österreich noch in den meisten anderen Parlamenten eine weiterreichende Auseinandersetzung statt, und sie wurde auch nicht in den Demokratiedebatten 2011–2013 angeregt.
D. Schlussfolgerungen Die Herausforderungen, auf die politische Parteien und Initiativen in Österreich mit Vorschlägen zur Demokratiereform reagieren, entsprechen weitgehend jenen in vielen anderen europäischen Staaten und weltweit. Im Unterschied dazu wurden die Debatten in Österreich aber von Beginn an auf Vorschläge zur Einführung von Formen der Volksgesetzgebung und der damit einhergehenden Veränderung des Parlaments beschränkt. Die Fokussierung auf das Demokratiekonzept der Bundesverfassung schränkt Handlungs- und Reformmöglichkeiten, wie angemerkt wurde, ein. Angesichts der hohen Unterstützungserfordernisse für die vorgeschlagenen Instrumente ist daher zunächst eher von Anpassungen als von Demokratiereformen wie sie oben unter II.A. definiert wurden, auszugehen. Abgesehen von allgemeinen Hinweisen auf die Herausforderungen gegenwärtiger Politik fehlen Begründungen für Reformvorschläge. Der gleichzeitige Umgang mit konkreten Anliegen, wie dem Bildungsvolksbegehren, ebenso wie die Stärkung des Parteienrechts oder die Volksbefragung zur Zukunft der allgemeinen Wehrpflicht machen Wertungswidersprüche deutlich und erschweren Einschätzungen und Bewertungen der Vorschläge und der Motivationen von Akteurinnen und Akteuren. Die Zielrichtung und der mögliche Umfang von Reformen bleiben damit insbesondere bei den politischen Parteien weitgehend offen. Mit Ausnahme einzelner Bezugnahmen auf die Schweiz und deutsche Bundesländer wurden die Debatten weder in internationaler, noch thematischer und theoretischer Weise verbreitert. Die hier vorgebrachten – letztlich kursorisch bleibenden Anmerkungen – können darauf hinweisen, was bei einer solchen beschränkten Betrachtung übersehen wird. Die Frage nach den demokratietheoretischen Grundlagen und Bezugspunkten sowie nach deren praktischer Ausgestaltung auch im Kontext der stärkeren Einbindung von Bürgerinnen und Bürgern kann hingegen zu Kernfragen einer Zukunftsdiskussion führen: Diese betreffen Form, Organi-
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sation und Zielsetzung repräsentativer Demokratie. Eine solche Perspektive führt vor allem in Österreich zugleich auch weg vom Rechtsfokus. Vieles davon ist nicht primär Rechtsfrage und wird damit auch nicht gleich zur Verfassungsreformfrage. Ebenso zeigt sich, dass es für vieles, das in der österreichischen Debatte als problematisch gesehen wird, wie etwa komplexe Themenstellungen, Kompromissfindung o.ä., durchaus Beispiele und Lösungsvorschläge gibt. Die Diskussion über Demokratiereform in Österreich 2011 bis 2013 macht die theoretischen Defizite und fehlenden Leitbilder sowie die mangelnde Verbindung zur politischen Praxis deutlich. Diese Aspekte gewinnen insbesondere deshalb an Bedeutung, weil sie zu den Grundlagen politischer Bildung zählen, die wiederum Bedingung für das Gelingen von Demokratiereformen im Speziellen und der laufenden Vergewisserung und Erneuerung von Demokratie ist.
Quellenverzeichnis Reformvorschläge der Parlamentsparteien BZÖ: Antrag 1688/A(E) der Abg. Josef Bucher, Kolleginnen und Kollegen vom 12.10.2011 betreffend „mehr Mitsprache und direkte Demokratie durch ‚Internet-Volksbegehren‘“. FPÖ: Antrag 1856/A(E) der Abgeordneten Heinz-Christian Strache, Kolleginnen und Kollegen vom 29.2.2012 betreffend den Ausbau der direkten Demokratie in Österreich (Schaffung einer „Volksinitiative“, einer „Vetovolksabstimmung“ und Änderung der Volksbefragung zu einem parlamentarischen Minderheiten- und Bürgerrecht). GRÜNE: Antrag 1689/A(E) der Abgeordneten Mag. Daniela Musiol, Kolleginnen und Kollegen vom 12.10.2011 betreffend direkte Demokratie (Novellierung des Bundes-Verfassungsgesetzes, des Volksabstimmungs-, Volksbegehren- und Volksbefragungsgesetzes sowie Einführung eines Gesetzes zur Europäischen Bürgerinitiative). ÖVP: http://www.oevp.at/themen/demokratie_transparenz/Das_Demokratiepaket.psp (letzter Abruf: 13. 6. 2013). Reforminitiativen (letzter Abruf: 31.10.2014) Aktion 21 – Pro Bürgerbeteiligung: www.aktion21.at. EU-Austrittspartei: www.euaustrittspartei.at. IG Demokratie: www.ig-demokratie.at. Initiative für mehr direkte Demokratie: direktedemokratie.at. Initiative Mehrheitswahlrecht und Demokratiereform: www.mehrheitswahl.at. Mehr Demokratie Österreich: mehr-demokratie.at. Mutbürgerpartei Österreichs: www.mutbuergerpartei.at. NEOS: www.neos.eu/programm. Volksgesetzgebung jetzt!: www.volksgesetzgebung-jetzt.at.
Theo Öhlinger
Möglichkeiten und Grenzen der direkten Demokratie1 Demokratie besteht nicht nur darin, alle paar Jahre zur Wahl zu gehen, sondern muss auch in der Zeit dazwischen gelebt werden. Die Möglichkeiten dazu sollen weiterentwickelt werden. (Barbara Prammer, Wir sind Demokratie. Eine Ermunterung, 2013)
I. Die Unverzichtbarkeit der parlamentarischen Demokratie Vorweg eine grundsätzliche Bemerkung: Parlamentarische Demokratie ist keine defizitäre Variante von Demokratie. Wir wählen ein Parlament nicht bloß aus dem pragmatischen Grund, dass direktdemokratische Entscheidungen am laufenden Band zu aufwendig und umständlich wären; aber wahrhaft demokratisch oder jedenfalls von höherer demokratischer Qualität sind doch nur jene Entscheidungen, die das Volk in seiner Gesamtheit selbst getroffen hat. Eine solche gelegentlich mehr oder minder deutlich vertretene Position verkennt, dass eine repräsentative parlamentarische Demokratie die notwendige Form einer rechtsstaatlichen Demokratie ist. Es gibt in Österreich – weniger theoretisch reflektiert als in der politischen Praxis – einen ganz offensichtlich weitgehenden Konsens darüber, dass Demokratie und Rechtsstaat eine unverzichtbare Einheit bilden. Demnach hat auch das Volk die Freiheit des Einzelnen zu respektieren. Sie zu schützen ist der Sinn der verfassungsrechtlich gewährleisteten Grundrechte. Sie werden ergänzt durch ein System von checks and balances, das jede staatliche Machtausübung an institutionelle und verfahrensmäßige Regeln bindet, in die auch das Volk als Organ der Rechtserzeu1
Dieser Beitrag beruht auf Vorträgen, die der Autor in einer Veranstaltung der Initiative Mehrheitswahlrecht und Demokratiereform im Parlamentsgebäude, im Rahmen einer Enquete des Bundesrates, auf einer Demokratiekonferenz in Vaduz sowie vor der Wiener und der Oberösterreichischen Juristischen Gesellschaft hielt. Vgl. dazu auch Theo Öhlinger, Direkte Demokratie und BürgerInnenbeteiligung in der österreichischen Bundesverfassung – unter Berücksichtigung aktueller Gesetzesinitiativen, in: Bußjäger/Balthasar/Sonntag (Hg.), Direkte Demokratie im Diskurs (2014), 117; Theo Öhlinger, Grenzen der direkten Demokratie aus österreichischer Sicht, in: Balthasar/Bußjäger/ Poier (Hg.), Herausforderung Demokratie (2014), 49; Theo Öhlinger, Braucht Österreich mehr direkte Demokratie?, ÖJZ 2014 (im Druck); dort jeweils auch umfangreichere Nachweise der Quellen und weiterführende Literatur.
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gung einzubetten ist. Praktisch realisieren lässt sich ein solches System nur mit repräsentativen Organen. Das „Volk“ ist im Übrigen keine homogene Masse, die sich mit einer Stimme artikulieren kann. Ein derartiges Verständnis von Demokratie tendiert zwangsläufig zu einer Diktatur und damit zum genauen Gegenteil dessen, was wir langläufig unter Demokratie verstehen. Das hat das Beispiel der „Volksdemokratien“, die bis vor nicht langer Zeit an unseren östlichen Grenzen existierten, sehr drastisch belegt. Wir leben in einer pluralistischen Gesellschaft, die sich aus Bürgern mit unterschiedlichen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Interessen zusammensetzt. Demokratie erfordert daher Entscheidungsprozesse, in denen sich diese gesellschaftliche Vielfalt widerspiegelt und sich die unterschiedlichen Interessen artikulieren können. Demokratie verlangt den Austausch von Argumenten und Diskussionen mit Rede und Widerrede. In einem Forum von den Dimensionen eines „Volkes“ stößt dies sehr rasch an praktische Grenzen. Eben deshalb wählen wir Volksvertreter, die das Volk in ein diskussionsfähiges Entscheidungsgremium transformieren. All das bedeutet nicht, dass sich eine im Prinzip repräsentativ-parlamentarische Demokratie nicht mit direktdemokratischen Elementen anreichern ließe.2 Die Schweiz ist dafür ein – sehr weit gehendes – Beispiel. Es geht dabei letztlich darum, die demokratische Freiheit jedes Einzelnen zur Mitbestimmung mit den durch die Verfassung geschützten „negativen“ Freiheiten auszutarieren. Es spricht einiges dafür, dass eine Ergänzung der parlamentarischen Demokratie durch direktdemokratische Verfahren diese beleben und bereichern kann. Darüber zu diskutieren, ist jedenfalls auch und gerade in Österreich angebracht. Denn es lässt sich nicht übersehen, dass die parlamentarische Demokratie heute nicht mehr jene weitreichende und vorbehaltlose Zustimmung findet, die für die ersten Nachkriegsjahrzehnte charakteristisch war und die sich etwa in sehr hohen Wahlbeteiligungen manifestierte. Diese Beteiligung nimmt kontinuierlich ab. Das mag unterschiedliche Gründe haben, aber einer davon dürfte ein Gefühl der Ohnmacht sein: das Wissen, mit seiner Stimme nur wenig bewirken zu können. Darauf gibt es verschiedene Antworten, etwa substantielle Änderungen im Wahlrecht in Richtung einer Personalisierung.3 Es gibt aber auf der anderen Seite eine wachsende Bereitschaft der Bürger, sich in konkreten politischen Fragen in einer Weise zu engagieren, die vor einigen Jahrzehnten auch noch kaum vorstellbar war. Das liegt nicht zuletzt an den 2 3
So schon Hans Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie2 (1929), 38 f. Dazu die Beiträge von Theo Öhlinger, Verhältniswahlrecht oder Mehrheitswahlrecht. Auf der Suche nach einem idealen Wahlsystem für Österreich, und Klaus Poier, Ein Mehrheitswahlrecht für Österreich. Italienische Lehren für die österreichische Diskussion, in: Gamper (Hg.), Entwicklungen des Wahlrechts am europäischen Fallbeispiel (2010), 281 und 297.
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neuen technologischen Möglichkeiten der Information und der Kommunikation. Ein demokratisches politisches System kann sich von dieser Entwicklung auf Dauer nicht abschotten. Es geht somit um die Frage, ob und wie sich das bestehende direktdemokratische Instrumentarium der Bundesverfassung weiterentwickeln lässt, ohne das System der repräsentativen Demokratie zu zerstören.
II. Zum Instrument des Volksbegehrens Jenes direktdemokratische Instrument aus dem Repertoire der Bundesverfassung, von dem bislang am häufigsten Gebrauch gemacht wurde, ist das Volksbegehren. Es gab in der Zweiten Republik bislang 32 Volksbegehren, die die Hürde der erforderlichen Unterstützungen – seit 1981 100.000, zuvor 200.000 – nahmen. Die progressive Zunahme solcher Volksbegehren ist ein starkes Indiz eines Interesses der Bevölkerung an mehr direkter Mitsprache.
A. Die „Schwäche“ dieses Instruments Es ist allerdings mit dieser Variante einer Gesetzesinitiative – und das ist ein Volksbegehren nach Art. 41 Abs. 2 B-VG – noch nie ein Gesetzgebungsverfahren unmittelbar in Gang gesetzt worden. Das Volksbegehren hat die ihm von der Verfassung zugedachte Funktion nicht erfüllt; es ist zu einer Art besserer Petition verkümmert. Dazu hat auch jene Verfassungsänderung (BGBl. 1988/685) beigetragen, die es erlaubt, ein Volksbegehren formlos statt eines ausformulierten Gesetzesentwurfs im Nationalrat einzubringen. Das sollte Volksbegehren – durchaus im Sinn einer Weiterentwicklung der direkten Demokratie – erleichtern, hat aber ihre Funktion als Gesetzesinitiative entwertet. (Auch die Herabsetzung der erforderlichen Unterstützungserklärungen von 200.000 auf 100.000 hat solche Initiativen zwar erheblich erleichtert, aber zugleich ihre an sich schon sehr bescheidene Wirkung noch mehr reduziert.) Seit 1988 wurden fast alle Volksbegehren in formloser Weise eingebracht. Das letzte (im Sinne des Art. 41 B-VG) „erfolgreiche“ Volksbegehren, das Bildungsvolksbegehren, enthielt beispielsweise ein Paket von Wünschen, dessen Umsetzung in Gesetzesbeschlüsse den Nationalrat von vornherein heillos überfordert hätte. Der Nationalrat hat dies auch gar nicht versucht. Er hat zwar auf dieses Volksbegehren stärker als bis dahin üblich reagiert, indem er zu seiner Behandlung einen Besonderen Ausschuss (§ 87 Abs. 1 GOG-NR) einsetzte. Ein solcher Ausschuss bringt in der parlamentarischen Praxis eine spezielle Anerkennung auch nach außen zum Aus-
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druck und ermöglicht eine Konzentration der Ausschussarbeit.4 Nach Pressemeldungen aus dem Parlament gab es in diesem Ausschuss auch eine durchaus breite und die Grenzen der Fraktionen überschreitende Zustimmung zu vielen Punkten. Er endete aber mit einem Bericht5, der auf vier seiner insgesamt sechs Seiten das Anliegen des Volksbegehrens in dessen eigenen Worten darstellt, dann auf nahezu zwei weiteren Seiten aufzählt, welche Abgeordneten und Experten sich wann zu Wort meldeten (ohne den Inhalt ihrer Äußerungen wiederzugeben). Das ausdrücklich so bezeichnete „Ergebnis“ beschränkte sich aber auf eine einzige Zeile: auf den „Antrag, der Nationalrat wolle diesen Bericht zur Kenntnis nehmen“. Dass dies die Antragsteller frustrierte, liegt auf der Hand. Genau auf diese Schwäche der Institution Volksbegehren zielt ein Vorschlag, der nicht neu ist, der aber in jüngerer Zeit mit vermehrtem Engagement vorgebracht wird: die Forderung nach einer Volksabstimmung über ein (allenfalls von einer höheren Anzahl von Bürgern unterstütztes) Volksbegehren, wenn es vom Nationalrat nicht umgesetzt wird. Dieses Modell war selbst bereits Gegenstand einer direktdemokratischen Initiative („MeinOE“), die allerdings im April 2013 nicht die erforderliche Anzahl von 100.000 Unterstützungserklärungen erreichte. Das mag verschiedene Gründe gehabt haben. Es provoziert dies jedenfalls die Frage, ob direkte Demokratie in Österreich vielleicht doch nur das Anliegen einer Elite und nicht wirklich des „Volkes“ ist. Einer der Gründe dieses Misserfolgs dürfte aber doch auch die Frustration über die Ergebnislosigkeit bisheriger Volksbegehren gewesen sein.
B. Das deutsche Drei-Stufen-Modell Die Konjunktur dieses Modells dürfte von jenem „Drei-Stufen-Modell“ inspiriert worden sein6, das in den letzten Jahrzehnten in allen deutschen Bundesländern – allerdings nicht auch auf Bundesebene – eingeführt wurde.7 Wenn eine Volksinitiative eine Unterstützung über eine bestimmte Anzahl von Unterschriften hinaus erreicht (das variiert von Land zu Land), so ist sie vom Landtag zu behandeln (erste Stufe, die dem österreichischen Volksbegehren entspricht). Bleibt die Behandlung erfolglos, können in einer zweiten Stufe Unterschriften für eine Volksabstimmung 4
Christoph Konrath, Das Demokratiepaket 2013, in: Baumgartner (Hg.), Jahrbuch Öffentliches Recht 2013 (2014), 345 (368). 5 Bericht des Besonderen Ausschusses zur Vorberatung des Volksbegehrens „Bildungsinitiative“, 1793 BlgNR 24. GP. 6 Vgl. etwa Barbara Prammer, Wir sind Demokratie (2013), 97 f. 7 Dazu Otmar Jung, Direkte Demokratie in den deutschen Bundesländern, in: Österreichische Juristenkommission (Hg.), Direkte Demokratie (2014), 21 ff.
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gesammelt werden. Kommt es auch danach im Landtag zu keiner Einigung mit den Initiatoren, so hat – als dritte Stufe – eine Volksabstimmung stattzufinden. Die Praxis zeigt, dass dieses Modell keineswegs Volksabstimmungen am laufenden Band provoziert. (Seit 2000 wurden laut Wikipedia zwölf aus der Bevölkerung initiierte Volksentscheide in den 16 deutschen Bundesländern abgehalten.) Seine primäre Wirkung besteht vielmehr darin, die Abgeordneten zu einer intensiven Auseinandersetzung mit einer qualifiziert unterstützten Volksinitiative zu veranlassen. Die Volksabstimmung ist so etwas wie die Sanktion auf eine unzulängliche Auseinandersetzung des Landtags mit dem Anliegen der Initiatoren, die man nach Möglichkeit vermeidet. Die Einführung dieses Modells in Österreich würde nach einer bekannten Rechtsprechung des VfGH8 eine Gesamtänderung der Bundesverfassung bedeuten. Der VfGH sieht dadurch, dass auf diese Weise ein Gesetz gegen den Willen der erforderlichen Parlamentsmehrheit erzwungen werden könnte, das demokratische Grundprinzip der Verfassung verletzt. Die Einführung dieses Modells würde daher paradoxerweise selbst einer Volksabstimmung bedürfen. Diese Hürde wäre gewiss nicht schwierig zu nehmen. Freilich hätte eine solche Abstimmung auch ihre Tücken. Es ist zu erwarten, dass die Teilnahme an einer solchen Abstimmung eher niedrig sein würde, was keinen guten Start für mehr direkte Demokratie in Österreich bedeutete. Gewichtiger als die Sorge um eine ausreichende Beteiligung sind aber die sachlichen Gründe, die gegen eine potentielle Ausschaltung des Parlaments sprechen9 und die auch in der Argumentation des VfGH zum Ausdruck kommen. Der Vergleich mit Deutschland hinkt, weil es dort die Länder sind, die ein solches Modell eingeführt haben. Auch wenn die deutschen Länder mehr und gewichtigere Gesetzgebungskompetenzen besitzen als die österreichischen, so geht es doch auf Bundesebene sowohl in Deutschland als auch in Österreich vielfach um Fragen, deren Komplexität und auch internationale Verflechtung um Einiges größer sind als die von den Ländern in beiden Staaten zu regelnden Angelegenheiten. (Dagegen würde auch in Österreich Einiges dafür sprechen, ein solches Modell auf Landesebene zu erproben. Die Begründung des VfGH, dass die in der Bundesverfassung explizit nur für die Bundesebene normierten Grenzen der direkten Demokratie im gleichen Ausmaß auch für die Landesebene gelten, ist daher nicht nur rechtsdogmatisch, sondern auch rechtspolitisch sehr problematisch.)
8 9
VfSlg. 16.241/2001. Pointiert dazu Bundespräsident Heinz Fischer, Grußworte, in: Verfassungsgerichtshof der Republik Österreich (Hg.), Verfassungstag 2013 (2013), 9 (10 ff.).
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III. Das „Demokratiepaket“ der 25. GP A. Volksbefragung über ein Volksbegehren Eine bemerkenswerte Variation dieses Modells enthält jenes „Demokratiepaket“, auf das sich in der letzten Legislaturperiode bereits eine Verfassungsmehrheit geeinigt hatte10 und das nunmehr auch Gegenstand der Enquete-Kommission des Nationalrats zur Stärkung der Demokratie ist: Über ein qualifiziert unterstütztes (dazu unten V.) Volksbegehren in der Form eines Gesetzestextes, der vom Nationalrat nicht im Wesentlichen unverändert beschlossen wird, soll zwar keine rechtsverbindliche Volksabstimmung, wohl aber eine rechtlich nicht verbindliche Volksbefragung stattfinden. Trotz ihrer mangelnden Verbindlichkeit würde eine solche Volksbefragung zweifellos einen erheblichen Druck auf den Nationalrat ausüben, sich mit dem Volksbegehren intensiv auseinanderzusetzen und es so weit wie möglich auch gesetzlich umzusetzen. In dieser Hinsicht dürfte sich die Wirkung einer potentiellen Volksbefragung von der einer potentiellen Volksabstimmung nur graduell unterscheiden. Als wesentlicher Unterschied bleibt aber, dass die letzte Verantwortung für ein Gesetz uneingeschränkt beim Nationalrat liegt: Er kann sich auch gegen das Ergebnis einer solchen Volksbefragung entscheiden. Dass dieses Modell in der letzten Legislaturperiode nicht Gesetz geworden ist, ist zu begrüßen – wenn schon nicht aus grundsätzlichen Überlegungen so jedenfalls deshalb, weil der Text des Initiativantrags sprachlich11 und legistisch äußerst mangelhaft war.12 Ich möchte hier nur auf einige wenige, aber zentrale Punkte eingehen.
B. Automatismus einer Volksbefragung? Nach diesem Initiativantrag soll eine Volksbefragung automatisch dann stattfinden, wenn der Gesetzesbeschluss des Nationalrats nicht „bloß unwesentlich“ vom Text des Volksbegehrens abweicht (so der vorgeschlagene Art. 49c Abs. 2 und 3 B-VG). Das ist zum einen eine sehr unbestimmte Formulierung, die wohl erst in einer Kette von Entscheidungen des VfGH präziseren Gehalt gewinnen könnte. Sie verfehlt aber vor allem das am deutschen Vorbild deutlich gewordene eigentliche Anliegen 10 11
12
Gesamtändernder Abänderungsantrag zum Antrag 2177/A vom 28. Juni 2013. In sprachlicher Hinsicht wäre neben der Korrektur grammatikalischer Fehler wohl auch eine radikale Entschlackung erforderlich. Man vergleiche nur den vorgeschlagenen Art. 49c B-VG mit den sonstigen Regelungen über direkte Demokratie im B-VG (Art. 41 Abs. 2 und 44 Abs. 3) in seiner ursprünglichen wie auch noch in seiner geltenden Fassung. Dazu ausführlich Konrath, Demokratiepaket (FN 4), 364 ff.
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dieses Modells, nämlich das Parlament zu einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Inhalt eines entsprechend unterstützten Volksbegehrens zu veranlassen. Nach dem Vorbild der deutschen Länder sollte eine solche Auseinandersetzung nicht nur in einem geschlossenen Kreis der Parlamentarier, sondern in einem Dialog mit den Proponenten des Volksbegehrens stattfinden. Es ist nicht von vornherein ausgeschlossen, dass sich dabei die Proponenten gewichtigen Argumenten gegenüber zugänglich und kompromissbereit erweisen. Warum sollte man sich daher nicht auch auf substantielle Änderungen einigen dürfen, wenn diese von den Proponenten (in einem noch genauer zu regelnden Verfahren) akzeptiert werden? Dass so etwas auch in Österreich möglich ist, belegt eines der wenigen positiven Beispiele aus der bisherigen Geschichte der Volksbegehren: Über das Gentechnik-Volksbegehren wurden von der damals zuständigen Bundesministerin Barbara Prammer mit den Proponenten Verhandlungen geführt, die letztlich zu einem für beide Seiten akzeptablen Ergebnis führten.13 So mussten aus europarechtlichen Gründen viele Abstriche gemacht werden, deren Unumgänglichkeit aber auch den Proponenten vermittelt werden konnte. (Damals fanden die Gespräche in dem zuständigen Bundesministerium statt. Im Modell des Demokratiepakets wäre das Parlament selbst – ein Ausschuss des Nationalrats – der richtige Ort für solche Verhandlungen. Das setzt allerdings auch einen Ausbau der parlamentarischen Hilfsdienste voraus.14) Gerade die Beschränkung auf eine Volksbefragung, die den Nationalrat in keiner Phase des Verfahrens auf einen bestimmten Gesetzestext festlegt, würde es nahelegen, eine solche Befragung nur dann zwingend vorzusehen, wenn mit den Initiatoren in der zweiten Stufe keine Einigung erzielt werden kann.15 Dabei hätten Geschäftsordnungsregelungen sicherzustellen, dass solche Gespräche auf Augenhöhe geführt werden können, und zu definieren, unter welchen Voraussetzungen eine Einigung angenommen werden kann. Ein auf diese Weise funktionierendes Modell könnte auch den (oft als unzulänglich kritisierten) Dialog zwischen Parlament und Zivilgesellschaft verbessern und würde so den Parlamentarismus nicht schwächen, sondern aufwerten. 13 So Barbara Prammer in einem Gespräch mit dem Autor. 14 Dazu Öhlinger, Direkte Demokratie und BürgerInnenbeteiligung (FN 1), 124. 15 Tatsächlich hatte ein nicht veröffentlichter „Arbeitsentwurf“ vorgesehen, dass die Proponenten auf die Volksbefragung verzichten können, was für den Fall gedacht war, dass im Dialog mit dem Parlament und den zuständigen Regierungsmitgliedern eine auch für sie akzeptable „bessere“ Lösung gefunden wurde. So Marlies Meyer, Das Demokratiepaket 2013 und aktuelle Entwicklungen, in: Schweighofer u.a. (Hg.), Transparenz. Tagungsband des 17. Internationalen Rechtsinformatik Symposions (2014), 315 (317); vgl. auch Konrath, Demokratiepaket (FN 4), 351.
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IV. Die Grenzen der direkten Demokratie Ein grundsätzliches Problem jeder Variante von mehr direkter Demokratie liegt in der Frage nach inhaltlichen Grenzen („Negativlisten“).
A. Worüber nicht abgestimmt werden sollte Es besteht hierzulande ein weitreichender Konsens darüber, dass es solche Grenzen geben muss. Es soll nicht über Alles und Jedes abgestimmt werden dürfen. Das wird selbst von radikalen Verfechtern einer „Volksgesetzgebung“ akzeptiert. Nach dem „Demokratiepaket“ sollte eine Volksbefragung über ein nicht umgesetztes Volksbegehren u.a. dann unzulässig sein, wenn • der Gesetzesbeschluss einen offenkundigen Verstoß gegen Unionsrecht, • einen Verstoß gegen völkerrechtliche Verpflichtungen der Republik Österreich • oder eine Verletzung oder Abschaffung von verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten bewirken würde (Art. 49c Abs. 4 Z 1 B-VG). Diese Formulierungen des Demokratiepakets provozieren zunächst einmal die Frage, welche Logik hinter der Differenzierung zwischen einem offenkundigen Verstoß gegen EU-Recht und anscheinend jeglichem Verstoß gegen jegliche Art von Völkerrecht, auch gegen ein bloßes Verwaltungsabkommen, steht. Zu dem Tatbestand der Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte wurde zu Recht angemerkt, dass der VfGH jedes Jahr in dutzenden Fällen zu klären hat, ob eine konkrete gesetzliche Vorschrift eine solche Verletzung darstellt. Das ist demnach in vielen Fällen keineswegs von vornherein klar. In diesem Zusammenhang werden regelmäßig die (verfassungsgesetzlich gewährleisteten) Rechte von Minderheiten beschworen. Dazu sei nur angemerkt, dass jede Abstimmung – sei es durch das Volk, sei es im Parlament – eine „Minderheit“ produziert. Der Minderheitenbegriff ist also gerade in demokratietheoretischer Sicht sehr vielschichtig und mehrdeutig. Auch die vorgeschlagene Eingrenzung auf „geborene“ Minderheiten16 wirft schwierige Definitionsprobleme auf. Dass das (Bundes-)Verfassungsrecht in Österreich nicht – wie in anderen Ländern – eine generelle Schranke der direkten Demokratie bilden kann, ergibt sich schon aus der Beliebigkeit, mit der hierzulande Verfassungsrecht produzierbar ist. Soll der Nationalrat eine Volksbefragung dadurch verhindern können, dass es der 16
So etwa Franz Merli, Langsame Demokratie, Gedenkschrift für Robert Walter (2013), 487 (501 f.).
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in einem Volksbegehren vorgeschlagenen Regelung mit Verfassungsbestimmungen zuvorkommt (ähnlich wie auf diese Weise gesetzliche Regelungen der verfassungsgerichtlichen Kontrolle entzogen wurden)? Das Demokratiepaket sieht denn auch das Bundesverfassungsrecht als eine Grenze der direkten Demokratie gar nicht vor.17 Es verlangt nur ein höheres Unterstützungsquorum für verfassungsrechtliche Bestimmungen. Es statuiert aber auch die Pflicht der Initiatoren zu einer ausdrücklichen Bezeichnung verfassungsändernder Regelungen als weitere Zulässigkeitsbedingung einer Volksbefragung (Art. 49c Abs. 4 Z 2 B-VG). Das erscheint wenig durchdacht: Es würde dies eine umfassende a priori-Prüfung der Verfassungsmäßigkeit aller nicht als Verfassungsrecht bezeichneten Bestimmungen des Gesetzesentwurfs (durch die Bundeswahlbehörde[!] – dazu sogleich) erfordern. Dass man dabei häufig unterschiedlicher Meinung sein kann, liegt auf der Hand. Schon diese kursorischen Bemerkungen dürften hinreichen, um die Problematik der im Demokratiepaket vorgesehenen Schranken direkter Demokratie deutlich zu machen.
B. Die grundsätzliche Problematik von Negativlisten Jede thematische Beschränkung direktdemokratischer Entscheidungsprozesse wirft aber auch eine ganz grundsätzliche Frage auf. Wenn in der Demokratie jemand den Anspruch erheben darf, der „Souverän“ zu sein, so ist es das Volk. Nun kann man mit Martin Kriele der Meinung sein, dass es in der rechtsstaatlichen Demokratie so etwas wie einen Souverän überhaupt nicht gibt.18 Unstrittig ist aber, dass das Volk gemäß Art. 1 B-VG die legitimatorische Quelle allen (staatlichen) Rechts und in diesem eingeschränkten Sinn der Souverän ist. Ferner hat nach Art. 44 Abs. 3 B-VG das Volk über eine Gesamtänderung der Bundesverfassung zu entscheiden; die Verfassung setzt also das Volk als Organ der Rechtserzeugung auf die höchste Stufe der staatlichen Rechtsordnung. Damit lässt es sich kaum in Einklang bringen, dem Volk im Rechtserzeugungsprozess unterhalb dieser Stufe inhaltliche Schranken zu setzen, die der Volksvertretung, die erst durch dieses Volk zur Rechtsetzung legitimiert wird, nicht gesetzt sind. Direktdemokratisch nicht abstimmbare Themen stehen in einem kaum auflösbaren Widerspruch zur Idee des Volkes als Quelle allen staatlichen Rechts und als Verfügungsberechtigter über die höchste Stufe dieses Rechts. 17
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Zur Frage, in wie weit das Modell des Demokratiepakets auch auf eine Gesamtänderung der Bundesverfassung gemäß Art. 44 Abs. 3 B-VG anwendbar wäre, vgl. Merli, Langsame Demokratie (FN 16), 502. Martin Kriele, Einführung in die Staatslehre. Die geschichtlichen Legitimitätsgrundlagen des demokratischen Verfassungsstaates2 (1980) 224.
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Es gibt allerdings eine Rechtsschicht, die dem Staat als Ganzes und in diesem Sinne auch dem Volk als Rechtsetzungsorgan übergeordnet ist: das Völkerrecht. Insofern erweist sich die Schweizerische Bundesverfassung als konsequent, wenn sie das zwingende, d.h. nicht durch einen einseitigen staatlichen Akt (wie etwa die Kündigung eines Vertrages) abänderbare Völkerrecht als – einzige – Schranke der direkten Demokratie fixiert.19 Diese Schranke lässt sich statuieren, ohne in das skizzierte Dilemma zu geraten. Es bleibt dann freilich noch die Frage, wer der Hüter dieser und allenfalls anderer Schranken sein soll. Das Demokratiepaket sieht vor, dass die Bundeswahlbehörde über die Zulässigkeit von Volksbefragungen entscheiden soll – ein Organ, das bislang durch besondere Kompetenzen in Fragen des Völkerrechts wie auch des Unionsrechts oder der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte sowie des Verfassungsrechts überhaupt, um auf die weiteren im Demokratiepaket vorgesehenen Zulässigkeitsbedingungen zu rekurrieren (siehe zuvor), nicht aufgefallen ist. Gegen ihre Entscheidung soll zwar von den Initiatoren des Volksbegehrens der VfGH angerufen werden können. Eine solche präventive Prüfung eines Gesetzesentwurfs wirft aber die weitere Frage auf, inwieweit dadurch die a posteriori-Kontrolle des VfGH präjudiziert würde. Es ist eine bekannte Erfahrung, dass verfassungsrechtliche, speziell grundrechtliche Probleme einer abstrakten gesetzlichen Regelung oft erst in ihrem konkreten Vollzug deutlich werden. Wäre der VfGH durch eine ursprüngliche positive Entscheidung präjudiziert? Es würde ihm jedenfalls Schwierigkeiten bereiten, eine in der Zulässigkeitsprüfung als verfassungskonform bewertete Regelung später doch als verfassungswidrig aufzuheben. Nicht nur die Schranken selbst, sondern auch ihre Durchsetzbarkeit und Kontrolle werfen somit schwierige Probleme auf.
C. Verzichtbarkeit solcher Schranken? Es stellt sich allerdings die Frage, inwieweit nicht gerade im Modell einer bloßen Volksbefragung über ein Volksbegehren auf explizite Grenzen dieser Art überhaupt verzichtet und damit jenem Dilemma ausgewichen werden könnte, das diesseits des zwingenden Völkerrechts kaum auflösbar erscheint. Denn wenn über ein Volksbegehren lediglich eine konsultative Abstimmung erfolgt, kann immer noch – und muss! – der Nationalrat darüber entscheiden, ob das in der Volksbefragung bestätigte Volksbegehren mit dem Völkerrecht, dem Unionsrecht, den Menschenrechten oder anderen staatspolitisch zwingenden Erfordernissen (wie eine erhebliche 19
Art. 139 Abs. 3 sowie Art. 193 Abs. 4, Art. 194 Abs. 3 Bundesverfassung.
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finanzielle Belastung des Bundes – so eine weitere Zulässigkeitsvoraussetzung des Demokratiepakets: Art. 49c Abs. 4 Z 3 B-VG) vereinbar ist. Ihm verbleibt die letzte Verantwortung für ein Gesetz, auf welcher Initiative es auch immer beruht, und unabhängig von der öffentlichen Meinung zu einem bestimmten Problem, wie immer diese ermittelt wird – durch Meinungsforschung oder durch eine förmliche Volksbefragung. Gerade wenn man an die parlamentarische Demokratie glaubt, muss man dem Parlament wohl auch zutrauen, dass es sich dem Druck einer konsultativen Volksabstimmung entziehen kann, wenn es um einen Gesetzesantrag geht, der völkerrechtswidrig oder menschenrechtswidrig oder etwa auch aus finanziellen Gründen unvertretbar ist. Es dazu nicht für fähig zu halten, würde auch die parlamentarische Demokratie in Frage stellen.
D. Direkte Demokratie im Spannungsverhältnis zur gerichtlichen Kontrolle der Gesetzgebung Die Gesetzesbeschlüsse des Parlaments blieben selbstverständlich, auch wenn sie durch eine Volksbefragung in besonderer Weise legitimiert sind, allen bestehenden juristischen Kontrollen der Gesetzgebung unterworfen: der Verfassungsgerichtsbarkeit sowie den europäischen Gerichten in Straßburg und in Luxemburg. Auch unter diesem Gesichtspunkt erweist sich eine bloß konsultative Abstimmung als deutlich weniger problematisch als eine rechtsverbindliche Volksabstimmung. Sie konfrontiert den VfGH, den EGMR oder den EuGH, wenn sie ein so zustande gekommenes Gesetz jeweils zu prüfen hätten, nicht mit einem verbindlichen direkten Volksentscheid und federt dadurch die legitimatorischen Probleme ab, die sich unvermeidbar stellen, wenn ein „unelected, unrepresentative, unaccountable committee of lawyers“ (wie es eine bekannte und bekanntlich durchaus strittige Richterpersönlichkeit, Robert Bork, ironisch auch auf sich selbst bezogen formulierte) über direktdemokratische Akte zu entscheiden hat. Direkte Demokratie und Verfassungsgerichtsbarkeit (im weiten, die europäische Gerichtsbarkeit inkludierenden Sinn) stehen nun einmal in einem Spannungsverhältnis. Man stelle sich etwa die Konsequenzen für die Akzeptanz der EU in Österreich vor, wenn der EuGH ein in einer Volksabstimmung – nach einem vielleicht sehr emotional geführten öffentlichen Diskurs – angenommenes Gesetz als unionsrechtswidrig feststellen würde, so dass es von österreichischen Behörden und Gerichten nicht angewendet werden darf! Das Ergebnis einer „bloßen“ Volksbefragung kann dagegen als ein Auftrag an die Politik verstanden werden, eine unionsrechtlich akzeptable Lösung, allenfalls auch in Verhandlungen mit der EU, zu finden und dabei das Anliegen der österrei-
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chischen Bevölkerung vehement zu vertreten. Auch aus diesem Grund sollte aber nicht schon bei jeder Abweichung des parlamentarischen Gesetzesbeschlusses vom Text des Volksbegehrens eine Volksbefragung zwingend angeordnet werden, sofern man die Initiatoren des Volksbegehrens schon vorweg überzeugen kann (siehe zuvor III.B.).
V. Qualifiziert und weniger qualifiziert unterstützte Volksbegehren Einen zentralen Punkt im Modell des Demokratiepakets bildet die Frage nach der Anzahl der Unterstützungserklärungen als Voraussetzung für eine eventuelle Volksbefragung. Der Entwurf verlangte für ein „qualifiziert unterstütztes Volksbegehren“ die Unterstützung von zehn Prozent, im Fall eines Verfassungsgesetzes oder einer Verfassungsbestimmung von 15 % der Stimmberechtigten (das sind etwa 640.000 bzw. 960.000 Personen). Das ist eine Hürde, die zu überwinden bislang nur wenigen Volksbegehren gelungen wäre. Für sie sprechen der große Aufwand, den bundesweite Volksbefragungen erfordern, und die Versuchung, sie populistisch zu missbrauchen. Aber auch Volksbegehren, die ein so hohes Quorum nicht erreichen, würden mehr Beachtung seitens der Politik verdienen, als dies bislang regelmäßig der Fall war. Das Demokratiepaket sieht denn auch für jedes ausreichend (d.h. von wenigstens 100.000 Bürgern) unterstützte Volksbegehren zwei spezielle Plenarsitzungen des Nationalrats mit einem begrenzten Rederecht auch von Bevollmächtigten der Initiative und dazwischen die Beratung in einem Besonderen Ausschuss vor (§ 24 GeoNR). Das würde Volksbegehren mehr parlamentarische Aufmerksamkeit als bislang garantieren und stellt insofern einen, wenn auch bescheidenen Fortschritt gegenüber der derzeitigen Rechtslage dar. Diese Regelung auf alle, auch „qualifiziert unterstützte“ Volksbegehren zu erstrecken und auf Volksbefragungen – wie nach der ersten Fassung des Demokratiepakets20 – überhaupt zu verzichten, wäre allerdings ein kaum akzeptabler Rückschritt gegenüber dem am Ende der letzten Legislaturperiode erreichten Diskussionsstand. Das gilt auch dann, wenn man gleichzeitig die dort ebenfalls vorgesehene, aber verunglückt konstruierte „Bürgerfragestunde“21 wieder zum Leben erwecken würde. Zur ersten Fassung des Demokratiepakets zurückzugehen, wäre wohl keine adäquate Reaktion auf die Diskussionen während der letzten Legislaturperiode. Beachtung verdient dagegen der Vorschlag, Volksbegehren ab einer gewissen Anzahl von Unterstützungen zum Thema einer Enquetekommission des Nationalrats 20 21
2177/A 24. GP. Dazu Öhlinger, Direkte Demokratie und BürgerInnenbeteiligung (FN 1), 124 f.
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zu machen. Um die Autoren dieses Vorschlags zu zitieren: Es könnten sich so „über einen längeren Zeitraum und transparent ParlamentarierInnen, die InitiatorInnen, WissenschaftlerInnen und MedienvertreterInnen intensiv mit dem Anliegen des Volksbegehrens befassen und dem Nationalrat einen Bericht [liefern], welcher auch konkrete Vorschläge für die legistische Umsetzung des Anliegens haben kann oder soll“.22 Eine solche Enquetekommission könnte für alle Volksbegehren vorgesehen werden, die nicht das von einer potentiellen Volksbefragung vorausgesetzte Unterstützungsquorum (siehe zuvor) erreichen, oder – gewissermaßen als Zwischenstufe – für solche Volksbegehren, die zwar nicht dieses hohe, aber doch ein höheres als das von Art. 41 Abs. 2 B-VG vorgesehene Quorum erzielen.
VI. Elektronische Unterstützung Anzumerken ist an dieser Stelle allerdings auch, dass das Demokratiepaket die Einleitung und die Unterstützung von Volksbegehren erheblich erleichtern würde, so dass gesetzliche Unterstützungsquoren leichter zu erfüllen sind. Sowohl der Einleitungsantrag als auch die Eintragung sollen auch auf elektronischem Weg möglich sein. Dazu wurde kritisch angemerkt,23 dass die einschlägigen Bestimmungen des Initiativantrags24 nicht den Kriterien entsprechen, die der VfGH für ein e-voting entwickelte.25 Allerdings ist man diesbezüglich anderswo, etwa auch auf der Ebene der EU, um Einiges großzügiger. In der Mehrzahl der deutschen Länder können in der ersten Stufe Unterschriften frei, auch auf der Straße oder im Bekanntenkreis, gesammelt werden. Gleiches gilt für das Mutterland der direkten Demokratie, die Schweiz, in der die freie Unterschriftensammlung als „Seele der direkten Demokratie“ gilt. Über Details wäre noch zu diskutieren, aber eine Erleichterung der Unterstützung in der ersten und zweiten Stufe dieses Volksbegehrensmodells sollte es jedenfalls geben. In diesen Phasen gibt es ja auch noch kein Recht auf eine geheime Stimmabgabe. Was die förmliche Volksbefragung betrifft, so spricht allerdings Manches für eine ähnliche Form der Stimmabgabe wie bei den Wahlen zum Nationalrat. Freilich ist auch hier zu berücksichtigen, dass jede Hürde der Stimmabgabe das Meinungsbild 22 23
24 25
Josef Cap/Kurt Stürzenbecher, Mehr Demokratie durch Volksabstimmung/Volksbefragung/Volksbegehren?, in: Khol u.a. (Hg.), Österreichisches Jahrbuch für Politik 2012, 443 (453 f.). Harald Eberhard, Parlamentarische Rechtsetzung und direkte Demokratie: Ausgestaltungsmöglichkeiten, in: Lienbacher/Pürgy (Hg.), Parlamentarismus in der Krise (2014) (im Druck). Vgl. auch Merli, Langsame Demokratie (FN 16), 497 ff. §§ 5 und 11 Volksbegehrensgesetz 2015 i.d.F. Art. 3 des Abänderungsantrags zu 2177/A 24. GP. VfSlg. 19.592/2011 zur ÖH-Wahl.
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in der Bevölkerung verzerrt, denn Befürworter des Anliegens eines Volksbegehrens lassen sich leichter zum Gang in das Wahllokal oder auch zur Abstimmung per Brief motivieren als (nicht gerade entschiedene) Gegner, die in der Regel auch nicht organisiert sind. Darin liegt ein struktureller Unterschied zu Wahlen, die nicht auf eine Ja/Nein-Alternative beschränkt sind, so dass Hürden der Stimmabgabe hier nicht zu Lasten einer der konkurrierenden Parteien wirken. Bei Volksbefragungen wirken sie zu Lasten der „lauen“ Gegner eines Volksbegehrens. Weil es aber dabei zunächst einmal „nur“ um ein Meinungsbild geht, sollten auch auf dieser dritten Stufe formale Abstimmungshürden auf das unbedingt Notwendige, um Missbräuche (geplante Fälschungen etc.) auszuschließen, beschränkt werden.
VII. Direkte Demokratie als Teil einer umfassenden Weiterentwicklung der österreichischen Demokratie Direkte Demokratie ist auch eine Frage der politischen Kultur. Die politische Kultur in Österreich war lange Zeit durch obrigkeitsstaatliche Elemente und eine korrespondierende Untertanenmentalität der Bevölkerung geprägt. All das ist seit Längerem in einem Wandel begriffen. Wir sind auf dem Weg von einer Untertanenkultur zu einer Beteiligungskultur. Mag es auch nur eine Minderheit sein, so ist es jedenfalls kein kleiner Teil der Bürger, der sich mehr Mitsprache und auch Mitgestaltungsmöglichkeiten in öffentlichen Angelegenheiten wünscht. Dieser Entwicklung der Gesellschaft müssen auch die staatlichen Strukturen Rechnung tragen. Mehr direkte Demokratie in der Gesetzgebung kann dabei nur eine Facette einer umfassenderen Weiterentwicklung der Demokratie sein, aber eine Facette, die eine ernsthafte Auseinandersetzung verdient. In einem Punkt ist das bestehende Instrumentarium der direkten Demokratie jedenfalls reformbedürftig, nämlich in der regelmäßigen Folgenlosigkeit von Volksbegehren. Ob man einen so markanten Schritt setzen will, wie es das Demokratiepaket mit seinem Modell der Verknüpfung von Volksbegehren und Volksbefragung tut, oder ob „die Dosis zur Heilung der diagnostizierten Krankheit“ nicht vielleicht doch zu hoch ist,26 bedarf gewiss noch einer eingehenden Diskussion. Gar nichts zu machen oder sich mit kosmetischen Reparaturen zu begnügen, wäre aber keine Alternative, soferne man sich nicht über eine schon recht weit verbreitete Politikverdrossenheit und Demokratiemüdigkeit achselzuckend hinwegsetzen will.
26 So Eberhard, Parlamentarische Rechtsetzung (FN 23).
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I. Das „qualifiziert unterstützte Volksbegehren“ In der XXIV. Gesetzgebungsperiode wurde ein „Demokratiepaket“ präsentiert:1 In seinem verfassungspolitischen Zentrum steht ein neues „qualifiziert unterstütztes Volksbegehren“ (im Folgenden „VolksbegehrenQ“), dem ein neuer Art. 49c B-VG gewidmet wird. Damit soll das verfassungsrechtliche Instrumentarium der unmittelbaren Demokratie wesentlich erweitert werden: Die Neuerung liegt darin, dass über ein erfolgreiches Volksbegehren, wenn ihm der Nationalrat nicht ohnedies entspricht, eine Volksbefragung stattzufinden hat. Richtet sich das VolksbegehrenQ auf die Erlassung eines Bundesgesetzes, muss es von zehn Prozent, richtet es sich auf die Erlassung eines Verfassungsgesetzes oder auf eine in einem einfachen Bundesgesetz enthaltene Verfassungsbestimmung von 15 % der Stimmberechtigten unterstützt werden. Nach Art. 49c Abs. 4 des Entwurfs ist die Volksbefragung allerdings unzulässig, wenn sie verfassungsändernd wäre, ohne entsprechend bezeichnet zu sein, „offenkundig“ gegen das Unions- oder Völkerrecht verstieße, verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte verletzen oder abschaffen würde oder schließlich eine „erhebliche finanzielle Belastung des Bundes“ bewirkte, ohne vorzuschlagen, wie der Mehraufwand zu decken sei. Gegenüber weiterreichenden Vorstellungen im politischen Vorfeld sieht Art. 49c des Entwurfs also nicht mehr vor, dass der Nationalrat dem Resultat einer auf Grund eines VolksbegehrensQ erfolgten Volksabstimmung zu folgen hat. Vielmehr tritt an die Stelle der Volksabstimmung nur mehr eine „Volksbefragung“, deren Ergebnis für den Nationalrat nicht bindend ist.2 Damit handelt es sich auch nicht mehr um eine Initiative zur „Gesamtänderung der Bundesverfassung“ im Sinne des Art. 44 Abs. 3 B-VG, die einer zwingenden Volksabstimmung zu unterziehen wäre. Verfassungspolitisch gesehen wird aber ungeachtet dieser sehr beachtlichen Differenz doch damit zu rechnen sein, dass sich ein Nationalrat – trotz der eingebauten *
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Die folgenden Ausführungen basieren teilweise auf der Stellungnahme des VwGH im Begutachtungsverfahren, Zl. VwGH-1790/0014-Praes/2013 vom 12.8.2013. 2177/A und Antrag gemäß § 27 Abs. 1 GOG-NR. Vgl. näherhin Art. 49c Abs. 5 bis 7 des Entwurfs.
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Sicherungen (Alternativentwurf, Begutachtungsverfahren) – nur schwerlich über das Ergebnis einer (positiven) Volksbefragung hinwegsetzen kann, ist die Dynamik einmal ausgelöst.
II. Ein verfassungshistorischer Rückblick Das B-VG 1920 richtet Österreich als parlamentarische, also repräsentative Demokratie ein. Die Instrumente der unmittelbaren Demokratie – Volksabstimmung, Volksbegehren, Volksbefragung – haben deutlich ergänzenden Charakter.3 In Bezug auf das Referendum (Art. 43 B-VG) bestand ein klarer politischer Wille, den die Kommentatoren so zum Ausdruck brachten: „Die außerordentliche Einschränkung des obligatorischen Referendums und damit die Zurückdrängung des Referendums überhaupt hat in den Erfahrungen ihren Grund, die man in der Schweiz mit diesem Institut gemacht hat. Insbesondere die konservative Tendenz der Volksabstimmung hat den Ausschuß diesem Institut nicht allzu geneigt gemacht. Dazu kam noch die Rücksicht auf das Bedürfnis einer raschen Gesetzgebung, wie sie die gegenwärtige Zeit braucht. Man wollte dem retardierenden Element, das mit der Volksabstimmung notwendigerweise verbunden ist, keinen allzu großen Raum gewähren.“4 Es waren die Sozialdemokraten, die nicht mehr wollten. Hans Kelsen, der die parlamentarische Demokratie theoretisch analysierte und verfassungspolitisch vertrat,5 war keineswegs ein Gegner plebiszitärer Elemente, schon im Hinblick auf den von ihm ja herausgearbeiteten fiktiven Charakter der parlamentarischen Repräsentation. So war es auch nicht überraschend, dass er jenen Teil der Regierungsvorlage zur B-VG-Novelle 1929 „sehr zu begrüßen“ fand, der bei der Erlassung von einfachen Bundesgesetzen vorsehen wollte, dass über ein von 200.000 Stimmberechtigten unterstütztes Volksbegehren – wenn ihm der Nationalrat nicht Rechnung trägt – eine Volksabstimmung stattzufinden habe.6 Für das Misstrauen der Sozialdemokratie hatte er wenig Verständnis.7
3
4 5 6 7
Vgl. nur Kelsen/Froehlich/Merkl, Die Bundesverfassung v. 1.Oktober 1920 (Neudruck 2003), 111: Volksbegehren und Volksabstimmung sind Mittel, durch die die parlamentarische Demokratie „an die Formen der unmittelbaren Demokratie angenähert zu werden pflegt“. Vgl. a.a.O., 121. Vgl. nur Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie (1920, zweite Auflage 1929). § 23 d. RV 382 d. Blg. Sten.Prot. NR, III. GP (abgedruckt bei Berchtold, Die Verfassungsreform von 1929 [1979], I, 285) und dazu Kelsen, Die Verfassungsreform, JBl. 1929, 446 (448). Vgl. Kelsen, Die Verfassungskrisis in Österreich, Frankfurter Zeitung v. 6. Oktober 1929: „Die Sozialdemokraten hatten sich – seltsamerweise – gegen die unmittelbare, zugunsten der mittelbaren Demokratie … entschieden.“
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Allerdings enthielt die Regierungsvorlage noch eine zweite plebiszitäre Neuerung von ungleich größerer Brisanz. Art. 44 Abs. 2 B-VG sollte dergestalt geändert werden, dass Gesetzesvorschläge auf Änderung der Bundesverfassung, die keine Zweidrittelmehrheit im Nationalrat erlangen, einer Volksabstimmung zuzuführen wären. Falls diese eine unbedingte Mehrheit ergebe, sollte der Gesetzesvorschlag als Bundesverfassungsgesetz kundgemacht werden.8 Tendenziell richtete sich dieser Plan gegen die verfassungsrechtliche Sperrminorität der Sozialdemokraten. Inhaltlich ging es vor allem um die Eigenständigkeit Wiens als Bundesland.9 Dieses Konzept lehnte Kelsen vehement ab.10 Dieses Konzept hätte auch eine „Gesamtänderung der Bundesverfassung (Art. 44 Abs. 2 [heute: 3] B-VG) bedeutet.11 Letztlich wurde keine der beiden Änderungen positives Verfassungsrecht.
III. Plebiszitär erzeugte Bundesgesetze Im Verhältnis zur ersten Republik hat sich nun freilich die österreichische Rechtsordnung qualitativ sehr verändert: Der Spielraum des einfachen Bundesgesetzgebers ist ganz erheblich schmäler geworden: Die völkerrechtlichen Verbindlichkeiten sind unvergleichlich dichter und auch unmittelbarer geworden – denken wir nur an die EMRK. Das umfangreiche und vorrangige Unionsrecht ist dazugekommen, es gibt viel mehr formelles Verfassungsrecht und der Kontrollmaßstab des VfGH ist strenger geworden. Gewiss mag noch genug übrig bleiben, die Höchstgeschwindigkeit auf den Autobahnen, ein allgemeines Rauchverbot außerhalb der Privatsphäre, aber ohne Zweifel hat die einfache Gesetzgebung an Bedeutung verloren. Damit droht dem Instrument zwar mangelnde Relevanz, durchschlagende verfassungspolitische Bedenken gegen ein auf die Erzeugung einfacher Bundesgesetze beschränktes VolksbegehrenQ bestehen aber nicht.
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11
§ 23 d. RV (bei Berchtold [Fn. 6], 287). Vgl. näher Berchtold, Verfassungsgeschichte der Republik Österreich, Bd. I: 1918-1933 (1998), 537. Kelsen [Fn. 6], 447: „Diktatur der Majorität!“ In seinen einschlägigen Äußerungen spielt Kelsen wiederholt darauf an, dass die Sozialdemokraten – im Lichte der politischen Verhältnisse um 1920 – in der Lage gewesen wären, etwa das Privateigentum abzuschaffen. Dies gibt Kelsen der bürgerlichen Seite mahnend zu bedenken – vgl. Kelsen, Der Drang zur Verfassungsreform, Neue Freie Presse v. 6. Oktober 1929. So Merkl, Das rechtliche Ergebnis des Verfassungskampfes, JBl. 1930, 1.
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IV. Plebiszitär erzeugtes Verfassungsrecht In realistischer Sicht sollte jedoch bedacht werden, dass sich ein – entsprechend emotional unterfütterter – plebiszitärer Wille gerade doch in jenen Politikfeldern bilden wird, die Art. 49c Abs. 4 des Entwurfs verpönt. Es wäre weltfremd anzunehmen, dass sich die Initiativen nicht etwa gegen Minderheiten richten würden. Erfolgt dann bei massiv unterstützen Volksbegehren keine Volksbefragung, weil der Verfassungsgerichtshof ihren Gegenstand für verfassungswidrig erkennt, kann dies zu einer heftigen Frustration weiter Kreise und damit zur Umlenkung ihrer Energien auf verfassungsrechtliche Institutionen führen. Dazu kommt, dass die geforderte Erklärung, wie ein finanzieller Mehraufwand abgedeckt werden soll, geradezu eine Einladung zu willkürlichen Verknüpfungen darstellt, der Phantasie sind hier keine Grenzen gesetzt. Hier ist das Augenmerk daher ganz darauf zu richten, dass qualifizierte Volksbegehren – mit nur geringfügig erhöhtem Quorum – statt zehn: 15 % Unterstützung durch die Stimmberechtigten – auch die Änderung des Verfassungsrechts verlangen können. Selbst eine Gesamtänderung ist in Reichweite!12 Der Zugriff auf das Verfassungsrecht bedeutet zunächst, dass auch die derzeit vorgesehenen Schranken reversibel sind. Dies gilt sowohl für die in Art. 49c Abs. 4 des Entwurfs festgelegten Grenzen als auch für die in Art. 41 Abs. 2 des Entwurfs enthaltene Einschränkung auf eine „durch Bundesgesetz zu regelnde Angelegenheit“. Ein qualifiziertes Volksbegehren auf die Beseitigung der materiellen Schranken oder für eine Immunisierung gegen eine spätere verfassungsgerichtliche Prüfung derart zustande gekommener Bundesgesetze ist somit durchaus möglich. Darüber hinaus könnte eine solche Bewegung auch zu einer „Gesamtänderung“ der Bundesverfassung führen, etwa zur Beseitigung der föderalen Struktur Österreichs, zur Abschaffung zentraler rechtsstaatlicher Einrichtungen wie der Gerichtsbarkeit des öffentlichen Rechts oder zumindest zur Schwächung des Rechtsschutzes für bestimmte Personengruppen, etwa für Ausländer oder zum Wechsel zu einer deutlich autoritäreren Staatsform. Hier fällt schwer ins Gewicht, dass für die Volksbefragung kein Teilnahmeminimum vorgesehen ist, mithin eine Minderheit eine beträchtliche Wirkung auslösen kann. Zudem ist der in Art. 49c Abs. 2 des Entwurfs genannte Gesetzesbeschluss des Nationalrats nicht näher determiniert. Es ist 12
Hier geht der Entwurf sogar noch über Art. 138 i.V.m. Art. 193 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft hinaus, wonach eine Volksinitiative nur vorschlagen kann, dass ein Verfahren zur Totalrevision der Bundesverfassung eingeleitet wird, ohne dass bestimmte Inhalte verlangt werden können – vgl. Tschannen, Staatsrecht der Schweizerischen Eidgenossenschaft3 (2011), 538.
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zwar anzunehmen, dass dafür die auch sonst gegebenen Quoren maßgebend sind, aber es sollte ganz eindeutig sein, dass die Zweidrittelmehrheit für Verfassungsgesetze und -bestimmungen auch hier gilt. Ganz unklar ist, ob über einen Gesetzesbeschluss dann noch eine Volksabstimmung stattfinden kann rsp. muss (Art. 43, 44 Abs. 3 B-VG). Man könnte nun einwenden, dass diese Szenarien zu weit hergeholt seien. Aber Verfassungsrecht ist eben Recht für den Ernstfall, bewährt sich in diesem oder kann missbraucht werden. Verfassungsrechtliche Instrumente dürfen daher nicht in eine relativ statische politische und gesellschaftliche Szene gestellt werden, sondern müssen auch auf ihre Wirkung unter gänzlich anderen Bedingungen bedacht werden. Gerade Verfassungsbestimmungen, die zu einem Staatsumbau führen können, werden aller Erfahrung nach in späteren Situationen auch zu diesem Zweck herangezogen, man denke nur an das „Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz“ oder an die Anwendung des formalen Verfassungsrechts in einem Nachbarstaat Österreichs. Für den Ausbau der unmittelbaren Demokratie kann zweifellos die Schweiz als positives Beispiel dienen.13 Doch wurde anderwärts in der staatsrechtlichen Diskussion – insbesondere zwischen den beiden Weltkriegen – das plebiszitäre Element seit jeher auch mit einer Verstärkung caesaristischer Elemente verbunden.14 So hätte die schon erwähnte B-VG-Novelle 1929 nach Absicht der damaligen Bundesregierung dazu dienen sollen, mittels eines Ausbaus der Zuständigkeiten des Bundespräsidenten einerseits und eines starken plebiszitären Elements andererseits den Nationalrat gleichsam „in die Zange zu nehmen“. Man kann daran aber gut erkennen, wohin die Reise auch gehen könnte. Die massiven Kompetenzen des Bundespräsidenten – Art. 29 Abs. 1, Art. 70 Abs. 1 B-VG – sind mitnichten „totes Recht“. In der Hand einer entsprechend autoritären Persönlichkeit könnten sie gerade im Zusammenhang mit einer entgrenzten plebiszitären Demokratie einen Staatswandel herbeiführen. Umso bedenklicher ist, dass die Stimmberechtigten ein Volksbegehren nach Art. 41 13
14
Bei aller Bejahung der unmittelbaren Demokratie kämpft die Schweiz doch zunehmend mit der Vereinbarkeit des Volkswillens mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen. So ist gegenwärtig – im Herbst 2014 – eine von der rechtspopulistischen Blocher-Partei getragene Initiative im Gange, die die Festschreibung des Vorrangs des Landesrechts gegenüber dem Völkerrecht in der Bundesverfassung anstrebt. Dies richtet sich hauptsächlich gegen bestimmte Urteile des EGMR, aber letztlich gegen die EMRK überhaupt. Zwar ist der EGMR an dieser Spannungslage nicht unbeteiligt, doch könnte eine solche Vorrangregel nicht anders denn als ein gravierender rechtszivilisatorischer Rückschritt gewertet werden. Zu verweisen ist auf die fast tägliche Diskussion darüber in der Neuen Zürcher Zeitung: Vgl. zuletzt nur Thürer, Landesrecht und entgrenzte Demokratie (am 29.9.2014) und Nay, Rechte der Bürger schützen (am 6.10.2014). Siehe vor allem den von Carl Schmitt geprägten Begriff des „Konsenses des Volkes“ – Machtpositionen des modernen Staates, in: Schmitt, Verfassungsrechtliche Aufsätze (1957), 367 (369).
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Abs. 2 des Entwurfs auch elektronisch unterstützen können sollen, wobei nach dieser Bestimmung bloß zu gewährleisten ist, dass die elektronische Unterstützung „nur persönlich und nur einmal erfolgt“; andere Sicherungen, etwa zur Geheimhaltung und damit auch zur Freiheit der Stimmabgabe müssen also nicht erfolgen?
V. Sonstige Fragen Der Verfassungsentwurf wirft auch darüber hinaus eine Reihe von schwierigen Rechtsfragen auf, die im Ernstfall erhebliche Instabilität herbeizuführen vermögen. Hier können im Folgenden nur einige Punkte herausgegriffen werden: Was nun zunächst die Formulierung der Schranken betrifft, so fällt schon prima vista auf, dass zwar die verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte, nicht aber die sie garantierenden Rechtsschutzeinrichtungen, also insbesondere die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts, geschützt sind. Auch führt die Bedachtnahme auf bloß „offenkundige Verstöße gegen das Unionsrecht“ zu gravierenden Problemen, wenn es nicht zu einer sowohl zeitlich vorgelagerten als auch zwingenden Befassung des Verfassungsgerichtshofes kommt. Der Verfassungsgerichtshof kommt nur dann ins Spiel, wenn er von den Initiatoren des Volksbegehrens angerufen wird. Trifft die Bundeswahlbehörde hingegen eine positive Entscheidung, hat der Bundespräsident – ob auf Vorschlag der Bundesregierung, ist unklar – die weiteren Verfahrensschritte zu setzen. Das ja ohnedies ungelöste Problem, ob dem Bundespräsidenten ein bloß formelles oder auch ein materielles Prüfungsrecht hinsichtlich des verfassungsmäßigen Zustandekommens von Bundesgesetzen zukommt, findet hier eine Wiederholung bei der Beurteilung, ob etwa ein Volksbegehren nicht richtigerweise unter Art. 49c Abs. 4 Z. 2 des Entwurfs zu subsumieren gewesen wäre. Ferner ist festzustellen, dass für die Reaktion des Nationalrats keine Fristen vorgesehen sind. Es steht daher letztlich im Ermessen (der Bundesregierung rsp.) des Bundespräsidenten, zu welchem Zeitpunkt sie zur Feststellung gelangen, dass der Nationalrat „keinen dem qualifiziert unterstützten Volksbegehren entsprechenden Gesetzesbeschluss“ gefasst hat. Zumindest missverständlich ist weiters, dass der Bundespräsident nach Art. 49c Abs. 6 des Entwurfs eine Volksbefragung u.a. dann anordnet, wenn „der Verfassungsgerichtshof gemäß Art. 141a Abs. 2 des Entwurfs festgestellt hat, dass der Nationalrat keinen dem qualifiziert unterstützten Volksbegehren entsprechenden Gesetzesbeschluss gefasst hat“. Im verwiesenen Art. 141a Abs. 2 des Entwurfs wird der Verfassungsgerichtshof zu einer solchen Feststellung nämlich gar nicht ermächtigt; er soll nach dieser Vorschrift vielmehr feststellen, „ob der Gesetzesbeschluss
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des Nationalrates nicht bloß unwesentlich vom Volksbegehren abweicht“. Missverständlich ist auch, dass ein stattgebendes Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes nach dem letzten Satz des Art. 141a Abs. 2 des Entwurfs „den bekämpften Beschluss des Nationalrates [beseitigt]“, was sich im Kontext auf den im vorangehenden Satz erwähnten „Gesetzesbeschluss des Nationalrates“ zu beziehen scheint. Gemeint ist aber wohl der nach Art. 49c Abs. 3 des Entwurfs vom Nationalrat zu fassende Beschluss, dass ein Gesetzesbeschluss bloß unwesentlich vom qualifiziert unterstützten Volksbegehren abweicht.
VI. Unbehagen an der parlamentarischen Demokratie? Es bleibt freilich eine genuin politische Frage, in welche Richtung sich die österreichische Demokratie entwickeln soll. Da die Initiative zu einer Stärkung der plebiszitären Elemente aus dem Nationalrat selbst kommt, darf zunächst die Frage gestattet sein, weshalb zwischen 1920 und 1933 und seit 1945 von der Möglichkeit einer fakultativen Volksabstimmung über Gesetzesbeschlüsse des Nationalrats erst in einem einzigen Fall Gebrauch gemacht wurde. Nichts würde dagegen sprechen, derartige Volksabstimmungen häufiger durchzuführen. Auch wäre es möglich, Volksbegehren einer gewissen Stärke schon unter den derzeit bestehenden parlamentarischen Regeln größere Beachtung zu widmen. Insgesamt stellt sich die Frage, ob die neue Vorkehrung in der Tat das geeignete Mittel gegen das – unstreitig vorhandene – Unbehagen an der parlamentarischen Demokratie ist. Stellt man in Rechnung, dass ein beträchtlicher Teil der Rechtserzeugung heute im Rahmen der Europäischen Union erfolgt, so wäre die demokratische Komponente dieser Rechtserzeugung zu stärken. Das könnte durch einen weiteren Ausbau der Zuständigkeiten des Europäischen Parlaments erreicht werden, insbesondere aber auch dadurch, dass in Hinkunft in der Tat europäische Parteien zur Wahl anstehen. Auf rein österreichischer Ebene könnte das Persönlichkeitswahlrecht weiter ausgebaut werden, und es könnten – auch im Fall von Koalitionen – größere „koalitionsfreie Räume“ bestimmt werden, allesamt alte Vorschläge. Zusammenfassend ist also die Einführung des neuen Instruments gründlich zu überdenken. Dabei sollte auch vor Augen stehen, dass mächtige Medien und auch das schiere Gold beträchtlichen Einfluss auf die Stimmungslage der Menschen ausüben können. Nicht unter den Tisch fallen sollte auch, dass es der allgemeinste demokratische Wert ist, dass jene Menschen, die von rechtlichen Regeln betroffen sind, an deren Erzeugung mittelbar oder unmittelbar beteiligt sein sollen. In Österreich leben aber dauerhaft auch viele Menschen, die noch nicht Staatsbürger und daher auch nicht Stimmbürger sind.
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Wenn sich der Nationalrat aber doch dazu bestimmt sieht, ein „besonders qualifiziertes Volksbegehren“ einzuführen, so sollten die Sicherungen ausgebaut werden. Initiativen zu einer Änderung der Bundesverfassung oder gar zu ihrer Gesamtänderung sollten nicht zulässig sein. Keinesfalls darf zu einem Zugriff auf die in Art. 49c des Entwurfs enthaltenen Erzeugungsbedingungen für besonders qualifizierte Volksbegehren ermächtigt werden.
Franz Merli
Themenbeschränkungen der direkten Demokratie*
I. Einleitung Wie die direkte Demokratie insgesamt, ist auch ihr Gegenstandsbereich ein weites Feld. Von einigen rechtsvergleichenden Bemerkungen zu anderen Ländern und zur EU abgesehen, konzentriere ich mich hier auf Österreich, und zwar auf die direktdemokratischen Instrumente in der Gesetzgebung von Bund und Ländern. Direktdemokratische Mitwirkung in der Exekutive, auch in den Gemeinden, behandle ich also nicht.1 Von den einschlägigen Instrumenten wird das Volksbegehren aus zwei Gründen im Mittelpunkt stehen: Zum einen ist es das einzige Instrument, das den Bürgerinnen und Bürgern die Initiative überlässt und nicht bereits durch Entscheidungen staatlicher Organe vordefinierte Gegenstände betrifft. Zum anderen wollen die meisten rechtspolitischen Vorschläge zur Reform der direkten Demokratie gerade das Volksbegehren dadurch stärken, dass unter bestimmten Umständen über sein Anliegen eine verbindliche Volksabstimmung oder zumindest eine Volksbefragung stattfinden muss,2 die zwar rechtlich unverbindlich ist, als Mehrheitsfeststellung aber starken politischen Druck entfalten kann. Thematische Beschränkungen des Volksbegehrens sind also aus der Reformperspektive auch und vor allem Beschränkungen von volkserzwungenen Volksabstimmungen und Volksbefragungen.
* Für Hilfe bei den Recherchen danke ich Emilia Moshammer. 1 Dazu Poier, Sachunmittelbare Demokratie in Österreichs Ländern und Gemeinden: Rechtslage und empirische Erfahrungen im Überblick, in: Neumann/Renger (Hrsg.), Sachunmittelbare Demokratie im interdisziplinären und internationalen Kontext 2008/2009 (2010) 31; Gamper, Direkte Demokratie in der Gemeinde, RFG 2011, 66; Madlsperger, Instrumente der direkten Demokratie auf Gemeindeebene, RFG 2014, 140. 2 So z.B. das sog. „Demokratiepaket 2013“, technisch ein „Gesamtändernder Ausschussabänderungsantrag“ zum Initiativantrag 2177/A 24.GP vom 28.6.2013, zugänglich über parlament.gv.at. Zur Vorgeschichte und weiteren Vorschlägen Meyer, Das Demokratiepaket 2013 und aktuelle Entwicklungen, in: Schweighofer/Kummer/Hötzendorfer (Hrsg.), Transparenz (2014) 315; Konrath, Das Demokratiepaket 2013, in: Baumgartner (Hrsg.), Öffentliches Recht. Jahrbuch 2014 (2014) 345.
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II. Das Volksbegehren als Gesetzgebungsvorschlag Bundesverfassung wie Landesverfassungen verstehen das Volksbegehren regelmäßig als Sonderfall der Gesetzesinitiative; es steht neben der Regierungsvorlage oder dem Abgeordnetenantrag. Damit ist bereits eine erste Beschränkung verbunden: Sofern nicht ausdrücklich anderes vorgesehen ist,3 können sich Volksbegehren nur auf die Erlassung, Änderung oder Aufhebung von Gesetzen beziehen. Das schließt Entscheidungen von Verwaltungsorganen4 und Gerichten, aber auch Entscheidungen der Gesetzgebungsorgane (Parlamente), die nicht in Gesetzesform getroffen werden, als Gegenstand von Volksbegehren aus, etwa die Genehmigung von Staatsverträgen (Art. 50 B-VG), die Bindung des Stimmverhaltens österreichischer Vertreter in EU-Gremien (Art. 23c Abs. 3 B-VG), die Einsetzung von Untersuchungsausschüssen (Art. 53 Abs. 1 B-VG), Prüfaufträge an den Rechnungshof (Art. 126b Abs. 4 B-VG) oder Personalentscheidungen wie die Wahl der Volksanwälte (Art. 148g Abs. 2 B-VG), Wahl und Abberufung des Präsidenten des Rechnungshofes (Art. 122 Abs. 3, Art. 123 Abs. 2 B-VG) oder die Zustimmung zu Vorschlägen für die Ernennung des „österreichischen“ Mitglieds der Europäischen Kommission (Art. 23c Abs. 2 B-VG). Außerdem sind Gesetze typischerweise generelle Regeln, die eine Vielzahl von Sachverhalten und Personen betreffen, während Einzelfallentscheidungen von Verwaltungsorganen und Gerichten getroffen werden. Nun enthält die österreichische Verfassung aber kein grundsätzliches Verbot, auch individuelle Entscheidungen in Gesetzesform zu treffen und sie damit der Verwaltung oder Gerichtsbarkeit „wegzunehmen“,5 und auch andere Beschlüsse der Parlamente (wie die genannten) lassen sich in die Form von (Verfassungs-)Gesetzen kleiden. Das zeigen z.B. das (in der Volksabstimmung gescheiterte) Bundesgesetz über Inbetriebnahme des Kernkraftwerkes Zwentendorf6 oder das (durch das Volk gebilligte und zum Abschluss der entsprechenden Staatsverträge ermächtigende) Bundesverfassungsgesetz über den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union7. Daher kann auch mit Volksbegehren verlangt werden, ein Gesetz zu er3
Z.B. erlaubt Art. 59 Abs. 1 Oö. L-VG Begehren auf Fassung sonstiger, in den selbstständigen Wirkungsbereich des Landes fallender Beschlüsse durch den Landtag, und Art. 51 Abs. 3 Stmk. L-VG und Art. 67a Abs. 3 Vorarlberger LVG ermöglichen Volksbegehren, die im Erfolgsfall den Rechnungshof mit Akten der Gebarungskontrolle betrauen. 4 In mehreren Ländern gibt es aber abgesehen davon auch Instrumente, mit denen Handlungen von Verwaltungsorganen begehrt werden können: Art. 68 Bgld. L-VG, Art. 46 NÖ LV 1979, Art. 59 Abs. 1 Z. 2 Oö. L-VG, Art. 73 Stmk. L-VG und Art. 57 Vlbg. LVG. 5 Z.B. Berka, Verfassungsrecht5 (2014) Rz. 474. 6 BGBl. 1978/493. 7 BGBl. 1994/744.
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lassen, das eine nicht gesetzesförmige Entscheidung ersetzt oder das zuständige Organ zu einer solchen Entscheidung verpflichtet.8 Um dem vorzubeugen, finden sich manchmal Sonderregeln. Z.B. schließen Art. 59 Abs. 2 Oö. L-VG und Art. 75 Abs. 1 Stmk. L-VG Volksbegehren über Personalfragen, Wahlen und individuelle Behördenentscheidungen unabhängig von der verlangten Beschlussform aus.
III. Beschränkungsarten Hier soll es aber nicht um diese allgemeine Festlegung auf Gesetzgebungsakte, sondern um spezifische Beschränkungen des Gegenstands von Volksbegehren innerhalb dieses Rahmens gehen. Ausgehend von ihrem jeweiligen Hauptzweck, lassen sich in erster Annäherung drei – einander nicht notwendigerweise ausschließende – Arten unterscheiden: Die erste Art von Beschränkungen soll sicherstellen, dass die Zuständigkeiten der beteiligten staatlichen Organe gewahrt bleiben. Solche Beschränkungen gibt es häufig; sie unterscheiden sich nicht sehr stark; ihre Anwendung kann aber unter bestimmten Umständen Schwierigkeiten bereiten. Zur zweiten Art zählen Regelungen, die die Stabilität und Konsistenz von politischen Entscheidungen gegen Störungen durch direktdemokratische Interventionen absichern sollen. In Österreich finden sie sich nur vereinzelt. Die dritte Gruppe von Beschränkungen will gravierenden Fehlentscheidungen und populistischem Missbrauch von Volksbegehren begegnen. Regelungen dieser Art sind ebenfalls selten, aber inhaltlich vielfältiger und rechtlich schwer präzis zu fassen. Alle Arten von Beschränkungen bedürfen schließlich einer verfahrensmäßigen Umsetzung: Das Recht muss entscheiden, wann, von wem, in welcher Itensität und mit welchen Konsequenzen geprüft wird, ob ein bestimmtes Volksbegehren die geltenden Beschränkungen einhält. Die Anforderungen an ein solches Prüfverfahren haben dann wieder Rückwirkungen auf die Prüfkriterien.
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Es muss aus dem Begehren allerding erkennbar sein, dass es um einen entsprechenden Gesetzesbeschluss geht: VfSlg. 18.029/2008; vgl. auch VfSlg. 19.644/2012. Vgl. auch die Ablehnung einer europäischen Bürgerinitiative auf Ausstieg aus den TTIP-Verhandlungen durch die Europäische Kommission, weil kein Rechtsakt i.S.d. Verordnung 211/2011 über die Bürgerinitiative begehrt worden sei: Entscheidung vom 10.9.2014, C (2014) 6501 final, zugänglich unter ec.europa.eu/citizens-initiative/public/initiatives/non-registered.
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IV. Kompetenzrechtliche Beschränkungen Das Volksbegehren ist eine Aufforderung an ein Parlament, einen bestimmten Gesetzgebungsakt zu setzen. Aus rechtlicher Sicht ist eine solche Aufforderung sinnlos, wenn ihr das Parlament mangels Zuständigkeit gar nicht nachkommen kann. Aus politischer Sicht können direktdemokratische Instrumente aber durchaus auch auf der „falschen“ Ebene genutzt werden, um Druck auf die „richtige“ zu machen. Deshalb gibt es immer wieder Versuche, z.B. Gemeindebürginnen und -bürger über Verkehrsbeschränkungen zum Klimaschutz,9 Landesbürgerinnen und -bürger über die atomare Bewaffnung des Landes zu befragen10 oder die Meinung der Bürgerinnen und Bürger bestimmter Regionen zum Minderheitenschutz,11 zur Zulässigkeit von Ölbohrungen12 oder zur Abspaltung vom Staat13 einzuholen. In allen diesen Fällen würde das „falsche“ Volk mitwirken, weil es sich nach der Verfassung um Angelegenheiten handelt, die auf einer höheren Ebene (Land bzw. Gesamtstaat) entschieden werden müssen.14 Zugleich wären Teile des „richtigen“ Volks, nämlich die übrigen Landes- oder Staatsbürgerinnen und -bürger, von der Mitwirkung ausgeschlossen, was auch die demokratische Legitimation von Maßnahmen auf der Grundlage eines solchen Volksbegehrens in Frage stellen würde. Es gibt daher gute Gründe, direktdemokratische Instrumente und besonders Volksbegehren auf jene Gegenstände zu beschränken, die auf der jeweiligen Ebene auch entschieden werden dürfen, d.h. sie an die Kompetenzverteilung zu binden. Die Regelungen der Landesverfassungen und in der Bundesverfassung sind in diesem Punkt aber weniger klar als man erwarten könnte, und auch die Ausführungsgesetzgebung hilft nicht immer weiter. Nur vier Länder machen die Kompetenz9 10 11
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So die Grazer BürgerInnenumfrage 2012; dazu Merli, Langsame Demokratie, in: GedS Walter (2013) 487 (491 ff.). So in Hamburg: BVerfGE 8, 104. So mehrfach in Kärnten: http://ktnv1.orf.at/stories/88551; http://ktnv1.orf.at/stories/118733; http:// ktnv1.orf.at/stories/519506; dazu Pirker, Kärntner Ortstafelstreit. Der Rechtskonflikt als Identitätskonflikt (2010) 71; Korinek, Volksbefragung ohne Rechtsgrund, Die Presse 9.5.2011, http://diepresse.com/home/politik/innenpolitik/660335/Kaerntner-Volksbefragung-ohne-Rechtsgrund. So auf den Kanarischen Inseln: http://www.spiegel.de/politik/ausland/spanien-madrid-klagt-gegen-kanaren-wegen-referendum-a-999184.html; dazu die Verfügungen 6415-2014 und 6416-2014 des Spanischen Verfassungsgerichts, zugänglich unter www.tribunalconstitucional.es. So in Katalonien: http://diepresse.com/home/politik/aussenpolitik/4588168/Unabhaengigkeit_KatalonienAbstimmung-bleibt-verboten?_vl_backlink=/home/index.do; dazu die Verfügung 64502014 des Spanischen Verfassungsgerichts (FN 12). In den beiden spanischen Fällen ist das vom Verfassungsgericht noch nicht entschieden. Die Anfechtung durch die Regierung führt aber nach Art. 161 Abs. 2 der Verfassung zur vorläufigen Suspendierung der entsprechenden Rechtsakte der Autonomen Gemeinschaften.
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konformität ganz eindeutig zur Anforderung und auch zum Prüfkriterium für die Zulassung von Volksbegehren;15 in anderen Ländern lassen sich die Vorschriften zwar so verstehen, aber zwingend ist dies nicht; 16 in einigen Ländern gibt es gar keine expliziten Hinweise darauf.17 Im Bund muss das Volksbegehren „eine durch Bundesgesetz zu regelnde Angelegenheit betreffen“. Da jedoch auch Volksbegehren auf Erlassung von Bundesverfassungsgesetzen zulässig sind und der Bund sich mit einem Verfassungsgesetz auch fehlende Kompetenzen beschaffen kann, liegt darin keine echte Beschränkung.18 Dies könnte allenfalls im Hinblick auf ausschließliche EU-Kompetenzen anders sein19 und sich auch sonst ändern, wenn in Hinkunft zwischen Volksbegehren auf Erlassung einfacher Bundesgesetze und solchen auf Verfassungsänderungen unterschieden werden sollte20.
V. Beschränkungen zur Sicherung von Stabilität und Konsistenz der Politik Volksbegehren sind in Inhalt und Umfang punktuelle Interventionen in einen laufenden Prozess. Sie können die politische Agenda der repräsentativen Demokratie durcheinanderbringen; in der Geltendmachung zu kurz gekommener Anliegen liegt ja auch ihr Sinn. Gelegentlich wird aber versucht, befürchtete disruptive Wirkungen zu begrenzen. Dazu dienen z.B. Regelungen, die bestimmte Fristen vorsehen, bevor parlamentarisch oder durch Volksabstimmung getroffene Entscheidungen mit Volksbegehren 15
Art. 31 Abs. 2 K-LVG: „eine durch Landesgesetz zu regelnde Angelegenheit“; § 2 Abs. 1 Sbg. Volksabstimmungs- und VolksbegehrenG: „Angelegenheiten der Landesgesetzgebung“; § 7 Abs. 1 Z. 1 Oö. Bürgerinnen- und BürgerrechteG: „Angelegenheit des selbständigen Wirkungsbereiches des Landes“; § 5 Abs. 2 Tir. G über Volksbegehren, Volksabstimmungen und Volksbefragungen: Antrag ist abzuweisen, wenn die „Regelung nicht in die Zuständigkeit des Landes fällt“. 16 Art. 26 Abs. 1 NÖ LV, Art. 69 Abs. 1 Stmk. L-VG: Erlassung, Änderung oder Aufhebung von „Landesgesetzen“; vgl. Merli, Rechtsprobleme des Volksbegehrens in Bundes- und Landesgesetzgebung, JBl. 1988, 85 (87, 90 f.), allerdings zu teilweise überholten Bestimmungen. Für Zulässigkeit trotz Kompetenzwidrigkeit in der Steiermark Krenn-Mayer, in Grabenwarter (Hrsg.), Steiermärkische Landesverfassung (2013) Art. 69 Rz. 13. 17 So im Burgenland und in Vorarlberg; für Vorarlberg im negativen Sinn VfSlg. 16.382/2001. In Wien gibt es kein Zulassungsverfahren; Kompetenzwidrigkeit des begehrten Gesetzes führt nach § 10 W VolksbegehrenG nur zu besonderer Berichterstattung des Magistrats an die Landesregierung. 18 Näher Merli, in: Korinek/Holoubek (Hrsg.), Bundesverfassungsrecht (LoseblattSlg., 1. Lfg, 1999) Art. 41 Abs. 2 B-VG Rz. 16. 19 Stillfried/Bergmann, Volksbegehren – Beschränkung nach EU-Beitritt?, WBl. 1998, 67, Bußjäger, in: Kneihs/Lienbacher (Hrsg.), Rill-Schäffer-Kommentar Bundesverfassungsrecht (3. Lfg., 2004) Art. 41 B-VG Rz. 53 FN 124. 20 So der Vorschlag im Demokratiepaket 2013 (FN 2).
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wieder in Frage gestellt werden können: In Niederösterreich und Vorarlberg sind Volksbegehren auf Aufhebung und Abänderung von Landesgesetzen erst drei Jahre nach deren Inkrafttreten zulässig, und in Tirol können gesetzliche Maßnahmen, die durch eine Volksabstimmung abgelehnt wurden, erst fünf Jahre danach wieder begehrt werden.21 Ebenfalls zu dieser Gruppe zählen lassen sich Bestimmungen, die das Budget der Mitwirkung durch Volksbegehren entziehen. Art. 51 Abs. 1 und Art. 51a Abs. 1 B-VG haben diese Wirkung, weil sie die Initiative für das Bundesfinanzrahmengesetz und das Bundesfinanzgesetz der Bundesregierung vorbehalten und bei Säumnis nur den Abgeordneten selbst überlassen.22 Die Regelung schützt zunächst eine zentrale Regierungsfunktion vor parlamentarischer Konkurrenz; der Ausschluss einer Mitwirkung des Volkes über Volksbegehren ist in Österreich – im Gegensatz zu vergleichbaren Regelungen z.B. in Lettland, Portugal, der Slowakei, Slowenien oder Ungarn23 – wohl nur ein willkommener Folgeeffekt. Beides hat aber denselben Grund: Die Planbarkeit des Gesamthaushalts und die Gesamtverantwortung dafür sollen erhalten bleiben. Entsprechende Regelungen, z.B. in den deutschen Ländern, werden aus diesem Grund oft so ausgelegt, dass sie auch Volksbegehren, deren Verwirklichung erhebliche Ausgaben erfordern würde, verbieten;24 manchmal sind explizit auch Volksentscheidungen über „finanzwirksame“ Gesetze oder „Finanzfragen“ ausgeschlossen.25 Entsprechende Regelungen gibt es in Österreich nur auf Gemeindeebene.26 M.E. übertreibt die genannte Begründung die Konsistenz und Planbarkeit der repräsentativen Demokratie: Auch sie taumelt oft von einem aktuellen Anlass zum nächsten und muss auch ohne direkte Demokratie mit viel Unvorhersehbarem zurechtkommen. Der Ausschluss finanzwirksamer Volksbegehren gehört daher wohl eher zur nächsten Art von Beschränkungen.
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Art. 26 Abs. 4 NÖ LV; Art. 33 Abs. 3 Vlbg. LVG; Art. 37 Abs. 2 Tir. LO. Meinungsverschiedenheiten bestehen darüber, ob das auch für Novellen zum Bundesfinanzgesetz gilt: bejahend Hengstschläger, in: Korinek/Holoubek (FN 18) Art. 51 B-VG, Rz. 31; verneinend Stöger, in: Kneihs/Lienbacher (FN 19) (6. Lfg., 2010) Art. 51 B-VG, Rz. 67, Art. 51a B-VG, Rz. 1 FN 1. Art. 73, Art. 115 Abs. 4 lit. b, Art. 93 Abs. 3, Art. 90 Abs. 2 Art. 8 Abs. 3 lit. b der jeweiligen Verfassung. Möstl, Elemente direkter Demokratie als Entwicklungsperspektive, VVDStRL 72 (2013) 355 (385 ff. m.w.N.); kritisch Klatt, Die Zulässigkeit des finanzwirksamen Plebiszits, Der Staat 2011, 3. Übersicht bei Rux, Direkte Demokratie in Deutschland (2008) 271 ff.; Martini, Wenn das Volk (mit)entscheidet ... (2011) 26 ff. Z.B. § 16a Abs. 1 NÖ GO 1973 – dazu VfSlg. 19.711/2012; § 112a Abs. 2 W Stadtverfassung;
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VI. Beschränkungen zur Vermeidung gravierender Fehlentscheidungen Kann man dem Volk trauen? Für viele Freunde der direkten Demokratie ist das eine unzulässige Frage; immerhin ist das Volk der Souverän, von dem alles Recht ausgeht (Art. 1 B-VG).27 Allerdings ist das Volk, auf das die – übrigens ohne seine Mitwirkung entstandene –Verfassung sich beruft, ein abstrakteres, zeitübergreifendes und größeres als die konkreten Menschen, die ein bestimmtes Volksbegehren initiieren und unterstützen. Für eine weniger prinzipielle Einstellung spricht nicht nur eine realistische Betrachtung solcher Gruppen, sondern auch ein Blick auf vergleichbare Situationen: Obwohl die Autonomie der Person zu den obersten Werten der Verfassung zählt (oder überhaupt ihr Fundament bildet), akzeptieren wir Beschränkungen nicht nur zugunsten öffentlicher Interessen und der Rechte Dritter, sondern auch zum Schutz der Menschen vor sich selbst, vom Verbot der Selbstversklavung über Regelungen zum Konsumentenschutz bis zur Gurtenanlegepflicht. Wenn wir einzelne vor sich selbst schützen dürfen, warum sollte das für das Volk nicht gelten? Das demokratische Prinzip der Bundesverfassung verbietet jedenfalls nicht, Volksbegehren zu beschränken. Auch rechtspolitisch muss das kein Skandal sein: Immerhin gibt es Verfassungen auch ganz ohne Volksbegehren, z.B. jene der USA oder das deutsche Grundgesetz. Dazu kommt, dass Volksbegehren sich von anderen Gesetzesinitiativen unterscheiden:28 Sie werden regelmäßig von juristischen Laien verfasst; sie durchlaufen nicht mehrere Stufen der politischen und rechtlichen Prüfung, wie dies etwa bei Regierungsvorlagen der Fall ist; sie eignen sich eher für politische Kampagnen; und über sie entscheiden nicht Abgeordnete, die dafür vor ihren Kolleginnen und Kollegen und in der Öffentlichkeit Rede und Antwort stehen und mit Retorsionen im weiteren politischen Prozess rechnen müssen, sondern Bürgerinnen und Bürger im Schutz der Anonymität und ohne Rechenschaftspflicht auch nur gegenüber einer political correctness. Alles das ist nicht weiter schlimm, wenn Volksbegehren nur wenig Erhebliches betreffen (wie die Landesgesetzgebung) oder unverbindliche Vorschläge an das Par27 Z.B. Öhlinger, Direkte Demokratie und BürgerInnenbeteiligung in der österreichischen Bundesverfassung – unter Berücksichtigung aktueller Gesetzesinitiativen, in: Bußjäger/Balthasar/Sonntag (Hrsg.) Direkte Demokratie im Diskurs (2014) 117 (121); Öhlinger, Grenzen der direkten Demokratie aus österreichischer Sicht, in: Balthasar/Bußjäger/Poier (Hrsg.), Herausforderung Demokratie (2014) 49 (56 f.). 28 Zum Folgenden mit vielen Beispielen aus der Schweiz und Kalifornien Christmann, Die Grenzen direkter Demokratie (2011) 62 ff., 100 ff.; ebenfalls zur Schweiz Glaser, Direktdemokratisch legitimierte Grundrechtseinschränkungen, in: Balthasar/Bußjäger/Poier (FN 27) 65.
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lament bleiben, denn das jeweilige Parlament kann dann Vernünftiges herausgreifen und muss politisch falsche Forderungen ebensowenig wie kompetenz- oder systemwidrige erfüllen. Deshalb erstaunt auch nicht, dass Österreich bisher fast ohne einschlägige Beschränkungen ausgekommen ist. Die einzige Ausnahme bildet das allgemeine Verbot nationalsozialistischer Wiederbetätigung,29 das auch für Volksbegehren wirkt. Werden Volksbegehren dagegen mit einer Volksabstimmung oder Volksbefragung zu einer Volksgesetzgebung verbunden, entfallen die Änderungs- und Kompromissmöglichkeiten der parlamentarischen Behandlung, und bei einer Billigung durch die Mehrheit erzeugen solche Volksbegehren rechtliche Pflichten oder zumindest erheblichen politischen Druck, u.U. eben auch das Falsche zu tun. Daher ist ein bisschen Vorsicht nicht ganz unverständlich, und daher gibt es in Ländern mit starkem Volksbegehren (in Europa z.B. Kroatien, Lettland, Liechtenstein, Portugal, Schweiz, Slowakei, Slowenien, Ungarn30) oft auch thematische Einschränkungen. Als Gegenstand eines Volksbegehrens (und manchmal auch anderer direktdemokratischer Instrumente) ausgeschlossen sind31 z.B. Verfassungsänderungen (Portugal, Slowakei, Ungarn), Grundrechte (Slowakei), Gesetze zur Beseitigung von Grundrechts- und anderen Verfassungswidrigkeiten (Slowenien), Verpflichtungen aus völkerrechtlichen Verträgen (Lettland, Slowenien, Ungarn), dazu neben dem bereits erwähnten Staatshaushalt Steuer- und Finanzfragen (Lettland, Portugal, Slowakei, Slowenien, Ungarn), wichtige politische Einzelentscheidungen (z.B. Kriegserklärung, Mobilmachung, Ausrufung des Notstands – Lettland; ähnlich Slowenien und Ungarn) oder ganze Politikbereiche (z.B. Verfassungsgerichtsbarkeit, Landesverteidigung, Staatsbürgerschaft – Portugal; Wahlrecht – Ungarn; Eisenbahntarife oder Wehrpflicht – Lettland). Die Schweiz kennt auf Bundesebene nur die Volksinitiative auf Teilrevision der 29 30
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§ 3 ff. VerbotsG; für die Anwendbarkeit auf Wahlen VfSlg. 10.705/1985, 11.258/1987. Übersicht z.B. in Venice Commission, Referendums in Europe, CDL-AD(2005)034, 8 f., zugänglich über venice.coe.int; bei Classen, Nationales Verfassungsrecht in der Europäischen Union (2013) Rz. 610; Balthasar, Die Europäische Bürgerinitiative und andere Instrumente der direkten Demokratie in Europa, in Bußjäger/Balthasar/Sonntag (FN 27) 5 (33 ff.). Die im Folgenden genannten Tatbestände finden sich in Art. 73 Vf. Lettland, Art. 115 Abs. 4 Vf. Portugal, Art. 93 Abs. 3 Vf. Slowakei, Art. 90 Abs. 2 Vf. Slowenien, Art. 8 Abs. 3 Vf. Ungarn. Vgl. auch die Übersicht in Venice Commission (FN 30) 11f. Zur Unzulässigkeit von Gesetzesinitiativen, die gegen die Verfassung oder völkerrechtliche Verträge verstoßen, in Liechtenstein Bußjäger, Präventive Normenkontrolle zur Lösung des Spannungsverhältnisses zwischen direkter Demokratie und Volkssouveränität: das Beispiel Liechtenstein, in: Balthasar/Bußjäger/Poier (FN 27) 35. Fehlende Beschränkungen in Kroatien kritisieren angesichts von Volksbegehren gegen die strafrechtliche Verfolgung kroatischer Soldaten und Offiziere wegen Kriegsverbrechen im Unabhängigkeitskriege Zakošek/Maršić, Das politische System Kroatiens, in: Ismayr (Hrsg.), Die politischen Systeme Osteuropas3 (2009) 773 (804).
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Verfassung; sie darf die zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts nicht verletzen.32 Auch in der österreichischen Reformdiskussion werden ähnliche Beschränkungen vorgeschlagen. Nach dem vorläufig letzten Stand der Dinge im Nationalrat33 sollen Volksbegehren, die zu einer Volksbefragung führen können, unzulässig sein, „wenn der Gesetzesbeschluss einen offenkundigen Verstoß gegen das Recht der Europäischen Union, einen Verstoß gegen völkerrechtliche Verpflichtungen der Republik Österreich oder eine Verletzung oder Abschaffung von verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten bewirken würde“.34 Die Beispiele zeigen, dass es nicht ganz leicht ist, das „Falsche“ oder die befürchtete „Fehlentscheidung“ zu erfassen. Man behilft sich damit, dass man wichtige Felder oder Entscheidungen (etwa das Verfassungsrecht, Finanzen oder außenpolitische Handlungen) von vornherein sperrt oder das „Falsche“ mit dem Völker-, Europa-, Verfassungs- oder Grundrechtswidrigem gleichsetzt. Beide Techniken haben unabhängig von Formulierungsschwächen35 ihre Tücken: Sie beruhen vielfach auf unbestimmten Kriterien, denn die Rechtswidrigkeit ist oft alles andere als leicht festzustellen und auch unter Experten strittig. Die genannten Kriterien schließen meist zu viel aus. Z.B. leuchtet nicht ein, warum noch das kleinste und leicht kündbare völkerrechtliche Ressortabkommen ein Volksbegehren unzulässig machen sollte; das kann man sich eher bei zwingendem Völkerrecht und Verträgen, die Österreich aus rechtlichen oder faktischen Gründen nicht kündigen kann, vorstellen. Und die genannten Beschränkungen erfassen schließlich nicht alle naheliegenden Konstellationen; das bedarf einer etwas längeren Erklärung: Manche Menschen, vielleicht auch alle, haben den Herzenswunsch, dass es zumindest einigen anderen noch schlechter geht. Dieses Bedürfnis drückt sich gelegentlich auch im Recht und seinen Interpretationen aus, etwa in (behaupteten 32
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Art. 139, 194 Vf. Schweiz; zur Reichweite dieser Beschränkung z.B. Biaggini, Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft (2007) Art. 139 Rz. 13; Hangartner, in: Ehrenzeller u.a. (Hrsg.) Die schweizerische Bundesverfassung2 (2008) Art. 139 Abs. 2 Rz. 28 ff. Demokratiepaket 2013 (FN 2). Zu weiteren Beschränkungsvorschlägen und ihren Nachteilen Öhlinger, Direkte Demokratie: Möglichkeiten und Grenzen, ÖJZ 2012, 1054 (1059 f.); Öhlinger (FN 27) 56 ff. Die weiteren Tatbestände – „2. wenn der Gesetzesbeschluss eine Änderung der Bundesverfassung bewirken würde, der dem Volksbegehren zugrunde liegende Gesetzesantrag jedoch nicht ausdrücklich als ‚Verfassungsgesetz‘ oder die relevante Bestimmung als ‚Verfassungsbestimmung‘ bezeichnet ist; 3. wenn durch einen Gesetzesbeschluss eine erheblich finanzielle Belastung des Bundes eintreten würde und das Volksbegehren keine Vorschläge darüber enthält, wie ein finanzieller Mehraufwand zu decken ist“ – enthalten keine thematischen Beschränkungen, sondern Formvorschriften und Begründungspflichten. Die Formulierungen des Demokratiepakets haben in der Begutachtung viel Kritik ausgelöst; s. auch Konrath (FN 2) 365 f.
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oder realen) „Abstandsgeboten“ zwischen der Ehe und anderen Lebensgemeinschaften36 oder zwischen Arbeitseinkommen und sozialer Unterstützung, und es lässt sich auch in Volksbegehren nutzen, besonders gut zu Lasten von Minderheiten. Die bisherigen Volksbegehren auf Bundesebene bieten zwar wenige Anhaltspunkte dafür; nur das Volksbegehren „Österreich zuerst“ von 1993 enthielt Forderungen zur Schlechterstellung von Ausländern, etwa den Ausschluss von der Zuerkennung geförderter Wohnungen. Aber die politischen Diskussionen z.B. zum Kreuz in Kindergarten und Schule, zum Schächten, zur Beschneidung oder zum Kopftuch und ausländische Beispiele wie direktdemokratische Initiativen zum Minarettverbot und für die „Ausschaffung“ von Ausländern in der Schweiz,37 für die traditionelle Ehe und damit gegen gleichwertige homosexuelle Partnerschaften in US-Bundesstaaten38 und Kroatien39 oder für eine Verschärfung des Staatsbürgerschaftsrechts in Lettland40 zeigen ebenso wie (rechtlich irreguläre) Volksbefragungen durch die Kärntner Landesregierung zur Ortstafelfrage im zweisprachigen Gebiet,41 dass ein Aufgreifen solcher Fragen in Volksbegehren nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann. Sind nun die betroffenen Minderheitenangehörigen durch Merkmale bestimmt, die sie nicht ablegen können (wie eine bestimmte ethnische Herkunft) oder deren Aufgabe ihnen nicht zuzumuten ist (wie die Religion oder eine Staatsbürgerschaft), können sie sich einer mit Volksbegehren geforderten Verschlechterung ihrer Stellung nicht entziehen. Gleichzeitig haben Minderheitenangehörige aber im Volksbegehrens- und dem allenfalls anschließenden Volksabstimmungs- oder Volksbefragungsverfahren wegen deren Eigenheiten, Ausländer auch mangels Stimmrecht, weniger Chancen auf Unterstützung als in regulären parlamentarischen Verfahren. An den bisher genannten Beschränkungen müsste so ein Volksbegehren aber nicht scheitern, denn es verstoßen zwar viele der genannten, aber durchaus nicht alle Schlechterstellungen bestimmter Gruppen gegen Völker-, Europa- oder Verfassungsrecht. Sie sind nur unfair. Aus diesem Grund könnte man daran denken, Volksbegehren auf Schlechterstellung von Angehörigen der beschriebenen Minderheiten nicht zuzulassen, und zwar unabhängig davon, ob die Maßnahmen rechtlich zulässig wären oder nicht; schwierige Rechtmäßigkeitsfragen würden damit entfal36 Z.B. Uhle, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz (2009) Art. 6 GG Rz. 36 m.w.N.; dagegen z.B. BVerfG 19.6.2012, 2 BvR 1397/09; 7.5.2013, 2 BvR 909/06 u.a. 37 Ergebnisse in Art. 72 Abs. 3 und Art. 121 Abs. 3-6 BV; s. auch FN 28. 38 Z.B. Supreme Court, Romer v. Evans, 517 U.S. 620 (1996); Hollingsworth v. Perry, 570 U.S. ___ (2013); s. auch FN 27. 39 diestandard.at/1385169528709/Kroatien-Referendum-verankert-tradtionell-Ehe-in-Verfassung. 40 Dazu Schmidt, Das politische System Lettlands, in: Ismayr (FN 31) 123 (150). 41 S. FN 11.
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len. Bei den Merkmalen der geschützten Gruppen könnte man an jene anknüpfen, die nach europäischem Recht einen besonderen Diskriminierungsschutz auslösen, nach Art. 21 GRC also Rasse, Hautfarbe, ethnische oder soziale Herkunft, genetische Merkmale, Sprache, Religion, Weltanschauung, politische oder sonstige Anschauung, Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, Geburt, Behinderung, sexuelle Ausrichtung und Staatsangehörigkeit. Freilich muss es sich um Minderheiten handeln; deshalb scheidet das in Art. 21 GRC genannte Geschlecht aus, und in Österreich wären auch etwa Inländer und Katholiken nicht geschützt. Ob man das Vermögen und das Alter übernehmen will, wäre eine eigene Diskussion wert.42
VII. Kontrolle Beschränkungen bedürfen der Kontrolle. Die kann auf unterschiedliche Weise eingerichtet werden. Die erste Frage lautet: vorher oder nachher? Da Volksbegehren im Bund und in den meisten Bundesländern43 nach der privaten Sammlung der notwendigen Mindestunterstützung zugelassen werden müssen, und dann erst ein staatlich organisiertes Eintragungs- und Ermittlungsverfahren stattfindet, ist die Kontrolle von Beschränkungen im Rahmen der Zulassungsentscheidung am ehesten systemgerecht. Anders als eine bloß gutachtliche Äußerung vor der Eintragung44 und eine Kontrolle und allfällige Ungültigerklärung nach der Eintragungsphase stellt diese Lösung für Betreiberinnen und Betreiber des Begehrens wie den Staat auch sicher, dass keine Ressourcen für ohnehin unzulässige Vorschläge verschwendet werden, und vor allem verhindert sie, dass unzulässige Forderungen durch große Unterstützung geadelt und politisch nicht mehr so leicht ignoriert werden können. Eine Kontrolle vor der Eintragungsphase muss aus demokratischen und rechtsstaatlichen Gründen mehrere Bedingungen erfüllen: Sie muss durch eine Stelle erfolgen, die dafür kompetent ist. Es muss vorgesorgt werden, dass diese Stelle ihre Befugnisse weder zur Duldung unzulässiger Begehren noch zur Verhinderung missliebiger Begehren missbrauchen kann. Die Zulassungsentscheidung muss daher auf der Grundlage klarer Standards getroffen und, wenn sie nicht durch ein
42 Vgl. Pöschl, Altersdiskriminierung und Verfassung, in WiR – Studiengesellschaft für Wirtschaft und Recht (Hrsg.), Alter und Recht (2012) 47 zu den spezifischen Unterschieden zwischen dem Alter und den anderen Merkmalen. 43 Ausnahmen sind Oberösterreich, Salzburg und Wien. Hier wird erst nach Sammlung aller Unterschriften festgestellt, ob ein gültiges Volksbegehren vorliegt. 44 So der Antrag 24/A 25.GP; dazu Meyer (FN 2) 317 f. Hier könnten sich auch Rechtsschutzprobleme ergeben, wenn die gutachtliche Stellungnahme nachteilig, aber nicht anfechtbar ist.
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Gericht selbst erfolgt, zumindest gerichtlich überprüft werden können.45 Um auch rechtswidrige Zulassungen überprüfbar zu machen, könnte man u.U. Gegnern des Begehrens (z.B. Wählergruppen bestimmter Mindestgröße) ebenfalls eine Anfechtungsberechtigung einräumen. Gleichzeitig darf das Kontrollverfahren nicht so lang dauern, dass das Volksbegehren seinen Schwung verliert und wieder in Vergessenheit gerät; Vorlagen an den EuGH kommen daher nicht in Betracht. Schließlich sollte die präventive Kontrolle des begehrten Gesetzes berücksichtigen, dass das Gesetz, so es denn erlassen wird, ohnehin den normalen Mechanismus der nachträglichen Normenkontrolle durch den Verfassungsgerichtshof unterliegt. Diese nachträgliche Kontrolle kann auch die inzwischen gemachten Erfahrungen des Gesetzesanwendung verwerten, intensiver ausfallen und länger dauern. Die reguläre nachträgliche Kontrolle sollte daher durch die präventive Kontrolle im Rahmen der Zulassung von Volksbegehren nicht vorweggenommen werden. Diese Anforderungen lassen sich m.E. am besten erfüllen, wenn man nur wenige Kriterien aufstellt, sich bei Rechtsmäßigkeitsanforderungen auf die Wahrnehmung offensichtlicher Fehler46 und damit auf eine Grobkontrolle beschränkt, Fristen setzt und jene Stellen betraut, die am meisten Erfahrung mit vergleichbaren Fragen haben, also die jeweiligen Regierungen (oder einzelne ihrer Mitglieder) unter Einbeziehung der Verfassungsdienste und des Völkerrechtsbüros und den Verfassungsgerichtshof. Im Ergebnis könnte ein Volksbegehren dann unzulässig sein, wenn das begehrte Gesetz die beschriebenen Minderheiten schlechterstellen würde oder offenkundig gegen zwingendes Völkerrecht, rechtlich oder faktisch unkündbares Völkervertragsrecht, Europarecht oder, bei einfachgesetzlichen Vorschlägen, gegen Verfassungsrecht, und bei Vorschlägen für Verfassungsgesetze, gegen ein Grundprinzip der Verfassung verstößt.
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Eine bloß politische Kontrolle wie in der Schweiz – s. Christmann (FN 27) 180 ff. – würde in Österreich wegen der Notwendigkeit effektiven Rechtsschutzes auch der direktdemokratischen Rechte nicht ausreichen; s. auch, im Anschluss an Christmann, Konrath, Demokratie und Rechtsstaat. Zur Bewertung von Vorschlägen zum Ausbau direkter Demokratie, in: Bußjäger/Balthasar/Sonntag (FN 27) 127. So auch Art. 4 Abs. 2 lit. d VO 211/2011 über die Europäische Bürgerinitiative: Registrierung (also Zulassung), wenn die Bürgerinitiative nicht offenkundig gegen die Werte der Union verstößt. Zum Entfall der Vorlagepflicht an den EuGH, „wenn die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, dass keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel bleibt“ EuGH, Rs. 283/81, CILFIT, Slg. 1982, 3415.
Themenbeschränkungen der direkten Demokratie
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VIII. Schlussbemerkung Die Beschränkung des Gegenstandbereichs der direkten Demokratie ist ein gutes Beispiel für die Schwierigkeiten zu entscheiden, was rechtlich geregelt und was der Politik überlassen bleiben soll. Dafür gibt es kein Patentrezept, aber zumindest einige Beobachtungen erlaubt unser Fall: • Recht braucht Wirklichkeit: Für die Entscheidung muss man die rechtlichen und die politischen Wirkungen der jeweiligen Instrumente berücksichtigen. • Recht ist gefräßig: Fängt man zu regeln an, wird immer mehr regelungsbedürftig. • Recht kann nur beschränkt helfen: Recht kann die ärgsten Auswüchse verhindern, aber auch eine noch so geschickte Regelung der direkten Demokratie kann Defizite der politischen Kultur nicht kompensieren.
Harald Eberhard
Auf dem Weg zu mehr direkter Demokratie?*
I. Der Status quo direkter Demokratie in Österreich Über Fragen direkter Demokratie wird in Österreich seit dem Jahr 2013 wieder verstärkt diskutiert. Der bisherige Höhepunkt war dabei die Vorstellung eines „Demokratiepakets“1 im Sommer 2013, das sehr leidenschaftlich diskutiert wurde, bei aller sowohl in politischen wie auch rechtlichen Zirkeln formulierten Kritik jedoch der prozessuale Ausgangspunkt jeder weiteren Reformdiskussion bleiben wird. Ebenso deutlich ist der Ausgangspunkt der Reformdiskussion, welche die Krisensymptome repräsentativer Demokratie in den Mittelpunkt stellt.2 Die inhaltliche Ausgangsposition de constitutione lata ist dabei eindeutig: Das österreichische Demokratiekonzept, wie es im B-VG verwirklicht wurde, sieht bei allen vorgesehenen Instrumenten direkter Demokratie auf Bundesebene eine starke Position des Parlaments, also des repräsentativ-demokratischen Organs, vor.3 Die Judikatur des VfGH4 hat mehrfach festgehalten, dass die als Grundprinzip der Verfassung eingerichtete Demokratie5 grundsätzlich in Form einer repräsentativen Demokratie ausgestaltet ist, die durch direkt-demokratische Instrumente lediglich ergänzt wird.6 Allen diesen Instrumenten ist damit gemeinsam, dass sie entweder einem Gesetzgebungsverfahren vorgelagert oder in ein solches als unselbständiger Teil mit notwendigerweise vor- und nachgelagerten Akten eines allgemeinen Vertretungskörpers integriert sind sowie der rechtsstaatlichen Kontrolle durch den VfGH unterliegen.7 *
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Über diesen Beitrag hinausgehende Überlegungen finden sich in Eberhard, Parlamentarische Rechtsetzung und direkte Demokratie: Ausgestaltungsmöglichkeiten, in: Lienbacher/Pürgy (Hrsg.), Parlamentarismus in der Krise? (2014, im Druck). IA 2177/A 24. GP samt Anlage. Dazu eingehend Öhlinger, Braucht Österreich mehr direkte Demokratie?, ÖJZ 2014 (im Druck). Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht10 (2014) Rz. 442. VfSlg. 13.500/1993, 16.241/2001, 19.711/2012. Art. 1 B-VG. Zur Judikatur des VfGH siehe näherhin Eberhard/Lachmayer, Ignoranz oder Irrelevanz? – Direkte Demokratie auf österreichisch, in: Feld u.a. (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie 2009 (2010) 241 (248 ff.). Vgl. Art. 141 Abs. 1 lit. e B-VG.
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Die Volksabstimmung8 und Volksbefragung9 sind reaktive Instrumente: Das Volk äußert sich dabei zu Bedingungen, die zunächst das Parlament festlegt. Ein echtes Initiativrecht stellt demgegenüber das Volksbegehren10 dar, welches vom Volk (in bestimmter quantitativer Dimension: nämlich in Form von 100.000 Personen oder von je einem Sechstel der Stimmberechtigten dreier Bundesländer) an den Nationalrat gerichtet wird und ausschließlich auf die Erlassung von Gesetzen, nicht aber auch auf andere parlamentarische Akte11 abzielt. Das Parlament bleibt auch hier in einer starken Position, weil es das entsprechende Begehren geschäftsordnungsmäßig12 zu behandeln hat, aber nicht inhaltlich daran gebunden ist. Dieses starke Bild des Parlaments und die schwache Rolle direkt-demokratischer Instrumente belegt auch der Blick in die Statistik. Eine Volksbefragung auf Bundesebene hat es erst über 20 Jahre nach seiner Einführung und nur ein einziges Mal, nämlich am 20.1.2013 über die Beibehaltung der Wehrpflicht, gegeben. Die Volksabstimmung über den EU-Beitritt am 12.6.1994 war keine politische Entscheidung, sondern bekanntlich eine rechtlich zwingende, weil der EU-Beitritt eine Gesamtänderung der Bundesverfassung bewirkt hat.13 Die Schwierigkeit, Volksabstimmungen über EU-Themen in jüngerer Zeit durchzuführen, belegt geradezu die Skepsis, dieses Instrument einzusetzen. Die bislang einzige Volksabstimmung über ein einfaches Bundesgesetz fand am 5.11.1978 im Hinblick auf ein Gesetz betreffend die Inbetriebnahme des Kernkraftwerkes Zwentendorf statt. Sie beendete damals eine jahrelange, überaus emotional geführte Diskussion über die friedliche Nutzung der Kernenergie und ermöglichte der damals im Amt befindlichen SPÖ-Alleinregierung unter Bruno Kreisky die (wie die weitere politische Entwicklung gezeigt hat, unschädliche) Erledigung eines (schon aus damaliger Sicht) unpopulären Themas. Gleichzeitig bewies sie, dass das Ergebnis eines derartigen Unternehmens nicht immer im Sinne seiner Erfinder – und das war bekanntlich Kreisky selbst14 – sein muss. Vielleicht war dieses Fanal mit ein Grund dafür, dass spätere Parlamentsmehrheiten davor zurückgeschreckt haben, davon nochmals Gebrauch zu machen. Dabei zeigt gerade dieser Fall, dass direkt-demokratische Entscheidungen des Volkes, die nach einer sachlichen öffentlichen Diskussion ergehen, durchaus rational sind, wenngleich dies nicht ausschließt, dass Debatten auch emotional geführt werden sollen. 8 9 10 11 12 13 14
Art. 45 und 46 B-VG. Art. 49b B-VG. Art. 41 Abs. 2 B-VG. VfSlg. 19.644/2012. Siehe insb. §§ 23 f. und 42 GONR. Dazu näherhin Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht, Rz. 135 ff. Kreisky, Der Mensch im Mittelpunkt. Der Memoiren dritter Teil (1996) 151 ff.
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Eine stärkere Nutzung erfuhr das Instrument des Volksbegehrens: Die meisten Volksbegehren, deren praktische Entwicklung erst 1964 – also knapp 20 Jahre nach Beginn der Zweiten Republik – begann, dienten der Artikulation von Anliegen für oder gegen größere Infrastrukturprojekte wie etwa die Errichtung von Kraftwerken oder die Anschaffung und Stationierung von Abfangjägern, der Mobilisierung von sozialen Anliegen (etwa Pensionsregelungen, „Politikerprivilegien“, Sozialstaat) oder sonst breitenwirksamen (zum Teil auch massenmedial sehr stark forcierten) Initiativen (Unabhängigkeit des Rundfunks,15 Tierschutz, Gentechnik, atomare Sicherheit, Neutralität, Anti-EU-Volksbegehren, Erhaltung von Postämtern).16 Die rechtlich „schwache“17 Ausgestaltung von Volksbegehren in Österreich wirkt sich nicht zuletzt auch in der politischen Realität aus. In Österreich gab es seit den 1960er Jahren 37 Volksbegehren.18 Nur knapp ein Drittel dieser Volksbegehren wurde im Nationalrat dergestalt „angenommen“, dass es zu unmittelbaren gesetzlichen Änderungen kam. Der größte Teil wurde entweder vom Parlament (in Gestalt eines entsprechenden Ausschussberichts) abgelehnt oder nicht behandelt.19 Was im jetzigen System fehlt, ist eine Kombination dieser drei Instrumente. Die Volksabstimmung und das Volksbegehren müssen ausschließlich vom Nationalrat ausgehen, umgekehrt kann aber eine – mit Blick auf die Volksabstimmung – rechtsverbindliche oder – mit Blick auf die Volksbefragung – zumindest politisch einigermaßen relevante Abstimmung über bestimmte Themen seitens des Volks auch bei größtmöglicher Unterstützung eines bestimmten Anliegens in einem Volksbegehren nicht erreicht werden. Genau dies unterscheidet auch die Ebenen des Bundesstaates voneinander, denn ein lebendigeres Bild direkter Demokratie vermittelt die Situation auf Ebene der Bundesländer: Auf Landesebene liegen nämlich auch Kombinationen der unterschiedlichen Instrumente direkter Demokratie vor. In Salzburg
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Das Volksbegehren „Rundfunk-Reform“ im Jahr 1964 war nicht nur das erste (und mit 832.353 Eintragungen eines der erfolgreichsten) Volksbegehren in der Zweiten Republik, sondern im Unterschied zu anderen insoweit erfolgreich, als es – wenn auch mittelbar – zur Erlassung eines Rundfunkgesetzes führte, das dem Österreichischen Rundfunk (ORF) formal von den politischen Parteien weitgehend unabhängige Strukturen verschaffte („Rundfunkreform 1967“). Vgl. Widder, Die plebiszitäre Komponente im Gesetzgebungsverfahren, FS 75 Jahre Bundesverfassung (1995) 315 (318 ff.); siehe dazu auch Merli, Art. 41/2 B-VG, in: Korinek/Holoubek (Hrsg.), Österreichisches Bundesverfassungsrecht. Kommentar (1. Lfg. 1999) Rz. 14. Siehe dazu näherhin Schäffer, Über die „Schwäche“ der Volksbegehren in Österreich, FS Öhlinger (2004) 412 (413 f.). Eine Gesamtdarstellung aller Volksbegehren in der Zweiten Republik findet sich im Internet unter http://www.bmi.gv.at/cms/BMI_wahlen/volksbegehren/Alle_Volksbegehren.aspx. Vgl. dazu auch die Übersicht bei Schäffer, FS Öhlinger, 415 ff. Siehe dazu auch Öhlinger, ÖJZ 2014 (im Druck).
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wird ein ausreichend unterstütztes Volksbegehren unmittelbar zum Gegenstand einer Volksabstimmung.20 Erst wenn sich in dieser eine Mehrheit für das Begehren ausspricht, wird es dem Landtag zur weiteren Behandlung vorgelegt.21 Qualifiziert unterstützte Volksbegehren werden in der Steiermark22 und in Vorarlberg23 einer als „Volksabstimmung“ bezeichneten Volksbefragung24 unterzogen, wenn ihnen vom jeweiligen Landtag nicht Rechnung getragen wird. Ein ähnliches Modell ist in Oberösterreich25 verwirklicht, wo eine Bürgerinnen- und Bürgerbefragung vorgesehen ist, wenn der Landtag dem Verlangen nach Erlassung eines Gesetzes nicht innerhalb von sechs Monaten folgt und die entsprechende Initiative von mindestens acht Prozent der Stimmberechtigten unterstützt ist. Auch die Gemeindeebene zeigt im Allgemeinen ein sehr buntes Bild direkter Demokratie.26 Auf Gemeindeebene sind etwa derartige Verknüpfungen von Volksbegehren und Volksabstimmungen in der Steiermark27 und in Vorarlberg28 vorgesehen.29 Das Land Vorarlberg bekennt
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Art. 21 Abs. 2 Sbg. L-VG: „Jeder von wenigstens 10.000 Stimmberechtigten gestellte und in einer Volksabstimmung angenommene Gesetzesantrag (Volksbegehren) ist von der Landesregierung dem Landtag in Form eines Gesetzesvorschlages zur Behandlung vorzulegen.“ Art. 21 Abs. 2 Sbg. L-VG. Art. 70 und 72 Stmk. L-VG (mindestens 50.000 der für die Wahl zum Landtag Stimmberechtigten). Art. 33 Abs. 5 Vbg. LV (zehn Prozent der Stimmberechtigten). Dazu m.w.N. Konrath, Das Demokratiepaket 2013, in: Baumgartner (Hrsg.), Jahrbuch Öffentliches Recht 2014 (2014) 345 (354). Art. 59 Abs. 5 ÖO L-VG: „Fasst der Landtag oder die Landesregierung über eine Bürgerinnen- und Bürger-Initiative, die von wenigstens 8 % der für die vorangegangene Wahl zum Landtag wahlberechtigten Landesbürgerinnen oder Landesbürgern unterstützt wurde, innerhalb von sechs Monaten keinen der Bürgerinnen- und Bürger-Initiative wenigstens den Grundsätzen nach entsprechenden Beschluss, ist die Bürgerinnen- und Bürger-Initiative einer Befragung der Bürgerinnen und Bürger zu unterziehen, wenn dies von der zustellungsbevollmächtigten Person spätestens vier Wochen nach Ablauf der sechs Monate verlangt wird.“ Vgl. dazu etwa Eberhard, Gemeinderecht, in: Pürgy (Hrsg.), Das Recht der Länder, Bd. I (2012) 593 (617 ff.); Gamper, Direkte Demokratie in der Gemeinde, RFG 2011, 66; Giese, Direktdemokratische Willensbildung in der Gemeindeselbstverwaltung – Stand, Rechtsfragen, Perspektiven, FS 50 Jahre Gemeindeverfassungsnovelle (2012) 109; Konrath, Demokratiepaket, 354 f.; Madlsperger, Instrumente der direkten Demokratie auf Gemeindeebene, RFG 2014, 140 (141 ff.); Pernthaler/ Gstir, Direkte und repräsentative Demokratie auf Gemeindeebene. Stellenwert der Gemeindevolksabstimmung, ZfV 2004, 748; Poier, Instrumente und Praxis direkter Demokratie in Österreich, in: Bußjäger/Balthasar/Sonntag (Hrsg.), Direkte Demokratie im Diskurs (2014) 141 (143 f.) Zu den in Wien als Land und Gemeinde vorgesehenen Instrumenten siehe näherhin Gamper, Direkte Demokratie in Wien als Land und Gemeinde, RFG 2014, 135 (135 f., 137). Art. 78 Abs. 2 und 3 Stmk. L-VG. Dazu m.w.N. Eberhard, Gemeinderecht (619). §§ 21 Abs. 4 und 22 Vbg. Gemeindegesetz. Dazu Poier, Instrumente (144).
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sich in einer Staatszielbestimmung der Landesverfassung seit 201330 explizit „zur direkten Demokratie in Form von Volksbegehren, Volksabstimmungen und Volksbefragungen und fördert auch andere Formen der partizipativen Demokratie“.31 Es hat als eine solche andere Form auch „Bürgerräte“ etabliert,32 bei denen „unter Teilnahme von nach dem Zufallsprinzip und unter Beachtung der Diversität ausgewählten Personen die Möglichkeit (besteht), allgemeine oder konkretere Themen (insbesondere der Gesetzgebung und der Verwaltung) in einem gut strukturierten Prozess zu erörtern und die einschlägigen staatlichen Entscheidungsträger zu beraten“.33 Zu nennen sind in diesem Zusammenhang auch sonstige Instrumente direkter Demokratie wie Begutachtungsrechte sowie informelle Mitwirkungsrechte.34
II. Wege zu mehr direkter Demokratie Wenn man die Frage nach den Rahmenbedingungen und Leitlinien einer Weiterentwicklung direkter Demokratie stellt, dann zeigt sich, dass die Bundesebene einen „Nachholbedarf“ besitzt, möchte man zwischen den Ebenen des Bundesstaates mit Blick auf das System direkter Demokratie einigermaßen kohärente Verhältnisse erreichen. Im Rahmen ihrer relativen Verfassungsautonomie35 haben die Landesverfassungen eine bemerkenswerte Vielfalt direkt-demokratischer Instrumente entwickelt, und es gibt auf der Ebene der Bundesländer und vor allem jener der Gemeinden ein höheres Maß an direkt-demokratischer Kultur. Eine solche setzt aber im Kontext verfassungsrechtlicher Vorgaben für die Demokratie auch entsprechende Rechtsgrundlagen voraus. Hier laufen mehrere Fäden zusammen: Zum einen hat der VfGH in seinem grundlegenden, wenngleich überwiegend kritisierten36 Erkenntnis zur Vorarlberger 30 31 32
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Art. 1 Abs. 4 Vbg. LV i.d.F. LGBl. 2013/14. Bußjäger, Entwicklungen in der direkten Demokratie und Bürgerbeteiligung in Vorarlberg, in: Bußjäger/Balthasar/Sonntag (Hrsg.), Direkte Demokratie im Diskurs (2014) 151 (159). Vgl. dazu Bußjäger, Entwicklungen in der direkten Demokratie und Bürgerbeteiligung in Vorarlberg, 159 f.; Hellrigl, Bürgerräte in Vorarlberg, in: Bußjäger/Balthasar/Sonntag (Hrsg.), Direkte Demokratie im Diskurs (2014) 163 (164 ff.) mit entsprechenden Beispielen. Dazu näherhin die Ausführungen unter http://www.vorarlberg.at/vorarlberg/umwelt_zukunft/ zukunft/buerofuerzukunftsfragen/weitereinformationen/buergerschaftlichesengage/buergerbeteiligung/vorarlbergverankerterstma.htm. Dazu m.w.N. Mayrhofer, Landtagswahlen und Direkte Demokratie, in: Pürgy (Hrsg.), Das Recht der Länder, Bd. I (2012) 153 (212); Eberhard, Gemeinderecht, 617; Poier, Instrumente und Praxis direkter Demokratie in Österreich, 143. Art. 99 Abs. 1 B-VG. Dazu Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht, Rz. 233. Öhlinger, Bundesverfassungsrechtliche Grenzen der Volksgesetzgebung, in: Montfort, Vierteljahresschrift für Geschichte und Gegenwart Vorarlbergs 2000, 402; Gamper, Demokratie und bundes-
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Volksgesetzgebung im Jahr 200137 ausgesprochen, dass auch dann, wenn das Parlament gezwungen wäre, einen bestimmten Gesetzesbeschluss oder auch nur die Anordnung einer Volksabstimmung, deren Ergebnis ja bindend wäre, vorzunehmen, ein „Konkurrenzmodell“ zum parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren konstituiert würde, das mit dem repräsentativ-demokratischen Grundprinzip der Bundesverfassung nicht mehr vereinbar wäre. Vor diesem Hintergrund kann man nicht mit Sicherheit davon ausgehen, dass etwa die in einzelnen Bundesländern vorgesehenen Regelungen direkter Demokratie,38 vor allem auch die „Vetoreferenden“39, die derartige Konkurrenzmodelle abbilden, nicht dem gleichen Verdikt der Verfassungswidrigkeit unterliegen wie dies im Jahr 2001 im Fall Vorarlbergs der Fall gewesen ist. Dies allein wäre ein ausreichender Grund, auf Bundesebene das „Setting“ direkter Demokratie nachzuschärfen, um allfällige Verfassungswidrigkeiten bestimmter Ausgestaltungen auf Landesebene auszuschließen oder m.a.W.: um „verfassungsrechtliche Rechtssicherheit“ für diese Ausgestaltungsformen zu schaffen. Denn das Verdikt der Verfassungswidrigkeit von Kombinationslösungen verschiedener Instrumente war und ist gewiss auch ein Hemmschuh der weiteren Entwicklung auf Landesebene gewesen. Es gibt nichts Negatives, das nicht auch sein Gutes hat. Die Ausgestaltung direkter Demokratie auf Landesebene hätte in dieser Hinsicht nämlich gerade eine „Vorreiterfunktion“ für diese weiteren Schritte auf Bundesebene. Öhlinger40 hat in diesem Sinn treffend auf die Idee eines „föderalistischen Laboratoriums der Landesgesetzgebung“ hingewiesen. In der Tat gibt es diese große Bandbreite an Instrumenten sowie eine Kultur direkter Demokratie in Österreich eher auf Landes- und Gemeindeebene, die letztlich mit Blick auf die Letztere gerade auch die Mitwirkung an der Verwaltung erfassen. Direkte Demokratie wird auf Landes- und Gemeindeebene aber auch in einem tieferen Sinn „gelebt“,41 wenngleich sie auch hier oftmals
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staatliches Homogenitätsprinzip, ÖJZ 2003, 441. Zu den Auswirkungen des Erkenntnisses auf die weitere Entwicklung Bußjäger, Entwicklungen in der direkten Demokratie und Bürgerbeteiligung in Vorarlberg, 156 ff. VfSlg. 16.241/2001. Für einen Überblick siehe etwa Mayrhofer, Landtagswahlen und Direkte Demokratie, 206 ff.; Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht, Rz. 446 f.; Poier, Instrumente und Praxis direkter Demokratie in Österreich, 142 ff. Dazu Mayrhofer, Landtagswahlen und Direkte Demokratie, 208 f.; Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht, Rz. 447; Poier, Instrumente und Praxis direkter Demokratie in Österreich, 142 f. Öhlinger, Direkte Demokratie: Möglichkeiten und Grenzen, ÖJZ 2012, 1054 (1055). Zu entsprechenden Erfahrungen am Beispiel Wiens siehe etwa Bachofner, Praxiserfahrungen zu den Volksbefragungen in Wien, in: Bußjäger/Balthasar/Sonntag (Hrsg.), Direkte Demokratie im Diskurs (2014) 169 ff.
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hinter den rechtlichen Möglichkeiten zurückbleibt.42 Andererseits wird sie zuweilen sogar in Umgehung bestehender Vorschriften gelebt,43 was die Reformbedürftigkeit auch auf dieser Ebene illustriert.
III. Das „Demokratiepaket“ A. Übersicht über die wesentlichen Inhalte des „Demokratiepakets“ Das „Demokratiepaket“44 stellt die zentrale Diskussionsgrundlage für die weitere Diskussion dar, weil es einen Weg der Verknüpfung der bestehenden Instrumente, nämlich des Volksbegehrens mit der Volksbefragung, vorschlägt. Dabei wird ein neuer Typ eines Volksbegehrens vorgesehen, der als „qualifiziert unterstütztes Volksbegehren“ eine größere normative Bedeutung für das Gesetzgebungsverfahren besitzen würde, als dies bislang bei Volksbegehren an sich der Fall gewesen ist. Vorgesehen ist nämlich, dass derartige Volksbegehren in eine Volksbefragung münden, wenn der Nationalrat keinen dem qualifiziert unterstützten Volksbegehren entsprechenden Gesetzesvorschlag fasst, wobei ihm unwesentliche Abweichungen von diesem Gesetzesantrag des Volksbegehrens zugestanden werden.45 Qualifiziert unterstützte Volksbegehren würden dabei in jenen Fällen vorliegen, in denen das Volksbegehren einen Gesetzesantrag enthält46 und dieser bei einfachgesetzlichen Regelungen von zehn Prozent – das sind dzt. ca. 640.000 Personen – sowie bei Verfassungsgesetzen von 15 % der Stimmberechtigten – das sind dzt. 960.000 Personen – unterstützt wird.47 Eine maßgebliche Änderung ergäbe sich im vorliegenden Zusammenhang dadurch, dass auf Basis einer vorgeschlagenen verfassungsgesetzlichen Ermächtigung48 auch die Möglichkeit der elektronischen Un-
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Dazu mit entsprechendem Datenmaterial Poier, Instrumente und Praxis direkter Demokratie in Österreich, 147 f. Zu einem instruktiven Beispiel auf Gemeindeebene siehe Merli, Langsame Demokratie, GS Walter (2013) 487 (491 ff.). Siehe auch Gamper, RFG 2014, 138 f., zur „BürgerInnen-Umfrage Mariahilfer Straße“ in Wien und Kolonovits, Problem der zulässigen Fragestellung bei Volksbefragungen – am Beispiel der geforderten Volksbefragung zur Ausweitung des „Parkpickerls“ in Wien, FS Berka (2013) 505 (507 ff.). Siehe für eine eingehende Analyse Öhlinger, ÖJZ 2014 (im Druck); Konrath, Demokratiepaket, 355 ff. Art. 49c Abs. 1 bis 3 B-VG i.d.F. des Abänderungsantrags zu 2177/A 24. GP (im Folgenden: Demokratiepaket 2013). Was weiterhin nicht verpflichtend ist: arg. „kann“ in Art. 41 Abs. 2 dritter Satz B-VG in der derzeitigen und in der vorgeschlagenen Fassung. Siehe Art. 49c Abs. 1 B-VG i.d.F. des Demokratiepakets 2013. Art. 41 Abs. 2 letzter Satz B-VG i.d.F. des Demokratiepakets 2013.
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terstützung eines Volksbegehrens vorgesehen wird. Sowohl die Unterstützung des Einleitungsantrags49 als auch die Eintragung für ein Volksbegehren50 können nach diesem Vorschlag „in Form des elektronischen Nachweises der eindeutigen Identität der Person und der Authentizität der Eintragung“ über eine vom Bundesministerium für Inneres zur Verfügung gestellte „Anwendung“51 erfolgen.52 Vom bisherigen Standard einer gerichtlichen oder notariellen Beglaubigung der Unterschrift oder der Unterschriftsleistung vor der Gemeindebehörde53 würde daher in diesen Fällen abgewichen werden. Bestimmte Inhalte dürfen keiner derartigen Volksbefragung unterzogen werden. Eine Volksbefragung wäre nach dieser Regelung im Sinne einer „Negativliste“ unzulässig, 1. wenn der Gesetzesbeschluss einen offenkundigen Verstoß gegen das europäische Unionsrecht bzw. gegen „völkerrechtliche Verpflichtungen der Republik Österreich“ oder eine „Verletzung oder Abschaffung von verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten“ bewirken würde, 2. wenn der Gesetzesbeschluss eine Änderung der Bundesverfassung bewirken würde und die entsprechende formelle Voraussetzung der Bezeichnung als verfassungsändernd nicht erfüllt ist,54 3. wenn durch den Gesetzesbeschluss eine erhebliche finanzielle Belastung des Bundes eintreten würde und das Volksbegehren keine Vorschläge darüber enthält, wie ein finanzieller Mehraufwand zu decken ist.55 Dem Nationalrat soll es auch freistehen, der Volksbefragung einen Alternativvorschlag zugrunde zu legen.56 Im Übrigen sind die verfahrensrechtlichen Bestimmungen dieser neu vorgeschlagenen Form der Volksbefragung weitgehend jener der schon mit der B-VG-Novelle BGBl. 1988/685 eingeführten Volksbefragung nach Art. 49b B-VG angeglichen.57
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§ 5 Abs. 1 Z. 1 Volksbegehrengesetz 2015 i.d.F. des Demokratiepakets 2013. § 11 Abs. 1 Z. 1 Volksbegehrengesetz 2015 i.d.F. des Demokratiepakets 2013. Zur Weite dieses „technologieneutralen“ Begriffs siehe Abänderungsantrag zu 2177/A 24. GP, 49: dies kann ein Formular, eine eigene Website, aber auch eine „App“ oder eine sonstige technische Umsetzung sein. Dazu Öhlinger, ÖJZ 2014 (im Druck). Vgl. näher § 4 Abs. 1 Volksbegehrengesetz 1973, BGBl. 1973/344 i.d.F. BGBl. I 2010/13. Art. 44 Abs. 1 B-VG. Art. 49c Abs. 4 B-VG i.d.F. des Demokratiepakets 2013. Art. 49c Abs. 5 B-VG i.d.F. des Demokratiepakets 2013. Vgl. Art. 49c Abs. 5 bis 8 B-VG i.d.F. des Demokratiepakets 2013.
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Hinsichtlich der Frage der Zulässigkeit einer Volksbefragung,58 über die zunächst von der Bundeswahlbehörde zu entscheiden ist,59 sowie jener einer „wesentlichen Abweichung“ eines Gesetzesbeschlusses von einem qualifiziert unterstützten Volksbegehren60 werden neue Zuständigkeiten des VfGH vorgeschlagen. Im ersten Fall beseitigt ein stattgebendes Erkenntnis den Bescheid der Bundeswahlbehörde, im zweiten Fall würde der entsprechende Beschluss des Nationalrates beseitigt. Damit würde zum einen eine neue Form der nicht mehr existierenden Bescheidbeschwerde geschaffen, zum anderen eine Kompetenz des VfGH zur Entscheidung über einen Gesetzesbeschluss des Nationalrates. Die Wirkungen beider Erkenntnisse sind nach den bislang vorgeschlagenen Regelungen relativ unklar.61
B. Bewertung Das vorgeschlagene Paket als eine mögliche Ausgestaltung geht zweifellos den Weg in jenen Bahnen, die der einfache Verfassungsgesetzgeber befahren kann. Er mündet in ein Instrument, das im Ergebnis keine rechtliche Verbindlichkeit, wohl aber – und das zeigt das Beispiel der Wehrpflichtvolksbefragung vom Jänner 2013 – eminente politische Wirkungen besitzt. Legt man darüber die Schablone der zuvor erwähnten Judikatur des VfGH,62 dann wird damit kein „Konkurrenzmodell“ zur repräsentativen Demokratie vorgeschlagen. Das „Demokratiepaket“ ist damit „grundprinzipienkonform“. Jene, denen die derzeitigen Vorschläge zu wenig weit gehen, müssen sich des Umstandes bewusst sein, dass die Verknüpfung eines Volksbegehrens mit einer Volksabstimmung die Gesamtänderungsschwelle überschreiten und daher in der Tat eine umfassende Demokratiereform bedeuten würde. Besonderes Augenmerk verdient die Frage der „Negativliste“ des vorgeschlagenen Art. 49c Abs. 4 B-VG: Sie belegt jenen von Öhlinger63 erstellten Befund, dass „Negativlisten“ einer direkten Demokratie an „inneren Widersprüchen“ leiden und insgesamt auch ein Misstrauen gegenüber der Rationalität von volksinitiierten Instrumenten bekunden, das sich aber nicht überzeugend auf bestimmte Sachgebiete64 eingrenzen lässt. Die Maßnahmen zur Herstellung von Demokratieverträglichkeit direkter De58 59 60 61 62 63
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Art. 141a Abs. 1 B-VG i.d.F. des Demokratiepakets 2013. Art. 49c Abs. 4 B-VG i.d.F. des Demokratiepakets 2013. Art. 141a Abs. 2 B-VG i.d.F. des Demokratiepakets 2013. Dazu auch Konrath, Demokratiepaket, 375 ff. VfSlg. 16.241/2001. Öhlinger, ÖJZ 2012, 1060; Öhlinger, Direkte Demokratie und BürgerInnenbeteiligung in der österreichischen Bundesverfassung – unter Berücksichtigung aktueller Gesetzesinitiativen, in: Bußjäger/ Balthasar/Sonntag (Hrsg.), Direkte Demokratie im Diskurs (2014) 117 (120 f.). Gamper, RFG 2014, 139, spricht plastisch von „plebiszitären Themenverboten“.
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mokratie durch „Negativlisten“ wenden sich somit gegen die direkte Demokratie selbst, daher auch gegen ihren Ausbau. Die zu den vorgeschlagenen Ausschlussgründen bei der Abhaltung der Volksbefragung geführte Diskussion würde es als angezeigt erscheinen lassen, im weiteren Diskussionsprozess darauf mit guten Gründen gänzlich zu verzichten, wenn es nicht um bestimmte Klarstellungen geht, die sich nicht schon aus anderen Vorschriften ergeben. (Sinnvoll wird in diesem Sinn etwa die schon jetzt für die Volksbefragung nach Art. 49b B-VG65 normierte Ausnahme sein, dass eine solche nicht über Gegenstände von gerichtlichen oder Verwaltungsverfahren abgehalten werden darf.) Dass es durch einen Akt der Volksbefragung nicht zu Einschränkungen von Grundrechten kommen darf und dass allfällige Änderungen verfassungsrechtlicher Art auch die entsprechenden Formalia erfüllen müssen, ergibt sich aus dem Gebot der Verfassungskonformität jedes Aktes im demokratischen Prozess. Daher stellen sich in diesem Zusammenhang darüber hinaus bewusst zugespitzt folgende Fragen: Wieso bedarf gerade ein bestimmtes bereits jetzt bestehendes direkt-demokratisches Instrument nur deswegen größerer inhaltlicher Sicherungen, weil es im Anschluss an ein Volksbegehren durchgeführt wird und daher in einem anderen „Umfeld“ als bisher angesiedelt ist? Hat das Parlament beim Beschluss zur Durchführung einer Volksbefragung einen höheren „Vertrauensvorschuss“ im Hinblick auf die Einhaltung jener Vorgaben, wie sie sich in der „Negativliste“ finden? Man verkennt bei der bislang geführten Diskussion tendenziell auch, dass die verbindende Klammer aller Volksbefragungen im bisherigen66 wie im vorgeschlagenen „neuen“67 System der Bundespräsident ist, der die Volksbefragung anordnet und nach herrschender,68 wenngleich nicht unbestrittener69 Ansicht schon im jetzigen System die Anordnung in jenen Fällen, in denen er den Beschluss des Nationalrates für verfassungswidrig hält, ablehnen darf und dies in Fällen einer offensichtlichen und schwerwiegenden Verfassungswidrigkeit sogar muss. Eine „Negativliste“, im Besonderen jene in ihrer Gestalt des vorgeschlagenen Art. 49c Abs. 4 B-VG, drückt damit für die Volksbefragung an sich Selbstverständliches aus, ihre explizite Normierung ausschließlich für eine spezifische Konstellation wirkt daher systemfremd und daher fragwürdig. 65 66 67 68 69
Abs. 1 leg. cit. Art. 49b Abs. 3 i.V.m. Art. 46 Abs. 1 B-VG. Art. 49c Abs. 6 B-VG i.d.F. des Demokratiepakets 2013. Siehe dazu eingehend Merli, Art. 49b B-VG, in: Korinek/Holoubek (Hrsg.), Österreichisches Bundesverfassungsrecht Kommentar (5. Lfg. 2002) Rz. 36 f. Strejcek, Art. 141 B-VG, in: Korinek/Holoubek (Hrsg.), Österreichisches Bundesverfassungsrecht Kommentar (5. Lfg. 2002) Rz. 98.
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Es ist aber auch die Rolle des VfGH im Rahmen sämtlicher Reformschritte in den Blick zu nehmen. Wie zuvor ausgeführt,70 würde das Demokratiepaket neue Zuständigkeiten des VfGH implementieren, die ihm, weil es um notwendigerweise unkonkretere Prüfungsobjekte als parlamentarische Gesetze geht, möglicherweise politische Wertungen übertragen und Kompetenzen auflasten würde, die ihn seinen sonstigen Aufgaben entfremden. Beispiele dafür hat es bekanntlich immer wieder gegeben. Die alte Diskussion der Legitimation gerichtlicher Gesetzesprüfung71 würde dann, wenn sie in ein Stadium der Prüfung von Gesetzesbeschlüssen im Gefolge von Volksbegehren eintritt, mehr an Brisanz gewinnen als verlieren. Die mit guten Gründen geschaffene und auch bereits lange Zeit gut funktionierende „Ex-Post-Kontrolle“ von Instrumenten direkter Demokratie72 ist ausreichend, jede zusätzliche Befassung im Vorfeld durchgeführter Volksbefragungen implementiert die Befassung des VfGH unweigerlich in Verfahrensstadien, für die die Verfassung bereits anderweitig Sicherungsmechanismen staatlicher Organe kennt; sie würde im Übrigen auch zu einer Verdoppelung der Befassung des VfGH führen, weil zu erwarten ist, dass er sowohl im „Zwischenstadium“ als auch nach erfolgter Abhaltung der Volksbefragung angerufen werden würde. Pointiert formuliert wäre hier wohl weniger mehr.
IV. Schlussbemerkung Instrumente direkter Demokratie haben in Österreich bislang weder in rechtlicher noch in politischer Hinsicht einen großen Stellenwert gehabt. Eine Reformdiskussion über eine Verbindung der vorhandenen Elemente, im Besonderen eine Aufwertung der in der Verfassungsrealität durchaus genutzten Volksbegehren, ist daher ein durchaus berechtigtes Ansinnen. Diese Diskussion sollte ohne Scheuklappen geführt werden. Denn die mit der direkten Demokratie verbundene und in der jüngeren Reformdiskussion latent oder offen vorhandene Skepsis reflektiert – im Einzelnen durchaus berechtigte – Ängste, die nicht nur, aber auch aus mangelnder Verfassungskultur im Umgang mit direkter Demokratie73 entstanden sind. Missbrauchsmöglichkeiten und Gefahren sind nämlich vielmehr auch im Rahmen des repräsentativ-demokratischen Systems im gleichen Ausmaß gegeben, denn dass pressure groups und zuweilen auch Demagogie im Rahmen repräsentativer Demokratie relevante Faktoren darstellen, ist nicht zu bestreiten. Es bestehen aber – wenn 70 71 72 73
Siehe III.A. Dazu grundlegend Öhlinger, Verfassungsgesetzgebung und Verfassungsgerichtsbarkeit, ÖJZ 1990, 2. Art. 141 Abs. 1 lit. e B-VG. Siehe dazu näherhin Strejcek, Kommentar zu Art. 141 B-VG, Rz. 94 ff. Zu diesem Gedanken näherhin Öhlinger, ÖJZ 2014 (im Druck).
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Harald Eberhard
man sie nutzt – auch Möglichkeiten der „Katalysierung“ dieser Einflüsse. Um die in tendenzieller Ignoranz gegenüber direkter Demokratie zum Ausdruck kommende Skepsis zu ändern, bedürfte es daher zuallererst eines politischen Verständnisses der direkten Demokratie und eines positiven Diskurses über ihre Möglichkeiten und Chancen, der auch rechtsvergleichend geführt werden sollte.74 Nur in einem solchen Umfeld könnten die bereits bestehenden verfassungsrechtlichen Optionen direkter Demokratie – und können letztlich auch Änderungen dieses Systems – ihre Funktion erfüllen. Insoweit ist gerade die Diskussion um das „Demokratiepaket“ auch im Lichte der Öffentlichkeit der Debatte um eine letztlich optimale Lösung von größter Wichtigkeit. Wie sich die im Rahmen der nunmehr konkret in Aussicht genommenen parlamentarischen Enquetekommission geführte Diskussion weiter entwickeln wird, darf mit Spannung verfolgt werden. Bei alldem soll aber auch keiner uneingeschränkten Euphorie des Ausbaus direkter Demokratie das Wort geredet werden: Denn ein Ausbau direkter Demokratie und eine damit einhergehende Schwächung repräsentativer Demokratie bedeutet auch eine Schwächung jenes Diskurses, der im Parlament und auch vorparlamentarisch, aber mit Blick auf ein konkretes Gesetzgebungsverfahren geführt wird. Niemand kann in Abrede stellen, dass eine Nutzung dieser schon jetzt bestehenden Möglichkeiten und ebenso der Ausbau, etwa durch die ebenfalls diskutierte „Bürgeranfrage“,75 partizipative Wege eröffnet, die dem Anliegen auch der direkten Demokratie, nämlich der Verringerung einer Entfremdung von Regierten und Regierenden,76 Rechnung tragen könnten. Dazu kommt, dass jeder Ausbau direkter Demokratie auch Legitimationsfragen mit Blick auf die Beteiligung des Volkes aufwirft. Denn die Verschiebung der Rechtsetzung vom Parlament zum Volk in jenen Fällen, in denen bestimmte „Au74
75 76
Zu dieser Perspektive siehe etwa Balthasar, Die Europäische Bürgerinitiative und andere Instrumente der direkten Demokratie in Europa, in: Bußjäger/Balthasar/Sonntag (Hrsg.), Direkte Demokratie im Diskurs (2014) 5 (21 ff.); Braun Binder, Instrumente der direkten Demokratie im Mehrebenensystem: Erfahrungen aus Deutschland und der Schweiz unter Berücksichtigung des Verfahrens im Vorfeld (Vorprüfungsverfahren und Informationsszenarien), in: Bußjäger/Balthasar/ Sonntag (Hrsg.), Direkte Demokratie im Diskurs (2014) 61; Caroni, Direkte Demokratie in der Schweiz – eine stetige Herausforderung, in: Österreichische Juristenkommission (Hrsg.), Direkte Demokratie (2014) 65 (66 ff.); Jung, Direkte Demokratie in den deutschen Bundesländern. Historische Entwicklung – aktuelle Rechtslage – empirische Erfahrungen, in: Österreichische Juristenkommission (Hrsg.), Direkte Demokratie (2014) 21 (25 ff.); Öhlinger, ÖJZ 2014 (im Druck); Sully, Direct Democracy in the UK. A constitutional experiment, in: Bußjäger/Balthasar/Sonntag (Hrsg.), Direkte Demokratie im Diskurs (2014) 47 (50 ff.). § 96a GONR i.d.F. des Demokratiepakets 2013. Siehe dazu etwa von Arnim, Vom schönen Schein der Demokratie (2000) 26 ff., und im Speziellen zur Rolle direkter Demokratie 169 ff., 178 ff.; von Arnim, Demokratie ohne Volk (1993) 360 ff.
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tomationsmechanismen“ von Volksbegehren und Volksbefragungen bzw. Volksabstimmungen umgesetzt würden, wirft insoweit eminente Fragen der demokratischen Legitimation auf,77 als sie den parlamentarischen Rechtsetzungsprozess in unterschiedlicher Nuancierung mit anderen demokratischen, nicht aber parlamentarisch vollends gesteuerten Prozessen austariert. Von ebensolchen „Automationsmechanismen“ ist man bei den derzeitigen Vorschlägen des „Demokratiepakets“ angesichts der verfahrensrechtlichen Sicherungen und der nachprüfenden Kontrolle durch den VfGH aber ohnedies weit entfernt.
77
Näherhin Merli, GS Walter, 496 f., zur Verknüpfung von Volksbegehren und Volksabstimmung.
Christoph Bezemek
In der Mittlerrolle – Vom Diskurs zwischen Repräsentanten und Repräsentierten*
I. Der Ruf nach direkt-demokratischen Elementen in unserer Verfassung „Die jüngste Nationalratswahl hat – nach einem so gut wie einmütigen Urteil der politisch Interessierten – die in der Bevölkerung vorhandene Unzufriedenheit mit dem Stil und der Leistungsfähigkeit traditioneller Parteipolitik recht deutlich zum Ausdruck gebracht. Auch wenn man – wie ich meine – die Dinge nicht dramatisieren sollte, die Diagnose trifft zu. Die Parteien, die in einer repräsentativen Demokratie Mittler zwischen der Organisation ‚Staat‘ und den Bürgern sein sollten, haben allzu lange eine unerfreuliche Tendenz zu einem ‚L’Etat, ce sont nous, les partis établis‘ gezeigt. Gegenüber den Bürgern werden sie ihrer Mittlerrolle nicht gerecht, wenn sie auf Strömungen in der Bevölkerung nicht, oder doch nur wahltaktisch orientiert, aber keineswegs konzeptiv reagieren. Grund von einer Krise zu sprechen, gibt auch die Erfahrung, daß man Entscheidungen, die man nicht aufschieben sollte, nicht oder zu spät und dann nur unter großen Schwierigkeiten trifft. Sind Entscheidungen endlich gefallen, so ist gar nicht sicher, daß man konsequent zu ihnen steht und sich traut, sie auch durchzusetzen. Gewiß sind viele dieser Mängel nicht erst von heute. Sie haben sich aber in der letzten Zeit vertieft. Zugleich hat die Bereitschaft der Bürger, die erwähnten Schwächen der politischen Parteien hinzunehmen, deutlich abgenommen. […] Angesichts der Parteienkrise ist der Ruf nach direkt-demokratischen Elementen in unserer Verfassung lauter geworden.“1 Dass diese Passage auf die politischen Gegebenheiten des Jahres 1986 Bezug nimmt, ist, sieht man vom redlichen Provenienzausweis im Anmerkungsapparat ab, wenn überhaupt, so nur auf Grund der aus heutiger Perspektive veralteten Orthographie zu erahnen. Gleichgültig ob man darin die ewige Wiederkehr des Gleichen, eine Wiederholung der Geschichte oder bloß einen Beleg dafür erkennen möchte,
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Gisela Kristoferitsch danke ich sehr herzlich für ihre Unterstützung bei der Recherche sowie für anregende Diskussionen. Heinz Peter Rill, Möglichkeiten und Grenzen des Ausbaus direkt-demokratischer Elemente in der österreichischen Bundesverfassung (1987) 5.
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Christoph Bezemek
dass die geäußerten Anwürfe tiefer in der politischen Landschaft wurzeln,2 als es einem kollektiven Gedächtnis lieb sein mag, das es vorzieht, Politik- und Parteienverdrossenheit als rezente Wechselwirkung zu begreifen:3 Die so gestellte Diagnose ist ohne Weiteres auf die Gegenwart umzulegen. Und auch die Therapievorschläge gleichen den vor beinah dreißig Jahren unterbreiteten.4 Wenn überhaupt, mag man einen entscheidenden Fortschritt darin erblicken, dass der von Heinz Peter Rill angesprochene „Ruf nach direkt-demokratischen Elementen in unserer Verfassung“ nunmehr auch in den Hallen repräsentativ-demokratischen Wirkens ertönt;5 jenes Wirkens, dem nach der Rechtsprechung des VfGH im System des B-VG ein Primat politischer Gestaltung zuzukommen hat, mit dem Ausbau und Verfestigung der Instrumente unmittelbarer Volksbeteiligung an der demokratischen Willensbildung nur bedingt kompatibel sind.6 Umso bemerkenswerter also, dass gegenwärtig gerade „Berufspolitiker, die heute eben Parlamentarier sind, ihre ja begreifliche Abneigung gegen das Institut des Volksentscheides zurückdrängen“:7 Im Zentrum der gegenständlichen Diskussion einer breiteren Demokratiereform auf Bundesebene steht ein „Demokratiepaket“, das als im parlamentarischen Prozess entstandener Vorschlag, die Einbindung der Bevölkerung in den politischen Entscheidungsprozess zu forcieren, große Bereitschaft der „partis établis“ ausstrahlt, eine konkurrenzbasierte Betrachtung direkt-demokratischer Instrumente und repräsentativ-demokratischer Entscheidungsmacht 2
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Und nicht nur in unserer – vgl. stellvertretend für (und mit Blick auf ) eine ganze literarische Gattung elaborierter Unmutsbekundungen, die an repräsentativ-demokratische Systeme gerichtet sind Carl Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus² (1926) 27: „Seitdem es einen Parlamentarismus gibt, hat sich auch eine Literatur der Kritik dieses Parlamentarismus entwickelt.“ Dass Krisen der repräsentativen Demokratie tiefer wurzeln und bereits für die Zeit der Entstehung der Republik ausgemacht wurden, mag im gegebenen Zusammenhang nicht zu verwundern – vgl. aus dem neueren Schrifttum etwa die Nachweise bei Manfried Welan, Plädoyer für direkte Demokratie in Diendorfer (Hg.), Direkte Demokratie: Forderungen – Initiativen – Herausforderungen (2013) 58. Und sind vor allem bei weitem kein österreichisches Spezifikum – vgl. zur steigenden Bedeutung direkt-demokratischer Instrumente grundlegend die von Butler/Ranney herausgegebene Studie Referendums around the World: The Growing Use of Direct Democracy (1994) sowie aus dem neueren Schrifttum etwa John Matsuda, Direct Democracy Works, 19 Journal of Economic Perspectives 2005, 185; ders., The eclipse of legislatures: Direct Democracy in the 21st century, 124 Public Choice 2005, 157, Donovan/Karp, Popular Support for Direct Democracy, 12 Party Politics 2006, 671. Für eine breite Einführung vgl. die Darstellung bei Andreas Kost, Direkte Demokratie (2008) 71 ff. Abänderungsantrag der Abgeordneten Dr. Cap, Mag. Gerstl, Mag. Musiol Kolleginnen und Kollegen zum Antrag 2177/A XXIV. GP (i.w.F. AA 2177/A XXIV. GP). Vgl. nur VfSlg. 16.241/2001 sowie bereits die Ausführungen bei Peter Oberndofer in Korinek/Holoubek (Hg.), Österreichisches Bundesverfassungsrecht (3. Lfg. 2000), Art. 1 B-VG Rz. 14 ff. Hans Kelsen, Das Problem des Parlamentarismus (1925) 12.
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zu überwinden und beide Elemente in ihrem komplementären Potential zu begreifen.8 Ausdrücklich zielt dieser Reformvorschlag, der auch den Ausgangs- und Mittelpunkt der folgenden knappen Ausführungen bildet, ausweislich der Antragsbegründung „darauf ab, die bestehenden Instrumente der Mitbestimmung durch die Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger auszubauen und damit [!] den Parlamentarismus zu stärken“;9 auf ein verschränktes Zusammenwirken von Volk und Volksvertretung also, mit dessen Hilfe allenthalben festzumachende post-demokratische Ermüdungserscheinungen bekämpft werden sollen,10 damit künftig „politische Entscheidungsprozesse näher an die Wählerin und an den Wähler herangeführt und transparenter gestaltet“ 11 werden.
II. Eine österreichische Lösung Das so verfolgte Ziel ist ohne Frage nobel. Der Weg, der bislang zurückgelegt wurde, ist lang.12 An seinem (vorläufigen) Ende steht eine Lösung, für die das Attribut „österreichisch“ jedenfalls nicht von vornherein als Fehlzuschreibung zu erachten ist: „Um die Möglichkeit zu schaffen, dass die Bevölkerung eine politische Willensbildung über ein von ihr selbst formuliertes Anliegen herbeiführen kann, soll über ein Volksbegehren, das qualifiziert unterstützt und an den Nationalrat herangetragen wurde, eine verpflichtende Volksbefragung stattfinden, wenn das Volksbegehren vom Nationalrat nicht umgesetzt wurde.“13 8
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Vgl. zu diesem komplementären Potential aus der neueren rechtswissenschaftlichen Diskussion etwa Markus Möstl, Elemente direkter Demokratie als Entwicklungsperspektive, VVDStRL 72 (2013) 355 (370 ff.); aus politikwissenschaftlicher Sicht vgl. insb. die Ergebnisse der Studie von Justin Phillips, Does the Citizen Initiative Weaken Party Government in the U.S. States?, 8 State Politics and Policy Quarterly 2008, 127. AA zu 2177/A XXIV. GP 42. Zu diesem Befund insgesamt Colin Crouch, Post-Democracy (2004). AA zu 2177/A XXIV. GP 42. Dazu nur die umfassende Darstellung bei Christoph Konrath, Das Demokratiepaket 2013, in Baumgartner (Hg.), Jahrbuch des Öffentlichen Rechts (2014) 345. AA zu 2177/A XXIV. GP 42. Genauer: Wird ein in Form eines Gesetzesantrages gestelltes Volksbegehren von mehr als zehn Prozent der Stimmberechtigten unterstützt, sieht ein im Demokratiepaket vorgeschlagener Art. 49c Abs. 2 i.V.m. Art. 49c Abs. 1 eine Volksabstimmung über das dergestalt qualifiziert unterstützte Volksbegehren vor, sollte der Nationalrat keinen entsprechenden Gesetzesbeschluss fassen. Dem Nationalrat soll gemäß Art. 49c Abs. 5 zustehen, einen alternativen Gesetzesantrag auszuarbeiten, der im Zuge der Volksbefragung vorgelegt wird. Ein bloß unwesentlich abweichender Gesetzesbeschluss des Nationalrats (der als solcher vom Nationalrat selbst mit Beschluss festzustellen ist) zieht indes gemäß Art. 49c Abs. 3 keine Volksbefragung nach sich. Für Gesetzesanträge, die auf die Erlassung eines Verfassungsgesetzes oder von Verfassungsbestimmungen in einfachen Gesetzen gerichtet sind, soll gemäß Art. 49c Abs. 1 Z. 2 bei einer Unterstützung
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Österreichisch scheint eine solche Lösung zunächst bereits deshalb, weil sie mehreren Modellen korrespondiert, die in einzelnen Bundesländern entwickelt wurden.14 Vor allem aber ist die so vorgeschlagene Lösung eine österreichische, weil sie (dem Ansatz nach durchaus erfolgreich) versucht, zwei gegenläufige Anliegen in Einklang zu bringen.15 Denn einerseits würde durch den Vorschlag die zunehmend marginalisierte Rechtssetzungsinitiative qua Volksbegehren deutlich aufgewertet: Nicht länger wäre auch bei breit unterstützten Vorstößen der Bevölkerung zu befürchten, dass Aufwand und Auswirkung ob fehlender Resonanz in der Volksvertretung in krassem Missverhältnis zu einander stehen.16 Andererseits aber blieben politische Letztverantwortung und rechtliche Gestaltungsmöglichkeit weiterhin den repräsentativ-demokratischen Einrichtungen überlassen:17 Absichtsvoll erfolgte im erarbeiteten Vorschlag keine Kopplung qualifiziert unterstützter Gesetzesanträge, die im Nationalrat keine Zustimmung finden, mit Volksabstimmungen, die ein rechtlich verbindliches Ergebnis zeitigen würden.18 Die so vorgeschlagene Verbindung breit unterstützter Volksbegehren mit Volksbefragungen erzeugt damit Hand-
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durch 15 Prozent der Stimmberechtigten Nämliches gelten. Dass insbesondere diese Unterscheidung vielfach problembehaftet ist, wurde im Zuge der Begutachtung betont (vgl. etwa 629 SN XXIV. GP) und muss hier nicht vertieft werden. Vgl. insb. § 11 Abs. 1 Oö. Bürgerinnen- und Bürgerrechtegesetz (LGBl. 5/2002 i.d.F. LGBl. 34/2010), wonach eine Bürgerinnen- und Bürger-Initiative, die von wenigstens acht Prozent der für die vorangegangene Wahl zum Landtag wahlberechtigten Landesbürgerinnen oder Landesbürger unterstützt wurde, einer Bürgerinnen- und Bürger-Befragung zu unterziehen ist, wenn der Landtag innerhalb von sechs Monaten keinen Beschluss gefasst hat, der der Bürgerinnen- und Bürger-Initiative wenigstens den Grundsätzen nach entspricht und binnen vier Wochen nach Zustellung einer entsprechenden Mitteilung die Durchführung einer Befragung verlangt wird. Ähnliche Regelungen bestehen – sub titulo Volksabstimmung – in Salzburg, der Steiermark und Vorarlberg – vgl. dazu Michael Mayerhofer, Landtagswahlen und direkte Demokratie, in Pürgy (Hg.) Das Recht der Länder I (2012) 153 (208 f.) sowie Konrath, Demokratiepaket 2013 (FN 12) 354 f. Vgl zu den einzelnen landesrechtlichen Maßgaben insb auch Harald Eberhard, Parlamentarische Rechtssetzung und direkte Demokratie: Ausgestaltungsmöglichkeiten, in Lienbacher/Pürgy (Hg.), Das Phantom der Republik, Parlamentarismus in Österreich (2014) 127 (147 f ). Dass die Zuschreibung „österreichisch“ hier ja keineswegs pejorativ zu deuten ist, sei nur der Vollständigkeit halber betont. Dazu aus dem neueren Schrifttum nur Theo Öhlinger, Direkte Demokratie: Möglichkeiten und Grenzen, ÖJZ 2012, 1054 (1056). Was zugleich dazu beiträgt, einen Konflikt mit dem stark repräsentativ geprägten demokratischen Grundprinzip der österreichischen Bundesverfassung zu vermeiden – vgl. etwa Franz Merli, Grundsätzliche Aspekte der direkten Demokratie – das Beispiel Volksbegehren, in ÖJK (Hg.) Direkte Demokratie (2014) 15 (16). Vgl. insb. auch Konrath Demokratiepaket 2013 (FN 12) 356. So noch die mit dem Volksbegehren „Demokratie jetzt“ verfolgte Zielsetzung – .
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lungsdruck, ohne mit Druck Handlungen zu erzeugen;19 sie lässt zum Diskurs im Parlament den Diskurs mit dem Parlament hinzutreten,20 ohne den Ausgang des so initiierten Prozesses vorwegzunehmen und schafft zugleich eine Plattform, ihn öffentlichkeitswirksam zu führen und zu gestalten.21
III. Restringierter Diskurs Dieser Diskurs ist indes mehrfach restringiert: Volksbefragungen im Gefolge qualifizierter Volksbegehren, die nicht in einen Beschluss des Nationalrats münden, sollen insbesondere unzulässig sein,22 wenn ein entsprechender Gesetzesbeschluss einen offenkundigen Verstoß gegen das Recht der Europäischen Union, einen Verstoß gegen völkerrechtliche Verpflichtungen der Republik Österreich, eine Verletzung oder Abschaffung von verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten bzw. eine erhebliche finanzielle Belastung des Bundes eintreten würde, ohne, dass dem Volksbegehren selbst zu entnehmen wäre, wie ein solcher finanzieller Mehraufwand gedeckt werden soll. Die Entscheidung, ob einer der genannten Gründe vorliegt, soll der Bundeswahlbehörde zukommen. Gegen deren affirmative Einschätzung soll wiederum der VfGH angerufen werden können.23 Allein dieses Verfahren wirft Fragen auf.24 Insbesondere aber Ausgestaltung und Verhältnis der so formulierten Ausschlussgründe zueinander sind, wie im Anschlussbegutachtungsverfahren hervorgekommen ist, nicht frei von Problemen und
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Vgl. dazu aus der Diskussion im aktuellen Schrifttum nur Theo Öhlinger, Direkte Demokratie und BürgerInnenbeteiligung in der österreichischen Bundesverfassung – unter Berücksichtigung aktueller Gesetzesinitiativen, in Bußjäger u.a. (Hg.) Direkte Demokratie im Diskurs (2014) 117 (121) oder Franz Merli, Langsame Demokratie in GS Robert Walter (2013) 487 (496 f.) sowie bereits Klaus Poier, Direkte Demokratie – Rückblick und Ausblick, in FS Korinek (2010) 67 (78). Und hat insoweit auch gewisse Katalysationswirkungen, die dem schon bei Rudolf Smend (Die Verschiebung der konstitutionellen Ordnung durch die Verhältniswahl [1919] 60 [62]) geäußerten Vorwurf, „der schöpferische Geburtsvorgang der politischen Entscheidung“ weiche einem Parlamentarismus, der nur mehr Fassade sei, „hinter der die entscheidenden Auseinandersetzungen der Parteien in aller Stille vor sich gehen“, entsprechen – vgl. dazu Wolfgang Durner, Antiparlamentarismus in Deutschland (1997) 99 f. Vgl. i.d.Z. auch die Untersuchung von Dominik Höglinger, Verschafft die direkte Demokratie den Benachteiligten mehr Gehör? Der Einfluss institutioneller Rahmenbedingungen auf die mediale Präsenz politischer Akteure, Swiss Political Science Review 2008, 207. Vgl. Art. 49c Abs. 4. Hinzu tritt der Fall der durch einen Gesetzesbeschluss bewirkten Änderung der Bundesverfassung ohne entsprechende Bezeichnung (Art. 49c Abs. 4 Z. 2). AA zu 2177/A XXIV. GP (Art. 49c Abs. 4 a.E. i.V.m. Art. 141a Abs. 1). Vgl. allein 624 SN/XXIV. GP.
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Friktionen.25 Dennoch ist die dahinter stehende Absicht klar: Der Entwurf trachtet, schon dem Grunde nach, Konstellationen zu vermeiden, die problematische Konsequenzen zeitigen können: Und prominente Beispiele gelebter direkter Demokratie wie jene der Schweiz oder Kaliforniens zeigen auf, dass inhaltlich und ökonomisch nicht oder eher lose regulierte Partizipations- und Entscheidungsmöglichkeiten der Bevölkerung Konflikte mit völkerrechtlichen Verpflichtungen,26 insbesondere menschenrechtlichen Schutzstandards,27 mit sich bringen oder auch notwendige budgetäre Flexibilität durch allzu rigid vorweggenommene Mittelallokation aushöhlen 25
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Nämliches gilt freilich für das Demokratiepaket insgesamt – vgl. dazu nur die Übersicht bei Konrath, Demokratiepaket 2013 (FN 12) 356. Was die Ausschlussgründe des vorgeschlagenen Art. 49c Abs. 4 im Besonderen anlangt, so ist vordringlich ihr Verhältnis zu den in Art. 49b Abs. 1 B-VG festgelegten Anforderungen an den Gegenstand von Volksbefragungen zu klären (vgl. i.d.S. etwa 628 SN/XXIV. GP 2). Zudem ist mit Blick auf die Begründung des Abänderungsantrags (AA zu 2177/A XXIV. GP 44: „einzuschränken“) zu hinterfragen, ob bereits ein Eingriff in verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte durch einen Gesetzesantrag eine Befragung unzulässig machen sollte (vgl. etwa 624 SN/XXIV. GP 4); was in Anbetracht des nunmehr dogmatisch etablierten objektiven Eingriffsbegriffs (vgl. dazu nur Michael Holoubek, Der Grundrechtseingriff – Überlegungen zu einer grundrechtsdogmatischen Figur im Wandel, in Merten/Papier (Hg.), Grundfragen der Grundrechtsdogmatik [2007] 17) das Instrument der obligatorischen Volksbefragung vielfach unterminieren würde (auch und sogar für die Wiener Stadtverfassung, die in § 112a Abs. 2 „Maßnahmen, durch die in verfassungsgesetzlich geschützte Grund- und Freiheitsrechte eingegriffen würde“ der Volksbefragung auf Gemeindeebene entzieht [vgl. zu dieser Wendung aus dem neueren Schrifttum Anna Gamper, Direkte Demokratie in Wien als Land und Gemeinde, RFG 2014, 135 {139}], wird angenommen, dass mit dieser Formulierung bloß grundrechtsverletzende Maßnahmen als Befragungsgegenstand ausscheiden sollten – vgl. nur Cech/Moritz, Die Verfassung der Bundeshauptstadt Wien: Kurzkommentar [2004] § 112a 253 f.). Weiters ist, was die „Verletzung oder Abschaffung“ verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte anlangt, das Verhältnis zwischen Art. 49c Abs. 4 Z. 1 und Z. 2 zu klären (629 SN/XXIV. GP) sowie eine nähere Bestimmung von Art. 49c Abs. 4 Z. 3 vorzunehmen (624 SN/XXIV. GP 2 oder 649/SN XXIV. GP 2). Schließlich ist innerhalb von Art. 49c Abs. 4 Z. 1 die Abstufung hinsichtlich der Evidenz eines Konflikts des Gesetzesantrages mit Unionsrecht einer- und Völker- bzw. Grund- und Menschenrechten andererseits nicht ohne Weiteres nachzuvollziehen (vgl. etwa SN 629 SN/XXIV. GP 6 sowie 636 SN/XXIV. GP 2). Neben Volksinitiativen, die „die Einheit der Form [oder] die Einheit der Materie“ verletzen, also den Anforderungen an eine gesamthafte und kohärente Gestaltung des Gegenstandes nicht genügen (dazu etwa Adrian Vatter, Das politische System der Schweiz [2013] 402 f.) sind gemäß Art. 139 BV Initiativen von der Bundesversammlung für ungültig zu erklären, wenn sie „zwingende Bestimmungen des Völkerrechts“ verletzen – vgl. etwa Johannes Reich, Direkte Demokratie und völkerrechtliche Verpflichtungen im Konflikt, 68 ZaöRV 2008, 979 (1008 ff.). Zur Diskussion um das in der Schweiz im Wege einer Volksabstimmung angenommene „Minarettverbot“ etwa Ralph Zimmermann, Zur Minarettsverbotsinitiative in der Schweiz, ZaöRV 2009, 829; Giovanni Biaggini, Die schweizerische direkte Demokratie und das Völkerrecht – Gedanken aus Anlass der Volksabstimmung über die Volksinitiative „Gegen den Bau von Minaretten“, 65 ZÖR 2010, 32 und Hertig Randall/McGregor, Reconciling Direct Democracy and Fundamental Rights, Tijdschrift voor Constitutioneel Recht 2010, 428.
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können.28 Insofern, so mag argumentiert werden, folgt der für Österreich erarbeitete Entwurf jenen internationalen Vorbildern, die ihrerseits vor diesem Hintergrund bestimmte Gegenstände dem direkt-demokratischen Prozess entziehen.29
IV. Offener Diskurs? Indes ist fraglich, ob in Anbetracht der zuvor skizzierten österreichischen Lösung, die im Demokratiepaket ventiliert wird, insgesamt danach getrachtet werden muss, solcherart befürchtete nachteilige Konsequenzen mittels eines Ausschlusskatalogs erst gar nicht eintreten zu lassen. Erfolgt nach dem vorliegenden Modell doch schon semantisch kein Referendum in Gestalt einer an die Bevölkerung (rück-)übertragenen Entscheidungsbefugnis30 Der Bevölkerung kommt im Rahmen einer bloßen Volksbefragung auf Basis eines breit unterstützten Volksbegehrens nicht zu, eine Entscheidung zu treffen. Was ihr zukommt, ist einem Vorschlag Unterstützung zu gewähren oder eben zu versagen;31 und darüber Einfluss auf die Rechtssetzung durch ihre Repräsentanten zu nehmen.32 28
Zur diesbezüglichen Situation in Kalifornien vgl. etwa Lessons from California – The Perils of Extreme Democracy, The Economist, 20.11.2011 oder James Fishkin, How to Fix California’s Democracy Crisis, New York Times 2011. Vgl. freilich auch die weniger drastische Einschätzung bei Levinson/Stern, Ballot Box Budgeting in California: The Bane of the Golden State or on Overstated Problem?, 37 Hastings Constitutional Law Quarterly 2010, 689. Zu Anforderungen und Ablauf vgl. etwa aus dem deutschsprachigen Schrifttum die Darstellung bei Johannes Schwaiger, Die Initiative in Amerika und speziell in Kalifornien in Pichler (Hg.), Verändern wir Europa! (2008) 205. 29 Vorbilder sind zu zahlreich, um hier auch nur aufgelistet zu werden. Typische Ausnahmen bilden indes ganz im Sinn des ventilierten Art. 49c Abs. 4 steuer- und haushaltsrechtliche sowie verfassungs- und grundrechtrechtsbezogene Fragstellungen – vgl. allein Art. 151 Abs. 2 der Verfassung Albaniens, Art. 14 des WahlG Boliviens, Art. 75 der Verfassung Italiens, Art. 8 des Referenden-Verfassungsgesetzes Kirgisistans, Art. 136 Abs. 3 i.V.m. Art. 179 Abs. 2 der Verfassung Mozambiques, Art. 66 Abs. 3 i.V.m. Art. 95 Abs. 2 der Verfassung Osttimors, Art. 32 der Verfassung Perus, Art. 93 Abs. 3 Verfassung der Slowakei, Art. 79 der Verfassung Uruguays oder Art. 74 der venezolanischen Verfassung. 30 Vgl. Wolfgang Luthardt, Direkte Demokratie – Ein Vergleich in Westeuropa (1994) 34. 31 Vgl. bereits Merli in FS Walter (FN 19) 496 f. 32 Ebendas vollzieht sich der Sache nach ja bereits in der Gesetzesinitiative qua Volksbegehren (umso mehr, umso breiter die Unterstützung für ein bestimmtes Anliegen ist – auch vor dem Hintergrund der geltenden Rechtslage wird eine Initiative, die von zehn Prozent bzw. 15 Prozent der Stimmberechtigten unterstützt wird [mehr als 600.000 bzw. knapp 1.000.000 Bürgerinnen und Bürger] kaum zu ignorieren sein); ohne, dass es hier zu gegenständlichen Beschränkungen käme (anders etwa im Rahmen Europäischer Bürgerinitiativen [vgl. Art. 4 Abs. 2 lit. c und d EBI-VO 211/2011 – vgl. dazu nur die Darstellung bei Lorenz Langer/Andreas Th. Müller, Ius Cogens und die Werte der Union, in Häberle [Hg.], Jahrbuch des Öffentlichen Rechts der Gegenwart 61 [2013] 229 [258 ff.] sowie insb. die Ausführungen bei Andreas Th. Müller, Die Europäische Bürgerinitiative
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Insofern der Effekt eines solchen Votums ein bloß konsultativer ist, also keine unmittelbaren rechtlichen Implikationen birgt, kann freilich weder eine, in der Diskussion um direkte Demokratie vielfach strapazierte,33 tyrannie de la majorité allein darauf gegründet werden,34 noch ist allein deshalb eine rebelión de las masas zu befürchten,35 die Humanität und Individualismus bedroht. Stets braucht es in einem solchen Modell mediatisierter Volksbeteiligung am Rechtssetzungsprozess eine parlamentarische Willensbildung, die einem im Befragungsweg hervorgekommenen Anliegen auch zum Durchbruch zu verhelfen bereit ist. Dass breit befürwortete direkt-demokratische Vorstöße Druck auf die Volksvertretung erzeugen, ist gleichermaßen intendiert, wie die Gefahren evident sind, die mit derartigem Druck einhergehen. Allein das muss für die Repräsentanten des Gemeinwesens nicht zwingend die Konsequenz zeitigen, die Verantwortung mit diesem Druck umzugehen an Wahlbehörde und Verfassungsgericht auszulagern. Denn wenn es gilt, „durch die Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger […] den Parlamentarismus zu stärken,“36 braucht es einen Parlamentarismus, der bereit ist, ebendiese Verantwortung wahrzunehmen;37 gerade wenn Rechtmäßigkeit, Rechtsstaatlichkeit und Liberalität durch populäre Initiativen gefährdet scheinen.38
V. Demokratie ist nie bequem „Man muß das als gegeben hinnehmen: Demokratie ist nie bequem“.39 Will man dennoch „mehr Demokratie wagen“, braucht es, um diesem Wagnis zu begegnen, „außerordentliche Geduld im Zuhören und außerordentliche Anstrengung, sich
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als Instrument direktdemokratischer Legitimation – und die (problematische) Ausgestaltung ihrer materiellen Schranken im Sekundärrecht, EuR – Beiheft 1 2014, 167 [177 ff.]). Vgl. nur die Ausführungen von Dietmut Majer, Die Angst der Regierenden vor dem Volk – Verfassungs- und geistesgeschichtliche Betrachtungen zu den Schwierigkeiten direktdemokratischer Bürgerbeteiligung seit 1789, in von Arnim (Hg.), Direkte Demokratie (2000) 27. Dazu insb. Alexis de Tocqueville, De la Démocratie en Amérique II² (1848) 135. José Ortega y Gasset, La rebelión de las masas (1929). AA zu 2177/A XXIV. GP 42. So insb. auch Theo Öhlinger, Grenzen der direkten Demokratie aus österreichischer Sicht, in Balthasar u.a. (Hg.) Herausforderung Demokratie (2014) 49 (59 f.). Insbesondere statt, wie es die Begründung des AA zu 2177/A XXIV. GP 44 formuliert, von vornherein zu befürchten, „das Parlament [könnte] dazu gedrängt werden, verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte, die das Ergebnis eines langen mitunter konfliktreichen Prozesses sind, einzuschränken oder abzuschaffen [!]“. Theodor Heuss, Kräfte und Grenzen einer Kulturpolitik (1951) 46. Dazu näher die Einbettung bei Matthias Rensing, Geschichte und Politik in den Reden der deutschen Bundespräsidenten (1996) 61 ff.
In der Mittlerrolle – Vom Diskurs zwischen Repräsentanten und Repräsentierten
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gegenseitig zu verstehen.“40 Soll direkte Demokratie nach der im „Demokratiepaket“ vorgelegten österreichischen Lösung den Diskurs mit dem Parlament neben den Diskurs im Parlament treten lassen, mag es angezeigt sein, diesen Diskurs in aller Offenheit eben auch in jenen Fällen zuzulassen, in denen dem Gesetzgeber aus rechtlichen oder ökonomischen Erwägungen kein Handlungs- und Gestaltungsspielraum zukommt; gleichermaßen, wie dieser Diskurs in jenen Fällen zu führen ist, in denen der Gesetzgeber vorhandenen Gestaltungsspielraum aus recht lichen, ökonomischen (oder anderen) Erwägungen eben nicht in Anspruch nehmen möchte. Denn besteht in der Tat „[l]e grand avantage des représentants“ der Bevölkerung gegenüber darin, „qu’ils sont capables de discuter les affaires“,41 ist ebendieser Vorteil auch zu nutzen. Dann ist der Volksvertretung freilich auch aufgegeben, Translations- und Informationspflichten wahrzunehmen, die derzeit nach dem Empfinden allzu vieler allzu stark vernachlässigt werden: im Dialog mit der Bevölkerung „ihrer Mittlerrolle […] gerecht [zu werden]“,42 Möglichkeiten und Grenzen politischer Gestaltung auszuloten, aufzuzeigen und auseinanderzusetzen; und so nachvollziehbar zu erörtern, wann und unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber handeln darf, handeln kann und handeln will.
40 41 42
Willy Brandt, Regierungserklärung, 28.10.1969. Charles de Secondat, Baron de la Brède et de Montesquieu, Esprit des Lois XI/6, Edition Paul Janet12 (1892) 240. Heinz Peter Rill, Möglichkeiten und Grenzen (FN 1) 5.
Peter Bussjäger/Niklas Sonntag
Zur Bundesverfassungskonformität des Veto-Referendums
I. Die Leitentscheidung VfSlg. 16.241/2001 und ihre Auswirkungen auf die direkte Demokratie in Österreich Die Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des Veto-Referendums betrifft – wie alle Volksrechte – die Frage der Verortung der Gesetzgebungszuständigkeit und damit das Verhältnis von repräsentativer und direkter Demokratie. Für das österreichische Bundesverfassungsrecht gilt grundsätzlich eine Systementscheidung zugunsten der repräsentativen Demokratie, der zufolge sich die plebiszitäre Mitwirkung auf die Ergänzung des primär parlamentarischen Gesetzgebungsprozesses beschränkt.1 Für die Bundesländer normiert Art. 95 Abs. 1 B-VG, dass die Gesetzgebung von den Landtagen ausgeübt wird. Betreffend die Normierung plebiszitärer Elemente sind die Länder in ihrer Gestaltungsfreiheit jedoch nach der Judikatur des VfGH an die oben skizzierten Grundlagen gebunden, weshalb eine Ersetzung des parlamentarischen Gesetzgebungsprozesses etwa durch ausschließlich direkte Volksentscheide bundesverfassungswidrig wäre. Erstmals virulent wurde diese Thematik durch ein richtungsweisendes Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes im Jahre 2001, mit dem die sogenannte Vorarlberger „Volksgesetzgebung“ als verfassungswidrig aufgehoben wurde.2 Bei dem Konzept in Art. 33 Abs. 6 der Vorarlberger Landesverfassung ging es im Wesentlichen darum, dass ein Volksbegehren, das von mindestens 5.000 Stimmberechtigten oder mindestens zehn Gemeinden unterstützt wurde, dem Landtag vorzulegen war. Lehnte der Landtag es ab, einem Volksbegehren, das von 20 % der Stimmberechtigten unterstützt wurde, Rechnung zu tragen, hatte eine Volksabstimmung stattzufinden. Ergab die Volksabstimmung eine Mehrheit zugunsten des begehrten Gesetzes, hatte der Landtag einen entsprechenden Gesetzesbeschluss zu fassen. Damit wurde ein direkt-demokratisches In strumentarium geschaffen, das unter bestimmten Umständen zu einer Bindung des 1
2
Siehe dazu Oberndorfer, Art. 1 B-VG, in: Korinek/Holoubek (Hg.), Österreichisches Bundesverfassungsrecht (2000) Rz. 14 ff., und Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassunsgrecht10 (2007) Rz. 147 ff. jeweils m.w.N. Eingehend dazu ferner Eberhard/Lachmayer, Ignoranz oder Irrelevanz? – Direkte Demokratie auf österreichisch, in: Feld/Huber/Jung/Welzel/Wittreck (Hg.), Jahrbuch für direkte Demokratie 2009 (2010) 241. VfSlg. 16.241/2001.
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repräsentativ-demokratischen Organs in dem Sinn geführt hätte, dass der Gesetzesbeschluss de facto am Parlament vorbei erfolgt wäre. Aus Anlass der Zurückweisung eines Antrags der Proponenten eines Volksbegehrens auf Einleitung des Unterstützungsverfahrens durch die Landeswahlbehörde griff der Verfassungsgerichtshof die Regelung auf und hob diese in dem vielzitierten Erkenntnis wegen Verstoßes gegen das demokratische Bauprinzip als verfassungswidrig auf. Begründend dazu wurde unter anderem historisch ausgeführt, dass bereits zu Zeiten der Erlassung der Bundesverfassung verschiedene Anregungen auf Erweiterungen der Volksrechte in die skizzierte Richtung verworfen wurden und so bewusst von einer zurückhaltenden Ausgestaltung der direkt-demokratischen Instrumente auf Bundesebene auszugehen sei. Diese schränke folglich auch den Gestaltungsspielraum der Landesverfassungen in diesem Segment ein, als „das bundesstaatliche Grundprinzip der Bundesverfassung und die damit zwingend verbundene Verfassungsautonomie der Länder […] ihre Grenze im Kernbereich des repräsentativ-demokratischen Baugesetzes finden“. Mit dem gegenständlichen System werde „ein Konkurrenzmodell zum parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren konstituiert, das mit dem repräsentativ-demokratischen Grundprinzip der Bundesverfassung nicht mehr vereinbar“ sei. Die Einwendungen der Vorarlberger Landesregierung vor allem in Hinblick auf die nicht unbeträchtlichen Hürden und die Tatsache, dass langfristig kein Ersatz der Gesetzgebungsbefugnis des Landtags rechtlich möglich sei wie auch dass die Bestimmung während ihrer Geltung nie angewandt wurde, wurden vom Verfassungsgerichtshof als unzutreffend verworfen.3 Das Erkenntnis deutet die Systementscheidung der Bundesverfassung zugunsten der repräsentativen Demokratie im Wesentlichen in zweierlei Hinsicht an: Zum einen widerspreche eine Gesetzgebung außerhalb der parlamentarischen Institutionen Nationalrat, Bundesrat und Landtage dem demokratischen Prinzip der Bundesverfassung und zum anderen liegt ein solcher Widerspruch auch dann vor, wenn das Parlament zwar formeller Gesetzgeber bleibt, aber das Ergebnis der Volksabstimmung ausführen muss. Die Entscheidung, die auch in der Literatur4 eingehend, im Übrigen zumeist kritisch beleuchtet wurde, ist auch für das im Folgenden interessierende Thema des 3
4
Die Ausführungen der Vorarlberger Landesregierung beruhten auf dem zwischenzeitlich publizierten Gutachten von Öhlinger, Bundesverfassungsrechtliche Grenzen der Volksgesetzgebung, Montfort 2000, 402. Vgl. dazu etwa Gamper, Direkte Demokratie und bundesstaatliches Homogenitätsprinzip, ÖJZ 2003, 441; Marko, Direkte Demokratie zwischen Parlamentarismus und Verfassungsautonomie, in: FS Mantl (2004) 335; Willi, Die Bundesverfassungskonformität der Vorarlberger „Volksgesetzgebung“ (2005); Rill/Schäffer, Art. 1 B-VG, in: Kneihs/Lienbacher (Hg.), Rill-Schäffer-Kommentar Bundesverfassungsrecht (2001) Rz. 27.
Zur Bundesverfassungskonformität des Veto-Referendums
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Veto-Referendums von großer Bedeutung, zumal dadurch der Gestaltungsspielraum der Landesverfassungen hinsichtlich der demokratischen Willensbildung entsprechend eingeschränkt wird. Nicht zuletzt sind wohl in den vergangenen Jahren signifikante Schritte in Richtung einer Erweiterung von Volksrechten in den Ländern zwar nicht ausgeblieben, doch nur sehr zurückhaltend weiterverfolgt worden.5 Das grundsätzliche Verbot einer de-facto-Gesetzgebung „an den Landtagen vorbei“ ist bundesverfassungsrechtlich zwar nicht ausdrücklich geregelt, bisweilen auch nicht aus Art. 95 B-VG ableitbar, dennoch im Hinblick auf die Judikatur als Rahmen anzunehmen. Inwiefern die Möglichkeit eines Veto-Referendums den Spielraum zwischen regulär repräsentativ-demokratischem System und zulässiger plebiszitärer Ergänzung einhält oder diesen verlässt, sei im Folgenden erörtert.
II. Das Veto-Referendum und seine Ausgestaltung in den Landesverfassungen Österreichs A. Der Begriff des Veto-Referendums Unter einem Veto-Referendum wird in der vorliegenden Arbeit die in verschiedenen Landesverfassungen Österreichs vorgesehene Möglichkeit einer bestimmten Zahl von Stimmberechtigten oder von Gemeinden verstanden, innerhalb einer bestimmten Frist eine Volksabstimmung über ein vom Landtag beschlossenes Gesetz zu verlangen (dazu näher unten). In der Schweiz und in Liechtenstein, die sowohl auf der (bundes-)staatlichen wie der kantonalen Ebene dieses Instrument kennen,6 wird der Begriff allerdings nicht in dieser Weise gebraucht. In diesen Rechtsordnungen ist die Wendung „das Referendum ergreifen“ für den Vorgang, dass eine ausreichende Zahl von Stimmberechtigten oder auch Gemeinden eine Volksabstimmung über einen Gesetzesbeschluss verlangt, gebräuchlich. In Österreich wurde der Begriff „Veto-Referendum“ soweit ersichtlich erstmals von Koja in der zweiten Auflage seines Werkes über das Verfassungsrecht der österreichischen Bundesländer für jene Formen direkter Demokratie in der Landesgesetzgebung geprägt, in welchen die Volksabstimmung die Aufhebung eines vom
5
6
Vgl. exemplarisch für Vorarlberg etwa Bußjäger, Entwicklungen in der direkten Demokratie und Bürgerbeteiligung in Vorarlberg, in: ders./Balthasar/Sonntag (Hg.), Direkte Demokratie im Diskurs (2014) 151 (152 ff.). Siehe Art. 141 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft und Art. 66 der Verfassung des Fürstentums Liechtenstein, vgl. dazu ferner Häfelin/Haller/Keller, Schweizerisches Bundesstaatsrecht8 (2012) Rz. 1814, und Buser, Kantonales Staatsrecht2 (2011) Rz. 317 ff.
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Peter Bußjäger/Niklas Sonntag
Landtag bereits beschlossenen Gesetzes anstrebt,7 und in der Folge von der Literatur übernommen.8 Erwähnenswert ist freilich, dass schon Mokre 1929 in seiner monographischen Darstellung der Landesverfassungen der österreichischen Länder den Begriff des „Volksvetos“ verwendet hatte,9 auch der Begriff „Einspruchsverfahren“ findet sich sowohl in der Literatur10 als auch als soweit ersichtlich einzige rechtsbegriffliche Manifestation in Art. 27 der Niederösterreichischen Landesverfassung. Beim Begriff des Veto-Referendums handelt es sich somit um einen bereits länger eingeführten Terminus für die Möglichkeit des Volkes, ein vom Landtag beschlossenes Gesetz zu Fall zu bringen. Insoweit ist die Bezeichnung als „Veto“ durchaus angebracht.
B. Die Rechtslage in den Ländern Die aktuelle landesverfassungsrechtliche Ausgestaltung11 des Vetoreferendums in den einzelnen Ländern lässt sich wie folgt in einer tabellarischen Übersicht veranschaulichen: Bundesland
Voraussetzungen
Vom Veto-Referendum ausgenommene Gesetzesbeschlüsse
Burgenland (Art. 33 L-VG)
12.000 Stimmberechtigte; binnen acht Wochen nach Gesetzesbeschluss
-- Abwehr von Katastrophenfällen, Notlagen, schwerwiegender volkswirtschaftlicher Schäden oder -- Ausführung bundesgesetzlicher Vorschriften -- abgabenrechtliche Vorschriften
Niederösterreich (Art. 27 NÖ LV 1979)
50.000 Stimmberechtigte oder 80 Gemeinden; binnen sechs Wochen nach Gesetzesbeschluss („Einspruchsverfahren“)
-- Abwehr von Katastrophenfällen, Notlagen, schwerwiegender volkswirtschaftlicher Schäden -- Ausführung bundesgesetzlicher Vorschriften bzw. Umsetzung von Unionsrecht -- abgabenrechtliche Vorschriften
7 8
9 10 11
Koja, Das Verfassungsrecht der österreichischen Bundesländer2 (1988) 196. Siehe beispielsweise Mayer, Plebiszitäre Instrumente in der staatlichen Willensbildung, in: FS 75 Jahre Bundes-Verfassungsgesetz (1995) 341 (352); Pernthaler/Lukasser, Das Verfassungsrecht der österreichischen Bundesländer – Vorarlberg (1995) 141; Poier, Sachunmittelbare Demokratie in Österreichs Ländern und Gemeinden: Rechtslage und empirische Erfahrungen im Überblick, in: Neumann/Renger (Hg.), Sachunmittelbare Demokratie im interdisziplinären und internationalen Kontext 2008/2009 (2010) 31 (36). Mokre, Das Verfassungsrecht der österreichischen Bundesländer (1929) 111. Lengheimer, Direkte Demokratie in den Ländern, in: Rack (Hg.), Landesverfassungsreform (1982) 144 (144). Stand der Rechtslage zum 31.10.2014.
Zur Bundesverfassungskonformität des Veto-Referendums
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Bundesland
Voraussetzungen
Vom Veto-Referendum ausgenommene Gesetzesbeschlüsse
Steiermark (Art. 72 L-VG)
50.000 Stimmberechtigte oder 80 Gemeinden; binnen sechs Wochen nach Gesetzesbeschluss
-- Umsetzung von Art. 15a B-VG-Vereinbarungen -- Ausführung bundesgesetzlicher Vorschriften bzw. Umsetzung von Unionsrecht -- durch Fristsetzung des VfGH notwendig -- vom Landtag für dringlich erklärte Gesetzesbeschlüsse
Tirol (Art. 39 TLO)
7.500 Stimmberechtigte oder 40 Gemeinden; binnen sechs Wochen nach Gesetzesbeschluss
-- Abwehr oder Bekämpfung von Katastrophen bzw. schwerwiegender volkswirtschaftlicher Schäden -- Ausführung bundesgesetzlicher Vorschriften -- durch Fristsetzung des VfGH notwendig
Vorarlberg (Art. 35 Abs. 1 i.V.m. Art. 23 Abs. 3 LVG)
10.000 Stimmberechtigte oder zehn Gemeinden; binnen acht Wochen nach Gesetzesbeschluss
-- vom Landtag für dringlich erklärte Gesetzesbeschlüsse, ausgenommen Verfassungsgesetze
Im Wesentlichen folgt das Verfahren in den betreffenden Bundesländern ähnlichen Regeln: Die Möglichkeit, ein Veto-Referendum zu verlangen, besteht jeweils innerhalb einer bestimmten Frist, die je nach Land zwischen sechs und acht Wochen nach Fassung des Gesetzesbeschlusses des Landtags umfasst. Vor Ablauf der Frist darf der Beschluss nicht als Landesgesetz kundgemacht werden. Das Burgenland sieht betreffend die Einleitung des Veto-Referendums insofern restriktivere Vorgaben vor, als die achtwöchige, die Kundmachung hemmende Frist erst dann zu laufen beginnt, wenn binnen einer Woche nach Beschlussfassung von mindestens einem Drittel der Mitglieder des Landtages oder von mindestens 1.500 Stimmberechtigten die Einbringung eines Antrages auf Durchführung einer Volksabstimmung der Landesregierung angezeigt wird.12 Niederösterreich und Vorarlberg haben ferner besondere Vorschriften betreffend die Kundmachung des Landtagsbeschlusses. Dieser muss für die Dauer der Frist im Amtsblatt, in den Gemeindeämtern und Bezirkshauptmannschaften sowie auch im Internet aufliegen mit dem Hinweis auf die Möglichkeit, dass der Gesetzesbeschluss der Volksabstimmung unterliegt, wenn eine solche von den Stimmberechtigten, den Gemeinden oder dem Landtag verlangt wird.13 Die Einleitung eines Veto-Referendums durch die Stimmberechtigten entspricht im Wesentlichen dem Verfahren von Volksbegehren, als die Anträge bzw. Antrags-
12 13
Vgl. § 9 Burgenländisches Volksabstimmungsgesetz, LGBl. Nr. 44/1981 i.d.F. LGBl. Nr. 79/2013. Vgl. § 29 NÖ Initiativ-, Einspruchs- und Volksbefragungsgesetz, LGBl. Nr. 0060-6 und § 32 Vorarlberger Landes-Volksabstimmungsgesetz LGBl. Nr. 60/1987 i.d.F. LGBl. Nr. 21/2014.
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listen jeweils unterschriftlich der Landeswahlbehörde binnen der genannten Frist übergeben werden müssen. Der Antrag muss in der Regel den Gesetzesbeschluss genau bezeichnen, teilweise ist dieser auch zu begründen. Die Unterstützungserklärungen werden unter Angabe von Name und Anschrift sowie Beilegung der Bestätigung der Gemeinde, dass die antragstellende Person zum Zeitpunkt der Ausstellung der Bestätigung in ihrer Wählerevidenz als zum Landtag wahlberechtigt ist, abgegeben. Für die Einleitung des Veto-Referendums durch Gemeinden ist vorgesehen, dass dies jeweils durch Beschluss des Gemeinderates erfolgt, dieser dann unter Beilegung des entsprechenden Sitzungsprotokolls, teilweise wiederum auch einer Begründung, der Landeswahlbehörde zu übermitteln ist. Sowohl bei der Beantragung durch das Wahlvolk als auch durch die Gemeinden ist in den einschlägigen Bestimmungen jeweils ein Zustellungsbevollmächtigter bzw. eine zustellungsbevollmächtigte Gemeinde sowie ein Stellvertreter vorgesehen. Die jeweilige Landeswahlbehörde hat nach Ablauf der Frist in einem weiteren Schritt binnen (je nach Bundesland zwischen) zwei bis vier Wochen über das Vorliegen der Voraussetzungen für die Abhaltung einer Volksabstimmung zu entscheiden. Die Anträge der Stimmberechtigten oder Gemeinden müssen jeweils vor Ablauf der Frist bei der Landeswahlbehörde eingelangt sein. Liegen die Voraussetzungen vor, wird die Volksabstimmung über den angefochtenen Gesetzesbeschluss ausgeschrieben und das nachfolgende Verfahren nach den Bestimmungen für Volksabstimmungen abgewickelt. Die praktische Bedeutung des Veto-Referendums in den Bundesländern hält sich in Grenzen. Soweit ersichtlich fanden bislang überhaupt nur zwei Volksabstimmungen basierend auf den genannten Bestimmungen statt. Beide liegen schon vergleichsweise lange zurück und hatten offenbar parteipolitische Hintergründe. So wurde in Vorarlberg am 31. März 1957 eine Volksabstimmung über ein vom Landtag von der ÖVP gegen die Stimmen der SPÖ beschlossenes Betriebsaktionenverbotsgesetz abgehalten.14 Die Initiative dazu erging von einem Gewerkschaftsvertreter, der die dafür notwendigen Unterstützungserklärungen sammeln konnte. Bei einer Stimmbeteiligung von 93 % wurde der Gesetzesbeschluss immerhin von knapp 68 % der Stimmberechtigten abgelehnt. Ein weiterer Anwendungsfall des Veto-Referendums ergab sich drei Jahrzehnte später im Burgenland, als am 24. Jänner 1988 über einen Landtagsbeschluss betreffend ein von der SPÖ gegen die Stimmen der ÖVP beschlossenes Objektivierungsgesetz für den Landesdienst eine von den Stimmberechtigten initiierte Volksabstimmung stattfand. Die Initiative wurde von 14
Siehe dazu Bußjäger, Entwicklungen 154 f.
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Seiten der ÖVP betrieben, jedoch hatte man sich zwischenzeitlich bereits auf eine Neufassung geeinigt, sodass die Abstimmung an sich obsolet war.15 Dennoch musste sie durchgeführt werden, wenngleich letztlich mit einer Beteiligung von nur 19 % der Stimmberechtigten.
III. Analyse A. Problemstellung Es stellt sich die Frage, ob auf das Institut des Veto-Referendums die Bedenken, die der Verfassungsgerichtshof in VfSlg. 16.241/2001 zur Vorarlberger Volksgesetzgebung geäußert hat, im selben Maße zutreffen. Immerhin greift das Volk im Wege des Veto-Referendums in den Gesetzgebungsprozess auf Landesebene ein und verhindert, dass ein von der Mehrheit des Landtages angenommener Beschluss Gesetzeskraft erhält. Immerhin spricht der Verfassungsgerichtshof 16 im Zusammenhang mit den bestehenden Instrumenten des Art. 44 Abs. 3 B-VG (Volksabstimmung bei Gesamtänderung der Bundesverfassung sowie bei Teiländerungen auf Grund des Verlangens eines Drittels der Mitglieder von National- oder Bundesrat) bzw. Art. 43 (Volksabstimmung auf Grund eines Beschlusses des Nationalrats) von „gewichtige[n] Indizien dafür, dass der historische Verfassungsgesetzgeber das Instrument der Volksabstimmung im Gesetzgebungsverfahren nur in diesem eingeschränkten Umfang zulassen wollte. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung, die dieser Frage – den zitierten Quellen zu Folge – ganz offenkundig beigemessen wurde, ist davon auszugehen, dass es sich bei dieser ‚außerordentlichen Einschränkung‘ bzw. ‚Zurückdrängung des Referendums überhaupt‘ […] um ein wesentliches Element des […] repräsentativ-demokratischen [parlamentarischen] Grundprinzips“ handelt. Er führt dazu auch explizit die Verwerfung der Möglichkeit des Veto-Referendums im Rahmen der parlamentarischen Beratungen über die Bundesverfassung an.17 15
16 17
In der Sache uneinig war man sich über den Vorsitz in der Objektivierungskommission, wo die ÖVP einen unabhängigen Richter haben wollte. Der neue, gemeinsame Gesetzesentwurf sah für jede Erstaufnahme in den Landesdienst eine Ausschreibung vor und eine Objektivierungskommission, bestehend aus je drei Dienstgeber- und Dienstnehmervertretern, sollte die Eignung feststellen, vgl. dazu den am 19.5.1988 beschlossenen und kundgemachten Gesetzesbeschluss in LGBl. Nr. 59/1988. VfSlg. 16.241/2001, Punkt 3.2.2.1. VfSlg. 16.241/2001, Punkt 3.2.2.1; siehe auch Gamper, ÖJZ 2003, 444. Zur historischen Genese der einschlägigen Bestimmungen anschaulich Poier, Direkte Demokratie – Rückblick und Ausblick, in: FS Karl Korinek (2010) 67 (68 ff.).
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Angesichts dieser Haltung scheint die Bundesverfassungskonformität des Veto-Referendums in den Ländern durchaus fraglich.18
B. Bewertung Bei der Beurteilung der Bundesverfassungskonformität des Veto-Referendums ist zunächst festzuhalten, dass die bundesverfassungsrechtliche Zulässigkeit, Instrumente der direkten Demokratie in den Landesverfassungen zu verankern, auch solche, die typenmäßig in der Bundesverfassung nicht bereits verankert sind, grundsätzlich nicht in Frage gestellt ist. Die Länder dürfen Instrumente der direkten Demokratie vorsehen, soweit sie damit nicht die Bundesverfassung „berühren“, das heißt nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ihr nicht widersprechen.19 Maßgebliche Schranke der Landeskompetenz ist im gegebenen Zusammenhang lediglich das demokratische Prinzip der Bundesverfassung, das in der Interpretation des Verfassungsgerichtshofes ein „repräsentativ-demokratisches“ ist. Nun können, auch wenn man wie der VfGH eine quantitative Betrachtung, inwieweit eine Volksgesetzgebung oder eben ein Veto-Referendum praktische Bedeutung erlangen kann, dezidiert für „verfehlt“ betrachtet,20 die qualitativen Unterschiede zwischen der Volksgesetzgebung und dem Veto-Referendum nicht übersehen werden: Auch in ihrer (milderen) Vorarlberger Ausprägung, in welcher die Befugnis des Landtages zur Gesetzgebung formal erhalten blieb, dieser aber verpflichtet war, der Auffassung der Stimmbürger Rechnung zu tragen, unterscheidet sie sich wesentlich vom Veto-Referendum. Immerhin war der Vorarlberger Landtag nach der aufgehobenen Formulierung in Art. 33 Abs. 6 LV verpflichtet, wenn das Landesvolk dies durch die Volksabstimmung entschieden hatte, einem dem Volksbegehren inhaltlich entsprechenden Gesetzesbeschluss zu fassen. Genau diese Bindung entfällt jedoch beim Veto-Referendum. Das Landesvolk hat in diesem Fall keine andere Möglichkeit, als dem vom Landtag beschlossenen Gesetz die Zustimmung zu erteilen oder zu verweigern. Eine solche, zudem dem parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren zeitlich nachgeschaltete Option vermag das repräsentativ-demokratische Grundprinzip noch viel weniger zu beeinträchtigen als die Volksgesetzgebung. Im Übrigen sei mit der herrschenden Lehre darauf verwiesen, dass ein Volksentscheid nur im betreffenden Gesetzgebungsverfahren wirkt und einer neuerlichen Befassung des Parlaments nicht entgegensteht.21 18 So auch – eine solche Auffassung des VfGH allerdings ablehnend – Rill/Schäffer, Art. 1 B-VG Rz. 28. 19 Vgl. VfSlg. 16.593/2002; dies bestätigt auch VfSlg. 16.241/2001 in Punkt 3.2.1.4. ausdrücklich. 20 VfSlg. 16.241/2001, Punkt 3.2.2.3. 21 Vgl. Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht Rz. 468 und Mayer, Instrumente 352 jeweils m.w.N.
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Eine Bundesverfassungswidrigkeit eines solchen Veto-Referendums käme allenfalls dann in Betracht, wenn die erforderliche Stimmenzahl für die Abhaltung einer Volksabstimmung so niedrig angesetzt wäre, dass damit tatsächlich in der Praxis das repräsentativ-demokratische System ausgehebelt würde.22 Demgegenüber vertritt Mayer die Auffassung, dass auch im Falle des Veto-Referendums das Parlament ausgeschaltet ist und die Regelungen der Länder deshalb verfassungswidrig seien.23 Ihm zufolge seien ein Referendum über das Außerkrafttreten eines Gesetzes und die Möglichkeit der Erzwingung einer Volksabstimmung auch nur über einen Beschluss in gleicher Weise verfassungswidrig, da dem gesetzgeberischen Willen des Parlaments dabei nicht zum Durchbruch verholfen werde. Auch eine Differenzierung dahingehend, ob die Verfassungswidrigkeit deshalb besteht, weil die landesverfassungsrechtlichen Bestimmungen gegen explizite Schranken der Bundesverfassung (welche kämen in Betracht?) oder gegen das demokratische Grundprinzip verstoßen, findet sich bei Mayer nicht. Da der VfGH die hier maßgebliche Schranke der Landesgesetzgebung aber gerade im demokratischen Prinzip erblickt, reicht der bloße Hinweis auf die „Ausschaltung“ des Landtags durch die Volksabstimmung nicht hin. Im Übrigen finden sich vor allem in jüngerer Zeit Stimmen in der Literatur, die diese Form der Beschränkung der plebiszitären Komponente anhand des demokratischen Bauprinzips vor allem methodisch kritisieren – sei es, dass mit vereinzelten Abstimmungsmöglichkeiten am Parlament vorbei nicht die Intensität einer Gesamtänderung erreicht werde24 oder das Prinzip vom VfGH anhand seiner Ausgestaltung auf einer niedrigeren Rechtsstufe identifiziert werde.25 Tatsache bleibt, dass das Veto-Referendum am repräsentativ-demokratischen Grundprinzip deutlich weniger stark rüttelt, als die Volksgesetzgebung. Auch Koja,26 auf den sich Mayer beruft, begründet seine Bedenken gegenüber der Bundesverfassungskonformität der Volksgesetzgebung gerade nicht mit dem demokratischen Prinzip, sondern damit, weil die Bundesverfassung ein derartiges Instrument nicht kennt. Genau dies reicht aber auch unter Zugrundelegung von VfSlg. 16.241/2001 für die Bundesverfassungswidrigkeit einer in der Verfassungsautonomie der Länder erlassenen Regelung nicht aus! 22
23 24 25 26
In diesem Sinne Rill/Schäffer, Art. 1 B-VG, Rz. 28. Ähnlich auch Storr, Die Maßgaben der österreichischen Bundesverfassung für sachunmittelbare Demokratie in Bund und Ländern, in: Neumann/ Renger (Hg.), Sachunmittelbare Demokratie im interdisziplinären und internationalen Kontext 2008/2009 (2010) 96 (113 ff.). Mayer, Instrumente 353. So etwa Storr, Maßgaben 113 ff. So jüngst Öhlinger, Direkte Demokratie: Möglichkeiten und Grenzen, ÖJZ 2012, 1054 (1055). Koja, Verfassungsrecht, 200.
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Insgesamt bestehen somit gegenüber dem Veto-Referendum im Hinblick auf seine Bundesverfassungskonformität die deutlich geringeren Bedenken als gegenüber der Volksgesetzgebung, wenngleich nicht alle Zweifel ausgeräumt werden können.
IV. Zusammenfassung und Ausblick Die voranstehenden Ausführungen haben einen kleinen Einblick in das Laboratorium der Verfassungsautonomie der Länder in der Erprobung neuer Instrumente direkter Demokratie gewährt. Freilich stehen diese Regelungen unter dem Vorbehalt, dass ihre Bundesverfassungskonformität verschiedentlich angezweifelt wird, wenngleich sie auch vor dem Hintergrund von VfSlg. 16.241/2001 gut argumentierbar scheint. Sicherheit würde möglicherweise die im Österreich-Konvent diskutierte Regelung bringen, wonach Art. 99 Abs. 1 B-VG im folgenden Satz ergänzt würde: „Sie [Anm.: die Landesverfassung] kann vorsehen, dass die zum Landtag Wahlberechtigten unmittelbar an der Landesgesetzgebung mitwirken können.“27 Dass über diesen einfachen und scheinbar wenig konfliktträchtigen Punkt kein Einvernehmen erzielt werden konnte, spricht Bände über die Breite des Dissenses im Österreich-Konvent.28 Das betrifft auch den Vorschlag, das Veto-Referendum für die Bundesgesetzgebung ins B-VG aufzunehmen, worüber im Konvent ebenso kein Konsens erzielt werden konnte.29 Ob im Zeichen gegenwärtiger Bestrebungen der Stärkung direkter Demokratie in Österreich ein neuerlicher Anlauf erfolgversprechender sein wird, bleibt dahingestellt.
27 28
29
Bericht des Österreich-Konvents, Band 2, Teil 4A (2005) 301. Völlig unzutreffend in diesem Zusammenhang Meyer, Grüne Initiativen zur Stärkung partizipativer Elemente in der Verfassung, in: Graf/Breiner (Hg.), Projekt Österreich (2005) 121 (129), die davon spricht, dass auch der „Vorarlberger ÖVP-Vertreter“ im zuständigen Ausschuss 8 des Konvents kein Interesse an einer Erweiterung der Verfassungsautonomie der Länder in diesem Bereich gezeigt habe. Der Betreffende war der damalige Vorarlberger Landtagspräsident Manfred Dörler, der in dieser Funktion und nicht als ÖVP-Vertreter tätig war, sein Vertreter war zumeist der als Mitautor dieses Beitrags fungierende Peter Bußjäger, der im Übrigen als Experte Mitglied des Konvents war und nicht als ÖVP-Vertreter. Selbstverständlich haben sich beide Personen für eine solche Erweiterung der Verfassungsautonomie ausgesprochen. Die Aussage von Meyer ist geradezu aktenwidrig. Bericht des Österreich-Konvents, Band 2, Teil 4A (2005) 243.
Werner Pleschberger
Kommunale direkte Demokratie in Österreich – Strukturelle und prozedurale Probleme und Reformvorschläge
I. Einleitung Kommunale Repräsentanten porträtieren bei symbolischen Anlässen die österreichische Gemeinde als „Hort der Demokratie“, was die historisch alte Vorstellung von der distinkten Demokratiequalität der Gemeinde im Staatsgefüge wachruft.1 Dieses positive Bild ist eingebettet in ebenso positive soziale Attribute, die der Gemeinde, dem Lokalen, zugerechnet werden: Konkretheit, Familiarität, Nähe, Gemeinschaftlichkeit – kontrastierend die nationale oder globale Ebene des Handelns.2 Direktdemokratische Rechte, Volksrechte, sind Ausdruck der distinkten Demokratiequalität einer Gemeinde. Die Aufnahme von direktdemokratischen Rechten (Volksrechten) in die Statuten der Gemeinden erfolgte nach 1945 auf Grundlage von Beschlüssen der Bundesländer und verlief zeitlich und inhaltlich uneinheitlich. Die Einführung direktdemokratischer Rechte beginnt in den 1960er Jahren in Vorarlberg, ein erster Höhepunkt fällt in die 1970er Jahre, Nachzügler folgten um das Jahr 1990. Vorherrschend werden Volksbefragungen eingeführt.3 In einem weiten Verständnis von Volksrechten findet sich ein „Sextett“, bestehend aus „harten“ und „weichen“ kommunalen Volksrechten: Volksbegehren mit und ohne folgende Volksabstimmung, Volksbefragung, Volksbegehren, Gemeindeversammlung, Bürgerbegutachtung, formalisierte obligatorische Information der Gemeindemitglieder. Nicht alle Volksrechte gibt es in allen Gemeinden, doch inkorporiert jede Gemeindeverfassung zumindest einige Volksrechte4. Die kommunalen Volksrechte in Österreich sind rechtlich-deskriptiv ausreichend erfasst5, kaum Wissen gibt es über die Praxis der kommunalen Volksrechte. Es ist aber anzunehmen, dass – verglichen mit den vielen von den Gemeinden tagtäglich gefällten Verwaltungsentscheidungen – die Anwendung der direktdemokra1 2 3 4 5
Vetter 2002, 48. Boudreau 2003, 793. Die Auflistung der Rechtsgrundlagen findet sich bei Neuhofer (1998), 48 ff., ausführlich 103–109. Welan 2000; 1986. Z.B. Poier 2010, 48 ff.; ders. 2012; 2014; Gamper 2011; Madlsperger 2014.
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tischen Instrumente zur Herbeiführung einer kommunalen Entscheidung ein sehr rarer Ausnahmefall ist. Freilich fehlen bis heute genaue Daten über die Häufigkeit des Auftretens von direktdemokratischen Ereignissen, die Wahlbeteiligung, Themen der Abstimmung usw.6 Auf Grundlage einer Erhebung wird seit längerer Zeit die Zahl von „etwa 700 Referenden“ (als Sammelbegriff für Befragungen und Abstimmungen) auf Gemeindeebene seit 1945 vermutet.7 Nach den hier r eferierten Daten haben die Referenden seit den 1990er Jahren deutlich zugenommen, mit Blick auf die jüngere Zeit zeigt sich ein leichter Rückgang.8 Die kommunale Volksbefragung wird deutlich häufiger als die kommunale Volksabstimmung angewendet – was teilweise auf einen Bias in den Kommunalverfassungen zurückgeht, die dieses Instrument nur selektiv zulassen. Regional betrachtet finden sich die meisten Fälle im Bundesland Steiermark, die wenigsten im Bundesland Salzburg.9 Entgegen der populären Hypothese von der kleinen Gemeinde als einem distinguierten Hort der Demokratie scheint die Anwendung der Volksrechte invers: je bewohnerstärker eine Gemeinde ist, umso eher finden kommunale Referenden statt.10 Die Praxis der kommunalen Volksrechte wirft die Frage auf, welche strukturellen, d.h. formalen und politischen Potenziale vorhanden sind, die die Anwendung der Volksrechte beeinflussen. Für das direktdemokratische Geschehen sind prozedurale Determinanten wichtig. Dazu zählen die Information der Wähler über eine abzustimmende Sachfrage, die Findung und Ausformulierung der Abstimmungsfrage11, mit der der Volkswille erkundet werden soll sowie die komplexe Frage der finanziellen Implikationen einer Abstimmung und deren Publizität („Kostenfrage“). Die folgende Analyse untersucht diese Fragen am Beispiel von zwei ausgewählten und zeitlich sowie regional auseinanderliegenden direktdemokratischen Ereignissen in den Städten Bregenz (1978) und Wien (2010). Auf den gewonnenen Einsichten aufbauend werden konkrete Vorschläge zur strukturellen und prozeduralen Verbesserung der direkten Demokratie im Gesamtgefüge der kommunalen Demokratie in Österreich gemacht, die zur Qualitätsverbesserung derselben beitragen sollen. Die Vorschläge lehnen sich an Regelungen und praktische Vorgangsweisen in anglo amerikanischen Ländern an. Die hier einbezogenen Länder sind Großbritannien, 6 7 8 9 10 11
Das Datenproblem wird auch auf der internationalen Ebene festgestellt, weil es keine umfassende Datenbank der nationalen Referenden gibt. Zuletzt Poier 2014, 147; 2010; 2012. Dolezal, Poier 2012, Grafik 1, 11. Dolezal, Poier 2012, Grafik 2, 12. Dolezal, Poier 2012, 22. Hier ist offenkundig, dass im anglo-amerikanischen Bereich der Aufgabenstellung eine höhere Aufmerksamkeit gezollt wird als in Österreich.
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Kalifornien und Neuseeland. Der Vergleich fördert ein paradoxes Ergebnis zutage: Länder, in deren Verfassungsgefüge die direkte kommunale Demokratie stärker als auch schwächer institutionalisiert ist, geben prozeduralen Details der Anwendung der Volksrechte einen größeren Stellenwert, was die Qualität der kommunalen Demokratie fördert. Mit anderen Worten: Österreich hat einen prozeduralen Nachholbedarf in der direkten kommunalen Demokratie.
II. Drei Restriktionen der direkten kommunalen Demokratie in Österreich A. Entgegen der idealistischen Vorstellung, dass die Bürger für ihre örtlichen Angelegenheiten selbstverantwortlich sein sollen, weil sie von diesen betroffen und am nächsten sind, wird ihre Selbstverantwortung beschnitten. Für die Anwendung der Volksrechte im engeren Sinne, das sind Volksabstimmung, Volksbegehren und Volksbefragung, sind strukturelle Entscheidungsvorbehalte zugunsten der repräsentativen Demokratie normiert: Entscheidungen über Personalfragen, Abgaben, Entgelte und Tarife, Wahlen der Organe der Stadt, Bescheide und Verordnungen oder Privaten zuerkannte Rechte, die die Gemeinde verpflichten, sind non-decisions für die direkte Demokratie.12 In juristischer Sicht spricht man von einem Negativkatalog für die direkte Demokratie13, treffend von einem „Themenverbot“14,15, gelegentlich sogar von einer „Tabuzone“ für die direkte Demokratie. Dies deutet auf einen mobilization of bias der Kommunalverfassungen, der die direktdemokratischen Rechte der wahlberechtigten Gemeindebürger einschränkt, was den Interessen der repräsentativen Machtorgane dient.16
B. Vergleichbar der nationalen oder regionalen Ebene in Österreich sind die politischen Parteien auf der kommunalen Ebene die zentralen politischen Akteure, was 12 13 14 15
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Bachrach, Baratz 1970. Müller 2008, 83 ff. So Gamper 2014. Diese Frage wurde in Österreich zuletzt bei den Auseinandersetzungen um die von der ÖVP-Wien betriebene, aber gescheiterte Volksbefragung zur Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung debattiert und juristisch interpretiert, vgl. Mertens, Pleschberger 2013; Gamper 2014. Schattschneider 1960.
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die eingeführte These der Parteiendominanz17 für die lokale Ebene bestätigt. Die lokalen Parteien determinieren die Policyagenda und stellen das politische Personal für die Wahlen der kommunalen politischen Organe bereit. Das kommunale Handeln unterliegt umfassend einer Parteipolitisierung18, die sich auch in der Wertschätzung und im Umgang mit den direktdemokratischen Rechten in der kommunalen Politik niederschlägt. Eine österreichweite Befragung von Gemeinderäten (ohne Wien) zeigte, dass viele Gemeinderäte lokale Abstimmungen als Hebel für die Stimulierung qualitätsvoller öffentlicher Debatten befürworten, doch annähernd gleich viele Räte sehen die Parteien als „geeignetste Form der Beteiligung der Bürger“19. Für die lokalen Räte hat die direkte Demokratie eine Diskursfunktion (nicht Entscheidungsfunktion), die Bürger sollten sich zwischen den Wahlen bevorzugt in den Parteien beteiligen.
C. Prozedurale Bestimmungen der kommunalen Volksrechte beeinflussen die Wahrscheinlichkeit der Initiierung und das weitere „Schicksal“ eines Volksrechtes im politischen Prozess (beginnend mit den vieldiskutierten Beteiligungsquoren). Über die prozeduralen Details entscheiden vorweg die repräsentativen Akteure, die bei zu „kostengünstigen“ Zugängen zur Initiierung einer direktdemokratischen Initiative einen Machtverlust befürchten müssen. In ihrer Sicht stellt sich schnell die Frage der kommunalen Regierungsfähigkeit, sollte der Zugang zu den bedeutungsvollen Volksrechten erleichtert werden. Kaum thematisiert die Forschung bisher praktische prozedurale Details. Ein solches ist die Information der Wähler. Wer informiert diese wie mit welchen „Formaten“ unter Beachtung welcher inhaltlicher Kriterien und Kosten? Wer formuliert die Abstimmungsfrage, die zur Erkundung des Volkswillens vorgelegt wird? Die Abstimmungsfrage ist ein wesentlicher Faktor für die Mobilisierung der Wähler und für den Ausgang eines Prozesses. Sie kann eine Initiative politisch fördern oder scheitern lassen. Sie kann objektiv oder suggestiv formuliert werden. Parteipolitische Akteure werden dazu neigen, eine Abstimmungsfrage suggestiv zu formulieren, wenn sie ein Volksrecht initiieren, um sich eine breite Zustimmung zu sichern. Es sind drei Varianten der Vorgangsweise denkbar. Der Initiator behält das Recht auf „seine“ Frage, ein unabhängiges öffentliches Organ entscheidet nach genauen Kriterien und nachvollziehbar sowie transparent über eine Frageformulierung, die im Abstimmungspro-
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Hornig 2012. Holtmann 1999, 213. Pleschberger 2009/2010.
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zess verwendet werden darf oder es gibt ein kooperatives Mischverfahren. Schließlich ist es eine interessante Frage, ob eine Abstimmungsformulierung über die finanziellen Effekte einer Abstimmung informiert und nach welchem Verfahren die Kostenschätzung erfolgt. Wer ist kompetent und legitimiert, um die Kostenschätzung zu erarbeiten?
III. Fallbeispiel: Kommunale Volksabstimmung Seeufer-Verbauung in Bregenz (1978) A. Bregenz – auch Sonderfall der direkten Demokratie? Bregenz ist ein interessantes Stadtbeispiel: In der Stadt fanden seit der Reform des Gemeindegesetzes im Jahre 1965 zwei kommunale Volksabstimmungen statt, die die Abstimmungsereignisse bereits erschöpfend beschreiben.20 Die Abstimmungen ereigneten sich in den Jahren 1978 und 2009, also im Abstand von rund 30 Jahren. Auch in Bregenz ist die direkte kommunale Demokratie ein Ausnahmeereignis und die repräsentative Demokratie der Regelfall. Dabei ist die kommunale direkte Demokratie historisch und rechtlich in den häufig postulierten „Sonderfall“ Vorarlberg eingebettet.21 Auch zurückgehend auf die kurze populäre Schrift mit dem bezeichnenden Titel „Vorarlberger Demokratie“22 werden Einrichtungen der unmittelbaren Demokratie und die Wahlpflicht als landesspezifische demokratische Manifestationen23 dargestellt. Neben historischen Entwicklungen24 sei es die Nähe des Bundeslandes zur Schweiz, die zur im innerösterreichischen Vergleich frühen Ausbreitung direktdemokratischer Instrumente beigetragen habe. 20 21 22 23
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Zu erwähnen ist allerdings, dass am 3. April 1960 eine Volksbefragung in Bregenz zur Trassenführung einer geplanten Autobahn stattfand. Z.B. Nick 1982, 11 ff.; Drexel 2013, 18 ff.; Bußjäger 2014, 151. Klein-Bruckschwaiger 1975. In der Debatte des Vorarlberger Landtages zum Entwurf des Landesvolksabstimmungsgesetzes wurde das „hohe Lied“ auf die Vorarlberger Demokratie gesungen, die sich in der repräsentativen Demokratie nicht erschöpfen will, sondern als „besonderes Anliegen“ der direkten Demokratie zugeneigt sei, um „dem Volke selber und unmittelbar die Möglichkeit zu sichern, sich jederzeit in das Geschehen einschalten zu können, um die Besorgung der öffentlichen Aufgaben nach seinem Willen zu garantieren“, 2. Sitzung des XX. Vorarlberger Landtages im Jahre 1969, 59. Vergleichbar der Schweiz hatten die Vertreter der einzelnen Gemeinden in den Landständen vor den abschließenden Beratungen unter freiem Himmel die Meinung der Gemeindebürger einzuholen.
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Ein Höhepunkt war die der Verfassung der Ersten Republik vorauseilende Landesverfassung vom 14. März 1919, die in Anlehnung an die Schweizer Kantone erstmals im neuen Österreich auf Landesebene plebiszitäre Elemente (Volksabstimmung, Volksbegehren) mit weitreichender Wirkung einführte, die jedoch in der Folge in Angleichung an die Bundesverfassung im Jahre 1923 wieder eingeschränkt wurden.25 Historisch prägend war die auf Grundlage der neuen Landesverfassung 1919 durchgeführte Volksabstimmung für den Anschluss an die Schweiz am 11. Mai 1919, die zwar mit einem Mehr endete, aber nicht auf das erhoffte Schweizer Entgegenkommen stieß. Die These vom „Anderssein“ als die anderen26 relativierte alsbald die Einführung direktdemokratischer Instrumente in anderen österreichischen Bundesländern.27 Die kommunale direkte Demokratie in Vorarlberg ist naturgemäß in die Gemeindegesetzgebung des Landes eingebettet, im Zuge derer Vorarlberg als erstes österreichisches Bundesland nach 1945 im Jahre 1965 weitreichende Volksrechte einführte28, die später erweitert und prozedural konkretisiert wurden. Das an die Stelle der Gemeindeordnung von 1935 tretende neue Gemeindegesetz (LGBl. 45/1965) führte die Volksabstimmung (§ 20) und die Volksbefragung (§ 21) ein. Schon in diesem Gesetz trägt die direkte kommunale Demokratie Züge der „hybriden Demokratie“, weil ein Viertel der Bürger der Gemeinde eine kommunale Volksabstimmung verlangen kann, doch auch der Gemeinderat mit einer Zweidrittel-Mehrheit sie beschließen kann. Die Bindung an die Zweidrittel-Mehrheit geht in Richtung einer Beschränkung der Nutzung direktdemokratischer Rechte durch repräsentative Organe und Politiker.29 Die repräsentativen Kräfte im Landesparlament debattierten damals aufschlussreich über die Festlegung des Quorums auf Seite der Stimmberechtigten im Gemeindegesetz. Die parteipolitischen Positionen zum Quorum während der Beschlussfassungsphase schwankten zwischen einem Viertel und einem Sechstel, schließlich setzte sich die Mehrheitspartei mit der 25 26 27 28
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Drexel 2013, 22 ff. Dermutz, Nick, Pelinka 1982. Nick 1982, 111 f. Erstaunlicherweise wurde die wenig genutzte Palette der Volksrechte 2013 um das (beratende) Instrument „BuergerInnenrat“ erweitert (Drexel 2013, 53 ff.; Bußjäger 2014, 159 ff.; für konkrete Beispiele Hellrigl 2014. Ein Medienbericht dokumentierte schlagend die schwache Nachfrage nach dem Instrument mit dem bezeichnenden Titel „Vorarlbergs Bürger ließen Politiker sitzen“, in: Der Standard vom 11. September 2014. Hier kann erinnert werden an die kurze Ära der direkten Demokratie auf Landesebene in Vorarl berg nach 1919, als es ausschließlich dem Volk zustand, im Wege einer Gesetzesinitiative einen Beschluss des Landtages zu erzwingen, ebenso musste ein Volksbegehren unter bestimmten Bedingungen zwingend einer Volksabstimmung unterzogen werden (Drexel 2013).
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Viertelbestimmung durch, womit der offen geäußerte realpolitische Standpunkt, der den Missbrauch30 des Volksrechts befürchtete, über einen mehr idealistischen Standpunkt obsiegte, der einen leichteren Zugang wollte. Nicht zulässig ist eine kommunale Volksabstimmung über Entscheidungen der Gemeinde als Trägerin von Privatrechten und behördliche Entscheidungen oder Verfügungen. Die umfangreiche Novelle zum Gemeindegesetz im Jahre 1985 (LGBl. 35/1985) und in einem relevanten Punkt die Novelle 1998 (LGBl. 62/1998) erweiterten das Ensemble der kommunalen direktdemokratischen Rechte und veränderten maßgebliche Details. Neu eingeführt wurde das kommunale Volksbegehren (wie das Petitionsrecht). • Nunmehr kann ein Fünftel31 der Bürger eine kommunale Volksabstimmung verlangen oder wenn sie die Gemeindevertretung mit „unbedingter Mehrheit“ beschließt. Die Erleichterung der Nutzung des Volksrechts betrifft die Bürgerschaft und auch die kommunalen Parteien, denen der Zugang zum Instrument leichter fällt als früher. Es sind 25 % der Wahlberechtigten schwieriger zu einer Unterstützungsleistung zu bewegen als 20 %, der Gemeinderat kann leichter einen einfachen Mehrheitsbeschluss herbeiführen als einen qualifizierten Beschluss. • Neu seit 1998 ist die Interventionsmöglichkeit des Bürgermeisters in die direkte Demokratie. Er kann, sofern der Gemeinderat einen Beschluss entgegen einem von ihm eingebrachten Antrag fasst oder einem von ihm vorgesehenen Tagesordnungspunkt wiederholt opponiert, eine Volksabstimmung initiieren. • Ausgeschlossen sind behördliche Angelegenheiten. Sollte eine Abstimmung erfolgen über eine privatrechtlich eingegangene Verpflichtung, so kann diese erfolgen. Das Votum erreicht im Innenverhältnis eine Bedeutung, es bleibt die Gemeinde dem Dritten gegenüber verpflichtet. • Die Gemeinde muss bei der Umsetzung einer erfolgreichen Volksabstimmung den Geboten der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit Rechnung tragen.
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Noch in der Debatte des Vorarlberger Landtages zum Entwurf des Landesvolksabstimmungsgesetzes 1969 war Quorum ein Thema und wurde in diese Richtung debattiert, vgl. 2. Sitzung des XX. Vorarlberger Landtages im Jahre 1969, 70. Die Volksabstimmung sollte nicht für „Quertreiber“ dienlich sein, die besonders in Kleingemeinden mit einer Initiative eine „unnötige Unruhe“ provozieren könnten, auch ein „unnötiger Verwaltungsaufwand“ für die Gemeinde wäre die Folge usw. Das neue Quorum löste eine Forderung ein, die schon während der Debatte zum Gemeindegesetz 1965 aufkam, aber damals verworfen wurde.
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Genaue prozedurale Details der kommunalen Volksabstimmung regelt das Landes-Volksabstimmungsgesetz (L-VAG, geltende Fassung). Schon das Landes-Volksabstimmungsgesetz 1969 (in Verbindung mit dem Gemeindegesetz von 1965) legte fest, dass den Stimmberechtigten zur Information über eine kommunale Volksabstimmung drei Unterlagen zuzustellen wären: die Ausfertigung der Verordnung über die Durchführung der Volksabstimmung zum Gegenstand der Volksabstimmung und ein Begleitbericht. Die drei Unterlagen wurden mit späterer Regelung in einem einzigen Begleitbericht zusammengefasst, der neuerdings (2013) in Abstimmungsbroschüre32 umbenannt wurde.33 Die Abstimmungsbroschüre (§ 66 LGBl. 14/2014) ist im offiziellen Verständnis die Verbesserung des Begleitberichtes, was Verwaltungskosten in Höhe von 721 Euro für eine Volksabstimmung oder -befragung verursachen würde34. • Es ist Aufgabe des Bürgermeisters, die Abstimmungsbroschüre zu verfassen und spätestens zwei Wochen vor der Abstimmung den Stimmberechtigten zuzustellen. Sie enthält die kundmachende Verordnung, eine inhaltliche Begründung der Abstimmung, die – kurz gefasst – auf die „allfällige Begründung“ von Seiten des Antragstellers zurückgreift sowie die „Auffassung des Gemeindevorstandes hierzu“ enthalten soll. • Die Antragsteller haben das Recht, die formulierte Begründung in einer angemessenen Frist „nachzuholen oder nachzubessern“. • Deren begründende Argumente „sollen möglichst objektiv und möglichst im gleichen Umfang wiedergegeben werden“. Die direktdemokratischen Rechte wurden in Vorarlberg auf Landesebene sehr selten angewendet – was selbst euphorische Befürworter des demokratischen „Sonderweges“ des Landes konzedieren.35 Etwas häufiger werden sie auf kommunaler Ebene angewendet. Freilich bleibt das Bild eindeutig. Vergleicht man die Menge der direktdemokratischen Ereignisse in den Gemeinden mit den im Gemeinderat gefällten Entscheidungen, so werden erstere zu Spurenphänomenen im kommunalen politischen Leben. 32
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Der Begriff kursierte auch als Forderung während der Debatte zur nationalen Heeresvolksbefragung am 20. Jänner 2013, doch legte die österreichische Regierung keine derartige Information vor, sodass die Information die Aufgabe der politischen Kräfte, Medien und anderer Akteure blieb, die interessensorientiert agierten (Leitner 2012). Interessant ist, dass zum Anlass der Debatte zum Gesetz zur Stärkung des Persönlichkeitswahlrechtes und der direkten Demokratie – Sammelnovelle (LGBl. 14/2014) auch eine Kostendebatte geführt wurde, siehe 3. Beilage im Jahre 2014 zu den Sitzungsberichten des XXIX. Vorarlberger Landtages. Es bleibt anzunehmen, dass die Kosten für eine landesweite Volksabstimmung bzw. -befragung kalkuliert werden, siehe 3. Beilage im Jahre 2014 zu den Sitzungsberichten des XXIX. Vorarlberger Landtages, Teil B: Begründung, 3. Drexel 2013, 27.
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Basierend auf offiziellen Quellen fanden in Vorarlberg auf kommunaler Ebene seit 1945 drei Volksbefragungen (im Zeitraum zwischen 1960 und 1997) und 32 Volksabstimmungen (zwischen 1966 und 2013) statt, in denen 36 Fragen gestellt wurden. Eine nähere Auswertung des Zeitraumes von 1985 bis 199836 zeigt, dass die repräsentativen Organe häufig die Rolle des Initiators übernehmen (siebenmal). In den in dieser Zeit dokumentierten zehn Volksabstimmungen wurden 12 Fragen gestellt, die der Bürger mit einer Ausnahme durchwegs ablehnte. Hervorstechend ist die hohe Wahlbeteiligung zwischen (gerundet) 84 und 93 %. Wenn man alle Fälle berücksichtigt, die noch vor 1986 und nach 1998 auftraten, ändert sich das Bild – bei unvollständiger amtlicher Datenlage – in grober Übersicht beim Faktor Wahlbeteiligung. Sie sinkt tendenziell, wobei die niedrigste Beteiligung trotz Wahlpflicht (!) bei 30,44 % liegt. Der überwiegende Teil der Abstimmungsthemen betrifft Hoch- und Tiefbauvorhaben, wenige die strategische Stadtentwicklung oder sonstige Themen.37
B. Der politische Prozess Die Bregenzer Stadtpolitik formulierte Anfang 1970 die Zielsetzung, Bregenz zu einem „internationalen Dienstleistungs- und Kulturzentrum im Bodenseeraum“ auszubauen, was schleppend vorankam, sodass man in der Stadtpolitik bereits von den vergebenen Schritten und Chancen der Stadt sprach. Seit Mitte der 1970er Jahre wurden die strategischen Planungsaktivitäten für die Bebauung eines see- und zentrumsnahen Areals vorangetrieben. Es war ein „Planungs- und Entwicklungsgebiet“ zwischen Stadtzentrum und dem Bodensee, das nach einem strategischen Konzept gestaltet werden sollte. Im Zuge der Umsetzung des Seeufer-Konzepts sollten ein Freibad, ein Seehallenbad, ein Kongresshotel und ein Konferenzzentrum sowie einige weitere Gebäude errichtet werden, alle im Nahbereich des damals im Bau befindlichen Festspielhauses gelegen. Nach einer intensiven Informationsphase der Bevölkerung „im Sinne der echten Demokratie“ sollte auf Beschluss der Stadtvertretung eine Volksbefragung angeordnet werden, die für Jänner oder Februar 1978 geplant war. Die Entscheidungen der Gemeindeorgane begrenzten freilich den Entscheidungsraum des Volkes in wichtigen Punkten. Die Stadt hatte einer Casino-Gesellschaft bereits das Recht eingeräumt hatte, ein Casino zu errichten. Ein Architekturbüro war mit der Planung eines Einzelprojektes betraut, was alternative Vorgangs36 37
Krappinger 1998, 92 ff. Krappinger 1998, 93.
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weisen wie einen Architekturwettbewerb für das Gesamtprojekt, der im Gespräch war, wenig sinnvoll machte. Jedenfalls war dadurch ein Architektenwettbewerb für das Gesamtprojekt unmöglich bzw. nur mehr schwer durchzusetzen, abgesehen von der Kostenfrage. Eine Hotelkette hatte das Recht bekommen, das vorgesehene Hotel selbst zu planen. Im internen politischen Prozess forcierte der von der SPÖ gestellte Bürgermeister die schnelle Durchsetzung des Gesamtprojektes (unter expliziter Anerkennung der gegenüber Dritten eingegangenen Rechte). Die SPÖ beauftragte im Jänner 1978 eine Umfrage durch ein parteinahes Institut, um den Meinungsstand der Bevölkerung zu erheben, zu einem Projekt, für das zu diesem Zeitpunkt die Planungen noch nicht abgeschlossen bzw. nicht zugänglich gemacht waren. Wieweit dies die Haltung der SPÖ beeinflusste oder stärkte, kann nicht beantwortet werden, weil das Ergebnis zwar in der Stadtvertretung diskutiert wurde, ihr aber kein Bericht der Umfrage vorlag. Dem Bürgermeister wurde in einer Sitzung der Stadtvertreter „Manipulationsabsicht“ unterstellt. ÖVP-seitig wurde gefordert, das nach ihrer Ansicht bei der Bevölkerung unstrittige Projekt eines neuen Hallenbades aus dem abzustimmenden Planungskonzept herauszunehmen, weil sie bei einem negativen Ausgang der Abstimmung die Verzögerung des Einzelprojektes auf Jahre befürchtete. Andere Stadtvertreter forderten die separate Abstimmung über jedes Einzelprojekt. Eine weitere interessante Position optierte für die Abstimmung über alternative Planungskonzepte (die damals nicht existierten). Die Bürgerinitiative „Initiative Uferlandschaft Bregenz“38 trat gegen die geplante „hässliche“ Architektur des Hotel- und Casino-Projektes auf, andere Stimmen befürchteten die „Verbetonierung“ der Uferlandschaft. Die in der Stadtvertretung mit Mehrheit durchgesetzte „Paketabstimmung“ war für die SPÖ vorteilhaft, die mit dem Treiber Hallenbad das von ihr favorisierte Gesamtkonzept rettete, das die kritisch bewerteten Projekte enthielt (zuvorderst das Kongresshotel). Die ÖVP stimmte notgedrungen zu, um das von ihr in jedem Fall gewollte Projekt Hallenbad zu retten. Bei einer Wahlbeteiligung von 87 % stimmten am 23. April 1978 knapp 61 % der Bürger für das Projekt bzw. 39 % gegen das Projekt. Die SPÖ äußerte sich zufrieden und versprach die schnelle Umsetzung des Entwicklungskonzeptes. Die ÖVP sprach von einem „bescheidenen Ergebnis“. Erstaunlicherweise entstand eine Demokratiedebatte. Die Beteiligung der Stimmbürger lag kaum unter der Gemeindewahl 1975 (rund 93 %). Zugleich ignorierten 38
Fink 2012.
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13 % der Bürger die Pflicht zur Abstimmungsteilnahme. Der Bürgermeister ersuchte die Wahlbehörde keine Strafen auszusprechen und die Zeitgemäßheit der Wahlpflicht zu überdenken. Auch schlug er „Bürgerversammlungen mit Gutachterkompetenz“ vor, die als Vorwegnahme der später eingeführten Bürgerräte erscheinen.
C. Parteipolitisierung – „Flucht in die direkte Demokratie“ Der politische Prozess um die Volksabstimmung war von parteipolitischen Interessen und Kalkülen der repräsentativen Organe und der Parteien begleitet. Die Entscheidung der Stadtvertretung für die Durchführung der kommunalen Volksabstimmung war eine Reaktion auf parteipolitische Gegensätze in der Stadtvertretung – man kann von der Flucht in die direkte Demokratie39 als Problemlöser für Widersprüche im repräsentativen kommunalen System sprechen. Die punktuelle Politisierung der Ziele der Stadtentwicklung seitens einer Bürgerinitiative dürfte nur eine marginale Rolle gespielt haben.
D. Information des Stimmbürgers Die Stadt setzte eine Reihe von Informationsaktivitäten, darunter eine Ausstellung der geplanten Stadtentwicklung im Rathaus, diverse dezentrale Informationsabende. Auch die lokale Medienberichterstattung trug zur Information und Meinungsbildung der Bürger bei. Der nach damaliger Rechtslage geforderte Begleitbericht, der allen Stimmbürgern zugesendet wurde, besteht aus vier Blättern. Er enthält anfangs die publik gemachte Verordnung der Volksabstimmung über das Konzept für die Freizeit- und Bäderanlagen im Stadtzentrum am See mit weiteren formalen Details, u.a. wird ein Hinweis auf die Stimmpflicht gemacht. Das Konzept wird nicht vollinhaltlich beschrieben. Der Begleitbericht nennt begründend zwei Beschlüsse der Stadtvertretung, zum einen den strategischen Beschluss nach Fertigstellung der Planung des Konzeptes und die Durchführung der Volksbefragung nach einer intensiven Information der Bevölkerung und zum anderen einen Befürwortungsbeschluss des Stadtrates zum fertiggestellten Konzept. Der dritte Teil des Berichtes, der eigentlich der für die Bürger informativste Teil wäre, besteht lediglich in einer DIN A4-Seite, die im Querformat das Planungskonzept darstellt. Damit war für eine umfängliche Information die Einsichtnahme in die umfassenden Planungsunterlagen im Rathaus geboten. 39
Pleschberger, Mertens 2012.
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Der Bericht nennt auch die rechtlichen und wirtschaftlichen Bedingungen für die Umsetzung des Konzepts im Falle einer Mehrheit der Ja-Stimmen: darunter notwendige behördliche Bewilligungen, der Stadt zur Verfügung stehende Finanzmittel usw.
E. Neutrale Frageformulierung Zur Findung der Abstimmungsfrage wurde laut Aussage des Bürgermeisters in der Stadtvertretung zu Anfang 1978 ein „Arbeitsteam“ eingesetzt, das nach seinen Worten aus städtischen Organen unter Zuziehung von Experten bestehen sollte. Wie der politische Prozess nahelegt, wurde eine politische Entscheidung über die Abstimmungsfrage getroffen, die in der Tendenz auf früheren Beschlüssen der Stadtvertretung aufbaut. Den Bürgern wurde die Abstimmungsfrage vorgelegt, „ob sie dem Konzept für die Freizeit- und Bäderanlagen im Stadtzentrum am See … und die Freibadeanlagen, das Seehallenbad, die neue Sporthalle, das Kongresshotel sowie das Strandbad-Restaurant umfasst, zustimmen“. Die Abstimmungsfrage ist neutral textiert, sie enthält keine suggestiven Elemente.
F. Keine Kostenangaben Der den Bürgern übersandte Begleitbericht enthält keine genaueren Kostenhinweise, begründete Schätzungen der Kosten oder anderere Hinweise. Das trifft auch auf die den Bürgern vorgelegte Abstimmungsfrage zu. An sich plausibel zu betrachtende Kostenelemente auf Seiten der Stadt wären (mindestens): Kosten der Durchführung der Volksabstimmung, Planungskosten, Kosten der Errichtung und der Betreibung der Projekte für die Stadt während einer geschätzten Lebensdauer (z.B. das Hallenbad). Indirekt erwähnt werden allenfalls, aber nicht näher benannt, Kosten, die der Stadt durch schon vor dem Abstimmungsprozess eingegangene Pflichten gegenüber Dritten entstehen würden, hier die Bereitstellung eines Baugrundes für die Betreiber des geplanten Hotels.
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IV. Fallbeispiel Volksbefragung – Ausweitung des U-Bahn-Angebotes am Wochenende mit Kosten von fünf Millionen Euro in Wien (2010) A. Wien – Stadt der Volksbefragungen40 Wien ist eine Stadt der kommunalen Volksbefragungen. In immerhin acht stadtweiten Volksbefragungen zwischen 1973 und 2013 wurden der kommunalen Stimmbürgerschaft Wiens 25 Abstimmungsfragen vorgelegt (unberücksichtigt bleiben bei dieser Angabe allfällige Untergliederungen einer Frage). Eine der 25 Abstimmungsfragen enthält Kostenangaben. Der 1973 nach dem ersten und für die SPÖ politisch folgenreichen direktdemokratischen Ereignis um die Verbauung einer hochwertigen innerstädtischen Grünfläche neu ins Amt gekommene Wiener Bürgermeister Gratz (SPÖ) bekannte sich zurückblickend zur „Bürgermitentscheidung“ und zum Ausbau der direkten Demokratie in Wien, er plädierte freilich im Interesse der repräsentativen Demokratie für einen „sparsamen Gebrauch“, denn man dürfe die gewählten Gemeinderäte nicht aus ihrer Verantwortung entlassen. Es dauerte rund fünf Jahre bis zu einem entsprechenden Gesetzesbeschluss zur Reform der Wiener Stadtverfassung im Jahre 1978. Dem Gesetzesbeschluss ging eine kurze und wenig tief gehende Reformdebatte im Wiener Landtag voraus. Vertreter der alleinregierenden SPÖ (Sozialistische Partei Österreichs, später Sozialdemokratische Partei Österreichs) betonten während der Debatte zur vorgelegten Beschlussvorlage die Vorzüge der Repräsentativdemokratie und warnten vor der „Ausschaltung oder Umgehung gegebener demokratischer Einrichtungen und Einführung neuer pseudodemokratischer Instrumente“, was die „Demokratie ad absurdum“ führen könne. Die „lebendige Demokratie“ dürfe Wahlergebnisse nicht korrigieren, etwas weitergehende direktdemokratische Perspektiven bekundeten die anderen im Gemeinderat und Landtag vertretenen Parteien. Die Wiener Stadtverfassung regelt im nach dem § 112 neu eingefügten sehr kurzen 4. Abschnitt betitelt „Volksbefragung und Volksabstimmung“ in den Subparagraphen 112a bis 112h die Volksbefragung und die Volksabstimmung (LGBl. 1978/12), nach dem Beschluss der Durchführungsgesetzgebung in Gestalt des Wiener Volksbefragungsgesetzes in Kraft seit 1980. Obwohl damals schon österreichweit in verschiedenen Städten eingeführt, verzichtete man auf das Instrument des kom40
Die folgenden Ausführungen basieren vor allem auf Pleschberger, Mertens 2012; 2014 und wurden ergänzt.
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munalen Begehrens, es wurde für Landesangelegenheiten zugelassen. Als zweites Instrument wurde die Volksabstimmung eingeführt.41 • Eine Volksbefragung ist anzusetzen, wenn sie der Gemeinderat mit einfacher Mehrheit beschließt oder wenn fünf Prozent der wahlberechtigten Gemeindemitglieder auf Grundlage der letzten Gemeinderatswahl es verlangen, was mehr als 50.000 unterstützende und beglaubigte Unterschriften erfordert. • Die Ausschreibung der Volksbefragung erfolgt unter Anführung des Gemeinderatsbeschlusses bzw. des Verlangens von „dritter“ Seite und hat die zu beantwortende Frage zu enthalten. Sie ist im Amtsblatt kundzumachen und ist den Bezirksvertretungen bekanntzugeben. • Eine den Wahlberechtigten vorgelegte Frage muss mit ja/nein zu beantworten sein oder sofern mehrere Varianten in einer Frage vorgelegt werden, muss die gewählte Variante eindeutig bezeichnet und unterscheidbar sein. • Das Ergebnis ist dem Gemeinderat zur Behandlung in seiner nächsten Sitzung zuzuleiten, eine Begründungspflicht für diesen ist nicht vorgesehen. • Die Befragung kann über Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches stattfinden, ausgenommen sind umfangreiche Angelegenheiten: Wahlen der Organe, Gemeindeabgaben, Entgelte (Tarife), Personal und behördliche Angelegenheiten. Summierend kann festgestellt werden, dass die im österreichweiten Vergleich etwas verspätete Aufnahme von Volksrechten in die Wiener Stadtverfassung deutlich restriktive Züge trägt, sowohl was die zugelassen Volksrechte betrifft wie auch prozedurale Details. Die kommunale Demokratie in Wien ist hybrider Natur.42 Symbolstark ist, dass in den Bestimmungen, die die Einleitung der Volksbefragung regeln, als Initiator der Gemeinderat vor den Stimmberechtigten genannt wird. Der Gemeinderat kann mit einfacher Mehrheit das Instrument der Volksbefragung initiieren, volksseitig sind fünf Prozent der Wahlberechtigten bei der letzten Gemeinderatswahl erforderlich, um eine Befragung einzuleiten. Die kommunale Volksabstimmung ist ausschließlich dem Gemeinderat vorbehalten. Realpolitisch sind in Wien die Transaktionskosten für den Gemeinderat zur Herbeiführung eines Beschlusses deutlich geringer, zumal im Gemeinderat die SPÖ (zumeist) die absolute Mehrheit innehat. Er kann damit relativ leicht die Anwendung eines der beiden direktdemokratischen Instrumente zum Entscheid einer Sachfrage initiieren.
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Neuerdings Gamper 2014. Pleschberger, Mertens 2012; 2014.
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B. Ausweitung des U-Bahn-Nachtfahrbetriebes am Wochenende (2010) Unter den fünf Fragen der siebten Wiener Volksbefragung, die vom 11. bis 13. Februar 201043 durchgeführt wurde, wird als vierte Frage in der aus fünf Frageposten bestehenden Liste die Frage gestellt, ob die Stimmbürger den U-Bahn-Betrieb am Wochenende zeitlich ausweiten wollen. Die zeitliche Ausweitung ist keine Innovation im Verkehrsangebot der Stadt. Schon im existierenden Betrieb endete der U-Bahn-Verkehr etwa eine Stunde nach Mitternacht, sodass nur eine zeitliche Lücke an zwei Tagen von etwa vier Stunden geschlossen würde, um einen 24-Stunden-Betrieb am Wochenende anzubieten. Ebenso verkehrten zur nächtlichen Versorgung an den Wochenendtagen Freitag und Samstag sog. Nachtbusse auf ausgewählten Linien. Das Anliegen zur zeitlichen Ausweitung des U-Bahn-Betriebes geht auf die Junge ÖVP Wien (JVP), eine Teilorganisation der ÖVP, zurück. Sie stellte die Ausweitung Anfang Juli 2009 in den Mittelpunkt ihrer „Sommerkampagne“ und forderte die Ausweitung des Nachtfahrbetriebes am Wochenende, nachdem sie zuvor intern die tägliche Ausweitung diskutiert hatte. Ein vorausgehender sachlicher Diskurs zum Anliegen war nicht vorhanden, das primäre Interesse scheint die Erzielung von Aufmerksamkeit gewesen zu sein. Die Kampagne erregte weniger wegen des inhaltlichen Anliegens Aufsehen, sondern wegen des Claims und der Gestaltung der Werbesujets, die als „sexistisch“ kritisiert wurden. Zahlreiche Medien berichteten zum Anlass des Starts der Kampagne.44 Zu Anfang Februar 2010, nur wenige Tage vor der Volksbefragung, startete die JVP erneut mit enormem Aufwand eine neue Kampagne45, diesmal mit dem (entschärften) Titel „JA zu 24 Stunden U-Bahn“46. Die Stadtregierung hatte sich in den zurückliegenden Monaten unter anderem mit dem Verweis auf die hohen Kosten der Umsetzung (für die hoch defizitären Wiener Verkehrsbetriebe) skeptisch geäußert. Auch eine „Wiener Allianz für den freien Sonntag“ argumentierte wertorientiert gegen die Ausweitung. Zum Anlass der Vorstellung ihrer zweiten Kampagne berichtete der Sprecher der JVP über eine von der Mutterpartei ÖVP-Wien durchgeführte Umfrage, die den interessanten Befund ergeben hätte, dass die Zustimmung zur Ausweitung des U-Bahn-Betriebes steigt, wenn den Befragten keine Kostenangaben vorgegeben 43 44 45 46
Pentz 2010 für eine kritische „Nachbetrachtung“, die mit Recht auf den suggestiven Bias der Wiener Abstimmungsfragen, auch in der Vergangenheit, hinweist. Für viele Pressereaktionen z.B. „Frauenfeindliche“ U-Bahn-Plakate, in: Der Standard vom 9. Juli 2010. Nach Medienberichten war beabsichtigt, 1.100 Plakate aufzuhängen, 50.000 Flyer zu verteilen und die neuen Medien zu nutzen, um für das Anliegen in den Tagen vor der Befragung zu werben. JVP wirft SPÖ manipulative Fragestellung vor, Der Standard vom 1. Februar 2010.
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werden bzw. umgekehrt die Zustimmung abnimmt, wenn den Befragten zur gestellten Frage Kostenangaben gegeben werden.47 Die JVP führte eine politische Marketingkampagne, nicht einen direktdemokratischen Prozess im engeren Sinne: sie sammelte keine unterstützenden Unterschriften, um ihre Anliegen formell erzwingen zu können. Die formelle Beschlussfassung zur Durchführung der Volksbefragung seitens der Stadt erfolgte nach einer sehr kontroversen Debatte im Wiener Gemeinderat am 18. Dezember 2009 mit den Stimmen der SPÖ, die ihre absolute Mandatsmehrheit im Gemeinderat anwendete. Als vierte von fünf Fragen wurde die Ausweitung des U-Bahn-Betriebes angenommen. Die Sprecher der anderen Parteien kritisierten in der Debatte immer wieder die ihrer Meinung nach suggestiven Fragestellungen. 48 Einige FPÖ-Vertreter hielten alle Abstimmungsfragen für verfassungswidrig. Ein Debattenpunkt waren die Kosten der Ausweitung. Die von der amtierenden Stadtregierung gemachten pauschalen Kostenangaben in Höhe von fünf Millionen Euro wurden im Gemeinderat massiv angezweifelt, zumal die Stadtregierung die Kosten nicht näher begründete. Nach dem endgültigen Ergebnis der Volksbefragung vom 24. Februar 2010 lag die Zustimmung zur U-Bahn-Frage bei rund 55 %, was die zweitknappste Zustimmung aller gestellten Fragen ausmacht. Noch am Abend der Auszählung der abgegebenen Stimmen am 13. Februar 2010 waren 54 % gegen die Ausweitung, was der Erwartung der JVP widersprach, die noch Anfang Februar 2010 ein klares „Ja zu 24“ erwartete. Erst die einlangenden Briefwählerstimmen das Ergebnis in Richtung der knappen Zustimmung.49
C. Hohe Parteienpräsenz – Wählermobilisierung mit Hilfe eines Volksrechts? Der politische Prozess um die Volksbefragung 2010 zeigt eine starke Parteiendominanz: die regierende SPÖ trieb die Volksbefragung in allen Details voran und verantwortete sie. Zwischen den Parteien gab es heftige politische Auseinandersetzungen, was vom ansonsten ausgeprägten gemeinsamen Konsens der Parteien in der 47 48
49
Aus den Medienberichten gehen die genauen Frageformulierungen nicht hervor. Erwähnt wird lediglich die Stichprobengröße von 500 Personen. Wenige Tage vor Beginn der Volksbefragung am 4. Februar 2010 zerriss der ÖVP-Politiker und Stadtrat Norbert Walter vor laufender Kamera den vorliegenden Stimmzettel. Das Video kursierte umgehend auf Youtube und auf anderen Plattformen. Auch die FPÖ forderte zum „mehrheitlichen“ Zerreißen des Stimmzettels auf. Näher zur Briefwahlthematik der Volksbefragung 2010 Pentz 2010. Damals kursierte der Begriff der „Nachwähler“.
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Stadtpolitik abwich, der sich darin zeigt, dass die meisten Abstimmungen von einer breiten Gemeinsamkeit der Parteien im Gemeinderat und in der Stadtregierung getragen sind.50 Das Volksrecht war kein Gegengewicht zum kommunalen Parteienstaat, sondern Instrument in dessen Hand. Die im Gemeinderat vertretenen Parteien unterstellten der SPÖ, die Volksbefragung diene der Mobilisierung ihrer Wähler für die im Oktober 2010 abzuhaltenden Wahlen zum Gemeinderat. Sie sei eine „SPÖ-Umfrage“ auf Kosten der Steuerzahler. In diese Richtung gehend wurde der Verdacht einer indirekten Parteienfinanzierung geäußert.
D. Kurzinformation des Bürgers Nach dem Wiener Volksbefragungsgesetz51 erhält der Wiener Wähler „Abstimmungsunterlagen“52 was vielversprechend klingt, sich in der Praxis auf die Übermittlung einer Stimmkarte beschränkt, die neben organisatorischen Details auch eine „notwendige Information über den Stimmvorgang“ zu enthalten habe. Eine nähere Konkretisierung des unbestimmten Begriffes fehlt, sondern ist der Stadtregierung anheimgestellt. Weitere offizielle Informationen erhielt der Bürger nicht. Damit mangelte es an einem wie immer gearteten Begleitbericht oder einer Abstimmungsbroschüre nach der Vorarlberger Regelung, die eine Sachfrage vertieft und objektiv beschreiben würde, auch ansatzweise Argumente pro und contra darstellt usw. Die Stadt informiert im Wege des Amtsblattes über die Ausschreibung der Volksbefragung. Das Amtsblatt enthält die rechtliche Grundlage sowie organisatorische Details und listet die Abstimmungsfragen auf, die sich auch auf der Stimmkarte finden. Die politische Informierung der Stimmbürger erfolgte überwiegend über Mediendarstellungen, Informationsangebote des Betreibers der Fragestellung oder durch Informationsangebote der Stadt Wien.
E. Mangelhafte Qualität der Abstimmungsfrage Die Textierung der Abstimmungsfrage (wie der übrigen vier Fragen) wurde vom Bürgermeister in den Gemeinderat eingebracht und mit der absoluten Mehrheit der SPÖ beschlossen. Die SPÖ suchte keinen Konsens mit den anderen Parteien. 50 51
52
Pleschberger, Tschirf, Welan 2011. Im § 6 aktuelle Fassung heißt es unter anderem: Die Stimmkarte hat neben dem Stimmzettel und dem undurchsichtigen Kuvert auch die notwendige Information über den Stimmvorgang zu enthalten. Bachofner 2014, 171.
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Die Textur der vierten Frage besteht aus einer in wenigen Zeilen gegebenen kurzen inhaltlichen Begründung der Abstimmungsfrage, die in die kurze eigentliche Abstimmungsformulierung überleitet (später im Fettdruck am Stimmzettel), die der Wähler mit Ja oder Nein beantworten sollte. In Wien fahren täglich Nachtbusse von 0.30 bis 5.00 Uhr. Ein 24-Stunden-U-BahnBetrieb am Wochenende (Freitag und Samstag) kostet pro Jahr 5 Millionen Euro und bewirkt veränderte Fahrtrouten der Nachtbusse am Wochenende. Sind Sie dafür, dass die U-Bahn am Wochenende auch in der Nacht fährt? Die fettgedruckte Frageformulierung ist sachlich ungenau bis falsch. Sie legt einem Wähler, der nicht informiert ist, den Gedanken nahe, dass die U-Bahn in Wien nur am Tag führe. Tatsächlich gibt es einen Nachtbetrieb über Mitternacht hinaus. Die Fragebegründung ist sachlich falsch, weil sie den faktischen Nachtbetrieb der U-Bahn nicht erwähnt (jedoch die verkehrenden Nachtbusse). Tendenziell werden negative Folgen der Maßnahme angedeutet, aber nicht ausgeführt (veränderte Fahrtrouten der Nachtbusse). Es werden keine etwaigen positiven Folgen der Maßnahme angeführt. Die Begründung enthält somit keine Gegenüberstellung der positiven oder negativen Folgen der Maßnahme. Die vierte Frage hat noch ein einmaliges Spezifikum: Die Abstimmungsfrage ist in der bis 2010 schon 37-jährigen Geschichte der Wiener Volksbefragungen einmalig, weil im begründenden Textteil der Frage Aussagen zu den finanziellen Folgen der Ausweitung des U-Bahn-Angebotes gegeben werden. Diese Kostenangabe kursierte bald in der politischen Debatte. Sie ist auch wegen dieser Einmaligkeit suggestiv. Die JVP lehnte die Frageformulierung wegen der Kostenangabe ab. Sie bezeichnete die Kostenangaben in der Textur der Frage als „suggestiv“ und befürchtete durch dieses Textelement eine für sie ungünstige Beeinflussung des Stimmberechtigten und den negativen Ausgang der Abstimmung.
F. Kostenangabe ohne Begründung Die Stimmberechtigten wurden über die fiskalischen Implikationen der Maßnahme anfänglich noch widerspruchsfrei informiert. • Die Stadtregierung nannte Kosten in Höhe von fünf Millionen Euro, deren Berechnung ungeklärt blieb. Weder die Stadt noch der Verkehrsanbieter legten eine Information vor. An zu kalkulierenden Kostenelementen zu nennen wären: Verwaltungskosten der Abstimmung, Planungs- und Logistikkosten der Einführung, Investitionskosten für Neuanschaffungen, Finanzierungskosten, Betriebskosten, Abschreibungskosten usw.
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Politische Kritiker behaupteten – ohne Aufschlüsselung – allein sieben Millionen Euro Kosten für die technische Durchführung der Volksbefragung und deren Bewerbung mit öffentlichen Mitteln. Auch die im Wege der Parteienfinanzierung mit öffentlichen Mitteln gespeisten Kampagnen der JVP oder anderer Gruppen wären als Kostenbeiträge in die Gesamtrechnung der Kosten der Abstimmung aufzunehmen. Auf Seiten der Bürger wären Informations- und Transaktionskosten zu kalkulieren, die in monetärer Hinsicht geschätzt werden könnten.
V. Reformüberlegungen Die zwei österreichischen Fallbeispiele zeigen – bei Variation von Details – vier wichtige qualitative Problempunkte der direkten kommunalen Demokratie, zu denen knappe Reformüberlegungen angestellt werden, die auf ausgewählte Regelungen und Praktiken in drei angloamerikanischen Ländern Bezug nehmen. • Parteiendominanz bzw. Parteipolitisierung der direktdemokratischen Prozesse, • Informierung der Stimmberechtigten, • Qualität der Frageformulierung, • Kosteninformation.
A. Rückzug der Parteien Konzeptionell reflektiert und empirisch ausreichend bestätigt ist die nationale und kommunale Parteiendominanz im politischen Geschehen der Anwendung eines Volksrechts. Dies ist ein internationales Phänomen, das in vielen westlichen politischen Systemen auftritt, die die direkte kommunale Demokratie in stärkeren oder schwächeren Ausprägungen kennen.53 Es gibt keine Referendumsdemokratie in den Städten und Gemeinden, weil die Instrumente, Verfahren und Prozesse der direkten Demokratie in den repräsentativen Systemzusammenhang eingebettet sind (und in ihm eine geringe formale und reale Determinationskraft besitzen). Es sind die repräsentativen resp. parteipolitischen Akteure, die einen direktdemokratischen Prozess vorstrukturieren, initiieren und beeinflussen, dessen Ergebnis gelegentlich präjudizieren können und schließlich die Umsetzung einer abgestimmten Maßnahme im Rahmen ihrer Ziele und der institutionellen Möglichkeiten in die Hand nehmen.
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Hornig 2011; Holtmann 1999; Garrett 2005; 2010.
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In reformerischer Absicht plädiert Poier54 für die stärkere Zurückhaltung der Parteien, um die Volksrechte „überwiegend“ dem Volk zu überlassen. Diese Reformforderung wäre freilich mit Blick auf mögliche Reformen zu konkretisieren. • Ein materieller Ansatzpunkt für die Verschiebung des Verhältnisses zwischen den repräsentativen Organen und der Bürgerschaft wäre die Reduzierung des heute überaus umfänglichen Negativkataloges an Aufgaben, für das die Kommunalverfassung keine direktdemokratische Zuständigkeit der Bürger vorsieht. Wenn vorhanden, so könnte umgekehrt der Positivkatalog an Kompetenzen der Bürger ausgeweitet werden, die den Bürgern zur direkten Entscheidung überlassen bleiben.55 • Diskussionswert ist die Überlegung, den repräsentativen Organen bei der Durchsetzung einer außergewöhnlichen Maßnahme zwingend eine Abstimmung vorzuschreiben, wie etwa eine „exzessive“ kommunale Gebührenerhöhung. Will in Großbritannien eine lokale Regierung die kommunale Vermögenssteuer exzessiv erhöhen, muss sie bindend ein Referendum durchführen. • Moderat ist der Vorschlag, die Einleitung eines Referendums von Seiten der kommunalen Organe an eine hohe Mehrheitsschwelle56 im Gemeinderat zu binden, um taktische Spiele des „government of the day“ auszuschließen57. Bei einer qualifizierten Zweidrittelmehrheit müssten sich realpolitisch in den meisten Fällen mehrere Parteien im Gemeinderat über die Umstände und Sinnfälligkeit, den Inhalt oder prozedurale Details eines angestrebten Referendums verständigen, bevor sie die hohe Hürde für den Mehrheitsbeschluss im kommunalen Rat überspringen können. • Überlegenswert ist eine „Stillhaltepflicht“ für die kommunalen Organe, sosobald die Einleitung einer Initiative ordnungsgemäß angemeldet ist.
B. Prozedurale Reformvorschläge Die folgenden Reformvorschläge rekurrieren auf Regelungen und Erfahrungen in den folgenden Ländern.
54 55 56
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Poier 2014, 194; 2015. Müller 2008. Nach einer früheren Regelung in Vorarlberg konnte der Gemeinderat eine Abstimmung nur einleiten, wenn eine Zweidrittel-Mehrheit erreicht wurde, folgend wurde die Schwelle auf eine einfache Mehrheit abgesenkt. Man kann hier auch von „Supermehrheit“ sprechen, die in manchen US-Staaten zum Beschluss des Budgets notwendig ist, siehe Leib/Elmendorf 2012, 101.
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Kalifornien ist auf staatlicher58 wie auf kommunaler Ebene59 ein Land, in dem der Wähler weit reichende Rechte hat, die gesetzgeberische Tätigkeit zu determinieren. In Kalifornien können Bürger relativ leicht eine lokale Gesetzesinitiative ergreifen, was ihnen erlaubt, in die materielle Gestaltung ihrer örtlichen Umwelt einzugreifen (bis hin zu kommunalen Verfassungsänderungen). Das macht es attraktiv für soziale oder politische Interessen, einen Ordinance Initiative Petition Process zu beginnen, der eine kommunale Maßnahme im Wege einer Verordnung durchsetzen will. Wenige Proponenten können sich zusammenfinden, relativ leicht eine Petition formulieren und einreichen, die bei Erfüllung von Formerfordernissen in die Unterschriftensammlung führt und nach deren Erfolg zum Anlass einer allgemeinen Abstimmung den Wählern vorgelegt wird. Es genügen in einer Stadt über 1.000 Einwohner 15 % der registrierten Wähler, die eine normale Initiative für eine neue Maßnahme unterstützen, damit sie folgend in die allgemeine Abstimmung kommt. Gordon schreibt in empirischer Sicht: „They used the initiative to decide such weighty issues as whether to impose urban growth boundaries, limit the terms of their elected officials, establish rent control, permit gambling, impose taxes for transportation or public safety, and reduce or repeal utility user taxes“.60 Großbritannien ist ein unitarisches System, das den lokalen Regierungen geringe Spielräume für das eigene politische Handeln gibt. Im Fiskalföderalismus des Landes haben die lokalen Regierungen wenig Macht in lokalen Steuerfragen und wenige autonome Ausgabenmandate. Die konservativ-liberale Regierungspolitik seit 2010 bindet exzessive lokale Steuererhöhungen (deren Definition das staatliche Gesetz vorgibt) an die bindende Zustimmung des Wählers in abzuhaltenden lokalen Fiskalreferenden. Bei deren prozeduraler Ausgestaltung61 hat der für Städte und Gemeinden zuständige Minister (Secretary of State) weitreichende Möglichkeiten der „Einmischung“ in inhaltliche und organisatorische Details – darunter Publizitätsbestimmungen, Fragestellung (siehe unten) oder erlaubte Kosten62. Neuseeland ist vergleichbar Großbritannien unitär organisiert, mit moderaten direktdemokratischen Elementen auf nationaler und lokaler Ebene. Einführend Rerick 2013; Vechten Van 2011. Gordon 2003; City of Los Angeles 2013; Graves 2012; Sonenshein 2006. Gordon 2003, 53. Lockwood 2013. Localism Act 2011, 52ZQ Regulations about referendums, http://www.legislation.gov.uk/ukpga/2011/20/pdfs/ukpga_20110020_en.pdf; auch Sanford 2014.
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1. Öffentliche Wählerinformation Der Wähler sollte aus demokratischen und rationalen Gründen bei möglichst vollständiger Information über eine Sachfrage abstimmen. Praktisch ist die Frage, wer den Wähler wie und zu welchen relativen Kosten informiert63, damit er die informationellen Anhaltspunkte für seine Entscheidung erhält. Notwendig, wenn auch nicht hinreichend, sind offizielle Informationsführer für den Wähler, die auf öffentliche Kosten angefertigt werden und funktionale Bedürfnisse der Wähler erfüllen sollen. Sie sollen faktenorientiert sein, Begründungen darstellen, die Erwägungen auf Seiten der Wähler erlauben. Sie sind ein erster Schritt zur Förderung der Abstimmungskommunikation, unter der Bedingung, dass sie Qualitätskriterien der Information und Deliberation einhalten. Dies mag vielleicht „cheap talk“ sein, weil die Wähler nicht überprüfen können, ob die Informationen und Begründungen auch wahr sind. Sie vertrauen den Institutionen.64 Aufgrund ihrer professionellen Ressourcen ist es naheliegend, die kommunale Verwaltung zu verpflichten, die Stimmberechtigten umfänglich, ausgewogen, neutral und objektiv über die abzustimmende Maßnahme zu informieren. Die Befolgung dieser Überlegung erfordert eine neutrale, apolitische Stadtverwaltung. Die Informationspflicht erstreckt sich über alle Phasen des Abstimmungsverfahrens. In der staatlichen Praxis65 und in der kommunalen Praxis Kaliforniens finden sich weitreichende Ansätze. Es ist die Aufgabe und Pflicht der örtlichen Verwaltung, eine eingereichte und folgend zugelassene kommunale Gesetzesinitiative im Abstimmungsprozess mit ihren Ressourcen zu unterstützen, unabhängig davon, ob die begehrte Maßnahme den Zielen der Stadtpolitik zuwiderlaufen sollte. Die Verwaltung textet mehrere offizielle Dokumente, die den Abstimmungsprozess maßgeblich beeinflussen und dazu beitragen, dass ein Referendum zu einer öffentlichen Angelegenheit wird, also aus der reinen Interessenssphäre der Initiatoren herausgenommen wird. In Los Angeles66 reichen die Proponenten einer begehrten kommunalen Maßnahme (Ordinance Initiative Petition) einen Abstimmungstitel und die Beschreibung der begehrten Maßnahme beim Wahlamt ein und stellen das Ersuchen, einen offiziellen Titel der Abstimmung und ein Summary der Maßnahmenbeschreibung vorzubereiten. Die Aufgabe obliegt dem von den Bürgern gewählten städtischen 63 64 65 66
Ähnlich Cousins 2003, 207. Garrett, McCubbins 2007, 31. Für einen Überblick über den California Elections Code Elmendorf, Spencer 2013. Hier City of Los Angeles 2014; http://ens.lacity.org/cla/mec_importdoc/clamec_importdoc334788009_05302014.pdf.
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Generalanwalt (City Attorney). Seine Ausfertigungen sind Teil der offiziellen Petition, die zur Sammlung von unterstützenden Unterschriften zirkulieren darf. In Section 706 der Wahlordnung von Los Angeles heißt es: „The City Attorney shall prepare an official petition title and a fair and impartial official petition summary of the primary provisions of the proposed ordinance to be included on all copies of the petition to be circulated by the proponents for signature“.67 Dieses Dokument ist strikt informativ gehalten, es ist nicht Aufgabe des Generalanwaltes ein Für oder Wider zu artikulieren: „The title and summary shall be in language as not to be intentionally an argument or designed to create prejudice either for or against the measure and shall not be false or misleading“.68 Die eigentliche, umfangreiche Wählerinformation erarbeitet der leitende Verwaltungsbeamte der Stadt (City Administration Officer), der ernannt wird. Er kooperiert mit dem Ballot Simplification Committee, das die Geeignetheit des Dokuments für den Wähler prüft. Aufgabe der Kommission ist die sprachliche Simplifizierung des Dokuments, sodass der durchschnittliche Wähler das Dokument verstehen kann. Die Mitglieder werden von mehreren städtischen Organen nominiert, von denen einige besondere Fähigkeiten der Textabfassung nachweisen sollen, was sie zur schriftlichen Kommunikation mit der allgemeinen Öffentlichkeit befähigt. Sie dürfen weder Repräsentanten der Stadt noch Angestellte sein.69 Im lokalen Abstimmungsverfahren erarbeiten demnach verschiedene Akteure der Verwaltung zu unterschiedlichen Zeitpunkten drei inhaltlich verschränkte offizielle Dokumente, die sich nach Länge und Funktionalität unterscheiden. Sie sind dem Wähler als leitende Informationsdokumente zugänglich (Voter Guides). • Das offizielle Erstdokument (maximal 175 Wörter) umfasst den Titel und die Zusammenfassung der begehrten Maßnahme und ist die Grundlage der zirkulierenden Petition. Die Verwaltung muss eine Information mit dem offiziellen Titel und die Zusammenfassung in einer lokalen Zeitung publizieren, die über die Zulassung Auskunft gibt. • Die Wählerinformationsbroschüre (Voter Information Pamphlet)70 enthält folgende Textteile: Problem, Situation, Maßnahme, Bedeutung eines Ja bzw. 67 68 69 70
Section 706 Election Code of the City of Los Angeles, http://ens.lacity.org/cla/mec_importdoc/ clamec_importdoc334788009_05302014.pdf. Section 706 Election Code of the City of Los Angeles, http://ens.lacity.org/cla/mec_importdoc/ clamec_importdoc334788009_05302014.pdf. Section 403 Election Code of the City of Los Angeles, http://ens.lacity.org/cla/mec_importdoc/ clamec_importdoc334788009_05302014.pdf. Article B, Section 402 und folgende Election Code of the City of Los Angeles, http://ens.lacity. org/cla/mec_importdoc/clamec_importdoc334788009_05302014.pdf.
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Nein zum Vorschlag, Fiscal Impact Statement, Impartial Analysis. Das Dokument ist insgesamt kurz gehalten. Bemerkenswert ist die Vorschreibung, dass Argumente aufzunehmen sind, die sich für bzw. gegen eine Maßnahme aussprechen, was Erwägungen stimulieren soll.71 Die Argumente kommen von den Unterzeichnern der Initiative oder von öffentlich bekannten Opponenten der zur Abstimmung begehrten Maßnahme. Die Einladung ist Aufgabe des Präsidenten des Stadtrates. Die eingeladenen Personen müssen versichern, dass sie an ihre Argumente glauben und diese nach ihrer Überzeugung wahr und korrekt sind, soweit dies in ihrem Vermögen liegt. Die Anzahl der Argumente ist nicht begrenzt, nur der erlaubte Gesamtumfang an Wörtern, normalerweise 300 für die Pro-Argumente und 150 für die Gegenargumente, sofern nicht wegen der Komplexität der Materie Ausnahmen erlaubt werden. Die eingereichten Argumente liegen zehn Tage zur Stellungnahme für jeden Wähler auf. Danach trifft der zuständige Beamte eine Auswahl.72 • Abstimmungskarte („ballot label“) – Diese mit einer Maximalzahl von 75 Wörtern geschriebene Information ist die knappste und dichteste Abstimmungsinformation. Sie findet sich in der Wählerinformation, in der sie sichtbar schon am Anfang aufzunehmen ist und beginnt mit „Soll …“. Eine lokale Regierung, die in Großbritannien eine exzessive Steuererhöhung betreibt73, muss spätestens 28 Tage vor dem pflichtigen Referendum eine Notice of Referendum publizieren, das die Aufmerksamkeit der Bürger für die Abstimmung wecken und sie näher informieren soll74. Es informiert über organisatorische Details, die Abstimmungsfrage und steuerliche Kontextfakten, die Kosten der Abstimmung usw. Die örtliche Regierung hat nur einen begrenzten Spielraum, um selbst weiteres Material zur politischen Promotion ihres Zieles zu publizieren. Sie soll keinen ungebührlichen Werbedruck aufbauen können, um das abzustimmende Anliegen im Eigeninteresse überzeugungsorientiert zu fördern.75 71 72
73 74 75
Section 604 Election Code of the City of Los Angeles, http://ens.lacity.org/cla/mec_importdoc/ clamec_importdoc334788009_05302014.pdf. Es ist hinzuweisen, dass zwischen den lokalen Regierungen diesbezügliche Unterschiede bestehen können. Es kommt vor, dass nur ein befürwortendes oder opponierendes Argument erlaubt wird, vgl. Garrett, McCubbins 2007, 27. The Local Authorities (Conduct of Referendums) (Council Tax Increases) (England) Regulations 2012, Section 52ZB(1). The Local Authorities (Conduct of Referendums) (Council Tax Increases) (England) Regulations 2012, 4. The Local Authorities (Conduct of Referendums) (Council Tax Increases) (England) Regulations 2012, Schedule 2, Regulation 12, 22.
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2. Objektives Wording als Schlüsselaufgabe Die genaue Textur einer Abstimmungsfrage (ihr Wording), die an den Wähler herangetragen wird, ist wie der ihr übergeordnete Titel einer Abstimmung eine wichtige Information im Abstimmungsprozess und hat einen bedeutsamen Einfluss auf das Ergebnis einer Abstimmung.76 Sie haben einen mitentscheidenden Einfluss bei den Wählern, die ihr Votum nur am Titel bzw. an der Abstimmungsfrageformulierung ausrichten. Die Abstimmungsfrage kann aus einem kurzen begründenden Textteil bestehen, der die diversen Facetten des Abstimmungsthemas dicht beschreibt und zur eigentlichen Abstimmungsfrage überleitet. Die Herausforderung ist die Findung einer Abstimmungsfrage, die neutral gehalten ist, d.h. nicht absichtlich oder unabsichtlich von vorgängigen Interessen beeinflusst wird.77 Weiterhin soll die Frageformulierung78 einfach, klar, unzweideutig und auf den Punkt gebracht sein. Der Stimmberechtigte soll soweit wie möglich wissen, was die Konsequenzen für ihn oder seine Stadt oder Gemeinde sind, wenn er sich mit ja oder nein in einer Sachfrage entscheidet. Das Kriterium der Einfachheit oder der Klarheit schließt eine Formulierung der Frage allein nach juristischen oder technischen Aspekten aus. Wird eine Fragetextur zu komplex formuliert, nimmt ihre Lesbarkeit und Verständlichkeit ab, die Beteiligung an einer Abstimmung wird schwächer sein (als bei einem „einfachen“ Wording) – was entgegen den eigentlichen Intentionen der Volksrechte Bürger von der demokratischen Beteiligung fernhalten würde.79 Dieser unerwünschte Effekt kann insbesondere bei Stimmberechtigten mit geringem politischen Wissen und/oder Interesse auftreten.80
a. (Problematisches) Praxisbeispiel: „reine“ politische Entscheidung über das Wording Die Erfüllung qualitativer Anforderungen an eine Abstimmungsfrage schließt eine dezisionistische Vorgangsweise aus, in der allein politische Interessen und Kalküle für den Beschluss der Abstimmungsfrage leitend sind und Sachfragen als nebensächlich erachtet werden. Kein beschließendes Organ kann von sich aus die Sinn76 77 78 79 80
Elizar, Preuss 1995, 3; ein Resümee von fokussierten empirischen Studien bei Elmendorf, Spencer 2014, 518–521. Vgl. Cousins 2003, 207. Umfassend Goschik 2003. Reilly, Ritchie 2009, 62; auch dies. 2013, 49. Reilly, Ritchie 2009, 69.
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zusammenhänge wissen oder erahnen, die ein Wähler bei der Interpretation einer Abstimmungsfrage anwendet, welche Kontextbezüge er herstellt usw. Im hochgradig verrechtlichten österreichischen Kommunalsystem finden sich erstaunlicherweise keine näheren gesetzlichen oder untergesetzlichen Regelungen der qualitativen Anforderungen an eine Abstimmungsfrage.81 Das Defizit lässt sich auch mit der Dominanz der Parteien in der kommunalen direkten Demokratie erklären, die Abstimmungsfragen als Mittel der Politik behandeln. Als rationale Akteure, die der Stimmenmaximierung verpflichtet sind, haben sie kein Interesse, eine qualitative Frage zuzulassen, die informativ, objektiv oder nichtsuggestiver Natur ist, die keinen vorgängigen Einfluss auf die Entscheidung des Wählers ausübt. Eine dezisionistische Vorgangsweise, bei der das repräsentative Organ der Gemeinde eine Abstimmungsfrage ohne weitere sachliche Vorklärung beschließt, kann zu problematischen Ergebnissen führen, die auch gesetzwidriges Handeln nicht ausschließt. Ein Beispiel82 findet sich im in der Praxis der direkten Demokratie erstaunlich wenig beachteten Erkenntnis des Österreichischen Verfassungsgerichtshofes vom 16. Juni 2000, das eine Abstimmungsfrage, die in Graz gestellt wurde, für gesetzeswidrig erklärte. Im entscheidenden Satz heißt es: „Gerade Einrichtungen der direkten Demokratie erfordern es, dass das Substrat dessen, was den Wahlberechtigten zur Entscheidung vorgelegt wird, klar und eindeutig ist, damit Manipulationen hintangehalten und Missverständnisse soweit wie möglich ausgeschlossen werden können.“ Und weiter: „Fragestellungen, mit denen versucht wird, die Antwort in eine bestimmte Richtung zu lenken“ seien gesetzwidrig, weil sie nicht der Erforschung des Wählerwillens dienen.83 Nach der österreichischen Judikatur muss eine Fragestellung klar und eindeutig sein, es muss ebenso der Sinngehalt der Frage berücksichtigt werden.84 Weder ist das politische Organ kraft kluger Einsicht dazu in der Lage, auch eine ihm allenfalls beispringende juristische Hermeneutik85 ist nicht hilfreich, um die ambitiösen Vorgaben einzulösen. 81 82
83
84 85
Dieses Defizit ist schlagend etwa im Vergleich zur Regulierung der erlaubten gesundheitsbezogenen Angaben auf Lebensmitteln mit health claims. In diese Richtung geht auch eine Entscheidung des Obersten Gerichtes von Texas, nach der eine Abstimmungsformulierung („ballot language“) nur dann als zulässig gilt, wenn der Wähler nicht irregeführt wird, Laws governing ballot measures in Texas, http://ballotpedia.org/Laws_governing_ ballot_measures_in_Texas. Erkenntnis des VfGH vom 16. Juni 2000 (VfSlg. 15.816/2000). Die kommunale Volksbefragung wurde nicht wiederholt, was bei einer veränderten Fragestellung möglich gewesen wäre. Die Fragestellung war unklar, weil doppelt verneint und auch suggestiv. Das Erkenntnis des VfGH hat nicht verhindert, dass weiterhin Abstimmungen mit suggestiver Fragestellung in den größeren österreichischen Städten durchgeführt wurden (vgl. Pleschberger, Mertens 2015, i.E.). Zusammenfassend Gamper 2014, 139. Gamper (2014) macht diesen Eindruck.
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Ob eine Abstimmungsfrage klar, eindeutig usw. ist, ist eine empirische Frage, die mit zeitgemäßen empirischen Methoden beantwortet werden muss, bevor die politische Legitimierung der Abstimmungsfrage erfolgen soll.
b. Alternative Praxis I: die Abstimmungsfrage als methodisch elaborierte Staatsaufgabe Der britische Localism Act 2011 schreibt vor, dass der zuständige Minister die Abstimmungsfrage, die in einem verbindlichen Fiskalreferendum Verwendung finden soll, dem Parlament vorzuschlagen hat. Zuvor muss er die Electoral Commission konsultieren86, der er einen Vorschlag zur näheren methodischen Prüfung vorlegt. Sie kann dem Vorschlag zustimmen, ihn modifizieren oder eine Alternative empfehlen. Die Commission ist unabhängig und berichtet direkt dem Parlament. Ihre Aufgabe ist die Stärkung des Vertrauens in den demokratischen Prozess, wozu sie mit der Erarbeitung von „intelligible referendum questions“ einen Beitrag leisten soll.87 Die von der Commission zu behandelnden Fragen sind von grundsätzlicher Natur: • Verstehen Wähler spontan den Inhalt einer ihnen vorgelegten Frage und die kontextuelle Bedeutung der Frage? • Welche Begriffe in einer vorgegebenen Formulierung werden von wem als klar oder als unklar und warum wahrgenommen? • Ermutigt eine Frage zum Wählen oder wird sie als überflüssig wahrgenommen – was sind die Gründe? • Welche Vorschläge für Verbesserungen werden gemacht? • Zu welchen Einsichten führt die Vorgabe bzw. Bewertung von Alternativen der Abstimmungsfrage? Die Commission legte den Report „Local authority council tax referendum: referendum question testing“ vor, der von der Marktforschungsfirma GfK NOP Social Research (Gfk 2011) erarbeitet wurde.88 Die Firma testete den Vorschlag der Regierung und eine Alternativfrage. Im Testverfahren wurden Fokusgruppen 86 87
88
Localism Act 2011, 9 MG, http://www.legislation.gov.uk/ukpga/2011/20/pdfs/ukpga_20110020_en.pdf. Ein aktuelles nationales Beispiel ist die Abstimmungsformulierung zu dem für 2017 angekündigten Referendum, ob Großbritannien ein Mitglied der EU bleiben soll oder austreten soll. Hier plädiert die Einrichtung für eine neutrale Formulierung, die von ihr rigoros getestet wurde und dem Parlament zugeleitet wurde. Siehe Quit the EU? Voters don’t know Britain is already a member, warns watchdog, in: The Guardian, October 29, 2013. http://www.electoralcommission.org.uk/__data/assets/pdf_file/0004/145327/GfK-NOP-Council-Tax-Referendum-Report_Final.pdf.
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und face-to-face-Interviews mit Testpersonen durchgeführt. Man verzichtete auf Telefoninterviews, was ein Hinweis auf eine sorgfältige Vorgangsweise ist, die Qualitätsfragen zu beantworten suchte. Der Rat von Sprachexperten wurde ebenfalls eingeholt, auch die Initiatoren der eingereichten Frage konsultiert, um zu empfohlenen Änderungsvorschlägen Stellung zu nehmen. Mit multiplen Methoden soll das Wissen über die „richtige“ Abstimmungsfrage verbreitert werden. Der Bericht zeigte das geringe Wissen der interviewten Testwähler über das lokale Steuersystem, fiskalische Begriffe werden nicht oder verschieden verstanden. Sie stellten verschiedene Kontextbezüge zur vorgelegten Frage her, womit sie diese unterschiedlich interpretierten. Schlussendlich machte die Kommission im Dezember 2011 dem Parlament einen Wording-Vorschlag, den die britische Regierung jedoch nicht akzeptierte. Diese brachte einen erweiterten Vorschlag ein, der vom Parlament Anfang 2012 beschlossen wurde.89 Die Kommission hatte Ende Januar 2012 dem Parlament die Nichtannahme des Wordings der Regierung empfohlen.90 Sie verwies darauf, dass die neue Frageformulierung weder getestet noch von Sprachexperten bewertet worden war. Der Streit wurde um ein kontextuelles Detail der Frageformulierung geführt, das in den Augen der Regierung die Abstimmungsfrage deutlicher machte. Die Commission sprach in ihrer Stellungnahme dagegen von einem „potential bias“, der wegen des geringen Bewusstseins der Wähler für Steuerfragen und ihres geringen Wissens zur Materie das Votum verzerren würde.91 Der vom Parlament angenommene Fragetext ist relativ kurz, strikt strukturiert, neutral und enthält wenige Informationselemente.92 Der Fragetext beginnt mit vor allem fiskalischen Detailinformationen (lokaler Anteil der Vermögenssteuer, Datum der Entscheidung der lokalen Körperschaft zur Anhebung um … verglichen mit Vergleichsjahr, fiskalische Konsequenzen einer Ja- bzw. Nein-Entscheidung, um am Ende des kurzen Textes die „eigentliche“ Frage zu stellen, ob man mit der Entschei89 90 91
92
The Local Authorities (Conduct of Referendums) (Council Tax Increases) (England) Regulations 2012, Regulation 3, Schedule 1, 21 f. http://www.electoralcommission.org.uk/__data/assets/pdf_file/0005/146291/Council-Tax-Referendum-Order-DLC-briefing.pdf. Die Regierung fügte den Hinweis ein, dass das zuständige lokale Organ selbst die Höhe der Steueranhebung entschieden hat, was die Commission kritisierte. Sie befürchtete beim Wähler eine Konfusion über den Zweck und die Wirkung des Referendums. Sie behauptete mit Bezugnahme auf eigene Forschung, dass der erwähnte Teil bei den Wählern auch den Eindruck verstärke, sie hätten bei der Entscheidung „eigentlich“ keine Wahlmöglichkeit mehr; http://www.electoralcommission. org.uk/__data/assets/pdf_file/0005/146291/Council-Tax-Referendum-Order-DLC-briefing.pdf. The Local Authorities (Conduct of Referendums) (Council Tax Increases) (England) Regulations 2012, Regulation 3, Schedule 1, 21 f.
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dung der lokalen Regierung zur Erhöhung der lokalen Steuer um einen bestimmten Prozentsatz einverstanden sei (beginnend mit der Formulierung „do you agree ...“).
c. Alternative Praxis II: kooperativer Wording-Prozess Bei dieser Methode wird die Textur der Abstimmungsformulierung zwischen Verwaltung und Proponenten relativ arbeitsteilig und kooperativ entwickelt, was dem Ziel dient, eine Abstimmungsfrage sachlich und rechtlich „wetterfest“ zu machen und sie damit in das öffentliche Geschehen und in das öffentliche Rechtsgefüge zu inkorporieren. Die definitive Festlegung des Wordings obliegt einem politischen Organ. Die hier beschriebenen Vorgangsweisen entstammen dem neuseeländischen und kalifornischen Kontext. Der neuseeländische Citizen Initiated Referenda Act von 199393 sieht einen Associated Wording Process vor. Der federführende Beamte des Parlaments (Clerk) entwirft auf Grundlage der eingereichten Unterlagen einen Entwurf der Abstimmungsfrage und publiziert seinen Vorschlag in national streuenden Zeitungen. Jeder Bürger ist zur Übermittlung von Kommentaren aufgerufen. Die einlangenden Kommentare sind den Initiatoren zur Information und Stellungahme zu übermitteln. Bevor der Beamte eine endgültige Entscheidung trifft, hat er diese zu konsultieren. Danach formuliert er den verbindlichen öffentlichen Text der Abstimmungsfrage, die er rechtlich verantwortet. Die Textierung hat den Zweck und die Wirkung des Referendums klar darzustellen und ist so zu gestalten, dass die Fragestellung beim Wähler nur eine bzw. zwei Antworten auslöst.94 Auf kommunaler Ebene gehen die lokalen Regierungen unterschiedlich vor.95 Sie halten von Zeit zu Zeit unverbindliche Referenden ab, weil ein verbindliches lokales Referendum nach der Gesetzeslage nicht erlaubt ist.96 Die Bürger können einen Vorschlag für eine Maßnahme an den lokalen Rat herantragen, um ihm zu „assistieren“. Er entscheidet, ob er den Vorschlag weiterverfolgt, abweist oder mit einer anderen kostengünstigeren Methode weiterverfolgt (z.B. mit einer repräsentativen Umfrage), um die Sicht der Bürger zu erkunden. Beispielsweise setzte eine Stadt zur Behandlung eines von Bürgern eingebrachten Vorschlages eine Subkommission im Gemeinderat ein, die das Wording des Vorschlages und der zu zirkulierenden Petition prüfte. Der kommunale Rat fällte danach die endgültige Entscheidung zur Vorlage an die Stimmberechtigten. 93 94 95 96
http://www.legislation.govt.nz/act/public/1993/0101/latest/whole. Harris 2010; Goschik 2003; Cousins 2003, 199. Cousins 2003, 199 ff. Local Government Forum 2007, 12.
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Eine differenzierte und stärker formalisierte kooperative Vorgangsweise wird in Los Angeles praktiziert. Proponenten, die eine gesetzliche Maßnahme betreiben, reichen beim Wahlamt der Stadt wenige Dokumente ein, auf deren Grundlage der gewählte Generalanwalt der Stadt den offiziellen Titel und das Summary der abzustimmenden Maßnahme entwirft. Naturgemäß wird die Textierung von den interessierten Kreisen genau beobachtet, ob nicht politische Intentionen einfließen. 97 Die politische Evaluation dürfte den präventiven Effekt haben, dass das zuständige staatliche Organ suggestive Formulierungen oder Wörter quasi „präventiv“ tunlichst vermeiden wird, um sich nicht dem Vorwurf der Einflussnahme auszusetzen. Bei einer rezenten und kontroversen Gesetzesabstimmung in Los Angeles – die Abstimmung über die Produktion resp. Abgabe von Marihuana an besondere Kunden im Mai 2013 – konkurrierten drei konträre Vorschläge für Maßnahmen (D, E, F) bei der Abstimmung.98 Die jeweiligen Abstimmungsvorschläge sind sehr sachlich, inhaltlich dicht, neutral und vollkommen identisch strukturiert. Die Maßnahme D brachte wenige Monate vor der Abstimmung der Stadtrat ein, während die zwei anderen Maßnahmen echte populare Initiativen sind. Die vorgelegten Abstimmungsfragen („ballot label“) umfassen jeweils knapp 100 Wörter. Sie sind strukturiert und inhaltlich kondensiert. Sie beginnen mit den Worten „Soll eine Verordnung …“ und informieren folgend über das Ziel, die Maßnahme zur Zielerreichung, wichtige Ausnahmetatbestände der Maßnahme und fiskalische Effekte. Das Verständnis der zwar strukturierten, aber inhaltlich verdichteten Textierung setzte beim Stimmberechtigten hohe Lesekompetenz und profundes Vorwissen voraus. Nach einer neueren Umfrage empfinden kalifornische Wähler das Wording der zur Abstimmung gestellten staatlichen Gesetzesinitiativen mehrheitlich als zu kompliziert, und sie seien sich auch unklar, was die Konsequenzen einer Abstimmungsfrage seien.99 Tatsächlich finden sich in der Praxis von US-Staaten textlich extrem dicht formulierte Beispiele, die für die meisten (also die „durchschnittlichen“) Wähler schwer verständlich bis sogar unverständlich sein dürften.100
97
Ein aktuelles Beispiel ist die 2013 eingebrachte Gesetzesinitiative zur Reform des staatlichen Pensionssystems, die es erlauben soll, das staatlicherseits gegenüber Mitarbeitern eingegangene Pensionsverpflichtungen neu verhandelt und verändert werden können, was ein Eingriff in erworbene Rechte wäre. Dafür ist ein Verfassungszusatz notwendig, vgl. Cavanaugh 2014; die offiziellen Dokumente finden sich unter http://oag.ca.gov/system/files/initiatives/pdfs/Title. 98 http://ballotpedia.org/City_of_Los_Angeles_Medical_Marijuana_Disp. 99 Baldessari 2013, 5. 100 Reilly 2013.
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3. Angabe fiskalischer Effekte Die Kosten einer abzustimmenden Maßnahme sind eine wichtige Information für den Wähler und es wird hier postuliert, dass die Kosten einer abzustimmenden Maßnahme von Beginn des Abstimmungsprozesses an bekannt sein sollten. Lokale Statuten in Neuseeland101 sehen – allerdings uneinheitlich – vor, dass in einem referendumsfähigen Vorschlag für eine neue kommunale Maßnahme deren mögliche finanzielle Implikationen anzugeben sind. Die örtliche Regierung steht den Proponenten eines Referendums beratend zur Seite und hilft bei der Ermittlung der Kosten, was Aufgabe eines qualifizierten Mitarbeiters der Stadtverwaltung ist. In der kommunalen Praxis Kaliforniens informiert ein Fiscal Impact Statement102 die Wähler über fiskalische Implikationen der abzustimmenden Maßnahme, das der zuständige Beamte der Stadtverwaltung (City Administration Officer) in Zusammenarbeit mit betroffenen Abteilungen der Stadtverwaltung erarbeitet und namentlich in der Wählerinformation zeichnet. Es soll nach Sektion 604 der Stadtcharta von Los Angeles103 nicht mehr als 150 Wörter umfassen und klar und konzise abgefasst sein sowie für den durchschnittlichen Wähler verständlich sein. Zur Sicherung der Verständlichkeit sei so weit wie möglich auf technische Begriffe zu verzichten. Es ist zu schätzen, welche Auswirkungen die Annahme einer Maßnahme auf die Einnahmen oder Kosten für die Stadt hat oder, sofern dies nicht möglich ist, ist eine Meinung anzugeben, ob ein bzw. ob kein substanzieller Effekt resultieren wird. Werden steigende Kosten erwartet, sind diese im Fettdruck in der Wählerinformation zu setzen. Die fiskalischen Effekte der erwähnten Maßnahme D der Marihuana-Abstimmung vom Mai 2013 in Los Angeles finden sich eingearbeitet in die Abstimmungsfrage zur Maßnahme und ausführlicher in der Wählerinformation mit einem kurzen Kapitel. Es beschreibt die finanziellen Wirkungen auf den durch die Maßnahme betroffenen Geschäftssektor, der eine Steuererhöhung zu erwarten hat. Der erwartete Rückgang der Unternehmen führe zu einem Einnahmenausfall für das Stadtbudget, den die höheren Steuerleistungen der verbleibenden Unternehmen kompensieren sollen. Es kann zu erhöhten Ausgaben für die öffentliche Sicherheit und die Durchsetzung der Maßnahme kommen, die nicht quantifiziert werden (weil
101 Cousins 2003, 201 ff. 102 Graves 2012, 20. 103 Section 604 Election Code of the City of Los Angeles, http://ens.lacity.org/cla/mec_importdoc/ clamec_importdoc334788009_05302014.pdf.
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„unknown“).104 Weitere Kostenelemente, wie die Kosten der Durchführung der Abstimmungsmaßnahme für den Steuerzahler werden nicht angeführt. In Großbritannien hat die Notice of Referendum bei kommunalen Fiskalreferenden die Durchführungskosten des Referendums zu berücksichtigen.105 Die Kosten dürfen eine bestimmte staatlicherseits festgelegte Höhe nicht überschreiten und werden in einer Bandbreite angegeben.106 Weitere Kostenelemente und -effekte sind nicht darzustellen (etwa die Kosten für die Eigentümer von Immobilien und den kommunalen Grundstücksmarkt usw.).
VI. Schlussüberlegungen – direkte kommunale Demokratie als wahre öffentliche Angelegenheit Die in der Analyse angesprochenen Kommunalsysteme Österreichs, Neuseelands, Großbritanniens und Kaliforniens unterscheiden sich nach institutionellen Merkmalen deutlich. Kalifornien und Österreich sind – mit deutlichen Unterschieden – föderalistische Systeme, Neuseeland und Großbritannien sind unitarische Systeme. In Österreich garantiert die Verfassung die kommunale Selbstverwaltung, die konkreten Gemeinden haben aber geringe organisatorische und funktionale Gestaltungsmöglichkeiten, was das Verdikt des „Pseudoföderalismus“ oder des „verkappten Einheitsstaates“107 aufkommen lässt, besonders wenn man die Autonomie der Gemeinden im schweizerischen oder kalifornischen Föderalismus betrachtet. Ein aktuelles Beispiel für die schwache organisatorische Selbstgestaltungsmöglichkeit der österreichischen Gemeinden sind die Gemeindezusammenlegungen in der Steiermark – sie demonstrieren, dass die Gemeinden vom Land eingesetzt oder abgeschafft werden können, wenn der politische Wille der Organe es so will – auch wenn direktdemokratische Entscheidungen der Bürger es anders wollen. Die Gemeinden haben kein Recht auf „ungestörte Existenz“.108 Auch ist das österreichische Kommunalsystem „durchdemokratisiert“. Die verbürgten Volksrechte mangeln einer Verrechtlichung wichtiger prozeduraler Details, die für die Praxis und Qualität der direkten kommunalen Demokratie wichtig sind. 104 http://clerk.lacity.org/stellent/groups/Departments/@CLERK_Elections_Contributor/documents/Contributor_Web_Content/LACITYP_024794.pdf. 105 https://www.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/8546/1657699.pdf; Der Staat empfiehlt die Abhaltung eines Referendums in Kombination mit allgemeinen Abstimmungen (etwa Bürgermeisterwahlen), sodass begrenzte Zusatzkosten für die Abstimmung anfallen. 106 Sandford 2013, 8. 107 Abromeit 1992, 24 ff. 108 Erste Anträge gegen Gemeindefusionen abgewiesen. VfGH trifft Grundsatzaussagen zu Zusammenlegungen in der Steiermark, Presseinformation des VfGH vom 14. Oktober 2014.
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Es zeigen sich innerösterreichische Regelungsunterschiede zwischen dem Vorarlberger und Wiener Kommunalsystem. Das österreichische Kommunalsystem unterscheidet sich in vergleichender Sicht deutlich von ausländischen Beispielen. Sachlich gesehen sind die Wählerinformation, Kriterien und Verfahren der Findung der Abstimmungstextur oder die „Kostenfrage“ in Österreich unbefriedigend geregelt, was wesentliche Unterschiede zu allen herangezogenen ausländischen Beispielen markiert. Das ist ein Indiz, dass die direkte kommunale Demokratie noch nicht umfänglich im öffentlichen Recht angekommen ist und sie wird noch nicht als legitime öffentliche Veranstaltung wahrgenommen und umgesetzt. Die schwache Normierung prozeduraler Details öffnet die Praxis der kommunalen Volksrechte für die kommunale Parteipolitik. Damit zeichnen sich (mindestens) zwei Reformpfade für Österreich ab: • Eine den praktischen sachlichen Anforderungen der direkten Demokratie entgegenkommende und nachholende Verrechtlichung, die sich international seit langer Zeit darstellt und Maßstäbe setzt. • Die postulierte Verrechtlichung korreliert mit der Öffnung der kommunalen Verwaltung für die Praxis der Volksrechte. Sie steht folglich unter offener, objektiver und praktischer Kooperationspflicht mit den Akteuren der direkten Demokratie. Einzelne Positionsinhaber der Verwaltung haben einen zusätzlichen und komplexen Workload zu erwarten. Sie müssen einem politischen bias in ihrer Arbeit abhold sein, allenfalls auch in einen Gegensatz zum politischen Willen der Stadtregierung treten. Ein öffentlicher Beamter, der eine Abstimmungsfrage (einschließlich ihrer Begründung) formuliert und ins Rechtsgefüge einpasst, der die offizielle Wählerinformation verfasst, der eine Kostenschätzung für eine begehrte neue Maßnahme zu erarbeiten hat und seine Leistungen zu verantworten hat, braucht großes Wissen, aber auch und vor allem eine offene und starke Festlegung auf Neutralität und viel Weisheit, um inhärente Interessengegensätze zu verstehen und auszubalancieren.
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Klaus Poier
Direkte Demokratie und Parlamentarismus: Wie kommen wir zu den besten Entscheidungen? Zusammenfassende Bemerkungen Der vorliegende Band vereinigt Beiträge, die sich mit der Reform der Demokratie, insbesondere der Weiterentwicklung der Instrumente der direkten Demokratie und der Stärkung des Parlamentarismus, befassen. Der Band will damit einen Beitrag zur aktuellen demokratiepolitischen Diskussion in Österreich und insbesondere einen Input für die am 18. Dezember 2014 konstituierte parlamentarische Enquete-Kommission „betreffend Stärkung der Demokratie in Österreich“ leisten. Die Fülle der in den Beiträgen behandelten Themen, Argumente und Vorschläge ist enorm und kann in zusammenfassenden Bemerkungen nur verkürzt und unvollständig dargestellt werden. Der folgende Überblick erhebt daher nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, sondern zeigt Kernaussagen und Leitgedanken auf.
I. Reform und Zukunft der Demokratie in Österreich In vielen Beiträgen des vorliegenden Sammelbandes findet sich der – auch in der Öffentlichkeit wiederholt diskutierte – Befund, dass den Institutionen des politischen Systems Österreichs ein hohes Maß an Unzufriedenheit und Vertrauensverlust seitens der Bürgerinnen und Bürger entgegengebracht wird. Während weitgehende Einigkeit über die Krisensymptome besteht, werden die Ursachen der Krise und erst recht die Reformnotwendigkeiten weit heterogener diskutiert. Reinhard Heinisch und Kristina Hauser sehen vor allem im „Erbe der Nachkriegszeit“, nämlich Proporz und Konsensdemokratie, die wesentlichen Faktoren, die vor dem Hintergrund von Globalisierung und dem damit einhergehenden gesellschaftlichen Wandel notwendige und rasche Reformen des politischen Systems Österreichs verhindert haben. Die Bevölkerung sehe sich mit der Herausforderung konfrontiert, ihre politische Partizipation neu zu gestalten und sich insbesondere durch mehr Aktivismus an der Politikgestaltung zu behaupten. Spezielle Herausforderungen, die die Zukunft der Demokratie in Österreich betreffen, sehen Heinisch und Hauser vor allem auch in einer verbesserten Auswahl des politischen Führungspersonals, in der Stärkung der Zivilgesellschaft und der direkten Demokratie, in der
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Klaus Poier
Inklusion nicht-österreichischer Staatsbürgerinnen und Staatsbürger und in einer zeitgemäßen politischen Bildung. Die bessere Integration von Migrantinnen und Migranten sieht auch David F. J. Campbell als dringenden Handlungsbedarf für die Hebung der Demokratiequalität in Österreich. Neben dem Staatsbürgerschaftsrecht sieht er in Österreich Defizite im Bereich der Gender-Gleichheit, der Pressefreiheit, der Eindämmung von Korruption, der Ausbalancierung von Macht – dabei stellt er Amtszeitbegrenzungen zur Diskussion – sowie in der politischen Bildung und beim Fehlen eines „Democratic Audit“. Bei Reformen der direkten Demokratie sieht er vom Blickwinkel der Demokratiequalität aus Pro- und Kontraargumente. Peter Filzmaier und Flooh Perlot zeigen auf, wie viele Aspekte die Frage „Wie entscheiden wir?“ in einer demokratischen Gesellschaft umfasst und welche unterschiedlichen Regelungsmodelle sich dafür entwickelt haben und anbieten. Ihr Beitrag gibt dabei einen Überblick über die politischen Systemformen im internationalen Vergleich und spannt den Bogen von den Ausgestaltungsmöglichkeiten des Wahlrechts und Beispielen alternativer Entscheidungsformen abseits von Wahlen (neuerdings etwa „liquid democracy“) über Theorien der Wahlentscheidung bis hin zur direkten Demokratie. Abschließend wird auch in diesem Beitrag betont, dass eine verstärkte politische Bildung Grundvoraussetzung für ein Mehr an politischer Beteiligung darstellt. Bemühungen der Demokratieform seien in Österreich zwar häufig, deren Ergebnisse jedoch dürftig gewesen, diagnostiziert Heinrich Neisser. Die aktuelle Diskussion und insbesondere die Einsetzung der Enquete-Kommission auf Parlamentsboden sind für ihn „Anlass zu einem gewissen Optimismus“. Neisser hält die Vorstellung von Demokratie als (bloße) Methode zur Ermittlung des politischen Führungspersonals, in Form der Wahl von Repräsentanten, vor allem durch die Entwicklung der Wissensgesellschaft und angesichts der modernen Kommunikationsmittel für nicht mehr „realistisch“ und spricht sich daher für einen Ausbau der direkten Demokratie aus. Nichtsdestotrotz schreibt er der Reform des Wahlrechts die „bedeutendste Rolle im Prozess der Weiterentwicklung der Demokratie“ zu und spricht sich für die Einsetzung einer weiteren Enquete-Kommission zum Thema Wahlrechtsreform aus. Herwig Hösele weist auf die Verdrossenheits- und Protestphänomene hin, die im Laufe der Zweiten Republik in mehreren Phasen – so sein Befund – wellenartig zu- und abnahmen. Seit der Neubildung der Großen Koalition ab 2007, die das Anwachsen des Protestes weiter befördert habe, seien die „Kritik am ‚Stillstand‘ und die Rufe nach Reformen immer lauter“ geworden. Seither hat sich in Österreich auch eine Reihe zivilgesellschaftlicher Initiativen gebildet. Als Sekretär der „Initiative Mehrheitswahlrecht und Demokratieform“ stellt Hösele exemplarisch die Aktivitäten einer solchen zivilgesellschaftlichen Bewegung (z.B. Erstellung eines
Zusammenfassende Bemerkungen
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jährlichen „Demokratiebefundes“) sowie ihre Forderungen (wie insbesondere Wahlrechtsreform, Ausbau der direkten Demokratie und der politischen Bildung) dar. Den vorgegebenen (Unter-)Titel des Sammelbandes greift Alexander Balthasar auf und geht der „Qualität“ einer demokratischen Entscheidung nach. Auf der Suche nach einem Maßstab weist er auf die Input- und Output-Legitimation von Entscheidungen sowie den Aspekt der Gemeinwohlorientierung hin. Vor dem Hintergrund, dass der Spielraum demokratischer (innerstaatlicher) Entscheidungen angesichts der Zunahme völker- und europarechtlicher Verpflichtungen beträchtlich geschrumpft ist, sieht Balthasar im verbleibenden Aktionsradius demokratischer Entscheidungen vor allem Raum für Elemente der deliberativen und der kontrollierenden Demokratie.
II. Stärkung der repräsentativen Demokratie und des Parlamentarismus Tamara Ehs sieht das aktuelle Unbehagen in der Demokratie vor allem gegen den Parteienstaat gerichtet und nicht als Symptom einer zumeist diagnostizierten Politikverdrossenheit. Der Zuwachs populistischer Parteien und nicht-institutionalisierter Protestnetzwerke und Bürgerinitiativen seien „Ausdruck einer weit fortgeschrittenen Erosion der politischen Infrastruktur, die diverse Interessen nicht mehr hinreichend“ abbilde. Problematisch erachtet Ehs nicht die Anliegen beider Wege, sondern dass die repräsentative Demokratie dabei immer wieder an sich als Übel verstanden werde. Sie plädiert daher für eine Reform und damit Stärkung des Parlamentarismus, insbesondere durch eine größere praktische Bedeutung des freien Mandats und eine effektivere Personalisierung des Wahlrechts. Zwar sieht Ludger Helms Licht und Schatten des Parlamentarismus und „keine durchaus strahlende“ Leistungsbilanz der repräsentativen Demokratie. Eine Verbesserung der Leistungsfähigkeit des österreichischen Regierungssystems – sowohl aus demokratiepolitischer wie entscheidungspolitischer Sicht – sei aber angesichts des unterschätzten Problempotentials weniger durch einen Ausbau direktdemokratischer Instrumente als „durch systemimmanente Optimierungen der repräsentativen Demokratie“ zu erreichen. Helms spricht sich dabei etwa für eine Öffnung der Parteilisten für Personen ohne klassische Parteikarriere und einen Ausbau des Vorzugsstimmensystems bis hin zu offenen Listen aus, wobei Demokratiereform über die bloße Institutionenreform hinausgehen und sowohl die politischen Eliten wie die Bürger mit einschließen müsse. Katharina Pabel stellt in ihrem Beitrag ebenfalls Überlegungen zur Reform des Parlamentarismus an. Dabei sieht sie zum einen in der Stärkung der freien Debatte im Parlament (insbesondere durch häufigeres Aufheben des Klubzwangs) einen we-
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sentlichen Ansatzpunkt. Zum anderen plädiert Pabel für eine Stärkung der Rechte der Opposition, die ja in erster Linie die Funktion der Kontrolle der Regierung wahrnehme, wobei sie einen Ausbau des Fragerechts zur Diskussion stellt und auch die jüngst erfolgte Änderung, die Einsetzung von Untersuchungsausschüssen als Minderheitenrecht auszugestalten, begrüßt. Eine Stärkung des Parlamentarismus würde schließlich auch dadurch erreicht, wenn das Parlament seine Rolle im Prozess der Europäisierung und seine ihm dabei zukommende „Brückenkopf-Funktion“ bewusster und stärker wahrnehmen würde. Dass das repräsentativ-demokratische System auch in Österreich immer mehr unter Druck gekommen ist, sieht Andreas Khol zum einen in einem internationalen bzw. zumindest gesamteuropäischen Trend, zum anderen besonders in der immer evidenteren Unmöglichkeit, größere Reformen zu erreichen. Letzteres liege in erster Linie daran, dass für viele Reformen eine Zweidrittelmehrheit erforderlich sei, die jedoch im Zuge der Pluralisierung der Parteienlandschaft nur mehr in Ausnahmefällen erreicht werden könne. Diese Krisenerscheinungen der parlamentarischen Demokratie ließen sich für Khol jedoch weder mit einem Mehrheitswahlrecht, noch mit dem Ausbau der direkten Demokratie beseitigen, sondern eher würden sie dadurch verschärft. Vor allem müsse auch die Gefahr einer Destabilisierung des politischen Systems durch direktdemokratisch herbeigeführte Änderungen der Grundordnung des Staates verhindert werden, weshalb er sich in vielen Details kritisch zu im Zuge des „Demokratiepakets 2013“ vorgeschlagenen Änderungen äußert. Wolfgang Mantl sieht als Ausgangspunkt realistischer Reformkonzepte auch heute noch die grundsätzliche Anerkennung von Repräsentation – nicht zuletzt als Folge einer Arbeitsteilung – „als dem Hauptfunktionsmuster moderner Staatlichkeit“. Direkte Demokratie sollte als „Ergänzung und Korrektiv, jedoch nicht als Ersatz der Repräsentation“ dienen, „Mängel der Repräsentation“ sollten durch direkte Demokratie kompensiert werden. Allerdings weist Mantl auf die relative Wirkungskraft von Verfassung und Verfassungsnormen hin, die nicht „herbeinormieren“ könnten, was die politische Kultur an persönlichen Qualitäten, Tugenden und Gerechtigkeitsvorstellungen nicht enthalte. Eine zu weit gehende parteipolitische Pluralisierung führe zur Leistungsschwäche des Parlaments, weshalb Mantl weiter für ein Mehrheits- anstatt des Verhältniswahlrechts plädiert. Als zumindest „suboptimal“ erweisen sich für Gerhart Holzinger die verfassungsrechtlich festgelegten Strukturen in Österreich. Trotz vieler politischer Ankündigungen und Versprechen sei praktisch jede Reforminitiative in einer politischen Pattsituation geendet, was die mangelnde Fähigkeit des politischen Systems zu strukturellen Reformen belege. Die für Holzinger „lebensnotwendige“ Reform der Demokratie müsste beim Wahlrecht mit einer Stärkung des Persönlichkeitswahlrechts beginnen
Zusammenfassende Bemerkungen
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und einen Ausbau der direkten Demokratie umfassen. Ein solcher sollte jedoch nicht zu einer Schwächung, sondern zu einer Stärkung des Parlamentarismus führen, nämlich die Kontrollfunktion des Parlaments gegenüber der Regierung ausbauen.
III. Weiterentwicklung der Instrumente der direkten Demokratie und ihre Grenzen Anna Gamper weist zunächst auf die Notwendigkeit der Begriffsklärung im Bereich der direkten Demokratie hin, da sehr viele Begriffe in der Diskussion – und auch in (Verfassungs-)Gesetzen – in zum Teil missverständlicher Weise verwendet werden (z.B. direkte Demokratie, Partizipation, Bürgernähe und -beteiligung, Transparenz, öffentlicher Diskurs, Referendum). In weiterer Folge zeigt sie – auch anhand ausländischer Beispiele – auf, dass verschiedene Wege zu „mehr direkter Demokratie“ zu führen vermögen, die vom stärkeren Gebrauch vorhandener, aber bislang „ totes Recht“ darstellender Instrumente über die beteiligungsfreundliche Ausgestaltung bereits bestehender direktdemokratischer Verfahren bis zur Einführung neuer Instrumente der direkten Demokratie reichen könnten. Klaus Poier ortet im (österreichischen) Diskurs über direkte Demokratie drei Kernvorstellungen des Verhältnisses von repräsentativer und direkter Demokratie, die er mit den Begriffen Gegensatz, Ergänzung und Korrektiv charakterisiert. Er plädiert dafür, in der Diskussion stärker als bisher die verschiedenen Funktionen der direkten Demokratie und die mit Instrumenten der direkten Demokratie verbundenen Intentionen in den Blick zu nehmen und diese den grundsätzlichen politischen Zielsetzungen gegenüberzustellen, die mit einer allfälligen Weiterentwicklung der direkten Demokratie angestrebt werden sollen – wie allenfalls die Reformkraft des politischen Systems zu stärken oder der „Kluft“ zwischen Repräsentanten und Repräsentierten entgegenzuwirken. Sieglinde Rosenberger und Jeremias Stadlmair gehen der Frage nach, ob Instrumente der direkten Demokratie in Recht und Praxis in Österreich eher ein Instrument der Bürgerinnen und Bürger darstellen oder in der Kontrolle der Regierenden liegen und damit als „Regierungstechnik“ zu verstehen sind. Nach Analyse aller in der Zweiten Republik auf Bundes- und Landesebene durchgeführten Verfahren kommen Rosenberger und Stadlmair zu dem differenzierten Befund, dass direkte Demokratie „(auch) eine Regierungstechnik“ ist, dass sie aber gleichzeitig „(auch) den Einfluss“ der Bürgerinnen und Bürger im Entscheidungsprozess stärkt. Durch vermehrte „Entformalisierung“ direkter Demokratie entstehe zudem eine Kluft zwischen dem Recht und der Praxis. Die Debatte über direkte Demokratie ist in Österreich nicht neu, Christoph Konrath weist allerdings darauf hin, dass der Ausbau direktdemokratischer Instrumente
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zuletzt erstmals von allen im Nationalrat vertretenen Parteien unterstützt wurde. In seinem Beitrag analysiert Konrath den Debattenverlauf und die Vorschläge zur Demokratiereform in Österreich der Jahre 2011 bis 2013. Er kritisiert dabei vor allem theoretische Defizite und fehlende Leitbilder in der Diskussion sowie eine mangelhafte Verbindung zur Praxis. Dies zeige sich an fehlenden Begründungen vieler Reformvorschläge und Wertungswidersprüchen und mache auch Zielrichtung und Umfang möglicher Reformen kaum einschätzbar. Die politische Kultur Österreichs sieht Theo Öhlinger „lange Zeit durch obrigkeitsstaatliche Elemente und eine korrespondierende Untertanenmentalität der Bevölkerung geprägt“. Die staatlichen Strukturen müssten nun einer sich neu entwickelnden „Beteiligungskultur“ Rechnung tragen. Mehr direkte Demokratie könne dabei eine ernstzunehmende Facette der umfassenden Weiterentwicklung der Demokratie sein. Jedenfalls für reformbedürftig hält Öhlinger das Instrument des Volksbegehrens ob dessen bisheriger regelmäßiger Folgenlosigkeit und lotet insbesondere für eine diesbezügliche Reform Möglichkeiten und Grenzen aus. Er spricht sich dabei insbesondere gegen Themenbeschränkungen in Form von „Negativlisten“ und für einen stärkeren institutionalisierten Dialog zwischen Parlament und Zivilgesellschaft aus. Clemens Jabloner zweifelt, ob die im Zuge des „Demokratiepakets 2013“ vorgeschlagene Einführung eines „qualifiziert unterstützten Volksbegehrens“ in der Tat das geeignetste Mittel gegen das Unbehagen an der parlamentarischen Demokratie in Österreich darstellt. Während Jabloner zwar keine durchschlagenden verfassungspolitischen Bedenken gegen plebiszitär erzeugte Bundesgesetze sieht, spricht er sich vor allem gegen plebiszitär erzeugtes Verfassungsrecht aus. Initiativen zur Änderung der Bundesverfassung oder gar zu ihrer Gesamtänderung sollten ebenso wenig zulässig sein wie solche zur Änderung der Bestimmungen über qualifiziert unterstützte Volksbegehren selbst. Sinnvolle Reformoptionen sieht Jabloner hingegen in der stärkeren Personalisierung des Wahlrechts oder durch größere „koalitionsfreie Räume“. Einem wesentlichen aktuellen Diskussionspunkt einer Weiterentwicklung der Instrumente der direkten Demokratie, nämlich den Themenbeschränkungen, widmet sich Franz Merli. Die geltende Rechtslage auf Bundes- und Landesebene analysierend unterscheidet er kompetenzrechtliche Beschränkungen, Beschränkungen zur Sicherung von Stabilität und Konsistenz der Politik (z.B. zeitlicher Bestandsschutz von Gesetzen, Ausschluss von Budget- und Finanzfragen) und Beschränkungen zur Vermeidung gravierender Fehlentscheidungen (z.B. Unzulässigkeit von Volksbegehren bei Verstoß gegen EU-Recht, Völkerrecht oder Grundrechte). Merli schlägt dabei insbesondere vor, Volksbegehren mit dem Ziel der Schlechterstellung von Angehörigen von Minderheiten (durch Merkmale bestimmt, die sie nicht ablegen können oder deren Aufgabe nicht zumutbar ist) nicht zuzulassen.
Zusammenfassende Bemerkungen
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In Hinblick auf die Rahmenbedingungen und Leitlinien einer Weiterentwicklung der direkten Demokratie in Österreich sieht Harald Eberhard einen „Nachholbedarf“ für die Bundesebene, sollen „einigermaßen kohärente Verhältnisse“ zwischen den Ebenen des Bundesstaates angestrebt werden. Ein weiterer Ausbau der direkten Demokratie sei in diesem Sinne „ein durchaus berechtigtes Ansinnen“, wobei dieser nicht mit einer Schwächung der repräsentativen Demokratie und insbesondere des parlamentarischen Diskurses einhergehen dürfe. Themenbeschränkungen für Volksbegehren hält Eberhard insbesondere im Hinblick auf die nachfolgenden Entscheidungs- und Kontrollbefugnisse von Parlament, Bundespräsident und Verfassungsgerichtshof für weitgehend entbehrlich. Christoph Bezemek charakterisiert die im Zuge des „Demokratiepakets 2013“ vorgeschlagene Verknüpfung von Volksbegehren und Volksbefragung als geradezu „österreichisch“. Nicht nur, weil damit in den Bundesländern bereits vorhandene Modelle aufgegriffen wurden, sondern weil dadurch versucht wird, zwei gegenläufige Anliegen unter einen Hut zu bringen: zum einen nämlich die bislang marginalisierte Rechtssetzungsfunktion von Volksbegehren aufzuwerten, zum anderen die (rechtliche) Letztverantwortung weiterhin den repräsentativ-demokratischen Institutionen zu überlassen. Bezemek hält die vorgeschlagene Lösung für geeignet, den Diskurs zwischen Repräsentanten und Repräsentierten zu befördern, erachtet allerdings die vorgesehenen Themenbeschränkungen mit Blick auf das Ziel eines offenen Diskurses für zu restriktiv. Zum Abschluss des Bandes gehen zwei Beiträge speziell auf Fragen der direkten Demokratie auf Landes- und Gemeindeebene ein. Peter Bußjäger und Niklas Sonntag gehen in ihrem Beitrag der Frage nach, ob das in mehreren Bundesländern vorgesehene „Veto-Referendum“ gegen im Landtag beschlossene Gesetze bundesverfassungskonform ist. Eine Frage, die noch offen ist, während der Verfassungsgerichtshof – in der Lehre allerdings weitgehend kritisch hinterfragt – bereits festgestellt hat, dass die „Volksgesetzgebung“ mit dem repräsentativ-demokratischen Grundprinzip der Bundesverfassung unvereinbar sei. Im Hinblick auf die Landesverfassungsautonomie und die qualitativen Unterschiede zwischen Volksgesetzgebung und Veto-Referendum plädieren Bußjäger und Sonntag für die Bundesverfassungskonformität, wenngleich sie nicht alle Zweifel ausgeräumt sehen. Daher schlagen sie eine entsprechende bundesverfassungsrechtliche Klarstellung vor. Werner Pleschberger untersucht schließlich an zwei praktischen Beispielen der Inanspruchnahme von Instrumenten direkter Demokratie in Bregenz und in Wien die kommunale direkte Demokratie in Österreich. Insbesondere in einem Vergleich zu Regelungen in Neuseeland, Großbritannien und Kalifornien sieht er in Österreich eine rechtliche Unterreglementierung. Reformbedarf ortet Pleschberger be-
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sonders in Hinblick auf die (neutrale) Formulierung von Abstimmungsfragen, eine offizielle Wählerinformation bei Abstimmungen und fundierte Kostenschätzungen begehrter neuer Maßnahmen als Grundlage von Entscheidungen.
IV. Resümee 1.
2.
3.
4.
Der grundsätzliche Reformbedarf des politischen Systems bzw. der Demokratie in Österreich nicht zuletzt angesichts von Vertrauensverlusts- und Verdrossenheitsphänomenen sowie mangelhafter Reformfähigkeit wird in allen Beiträgen des Bandes als Prämisse bestätigt oder vorausgesetzt. Uneinigkeit besteht in der geeigneten Zielrichtung der Reform. Manche plädieren – allein – für eine Reform der repräsentativen Demokratie und des Parlamentarismus, wobei sich auch die Befürworter eines Ausbaus der direkten Demokratie für derartige Reformen aussprechen. Als Reformwege werden dabei insbesondere eine stärkere Personalisierung des Wahlrechts (von manchen auch ein Mehrheitswahlrecht), eine stärkere Bedeutung des freien Mandats durch häufigeres Aufheben des Klubzwangs und ein Ausbau der Oppositions- und Kontrollrechte gefordert. Mehrfach thematisiert wird auch die Notwendigkeit einer stärkeren Inklusion der Bevölkerung mit nicht-österreichischer Staatsbürgerschaft in den politischen Prozess. Der Ausbau der politischen Bildung wird ebenso wiederholt gefordert. Andere halten (auch) einen – zumindest gemäßigten – Ausbau der Instrumente der direkten Demokratie für erforderlich. Dabei wird betont, dass ein Mehr an direkter Demokratie schon allein durch eine stärkere Inanspruchnahme der bereits vorhandenen Instrumente erreicht werden könnte. Ebenso sollte es beteiligungsfreundliche Erleichterungen bei den schon vorhandenen Instrumenten geben. Als besonders positive Elemente der im Zuge des „Demokratiepaketes 2013“ vorgeschlagenen Maßnahmen wird ein verstärkter Diskurs zwischen Parlamentariern und Bürgerinnen und Bürgern gewertet, der der „Kluft“ zwischen Repräsentanten und Repräsentierten entgegenwirken soll. Am kontroversesten diskutiert wird in den Beiträgen die Frage der Themenbeschränkungen von (insbesondere qualifiziert unterstützten) Volksbegehren. Während die einen für sehr restriktive Beschränkungen plädieren (vor allem Unzulässigkeit von Verfassungsänderungen), sprechen sich die anderen – angesichts der nachfolgenden Entscheidungs- und Kontrollbefugnisse von Parlament, Bundespräsident und Verfassungsgerichtshof – für eine weitgehende Streichung der vorgeschlagenen Beschränkungen aus.
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren MinR. Priv.-Doz. MMag. Dr. Alexander Balthasar, Leiter des Instituts für Staatsorganisation und Verwaltungsreform im Bundeskanzleramt; externer Dozent am Institut für Österreichisches, Europäisches und Vergleichendes Öffentliches Recht, Politikwissenschaft und Verwaltungslehre an der Karl-Franzens-Universität Graz; Mitglied des Bureau des European Committee on Democracy and Governance (CDDG) des Europarates. Az.Prof. Dr. Christoph Bezemek, BA, LL.M. (Yale), Institut für Österreichisches und Europäisches Öffentliches Recht an der Wirtschaftsuniversität Wien; Editor-in-Chief des Vienna Journal on International Constitutional Law (ICL Journal). Univ.-Prof. Dr. Peter Bußjäger, Institut für öffentliches Recht, Staats- und Verwaltungslehre an der Universität Innsbruck; Direktor des Instituts für Föderalismus in Innsbruck; Forschungsbeauftragter am Liechtenstein-Institut in Bendern. David F. J. Campbell, Privatdozent und Lektor am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Wien; Research Fellow am Institut für Wissenschaftskommunikation und Hochschulforschung an der Universität Klagenfurt; Mitarbeiter für Universitäts- und Qualitätsentwicklung an der Universität für angewandte Kunst Wien. Univ.-Prof. Dr. Harald Eberhard, Institut für Österreichisches und Europäisches Öffentliches Recht an der Wirtschaftsuniversität Wien; Editor-in-Chief des Vienna Journal on International Constitutional Law (ICL Journal). Dr. Tamara Ehs, Institut für Rechts- und Sozialgeschichte an der Universität Salzburg; Mitglied der ÖFG-Arbeitsgruppe „Die Zukunft der österreichischen Demokratie“; Mitinitiatorin von „besserentscheiden“ zur Demokratiereform (www.besserentscheiden.at). Univ.-Prof. Dr. Peter Filzmaier, im Rahmen des internationalen und interuniversitären Netzwerks Politische Kommunikation (netPOL) Leiter der Plattform Politische Kommunikation und Lehrstuhlinhaber für Demokratiestudien und Politikforschung an der Donau-Universität Krems; Professor für Politische Kommunikation an der Karl-Franzens-Universität Graz; geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Strategieanalysen (ISA) in Wien. Univ.-Prof. Dr. Anna Gamper, Institut für öffentliches Recht, Staats- und Verwaltungslehre an der Universität Innsbruck; Vizepräsidentin der Group of Independent Experts des Europarates; Mitherausgeberin der „Juristischen Blätter“, Vorstandsmitglied des Österreichischen Juristentags.
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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
Kristina Hauser, MA, Dissertantin und PhD-Fellow für österreichische Politik in vergleichender europäischer Perspektive am Fachbereich Politikwissenschaft und Soziologie an der Universität Salzburg. Univ.-Prof. Dr. Reinhard Heinisch, Leiter des Fachbereiches Politikwissenschaft und Soziologie sowie Professur für österreichische Politik in vergleichender europäischer Perspektive an der Universität Salzburg; Leiter der ARGE Zukunft der Demokratie in Österreich der Österreichischen Forschungsgemeinschaft; Affiliate Faculty Member des Center for European Studies an der University of Pittsburgh (Pennsylvania/USA). Univ.-Prof. Mag. Dr. Ludger Helms, Professur für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Vergleich politischer Systeme an der Universität Innsbruck. Univ.-Prof. Dr. Gerhart Holzinger, Sektionschef i.R.; Präsident des österreichischen Verfassungsgerichtshofes. Prof. Herwig Hösele, Präsident des Bundesrates a.D.; Generalsekretär des Zukunftsfonds der Republik Österreich; Sekretär der Initiative Mehrheitswahlrecht und Demokratiereform. Univ.-Prof. Dr. Clemens Jabloner, Präsident des österreichischen Verwaltungsgerichtshofes i.R.; Inhaber der „Hans Kelsen Professur“ am Institut für Rechtsphilosophie, Kultur- und Religionsrecht an der Universität Wien. Univ.-Prof. Dr. Andreas Khol, Nationalratspräsident a.D.; Obmann des Österreichischen Seniorenbundes. Dr. Christoph Konrath, MSc (LSE), Rechts-, Legislativ- und Wissenschaftlicher Dienst, Parlamentsdirektion, Wien. Em.o.Univ.-Prof. Dr. Dr.h.c. Wolfgang Mantl, Institut für Österreichisches, Europäisches und Vergleichendes Öffentliches Recht, Politikwissenschaft und Verwaltungslehre an der Karl-Franzens-Universität Graz. Univ.-Prof. Dr. Franz Merli, Institut für Österreichisches, Europäisches und Vergleichendes Öffentliches Recht, Politikwissenschaft und Verwaltungslehre an der Karl-Franzens-Universität Graz. Univ.-Prof. Dr. Heinrich Neisser, em. Jean Monnet-Professor am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck; Staatssekretär, Bundesminister für Föderalismus und Verwaltungsreform sowie Zweiter Präsident des Nationalrates a.D.; Sprecher der Initiative Mehrheitswahlrecht und Demokratiereform.
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
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Em.o.Univ.-Prof. Dr. Theo Öhlinger, Institut für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Wien. Univ.-Prof. Dr. Katharina Pabel, Institut für Verwaltungsrecht und Verwaltungslehre an der Universität Linz; Mitglied des Advisory Committee des UN-Menschenrechtsrates; Bestellung als ad-hoc-Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Dr. Flooh Perlot, Politikwissenschafter am Institut für Strategieanalysen (ISA) in Wien. Ao.Univ.-Prof. Dr. Werner Pleschberger, Department für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der Universität für Bodenkultur Wien, mit Schwerpunkt auf empirische lokale Politikforschung. Ass.-Prof. Dr. Klaus Poier, Institut für Österreichisches, Europäisches und Vergleichendes Öffentliches Recht, Politikwissenschaft und Verwaltungslehre an der Karl-Franzens-Universität Graz. Univ.-Prof. Dr. Sieglinde Rosenberger, Institut für Politikwissenschaft an der Universität Wien, mit Schwerpunkt auf Protest, Wählen, Partizipation und Repräsentation. Dr. Niklas Sonntag, Institutsassistent am Institut für Föderalismus in Innsbruck. Jeremias Stadlmair, MA, Institut für Politikwissenschaft an der Universität Wien.
STUDIEN ZU POLITIK UND VERWALTUNG HERAUSGEGEBEN VON ERNST BRUCKMÜLLER, KLAUS POIER, GERHARD SCHNEDL, EVA SCHULEV-STEINDL 1
KORRUPTION UND KONTROLLE. HG. VON CHRISTIAN BRÜNNER. 1981. 726 S. MIT 8 TAB. BR. ISBN 978-3-205-08457-8 (VERGRIFFEN)
2
UNBEHAGEN IM PARTEIENSTAAT. JUGEND UND POLITIK IN ÖSTERREICH. VON FRITZ PLASSER UND PETER A. ULRAM. 1982. 208 S. BR. ISBN 978-3-205-08458-4 (VERGRIFFEN)
3
LANDESVERFASSUNGSREFORM. HG. VON REINHARD RACK. 1982. 255 S. BR. ISBN 978-3-205-08459-4 (VERGRIFFEN)
4
NATION ÖSTERREICH. KULTURELLES BEWUSSTSEIN UND GESELLSCHAFTLICH-POLITISCHE PROZESSE. VON ERNST BRUCKMÜLLER. 2. ERWEITERTE AUFLAGE 1996. 472 S. ZAHLR. GRAF. BR. ISBN 978-3-205-98000-1
5
KRISE DES FORTSCHRITTS. HG. VON GRETE KLINGENSTEIN. 1984. 172 S. BR. ISBN 978-3-205-08461-2 (VERGRIFFEN)
6
PARTEIENGESELLSCHAFT IM UMBRUCH. PARTIZIPATIONSPROBLEME VON GROSSPARTEIEN. VON ANTON KOFLER. 1985. 132 S. 58 TAB. BR.
ISBN 978-3-205-08463-2 (VERGRIFFEN)
7
GRUNDRECHTSREFORM. HG. VON REINHARD RACK. 1985. 302 S. BR.
ISBN 978-3-205-08462-4 (VERGRIFFEN)
8
AUFGABENPLANUNG. ANSÄTZE FÜR RATIONALE VERWALTUNGSREFORM. VON HELMUT SCHATTOVITS. 1988. 220 S. BR.
9
ISBN 978-3-205-08464-0 (VERGRIFFEN) DEMOKRATIERITUALE. ZUR POLITISCHEN KULTUR DER INFORMATIONSGESELLSCHAFT. HG. VON FRITZ PLASSER, PETER A. ULRAM UND MANFRIED WELAN. 1985. 291 S. 91 TAB. BR. ISBN 978-3-205-08467-9
10 POLITIK IN ÖSTERREICH. DIE ZWEITE REPUBLIK: BESTAND UND WANDEL. HG. VON WOLFGANG MANTL. 1992. XV, 1084 S. GB.
ISBN 978-3-205-05379-8 (VERGRIFFEN)
11 FLEXIBLE ARBEITSZEITEN. EINE FIXE IDEE. VON RUDOLF RETSCHNEIDER, RUPERT DOLLINGER, JOACHIM LAMEL UND PETER A. ULRAM. 1985. 133 S. 33 TAB. BR. ISBN 978-3-205-08469-1 (VERGRIFFEN) 12 VERFASSUNGSPOLITIK. DOKUMENTATION STEIERMARK. VON CHRISTIAN BRÜNNER, WOLFGANG MANTL, DIETMAR PAUGER UND REINHARD RACK. 1985. 294 S. BR. ISBN 978-3-205-08465-9 (VERGRIFFEN)
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STUDIEN ZU POLITIK UND VERWALTUNG HERAUSGEGEBEN VON ERNST BRUCKMÜLLER, KLAUS POIER, GERHARD SCHNEDL, EVA SCHULEV-STEINDL 13 KRISEN. EINE SOZIOLOGISCHE UNTERSUCHUNG. VON MANFRED PRISCHING. 1986. 730 S. ZAHLR. TAB. UND GRAF. BR.
ISBN 978-3-205-08468-6
14 SCHWEIZ – ÖSTERREICH. ÄHNLICHKEITEN UND KONTRASTE. HG. VON FRIEDRICH KOJA UND GERALD STOURZH. 1986. 279 S. BR.
ISBN 978-3-205-08902-2 (VERGRIFFEN)
15 WAS DIE KANZLER SAGTEN. REGIERUNGSERKLÄRUNGEN DER ZWEITEN REPUBLIK 1945–1987. VON MAXIMILIAN GOTTSCHLICH, OSWALD PANAGL UND MANFRIED WELAN. 1989. VI, 325 S. BR. ISBN 978-3-205-08900-6 (VERGRIFFEN) 16 TECHNIKSKEPSIS UND NEUE PARTEIEN. POLITISCHE FOLGEN EINES „ALTERNATIVEN“ TECHNIKBILDES. VON ERICH REITER. 1987. 167 S. BR. ISBN 978-3-205-08904-9 (VERGRIFFEN) 17 DEMOKRATIE UND WIRTSCHAFT. HG. VON JOSEPH MARKO UND ARMIN STOLZ. 1987. 367 S. BR. ISBN 978-3-205-08905-7 (VERGRIFFEN) 18 SOCIETY, POLITICS AND CONSTITUTIONS. WESTERN AND EAST EUROPEAN VIEWS. VON ANTAL ADAM UND HANS G. HEINRICH. 1987. 212 S. BR. ISBN 978-3-205-08907-3 (VERGRIFFEN) 19 USA: VERFASSUNG UND POLITIK. VON FRANCIS H. HELLER. 1987. 120 S. BR. ISBN 978-3-205-08906-5 (VERGRIFFEN) 20 UMWELTSCHUTZRECHT. VON BERNHARD RASCHAUER. 2. AUFL. 1988. 304 S. BR. ISBN 978-3-205-05143-2 (VERGRIFFEN) 21 VERFALL UND FORTSCHRITT IM DENKEN DER FRÜHEN RÖMISCHEN KAISERZEIT. STUDIEN ZUM ZEITGEFÜHL UND GESCHICHTSBEWUSSTSEIN DES JAHRHUNDERTS NACH AUGUSTUS. VON KARL DIETRICH BRACHER. 1987. 348 S. BR. ISBN 978-3-205-08909-2 (VERGRIFFEN) 22 DAS ÖSTERREICHISCHE PARTEIENSYSTEM. HG. VON ANTON PELINKA UND FRITZ PLASSER. 1988. 800 S. BR. ISBN 978-3-205-08910-0 (VERGRIFFEN) 23 PARTEIEN UNTER STRESS. ZUR DYNAMIK DER PARTEIENSYSTEME IN ÖSTERREICH, DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND UND DEN VEREINIGTEN STAATEN. VON FRITZ PLASSER. 1987. 344 S. BR. ISBN 978-3-205-08911-1 (VERGRIFFEN)
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STUDIEN ZU POLITIK UND VERWALTUNG HERAUSGEGEBEN VON ERNST BRUCKMÜLLER, KLAUS POIER, GERHARD SCHNEDL, EVA SCHULEV-STEINDL 24 IDEOLOGIE UND AUFKLÄRUNG. WELTANSCHAUUNGSTHEORIE UND POLITIK. VON KURT SALAMUN. 1988. 142 S. BR. ISBN 978-3-205-05126-2 (VERGRIFFEN) 25 DIE NEUE ARCHITEKTUR EUROPAS. REFLEXIONEN IN EINER B EDROHTEN WELT. HG. VON WOLFGANG MANTL. 1991. 332 S. GB. ISBN 978-3-205-05412-2 26 DIE GROSSE KRISE IN EINEM KLEINEN LAND. ÖSTERREICHISCHE FINANZ- UND WIRTSCHAFTSPOLITIK 1929–1938. VON DIETER STIEFEL. 1989. X, 428 S. BR. ISBN 978-3-205-05132-7 (VERGRIFFEN) 27 DAS RECHT DER MASSENMEDIEN. EIN LEHR- UND HANDBUCH FÜR STUDIUM UND PRAXIS. VON WALTER BERKA. 1989. II, 356 S. BR.
ISBN 978-3-205-05194-7 (VERGRIFFEN)
28 STAAT UND WIRTSCHAFT. AM BEISPIEL DER ÖSTERREICHISCHEN FORSTGESETZGEBUNG VON 1950–1987. VON WERNER PLESCHBERGER. 1989. 579 S. BR. ISBN 978-3-205-05204-8 (VERGRIFFEN) 29 WEGE ZUR GRUNDRECHTSDEMOKRATIE. STUDIEN ZUR BEGRIFFS- UND INSTITUTIONEN-GESCHICHTE DES LIBERALEN VERFASSUNGSSTAATES.VON GERALD STOURZH. 1989. XXII, 427 S. BR. ISBN 978-3-205-05218-0 (VERGRIFFEN) 30 GEIST UND WISSENSCHAFT IM POLITISCHEN AUFBRUCH MITTELEUROPAS. BEITRÄGE ZUM ÖSTERREICHISCHEN WISSENSCHAFTSTAG 1990. HG. VON MEINRAD PETERLIK UND WERNER WALDHÄUSL. 1991. 268 S. BR. ISBN 978-3-205-05464-1 31 FINANZKRAFT UND FINANZBEDARF VON GEBIETSKÖRPERSCHAFTEN. ANALYSEN UND VORSCHLÄGE ZUM GEMEINDEFINANZAUSGLEICH IN ÖSTERREICH. HG. VON CHRISTIAN SMEKAL UND ENGELBERT THEURL. 1990. 307 S. BR. ISBN 978-3-205-05237-1 (VERGRIFFEN) 32 REGIONALE UNGLEICHHEIT. VON MICHAEL STEINER. 1990. 258 S. BR. ISBN 978-3-205-05281-4 33 BÜROKRATISCHE ANARCHIE. DER NIEDERGANG DES POLNISCHEN „REALSOZIALISMUS“. VON AUGUST PRADETTO. 1992. 156 S. BR.
ISBN 978-3-205-05421-4
böhlau verlag, wiesingerstrasse 1, a-1010 wien, t: + 43 1 330 24 27-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar
STUDIEN ZU POLITIK UND VERWALTUNG HERAUSGEGEBEN VON ERNST BRUCKMÜLLER, KLAUS POIER, GERHARD SCHNEDL, EVA SCHULEV-STEINDL 34 VOR DER WENDE. POLITISCHES SYSTEM, GESELLSCHAFT UND POLITISCHE REFORMEN IM UNGARN DER ACHTZIGER JAHRE.
HG. VON SÁNDOR KURTÁN. AUS DEM UNGAR. VON ALEXANDER KLEMM. 1993. 272 S. BR. ISBN 978-3-205-05381-1 (VERGRIFFEN)
35 HEGEMONIE UND EROSION. POLITISCHE KULTUR UND POLITISCHER WANDEL IN ÖSTERREICH. VON PETER A. ULRAM. 1990. 366 S. BR.
ISBN 978-3-205-05346-X (VERGRIFFEN)
36 GEHORSAME REBELLEN. BÜROKRATIE UND BEAMTE IN ÖSTERREICH 1780–1848. VON WALTRAUD HEINDL. 1991. 388 S. 12 SW-ABB. GB. ISBN 978-3-205-05370-5 37 KULTUR UND POLITIK – POLITIK UND KUNST. VON MANFRED WAGNER. 1991. 367 S. BR. ISBN 978-3-205-05396-5 38 REVOLUTION UND VÖLKERRECHT. VÖLKERRECHTSDOGMATISCHE GRUNDLEGUNG DER VORAUSSETZUNGEN UND DES INHALTS EINES WAHLRECHTS IN BEZUG AUF VORREVOLUTIONÄRE VÖLKERRECHTLICHE RECHTE UND PFLICHTEN. VON MICHAEL GEISTLINGER. 1991. 554 S. BR. ISBN 978-3-205-05414-6 (VERGRIFFEN) 39 SLOWENIEN – KROATIEN – SERBIEN. DIE NEUEN VERFASSUNGEN. HG. VON JOSEPH MARKO UND TOMISLAV BORIC. 1994. 467 S. BR.
ISBN 978-3-205-98283-5 (VERGRIFFEN)
40 DER BUNDESPRÄSIDENT. KEIN KAISER IN DER REPUBLIK. VON MANFRIED WELAN. 1992. 119 S. BR. ISBN 978-3-205-05529-7 41 WEGE ZUR BESSEREN FINANZKONTROLLE. VON HERBERT KRAUS UND WALTER SCHWAB. 1992. 167 S. BR. ISBN 978-3-205-05530-6 42 BRUCHLINIE EISERNER VORHANG. REGIONALENTWICKLUNG IM ÖSTERREICHISCH-UNGARISCHEN GRENZRAUM. VON MARTIN SEGER UND PAL BELUSZKY. 1993. XII, 304 S. 16 S. FARBABB. GB. ISBN 978-3-205-98048-3 43 REGIERUNGSDIKTATUR ODER STÄNDEPARLAMENT? GESETZGEBUNG IM AUTORITÄREN ÖSTERREICH. VON HELMUT WOHNOUT. 1993. 473 S. BR. ISBN 978-3-205-05547-1
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STUDIEN ZU POLITIK UND VERWALTUNG HERAUSGEGEBEN VON ERNST BRUCKMÜLLER, KLAUS POIER, GERHARD SCHNEDL, EVA SCHULEV-STEINDL 44 DIE ÖSTERREICHISCHE HANDELSPOLITIK DER NACHKRIEGSZEIT 1918 BIS 1923. DIE HANDELSVERTRAGSBEZIEHUNGEN ZU DEN NACHFOLGESTAATEN. VON JÜRGEN NAUTZ. 1994. 601 S. BR.
ISBN 978-3-205-98118-3 (VERGRIFFEN)
45 REGIMEWECHSEL. DEMOKRATISIERUNG UND POLITISCHE KULTUR IN OST-MITTELEUROPA. HG. VON PETER GERLICH, FRITZ PLASSER UND PETER A. ULRAM. 1992. 483 S. ZAHLR. TAB. UND GRAF. BR. ISBN 978-3-205-98014-8 46 DIE WIENER JAHRHUNDERTWENDE. HG. VON JÜRGEN NAUTZ UND RICHARD VAHRENKAMP. 2. AUFL. 1996. 968 S. 32 S. SW-ABB. GB.
ISBN 978-3-205-98536-5
47 AUSWEG EG? INNENPOLITISCHE MOTIVE EINER AUSSENPOLITISCHEN UMORIENTIERUNG. VON ANTON PELINKA, CHRISTIAN SCHALLER UND PAUL LUIF. 1994. 309 S. BR. ISBN 978-3-205-98051-3 48 DIE KLEINE KOALITION IN ÖSTERREICH: SPÖ – FPÖ (1983–1986). VON ANTON PELINKA. 1993. 129 S. BR. ISBN 978-3-205-98052-2 (VERGRIFFEN) 49 MANAGEMENT VERNETZTER UMWELTFORSCHUNG. WISSENSCHAFTSPOLITISCHES LEHRSTÜCK WALDSTERBEN. VON MAX KROTT. 1994. 325 S. BR. ISBN 978-3-205-98129-9 (VERGRIFFEN) 50 POLITIKANALYSEN. UNTERSUCHUNGEN ZUR PLURALISTISCHEN DEMOKRATIE. VON WOLFGANG MANTL. 2007. 345 S. BR. ISBN 978-3-205-98459-7 51 AUTONOMIE UND INTEGRATION. RECHTSINSTITUTE DES NATIONALITÄTENRECHTS IM FUNKTIONALEN VERGLEICH. VON JOSEPH MARKO. 1995. 632 S. BR. ISBN 978-3-205-98274-6 52 GRUNDZÜGE FREMDER PRIVATRECHTSSYSTEME. EIN STUDIENBUCH. VON WILLIBALD POSCH. 1995. XXVIII, 205 S. BR. ISBN 978-3-205-98387-3 53 IDENTITÄT UND NACHBARSCHAFT. DIE VIELFALT DER ALPEN-ADRIALÄNDER. HG. VON MANFRED PRISCHING. 1994. 424 S. BR.
ISBN 978-3-205-98307-1 (VERGRIFFEN)
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STUDIEN ZU POLITIK UND VERWALTUNG HERAUSGEGEBEN VON ERNST BRUCKMÜLLER, KLAUS POIER, GERHARD SCHNEDL, EVA SCHULEV-STEINDL 54 PARLAMENTARISCHE KONTROLLE. DAS INTERPELLATIONS-, RESOLUTIONS- UND UNTER SUCHUNGSRECHT. EINE RECHTSDOGMATISCHE DARSTELLUNG MIT HISTORISCHEM ABRISS UND EM P IRISCHER ANALYSE. VON ANDREAS NÖDL. 1995. 198 S. BR. ISBN 978-3-205-98161-9 55 ALFRED MISSONG. CHRISTENTUM UND POLITIK IN ÖSTERREICH. AUSGEWÄHLTE SCHRIFTEN 1924–1950. HG. VON ALFRED MISSONG JR. IN VERBINDUNG MIT CORNELIA HOFFMANN UND GERALD STOURZH. 2006. 476 S. GB. ISBN 978-3-205-77385-6 56 STAAT UND GESUNDHEITSWESEN. ANALYSEN HISTORISCHER FALLBEISPIELE AUS DER SICHT DER NEUEN INSTITUTIONELLEN ÖKONOMIK. VON ENGELBERT THEURL. 1996. 302 S. BR. ISBN 978-3-205-98461-0 57 ELITEN IN ÖSTERREICH. 1848–1970. VON GERNOT STIMMER. 1997. 2 BDE., 1151 S. 38 SW-ABB. GB. ISBN 978-3-205-98587-7 58 FRANKREICH – ÖSTERREICH. WECHSELSEITIGE WAHRNEHMUNG UND WECHSELSEITIGER EINFLUSS SEIT 1918. HG. VON FRIEDRICH KOJA UND OTTO PFERSMANN. 1994. 307 S. 19 SW-ABB. BR.
ISBN 978-3-205-98295-1
59 FAHNENWÖRTER DER POLITIK. KONTINUITÄTEN UND BRÜCHE. HG. VON OSWALD PANAGL. 1998. 351 S. BR. MIT SU.
ISBN 978-3-205-98867-0
60 AVANTGARDE DES WIDERSTANDS. MODELLFÄLLE MILITÄRISCHER AUFLEHNUNG IN OSTMITTEL- UND OSTEUROPA IM 19. UND 20. JAHRHUNDERT. VON RICHARD G. PLASCHKA. 1999. 2 BDE., 1062 S. 32 SW-ABB. GB. ISBN 978-3-205-98390-3 61 BERNARD BOLZANO. STAAT, NATION UND RELIGION ALS HERAUSFORDERUNG FÜR DIE PHILOSOPHIE IM KONTEXT VON SPÄTAUFKLÄRUNG, FRÜHNATIONALISMUS UND RESTAURATION. HG. VON HELMUT RUMPLER. 2000. 423 S. BR. ISBN 978-3-205-99327-8 62 UM EINHEIT UND FREIHEIT. STAATSVERTRAG, NEUTRALITÄT UND DAS ENDE DER OST-WEST-BESETZUNG ÖSTERREICHS 1945–1955. VON GERALD STOURZH. 5., DURCHGESEHENE AUFL. 2005. 848 S. 19 SW-ABB. GB. ISBN 978-3-205-77333-7 (VERGRIFFEN)
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STUDIEN ZU POLITIK UND VERWALTUNG HERAUSGEGEBEN VON ERNST BRUCKMÜLLER, KLAUS POIER, GERHARD SCHNEDL, EVA SCHULEV-STEINDL 63 ÖSTERREICH UNTER ALLIIERTER BESATZUNG 1945–1955. HG. VON ALFRED ABLEI TINGER, SIEGFRIED BEER UND EDUARD G. STAUDINGER. 1998. 600 S. ISBN 978-3-205-98588-4 64 EVALUATION IM ÖFFENTLICHEN SEKTOR. VON EVERT VEDUNG. 1999. XVIII, 274 S. 47 GRAFIKEN U. TABELLEN. BR. ISBN 978-3-205-98448-1 65 LIBERALISMUS. INTERPRETATIONEN UND PERSPEKTIVEN. HG. VON EMIL BRIX UND WOLFGANG MANTL. 1996. 320 S. GB. ISBN 978-3-20598447-4 (VERGRIFFEN) 66 HERBERT STOURZH – GEGEN DEN STROM. AUSGWÄHLTE SCHRIFTEN GEGEN RASSISMUS, FASCHISMUS UND NATIONALSOZIALISMUS 1924–1938. HG. VON GERALD STOURZH. 2008. 186 S. BR. ISBN 978-3205-77875-2 67 DIE UNIVERSITÄT ALS ORGANISATION. DIE KUNST, EXPERTEN ZU MANAGEN. VON ADA PELLERT. 1999. 346 S. 5 SW-ABB. BR.
ISBN 978-3-205-99080-2
68 GEMEINDEN IN ÖSTERREICH IM SPANNUNGSFELD VON STAATLICHEM SYSTEM UND LOKALER LEBENSWELT. HG. VON DORIS WASTL-WALTER. 2000. 248 S. 18 GRAF. 17 KARTEN. 71 TAB. 1 FALTK. BR.
ISBN 978-3-205-99212-7
69 NOCH EINMAL DICHTUNG UND POLITIK. VOM TEXT ZUM POLITISCHSOZIALEN KONTEXT, UND ZURÜCK. HG. VON OSWALD PANAGL UND WALTER WEISS. 2000. 462 S. BR. ISBN 978-3-205-99289-9 70 POLITIK, STAAT UND RECHT IM ZEITENBRUCH. SYMPOSION AUS ANLASS DES 60. GEBURTSTAGS VON WOLFGANG MANTL. HG. VON JOSEPH MARKO UND KLAUS POIER. 2001. 197 S. 3 SW-ABB. GB.
ISBN 978-3-205-99259-2
71 QUALITÄTSSICHERUNG UND RECHENSCHAFTSLEGUNG AN UNIVERSITÄTEN. E VALUIERUNG UNIVERSITÄRER LEISTUNGEN AUS RECHTS- UND SOZIALWISSENSCHAFTLICHER SICHT. VON EVA PATRICIA STIFTER. 2002. 410 S. BR. ISBN 978-3-205-99317-9 72 KULTURGESCHICHTE DES HEILIGEN RÖMISCHEN REICHES 1648 BIS 1806. VERFASSUNG, RELIGION UND KULTUR. VON P ETER CLAUS HARTMANN. 2001. 510 S. ZAHLR. SW-ABB. GB. ISBN 978-3-205-99308-7
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STUDIEN ZU POLITIK UND VERWALTUNG HERAUSGEGEBEN VON ERNST BRUCKMÜLLER, KLAUS POIER, GERHARD SCHNEDL, EVA SCHULEV-STEINDL 73 MINDERHEITENFREUNDLICHES MEHRHEITSWAHLRECHT. RECHTS- UND POLITIKWISSENSCHAFTLICHE ÜBERLEGUNGEN ZU FRAGEN DES WAHLRECHTS UND DER WAHLSYSTEMATIK. VON KLAUS POIER. 2001. 379 S. 18 TAB. 8 GRAF. BR. ISBN 978-3-20599338-4 74 RECHTSENTWICKLUNG IM BANNKREIS DER EUROPÄISCHEN INTEGRATION. VON HUBERT ISAK. BR. ISBN 978-3-205-99326-8. IN VORBEREITUNG. 75 GIGATRENDS. ERKUNDUNGEN DER ZUKUNFT UNSERER LEBENSWELT. HG. VON FRANZ KREUZER, WOLFGANG MANTL UND MARIA SCHAUMAYER. 2003. XII, 339 S. 13 SW-ABB. UND 2 TAB. GB. ISBN 978-3-20598962-2 76 AUTONOMIE IM BILDUNGSWESEN. ZUR TOPOGRAPHIE EINES BILDUNGSPOLITISCHEN SCHLÜSSELBEGRIFFS. VON WALTER BERKA. 2002. 213 S. BR. ISBN 978-3-205-99309-4 77 HOCHSCHULZUGANG IN EUROPA. EIN LÄNDERVERGLEICH ZWISCHEN ÖSTERREICH, DEUTSCHLAND, ENGLAND UND DER SCHWEIZ. VON ELISABETH HÖDL. 2002. 227 S. BR. ISBN 978-3-205-99421-3 (VERGRIFFEN) 78 FORSCHUNG UND LEHRE. DIE IDEE DER UNIVERSITÄT BEI HUMBOLDT, JASPERS, SCHELSKY UND MITTELSTRASS. VON HEDWIG KOPETZ. 2002. 137 S. 4 SW-ABB. BR. ISBN 978-3-205-99422-0 79 EUROPÄISCHE KULTURGESCHICHTE: GELEBT, GEDACHT,
VERMITTELT. VON MANFRED WAGNER. 2009. 922 S. GB.
ISBN 978-3-205-77754-0
80 KULTUR DER DEMOKRATIE. FESTSCHRIFT FÜR MANFRIED WELAN ZUM 65. GEBURTSTAG. HG. VON CHRISTIAN BRÜNNER, WOLFGANG MANTL, ALFRED J. NOLL UND WERNER PLESCHBERGER. 2002. 383 S. ZAHLR. TAB. UND 1 SW-ABB. GB. ISBN 978-3-205-77005-3 81 OKKUPATION UND REVOLUTION IN SLOWENIEN (1941–1946). EINE VÖLKERRECHT L I C HE UNTERSUCHUNG. VON DIETER BLUMENWITZ. 2005. 162 S. BR. ISBN 978-3-205-77250-7
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STUDIEN ZU POLITIK UND VERWALTUNG HERAUSGEGEBEN VON ERNST BRUCKMÜLLER, KLAUS POIER, GERHARD SCHNEDL, EVA SCHULEV-STEINDL 82 DER KONVENT ZUR ZUKUNFT DER EUROPÄISCHEN UNION. HG. VON WOLFGANG MANTL, SONJA PUNTSCHER RIEKMANN UND MICHAEL SCHWEITZER. 2005. 185 S. BR. ISBN 978-3-205-77127-2 83 ART GOES LAW. DIALOGE ZUM WECHSELSPIEL ZWISCHEN KUNST UND RECHT. HG. VON DIETMAR PAUGER. 2005. 269 S. 9 SW-ABB. BR.
ISBN 978-3-205-77128-9
84 DIREKTE DEMOKRATIE UND PARLAMENTARISMUS. HG. VON THEO ÖHLINGER UND KLAUS POIER. 2015. 407 S. BR. ISBN 978-3-205-79665-7 85 HOCHSCHULRECHT – HOCHSCHULMANAGEMENT – HOCHSCHULPOLITIK. SYMPOSION AUS ANLASS DES 60. GEBURTSTAGES VON CHRISTIAN BRÜNNER. HG. VON GERHARD SCHNEDL UND SILVIA ULRICH. 2003. 258 S. 7 GRAF. UND 5 TAB. GB. ISBN 978-3-205-99468-8 86 DAS ZERRISSENE VOLK. SLOWENIEN 1941–1946. OKKUPATION, KOLLA BORATION, BÜRGERKRIEG, REVOLUTION. VON TAMARA GRIESSER-PEČAR. 2003. 583 S. GB. ISBN 978-3-205-77062-6 87 ZUR QUALITÄT DER BRITISCHEN UND ÖSTERREICHISCHEN DEMOKRATIE. EMPIRISCHE BEFUNDE UND ANREGUNGEN FÜR DEMOKRATIEREFORM. VON E. ROBERT A. BECK UND C HRISTIAN SCHALLER. 2003. XXII + 620 S. ZAHLR. TAB. BR. ISBN 978-3-205-77071-8 88 DIE ÖSTERREICHISCHE AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. AUFGABEN, RECHTS S TELLUNG, ORGANISATION. VON HEDWIG KOPETZ. 2006. XX + 457 S. 8 SW-ABB. BR. ISBN 978-3-205-77534-8 89 RAUMFAHRT UND RECHT. FASZINATION WELTRAUM. REGELN ZWISCHEN HIMMEL UND ERDE. HG. VON CHRISTIAN BRÜNNER, ALEXANDER SOUCEK UND EDITH WALTER. 2007. 200 S. 66. FARB. ABB. BR.
ISBN 978-3-205-77627-7
90 SOZIOKULTURELLER WANDEL IM VERFASSUNGSSTAAT.
PHÄNOMENE POLITISCHER TRANSFORMATION. FESTSCHRIFT FÜR WOLFGANG MANTL ZUM 65. GEBURTSTAG. HG. VON HEDWIG KOPETZ, JOSEPH MARKO UND KLAUS POIER. 2004. 2 BDE. IM SCHUBER. XXIV + 700 S. X + 1000 S. ZAHLR. TAB., GRAF. UND ABB. GB.
ISBN 978-3-205-77211-8
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STUDIEN ZU POLITIK UND VERWALTUNG HERAUSGEGEBEN VON ERNST BRUCKMÜLLER, KLAUS POIER, GERHARD SCHNEDL, EVA SCHULEV-STEINDL 91 NATIONALES WELTRAUMRECHT. NATIONAL SPACE LAW. DEVELOPMENT IN EUROPE – CHALLENGES FOR SMALL COUNTRIES. HG. VON CHRISTIAN BRÜNNER UND EDITH WALTER. 2008. 231 S. ZAHLREICHEN ABB. BR. ISBN 978-3-205-77760-1 93 KARL LUEGER (1844–1910). CHRISTLICHSOZIALE POLITIK ALS BERUF. VON JOHN W. BOYER. AUS DEM ENGLISCHEN ÜBERSETZT VON OTMAR BINDER. 2009. 595 S. 19 SW-ABB. GB. ISBN 978-3-205-78366-4 94 DER ÖSTERREICHISCHE MENSCH. KULTURGESCHICHTE DER EIGENART ÖSTERREICHS. VON WILLIAM M. JOHNSTON. BEARBEITET VON JOSEF SCHIFFER. 2009. 384 S. GB. ISBN 978-3-205-78298-8 95 FUNKTIONEN DES RECHTS IN DER PLURALISTISCHEN WISSENSGESELLSCHAFT. FESTSCHRIFT FÜR CHRISTIAN BRÜNNER ZUM 65. GEBURTSTAG. HG. VON SILVIA ULRICH, GERHARD SCHNEDL UND RENATE PIRSTNER-EBNER. 2007. XXIV + 696 S. GB. ISBN 978-3-205-77513-3 97 DEMOKRATIE IM UMBRUCH. PERSPEKTIVEN EINER WAHLRECHTSREFORM. HG. VON KLAUS POIER. 2009. 329 S. MIT ZAHLREICHEN TAB. BR. ISBN 978-3-205-78434-0 98 DIE FREIHEIT DER POLITISCHEN MEINUNGSÄUSSERUNG. IHRE ENTWICKLUNG IM ÖSTERREICHISCHEN UND BRITISCHEN VERFASSUNGSRECHT UND IHRE STAATSPHILOSOPHISCHEN WURZELN. VON STEPHAN G. HINGHOFER-SZALKAY. 2011. 307 S. 2 TAB. UND 3 GRAFIKEN. BR. ISBN 978-3-205-78622-1 99 DER UMFANG DER ÖSTERREICHISCHEN GESCHICHTE. AUSGEWÄHLTE STUDIEN 1990–2010. VON GERALD STOURZH 2011. 344 S. BR.
ISBN 978-3-205-78633-7
101 SKURRILE BEGEGNUNGEN. MOSAIKE ZUR ÖSTERREICHISCHEN GEISTESGESCHICHTE. MIT EINEM VORWORT VON WILLIAM M. JOHNSTON. VON NORBERT LESER. 2011. 254 S. 2 S/W-ABB. GB. MIT SU. ISBN 978-3-205-78658-0 102 SOFT LAW IN OUTER SPACE. THE FUNCTION OF NON-BINDING NORMS IN INTERNATIONAL SPACE LAW. HG. VON IRMGARD MARBOE. 2012. 407 S. FRANZ. BR. ISBN 978-3-205-78797-6
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STUDIEN ZU POLITIK UND VERWALTUNG HERAUSGEGEBEN VON ERNST BRUCKMÜLLER, KLAUS POIER, GERHARD SCHNEDL, EVA SCHULEV-STEINDL 103 EUROPASPRACHEN. HERAUSGEGEBEN VON PETER CICHON UND MICHAEL MITTERAUER. 2011. 166 S. BR. MIT SU. ISBN 978-3-205-78608-5 104 BILDUNG, WISSENSCHAFT, POLITIK. CHRISTIAN BRÜNNER ZUM 72. GEBURTSTAG. HERAUSGEGEBEN VON WERNER HAUSER UND ANDREAS THOMASSER. 2014. 1042 S. GB. MIT SU. ISBN 978-3-205-78944-4 105 LEBENSZEUGNISSE ÖSTERREICHISCHER VIZEKANZLER. DAS POLITISCHE SYSTEM ÖSTERREICHS IM EUROPÄISCHEN VERGLEICH. 2012. ISBN 978-3-205-77759-5 106 ÖSTERREICH AUF DEM WEG ZUR DEMOKRATIE? AUFMERKSAME
BEOBACHTUNGEN AUS EINEM HALBEN JAHRHUNDERT. 2012. 358 S.
GB. MIT SU. ISBN 978-3-205-78853-9
107 JOSEPHINISCHE MANDARINE. BÜROKRATIE UND BEAMTE IN ÖSTERREICH BAND 2: 1848–1914. 2013. 332 S. GB. MIT SU. ISBN 978-3-205-78853-9 108 HEIMATRECHT UND STAATSBÜRGERSCHAFT ÖSTERREICHISCHER JUDEN. VOM ENDE DES 18. JAHRHUNDERTS BIS IN DIE GEGENWART. 2014. 274 S. GB. MIT SU. ISBN 978-3-205-79495-0 109 TRANSPARENZ UND KOMMUNIKATION DER EUROPÄISCHEN UNION IM LICHTE DES ART. 15 AEUV. 2015. CA. 240 S. BR. ISBN 978-3-205-79608-4 110 ZUR KULTURGESCHICHTE ÖSTERREICHS UND UNGARNS 1890–1938. 2015. 328 S. GB. MIT SU. ISBN 978-3-205-79541-4
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KLAUS POIER (HG.)
DEMOKRATIE IM UMBRUCH: PERSPEKTIVEN EINER WAHLRECHTSREFORM (STUDIEN ZU POLITIK UND VERWALTUNG, BD. 97)
In Österreich wird seit einiger Zeit mangelnde Effektivität und gleichzeitig ein Vertrauensverlust des politischen Systems beklagt. Die Ausformungen des Parteienstaates und insbesondere des Systems der großen Koalition , Schwächen der Personalrekrutierung in der Politik und die als unzureichend empfundenen Partizipationsmöglichkeiten werden nicht nur kritisiert , sondern zeigen sich auch in steigender Verdrossenheit und sinkender Wahlbeteiligung. Der vorliegende Band geht angesichts dieser Entwicklungen Fragen der Demokratie- und Wahlrechtsreform in Österreich nach und sammelt Beiträge ausgewiesener Expertinnen und Experten zu grundsätzlichen und konkreten Fragen derartiger Reformschritte. 2009. 329 S. BR MIT SU. 155 X 235 MM | ISBN 978-3-205-78434-0
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