Die Welt Homers 389678319X, 9783896783196

An der Nahtstelle von Literatur und Historie zeigt Jörg Fündling in diesem Buch, was in den homerischen Epen alles steck

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German Pages 159 [162] Year 2006

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Inhalt
Rom 1657 — Der päpstliche Kämmerer wundert sich
Teuflische Besessenheit bricht aus
Die Reaktion von Papst und Inquisition
Verfolgung von oben und von unten
Rom und die Hexen
Anmerkungen
Literatur
Bildnachweis
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Die Welt Homers
 389678319X, 9783896783196

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Hexenjagd in Deutschland

[G E S C H I C H T E E R Z Ä H LT] Herausgegeben von Kai Brodersen, Uwe A. Oster, Thomas Scharff und Ute Schneider Bd. 1, Die Welt Homers, isbn 978-3-89678-319-6 Bd. 2, Hexenjagd in Deutschland, isbn 978-3-89678-320-2 Bd. 3, Der königliche Kaufmann oder wie man ein Königreich saniert, isbn 978-3-89678324-0 Bd. 4, Zechen und Bechern. Eine Kulturgeschichte des Trinkens und Betrinkens, isbn 978-3-89678-323-3

Rainer Decker

Hexenjagd in Deutschland

[G E S C H I C H T E E R Z Ä H LT]

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme.

© 2006 by Primus Verlag, Darmstadt Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Einbandgestaltung: Jutta Schneider, Frankfurt Titelbild: Zwei Hexen, auf Besen reitend. Buchmalerei, französisch, 15. Jahrhundert. Aus: Le champion des Dames von Martin le Franc, Probst der Kirche in Lausanne. Foto: akg-images Layout: Petra Bachmann, Weinheim Gestaltung und Satz: Johannes Steil, Karlsruhe Printed in Germany www.primusverlag.de isbn-10: 3-89678-320-3 isbn-13: 978-3-89678-320-2

Inhalt 7 Rom 1657 – Der päpstliche Kämmerer wundert sich

27 Teuflische Besessenheit bricht aus

77 Die Reaktion von Papst und Inquisition

89 Verfolgung von oben und von unten

145 Rom und die Hexen

156 Anmerkungen

158 Literatur

160 Bildnachweis

Rom 1657 — Der päpstliche Kämmerer wundert sich

erdinand von Fürstenberg, Geheimkämmerer Papst Alexanders VII., dürfte nicht wenig gestaunt haben, als ihn Mitte August 1657 in Rom ein dickes Briefpaket aus seiner Heimat Westfalen erreichte. Absender war der Fürstbischof von Paderborn, Dietrich Adolf von der Recke. Die beiden Geistlichen kannten sich persönlich. Fürstenberg war einer der 24 Domherren in Paderborn. Dieses Amt konnte er zwar faktisch nicht ausüben, da er sich seit 1652 in Italien aufhielt. Aber einen vertrauenswürdigen Landsmann in einflussreicher Posi-

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tion beim Vatikan zu haben, war damals und ist noch heute für einen Diözesanbischof von Vorteil. Der Fürstbischof von Paderborn brauchte dringend Hilfe, genauer, einen guten Rat. In seinem Bistum war nämlich buchstäblich der Teufel los. Hunderte von Besessenen, meist weibliche Jugendliche, aber auch Männer, machten die Straßen unsicher. Bei ihren Anfällen behaupteten sie, Teufel hätten von ihnen „Besitz“ ergriffen, und dies sei die Schuld von Hexen, die ihnen die Dämonen in den Leib gezaubert hätten. Sie würden die Plagegeister erst los, wenn die Schuldigen vor Gericht gestellt und am Ende auf Scheiterhaufen verbrannt würden. Erste Handgreiflichkeiten gegen die vermeintlichen Hexen waren Vorboten einer drohenden Lynchjustiz – für den Fall, dass der Landesherr, Dietrich Adolf, nicht schleunigst seinen Richtern

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gestattete, eine großangelegte Verfolgung in die Wege zu leiten. Für Hexenprozesse war Dietrich Adolf nicht in seiner Eigenschaft als Bischof zuständig, sondern als weltlicher Landesherr. Denn Schadenzauber, der Kern der Hexerei, wurde in Deutschland in der Neuzeit aufgrund staatlichen Rechts verfolgt. Nur im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation gab es, wenn man vom Kirchenstaat des Papstes in Italien absieht, geistliche Fürstentümer mit Erzbischöfen, Bischöfen, Äbten oder Äbtissinnen an der Spitze, die zusätzlich zu ihrer Funktion als geistliche Oberhirten auch Landesfürsten waren, wenngleich sie natürlich ihr Amt nicht, wie die Kurfürsten, Herzöge und Grafen, vom Vater erbten, sondern gewählt wurden. Der Bischof zögerte. Nicht, dass er grundsätzlich den Glauben an Hexen in Zweifel gezogen hätte. Aber verbarg sich in den angeblich Besessenen wirklich der Teufel? Waren es nicht vielmehr, wie manche seiner Berater glaubten, Simulanten, die auf sich aufmerksam machen wollten, die auf Mitleid, aber auch handfeste Vorteile in Form von Almosen und Geschenken spekulierten? Und gesetzt den Fall, die Dämonen hatten sie tatsächlich unter ihrer Fuchtel, war dann sicher, dass sie die Wahrheit sagten, wenn sie bestimmte Personen als Hexen denunzierten? Wollte der Teufel, der Vater der Lügen, nicht Unschuldige ins Verderben stürzen? Steckten die Besessenen nicht mit den Dämonen unter einer Decke, waren sie, statt Opfer zu sein, in Wirklichkeit Mittäter, Verbündete des Teufels, Hexen? Ferdinand von Fürstenberg war, seitdem im Winter 1656/57 der Bischof und Landesherr Dietrich Adolf von der Recke sich zum ersten Mal in dieser Angelegenheit an ihn gewandt hatte, in Grundzügen über die Entwicklung in der fernen westfälischen Heimat informiert. Wie sein Briefpartner bezweifelte er nicht, was seit dem Spätmittelalter viele Christen in Europa glaubten: Es gibt Men-

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Der Paderborner Bischof Ferdinand von Fürstenberg (reg. 1661–1683), der 1657 als päpstlicher Geheimkämmerer seinen Vorgänger in Paderborn über die relativ nüchterne Einstellung Roms zur Hexen- und Besessenenfrage informiert hatte. In der unteren Bildhälfte besiegen die Allegorien des Glaubens (Kreuz) und der Wissenschaft (Feder) die Dämonen.

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Voru u rteil 1: Mittelalterlicher Hexenwahn

Das Mittelalter, die Zeit von ca. 500 bis 1500, war nicht so finster wie sein Ruf. Schädigende Magie, oder was man dafür hielt, wurde zu allen Zeiten und in allen Kulturen verfolgt, schon in der Antike und noch heute in Afrika. Prozesse gegen Hexen im engeren Sinne gab es erst seit dem 15. Jahrhundert, also dem ausgehenden Mittelalter. Die meisten Hinrichtungen fanden zwischen 1560 und 1700 statt, in der Neuzeit. Richtig ist lediglich, dass das neue Bild der Hexe mit den Elementen Zauberei, Teufelspakt, Teufelsbuhlschaft, Hexenflug und -sabbat in dieser Konzentration im Spätmittelalter entstand.

schen, hauptsächlich Frauen, die einen Pakt mit dem Teufel schließen. Sie wenden sich von Gott, seinen Heiligen und seiner Kirche ab und verschreiben stattdessen ihre Seele dem Satan, dem sie sich auch sexuell hingeben. Als Gegenleistung erhalten sie übermenschliche Fähigkeiten. Sie können fortan, nachdem sie sich mit einer geheimnisvollen Salbe eingeschmiert haben, auf Mistgabeln, Besen, Ziegenböcken usw. durch die Lüfte reiten, vornehmlich zum Hexensabbat, einem großen Treffen vieler Hexen und Dämonen, einer gewaltigen Orgie, auf der Böses ausgeheckt wird, Unwetter, Brandstiftungen, vor allem aber Anschläge auf Menschen und Tiere, mit Hilfe von Gift, das die Teufel ihren Anhängern geben. Das Gift wird, so glaubte man, der Nahrung beigemischt, und so können auch Dämonen in die Körper der Menschen gelangen. Wer die Möglichkeit von Hexerei bestritt, wurde als Ketzer verfolgt. 1592 versuchte der aus Holland stammende Geistliche Cornelius Loos, in Köln ein Buch gegen den Hexenglauben an sich zu veröffentlichen. Während des Drucks wurde der päpstliche Nuntius darauf aufmerksam. Er ließ die ersten

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Exemplare beschlagnahmen, Loos verhaften und zwang ihn zu einem feierlichen Widerruf. Ferdinand von Fürstenberg hatte um so weniger Zweifel, als seine Familie führend an dem Versuch, dieses teuflische Laster auszurotten, beteiligt gewesen war. 1626 geboren, war er nicht nur während des Dreißigjährigen Krieges, sondern zur Zeit der größten Hexenverfolgungswelle überhaupt aufgewachsen. Sie suchte zwischen 1626 und 1631 vornehmlich die geistlichen Fürstentümer in Deutschland heim, mit Hunderten von Toten allein schon in Ferdinands Heimat, dem Sauerland. Der damalige Landesherr war sein Taufpate, dem er den Vornamen verdankte: der Kölner Erzbischof und Kurfürst Ferdinand von Bayern. Der Vater des kleinen Ferdinand, Friedrich von Fürstenberg, war als oberster Beamter (Landdrost) des Territoriums sowie als Inhaber adliger Unterherrschaften mitverantwortlich für die Massenverfolgung jener Jahre. Der Zeitgeist konnte aber nicht jeden verblenden. Um 1630, auf dem Höhepunkt der Hexenjagd im katholischen Deutschland, schrieb Friedrich Spee, Jesuit und Theologieprofessor an der Universität seines Ordens in Paderborn, die berühmte Kampfschrift gegen die Hexenprozesse, Cautio Criminalis. Sie erschien 1631 in erster und ein Jahr später in zweiter Auflage. Spee war deswegen Anfeindungen innerhalb seines Ordens und von Seiten anderer einflussreicher Katholiken ausgesetzt. Aber sein Vorgesetzter, der in Köln ansässige Provinzial der norddeutschen Jesuitenprovinz, Pater Goswin Nickel, hielt die schützende Hand über ihn. Er nahm den Ordensbruder aus der Schusslinie, der er im Rheinland und in Westfalen ausgesetzt war, und versetzte ihn nach Trier, wo Spee, ein bedeutender Seelsorger und Dichter, 1636 im Alter von 45 Jahren an einer Seuche starb, die er sich bei der Pflege und Betreuung kranker Soldaten zugezogen hatte.

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Römische Verbindungen

Pater Nickel stieg 1652 zum Generaloberen des Jesuitenordens auf, mit Sitz in Rom. Auch er wurde 1656/57 über die bestürzenden Ereignisse in Paderborn informiert und beriet sich deswegen mit dem jungen Herrn von Fürstenberg. Dieser dürfte zwar Spee nicht mehr persönlich kennen gelernt haben, besaß aber ein Exemplar der Erstausgabe der Cautio Criminalis. Argumente gegen die blindwütige Verfolgungsmentalität, die in Deutschland vorherrschte, konnte der Paderborner Domherr in Rom reichlich gewinnen. Dort verbrachte er zwischen 1652 und 1661 die schönsten Jahre seines Lebens. Er verdankte sie seiner Bekanntschaft mit Fabio Chigi, dem in Köln residierenden päpstlichen Nuntius. Der hochbegabte, literarisch und wissenschaftlich äußerst interessierte Ferdinand von Fürstenberg, der in Köln die Universität besuchte, machte den Italiener durch kunstvolle lateinische Gedichte, die er ihm widmete, auf sich aufmerksam. Der junge Mann teilte mit dem späteren Papst die Liebe zur lateinischen Sprache und Literatur sowie zur Geschichte. Im Jahr 1651 wurde Fabio Chigi als Staatssekretär von Papst Innozenz X. nach Rom berufen, ein Jahr später folgte die Erhebung in den Kardinalsstand. Darauf lud er Ferdinand von Fürstenberg, der inzwischen Paderborner Domherr geworden war, nach Rom ein, wo Ferdinand bald zu dem Gelehrtenkreis gehörte, den der Kardinalstaatssekretär um sich versammelte. In diesen Jahrzehnten war die Metropole am Tiber das große Kulturzentrum des europäischen Barock. Neben Francesco Borromini prägte vor allem Lorenzo Bernini das Stadtbild bis heute u. a. durch die Gestaltung des Petersplatzes mit den berühmten Kolonnaden, mit der Piazza Navona usw. Nach der Wahl Fabio Chigis zum Papst (Alexander VII.) im April 1655

Die Zauberinnen

avancierte Ferdinand zu einem seiner Geheimkämmerer, zuständig für deutsche Angelegenheiten.

„Die Zauberinnen sollst du nicht leben lassen“

Aufgrund seiner Stellung stand Ferdinand von Fürstenberg die Vatikanische Bibliothek offen. Hier konnte er seinen wissenschaftlichen Neigungen frönen. So fand er in einer Abschrift das in Vergessenheit geratene Gesetz Karls des Großen über die besiegten Sachsen aus der Zeit um 780. Darin stand u. a.: „Wenn jemand, nach Art der Heiden, getäuscht durch den Teufel, glauben würde, dass irgendein Mann oder eine Frau eine striga [blutsaugende Hexe] sei und Menschen verzehre, und sie deswegen verbrenne oder deren Fleisch zum Essen gibt oder sie selbst isst, wird er mit der Todesstrafe bestraft werden. Wenn einer einen Menschen dem Teufel geopfert und nach Art der Heiden den Dämonen angeboten hat, der möge des Todes sterben.“1 Hier wurden nicht etwa Hexen mit der Todesstrafe bedroht, sondern diejenigen, die solche tatsächlich unschuldigen Zeitgenossen umbringen und sich ihre „magischen“ Fähigkeiten durch Verzehren ihres Fleisches einverleiben wollten. Karl der Große ging somit, von seinen Theologen beraten, massiv gegen den heidnisch-germanischen Hexenglauben und Kannibalismus vor. Das ist typisch für die Kritik der frühmittelalterlichen Kirche am heidnischen „Aberglauben“. Magie, weiße, heilende, und schwarze, schädigende, war und ist in vielen Kulturen verbreitet. Schon einige der frühesten Schriftzeugnisse der Menschheit, babylonisch-assyrische Keilschrifttexte, haben die Bekämpfung von gesundheitsschädlichem Zauber zum Thema. Ähnliches gilt für Ägypten. Dies spiegelt sich noch im Alten Tes-

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tament in der Erzählung vom Aufbruch des Volkes Israel aus der Knechtschaft in Ägypten ins Gelobte Land wider. „Und der Herr sprach zu Moses: Das Herz des Pharao ist hart; er weigert sich, das Volk ziehen zu lassen. Geh hin zum Pharao morgen früh […] und sprich zu ihm […] ‚Siehe, ich will mit dem Stab, den ich in meiner Hand habe, auf das Wasser schlagen, das im Nil ist, und es soll in Blut verwandelt werden.‘ […] Und alles Wasser im Strom wurde zu Blut verwandelt […] Und die ägyptischen Zauberer taten ebenso mit ihren Künsten. So wurde das Herz des Pharao verstockt und er hörte nicht auf Moses.“ (Ex 7, 15–22, Lutherübersetzung) Als Theologe kannte Ferdinand von Fürstenberg auch die einschlägigen Strafbestimmungen im Alten Testament: „Wenn ein Mann oder eine Frau Geister beschwören oder Zeichen deuten kann, so sollen sie des Todes sterben; man soll sie steinigen; ihre Blutschuld komme über sie.“ (Lev 20, 27) Für die Geschichte der Hexenverfolgungen war langfristig bedeutsamer die berühmte Stelle im 2. Buch Moses (Ex 22, 17), die Luther übersetzt: „Die Zauberinnen sollst du nicht leben lassen.“ Der Begriff im Originaltext, Mechaschepha, meint eindeutig Frauen. In der für die katholische Kirche maßgeblichen lateinischen Übersetzung aus der Spätantike, der Vulgata, steht dagegen: „maleficos non patieris vivere“ – die Zauberer sollst du nicht leben lassen. Im Neuen Testament werden Frauen nicht mit Magie in Verbindung gebracht. Dem neugeborenen Jesus huldigen männliche Magier (magoi), die weisen Sterndeuter aus dem Osten, die später zu den Heiligen Drei Königen umgedeutet wurden. An vielen Stellen der Evangelien und der Apostelgeschichte kommen böse Geister vor, stumme oder redende. Sie kennen, anders als die Menschen, verborgene Dinge, hier die wahre Natur von Jesus, weshalb er ihnen zu schweigen gebietet. Jesus

Magische Praktiken und ihre Bestrafung

treibt die bösen Geister aus und gibt seine Macht über sie weiter: „Und er rief die Zwölf zu sich und hob an und sandte sie je zwei und zwei und gab ihnen Vollmacht über die unsauberen Geister […] Sie gingen aus und predigten, man sollte Buße tun, und trieben viele böse Geister aus und salbten viele Kranke mit Öl und machten sie gesund.“ (Mk 6, 12) Auch Paulus verfügte über diese Gabe des Exorzismus.

Magische Praktiken und ihre Bestrafung

Hexen, wie sie sich die Menschen des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit vorstellten, gab es in der Antike nicht, aber zahlreiche Formen von Magie. In der agrarisch geprägten frühen römischen Republik legte das Zwölftafelgesetz (um 450 v. Chr.) die Todesstrafe für Erntediebstahl mit zauberischen Mitteln fest. Als mit dem Aufstieg Roms zur Weltmacht die städtische Bevölkerung und damit auch die Gewaltverbrechen zunahmen, sah ein Gesetz des Diktators Sulla (81 v. Chr.) die gleiche Strafe für Giftmischer, -händler und Zauberer vor. Auch die Gesetze der Kaiser, sowohl der heidnischen als auch der christlichen, richteten sich gegen Schadenzauber, besonders Giftmischerei. Darüber hinaus wurde verbotene, nämlich nicht von den staatlichen Priestern praktizierte Wahrsagekunst, verfolgt, besonders wenn sie den Kaiser, z. B. den künftigen Zeitpunkt seines Todes, zum Gegenstand hatte und damit dessen Autorität untergrub. Die Folter durfte in Strafprozessen gegen freie römische Bürger nur in Ausnahmefällen angewandt werden. Sie schloss aber Magier ein. Einem haruspex, einem Astrologen oder Wahrsager, der verbotene Künste (z. B. Traumdeutung) ausübte, wurde im kaiserlichen Recht der Tod auf dem Scheiterhaufen angedroht.

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Folter und Feuerstrafe für Zauberer sind also keine Erfindung des Mittelalters, sondern der Antike. Magie galt als okkultes, besonders gefährliches Verbrechen. Die Sicherungen des üblichen Strafprozesses zur Vermeidung von Fehlurteilen wurden aufgehoben, und die Abscheu vor den finsteren Tätern legitimierte eine der grausamsten Hinrichtungsmethoden überhaupt. In der Praxis dürften aber solche Prozesse selten gewesen sein. Stärker als bei den Römern war bei den Germanen der Glaube an blutsaugende und menschenfressende Frauen verbreitet. Darüber hinaus wirkte sich langfristig für die Entstehung des Hexenbegriffes der Glaube aus, Frauen flögen nachts durch die Luft, um sich mit ihresgleichen zu treffen und bestimmte Handlungen durchzuführen. Diese Vorstellung fand sich noch im 16. und 17. Jahrhundert im italienisch-slowenischen Grenzraum bei den Benandanti, den „gut Wandelnden“. Die betreffenden Männer und Frauen behaupteten, zu gewissen Zeiten im Jahr, besonders während der Tage zwischen Weihnachten und Neujahr, verließen sie im Geist ihren Körper, flögen durch die Lüfte, bewaffneten sich mit Fenchelstengeln und kämpften damit gegen die Hexen, die mit Hirsestengeln ausgerüstet seien. Damit wollten sie einen guten Ausgang der Ernten erreichen, den die Hexen zu verhindern trachteten. Benandanti könnten nur die sein, die mit einer „Glückshaube“ geboren seien, d. h. mit der Fruchtblase auf die Welt kämen. Die mittelalterliche Kirche bestritt die Vorstellung, dass bestimmte Frauen fliegen könnten. Noch Juristen und Kirchenjuristen der Frühen Neuzeit kannten den Rechtsgrundsatz, der im 11. Jahrhundert zum ersten Mal formuliert und dann ins kanonische Recht aufgenommen worden war: „Gewisse verbrecherische Frauen, die rückwärts, nach Satan hin, gewandt sind, […] glauben und behaupten von sich, von Illusionen und

Magische Praktiken und ihre Bestrafung

Wahngebilden der Dämonen verführt, dass sie in nächtlichen Stunden mit der Diana, der Göttin der Heiden, und einer unzähligen Menge von Frauen auf gewissen Tieren reiten und viele Länderstrecken in der Stille einer tiefen, totenstillen Nacht durchqueren und dass sie ihren Befehlen wie denen einer Herrin gehorchen und in bestimmten Nächten zu ihrem Dienst herbeigerufen werden […] Die Priester sollen mit allem Nachdruck predigen, dass diese Auffassung gänzlich falsch ist und dass nicht vom göttlichen, sondern vom bösen Geist solche Wahngebilde über den Sinnen der Ungläubigen vorgespiegelt werden. Folglich ist es Satan selbst, der sich in einen Lichtengel verwandelt […] Wer ist denn nicht schon in Träumen und nächtlichen Visionen aus sich selbst hinausgeführt worden und hat viele Dinge im Schlaf gesehen, die er zuvor niemals im Wachen gesehen hatte.“2 Es gibt im mittelalterlichen Kirchenrecht aber auch Stellen, in denen die Wirksamkeit der magischen Praktiken unterstellt wird: „Schadenszauberer oder Beschwörer oder Verursacher von Unwettern oder wer durch Anrufung der Dämonen die Sinne der Menschen verwirrt, sollen mit allen Arten von Strafen belangt werden.“3 Die ambivalente Beurteilung von „Aberglauben“ und Magie, als eingebildet oder real existierend, spiegelt eine uneinheitliche Haltung kirchlicher Gremien wider. Einig war man sich im Klerus, dass gegen den „Aberglauben“ mit Kirchenbußen vorgegangen werden musste. Die schärfste Form der Kirchenstrafe war der Ausschluss aus der kirchlichen Gemeinschaft und damit der Gesellschaft überhaupt. Für die vielen leichteren Fälle, wozu auch Magie zählte, gab es ein breites Repertoire von Bußen, bei schwereren Vergehen die Pflicht zu einer kostspieligen und möglicherweise gefährlichen Wallfahrt und – am häufigsten – das Fasten über einen bestimmten Zeitraum. Ein eherner

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Grundsatz des Kirchenrechts lautete, dass ein reumütiger und nicht rückfälliger Sünder Anspruch auf Milde, die Chance zur Besserung hatte. Dieses modern klingende Prinzip, das auf Resozialisierung verweist, fehlte im weltlichen Recht. Hier waren, wie schon im römischen Staat, Leibesstrafen an der Tagesordnung, bis hin zum Verbrennen von Zauberern. Das weltliche Recht des Mittelalters kannte also, wie schon das der Römer, bei Schadenzauber kein Pardon. Es verhängte, insbesondere wenn sich der Zauber gegen Gesundheit und Leben von Menschen richtete, die Todesstrafe durch Verbrennen bei lebendigem Leibe. Nicht aus dem römischen Recht stammt die so genannte Wasserprobe. Sie ist mit den christlichen „Gottesurteilen“ vergleichbar. Man glaubte, wenn die Frauen mit Dämonen im Bunde wären und daher fliegen könnten, würden sie von dem natürlichen Element, dem Wasser, abgestoßen und daher – sogar gefesselt – an der Oberfläche schwimmen. Die relativ moderate Behandlung der superstitio (Aberglaube) durch die Kirche hängt auch damit zusammen, dass ihr der Gedanke an eine Verschwörung von Teufelsanbetern, eine Sekte von Hexen, zunächst fremd war. Aber Ansätze in dieser Richtung waren gegeben: Zum einen durch die Verfolgung der Juden, die aufgrund der Pestwellen seit 1348 als Sündenböcke („Brunnenvergifter“) herhalten mussten, zum Zweiten durch die Verfolgung zweier Gegenbewegungen gegen die etablierte Kirche, die im 13. Jahrhundert aufgekommen waren: Katharer und Waldenser. Ihnen wurde die Verehrung des Satans unterstellt, wobei sie ihm Opfer darbrächten, ihn anbeteten und mit ihm und ihresgleichen Geschlechtsverkehr hätten. Dies wird auch sprachlich deutlich, indem die im ostfranzösischen Sprachraum gebräuchlichen Wörter vaudoisie und vauderie, Waldensertum, verallgemeinert im Sinne von Ketzertum, seit

Hexenverfolgungen in deutschen Landen

Eine der frühesten Abbildungen der Wasserprobe, entstanden um 1190/1200 zur Illustration eines Manuskripts im Benediktinerkloster Lambach (Oberösterreich).

1430 nahtlos in die Bedeutung „Hexerei“ übergingen. Im Deutschen wirkte sich die Entstehung des neuen Hexenbildes dadurch aus, dass – von der deutschsprachigen Schweiz ausgehend – langsam an die Stelle des vorherrschenden Wortes „Zauberer, Zauberin“ (niederdeutsch toverer, toversche), das den Schadenzauber in den Mittelpunkt stellte, die „Hexe“ trat.

Hexenverfolgungen in deutschen Landen

Die neue Hexensekte war die Kopfgeburt gelehrter Juristen und Theologen. Sie beließen es nicht bei der praktischen Verfolgung der Teufelsdiener, sondern brachten ihr Gedankengebäude in „wissenschaftlichen“ Abhandlungen zu Papier, so dass man hier durchaus den modernen Begriff der „Ideologie“ anwenden kann. Das bekannteste Beispiel ist der „Hexenhammer“ (Mal-

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Oben und gegenüberliegende Seite: Frühe bildliche Darstellung besenreitender Hexen. Die Zeichnungen illustrieren eine 1451 entstandene Abschrift des Traktats Champion des Dames, in dem das Hexenbild auf Frauen zugespitzt wird (Paris, Bibliothèque Nationale).

leus Maleficarum), ein Handbuch für Hexenrichter, verfasst von dem päpstlichen Inquisitor Heinrich Institoris (Kramer), das 1487 im Druck erschien und bis ins 17. Jahrhundert zahlreiche Neuauflagen erlebte. Während das kirchliche Strafrecht den Abfall vom Glauben, in Form des Paktes mit dem Dämon, in den Vordergrund rückte, blieb das weltliche Recht auf den Schadenzauber konzentriert. Die für mehrere Jahrhunderte im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation maßgebliche Peinliche Halsgerichtsordnung Kai-

ser Karls V. aus dem Jahr 1532 legte in Artikel 109 fest: „Item so jemand den Leuten durch Zauberei Schaden oder Nachteil zufügt, soll man strafen vom Leben zum Tod. Und man soll solche Straf mit dem Feuer tun.“ Luthers Reformation hat in der juristischen und in der theologischen Einschätzung des Hexenglaubens nicht viel geändert. Schadenzauber war für den Wittenberger Reformator ein todeswürdiges Verbrechen. Wie die meisten mittelalterlichen Theologen hielt er dagegen nichts von der Vorstellung des Hexenflugs und -sabbats: „Glauben viel, sie ritten auf einem Besen oder auf einem Bock oder sonst auf einem Eselskopf zu einem Ort, wo alle zusammenkommen, die in der geheimen Zunft sind, prassen und schlemmen miteinander nach Gutdünken, was verboten ist, nicht nur zu tun, sondern

Hexenverfolgungen in deutschen Landen

auch zu glauben, dass etwas daran sei.“4 Die Position der römischkatholischen Kirche unterschied sich in dieser Hinsicht nur wenig von der Martin Luthers. Dessen Gegenspieler, Kurien-Kardinal Cajetan (1468– 1534), der den Reformator 1518 in Augsburg verhörte, schrieb in seinem Kommentar zu den Werken des hl. Thomas von Aquin: „Mit Erlaubnis Gottes führt der Teufel bisweilen Personen mit ihrem Willen (durch die Luft) von Ort zu Ort. Aber dies scheint sehr selten zu geschehen.“5 Bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts gab es in Deutschland keine großen Hexenverfolgungen, d. h. zusammenhängende Prozessserien an einem Gericht mit mehr als 15–20 Angeklagten. Ob die Zeitgenossen zwischen 1520 und 1550 mehr von den religiösen Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Protestanten in Atem gehalten wurden als von der Angst vor Zauberern und Hexen? Es fällt auf, dass der Hexenhammer nach 1523 für mehrere Jahrzehnte nicht mehr neu aufgelegt wurde. 1555 sicherte der Augsburger Religionsfrieden bis zum Dreißigjährigen Krieg ein labiles Gleichgewicht zwischen den konkurrierenden religiösen Kräften. Sieben Jahre später beginnt das Zeitalter der großen Hexenverfolgungen in Deutschland mit 63 Hinrichtungen in der südwestdeutschen Grafschaft Helfenstein (zwischen Stuttgart und Ulm). Die Hysterie wirkt

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in den 70er und 80er Jahren auf Westfalen und Norddeutschland ansteckend. Eine Massenpanik muss die protestantische Stadt Osnabrück ergriffen haben, wo 1583 sage und schreibe 121 Personen, fast ausschließlich Frauen, hingerichtet werden. Ende der 80er Jahre wurde das katholische Erzbistum Trier von einer noch größeren Angst heimgesucht. Auslöser war plötzlicher eintretender Frost, der die Weinernte vernichtete. Auf der Suche nach Sündenböcken stellte sich der Weihbischof Dr. theol. Peter Binsfeld an die Spitze der Verfolger. Die Lehre von Hexenflug und -sabbat, der Glaube an eine verschwörerische Hexensekte, führte zu lawinenartig ansteigenden Prozess- und Opferzahlen.

Hexenprozesse

Auch wenn sich viele Akademiker von dieser Hysterie anstecken ließen – unumstritten war die Hexenverfolgung nie. Aber im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts behielten in Deutschland die Verfechter eines harten Kurses die Oberhand. Katholische und evangelische Verfolgungsbefürworter bestätigen sich in ihrer Meinung trotz konfessioneller Feindschaft. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation war bekanntlich territorial stark zersplittert. Die vielen Kurfürstentümer, Herzogtümer, Grafschaften, geistlichen Fürstentümer und freien Reichsstädte waren in Justizsachen unabhängig. Die Halsgerichtsordnung Karls V. bot nur einen Rahmen. Die Landesherren konnten eigenes Recht schaffen und sich von der herrschenden Lehre absetzen oder sie weiterentwickeln. Innerhalb der Territorien gab es adlige Unterherrschaften, deren Inhaber die Strafgerichtsbarkeit in eigenem Namen ausübten. Neben die Schöffen, die den führenden Bauern- oder Bürgerfamilien entstammten, beriefen sie studierte Juristen als Berater. Deren Einstellung zu Hexen-

Hexenprozesse

wesen und -prozess war unterschiedlich. Sie hing von der eigenen Biographie, der Prägung in Elternhaus und Schule, insbesondere aber dem Universitätsstudium ab. Eine Kontrolle der Untergerichte durch höhere Instanzen war nicht durchgängig gegeben. Es gab zwar zwei oberste Reichsgerichte, das Reichskammergericht in Speyer und den Reichshofrat in Wien. Für Strafsachen waren sie aber nur in Ausnahmefällen zuständig, wenn nämlich der Angeklagte glaubhaft machte, dass das Gericht gegen elementare Grundsätze verstoßen, ihm also das Recht geradezu verweigerte hatte. Wenn auf diese Weise die beiden Obergerichte angerufen wurden, entschieden sie auffallend oft für die „Hexen“. Die meisten Verfahren kamen aber gar nicht erst ins ferne Speyer oder Wien. Öfter wurden dagegen die Prozessakten, d. h. die Verhöre der Zeugen und Angeklagten sowie die Anträge des Anklägers und wenn vorhanden, des Verteidigers, an juristische Universitätsfakultäten zur Begutachtung eingeschickt. Vielfach entschieden die Professoren im Sinne ihrer „Kunden“, also der Gerichte, gegen die Angeklagten. Die Landkarte der Hexenprozesse in Deutschland zeigt Konzentrationen in Gebieten mit relativ gering entwickelter Staatlichkeit, den Kleinterritorien West- und Südwestdeutschlands, und in denjenigen der größeren Länder, wo Adel und Städte die Strafgerichtsbarkeit in eigener Regie ausübten, wie z. B. im stark vom landsässigen Adel geprägten Mecklenburg mit ca. 2000 Hinrichtungen. Großterritorien mit einem entwickelten Instanzenzug und einem professionellen Justizsystem zeigten eher unterdurchschnittliche Werte, so die evangelischreformierte Kurpfalz, wo es kaum Hinrichtungen gab, und das lutherische Kursachsen, das „nur“ einige hundert Hinrichtungen aufzuweisen hat, was bei der hohen Bevölkerungszahl vergleichsweise wenig war.

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Voru u rteil 2: Millionen Hingerichtete

Seit einem Zeitungsartikel von 1784 geistern Zahlen von Millionen Opfern der europäischen Hexenverfolgung durch die Gazetten. Der Verfasser hatte einen zufälligen lokalen Befund (30 Hinrichtungen in einem deutschen Kleinterritorium Ende des 16. Jahrhunderts) durch simple Hochrechnung mit Hilfe des Dreisatzes zu 9 442 994 Hinrichtungen im christlichen Europa zwischen 600 und 1700 aufgeblasen. Die Rechenspielerei ist grotesk – das hätte schon damals jedem kritischen Herausgeber auffallen müssen. Stattdessen wurde der Artikel noch 1784 sowie acht Jahre später erneut abgedruckt. Die seriöse Forschung hat es schwer, die lieb gewordenen Vorurteile der vermeintlichen ‚Aufklärer‘ richtigzustellen. Sie hält weniger als 100 000 Hinrichtungen in Europa für wahrscheinlich, wovon ungefähr die Hälfte auf das Heilige Römische Reich Deutscher Nation entfällt.

Das größte katholische Territorium – abgesehen von den österreichischen Landen –, Bayern, bestätigt diesen Trend. Herzog Maximilian I. (reg. 1597–1651) ließ keine Massenprozesse mehr zu. So war Bayern innerhalb des katholischen Deutschlands eines der Gebiete mit relativ wenig Hinrichtungen. Anders sah es in den Territorien von Maximilians Bruder Ferdinand aus, Erzbischof von Köln und Bischof von Paderborn. Die Gratwanderung zwischen frommem Verfolgungseifer und einigermaßen fairen, an der kaiserlichen Halsgerichtsordnung orientierten Verfahrensgrundsätzen – z. B. lehnte er die Wasserprobe ab – gelang ihm nicht. Denn anders als sein Bruder Maximilian im zentralistisch regierten Herzogtum Bayern stieß Ferdinand im Rheinland und in Westfalen auf Mitspracherechte und Vernetzungen der adligen und juristischen Eliten, an

Hexenprozesse

Die Intensität der Hexenverfolgungen in Europa

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denen die halbherzigen Versuche, Missstände abzustellen und Fanatikern das Handwerk zu legen, abprallten. Erst eine neue Generation von Fürsten in Deutschland besann sich eines Besseren. Innerhalb des Episkopates ist der Würzburger und Wormser Bischof sowie Mainzer Erzbischof Johann Philipp von Schönborn (geb. 1605, reg. in Mainz 1647– 1673) hervorzuheben. Nach einer Anekdote, die der Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1717) erzählt, hatte Schönborn, damals noch als junger Domherr, Pater Friedrich Spee kennen gelernt und war von ihm über das unmenschliche Wesen der Hexenprozesse aufgeklärt worden. Daher habe er nach seinem Amtsantritt in Mainz alle Hexenprozesse in dem Erzbistum untersagt. Zwar ist weder die Echtheit dieser Erzählung verbürgt noch ein entsprechender Erlass in Hexensachen; an der moderaten Haltung Schönborns in dieser heiklen Frage kann aber kein Zweifel bestehen. Im Kurfürstentum Trier beendete Erzbischof Karl Kaspar von der Leyen um 1653 weitere Verfolgungen. Nicht alle Gerichtsinhaber und Juristen schlossen sich dieser skeptischen Haltung an. So unentschieden war auch die Lage im Hochstift Paderborn in jenem Jahr 1657, als sich Bischof Dietrich Adolf hilfesuchend an Papst und Kardinäle in Rom wandte.

Teuflische Besessenheit bricht aus

s begann im Frühjahr 1656 in Brakel (35 Kilometer östlich von Paderborn), mit ca. 1400 Einwohnern nach heutigen Maßstäben ein Dorf, für damalige Verhältnisse eine Stadt mit allem, was dazugehörte: Stadtmauer, Rathaus, Marktplatz, Pfarrkirche, bewohnt nicht nur von Ackerbürgern, sondern auch von Kaufleuten und Handwerkern. Zwei junge Frauen respektive Mädchen im Alter von 16 bis 20 Jahren, die Halbschwestern Klara Fincken und Katharina Maneken, verhielten sich abnorm. Sie gestikulierten wild, verdrehten die

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Köpfe, zogen die Schultern hoch, Finger und Arme zitterten, und aus den Mündern kam ein Grunzen wie von Schweinen, die die Erde nach Nahrung durchwühlten. Eltern, Nachbarn und bald die gesamte Bürgerschaft waren entsetzt und ratlos zugleich. Wie konnte man sich das Verhalten von Klara und Katharina, die bis dato unauffällig gewesen waren, erklären? Vier Deutungen wurden diskutiert. These 1: Die Mädchen wurden von den Seelen Verstorbener gequält. Einer glaubte sogar zu wissen, welche Seelen von den Schwestern Besitz ergriffen hätten, nämlich die von zwei kurz zuvor verstorbenen Bürgern. Vielleicht waren sie eines nicht-natürlichen Todes gestorben, vielleicht hatten sie einen Unfall gehabt oder Selbstmord begangen. Jedenfalls ging die Mär, ihre Seelen wären seitdem ruhelos. Die Vertreter dieser

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Theorie hatten freilich einen schweren Stand. Die beiden Toten hatten nämlich der örtlichen Führungsschicht angehört, und die Hinterbliebenen wollten den ehrenrührigen Vorwurf, ihre Verwandten geisterten als Gespenster durch die Stadt und quälten unschuldige Mädchen, nicht auf sich sitzen lassen. These 2: Die Schwestern waren krank. Einige Zeitgenossen führten das abnorme Verhalten auf eine, wie es damals hieß, Mai- oder Frühlingskrankheit zurück – ein zwischen Februar und Juni häufiges Fieber, das stoßweise auftrat, mit wechselnden Anfällen, vergleichbar der Malaria. Auch dieser Erklärungsversuch konnte sich nicht durchsetzen, schon im April/Mai 1657 nicht, und erst recht schien er widerlegt, als das merkwürdige Treiben weit über den Sommer hinaus anhielt. These 3: Die Schwestern waren vom Teufel besessen. Die Vorstellung, böse Geister, Dämonen oder, in der Sprache von Juden und Christen: Teufel könnten von den Körpern der Menschen Besitz ergreifen, ist in vielen Kulturen verbreitet. Im Christentum hat sie ihre Stütze in den zahlreichen Berichten des Neuen Testaments, in denen von den Dämonen die Rede ist, die Jesus austrieb. Die Menschen der Frühen Neuzeit stellten sich die Frage, wie die Teufel in die Körper hineingelangen konnten. Dabei fanden sie vielfach dieselbe Antwort wie bei anderen unDer K apuzinerorden

Benannt nach ihrer charakteristischen langen, spitzen Kapuze, sind die Kapuziner ein Abzweig des FranziskanerOrdens. Entstanden um 1525, waren sie im Zeitalter der Gegenreformation und der katholischen Erneuerung besonders in der Volksseelsorge tätig. An ihre Fähigkeiten als Prediger erinnerte bekanntlich noch Friedrich Schiller mit der Figur des Kapuziners in Wallensteins Lager.

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erklärlichen Katastrophen: Böse Menschen mussten dahinterstecken. Personen, die mit dem Teufel im Bunde standen, daher über magische Fähigkeiten verfügten und somit ihre Mitmenschen quälen konnten. Wohl war man sich darüber im Klaren, dass nicht bei jedem ‚unnormalen‘ Verhalten, jedem Zustand geistiger Verwirrtheit der Teufel am Werk war. Dass aber die beiden Schwestern besessen waren, und zwar aufgrund eines Zaubers, das leuchtete vielen Brakeler Bürgern ein, denn die Mädchen sagten es ja selbst! Sie schrien, Katharina (Trine) Meier, die Magd des Bürgermeisters Heinrich Möhring, sei eine Teufelshure, sie habe ihnen die Dämonen in den Leib gezaubert. These 4: Die Mädchen simulierten ihre Besessenheit, waren also in Wirklichkeit Betrügerinnen. Wie Priester sich gegenüber teuflischer Besessenheit zu verhalten hatten, war in der katholischen Kirche 1614 im Rituale Romanum festgelegt worden, einer Sammlung von Regeln für die von den Geistlichen zu vollziehenden Riten. Darin waren drei empirische ‚Kriterien‘ angegeben, anhand derer echte Besessenheit festgestellt werden sollte. Gemeint sind ‚übernatürliche‘ Fähigkeiten: die Beherrschung fremder, dem „Besessenen“ unbekannter Sprachen, das Wissen um Dinge, die ihm eigentlich unbekannt sein mussten, und übergroße Körperkräfte. Man entschied, die Schwestern einem Test zu unterziehen. Für die Durchführung sorgte ein Pater des Kapuziner-Klosters in Brakel. Pater Antonius nahm die Mädchen in der Klosterkirche in Empfang. Sie mussten den Eindruck gewinnen, dass nun ein regelrechter Exorzismus vorgenommen werde. Was der Kapuziner wirklich tat, beschreibt der anonyme Verfasser einer fast satirischen, in Versen abgefassten Geschichte der Besessenheitsfälle im Hochstift Paderborn1:

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Mit dünnem Bier besprengt er sie,

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Viel eitle Wörter spricht er hie, Mit Pech tut sie beräuchern. Viel Schafes Bein’ er an sie reibt,

]

Als wären die von heiligen Leib’, Den Geist damit auszujagen.

Pater Antonius simulierte einen Exorzismus: Die Besprengung der Besessenen mit Weihwasser, Gebete, der Gebrauch von Weihrauch, Reliquien – Gebeine – von Heiligen, so schien es, in Wirklichkeit handelte es sich um Bier, sinnlose Worte, Pech und Schafsknochen. Es kam jetzt darauf an, wie die Besessenen reagierten. Steckten in ihnen tatsächlich Dämonen, so erkannten diese den Betrug, die „verborgenen Dinge“. Der unbekannte Autor beobachtet: Sie schüttelten ihre Füß’ und Händ’,

[

Doch Köpfe hielten sie von der Wand, Damit die nicht zerschlagen: Sie wollten doch besessen sein,

]

Bewegten darum ihre Bein’, Betrug ließ sich doch merken.

Scheinbar reagierten die Mädchen wie Besessene, deren Dämonen den Exorzismus fürchten, daher in höchste Aufregung geraten und den Körper in einem neuen Anfall erschüttern. Beim genauen Hinsehen zeigte sich aber, dass die Mädchen sich sehr wohl vor Verletzungen in Acht nahmen, ein Indiz dafür, dass sie sich unter Kontrolle hatten und die Besessenheit nur vorgaben. Auf jeden Fall hatten die angeblichen Teufel den frommen Betrug nicht durchschaut, wozu sie nach theologischer Lehrmeinung aber in der Lage sein sollten.

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Pater Antonius setzte das Experiment auf der Grundlage des Rituale Romanum mit einer weiteren Methode fort, der Überprüfung der Kenntnis fremder, den Betreffenden unbekannter Sprachen. Er fragt sie in lateinischer Sprach

[

Zu antworten, dem höllischen Drach’. Kein Wort konnten sie ausgeben. Er befiehlt in französischer Sprach’ Zu antworten, dem höllischen Drach’. Unwissend waren sie im Leben. Sie sprachen: „Wir können kein Latein, Als was man redet insgemein,

]

Dieses sollst du advertieren [= gebrauchen].

Auch hier war das Ergebnis für den Kapuziner also negativ: Keine Kenntnis fremder Sprachen, abgesehen von einigen lateinischen Brocken aus dem kirchlichen Bereich („als was man redet insgemein“). Die dritte Methode, der Nachweis übergroßer Köperkräfte, wurde gar nicht erst versucht. Stattdessen teilte Pater Antonius den Mädchen auf ausgesprochen handgreiflichanschauliche Art mit, was er von ihnen hielt: Er schlug sie mit einem Strick

[

Wohl etwas hart auf ihren Rück’, Geschwind tun sie parieren: Beklagten sich der Schmerzen sehr, Weinten auch allimmer mehr […] Der Priester merkte ihre Falschheit gar, Das sahen auch die Leut’ ganz klar, Die gegenwärtig waren […] Der Priester sprach aus Gottes Eifer: „Kein Teufel ist in euren Leibern. Betrug ist hier vorhanden.“

]

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Damit war jedoch das Problem keineswegs aus der Welt geschafft. Nicht nur, dass die Schwestern weiterhin krampfartige Anfälle bekamen, dieselben Symptome zeigten sich nun auch bei anderen Mädchen, alle etwa gleichaltrig. Ende April war ihre Zahl auf sieben angewachsen. Damit bekamen trotz der ablehnenden Haltung der Kapuziner alle die Auftrieb, die teuflische Besessenheit diagnostiziert hatten.

Der Exorzist

Exorzismen gehörten nicht zu den regelmäßigen Amtspflichten der Kleriker. Die Pastoren brauchten dazu eine ausdrückliche Erlaubnis ihres Bischofs, und die Kapuziner durften sogar nur mit Zustimmung ihrer Ordensleitung tätig werden. Den Brakeler Mönchen fehlte die Lizenz, ganz abgesehen von ihrer ablehnenden Haltung in diesen speziellen Fällen. Für die Anhänger der Besessenheits-Theorie erwies es sich daher als ein ,Glücksfall‘, dass im Hochstift ein Exorzismus-Experte lebte: der Jesuitenpater Bernhard Löper, Professor der Theologie an der Universität seines Ordens in Paderborn. Er hatte vom apostolischen Nuntius in Köln, dem Vertreter des Papstes, eine Vollmacht für Teufelsaustreibungen. Praktische Erfahrungen gewann der Jesuit um 1650, als er in der Nähe von Recklinghausen sowie im Raum Osnabrück Exorzismen durchführte. Sie waren aus seiner Sicht ein großer Erfolg. Nachdem man ihn über die Fälle in Brakel informiert hatte, reiste er dorthin. Löper kam zu der Überzeugung, es handele sich um echte Besessenheit. Da der Professor sich wegen seiner Lehrtätigkeit nicht für längere Zeit aus Paderborn entfernen konnte, veranlasste er, dass zunächst die Halbschwestern Klara Fincken und Katharina Maneken in die Stadt an der Pa-

Der Exorzist

der gebracht wurden. Anfang Mai 1656 begann Löper mit den Exorzismen. Das Rituale Romanum legt fest: „Ein Besessener muss, wenn die Beschwörung mit ihm vorgenommen werden soll, in die Kirche, wenn es tunlich ist, oder an einen andern der Frömmigkeit geweihten und ehrbaren Ort, der von der Menge entfernt ist, hingeführt werden.“2 Als Ort wählte Löper die unmittelbar neben dem Paderborner Dom stehende Kapelle des hl. Bartholomäus. Sie war 1017 als Teil der Pfalz Kaiser

Die 1017 als Teil der Kaiserpfalz in Paderborn errichtete Bartholomäus-Kapelle, in den Jahren 1656/57 Schauplatz von Teufelsaustreibungen.

Heinrichs II. des Heiligen errichtet worden und wird heute in Reiseführern als Kleinod romanischer Baukunst gerühmt. Die Kapelle gehörte dem Jesuiten-Kloster, Löper konnte quasi auf eigenem Boden frei schalten, und außerdem war der Ort im Zentrum der Stadt für Besucher gut erreichbar. Denn es war ihm daran gelegen, die Öffentlichkeit an den Teufelsaustreibungen teilhaben zu lassen – im Gegensatz zu der Vorschrift des Rituale Romanum. Löper ließ, wie bei allen seinen Teufelsbeschwörungen, ein Protokoll anfertigen und von Zeugen unterschreiben. Demnach sprach er die üblichen Gebete, Lesungen und Beschwörungsformeln aus dem Rituale Romanum, wobei Psalmentexte, Abschnitte aus den Evangelien, z. B. der Anfang des Johannes-

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Evangeliums, und Gebete wie das Vaterunser mit Befehlen an den Teufel wechselten. Die erste dieser Aufforderungen lautet im Rituale Romanum: „Ich gebiete dir, wer du immer sein magst, unreiner Geist, und allen deinen Gesellen, welche in diesem Diener Gottes sich aufhalten, dass du […] deinen Namen, den Tag und die Stunde deines Ausfahrens durch irgendein Zeichen ankündigest; und dass du mir, dem, obwohl unwürdigen, Diener Gottes, in allem gehorsam seist und weder dieses Geschöpf Gottes noch die Anwesenden oder ihre Güter auf irgendeine Weise belästigest und beschädigest!“ Es folgen, nach einigen Gebeten, die eigentlichen Beschwörungsformeln. Wegen ihres Umfangs seien sie hier nur in Auszügen zitiert: „Satan! Du Feind des Glaubens, du Gegner des menschlichen Geschlechtes, du Ursache unseres Todes, du Räuber unseres Lebens, du Hasser der Gerechtigkeit, du Wurzel allen Übels, du Zunder aller Laster, du Verführer der Menschen, du Verräter der Völker, du Stifter des Neides, du Ursprung des Geizes, du, der Vater des Unfriedens, du Hervorbringer aller Schmerzen; was verweilest du und willst widerstreben, da du weißt, dass Christus, der Herr, deine Gewalt vernichtet? Ihn fürchte, Der in Isaak geopfert, in Joseph verkauft, im Lamme erwürgt, als Mensch gekreuzigt worden und hierauf die Hölle besiegt hat!“ Im Folgenden gibt der Priester das Kreuzzeichen auf die Stirn des Besessenen: „Weiche also, im Namen des † Vaters und des † Sohnes und des heiligen † Geistes! Gib Raum dem heiligen Geiste, kraft dieses † Kreuzzeichens Jesu Christi, unsers Herrn, Der mit dem Vater und demselben heiligen Geist lebt und regiert, Gott, in allen Ewigkeiten.“ „Amen“, bekräftigen die Anwesenden. Der Schluss der letzten im Rituale Romanum aufgeführten Beschwörungsformel lautet: „Weiche, du Verführer! Die

Der Exorzist

Wüste ist dein Aufenthalt! Deine Wohnung ist die Schlange! Stürze nieder mit Schmach und Schande auf den Boden! Dir ist kein Augenblick zur Zögerung vergönnt! Siehe! Der allbeherrschende Herr nahet schnell, Feuer wird vor Ihm her aufglühen und alle Seine Feinde ringsher verzehren! Wolltest du auch den Menschen täuschen, den Herrn kannst du nicht betrügen; Gottes kannst du nicht spotten! Er Selbst treibt dich aus, vor Dessen Augen nichts verborgen ist; Er Selbst verjagt dich, Dessen Allkraft die Welt unterworfen ist!“ Nach einigen Tagen konnte Löper einen Erfolg verbuchen, den ersten gelungenen Exorzismus bei einem der Brakeler Mädchen, Katharina Maneken, der jüngeren der Halbschwestern. Dem Protokoll zufolge begann der höllische Geist so heftig in dem Mädchen zu wüten und seine Glieder durchzuschütteln, dass sieben kräftige Männer nicht in der Lage waren, sie zu bändigen – indirekt ein Hinweis auf das empirische Kriterium, wonach übernatürliche Körperkräfte auf Besessenheit schließen lassen. Nach den Gebeten berührte der Exorzist den Mund des Mädchens zunächst mit seinen beiden Daumen, darauf mit Reliquien des hl. Ignatius, des Gründers des Jesuitenordens. „Deren Kraft konnte der Dämon nicht lange aushalten. Deswegen warf er den Menschen mit einem fürchterlichen Stoß auf den steinernen Fußboden. Das Mädchen lag dort ein halbe Stunde lang, ohne einen Hauch, einer Toten gleich.“ Hier verwies Löper auf die Geschichte von der Heilung des besessenen Knaben im Markus-Evangelium (Mk 9, 26), wo es heißt: „Unter Geschrei und heftigem Zerren fuhr er [der unreine Geist] von ihm aus. Er lag da wie tot, so dass die meisten sagten: ,Er ist tot.‘ Jesus fasste ihn bei der Hand und richtete ihn empor. Da stand er auf.“3 Löper berichtete weiter: „Endlich kam Katharina wie eine, die aus einem tiefen Schlaf erwacht ist, zu sich. Sie erhob sich von selbst, ohne fremdes Dazutun wie früher, stand da ru-

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Dämonenaustreibung durch den hl. Ignatius (1491–1556), den Gründer des Jesuitenordens (Gemälde von Peter Paul Rubens, 1617, Wien, Kunsthistorisches Museum).

Der Exorzist

hig, ohne sich an den Sturz zu erinnern. Sie wunderte sich wegen der Leute und des Ortes und wusste nichts von all dem, was gesagt und getan worden war. Auch nach acht Tagen, in denen sie beobachtet wurde, spürt sie keinerlei Anfechtungen eines bösen Geistes.“4 Nicht so erfolgreich war Löpers Exorzismus an Katharinas Schwester Klara Fincken. Sie wurde von einem stummen Geist geplagt, d. h. der Dämon sprach nicht aus ihr, leistete aber gegenüber allen Austreibungsversuchen hartnäckigen Widerstand. Trotzdem war Löper über den gelungenen Exorzismus an Katharina Maneken hocherfreut. Auch wenn die meisten Mädchen einen stummen Geist hatten und sich nur durch Gestik oder Mimik äußerten, reichten diese Verständigungsmöglichkeiten aus, um dem Exorzisten und den Zuschauern mitzuteilen, worin angeblich die Ursachen der Besessenheit bestanden: in einem Pakt zwischen Hexen und Teufeln. Durch magische Einwirkung, mit Hilfe von Getränken oder Speisen, seien die Dämonen in ihre Opfer eingedrungen. Dabei wurden auch die hexerischen Peiniger beim Namen genannt: Zum einen Katharina Meier, die Magd des Bürgermeisters Möhring. Zum anderen, und das war neu, ihr Dienstherr Heinrich Möhring selbst sowie „der Guardian [Vorsteher] des Brakeler Kapuzinerklosters“, als welchen die Mädchen Pater Aegidius angaben. Der Vorwurf der Hexerei hatte sich also ausgedehnt, von der Dienstmagd hin zu zwei der prominentesten Einwohner Brakels. Für die Kapuziner verstärkte sich aber aufgrund dieser Angaben die Gewissheit, dass hier keine Teufel am Werk seien. Denn der belastete Pater Aegidius war zu dieser Zeit nicht mehr Guardian, sondern lediglich dessen Stellvertreter. Das Amt des Guardians konnte bei den Kapuzinern von Jahr zu Jahr neu besetzt werden. Sein Nachfolger, Pater Bartholomaeus, hielt sich in Ordensangelegenheiten noch außerhalb Brakels auf, so dass

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Vorurteil urteil 3: Hexenverfolgung = Frauenverfolgung

Nicht alle Opfer waren Frauen, und nicht alle Verfolger waren männlichen Geschlechts. Unter den Angeklagten befanden sich im Durchschnitt ein Viertel bis ein Drittel Männer, mit starken regionalen Unterschieden. Kinder wurden nicht grundsätzlich von der Todesstrafe verschont. Richtig ist, dass die Prediger, die Richter und die Folterer Männer waren, aber Frauen (und Männer) bezichtigen im Vorfeld der Prozesse ihre Mitmenschen der Hexerei. Besonders verhängnisvoll waren die Denunzierungen seitens der vom Teufel Besessenen. Es waren überwiegend Kinder, heranwachsende Mädchen und Nonnen, die auf diese Weise die Verfolgung in Gang setzten. Abwegig ist die Behauptung, die Opfer seien vor allem „weise Frauen“ (Hebammen und Kräuterfrauen) gewesen, deren geheimes Wissen Kirche, Ärzte und Apotheker ausrotten wollten. Frauen wurde allerdings – mehr als Männern – schon in der Antike eine Neigung zur Giftmischerei unterstellt. Da sie die Nahrungsmittel für die Familienmitglieder und zum Teil auch für die Haustiere zubereiteten, fiel bei plötzlichen, unerklärlichen Krankheiten der Verdacht zuerst auf sie.

sein Vorgänger dessen Geschäfte wahrnahm. Diese feinen Unterschiede hatten die Mädchen nicht wahrgenommen – für die Mönche aber stand fest, dass der Teufel, sofern er wirklich in den Besessenen steckte, über die wahren Verhältnisse im Bilde wäre. Die Unkenntnis entlarvte die Mädchen als Simulantinnen – nach Überzeugung der Kapuziner und anderer skeptischer Beobachter. Löper war anderer Ansicht. Er betonte, die Mädchen hätten durchaus bewiesen, dass sie wirklich von Dämonen gequält wurden: Sie hätten Kenntnisse des Hebräischen, Griechischen und Lateinischen, und sie hätten „heimliche Sachen offenbart,

Die „Hexe“

auch gewusst, was man anderswo getan, was zukünftig gewesen oder zu selbiger Zeit über 3 Meilen Wegs geschehen, vorhergesagt, […] geweihte, gesegnete, heilige Sachen von ungeweihten, ungesegneten und gemeinen, wiewohl alles verborgen gewesen, unterscheiden können“ und mehr dergleichen.5 In den Protokollen und näheren Berichten über seine Exorzismen tauchen aber konkrete Angaben über solche Echtheitsbeweise nur sehr selten auf. Jedenfalls blieb der Jesuit fest von der Richtigkeit seiner einmal gestellten Diagnose überzeugt.

Die „Hexe“

Umso mehr musste es Löper schockieren, dass sich plötzlich, im Juni 1656, bei der angeblichen Hexe Katharina Meier ähnliche Besessenheitssymptome zeigten wie bei ihren „Opfern“. Katharina begab sich sogar nach Paderborn, um wie die anderen beim Exorzisten Heilung zu suchen. Für Löpers Erklärungsmodell kam jetzt die erste schwere Belastungsprobe. Denn er unterschied, wie alle katholischen Theologen, deutlich zwischen Hexen und Besessenen. Zwar hatten beide Gruppen mit dem Teufel zu tun, erstere als Täter – letztere jedoch als Opfer. Wenn Katharina Meier wirklich besessen war – wie konnten dann die anderen sie als Hexe denunzieren? Waren sie vielleicht gar nicht besessen? Aber dann hätte Löper sich geirrt, er, der doch schon eine erfolgreiche Teufelsaustreibung durchgeführt hatte und diese und die zukünftigen Exorzismen propagandistisch groß herausstellen wollte. Für den Jesuiten gab es nur eine plausible Erklärung: Die Besessenheit der Katharina Meier war simuliert. Dementsprechend kritisch unterwarf er sie in der Bartholomäus-Kapelle der Echtheitsprobe: Der Sprachtest und die anderen Proben brachten das erwartete Ergebnis. Sie verstand keine einzige fremde Sprache, stellte sich aber an,

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als ob sie alles verstünde. Weiter beobachtete Löper, sie habe „Weihwasser, als wäre es gemeines Wasser, gern mit aufgesperrtem Maul gesoffen, gemeines Wasser aber, als wäre es gesegnet, durchaus nicht wollen annehmen; vor hölzernen, in Tuch eingewickelten Spänen habe sie wie vor heiligen Reliquien eine große Abscheu gehabt; als sie eine frische Rute sah, laut gerufen (obwohl sie zuvor nichts oder mit halben Worten hat geredet): ,Ich bin nicht mehr besessen, der Teufel ist fort.‘“6 Der B egriff „Hexe“

Verwandte Formen des neuhochdeutschen Wortes „Hexe“ finden sich in anderen westgermanischen Sprachen, z. B. im englischen hag, von altenglisch haegtesse, was noch eng mit dem althochdeutschen Hagzissa, Hagazussa zusammenhängt. Die Bedeutung ist bisher nicht überzeugend geklärt. Im Mittelalter und bis ins 17. Jahrhundert gebrauchte man auch die Begriffe „Zauberin“ (niederdeutsch: toversche) und „Unholdin“, was auf Schadenzauber bzw. ein dämonisches Wesen, das durch die Lüfte fliegt, verweist. Das Wort „Hexe“ setzte sich erst langsam vom alemannischen Sprachraum aus (1377 in Schaffhausen) durch.

Als Löper die „wahren Besessenen“ zu ihr führte, fingen diese an zu toben, worauf Katharina hinter den Altar flüchtete – wodurch sie sich nach Löpers Auffassung ebenfalls belastete. Katharinas Verhalten war zu durchsichtig. Als Löper ihr die Verstellung vorhielt und sie deswegen rügte, fuhr es aus ihr heraus: „Ich bin hier, meinen guten Namen wieder zu holen.“ Man kann hinzufügen, dass es auch Angst war, die sie zu dieser Komödie veranlasste – Angst, schließlich nicht nur als Hexe verschrien zu sein, sondern auch verhaftet, vor Gericht gestellt und dann verbrannt zu werden.

Die „Hexe“

Hans Baldung Grien (1484/85–1545) hat so häufig wie kein anderer Renaissancekünstler in Zeichnungen, Holzschnitten und einem Gemälde Hexen dargestellt, hier in einem Holzschnitt von 1508: Ausdruck einer Mischung von Angst- und Wunschvorstellungen.

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Am nächsten Tag, dem 23. Juni, versuchte Katharina zwar, ihr Spiel in der Bartholomäus-Kapelle zu wiederholen – jedoch wieder ohne Erfolg. Als ihr am Nachmittag angedroht wurde, die Obrigkeit werde sie verhaften, verließ sie fluchtartig die Paderstadt und begab sich auf den Rückweg in ihr Heimatdorf bei Brakel. Was unterwegs geschah, davon machte in den nächsten Tagen ein seltsames Gerücht die Runde, das sogar dem Bischof zu Ohren kam und ihm wert erschien, weitererzählt zu werden. Katharina traf unterwegs auf einen Pferdewagen, den sie mit Erlaubnis des Fahrers bestieg. Nach einer Weile wurde das Tier unruhig, es ging durch, so dass der Wagen schweren Schaden nahm, während die beteiligten Personen mit dem Schrecken davonkamen. Die Erklärung für das Unglück lautete, ein Teufel habe das Pferd gehetzt und zum Durchgehen gebracht. Indirekt belastete man damit Katharina erneut und gravierend. Das war Wasser auf die Mühlen der Besessenen, die nicht aufhörten, die Brakeler Magd als Hexe hinzustellen. Sie schienen am Ziel ihrer Wünsche zu sein, als Katharina tatsächlich wenige Tage nach ihrer Flucht aus Paderborn verhaftet und in dem bischöflichen Schloss Neuhaus, vier Kilometer vor Paderborn gelegen, festgesetzt wurde.

Der Bischof von Paderborn greift ein

Bischof Dietrich Adolf von der Recke, der Landesherr, nahm sich nun persönlich dieses Falles und der damit verbundenen Besessenheitserscheinungen an. Für den weiteren Verlauf ist von entscheidender Bedeutung, dass der Bischof zögerte, einen Hexenprozess in Gang zu setzen. Dessen Ausgang wäre kaum zweifelhaft gewesen. Das für eine Verurteilung nach damaligem Recht erforderliche Geständnis hätte ein tüchtiger Scharfrichter mit Hilfe der Folter herausgepresst. Innerhalb weniger Tage

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wäre so, wie damals üblich, mit der „Hexe“ buchstäblich kurzer Prozess gemacht worden. In Wirklichkeit inhaftierte man Katharina nicht wegen dringenden Verdachts der Zauberei, sondern lediglich wegen Vorspiegelung von Besessenheit, also gleichsam wegen versuchten Betruges. Aber es war möglich, dass die Anklage auf Hexerei ausgedehnt wurde. Dies hing von dem weiteren juristischen Vorgehen ab, d. h. von der Haltung des Fürsten und seiner Berater. Aber weder im Fall Katharina Meier noch bezüglich der angeblichen Besessenheit der anderen Mädchen kam man schnell zu einem sicheren Urteil. Auf Löpers Frage gemäß dem Rituale Romanum, ob der Satan wegen magischer Künste oder Einflüsse, zauberischer Zeichen und Werkzeuge in den Körpern zurückgehalten werde, also nicht auszutreiben sei, gaben die Dämonen erstmals konkrete Antworten. Sie bezogen sich auf den „Pakt“, den Vertrag zwischen der Hexe und den Teufeln. Er befinde sich in einem Topf, der in einem Garten neben Möhrings Haus unter einem Birnbaum vergraben sei. Werde er gefunden und zerstört, so habe auch der Teufelsspuk ein Ende. Der Bischof gab seinem Beamten in Brakel, dem Gografen, den Befehl, unter dem Birnbaum graben zu lassen. Am 10. Juli machten sich einige Arbeiter ans Werk, im Beisein zahlloser Zuschauer, wie der den Kapuzinern nahe stehende Chronist erzählt:7 Was nun kriechen konnt’, nahm seinen Lauf.

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[d. h. eilte zu dem Garten] Sie fanden im Hof einen Müllhauf’, Der wurde umgegraben alsbald. Sie suchten hier, wie ward bericht’, Sie fanden aber den Pott nicht. Beschämt ward hier Jung und Alt.

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Der Gograf schrieb nach Neuhaus, Dass alles wär’ gegraben aus, Und der Pott nicht gefunden. Pater Löper schämte sich sehr. Die Blindheit schlug ihn noch mehr, Die ihn hat überwunden.

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Mit der Beschwörung fuhr er fort.

Ob Löper sich wirklich „schämte“, ist zweifelhaft. Denn die Besessenen waren um eine Erklärung des Debakels nicht verlegen: Andere Hexen hätten den „Pott“ heimlich beiseite geschafft, und als eine von ihnen machten sie Katharinas Schwester, die „Albersche“, namhaft. Fündig wurde man dagegen bei der Durchsuchung der persönlichen Habseligkeiten von Möhrings Magd. In einer kleinen Kiste, die aus Brakel zum Schloss Neuhaus gebracht wurde, traten neben einem billigen kupfernen Ring mit einem unechten Stein sowie einem Bild der hl. Katharina, der Namenspatronin der Magd, einige Dinge zutage, die Argwohn, erregten: etliche Stücke Weißbrot, Nußschalen, Haare, die zu Knäueln zusammengeflochten waren, und, besonders seltsam, Fett von goldgelber Farbe und einem durchdringenden Geruch. Als das zuunterst liegende Bildchen entfernt worden war, flog plötzlich ein schwarzes Insekt heraus. Die besessenen Mädchen, die von den Ereignissen bei der Durchsuchung erfuhren, gaben an, das schwarze Tier sei der Teufel gewesen. Bei dem Weißbrot handele es sich um konsekrierte Hostien, die Katharina heimlich während der Kommunion nicht verzehrt, sondern entwendet habe, um sie im Dienst des Satans zu missbrauchen. Die Berater des Bischofs zweifelten. Weder die eine Behauptung noch die andere erschien ihnen so ohne weiteres glaubhaft. Das Fett erregte allerdings Arg-

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wohn. Die Besessenen behaupteten, es handele sich um Ochsenfett. Diesem wurde eine magische Wirkung zugesprochen. Im schlimmsten Fall konnte es als Hexensalbe gedeutet werden, entweder in Form von Flugsalbe, mit deren Hilfe die Gespielinnen des Satans sich durch die Lüfte bewegten, oder es handelte sich um Gift, das die Hexe vom Teufel erhalten hatte, um Menschen und Tieren zu schaden. Katharina erklärte dazu, es sei das Fett von Hasen. Wenn sie ihrem Herrn zum Essen Hasen zubereiten musste, habe sie es herausgelöst, um sich daraus eine Salbe anzufertigen. Diese benutze sie zur Entfernung von Splittern, die ihr bisweilen bei der Arbeit in die Finger eindrängen. Die bischöflichen Räte waren nicht völlig überzeugt. Sie hatten sich in einem Buch des jesuitischen Gelehrten Martin Delrio (1551–1608), der (nicht unumstrittenen) katholischen Autorität in allen Fragen von Magie und Hexerei, kundig gemacht, welche Farbe Hexensalbe habe. Diese stimmte fast ganz mit der des gefundenen Fetts überein. Wenn man das Hexenfett verbrenne, entstehe, so Delrio weiter, ein seltsames Zischen. Das Experiment, das man darauf durchführte, brachte folgendes Resultat: Der eine Teil des Fetts löste sich ohne Geräusch in Rauch auf. Der andere wurde einem Hund vorgeworfen. Er fraß es, ohne Schaden zu nehmen. Das Ergebnis der Untersuchung verlief also negativ. Sichere Beweise für magische Praktiken, etwa mit Nadeln durchstochene Wachspuppen, fehlten weiterhin. Den nahe liegenden Schluss, Katharina freizulassen, zogen der Bischof und seine Berater nicht. Die im Sommer und Herbst 1656 fast täglich sich fortsetzenden Exorzismen, in denen die Magd ständig schwer belastet wurde, hinterließen auch bei ihnen einen gewissen Eindruck. Er reichte aber zur Eröffnung eines formellen Hexenprozesses nicht aus.

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Öffentliche Teufelsaustreibungen

Löpers Teufelsaustreibungen in der Bartholomäus-Kapelle erregten immer mehr Aufsehen, zunächst in Paderborn selbst. Es kam vor, dass die Mädchen spontan jemanden aus der gaffenden Menge der Hexerei beschuldigten und ihn nicht nur verbal attackierten. Trotzdem wuchs die Zahl der Zuschauer. Wer – aus welchen Gründen auch immer – den Besuch des Spektakels scheute, machte sich bei seinen Nachbarn verdächtig. Man forderte Verdächtige sogar auf, zur Bartholomäus-Kapelle zu kommen, um sich von dem Argwohn zu reinigen, gleichsam mit Hilfe eines Teufels- statt eines Gottesurteils. Zu Löpers Freude fanden seine Maßnahmen auch bei den konfessionellen Gegnern Beachtung. Am 16. Juli standen unter den Zuschauern in der Kapelle drei Lutheraner, die in dem rein katholischen Paderborn zu Besuch waren. Sie erklärten gegenüber einem Mitarbeiter Löpers, Exorzismen seien heidnisches Blendwerk, und wollten erfahren, ob der angebliche Teufel wisse, wie viele Lutheraner anwesend seien. Löper ließ sich darauf ein. Er befahl den Dämonen, die Lutheraner zu suchen. Sofort stürzte eine der Besessenen auf denjenigen, der in der Nähe des Altars stand, riss an seinen Haaren, schlug bzw. trat ihn mit Händen und Füßen und entwand ihm einen Schuhriemen, den sie im Triumph wie eine Beute davontrug – unter dem Beifall der Dämonen der anderen sechs Besessenen. Einer der Evangelischen gab sich mit diesem Beweis nicht zufrieden, sondern wagte es, wie Löper und zugleich mit ihm seinen Daumen auf den Mund des Besessenen zu legen und dabei zu sagen: „Dies kann ich im Namen Jesu.“8 Der Teufel ließ sich nicht beeindrucken, sondern schlug und bespuckte ihn, obwohl er einen Degen trug. Löper betonte in seinem Bericht über diese Begebenheit, er habe den Lutheraner mehrfach aufgefordert, doch zu versu-

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chen, seinen Daumen nicht im Namen der römisch-katholischen Kirche, sondern Luthers auf den Besessenen zu drücken. Das habe er aber, bleich werdend, abgelehnt. Ereignisse wie diese schienen dem Jesuiten der beste Beweis für seine These zu sein, das wahre Priestertum der Katholiken gegenüber den lutherischen „Prädikanten“ zeige sich auch an der Fähigkeit, Teufel auszutreiben. Im Spätsommer 1656 stagnierten die Exorzismen. Löper war es nicht gelungen, die ca. sieben besessenen Mädchen dauerhaft von ihren Dämonen zu befreien. Schlimmer noch – die im Mai als geheilt bezeichnete Katharina Maneken erlitt einen Rückfall und wurde wiederum von ihrem Teufel geplagt. Etwa Anfang September unterbrach Löper die Exorzismen für eine Weile. Die Mädchen kehrten nach Brakel zurück. Dies verschärfte nur noch die Situation. Die Besessenen wurden immer gewalttätiger. Zum Beispiel warfen am 8. September drei von ihnen einem Ehepaar die Fensterscheiben ein. Die Ehefrau war wahrscheinlich eine Schwester der inhaftierten Katharina Meier. Auf jeden Fall galt die Angegriffene den Mädchen als eine Hexe, die an ihrem Unglück mitschuldig sei. Der HexereiVorwurf ging also langsam über die Gruppe der drei zuerst benannten, Möhring, seine Magd, Pater Aegidius, hinaus. Auch der Ratsherr und Stadtkämmerer Ferdinand Duffhuß, seine Frau sowie eine bei ihnen wohnende Verwandte wurden – zum Teil schon während der Exorzismen in Paderborn – Gegenstand entsprechender Behauptungen der Mädchen. Löper wurde erneut aktiv. Die Unruhen in Brakel bewirkten, dass er dort Mitte Oktober seine Exorzismen wieder aufnahm – diesmal mit ausdrücklicher Erlaubnis des Bischofs. Bei seiner Ankunft im Pfarrhaus erwarteten ihn bereits die Besessenen. Sie empfingen den Exorzisten mit furchterregenden Anfällen: Einige schleuderten sich gegen die Wände, andere wälzten

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Die Stadt Brakel, in der Mitte die Pfarrkirche, links das Kapuziner-Kloster (Gemälde von Carl Fabritius, 1665, Erzbischöfliche Theologische Fakultät, Paderborn).

sich so heftig auf dem Boden, dass sie bluteten, wiederum andere versteckten sich zwischen den Beinen der zahlreich erschienenen Zuschauer. Am Morgen des 16. Oktober begann Löper in der Pfarrkirche St. Michael mit den Exorzismen. Als erste war Klara Fincken an der Reihe, die weiterhin von einem stummen Geist gequält wurde. Das Protokoll des Vorgangs gibt Löpers Fragen in der indirekten Rede sowie die gestischen Antworten des Mädchens wieder. Der für den Fortgang der gesamten Verfahren wichtige Dialog zu den Ursachen ihres Leidens ist hier wörtlich, in Übersetzung aus dem Lateinischen wiedergegeben:9 Löper: fragt, ob er durch einen Fluch in den Körper

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gelangt sei. Teufel: verneint L.: Durch Zauberei?

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T.: bejaht durch Ausstrecken der rechten Hand. L.: Wer ihn denn in dem Körper festhalte? T.: weist mit der Rechten nach Westen. L.: Ob er den Körper verlassen müsse? T.: bejaht durch Kopfnicken und Heben der rechten Hand. L.: Wann er ihn verlassen müsse? Und wo?

]

T.: weist nach Westen.

Westen – das bedeutete in die Richtung von Schloss Neuhaus, ca. 35 Kilometer westlich von Brakel gelegen, wo Katharina Meier inhaftiert war. Erst wenn sie hingerichtet oder wenigstens ihr Pakt mit dem Teufel vernichtet sei, werde dieser seine Gewalt über sein Opfer verlieren. So lautete das Ergebnis des Exorzismus. Und genauso endete noch am selben Tag das Verfahren mit Klaras Halbschwester Katharina Maneken.

Wachsende Unruhen

Löper musste also, wie schon einige Wochen zuvor in Paderborn, erfahren, dass er mit seinen Exorzismen auf der Stelle trat. Am 18. Oktober schrieb er an Bischof Dietrich Adolf, er habe „hier [im Stift Paderborn] und anderswo 28 Teufel mit Hilfe der heiligen Beschwörungen der römischen Kirche […] niedergeschmettert, was ich aber gegen diese Dämonen versuche, scheint vergebens zu sein, wenn nicht andere Mittel angewandt werden.“ Als solches Mittel schlug er vor, dass Katharina Meier „wegen ihrer Verstellung scharf verhört werde“.10 „Scharfes Verhör“ bedeutete Folter. Dass Löper tatsächlich in der Strafjustiz das Heil sah, zeigt sein nächstes Schreiben an den Bischof, das er schon einen Tag später folgen ließ – im Ton noch aufgeregter als das erste, denn er musste mit der jungen Margarete Eickernkötter einen neuen

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Fall von Besessenheit, den elften, melden. Der Jesuit ließ durchblicken, dass es noch viel schlimmer werden könnte: „Feuer ist unter der Asche verborgen […] Ich fürchte einen großen Brand […] Mein Urteil lautet, dass die Höllenhunde nicht eher Ruhe geben werden, als die Justiz einschreitet.“11 Im Übrigen nahm Löper die Eltern der Mädchen in Schutz. Wenn schon ihm es kaum gelungen sei, sie zu bändigen, dann könne man den Verwandten erst recht keinen Vorwurf machen. Er beklagte, es gebe in Brakel einige, die die Mädchen nicht für besessen hielten und ganz andere Maßnahmen als er selbst im Auge hätten. Ihnen (und dem Bischof, der Ähnliches zumindest in Erwägung zog) hielt der Exorzist entgegen: „Den Bedrängten darf nicht neue Bedrängnis zugefügt werden.“ Der Bischof und seine Räte reagierten nicht auf die gleichlautenden Wünsche Löpers und der Stadt Brakel. Katharina blieb zwar weiterhin in Haft, ein förmliches Verfahren kam aber nicht in Gang. Stattdessen versuchte man, die Streitigkeiten in Brakel zwischen den Besessenen bzw. ihren Vätern und den von ihnen Diffamierten durch eine gerichtliche Untersuchung in Paderborn zu beenden. Das blieb auf die Dauer ebenso wirkungslos wie die neue Serie von Exorzismen, die Löper Mitte November, erneut in Paderborn, begann. Die Ereignisse vom Sommer wiederholten sich. Anfang Dezember wurde eine Grabungsaktion in Brakel unternommen, um den „Pott“ mit den magischen Zeichen zu finden, wieder ohne Erfolg, was – wie gehabt – Katharina Meiers Schwester, der „Hexe“, angelastet wurde. Da der Landesherr immer noch keine Verfolgung in Gang setzte, kam nun erstmals öffentliche Kritik gegen ihn auf. Als Mitte Dezember in Brakel angekündigt wurde, die Besessenen könnten zum bevorstehenden Weihnachtsfest in ihre Heimatstadt zurückkehren, nahmen Angst und Unmut zu. Die Besessenen und ihre Angehörigen wurden immer rabiater. Am 28. De-

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zember, dem Fest der unschuldigen Kinder (zur Erinnerung an den Kindermord von Bethlehem), herrschte traditionsgemäß in einer katholischen Gegend wie Brakel bei Kindern und Jugendlichen eine ausgelassene Stimmung. Da kam es zu einem Zwischenfall. Zwei der Mädchen riefen, wie der Stadtrat entrüstet nach Paderborn berichtete, „als sie sich drunken gesoffen gehabt, bereits die ganze Straße um den Markt vor lauter Hexen aus“ und sagten „öffentlich und ungeniert“, dass „allda kein einziger frommer [= anständiger] Mensch wohnte“.12 Um den Marktplatz und das Rathaus lagen die Häuser reicher, ratsfähiger Bürger, u. a. des Kämmerers Ferdinand Duffhuß, von Valentin Düker sowie dem Gografen Wilhelm Ludovici. Dass die am Markt wohnende Prominenz sich pauschal als Hexen diffamiert sah, zeigt, wie das Problem der Brakeler Besessenen zunehmend mit Spannungen innerhalb der Schichten der Bürgerschaft verwoben wurde. Die Verzweiflung angesichts der unveränderten Besessenheit der Mädchen und zugleich die Bereitschaft zur Gewalt sprechen noch stärker aus einer Äußerung von Stoffel Maneken, dem einflussreichsten und lautstärksten der Väter besessener Mädchen. Als nach Weihnachten die Exorzismen fortgesetzt wurden, verstieg er sich bei einem Besuch seiner Töchter in Paderborn in Gegenwart eines hohen Geistlichen und eines Bürgers zu der Drohung, „da es innerhalb wenig Tagen mit ihren Kindern sich nicht ändern würde, wollten sie dieselben wieder anhero [nach Brakel] bringen und nach ihrem Gefallen wüten lassen, und würde Mord und Totschlag daraus entstehen“.13 Der Brakeler Stadtrat, der auch dies am 18. Januar empört an Bischof Dietrich Adolf meldete, bat den Landesherrn zugleich, Manekens „Frevelmut und Vorsätzlichkeit“ gebührend zu bestrafen. Dieser Antrag ist nicht sensationell. Er entsprang der Pflicht der Stadtväter, für die Erhaltung der öffentlichen Si-

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cherheit zu sorgen und dabei notfalls das Einschreiten der höheren Obrigkeit zu veranlassen. Der Brief geht aber weiter. Zusätzlich wurde darum ersucht, „gegen die inhaftierte Person auch, da sie der beschuldigten Hexerei überzeuget […] die heilsame Justiz ergehen zu lassen“. Auch dies, der Antrag, Möhrings Magd Katharina wegen Hexerei anzuklagen, kann nicht überraschen, sondern stellt eine Wiederholung eines früheren Beschlusses dar. Eine völlig neue Dimension eröffnete sich aber mit dem zusätzlichen Antrag, „nicht allein“ gegen Katharina Meier, „sondern auch gegen ihre Komplizen, wenn dadurch die armen besessenen Kinder könnten erlöset werden, die heilsame Justiz ergehen zu lassen, damit also die Schuldigen leiden, die Unschuldigen aber sich zu erfreuen haben“.

Angesehene Bürger als Hexenmeister?

Zu den „Komplizen“ gehörten neben den Kapuzinern und einigen einfachen Bürgern der Bürgermeister Heinrich Möhring und der Stadtkämmerer Ferdinand Duffhuß! Eine Mehrheit ihrer Kollegen denunzierte sie also – leicht verklausuliert – beim Landesherrn als Hexenmeister und verlangte ihre Bestrafung – was nur Hinrichtung bedeuten konnte. Zwischen Oktober und Januar muss sich demnach in dem zwölfköpfigen Ratskollegium ein „Erdrutsch“ ereignet haben, der dem ersten und dem dritten Mann das Vertrauen der meisten anderen entzog, so dass diese bereit waren, ihre eigenen Kollegen ans Messer zu liefern, genauer gesagt: auf den Scheiterhaufen zu bringen. Als treibende Kraft der Polarisierung stellte sich dabei der Zweite Bürgermeister Konrad Düweken heraus. Als am 1. Februar turnusgemäß der Rat nach einjähriger Amtszeit durch einen neuen ersetzt wurde, übergab die Bürgerschaft eine Bittschrift, adressiert an den Bischof. Dieses Mal lieferten nicht der

Angesehene Bürger als Hexenmeister?

Stadtschreiber oder irgendwelche Boten sie in Schloss Neuhaus ab, sondern eine hochrangige Ratsdelegation machte sich auf den Weg: der Alt-Bürgermeister Konrad Düweken und sein Vetter, der neue Kämmerer Hermann Wrien, ferner weitere Bürger, unter ihnen Väter besessener Mädchen. In Paderborn waren Löpers Exorzismen inzwischen in vollem Gang. Die 15-jährige Margarete Baken belastete am 4. Februar besonders die Familie Duffhuß, bei der sie als Magd in Diensten gewesen war. Die Besessenen hatten Herrn Duffhuß den Schimpfnamen Piperlips gegeben, seine Frau hieß bei ihnen Morenholk. Auf Löpers Frage an den Teufel, wie er in Margarete Baken eingedrungen sei, antwortete dieser: „Durch Morenholks Tante, die alte Wiedemeyersche.“ Löper: „Wie ist das geschehen?“ Antwort: „Mit Hilfe von Milch.“ Frage: „Wirst du sie [Margarete] in Ruhe lassen?“ Antwort: „Wenn Morenholk, Piperlips und die alte Wiedemeyersche verbrannt sind.“14 Als am 7. Februar Klara Fincken exorzisiert wurde, war die Delegation aus Brakel zugegen. Bisher hatte immer ein stummer Geist das Mädchen gequält, der sich nur durch Zeichen verständlich machte. Doch plötzlich, in Anwesenheit der vielen Brakeler, fing der Teufel an zu sprechen und erklärte dies so: „Katharina [Meier, die „Hexe“] hat nicht wollen haben, dass ich sollte reden, heut’ habe ich vom obersten Teufel Urlaub [= Erlaubnis] bekommen zu sprechen.“ Und auf die übliche Frage, wann er aufhören werde, Klara zu quälen, kam die Antwort: „Ich muss ausweichen, wenn meine Königin, die Katharina, verbrannt wird, das will Gott haben.“15 Der Teufel klagte noch weitere Männer und Frauen als Hexen und Zauberer an; deren Namen tilgte Löper in seinem für eine Veröffentlichung gedachten Bericht, doch dürften Möhring, Pater Aegidius und wohl auch Duffhuß gemeint gewesen sein. Im weiteren Verlauf dieses Tages spielten sich, mitten auf

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den Straßen Paderborns, schwere tobsuchtartige Anfälle ab. Auf dem Rückweg von der Bartholomäus-Kapelle in ihr Quartier diffamierten die Mädchen, namentlich Klara Fincken, öffentlich Möhring und den Kapuziner-Guardian. Einige Besessene warfen sich auf das Straßenpflaster, andere auf Misthaufen, zwei zerstörten einer Witwe die Fenster. Weit reichende Folgen hatten die Ereignisse des nächsten Tages, des 8. Februar. Im Zusammenspiel zwischen Löper und Alt-Bürgermeister Konrad Düweken nahm eine Intrige ihren Lauf, die für Möhring und besonders für Duffhuß katastrophale Folgen hatte. An diesem Tag „wütete der Teufel“ vor allem in Klara Fincken und Katharina Maneken. Löpers Exorzismen in der Bartholomäus-Kapelle brachten keine Beruhigung, sondern die schon bekannten Anklagen gegen die aus der Sicht der Mädchen Hauptschuldigen in Brakel: den Kapuziner-Guardian, Möhring, Duffhuß und Katharina Meier. Neu war, dass die Brakeler über diese Aussagen eine Bescheinigung erhielten, unterschrieben und besiegelt von Löper und zwei vertrauenswürdigen Zeugen. Löper fertigte das Schreiben noch in der Kapelle aus und gab es einem gerade anwesenden Mitglied der Brakeler Kommission und Vater eines besessenen Mädchens, der es Düweken und dem amtierenden Stadtkämmerer Hermann Wrien überbrachte. Möhring und Duffhuß gehörten zwar dem Rat des vergangenen Jahres an, dieser wurde aber bei wichtigen Entscheidungen von den amtierenden Ratsherren hinzugezogen. Im Übrigen war es Brauch, dass die Ratsherren des letzten Jahres im übernächsten Jahr wiedergewählt wurden, so dass sie tatsächlich jedes zweite Jahr im Amt waren. Nur bei schweren Vergehen wurden sie nicht erneut berufen oder sogar aus dem Amt gejagt. Genau das widerfuhr Möhring und Duffhuß am 10. Februar unter tumultartigen Umständen.

Angesehene Bürger als Hexenmeister?

Folterung einer Angeklagten in Mellingen (Aargau) 1587 durch Aufziehen des Körpers an den auf dem Rücken gefesselten Armen. , auf der Bank sitzend, erwartet das gleiche Schicksal. Ihre Tochter T Diese und die Abbildungen auf den Seiten 61, 67 und 134 sind einer Chronik des evangelisch-reformierten Predigers Johann Jakob Wick (1522–1588) in Zürich entnommen.

Düweken kehrte mit Löpers Protokoll in der Tasche in seine Heimatstadt zurück. Dort mobilisierte er die Bürgerschaft. Während er sich selbst dabei geschickt im Hintergrund hielt, übernahmen für ihn vier Bürger diese Aufgabe: unter ihnen Stoffel Maneken und ein weiterer Vater eines besessenen Mädchens. Sie beriefen mit dem üblichen Glockenschlag eine Bürgerversammlung vor das Rathaus und ließen von dem des Lesens kundigen Küster und Schulmeister Thonies Focken, der, um besser gehört zu werden, auf einen Tisch stieg, Löpers Text mit den massiven Hexerei-Beschuldigungen gegen Möhring und Duffhuß verkünden. Jetzt hatte man es schwarz auf weiß. Genau genommen waren zwar nur die Behauptungen der Mädchen (der „Teufel“ in ihnen) aufgeschrieben worden, doch infolge Löpers Lehre und seiner Unterschrift mussten viele glau-

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ben, diese Aussagen entsprächen der Wahrheit, die genannten seien wirklich Hexenmeister. Die Wirkung war abzusehen: Die empörte Bürgerschaft stürmte das Rathaus, indem man von außen, über Leitern, in den Sitzungssaal des Rates eindrang. Zu ihrem Glück wurden Möhring und Duffhuß nicht angetroffen, stattdessen warf man die Sitzkissen von ihren Ratssesseln aus dem Fenster – ein symbolischer Akt, der zeigte, dass sie für abgesetzt erklärt wurden. Immerhin vergriff man sich nicht direkt an Möhring, Duffhuß und dem Kapuziner, die weiterhin in Brakel wohnten. Alt-Bürgermeister Düweken, der Drahtzieher der Aktion, war sich darüber im Klaren, dass seine beiden aus dem Amt gejagten Ratskollegen diese Demütigung nicht hinnehmen, sondern sich schutzsuchend an den Landesherrn wenden würden. Um dem rechtzeitig etwas entgegenzusetzen, schrieb Düweken am 20. Februar an die bischöflichen Räte. Er verteidigte darin die Absetzung der beiden Ratsmitglieder und bat die Behörde darum, dies zu bestätigen. Merkwürdig ist dabei Düwekens Argumentation. Wichtiger als der Hinweis auf die belastenden Aussagen der Besessenen, die für die Empfänger längst bekannt gewesen sein dürften, war eine Überlegung, die dem Hexereivorwurf eine neue Grundlage gab. Düweken wies darauf hin, bei der im Jahr zuvor in Brakels Nachbarstadt Höxter in Gang gekommenen Hexenverfolgung seien Möhring und seine Magd von angeklagten und später hingerichteten Hexen „besagt“, d. h. als Mittäter angegeben worden. Diese Information konnte erfolgversprechender sein als die Aussagen der Mädchen, denn, wie in Brakel hinreichend bekannt und beklagt, weigerten sich der Bischof und seine Räte, den Besessenen zu glauben. Besagungen durch aussagebereite Hexen waren dagegen in den Augen vieler deutscher Juristen des 17. Jahrhunderts ein hinreichendes Indiz,

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einen Verdächtigen zu verhaften, zu foltern und so ein „Geständnis“ zu erpressen, dem unweigerlich das Todesurteil folgte. Das galt sogar für bisher unbescholtene Personen in höheren Positionen, wie etwa Möhring, und auch der geistliche Status eines Kapuziner-Paters konnte diesen nicht unbedingt vor einem Hexenprozess bewahren. Die bischöflichen Räte reagierten unverzüglich. Sie schrieben am 21. Februar an den Magistrat der Stadt Höxter. Dessen Antwort war negativ: Im März 1655 hatte zwar ein Angeklagter verschiedene Personen besagt, darunter aber nur zwei mit Namen; diese wohnten in Höxter. Dementsprechend erhielt Düweken von den bischöflichen Räten einen abschlägigen Bescheid.

Hexenprozesse als Ausweg?

Damit waren Heinrich Möhring und Katharina Meier fürs erste gerettet. Aber der Landesherr, Bischof Dietrich Adolf, blieb unter Druck, etwas Wirksames gegen die Besessenenplage zu unternehmen. Seine bisherige Passivität erklärte sich aus Unsicherheiten in der theologischen Beurteilung der Fälle. Einerseits war er sich nicht im Klaren, ob die Mädchen wirklich von Dämonen gequält wurden oder ob sie dies nur simulierten, wie die Kapuziner meinten. Andererseits stellte sich selbst bei echter Besessenheit die Frage, ob den Beteuerungen der Dämonen, sie seien durch bestimmte Personen in ihre Opfer hineingehext worden, zu glauben war. Gleiches galt für ihre Behauptung, sie würden nur durch die Hinrichtung der Hexen und Zauberer ihre Gewalt über die Mädchen verlieren. Konnte man dem Satan, dem Vater der Lügen, Glauben schenken? Bischof Dietrich Adolf war so gewissenhaft, dass er in dieser diffizilen dogmatischen Frage von mehreren kompetenten Stellen Gutachten einholte. Dabei überging er die Theologen,

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die buchstäblich am nächsten lagen: die Professoren der Paderborner Universität, denn hier war ja Löper selbst tätig. Stattdessen bemühte der Bischof die Universität Köln. Ihre Auskunft ist zwar nicht im Wortlaut überliefert, aber soviel erkennbar ist, verneinten die Theologen die Frage, ob den Aussagen von Dämonen während des Exorzismus zu glauben sei. Diese kritische Einstellung passt zu dem wenigen, was über die Haltung der Kölner Theologen-Fakultät zu den Hexenprozessen des 17. Jahrhunderts bekannt ist. Bereits 1620 hatte sie den Standpunkt vertreten: „Es ist nicht Brauch der Kirche, den Teufel zu zwingen, einen Mitschuldigen in einem verborgenen Verbrechen anzugeben; dies darf nicht geschehen.“16 Bischof Dietrich Adolf begnügte sich nicht mit dem Kölner Exorzismus-Gutachten, sondern er wandte sich anschließend, um den Jahreswechsel 1656/57, an die höchste Autorität der katholischen Kirche, an den Papst und das Heilige Offizium in Rom. Damit begann zwischen Paderborn und Rom eine über Monate sich erstreckende Korrespondenz zum Thema Exorzismus und zu der Frage, ob Hexenverfolgungen aufgrund der Aussagen von Besessenen zu rechtfertigen seien. Exemplarisch lässt sich hier die Haltung der Führungsspitze der katholischen Kirche zu diesen Problemen nachvollziehen. Die Verbindung zwischen Paderborn und Rom lief auf zwei Schienen. Zum einen hatte der Bischof einen „Agenten“ am Tiber, einen römischen Adligen, der sich an der päpstlichen Kurie auskannte. Noch vorteilhafter war es, dass Ferdinand von Fürstenberg als Kämmerer und Vertrauter Papst Alexanders VII. täglichen, direkten Zugang zum Oberhaupt der katholischen Kirche hatte. Im Januar 1657 traten beide an das Heilige Offizium heran und baten es um eine Stellungnahme zu dem Gutachten der Kölner Theologenfakultät. Die Kardinäle verwiesen sie an einen Exorzismus-Experten, einen Dominikaner-

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pater. Dieser nahm sich einige Tage Zeit, die Paderborner Akten zu studieren, und gab dann ein Gutachten ab. Untermauert durch die breite Erzählung eines Falls teuflischer Besessenheit, den er selbst behandelt hatte, warnte er vor einer leichtfertigen Anwendung des Exorzismus. Die Versuche der angeblichen „Dämonen“, mit dem Exorzisten Kontakt aufzunehmen und ihn gegen die vermeintlichen Hexen einzuspannen, seien energisch zurückzuweisen. Stattdessen müsse der Geistliche die sichere Zuversicht ausstrahlen, er werde die Teufel austreiben, habe dies aber an die Bedingung zu knüpfen, die „Patienten“ müssten hierbei mithelfen und den festen Willen haben, die Plage loszuwerden. Die Besessenen erscheinen hier nicht als bloße Opfer finsterer Mächte, sondern ihnen wird die Kraft und der Wille zugetraut, sich dem Bösen zu widersetzen. Dabei halfen das Beichtgespräch, die Predigten sowie das Vertrauen auf die Sakramente der Kirche und die Fürsprache der Heiligen, insbesondere Marias. Dietrich Adolf war bereit, in diesem Sinne das Problem der Paderborner Besessenen anzugehen. Zunächst einmal sollten die Teufelaustreibungen nicht mehr in aller Öffentlichkeit vollzogen und überhaupt die Besessenen einer seelsorgerischen Betreuung in einer ruhigen, abgeschirmten Atmosphäre zugeführt werden. Dazu ordnete der Bischof an, die – bisher bei Paderborner Bürgern wohnenden – Mädchen aus Brakel in ein Hospital einzuweisen. Für die Unterbringung, Verpflegung und Beaufsichtigung wollte er Mittel und Kräfte bereitstellen. Die Exorzismen sollten in der zum Hospital gehörenden Kapelle abgehalten werden. Damit entsprach der Bischof Wünschen des Domkapitels. Es hatte sich nämlich beschwert, dass im Dom die Ruhe und Ordnung gestört sei, seitdem sowohl die Besessenen wie die Zuschauer auf dem Weg zu den Exorzismen in der Bartholomäus-Kapelle immer wieder den Dom durchquerten.

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Der Sinn der bischöflichen Anordnung liegt auf der Hand. Die Isolierung der Mädchen sollte ihre Angriffe gegen Dritte unterbinden, die öffentliche Aufregung sollte gedämpft werden, und in einem Klima der Ruhe konnte man an die Therapie im Sinne der römischen Empfehlungen gehen. Löper wehrte sich dagegen heftig. Er hielt dem Bischof entgegen, das Laurentius-Hospital sei zur Abhaltung von Exorzismen nicht geeignet, und setzte sie stattdessen in gewohnter Weise in der Bartholomäus-Kapelle fort. Dietrich Adolf hielt an der Anordnung fest. Als er sah, dass mit Löper eine Zusammenarbeit unmöglich war, begann er sich nach geeigneten Priestern umzusehen, die fortan in seinem Sinne die Mädchen seelsorgerisch betreuen sollten. Ein letzter Versuch, zu einer einvernehmlichen Lösung mit Löper zu kommen, war sein Vorschlag, der Jesuit möge sich für die Exorzismen eine der städtischen Pfarrkirchen auswählen, in der an Werktagen relativ wenige Besucher seien. Löper wies auch dies zurück, so dass der Bischof von ihm den Eindruck bekam, er sei eher bereit, sein Exorzisten-Amt niederzulegen, als unter den neuen Bedingungen weiterzuarbeiten. Auch die Besessenen gingen nicht auf die Wünsche Dietrich Adolfs ein. Während der Exorzismen schrien sie, eher wollten sie nach Brakel zurückkehren, als dass sie daran dächten, in das Hospital einzuziehen und das Umherschweifen auf den Straßen aufzugeben. Wohl schon früher hatte ihnen der Bischof ein anderes, großzügiges Angebot gemacht. In der Hoffnung auf eine Rettung durch ein Wunder wollte er ihnen die Reise zu einem berühmten Wallfahrtsort bezahlen, entweder nach dem Kloster Sankt Hubert in den Ardennen oder nach Scherpenheuvel in Brabant, zwei alten Pilgerzielen, oder drittens nach Kevelaer am Niederrhein, wo seit 1642 ein wundertätiges Marienbild verehrt wurde. Die Mädchen lehnten dankend ab. Die weite Reise sei zu beschwerlich. In ihren Augen

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Verbrennung von Hexen in Waldsee (Oberschwaben) 1587.

gab es nur einen Ausweg: Dass die Hexen endlich auf die Scheiterhaufen kamen. Die Besessenen fanden nun nicht mehr nur in Brakel Hexen, sondern auch in Paderborn. Am Beginn der Fastenzeit 1657 starb dort ein junger Mann. Noch auf dem Sterbebett beschuldigte er eine Bürgerin, sie habe ihn mit einem Trunk Wein vergiftet. Für die Besessenen bestand daran kein Zweifel. Sie bezichtigten sie öffentlich der Hexerei und beschädigten ihr Haus. Die Schwester der Bürgerin zog sich den gleichen Vorwurf zu. Die Brakelerin Margarete Baken behauptete, so stellte es jedenfalls Löper später dar, am Gründonnerstag (29. März) werde die Besessenheit auch auf Einwohner Paderborns übergreifen. Am Abend dieses Tages wurde Löper aus dem Jesuitenkloster in ein benachbartes Haus gerufen. Vor und in dem Haus hatten sich viele Menschen versammelt. Der Teufel war in den

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Domgeistlichen Johann Reuter gefahren. Erstmals war also ein Kleriker befallen! Fünf Männer aus der Nachbarschaft konnten den Rasenden kaum bändigen. Nach einer kurzen Beschwörung äußerte sich der Dämon in lateinischer Sprache: „In diesem Monat März bin ich durch die Berührung der Frau NN. eingefahren; ich bin da, um die Wahrheit zu offenbaren; du bist Staub, ich bin ein Geist; verflucht sei Gott, gepriesen sei der Teufel!“17 Löper zwang ihn aber – nach seiner Darstellung – zum Widerruf der Gotteslästerung. An den nächsten Tagen nahm er die Exorzismen in der Bartholomäus-Kapelle vor. Der Teufel antwortete auf Griechisch, Lateinisch und Französisch und belastete dabei zwei Paderborner Frauen, Schwestern, die Klünersche und die Kohlblätsche. Die Fremdsprachenkenntnisse überraschten wohl nicht einmal Löper sonderlich, denn sie waren für einen damaligen Akademiker normal. Im Übrigen hatte Reuter in den Monaten zuvor als Augenzeuge Erfahrungen mit den Exorzismen des Jesuiten gesammelt. Löpers Bemühungen hatten bei Reuter ebensowenig Erfolg wie bei den Mädchen. Im Unterschied zu diesen nahm der Geistliche aber das Angebot des Bischofs an und pilgerte nach St. Hubert in den Ardennen, von wo er nach einiger Zeit geheilt zurückkehrte. Löpers Exorzismus an Reuter Anfang April 1657 war seine letzte spektakuläre Teufelsaustreibung in der Öffentlichkeit. Angesichts des Widerstands des Bischofs entschloss er sich, von seinem Exorzisten-Amt zurückzutreten. Damit folgte er auch einer Anordnung des päpstlichen Nuntius in Köln. Mit dem Rücktritt Löpers hätten nun entsprechend den römischen Anweisungen erfahrene Seelsorger wie die Brüder des Franziskanerordens, die der Bischof aus Münster nach Paderborn holte, sich der Besessenen annehmen und die Situation beruhigen sollen.

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Ein Skandal

Tatsächlich nahmen die Ereignisse einen anderen Verlauf. Binnen Jahresfrist wurden im Hochstift Paderborn mehrere Dutzend Personen wegen Hexerei angeklagt und hingerichtet. Diese in Anbetracht der Haltung Roms gegenüber dem Hexenwahn unerwartete Entwicklung ist auf einen taktischen Kniff Pater Löpers zurückzuführen, auf die Art und Weise, wie er seinen Rücktritt gestaltete. Am 28. April 1657 tagte in Paderborn, in der bischöflichen Kanzlei unweit des Doms, das Ständeparlament des Hochstifts, der Landtag. Er bestand aus drei Abteilungen (Kurien), dem Domkapitel mit seinen 24 adligen Mitgliedern, den im Lande ansässigen Adligen sowie den Bürgermeistern als den Vertretern ihrer Städte. Da das Fürstbistum wie alle geistlichen Herrschaften im Reich nicht absolutistisch regiert wurde, hatten die Stände ein Mitspracherecht in der Landespolitik, besonders bei der Festlegung und Verwendung der Landessteuern. Einberufen wurden sie vom Landesherrn. Bischof Dietrich Adolf nahm persönlich an der Sitzung teil. Im Vorfeld war die Brakeler Delegation von ihrem Stadtrat verpflichtet worden, das Besessenenproblem zur Sprache zu bringen. Da die mehrfachen Petitionen an den Landesherrn ungehört geblieben waren, sollte jetzt mit Hilfe der drei Landstände mehr Druck auf den Bischof ausgeübt werden. Doch hätte diese Pression Dietrich Adolf wahrscheinlich kaum zu einer Abkehr von seiner bisherigen Zurückhaltung bewogen. Dies erreicht zu haben, war das „Verdienst“ Löpers. Er mobilisierte die „Straße“. Der Exorzist ließ seine „Schäfchen“ zu der alten Stätte seines Wirkens, der Bartholomäus-Kapelle kommen. Zwölf fanden sich ein. Die Brakeler unter ihnen scheinen eigens zu diesem Anlass aus ihrer Heimatstadt nach Paderborn geholt worden zu

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sein. In seiner Abschiedsrede teilte er ihnen mit, das Domkapitel habe die weitere Benutzung der Kapelle untersagt, daher könne er ihnen seine Hilfe nicht mehr zukommen lassen, nur noch privat – also nicht mehr wie bisher in aller Öffentlichkeit und mit der Autorität des approbierten Exorzisten – werde er jedem, der sich an ihn wende, gerne jegliche Barmherzigkeit erweisen. Und jetzt das Entscheidende: Wenn sie einen besseren Rat wollten, so verweise er sie an höhere Stelle. Wer mit dieser höheren Stelle gemeint war, brauchte Löper nicht zu erklären. Sofort verließen die Besessenen die Kapelle und liefen zur Kanzlei, gefolgt von einer so großen Menschenmenge, dass der weite Kanzleihof sie gerade fassen konnte. Dort, unter den Augen des Bischofs, seiner obersten Beamten und der Stände, also der politischen und gesellschaftlichen Führungsschicht des Hochstifts, bekamen die Besessenen wieder ihre tobsuchtartigen Anfälle. Dabei schrien sie Dietrich Adolf und seinen Beamten ins Gesicht, sie zeigten bei der notwendigen Hexenverfolgung nicht den gebührenden Eifer, sie seien träge. Der Vorwurf stand im Raum: Der Bischof ist ein Hexen-Anwalt. Der Vorwurf und die Form, wie er vorgetragen wurde, unter den Augen des herbeigeeilten Volkes, war ein Skandal erster Ordnung. So hatte noch niemand mit einem Bischof von Paderborn, einem Reichsfürsten, gesprochen. Die tumultartigen Zustände grenzten an Aufruhr, an Rebellion. Die Mädchen konnte der Bischof nicht verantwortlich machen, denn es schien ja so, als sprächen das alles nur die Teufel aus ihnen. Bischof Dietrich Adolf bezweifelte das zwar, aber unabhängig von dieser Frage war klar, dass Löper derjenige war, der durch die Umstände seines Rücktritts die Reaktion seiner Schützlinge provoziert hatte. Der Jesuit hatte damit einen Stein ins Rollen gebracht, der sich in den nächsten Tagen zu einer Lawine ausweitete. Die Brakeler Besessenen kehrten zwar bis auf drei in ihre Heimatstadt

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zurück, aber sie wurden mehr als ersetzt durch die sich explosionsartig vermehrenden Besessenheitsfälle in Paderborn und wenig später im gesamten Hochstift: Zwei Wochen nach dem Skandal zählte man in Paderborn schon 30, ebenso viele in Brakel, und Ende Juni/Anfang Juli war ihre Zahl in der Paderstadt auf 150 und im übrigen Hochstift auf 100 angewachsen. An der Universität der Jesuiten in Paderborn fing das Unwesen am 3. Mai an, als der Dämon in einem Studenten zu toben begann. Der junge Mann stammte aus dem Städtchen Brilon im Sauerland, ca. 40 Kilometer südlich von Paderborn. Sofort beschloss der dortige Stadtrat, alle Schüler und Studenten in die Heimat zurückzurufen. Wer sich weigerte, dem drohte man, ihm werde die Rückkehr versagt, wenn er ebenfalls besessen würde, und schon am 4. Mai wurden sie von Bürgern der Stadt zurückgeholt. Bis zum 13. Mai war die Zahl der besessenen Jesuiten-Zöglinge auf sechs angewachsen. Von den 869 Schülern und Studenten verließ bis zum 17. Mai mehr als die Hälfte fluchtartig das Gymnasium bzw. die Universität. Von den Übriggebliebenen wurden bis Mitte Juli weitere acht besessen. Bei ihnen konnte Löper weiterhin seine Exorzismen vornehmen, gewissermaßen „privat“, auf dem Universitäts- und Klostergelände, in der Libori-Kapelle. Ein 13-jähriger Gymnasiast aus Paderborn wurde am 8. Mai besessen, als er nach dem Empfang der Kommunion die Kirche verließ und vor der Kirchentür ein anscheinend verlorenes Taschentuch aufhob. Aufgrund eines sogleich vorgenommenen Exorzismus verschwand zwar der Dämon, kehrte aber am Nachmittag zurück, indem er schrie: „Die Hexen haben mich wieder eingetrieben. Ich bin ein Kaiser, die anderen Teufel müssen mir dienen. In diesen Jüngling bin ich durch ein Wischtuch, so er vor der Kirchentür gefunden und aufgenommen, eingefahren. Er ist unschuldig; Gott hat dies zugelassen, dass man

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sollte sehen, es wäre keine Maikrankheit; Gott will die Gerechtigkeit über die Hexen.“18 Dies war Löper aus der Seele gesprochen: Zweifler, die immer noch oder wieder in diesem Monat die Theorie von der Maioder Frühlingskrankheit vertraten, wurden ebenso angegriffen wie die anderen, die sich gegen eine Hexenverfolgung sperrten. Daher war diesem Exorzismus und den nachfolgenden, die Löper bis Ende Juli vornahm, auch kein dauerhafter Erfolg beschieden. Denn der Teufel, den der Jesuit austrieb, wurde durch einen neuen ersetzt, so am 22. Juni, als der betreffende Dämon während der Beschwörung sagte: „Ich bin ein anderer Teufel; der vorige ist wahrhaft ausgetrieben. Mein Name ist Dracon Magnus [großer Drache] oder Canil, mit dem Akzent auf der zweiten Silbe [wie der Teufel hinzufügte!]; in der Eselsgasse hat mich ein Bürger durch Anblasen in diese Person getrieben […]“ Am 22. Juli erlebte Löper mit dem Jungen etwas besonders Seltsames. Nach der Darstellung des Jesuiten hatte einer seiner Ordensbrüder den Weihwasserkessel mit ungeweihtem Leitungswasser gefüllt, was sonst niemand, nicht einmal Löper selbst, wusste. Dieser bat einen seiner Konfratres, den Besessenen mit dem vermeintlich geweihten Wasser zu besprengen. Was aber tut der schlaue Teufel? Zuerst lächelt er verschmitzt, dann legt er sein Gesicht in ernste Falten und spricht langsam die lateinischen Worte: „Et ne nos inducas in tentationem!“ (Und führe uns nicht in Versuchung). Darauf ruft er, das Wasser sei nicht geweiht, und bricht in helles Gelächter aus. Nunmehr werden die Vorbereitungen getroffen, das Wasser zu segnen. Da bricht der Teufel in lautes Lachen aus und um zu zeigen, dass das Wasser nicht geweiht ist, ergreift er den Weihwasserkessel, fährt mutwillig mit beiden Händen durch das Wasser, schlürft es, trinkt es, gießt es aus, bespeit es. Da aber zügelt der Exorzist den Übermut: Er zwingt den Teufel, wenn auch widerwillig den

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Hexensabbat (Gastmahl und Tanz von Hexen und Teufeln), Bereitung von Gift und Hexensalben (unten links), rechts Verbrennung von drei Hexen in der Nähe von Bern 1574.

Kessel ruhig zu halten, und betet aus dem Messbuch die übliche Weiheformel, während der Teufel ohne Unterlass heult und immer von neuem schreit: „Ich will tausendmal lieber ausfahren; ach! Wie brennt jetzt das Wasser! Wie heiß wird das Wasser!“ Nachdem der Exorzist das Wasser geweiht hatte, forderte er den Teufel auf, zu wiederholen, was er vorher getan hatte. Aber der Teufel entgegnete: „Lieber will ich ausfahren“, und sofort fuhr er aus. Darauf kam der Junge wieder zu Bewusstsein, wunderte sich, wo er stand, und wusste nichts von allem, was vorgefallen war. So weit die Schilderung Löpers. Der kritische Betrachter wird anmerken, dass das Zitieren der lateinischen Worte aus

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dem Vaterunser für einen damaligen Gymnasiasten der dritten Klasse keine besondere Leistung darstellte, ebensowenig wie die Kenntnisse von der richtigen Akzentsetzung lateinischer (oder lateinisch klingender) Wörter. Und wenn der heutige Leser nicht recht daran glauben will, dass dem Kind die wahre Qualität des Wassers unbekannt war, so wird er weiter folgern, dass ein aufgeweckter 13-jähriger nach einem Jahr Exorzismen auch schon von der Methode, ungeweihtes Wasser zur Unterscheidung echter und falscher Besessenheit zu benutzen, gehört haben dürfte. Vor den Klostertoren, auf den Straßen Paderborns ereigneten sich inzwischen Tragödien. Die Scharen von Besessenen waren nicht zu bändigen und wurden, schlimmer als vorher die Brakeler Mädchen, gegen die vermeintlichen Hexen und Zauberer aggressiv: Sie schlugen Fensterscheiben ein, bezichtigten Bürger und Fremde der Hexerei und kündigten an, ganz Paderborn werde in Asche gelegt, wenn nicht endlich die Hexen auf den Scheiterhaufen kämen. Zielscheibe der Aggression waren besonders die Kapuziner. Ende Mai wurde einer der Mönche durch einen Steinwurf schwer am Kopf verletzt. Fortan wagten sie sich nur noch mit geweihten Knüppeln auf die Straße.

Seelsorge statt Hexenverfolgung?

Dietrich Adolf von der Recke, der Landesfürst, war nicht mehr Herr der Lage, obwohl er mit dem Ausbrechen der Besessenheits-Lawine eine Fülle von Maßnahmen in Erwägung gezogen und zum Teil auch verwirklicht hatte: 1. Gebete, Prozessionen und ein besonderes Fasten, also die Anrufung Gottes um Hilfe, 2. verstärkte seelsorgerische Bemühungen,

Seelsorge statt Hexenverfolgung?

3. polizeiliche Maßnahmen gegen die gemeingefährlichen Besessenen. Für den Abend des 12. Mai ordnete der Bischof eine feierliche Bittprozession durch die Straßen Paderborns an. Ausgangspunkt war der Dom, in dem sich alle Prozessionsteilnehmer, unter ihnen die Jesuitenschüler und -studenten, versammelten. Auch die Besessenen, in Paderborn zu dieser Zeit etwa 30, waren zugegen. Als der Bischof die Kathedrale betrat, fingen sie sofort fürchterlich an zu schreien, etwa eine Viertelstunde lang, bis man sie nach draußen in den Bereich des Hauptportals drängte und dort fürs erste beruhigte. Jetzt konnte Dietrich Adolf am Altar vor dem Hochchor die Messe zelebrieren. Dann verließ die Prozession den Dom, wobei der Bischof als höchster Würdenträger selbst eine Fackel in Händen hielt. Das Allerheiligste in einer Monstranz wurde von einem Priester getragen, unter einem Baldachin, den die Bürgermeister Paderborns mitführten. Station – mit Gebeten und geistlichen Liedern – war an jeder Kirche der Stadt. Zuletzt, kurz vor Mitternacht, machte man an der Gaukirche, die nur wenige Schritte vom Hauptportal des Doms entfernt liegt, Halt. Die Besessenen drängten herbei und störten auch hier die Andacht mit Geschrei und beleidigenden Äußerungen gegen manche Teilnehmer. Also wieder ein Eklat unter den Augen des Bischofs, fast so wie zwei Wochen zuvor bei der Tagung der Landstände. Dietrich Adolf von der Recke wäre kein gläubiger Katholik gewesen, wenn er nicht weiter auf das Gebet und andere Mittel, die Gnade Gottes zu erflehen, vertraut hätte. Am 27. Juni gab er einen Erlass an alle Bistumsangehörigen heraus. Darin wurde für den 6., 13. und 20. Juli, drei Freitage, ein besonderes Fastengebot erlassen. Zugleich verpflichtete er die Pfarrer, an diesen Tagen in ihren Kirchen die Monstranz mit dem Allerheiligsten auszustellen und durch Glockenläuten die

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Gemeinde zum Kirchgang aufzurufen. Darauf sollten sie in der Kirche (auf Latein) die Litanei vom Namen Jesu und der Jungfrau Maria sprechen, wonach das Volk auf Deutsch je fünf Vaterunser und Gegrüßest-seist-du-Maria betete. Nachdem Löper am 28. April sein Exorzisten-Amt niedergelegt hatte, stellte sich die Frage, wer die – stetig wachsende – Zahl der Besessenen entsprechend den römischen Weisungen betreuen sollte. In Paderborn standen dafür die beiden Pfarrer der Markt- und der Gaukirche sowie der Prior des Benediktinerklosters Abdinghof bereit. Doch sie waren mit dieser Aufgabe überfordert, zeigten auch zumindest am Anfang keine echte Bereitschaft mitzuwirken, da sie wie Löper glaubten, nur durch die Verfolgung der angeblichen Hexen lasse sich das Problem auf die Dauer lösen. Bischof Dietrich Adolf setzte sich daraufhin mit dem für Paderborn zuständigen Provinzial des Franziskanerordens in Verbindung, genauer: mit den Franziskanern „von der strengen Observanz“, daher auch Observanten genannt. Sie bildeten seit dem 16. Jahrhundert zusammen mit den Kapuzinern und den Franziskaner-Konventualen die drei selbstständigen Orden, die gemeinsam auf der Regel des hl. Franziskus beruhen. Observanten und Kapuziner gehen barfuß in Sandalen, tragen braune Wollkutten mit Kapuzen, die aber bei den Kapuzinern deutlich länger ausfallen – abgesehen davon, dass für sie die Bärte charakteristisch sind. Tatsächlich kamen im Mai/Juni vier Observanten von Münster nach Paderborn und machten sich gemeinsam mit zwei Dominikanerpatres ans Werk. Die in Brakel und Paderborn ansässigen Kapuziner waren hierfür weniger geeignet. Zum einen hatte ihnen vor Jahren ein Beschluss ihres Generalkapitels die Ausübung von Exorzismen verboten, und zum anderen waren sie bei allen Besessenen verrufen, seitdem sie die ersten Fälle in Brakel als Simulantentum verworfen hatten. Dies

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führte zu gefährlichen Missverständnissen, indem Besessene die Observanten-Patres, die sie etwa von weitem auf der Straße sahen, für Kapuziner hielten und dementsprechend attackierten. Bischof Dietrich Adolf stellte den Mönchen für ihre Tätigkeit in Paderborn vorübergehend seine Kanzlei mit der dazugehörigen Kapelle zur Verfügung. Grundlage der Arbeit waren die aus Rom übermittelten Richtlinien des Heiligen Offiziums. Dem Bischof war daran gelegen, sie allen Seelsorgern bekanntzumachen; er ließ sie darum drucken. Der Anfang gestaltete sich sehr schwer, da die Besessenen auf Löper eingeschworen waren und andere Betreuung ablehnten. So z. B. am 2. Juni 1657, als die „Dämonen“ aus einer von ihnen schrien: „Wir fahren nicht aus, ehe sie brennen. Wenn sie [die Richter] die Hexen brennen, so kann uns Pater Löper allein wohl austreiben.“19 Neben seelsorgerisch-psychologischer Betreuung sahen die römischen Empfehlungen die Zwangsmaßnahme der Verhaftung gemeingefährlicher Besessener vor, und wegen der zunehmenden Gewalt entschloss sich auch Bischof Dietrich Adolf hierzu. Doch stellten sich der Ausführung des Befehls unüberwindliche Schwierigkeiten in den Weg. Der Landesherr schickte von seinem Schloss Neuhaus Handschellen und ähnliche Fesseln nach Paderborn, die zur Abwehr des Teufels eigens geweiht worden waren, es fand sich aber kein Beamter, der sie den Wütenden anlegen wollte. Denn jeder hatte Angst, dann öffentlich als Hexer denunziert zu werden; eher waren sie bereit, ihren Dienst niederzulegen, als sich dieser Gefahr auszusetzen. Daraufhin erwog Dietrich Adolf den Einsatz von Militär, das auf den Straßen Paderborns patrouillieren und den Besessenen das Verlassen der Häuser verwehren sollte. Dagegen machte der städtische Magistrat Bedenken geltend. Es könnten schwere Tumulte entstehen: Wenn die Soldaten nach ihrer Gewohnheit die

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Betroffenen hart anpackten, würden möglicherweise die Eltern ihren Kindern zu Hilfe eilen, und das Blutvergießen sei dann abzusehen, dies umso mehr, als fast das gesamte einfache Volk den Besessenen und ihren Denunziationen gegen die Hexen und Zauberer glaubte. Einflussreiche Mitglieder der geistlichen und weltlichen Führungsschichten des Fürstbistums unterstützten diese Haltung. Dass sie, jedenfalls bis zum Sommer 1657, ihre Auffassung nicht in die Realität der Scheiterhaufen umsetzen konnten, lag an den Bedenken des Bischofs und einer anderen Gruppe in eben diesen Führungsschichten. Sie vertrat den entgegengesetzten Standpunkt, wonach die Aussagen der Besessenen keinen Hexenprozess rechtfertigten. Die Motive, welche die Position der einzelnen Mitglieder der Paderborner Führungsschichten in der Hexen- und Besessenenfrage bedingten, sind direkt kaum zu ermitteln, da persönliche Äußerungen dazu, z. B. in Briefen oder Tagebüchern, fehlen. Aus dem Verhältnis des einen oder anderen Beteiligten zu den unmittelbar Betroffenen bzw. von einem Hexenprozess Bedrohten, also etwa den Brakeler Kapuzinern, lässt sich der Grund für die jeweilige Einstellung vermuten oder nachweisen, so bei dem höchsten geistlichen Berater und Beamten des Bischofs, dem Generalvikar Dr. jur. Hermann v. Plettenberg gen. Herting (* ca. 1593). Er hatte selbst 1629 in einem adligen Patrimonialgericht im Sauerland Hexenprozesse geleitet. 1656 stand er zunächst Löper nahe. Das änderte sich aber, als einige Besessene seinem Bruder, dem Bürgermeister in Warburg Rotger Herting, die Fensterscheiben einwarfen und ihn als Hexenmeister diffamierten. Als intellektueller Führer dieser Gruppe und damit als geistiger Gegenpart Löpers trat der in Köln residierende Provinzial der niederrheinischen Provinz des Kapuzinerordens hervor,

Seelsorge statt Hexenverfolgung?

der aus Lüttich stammende Pater Benedikt (* vor 1600). Er war um die Jahreswende 1656/57 von dem Guardian des Paderborner Klosters über die prekäre Situation der Mönche informiert und um Rat und Hilfe gebeten worden. Anfang Juni, als die Plage ihrem Höhepunkt zustrebte, reiste der Provinzial nach Paderborn. Gemeinsam mit dem Bischof legte er am 9. Juni den Grundstein für den Neubau des Klosters der Kapuzinessen, des weiblichen Zweigs seines Ordens. Pater Benedikt traf also Dietrich Adolf persönlich. Der Kapuziner empfahl dem Bischof, die Ratschläge Roms gegenüber den Besessenen anzunehmen, nämlich sie voneinander und von der Öffentlichkeit abzusondern; doch hatte er damit wegen der erwähnten Widerstände innerhalb der Führungsschichten keinen Erfolg. Wenigstens konnte sich der Provinzial ein eigenes Bild von den Kalamitäten, den Anfällen und überhaupt dem Verhalten der Besessenen machen, für ihn ein abstoßender Eindruck. In Paderborn begegnete er einigen Brakelern, unter ihnen Ferdinand Duffhuß. Besessene kamen hinzu und zeigten unter den Augen Pater Benedikts dämonische Anfälle, möglicherweise – die Quellen sind da ungenau – in einer Attacke gegen Duffhuß. Der Provinzial begab sich auch nach Brakel. Ein Vorfall blieb ihm besonders im Gedächtnis. Mitten in der Nacht ging eine stark betrunkene Besessene durch die Straßen, dabei grölend, die Kapuziner und andere Männer seien Hexenmeister. Auf ihrem weiteren Weg verließ sie die Stadt und legte sich auf dem Feld hin. Ihr folgte aber ein Mann. Dieser rühmte sich später, er habe die Frau von ihrem Dämon befreit, indem er sie angefasst habe. Wie er sie „angefasst“ habe? Pater Benedikt berichtete, der Mann habe sie geschwängert. Für den Kapuziner war dies ein treffendes Beispiel für seine Auffassung, die Besessenen seien zum größten Teil unmoralische Weiber, in höchstem Maße unglaubwürdig, Betrügerin-

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nen, die den guten Ruf ihrer Mitmenschen in den Schmutz ziehen wollten. Die Kritik zielte selbstverständlich auch auf ihren Fürsprecher, Pater Löper. Die Debatte zwischen den Patres Benedikt und Löper spiegelt die Polarisierung zwischen Anhängern und Gegnern Löpers wider. Es handelte sich nicht um einen rein theologischen Streit. Vielmehr war mit ihm die buchstäblich todernste Frage verbunden, ob eine Hexenverfolgung im Sinne des Jesuiten und seiner Besessenen in Gang gesetzt werden sollte, eine Hexenverfolgung auch und gerade gegen prominente Kritiker Löpers und seiner Schützlinge in Brakel. Beide Gruppen hielten sich im Frühsommer 1657 die Waage. Den Ausschlag musste die Entscheidung Bischof Dietrich Adolfs geben. Die Zahl der Besessenen war seit Löpers spektakulärem Ausscheiden aus dem Amt eines öffentlichen Exorzisten am 28. April bis zum Juni auf ca. 200, bis Juli auf 250 im gesamten Hochstift angewachsen. Auf den Straßen, besonders Paderborns, war der Teufel los.

Die Prozesse beginnen

In dieser aufgeheizten Stimmung entschloss sich der Landesherr, jedermann zu zeigen, dass er kein „Hexenanwalt“ war. Auch der päpstliche Nuntius, Giuseppe Maria Sanfelice, der von Köln aus die Lage in Paderborn beobachtete und darüber nach Rom berichtete, empfahl, das Problem mit den Waffen der Justiz zu lösen. Dietrich Adolf ordnete eine Hexen-Inquisition für Paderborn und Brakel an, nach dem damaligen Strafrecht eine inquisitio generalis. Im Unterschied zur inquisitio specialis richtete sie sich am Anfang nicht gegen bestimmte Personen, gegen die bereits ein Verdacht bestand, die ins Gerede gekommen waren oder die sogar schon besagt worden waren, sondern, wie

Die Prozesse beginnen

es in einem Leitfaden für Hexenrichter hieß: „Der General-Inquisition kann ein jede Obrigkeit sich gebrauchen [bedienen], ohne einige vorangehende diffamation, denunciation, ja auch ohne einige suspicion [Verdacht].“20 Damit legte Bischof Dietrich Adolf fest, dass diese Untersuchung nicht von vornherein auf die von den Besessenen diffamierten vermeintlichen Hexen und Zauberer zielte. Er schwenkte also nicht auf die Linie Löpers und seiner Anhänger um. Von einer solchen Hexenjagd hielten ihn seine Bedenken gegen die Glaubwürdigkeit des Teufels bzw. der Besessenen ab, und Rom hatte ihn ja in dieser Skepsis bestärkt. Die Aussagen der Besessenen waren somit nicht gerichtsrelevant. Stattdessen erhielten die für Brakel und Paderborn zuständigen Richter den Auftrag, nachzuforschen, d. h. vor allem durch die Befragung von glaubwürdigen Bürgern, wer ernsthaft wegen Hexerei verdächtigt werden müsse. Die Ergebnisse der Vernehmungen wurden einer vom Bischof eingesetzten Juristen-Kommission vorgelegt, die über das weitere Prozedere zu entscheiden hatte – in enger Abstimmung mit dem Bischof, denn bei den kleinräumigen Verhältnissen im Hochstift Paderborn kümmerte sich ein fleißiger und gewissenhafter Landesherr wie Dietrich Adolf persönlich um eine solche aufsehenerregende Maßnahme, wie sie eine allgemeine HexenInquisition darstellte. Erste Ergebnisse stellten sich bald ein. In das Weltbild der Hexenjäger passte das Schicksal eines vermeintlichen Werwolfs, der am 28. Juni auf der bischöflichen Burg Wewelsburg in Untersuchungshaft starb – natürlich hatte ihm, wie Löper und seine Anhänger glaubten, der Teufel den Hals umgedreht, um ihn davor zu bewahren, die Namen seiner Hexen-Komplizen preiszugeben. Die Leiche des Mannes wurde wie bei einem rechtskräftig verurteilten Zauberer verbrannt. Einmal genauer

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zu untersuchen, ob der Tod durch die Folter hervorgerufen worden sei, kam den Kommissaren nicht in den Sinn, wie auch Bischof Dietrich Adolf den Fall nicht für sonderlich erwähnenswert hielt. Aber diese Verdrängungsstrategie war bei Hexenrichtern üblich. Die Hexen-Inquisition des Bischofs kam Mitte Juli 1657 in Paderborn zu einem ersten Ergebnis. Hier war es ein Ehepaar, höchstwahrscheinlich aus der städtischen Unterschicht, das wegen Hexerei verhaftet, angeklagt und von dem vermutlich zumindest der Ehemann hingerichtet wurde. Aus der Sicht des Bischofs hätte es möglicherweise damit sein Bewenden haben können. Tatsächlich weitete sich die Verfolgung aber im Laufe des Herbstes aus. Jetzt wurden erstmals Personen vor Gericht gestellt, die von Besessenen als Hexen diffamiert worden waren.

Die Reaktion von Papst und Inquisition

er Bischof von Paderborn wurde die Geister, die sein Exorzist gerufen hatte, nicht mehr los. In dieser verfahrenen Lage entschloss er sich, Rom durch eine genauen Bericht sowie durch die Übermittlung der Exorzismus-Akten zu informieren und zu konsultieren. Sein Adressat, Ferdinand von Fürstenberg, wandte sich wunschgemäß an Papst Alexander VII., wie aus seinem Antwortscheiben vom 18. August 1657 hervorgeht: „Hochwürdigster und gnädigster Fürst! Euren Brief vom

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26. Juli mit den Dokumenten, die den Fall der Paderborner Besessenen betreffen, habe ich erhalten. Und da neulich im Kolloquium bei Seiner Heiligkeit das Elend in Paderborn zur Sprache gekommen war, ordnete Seine Heiligkeit an, dass ich den Band mit den Dokumenten gestern zu ihm brachte. Er las darin, in meinem Beisein und unter den Augen anderer, mit großem Eifer und schien sich nicht wenig wundern zu können, und zwar über die Einfalt der Leichtgläubigen auf der einen und die Bosheit und Verstellung auf der anderen Seite, schließlich auch über die Ignoranz derjenigen, die solche Akten, die in vieler Hinsicht unbrauchbar und ohne vernünftige Kenntnis des Rechts angelegt seien, geschrieben hätten. Denn überall fehlten rechtmäßige Beweise und notwendige Tatsachenfeststellungen, wenn nämlich meistens das vorausgesetzt werde, was strittig sei, z. B. wenn

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einmal gesagt werde: ,Der Teufel hat die Glocke geläutet, die Kerze gelöscht, er hat dieses oder jenes getan.‘ Dem werde eine Handlung des Teufels zugrunde gelegt, obwohl noch gar nicht sicher sei, dass der Teufel dahinter stecke; denn es sei weder von der Kenntnis fremder Sprachen noch anderer Zeichen die Rede, sondern immer nur von Nicken und Gestikulieren, was auch von einer Person, die den Teufel in sich simuliert, getan werden kann. Ferner wird dort immer behauptet, der Teufel habe dem Exorzisten gehorcht, aber es fehlten Angaben, denen man entnehmen kann, dass ihm eher der Teufel als der Besessene, der den Teufel vorspiegelt, gehorcht hat und das getan hat, was man ihm befahl. Ich hielt es für wichtig, dies Ew. Gnaden mitzuteilen, so dass man demgemäß eine Lösung findet.“ Dem juristisch geschulten Alexander VII. fiel – abgesehen von Mängeln in der Anlage der Akten – ein grundsätzlicher gedanklicher Fehler auf. Statt die Besessenheit nachzuweisen, setzte man sie als gegeben voraus. Denn die Indizien waren bei nüchterner Betrachtung alles andere als überzeugend. Die Kriterien des Rituale Romanum wie der Nachweis fremder Sprachen wurden nicht zugrunde gelegt. Natürlich zu erklärende Dinge wie plötzliches Erlöschen einer Kerze deutete man als Einwirken und Zeichen des Teufels, kurz: Der Exorzist und die Protokollanten waren voreingenommen. Alexander VII. zeigte sich in keiner Weise davon überzeugt, dass es sich um echte Besessenheit handelte, sondern hielt Simulation für möglich. Und ohne dass dies ausgesprochen werden musste, war klar: Auf einer so dürftigen Basis war kein Hexenprozess zu begründen.

Gottvertrauen statt Hexenjagd

Selbst für den Fall, dass es sich um echte Besessenheit handelte, verfolgte Rom andere Prinzipien als die Exorzisten in Deutsch-

Gottvertrauen statt Hexenjagd

land. Dies geht aus zwei Gutachten eines Dominikanerpaters hervor, an den sich Ferdinand von Fürstenberg auf Anraten der Inquisitionskardinäle wandte. Nach dem Studium der Paderborner Akten empfahl er ein Verfahren, das den Maximen Pater Löpers diametral entgegenstand: „Zuerst sind sie [die gewalttätig werdenden Besessenen] an einem sicheren Ort in Ketten zu legen und darauf von einem klugen Exorzisten mit sanften Worten und voll von Barmherzigkeit zu unterweisen, und zwar in folgenden Punkten: Sie sollen keineswegs den bösen Geistern glauben, die suggerieren, sie könnten den Körper nur verlassen, wenn die Hexen und Zauberer gefangen oder getötet würden. Denn die von Christus und der Kirche empfangene Autorität ist absolut und ohne Einschränkung, und sie sollen nicht den Dämonen glauben, die darauf drängen und danach trachten, dem Nächsten einen Schaden zuzufügen, denn ohne ihre [der Besessenen] Zustimmung können sie in ihren Körpern nichts bewirken. Der hl. Augustinus vergleicht nämlich in seiner 197. Predigt ,Über die Zeit‘ den Teufel mit einem Hund, der angebunden ist. Er kann bellen, er kann Unruhe verbreiten, aber beißen kann er niemanden, es sei denn, der betreffende will es. Er schadet nämlich nicht durch Zwang, sondern durch Überredung. Also sollen die Geplagten vertrauensvoll sich den Dämonen widersetzen, die versuchen mit ihnen zu sprechen und dem Nächsten zu schaden. Der Teufel wird nichts erreichen, ja er wird sogar davon ablassen, die Besessenen zu quälen. Wenn die Besessenen, darauf verpflichtet und zur Einsicht gebracht, hieran glauben und [den Dämonen] sich widersetzen, können sie freigelassen werden. Wenn nicht […], bleiben sie in Haft als Schuldige, die gleichsam den bösen Geistern zustimmen wollen. Zur Vorbeugung sollen die nicht Besessenen ermahnt werden, weder Teufel noch Hexen, Zauberer oder irgendwelche Teufelswerke zu fürchten. Sie sollen im Glauben

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fest sein […] und wissen, dass der Teufel immer Böses in Menschen bewirkt, die Angst haben. Der hl. Chrysostomus sagt nämlich […]: Viel größer als alle Macht des Teufels ist die Größe der Traurigkeit. Denn der Teufel überwältigt den, der traurig ist. Wenn du das beseitigst, wird er niemandem etwas anhaben können.“ Zum Schluss bekräftigte Pater Michael Angelo seine Auffassung, dass die Besessenen, die tätlich werden, eingesperrt werden dürften, denn der Bischof sei verpflichtet, „zuerst für das allgemeine Wohl zu sorgen und dann erst für das private“.1 Hier zeigt sich am deutlichsten die Gegenposition zu Löper, dessen Devise war: „Den Bedrängten darf nicht noch mehr Leid zugefügt werden.“ Dahinter verbergen sich gegensätzliche Ansichten, wie die Besessenheit theologisch zu beurteilen sei. Nicht etwa in dem Sinne, dass der römische Dominikanerpater die Echtheit der Besessenheitsfälle bezweifelt habe. Der Unterschied bestand vielmehr darin, dass die Besessenen für ihn keine willenlosen Opfer des Bösen darstellten, sondern zu einem beträchtlichen Maße selbst verantwortlich waren, indem sie sich den Anfechtungen nicht entschieden genug widersetzten. Darin drückt sich die von der katholischen Kirche immer stark betonte Auffassung von der Willensfreiheit des Menschen aus. Aber der Theologe begnügte sich nicht mit dem Schuldvorwurf. In einer interessanten Verbindung von Psychologie und Theologie sah er den Grund der menschlichen Anfälligkeit gegenüber dem Bösen, personifiziert im Teufel, in Melancholie und Depressionen, in der übertriebenen Angst vor dem Leid und vor denen, die angeblich dahinterstecken: Menschen (Hexen, Zauberer) und Teufel. Der Vertreter der römischen Kirche vermehrte also nicht etwa bei den Gläubigen die Angst vor der Hölle und ihren Bewohnern, sondern suchte sie abzubauen, durch Weckung des Vertrauens und der Zuversicht auf die

Gottvertrauen statt Hexenjagd

Gnade Gottes, aber auch die Fähigkeiten des Menschen selbst, sich dem Bösen, das von ihm Besitz ergreifen will, zu entziehen. Statt „Hexenjagd“ lautete der Rat: „Gottvertrauen“. Damit vertrat Pater Michael Angelo die Position, zu der sich seit dem 16. Jahrhundert Päpste und Kardinäle in der Hexenfrage durchgerungen hatten: Schadenzauber, Teufelspakt und Hexenflug sind möglich und kommen manchmal vor, aber bei der Verfolgung und Bestrafung ist äußerste Vorsicht geboten. Die letzten großen Prozesswellen waren in Norditalien, am Rand der Alpen, um 1520 zu Ende gegangen. Auch einzelne Verfahren endeten im 17. Jahrhundert kaum noch mit einem Todesurteil. Umso erstaunter war der Kardinal Francesco Albizzi (1593–1684) über das, was er bei einer Reise durch Deutschland 1635/36 erlebte. Noch Jahrzehnte später erinnerte er sich mit Schaudern daran, dass „sich unseren Augen ein fürchterliches Schauspiel bot: außerhalb der Mauern mehrerer Dörfer und Städte waren unzählige Pfähle errichtet, an die gefesselt arme und überaus bedauernswerte Frauen als Hexen von den Flammen verzehrt worden waren“.2 Dass insbesondere Frauen magische Praktiken aller Art betrieben, war dem Inquisitor Albizzi wohlbekannt. In Italien sahen aber er und seine Kollegen dabei in den meisten Fällen keine Teufelsbündnerinnen am Werk, sondern harmlosere Zauberinnen, die erst durch die Blindheit der Richter zu Verkörperungen des absolut Bösen hochstilisiert wurden. Und noch mehr empörte die Italiener die allen Grundsätzen eines fairen Prozesses widersprechende Verfolgungspraxis in Deutschland, wo man das „Hexenungeziefer“ mit Feuer und Schwert ausrotten wollte. Auch südlich der Alpen waren Ende des 16. Jahrhunderts bei Bischöfen und Inquisitoren solche Tendenzen aufgekommen. Dem hatte Rom allerdings durch eine Verordnung über das Verfahren bei Magie- und Hexenprozessen

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Kardinal-Inquisitor Francesco Albizzi (1593–1684), Kritiker der Hexenprozesse in Deutschland und in der Schweiz (Kupferstich, 1663).

Gottvertrauen statt Hexenjagd

einen Riegel vorgeschoben. Bezeichnend ist schon die Präambel dieser „Instructio“: „Die Erfahrung, Lehrmeisterin der Dinge, zeigt deutlich, dass täglich bei der Führung von Prozessen gegen Hexen, Unholdinnen und Zauberinnen von verschiedenen Diözesanbischöfen, Vikaren und Inquisitoren sehr schlimme Fehler begangen werden, zum höchsten Schaden sowohl der Gerechtigkeit als auch der angeklagten Frauen, so dass in der Kongregation der Heiligen, Römischen und Universalen Inquisition gegen die ketzerische Verderbtheit seit langem beobachtet wurde, dass kaum jemals ein Prozess richtig und rechtmäßig ablief, sondern dass es meistens notwendig war, zahlreiche Richter zu tadeln wegen ungebührlicher Quälereien, Nachforschungen und Verhaftungen sowie verschiedener schlechter und unerträglicher Methoden bei der Anlage der Prozesse, der Befragung der Angeklagten, exzessiven Folterungen, so dass bisweilen ungerechte und unangemessene Urteile gefällt wurden, sogar bis zur Todesstrafe und der Überlassung an den weltlichen Arm, und die Sache ergab, dass viele Richter so leichtfertig und leichtgläubig waren, schon wegen eines äußerst schwachen Indizes anzunehmen, eine Frau sei eine Hexe […] Obwohl das weibliche Geschlecht sehr abergläubisch ist und sich Zaubereien hingibt, besonders Liebeszauber, folgt dennoch daraus nicht, dass, wenn eine Frau Zaubereien oder Beschwörungen anwendet, um Schadenzauber [maleficia] zu heilen, den Willen der Menschen zu zwingen oder etwas anderes zu erreichen, sie eine förmliche Hexe [strix] oder Zauberin [sortilega] sei, denn Zauberei kann ohne förmlichen Abfall von Gott geschehen, wenngleich sie dafür ein schweres oder leichtes Indiz ist, je nach dem Zauber […] Daraus entsteht den Frauen, gegen die deswegen inquiriert wird, ein sehr großer Nachteil. Denn Richter, die wenig Erfahrung haben oder die, auch wenn sie

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sonst nicht leichtgläubig sind, durch die Lektüre gewisser Bücher über Zauberinnen und Hexen aufgrund dieser falschen Annahme sich täuschen lassen, halten an diesem unerlaubten Vorgehen fest, indem sie so ein Geständnis aus den Frauen herausfoltern, so dass diese aufgrund ihrer Leiden und der verbotenen Prozeduren schließlich dazu gebracht werden, etwas zu bekennen, was ihnen vielleicht niemals in den Sinn gekommen ist.“ 3 Um eine Wiederholung auszuschalten, wurden den geistlichen Richtern folgende Grundsätze eingeschärft: I. Die Heranziehung von Ärzten zur Klärung der Frage, ob ein Todesfall statt zauberischer nicht natürliche Ursachen haben könnte. II. Die Ermittlung des Corpus delicti durch eine Hausdurchsuchung bei Verdächtigen bis hin zur Durchsuchung des Bettes, ob sich dort Belastendes findet, z. B. Puppen oder Nadeln. Aber selbst bei einem Fund war Vorsicht geboten, denn: „Wo Frauen sind, dort sind auch Nadeln.“ III. Ablehnung des Vorwurfs gegen Dritte, am Hexensabbat teilgenommen zu haben, nicht einmal im Zusammenhang mit anderen Indizien. IV. Äußerste Vorsicht bei Exorzismen, insbesondere wenn der angebliche Teufel Personen belastet. V. Anspruch des Angeklagten auf Verteidigung und überhaupt ein faires Verfahren durch: a) das Verbot von Suggestivfragen b) die Aushändigung einer Anklageschrift c) die Heranziehung eines Verteidigers, bei mittellosen Angeklagten auf Kosten des Gerichts, d) das Verbot demütigender Untersuchungen des Körpers (durch Rasur aller Haare zur Ermittlung eines Teufelsmals). Die Folter wird allerdings, wie in allen Inquisitionsprozessen, zugelassen, aber sie „darf nicht durch Schütteln, zusätzliche

Gottvertrauen statt Hexenjagd

Gewichte oder einen Block an den Füßen verschärft werden, sondern darf nur durch Hochziehen an Seilen erfolgen“. Neben diesen Verfahrensvorschriften verhinderte eine Grundsatzentscheidung über die Glaubwürdigkeit von Denunziationen, dass wie in Deutschland ein einziges Verfahren mit einem geständigen Angeklagten eine ganze Lawine auslöste. Kardinal Albizzi, um 1657 einer der einflussreichsten Theologen an der Kurie, drückte es so aus. „Dass den Hexen, die beteuern, sie hätten am Hexensabbat bestimmte Personen gesehen, nicht zu deren Nachteil geglaubt werde, da es für Illusion angesehen wird, hat die Suprema [das Kollegium der Kardinalinquisitoren unter Vorsitz des Papstes] mehrmals festgelegt […] Daher ist immer die Praxis der weltlichen und der geistlichen Gerichte in Deutschland abgelehnt worden, wonach man eine Hexenverfolgung in Gang setzte, nur weil eine einzige Hexe bezeugte, sie habe andere beim Sabbat gesehen, und dass man sie für überführt hielt, wenn dies zwei Hexen behaupteten. Gegen diese Praxis wendet sich Pater Tanner in einem dieser Sache gewidmeten Kommentar und ein unbekannter Autor, ein römischer Theologe, in dem Buch mit dem Titel ,Cautio Criminalis oder über die Hexenprozesse, notwendig für die Obrigkeiten Deutschlands in dieser Zeit‘, gedruckt in Rinteln 1631.“4 Dem Kardinal-Inquisitor war also die Cautio Criminalis in der Rintelner Erstausgabe ein Begriff, und, obwohl ihm der Verfasser, Friedrich Spee, unbekannt blieb, schätzte er sie in der betreffenden Frage für so bedeutsam ein wie Pater Adam Tanners (1572–1632), Spees großen Vorbilds, Theologia moralis. Die deprimierenden Erfahrungen mit der weltlichen Hexenjustiz veranlassten das Heilige Offizium gegen Mitte des 17. Jahrhunderts, die Präambel der Instruktion zu aktualisieren. Hieß es bisher, „dass […] von verschiedenen Diözesanbischöfen, Vikaren und Inquisitoren sehr schlimme Fehler be-

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gangen werden“, so wurde nun ergänzt: „aber besonders von weltlichen Richtern, die sich entgegen dem Recht in diese Dinge einmischen“.5 Seit der Mitte der 1650er Jahre beließen es Papst und Kurie nicht bei dem Ausdruck des Unbehagens oder gar Abscheus, sondern sie versuchten, zunächst in Reaktion auf Missstände, dann aktiv, Hinrichtungen von Hexen, auch außerhalb Italiens, zu unterbinden. Auslöser waren alarmierende Nachrichten aus den Gebieten des heutigen Schweizer Kantons Graubünden und des Fürstentums Liechtenstein (damals Grafschaft Vaduz). Der großen Welle von Hexenverfolgungen fielen zwischen 1652 und 1656 mehrere hundert Menschen zum Opfer. Daraufhin kritisierten Papst Innozenz X. und die Kardinäle den malum modum procedendi, die schlechte Art der Prozessführung der weltlichen Obrigkeit. Sie ließen den Richtern mitteilen, „dass das Heilige Offizium in Italien, Spanien und an anderen Orten, wo es existiert, gegen Hexen nur nach der Ordnung vorgeht“, von der man ihnen gleichzeitig ein Exemplar übersandte, also der Hexenprozess-Instruktion.6 Eine positive Wirkung hatte diese gut gemeinte Maßnahme nicht. Geradezu Entsetzen rief in Rom hervor, was der Nuntius 1654 aus Chur berichtete. 15 Kindern aus dem Valser Tal westlich von Chur, zwischen 8 und 12 Jahren alt, drohte der Tod in Form einer bestialis executio, wie der päpstliche Diplomat schrieb.7 Damit ist entweder die Vergiftung der Kinder gemeint oder das Ausbluten durch Öffnen lebenswichtiger Blutbahnen. Beide Methoden galten im Vergleich zum Enthaupten oder Verbrennen als „humaner“ und wurden bei Minderjährigen angewandt. Immerhin waren die lokalen Behörden bereit, auf die Hinrichtung zu verzichten, wenn sie die Kinder auf andere Weise loswürden. Damit bot sich ein Ausweg, der seit Jahrzehnten gelegentlich von den Schweizern praktiziert

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Die I nquisition im Mittelalter

Das lateinische Wort inquisitio bedeutet (gerichtliche) Nachforschung. Seit dem 13. Jahrhundert wurden von den Päpsten oder ihren Beauftragten Kleriker zu Richtern mit Sondervollmachten ernannt, die die neuen häretischen Bewegungen der Katharer und der Waldenser aufspüren, aber auch bestrafen sollten, in schweren Fällen, d. h. bei uneinsichtigen und Wiederholungstätern, bis zur Todesstrafe auf dem Scheiterhaufen. Die Inquisitoren, meistens aus dem „Orden der Prediger“ (Dominikaner), sollten mit dem für ihren Bezirk zuständigen Bischof zusammenarbeiten. Zur wirksamen Umsetzung ihres Auftrags, insbesondere zur Vollstreckung der Todesstrafe, waren die geistlichen Richter auf die Hilfe der weltlichen Obrigkeit (Könige, Landesfürsten, Städte) angewiesen. Für den Tatbestand Magie war die Inquisition zuständig, wenn es sich, im Unterschied zu relativ harmlosen Fällen wie z. B. Wahrsagerei durch Handlesen, um Häresie handelte. Darunter fiel etwa der Pakt mit dem Teufel. Der bekannteste Hexeninquisitor in Deutschland war der Dominikanerpater Heinrich Kramer (lat. Institoris), der Verfasser des „Hexenhammers“ (1487). Mit der Reformation hörte die Inquisition in Deutschland praktisch auf zu bestehen, weil nicht nur die evangelischen, sondern auch die katholischen Landesherren die Mitarbeit einstellten.

wurde: lästige „Hexenkinder“ abzuschieben, indem sie der Obhut der Inquisition in Mailand übergeben wurden. Die Weichen in diese Richtung wurden noch von Papst Innozenz X. kurz vor seinem Tod im Januar 1655 gestellt. Für die Unterbringung schickte man einen Geldbetrag nach Mailand. Der neue Papst, Alexander VII., legte fest, die Kinder sollten nach ihrer Ankunft seelsorgerisch intensiv betreut werden. Denn aus kirchlicher

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Sicht war es nicht ausgeschlossen, dass sie besessen oder wenigstens im Glauben gegenüber den Anfechtungen des Satans zu schwach waren. Danach sollten, so die päpstliche Verfügung, die fünf Jungen und zehn Mädchen bei „rechtschaffenen Männern und ehrbaren Frauen“ in Mailand untergebracht werden, bei denen sie sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen hatten.8 Der Mailänder Erzbischof sollte dabei behilflich sein. Aber auch als einer der Jungen „rückfällig“ wurde, also Symptome von Besessenheit zeigte, kam Rom der Forderung lokaler Instanzen, den kleinen „Hexer“ hinzurichten, nicht nach. Überhaupt ließen Papst und Kardinäle es nicht mit der konkreten Hilfe in dem Einzelfall bewenden, sondern hofften, die Schweizer Justiz grundsätzlich zum Umdenken bewegen zu können. In dem Protokoll der Sitzung des Heiligen Offiziums vom 10. Juni 1655, an der Papst Alexander VII., Kardinal Francesco Albizzi und weitere Kardinäle teilnahmen, wurde festgehalten: Der Nuntius in der Schweiz soll über den Abschluss der Angelegenheit in Kenntnis gesetzt und es soll ihm die Hexenprozess-Instruktion geschickt werden, „damit er unter Mithilfe ihm als geeignet erscheinender Personen die Behörden in jenen Gebieten überzeugen kann, dass ihre Art der Prozessführung sogar gegen das Naturrecht verstößt und mehrere Unschuldige zum Tode verurteilt werden.“9

Verfolgung von oben und von unten

oms vorsichtige Haltung in der Hexenfrage wurde 1657 nicht so deutlich nach Paderborn übermittelt, dass sie die dort ins Rollen kommende Prozesslawine gestoppt hätte. Ferdinand von Fürstenberg beschränkte sich bei der Übermittlung der vatikanischen Position auf die theologische Beurteilung von Löpers Exorzismen und die entsprechenden seelsorgerischen Alternativvorschläge. Die instructio leitete er nicht nach Deutschland weiter. Das war juristisch gesehen korrekt, da sie eine Richtschnur für päpstliche Inquisitoren war, die

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es nördlich der Alpen kaum noch gab. Die weltlichen Juristen urteilten hier nach territorialem oder Reichsrecht. Gerade den katholischen Kritikern exzessiver Verfolgungen hätten aber genaue Informationen zu Hexenprozesstheorie und -praxis der römischen und der spanischen Inquisition gute Dienste geleistet: als Argumente gegen die Fanatiker innerhalb der eigenen Kirche. Andererseits bestritt Rom nicht die grundsätzliche Möglichkeit von Hexerei und die Berechtigung, ja Notwendigkeit, sie strafrechtlich zu ahnden. Als im Juli 1657 im Paderborner Land die ersten Hinrichtungen stattfanden, erfüllte dies den Nuntius in Köln, Sanfelice, mit der Hoffnung, dass auf diese Weise innerhalb weniger Tage im Lande wieder Ruhe einkehren würde, und er schrieb in diesem Sinne nach Rom. Der stellver-

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Ankündigung des Todesurteils und der Hinrichtung der Angeklagten, die dann auf einem Karren zur Hinrichtungsstätte gebracht werden (Hintergrund).

tretende Staatssekretär Flavio Chigi informierte darüber seinen Onkel Papst Alexander VII. Dieser nahm mit Erleichterung zur Kenntnis, dass das Problem der Besessenen in Paderborn wohl bald gelöst sei, und lobte Nuntius und Bischof für ihren „Erfolg“. Einige Tage zuvor hatte er noch anhand von Löpers Protokollen erhebliche Zweifel an der Echtheit der Besessenheit geäußert. Die Akzentverschiebung in der Beurteilung der Situation zeigt, dass auch ein so gebildeter und nüchtern denkender Papst wie Alexander VII. nicht prinzipiell die Berechtigung von Todesurteilen in Hexensachen ausschloss und in diesem Fall, die Richtigkeit der Informationen des Nuntius voraussetzend, die Höchststrafe für angemessen hielt.

Der Geist von Friedrich Spee

Der Geist von Friedrich Spee

Indem Papst und Nuntius Verständnis für die Einleitung von Hexenprozessen äußerten, legitimierten sie damit nicht den blinden Verfolgungseifer von Pater Löper. Seit dem Ausbruch der Besessenheit 1656 bombardierte er seinen obersten Vorgesetzten im Orden, den Jesuiten-General Pater Goswin Nickel, mit Berichten und Anträgen, ihm die Erlaubnis zum Druck eines Buches über die Paderborner Ereignisse zu erteilen. Dabei war ihm entgangen, dass Nickel eine ganz andere Einstellung zum Hexenwahn hatte. Die zweite Auflage von Spees Cautio Criminalis erschien 1632 in Köln, wenngleich nicht offiziell, so doch faktisch mit Nickels Kenntnis und Zustimmung. Löpers Buch gab er dagegen nicht zum Druck frei. Aber allein dessen Anwesenheit in Paderborn stärkte den Besessenen und den hinter ihnen stehenden Kreisen den Rücken. Der Bischof forderte vom Ordensgeneral Löpers Abberufung aus Paderborn. Diesem Ersuchen gab Pater Nickel Ende August 1657 nach. Löper wurde nach St. Goar am Rhein versetzt. Dies führte aber nicht zu einer Beruhigung der Gemüter im Paderborner Land. Hunderte von Besessenen oder auch nur die Rädelsführer im Sinne der römischen Ratschläge zu „therapieren“, erforderte einen großen personellen und sachlichen Aufwand über Monate und länger. Da schien dem unsicheren Bischof schließlich doch der Vorschlag der Radikalen unter seinen Gelehrten, mit Feuer und Schwert gegen die Hexen vorzugehen und so die Ursache allen Übels auszurotten, schnellen Erfolg zu versprechen. Dies nicht ohne Grund, denn im Spätsommer und Herbst 1657 gelang Löper mit seiner Theorie scheinbar der Durchbruch: Zum ersten Mal wurden Personen angeklagt und hingerichtet, die von Besessenen als Hexen diffamiert worden waren

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Kath h olische Hochburgen der Hexenverfolgung

Hinrichtungen infolge von Hexenprozessen in katholischen Territorien Deutschlands: 1586–96 Reichsabtei St. Maximin bei Trier (mind. 400) 1611–18 Fürstpropstei Ellwangen (ca. 430) 1625–30 Erzstift Mainz (mind. 500) 1626–30 Hochstift Würzburg (900) 1626–30 Hochstift Bamberg (600) 1629 Hochstift Eichstätt (274) 1628–31 Sauerland/Herzogtum Westfalen (mind. 600)

und sich deswegen massiv, auch gegen Löper, zur Wehr gesetzt hatten: die beiden Frauen in Paderborn, die im Frühjahr von dem Domgeistlichen Reuter als Hexen diffamiert worden waren, die Klünersche und die Kohlblättsche. Eine weitere Frau starb Ende Oktober unter der Folter, die Leiche wurde zum Zeichen ihrer Schuld verbrannt. Anschließend wandte sich die Untersuchungskommission der Lage in Brakel zu, dem Ursprungsort des ganzen Elends. Im Unterschied zu Paderborn waren hier Angehörige der weltlichen bzw. geistlichen Führungsschicht gefährdet: der Stadtkämmerer Duffhuß und seine Familie, Bürgermeister Möhring sowie die Kapuziner. Die Zugehörigkeit zum Klerikerstand bot keine Garantie, von Hexenrichtern unbehelligt zu bleiben. Im Hochstift Paderborn hatte um 1600 Bischof Dietrich von Fürstenberg vier Mönche eines Augustinerklosters, darunter den Prior, wegen Hexerei verhaften und vor Gericht stellen lassen. Während des Prozesses, der sich über ein Jahr hinzog, starb einer der Augustiner, die anderen kamen mit Mühe wieder frei. Die größte Verfolgung von (katholischen) Klerikern als Hexen segnete der

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Würzburger Bischof Philipp Adolf von Ehrenberg um 1629 ab: Ca. 50 von ihnen wurden hingerichtet. Stärker schwebten natürlich Laien in Gefahr. Bei den zwei schlimmsten Verfolgungswellen im Reich, um 1590 bzw. 1630, waren Angehörige der städtischen Oberschichten in Trier, Würzburg und Bamberg, unter ihnen promovierte Juristen, von ihren eigenen Standesgenossen zum Scheiterhaufen verurteilt worden. Im westfälischen Arnsberg starb 1631 ein hoher Beamter des Landesherrn, des Kölner Erzbischofs Ferdinand von Bayern, während der Untersuchungshaft. Er war dadurch in Verdacht geraten, dass er vor einer Nachahmung der Würzburger Hexenjagd im Sauerland mit den Worten gewarnt hatte: „Es wird Wirzburgisch Werk werden!“1 Der aus der Nähe Paderborns stammende, in Arnsberg ansässige Hexenrichter Dr. Schultheiß hatte dies so gedeutet, als ob der Mann ein schlechtes Gewissen habe und fürchte, dass man im Sauerland jetzt wie in Würzburg unparteiisch, „ohne Ansehen der Person“, d. h. des Standes, das Hexengeschmeiß ausrotten werde.

Wer bringt wen auf den Scheiterhaufen?

In Brakel war die Zahl der Besessenen von ca. zehn Mitte November 1656 auf das Doppelte am Anfang des Jahres 1657 und im April sogar auf 29 angewachsen. Um die Lage der Stadt zu Beginn der Hexeninquisition im November 1657 besser erfassen zu können, seien zunächst die wichtigsten Ereignisse seit dem Frühjahr nachgetragen. Besonders aggressiv gebärdeten sich weiterhin die beiden Halbschwestern, von denen das Unwesen ausgegangen war: Klara Fincken und Katharina Maneken, ferner die erst 15 Jahre alte Margarete Baken. Letztere hatte im Juni 1656 aus Furcht

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vor Behexung, wie sie angab, ihre Stellung als Magd bei der Familie Duffhuß verlassen. Während Löpers Exorzismen im Februar 1657 waren Ferdinand Duffhuß, seine Frau und die bei ihnen lebende Tante von Margaretes „Dämon“ stark belastet worden. Nach Brakel zurückgekehrt, hatte Margarete am 8. April zusammen mit einer anderen Besessenen ein Erlebnis, das die beiden in Empörung und Schrecken versetzte. Auf den außenstehenden Betrachter wirkt es eher komisch, vor allem aber zeigt es, dass in Brakel auch mancher einfache Bürger nicht an die Besessenheit der Mädchen glaubte. Es handelte sich um einen Mann, dessen Familienname durch die Besessenheitsplage einen besonderen „Stellenwert“ erhalten hatte: Bernhard Düwel, d. h. Teufel. Als er am 8. April auf der Straße den beiden Mädchen begegnete, in denen ja angeblich ein böser Geist steckte, sprach er sie an: „Ich bin der dritte Teufel und werde mit euch, ihr beiden Teufel, gut kämpfen und den Sieg erringen.“ Und zu Margarete Baken gewandt: „Dich werde ich so besuchen, dass du auf den Rücken fällst“, und wieder zu beiden: „Blitz und Donner werden euch treffen, und noch ein Teufel wird in eure Leiber kommen.“2 Dies letztere, die Verwünschung, bestritt Bernhard Düwel bei seiner Vernehmung vor dem Stadtrat, bei dem sich die Mädchen beklagten, doch zwei Zeugen beeideten es. Wie dem auch sei; das Verhalten des Mannes zeigt neben einem Schuss grimmigen Humors, dass er erstens nicht an die Besessenheit glaubte und zweitens keine Angst vor den Mädchen hatte. Demnach hielt er sie wahrscheinlich auch nicht für Hexen, vor denen man sich in Acht nehmen musste, sondern für Simulantinnen, die eine Tracht Prügel verdient hätten. Mit diesem Vorschlag stand Düwel nicht allein. Der Stadtrat schrieb entrüstet an die Bistumsverwaltung, von vielen würden den Be-

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sessenen Schläge angedroht. In Paderborn beließ es Frau Kohlblatt nicht bei der Drohung, sondern ging auf Klara Fincken, die sie als Hexe ausgerufen hatte, mit einem Spaten los und verletzte sie dabei. Die Methode, den Spieß umzudrehen und die Besessenen als Hexen zu bezeichnen oder sie wenigstens als übel beleumundet hinzustellen, findet sich auch in Brakel. Besonders der abgesetzte Stadtkämmerer Ferdinand Duffhuß versuchte sich auf diese Weise zur Wehr zu setzen, so am 18. April auf dem Rathaus vor Bürgermeistern und Ratsherren. Duffhuß hatte eine Besessene angezeigt, weil sie ihn „uff der Teufel Diffamation ehrenverkleinerlich vor [= für] einen Piperlips gescholten“ habe. Als sie daraufhin mit ihrem Vater vor das städtische Gericht geladen wurde, redete Duffhuß das Mädchen an: „Warum heißt du mich Piperlips? Pipers sind Packware [Pack]. Ich bin von keinen Packwar herkommen, als [= wie] du bist. Ich habe ehrliche Eltern gehabt und bin nicht am Kack [Pranger] gestrichen [geschlagen] worden wie dein älterer Großvatter [Urgroßvater].“ Die Angesprochene antwortete, davon wisse sie nichts. Duffhuß fragte weiter: „Ist denn nicht Humpert Baken dein Großvatter gewesen?“ Das Mädchen: „Ja.“ Darauf der Kämmerer: „Dessen Vatter ist’s gewesen.“3 Aus heutiger Sicht ist es für den guten Ruf einer Person ziemlich unerheblich, dass ihr Urgroßvater straffällig geworden ist, denn es gilt das Prinzip der Verantwortung und Schuld des Individuums. Nicht so in einer Zeit, in der die Herkunft, d. h. überwiegend die Familie, weniger die individuelle Leistung für die Standeszugehörigkeit und das soziale Prestige prägend war. Auf die Vorwürfe reagierte nicht nur das Mädchen, sondern ihre gesamte Verwandtschaft. Der Vater, der wie seine Tochter zeitweise besessen war, ein Onkel und der Patenonkel verklagten Duffhuß wegen übler Nachrede und gingen, als der Stadtrat

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ihnen nicht Recht gab, in die Berufung bei der bischöflichen Kanzlei. Über das Ergebnis schweigen die erhaltenen Akten. Angesichts der kritischen Haltung der Kanzlei zu den Besessenen könnte Duffhuß glimpflich davongekommen sein, zumal sogar der anders denkende Brakeler Stadtrat ihm offensichtlich in der Sache, der Behauptung bezüglich des Urgroßvaters, Recht gegeben haben dürfte, sonst wäre die Familie nicht in die Berufung gegangen. Einen Monat später geriet Duffhuß in eine noch schärfere Auseinandersetzung, dieses Mal mit der Familie Maneken. Am 12. Mai, einem Samstag, begegnete Frau Duffhuß beim Herausgehen aus einem der Stadttore Frau Maneken und einer ihrer Töchter. Frau Duffhuß wollte, ohne ein Wort zu sagen, an den beiden vorbeigehen, da griff ihr das Mädchen an den Kopf, um ihr die Mütze abzuziehen. Darauf die Attackierte: „Warum willst du mir die Mütze abziehen? Was habe ich mit dir zu tun?“ Beim zweiten Angriff fiel ihr die Mütze hin, während die Besessene sie auf den Kopf schlug. Anschließend setzte sich das Mädchen an die Stadtmauer, zog einen Schuh aus und bewarf damit Frau Duffhuß, dabei schreiend: „Du Hexe, du Hexe!“, worauf die Angegriffene antwortete: „Ich bin keine Hexe“, und den Schuh auf das Mädchen zurückwarf. Inzwischen kam der ehemalige Bürgermeister Hermann Matthias hinzu und hörte, wie Manekens Tochter Frau Duffhuß anschrie: „Mohrenholl, Mohrenholl, ist nicht Piperlips dein Mann?“ Antwort: „Meinen Mann, den kennt jedermann wohl, den heißet nicht Piperlips, und ich heiße auch nicht Mohrenholl.“ Jetzt schaltete sich Matthias ein, zu dem Mädchen gewandt: „Diese Worte redet der Teufel nicht, was du da redest.“ Darauf ging Matthias in das Haus des „Feldscherers“ Hans Manegold, wo er Ferdinand Duffhuß traf und ansprach: „Vadder, seid ihr hier? Der Vadderschen [Duffhuß’ Frau] ist

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vorm Tor großes Unglück begegnet. Stoffel Manekens Tochter hat ihr Gewalt angetan.“ Darauf Duffhuß: „So ist’s gut, dass ich nicht dabeigewesen, ich hätte es sonst nicht geduldet.“ Matthias: „Sie ist noch in dem Hofe. Gehet hin, sehet zu, wie es ihr gegangen.“ Duffhuß traf seine Frau am Stadttor. Sie berichtete ihm unter Tränen, was geschehen war. Da kam Frau Maneken hinzu. Duffhuß zu ihr: „Wäre ich dabeigewesen, als deine Tochter meine Frau angefallen, so wollte ich die Barde [Hellebarde] darin gedrückt haben“, d. h. er wäre dann mit einer Hellebarde auf die Besessene losgegangen. Frau Maneken: „Das möchtest du getan haben. Dann wäre es [das Mädchen] des Elends abgewesen [d. h. tot].“ Jetzt wies Frau Duffhuß ihren Mann darauf hin, die Maneken habe bei der Attacke ihrer Tochter tatenlos dabeigestanden und gelacht. Darauf Duffhuß zu ihr: „Das lachst du als eine Hexe. Ihr seid selbst von Hexen hergekommen [stammt von Hexen ab].“ Frau Maneken entgegnete: „Du solltest mit [= zu] denen nicht gehalten haben, die meinen Kindern den Teufel in den Leib gegeben. So hätten sie Friede und du hättest auch Friede.“ Darauf ging Duffhuß auf Frau Maneken los und versetzte ihr drei Schläge gegen die Schulter, stieß sie auf die Erde und schlug ihr mit einer Hellebarde „uff den Hindern“ – nach Duffhuß’ eigener Aussage, wobei er aber entschuldigend anführte, dies sei erst geschehen, nachdem ihm aufgefallen sei, dass sie ein Messer in der Hand hatte. Am selben Tag, abends um 18 Uhr, begab sich Duffhuß zum Haus des Ersten Bürgermeisters, Jobst Rotermund, um den Vorfall anzuzeigen. Zufälligerweise kam kurz darauf auch Stoffel Maneken herein, ohne zunächst Duffhuß zu sehen, und grüßte mit „Guten Abend!“ Rotermund: „Seid ihr’s, Stoffel? Eure Frau ist hier bereits gewesen. Ich weiß eure Klage schon.

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Euer Gegenteil [Gegner] ist auch hier und klagt. Morgen sprechet mich an, so sollt ihr guten Bescheid haben.“ Als Maneken darauf Duffhuß sah, sprach er ihn an: „Bist du auch hier, du redlicher Vogel?“, griff nach einem „Stück“ und wollte ihn schlagen, was aber verhindert wurde.4 An den dramatischen Ereignissen dieses Tages ist neben dem gegenseitigen Hexerei-Vorwurf hervorzuheben, wie Frau Maneken die Attacken ihrer Tochter gegen das Ehepaar Duffhuß erklärte: Duffhuß hielt zu den „Hexen“, die ihren Töchtern angeblich die Teufel in den Leib gezaubert hatten. Ohne dass die Namen fielen, ist klar, wer hier gemeint war: Möhring und die Kapuziner. Die bischöflichen Räte versuchten, den Stadtrat zu Gehorsam und Unterstützung der seelsorgerischen Bemühungen der Kapuziner und des Pfarrers zu bewegen. In einem langen Schreiben vom 28. Juli 1657 beriefen sie sich auf die Autorität der römischen Kurie und verwiesen auf deren Empfehlungen.5 Ein hochangesehener römischer Exorzist (gemeint ist Pater Michael Angelo) sei zu dem Urteil gekommen, „dass dem Teufel und dessen Worten in Ausschreiung der Hexen und dass er vor dero Hinrichtung nicht weichen könne, durchaus nicht zu glauben“ sei. Kein Fürst und keine Obrigkeit dürfe dem Teufel glauben. Dieses Urteil des Paters sei „von dero zu Rom verordneten Congregation der Cardinälen [das Sanctum Officium], welche diesen Patrem dergleichen Unwesen zu steuern selbst gebraucht hat, auch approbiert“ worden. Somit befahlen die Räte im Namen des Bischofs dem Brakeler Magistrat „bei Vermeidung dero höchster Ungnad […], dass Ihr alle und jede Einwohner, zuvörderst aber die Besessenen dahin erinnert und ermahnet, dass sie solcher des Pastoris und der Patrum Capucinorum Lehre fleißig zuhören, nachkommen und dass deswegen […] keine Klagen einkommen mögen.“

Die Hexenprozesse auf dem Höhepunkt

Wer trotzdem weiterhin andere Menschen attackierte, sollte inhaftiert und in Ketten gelegt werden. Dazu waren von der Stadt drei oder vier voneinander getrennte Räume vorzubereiten. Hier folgte man offensichtlich dem Rat Pater Benedikts, die Besessenen gegenseitig und von der Außenwelt zu isolieren. Tatsächlich trat im Herbst in Brakel eine gewisse Beruhigung ein. Die angedrohte Inhaftierung zeigte Wirkung. Umso erstaunlicher ist es, dass in dieser Phase, als die Besessenheit im Abklingen war, die Hexenverfolgung in Gang kam.

Die Hexenprozesse auf dem Höhepunkt

Zwischen dem 19. und dem 29. November 1657 wurden in Brakel drei Frauen und ein Mann wegen Zauberei zum Tode verurteilt und hingerichtet. Keiner von ihnen war zuvor aktenmäßig im Zusammenhang mit den Besessenen genannt worden. Das war auch nicht nötig. Denn die inquisitio generalis zielte auf alle Personen, die der Magie verdächtig waren, nicht nur aufgrund der Behauptungen von Besessenen. Am 12. Dezember rauchte auf dem Feld vor Brakel zum fünften Mal in diesem Jahr ein Scheiterhaufen. Das Opfer war weder Möhring, Duffhuß, ein Kapuziner noch sonst ein Mitglied dieser Gruppe, sondern ganz im Gegenteil: Die ca. 70 Jahre alte Frau Schutzeisen, die Großmutter der besessenen Schwestern Klara Fincken und Katharina Maneken und Schwiegermutter von Stoffel Maneken. Wie ist diese, nach den Erfahrungen mit den Prozessen in Paderborn, untypische Entwicklung der Hexenverfolgung in Brakel zu erklären? Offensichtlich hatte die Strategie des Kämmerers Duffhuß und seiner Freunde Erfolg, die gegen sie gerichtete Hexereibeschuldigung um 180 Grad zu drehen und gegen ihren Ausgangspunkt, den Maneken-Clan, zu wenden. Welche

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juristischen Mechanismen hierfür angewandt wurden, ist wegen des Verlustes der Prozessakten nur zu vermuten. Denkbar erscheint, dass die vier zuerst Angeklagten von sich aus oder infolge von Suggestivfragen des Richters die alte Frau Schutzeisen besagten, falls gegen diese nicht schon von vornherein genügend belastendes Material vorlag. Es folgten zwei weitere Prozesse und Hinrichtungen, wieder gegen bislang noch nicht in Erscheinung getretene Personen. Die Gruppe um die Kapuziner in Brakel konnte zunächst einmal aufatmen. Sie schien sogar rehabilitiert, als im Frühjahr 1658 die ein Jahr zuvor aus den Stadtrat ausgeschlossenen Mitglieder, Bürgermeister Düweken und Kämmerer Duffhuß, turnusgemäß ihre Ämter wieder antreten konnten – allerdings nur, weil die bischöfliche Regierung massiven Druck auf den widerspenstigen Kreis um Con-Bürgermeister Düweken ausübte. Doch es sollte anders kommen. Im bischöflichen Schloss Neuhaus fiel spätestens Anfang Juni die Entscheidung, in Brakel eine neue Serie von Hexenprozessen zu beginnen. Die Meinungsbildung am Hof des Landesherrn, die diesen Beschluss bewirkte, ist unklar. Mitte Mai waren die Kommissare in dem Städtchen Lügde (ca. 30 Kilometer nördlich von Brakel) tätig. Wie viele Menschen hier verbrannt wurden, ist nicht zu ermitteln. Möglicherweise aber so viele, dass durch solche „Erfolgsmeldungen“ die Gruppe der Verfolgungsbefürworter Auftrieb bekam. Sie dürfte auch durch die wieder auftretenden Unruhen der Besessenen neue Munition erhalten haben. Bevor es um die Hexenjagd in Brakel geht, soll zunächst auf einige gleichzeitige Ereignisse im Raum Warburg/Scherfede (ca. 25 Kilometer südwestlich von Brakel) eingegangen werden. Hier wurden ebenfalls Hexen „verfolgt“, aber nicht auf juristischem Wege, sondern dadurch, dass sie auf offener Straße totgeschlagen wurden. Denn auf dem Lande eskalierten die Ereig-

Die Hexenprozesse auf dem Höhepunkt

Foltermethode des „Peinstuhls“: Wenn der Delinquent nach stundenlangem Sitzen vor Müdigkeit einnickt, bohren sich die Nägel des Halsbandes in den Hals, oder der Henker „rüttelt … den Stuhl“, während der Kommissar „mit Stöcken auf die gespannte Leine“ schlägt.

nisse in einem bisher nicht gekannten Maße. Der Anlass für diese Blutorgie, der am 18. bzw. 20. Juni 1658 zwei Menschen zum Opfer fielen, war eine Entscheidung der bischöflichen Räte. Sie hatten einen wegen Hexerei in Untersuchungshaft einsitzenden Mann freigelassen. Daraufhin wurde er von vier Besessenen totgeschlagen!6 Zum Tathergang: Am 17. Juni beschimpften drei Männer und eine Frau den haftentlassenen Johann Claeß als einen Hexer, setzten ihm, wie es in dem Untersuchungsbericht hieß, „gewaltsamer Weise in seinem Haus zu, also dass er auf den Balken [Heuboden] entweichen musste, und wie sie mit Steinen zu ihm eingeworfen, hätte er deren einen genommen und Jorgen Eb-

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bers Magd Ilsen in den Kopf verwundet. Dahero sie folgenden Tages seiner aufm Feld gewartet und, wie ihn angetroffen, also groblich ins Haupt und am Leibe verwundet, dass er davon gestorben.“ Zumindest einer der Täter, Dreves Wackup, war am 20. Juni noch auf freiem Fuß und beging an diesem Tag zusammen mit einem weiteren Besessenen, einem Mühlenknecht, erneut einen Totschlag, wie der Warburger Beamte berichtet: „Dreves Wackup ist zu Tilen bei der Rimbeckischen Mühle, so ungefähr einen Musketenschuss Weges von Scherfede gelegen, gekommen, haben in Eile zween Zaunstecken ausgerückt und zu Schnackels Haus, welcher verreiset gewesen, gelaufen, die Tür gestürmet, darauf die entleibte [Ehefrau] mit ihrer Tochter auf den Balken gelaufen, ferner sind beide aus Schrecken aus dem Haus in den Garten gesprungen, vermeinend, sich also zu salvieren [retten]. Die Täter aber haben sie verfolget und zuerst die Tochter hart geschlagen, folgends die Mutter gar zu Tode. Wie dies Gerücht im Dorf erschollen und die Leute ankommen, ist der letzte Atem darin gewesen und [sie] hat nichts geredet, nur, man sollte ihr den Priester fordern [= holen]“, der jedoch zu spät kam, als dass sie noch mit dem Sterbesakrament hätte versehen werden können. Ganz überraschend kamen diese Taten nicht. Schon des öfteren hatten Besessene vermeintliche Hexen angegriffen, in Brakel, aber besonders in Paderborn. Hier war 1657 eine Frau auf dem Marktplatz so stark verletzt worden, dass sie acht Tage später starb. Eine andere Frau erlitt Verletzungen, mehrere kamen mit leichten Blessuren davon. Ob es gelang, mit Hilfe von Soldaten, die der Bischof einsetzte, die Täter zu fassen, ist den Quellen nicht sicher zu entnehmen. Jedenfalls dürften die dramatischen Ereignisse in der Nähe von Scherfede auch in Brakel bekannt gewesen sein, als

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Protestantische estantische Hochburgen der Hexenverfolgung Hexenverfolgun

Hinrichtungen infolge von Hexenprozessen in protestantischen Territorien Deutschlands: Stadt Osnabrück 1583–90 (165), erneut 1636–39 (55) Stadt Lemgo 1628–37 (84) und 1653–76 (über 125) Fürstentum und Stadt Minden 1655–72 (145) Mecklenburg bis 1700 (ca. 2000)

dort zwischen dem 18. Juni und Mitte Juli 1658 von Amts wegen gegen die Hexen vorgegangen wurde. Zunächst der Überblick: Sieben Personen, sechs Frauen und ein Mann, wurden angeklagt, mindestens sechs von ihnen hingerichtet: Am 1. Juli Ferdinand Duffhuß und eine junge Frau, am 8. Juli zwei Ehefrauen, am 13. Juli ebenso zwei Frauen, darunter die von Stoffel Maneken. Als siebte kam die Witwe Maria Wiedemeyer, die Tante von Duffhuß’ Frau, vor Gericht. Der Ausgang ihres Verfahrens ist unklar. Am sensationellsten waren der Prozess und die Hinrichtung des Stadtkämmerers Ferdinand Duffhuß. An Einzelheiten ist nur die Art der Hinrichtung überliefert. Löper erwähnt sie in seinem Manuskript voll Zufriedenheit, war doch damit einer der Hauptgegner seiner Schützlinge aus dem Weg geräumt: „Jenem Ferdinand, den ein Teufel namens Ferdinand oft besagt hatte, wurde wegen des Verbrechens der Zauberei nach der Verhängung des Gerichtsurteils der Kopf abgeschlagen und zusammen mit dem Rumpf zwischen zwei aus Holz angefertigten und aufgestellten Wölfen verscharrt. Dieser Mann gehörte dem Stande der Ratsherren in Brakel an.“7 Duffhuß war also als Werwolf getötet worden. Der Anklagepunkt stellte eine Sonderform der Hexerei dar, die nur Män-

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nern angelastet wurde (Wer = Mann, Werwolf = Mannwolf). Angeblich verwandelten sich diese Zauberer mit Hilfe ihres Verbündeten, des Teufels, in Wölfe und rissen in dieser Gestalt die Schafe ihrer Mitmenschen. Zu dieser Zeit lebten in Westfalen noch Wölfe, die manchmal bis in die Dörfer eindrangen. In Brakel wurden, wie allenthalben im Paderborner Land, Schafe gehalten. Der Vorwurf, Duffhuß oder seine Freunde seien Werwölfe, war von den Besessenen erhoben worden. Aber welches juristische Konstrukt brachte den Kämmerer vor Gericht und unter das Schwert des Henkers? Aufgrund der bei den Hexenverfolgern in Deutschland herrschenden Lehre und der Rechtspraxis der Paderborner Juristen, wie sie bei dem Fall in Fürstenberg dokumentiert ist, lässt sich folgendes Prozedere rekonstruieren: Duffhuß muss von mindestens einer, wahrscheinlich aber zwei geständigen „Hexen“ besagt worden sein. Hierbei ist vor allem an Stoffel Manekens Schwiegermutter zu denken, die am 12. Dezember 1657 hingerichtet worden war. Ihr Schwiegersohn und dessen Familie, besonders ihre beiden besessenen Enkeltöchter hatten Duffhuß und seine Verwandten immer wieder als Mitschuldigen an ihrer Misere angegriffen. Auch der bei der ersten Prozessserie Ende November 1657 hingerichtete „Hexer“ hatte ein Motiv, Duffhuß zu besagen. Im Jahre 1646 war er von dem späteren Kämmerer bei einem Streit mit einem Messer verletzt worden, wofür der Täter eine Geldstrafe erhielt. Von diesen (erschlossenen) Besagungen bis zur Anklage gegen Duffhuß vergingen allerdings mehr als sieben Monate. Offensichtlich hatten sich die maßgeblichen Instanzen erst im Sommer 1658 endgültig gegen den Kämmerer gewandt. Völlig aus dem Rahmen fällt die Hinrichtung von Katharina Maneken, der Ehefrau von Stoffel Maneken und Mutter der beiden „führenden“ Besessenen, Klara Fincken und Katha-

Die Hexenprozesse auf dem Höhepunkt

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Gelehrte Magier

Eine männliche Domäne war die gelehrte Magie: Astrologie und Nekromantie (Teufels- und Totenbeschwörung), weil hierfür Spezialkenntnisse in Astronomie und Mathematik notwendig waren bzw. das Wissen aus (verbotenen) lateinischen Büchern bezogen wurde. Zu den Dämonen und Toten wurde Kontakt möglichst über ein sittlich ‚reines‘ Medium, etwa einen kleinen Jungen, der in einem magischen Zirkel stand, aufgenommen. Ziel war die Entdeckung verborgener, d. h. „okkulter“ Dinge: der Zukunft, aber auch von vergrabenen Schätzen. Die Kirchen sahen darin einen Pakt mit dem Teufel, der nur böse enden könne. Die Nekromanten behaupteten dagegen, sie machten sich die Dämonen für gute Zwecke dienstbar. Bei den Hexenprozessen in Deutschland spielte Nekromantie keine Rolle, aber in Italien wurde sie von der Inquisition scharf verfolgt.

rina Maneken jun. Die durch den Tod von Duffhuß schockierten Löper-Gegner stellten mit Befriedigung fest, dass mit ihr ein Mitglied der gegnerischen Gruppe auf den Scheiterhaufen kam. Duffhuß hatte demnach mit seiner Taktik Erfolg gehabt, Frau Manekens Herkunft „von Hexen Art“ herauszustellen, wenngleich er selbst damit seinem Schicksal nicht entrann. Der „Werwolf“ und die ihm nahe stehenden Mitangeklagten dürften Frau Maneken als Hexe besagt haben. Klärungsbedürftig ist, warum die Hexenrichter ihnen glaubten und die Mutter der beiden Besessenen als Hexe zum Tode verurteilten, wie schon Monate zuvor die Großmutter. Die Juristen hätten auch die Möglichkeit gehabt, diese Besagungen als Verleumdungen zurückzuweisen und – unter Androhung der Folter – auf der Rücknahme zu bestehen. Weshalb sie dies nicht taten (etwa aufgrund höherer, d. h. bischöflicher Wei-

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sung?) – dieser Blick hinter die Kulissen ist versperrt. Es drängt sich aber der Verdacht auf, dass hier so etwas wie „Ausgewogenheit“, ein Es-allen-recht-machen-Wollen der Grund war.

Folter und Verzweiflung

Eine konkrete Vorstellung von dem Leid, das ein Hexenprozess verursachte, vermitteln Prozessakten aus der Adelsherrschaft Fürstenberg südlich von Paderborn. Sie können die fehlenden Protokolle aus Brakel weitgehend ersetzen, da hier dieselben Grundsätze angewandt wurden und teilweise dieselben Richter am Werk waren. Die drei in Brakel tätigen Juristen wurden in Fürstenberg als Gutachter herangezogen, die aufgrund der eingesandten Akten entschieden. Für die Prozessführung vor Ort holten sich die adligen Gerichtsinhaber zwei Juristen aus dem benachbarten Sauerland: Dr. Antonius Berg und Dr. Wilhelm Steinfurt. Sowohl in Fürstenberg als auch in Brakel begann die Prozesswelle Mitte Juni 1658. In dem Dorf im Süden Paderborns stand am Anfang die Verhaftung von Frau Angela (Engel) Moller.8 Was hatte man gegen sie in der Hand? Sie stammte aus einem „Hexengeschlecht“. Der Großvater mütterlicherseits war verbrannt worden, die – inzwischen verstorbene – Mutter hatte man bei einer früheren Verfolgungswelle schon festgenommen, sie musste aber wegen Schwangerschaft freigelassen werden (schwangere Frauen entgingen der Folter und Hinrichtung). Am meisten sprach gegen Engel Moller, dass sie 1631 von drei kurz darauf hingerichteten Angeklagten als Hexe besagt worden war. Am 18. Juni legte sie ein Teilgeständnis ab, angesichts der sonst zu erwartenden Folter „in der Güte“: „Ja, sie wäre eine Zauberin. Wessel Meineke habe sie die Zauberkunst gelehret, ehebevor die Sünders allhier verbrannt [wohl vor 1631]. In

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Nadelprobe durch den Scharfrichter. Viele Theologen und Juristen waren sich einig: Hautanomalien können vom Teufel stammen.

Georg Thönies Haus, da er Bier getrunken und sie auch trunken, [sie] sei schon eine Frau gewesen, sollte zurücktreten in des Bösen Namen, welches ihr aber so bald von Grund ihres Herzen leid gewesen, habe auch niemandem zuleid damit getan. Der böse Geist sei zu ihr gekommen in Mannsgestalt, so ihr Buhl [geworden sei] und heiße Krup-durch-den Zaun. Habe mit dem buhliert, welches daselbst so bald im Hause geschehen. Wisse sonst und könne weiter davon nicht sagen. Weilen sie aber zu Güte weiter nicht recht bekennen wollen, ist sie darauf mit scharfer Frage angegriffen und etwas mit Ruten gestrichen, auch eine Beinschraube angesetzt worden.“ Engel Moller „gestand“ schließlich im Detail, ihren Geschwistern sowie einigen Nachbarn, mit denen sie Streit hatte, Pferde, Kühe und Schweine und schließlich sogar ihren eigenen Bruder vergiftet zu haben, so dass dieser nach einjähriger

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Inquisition als Prozessverfahren

Inquisitio steht nicht nur für eine neue kirchliche Institution, sondern auch für ein neues Prozessverfahren. Besonders im weltlichen Recht herrschte im Früh- und Hochmittelalter das Akkusations-, das Anklageprinzip vor. Ein Privatmann erhob Anklage, das Gericht beschränkte sich auf die Würdigung der von beiden Seiten vorgetragenen Ausführungen. Schwierig wurde es, wenn ein Verdächtiger nicht durch bloßen Augenschein überführt war. Der Angeklagte konnte versuchen, Leumundszeugen zu finden, die seine Ehrlichkeit beeideten. Oder es gab Gottesurteile. Verdächtige mussten glühendes Eisen anfassen oder über glühende Pflugscharen schreiten, um zu beweisen, ob sie nicht ernsthaft verletzt wurden. Kirchenvertreter bekamen aber Zweifel an diesen scheinbar göttlichen Zeichen. Seit Anfang des 13. Jahrhunderts war es Klerikern verboten, an solchen Prozessen und Beweisführungen teilzunehmen. An die Stelle des Akkusations- trat erst im kanonischen, dann auch im weltlichen Recht vieler Staaten der Inquisitionsprozess. Herr des Verfahrens war jetzt der Richter, der, statt sich mit den Beteuerungen der Prozessbeteiligten und ihrer Leumundszeugen zu begnügen, aktiv „nachforschte“, inquirierte, und dabei auch die schon im römischen Recht vorhandene Folter als Mittel der Beweiserhebung einsetzte.

Krankheit gestorben sei. Die Nachbarn bestätigten auf Nachfrage, ihnen sei auf unerklärliche Weise und unter mysteriösen Umständen ihr Vieh krepiert. Vom Schadenzauber lenkten die Kommissare das Verhör auf das Thema Hexensabbat. Die Angeklagte: „Ihr Teufelstanz sei bisweilen uffm Elerberg, bisweilen uffm Wasserplatz, […] dahin sie uff einer Ziege gefahren, am Donnerstagabend, so ihr der Buhle gebracht. Kommen viele dahin, so sie nicht alle

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kenne, weil viele Fremde darunter gewesen.“ Aber einige Nachbarn „besagte“ sie als Teilnehmer am Hexensabbat. Dass es auch in Fürstenberg Besessene gab und den Hexen dafür die Schuld gegeben wurde, bewies die letzte Aussage der Angeklagten: „Sagte und bekannte, dass sie dem Mädchen Gertrud, so […] vom bösen Feind besessen, als ihr dasselbe im vergangenen Herbst brauen helfen, den bösen Feind in warmem Bier beigebracht und eingegeben, wäre gewiss und wahr, [die Besessene] würde, wenn sie [die Hexe] tot, davon erledigt [befreit] werden. Endigend damit und ist weiter Bedenkzeit ihr gegeben bis Nachmittag um 2 Uhr.“ Zum festgesetzten Zeitpunkt erschienen die beiden Kommissare, Dr. Berg und Dr. Steinfurt, ohne den Scharfrichter bei der Inhaftierten und ermahnten sie „in Güte, sich von dem bösen Feind weiter nicht verleiten zu lassen […], darauf sie dem Teufel ganz abgesagt und ein Gebet, so ihr die Herren Commissarii vorgesagt, gegen Teufel nachgebetet und nach solchem Beten, was sie zuvor ausgesagt, wäre wahr, hätte sich mit ihrem Buhlen Krup-durch-den-Zaun vermischet, welche Vermischung kalt wie Eis gewesen; sei in der Stube geschehen; habe er einen schwarzen sammeten Rock angehabt und eine grüne Feder aufm Hut.“ Außerdem gab sie einige weitere Details des Hexensabbats. Am folgenden Tag, dem 19. Juni, wurde eine der von Engel Moller besagten Personen, Lise Bödeker, verhaftet. Trotz der Folterung noch am selben Tag, mit Hilfe einer Beinschraube, dem so genannten spanischen Stiefel, gestand sie nicht. Darauf wurden über eine Woche zunächst keine weiteren Maßnahmen getroffen. Vermutlich verreisten die Kommissare in dieser Zeit. An ihrer Stelle nahm der Dorfrichter am 23. Juni die Bitte der Frau Moller entgegen, „man möchte sie [mit] weiteren Tormenten [Folterungen] verschonen und nicht mehr pei-

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Zwei gängige Methoden der Folter: Im Vordergrund wird die Beinschraube dazu eingesetzt, hinten durch Aufziehen an den auf den Rücken gefesselten Armen, wobei ein Gewicht an den Füßen die Schmerzen in den Schultergelenken erhöht.

nigen oder quälen, denn sie wüsste nicht mehr, und alles, was sie gesagt und bekannt hätte, wäre wahr, wollte darauf leben und sterben, auch das heilige Sakrament [die Kommunion] empfangen, sollten ihr nur abhelfen. Darauf dem Herrn Pastor erlaubt, bei sie zu gehen und sie zum Gutem zu ermahnen.“ Am 3. Juli setzten die Kommissare die Verfahren gegen die beiden Frauen fort. Im Fall der Engel Moller genügten ihnen die Namen der bisher Besagten nicht. Daher ordneten sie die „Fortsetzung“ der bisher angeblich nur „semiplene“ (zur Hälfte) durchgeführten Tortur, deren Höchstdauer eine Stunde betrug, an. Allerdings sollte sie „gelinde“ vorgenommen werden: „Hierauf ist eine Beinschraube, jedoch gelinde angesetzt. Weil sie be-

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gehrte, sie loszumachen, wollte bekennen, ist selbige so bald wieder abgenommen.“ Engel Moller besagte nun vier weitere Personen, zwei Frauen und zwei Männer, mit denen sie auf dem Hexensabbat getanzt habe. „Wann das geschehen, gehe ein jeder mit seinem Buhlen, vermischte sich auch wohl einer mit dem andern, sagte dabei, wüsste sonst nicht mehr, wollte auf diese Personen leben und sterben, auch auf Erfordern solches beständiglich [den betreffenden] ins Gesicht sagen, bat dabei und begehrte, das vorige Gebet gegen den Teufel ihr wieder vorzulesen, wie denn geschehen, da sie abermals mit gefalteten Händen gebetet und dem Teufel abgesagt, bittlich begehrend, man sollte sie nun nicht lange mehr aufhalten, sondern bald davonhelfen und ein Vaterunser für sie beten. Nach diesem ist Lise Bödeker mit der konfrontiert, sagte der ins Gesicht, dass sie diese Lisen ufm Elerberg an dem Teufelstanze, so oft sie dagewesen, unter anderen Hexen mit auf solchem Teufelsreigen herumtanzend gesehen.“ Lise Bödeker leugnete. „Engel Moller aber blieb beständig dabei und sagte der nochmals ins Gesichte, [sie] wäre so schuldig als sie; wollte darauf leben und sterben, bat wie vorhin, man sollte ihr nur abhelfen und [sie] nit länger sitzen lassen.“

Sententia oder Endurteil

Der seelische Zusammenbruch der Gefolterten äußerte sich also nicht nur, indem sie der Mitangeklagten die unsinnige Komplizenschaft und Teilnahme am Hexensabbat ins Gesicht sagte, sondern vor allem auch darin, dass sie jetzt nur noch einen schnellen Tod wünschte. Das Gericht entsprach der Bitte und kündigte ihr einen Tag später die Hinrichtung für den darauffolgenden 5. Juli an.

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Obzwar eine solche Ankündigung vermöge carolinischer

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Constitution [Strafgesetzbuch Kaiser Karls V.] drei oder zwei Tage vorher geschehen müsste, so geschehe dieses auf ihr gestriges Bitten und Begehren. Dafern sie aber noch einige [irgendein] Bedenken oder etwas uffm Herzen verborgen und zu entdecken hätte, sollte ihr auch länger Zeit rechtlicher Verordnung nach verstattet werden. Darauf sie geantwortet ,nein‘, besonders nahm solche Ankündigung gutwillig an, bat daneben mit gefalteten Händen, man sollte nur morgen mit ihr fortfahren und helfen, dass ihre Seele zu Gott, dem sie die nun befohlen hätte, kommen möchte, auch allesamt ein Vaterunser für sie beten. Freitag, den 5. Juli. Anwesend: die Herren Kommissare, der Richter und zwei Schöffen. Ist diese Engel Moller ihrer vorigen Konfession [Geständnis] halber erinnert und zu Gemüt geführet, dass, wann sie einen oder andern aus Hass oder Neid denunziert hätte, solches anjetzo andeuten und ihrer Seele nicht zu kurz [zum Schaden] tuen sollte. Darauf sie über alle Posten beständig geblieben und selbige ihre Konfession konfirmiert [bekräftigt], dass sie darauf leben und sterben, auch an jenem Tag bei Gott das verantworten wolle, willig erboten und ihr aufs baldigste vom Leben zum Tod zu verhelfen inständig gebeten. Hierauf den Herrn Pastor zu ihr gerufen, gestalt [um] bis an die Gerichtsstätte mit Beten zu führen, allwo sie öffentlich auf beschehene fiskalische Anklage [Anklage des „Staatsanwalts“] und gerichtliche Frage ihre Urgicht [Geständnis] nochmalen ratifiziert und darauf folgendes Urteil vorgelesen und publiziert: Auf Klage, Antwort und notdürftige [notwendige] wahrhafte Erfahrung, so alles nach des Kaisers Caroli des Fünften

Sententia oder Endurteil

und des heiligen Reichs Ordnung geschehen, wird von uns, Richter und Schöffen, mit Zuziehen der verordneten Herren Commissarien der hochedelgeborenen und gestrengen sämtlichen Westphalen, Gerichtsherren zum Fürstenberg, zu Recht erkannt: Demnach gegenwärtige [anwesende] Engel Moller Gott abund dem Teufel zugesagt, das abscheuliche Laster der Zauberei gelernet, dadurch sich und ihrem Nebenmenschen Schaden zugefüget, dass sie derentwegen ihr zu wohlverdienter Strafe, andern aber zum abscheulichen Exempel mit dem Schwert vom Leben zum Tod gerichtet, ferner deren Leib durch Feuer verbrannt werden solle, inmaßen wir Richter und Schöffen sie dazu verdammen Von Rechts wegen. Das vorgeschriebene Urteil den Rechten gemäß, bezeugen wir Unterschriebene. gez. Antonius Berg, Doktor.

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gez. Wilhelm Steinfurt, Doktor.

Darauf bedankte sich der Vertreter der Anklage formell und bat um die „Exekution: Ist darauf dem Scharfrichter solche zu vollziehen überantwortet und sein Amt zu verrichten anbefohlen worden, wie dann geschehen, sie also justifiziert [hingerichtet], beständiglich und contrit [reumütig] gestorben“. Auch nach 350 Jahren liest man dieses Protokoll mit Bewegung. Das Ringen der Frau mit den Richtern, ihre zaghaften Versuche am Anfang, nicht zu viel Unsinniges zu „gestehen“, das schrittweise Herauspressen alles dessen, was die Juristen hören wollten, der Wunsch, den schnellen Tod weiteren Folterungen vorzuziehen, das ungewisse, untätige Warten von über einer Woche, die scheinbare Versöhnung mit Gott und der Welt

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Folter durch Schlagen mit Ruten, ausgeführt vom Scharfrichter und seinen Gehilfen, während der Kommissar den Angeklagten verhört, um ein Geständnis und die Namen der Komplizen zu erpressen.

am Schluss. Was mag in Angela Moller vorgegangen sein, als sie der Mitangeklagten Lise Bödeker ins Gesicht Taten vorwarf, die genauso absurd waren wie ihr eigenes Geständnis und die Besagungen weiterer Personen? Offenbarte sie dem Pastor die Wahrheit und glaubte dieser ihr, versuchte er dem unschuldigen Opfer Trost zu spenden und den Glauben an einen liebenden Gott zu erhalten? Demgegenüber das hartnäckige Insistieren der vernehmenden und folternden Männer, keine Sadisten, sondern qualifizierte Beamte und fromme Christen, für die von der Verhaftung an die Schuld der Angeklagten und damit auch ihr Todesurteil feststand, voll von Zufriedenheit mit der schließlich „kooperativen“, reumütigen Hexe. Sie hatten sich nichts vorzuwerfen, wie sie meinten. Wäre ein Zeitgenosse ihnen mit Friedrich Spees Cautio Criminalis, dem Hinweis auf die Wertlosigkeit

D i e Wa s s e r p r o b e

von erfolterten Geständnissen entgegengetreten – Dr. Berg und Dr. Steinfurt hätten sich auf das Strafgesetzbuch Kaiser Karls V. berufen (wo aber nur von Schadenzauber, nicht von Hexensabbat die Rede ist!), ferner auf die herrschende (aber bröckelnde!) Lehre in der Jurisprudenz, dazu die Zeugenverhöre, die doch scheinbar den Schadenzauber bestätigten, und schließlich das Geständnis der Angeklagten, das sie ohne Folter bekräftigt hatte, und darauf, dass ihr doch eingeschärft worden war, keinen Unschuldigen zu belasten (obwohl sie selbst die Ausweitung der Denunziationen erzwungen hatten). Alles ein gottgefälliges Werk, im Kampf gegen den Satan – und die reumütige Sünderin gab durch ihre fromme Umkehr ein gutes Beispiel für verstockte Hexen, ihre Hinrichtung diente der Abschreckung, man verbrannte sie ja auch nicht bei lebendigem Leibe, sondern verkürzte die Todesqualen durch den Schwertstreich des Scharfrichters (wie allgemein seit einigen Jahrzehnten üblich).

Die Wasserprobe

Drei Wochen später wurde auch die von Frau Moller besagte Lise Bödeker hingerichtet. Dann aber gab es Schwierigkeiten. Zwei inhaftierte Frauen waren trotz Folter zu keinem Geständnis zu bewegen. Eine von ihnen war auf eigenen Wunsch der Wasserprobe unterzogen worden. Selbst fanatische Hexenjäger des 17. Jahrhunderts beurteilten die Wasserprobe, ein Relikt der mittelalterlichen Gottesurteile, als Aberglauben. Die Angeklagten wurden dabei gefesselt ins Wasser geworfen. In Westfalen galt es in der Bevölkerung als Schuldbeweis, wenn sie an der Oberfläche schwammen – was oft vorkam. Geklärt ist die Wurzel dieses Aberglaubens noch nicht. Möglicherweise lag ihm die Vorstellung zugrunde, Hexen seien infolge ihrer Verbindung mit dem Teufel, einem geistigen Wesen, leichter als irdische Ma-

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terie und könnten deshalb fliegen bzw. sogar in gefesseltem Zustand schwimmen. In dem Städtchen Oudewater in den Niederlanden gab es eine berühmte Waage, mit deren Hilfe Verdächtige sich bescheinigen lassen konnten, dass sie ein normales Gewicht besaßen. Sogar ein Bewohner des Hochstifts Paderborn soll deswegen nach Oudewater gereist sein, wie Nicolaas Borremans 1657 im Vorwort zu der niederländischen Übersetzung von Spees Cautio Criminalis mitteilte. Manche Angeklagten sahen also in der Wasserprobe ein Mittel, ihre Unschuld zu beweisen. Wenn Gerichte diesem Begehren nachgaben, dann wohl in der Hoffnung, ein negativer Ausgang werde die „Hexe“ zu einem Geständnis bewegen. Somit wurde die Angeklagte Trina Kefferbaum am 20. Juli 1658 in Anwesenheit der Schöffen und des Gerichtsfronen, des „Justizwachtmeisters“, „zum Wasser gebracht […], auch protestiert, dass man [das Gericht] deswegen unschuldig sei und solches uf ihr emsiges Begehren tun müsste; sollte sich eines anderen bedenken, sie aber blieb beharrlich dabei. […] Als sie nun der Meister [Scharfrichter] gebunden und hineingelassen, hat sie öffentlich dahergeschwommen; ob sie gleich den Kopf hineingetauchet, ist der Hindern boben geschwommen; hat auch nicht geholfen, ob sie gleich der Meister mit der Stange hinunterdrücken wollen. Imgleichen solches zum anderen [zweiten] Mal, zum dritten Mal, hat sie der Meister losgebunden und hineingelassen, ist sie gleichergestalt dahergeschwommen.“9 Trotzdem beharrte Frau Kefferbaum darauf, sie sei unschuldig. Daraufhin ließ man sie frei, aber nicht wegen erwiesener Unschuld, sondern mangels Beweises, d. h. Geständnisses, und sie wurde für ein Jahr aus dem Gerichtsbezirk, dem Dorf Fürstenberg und seiner Umgebung, ausgewiesen. Zum Schrecken der Richter blieb es nicht bei dieser einen Widerspenstigen. Zur selben Zeit, im Juli /August 1658, war

Ly n c h j u s t i z

einer weiteren Frau, Enneke Groten, trotz Konfrontation mit der geständigen Lise Bödeker und Folter kein Geständnis zu entlocken. Sie musste nach einem Monat Untersuchungshaft ebenso wie Trina Kefferbaum freigelassen werden. Mit dem – aus der Sicht der Juristen – unbefriedigenden Ausgang dieser zwei Prozesse fand die Hexenverfolgung in der Herrschaft Fürstenberg ein vorläufiges Ende. Fast ein Jahr später, im Juni 1659 begann eine neue Serie von Verfahren, zumeist gegen die von den ersten Prozessopfern, Engel Moller und Lise Bödeker, Besagten. Drei Männer und fünf Frauen wurden hingerichtet, unter ihnen eine Besessene, die mit ihren Beschuldigungen die Verfolgung von 1658 mit ausgelöst hatte.

Lynchjustiz

Noch mehr Aufsehen als diese Justizmorde erregten zahlreiche Fälle von Totschlag Anfang August 1658, begangen von „Besessenen“ an „Hexen“ und „Zauberern“. Solche Exzesse hatte man bereits Mitte Juni aus dem Dorf Scherfede vernommen. Sie wiederholten sich in noch größeren Umfang anderthalb Monate später in demselben Raum, der Warburger Börde. In Borgentreich, nach Paderborn, Warburg und Brakel eine der größten Städte des Landes, bzw. in der Nähe (Dorf Lütgeneder) kamen sechs Personen, davon drei Frauen, auf grausame Weise ums Leben. Der Einsatz von Militär gegen die Totschläger aus dem Gebiet um Scherfede hatte nicht abschreckend auf die anderen Besessenen in der Warburger Gegend gewirkt. Welches Gewaltpotenzial hier im Sommer 1658 vorhanden war, geht als Erstes aus einer langen Bitt- und Protestschrift des mutigen Pfarrers des Dorfes Körbecke, Jodokus Aderhausen, an Bischof Dietrich Adolf vom 28. Juli hervor.10

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Tod einer Angeklagten unter der Folter, während im Hintergrund für die Gerichtskosten der Nachlass inventarisiert wird.

Gewalt gegen Kinder

Er beklagte die Tätlichkeiten der angeblichen Besessenen gegen Gemeindemitglieder, darunter ein kleines Mädchen von sechs oder sieben Jahren, und hob dabei folgenden Fall gegen ein anderes Kind hervor: „Ich protestiere vor Gott und vor der Welt über den großen Mutwillen der vermeinten Besessenen, welchen sie am Fest der hl. Anna [26. Juli] wider Cort Meiers Tochter Engel geubet haben. Unterdessen, als seine Tochter in der Kinderlehre war, haben sie den Kirchhof und die Kirche umbher besetzet, und da dasselbig [Mädchen] aus der Kirche kam, ist Hermann Kisten ganz verständig, auch wohl wissend, dass er nichts auf dem Kirchhof solle und musste anfangen, ohne eine einzige teuflische Commotion [Bewegung] vor ihm

G e wa l t g e g e n K i n d e r

hergangen, über die Stiege des Kirchhofs gestiegen und, sobald das Mägdlein auch darüber gefolgt, ein wenig von der Seite es angesehen und gleich nach einem Stein gegriffen und nach ihm geworfen. Das Mägdlein aber, wohl gemutet, ging auf ihn los und ergriff ihn bei den Haaren, sich zu wehren und seine Unschuld zu erkennen zu geben. Weil aber – viele Hunde sind der Hasen Tod – Jost Gotten, ein junger Gesell – an welchem auch bis hieher nichts ratione obsessionis [an Besessenheit] ist verspüret worden und sich aus Mutwillen zu den vermeinten Besessenen geschlagen, als wann er auch besessen wäre – dem anderen zu Hulf kam, wie auch Engel Kistener und mit Steinen auf das Mägdlein geschmissen“, wären noch andere dazugekommen, „wenn nicht des Mägdleins beide Schwäger ihm wären beigestanden. Sobald Hermann Kisten, Jost Gotten und Engel Kistener solche Opposition gemerket, [sie] sich davongemacht. Diesen Frevelmut, Bosheit und Mutwillen haben angesehen schier bei die 30 Personen, so meistenteils große Prügel in Händen gehabt […] Dass aber einer oder aus ihnen ein einziges Zeichen des Mitleidens solle erzeiget haben und dem notleidenden Mägdlein beigesprungen sein, das ist weit von ihnen gewesen, sondern vielmehr ihrer etliche geschrien: ,Lass du sie frei daraufschlagen!‘“ Der Pastor betonte die Frömmigkeit des Mädchens, das demnach mit Sicherheit keine Hexe sein könne, und fuhr dann in seiner Schilderung fort: „Weil ich aber über diesen so großen Mutwillen auf dem Kirchhof tat protestieren, ist Meinolf Sullewalt hervorgegangen, mich mit ungebührlichen Worten angefallen und mit einem großen Stecken zu schlagen angedrohet, auch solches getan hätte, wenn sein Vater ihn nicht davon abgehalten hätte. Über diesen so großen Mutwillen protestiere ich heutigen Tags und will am Jüngsten Gericht darüber protestiert haben, wofern uns nicht von der hohen Obrigkeit wird beige-

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sprungen. Ich mit allen meinen Pfarrkindern protestiere öffentlich und begehre, dass man uns wolle beispringen, sonst muss ich die Kirche und Kinderlehre aufgeben, weil sie von wegen der vermeinten Besessenen haufenweise aus der Kirche bleiben und wollen auch ihre Kinder nicht mehr zur Kinderlehre schicken. Ich protestiere abermals über die bösen und lasterhaftigen Jungen in dieser Gemeinde, welche nirgends anders von reden als von dem Ausschreien des Teufels, glauben demselbigen und frohlocken über das Unglück ihres Nächsten. Das Saufen, wenn die Besessenen im Wirtshaus, hat noch kein Ende, inmaßen den 27. Julii noch etliche derselben dareingelaufen, und weil sie von Johann Hoffmann mit Gewalt und gar ungestümig begehrt haben, dass er ihnen wollte zu saufen schaffen, da hat ein Reuter [berittener Soldat] von Ihrer hochfürstlichen Gnaden denselben opponiert, mit harten Worten ihnen zugeredet und durch Ausziehung des Degens [sind sie] davongelaufen.“ Der Pfarrer schloss seine Eingabe mit dem dringenden Appell: „Dies sind die Früchte des Teufels. Wo nit bald ein strenges Einsehen geschieht, so ist es mit dieser Gemeinde verloren. Dieweilen denn die [Adligen] Spiegel zum Desenberg, so sich der Criminaljurisdiktion allhie annehmen, wider dieses alles das geringste nicht statuieren, viel weniger die Besessenen in einem oder andern mit Worten oder Bedrohung bestrafen.“

Mord und Totschlag

Jodokus Aderhausen hielt, wie der Brief zeigt, die Besessenen von Körbecke für Simulanten und voll verantwortliche Straftäter. Was in diesem Dorf, dank einiger resoluter Männer, glimpflich ausging, nahm in dem benachbarten Städtchen Borgentreich einige Tage später, Anfang August 1658, einen ganz anderen Verlauf.

M o r d u n d To t s c h l a g

Aus der Führungsriege des Hochstifts erfuhr als einer der ersten der Generalvikar Dr. Herting davon. Weil „in Borgentreich die Besessenen sehr tumultuierten und keiner zu Hause behalten worden“, zitierte er Bürgermeister und Kämmerer wegen dieses Verstoßes gegen den Erlass des Bischofs für den 7. August nach Paderborn. Unterdessen vernahm er, dass am Sonntag zuvor, dem 4. August, „7 Mannspersonen [in Wirklichkeit acht Männer] von den Besessenen aus Borgentreich […] in dem Dorf Lütgeneder ein Weib totgeschlagen, auch [zwei Tage zuvor] zu Borgentreich ein Weib totgeschlagen.“ Bürgermeister und Kämmerer warteten mit einer weiteren Hiobsbotschaft auf: die Verbrechen hatten sich am Vortag, dem 6. August fortgesetzt, indem zwei Männer in Borgentreich umgebracht worden waren.11 Die gleiche Aggressionsbereitschaft existierte etwa 15 Kilometer weiter westlich, in dem Dorf Borlinghausen. Hier erschlugen am 5. August drei besessene Männer einen gerade des Weges kommenden Boten. Der neue Blutrausch im Raum Warburg, eine Fortsetzung der schrecklichen Ereignisse von Scherfede (Mitte Juni), begann am Freitag, dem 2. August, als sich in Borgentreich acht Männer zusammenrotteten und, wie eine Untersuchung erbrachte, „um Mittag Greten Steven erstlich in Freitags Haus mit großen Bengeln [Knüppeln] ganz blutig geschlagen und endlich in ihrem eigenen Haus ohne einzig gegebene Ursache ganz jämmerlich ermordet haben.“12 Fünf der Täter brachten zusammen mit einem weiteren Mann sowie einer jungen Frau am darauffolgenden Sonntag außerhalb der Stadt eine Bewohnerin des Dorfes Lütgeneder um. Der Terror erreichte am 6. und 11. August den Höhepunkt. Zwei der an den beiden Taten der Vortage beteiligten Männer schlugen am Mittag des 6. August einen Mann aus dem Nachbardorf Bühne im Hause eines Adligen in Borgentreich, „im Beisein der Edelfrau […] in der Küche mit Knüppeln tot“.13

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Ein anderer wurde auf der Straße umgebracht. Denselben beiden „Besessenen“ gelang es mit drei anderen, die schon an den Gewaltakten des 2. und 4. August beteiligt gewesen waren, am Sonntagvormittag, dem 11. August, als die Leute aus der Kirche kamen, auf dem Kirchhof zu Borgentreich eine Frau mit Knüppeln totzuschlagen. Drei von ihnen töteten noch am Nachmittag auf dem Marktplatz von Borgentreich einen alten Mann. Es ist erstaunlich, dass nicht schon nach dem ersten Verbrechen die Täter unschädlich gemacht wurden, sondern sie in den folgenden Tagen noch fünf weitere Personen umbringen konnten. Dazu trug bei, dass den Überfallenen niemand wirksame Hilfe leistete. Bei dem Verbrechen, das die Serie einleitete, schrie zwar die Schwägerin des Opfers um Hilfe, musste aber feststellen, „dass demnach keiner helfen wollte, [obwohl] doch die ganze Straße voller Volks […] [gewesen] und zugesehen.“14 Der städtische Magistrat hatte schon vor dem 7. August einige Besessene in Haft genommen, doch entkamen sie aus den nur ungenügend gesicherten Stadttürmen. Die Schlösser konnten leicht aufgebrochen werden, und es mangelte an zuverlässigem Wachpersonal.15 Angesichts der Unfähigkeit, ja zum Teil sogar des Unwillens der Einwohnerschaft, das Leben ihrer Mitbürger zu schützen, war der „Staat“ gefordert, seine damals wie heute vornehmste Aufgabe wahrzunehmen. Im Rahmen seiner Möglichkeiten handelte Bischof Dietrich Adolf angemessen: Wiederum wurde das Militär eingesetzt. Am 8. August erhielt Kapitänleutnant Franz de Fonte den Befehl, die Totschläger festzunehmen und auf die bischöflichen Burgen Dringenberg und Wewelsburg zu bringen. Auch die drei Männer, die in der Nähe von Borlinghausen den Boten umgebracht hatten, wurden gefasst. Einer von ihnen, der junge Vitus Jost, konnte zunächst aus der Haft fliehen, man

Die Ermordung eines Fremden

spürte ihn aber bald in einem Versteck bei seiner Großmutter auf und nahm ihn erneut fest. Sogleich wurde der Strafprozess eröffnet, der von einem bischöflichen Juristen geleitet wurde. Der Angeklagte sagte aus, die Großmutter habe ihn überredet, Besessenheit zu simulieren, und von einem Komplizen, einem Schäfer, sei er zu dem Totschlag angestiftet worden. Der Richter witterte hinter allem Hexerei, und tatsächlich „entlarvte“ er den Jungen als Zauberer, der das übliche ausführliche Geständnis ablegte. Der Jurist verurteilte ihn deswegen zusammen mit einer „Hexe“ zum Tode, nachdem er sich der Zustimmung des Landesherrn sicher war. Das Todesurteil wurde vollstreckt. Leider sind die Akten des Falles, wie die aller Hexenprozesse unter der Gerichtsbarkeit des Bischofs, nicht mehr erhalten. Dagegen liegen von den Verfahren gegen die beiden Komplizen sowie gegen die Angeklagten aus Borgentreich die Prozessakten vor, zwar nicht vollständig, aber doch so, dass man ein ausreichendes Bild vom Ablauf der Ereignisse und zum Teil auch von den Persönlichkeiten der Täter gewinnen kann. Die Verhöre der Angeklagten brachten das überraschende Ergebnis, dass sie keine persönlichen Beziehungen zu den Opfern hatten, zum Teil kannten sie sich gegenseitig kaum, insbesondere lebten sie miteinander nicht in Feindschaft. Den Mördern war lediglich zu Ohren gekommen, dass es sich um Hexen handele. Diese Aussagen sind glaubhaft, denn damit belasteten die Männer sich selbst, indem sie kein individuelles Motiv, etwa Beleidigung, vorschützten, das sie den Richtern präsentieren konnten, um Verständnis zu gewinnen.

Die Ermordung eines Fremden

Dies gilt insbesondere für die Bluttat in der Nähe des Dorfes Borlinghausen am Montag, dem 5. August, genau in den Tagen,

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als sich in dem wenige Stunden entfernten Borgentreich Ähnliches abspielte. Opfer war in diesem Fall sogar ein völlig Fremder, ein Botenläufer, der mit seinen Briefen auf dem Weg vom lippischen Lemgo in die Grafschaft Waldeck war. Vor dem Bau der Eisenbahnen wurden neben der Pferdepost speziell trainierte Läufer zur Übermittlung von Nachrichten, sogar über weite Strecken, eingesetzt. Die Haupttäter waren ein Schäfer, Johann, und zwei „Pflugjungen“, Jugendliche, die beim Pflügen und anderen Arbeiten halfen: Heinrich Schollen und Vitus Jost. Ferner beteiligte sich ein ca. 15 Jahre altes Mädchen. Aufgrund der übereinstimmenden Aussagen der beiden Zeugen sowie der Geständnisse von zweien der Täter lässt sich folgender Tathergang rekonstruieren:16 Schollen und die Zeugen mähten gerade an einem Wege Gras, als der junge Vitus zu ihnen in die Wiese kam, bald gefolgt von dem Schäfer, der seine Herde verließ, unter Rufen wie „Kamerad“ und einigen wohl für Besessene typischen „Gesticulationes“. Als die drei Mäher „das Morgenbrot gegessen und ihre Sensen bei sich liegend gehabt, haben der Junge und der Schäfer zugegriffen und angefangen zu mähen. Indem der Schäfer sich umgesehen und gesagt ,Ich rieche einen Werwolf‘, darauf der Junge gerufen ,Ich rieche auch wohl einen‘ und dazu gesagt ,Den wollen wir totschlagen!‘ [nach Aussage des anderen Zeugen stammt diese Aufforderung von dem Schäfer]. Auch allsofort die Sensen aus den Händen geworfen und zugleich der Schäfer, der Junge und Heinrich Schollen aus der Wiese auf den Boten zugelaufen, aus den Hecken trockene Stämme und Knüppel gerissen und [ihn] allsofort zur Erden geschlagen, dass er heftig am Haupte und Angesicht geblutet und, wie ein Zeuge dazu, [ihn] zu retten, gelaufen kam, gerufen ,Rettet mich, rettet mich!‘, er [der Zeuge] Schollen dar abgezogen, der Schäfer aber gerufen ‚Du Hexenverteidiger!‘ und et-

Die Ermordung eines Fremden

liche Streiche neben dem Jungen gegeben und damit den Boten verlassen, so sehr geblutet und liegen geblieben. Der Schäfer sei nach seinen Schafen zu der Herde gegangen, neben dem Jungen. Zeuge und Schollen seien wieder nach der Wiese gegangen und gemäht.“ Als der Schäfer mit seiner Herde wieder näher kam, „habe er mit seinem Schäferhaken auf denselben [den Boten] geschlagen und aufzustehen und vor ihm her zu gehen gezwungen und etliche harte Streiche mit dem Schäferhaken weiter gegeben, darauf der Junge, welcher sonst davon abgegangen gewesen, wieder herzugelaufen und mit dem Knüppel schlagen helfen, bis der Bote zur Erde wieder gefallen. So sei auch Schollen, wie er solches gesehen, aus der Wiese gelaufen und mit einem Knüppel schlagen helfen, und sei gleich des Meiers zu Borlinghausen Konrad Deters Tochter, so auch für besessen gehalten wird, casu [zufällig] dabei kommen und mit einer Harke, so sie in den Händen gehabt, auf den Boten schlagen helfen. Und wie derselbe tot zu sein vermeinet, haben sie Erdbrocken und -klumpen darauf geworfen und ihn damit bedeckt. Wie sie aber davon gewesen, habe sich der Bote ermuntert und sei unter den Brocken weg bis durch eine Recke [Engpass oder Zaun], so allernächst dabei, gekrochen und da tot gefunden worden.“ Noch heute erfüllt den Leser die Schilderung mit Entsetzen und Mitleid. Gleiches gilt für die Berichte über die Exzesse in Borgentreich. Es drängt sich die Frage nach dem Geisteszustand der Täter auf. Schon die Zeitgenossen beantworteten sie ganz unterschiedlich. Dies hing mit der Beurteilung der angeblichen Besessenheit zusammen, als echt (so Löper), als simuliert (so z. B. der Pfarrer von Körbecke) oder als Hexerei (so der Richter in Bezug auf den jungen Vitus). Medizinische Erklärungsversuche spielten keine große Rolle. Beschränkt man den Blick zunächst auf äußere Merkmale

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der Täter, so fällt auf, dass die meisten junge Männer waren. Frauen oder Mädchen beteiligten sich nur am Rande an den Verbrechen. In puncto Beruf ist festzustellen, dass die meisten Täter als Knechte in der Landwirtschaft tätig waren. In Alter (um die 20 Jahre), sozialer Stellung (landwirtschaftliches Gesinde) und wohl auch im Familienstand (überwiegend ledig) stimmten also diese männlichen Besessenen weitgehend mit den weiblichen überein. Sie unterschieden sich in der Aggressionsbereitschaft. Die Mädchen begnügten sich im Allgemeinen mit Verbalinjurien, Zerstören von Fensterscheiben und Steinwürfen gegen Personen. Bei den erwähnten jungen Männern steigerte sich die kriminelle Energie darüber hinaus bis hin zum Totschlag.

Besessene Mörder vor Gericht

Inwieweit waren sie für ihre Verbrechen verantwortlich? Die zwei der drei Täter aus Borlinghausen, von denen Vernehmungsprotokolle erhalten sind, gaben unumwunden zu, dass sie die Besessenheit vorgespiegelt hatten, jeweils von einem anderen dazu angestiftet. Das galt auch für die meisten der Borgentreicher. Vier von ihnen legten Anfang September vollständige Geständnisse ab, indem sie erklärten, die Besessenheit simuliert zu haben und die Tötungen mit voller Absicht, höchstens durch den einen oder anderen angestachelt, vorgenommen zu haben. Einer der Haupttäter blieb zunächst flüchtig, wurde aber im Laufe des September gefasst. Er erklärte im Unterschied zu den anderen, er sei besessen gewesen und könne sich daher an nichts erinnern. Einen Monat später nahm er diese Verteidigungsposition zurück und gestand das gleiche wie seine Komplizen. Die Reaktionen der Richter auf die Einlassungen sind nur zum Teil überliefert. Das Schicksal der beiden Angeklagten aus

Besessene Mörder vor Gericht

Borlinghausen nach ihrem Geständnis geht aus den Akten nicht sicher hervor. Von den Borgentreichern saßen sechs zunächst auf der Wewelsburg in Untersuchungshaft. Zuständig für sie waren – im Unterschied zu den Hexenprozessen in Brakel und in Willebadessen – nicht die Hofrichter um Dr. Warnesius, sondern die bischöflichen Räte. Anders als der Richter, der mit dem jungen Vitus aus Willebadessen kurzen Prozess gemacht und ihn innerhalb weniger Tage als Hexer hatte hinrichten lassen, setzten die Räte ein normales Strafverfahren in Gang. Hierfür nahm man sich im Vergleich zu den Hexenprozessen viel Zeit. Die Zeugenverhöre dauerten bis Anfang Dezember. Dann traten sogar Verteidiger auf. Diese führten gegenüber der Anklage besonders ins Feld, dass sich zumindest bei drei der Angeklagten wieder Symptome von Besessenheit zeigten. Daher seien ihre Mandanten nicht für die Morde verantwortlich zu machen, sondern hätten als willenlose Werkzeuge des Teufels zu gelten. Damit kam zwischen Anklage und Verteidigung ein Disput in Gang, in dem die theologische Diskussion zwischen Löper und seinen Gegnern ihren Widerhall fand. Der Fiskal (Ankläger) berief sich bezeichnenderweise auf das Gutachten des römischen Dominikaners und Mitarbeiters der Inquisition, Pater Michael Angelo, vom Januar 1657, insbesondere auf die These, „dass der Dämon keine Macht über die Besessenen hat, wenn sie nicht in seine Versuchungen einwilligen“.17 Der Jurist betonte damit die Willensfreiheit, d. h. die Verantwortlichkeit der Täter für ihre Verbrechen. Im April 1659 behaupteten die drei Inhaftierten, die inzwischen von der Wewelsburg nach Schloss Neuhaus verlegt worden waren, also in die unmittelbare Umgebung des Bischofs und seines Ratskollegiums, ihre Geständnisse seien erzwungen worden. Zwei von ihnen nahmen dies aber in einem Verhör

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Öffentliche Hinrichtung von zwei Verurteilten durch Verbrennen in einer Strohhütte, wobei das Leiden durch vorherige Erdrosselung verkürzt wird. Im Hintergrund wird die Leiche einer in Haft verstorbenen, für schuldig erklärten Person schimpflich auf einem Schlitten zum Scheiterhaufen geschleift.

wieder zurück. Tatsächlich ist in den Aktenfragmenten nirgendwo von einer Folterung im Rechtssinne, mit den dabei üblichen Methoden (Daumen- und Beinschrauben, Hochziehen), die Rede. Vielmehr waren die Angeklagten verprügelt worden. Der Verteidiger wies nicht ungeschickt darauf hin, dass eine solche Art der „Teufelsaustreibung“ gegen das Rituale Romanum verstieß. Bischof Dietrich Adolf, unter dessen Augen dieses in der Paderborner, vielleicht sogar in der deutschen Rechtsgeschichte einmalige Strafverfahren ablief, muss sich in der rechtlichen Würdigung sehr unsicher gewesen sein. Das ist abzulesen an der äußerst ungewöhnlichen Länge des Prozesses, wenigstens

Besessene Mörder vor Gericht

gegen drei der Angeklagten. Noch im Juli 1660, also nach fast zwei Jahren, waren sie in Untersuchungshaft. Die Prozessakte schließt mit dem 6. Juli 1660. An diesem Tag teilten die anwesenden vier Räte den drei Inhaftierten mit, der kommende Samstag sei der dies executionis, der Tag der Exekution. Einer von ihnen blieb dabei, er habe die Taten ohne Vorsatz, gemeint war: ohne Wissen und Willen, begangen. Die Hinrichtung dürfte vollstreckt worden sein, auch gegen weitere fünf Besessene, die an den Morden im Raum Borgentreich bzw. Borlinghausen beteiligt gewesen waren, nachdem schon 1658, wie dargelegt, der junge Vitus als Hexer verbrannt worden war. Daher kommt man auf eine Gesamtzahl von neun besessenen Männern, die als Mörder von bischöflichen Gerichten zum Tode verurteilt wurden, wie der Verfasser der Verschronik zufrieden feststellte:

[

neun besessenen Mördern, die zuletzt verbrannt wie Zauberer, […]

]

nach der Justiti Order.18

Etwas mildere, nach heutigen Vorstellungen aber immer noch grausame und entwürdigende Strafen verhängte man gegen andere als Simulanten erkannte Besessene. Der Bischof ließ vier Personen unter Schlägen des Landes verweisen. In einem Fall wurde die Frau wegen der Schwere ihrer falschen Beschuldigungen und ihrer Angriffe zusätzlich auf Lebenszeit gezeichnet: Auf ihre Backen wurd’ gebrannt ein Galg’ und Schwert durch Henkers Hand.19

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Die Wende

Im Herbst 1658, zweieinhalb Jahre nach dem Ausbruch des rätselhaften „Teufelswerks“, etwa drei Monate nach seinem Höhepunkt, der Hexenverbrennung in Brakel, kam die Wende. Sie zeigte sich, für alle Bürger der Stadt sichtbar, am 6. Dezember 1658 in einer spektakulären Aktion der bischöflichen Räte. Sie ließen mit dem üblichen Zeichen, dem Läuten der Glocke, die Bürgerschaft Brakels auf das Rathaus rufen. In der Ratsstube rollten sie in aller Breite die Geschichte der Intrige um Möhrings Absetzung auf. Die bischöflichen Räte verkündeten den Bürgern, „dass die ganze bisher allhier entstandene Zwietracht allein aus einer in Schriften verfasster Brakelscher Besessener zu Paderborn getaner Aussage, so anhero getragen und unbesonnener Weise der hiesigen Gemeinde vor zwei Jahren ungefähr vorgelesen worden, ihren Ursprung genommen“.20 Diesen Aussagen der Besessenen sei aber „von Rechts wegen“ nicht zu trauen. Gemeint war die tumultartige Verlesung von Löpers Exorzismusprotokoll im Frühjahr 1657 auf Veranlassung von vier Bürgern, die zur Absetzung von Bürgermeister Möhring und Kämmerer Duffhuß geführt hatte. Anschließend vernahm die Bürgerschaft den Wortlaut der Briefe, in denen die Stadt Höxter den bischöflichen Räten auf Anfrage bescheinigt hatte, dass in den dortigen Hexenprozessprotokollen kein Bewohner Brakels als Hexe besagt worden waren. Als Ergebnis ihrer Untersuchungen verkündeten die Doktoren Hansche und Brickwedde, „dass auf bloße solche der Besessenen Aussage ein ehrlicher Mann seiner Ehre, Ratsstelle und guten Namens billig nicht entsetzt werden sollte und dass auch deswegen in Publikation solcher Aussagungsschriften zu viel [d. h. Unrecht] geschehen“. Der Stadtsekretär hielt weiter im Sitzungsprotokoll fest:

D i e We n d e

Exorzismus an einer Angeklagten durch zwei Mönche in Anwesenheit von Richter (Kommissar) und Schöffen. Am Boden liegen Folterwerkzeuge bereit.

„So haben obgesagte vier in Gegenwart beider Räte [Ratskollegien von 1657 und 1658] und Gemeinheit öffentlich auch erklärt, dass derowegen auch Bürgermeister Möhring und anderen in selbiger Aussage Begriffenen, Geist- und Weltlichen, von ihnen […] Unrecht widerfahren [sei] und besagten Bürgermeister Möhring darum inständig gebeten, ihnen solches aus christlicher Liebe zu verzeihen, welches dann derselbe auf Zusprechen anwesender Herren Räte und Darbietung gemelter [erwähnter] Vieren Hand endlich getan und geschehen lassen.“ Ob Möhring sich wirklich erst jetzt erweichen ließ oder ob die ganze Szene nicht zwischen den Hauptakteuren von vornherein so abgesprochen war, ist letzten Endes unerheblich. Jedenfalls war die mehrfach betonte „christliche Liebe“, an die appelliert wurde, keine Floskel. Nach christlichem Verständnis hat ein geständiger und reuiger Sünder Anspruch auf Verzei-

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hung. Derjenige, dem er Unrecht getan hat, kann ihm dies nicht verweigern, vor allem nicht, wenn er in aller Form in der Öffentlichkeit angesprochen wird. Der Frieden wurde symbolisch durch den Handschlag zwischen Möhring und seinen vier Gegnern wiederhergestellt. Möhring begnügte sich nicht mit der Wiederherstellung seiner persönlichen Ehre, sondern war bestrebt, dass auch seine Freunde, d. h. die Kapuziner und die als „Hexen“ diffamierten Bürger, rehabilitiert wurden. Aber was war mit dem als Werwolf hingerichteten Ferdinand Duffhuß und den anderen verbrannten Hexen? Der Name des fünf Monate zuvor getöteten Stadtkämmerers fiel in der Bürger- und Ratsversammlung nicht, indirekt wurde aber an seinen Fall erinnert, denn in dem nun als Lüge klassifizierten „Teufelsbrief“ war er in gleicher Weise wie Möhring (neben dem Kapuziner-Guardian und der Magd Katharina Meier) verleumdet worden. Zu mehr als zu einer solchen Entlastung reichte es nicht. Mit dieser Version konnten die drei Paderborner Juristen Warnesius, Weltermann und Koch, die Duffhuß mit Zustimmung des Bischofs hatten hinrichten lassen, gerade noch leben. Denn sie dürften sich mit einem Hinweis darauf gerechtfertigt haben, dass sie Duffhuß offiziell gar nicht aufgrund der Brakelschen Intrigen, sondern auf der Basis von Besagungen geständiger Hexen zum Tode verurteilt hatten. Wenigstens war Möhring glänzend rehabilitiert worden. Die Lage in Brakel beruhigte sich damit entscheidend. Die Kapuziner wurden zwar noch einmal im Januar 1659 behelligt, als vier Besessene einen in der Pfarrkirche die Messe zelebrierenden Pater angriffen, aber der Guardian, Pater Maternus, erwirkte sogleich bei Bischof Dietrich Adolf eine wirksame Anordnung. Die immer noch in Brakel aggressiv werdenden Besessenen sollten festgenommen und in strenger Haft gehalten werden: Nur dreimal pro Woche erhielten sie Wasser und Brot. Diese harte

D i e We n d e

Maßnahme führte nach Darstellung der Kapuziner dazu, dass die meisten Besessenen sich beruhigten, und das sogar ohne Exorzismen. Katharina Maneken heiratete um 1662 einen aus einem Nachbardorf zugezogenen Neubürger. 1672 kam auch ihre Halbschwester Klara, die mittlerweile über 35 Jahre alt war, unter die Haube, wenige Monate nach dem Tod ihres Stiefvaters Stoffel Maneken. Was aus der von den Schwestern und den anderen Besessenen mit tödlicher Feindschaft verfolgten Magd Katharina Meier geworden ist, lässt sich nicht sicher sagen. Wahrscheinlich wurde sie nach langer Untersuchungshaft freigelassen und kehrte nach Brakel zurück. Bürgermeister Düweken wurde 1660 bei der Neubesetzung des Ratskollegium nicht wiedergewählt. Damit erlitt er das politische Schicksal, das er zwei Jahre zuvor Möhring und Duffhuß bereiten wollte. Die ausbleibende Wiederwahl kam einer Absetzung als Bürgermeister und einem Ausschluss aus dem Ratsherrenstand gleich. Düweken musste sich damit abfinden, wenngleich er mit seinem Geschick haderte und versuchte, die Schuld auf Löper abzuwälzen:

[

Nun tut Cord Düweken stets klagen über Löper in seinen Tagen, der ihn gebracht zu der Schand.21

]

Pater Löper musste im „Exil“ fern von Paderborn bleiben. Das änderte sich auch mit dem Tod Bischof Dietrich Adolfs 1661 nicht. Erst als der Jesuit 1669 schwer erkrankte, wurde er „zur Genesung nach seiner Vaterstadt Paderborn zurückgeschickt, starb aber hier, zu Haut und Knochen zusammengeschrumpft, ein lebendiges Beispiel der Geduld, am 25. Mai [1670] gegen Mitternacht“, wie ein Ordensbruder im Nachruf schrieb.22

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Hexensabbat mit Wetterzauber (oben links), Verehrung des Oberteufels (oben Mitte) sowie Hexentanz und -kuss (unten).

Der neue Bischof von Paderborn

Zum neuen Bischof war 1661 eben jener Domherr und päpstliche Geheimkämmerer Ferdinand von Fürstenberg gewählt worden, der 1657 Paderborn über die Haltung Roms zu den Besessenheitsfällen informiert hatte. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger stellte der neue Landesherr eine außergewöhnliche Persönlichkeit dar – einer der gebildetsten deutschen Fürsten seiner Zeit, einer der ersten wissenschaftlich arbeitenden Historiker des Paderborner Landes, ein Poet, mit anderen Geistesgrößen seiner Zeit im Briefwechsel stehend, u. a. mit dem Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz, den er auch persönlich als Gast auf Schloss Neuhaus begrüßte. Leibniz interessierte sich für Leben und Werk Friedrich Spees, dessen Spuren er im Paderborner Land nachging. Viel-

D e r n e u e B i s c h o f v o n Pa d e r b o r n

leicht in diesem Zusammenhang stieß Leibniz auf den bizarren Teufelsspuk, der 1656–59 das Paderborner Land heimgesucht hatte. Dem Erfinder der Differential- und Integralrechnung kam dabei eine der Schriften des Kapuziner-Paters Benedikt unter die Augen, in der dieser den Teufelsbanner Löper angegriffen hatte. Leibniz nahm sie in seine persönliche Manuskriptensammlung auf, aus der einer der frühen Herausgeber seiner Werke sie 1745 veröffentlichte. Um noch einmal auf Ferdinand von Fürstenberg einzugehen: Unter seiner Regierung (1661–1683) lässt sich im Bereich der Strafjustiz, soweit sie dem Landesherrn unterstand, nur eine Hinrichtung wegen Zauberei feststellen (1674). Dabei handelte es sich um einen außergewöhnlichen Fall. Der Angeklagte war dringend verdächtigt, geweihte Hostien zur Kurierung von Krankheiten missbraucht zu haben. Auf Weisung der bischöflichen Zentralverwaltung erhielt er einen Verteidiger – ein Novum in der Paderborner Rechtsgeschichte. Auffälligerweise hatte es im Prozessverlauf keine Bedeutung, dass er angebliche Teilnehmer von Hexensabbaten nannte. Die Besagungen wurden also nicht ernst genommen und lösten daher keine Prozesslawine aus. Unter Ferdinands Nachfolgern sind im Gebiet der bischöflichen Justiz überhaupt keine Hexenprozesse mehr nachweisbar, im Unterschied zu der Herrschaft Fürstenberg, wo vor dem adligen Patrimonialgericht der Herren von Westphalen zwischen 1700 und 1702 noch mindestens zwölf Personen angeklagt und wenigstens fünf von ihnen hingerichtet wurden. Festzuhalten bleibt demgegenüber, dass die Hexenprozesse vor den landesherrlichen Gerichten wahrscheinlich schon unter Ferdinand von Fürstenberg bis auf wenige Ausnahmen, bei denen aber eine deutlich größere Rechtssicherheit auffällt, zum Erliegen kamen.

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Die Ursachen

Besessenheit tritt nicht nur in christlichen Kulturen auf, sondern ist wie Magie ein universales Phänomen, das meist bei Einzelpersonen zu beobachten ist. Eine kollektive „Epidemie“, wie sie zwischen 1656 und 1658 das Hochstift Paderborn erfasste, findet sich 1609 im spanischen Baskenland, 1669 in NordSchweden und 1692 im nordamerikanischen Salem: Dutzende von Kindern und Jugendlichen behaupteten, von Teufeln gequält zu werden, die ihnen von bestimmten Mitmenschen auf den Leib gehext worden seien. In allen Fällen kam eine große Hexenverfolgung in Gang. Im katholischen Spanien wurde sie durch die Inquisition gestoppt, nachdem elf Menschen auf den Scheiterhaufen gekommen waren. Im lutherischen Schweden verbrannte man 84 Erwachsene und 15 Kinder, im puritanischen Massachusetts 19 Personen, zumeist Erwachsene. Dabei waren die Behauptungen der jungen Leute im nordschwedischen Mora mit denen im Baskenland im Wesentlichen identisch: Die Hexen hätten sie verführt, mit ihnen zum Hexensabbat zu fliegen und sich dort den Teufeln hinzugeben. In Salem (Massachusetts) sprachen die jungen Mädchen dagegen unter Krämpfen von Visionen. Für die Umstehenden unsichtbar erschienen ihnen die Hexen – bestimmte Nachbarn – und quälten sie.

Besessenheit oder Betrug?

Diese beiden Varianten tauchen in den Paderborner Fällen kaum auf. Von Visionen ist fast nie die Rede, und keine der Besessenen behauptete von sich aus (also außerhalb der Folter), sie sei von anderen verleitet worden, sich dem Teufel hinzugeben. Stattdessen meldete sich aus ihnen immer wieder der Dämon durch Reden oder als stummer Geist durch Gebärden.

Besessenheit oder Betrug?

Anscheinend wurden geradezu ängstlich Selbstbezichtigungen vermieden, wie sie oft am Anfang von Kinderhexenprozessen standen. Dies ist ein erstes Indiz dafür, dass die Besessenen in der Lage waren, ihr Verhalten bis zu einem gewissen Grade zu steuern. Ein zweites Argument für die These, dass die Besessenen wenigstens zum Teil bewusst handelten, ist ihre Lernfähigkeit. Als sich Löper ihrer annahm, verstanden sie schnell, worauf es dem Jesuiten ankam: auf die Rechtfertigung der katholischen Dogmen, insbesondere vom Priestertum, und entsprechende Angriffe auf die konfessionellen Gegner. Drittens gaben manche Besessenen selbst zu, ihren Zustand simuliert zu haben. Sie nannten hierfür verschiedene Motive. Zum Beispiel erklärte eine Frau ihr Verhalten damit, sie habe auf diese Weise erreichen wollen, vorzeitig aus ihrem Dienst als Magd entlassen zu werden. Andere Besessene spekulierten auf das Mitleid ihrer Mitmenschen und erbettelten sich beträchtliche Zuwendungen, zum Teil in aggressiver Weise. Andererseits ist nicht zu widerlegen, dass viele sich für wirklich besessen oder zumindest für vom Teufel und von Hexen verfolgt hielten. Überhaupt sind die Grenzen zwischen bewusstem Betrug, Selbstsuggestion und Verfolgungswahn fließend. Unerklärliche Krankheiten wurden auf Schadenzauber und Besessenheit zurückgeführt. In diesem Sinne ist die beiläufige Bemerkung Löpers zu interpretieren, dass die junge Katharina Maneken schon fünf Jahre lang von einem bösen Geist gequält wurde, bevor dieser vollends von ihr Besitz nahm: Ein – in diesem Fall – nicht identifizierbares chronisches Leiden, dessen angeblich teuflischer Hintergrund erst dann größeres Aufsehen erregte, als auch die ältere Halbschwester, Klara Fincken, erkrankte. Aber ohne das Auftreten Löpers wäre es bei solchen Einzelfällen geblieben. Die Besessenheits-Lawine kam erst in

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Gang, als der Paderborner Professor mit seiner Autorität die im Volk vorhandene Dämonen-Furcht bekräftigte und zu einer allgemeinen Hysterie steigerte.

Psychische Ursachen

Die Besessenheit war vornehmlich ein Problem heranwachsender Mädchen, nicht nur bei den Paderborner Vorkommnissen, sondern auch bei anderen spektakulären Fällen innerhalb und außerhalb Deutschlands. Eine befriedigende Erklärung liegt bislang nicht vor. Psychologische und medizinische Spekulationen finden sich in der Literatur immer wieder, so etwa die Vermutung einer Vergiftung durch Mutterkorn, einen parasitisch am Getreide lebenden Pilz, der mit dem Brot aufgenommen wurde und für den besonders Kinder anfällig sind. Doch waren im Paderbornschen Kinder kaum betroffen, auch das lange Anhalten der Besessenheit über mehrere Ernteperioden spricht dagegen. Die Gegengruppe, die „Hexen“, waren zwar auch überwiegend weiblich, aber zum größten Teil verheiratete Frauen. Auf den ersten Blick könnte man in einem psychoanalytischen Sinne diesen Befund so deuten, dass sich hier der Mutterhass der pubertierenden oder adoleszenten Mädchen gegen ältere Frauen gewendet habe. Und scheinbar fügt sich in diese Theorie nahtlos ein, dass ausgerechnet die Mutter und die Großmutter der beiden ersten und rabiatesten Besessenen (Manekens Töchter) auf den Scheiterhaufen kamen. Eine solche Interpretation lässt sich aber leicht widerlegen. Erstens forderte keine Besessene eine Verfolgung der eigenen Mutter oder anderer naher weiblicher Verwandten, im Gegenteil: Die Beziehungen innerhalb der Familie Maneken waren so gut, dass die später verbrannte Mutter ihre besessenen Töchter ausdrücklich gegen Angriffe in Schutz nahm. Auch sähe die

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Zusammensetzung der Gruppe der Hingerichteten anders aus, wenn sich die Besessenen mit ihren Wünschen voll durchgesetzt hätten. Dann wären erheblich mehr Männer unter den Opfern gewesen, nämlich Bürgermeister Möhring und seine Schützlinge, die Kapuzinerpatres, wogegen Frau Maneken und ihre Mutter am Leben geblieben wären. Anregender als derartige Spekulationen sind Untersuchungen zur Besessenheit in außereuropäischen Kulturen, die von angelsächsischen Ethnologen vorgelegt wurden. Besessenheit war demnach für die betroffenen Frauen eine versteckte Form des Protestes gegen Vernachlässigung und Benachteiligung, und zwar eine gesellschaftliche akzeptierte Weise – im Unterschied zur Hexerei, dem offenen Angriff und Versuch, dem Urheber der Kränkung Schaden zuzufügen. Einen Ansatzpunkt für eine psychologische Deutung des Besessenheitsphänomens in Brakel bieten die Angaben zum Lebenswandel der Beteiligten. Von einer generell freizügigen Gutee r Rat aus Rom

Instruktion der römischen Inquisition für den Nuntius in Paris, Kardinal Grimaldi, zum Problem der teuflischen Besessenheit in französischen Frauenklöstern, 1643: „Diese heilige Kongregation entschließt sich nicht so leicht zu glauben, dass die berichteten Zeichen, Bewegungen und Anfälle der Nonnen eine übernatürliche Ursache haben und ein Werk des Teufels seien, denn sie hat immer herausgefunden, dass meistens alles aus melancholischen Stimmungen von Nonnen entsteht, die unzufrieden sind und gegen ihren Willen ins Kloster gesteckt wurden […] Die Ereignisse in Frankreich sind nicht anders als die in Italien, denn die Frauen in beiden Ländern sind Frauen, und ihre Fehler werden so lange bleiben, bis sie Männer geworden sind.“ Zit. nach Prosperi 1991, S. 114

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Sexualmoral der Bevölkerung kann man nicht ausgehen. Eher im Gegenteil, denn bei einem so geringen Vorkommen musste jede uneheliche Geburt zwangsläufig Aufsehen erregen und wohl auch die Missbilligung zumindest eines Teils der Bürgerschaft auf sich ziehen. Dafür spricht die in zwei Quellen unabhängig voneinander überlieferte Strategie der besessenen Magd Eva Behlen. Als sie von einem Knecht, mit dem sie zusammen in Diensten stand, ein Kind erwartete und ihr Zustand bekannt wurde, versuchte sie sich zu entlasten, indem sie die Schuld auf den Teufel bzw. auf dessen Verbündete, Bürgermeister Möhrings Magd Katharina, abwälzte. Diese habe ihr in einem Stück Kuchen, das ihr angeboten worden war, den Dämon in den Leib gezaubert. Daher habe sie die Kontrolle über sich verloren und sich dem Mann hingegeben. Die Art und Weise, wie hier Besessenheit als Entschuldigung herhalten musste, erstaunte Bischof Dietrich Adolf so sehr, dass er die Geschichte in seinem langen Bericht nach Rom für erwähnenswert hielt. In solchen Fällen war Besessenheit also wohl ein Ausfluss von Schuldgefühlen und eine Möglichkeit, Schuld dadurch zu verarbeiten, dass man einen Sündenbock belastete. Ein sexuelles Element konnte aber auch anders zum Ausdruck kommen, nicht als Ursache der Besessenheit, als innerer Konflikt, der sich in tobsuchtartigen Anfällen entlud, sondern als ihr Ziel, d. h. ein erwünschtes Verhalten, das normalerweise verboten und strafbar war, unter den besonderen Bedingungen aber eher möglich schien.

Politische Konflikte

Psychische Faktoren erklären nur einen Teil des Phänomens. Wie bei anderen Hexenverfolgungen spielen in Brakel persön-

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liche und politische Rivalitäten hinein. Zu Beginn des Jahres 1656, kurz vor dem Ausbruch der Besessenheit, verliefen die Fronten in der Stadt Brakel auf zwei Konfliktfeldern: Zum einen standen sich die ratsfähige Oberschicht und die übrige Bürgerschaft gegenüber. Zum anderen weckte der zunehmende Einfluss der Kapuziner Neid und das Gefühl, zurückgesetzt zu werden (beim Pfarrer), bzw. Angst vor zunehmender Steuerbelastung (bei der Bürgerschaft). Es handelte sich um einen Verteilungskonflikt, nicht um einen weltanschaulich-religiösen Dissens. An der Schnittstelle beider Konfliktbereiche stand Bürgermeister Möhring, als „geistlicher Vater“ der Mönche und zugleich als maßgeblicher Vertreter der Ratsoligarchie. Daraus erklärt sich, warum er bei den Besessenenwirren – neben den Kapuzinern und einigen Brakeler Bürgern – Zielscheibe wütender Angriffe wurde. Über seine Frau war Möhring mit der Brakeler Familie Goehausen verschwägert. Diese spielte in der Geschichte der Hexenverfolgungen eine sehr merkwürdige Rolle. Hermann Goehausen (1593–1632), gebürtig aus Brakel, wurde 1622, nach Studium und Promotion, Professor der Rechtswissenschaft an der protestantischen Universität in Rinteln an der Weser. Sein wissenschaftliches Hauptwerk erschien 1630: Processus juridicus contra sagas et veneficos – „juristisches Verfahren gegen Hexen und Zauberer“, eine Anleitung zur Durchführung von Hexenprozessen. Friedrich Spee setzte sich in seiner ein Jahr später bei demselben Drucker in Rinteln herausgekommenen Cautio Criminalis sehr kritisch mit Goehausens Buch auseinander. Ausgerechnet der mit diesem Hexenverfolger versippte Heinrich Möhring wäre beinahe selbst auf den Scheiterhaufen gekommen. Aber die Ironie der Geschichte ist noch größer: Eine Schwester Hermann Goehausens wurde 1654 in Lemgo

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(Grafschaft Lippe) als Hexe hingerichtet. Dieser Prozess gehörte zu einer größeren Serie, die in den 50er Jahren die protestantische Stadt Lemgo heimsuchte. Sie dürfte in Brakel bekannt gewesen sein. Ob dadurch auch ein schlechtes Licht auf die Brakeler Verwandten der Hingerichteten fiel, lässt sich in den Quellen nicht fassen. Auf jeden Fall „bewiesen“ die Lemgoer Prozesse ebenso wie die im Brakel benachbarten Höxter dem einfachen Bürger, dass auch führende städtische Familien mit dem Teufel im Bunde sein und als solche verfolgt werden konnten. Der Sohn der hingerichteten „Hexe“ Katharina Cothmann geb. Goehausen, Hermann Cothmann († 1683), brachte es in den 60er Jahren als „Hexenbürgermeister“ in Lemgo zu einer traurigen Berühmtheit. Unter seinem Regiment erlebte die Stadt mit 73 Prozessen zwischen 1663 und 1670 die schlimmste Verfolgungswelle ihrer Geschichte. Wäre die Stadt Brakel wie ihre lippische Nachbarin Lemgo im Besitz der Strafgerichtsbarkeit gewesen, so hätte 1657 möglicherweise ein Kesseltreiben begonnen ähnlich dem, das in den frühen 50er Jahren Lemgo unter Bürgermeister Kerkmann und ein Jahrzehnt später unter Cothmann einen traurigen Ruf einbrachte: Dutzende von Prozessen mit entsprechenden Folterungen und Hinrichtungen, insbesondere von Angehörigen prominenter Familien – Ergebnis von Richtungskämpfen innerhalb der städtischen Führungsschicht. Dazu kam es in Brakel nur in Ansätzen, und zwar so, dass nicht die eine Partei über die andere triumphierte, sondern Angehörige beider sich bekämpfenden Gruppen auf dem Scheiterhaufen endeten. Diese eigenartige Entwicklung ist auf das Eingreifen der staatlichen Obrigkeit, des Landesherrn und seiner Beamten, zurückzuführen. Sie waren sich aber in der Beurteilung der angeblichen Besessenheit und damit auch der Glaubwürdigkeit der Hexerei-Beschuldigungen nicht einig. Was bewog den Bischof,

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die Domherren, die übrigen hohen Geistlichen, die Juristen usw., in der Frage der Realität von Besessenheit und Hexerei für Löper oder für die Kapuziner Partei zu ergreifen? Es war entweder die persönliche Einstellung zu diesen theologischen und juristischen Problemen aufgrund von eigenen Erfahrungen und Überlegungen oder aber die Verwandtschaft mit Menschen, die von dem Streit unmittelbar betroffen waren. Wie stark die Eröffnung einer Hexenverfolgung von der Person des Gerichtsherrn abhängig war, kann man auch an dem unterschiedlichen Verhalten adliger Patrimonalherren ablesen, die über die Kriminalgerichtsbarkeit verfügten. Die Familie von Westphalen sorgte, wie dargestellt, 1658/9 in guter Zusammenarbeit mit kundigen Juristen für eine Prozessserie, in Ausmaß und Art ähnlich der, die sie bereits etwa 30 Jahre vorher, um 1630, in ihrem Machtbereich zugelassen hatte. Eine Variante der Hexenprozesse fällt dagegen in der Herrschaft Desenberg auf. Die von Spiegel ließen dort die von ihnen als Simulanten ertappten Besessenen wegen Hexerei hinrichten. Ganz anders verhielt sich Friedrich von Fürstenberg, der Bruder des päpstlichen Kämmerers Ferdinand von Fürstenberg. Im Gegensatz zu seinem Vater und Großvater war Friedrich in Hexensachen sehr vorsichtig und ließ Prozesse in seinen Herrschaften im Sauerland nur zu, wenn die Forderungen der Bevölkerung oder die Anweisungen von oben zu stark wurden. Friedrich von Fürstenberg war trotz seiner Machtstellung nur ein Landadliger, kein Reichsfürst. Sonst hätte ihn dieses Misstrauen gegenüber Hexenprozessen, hinter dem sich vielleicht sogar eine grundsätzliche Ablehnung verbarg, in die Lage versetzt, die Hexenverfolgungen in seinem gesamten Territorium abzuschaffen, wie dies der Kurfürst von Trier, Karl Kaspar von der Leyen, um 1653 tat. Der Paderborner Bischof war zu einem so radikalen Bruch mit der Vergangenheit nicht bereit. Er neigte

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der Gruppe der Löper-Kritiker zu, doch blieben die Pressionen der anderen Seite und besonders der Druck der Straße auf ihn nicht ohne Wirkung, wie er selbst in seinem vertraulichen Brief an Ferdinand von Fürstenberg zugab: „Einerseits wurde ich, zusammen mit meinen Räten, von meinem Gewissen daran gehindert, in unüberlegter Weise gegen die von dämonischer Stimme beschuldigten Hexen vorzugehen, andererseits wurde ich von dem Volksempfinden [vulgaribus rationibus] dazu angetrieben, und mitten dazwischen stand ich, von allen allein gelassen bei dem Versuch, diese vulgäre Meinung zu unterdrücken, die sogar von Leuten unterstützt wurde, auf deren Rat und Frömmigkeit ich angewiesen war.“23 Bischof Dietrich Adolf verfügte nicht über die Selbstsicherheit und die Autorität, um den Fanatikern in allen Schichten der Bevölkerung, die eine Hexenjagd forderten, das Maul zu stopfen. Stattdessen setzte er die juristische Maschinerie in Gang, was fast unausweichlich zu ca. 30 Hinrichtungen führte – ein erschreckend hoher Wert, aber immer noch zu wenige in den Augen von Radikalen, wie die Fälle von Lynchjustiz zeigen. Erst langsam setzte das Umdenken ein, der Gedanke, dass die Besessenen am besten mit einer Mischung aus Seelsorge und Sicherungsverwahrung zu resozialisieren waren.

Rom und die Hexen

ie in Teilen Deutschlands und der Schweiz Anfang der 1650er Jahre in großem Umfang wieder einsetzenden Hexenverfolgungen motivierten Papst Alexander VII. und die Kardinäle der Inquisition, nicht mehr nur, wie zum Beispiel bei den Hexenkindern aus Graubünden, konkrete Hilfe im Einzelfall zu leisten, sondern zu versuchen, die weltlichen Machthaber grundsätzlich zum Umdenken zu bewegen. So schickten sie im Sommer 1655 ein Exemplar der HexenprozessInstruktion an den Nuntius in Luzern zur Weiterverbreitung an

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die weltlichen Behörden in der katholischen Schweiz. Wie gering die Einsicht beim Landvolk und seinen demokratisch gewählten Sprechern war, zeigte sich 1658, als einige der Kinder aus Mailand zu ihren Familien nach Graubünden zurückkehrten. Landammann und Gemeindevertreter forderten die Eltern auf, ihre Kinder aus dem Land zu schicken.1 Wie die Sache ausgegangen ist, entzieht sich unserer Kenntnis. Vermutlich war der gesellschaftliche Druck so groß war, dass die weiterhin als Hexen verschrienen jungen Leute um der eigenen Sicherheit willen auswanderten. Somit dürfte der Versuch Roms, die Schweizer Justiz zur Mäßigung zu bewegen, zunächst keine Wirkung gehabt haben. Trotzdem hoffte das Heilige Offizium weiterhin, staatliche und kirchliche Stellen von ihrem rigorosen Kurs abbringen zu kön-

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nen. Hierzu war es nützlich, die Hexenprozess-Instruktion 1657 offiziell in der päpstlichen Druckerei vervielfältigen zu lassen. Bisher war sie nur in handschriftlichen Exemplaren versandt worden – abgesehen von Nachdrucken in Handbüchern für Inquisitoren. Offensichtlich wollte Rom für eine größere Verbreitung auch über den Kreis seiner Mitarbeiter hinaus sorgen. Die Kardinäle, unter ihnen Francesco Albizzi, beschlossen im Juli 1659, die Instructio den Inquisitoren in Köln, Besançon und Toulouse zuzuleiten.2 In diesen drei Städten befanden sich die einzigen Außenposten der römischen Inquisition außerhalb Italiens. Der Kölner Repräsentant verfügte aber nicht über so umfassende Befugnisse, etwa Verhaftungen oder gar Folterungen vorzunehmen, wie seine Kollegen und betätigte sich daher vornehmlich als Bücherzensor. Die Instructio hatte somit in Köln keine rechtliche Relevanz, konnte aber mäßigend auf die radikale Praxis der weltlichen Hexenverfolger im Erzstift wirken. Dass diese Absicht hinter der Übersendung ins Rheinland steckt, dafür sprechen die schlimmen Erfahrungen, die Albizzi auf seiner Reise durch Deutschland 1636 gemacht hatte. Schließlich haben auch interessierte Personen, ohne Abstimmung mit Rom, die Hexenprozess-Instruktion bekannt gemacht. So kam sie auf verschlungenen Wegen in den 60er Jahren bis ins ferne Preußenland und nach Polen und lieferte den dortigen Gegnern der Hexenprozesse Argumente. 1662 schickte der bedeutende französische Astronom und Priester Ismael Boulliau (1605–1694) ein handschriftliches Exemplar an den Danziger Bürgermeister Gabriel Krummhausen. Ein Jahr zuvor hatte Boulliau auf einer Reise in Danzig die dort gerade durchgeführte Hexenverfolgung kritisiert und dabei empfehlend auf die InGegenüberliegende Seite: Die erste Seite des offiziellen Drucks der von der Inquisition erlassenen Hexenprozessordnung (Rom, 1657).

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structio der römischen Inquisition hingewiesen. Als jungen Mann hatte Boulliau der aufsehenerregende Hexenprozess in seiner Heimatstadt Louviers erschüttert, dem 1634 der Priester Urbain Grandier zum Opfer gefallen war. Aus Polen nach Paris zurückgekehrt, ließ der Gelehrte sich ein gedrucktes Exemplar von Rom kommen, schrieb es ab und sandte seine Kopie nach Danzig. Vielleicht gelangte von dort der Text in die westpolnische Bischofsstadt Wloclawek (deutsch: Leslau), zu deren Diözese Danzig gehörte. 1669 machte sich der dortige Bischof die Instructio in einer selbstverfassten Anordnung zu eigen, woraufhin 1682 ein Druck in Oliva und Danzig sowie 1705 im ostpreußischen Braunsberg erfolgte.3 Auch in Graubünden wurde man langsam nachdenklich. Der Nuntius meldete 1660 aus Luzern nach Rom, die „Räter“ wünschten Informationen, nach welchen Prinzipien die Kongregation gegen Hexen vorgehe; daher werde er die Richter unterrichten, dass sie sich an die römische Hexenprozess-Instruktion halten sollten. Papst Alexander VII. wies darauf seinen Diplomaten an, besonders sorgfältig und gewissenhaft vorzugehen. Das war ein Hoffnungsschimmer im bis dato ziemlich fanatischen Graubünden. Eine größere Verbreitung war durch eine Übersetzung ins Deutsche zu erhoffen. Sie fertigte im Juli 1661 Konrad Hunger, Pfarrer in Einsiedeln (Schwyz), an. Zumindest in Graubünden kam es aber noch in den 70er Jahren zu Massenverfolgungen, so im Untertanenland Bormio, wo jetzt, anders als 200 Jahre zuvor zur Zeit des Hexenhammers, nicht die geistlichen, sondern die weltlichen Richter ca. 35 Angeklagte töten ließen, und zur selben Zeit im PuschlavTal (in Poschiavo), wo ca. 60 Personen hingerichtet wurden. Exzesse dieser Größenordnung hören danach zwar auf, aber auch bei kleineren Aktionen zeigt sich immer noch, wie der Vernichtungswille menschliche Regungen unterdrückt. Ein Mus-

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Die I nquisition in der Neuzeit

Im 16. Jahrhundert wurde die Inquisition in Italien auf eine neue, wirksame Grundlage gestellt. Die 1542 von Papst Paul III. gegründete „Kongregation der Römischen und Universalen Inquisition“ (kurz: Heiliges Offizium) schuf in Ober- und Mittelitalien ein fast flächendeckendes Netz von Inquisitionstribunalen, die das Eindringen der Ideen Luthers, Calvins usw. verhinderten, auch mit Hilfe des „Index der verbotenen Bücher“. Die am Ende des 15. Jahrhunderts gegründeten Inquisitionen in Spanien und Portugal waren halbstaatliche Organisationen, deren Ziel hauptsächlich in der Verfolgung getaufter, aber des Rückfalls verdächtiger Juden und Muslime bestand. Die Aufklärung und die Truppen Napoleons schafften die Inquisition ab. Nur im Kirchenstaat wurde sie nach 1815 bis zu dessen Ende 1870 wiedererrichtet. Das Heilige Offizium bestand noch bis 1965, als Papst Paul VI. seine Bedeutung herabstufte und es in „Kongregation für die Glaubenslehre“ umbenannte.

terbeispiel für das unterschiedliche Denken von römischen Geistlichen und alpenländischer, katholischer Bevölkerung ist der Hexenprozess gegen vier Mädchen, eine elf-, eine zehnjährige und zwei noch jüngere in Savognin (zwischen Chur und St. Moritz) im Jahr 1711/12. Der Ortspfarrer suchte beim Inquisitor in Como Rat. Seine Antwort spiegelt die ambivalente Haltung Roms in der Frage von Hexerei und Besessenheit wider: „Gegen die beiden jüngsten Geschöpfe kann man nicht juristisch vorgehen, sowohl wegen ihres unschuldigen Alters, als auch, weil ihre Phantasie vom Teufel getäuscht sein kann […] Aber es wird nötig sein, die beiden jungen Geschöpfe voneinander zu trennen und sie in den Lehren des katholischen Glaubens zu unterrichten, damit sie nicht verführt werden […] Bezüglich

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der beiden älteren sollte, wenn der weltliche Richter die Sache an sich ziehen will, er unterrichtet werden, dass sie, weil sie jünger als vierzehn sind, milde zu bestrafen sind. Wenn die Herren Richter die beiden älteren mir übergeben und die Kosten für Reise und Essen übernehmen wollen, […] werde ich sie aufnehmen und möglichst schnell mich um sie kümmern.“ Die beiden jüngeren Kinder scheinen verschont worden zu sein. Das Schicksal der älteren hielt der Pfarrer im Totenregister des Kirchenbuches fest: „24. Dezember 1711 […] In anbetracht ihres zarten Alters entschieden die Richter, sie nicht durch die Hand des Henkers sterben zu lassen, sondern ließen den Eltern die Wahl, entweder die Mädchen aus dem Land zu schaffen und bei der Rückkehr die amtliche Bescheinigung vorzulegen, dass sie tot seien, oder sie in der Heimat durch Anwendung von Gift sterben zu lassen. Die Eltern wählten die zweite Möglichkeit, und daher starb das eine der beiden Mädchen, Maria Barbara [11 Jahre], durch Gift, aber in bester seelischer Verfassung und ergeben in den Willen des Herrn. […] 22. Februar 1712. Die zehnjährige Caterina starb, versehen mit den Sterbesakramenten […] durch Gift und aus dem gleichen Grund. Sie lebte noch zwei Monate, nachdem sie das Gift genommen hatte. Während ihres langen und sehr schmerzhaften Hinscheidens war sie sehr geduldig und immer in den Willen des Herrn ergeben.“ Das unfassbar grausame Verhalten der Eltern, die ihre eigenen Töchter vergiften ließen, statt mit ihnen auszuwandern, lässt etwas von den Familienbeziehungen erahnen. Der immer noch in den Köpfen von Richtern, Pastor und Volk spukende Hexenwahn führte zur Verteufelung und Vernichtung der leiblichen Kinder, wogegen nicht einmal die Inquisition etwas ausrichten konnte. Hexenprozesse mit tödlichem Ausgang fanden vereinzelt in Deutschland und in der Schweiz noch bis in die Mitte des

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18. Jahrhunderts statt. Eine Prozessserie begann 1749 in Südostbayern und im angrenzenden Salzburger Land gegen sechs junge Mädchen im Alter zwischen 9 und 17 Jahren. 1749 berichtete die Vossische Zeitung in Berlin, in Landshut sei eine Hexe öffentlich hingerichtet und einem achtjährigen Mädchen seien die Adern geöffnet worden. Im selben Jahr wurde in Burghausen (zwischen Passau und Salzburg) eine Frau verbrannt, eine weitere 1751. Im Jahr darauf folgte ihr in Landshut eine Angeklagte in den Tod, ebendort zwei Jahre später ein vierzehnjähriges Mädchen und 1756 ein gleichaltriges. Dies waren wahrscheinlich die letzten Hinrichtungen von „Hexen“ auf dem Gebiet des heutigen Deutschland. Im katholischen Kanton Schwyz wurden 1753 zwei Frauen verhaftet und zu Tode gefoltert, obwohl der Inquisitor von Como zur Mäßigung aufrief. Die letzte Hinrichtung einer Hexe nicht nur in der Schweiz, sondern überhaupt in Europa ordnete 1782 der protestantische Kanton Glarus an, zu Lebzeiten von Immanuel Kant, Johann Wolfgang von Goethe und Wolfgang Amadeus Mozart. Die Magd Anna Göldi hatte angeblich die Tochter ihres Dienstherrn mit Hilfe eines „Leckerlis“ vergiftet, so dass das Kind wochenlang unter Schmerzen Eisennägel, draht und Nadeln gespuckt haben soll. Im Todesurteil ist nicht mehr wie in früheren Zeiten von Teufelspakt und -buhlschaft die Rede. Aber der Schadenzauber wird umschrieben als die von „dieser Übeltäterin bezeigte außerordentliche und unbegreiflichen Kunstkraft“. Die Strafe wurde mit dem Schwert und der Verscharrung der Leiche an der Hinrichtungsstätte vollzogen. Das tragische Schicksal der Anna Göldi, der letzten „Hexe“ in Mitteleuropa, ist bis heute, auch durch einen Roman sowie einen Spielfilm, vergleichsweise bekannt. Kaum jemand aber kennt die Geschichte des vorletzten Hexenprozesses in der heutigen Schweiz. Er fand nur zwei Jahre früher statt und ist

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deswegen so interessant, weil sich hier ganz verschiedene Mentalitäten innerhalb der katholischen Kirche spiegeln. Schauplatz war das Dörfchen Tinzen (rätoromanisch Tinizong) im katholischen Teil von Graubünden. 1779 zog die 52–jährige ledige, wahrscheinlich alleinstehende Maria Ursula Padrutt den Verdacht auf sich, eine Hexe zu sein. Ungefähr 40 Jahre zuvor war eine Verwandte von ihr als Hexe hingerichtet worden. Sie soll vor ihrem Tod Maria Ursula als Mittäterin belastet haben. Aber erst Jahrzehnte später wurde die Lage bedrohlich. Der alte Pfarrer des Ortes war seit langem krank, und als man sein Bett machte, entdeckte man darin Hufe von Tieren – Bestandteile, so glaubte man, schwarzer, schädigender Magie. Ein Besucher des Pfarrers fand in dessen Küche drei Katzen. Als er mit dem Säbel auf sie losging, flüchteten sie nach draußen, eine von ihnen auf das Hausdach, „und da soll die Padrutt gewesen sein, oder er geglaubt, sie zu sehen“.4 Das Fass zum Überlaufen brachte ein Ereignis auf Fastnacht 1779. Als einige junge Männer aus einem Nachbardorf vor Maria Ursulas Haus randalierten, sprach diese die Ruhestörer beim Namen an und rief ihnen zu: „Geht nach Haus, sonst geht es euch nicht gut!“ Das war der Beweis. Nur eine Hexe konnte die Namen der Fremden kennen und eine solche Drohung ausstoßen! Im Herbst wurden die Ermittlungen aufgenommen. Aber weder eine Hausdurchsuchung noch eine Leibesvisitation brachten die gewünschten Ergebnisse. Schlimmer noch, die Verdächtige und ihre Verwandten setzten zum Gegenangriff an. Sie beantragten, gerichtlich den guten Ruf der Frau feststellen zu lassen, und fanden in einem ehemaligen Offizier einen beredten und energischen Anwalt. Dieser forderte Akteneinsicht und insbesondere die Bekanntgabe der Namen der Belastungszeugen, was aber abgelehnt wurde. Jetzt drehte das Gericht den Spieß um. Es ließ Maria Ur-

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sula Padrutt verhaften und den Hexenprozess eröffnen. Das Verfahren begann mit einem Exorzismus, der sich über drei Tage erstreckte, aber keinen Teufel ans Licht brachte. Als auch ein gütliches Verhör kein Geständnis bewirkte, wurde die Angeklagte mit der Streckleiter gefoltert. Doch sie blieb standhaft, sogar als beim zweiten Versuch ihr Körpergewicht durch schwere Steine erhöht wurde, was zu unerträglichen Schmerzen in den Schultern führte. Da die Richter mit ihr nicht weiterkamen, sandten sie eine Delegation zum Bischof nach Chur. Dieser riet ihnen, die Frau zur Inquisition ins norditalienische Bergamo zu schicken und sie dort, wenn möglich, auf Lebenszeit unterzubringen. Der Vorschlag fand Zustimmung, wobei man zur Bedingung machen wollte, dass der Inquisitor schriftlich zusicherte, die „Hexe“ für immer hinter Gitter zu bringen, so dass eine Rückkehr ausgeschlossen war. Der Angeklagten versicherte man, sie würde in einem Kloster in Bergamo leben und dort auf Lebenszeit gut versorgt sein. Der Plan ging nicht auf. Zwar brachte eine vierköpfige Abordnung, bestehend aus dem Landvogt, einem Geschworenen, einem Kapuzinerpater sowie einem Gendarmen, die Frau nach Bergamo, so wie es der Bischof von Chur geraten hatte. Doch Inquisitor Carolo Domenico Bandiera spielte nicht mit. Er prüfte den Fall, stellte fest, dass Maria Ursula Padrutt unschuldig war, schüttelte über die Ignoranz der Graubündner den Kopf und schickte sie mit den Worten zurück: „Dite a vostri Patrioti che sono tanti coglioni e pazzi!“ – Sagt euern Landsleuten, dass sie rechte Tölpel und Narren sind!5 Die Empörung war verständlich, aber der Inquisitor bedachte nicht, dass die deutliche Abfuhr die Graubündner keineswegs zur Einsicht brachte. Die Delegation begab sich mit der abgewiesenen „Asylbewerberin“ auf den Rückweg. Im italienischsprachigen Chiavenna, wo man Station machte, erregte

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ihr Schicksal Mitleid, und sie wurde mit Geschenken überhäuft. Das Gegenteil trat ein, als man in die Heimat zurückgekehrt war. Wieder ins Gefängnis geworfen, wurde die Frau erneut einer nochmals verschärften Folter unterworfen. Aber auch dieses Mal blieb sie standhaft. Man entließ sie nach Hause, doch die Frau konnte sich nicht mehr auf die Straße trauen. Die Dorfbewohner verboten ihr sogar den Kirchgang und verlangten von der Obrigkeit, sie woanders hinzuschicken. Tatsächlich ließ ihr der Landvogt ausrichten, sie solle weiterziehen. Maria Ursula Padrutt fand schließlich ein Refugium, indem sie nach Chiavenna übersiedelte. Die Stadt gehörte zwar zum Untertanenland der Bündner, aber die Inquisition war hier durch einen Vikar vertreten und konnte so ihre schützende Hand über die vermeintliche Hexe halten. Im Jahr 1785 starb die Frau im Exil, fand aber auch dann noch keine Ruhe. Für die in Chiavenna Begrabene wünschten die Verwandten eine Totenmesse in der Kirche ihrer Heimatgemeinde Tinzen. Doch die Bevölkerung mit ihren gewählten Vertretern verbot dem Pfarrer, der „Hexe“ eine solche Ehre zuteil werden zu lassen und damit quasi ihre Unschuld öffentlich zu bekunden. Nicht einmal Strafandrohungen des Bischofs von Chur gegen die renitenten Bauern konnten eine Änderung bewirken. Ein gebildeter Sympathisant der Verstorbenen, der ihre Geschichte zu Papier brachte, brach in den Stoßseufzer aus: „Domine, libera nos a furore rusticorum!“ – „Herr, befreie uns von der Wut der Bauern!“6 Dieses Fallbeispiel des vorletzten Hexenprozesses in Mitteleuropa zeigt noch einmal, wie unterschiedlich die Einschätzung von Hexerei innerhalb der katholischen Kirche war. Fanatischen Verfolgungseifer zeigten in der Neuzeit nicht die Päpste und ihre geistlichen Inquisitoren, sondern große Teile des einfachen Volkes, des niederen Klerus und der Richterschaft. Die

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demokratisch organisierten Schweizer Landgemeinden waren mentalitätsmäßig rückständiger als die zentralistisch regierten Flächenstaaten mit ihren aufgeklärten Eliten. Der Inquisitor von Bergamo, den die Ignoranz der Graubündner empörte, war aber kein Vertreter der Aufklärung, sondern der römischen Kirche, die in Italien (und in Spanien) bei aller dogmatischen Anerkennung des Hexendelikts ein gutes Gespür für die Unterscheidung zwischen ,wirklich‘ praktizierter Magie und nur eingebildetem Hexenwahn entwickelt hatte. Solche Differenzierungen waren der Landbevölkerung schwer zu vermitteln, und da standen sich Katholiken und Protestanten in nichts nach, wie der Fall in Glarus zeigte. Dass Maria Ursula Padrutt, anders als Anna Göldi, ihren Hexenprozess überlebte, verdankte sie ihrer fast übermenschlichen Kraft, mit der sie die Folter ohne Geständnis durchstand. Dass sie ihre letzten Lebensjahre zwar fern von zu Hause, aber in Ruhe, ohne Angst, gelyncht zu werden, verbringen konnte, ist auf ein anderes katholisches Umfeld als das ihrer Heimat zurückzuführen: eine Einschätzung von Aberglauben, Besessenheit und Hexerei, die, ohne deren „Wirklichkeit“ grundsätzlich zu bestreiten, ihren gesellschaftlichen Sprengstoff entschärfte und so in Spanien und Italien seit ca. 1520 die Flammen löschte, die insbesondere in der Schweiz und in Deutschland loderten, wie 1631, auf dem Höhepunkt der Hexenverfolgungen, Pater Friedrich Spee beklagte: „Die Italiener und Spanier, die anscheinend von Natur aus mehr dazu veranlagt sind, diese Dinge zu bedenken und zu überlegen, sehen, welche unzählbare Menge Unschuldiger sie hinrichten müssten, wenn sie die Deutschen nachahmen wollten. Darum lassen sie es mit Recht sein und überlassen dies Geschäft, Hexen zu verbrennen, uns allein, die wir ja lieber unserem Eifer nachgeben als bei dem Gebot des Meisters Christus uns zu beruhigen.“7

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Anmerkungen Rom 1657 — Der päpstliche Kämmerer wundert sich 1 Zit. nach Behringer 2000, S. 59. 2 Hansen 1901, S. 39. Übersetzung: Tschacher 1999, S. 229 (leicht geändert). 3 Tschacher 1999, S. 227 bzw. 231 Anm. 18. 4 Luther Werke, Bd. 1, S. 406, vgl. Haustein 1990, S. 51. 5 Thomas Aquinas, Opera omnia, Bd. 9 (Rom 1897) S. 317.

Teuflische Besessenheit bricht aus 1 2 3 4 5 6 7

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Orbilius 1660, S. 4–6. Rituale Romanum, S. 365. Ebd., S. 371, 375, 381. Protokoll des Exorzismus vom 8. Mai bei Löper, Series S. 92. Rundauß 1659, S. 11. Ebd., S. 12. Orbilius 1660, S. 62 f. Kurze Darstellung durch den Bischof: AG rot 183 Bl. 40v. AG rot 183 Bl. 10r (ExorzismusProtokoll). AG rot 183 Bl. 10v (ExorzismusProtokoll). AG rot 183 Bl. 11. AG rot 183 Bl. 11v. StAB A 1435: Brief von Bürgermeistern und Rat an den Bischof, 18. Jan. 1657. Ebd. AG rot 183 Bl. 19r–v. Löper, Series S. 103.

16 Duhr 1913, Bd. II/2, S. 492 Anm. 6. 17 Zit. nach Richter 1893, S. 56–58. 18 Übersetzung bei Richter 1893, S. 59 ff. 19 Löper, Series S. 149. 20 Schultheis 1634, S. 123.

Die Reaktion von Papst und Inquisition 1 Abschrift in AC S. 475 f. 2 Albitius 1683, S. 355 § 179. 3 Eine historisch-kritische Edition der Instructio ist ein dringendes Desiderat. Neben den Drucken des 17. und 18. Jahrhunderts ist immer noch zu benutzen der lateinische Text bei Horst S. 115–127. Abdruck einer deutschen Übersetzung von 1661: Dettling 1905, S. 48–68; Auszüge daraus bei Behringer 2000, S. 394–396. 4 Albitius 1683, S. 355 § 177–178. 5 So in dem Abdruck der Instructio bei Castaldi (Rom 1651) S. 242. 6 ACDF S.O. Decreti 1652, Bl. 76r (23. Mai). 7 ACDF S.O. Decreti 1654, Bl. 97r. 8 ACDF S.O. Decreti 1655, Bl. 75v–76r. 9 ACDF S.O. Decreta 1655 Bl. 76r.

Verfolgung von oben und von unten 1 Schultheis S. 467. 2 AG rot 183 Bl. 124. 3 StAB A 1335 S. 122 f.

Anmerkungen

4 Ausführliche Erzählung in StAB A 1335 S. 127–130. 5 StAB A 1042. Lateinische Übersetzung in AC S. 471–474. 6 Das Folgende nach AG rot 183 Bl. 59 f. 7 Löper, Series cap. 82, zitiert (lat.) bei Richter 1893, S. 69 Anm. 8 Prozessakten in Archiv Erpernburg Hs. 117 (unpaginiert), in anonymisierter und teilweise veränderter Form zitiert von Rautert 1827, S. 38–47. 9 Archiv Erpernburg Hs. 117 (unp.). 10 AG rot 183 Bl. 77 f. 11 AG rot 183 Bl. 85. 12 AG rot 183 Bl. 93 ff. Nr. 9. 13 Ebd. Nr. 11 bzw. 14. 14 Ebd. Nr. 10. 15 AG rot 183 Bl. 74. 16 AG rot 183 Bl. 98–99. 17 AG rot 183 Bl. 214. 18 Orbilius S. 74. 19 Orbilius S. 89. 20 Siehe das ausführliche Ratsprotokoll StAB A 1335 S. 241 f. (lateinische Übersetzung: AC S. 541– 543.)

21 Orbilius S. 58. 22 Zit. nach der Übersetzung bei Richter 1893, S. 82 f. 23 AG rot 183 Bl. 42v.

Rom und die Hexen 1 Bistumsarchiv Chur AC 262.8 (bischöfliche Visitation der Pfarrei Vals). 2 ACDF S.O. Decreti 1659, Bl. 146r–v. 3 Preußische Sammlung allerley bisher ungedruckten Urkunden, Nachrichten und Abhandlungen, Bd. I, Danzig 1747, 570–596; Kaufmann S. 59–69; 61 Anm. 1; Dank an Robert A. Hatch (University of Florida), der mir den Text von Boulliaus Brief an Krummhausen zur Verfügung stellte (Paris, Bibliothèque Nationale f.fr. 13055, Bl. 357; das Druckexemplar der Instructio Bl. 353–356). 4 Sprecher 1936, S. 326. 5 Ebd., S. 328. 6 Ebd., S. 325. 7 Übersetzung: Spee 1982, S. 50.

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Literatur Ungedruckte Quellen

Gedruckte Quellen und Literatur

Archivio della Congregazione per la Dottrina della Fede, Rom, Bestand Sanctum Officium (zit. ACDF S.O.), Decreti

Eine Fundgrube für aktuelle, seriöse Informationen ist das Themenportal „Hexenforschung“ auf dem Server Frühe Neuzeit: http://www.hexenfor schung.historicum.net

Archiv des Erzbischöflichen Generalvikariats Paderborn (zit.: AG) – Akte rot 183 (Mischcodex mit Akten zur Besessenheit im Hochstift Paderborn um 1657) Archiv des Freiherrn von und zu Brenken, Schloss Erpernburg bei Brenken – Hs. 117 (Hexenprozesse in der Herrschaft Fürstenberg 1601–1663) Archiv des Grafen Bocholtz-Asseburg, Schloss Hinnenburg bei Brakel – Annalen des ehemaligen Kapuzinerklosters in Brakel (zit.: AC) Bistumsarchiv Chur – AC 262.8 (bischöfliche Visitation der Pfarrei Vals) Erzbischöfliche Akademische Bibliothek Paderborn – Manuskript von Bernhard Löper: Series quaestionum de energumenis, quibus per Westphaliam, Recklinghusii, Dattelenae, Mellae, Brakeliae, Neuhusii, Padibornae, Meppenae sacros ecclesiae catholicae exorcismos secundum Rituale Romanum adhibuit P. Bernardus Loeperus S.J. Stadtarchiv Brakel – Akte A 1335: Ratsprotokoll 1656/61 – Akte A 1435: Bestrafung von Besessenen

Albitius, Franciscus, De Inconstantia in jure admittenda vel non […], Amsterdam 1683. Behringer, Wolfgang, „Neun Millionen Hexen. Entstehung, Tradition und Kritik eines populären Mythos“, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 40 (1998), S. 664–685. Auch in: http://www.sfn.uni-muenchen.de/ forumhexenforschung/9miohexen.html ders., Hexen und Hexenprozesse, 4. Aufl. München 2000. Castaldi, Giovanni Tommaso, De potestate angelica, Rom 1651. Decker, Rainer, Die Hexen und ihre Henker. Ein Fallbericht, Freiburg i. B. 1994. Ders., Die Päpste und die Hexen. Darmstadt 2003. Dettling, A., „Die schwyzerischen Hexenprozesse“, in: Mitteilungen des Historischen Vereins des Kantons Schwyz 15 (1905) S. 1–125. Duhr, Bernhard, Geschichte der Jesuiten in den Ländern deutscher Zunge. Bd. II/2, Freiburg i. B. 1913.

Literatur

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Bildnachweis S. 9: Erzbischöfliche Akademische Bibliothek, Paderborn; S. 19: Codex Lambacensis, nach: Ch. Hinceldey (Hg.), Justiz in alter Zeit, Bd. VI der Schriftenreihe des mittelalterlichen Kriminalmuseums Rothenburg ob der Tauber, Rothenburg 1984; S. 20 und S. 21: akg-images; S. 25: Franz-Josef Knöchel, Trier; S. 33: Dr. Heinz Bauer, Paderborn; S. 36: akg-images/ Erich Lessing; S. 41: akg-images; S. 48: Dr. Heinz Bauer, Paderborn; S. 55: Zentralbibliothek Zürich, Ms. F 26, f.226r; S. 61 Zentralbibliothek Zürich, F 35, f.338r; S. 67 Zentralbibliothek Zürich, Ms. F 23, S.399; S. 82: nach: J. B. Vulpinus, Succus ex opere criminali P. Farinacii, Lyon 1663; S. 90: Foto: Thomas Becker, Bonn; S. 101, 107, 110, 114 und S. 118: Rainer Decker, Paderborn; S. 128: Foto: Thomas Becker, Bonn; S. 131: Rainer Decker, Paderborn; S. 134: Zentralbibliothek Zürich, Ms. F 19, f.147v; S. 147: Rainer Decker, Paderborn

Dr. Rainer Decker, Jg. 1949, ist Fachleiter für Geschichte am Staatlichen Studienseminar in Paderborn. Seit rund 25 Jahren erforscht er die Hexenprozesse in Deutschland und Italien und hat dazu zahlreiche Publikationen veröffentlicht. Im Primus Verlag sind von ihm bereits erschienen: Die Päpste und die Hexen (2003), Hexen. Magie, Mythen und die Wahrheit (2004). Als wissenschaftlicher Berater war er bei verschiedenen Fernsehdokumentationen zum Thema beteiligt.