Die Welt der Ernestiner: Ein Lesebuch 9783412506346, 9783412505226


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Die Welt der Ernestiner: Ein Lesebuch
 9783412506346, 9783412505226

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Siegrid Westphal . Hans-Werner Hahn . Georg Schmidt (Hg.)

DIE WELT DER ERNESTINER Ein Lesebuch

2016

Böhlau Verlag Köln Weimar Wien

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung durch die Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen und in Zusammenarbeit mit der »Historischen Kommission für Thüringen«.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek  : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie  ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlagabbildung und Frontispiz: Herzog Johann von Sachsen-Weimar (1570–1605) mit seiner Familie und »JakobsTraum«, 1613, von Christian Richter (1587–1667), Öl auf Kupfer, Objektmaß: 52,8 x 37,5 cm (© Kunstsammlungen der Veste Coburg)

© 2016 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Redaktion und Lektorat: Volker Arnke, Osnabrück Satz: Michael Rauscher, Wien Druck und Bindung  : Balto print, Vilnius Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the EU ISBN 978-3-412-50522-6

Inhalt 9 Vorwort

I. Das dynastische Selbstverständnis der Ernestiner

Siegrid Westphal

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Zur Einführung: Wer waren die Ernestiner?



Christopher Spehr

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Die Ernestiner und Martin Luther



Joachim Bauer · Dagmar Blaha

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Herzog Johann und die »Weimarer« Reformation



Martin Sladeczek

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Die Ernestiner und das entstehende Kirchenregiment



Stefan Michel

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Martin Luther und Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen im Holzschnitt



Michael Chizzali

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Die Ernestiner und ihre geistlichen Musikhandschriften



Kai Marius Schabram

64

Die Ernestiner und der protestantische »Urkantor« Johann Walter



Stefan Menzel

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Johann Friedrich I. und die lutherische Kirchenmusik



Beate Agnes Schmidt

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Bach und die Weimarer Herzöge. Ernestinische Musikpatronage im frühen 18. Jahrhundert

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Inhalt



Johanna Hilpert

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Die Ernestiner und die Theologische Fakultät Jena in der späteren Aufklärung



Klaus Ries

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Die Ernestiner und das moderne Gelehrtentum



Jutta Heinz

108 Abseits des »kleinen Rennwagens« der Welt. Prinz August von Sachsen-

Gotha-Altenburg als Schriftsteller

Andreas Christoph

117 Die Ernestiner und ihre Leidenschaft für Globen

II. Politik und politisches Handeln

Georg Schmidt

127 Zur Einführung: Kein Staat zu machen mit den Ernestinern?

Uwe Schirmer

137 Die Ernestiner und das Geld

Hendrikje Carius

145 Die Ernestiner und ihre Gerichte

Philipp Walter

153 Die Ernestiner und der Saalfelder Landtag 1567

Ingo Leinert

161 Das Konkordienwerk. Eine Einigung zu Lasten der Ernestiner  ?

Marcus Stiebing

168 Jenaer Politikberatung. Herzog Johann Ernst d. J. und der Böhmische

Krieg

Astrid Ackermann

175 Herzog Bernhard in Paris

Inhalt 



Christoph Nonnast

183 Die Ernestiner und der Westfälische Friedenskongress

Wolfgang Burgdorf

192 Die Ernestiner und der Beginn des Natur- und Tierschutzes in Europa

Anne Fuchs

200 Ernst August II. Konstantin von Sachsen-Weimar-Eisenach und Kaiser

Franz I.

Julia A. Schmidt-Funke

209 Reichsstädtische Residenz. Herzog Anton Ulrich in Frankfurt am Main

Stefanie Walther

218 Heiratspolitik und Eheschließungspraxis bei den Ernestinern

Peter Langen

227 Die Ernestiner und die Kurwürde in der ersten Hälfte des

18. Jahrhunderts

Oliver Heyn

235 Alles nur »Soldatenspielerei«? Das Militär in den ernestinischen Staaten

(1648–1806)

Stefanie Freyer

242 Epochal ohne Musenhof. Weimar um 1800

Klaus Manger

251 Anna Amalia, Carl August und das Ereignis Weimar-Jena

Franziska Schedewie

262 Die Ernestiner und die russische Heirat

Alexandra Willkommen

271 Zu viele Ehescheidungen. Ein »hausgemachtes« Problem Carl Augusts  ?

Marcus Ventzke

280 Wo schlägt das Herz der deutschen Kultur?

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Inhalt

III. Monarchie und Gesellschaft im 19. Jahrhundert

Hans-Werner Hahn

290 Zur Einführung: Die Ernestiner und die bürgerliche Welt des

19. Jahrhunderts

Alexander Krünes

300 Die Ernestiner und die Volksaufklärung

Werner Greiling

310 Verlagswesen und Presse in den ernestinischen Staaten

Stefan Gerber

318 Ernestinische Geschichtspolitik im 19. Jahrhundert

Henning Kästner

325 Die Ernestiner und die Landtage im 19. Jahrhundert

Marko Kreutzmann

334 Die Ernestiner und der niedere Adel im »langen« 19. Jahrhundert

Anja Schöbel

343 Die Ernestiner und ihre Beerdigungen. Das Beispiel ­Sachsen-Coburg

und Gotha

353 Bibliographie 374 Verzeichnis der AutorInnen 377 Personenregister 387 Ortsregister

Vorwort

Die Ernestiner zählen zu den vielen regierenden hochadeligen Häusern des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation. Sie haben Deutschland und Europa nicht mit Kriegen, sondern mit ihren kulturellen Initiativen nachhaltig geprägt. Trotz des Verlustes der Kurwürde in der Mitte des 16. Jahrhunderts verstanden sie es, sich in Abgrenzung zur konkurrierenden wettinischen Linie der Albertiner als führendes protestantisches Haus zu behaupten und »oben« zu bleiben. Dies gelang ihnen vor allem durch eine geschickt inszenierte Erinnerungskultur, die ihren Ausgangspunkt im Reformationszeitalter nahm. Im kulturellen Gedächtnis sind die Ernestiner als die Ahnherren der Reformation, die Schirmherren der »Klassik« in Weimar und Jena und als jenes Haus fest verankert, dem viele europäische Monarchen des 19. Jahrhunderts entstammten. Angesichts dieser mehr als 500jährigen Erfolgsgeschichte verlieren die alten und neuen Einwände, sie seien eigentlich nie eine eigenständige Dynastie, sondern nur ein Teil der Wettiner gewesen, oder sie hätten aufgrund der vielen Teilungen dem Staatsgedanken keinen Raum gegeben, erheblich an Überzeugungskraft. Das Herrschafts- und Staatsverständnis mindermächtiger Fürsten war nicht dasjenige des Nationalstaates. Es beruhte auf dem Schutz durch Kaiser und Reich, auf Einvernehmen mit den Nachbarn und Entgegenkommen gegenüber den Untertanen sowie einigen repräsentativen und prestigeträchtigen Unternehmungen, die – wie die Residenzen heute – als kulturelle Vermächtnisse bewundert werden. »Die Welt der Ernestiner. Ein Lesebuch« ist eine Sammlung von Essays, die sich exemplarisch mit der Dynastie und ihrem Umfeld beschäftigt. Der Band gliedert sich in drei Kapitel, wobei im ersten das Selbstverständnis der Ernestiner als Schutzherren der Reformation im Mittelpunkt steht. Das zweite Kapitel legt den Schwerpunkt auf ihre politischen Bestrebungen in der Frühen Neuzeit und ihre Versuche, die Kurwürde zurückzugewinnen. Im dritten Kapitel werden die politischen und gesellschaftlichen Veränderungen im 19. Jahrhundert beleuchtet, denen die Ernestiner begegnen mussten. Insgesamt geht es um das dynastische Selbstverständnis der Ernestiner, die von ihnen gepflegte Erinnerungskultur, ihr politisches Verhalten und die Handlungsfelder, auf denen sie tätig waren, die sie prägten oder beeinflussten. Der Band kann selbstredend kein Handbuch und keine Hausgeschichte ersetzen und das will er auch nicht. Seine Absicht ist es, über aktuelle Forschungsprobleme und neue Deutungen

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Vorwort

zu informieren und zum Nachdenken anzuregen. Wenn dabei deutlich wird, dass auch die Fernerinnerung (Karl-Heinz Bohrer) der Gegenwart noch manches zu sagen hat und als historischer Verständnishorizont eigentlich unverzichtbar ist, ist viel für das in der Öffentlichkeit bis zur Unkenntlichkeit verkürzte Geschichtsbewusstsein gewonnen. Der Band hatte einen unverhältnismäßig kurzen Vorlauf. Er ist entstanden, um die Ausstellung und den Katalogband »Die Ernestiner – eine Dynastie prägt Europa« mit einer Begleitpublikation wissenschaftlicher Essays zu bereichern. Die Resonanz auf die Anfragen der Herausgeber bei den ihnen bekannten Autoren/innen, die sich mit den Ernestinern beschäftigen, war überwältigend. Trotz ungemein kurzer Fristen konnten sie daher aus dem Vollen schöpfen. Die Herausgeber danken Herrn Werner Greiling und der »Historischen Kommission für Thüringen« für die tatkräftige Mithilfe bei der Verwirklichung dieses Projektes sowie der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen für die zur Finanzierung des Sammelbandes bereitgestellten Mittel. Sie bedanken sich bei Frau Anke Munzert (Jena), die als organisatorisches Zentrum fungierte und insbesondere darauf achtete, dass nichts liegenblieb oder verlorenging. Ein ganz besonderer Dank gilt darüber hinaus Herrn Volker Arnke (Osnabrück), der schnell und kompetent die Texte redaktionell bearbeitete und zudem das Orts- und Personenregister anfertigte. Auch dem Böhlau Verlag und Herrn Johannes van Ooyen sei herzlich für die Aufnahme des Bandes in das Verlagsprogramm gedankt. Osnabrück und Jena, im Januar 2016

I. Das dynastische Selbstverständnis der Ernestiner Siegrid Westphal

Zur Einführung: Wer waren die Ernestiner?

Die Ernestiner gingen aus der sogenannten »Leipziger Hauptteilung« der Wettiner von 1485 hervor. Namensgeber war Kurfürst Ernst, der zunächst gemeinsam mit seinem Bruder Albrecht regierte. Nach einer Reihe von Streitigkeiten vollzogen die Brüder jedoch die Trennung, die – im Unterschied zu früheren Landesteilungen – nicht mehr rückgängig gemacht wurde. Dem älteren Bruder Ernst fielen die Kurlande um Wittenberg sowie die damit verbundene Kurwürde, der größte Teil der alten Landgrafschaft Thüringen, kleinere Teile der Mark Meißen, das Vogtland sowie die Herrschaft Coburg zu. Der jüngere Bruder Albrecht regierte als Herzog von Sachsen den Großteil der Mark Meißen sowie das nördliche Thüringen. Zwischen beiden Hauptlinien bestand eine große dynastische Konkurrenz, die später durch die Reformation noch verstärkt wurde. Während der ernestinische Kurfürst Friedrich der Weise Martin Luther schützte und damit die Ausbreitung der Reformation beförderte, blieb der albertinische Herzog Georg der Bärtige beim alten Glauben. Erst sein Bruder Heinrich der Fromme führte mit seinem Regierungsantritt 1539 die Reformation auch im Herzogtum Sachsen ein. Der Schmalkaldische Krieg (1546/47) zwischen dem evangelisch geprägten Schmalkaldischen Bund und Kaiser Karl V. samt seinen Anhängern stellte für die Ernestiner eine dynastische Katastrophe ersten Ranges dar. In der Schlacht bei Mühlberg an der Elbe erlebte Kurfürst Johann Friedrich 1547 eine verheerende Niederlage. Er wurde dabei nicht nur durch einen Schwerthieb an der linken Wange verletzt, sondern auch gefangengenommen und fünf Jahre in kaiserlicher Haft behalten. Obwohl der albertinische Herzog Moritz von Sachsen auch Protestant war, hatte er sich mit Karl V. verbündet und war gegen seinen Vetter Johann Friedrich in den Kampf gezogen. Als Dank für seine Unterstützung erhielt Moritz vom Kaiser 1547 große Teile der ernestinischen Gebiete, darunter die Kurlande, und vor allem die Kurwürde. Auch die Fürstenrevolte und der Passauer Vertrag von 1552 änderten an diesem innerdynastischen »Reversement« nichts mehr. Im Naumburger Vertrag von 1554 konnten die Ernestiner zwar vom neuen albertinischen Kurfürsten August kleinere Gebiete zurückerhalten, aber sie mussten die Kurlande und ihre Residenz verlassen und sich in ihre ehemalige Nebenresidenz Weimar begeben. Als Her-

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Siegrid Westphal

zöge von Sachsen wurden sie nun zu einem thüringisch-sächsischen Haus mit einem deutlich verringerten Herrschaftsgebiet. 1567 gingen den Ernestinern durch die sogenannten Grumbachschen Händel – ein verzweifelter Versuch, die Kurwürde mit Hilfe des fränkischen Ritters Wilhelm von Grumbach zurückzugewinnen – wiederum Territorien verloren. Allerdings kamen mit dem Amt Römhild (1555) sowie durch die Hennebergische Erbschaft 1583 auch wieder Gebiete hinzu. Neben diesem politischen Abstieg gilt die spezifische Erbpraxis als symptomatisch für die Ernestiner. Während die Albertiner schon frühzeitig die Primogenitur einführten, hielten die Ernestiner bis ins 19. Jahrhundert am Gemeinschaftserbrecht fest. Die Folge davon war eine Reihe von Erbteilungen. Zum Teil existierten zehn Herzogtümer innerhalb des ernestinischen Herrschaftsgebietes gleichzeitig. Die ernestinische Entwicklung in der frühen Neuzeit galt vor allem aus Sicht des 19. Jahrhunderts als Paradebeispiel der deutschen Kleinstaaterei, die angesichts des dominanten Ideals vom unteilbaren, einheitlichen Staat negativ beurteilt wurde. Erst in jüngster Zeit setzte eine Neubewertung ein. So wird nun die Ähnlichkeit der thüringischen Situation mit der in vielen anderen Regionen in der frühen Neuzeit betont. Nicht nur Großstaaten, sondern auch kleinere Herrschaftsgebiete und territoriale Gemengelagen prägten schließlich diese Epoche. Positiv erscheint jetzt vor allem, dass die territoriale Vielfalt zur Konzentration auf die innere Landespflege und hier vor allem auf die Kultur, die Bildungs- und die Wirtschaftspolitik zwang. Ergänzend dazu hat sich in den letzten Jahren die Tendenz verstärkt, in Thüringen einen weitgehend geschlossenen Kulturraum, eine historische Region mit eigener Tradition und Identität zu sehen. Entscheidend ist jedoch, dass die Forschung aus den ernestinischen Landesteilungen keine »Niedergangsgeschichte« mehr ableitet, sondern vielmehr nach den aus den dynastischen Bindungen resultierenden übergreifenden Gemeinsamkeiten der Ernestiner sucht, die aufgrund des gleichen Erbrechts aller männlichen Nachfahren gegeben waren. Politische Ausdrucksform des gleichen Erbrechts war zwar die Gemeinschafts­ regierung, die jedoch häufig Probleme aufwarf. War ausreichend Territorium für eigene Landesportionen vorhanden, die ein standesgemäßes Auskommen erlaubten, entschlossen sich die Ernestiner in der Regel für die Landesteilung. Dabei handelte es sich nicht um sogenannte Totteilungen, die nicht mehr rückgängig gemacht werden konnten, sondern um eingeschränkte Realteilungen zu gesamter Hand oder Mutschierungen, eine häufig zeitlich befristete Teilung der Nutzungen ohne Teilung der Besitz- und Hoheitsrechte. Das hieß, dass jedes erbberechtigte Familienmitglied in seiner Landesportion nur eine

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durch Gemeinschaftsrechte des Gesamthauses eingeschränkte Landeshoheit wahrnehmen konnte. Ein modulares Teilungsprinzip auf Basis von Ämtern, der kleinsten Verwaltungseinheit im thüringisch-sächsischen Raum, erleichterte diese Vorgehensweise. Landesportionen ließen sich auf Grundlage der Ämtereinkünfte beliebig zusammenstellen, wobei das Ziel darin bestand, jedem erbberechtigten Nachkommen möglichst gleiche Einkünfte zu verschaffen, ohne auf die geographische Lage der Ämter Rücksicht zu nehmen. Starb eine Linie aus, fiel die Erbportion wieder an das Gesamthaus zurück. Trotz dieser Teilungsmöglichkeit sollte der gemeinschaftliche Aspekt innerhalb des ernestinischen Hauses nicht verlorengehen. Durch die praktizierte Belehnung zur gesamten Hand blieben die Lehensverhältnisse und der reichsständische Status eine Angelegenheit des gesamten Hauses. Auf diese Weise sollte der Verlust von Hausbesitz verhindert werden. Des Weiteren existierten gemeinschaftliche Institutionen wie die Universität Jena oder das Jenaer Hofgericht. Auch wurden eine Reihe hoheitlicher Rechte sowie die Erfüllung der Reichspflichten in Gemeinschaft ausgeübt. Eine wichtige Rolle spielte bei den Ernestinern als Kernland der Reformation auch die konfessionelle Einheit. In jedem Testament und bei jeder Landesteilung wurde ausdrücklich betont, dass das Territorium bei der reinen lutherischen Lehre entsprechend der Bekenntnisschriften zu verbleiben habe. Für den Fall eines seit Mitte des 17. Jahrhunderts im Reich häufiger vorkommenden Konfessionswechsels sahen die ernestinischen Bestimmungen sogar den Ausschluss von jeglicher Landesherrschaft vor. Auf diese Weise bestand eine mehr oder minder starke Klammer zwischen den einzelnen Linien der Ernestiner.

Waren die Ernestiner eine Dynastie?

Der Begriff Dynastie lässt sich auf das griechische Wort »dynasteia« zurückführen und bezeichnete ursprünglich nur Herrschaft bzw. Willkürherrschaft. In der Frühen Neuzeit war der Begriff im heutigen Sinne nicht bekannt, vielmehr sprach man vom Haus oder der Familie. Das ist auch für die Ernestiner belegt. Sie bezeichneten sich selbst als Mitglieder des »kur- und fürstlichen Hauses Sachsen«. Die Bezeichnungen Ernestiner und Albertiner, aber auch Wettiner sind Konstruktionen des 19. Jahrhunderts und Forschungsbegriffe, die helfen sollen, die komplexe Entwicklung der Familie systematisch aufzuarbeiten. Alle drei Begriffe werden in der Sekundärliteratur erst im 19. Jahrhundert verwendet.

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Konjunktur hatte z. B. die Bezeichnung »Wettiner« anlässlich der 800jährigen Wettiner Jubelfeier 1889. Das heute geläufige Verständnis von Dynastie, das erst in der Neuzeit Verbreitung fand, wird von Wolfgang E. J. Weber in seinem Sammelband »Der Fürst« 1998 folgendermaßen definiert  : Die Dynastie sei »eine optimierte Erscheinungsform der Familie, die sich durch erhöhte Identität (und damit verstärkte Abgrenzung nach außen), ausdrücklich gemeinsam genutzten (individueller Verfügung durch Familienmitglieder entzogenen) Besitz (Güter, Ränge, Rechte, Ämter), im Interesse ungeschmälerter Besitzweitergabe bzw. maximaler Besitzerweiterung bewußt gesteuerte Heirat und Vererbung sowie daher in der Regel gesteigerte historische Kontinuität auszeichnet«.1 Ursache und Voraussetzung für eine Dynastiebildung war der Wunsch eines Familienoberhauptes oder Interessenverbandes, einen als wertvoll verstandenen Besitz an die eigenen Nachkommen weiterzugeben. Dafür musste einerseits ein Bewusstsein für die historische Bedeutung der Familien- und Verwandtschaftsbeziehungen vorhanden, andererseits die Vorstellung verankert sein, dass soziale, politische und rechtliche Ansprüche an die Nachkommenschaft vererbt werden können. Die neuere Verwandtschaftsforschung definiert den Begriff noch sehr viel umfassender und rückt auch die sozialen Praktiken, die kommunikativen Strategien, die Beziehungen zwischen den Akteuren und den Gedanken der Vernetzung in den Fokus. Damit wird das adlige Haus nicht mehr als statische, festgefügte Größe begriffen, sondern als dynamisches verwandtschaftliches Beziehungsgeflecht, dessen Konstruktionscharakter stärker zu berücksichtigen ist. Fast alle diese Faktoren finden sich bei den Ernestinern wieder, die deshalb durchaus als Dynastie bezeichnet werden können. Ein Problem stellt jedoch der Aspekt der historischen Kontinuität dar.

Legitimation durch historische Kontinuität

Dynastien sind auf Dauer ausgerichtet mit der Absicht, Besitz und Herrschaft über ein Territorium für die nachfolgenden Generationen zu sichern und zu erweitern. Daher seien – so Wolfgang E. J. Weber – Entstehung und Verfestigung von Dynastien »wesentlich als Ergebnis bewussten Handelns aufzufassen«, welches typische Muster und Elemente aufweise.2 Dazu zählt vor allem der Rückgriff auf die Vergangenheit, in dem sich der jeweils regierende Fürst

Wer waren die Ernestiner? 

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in eine lange Reihe von Ahnen einschreibt. Die Anciennität des Hauses sollte den Anspruch auf Unverwechselbarkeit und Exklusivität, der vor allem gegenüber anderen regierenden Häusern formuliert wurde, sichern. Häufig wurde ein Gründungsmythos propagiert, der die Herkunft und Abstammung von besonders ausgezeichneten historischen, ja sogar mythischen Stammvätern und Geschlechtern konstruiert, um Ruhm, Ansehen und Ehre bei anderen Standesgenossen, aber auch den Untertanen zu generieren. Durch göttliche und heroische »Spitzenahnen« wurde die eigene Genealogie aufgewertet und das dynastische Prestige erhöht. Dies erschien besonders dann notwendig, wenn die Herrschaft umstritten oder krisenbehaftet war. Nicht zuletzt deshalb spielte die Dynastiegeschichte seit dem Ende des 15. Jahrhunderts an den europäischen Höfen eine wichtige Rolle. Im Mittelpunkt stand dabei das jeweils regierende Herrscherhaus. Durch Genealogien, Stammtafeln oder Sukzessionsreihen sollte die besondere Herkunft abgeleitet und historisch begründet werden. Abgesehen von der Legitimierung politischer Herrschaft einer Dynastie diente die Geschichtsschreibung auch der Identitätsbildung und Integration der Familie. Häufig wurde die Geschichte des Herrscherhauses mit der Geschichte seiner Territorien gleichgesetzt und gemeinsame Traditionen wie kollektive Identitätsmuster festgeschrieben. Dabei spielte die Konfession bzw. die Abwehr von Glaubensfeinden in der Frühen Neuzeit eine wichtige Rolle. Das zeigt sich gerade bei den Ernestinern, die einen massiven Bruch ihrer Herrschaft erleben mussten. Der Bezug auf die Reformation war auch eine wichtige Strategie, um den Führungsanspruch der Ernestiner unter den lutherischen Fürsten – trotz politischen Machtverlusts – aufrechtzuerhalten.

Die Ernestiner und die Reformation

Das politisch-genealogische Selbstverständnis der Ernestiner speiste sich spätestens seit 1532 aus der symbiotischen Einheit eines politischen Führungsanspruchs, symbolisiert durch die Kurfürstenwürde, und einer religiösen Vorreiterrolle als Schützer und Beschirmer der lutherischen Konfession, die mit Kurfürst Friedrich dem Weisen einsetzte und unter seinen Nachfolgern Johann dem Beständigen und Johann Friedrich ein eigenständiges Profil gewann – wie Christopher Spehr und Joachim Bauer/Dagmar Blaha in ihren Beiträgen eindrücklich zeigen können. Die Niederlage von Kurfürst Johann Friedrich gegen Kaiser Karl V. und die kaiserlichen Truppen im Schmalkaldischen Krieg

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1546/47 und der damit verbundene Verlust der Kurlande und der Kurwürde an die konkurrierenden Albertiner hatten einen der dramatischsten politischen Abstiege einer Dynastie im Alten Reich zur Folge. Es hätte daher nahe gelegen, Johann Friedrich aus dem dynastischen Gedächtnis der Ernestiner zu streichen. Aber gerade das Gegenteil geschah. Die häufig in panegyrischer Weise verwendeten Zuschreibungen von Ruhm und Ehre, die im siegreichen Kampf erworben und propagandistisch festgeschrieben wurden, wurden nun auf das Feld des Glaubenskampfes übertragen. Seine militärische Erfolglosigkeit im Schmalkaldischen Krieg konnte auf diese Weise gewendet werden. Was sich in machtpolitischer Hinsicht als einschneidende Zäsur erwies, wurde in konfessioneller Hinsicht Ausgangspunkt eines Kreuzzuges für das wahre Luthertum unter ernestinischer Flagge. Als Identifikationsfigur fungierte Johann Friedrich als »Märtyrer und neuer Heiliger«, wobei er zu seinen Lebzeiten selbst zur Verbreitung dieses Mythos beitrug. Das Image einer Dynastie von historischer Größe pflegten die Ernestiner mit Hilfe einer geschickt inszenierten und gesteuerten Erinnerungskultur jedoch weiter, indem sie die Geschichte der Dynastie mit der Geschichte der Reformation unlösbar verbanden. Mit der Niederlage im Schmalkaldischen Krieg verloren die Ernestiner zwar auch die Universität Wittenberg an die Albertiner. Mit einer vielfältigen »translatio« versuchten sie jedoch, die bereits in Wittenberg von ihnen initiierte Erinnerungskultur auf das ihnen verbliebene Herrschaftsgebiet zu übertragen und ihren politischen Abstieg dadurch zu kompensieren. Dazu gehörte nicht nur die Aufrechterhaltung des Anspruchs auf die Kurwürde, sondern auch die Gründung der Universität Jena (1548/58) als »Hort des wahren Luthertums« und als neues reformatorisches Zentrum sowie der Wille, aus ihrem Herrschaftsgebiet ein »Musterland« der Reformation zu machen. Den damit verbundenen kirchenpolitischen Maßnahmen widmet sich der Beitrag von Martin Sladeczek, wobei deutlich wird, dass die Ernestiner in diesem Bereich an vorreformatorische Entwicklungen anknüpfen konnten. In Abgrenzung zu den konkurrierenden Albertinern, die sich zur Legitimation ihrer Herrschaft ebenfalls in die Wittenberger Tradition einordnen wollten, mussten die Ernestiner die an ihre Dynastie geknüpfte reformatorische Erinnerungskultur nicht nur bewahren, sondern auch anders konturieren. Neue reformatorische Erinnerungs-Orte wurden geschaffen, beispielsweise durch die Aufstellung der Grabplatte Luthers in der Stadtkirche in Jena, durch den Cranach-Altar in Weimar oder die konfessionell inszenierten Fürstenbegräbnisse.

Wer waren die Ernestiner? 

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Charakteristisch war aber auch, dass man der Wittenberger Ausgabe der Lutherschriften schon unmittelbar nach Gründung der Jenaer Universität eine Jenaer Werkausgabe gegenüberstellte und sich dabei auf die in Weimar und Jena in den Gedächtnis-Speichern vorhandenen originalen Texte Luthers und seiner Weggefährten berufen konnte. Welche Wege man dabei fand, die besondere Rolle Kurfürst Johann Friedrichs für das Luthertum hervorzuheben, behandelt Stefan Michel in seinem Beitrag. In der Folge gewannen die aus der Reformationszeit stammenden Gedächtnis-Medien, insbesondere die kulturellen Texte, durch Reproduktion eine identitätsfundierende und verbindliche Rolle, so dass sie immer stärker kanonisiert wurden. Die kirchengeschichtliche Forschung spricht hier vor allem mit Blick auf Luthers Werkausgaben von Monumentalisierung und Historisierung Luthers, ohne dies in Abhängigkeit von den Interessen der Ernestiner zu sehen. Letztlich waren aber sie es, die immer wieder Projekte wie eine neue Bibelausgabe, die Herausgabe von Katechismen, Gesangbüchern oder anderen Grundlagen der Glaubensvermittlung, Schulund Bildungsreformen oder den Einsatz für die deutsche Sprache (Fruchtbringende Gesellschaft) initiierten, um nicht nur die Erinnerung an Luther und die Reformation zu bewahren und entsprechende Voraussetzungen dafür zu schaffen, sondern auch sich selbst und die eigene Vorreiterrolle innerhalb des Protestantismus zu behaupten. Eine wichtige Rolle spielte dabei die am ernestinischen Hof gepflegte Musik, die bisher kaum die Aufmerksamkeit der Forschung gefunden hat, aber – wie die Beiträge von Michael Chizzali, Kai Marius Schabram, Stefan Menzel und Beate Agnes Schmidt zeigen – auch in den Dienst der symbiotischen Beziehung von Dynastie und Reformation gestellt wurde. Dabei sei vor allem auf die Jenaer Chorbücher verwiesen, die unter Friedrich dem Weisen in erster Linie der Repräsentation von vorreformatorischer Frömmigkeit dienten und dann in der Reformationszeit eine Neufunktionalisierung mit Blick auf den protestantischen Gottesdienst erfuhren. Unter Kurfürst Johann Friedrich wurden vor dem Hintergrund der Reformen des sächsischen Schul- und Kirchenwesens zahlreiche Musikdrucke angeschafft, die vermutlich von den Lateinschulen des Landes als Referenzbestand zur musikalischen Gestaltung von Messe, Mette und Vesper herangezogen wurden. Noch im frühen 18. Jahrhundert zeigten sich die Ernestiner als Mäzene und Förderer der Hofmusik, die – trotz eingeschränkter finanzieller Möglichkeiten – herausragende Musiker und Komponisten wie Johann Sebastian Bach an ihre Höfe holten und ihnen dort Entfaltungsmöglichkeiten boten.

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Die Ernestiner und die Reformationsgeschichtsschreibung

Auch die starke Förderung der Reformationsgeschichtsschreibung durch die Ernestiner diente der Demonstration der engen Verbindung von Dynastie und Reformation, wobei auf diese Weise quasi ein neuer und eigenständiger Gründungsmythos der Ernestiner geschaffen wurde – ohne allerdings die älteren genealogischen Traditionen ersetzen zu wollen. An diesen musste festgehalten werden, um den Anspruch auf die Kurwürde aufrechterhalten zu können. Entscheidender Vorteil waren die in ihrem Besitz befindlichen originalen Quellen aus der Reformationszeit, die nun zunehmend erschlossen und in Quellensammlungen veröffentlicht wurden, um den von katholischer Seite ausgesetzten Angriffen und den innerprotestantischen Auseinandersetzungen begegnen zu können. Ausgangspunkt bildeten hier die im 17. Jahrhundert einsetzenden säkularen Reformationsfeiern (1617, 1630, 1717, 1730, 1817, ab dem 19. Jahrhundert dann auch biographische Daten von Luther wie 1883), waren sie doch gleichzeitig eine Möglichkeit, an die Verdienste der Dynastie für die Durchsetzung des »wahren Glaubens« zu erinnern. Kurfürst Johann Friedrich blieb dabei weiterhin Identifikationsfigur, seine Rolle im reformatorischen Geschehen wurde aber zunehmend differenzierter betrachtet. Besondere Bedeutung kommt in diesem Kontext der ersten Quellensammlung zum Schmal­ kaldischen Krieg zu, die der Weimarer Prinzenerzieher Friedrich Hortleder (1579–1640) im Jahr 1617/18 publizierte und die das Bild aller nachfolgenden ernestinischen Generationen vom Schicksalskrieg der Dynastie geprägt hat. Als Initiator von Reformationsgeschichtsschreibung profilierte sich vor allem Sachsen-Gotha unter Herzog Ernst dem Frommen, der sich Mitte des 17. Jahrhunderts auch mit dem Bau einer neuen Residenz in Gotha in die von den Ernestinern initiierte Erinnerungskultur einschrieb. Vielerlei bauliche und gestalterische Aspekte des Schlosses Friedenstein verweisen auf die Vergangenheit und wenden diese gleichzeitig in der Gegenwart zur Legitimation der Machtstellung, was als spezifische Repräsentationskonzeption gilt. Das Schloss war entsprechend seiner Funktion als politisches Zentrum des neu geschaffenen Herzogtums Sachsen-Gotha ganz für die praktische Nutzung konzipiert. Das Gebäude ist auffällig schmucklos. Umso bemerkenswerter ist deshalb die Weiterverwendung des Kirchenportals aus dem geschleiften Vorgängerbau Grimmenstein, auf dem in einer Kartusche noch die Kurschwerter und darüber der Schriftzug IESUS zu sehen sind. Sie verweisen nicht nur auf die kurfürstliche Vergangenheit der ernestinischen Linie, sondern auch auf den Anspruch Herzog Ernsts, die von ihm neu begründete Gothaer Linie als gleichberechtigt

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neben der älteren Weimarischen Linie zu etablieren und sich gleichzeitig in die kurfürstliche Traditionslinie einzureihen. Zusätzlich wird wiederum auf das spezifische dynastische Selbstverständnis der Ernestiner als Schutzherren des Luthertums verwiesen. So finden sich drei Relieftafeln an den Fronten des Schlosses, die alle Kurfürst Johann Friedrich abbilden, also genau den Märtyrer, der den spezifischen Gründungsmythos der Dynastie bediente. Der Auftrag Herzogs Ernsts des Frommen an Veit Ludwig von Seckendorff, eine Geschichte der Reformation im 16. Jahrhundert zu schreiben, steht am Anfang einer Erinnerungskultur, die bewusst die Bedeutung der Dynastie für die Durchsetzung der Reformation und die Bewahrung des Luthertums betont. Seckendorff verfasste eine lateinische Abhandlung und begann mit einer Übersetzung seiner Reformationsgeschichte ins Deutsche, über der er allerdings verstarb. 1695 beauftragte Friedrich II. von Sachsen-Gotha und Altenburg den sächsischen Rat, Polyhistor und bestallten Historiographen Wilhelm Ernst Tentzel mit einer Übersetzung der Geschichte des Luthertums von Seckendorff vom Lateinischen ins Deutsche, die er aufgrund neuer Quellenfunde mit Anmerkungen versehen und bis in die Gegenwart fortführen wollte. Aber auch er verstarb 1707, ohne das Werk zu vollenden. Erst mit der 1713 erfolgten Berufung von Ernst Salomon Cyprian an den Hof Sachsen-Gothas als Oberkonsistorialrat und Leiter der fürstlichen Bibliothek kam wieder Bewegung in den Plan einer Geschichte des Luthertums. Es lag ganz offensichtlich im Interesse von Friedrich II., die Deutungshoheit über die Reformation und die Geschichte des Luthertums zu behaupten, wohl wissend, dass dies auch der eigenen Dynastie und vor allem der eigenen Linie zugutekommen könnte. Alle Werke Cyprians sind sowohl inhaltlich als auch methodisch in einer klaren Kontinuitätslinie zu den Arbeiten von Hortleder und Seckendorff zu sehen. Auch Cyprian ging es vorrangig um die Verteidigung der Reformation und des Luthertums. Allerdings richtete er sich, anders als seine Vorgänger, in erster Linie gegen die überkonfessionelle Geschichtsschreibung. Deshalb wollte Cyprian die Leistungen Luthers und der ernestinischen Kurfürsten wieder in Erinnerung rufen, denn nur auf diese Weise konnte – laut Cyprian – die Einsicht in Gottes Barmherzigkeit und sein großes Reformationswerk lebendig bleiben. Ein Großteil seiner Tätigkeit bestand aus diesem Grund darin, unbekannte Quellen zur frühen Reformationsgeschichte (Georg Spalatin) herauszugeben und zu edieren. Aufgrund von Cyprians ausgeprägten historischen Bewusstseins konzentrieren sich seine Schriften auf zwei Ereignisse, einmal die Zweihundertjahrfeier des Thesenanschlags im Jahre 1717 und die der Confessio Augustana im Jahre 1730. Insbesondere 1717 sah Friedrich II. die Chance,

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sich an die Spitze der Lutheraner zu setzen, indem er Cyprian beauftragte, alle gedruckten Nachrichten über das Jubiläum zu sammeln, aufzubewahren und als Festschrift Hilaria Evangelica (1719) herauszugeben. Die prächtige Quellensammlung diente nicht nur als Ausdruck einer virtuellen Gemeinschaft der Lutheraner, sondern gleichzeitig auch als Fürstenlob der Ernestiner. Auch wenn sich die konfessionelle Ausrichtung ab 1732 unter Friedrich III. durch den Einfluss aufklärerischer und pietistischer Strömungen wandelte, so hielt nicht nur Sachsen-Gotha, sondern das gesamte ernestinische Haus an den von Friedrich II. 1718 eingeführten jährlichen Reformationsfeiern fest. Ab Mitte des 18. Jahrhunderts bestimmten die gothaischen Herzöge alle zwanzig Jahre (1747, 1767, 1787) Texte, die am 31. Oktober zum Reformationstag gelesen werden sollten. Selbst als gegen Ende des 18. Jahrhunderts ein Teil der ernestinischen Höfe kaum noch Bezüge zum Religiösen besaß, wurden kirchenpolitische Maßnahmen wie die Zulassung anderer Konfessionen oder die Strafpraxis immer noch nach dem Gesichtspunkt der Hauskonformität und des Zusammenhalts der ernestinischen Dynastie beurteilt, die nach wie vor dem Luthertum verpflichtet war. Allerdings zeigte sich die allmähliche Lockerung der identitätsstiftenden Verbindung von Dynastie und Luthertum in anderen Kontexten. Die Universität Jena, die jahrhundertelang als Hort des wahren Luthertums galt, wurde unter Einfluss spätaufklärerischer Strömungen und hochschulpolitischer Erwägungen durch die Berufungspolitik der Ernestiner neu ausgerichtet. Selbst die theologische Fakultät musste – trotz massiven Widerstands – die Ernennung des Aufklärungstheologen Ernst Jakob Danovius hinnehmen, wie Johanna Hilpert in ihrem Beitrag zeigen kann. Ähnliches erfolgte in anderen Fakultäten, wobei vor allem die Berufungen von Johann Gottlieb Fichte, des Historikers Heinrich Luden, des Naturforschers Lorenz Oken oder des Philosophen Jakob Friedrich Fries laut Klaus Ries zur Herausbildung eines politischen Gelehrtentums führten, das nationale Wirkung entfaltete. Auch im individuellen Selbstverständnis der einzelnen Dynastiemitglieder spielte der Bezug auf die Reformation und das lutherische Selbstverständnis der Dynastie im späten 18. Jahrhundert eine immer geringere Rolle. Jutta Heinz, die sich Prinz August von Sachsen-Gotha-Altenburg widmet, der als nachgeborener Sohn keine politische Bedeutung entfalten konnte, zeigt, wie er sich unter Einfluss des »Ereignisses Weimar-Jena« – wie viele andere adlige »Dilettanten« – als Dichter, Schriftsteller und Übersetzer betätigte. Neben den Feldern, in denen die identitätsstiftende Rolle der Ernestiner als Schutzherren des Luthertums offensichtlich war, gab es aber auch immer

Wer waren die Ernestiner? 

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Bereiche, in denen die fürstliche Repräsentation und das Mäzenatentum ohne konfessionelle Bezüge im Vordergrund standen. Beispielhaft verweist Andreas Christoph hier auf das Interesse an Globen und globenverwandten Instrumenten, die von den Ernestinern gesammelt und in ihren Bibliotheken als Repräsentationsobjekte ausgestellt wurden, ohne dass damit eine konfessionspolitische Absicht verbunden war.

Schlussbetrachtung

Das, was eine Dynastie im Wesentlichen ausmacht, nämlich die Kontinuität von Herrschaft und der Besitz eines Herrschaftsterritoriums, war bei den Ernestinern nicht gegeben. Vielmehr ist nach der Niederlage im Schmalkaldischen Krieg und dem Verlust der Kurwürde und Kurlande ein klarer Bruch festzustellen, der die Ernestiner in Konkurrenz zu den Albertinern dazu zwang, sich als Dynastie ein eigenständiges Profil zu geben und »Strategien des Obenbleibens« zu entwickeln. Mit Hilfe einer konsequenten Konfessionspolitik begleitet von einer geschickten Selbstinszenierung gelang es Johann Friedrich, aus der politisch-militärischen Niederlage im Schmalkaldischen Krieg einen konfessionellen Triumph zu schmieden. Der Verlust der Kurwürde wurde als nur vorübergehend angesehen, der reale politische Machtverlust durch die dezidierte Betonung der konfessionellen Führungsrolle im Luthertum kompensiert. Die von Johann Friedrich vorgenommenen Weichenstellungen und die von ihm vorgegebene und testamentarisch niedergelegte Lesart der Ereignisse wurden von den nachfolgenden ernestinischen Generationen in eine Erinnerungskultur übergeleitet, welche die große Bedeutung der Dynastie für das Luthertum und umgekehrt betonte. Während der gesamten Zeit ihrer Herrschaft in Thüringen hat sich am Selbstverständnis der Ernestiner wenig geändert. Die lutherische Konfession wurde in den Hausgesetzen für alle Mitglieder der Dynastie festgeschrieben. Nicht zuletzt deshalb geht die Forschung davon aus, dass die Ernestiner lange Zeit an der Kollektivsukzession festgehalten haben, die ihrem konfessionellen Selbstverständnis eher entsprach als das als ungerecht empfundene Primogeniturrecht. Insofern können die Vielfalt der regierenden Linien, die blühende Residenzenlandschaft und die Hofkultur auch als indirekte Folge der konfessionellen Identität der Ernestiner gesehen werden. Erst Mitte des 18. Jahrhunderts verlor die jahrhundertealte Symbiose von konfessionellem und dynastischem Selbstverständnis für die Ernestiner vorü-

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bergehend an Bedeutung, bis sie zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine fulminante Renaissance erlebte.

Anmerkungen 1 Weber, Dynastiesicherung, S. 95. 2 Ebd.

Christopher Spehr

Die Ernestiner und Martin Luther

Ohne die Ernestiner hätte es die Reformation im 16. Jahrhundert nicht gegeben. Als Episode wäre die Ketzerbewegung um Martin Luther in die Geschichte eingegangen. Umgekehrt hätte sich ohne Luther aber auch das Selbstverständnis der Ernestiner in der Frühen Neuzeit nicht derart entwickeln können, wie es durch Luther und die Reformation geschah. Mehr noch  : Das Schicksal Luthers und das Schicksal der Ernestiner waren seit dem Wormser Reichstag 1521 aufs engste miteinander verbunden. Auch wenn das Verhältnis zwischen Luther und seiner ernestinischen Obrigkeit vom gegenseitigen Wohlwollen bestimmt war, blieben die Beziehungen in einem gewissen Spannungsverhältnis, das den Prozess der Reformation im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation vorbereiten und gestalten sowie im territorialkirchlichen Bereich zur Entstehung des sogenannten landesherrlichen Kirchenregiments führen sollte. Als Theologe, Seelsorger und Prediger avancierte Luther zur geistlichen Autorität, die er für seine drei Landesherren – Kurfürst Friedrich den Weisen, Johann den Beständigen und Johann Friedrich den Großmütigen – in unterschiedlicher Ausprägung zeitlebens blieb. Durch seine reformatorischen Einsichten und kirchenreformerischen Impulse beeinflusste und formte Luther das christliche Glaubensleben seiner Kurfürsten und das ihrer Untertanen. Die Fürsten wiederum ließen sich von Luther – motiviert durch reformatorisch gesinnte kurfürstliche Räte – für die evangelische Lehre und die sukzessive Gestaltung des evangelischen Kirchenwesens in den Dienst nehmen. Die Herrscher entwickelten ein persönliches und keineswegs nur machtpolitisches Interesse am evangelischen Glauben, so dass sie immer wieder Luther um Rat fragten. Weil er ein Problemdenker war, der auf Fragen reagierte und seine Theologie situativ entfaltete, waren es nicht selten diese Anfragen und Bitten seiner Landesherren, die ihn anregten und zu neuen Erkenntnissen herausforderten. Dieser von der Lutherforschung bislang kaum beachteten Spur soll hier exemplarisch nachgegangen werden. Im Vordergrund steht daher die Frage, inwieweit die Ernestiner Luthers theologisches Wirken anregten und mitgestalteten.

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Friedrich der Weise und Luther

Die am 31. Oktober 1517 in Wittenberg publizierten 95 Thesen wirkten wie Hammerschläge, die Risse ins spätmittelalterliche Kirchenwesen sprengten. Ob die Thesen zur »Erläuterung der Kraft der Ablässe«1 von Luther an die Schlosskirchentür – das Schwarze Brett der Universität – genagelt wurden, wie Zeitzeugen gut zwanzig Jahre später behaupteten, oder anfangs nur mittels Briefen verbreitet wurden, spielt für ihre Wirkung keine Rolle. Die Disputationsthesen und weitere Äußerungen Luthers ließen die römische Kirche aufschrecken und gegen ihn ein Ketzerverfahren einleiten. In diesen heiklen Prozess schaltete sich Luthers Landesherr, Kurfürst Friedrich III., ein. Der wettinische Reichsfürst hatte 1502 die Wittenberger Universität gegründet und die Stadt zur Residenz ausgebaut. Die Pflege der Wissenschaft lag ihm am Herzen, so dass er beispielsweise für den begabten Augustiner-Eremitenmönch die Promotionskosten anlässlich dessen Erwerb des theologischen Doktorgrades im Oktober 1512 an der Leucorea, so der Name der Wittenberger Universität, übernahm. Diese materielle Unterstützung ermöglichte Luther den Zugang zur theologischen Universitätsprofessur und eröffnete ihm die akademische Laufbahn, für die ihn sein Ordensvorgesetzter Johann von Staupitz bestimmt hatte. Später schenkte der Kurfürst Luther mehrfach Tuch zur Anfertigung einer Kutte und Wildbret zum Essen. Weitere mäzenate Sonderzuwendungen sollten folgen. Der Lutherfreund Georg Spalatin, humanistischer Theologe und Politiker, nahm als Bibliothekar, Kanzleisekretär und kurfürstlicher Bevollmächtigter für die Kirchen- und Universitätsbelange direkten Einfluss auf den Kurfürsten. Die kurfürstliche Religionspolitik wurde durch Spalatin, der das Vertrauen Friedrichs III. genoss, maßgeblich mitgestaltet. Durch ihn sollte der Kurfürst zeitlebens mit Luther korrespondieren, während Friedrich eine persönliche Begegnung anfangs aufgrund von Standesunterschieden, später aus politischen Vorsichtsmaßnahmen vermied. Luther hingegen verfasste seit dem Frühjahr 1518 Briefe an seinen Kurfürsten, den er als weisen Landesherrn und kluge Obrigkeit äußerst wertschätzte.2 Auch wenn Luther um seinen Stand als Untertan wusste, schlug er in seinen Briefen einen überraschend direkten und bisweilen humorvollen Ton gegenüber Friedrich an. Es herrschte somit ein gewisses Vertrauensverhältnis zwischen dem kurfürstlichen Hof und Luther, als 1518 das kuriale Ketzerverfahren gegen den Wittenberger Mönch begann. Der Kurfürst, durch Spalatin und weitere Berater instruiert, verhinderte die Auslieferung Luthers nach Rom, handelte mit

Die Ernestiner und Martin Luther 

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der Kurie das Verhör durch Kardinal Cajetan in Augsburg im Anschluss an den Reichstag 1518 aus und bot Luther Rechtsbeistand. Insbesondere diese juristische und diplomatische Unterstützung seitens der kurfürstlichen Räte ermöglichte eine mehrstufig-strategische Verteidigung und Verzögerung der »causae lutheri«. Dabei spitzte sich die Situation zwischenzeitlich dramatisch zu. Der zwischen dem katholischen Glauben und den evangelischen Neuerungen schwankende Kurfürst stellte im November 1518 Luthers Aufenthalt in Wittenberg in Frage und suchte die Veröffentlichung von Luthers Bericht aus Augsburg, die »Acta Augustana«,3 zu untersagen. Kurze Zeit später rang er sich schließlich zu der Meinung durch, Luther möge in Wittenberg bleiben. Die Schrift durfte erscheinen. Obwohl sich der Kurfürst zeitlebens nie aktiv zur Reformation bekannte und erst kurz vor seinem Tod das Abendmahl unter beiderlei Gestalt nahm, sicherte seine Schutzpolitik Luther das Überleben. Es war dieser obrigkeitlich geduldete – besser gewährte – Freiraum, der die Entfaltung von Luthers Theologie zwischen 1518 und 1520 möglich machte. Der Ketzerprozess wurde bis 1520 hinausgezögert. Als es im Sommer 1520 mit der kurialen Bannandrohungsbulle für Luther ernst werden sollte, hatten sich die Hammerschläge im Mauerwerk der Kirche bereits vervielfacht, so dass der Bannstrahl aus Rom in Kursachsen keine lebensbedrohende Wirkung mehr erzielen konnte. Friedrich der Weise sorgte dafür, dass Luther im April 1521 unter Zusicherung des freien Geleits nach Worms zum Reichstag geladen wurde. Nachdem der Wittenberger Theologieprofessor dort seine Lehre nicht widerrufen hatte und die kaiserliche Verurteilung drohte, billigte Friedrich den Geheimplan, Luther auf der Wartburg zu verstecken. Dass Luther im Schutz der ernestinischen Burg eine seiner größten und nachhaltigsten Leistungen vollbrachte, indem er das Neue Testament ins Deutsche übersetze, ahnte der Fürst damals noch nicht. Als Anfang Mai 1521 das sogenannte »Wormser Edikt« – die reichsrechtliche Verurteilung Luthers – verhängt wurde, war der durch die katholische Kirche zuvor verketzerte Mönch bereits in Sicherheit und der Kurfürst vom Reichstag abgereist. Eine Vollstreckung des Edikts in seinem Gebiet verhinderte Friedrich erfolgreich. Neben der Ermöglichung des theologischen Wirkens seines Wittenberger Professors wandte sich der fromme Kurfürst, der eine beachtliche Reliquiensammlung in der Wittenberger Stiftskirche bis 1520 zusammentragen ließ, die er im Zuge der Reformation 1522 aufgab, auch mit geistlichen Anliegen an Luther. Bereits im März 1519 hatte Luther seinem Fürsten den 2. Psalmenkommentar, die »Operationes in psalmos«, gewidmet und in der im huma-

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nistischen Stil verfassten Widmungsvorrede dessen Liebe zur Heiligen Schrift hervorgehoben.4 Als Friedrich im Sommer 1519 an Gicht schwer erkrankte, fragte Spalatin bei Luther um eine Trostschrift für seine kurfürstliche Exzellenz an. Daraufhin verfasste Luther das 1520 gedruckte Werk »Tessaradecas consolatoria pro laborantibus et oneratis«,5 das Spalatin unter dem Titel »Ein Tröstliches Büchlein in aller Widerwärtigkeit eines jeden christgläubigen Menschen« ins Deutsche übersetzte und dem Kurfürsten überreichte. In dieser Erbauungsschrift, deren Titel »Tessaradecas« (die Vierzehn) eine Anspielung auf die vierzehn Nothelfer darstellte, die Luther durch eine biblische Betrachtung des Leidens ersetzte, entfaltete er seine Botschaft von Christus als alleinigem Retter und Trost. Der Kurfürst fühlte sich durch dieses Buch in seinem Leiden getröstet. Ebenfalls formulierte Friedrich noch im selben Jahr die Bitte, Luther möge eine Auslegung zu den Episteln und Evangelien der Sonn- und Feiertage für Priester und Geistliche verfassen. Dieses Anliegen zielte darauf, Luther von den kontroverstheologischen Streitschriften zu friedvollen Studien zu lenken. Aufgrund der Eskalation des Konflikts mit der Papstkirche konnte er erst 1521 die auf die Adventszeit beschränkten »Enarrationes epistolarum et evangeliorum« vorlegen,6 womit eines von Luthers wirkmächtigsten Projekten seinen Anfang genommen hatte  : die Postillen. In der Widmungsvorrede an seinen Kurfürsten betonte Luther, mittels der Postille die frohe Botschaft von Jesus Christus als Herzstück der christlichen Religion verständlich und vorbildlich unter den Pfarrern und Predigern verbreiten zu wollen. In deutscher Sprache verfasst und durch die anderen Sonntage im Kirchenjahr ergänzt, sollten die Postillen seit 1522 als eingängige Kommentare und Predigthilfen weite Verbreitung finden. Schließlich veranlasste Friedrich der Weise im November 1520 Luther zur Anfertigung einer Verteidigungsschrift gegen die in der römischen Bannandrohungsbulle kritisierten Sätze. In seiner »Assertio omnium articulorum«,7 die Luther in einer eigenständigen und schärferen deutschen Fassung unter dem Titel »Grund und Ursach aller Artikel«8 veröffentlichte, widerlegte der Reformator öffentlichkeitswirksam die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen. Erstmals betonte er hier die alleinige Autorität der Heiligen Schrift, hob das Wort Gottes als erstes Prinzip aller Theologie hervor und desavouierte den Papst als Antichristen. In brennpunktartiger Deutlichkeit und fundamentaltheologischer Klarheit formulierte Luther auf Latein und Deutsch sein reformatorisches Schriftprinzip als Grundlage des evangelischen Glaubens.

Die Ernestiner und Martin Luther 

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Johann der Beständige und Luther

Anders als Friedrich der Weise bekannte sich sein jüngerer Bruder Johann bereits früh zur reformatorischen Bewegung, ohne anfangs eindeutig Partei für Luther zu ergreifen. Gleichwohl regte auch er den Wittenberger zu theologischen und ethischen Überlegungen an und entwickelte spätestens mit seiner Alleinherrschaft nach Friedrichs Tod am 5. Mai 1525 ein sehr gutes Verhältnis zum Wittenberger Reformator. Vom regen Austausch zeugen 122 nachweisbare Briefe Luthers an Johann und 56 Briefe Johanns an Luther. Zeitlich traten der von Weimar aus mitregierende Herzog und dessen Sohn Johann Friedrich etwas später als der häufig in Wittenberg residierende Kurfürst in Luthers Fokus. Erst Ende März 1520 widmete Luther Herzog Johann eine Schrift. Für die Zueignung hatte der Wittenberger Theologe auf eine prominente Gelegenheit gewartet, die er mit der zentralen reformatorischen Programmschrift »Von den guten Werken«9 als gekommen ansah. Seit 1520 entwickelte Johann ein reges Interesse am Wirken des Theologen und begann, seinen älteren Bruder hinsichtlich der politischen Entscheidungen um Luther zu beeinflussen. Weil die Frage für Johann und seinen Sohn akut war, wie ein wahrhaft christlicher Fürst regieren solle, ermutigte Johann Luther zur Ausarbeitung seines Obrigkeitsverständnisses. 1520 hatte sich Luther mit der Programmschrift »An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung«10 an die weltlichen Obrigkeiten gewandt und sie zur Reform der Kirche aufgerufen. Weil die Reformation 1521/22 nicht nur in Wittenberg unter Andreas Bodenstein (genannt Karlstadt) massiv in die kirchliche Praxis drängte, stellte sich auch die Frage, durch wen und wie die Reformation umzusetzen sei. Gegen den Willen seines Kurfürsten eilte der ordnungsliebende Luther im März 1522 deshalb von der Wartburg nach Wittenberg zurück, beruhigte die Wittenberger Gemeinde, entschleunigte das reformatorische Tempo, setzte Neuerungen behutsam und keineswegs gegen die Meinung Friedrichs des Weisen um und widmete sich dem evangelischen Gemeindeaufbau. Luther war der Überzeugung, dass durch die Predigt des Evangeliums die christliche Gemeinde erneuert und befähigt werde, die notwendigen Reformmaßnahmen zu ergreifen. Die weltliche Obrigkeit habe dieses Vorgehen zu unterstützen. Im Oktober 1522 reiste Luther mit Philipp Melanchthon nach Weimar und Erfurt. In der ernestinischen Residenzstadt hielt Luther sechs Predigten vor Herzog Johann und dem Hof. Neben der Kritik am Mönchswesen, an der Messopferpraxis und an den Privatmessen äußerte sich Luther zum

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Thema geistliches und weltliches Reich. Er erörterte, dass das geistliche Reich von Christus und von niemand anderem regiert werde. Dieses Reich Christi solle in die Herzen dringen und durch die Prediger vermittelt werden. Auf die kritische Rückfrage – möglicherweise vom Herzog persönlich –, wofür es der weltlichen Obrigkeit dann überhaupt bedürfe, entfaltete Luther am folgenden Tag erstmals explizit seine Überlegungen zum Verhältnis von geistlichem und weltlichem Regiment, welche im 20. Jahrhundert unter die Bezeichnung »Zwei-Reiche-Lehre« summiert wurden. Das Reich Gottes – so Luther – komme ohne Obrigkeit aus, nicht aber das weltliche Reich. Die Gewalt des Schwertes sei den Fürsten und Amtspersonen von Gott gegeben, um Gesetzesbrecher zu strafen und gute Menschen zu schützen. Wie die obrigkeitliche Regierung genau aussehen solle, sei Sache der Experten. Allerdings empfahl er dem Herzog, ein genaues Augenmerk auf die Auswahl seiner Berater zu richten. Mit Nachdruck betonte Luther die ethische Haltung der Obrigkeit  : »[A]lso soellen die hern und weltlichen Regentten das schwertt gancz Cristlich annemen und haben, damit sie den andern dienen, schueczen und hanthaben.«11 Gute Obrigkeit zeichne sich somit durch besondere Fürsorge für die Untertanen aus – motiviert durch den Glauben an Gott und die Liebe zum Nächsten. Luthers Weimarer Obrigkeitspredigten machten beim Herzog tiefen Eindruck, so dass er den Wittenberger Theologen bat, diese zu einem Buch auszuarbeiten. Zeitgleich kam es im benachbarten albertinischen Sachsen zu Maßnahmen gegen das von Luther soeben publizierte Neue Testament. Herzog Georg verbot dessen Verkauf und Besitz, wodurch die Frage nach der Rechtmäßigkeit von Obrigkeit und obrigkeitlicher Gehorsamspflicht akut wurde. Unter dem Titel »Von weltlicher Oberkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei« realisierte Luther das Werk im Winter 1522/23, welches mit einer Widmung an Herzog Johann rasch weite Verbreitung fand.12 Für das lutherische Obrigkeitsverständnis wurde es grundlegend. Aufgrund der unterschiedlichen Reformationstypen, die der Herzog in seinen thüringischen Landen bis 1524/25 ermöglicht hatte, der Ausschaltung der römischen Geistlichkeit und der katastrophalen Erfahrungen des Bauernkrieges wurde eine obrigkeitliche Steuerung des Kirchenwesens auf territorialer Ebene dringender denn je. Bereits Anfang 1525 hatte es erste Visitationsversuche im Eisenacher Gebiet gegeben. Dieses Vorgehen zur Ordnung der kirchlichen Verhältnisse forderten vom neuen Kurfürsten Johann nachdrücklich Nikolaus Hausmann aus Zwickau und Luther, der bereits einen synodalen Weg kategorisch ausgeschlossen hatte. 1527 sollte das Visitationswerk als landes-

Die Ernestiner und Martin Luther 

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herrliches Instrument im Kurfürstentum realisiert werden. Zuvor hatte Luther eine Maßnahme umgesetzt, die er schon seit längerer Zeit verfolgte und die im Sommer 1525 explizit vom kurfürstlichen Hof gefordert wurde  : die deutsche Messe als verbindliche Gottesdienstordnung. Weil sich in den frühen 1520er Jahren verschiedene evangelische Gottesdienstordnungen entwickelt hatten, die Luther durch eigene Vorschläge bereichert hatte, herrschte 1525 im Kurfürstentum eine unübersichtliche liturgische Pluralität. Nicht auf Befehl, aber in enger Abstimmung mit Kurfürst Johann erarbeitete Luther im Oktober die »Deutsche Messe und Ordnung Gottesdiensts«,13 die durch kurfürstliche Musiker mitgestaltet, erstmals Ende Oktober erprobt und Weihnachten 1525 in Wittenberg offiziell eingeführt wurde. Mit diesem Werk schuf Luther die für das Luthertum wirkmächtigste Gottesdienstordnung. Kurfürst Johann führte sie 1526 offiziell landesweit ein, wodurch er eine einheitliche Liturgie in seinem Territorium durchzusetzen suchte und einen ersten Baustein für das spätere landesherrliche Kirchenregiment legte. Noch wirksamer als die liturgische Ordnung war Luthers Vorrede, in welcher der Reformator seine bis heute gültige theologische Grundposition bezüglich des evangelischen Gottesdienstes entfaltete und die Notwendigkeit einer regionalen Einheitlichkeit der Liturgie bei größtmöglicher Freiheit der Zeremonien hervorhob. Neben diesen theologischen und kirchenpraktischen Anregungen verbesserte Kurfürst Johann durch verschiedene Zuwendungen Luthers Lebens- und Arbeitsbedingungen. Im Februar 1532, wenige Monate vor seinem Tod, übertrug er dem seit 1525 verheirateten Luther beispielsweise das Gebäude und Grundstück des ehemaligen Wittenberger Augustinerklosters.

Johann Friedrich der Großmütige und Luther

Schon als junger Mann hatte sich der 1503 geborene Kurprinz Johann Friedrich für Luthers Theologie interessiert. Mehr noch als seinen Vater Johann bewegte Johann Friedrich seit 1520 neben zahlreichen theologischen Problemen die Frage, was einen christlichen Herrscher auszeichne. Luther hatte ihm daraufhin 1521 die Schrift »Das Magnificat verdeutschet und ausgelegt«14 gewidmet und in einer Art Fürstenspiegel die notwendigen Qualitäten eines christlichen Herrschers herausgestellt. In die gleiche Richtung zielte Luthers Widmungsvorrede an den Kurprinzen, die er 1530 der Erstausgabe der deutschen Übersetzung des Danielbuches als eines »Königlich und Fürstlich buch[s]« voranstellte.15

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Mit dem Tod Johanns am 16. August 1532 begann die Zeit Johann Friedrichs als Kurfürst. Aus den verschiedenen Anfragen, die von Luther und in wachsendem Maße von den Wittenberger Theologen in Gemeinschaftsgutachten beantwortet wurden, sei abschließend ein kurfürstliches Anliegen hervorgehoben, das für die ernestinische Bekenntnisbildung von großer Bedeutung werden sollte. Im Sommer 1536 bat der Kurfürst Luther um dessen religiöses Testament und verknüpfte dies später mit der Bitte um die Aufstellung von Lehrartikeln für das nach Mantua ausgeschriebene Konzil. Luther verfasste daraufhin im Dezember 1536 die »Schmalkaldischen Artikel«,16 die von den führenden ernestinischen Theologen beraten und unterzeichnet, zur neuen Grundlage der kursächsischen Bündnispolitik werden sollten. Allerdings scheiterte der Versuch, Luthers Artikel auf dem Bundestag zu Schmalkalden im Februar 1537 für den seit 1531 existierenden Schmalkaldischen Bund als verbindliches Bekenntnis einzuführen. Gleichwohl wurde die von Johann Friedrich veranlasste Lutherschrift 1580 ins Konkordienbuch aufgenommen und seitdem zu den Bekenntnisschriften des Luthertums gezählt.

Resümee

Die problemlos erweiterbaren Beispiele belegen exemplarisch, wie die Ernestiner auf Luthers theologisches Wirken Einfluss nahmen. Friedrich der Weise sorgte mit seinen Anfragen dafür, dass Luther seine reformatorische Theologie auf den Feldern der Fundamentaltheologie, der Schriftauslegung, der Predigtlehre und der Seelsorge in den Entscheidungsjahren 1519 bis 1521 ausbaute. Auch wenn es nicht nur der Kurfürst und dessen Hof waren, die Luther anregten, seine evangelische Lehre zu schärfen, so ist deren Anteil dennoch erheblich. Auf den Feldern der politischen Theologie, der christlichen Ethik und der kirchlichen Praxis kamen Johanns und Johann Friedrichs Anfragen Gewicht zu. Eindeutige theologische Bekenntnisse forderte zudem Johann Friedrich von Luther ein. Auch wenn dieser sich bisweilen heftig gegen kurfürstliche Positionen wandte und sich besonders zu dem eigenwilligen Johann Friedrich kritisch verhielt, blieb die Schicksalsgemeinschaft zwischen Luther und den Ernestinern ein Leben lang – und über den Tod hinaus – bestehen.

Die Ernestiner und Martin Luther 

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Anmerkungen 1 Luther, Werke, [im Folgenden  : WA  ; Briefwechsel WA Br  ; Die deutsche Bibel WA DB], 1, S. (229) 233–238. 2 Vgl. Luther an Kurfürst Friedrich [Wittenberg, c. 6.11.1517], in  : WA Br 1, S. 119f. Nr. 51. M.E. ist der Brief im Jahr 1518 verfasst. 3 WA 2, S. (1) 5–26. 4 Luther, Operationes in Psalmos [im Folgenden  : AWA] 2, S. (3) 4–15. 5 WA 6, S. (99) 104–134. 6 WA 7, S. (458) 463–537. 7 WA 7, S. (91) 94–151. 8 WA 7, S. (299) 308–457. 9 WA 6, S. (196) 202–276, hier S. 202–205. 10 WA 7, S. (381) 404–469. 11 WA 10,3, S. 380, Z. 13–15. 12 WA 11, S. (229) 245–281. 13 WA 19, S. (44) 70–113. 14 WA 7, S. (538) 544–604. 15 WA DB 11,2, S. (376) 380–387, hier S. 383, Z. 18. 16 WA 50, S. (160) 192–254.

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Joachim Bauer · Dagmar Blaha

Herzog Johann und die »Weimarer« Reformation

Bereits auf dem Landtag zu Jena 1518, dann wieder auf dem zu Altenburg im Jahr 1523 wurde durch alle Stände Kursachsens großer Unmut über die Rechtsunsicherheit im Lande vorgetragen. Eine Novellierung der Landesordnung aus dem Jahr 1482 war längst überfällig. Ob Fürsten, Landadel oder Geistliche – jeder beklagte Übergriffe in seinen Kompetenzbereichen. Der Macht- und Territorialausbau seitens der Wettiner ging in erheblichem Maße zu Lasten anderer Herrschaften, was die Situation weiter verschärfte. Auch der »gemeine Mann« war zutiefst verunsichert. Ihn beschäftigte neben den Sorgen um das tägliche Brot vor allem die Frage, wie er vor Gott gerecht werden könne. Das Alltagsleben der meisten Menschen war durch eine tief empfundene Religiosität, ja sogar Mystizismus geprägt. Die Suche nach neuen Heiligen und Wundern offenbarte dies ebenso wie das übersteigerte Wallfahrtswesen. Der Erfurter Chronist und Geistliche Konrad Stolle beschrieb wohl um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert,1 wie im Sommer 1475 in den meißnischen Landen, Hessen, Franken und Thüringen Kinder und Jugendliche sich ohne Wissen der Eltern und der Herrschaft zusammenfanden und mit Fahnen dahinzogen und dass selbst ihre Beichtväter sie nicht halten konnten. Sie pilgerten zum heiligen Blut in Wilsnack »vnnd wusten ouch nicht, was das heilige blud was [war], vnnd wusten ouch nicht, was sie taten«.2 In Wilsnack, bei Perleberg gelegen, waren infolge eines Brandanschlages Ort und Kirche zerstört worden. Altar, Kerzen und drei Hostien, die ineinander geflossen und ganz blutig gewesen seien, hätte man jedoch unversehrt gefunden. Sie wurden fortan ob ihrer heilsbringenden Wirkungen verehrt.3 Im Gegensatz zur praktizierten »Leistungsfrömmigkeit« entwickelte sich besonders in den Städten und bei den Humanisten zunehmender Antiklerikalismus, der sich in der Sehnsucht nach einer »besseren Kirche« offenbarte. Die lutherischen Ideen wirkten in dieser Situation zwar in gewisser Hinsicht befreiend und richtungsweisend, beschworen aber wiederum Konflikte herauf, die sich schließlich in Erhebung und Aufruhr entluden und neue Problemfelder aufzeigten. Die Niederschlagung der aufrührerischen Bauern hatte das Land 1525 immerhin zunächst befriedet, aber die komplexen Probleme nicht lösen können. Die Strukturen der römischen Kirche erschienen in einer Ge-

Herzog Johann und die »Weimarer« Reformation 

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sellschaft, die sich über »solus Christus« und »sola scriptura« zu legitimieren suchte, vielen überflüssig, zumindest aber nicht mehr zeitgemäß. Gleichzeitig waren die institutionellen Grundlagen der Armenfürsorge, der geistlichen Gerichtsbarkeit und der Bildung infrage gestellt worden. Die Papstkirche kam als deren Träger nicht mehr infrage. Auch als moralische Instanz war sie in Verruf geraten. Das Fegefeuer als Disziplinierungsmittel konnte nicht mehr überzeugen. Inspiriert von Luthers »Freiheitsgedanken« mahnten die Gemeinden Mitspracherecht bei der Besetzung der Pfarrstellen ein. Die Forderung nach Predigern, die das Evangelium lauter, rein und ohne jeglichen Zusatz vermittelten und damit Heilsgewissheit garantierten, ertönte immer lauter. Oft praktizierte man die »Freiheit eines Christenmenschen« so, wie man sie verstanden wissen wollte. Nicht ohne Bitterkeit stellte Martin Luther fest  : »Da gibt niemand, da bezalet niemand, opffer und seelpfennige sind gefallen, Zinse sind nicht da odder zuwenig, so acht der gemeyn man widder prediger noch pfarrer.«4 Mönche und Nonnen waren aus den Klöstern vertrieben worden oder hatten sie freiwillig verlassen, Klostergebäude waren zerstört oder standen leer und Adlige oder Städte eigneten sich deren einstigen Besitz an. Die entstandene Situation beinhaltete also ein enormes Konfliktpotential. Von allen Seiten wurden Forderungen nach einem Eingreifen der ­weltlichen Macht laut. In dieser Situation des allgemeinen Umbruchs sahen sich die Ernestiner vor die Herausforderung gestellt, neue Herrschaftsinstrumente zu entwickeln, um den Frieden im Land zu erhalten und das Wohl ihrer Untertanen zu sichern. Erforderlich war eine weltliche Obrigkeit, die sich im entstandenen kirchenpolitischen Machtvakuum der Versorgung der Gemeinden mit lutherischen Predigern annahm und die materielle Absicherung der Geistlichen garantierte. Neben Kurfürst Friedrich dem Weisen, der Kursachsen auf Reichsebene repräsentierte und sich schützend vor seinen Universitätsprofessor Martin Luther stellte, war es vor allem sein Bruder Johann der Beständige, der sich schon früh der Reformation annahm. Er hatte nach der Verwaltungsteilung (Mutschierung) mit seinem Bruder seit 1514 in Weimar einen größeren Hof etabliert, der seinen Ansprüchen nach Sicherheit, Versorgung, Repräsentation und Unterhaltung in enger Verbindung zum kurfürstlichen Hof in Torgau bzw. Wittenberg genügte. Bei der Regierung und Verwaltung seines Territoriums konnte der Fürst einerseits auf eine entwickelte Ämterstruktur in Thüringen sowie Teilen Frankens und dem Vogtland zurückgreifen. Andererseits wurde er von seinen ständig am Hof anwesenden Räten und durch in der Lokal- und Zentralverwaltung erfahrene Adlige und juristisch gebildete Bürger unterstützt. Nicht wenige von ihnen standen der

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reformatorischen Bewegung aufgeschlossen gegenüber und beförderten diese in Städten und Gemeinden kräftig. Entgegen bisheriger Auffassungen wird man davon ausgehen können, dass sich Luthergegner zwar möglicherweise noch am Weimarer Hof befanden, diese aber in den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts keinen maßgeblichen Einfluss mehr auf den Herzog hatten. Die Mehrzahl der Räte und Berater, mit denen sich der Herzog umgab, waren proreformatorisch eingestellt. Dazu gehörte der einflussreiche Jurist Dr. Gregor Brück, den Kurfürst Friedrich wegen der Luthersache an seinen Hof geholt hatte. Herausragende Fähigkeiten als Jurist, diplomatisches Geschick und ein ausgeprägter Realitätssinn ließen ihn bereits in der Frühphase der Reformation für Kurfürst Friedrich und Herzog Johann zu einem unentbehrlichen und geschätzten Berater werden. Mit einem der eifrigsten Verfechter der reformatorischen Bewegung in Erfurt, Johann von der Sachsen, und seinem Schwager Wolfgang von Anhalt zählte Herzog Johann zwei weitere einflussreiche Persönlichkeiten zu seinen Räten. Mit Anarg von Wildenfels, der gemeinsam mit Johann Rietesel dem Weimarer Mönch Johannes Voit zur Flucht aus dem Franziskanerkloster verholfen und die Drucklegung seiner letzten Predigt besorgt hatte, verband den Herzog eine Freundschaft seit Jugendtagen. Auch etliche von ihm eingesetzte Amtleute, wie Hans von Berlepsch in Eisenach, Dr. Johannes Reinbott auf der Leuchtenburg, Friedrich von Thun, der das ertragreiche und wichtige Amt Weimar verwaltete, und Philipp von Feilitzsch in Weida, waren schon frühe Anhänger der lutherischen Lehre. Aus dem Umfeld des Weimarer Hofes stammten wohl auch die drei reformatorischen Flugschriften, die 1522/23 in Thüringen auftauchten und in einprägsamer Weise den einfachen Menschen reformatorisches Gedankengut nahebrachten. Sie wurden dem Erfurter Drucker Michel Buchfürer aus dem Weimarer Schloss geschickt und unter dem Pseudonym Baltasar Stanberger veröffentlicht. Das Wesensmerkmal der »Weimarer Reformation«, wie sie hier verstanden werden soll, ist vor allem die zwischen 1522 und 1525 zu beobachtende permanente Beschäftigung mit den Reformationsvorstellungen bzw. -konzepten der in Thüringen wirkenden Prediger, Priester und Pfarrer, die durchaus als Thüringer Reformatoren bezeichnet werden können. Zu denken ist an den einflussreichen Hofprediger Wolfgang Stein, der aus Zwickau stammte und in Erfurt studiert hatte. Er dürfte Anfang 1520 nach Weimar gekommen sein. Mit Martin Luther stand er in engem Kontakt und begleitete diesen während seiner Reise nach Weimar und Erfurt, als der Reformator in der Stadt an der Ilm seine berühmten Obrigkeitspredigten hielt. Aus

Herzog Johann und die »Weimarer« Reformation 

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diesen ging bereits 1523 die Herzog Johann gewidmete Schrift »Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei« hervor, die prägend für das Herrschaftsverständnis des Kurfürsten von Sachsen werden sollte. Von Juli bis Oktober 1522 weilte Stein dann seinerseits in Wittenberg. Zurückgekehrt nach Weimar widerlegte er die Auffassung der Mönche des Franziskanerklosters vom Opfercharakter der Messe mithilfe der Bibel. Eine abwehrende Haltung gegenüber der neuen Lehre, die sich allein auf die Schrift gründete, kam in Weimar vor allem von den Franziskanermönchen. Unter ihnen befanden sich jedoch nicht nur entschiedene Gegner, sondern auch Anhänger Luthers, so Friedrich Mykonius und der bereits erwähnte Johannes Voit. Beide waren als Prediger bei Herzog Johann und seinem Sohn Johann Friedrich überaus beliebt. Der Kurprinz ließ den von ihren Ordensbrüdern stark bedrängten Mönchen etliche lutherische Schriften zukommen, was sie in ihrer proreformatorischen Überzeugung stärkte. Mykonius wurde von seinen Ordensoberen Anfang 1523 erst nach Eisenach, dann nach Leipzig versetzt. Er floh schließlich aus dem lutherfeindlichen Annaberg wieder zurück nach Kursachsen. Daraufhin übertrug ihm Herzog Johann im August 1524 eine Predigerstelle in Gotha. Sein Ordensbruder Johannes Voit wurde vom Orden mit Predigtverbot belegt. Der einflussreiche Kammersekretär Johann Rietesel, ein Freund Luthers, konnte eine Aufhebung des Verbotes beim Herzog durchsetzen, sodass Voit bereits zu Neujahr 1523 wieder vor dem Herzog und seiner Familie predigen konnte. Es war seine letzte Predigt in Weimar. Unterstützt von Rietesel und dem herzoglichen Rat Anarg von Wildenfels ging er nach Ronneburg und übernahm dort eine Predigerstelle. 1523 widmete der Eisenacher Prediger Jacob Strauß dem Kurprinzen Johann Friedrich I. eine in 50 Thesen gegliederte Druckschrift, in der er sich grundlegend über den evangelischen Predigerstand äußerte. Doch der sich stark an Luther orientierende Kurprinz hielt Distanz zu Strauß, ganz im Gegensatz zu seinem Vater, Herzog Johann, der den Prediger oft in reformatorischen Belangen kontaktierte. Strauß profilierte sich schließlich vor allem durch seine radikalen Angriffe auf die Wucherpraxis. Trotz öffentlicher Kontroverse mit Luther beauftragte Herzog Johann den Eisenacher Prediger mit der ersten reformatorischen Visitation 1525. Auch Andreas Bodenstein, gen. Karlstadt, und Thomas Müntzer konnten bis 1524 noch nahezu unbehelligt ihre alternativen Reformationskonzepte im Regierungsgebiet Herzog Johanns umsetzen. Erst im August 1524, als vom Herzog anberaumte Anhörungen in Weimar u. a. durch die Flucht Müntzers aus Allstedt obsolet wurden und sich Unruhen im Reich sachte anzudeuten

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begannen, wurde der Ruf nach einem ordnenden Eingreifen der Landesherrschaft immer lauter. Nach der Strauß`schen Visitation im Eisenacher Gebiet und dem alles überschattenden Thüringer Bauernaufstand im Mai 1525 unternahm der nach dem Tod seines Bruders neu eingesetzte Kurfürst Johann 1525 in Weimar einen ersten Vorstoß, um die Situation im Land zu beruhigen und zu ordnen. Er war sich völlig im Klaren darüber, »das man guter ordnung und regierung magelhaftig gestanden«.5 Am 17. August 1525 rief er alle Prediger des Amtes Weimar in die Schlosskirche und ließ ihnen verkünden, dass sie ab sofort lutherisch zu predigen und sich unzüchtigen Lebenswandels zu enthalten hätten. Der Amtmann sollte die Ausführung dieses Befehls kontrollieren. Der Erfurter Pfarrer Johann Kiesewetter brachte den Befehl nebst einer Schilderung der Weimarer Veranstaltung in einem »Sendbrief« an einen Amtsbruder in Elxleben an der Gera zum Druck. Noch im Jahr 1525 erschienen allein sieben Ausgaben dieser Schrift unter dem Titel »Das man das lauter || rein Euangelion/|| on menschliche zusatz=||unge predigen sol/|| Fuerstlicher || befehl zu || Wey=||mar gescheen« an verschiedenen Druckorten. Da einige Titelblätter das kurfürstliche Wappen zeigen, muss davon ausgegangen werden, dass die Verbreitung durch den Druck zumindest teilweise im Auftrag Kurfürst Johanns erfolgte. Eine Woche später, am 24. August 1525, übertrug der Kurfürst alle Weimarer Pfarrgüter dem städtischen Rat mit der Verpflichtung, sich nunmehr um das Kirchen- und Schulwesen sowie die Armenfürsorge in Weimar zu kümmern. Kurz zuvor hatte Johann den von Martin Luther empfohlenen Johann Grau als Pfarrer an der Stadtkirche Sankt Peter und Paul eingesetzt, dem 1529 auch das Amt des Superintendenten übertragen wurde. Mit der grundlegenden Änderung der Pfarrorganisation und der Einsetzung des Lutheranhängers Grau als Pfarrer erreichte die Kirchenreformation in Weimar einen Punkt, an dem sie nicht mehr umkehrbar war. Weimar galt fortan als Beispiel für die gelungene Etablierung eines Kirchenregiments durch weltliche Obrigkeit. Es war zugleich der Beginn der Umsetzung eines von Kurfürst Johann und seinen Räten entwickelten umfassenden Reformprogramms, an dessen erster Stelle die Einsetzung fleißiger christlicher Prediger stand, die auch die Pfarrer in den Gemeinden in der Predigt des Evangeliums in lutherischem Sinne unterweisen sollten. Jene Prediger, die durch die Verbreitung von Irrlehren Unruhe erzeugten, sollten ihres Amtes enthoben werden. Zudem wurde es als vordringlich angesehen, die Zeremonien in den Kirchen zu vereinheitlichen und über die Verwendung erledigter geistlicher Lehen sowie die Versorgung von

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Nonnen und Mönchen zu beraten. Außerdem war die Aufteilung des Territoriums in verschiedene Kreise vorgesehen, in denen Personen mit der Aufsicht über die kirchlichen Angelegenheiten und der Aufgabe, die Obrigkeit im Falle erneuten Aufruhrs rechtzeitig zu warnen, betraut werden sollten. Auch die Bildung eines »theologischen Beratungsgremiums« für Kursachsen war angedacht, dem neben Martin Luther die prominentesten Vertreter der neuen Lehre angehören sollten. Eine Umfrage sollte über die Beschwerden in den Gemeinden Aufschluss geben und darüber, was »zu senfftigung und styllung des gemeynen mans unruyg[en] gedanckn« zu unternehmen sei, um »den ungelimpff gegen den unwissenden volck zu verhuetten und abtzuwenden«.6 Weitere Punkte dieses spätestens im Oktober 1526 niedergeschriebenen Maßnahmenplanes befassten sich mit der Reformation der Wittenberger Universität und des Hofgerichtes, der Bewaffnung des gemeinen Mannes und der Rüstung des Adels, der Erneuerung von Amts- und Hofordnung, den Gebrechen der Landschaft, der künftigen Nutzung der Bergwerke und der Aufhebung des Zehnten. Vor der Einleitung zielgerichteter Maßnahmen zur Auflösung der politischen, religiösen und sozialen Konfliktkonstellation im Kurfürstentum Sachsen war allerdings zunächst ein genauer Überblick über die Situation im Land notwendig. Die angedachte Umfrage über die Beschwerden der Bürger ging vermutlich über die Planungsphase nicht hinaus – jedenfalls sind keinerlei Ergebnisse oder Antworten auf ein entsprechendes Ausschreiben überliefert. Kurprinz Johann Friedrich sowie einzelne Geistliche wie Jacob Strauss in Eisenach, Friedrich Mykonius in Gotha oder Nikolaus Hausmann in Zwickau und schließlich auch Martin Luther rieten dem Kurfürsten zur Visitation, einem Mittel zur Wahrnehmung verantwortlicher Kirchenleitung, dessen sich die Bischöfe seit dem Mittelalter bedienten. Durch einen Besuch in den Gemeinden verschaffte man sich dabei einen Überblick über die allgemeine Lage und leitete zugleich notwendige Veränderungen ein. Reichspolitisch durch die Beschlüsse des Speyerer Reichstages von 1526 legitimiert, schuf Kurfürst Johann mit der am 16. Juni 1527 ausgegangenen Instruktion den rechtlichen Rahmen für eine landesweite Visitation und legitimierte die von ihm berufenen Visitatoren Philipp Melanchthon, Hieronymus Schurff, Hans Edler von der Planitz und Asmus von Haubitz zum selbständigen und eigenverantwortlichen Handeln in seinem Auftrag. Für die praktische Arbeit reichte das allein jedoch nicht aus. Auf der Grundlage dieser Visitationsinstruktion und im Ergebnis von Diskussionen zwischen Theologen, Juristen, Finanz- und Verwaltungsbeamten wurde 1528 mit dem »Unterricht der Visitatorn« (UDV) eine normative Grundlage für die Durchsetzung der

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Reformation auf kirchenpolitischem Gebiet und zugleich eine Richtschnur für die Pfarrherren und Geistlichen in den Gemeinden geschaffen. Noch vor dem Erscheinen einer Kirchenordnung waren im UDV die Grundsätze der lutherischen Lehre allgemeinverständlich zusammengefasst und die Grundstruktur einer landesherrlichen Kirchenorganisation skizziert. Die wichtigste Neuerung war, dass die Arbeit der Geistlichen künftig durch landesherrlich legitimierte Beauftragte, die Superintendenten, beobachtet, unterstützt und kontrolliert werden sollte. Landesherrliche Visitationsinstruktion und der UDV bildeten die Richtlinie für die erste flächendeckende landesherrliche Visitation im Kurfürstentum Sachsen, die 1534 abgeschlossen war. Die Visitationen erwiesen sich als Erfolgsmodell. Sie waren Vorbild und effektives Mittel zur Einführung der Reformation in etlichen Territorialstaaten und blieben über fast 400 Jahre entscheidendes herrschaftspolitisches Instrument des landesherrlichen Kirchenregiments der Ernestiner. Mit einem »Ausschreiben durchs Chur- und Furstentum zu Sachsen etlicher notiger stuck zuerhaltung christlicher zucht belangend« vom 6. Juni 1531,7 das Strafen für verschiedene Vergehen, zuvorderst für Gotteslästerung und Gottesverachtung festlegte sowie die ausdrückliche Aufforderung an die Pfarrer enthält, sich am UDV zu orientieren, findet diese Phase der Reformation in Kursachsen ihren herrschaftspolitischen Abschluss. Kurfürst Johann bekräftigte mit seiner Herrschaftspraxis seine politische Position als Protestant, zu der er sich ein Jahr zuvor auf dem Augsburger Reichstag vor den versammelten Reichsständen eindrucksvoll bekannt hatte. Aus dieser Sicht betrachtet, erscheint der Begriff »Fürstenreformation« in einem neuen Licht.

Anmerkungen 1 Vgl. Stolle, Chronik, S. 128–131. Das Original befindet sich in der Abteilung Handschriften und Sondersammlungen der ThULB Jena MS SAG Q.3, Datierung bei Pensel (Bearb.), Verzeichnis der altdeutschen und ausgewählter neuerer deutscher Handschriften, S. 535–542. 2 Stolle, Chronik, S. 130. 3 Vgl. Bezold, Geschichte der deutschen Reformation, S. 104f. 4 ThHStA Weimar, Ernestinisches Gesamtarchiv, Reg. O 369, Bl. 2v. = WA Br3 Nr. 937, S. 595. 5 Vgl. ThHStA Weimar, Ernestinisches Gesamtarchiv, Reg. Rr pag. 353 Nr. 6.105, Bl. 20r. 6 ThHStA Weimar, Ernestinisches Gesamtarchiv, Reg. Rr pag. 353 Nr. 6.105, Bl. 13v. 7 Ausschreiben durchs || Chur vnd Fursten=||thumb zu Sachssen/|| etlich nottiger stuck/ zuerhaltung || Christlicher zucht/ belangend.|| Coburg, 1531 (VD16 S 935).

Martin Sladeczek

Die Ernestiner und das entstehende Kirchenregiment

Fürstliche Einflussnahme auf die kirchlichen Institutionen und das religiöse Leben scheint aus Sicht der Organisation frühneuzeitlicher evangelischer Territorien selbstverständlich. Doch wie entstand diese Herrschaft über genuin geistliche Aufgaben  ? Wie war es etwa denkbar, dass Fürsten in die Organisation von Klöstern eingriffen? Anhand einiger Felder des sogenannten »landesherrlichen Kirchenregiments« soll dessen Entwicklung im 15. und frühen 16. Jahrhundert aufgezeigt werden, um deutlich zu machen, dass die »Fürstenreformation« nicht im »luftleeren« Raum entstand. Seit dem 14. Jahrhundert wuchs der Einfluss der Fürsten im Reich. Die zunehmende »Verdichtung« ihrer Herrschaft in den Territorien traf auf wohlorganisierte Elemente der hierarchischen Kirche, woraus selbstredend Konflikte entstehen konnten. Begonnen werden muss dabei für die thüringischen Gebiete lange vor den Ernestinern, spätestens mit Landgraf Friedrich IV., »dem Friedfertigen«. Dieser führte 1436 mit dem Mainzer Erzbistum Verhandlungen über Missstände der geistlichen Gerichtsbarkeit, woraus deutlich wird, dass die Wettiner versuchten, sich gegen den Einfluss der geistlichen Gerichtsbarkeit in weltlichen Sachen zu wehren. Das geistliche Gericht in Erfurt sollte nun eine weltliche Sache erst verhandeln dürfen, wenn das zuständige weltliche Gericht innerhalb von sechs Wochen keine Entscheidung herbeigeführt hatte. Gegenstand der Verhandlungen waren u. a. auch die missbräuchliche Verwendung des Bannes und die Besetzung der geistlichen Gerichte. Pauschal betrachtet bildeten die Bischöfe und die Institutionen der Bistümer selbstverständliche Hemmnisse für ein Ausbreiten der landesherrlichen Kirchenpolitik. Die mitteldeutschen Bistümer Naumburg, Merseburg und Meißen standen jedoch unter direktem Einfluss der Wettiner. Das einflussreiche Mainzer Erzbistum, zu dem die Gebiete West- und Zentralthüringens gehörten, war aber ein ungleich mächtigerer Gegenspieler als die kleinen mitteldeutschen Bistümer. Der Neffe zweiten Grades Friedrichs IV., Herzog Wilhelm III., herrschte von 1445 bis 1482 über die Landgrafschaft Thüringen. Er war der Onkel des ersten Ernestiners. 1446 erließ Wilhelm eine Landesordnung, die für die weitere Entwicklung des Kirchenregiments in Thüringen grundlegend werden sollte. Darin zeigen sich auch bereits Elemente der sittlichen Kontrolle, wie

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der Kampf gegen übergroßen Luxus. Bestimmend war aber der Kampf mit der geistlichen Gerichtsbarkeit. Wilhelm betonte, dass die geistlichen Gerichte aus weltlichen Rechtsfragen vollständig ausgeschlossen werden sollten. Schließlich schränkte dies die landesherrlichen Gerichte und damit einen wichtigen Punkt der fürstlichen Machtbasis beträchtlich ein. Auch wenn dieser Anspruch in der Folgezeit vor allem im thüringischen Teil des Mainzer Erzbistums nicht vollständig durchgesetzt werden konnte, war ein Ziel definiert. In der Landesordnung äußert sich weiterhin das Streben nach einer Klosterreform. Darin schlug sich nicht zuletzt Wilhelms eigener Glaube nieder, wenn er etwa den Lebenswandel und den Privatbesitz von Mönchen verurteilte. Im Allgemeinen setzte er sich für die strengere Achtung religiöser Regeln ein. Im Speziellen griff er in die Finanzen mehrerer Klöster, v. a. Reinhardsbrunn und Georgenthal, ein, die sich in verwahrlostem Zustand befanden. Gleiches gilt für die Komtureien des Deutschen Ordens und der Johanniter. Auch die herausgehobene Stellung der Äbte in den Klöstern wurde eingeschränkt. Ebenfalls wurde bereits in der Landesordnung der Anspruch formuliert, Pfarrer und andere Weltgeistliche zumindest hinsichtlich ihrer Lebensführung zu kontrollieren. Dabei spielten die Besetzungsrechte eine geringere Rolle als in anderen Territorien, vielmehr sollte landesherrlich über die Lebens- und Amtsführung gewacht werden. Unwürdige Priester wollte er der geistlichen Gerichtsbarkeit zuführen oder selbst bestrafen. Nicht zuletzt sah der Herzog darin einen Schutz der Bevölkerung vor einer ungenügenden Seelsorge. Auf der anderen Seite waren auch die Laien Teil der Kirchenpolitik. Am deutlichsten wird dies anhand eines Ausschreibens, in dem der Herzog auf den strengen Bußprediger Johannes Capistranus Bezug nimmt. Dieser hatte in Erfurt auf dem Domplatz wochenlang gegen Luxus, Moden und Hochmut gepredigt. Seine Predigten gipfelten in einer demonstrativen Großveranstaltung: »die bretspel, dy ym gegebin worin, gar einen groszen hufen, und darczu vil tische, kartin spel und wurffele und ouch vil frauwen zcophe liez er […] mit fure ansteckin […] und allis zu aschen vorbornnen.«1 Im Anschluss kam es zu einem Treffen Capistrans mit Herzog Wilhelm in Jena. Nach dem fürstlichen Ausschreiben sollten die Amtmänner nun ebenso Spielgeräte verbrennen, Ehebrecher des Landes verweisen und auf die Zucht in den Ämtern achten. Hier spiegeln sich die strengeren Vorstellungen der mönchischen Reformbewegung in öffentlichen Gesetzen. Bereits an der Politik Herzog Wilhelms erkennt man, dass das fürstliche Streben nach einem Ausbau des Kirchenregiments nicht aus einem säkularen, kirchenfeindlichen Denken resultierte, sondern vielmehr Ausdruck einer from-

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men, kirchentreuen Grundhaltung war, die sich gegen die Missbräuche der hierarchischen Kirche richtete. Schließlich nahm er in seinen letzten Lebensjahren selbst das Gewand der Franziskaner und ließ sich auch im von ihm gegründeten Weimarer Franziskanerkloster bestatten. Im Detail bleibt unklar, inwieweit Bestimmungen und Ziele der Landesordnung sowie der gesamten Politik Wilhelms umgesetzt werden konnten, aber die Leitlinien der Kirchenpolitik der folgenden Jahrzehnte waren vorgezeichnet. Nach dem Tod Kurfürst Ernsts 1486 führte Kurfürst Friedrich III., »der Weise«, die ernestinische Kirchenpolitik in diesen Bahnen fort. Auch zu Beginn des 16. Jahrhunderts und nach der Verwaltungsteilung durch die Mutschierung von 1513, dann also unter der Verwaltung von Herzog Johann, stellten sich bestimmte Fragen unverändert. Den wichtigsten Punkt bildete dabei andauernd der Umgang mit den geistlichen Gerichten. Neben den Verhandlungen um Zuständigkeiten zeigt sich ein gewisser Fortschritt dieser Bestrebungen in der zunehmenden Zahl von Beschwerden der Einwohner gegen die Geistlichen, die an den ernestinischen Hof gerichtet wurden. Gemeinden klagten über ihre Pfarrer, mitunter gab es auch Unmutsäußerungen gegen das geistliche Gericht und seine Boten. Indes wurde das geistliche Gericht auch weiterhin in vielen weltlichen Fragen angerufen, da Untertanen die schnellen Verfahren schätzten und an diesen Weg gewöhnt waren, obwohl die Wettiner 1490 eine Strafe über zehn Gulden ansetzten, die jeder bezahlen sollte, der eine weltliche Sache vor ein geistliches Gericht brächte. Neben dem Versuch, die Zuständigkeiten einzuschränken, setzten sich die Ernestiner unter Kurfürst Friedrich auch für eine bessere Organisation des Gerichts und eine Beseitigung der Missbräuche, wie der inflationären Verwendung des Kirchenbannes, ein; alles zum Schutz der Untertanen. So argumentierte auch der Entwurf einer gemeinsamen Landesordnung für die albertinischen und ernestinischen Gebiete 1498 mit dem Versagen der geistlichen Institutionen, das ein Eingreifen der Fürsten nötig mache. Die geistlichen Gerichte, deren Einkünfte mitunter verpfändet waren, trachteten nach Überzeugung der Herrscher mehr nach Strafgeldern, als dass sie etwas zur Wahrheitsfindung beitrügen. Die langwierigen Konflikte um die Gerichte brachten aus Sicht der Landesherren keine grundlegende Verbesserung, wobei es nie das Ziel war, sie komplett auszuschalten. Sie waren durch das Kirchenrecht auch aus Sicht der Fürsten selbstverständlicher Bestandteil der Rechtsprechung. Bis zur Reformation erfolgte keine grundlegende Änderung der Zuständigkeiten. Durch die Beschwerden über die Pfarrer stützten die Gemeinden auch unwillkürlich das landesherrliche Streben nach einer Aufsicht über den Klerus.

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Diese stieg auch durch das Zuckerbrot des erlassenen Spolienrechtes, d. h., dass die Landesherren auf das Recht verzichteten, eine Kontrolle über die Nachlässe von Geistlichen auszuüben. Im Gegenzug wurden Priesterbruderschaften auf fürstliche Initiative gebildet. Diese hielten nun Seelmessen für alle Angehörigen der fürstlichen Familie ab. Sie standen unter dem Schutz des Landesherrn und empfingen Stiftungen und Schenkungen. Der Klerus eines bestimmten Amtes wurde so implizit enger an die kurfürstliche Herrschaft gebunden. Ebenso blieben die ersten Ernestiner Träger der Klosterreform. Trotz der Bemühungen Herzog Wilhelms waren die Zustände keineswegs gesichert, nicht zuletzt, weil sich Äbte, Mönche und Nonnen in vielen Klöstern wenig reformfreudig zeigten. Dennoch stieg der Einfluss auf die Verwaltung und Visitation der Klöster: Der Prozess, wie diese landesherrlichen Rechte so selbstverständlich werden konnten, ist bisher nicht intensiv genug untersucht worden. Alles in allem schritten sowohl die sittlichen als auch die finanziellen Reformen der einzelnen Klöster sehr unterschiedlich voran. Bei letzteren spielte die genaue Rechnungskontrolle eine gewichtige Rolle. Diese forderten der Kurfürst und Herzog Johann nun auch von den Pfarrkirchen in den Dörfern ein. Die gemeindlichen Kirchenpfleger sollten nach der Amtsordnung von 1513 ihre Jahresrechnung dem jeweiligen Amtmann vorlegen, das Kirchenregiment wurde auf die Laienverwaltung des Kirchengutes ausgedehnt. Auch wenn dies in den folgenden Jahren nicht flächendeckend umgesetzt wurde und die Gemeinden die Rechnungen nach wie vor nur selbst kontrollierten, wurde erneut ein zusätzlicher Anspruch formuliert. Noch immer befand sich der Großteil der Pfarrbesetzungsrechte nicht in landesherrlichen, sondern in adligen oder geistlichen Händen, sodass hinter dem Versuch einer Rechnungskontrolle durch die Amtleute eine alternative Stoßrichtung vermutet werden kann, mehr Kontrolle über das kirchliche Leben in allen Orten der einzelnen Ämter zu erreichen. Wenngleich die Wettiner, auch verglichen mit anderen Fürsten, ein weit entwickeltes vorreformatorisches Kirchenregiment aufbauten, ist es nicht annähernd als Landeskirche zu bezeichnen. Dies war auch nicht das Ziel der ernsten und frommen Fürsten. Intendiert war bei allem eine »Reform« der kirchlichen Zustände. So besteht gar die Frage, ob der Entfaltung des landesherrlichen Kirchenregiments eine einzige Absicht zugrunde lag. Besonders bei Friedrich dem Weisen wird eine starke, kirchentreue Frömmigkeit in seinem eigenen Handeln deutlich – im Sammeln von Reliquien, im Erwerben von Ablässen, im Stiften von Seelmessen, im Aufsuchen von Wallfahrtsorten. Nach dem Selbstverständnis der Fürsten gehörte auch das Behüten des geistlichen Lebens innerhalb

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der Landesgrenzen zu ihren Aufgaben. Hierzu zählte auch das Abstellen von Missständen in den Klöstern. Der Landesherr war dafür verantwortlich, dass das Territorium keine göttliche Strafe auf sich zöge. Die fürstliche Frömmigkeit war eine starke Triebfeder des Kirchenregiments. Die eigenen Untertanen sollten vor kirchlichen Missständen beschützt werden. Die einsetzenden reformatorischen Ereignisse veränderten die Rahmenbedingungen für die fürstliche Kirchenpolitik grundlegend, auch auf dem Gebiet, auf dem in vorreformatorischer Zeit die geringsten Fortschritte bewirkt wurden: Reziprok zur zunehmenden Ausbreitung der Lehre Luthers in den thüringischen Gebieten schwand in den frühen 1520er Jahren die Akzeptanz der geistlichen Gerichtsbarkeit in der Bevölkerung. Zwar wurde das Gericht aus den albertinischen Gebieten oder von römisch gesinnten Geistlichen noch angerufen, seine Stellung als Standardinstanz für den gesamten thüringischen Teil des Mainzer Erzbistums verlor es allerdings innerhalb kürzester Zeit bereits vor dem Bauernkrieg. Durch die Nichtanrufung des geistlichen Gerichts schuf die Bevölkerung die Basis für eine starke Ausweitung des landesherrlichen Kirchenregiments bereits vor den Visitationen. Der Widerstand des geistlichen Gerichts war damit gebrochen. Gleichzeitig schwand die Machtbasis der Bischöfe und es waren keine päpstlichen Privilegien für ein Wirken in kirchlichen Fragen mehr vonnöten. Die frühe Reformation führte zwangsläufig zu der nun folgenden enormen Expansion des Kirchenregiments. Jedoch war es wohl auch weiterhin keineswegs das Ziel des Kurfürsten, die Organe der römischen Kirche zu beseitigen. Er reagierte ausschließlich auf die sich stellenden Fragen. Die Entwicklung hatte sich verselbständigt. Dennoch blieb in dieser Zeit der Einfluss des jeweiligen Fürsten maßgeblich, wie das Beispiel des albertinischen Cousins Herzog Georg zeigt, der die Mittel des Kirchenregiments gerade zur Bekämpfung der lutherischen Lehre verwendete. Für die ernestinischen Territorien ist der Einfluss der Räte auf die Politik des Fürsten, v. a. in dieser Zeit des reformatorischen Wandels, noch immer nicht ausreichend erforscht. In den frühen Jahren der Reformation griffen die Ernestiner bahnbrechend in das kirchliche Leben im Land ein. Die Rezeption der Lehre Luthers zeigte sich nicht zuletzt in den Klöstern, in denen meist nur noch wenige Mönche oder Nonnen zugegen waren. Bereits in vorreformatorischer Zeit hatten die Ernestiner im Rahmen der Klosterreform Verwalter für die Klostergüter eingesetzt. Auf diesem Weg begann ab 1531 die Sequestrierung, die endgültige Verwaltung des klösterlichen Besitzes durch fürstliche Vertreter. Dies geschah –

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wie die gesamte Entwicklung – unter starker Beteiligung der Landstände. Neben dem Grundbesitz betraf dies auch Rechte der Klöster, etwa die vielen Besetzungsrechte für Pfarrkirchen in den Städten und Dörfern, die nun vom Kurfürsten wahrgenommen wurden. Von den hohen Einkünften der Klöster wurde freilich ein großer Teil für die Abfindung der Mönche und Nonnen aufgewendet. Bereits in den frühen Visitationen zeigt sich ein unzweifelhafter Anspruch, die Pfarrer des Landes zu überprüfen und im Zweifelsfalle zu ersetzen. Ebenso wuchs die Einflussnahme auf die Laienorganisation der Kirchenfinanzen. Die 1513 angestrebte Kontrolle der Rechnungen konnte mit den Visitationen schrittweise umgesetzt werden. Und schließlich stellten die Visitationen und die unter Einfluss der Amtmänner und Superintendenten stehenden Pfarrer eine weitere moralische Kontrolle der Gesellschaft sicher. Die landesherrliche Kirche ging nun u. a. gegen die gesellschaftlichen Missstände vor, die bereits Herzog Wilhelm unter Einfluss Capistrans bekämpfen wollte und die auch Teil des Entwurfs der Landesordnung von 1498 waren: Ehebruch, Gotteslästerung, Spiel, Tanz und Trunksucht. All dies wäre eine Generation früher undenkbar gewesen, gleichwohl folgte die Entwicklung der »Fürstenreformation« den vorgezeichneten Bahnen. Das vorreformatorische Kirchenregiment versetzte die Ernestiner und andere Landesherren erst in die Lage, ordnend in den Verlauf der reformatorischen Ereignisse einzugreifen. Dem kam entscheidend die reformatorische Lehre entgegen, dass die Landesherren als Notbischöfe eine Leitungsfunktion wahrnehmen sollten. Die Notbischöfe institutionalisierten sich.

Anmerkung 1 Reiche (Hg.), Die Chronik Hartung Cammermeisters, S. 133.

Stefan Michel

Martin Luther und Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen im Holzschnitt Sowohl der Wittenberger Reformator Martin Luther als auch sein Landesherr, Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen, wurden im 16. Jahrhundert überdurchschnittlich oft porträtiert oder porträtähnlich dargestellt. Während aber die verschiedenen Bildtypen Luthers recht gut erforscht sind, hat sich vor allem die Kunstgeschichte erst seit einigen Jahren den Darstellungen Johann Friedrichs zugewandt. Für beide Protagonisten gilt, dass durch diese in Umlauf befindlichen Bilder jeweils ein Image geschaffen wurde. Die Bilder dienten also nicht in erster Linie der Abbildung ihres wahren Aussehens, dessen Kenntnis verbreitet werden sollte, sondern allgemein der medialen Inszenierung der Leistungen und Taten der beiden Männer für die Reformation. Besonders Lucas Cranach der Ältere und Lucas Cranach der Jüngere waren für die Entstehung und Verbreitung dieser Images künstlerisch verantwortlich. Im Altarretabel der Weimarer Stadtkirche St. Peter und Paul von Cranach dem Jüngeren aus dem Jahr 1555 kulminierten diese Ansprüche und wurden repräsentativ für die Nachwelt festgehalten. Der ehemalige Kurfürst, der für seinen Glauben eingestanden ist, und der Reformator, der Kirche und Welt verändert hat, haben hier feste Plätze im Heilsgeschehen gefunden, das sich unter und durch das Kreuz Jesu Christi ereignet. Während der eine eher als Zeuge der Wahrheit des Evangeliums fungiert, tritt der andere als Prophet Gottes in der Endzeit auf. Im folgenden Beitrag sollen nicht alle Einzeldarstellungen Johann Friedrichs oder Luthers in den Blick genommen werden, sondern nur die, die beide Männer gemeinsam inszenierten und dadurch in bleibende Beziehung setzten. Es werden ausschließlich die Holzschnitte untersucht, weil sie aufgrund ihrer hohen Auflagen wohl die größte Verbreitung aufwiesen und so die größte Wirkung entfalteten. Ziel des Beitrags ist es, die Hintergründe für diese Darstellungen zu erhellen, die ohne Zweifel in der Konfessionspolitik der Ernestiner zu suchen sind. Damit gerät die reformatorische Bildpropaganda der Ernestiner nach Luthers Tod in den Blick, die zur Entstehung eines Bildmotivs führte, das Johann Friedrich in Beziehung zu Martin Luther setzte.

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Das Medium Holzschnitt in der Reformation

Nicht nur Texte ließen sich durch Druckverfahren zu Beginn des 16. Jahrhunderts leicht vervielfältigen, das Gleiche galt auch für bildliche Darstellungen. Sowohl Druckschriften auch als Holzschnitte trugen als Massenmedien dazu bei, dass die Reformation ein herausragendes Medienereignis an der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit wurde. Mittels Drucken wurden reformatorische Gedanken in Flugschriften und Traktaten rasch und zumeist preisgünstig verbreitet. Um neue Gedanken weiterzugeben, bedurfte es keiner Kommunikation unter Anwesenden mehr. Der Druck ermöglichte vielmehr eine Kommunikation unter Unbekannten über weite Entfernungen hinweg. Anders als die mündliche Predigt, das gesungene Lied, der handgeschriebene Brief oder das handgemalte Bild konnten so gleichzeitig viele verschiedene Menschen an mehreren Orten erreicht werden. Allerdings gewannen durch Drucke vervielfältigte Gedanken ein Eigenleben, das der Autor so vielleicht gar nicht intendiert hatte. Es wurden Deutungen möglich, die ein mündlicher Vortrag so nicht zugelassen hätte. Während Texte dem Lesefähigen einen verhältnismäßig schnellen Zugang zu ihrem Inhalt gewährten, bedurfte es für die Lektüre von Bildern einer Einweisung oder Anweisung, so dass die visuelle Kommunikation gelingen konnte.1 Entsprechend kamen beispielsweise im illustrierten Flugblatt Text und Bild zusammen und ergänzten sich gegenseitig. Der Holzschnitt war bis zum Aufkommen der Lithographie im 19. Jahrhundert die kostengünstigste Möglichkeit, bildliche Darstellungen zu vervielfältigen. Er war im Buchdruck leicht einzusetzen, weil er als Hochdruckverfahren mit den Lettern in den Druckstock eingebunden werden konnte. Wie alle Druckgrafiken ist der Holzschnitt gewissermaßen eine »demokratische« Kunst, weil er nicht nur von wohlhabenden Käuferschichten erworben werden kann, sondern manches Blatt auch schon für wenig Geld zu erstehen ist.

Gemeinsame Darstellungen Kurfürst Johann Friedrichs und Martin Luthers in der Lutherbibel und den Lutherwerkausgaben

Die um 1550 geschaffenen Darstellungen Luthers und Johann Friedrichs sollten keine historische Wirklichkeit abbilden, sondern den Sinnzusammenhang visualisieren, dass beide Männer für die Reformation entscheidend gewirkt haben und daraus für die Ernestiner eine bleibende Verpflichtung und ein fortwährender Anspruch resultierten. Dieser Anspruch wurde noch zu Luthers

Martin Luther und Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen im Holzschnitt 

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Lebzeiten erstmals 1545 auf dem Titelblatt des ersten lateinischen Bandes der Wittenberger Lutherausgabe allgemein in einem Holzschnitt dargestellt. Die Wittenberger Lutherausgabe erschien seit 1539 als Gesamtausgabe der Werke Martin Luthers. Sie war nicht zuletzt auf Drängen Johann Friedrichs zu Stande gekommen, der dadurch das reformatorische Erbe Luthers für die nächsten Generationen bewahren wollte. Die 1559 abgeschlossene Ausgabe umfasste schließlich zwölf deutsche und sieben lateinische Bände. Auffällig am ersten lateinischen Band der Wittenberger Lutherausgabe ist die Titel­ blattgestaltung Lucas Cranachs, die von nun an konsequent bei allen weiteren Bänden der Wittenberger als auch mit Modifikationen später der Jenaer Lutherausgabe beibehalten wurde und sogar auf die Titelblattgestaltung der Wittenberger Lutherbibel wirkte: Ein sächsischer Kurfürst, vielleicht Johann Friedrich, und Martin Luther knien gemeinsam im Gebet unter dem Kreuz Christi. Diese Darstellung, die an ein Epitaph erinnert, kann als Bekenntnisakt Johann Friedrichs gewertet werden. Er bekannte sich, wie schon sein Vater, Johann der Beständige, und sein Onkel, Friedrich der Weise, zum Glauben an Jesus Christus in der Weise, wie ihn Luther zu verstehen gelehrt hatte. Die erstaunliche Konturlosigkeit der Darstellung des Kurfürsten, die nicht eindeutig erkennen lässt, um welchen Ernestiner es sich handelt, könnte zu diesem Zeitpunkt durchaus gewollt gewesen sein: Auf diese Weise konnte ein genereller dynastischer Anspruch visualisiert werden. Als Kurfürst stand Johann Friedrich wie seine Vorgänger zur Reformation und brachte durch das porträtähnliche Bild auf dem Titelblatt des Bandes zum Ausdruck, dass er diese Ausgabe autorisiert hatte. Durch die Aufnahme der Symbole der vier Evangelisten und der Engel wird die Übereinstimmung von Luthers Auslegung mit der Heiligen Schrift selbst manifestiert. Der Titelholzschnitt rückt also Luthers Werke in die Nähe der Bibel. Insofern war es nur konsequent, wenn auch bei der Gestaltung der Titelblätter der Wittenberger Bibeldrucke dieses Muster übernommen wurde. Ab 1546 gab Hans Lufft Bibeln heraus, die in ihrem Titelholzschnitt Luther und einen sächsischen Kurfürsten betend unter dem Kreuz zeigten. Es blieb jedoch nicht bei diesem Wittenberger Typ der Titelblattgestaltung. Mit der Wittenberger Kapitulation von 1547 in Folge der Schlacht bei Mühlberg verloren die Ernestiner nicht nur die reformatorischen Stätten in Wittenberg, sondern auch den Einfluss auf die Wittenberger Lutherausgabe. Deshalb wurde bald darüber diskutiert, ob in Jena eine Druckerei eingerichtet werden sollte, die auch Luthers Schriften neu auflegen sollte. Die Drucke, die hier entstanden, bildeten den publizistischen Teil ernestinischer Konfessionspolitik,

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die unter anderem die dynastische Selbstbehauptung der Weimarer Herzöge als führende Reformationsfürsten zum Ziel hatte. Als sich der Hof in Weimar entschloss, in Konkurrenz zur Wittenberger Lutherausgabe eine eigene Werkausgabe auf den Markt zu bringen, musste man sich auch über die Gestaltung des Titelblatts Gedanken machen. Ziel war es, eine Ausgabe zu produzieren, die frei von allen Verfälschungen das Erbe Luthers authentisch für die Nachwelt bieten sollte. Deshalb erschien zwischen 1555 und 1558 in Jena eine Lutherausgabe, die die Schriften vornehmlich chronologisch und nicht thematisch – wie in Wittenberg – anordnete. Die Ausgabe umfasste acht deutsche und vier lateinische Bände. Als 1555 der erste deutsche Band dieser Ausgabe erschien, war die Darstellung des bisher nicht näher bestimmbaren sächsischen Kurfürsten auf dem ­Titelblatt modifiziert worden, so dass er durch die Gesichtswunde, die er in der Schlacht bei Mühlberg erlitten hatte, und das Kurwappen, eindeutig als ­Johann Friedrich erkennbar war. Diese entscheidenden Veränderungen unterstrichen den Anspruch der Ausgabe, die dem letzten Willen des ehemaligen Kurfürsten, der 1554 gestorben war, entsprach. Insofern steigerte der Jenaer Titelholzschnitt die Aussage des Wittenberger Konkurrenzprodukts nochmals: Johann Friedrich war trotz Verlusts des Titels Kurfürst und damit vieler seiner weltlichen Ehren nicht bereit, von der Reformation Luthers abzulassen. Bis in den Tod hielt er daran fest. Insofern beinhaltete diese Luthergesamtausgabe nicht nur das theologische Vermächtnis des Wittenberger Reformators, sondern auch das politische seines Landesherrn Johann Friedrich. Der Titelholzschnitt war so etwas wie ihr gemeinsames Epitaph (Abb. 1). Noch deutlicher arbeitete der Titelholzschnitt der lateinischen Reihe, der erstmals 1557 gebraucht wurde, diesen Anspruch heraus. Nachdem man zunächst nur die Person des Kurfürsten deutlicher betont hatte, sonst aber die Wittenberger Gestaltung beibehalten hatte, traten ab 1557 die Wappen zwischen die namentlich gekennzeichneten Symbole der Evangelisten. Noch etwas deutlicher als in der Wittenberger Vorlage wurde hier die Blickführung herausgearbeitet: Johann Friedrich blickt ruhig und hoffend zu Christus am Kreuz. Dieser Blick wird erwidert, indem Christus auf Johann Friedrich schaut. Dadurch wird visualisiert, dass der Glaube des ehemaligen Kurfürsten nicht umsonst war und sein Gebet erhört wurde. Das eigentliche Leben, das ewige, kann ihm nicht genommen werden. Über das Titelblatt hinaus wird Johann Friedrich hier als Prototyp eines frommen Reformationsfürsten stilisiert.

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Abb. 1: Titelblatt der lateinischen Reihe der Jenaer Lutherausgabe von 1556 (VD16 L 3422).

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Darstellungen Kurfürst Johann Friedrichs und Martin Luthers auf Einzelblättern

In der 1550er Jahren wurde die Gestaltung des Zusammenhangs von Luthers reformatorischem Wirken und Johann Friedrichs märtyrerhaftem Einsatz zur Bewahrung der Reformation pointierter. Eine dichtere mediale Inszenierung sollte den dynastischen Anspruch der Ernestiner unterstreichen, die Fürsten im Reich gewesen zu sein, die die Reformation Luthers gefördert und dafür sogar die Konsequenz des Rangverlusts auf sich genommen hatten. Fünf Einzelblätter popularisierten diesen Anspruch, die im folgenden Abschnitt näher vorgestellt werden sollen. Um 1545 schuf Lucas Cranach der Jüngere das Blatt »Unterscheid zwischen der waren Religion Christi und falschen Abgöttischen des Antichrists in den fürnemsten stücken«.2 In typologischer Manier stellt hier Cranach der lutherischen Frömmigkeit die verfallene Frömmigkeit der päpstlichen Kirche gegenüber. Unter anderem predigt Luther auf der Kanzel und eröffnet durch die Predigt des Wortes Gottes den Weg zu Gott selbst. Seine Hand weist den richtigen Weg in den Himmel, der freilich auch Opfer erfordert, wie die Darstellung Johann Friedrichs zum Ausdruck bringt. Er ist unter der zuhörenden Gemeinde eindeutig durch ein Kreuz zu erkennen, das er über der Schulter trägt. Hintergrund dürfte Markus 8,34 sein: »Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir.« Das Verständnis des Blattes wird durch beigegebene Texte, darunter Bibelzitate, erleichtert. Auf diese Weise erschließen sich Text und Bild gegenseitig. Um 1548 schuf Lucas Cranach der Jüngere einen Holzschnitt, den er auf drei Druckstöcke verteilte.3 In der Bildmitte ist statt der Kreuzigung die Taufe Christi zu sehen. Möglicherweise gab es einen älteren Holzschnitt, der eine andere Bildmitte – vielleicht eine Kreuzigung – aufwies, der für diese Fassung überarbeitet wurde. Sowohl Johann Friedrich als auch Luther schauen auf Gott Vater und beten zu ihm. Von seiner Allmacht erhoffen sie die Erhörung ihrer Gebetsanliegen. Johann Friedrich wird hier zudem mit Gesichtswunde dargestellt, die darauf verweist, dass er sich für seinen Glauben verwunden ließ. Dieser Holzschnitt ist ein frühes Beispiel dafür, dass die Taufe Christi als Bildmotiv der Cranachschule von nun an häufiger dargestellt wird. Die Taufe ist neben dem Abendmahl ein Sakrament, das von den Wittenberger Theologen anerkannt wurde, weil es eine biblische Legitimation besaß und den Weg zu Gott eröffnet. Standhaft bei seinem Glauben zu verbleiben, bedeutet zugleich, seinen Glauben zu bekennen. Johann Friedrich und Luther waren demnach

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Vorbilder für einen solchen standhaften Glauben, der ganz auf die Gnadenzusagen Gottes vertraute, ohne sich durch zeitbedingte Anfeindungen davon abbringen zu lassen. 1551 kam ein Blatt auf den Markt, das das Lied Luthers »Erhalt uns Herr bei deinem Wort« von 1541/42 mit einem Holzschnitt versehen publizierte.4 Im Kontext der apokalyptischen Erwartungen des Luthertums dieser Zeit erhoffte man sich den baldigen Untergang aller Widersacher des Evangeliums – vor allem des Papstes und der Türken – und das baldige Erscheinen Jesu Christi zum Gericht. Man glaubte, man sei am Ende der Zeiten angekommen, so dass das Weltende unmittelbar bevorstünde. Luther und Johann Friedrich stehen zur Linken der Gerichtsszene. Luther deutet mit einer Hand auf Jesus Christus, der als Weltenrichter dargestellt ist. Johann Friedrich blickt zu ihm in Gebets­ haltung auf. Als weitere Reformatoren sind Philipp Melanchthon und Jan Hus zu erkennen, die ebenfalls als Garanten dieser Auslegung fungieren. Auf der rechten Seite steht möglicherweise Sibylle von Cleve ihrem Mann, Johann Friedrich, als Pendant gegenüber. Nach 1554 entstand ein Holzschnitt, der die Spendung des Abendmahls durch Luther und Hus an die Kurfürsten Friedrich und Johann von Sachsen im Vordergrund in Szene setzt.5 Hinter dem Altar warten bereits Johann Friedrich und seine Frau Sibylle von Cleve mit ihren drei Söhnen Johann Friedrich dem Mittleren, Johann Wilhelm und Johann Friedrich dem Jüngeren, die offenbar auch das Abendmahl empfangen wollen. Damit der Betrachter alle Personen richtig bestimmen kann, sind ihre Namen als Beschriftungen hinzugesetzt. In einer Nische des Kirchenraums, im linken Hintergrund sind Johann Friedrich und Luther im Gespräch – wohl einem Beichtgespräch – dargestellt. Dieses Blatt ist insofern bemerkenswert, als die Personengruppe auf den bisherigen Holzschnitten um die Söhne Johann Friedrichs sowie seinen Vater und Onkel erweitert wurde. Das Blatt stellt eine reformatorische Traditionslinie her, die von der ernestinischen Konfessionspolitik seit der Regierungsübernahme durch Johann Friedrich 1532 immer wieder behauptet wurde: Friedrich der Weise und Johann der Beständige begannen eine reformatorische Politik, die von Johann Friedrich fortgeführt wurde. Nach seinem Tod sahen sich Johann Friedrichs Söhne in dieser Tradition, die sie durch ihr Bekenntnis selbstverständlich weiterführten. Der Gang zum Abendmahl kann hier demzufolge als Bekenntnisakt verstanden werden. Wohl um 1558 schuf der Cranachschüler Jakob Lucius, wahrscheinlich im Auftrag der Ernestiner, eine Darstellung, welche die Taufe Jesu von Cranach weiterentwickelte (Abb. 2). Zwei Varianten fertigte er mit einem deutschen

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Abb. 2: Taufe Christi mit der Familie Johann Friedrichs von Sachsen und Martin Luther, nach einem Holzschnitt um 1558 von Jakob Lucius, um 1580 (Lutherhalle Wittenberg).

und einem lateinischen Text von Johannes Willebroich mit jeweils zwei Druckstöcken an. Im Hintergrund des Holzschnitts ist eine sehr detaillierte Darstellung Wittenbergs zu sehen, während Johann Friedrich, gekennzeichnet durch die Gesichtswunde, seine Frau Sibylle von Cleve, ihre drei Söhne, Johann Friedrich der Mittlere, Johann Wilhelm und Johann Friedrich der Jüngere, sowie Luther der Taufe beiwohnen. Die Herzogsfamilie kniet zum Gebet. Luther steht hinter den Eltern und legt wie ein Schutzengel dem ehemaligen Kurfürsten vertraut seine rechte Hand auf die Schulter. In dieser Haltung bildet er gewissermaßen das Pendant zu Johannes dem Täufer, der ebenfalls steht. So wie Johannes auf das Kommen Christi hingewiesen hat, predigte Luther den rechtfertigenden Gott, an den auch die Ernestiner glaubten. Luthers linke Hand deutet auf die Taufszene und damit das für den Glauben zentrale Ereignis. Dieser Holzschnitt visualisiert bekenntnisartig den Glauben der Ernestiner. Obwohl sie 1547 Wittenberg an die Albertiner verloren hatten, brachte der Holzschnitt zum Ausdruck, dass die Verlierer des Schmalkaldischen Krieges die rechtmäßigen Stadtherren blieben. Keineswegs hatten sie ihre Ansprüche auf Wittenberg und damit die Kurwürde aufgegeben. Überblickt man alle Holzschnitte, die in einem Zeitraum von etwa vierzehn Jahren geschaffen wurden, so ergeben sich daraus einige Gemeinsamkeiten. Luthers Stellung ist dabei einigermaßen klar umrissen: Er erscheint als Prophet, Gelehrter, oder Apostel, der durch seine Theologie den Weg zu Gott

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Abb. 3: Holzschnitt von Jost Amman aus der Frankfurter Bibel (bei Christian Egenolffs Erben) von 1585 (Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, Bb deutsch 1585 01).

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weist. Zum Image Johann Friedrichs, der in allen Holzschnitten ohne Kopfbedeckung barhäuptig dargestellt wird, gehören offenbar die Glaubenstreue bzw. Glaubensstärke sowie die Standhaftigkeit. Er nahm für diesen Glauben die Niederlage bei Mühlberg auf sich und erscheint nun als Märtyrer für die Sache der Wittenberger Reformation. Er war deshalb nicht nur als Schutzherr der Reformation anzusehen, sondern fast als Heiliger. Im Leiden beweist er eine Christusähnlichkeit, für die er von Gott mit Segen und ewigem Leben belohnt wird. Der Ernestiner wird damit zum Muster des frommen Fürsten im Sinne der Reformation Luthers. Er ist der Reformationsfürst schlechthin. Diesem Muster scheinen seine Söhne zu folgen. Sie behaupten in dynastischer Selbstdarstellung zumindest diese Tradition, um ihre eigene Stellung zu legitimieren. Die Holzschnitte Luthers und Johann Friedrichs stellen keine konkreten historischen Ereignisse dar, sondern wollen als Erinnerungsbilder den gemeinsamen Einsatz der beiden Männer für die Durchsetzung und den Bestand der Wittenberger Reformation visualisieren. Dass dieser Weg der Darstellung im Kontext ernestinischer Konfessionspolitik tatsächlich eine Norm setzte, die rezipiert wurde, kann an der Buchproduktion in Frankfurt am Main verdeutlicht werden. Hier nahm seit 1568 Siegmund Feyerabend die Wittenberger bzw. Jenaer Titelblattgestaltung auf. Luther und Johann Friedrich wurden hier vor allem durch Jost Amman mehrfach abgebildet.6 Zudem erschien 1585 bei Christian Egenolffs Erben in Frankfurt am Main eine Bibel mit einem repräsentativen Holzschnitt von Jost Amman, den er bereits 1582 geschaffen hatte (Abb. 3). Er hatte für diese Darstellung Anleihen bei Vorlagen von Lucas Cranach bzw. der Cranachschule, besonders Jakob Lucius genommen. Die Illustration folgte dem Typus, der nach 1547 in Wittenberg entwickelt worden war: Die Taufe Jesu findet in Gegenwart von Zeugen aus dem Umfeld der Reformatoren statt. Von den dargestellten Personen der sächsischen Herzogsfamilie lebte zu diesem Zeitpunkt nur noch Johann Friedrich der Mittlere, der sich aber seit 1567 in kaiserlicher Gefangenschaft befand. Johann Friedrich der Ältere trug seine Gesichtswunde wie ein Bekenntnis seines Glaubens. Den Ernestinern gegenüber standen die fünf führenden Theologen der Leucorea Luther, Melanchthon, Cruciger, Jonas und Bugenhagen. Johann Friedrich und Luther sind aus beiden Gruppen durch ihre Handhaltung herausgehoben, indem sie mit einer Hand auf die Taufszene verweisen. Damit bekennen sie auf ikonologischer Ebene ihren Glauben. Anders als bei Lucius findet die Taufe in einer Ideallandschaft statt. Die dargestellte Stadt ist eklektisch ebenso aus byzantinischen Bauteilen wie Bauten im Stil der römischen Antike oder dem Burgbau der Renaissance errichtet. Apokalyptische Züge, die

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typisch für das Luthertum in dieser Zeit waren, könnten darin eine Rolle spielen: Die gerade aufgehende Sonne könnte über dem neuen Jerusalem scheinen, das in der Johannesapokalypse angekündigt wurde.

Anmerkungen 1 Vgl. Scribner, Reformatorische Bildpropaganda, S. 83–106. 2 Enterlein/Nagel, Katalog. 3 Vgl. Töpfer, Die Leucorea am Scheideweg, S. 244, Abb. 7. 4 Enterlein/Nagel, Katalog, S. 206f. 5 Vgl. Schade (Hg.), Kunst der Reformationszeit, S. 421f.; Hofmann (Hg.), Luther und die Folgen, S. 229. 6 Vgl. O’Dell, Jost Ammans Buchschmuck-Holzschnitte, bes. S. 125–128.

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Die Ernestiner und ihre geistlichen Musikhandschriften

In der kargen musikalischen Quellenlandschaft des mitteldeutschen Raumes um 1500 nehmen die Jenaer Chorbücher eine Sonderstellung ein. Gesammelt von Kurfürst Friedrich dem Weisen als Grundlage für sein gewissermaßen retortenhaft aus dem Boden gestampftes Kapellensemble, sind sie sprechendes Zeugnis einer zu jener Zeit weitum singulären höfischen Musikpflege. Darüber hinaus spiegeln sie in ihrem beeindruckenden Bestand, den komplexen Umständen ihrer Provenienz, der Repertoirebeschaffenheit sowie nicht zuletzt in der außergewöhnlichen künstlerischen Faktur einiger Manuskripte beispielhaft den macht- und kulturpolitischen Status, aber auch die Frömmigkeit und die Bücherliebe des bedeutendsten ernestinischen Herrschers, der kurz davor stand, zum römisch-deutschen Kaiser gewählt zu werden, wider. Ursprünglich in Wittenberg aufbewahrt, wurden die Chorbücher nach der schicksalhaften Schlacht bei Mühlberg 1547 als persönliches Eigentum des entthronten Kurfürsten Johann Friedrich zunächst nach Weimar und dann nach Jena gebracht, wo sie zum Büchergrundstock der dort neugegründeten Universität beitragen sollten. Mit Ausnahme der heute in der Bibliothek der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde Weimar verwahrten Handschrift Weimar A befinden sich bis heute sämtliche Manuskripte in Jena (Thüringische Universitäts- und Landesbibliothek),1 was auch ihre Bezeichnung erklärt. Das Zustandekommen des Bestandes der Jenaer Chorbücher als ein sich über Jahrzehnte ausdehnender Akkumulierungsprozess ist in hohem Maße an die beiden zentralen Wirkungssphären Friedrichs des Weisen – zum einen den Hof des damaligen römisch-deutschen Königs Maximilian I. in Innsbruck, zum anderen Friedrichs kursächsische Heimat mit den beiden wichtigsten Residenzen Wittenberg und Torgau – gekoppelt. Seit Herbst 1494 weilte der Ernestiner in der Nähe Maximilians und ließ sich in der Folge durch eine Reihe von Verträgen fest an dessen Hof binden, um den reichspolitischen Aufgaben, die der König an den jungen, talentierten Fürsten vergab, gleichsam »ambulant« nachkommen zu können. Zwischen Januar 1497 und November 1498 ist eine fast ununterbrochene Anwesenheit Friedrichs in Innsbruck belegt  ; hierbei dürfte der musikinteressierte Kurfürst mit den seit 1496 einsetzenden Bemühungen Maximilians um den Aufbau einer neuen königlichen Hofkapelle mit den bes-

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ten Musikern ihrer Zeit – unter anderem Heinrich Isaac und Paul Hofhaimer – konfrontiert worden sein, die bei ihm augenscheinlich den Wunsch erweckten, seine eigene Hofmusik zu erweitern und zu professionalisieren (dies legen zumindest mehrere Kleiderschenkungen Friedrichs an Maximilians Hofkomponisten Isaac nahe).2 Maximilian dürfte sich dieses Sachverhalts bewusst gewesen sein und könnte die Neigungen seines hochgeschätzten Vertrauten und Freundes durch die Übergabe von Chorbüchern zunächst als symbolträchtiges Intimpräsent, sodann aber auch als umfassendes musikalisches »Equipment« für sämtliche liturgische Bedürfnisse des kursächsischen Vokalensembles gefördert haben. Indes ist die Entstehungsgeschichte der Jenaer Chorbücher kaum durch Archivalien dokumentiert  ; Studien an Papier, Faszikeln, Einbandstempeln und Schreiberhänden zeigten jedoch, dass eine relativ geschlossene Handschriftengruppe – bestehend aus den Papier-Kodizes MS 30, 31, 32, 33 und Weimar A – mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht nur während der Zeit des Aufenthaltes des sächsischen Kurfürsten bei Maximilian angefertigt wurde, sondern auch eine Affinität zu süddeutschen Entstehungsräumen besitzt. Gestützt werden die Befunde durch das Repertoire dieser ältesten, »süddeutschen« Chorbücher, das in seiner systematisierten, auf pragmatische Verwendbarkeit ausgerichteten Anlage eine auffallende Nähe zur maximilianischen Hofkapelle aufweist. An erster Stelle zu nennen ist hierbei Weimar A  : Diese Handschrift steht in engem Zusammenhang mit dem Choralis Constantinus, jener monumentalen Motettensammlung für das Proprium – also die nach den Erfordernissen des Kirchenjahrs wechselnden Texte der Heiligen Messe –, die Isaac und sein Schüler Ludwig Senfl im Auftrag des Konstanzer Domkapitels komponierten und die zwischen 1550 und 1555 in Nürnberg von Hieronymus Formschneider als dreiteiliger Zyklus publiziert wurde. Weimar A birgt die älteste erhaltene Überlieferungsschicht des Choralis Constantinus  ; diese, im Chorbuch den kirchenjährlichen Zeitraum von Advent bis Palmsonntag umfassend, bezieht sich auf den ersten Teil der Formschneider’schen Sammlung, der mit ziemlicher Sicherheit von Isaac komponiert wurde und nicht auf die Konstanzer, sondern auf die am maximilianischen Hof praktizierte Passauer bzw. Wiener Liturgie rekurriert. Dass vermehrt Repertoire der Hofkapelle Maximilians und insbesondere Isaacs in die süddeutschen Jenaer Chorbücher eingegangen ist, ist auch – wenngleich nicht so prominent – bei den beiden anderen, vorwiegend anonyme Proprien überliefernden Kodizes MS 30 und 33 festzustellen. MS 31 und 32 hingegen sind reine Ordinarien-Handschriften (d. h. sie enthalten das Ordinarium, die im Kirchenjahr feststehenden Gesänge der Heiligen Messe)  : Im Hinblick auf Faszikelanordnung und beteiligte Schreiber vergleichsweise

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einheitlich konzipiert, scheint sich in diesen beiden Chorbüchern ein »Best of« von Messzyklen der berühmtesten frankoflämischen Komponisten aus den letzten beiden Jahrzehnten vor 1500 (neben Isaac unter anderem von Josquin Desprez, Jacob Obrecht, Alexander Agricola, Loyset Compère, Antoine Brumel und Gaspar Weerbeke) kundzutun. Auch bei MS 31 und 32 ist davon auszugehen, dass sie im näheren Umfeld Isaacs kompiliert wurden  ; die gehäuften Parallelüberlieferungen des Repertoires von MS 31 und 32 in zeitgenössischen oberitalienischen und päpstlichen Quellen legen bei dessen Zusammenstellung einen ausgesprochenen »Italien-Kenner« nahe, wie es Isaac, der vor seiner Verpflichtung durch Maximilian über 10 Jahre in Florenz gewirkt hatte, gewesen sein könnte. Sind die süddeutschen Manuskripte durch ihre vergleichsweise schlichte Gestaltung – lediglich MS 30 und 33 enthalten jeweils zu Beginn eine Miniatur – eher als Gebrauchshandschriften zu sehen, so gilt dies nicht unbedingt für eine zweite, relativ geschlossene Handschriftengruppe der Jenaer Chorbücher. Die Rede ist von den 11 bis auf eine Ausnahme (MS 21) auf Pergament geschriebenen Prachtkodizes niederländischer Herkunft, die nach 1500 großteils in der Antwerpener Schreibwerkstatt des gebürtigen Nürnbergers Peter Imhoff, bekannt unter dem Pseudonym »Alamire«, gefertigt wurden. Bei MS 2, 4, 5, 7, 8, 9, 20 und 21 darf Alamires Beteiligung als gesichert gelten, während MS 22 höchstwahrscheinlich auf einen Vorgänger Alamires, Martin Bourgeois, zurückgeht  ; bei MS 3 und 12 wurde eine dritte, anonyme Schreiberhand identifiziert. Darüber, wie diese Chorbücher ihren Weg nach Sachsen fanden, kann nur spekuliert werden  : Im reichen Bildprogramm einiger Alamire-Handschriften, das künstlerisch im Umfeld der Buchmaler Gerard Horenbout und Simon Bening zu verorten ist, steht in den eingetragenen Wappen, Wahlsprüchen und porträthaften Darstellungen die Person Friedrichs als Widmungsträger im Mittelpunkt  ; darüber hinaus sind aber auch starke Bezüge zu den Habsburgern sowie – was durchaus eigentümlich ist – zu den englischen Tudors feststellbar. Zweifellos wird Friedrich selbst bei Alamire einige Kodizes in Auftrag gegeben haben  ; bei anderen ist jedoch vermehrt anzunehmen, dass sie – gewissermaßen als politstrategisches Geschenk – an den sächsischen Hof gelangten. In letzterem Zusammenhang ist erneut auf das Verhältnis zwischen Friedrich und Maximilian hinzuweisen  : Im November 1498 verlässt Friedrich den königlichen Hof  ; die Gründe für diese vergleichsweise plötzliche Abreise sind kaum durch Quellen dokumentiert, sodass nur gemutmaßt werden kann, ob hierfür die enttäuschenden Ausgleichsverhandlungen zwischen Maximilian und dem französischen König Karl VIII., bei de-

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nen Friedrich als Vermittler auftrat, oder womöglich auch die Tatsache, dass eine Ehe zwischen Friedrich und der verwitweten Tochter Maximilians Margarethe (erneut) nicht zustande kam, ursächlich waren. Zwar nimmt Friedrich in den folgenden Jahren wichtige Ämter im Reich wahr, jedoch ist ab diesem Moment seine Beziehung zu Maximilian von zunehmender Distanz geprägt, die sich schlussendlich sogar in entschiedener politischer Opposition des Kurfürsten zum König äußern sollte. Maximilian bemühte sich aber weiterhin um Friedrich und versuchte ihn, mit kostbaren Büchergeschenken auf seine Seite zu ziehen. Dokumentiert ist zumindest eine Übersendung von niederländischen Chorbüchern nach Sachsen durch Maximilian  : Am 22. März 1518 erstattete der kurfürstliche Rat Degenhart Pfeffinger, der sich zu Beratungen in Innsbruck aufhielt, dem Bibliothekar, Hofkaplan und Beichtvater Friedrichs Georg Spalatin Bericht und erwähnte, dass Maximilian dem Kurfürsten drei Kodizes schicken werde, »der gleich auch auf keiner Lieberey ader [sic] sunst gesehen worden sein solle.«3 Die Tatsache, dass zwei Chorbücher – MS 4, mit seinen Abmessungen von 78 x 55 cm eines der größten Chorbücher der Welt, sowie MS 9 – Wappen und Huldigungen an die Tudors enthalten, brachte in der Forschung auch den englischen König Heinrich VIII. als zunächst vorgesehenen habsburgischen Adressaten (MS 4) bzw. um Friedrich werbenden Auftraggeber (MS 9) ins Spiel  ; aufgrund der prekären Quellenlage können diese Interpretationen freilich nicht weiter vertieft werden. Mit Ausnahme der Magnifikatsammlung MS 20 wurden in die niederländischen Manuskripte fast ausschließlich Vertonungen des Ordinariums kopiert. Neben vollständigen Zyklen und isolierten Messsätzen (Kyrie, Credo) überliefern MS 5 und 12 darüber hinaus auch jeweils eine Totenmesse (Requiem). Innerhalb des für das erste Viertel des 16. Jahrhunderts durchaus repräsentativen Messenschaffens ist hierbei die Dominanz von Kompositionen des Niederländers Pierre de la Rue, der als Komponist für die Kapellen von Maximilians Kindern Philipp und Margarethe tätig war, auffallend  : Hinter den 30 Messen de la Rues, die sich insbesondere auf MS 12 (eine reine »de la Rue«-Handschrift mit acht Messen), MS 22 (acht) und MS 4 (sieben) konzentrieren und von denen sich viele einzig in den Jenaer Chorbüchern nachweisen lassen, stehen sogar die Beiträge des Star-Komponisten Josquin Desprez zurück (dessen Werke wiederum in MS 3 gehäuft auftreten). Neben de la Rue und Josquin versammelt sich in den niederländischen Handschriften die »Créme de la Créme« frankoflämischer Komponisten, so etwa Antoine de Fevin – der Hinweis auf dessen Tod in MS 5 (»Anthonio de Fevin pie memorie«) lässt Rückschlüsse auf die ungefähre Entstehungszeit des Chorbuchs (um 1513) zu –, Loyset Compère,

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Alexander Agricola, Jakob Obrecht, Gaspar Weerbeke, Noel Bauldeweyn, Matthaeus Pipelare, Jean Mouton, Johannes Gascogne, Antonius Divitis, Mathurin Forestier, Johannes Prioris und Jacobus Barbireau. Eine Besonderheit stellt das bereits genannte Fragment MS 9 dar, das Teile der Messe O bone Jesu des Tudor-Höflings Robert Fairfax enthält, was seinen Bezug zu Heinrich VIII. auch über das Repertoire erhärtet. Letzteres ist bei den Prachtkodizes freilich auch im Zusammenhang mit dem maximilianischen Hof gegeben. Beispielhaft hierfür steht MS 22, das wohl älteste Manuskript des niederländischen Handschriftenverbundes (entstanden um 1500). Dessen Verwandtschaft mit dem Wiener Chorbuch Cod. 1783 unterstreichen kodikologische Beziehungen (gleicher Schreiber, gleiche Formate und Seitengestaltungen mit extravagant dekorierten kalligraphischen Initialen), besonders aber die signifikanten Konkordanzen, denn neun der 13 Messen von MS 22, das Credo aus Isaacs Missa Tmeiskin was jonck sowie das Kyrie von Barbireaus Missa Paschale sind ebenfalls in Cod. 1783 eingetragen. Auch in Bezug auf die Herrscherakklamation gibt es deutliche Bezüge zu maximilianischen Praktiken  : So überliefert MS 3 gewissermaßen den Prototyp der Herrschermesse, Josquins Missa Hercules Dux Ferrariae, die als spezielle musikalische Reverenz des Komponisten an seinen Gönner Ercole I. d’Este von Ferrara eine den Namen des Herzogs klanglich abbildende Tonfolge als Cantus firmus verwendet  : Her-cu-les Dux Fer-ra-ri-ae = re, ut, re, ut, re, fa, mi, re, in modernen Tonbuchstaben d, c, d, c, d, f, e, d. Diesem sogenannten »Soggetto cavato« wird in MS 3 der Name Friedrichs (»Fridericus Dux Saxoniae«) untergelegt und den Silben entsprechend rhythmisch angepasst. Ein ähnliches Prozedere findet sich bereits Jahre früher in der heute in Brüssel (Bibliothèque royale de Belgique) aufbewahrten, um 1505 entstandenen Alamire-Handschrift MS 9126, die vermutlich als Geschenk Maximilians für seinen Sohn Philipp und dessen Frau Johanna bestimmt war und in der Josquin’schen Hercules-Messe als Soggetto-Text »Philippus Rex Castiliae« verwendet. Sowohl aus dem Tatbestand, dass durch die textliche Umwidmung die ursprünglich intendierte Beziehung zwischen Silbe und Ton aufgehoben wird, als auch im speziellen Fall der rhythmischen Soggetto-Adaption auf Friedrich – die sich etwa in Credo und Agnus Dei, wo Josquin das Soggetto im Krebsgang, also in der umgekehrten Tonfolge, verwendet, als reichlich holprig erweist –, ist herauszulesen, dass es sich hierbei wohl vor allem um eine symbolhaft im Notentext transportierte, aufführungspraktisch eher sekundäre Kommunikationsebene frühneuzeitlicher Herrscherglorifizierung handelt. Zum Bestand der Jenaer Chorbücher gehören neben den süddeutschen und niederländischen Handschriften schlussendlich noch in Wittenberg kompi-

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lierte Manuskripte, und zwar MS 34, 35 und 36. Kodikologische Untersuchungen konnten für MS 34 und 35 die Wittenberger Provenienz nachweisen, für MS 36 aufgrund der Schreiberhände zumindest dringend nahelegen. Die als »Schwesternhandschriften« anzusehenden MS 34 und 35 dürften um 1510 entstanden sein, während MS 36 ein wenig später, um das Jahr 1515 zu datieren ist. MS 34 enthält Kompositionen zur Vesperliturgie (Psalmen, Hymnen, Responsorien, Antiphonen, Magnifikats), MS 35 vornehmlich Vertonungen des Propriums, daneben aber auch Messsätze und Satzpaare (Kyrie-Gloria, Sanctus-­ Agnus Dei) des Ordinariums sowie zwei Missae totae (d. h. Messzyklen, bei denen sowohl das Ordinarium als auch das Proprium vertont ist)  ; MS 36 wiederum ist eine Ordinarien-Handschrift (sieben Messen, zwei Credo-Sätze). An den Wittenberger Chorbüchern fällt ihre Nähe zu den liturgischen Verhältnissen an der Wittenberger Allerheiligen-Schlosskirche auf. Das seit dem 14. Jahrhundert bestehende Allerheiligenstift erfuhr unter Friedrich dem Weisen eine deutliche Aufwertung  : Im Hinblick auf den Plan, die Stiftsherren in den akademischen Betrieb der 1502 gegründeten Universität miteinzubeziehen, wurde in der Wittenberger Kirchenordnung von 15084 das ursprünglich aus sieben Mitgliedern (ein Probst, sechs Kanoniker) bestehende Stiftskapitel auf zwölf erweitert und mit neuen Würden (Dekan, Archidiakon, Kantor, Kustos, Scholasticus und Syndikus) ausgestattet. Zusammen mit den Vikaren, Kaplänen, Organisten, Chorschülern und Chorknaben bildete das Stiftskapitel einen in der Folge insgesamt ca. 40 Personen umfassenden »Großen Chor«, der – im Unterschied zum ebenfalls bestehenden »Kleinen Chor« – liturgisch für die Hoch- und wichtigsten Marienfeste an der Schlosskirche zuständig war. Nicht zuletzt die Einband-Aufschrift von MS 34 »Chorus prepos« (was so viel wie »Probstchor« bedeutet), vor allem aber die planvolle Anlage von MS 34 und 35 weist letztgenannte Handschriften eindeutig als liturgisch dem »großen Chor« zugehörig aus  : So ist für beide Manuskripte der Festkalender des »großen Chores« grundlegend und in ihrem Repertoire spiegelt sich nicht nur ein eigentümliches Merkmal der Liturgie am Wittenberger Allerheiligenstift, der Bezug zu Würzburger Messriten, wider, sondern auch liturgische Praktiken, wie sie in der Kirchenordnung von 1508 festgelegt wurden. Im Unterschied zu der süddeutschen und niederländischen Handschriftengruppe der Jenaer Chorbücher, bei deren Kompilation die Qualität und Aktualität der aufzunehmenden Musik offensichtlich eine große Rolle spielte, vermittelt die Faktur der Kompositionen in MS 34 und 35 einen gleichförmig-standardisierten Eindruck. Dies unterstreichen einerseits archaisierende Notationsprinzipien – bei MS 35 die spätgotische Hufnagelnotation des Tenors, bei MS 34 die Choralnotation – sowie

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andererseits die sich durch melodische Umrankung eines unrhythmisierten, in so genannten »Pfundnoten« notierten Chorals charakterisierende Satztechnik, die zu Beginn des 16. Jahrhunderts eigentlich als überholt angesehen werden muss, im mitteldeutschen Raum zu jener Zeit aber noch weit verbreitet war. Die in MS 34 und 35 enthaltenen Stücke sind anonym überliefert. Es ist jedoch anzunehmen, dass sie aus der Feder des Niederländers Adam Rener stammen, der – an der maximilianischen Hofkapelle ausgebildet – ab 1507 am kursächsischen Hof als Komponist tätig war und dessen Name in der Messenhandschrift MS 36 vermehrt genannt wird. Auch wenn jeglicher archivalischer Beweis fehlt und das altertümelnde Repertoire den – wie an anderer Stelle bewiesen – kompositorischen Fertigkeiten Reners durchaus nicht entspricht, scheint es plausibel, ihm die Verfasserschaft der Sätze von MS 34 und 35 zuzuweisen  : Zum einen hätte es zu seinen Verpflichtungen gehört, für die neu disponierte Liturgie in der Allerheiligenkirche entsprechende Musik bereitzustellen  ; dass er hierbei die strengen liturgischen Vorgaben, wie sie in der Kirchenordnung von 1508 formuliert waren, ebenso berücksichtigen musste wie konservative Kräfte, liegt auf der Hand. Zum anderen ergibt ein Vergleich mit den zwischen 1538 und 1545 publizierten, unter anderem auch die Jenaer Chorbücher als Repertoirefundus nutzenden Musikdrucken des Wittenberger Druckers Georg Rhaw eine – freilich schmale – Konkordanzenliste mit Werken aus MS 34 und 35, bei denen Rhaw ausdrücklich Rener als Autor nennt. Mit dem Tod Friedrichs 1525 und der Auflösung der Hofkapelle durch seinen Bruder Johann verlieren die Jenaer Chorbücher schlagartig an aufführungspraktischer Relevanz. Im Zuge der Reformation ihrer liturgischen Funktion enthoben und ob ihres Bilderschmucks verpönt, dienen sie in der Folge vornehmlich als Studienobjekt in der kurfürstlichen Universitätsbibliothek, wo sie ab den späten 1530er Jahren im Zusammenhang mit den Bemühungen um eine den Vorgaben der Reformation entsprechende Kirchenmusik als Repertoirepool eine gewisse Bedeutung erlangen. Für seine Musikdrucke schreibt der bereits genannte Rhaw aus den Jenaer Chorbüchern ab, wobei er den Fokus auf die geringstimmig-homophonen, leicht auszuführenden Pleni-, ­Benedictusund Agnus Dei-Passagen legt  ; insbesondere seine beiden 1545 publizierten Duo-Bände (Bicinia gallica, latina et germanica) enthalten zahlreiche Stücke, die aus dem vorreformatorischen Messrepertoire gewonnen und mit einem neuen Text (ausnahmslos Bibelverse) unterlegt wurden. In ähnlicher Weise verfährt Johann Walter, der für seine nunmehr bürgerlich geprägte Torgauer Kantorei ganze Messen und Magnifikats aus MS 4, 8 und 20 – letzteres Chorbuch befand sich erwiesenermaßen noch bis in die 1550er Jahre in Walters

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Hand – in die um 1540 entstandenen »Walter-Handschriften« 83795 (Bibliothek des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg) und Berlin MS Mus. 40013 (Biblioteka Jagiellońska) einträgt. Rhaws und Walters Aktionen standen jedoch keineswegs im Zeichen der Kontinuität frankoflämischer Kunstpflege  ; vielmehr sind sie vor dem Hintergrund jenes pragmatisch-pädagogischen Reformwillens zu sehen, wodurch sich die junge evangelische Kirche musikalisch zu positionieren suchte – und wodurch das Spitzenrepertoire der Jenaer Chorbücher obsolet wurde.

Anmerkungen 1 Die Chorbücher sind digitalisiert abrufbar unter  : Collections@UrMEL, , (abgerufen am 01.12.2015). 2 Zu den diesbezüglichen Quellen und ihre Interpretation vgl. Heidrich, Die deutschen Chorbücher, S. 281–294. 3 Enthalten in Nachlass Christian Gotthold Neudecker, Forschungsbibliothek Gotha, Sig. Chart. A 1289 I. Brief ediert bei Berbig, Spalatiniana, S. 517. 4 Weimar, Ernestinisches Gesamtarchiv, Reg. O, Nr. 159, fol. 109ff.

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Die Ernestiner und der protestantische »Urkantor« Johann Walter Die folgenden Ausführungen widmen sich den Beziehungen des ernestinischen Fürstenhauses zu dem 1496 zu Kahla geborenen und 1570 in Torgau gestorbenen Sänger, Komponisten, Kantor und Kapellmeister Johann Walter. Am Beispiel des Verhältnisses zwischen den Kurfürsten und dem zu Lebzeiten »hochangesehenen Musicus«1 können wichtige Entwicklungsphasen der frühreformatorischen Musikpflege im kursächsischen Aktionsraum nachgezeichnet werden. Die Interaktionen zwischen Walter und der Fürstenfamilie, wie sie sich in den erhaltenen Quellen dokumentieren, umfassen dabei auch intensive Kontakte zu den damals diskursmächtigsten Reformatoren. Vor allem die persönliche Nähe zu Martin Luther hat letztlich dazu geführt, in Walter das Idealbild des protestantischen »Urkantors« zu erkennen. Die Vorstellung Walters als dem »Begründer der Lutherischen Musik« (»Lutheranae Citharae conditor«)2 findet sich bereits im Musikschrifttum des frühen 17. Jahrhunderts und hat sich seitdem fest in die Musikhistoriographie eingeschrieben. Die erste Begegnung mit dem Reformator in Torgau, das seit 1521 Hauptsitz des kurfürstlichen Hofes war, fand vermutlich bereits in den frühen 1520er Jahren statt und fällt damit in die Zeit der ersten öffentlichen Wirksamkeit Walters. Dieser hatte im Jahre 1524 sein Geystliches gesangk Buchleyn vorgelegt, für das Luther ein programmatisches Vorwort schrieb. Das Chorgesangbuch, wie es bis heute genannt wird, zählt zu den bekanntesten Musikdrucken der Reformationszeit, wurde doch mit ihm die Grundlage für das geschaffen, was die Nachwelt als den Beginn der protestantischen Mehrstimmigkeit rezipiert hat. Um die Bedeutung Walters nicht zuletzt mit Blick auf seine Beziehungen zur ernestinischen Obrigkeit zu veranschaulichen, bedarf es zunächst einer Kontextualisierung des Komponisten in die theologischen und kunstästhetischen Diskurse seiner Wirkungszeit und Handlungsorte. Hier interessieren vor allem Walters Stellung und Funktion im Zusammenhang mit der weitreichenden Neubestimmung der Musik, die sich im Zuge der reformatorischen Umwälzungen in Mitteldeutschland ereignet hat. In zeitlicher Nähe zur Entstehung des Chorgesangbuchs wurde die Musik in einem neuartigen Verständnis für den

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Protestantismus dienstbar gemacht, galt sie Luther doch – »nächst der Theologie« – als wichtigste Vermittlerin des Wortes Gottes. Mehrfach hat sich Luther ausführlich zur Musik als einer Sprache des Evangeliums und des Glaubens geäußert. Walter war mit der Musikanschauung des Reformators bestens vertraut. So fertigte er anlässlich seines Lehrgedichts über Lob und Preis der Himmlischen Kunst Musica (1564) eine Übersetzung des lateinischen Vorworts an, welches Luther für den Sammeldruck Symphoniae iucundae (1538) des Wittenberger Verlegers Georg Rhaw verfasst hatte. In dieser Vorrede finden sich die zentralen Aussagen Luthers über die Musik als einer göttlichen Schöpfungsgabe, die nicht nur psychisch und physisch heilende Wirkungen sowie exorzistische Kräfte freisetzt, sondern auch volksbildende und missionarische Qualitäten besitzt. Die Zusammenarbeit zwischen Luther und Walter beschränkte sich nicht allein auf die theologisch-ästhetische Bestimmung der Musik auf Basis geteilter reformatorischer Überzeugungen, sondern umfasste auch die liturgische Musikpraxis. So ist – erstmals im Syntagma musicum (Bd. 1, 1614/15) von Michael Praetorius – überliefert, dass Walter im Jahre 1524 drei Wochen bei Luther in Wittenberg weilte, um als musikalischer Berater bei den Vorbereitungen der deutschen Messe zu fungieren. Im Vorfeld der Zusammenkunft hatte Luther den damaligen Kurfürsten Friedrich den Weisen und dessen Bruder Johann den Beständigen um die Entsendung Walters gebeten, der dann nach Vollendung des gemeinsamen Messenprojekts eine fertige Abschrift der Gottesdienstordnung mit nach Torgau nahm, um sie dem Fürsten zu überreichen. In dieser Kooperation dokumentiert sich nicht nur die Stellung Walters im Beziehungsnetzwerk zwischen Luther und den Ernestinern, sondern auch sein Einfluss auf die liturgische und institutionelle Einrichtung der jungen evangelischen Kirchenmusik. Nachweislich hat sich Walter vehement für die Konstituierung eines Repertoires nach den Vorgaben der lutherischen Lehre eingesetzt. Beispielhaft hierfür kann auf seinen Umgang mit Kompositionen aus den elf niederländischen, vornehmlich in der Schreibwerkstatt Alamires angefertigten Musikhandschriften verwiesen werden, die aus dem Besitz Friedrichs des Weisen stammen.3 Gemeinsam mit den Quellen der vormals kurfürstlichen Bibliothek bilden die Kodizes den Ausgangspunkt für das, was heute mit den Jenaer Chorbüchern bezeichnet wird. Einige der Chorbücher befanden sich sehr wahrscheinlich bis in die 1550er Jahre in der Obhut Walters und dienten ihm als Repertoirequelle für die musikalische Gestaltung des Gottesdienstes. Die Bedeutung und Wirkung dieser prächtig ausgestalteten Kodizes lassen sich nur vor dem Hintergrund des Frömmigkeits- und Repräsentationskultes

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seines Besitzers verstehen. Weitgehend bekannt sind Kurfürst Friedrichs Intentionen, seine spirituell-religiöse Haltung nicht nur in stiller Andacht und Kontemplation zu suchen, sondern auch mittels außenwirksamer Symbolik zu demonstrieren. Hierfür nutzte er alle nur denkbaren Formen des künstlerischen wie handwerklichen Ausdrucks, wie sie sich etwa in der umfangreichen Reliquiensammlung eindrücklich niederschlägt, die – planmäßig angelegt – über 19.000 Arbeiten umfasste und einen damaligen Ablassgegenwert von schätzungsweise zwei Millionen Jahren besaß. In diesem Andachts- und Repräsentationskontext sind auch die Chorbücher zu betrachten, die neben ihrer praktischen Funktion als Repertoiresammlung für den Gottesdienst zugleich heilsbezogene Devotionalien mit opulenten Buchmalereien und Bildprogrammen darstellen. Im Zuge der reformatorischen Entwicklungen verloren die Chorbücher jedoch zunehmend ihre Bedeutung als Medien symbolischer Frömmigkeitsbekundung zugunsten einer praktisch-didaktischen Verwendung in der Kirche und im Schulwesen. An diesem Prozess einer Neufunktionalisierung der Quellen wirkte nicht zuletzt der Torgauer Schul- und Stadtkantor Walter maßgeblich mit. Für Walter, der nach dem Schmalkaldischen Krieg als Kapellmeister der 1548 gegründeten Dresdener Hofkantorei Untertan des albertinischen Sachsen wurde, blieben die Ernestiner bis zum Tode die wahren Hüter des reinen Evangeliums. Diese lebenslange Treue spiegelt sich beispielhaft in einer Begebenheit des Jahres 1553 wider, die mit der Überlieferungsgeschichte der Jenaer Chorbücher in unmittelbarer Beziehung steht. Im Zuge der Kriegswirren hatte Walter einen Teil der Chorbücher aus Torgau, das infolge der Wittenberger Kapitulation (1547) den Albertinern zugesprochen wurde, an sich genommen und aufbewahrt. In einem Brief des Jahres 1556 schildert Walter die Rettungsaktion der Chorbücher nicht ohne Stolz den drei Söhnen Friedrichs des Weisen  : So habe er »etliche pergamenen gesangkbucher vnd auch sonst eins, so in der schloßkyrchen zcu Torgaw gebraucht worden, die ich heymlich davon niemandts bewust, bey mir gehabt«4 und später an den fürstlichen Sekretär Wolf Lauenstein in Jena übergeben. Für Walter stand außer Frage, dass die Chorbücher zum rechtmäßigen Besitz der Nachfahren Friedrichs gehörten und angesichts der Gefahr, als Kriegsbeute in die Hände der Albertiner zu fallen, gesichert werden mussten. Die engeren Beziehungen zwischen Walter und den Ernestinern reichen bis in die erste Hälfte der 1520er Jahre zurück, einer Zeit, in der die kursächsische Kapelle unter der Regentschaft Friedrichs III. zu einer der bedeutendsten ihrer Art aufsteigen sollte. In den Lebensbeschreibungen des Kurfürsten, die der da-

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malige Hofhistoriograph Georg Spalatin verfasste, kommt die Wertschätzung der Musikpflege deutlich zum Ausdruck. Hier zeigt sich, dass deren wachsendes Renommee nicht nur mit dem skizzierten Repräsentationskontext am Hof, sondern auch mit äußeren Anlässen wie der regelmäßigen Teilnahme an Reichstagen in Verbindung steht. Darüber hinaus verweist Spalatin auf das wichtige Aktionsfeld der Schule, innerhalb derer die Musik als fester Bestandteil des Bildungskonzepts rangierte  : »Dieser Kurfürst zu Sachsen, Herzog Friedrich, hat auch so große Lust und Willen zur Musica gehabt, daß er viele Jahre und lange Zeit eine ehrliche, große Singerei gehalten und dieselbe oftmals auf die kaiserliche Reichstage mitgenommen, gnädiglich und wohl gehalten und besoldet, den Knaben einen eignen Schulmeister, sie zur Lehre und Zucht zu erziehen, gehalten. Der Kapellen Meister ist gewest Herr Conrad von Ruppisch. Hat auch sonderlichen einen Altisten gehabt, einen Märker, dergleichen röm. kais. Majest. und andere Fürsten und Herrn weit und breit nicht gehabt. Dieselbige Singerei hat er auch bis zu seinem tödlichen Abgang behalten.«5

Mit »Conrad von Ruppisch« (bzw. Rupsch) ist jener Kapellmeister gemeint, der mit Walter und Luther bei der musikalischen Einrichtung der deutschen Messe in Wittenberg unterstützend wirkte. Unter Kurfürst Friedrich erlebte die Hofkapelle kontinuierlich Aufwind, was sich unter anderem daran festmachen lässt, dass die Zahl der »großen singer« zwischen den Jahren 1499 und 1524 von fünf auf zwölf anwuchs sowie eine Reihe musikalischer Kapazitäten der Zeit verpflichtet werden konnten  : Neben Rupsch und Walter, der erstmals als Bassist im Jahre 1521, später dann als »Componist in der Churfürstlichen Cantorey« (1525) aktenkundig wird, müssen hier vor allem Adam von Fulda und Paul Hofhaimer genannt werden. Die Ausgaben für die Kapelle beliefen sich im letzten vollen Regierungsjahr Friedrichs auf den stattlichen Betrag von 1.053 fl (= Gulden). Im Zuge ihrer Auflösung unter Johann dem Beständigen setzten sich sowohl Luther als auch Melanchthon nachhaltig für Walter beim ernestinischen Fürstenhaus ein. Erst 1527 sollten diese Maßnahmen von Erfolg gekrönt sein und zwar in der Verpflichtung Walters als Stadt- und Schulkantor Torgaus – ein Amt, das (nach Walter Blankenburg) in der Folgezeit zum »Ur- und Vorbild des lutherischen Kantoreiwesens, wie es über mehr als zweihundert Jahre Trägerin eines blühenden kirchenmusikalischen Lebens gewesen ist«,6 avancierte. Unter der Führung Walters entwickelte sich die Kantorei, die nun auch wieder für höfische Anlässe eingesetzt wurde, zu einer festen Institution, die von den reformatorischen Visitatoren auch allseits großes Lob emp-

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fing und unter Johann Friedrich dem Großmütigen (ab 1532) wieder monetäre Zuwendungen empfing. In seiner Zeit als Torgauer Kantor trat Walter auch mit theologischen und humanistischen Reflexionen über die Musik hervor. So erschien 1538 sein Lob und Preis der löblichen Kunst Musica bei Georg Rhaw, das für die Beziehungen Walters zum Herzoghaus insofern von Relevanz ist, als eine undatierte Ausgabe des Lehrgedichts »meinen gnedigen und lieben jungen Herrn« gewidmet ist – gemeint sind die Söhne Johann Friedrich des Großmütigen. Neben seinen umfänglichen Kantorenverpflichtungen oblag Walter auch die Bildung und Erziehung der ernestinischen Prinzen. Das in den 1530er Jahren intensiver werdende Verhältnis zwischen Walter und den Fürsten findet auch kompositorische Ausdrucksformen etwa in dem Liedsatz Johannes Ernst bin ich getauft zu fünf Stimmen, welcher dem ältesten Sohn des sächsischen Kurfürsten Johann dem Beständigen entweder anlässlich des Regierungswechsels oder seiner Trauung im Februar 1542 zugedacht war. Ein weiteres anschauliches Beispiel bietet die fünfteilige Kirchweih-Motette über Verse des 119. Psalms zu sieben Stimmen, die Walter für die Einweihung der 1544 fertiggestellten Schlosskapelle in Torgau komponierte. Die von Luther eingeweihte Kirche bildet eine der ersten protestantischen Sakralbauten überhaupt, deren Emporen exzellente Bedingungen für das chorische Musizieren boten. Der besonderen Stellung der Musik im reformatorischen Denken wurde somit auch architektonisch Rechnung getragen. Der vollständige Titel der Motette, die 1544 im Einzeldruck bei Rhaw erschien, zeugt wiederum von dem triadischen Beziehungsverhältnis zwischen Fürstenhaus, Reformatoren und Walter  : »Siebenstimmiger Gesang zum Lobe des Allmächtigen Gottes und seines Evangeliums, das unter dem erlauchtesten Fürst, dem Herzog und Kurfürst von Sachsen Johann Friedrich, und den verehrungswürdigen Doktor Martin Luther und Doktor Philipp Melanchthon aus der Finsternis an das Licht gebracht und verbreitet worden ist, Komponiert von Johann Walter, des Kurfürsten von Sachsen Kapellmeister.«7

Versehen wurde die Ausgabe mit einem Halbfigurenportrait Johann Friedrichs, der im vollen kurfürstlichen Ornat und mit sechs Wappen seiner Herrschaftstitel dargestellt wird. Das Portrait findet sich mehrmals in dem Druck, so etwa auch in der Altstimme, die insofern kompositorisch heraussticht, als sie p ­ arallel zu den Tenorstimmen, denen der Psalmtext kanonisch übertragen wird, einen repetierenden Ton über folgenden Huldigungsworten ertönen lässt  :8

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Der Kurfürst firmiert hier u. a. als »Verteidiger der wahren Lehre« (»Defensor veri dogmatis«), der sich Walter bis zu seinem Lebensende verpflichtet fühlte. Die Kirchweih-Motette kann als ein eindrückliches Zeugnis sowohl der tiefen herrschaftlichen wie konfessionellen Verbundenheit Walters gedeutet werden, die sich letztlich auch in die Musik einschreibt. Der Wechsel an die von Moritz von Sachsen gegründete Dresdener Hofkapelle ist Walter sicherlich schwer gefallen, verlor er damit doch nicht nur Amt und Besitz in Torgau, sondern auch den engen Kontakt zu seinem (inzwischen inhaftierten) Landesherren Johann Friedrich. Walters Zeit in Dresden war geprägt von konfessionellen Gewissensnöten, die aus den Ergebnissen des 1549 gesetzlich eingeführten Leipziger Interims resultierten und für jeden strengen Lutheraner eine Einschränkung seiner Glaubensausübung bedeuten musste. Walter sah sich daher genötigt, in dieser Phase der innerlich-konfessionellen und äußerlich-amtlichen Neuorientierung verschiedene Autoritäten und Gegner des Interims wie Nicolaus von Amsdorf und Matthias Flacius zu konsultieren, um geistliche Unterstützung im Hinblick auf eine klare Abgrenzung von den Dresdener Gegebenheiten zu erhalten. Bereits nach annähernd sechs Jahren Amtszeit als Hofkapellmeister sah sich Walter veranlasst, sein Pensionierungsgesuch konsequent voranzutreiben und Dresden zu verlassen. Dieser

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Bitte kam Kurfürst August von Sachsen nach mehrfachen Anträgen schließlich 1554 nach. Nach der Pensionierung kehrte Walter zurück nach Torgau und konnte dort unter anderem größere Kompositionsprojekte wie den Magnificat-Zyklus von 1557 oder die Sammlung Das Christlich Kinderlied D. Martin Lutheri, welche 1566 in Wittenberg gedruckt vorlag, vollenden. Die hier enthaltenen Motetten (mit Titeln wie Gib unserm Fürsten und aller Obrigkeit oder Auff das dein Wort und Wahrheit rein) zeugen einerseits von Walters Wunsch nach einer möglichst weitreichenden Wirkung der reformatorischen Neuerungen, andererseits von der ungebrochenen Ehrerbietung gegenüber dem Geschlecht der Ernestiner. Entsprechend heißt es in einem Schreiben Walters vom Frühjahr 1567 mit dankbarer Rückschau auf die Torgauer Kantorenzeit an den sächsischen Herzog Johann Wilhelm I., das einem Exemplar des Christlich Kinderlied beilag  : »Ich zweifel nicht, ewr f[urstlichen] g[naden] wissen, vnd haben in gnedigem frischem gedechtnus, das ich aus Gotes gnaden, ewrn f[urstlichen] g[naden] gnedigsten liebsten hern vater, vnd gnedigsten lieben hern grosvater, auch derselben gnedigsten hern bruder, hertzog Friderichen, allen dreien hoch vnd ewig berumbten christlichen churfursten zcu Sachsen etc. hochloblicher vnd seliger gedechtnis, nach der gabe die mir Got geben, in der musica vnd cantorey, viel jar in vntertenickeit gedienet, von welchen hochloblichen churfursten, mir grosse gnade vnd woltat widerfaren dofhur ich Got zcu dancken, vnd fur das hochloblich haus zcu Sachssen, vmb alle wolfart, leibs vnd seele zcu bitten, mich schuldig erkenne […]«9

Die vielen biographischen Bezüge zwischen Walter, der im Frühjahr 1570 hochangesehen in Torgau verstarb, den Ernestinern und (besonders) Martin Luther haben schließlich dazu geführt, in Walter nicht nur den »Lutheranae Citharae conditor«, sondern auch eine Personifizierung des protestantischen »Erzkantors« schlechthin zu erkennen. Diese Rezeptionsgeschichte hat sich im Grunde bis in die heutige Zeit fortgeschrieben. Zwar nährte sich die Topos­ bildung vorrangig aus der Konzentration der Musikhistoriographie auf die wirkungsreichen Beziehungen Walters zu Luther  ; ohne die Einbeziehung der Ernestiner und ihrer Einflüsse auf die institutionelle Musikpflege in Mitteldeutschland des späten 15. und 16. Jahrhunderts ist diese Identifizierung jedoch letztlich nicht vollständig rekonstruierbar.

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Anmerkungen 1 »viro integerrimo Johanni Waltero Musico«, heißt es 1548 in einem Aufruf des Wittenberger Universitätsrektors Caspar Cruciger. Diese Bezeichnung steht stellvertretend für eine Vielzahl vergleichbarer Lobpreisungen des Komponisten Walter zu jener Zeit. 2 Praetorius, Syntagma musicum, S. 15. 3 Vgl. Heidrich, Alamire-Handschriften in Mitteldeutschland. 4 Brief Walters vom 1. Januar 1556 an die Herzöge Johann Friedrich II., Johann Wilhelm I. und Johann Friedrich III. Zit. nach Herrmann (Hg.), Johann Walter, S. 279. 5 Spalatin, Friedrich des Weisen Leben, S. 53. 6 Blankenburg, Johann Walter, S. 59. 7 Übersetzung zit. nach ebd., S. 71. 8 Bayerische Staatsbibliothek München, 4 Mus.pr. 106#Beibd.11, Bl. 2, urn:nbn:de:bvb  :12bsb00079634-0. 9 Zit. nach Herrmann, Johann Walter, S. 297.

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Stefan Menzel

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Seit dem Mittelalter war der Schülerchor der Dom-, Kloster- und Pfarrschulen verantwortlich für die musikalische Ausgestaltung des Gottesdienstes. In einer Zeit, in welcher höhere Bildung eng mit der Kirche verbunden war, bereiteten diese Schulen zum einen auf das Universitätsstudium vor, zum anderen auf die oft aus diesem hervorgehende Klerikerlaufbahn. So war es nur natürlich, dass an den Schulen vorrangig die sciencia competens vermittelt wurde, die Kenntnis der liturgischen Texte und Gesänge sowie des kirchlichen Festkalenders. Der Schulmeister oder Rektor (von regens chori) war somit stets und überwiegend für den Chorgesang verantwortlich, bezog auch über Gesangsstiftungen den Großteil seines Einkommens. Im Verlauf des 15. Jahrhunderts nahmen mit der Zahl der Seelstiftungen auch die Gesangsverpflichtungen der Schülerchöre zu, was vor allem an kleineren Schulen dazu führte, dass die allgemeine Bildung in Mitleidenschaft gezogen wurde. Durch die Reformation veränderte sich die Situation des Chorgesangs erheblich. Seelstiftungen, aus deren Erlös man Messen für das Seelenheil des Stifters singen ließ, zählten in den Augen der Reformatoren zu jener ›Heilsindustrie‹, aus der auch der Ablasshandel hervorgegangen war. Luther opponierte gegen die Vorstellung, das Seelenheil eines Menschen sei mit ›geldwerten Leistungen‹ aufzuwiegen, seine Zeit im Fegefeuer durch Fürbitte Dritter zu verkürzen. In den protestantischen Gebieten verschwand die mittelalterliche Organisationsform des Kirchengesangs nahezu vollständig, und zwar zunächst ohne durch ein Alternativmodell ersetzt zu werden. Wenn Luther zu jener Zeit klagte, »daß die Pfarren allenthalben so elend liegen«,1 und forderte, dass die »Ratsherren aller Städte deutschen Landes […] christliche Schulen aufrichten und halten«2 mögen, so ist hiermit das Desiderat einer ›Reformation‹ des überkommenen Verhältnisses von Schule und Kirche und damit auch des in dieser Verbindung seinerseits verankerten Kirchengesangs bezeichnet. Die Reformation war nur in geringem Maße über Thesenanschläge, Flugschriften und Disputationen auf den Weg zu bringen. Hierzu bedurfte es einer zentralen Autorität, die sich, nach der Distanzierung der protestantischen Gemeinden von der römischen Kirche, in der Person des Landesherrn fand. Die institutionelle Neuordnung des Kirch- und Schulwesens vollzog sich von

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ca. 1525–1545 im Rahmen der unter Johann dem Beständigen begonnenen und unter Johann Friedrich I. fortgeführten Visitationen und Sequestrationen. Das für die Kirchenmusikpflege wesentliche Ergebnis dieses Prozesses war die Entstehung des ›protestantischen Kantorats‹. An die Stelle des vorreformatorischen Schulmeisters trat zum einen der Rektor, der, von seiner Aufgabe als regens chori entbunden, der Schule als primär allgemeinbildender Einrichtung vorstand. Ihm waren in der Regel weitere Lehrer unterstellt, von denen einer die Funktion des Kantors auszufüllen hatte. Obwohl der Kantor auch eine eigene Klasse oder ein eigenes Fach unterrichtete, war er primär dafür zuständig, die Kirchengesänge mit den Knaben einzustudieren. Der gesamte Lehrkörper wurde auf Basis eines festen Gehaltes eingestellt, die finanzielle Abhängigkeit desselben vom Kirchengesang mitsamt den Seelstiftungen aufgehoben.3 Schülerchor und Kantor wurden hierdurch in nicht unbeträchtlichem Maße entlastet. Erleichternd kam überdies hinzu, dass nicht nur die täglichen Messen abgeschafft wurden, sondern auch die altkirchliche Gepflogenheit, im Säkularoffizium (Mette, Tagamt, Vesper) den gesamten Psalter im Laufe einer Woche durchzusingen. Wo neben der Ratsschule weitere Bildungseinrichtungen bestanden (Deutsche Schulen, Mädchenschulen,4 Lateinschulen anderer Träger), teilte man sich oft die kirchenmusikalischen Aufgaben. So versahen in Grimma die Schüler der dortigen Stadtschule und jene der Fürstenschule den sonntäglichen Gottesdienst im wöchentlichen Wechsel. Wenn von einer ›Reformation‹ der Kirchenmusik die Rede sein kann, dann wohl weniger hinsichtlich des Singens von Liedern wie Eine feste Burg ist unser Gott im Gottesdienst. Vielmehr war die Reformation der Kirchenmusik institutioneller Natur. Sie definierte das Verhältnis von Schule und Kirche, Allgemeinbildung und Gottesdienst neu und gewann auf diesem Wege auch neue musikalische Ressourcen. Die durch den Wegfall der Seelstiftungen, täglichen Messen sowie durch die Straffung des Säkularoffiziums gewonnenen Valenzen sollten nämlich darauf verwendet werden, den Kindern »artem« zu lehren,5 d. h. das Lesen von Choral- und Mensuralnotation. Gegenüber dem auswendigen Singen (ex usu) gestattete das Singen ex arte die zeitökonomische Bewältigung auch anspruchsvoller Repertoires, d. h. von Figural- bzw. mehrstimmiger Musik. Dass der Aufbau eines modernen Repertoires lateinischer Figuralmusik ebenso zur Agenda der unter landesherrlicher Ägide vorangetriebenen Reformation des Schul- und Kirchenwesens zählte, lässt sich freilich aus den im Zuge derselben verfassten Kirchenordnungen und Visitationsprotokollen selbst nicht bestätigen, da hier so gut wie keine Angaben über die zu singende Musik gemacht werden. Von Interesse ist in diesem Zusammenhang jedoch eine

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Sammlung von Musikdrucken, die Johann Friedrich I. in der Zeit von ca. 1535 bis 1545 in der Bibliothek der Wittenberger Universität anlegen ließ.6 Die Sammlung wird heute in der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena aufbewahrt und umfasst 64 Sammel- und Individualdrucke mehrstimmiger Musik,7 größtenteils erschienen zwischen 1534 und 1544. Der Bestand lässt sich grob in zwei Teile gliedern. 24 Drucke entfallen auf Veröffentlichungen deutscher Drucker, die meisten entstammen den Werkstätten der Nürnberger Johann Petreius und Hieronymus Grapheus (Formschneider) bzw. des Wittenbergers Georg Rhaw. Daneben ist mit 20 Inkunabeln des venezianischen Druckers Girolamo Scotto sowie 16 des Pariser Druckers Pierre Attaingnant auch ein größeres Kontingent ausländischer Drucke vertreten. Innerhalb des Repertoires überwiegt ›liturgische Gebrauchsmusik‹  : Die deutschen Drucke enthalten überwiegend Psalmen, Antiphonen, Hymnen und Responsorien sowie Messordinarien und ­proprien, berücksichtigen somit Mette, Vesper und die Abendmahlsgottesdienste. Die französischen und venezianischen Drucke steuern neben Messen auch Magnifikats bei, stechen jedoch vor allem durch ihre umfangreichen Motettensammlungen hervor, darunter ein fast vollständiger Satz von Attaingnants Sammelbänden der 1534er und 35er Jahre sowie Individualdrucke von Adrian Willaert, Nicolas Gombert und Jachet von Mantua. Die Anschaffung dieser Musikalien steht in Zusammenhang mit dem systematischen Ausbau der Wittenberger Universitätsbibliothek, welche Georg Spalatin ab 1534 im Auftrag des Kurfürsten vorantrieb. Im selben Jahr hatte Johann Friedrich der Bibliothek einen jährlichen Etat von 100 Gulden für Ankäufe zugesichert. Zwar wurde der Großteil des Geldes auf wissenschaftliche Literatur verwendet, doch selbst mit einem Bruchteil der Summe waren Möglichkeiten für den Erwerb von Musikalien gegeben, die im Mitteldeutschland des 16. Jahrhunderts ihresgleichen suchten. Zum Vergleich  : Zwar hatten auch die städtischen Lateinschulen Bibliotheken und Musikaliensammlungen zu unterhalten, doch standen in den 1530er und 40er Jahren in der Regel kaum Gelder zur Verfügung. In Naumburg z. B., wo die öffentlichen Mittel im Jahr 1537 nicht einmal die Bestallung eines Organisten ermöglichten, hätte man die Anschaffung kostspieliger Notendrucke mit Sicherheit nicht erwogen. In Saalfeld wiederum war dies erst möglich, nachdem 1556 eine entsprechende Stiftung eingerichtet worden war. Der Zinsertrag betrug jedoch lediglich drei Gulden, welche zuvörderst der Anschaffung von Schulbüchern für bedürftige Schüler dienen sollten. Was davon überbliebe, so der Stifterwille, sollte der Aufrichtung einer Bibliothek zufließen.

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Binnen eines Jahrzehnts über 60 Musikdrucke anzuschaffen, wäre selbst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, als Lateinschulen und Kirchenspiele sich finanziell konsolidierten und im zunehmenden Maß von Stiftungen und Schenkungen zu profitieren begannen, keiner Schul- oder Kirchenbibliothek möglich gewesen. Die Wittenberger Sammlung stellt einen ungewöhnlichen Einzelfall in der mitteldeutschen Quellenüberlieferung der ersten Jahrhunderthälfte dar, was die Frage nach dem Sammlungsinteresse aufwirft. Da die ernestinische Hofkapelle bereits im Jahr 1526 aufgelöst worden war, scheidet kurfürstlicher Eigenbedarf aus, zumal die Drucke in diesem Falle nicht aus Bibliotheksmitteln angeschafft worden wären. Auch die Wittenberger Marienkirche kommt vor diesem Hintergrund nicht als designierter Nutzungsort in Frage, da sie aus städtischen Mitteln unterhalten wurde. Nur die Universitätskirche käme als Aufführungsort in Erwägung, verfügte jedoch mit den 18 Chorbüchern Friedrichs des Weisen über einen umfassenden Bestand liturgischer Musik, dem das Repertoire der zuerst angeschafften Drucke, überwiegend Werke der Josquin-Generation, nichts essentiell Neues hinzugefügt hätte. Die Drucke scheinen somit nicht für Aufführungszwecke angeschafft worden zu sein, was auf den ersten Blick verwundern mag, denn dem enthaltenen Repertoire ist, wie oben erläutert, ein unmittelbarer liturgischer Gebrauchswert nicht abzusprechen. Man kann das Anlegen dieser Sammlung allerdings auch im Kontext der oben skizzierten Reformen des kursächsischen Schul- und Kirchenwesens begreifen, welche in den 1530er und 40er Jahren in vollem Gange waren. Wie aus dem Vergleich des vom Kurfürsten bewilligten Bibliotheksetats mit den finanziellen Möglichkeiten städtischer Lateinschulen ersichtlich, waren die personellen Voraussetzungen für die Aufführung von Figuralmusik durch das ›protestantische Kantorat‹ zwar gegeben, ein das gesamte Kirchenjahr abdeckendes Repertoire für Messe, Mette und Vesper bereitzustellen, war jedoch ein teures Unterfangen. So berichtet der Wittenberger Buchführer Christoph Schramm in einem Brief an den Zwickauer Stadtschreiber Stephan Roth im Mai 1544, dass ihm abgesehen von der kurfürstlichen Bibliothek niemand in Mitteldeutschland Musikdrucke abnehmen würde, »dan sie zu teur sint.«8 Diesem Problem wollte man offensichtlich begegnen, indem man einen solchen umfassenden Musikalienbestand an zentralem Orte zur Verfügung stellte. Dieser Ort war Wittenberg, wo sich mit der einzigen protestantischen wie landesherrlichen Universität Mitteldeutschlands (Leipzig wurde erst 1539 offiziell lutherisch) zugleich die ›Kaderschmiede‹ der protestantischen Kantoren befand. Die Sammlung der Universitätsbibliothek könnte somit die Funktion

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eines Referenzbestandes erfüllt haben, auf Basis dessen sich angehende Kantoren eigene Sammelhandschriften anlegen konnten. In der Tat erfolgte die Verbreitung von Figuralmusik im Mitteldeutschland der Jahrhundertmitte überwiegend handschriftlich. Zahlreiche Manuskripte mit liturgischer Musik haben sich aus dieser Zeit erhalten. Viele erscheinen als systematisch angelegte Zusammenstellungen von Vesperrepertoire und Mess­ proprien, spiegeln also das Bestreben einer durchweg figuralen Gestaltung der verschiedenen Gottesdienste wider. Das Repertoire der kurfürstlichen Sammlung könnte somit im Gepäck junger Kantoren an die lutherischen Lateinschulen gelangt sein. Indizien für derartige Prozesse finden sich bereits im Falle der Wittenberger Lateinschule  : Etliche konkrete Musikstücke aus Drucken der kurfürstlichen Bibliothek lassen sich in den frühen 1540er Jahren in der Liturgie der Marienkirche nachweisen. Am ersten Advent sang man Jacob Obrechts Missa Ave regina coelorum, enthalten im Sammeldruck Missae tredecim quatuor vocum (1539) des Nürnbergers Johann Ott. In diesem Druck finden sich auch Josquins Missa L’homme armé super voces musicales sowie seine Missa Beata Virgine. Erstere wurde zu Michaelis gesungen, letztere zu Weihnachten. In einer anderen Nürnberger Sammlung, dem Novum et insigne opus musicum (1537) von Hieronymus Grapheus finden sich Josquins Motette Propter peccata, ein anonymes Hodie in Jordane sowie Ludwig Senfls Vita in ligno, welche (in eben dieser Reihenfolge) an Michaelis, am Sonntag nach Epiphanias und am Palmsonntag gesungen werden konnten. Auch Georg Rhaws Druck Officia paschalia de resurrectione et ascensione Domini (1539) mit Ordinariums- und Propriumssätzen für die genannten Feiertage spielte in der Wittenberger Marienkirche eine wichtige Rolle. In den seit der Jahrhundertmitte kompilierten mitteldeutschen Sammelhandschriften ist insbesondere das Repertoire der deutschen Drucke der Wittenberger Bibliothek auffallend prominent vertretend. Eingedenk der finanziellen Schwierigkeit, Figuraldrucke in größerem Umfang anzuschaffen, erscheint eine Mittlerrolle der Sammlung mehr als wahrscheinlich. Innerhalb des kurfürstlichen Bestandes erwecken vor allem die französischen und venezianischen Drucke Interesse, da durch sie äußerst modernes Repertoire in den mitteldeutschen Raum gelangte. Die internationale Figuralmusik, wie sie vermittelt durch Nürnberger und Wittenberger Drucke, aber auch Münchner und Wittenberger Chorbücher im deutschen Sprachraum zirkulierte, wurde zu jener Zeit durch Werke von Komponisten repräsentiert, die ca. 1500–1520 aktiv gewesen waren  : Josquin Desprez, Heinrich Isaac, Pierre de la Rue, Antoine Brumel, Adam Rener u. a. Im zweiten Viertel des 16. Jahrhunderts scheint aktuelles Repertoire in Mitteldeutschland nur in geringem

Johann Friedrich I. und die lutherische Kirchenmusik 

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Maße rezipiert worden zu sein. In einem Fall führte die Bereitstellung dieses neuen Repertoires in der Tat zu einer akuten ›Verjüngung‹ der protestantischen Figuralmusikpflege. Die Sammlung enthielt drei Magnifikat-Drucke, darunter die Magnificat Moralis Ispani aliorumque authorum, 1542 gedruckt durch Girolamo Scotto. Cristóbal de Morales’ Magnifikat fanden ihren Weg recht schnell nach Wittenberg. 1542 erschienen, legte Georg Rhaw bereits im Januar 1544 mit seinem Postremum vespertini officii opus einen erweiterten Nachdruck derselben vor. Damit wäre der Scotto-Druck spätestens auf der Frankfurter Michaelismesse des vorigen Jahres für die Universitätsbibliothek erworben worden. Wahrscheinlich fungierte Christoph Schramm auch diesmal als Zwischenhändler. Als Rhaw seinem Schwager Stephan Roth am 27. Februar ein Exemplar zusandte, ließ er keinen Zweifel an seiner Wertschätzung der Musik Morales’  : »Schick E[euer] acht[barkeit] zur verehrung 25 Magnificat, sind nür seer gut.«9 Nicht nur der Inhalt, auch das Erscheinungsbild des Sammeldruckes war außergewöhnlich, denn das Titelblatt zierten die führenden Köpfe der laufenden Schul- und Kirchenreformen  : Martin Luther, Johann Friedrich I. und Philipp Melanchthon.10 Dieser Druck war kein Gelegenheitsprodukt der Rhaw’schen Offizin, sondern bildete, dem Vorwort des Druckers zufolge, den Schlussstein in einer Reihe von Publikationen, durch welche den Lateinschulen ein vollkommenes Repertoire für den Vespergottesdienst zur Verfügung gestellt werden sollte.11 Rhaw nennt ebenso seine Vesperarum precum officia (1540), die von ihm veröffentlichte Antiphonensammlung Sixt Dietrichs Novum ac insigne opus musicum (1541), dessen Hymnenband Sacrorum hymnorum liber primus und die ebenfalls in Wittenberg verlegte Sammlung Responsorium numero octoginta de tempore et festis von Balthasar Resinarius. Mit Ausnahme des Postremum vespertini officii opus, dessen größter Teil dem Scotto-Druck entsprach, wurden alle diese Drucke wiederum in den kurfürstlichen Referenzbestand aufgenommen. Und in der Tat schloss Rhaw mit seinen Veröffentlichungen eine bedeutende Lücke der Sammlung, insbesondere mit den Antiphonen-, Hymnen- und Responsoriensammlungen. Mit den dreibändigen Psalmi selecti Johann Petreius’ waren zwar Psalmvertonungen Teil der Sammlung, die Beschränkung der Psalmi auf Sätze bekannter Komponisten führte jedoch dazu, dass nur 76 von 150 Psalmen berücksichtigt werden konnten, wenn auch mit 28 alternativen Sätzen. Rhaw schloss nicht nur die Lücken in den Vesperpsalmen – seine Vesperarum precum officia folgen einer liturgischen Systematik –, er wählte auch einfache Falsobordone-Sätze, die besser im schulisch-kirchlichen Gottesdienst zu realisieren waren als Petreius’ Psalmmotetten.

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Stefan Menzel

Da den Kirchen und Schulen des kurfürstlichen Landes somit nicht nur die personellen und institutionellen Rahmenbedingungen, sondern auch das Repertoire gegeben war, um die Vesper umfassend figural zu gestalten, verlangte dies, wie auch heute beim Erreichen politischer Teilziele üblich, eine repräsentativ-symbolische Geste. Dass die ›Architekten‹ des mitteldeutschen Kirchen- und Schulwesens, Luther und Melanchthon, gemeinsam mit ihrem Dienstherren auf dem Frontispiz abgebildet wurden, scheint hier ebenso wenig ein Zufall zu sein, wie der Umstand, dass man für den Schlussstein einen Magnifikat-Zyklus wählte, dessen musikalische Qualität den Zeitgenossen offenbar derart imponierte, dass er mit über einem Dutzend Nachdrucken und Neuauflagen in ganz Europa zum meistgedruckten Opus geistlicher Musik des 16. Jahrhunderts avancierte. Durch diese Musik wurde die Institution der protestantischen Vesper zelebriert, ihr Medium, der Druck, durch die drei Portraits mit kirchen-, bildungs- und landespolitischer Autorität ›imprägniert‹. Das Postremum vespertini officii opus ist zugleich ein wichtiges Bindeglied zwischen den zeitgenössischen Kirchen- und Schulreformen und der kurfürstlichen Sammlung von Musikdrucken und erlaubt es, das Anlegen der Sammlung als eine Art ›landesherrlicher Repertoirepolitik‹ zu verstehen. Das Postremum vespertini officii opus und insbesondere sein Frontispiz dokumentieren überdies eindrücklich, was man sich im 16. Jahrhundert unter einer ›lutherischen Kirchenmusik‹ vorzustellen hatte. Cristóbal de Morales schrieb seine Magnifikats während seiner Zeit als päpstlicher cappellani in Rom (1535– 1545), d. h., es handelte sich um Repertoire der Kapelle Pauls III., um ›papistische Musik‹. Nichtsdestotrotz zählte die päpstliche Kapelle zu den renommiertesten musikalischen Institutionen des damaligen Europa. »Also haben sie auch wahrlich viel treffliche, schöne Musica oder Gesang«,12 musste selbst Luther den Papisten zugestehen. Die überkommene Etikettierung lateinischer Choral- und Figuralmusik als ›katholisch‹ ist eine Konstruktion der Nachwelt, inkongruent zu den Realitäten lutherischer Kirchenmusik im 16. Jahrhundert. Während bestimmte ›materielle‹ Elemente des altkirchlichen Zeremoniells (Priestergewänder, Altargerät etc.) mit teils ikonoklastischem Nachdruck aus den Gottesdiensten entfernt wurden, war das Verhältnis der Lutheraner zur ›immateriellen‹ Musik ein anderes als jenes der Anhänger Calvins und Zwinglis. Und dass man im ›Kernland der Reformation‹ auf die ›immaterielle Pracht‹ lateinischer Figuralmusik nicht verzichten wollte, zeigt die umfangreiche Sammlung der kurfürstlichen Universitätsbibliothek ebenso.

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Anmerkungen 1 Brief an Kurfürst Johann vom 31. Oktober 1525, in  : Wette (Hg.), Dr. Martin Luthers Briefe, S. 39. 2 Pietzsch (Hg.), D. Martin Luthers Werke, S. 9. 3 Der Kantor blieb aufgrund seines oft spärlichen Gehalts jedoch häufig auf außerordentliche Einkünfte angewiesen. Dazu zählten die musikalische Ausstattung von Begräbnissen, Hochzeiten, Ratsmusiken, Kurrendesingen etc. 4 Obschon Frauen, dem Apostel Paulus zufolge, in der Kirche zu schweigen hatten, existieren Quellen, die eine gelegentliche bis regelmäßige Einbindung der Mädchen in die gottesdienstliche Musik glaubhaft machen. So z.B. die von Martin Agricola und Wolfgang Figulus herausgegebene Sammlung Deutsche Musica vnd Gesangbüchlin der Sontags Evangelien artig zu singen für die Schulkinder, kneblein vnd megdlein, Nürnberg 1563. 5 Schulordnung aus der Wittenberger Kirchenordnung von 1533. Sehling (Hg.), Die evangelischen Kirchenordnungen, S. 706. 6 Die Drucke wurden, nach Stimmbüchern separiert, zu 15 Konvoluten zusammengebunden. Unter den Signaturen 4 Mus.1 bis 4 Mus.15 können sie im digitalen Quellenportal der ThULB Jena Collections@UrMEL (http://archive.thulb.uni-jena.de/hisbest) eingesehen werden. Eine tabellarische Aufstellung der enthaltenen Drucke, wenn auch mit einigen Fehlern, findet sich bei Schlüter, Musikgeschichte Wittenbergs im 16. Jahrhundert, S. 187–191. 7 Ein 65. Druck, die Selectissimae necnon familiarissimae cantiones (1540) des Augsburger Druckers Melchior Kriesstein, fehlt heute, war einem Inventar aus den 1540er Jahren zufolge jedoch ebenfalls Teil der Sammlung. 8 Buchwald (Hg.), Stadtschreiber M. Stephan Roth, S. 232. 9 Buchwald (Hg.), Stadtschreiber M. Stephan Roth, S. 227. 10 Georg Rhaw, Postremum vespertini officii opus, Wittenberg 1544  ; München  : Bayrische Staatsbibliothek, D­Mbs 4 Mus.pr 175, fol. 1  ;