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German Pages 299 [300] Year 2018
Studien und Texte zu Antike und Christentum Studies and Texts in Antiquity and Christianity Herausgeber/Editors Christoph Markschies (Berlin) · Martin Wallraff (München) Christian Wildberg (Princeton) Beirat/Advisory Board Peter Brown (Princeton) · Susanna Elm (Berkeley) Johannes Hahn (Münster) · Emanuela Prinzivalli (Rom) Jörg Rüpke (Erfurt)
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Yorick Schulz-Wackerbarth
Die Vita Pauli des Hieronymus Darstellung und Etablierung eines Heiligen im hagiographischen Diskurs der Spätantike
Mohr Siebeck
Yorick Schulz-Wackerbarth, geboren 1977; Studium der Musik und Kirchenmusik am King’s University College in Edmonton, Kanada; Master der Philosophie am Institute for Christian Studies der University of Toronto; Theologiestudium in Marburg und Göttingen; Promotion an der Theologischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen; derzeit Pastor.
e-ISBN PDF 978-3-16-155101-7 ISBN 978-3-16-155100-0 ISSN 1436-3003 (Studien und Texte zu Antike und Christentum) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
© 2017 Mohr Siebeck, Tübingen, Germany. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Laupp & Göbel in Gomaringen auf alterungbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden.
Meinen Eltern
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Vorwort Der Heilige – irgendwann, irgendwo und irgendwie ist er dazu geworden. Ob dabei große Taten, spektakuläre Wunder, eine bewundernswerte Lebensweise oder schlichtweg gute Vermarktung ausschlaggebend waren – feststeht, dass Menschen, schon lange bevor auf sanktionierte Kriterienkataloge zurückgegriffen werden konnte, anderen Menschen heiligmäßige Wesenszüge attestierten. Menschen sprachen einander Heiligkeit zu. Die Frage nach den konstituierenden Prozessen, die zu einem jeweiligen Konsens über die Heiligkeit des Heiligen geführt haben, ist besonders in Zeiten des Umbruchs spannend, wenn Gesellschaften sich verändern und Normen, Werte, ja, Wahrheit selbst neu verhandelt werden müssen. Mit dem Anbruch der Spätantike stand das noch junge Christentum, in seinen diversen Facetten und Ausprägungen, vor eben einer solchen Herausforderung. Was im 4. Jh. im westlichen Kulturkreis des Römischen Reiches als „heilig“ bezeichnet werden konnte, stand begrifflich keinesfalls fest, und was man bisher „heilig“ genannt hatte, würde in dieser Welt im Wandel nicht unbedingt gleich bleiben. Zeitgenössische Quellen erlauben es, diesen Prozess ausschnitthaft zu rekonstruieren. Darum soll im vorliegenden Band gefragt werden: Wie wurde Paulus von Theben zum Heiligen? Oder anders formuliert: Was macht diesen vermeintlichen Archegeten des christlichen Eremitentums zum Heiligen in der Sicht des Verfassers der Vita Pauli, Hieronymus, und seiner Leserschaft? Indem sich der Blick, von der Vita ausgehend, darüber hinaus auf einen spätantiken Diskurs um christliche Heiligkeit richtet, gibt die Untersuchung nicht nur Aufschluss über die von Hieronymus vermittelten Vorstellungen „seines“ Heiligen, sondern bietet zugleich eine Begründung für die Etablierung und Rezeption dieser doch so sonderbaren Figur das Paulus von Theben am Sternenhimmel der Heiligkeit. Der vorliegende Band ist die überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projektes am Lehrstuhl für Kirchengeschichte der Theologischen Fakultät an der Georg-August-Universität Göttingen verfasst worden ist. Zielsetzung des Projekts war die Erforschung „religiöser und gesellschaftlicher Leitbilder in spätantiken Heiligenviten“. Die Vita Pauli erwies sich dabei schnell als wesentliche Quelle für die Entstehung eines dezidiert christlichen Leitbildes. An Bedeutung übertroffen wird sie vielleicht lediglich von der Vita Antonii des
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Vorwort
Athanasius, weshalb ich die wissenschaftliche Bearbeitung dieser Quelle auch gerne dem Doktorvater und Leiter des Forschungsprojekts überlassen habe (vgl. Peter GEMEINHARDT, Antonius: der erste Mönch. Leben – Lehre – Legende, München 2013; eine kommentierte Übersetzung der Vita Antonii erscheint 2018 in den Fontes Christiani). Im vorliegenden Band spiegelt sich der Ertrag jener dreijährigen Forschungstätigkeit, zugespitzt auf eine hoffentlich erhellende Analyse der Vita Pauli hinsichtlich ihrer Darstellung und Etablierung eines Heiligen, Paulus von Theben, als Heiligen im hagiographischen Diskurs der Spätantike. Mein Dank gilt an erster Stelle dem Erstbetreuer des Promotionsverfahrens, Peter Gemeinhardt. Seine Initiative, Unterstützung und Begleitung haben ermöglicht, was sonst vielleicht gar nicht erst gewesen wäre. Dank gilt ihm und auch den anderen Mitgliedern des Projekts für die gemeinsamen Textanalysen, intensiven Gespräche, Diskussionen, guten Ratschläge und Hilfestellungen: Jan Höffker (damals noch studentische Hilfskraft, heute kurz vor dem Abschluss der eigenen Promotion), Katharina Heyden (damals noch Wissenschaftliche Mitarbeiterin, heute Inhaberin des Lehrstuhls für Ältere Geschichte des Christentums und der interreligiösen Begegnungen am Institut für Historische Theologie der Universität Bern), und, ganz besonders, Wiebke Schulz-Wackerbarth (damals noch Kommilitonin, heute meine Ehefrau). Schon damals brachte ihr sonniges Wesen Freude in das gemeinsame Büro, und so blieb es auch, nachdem das Büro gegen eine gemeinsame Wohnung eingetauscht wurde. Von den zahlreichen guten Gefährten auf dem Weg bis hin zur Publikation möchte ich einige nicht unerwähnt lassen: Raphael Below, Ole Großjohann, Hendrik und Sandra Klinge, Lars Röser-Israel, Martin Wenzel und Wibke Winkler. Sie alle haben auf unterschiedliche Weise dazu beigetragen, dass Ideen reifen konnten, verworfen werden durften, neu entwickelt und schließlich zu Papier gebracht wurden. Erwähnt werden muss in diesem Zusammenhang auch das einmalige Doktorandenkolloquium des Lehrstuhls, GWAPS (Göttingen Weekend for Advanced Patristic Studies) – ein großartiges Testfeld für erste Entwürfe und kreativer Katalysator für neue Gedanken. Tobias Georges als Zweitgutachter und Martin Laube gilt mein Dank für ihre Beteiligung am Abschluss des Promotionsverfahrens. Auf Lena Moritz war Verlass, wenn es um knifflige lateinische Details ging, und beim Korrekturlesen und anderen Formatierungsarbeiten machten sich Sabrina Bloem und Rike Magaard verdient. Einen nicht unerheblichen Druckkostenzuschuss erhielt ich von der Graduiertenschule für Geisteswissenschaften Göttingen, die mir zudem ein Abschlussstipendium gewährte. Dafür sei ausdrücklich gedankt. Dank gilt auch den Herausgebern der Reihe „Studien und Texte zu Antike und Christentum“, Christoph Markschies, Martin Wallraff und Christian Wildberg, und dem Verlag Mohr Siebeck, namentlich Henning Ziebritzki, für die Aufnahme dieses Bandes, Klaus Hermannstädter für das Lektorat und Daniela Zeiler für die Betreuung in der Herstellung. Für die
Vorwort
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Unterstützung, den Zuspruch, die Ermahnung und das Vertrauen über die Jahre des Studiums möchte ich in besonderem Maß meinem Freund und Förderer William Blissett danken. Und schließlich bleibt mit großer Dankbarkeit zu erinnern, dass ich bei allem und von Anbeginn nie auskommen musste ohne die Ermutigung und Halt von meiner Familie, insbesondere von meinen Eltern. Ihnen ist dieses Buch gewidmet. Algermissen, März 2017
Yorick Schulz-Wackerbarth
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Inhaltsverzeichnis Abkürzungen ............................................................................................... XV Hinführung ..................................................................................................... 1 Kapitel I: Grundlagen ................................................................................ 10 1. Heiligkeit ...................................................................................................... 10 2. Hagiographie ............................................................................................... 14 2.1. Hagiographie als Gattung ...................................................................... 16 2.2. Hagiographie als Diskurs....................................................................... 22
Kapitel 2: Die Vita Pauli .......................................................................... 33 1. Inhalt ............................................................................................................ 33 2. Aufbau und narrative Strukturen .................................................................. 35 2.1. Sprünge, Brüche und unverhältnismäßige Proportionen ....................... 36 2.2. Erzählte Zeit und Erzählzeit .................................................................. 39 2.3. Szenische Vereinzelung ......................................................................... 40 2.4. Narrative Spannungsbögen .................................................................... 44 2.5. Eine trinitarische Struktur? .................................................................... 47 2.6. Die Reise als Erzählstruktur .................................................................. 53 2.7. Ein chronologischer Aufbau .................................................................. 57 3. Chronologie ................................................................................................. 60 3.1. Die Chronologie der Begegnungsgeschichte ......................................... 61 3.2. Die relative Chronologie des Lebens des Paulus ................................... 63 3.3. Die Christenverfolgungen als chronologische Fixpunkte ...................... 65
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Inhaltsverzeichnis
3.4. Chronologische Spannungen ................................................................. 68 3.5. Die Flucht des 16-Jährigen in die Wüste ............................................... 69 3.6. Die Geschichtlichkeit des Heiligen ....................................................... 74 4. Adressaten und Leserschaft .......................................................................... 78 4.1. Paulus von Concordia ............................................................................ 79 4.2. Gebildete römische Leser/innen mit Interesse an christlicher Askese ... 86
Kapitel 3: Der heilige Paulus von Theben .......................................... 93 1. Der erste Eremit – ein principium des Heiligen ........................................... 94 1.1. Inter multos saepe dubitatum est ........................................................... 96 1.2. Eremitische Propheten und prophetische Eremiten ............................. 101 1.3. Der chronologische und der kausale Anfang ....................................... 107 1.4. Der bessere Eremit .............................................................................. 110 1.5. Unverschämte Lügen! ......................................................................... 114 1.6. Heiligkeit im Wesentlichen ................................................................. 118 1.7. Fazit ..................................................................................................... 122 2. Der kindliche Greis und die Herkunft des Heiligen ................................... 123 2.1. Nur die Taten des homo dei ................................................................. 126 2.2. Die Negativfolie .................................................................................. 129 2.3. Topoi und Anspielungen ..................................................................... 131 2.4. Eine ethisch-theologische Spannung ................................................... 133 2.5. Der senex puer und das „Kind-Werden“ ............................................. 142 2.6. Fazit ..................................................................................................... 147 3. Zum Heiligen gebildet ................................................................................ 149 3.1. Adprime eruditus ................................................................................. 150 3.2. Litteratus, eloquentia und otium .......................................................... 152 3.3. Eine getreue Ab-Bildung des gebildeten Autors ................................. 156 3.4. Ein „Bildungs-Typ“ im hagiographischen Diskurs ............................. 161 3.5. Ein urchristliches Spannungsfeld ........................................................ 164 3.6. Paulus und Hieronymus: Bücher in der Wüste .................................... 168 3.7. Paulus und Antonius: aplastos vs. eruditus .......................................... 171 3.8. Heiligkeit und Bildung: Der gebildete Glaube .................................... 174 3.9. Fazit ..................................................................................................... 178
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4. Die furchtsame Flucht und der Wille des Heiligen .................................... 180 4.1. Der Dämonenkampf in der Wüste ....................................................... 181 4.2. Die Flucht in villam remotiorem ......................................................... 183 4.3. Das furchtsame Opfer .......................................................................... 185 4.4. Die „geschichtliche“ Flucht ................................................................. 188 4.5. Die Furcht und der selbstbestimmte Wille des Heiligen ..................... 190 4.6. Die freiwillige Flucht des Heiligen...................................................... 194 4.7. Die „Flucht“ des Hieronymus.............................................................. 196 4.8. Fazit ..................................................................................................... 198 5. Das notwendige Martyrium des Heiligen ................................................... 201 5.1. Der Martyriumsverweigerer ................................................................ 202 5.2. Märtyrer ohne Christenverfolgungen .................................................. 204 5.3. „Making Martyrs“ ............................................................................... 206 5.4. Die legitime Flucht .............................................................................. 209 5.5. „Voluntary martyrdom“....................................................................... 212 5.6. Gottes πρόνοια und „spiritual martyrdom“.......................................... 215 5.7. Der Mönch als Märtyrer ...................................................................... 219 5.8. Antonius der Märtyrer ......................................................................... 222 5.9. Mücken und Mädchen, Hitze und Lust................................................ 227 5.10. Das vernünftige Martyrium und die logische necessitas ................... 238 5.11. Fazit ................................................................................................... 242
Ertrag............................................................................................................ 245
Quellenverzeichnis ................................................................................... 250 1. Antike Quellen ............................................................................................ 251 2. Ausgaben und Übersetzungen der Vita Pauli ............................................. 256
Literaturverzeichnis ................................................................................. 258 Register ........................................................................................................ 266 1. Stellen ......................................................................................................... 266 2. Personen..................................................................................................... 274 3. Sachen und Orte ......................................................................................... 278
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungen Bibliographische Abkürzungen richten sich nach SCHWERTNER, Siegfried M., Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, Berlin 32014. Ergänzt wurden: TB
Tusculum-Bücher
LACL
DÖPP, Siegmar/GEERLINGS, Wilhelm (Hgg.), Lexikon der Antiken Christlichen Literatur, Freiburg im Breisgau 32002.
Abkürzungen antiker Autoren und Quellen richten sich nach LACL (christliche Autoren) bzw. nach LIDDELL Henry George/SCOTT, Robert, A GreekEnglish Lexicon, revised and augmented throughout by Henry Stuart JONES/Roderick MC KENZIE, Oxford 91996 (griechische pagane Autoren), sowie nach: Thesaurus Linguae Latinae. Index librorum scriptorum inscriptionum ex quibus exempla afferuntur, Leipzig 51990 (lateinische pagane Autoren). Alle verwendeten Abkürzungen sind im Quellenverzeichnis zusammen mit der entsprechenden Quelle angegeben.
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Inhaltsverzeichnis
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Hinführung Paulus von Theben war der erste Eremit – mit dieser Behauptung präsentierte der Kirchenvater Hieronymus der lateinischen Welt des späten 4. Jahrhunderts sein „kleines Geschenk“1: die Vita Pauli. Diese vermeintlich historische Enthüllung war durchaus provokant. Immerhin hatte Athanasius (2952–3733) soeben erst erfolgreich den Wüstenvater Antonius4 als Begründer des eremitischen Mönchtums propagiert. Von einem Paulus aus der Thebais hingegen hatte bis dato kaum einer, wenn überhaupt jemand, etwas gehört. Es wundert also nicht, dass am Wahrheitsgehalt der Erzählung des Hieronymus von Anbeginn an gezweifelt wurde. Bereits zu Lebzeiten des Hieronymus machten ihm gewisse detrahentes den Vorwurf, dass es Paulus nie gegeben habe.5 Von dieser Skepsis hat sich die Vita Pauli trotz frommer Rezeption über die Jahrhunderte nie vollends lösen können. Neu entfacht und dann zugleich systematisch appliziert wurde der alte Vorwurf aber erst mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung des Quellenbestands in der Philologie und Geschichtswissenschaft im 19. Jahrhundert. Deutlich äußerte sich hier zunächst Hermann Weingarten, der 1877 im Kontext seiner Forschung zu den Ursprüngen des Mönchtums polemisch fragte, wo denn „in dieser ganzen Vita Pauli Monachi auch nur eine Spur geschichtlicher Wahrheit“6 zu finden sei. Für Weingarten, der die Anfänge des Mönchtums ohnehin erst in der nachkonstantinischen Zeit, ins 4. Jahrhundert, verortete, war die Vita Pauli insgesamt ein Produkt der Phantasie des Hieronymus. 7 Paulus habe es nie gegeben, und von einem geschichtlichen Kern der Schrift könne man überhaupt nur dann reden, „wenn man ihren literarischen Charakter vollständig verkennt und einen Roman zu einem
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Vgl. Hier., ep. 10,3,3 (CSEL 54, 38,10 HILBERG): hoc munusculum. Vgl. GEMEINHARDT, Herkunft, 76. 3 Vgl. GEORGES, Bischof, 92. 4 Zur Datierung des Lebens des Antonius s.u. II.3.4. 5 Vgl. Hier., v. Hilar. 1,6 (SC 508, 214,19–22 MORALES): [D]etrahentes Paulo meo […] detrahent […]; ut […] non fuisse. 6 WEINGARTEN, Ursprung, 3 (Hervorhebung YSW). 7 Vgl. a.a.O., 6. 2
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frommen Tractätchen [sic] verwässert.“8 In einer „ernsten Geschichtsschreibung“ dürfe zumindest „von Paulus von Theben als einer geschichtlichen Persönlichkeit und als einem Begründer des Mönchtums nicht mehr die Rede sein.“9 Die Thesen Weingartens wurden lange diskutiert. Verteidiger der Historizität des Paulus verwiesen auf vermeintliche Bezeugungen des Paulus von Theben in anderen Schriften. So hatte der Jesuitenpater und Bollandist Hippolyte Delehaye (1859–1941) in einem 1926 erschienenen Aufsatz die Erwähnung von Paulus von Oxyrynchus in einem Brief an die Kaiser Valentinian, Theodosius und Arcadius aus dem Jahr 383/4 als Beleg für die Existenz des Paulus als „personnalité historique“ herangezogen.10 Dem widersprach unmittelbar Ferdinand Cavallera (1926), der die Identifizierung von Paulus von Theben und Paulus von Oxyrynchus ausschloss: Es gebe „des divergences fondamentales de géographie et de chronologie qui amènent à se demander s’il s’agit bien du même personnage“11. Tatsächlich ließen sich im Laufe der Forschung zur Vita Pauli keine weiteren Quellen über Paulus von Theben bestätigen. 12 Dennoch wurde Weingartens radikale Ablehnung jeglicher historischen Grundlage für die Figur des Paulus in der Forschung nur noch selten vertreten.13 8
A.a.O., 4. A.a.O., 6. 10 Vgl. DELEHAYE, personnalité historique, bes. 67f.; so auch MONCEAUX, Saint Jérôme, 197f., der hier mit Delehaye übereinstimmt: „[N]ous avons la preuve que Paul de Thèbes a réellement existé“. 11 CAVALLERA, Paul, 304. 12 Vgl. COLEIRO, St. Jerome’s lives, 177; FUHRMANN, Mönchsgeschichten, 80; GRÜTZMACHER, Hieronymus, 161; KELLY, Jerome, 61; REBENICH, Hagiograph, 27; ders., Ascetic hero, 16; WEINGARTEN, Ursprung, 4. 13 Eine strikte Ablehnung der Historizität des Paulus findet sich z.B. bei Stanislaw Świdziński. Für ihn ist Paulus nicht mehr als „eine phantastische Idealvorstellung“ (ŚWIDZIŃSKI, Paulus, 201, Anm. 2). Auch Heinrich Holze betont, dass „die Frage, ob die Erzählungen nicht jedenfalls die Erinnerung an eine geschichtliche Gestalt bewahren“, vermutlich negativ beantwortet werden müsse (HOLZE, Paulus, 90). Manfred Fuhrmann behauptete zwar in einem 1977 veröffentlichten Beitrag zu den Mönchsgeschichten des Hieronymus, dass die Paulus-Gestalt „mit grösster Wahrscheinlichkeit der Phantasie des Hieronymus entsprungen“ sei, womit sie gerade nicht das sei, „was der Autor mit so grossem Nachdruck zu erweisen sucht, eine geschichtliche Tatsache, sondern Fiktion“ (FUHRMANN, Mönchsgeschichten, 80). In der sich diesem Aufsatz anschließenden Diskussion relativiert Fuhrmann seine Aussage jedoch. Auf die Frage, welche Gründe zu der Annahme nötigten, „dass Hieronymus die Figur des Paulus erfunden und nicht nur stark ausgeschmückt“ (a.a.O., 90) habe, räumt Fuhrmann ein, dass es auf historischer Ebene durchaus einen Mönch namens Paulus gegeben haben könnte. Fingiert sei jedoch mit Sicherheit die Rolle und Bedeutung, „die Hieronymus dem Paulus zuerkannt wissen wollte“ (a.a.O., 91). 9
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Bereits Georg Grützmacher zeichnete 1901 in dem ersten Band seiner Hieronymus-Biographie ein differenzierteres Bild. Mit Weingarten behauptete zwar auch Grützmacher – in Anlehnung an die von Hieronymus im Prolog der Vita erhobenen Vorwürfe gegen die falschen Gerüchte um Paulus (VP 14 1,3) –, dass Hieronymus selbst seinen Lesern an zahlreichen Stellen nichts Besseres auftische als „unverschämte Lügen“15. Grützmacher zweifelte aber nicht daran, dass Hieronymus die Legende von Paulus übernommen habe, schließlich nenne er „als seine Gewährsmänner zwei Schüler des heiligen Antonius, Amathas und Macarius […], die beide noch lebten, als er die Vita Pauli schrieb.“16 Wie viel Hieronymus „selbst hinzugedichtet [hat], lässt sich nicht mehr entscheiden“ 17 , resümiert Grützmacher. Das offene Fazit Grützmachers, dass es durchaus möglich sei, „dass ein Eremit Paulus in der Thebais existiert hat“18, sich ein historischer Kern jedoch nicht mehr herausschälen lasse, entspricht im Wesentlichen dem heutigen Forschungskonsens. Mit dem Votum Grützmachers war die Debatte um die Historizität des Paulus aber keinesfalls beendet. So verteidigte Ludwig Schade (1914) in scharfer Abgrenzung zu Weingarten – schließlich habe letztlich „kein Einwand die Geschichtlichkeit des hl. Paulus erschüttert“ 19 – vehement einen historischen Kern einer Paulusfigur mit Verweis auf die Intention des Hieronymus, Geschichte zu schreiben.20 Schade resümierte aber, dass sich „mit den 14
Hinweise auf die Vita Pauli erfolgen ohne Angabe der Edition. Zitiert wird stets aus Pierre LECLERC et al. (Hg./Übers.), Vita Beati Pauli Monachi Thebaei, in: ders., Trois vies de moines (Paul, Malchus, Hilarion), SC 508, Paris 2007, 144–182. Die Übersetzungen stammen vom Verfasser, wenn nicht anders ausgewiesen. 15 GRÜTZMACHER, Hieronymus, 161. 16 Ibid. 17 Ibid. 18 Ibid. 19 SCHADE, Schriften, 13. 20 Vgl. a.a.O., 6–8. Die Intention des Hieronymus, Geschichte zu schreiben, erkennt auch Weingarten an. Seine These, so Weingarten, schließe nicht aus, dass „Hieronymus nicht den Schein hat erwecken wollen, als gäbe er wahre Geschichte [sic]; darum der feierliche Eid am Anfang, mit dem er ‚Jesum anruft und seine heiligen Engel‘ als Zeugen seiner Wahrhaftigkeit“ (WEINGARTEN, Ursprung, 6, Anm. 2). Auch Fuhrmann betont die Absicht des Hieronymus, Paulus als eine „historische Persönlichkeit“ auszugeben (vgl. FUHRMANN, Mönchsgeschichten, 81f.); so auch COLEIRO, St. Jerome’s lives, 177: „[T]here is no doubt that [Jerome] intended the Lives to be considered as history, and he takes great pains to stress that.“ Ebenso KECH, Unterhaltungsliteratur, 25, der – trotz seiner Einschränkung, „daß man dieser Art von Literatur eigentlich nicht mit historisch-kritischer Skepsis begegnen dürfe, daß sie allererst [sic] einen Leserkreis anvisiert, dem wenig an historischen Fakten, aber viel an interessanten und reizvollen Details liegt“ – darauf hinweist, dass Hieronymus „sein literarisches Produkt auch als historisch glaubwürdige Darstellung ausgeben möchte.“ Das zeige sich, so KECH, a.a.O., 149, besonders mit Blick auf den
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zu Gebote stehenden Hilfsmitteln nicht mehr erfassen“ lasse, was, „abgesehen von Person, Heimat, Flucht und Stand des Helden, noch zum geschichtlichen Kern gehört.“21 Auch Edward Coleiro (1957), der zu den Verteidigern von „basic historical facts“ in der Vita gehört – ohne sie näher zu erläutern –, verwies insgesamt auf den großen Anteil von „fictitious dialogues, fanciful details, elaborate descriptions and imaginary situations“22. Weniger optimistisch äußerte sich Karl Heussi (1936), der als legitime historische Frage höchstens die zuließ, „ob diese zum Teil grotesken Erzählungen nicht doch mit der Kunde von einem alten Asketen, der wirklich gelebt und Paulus von Theben geheißen hat, verbunden sind.“ 23 Auch Hans von Campenhausen (1960) vermutete, dass ein historischer Kern der Erzählung „kaum mehr als allenfalls den Namen des Helden enthalten haben“24 werde; und Jean Steinmann, der in seiner Hieronymusbiographie (1958) die Abfassung der Vita Pauli als das In-Worte-fassen eines Traums bezeichnete, in dem Hieronymus „das Bild, das er von sich selber hat, zum Leben“ erweckte, fragte schließlich doch wieder, „ob dieser Eremit überhaupt anders existiert hat als in der Phantasie seines Biographen, der dort in der Chalkis saß und die Sonne auf seinen Schädel brennen ließ“25. Heute ist man sich weitgehend einig, dass Hieronymus nicht völlig frei erfand, sondern, wenn zwar nicht auf erkennbare Quellen, so doch zumindest auf mündliche Traditionen unterschiedlicher Art und Herkunft zurückgegriffen und sie dann zusammengefasst, ausgeschmückt und deutlich überhöht hat.26 Mit jener Unzugänglichkeit des historisch Greifbaren geriet die Frage Prolog der „im Stil einer streng wissenschaftlichen Erörterung über eine historische Streitfrage gehalten“ sei. KELLY, Jerome, 61, vermutet sogar, dass Hieronymus seinen Paulus nicht nur als geschichtlich darstellen wollte, sondern selbst von dessen Geschichtlichkeit überzeugt war. 21 SCHADE, Schriften, 13. 22 COLEIRO, St. Jerome’s lives, 163. „The facts are rhetorically elaborated and embellished by fictitious adjuncts, but, fundamentally, they represent historical truth“ (a.a.O., 178). 23 HEUSSI, Ursprung, 70, Anm. 2. 24 VON CAMPENHAUSEN, Kirchenväter, 120. 25 STEINMANN, Hieronymus, 68. 26 So z.B. Stefan Rebenich, der auf die mögliche Einbeziehung „mündlicher Lokaltraditionen“ verweist (REBENICH, Hagiograph, 38; vgl. auch a.a.O., 26f.). Ähnlich vermutete bereits Paul Monceaux (1933): „Jérôme avait probablement été renseigné sur ces traditions par des Egyptiens [sic], évêques ou moines, alors relégués en Syrie, ou par les clercs d’Alexandrie qui venaient visiter ces confesseurs. Séduit par leurs récits, il crut pouvoir projeter une lumière nouvelle sur les origines de l’anachorétisme“ (MONCEAUX, Saint Jérôme, 186). Philip Charles Hoelle hingegen war in Anlehnung an ältere Darstellungen noch von „oral legends and written documents“ als Grundlage der Vita Pauli ausgegangen (HOELLE, Commentary, 21).
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nach der Historizität des Protagonisten der Vita Pauli zunehmend in den Hintergrund. Bereits Heussi hatte bewusst die „Frage der Geschichtlichkeit dieses Paulus von Theben“ in seiner Darstellung beiseitegelassen und darauf verwiesen, dass sie ohnehin nur auf ein „Minimum eines geschichtlichen Kerns“ ziele und damit ohne Interesse sei, „weil, auch wenn man sie zweifelsfrei beantworten könnte, nicht viel gewonnen wäre.“ 27 Dieser Meinung schließt sich die vorliegende Untersuchung an. Lohnender als eine erneute Diskussion der Historizität sind, wie sich zeigen wird, in der Tat andere Fragen. Das demonstrierte besonders eindrücklich Stefan Rebenich in seinem Beitrag zur Vita Pauli aus dem Jahr 2000. Rebenich fragt darin nach den Gründen, „die die Vita Pauli des Hieronymus trotz zeitgenössischer Kritik so erfolgreich machte, daß sie zum Modell anachoretischer Vervollkommnung in den folgenden Jahrhunderten werden konnte“28. Rebenich verweist dabei auf die „literarische Brillanz und die rhetorische Geschicklichkeit“29 des Hieronymus, die sich manifestierte in dem unterhaltsamen und erbaulichen Charakter der Vita, die nicht zuletzt wegen ihres literarischen Anspruchs damals wie heute Leser/innen in ihren Bann schlug.30 Rebenich deutet auf die Zielgruppe – „gebildete christliche Oberschicht der westlichen Reichshälfte, die damals begierig nach asketischen exempla Ausschau hielt und deren Interesse an monastischen Lebensformen bestärkt werden sollte“31 – und auf die Anknüpfung an bzw. die Konkurrenz mit der bereits populären Vita Antonii.32 Auch 27
HEUSSI, Ursprung, 70, Anm. 2. REBENICH, Hagiograph, 28. 29 A.a.O., 38. 30 Vgl. a.a.O., 30–33: Rebenich erläutert den gekonnten Umgang des Hieronymus mit Stilmitteln, traditionellen Erzählformen und Motiven, die sich besonders in den in der Vita enthaltenen Digressionen, klassischen Reminiszenzen, Zitaten und Entlehnungen aus Schulautoren wie Vergil und Cicero zeigen. 31 A.a.O., 33. 32 Vgl. a.a.O., 33–35 und 39f. Die vermutlich im Jahr 356 (vgl. BUMAZHNOV, Vita Antonii, 256) von Athanasius verfasste Vita Antonii wurde 373 (vgl. BERTRAND, Evagriusübersetzung, 11) von Evagrius von Antiochien (ca. 320–394; vgl. BALKE, Evagrius, 255) ins lateinische übertragen. Der Text des Evagrius weicht an vielen Stellen erheblich von dem Original ab, was nicht zuletzt auf die Übersetzungstheorie des Evagrius selbst zurückzuführen ist, wie er sie im Prolog seiner Version der Vita Antonii entfaltet: Ex alia in aliam linguam ad uerbum expressa translatio, sensus operit et ueluti laeto gramine sata strangulat. Dum enim casibus et figuris seruit oratio, quod breui poterat indicare sermone, longo ambitu circumacta uix explicat. Hoc igitur ego uitans ita beatum Antonium te petente transposui, ut nihil desit ex sensu, cum aliquid desit ex uerbis. Alii syllabas aucupentur et litteras, tu quaere sententiam (Evagr., v. Anton. Proöm. [160,2–6 BERTRAND]). Für Evagrius geht es also darum, den Sinn (sensus) des griechischen Textes in lateinischer Sprache wiederzugeben, und nicht darum, schlicht Silben und Buchstaben 28
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die bereits erwähnte ostentative Bemühung des Hieronymus um die Geschichtlichkeit seiner Darstellung mit zahlreichen „historischen und pseudohistorischen Fakten“33, die darauf zielt, seiner Leserschaft „ein glaubwürdiges exemplum monastischer Lebensführung […] gegebenenfalls mit Hilfe der rhetorischen inventio“34 darzustellen, wird von Rebenich als Grund für den Erfolg der Vita angeführt.35 Außerdem sei der „Hintergrund des entstehenden okzidentalen Mönchtums“ 36 von nicht geringer Bedeutung für den literarischen Erfolg des Hieronymus, der mit seiner Vita Pauli „als erster auf das Fehlen einer originären, lateinischen Mönchsbiographie reagierte“37. Die von Rebenich identifizierten Gründe für den Erfolg der Vita Pauli veranschaulichen, welchen Beitrag zur historischen Erforschung der Vita eine Auseinandersetzung mit ihr leisten kann, die sich von der letztlich nicht lösbaren Frage nach der Historizität der Hauptfigur emanzipiert hat. Mit seinem Blick auf den Erfolg der Schrift, statt auf die historische Faktizität des Inhalts, gibt Rebenichs Untersuchung Aufschluss über den Text und seine Zeit. Rebenichs Ansatz und seine Ergebnisse sind für die vorliegende Arbeit grundlegend. Trotz des breiten Spektrums der Antworten auf die Frage nach der erfolgreichen „Einbettung“ der Vita Pauli in ihren geschichtlichen Kontext, die sich in ihrer Verbreitung und andauernden Rezeption niederschlug, kommt ein Aspekt in Rebenichs Darstellung jedoch zu kurz. Dieses Desiderat zeigt sich besonders deutlich mit Blick auf den Titel seines Beitrags: „Der Kirchenvater Hieronymus als Hagiograph“. Der Erfolg der Vita wird von Rebenich vor allem an ihrer literarischen Brillanz, ihrer Anknüpfung an populäre Literatur, ihrem geschickt vermittelten geschichtlichen Schein und ihrer Befriedigung eines literarischen Markts festgemacht. Damit ist aufgezeigt, inwiefern Hieronymus ein erfolgreicher Autor und Selbstvermarkter, nicht jedoch thematisiert, ob und inwiefern er im eigentlichen Sinn „Hagiograph“ war. Die Vita Pauli, so die hier vertretene These, ist aber mehr als nur Unterhaltung, rhetorisches Kabinettstückchen, Selbstdarstellung oder Positionierung (syllabae et litterae) zu übertragen (vgl. BERSCHIN I, 121f.; GEMEINHARDT, Bildung, 254– 258). Für den hagiographischen Diskurs der Spätantike sind beide Schriften von prägender Bedeutung und werden hier entsprechend berücksichtigt. Ausgegangen wird hier zudem davon, dass Hieronymus beide Fassungen kannte. Bei inhaltlicher Übereinstimmung beider Fassungen wird im Folgenden auf die Vita Antonii mit „Ath./Evagr., v. Anton.“ verwiesen. Bei relevanten Abweichungen wird zwischen „Ath., v. Anton“ und „Evagr., v. Anton“ entsprechend unterschieden. 33 REBENICH, Hagiograph, 37. 34 A.a.O., 38. 35 Vgl. A.a.O., 35–38. 36 A.a.O., 40. 37 Ibid.
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des Hieronymus in einer bestimmten literarischen Nische. Sie ist dezidiert sowohl als hagiographischer Beitrag gemeint als auch nicht zuletzt aus diesem Grund zu ihrer großen Popularität gelangt. Ihre Intention, aber auch die Gründe für ihren Erfolg sind also auch darin zu suchen, dass die Figur des Paulus selbst und das mit ihm vertretene Ideal von der Leserschaft positiv angenommen wurden. Damit verschiebt sich die Fragestellung von Begleitaspekten des hagiographischen Handwerks (die Rebenich umfassend aufgezeigt hat) hin zum Eigentlichen des hagiographischen Unterfangens: der Frage nach der in der Vita vermittelten Vorstellung von Heiligkeit. Zwar betont auch Rebenich, dass es Hieronymus mit seiner kleinen Schrift gelang, „die asketischen Tugenden und Leistungen des Protagonisten als beispielhaft herauszustellen und die Leser zur imitatio anzuhalten“ 38 , diese Ideale werden von Rebenich jedoch nicht explizit mit „Heiligkeit“ zusammengeführt und auch nicht mit Blick auf die Frage nach dem Erfolg der Vita diskutiert. Paulus wurde aber nicht nur als asketisches Vorbild rezipiert, sondern als Heiliger anerkannt und schließlich verehrt. 39 Grund dafür ist die durchaus effektive Weise, in der Hieronymus christliche Ideale des Heiligen in Einklang mit den Vorstellungen seiner Zeit in der Vita Pauli aufgreift und vermittelt. Mit Paulus von Theben ist Hieronymus also auch das Portrait eines Heiligen gelungen, das auf entsprechende Resonanz gestoßen ist. Rebenich lässt mit dem Verweis auf die „Generationen frommer Leser“40 diesen Aspekt zwar nicht unerwähnt, die Zusammenhänge zwischen frommer Rezeption und vermittelten Heiligkeitsvorstellungen werden in seiner Darstellung jedoch nicht weiter ausgeführt. Es bleibt also die Frage, warum Paulus überhaupt ein Heiliger ist bzw. inwiefern Paulus Merkmale eines Heiligen aufweist, die von den Lesern und Leserinnen der Vita als solche erkannt und anerkannt wurden. Mit der Frage nach den in der Vita Pauli vermittelten Vorstellungen von Heiligkeit ist ein Forschungsdesiderat identifiziert, das auch trotz des Beitrags von Dieter Hoster (1963), der sich in seiner Untersuchung der frühesten lateinischen Heiligenviten unter Anderem der Frage nach den darin enthaltenen Heiligenidealen stellte, weitgehend unerfüllt bleibt. Zu Recht identifizier38
A.a.O., 38f. Die älteste bekannte ikonographische Darstellung des Paulus stammt zwar erst aus dem 13. Jh. (vgl. ŚWIDZIŃSKI, Paulus, 213), bereits in der zweiten Hälfte des 4. Jh. aber, so Świdziński (a.a.O., 206f.), begaben sich junge Männer an den Ort, wo Paulus gelebt hatte: „Sie bauten Zellen und errichteten eine Mauer zum Schutz des Klosters, so bestätigte es Bestimian, der Wanderer, als er 400 n.Chr. Ägypten besuchte. Das Kloster erhielt den Namen St. Paulus“ (a.a.O., 207). Die dort über der vermeintlichen Höhle des Paulus errichtete Kirche mit einem dem heiligen Amba Pola geweihten Altar „besteht seit Gründung des Klosters, vielleicht ist sie sogar etwas älter“ (a.a.O., 208). 40 REBENICH, Hagiograph, 24. 39
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Hinführung
te Hoster zwar das „vollkommene Anachoretentum“ bzw. die „strikte Einsamkeit bis zum Tode“ als „das Wesentliche an der Lebensform des Paulus“41 und somit als den zentralen Aspekt des mit Paulus vermittelten Heiligkeitsideals. Hosters Untersuchung beschränkt sich jedoch auf diese Beobachtung und begründet sie mit rein textinternen, vornehmlich formalen Beobachtungen.42 Die Inhalte zur Heiligkeit, die Hieronymus vermitteln wollte (und auch jene unterschwelligen Heiligkeitsvorstellungen, die ohne bewusste Intention des Autors in den Text geflossen sind – s.u. I.2.2), lassen sich aber, so die hier vertretene These, kaum ohne einen Blick über den Text hinaus sachgemäß als solche nachvollziehen. Die Erfassung der Vita Pauli als Hagiographie, d.h. als Werk über einen Heiligen, das auch als solches intendiert und aufgefasst wurde, kann nur in seinem diskursiven Kontext geschehen. Dieser Kontext bleibt in der Darstellung Hosters jedoch, mit wenigen Ausnahmen43, unbeachtet. Die vorliegende Untersuchung wird sich mit dem dezidiert hagiographischen Aspekt der Vita Pauli auseinandersetzen. Dabei geht es zum einen darum, welches Bild eines Heiligen Hieronymus zeichnet, und zum anderen, auf welche Weise sich diese oder jene Vorstellung von Heiligkeit als solche zu erkennen gibt bzw. etabliert: Wie kommt Hieronymus also zu seiner Dar-
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HOSTER, Form, 56f. Hoster zeigt in seiner Analyse den engen Zusammenhang von Form und Aussageintention der Vita auf. Die Darstellungsweise, die sich durch ihr „schwebendes Offensein“ (a.a.O., 64.), durch den Entzug des Protagonisten und die Schwerpunktsetzung auf andere Akteure und Handlungsmomente auszeichnet sei laut Hoster die Antwort auf die Frage, „wie im irdischen Geschehen das Heilige zu erkennen, und mehr noch, wie mit irdischen Mitteln das der Welt Entgangene, das Übersinnliche im Sinnlichen darzustellen sei“. Diese Darstellungsweise, „nicht das Leben in seinem Verlauf zu verfolgen, sondern dessen Zentralpunkt, das, was es zum heiligen macht, in den Griff zu bekommen, ist […] dem Gegenstand einzig angemessen“ (a.a.O., 65.) Die „sinntragende Form“ der Vita werde also bestimmt durch den Versuch, „den sich der Anschauung und folglich auch der Darstellung entziehenden Gegenstand dennoch zu beschreiben“ (a.a.O., 65). 43 Vgl. z.B. a.a.O., 57. Hier verweist Hoster darauf, dass sich Hieronymus mit seiner Vorstellung der lebenslangen eremitischen Lebensweise „von der kynischen Philosophenvorstellung“ abwende: Der Wüstenaufenthalt, so Hoster, sei „nicht mehr nur eine Zeit der Ausbildung, sondern er wird zur vollkommenen Lebensform schlechthin.“ Hierin, so Hoster, liege „zugleich ein Wandel in der Tugendvorstellung: die Vollkommenheit ist nicht mehr etwas, was ein für allemal erworben werden kann, sondern sie muß täglich neu erkämpft werden“. Damit ist zwar ein erwähnenswertes Merkmal des von Hieronymus vermittelten monastischen Ideals im Vergleich zu anderen, dem Text „externen“, Idealen aufgezeigt, Hoster erläutert jedoch weder den Zusammenhang und die diskursiven Berührungspunkte zwischen kynischem Ideal und monastischen Vorstellungen, noch wird die Idee der Vollkommenheit explizit mit christlichen Vorstellungen von Heiligkeit zusammengebracht. 42
Hinführung
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stellung und warum handelt es sich dabei überhaupt um ein Heiligkeitsideal? Die dabei im Hintergrund stehende These ist, dass sich Hieronymus „als Hagiograph“ nicht lediglich durch Stil, Form und literarisches Geschick auszeichnet, sondern eben dadurch, dass er tatsächlich einen Beitrag zum christlichen Diskurs um das Thema der Heiligkeit mit der Beschreibung einer spezifischen Instanz, eines Phänomens von Heiligkeit, leistet. Dieser Frage widmet sich der Hauptteil III der vorliegenden Untersuchung. Teil II führt dafür mit gesonderten Überblicken zu Inhalt (II.1), Aufbau (II.2), Chronologie (II.3), Adressaten und Leserschaft (II.4) in die Vita Pauli ein. Grundlegend für die Untersuchung sind die Begriffe „Heiligkeit“ und „Hagiographie“, die es im einleitenden Teil (I) auch mit Blick auf das methodische Vorgehen der vorliegenden Arbeit zu erläutern gilt.
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Kapitel I
Grundlagen Zwei Konzepte sind für das genannte Ziel, die in der Vita Pauli vermittelten Heiligkeitsvorstellungen zu identifizieren, von zentraler Bedeutung: Heiligkeit und Hagiographie. Sie verweisen auf Inhalt und Form des zu untersuchenden Phänomens. Der Umgang mit diesen Begriffen hat methodische Konsequenzen für die vorliegende Untersuchung. Die Auseinandersetzung mit den Konzepten Heiligkeit und Hagiographie der folgenden Abschnitte I.1. und I.2. zielt demnach sowohl auf eine Präzisierung der Frage, wonach gesucht wird, als auch auf die Frage, wie danach gesucht werden kann.
1. Heiligkeit Die Frage nach dem Heiligen beschreibt der Neutestamentler und Religionswissenschaftler Carsten Colpe (1929–2009) als eine von „Dunkelheit und Kompliziertheit“ geprägte Materie.1 Er blickt dabei auf über ein Jahrhundert 1 Vgl. COLPE, Über das Heilige, 11f. Colpe verweist u.a. auf die Spannung von Einheit und Vielfalt mit Blick auf die Frage nach dem Heiligen. Natürlich schließt die auf sprachlicher Ebene entdeckte Vielfalt der Vorstellungen und Konzepte eine Einheit der Sache an sich nicht notwendigerweise aus. Und so könne, laut Colpe, durchaus – zumindest grundsätzlich –, ganz unabhängig von dem sich aus der Vielfalt der Bezeichnungen, den etymologischen Transformationsprozessen und den bei Übersetzungen entstehenden Unschärfen ergebenden Bedeutungsnexus, nach einer so oder so gearteten Identität dessen, was dann lediglich mit „heilig“ oder ähnlichen Begriffen bezeichnet wird, gefragt werden. Doch auch bei seinem eigenen Ansatz einer Begriffsbildung trägt Colpe eben jener ungeheuren Vielschichtigkeit und Komplexität umfassender Versuche, das Heilige „richtig zu erkennen“, Rechnung, indem er einschränkend darauf hinweist, dass eine vollständige Explikation des Begriffs letztlich unmöglich bleibe, „weil es unendlich viele Aussagen [gibt], die zu seiner Bildung beitragen könnten“ (ders., Das Heilige, 81). Mit „richtig erkennen“ meint Colpe, „Erfahrungen, die solche ‚des Heiligen‘ sein könnten, so zu verifizieren, daß nicht widerlegt werden kann, sie seien Erfahrungen von etwas Wirklichem, und Aussagen, die daraus eine Erkenntnis machen sollen, so zu treffen, daß sie nicht von vornherein falsch sind“ [a.a.O., 7f.]. Colpe behauptet zwar nicht, das Heilige evident machen zu können, ist jedoch bemüht Kriterien herauszuarbeiten, anhand derer ein wie auch immer geartetes „Phänomen“ des Heiligen adäquat beschrieben werden könnte.
1. Heiligkeit
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zurück, in dem sich Philosophen, Theologen, Religionswissenschaftler, Psychologen und Soziologen mit den vielfältigen und tiefgreifenden Problemen um das Heilige mit je unterschiedlichen Ansätzen wissenschaftlich auseinandergesetzt haben. Grundsätzlich, so Colpe, scheiden sich die Geister an der Frage, „ob das ‚Heilige‘ im ontologischen Sinne ‚ist‘ und sich nur historisch partikularisiert und ‚zeigt‘, oder ob es aus Handlungen und Denken der frühesten Menschen externalisiert wird und dann, als ein Symbol wie andere objektiviert, weiterlebt.“2 Erklärungsmodelle, die letztere Perspektive zugrunde legen, verweisen auf anthropologische oder soziologische Konstanten als Grundlage einer gewissen – zwar historisch und kulturell kontingenten, aber doch identifizierbaren – Einheitlichkeit in der Vorstellung von „Heiligem“ bzw. der Rede vom Heiligen. In empirischer Manier ist das Vorgehen dieser Ansätze tendenziell induktiv ausgerichtet. 3 Die primär aus theologischer Perspektive betriebene Suche nach dem Heiligen geht hingegen von der Grundannahme aus, dass „das Heilige“ eben nicht nur Ergebnis stammesgeschichtlicher Entwicklung ist, sondern ihm vielmehr eine transzendentale Wirklichkeit zukommt. Das auf einem Glaubenssatz basierende Vorgehen dieser Ansätze trägt deutlich deduktivere Züge.4 2
COLPE, Über das Heilige, 14. Eine solche Herangehensweise findet sich laut Colpe z.B. in Émile Durkheims (1858– 1917) soziologischem Ansatz, der „Heiliges“ konsequent als gesellschaftliches Produkt der „Aus- und Absonderung“ auffasst. Bei dieser Position ist es die Gesellschaft, so Colpe, „die ständig heilige Dinge schafft. Sie tut es, weil sie in sich immer wieder Triebkräfte entbindet, aus sich heraus- und über sich hinauszugehen, weil sie mit immer neuen Motivationen fertig werden muß, nicht in oder bei sich bleiben zu können“ (a.a.O., 30). Ein anderer Ansatz, der dem Heiligen kein Sein „an sich“ zuspricht, ist, Colpe zufolge, Wilhelm Wundts (1832–1920) empirisch-psychologische Erschließung völkerkundlicher Befunde, die das Tabu des Heiligen im Kontrast zum Unreinen aus dem Gegenüber der Affekte von Ehrfurcht und Abscheu ableitet (vgl. a.a.O., 36–38). Auch im Rahmen des von Joseph Geyser (1869–1948) vertretenen Ansatzes, der „jegliche religiöse Evidenz auf eine rein subjektive wie gefühlsmäßige Intuition“ einengte, sie also dem psychischen Bereich zuwies, ist „das Heilige“ lediglich eine symbolische Externalisierung menschlichen Handelns und Denkens (vgl. a.a.O., 55). 4 Zu den bekanntesten Versuchen, ein religiöses Apriori zu denken und aufzufinden, „damit eigene Erfahrungen als religiöse zu qualifizieren und deren Wirklichkeitscharakter auf das ‚Heilige‘ zu übertragen“ (a.a.O., 41), gehört sicherlich Rudolf Ottos Ansatz. Seine phänomenologische Zuspitzung des Heiligen auf das Numinose, das „Ganz Andere“ der Macht Gottes, und die damit unweigerlich einhergehende Postulierung und Untersuchung des „sensus numinis“, d.h. eines ganz Eigenen „des religiösen Erlebens, wie es sich auch in seinen primitivsten Äußerungen schon regt“ (OTTO, Das Heilige, 4), hat den geisteswissenschaftlichen Diskurs um das Heilige entscheidend geprägt. Einen anderen Weg, sich dem Heiligen zu nähern, beschreitet „der bedeutendste Vertreter […] der ganzen Epoche der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Heiligen überhaupt“ (COLPE, Über das 3
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I. Grundlagen
Die vorliegende Untersuchung basiert auf der Annahme, dass sich ein wissenschaftlicher Zugriff auf das Heilige „nur auf menschliche Wahrnehmungen und Repräsentationen von Heiligem, auf die dafür bereitgestellten Praktiken und Strategien der Sakralisierung sowie auf die darauf Bezug nehmende Reflexion richten kann.“5 Damit schließt sich diese Untersuchung einem auch von Katharina Heyden und Peter Gemeinhardt vertretenen historischdeskriptiven Ansatz an, bei dem zwar davon ausgegangen wird, dass eben nicht die „Realität“ des Heiligen oder des Göttlichen wissenschaftlich analysiert werden kann, „sondern nur die rituellen, reflexiven und kommunikativen Bezugnahmen darauf“6, der dabei aber sensibel dafür bleibt, dass in den Quellen Göttliches und Heiliges für real gehalten wird. Ein „An-sich-sein“ des Heiligen wird nicht ausgeschlossen, das methodische Vorgehen ist jedoch notwendigerweise induktiv ausgerichtet. Damit kommt dieser Ansatz zugleich der Forderung Colpes nach einer „historischen Phänomenologie“ zur Erforschung des „Heiligen“ nach.7 Colpe ging es dabei darum, dass das phänomenologische Ziel einer eidetischen Reduktion, d.h. der „Erhebung eines ‚Logos‘ aus den Phänomenen“8 einer cura prior untergeordnet werden müsse: dem „Belassen der Phänomene in der Geschichte“9. Das hier zu untersuchende Phänomen ist die Vita Pauli des Hieronymus, genauer gesagt, die darin enthaltenen Vorstellungen von Heiligkeit, wie sie durch die Figur des Paulus von Theben zum Ausdruck gebracht sind. Die Reduktion der Beobachtungen auf ihr Wesentliches zielt dabei jedoch nicht auf die präzise Erfassung der Heiligkeit einer möglicherweise historischen Person, sondern auf die hieronymianische Darstellung eines Heiligen. Die Frage ist, welche Vorstellungen von Heiligkeit des Hieronymus mit der Figur des Paulus von Theben vermittelt werden. Die „Erhebung eines Logos“ aus den Phänomenen besteht also in dem Versuch, die von Hieronymus zur Zeit seiner Verfassung der Vita vertretene Vorstellung eines christlichen Heiligen auch metasprachlich so gut es geht einzugrenzen. Das im Folgenden noch zu präzisierende Vorgehen, das sich aus der Auffassung von Hagiographie als Heilige, 73), Mircea Eliade, der auch von einem transhistorischen „Heiligen“ ausgeht, gegen Otto jedoch darum bemüht ist, das Heilige „in seiner ganzen Vielfalt [zu] zeigen und nicht nur seine irrationale Seite“ (ELIADE, Das Heilige, 14). Dabei stellt Eliade die hierophantische Erfahrung des Heiligen, die sich im Kontrast zum Profanen manifestiert, in den Mittelpunkt. Dieser Ausdruck sei, Eliade zufolge, nicht zuletzt deswegen so brauchbar, „weil er nichts anderes ausdrückt als das, was seine etymologische Zusammensetzung enthält, nämlich daß etwas Heiliges sich uns zeigt“ (ibid.). 5 GEMEINHARDT/HEYDEN, Heilige, 421. 6 Ibid. 7 Vgl. COLPE, Über das Heilige, 72. 8 A.a.O., 58. 9 Ibid.
1. Heiligkeit
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Diskurs speist (s.u. I.2.2), zielt darauf, die von Hieronymus mit der Figur des Paulus explizit oder implizit vermittelten Heiligkeitsvorstellungen aus ihrem konkret historischen Kontext heraus zu veranschaulichen bzw. überhaupt erst als solche erkennbar zu machen. Als Herausforderung erweist sich dieses Vorhaben besonders dadurch, dass sich bei der Rede vom Heiligen in einem spätantiken Diskurs noch keine Definitionen gefestigt haben. Vielmehr zeichnet sich die Spätantike gerade als Epoche konkurrierender religiöser Leitbilder aus.10 Auch im christlichen Diskurs war der Sprachgebrauch oft noch fließend. Es reicht also nicht aus, die Frage nach dem Heiligen in der Vita Pauli ausschließlich an Begriffen festzumachen. Es muss vielmehr ein diskursiver Raum eröffnet werden, in dem Text und Kontext in ein hermeneutisches Wechselspiel geraten: Aussagen aus der Vita Pauli lassen Schlüsse auf einen breiteren spätantiken Diskurs zu und Erkenntnisse aus anderen Quellen über diesen Diskurs bieten Anknüpfungspunkte für die hagiographische Interpretation der Vita Pauli. Dem konkreten historischen Phänomen (Heiligkeit in der Vita Pauli) ist dabei zwar mit größtmöglicher Offenheit zu begegnen, gewisse begriffliche als auch konzeptuelle „Vorgriffe“ sind jedoch nötig. In begrifflicher Hinsicht lässt sich die Untersuchung von den zentralen Wortfeldern um sanctus bzw. ἅγιος leiten. Sie sind jedoch lediglich Ausgangspunkte für die Untersuchung des so bezeichneten Phänomens und müssen gerade hinsichtlich ihrer unmittelbaren Übertragbarkeit mit entsprechender Achtsamkeit gehandhabt werden 11 : Auch „wo ‚heilig‘ draufsteht, muss 10
Vgl. GEMEINHARDT/HEYDEN, Heilige, 422. Colpe widmet sich dieser Schwierigkeit ausführlich, indem er betont, dass „heilig“ natürlich zunächst nicht mehr als ein Wort ist, „das sowohl als Übersetzung verschiedener Wörter in den Quellensprachen für eine gewisse Qualität religiöser Gegenstände und Sachverhalte als auch zur wissenschaftlichen Bezeichnung derselben und damit gleichgesetzter Gegenstände und Sachverhalte verwendet wird“ (COLPE, heilig, 74). Der Versuch einer konzeptuellen Abgrenzung dieser so bezeichneten religiösen Qualität muss sich zunächst der Tatsache stellen, dass das Wort „heilig“ etymologisch mit anderen Termini verwandt ist und zur Übersetzung diverser Begriffe aus anderen Sprachen dient. Für Colpe ist die europäische Wissenschaftsterminologie durch das biblische Vokabular geprägt, welches in je zwei Verzweigungen steht, „einer horizontalen (bestimmt durch den Sprachgebrauch der jeweils benachbarten nichtbiblischen Literaturen, durch etymologische Verwandtschaft zwischen biblischen und nichtbiblischen Wörtern, durch Synonyme und sinnverwandte Wörter [...]) und einer vertikalen, bestimmt durch den Gang der Übersetzungen von der hebräischen Bibel über die Septuaginta zur Vulgata“ (a.a.O., 75). Diesem Geflecht an Bedeutungen kann zwar mit terminologischen Untersuchungen auf philologischer und sprachwissenschaftlicher Ebene begegnet werden, gerade solche Ansätze, die dem je individuellen Sinn nachspüren, den ein Volk, eine Tradition oder eine begriffsgeschichtliche Entwicklungsstufe einem Wort mitgibt, führen, laut Colpe, jedoch unweigerlich auf Gegebenheiten, „die einander sachlich nahestehen, aber nicht miteinander identisch 11
14
I. Grundlagen
[…] genau hingeschaut werden, was drin ist“12. Nebst begrifflichen Vorgriffen muss auch auf konzeptueller Ebene eine gewisse Vorauswahl getroffen werden – nicht jede Aussage der Vita Pauli kann oder sollte auf ihren potentiellen „Heiligkeits-Gehalt“ befragt werden. Ausschlaggebend für die engere Auswahl sind die Vorstellungen von Heiligkeit, die sich aus dem Diskurs, an dem die Vita partizipiert, erörtern lassen. Der im Folgenden noch zu explizierende Diskurs-Begriff bietet also einen Zugang zur Frage nach „Heiligkeit“ in der Vita Pauli, der sowohl aufgrund des Mangels terminologischer Präzision des Heiligkeitsbegriffs als auch durch die der „Sache“ des Heiligen inhärenten konzeptuellen Unschärfen weitgehend versperrt bliebe. Mit diesen Hinweisen auf die Schwierigkeiten des Zugangs zum „Heiligen“ auf begrifflicher und konzeptueller Ebene ist das inhaltliche Zentrum der vorliegenden Arbeit angesprochen. In einem zweiten methodologischen Schritt muss nun noch das entsprechende „Medium“ in Augenschein genommen werden. Objekt der Untersuchung ist eine schriftliche Quelle, in der es um eine spezifische Instanz christlicher Heiligkeit geht. Gefragt werden muss also nach der Bedeutung von und dem Umgang mit dem sich aus Inhalt (Heiligkeit) und Medium (Schrift) ergebenden begrifflichen Kompositum: Hagiographie. Die diesbezüglichen Überlegungen werden zudem zur weiteren Klärung des „Wesens“ des gesuchten „Heiligen“ beitragen, als auch Grundlegendes zum methodischen Vorgehen etablieren.
2. Hagiographie Hagiographie vereint zwei Konzepte: „heilig“ (hagios) und „schreiben“ (graphein). Damit ist zwar ein gewisses Bedeutungsfeld vorgegeben, nebst den bereits skizzierten Schwierigkeiten um den Begriff des Heiligen bietet aber auch „Hagio-graphie“ als Kompositum interpretatorischen Spielraum: „Heiliges schreiben“ kann sich zunächst auf das Schreiben über ein so oder so verstandenes, erfahrenes oder bezeugtes Heiliges beziehen. Dabei ist der Hagiograph Berichterstatter, der „Heiliges“ schriftlich dokumentiert. In anderer Bezugnahme der Begriffe aufeinander verlagert sich der Fokus vom Inhalt zum Wesen der Schrift: Hagiographie ist in dieser Bedeutung „heilige Schrift“ – Schrift, die nicht nur von Heiligem handelt, sondern an sich heilig ist. Tatsächlich entspricht gerade diese Bedeutung dem noch bis ins Mittelalter üblichen Gebrauch. Zumindest in der lateinischen Spätantike sind mit den sind“ (a.a.O., 79). Die generelle Frage liegt demnach auf der Hand, ob und inwiefern wir mit der Bezeichnung ‚heilig‘ überhaupt je von derselben Qualität reden (vgl. Über das Heilige, 10). 12 GEMEINHARDT, Kirche, 387.
2. Hagiographie
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hagiographi oder hagiographa meist noch die biblischen Autoren und Bücher selbst gemeint.13 Die breiter gefasste Definition, in der sich Hagiographie auf „jedes Dokument, das sich auf christliche Heilige oder deren Verehrung bezieht“, ist hingegen modern.14 Bereits in seinem für die hagiographische Forschung bahnbrechendem Werk „Les Légendes hagiographiques“ definierte Hippolyte Delehaye Hagiographie als die „durch den Kult der Heiligen inspirierten und diesen fördernden“15 Dokumente. Damit sind nebst thematischer Ausrichtung der Hagiographie („christliche Heiligenverehrung“) zugleich zwei „Richtungen“ angegeben, anhand derer Hagiographie als Teil eines kontextuell eingebundenen Prozesses ausgezeichnet ist. Hagiographie reagiert zum einen auf Vorhandenes, nimmt es auf und stellt es dar; wie oben bereits erwähnt, ist Hagiographie, so verstanden, zunächst ein Schreiben über Heiliges („Heiliges schreiben“). Im Hinblick auf den „fördernden“ Aspekt verweist Delehayes Definition jedoch zum anderen auch auf eine veranlassende bzw. produzierende Funktion der Hagiographie. Damit kommt der Hagiographie eine weitere Bedeutung zu: Sie ist auch ein „Heiligschreiben“, wobei das Heilige eben durch das Schreiben überhaupt erst evoziert wird. Insgesamt sind demnach drei Bezüge der Hagiographie zum Heiligen möglich: Hagiographie als Schreiben über Heiliges (= „Heiliges schreiben“), Hagiographie als Heiliges selbst (= „Heilige Schrift“) und Hagiographie als Auslöser von Wahrnehmungen von Heiligem, wenn nicht gar als Auslöser von Heiligem selbst (= „Heiligschreiben“16): 13
Vgl. VAN UYTFANGHE, Heiligenverehrung, 151. Dieser Gebrauch gehe, laut Walter BERSCHIN, Biographie I, 22, auf Hieronymus zurück (insbesondere in seinen Präfationen in der Vulgata), seit dem man hagiographa als „einen bestimmten Teil des Alten Testaments verstand.“ 14 Vgl. VAN UYTFANGHE, Heiligenverehrung, 151. BERSCHIN, Biographie I, 22, präzisiert, dass „Hagiographie“ in diesem Sinne erst im 18. Jh. entstanden zu sein scheine. 15 DELEHAYE, Legenden, 2. Für die VP gibt es keine Hinweise für einen bereits bestehenden Pauluskult (s.o. Hinführung). Mit dieser Beobachtung ist der These Delehayes aber nicht grundsätzlich widersprochen, da sich ein bereits bestehender allgemeiner Heiligenkult durchaus als „Inspiration“ für die von Hieronymus verfasste Schrift auffassen ließe. Grundsätzlich aber muss einer Ausschließlichkeit mit Blick auf den Zusammenhang von Hagiographie und Heiligenkult widersprochen werden, da Hagiographie durchaus auch auf andere ,nichtkultische‘ Vorgaben reagiert (vgl. GEMEINHARDT, Hagiography, 1154). Zur Öffnung des „Hagiographie“-Begriffs in diesem Sinne (d.h. über die Beschränkung einer notwendigen Kopplung an das Kultische hinaus), dient mitunter der noch zu explizierende und auf die Hagiographie anzuwendende Diskurs-Begriff (s.u. I.2.2). 16 Mit Blick auf die oben erläuterten konzeptuellen Unterschiede im Umgang mit dem Begriff „heilig“ (s.o. I.1), macht der Hagiograph – je nach Definition dessen, was „das Heilige“ an und für sich „ist“ – entweder etwas als Heiliges kenntlich, was bis dato nicht als solches erkannt worden ist (d.h. er weist auf ein Phänomen hin, das heilig ist, und
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I. Grundlagen
„Heiliges“ und Hagiographie „Heilige Schrift“ „Heiliges“
„Heiliges schreiben“
„Heiliges“ „Heiliges“
„Heiligschreiben“
„Heiliges“ „Heiliges“
Hagiographie
Abbildung 1
© Yorick Schulz-Wackerbarth 2017
Diese aus dem Begriff selbst abzuleitende Bedeutungsvielfalt, die auf einzigartige Weise Thema („Heiliges“), Wesen („Heilige Schrift“) und Intention und Auswirkung („Heiligschreiben“) zusammenbringt, schwingt stets mit, wenn von Hagiographie die Rede ist. Was aber ist Hagiographie in literarischer Hinsicht? 2.1. Hagiographie als Gattung Als Zweig der Gattung „Biographie“ wurde mit dem Begriff „Hagiographie“ in der Literaturwissenschaft des 20. Jahrhunderts meist, so Walter Berschin, ein „Grenzpfahl“ gesetzt, „um das (wenige) Gold ‚echter Biographie‘ […] vom tauben Gestein der übrigen Überlieferungen zu scheiden“17. Obwohl Delehaye zu Beginn des Jahrhunderts noch betont hatte, dass Hagiographie prinzipiell „das Gewand jeder literarischen Form, die zum Ruhm der Heiligen geeignet ist“ tragen könne, solange es „religiösen Charakter“ habe und einen „erbaulichen Zweck“18 verfolge, hielt die Einordnung von Hagiographie als „legendenhafter“ Biographie auch in der historischen Forschung schon bald Einzug. So definierte Alfred Feder in seinem Lehrbuch der historischen Methodik von 1921 (in offensichtlicher Anlehnung an Delehaye 19 ) eine Quelle als „hagiographisch“, „die einen religiös biographischen Charakter trägt und dabei einen religiös erbaulichen Zweck verfolgt“20. Auf der einen Seite, so Haarländer, standen damit „die ‚historisch wertvollen‘ Lebenserzeugt damit lediglich eine Wahrnehmung dieser bereits vorhandenen jedoch unerkannten Heiligkeit; dahinter steckt der Ansatz von Heiligkeit als einer ‚ontologischen‘ Größe), oder er produziert regelrecht etwas Heiliges, indem aufgrund seiner Schrift religiöses Handeln, Denken oder Fühlen auf einen neuen liturgischen, topographischen, personellen (o.ä.) „Ort“ ausgerichtet wird, der damit überhaupt erst heilig wird (das entspräche dem grundsätzlichen Ansatz, Heiligkeit als soziales/psychologisch herleitbares Produkt aufzufassen). 17 BERSCHIN, Biographie I, 17. 18 Ibid. 19 Feder gibt Delehaye in seinem Literaturverzeichnis an, zitiert ihn an dieser Stelle jedoch nicht. 20 FEDER, Lehrbuch, 79 (Hervorhebung YSW).
2. Hagiographie
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beschreibungen von Herrscherpersönlichkeiten […], auf der anderen Seite die ‚historisch trügerischen‘, phantasievollen Heiligenviten“21. In der literaturwissenschaftlichen Forschung sah man sich mit solch (und ähnlich22) breit angelegten und primär inhaltlich ausgerichteten Definitionen vor das Problem gestellt, dass „von einzelnen Randerscheinungen abgesehen, nahezu die gesamte Biographie [zumindest] des Mittelalters unter ‚Hagiographie‘ zu subsumieren war“23. So wandte sich die Forschung nun mit „unbefangenem Interesse an der Form“24 schwerpunktmäßig der literarischen Klassifizierung jener „dichterisch verklärten Heiligenleben“25 zu und fokussierte ihre Fragestellung auf Konstanz und Wandel literarischer Motive. Mit den von Friedrich Leo (1901) herausgearbeiteten Kriterien zur formalen Unterscheidung der griechisch-römischen biographischen Tradition in einen alexandrinisch-suetonischen und einen peripatetisch-plutarchischen Typ präsentierte sich der Fachwelt ein Schema, dass auch bald schon im Bereich der hagiographischen Forschung zur Anwendung kam.26 Die Diskussion in der Nachfolge Leos kreiste um die Fragen, inwieweit die christliche Vita auf eben die von Leo identifizierten Schemata der antiken Biographie zurückzuführen sei. Das meist negative Ergebnis27 dieser Untersuchungen wurde nicht selten auf eine scheinbare Unfähigkeit der christlichen Schriftsteller zurückgeführt.28 Eine Reaktion auf diese Ergebnisse war so auch schon bald die generelle Infragestellung der Brauchbarkeit der ange21
HAARLÄNDER, Vitae episcoporum, 8. So definierte z.B. noch 1959 auch Oskar RÜHLE, Hagiographie, 26, Hagiographie als „Zweig der Biographie, der die Lebensbeschreibung der Heiligen zur Aufgabe hat“. 23 BERSCHIN, Biographie I, 17. 24 HAARLÄNDER, Vitae episcoporum, 9. 25 Ibid. 26 Leo selbst war dabei zu einer Untersuchung christlich biographischer Schriften, mit denen „neue Seitenwege von den alten Strassen abgezweigt und zukunftreiche Gebiete geöffnet“ wurden, nicht mehr vorgedrungen (LEO, Biographie, 323). 27 So auch GEMEINHARDT, Narratology, 24, der auf „many attempts during the 20th century to define the genre of Christian hagiography in terms of classical literary models“ verweist und dabei betont: „While many Lives of saints clearly display some features of previous biographical literature, they never appeared to cohere exactly with the alleged […] models of ancient biography. Thus, all attempts of deducing the structure and content of Christian Lives of saints from existing models in the literature of classical antiquity had proven unsatisfying“ (a.a.O., 24f.). 28 Dieter HOSTER, Form, 16, nennt als Beispiel die Dissertationsschrift von Hans Mertel (Die biographische Form der griechischen Heiligenleben, München 1909), deren eigentlicher Wert darin läge, „eindeutig – wenn auch unwillentlich – zu zeigen, daß Leos Schemata keinen geeigneten Zugang zu der Vitenliteratur darstellen.“ Mertel, so Hoster, finde „in fast allen untersuchten Viten ‚Unvermögen, ein klar gegliedertes Werk aus einem Guss zu schaffen‘, ‚literarische Mißgeburten‘, ‚Formlosigkeiten‘ usw.“ 22
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I. Grundlagen
wandten Methode und bereits 1934 richtete sich Samuel Cavallin gegen „die Mehrzahl der Forscher, die sich mit der literarischen Form der altchristlichen Biographien beschäftigt haben“ und erhob gegen sie „den grundsätzlichen Einwand […], dass sie unter dem Banne des bewundernswerten Buches Leos den Schemata des Meisters zu treu gefolgt sind“29. Noch 1963 betonte Dieter Hoster in seiner Dissertation zur Form der frühesten Heiligenviten zwar nach wie vor die prinzipielle Unvermeidbarkeit einer Auseinandersetzung mit den formalen Kategorien Friedrich Leos30, kam jedoch bei seiner eigenen Fragestellung, („ob und inwieweit diese Literatur zu eigenständigen Formen kommt oder ob sie ganz in den Schemata der antiken Biographie, insbesondere ihrer beiden Hauptformen, der suetonischalexandrinischen und der plutarchisch-peripatetischen Biographie befangen bleibt“31), zu dem Schluss, dass sich zwar gewisse Anklänge und Übernahmen fänden (die christliche Vita sei schließlich keine creatio ex nihilo gewesen), „aber niemals reichte der Hinweis auf heidnische biographische Formen aus, das Spezifische einer christlichen Vita zu erklären“32. Hoster plädierte demnach für eine grundsätzliche Eigenständigkeit der christlichen Viten, wobei sich „andererseits jedoch auch keine allgemein gültige christliche Vitenform herausgebildet“33 habe. Vielmehr waren die Hagiographen „durchaus schöpferisch und bemüht, die Form dem Gehalt ihrer Aussage anzupassen. Die Vielfalt der Formen, ohne Zweifel ein Zeichen dafür, daß man sich in keiner Weise an ein Schema gebunden fühlte, hat daher ihre Ursache in der Verschiedenheit der Aussage“34. Indem Hoster auf diese Weise einen gewissen Bruch christlicher Viten mit antiken Schemata betont, war zugleich die Tauglichkeit einer rein gattungsgeschichtlichen Herleitung zumindest ansatzweise in Frage gestellt. Dieser Betonung des Bruchs in gewisser Hinsicht diametral entgegengesetzt machte Martin Heinzelmann in seiner 1973 veröffentlichten Untersuchung der laudatio funebris-Tradition und ihres Bezugs zu christlichen Bischofsviten gerade den Aspekt der Kontinuität zwischen klassischer Biogra29
CAVALLIN, Studien, 5. Die laut Cavallin zu Recht von Leo beobachtete Teilung der antiken Biographie in einen alexandrinisch-suetonischen und den peripatetischplutarchischen Typ lasse jedoch keinesfalls den Schluss zu, dass „wir notwendigerweise in den biographischen Typen […], die Muster und Vorbilder der wesentlich andersartigen Erzeugnisse der christlichen Biographie suchen“ müssen. „Sowohl der historischbeurteilende Gesichtspunkt Suetons als der ethisch-charakterisierende Plutarchs“ seien nämlich, so Cavallin, „der christlichen Biographie fremd“ (a.a.O., 6). 30 Vgl. HOSTER, Form, 15. 31 A.a.O., 159. 32 Ibid. 33 Ibid. 34 Ibid.
2. Hagiographie
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phie und gemeinhin als „Hagiographie“ identifizierten Schriften stark. Unter dem Verweis auf das grundsätzliche Fortbestehen „der römischen Kultur unter dem Vorzeichen des neuen ‚Staatschristentums‘“35 zeigte Heinzelmann auf, dass auch die laudatio funebris-Tradition fortgesetzt wurde, „als dieser Staat das Christentum als Staatsreligion annahm, ohne daß auf die alten Traditionen verzichtet wurde“36. Indem es „vor allem die ‚sancti episcopi‘ gewesen sind, die das direkte Erbe des hohen römischen Beamten heidnischen Stiles angetreten haben“37, wurde auch die Bischofsvita zum kräftigsten „Erbe des alten Systems, hohe Staatsbeamte durch eine Biographie zu ehren“ 38 . Dabei ging zwar auch Heinzelmann von der Kritik an dem „so starren Rahmen der bisherigen Betrachtungsweise“ 39 , bei der den hagiographischen Schriften bedingungslos das biographische Schema Leos aufgezwungen wurde, aus.40 Über Hosters Ansatz hinaus verabschiedet sich Heinzelmann jedoch fast gänzlich von einer formgeschichtlichen Untersuchung, die immer in der Gefahr sei, „die Biographie einer rein literarischen Eigengesetzlichkeit zu unterwerfen und sie somit der allgemeinen Geschichte zu entziehen“41. Für Heinzelmann lag die Kontinuität primär auf der Ebene der „Funktion der römischen Biographie in der Gesellschaft des römischen Reiches (besonders von Amtsträgern), und zwar über den literarischen Rahmen hinaus“42. Nicht also eine formale Analyse, sondern Fragen nach Anlass, Publikum, Autor und Auftraggeber sollten im Vordergrund der Untersuchung stehen. Zusammen mit seiner Definition von „echter Hagiographie“ als Texte, „die dem kirchlichen und insbesondere dem liturgischen Gebrauch zugeschrieben werden müssen, die dann einen ‚Heiligenkult‘, wie wir ihn verstehen, lanciert haben“43, kam Heinzelmanns Untersuchung der Funktion der Viten letztlich zu der Schlussfolgerung, dass der „Großteil der Vitenliteratur bis ins 6. Jahrhundert nur noch sehr bedingt unter den Begriff der ‚Hagiographie‘ [zu] fassen [sei], wie es bisher allgemein üblich war.“44 Damit erbrachte auch Heinzelmann, wenn auch aus einer völlig anderen Perspektive als z.B. Hoster, einen entscheidenden Beitrag zur Auflösung rigider Kategorisierungen von „Biographie“ und „Hagiographie“ und trug damit dazu bei, „die Hagiographie 35
HEINZELMANN, Aspekte, 44. A.a.O., 34. 37 A.a.O., 44. 38 A.a.O., 35. Bis ins 6. Jh., so Heinzelmann, a.a.O., 39, scheint die Bischofsvita „immer noch ein Teil jener römischen Tradition zu sein.“ 39 A.a.O., 28. 40 Vgl. a.a.O., 27. 41 A.a.O., 28f. 42 A.a.O., 29. 43 A.a.O., 40. 44 A.a.O., 44. 36
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einer manchmal vielleicht allzu ‚laizistischen‘ historischen Wissenschaft näher[zu]bringen.“45 Einen weiteren Schritt in diese Richtung machte Walter Berschin. In seinem von 1986 bis 2004 erschienenen fünfbändigen Werk zur Biographie im lateinischen Mittelalter sprach er sich zunächst besonders vehement gegen etwaige Versuche aus, Hagiographie anhand inhaltlicher Kriterien zu bestimmen: „Gattungsfragen“, so Berschin mit Willibrord Lampen, „sind Formfragen und hängen nicht an einem Mehr oder Weniger von bloßen Inhaltsmomenten, die dasein können oder fehlen.“46 Demnach gehe es auch nicht um die Frage, ob ein „Heiliger“ vorgestellt werde oder nicht. Denn auch, „was ein Heiliger ist“, sei ja, wenn überhaupt, nur festgelegt, weil „ein Jurist auf dem Papstthron peinlich geregelt hat, wie sich ein Heiliger als Heiliger zu erweisen hat.“ 47 Auch die oft zu findende Meinung, dass „das Wunder die Demarkationslinie der Biographie“ 48 bezeichne, hielt Berschin wegen ihrer inhaltlichen Ausrichtung für nicht brauchbar: „Die Abtrennung einer wunderlosen Textelite der Biographie vom ignobile vulgus der weniger austeren Lebensbeschreibungen […] würde alle Zusammenhänge zerschneiden. Mit dem Kriterium der Absenz des Wunders läßt sich jedenfalls keine Gattung ‚Biographie‘ konstituieren.“49 Im Gegensatz zu Heinzelmann, der trotz seiner Aufweichung hagiographischer Kategorisierungen grundsätzlich an einer Form von „Hagiographie“ festgehalten hatte (bei der aber zwei Komponenten zu unterscheiden seien: „die eine, die mehr den literarischen Anteil betont, eine zweite, die von einem liturgischen und kultischen Zweckdenken bestimmt ist“50), trennte sich Berschin, mit Ausnahme weniger „Grenzfälle der Biographie“51, vollends vom Begriff der Hagiographie als Gattungsbezeichnung. Biographie, so Berschin, „kann nur das Ganze bedeuten.“ 52 Und so müsse man auch den „Überlieferungsstrom in seiner ganzen Breite in den 45
A.a.O., 44. BERSCHIN, Biographie I, 18. Berschin zitiert aus Willibrord LAMPEN, Mittelalterliche Heiligenleben und die Lateinische Philologie des Mittelalters, in: Bernhard Bischoff/Suso Brechter (Hgg.), Liber floridus: Mittellateinische Studien. Paul Lehmann zum 65. Geburtstag, St. Ottilien 1950, 121–129 (hier 128). 47 BERSCHIN, Biographie I, 18. 48 Ibid. 49 A.a.O., 19 (Hervorhebung YSW); so auch ders., Biographie V, 44: „Es gibt keine scharfe Demarkationslinie zwischen Biographie einerseits und Hagiographie andererseits. Das Kriterium Wunder beweist nur sehr bedingt die Zugehörigkeit eines Textes zur Hagiographie […]. Andernfalls müßte sich die hagiographische Forschung bald mit Vespasian, Tacitus und Sueton befassen.“ 50 HEINZELMANN, Aspekte, 44. 51 BERSCHIN, Biographie I, 22. 52 Ibid. 46
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Blick nehmen, ‚Biographie‘ im weitesten Wortsinn, nämlich als ‚Lebensbeschreibung‘ auffassen und sich offen halten für alle Formen und Inhalte“53. Dass diese von Berschin (wie auch bereits von Heinzelmann) lancierte Öffnung des Biographie-Begriffs für die einst als „Hagiographie“ abgespaltene Sondergröße der Biographie und die daraus resultierende Marginalisierung der Hagiographie auf nur wenige „Randfälle der Biographie“ aber eher eine Vermeidung des Problems als eine Lösung darstellt, lässt sich an einem über die Jahre vollzogenen Wandel in den Aussagen Berschins selbst festmachen: Entgegen der noch in Band 1 (1986) vertretenen These, unter Biographie alles zu verstehen, was es an Lebensbeschreibungen gibt („vita, passio, gesta, legenda, teilweise auch historiae, translationes und miracula“ 54 ), spricht Berschin sich in Band 5 (2004) dafür aus, „Hagiographie“ als „Kreis“ aufzufassen, der sich mit der Biographie großflächig überschneidet.55 Die meisten Lebensbeschreibungen, so Berschin, ließen sich dabei „ebenso als Hagiographie lesen wie als Biographie.“56 Dabei gäbe es sogar Texte, „die unstreitig Hagiographie und nicht Biographie sind“ 57 . Entscheidend, so Berschin in Band 5, seien dabei die unterschiedlichen Fragen, „die an den Text gerichtet werden.“58 Mit dem Bild des hagiographischen „Kreises“, der sich mit dem Kreis der Biographie überschneidet, wobei jedoch „keine scharfe Demarkationslinie zwischen Biographie einerseits und Hagiographie andererseits“ 59 auszumachen sei, ist ein gewisses Zugeständnis gemacht: Mit dem Terminus Hagiographie ist ein Phänomen bezeichnet, das sich weder eindeutig aus der Gattung „Biographie“ ausschließen noch unter ihr subsumieren lässt, wofür Berschin in seinem ersten Band schließlich noch votierte. Als anscheinend unumgängliche Größe ist Hagiographie mit dem Gattungsbegriff der Biographie konzeptuell nur schwer in Einklang zu bringen. Völlig unklar bleibt nämlich, um was für eine „Größe“ es sich eigentlich handelt: Welches „Phänomen“ wird mit „Hagiographie“ konzeptuell eingegrenzt? Literatur- und Geschichtswissenschaft haben sich mit der Hagiographie schwergetan und sowohl Form- als auch Inhaltskriterien haben sich immer wieder als unzureichend erwiesen, Hagiographie als literarische Größe zu erfassen. Konsens in der heutigen Forschung ist, dass der „Begriff Hagiographie […] keine einheitliche Textgattung [bezeichnet], die in mehr oder weni53
Ibid. Ibid. 55 Vgl. BERSCHIN, Biographie V, 43. 56 A.a.O., 44. 57 A.a.O., 43. 58 A.a.O., 44. 59 Ibid. 54
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ger individuellen Exemplaren vorhanden wäre.“60 Sowohl der Begriff als auch das Konzept „Hagiographie“ bleiben damit zunächst grundsätzlich unbestimmt. Mit seinem Verweis auf die „unterschiedlichen Fragen“, die an einen Text gerichtet werden, um ihn als „Hagiographie“ zu lesen, weist Berschin aber bereits in eine weiterführende Richtung. Eine spezifisch „hagiographische Fragestellung“ weitet den Blick nämlich, zumindest potentiell, über die Grenzen der Biographie hinaus. Prinzipiell lässt sich ein „hagiographischer Blick“ mit „hagiographischen Fragen“ auch in andere, nicht-biographische Texte werfen, was der zu Beginn erwogenen möglichen Spannbreite des Begriffs selbst (als „Heiliges schreiben“, „Heilige Schrift“ und „Heiligschreiben“) eher schon entspräche. Berschins Hinweis auf eine spezifisch hagiographische Fragestellung problematisiert die Subsumierung hagiographischer Quellen unter die Biographie (und weist somit über den bisher vorgestellten Umgang mit Hagiographie hinaus) auch, weil damit, zumindest andeutungsweise, in Frage gestellt ist, ob nicht sogar Wesentliches außer Acht gelassen wird, wenn „bios“ statt „hagios“ in den Vordergrund rückt. Es scheint zumindest nahe zu liegen, dass der rein „biographisch“ geeichte Blick auf hagiographische Werke eben jene spezifisch „christliche“ Perspektive, das auf „Heiligkeit“ ausgerichtete Anliegen der Autoren und die daraus resultierende Funktion der Schrift möglicherweise verkennt. 61 Wenn damit aber klar ist, dass der Hagiographie ihr speziell eigener „Kreis“ zugedacht werden muss, innerhalb dessen mit einer spezifisch „hagiographischen Fragestellung“ eine Vielfalt von Quellen in Augenschein genommen werden muss, bedarf es umso dringlicher einer Rekonzeptualisierung von „Hagiographie“, die weit über die schlichte Gattungsfrage hinausgeht. 2.2. Hagiographie als Diskurs In seinem richtungsweisenden Artikel zur Hagiographie im Rahmen der Heiligenverehrung (1988) beschritt Marc Van Uytfanghe einen solchen neuen Weg, der entscheidend zur Rehabilitation des Hagiographie-Begriffs und einer daraus folgenden Belebung der Forschung beitragen sollte. Van Uytfanghe konzedierte zunächst, dass Hagiographie die Frage nach der Gat-
60 VON DER NAHMER, Heiligenvita, 3; so auch VAN UYTFANGHE, Heiligenverehrung, 155; so auch GEMEINHARDT, Hagiographie 1154: „Christian hagiography is not a literary genre.“ 61 Mit Intention, Ausrichtung, Perspektive und Funktion ist grundsätzlich der Ansatz HEINZELMANNS wieder im Blick. Entgegen der hier vertretenen Position, die auf das hagiographische Spezifikum ausgerichtet ist, hatte HEINZELMANN jene Kriterien aber gerade zur Einordnung der von ihm untersuchten Texte in die literarische Form der Biographie angelegt.
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tung grundsätzlich übersteige.62 Daraus folge jedoch keine Verdrängung des Begriffs, vielmehr müsse Hagiographie als Begriff sui generis gesehen werden, der einzig von seinem Gegenstand, Heilige, Heiliges und Heiligenverehrung, bestimmt werde.63 Neben der Biographie fungieren demnach auch andere literarische Formen wie Lobschriften, Romane und Novellen, Aretalogien und Wundererzählungen als „Träger“ dessen, was Van Uytfanghe den „hagiographischen Diskurs“ nannte.64 Der dabei im Hintergrund anklingende und maßgeblich von Michel Foucault geprägte philosophische „Diskurs“-Begriff betont den prozesshaften, wandelbaren und zunächst grundsätzlich unberechenbar-ereignishaften Charakter der sprachlich-zeichenhaften Etablierung von Sinnzusammenhängen und Wirklichkeitsvorstellungen in jeweiligen Epochen und kulturellen Zusammenhängen. Foucaults Anliegen lag vornehmlich bei den Machtstrukturen und -mechanismen, die den Diskurs einerseits eindämmen und kontrollieren, andererseits jedoch zugleich von dem Diskurs selbst hervorgebracht werden.65 Die Auffassung der Hagiographie als 62
Vgl. VAN UYTFANGHE, Heiligenverehrung, 155. Vgl. a.a.O., 177. 64 Vgl. a.a.O., 159–177; so auch GEMEINHARDT, Hagiography, 1154. 65 In seiner 1970 gehaltenen Antrittsvorlesung verweist Foucault zum einen auf die externen Ausschließungssysteme, welche „den Diskurs in seinem Zusammenspiel mit der Macht und dem Begehren“ betreffen. Zum anderen seien auch interne Prozeduren am Werk, „mit denen die Diskurse ihre eigene Kontrolle selbst ausüben; Prozeduren, die als Klassifikations-, Anordnungs-, Verteilungsprinzipien wirken. Diesmal geht es darum, eine andere Dimension des Diskurses zu bändigen: die des Ereignisses und des Zufalls“ (FOUCAULT, Ordnung, 17). Mit der Ausrichtung Foucaults auf die Auswirkungen von Macht auf den Diskurs wird deutlich, dass die für die vorliegende Untersuchung zur Herleitung und begrifflichen Klärung des Diskursbegriffs notwendige Anknüpfung an Foucault nicht ohne eine gewisse Ambivalenz einhergeht. Foucaults philosophisches Anliegen ist dem Anliegen der vorliegenden Untersuchung nämlich keinesfalls gleichzusetzen, und so läuft die Anlehnung an Foucault Gefahr, einen vermeintlich „foucaultschen Diskursbegriff“ ganz und gar „unfoucaultsch“ zu implementieren. Für Foucault ist der Diskurs eine analytische Kategorie, mit der er den Fragen nachgeht, „wie, warum und in welchen historischen Kontexten bestimmte Wissensformen hervorgebracht wurden und warum ausgerechnet diese sich konkretisieren und keine anderen“ (LANDWEHR, Diskursanalyse, 77). Eine historische Diskursanalyse beschäftigt sich also primär mit den Fragen, „welche Aussagen zu welchem Zeitpunkt an welchem Ort auftauchen“ und „warum ausgerechnet diese Aussagen und keine anderen (grammatikalisch möglichen) aufgetreten sind“ (a.a.O., 92). Die vorliegende Arbeit setzt sich aber weder mit der philosophischen Frage nach der Entstehung von „Wahrheit“ und „Wissen“ auseinander, noch erhebt sie den Anspruch, eine umfassende Diskursanalyse „des hagiographischen Diskurses der Spätantike“ herauszuarbeiten. Es geht hier weder um die Fragen, wie und warum ein hagiographischer Diskurs der Spätantike entstanden ist, noch darum, welche Instanzen und Mechanismen der Macht dabei eine Rolle spielten. Für die vorliegende Untersuchung der Vita Pauli ist ein gewisser hagiographischer Diskurs der Spätantike, so wie er von Marc Van Uytfanghe umrissen ist 63
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„Diskurs“ bereichert die hagiographische Forschung jedoch bereits auf grundsätzlicherer Ebene. Sie ermöglicht nämlich eine Abwendung von den sich als aporetisch erweisenden Debatten um Form und Gattung hagiographischer Schriften, indem sie den hagiographischen „Kreis“ (s.o. I.2.1) auf einer anderen Ebene zieht – einer Ebene, auf der durch primär inhaltlich und funktionell ausgerichtete Fragen einzelne Quellen auf ihre Partizipation an Sinnetablierenden Prozessen der Aneignung, Erzeugung, Prägung, Strukturierung und Förderung der Bedeutung des Heiligen untersucht werden. Ohne sie explizit als solche zu bezeichnen, hatte auch Berschin eine gewisse Diskursivität für die „christliche Biographie“ erkannt. Berschin bezeichnet sie als „Hintergrundstil“, wobei der Schriftsteller voraussetze, dass „der Leser oder Hörer bestimmte Texte kennt und auf Stichworte aus diesen Texten reagiert, indem in ihm Bilder aufsteigen, die im voraus berechnet werden können.“ 66 Dementsprechend brauche der Schriftsteller auch „nicht alles auszuformulieren, was er in die Szene zu legen gedenkt, er verweist durch eine Anspielung, ein Zitat, er ‚evoziert‘.“ 67 Obgleich der Erkenntnis Berschins keine fundierte Diskurstheorie zugrunde liegt, so schlägt seine Auffassung des „Hintergrundstils“ in eben diese Kerbe: Betont ist auch hier eine sich durch Rezeptivität und Intentionalität auszeichnende Partizipation eines Autors und seines Textes an einem Prozess, der sowohl durch Intertextualität als auch durch eine aktiv interpretierende und durch bestimmte Diskurse geprägte Leserschaft bestimmt ist. Mit dieser Neubestimmung von Hagiographie als Diskurs, der um einen „Gegenstand“ (Heilige und Heiligenverehrung), nicht um Gattungen kreist, ist der hagiographische „Raum“ zunächst geweitet, denn wo Berschin Hagiographie ursprünglich nur noch als „Sammelbegriff für Grenzfälle der Biographie“ 68 verwenden wollte, umfasst Hagiographie mit dem Ansatz Van Uytfanghes potentiell „alle Texte, die der Erinnerung an Heilige gewidmet sind“, wie auch Dieter von der Nahmer betont. Dazu gehören, mit Von der Nahmer, nebst der „christlichen Biographie“ zunächst weitere christliche Quellen: „Märtyrerakten und -passionen, Heiligenviten und -legenden, Wunderberichte, Berichte über Erhebungen und Übertragungen von Heiligenge(s.u.), vielmehr vorausgesetzt. Mit der Untersuchung einer prominenten Stimme in diesem Diskurs geht es nicht um das „Warum“ des hagiographischen Diskurses der Spätantike per se, sondern um das „Wie“ dieser Quelle innerhalb des Diskurses. Unter dem Vorbehalt dieser unterschiedlichen Schwerpunktsetzung ist ein Verweis auf Foucault dennoch geboten, denn die mit Foucault geteilte Grundannahme, dass Sinn- und Wahrheitsvorstellungen unweigerlich diskursivisch zustande kommen, hat für den hier vertretenen Ansatz methodologische Konsequenzen (s.u.). 66 BERSCHIN, Biographie I, 71. 67 Ibid. 68 A.a.O., 22.
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beinen, aber auch Kalendare, Martyriologe; nicht also nur Texte, die mit einer gewissen Breite erzählen, sondern auch Texte, die mit kürzesten Tagesnotizen nur die Abfolge der Heiligenfeste im Jahr mitteilen, daneben Texte, die aus guter Kenntnis und treffendem Urteil vom Leben und Tod eines Heiligen erzählen, Texte schließlich, die mit allbekannten Geschichten geringe Kenntnisse verbergen oder auch in freier Erfindung – bisweilen dennoch bedeutend – von Heiligen erzählen, von denen fast jede Kunde außer dem Namen fehlte, oder die es vielleicht nie gegeben hat: Texte, die in rohester und auch fehlerhafter Sprache ihre Nachrichten darbieten und solche, die mit großer sprachlicher Glätte, ja in Versen niedergeschrieben wurden.“69 Van Uytfanghe erkannte aber auch, dass sich über diese innerhalb des christlichen Rahmens auffindbare Vielfalt der Quellen hinaus „ein noch breiterer Diskurs ergibt, der den Blick über die Grenzen der christlichen Literatur hinausleitet.“70 Es existiert demnach sogar, so Van Uytfanghe, „ein allgemeinerer ‚hagiographischer Diskurs‘ […], innerhalb dessen sich jedoch ein spezifisch christlicher ‚hagiographischer Diskurs‘ ausgebildet hat“71. Damit öffnet 69
VON DER NAHMER, Heiligenvita, 3. VAN UYTFANGHE, Heiligenverehrung, 177. Damit geht Van Uytfanghe über den von Michel de Certeau „allein auf die christliche Literatur angewandte[n] Begriff ‚hagiographischer Diskurs‘“ hinaus (a.a.O., 155); vgl. DE CERTEAU, Schreiben, 198f. 71 VAN UYTFANGHE, Heiligenverehrung, 177. Der Signifikant „Hagiographie“ besitze demnach zwar grundsätzlich auch in nichtchristlichen Religionen ein Signifikat (vgl. 151). Wie jedoch Gemeinhardt und Heyden argumentiert haben, lasse sich jener „allgemeine hagiographische Diskurs“ mit dem Ansatz Van Uytfanghes, dessen erkenntnisleitendes Interesse „explizit auf der Rekonstruktion des christlichen hagiographischen Diskurses“ läge (GEMEINHARDT/HEYDEN, Heilige, 418), keinesfalls vollständig bestimmen. Wie bei jeder religionsspezifischen Analyse bestünde auch bei Van Uytfanghe nämlich die Gefahr, „unkritisch das eigene Verständnis […] [des] Gegenstandes vorauszusetzen, um auf dieser Grundlage Phänomene aus anderen Religionskulturen zu selektieren und zu klassifizieren“ (a.a.O., 418). Der Neuansatz Van Uytfanghes, so Gemeinhardt/Heyden, habe sich zwar durch seine „Einbeziehung weiterer literarischer Gattungen […] neben den Heiligenviten“ (ibid.) und durch die „Einordnung der christlichen Hagiographie in den größeren Kontext der spätantiken Religionsgeschichte“ für die Erforschung christlicher Hagiographie als fruchtbar erwiesen, hellenistische, römische und jüdische Quellen seien jedoch „für das Konzept Van Uytfanghes nur insoweit interessant, wie sie zum Verständnis des Christentums beitragen“ (ibid.). Für das von Gemeinhardt/Heyden anvisierte Ziel, „komparatistisch und induktiv nach einem Verständnis bzw. nach Verständnissen von Heiligkeit in den hellenistisch-römischen, jüdischen und christlichen Religionskulturen der Spätantike zu fragen“ (a.a.O., 420), stellt der Ansatz Van Uytfanghes insofern eine erhebliche Einschränkung dar, wenn dabei lediglich „aus den christlichen hagiographischen Quellen deskriptiv Kriterien für die Definition des allgemeinen ‚hagiographischen Diskurses‘ erhoben, die dann auf außerchristliche Texte angewandt werden, um deren Verhältnis und Beitrag zum christlichen hagiographischen Diskurs zu bestimmen“ (a.a.O., 418). Hinsichtlich der Möglichkeit eines allgemeinen „hagiographischen Diskurses“ ist damit 70
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sich die „hagiographische Frage“ prinzipiell auch für eine Untersuchung christlicher Schriften auf Beziehungen zu bzw. Abhängigkeiten von jüdischhellenistischen Quellen (z.B. Philo von Alexandriens „Leben des Moses“) bis hin zu paganen Quellen (z.B. Viten des Pythagoras von Jamblich oder des Plotin von Porphyrios). Mit dieser Öffnung weitet sich Hagiographie, als Diskurs aufgefasst, aber keinesfalls ins Grenzenlose. Vielmehr zeichnet sich gerade der Diskurs als eine positiv „abgrenzbare Gruppe von Aussagen“ 72 aus. Laut foucaultscher Auffassung folgen Diskurse dabei „einem für sie spezifischen und sie von anderen unterscheidendem synchronen Set von Regularitäten, das bestimmt, wie und was gedacht, geschrieben, gesprochen, gehandelt werden kann, was als wahr und was als falsch gilt“ 73 . Von einer diskursiven Formation im foucaultschen Sinne kann also gerade dann die Rede sein, „wenn eine bestimmte Anzahl von Äußerungen in einem ähnlichen System der Streuung beschrieben werden kann, und wenn sich für die Gegenstände des Diskurses eine Regelmäßigkeit feststellen lässt.“74 Auch für den hagiographischen Diskurs lassen sich solch regulierende Parameter identifizieren, wie Van Uytfanghe aufgezeigt hat. Ausgehend von den Erkenntnissen des französischen Jesuits und Historikers Michel de Certeau, der den Diskurs „hauptsächlich durch virtutes oder δυνάμεις (in der Doppelbedeutung Kraft u. Wunder)“75 bestimmt sah, erweitert und präzisiert Van Uytfanghe dieses „Proprium“ des Diskurses im Hinblick auf (1.) die behandelten Personen, die „innige Beziehungen zum Göttlichen auf[weisen], ohne freilich selbst Götter zu sein“ 76 , (2.) das Verhältnis von Aussage und geschichtlicher Wirklichkeit, wobei die Autoren zwar beabsichtigten, die reine Wahrheit mitzuteilen, „der historische Gehalt der Werke [jedoch] zunehmend ausgerichtet, stilisiert u. geschönt“77 werde, (3.) die Funktion des Diskurses, welche in der Regel aus einer Apologie, einer Idealisierung des Helden, der Darstellung eines Idealtyps, der Belehrung oder Erbauung besteht, und (4.) die „den ereignisgeschichtlichen Kern stilisierenden Themen, Motive u. Archetypen“78. Mit diesen Kriterien umfasst Van Uytfanghe die Grenzen des diskursiven Raums (bzw. des „Kreises“), innerhalb dessen von Hagiographie die Rede sein eine wichtige Problemanzeige gemacht. Für die vorliegende Untersuchung eines explizit christlichen Phänomens auf die Einbindung in „seinen“ Diskurs um Heiligkeit, erweist sich der Ansatz Van Uytfanghes jedoch auch weiterhin als wertvoll. 72 PARR, Diskurs, 235. 73 A.a.O., 234. 74 LANDWEHR, Diskursanalyse, 68. 75 VAN UYTFANGHE, Heiligenverehrung, 155; vgl. DE CERTEAU, Schreiben, 207f. 76 VAN UYTFANGHE, Heiligenverehrung, 155. 77 A.a.O., 155f. 78 A.a.O., 156.
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kann.79Als hagiographisch können demnach all diejenigen Schriften (graphein)80 gelten, die sich mit Heiligem (hagios) innerhalb der hier identifizierten Parameter befassen. 79 Van Uytfanghe baut damit insgesamt auf der Position De Certeaus auf, der Hagiographie als ein System bezeichnete, „das – mit Hilfe einer topologischen Kombination von ‚Wahrheiten‘ und ‚Wundern‘ – eine Offenbarung organisiert“ (DE CERTEAU, Schreiben, 199). De Certeau stellte dabei den christlichen „Helden“ in den Mittelpunkt, der christliche Tugenden als Modell repräsentiert, als Individuum hingegen zurücktritt: „[W]ichtiger als die biographische Einheit ist die Abgrenzung einer Funktion und des Typus“ (a.a.O., 206). Damit ist Hagiographie für De Certeau allgemein gesprochen „ein Diskurs der Tugenden“ (a.a.O., 209), wobei jeder hagiographische Text „eine Auswahl und eine charakteristische Organisation dieser Tugenden [bietet], indem sie Rohmaterialien benutzt, die entweder das Tun und Treiben des Heiligen oder die zum allgemeinen Fundus einer Tradition gehörenden Episoden liefern“ (a.a.O., 208). 80 In dieser Hinsicht ist bereits angefragt worden, ob die Öffnung des HagiographieBegriffs, die Van Uytfanghe durch seine Auffassung von Hagiographie als Diskurs erwirkt, nicht doch eher noch zu eng gefasst ist. So geben Heyden und Gemeinhardt zu denken, dass Van Uytfanghes Beschränkung auf einen hagiographischen Diskurs „die Vernachlässigung anderer, nichtchristlicher Quellenarten sowie apersonaler Heiligkeits-Phänomene (Orte, Zeiten, Personenkonstellationen etc.) mit sich“ bringe (GEMEINHARDT/HEYDEN, Heilige, 418). Diese Beschränkung verhindere „eine den vielfältigen, nicht nur geistigen, sondern auch sozialen, ja politischen Dimensionen von Heiligkeit angemessene Durchdringung des Themas, zumal das Feiern von Festen und die visuelle Präsentation von heiligen Persönlichkeiten weitaus mehr Wirkung über die eigene religiöse Gemeinschaft hinaus erzeugt haben dürften als literarische Texte, die in der Regel einen Binnendiskurs spiegeln“ (ibid.). Analysen explizit nicht-literarischer „Teilnehmer“ am christlichen hagiographischen Diskurs der Spätantike finden sich z.B. bei HEYDEN, Sakralisierung, 85–109, die der Frage nach heiligen Orten mit Blick auf den Kirchenbau (in der Darstellung von Eusebs der Kirchweihrede für Tyros) nachgeht; Wiebke SCHULZ-WACKERBARTH, Roms Heilige, demonstriert in ihrer Dissertationsschrift, dass auch Roms Kirchenbauten als „Teilnehmer“ am christlichen hagiographischen Diskurs aufgefasst und „gelesen“ werden müssen; das Hervorbringen bestimmter Vorstellungen von Heiligkeit im Wechselspiel von Ort und Text wird in SCHULZ-WACKERBARTH, Wüste, 111–142, hinsichtlich der Wüste als heiligem Ort in ihrer Darstellung in zwei unterschiedlichen christlichen Texten (der Vita Antonii des Athanasius und Eucherius De Laude Eremi) untersucht; Harald BUCHINGER, heilige Zeiten, 283–324 geht der Heiligung von Zeit mit Blick auf christliches Feiern in der Spätantike nach; GEMEINHARDT, Kirche, 385–414, stellt sich der Frage, inwiefern im christlichen Diskurs der Spätantike auch der christlichen „Gemeinschaft“ in ihrer Selbstbezeichnung als communio sanctorum das Attribut der Heiligkeit zugesprochen werden kann. Diese Öffnung des Diskursbegriffs stellt eine deutliche Abweichung von der Diskurstheorie Foucaults dar (s.o. Anm. 65). Auch Foucault hatte zwar erkannt, dass „die Produktion von Wissen und Wahrheit keineswegs hauptsächlich oder gar ausschließlich im Bereich der Wissenschaften einerseits und auf sprachlicher Ebene andererseits stattfindet“ (LANDWEHR, Diskursanalyse, 77). Um dieser Tatsache Rechnung zu tragen führte Foucault aber einen weiteren Begriff ein. Unter dem „Dispositiv“ wollte er eben jenes „entschieden heterogene Ensemble“ fassen, „das Diskurse, Institutionen, architekturale Einrichtungen,
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Mit diesen Kriterien, die als „Formationsregeln“ den hagiographischen Diskurs von anderen individualisieren, ihn benennbar und beschreibbar machen 81 , ist nicht nur ein räumlich und zeitlich begrenzter diskursiver „Raum“ markiert, sondern unweigerlich auch dessen Gegenstand (Heilige und Heiligkeit) näher bestimmt. Die von Van Uytfanghe identifizierten diskursspezifischen Regulierungsmechanismen tragen also zur Präzisierung der möglichen Bedeutungsspanne des zu interpretierenden Phänomens (Heiligkeit in der Vita Pauli) bei: Was als heilig aufgefasst wird, ist abhängig von „seinem“ jeweiligen Diskurs. Dabei entsteht unweigerlich eine gewisse Zirkularität, wobei die inhaltliche Bestimmung des Diskurses (etwa die genannten Kriterien Van Uytfanghes) in korrelativem Verhältnis mit der Identifikation eines bestimmten Phänomens innerhalb dieses Diskurses steht (in diesem Fall Heiligkeit in der Vita Pauli).82 So fokussieren die Kriterien Van Uytfanghes zwar einerseits die Untersuchung von Heiligkeitsvorstellungen in der Vita Pauli (indem das gesuchte Phänomen durch den Diskurs bestimmt ist), da sie selbst jedoch nur einen Entwurf darstellen, den hagiographischen Diskurs möglichst treffend zu umschreiben, sind die Kriterien selbst prinzipiell revidierbar und erweiterbar durch die Erkenntnisse, die aus der Untersuchung des Phänomens (Heiligkeit in der Vita Pauli) gewonnen werden. Van Uytfanghes Kriterien sind damit lediglich Ausgangspunkt für eine Untersuchung eines spezifischen, historischen Phänomens.83 Über seine einschränkende Funktion für eine konkrete, in einen historischen Kontext eingebundene Bedeutung von „heilig“ hinaus ermöglicht ein dezidiert „diskursiver“ Ansatz auch eine Präzisierung des zu Beginn problematisierten Begriffs der Heiligkeit an sich (s.o. I.1): Indem die Etablierung von Heiligkeit als Ergebnis eines diskursiven Prozesses aufgefasst wird, ist die Frage nach der „Einheit“ der Heiligkeit, die Frage also nach der Bedeutung von Heiligkeit per se, nämlich ausgeschlossen. Es geht nicht darum, reglementierende Entscheidungen, Gesetze, administrative Maßnahmen, wissenschaftliche Aussagen, philosophische, moralische oder philanthropische Lehrsätze, kurz: Gesagtes ebensowohl wie Ungesagtes umfaßt“ (ibid.). 81 Vgl. a.a.O., 68. 82 Diese unumgängliche Zirkularität wird sich auch in der vorliegenden Arbeit zeigen. Da der Diskurs nicht „an und für sich“ existiert, sondern dynamisch und kontextuell erhoben werden muss, werden sich einerseits Aussagen aus der Vita Pauli erst als Aussagen des Diskurses (d.h. Aussagen über die Vorstellung von Heiligkeit in der Spätantike) erweisen, wenn sie auf andere Aussagen des (postulierten) Diskurses aus anderen Quellen bezogen werden. Andererseits entpuppen sich Äußerungen in anderen Quellen erst als für den Diskurs relevante Aussagen, wenn sie durch die Brille der von Hieronymus in der Vita Pauli gebotenen Bilder interpretiert werden. 83 Das gilt insbesondere für frühe hagiographische Texte wie die Vita Pauli, die noch nicht auf elaborierte Typen christlicher Hagiographie zurückgreifen können.
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begrifflich zu klären, was heilig ist, es geht vielmehr um die Frage, welche Ideen, Vorstellungen und Erfahrungen von Heiligkeit einen ganz konkreten hagiographischen Diskurs in einem bestimmten, zeitlich und räumlich eingeschränkten Rahmen prägen. „Diskurse bringen Wirklichkeiten hervor“84, so die kürzest mögliche Bestimmung der Funktion von Diskursen. Damit ist sowohl die ontologische Fragestellung als auch die Suche nach etwaigen erkenntnistheoretischen oder anthropologischen Konstanten zurückgestellt, denn mit einem diskursiven Ansatz geht der Verweis auf die hermeneutischen Restriktionen der Versprachlichung einher: Selbst wenn es also „das Heilige“ an sich gibt und selbst wenn sich hinter einer Äußerung über das Heilige eine wie auch immer geartete Erfahrung des Heiligen verbirgt, so muss dieses Sein und muss diese Erfahrung interpretiert und in Worte gefasst werden. Für die schriftliche Äußerung solcher Versprachlichung bzw. Interpretation bietet sich immer bereits ein kulturell und geschichtlich geprägter Vorrat an Leitbildern, Konzeptionen und Begriffen an, anhand derer sich jede Rede von Heiligkeit unweigerlich orientieren muss bzw. welches die Interpretation bereits präfiguriert. Jede literarische Äußerung ist ein Aufgreifen von Kontexten, eine Interpretation von Ideen, Bildern und Vorstellungen, und eine sich durch Intentionalität auszeichnende Neuformierung und Umkontextualisierung. Insbesondere aber gelten diese Prozesse für den Hagiographen – dem „Verschriftlicher“ von Heiligem, dem „Schreiber über Heiliges“ und somit auch dem „Heiligschreiber“ (s.o. I.2 Abbildung 1) –, dessen „Gegenstand“ sich, seiner geistigen und geistlichen Natur entsprechend, umso mehr etwaigen „objektiven“ Grundlagen entzieht und somit den Prozessen der Interpretation in noch größerem Ausmaß ausgeliefert ist (s.o. I.1). Bei der Untersuchung eines bestimmten hagiographischen Phänomens ist der Historiker vor die Aufgabe gestellt, den entsprechenden diskursiv etablierten Spuren nachzugehen. Dabei ist nicht primär von Bedeutung, ob der Hagiograph historische Zusammenhänge – den Heiligen oder gar seine „Heiligkeit“ an sich – „richtig“ dargestellt hat, sondern inwiefern seine interpretierende Darstellung in ihren jeweiligen diskursiven Kontext eingebunden ist und diesen zugleich erfolgreich fortschreibt bzw. nachhaltig modifiziert. Gefragt werden muss also, an welchen Stellen und in welchem Ausmaß seine Partizipation am hagiographischen Diskurs besonders in Erscheinung tritt: An welche Vorstellung dockt ein jeweiliger Autor an? Wie interpretiert er Altes neu? Und inwiefern prägt er den weiteren Diskurs mit seinem Beitrag? Mit der Diskursivität ist auf die Tätigkeit des Historikers als Interpretation von Interpretationen hingewiesen. Damit ist aber keinesfalls der Frage nach historischer „Wahrheit“ jegliche Grundlage entzogen. Die Frage stellt sich nur anders: Der Hinweis auf eine diskursive Etablierung von Vorstellungs84
A.a.O., 92.
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I. Grundlagen
welten beugt nämlich zugleich einer grenzenlosen Willkür des innerhalb eines Diskurses Gesagten vor. Ein Autor kann nicht einfach alles behaupten. Der Diskurs wirkt regulativ. Aussagen müssen, um im Diskurs und auch über ihn hinaus Bestand zu haben, gerechtfertigt werden und sich innerhalb des Diskurses als plausibel erweisen. Diesen Aspekt greift das von Gemeinhardt in die Diskussion eingebrachte Konzept der „hagiographischen Plausibilität“ auf. In seiner Antoniusbiographie findet Gemeinhardt damit eine Antwort auf die generelle Frage, wie man überhaupt die Biographie eines Heiligen schreiben könne.85 Gemeinhardt verschiebt dabei die Schwerpunktsetzung der historischen Analyse hagiographischer Äußerungen weg von der Suche nach objektiv historischen „Tatsachen“ hin zu der Frage, warum ein hagiographischer Text in seinem Kontext Anklang gefunden hat, weshalb also die Zeitgenossen einen literarisch dargestellten Heiligen „als Vorbild christlichen Lebens und Handelns für ihre Gegenwart an[sahen], und weshalb […] diese Akzeptanz im Wandel der Zeiten nicht [schwand]“86. Einer Vita sei demnach ‚hagiographische Plausibilität‘ zu attestieren, „wenn sie ein kohärentes Bild von dem (oder der) Heiligen als Exponenten der Zeit und ihrer Probleme zeichnet.“87 Hagiographische Plausibilität schlage sich somit auch im „literarischen, theologischen und frömmigkeitspraktischen ‚Erfolg‘ des (oder der) Heiligen“ 88 nieder. Dieser Blickwinkel ist unmittelbar mit der diskursiven Spurensuche verbunden, denn dass ein Text hagiographische Plausibilität besaß, lässt sich auch damit begründen, wie sehr er in seinen jeweiligen hagiographischen Diskurs eingebunden war. Insgesamt ändern sich also in der Untersuchung einer hagiographischen Quelle unter dem Gesichtspunkt der Diskursivität die Fragestellungen, wodurch ihr auch methodologische Bedeutung zukommt. Es geht zunächst um Inhaltsmomente: Gefragt wird, wie bereits von Heinzelmann hervorgehoben (s.o. I.2.1), primär nach Funktion, Anlass, Publikum und Autor, Intention und Rezeption. Dabei steht aber nicht mehr die Frage nach der literarischen Gattung im Vordergrund (wie es trotz dieser Fragestellungen bei Heinzelmann noch der Fall war), weil „Gattung“, wie gezeigt, sich als unzureichend zur adäquaten Umschreibung des Phänomens „Hagiographie“ erwiesen hat. Der Grund dafür kann nun auch klarer aufgezeigt werden: Die Gattungsfrage hat sich nämlich genau deshalb immer wieder im Kreis gedreht, weil ihr zwar ein Heiligkeitsbegriff fehlte (bzw. sie sich davon distanzierte, mit Berschin 85 Vgl. GEMEINHARDT, Antonius, bes. 12–20 und 197–202. Eine ausführlichere Auseinandersetzung mit dem Konzept der hagiographischen Plausibilität findet sich in GEMEINHARDT, Kirche und ihre Heiligen, 291–308. 86 GEMEINHARDT, Antonius, 198. 87 A.a.O., 18. 88 A.a.O., 15.
2. Hagiographie
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eine Gattung an „bloßen Inhaltsmomenten“ 89 festzumachen), sie denselben jedoch, wenn auch unbewusst, immer voraussetzte, um überhaupt von Hagiographie zu sprechen. Der diskursive Ansatz stellt nun eben diese inhaltliche Frage nach Bedeutung des Heiligen ins Zentrum: Ein „hagiographischer Diskurs“ ist eben jener Prozess, bei dem es um die „Anordnung von Denkkategorien und Wissensschemata“ 90 des Heiligen und somit um nichts Geringeres geht als die Etablierung der Bedeutung dessen, was heilig ist. Bei der diskursiven Untersuchung einer hagiographischen Quelle geht es aber nicht um das Nachspüren einer etwaigen Realität „hinter“ einer historischen Instanz des Heiligen, einem „heiligen“ Phänomen, weil Diskursivität eben auf die hermeneutische Situiertheit des Heiligen in der Welt verweist. 91 Der diskursive Ansatz stellt vielmehr die Frage, inwiefern eine Quelle an einem jeweiligen Diskurs partizipiert.92 Diese Frage soll nun gestellt werden mit Blick auf die Vita Pauli, die, wie hier argumentiert, Hagiographie ist – nicht, weil sie gewisse Gattungsmerkmale aufweist, sondern weil sie am hagiographischen Diskurs partizipiert. Inwiefern dies der Fall ist, muss im Folgenden aufgezeigt werden. Dieser Aufgabe kommt Kapitel III nach. Darin wird der Frage nach eben jenen diskursiv etablierten Spezifika der Heiligkeitsvorstellungen der Vita Pauli in Bezug auf die Hauptfigur Paulus von Theben nachgegangen, wobei bei entsprechenden Aussagen und Inhalten jeweils auf die dafür relevanten am hagiographischen Diskurs partizipierenden Instanzen eingegangen wird. Die in diesem Kapitel schwerpunktmäßig auf mikrostruktureller Ebene des Textes erfolgten Analysen93 werden also mit Blick auf ihre Wechselwirkungen mit entsprechenden kontextanalytischen Beobachtungen 94 zusammengeführt. 95 89
BERSCHIN, Biographie I, 18. LANDWEHR, Diskursanalyse, 62. 91 Eines der häufigsten auftretenden Missverständnisse mit Blick auf den Diskursbegriff sei die Vorstellung, so Landwehr, „bei Diskursen handele es sich um rein äußerliche Bezeichnungen oder zweite Naturen, die den Dingen in ihrer ‚Eigentlichkeit‘ übergestülpt werden. Die historische Diskursanalyse geht demgegenüber davon aus, dass es keine Möglichkeit gibt, um hinter die Diskurse zu gelangen. Wirklichkeit ist nie an sich erfahrbar, sondern immer nur für uns. […] Diskurse übernehmen in einer historisch entzifferbaren Weise die Aufgabe, eben diese Wirklichkeit zur Verfügung zu stellen“ (a.a.O., 91). 92 Indes lässt sich natürlich auch etwas über die zu beschreibenden historischen Phänomene an sich folgern, denn die in diskursiven Prozessen etablierten Sinneinheiten basieren auf historisch nachzuvollziehenden Plausibilitäten. 93 Auf mikrostruktureller Ebene stehen für die historisch-diskursive Analyse eines Textes primär Aspekte im Mittelpunkt wie die „Argumentation, Stilistik und Rhetorik, die sich nicht nur auf der Text-, Satz- und Wortebene finden lassen, sondern auch auf lexikalischer und parasprachlicher Ebene.“ (a.a.O., 117). 94 Zu bedenken gilt es hier sowohl den situativen, den medialen, den institutionellen als auch den historischen Kontext (vgl. a.a.O. 105–110). 90
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I. Grundlagen
Dabei sind nachweisbar kausale Zusammenhänge von Text und Kontext keine conditio sine qua non.96 Postuliert wird vielmehr, dass Aussagen des Textes mit ihrem diskursiven Rahmen hinsichtlich der daraus resultierenden Entstehung von „Wirklichkeit“ untrennbar miteinander verschlungen sind. Da der Diskurs mehr ist als lediglich die unmittelbar und explizit auf den Autoren einwirkenden Aussagen, kann (und muss) der Blick des Historikers auch in temporaler Hinsicht über analysierte Quelle und Autor hinaus schweifen. In diesem Fall können zur Erfassung des hagiographischen Diskurses der Spätantike (d.h. des für die Nachvollziehbarkeit der Vorstellung von Heiligkeit in der Vita Pauli unumgänglichen Diskurses) natürlich auch Texte hinzugezogen werden, die nach der Entstehung der Vita Pauli verfasst worden sind, wenn sie denn als legitime Vertreter „desselben“ hagiographischen Diskurses gelten können. Auch spätere Texte sind gegebenenfalls Zeugen von diskursprägenden (und hagiographisch plausiblen) Aussagen, die wiederum zur Erhellung von Aussagen aus der Vita Pauli beitragen können. Als Grundlage für diese Untersuchung der Figur des Paulus von Theben als Heiligen dient die nun folgende Einführung in die Vita (Kapitel II), die schwerpunktmäßig einer Analyse der Makrostrukturen des Textes gleichkommt.97 Dieser Abschnitt besteht aus einem kurzen Abriss der Handlung und zentralen Aussagen der Vita (II.1), einer Auseinandersetzung mit ihrem generellen Aufbau, ihren narrativen Strukturen und ihrer Kohärenz (II.2), einer Erörterung der chronologischen Schwierigkeiten (II.3) und einem Blick auf ihre Rezeption und Adressaten, aufgrund dessen eine „hagiographische Plausibilität“ der Figur des Paulus behauptet werden kann (II.4).
95 In dieser komplexen Wechselbeziehung zwischen Struktur und Handlung, zwischen Diskurs und Subjekt, Text und Kontext entsteht die „Wirklichkeit“ des Heiligen, wie sie hier ertastet werden soll. 96 Es lässt sich im Verhältnis von Diskurs und Aussage eben keine Kausalität konstruieren, „etwa in dem Sinn, dass die Aussage dem Diskurs vorausgeht und ihn formt. Vielmehr sind beide Elemente untrennbar ineinander verschlungen. Bei der Beschäftigung mit Diskursen muss immer auf konkrete Aussagen Bezug genommen werden, während bei der Analyse von Aussagen der Rahmen des Diskurses nicht aus dem Auge verloren werden darf. Diskurs und Aussage bringen sich also wechselseitig voran“ (a.a.O. 127). 97 Vgl. a.a.O., 113–117.
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Kapitel II
Die Vita Pauli 1. Inhalt Die Vita beginnt mit einem Vorwort des Autors. Darin wird die Frage nach dem ersten Wüstenmönch aufgeworfen (VP 1,1) und die Behauptung aufgestellt, dass nicht etwa Elia, Johannes der Täufer oder Antonius den Anfang gemacht haben, sondern ein gewisser Paulus von Theben der princeps rei gewesen sei (VP 1,2). Nur „Weniges über Anfang und Ende des Paulus“ wolle der Autor berichten; über die „dazwischen liegende Zeit“, so Hieronymus, habe kein Mensch je etwas erfahren (VP 1,4). Im Anschluss an diese einleitenden Bekundungen zu Vorhaben und Positionierung des Werks setzt die Erzählung mit einem Bericht über die Christenverfolgungen unter den Kaisern Decius und Valerian ein (VP 2). Die Grausamkeit der Verfolger hält Hieronymus seinen Leser/innen vor Augen, indem er von der Folter zweier ungenannter Märtyrer berichtet (VP 3). Der eine Märtyrer wird, nachdem er bereits mit heißen Platten verbrannt worden ist, mit Honig beschmiert und der sengenden Sonne und den Mücken ausgesetzt (VP 3,1). Der Andere soll, in einem wunderschönen Garten mit Blumengirlanden an ein Bett gefesselt, von einer schönen Frau dazu gebracht werden, seine Jungfräulichkeit aufzugeben. Auf eine göttliche Eingebung hin kann der Jüngling diesem Schicksal jedoch entgehen: Er verhindert die sexuelle Erregung, indem er sich die Zunge abbeißt und der Verführerin ins Gesicht spuckt (VP 3,2–4). Nun wendet sich Hieronymus seiner Hauptfigur zu und berichtet kurz und knapp von Herkunft und Jugend des Paulus und von seinem Weg in die Anachorese. Paulus ist gebildet und hat ein gutes Auskommen geerbt (VP 4,1). Während der Verfolgungen hält er sich auf einem entlegenen Landgut auf (VP 4,2). Aufgrund der Hinterlist seines Schwagers, der vorhat, ihn zu verraten, flieht Paulus in die Wüste (VP 4,2–6,1). Dort findet er eine Höhle, die mit einer Palme und einer Quelle ausgestattet ist, so dass er mit Wasser, Nahrung und Kleidung versorgt ist. Er gewinnt diese Wohnstätte lieb und bleibt dort bis an sein Lebensende (VP 6,1). Von dem asketischen Lebensstil des Paulus weiß Hieronymus kaum etwas zu berichten. Dass ein Überleben unter diesen einfachsten Bedingungen aber möglich ist, steht für ihn außer
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II. Die Vita Pauli
Frage. Als Beweis für den Leser/die Leserin dienen zwei Beispiele radikaler Nahrungsaskese anderer Eremiten (VP 6,2). Im 113. Lebensjahr des Paulus sitzt der 90-jährige Eremit Antonius in einem anderen Teil der Wüste und kommt auf die Idee, dass außer ihm kein Mönch in der Wüste lebt (VP 7,1). In einem Traum wird Antonius eines Besseren belehrt. Ihm wird offenbart, dass es einen Anderen noch weiter im Inneren der Wüste gebe und dass dieser zudem „viel besser“ sei als er. Er solle sich also beeilen, diesen besseren Mönch zu besuchen. Ohne zu zögern macht sich Antonius auf den Weg (VP 7,2). Tagelang irrt Antonius durch die Wüste. Dabei trifft er auf fabelhafte Wüstenbewohner (VP 7–9). Antonius begegnet zunächst einem Zentauren, der ihm mit ausgestreckter Hand die Richtung zum „Diener Gottes“ weist (VP 7,4f.). Kaum hat Antonius seine Reise fortgesetzt, stößt er auf einen Faun, der erklärt, von seinen Genossen gesandt worden zu sein, um Antonius um Fürsprache bei dem „gemeinsamen Herrn“ zu bitten, dessen Heilswerk selbst den Wüstenbewohnern inzwischen bekannt sei (VP 8,3). Von diesem Glaubensbekenntnis bewegt spricht Antonius einen Weheruf über die Stadt Alexandrien aus, die „an Stelle Gottes Götzenbilder verehrt“ (VP 8,4f.). Als Antonius aber immer noch nur die weite Leere der Wüste vor sich sieht, verbringt er eine Nacht im Gebet. Schließlich, in der Morgendämmerung, erspäht er eine Wölfin, die in einer Höhle verschwindet (VP 9,1f.). Antonius überwindet seine Furcht und folgt der Wölfin in die Finsternis. Dort entdeckt er die Wohnstätte des Paulus (VP 9,3f.). Als Paulus den Eindringling hört, verriegelt er den Eingang, so dass Antonius gezwungen ist „bis zur sechsten Stunde und noch länger“ um Einlass zu bitten (VP 9,5). Schließlich gewährt ihm Paulus Zutritt (VP 9,6) und kündigt, nach gegenseitiger Begrüßung, Vorstellung und gemeinsamem Gottesdank sogleich seinen bevorstehenden Tod an (VP 9,6–10,1). Während sich Paulus über den Zustand der Welt erkundigt, fliegt ein Rabe herbei, der den Eremiten ein ganzes Brot bringt (VP 10,1f.). Darüber zeigt sich selbst Paulus erstaunt, denn der Rabe habe ihn zwar sechzig Jahre lang mit einem halben Brot versorgt, zur Ankunft des Antonius jedoch habe „Christus seinen Streitern die Ration verdoppelt“ (VP 10,3). Die anschließende Auseinandersetzung über das Vorrecht des Brotbrechens, die sich fast bis zum Abend hinzieht, wird erst damit beendet, dass beide Eremiten gemeinsam an dem Brot ziehen und jeweils das ihnen in der Hand verbleibende Stück behalten (VP 11,1). Nach einer im Gotteslob durchwachten Nacht sagt Paulus erneut seinen nahen Tod voraus und eröffnet Antonius, dass dieser gesandt worden sei, ihn zu begraben (VP 11,3). Um Antonius aber die Trauer beim Anblick seines Todes zu ersparen, schickt Paulus ihn zurück in seine Einsiedelei, um den Mantel des Athanasius zu holen, in den sich Paulus wünscht, nach seinem Tod gehüllt zu werden. Antonius macht sich umgehend auf den Weg (VP 12).
2. Aufbau und narrative Strukturen
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In seiner Einsiedelei angekommen trifft er auf zwei seiner Schüler, denen gegenüber er alsbald seine Unwürdigkeit als Mönch beklagt – schließlich habe er „Elias, Johannes in der Wüste, Paulus im Paradies gesehen“ (VP 13,1). Postwendend tritt Antonius mit dem Mantel des Athanasius erneut die Reise durch die Wüste zur Einsiedelei des Paulus an (VP 14,1). Auf dem Weg wird ihm eine Vision zuteil, in der er die Himmelfahrt des Paulus „zwischen Scharen von Engeln, zwischen Chören von Propheten und Aposteln“ sieht (VP 14,2). Bei seiner Ankunft in der Höhle des Paulus findet er den inzwischen Verstorbenen in Gebetshaltung vor (VP 15,1). Da er ihn zunächst noch für lebendig hält, imitiert Antonius Paulus und betet in gleicher Haltung (VP 15,2). Als er aber merkt, dass Paulus tatsächlich bereits verstorben ist, hüllt Antonius den Leichnam in den Mantel des Athanasius und trägt ihn hinaus, um ihn zu begraben. Verzweifelt über die Tatsache, dass er keinen Spaten hat, um ein Grab für Paulus auszuheben, entschließt sich Antonius, neben Paulus zu sterben (VP 16,1). Sogleich eilen aus der Wüste zwei Löwen herbei, die zunächst den Toten mit einem fürchterlichen Gebrüll betrauern und dann mit ihren Tatzen im Sand ein Grab für Paulus auskratzen (VP 16,2–4). „Gleichsam als Lohn für ihre Arbeit“ fordern die Löwen einzig den Segen des Antonius ein, den dieser ihnen bereitwillig gewährt (VP 16,5f.). Nachdem er die Löwen weggeschickt hat, begräbt er Paulus, indem er über ihm einen Grabhügel errichtet (VP 16,7). Vor seiner Rückreise in die eigene Einsiedelei nimmt Antonius die aus Palmblättern gefertigte Tunika des Paulus an sich. Diese, so die abschließende Bemerkung der Erzählung, trägt Antonius nun fortan zu Ostern und Pfingsten (VP 16,8). Der Erzählung folgt ein Epilog, in dem Hieronymus den Reichen und Mächtigen vehement ins Gewissen redet: Paulus, dem pauperculus und senex nudus habe nichts gefehlt. Vielmehr stehe ihm nun das Paradies offen, während „euch Gold-Geschmückten“ (uos aurati) die Hölle drohe (VP 17,1–3). Der Mahnung folgt eine letzte Bitte des „Sünders Hieronymus“: Der Leser möge seiner gedenken, der, gäbe Gott ihm die Wahl, lieber die Tunika des Paulus als den Purpur der Könige wählte (VP 18).
2. Aufbau und narrative Strukturen Mit der oben gebotenen Reduktion der Vita Pauli auf ihre zentralen Handlungsmomente zeigt sich die Vita in ihrem inneren Zusammenhalt und ihrer narrativen Kohärenz. Tatsächlich zeichnet sich die Vita aber gerade auch durch erzählerische Brüche, inhaltlichen Sprünge, eine unverhältnismäßige Aufteilung des Erzählstoffs und eine Vereinzelung der Sinneinheiten aus. Auf diese strukturellen und narrativen Eigenarten der Vita und ihre Bedeutung für
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II. Die Vita Pauli
die hagiographische Intention des Hieronymus soll im Folgenden eingegangen werden. 2.1. Sprünge, Brüche und unverhältnismäßige Proportionen In modernen Ausgaben wird die Vita Pauli in 18 Kapitel eingeteilt. Der erzählende Teil der Schrift wird von einem Prolog (VP 1) und einem Epilog (VP 17f.) gerahmt, in denen sich Hieronymus als Autor an seine Leserschaft wendet. Die Geschichte selbst (VP 2–16) ist aus auktorialer Außenperspektive erzählt, wobei Hieronymus auch hier wiederholt aus Sicht der 1. Person kommentierend in die Erzählung eingreift (VP 2,2; 6,2; 7,6; 9,1). Der zentrale Erzählteil lässt sich in drei Abschnitte gliedern: Als Hintergrund und Kontext für die Geschichte von Paulus berichtet Hieronymus in VP 2f. von den Christenverfolgungen; VP 4–6 handelt von der Jugend und Flucht des Paulus in die Wüste; VP 7–16 erzählt schließlich die Geschichte von der Begegnung zwischen Paulus und Antonius, die mit Tod und Begräbnis des Paulus endet. Mit zwei Kapiteln für den ersten Abschnitt, drei Kapiteln für den zweiten und zehn Kapiteln für den dritten zeigt sich also bereits deutlich, dass die inhaltlich deutlich von einander abzugrenzenden Erzählabschnitte von ihrem erzählerischen Umfang keinesfalls gleichmäßig aufgeteilt sind. Auch die Gewichtung des Erzählstoffs innerhalb der drei Abschnitte ist auffällig ungleichmäßig proportioniert. So fällt die Schilderung der Christenverfolgungen als Einstieg in die Erzählung verhältnismäßig ausführlich aus. Auffällig ist zudem, dass eines der beiden Kapitel (VP 3) lediglich aus zwei Beispielen besteht, die zwar als Veranschaulichung der Grausamkeit des Verfolgers geboten werden (cuius ut crudelitas notior fiat), mit ihrer erotischen, auf den ersten Blick durchaus seltsamen Thematik dem angegebenen Zweck jedoch kaum nachzukommen scheinen. Aufgrund der detaillierten Ausführlichkeit der Beispielerzählungen wirkt das Kapitel eher wie ein Exkurs, zumal die Martyrien nirgends unmittelbar an den Handlungsstrang anknüpfen, der Leben und Wirken des Protagonisten darstellt. Besonders deutlich wird die ungleichmäßige Verteilung des Erzählstoffs im direkten Vergleich mit der darauffolgenden, nun aber äußerst knapp gehaltenen Einführung des Protagonisten selbst. In nur einem Satz, der aus wenigen Bemerkungen zu Herkunft und Jugend des Paulus besteht, stellt Hieronymus seinen Helden vor (VP 4,1). Ausführlicher wird wiederum von dem Verrat des Schwagers, der Flucht in die Wüste und dem Auffinden der geheimnisvollen Höhle berichtet (VP 4,2–6,1). Kaum sind damit die Anfänge des Eremitentums des Paulus vorgestellt, wendet sich der Autor in VP 6,2 wieder von seinem Protagonisten ab und bietet dem Leser/der Leserin exkursartig – in Analogie zu den zwei Beispielerzählungen in VP 3 – zwei ausführliche Beispiele zur Veranschaulichung und Plausibilisierung extremer asketischer Praxis. Folglich ist in den ersten
2. Aufbau und narrative Strukturen
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fünf Kapiteln des Erzählteils (VP 2–6) überhaupt nur in VP 4,1–6,1 (d.h. in ca. zwei Kapiteln) direkt etwas über den Protagonisten ausgesagt, während sich drei Kapitel mit „externen“ Informationen für den unmittelbar auf Paulus bezogenen Handlungsstrang (hauptsächlich den Christenverfolgungen) und mit ausschmückenden Beispielerzählungen beschäftigen. Nachdem mit VP 6,2 alles über die Anfänge des Paulus gesagt ist, macht die Erzählung in VP 7,1 einen nicht unerheblichen Sprung. Je nach Berechnung der internen Chronologie der Vita (s.u. II.3.5), wird der Leser/die Leserin nun abrupt bis zu 97 Jahre in die Zukunft versetzt, und zwar zum Lebensende des inzwischen 113-jährigen Eremiten. Für diesen Sprung hatte Hieronymus zwar im Prolog eine Begründung geliefert: Kein Mensch wisse nämlich, wie Paulus in media aetate (VP 1,4) gelebt habe; doch auch Berschin, der betont, dass ein Biograph zwar fast jede Freiheit „bei der Erzählung der mittleren Phase des Lebens“1 habe und sie sogar übergehen könne, verweist auf die Ungewöhnlichkeit der hier in der Vita Pauli vorgenommenen Auslassung.2 Zur Eigentümlichkeit dieser Stelle in der Vita trägt bei, dass Hieronymus es nicht bei einem zeitlichen Sprung belässt. Es findet vielmehr zugleich ein Ortswechsel in alia solitudine (VP 7,1) statt, und völlig unvermittelt betritt nun auch ein zweiter Akteur die Bühne: Antonius wird weder vorgestellt noch wird der Umstand erklärt, warum – entgegen der ausdrücklichen Bemerkung im Prolog, dass über Antonius schließlich tam Graeco quam Romano stilo diligenter memoriae traditum est (VP 1,4) – nun anscheinend doch auch die Vita Pauli zur memoria Antonii einen Beitrag leisten wird, der zudem von nicht unwesentlichem Umfang ist. Antonius wird die nun folgende, eigentliche Erzählung der Vita (d.h. den „Hauptteil“) regelrecht als Hauptakteur bestimmen. Auf mehreren Ebenen ist zu Beginn von VP 7 demnach ein Bruch zu verzeichnen: 1. zeitlich (bis zu 97 Jahre in die Zukunft), 2. örtlich (in alia solitudine), 3. personell (Paulus → Antonius), 4. hinsichtlich des Erzählstoffs (Jugend des Paulus → Reisebericht des Antonius), 5. hinsichtlich der verkündeten Absicht (de Antonio […] diligenter memoriae traditum est). Mit der Einführung des Antonius wird in VP 7 also ein völlig neuer Handlungsstrang initiiert, der, indem er sich bis VP 16 erstreckt, den größten unmittelbar zusammenhängenden Erzählteil der Vita umfasst und daher als „Hauptteil“ aufgefasst werden kann. Dieser Hauptteil der Vita Pauli ist im 1 2
BERSCHIN, Biographie V, 92. Vgl. ibid.
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II. Die Vita Pauli
Grunde die Geschichte eines Abenteuers, bei dem ein Held sein gewohntes Umfeld und seinen Alltag verlässt, um etwas Riskantes zu unternehmen, dabei Außergewöhnliches, Interessantes und Wundersames erlebt und gefahrvolle Situationen mit ungewissem Ausgang bestehen muss. Bemerkenswerterweise ist aber nicht Paulus der Abenteurer, sondern Antonius – ihn begleitet der Erzähler auf seinen gefahrvollen Reisen durch die Wüste, bei seinen wundersamen Begegnungen und in den außergewöhnlichen Situationen, in die er gerät. Als „Protagonist“ im engeren Sinn steht Paulus nur in der Vorgeschichte (VP 4–6) im Visier des erzählerischen Blicks.3 Der Hauptteil ist von Antonius bestimmt, der nicht nur durchweg präsent, sondern immer auch als Handelnder aktiv am Geschehen beteiligt ist. Paulus handelt im Hauptteil überhaupt nur in den Kapiteln 9–12.4 In den Kapiteln 14–16 taucht Paulus zwar auch auf, als Verstorbener jedoch nunmehr in „passiver“ Rolle (wenn auch seine körperliche Präsenz weiterhin die Handlung vorantreibt5). Insgesamt lässt sich, mit Herbert Kech, eindeutig „ein Übergewicht zugunsten des Antonius“6 beobachten, wobei in der Tat, besonders in Anbetracht der Ankündigungen des Prologs, eigentlich ja das „umgekehrte Verhältnis […] eher verständlich“7 wäre. Mit diesen Beobachtungen zur disproportionalen Aufteilung des Erzählstoffs lässt sich eine Schwerpunktsetzung des Hieronymus erkennen. Nicht etwa die Biographie des ersten Mönchs, sondern eine abenteuerliche Reise, bei der der Namensträger der „Vita“ das Ziel ist, steht erzählerisch im Vordergrund. Zu Paulus muss sich der Leser/die Leserin auf den Weg machen: Der Leser/die Leserin begleitet Antonius auf seiner Suche nach dem Heiligen und begibt sich dabei selbst auf einen Weg des nach Verstehen suchenden Glaubens. Hieronymus vermittelt hagiographische Inhalte „unterwegs“, geradezu nebenbei auf einer Abenteuerreise. Die Leserschaft findet diese Inhalte, 3
In der Abbildung zur Gliederung des Erzählteils der Vita Pauli (s.u. II.2.6, Abbildung 4) ist die literarische Inklusion der Akteure als Handlungsträger durch senkrecht gestellte Kästen zur Linken der Aufteilung der Abschnitte veranschaulicht. 4 Selbst in diesem Abschnitt muss jedoch zwischen Paulus als handlungsbestimmendem Akteur und als bloßem „Re-akteur“ auf das Handeln des Antonius unterschieden werden; vgl. II.2.4, Abbildung 3. 5 So führt z.B. die Himmelfahrt des Paulus (VP 14) zur kurzen Unterbrechung der Reise des Antonius, der sich statim auf sein Angesicht wirft (VP 14,3), und beflügelt daraufhin seine Weiterreise (VP 15,1). Die Gebetshaltung des verstorbenen Paulus animiert Antonius zur imitatio (VP 15,2), der tote Körper muss von Antonius begraben werden, und von der Hinterlassenschaft des Paulus (seinem Mantel) wird gesagt, dass sie das Leben des Antonius verändern wird (VP 16,8). Entsprechend taucht Paulus auch in Abbildung 4 (s.u. II.2.6) für die Kapitel 14–16 als „Handlungsträger“ (in Klammern gesetzt) auf. 6 KECH, Unterhaltungsliteratur, 20. 7 Ibid.
2. Aufbau und narrative Strukturen
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indem sie sich mit Paulus und Antonius auf die Suche begibt. Christliche Vorstellungen von Heiligkeit werden in der Vita also in eine Abenteuererzählung verpackt, deren Ziel zugleich der Heilige (und die mit seiner Darstellung vermittelten Vorstellung von Heiligkeit) ist. Diese von Hieronymus vermittelten christlichen Ideale gilt es im Verlauf der Erzählung zu entdecken. Entsprechend lässt sich auch die auffällige Ausführlichkeit der zwei „Exkurse“ deuten: Sowohl die Christenverfolgungen in VP 3 als auch die asketischen Beispiele in VP 6,2 nehmen so viel erzählerischen Raum ein, nicht etwa weil sie in biographischer Hinsicht notwendig wären, sondern weil sie auf unterhaltsame Weise Inhalte vermitteln, die von hagiographischer Bedeutung sind (s.u. bes. III.1.6 und III.5.9). 2.2. Erzählte Zeit und Erzählzeit Die aufgezeigte Unverhältnismäßigkeit der Aufteilung des Erzählstoffs spiegelt sich auch in den Relationen von erzählter Zeit und Erzählzeit (vgl. im Folgenden Abbildung 2). Dabei sticht zunächst das Verhältnis des „Hauptteils“ zum insgesamt im Erzählteil gespannten, großen „biographischen“ Bogen hervor. Trotz der Tatsache nämlich, dass in fünfzehn Kapiteln (VP 2–16) eine Zeitspanne von mehr als hundert Jahren umfasst wird, findet der Großteil der Erzählung in einem Zeitraum von nur wenigen Tagen statt. Ähnlich disproportional ist die Erzählzeit auf die erzählte Zeit in der „Vorgeschichte“ verteilt (VP 2–6). VP 2 handelt kurz und knapp einen Zeitraum von etwa einem Jahrzehnt ab (die Christenverfolgungen unter Decius und Valerian), VP 3 hingegen wendet sich ausführlich der Beschreibung zweier Martyrien irgendwann innerhalb dieses Zeitraums zu, bei denen höchstens einige Stunden umschrieben sind. In nur wenigen Worten wird über Herkunft und Jugend des Paulus zu Beginn des 4. Kapitels resümiert, womit ein Zeitraum von mindestens 16 Jahren in der Biographie des Paulus abgedeckt wird (VP 4,1). Die sich über drei Kapitel erstreckende Schilderung der Flucht in die Wüste und der dort begonnenen Askese bleibt zwar – mangels eindeutiger zeitlicher Angaben – völlig vage, die beschriebenen Aktionen deuten jedoch auf einen insgesamt nur kurzen Abschnitt im Leben des Paulus. Mit lediglich einem Satz wird in VP 6 die gesamte Zeit des Paulus in der Wüste, seine Anachorese, zusammengefasst: omnem ibidem in orationibus et solitudine duxit aetatem (VP 6,1). Die insgesamt mit der Vita Pauli umfasste erzählte Zeit (113 Jahre) steht demnach in auffällig unverhältnismäßigem Verhältnis zu der Erzählzeit, die der Verfasser überhaupt nur wenigen Momenten im Leben des Paulus widmet.
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II. Die Vita Pauli
Abbildung 2
© Yorick Schulz-Wackerbarth 2017
Auf die Probleme, Hagiographie im Allgemeinen einer biographischen Form zuzuweisen, ist bereits hingewiesen worden (s.o. 2.1). Deutlich wird aber besonders hier, wie sehr sich gerade die Vita Pauli solchen Einordnungsversuchen widersetzt. Nicht nur die disproportionale Aufteilung des Erzählstoffs, sondern auch das Verhältnis von erzählter Zeit und Erzählzeit, anhand derer das eigentliche Leben des Paulus zugunsten von Randerzählungen, Beispielen und einer Abenteuergeschichte des Antonius regelrecht in den Hintergrund gerät, lassen mit Kech darauf schließen, dass hier keinesfalls von einer einsträngig biographischen Form der Vita Pauli gesprochen werden kann.8 In der Tat geht es Hieronymus auch nicht darum, das Leben des ersten Mönchs bis ins Detail zu rekonstruieren. Es geht ihm um die Tatsache, dass dieser Mönch der erste war.9 Erst die Abenteuergeschichte des vermeintlich ersten Mönchs Antonius, der den älteren Eremiten Paulus in der Wüste findet, verleiht dieser zentralen Aussage auf anschauliche Weise Nachdruck. Entsprechend wird dieser Erzählung auch durch die dafür aufgebrachte Erzählzeit Gewicht verliehen. 2.3. Szenische Vereinzelung Eine markante Eigenschaft des Erzählteils der Vita Pauli zeigt sich in dem Aufbau einzelner Abschnitte, die sich, wie Kech beobachtet hat, durch „szenische Vereinzelung“ auszeichnen. Die Aufteilung der Kapitel richtet sich weitestgehend nach eben jenen szenischen Abschnitten. Zusammen bilden einige dieser Szenen in sich abgerundete Erzähletappen, in denen jeweils nur einer der beiden Akteure die Handlung bestimmt.10 Diese Eigenarten der Vita 8
Ibid. Zur hagiographischen Bedeutung dieser Behauptung s.u. III.1. 10 Vgl. KECH, Unterhaltungsliteratur, 21; 117. 9
2. Aufbau und narrative Strukturen
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hat Kech ausführlich herausgearbeitet. Zur Veranschaulichung seien im Folgenden nur einige eindrückliche Beispiele aufgeführt: Das „Etappenartige“ der Vita gibt sich besonders in den Kapiteln 7–9 zu erkennen, in welchen die erste Reise des Antonius durch die Wüste geschildert wird. Hieronymus hätte Antonius auch ohne weiteres auf dem schnellsten Weg zu Paulus gelangen lassen können. Er zerlegt die Reise jedoch in drei Etappen, wobei die erste um die Begegnung von Antonius mit einem Zentauren (VP 7), die zweite um die Begegnung mit einem Faun (VP 8) und die dritte um das Auffinden der Höhle mithilfe einer Wölfin (VP 9) kreist. Zusammen erwirken diese Etappen eine stufenartige Annäherung an den Heiligen. Zugleich aber weist jede dieser Etappen eine gewisse Eigenständigkeit auf. Besonders deutlich sticht dabei die Begegnung mit dem Faun als isolierte Szeneneinlage heraus, da hier die Einbeziehung des Fauns „in den erzählerischen Kausalnexus aufgegeben wird zugunsten eines eigenen Aussagezwecks“11: Gleich zu Anfang stellt sich in diesem Kapitel „der Eindruck einer bildhaft abgeschlossenen Szenerie […] ein durch die Darbietung eines landschaftlichen Rahmens sowie einer prägnanten Beschreibung des neu in die Erzählung eingeführten Zwitterwesens“12. Die Begegnung mit dem Faun löst eine stark emotionale Reaktion bei Antonius aus, die sich rasch von der eigentlichen Gesprächssituation ablöst. Verstand, Gefühl und Rede des Antonius entfernen sich dabei zusehends von dem aktuellen Anlass13: „Seine Freude resultiert bereits aus der Überlegung, daß die Bitte und das Bekenntnis des [Fauns] […] auf einen allgemeinen Nenner gebracht, Christi Sieg und die Niederlage Satans bedeuten, und sein Unmut, zu emphatischer Pose stilisiert (baculo humum percutiens), richtet sich prompt gegen einen neuen Adressaten; wie sehr die Zielrichtung der Apostrophe auf die Fixierung dieses neuen Feindbildes zuläuft, zeigt auch ihre formale Behandlung, da der prophetenhafte Wehruf (Vae tibi) und das inkriminierte Verhalten der Stadt Alexandria (Pro Deo portenta veneraris) formelhaft wiederholt werden.“14 Noch während Antonius spricht (Necdum uerba compleuerat [VP 8,5]), verschwindet das Wesen wieder, ohne dass es eine Zusage auf seine zu Beginn geäußerte Bitte erhalten hätte (Precamur ut pro nobis communem Dominum depreceris [VP 8,3]) und ohne dass die Entgegennahme seiner „Bürgen des Friedens“ (pacis obsides [VP 8,2]) gewürdigt oder überhaupt wieder auf deren Funktion im narrativen Kontext ad uiaticum (VP 8,2) eingegangen wäre. Gerade diese Tatsache aber vervollständigt den von Kech identifizierten 11
A.a.O., 38. Ibid. 13 Vgl. a.a.O., 39. 14 Ibid. (Hervorhebung YSW). 12
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II. Die Vita Pauli
Sachverhalt einer geschlossenen Szeneneinlage: Hieronymus lässt das ursprüngliche Motiv, „das die Hereinnahme des [Fauns] […] und das Innehalten des Antonius als zweite notwendige Zwischenstation auf dem immer noch endlosen Weg funktional rechtfertigen könnte – was wäre natürlicher, als daß ein Wanderer außer einem Wegweiser [dem Zentauren] auch Proviant braucht? – ungenutzt fallen, da ihn die erhabene Aussageintention (Strafpredigt gegen Alexandria) zu hoch über das triviale Ausgangsmotiv hinausgetragen hat.“15 Die einzelnen Szenen der Vita sind durch kopulative Satzglieder miteinander verbunden, die den Erzählzusammenhang herstellen.16 So wird mit „Per idem ergo tempus, quo talia gerebantur“ (VP 4,1) zu Beginn von VP 4 auf das Vorherige verwiesen und etwas Neues eingeleitet. Auf vergleichbare Weise ist der Anfang von VP 5 gestaltet, wobei mit quod auf das Erzählte im Kapitel zuvor Bezug genommen wird; das auf den einleitenden Nebensatz (Quod ubi prudentissimus adolescens intellexit [VP 5,1]) Folgende leitet in die neue Handlungssequenz ein (ad montium deserta confugiens [VP 5,1]). Als kopulatives Glied dient sowohl in VP 6, VP 11 als auch in VP 16 igitur, wodurch die Handlung der neuen Szene aus den Geschehnissen der vorhergehenden Szene begründet wird. Dasselbe gilt für das einleitende itaque in VP 8. Mit den ersten Worten von VP 7 ist Hieronymus eine besonders effektive Verbindung zwischen zwei Szenen gelungen, die inhaltlich kaum weiter auseinanderliegen könnten. Die Eingangsformel (Sed ut ad id redeam unde digressus sum [VP 7,1]) erweckt nämlich den Eindruck, als kehre der Erzähler dahin zurück, „wo er den Faden hatte fallen lassen“17 (nachdem er in VP 6 in der Tat exkursartig darum bemüht war, mit zwei Beispielerzählungen aus eigener Zeit der extremen Askese des Paulus Glaubwürdigkeit zu verleihen). Tatsächlich wird hier jedoch, wie bereits angemerkt, keinesfalls der vorherige Erzählstrang (Flucht des Paulus und Beginn seiner Askese) wieder aufgenommen, sondern vielmehr ein völlig neuer (Abenteuer des Antonius) initiiert. Unterstützt wird ein so geschaffener Eindruck der Kontinuität durch die „syntaktische und temporale Parallelstellung der Verben“18 (cum […] Paulus ageret […] Antonius moraretur [VP 7,1]). Insgesamt wird damit ein fließender Übergang kreiert, der geschickt über die oben erwähnten Brüche (zeitlich, örtlich, personell) hinwegtäuscht, und zwar so, dass dieser signifikante Einschnitt in der Vita dem Leser/der Leserin kaum, zumindest aber nicht negativ, ins Auge fällt. Ähnlich fungiert der selbstreflektierende Kommentar des Autors zu Beginn von VP 9: Mit sed ut propositum persequar (VP 9,1) wird deutlich der Be15
Ibid. Vgl. a.a.O., 30. 17 A.a.O., 21. 18 A.a.O., 20. 16
2. Aufbau und narrative Strukturen
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ginn einer neuen Szene betont, die in Kontinuität zum Vorherigen steht, und zugleich, wie auch bei der Wendung zu Beginn von VP 7, einen Fortschritt der Erzählung impliziert. VP 10 beginnt mit den Worten: Et post sanctum osculum residens Paulus cum Antonio ita exorsus est (VP 10,1). Damit ist an die vorangehende Begrüßungsszene angeknüpft und zugleich ein inhaltlich eigenständiger Gesprächsabschnitt eingeleitet (die Fragen des Paulus um den Zustand der Welt). Die folgende Rabenszene (VP 10,2f.) setzt sich inhaltlich als eigene Szene ab, wird jedoch mit der Phrase inter has sermocinationes an die Unterhaltung von VP 10,1 angebunden. Trotz der Tatsache, dass sich die letzte Unterredung zwischen den beiden Mönchen über die Kapitel 11 und 12 erstreckt, ist mit his Antonius auditis (VP 12,1) der Rückbezug auf die vorangehende Rede des Paulus hergestellt und mit precabatur ein Neueinsatz vorgenommen, der zugleich den Handlungsschwerpunkt von Paulus auf Antonius verschiebt. Die letzten drei Kapitel des Erzählteils sind durch die temporalen Konjunktionen tandem (VP 13,1), tunc (VP 14,1) und postea (VP 15,1) als kopulative Glieder zusammengebunden.19 Diese textlichen Beobachtungen stützen den Eindruck, dass Hieronymus in Szenen denkt. Die deutliche Autonomie einiger dieser Szenen lässt sich eventuell darauf zurückführen, dass Hieronymus einzelne Anekdoten, die er aus anderen Kontexten kannte oder tatsächlich über Paulus gehört hatte, in seine Gesamterzählung einfließen ließ. Doch auch unabhängig von solchen literarund traditionskritischen Überlegungen ist mit der szenischen Vereinzelung ein Formprinzip des Hieronymus identifiziert, auf das es sich lohnt einen Blick hinsichtlich seines narrativen und hagiographischen Effekts zu werfen. Indem das Erzählpensum der Vita Pauli etappenweise abgegolten wird 20 und dabei das Verhalten der jeweiligen Akteure in je einer geschlossenen Situation immer wieder neu aussagekräftig wirkt, fügen sich die vereinzelten Szenen, in den Worten Kechs, „kaleidoskopisch zu einem erbaulichen Gesamtgemälde“ zusammen21. Für Kech liegt der entscheidende Grund für dieses erzählerische Verfahren also in dem für hagiographische Literatur im Allgemeinen zentralen Anliegen der Erbauung. Hinter jeder einzelnen Szene verbirgt sich, laut Kech, dasselbe Ansinnen, das auch einer Predigt zugrunde liegt, und zwar, „Menschen zu gewinnen und Gewonnene immer besser zu
19 Für die Kapitel 2 und 3 fehlen zwar entsprechende Textsignale, das erzählerische Prinzip der szenischen Vereinzelung gibt sich jedoch auch hier ohne weiteres zu erkennen: Während VP 2 von den Christenverfolgungen berichtet und dabei zwei Christenverfolger explizit nennt, schildert VP 3 Martyrien, deren Akteure anonym bleiben. Es handelt sich deutlich um zwei unabhängige Szenen. 20 Kech bezeichnet den Aufbau der Vita dementsprechend als „tableauartig“ (vgl. Unterhaltungsliteratur, 22). 21 Ibid.
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II. Die Vita Pauli
überzeugen und zu festigen“ 22 . Die Tendenz zur szenischen Vereinzelung, welche man „in ihren verschiedenen Nuancen ebenso gut als das schriftstellerische Bemühen um Konzentration, Selektion, Konkretisation und Objektivierung (Verdinglichung)“23 bezeichnen könne – „denn sie arbeitet bewußt und massiv auf ein Schaustück von eindringlicher Unmittelbarkeit hin“ 24 –, kommt diesem Ziel der Erbauung nach; der Autor, so Kech, „verspricht sich davon offenbar eine intensivierende Wirkung“25. Das Formprinzip der szenischen Vereinzelung und der etappenartige Aufbau der Vita erfüllen für Hieronymus also einen wichtigen Zweck: Die Leserschaft muss in ihrer Lektüre keinen langen Atem beweisen. Sie wird vielmehr in kurzen Szenen immer wieder neu dazu animiert, gespannt weiter zu lesen. Jede Szene ist anschaulich gestaltet und gedanklich klar abgegrenzt. Dazu tragen nicht zuletzt die sprachlichen Bindeglieder bei, die für die Aufmerksamkeit des Lesers/der Leserin eine wichtige Rolle spielen. Doch Gestaltung und Form erfüllen für Hieronymus keinen Zweck an sich. Sie unterstreichen vielmehr das, was bereits mit Blick auf die narrative Dominanz einzelner Erzählabschnitte festgestellt worden ist: Hieronymus will seiner Leserschaft auf unterhaltsame Weise Glaubensinhalte vermitteln. Über Glaubensinhalte kann zwar auch ein wissenschaftlicher Traktat geschrieben werden. Weitaus eindrücklicher, unmittelbar erbaulicher und in ihrer Einprägsamkeit nachhaltiger wirken jene Inhalte jedoch, wenn sie in Form einer Erzählung vermittelt werden, die inhaltlich spannend und formell ansprechend gestaltet ist. Hieronymus predigt also mit der Vita Pauli, die aus einzelnen, aneinander gereihten, aussagekräftiger Szenen besteht, christliche Vorstellungen von Heiligkeit. 2.4. Narrative Spannungsbögen Wie bereits erwähnt, wirkt die Vita trotz szenischer Vereinzelung keinesfalls zerstückelt. Die kompositorischen Bemühungen des Hieronymus um die Geschlossenheit und den Zusammenhang seines „kaleidoskopischen Gesamtgemäldes“ ist an vielen Stellen deutlich zu erkennen. So werden die einzelnen Szenen nicht nur durch kopulative Glieder, sondern auch durch wiederholende Motive zu größeren Einheiten zusammengebunden. Als anschauliches Beispiel dient dafür die Reise des Antonius (VP 7–9), deren drei szenische Etappen durch die Korrelate „Abreise“ und „Ankunft“ erzählerisch gerahmt werden (s.u. II.2.6). Durch die Motive „Wegunkenntnis“, „Gottvertrauen“ und „wunderbare Hilfe durch das unvermutete Erscheinen tierischer We22 A.a.O., 13; Kech bezieht sich hier auf Martin DIBELIUS, Die Formgeschichte des Evangeliums, Tübingen 61971, 35. 23 KECH, Unterhaltungsliteratur, 33. 24 Ibid. 25 A.a.O., 118.
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2. Aufbau und narrative Strukturen
sen“ verhält sich, wie Kech bemerkt, „das Ende der Reise spiegelbildlich zu ihrem Beginn“26: Die erste Reise des Antonius rahmende Motive
Kap 7,2–4
Kap 9,1–2 „Wegunkenntnis“
Illico erumpente luce uenerabilis senex infirmos artus baculo regente sustentans coepit ire uelle quo nesciebat.
Antonius coepta regione pergebat, ferarum tantum uestigia intuens et eremi latam uastitatem. Quid ageret, quo uerteret gradum? Iam altera effluxerat dies […]
„Gottvertrauen“
Et iam media dies coquente desuper sole feruebat, nec tamen a coepto itinere deducebatur dicens: ‚Credo Deo meo, quod olim seruum suum, quem mihi promisit, ostendet.‘
[…] restabat unum, ut deseri se a Christo non posse confideret. Pernox secundas in oratione exegit tenebras, […]
„Wunderbare Hilfe“ (durch tierische Wesen)
Nec plura his, conspicatur hominem equo mixtum, cui opinio poetarum Hippocentauro uocabulum indidit.
[…] et dubia adhuc luce haud procul intuetur lupam sitis ardoribus anhelantem ad radicem montis inrepere.
Auch die vier Kapitel, in denen Antonius und Paulus zusammen vorkommen (VP 9–12), weisen eine spezifische Struktur auf. Aus Sicht des Formprinzips der szenischen Vereinzelung, wobei sich die einzelnen Erzähletappen auf je einen der beiden Akteure konzentrieren, die somit „Anziehungspunkte für kleine szenische Arrangements“27 bilden, lässt sich zunächst beobachten, dass, obwohl hier beide Figuren stets präsent sind, in jeder Szene jeweils nur einer agiert, während der andere lediglich re-agiert. 28 Werden diese vier Kapitel 26
A.a.O., 40. A.a.O., 22. 28 So ist Kapitel 9, das den Abschluss der ersten Reise des Antonius beschreibt, durch das Handeln des Antonius geprägt, wohingegen Paulus, der erst zum Schluss des Kapitels überhaupt auftaucht, lediglich auf das fordernde Bitten des Antonius (Antonius […] precabatur, dicens [VP 9,5]) „antwortet“ (Atque huic responsum paucus ita reddidit heros 27
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II. Die Vita Pauli
und die in ihnen enthaltenen Schwerpunktverschiebungen zusammen betrachtet, zeigt sich eine übergreifende Struktur, welche die vier Kapitel zugleich in ihren größeren narrativen Kontext einbindet: Als „Pauluskapitel“ sind VP 10 und 11 gewissermaßen der Höhepunkt der Abenteuergeschichte des Antonius. Erzählerisch wird dieser Höhepunkt von den Reisen des Antonius (VP 7–9 und VP 12–15) gerahmt, wobei die gemeinsamen Kapitel VP 9 und VP 12 gewissermaßen als „Übergangskapitel“ fungieren, in denen der Schwerpunkt fließend von einem Akteur zum anderen übergeht. So wird Antonius in VP 9 zugunsten des Paulus gewissermaßen allmählich ausgeblendet. Nach den beiden „Pauluskapiteln“ folgt mit VP 12 erneut eine Akzentverschiebung, wobei Paulus zunehmend in den Hintergrund gerät, Antonius hingegen graduell in Szene gesetzt und so reibungslos wieder zum einzigen (lebenden) Handlungsträger der Erzählung erhoben wird. Wie zu Beginn der Begegnung von Paulus und Antonius ist dieser in VP 12 wieder in der bittenden und auffordernden Position (Antonius […] precabatur [VP 12,1]), wohingegen jener lediglich „antwortet“. Damit erhalten die vier gemeinsamen Kapitel gewissermaßen eine symmetrische Struktur:
[VP 9,6]). Das folgende Kapitel 10 hingegen ist ein Paulus-Kapitel: Bereits der erste Satz macht Paulus zum Akteur und Antonius zur Nebenfigur, indem Paulus grammatisches Subjekt, Antonius Objekt des Satzes ist (residens Paulus cum Antonio [VP 10,1]). Es folgt ein Monolog des Paulus, der in der Aufforderung an Antonius mündet, Fragen zu beantworten: narra mihi, quaeso (VP 10,1). So sehr steht Paulus dabei im Mittelpunkt, dass die Antworten des Antonius hier keine Rolle spielen und gar nicht erst verzeichnet sind (vgl. VP 10,2). Auf das Brotwunder reagiert nur Paulus: Eia, inquit Paulus, Dominus nobis prandium misit (VP 10,3). Antonius bleibt in diesem Kapitel weitestgehend unbeteiligt. Am ausgewogensten hinsichtlich des Handlungsanteils scheint zwar noch Kapitel 11, doch auch hier steht nur einer der Eremiten letztlich im Vordergrund: In der Anekdote über das Brotbrechen ist Paulus der erstgenannte (Paulus more cogebat hospitii, Antonius iure refellebat aetatis [VP 11,1]) und direkt im Anschluss übernimmt Paulus (als Subjekt) auch wieder das Wort und richtet sich an Antonius (als Objekt) mit einer Belehrung über seinen bevorstehenden Tod (Paulus ad Antonium sic locutus est [VP 11,3]). Kapitel 12 blickt schwerpunktmäßig wiederum auf Antonius als Subjekt der Handlung: Antonius bittet (Antonius […] precabatur [VP 12,1]), Paulus „antwortet“, und es ist Antonius (als Subjekt), der quasi Christum in Paulo sieht (VP 12,4) und schließlich seine Rückreise wieder antritt (ad monasterium […] regrediebatur [VP 12,4]).
2. Aufbau und narrative Strukturen
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Aufteilung der Handlungsschwerpunkte der gemeinsamen Kapitel (VP 9–12)
VP 9:
VP 7–9
Antonius wird „ausgeblendet“
VP 10: Paulus VP 11: Paulus
agiert, Antonius reagiert
VP 12: Antonius wird „eingeblendet“ VP 13–16
Abbildung 3
© Yorick Schulz-Wackerbarth 2017
Wie bereits mit Blick auf das Prinzip der szenischen Vereinzelung festgestellt, so fungieren auch hier textliche Strukturen als Träger inhaltlicher Aussagen. Paulus spielt in der Vita insgesamt keine dominante Rolle. Gerade dadurch wird aber seine Bedeutung mit der strukturellen Zuspitzung der Erzählung in den Kapiteln 10 und 11 umso effektiver hervorgehoben: Alles kreist um die Begegnung mit dem Heiligen. Die Szenen, in denen er die Handlung aktiv bestimmt, bilden den Höhepunkt der Erzählung. Mit der narrativen Zuspitzung auf diese Szenen wird auch den Worten und dem Wesen des Heiligen, das durch sein Handeln zum Ausdruck kommt, Gewicht verliehen. Auch hier lancieren also strukturelle Mittel die hagiographische Intention des Hieronymus. 2.5. Eine trinitarische Struktur? Über die Strukturen im Kleinen (durch szenische Vereinzelung) und im Größeren (durch den Zusammenschluss einzelner Szenen zu Sinnabschnitten mit ihren je eigenen Strukturen) enthält die Vita auch Strukturmomente, die sich erst durch einen Blick auf das Gesamtwerk als solche erschließen. In theologischer Hinsicht durchaus bemerkenswert ist hier eine These Susan Weingartens, die auf den strukturellen Beobachtungen Adalbert de Vogüés basiert, der die Vita als „bipartite“ bezeichnet. Die Vita, so de Vogüé, zeichne sich dadurch aus, dass ihre Handlungsträger und Motive stets in Zweiergruppen auftreten: „Tout, dans cette Vie, va par deux“29. Nebst den zwei Protagonisten gehören zu den von de Vogüé identifizierten Paaren: − zwei Christenverfolger (VP 2), − zwei Martyrien (VP 3), 29
DE VOGÜE, Histoire littéraire, 154.
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II. Die Vita Pauli
− − − − − −
zwei Beispiele für die Nahrungsaskese syrischer Mönche (VP 6), zwei Wesen in der Wüste: Zentaur (VP 7) und Faun (VP 8), zwei Beweise gegen den Zweifel an dem Erzählten (VP 6 und 8), zwei Jünger des Antonius (VP 1 und 13), zwei Löwen (VP 16), zwei Besuche des Antonius bei Paulus (VP 9–12 und 15–16).30
Susan Weingarten greift diese Beobachtungen auf, hält aber dagegen, dass Hieronymus hier subtiler vorgegangen sei. Statt Paaren sieht sie in der Vita durchwegs Dreiergruppierungen, die sie für „more suited to a Christian work“ hält, „for three is the number of the Trinity“31. Dabei, so Weingarten, unterscheide sich das dritte Glied einer jeweiligen Triade oft von den anderen beiden Elementen oder transzendiere sie sogar, „but is certainly clearly connected to the other two, emotionally, developmentally or visually.“32 Weingartens Darstellung der Triaden zielt auf das letzte Kapitel der Vita, in dem Antonius und Paulus „the ultimate completion of their triad“33 erhalten: Die Tunika des Paulus nämlich sei „the one possession that Jerome himself would aspire to, rather than the purple robes of kings.“34 In der Gestalt eines demütigen Gebets habe sich Hieronymus nicht nur selbst in das Leben seines Heiligen hineingeschrieben, als Dritter in der Reihe der krönenden Triade habe er sich vielmehr zum wahren Nachfolger in der Askese sowohl des Paulus als auch des Antonius gemacht. Die Beobachtungen Weingartens führen nicht nur zu der Behauptung, dass hinter dem auf der Basis des Motivs der „Dreiheit“ komponierten Gesamtkonzept der Vita das bewusste Bestreben eines christlichen Theologen stehe, um mit eben jenen dreigliedrigen Strukturen einem theologischen Ideal (der Trinität) zu entsprechen, sondern auch, dass Hieronymus mit der Wiederholung dieser Dreiergruppen eine argumentative Strategie verfolge: Mit den 30
Vgl. ibid. WEINGARTEN, Saint’s saints, 76. 32 Ibid. So sei bei genauerer Betrachtung, laut Weingarten, nicht von zwei Verfolgern die Rede, sondern vielmehr ergänze Hieronymus den hostis callidus (VP 2,2), „the ultimate ‚cunning enemy‘ Satan, who destroys souls, not bodies“ (ibid.). Den Schülern Amathas und Macarius füge Hieronymus Antonius als drittes Glied hinzu, und die Wölfin müsse als dritte Begegnung des Antonius mit einem Tier bzw. Fabelwesen auf seiner Reise gerechnet werden. Auch die Löwen bilden, ihr zufolge, „a triad of beasts and man“ (ibid.) – zunächst mit Paulus und dann mit Antonius. Mit den monastischen „predecessors“ (a.a.O., 75) Elia und Johannes entdeckt Weingarten eine weitere vermeintliche Paarung, die sich unter Hinzunahme des Paulus schlussendlich auch als Dreiergruppe herausstellt (vgl. a.a.O., 76). Als Dreierfolge sei auch die Sukzessionslinie für den Mantel des Athanasius aufzufassen, „which passes from Athanasius to Antony and finally to Paul“ (ibid.). 33 Ibid. 34 A.a.O., 77. 31
2. Aufbau und narrative Strukturen
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Triaden, die sich durch die gesamte Vita ziehen, biete Hieronymus, so Weingarten, gewissermaßen einen konzeptionellen Schlüssel, mit dem sich die letzte, lediglich angedeutete Triade erschließe. Die dreigliedrigen Strukturen seien also das konzeptionelle Fundament, auf dessen Basis Hieronymus der Aussage Nachdruck zu verleihen hoffe, dass er (als drittes Glied der letzten Dreiergruppe der Vita) der eigentliche Erbe des Antonius und des Paulus sei. Die These ist auf den ersten Blick bestechend, denn dem von Weingarten genannten Ziel des Hieronymus, sich selbst als Erben der Archegeten der Askese darzustellen, kann sicherlich zugestimmt werden. Solide argumentativ fundiert ist diese These bei Weingarten aber leider nicht. So überzeugen bei Weitem nicht alle der von ihr identifizierten Dreiergruppen: Fraglich ist zunächst, ob der hostis callidus (VP 2,2) tatsächlich als Ergänzung zu den zwei genannten Verfolgern aufgefasst werden kann (welchen Zweck hätte in diesem Zusammenhang die Einführung eines zusätzlichen, dritten Akteurs?), oder ob hier nicht vielmehr eine bereits in Märtyrererzählungen weitverbreitete „Verschmelzung“ von menschlichen Verfolgern und dem Satan vorliegt.35 Ebenso fragwürdig ist die von Weingarten identifizierte 35 Vgl. z.B. GEMEINHARDT, Demons, 558: „Martyr accounts depict conflict with the Roman Empire as combat between Christian believers and the devil, whose agents are demons, that stir up the pagans to persecute the Christians“; vgl. auch ders., Tota paradisi, 104. In den Märtyrererzählungen wird meist der Satan selbst als eigentlicher Antagonist genannt, auch wenn es stets menschliche Herrscher, Richter, Verleumder oder Henker sind, die in den Erzählungen Befehle geben, Urteile aussprechen oder die Christen konkret bedrängen, verraten, foltern und hinrichten. Als prominentes Beispiel dient das Martyrium des Polycarp von Smyrna (das Todesjahr Polycarps ist in der Forschung umstritten. Es wird zwischen den Jahren 155 und 167 angesetzt. FRENSCHKOWSKI, Polycarp, 811, optiert mit C.A. Behr für den 23. Febr. 166; vgl. KÖNIG, Polycarp, 585). Hier wird zwar ein gewisser Nicetes als konkreter Gegner genannt, zugleich ist jedoch die Rede von dem ἀντίζηλος καὶ βάσκανος καὶ πονηρός, ὁ ἀντικείμενος τῷ γένει τῶν δικαίων (m. Polyc. 17,1 [SQS 3, 6,13f. KNOPF]), der gegen die Christen kämpft. In dem von Eusebius von Cäsarea überlieferten Brief der Gemeinden von Lyon und Vienne (ca. 177) wird von Anbeginn an auf die Machenschaften des ἀντικείμενος verwiesen, der hinter den zahlreichen Misshandlungen selbst steht (vgl. m. Lugd. 1,7 [SC 41, 7 BARDY]: [Ἐ]πιβοήσεις καὶ πληγὰς καὶ συρμοὺς καὶ διαρπαγὰς καὶ λίθων βολὰς καὶ συγκλείσεις); damit sind die Misshandlungen sowohl durch die gesamte Volksmenge als auch durch den χιλιάρχος (vgl. m. Lugd. 1,8 [SC 41, 7f. BARDY]) und den ἡγεμών (m. Lugd. 1,9 [SC 41, 8 BARDY]) gemeint. Auch die verleumderische Anklage der Heiden gegen die Christen wird als ἐνέδρα τοῦ σατανᾶ (vgl. m. Lugd. 1,14 [SC 41, 9f. BARDY]) beschrieben. In der Passio Perpetua et Felicitatis (die Hinrichtung der Märtyrerinnen fand 203 oder 204 in Karthago statt [vgl. SEELIGER, Märtyrerakten, 472]) ist zwar zunächst ausschließlich von menschlichen Agitatoren die Rede, dem tribunus (p. Perp. 18,6 [SC 417, 166,16 AMAT]), dem procurator Hilarianus (p. Perp. 18,8 [SC 417, 166,19–168,21 AMAT]), aber auch dem populus (p. Perp. 18,9 [SC 417, 168,22 AMAT]) und den venatori (p. Perp. 18,9.19,5 [SC 417, 168,23.170,10 AMAT]), doch schließlich ist es auch hier der diabolus selbst, der die wilden Tiere gegen die Märty-
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Dreierfolge ‚Amathas-Macarius-Antonius‘, besonders wenn sie als inhaltliche Parallelkonstruktion zu der offensichtlicheren Dreierkette ‚Elia-JohannesPaulus‘ dargestellt wird.36 Der Hinweis Weingartens auf die Tatsache, dass Antonius drei, nicht etwa zwei „bestial and mythological creatures“37 begegnet, geschieht zwar völlig zu Recht. Fraglich ist aber, ob es sich dabei tatsächlich um drei vergleichbare Glieder einer „Triade“ handelt. Abgesehen von der grundsätzlichen Differenz im Wesen der drei Kreaturen38 sind die drei Begegnungen bereits vom erzählerischen Umfang kaum vergleichbar. 39 Auch von ihrer in der Vita selbst rerinnen in die Arena schickt (vgl. p. Perp. 20,1 [SC 417, 170,1f. AMAT]: Puellis autem ferocissimam uaccam, ideoque praeter consuetudinem conparatam, diabolus praeparauit). Keine dieser Erzählungen problematisiert oder reflektiert diese „personelle“ Einheit. Sie ist vielmehr ein sich anscheinend selbsterklärendes Motiv. Dasselbe ist auch für die Vita Pauli anzunehmen. Der hostis callidus ist durchaus als Satan aufzufassen. Er ist jedoch zugleich Decius und Valerian. Hier also von einer „Dreiheit“ zu sprechen, überspannt den interpretatorischen Bogen mit Blick auf die dahinter stehende Tradition. 36 Antonius, so Weingarten, sei im Verhältnis zu Amathas und Macarius „a third and greater figure“ (WEINGARTEN, Saint’s saints, 76). In entsprechendem Verhältnis stehe Paulus zu Elia und Johannes, „transcending even them“ (ibid.). Doch der Vergleich hinkt: Macarius und Amathas sind nämlich nicht (wie Elia und Johannes im Verhältnis zu Paulus) Vorgänger, sondern Schüler (also Nachfolger). In ihrer Eigenschaft als Schüler stehen sie zudem auf einer Ebene und somit gemeinsam im Rang unter Antonius. Ihre Funktion innerhalb der Erzählung und der Grund, warum sie zu zweit auftreten, lässt sich zudem aus anderen Zusammenhängen viel leichter erklären, denn es handelt sich um eine Anspielung auf die Vita Antonii des Athanasius (vgl. Ath., v. Anton. 91,1 [SC 400, 368,6–8 BARTELINK]; s.u. III.1.3). Elia, Johannes und Paulus hingegen bilden ein Dreier-Gespann, dessen Gliedern jeweils ein Eigenwert zukommt: Elia ist der alttestamentliche Repräsentant bzw. der prophetische Archetyp eines Wüstenbewohners, Johannes ist das neutestamentliche Pendant dazu, Paulus hingegen ist „der erste Mönch, der mit dem Bewohnen der Wüste angefangen hat“ (VP 1,1) – an Würdigkeit den ersten beiden zwar in nichts nachstehend und doch Repräsentant einer eigenen Erscheinung (s.u. III.1.2). Im Gegenüber zur Amathas-Macarius-Antonius Reihe, die sich, wenn überhaupt, mit einem „2:1“-Verhältnis umschreiben lässt, ist mit der Elia-Johannes-Paulus-Reihe also eher ein „1:1:1“-Verhältnis dargestellt. 37 WEINGARTEN, Saint’s saints, 76. 38 Es handelt sich um zwei eindeutig als „mythologisch“ einzuordnende Fabelwesen und eine sich weder durch Sprachfähigkeit noch durch besonderes Verhalten oder Aussehen als außergewöhnlich auszeichnende Wölfin. Zwar ist hier durchaus eine Anspielung auf die römische Wölfin anzunehmen. Anders als bei Zentaur und Faun, die konkrete Erscheinungen zweier aus der Mythologie bekannter Figuren sind, handelt es sich bei der Wölfin aber nur um eine Anspielung auf ein mythologisches Motiv. Die Wölfin in der Erzählung ist nicht „die“ Wölfin aus der Sage von Romulus und Remus. Sie ist eine Wölfin, die an eben jene mythologische Wölfin erinnert. 39 Während den Episoden um Zentaur und Faun je ein Kapitel (VP 7 und VP 8) gewidmet wird, ist vom Auftauchen der Wölfin in wenig mehr als einem Satz die Rede (VP 9,2),
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erläuterten theologischen Bedeutung her kommt diesen drei Wesen keinesfalls eine Gleichwertigkeit zu. 40 Nicht einmal als drei „Wegweiser“ 41 lassen sie sich zu einer Gruppe zusammenfügen. 42 Insgesamt erlauben also weder Wesen noch narrative Funktion die Gruppierung von Zentaur, Faun und Wölfin zu einer Triade. Kaum nachvollziehbar ist auch die Gruppierung von Eremiten und Löwen in VP 16. Unter welchem Gesichtspunkt stellt Weingarten hier eine Triade her? Geht es ihr lediglich um die bloße Präsenz dreier „Wesen“ in einer Szene, dann muss zumindest auf die Tatsache hingewiesen werden, dass nicht nur Antonius in der Szene vorkommt, sondern auch Paulus. Damit ist die Szene nicht etwa von einer Dreiergruppe, sondern von vier Wesen bestimmt: zwei Löwen und zwei Eremiten. so dass man hier, mit Kech, ohnehin „nicht von einer Wolfsszene sprechen kann“ (KECH, Unterhaltungsliteratur, 40). 40 Zentaur und Faun verweisen beide zum einen auf das unterlegene Heidentum, welches diese Wesen als portenta an der Stelle Gottes verehrt, wie Antonius direkt nach der Begegnung mit diesen Fabelwesen beklagt (vgl. VP 8,5). Sie veranschaulichen zum anderen das erfolgreiche Vordringen des Christentums in der Welt, in Folge dessen sogar die bestiae bereits Christus bekennen (vgl. VP 8,5). Auch diese Interpretation der Fabelwesen erfolgt unmittelbar nach der zweiten Begegnung (und somit noch vor der Begegnung mit der Wölfin). Entsprechend gruppiert auch Kech die zwei Fabelwesen zusammen als „Vertreter arkadischen Götterpersonals“ (KECH, Unterhaltungsliteratur, 36), womit je eine „Konfrontation zwischen einer Figur heidnischen Mythenglaubens und dem exponierten Vertreter des wahren christlichen Glaubens […] szenisch vergegenständlicht“ (ibid.) werde, um damit „das dialektische Verhältnis zwischen antiker Tradition und christlichem Totalitätsanspruch“ (a.a.O., 37f.) zu veranschaulichen. Auch in der Deutung Patricia Cox Millers von Faun und Zentaur als „means to meditate on the human condition“ (MILLER, Jerome’s centaur, 227), wird die Wölfin ausgeklammert. Für Miller sind nur Faun und Zentaur jene „ambivalent creature[s]“ (a.a.O., 222), die zur Veranschaulichung der von Hieronymus vertretenen Anthropologie fungieren. Nur für sie, nicht etwa für die Wölfin, gilt: „Animal wildness and authentic religious understanding are brought together in the hybrid images of the centaur and the satyr“ (a.a.O., 225); s.u. III.3.7, Anm. 423. 41 Gegen HOSTER, Form, 57, der behauptet, dass Antonius nur ans Ziel gelangt, weil ihm die „Geister und Tiere der Wüste“ zusammen „den Weg weisen“. 42 Anders als der Zentaur, der cum dexterae manus protensione cupitum indicat iter (VP 7,5), gibt der Faun keinerlei Auskunft über den Aufenthalt des gesuchten Eremiten. Mit den angebotenen palmarum fructus ad uiaticum (VP 8,2) scheint er in narrativer Hinsicht vielmehr als „der Überbringer von Nahrung“ zu fungieren. Nebst einem Wegweiser braucht der Wanderer schließlich auch Proviant (vgl. KECH, Unterhaltungsliteratur, 39). Durch die Beobachtung der Wölfin erhält Antonius zwar den entscheidenden Hinweis auf die verborgene Höhle des Paulus, dieser Hinweis erfolgt jedoch völlig unbeabsichtigt. Mit der expliziten Beschreibung der Wölfin als sitis ardoribus anhelans (VP 9,2) ist eher darauf hingewiesen, dass die Wölfin sich auf der Suche nach Wasser in die Höhle begibt. Damit setzt sich die Wölfin entschieden von dem intentionalen Handeln von Faun und Zentaur ab.
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II. Die Vita Pauli
Auf die übrigen von de Vogüé identifizierten Paarungen geht Weingarten gar nicht ein: So bleiben sowohl die „deux mises en garde contre l’incrédulité avec preuves à l’appui“43 (VP 6 und 8) als auch die zwei Besuche des Antonius bei Paulus (VP 9–12 und 15–16) ohne drittes Glied. Erstaunlicher ist aber die Tatsache, dass Weingarten weder die „deux exemples de moines syriens“ 44 (VP 6) noch die zwei Martyrien (VP 3) erwähnt, obwohl gerade für diese „Paare“ Paulus als drittes Glied naheläge: Als Dritter im Bund der Asketen könnte natürlich Paulus gerechnet und das gesteigerte „Martyrium“ als seine Anachorese gedeutet werden (s.u. III.5). Als weiterer Asket und „Märtyrer“ böte sich, so gesehen, aber auch Antonius an, so dass hier letztlich auch eher von Vierergruppen als von Triaden die Rede sein müsste. Die Behauptung Weingartens, die Vita Pauli sei bewusst in Dreiergruppen komponiert worden, ist eine Überinterpretation. Das lässt sich nicht zuletzt dem Fazit Weingartens selbst entnehmen, in dem sie resümiert, dass die Vita Pauli „satanic and heavenly triads as well as human and superhuman ones“45 enthalte. Fragen lässt sich, ob sich die Prämisse Weingartens, dass Hieronymus bewusst Triaden verwende, um damit dem Spezifikum des Christlichen zu entsprechen und der Trinität die Ehre zu erweisen, tatsächlich mit der Beobachtung „dämonischer Triaden“ vereinbaren lässt. Weingarten schießt mit ihrer These über das Ziel hinaus. Damit ist keinesfalls gesagt, dass die Vita gar keine Dreiergruppen enthält. Als Dreiergruppe eindeutig vertretbar ist nicht nur die explizit aufgeführte Namenskette „EliaJohannes-Paulus“ in VP 13,1, sondern auch die Sukzessionsreihen der Mantelerben („Athanasius-Antonius-Paulus“ und „Antonius-Paulus-Hieronymus“) sind ohne weiteres nachvollziehbar. Mit ihren Beobachtungen hat Weingarten aber nicht bewiesen, dass der christliche Theologe geradezu selbstverständlich „trinitarisch“ denkt und Hieronymus seine Vita bewusst mit Triaden bestückt hat. Ihre Analyse trägt aber entscheidend dazu bei, den gleichermaßen vereinfachenden Ansatz de Vogüés zu relativieren. Weder eine Beschränkung auf Paare noch auf Dreiergruppen wird der Vita insgesamt gerecht. Vielmehr enthält die Schrift des Hieronymus sowohl das eine als auch das andere. Dadurch stellt sich aber die Frage, ob Hieronymus überhaupt ein die Vita übergreifendes Zahlenkonzept vorschwebte? Sicherlich werden mit Zweierund Dreiergruppen in ihren jeweiligen Kontexten rhetorische Effekte der Steigerung oder Parallelisierung bewirkt. Einzelne Gruppen sind also nicht willkürlich gewählt. Sie stellen aber kein übergreifendes Konzept dar. Der zentralen These Weingartens, dass Hieronymus als drittes Glied der Sukzes43
DE VOGÜE, Histoire littéraire, 154. Ibid. 45 WEINGARTEN, Saint’s saints, 76. 44
2. Aufbau und narrative Strukturen
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sion von Antonius über Paulus Anspruch auf des Letzteren Tunika erhebt, ist damit nicht widersprochen. Fraglich ist nur, ob es notwendig ist, die gesamte Vita auf dreigliedrige Strukturen hin zu deuten, um diese Aussage entsprechend würdigen bzw. überhaupt als solche erkennen zu können. Es scheint vielmehr, dass Hieronymus auch ohne die „Vorbereitung“ durch andere Dreier-Ketten in der Vita als „Erbe“ des Paulus zu erkennen ist. Als aussagekräftiger nicht nur für den übergreifenden Aufbau der Vita, sondern auch für ihre hagiographische Intention, erweist sich die „Reise“ als Erzählstruktur mit den zentralen Motiven der Bewegung und der Orte. 2.6. Die Reise als Erzählstruktur Mit VP 7 setzt ein neuer Handlungsstrang ein, dessen narrative „Katalysatoren“ in dem Gedanken des Antonius liegen, dass nullum ultra se monacharum in eremo consedisse (VP 7,1), und in der daraus resultierenden göttlichen Aufforderung, den als multo se melior (VP 7,2) offenbarten Eremiten aufzusuchen. Diese Impulse führen zu der Kette der Ereignisse, die in ihrer Gesamtheit die ‚Geschichte der Begegnung von Paulus und Antonius‘, d.h. den Hauptteil der Vita bilden (VP 7–16). Es handelt sich in literarischer Hinsicht, wie bereits betont, um eine Abenteuergeschichte des Antonius. Seine Reisen und Aufenthalte an verschiedenen Orten sind demnach Grundlage für eine Unterteilung des Hauptteils in vier Abschnitte (vgl. im Folgenden Abbildung 4): I – Die erste Reise des Antonius (VP 7–9) II – Der erste Besuch bei Paulus (VP 10–12) I' – Die zweite Reise des Antonius (VP 13–15) II' – Der zweite Besuch bei Paulus (VP 16) Die zwei Reiseberichte (I und I') sind jeweils von ‚Aufbruch‘ (von der Einsiedelei des Antonius [A]) und ‚Ankunft‘ (bei der Einsiedelei des Paulus [P]) gerahmt, die Abschnitte II und II' enden jeweils mit dem Hinweis auf die ‚Rückkehr‘ (zur Einsiedelei des Antonius [A]). So bricht Antonius in VP 7 von seiner Einsiedelei (A) auf (uenerabilis senex…coepit ire [VP 7,2]) und findet in VP 9 schließlich die Höhle des Paulus (P) ([q]uaesiui et inueni, pulso ut aperiatur [VP 9,5]). Die eigentliche Ankunft ist durch die den Abschnitt abschließende Begrüßung der beiden Eremiten gekennzeichnet (dum in mutuos miscentur amplexus, propriis se salutauere nominibus; gratiae Domino in commune referuntur [VP 9,6]).
54
II. Die Vita Pauli
Gliederung des Erzählteils der Vita Pauli (VP 2-16) Hintergrund und Kontext
VORGESCHICHTE
2) Christenverfolgungen 3) Martyrien
Das principium des Paulus
PAULUS
4) Herkunft, Jugend und Aufenthaltsort 5) Flucht 6) Askese
Die fines des Paulus I Die erste Reise des Antonius
8)
… dem Faun
9)
… der Wölfin
Ankunft
A P
ANTONIUS
PAULUS
II Der erste Aufenthalt bei Paulus 10) Erkundigungen nach der Welt; Raben-Wunder
P
11) Gemeinsames Mahl; Todesankündigung
P
12) Der Mantel des Athanasius
P
Rückkehr →
A
Aufbruch
A
Ankunft
P
I' Die zweite Reise des Antonius 13) Fragen der Schüler
(PAULUS)
14) Vision 15) Auffinden des Leichnams des Paulus
II' Der zweite Aufenthalt bei Paulus
P
16) Begräbnis
P A
= Einsiedelei des Antonius
Abbildung 4
P
Rückkehr →
HAUPTTEIL: „Die Begegnung von Paulus und Antonius“
7) Traum Begegnung mit … dem Zentauren Aufbruch
A
= Einsiedelei des Paulus © Yorick Schulz-Wackerbarth 2017
2. Aufbau und narrative Strukturen
55
Die Handlung der folgenden drei Kapitel (VP 10–12 = II) findet in der Einsiedelei des Paulus statt (P). Dort bleibt Antonius, bis Paulus ihn in VP 12 zum Aufbruch auffordert (perge! [VP 12,2] Antonius […] ad monasterium […] regrediebatur [VP 12,4]) (A). In seiner eigenen Einsiedelei angekommen beginnt in VP 13 ein zweiter Reisebericht (I') mit gleichem Ziel wie der erste: Paulus holt den erbetenen Mantel und bricht auf (protulit […] tunc egressus foras et […] per uiam qua uenerat regrediebatur [VP 13,2–14,1]). Diese zweite Reise ist in VP 15 mit der Auffindung der Leiche des Paulus in seiner Höhle (P) beendet (introgressus speluncam uidet…corpus exanime [VP 15,1]). VP 16 beschreibt ausführlich das Begräbnis des Paulus durch Antonius in der Nähe seiner Höhle (P) und endet mit dem Verweis auf die Rückkehr des Antonius in seine eigene Einsiedelei (ad monasterium reuersus [VP 16,8]) (A). Mit diesen, die Erzählung strukturierenden Themen und Reise-Motiven (Aufbruch, Ankunft, Reise, Ort, Begegnung 46 ) sind, laut Alison Goddard Elliott, die zentralen narrativen Elemente identifiziert47, die für viele Mönchsviten gewissermaßen eine gemeinsame narrative Grammatik darstellen 48 . Reduziere man diese Erzählungen auf ihre essentiellen strukturellen Komponenten, zeige sich bei allen eine vergleichbare „basic frame or outline“ 49 . Damit ist mit Blick auf die Vita Pauli zwar keinesfalls auf eine bereits bestehende „Form“ verwiesen, die Hieronymus hier etwa lediglich anwende – schließlich ist seine Erzählung eine der frühesten Versionen einer Mönchsvita. Mit den von Elliott identifizierten Themen und Motiven ist vielmehr etwas Wesentliches über die Eigenheit jener „neuen“ christlichen Erzählungen über Heilige ausgesagt, wie sie sich als „Mönchsviten“ von den „alten“ Martyriums-„Berichten“ auch in formaler Hinsicht unterscheiden. Die Reise-Struktur der Erzählung über einen einsamen Eremiten ist natürlich zunächst aus rein praktischen Gründen notwendig: Nur indem sich einer auf den Weg macht, lässt sich von einem Ideal berichten, das sich u.a. gerade an der Radikalität des Rückzugs festmacht. So betont Elliott: „Narrating the life of the desert solitary poses a serious problem, for unless the author adopts the stance of the anonymous, omniscient narrator […], there is no way for the experiences of these saints to become known to the world except for a traveler to return to civilization, bearing the tale.“50
46 ELLIOTT, Roads, 58–60, spricht u.a. von den „themes“: „departure“, „journey“, „place“ und „encounter“. 47 Vgl. a.a.O., 58. 48 Vgl. a.a.O., 8. 49 A.a.O., 58. 50 A.a.O., 73f.
56
II. Die Vita Pauli
Darüber hinaus ist die „Reise“-Struktur jedoch auch nötig, da eine Veranschaulichung des Lebens eines Heiligen grundsätzlich eine andere narrative Struktur erfordert als ein Bericht, der sich nur auf den Tod eines Heiligen beschränkt.51 Diese äußere sich, so Elliott, im Wesentlichen darin, dass an die Stelle der „binary structure“ der passiones, deren „motivating thrust“ sich durch eine vergleichsweise statische Opposition von gut und böse, christlich und pagan auszeichne, in den Viten vielmehr ein „gradational scheme“ trete – „a fluid scale of values that moves from good to better to best.“52 Anders als bei dem Märtyrer/der Märtyrerin, dessen/deren Heiligkeit primär in einem radikalen Akt der Nachfolge begründet ist, begibt sich der asketische Protagonist auf eine Reise, bei der er sich dem Heiligen graduell nähert – sei es durch eine immer radikalere Nachfolge (z.B. mit Nahrungsaskese, Dämonenbekämpfung, Anachorese, etc.), sei es durch das Vorrücken zu heiligen Personen, die immer tiefer in der Wüste leben. Auch für die Leserschaft, die auf die Reise des Heiligen mitgenommen wird, ist diese narrative Struktur wichtig: Anders als bei dem Märtyrer/der Märtyrerin, dessen/deren Zeugen-Tod eindeutig als eine Form der Nachfolge Christi gekennzeichnet ist, muss sich der Anachoret erst im Laufe der Zeit (d.h. im Laufe seines Lebens bzw. seiner Reise) als Heiliger erweisen – erst das außergewöhnlich lange Fasten oder gar der lebenslange Rückzug zeichnen den Asketen als Heiligen aus (s.u. III.1 und III.5). Erzählt werden muss demnach von einem Lebensweg, im Verlauf dessen deutlich wird, dass es sich tatsächlich um einen Heiligen handelt. Entsprechend enthalte ein typischer „plot“ jener monastischen Hagiographie, so Elliott, „a journey, a quest, as the saint withdraws from the world in search of greater sanctity.“53 Die von Elliott identifizierten „themes“ und „motives“, anhand derer die Mönchs-Vita eine ganz bestimmte Struktur erhält, übermitteln somit „much of the deeper ‚meaning‘ of the tale“54, indem sie wesentlich zur Darstellung eines „anderen“ Heiligen beitragen. Zweimal macht sich der Leser/die Leserin in der Vita Pauli auf den Weg: einmal mit Paulus und einmal mit Antonius. Diese Reisen sind aber von unterschiedlicher Bedeutung. In VP 4–6 flieht der Leser/die Leserin zunächst mit Paulus in Wüste. Mit dem Hinweis auf seine radikale Askese und Anachorese in VP 6,1f. verdeutlicht Hieronymus, dass er im Prinzip als Heiliger „angekommen“ ist (s.u. III.1.6). Im Hauptteil der Vita ist Paulus nun das Ideal, der „bessere Eremit“ (s.u. III.1.4), zu dem sich Antonius, und mit ihm der Leser/die Leserin, auf den Weg machen muss. Auf seiner Reise zum Hei51
Vgl. a.a.O., 45. Ibid. 53 ELLIOTT, Roads, 45. 54 A.a.O., 41. 52
2. Aufbau und narrative Strukturen
57
ligen ist Antonius für die Leserschaft also die Identifikationsfigur, nicht das angestrebte Ideal. 2.7. Ein chronologischer Aufbau Mit ihren „Reisestrukturen“ ist die Vita Pauli nicht untypisch für eine Erzählung aus dem Bereich eremitischer Literatur. Dabei lassen sich viele der strukturellen Parallelen mit anderen Viten der Wüstenväter sogar zurückführen auf den Einfluss der äußerst populären Schrift des Hieronymus – „perhaps the earliest extant version of the now familiar tale of the desert saint on the eve of his death discovered by a pious traveler“55. Dabei weist die Vita Pauli jedoch einen entscheidenden Unterschied auf, der für den hagiographischen Anspruch des Hieronymus von großer Bedeutung ist. Dieser Unterschied zeigt sich in der Stellung der als „Vorgeschichte“ abgegrenzten Kapitel VP 2–6. Wie bereits hervorgehoben, beinhaltet dieser Abschnitt (VP 2–6) zwei Aspekte: die Christenverfolgungen (VP 2–3) und die Schilderung der „Anfänge“ des Paulus und seiner Wüstenaskese (VP 4–6). Für den narrativen Aufbau der Vita erfüllen die in VP 2 thematisierten Christenverfolgungen unter Decius und Valerian und die Beispiele zweier Martyrien in VP 3 einen wichtigen Zweck: Nebst ihrer Funktion als historische Verankerung der Erzählung über Paulus von Theben, aufgrund derer der Geschichte und ihrem Protagonisten eine historische Plausibilität zukommt, ist mit ihnen zugleich eine erzählerische Basis geschaffen, auf der Hieronymus mit seinem biographischen Bericht in VP 4 aufbauen kann ([p]er idem ergo tempus, quo talia gerebantur [VP 4,1]). Durch den Verrat des Schwagers ([s]ororis maritus coepit prodere uelle [VP 4,2]) sind die Christenverfolgungen zudem unmittelbar in die narrative Logik der Handlungskette verstrickt, die schließlich zu dem Beginn der Wüstenanachorese führt ([i]gitur […] omnem ibidem in orationibus et solitudine duxit aetatem [VP 6,1]). Folglich spielen die in diesen ersten Kapiteln beschriebenen Christenverfolgungen auch eine nicht unerhebliche Rolle hinsichtlich der mit der Vita Pauli verfochtenen ideellen Begründung des Eremitentums.56 Die Kapitel VP 2–3 sind damit ein wesentlicher Bestandteil der Gesamterzählung und auf mehreren Ebenen eng mit ihr verwoben – sowohl als narrativer Auslöser für Handlungselemente der Kapitel VP 4–6 (s.u. Abbildung 5 – angezeigt durch den Pfeil) als auch als Hintergrund (angezeigt durch den schraffierten Kasten) für die gesamte Erzählung über Paulus von Theben (VP 4–16) und zudem als konzeptuelle Grundlage für die mit der Vita 55
Vgl. a.a.O., 71. Besonders für die an sich problematische Flucht des Paulus erfüllt die Art und Weise der Darstellung der Christenverfolgungen eine wichtige Funktion (s.u. III.5.9). 56
58
II. Die Vita Pauli
vermittelten Vorstellungen von Anachorese und Heiligkeit. Die auffallend ungleichgewichtige Proportionierung der Erzählanteile (s.o. II.2.1) ist so gesehen durchaus verständlich. Mit der in VP 4–6 folgenden Beschreibung von Herkunft, Jugend, und Aufenthaltsort des Paulus, seiner Flucht in die Wüste und seiner Höhle (VP 5) und Askese (VP 6) ist im Prinzip das geboten, was Hieronymus seinen Leser/innen bereits im Prolog mit den pauca de Pauli principio (VP 1,4) versprochen hatte. Im Blick auf den folgenden Hauptteil bieten die Erzählungen von VP 4–6 eine Vorgeschichte, auf die zwar nicht mehr eingegangen wird, die aber, mit Blick auf die narrative Logik des Hauptteils, dem Leser/der Leserin die Existenz des von Antonius in der Wüste entdeckten Eremiten erklärt. Auf einander aufbauend sind VP 2–3 und VP 4–6 demnach Hintergrund bzw. Vorgeschichte für den mit VP 7 einsetzenden Hauptteil: Verhältnis der Hauptabschnitte des Erzählteils Christenverfolgungen (VP 2–3)
Jugend, Flucht und Beginn der Anachorese (VP 4–6) HAUPTTEIL „Die Begegnung von Paulus und Antonius“
Abbildung 5
© Yorick Schulz-Wackerbarth 2017
Vorgeschichten, in denen der anachoretische Werdegang des Wüstenvaters geschildert wird, sind auch in vielen anderen Mönchserzählungen enthalten.57 57 Mehrere Vorgeschichten dieser Art finden sich z.B. in der um 419/420 verfassten (vgl. POLLMANN, Palladius, 541; MOHRMANN, Introduzione, xiv) Historia Lausiaca des Palladius (363/364–431): So z.B. der Bericht des Amun (vgl. LAAGER, Palladius, 47–50), die Erzählung der zwei unterschiedlichen Wege, Askese in die Tat umzusetzen, bei den Brüdern Paësius und Jesaia (vgl. a.a.O., 66f.), oder die Geschichte des Makarius des Jüngeren (vgl., a.a.O., 79), um nur einige zu nennen. Vergleichbare Werdegangserzählungen finden sich auch in der Vita Onnophrii des Paphnutius (zu den Schwierigkeiten um die Person des Paphnutius vgl. VIVIAN, Paphnutius, 42–50; unter den vielen Trägern dieses Namens optiert Vivian, a.a.O., 46–50, für den von Palladius in der Historia Lausiaca genannten „Paphnutius Cephalas“ [vgl. Pall., h. Laus. 47] als „the most likely author of the Histories of the Monks of Upper Egypt and the Life of Onnophrius“ [VIVIAN, Paphnutius, 50]): Der
2. Aufbau und narrative Strukturen
59
Die Vita Pauli setzt sich jedoch durch die Stellung dieser Vorgeschichte innerhalb des Gesamtaufbaus der Erzählung ab. Eine in vielen späteren Mönchsviten anzutreffende Variante im Aufbau ist nämlich, wie Elliott zu Recht beobachtet, die Einordnung einer solchen Hintergrund-Erzählung als „tale-within-a-tale“ 58 , wobei der sich bereits in der Wüste befindende, von einem Wanderer aufgefundene Mönch, seine Geschichte in Form eines Rückblicks erzählt. Die Vita Pauli ist diesbezüglich einzigartig. Nur in ihr findet man, so auch Elliott, „a purely chronological order of narration, beginning […] at the beginning, with the departure of the young Paul for the desert, and then switching the narrative focus from this saint to relate the experiences of the traveler, Antony, who comes to visit Paul.“59 Alle übrigen Mönchsviten dieses generellen Formats beginnen mit dem Wanderer, der zugleich als Erzähler fungiert. 60 Alle Ereignisse bis zur Auffindung des Wüstenheiligen werden aus seiner Perspektive geschildert. Erst bei der Begegnung mit dem Eremiten erfolgt dann durch den Heiligen die rückblickende Erzählung seines eigenen Lebens für den Besucher.61 Anachoret Timotheus erzählt wie er zum Eremiten wurde (vgl. a.a.O., 147–149), Onnophrius selbst schildert ausführlich seine Geschichte (vgl. a.a.O., 152–156) und vier weitere Mönche berichten, wie es zu ihrem eremitischen Leben gekommen ist (vgl. a.a.O., 163f). 58 ELLIOTT, Roads, 72. 59 Ibid. 60 Elliott geht dabei ausführlich auf die Vita Onuphrii (vgl. a.a.O. 51–64), die Vita Macarii Romani (vgl. a.a.O., 65f.), die Abenteuer Zosimas, der die Heilige Maria die Ägypterin entdeckt (vgl. a.a.O., 67f.) und auf Markus den Athener, der von Serapion aufgesucht wird (vgl. a.a.O., 68–70), ein. Dasselbe Format trifft aber z.B. auch auf die Historia Lausiaca des Palladius zu: Palladius, der Erzähler, trifft auf seinen Reisen zahlreiche Einsiedler, die ihm ihre Geschichte im Rückblick erzählen. 61 Für Elliott ist dieser strukturelle Befund auch von quellengeschichtlicher Bedeutung. Die oben genannten Unterschiede im Aufbau zwischen der Vita Pauli und späteren hagiographischen Mönchsviten, die sich eindeutig auf die Vita Pauli berufen, lassen sich für Elliott nämlich nur so erklären, dass sich sowohl Hieronymus als auch die Autoren jener späteren Viten auf eine gemeinsam bekannte weitere Quelle bezogen. Hieronymus habe demnach, so Elliott, nicht etwa eine neue hagiographische Form (die „MönchsAbenteuergeschichte“) erfunden, die dann von anderen Hagiographen schlicht kopiert worden sei. Wie ließen sich in dem Fall die beschriebenen strukturellen Veränderungen erklären? Vielmehr habe er eine bereits populäre Erzählung adaptiert und auf deren Motive – „already hallowed by tradition“ – zurückgegriffen. Elliott resümiert: „Jerome’s great personal authority gave an imprimatur to the form, but the form would not have been so frequently reused, the motifs so often ‚borrowed,‘ had not the basic pattern already been familiar and, moreover, been felt to be significant“ (a.a.O., 73). Dieser Befund bestätige sich, laut Elliott, aufgrund zahlreicher „motives“ und „themes“, die zwar sowohl in der Vita Pauli als auch in den vergleichbaren Viten auftauchen (z.B. „secret flight“, „miraculously provided food“, „deathbed encounter“, „burial“ [vgl. a.a.O., 59f.; 66f.; 72]), in der
60
II. Die Vita Pauli
Die Vita Pauli ist also nicht, wie viele andere Viten, eine „single, sharplyfocused tale of a quest, in which the quester, moreover, may originally have been the primary hero“. Hieronymus ordnet den erzählten Stoff vielmehr strikt chronologisch an. Das geht auf Kosten einer einfachen Struktur, wie sie aus der durchgehenden Erzählung aus einer Perspektive, der Perspektive eines Helden z.B., hervorgegangen wäre: „The logic of Jerome’s tale is temporal, not structural“62, folgert Elliott. In dieser Hinsicht weist die Vita Pauli ein wesentliches Merkmal klassischer Geschichtsschreibung auf. Der durchwegs chronologisch gehaltene Aufbau der Vita Pauli verweist also auf den Anspruch des Hieronymus, mit der Vita Pauli nicht nur ein unterhaltsames Geschichtchen, sondern Geschichte zu schreiben. Das hat Konsequenzen für die Auffassung der Figur des Paulus als Heiligen. Die Geschichte von Paulus soll nicht nur delektieren. Sie ist zwar unterhaltsam geschrieben, Hieronymus meint es aber ernst. Sein Paulus ist ein Heiliger, den seine Leserschaft als solchen auffassen soll. Er ist nicht erdacht, sondern geschichtlich verankert. Dieser geschichtliche Anspruch bestätigt sich nicht nur hinsichtlich der Struktur. Er ist besonders an den chronologischen Hinweisen der Vita festzumachen, auf die im Folgenden eingegangen wird.
3. Chronologie Auf den ersten Blick fällt auf, dass die Vita Pauli nur wenige objektive Zeitangaben bietet. Dieser Umstand ist nicht zuletzt deshalb auffällig, weil sie sich damit merklich von den späteren Viten des Hieronymus unterscheidet. Besonders die Vita Hilarionis (verfasst zwischen 388 und 392 63 ) besticht durch das Bemühen des Autors um chronologische Präzision, was sicherlich darauf zurückzuführen ist, dass sich Hieronymus kein zweites Mal den Vorwurf machen lassen wollte, seinen Protagonisten lediglich erdichtet zu haben.64 Entsprechend sorgfältig dokumentiert Hieronymus die Lebensstationen Vita Pauli jedoch anders angeordnet sind. Auf diese Weise sei die Vita Pauli hinsichtlich der „plot structure“ insgesamt „somewhat anomalous“; „the other lives“, so Elliott, haben damit „more in common with each other than they do with their putative model“ (a.a.O. 72). Die Unterschiede in der Struktur der Vita Pauli (besonders die strikt chronologische Anordnung des Stoffs, die Hieronymus wohl dem Vorbild klassischer Geschichtsschreibung entnimmt), verweisen auf „precisely the sort of transformation that might have occurred when a traditional narrative form […] was reworked by a well-educated, sophisticated theologian“ (ibid.). 62 Ibid. 63 Vgl. LECLERC, Les vitae, 20; COLEIRO, St. Jerome’s lives, 162, datiert die Vita Hilarionis ins Jahr 391. 64 Vgl. Hier., v. Hilar. 1,6 (SC 508, 214,19–22 MORALES).
3. Chronologie
61
des Hilarion mit genauen Zeitangaben. So ist bei allen wichtigen Etappen im Leben des Hilarion sein Alter vermerkt 65, und selbst die sich entwickelnde asketische Praxis ist von Hieronymus über die gesamte Lebensspanne seines Protagonisten verzeichnet.66 Ganz anders zeigt sich hier die Vita Pauli: Nur spärlich werden temporale Fixpunkte geboten, anhand derer sich das Leben und die asketische Entwicklung des Paulus chronologisch rekonstruieren und zeitgeschichtlich einordnen ließen. Und doch ist die Vita Pauli keinesfalls a-temporal. Auch von einer historischen Indifferenz des Autors kann nicht die Rede sein. Vielmehr tragen die gebotenen Hinweise zur Chronologie nicht unerheblich, wenn auch oft unterschwellig, zur hagiographischen Aussagekraft der Vita Pauli bei. 3.1. Die Chronologie der Begegnungsgeschichte Im Hauptteil der Vita finden sich zahlreiche relative zeitliche Angaben, die der Begegnungsgeschichte von Paulus und Antonius (VP 7–16)67 eine interne Chronologie verleihen. So findet der Traum des Antonius zu Beginn von VP 7 per noctem (VP 7,2) statt, woraufhin er sich erumpente luce (VP 7,2) auf den Weg macht. Bereits zur media dies (VP 7,3) findet die erste Begegnung mit einem Wüstenbewohner statt und nec mora (VP 8,1) die zweite. 65 Vgl. z.B. Hier., v. Hilar. 2,5 (vgl. SC 508, 216,13–15 MORALES): Hilarion verbringt zwei Monate bei Antonius und war fünfzehn, als er mit seiner eigenen Anachorese begann (v. Hilar. 2,7 [SC 508, 218,32f. MORALES]); vom sechzehnten bis zum zwanzigsten Lebensjahr findet er Unterschlupf in einem tuguriunculum (vgl. v. Hilar. 4,1 [SC 508, 224,56f. MORALES]); als er achtzehn Jahre alt ist, wird er des Nachts von Räubern überfallen (vgl. v. Hilar. 6,1 [SC 508, 228,1f. MORALES]); mit zweiundzwanzig wirkt er sein erstes Wunder (vgl. v. Hilar. 7 [SC 508, 230,1–232,16 MORALES]); mit dreiundsechzig sehnt er sich wieder nach der Einsamkeit, weil er inzwischen von so vielen Anhängern umringt ist (vgl. v. Hilar. 19 [SC 508, 264,1–12 MORALES]); im achtzigsten Lebensjahr schreibt er sein Testament (vgl. v. Hilar. 32,1 [SC 508, 294,1–5 MORALES]) und stirbt schließlich, nachdem er septuaginta prope annis Christus gedient hatte (vgl. v. Hilar. 32,4f. [SC 508, 296,17–19 MORALES]). 66 Vgl. Hier., v. Hilar. 5,1–5 (SC 508, 227,1–228,17 MORALES): A uicesimo primo anno usque ad uicesimum sextum, tribus annis, dimidium lentis sextarium madefactum aqua frigida comedit, et aliis tribus panem aridum cum sale et aqua. Porro a uicesimo septimo usque ad tricesimum herbis agrestibus et uirgultorum quorumdam radicibus crudis sustentatus est. A tricesimo autem primo usque ad tricesimum quintum sex uncias hordeacei panis et coctum modice olus absque oleo in cibo habuit. Sentiens autem caligare oculos suos et totum corpus impetigine et pumicea quadam scabredine contrahi, ad superiorem uictum adjecit oleum, et usque ad sexagesimum tertium uitae suae annum hoc continentiae cucurrit gradu, nihil extrinsecus aut pomorum, aut leguminis aut cujuslibet rei gustans. Inde, cum se uideret corpore defatigatum et propinquam putaret imminere mortem, a sexagesimo quarto rursus anno usque ad octogesimum pane abstinuit. 67 Vgl. Abbildung 4 (s.o. II.2.6).
62
II. Die Vita Pauli
Nachdem iam altera fluxerat dies (VP 9,1), verbringt Antonius die secunda tenebre (VP 9,2) im Gebet pernox (VP 9,2) und findet schließlich dubia adhuc luce (VP 9,2) die Höhle des Paulus. Bis zu seinem Einlass muss er jedoch noch ad sextam et eo amplius horam (VP 9,5) ausharren. Nach Begrüßung, Gespräch und dem Erhalt des Brotes entsteht ein Streit zwischen den Eremiten pene diem duxit in uesperam (VP 11,1). Die Nacht selbst wird durchwacht (uigiliis transigere [VP 11,2]). Bei Sonnenaufgang (cumque iam esset terris redditus dies [VP 11,3]68) macht sich Antonius nach einem kurzen Gespräch (VP 11,3–12,3) auch schon wieder auf den Rückweg zu seiner Klause. Kaum angekommen, kehrt Antonius postwendend um69 und tritt erneut die Reise durch die Wüste zu Paulus an. Zeuge der Himmelfahrt des Paulus wird Antonius cumque iam dies inluxisset alia, et trium horarum spatio iter remaneret (VP 4,2). Den Rest des Weges eilt Antonius so schnell (cucurrisse) ut ad instar auis peruolaret (VP 15,1). Über die Dauer des letzten Gebets neben der Leiche des Paulus (VP 15) und des anschließenden Begräbnisses (VP 16) macht Hieronymus keine Zeitangaben, der Aufbruch
68 Johannes MERTENS, Paulus, 6, übersetzt hier: „Als sich der Tag zum Abend neigte“. Das „Zurückkehren“ des Tages auf die Erde wird demnach anscheinend als Bild für die untergehende Sonne interpretiert. Mertens Übersetzung stützt sich auf die lateinische Ausgabe Rosweydes (1628), die an dieser Stelle jedoch keine Abweichung aufweist (so übersetzt auch Matthäus ROTTLER, Das Leben, 22 [1691]: „so bald der frühe Morgen angebrochen“). Gegen die Übersetzung Mertens sprechen nicht zuletzt inhaltliche Gründe. Schließlich wäre damit in der Erzählung ein ganzer Tag übergangen (die Erzählung würde von der durchwachten Nacht [VP 11,2] zur Konversation der Eremiten am Abend [VP 11,3] springen, ohne auch nur mit einem Wort von den Ereignissen des dazwischenliegenden Tags zu berichten). Entsprechend interpretieren die meisten Übersetzer die Bildsprache des Hieronymus als Metapher für den Morgen; so z.B. FREMANTLE, Paulus, 301: „At the return of day“; FUHRMANN, Paulus, 16: „Als der Tag bereits auf die Erde zurückgekehrt war“; HARVEY, Paul, 366: „At dawn“; LECLERC, Paul, 169: „Une fois le jour revenu sur la terre“; SCHADE, Paulus, 29: „als der Morgen dämmerte“; EWALD, Paul, 233: „When day had already returned to earth“. 69 Der rasche Antritt der Rückreise zu Paulus wird zwar nicht explizit erwähnt, lässt sich jedoch der zügigen Abfolge der in Kapitel 13–14,1 geschilderten Ereignisse entnehmen (besonders mit dem expliziten Verweis auf die „Zeit“ [tempus], die für das Reden [loquendi] momentan nicht bestimmt sei): ad habitaculum suum […] peruenit → discipuli […] occurrissent → [Antonius] respondit […] → pallium protulit → Rogantibusque discipulis, ut plenius quidnam rei esset exponeret, ait: ‚Tempus loquendi et tempus tacendi.‘ → Tunc egressus foras, et ne modicum quidem cibi sumens, per uiam qua uenerat, regrediebatur. Die Eile des Paulus wird außerdem impliziert durch die Betonung seiner Sehnsucht, wieder bei Paulus zu sein (illum sitiens, illum uidere desiderans, illum oculis ac mente complectens [VP 14,1]); schließlich befürchtet Antonius, dass Paulus sterben könnte, bevor er erneut in der Einsiedelei des Paulus ankommt: Timebat enim […] ne se absente, debitum Christo spiritum redderet (VP 14,1).
63
3. Chronologie
des Antonius in die eigene Einsiedelei erfolgt jedoch erst postquam […] dies inluxerat alia (VP 16,8). Die Abenteuergeschichte des Hauptteils ist damit in sich chronologisch erschlossen, so dass sich ihr Ablauf präzise rekonstruieren lässt. Vom Traum des Antonius zu Beginn der Geschichte bis zu seiner Rückkehr in sein eigenes Kloster, wo er seinen Schülern von seinen Erlebnissen berichtet (VP 16,8), sind insgesamt zehn Tage vergangen. Mit dem Hinweis auf die zweite Nacht während der ersten Reise und dem Auffinden der Höhle am dritten Tag ist die Reisezeit zwischen den beiden Einsiedeleien deutlich markiert. Hieronymus bleibt also hinsichtlich der internen Chronologie der Abenteuergeschichte keineswegs vage. Im Gegenteil, die chronologische Stimmigkeit der Erzählung wird geradezu betont, indem Hieronymus Antonius die Dauer der Reise noch einmal explizit in den Mund legt: Si ad monasterium reuertar, quatridui iter est (VP 16,1). Chronologie des „Hauptteils“ der Vita Pauli (VP 7–16) 1. Hinreise: 1. Aufenthalt: 1. Rückreise:
2 Tage 1 Tag 2 Tage
2. Hinreise: 2. Aufenthalt: 2. Rückreise:
2 Tage 1 Tag 2 Tage
_________________ Insgesamt:
10 Tage
Abbildung 6
© Yorick Schulz-Wackerbarth 2017
3.2. Die relative Chronologie des Lebens des Paulus Als Marker für die interne zeitliche Bestimmung der Begegnungsgeschichte von Paulus und Antonius stecken die genannten relativen chronologischen Angaben zugleich eine Zeitspanne im Leben des Paulus ab: Sieben Tage vergehen vom Traum des Antonius (VP 7) bis zu Paulus’ Himmelfahrt (VP 14). Genau genommen wird dabei aber überhaupt nur weniger als ein einziger Tag aus dem Leben des Paulus selbst beschrieben: Nur der erste Aufenthalt des Antonius bei Paulus (VP 9–12), vom dritten auf den vierten Tag der Erzählung, enthält im Hauptteil Biographisches über Paulus im engeren Sinn. Die übrigen neun Tage sind ausschließlich aus dem Leben des Antonius gegriffen. Mit der aufgezeigten Chronologie der Abenteuergeschichte des Hauptteils ist indirekt auch eine Auskunft über die Einordnung dieser
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II. Die Vita Pauli
Episode innerhalb des Lebens des Paulus gegeben: Da es sich um die letzten sieben Tage im Leben des Paulus handelt, findet sie, wie der Erzähler zu Beginn des Hauptteils explizit konstatiert, im 113. Lebensjahr des Paulus statt; die Erzählung um Antonius beginnt nämlich cum iam centesimo tertio decimo aetatis suae anno beatus Paulus coelestem uitam ageret in terris (VP 7,1). Damit ist ein Rahmen für die Biographie des Paulus gesetzt, die 113 Jahre umspannt. Als einzige chronologische Angabe innerhalb dieser Lebensspanne teilt Hieronymus seinen Leser/innen mit, dass Paulus annorum circiter sexdecim (VP 4,1) gewesen sei, als seine Eltern starben. Als weitere Stationen im Leben des Paulus werden nur wenige genannt: der Aufenthalt auf einem entlegenen Landgut (VP 4,2), der intendierte Verrat des Schwagers (VP 4,2), die unmittelbar darauf folgende Flucht in die Wüste (VP 5,1) und das Auffinden einer Höhle (VP 5). Über das relative chronologische Verhältnis dieser Ereignisse wird nichts Konkretes berichtet. Die Leser/innen erfahren weder, wie viel Zeit zwischen dem Tod der Eltern und dem Aufenthalt auf dem Landgut verstrichen ist, noch wie lange Paulus dort bis zu seiner Flucht in die Wüste verweilt. Eine Aussage über die Dauer der Flucht bis zum Auffinden der Höhle sehen manche Interpreten der Vita in der (ohnehin kryptischen70) Bemerkung „paulatim procedens, rursusque tantumdem, atque idem saepius faciens“. Die chronologische Aussagekraft dieser von Edgardo Morales kritisch erschlossenen Textrekonstruktion 71, die das Vordringen des Paulus in die Wüste beschreibt, ist jedoch fraglich. Ludwig Schade, der sich auf die Textgrundlage Dominic Vallarsis bezog, die an dieser Stelle „paulatim progrediens, rursusque subsistens, atque hoc idem saepius faciens“ las72, sah darin durchaus eine Aussage mit temporalen Implikationen. Seiner Übersetzung zufolge zog Paulus „immer weiter und verweilte dann wieder längere Zeit an einem anderen Orte. Endlich, nachdem dieser Wechsel sich wiederholt vollzogen hatte, fand er einen felsigen Berg“73 (tandem reperit saxeum montem). Kech interpretiert sogar, dass Paulus bei seiner Flucht durch die Wüste „lange Zeit umher[-streift], bis er, […] nach mehrfachem Wohnungswechsel eine geeignete Behausung findet.“74 Damit ist aber sicherlich zu viel 70 Die Passage lässt sich nur schwer übersetzen. HOELLE, Commentary, 113 schließt auf einen „very difficult and perhaps corrupt text.“ Bereits John Frank Cherf, der insgesamt 17 Varianten für diese Stelle in den Manuskripten hatte aufweisen können (vgl. CHERF, Latin manuscript, 130), verwies auf diese Passage als eines von zwei Beispielen „that illustrate well the condition of parts of the manuscripts influenced by error and interpolation“ (a.a.O., 129). 71 Vgl. MORALES, Texte, 152,3–5. 72 VALLARSI, Vita, 21. 73 SCHADE, Paulus, 23f. 74 KECH, Unterhaltungsliteratur, 17.
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in den Text hinein interpretiert, der doch insgesamt eher die besonnene und bedächtige (und eben nicht panisch-fluchtartige) Art und Weise des Rückzugs des Paulus in die Wüste charakterisiert, als dass damit die Eingrenzung eines Zeitabschnitts intendiert wäre (s.u. III.4.5). Insgesamt lassen sich die genannten Stationen im frühen Leben des Paulus mangels relativer chronologischer Angaben zunächst nicht genauer einordnen. Weiter helfen Hinweise auf externe Ereignisse – historische Begebenheiten, die zwar den Kontext der Biographie des Paulus an sich überschreiten, anhand derer sich das Leben des Paulus jedoch historisch verorten lässt. Diese historischen Marker lassen auch Rückschlüsse auf den internen Verlauf des paulinischen Lebens zu. Auf sie soll im Folgenden ein Blick geworfen werden. 3.3. Die Christenverfolgungen als chronologische Fixpunkte Das Aufspüren „historischer“ Hinweise in der Vita und die daraus resultierende chronologische Verankerung des Pauluslebens entsprechen durchaus dem Bemühen des Autors, der diese Spuren deutlich legt. Dezidiert bringt Hieronymus das Leben des Paulus in ein Verhältnis zu externen, historischen Ereignissen. So haben, Hieronymus zufolge, die zu Beginn der Vita thematisierten Christenverfolgungen stattgefunden sub Decio et Valeriano persecutoribus, quo tempore Cornelius Romae, Cyprianus Carthagine felici cruore damnati sunt (VP 2,1). Damit ist ein chronologischer Anhaltspunkt für die absolute Datierung vorgegeben: Die decische Verfolgung fand zwischen 249– 251 statt und die Maßnahmen Kaiser Valerians lassen sich auf die Jahre 257– 259 datieren.75 Cyprian von Karthago erlitt am 14. September 258 das Martyrium76 und Cornelius starb 253 in der Verbannung.77 Mit diesen Daten ist ein zeitlicher Rahmen abgesteckt: von 249, dem Beginn der decischen Verfolgung, bis 259, dem Ende der Verfolgungen Valerians. Auf diese Zeit bezieht sich Hieronymus – im Anschluss an die zwei beispielhaften Martyrien (VP 3) – mit der temporalen Verknüpfung zu Beginn seiner Erzählung über „das principium des Paulus“ (VP 4–6).78 Das Folgende, so Hieronymus, geschehe nämlich per idem ergo tempus quo talia gerebantur (VP 4,1). Eine nähere Bestimmung der Zeit ist mit den genannten Angaben allein nicht möglich, weil die von Hieronymus gebotenen Namen und die damit verbundenen Daten keine gemeinsame Schnittmenge ergeben. Einzig das Martyrium des Cyprian fällt mit der Regierungszeit des Valerian zusammen. Cornelius stirbt
75
Vgl. z.B. HAUSCHILD, Alte Kirche, 132f. Vgl. HOFFMANN, Cyprian von Karthago, 169f.; ders., Cyprian, 33f. 77 Vgl. BAUTZ, Cornelius, 1130f. 78 Vgl. Abbildung 4 (s.o. II.2.6). 76
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II. Die Vita Pauli
jedoch erst nach dem Tod des Decius und noch vor dem Regierungsbeginn des Valerian. Deutlich wird, dass die Nennung mehrerer Namen nicht zur Präzisierung einer Zeitangabe erfolgt (etwa um mit Kaisern und Bischöfen ein ganz bestimmtes Jahr zu identifizieren). Hieronymus verweist damit vielmehr auf einen groben Zeitabschnitt, an den er ebenso unscharf mit per idem ergo tempus anschließt: „Um diese Zeit herum“, so Hieronymus, sterben die Eltern des Paulus. Eine gewisse Präzisierung erfolgt mit der dieser Auskunft folgenden zeitlichen Aussage, die darauf verweist, dass sich Paulus auf dem entlegenen Landgut aufhielt, dum persecutionis detonaret procella (VP 4,2): Da die Verfolgungen an sich nur in den Jahren 249–251 (Decius) und 257–259 (Valerian) „herab donnern“, ist das zu Beginn von VP 4 nur vage angesprochene Zeitfenster von etwa zehn Jahren (249–259) nunmehr auf vier bis sechs Jahre reduziert. Als weitere Einengung des gemeinten Zeitraums wird bei den Interpreten der Vita gemeinhin auf die Zeit des Decius als das von Hieronymus gemeinte „Gewitter“ der Verfolgungen verwiesen. So betonte bereits Heribert Rosweyde, dass ex Hieronymi sententia dicendum esse, hoc ipso Decii persecutionis exordio Paulum factum extorrem. 79 Diese Wahl wird jedoch weder bei Rosweyde noch bei späteren Auslegern begründet. 80 Vom Erzählduktus der Vita her wäre die Verfolgungszeit Valerians ebenso denkbar. Fest steht, dass im Gegensatz zu den zwei in VP 2 namentlich genannten Christenverfolgern die Martyrien des folgenden Kapitels von nur einem Antagonisten erzählen, der „befiehlt“ (iussit [VP 3,1]) und „anordnet“ (praecepit [VP 3,2]), ansonsten aber unbenannt bleibt. Nächstliegender Bezug ist der in VP 2 genannte hostis callidus (VP 2,2), mit dem zwar sicherlich der Satan selbst gemeint ist, der jedoch nicht, wie bereits im Zusammenhang mit den Thesen Weingartens diskutiert (s.o. I.2.5, Anm. 35), als einer von drei genannten Verfolgern (Decius, Valerian, hostis callidus) aufgefasst werden kann.81 Vielmehr liegt hier eine aus der Märtyrerliteratur bekannte Verschmelzung zweier personeller Instanzen vor, wobei menschlicher Verfolger und Satan als Handlungsträger faktisch austauschbar sind. Zwar kann sich hinter dem hostis callidus an und für sich sowohl der eine als auch der andere Verfolger verbergen82; mit dem Hinweis auf Cyprian, der ab eo passus est (VP 2,2), ist jedoch weiterhin Va-
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ROSWEYDE, Notatio, 110. Vgl. z.B. FUHRMANN, Mönchsgeschichten, 69 und 79; FRANK, Paulos, 1528; REBENICH, Hagiograph, 29. 81 Vgl. WEINGARTEN, Saint’s saints, 76. 82 Vgl. KECH, Unterhaltungsliteratur, 31. 80
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lerian im Blick, zumal anzunehmen ist, dass Cyprians Martyrium unter Valerian Hieronymus zur Zeit der Abfassung der Vita Pauli bekannt war.83 Für die Beispielerzählungen in VP 3 ist es völlig unerheblich, wer mit dem hostis callidus gemeint ist. Mit Verfolger und Verfolgtem (der schließlich in beiden Erzählungen auch anonym bleibt) ist, mit Kech, vielmehr „das für Märtyrerakten typische Personal […] erreicht“84, wobei der hostis callidus (als Satan und Kaiser) ohnehin lediglich „auslösender Faktor“ der Folterungen ist, seine Person also problemlos „sofort hinter das Geschehen zurück[treten kann] und […] für dessen Fortgang keine Bedeutung mehr“85 hat. Anders als bei der Namensnennung zu Beginn von VP 2 (Decius, Valerian, Cyprian, Cornelius) geht es Hieronymus bei den Beispielgeschichten in VP 3 nicht um die historische Fundierung bzw. chronologische Einordnung der Pauluserzählung. Es sind vielmehr Veranschaulichungen der crudelitas (VP 2,2) eines Verfolgers, von dem Cyprian, laut Hieronymus, sagte: Volentibus mori, non permittebat occidi (VP 2,2; s.u. III.5.9). Hieronymus bezieht sich dabei wahrscheinlich auf den Brief Cyprians an Fortunatus, Ahymnus, Optatus, Privatianus, Donatulus und Felix.86 Dieser Brief wird ins Jahr 251 datiert87 – in die Zeit der Herrschaft des Decius also. Fraglich ist aber, ob sich diese Datierung, die dem Brief nicht unmittelbar zu entnehmen ist, als Indiz für den Bezug der Äußerung dum persecutionis detonaret procella (VP 4,2) auf die Zeit des Decius eignet, zumal von Decius in der zitierten Bemerkung Cyprians nicht die Rede ist. Wahrscheinlicher ist, wenn überhaupt, dass mit dem Namen Cyprians für die Leserschaft eher Valerian als Verfolger evoziert und somit auch über die Beispielgeschichten hinaus wachgehalten wird. Mit dem „Gewitter der Verfolgungen“, das den Beginn der Fluchtgeschichte des Paulus in VP 4,2 markiert, wäre also auf die Jahre 83
In seiner Chronik versetzt Hieronymus das Martyrium des Cyprian ins 3. Regierungsjahr des Valerian: Cyprianus primum Rhetor, deinde presbyter, ad extremum Carthaginensis episcopus martyrio coronatur (GCS 47, 220,9–11 HELM). Die Chronik Eusebs, auf der seine eigene Chronik basiert, war Hieronymus zur Abfassung der Vita Pauli bekannt. Auch in seinem ca. 392–3 verfassten Werk De Viris Illustribus 67,3 weiß Hieronymus über den Tod des Cyprian zu berichten: Passus est sub Valeriano et Gallieno principibus persectutione octaua eo die, quo Romae Cornelius, sed non eodem anno (222 BARTHOLD). 84 KECH, Unterhaltungsliteratur, 31. 85 Ibid. 86 Vgl. Cypr., ep. 56,2,2 (CChr.SL 3B 298,38f. DIERCKS); Cyprian antwortet darin auf die Frage der Bischöfe, wie mit reumütigen Christen umzugehen sei, die zwar zunächst mutig ihren Glauben bekannt hatten, ihn schließlich jedoch unter schwerster Folter verleugneten und so mit dem Leben davonkamen. Cyprian plädiert für Vergebung und Wiederaufnahme jener Gefallenen in die christliche Gemeinschaft, da man ja selbst denjenigen, „die zu sterben wünschten, den Tod nicht zugestand“ (cupientibus mori non permitteretur occidi). 87 Vgl. BAER, Briefe, XIII–XVI u. 195.
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II. Die Vita Pauli
257–259 Bezug genommen. Von einer eindeutigen Bezugnahme kann hier aber kaum die Rede sein. Erschwert werden die erfolgten Zuordnungen ohnehin, wenn weitere von Hieronymus genannte Daten berücksichtigt werden. Wie sich zeigen wird, führt eine Datierung der Fluchtgeschichte sowohl in die Zeit des Decius als auch in die des Valerian zu chronologischen Spannungen in der Vita Pauli. 3.4. Chronologische Spannungen Als Fixpunkt für die absolute Datierung des Lebens des Paulus wird gemeinhin die Altersangabe des Antonius in VP 7 gesetzt. Dort heißt es: cum iam centesimo tertio decimo aetatis suae anno beatus Paulus coelestem uitam ageret in terris et nonagenarius in alia solitudine Antonius moraretur (VP 7,1). Mit 90 also macht sich Antonius auf die Reise, auf der er den inzwischen 113-jährigen Paulus trifft. Anhand des Alters des Antonius lässt sich ein genaues Jahr festlegen. Den entscheidenden Hinweis gibt Hieronymus selbst: In seiner Übersetzung und Überarbeitung der Chronik des Euseb verzeichnet Hieronymus nicht nur die Geburt des Antonius, die er in das erste Regierungsjahr des Decius versetzt 88 , sondern auch sein Todesjahr im 19. Regierungsjahr des Konstantius II (356).89 Aus diesen Daten lässt sich folgern, dass die „Geschichte der Begegnung von Paulus und Antonius“ in das Jahr 341 zu setzen ist. Rechnet man von diesem Fixdatum 113 Jahre zurück, so ergibt sich das Jahr 228 als Geburtsjahr des Paulus.90 Eine Spannung entsteht, wenn diese Lebensdaten zusammengeführt werden mit der zu Beginn der Erzählung über Paulus in VP 4 getroffenen Aussage, dass Paulus annorum circiter sexdecim gewesen sei per idem ergo tempus quo talia gerebantur apud inferiorem Thebaidam (VP 4,1). In Übereinstimmung mit martyrologischer Tradition 91 beziehen die meisten Ausleger der
88 Vgl. Hier., chron. a.252 (GCS 47, 218,14 HELM): Antonius monachus in Aegypto nascitur. 89 Vgl. Hier., chron. a.356 (GCS 47, 240,6f. HELM): Antonius monachus CV aetatis anno in heremo moritur. In Hier., vir. ill. 88, findet sich kein Verweis auf das Todesjahr des Antonius. Dort heißt es lediglich: Floruit Constantino et filiis eius regnantibus (238 BARTHOLD). Tatsächlich existieren keine von Athanasius unabhängigen Quellen, welche das Alter des Antonius bestätigen (vgl. GEMEINHARDT, Antonius, 212, Anm. 3). Athanasius verweist auf das Alter des Antonius in Ath., v. Anton. 89,3 (SC 400, 362,9f. BARTELINK). 90 Auch HOELLE, Commentary, 101, errechnet die Lebensdaten des Paulus ausgehend von dem Todesjahr des Antonius. Da Hoelle jedoch annimmt, dass Antonius im Jahr 358 starb, kommt er zu dem Schluss, dass Paulus 230 geboren wurde und im Jahr 343 starb. 91 Vgl. ROSWEYDE, Notatio, 110: Qui 16 aetatis anno Paulum extorrem factum uolunt, id est, post XV aetatis annos expletos, suffragatores habent omnes Martyrologos, quos
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Vita diese Altersangabe auf die Flucht des Paulus in die Wüste.92 Doch von dem über die Lebensdaten des Antonius berechneten Geburtsjahr des Paulus im Jahr 228 ist Paulus bereits im Jahr 244 sechzehn. Damit aber hätte der Rückzug in die Wüste stattgefunden, wie bereits Rosweyde feststellte, non sub Decio et Valeriano, sed sub Gordiano, quo tempore pax summa in Ecclesia erat.93 Es besteht also eine Spannung zwischen der Deduktion der absoluten Chronologie des Pauluslebens aus den Lebensdaten des Antonius und den entsprechenden Berechnungen aufgrund der Angaben in der Vita zu Kaiser und Bischöfen. 3.5. Die Flucht des 16-Jährigen in die Wüste Bei einem unmittelbaren Bezug der Altersangabe von 16 Jahren in VP 4,1 auf die Flucht des Paulus in VP 5,1 wird nicht beachtet, dass Hieronymus nicht einen, sondern zwei chronologische Verweise zu Beginn von VP 4 bietet, die sich je auf unterschiedliche Sachverhalte beziehen 94 : Mit per idem ergo tempus knüpft Hieronymus zunächst an das zuvor Erzählte an und berichtet vom Tod der Eltern des Paulus, seinem Erbe, seiner Schwester iam uiro tradita, seiner Bildung tam Graecis quam Aegyptiacis und der Tatsache, dass er „Gott sehr liebte“ (Deum ualde amans [VP 4,1]). Damit ist über Herkunft und Jugend anscheinend alles gesagt, so dass Hieronymus nun mit seiner Erzählung über die Anfänge der Anachorese des Paulus beginnen kann. Dazu setzt er narrativ neu an: [D]um persecutionis detonaret procella (VP 4,2) hält sich Paulus in villa remotiore secretior (VP 4,2) auf und flieht bei drohendem Verrat des Schwagers in die Wüste. Erst mit diesem zweiten chronologischen Hinweis in VP 4 beginnt also die eigentliche „Fluchtgeschichte“ des Paulus, die zur Auffindung der Höhle und zur eremitischen Existenz bis zum Lebensende führt. Der erste Gedankengang ist mit der Altersangabe von sechzehn Jahren verknüpft, die Fluchtgeschichte hingegen wird nicht explizit in ein Lebensjahr des Paulus versetzt. Vorschnell ist also von der „Flucht des sechzehnjährigen Paulus in die Wüste“95 die Rede, denn Hieronymus erzählt eben
superius citauimus; qui mente unanimi, consona uoce, hunc de Paulo Hieronymi locum ita uidentur percepisse et explicasse. 92 Vgl. z.B. DE VOGÜÉ, Histoire littéraire, 159; FUHRMANN, Mönchsgeschichten, 78; HOLZE, Paulus, 89; KECH, Unterhaltungsliteratur, 188, Anm. 3; REBENICH, Ascetic hero, 216; ders., Hagiograph, 29; VALLARSI, Einleitung, 17f.: [O]stenditque illum 16 circiter annos natum, eremum petisse. 93 ROSWEYDE, Notatio, 110. 94 Schon Rosweyde warnte davor, diese Bezüge zu übersehen: Quae sane verba, si alio accipias sensu, Hieronymum sibi ipsi repugnantem atque mendacem (quod nefas est dictu) de numero annorum Pauli in eremum secedentis efficies (ibid.). 95 KECH, Unterhaltungsliteratur, 188, Anm. 3.
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II. Die Vita Pauli
nicht vom Tod der Eltern, Aufenthalt auf dem Landhaus, Verrat des Schwagers und der daraus resultierenden Anachorese in einem Atemzug. Die zwei Zeitbezüge lassen sich vielmehr folgendermaßen auflösen: Nachdem Hieronymus mit sub Decio et Valeriano persecutoribus, quo tempore Cornelius Romae, Cyprianus Carthagine felici cruore damnati sunt (VP 2,1) in den generellen zeitlichen Kontext eingeführt hat, verweist er für den Einstieg in seine Erzählung – mit einem kurzen Blick auf Herkunft und Familie seines Protagonisten – ebenso vage mit per idem ergo tempus auf das grobe zeitliche Umfeld. „Um diese Zeit herum“ also sterben die Eltern des Paulus annorum circiter sexdecim (VP 4,1). Unter Berücksichtigung der anderen erwähnten Daten bedeutet dies konkret, dass Paulus seine Eltern im Jahr 244 noch vor Beginn der Verfolgungszeit verlor. Interessanterweise wird der Tod der Eltern auch nicht weiter mit den Christenverfolgungen in Verbindung gebracht – Hieronymus macht die Eltern nicht zu Märtyrern bzw. Opfern eines der beiden erwähnten Kaiser. Mit der genaueren Angabe, dum persecutionis detonaret procella, beginnt die eigentliche Erzählung von Verrat und Flucht und schließlich dem Beginn der Anachorese. Wenn dabei noch die oben erläuterte Spur aufgenommen wird, die auf Valerian als Verfolger deutet, flieht Paulus so frühestens im Alter von 29 Jahren in die Wüste, also erst 13 Jahre nach dem Tod der Eltern.96 96
Auf die chronologische Spannung in den Aussagen der Vita hatte bereits Rosweyde in seinen Anmerkungen zur Textausgabe der Vita Pauli von 1615 hingewiesen. ROSWEYDE, Notatio, 110, kommt dabei auch zu dem Schluss, dass der Tod der Eltern des Paulus und sein Rückzug in die Wüste nicht zusammenfallen: Quamobrem aetas illa Pauli annorum xv non ad tempus quo secessii in solitudinem referenda est, sed quod tot annos tunc natus erat, cum parentibus fuit orbatus. Seine abweichenden Resultate hinsichtlich des Alters des Paulus und der entsprechenden Jahreszahlen (Rosweyde spricht von dem 15-jährigen Paulus beim Tod der Eltern und schließt auf den Beginn der Anachorese mit 23 im Jahr 253) basieren zum einen darauf, dass er Decius als den von Hieronymus gemeinten Verfolger identifiziert, und zum anderen auf den von ihm zugrunde gelegten Manuskripten (vgl. MIGNE, Appendix, 79–83), deren Identifikation und Zuordnung laut OLDFATHER, Introduction, 7 „exceedingly difficult“ sei, „partly because many of them have been lost, but especially because of the inadequate descriptions which are frequently offered for manuscripts of the Vitae Patrum“. Insgesamt müsse davon ausgegangen werden, dass „the bulk of those [manuscripts] listed by Rosweydus has perished“ (ibid.). VALLARSI, Einleitung, 20, Anm. 9 verweist darauf, dass Victorius uero, post Erasm. quindecim tantum enumerat. Auch Manfred FUHRMANN, Mönchsgeschichte, 78f., ist die „kleine Unstimmigkeit“ in der Chronologie der Vita Pauli aufgefallen; er löst die Spannung jedoch nicht auf und bemerkt lediglich, dass Paulus „im günstigsten Falle, d.h. wenn er erst als Siebzehnjähriger und sofort zu Beginn der decianischen Verfolgung (Herbst 249) in die Einsamkeit floh, 232 geboren und 345 gestorben [ist]. Hieraus würde sich für Antonius das Geburtsjahr 255 ergeben; er kam in Wahrheit etwa fünf Jahre früher zur Welt.“ Karl Suso FRANK, Paulos, 1528, umgeht die Spannung, indem er nur das Geburtsjahr, nicht aber die Altersangabe von
71
3. Chronologie
Die Chronologie des Lebens des Paulus ließe sich demnach folgendermaßen darstellen: Die Chronologie der Vita Pauli 257-259 Verfolgung Valerians (VP 2-3)
* 228 240
260
Cum iam centesimo tertio decimo aetatis suae anno beatus Paulus coelestem vitam ageret in terris (VP 7,1)
Leben des Paulus 280
300
✝ 228
340
320
Anachorese (84 Jahre) 244
Tod der Eltern Paulus relictus est Annorum circiter sexdecim (VP 4,2)
Abbildung 7
Brotversorgung (60 Jahre) ca. 257
Flucht in die Wüste
Begegnung mit Antonius = 1 Tag (VP 9-12)
© Yorick Schulz-Wackerbarth 2017
Bemerkenswert ist dieser Schluss, wenn man bedenkt, dass sich Hieronymus in demselben Alter befand, als er in der Wüste Chalkis seine ersten anachoretischen Versuche machte und dabei zudem die Vita Pauli schrieb (s.u. II.4.1). Schon oft ist die Vermutung angestellt worden, dass sich Hieronymus in die Vita Pauli selbst hineingeschrieben hat, letztlich also „mehr von sich selbst 16 Jahren erwähnt: Paulus, so Frank, wurde demnach „um 228 als Sohn begüterter Eltern in der Thebais geboren, […] u. floh in der Verfolgung des Decius in die Wüste.“ Für HOELLE, Commentary, 101f., enthalten die Angaben des Hieronymus keine Spannungen, was unter anderem auch darauf zurückzuführen ist, dass er von anderen Geburts- und Sterbedaten des Paulus ausgeht (s.o. II.3.4, Anm. 90). Hoelle unterscheidet zwischen der Altersangabe von 16 Jahren beim Tod der Eltern (VP 4,1), dem Rückzug auf das Landhaus im Alter von ca. 19 Jahren und einer späteren Flucht in die Wüste im Alter von 21: „Paul would be twenty-one, when Decius was killed“ (a.a.O., 102). Auch Hoelle verweist dabei auf die Möglichkeit einer späteren Flucht: „[I]f we take the Decian Persecution [sic] in a broader sense [d.h. sub Decio et Valeriano] he may have been even older“ (ibid.). Hoelle geht damit insgesamt von „St. Jerome’s chronological consistency“ (ibid.) aus, beachtet dabei jedoch nicht die Beschreibung des fliehenden Paulus in VP 5,1 als adulescens, welches eher gegen ein höheres Alter des Paulus spräche. Tatsächlich ist die oben aufgeführte Chronologie des Lebens des Paulus (s.o. Abbildung 7) nur in sich stimmig, wenn adulescens im weitesten Sinn aufgefasst wird als „der bereits zum Mann heranwachsende junge Mensch ohne Rücksicht auf ein bestimmtes Alter“ (GEORGES, LDHW, 150). Insgesamt deutet dieser Befund jedoch eher auf den in dem vorliegenden Kapitel (II.3.5) erreichten Schluss, dass Hieronymus nicht alle entsprechenden Daten vorgelegen haben, eine genaue Chronologie des Pauluslebens aus der Vita Pauli demnach nicht präzise abzuleiten ist.
72
II. Die Vita Pauli
als von einem anderen schreibt“97. Eine Vielzahl von Eigenschaften des Paulus deute, so das einstimmige Votum der Ausleger der Vita, auf eben jene bewusst von Hieronymus gesuchte Parallelisierung von Held und Autor: Neben „Wohlstand, Bildung und Sehnsucht nach Einsamkeit“ 98 wäre somit durchaus auch eine Selbststilisierung hinsichtlich des Alters, mit dem die Wüstenaskese angetreten wurde, denkbar. Nebst einer Spitze gegen das allzu jugendliche Alter des Antonius, der bereits mit achtzehn oder zwanzig99 mit seiner Askese begann, wäre damit zugleich eine Apologie des eigenen „späten“ Entschlusses zur asketischeremitischen Lebensführung geboten. Nach eigener Darstellung hatte Hieronymus nämlich lange mit sich gerungen und die Entscheidung zur Anachorese immer wieder vor sich hergeschoben. In einem im Jahr 374 verfassten100 Brief an den Abt Theodosius, in dem er die Mönche darum bittet, für ihn zu beten, damit er seinen Plan endlich umsetze, lässt Hieronymus sein Ringen verlauten: „So sehr“ (quam, quam vellem) möchte er zwar im Kreis der Mönche weilen101, seine eigenen Vergehen hindern ihn jedoch daran, jenes Wollen
97 BERSCHIN, Biographie I, 136; vgl. auch ders., Biographie V, 10; COLEIRO, St. Jerome’s lives, 171, spricht von einer „reflection of Jerome’s own life“; auch Ernst DASSMANN, der die Selbstdarstellung des Hieronymus in seinen Mönchsviten, Nekrologen und Trostbriefen ausführlich analysiert, kommt zu dem Schluss: „Mit dem Porträt des wohlhabenden, gebildeten und nach Einsamkeit verlangenden Paul von Theben zeichnet Hieronymus in Wirklichkeit dann sich selbst“ (Autobiographie, 68). Dabei verweist Dassmann jedoch einschränkend darauf, dass sich nicht exakt messen lasse, in „welchem Maße die Autobiographie des Hieronymus in die Hagiographie des Paulus eingegangen ist“ (ibid.); GEMEINHARDT, Bildung, 262, betont, dass dem Helden „letztlich der Autor selbst“ entspricht bzw. dass Hieronymus Paulus „nach seinem eigenen Vorbild“ stilisiert (ders., Sancta simplicitas, 97); so auch KECH, Unterhaltungsliteratur, 157, der hervorhebt, dass Hieronymus sich „selbst in der Gestalt Pauli dargestellt und stilisiert“ hat; LECLERC, Anmerkungen, 167, Anm. 5, bemerkt: „Jérôme transparaît derrière le personnage de Paul“; auch RUBENSON, Philosophy, 122, sieht „the shadow of Jerome himself in his story of Paul“; für WEINGARTEN, Saint’s saints, 75, liegt darin sogar eine primäre Absicht des Hieronymus, dessen „careful structuring of the vita Pauli, together with his rhetorical style shows us how Jerome builds himself in to the structure of his saint’s Life, so that the Life of Paul the hermit is used as a preparation for the Life of Saint Jerome“; entsprechend resümiert Weingarten: „He has written himself into his saint’s Life“ (a.a.O., 77). 98 BERSCHIN, Biographie I, 136. 99 Vgl. Ath., v. Anton. 2,1 (SC 400, 132,3 BARTELINK); Evagr., v. Anton. 2 (160,40 BERTRAND). 100 SCHADE, Briefe I,1 datiert den Brief auf das Jahr 374, verfasst „zu Antiochia, wahrscheinlich auf dem seinem gastlichen Wirt und Pfleger Evagrius gehörenden Landgute Maronia, wo Hieronymus zur Herstellung seiner zerrütteten Gesundheit weilte.“ 101 Vgl. Hier., ep. 2,1 (CSEL 54, 10,4–8 HILBERG): Quam, quam uellem nunc uestro interesse conuentui et admirandum consortium, licet isti oculi non mereantur aspicere,
3. Chronologie
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auch in die Tat umzusetzen.102 Sein Wunsch lautet: quod mens mea omni ad id studium cupiditate rapiatur. 103 Dafür sollen die Mönche beten, dass aus seinem „Wollen“ ein „Können“ wird.104 Immer wieder aber scheitert er: Wie das verlorene Schaf ist er auf die Hilfe des Hirten angewiesen (vgl. Lk 15,4– 6)105; als der „verschwenderische Sohn“ (prodigus filius) steht seine Umkehr zum Vater noch bevor (vgl. Lk 15,11–32)106. Und so legt ihm der Teufel immer wieder neue Hindernisse in den Weg, die ihm von seinem Entschluss, in die Wüste zu gehen, abhalten.107 Die späte Umsetzung des rühmlichen Vorhabens fände in der Altersgleichheit des monastischen Archegeten ihre Legitimation. Die zentrale Frage dabei ist jedoch, wie viel Vorwissen und Spitzfindigkeit sowohl dem Autor als auch der Leserschaft bezüglich der angedeuteten Parallele zuzutrauen ist. Unbestritten ist, dass sich Hieronymus gewissermaßen in seine Figur des Paulus „hineinschreibt“. Klar ist auch, dass er sich, um den Anschein der Hybris zu vermeiden, nicht allzu offensichtlich als lebende Verkörperung seines eigenen monastischen Ideals auszeichnen konnte. Etwaige Anspielungen mussten demnach fraglos äußerst subtil eingeflochten und möglichst unterschwellig vermittelt werden. Hatte der spätantike Leser/die spätantike Leserin jedoch die nötigen Daten für die oben erbrachte chronologische Einordnung vor Augen? Schließlich wären dazu sowohl ein genaues Wissen über die Zeit der genannten Christenverfolgungen als auch Kenntnisse über das Leben des Antonius nötig, dessen absolute Lebensdaten schließlich auch der Vita Antonii nicht unmittelbar zu entnehmen sind. Unklar ist auch, ob Hieronymus selbst zum Zeitpunkt der Abfassung der Vita die hier erwähnten Daten zur Hand hatte. Erst später beschäftigte er sich tota cum exultatione conplecti! spectarem desertum, omni amoeniorem ciuitatem, uiderem desolata ab accolis loca quasi ad quoddam paradisi instar sanctorum coetibus obsideri. 102 Vgl. Hier., ep. 2,2 (CSEL 54, 10,8–11,2 HILBERG): [U]erum quia hoc mea fecere delicta, ne consortio beatorum insereretur obsessum omni crimine caput. 103 Hier., ep. 2,2 (CSEL 54, 11,5f. HILBERG). 104 Vgl. Hier., ep. 2,2 (CSEL 54, 11,6–8 HILBERG): [N]unc uestrum est, ut uoluntatem sequatur effectus. meum est, ut uelim; obsecrationum uestrarum est, ut et uelim et possim. 105 Vgl. Hier., ep. 2,3 (CSEL 54, 11,8–11 HILBERG): [E]go ita sum quasi a cuncto grege morbida aberrans ouis. quod nisi me bonus pastor ad sua stabula umeris inpositum reportarit, lababunt gressus et in ipso conamine uestigia concident adsurgentis. 106 Vgl. Hier., ep. 2,3 (CSEL 54, 11,11–14 HILBERG): [E]go sum ille prodigus filius, qui omni, quam mihi pater crediderat, portione profusa necdum me ad genitoris genua submisi necdum coepi prioris a me luxuriae blandimenta depellere. 107 Vgl. Hier., ep. 2,4 (CSEL 54, 11,14–12,4 HILBERG): [E]t quia paululum non tam desiui a uitiis, quam coepi uelle desinere, nunc me nouis diabolus retibus ligat, nunc noua inpedimenta proponens maria undique circumdat et undique pontum, nunc in medio constitutus elemento nec regredi uolo nec progredi possum. superest, ut oratu uestro sancti spiritus aura me prouehat et ad portum optati litoris prosequatur.
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II. Die Vita Pauli
im Zusammenhang mit seiner Arbeit an De Viris Illustribus 108 und seiner Übersetzung, Überarbeitung und Ergänzung der Chronik des Euseb109 intensiv mit geschichtlichen Zusammenhängen. Gerade mit Blick auf diese Werke jedoch fällt auf, dass auch hier die Lebensdaten des Paulus nicht erwähnt werden – und das, obwohl es Hieronymus selbst ist, der die Lebensdaten des Antonius dort einträgt. Auf Paulus wird in der Chronik zwar verwiesen, nur jedoch als Anhang zum Eintrag des Todesdatums des Antonius: Antonius monachus CV aetatis anno in heremo moritur. Solitus multis ad se venientibus de Paulo quodam Thebaeo mirae beatitudinis viro referre, cuius nos exitum brevi libello explicuimus. 110 Offensichtlich war es Hieronymus also ein Anliegen, Paulus in der Chronik unterzubringen – nicht zuletzt als bibliographische Selbstreferenz. Gezwungen wirkt aber der Hinweis im Zusammenhang mit dem Todesdatum des Antonius, da ansonsten nichts über Leben und Wirken des Antonius mitgeteilt wird: Antonius wird förmlich auf seine Funktion als Übermittler der Kunde von Paulus reduziert – als wäre damit etwa sein wichtigster Beitrag erfasst. Dabei wäre es für Hieronymus ein Leichtes gewesen, auch Geburts- und Todesjahr des Paulus an entsprechenden Stellen in die Chronik einzutragen. Dieser Befund ist durchaus bemerkenswert und wirft die Frage auf, ob Hieronymus beim Redigieren der Chronik selbst aufgefallen ist, dass sich die von ihm in der Vita angegebenen Daten nicht mit einer absoluten geschichtlichen Chronologie vereinbaren lassen. Insgesamt lässt sich damit für die vorliegende Frage zur Chronologie der Vita Pauli auf Hieronymus’ Unkenntnis der genauen Datierungen der genannten historischen Begebenheiten zur Zeit der Verfassung der Vita schließen. 3.6. Die Geschichtlichkeit des Heiligen Eine etwaige Unwissenheit geschichtlicher Daten schmälert aber nicht den Eindruck, dass Hieronymus Fragen der Chronologie und der historischen Verankerung seiner Erzählung wichtig waren. So enthält die Vita zahlreiche zeitliche Angaben, die zwar zur Datierung und Chronologie des Lebens des Paulus nichts beitragen, insgesamt aber ein Gefühl von Geschichtlichkeit vermitteln. Das gilt z.B. für den Ausruf des Paulus bei der Ankunft des Raben mit dem Brot für die Eremiten: Sexaginta iam anni sunt quod dimidii semper panis fragmen accipio (VP 10,3). Diese Angabe lässt aufmerken, denn die Dauer von 60 Jahren scheint zunächst arbiträr: Hätte nicht eher eine wunder108 Die Datierung wird ausführlich von BARTHOLD, De viris, 28–32 diskutiert; sie hält das Frühjahr 393 für den wahrscheinlichsten Abfassungszeitraum. 109 REBENICH, Jerome, 75, datiert die Fertigstellung der Übersetzung, Ergänzung und Fortführung der Chronik des Euseb von Hieronymus ins Jahr 380. 110 Vgl. Hier., chron. a.356 (GCS 47, 240,6–10 HELM).
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bare Brotversorgung nahegelegen, die sich über die gesamte Dauer der Anachorese des Paulus erstreckte – je nach Berechnung also ein Zeitraum von 84 bis 97 Jahren? Eventuell ist mit der Zahl Sechzig auf eine Bedeutung angespielt, die der Leserschaft des Hieronymus (im Rahmen eines gemeinsamen Diskurses also) bekannt war – so z.B. die Anspielung auf eine biblische Anwendung oder eine numerische Symbolik.111 Möglich ist z.B., dass mit der Sechzig eine gewisse Vollkommenheit bzw. Abgeschlossenheit impliziert ist112, womit zum einen die Vollkommenheit des Paulus unterstrichen wird, zum anderen aber sein nun abgeschlossenes Leben in den Blick rückt. Primär jedoch suggeriert Hieronymus hiermit, dass seine Erzählung eben nicht zeitenthoben ist, sondern auf greifbaren Daten basiert. Ähnliche Funktion haben auch diejenigen chronologischen Angaben, mit denen scheinbar en passant auf bekannte geschichtliche Ereignisse verwiesen wird. So z.B. der Hinweis auf das Kloster des Antonius, quod postea a Saracenis occupatum est (VP 12,4). Auch die historische Verankerung der Ausstellung eines Fauns in Alexandrien sub rege Constantio (VP 8,6) steht mit dem Leben des Paulus in keiner unmittelbaren Verbindung, trägt aber deutlich zur Vermittlung einer historischen Situierung und somit zur Glaubwürdigkeit der Vita bei. Besonders auffällig ist dieses Bemühen des Autors bei der Datierung der Fälscherwerkstatt in die Zeit von Kleopatra und Mark Anton (VP 5,2). Zusammen mit den Angaben über die Beschaffenheit der Werkzeuge müssen diese Angaben, laut Kech, „als verständlicher Versuch des Autors bewertet werden, die Idylle [der Askese des Paulus] durch bezeichnende Zusätze im Bereich des Wirklichen zu verankern“ 113 , wobei die „genaue Beschreibung der Gegenstände […] in gewissem Grade die ungenaue Quellenangabe [kompensiert] […] und […] so zur historischen Fundierung bei[trägt].“ 114 Kech sieht darin die „für den Autor unverfänglichste Methode, eine überraschende Einzelheit in seinem Bericht als historisch auszugeben“, indem er „die Verantwortung für das dargebotene Detail auf außenstehende Gewährsmänner“ überträgt – „mag doch der Leser selbst zusehen, was er von diesen 111 Lag Hieronymus z.B. etwa die in Lev 27 angesetzte Altersgrenze von 60 Jahren vor, womit zwischen Erwachsenen- und Greisenalter unterschieden wurde? Paulus wäre damit „ein Leben lang“ (d.h. die Lebensdauer eines erwachsenen Mannes lang) mit Brot versorgt worden. 112 Möglicherweise verweist die 60 auf das doppelte Lebensalter Jesu. Hieronymus selbst äußert sich in Brief 82,8 an Theophilus zu der Zahl 30, die durch das Geheimnis der Menschwerdung Christi als vollkommene bezeichnet werde. 113 KECH, Unterhaltungsliteratur, 35. 114 A.a.O., 191, Anm. 35; so auch REBENICH, Hagiograph, 37, der dabei zudem auf die Erwähnung der syrischen Mönche in VP 6 verweist, die „ebenso das Vertrauen des Lesers in die Wahrheit der Erzählung bestärken“.
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II. Die Vita Pauli
hält“115. Tatsächlich ist eine Überprüfung der Behauptung über die Fälscherwerkstatt völlig unmöglich und „dem oberflächlichen Quellenbeleg nach zu urteilen, auch gar nicht erwünscht.“116 Das gilt auch für Hieronymus’ Erwähnung des Zentauren. Auch hier, so Kech, „scheint es Hieronymus ratsam, sich jeglicher Bewertung zu enthalten“117. Mit dem Hinweis auf das Monstrum, cui opinio poetarum Centauro uocabulum indidit (VP 7,4), deutet Hieronymus an, dass es ihn „wohl selbst zu fabulös [dünkt], als daß er nicht lieber die Entscheidung dem Leser selbst überlassen möchte.“ 118 Hieronymus gibt vor, lediglich das wiederzugeben, was ihm berichtet worden ist. Details mögen dabei streitbar sein. Die historische Wahrheit der Erzählung insgesamt ist damit für ihn jedoch keinesfalls in Frage gestellt. Im Gegenteil, Hieronymus beschwört geradezu die Wahrheit seiner Schilderungen. 119 Für die Glaubwürdigkeit seines Berichtes von der Begegnung mit dem Faun beteuert er: hoc ne cui ad incredulitatem scrupulum moueat, und erbringt dafür prompt einen „historischen“ Beweis, für den nicht nur der Kaiser, sondern die „ganze Welt“ als Zeuge (uniuerso mundo teste) heraufbeschworen werden. Ausführlich wird davon berichtet, wie einst jener Faun dem Volk in Alexandrien als großes Schauspiel vorgeführt wurde (magnum populo spectaculum praebuit). Daraufhin wird seine Leiche mit Salz behandelt, ne calore aestatis dis siparetur, damit auch der Kaiser in Antiochia dieses außergewöhnliche Wesen in Augenschein nehmen könne (VP 8,6). Diese „streitbare Verteidigung des Autors“ 120 kann, mit Dassmann, als deutliches Indiz dafür gewertet werden, dass Hieronymus die „Existenz von Faunen und Satyrn [durchaus] plausibel“121 erschien. Unabhängig von solchen Überlegungen kann aber gerade mit dieser Episode für das historische Anliegen des Autors argumentiert werden. „There is no doubt“, so Coleiro, „that in writing [the Vita Pauli] […] Jerome claimed to be writing history.“ 122 Zu diesem Schluss kommt auch Schade, der trotz „mancher le-
115
KECH, Unterhaltungsliteratur, 23. Ibid. 117 A.a.O., 24. 118 Ibid. 119 Vgl. DASSMANN, Autobiographie, 66, der betont, wie bestrebt Hieronymus aus Mangel an zuverlässigen Quellen war, „die Glaubwürdigkeit der knappen Notizen über ihn zu bekräftigen“. 120 KECH, Unterhaltungsliteratur, 24. 121 DASSMANN, Autobiographie, 66. 122 COLEIRO, St. Jerome’s lives, 163. Coleiro zeigt dabei detailliert auf, wie „Geschichte“ für Hieronymus nicht nur in einem „Modus“ verfasst werden könne: „It could be treated in the strictly scientific way of the De Viris Illustribus where the writer’s purpose is limited to the bare exposition of facts, and it could be elaborated by a machinery of rhetor116
3. Chronologie
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gendärer Züge“ der Vita annimmt, dass „Hieronymus vorhatte, ein nach seiner Ansicht rein historisches Bild dem Leser zu bieten.“123 Mit den erbrachten Beobachtungen zur Chronologie der Vita lässt sich gegen diese Einschätzungen der Intention des Autors, Geschichte schreiben zu wollen, kaum etwas einwenden. Es bleibt zu fragen, welche Bedeutung eben jene intendierte Geschichtlichkeit für die hagiographische Ausrichtung der Vita hat. Fest steht, dass die Vita mehr als nur ein unterhaltsames „Märchen“ sein sollte. Betont wird in der Forschung meist, dass die geschichtliche Verankerung der Erzählung entweder auf eine polemische oder eine didaktische Absicht des Autors zurückzuführen sei. In didaktischer Hinsicht, so z.B. Dieter Hoster, wolle Hieronymus mit seiner Schrift „den Ursprung des Mönchtums aus den Gegebenheiten der Verfolgungszeit, das Hervorgehen des ‚unblutigen‘ Martyriums aus dem blutigen“124 erklären. Eine polemische Ausrichtung der Schrift mache sich an der personellen Streitfrage um die Anfänge eben jenes Wüstenmönchtums fest: Hieronymus will beweisen, dass Paulus, nicht Antonius, der erste Wüsten-Mönch war. Er wolle, so Rebenich „die Skeptiker durch die Macht solcher historischen und pseudohistorischen Fakten dazu bewegen, seiner Antwort auf die Frage, wer der erste Einsiedler gewesen sei, Glauben zu schenken.“125 Hieronymus verleihe Paulus, so auch Dorothea Weber, „Historizität und seiner Erzählung damit Glaubwürdigkeit“, um Antonius „den Rang des Archegeten des Mönchtums“ abzulaufen.126 Sowohl eine polemische als auch eine didaktische Absicht des Hieronymus ist durchaus denkbar. Doch die geschichtliche „Verankerung“ der Erzählung von Paulus und Antonius verweist noch auf mehr. Hieronymus schreibt dezidiert einen Text mit hagiographischer Intention, so die hier vertretene These. Dabei geht es nicht nur darum, die Leserschaft über historische Zusammenhänge zu belehren oder gar sich als Autor und Entdecker der wahren Ursprünge des Mönchtums darzustellen. Es geht Hieronymus auch um die Vermittlung christlicher Vorstellungen von Heiligkeit. Die Vita Pauli ist ein Text, der sich dezidiert in den christlichen Diskurs um Vorbilder des gelebten Glaubens einbringt. Dazu bedarf es einer Erzählung, die geradezu notgedrungen historisch und kontingent verankert sein muss.
ical adjuncts so as to provide entertainment as well as information“ (ibid. Hervorhebung YSW). Letzteres gilt eindeutig für die Vita Pauli. 123 SCHADE, Schriften, 4. Rhetorisch zugespitzt fragt Schade: „‚Was will denn Hieronymus eigentlich in dieser Mönchsbiographie bieten?‘ Da kann es wohl nur eine Antwort geben, und die lautet: Geschichte“ (a.a.O., 6). 124 HOSTER, Form, 54. 125 REBENICH, Hagiograph, 37. 126 WEBER, Paulus, 65.
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II. Die Vita Pauli
Das Christliche basiert auf der Glaubensgrundlage der Menschwerdung Gottes. Ewigkeit, Wahrheit und Heiligkeit verwirklichen sich regelrecht im Kontingenten und Geschichtlichen: Der christliche Gott ist wesentlich Mensch. Der eingeborene Sohn, „geboren von der Jungfrau Maria“, ist untrennbar vom Wesen des ewigen Gottes zu denken und zu glauben. Entsprechend ist auch Gottes Weg mit den Menschen von Anbeginn ein geschichtlich verankerter Heilsweg. Dieser Weg kumuliert zwar in der Inkarnation, das Heilswirken Gottes (und somit seine Heiligkeit) geben sich aber auch weiterhin und immer wieder im Lauf der Geschichte in und durch Menschen zu erkennen. Ein Heiliger, d.h. ein Mensch, in dem das Göttliche auf besondere Weise erkennbar wird, ist also immer ein konkreter, „haptischer“ und geschichtlicher Mensch. Die hagiographische Aufarbeitung und die literarische Vermittlung des Lebens und Wirkens eines christlichen Heiligen müssen dem entsprechen. Sie müssen konkret, geschichtlich verankert, anschaulich und damit „anfassbar“ sein, ohne sich dabei „in der Welt“ und im Irdischen zu verlieren. Eben das geschieht in der Vita Pauli. Hieronymus erzählt von einem solchen christlichen Heiligen. Er erzählt von einem Heiligen, der in der Welt gelebt hat, seiner Heiligkeit entsprechend jedoch bereits quasi in paradiso weilte. Eben diese Schwelle besetzt der christliche Heilige, diese für den christlichen Glauben charakteristische Schnittstelle zwischen Mensch und Gott, Kontingenz und Ewigkeit. Und so gilt es auch, diesem Heiligen als exemplum nachzufolgen (wie es Antonius in der Vita Pauli tut), denn sein Weg führt im „Hier und Jetzt“, im Geschichtlichen und Kontingenten, zum Übergang ins Ewige und Heilige.
4. Adressaten und Leserschaft Die Vita Pauli hat ihre Leserschaft von Anbeginn fasziniert und ist schnell zu großer Ausbreitung gelangt. „[L]’ouvrage eut grand succès“127, betonte bereits Paul Monceaux (1933), und John N. D. Kelly hebt hervor: „[T]he little Life of Paul the First Hermit […] proved one of the most popular of his writings“128. Mit dieser Schrift, die „auf Grund ihres unterhaltsamen und erbaulichen Charakters“ die Leser/innen in ihren Bann schlug129, habe Hieronymus,
127 MONCEAUX, Saint Jérôme, 200; so auch REBENICH, Jerome, 85, der die Vita als „immensely popular“ bezeichnet; vgl. ders., Asceticism, 369; auch HOELLE, Commentary, 22, schreibt in Anlehnung an MONCEAUX: „The VP was widely read in Rome where it made its author well-known“; vgl. auch WEINGARTEN, Saint’s saints, 19. 128 KELLY, Jerome, 60. 129 REBENICH, Hagiograph, 30; vgl. ders., Jerome, 85.
4. Adressaten und Leserschaft
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so Rebenich, das Fundament gelegt für seinen Erfolg als christlicher Autor.130 In der Tat lassen sich schon bald nach der Veröffentlichung der Vita eine Vielzahl von Übersetzungen nachweisen: sechs verschiedene griechische, eine koptische, eine syrische und eine äthiopische. Bis heute sind mehrere hundert Manuskripte erhalten.131 Bernard Lambert, der die ursprünglich 1943 von William Abbott Oldfather zusammengestellte Liste der Manuskripte überarbeitet und erweitert hatte, veröffentlichte 1969 eine Liste mit insgesamt 471 Manuskripten zur Vita Pauli.132 So groß war ihre Popularität, dass die Vita schon nach nur kurzer Zeit (neben der Vita Antonii des Athanasius/Evagrius und der Vita Martini des Sulpicius Severus) regelrecht zum Kanon „maßgeblicher christlicher Biographien“133 gerechnet wurde, wie es z.B. aus der Einleitung der Ambrosiusvita134 des Paulinus von Mailand (gestorben nach 422 135 ) als frühestes „Zeugnis für Kanonbildung in der christlichbiographischen Literatur der Lateiner“ 136 hervorgeht. 137 Nur wenige Jahre nach seinem Tod galt der vir beatus Hieronymus mit seiner Vita Pauli also schon als Maßstab für den christlichen Hagiographen. 4.1. Paulus von Concordia Für die schnelle Verbreitung in Rom und Oberitalien war ein Adressat der Vita von besonderer Bedeutung: Hieronymus sandte eine Abschrift an seinen Freund Paulus von Concordia, zusammen mit einem Brief, dessen Anlass der 100. Geburtstag des Empfängers war. Hieronymus schenkt Paulus mit seinem
130
Vgl. REBENICH, Asceticism, 369. Vgl. KELLY, Jerome, 60; vgl. HOELLE, Commentary, 22f.; MORALES, Genèse, 100– 103; REBENICH, Ascetic hero, 13; ders., Hagiograph, 24; WEINGARTEN, Saint’s saints, 19, Anm.10. 132 Die Liste Lamberts von 1969 diente als Grundlage für Degórskis Edition der Vita Pauli von 1987. Auf letzterer basiert wiederum die neueste kritische Ausgabe (2007) von MORALES (SC 508). 133 BERSCHIN, Biographie V, 60. 134 Das Abfassungsdatum der Vita ist strittig (vgl. BERSCHIN, Biographie I, 212f.). Berschin plädiert für das Jahr 422. BREUKELAAR, Paulinus von Mailand, 27, setzt die Abfassung um das Jahr 420. Dagegen betont BAUMEISTER, Paulinus, 1815, dass die Vita „wohl eher 412/413 als 422“ verfasst worden sei. 135 Vgl. BREUKELAAR, Paulinus von Mailand, 27. 136 BERSCHIN, Biographie I, 213. 137 Paulinus beginnt mit den Worten: Hortaris, uenerabilis pater Augustine, ut sicut beati uiri Athanasius episcopus et Hieronymus presbyter stilo prosecuti sunt uitam sanctorum Pauli et Antonii in eremo positorum, sicut etiam Martini uenerabilis episcopi Turonensis ecclesiae Seuerus seruus Dei luculento sermone contexuit, etiam ego beati Ambrosii episcopi Mediolanensis ecclesiae meo prosequar stilo (v. Ambr. 1,1 [Vite dei Santi 3, 54,1f. BASTIAENSEN]). 131
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II. Die Vita Pauli
Brief eine Laudatio, in der er den jugendlichen Zustand von Körper und Geist des Jubilars betont138 und diesen Zustand als ein ihm zustehendes, gerechtfertigtes Geschenk Gottes interpretiert: Da Paulus Gottes Gebote immer beachtet habe, diene bereits sein jetziges Leben als exemplum für die beatitudines des zukünftigen Lebens139 (s.u. III.2.5). Doch Hieronymus verfasst die Laudatio auf seinen Freund nicht ohne Eigennutz. Selbst die doctissimi quique Graecorum ließen sich schließlich, so Hieronymus, für ihre Lobreden auf Könige und Führer bezahlen. 140 Ihrem Beispiel folgend fordert auch Hieronymus für seine Lobrede einen Preis141: Er erbittet sich von Paulus eine Reihe von Büchern aus dessen Bibliothek. 142 Direkt im Anschluss an diese Bitte folgt der Hinweis auf ein weiteres Geschenk, womit sich Hieronymus offenbar bereits für das Erbetene bedanken will: Dem Paulus senex übersende er hiermit die Vita eines Paulus senior.143 Wenn diese ihm gefalle, so Hieronymus, dann habe er auch noch „andere Leckerbissen“, welche „mit vielen orientalischen Waren zu dir segeln werden“144. Die Bitte des Hieronymus um Bücher ist damit, rhetorisch geschickt, in zwei Gaben gebettet (die laudatio und die Vita), wobei der Geburtstag des Empfängers, nicht etwa die Bitte selbst, als Anlass für den Brief in den Vordergrund gerückt wird. Neben der vordergründigen Bitte um Bücher ist mit dem Brief, subtiler noch, ein Weiteres beabsichtigt: Anzunehmen ist, dass sich Hieronymus die
138 Vgl. ep. 10, 2,2 (CSEL 54, 36,13–37,6 HILBERG): [O]culi puro lumine uigent, pedes inprimunt certa uestigia, auditus penetrabilis, dentes candidi, uox canora, corpus solidum et suci plenum. cani cum rubore dicrepant, uirtus cum aetate dissentit. non memoriae tenacitatem, ut in plerisque cernimus, antiquior senecta dissoluit, non calidi acumen ingenii frigidus sanguis obtundit, non contractam rugis faciem arata frons asperat, non denique tremula manus per curuos cerae tramites errantem stilum ducit. 139 Vgl. Hier., ep. 10,2,2 (CSEL 54, 36,11–13 HILBERG): [E]cce iam centenarius aetatum circulus uoluitur et tu semper domini praecepta custodiens futurae beatitudines uitae per praesentium exempla meditaris. 140 Vgl. Hier., ep. 10,3,1 (CSEL 54, 37,13 HILBERG): Doctissimi quique Graecorum, de quibus pro Flacco agens luculente Tullius ait: ingenita leuitas et erudita uanitas, regum suorum uel principum laudes accepta mercede dicebant. 141 Vgl. Hier., ep. 10,3,1 (CSEL 54, 37,16 HILBERG): Hoc ego nunc faciens, pretium posco pro laudibus. 142 Vgl. Hier., ep. 10,3,2 (CSEL 54, 38,2–4 HILBERG): [S]cilicet commentarios Fortunatiani et propter notitiam persecutorum Aurelii Victoris historiam simulque epistulas Nouatiani. 143 Vgl. Hier., ep. 10,3,3 (CSEL 54, 38,5f. HILBERG): [M]isimus interim tibi, id est Paulo seni, Paulum seniorem. 144 Vgl. Hier., ep. 10,3,3 (CSEL 54, 38,10–12 HILBERG): [S]i hoc munusculum placuerit, habemus etiam alia condita, quae cum plurimis orientalibus mercibus ad te, si spiritus sanctus afflauerit, nauigabunt.
4. Adressaten und Leserschaft
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Veröffentlichung seiner Vita von seinem Adressaten erhoffte. 145 Zumindest war es durchaus üblich, dass der Adressat einer Schrift Mitverantwortung für die Verbreitung derselben übernahm.146 Dies galt besonders dann, wenn der Adressat zugleich Auftraggeber oder Widmungsträger der Schrift war, denn gerade eine Widmung „bedeutete für den Empfänger eine große Ehre, da er einerseits der erste war, der das neue Werk noch vor der Edition in Händen hatte, andererseits weil durch die Widmung sein Name für immer in Verbindung mit dem Buch blieb.“147 Von einem Auftrag für die Vita Pauli fehlt aber jede Spur. Vielmehr betont Hieronymus im Prolog gerade die eigene Initiative, die auf mehreren von ihm selbst erkannten Missständen beruhe. Hieronymus habe von vielen Gerüchten um Paulus gehört (VP 1,3). Diese Gerüchte sind zwar aus Hieronymus’ Sicht so absurd, dass er betont, eigentlich gar nicht auf sie eingehen zu müssen (multa quae persequi otiosum est incredibilia fingentes), implizit ist damit jedoch ein Grund für sein auf eigene Faust unternommenes Werk geboten: Hieronymus sieht sich, in seiner eigenen Darstellung, selbst berufen, die Figur des Paulus ins rechte Licht zu rücken (s.u. III.1.5). Als zweiten Grund, die Vita Pauli zu verfassen, gibt Hieronymus die Tatsache an, dass über den zwar auch wichtigen, aber eben nicht ersten Mönch Antonius schon viel quam Graeco quam Romano stilo (VP 1,4) geschrieben worden sei. Von Paulus hingegen gäbe es noch gar kein schriftliches Zeugnis. Deshalb, so schließt Hieronymus seine Überlegungen im Prolog, habe er sich entschlossen, selbst zu schreiben, magis quia res omissa erat, quam fretus ingenio (VP 1,4). Laut Berschin, könne Hieronymus damit sogar als „Stammvater der autonomen christlichen Biographen“ 148 gelten. 149 So selbstsicher, wie Hieronymus sich hier zeigt, sei, laut Berschin, zu seiner Zeit keiner aufgetreten.150 145
Vgl. HOELLE, Commentary, 13: „St. Jerome may well have hoped for some publicity through this venerable Paul“. 146 Vgl. BERSCHIN, Biographie V, 12. 147 HERKOMMER, Topoi, 31. 148 BERSCHIN, Biographie V, 19. 149 Noch deutlicher bezüglich seiner eigenen Initiative wird Hieronymus in seinen späteren Viten: In der Vita Hilarionis z.B. zeige, laut Berschin, „bereits das erste Wort [scripturus], daß hier ein Autor selbstbewußt genug ist, die Verantwortung für seinen Text selbst zu übernehmen“. Auch die Vita Malchi „entspringt ganz der Entscheidung des Hieronymus, und ähnlich verhält es sich bei seinen biographischen Briefen“ (BERSCHIN, Biographie V, 19). 150 Vgl. ibid. Besonders wichtig für die Selbstdarstellung des Hieronymus ist in diesem Zusammenhang sein Hinweis darauf, dass er nicht aufgrund der „Zuversicht in [seine] Begabung“ (fretus ingenio [VP 1,4]) schreibt, sondern einzig, weil „die Sache versäumt worden ist“ (quia res omissa erat [VP 1,4]). Mangels eines Auftrags muss sich Hieronymus besonders des Eindrucks der Überheblichkeit erwehren. Seine Eigeninitiative ist mit Hinblick auf die Wichtigkeit des Themas, wie er in den ersten Zeilen des Prologs betont,
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II. Die Vita Pauli
Paulus von Concordia ist also nicht Auftraggeber der Vita Pauli. Aber auch eine Widmung ist in der Vita nicht zu finden. Untergebracht gewesen wäre sie klassischerweise in einem Proömium und hätte sich an gewissen Topoi orientiert. So gehörte zu einer Widmung im Proömium z.B. der Ausdruck der Zuneigung, welcher „entweder auf Grund […] freundschaftlicher Verbundenheit an einen Freund des Autors [erfolgte] oder als Ehrerbietung und Dienstleistung an eine höherstehende Persönlichkeit.“ 151 Die Widmung selbst wurde dabei mit „Verben des ‚Schickens‘ u.ä.“ 152 ausgedrückt. Das Vorwort der Vita Pauli nennt aber weder Empfänger noch gibt sie explizit Auskunft über die intendierte Leserschaft. Anders der Brief an Paulus: Ihn adressiert Hieronymus ausdrücklich an seinen Freund mit den Worten misimus interim tibi153. Der Topos der Zuneigung und Ehrerbietung stellt mit der Laudatio für den senex Paulus zudem geradezu das Herzstück des Briefs dar. Darüber hinaus findet sich in dem Brief auch der in einem klassischen Proömium zu erwartende Topos, der von Elmar Herkommer als „Darstellung“154 identifiziert wird. Dabei informiert der Autor seine Leserschaft über „Sprache und Stil, über die Anordnung des Stoffs und über Grundsätze der geschichtlichen Darstellung“ 155 . Außer der kurzen Entschuldigung in VP 1,4 für seine mangelnden „Fähigkeiten“ (ingenium) ist in dem Vorwort der Vita zur Gestalt und Form des vorliegenden Werks nichts erwähnt. Der Brief hingegen erteilt eine solche Auskunft, indem Hieronymus darauf hinweist, dass er mit Blick auf die einfachen Leser (propter simpliciores) bei der Abfassung der Vita sehr um eine „schlichte Darstellung“ bemüht war (multum in deiciendo sermone laborauimus) 156 , was ihm „bedauerlicherweise“ jedoch nicht gelungen sei, denn, wie Hieronymus betont: „Ich weiß nicht wie, aber ein Krug behält, auch wenn er mit Wasser gefüllt ist, den Geruch, den er erhielt, als er noch unbearbeitet war.“157 Mit diesen topischen Elementen käme dem Brief gewiskeinesfalls eine Selbstüberschätzung, sondern geradezu auf eine Notwendigkeit zurückzuführen: Irgendjemand, so die implizierte Botschaft des Autors, muss sich dieser überaus wichtigen und nach wie vor umstrittenen Angelegenheit mit einem klärenden Beitrag widmen. 151 HERKOMMER, Topoi, 32. 152 A.a.O., 27. 153 Hier., ep. 10,3,3 (CSEL 54, 38,5f. HILBERG). 154 Vgl. HERKOMMER, Topoi, 112–122. 155 A.a.O., 112. 156 Hier., ep. 10,3,3 (CSEL 54, 38,6–8 HILBERG). 157 Hier., ep. 10,3,3 (CSEL 54, 38,8–10 HILBERG): [S]ed nescio quomodo, etiam si aqua plena sit, tamen eundem odorem lagoena seruat, quo, dum rudis esset, inbuta est. Als Topik erweist sich diese Aussage umso mehr dadurch, dass es sich dabei um eine Anspielung auf Horaz handelt (vgl. ep. 1, 2,69f.), die Hieronymus öfter verwendet, gerne auch
4. Adressaten und Leserschaft
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sermaßen die Rolle einer Präfatio zu, die im Unterschied zum Proömium, ein Vorwort darstellt, das „dem Werk gesondert vorausgeschickt wird“ 158 und eben nicht wie ein Proömium „Bestandteil des Werkes selbst ist und unmittelbar mit diesem zusammenhängt“159. Zwar kann hier, mit Susan Weingarten, mangels einer dezidierten inhaltlichen oder formellen Ausrichtung des Briefs auf die Vita keinesfalls von einer „formal preface“160 die Rede sein, doch als „programmatic introduction“ 161 für die Vita erfüllt der Brief an Paulus von Concordia viele dieser Funktionen. Entsprechend ließe sich der Brief zur Sendung der Vita an den hochgeachteten Adressaten auch als epistula dedicatoria auffassen. Tatsächlich wurden Widmungen eines Werks, zumindest in der römischen Geschichtsschreibung, häufig durch einen Widmungsbrief vollzogen162, wobei in vielen Fällen ohnehin „eine Widmung [nur] indirekt bezeugt ist.“ 163 Entscheidend war dabei, dass „der Autor eine Abschrift seines Werks noch vor dessen Herausgabe dem Empfänger als Dedikationsexemplar zustellte“164. Es gibt weder Hinweise auf eine bereits zuvor erfolgte Herausgabe der Vita noch sind weitere Briefe des Hieronymus überliefert, aus denen hervorginge, dass er die Vita Pauli auch anderen Empfängern geschickt hätte. Scheinbar steckt hinter der Sendung der Vita an Paulus von Concordia also mehr als nur die Weitergabe einer bloßen Kopie eines sich bereits im Umlauf befindenden Werks. Wenn darüber hinaus auch die Übereinkunft der Namen des Adressaten und des Helden der Vita und ihrer beider hohes Alter berücksichtigt wird, auf die auch De Vogüé als „particulièrement appropriée“165 hingewiesen hat, kann Paulus von Concordia durchaus als Widmungsträger der Vita gelten. Mit der Frage um die Funktion des „Begleitbriefs“ ist zugleich eine weitere Diskussion um die Vita Pauli berührt: die Frage nach ihrer Datierung. Ist Epistula 10 nämlich ein Widmungsschreiben, so fallen Herausgabe der Vita und Sendung des Briefs zusammen.166 Mit der Datierung des Briefs wäre also
zusammen mit Lukrez’ Wort von der Purpurwolle, die sich nicht mehr auswaschen lässt (vgl. GEMEINHARDT, Bildung, 261, Anm. 462 und 396, Anm. 6). 158 HERKOMMER, Topoi, 10. 159 Ibid. 160 Vgl. WEINGARTEN, Saint’s saints, 21: „The vita Pauli has no formal preface, but we do have the letter Jerome wrote to the aged Paul of Concordia when sending him the vita.“ 161 WEINGARTEN, Saint’s saints, 21. 162 Vgl. HERKOMMER, Topoi, 28. 163 A.a.O., 30. 164 A.a.O., 26f. 165 DE VOGÜE, Vita Pauli, 406. 166 Vgl. DE VOGÜE, der das Argument des Historikers und Jesuiten Ferdinand Cavalleras wiedergibt: „Si la lettre à Paul servait de dédicace à la Vita Pauli, les indices que fait
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II. Die Vita Pauli
auch die Vita datiert. Sendet Hieronymus Paulus jedoch lediglich eine Kopie einer bereits veröffentlichten Vita, so gilt mit De Vogüé, der sich intensiv mit der Frage nach der Datierung der Vita Pauli auseinandergesetzt hat167: „Cet envoi d’un exemplaire de la Vita ne peut donc servir à dater l’écrit“168, denn „[i]l n’est pas nécessaire que Jérôme l’ait écrit dernièrement.“ Tatsächlich ist aber nicht nur die Datierung der Vita strittig169, sondern auch das Datum der Abfassung des Briefs lässt sich nicht genau festlegen: Schade hatte den Brief „etwa in die Jahre 377 oder 378“170 datiert. Morales optiert hingegen für das Jahr 376. 171 Entgegen der Annahme Ferdinand Cavalleras 172 , der zwar zunächst auch dieser Meinung war, später aber annahm, dass der Brief entweder in der Zeit des zweiten Aufenthaltes des Hieronymus in Antiochia173 oder um 380, als sich Hieronymus in Konstantinopel aufhielt, entstanden sei174, besteht heute meist auch unabhängig von der Frage nach der Funktion des Briefs ein Konsens zumindest darüber, dass sowohl die Vita als auch der Brief an Paulus zur Zeit des Wüstenaufenthalts des Hieronymus verfasst worden sind.175
valoir l’historien jésuite devraient être pris en compte pour la datation de l’opuscule“ (ibid.). 167 Vgl. a.a.O., bes. 405f. 168 A.a.O., 406. 169 Die Frage nach der Datierung der Vita wird ausführlich diskutiert von DE VOGÜÉ, Vita Pauli; vgl. auch MORALES, Genèse, 87–89; COLEIRO, St. Jerome’s lives, 161, datiert die Vita ins Jahr 374 oder 375; FÜRST, Askese, 46, optiert für das Jahr 375; MONCEAUX, Saint Jérôme, 186, spricht sich für 376 aus; so auch HOELLE, Commentary, 12; ebenso EWALD, Introduction, 221, und MORALES, Genèse, 89; FUHRMANN, Mönchsgeschichten, 69, gibt einen weiteren Zeitraum an: 375/377; so auch FRANK, Paulos, 1528; PLESCH, Originalität, 26, dehnt den möglichen Zeitraum auf 375/378 aus; so auch HOLZE, Paulus, 89; bei SCHADE, Schriften, 5, ist sogar von einer Spanne von 374 bis 379 die Rede; Susan Weingarten versetzt diese Datierung um ein Jahr, „some time between 375 and around 380“ (WEINGARTEN, Saint’s saints, 19). Dabei weist sie einschränkend darauf hin, dass Hieronymus die Vita höchstwahrscheinlich zu Beginn dieses Zeitraums – am Anfang seines Wüstenaufenthaltes also – verfasst habe, schließlich sei es plausibler, „that he wrote this Life which he was still full of enthusiasm for withdrawing from the world“; HARVEY, Paul, 358, optiert für das Jahr 377; LECLERC, Antoine, 258, versetzt die Abfassung ans Ende der Wüstenzeit, ins Jahr 378; tatsächlich muss mit REBENICH, Hagiograph, 28, resümiert werden: „Wann genau Hieronymus dieses Werk schrieb, wissen wir nicht.“ 170 SCHADE, Briefe I, 27. 171 Vgl. MORALES, Genèse, 88f. 172 Vgl. CAVALLERA, Saint Jérôme I, 43–45; II, 16–17. 173 So auch KELLY, Jerome, 60f.; FUHRMANN, Mönchsgeschichten, 69, hält diese Datierung auch für möglich. 174 Vgl. SCHADE, Briefe I, 27; DE VOGÜÉ, Vita Pauli, 405f. 175 Damit ist ein Zeitraum abgegrenzt, der frühestens im Jahr 373 beginnt und spätestens 379 endet; vgl. GRÜTZMACHER, Hieronymus, 48 und 54f.; für die Wüstenzeit, ohne
4. Adressaten und Leserschaft
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Für die hier gestellte Frage nach der Bedeutung des Paulus von Concordia für die Rezeption und Verbreitung der Vita spielt aber weder die genaue Datierung der Vita176 noch die formelle Bestimmung des Briefs als Widmungsschreiben eine ausschlaggebende Rolle, denn auch unabhängig davon, ob Paulus tatsächlich als Widmungsträger der Vita Pauli intendiert war, steht, mit Morales, fest: „Paul de Concordia est donc le destinataire de la Vita Pauli“177. Damit erhoffte sich Hieronymus zweifellos auch eine Verbreitung seiner Schrift178, weshalb Andrew Cain den Hinweis des Hieronymus auf seine Vita in dem Brief an Paulus von Concordia zu Recht als „publicity notice“179 bezeichnet, mit der er sich als Autor hagiographischer Schriften für ein Publikum in Rom ankündigte.180 Dafür spricht auch der Hinweis auf die simpliciores181, hinter dem sich natürlich zugleich ein üblicherweise im klassischen Prolog anzutreffender Topos der „Äußerung der Bescheidenheit“182 verbirgt. Mit dieser Äußerung ist jedoch auch deutlich eine Absicht für das vorliegende Werk kundgetan: Nicht Paulus (der wohl kaum von Hieronymus als einer jener simpliciores gemeint war) solle der alleinige Leser bleiben, sondern viele Leser und Leserinnen aus diversen Bildungsschichten sollten sich an der kleinen Schrift erfreuen können. Die Hoffnung des Hieronymus, dass Paulus ihm eine eben solche, breite Leserschaft verschaffen könnte, war zudem nicht unbegründet, denn Paulus hatte anscheinend sowohl die Mittel als auch das nötige Ansehen in christlichen Kreisen, eine Verbreitung der Vita effektiv voranzutreiben.183 Als früherer Bekannter des ehemaligen Sekretärs Cyprians, wie Hieronymus selbst
genaue Festlegung auf ein Jahr, optieren auch DE VOGÜÉ, Vita Pauli, 406, und REBENICH, Hieronymus, 94. 176 Auch für die vorliegende Untersuchung kommt es auf den genauen Zeitpunkt der Abfassung nicht an. Wichtiger für die Frage nach der diskursiven Einbindung der Vita ist der Ort, an dem sich Hieronymus zur Zeit seiner Arbeit an der Vita aufhielt – die Wüste Chalkis. Selbst mit der großzügigsten Schätzung eines Zeitraums von 374 bis 379 ist ein hinlänglicher Ausgangspunkt für die Untersuchung eines ohnehin zeitlich nicht präzise abgrenzbaren hagiographischen Diskurses gegeben. 177 MORALES, Genèse, 88 (Hervorhebung YSW). 178 Die Vita Pauli stellt hier keinesfalls einen Sonderfall dar. Vielmehr ließ Hieronymus viele seiner apologetischen, asketischen und theologischen Schriften einem „Kreis gebildeter und asketisch orientierter amici in Rom [zukommen], die für die Verbreitung sorgten“ (REBENICH, Hieronymus, 203). 179 CAIN, Letters, 34, Anm. 83. 180 Vgl. a.a.O., 34; zur Veröffentlichung und Verbreitung der Schriften des Hieronymus durch einflussreiche Freunde in Rom vgl. REBENICH, Hieronymus, 201–208. 181 Hier., ep. 10,3,3 (CSEL 54, 38,7 HILBERG). 182 Vgl. HERKOMMER, Topoi, 52–59. 183 Vgl. REBENICH, Ascetic hero, 20f.
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II. Die Vita Pauli
später in De Viris Illustribus hervorhebt184, gehörte Paulus mit Sicherheit zur christlichen Prominenz. Zu Recht ist also anzunehmen, dass Paulus von Concordia nicht unerheblich dazu beigetragen hat, dass die Vita Pauli um 380 in Oberitalien bekannt wurde.185 4.2. Gebildete römische Leser/innen mit Interesse an christlicher Askese Die Erkenntnisse zur Rolle und Funktion des namentlich genannten Adressaten der Vita, Paulus von Concordia, lassen auch erste Schlüsse über die früheste Leserschaft der Vita zu. Entgegen der von Hieronymus in seinem Brief an Paulus von Concordia verkündeten Absicht, auch „einfachen“ Leser/innen gerecht zu werden, ist wohl anzunehmen, dass das früheste Publikum seiner Vita eher derselben Bildungsschicht angehörte, zu der auch der Adressat des Briefs und somit der Herausgeber und Verteiler der Vita gezählt werden muss – einer Leserschaft also, die aufgrund entsprechender Bildung in der Lage war, die literarische Kunstfertigkeit des Autors zu würdigen.186 Erst für gebildete Rezipienten zeigt sich die Vita Pauli als das, was sie ist: „a charming, edifying, well-told take, blending legend and history, weaving the poetic and the picturesque into a background of reality.“ 187 Entsprechend bezeichnete auch Monceaux die Vita als „jolie relation, qui enchante le public lettré“188, und Hoelle beschreibt ihre Struktur und ihren Stil in Anlehnung an Monceaux als „almost classical, yet it has a more personal and vibrant tone, a verve, a freshness and a fancifulness with sudden popular touches and flashes of genius.“ 189 Als durchweg „literarisch anspruchsvoll gestaltet“ 190 gibt sich die „geistvoll ansprechende Form“ 191 in diesem „entzückenden opusculum“ 192 , diesem „masterpiece of storytelling“193 als „consummate art“194 zu erkennen. Der erste große literarische Wurf des Hieronymus ist Rebenich zufolge „[a]
184
Vgl. Hier., vir. ill. 53,3 (208 BARTHOLD): Vidi ego quendam Paulum Concordiae, quod oppidum Italiae est, senem, qui se beati Cypriani iam grandis aetatis notarium, cum ipse admodum esset adolescens, Romae uidisse diceret. 185 Vgl. BERTRAND, Evagriusübersetzung, 41; KELLY, Jerome, 33. 186 Vgl. z.B. REBENICH, Ascetic hero, 21; ders., REBENICH, Asceticism, 369; WEINGARTEN, Saint’s saints, 40. 187 HOELLE, Commentary, 13. 188 MONCEAUX, Saint Jérôme, 196. 189 HOELLE, Commentary, 31; vgl. auch CAVALLERA, Saint Jérôme I, 44f., der die Vita Pauli beschrieb als Werk des brillanten Rhetorikers Hieronymus in Höchstform. 190 REBENICH, Hagiograph, 30. 191 Vgl. SCHADE, Schriften, 4. 192 BAUER, Novellistisches, 137 (223). 193 KELLY, Jerome, 61. 194 Ibid.
4. Adressaten und Leserschaft
87
literary masterpiece, skilfully composed“195 und wurde gerade deshalb, laut Berschin, zu einer Quelle „von phantastischen Motiven und glänzenden lateinischen Wendungen“196. Diese Kunstfertigkeit des Hieronymus zeigt sich nicht nur in den zahlreichen Zitaten und Anspielungen auf klassische Literatur197, mit denen die Vita Pauli gespickt ist, sie äußert sich besonders in seiner Sprache198, die mit Bildern und Metaphern spielt und sich mit blumig ausgeschmückten Umschreibungen oft geradezu nebensächlichen Details hingibt. Eben das, so Coleiro, gelte besonders für Sequenzen, in denen Hieronymus seinen Lesern und Leserinnen Erscheinungen der Natur mit außerordentlich viel Gefühl vor das innere Auge führt.199 Stets deutlich ist dabei die Suche des Hieronymus nach „stray adjectives, adverbs, phrases which glow with descriptive brilliance.“200 So küsst Antonius beim Abschied die Augen des Paulus silentio lacrymans (VP 12,4), und Paulus fährt zum Himmel niveo candore fulgentem (VP 14,2)201; Hieronymus lässt seine Leserschaft die „kochende Sonne“ spüren (media dies coquente desuper sole feruebat [VP 7,3]) und das unsichere Gefühl des Wanderers im „Zwielicht“ des Morgengrauens erahnen (dubia adhuc luce [VP 9,2]); sein Held bricht nicht lediglich in „eine Wüste“ auf, sondern blickt in ein „weite, breite Ödnis“, in der nichts außer Spuren von Tieren zu entdecken sind (ferarum tantum uestigia intuens et eremi latam uastitatem [VP 9,1]); um den beschwerlichen Weg durch diese Ödnis zu gehen, bei dem des Helden Schritte kaum dem Wollen seines animus folgen können, muss „sein Geist das Alter besiegen“, obwohl die Jahre seinen alten Körper, der vom Fasten ausgehöhlt war, förmlich zerbrechen (Neque uero gressus sequebantur animum, sed cum corpus inane ieiuniis seniles etiam anni frangerent, animo uincebat aetatem [VP 12,5]). Der sprachliche Enthusiasmus des Hieronymus ist so präsent, dass er oft übertrieben, ja fast deplatziert wirkt. „Emphasis“, so Coleiro, ist in der Vita 195 REBENICH, Asceticism, 369; Hans von Campenhausen beschreibt die Vita Pauli sogar als „des Hieronymus literarisch vollkommenstes Werk [...], dessen zarten Charme dieser später nicht wieder erreicht hat“ (VON CAMPENHAUSEN, Kirchenväter, 120). 196 BERSCHIN, Biographie I, 137. 197 Von anderen Reminiszenzen abgesehen, stechen vor allem Vergilverse hervor, die Hieronymus teils wörtlich zitiert (s.u. III.3.2): So z.B. VP 4,2 (vgl. Verg., Aen. III,57 [TB 193, 106 FINK]) oder VP 9,6 (vgl. Verg., Aen. II,650 [TB 193, 92 FINK]; Verg., Aen. VI,672 [TB 193, 284 FINK]); vgl. BRUNERT, Wüstenaskese, 77; KELLY, Jerome, 61; WEINGARTEN, Saint’s saints, 41. 198 Vgl. WEINGARTEN, Saint’s saints, 77–80. 199 Vgl. COLEIRO, St. Jerome’s lives, 174f. 200 A.a.O., 175; KELLY, Jerome, 61, spricht von „colourful descriptions, carefully chosen words and cadences“. 201 Vgl. ibid.
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II. Die Vita Pauli
Pauli „synonymous with drama. Indeed, whenever a particular situation requires vividness, even when only minor characters are involved, overstress is conspicuous.“202 Darin sei laut Coleiro zwar „one of the characteristics of the ‚Silver‘ Age writers“203 zu erkennen: So setzte Tacitus z.B. dieses stilistische Mittel meisterhaft ein in seiner Darstellung des Charakters des Kaisers Tiberius, „[b]ut there he had a great personality and the fate of an empire to work upon.“204 Wenn dieselbe Methode aber in einer kleinen Schrift wie der Vita Pauli angewendet werde, dann, so Coleiro, gehe eben jener Effekt aufgrund der damit erwirkten Verständnislosigkeit vollkommen verloren und „emphasis […] degenerates into absurdity.“205 Fest steht, dass Hieronymus diesen Stil keinesfalls, wie er selbst beteuert, unbeabsichtigt anwendet. 206 Seine Komposition zielt geradezu darauf, ein gebildetes Publikum zu unterhalten, und „[w]ir dürfen sicher sein, daß sich ebenfalls die aus dem Westen stammenden Mitglieder des theodosianischen Hofes in Konstantinopel, die sich dem asketischen Ideal gegenüber aufgeschlossen zeigten, an diesem opusculum delektierten.“207 Um dieses Publikum zu erreichen, war Paulus von Concordia in der Tat der richtige Mann.208 Damit aber kann auch ein Zweites über die früheste Leserschaft der Vita Pauli ausgesagt werden: Als gebildete Elite gehörte diese Leserschaft zugleich einer oberen, wohlhabenden Schicht an. Bildung konnte sich schließlich nicht jeder leisten.209 Auf diese spezifische Eigenschaft seiner Leserschaft geht Hieronymus sogar direkt ein. Im Epilog der Vita (VP 17) hebt er den moralischen Zeigefinger und tadelt mit scharfen Worten all diejenigen (VP 17,1), die den Umfang ihres Besitzes nicht einmal kennen (qui patrimonia sua ignorant), die ihre Häuser mit Marmor bekleiden (qui domos marmoribus uestiunt) und sich mit einem Bindfaden die Preise ihrer Villen einnähen (qui uno lino uillarum 202
COLEIRO, St. Jerome’s lives, 167. Ibid. 204 Ibid. 205 Ibid. 206 So auch WEINGARTEN, Saint’s saints, 77: „‚Nescio quomodo‘ is, in fact, Jerome at his most disingenuous, for the apparently simple story is built with considerable skill, with different layers of allusive depth for different parts of his audience.“ 207 REBENICH, Hagiograph, 40. 208 So auch Rebenich, der betont: „Trotz seines Bekenntnisses, damit schlichte Gemüter erreichen zu wollen, war [...] [die Vita Pauli] für ein gebildetes Publikum bestimmt, das […] [Hieronymus] unter anderem durch die Vermittlung des asketisch interessierten Greises erreichen wollte“ (ibid.). 209 Vgl. z.B. CAIN, Vox, 521, der die Adressaten der Briefcorpora des Hieronymus als „generally upper-class“ beschreibt – ein Votum, dass sicherlich auch für die Vita Pauli zutrifft; vgl. auch WEINGARTEN, Saint’s saints, 40. 203
4. Adressaten und Leserschaft
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insuunt pretia). Dann wird Hieronymus noch direkter: Er spricht seine Leser und Leserinnen in der 2. Person an und lässt damit keinen Zweifel, wer gemeint ist (VP 17,2): „Ihr trinkt aus [Gefäßen aus] Edelsteinen“ ([u]os gemma bibitis) und „webt Gold in eure Untergewänder“ ([u]os in tunicis aurum texitis). Mit Blick auf die Hauptfigur seiner soeben beendeten Erzählung, die sich lediglich der hohlen Hände (concaus manus) bediente, um Wasser zu schöpfen, und nicht einmal Kleidung hatte wie der geringste einer „eurer“ Sklaven (ille ne uilissimi quidem mancipi uestri indumentum habuit), fällt Hieronymus über seine Leserschaft ein klar und deutliches Urteil (VP 17,3): [V]os auratos gehenna suscipiet – euch Gold-geschmückte verschlingt die Hölle! Denn gerade dadurch, dass Paulus nackt gewesen ist, hat er sich das Gewand Christi (uestis Christi) bewahrt; „ihr“ dagegen, mit eurer seidenen Bekleidung (uestitus serici), habt den Anzug Christi (indumentum Christi) regelrecht vernichtet (perdere). Entsprechend, so Hieronymus in VP 17,4, wird Paulus, der von dem wertlosesten Staub bedeckt ist (uilissimo puluere copertus), in Herrlichkeit auferstehen (resurrecturus in gloria), während „ihr“, die „euch“ kunstreiche Gräber aus Steinen bedrücken (uos operosa saxis sepulcra premunt), mit euren Schätzen brennen werdet (cum uestris opibus arsuros). Hieronymus’ letztem empörtem Appell an seine Leser und Leserinnen, „diese Reichtümer, die ihr liebt“ (diuitiae quas amatis), zu lassen, folgen drei rhetorische Fragen, mit dem die Paränese zum Schluss der Vita Pauli endet: Cur et mortuos uestros auratis obuoluitis uestibus? Cur ambitio inter luctus lacrimasque non cessat? An cadauera diuitum nisi in serico putrescere nesciunt? In diesem starken Epilog zur Vita Pauli benennt Hieronymus deutlich seine Leserschaft als wohlhabende römische Oberschicht.210 Mit diesem vorletzten Kapitel der Vita ist aber auch ein weiteres entscheidendes Charakteristikum der Leserschaft des Hieronymus identifiziert. Es ist das naheliegendste und doch gerade für die hier gebotene Interpretation der Vita Pauli von großer Bedeutung: Die Leser und Leserinnen der Vita Pauli waren Christen, „the intensely pious among which were eagerly seeking ascetic exempla“211, zumindest aber eine Leserschaft, die am Christentum und der christlichen Askese interessiert war. Wenn Hieronymus sein Publikum auf besagte Weise zurechtweist, dann ist das nur möglich, weil seine Leser/innen auf eben jener Ebene auch ansprechbar sind. Damit aber ist der Eremit Paulus für die Leserschaft der Vita Pauli nicht lediglich eine faszinierende literarische Figur, sondern ein radikales christliches Vorbild. Und so ist auch die Vita Pauli 210
Vgl. REBENICH, Ascetic hero, 24. A.a.O., 21; vgl. auch ders., Asceticism, 369: „It is obvious that the ‚Life of Paul the First Hermit‘ was addressed to a public of educated Christians who were themselves interested in the ascetic movement.“ 211
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II. Die Vita Pauli
selbst nicht nur Unterhaltungsliteratur, sondern dezidiert Hagiographie. Das entspricht der Intention des Hieronymus – das abschließende Kapitel VP 17 zeugt eindeutig davon – und ebenso wird es bei den Lesern und Leserinnen angekommen und aufgefasst worden sein. Das ist nicht zuletzt in der noch ausführlich zu diskutierenden (s.u. III.1), zu Beginn der Vita von Hieronymus aufgeworfenen Frage um den ersten Mönch festzumachen. Auch hierbei handelt es sich um einen Sachverhalt, der nur einem christlichen, an Askese interessierten Publikum etwas bedeutet haben mag bzw. überhaupt als relevante Frage nachvollziehbar erschienen sein wird. In diesen Kreisen war Antonius ein Begriff. Er galt, so betont es Hieronymus selbst (VP 1,2), weithin als Begründer des eremitischen Mönchtums. Umso kontroverser und interessanter ist dann aber erst eben jene Behauptung des Hieronymus, in Paulus den eigentlich ersten Wüstenmönch gefunden zu haben. Für die Frage nach der Leserschaft der Vita Pauli ist die Figur des Antonius demnach von wesentlicher Bedeutung. Indem Hieronymus sie in seine Erzählung um seinen ersten Eremiten einbaut, „verschafft“ er sich gewissermaßen ein Publikum, und zwar auf zwei Weisen: Zum einen knüpft er bereits mit der bloßen Erwähnung des in christlich asketischen Kreisen populären Figur des Antonius unmittelbar an den Erfolg der ebenso bekannten und verbreiteten Vita dieses Heiligen (der Vita Antonii des Athanasius und ihrer Übersetzung ins Lateinische durch Evagrius) an. Hieronymus muss also keinen völlig neuen Leser- bzw. Interessentenkreis etablieren.212 Seine Vita über den eher unbekannten (wenn überhaupt bekannten) Paulus von Theben fügt sich in eine bereits vorhandene Nische ein. Ein vorhandenes Publikum wird lediglich „reaktiviert“, indem die Vita „zum größeren Teile die Beziehungen des hl. Antonius zu dem ersten Einsiedler zum Gegenstande hat und [so] fast wie eine Ergänzung der Biographie dieses Heiligen“213 wirkt. Zum anderen aber erzeugt Hieronymus mit seiner Aufnahme des Antonius eine Kontroverse. Durch die Tatsache nämlich, dass Paulus Antonius in jeglicher Hinsicht übertrifft, wird eben jenes „reaktivierte“ Publikum zugleich provoziert. Sowohl die Sensation als auch die Kontroverse der Behauptung, Paulus sei der erste (und bessere) Mönch, trugen gewiss zur Popularität und Verbreitung der Vita bei. Obwohl Antonius in seiner Rezeptionsgeschichte letztlich aber „unangefochten an der Spitze der Vorstellung vom Mönchtum blieb“214 und sein Name bis heute unweigerlich fällt, „wo nach den Ursprün-
212
Vgl. ders., Hagiograph, 40. Vgl. SCHADE, Schriften, 5. 214 BERSCHIN, Biographie I, 137. 213
4. Adressaten und Leserschaft
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gen des Mönchtums“ gefragt wird215, ist zumindest in der Hinsicht die Rechnung des Hieronymus aufgegangen, dass sein „erster großer literarischer Wurf […] für das Bewußtsein vieler Jahrhunderte neben und vor den historischen Antonius den sagenhaften Paulus gestellt“216 hat. Mit diesem Blick auf den christlichen Gehalt bzw. auf die christlichasketische Ausrichtung der Vita wird auch klar, dass Hieronymus’ Hinweis auf die simpliciores keinesfalls nur als Rhetorik aufgefasst werden darf. Hieronymus ist durchaus daran interessiert, Christen im Allgemeinen zu erreichen. Seine Vita enthält allgemein christliche Botschaften – Glaubensaussagen, die jeden Christen und jede Christin angehen. Das Medium für diese theologischen Botschaften ist ein Glaubensvorbild. Das macht die Vita Pauli dezidiert zu einem hagiographischen Text. Dieser Text ist so geschrieben, dass sich die Gebildeten an ihrem hohen Stil erfreuen können, er zugleich aber auch für die weniger Gebildeten vollkommen zugänglich ist. Zum einen wären nämlich auch den nur gering Gebildeten die Anklänge an die zentralen römischen Dichter nicht verborgen geblieben. 217 Zum anderen aber ist die Vita auch ohne jegliche Kenntnisse der klassischen Anspielungen und Zitate narrativ leicht nachvollziehbar.218 Mit ihrem „frommen“ Gehalt ist das Herzstück der Vita identifiziert. So wie Hieronymus selbst waren auch seine Leser und Leserinnen primär fromme Christen. Ihnen wird ein Heiligkeitsideal vorgeführt – ein Heiligkeitsideal, das sie auch als solches erkannt und verstanden haben. Besonders deutlich wird dies in dem drastisch moralisch ausgerichteten Epilog. Unterstrichen wird dies durch die Aufnahme der Figur des Antonius und der damit evozierten Kontroverse um die Frage nach den Anfängen des christlich-asketischen Eremitentums. Mit der Figur des Paulus von Theben hält Hieronymus seiner Leserschaft ein Vorbild vor Augen, das bereits „in paradiso“ ist (VP 13,1). Mit seinem exemplum weist Paulus den Leser/innen den Weg dorthin: ins Paradies. Paulus ist ein Heiliger. Das war für die frühesten Leser/innen der Vita „plausibel“ (s.o. I.2.2). Damit ist aber die Kernfrage aufgeworfen, die es
215
GEMEINHARDT, Antonius, 202. BERSCHIN, Biographie I, 137. 217 Vgl. WEINGARTEN, Saint’s saints, 41: „Although Jerome cites Virgil, this does not necessarily demand the very highest level of Roman culture, for knowledge of Virgil was extremely widespread – documents citing the poet have been found as far apart as Hadrian’s Wall and Masada, while Orosius, who visited Jerome in Bethlehem, says that Virgil was ‚burned into his memory‘ as early as primary school.“ 218 So auch Weingarten: „Jerome does not demand even this level of culture from his audience. Even though he cites Virgil, it is not necessary for his audience to know the poet to be able to understand the story line of the vita: the citations simply add extra depth to the web of allusions he has woven“ (ibid.). 216
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II. Die Vita Pauli
im Folgenden zu erörtern gilt, inwiefern diese Figur ein Heiliger ist: Was zeichnet Paulus von Theben als Heiligen aus?
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Kapitel III
Der heilige Paulus von Theben Die Vita Pauli ist Hagiographie, weil sie am hagiographischen Diskurs partizipiert – so lautete in nuce die bereits in I.2.2 unterbreitete These, die es im Folgenden zu beleuchten und mit Blick auf die Darstellung der Figur des Paulus mit Inhalt zu füllen gilt. Leitfrage der Untersuchung ist, inwiefern Paulus von Hieronymus als Heiliger dargestellt wird bzw. aufgrund welcher Merkmale sich Paulus in der Vita Pauli als Heiliger auszeichnet. Ziel ist es, dabei einen Einblick in die Vorstellung des Hieronymus von Heiligkeit zur Zeit der Abfassung dieser Schrift zu gewinnen. Die Suche nach aussagekräftigen Äußerungen zur Heiligkeit des Paulus in der Vita Pauli ist an die Frage nach der Einbindung der Vita in ihren ursprünglichen hagiographischen Diskurs gekoppelt – schließlich ist die Auffassung von Heiligkeit ihres Autors bereits durch den Diskurs geprägt. Hieronymus greift auf einen hagiographischen Bestand von Bildern und Konzeptionen zurück, die in seine Darstellung eines Heiligen einfließen. Um insbesondere die in der Vita nicht begrifflich markierten Aussagen über Heiligkeit als solche zu erkennen, muss sich der Leser/die Leserin in eben jenem von Hieronymus besetzten diskursiven Raum bewegen; d.h. auch der Leser/die Leserin muss die im Text aufgegriffenen, angedeuteten oder vorausgesetzten Themen, Motive, Vorstellungen oder Konzepte von Heiligkeit kennen. Entsprechend wird in den folgenden Kapiteln der Versuch unternommen, dem spätantiken Diskurs mit Blick auf bestimmte Aussagen in der Vita nachzuspüren, um damit die hagiographische Bedeutung dieser Aussagen zu veranschaulichen. Es geht also darum, für bestimmte Aussagen in der Vita die entsprechenden diskursiven „Ressourcen“, Gesprächspartner und -gegner des Hieronymus zu identifizieren. Kapitel III.1 widmet sich zunächst der von Hieronymus selbst angegebenen hagiographischen „Nische“ für seinen „ersten“ Eremiten. Im Vordergrund steht hier eine Analyse der argumentativen Zusammenhänge des Prologs, in dem Hieronymus auf die Intention für sein Werk eingeht. Entfaltet wird dabei, inwiefern Paulus der „erste Eremit“ ist und was damit für seine Heiligkeit ausgesagt ist. Damit ist Paulus zunächst in seiner Funktion als „Anfang“ thematisiert. Die folgenden zwei Kapitel widmen sich der hagiographischen Bedeutung der Anfänge des Paulus selbst: Kapitel III.2 wendet sich den in der Vita gebotenen Aussagen zu Herkunft, Kindheit und Jugend
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III. Der heilige Paulus von Theben
des Paulus zu. Kapitel III.3 untersucht das für einen spätantiken Heiligen durchaus kontroverse Thema der Bildung. Die darauf folgenden zwei Kapitel beschäftigen sich mit der Anachorese des Paulus, wobei zwei Aspekte für die Heiligkeit des Protagonisten von zentraler Bedeutung sind: Mit Blick auf die scheinbar von Furcht motivierte Flucht des Paulus wendet sich Kapitel III.4 der Frage nach der Motivation eines hieronymianischen Heiligen für den Gang in die Wüste zu. Kapitel III.5 betrachtet das Eremitentum des Paulus schließlich unter dem für die Heiligkeit eines spätantiken Heiligen geradezu unumgänglichen Aspekt des Martyriums. In einem abschließenden Fazit wird der Versuch unternommen, die Erkenntnisse der Kapitel III.1.–5. zusammenzuführen und auf die strukturellen Kernaspekte der mit der Figur des Paulus vermittelten Heiligkeitsvorstellung zu reduzieren.
1. Der erste Eremit – ein principium des Heiligen Zentrale Indizien für die Frage nach der Darstellung des Paulus als Heiligen lassen sich bereits im Prolog der Vita Pauli entdecken. Als Einleitung und Vorwort des Autors unterscheidet sich dieser Abschnitt deutlich von der eigentlichen Handlung der Vita. Anders als im Erzählteil (VP 2–16), dessen Zusammenhänge narrativ etabliert werden, ist der gedankliche Aufbau des Prologs von argumentativen Strukturen bestimmt. Hieronymus benennt Anlass und Absicht, weckt die Aufmerksamkeit seiner Leser/Leserinnen und stimmt sie auf das folgende Werk wohlwollend ein. Damit erfüllt dieses erste Kapitel der Vita die mindestens seit Aristoteles als ὁδοποίησις 1 (im Sinne einer ‚Wegbereitung‘ für das Folgende) definierte Funktion eines Proömiums2, dessen dreifaches Ziel es sei, der lateinischen Prosa der rhetorischen Theorie3 zufolge, den Zuhörer benivolus, docilis und attentus zu machen.4 Diese „anfänglich speziell für die Ausarbeitung von Redeanfängen“ konzipierte Proö1 Vgl. Arist., rhet. III,14 [1414b Bekker] (SCBO 175,19–21 ROSS): Τὸ μὲν οὖν προοίμιόν ἐστιν ἀρχὴ λόγου, ὅπερ ἐν ποιήσει πρόλογος καὶ ἐν αὐλήσει προαύλιον· πάντα γὰρ ἀρχαὶ ταῦτ’ εἰσί, καὶ οἷον ὁδοποίησις τῷ ἐπιόντι. 2 GÄRTNER, Prooimion, 410; vgl. KROYMANN, Proömium, 2445. 3 Die entsprechenden Begriffe im Lateinischen sind exordium, initium orationis oder principium (vgl. GÄRTNER, Prooimion, 411; HERKOMMER, Topoi, 9). 4 Vgl. Cic., inv. I,20: Exordium est oratio animum auditoris idonee comparans ad reliquam dictionem: quod eueniet, si eum beniuolum, attentum, docilem confecerit (TB 50, 44 NÜßLEIN). Dabei handelt es sich, laut HERKOMMER, Topoi, 13, um eine Zielbestimmung, die wohl bis auf die isokrateische Schule zurückgeht (vgl. KROYMANN, Proömium, 2445f.) und an der sich die rhetorische Theorie der Antike, sowohl im griechischen als auch im lateinischen Sprachraum, weitestgehend orientierte (vgl. GÄRTNER, Prooimion, 410f.).
1. Der erste Eremit – ein principium des Heiligen
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miumstheorie der Rhetoren blieb nicht auf die Rede beschränkt. Vielmehr war die „Wirkung der Rhetorik in der Antike […] so stark, daß sie auch auf andere Gattungen der Prosa sowie auf Poesie und Dramatik, letztlich auf alle Gebiete der Literatur, ihren Einfluß ausübte.“ 5 Erwartungsgemäß spiegeln auch die Eingangsworte der Vita Pauli eben diese Vorgaben wider. Bereits mit dem ersten Satz will Hieronymus die Aufmerksamkeit und das Interesse seiner Leserschaft wecken (attentum parare). Er „kennt das Gewicht des ersten Wortes […] und nützt es“6 und gibt sich so bereits hier als versierter Rhetor zu erkennen. Mit den Eingangsworten (inter multos saepe dubitatum est) packt Hieronymus seine Leser/innen mit insinuatio, wobei die ‚Größe, Neuigkeit oder Sensation‘ der Angelegenheit, die den Vorgaben Ciceros zufolge wesentlich zum exordium gehören, um die Aufmerksamkeit des Hörers zu erlangen7, eher angedeutet als explizit hervorgehoben werden.8 Mit der anschließenden Frage, a quo potissimum monachorum eremus habitari coepta sit, ist sogleich das zentrale Thema der Schrift vorgestellt (docilem parare). Wohlwollen erzeugt Hieronymus für sich, den Autor, und den Inhalt seiner Erzählung (captatio benevolentiae9), indem er voller ostentativer Bescheidenheit auf die Umstände verweist, unter denen er sich der Aufgabe stellt: Nicht nämlich aufgrund einer „Zuversicht in [seine] Begabung“ (fretus ingenio), sondern einzig, weil „die Sache versäumt worden ist“ (quia res omissa erat), sieht sich Hieronymus regelrecht dazu gezwungen, sich dieser überaus wichtigen und nach wie vor umstrittenen Angelegenheit mit einem klärenden Beitrag zu widmen (vgl. VP 1,4).10 5
Vgl. HERKOMMER, Topoi, 13. BERSCHIN, Biographie V, 87. 7 Vgl. Cic., inv. I,23 (TB 50, 48–50 NÜßLEIN): Attentos autem faciemus, si demonstrabimus ea, quae dicturi erimus, magna, noua, incredibilia esse, aut ad omnes aut ad eos, qui audient, aut ad aliquos inlustres homines aut ad deos inmortales aut ad summam rem publicam pertinere. 8 Für Cicero, inv. I, 20, gehört die insinuatio wesentlich zum exordium und lässt sich definieren als oratio quadam dissimulatione et circumitione obscure subiens auditoris animum (TB 50, 46 NÜßLEIN). 9 Benivolentia, so Cicero, inv. I, 22, schaffe sich der Redner bei seinem Publikum u.a., si de nostris factis et officiis sine arrogantia dicemus (TB 50, 48 NÜßLEIN); vgl. GÄRTNER, Prooimion, 410f; HERKOMMER, Topoi, 13. 10 Mit diesem bescheidenen Auftreten ist zwar einerseits lediglich ein Topos der rhetorischen Theorie bedient, der sich auf der Textoberfläche laut Elmar Herkommer „fast immer in einem Geständnis der Unfähigkeit“ (a.a.O., 52) äußert; für Hieronymus jedoch, der auf keinen Auftraggeber für seine Vita verweisen kann, sondern vielmehr auf eigene Initiative schreibt, kommt diese Bemerkung andererseits durchaus der wichtigen Funktion nach, dem Eindruck von Überheblichkeit entgegen zu wirken (s.o. II.4.1). Natürlich entspricht diese Unfähigkeitsbekundung, wie in den meisten Fällen, auch oder gerade bei Hieronymus keinesfalls den Tatsachen – die Vita ist auf hohem stilistischen Niveau ver6
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III. Der heilige Paulus von Theben
1.1. Inter multos saepe dubitatum est Von „Vielen“ sei oft in Frage gestellt worden, welcher Mönch damit begonnen habe, in der Wüste zu wohnen – mit dieser Behauptung beginnt Hieronymus sein Werk. Der Informationsgehalt dieser Aussage bleibt zunächst vage: Jene „Viele“ werden nicht konkretisiert und Hieronymus nennt weder Quelle noch Kontext der scheinbar breit diskutierten Frage. Doch Hieronymus’ Behauptung ist nicht aus der Luft gegriffen. Zumindest lassen Äußerungen zu den Wurzeln des Eremitentums in anderen Quellen durchaus auf eine Vielfalt an Meinungen im christlichen Diskurs des 4. Jahrhunderts schließen. Neben den von Hieronymus in der Vita Pauli selbst diskutierten Kandidaten findet sich z.B. in der Historia Monachorum in Aegypto11 die Auffassung, fasst (s.o. II.4.2). Nicht zuletzt jedoch, um diesen Eindruck zu verschärfen, „um Überraschung […] hervorzurufen, wenn die Rede dann doch mehr bietet als nach dieser Ankündigung zu erwarten war“ (a.a.O., 53), wird hier Bescheidenheit vorgegeben. 11 Die diversen Autoren sowie der abschließende Kompilator der griechischen Version der h. mon., die deutlich nicht aus einem Guss stammt, sind weitestgehend unbekannt (vgl. SCHULZ-FLÜGEL, Historia, 3–10; WARD, Introduction, 7). Für die Abfassung der abschließenden Kompilation der griechischen Version dient als terminus post quem das Todesjahr des Theodosius (395), auf welches in h. mon. Bezug genommen wird (vgl. SCHULZFLÜGEL, Historia, 17). Hieronymus kannte eine lateinische Version (Rufin, h. mon.), die er fälschlicherweise für ein Originalwerk des Rufin (ca. 345–411/412; vgl. SKEB, Rufin, 612f.) hielt, zumindest aber Rufin „unterstellen wollte, daß er ein Werk verfaßt, d.h. eigenverantwortlich geschrieben habe, dessen Inhalt, teils häretisch ist, teils Mönche beschreibt, die nie existiert haben“ (SCHULZ-FLÜGEL, Historia, 32). Benedicta WARD, Introduction, 6, hält die lateinische Version für eine Übersetzung des Rufin, „though with the additions and alterations appropriate to a man who had seen the places and people for himself and regarded the experience as the most treasured of his life“. Eva SCHULZ-FLÜGEL, Historia, bes. 32–48, verweist auf zahlreiche Unsicherheiten über den Autor der lateinischen h. mon., kommt jedoch zu dem Schluss, dass „Rufin an der lateinischen Version der [h. mon.] zumindest stark beteiligt war“ (a.a.O., 46), wobei insgesamt jedoch eher von einer Bearbeitung als von einer Übersetzung zu reden sei, „die sich streckenweise recht eng an die Vorlage hält, in anderen Teilen aber stark verändert, mit Zusätzen versehen und mit Material aus anderer Quelle angereichert ist“ (a.a.O., 47); WARD, Introduction, 6, datiert die Ausgabe des Rufin aufgrund der Erwähnung der Historia Ecclesiastica nicht vor das Jahr 400. SCHULZ-FLÜGEL, Historia, 47, hingegen verweist darauf, dass diese „zur Datierung herangezogenen ‚Querverweise‘ […] nicht unbedingt zwingend“ seien, da die Angabe in Rufin, h. mon. XXIX,5,5 (PTS 34, 375,120 SCHULZ-FLÜGEL) „den Eindruck eines späteren Zusatzes – vielleicht aus dem Freundeskreis Rufins selbst stammend – macht“. Sie selbst optiert für eine Datierung um 397/398. Damit hatte zumindest die lateinische h. mon. keinen Einfluss auf die Verfassung der Vita Pauli. Insgesamt aber gehört die h. mon. – nebst der Vita Antonii des Athanasius und den (wenn auch späteren) Sammlungen der Vätersprüche und knappen Väterleben in den diversen Fassungen der Apophthegmata Patrum, der Historia Lausiaca des Palladius und Theodorets Historia Religiosa – zweifelsohne zu den „aufschlußreichen Quellen über das frühe Mönchtum“ (FRANK, Mönche, 9)
1. Der erste Eremit – ein principium des Heiligen
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dass ein gewisser Amun12 der πρῶτος τῶν μοναχῶν war, der sich in der nitrischen Wüste niedergelassen hatte. 13 Euseb von Cäsarea (264/265–339 oder 34014) berichtet in seiner Historia Ecclesiastica von Narcissus (ca. 100–nach 112 15), der sich während seiner Amtszeit als Bischof von Jerusalem in die Wüste zurückzog, um sich den in seiner Gemeinde kursierenden Verleumdungen zu entziehen. Euseb zufolge lebte Narcissus dabei „in Wüsten und in entlegenen Gegenden im Verborgenen viele Jahre“ (ἐν ἐρημίαις καὶ ἀφανέσιν ἀγροῖς λανθάνων πλείστοις ἔτεσιν16) und hatte sich sogar so weit zurückgezogen (ἀναχωρέω), dass man ihn nicht mehr ausfindig machen konnte, weshalb man sich entschloss, einen neuen Bischof zu wählen.17 Als Narcissus jedoch eines Tages wieder erschien, wollte man ihn zurück im Amt haben, weil man und damit zu den aussagekräftigsten Zeugen für den hagiographischen Diskurs um den Eremiten als christlichen Heiligen. 12 Vgl. h. mon. [Gr.] 22 [περὶ Ἀμοῦν] (SHG 53, 128–130 FESTUGIÈRE); Rufin, h. mon. XXX [De Ammone] (PTS 34, 375–378 SCHULZ-FLÜGEL). 13 H. mon. [Gr.] 22,1 (SHG 53, 128,2f. FESTUGIÈRE); vgl. Rufin, h. mon. XXX,1,1 (PTS 34, 375,1f. SCHULZ-FLÜGEL): Initium sane habitationis monasteriorum, quae sunt in Nitria, sumptum tradebant ab Ammone quodam. Dabei wird auch mit dem expliziten Hinweis auf Antonius als Zeugen für die Himmelfahrt der Seele des Amun eine eindeutige Hierarchie etabliert (vgl. h. mon. 22,1 [SHG 53, 128,1f. FESTUGIÈRE]: Ἦν δέ τις […] ἐν ταῖς Νιτρίαις, Ἀμοῦν ὀνόματι, οὗ τὴν ψυχὴν ἀναλαμβανομένην εἶδεν ὁ Ἀντώνιος“; Rufin, h. mon. XXX,1,1 [PTS 34, 375,2f. SCHULZ-FLÜGEL]: „[…] cuius animam cum exisset e corpore uidit ferri ad caelum sanctus Antonius“). Angespielt wird auf die Bezeugung der Himmelfahrt des Elia durch seinen Schüler Elisa (vgl. 2 Kön 2,11). Damit ist auch für Amun und Antonius ein Lehrer-Schüler Verhältnis impliziert. Diese Begebenheit und die damit angedeutete Hierarchie ist auch in anderen Quellen verzeichnet; so z.B. in der Historia Lausiaca des Palladius, wo über Amun ausgesagt wird: [Ο]ὕτως ἐτελειώθη ὡς τὸν μακάριον Ἀντώνιον τὴν ψυχὴν αὐτοῦ ἰδεῖν ὑπὸ ἀγγέλων ἀναγομένην (Pall., h. Laus. 8,6 [Vite dei Santi 2, 44,50–52 BARTELINK]), aber auch in der Kirchengeschichte des Sozomenos (vgl. Soz., h. e. I,14,7f. [FC 73/1, 158,22–33 HANSEN]). Palladius (h. Laus. 8,6 [Vite dei Santi 2, 44,45f. BARTELINK]), aber auch Rufin (h. mon. XXX,1,1 [PTS 34, 375,3f. SCHULZ-FLÜGEL]) berufen sich bei ihren Berichten jeweils explizit auf die Vita Antonii, in der diese Erzählung nämlich bemerkenswerterweise auch überliefert und nicht etwa zugunsten eines eindeutigen Primats des Antonius verschwiegen wird (vgl. Ath./Evagr., v. Anton. 60). Anscheinend lag eine dem Umfeld des Athanasius nicht unbekannte Paralleltradition hinsichtlich der Anfänge des ägyptischen Mönchtums vor, deren Gleichursprünglichkeit und Gültigkeit der Autor der Vita Antonii mit der Integration der vorliegenden Anekdote anerkennt, ohne sich argumentativ mit ihr auseinanderzusetzen: Weder die Herkunft des Amun noch sein Verhältnis zu Antonius werden in der Vita Antonii explizit erläutert, so dass auch die Frage nach dem ersten Mönch in diesem Zusammenhang nur implizit beantwortet wird. 14 Vgl. ULRICH, Eusebius, 240f. 15 Vgl. SAUSER, Narkissos, 886. 16 Eus., h. e. VI,9,6 (SC 41, 98 BARDY). 17 Vgl. Eus., h. e. VI,10,1 (SC 41, 99 BARDY).
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ihn nun noch viel mehr bewunderte, und zwar wegen seines Rückzugs (τῆς τε ἀναχωρήσεως ἕνεκα18). Mit der Betonung der ἀναχώρησις des Narcissus ἐν ἐρημίαις, die zudem auf Bewunderung stößt, ist für den Leser/die Leserin ein „erster Eremit“ zumindest angedeutet. Eine weitere für den Diskurs um die Anfänge des christlichen Eremitentums relevante Schrift ist Philo von Alexandriens (ca. 20/13 v. Chr.–45 n. Chr.19) De Vita Contemplativa20. Philo berichtet darin von den „Therapeuten“, einer asketischen Bewegung des ersten Jahrhunderts nach Christus in Ägypten, deren Mitglieder sich ihres Vermögens entäußerten und sowohl Familie und Freunde als auch Heimatland hinter sich ließen21, um sich in ihrer Suche nach Einsamkeit (ἐρημίαν μεταδιώκοντες) außerhalb der Stadtmauern (τειχῶν ἔξω) in Gärten oder einsamen Feldern (ἐν κήποις ἢ μοναγρίαις) aufzuhalten.22 Für den christlichen Diskurs um die Anfänge des Mönchtums von Bedeutung ist die christliche Aneignung dieser Schrift, die spätestens seit der Interpretation Eusebs von Cäsarea darin bestand, De Vita Contemplativa als verherrlichende Außenperspektive auf die asketischen Anfänge christlichen Lebens in Alexandrien aufzufassen.23 Die jüdische Perspektive stellte dabei keinesfalls einen Fremdkörper innerhalb des christlichen Diskurses dar. Im Gegenteil, gerade „Philo’s Jewishness“, so Sabrina Inowlocki, „gives weight to Eusebius’s demonstration“ 24 . Euseb zitiert die philonische Schrift ausführlich in seiner Historia Ecclesiastica und legt sie dort fälschlicherweise als Bericht über das frühe ägyptische Christentum aus.25 So groß sei bereits die Menge 18
Eus., h. e. VI,10,1 (SC 41, 100 BARDY). MACH, Philo, 523. 20 Die Echtheit dieser Schrift war lange Zeit umstritten, gilt heute jedoch als gesichert. Einen kurzen Überblick über die richtungsweisenden Positionen und über den Wandel in der Forschungsrezeption bieten: Karl Bormann (COHN, Philo, 45f.); HAEUSER, Eusebius, 79f. Anm. 3; INOWLOCKI, Eusebius, 305, Anm. 1. 21 Vgl. Phil., cont. 18 (51,1–4 COHN/REITER): [Ὅ]ταν οὖν ἐκστῶσι τῶν οὐσιῶν, ὑπ’ οὐδενὸς ἔτι δελεαζόμενοι φεύγουσιν ἀμεταστρεπτὶ καταλιπόντες ἀδελφούς, τέκνα, γυναῖκας, γονεῖς, πολυανθρώπους συγγενείας, φιλικὰς ἑταιρείας, τὰς πατρίδας, ἐν αἷς ἐγεννήθησαν καὶ ἐτράφησαν, ἐπειδὴ τὸ σύνηθες ὁλκὸν καὶ δελεάσαι δυνατώτατον. 22 Vgl. Phil., cont. 20 (51,9f. COHN/REITER). 23 Vgl. z.B. COHN, Philo, 45; INOWLOCKI, Eusebius, 306. 24 INOWLOCKI, Eusebius, 327. 25 Vgl. Eus., h. e. II,16,2–17,24 (SC 31, 72–77 BARDY). Die Deutung der Therapeuten als Christen, die auf Euseb zurückzuführen ist, wird heute von der Forschung eindeutig abgelehnt (vgl. INOWLOCKI, Eusebius, 306; GOEHRING, Origins, 236; HAEUSER, Eusebius, 85, Anm. 2). Für Euseb lag diese Interpretation freilich auf der Hand (vgl. GOEHRING, Origins, 236). So betont auch INOWLOCKI, Eusebius, 309: „[T]he ascetic practices of the community were so similar to the asceticism promoted by Eusebius himself, that he was naturally inclined to situate them at the beginning of Christianity in Egypt“. Möglich ist Eusebs Deutung jedoch nur dadurch, dass er ganze Teile von Philos De Vita Contemplativa, 19
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der gläubig Gewordenen, die dort „in größter Enthaltsamkeit und strengster Entsagung lebten“ (συνέστη δι’ ἀσκήσεως φιλοσοφωτάτης τε καὶ σφοδροτάτης), dass es Philo, laut Euseb, wichtig erschien, ihren Lebensstil zu beschreiben.26 Die christlichen Anfänge in Ägypten zeichneten sich laut Euseb demnach als asketisch-eremitische Bewegung ab. Dabei äußert sich Euseb selbst nicht explizit zu der Frage nach den Anfängen des Mönchtums per se27; mit seiner interpretatio christiana der Therapeuten ist für den christlichen Diskurs um die Wurzeln der monastischen Bewegung jedoch ein dahingehend erster Schritt getan. Spätere christliche Autoren greifen diesen Impuls auf und werden deutlicher: So z.B. Epiphanius von Salamis (310/320–403 28 ), der in seinem Panarion (Adversus haereses) ausführlich die Nazoräer beschreibt, wobei er auch auf eine Gruppe der Ἰεσσαίοι eingeht, die er mit den Therapeuten Philos identifiziert. 29 Epiphanius betont dabei noch deutlicher den monastischen Charakter dieser auch seiner Meinung nach christlichen Gruppierung30, indem er die Behauptung aufstellt, Philo habe τὰ αὐτῶν μοναστήρια der Ἰεσσαίοι geschildert31 und dort sogar mit ihnen Zeit verbracht.32 Am deutlichsten wird der Kirchenhistoriker Sozomenos. Er widmet einen längeren Abschnitt seiner Kirchengeschichte den Anfängen des Mönchtums33 die keine Übereinstimmungen mit christlichen Vorstellungen aufweisen, schlichtweg überging (vgl. a.a.O., 319). 26 Vgl. Eus., h. e. II,16,2 (SC 31, 72 BARDY). 27 Vgl. INOWLOCKI, Eusebius, bes. 307f., 315, 327f. Euseb, so Inowlocki, interpretiere nicht „Philo’s account of the Therapeutae as a description of the Christian monastic life in Egypt“. Obwohl das Wort μοναστήριον in einer von Euseb zitierten Passage erscheint (vgl. Eus., h. e. II,17,9 [SC 31, 74 BARDY]), werde es von Euseb nicht als „christliches Kloster“ gedeutet: „Indeed, […] Eusebius himself never uses it [μοναστήριον] in his works outside of his quotation of Philo“ (INOWLOCKI, Eusebius, 308). Dass Euseb nicht christliche Klöster vor Augen hatte, wird besonders deutlich an seinen einleitenden Worten zu der zitierten Passage aus Philos De Vita Contemplativa, in der das σεμνεῖον und μοναστήριον der Therapeuten erwähnt wird: Euseb spricht hier nämlich von ἐκκλησίαι (vgl. Eus., h. e. II,17,8 [SC 31, 74 BARDY]). Inowlocki folgert entsprechend: „The fact that Eusebius identifies the buildings simply as churches indicates that he is not at all determined to relate [Phil., cont.] to Christian monasticism“ (INOWLOCKI, Eusebius, 315; vgl. LECLERC, Contexte, 22). 28 Vgl. LÖHR, Epiphanius, 226; WILLIAMS, Introduction, xiii–xix. 29 Vgl. Epiph., haer. I,29,5,1–3 (GCS 25, 326,1–13 HOLL). 30 Philo, so Epiphanius, schreibe schließlich οὐ περί τινων ἑτέρων […] ἀλλὰ περὶ Χριστιανῶν (Epiph., haer. I,29,5,1 [GCS 25, 326,5f. HOLL]). 31 Epiph., haer. I,29,5,1 (GCS 25, 326,4 HOLL). 32 Vgl. Epiph., haer. I,29,5,2 (GCS 25, 326,6–8 HOLL): [Ο]ὗτος γὰρ γενόμενος ἐν τῇ χώρᾳ Μαρεῶτιν δὲ τὸν τόπον καλοῦσι καὶ καταχθεὶς παρ’ αὐτοῖς ἐν τοῖς κατὰ τὸν χῶρον τοῦτον μοναστηρίοις ὠφέληται. 33 Vgl. Soz., h. e. I,12,1–14,11 (FC 73/1, 142,20–161,29 HANSEN).
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– eine Darstellung, die sich insgesamt eher als Enkomion der μετιόντες τὴν μοναστικὴν πολιτείαν 34 liest – und geht dabei ausführlich auf Φίλων δὲ ὁ Πυθαγόριος35 und dessen Bericht über die zu seiner Zeit in Ägypten lebenden Asketen ein, deren Lebensstil für Sozomenos mit dem übereinstimme, „was auch wir jetzt bei den ägyptischen Mönchen vorfinden“36. Sozomenos erwähnt dabei nicht den Namen „Therapeuten“, betont jedoch, dass Philo von Gebäuden gesprochen habe, „die ihnen heilig sind“ (οἰκήματα δὲ αὐτοῖς εἶναι ἱερά) und die sie μοναστήρια nannten. 37 Als weitere Anfänge nennt Sozomenos natürlich auch Ἀντώνιος ὁ μέγας μοναχός38. Schließlich seien sich hier alle einig (ἐκεῖνο γοῦν παρὰ πᾶσι συνωμολόγηται39), dass er diese Lebensweise ausgebildet habe (ἐξασκέω).40 Der ausführlichen Darstellung seines Wirkens41 folgt ein lobendes Wort für seine Schüler42, wobei besonders Paulus der Einfältige hervorgehoben wird. 43 Nebst Eutychianus 44 geht Sozomenos bemerkenswerterweise auch ausführlich auf den bereits erwähnten Amun ein 45 , dessen monastische Anfänge (mit der chronologischen Verknüpfung: περὶ δὲ τοῦτον τὸν χρόνον46) in die Zeit des Antonius versetzt werden. In Anbetracht der Vielfalt der Stimmen im christlichen Diskurs um die Anfänge des Mönchtums besteht also kein Grund zum Zweifel an der zu Beginn gemachten Aussage des Hieronymus, dass die Frage um die Anfänge des Wüstenmönchtums inter multos saepe dubitatum est (VP 1,1) und dies auch noch eine Weile blieb.47 Dass Hieronymus dabei vage bleibt und die „Vie34
Vgl. Soz., h. e. I,12,1 (FC 73/1, 142,20–22 HANSEN). Soz., h. e. I,12,9 (FC 73/1, 146,17 HANSEN). 36 Vgl. Soz., h. e. I,12,9 (FC 73/1, 146,21f. HANSEN): [Ο]ἵαν καὶ ἡμεῖς νῦν παρὰ τοῖς Αἰγυπτίων μοναχοῖς πολιτευομένην ὁρῶμεν. 37 Soz., h. e. I,12,10 (FC 73/1, 146,26f. HANSEN). 38 Soz., h. e. I,13,1 (FC 73/1, 148,19 HANSEN). 39 Soz., h. e. I,13,1 (FC 73/1, 148,16f. HANSEN). 40 Vgl. Soz., h. e. I,13,1 (FC 73/1, 148,15–20 HANSEN): Ἀλλ’ εἴτε Αἰγύπτιοι εἴτε ἄλλοι τινὲς ταύτης προὔστησαν ἐξ ἀρχῆς τῆς φιλοσοφίας, ἐκεῖνο γοῦν παρὰ πᾶσι συνωμολόγηται, ὡς εἰς ἄκρον ἀκριβείας καὶ τελειότητος ἤθεσι καὶ γυμνασίοις τοῖς πρέπουσιν ἐξήσκησε ταυτηνὶ τοῦ βίου τὴν διαγωγὴν Ἀντώνιος ὁ μέγας μοναχός. 41 Vgl. Soz., h. e. I,13,1–10 (FC 73/1, 148,15–152,33 HANSEN). 42 Vgl. Soz., h. e. I,13,11–14 (FC 73/1, 154,1–33 HANSEN). 43 Vgl. Soz., h. e. I,13,13f. (FC 73/1, 154,16–33 HANSEN); zu Paulus dem Einfältigen vgl. auch Pall., h. Laus. 22 (Vite dei Santi 2, 118,1–126,120 BARTELINK). 44 Vgl. Soz., h. e. I,14,9–11 (FC 73/1, 160,5–25 HANSEN). 45 Vgl. Soz., h. e. I,14,1–8 (FC 73/1, 156,1–160,4 HANSEN). 46 Soz., h. e. I,14,1 (FC 73/1, 156,1 HANSEN). 47 So auch KELLY, Jerome, 61, der betont: „We may readily believe his statement that the identity of the first hermit was a subject of lively discussion“. Die Pluralität der Meinungen zu den Anfängen des Mönchtums spiegelt zudem die sicherlich nicht monokausal zu erklärende historische Vielfalt monastischer Bewegungen ab (vgl. GOEHRING, Origins, 35
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len“ eben nicht näher bestimmt, liegt an der Funktion dieser Aussage zu Beginn des Prologs, die nicht auf die Vermittlung präziser Information über eine Streitfrage zielt, sondern dem Leser/der Leserin als Einstieg in die folgende Lektüre dienen soll und somit primär rhetorisch ausgerichtet ist. Mit dem Hinweis auf eine diesbezügliche Kontroverse (dubitatum est) und deren implizierte Popularität (multi) ist zunächst das attentum parare im Blick, wobei die Behauptung exklusiver Informationen über den ersten Mönch – besonders hinsichtlich der bereits bekannten Vita Antonii – sogar durchaus provokativ gewirkt haben mag. 1.2. Eremitische Propheten und prophetische Eremiten Die Frage nach dem ersten Mönch sorgt aber nicht nur für Aufmerksamkeit; sie hat auch Überschriftcharakter für die nun im Prolog folgende Erörterung. So greift Hieronymus unmittelbar im Anschluss einige Meinungen um die Frage nach dem ersten Eremiten auf und führt dabei zu einer eigenen These hin. Wie bereits bei den „Vielen“, die sich vermeintlich generell mit dem Thema auseinandergesetzt haben, so sind auch die hier vorgebrachten Meinungen möglichst allgemein gehalten und bleiben ohne jegliche Quellenangabe (Quidam enim […] Alii autem […]). Gegen die Meinung „Einiger“, dass „die Anfänge“ (principia) bei Elia oder Johannes (dem Täufer) lägen, wendet Hieronymus zweierlei ein: Zum einen greife diese Behauptung „allzu weit zurück“ (altius repetentes) und übersehe zudem, dass Elia „mehr als ein Mönch war“ und Johannes ja bereits „bevor er geboren war, zu prophezeien begonnen hatte“ (et Elias plus nobis uidetur fuisse quam monachus, et Ioannes ante prophetare coepisse quam natus est).48 Dass damit keineswegs stichhaltige Gründe gegen Johannes und Elia als potentielle Urheber des monastischen Eremitentums erbracht worden sind, fällt zunächst kaum auf; mit rhetorischem Geschick nämlich werden die Einwände lediglich gestreift, ja geradezu übergangen, als sei eine weitere Darlegung für die wissenden Leserschaft ohnehin nicht nötig. Nur implizit stecken in diesen Einwänden 235–250). Goehring, a.a.O., 235, betont: „The view of Antony as the first monk and of Egypt as the source from which his innovation and its developments spread throughout the rest of Christendom, views still often found in basic accounts of Christian history, are prime examples of […] oversimplified and erroneous conclusions. Clean and simple as this ‚big bang‘ theory of monastic origins is, the details fail to support it.“ Ausgegangen müsse eher von einer „diversity in the ‚origins and development‘ of early Christian monasticism“ (a.a.O., 236). 48 Die Anspielung des prophezeienden Johannes bezieht sich auf Lk 1,41—45. Hieronymus interpretiert die Regung des ungeborenen Johannes im Leib seiner Mutter beim Gruß der mit Christus schwangeren Maria als prophetische Äußerung des zukünftigen Täufers.
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überhaupt sachliche Argumente. Mit dem Prophet-Sein der biblischen Figuren ist zunächst eine Differenz festgestellt. In dieser Hinsicht nämlich – als Propheten – seien sowohl Elia als auch Johannes49 „mehr als ein Mönch“50. Folglich waren sie – trotz ihrer mit den Eremiten geteilten Eigenschaft als Wüstenbewohner (eremus habitari) – nicht als Mönche (sondern, wenn überhaupt, als Propheten) zuerst in der Wüste gewesen. Dass damit die Frage nach einer prophetischen Urheberschaft des Eremitentums jedoch keinesfalls kategorisch ausgeschlossen ist, bleibt unreflektiert, denn zumindest logisch nicht undenkbar bleibt die Möglichkeit bestehen, anachoretisch lebende Propheten als principia einer Lebensform anzuerkennen, die sich erst später als monastisches Eremitentum identifizieren würde, selbst wenn das Wüstenbewohnen der Propheten zu ihrer Zeit eben noch nicht als Mönchtum bezeichnet wurde. Bemerkenswerterweise geht ja auch Paulus nicht als Mönch in die Wüste! Auch sein Eremitentum entpuppt sich erst im Rückblick des Hieronymus als Anfang des eremitischen Mönchtums. Die Hervorhebung einer Differenz zwischen Mönch und Prophet erweist sich auch als schwaches Argument mit Hinblick auf die im hagiographischen Diskurs verbreitete Tendenz, den Mönch gerade als den „neuen Propheten“ zu stilisieren. Zahlreiche Beispiele in monastischer Literatur bezeugen eben jene Identifizierung. Laut Karl Suso Frank gehörte das Thema vom Mönch als dem neuen Propheten sogar „zum festen Formelschatz der frühen Mönchsliteratur“ 51 . Die erfolgreichste und berühmteste Schrift aus diesem Umfeld, die Vita Antonii, macht diese Parallele an vielen Stellen stark: Antonius hat nicht nur, wie die Propheten, durch Visionen Einblicke in Wahrheiten, die über das unmittelbar Sichtbare hinaus reichen52, er wird mit der auf
49 Eine Parallelisierung von Elia und Johannes dem Täufer wird bereits biblisch nahegelegt: So kündigt ein Engel in Lk 1,17 an, dass Johannes ἐν πνεύματι καὶ δυνάμει Ἠλίου wirken werde. Nach Mt 17,10–13 beziehen die Jünger die Aussage Jesu, dass Elia bereits gekommen sei, auf Johannes den Täufer. 50 Deutlicher als in der von MORALES, Texte, 144, (wohl nicht nur als lectio brevior, sondern auch als lectio difficilior) abgedruckten Lesart wird diese Differenz zwischen Mönch und Prophet in einigen Handschriften durch die Ergänzung von „propheta“ hervorgehoben. Monacensis 4597 (vgl. MORALES, Genèse, 102; ders., Conspectus, 137) liest z.B.: [E]t Elias plus propheta nobis uidetur fuisse quam monachus et Ioannes ante prophetare coepisse quam natus est. Damit ist für beide Figuren ihr "Prophet-Sein" als wesentliches Unterscheidungsmerkmal hervorgehoben. 51 FRANK, Mönche, 143, Anm. 7. Auch der „Mönch als Freund Gottes“ ist laut Frank (a.a.O., 146, Anm. 18), „eine Variation des Themas vom Mönch als dem neuen Propheten. Nach dem Zeugnis der Offenbarung galten ja die alttestamentlichen Großen als ‚Freunde Gottes‘“; vgl. ders., ΑΓΓΕΛΙΚΟΣ ΒΙΟΣ, 4–6. 52 Vgl. z.B. Ath./Evagr., v. Anton. 60; 65f.
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1 Kön 19,19 anspielenden Mantelübergabe 53 und dem Gießen des Wassers über seine Hände54 – mit der entsprechenden Parallele in 2 Kön 3,11 – sogar als Elia und somit zum „bevorzugten Leitbild der Mönche“55 selbst stilisiert. Antonius mahnt sogar an, dass es für den Asketen geradezu nötig sei, das eigene Leben in dem Lebenswandel des „großen Elias wie in einem Spiegel“ zu sehen.56 In der Historia Monachorum in Aegypto werden die Mönche einfach von Anbeginn als die νέοι προφῆται57 eingeführt und einzelne Mönche auch immer wieder explizit als Propheten bezeichnet: so insbesondere Johannes von Lykopolis, der als tugendhafter (ἐνάρετος) und wahrhaft heiliger (ἅγιος ἀληθῶς) Mann vorgestellt wird. Er habe sich das προφητείας χάρισμα erworben 58 , und zwar in außerordentlichem Maß (Εἶχεν δὲ καί τινα ὁ ἀνὴρ ὑπερβολὴν προφητείας59). Auch in der Historia Lausiaca taucht dieses Motiv in verschiedenen Viten auf: So wird z.B. Pachomius von Tabennisi als ἀνὴρ προφήτης bezeichnet60, und eine Beispielgeschichte über die außerordentliche prophetische Gabe des Makarius des Ägypters endet mit dem begeisterten Ausruf des Palladius: Αὕτη τοίνυν ἐστὶν ἡ προφητεία τοῦ ἁγίου Μακαρίου!61 Besonders bemerkenswert ist, dass sich Hieronymus diese Parallelisierung von Mönch und Prophet in der Vita Pauli selbst zu Nutze macht: Trotz der im Prolog betonten Abgrenzung des Elia vom Mönchtum wird Paulus selbst, zumindest implizit, als „neuer Elia“ gezeichnet, indem das aus 1 Kön 17,6 bekannte Brotwunder auf ihn übertragen wird (VP 10,2). Deutlicher noch gibt 53 Vgl. Ath., v. Anton. 91,8 (SC 400, 370,37–40 BARTELINK); vgl. Evagr., v. Anton. 91 (191,1339–1341 BERTRAND). 54 Vgl. Ath., v. Anton. Proöm.,5 (SC 400, 128,33–35 BARTELINK); die von Evagrius in seiner lateinischen „Übersetzung“ der Vita Antonii gebotene klassische Formulierung für denselben Sachverhalt gibt den biblischen Bezug weniger deutlich zu erkennen: [A]b eo didici, qui ad praebendam ei aquam non paululum temporis cum eo fecit (160,27 BERTRAND). 55 FRANK, ΑΓΓΕΛΙΚΟΣ ΒΙΟΣ, 5. 56 Vgl. Ath., v. Anton. 7,13 (SC 400, 154,55–156,57 BARTELINK): [Ἐ]κ τῆς πολιτείας τοῦ μεγάλου Ἠλίου καταμανθάνειν, ὡς ἐν ἐσόπτρῳ τὸν ἑαυτοῦ βίον ἀεί. Deutlicher noch als Athanasius, der Elia an dieser Stelle als Beleg für das von Antonius thematisierte asketische Leben im „Heute“ (σήμερον) einbringt, verbindet Evagrius den Propheten mit seiner anachoretischen Vorbildfunktion: Igitur secum reputans oportere Dei famulum ex instituto magni Heliae exemplum capere, et ad illud speculum uitam suam debere componere, ad sepulcra haud longe a uilla constituta secessit (Evagr., v. Anton. 8 [163,152–154 BERTRAND]). 57 Vgl. h. mon. [Gr.] Prolog,5 (SHG 53, 7,13f. FESTUGIÈRE). 58 Vgl. h. mon. [Gr.] 1,1 (SHG 53, 9,1–4 FESTUGIÈRE). 59 H. mon. [Gr.] 1,3 (SHG 53, 10,17 FESTUGIÈRE). 60 Vgl. Pall., h. Laus. 7,6 (Vite dei Santi 2, 40,49 BARTELINK). 61 Pall., h. Laus. 17,4 (Vite dei Santi 2, 72,33 BARTELINK).
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sich die Gleichstellung in dem Ausruf des Antonius zu erkennen, der bei seiner Rückkehr in sein Kloster seinen Schülern begeistert berichtet: Vidi Eliam, uidi Ioannem in deserto, et uere in paradiso Paulum uidi (VP 13,1). Entgegen der Abgrenzung von Elia und Johannes im Prolog, wird Paulus hier explizit mit beiden „Propheten“ in eine Reihe gestellt. Damit gerät aber nicht nur die generelle Ablehnung der Vorstellung, Propheten könnten als Urheber des Eremitentums gelten, ins Wanken; auch die interne Logik der Begründung, die Hieronymus gegen die spezifisch genannten biblischen Propheten vorbringt, erweist sich als mangelhaft: Wenn Mönche, und hier insbesondere der erste Eremit, Paulus von Theben, nicht nur Mönche, sondern auch „die neuen Propheten“ sind, dann können Elia und Johannes nicht aufgrund ihrer Eigenschaft als Propheten „mehr als Mönche“ sein. Dieser Logik folgend sind die biblischen Propheten nämlich „weniger als Mönche“: Sie sind nur Propheten. Der Komparativ ist natürlich rhetorisch, nicht logisch, ausgerichtet. Die Behauptung, dass Elia und Johannes „mehr als Mönche“ seien, entspricht dem common sense seiner christlichen Leserschaft. Elia und Johannes sind biblische Figuren und damit geradezu selbstverständlich und im Allgemeinen „mehr“. Folglich sind sie auch „mehr als Mönche“, die ja in der Bibel gar nicht auftauchen. Insgesamt betrachtet folgt die Vita schließlich dann aber doch der Logik, nicht der rhetorischen Intention des zu Beginn gemachten Vergleichs von Propheten und Mönchen. Zumindest für die Hauptfigur der Vita zeigt sich nämlich, dass Paulus die Propheten in vielerlei Hinsicht übertrifft. So ist z.B. das viele Jahrzehnte andauernde Brotwunder in seiner zeitlichen Ausdehnung deutlich spektakulärer als das biblische Vorbild. Auch von dem Erhalt einer doppelten Brotration bei Ankunft eines Besuchers ist in der Geschichte von Elia nicht die Rede. In der Aufzählung der drei Heiligen (Elia, Johannes und Paulus) wird einzig von Paulus explizit behauptet, dass er in paradiso sei. Zumindest unterschwellig deutet die Vita Pauli also darauf hin, dass nicht etwa der Prophet „mehr als ein Mönch“ sei, sondern vielmehr der archegetische Eremit sogar die Propheten übertreffe. Die logische Inkonsequenz zwischen Aussagen über die Propheten im Prolog und der Darstellung des Paulus als „neuer Prophet“ in der Vita fällt im Prolog selbst jedoch kaum auf. Mit rhetorischem Geschick vermittelt Hieronymus hier vielmehr den Eindruck, dass bezüglich der prophetischen Urheberschaft des Mönchtums ein allgemeiner Konsens vorliege: Selbstverständlich, so die destillierte Aussage des erbrachten Einwands, sind Elia und Johannes nicht die Urheber des eremitischen Mönchtums! Für den Protagonisten der Vita wird damit zugleich eine Nische eröffnet, die er zweifelsfrei und ohne Konkurrenz füllen kann: Paulus nämlich, und keiner sonst, ist der erste Mönch, der in der Wüste lebte. Der Eindruck, dass Hieronymus diese auf Paulus hin konstruierte Engführung der Frage nach der Urheberschaft des monastischen Eremitentums gezielt für den vorliegenden Kontext zuspitzt, wird auch durch eigene Aussagen
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aus späteren Kontexten bestärkt. Zumindest in dem 38462 verfassten Brief an Eustochium (ca. 368–420 63 ), in dem er auch die Anfänge des Mönchtums thematisiert, zweifelt Hieronymus die prophetische Urheberschaft des Eremitentums keinesfalls an. Dort schreibt er über die Anachoreten, dass Paulus zwar der auctor ihrer Lebensweise gewesen sei, gehe er jedoch noch weiter zurück, dann sei Iohannes baptista als princeps zu bezeichnen. 64 Über ein Jahrzehnt später65 greift er das Thema erneut in einem Brief an Paulinus von Nola (355–43166) auf. Dort nennt Hieronymus zahlreiche biblische Figuren, die als propositi noster principes gelten können – allen voran Helias, noster Helisaeus, nostri duces filii prophetarum, qui habitabant in agris et solitudine.67 In einem späteren Brief68 an den Mönch Rusticus, der geradezu als „Handbüchlein für Kandidaten des mönchischen Lebens“ 69 verfasst ist, verweist Hieronymus wiederum auf Johannes den Täufer als Gründerfigur des eremitischen Mönchtums. Schließlich habe sich jener weder von der Liebe der Mutter (matris affectus) noch dem Vermögen des Vaters (patris opes) überwinden lassen, im elterlichen Haus zu bleiben, wo seiner Keuschheit aufgrund einer standesgemäßen Verheiratung Gefahr drohte. Vielmehr lebte jener in heremo und wollte nichts anderes, als nur Christus schauen (Christum nihil aliud dignabatur aspicere).70 Zumindest im Laufe der Jahre hat sich Hieronymus also durchaus differenzierter zu den Anfängen des Eremitentums geäußert als in der argumentativen Engführung des Prologs der Vita Pauli. Dabei widersprechen diese andernorts gemachten Aussagen des Hieronymus nicht nur der im Prolog aufgestellten These, dass Propheten nicht Urheber des eremitischen Mönchtums sein können, weil sie Propheten und nicht Mönche sind; auch der zweite Einwand, dass damit „allzu weit zurückgegangen“ werde (altius repetentes), spielt hier als Gegenargument keinerlei Rolle mehr. So geht Hieronymus in dem Brief an Eustochium sogar noch weit über den dort erwähnten Johannes hinaus und behauptet, dass bereits der Prophet Jeremia gewissermaßen den monastischen „Urtyp“ beschrieben habe, indem Jeremia von einem Mann gesprochen habe, der von Jugend an sein Joch trage 62 Vgl. DUVAL/LAURENCE, Jérôme, 7; KELLY, Jerome, 100; MILLER, Blazing body, 22; SCHADE, Briefe I, 61. 63 Vgl. BAUTZ, Eustochium, 1572. 64 Vgl. Hier., ep. 22,36,1 (CSEL 54, 200,13–15 HILBERG). 65 Der Brief, so SCHADE, Briefe I, 171, sei frühestens auf das Jahr 395 zu datieren. 66 Vgl. SKEB, Paulinus, 549f.; BREUKELAAR, Paulinus von Nola, 28, gibt als Geburtsjahr 353 an. 67 Hier., ep. 58,5,3 (CSEL 54,534,6–10 HILBERG). 68 SCHADE, Briefe I, 216, datiert den Brief zwischen 406 und 410. 69 A.a.O., 215. 70 Vgl. Hier., ep. 125,7,2 (CSEL 56, 125,4–8 HILBERG).
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(portauerit iugum ab adulescentia sua), in der Einsamkeit sitze und schweige (sedebit solus et tacebit). 71 Gerade der Hinweis auf die Ankündigung der eremitischen Idee in einer Prophezeiung des Jeremia bestärkt den Eindruck, dass zumindest die prinzipiellen Anfänge, d.h. die „Idee“ des Mönchtums, für Hieronymus bereits in weiter Vergangenheit liegen. Eine differenziertere Perspektive auf die Ursprünge des Mönchtums, bei der das Argument, dass „zu weit zurückgegangen werde“, scheinbar keine Rolle spielt, findet sich auch in De Viris Illustribus. Dort geht Hieronymus zwar nicht bis auf die Propheten zurück, in seiner Vorstellung der Werke Philos72 greift er jedoch dessen Aussagen über die Therapeuten aus De Vita Contemplativa auf und deutet sie – ganz im Sinne der interpretatio christiana des Euseb – als Aussagen über die Wurzeln des christlichen Mönchtums: Philo, so Hieronymus, müsse eben deshalb zu den kirchlichen Autoren gerechnet werden, weil sein Werk ein liber de vita nostrorum sei73 – schließlich berichte Philo mit lobenden Worten von den ersten Christen in Ägypten, deren Wohnstätten (habitacula) er „Klöster“ (monasteria) nenne und von deren asketischer Praxis er sage, dass sie noch heute den Mönchen als Vorbild diene.74 Der von Hieronymus im Prolog erbrachte Einwand, dass „zu weit zurückgegangen werde“, erweist sich schließlich auch dann als Rhetorik, die auf den sehr spezifischen Kontext der unmittelbar damit verknüpften Aussage gemünzt ist, wenn bedacht wird, was mit dieser Aussage eigentlich argumentativ ausgesagt ist: Die Aussage, dass mit den Propheten „zu weit zurückgegangen“ werde, deutet auf eine mangelnde Unmittelbarkeit zwischen „Anstoß“ und „Ergebnis“. Das Argument besagt, dass die zwei Phänomene (biblische Propheten und „heutiges“ Eremitentum) so weit auseinanderliegen, dass sich kein kausaler Zusammenhang mehr zwischen vermeintlicher „Ursache“ (den Propheten) und der daraus resultierenden „Wirkung“ (dem Eremitentum) erkennen lasse. Die Propheten können also nicht als principia des Mönchtums gelten, weil sie in keiner direkten Verbindung mit dem von Hieronymus bezeugten Phänomen des Wüstenmönchtums stehen. Es mangelt gewissermaßen an einer direkten Sukzession in der Abfolge von den Propheten über etwaige Schüler bis zum Mönchtum des 4. Jahrhunderts. Fasste man die Aussage des „zu weit Zurückgehens“ aber nicht als kontextuelle Rhetorik auf, sondern nähme Hieronymus hier beim Wort, dann ergibt sich im Folgenden ein Widerspruch. Mit dem sich hinter der Aussage verbergenden Argument wären die im folgenden Abschnitt des Prologs deutlich erkennbaren 71
Vgl. Hier., ep. 22,36,2 (CSEL 54, 200,15–201,1 HILBERG). Vgl. Hier., vir. ill. 11 (174–176 BARTHOLD). 73 Vgl. Hier., vir. ill. 11,6 (176 BARTHOLD). 74 Vgl. Hier., vir. ill. 11,1f. (174 BARTHOLD). 72
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Bemühungen des Hieronymus um eben jene spezifische Nische, die Paulus als principium des Eremitentums füllen soll, deutlich untergraben. Auch Paulus nämlich, wie im Folgenden entfaltet wird (s.u. III.1.3), steht ja in keiner direkten Verbindung mit dem Mönchtum als historischen Phänomen, und eben damit unterscheidet er sich schließlich von Antonius, den Hieronymus nun als nächsten in seinem Prolog zur Vita Pauli aufgreift. 1.3. Der chronologische und der kausale Anfang Nebst der Meinung „Einiger“, dass bei Elia und Johannes der Anfang des Eremitentums zu suchen sei, behaupten „Andere“, dass Antonius als propositi caput gelten müsse (VP 1,2). Anders als bei den biblischen Figuren muss Hieronymus hier zugeben: [E]x parte verum est. Antonius sei nicht tam ipse ante omnes gewesen, durch ihn sei der Eifer aller jedoch angeregt worden (omnium incitata sunt studia). Die hiermit vorgenommene Relativierung des Hieronymus basiert auf einer Unterscheidung zwischen chronologischem und kausalem Anfang, wobei der chronologische Anfang rein temporal bestimmt ist, der kausale Anfang sich hingegen über seine Wirkung definiert. So ist Antonius der erste in einer „Reihe“ von Wüstenmönchen, auf die er „als Anfang“ eine Wirkung hatte – er hat ihren Eifer unmittelbar angeregt (ab eo omnium incitata sunt studia). Als inlustrator des Mönchtums bezeichnet ihn Hieronymus entsprechend in dem Brief an Eustochium. 75 Das Handeln des Antonius hatte für Hieronymus also einen unmittelbaren Effekt: Seine Veranschaulichung (illustrare) hat zu einer Reihe von Nachahmern geführt. Auf ihn ist die „Kette“ der eremitischen Bewegung direkt zurückzuführen: Seine Schüler hatten eigene Schüler, die wiederum Schüler hatten, usw. Aus dieser „Kette“ ist schließlich die gesamte Bewegung des Mönchtums entstanden. Antonius ist also der „kausale“ Anfang, weil er einen Anstoß gegeben hat bzw. weil er Andere „angestoßen“ hat, die ihm direkt nacheiferten. Das entspricht auch dem von Athanasius in der Vita Antonii gezeichneten Bild des Antonius, zu dem Viele in die Wüste zogen, um seine Askese nachzuahmen.76 Schon früh in der Erzählung berichtet Athanasius von den zahlreichen Klostergründungen des Antonius 77 – Klöster, die er ὡς πατήρ leitete78 und wodurch sich die Wüste so sehr mit Mönchen bevölkert, ja geradezu zur
75
Vgl. Hier., ep. 22,36,1 (CSEL 54, 200,14 HILBERG). Vgl. z.B. Ath., v. Anton. 14,2 (SC 400, 172,3f. BARTELINK): [Π]ολλῶν ποθούντων καὶ ζηλῶσαι θελόντων τὴν ἄσκησιν αὐτοῦ. 77 Vgl. Ath., v. Anton. 14,7 (SC 400, 174,29–31 BARTELINK); vgl. auch Ath., v. Anton. 44. 78 Vgl. Ath., v. Anton. 15,3 (SC 400, 176,7–11 BARTELINK). 76
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Stadt wird (ἡ ἔρημος ἐπολίσθη μοναχῶν79), dass sich der Teufel in seinem Reich bedrängt fühlt.80 Das Eremitentum wird so auch hier in einen kausalen Zusammenhang mit Antonius gebracht, auf den es sich als „Ersten“ direkt zurückverfolgen lassen kann. Doch damit, so Hieronymus, ist Antonius noch lange nicht in chronologischer Hinsicht der Erste und somit nur bedingt das principium. Diese Nische des zeitlich Ersten gebühre Paulus. So gesehen sei allein er der princeps der Sache (res); bei ihm liegen die Anfänge des Eremitentums, weil vor ihm niemand als Mönch in der Wüste lebte, selbst wenn er keine Schüler oder Nachfolger (wie Antonius) hatte, die ihn auch zum princeps nominis hätten machen können. Diese unterschiedliche Funktion des Antonius und des Paulus hinsichtlich ihrer jeweiligen Eigenschaft als „Anfang“ wird auch im Verlauf der Vita betont: So weist Paulus, der erste Eremit, der ohne Schüler oder Anhänger geblieben ist, bei seiner Todesankündigung (VP 12,2) darauf hin, dass Antonius seine Rolle als exemplum für die übrigen Brüder erfüllen müsse, damit sie auch weiterhin durch ihn unterrichtet bzw. erbaut werden (institui). Mit der Begegnung von Antonius und Paulus, bei der der Eine die Schülerrolle und der Andere die Rolle des Lehrers einnimmt, wird natürlich eine gewisse Sukzession impliziert: Eine direkte Folge, wie auch Rebenich betont, „die mit Paulus begann und über Antonius führte und in der sich der monastische Neophyt zu bewähren hatte“ 81 . Anders als bei Antonius aber, dessen Schüler ihn ein Leben lang begleiteten und sich später auch auf ihn beriefen, ist Paulus in diese Kette nur „punktuell“ und episodisch eingeschaltet. Er bleibt in gewisser Hinsicht „außen vor“ und isoliert, was ihn nicht zuletzt gerade auch zum „besseren Eremiten“ macht (s.u. III.1.4). Damit ist und bleibt sein principium von einer kategorisch anderen Art. Paulus hat nichts in kausaler Hinsicht angestoßen. Er thront vielmehr als Ideal der eremitischen Idee über oder „vor“ der gesamten Bewegung. Als wolle Hieronymus eben diesen Unterschied zwischen kausalem und chronologisch-prinzipiellem Anfang hervorheben, kommt er direkt im Anschluss an seine „Argumente“ gegen die Urheberschaft des Elia, Johannes und Antonius auf zwei Schüler des Antonius (discipuli Antonii) zu sprechen:
79 Ath., v. Anton. 14,7 (SC 400, 174,31 BARTELINK). Evagrius lässt diesen Hinweis in seiner Version der Vita Antonii außen vor. Bemerkenswerterweise verweist er an dieser Stelle jedoch explizit auf die Anfänge des Eremitentums: [E]t habitandae eremi istud exordium fuit (Evagr., v. Anton. 14 (165,259–260 BERTRAND). 80 Vgl. Ath., v. Anton. 41,4 (SC 400, 246,13–15 BARTELINK): Satan spricht zu Antonius: Οὐκέτι τόπον ἔχω, οὐ βέλος, οὐ πόλιν. Πανταχοῦ χριστιανοὶ γεγόνασιν. λοιπὸν καὶ ἡ ἔρημος πεπλήρωται μοναχῶν. 81 REBENICH, Hagiograph, 39.
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Amathas und Macarius82 (VP 1,2). In ihrer Funktion als Nachfolger des Antonius unterstreichen sie geradezu die soeben eingeführte Unterscheidung von kausalem und chronologischem Anfang. Als Glieder der monastischen Kette, die in direkter Verbindung auf Antonius zurückgeht, sind sie konkrete Instanzen der kausalen Begründung des Mönchtums des Antonius. Sie veranschaulichen also unmittelbar die andere Art des „Anfangens“ des Antonius im Vergleich zu dem (chronologisch-prinzipiellen) Anfangen des Paulus. Expliziter noch fungieren die Schüler des Antonius in diesem Zusammenhang als historischer Beweis für das chronologische Primat des Paulus: Sie bestätigen (adfirmant): Paulum quemdam Thebaeum principem rei istius fuisse (VP 1,2). Dem an sich nicht zwingenden argumentum ad verecundiam verleiht Hieronymus auf rhetorischer Ebene Nachdruck: Die Meinung der „Anderen“, die Antonius ohne jene Einschränkung für den Urheber des eremitischen Mönchtums halten, wird als opinio uulgus omne (VP 1,2) heruntergespielt, als kaum ernst zu nehmende Meinung des Pöbels. Dabei kommt den aufgeführten Autoritäten an sich bereits enormes Gewicht zu. Schließlich handelt es sich nicht bloß um irgendwelche Schüler des Antonius. Als diejenigen, die Antonius bis an seinen Tod begleitet hatten83, sind sie vielmehr die letzten Zeugen und somit unmittelbarste Verbindung zu Antonius und damit quasi Sprachrohre ihres Meisters selbst. Antonius persönlich wird so gewissermaßen zum Garanten der Wahrhaftigkeit der Erzählung des Hieronymus über das chronologische Primat des Paulus. Nachdruck verliehen wird dieser den Schülern verliehenen Autorität der Zeugenschaft durch die entsprechende Inszenierung in der Vita: Hieronymus schildert nämlich eben jene Szene, in der Antonius seinen zwei Schülern von seiner Begegnung mit dem ersten Eremiten berichtet (VP 13), und betont sogar zum Schluss der Vita in VP 16,8, dass Antonius, nachdem er in sein Kloster zurückkehrt war, den Schülern alles der Reihe nach berichtete (ad monasterium reuersus, discipulis ex ordine cuncta replicauit). Zwar ist in beiden Fällen nicht mehr namentlich von Amathas und Macarius die Rede, nach der expliziten Erwähnung im 82
Woher Hieronymus diese Namen hat, ist unklar (zu den Schwierigkeiten um die Namen vgl. z.B. HOELLE, Commentary, 54f.). Die Vita Antonii selbst nennt keine Namen. Athanasius verweist lediglich auf zwei Männer: [Δ]ύο δὲ ἦσαν, οἵτινες καὶ ἔμειναν ἔνδον, δέκα καὶ πέντε ἔτη ἀσκούμενοι, καὶ ὑπηρετοῦντες αὐτῷ διὰ τὸ γῆρας (Ath., v. Anton. 91,1 [SC 400, 368,6–8 BARTELINK]). Evagrius spricht bereits expliziter noch von zwei fratres (Evagr, v. Anton., 91 [190,1319f. BERTRAND]), berichtet jedoch auch nicht, wie sie heißen. 83 Vgl. Ath., v. Anton. 92,2 (SC 400, 372,6–9 BARTELINK): Κἀκεῖνοι λοιπόν, καθὰ δέδωκεν αὐτοῖς ἐντολάς, θάψαντες καὶ εἰλίξαντες, ἔκρυψαν ὑπὸ γῆν αὐτοῦ τὸ σῶμα, καὶ οὐδεὶς οἶδε τέως ποῦ κέκρυπται πλὴν μόνων αὐτῶν τῶν δύο; vgl. Evagr., v. Anton. 92 (191,1347–1349 BERTRAND): Seruauerunt mandata discipuli, inuolutum corpus – ut praeceperat – humo operientes, et nemo interim usque ad hanc diem, praeter eos, ubi sit conditum, nouit.
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Prolog ist für den Leser und die Leserin jedoch klar, wen Hieronymus meint, wenn er von den duo discipuli, qui ei iam longaeuo ministrare coeperant84 (VP 13,1) schreibt. 1.4. Der bessere Eremit Mit der Nennung der Gefolgsleute des Antonius unterstreicht Hieronymus einen weiteren für die Vita zentralen Aspekt: Indem hier nämlich nicht etwa auf Schüler des Paulus als Quelle für seine Geschichte verwiesen wird, betont Hieronymus zugleich die asketische Überlegenheit seines Helden, der als Anachoret so vollkommen war, dass er nicht einmal (wie Antonius) Schüler in seiner Nähe hatte. Tatsächlich, so Hieronymus, ist Paulus in der Wüste mit niemandem zusammengetroffen; außer Antonius ist „kein Mensch“ Zeuge seines Lebens geworden: [N]ulli hominum compertum habetur (VP 1,4). Dementsprechend (und als Pointierung der radikalen Anachorese des Paulus geradezu treffend) weiß Hieronymus auch nur „Weniges“ (pauca) von Paulus zu berichten – genauer, nur etwas über „den Anfang und das Ende“ (de Pauli principio et fine) seines Lebens (VP 1,4). Ausschlaggebend für das in der Vita berichtete „Wenige“ über Paulus ist demnach weder eine vermeintlich mangelhafte Quellenlage noch die eingeschränkte Erfindungsgabe des Hieronymus; das „Wenige“ an sich ist vielmehr theologisches Programm, denn mit dieser absoluten Zurückgezogenheit des Paulus ist eine Vervollkommnung des von Hieronymus in der Vita vertretenen anachoretischen Ideals zum Ausdruck gebracht. Zum Wesen des vollkommenen Anachoretentums, so wie es Paulus verkörpert, gehört es, wie auch Hoster betont, „daß es – in gänzlicher Einsamkeit – sich jeder Berührung mit den Menschen, auch Schülern oder Gleichgesinnten, entzieht. Es vollendet sich, ohne nach außen zu wirken.“85 Damit rückt ein weiterer Aspekt der Intention des Hieronymus hinsichtlich der Nische für seinen Paulus als principium des monastischen Eremitentums ins Visier: Paulus ist nämlich nicht nur chronologisch der Erste, der zwar in keiner kausalen Verbindung mit der Entwicklung des Wüstenmönchtums steht, grundsätzlich jedoch noch vor Antonius die wesentlichen Merkmale eines Wüstenmönchtums verwirklichte, er ist zudem (und zentraler noch) der bessere bzw. sogar der beste Wüstenmönch. Es geht Hieronymus demnach nicht nur um das chronologische „Anfangen“ an sich, es geht vielmehr um die Art und Weise, wie dieser Anfang gemacht worden ist.
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Hier klingt zudem die Wortwahl des Evagrius an, der von den discipuli (wie er sie später auch bezeichnet: vgl. Evagr., v. Anton. 92 [191,1344 BERTRAND]) schreibt: etiam ei iam seni coeperant ministrare (Evagr., v. Anton. 91 [191,1320 BERTRAND]). 85 HOSTER, Form, 56.
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Deutlich wird diese Absicht bereits im ersten Satz des Prologs. Hieronymus fragt: [A] quo potissimum monachorum eremus habitari coepta sit. In seinem adverbialen Bezug auf den Vorgang des Anfangens (coepio) verweist der Superlativ potissimum auf die Art und Weise, in der mit dem Bewohnen der Wüste angefangen worden ist. Dass hiermit erst das eigentliche Hauptanliegen des Hieronymus hinsichtlich der Etablierung seines Protagonisten identifiziert ist, ist in der Vita immer wieder zu erkennen. Diesbezüglich geradezu paradigmatisch ist die Szene, in der Antonius in die Erzählung eingeführt wird (VP 7,1f.). Besonders deutlich werden hier die identifizierten Aspekte des principium in das soeben beschriebene Verhältnis gesetzt: Antonius, so berichtet Hieronymus dort, sitzt in seinem Teil der Wüste und ist der Meinung, dass ultra se kein anderer Mönch in eremo wohne (VP 7,1). Antonius hält sich für den Einzigen. Dies beinhaltet konsequenterweise auch die Annahme des chronologischen Primats. In einem Traum wird Antonius jedoch eines Besseren belehrt. Darin wird aber nicht etwa die Tatsache stark gemacht, dass sich bereits vor ihm ein Mönch in der Wüste angesiedelt hatte, sondern dass es einen Anderen gäbe (illi reuelatum est esse alium), der zudem multo se melior sei (VP 7,2). Entsprechend wird Antonius (und dem Leser/der Leserin) im Verlauf der Erzählung auch ein „viel besserer“ Mönch vor Augen geführt. Dabei erkennt Antonius das ethische Primat des Paulus durchweg neidlos an, wie es sich z.B. in seinem Ausruf nach der Begegnung mit diesem viel besseren Mönch zeigt: Vae mihi peccatori, qui falsum monachi nomen fero! (VP 13,1). Implizit ist auch das in VP 14,1 beschriebene Sehnen des Antonius nach Paulus, ihn schauen und bei ihm sein zu wollen (illum sitiens, illum uidere desiderans, illum oculis ac mente complectens), auch als Anerkennung seines Vorranges als Mönch zu deuten. Dass dieser bessere Mönch, der Offenbarung zu Beginn von VP 7 zufolge, zudem interius, d.h. noch tiefer in der Wüste sitze, bestärkt den ideellen Vorrang des Paulus umso mehr: Im Einklang mit dem anachoretischen Ideal ist „tiefer“ (d.h. „weiter weg“) natürlich „besser“. Wer weiter in die Einsamkeit vorgedrungen ist, d.h. sich den Lastern der Stadt und den irdischen Bindungen an Menschen und Besitztümer in größerem Ausmaß entzogen und sich zugleich noch intensiver dem Kampf ausgesetzt hat – zum einen gegen die eigenen Leidenschaften und körperlichen Bedürfnisse, zum anderen aber auch gegen die vornehmlich in der Wüste lebenden Dämonen –, ist im asketischen Kampf der Fortgeschrittenere. Besonders deutlich wird dieser Zusammenhang in der Vita Antonii: Antonius, so heißt es dort, rückt sukzessive weiter in die Wüste vor, weil er eben zum einen die immer größere asketische Herausforderung86 (vornehmlich im 86 Athanasius beschreibt das asketische Bestreben des Antonius als eine Suche nach einer immer „härteren Lebensführung“ (vgl. Ath., v. Anton. 7,4 [SC 400, 150,17f. BAR-
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Dämonenkampf) sucht, zum anderen sich aber immer wieder auch nach größerer Einsamkeit und Rückzug sehnt, die ihm aufgrund des großen Zulaufs von Menschen (quoniam non me sinunt quiescere populi 87 ) auf der Suche nach Heilung88 und Unterweisung89, aber auch, um mit ihm zu disputieren90 oder sogar in seine Nachfolge zu treten 91 , in zunehmendem Maß verwehrt bleibt. Entsprechend rät ihm „eine Stimme von oben“92, ad interius desertum vorzudringen. 93 Wenn hier also von Paulus gesagt wird, dass er „noch tiefer“ in der Wüste sitzt, so ist dies auch eine Aussage über seine Tugendhaftigkeit als Mönch. Entsprechend ist bereits im ursprünglichen Gedanken des Antonius, dass nullum ultra se monachorum in eremo consedisse, eine Dreifachbedeutung angelegt: Mit „ultra se“ ist zunächst in numerischer Hinsicht „außer ihm“ gemeint; in geographischer Hinsicht kann hier auch „über ihn hinaus“, d.h. „tiefer in der Wüste“ gelesen werden, womit zugleich die qualitative Bedeutung „besser als er“ impliziert ist. Eben jene gleich zu Beginn im Prolog angedeutete und für Antonius in göttlicher Offenbarung bestätigte Aussage, dass Paulus nicht nur der erste, sondern vor allem der bessere Eremit sei, ist die zentrale These, die Hieronymus in seiner Vita Pauli entfaltet. Die Erzählung des Hieronymus expliziert also nicht nur, dass, sondern auch auf welche Weise Paulus im Verhältnis zu Antonius das principium des Eremitentums ist – derjenige, der potissimum angefangen hat, die Wüste zu bewohnen. TELINK]:
Βουλεύεται τοίνυν σκληροτέραις ἀγωγαῖς ἑαυτὸν ἐθίζειν), die Antonius, nach einer Phase, in der er sich der Askese vor seinem Haus widmete (vgl. Ath., v. Anton. 3,1 [SC 400, 136,1–3 BARTELINK]: αὐτὸς πρὸ τῆς οἰκίας ἐσχόλαζε λοιπὸν τῇ ἀσκήσει, προσέχων ἑαυτῷ καὶ καρτερικῶς ἑαυτὸν ἄγων), zunächst dazu führte, zu den weit von dem Dorf entfernten Gräbern zu wandern (vgl. Ath., v. Anton. 8,1 [SC 400, 156,1–3 BARTELINK]: Οὕτω δὴ οὖν συσφίγξας ἑαυτὸν ὁ Ἀντώνιος ἀπήρχετο εἰς τὰ μακρὰν τῆς κώμης τυγχάνοντα μνήματα) und sich schließlich in die Wüste zurückzuziehen (vgl. Ath., v. Anton. 11), in die er sukzessive immer tiefer eindringt: erst zu einem verlassenen Kastell (vgl. Ath., v. Anton. 12), dann εἰς τὴν ἐσωτέραν ἔρημον (Ath., v. Anton. 49,4 [SC 400, 268,20 BARTELINK]), wo er schließlich auf dem „inneren Berg“ (τὸ ἔσω ὄρος) seinen Rückzug findet (vgl. z.B. Ath., v. Anton. 51,1 [SC 400, 272,1 BARTELINK]); zum „inneren“ und „äußeren“ Berg in der Vita Antonii vgl. GEMEINHARDT, Antonius, bes. 62–64. 87 Evagr., v. Anton. 49 (176,709 BERTRAND); vgl. Ath., v. Anton. 49,3 (SC 400, 266,12f. BARTELINK): Ἐπειδὴ οὐκ ἐπιτρέπουσί μοι ἠρεμεῖν οἱ ὄχλοι. 88 Vgl. z.B. Ath./Evagr., v. Anton. 14; 48; 57f; 61; 63f; 71. 89 Vgl. bes. Ath./Evagr., v. Anton. 16–43; 55; 87. 90 Vgl. z.B. Ath./Evagr., v. Anton. 72–80. 91 Vgl. bes. Ath./Evagr., v. Anton. 44. 92 Evagr., v. Anton. 49 (176,707 BERTRAND); vgl. Ath., v. Anton. 49,2 (SC 400, 266,9f. BARTELINK). 93 Evagr., v. Anton. 49 (176,712f. BERTRAND); vgl. Ath., v. Anton. 49,4 (SC 400, 268,19f. BARTELINK): [Ἄ]πελθε νῦν εἰς τὴν ἐσωτέραν ἔρημον.
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Damit wird besonders deutlich, dass die Vita Pauli in unmittelbare Konkurrenz zur Vita Antonii tritt – und zwar auf beiden hier angesprochenen Ebenen: chronologisch und ideell. Wenn auch weniger offensiv, so behauptet nämlich auch Athanasius – und deutlicher noch Evagrius –, dass er von dem ersten Asketen zu berichten weiß, der ein monastisches Leben in der Wüste führte. Als Antonius mit seiner Askese begann, so berichtet Athanasius, übten sich Asketen nämlich gewöhnlich noch „nicht weit entfernt von dem eigenen Wohnort“94, denn „der Mönch wusste zu diesem Zeitpunkt von der großen Wüste noch überhaupt nichts“95. Wie es auch aus der Übersetzung des Evagrius hervorgeht, in der betont wird, dass vor Antonius noch kein Asket die auia solitudo kannte96, liegt der Schwerpunkt hier nicht auf dem Rückzug des Antonius in die Wüste als topographische Größe per se – schließlich hatte Antonius ja zunächst versucht, sich einem Asketen anzuschließen, der bereits im ἔρημος97 bzw. in der deserta98 wohnte. Die Neuerung des Antonius liegt vielmehr in der Anachorese, d.h. in dem Rückzug in die absolute Einsamkeit, die, in den Worten des Evagrius, damit beginnt, dass Antonius „alleine zu einem Berg eilt“ (solus contendit ad montem) und dort in der (den Mönchen bisher unbekannten) Einsamkeit versucht, den Weg zu bahnen (eremi adhuc monachis ignotae […] uiam conatus est pandere 99 ). Deutlicher noch als Athanasius, der hier lediglich von dem Gang des Antonius εἰς ὄρος berichtet100, bezeichnet Evagrius „den koptischen Mönch somit unmißverständlich als Erfinder der Wüstenaskese“101. Auch die Vita Antonii erzählt damit aber nicht nur von dem chronologisch ersten Mönch, sondern von dem archetypisch-ideellen Anfang des anachoretischen Mönchtums. Entsprechend überschreibt Athanasius das von ihm geschilderte Leben des Antonius auch als χαρακτὴρ πρὸς ἄσκησιν102, d.h. als „Abbild“ oder „Stempel“ für die Askese der Mönche in ihrer eigenen ἀγαθή ἅμιλλα103. Auch Athanasius widmete sich also der Frage nach dem „besten Mönch“, der Frage also, auf welche Weise das eremitische Ideal potissimum verkörpert werde.
94
Vgl. Ath., v. Anton. 3,2 (SC 400, 136,10–12 BARTELINK): [Ο]ὐ μακρὰν τῆς ἰδίας κώμης; vgl. Evagr., v. Anton. 3 (161,60 BERTRAND): [Η]aud procul a sua uillula separatus. 95 Ath., v. Anton. 3,2 (SC 400, 136,9f. BARTELINK): [Ο]ὐδ’ ὅλως ἤδει μοναχὸς τὴν μακρὰν ἔρημον. 96 Evagr., v. Anton. 3 (161,58f. BERTRAND). 97 Vgl. Ath., v. Anton. 11,1 (SC 400, 164,1–4 BARTELINK). 98 Vgl. Evagr., v. Anton. 11 (164,205f. BERTRAND). 99 Evagr., v. Anton. 11 (164,206–208 BERTRAND). 100 Vgl. Ath., v. Anton. 11,2 (SC 400, 164,5f. BARTELINK). 101 BRUNERT, Wüstenaskese, 43. 102 Ath., v. Anton. Proöm., 3 (SC 400, 126,17f. BARTELINK). 103 Vgl. Ath., v. Anton. Proöm.,1 (SC 400, 124,1–126,3 BARTELINK).
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III. Der heilige Paulus von Theben
1.5. Unverschämte Lügen! Dass Hieronymus mit seiner Vita Pauli ein Idealbild vermitteln will, das in Konkurrenz mit anderen Stimmen im hagiographischen Diskurs tritt, wird besonders in dem zweiten Gedankengang des Prologs deutlich, der unmittelbar an die Frage nach dem principium anschließt. Scheinbar empört greift Hieronymus nun nämlich einen weiteren umstrittenen Aspekt hinsichtlich der Person des Paulus auf (VP 1,3): „Nicht Wenige“, so Hieronymus, verbreiteten auf scheinbar völlig willkürliche Art diverse Gerüchte (nonnulli et haec et alia, prout uoluntas tulit, iactitant), die nicht nur vollkommen unglaubwürdig (incredibilia), sondern deutlich dem Bereich des Erdichteten und Erlogenen (fingentes […] impudens mendacium) zuzuordnen seien. Von diesen Gerüchten nennt Hieronymus zwei: Paulus habe in einer unterirdischen Höhle (subterraneus specus) gehaust und sei ein Mensch gewesen mit Haaren bis zu den Fersen (crinitus calcaneo tenus homo). Auffällig ist dabei sowohl die Vehemenz, mit der Hieronymus diese Meinungen als „unverschämt“ (impudens) verwirft, als auch die Selbstverständlichkeit mit der er behauptet, dass es sich dabei um Lügen handelt. Es stellt sich zudem die Frage, wozu Hieronymus die Gerüchte überhaupt benennt, wenn sie sich ohnehin so deutlich als Lügen zu erkennen geben, dass auf sie gar nicht weiter eingegangen werden müsste (ne refellenda quidem sententia)? Rebenich hat darauf verwiesen, dass die Negation falscher Nachrichten hier natürlich „als positives Zeugnis für die Existenz des Paulus“ dient.104 Darüber hinaus wird damit aber primär ein rhetorischer Effekt erzielt: Ähnlich wie zu Beginn, so wird auch hier mit dem Hinweis auf die nonnulli der Eindruck der Dringlichkeit und Wichtigkeit der Angelegenheit erzeugt, indem Paulus als Figur dargestellt wird, über die im öffentlichen Diskurs debattiert wird. Der Anreiz zur weiteren Lektüre der Vita besteht also zum einen in der angeblichen Popularität und somit Relevanz des Themas, zum anderen aber in der Tatsache, dass dem Leser/der Leserin suggeriert wird, das folgende Werk biete einen aufklärenden Beitrag zu jener scheinbar höchst kontroversen Figur. Bemerkenswerterweise werden jedoch gerade die hier angeführten Gerüchte im Verlauf der Vita eben nicht explizit widerlegt. Der vehement abgelehnten Behauptung, Paulus habe in einem subterraneus specus gehaust, wird lediglich die ausführliche Schilderung der spelunca des Paulus in VP 5 und VP 6 gegenübergestellt. Ob und in welcher Hinsicht sich spelunca und specus unterscheiden, bleibt jedoch ganz und gar unkommentiert. Auch auf die scheinbar so abwegige Behauptung, dass Paulus seine Haare bis zu seinen Fersen habe wachsen lassen, geht Hieronymus nicht wieder ein, wenn er en passant die inculta canities des Paulus in VP 10,1 erwähnt. Trotz der Wieder104
REBENICH, Hagiograph, 37.
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aufnahme der im Prolog kritisierten Themen, wird also weder die eine noch die andere „unverschämte Lüge“ im Verlauf der Vita explizit entkräftet. Mit dieser Beobachtung wird jedoch klar, dass die Passage im Prolog eben nicht in erster Linie sachlich-argumentativ ausgerichtet ist. Es geht also nicht primär darum, die zwei vorgetragenen Meinungen inhaltlich zu entkräften – schließlich trägt Hieronymus hier weder Argumente gegen die Langhaarigkeit oder das Höhlenbewohnen vor, noch behauptet er hierzu im Verlauf der Vita Aufklärung zu bieten. Im Gegenteil: Die Einwände werden ja explizit als jeglicher weiteren Auseinandersetzung unwürdig erklärt. Neben der Erzeugung von Neugier und Interesse für diesen scheinbar so kontroversen Paulus geht es zunächst vielmehr um die Vermittlung der affektiven Reaktion des Autors auf die Darstellung bzw. Rezeption des ersten Eremiten im hagiographischen Diskurs – entscheidend ist hier also zunächst die spürbare Empörung des Hieronymus an sich. Wie bereits im ersten Abschnitt des Prologs zeigt Hieronymus auch hier, dass es ihm um mehr geht, als nur um die Tatsache, dass er weiß, wer der erste Wüstenmönch war. Von zentraler Bedeutung ist vielmehr die Intention, mit dieser Figur ein ganz bestimmtes Ideal zu vermitteln: Es geht Hieronymus um das wie des idealen (heiligen) Wüstenmönchtums, das von dem ersten Eremiten verkörpert wird. Da Paulus mehr ist als nur principium im Sinne des Anfängers, sondern eben auch im Sinne des Maßstabs und Ideals, reicht es keinesfalls aus, Paulus zwar als Ersten anzuerkennen, von ihm jedoch zusätzlich lediglich zu „wissen“, dass er etwa irgendein Langhaariger war und in einer Höhle wohnte. Ähnliche Attribute mögen zwar durchaus zugetroffen haben (schließlich hat er ungepflegte Haare gehabt und in einer Höhle gewohnt), doch diese Eigenschaften machen Paulus nicht zum principium. Mit einem bestimmten Aussehen und einer bestimmten Behausung ist weder der „Erste“ als Maßstab akkurat charakterisiert noch sind damit eben die wesentlichen Züge des eremitischen Lebens aufgezeigt. Hinter der Empörung des Hieronymus, die zunächst auf rhetorischaffektiver Ebene ihren Zweck erfüllt, steckt also auch eine konkrete Kritik. Sie richtet sich gegen eine unsachgemäße Reduktion des principium auf banale und für das Ideal des Eremitentums völlig periphere Attribute. Die Abweisung solcher Gerüchte um Paulus entspricht damit einem Kritikpunkt, den Hieronymus häufig auch an anderen Stellen äußern wird, so z.B. in dem bereits erwähnten Brief an Eustochium. Hier stellt Hieronymus seiner Adressatin drei Arten von Mönchen in Ägypten vor: Nebst den Koinobiten, „in der lingua gentili ‚Sauhes‘ genannt“, und den Anachoreten, qui soli habitant per deserta, gäbe es noch eine dritte Art von Mönchen: die „Remnuoth“ – für Hieronymus ein genus deterrimus atque neglectum, moralisch verwerflich
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und ohne Ansehen.105 Seine Kritik gegen diese letzte Gruppe richtet sich gegen ihr oberflächliches Verhalten, denn apud hos affectata sunt omnia – alles ist bei ihnen „affektiert“ und macht den Eindruck des Gesuchten: ihre weiten Ärmel (laxae manicae), ihre schlotternden („Blasebalg-artigen“) Stiefel (caligae follicantes), ihre äußerst grobe Kleidung (uestis grossior).106 Aus der Sache der Abgeschiedenheit, der res secreti, machen sie etwas wie einen öffentlichen Sieg (uictoria); sie feiern ihre Askese wie einen Preis in einem Wettkampf.107 Eben diese Sorte von Mönchen ist es jedoch, welche die Adressaten in Rom, Hieronymus zufolge, in ihrer unmittelbaren Umgebung vor Augen hatten, denn in nostra prouincia seien sie aut solum aut primum.108 Neben der affektiv ausgerichteten, rhetorischen Intention der Passage im Prolog der Vita Pauli (die sich als Indiz deuten ließ, dass es Hieronymus nicht nur um das „dass“, sondern auch um das „wie“ des ersten Mönchs geht), erklärt sich die abwehrende Haltung gegenüber den Gerüchten um Paulus also auch durch den von Hieronymus antizipierten Blickwinkel seiner römischen Leserschaft auf den hagiographischen Diskurs. Hieronymus ist sich also des Einflusses z.B. der Remnuoth auf die Vorstellungen über das Mönchtum seiner Leserschaft bewusst und ist entsprechend darum bemüht, auf eben jenen Blickwinkel seiner Leserschaft korrigierend einzuwirken. Dabei wehrt er sich gegen Reduktionen des Mönchseins auf reine Äußerlichkeiten bzw. gegen die Überhöhung äußerlicher Merkmale zum Status des Wesentlichen. Den Mönch Rusticus wird er später über eben jenen wichtigen Unterschied belehren: Mönch zu sein und nicht bloß so zu scheinen (monachus esse – non uideri), so Hieronymus, manifestiere sich in der redlichen Sorge um die Seele – der cura animae. Dabei dürfe das Äußere lediglich Ausdruck der reinen Gesinnung sein: Sordes uestium candidae mentis indicio sint, uilis tunica contemptum saeculi probet. Inneres und Äußeres, Rede und Erscheinung dürfen sich nicht widersprechen (ne habitus sermoque dissentiat).109 Dass Hieronymus bei seiner Abwehr der oberflächlichen Gerüchte um Paulus im Prolog der Vita nun ausgerechnet das Thema der Behaarung aufgreift, ist aber keinesfalls ungewöhnlich. Im Gegenteil, gerade im Kontext besagter kritischer Äußerungen gegen christliche Oberflächlichkeit und gegen ein auf Äußeres bedachtes Verhalten ist immer wieder auch die Rede von der Haartracht bzw. der Haarpflege, die für den Status und das Selbstverständnis des Trägers von anscheinend nicht unwesentlicher Bedeutung waren. So kriti105
Vgl. Hier., ep. 22,34,1 (CSEL 54, 196,12–197,1 HILBERG). Vgl. Hier., ep. 22,34,3 (CSEL 54, 197,9–11 HILBERG). 107 Vgl. Hier., ep. 22,34,3 (CSEL 54, 197,8f. HILBERG). 108 Hier., ep. 22,34,1 (CSEL 54, 197,1f. HILBERG). 109 Hier., ep. 125,7,1 (CSEL 56, 124,10–14 HILBERG). 106
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siert Hieronymus z.B. in dem Brief an Eustochium Asketen, die (neben anderen Äußerlichkeiten) contra apostolum ihre Haare „weiblich“ (femineus) tragen und sich dazu einen horcorum barba wachsen lassen. 110 Gewissen klerikalen Anwärtern macht er nebst der cura de uestibus, si bene oleant, si pes laxa pelle non folleat auch ihre Haarpflege zum Vorwurf: [C]rines calamasitri uestigio rotantur.111 Auch im hagiographischen Diskurs mit spezifischer Ausrichtung auf das Eremitentum spielt das Thema Behaarung immer wieder eine Rolle. Als ein insbesondere den Eremiten auszeichnendes Merkmal taucht dabei häufig die Langhaarigkeit auf. In der Vita Onnophrii des Paphnutius wird z.B. von dem Eremiten Timotheus berichtet, der seine Blöße lediglich mit seinen langen Haaren bedeckte112, und auch Onnophrius selbst wird mit wildem Haarwuchs beschrieben.113 Theodoret von Cyrus (ca. 393– 466114) beschreibt den Eremiten Theodosius mit verwildertem Haar, welches μέχρις τῶν ποδῶν αὐτῶν reichte,115 und von dem Einsiedler Romanus heißt es, dass sein Haar fast ebenso lang war (κόμη δὲ τῷ μεγάλῳ Θεοδοσίῳ παραπλησία 116). Auch unter nichtchristlichen Asketen finden sich Beispiele für die Langhaarigkeit. Als prominentes Beispiel sei dabei auf Pythagoras verwiesen, der von seinem Biographen Jamblich (ca. 240–320/327117) wiederholt als ὁ ἐκ Σάμου κομήτης bezeichnet wird.118 Gegen ungepflegtes Haar hatte Hieronymus nichts einzuwenden. Im Gegenteil, das Haar seines Protagonisten selbst wird als inculta beschrieben (VP 10,1), und insgesamt gehörte es durchaus zum festen Programm der asketischen Propaganda des Hieronymus, dass Kleidung und Körperpflege zu vernachlässigen seien.119 Solch Vernachlässigung dürfe jedoch nicht als „Trophäe“ oder Ausweis des monastischen Daseins zur Schau getragen werden, sondern höchstens Ausdruck einer inneren Haltung sein, eine Folge der asketischen Zügelung der Leidenschaften und Bedürfnisse des Körpers – der Kampf, mit Kol 3,5 (νεκρώσατε οὖν τὰ μέλη τὰ ἐπὶ τῆς γῆς), um die „Abtötung der Glieder“, wie Hieronymus diese Bibelstelle als Ermahnung an seinen Freund Heliodor anbringt, den er dazu bewegen will, das Leben in der Wüste
110
Vgl. Hier., ep. 22,28,1 (CSEL 54, 185,1–4 HILBERG). Vgl. Hier., ep. 22,28,3 (CSEL 54, 185,11–15 HILBERG). 112 VIVIAN, Paphnutius, 146. 113 Vgl. a.a.O., 151. 114 BRUNS, Theodoret, 683. 115 Vgl. Thdt., h. rel. 10,2 (SC 234, 438,7f. CANIVET/LEROY-MOLINGHEN). 116 Thdt., h. rel. 11,1 (SC 234, 454,11f. CANIVET/LEROY-MOLINGHEN). 117 Vgl. DILLON, Jamblich, 11–20. 118 Vgl. Iambl., v. Pyth. [VI] 30 (SAPERE 4, 49 ALBRECHT); bzw. ὁ ἐv Σάμῳ κομήτης (Iambl., v. Pyth. [II] 11 [SAPERE 4, 36 ALBRECHT]). 119 Vgl. FÜRST, Askese, 51. 111
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wieder zu ergreifen.120 Ob er sich etwa vor dem squalidum caput oder den inculta caesaries fürchte, die mit einem Wüstenleben einher gingen, fragt er den Freund.121 Doch da die Wahrheit, die über Äußerliches hinausgeht, zeigt, dass Christus caput tuum ist122, sind – dem Duktus des Arguments des Hieronymus folgend – äußere Erscheinungen bedeutungslos und etwaige daraus resultierende Unannehmlichkeiten einem Soldaten Christi entsprechend zu ertragen. Weder die Pflege noch aber die Furcht vor dem ungepflegten Äußeren sollen das Handeln des Christen bestimmen, so Hieronymus. Entsprechend ist auch seine abwehrende Haltung gegen das Gerücht um die Langhaarigkeit des Paulus aufzufassen: Sein in der Vita Pauli vorgestelltes principium zeichnet sich keinesfalls durch seine Haartracht aus – genauso wenig, wie durch sein Höhlenbewohnen. Weder das äußere Erscheinungsbild noch die Behausung des Paulus machen ihn zu dem „Ersten“, und somit zum Maßstab und Ideal einer gesamten Bewegung. Zum Ideal wird Paulus vielmehr aufgrund seiner für das Mönchtum wesentlichen Merkmale. 1.6. Heiligkeit im Wesentlichen Die wesentlichen Merkmale des eremitischen Ideals sind die Askese und die Anachorese. Sie erfüllt Paulus – dem principium entsprechend – mit höchster Vollkommenheit. Sein asketischer Lebenswandel zeichnet sich nebst dem Gebet (oratio) (VP 6,1) durch eine so radikale Einschränkung von Nahrung und Kleidung aus, dass Paulus mit den eindrücklichsten Beispielen asketischer Praxis mithalten kann. So z.B. mit einem Mönch, der dreißig Jahre lang nur von Brot und Wasser gelebt habe, oder einem, dem nur fünf Feigen am Tag reichten (VP 6,2). Besonders aber sticht der nahezu vollkommene Rückzug des Helden, seine solitudo (VP 6,1) hervor123: So sehr nämlich lebte Paulus im Verborgenen, dass nulli hominum compertum habetur (VP 1,4), was Paulus zwischen Rückzug in die Wüste und seinem Tod widerfahren ist. Als vollkommener Asket und Anachoret verkörpert Paulus die Ideale, die für Hieronymus zeitlebens geradezu als Inbegriffe christlicher Nachfolge galten und zu deren Durchsetzung in Kirche und Gesellschaft seiner Zeit er „mit seinem eigenen Lebensweg und seiner lautstarken literarischen Propaganda“124 beigetragen hatte. Trotz aller Wandlungen, die diese Ideale auch bei Hieronymus durchgemacht hatten – wie Steven Driver betont –, lässt sich 120
Vgl. Hier., ep. 14,5,2 (CSEL 54, 50,13f. HILBERG): [M]ortificate membra uestra, quae in terra sunt. 121 Vgl. Hier., ep. 14,10,3 (CSEL 54, 60,8 HILBERG). 122 Hier., ep. 14,10,3 (CSEL 54, 60,8f. HILBERG). 123 Vgl. HOSTER, Form, 57, der betont, dass die „strikte Einsamkeit […] das Wesentliche an der Lebensform des Paulus war.“ 124 FÜRST, Askese, 51.
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sagen, dass Hieronymus „never ceased to champion the ascetic life in some form or another as necessary for Christian perfection“125. Geprägt hat Hieronymus den Diskurs um christliche Askese besonders mit seinen zahlreichen Briefen, die zwar an Einzelpersonen adressiert, „doch von vornherein zur Publikation für einen weiteren Leserkreis bestimmt waren“126. In ihnen wird nicht nur durchgehend die Bedeutung asketischer Praktiken stark gemacht, sondern – besonders in seinen frühen Briefen – eben auch das anachoretische Ideal als höchste Verwirklichungsform christlicher Nachfolge angepriesen.127 So lobt Hieronymus z.B. über alle Maße noch kurz vor Beginn seines eigenen Wüstenaufenthaltes in einem Brief an Rufin die absolute Isolation seines Jugendfreundes Bonosus. Unter Aufnahme zahlreicher biblischer Bilder wird der anachoretische Rückzug dabei als höchste Form der Erfüllung des christlichen Aufrufs zur Nachfolge dargestellt: Bonosus, so Hieronymus, portat crucem suam (vgl. Lk 9,23) nec de crastino cogitat (vgl. Mt 6,34) nec post tergum respicit (vgl. Lk 9,26).128 Dabei spiegelt Bonosus geradezu den nur wenige Jahre später in der Vita Pauli beschriebenen ersten und vorbildlichen Wüstenasketen Paulus: Hieronymus beschreibt Bonosus als nobiscum artibus institutus, cui opes adfatim, dignitas adprime inter aequale, der sich in der absoluten Einsamkeit quasi quidam nouus paradisi colonus niederlässt 129 – ein Paradies, das zugleich jedoch durch asperae cautes et nuda saxa et solitudo ein Ort des Schreckens (terrori) sei; 130 weder ein Mönch (nullus monachorum) noch sonst jemand habe es in tanta uastitate als sein Begleiter ausgehalten.131 Mit vergleichbarer Radikalität und „in jugendlicher, fast leidenschaftlicher Begeisterung“ 132 schildert Hieronymus auch Heliodor eben jenes von äußersten Gegensätzen geprägte Wüstenleben, das dem ehemaligen Soldaten zum einen Kampf und Pflichterfüllung im Kriegsdienst für Christus
125
DRIVER, Development, 46. Driver betont allerdings, dass sich zugleich eine Entwicklung vollzogen habe: „At no time did Jerome waver in his insistence that chastity and self-abnegation were required for the perfect Christian life. However, the initial ideals upon which he had based his life had evolved throughout his career. […] From a brash young man who desired to surrender all in order to become a hermit for Christ, he became an old man who strongly favored a communal, moderate life“ (DRIVER, Development, 69f.). 126 FÜRST, Askese, 51. 127 Vgl. bes. Hier., ep.14 an Heliodor; ep. 22 an Eustochium; ep. 52 an Nepotian; ep. 54 an Furia; ep. 125 an den Mönch Rusticus; ep. 130 an Demetrias. 128 Hier., ep 3,4,1 (CSEL 54, 15,10–12 HILBERG). 129 Vgl. Hier., ep. 3,4,2 (CSEL 54, 15,16–20 HILBERG). 130 Vgl. Hier., ep. 3,4,2 (CSEL 54, 15,18f. HILBERG). 131 Vgl. Hier., ep. 3,4,2 (CSEL 54, 15,20–16,2 HILBERG). 132 SCHADE, Briefe I, 277.
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nahegelegt 133, zum anderen aber als Paradies-artiger Rückzugsort gepriesen wird, an dem man in den reinen Glanz des Äthers fliegen könne (ad purum aetheris uolare fulgorem), nachdem man sich der Last des Fleisches entledigt habe (sarcina carnis);134 ob aber als Paradies oder als Kampfplatz, letztlich, so Hieronymus, sei die Wüste als Aufenthaltsort geradezu unabdingbar für den christlichen Weg der Vervollkommnung – schließlich gelte der Grundsatz: [M]onachum perfectum in patria sua esse non posse. Perfectum autem esse nolle delinquare est. 135 Entsprechend kulminiert das Schwärmen des Hieronymus für das eremitische Leben im Brief an Heliodor in einer Ode an die Wüste: [O] desertum Christi floribus uernans! o solitudo, in qua illi nascuntur lapides, de quibus in Apocalypsi ciuitas magni regis extruitur! o heremus familiari deo gaudens!136 Seinen Adressaten aber überhäuft er mit Vorwürfen: [Q]uid agis, frater, in saeculo, qui maior es mundo? quam diu te tectorum umbrae premunt? quam diu fumeus harum urbium carcer includit?137 Einwände gegen die Härten des Wüstenlebens lässt Hieronymus nicht gelten. Schließlich sei durch „den Apostel“ verheißen: [N]on sunt condignae passiones huius saeculi ad superuenturam gloriam, quae reuelabitur in nobis.138 Mit dieser zukünftigen Herrlichkeit im Blick sei ein Wüstenleben zur Vollendung des monastischen Bestrebens (und somit jede Form ernsthafter christlicher Nachfolge) regelrecht ohne Alternative. Dass es sich bei diesem durch Askese und Anachorese ausgezeichneten Bestreben nach Vollkommenheit in der christlichen Nachfolge zugleich um ein Heiligkeitsideal handelt, liegt auf der Hand. Häufig und mit großer Selbstverständlichkeit werden Mönchtum und Heiligkeit in etwaigen Definitionen entsprechend konzeptuell zusammengeführt. So setzt z.B. Wassilios Klein das Bestreben des Mönchtums nach „höchstmögliche[r] religiöse[r] Vollkommenheit der eigenen Person“ ohne Weiteres mit dem Ziel, „Heiligkeit zu erreichen“, gleich.139 Genauer noch identifiziert Wolfgang Speyer in 133 Schließlich habe sich Heliodor einst zu diesem Leben verpflichtet; nun aber habe es die feindliche Streitmacht auf das Geldgeschenk abgesehen, das der Soldat beim Eintritt in den Dienst entgegennahm: [E]cce donatiuum, quod militaturus acceperas, hostilia castra suspirant (Hier., ep. 14,2,3 [CSEL 54, 46,15–17 HILBERG]). Da Heliodor bereits in der Askese geübt sei, fragt ihn Hieronymus umso empörter: Cur tam bene paratus ad bella non militas? (Hier., ep. 14,7,1 [CSEL 54, 54,4f. HILBERG]). 134 Hier., ep. 14,10,2 (CSEL 54, 60,2f. HILBERG). 135 Hier., ep. 14,7,2 (CSEL 54, 54,17f. HILBERG). 136 Hier., ep. 14,10,2 (CSEL 54, 59,13–15 HILBERG). 137 Hier., ep. 14,10,2 (CSEL 54, 59,15–60,2 HILBERG). 138 Hier., ep. 14,10,4 (CSEL 54, 60,13–16 HILBERG); vgl. Röm 8,18. 139 KLEIN, Mönchtum, 144; vgl. auch LORENZ, Anfänge, 2, der die Grundidee des Mönchtums in der „Beschränkung des Lebens auf das Streben nach christlicher Vollkom-
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seiner Typisierung christlicher Heiliger den Asketen und Mönch sogar als distinktive Form des Heiligen140, der sich eben durch die besondere Ausrichtung der Nachfolge auf „Jesu Lösung von seiner Familie, sein[en] Aufenthalt in der Wüste und die dort bestandenen Versuchungen Satans, sein Zusammenleben mit den Tieren und schließlich seine Passion“141 als eigene Form auszeichnet. Auch Hieronymus selbst bleibt diesbezüglich nicht vage. Im Gegenteil, vollkommenes Mönchsein und Heiligkeit nehmen bei ihm oft nahezu synonyme Bedeutung ein. So ist es z.B. in dem Brief an Eustochium für ihn kein großer assoziativer Sprung, wenn er beim Thema Mönche seiner Adressatin zugleich auch etwas über heilige Dinge (sancta) schreibt.142 Mit dem Porträt eines monastischen Ideals ist für Hieronymus also zugleich ein hagiographischer Beitrag für den allgemeinen christlichen Diskurs um die Bedeutung vollkommener Nachfolge Christi geleistet. Abgesehen von diesen wesentlichen Merkmalen gibt es für die Heiligkeit des in der Vita gezeichneten vollkommenen Eremiten jedoch weitere deutliche Hinweise. Besonders bezeichnend ist der in VP 12,4 beschriebene Gedanke des Antonius, der in Paulus quasi Christum erkennt und dabei in pectore eius Gott verehrt (Deum uenerare). Auch der Ausruf des Antonius, Paulus bereits in paradiso gesehen zu haben (VP 13,1), lässt sich als eschatologischer Vorgriff auf den standesgemäßen Zustand bzw. Verbleib eines Heiligen deuten. Doch Hieronymus wird auch begrifflich deutlich: Neben den zahlreichen Bezeichnungen des Paulus als beatus (VP 7,1; 9,4; 11,3; 12,3; 16,3) bezeichnet ihn Hieronymus zuletzt auch explizit als sanctus (VP 16,7).143 Dass in der Vita Pauli ein Heiligkeitsideal vermittelt wird, steht also außer Frage. Geklärt werden muss im Folgenden, wie sich dieses Heiligkeitsideal im Einzelnen zeigt, welche konkreten Merkmale also der von Hieronymus gezeichnete Heilige aufweist.
menheit“ sieht. Das Mönchtum, so Lorenz, a.a.O., 2f., „ist eine Bewegung für entschiedenes Christentum. Beschränkung auf Vollkommenheit in dem Einen, das man für christlich hielt, bedeutet freilich Askese“. 140 Vgl. SPEYER, Kirchliche Heilige, 172–177. 141 A.a.O., 172. 142 Hier., ep. 22,34,1 (CSEL 54, 196,10f. HILBERG). 143 Damit unterscheidet sich die Vita Pauli auch von der Vita Antonii, denn Antonius wird „von seinem Hagiographen Athanasius in der gesamten Vita nicht ein einziges Mal ‚heilig‘ genannt“ (GEMEINHARDT, Kirche, 386), obwohl natürlich sicher gesagt werden kann, dass er „schon seinen Zeitgenossen als Heiliger“ galt (ders., Antonius, 15). Dabei gilt es freilich zu bedenken, dass von einer fixen Terminologie diesbezüglich im 4. Jh. ohnehin noch nicht die Rede sein kann.
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III. Der heilige Paulus von Theben
1.7. Fazit Im Blick auf die Frage nach Paulus als dem „ersten“ Eremiten ist gezeigt worden, dass Hieronymus für seinen Protagonisten eine besondere Nische etabliert: Paulus, so Hieronymus, ist nicht nur einer von vielen besonders heiligen Eremiten, er ist das principium. Damit ist zunächst auf sein chronologisches Primat verwiesen: Paulus ist der „erste Wüstenmönch“, weil er noch früher als Antonius, der eher als kausales principium gelten kann (d.h. als direkter „Anfang“ einer Kette von Schülern und Nachfolgern), mit einem eremitischen Lebensstil begonnen hatte. Doch dabei ist Paulus auch „Erster“ im Sinne des „führenden Prinzips“ – er ist potissimum der princeps des Eremitentums. Er ist geradezu die Inkarnation der „Idee“ eines Ideals – ideell, im wahrsten Sinne des Wortes. Als „Ideen-Gleich“ ist sein äußeres Erscheinungsbild und seine Behausung keinesfalls bezeichnend – im Gegenteil, als Erkennungsmerkmale des ideellen principiums sind diese Akzidenzen eher irreführend und somit falsch. Entsprechend energisch wirft Hieronymus denjenigen, die Paulus lediglich für einen subterraneo specu crinitum calcaneo tenus hominus halten, Wahrheitsverzerrung vor. Nicht seine Haare und auch nicht seine Höhle machen Paulus zum princeps. Die Empörung über diese fälschliche Annahme ließ sich darauf hin deuten, dass es Hieronymus in der Vita nicht nur darum geht, einen „Beweis“ für das chronologische Primat des Paulus vorzulegen, sondern vielmehr darum, ein Ideal zu zeichnen bzw. mit Inhalt zu füllen. Dass das principium des monastischen Eremitentums für Hieronymus zugleich ein Heiligkeitsideal ist, ergibt sich bereits aus der Tatsache, dass Paulus Inbegriff der für Hieronymus ausschlaggebenden Merkmale christlicher Vollkommenheit ist: Er ist die Verkörperung der perfekten Askese und der vollkommenen Anachorese. Für Hieronymus ist Paulus also schon ein Heiliger, weil er der vollkommene Eremit ist. Diese Feststellung muss an sich nicht weiter bewiesen werden. Entsprechend geht es auch im Folgenden nicht darum, aufzuzeigen, dass Paulus ein Heiliger ist, dass die Vita Pauli also Hagiographie ist, weil sie einen Heiligen „schreibt“ (s.o. I.2, Abbildung 1). Entscheidend ist vielmehr die Frage, von was für einem Heiligen in der Vita die Rede ist und wie diese Attribute der Heiligkeit diskursiv etabliert werden. Nebst den zwei Hauptmerkmalen, der Askese und der Anachorese, die Paulus bereits grundsätzlich zum principium monachorum und somit zum Heiligen machen, erhält das Bild des hier vorgestellten Wüstenasketen in der Vita Pauli eine spezifisch hieronymianische Färbung, die es im Folgenden herauszuarbeiten gilt.
2. Der kindliche Greis und die Herkunft des Heiligen
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2. Der kindliche Greis und die Herkunft des Heiligen Hieronymus hält seinen Leser/innen mit der Vita Pauli ein principium vor Augen: Dieser „Anfang“ ist Paulus selbst – chronologisch der erste Mönch, der in der Wüste lebte, und zugleich die vollkommene Form jenes Wüstenmönchtums (s.o. III.1). Dabei stellt sich die Frage, ob bzw. inwiefern auch das persönliche principium des Paulus, d.h. sein Lebens-Anfang, aussagekräftig ist für die Darstellung eines Heiligen in der Vita Pauli. Wie im Prolog angekündigt, weiß Hieronymus nur „Weniges“ (pauca) von Pauli principium zu berichten (VP 1,4). In besonderem Maß gilt dieser Hinweis für die Anfänge des Lebens des Paulus (über die Anfänge seiner Anachorese erhält der Leser/die Leserin schließlich etwas mehr Information): Mit nur einem Satz ist zu Beginn von VP 4 über die Herkunft des Protagonisten bereits alles gesagt, bevor Hieronymus mit der Wendung, et dum persecutionis detonaret procella (VP 4,2), in die Geschichte von Verrat, Flucht und Beginn der Anachorese des Paulus einsteigt. Dabei erhält der Leser/die Leserin folgende Informationen (VP 4,1): 1. Als Paulus 16 Jahre alt war, starben seine Eltern. 2. Sie hinterließen ihn mit einer Schwester, die bereits „einem Mann übergeben war“ (cum sorore iam uiro tradita) und 3. mit einer stattlichen Erbschaft (in haereditate locupleti); 4. Paulus war adprime gebildet (eruditus) in litteris tam Graecis quam Aegyptiacis, 5. er hatte eine sanftmütige Seele (mansuetus animus) und 6. er liebte Gott sehr (Deum ualde amans). Über seinen Herkunftsort erfährt die Leserschaft nur indirekt etwas: Hieronymus bezeichnet Paulus im Prolog als Paulus quidam Thebaeus (VP 1,4), und die chronologische Anknüpfung zu Beginn der Erzählung über Paulus in VP 4,1 verweist darauf, dass sich das zuvor Erzählte apud inferiorem Thebaidam abspielte. Ob damit der Geburtsort des Paulus benannt ist, oder ob Paulus hier aufwuchs und seine Bildung genoss, bleibt unbestimmt. Am wahrscheinlichsten ist, dass sich die Bezeichnung des Paulus als der „Thebaide“ auf seine „Wirkstätte“, d.h. seinen Aufenthaltsort als Eremit in der Thebais, der Felswüste um die ägyptische Stadt Theben, bezieht. In Anbetracht der in VP 5 geschilderten, anscheinend nicht sonderlich lang andauernden Flucht von dem Landhaus des Paulus in die Wüste, fallen Herkunftsort und eremitischer Aufenthaltsort aber offenbar weitestgehend zusammen. Überhaupt nichts erfährt der Leser/die Leserin über die Geburt des Paulus. Auch über seine Kindheit und frühe Jugend gibt es anscheinend nichts zu berichten. Kein Wort wird über den familiären Hintergrund, den Stammbaum oder die Vorfahren des Paulus verloren. Auch wer seine Eltern waren, wie sie hießen und ob sie Christen waren, bleibt unerwähnt. Das ist zunächst deshalb
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III. Der heilige Paulus von Theben
besonders auffällig, weil sich Hieronymus in seinen anderen biographischen Schriften scheinbar mehr für Herkunft und Familie seiner Protagonisten und seiner Protagonistin interessiert hat. So weiß er z.B. Genaues über den Herkunftsort des Hilarion zu berichten, der aus dem Dorf Tabatha stammte, qui circiter quinque milia a Gaza, urbe Palaestinae, ad austrum 144. Auch hinsichtlich seiner heidnischen Wurzeln konstatiert Hieronymus: [C]um haberet parentes idolis deditos, rosa, ut dicitur, de spinis floruit.145 Von der Witwe und Asketin Paula (347–404146), deren Biographie er in einem Vita-ähnlichen Brief schildert147, kennt Hieronymus sogar die Namen der Eltern – Blaesilla und Rogatus148 – und verweist ausführlich auf die beeindruckende Ahnengalerie der adeligen Frau: Gracchorum stirps, soboles Scipionum, Pauli heres, cuius uocabulum trahit, Maeciae Papiriae, matris Africani, uera et germana progenies149. In der Vita Malchi150 wird dem Protagonisten selbst ein Bericht über seinen familiären Hintergrund in den Mund gelegt: Ego, inquit, mi nate, Nisbeni agelli colonus, solus parentibus fui151. Zwar werden die Namen der Eltern nicht genannt, betont wird jedoch, dass sie Malchus quasi stirpem generis sui et heredem familiae zur Heirat zwingen wollten.152 In allen seinen biographischen Schriften – mit Ausnahme der Vita Pauli – erhellt Hieronymus demnach die principia seiner Helden mit Informationen über Herkunft und Elternhaus. Auch aufgrund zahlreicher Einträge in seinem späteren Katalog berühmter christlicher Schriftsteller zeigt sich, dass „die Herkunft ein unentbehrlicher Bestandteil der Biographie blieb“153 – ein Bestandteil, der durchaus antikem Brauch entsprach: Für den Lobredner z.B., so Berschin, galt „die Erwähnung der Herkunft des Helden“ als „nahezu unverzichtbar“154, wobei das Geburtsland, aber auch die Familie breit geschildert werden können.155 So beschreibt z.B. Jamblich ausführlich die Herkunft, das Elternhaus, die wunderbare Geburt und die Jugend seines Helden Pythagoras zu Beginn seiner Vita
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Hier., v. Hilar. 2,1 (SC 508, 214,1f. MORALES). Hier., v. Hilar. 2,1 (SC 508, 214,2–4 MORALES). 146 STAHLMANN, Paula, 21. 147 Vgl. Hier., ep. 108. Der Brief wird auf das Jahr 404 datiert (vgl. SCHADE, Schriften, 89). 148 Vgl. Hier., ep. 108,3,1 (CSEL 55, 308,10f. HILBERG). 149 Hier., ep. 108,1,1 (CSEL 55, 306,7–9 HILBERG). 150 Hieronymus verfasst die Vita Malchi im Jahr 388 (vgl. LECLERC, Les vitae, 19). 151 Hier., v. Malchi 3,1 (SC 508, 188,1f. MORALES). 152 Hier., v. Malchi 3,1 (SC 508, 188,2f. MORALES). 153 BERSCHIN, Biographie V, 89. 154 A.a.O., 88. 155 Vgl. a.a.O., 89. 145
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Pythagorica. 156 Auch die erste bekannte Mönchsvita, die Vita Antonii des Athanasius, enthält einiges mehr über Familie, Kindheit und Jugend ihres Protagonisten als die Vita Pauli: Neben Antonius´ ägyptischer Herkunft und den wohlhabenden Verhältnissen, in die Antonius hineingeboren wurde 157 , beschreibt Athanasius die Kindheit des Antonius bei seinen Eltern 158 und berichtet von seiner christlichen Erziehung159, seinem Verhältnis zur Kirche160 und seinem Umgang mit anderen Kindern.161 Auch in späteren hagiographischen Werken muss das Fehlen von Information über Herkunft und Familie anscheinend zumindest noch erklärt werden. Der Hagiograph Eugippius (ca. 467–533162) z.B. weiß nichts über die Herkunft des Asketen Severin zu berichten, weil dieser sich weigerte, darüber Auskunft zu geben. Doch Eugippius übergeht das Thema nicht einfach, sondern betont, dass die Frage nach der Herkunft gleichsam necessario an den Biographen gerichtet würde – schließlich sei es üblich (sicut moris est), eine Lebensbeschreibung damit zu beginnen.163 Die Gewohnheit, so folgert Berschin, „war eben doch zu fest eingebürgert, als daß man sich über sie hätte hinwegsetzen können.“164 Vermutlich mag Hieronymus tatsächlich nicht viel über die erste Lebensphase des Paulus gewusst haben. Doch diese Vermutung lässt sich auch ohne 156 Vgl. Iambl., v. Pyth. [II] 3—10 (SAPERE 4, 32–36 ALBRECHT). Trotz der Tatsache, dass Jamblichs Schrift nicht den Titel „Leben des Pythagoras“ trägt, wie es von einer Vita zu erwarten wäre, sondern „das pythagoreische Leben“, was soviel bedeutet wie „gemäß des Lebens und der Philosophie des Pythagoras“, nimmt Jamblichs Vita Pythagorica dennoch zweifelsohne den Platz einer Vita ein. Zumindest beginnt sie „durchaus biographisch“ mit der Schilderung von Pythagoras’ Geburt und Kindheit (LURJE, Einführung, 30f.). 157 Vgl. Ath., v. Anton. 1,1 (SC 400, 130,1f. BARTELINK): Ἀντώνιος γένος μὲν ἦν Αἰγύπτιος, εὐγενῶν δὲ γονέων καὶ περιουσίαν αὐτάρκη κεκτημένων. 158 Vgl. Ath., v. Anton. 1,2 (SC 400, 130,3–5 BARTELINK): Καὶ παιδίον μὲν ὢν ἐτρέφετο παρὰ τοῖς γονεῦσι, πλέον αὐτῶν καὶ τοῦ οἴκου μηδὲν ἕτερον γινώσκων. 159 Vgl. Ath., v. Anton. 1,1 (SC 400, 130,2f. BARTELINK): Χριστιανῶν δὲ αὐτῶν ὄντων χριστιανικῶς ἀνήγετο καὶ αὐτός. 160 Vgl. Ath., v. Anton. 1,3 (SC 400, 130,10f. BARTELINK): Συνήγετο μέντοι μετὰ τῶν γονέων ἐν τῷ κυριακῷ. Καὶ οὔτε ὡς παῖς ἐρρᾳθύμει οὔτε ὡς τῇ ἡλικίᾳ προκόπτων κατεφρόνει, ἀλλὰ καὶ τοῖς γονεῦσιν ὑπετάσσετο καὶ τοῖς ἀναγνώσμασι προσέχων τὴν ἐξ αὐτῶν ὠφέλειαν ἐν ἑαυτῷ διετήρει. 161 Vgl. Ath., v. Anton. 1,2f. (SC 400, 130,10f. BARTELINK): Ἐπειδὴ δὲ καὶ αὐξήσας ἐγένετο παῖς καὶ προέκοπτε τῇ ἡλικίᾳ, γράμματα μὲν μαθεῖν οὐκ ἠνέσχετο, βουλόμενος ἐκτὸς εἶναι καὶ τῆς πρὸς τοὺς παῖδας συνηθείας. Τὴν δὲ ἐπιθυμίαν πᾶσαν εἶχε, κατὰ τὸ γεγραμμένον, ὡς ἄπλαστος οἰκεῖν ἐν τῇ οἰκίᾳ αὐτοῦ. 162 Vgl. SURMANN, Eugippius, 238. 163 Eug., ep. ad Pasch. 7 (SC 374, 152 RÉGERAT): Sane patria, de qua fuerit oriundus, fortasse necessario a nobis inquiritur, unde, sicut moris est, texendae cuiuspiam uitae sumatur exordium. De qua me fateor nullum euidens habere documentum. 164 BERSCHIN, Biographie V, 89.
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Weiteres für die anderen Etappen des Lebens seines Protagonisten anstellen. Wie gesehen (II.3.2) bietet die Vita für das eigentliche Leben des Paulus nur wenige harte „Eckdaten“. Doch, anders als bei der Erzählung von Kindheit und Jugend des Paulus, ist Hieronymus sonst keinesfalls verlegen, die ihm eventuell tatsächlich vorliegenden Grunddaten auf zahlreiche Weisen narrativ zu ergänzen. Neben der Tatsache, dass sich der Großteil der Erzählung ohnehin eher mit Antonius beschäftigt, kaschiert Hieronymus etwaige „Lücken“ z.B. mit „historischen“ Hinweisen (VP 5,2; 8,9; 12,4), dehnt die Handlung mit wörtlichen Reden (vgl. z.B. 7,3f.; 8,3; 8,5; 9,5; 10,1.3; 11,3; 12,2) oder schmückt sie mit Zitaten aus der Literatur aus (z.B. VP 4,2165; 9,6166). Für die dem Leser/der Leserin zugestandenen „Wissens“-lücken stellt Hieronymus zumindest Vermutungen an (z.B. VP 1,4; 7,6) oder etabliert mittels Beispielgeschichten Analogien zum Leben des Paulus (z.B. VP 6,2). Die „Erzählung“ zur Kindheit und Jugend des Paulus beschränkt sich jedoch auf einen Satz, der aus einer Anreihung nur weniger Daten besteht. Wie also lässt sich diese Spärlichkeit der Vita Pauli hinsichtlich der Herkunft des Protagonisten erklären? 2.1. Nur die Taten des homo dei Widerstand gegen die Norm, ausführlich in biographischen Kontexten über das Thema „Herkunft“ zu berichten, regte sich in der Spätantike bereits in der Philosophie. Porphyrios’ (234–305/310167) Plotin-Biographie beginnt mit der Beschreibung des Plotin als Mann, der sich schämt, ἐν σώματι zu sein. Aus diesem Grund erzählt er selbst weder etwas über seine Herkunft (περὶ τοῦ γένους αὐτοῦ) noch über seine Eltern (περὶ τῶν γονέων) noch über seine Heimat (περὶ τῆς πατρίδος).168 Eine skeptische Grundhaltung gegenüber der Körperlichkeit ist auch in christlichem Gedankengut verankert. Sie kommt besonders im Zusammenhang mit der eschatologischen Sehnsucht nach dem zukünftigen Leben zum Ausdruck, die wiederum in dem für christliche Vorstellungen zentralen Glauben an die Auferstehung Christi begründet ist. So artikuliert der Apostel Paulus z.B. eine Abneigung, „im Fleisch zu leben“ (τὸ ζῆν ἐν σαρκί), in seinem Brief an die Philipper (1,22–24): „Viel besser“ (πολλῷ μᾶλλον κρεῖσσον) nämlich, so heißt es dort, wäre es, sich „aufzulösen“ bzw. sich (von dem Körper) befreiend „loszumachen“ (ἀναλῦω), um auf diese Weise bei Christus zu sein (σὺν Χριστῷ εἶναι).
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Vgl. Verg., Aen. III,57 (TB 193, 106 FINK). Vgl. Verg., Aen. II,650 (TB 193, 92 FINK); Verg., Aen. VI,672 (TB 193, 284 FINK). 167 Vgl. CHASE, Porphyrios, 174. 168 Vgl. Porph., v. Plot. 1 (1,1–4 HENRY/SCHWYZER). 166
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Die Vita Pauli greift diesen Gedanken explizit auf: In der Rede des Paulus über seinen bevorstehenden Tod wird auf eben jene Passage aus dem Philipperbrief mit dem Wunsch des Paulus rekurriert: [S]emper cupieram dissolui et esse cum Christo (VP 11,3). Die damit implizierte latent dualistische Gegenüberstellung von Körper und Geist findet in der asketischen Bewegung natürlich grundsätzlich ihren radikalen Ausdruck. So fordert Hieronymus die junge Asketin Eustochium dazu auf, sich carne contempta den Umarmungen des (himmlischen) Bräutigams hinzugeben.169 Der Körper, so Hieronymus, stelle die größte Gefahr für ein spirituelles Leben dar, und so sei dem Beispiel des Apostels Paulus zu folgen, der ob carnis aculeos et incentiua uitiorum den eigenen Körper „zurückdrängte“ (reprimit corpus suum) und der Knechtschaft unterwarf (seruituti subicit) (vgl. 2 Kor 12,7; 1 Kor 9,27). Wie ein Gefangener fühlte sich der Apostel Paulus in seinem Körper, dessen Gesetzmäßigkeiten (lex in membris) in stetem Widerspruch zur lex mentis stehen. Selbst nach zahlreichen körperlichen Züchtigungen (post nuditatem, ieiunia, famem, carcerem, flagella, supplicia) klagte der Apostel, wie Hieronymus mit Röm 7,23f. betont: [I]nfelix ego homo, quis me liberabit de corpore mortis huius?170 Dieses von Hieronymus vertretene asketische Ideal, in dem die ‚Abtötung‘ der Glieder auf Erden (vgl. Kol 3,5) angestrebt wird171, steht möglicherweise in Verbindung mit einem generellen Desinteresse des jungen, enthusiastischen und idealistischen Autors für körperliches „Werden“, d.h. für Kindheit, Jugend, Elternhaus und Herkunft. Nebst dieser in christlich-asketischer Tradition verankerten Abwendung von Körper und Fleischlichkeit findet sich jedoch eine weitere Begründung für die Vernachlässigung der Kindheit und Jugend im christlichen Diskurs um das „Schreiben“ eines Heiligen: Deutlich geäußert wird sie bereits in der ältesten christlichen Biographie im eigentlichen Sinn 172 , der Vita et Passio 169
Vgl. Hier., ep. 22,1,2 (CSEL 54, 144,8 HILBERG). Vgl. Hier., ep. 22,5,1 (CSEL 54, 149,11–150,1 HILBERG). Die Erwähnung des Apostels, der es trotz all seiner „asketischen“ Mühen nicht zur Vollendung eines „entkörperten“ Seins gebracht habe bzw. sich nach wie vor wie ein Gefangener seines Körpers vorgekommen sei, unterstreicht geradezu die Dringlichkeit der asketischen Forderung des Hieronymus: Selbst der Heilige habe sein Leben lang ringen müssen, betont Hieronymus und fordert seine Leser/innen heraus: [T]u te putas securam esse debere? (Hier., ep. 22,5,1 [CSEL 54, 150,2 HILBERG]). 171 Vgl. Hier., ep. 22,17,4 (CSEL 54, 166, 8f. HILBERG): [M]ortificate, ait apostolus, membra uestra super terram. 172 Vgl. BAER, Traktate, 6; dabei nutzte Pontius die klassischen Anweisungen für ein Enkomion, „verlieh der Lobrede aber auch neue Züge, die für christliche Biographien später typisch wurden“ (SURMANN, Pontius, 586). Surmann verweist zudem auf die rhetorische Gestaltung der Schrift, die sie im Rahmen hagiographischer Literatur besonders auszeichne. So auch DEFERRARI, Christian biography, ix, der betont, dass die Vita auf170
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III. Der heilige Paulus von Theben
Cypriani des Pontius173, einem egregium uolumen, wie Hieronymus sie selbst bezeichnete.174 Pontius beginnt seinen Bericht mit der Frage, wo er mit der Beschreibung des Lebens Cyprians (ca. 200–258 175 ) beginnen solle (unde igitur incipiam) und vor allem: [U]nde exordium bonorum eius adgrediar? Dabei stellt er fest, dass nur das, was a principio fidei et natiuitate caelesti geschehen, für eine christliche Vita von Interesse sei.176 Schließlich seien die Taten des homo dei erst von dem Zeitpunkt zu rechnen, wo er ex Deo geboren sei. Zu berichten sei über die Zeit, nachdem die nubis mundi gewichen und Cyprian in das Licht der sapientia spiritalis eingetaucht sei. 177 Für Pontius sind also jegliche Informationen über das Leben, das ein Mensch vor seiner Bekehrung zum Christentum bzw. vor seiner Taufe gelebt hat, bedeutungslos – schließlich seien sie lediglich ad utilitatem saeculi gewesen. 178 Der Blick des christlichen Hagiographen ist damit schwerpunktmäßig auf die Taten des Christen gerichtet. Dieses grundsätzlich auf die Taten des Christen in der Nachfolge Christi ausgerichtete Interesse findet sich auch bei Hieronymus. Explizit bekundet er diese Haltung bemerkenswerterweise ausgerechnet in der bereits erwähnten Epistula 108, der „Biographie“ der Paula. In der Absicht, „in geordneter Reihenfolge“ ([c]arpamus igitur narrandi ordinem) zu berichten, stellt Hieronymus die Überlegung an, ob er mit seiner Darstellung bei ihrem Geburtsort und ihren Eltern einsetzen solle, wie es andere getan hätten: Solle er erwähnen, dass sie von den Scipionen und Gracchen abstammte, dass ihre Linie sogar auf die stemmata, die diuitiae und die nobilitas Agamemnonis zurückgehe? Nichts dergleichen wolle er tun, denn lobenswert sei ausschließlich quod proprium est et de purissimo sanctae mentis fonte profertur. 179 Entgrund von Sprache und Stil hoch eingestuft werden müsse, „probably in first place among the representatives of this literary form.“ 173 Namen und Stand des Autors der Vita des Cyprian (v. Cypr.) von Karthago sind nur aus der Notiz des Hieronymus in vir. ill., 68, bekannt, in der Hieronymus vermerkt: Pontius, diaconus Cypriani, usque ad diem passionis eius cum ipso exilium sustinens, egregium uolumen Vitae et passionis Cypriani reliquit (222 BARTHOLD). Pontius ging 257 mit Cyprian ins Exil und war 258 Zeuge von dessen Hinrichtung. Die Vita wurde kurz nach Cyprians Tod verfasst (vgl. SURMANN, Pontius, 586). 174 Vgl. Hier., vir. ill. 68 (222 BARTHOLD). 175 Vgl. HOFFMANN, Cyprian von Karthago, 169f.; ders., Cyprian, 33f.; BAUTZ, Cyprian, 1178. 176 Vgl. v. Cypr. 2,1 (Vite dei Santi 3, 6,1f. BASTIAENSEN). 177 V. Cypr. 2,3 (Vite dei Santi 3, 6,7f. BASTIAENSEN). 178 Vgl. v. Cypr. 2,2 (Vite dei Santi 3, 6,4–6 BASTIAENSEN). 179 Vgl. Hier., ep. 108,3,1f. (CSEL 55, 308,9–16 HILBERG): Carpamus igitur narrandi ordinem. Alii altius repetant et ab incunabulis eius ipsisque, ut ita dicam, crepundiis matrem Blesillam et Rogatum proferant patrem – quorum altera Scipionum Gracchorumque progenies est, alter per omnes Graecias usque hodie et stemmatibus et
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scheidend sei also nicht, wo Paula hergekommen ist, sondern was sie als Christin getan hat. Natürlich hat diese Passage primär rhetorische Funktion – schließlich werden dem Leser/der Leserin gerade unter dem Vorwand, das Vorgehen „Anderer“, die Wert auf Status und Abstammung legen, zu verurteilen, alle entscheidenden Informationen über Paulas adelige Herkunft mitgeteilt. Deutlich steht dabei jedoch eine distinkte christliche Überzeugung topisch im Hintergrund: In einer christlichen Biographie sind primär die Taten des Christen von hagiographischem Interesse. Nur die Rhetoren, so Hieronymus in einem Brief, in dem er ein Loblied auf die Jungfrau Demetrias anstimmt, lobten jemanden, indem sie ihn mit seinen Urahnen (abaui), seinen Vorfahren (atauis) und mit früherer nobilitas schmückten, ut ramorum sterilitatem radix fecunda conpenset et, quod in fructu non teneas, mireris in trunco.180 2.2. Die Negativfolie Die im christlichen hagiographischen Diskurs aufzufindende asketische Abneigung gegenüber dem Körperlichen (und somit der Entwicklung des Menschen), zusammen mit einer hagiographischen Schwerpunktsetzung bei den Taten christlicher Vorbilder mögen Indizien dafür sein, warum in der Vita Pauli eine Schilderung des Lebens des Paulus vor der entscheidenden Wende zur eremitischen Lebensweise nahezu ausbleibt. Damit ist aber nicht erklärt, warum Hieronymus nicht auch in seinen anderen biographischen Schriften auf eine Schilderung des familiären Hintergrunds verzichtet. Eine mögliche Antwort ergibt sich mit Blick auf die narrative Funktion dieser Auskünfte in den jeweiligen Erzählungen. Dabei fällt auf, dass sich alle Protagonisten dezidiert von den Umständen ihrer Jugend und Kindheit abwenden, um mit der Askese einen entgegensetzten Lebensweg einzuschlagen: Hilarion kehrt als Christ dem Götzendienst seiner Eltern den Rücken zu und verschenkt zum Beginn seiner Anachorese seine gesamten Besitztümer (substantiae) – nihil sibi omnino reseruans!181 Paula, deren Adel, Reichtum
diuitiis ac nobilitate Agamemnonis fertur sanguinem trahere, qui decennali Troiam obsidione deleuit –, nosnihil laudabimus, nisi quod proprium est et de purissimo sanctae mentis fonte profertur. 180 Hier., ep. 130,3,1 (CSEL 56, 177,14–16 HILBERG); auch in diesem Brief greift Hieronymus zu der bereits in ep. 108 angewandten rhetorischen Strategie: Ausführlich erwähnt er adelige Herkunft der Demetrias und wendet dann zum Schluss seiner Darstellung ein: Uerum quid ago? Oblitus propositi, […] laudaui aliquid bonorum saecularium, cum in eo mihi uirgo magis nostra laudanda sit, quod haec iniuersa contempserit, quod non se nobilem, non diuitiis praepotentem, sed hominem cogitarit (Hier., ep. 130,4,1 [CSEL 56, 178,3–6 HILBERG]). 181 Vgl. Hier., v. Hilar. 2,6 (SC 508, 216,27–218,1 MORALES).
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und Ansehen in Rom von Hieronymus deutlich betont wird, flieht (fugere festinabat) regelrecht davor.182 Der in der Vita Malchi berichtete Umstand der elterlich erwünschten Vermählung ihres Sohnes ist Auslöser für die Flucht (fugere) des Malchus.183 Dabei beschreibt Hieronymus den Zwang der Eltern (ad nuptias cogerent) sogar regelrecht als Verfolgungssituation: [Q]uantis pater minis, quantis mater blanditiis persecuti sint. 184 Für die Erzählungen von Hilarion, Malchus und Paula sind Details über Elternhaus, Kindheit und Jugend demnach notwendige narrative Bausteine, indem sie als antagonistische Ausgangsszenarien die Grundlage bilden, teilweise sogar den unmittelbaren Beweggrund und somit die Begründung für die Handlung der Protagonisten liefern. Inhaltlich sind sie damit zugleich theologische „Negativfolien“ für die von Hieronymus vertretenen Ideale. Mit Reichtum, Ansehen, ehelicher Bindung u.a. werden dem Leser/der Leserin Lebensentwürfe präsentiert, die den Lebenswegen der porträtierten Heiligen in Askese, Anachorese und Keuschheit diametral entgegenstehen und somit ihre jeweilige, mehr oder weniger explizit dargestellte „Flucht“ vor dem Alten in das Neue begründen. Ein anderes Bild zeigt sich jedoch in der Vita Pauli: Zwar beginnt auch der für die Darstellung eines christlichen Vorbilds relevante Lebensabschnitt des Paulus mit einer Flucht, diese steht jedoch in keinem direkten Zusammenhang mit dem Wenigen, was über seine Herkunft mitgeteilt wird. Im Gegensatz zur Vita Malchi, in der das Verhalten der Eltern Auslöser für die Flucht des Protagonisten ist, sind die Eltern des Paulus zu Beginn seines anachoretischen Rückzugs bereits verstorben. Auch die erwähnte Schwester wird von Hieronymus nicht als „Negativfolie“ für den Rückzug des Paulus dargestellt. Dasselbe gilt für die Erbschaft: Nach ihrer Erwähnung in VP 4,1 taucht sie in der Erzählung nicht wieder auf und stellt in keiner Weise den Grund für Paulus’ Rückzug dar. Reichtum ist nicht die Versuchung bzw. die geistliche Bedrohung, der sich der Heilige in der Vita Pauli entziehen muss. Entsprechend wird an keiner Stelle erwähnt, dass Paulus seine Erbschaft verkauft oder an die Armen verschenkt, wie es z.B. explizit von Hilarion erzählt wird und auch in der Vita Antonii eine zentrale Rolle spielt. Elternhaus und Herkunft sind in der Vita Pauli also weder narrative Grundlage noch theologische Negativfolie für „die Taten“ des christlichen Helden. Diese Funktion wird vielmehr von den nicht umsonst in den ersten Kapiteln (VP 2f.) ausführlich 182 Vgl. Hier., ep. 108,6,2 (CSEL 55, 310,21 HILBERG); wobei Hieronymus betont: [N]on domus, non liberorum, non familiae, non possessionum, non alicuius rei, quae ad saeculum pertinet, memorsola – si dici potest – et incomitata ad heremum Antoniorum atque Paulorum pergere gestiebat (Hier., ep. 108,6,2 [CSEL 55, 311,4–7 HILBERG]). 183 Vgl. Hier., v. Malchi 3,1 (SC 508, 188,2–6 MORALES). 184 Vgl. Hier., v. Malchi 3,1 (SC 508, 188, 4f. MORALES).
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beschriebenen Christenverfolgungen erfüllt (s.u. III.5.10). Sie nämlich sind Hintergrund für die Entscheidung des Paulus, als Erster ein monastisches Wüstenleben aufzunehmen. Entsprechend benötigt Hieronymus in der Vita Pauli weder narrativ noch theologisch eine ausgiebige Beschreibung von Elternhaus und Kindheit. Mit diesem Negativergebnis – zum einen hinsichtlich der narrativen Funktion der Herkunfts-Details für die Entwicklung der Handlung in der Vita Pauli, zum anderen hinsichtlich besagter Details als theologischer Negativfolie –, zusammen mit den Erkenntnissen, dass in asketischen Kreisen ohnehin ein Desinteresse an (körperlichem) Entstehen und Entwickeln vorherrschte, und nicht etwa die Herkunft, sondern ausschließlich die Taten des Heiligen von hagiographischem Interesse sind, stellt sich umso dringlicher die Frage, was mit den wenigen angegebenen Daten zu Herkunft und Familie des Paulus überhaupt beabsichtigt ist. 2.3. Topoi und Anspielungen Deutlich ist zunächst, dass Hieronymus mit den wenigen Angaben über die Herkunft des Paulus wesentliche Topoi bedient, die im Zusammenhang mit Personen- bzw. Lebensbeschreibungen zu erwarten gewesen wären. Für die rhetorische Theorie hatte Cicero (106–43 v. Chr.185) eben solche „Stellen“ für die Darstellung von Personen im Kontext einer argumentatio der Rede festgelegt. Inhaltlich zu entfalten waren laut Cicero in De Inventione: [N]omen, natura, uictus, fortuna, habitus, affectio, studia, consilia, facta, casus, orationes186, wobei sich die natura der Person weiter präzisieren lasse und unter den Gesichtspunkten natio, patria, sexus, cognatio, und aetas 187 zu beleuchten sei. Letztere sind besonders für die Frage nach der Herkunft von Bedeutung. Ausführlicher noch unterbreitete Quintilian (ca. 35–100 n. Chr.188) in seiner systematischen Darstellung des gesamten Gebiets der Rhetorik, der Institutio oratoriae, besagte Topoi bzw. loci. „Abstammung“ (genus) sei dabei ein für die argumenta a persona nicht unwesentlicher Aspekt, nam similes parentibus ac maioribus suis filii plerumque creduntur, et nonnumquam ad honsete turpiterque uiuendum inde causae fluunt 189 . Mit Cicero verweist auch Quintilian auf natio, patria, sexus, aetas, habitus, fortuna, animi natura, studia und nomen und ergänzt den bei Cicero unter der „Lebensweise“ (uictus) subsumierten Topos educatio190 mit disciplina191. Mit 185
Vgl. BRODERSEN, Cicero, 1191–1195. Vgl. Cic., inv. I,34 (TB 50, 74 NÜßLEIN). 187 Vgl. Cic., inv. I,35 (TB 50, 74 NÜßLEIN). 188 Vgl. DINGEL, Quintilianus, 717. 189 Quint., inst. V,10,24 (TzF 2, 556 RAHN). 190 Vgl. Cic., inv. I,35 (TB 50, 76 NÜßLEIN). 186
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diesen loci ist natürlich kein Inhalt festgelegt. Als sedes argumentorum erinnern sie den Autor vielmehr an die Orte, in quibus latent, ex quibus sunt petenda.192 Auch Hieronymus, als klassisch gebildeter Rhetor (s.u. II.3.3), lässt sich anscheinend von diesen für eine biographische Darstellung wesentlichen „Bereichen“, zu denen etwas auszuführen ist, leiten. Wenn auch in äußerster Knappheit, so werden die von Cicero und Quintilian genannten loci in der Vita Pauli weitestgehend aufgenommen: Nebst dem bereits in VP 1,2 genannten nomen ist mit den Hinweisen auf Theben (VP 1,4; 4,1) und auf Paulus´ koptische Sprachkenntnisse (VP 4,1) natio bzw. patria angedeutet. Mit der Schwester iam uiro tradita und den Eltern ist die cognatio erwähnt. Das Alter (aetas) des Paulus, annorum circiter sexdecim, wird explizit genannt. Entsprechend der Erläuterung Ciceros, in fortuna quaeritur, […] pecuniosus an tenuis193, ist mit der begüterten Erbschaft die Frage nach der fortuna des Paulus beantwortet; mit seiner Bildung tam Graecis quam Aegyptiacis ist der Topos educatio bedient; der mansues animus bezeichnet den habitus bzw. die animi natura des Paulus und seine affectio kommt schließlich in der Tatsache zum Ausdruck, dass er „Gott sehr liebte“ (Deum ualde amans). Mit der Aufnahme der biographischen loci erfüllt Hieronymus also Erwartungen: Seiner rhetorisch gebildeten und literarisch versierten Leserschaft ist mit den vertrauten Mustern der Eindruck eines geordneten Vorgehens vermittelt. Dabei trägt die konkrete inhaltliche „Füllung“ jener Gemeinplätze außerdem dazu bei, an die Lebensrealität seiner Leserschaft (s.o. II.4.2) anzuknüpfen: Mit der Anspielung auf Eltern, die in der Lage sind, dem Helden eine begüterte Erbschaft zu hinterlassen, und auf ein Landgut, auf das sich der Protagonist bei Bedarf zurückziehen kann, sind Gemeinplätze der klassischen Literatur unterbreitet194, die Paulus als Geistesverwandten der aristokratischen Asketen der römischen Oberschicht beschreiben.195 Nicht zuletzt ist mit diesem biographischen Einstieg auch die Vita Antonii ins Gedächtnis gerufen. Von Antonius heißt es nämlich in der Hieronymus und seinen Leser/Leserinnen wahrscheinlich bekannteren Übersetzung des Evagrius: Post mortem autem parentum, annorum circiter decem et octo seu uiginti, cum sorore admodum paruula derelictus, et domus et sororis honestam curam gerebat.196 Wie in der Vita Pauli, so wird also auch in der 191
Vgl. Quint., inst. V,10,23–31 (TzF 2, 556–558 RAHN). Vgl. Quint., inst. V,10,20 (TzF 2, 554 RAHN). 193 Cic., inv. I,34 (TB 50, 76 NÜßLEIN). 194 Vgl. MORALES, Texte, 151, Anm. 6. 195 Vgl. GEMEINHARDT, Bildung, 261. 196 Evagr., v. Anton. 2 (160,40f. BERTRAND); vgl. Ath., v. Anton. 2,1 (SC 400, 132,1–4 BARTELINK): Μετὰ δὲ τὸν θάνατον τῶν γονέων, αὐτὸς μόνος κατελείφθη μετὰ μιᾶς 192
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Vita Antonii von dem Tod der Eltern berichtet. Es erfolgt in beiden Texten eine Erwähnung des Alters des Protagonisten und der Hinweis auf eine Schwester. Auch zur haereditas locuples des Paulus gibt es in der Vita Antonii Entsprechungen: Zwar bezeichnet der Übersetzer Evagrius den Besitz des Antonius nicht explizit als Erbe – anders als Athanasius, der gleich zu Beginn die περιουσία αὐτάρκης197 der Eltern des Antonius hervorhebt (wohingegen Evagrius an dieser Stelle lediglich von den Eltern als nobiles spricht 198 ), und auch später in der Erzählung, als Antonius sein Vermögen verschenkt, betont, dass es sich um die Besitztümer (κτήσεις) ἐκ προγόνων handelt (wohingegen Evagrius schlicht von den possessiones quae habebat spricht). Doch aus der Erzählung um das Verschenken des Besitzes geht gerade auch bei Evagrius hervor, dass Antonius (wie Paulus) nicht aus armen Verhältnissen stammte. Schließlich hatte er arurae trecentae uberes et ualde optime zu verteilen.199 Auch die nur kurz in der Vita Pauli erwähnten charakterlichen Eigenschaften des Paulus, nämlich dass er „eine sanftmütige Seele hatte und Gott sehr liebte“, spielen auf die Beschreibung des Antonius an. Über seinen Charakter wird in der Vita Antonii zwar deutlich ausführlicher berichtet, der Kern der von Athanasius gebotenen Charakterisierung trifft jedoch genau das, was Hieronymus hier über Paulus aussagt. 200 Mit diesen Parallelen wird dem Leser/der Leserin Antonius in Erinnerung gerufen. Paulus ist damit zunächst nicht anders als Antonius. Die unterschiedlichen Aspekte ihrer späteren Wüstenexistenz lassen sich demnach, aufgrund vergleichbarer „Herkunft“ als Basis, in ein Verhältnis bringen. 2.4. Eine ethisch-theologische Spannung Neben den Parallelen verdienen auch die teils subtilen Unterschiede in den jeweiligen Darstellungen der Herkunft des Antonius und des Paulus Auf-
βραχυτάτης ἀδελφῆς· καὶ ἦν ἐτῶν ἐγγὺς δέκα καὶ ὀκτὼ ἢ καὶ εἴκοσι γεγονώς, αὐτός τε τῆς οἰκίας καὶ τῆς ἀδελφῆς ἐφρόντιζεν. 197 Ath., v. Anton. 1,1 (SC 400, 130,2 BARTELINK). 198 Vgl. Evagr., v. Anton. 1 (160,31 BERTRAND). 199 Vgl. Evagr., v. Anton. 2 (161,50 BERTRAND); vgl. Ath., v. Anton. 2,4 (SC 400, 134,21f. BARTELINK): [Ἄ]ρουραι δὲ ἦσαν τριακόσιαι εὔφοροι καὶ πάνυ καλαί. 200 Der Charakter des Antonius wird ausführlich in Ath./Evagr., v. Anton. 4 dargestellt. Dabei wird berichtet, dass Antonius die jeweiligen guten Eigenschaften von verschiedenen Vorbildern übernahm: [H]uius continentiam, iucunditatem illius sectabatur, istius lenitatem, illius uigilias, alterius legendi aemulabatur industriam, istum ieiunantem, illum humi quiescentem mirabatur, alterius patientiam, alterius mansuetudinem praedicabat. Omnium quoque uicariam erga se retinens charitatem, atque uniuersis uirtutum partibus irrigatus, ad sedem propriam regrediebatur (Evagr., v. Anton. 4 [161,73–78 BERTRAND]); vgl. Ath., v. Anton. 4,1f. (SC 400, 140,5–13 BARTELINK).
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merksamkeit 201 : Dabei fällt vor allem das unterschiedliche Verhältnis der Asketen zu ihren Schwestern auf. Von Antonius wird erzählt, dass er eine ganz kleine Schwester (soror admodum paruula) hat, für die er nach dem Tod der Eltern verantwortlich ist.202 Nur sechs Monate nach dem Tod der Eltern erhält Antonius mit einem in der Kirche verlesenen Bibelwort den entscheidenden Anstoß für den Entschluss, mit einem asketischen Leben zu beginnen. Daraufhin verschenkt er zunächst seine ländlichen Besitztümer, die er nun als potentielle molestia sowohl für sich als auch für seine Schwester empfindet.203 Als Verantwortlicher für seine Schwester trifft er also auch für sie eine Entscheidung, die, seiner religiösen Auffassung entsprechend, ihrem geistlichen Wohl dienen soll: Auch das Heil seiner Schwester soll nicht durch die Last des Besitzes gefährdet werden. In Anbetracht seiner Interpretation des im Gottesdienst gehörten Bibelworts, das „Vollkommenheit“ (perfectus esse) und einen Schatz im Himmel (thesaurus in caelis) denjenigen verspricht, die alles an die Armen verschenken (vgl. Mt 19,21)204, ist die Entscheidung des Antonius für seine Schwester aus seelsorgerischer Sicht nur konsequent. Erstaunlicherweise schränkt Athanasius, und mit ihm Evagrius, eben jene radikale Konsequenz jedoch unmittelbar wieder ein, indem darauf hingewiesen wird, dass Antonius seine übrigen Besitztümer, quae in mobilibus possidebat, verkaufte und einen Teil des Erlöses ob sororem beiseite legte, wobei Evagrius noch begründend ergänzt, dass die Schwester schließlich et sexu, et aetate infirmior sei.205 Damit also ist der theologischen Aussage dieser Passage, die auf eine grundsätzliche Schädlichkeit des Besitzes verweist, eine zweite Wertvorstellung zur Seite gestellt: die Verantwortung des Antonius für seine Schwester, der er offensichtlich nicht die gleiche Härte einer radikalen Askese zumuten kann, selbst wenn ihrem Heil damit am besten gedient wäre. Entsprechend sorgt er um die Finanzierung ihres Lebensunterhalts.
201 Zur unterschiedlichen Darstellung der Bildung der Protagonisten in der Vita Antonii und der Vita Pauli s.u. III.3.7. 202 Evagr., v. Anton. 2 (160,40f. BERTRAND); vgl. Ath., v. Anton. 2,1 (SC 400, 132,1–4 BARTELINK). 203 Evagr., v. Anton. 2 (160,41–161,51 BERTRAND); vgl. Ath., v. Anton. 2,2–4 (SC 400, 132,4–134,24 BARTELINK). 204 Evagr., v. Anton. 2 (161,46–48 BERTRAND): Si uis perfectus esse, uade, et uende omnia tua quaecumque habes, et da pauperibus, et ueni, sequere me, et habebis thesaurum in caelis. 205 Evagr., v. Anton. 2 (161,51–53 BERTRAND); bei Athanasius heißt es hier lediglich: Τὰ δὲ ἄλλα ὅσα ἦν αὐτοῖς κινητά, πάντα πωλήσας καὶ συναγαγὼν ἱκανὸν ἀργύριον, διέδωκε τοῖς πτωχοῖς, τηρήσας ὀλίγα διὰ τὴν ἀδελφήν (Ath., v. Anton. 2,5 [SC 400, 134,24–26 BARTELINK]).
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Diese Spannung bleibt auch weiterhin in der Vita Antonii spürbar, besonders aber im Zusammenhang mit der anschließenden Steigerung der Askese des Antonius in der Anachorese. Als Verwirklichung der jesuanischen Aufforderung, sich nicht „um das Morgen zu sorgen“ (nolite cogitare de crastino206) (vgl. Mt 6,34), fühlt sich Antonius dazu berufen, alles hinter sich zu lassen und letztlich in die Einsamkeit der Wüste zu ziehen. Damit aber geraten besagte Wertvorstellungen in einen nicht mehr zu überbrückenden Konflikt: Auf der einen Seite steht das Ziel einer „sorglosen“ Abwendung von allen Bindungen als Vervollkommnung der Nachfolge, auf der anderen Seite die familiäre Zuwendung in der Sorge um die Schwester. Für Antonius lässt sich der Konflikt nur durch eine Entscheidung für einen der beiden Pole lösen: Antonius übergibt seine Schwester der Obhut einer Gruppe von Jungfrauen und widmet sich selbst, nun endlich omnibus saeculi uinculis liber, in steigendem Maß der Askese.207 Doch damit ist die Spannung nicht aufgelöst. Als primäre Versuchung des Satans bleibt die Erinnerung an, die Sorge um und das Verlangen nach verwandtschaftlichen Beziehungen, besonders hinsichtlich der defensio sororis, durchwegs bestehen. 208 Entsprechend steht bereits das erste anachoretische Vortasten des Antonius in locis paululum a uilla remotioribus209 im Zeichen der Festigung des Geistes gegen die Erinnerung an das ops paternarum und an das affinium suorum.210 Mit dem Beispiel der Schwester wird deutlich, dass die Ideale der Askese und der Anachorese als Brüche mit gesellschaftlichen Strukturen unweigerlich zu ethischen Konflikten mit sozialen Verantwortungen führen. Dass dieser Aspekt auch für den spätantiken Leser/die spätantike Leserin eine Rolle gespielt hat, zeigt allein schon die apologetische Manier, in der dieses Thema immer wieder aufgegriffen wird. So wird in der Vita Antonii nicht umsonst betont, dass die Schwester natürlich bei „zuverlässigen und bekannten Jungfrauen“ (fideles ac notae uirgines) untergebracht war, ut ad earum nutriretur exemplo.211 Die Schwester ist dort nicht nur in leiblicher Hinsicht gut aufgehoben, es ist zudem für ihr geistliches Wohl gesorgt, so der implizierte Subtext. Bestätigt wird ihr Wohlbefinden zu einem späteren Zeitpunkt in der Erzählung. Nach langer Zeit nämlich sieht Antonius seine Schwester wieder und ist außerordentlich erfreut, dass sie inzwischen zur uetula uirgo 206
Evagr., v. Anton. 3 (161,54f. BERTRAND). Vgl. Evagr., v. Anton. 3 (161,56–58 BERTRAND). 208 Vgl. Evagr., v. Anton. 5 (162,87–92 BERTRAND). Noch vor zahlreichen anderen Versuchungen des Satans und einzig nach der μνήμη τῶν κτημάτων (Evagrius: memoria possessionum) betont auch Athanasius, v. Anton., 5,2 (SC 400, 142,4–11 BARTELINK) die κηδεμονία τῆς ἀδελφῆς und die οἰκειότης τοῦ γένους. 209 Evagr, v. Anton., 3 (161,62 BERTRAND). 210 Vgl. Evagr, v. Anton., 3 (161,66f. BERTRAND). 211 Evagr, v. Anton., 3 (161,56f. BERTRAND). 207
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herangereift und zur magistra anderer jungen Frauen geworden ist.212 Evagrius, in Übereinstimmung mit Athanasius, betont also, dass Antonius selbst als bereits bewährtem Asketen das Wohl seiner Schwester weiterhin am Herzen lag. Trotz aller Weltabwendung und der dämonischen Versuchung familiärer Bindungen bleibt das Verantwortungsgefühl bei Antonius bestehen. Erzählerisch ist die Spannung zwar aufgelöst – schließlich erweisen sich alle Entscheidungen des Antonius, auch für seine Schwester, als letztendlich richtig und gut –, der apologetische Unterton und der damit einhergehende Erklärungsbedarf bleiben jedoch stets deutlich spürbar. Mit dieser in der Vita Antonii anhand des Themas der Schwester entdeckten Grundspannung zwischen den Wertvorstellungen der Anachorese auf der einen und der familiären Verantwortung auf der anderen Seite ist ein Konflikt identifiziert, der sich immer wieder in den Werken des Hieronymus niederschlägt. Bis an sein Lebensende war Hieronymus bekanntlich ein feuriger Verfechter des anachoretischen Rückzugs, der grundsätzlich auch vor dem Bruch mit Ehe, Familie und Verwandtschaft nicht zurückschreckte. Im Gegenteil, besonders in seiner brieflichen Korrespondenz warb er intensiv für die Vorteile der Abwendung von familiären Bindungen um einer monastischen Freiheit willen. Seine Warnung galt dabei vor allem den freiwillig eingegangenen Bindungen bzw. den durch Ehe und Familiengründung selbst hervorgebrachten Verantwortlichkeiten. Noch Jahre nach der Abfassung der Vita Pauli warnt er z.B. in einem besonders markanten Brief an die Witwe Furia213 vor den zahlreichen Nachteilen der ehelichen Bindung in drastischen Bildern. Die Ehe, so Hieronymus dort, sei zu vergleichen mit schädlichen Speisen (acescentes et morbidus cibus) für den Körper214 und mit Fußangeln und Netzen (pedicas retiaque) zum Fangen von Tieren.215 Die vermeintlichen Sicherheiten einer Ehe verlangten dabei von der Frau den zu hohen Preis, sich und ihre Kinder einem Tyrannen zu unterwerfen.216 Ganz im Sinn der Präferenz des Apostels Paulus, ein ehelich ungebundenes Lebens zu führen (vgl. 1 Kor 7,25–40), warnt Hieronymus auch die junge Witwe Geruchia in einem 409 verfassten Brief217 vor den uincula der Ehe218 und empfiehlt als absolutum 212 Vgl. Evagr, v. Anton., 54 (178,785–787 BERTRAND); vgl. Ath., v. Anton. 54,8 (SC 400, 280,27–30 BARTELINK). 213 Der Brief wurde den eigenen Angaben des Hieronymus zufolge (vgl. Hier., ep. 54,18,3 [CSEL 54, 485,17f. HILBERG]) etwa zwei Jahre nach seiner Streitschrift gegen Jovinian verfasst und ist somit in das Jahr 395 zu datieren; vgl. Schade, Briefe I, 149. 214 Vgl. Hier., ep. 54,4,1 (CSEL 54, 468,19–469,3 HILBERG). 215 Vgl. Hier., ep. 54,4,1 (CSEL 54, 469,4–6 HILBERG). 216 Vgl. Hier., ep. 54,15,1f. (CSEL 54, 481,20–482,5 HILBERG). 217 Vgl. SCHADE, Briefe I, 187. 218 Hier., ep. 123,5,2 (CSEL 56, 76,18–22 HILBERG): [E]rgo matrimonium uinculum est et uiduitas solutio. uxor alligata est uiro et uir alligatus uxori in tantum, ut sui corporis
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bonum so zu sein, wie der Apostel ist: [S]olutum, non ligatum, nec seruum sed liberum.219 Diese Freiheit, so Hieronymus, sei nur in dem anachoretischen Leben verwirklicht. Paradebeispiel für die Flucht vor Ehe und Familie ist der Mönch Malchus. Als drohende Versuchung zeichnet Hieronymus die Rückkehr zur Familie und den Zwang zur Ehe wie ein Damoklesschwert, das über dem Helden hängt, in den gesamten Spannungsbogen der Erzählung ein. Tatsächlich entfaltet sich die eigentliche Handlung der Vita Malchi überhaupt erst als Resultat des von seinem Abt als diaboli temptatio 220 gedeuteten Wunsches des Malchus, zu seiner Mutter zurückzukehren, um sie in ihrer Witwenschaft zu trösten.221 Hinter der honesta rei occasio steckten die antiqui hostis astutiae222, weshalb sich die düstere Warnung des Abtes, dass sich Malchus mit seiner Rückkehr ins Verderben stürze223, mit seiner Gefangennahme und Verschleppung im weiteren Verlauf der Geschichte als geradezu prophetisch erweist: Ouis quae de ouili egreditur, lupi statim morsibus patet. 224 Wie bereits in seiner Ermahnung der Witwe Furia, sich vor der Rückkehr zu familiären Strukturen und Sicherheiten zu hüten, so zieht Hieronymus auch in diesem Zusammenhang den 2. Petrusbrief (2,22) als drastischen Vergleich hinzu: Hoc esse, reuerti canem ad uomitum suum.225 Als noch radikaleres Vorbild für die Trennung von der Familie lobt Hieronymus das Beispiel der Paula: Ihrem Entschluss folgend, sich in die Einsamkeit zurückzuziehen, begibt sich Paula, gefolgt von ihren Kindern und Verwandten, zum Hafen, von wo aus sie mit dem Schiff ihre Reise antreten will. Ausführlich beschreibt Hieronymus dabei die Abschiedsszene, wie ihr kleiner Sohn Toxotius am Ufer bittend die Hände ausstreckte226 und wie Rufina, iam nubilis, die Mutter tacens fletibus beschwört, doch wenigstens die bevorstehende Hochzeit abzuwarten. 227 Paula aber, trockenen Auges und mit zum Himmel gerichteten Blick (siccos oculos tendebat ad caelum228), bleibt standhaft bei ihrem Entschluss und lässt Kinder und Verwandte am Hafen zurück. non habeant potestatem et alterutrum debitum reddant nec possint habere pudicitiae libertatem qui seruiunt dominatui nuptiarum. 219 Hier., ep. 123,5,1 (CSEL 56, 76,7–9 HILBERG). 220 Hier., v. Malchi 3,6 (SC 508, 190,22 MORALES). 221 Vgl. Hier., v. Malchi 3,5 (SC 508, 190,15–17 MORALES). 222 Vgl. Hier., v. Malchi 3,6 (SC 508, 190,23f. MORALES). 223 Vgl. Hier., v. Malchi 3,6 (SC 508, 192,30 MORALES). 224 Hier., v. Malchi 3,8 (SC 508, 192,36f. MORALES). 225 Hier., v. Malchi 3,6 (SC 508, 190,4 MORALES); vgl. Hier., ep. 54,4,1 (CSEL 54, 469,3f. HILBERG): [C]anis reuertens ad uomitum et sus ad uolutabrum luti. 226 Hier., ep. 108,6,3 (CSEL 55, 311,12 HILBERG). 227 Hier., ep. 108,6,3 (CSEL 55, 311,12f. HILBERG). 228 Hier., ep. 108,6,3 (CSEL 55, 311,14 HILBERG).
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Mit der radikalen Entschlossenheit der Paula, alles hinter sich zu lassen, um der Nachfolge Christi willen, ist Paula für Hieronymus eine heiligmäßige Verwirklichung des von ihm vertretenen Ideals der Anachorese. Doch gerade in dieser Erzählung, voll des überschwänglichen Lobs für die Mutter, die sich um Christi willen sogar von ihren Kindern trennt, zeigt sich zugleich mit aller Klarheit der damit hervorgerufene Konflikt, dessen sich Hieronymus durchaus bewusst war: Bei aller vorbehaltlosen Bejahung der Entscheidung seiner Heldin Paula ist Hieronymus erzählerisch deutlich darum bemüht, dem offensichtlichen Anstoß, den gerade die Abwendung einer Mutter von ihren Kindern provoziert, in apologetischer Manier entgegen zu wirken: Keinesfalls nämlich, so beteuert Hieronymus, ist seine Heldin kühl oder gar indifferent. Im Gegenteil, den immensen Schmerz der Trennung, der ihr förmlich die Innereien verdreht (torquebantur uiscera), bekämpft sie quasi a suis membris distraheretur. 229 Dabei wird ihr Leiden (pati) als contra iura naturae beschrieben 230 , und zur Veranschaulichung verweist Hieronymus sogar auf den verschleppten Sklaven, für den das Schlimmste an seiner Gefangenschaft die Trennung von seinen Kindern sei (nihil crudeliter est quam parentes a liberis separari231). Es stehe fest, so Hieronymus, dass keine Mutter ihre Kinder so sehr liebte wie Paula232, weshalb sie letztendlich den Abschied auch nur mit abgewendeten Augen ertragen kann (ne uideret, quos sine tormento uidere non poterat233). Die Geschichte soll zeigen, dass keine Bindung der Bindung an Christus zuvorkommen darf. Entsprechend gilt für Paula: Nesciebat matrem, ut Christi probaret ancillam. Der erzählerische Aufwand verweist jedoch deutlich auf den dabei im Hintergrund stehenden ethischen Konflikt zwischen eben jener pietas in deum und der pietas in filios.234 Auf diesen inneren Konflikt deutet Hieronymus sogar mit Blick auf seinen eigenen Rückzug. In einem Brief an Heliodor, den er während seines Aufenthalts in der Chalkis verfasste, gesteht er, dass er sich durchaus der großen Schwierigkeiten bewusst sei, die mit dem Entschluss zur familiären Abwendung einhergingen, schließlich habe er sie selbst erfahren und sei zudem keinesfalls gefühllos: [N]on est nobis ferreum pectus nec dura praecordia, non ex scilice natos Hyrcanae nutriere tigrides 235 . Auch für die durchaus 229
Vgl. Hier., ep. 108,6,4 (CSEL 55, 311,16f. HILBERG). Vgl. Hier., ep. 108,6,4 (CSEL 55, 311,19f. HILBERG). 231 Hier., ep. 108,6,4 (CSEL 55, 311,18f. HILBERG). 232 Vgl. Hier., ep. 108,6,5 (CSEL 55, 312,4f. HILBERG). 233 Hier., ep. 108,6,5 (CSEL 55, 312,3f. HILBERG). 234 Vgl. Hier., ep. 108,6,3 (CSEL 55, 311,14f. HILBERG). 235 Hier., ep. 14,3,1 (CSEL 54, 47,10f. HILBERG); vgl. Verg., Aen. IV,366f. (TB 193, 170 FINK): [S]ed duris genuit cautibus horrens Caucasus Hyrcanaeque admorunt ubera tigres. 230
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nachvollziehbaren Ansprüche der Angehörigen zeigt er Verständnis: So die uidua soror, aber auch die Haussklaven, die fragen: [C]ui nos seruituros relinquis? Anspruch erhebt auch das bereits alt gewordene Kindermädchen (gerula); und der Erzieher (nutricius), der nach dem pater naturalis am meisten Anrecht auf pietas hat, bittet: [M]orituros expecta paulisper et sepeli! Natürlich erinnert auch die alt gewordene Mutter an die Kinderlieder von früher. Und die grammatici vervollständigen den Chor, indem sie anmahnen: [I]n te omnis domus inclinata recumbit!236 Für die argumentative Ausrichtung des Briefs werden all diese Ansprüche natürlich als Fesseln gedeutet, die durch die Liebe zu Christus (amor Christi) und die Furcht vor der Hölle (timor gehennae) leicht gesprengt werden können. 237 Doch an eben solchen Stellen wird zugleich deutlich, dass sich Hieronymus einer Spannung bewusst ist, deren einseitige Auflösung argumentativer Anstrengung und ausführlicher Begründung bedarf. Schließlich handelt es sich durchaus auch um einen „inner-biblischen“ Konflikt: Wer seine Verwandten mehr liebt als Christus, vernichtet seine Seele (perdit animam suam) – so das stets forcierte Argument für die eine Seite (vgl. z.B. Lk 9,23–25.57–62 par.). Doch zum anderen verlange die Schrift auch, so Hieronymus in Anspielung auf Ex 20,12, dass man den Eltern gehorchen solle (scriptura praecipit parentibus obsequendum).238 Mit Blick auf das vierte Gebot, honora patrem tuum et matrem tuam, das für Hieronymus stellvertretend für familiäre Verantwortung im Allgemeinen steht 239, ist er immer auch darum bemüht, den Eindruck zu vermeiden, die Entscheidung zum asketischen Leben gehe auf Kosten der Familie. Sein weiterhin ungeschmälert radikaler Aufruf zur Anachorese wird demnach stets in ein möglichst spannungsfreies Verhältnis zur biblisch gebotenen Verantwortlichkeit gesetzt. Prinzipiell dürfe der Rückzug aus familiärer Bindung nicht verantwortungslos geschehen. Gerade deshalb warnt er Geruchia und Furia davor, sich erneut auf familiäre Bindungen im Rahmen einer zweiten Ehe einzulassen. Seine Argumente in dem Brief an Geruchia orientiert er dabei an dem 5. Kapitel des 1. Timotheusbriefes, der den Spitzensatz enthält: „Wenn aber jemand die Seinen und die Hausgenossen nicht versorgt, hat er den 236 Vgl. Hier., ep. 14,3,2f. (CSEL 54, 47,12–48,4 HILBERG); vgl. Verg., Aen. XII,59 (TB 193, 562 FINK). 237 Vgl. Hier., ep. 14,3,3 (CSEL 54, 48,4f. HILBERG). 238 Vgl. Hier., ep. 14,3,4 (CSEL 54, 48,5f. HILBERG). 239 Hieronymus bringt das biblische Gebot auch in der Unterweisung der Geruchia gewissermaßen als „ausgleichendes“ Argument an. Hier dient es ihm dazu, die jungen Witwen zu ermahnen, ihre Askese mit Arbeit zu ergänzen, um der Kirche nicht zur Last zu fallen: „Vater und Mutter“ werden versorgt, indem trotz asketischem Ausstiegs aus familiären Bindungen, Verantwortung für liberi ac propinqui, für das Gemeinwohl übernommen wird (vgl. Hier., ep. 123, bes. 5,6–8 [CSEL 56, 78,1–22 HILBERG]).
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Glauben verleugnet und ist schlimmer als ein Heide“ 240 (1.Tim 5,8) – die Angehörigen und die Hausgenossen müssen versorgt sein! Das gelte für den Mann mit Blick auf seine Ehefrau, wie es Hieronymus z.B. in einem Brief an Paulinus von Nola betont, den er darauf hinweist, dass er nun, wo er bereits an seine Ehefrau regelrecht mit Fesseln gebunden sei (ligatus es uinculo), nicht mehr völlig ungehindert seinen Weg gehen könne (non penitus expedito pergis gradu).241 Das gelte aber auch für die Witwe, deren Priorität es sein müsse, solange körperlich möglich, ihr Haus zu bewirtschaften (domum suam colere) und die ihr von ihren Eltern erwiesenen Wohltaten zu vergelten (remunerari parentes). 242 So leidenschaftlich sich Hieronymus also für die Anachorese mit ihrer „Befreiung“ aus allen sozialen Zwängen stark macht, so sehr betont er zugleich die mit einer solchen Entscheidung einhergehende Verantwortung. Entsprechend endet auch die Abschiedsszene der Paula am Hafen mit dem expliziten Hinweis darauf, dass Paula ihre Kinder mit ihrem Fortgang natürlich nicht im Stich lässt. Im Gegenteil, vor ihrer Abreise schenkte sie ihnen alles (cuncta largita est).243 Hieronymus selbst sah sich besonders aufgrund einer eigenen Schwester in besagtem Konflikt. Seine Familie hatte er zwar tatsächlich hinter sich gelassen und zumindest seine Eltern offenbar nie wieder gesehen und sie auch niemals wieder erwähnt. 244 Seine Schwester, für die er sich offensichtlich verantwortlich fühlte, taucht in seinen Briefen hingegen immer wieder auf. Nach eigenem Bekunden sorgte er sich sehr um sie: [H]uic ego [...] omnia etiam tuta timeo.245 Ihre Bekehrung rechnete er einem gewissen Diakon Julian zu ([s]oror mea sancti Iuliani in Christo fructus est), wie er es seinen Freunden in Aquileia schreibt, die er darum bittet, sich weiterhin um die Schwester zu kümmern: [I]lle plantauit, uos rigate, dominus incrementum dabit.246 Freude bekundet er über gute Nachrichten von Julian über seine Schwester (sororem meam, filiam in Christo tuam, gaudeo te primum nuntiante in eo permanere, quo coeperat) und, da er dort, wo er sich selbst aufhalte, nicht einmal wisse, was in seiner Vaterstadt vorgehe, geschweige denn, ob sie überhaupt noch bestehe (ubi nunc sum, non solum quid agatur in patria, sed an ipsa patria perstet, ignoro), bittet er Julian, auch weiterhin auf das Heil (salus) der Schwester hinzuwirken. 247 Auch Hieronymus selbst zeigt damit 240
[Ε]ἰ δέ τις τῶν ἰδίων καὶ μάλιστα οἰκείων οὐ προνοεῖ, τὴν πίστιν ἤρνηται καὶ ἔστιν ἀπίστου χείρων. 241 Vgl. Hier., ep. 58,6,1 (CSEL 54, 535,5f. HILBERG). 242 Vgl. Hier., ep. 123,5,6 (CSEL 56, 77,16f. HILBERG). 243 Vgl. Hier., ep. 108,6,5 (CSEL 55, 312,5 HILBERG). 244 Vgl. VON CAMPENHAUSEN, Kirchenväter, 112; BRUNERT, Wüstenaskese, 75. 245 Hier., ep. 7,4,1 (CSEL 54, 29,12f. HILBERG). 246 Vgl. Hier., ep. 7,4,1 (CSEL 54, 29,12f. HILBERG). 247 Vgl. Hier., ep. 6,2,1f. (CSEL 54, 25,7–17 HILBERG).
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also, dass sein Rückzug, so sehr er ihn auch immer wieder in radikalen Ausmaßen stilisiert, nicht spannungsfrei und ohne Rückbindung an seine Familie und die damit einhergehenden Verantwortungen erfolgte. Insgesamt stellte für Hieronymus selbst, wie auch für Antonius und für Paula, Furia, Geruchia und Heliodor der Umgang mit der eigenen Familie einen deutlichen Konflikt dar, der jeweils literarisch mehr oder weniger explizit thematisiert und apologetisch aufgearbeitet werden musste. Ganz anders dagegen der Befund in der Vita Pauli: Mit der Erwähnung der Eltern und der Schwester des Paulus wird hier keinesfalls ein Konflikt evoziert. Im Gegenteil, mit dem Hinweis darauf, dass die Schwester bereits „einem Mann übergeben worden war“ (uiro tradita), wird eine potentielle Spannung geradezu im Keim erstickt: Als uiro tradita gehört die Schwester des Paulus nicht mehr in den Verantwortungsbereich des Eremiten; sie ist durch ihren Mann versorgt. Gleiches gilt für den Hinweis auf den Tod der Eltern. Auch damit ist der Protagonist der Vita frei, sich einem anachoretischen Leben zu widmen, ohne dabei etwaige familiäre Verantwortungen zu vernachlässigen. Beide Hinweise – Tod der Eltern und Vermählung der Schwester – fallen besonders im Verhältnis zu dem insgesamt minimalistischen Umfang der Aussagen über Herkunft und Familie des Paulus auf. Die Erwähnungen von Eltern und Schwester an sich lassen sich als Topoi leicht erklären. Die ergänzenden Hinweise auf Vermählung der Schwester und Tod der Eltern scheinen hingegen auf den ersten Blick geradezu nebensächlich. Mit einer hagiographischen Kontextualisierung dieser Bemerkungen, bzw. einer Einbettung dieser Aussagen in „ihren“ hagiographischen Diskurs, zeigt sich aber, dass Hieronymus damit einen das anachoretische Ideal geradezu stigmatisierenden theologischethischen Konflikt umgeht. Neben ihrer topischen Funktion werden Schwester und Eltern also anscheinend aus eben diesem Grund genannt – schließlich erfährt der Leser/die Leserin sonst nichts über diese Familienmitglieder, außer eben, dass sie für den Rückzug des Paulus kein moralisches Hindernis darstellen.248 Mit der Nennung der Schwester an sich hatte Hieronymus Antonius in Erinnerung gerufen. Mit dem kleinen Detail der Vermählung zusammen mit dem Tod der Eltern markiert Hieronymus jedoch einen wesentlichen Unterschied: Viel deutlicher noch als bei Antonius vernachlässigt Paulus bei seinem Gang in die Wüste keinerlei familiäre Verantwortung. Die spürbare Spannung in der Vita Antonii, der Athanasius mit zahlreichen Hinweisen 248 Ähnliches lässt sich für die Vita Hilarionis sagen. Auch Hilarion wird nämlich erst nach dem Tod seiner Eltern zum radikalen Asketen, zu dem Zeitpunkt also, als er frei ist, seinen gesamten Besitz zu verkaufen (vgl. Hier., v. Hilar. 2,6 [SC 508, 216,26–218,1 MORALES]): [E]t parentibus iam defunctis partem substantiae fratribus, partem pauperibus largitus est.
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entgegenwirken muss, kommt in der Vita Pauli gar nicht erst auf. Paulus ist hier also bereits als der bessere Eremit zu erkennen. Er macht sich weder schuldig mit Blick auf „weltliche“ Moralvorstellungen noch steht er in irgendeiner Weise in einem ambivalenten Verhältnis zur „Vorschrift des Gesetzes“. 2.5. Der senex puer und das „Kind-Werden“ Als weiterer Unterschied zwischen den Darstellungen der Jugend von Antonius und Paulus sticht insgesamt besonders das hervor, was Athanasius, und mit ihm Evagrius, über die Herkunft ihres Helden berichten und was in der Vita Pauli überhaupt nicht angesprochen wird. So wird von Antonius erzählt, dass er bereits als Kind regelmäßig mit seinen Eltern die Kirche besuchte und sich dabei dezidiert nicht wie andere Kinder verhielt: [N]ec infantium lasciuias, nec puerorum negligentiam sectabatur, heißt es bei Evagrius. Antonius hörte vielmehr bei den Lesungen aufmerksam zu und bewahrte den Nutzen der Lehren (utilitas praeceptorum) als Anleitung für sein Leben (uitae institutio).249 Sein Charakter wird bereits als Kind als bescheiden und genügsam beschrieben: [H]is solum quae dabantur contentus, nihil amplius requisiuit. Evagrius betont dabei sogar explizit, dass jene Bedürfnislosigkeit keinesfalls seinem Alter entsprach (non […], ut solet illa aetas).250 Den Hinweis des Athanasius auf den Wunsch des jungen Antonius, ἄπλαστος in seinem Haus zu wohnen251, übersetzt Evagrius so: omni desiderio flagrans […] innocenter habitabat domi252. In beiden Begriffen steckt die Andeutung, dass der Wunsch nach Einfachheit und Askese bereits in dem jungen Antonius angelegt ist. Schon der kleine Antonius will damit also „nicht den für ihn vorgesehenen Platz in seiner Welt einnehmen. […] Stattdessen will er sich von klein auf von der Welt fernhalten und ‚unverbildet‘ bleiben – was ihm letztlich jedoch nicht durch den geistigen, sondern erst durch den physischen Rückzug aus der Zivilisation gelingen wird.“253 Antonius wird also insgesamt
249
Vgl. Evagr, v. Anton., 1 (160,34–37 BERTRAND); vgl. Ath., v. Anton. 1,3 (SC 400, 130,10–14 BARTELINK): Συνήγετο μέντοι μετὰ τῶν γονέων ἐν τῷ κυριακῷ. Καὶ οὔτε ὡς παῖς ἐρρᾳθύμει οὔτε ὡς τῇ ἡλικίᾳ προκόπτων κατεφρόνει, ἀλλὰ καὶ τοῖς γονεῦσιν ὑπετάσσετο καὶ τοῖς ἀναγνώσμασι προσέχων τὴν ἐξ αὐτῶν ὠφέλειαν ἐν ἑαυτῷ διετήρει. 250 Vgl. Evagr, v. Anton., 1 (160,37–39 BERTRAND); vgl. Ath., v. Anton. 1,4 (SC 400, 130,14–18 BARTELINK): Οὔτε δὲ πάλιν ὡς παῖς ἐν μετρίᾳ περιουσίᾳ τυγχάνων ἠνώχλει τοῖς γονεῦσι ποικίλης καὶ πολυτελοῦς ἕνεκα τροφῆς οὔτε τὰς ἐκ ταύτης ἡδονὰς ἐζήτει. Μόνοις δὲ οἷς ηὕρισκεν ἠρκεῖτο καὶ πλέον οὐδὲν ἐζήτει. 251 Vgl. Ath., v. Anton. 1,3 (SC 400, 130,8–10 BARTELINK): Τὴν δὲ ἐπιθυμίαν πᾶσαν εἶχε, κατὰ τὸ γεγραμμένον, ὡς ἄπλαστος οἰκεῖν ἐν τῇ οἰκίᾳ αὐτοῦ. 252 Evagr, v. Anton., 1 (160,33f. BERTRAND). 253 GEMEINHARDT, Antonius, 36.
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als Kind und Jugendlicher gezeichnet, der bereits über die Ernsthaftigkeit und Entscheidungsreife eines Erwachsenen verfügt. Damit scheint die Darstellung des Athanasius weitestgehend dem von Ernst Robert Curtius identifizierten Ideal des puer senex zu entsprechen254, das, Curtius zufolge, als Topos „aus der Seelenlage der Spätantike erwuchs“ 255 : Alle frühen und hohen Zeiten einer Kultur, so Curtius, „preisen den Jüngling und ehren zugleich das Alter. Aber nur späte Zeiten entwickeln ein Menschenideal, in dem die Polarität von Jugend und Alter zu einem Ausgleich strebt.“256 In der lateinischen Literatur findet sich das Ideal des puer senex oder puer senilis bereits bei Cicero, Vergil, Ovid, Plinius und Apuleius. 257 Seine „religiöse und damit anhaltende Begründung und Sinngebung“ habe dieses Ideal jedoch erst vollends in der altchristlichen Literatur erhalten, so Manfred Bambeck258. Als herausragendes Beispiel für die Aufnahme dieses Ideals im christlichen Bereich, das regelrecht zum „hagiographischen Klischee“ wurde, hatte Curtius auf Gregor den Großen verwiesen259, der sein Leben des Benedikt von Nursia mit den Worten eröffnete: Fuit uir uitae uenerabilis, gratia Benedictus et nomine, ab ipso pueritiae suae tempore cor gerens senile260 – von Kindheit an also, so Gregor, hatte Benedikt das Herz eines Greises. Die Aufnahme des puer senex-Ideals in der Darstellung des jugendlichen Antonius lässt Rückschlüsse auf die mit der Figur des Antonius vermittelten Heiligkeitsvorstellungen ziehen – zumindest aber lässt sich sagen, dass eine derart reife Kindheit für Athanasius und mit ihm Evagrius, der diese Stellen nicht erheblich abwandelt, einen integralen Teil des Bildes des Heiligen darstellte. Heiligkeit ist hier bereits in der Kindheit angelegt und „zeigt“ sich entsprechend schon im Verhalten und in der Wirkung des Kindes, auch wenn sich diese Heiligkeit noch nicht vollends entfaltet hat. Ein ähnliches Idealbild ist in der Vita Pachomii vertreten, wobei hier im Vergleich zur Vita Antonii noch eine Verschärfung vorgenommen wird. Entgegen dem bereits von christlichen Eltern und im christlichen Glau-
254
So auch VON DER NAHMER, Heiligenvita, 156. CURTIUS, Literatur, 108. 256 Ibid. 257 Vgl. a.a.O., 109. 258 BAMBECK, Puer, 310. Bambeck verweist dabei besonders auf das Gesamtwerk des Ambrosius, in dem „die Thematik des puer senex bzw. des senex puer in den verschiedensten Zusammenhängen und Kontexten aufscheint“ (ibid.), vermutet jedoch, dass eine systematische Erkundung der wichtigsten christlichen Autoren „sicherlich ein umfassendes Bild von der kulturgeschichtlichen Relevanz der um das neue aetas mentis-Ideal sich rankenden Gedanken- und Vorstellungswelt vermitteln“ (a.a.O., 312) würde. 259 Vgl. CURTIUS, Literatur, 110. 260 Greg. M., v. Bened. Prol.,1 (SC 260, 126,1f. DE VOGÜE/ANTIN). 255
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ben erzogenen Antonius261 ist Pachomius (ca. 292–346/347262) nämlich Kind heidnischer Eltern (ἑλλήνων γονέων ὑπάρχων) und wächst in entsprechendem Kontext auf. 263 Trotzdem zeigt sich seine (christliche) Heiligkeit bereits als Kind. Beim Opfer für die Götter mit seinen Eltern verstummen die φαντάσματα δαιμονίων im heidnischen Tempel (εἰδωλεῖον) beim Anblick des Jungen. Als der Priester dies erkennt, lässt er die Familie aus dem Tempel werfen mit den Worten: Τὸν ἐχθρὸν τῶν θεῶν ἐντεῦθεν ἀποδιώξατε.264 Wenn auch unter anderen Bedingungen, so ist der Heilige also sowohl bei Antonius als auch bei Pachomius bereits als Kind zur Heiligkeit „prädisponiert“. Seine Heiligkeit „zeigt sich“ und führt ihn auf geradezu absehbare Weise durchs Leben, hin zu den großen Taten, für die er als Heiliger seine Bekanntheit erlangen wird. Für Hieronymus hingegen scheinen Kindheit, Jugend und Herkunft an sich für die Frage nach der Heiligkeit eines Heiligen in der Vita Pauli von keiner Bedeutung zu sein. Weder von einer dezidierten Bekehrung noch von explizit christlicher Erziehung noch von „heiliger“ Wirksamkeit trotz widriger, heidnischer Umstände ist in der Vita Pauli die Rede. Der Leser/die Leserin erfährt lediglich, dass Paulus einen „sanftmütigen Geist“ (mansuetus animus) hatte und „Gott sehr liebte“ (Deum ualde amans). Doch diese Eigenschaften werden weder hergeleitet noch begründet; sie „zeigen“ sich auch nicht explizit in der Jugend des Helden und werden im Rahmen der Vorgeschichte narrativ nicht wieder aufgenommen. Anscheinend handelt es sich dabei also vielmehr um eine generelle Charakterisierung des Paulus als Heiligen. Zu Beginn von VP 5 wird noch auf die Tatsache verwiesen, dass Paulus prudentissimus sei (VP 5,1). Auch dieser Hinweis lässt sich jedoch nicht als Aussage über die heiligmäßige Jugend des Protagonisten auslegen, sondern muss im Kontext der Fluchtgeschichte aufgefasst werden (s.u. III.4.5), in deren Kontext diese Charaktereigenschaft erwähnt wird.265
261 Vgl. Ath., v. Anton. 1,1 (SC 400, 130,2f. BARTELINK); Evagrius beschreibt die Eltern schlicht als religiosi (vgl. Evagr., v. Anton. 1 [160,31 BERTRAND]). 262 Vgl. SKEB, Pachomius, 540. 263 Vgl. v. Pach. 2 (COr 2, 12 HALKIN): Καί τις ὀνόματι Παχώμιος, ἑλλήνων γονέων ὑπάρχων ἐν Θηβαΐδι, ἐλέους σφόδρα τυχὼν ἐγένετο χριστιανός· καὶ προκόψας ἐγένετο τέλειος μοναχός. Die heidnische Vergangenheit des Pachomius entspricht sogar eher dem hagiographischen Regelfall. Zumindest erfahren „die meisten prominenten Christen der Antike – das berühmteste Beispiel ist Augustin“ – erst als Erwachsene die Bekehrung zum Christentum (GEMEINHARDT, Antonius, 34). Bei Antonius hingegen gibt es „keine ‚heidnische‘ Vergangenheit, keine radikale Bekehrung“ (a.a.O., 35). 264 V. Pach. 3 (COr 2, 12 HALKIN). 265 Wie gezeigt (s.o. II.3.4) gehört die Fluchtgeschichte, die in VP 4,2 mit „[e]t dum persecutionis detonaret procella“ neu ansetzt, weder in den narrativen Kontext der Jugend
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Aus der hagiographischen Zuspitzung der „biographischen“ Erzählung des Hieronymus auf die lebenslange Anachorese des Paulus (und dem damit einhergehenden „Desinteresse“ für seine Kindheit und Jugend) lässt sich auf eine Vorstellung von Heiligkeit bei Hieronymus schließen, die sich schwerpunktmäßig in den Taten des erwachsenen Christen zu erkennen gibt, zumindest jedoch, dass das Erwachsenenalter für Hieronymus von größerer hagiographischer Relevanz ist. Von der Nahmer stellt für christliche Viten im Allgemeinen fest, dass der Heilige „erst der Erwachsene sein [kann], der Mensch, dessen Leben und Lehren für andere ein Grundmaß des Menschenlebens sein kann und soll“ 266 . Dieses Prinzip gilt zwar sowohl für die Darstellung des Antonius als auch für die des Paulus, es wird in beiden Fällen jedoch unterschiedlich umgesetzt: Während Hieronymus die Jugend seines Helden aus reinem Interesse an seinem Erwachsenenalter einfach größtenteils übergeht, gestaltet Athanasius Antonius eben als „erwachsenes“ Kind, als puer senex, indem er zwar von der Kindheit des Antonius berichtet, seinen Protagonisten dabei jedoch mit den reifen Eigenschaften eines Erwachsenen zeichnet, der die Wurzeln des Heiligen bereits in sich trägt, die sich im Verlauf der Entwicklung des Antonius noch entfalten bzw. bewähren müssen. In der Vita Pauli hingegen führt die Kindheit weder narrativ noch theologisch hin zu der Verwirklichung des Paulus als Heiligen in der Wüstenaskese. Die Aspekte der Herkunft und Jugend werden von Hieronymus genannt, weil sie topisch sind, weil sie auf Antonius verweisen und weil damit ein konkretes ethisches Problem bereinigt wird. Sie vermitteln jedoch kein puer senex-Ideal an sich und machen keine Aussage zur Relevanz des Kindesalters für die Heiligkeit des Heiligen. Damit ist nicht gesagt, dass Hieronymus das Ideal das puer senex etwa ablehnt. In der Vita Pauli wird die Vereinigung der besten Eigenschaften der Jugend und des Alters jedoch eher in der Darstellung des 113–jährigen Paulus evident: Geradezu verspielt wirkt z.B. die in VP 9,4–6 geschilderte Szene, in der Paulus den Höhleneingang bei der Ankunft des Antonius verschließt, ihn dann jedoch lachend und mit der scherzhaften Frage einlässt, warum er Antonius denn hätte empfangen sollen, wenn er doch nur gekommen sei, um zu sterben (miraris si non recipiam, cum moriturus adueneris?). Kindlichverspielt wirkt auch der Streit um das Brotbrechen (VP 11,1). Auch im Blick auf seinen ihm als bevorstehend offenbarten Tod legt Paulus eine geradezu „kindliche“ Unbeschwertheit an den Tag: Antonius sei geschickt worden, „um seinen Körper mit Erde zu bedecken“ (tu missus a Domino es, qui humo corpusculum tegas, immo terram terrae reddas), bemerkt Paulus mit anscheiund Herkunftsaussagen, noch ist sie unbedingt in das früheste jugendliche Alter des Paulus zu versetzen (eventuell war Paulus schon in seinen Zwanzigern). 266 VON DER NAHMER, Heiligenvita, 156.
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nend unbefangenem Gottvertrauen in VP 11,3. Paulus, der Greis, ist mit 113 noch agil, gesund, und bricht selbst im Tod nicht etwa vor Altersschwäche zusammen, sondern erstarrt erecta ceruice, mit zum Himmel erhobenen Händen (VP 15,1), wobei er noch so lebendig wirkt, dass Antonius sein Verscheiden zunächst überhaupt nicht bemerkt (VP 15,2). Insgesamt spiegelt Paulus damit eher das Ideal des seligen Zustands im Himmel, wie er z.B. in der Epistula Paschalis Theophili267 in Anspielung auf Jesaja 65,20 zum Ausdruck gebracht wird: [O]mnes sunt ibi senescentis ac prouectae plenaeque aetatis nullusque ibi juxta prophetam inmaturae sapientiae repperietur: erit enim, inquit, iuuenis centum annorum magnitudine numeri perfectionem eruditionis ostendens. 268 Die vollkommene Verbindung der Tugenden der Jugend und des Alters ist in dieser Vorstellung eschatologisch ausgerichtet. Verwirklicht wird dieses Ideal zwar erst im nächsten Leben, als „kindlicher“ Greis ist Paulus jedoch bereits zu Lebzeiten eine Vorausschau auf das Kommende. Als Abbild der himmlischen Vollkommenheit gibt sich Paulus erneut als Heiliger zu erkennen. Im Unterschied zu Darstellungen von Heiligkeit in anderen Viten (z.B. der Vita Antonii oder der Vita Pachomii) zeigt sich die Heiligkeit des Paulus jedoch nicht bereits in den erwachsenen Zügen seiner Kindheit, sondern als Ergebnis einer lebenslangen Entwicklung. Hieronymus zeichnet einen Heiligen, der, ganz im Sinne des jesuanischen Aufrufs, so zu werden wie die Kinder (vgl. Mt 18,3), wieder „jugendlich“ geworden ist. Zum Heiligkeitsideal des Hieronymus, wie es in der Vita Pauli zum Ausdruck gebracht wird, gehört demnach nicht so sehr der puer senilis, sondern vielmehr der senex puerilis, der eschatologische ausgerichtete Alte mit den jugendlichen Zügen der Sorglosigkeit, Unbekümmertheit und mit schlichtem Gottvertrauen. Heilig in diesem Sinne für Hieronymus ist nicht etwas, das der Heilige von Anbeginn „ist“, Heiligkeit ist vielmehr etwas, auf das „hingelebt“ wird. Dass Hieronymus in der Vita Pauli tatsächlich eben dieses Ideal vorschwebte, lässt sich auch dem Blick in den Begleitbrief an Paulus von Concordia (s.o. II.4.1) entnehmen, in dem das Ideal des jugendlichen Alters eine thematisch zentrale Stellung einnimmt. Ausdrücklich lobt Hieronymus darin 267
Hieronymus ist zwar weder Autor noch Adressat dieses Briefes, seine Aufnahme in das Briefkorpus des Hieronymus lässt jedoch, laut Barbara CONRING, Hieronymus, 44, Anm. 49, vermuten, dass es sich entweder um einen Brief handelt, den er „in seinem Sinn stilisiert hat“, oder den er aufgenommen hat, weil er „der Sammlung großen Glanz zu verleihen und hohe Attraktivität zu gewährleisten in der Lage […] [war] und mit der Relevanz der Korrespondenzpartner auch die Relevanz des Hauptautoren der Briefsammlung steigt“. Völlig ausschließen lasse sich natürlich nicht, dass spätere Herausgeber den Brief „im Archiv des Hieronymus gefunden und in die Sammlung integriert“ haben (ibid.). 268 Hier., ep. 100,4,3 (CSEL 55, 217,12–15 HILBERG).
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seinen greisen Adressaten für seine jugendliche Erscheinung.269 Eben damit nämlich, so Hieronymus, wolle uns der Herr „die Frische“ (uiror) der zukünftigen Auferstehung (futura resurrectio) zeigen.270 Weil der Adressat ein heiligmäßiges Leben gelebt habe, indem er Gottes Gebote immer beobachtet habe (semper domini praecepta custodiens), ist er, Paulus, dem Gott ein jugendgleiches Greisenalter gewährte 271 , selbst ein exemplum der Seligkeiten (beatitudines) des zukünftigen Lebens – zumindest zählt Hieronymus seinem Adressaten die an ihm sichtbaren gegenwärtigen exempla auf272, anhand derer er sich das zukünftige Leben vorstellen könne. 273 Paulus von Concordia ist also ein Vorbild christlicher Tugend und ein Beweis für die göttliche Gerechtigkeit (iustitia) 274 , die christliches Tun belohnt. Diesem greisen Paulus (Paulus senex) lässt Hieronymus nun das exemplum eines „noch greiseren Paulus“ (Paulus senior) zukommen275, dessen Heiligkeit sich eben nicht zuletzt auch in seinem hohen Alter zeigt, das mit einer Jugendlichkeit belohnt worden ist, die wiederum seinem heiligen Handeln (in der Askese und der Anachorese) entspricht. 2.6. Fazit Insgesamt lässt sich hinsichtlich der Frage nach der Aussagekraft von „Herkunft“ für das in der Vita vermittelte Heiligkeitsideal feststellen, dass sich Hieronymus dem persönlichen principium Pauli zwar nur äußerst spärlich zuwendet, das wenige Dargebotene jedoch durchaus aussagekräftig ist. Mit den für biographische Kontexte üblichen Topoi richtet Hieronymus sein Werk zunächst auf einen spezifischen Diskurs mit erwarteten Formen aus. Mit der inhaltlichen Füllung der Topoi werden weitere Diskurse aufgegriffen und auf diese Weise neue Bedeutungen geschaffen. Durch die Aufnahme der Lebenssituation der Leserschaft (mit Wohlstand und Bildung z.B.) wird die
269
Vgl. Hier., ep. 10,2,2 (CSEL 54, 36,11–37,6 HILBERG). 270 Vgl. Hier., ep. 10,2,3 (CSEL 54, 37,6f. HILBERG): [F]uturae resurrectionis uirorem in te nobis dominus ostendit. 271 Hier., ep. 10,2,3 (CSEL 54, 37,12 HILBERG). 272 Vgl. Hier., ep. 10,2,2 (CSEL 54, 36,13–37,6 HILBERG): [O]culi puro lumine uigent, pedes inprimunt certa uestigia, auditus penetrabilis, dentes candidi, uox canora, corpus solidum et suci plenum. cani cum rubore dicrepant, uirtus cum aetate dissentit. non memoriae tenacitatem, ut in plerisque cernimus, antiquior senecta dissoluit, non calidi acumen ingenii frigidus sanguis obtundit, non contractam rugis faciem arata frons asperat, non denique tremula manus per curuos cerae tramites errantem stilum ducit. 273 Hier., ep. 10,2,2 (CSEL 54, 36,12f. HILBERG): futurae beatitudines uitae per praesentium exempla meditaris. 274 Vgl. Hier., ep. 10,2,3 (CSEL 54, 37,9 HILBERG). 275 Vgl. Hier., ep. 10,3,3 (CSEL 54, 38,5f. HILBERG).
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III. Der heilige Paulus von Theben
Vita des Paulus unmittelbar relevant – seine Leser/Leserinnen können sich prinzipiell mit Paulus identifizieren. Für das zu vermittelnde Ideal der Heiligkeit erweist sich der Hinweis auf die verstorbenen Eltern und die versorgte Schwester von besonderer Bedeutung. Mit diesen kurzen Erwähnungen bewahrt Hieronymus seinen Heiligen nämlich vor dem potentiellen moralischen Konflikt, dem der Anachoret im Allgemeinen durch die Abwendung von familiärer Verantwortung ausgesetzt ist. Indem Paulus niemanden hinterlässt bzw. im Stich lässt, erscheint sein Eremitentum in einem ungetrübtem Licht. Entsprechend steht auch seiner Erscheinung als Heiliger nichts im Weg. Den Angaben zur Herkunft des Paulus lässt sich jedoch auch ex negativo Einiges über etwaige Heiligkeitsvorstellungen des Hieronymus entnehmen. Die äußerste Spärlichkeit, mit der Hieronymus von Kindheit und Jugend des Paulus berichtet, lässt auf die geringe Bedeutung dieser „Lebensstation“ für die Heiligkeit eines hieronymianischen Heiligen schließen. Zwar mag Hieronymus tatsächlich nur wenig über diese Lebensphase des Paulus gewusst haben, doch auch sonst ist der Autor der Vita keinesfalls verlegen, die Erzählungen auf kreative Weise zu erweitern. Der Kindheit und Jugend des Paulus widmet sich Hieronymus jedoch mit nur einem Satz, der die grundsätzlich zu erwartenden Topoi für die Beschreibung einer Person abhandelt. Deutlich werden Kindheit und Jugend des Paulus nicht als Beleg für die Heiligkeit des Paulus herangezogen. Paulus ist also nicht ein Heiliger, weil er sich bereits in Kindheit und Jugend als solcher erwiesen hätte. „Heiligkeit“ scheint für Hieronymus nicht etwas zu sein, was von Anbeginn in einem Menschen angelegt ist und sich deshalb konsequenterweise schon in der Kindheit zeigt. Es deutet vielmehr alles darauf hin, dass Hieronymus Heiligkeit, zumindest zur Zeit der Abfassung der Vita Pauli, für etwas hielt, was in einem Menschen entstehen kann bzw. was einem Menschen im Rückblick aufgrund seiner Taten zugesprochen wird. Der Heilige ist also nicht als Heiliger geboren, sondern wird vielmehr durch seine Taten zum Heiligen. Diese Vorstellung ist wiederum diskursiv eingebunden: Neben der auch in der Philosophie aufzufindenden Abwendung von der Körperlichkeit als Erklärung für die Indifferenz gegenüber dem Entstehungsweg des Menschen verschärfte besonders das in der Vita Cypriani vertretene Ideal den Eindruck, Hieronymus habe Kindheit und Jugend seines Helden weitestgehend übergangen, weil eben nur die Taten des homo dei von Bedeutung für seine Heiligkeit seien. Entsprechend scheint Hieronymus, besonders im Vergleich zu der Darstellung des puer senex Antonius, eher das Ideal des senex puer (oder senex puerilis) in der Vita Pauli zu vertreten, wobei nicht die „reife“ Kindheit für die Heiligkeit eines Heiligen von Bedeutung ist, sondern vielmehr das am Ende des Lebens Erreichte, das sich wiederum zugleich in Form eines „jugendlichen“ Greisenalters zeigt.
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Diese Ergebnisse lassen sich bereits mit den Erkenntnissen des vorherigen Kapitels (s.o. III.1) zusammenführen: Mit Anachorese und Askese als den für Hieronymus wesentlichen „Taten“ des Heiligen ist eben jene „Erniedrigung“ angesprochen, die im Matthäusevangelium von Jesus als Inbegriff des „Kind-Werdens“ um des Himmelreichs willen angemahnt wird (vgl. Mt 18,3f.). Der Heilige also ist derjenige, der der Aufforderung, γένησθε ὡς τὰ παιδία, gefolgt ist und sich durch Anachorese und Askese selbst erniedrigt hat (ταπεινώσει ἑαυτὸν ὡς τὸ παιδίον), um auf diese Weise zum „Größten im Himmelreich“ zu werden (οὗτός ἐστιν ὁ μείζων ἐν τῇ βασιλείᾳ τῶν οὐρανῶν). In einem Brief an den Mönch Antonius in Haemona stellt Hieronymus eben diese Parallele explizit her. Dort deutet er besagten Ausspruch, quicumque uestrum non fuerit conuersus sicut infans, non potest introire regnum caelorum, als Lehre, die der Dominus noster als humilitatis magister mit seinem exemplum selbst vorgelebt habe: [D]um discipulorum pedes lauat, dum traditorem osculo excipit, dum loquitur cum Samartiana, dum ad pedes sibi sedente Maria de caelorum disputat regno.276 Jesus selbst also erniedrigte sich als Vorbild für den christlichen Weg des Heils. Dieser Weg der Selbsterniedrigung besteht aus Taten (für Hieronymus primär die Anachorese und die Askese), die letztlich auf die Kind-Werdung ausgerichtet sind, so dass insgesamt das Ideal der Heiligkeit in seiner meist vollendeten irdischen Form eben nicht in der Herkunft des Heiligen, sondern in der eschatologisch ausgerichteten Erscheinung des kindlichen Greises erkennbar wird.
3. Zum Heiligen gebildet In Anbetracht der minimalistischen Einführung in Herkunft und Person des Paulus zu Beginn des 4. Kapitels der Vita (VP 4,1) fällt das Wenige, was Hieronymus dem Leser/der Leserin bietet, umso mehr ins Gewicht. Nebst den Erwähnungen einer Schwester, die „einem Mann übergeben worden war“, und der zu Beginn der Anachorese des Paulus bereits verstorbenen Eltern (s.o. bes. III.2.4) – Notizen, die sich beide im Blick auf die Frage nach der Darstellung eines Heiligen als durchaus bedeutsam herausgestellt haben –, verweist Hieronymus auch dezidiert auf die Bildung seines Protagonisten. Paulus, so Hieronymus, sei litteris tam Graecis quam Aegyptiacis adprime eruditus. Wie bereits bemerkt (s.o. III.2.3) gehörte educatio sowohl für Cicero277 als auch für Quintilian 278 zu den loci communes für die Beschreibung einer Person. Hinsichtlich der Lebensweise (uictus), so Cicero in De inventione, müsse 276
Vgl. Hier., ep. 12,1,1 (CSEL 54, 41,1–11 HILBERG). Vgl. Cic., inv. I,35 (TB 50, 76 NÜßLEIN). 278 Vgl. Quint., inst. V,10,25 (TzF 2, 556 RAHN). 277
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man unter anderem auch betrachten, apud quem et quo more et cuius arbitratu sit educatus, quos habuerit artium liberalium magistros, quos uiuendi praeceptores 279. Diese Festlegung für die rhetorische Theorie hatte sich auch in biographischen Kontexten niedergeschlagen: Samuel Rubenson spricht bezüglich paganer Philosophenviten sogar von einer „common biographical tradition“, wobei der Held vorgestellt werde, „not only by information about land of origin and parents, but [u.a.] also about education“280. So machte Porphyrios, dessen Werke Hieronymus teilweise bekannt waren 281 , z.B. sehr genaue Angaben zur Bildung und Ausbildung des Pythagoras. 282 Auch Jamblich berichtet von dem großen Nutzen der παιδεία für seinen Helden, die er ἐκ βρέφους genossen hatte.283 Von den Bildungsreisen des Pythagoras, bei denen er sich verschiedenen Weisen anschloss, um von ihnen zu lernen284, wusste auch Hieronymus.285 Doch hinter der Erwähnung der Bildung des Paulus in der Vita Pauli steckt mehr als nur ein Topos. Zumindest spricht Hieronymus hier ein durchaus kontroverses Thema im christlichen Diskurs an, das für die Frage nach der Heiligkeit des Protagonisten von nicht geringer Bedeutung ist. 3.1. Adprime eruditus Dass die Frage nach der Bildung eines Protagonisten von seinem Biographen angesprochen werden sollte, ist topische Vorgabe. Bemerkenswert ist demnach nicht so sehr, dass Hieronymus sich zu diesem Thema überhaupt äußert, sondern vielmehr, wie er diesen Topos mit Inhalt füllt: Paulus, so Hieronymus, sei nämlich adprime eruditus gewesen (VP 4,1). Von den Übersetzern werden hier unterschiedliche Akzente gesetzt: Paulus sei „vorzüglich bewandert“286, „gründlich beschlagen“287, „gut gebildet“288, „highly skilled“289, oder 279
Cic., inv. I,35 (TB 50, 74–76 NÜßLEIN). Vgl. RUBENSON, Philosophy, 114. 281 Vgl. LUEBECK, Hieronymus, 64–86. HAGENDAHL, Latin fathers, 147, spricht in Bezug auf Adversus Iovinianum sogar von „Jerome’s unscrupulous robbery of Porphyrius“, wobei „Jerome’s way of working is shown to be that of a plagiarist and a skilful mosaic artist“ (a.a.O., 147f.). 282 Vgl. Porph., v. Pyth. 6. 283 Vgl. Iambl., v. Pyth. [II] 10 (SAPERE 4, 36 ALBRECHT). 284 Vgl. Iambl., v. Pyth. [II] 12 (SAPERE 4, 38 ALBRECHT). 285 Hieronymus führt Pythagoras in einem Brief an Paulinus von Nola als vorbildliches Beispiel für einen Menschen an, der – wie es in den ueteres historiae berichtet werde – Provinzen bereiste, fremde Völker aufsuchte und Meere überquerte, um diejenigen kennenzulernen, die ihm ex libris bekannt waren (vgl. Hier., ep. 53,1,2 [CSEL 54, 443,4–6]: [L]egimus in ueteribus historiis quosdam lustrasse prouincias, nouos populos adisse, maria transisse, ut eos, quos ex libris nouerant, coram quoque uiderent). 286 SCHADE, Paulus, 23. 280
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„highly educated“290. Kech betont, dass Paulus „eine vorzügliche Erziehung hinter sich“ 291 habe und auch Pierre Leclerc konstatiert: „Il avait reçu une instruction fort soignée“292. Insgesamt lasse sich also von Paulus als einem „gebildeten Mann“293 sprechen, oder in den Worten Kellys, von einem „monk with a first-class education“294. Rebenich schließt daraus auf die Intention des Hieronymus, der „in seiner vita nicht nur den Archegeten des Mönchtums präsentieren, sondern zugleich das Konzept des gebildeten, und dies heißt: des mit der klassisch-heidnischen Tradition vertrauten Asketen propagieren“295 wollte. Doch was ist mit adprime eruditus eigentlich besagt? Welchen Bildungsumfang und welche konkreten Kenntnisse impliziert der Autor mit dieser Aussage? Der Begriff „eruditus“ verweist ursprünglich auf den Zustand des „Entroht-seins“ (e-rudis). In diesem Sinn „gebildet“ ist also der Mensch, der sich in irgendeiner Weise von einem „unbearbeiteten“, „kunstlosen“ bzw. „wilden“ (rudis) Ur-Zustand entfernt hat. Mit dem Bild eines rohen Ausgangszustandes des „natürlichen“ Menschen ist als Gegenstück ein kulturell „bearbeiteter“ bzw. geformter Mensch impliziert. Dazu gehörte im spätantiken römisch-hellenistischen Kulturbereich grundsätzlich eine schulische Bildung. Idealtypisch bedeutete dies das Durchlaufen von drei „Schulen“: die „Elementarschule (ludus litterarius), in die das Kind mit etwa sieben Jahren eintrat, um beim magister ludi Lesen, Schreiben und Rechnen zu lernen; die Grammatikschule (schola grammatici), wo den Schülern ab dem 11. oder 12. Lebensjahr im engeren Sinne, ‚literarische‘ Bildung vermittelt wurde; die Rhetorikschule (schola rhetoris oder oratoris), in der man zwischen dem 15. und dem 20. Lebensjahr die Kunstfertigkeit öffentlicher Rede erwarb.“296 Das angestrebte Ideal war der homo liberaliter eruditus, zu dessen Voraussetzung eine „abgerundete Bildung“ (ἐγκύκλιος παιδεία) gehörte, wobei der Begriff 287
FUHRMANN, Christen, 9. MERTENS, Paulus, 2. 289 FREMANTLE, Paulus, 299. 290 HARVEY, Paul, 362. 291 KECH, Unterhaltungsliteratur, 17. 292 LECLERC, Paul, 151. 293 GEMEINHARDT, Sancta simplicitas, 96. 294 KELLY, Jerome, 61. 295 REBENICH, Hagiograph, 35. 296 GEMEINHARDT, Bildung, 28. Die Darstellung entspricht einem Idealtyp antiker Schulbildung, denn bei weitem nicht jeder durchlief alle drei schulischen Instanzen (für die Oberschicht z.B. war es sogar eher üblich, nach dem Hauslehrer, erst beim grammaticus einzusteigen): „Die Einheit des Bildungssystems liegt nicht in einer reichsweit analogen Organisationsstruktur, sondern in einer verbindlichen und verbindenden Grundidee, die in der je konkreten Gestaltung von Schule und Unterricht zu Tage tritt“ (a.a.O., 34). 288
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des Kreises, wie Gemeinhardt betont, „nicht Vollständigkeit, sondern Vollkommenheit“ implizierte.297 Das Ideal des wahrhaft gebildeten Menschen war also noch lange nicht mit einer bloßen Schulausbildung erfüllt. Der liberalis eruditio bzw. den studia liberalia im Kontext der Schule standen vielmehr ein weiteres Ideal gegenüber: eine traditionsreiche, ehrenvolle, umfassende Allgemeinbildung. An diese Zielbestimmung lehnte eine Schullaufbahn zwar an, ein Absolvent dieser Laufbahn war aber keinesfalls ein liberaliter eruditus im Vollsinne.298 Der liberaliter eruditus war ein über die drei schulischen Stufen hinaus Gebildeter, der sich z.B. zusätzlich noch mit der Philosophie, entweder in einer Philosophenschule oder im Selbststudium, beschäftigt hatte. Damit erst näherte sich der Gebildete dem hohen Ideal des wahrhaft „ent-rohten“ Zustands, bei dem der Mensch „in vollem Sinne Mensch wird.“ 299 Damit stellt sich die Frage, ob Hieronymus etwa, wenn er seinen Protagonisten nicht nur als eruditus, sondern sogar als adprime eruditus bezeichnet, auf dieses hohe Ideal anspielt. Geht es Hieronymus also tatsächlich darum, den Auffassungen einiger Ausleger entsprechend, einen Heiligen darzustellen, der in höchstem Maß „fein-gebildet“ ist, der als liberaliter eruditus also Vollkommenheit aufweist, die sich auch in seiner Bildung zeigt? 3.2. Litteratus, eloquentia und otium Wie bereits oben zitiert wird die herausragende Bildung des Paulus von Hieronymus bereits in der Einführung des Helden in VP 4,1 weiter qualifiziert: Paulus ist nämlich adprime eruditus hinsichtlich der litterae. Damit ist auf mehr als nur eine einfache Kenntnis der „Buchstaben“ einer jeweiligen Sprache, d.h. auf eine basale Lese- und Schreibfähigkeit, verwiesen. Als litteratus in funktionalem Sinn galt jemand, der mindestens eine durch Bestandteile des Grammatik- und Rhetorikunterrichts angereicherte Elementarbildung vermittelt bekommen hatte, wie es besonders in kleineren und mittleren Orten meist der Fall war.300 Auch er durfte sich „der Gemeinschaft der litterati zugehörig – und damit über die Masse der illitterati erhaben – fühlen“301. Dass Hieronymus ein solches Minimum im Blick hatte, ist jedoch bereits aufgrund des spätestens seit Cicero üblichen Gebrauchs des Begriffs des litteratus unwahrscheinlich, wobei litteratus und eruditus insofern eng aneinander rückten, dass „ein ilitteratus […] kein Analphabet [war], sondern einer, ‚der zwar nicht ganz roh, aber nicht zur höheren Bildung vorgedrungen ist‘.“302 Solches 297
A.a.O., 47. Vgl. a.a.O., 51. 299 A.a.O., 47. 300 Vgl. a.a.O., 32. 301 A.a.O., 34. 302 A.a.O., 57f. 298
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betont auch Hieronymus oft genug, wenn er z.B. seinem Gegner Rufin von Aquileia vorwirft, im litteras discere versagt zu haben.303 Das hieß natürlich nicht, wie Gemeinhardt betont, „dass Rufin des Schreibens unkundig gewesen wäre, sondern dass er nie zur eigentlichen Bildung gelangt sei“304. Mindestens ist also mit dieser Wendung zur Einführung des Paulus auf einen schulisch Gebildeten, einen liberalis eruditio mit Elementar-, Grammatikund eventuell Rhetorik-Kenntnissen verwiesen. Mit einer solchen schulischen Ausbildung ist auch die Lektüre und Kenntnis eines Kanons klassischer Literatur verbunden. Der Schüler begann bereits in der Elementarschule mit der Beherrschung der litterae, sich „in der von Wort und Schrift geprägten Kultur der Antike zurechtzufinden. Er [hatte] die Buchstaben nicht nur abzuschreiben, sondern sich auch kritisch-reflexiv dazu zu verhalten“305. Und auch zum darauffolgenden Grammatikunterricht, dessen Ziel es war, „die Bestandteile eines Textes durch analytische Zerlegung wahrzunehmen […], seinen Zusammenhang und seine Hintergründe zu erschließen und seine literarische Bedeutung zu erkennen“306, gehörte ein umfangreicher Kanon an Autoritäten. Für den griechischen Schüler standen hier Homer und Demosthenes an erster Stelle. Für den römischen Schüler waren das vor allem Vergil und Cicero, „deren Sprache sich durch ‚besondere Würde‘, ja durch ‚religiöse Weihe‘ auszeichne.“307 Darüber hinaus beinhaltete die Liste für den jungen Römer Autoren wie Persius, Lucan, Terenz und Sallust, aber auch die berühmten griechischen Autoren wie (neben Homer und Demosthenes) Theokrit, Thukydides, Hippokrates und Xenophen.308 Wenn dieser Bildungsumfang auch im Verlauf der Erzählung keine weitere explizite Rolle spielt (zumindest nicht explizit, s.u. III.3.8), so lässt sich aufgrund des mit litteratus begrifflich Ausgesagten dennoch Frank zustimmen, der Paulus als literarisch gebildet beschrieb.309 Ziel des Studiums der klassischen Vorbilder, der litterae in diesem Sinn, war die eloquentia, die zusammen mit einer weiterführenden rhetorischen Ausbildung unabdingbare Voraussetzung für jede öffentliche Betätigung war.310 Diese Laufbahn schlägt Paulus zwar nicht ein – sein Weg führt ihn in die Wüste, nicht in die Öffentlichkeit –, seine Bildung scheint ihm jedoch gerade im Blick auf die damit erwirkte Sprachbefähigung auch in der Abge303
Vgl. Hier., adv. Rufin. I,30 (SC 303, 84,41f. LARDET): Si didicisses litteras, oleret testa ingenioli tui quo semel fuisset imbuta. 304 GEMEINHARDT, Bildung, 58. 305 A.a.O., 57. 306 A.a.O., 42. 307 A.a.O., 39. 308 A.a.O., 40. 309 Vgl. FRANK, Paulos, 1528. 310 Vgl. GEMEINHARDT, Bildung, 39.
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schiedenheit erhalten geblieben zu sein. Zumindest zeichnet Hieronymus den betagten Eremiten als durchaus eloquent. Ersichtlich wird dies bereits in der ersten wörtlichen Rede des Protagonisten. Paulus antwortet auf das Betteln des Antonius um Einlass in seine Höhle in VP 9,6: Nemo sic petit ut minetur, nemo cum lacrimis calumniam facit. Hier ist nicht etwa das stammelnde Plappern eines jahrzehntelang in Einsamkeit Lebenden zu vernehmen, sondern vielmehr die Rede eines sprachlich Versierten, dessen rhetorisch ausgefeilte Formulierung seiner Aussage Nachdruck zu verleihen weiß. Das hier prominent eingesetzte Stilmittel der Anapher (nemo […] nemo) taucht in der wörtlichen Rede des Paulus immer wieder auf. Nur fünfmal meldet sich Paulus in der Vita Pauli insgesamt zu Wort. Gleich beim zweiten Mal (VP 10,1) wird sogar in zwei Formulierungen die Anapher als Stilmittel eingesetzt: „En […] operit […]. En uides“ und „an […] consurgant […] an supersint“. Auch in VP 11,3 gibt Paulus seiner Rede Nachdruck mit einem zweimaligen durch olim eingeleiteten Einsatz: Olim te, frater, in istis regionibus habitare sciebam. Olim conseruum meum mihi promiserat Dominus. Besonders häufig wird die Rede unter Einsatz des Hyperbatons aufgewertet und auch sonst werden durch gezielt vorgenommene Satzteilumstellungen entsprechende Bedeutungsinhalte in den Vordergrund gehoben. In besagter zweiter Wortmeldung in VP 10,1 z.B. (en quem tanto labore quaesisti, putribus senectute membris operit inculta canities) sind die grammatisch zusammengehörenden Worte putris und membrum auseinandergezogen und das Subjekt (inculta canities) zur Betonung ans Ende des Satzes versetzt. Hyperbata finden sich auch in den anderen Redeanteilen des Paulus: So in VP 10,1 (quo mundus regatur imperio), VP 10,3 (sexaginta iam anni sunt quod dimidii semper panis fragmen accipio), VP 12,2 (sed et caeteris expedit fratribus, ut tuo adhuc instituantur exemplo). Neben weiteren gezielten Abweichungen von dem üblichen Satzbau, in dem Objekt und Prädikat auf das Subjekt folgen311, lassen sich z.B. in der Formulierung uere pius, uere misericors (VP 10,3) Parallelismus, Asyndeton und Ellipse erkennen, aber auch Bespiele für Homöoteleuta (z.B. VP 10,3: uerum ad aduentum tuum; VP 12,2: ad obuoluendum corpusculum meum), und Alliteration (z.B. VP 11,3: meum mihi; terram terrae) finden. Insgesamt ist die Sprache des Paulus, wie Hieronymus sie wiedergibt, bildlich, nicht sachlich, gehalten: Statt sich als „alten Mann“ zu beschreiben, verweist Paulus in VP 10,1 auf sein durch das Alter grau gewordenes Haar: putribus senectute membris operit inculta canities. Statt seinen bevorstehenden Tod begrifflich zu erwähnen, ist in VP 11,3 zum einen von einem „Ent311 Vgl. z.B. VP 10,1 (En uides hominem […]; […] ut se habeat humanum genus; […] quo mundus regatur imperio); VP 10,3 (uerum ad aduentum tuum militibus suis Christus duplicauit annonam); VP 11,3 (superest mihi corona iustitiae).
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schlafen“ (dormitio) die Rede, in VP 10,1 von einem Menschen, der bald zu Staub werden wird (en uides hominem, puluerem mox futurum). Diesem Bild entsprechend umschreibt er sein Begräbnis in VP 11,3 als Rückgabe von Erde zu Erde (immo terram terrae reddas). Natürlich fehlen auch in den Worten des Paulus nicht die in monastischer Vorstellungswelt bekannten Metaphern des Eremiten als miles Christi (VP 10,3) und, in Anlehnung an 2 Tim 4,6–8, die Umschreibung der himmlischen Zielvorstellung als Erhalt der corona iustitiae nach vollendetem „Lauf“ (cursus) (VP 11,3). Die Verwendung von tecta im Kontext der Fragen in VP 10,1 bezeichnet Hoelle sogar „ungewöhnlich formell“312. Stilistisch aufgewertet wird die Rede des Paulus auch durch die in ihr enthaltenen Anklänge an klassische Texte: So tauchen in der kurzen an Antonius gerichteten Rede in VP 10,1 mindestens drei literarische Anlehnungen an Vergils Aeneis auf.313 Zwar handelt es sich dabei um keine direkten Zitate, für die gebildete Leserschaft klingt damit die gehobene Sprache Vergils jedoch unüberhörbar an. Ohne dass der Kontext der Anspielungen eine Rolle spielen würde, „hören“ die Leser/innen einen Gebildeten sprechen, der, wie sie selbst, die Klassiker einst in der Schule auswendig gelernt hat und sie elegant in die Kommunikation einfließen lassen kann. Allein mit Blick auf die Sprache des Paulus wird also deutlich, dass dem Leser/der Leserin hier keinesfalls ein wilder (rudis) Anachoret präsentiert wird, sondern vielmehr ein sich durch Sprachgewandtheit und literarische Kenntnis auszeichnender Gebildeter. Seine eloquentia und seine Kenntnis der litterae zeichnen Paulus als eruditus aus. Zwar stellen die Redeanteile des Paulus keinen Bruch mit dem hohen stilistischen Niveau der Vita insgesamt dar (s.o. II.4.2), hätte Hieronymus seinen Einsiedler jedoch etwa bewusst als schlichten Redner zeichnen wollen, wäre eine solche Inszenierung leicht möglich gewesen. Es hätte dafür sogar prägnante literarische Vorbilder gegeben. Um nur ein besonders eindrückliches zu nennen, sei hier auf Laktanz (ca. 250–325314) verwiesen, dessen Schrift über die Todesarten der Christenverfolger (De mortibus persecutorum) einen solchen stilistischen Kontrast besonders eindrücklich inszeniert. Laktanz, dessen Schrift insgesamt auf höchstem literarischen Niveau verfasst ist und dessen Stil Hieronymus selbst in einem späteren Brief sogar mit der eloquentia des Cicero315 verglich, ahmt in einem Dialog zwischen den christenfeindlichen Kaisern Diokletian und Galerius316 „die primitive Ausdrucksweise der beiden Barbaren gekonnt nach“317. 312
HOELLE, Commentary, 198. Vgl. a.a.O., 196; LECLERC, Anmerkungen, 166, Anm. 2–4. 314 SCHWARTE, Laktanz, 443. 315 Hier., ep. 58,10,2 (CSEL 54, 539,14f. HILBERG): Lactantius, quasi quidam fluuius eloquentia Tullianae. 316 Vgl. Lact., mort. pers. 18,11–15 (FC 43, 138,13–140,17 STÄDELE). 313
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III. Der heilige Paulus von Theben
Mit Ellipsen und dem Weglassen von Pronomen imitiert er eine Umgangssprache, die im starken Kontrast zum Stil der übrigen Erzählung steht. Ein weiteres kleines Indiz für den Grad der Bildung des Paulus mag in dem zu Beginn der „Fluchtgeschichte“ (VP 4,2) erwähnten Aufenthalt des Paulus auf dem entlegenen Landgut (in uilla remotiore secretior erat) gesehen werden. Mit dem secessus in uillam könnte nämlich „eine mit intellektueller Tätigkeit angefüllte Muße assoziiert werden“ 318 , wie sie Cicero beispielsweise zu Beginn von De oratore beschrieben hatte.319 Die Suche nach otium war als Rückzug aus dem neg-otium, dem Alltagsgeschäft in der Öffentlichkeit, gedacht und zielte auf eine literarische und philosophische Betätigung in Zurückgezogenheit. Wenn auch indirekt, so hätte Hieronymus damit auch etwas über den Bildungsstand seines Protagonisten mitgeteilt. Seinen Leser/innen wäre unterschwellig das Bild eines höher Gebildeten vor Augen geführt worden, eines Mannes, der sich zurückzieht, um sich in standesgemäßem Müßiggang geistig zu beschäftigen. Insgesamt also vermittelt Hieronymus tatsächlich das Bild eines Mannes von gehobenem Bildungsgrad: Mit der Vorstellung des Paulus als adprime eruditus, der sich in den litterae (vermutlich sogar zweier Sprachen) mit Eloquenz auszudrücken vermag, wie der gehobene Stil und die literarische Kenntnis seiner Redeanteile in der Erzählung zeigen, und mit der möglichen Anspielung auf einen secessus in uilam, womit sogar eine geistige Betätigung über die schulische hinaus angedeutet wird, ist Paulus in der Tat von Hieronymus als homo liberaliter eruditus gezeichnet. Doch welche Absichten des Autors mögen sich hinter dieser (offensichtlich bewusst geformten) Darstellung verbergen? 3.3. Eine getreue Ab-Bildung des gebildeten Autors Eine mögliche Absicht des Hieronymus, seinen Eremiten als Gebildeten darzustellen, ist bereits im vorherigen Kapitel angesprochen worden (s.o. III.2.3): Mit seiner Darstellung scheint Hieronymus zunächst an seine Leserschaft anzuknüpfen, d.h. an Askese interessierte Mitglieder der gebildeten Oberschicht (s.o. II.4.2). Mit der Erwähnung der Bildung ist der Unterricht bei einem Grammatik- und Rhetoriklehrer impliziert, der Paulus sowohl in die Literatur als auch in die Öffentlichkeit hellenistischer Kultur eingewiesen hat. Damit ist Paulus auch einer, der in die mores maiorum eingewiesen worden ist. Der griechisch-koptische Paulus wird damit zum echten „Römer“.320 Hie317
STÄDELE, Laktanz, 40. GEMEINHARDT, Bildung, 261f. 319 Vgl. Cic., de orat. I,1 (TB 54, 8 NÜßLEIN): Cicero spricht dabei von otium cum dignitate. 320 Vgl. GEMEINHARDT, Sancta simplicitas, 91. 318
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ronymus schafft es, besagte römische Ideale so geschickt auf den Jüngling zu applizieren, dass sich die Leser/innen mit ihm identifizieren können. Damit verliert auch Hieronymus’ asketische Agende ihre Fremdheit. Deutlich wird: Der ethische Appell der Vita gilt ihnen, seinen römischen, gebildeten Leser/innen. Auch die zweite Absicht des Hieronymus ist bereits in anderem Kontext angedeutet worden (s.o. II.3.5, bes. Anm. 97): Gerade in seiner Eigenschaft als gebildeter Mönch, scheint Paulus nämlich, in den Worten Maria-Elisabeth Brunerts, „ein getreues Abbild seines Schöpfers Hieronymus“321 zu sein. Hieronymus selbst gehörte zu besagter Bildungselite. Zweifellos kann gesagt werden, dass er „nach Augustinus […] der gelehrteste unter den lateinischen Kirchenschriftstellern“322 und sein Leben „von Jugendzeit an durch philologische und bibliophile Aktivitäten geprägt“323 war. Selbstverständlich hatte er alle drei schulischen Stufen durchlaufen324, woran er sich in seinen Schriften des Öfteren erinnert325: Eine schulische Elementarausbildung im Sinne einer ludus litterarius erhielt er noch in seinem Geburtsort Stridon. Danach, wahrscheinlich ab dem 11. oder 12. Lebensjahr, lernte er in Rom. Dort war er zunächst an der Grammatikschule des berühmten Aelius Donatus, „the most celebrated schoolmaster of his time“326, an den sich Hieronymus auch später noch stolz als Donatus grammaticus praeceptor meus327 erinnerte.328 Während dieser Ausbildungszeit hatte sich Hieronymus mit zahlreichen lateinischen Schriftstellern beschäftigt, darunter sicherlich und besonders mit Vergil,
321
BRUNERT, Wüstenaskese, 80. SCHADE, Schriften, XLV. HAGENDAHL, Latin fathers, 318, bezeichnet ihn sogar als „no doubt the most learned of all Latin fathers“. 323 BARTHOLD, De viris, 88f. 324 Zum schulischen Bildungsweg des Hieronymus vgl. im Folgenden: CAMPENHAUSEN, Kirchenväter, 110f.; FÜRST, Askese, 60f.; HAGENDAHL, Latin fathers, 311; KELLY, Jerome, 7–17; LECLERC, Les vitae, 12; NAUTIN, Hieronymus, 304; GRÜTZMACHER, Hieronymus, bes. 111–129. 325 Vgl. z.B. Hier., Iob praef. (PL 28, 1082) = Hier., adv. Rufin. II,29 (SC 303, 186,31– 34 LARDET): [I]n latino p[a]ene ab ipsis incunabulis inter grammaticos et rhetores et philosophos detriti sumus; Hier., ep. 49,13,1 (CSEL 54, 368,10f. HILBERG): Legimus, o eruditissimi uiri, in scolis pariter et Aristotelia illa uel de Gorgiae fontibus manantia simul didicimus; Hier., ep. 52,1,1f. (CSEL 54, 414,1–7 HILBERG): [D]um essem adulescens, immo paene puer, et primos impetus lasciuientis aetatis heremi duritia refrenarem, scripsi ad auunculum tuum […]. in illo opere pro aetate tunc lusimus et calentibus adhuc rhetorum studiis atque doctrinis quaedam scolastico flore depinximus. 326 KELLY, Jerome, 10. 327 Hier., chron. a.354 (GCS 47, 239,12f. HELM); vgl. auch Hier., adv. Rufin. I,16 (SC 303 46,29 LARDET): praeceptor mei Donati. 328 Vgl. BARTHOLD, De viris, 89; KELLY, Jerome, 11. 322
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III. Der heilige Paulus von Theben
Terenz, Sallust und Cicero.329 Seine Kenntnis dieser Autoren und ihrer maßgeblichen Werke, aus denen er noch im hohen Alter mühelos zitieren konnte330, lässt Hieronymus in seinen eigenen Schriften immer wieder erkennen.331 Nachdem er mit ca. 16/17 Jahren die Grammatikschule des Donatus abgeschlossen hatte332, folgte die rhetorische Ausbildung.333 Dass Hieronymus im Anschluss an die Rhetorikschule noch einem Studium der Philosophie nachging, ist eher unwahrscheinlich. Oft haben gerade die Kenner seiner Schriften ihm eher den Vorwurf des philosophischen Dilettantismus gemacht. 334 So betont Schade zum Beispiel, dass Hieronymus’ rezeptives Gedächtnis wohl „besser ausgebildet [war] als der produktive Verstand.“335 Wie dem auch sei, Hieronymus hatte offenbar einiges an philosophischem „Jargon“ im Laufe
329
Vgl. KELLY, Jerome, 11f.; Hieronymus erinnert sich in adv. Rufin. I, 16 (SC 303 46,26–31 LARDET) zumindest an zahlreiche Kommentare zu den großen Werken, die Rufin und er im Lauf ihrer Schulzeit studiert hatten: Puto quod puer legeris Aspri in Vergilium ac Sallustium commentarios, Vulcatii in orationes Ciceronis, Victorini in dialogos eius, et in Terentii comoedias preceptoris mei Donati, aeque in Vergilium, et aliorum in alios, Plautum uidelicet, Lucretium, Flaccum, Persium atque Lucanum. 330 Vgl. VON CAMPENHAUSEN, Kirchenväter, 110. 331 Vgl. LUEBECK, der zahlreiche Bezüge des Hieronymus nachweist; zu den genannten Autoren vgl. bes. LUEBECK, Hieronymus, 128–159 (Cicero); 167–191 (Vergil); 110–115 (Terenz); 117–121 (Sallust). 332 KELLY, Jerome, 14. 333 Vgl. z.B. Hier., adv. Rufin. I,30 (SC 303, 84,46–53 LARDET): Septem modos conclusionum dialectica me elementa docuerunt; quid signifecet ἀξίωμα, quod nos ‚pronuntiatum‘ possumus dicere; quomodo absque uerbo et nomine nulla sententia sit; soritatrum gradus, pseudomeni argutias, sophismatum fraudes Iurare possum me, postquem egressus de schola sum, haec numquam omnino legisse. 334 Vgl. z.B. SCHADE, Schriften, XLV; KELLY, Jerome, 16 verweist auf den Konsens in der Forschung, dass Hieronymus nur geringe Fähigkeiten in der Philosophie aufzuweisen hatte („there is general agreement that he had little aptitude for it“) und betont: Hieronymus „never became, like Augustine, a profound philosophical thinker“; so auch HAGENDAHL, Latin fathers, 316, der zwar hervorhebt, dass Hieronymus zu seinen Lehrern „after the grammatici and rhetores also the philosophi“ zählte, über die philosophischen Fähigkeiten des Hieronymus jedoch das harsche Urteil fällt: „[I]n reality his interest in philosophy was as slight as his knowledge of it was superficial“; HAGENDAHL, a.a.O., 337, resümiert schließlich: „[H]e shows a remarkable lack of interest in or esteem for pagan philosophers and their ideas. […] [H]e did not possess the creative genius of Augustine, but was far more what the Germans call ‚ein unphilosophischer Kopf‘“. 335 SCHADE, Schriften, XLV; vgl. auch NAUTIN, Hieronymus, 311: „Hieronymus war kein Theoretiker, und insgesamt gesehen war seine Theologie nicht sonderlich originell“. SCHADE, Schriften, XLV, hatte Hieronymus entsprechend als „mehr Polyhistor und Vielwisser, weniger spekulativer Forscher“ beschrieben und daraus sogar gefolgert, dass bereits in der Rhetorenschule, die „Schulung des Denkens […] offenbar vernachlässigt worden“ sei (ibid.).
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seines Studiums aufgeschnappt336 und wusste dieses später gezielt einzusetzen.337 Besonders hervorgetan hatte sich Hieronymus durch seine Sprachenkenntnis338, mit welcher er laut Alfons Fürst „auf jeden Fall einzig unter den lateinischsprachigen Theologen seiner Zeit und ziemlich sicher auch unter den Griechen“339 war. Sich selbst beschrieb er als uir trinlinguis in Bezug auf die Tatsache, dass er neben seiner Muttersprache, dem Lateinischen, auch Griechisch und Hebräisch beherrschte. 340 Außerdem eignete sich Hieronymus wohl während seines Aufenthalts in der Chalkidike auch Kenntnisse des Syrischen an, so dass er von sich selbst sogar als eloquentissimus homo in Syro sermone341 sprechen konnte. Eine Kostprobe seiner neu erworbenen Fähigkeit bietet Hieronymus in der Vita Pauli selbst: In seiner Beschreibung der asketischen Praxis einiger syrischer Mönche berichtet er von einem Asketen, der in einer cisterna gehaust habe, und verweist dabei auf die syrische Bezeichnung für Zisterne: Syri „gubba“ uocant (VP 6,2). Seinen beeindruckenden Sprachkenntnissen entsprechend gehörte zu seinen größten Leistungen die Übersetzung des Alten und Neuen Testaments ins Lateinische – eine Übersetzung, die der von der römisch-katholischen Kirche bis heute benutzten Vulgata zugrunde liegt.342
336 Vgl. z.B. KELLY, Jerome, 17, der hervorhebt, dass sich Hieronymus durchaus „a smattering of logical and philosophical jargon, along with a superficial acquaintance with the distinctive ideas of the main philosophical traditions“ aneignete. Tatsächlich, so KELLY, war dies auch kaum vermeidbar, „since the text-books currently used in both grammar and rhetorical schools included numerous works (e.g., by Cicero) which were primarily philosophical in orientation“ (ibid.). 337 HAGENDAHL, Latin fathers, 337, sieht darin sogar den eigentlichen Grund für Hieronymus’ Bemühen um eine Kenntnis philosophischer Schriften: Nicht aus Interesse für philosophische Ideen war Hieronymus mit ihnen vertraut, sondern, nebst seiner „sincere admiration for their literary qualities“, einzig wegen „his ambition to enrich his own works in matter and form by all kinds of imitations and borrowings“. 338 Eine differenzierte Darstellung des Umfangs und der Qualität der Sprachkenntnisse des Hieronymus findet sich bei FÜRST, Askese, 76–79. 339 FÜRST, Askese, 79; so auch SCHADE, Schriften, XLVII: „Sicherlich nahm Hieronymus, was Sprachkenntnis angeht, für seine Zeit eine einzigartige Stellung ein.“ Dabei darf natürlich nicht außer Acht gelassen werden, dass Hieronymus seine Bildung und Sprachkenntnis gerne in Szene setzte und durchaus bei der Selbstdarstellung seiner Fähigkeiten übertrieb. So basieren seine Übersetzungen zum größten Teil auf den Vorarbeiten Anderer (vgl. dazu Nautin, Hieronymus, 309f.). 340 Vgl. Hier., adv. Rufin. III,6 (SC 303, 228,24f. LARDET); vgl. auch Hier., Iob praef. (PL 28, 1082) = Hier., adv. Rufin. II,29 (SC 303, 186,31f. LARDET): hebraeum sermonem ex parte didicimus. 341 Hier., ep. 17,2,4 (CSEL 54, 72,2 HILBERG). 342 Vgl. FÜRST, Askese, 83–87; NAUTIN, Hieronymus, 309.
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Doch nicht nur seine Sprachkenntnisse und Übersetzungen zeugen von dem hohen Bildungsgrad des Hieronymus. Er schrieb auch „ein exzellentes Latein auf klassischem Niveau und erwies sich als gewandter Literat, der in vielen Gattungen zuhause war, nicht zuletzt in der Satire, zu der er einen ausgeprägten Hang hatte.“343 In seiner umfangreichen Untersuchung zu Hieronymus, dem lateinischen Autor, im Verhältnis zur paganen lateinischen Literatur betonte Harald Hagendahl: „Latin prose has stylists of a richer individuality and a greater artistic perfection, but no one since Cicero can compete with the easy fluency of Jerome’s style. His register is wide, he possesses all modes and tempos, from plain instruction and discussion to sharp polemics, from edification and consolation to jokes and humour, from insinuation and irony to sentiment and pathos. Rufinus, who knew him better than anyone else, called him rhetor noster, and with that he hit the mark.“344 Fest steht, dass Hieronymus selbst von seinen Zeitgenossen für seine Gelehrsamkeit bewundert wurde. Auf den wohlhabenden Gallier Postumianus, der Hieronymus um 400 in seinem Kloster in Bethlehem besuchte, machte Hieronymus anscheinend großen Eindruck. Emphatisch beschrieb er Hieronymus als Wissenschaftler von „katholischer Gelehrsamkeit“ (catholica hominis scientia) und „gesunder Lehre“ (sana doctrina), der ständig lese (totus semper in lectione) und völlig in seine Bücher vertieft sei (totus in libris est). Weder tags noch nachts, so Postumianus, ruhe er (non die neque nocte requiescit). Immer lese er oder schreibe etwas (aut legit aliquid semper aut scribit).345 Hieronymus selbst war auf seine wissenschaftlichen Leistungen und den, wie kaum zu bestreiten, beachtlichen Umfang seiner veröffentlichten Schriften durchaus stolz. So unterlässt er es nicht, sich selbst als krönenden Abschluss seines Schriftstellerkatalogs De viris illustribus nicht nur zu erwähnen, sondern mit aller Ausführlichkeit auf seine Werke usque in presentem annum, id est Theodosii principis quartum decimum346 zu verweisen. 347 Mit dieser außergewöhnlichen Affinität des Autors zur Bildung, auf die er anscheinend selbst mit Stolz blickte, liegt die Vermutung tatsächlich nahe, dass sich Hieronymus gerade diesbezüglich „selbst in der Gestalt Pauli dargestellt und stilisiert hat“348. Offen bleibt jedoch, warum Hieronymus eben diese Parallele so deutlich herausstellt und welche Folgerungen daraus für die Frage nach seiner Vorstellung von Heiligkeit gezogen werden können.
343
FÜRST, Askese, 60. HAGENDAHL, Latin fathers, 316. 345 Vgl. Sulp. Sev., dial. I,9,5 (CSEL 1, 161,9–12 HALM). 346 Hier., vir. ill. 135,1 (262 BARTHOLD). 347 Vgl. Hier., vir. ill. 135,2–6 (262 BARTHOLD). 348 KECH, Unterhaltungsliteratur, 157. 344
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3.4. Ein „Bildungs-Typ“ im hagiographischen Diskurs Um den Fragen nach der Intention, die hinter der selbst-stilisierenden Darstellung eines gebildeten Heiligen steckt, und den damit einhergehenden Wechselbezügen von Bildung und Heiligkeit nachzugehen, muss zunächst darauf hingewiesen werden, dass mit dem Thema schulischer Bildung ein Feld betreten ist, „das das Christentum von den Anfängen bis in die Spätantike (und weit darüber hinaus) beschäftigt hat“ 349. Besonders im christlichen hagiographischen Diskurs, d.h. in demjenigen Prozess, bei dem es um die diskursive Etablierung von Heiligen als christlichen Leitbildern geht, galt Bildung als durchaus kontroverse Eigenschaft für einen Heiligen.350 Im Regelfall hatte sich derjenige, der sich mit den artes liberales befasst hatte, als Heiliger eigentlich bereits disqualifiziert, denn, so Gemeinhardt, „was im Unterricht des Grammatikers und des Rhetors gelehrt wird, ist zutiefst ‚heidnisch‘, sind Göttermythen, eitle Dichtung und frivole Komödien – darauf hinzuweisen werden christliche Theologen der Spätantike nicht müde. Was auch immer sanctus konkret heißen mag: Mit eruditus im schulmäßigen Sinne kann es hiernach nichts zu tun haben.“351 Hinter solcher Zurückhaltung in christlichen Kreisen gegenüber der Bildung steckte mitunter eine von Philosophen bereits häufig geäußerte Kritik an der Rhetorik. Die schon von Platon kritisierte Ablösung der Rhetorik von der Wahrheitsfrage 352 fand auch im Christentum seine prominenten Vertreter, die „Rhetorik und Rhetorikunterricht als Problem und Gefährdung“353 identifizierten. Selbst noch für Augustin, der den christlichen Kritikpunkt besonders prägnant formulierte, stellte „heidnische“ Bildung, sowohl in der Grammatik 354 als auch der Rhetorik355,
349
GEMEINHARDT, Bildung, 487. Zur Rezeption von Bildungsthemen in monastischer Literatur vgl. z.B. BURTONCHRISTIE, Word, 54–62; GEMEINHARDT, Sancta simplicitas, 85–113; RUBENSON, Philosophy, 110–136. 351 GEMEINHARDT, Sancta simplicitas, 86. 352 Besonders prägnant führt Platon sein Argument gegen die Rhetorik in dem sokratischen Dialog mit Gorgias aus, worin Sokrates bemängelt, dass die Rhetorik die Dinge selbst ihrem Wesen nach nicht zu wissen brauche ([α]ὐτὰ μὴν τὰ πράγματα οὐδὲν δεῖ αὐτὴν εἰδέναι ὅπος ἔχει), sondern lediglich ein Mittel zur Überredung gefunden haben müsse, um gegenüber den Unwissenden den Schein zu erwecken, mehr sogar noch als die (tatsächlich) Wissenden zu wissen (μηχανὴν δέ τινα πειθοῦς ηὑρηκέναι, ὥστε φαίνεσθαι τοῖς οὐκ εἰδόσι μᾶλλον εἰδέναι τῶν εἰδότων), vgl. Plat., Gorg. 459 b–c (304–306 CROISET). 353 VON DER NAHMER, Heiligenvita, 167. 354 Der Grundfehler des Grammatikunterrichts lag für Augustin darin, dass Texte nicht auf ihren Wahrheitsgehalt hinterfragt wurden, sondern schlicht „formell“ korrekt, d.h. integris et rite consequentibus uerbis copiose ornateque, aufgesagt werden mussten (vgl. Aug., conf. I,18[28] [CChr.SL 27, 15,1–6 VERHEIJEN]). 350
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aus diesen Gründen noch ein Problem dar. Im Blick auf seine eigene Bildung als Kind und Jugendlicher hatte Augustin „gelernt, das Unsinnigste mit aller Perfektion der Sprache, des rhetorischen Handwerks darzulegen und kannte ein Publikum, das weder nach Stoff noch nach Sinn fragte, sondern das Handwerk, die Perfektion der Ausführung selbst des Sinnlosen suchte, erkannte und applaudierte.“ 356 Augustin beunruhigte dabei „das Ablösen der sprachlichen Gestaltung von jeder Inhalts- und Wahrheitsfrage, was ja Rhetorik zu einer bloßen Verführungskunst machte.“357 Entsprechend nahm er eine „Unterscheidung zweier Lebensweisen und Lebensphasen vor, mit der Pointe, dass die Konversion zum Christentum und der Abschied vom Rhetorenberuf koinzidieren: Aus dem Fachmann für die ‚freien Künste‘ ist [damit überhaupt erst] ein Heiliger geworden.“358 Mit Blick auf diese teils radikal formulierte Ablehnung von Bildung in christlichen Kreisen präsentiert sich das zuvor aufgezeigte Bild des gebildeten Eremiten nun geradezu als Gegenposition: Paulus und sein Hagiograph werden, so gesehen, zu „Bildungsbefürwortern“ in einem Streit um die Ablehnung oder Integration von christlichem Glauben und „heidnischer“ Schulbildung. Entsprechend wird Paulus in der Forschung auch gerne als prominenter Repräsentant eines monastischen Bildungs-Typs“ im hagiographischen Diskurs der Spätantike angeführt359 – so z.B. von Gemeinhardt, der auf die Fragen hin, „wie gebildet ein Heiliger sein darf, ob er es gewesen sein kann oder sogar noch als Heiliger sein muss“360, Paulus als prototypisches Beispiel für den „gebildeten Eremiten“361 hervorhebt. Den Typ des „illiteraten Gottesmanns“ 362 repräsentiert dabei vornehmlich Antonius und stellt dabei gewissermaßen das paradigmatische Gegenbild zu Paulus dar. Diese Gegenüberstellung von Paulus und Antonius geschieht in Bezug auf die Bildung völlig zu Recht, denn die Vita Pauli, wie bereits oft in der Forschung bemerkt363, spielt gerade in Bezug auf diesen Aspekt eindeutig auf die Vita Antonii an:
355 Seine Aufgabe der Tätigkeit als Rhetor (subtrahere ministerium linguae meae nundinis loquacitatis) begründet Augustin z.B. prägnant damit, der Jugend, die nicht an Gottes Gesetz, sondern an lügnerischen Wahnsinn (insaniae mendaces) und an Kriege vor Gericht (bella forensia) dachten, nicht länger Waffen (arma) für ihre Raserei (furor) liefern zu wollen (vgl. Aug., conf. IX,2[2] [CChr.SL 27, 133,1–5 VERHEIJEN]). 356 VON DER NAHMER, Heiligenvita, 161. 357 A.a.O., 162. 358 GEMEINHARDT, Sancta simplicitas, 86. 359 Vgl. z.B. REBENICH, Hagiograph, 35; RUBENSON, Philosophy, 121. 360 GEMEINHARDT, Sancta simplicitas, 88. 361 Vgl. a.a.O., 94–99. 362 Vgl. a.a.O., 89–94. 363 Vgl. z.B. LECLERC, Antoine, 260; REBENICH, Hagiograph, 35.
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Wie bei Paulus ist die Muttersprache des Antonius anscheinend Koptisch.364 Im Gegensatz zu Paulus jedoch behauptet Athanasius von seinem Protagonisten – und die oft freie Übertragung des Evagrius ins Lateinische ändert nichts an dieser Behauptung –, dass Antonius des Griechischen nicht mächtig gewesen sei. Wiederholt wird betont, dass Antonius einen Dolmetscher benötigte, um sich mit griechisch sprechenden Philosophen unterhalten zu können. 365 Besonders deutlich als Anspielung auf die Vita Antonii gibt sich jedoch der Hinweis des Hieronymus auf Paulus als litteris […] adprime eruditus zu erkennen. Von Antonius hatte Athanasius bezüglich seiner Bildung berichtet: [Γ]ράμματα μὲν μαθεῖν οὐκ ἠνέσχετο 366 . Die „Übersetzung“ des Evagrius verschärft die Distanzierung zur Bildung, indem explizit auf den Schulunterricht verwiesen wird367: [C]um iam puer esset non se litteris erudiri368. Gegen das non se litteris erudiri des Antonius steht also das litteris […] eruditus des Paulus. Doch Hieronymus knüpft nicht nur an, er steigert den Gegensatz noch: Denselben Unterricht, den Antonius nämlich verweigert hatte, absolvierte Paulus sogar adprime. Mit der eindeutigen Aufnahme und Transformation dieser in der Vita Antonii getroffenen hagiographischen Aussage zur Bildung ist deutlich, dass sich Hieronymus bewusst in einen christlichen Diskurs um Bildung und Heiligkeit einbringt und dabei Position bezieht. Indem er dem illitteratus Antonius, mit Rebenich gesprochen, „das Konzept des gebildeten, und dies heißt: des mit der klassisch-heidnischen Tradition vertrauten Asketen“369 gegenüberstellt, propagiert er seine Position, dass Mönchtum und Bildung einander eben nicht ausschließen. Im Gegenteil: „Gerade der gebildete Asket ist Hieronymus’ Leitbild.“ 370 Fraglos ist damit ein entscheidender Unterschied zwischen zwei hagiographischen Idealen identifiziert, aufgrund dessen ein erstes vorläufiges Fazit hinsichtlich der Bedeutung von Bildung für eine hieronymianische Vorstellung von Heiligkeit gezogen werden kann: Bildung, so scheint es, gehört für Hieronymus, zumindest prinzipiell, zu den Eigenschaften, die ein Heiliger aufweisen kann. Im Blick auf das antagonistische Modell des illitteratus im christlichen Diskurs um Heiligkeit lässt sich besagte Selbststilisierung des Hieronymus in Paulus als Form der Selbstrechtfertigung deuten: Hieronymus präsentiert der Welt ein Paradigma, das ihm selbst als Legitimie364
Vgl. Ath., v. Anton. 1,1; 16,1 (SC 400, 130,1 [176,3 BARTELINK]); vgl. Evagr., v. Anton. 1 (160,31 BERTRAND). 365 Vgl. Ath./Evagr., v. Anton. 72,3; 74,2; 77,1 (SC 400, 320,7; 324,7; 330,19–332,1 BARTELINK; 183,1029; 184,1050; 185,1103 BERTRAND). 366 Ath., v. Anton. 1,2 (SC 400, 130,7 BARTELINK). 367 Vgl. GEMEINHARDT, Sancta simplicitas, 90. 368 Evagr., v. Anton. 1 (160,32f. BERTRAND). 369 REBENICH, Hagiograph, 35. 370 GEMEINHARDT, Sancta simplicitas, 98f.
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rung dient, auch als Christ, ja mehr noch, als Asket, ein Gebildeter zu sein. Vorbild ist der Heilige, Paulus, der Gebildete, der als principium (s.o. III.1.4) sogar den Vorbildern (Antonius) ein Vorbild ist. 3.5. Ein urchristliches Spannungsfeld Mit dem Hinweis auf eine gewisse Bildungsaffinität des Hieronymus ist eine erste wichtige Annäherung an die Frage nach der Bedeutung der Bildung für das von Hieronymus vertretene Heiligkeitsideal erfolgt. Diese Erkenntnis bedarf jedoch einiger Relativierungen, denn eine pauschale Auflösung der christlichen Bildungsfrage entlang einer klar definierte Front von Bildungsgegnern und Bildungsbefürwortern wird der Sache keinesfalls gerecht. So zeigt bereits ein vertiefter Blick in die Vita Antonii, dass trotz der Betonung des Athanasius, dass sein Held keine Bildung genossen habe (γράμματα μὴ μαθών 371 ), Antonius eine Vielzahl von Eigenschaften eines Gebildeten aufweist. Grundsätzlich kann Antonius durchaus lesen und schreiben, wie es aus zwei Episoden hervorgeht, in denen davon die Rede ist, dass er Briefe verfasste.372 Zudem wird Antonius durchaus als sprach- und denkfähiger Lehrer und Gesprächspartner gezeichnet. So besteht ein großer Teil der Vita Antonii aus einer Rede des Antonius an seine Mönche373, deren klare Struktur und Gedankenführung Antonius als keinesfalls „ungebildet“ erscheinen lassen. 374 Als scharfsinniger (ἀγχίνους) und intelligenter (συνετός) Mensch 375 kann es Antonius in diversen Streitgesprächen sogar mit der heidnischen Bildungselite aufnehmen 376 . In Auseinandersetzungen mit den griechischen Philosophen stellt Antonius geradliniges Denken und schärfste Argumentationsfähigkeiten unter Beweis. Das Erstaunen der Philosophen darüber, so viel Klugheit (σύνεσις) in einem einfachen Mann (ἰδιώτης) gefunden zu haben, wird von Athanasius explizit hervorgehoben.377 Evagrius verleiht dieser Aussage mit einer rhetorischen Frage Nachdruck, die suggeriert, dass nicht nur die Philosophen, sondern natürlich alle Anwesenden den Scharfsinn des Geis371 Ath., v. Anton. 72,1 (SC 400, 320,2 BARTELINK); vgl. Evagr., v. Anton. 72 (183,1026 BERTRAND): litteras non didicisset. 372 Vgl. Ath., v. Anton. 81,5f.; 86,2 (SC 400, 342,17–344,23 [356,3–9 BARTELINK]); vgl. Evagr., v. Anton. 81; 86 (187,1166–1173 BERTRAND). 373 Vgl. Ath./Evagr., v. Anton. 16–43. 374 Die Rede des Antonius ist sicher von Athanasius komponiert. Entscheidend ist hier jedoch nicht, wie der historische Antonius wirklich gewesen ist, sondern wie er von Athanasius als Heiliger dargestellt wird. 375 Vgl. Ath., v. Anton. 72,1 (SC 400, 320,2 BARTELINK); vgl. Evagr., v. Anton. 72 (183,1027 BERTRAND): [I]mmobilis homo et mansuetus erat. 376 Vgl. Ath./Evagr., v. Anton. 72–80. 377 Vgl. Ath., v. Anton. 73,3 (SC 400, 322,10f. BARTELINK): Ἀπῆλθον οὖν θαυμάζοντες, ὅτι τοσαύτην ἔβλεπον ἐν ἰδιώτῃ σύνεσιν.
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tes (sagacitas animi) des Antonius bewunderten. 378 Trotz der betonten Bildungslosigkeit des Antonius konstatiert Athanasius zugleich, dass er nicht von „wilder“ bzw. unkultivierter, ungebildeter Art war (γὰρ οὐχ […] ἄγριον εἶχε τὸ ἦθος) – eben nicht wie einer, der auf einem Berg gelebt und dort alt geworden sei (ὡς ἐν ὄρει τραφεὶς κἀκεῖ γέρων γενόμενος).379 Er war vielmehr voller Anmut und Feinheit (χαρίεις ἦν καὶ πολιτικός) und seine Rede war „gewürzt mit göttlichem Salz“ (ἠρτυμένον τῷ θείῳ ἅλατι).380 Obwohl Antonius also keine Bildung erworben hat, kann er die Gebildeten mit ihren eigenen (durchaus schulmäßigen) Waffen schlagen.381 Damit ist er in gewissem Sinne ungebildet und gebildet zugleich. Deutlich ist damit aber, dass die Vita Antonii keine absolute Ablehnung von Bildungsgütern vertritt, denn Antonius kann, wie gezeigt, sowohl lesen und schreiben als auch lehren, philosophisch denken und argumentieren.382 Auch auf der anderen Seite der vermeintlichen Front herrscht keinesfalls undifferenzierte Eindeutigkeit. Im Gegenteil, gerade Hieronymus ist bekannt für sein – durchaus auch stilisiertes – Ringen mit der von ihm erworbenen paganen Bildung und den damit einhergehenden Bildungsgütern.383 Als „lover of antique authors, and himself a proud man of letters“, wie Rubenson betont, bestand für Hieronymus ohne Zweifel ein Konflikt zwischen klassischer Gelehrtheit und dem Glauben – „not only theoretically but also personally“384. Deutlich spürbar in seinen Äußerungen dazu ist stets eine gewisse Scham für seine Bewunderung der griechischen und lateinischen Klassiker, denn „[i]n spite of his own preferences, he maintained that the Christian had to abandon
378 Evagr., v. Anton. 73 (184,1040–1042 BERTRAND): Quis praesentium post hanc collectionem non exclamauerit, cum obstupuerint et ipsi qui uicti sunt, tantam in imperito litterarum sagacitatem animi admirantes? 379 Vgl. Ath., v. Anton. 73,4 (SC 400, 322,12f. BARTELINK). 380 Ath., v. Anton. 73,4 (SC 400, 322,13f. BARTELINK). Evagrius schmückt auch diese Passage mit leichten Ergänzungen aus, gibt jedoch den Kern der athanasianischen Aussage wieder: Neque enim, ut in solitudine et montibus uersatus, atque omnem ibidem exigens uitam, agrestis et rigidus erat, sed iucundus atque affabilis, sermonem, secundum Apostoli praeceptum, diuino conditum sale proferebat (Evagr., v. Anton. 73 [184,1042–1044 BERTRAND]). 381 Vgl. GEMEINHARDT, Antonius, 111. 382 Wichtig ist Athanasius dabei die Quelle der Befähigung des Antonius zum „gebildeten“ Diskurs. Antonius, so Athanasius, ist nämlich θεοδίδακτος (Ath., v. Anton. 66,2 [SC 400, 308,4f. BARTELINK]), d.h. von Gott gelehrt (s.u. III.3.7). Eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Thema Bildung in der Vita Antonii findet sich bei GEMEINHARDT, Antonius, 110–121. 383 Zum inneren Konflikt des Hieronymus hinsichtlich seiner Bildung vgl. z.B. HAGENDAHL, Latin fathers, 309–328; KASTER, Guardians, 81–83; KELLY, Jerome, 41–44. 384 RUBENSON, Philosophy, 120f.
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the classical heritage and stick to the pure and simple faith of the Bible“385. So betont auch Robert Kaster zu Recht: „[C]ontrolling the effects of his own education was a struggle set between scarcely reconcilable poles.“ 386 Anschaulich äußerte Hieronymus diesen Standpunkt in dem später verfassten Brief an Eustochium, der er von vornherein abrät, als redegewandt (diserta) erscheinen zu wollen oder sich an lyrischen Liedern (lyrica carmina) zu versuchen. 387 Denn, so fragt er sie dort in Anlehnung an Tertullian (ca. 160– 220388), der einst als einer der lautstärksten Gegner christlicher Einbeziehung heidnischer Bildung in anderem Zusammenhang ausgerufen hatte: Quid ergo Athenis et Hierosolymis? Quid Academiae et ecclesiae? Quid haereticis et christianis? 389 Quid facit cum psalterio Horatius? Cum euangeliis Maro? Cum apostolo Cicero?390 Damit ist die Grenze zwischen klassischer Bildung und christlichem Glauben in antithetischer Unbedingtheit gezogen: Klassische Bildung und christlicher Glaube, so Hieronymus hier, sind Gegensätze. Beschäftigung mit heidnischer Literatur kommt demnach dem Götzendienst gleich, und keinesfalls, so Hieronymus, könne zugleich aus dem „Kelch Christi“ und dem „Kelch der Dämonen“ getrunken werden.391 Mit reuevoller Miene blickt er auf seine Verfehlungen in den Jahren kurz vor seinem Rückzug in die Wüste Chalkis zurück und gesteht, dass er selbst, als er sich schließlich dazu entschlossen hatte, Heimat, Eltern, Schwester und Verwandte hinter sich zu lassen, um ein asketisches Leben zu führen, es nicht zustande brachte, auch auf seine Bibliothek, quam mihi Romae summo studio ac labore confeceram, zu verzichten. 392 Hieronymus scheiterte an dem eigenen Anspruch, den Bruch so radikal zu vollziehen, wie es die Dichotomie von Bildung und Glaube gefordert hätte. Stattdessen las er Cicero, während er fastete, und nahm Plautus zur Hand, nachdem er die Nacht in Buße durchwacht hatte.393 Sein „Bekehrungserlebnis“ folgte nach eigener Aussage in Form einer im Fieber erfahrenen Vision, in der er raptus in spiritu ad tribunal iudicis geschleppt und nach seiner condicio befragt wird. Seine Antwort, dass er 385
Ibid. KASTER, Guardians, 81. 387 Vgl. Hier., ep. 22,29,6 (CSEL 54, 188,11f. HILBERG). 388 SCHULZ-FLÜGEL, Tertullian, 668. 389 Tert., praescr. 7,9 (FC 42, 244,16–18 SCHLEYER). 390 Hier., ep. 22,29,7 (CSEL 54, 189,2f. HILBERG). 391 Vgl. Hier., ep. 22,29,7 (CSEL 54, 189,6f. HILBERG): [S]imul bibere non debemus calicem Christi et calicem daemoniorum. 392 Vgl. Hier., ep. 22,30,1 (CSEL 54, 189,9–13 HILBERG). 393 Vgl. Hier., ep. 22,30,1f. (CSEL 54, 189,13–16 HILBERG): [I]taque miser ego lecturus Tullium ieiunabam. Post noctium crebras uigilias, post lacrimas, quas mihi praeteritorum recordatio peccatorum ex imis uisceribus eruebat, Plautus sumebatur in manibus. 386
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Christ sei, bezichtigt der Richter der Lüge (mentiris!): Keinesfalls nämlich sei er Christ, sondern vielmehr Ciceronianer.394 Hieronymus wird mit schweren Schlägen bestraft, erhält aber auf sein Flehen hin eine Gelegenheit, seinen Irrtum zu büßen, und zieht mit einem Schwur die radikale Konsequenz: [D]omine, si umquam habuero codices saeculares, si legero, te negaui 395 ! Fortan wolle er heidnische Schriften weder besitzen noch in ihnen lesen. Unabhängig von den Fragen, ob sich dieses Ereignis im Leben des Hieronymus tatsächlich zugetragen hat396, und ob bzw. inwiefern sich Hieronymus in den folgenden Jahren tatsächlich an seinen Vorsatz gehalten hat397, fest steht, dass Hieronymus mit der Schilderung dieses Erlebnisses eine (radikale) theologische Position bezieht, die christliches Heilsbestreben und den Umgang mit heidnischen Bildungsgütern in ein adversatives Verhältnis stellen. Mit dem ungebildet „gebildeten“ Antonius und dem hochgebildeten Hieronymus, für den säkulare Bildung eine konstante Bedrohung für das Christ394 Vgl. Hier., ep. 22,30,3f. (CSEL 54, 190,1–13 HILBERG): [D]um ita me antiquis serpens inluderet, in media ferme quadragesima medullis infusa febris corpus inuasit exhaustum et sine ulla requie – quod dictu quoque incredibile sit – sic infelicia membra depasta est, ut ossibus uix haererem. interim parabantur exsequiae et uitalis animae calor toto frigente iam corpore in solo tantum tepente pectusculo palpitabat, cum subito raptus in spiritu ad tribunal iudicis pertrahor, ubi tantum luminis et tantum erat ex circumstantium claritate fulgoris, ut proiectus in terram sursum aspicere non auderem. interrogatus condicionem Christianum me esse respondi. et ille, qui residebat: ‚mentiris‘, ait, ‚Ciceronianus es, non Christianus‘. 395 Hier., ep. 22,30,5 (CSEL 54, 191,6f. HILBERG). 396 Die Frage nach der Historizität des Traumgesichts wird ausführlich bei HAGENDAHL, Latin fathers, 309–328 diskutiert. Hagendahl zufolge sei der Traum besonders aussagekräftig als „a specimen of Jerome’s state of mind, most interesting from a psychological point of view“ (a.a.O., 319); vgl. auch KELLY, Jerome, 41–44, der betont: „We are not, of course, obliged to believe in the objective reality of the persons and events that figured in the dream. What seems evident is that, surging up from his uneasy subconscious, they accurately reflected the deep psychological tensions by which he was racked. There was, after all, an irreconcilable conflict, of which he himself was all too painfully aware, between his enthusiastic world-renouncing aspirations on the one hand, and his wholehearted delight in the classical, humanist culture, to which everything he wrote at the time bears witness, on the other“ (a.a.O., 43); vgl. auch KASTER, Guardians, 81–83. 397 In Anbetracht der umfangreichen Zitate klassischer Autoren spätestens in den Kommentaren des Hieronymus gilt als communis opinio, dass sich Hieronymus zumindest auf Dauer keinesfalls an seinen Schwur gehalten habe (vgl. HAGENDAHL, Latin fathers, 320– 328). Hagendahl hält es zwar für möglich, „that the vision had some effect for fifteen years or so, but after that he regarded it as in no way binding“ (a.a.O., 323). Entgegen der Behauptung des Hieronymus, er könne das Gelesene und Studierte einfach nicht vergessen, hält Hagendahl den Befund („hundreds of passages quoted word for word over more than fifty years without any refreshing of the memory“ [a.a.O., 322, Anm. 2]) für völlig undenkbar.
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sein an sich darstellt, zeigt sich, dass sich die zuvor an Personen festgemachte Gegenüberstellung von „Bildungsgegnern“ und „Bildungsbefürwortern“ auch als „interne“ Spannung manifestiert, deren Pole sich keinesfalls einseitig aufheben. Tatsächlich tut sich damit ein Spannungsfeld auf, das die christliche Debatte der Bildungsfrage im Prinzip von früh an beschäftigt und durchaus biblische Wurzeln hat. So bieten konträre biblische Bilder und Aussagen die Paradigmen für die jeweiligen Pole des Spannungsfeldes: Zum einen nämlich hatte Christus nicht etwa Philosophen und Gebildete, sondern Fischer, illiterate Männer (fides piscatorum), zur Verkündigung des Reiches Gottes gesandt. Zum anderen aber war es Christen von Anbeginn immer auch ein Anliegen gewesen, sich eben nicht in eine bildungsferne Ecke abdrängen zu lassen, sondern dem Anspruch Genüge zu tun, in Christus die Offenbarung des Logos selbst zu verkünden. 398 Auch die paulinische Gegenüberstellung der σοφία τοῦ κόσμου mit dem λόγος ὁ τοῦ σταυροῦ (vgl. 1 Kor 1,18–31) trägt die Züge dieses Spannungsfeldes: Während der Diskurs mit den Gebildeten auf ihrem Niveau gesucht und geführt wird (vgl. Apg 17,16–34), geht es zugleich darum, aufzuzeigen, dass Gott „die Weisheit der Weisen, und den Verstand der Verständigen“ verwirft (vgl. 1 Kor 1,19: ἀπολῶ τὴν σοφίαν τῶν σοφῶν καὶ τὴν σύνεσιν τῶν συνετῶν ἀθετήσω). Erwählt ist, mit 1 Kor 1,27, gerade das „Törichte der Welt“ (τὰ μωρὰ τοῦ κόσμου), auf dass Gott damit „die Weisen zunichtemache“ (ἵνα καταισχύνῃ τοὺς σοφούς). Mit dem Thema Bildung ist also geradezu ein ‚urchristliches Spannungsfeld‘399 identifiziert, das sich immer auch durch ein Ringen um die ‚Harmonisierung von griechischer paideia und christlicher Heiligkeit‘400 auszeichnete. Gefragt wird also letztlich, wie auch Gemeinhardt in seiner Bildungstypologie betont, „nicht, ob, sondern welche Bildung man verweigern solle, um ein wahrer Christ zu sein“401. Der von Hieronymus in Anlehnung an Tertullian so prägnant formulierte Anspruch einer radikalen Dichotomie von Bildung und Glauben ist so zumindest weder praktiziert noch bedingungslos vertreten worden. 3.6. Paulus und Hieronymus: Bücher in der Wüste Mit diesem Befund ist es kaum überraschend, dass auch die Vita Pauli eine Spannung in Bezug auf das Thema Bildung enthält. Bemerkenswert ist nämlich, dass der gebildete Paulus mit seinem Rückzug in die Wüste nicht nur
398
Vgl. GEMEINHARDT, Bildung, 5; RUBENSON, Philosophy, 111. Vgl. GEMEINHARDT, Bildung, bes. 5–11; KASTER, Guardians, 70–95. 400 Vgl. RUBENSON, Philosophy, 133. 401 GEMEINHARDT, Sancta simplicitas, 91. 399
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Heimat, Familie und Wohlstand, sondern auch jegliche literarische Tätigkeit hinter sich lässt. Während seines Wüstenaufenthalts ist weder von einer lehrenden noch einer wissenschaftlichen noch sonst einer geistigen Betätigung die Rede. Anders als Antonius unterrichtet Paulus weder andere Mönche noch streitet er mit Häretikern oder Philosophen. Paulus nimmt auch keine Bücher mit in die Wüste, die er dort studiert. Auch lässt er sich nach seinem Rückzug keine Bücher schicken. Es wird überhaupt nicht berichtet, dass Paulus etwas liest, und auch nicht, dass er irgendetwas schreibt. Anders als Antonius verfasst Paulus nicht einmal Briefe. Im Gegenteil, Hieronymus betont geradezu, dass sein Protagonist so sehr in Einsamkeit und Abgeschiedenheit gelebt habe, dass „kein Mensch erfahren“ (VP 1,4) habe, was Paulus in den Jahrzehnten zwischen Flucht und Besuch des Antonius widerfahren sei. Paulus hat also nicht nur keinen Menschen gesehen, sondern auch keinem Menschen etwa in einem Brief von seinem Wüstenaufenthalt berichtet. Paulus hat aber auch keine Briefe erhalten, in denen ihm etwa Bericht über die Welt erstattet worden wäre: Seine Fragen an den ihn zu seinem Lebensende besuchenden Antonius (VP 10,1) zeigen, dass er weder etwas über die Menschen weiß (narra mihi, quaeso, ut sese habeat hominum genus) noch über den Entwicklungsstand der Städte (an in antiquis urbibus noua tecta consurgant). Auch hinsichtlich der politischen Verhältnisse (quo mundus regatur imperio) und über die Verbreitung des christlichen Glaubens (an supersint aliqui qui daemonum errore rapiantur) hat er keine Kenntnisse. Das Ideal, dass Hieronymus hier vermittelt, ist das des vollkommenen Bruchs mit der Außenwelt. Dieser Bruch gilt augenscheinlich auch für die Bildung. Selbst um ihretwillen macht Paulus in seinem eremitischen Entschluss keine Kompromisse. Entgegen der zuvor festgestellten Übereinstimmung zwischen Autor und seinem Protagonisten hinsichtlich der Bildung, unterscheidet sich Paulus in all diesen Aspekten dezidiert von seinem Hagiographen Hieronymus, der sich selbst während seiner Wüstenaskese in der Chalkidike weiterhin literarisch und wissenschaftlich betätigte. Den in der „Wüste“ von Hieronymus an diverse Adressaten verfassten Briefen402 ist zu entnehmen, dass ein reger Brief-
402 Dreizehn Briefe (ep. 5–17) lassen sich dem zweijährigen Aufenthalt in der Chalkidike zuordnen (vgl. CAIN, Letters, 22). Hieronymus verweist darin dezidiert auf seinen „Wüstenaufenthalt“: vgl. z.B. ep. 5, 1,1 (CSEL 54, 21,3f. HILBERG): In ea mihi parte heremi commoranti, quae iuxta Syriam Sarracenis iugitur; ep. 6, 2,1 (CSEL 54, 25,1f. HILBERG): Sanctus frater Heliodorus hic adfuit, qui, cum mecum heremum uellet incolere, meis sceleribus fugatus abscessit; ep. 7, 1,2 (CSEL 54, 26,9–11 HILBERG): [S]ancto Euagrio transmittente in ea ad me heremi parte delatae sunt, quae inter Syros ac Sarracenos uastum limitem ducit; ep. 15, 2,2 (CSEL 54, 64,4f. HILBERG): [A]d eam solitudinem conmigraui, quae Syriam iuncto barbariae fine determinat; ep. 16, 2,1 (CSEL 54, 69,5 HILBERG): [N]unc barbaro Syriae limite teneor.
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III. Der heilige Paulus von Theben
verkehr stattgefunden hat. 403 Zum Teil beklagt sich Hieronymus sogar über die mangelhafte briefliche Frequenz seiner Korrespondenten.404 Den Priester Florentinus bittet er sogar ausdrücklich, die Freundschaft durch reciprocae epistulae zu besiegeln: [I]llae inter nos currant, illae se obuient, illae nobiscum loquantur.405 Den Briefen ist aber auch zu entnehmen, dass Hieronymus mehr tat, als nur Briefe zu lesen und zu schreiben. Besagten Florentinus nämlich bittet er um zahlreiche Codices, die er in einem Verzeichnis dem Brief angehängt habe.406 Im Gegenzug bietet Hieronymus dem Adressaten an, von ihm Abschriften zu fordern, schließlich besitze er multi sacrae bibliothecae codices und habe zudem alumni zum Abschreiben derselben zur Verfügung, qui antiquariae arti seruiant.407 Dass sich Hieronymus während seines Wüstenaufenthalts literarisch betätigte, beweist die Vita Pauli selbst, die während dieser Zeit verfasst worden ist. Auch das Begleitschreiben an Paulus von Concordia (s.o. II.4.1) enthält die Bitte um Bücher und zeugt von der theologischen Betätigung des Autors: Nebst den Kommentaren des Fortunatianus wünscht sich Hieronymus das Geschichtswerk des Aurelius propter notitiam persecutorum und die Briefe Novatians, um die Gifte (uenuna) des Schismatikers kennenzulernen, auf dass er dann noch lieber das Gegengift des Cyprian trinke (libentius sancti martyris Capriani bibamus antidotum).408 Mit diesem Kontrast zwischen dem Hagiographen und seinem Heiligen stellt sich erneut die Frage nach der Selbststilisierung: Wie steht es um Paulus als „getreues Abbild“ des Hieronymus? Die Vita Pauli ist nur wenige Jahre nach Hieronymus’ behaupteten Traumgesicht 409 verfasst worden, auf dessen Impuls er sich, nach eigener Darstellung, in die Wüste Chalkis begeben hatte, um sich dem eremitischen Ideal hinzugeben. Hier entwirft Hieronymus mit der Figur des Paulus ein monastisches Ideal. Mit der Tatsache, dass sein Protagonist gebildet ist, ist zunächst eine gemeinsame Basis etabliert, die sicherlich zugleich apologetische Züge trägt: Paulus hatte, wie Hieronymus selbst, eine klassische Bildung genossen und „liebte Gott sehr“ (Deum ualde amans), 403
Hieronymus erwähnt Briefe, die er empfangen hat z.B. in ep. 5, 1,1 (CSEL 54, 21,4 HILBERG): [T]uae dilectionis scripta sunt perlata; ep. 7, 2,1 (CSEL 54, 27,4 HILBERG): Nunc cum uestris litteris fabulor. 404 Vgl. z.B. Hier., ep. 8 (CSEL 54, 31,8–33,4 HILBERG); der gesamte kurze Brief an den Subdiakon Niceas ist eine blumig verpackte Beschwerde, dass der Freund Hieronymus brieflich vernachlässigt habe. 405 Vgl. Hier., ep. 5,1,1 (CSEL 54, 21,10–13 HILBERG). 406 Vgl. Hier., ep. 5,2,2 (CSEL 54, 22,6–8 HILBERG): [E]t ex hoc quaeso, ut eos libros, quos non habere me breuis subditus edocebit, librarii manu in charta scribi iubeas. 407 Vgl. Hier., ep. 5,2,4 (CSEL 54, 22,14–17 HILBERG). 408 Vgl. Hier., ep. 10,3,2 (CSEL 54, 2–5 HILBERG). 409 Von dem er natürlich erst ca. 10 Jahre später berichtet.
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wie es Hieronymus in unmittelbarem Anschluss an die Erwähnung der Bildung des Paulus in VP 4,1 betont. An seiner paganen Bildung, die anderen Christen anstößig erschienen sein mag, konnte Hieronymus rückwirkend natürlich nichts ändern. Möglich war es jedoch, sie ins rechte Licht zu rücken: So erstrahlt mit der Bildung des principium des Eremitentums als Leitbild auch die Bildung des Hieronymus im Licht des Heiligen. Anders als Hieronymus lässt Paulus seine Bildung aber radikal hinter sich. Damit ist er mehr als nur apologetisches „Abbild“ des Hieronymus: Paulus ist auch ein Vorbild für seinen Hagiographen, dessen ‚innerster Konflikt seiner Seele‘, wie Hagendahl betont, nie ‚ein stabiles Equilibrium‘410 erreichte. Hieronymus hält sich also auch selbst ein Ideal vor Augen, das Ideal des „Ersten“, des Prinzips: ein Eremit ohne Bücher in der Wüste. 3.7. Paulus und Antonius: aplastos vs. eruditus Mit seiner Abwendung von der Bildung unterscheidet sich Paulus nicht nur von Hieronymus. Auch zur Darstellung des Antonius in der Vita Antonii zeigt sich diesbezüglich eine wesentliche Differenz. In gewisser Hinsicht nämlich verläuft die narrative „Bewegung“ hinsichtlich der Bildung in beiden Erzählungen in diametral entgegengesetzte Richtungen: Während Paulus seine erworbene Bildung während seines Wüstenaufenthalts hinter sich lässt, stellt sich während der Askese des Antonius heraus, dass er „gebildet“ ist, ohne dass er zu Beginn Bildung erworben hätte. Bei dem Einen beginnt die Erzählung also mit einer erworbenen Bildung und endet (in gewisser Hinsicht, wie sich zeigen wird) „ohne“ sie, während sich die Erzählung über den Anderen von der Ablehnung von irreführender Bildung zur Entdeckung einer eigentlichen „Bildung“ bewegt. Hinter diesen narrativen Konzepten stehen je unterschiedliche Standpunkte zur Bildung, die, wie sich zeigen wird, wiederum eng verwoben sind mit unterschiedlichen Vorstellungen von Heiligkeit. Wie bereits angedeutet wird nicht etwa die Sprach- und Denkfähigkeit des Antonius von Athanasius in Frage gestellt. Folglich handelt es sich auch nur um einen gewissen Aspekt der Bildung, mit dem Athanasius seinen Helden dissoziiert. Erkennen lässt sich dieser Aspekt bereits in den Aussagen des Athanasius über die Kindheit des Antonius (s.o. III.2.5). Athanasius begründet die Ablehnung der Bildung mit der Sehnsucht des Antonius, ἄπλαστος
410 Vgl. HAGENDAHL, Latin fathers, 328. Der innere Konflikt des Hieronymus zeigt sich vielleicht am deutlichsten im Hinblick auf sein Verhältnis zu seinem „Lieblingspoeten“ Vergil: „No poet, no classic author altogether came nearer to Jerome’s heart than Virgil […]. On the other hand Jerome emphasizes just in his favourite poet the incompatibility of pagan and Christian spheres of ideas“ (a.a.O., 276).
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III. Der heilige Paulus von Theben
(d.h. „unverbildet“) bleiben zu wollen.411 Mit diesem Hinweis, so auch Rubenson, ist eine Aussage über das Wesen des Antonius selbst getroffen. 412 Athanasius signalisiert damit „the natural and inherent holiness of Antony right from the beginning“413. Antonius wird also nicht zum Heiligen, er ist es bereits von Anbeginn. Dies zeigt sich nicht nur hinsichtlich der Familie und Herkunft, sondern auch in dem Umgang des Heiligen mit Bildung: Antonius lehnt sie ab, um „unverbildet“ zu bleiben, d.h. so zu bleiben, wie er ist, „in accordance with his God-given nature.“ 414 Veränderung, die von „außen“ kommt, ist in dem athanasianischen Ansatz also eine Bedrohung für den Heiligen. Askese ist in diesem Ansatz gewissermaßen das „Gegenmittel“ zur weltlichen Bildung, wie Rubenson betont: „[I]n contrast to worldly formation, asceticism does not add anything to man, its purpose is not growth and development but protection of stability. Ascetic formation prevents the ascetic from change“415. Bereits begrifflich ist mit „Bildung“ ein verändernder Eingriff impliziert, eine „Formung“, die von außen kommt. Da der Heilige jedoch bereits mit einer gewissen heiligen „Reinheit“ geboren ist, hat er durch eine verändernde Bildung nur etwas zu verlieren. Mit Askese, so auch Rubenson, müsse diese „inherent purity“ verteidigt werden – „guarded against the pollution of grammata“416. Die innere „Reinheit“ des Heiligen manifestiert sich für Athanasius in dem νοῦς, der, wenn er gesund ist (ὑγιαίνω), keiner Bildung (γράμματα) bedarf. 417 Ein gesunder νοῦς zeichnet sich durch seine Verbindung zu Gott aus. Bei Antonius ist klar, dass Gott selbst die Quelle seines Handelns und Wissens ist. Sein verständiger, gleichsam von Gott „gebildeter“ νοῦς ist einzig auf das schöpferische Wirken Gottes zurückzuführen – sein νοῦς ist „rein“, eben weil keiner außer Gott auf ihn „bildend“, d.h. „formend“ Einfluss genommen hat, und so geht es letztendlich bei der die
411
Vgl. Ath., v. Anton. 1,3 (SC 400, 130,8–10 BARTELINK): Τὴν δὲ ἐπιθυμίαν πᾶσαν εἶχε, κατὰ τὸ γεγραμμένον, ὡς ἄπλαστος οἰκεῖν ἐν τῇ οἰκίᾳ αὐτοῦ; vgl. Evagr, v. Anton., 1 (160,33f. BERTRAND): [O]mni desiderio flagrans […] innocenter habitabat domi. 412 Vgl. RUBENSON, Philosophy, 115: „What is at stake in the opening phrases of the Vita Antonii is […] the essence of Antony’s character“; vgl. auch RUBENSON, Pythagoras, 197–199. 413 RUBENSON, Philosophy, 115 414 Ibid. 415 Ibid. 416 A.a.O., 134. 417 Ath., v. Anton. 73,3 (SC 400, 322,8f. BARTELINK). Mit grammata, so GEMEINHARDT, Antonius, 111, gehe es hier um „literarische Bildung, wie man sie beim Grammatik- und Rhetoriklehrer erwerben konnte, und darüber hinaus um philosophische Bildung“; vgl. Evagr., v. Anton. 73 (184,1039f. BERTRAND): Igitur cui sensus incolumis est, his litteras non requirit.
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(bildende) Veränderung abwehrenden Askese darum, in der Weisheit Gottes zu bleiben. Antonius hat und braucht keine klassische Bildung, weil er allein „von Gott gebildet“ ist. Antonius ist θεοδίδακτος. 418 Entsprechend kann er sich auch gegen die Philosophen behaupten.419 Dabei geht es eben nicht um eine Auseinandersetzung zwischen einem Ungebildeten mit den Gebildeten, wie Rubenson auch in Bezug auf die unterschiedliche Darstellung von Antonius durch Athanasius und Pythagoras durch Jamblich festgestellt hat: „The conflict between the two […] is a matter of their sources.“420 Antonius hat die bessere Quelle der Weisheit: Christus. Athanasius lehnt also nicht die Bildungsgüter, wie zum Beispiel rhetorische Kompetenz, an sich ab, die Antonius ja offensichtlich besitzt und beherrscht, sondern problematisiert zum einen die Bildungsquelle und damit zugleich den Bildungsprozess. Der Heilige ist heilig, weil Gott von Anbeginn die Quelle seines νοῦς ist. Weltliche Bildung kann nur eine Veränderung dieses reinen νοῦς bedeuten und ist somit abzulehnen, da sie zu Entfernung, ja zur Entfremdung von Gott führt. Hinsichtlich der dahinterstehenden Vorstellung von Heiligkeit ist damit zugleich ein entscheidender Unterschied zur Darstellung des Paulus in der Vita Pauli identifiziert421: Während sich die Heiligkeit des Antonius nämlich darin manifestiert, dass er aplastos ist (d.h. ungebildet, unverändert, ungeformt, ursprünglich bzw. bei seinem Urzustand verblieben), ist Paulus eruditus, d.h. gebildet, geformt, geworden, aus seinem rohen Urzustand „entroht“. Beide Protagonisten sind als Heilige sprachfähig, d.h. zur intellektuellen Auseinandersetzung und Kommunikation imstande. „Bildung“ als geistige Prägung, d.h. als geistig befähigter Zustand, wird weder von Hieronymus noch Athanasius abgelehnt. Von entscheidender Bedeutung ist lediglich, wie der Heilige in diesen, einem Heiligen gemäßen Zustand gelangt. Während inner-weltliche Bildung für Athanasius ein Sich-Entfernen von einem heiligen Ursprung bedeutet, spricht bei Hieronymus anscheinend nichts gegen den Entwicklungsprozess einer schulischen Bildung als Grundlage, „upon which Christian knowledge and piety can build“422. Für die jeweilige Vorstellung von Heiligkeit lässt sich daraus folgern, dass der Heilige für Athanasius von Anbeginn heilig ist (d.h. von Gott zum Heili-
418 Ath., v. Anton. 66,2 (SC 400, 308,4f. BARTELINK); vgl. GEMEINHARDT, Antonius, 119–121; RUBENSON, Pythagoras, 206. 419 Zu Antonius’ „Schlagabtausch mit griechischen Philosophen“ vgl. auch GEMEINHARDT, Antonius, 112–118. 420 RUBENSON, Pythagoras, 208. 421 Vgl. auch RUBENSON, Philosophy, 133, der hier von „two different approaches to classical education and its relation to the sanctity of the saint“ spricht. 422 RUBENSON, Philosophy, 134.
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III. Der heilige Paulus von Theben
gen „gebildet“ worden ist), für Hieronymus hingegen kann ein Heiliger im Laufe (nicht jedoch notwendigerweise wegen) seiner Heranbildung (auch mit inner-weltlichen Bildungsgütern) zum Heiligen werden. 423 Als Quelle der Heiligkeit wird bei Athanasius viel deutlicher Gott selbst betont. Die Hagiographie des Hieronymus hingegen stellt, wie gezeigt (s.o. III.2.1), vielmehr die (ihn verändernden) Taten des Heiligen in den Vordergrund. Heiligkeit, so scheint Hieronymus zu implizieren, wird nicht einfach von vornherein verschenkt, sondern bildet sich im Handeln wie im Lernen und Studieren des Heiligen heran. Mit eruditus ist also ein wesentlicher Aspekt der Heiligkeitsvorstellung des Hieronymus in der Vita Pauli identifiziert. Wie ist diese Vorstellung jedoch mit dem oben hervorgehobenen Bruch des Paulus mit seiner Bildung zu vereinbaren? 3.8. Heiligkeit und Bildung: Der gebildete Glaube Beobachtet worden ist bisher, dass Paulus eine Bildung erfahren hat und dass Hieronymus eine den Menschen verändernde Bildung, als Bestandteil der „Werdung“ des Heiligen, prinzipiell für unproblematisch hält. Für das eigene 423
In diesem Zusammenhang ist auch die Interpretation des Zentauren in der Vita von Patricia Cox Miller erwähnenswert. Für Miller ist der Zentaur ein „Hyper-Icon“ für die Funktion der Wüste in dem Prozess der Entwicklung des Asketen zum Heiligen. Indem der „wilde“ Zentaur durch seine Bekehrung „entroht“ wird, fungiert er für Miller „as a picture of a theory of human destiny when the human is released from a society viewed as obstructing the pursuit of religious transformation“ (MILLER, Jerome’s centaur, 230). Als Bild für das asketische Ziel der Heiligung weist der zum Glauben bekehrte Zentaur also analoge Züge zu der von Hieronymus vertretenen Dynamik der Heilig-werdung eines Menschen auf. Eine ähnliche Interpretation der mythologischen Gestalten in der Vita bietet Dorothea Weber. Faun und Zentaur deutet sie als Begegnung des Asketen mit den Inhalten antiker Literatur und somit mit paganer Bildung. Die Wüste ist, Weber zufolge, „mit ursprünglich zwar heidnischen, doch für einen Christen nicht nur nicht gefährlichen, sondern sogar nützlichen Figuren bevölkert. Dieses Szenario scheint die Vermutung zu erlauben, dass Hieronymus den gerade zu seiner Zeit oft erhobenen Anspruch, heidnische Bildung für das Christentum fruchtbar zu machen, narratologisch umformt und zu einer Episode gestaltet“ (WEBER, Paulus, 77). Faun und Zentaur sind Figuren aus griechischer Tradition. Sie bilden die Grundlage für den Weg zum Heiligen, indem sie dem Wanderer, dem sich auf der Suche nach dem Heiligen und „Heiligkeit“ befindenden Asketen, den Weg weisen und ihm „Nahrung“ bieten. Als Metapher für die pagane Bildung erkennen Faun und Zentaur neidlos an, dass sie nur Wegbereiter sind. Auch das römische Erbe, das durch die römische Wölfin symbolisiert wird, weist dem Suchenden den Weg zum christlichen Heiligen. Sie taucht als letzte Figur auf der Reise des Antonius auf. Ohne etwas zu sagen, verschwindet sie in der Höhle – „lechzend“, wie Hieronymus betont. Ist damit etwa der Durst des römisch Gebildeten angedeutet, der die griechische Bildung kennt, der aber erst im christlichen Eremitentum gelöscht werden kann?
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Ringen des Hieronymus um pagane Bildung als zutiefst unchristliche Beschäftigung ist der Bruch des Paulus mit jeglichen Bildungs-Tätigkeiten der Wüste als eine radikale Verwirklichung eines Ideals gedeutet worden, das sich Hieronymus in seiner eigenen Unfähigkeit, von der Bildung zu lassen, selbst vor Augen hält. Doch obwohl Paulus weder Bücher in die Wüste mitnimmt noch Briefe schreibt oder mit Philosophen diskutiert, macht er beim Besuch des Antonius, wie gezeigt, den Anschein eines Gebildeten. Mit dem hohen Stil seiner Sprache und den darin enthaltenen literarischen Anspielungen zeigt sich, dass Paulus in der Wüste eben nicht rudis geworden, sondern nach wie vor eruditus ist. Diese Spannung zwischen Bildung und Abwendung von Bildung erfordert eine weitere Differenzierung, wobei zwischen den von Hieronymus befürworteten und den von ihm verurteilten Aspekten der Bildung unterschieden werden muss. Zunächst muss darauf verwiesen werden, dass mit der Beobachtung zur Bildung des Paulus in der Wüste lediglich eine Aussage über die Form seiner Rede gemacht ist: Paulus vermag sich gebildet auszudrücken. Seine Worte lassen erkennen, dass er einst eine klassische Bildung genossen hatte. Entscheidend sind jedoch die Inhalte seiner wörtlichen Beiträge, die keinesfalls „Bildungs“-Themen, etwa aus der Philosophie oder aus heidnischer Literatur, gewidmet sind. Seine Äußerungen sind vielmehr theologischer Natur und dabei entsprechend mit biblischen Bildern und Zitaten gespickt. Mit der Anspielung auf Gen 3,19 deutet Paulus in VP 10,1 z.B. in prophetischer Manier auf seinen bevorstehenden Tod: En uides hominem, puluerem mox futurum. Die Erwähnung in VP 10,1, dass die Liebe alles erträgt (caritas omnia sustinet), umfasst mit den Worten aus 1 Kor 13,7 geradezu in nuce das Wesen seiner Heiligkeit im asketischen Kampf der Nachfolge Christi. Der Erhalt des Brotes wird von Paulus in VP 10,3 theologisch gedeutet (dominus nobis prandium misit) und mit einer in den Psalmen häufig getroffenen Aussage424 über das Wesen Gottes gepriesen (uere pius, uere misericors). Die Rede des Paulus in VP 11,3 deutet die Ankunft des Antonius als Erfüllung eines göttlichen Versprechens (conseruum meum mihi promiserat Deus): Antonius sei von Gott geschickt worden, auf dass er ein Begräbnis erhalte (tu missus a Domino es, qui humo corpusculum tegas), das mit dem Hinweis auf die Rückgabe des Staubs zu Staub (immo terram terrae reddas) biblischen Vorlagen entspricht (vgl. Gen 3,19; Mt 22,21). Dabei wird der Tod selbst mit unterschiedlichen Metaphern theologisch gedeutet: Das Entschlafen (dormitio) impliziert die christliche Hoffnung auf „Erweckung“ zu einem neuen Leben. Dieses neue Leben zeichnet sich zum einen, mit 1 Kor 15,35–57, wesentlich durch eine Existenz nicht im „Fleisch“ (σάρξ), sondern in einem neuen „Körper“ (σῶμα) aus, weshalb sich der alte fleischliche Körper, wie Paulus in 424
Vgl. z.B. Ps 86,15; 103,8; 111,4; 116,5.
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III. Der heilige Paulus von Theben
Anlehnung an Phil 1,23 betont, „auflösen“ (dissoluere) bzw., wie er in VP 12,2 bemerkt, dass die „Bürde des Fleisches“ (sarcina carnis) abgelegt (abiiecere) werden müsse. Das zweite zentrale Bild für die christliche Hoffnung für das Leben nach dem Tod ist das „Sein mit Christus“ (esse cum Christo). Auch hier nimmt Paulus eine Wendung aus Phil 1,23 auf. In VP 11,3 äußert Paulus zudem die Erwartung, nach vollendetem Lauf (peracto cursu), die „Krone der Gerechtigkeit“ (corona iustitiae) zu erhalten, die, mit 2 Tim 4,7f., Christus selbst denen überreichen wird, die wie der Apostel den guten Kampf gekämpft, den Lauf vollendet und den Glauben gehalten haben. 425 Eschatologisch ausgerichtet ist auch das in VP 12,2 geäußerte und Offb 14,4 entnommene Bild der Nachfolge des Lammes (Agnum sequi) als Metapher für die Auferstehung in das zukünftige Leben. Auch Paulus letzte Ermahnung des Antonius in VP 12,2, in der er ihn darauf hinweist, nicht „das Seine“ zu suchen, sondern das (Wohl) Anderer (non debes […] quaerere quae tua sunt, sed quae aliena), nimmt biblisches Gedankengut und Wendungen auf (vgl. z.B. 1 Kor 10,24; Phil 2,4.21). Bei aller formellen Bildung des Paulus befassen sich seine Worte vor allem mit dem christlichen Glauben und christlicher Frömmigkeit. Dabei fließt seine offensichtliche Kenntnis der Schrift in jede seiner Redeanteile ein. Paulus spricht also in „gebildeter“ Form über christliche Inhalte, die allesamt biblisch fundiert sind. Damit ist eine entscheidende Differenzierung hinsichtlich des von Hieronymus befürworteten Umgangs mit Bildung und Bildungsgütern anvisiert, die Hieronymus auch später noch immer wieder in seinen Briefen hervorhebt: Bildung, so Hieronymus, müsse stets im Dienst der Frömmigkeit stehen. So drängt er z.B. Paulinus von Nola, dessen Lernbegierde (discendi studium) und gelehrigen Geist (ingenium docibile) er ausdrücklich lobt (laudabile est)426, all seine geistigen Fähigkeiten auf das Studium und die Exegese der Schriften auszurichten. Ohne Bildung seien diese Schriften nämlich kaum in ihrer Tiefe zu durchdringen. Schließlich waren auch ihre Autoren Gebildete – selbst die vermeintlich schlichten Fischer, wie die Apostel Petrus oder Johannes. Wäre Johannes etwa als rusticus, piscator oder indoctus zu den philosophisch höchst anspruchsvollen Worten gelangt, in principio erat uerbum, et uerbum erat apud deum, et deus erat uerbum?427 Das griechische Wort λόγος, so unterweist Hieronymus seinen Adressaten, habe viele Bedeutungen: [E]t uerbum est et ratio et supputatio et causa uniuscuiusque rei. Gebildete Christen können all diese Bedeutungen richtig
425
Vgl. 2 Tim 4,7: τὸν καλὸν ἀγῶνα ἠγώνισμαι, τὸν δρόμον τετέλεκα, τὴν πίστιν τετήρηκα. 426 Vgl. Hier., ep. 53,3,1 (CSEL 54, 446,7–10 HILBERG). 427 Vgl. Hier., ep. 53,4,1 (CSEL 54, 449,9–13 HILBERG).
3. Zum Heiligen gebildet
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verstehen (uniuersa recte intellegere). 428 Entsprechend ist eine „gebildete Heiligkeit“ höher anzusetzen. Als Beleg führt Hieronymus ein Bild aus Dan 12,3 an, das, in seiner Interpretation, die „gerechte Schlichtheit“ (iusta rusticitas) mit den Sternen vergleiche (stellis conparantur), die gelehrte Gerechtigkeit (docta iustitia), die intellegentes bzw. die docti jedoch mit dem Himmel selbst (caelo conparantur). 429 Eine „heilige Schlichtheit“ (sancta rusticitas), d.h. eine Heiligkeit, die eben nicht e-ruditus ist, sei zwar nicht völlig zu verwerfen, jedoch nütze sie, wenn überhaupt, zunächst nur dem Individuum und sei für die Kirche nur ex uitae merito erbaulich (aedificare). Wenn sie dabei aber nicht in der Lage sei, Gegner zu widerlegen (si contradicentibus non resistit), sei sie aber geradezu schädlich (nocere). 430 Dieses Drängen zur Beschäftigung mit der Schrift steht in keinem Widerspruch zum Verlassen der Welt für Hieronymus. Im Gegenteil, gerade dem gebildeten Paulinus, dessen prudentia und eloquentia Hieronymus lobend hervorhebt, rät er inständig, seinem bereits vorhandenen contemptus saeculi nachzugehen und das „Tau“ (zur Welt) zu kappen (funem praecide), um der Welt vollends zu entsagen (renuntiatiare saeculo).431 Heiligkeit und Bildung müssen bei Hieronymus vereint sein. Diese Einheit stellt Paulus vollkommen dar. Als Asket und Eremit erweist er sich bereits als Heiliger im Wesentlichen (s.o. III.1.6). Seine Bildung steht der sancta rusticitas seines Lebens aber nicht im Weg. Sie ergänzt seine Heiligkeit vielmehr, insofern Paulus durch sie auch in der Wüste noch biblischtheologisch sprachfähig bleibt. Mit der inhaltlichen Ausrichtung seiner Worte auf christliches Gedankengut, verpackt in der rhetorischen Schönheit seiner Rede, kann Paulus gewissermaßen als uir ualde eloquens et in Scripturis apprime eruditus432 gelten, so wie Hieronymus z.B. später Gregor von Nazianz beschreibt. Die Geschichte über sein Traumgesicht in dem Brief an Eustochium endet nicht etwa mit dem Schwur des Hieronymus, sich jeglicher Bildung zu entziehen. Seine Vision bestärkte ihn vielmehr in der ausschließlich christlichen Ausrichtung seiner wissenschaftlichen Bemühungen: Fortan, so Hieronymus, habe er mit solchem Eifer (tanto studio) die göttlichen Schriften gelesen (diuina legisse), wie er die „sterblichen“ zuvor nie gelesen habe (quanto mortalia ante non legeram). 433 Keinesfalls also müsse von der Befähigung 428
Vgl. Hier., ep. 53,4,1 (CSEL 54, 449,14–16 HILBERG). Vgl. Hier., ep. 53,3,5f. (CSEL 54, 448,8–12 HILBERG). 430 Vgl. Hier., ep. 53,3,4 (CSEL 54, 447,14–16 HILBERG). 431 Vgl. Hier., ep. 53,11,1f. (CSEL 54, 464,9–16 HILBERG). 432 Hier., in Ephes. 3,5 (PL 26, 535 [661] D); vgl. auch Hier., vir. ill. 117,1 (252 BARTHOLD): [V]ir eloquentissimus, praeceptor meus et quo scripturas explanante didici. 433 Vgl. Hier., ep. 22,30,6 (CSEL 54, 191,14 HILBERG). 429
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III. Der heilige Paulus von Theben
zum „lesen“, d.h. von dem gebildeten Umgang mit der Schrift und zu theologischen Inhalten, Abstand genommen werden. Gelassen werden müsse lediglich der pagane „Stoff“. Die Beschäftigung mit diesem Stoff deute nämlich auf eine falsche Ausrichtung des Herzens, wie der Richter sein Urteil über Hieronymus, in Anlehnung an Mt 6,21, entsprechend begründet: [U]bi thesaurus tuus, ibi et cor tuum.434 Mit der radikalen Abwendung des Helden der Vita Pauli von jeglicher Beschäftigung mit paganer Bildung ist ein idealisiertes Vorbild dargestellt. Auf diese Weise mag die Vita Pauli tatsächlich als Versuch des Hieronymus gesehen werden, mit seinem Eid, seinem Versprechen vor dem Richterstuhl, ernst zu machen. Hieronymus idealisiert die versprochene Abwendung von klassischen Bildungsgütern, betont zugleich aber den bleibenden Wert einer klassischen Bildung für den seiner Meinung nach angemessenen Umgang mit christlichem Gedankengut. 3.9. Fazit Bereits bei der Einführung seines Helden verweist Hieronymus explizit auf den hohen Bildungsgrad des Paulus, indem er ihn als adprime eruditus in den litterae zweier Sprachen beschreibt. Die damit angedeutete Befähigung des Protagonisten zur eloquentia bestätigt sich deutlich im Verlauf der Erzählung: Die Redeanteile des Paulus zeugen sowohl von rhetorischer und stilistischer Fertigkeit als auch von literarischen Kenntnissen. Paulus ist in der Darstellung des Hieronymus also, selbst nach Jahrzehnten in der Wüste, keinesfalls ein verwilderter „Rohling“ (rudis), sondern in seinem Denken und Sprechen e-ruditus. Damit erweist sich Paulus zunächst als „getreues Abbild seines Schöpfers Hieronymus“, der ebenfalls zur Bildungselite gehörte und seiner Bildung einen hohen Wert beimaß. Als „gebildete Asketen“ repräsentieren sowohl Paulus als auch sein Hagiograph zunächst einen gewissen „Bildungstyp“ im hagiographischen Diskurs. Im Hinblick auf die bildungskritischen Stimmen in diesem Diskurs lässt sich die Stilisierung des Paulus zum einen als eine Orientierung des Hieronymus an seinen Adressaten, zum anderen aber als eine rückwirkende Apologie deuten. Mit dem ersten Eremiten als gebildetem Heiligen erfährt die Bildung des Hieronymus eine hagiographische Legitimierung. Für die Frage nach der Heiligkeit bedeutet das, dass Heiligkeit und Bildung einander nicht ausschließen. Zumindest präsentiert Hieronymus einen Heiligen, der heilig und gebildet ist. Von Bildungsbefürwortern und Bildungsgegnern im christlichen hagiographischen Diskurs lässt sich, wie gezeigt, jeweils nur auf gewissen Ebenen sprechen. Tatsächlich enthalten christliche Äußerungen zur Bildung stets ein 434
Vgl. Hier., ep. 22,30,4 (CSEL 54, 190,13 HILBERG).
3. Zum Heiligen gebildet
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„internes Spannungsfeld“, das nicht zuletzt dem Anliegen geschuldet ist, die immense Spannbreite biblischer Aussagen – von Jesu Berufung einfacher Fischer bis hin zum theologisch-philosophisch höchst anspruchsvollen Konzept des inkarnierten Logos – in Einklang zu bringen. Diese Spannung zeigt sich besonders in Werk und Biographie des hochgebildeten Hieronymus selbst, der zwar stets mit seiner Vorliebe für pagane Bildungsgüter haderte, zugleich aber gerne auch damit kokettierte. Mit der radikalen Abwendung des gebildeten Paulus von allen Bildungstätigkeiten in seiner Wüstenaskese schlägt sich diese Spannung auch in der Vita Pauli nieder. So lässt sich vermuten, dass sich der Autor in seinem eigenen Ringen mit der Bildung selbst ein Ideal vor Augen hält. Aus einem Vergleich mit der Vita Antonii, der sich an der Gegenüberstellung der Begriffe aplastos und eruditus festmachen lässt, bestätigt sich ein zentrales Merkmal der in der Vita Pauli vermittelten Heiligkeitsvorstellung, das bereits in Bezug auf die Darstellung der Kindheit des Heiligen identifiziert worden ist (s.o. III.2.5). Anders als die Darstellungen eines „unverbildeten“ Heiligen in der Vita Antonii vertritt Hieronymus mit seinem Paulus prinzipiell ein „Entwicklungsmodell“ von Heiligkeit. Der Heilige ist – durchaus auch durch schulische Bildung – heilig geworden, er ist nicht schlicht von Anbeginn ein Heiliger, der sich durch Veränderung, d.h. Bildung, allerhöchstens von seiner Heiligkeit entfernt. Mit dem Prinzip einer „werdenden Entrohung“ (e-ruditus) ist auch die eschatologische Ausrichtung der Heiligkeitsvorstellung bei Hieronymus erneut hervorgehoben, wie sie sich bereits bei der Vorwegnahme des himmlischen Zustands im „kindlichen Greis“ zeigte (s.o. III.2.5). Die beobachtete Spannung, dass Paulus trotz seines langjährigen und radikalen Rückzugs „ohne Bücher“ auch in der Wüste eruditus bleibt, ließ sich mit einer für Hieronymus entscheidenden Differenzierung im Umgang mit dem Thema Bildung zusammenführen: Bildung, so Hieronymus, ist dem Heiligen dienlich, solange sie ausschließlich der Erforschung der Schrift und der überzeugenden Verteidigung christlicher Glaubensinhalte gewidmet ist. Paulus ist eine Versinnbildlichung dieses Prinzips. In rhetorisch „schöner“, d.h. „gebildeter“ Rede äußert Paulus Worte der Frömmigkeit, die allesamt biblisch fundiert sind. Paulus bleibt also in gewisser Hinsicht gebildet, und zwar in seiner intellektuellen und sprachlichen Kapazität – entsprechend ist auch gegen die Verwendung von Vergilzitaten nichts einzuwenden. In anderer Hinsicht jedoch, und zwar mit Blick auf Bildung als Verbindungsglied zur Welt (sei es durch Briefe, Lehre, Streitgespräche oder die Lektüre paganer Literatur), lässt Paulus Bildungsgüter vollkommen hinter sich. Paulus ist damit die vollkommene Verwirklichung des hieronymianischen Ideals des christlich Gebildeten. Er kann als Heiliger gelten, weil er eruditus christianus (geworden!) ist.
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III. Der heilige Paulus von Theben
Damit bestätigt sich eine weitere bereits angetroffene Beobachtung zum Heiligkeitskonzept des Hieronymus. Wie bereits bei der Positionierung des Paulus im potentiellen Konfliktfall von anachoretischer Abwendung und familiärer Verantwortung zu sehen war (s.o. III.2.4), so zeichnet sich das von Hieronymus in der Vita Pauli vertretene Heiligkeitsideal auch in Bezug auf die Bildung durch eine Harmonisierung von Spannungen aus: Paulus ist weder trotz seiner Bildung noch dezidiert wegen ihr heilig. Seine Heiligkeit zeigt sich vielmehr in der Aufhebung dieser Spannung in seiner Person: Als christlich Gebildeter vereint Paulus auf vollkommene Weise die Ideale beider Pole, ohne dass dabei auch nur der Schein eines Konflikts bestehen bliebe. Das Gebildetsein und das Lassen von Bildung sind in dem von Hieronymus gezeichneten Heiligen auf vollkommene Weise in Einklang gebracht.
4. Die furchtsame Flucht und der Wille des Heiligen Entscheidend für das Ideal, das Hieronymus in der Vita Pauli vertritt, ist der Gang des Protagonisten in die Wüste: Paulus ist der erste Eremit. Dabei ist Paulus gerade mit seinem lebenslangen und bedingungslosen Rückzug für Hieronymus mehr als nur das chronologische principium des eremitischen Mönchtums (s.o. III.1). Er ist die vorbildliche Verwirklichung des asketischmönchischen Heiligkeitsideals, dessen „Grundlage“, mit Speyer, eben „die Absage an die Welt“435 ist. Auf diesen Zusammenhang von Weltabsage und Heiligkeit hatte bereits Origenes (ca. 185–253 436 ) in einer Predigt über Lev 20,7 (Sancti estote, quia et ego sanctus sum, dicit Dominus), die nur in lateinischer Übersetzung überliefert ist437, verwiesen: Wenn sich jemand Gott weiht (deuouerit Deo), wenn er sich nicht in weltliche Angelegenheiten (negotiis saecularibus) verwickelt, wenn er sich abtrennt (separatus est) und sich von den übrigen Menschen, die fleischlich leben, und von weltlichen Geschäften absondert (segretatus est), indem er, mit Kol 3,2, nicht irdische, sondern himmlische Dinge sucht (non quaerens ea, quae super terram, sed quae in caelis sunt), so werde dieser Mensch, Origenes zufolge, verdientermaßen „heilig“ genannt (iste merito sanctus appellatur). 438 In Anbetracht 435
SPEYER, Kirchliche Heilige, 174. Vgl. VOGT, Origenes, 528. 437 Vgl. a.a.O., 530. 438 Vgl. Orig., hom. in Lev. XI,1 (SC 286, 144,43–48 BORRET): Si qui enim se ipsum deuouerit Deo, si qui nullis se negotiis saecularibus implicauerit, ut ei placeat, cui se probauit, si qui separatus est et segretatus a reliquis hominibus carnaliter uiuentibus et mundanis negotiis obligatis non quaerens ea, quae super terram, sed quae in caelis sunt, iste merito sanctus appellatur. 436
4. Die furchtsame Flucht und der Wille des Heiligen
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dieser zentralen Stellung der – durch den Gang in die Wüste radikal umgesetzten – Weltabwendung für das von Hieronymus vertretene Heiligkeitsideal ist die Frage nach dem Impuls bzw. der Motivation zum Eremitentum von nicht geringer Bedeutung: Weshalb geht der Heilige in die Wüste bzw. was treibt ihn zu dem für seine Heiligkeit entscheidenden Schritt, die Welt hinter sich zu lassen? 4.1. Der Dämonenkampf in der Wüste Athanasius, der mit seiner Vita Antonii auch beanspruchte, von den Anfängen des Eremitentums zu berichten (s.o. III.1.4), hatte den Gang seines ersten Eremiten in die Wüste als ein graduelles Vordringen in mehreren Etappen geschildert (s.o. III.1.4, Anm. 86).439 Antonius’ Weg beginnt mit einem biblischen Impuls: Das bei einem Kirchenbesuch gehörte Wort aus Mt 19,21 gibt Antonius zunächst den Anstoß, den Großteil seines Besitzes zu verschenken und zu verkaufen.440 Mit einem zweiten, zur Sorglosigkeit mahnenden Bibelwort aus Mt 6,34 zieht Antonius dann die radikale Konsequenz: Er verschenkt den Rest seines Besitzes und entschließt sich zu einem asketischen Lebensstil.441 Noch ist dieser Entschluss jedoch nicht mit einem Wüstenaufenthalt verbunden. Vielmehr widmet sich Antonius der Askese zunächst noch „vor seinem Haus“ (πρὸ τῆς οἰκίας)442, denn zu diesem Zeitpunkt wusste der Mönch, wie Athanasius betont, noch nichts von der „großen Wüste“ (μακρὰ ἔρημος).443 Schon bald stößt Antonius dabei jedoch auf Widerstand. Dieser Widerstand erscheint in Form gezielter Anfeindungen des Teufels444, der den
439
Zum Weg des Antonius von den Anfängen seiner Askese bis in die Wüste vgl. GEAntonius, 37–57; vgl. SCHULZ-WACKERBARTH, Wüste, 115-133. 440 Vgl. Ath., v. Anton. 2,4f. (SC 400, 134,20–26 BARTELINK): ἐξελθὼν εὐθὺς ἐκ τοῦ κυριακοῦ τὰς μὲν κτήσεις ἃς εἶχεν ἐκ προγόνων […], ταύτας ἐχαρίσατο τοῖς ἀπὸ τῆς κώμης […]. Τὰ δὲ ἄλλα ὅσα ἦν αὐτοῖς κινητά, πάντα πωλήσας καὶ συναγαγὼν ἱκανὸν ἀργύριον, διέδωκε τοῖς πτωχοῖς. 441 Vgl. Ath., v. Anton. 3,1 (SC 400, 134,1–4 BARTELINK): Ὡς δέ, πάλιν εἰσελθὼν εἰς τὸ κυριακόν, ἤκουσεν ἐν τῷ εὐαγγελίῳ τοῦ Κυρίου λέγοντος· ‚Μὴ μεριμνήσητε περὶ τῆς αὔριον‘, οὐκ ἀνασχόμενος ἔτι μένειν, ἐξελθὼν διέδωκε κἀκεῖνα τοῖς μετρίοις; zum Entschluss des Antonius zur Askese vgl. GEMEINHARDT, Antonius, 37–41. 442 Vgl. Ath., v. Anton. 3,1 (SC 400, 136,6–8 BARTELINK): αὐτὸς πρὸ τῆς οἰκίας ἐσχόλαζε λοιπὸν τῇ ἀσκήσει, προσέχων ἑαυτῷ καὶ καρτερικῶς ἑαυτὸν ἄγων. 443 Vgl. Ath., v. Anton. 3,2 (SC 400, 136,9f. BARTELINK): οὐδ’ ὅλως ἤδει μοναχὸς τὴν μακρὰν ἔρημον. 444 Als Grund für diese Angriffe wird auf den Neid des Teufels verwiesen, der οὐκ ἤνεγκεν ὁρῶν ἐν νεωτέρῳ τοιαύτην πρόθεσιν (Ath., v. Anton. 5,1 [SC 400, 142,1f. BARTELINK]). Und so setzen die Dämonen alles in Bewegung, Christen auf dem Weg zum Himmel zu hindern (πάντα κινοῦσιν, θέλοντες ἐμποδίζειν ἡμᾶς τῆς εἰς οὐρανοὺς ἀνόδου), MEINHARDT,
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III. Der heilige Paulus von Theben
asketischen Lebensstil des Antonius zu untergraben versucht.445 Antonius hält zwar jedem dieser Angriffe stand, so dass der Teufel immer wieder kapitulieren und die Flucht ergreifen muss 446 , doch Antonius erkennt, dass er sich grundsätzlich vor dem Teufel nie in Sicherheit wähnen darf, nie hält er den Dämon für unterlegen, weshalb er auch weiterhin in seiner Askese nicht nachlässig wird. 447 Im Gegenteil, Antonius ist stets darum bemüht, sich an eine noch härtere Lebensführung zu gewöhnen. 448 Diese Suche nach immer härteren Formen der Askese, um sich gegen die Angriffe des Teufels zu wappnen und im Kampf gegen ihn zu bestehen, führt Antonius schließlich in die Wüste. Athanasius hat also, so auch Maria-Elisabeth Brunert, den asketischen Weg des Antonius „nicht vorrangig als eine immer radikalere Wendung von der ‚Welt‘ in die Einsamkeit oder gar als Flucht vor den Menschen geschildert, sondern vielmehr als ein Aufsuchen von Orten und Gegenden, in denen eine immer härtere Askese, ein immer heftigerer Kampf gegen die Dämonen […] möglich und nötig war“449. Da der Weg der Askese unweigerlich zu Versuchungen durch den Teufel und seine Dämonen führt, die einem im Prinzip überall nachstellen können und würden450, muss sich der Asket, so scheint es Athanasius zu behaupten, gegen etwaige Überraschungsangriffe wappnen, indem er den Dämonenkampf „proaktiv“ sucht. Dazu bietet sich die Wüste an, denn hier sind die Dämonen vornehmlich zu Hause.451 Der Heilige ἵνα μὴ ὅθεν ἐξέπεσον αὐτοὶ ἀνέλθωμεν ἡμεῖς (Ath., v. Anton. 22,2 [SC 400, 196,7–9 BARTELINK]); vgl. dazu auch Ath., v. Anton. 65f. 445 Zum Kampf des Antonius mit dem Teufel vgl. GEMEINHARDT, Antonius, 46–53. 446 Vgl. Ath., v. Anton. 5 und 6. 447 Vgl. Ath., v. Anton. 7,2 (SC 400, 150,6f. BARTELINK): Ἀλλ’ οὔτε Ἀντώνιος, ὡς ὑποπεσόντος τοῦ δαίμονος, ἠμέλει λοιπὸν καὶ κατεφρόνει ἑαυτοῦ. 448 Vgl. Ath., v. Anton. 7,4 (SC 400, 150,17f. BARTELINK): Βουλεύεται τοίνυν σκληροτέραις ἀγωγαῖς ἑαυτὸν ἐθίζειν. 449 BRUNERT, Wüste, 60. 450 Vgl. Ath., v. Anton. 28,3–5, bes. 28,5 (SC 400, 212,20f. BARTELINK): Οὔτε γὰρ τόπος αὐτοὺς εἰς τὸ ἐπιβουλεύειν κωλύει. 451 Für Athanasius ist die Wüste der Ort der Dämonen. Diese Vorstellung ist sowohl auf biblische Traditionen zurückzuführen (vgl. BRUNERT, Wüste, 61; im Hinblick auf das Alte Testament vgl. z.B. LINDEMANN, Wüste, 47; zum Neuen Testament vgl. z.B. ders., 48; BÖCHER, Dämonen, 280) als auch im Kontext alt-ägyptischer Mythologie zu verstehen (vgl. LINDEMANN, Wüste, 45f.; HOFMANN, Wüste, 19), welche „offenbar noch in der christlichen Zeit Ägyptens“ fortwirkte (a.a.O., 27). Dabei wurde die Wüste zum Teil sogar mit dem Totenreich gleichgesetzt, so dass sie Vorstellungen beinhaltet, „welche die christliche Hölle […] präfigurieren“ (LINDEMANN, Wüste, 46). In der Vita Antonii betrachten die Dämonen die Wüste sogar als ihren eigenen Lebensraum, weshalb sie dem vordringenden Asketen entgegen schreien: Ἀπόστα τῶν ἡμετέρων. Τί σοὶ καὶ τῇ ἐρήμῳ? (Ath., v. Anton. 13,2 [SC 400, 170,5f. BARTELINK]); vgl. Evagr., v. Anton. 13 (165,229f. BERTRAND): Quid te nostris ingeris habitaculis? Quid tibi et deserto?
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geht in Athanasius’ Darstellung aufgrund seines Strebens nach asketischer Vollkommenheit in die Wüste. Die Wüste selbst ist dabei lediglich ein weiterer Schritt der Radikalisierung einer Askese, die sich bereits im fortgeschrittenen Stadium des Kampfs mit den Dämonen befindet. In auffälligem Kontrast zu dieser Darstellung der Vita Antonii, an der sich die Vita Pauli schließlich in vielerlei Hinsicht so deutlich abarbeitet (s.o., bes. III.1.4; III.2.3; III.3.4), tauchen Erzählungen von Dämonenkämpfen in der Vita Pauli überhaupt nicht auf. Außer der kurzen Erwähnung in VP 1,4, in der Hieronymus darauf hinweist, dass kein Mensch in Erfahrung gebracht habe, welche Nachstellungen des Satans Paulus ertragen habe (quas Satanae pertulerit insidias), ist in der gesamten Vita von dem Dämonenkampf nicht die Rede. So spielt dieses Thema in der Vita Pauli auch als Motivation für den Gang in die Wüste keine Rolle. Auch die anderen in der Vita Antonii genannten auslösenden Faktoren lassen sich in der Vita Pauli nicht finden: So werden weder Kirche noch Schrift im Zusammenhang mit den Anfängen der Anachorese des Protagonisten genannt – von einem „bekehrungsartigen“ Erlebnis fehlt insgesamt jede Spur. Selbst die Askese wird nicht explizit als Grund hervorgehoben. Überhaupt wird mit keinem Wort darauf hingewiesen, ob oder inwiefern sich Paulus bereits vor seinem Wüstenaufenthalt einem asketischen Lebensstil gewidmet bzw. sich überhaupt dafür interessiert habe. Der Aufenthalt des Protagonisten in der Wüste wird hier vielmehr mit einer der Vita Antonii völlig fremden und – besonders in Bezug auf die Frage nach der Heiligkeit des Protagonisten – durchaus überraschenden Begebenheit begründet: Paulus flieht nämlich in die Wüste. 4.2. Die Flucht in villam remotiorem Was wird nun über die Flucht des Paulus in der Vita Pauli ausgesagt? Nach der nur kurzen Einführung der Person des Paulus (VP 4,1) setzt Hieronymus in VP 4,2 mit einer chronologischen Verknüpfung (et dum persecutionis detonaret procella), die auf die zuvor beschriebenen Christenverfolgungen (VP 2f.) zurückverweist (s.o. II.3.5), neu an und initiiert damit einen Handlungsstrang, der schließlich mit der Niederlassung und der Askese des Paulus in der Wüste endet (VP 6,1). Während die Verfolgungen also „herab donnerten“, war Paulus, so heißt es zunächst, in uilla remotiore secretior (VP 4,2). Auf die Frage, warum sich Paulus dort aufhielt, gibt der Text keine explizite Auskunft. Entsprechend gab es hier anscheinend früh schon Erklärungsbedarf: Zumindest weisen die Manuskripte, laut Hoelle, mindestens neunzehn unterschiedliche Lesarten für diese Passage auf452, die zu je unterschiedlichen Graden einen kausalen Zusammenhang zwischen den Verfolgungen und dem 452
Vgl. HOELLE, Commentary, 105.
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III. Der heilige Paulus von Theben
Aufenthalt auf dem Landgut andeuten. Die kritische Ausgabe von Vallarsi druckte die Lesart: [I]n uillam remotiorem et secretiorem secessit453. Mit dem Akkusativ (in uillam) ist eine Richtung zum Ausdruck gebracht und secedere deutet auf ein Zurückweichen vor etwas. Insgesamt ist mit dieser Lesart der Aufenthalt auf dem Landgut als eine Reaktion auf die Verfolgungen deutlich markiert. An diesem Text orientierten sich die Übersetzungen z.B. von Schade („[a]ls der Sturm der Verfolgung losbrach, zog er sich auf ein entlegenes Landgut zurück“454), oder von Fuhrmann („[u]nd als der Sturm der Verfolgung losbrach, zog er sich auf ein entfernteres und abgelegeneres Landgut zurück“ 455) – beide stellen, der lateinischen Vorlage entsprechend, den Zusammenhang von Christenverfolgungen und „Rückzug“ des Paulus deutlich her. Noch deutlicher in diese interpretatorische Richtung weisen die in anderen Manuskripten enthaltenen Verben: se contulit 456 , womit ein „sich hinflüchten“ gemeint sein kann, und manebat457, dessen Bedeutung „warten“ ein Objekt impliziert, auf das gewartet wird (in diesem Fall das Ende der Christenverfolgungen). Diese mehr oder weniger expliziten Andeutungen aufnehmend wurde von Auslegern der Vita oft interpretiert, dass sich Paulus auf dem Landgut wegen der Verfolgungen aufhielt und zwar um denselben zu entgehen. Kech und Rebenich sprechen an dieser Stelle sogar bereits von einer „Flucht“458. Doch nicht alle Varianten in den Manuskripten lassen diese Interpretation zu. Mit habitabat459, hauitauit460 und fuit461, besonders aber mit 453
VALLARSI, Vita, 20. SCHADE, Paulus, 23. 455 FUHRMANN, Christen, 10. 456 MORALES, Texte, 150, verweist hier auf die zwei Manuskripte der Gruppe R (Parisinus lat. 5342 aus dem 10. Jh. und Parisinus lat. 16050 aus dem 11. Jh.) und auf die aus fünf Manuskripten bestehende Gruppe S, deren ältester Repräsentant (Sessorianus 41, Rom, Bibl. Vittorio Emm.) aus dem 9. Jh. stammt (vgl. MORALES, Genèse, 102; ders., Conspectus, 138). 457 Diese Variante findet sich laut MORALES, Texte, 150, in der mit acht Manuskripten bezeugten Gruppe J. Das älteste Manuskript dieser Gruppe (Bernensis lat. 199, Bern, Bürgersbibl.) stammt aus dem 9./10. Jh. (vgl. MORALES, Genèse, 102; ders., Conspectus, 137). 458 Vgl. KECH, Unterhaltungsliteratur, 17; REBENICH, Hagiograph, 29; indirekt auch HOELLE, commentary 102: „this wealthy heir went into hiding till the end of the persecution.“ 459 Diese Lesart findet sich laut MORALES, Texte, 150, in den 10 Manuskripten der Gruppe L (Rotomagensis U 108, Rouen, BM, ist das älteste und stammt aus dem 9. Jh.; vgl. MORALES, Genèse, 103; ders., Conspectus, 137) und in dem der Gruppe I zugehörigen Manuskript Casinensis 149, Montecassino, Bibl. Dell’Abadia, aus dem 11. Jh. (vgl. MORALES, Conspectus, 137). 460 Diese Lesart ist laut MORALES, Texte, 150, in den 10 Manuskripten der Gruppe E bezeugt. Die ältesten Manuskripte dieser Gruppe (Sangallensis 579 [109] und Sangallensis 454
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der von Morales kritisch erschlossenen Variante „erat“462 ist nämlich lediglich auf eine Gleichzeitigkeit von Verfolgung und Aufenthalt verwiesen. Auch die Vermutung Hoelles, der aus der Vielfalt der Verben in den Manuskriptfamilien folgert, „that no verb stood in the original“463, schlägt in diese inhaltlich ausgerichtete interpretatorische Kerbe, mit der die ursprüngliche Aussageintention des Hieronymus so gedeutet wird, dass Hieronymus hier lediglich Auskunft über den Aufenthalt (und eventuell die Betätigung – s.o. I.3.2) des Paulus zu Beginn derjenigen Handlung gibt, die mit einem erneuten chronologischen Verweis (et dum persecutionis detonaret procella) überhaupt erst einsetzt. Gesagt ist hier also zunächst nur, dass sich Paulus, während des heftigen Sturms der Verfolgung, weit entfernt auf einem äußert entlegenen Landgut aufhielt. Dieser Handlungszusammenhang wird sich im Folgenden noch bestätigen (s.u. III.5.10). Die Interpretation einer Flucht in uillam zeigt sich hingegen als rückwirkende Eintragung der narrativ erst mit dem Aufenthalt auf dem Landgut einsetzenden Handlung: Paulus flieht als Folge der Ereignisse, die sich während seines Aufenthalts auf dem Landgut abspielen, wobei der Aufenthalt selbst nicht etwa eine erste Etappe seiner Flucht darstellt. 4.3. Das furchtsame Opfer Ausdrücklich wird ein Zusammenhang zwischen Verfolgungssituation und einer Handlung des Paulus erst in VP 5,1 hergestellt. Nachdem sich nämlich das entlegene Landgut durch den Verrat des Schwagers als ungeeignete Bleibe erwiesen hat, „flieht“ (confugere) Paulus in die Einöde der Berge. Zwar bringt auch hier die Grammatik weder Kausalität noch Finalität zwischen einer Bedrängnis und der Flucht des Paulus zum Ausdruck, die Anordnung der Handlungsmomente in einer temporal verknüpften Sequenz (ubi […] intellexit, […] confugiens […] dum […] praestolatur) lässt jedoch auf die von Hieronymus beschriebene Ausgangssituationen als Auslöser für den 558, St. Gallen, Stiftsbibl.) stammen aus dem 9. Jh. (vgl. MORALES, Genèse, 102; ders., Conspectus, 137). 461 „Fuit“ ist laut MORALES, Texte, 150, in dem Manuskript Matritensis 10007, 902 bezeugt, das der Gruppe Z mit seinem ältesten Zeugen (Sangallensis 552, St. Gallen, Stiftsbibl.) aus dem 9. Jh. zuzuordnen ist (vgl. MORALES, Genèse, 103; ders., Conspectus, 138). 462 MORALES, Texte, 150,7. 463 HOELLE, Commentary, 105. Hoelle folgt damit den teils ältesten Manuskripten aus unterschiedlichen Gruppen (vgl. MORALES, Texte, 150: Veronensis XXXVIII (36), Verona, Bibl. Capit. B, ist das älteste erhaltene Manuskript überhaupt. Es stammt aus dem Jahr 517 (vgl. MORALES, Genèse, 102); Monacensis 4597, München, Bay. Staatsbibl., aus dem 8. Jh. (vgl. MORALES, Conspectus, 137); Cantabrigensis 389, Cambridge, Corpus Christi Coll., aus dem 9. Jh. (ibid.); Sangallensis 552, St. Gallen, Stiftsbibl., aus dem 9. Jh. (vgl. a.a.O., 138).
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Aufbruch des Paulus schließen. Entsprechend wird dieser Zusammenhang von den meisten Auslegern und Übersetzern hervorgehoben. So übersetzt z.B. Schade: „Sobald der geweckte junge Mann darüber Klarheit gewonnen hatte, floh er in die Gebirgseinöden, wo er das Ende der Verfolgung abwarten wollte.“464 Deutlicher noch hob bereits Vallarsi die Verfolgungen als Ursache der Flucht hervor, indem er in seiner kurzen Einführung zur kritischen Edition erläuterte, dass Hieronymus davon berichte, wie Paulus die Wüste aufgesucht habe (eremum petere), um den wütenden Verfolgungen der Christen auszuweichen (ut saeuientem in Christianos persecutionem declinaret).465 Mit einer finalen Verknüpfung verbindet auch Fuhrmann confugiens und praestolatur in seiner Übersetzung: „Doch der junge Mann, eine sehr behutsame Natur, durchschaute das, und er floh in die Einsamkeit der Berge, um dort das Ende der Verfolgung abzuwarten.“ 466 Der eigentliche Hauptsatz des Passus, necessitatem in uoluntatem uertit, wird, der Abfolge der lateinischen Konstruktion entsprechend, auch in den Übersetzungen hinten angehängt und mit einer dem Sinn entsprechenden deutschen Redewendung wiedergegeben: „Da aber machte er aus der Not eine Tugend“467, übersetzt Fuhrmann, und Schade ergänzt sogar eine adverbiale Konjunktion: „Allmählich machte er aus der Not eine Tugend.“468 Diesen Übersetzungen zufolge lässt sich die Chronologie und interne Logik der Handlungssequenz des Abschnitts folgendermaßen darstellen: 1. Paulus bemerkt (intellegere) die Bedrohung. 2. Paulus flieht (confugere) daraufhin, und zwar um die Bedrohung zu umgehen (praestolare). 3. Paulus „wendet“ (uertere) danach die Not (d.h. die Flucht in die Einöde) in eine Tugend. In dieser Wiedergabe des Textes erscheint Paulus zunächst als Opfer, das durch widrige Umstände zu einer Reaktion gezwungen wird. Die Flucht selbst wirkt passiv – ein Ausdruck von Ohnmacht gegenüber höheren Gewalten. Ein aktives Ergreifen der Kontrolle über sein Schicksal erfolgt erst ganz zuletzt, nachdem Paulus sich mit seinem Exil arrangiert hat und nun anscheinend „das Beste daraus macht“. So interpretiert auch Ignatius Kozik: „At first 464
SCHADE, Paulus, 23. Vgl. VALLARSI, Einleitung, 17f: S.Pauli, a quo primum eremus habitari coepta, uitam, dejecto nonnihil stylo propter simpliciores, enarrat: ostenditque illum 16 circiter annos natum, eremum petisse sub Decio et Valeriano, ut saeuientem in Christianos persecutionem declinaret. 466 FUHRMANN, Christen, 10 (Hervorhebung YSW). 467 FUHRMANN, Christen, 10. 468 SCHADE, Paulus, 23; so auch REBENICH, Hagiograph, 29; ders., Ascetic hero, 16: „Gradually he made a virtue of necessity“. 465
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Paul acted of necessity; later, as the life of solitude appealed to him, he embraced it of his own free choice“469. Die „Not“, aus der Paulus eine Tugend macht, ist in dieser Darstellung die Flucht in die Einöde. Die „Tugend“ selbst besteht darin, dass Paulus sich schließlich dem kontingenten Schicksal der Einsamkeit in der Einöde stellt, indem er sie sich als Lebensstil in Form der Anachorese aneignet. Impliziert ist jedoch, dass ihm als Alternative nur die einsame Verzweiflung in der Einöde geblieben wäre. Dem von Hieronymus erzählerisch ausgemalten Ursprung des monastischen Eremitentums wäre auf diese Weise eine Notsituation, eine Flucht und ein geradezu resignierender Pragmatismus zugrunde gelegt. Mit dieser Darstellung liegen weitere interpretatorische Ergänzungen auf der Hand, die sich zwar nicht explizit im Text finden lassen, den vermeintlichen Sinn der Passage jedoch unterstreichen. So betont z.B. Heinrich Holze, dass Paulus „vor dem drohenden Tod“ flieht.470 Davon ist aber explizit eben so wenig die Rede wie von einer z.B. von Rebenich ergänzten Angst als Motivation für die Flucht.471 In diesem Sinne noch deutlicher wird Rubenson, der über Paulus schreibt: „[H]is flight into the desert was not caused by a desire to renounce the world […], but entirely by fear of persecution. In contrast to Antony, Paul […] went into the desert out of sheer necessity.“472 Auch die Idee, dass Paulus in der Einöde „ganz und gar zufällig ein ganz eigenes, einsames und asketisches Leben“473 entdeckt, ist zwar in den Text hinein gelesen, geht jedoch folgerichtig aus der hier betonten Darstellung eines passiven und von Furcht getriebenen Paulus hervor. Diese Sicht auf die Flucht des Paulus wirft unweigerlich Fragen auf. In Anbetracht der zentralen Bedeutung des Wüstenaufenthalts für das monastische Ideal ist eine Begründung für den Weg in die Wüste, der sich durch Furcht und Ohnmacht auszeichnet, durchaus bemerkenswert – zumal es sich im Fall des Paulus um das principium dieses Ideals und damit, zumindest für Hieronymus, zugleich um ein Heiligkeitsideal handelt, das sich zudem an der Vita Antonii mit ihrem völlig anderen Begründungskonnex für den Wüstengang abarbeitet. Nebst der Frage, ob eine furchtsame Flucht einem Heiligen im Allgemeinen zugestanden werden kann bzw. ob Furcht überhaupt treiben469
KOZIK, Desert hero, 25, Anm. 3. HOLZE, Paulus, 89. 471 Vgl. REBENICH, Hagiograph, 29: „Aus Angst vor Denunziation durch seinen Verwandten zog er sich in die Einsamkeit der Berge zurück“; ders., Ascetic hero, 16: „Fearful of being denounced by his relative, he retreated to the seclusion of the mountains to await the end of the persecution“. 472 RUBENSON, Philosophy, 121. 473 GRESCHAT/TILLY, Mönchsviten, 11f; vgl. auch HOSTER, Form, 54, der betont, dass aus der in VP 2–3 geschilderten Ausgangssituation „allmählich jenes Neue entsteht: aus der Flucht […] fast zufällig das Anachoretentum“ (Hervorhebung YSW). 470
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de Kraft für das Handeln eines Heiligen sein darf, stellt sich hier insbesondere die Frage, ob bzw. inwiefern sich diese Darstellung in das von Hieronymus porträtierte Bild eines Heiligen und in seine Aussageintention für die Vita insgesamt integrieren lässt. 4.4. Die „geschichtliche“ Flucht Die „furchtsame Flucht“ des Paulus wirft Fragen auf – zunächst zur Flucht an sich: Warum bzw. wozu wird überhaupt von ihr berichtet? Aus narrativen Gründen allein lässt sich die Fluchtepisode sicherlich nicht erklären. Die Geschichte über Paulus hätte auch auf anderen Wegen in die Wüste führen können. Doch wie steht es um traditionsgeschichtliche oder gar historische Gründe? Wenn Hieronymus eine Pauluserzählung oder -tradition vorgelegen hat, die seiner Leserschaft bekannt war und in der das Fluchtmotiv eine zentrale Rolle spielte, hätte er die Flucht in seiner Darstellung natürlich nicht einfach übergehen können. Mit der Erwähnung falscher Gerüchte um Paulus im Prolog der Vita (VP 1,3) hatte Hieronymus, wie gesehen (s.o. III.1.5), einen solchen Eindruck der Bekanntheit seiner Figur erwecken wollen. Zwar ließ sich hier die primär rhetorische Intention erkennen, die tatsächliche Bekanntheit einer Paulus-Figur im Kreis der Leserschaft des Hieronymus lässt sich damit jedoch natürlich nicht ausschließen. Auch ein Hieronymus bekannter historischer Kern für die Figur des Paulus von Theben bleibt, trotz einem Mangel weiterer Zeugen, im Bereich des Möglichen. Tatsächlich vermutet dabei z.B. Schade, dass nebst Person, Heimat und Stand gerade die Flucht zum historischen Minimum des geschichtlichen Kernbestands gerechnet werden müsse.474 Außer einem möglichen Wissen des Autoren von einem historischen Paulus oder von kursierenden Erzählungen über denselben lassen sich auch etwaige Kenntnisse über die Anfänge des Mönchtums im Allgemeinen als Grund für die Fluchtgeschichte in der Vita Pauli anführen: Euseb von Cäsarea berichtet in seiner Historia Ecclesiastica, dass viele Christen in den Verfolgungen des 3. Jahrhundert in die Wüste und in die Berge (ἐν ἐρημίαις καὶ ὄρεσιν) geflohen seien.475 Zwar verknüpft Euseb selbst diese christliche Wüstenflucht nicht mit den Anfängen des Mönchtums476, für Hieronymus mag sich diese 474
Vgl. SCHADE, Schriften, 13. Eus., h. e. VI,42,2 (SC 41, 151 BARDY); Vgl. GOEHRING, Origins, 237. 476 Weingarten, der die Ursprünge des Mönchtums in das 4. Jh. versetzte, wies die Vorstellung, „dass das christliche Mönchtum den Verfolgungszeiten der Kirche entstamme“ entsprechend vehement als „Irrtum“ zurück (WEINGARTEN, Ursprung, 545): Man werde, so Weingarten, a.a.O., „in all jenen Eremitenbiographien des vierten und fünften Jahrhunderts auch nicht Eine nachweisen können, in der sich eine historisch mögliche 475
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Begebenheit jedoch geradezu als historische Grundlage für seine mit ätiologischem Anspruch versehene Erzählung angeboten haben.477 In dieser Darstellung wäre Paulus also die Personifikation eben dieser „historischen“ Anfänge des Wüstenmönchtums. Als personelle Repräsentation einer (allgemeinen und namenlosen) christlichen Flucht vor den Verfolgungen, aus der das Mönchtum entstand, wäre die Flucht des Paulus für die Erzählung der Vita Pauli geradezu essentiell. In beiden Fällen (d.h. ob eine in Grundzügen bekannte Geschichte des Paulus nicht ohne die Erwähnung seiner Flucht hätte erzählt werden können oder weil Hieronymus die Anfänge des Mönchtums in christlicher Flucht vor den Verfolgungen zu wissen meinte) wäre nur die Erzählung einer Fluchtgeschichte an sich begründet. Verwunderlich bliebe hier dennoch die vermeintlich negative Darstellung dieser Flucht, besonders in Anbetracht der sonst so umsichtigen und geschickten literarischen Komposition der Vita, mit der Hieronymus nicht nur ein monastisches Ideal vermitteln, sondern auch einen vorbildlichen Heiligen zeichnen will. Wird also weiterhin angenommen, dass Hieronymus nicht unachtsam, sondern auch bzw. gerade an dieser entscheidenden Weichenstellung der Vita das Bild seines Heiligen bewusst geformt Anknüpfung an die Zeiten Diocletians findet. Unter den Motiven, die bei Rufinus und Palladius in die Wüste ziehen, wird nirgends die Flucht, immer nur spontane asketische Gesinnung, neben der Reue über ein vergangenes Räuber- und Sündenleben genannt. Kein Wort verrät einen Gedanken, der die Ertödtung alles sinnlichen Lebens als ein neues geistliches Martyrium und eine Fortsetzung der Märtyrerzeiten betrachtete“ (a.a.O., 545f.). Für Weingarten war es erst die „Phantasie des Hieronymus, die grelle Schlaglichter bedurfte“, die die Christenverfolgungen und die Anfänge des Mönchtums zusammenführt (a.a.O., 546). 477 Deutlich wird der Zusammenhang von Flucht vor den Christenverfolgungen und den Anfängen des eremitischen Mönchtums später von dem Kirchenhistoriker Sozomenos hergestellt. In seinem Abriss der Anfänge des Mönchtums (vgl. Soz., h. e. I,12,1–14,11 [FC 73/1, 142,20–161,29 HANSEN]) erwähnt er, dass nebst den Vermutungen einiger, dass bei Ἠλίας ὁ προφήτης καὶ Ἰωάννης ὁ βαπτιστής (Soz., h. e. I,12,9 [FC 73/1, 146,16f. HANSEN]) die Anfänge lägen oder, dass die „Therapeuten“ (obwohl sie Sozomenos selbst so nicht nennt; s.o. III.1.1) des Philo die früheste Form des Mönchtums darstellten (vgl. Soz., h. e. I,12,9–11 [FC 73/1, 146,17–148,11 HANSEN]) eine Wurzel der monastischen Bewegung von anderen in der Flucht vor den Verfolgungen vermutet werde (vgl. Soz., h. e. I,12,11 [FC 73/1, 148,11f. HANSEN]: ἄλλοι δέ φασιν αἰτίαν ταύτῃ παρασχεῖν τοὺς κατὰ καιρὸν τῇ θρησκείᾳ συμβάντας διωγμούς). Dabei, so Sozomenos, gewöhnten sich alsbald die φεύγοντες ἐν ὄρεσι καὶ νάπαις καὶ ἐρημίαις (Soz., h. e. I,12,11 [FC 73/1, 148,13 HANSEN]) an das monastische Leben (vgl. Soz., h. e. I,12,11 [FC 73/1, 12–14 HANSEN]: ἐπεὶ γὰρ φεύγοντες ἐν ὄρεσι καὶ νάπαις καὶ ἐρημίαις τὰς διατριβὰς ἐποιοῦντο, ἐθάδες τοῦ βίου τούτου ἐγένοντο). CHITTY, Desert, 6f., folgert daraus: „Certainly this was early believed to have been one of the origins of the anchoretic life – Christians fleeing into the deserts from persecution, tasting the sweetness of that solitude, and remaining in it or returning to it when the Peace of the Church came.“
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hat, dann stellt sich die Frage, welche Absicht sich hinter der Stilisierung einer Flucht als furchtsame Reaktion auf eine widrige Situation verbergen könnte und für welchen Diskurs damit eine bedeutungsvolle Aussage gemacht wäre. 4.5. Die Furcht und der selbstbestimmte Wille des Heiligen Als Grund für eine furchtsame Flucht des Paulus ließe sich zunächst eine theologische Aussage vermuten, mit der Hieronymus seinen Blick von dem Protagonisten abwendet und sich mit der Frage nach den Anfängen des Eremitentums auf eine Spurensuche göttlicher Wirkung begibt: Ist mit der furchtsamen Flucht des Protagonisten also die Wirkmacht Gottes betont, der eben trotz menschlicher Schwäche die Dinge zum Guten führt? Gott selbst, nicht etwa ein geplantes, kontrolliertes menschliches Handeln, so lautete damit die ätiologische Aussage, müsse als Urheber des Wüstenmönchtums gelten. Die Vita Antonii wendet den Blick wiederholt auf diese Dimension. Auslöser für den Gang des Antonius in die Wüste waren Kirchenbesuche und Worte der Heiligen Schrift, die Antonius unmittelbar auf sich bezieht, als sei die Lesung, wie von Gott (ὥσπερ θεόθεν), um seinetwillen geschehen. 478 Dass Gottes Wirken hinter der Askese und der Anachorese des Antonius steht, wird explizit nach seinem ersten spektakulären Dämonenkampf in den Gräbern betont, wo ihm Christus selbst erscheint 479 und ihm bestätigt, dass er, trotz der Zweifel des Antonius, wo Christus denn während seines Kampfs gewesen sei (Ποῦ ἦς?), Antonius zur Seite gestanden habe: Ἀντώνιε, ὧδε ἤμην!480 Von solch göttlichen Grundlagen für die Anachorese des Paulus findet sich in der Vita Pauli jedoch keine Spur. Tatsächlich ist von Gott und seinem Wirken im Zusammenhang mit der Flucht des Paulus überhaupt nicht die Rede. Vielmehr ist es hier der prudentissimus adulescens (VP 5,1), der ganz autonom aus der „Not eine Tugend“ macht. Erst im folgenden Kapitel wird ein Handeln Gottes erstmals erwähnt und dabei lediglich impliziert, allerdings nicht in Bezug auf die Flucht an sich, sondern auf das Auffinden der Höhle, die dem Flüchtling quasi a Deo angeboten wird (VP 6,1). Überhaupt rückt das Handeln des Menschen bei Hieronymus tendenziell in den Vordergrund. Als leidenschaftlicher Advokat des monastischen Ideals, dem der Streit mit 478 Vgl. Ath., v. Anton. 2,4 (SC 400, 132,18–134,20 BARTELINK): Ὁ δὲ Ἀντώνιος, ὥσπερ θεόθεν ἐσχηκὼς τὴν τῶν ἁγίων μνήμην καὶ ὡς δι’ αὐτὸν γενομένου τοῦ ἀναγνώσματος. 479 Vgl. Ath., v. Anton. 10,1 (SC 400, 162,1f. BARTELINK): Ὁ δὲ Κύριος οὐδὲ ἐν τούτῳ ἐπελάθετο τῆς ἀθλήσεως Ἀντωνίου, ἀλλ’ εἰς ἀντίληψιν αὐτῷ γέγονεν. 480 Vgl. Ath., v. Anton. 10,2f. (SC 400, 162,7–164,12 BARTELINK).
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und um die Sache des Pelagius noch bevorstand, äußerte sich Hieronymus insgesamt für seine Zeit zwar nicht untypisch, eine deutliche Befürwortung der Effektivität und Heilsbedeutung menschlicher Werke ist jedoch stets spürbar. Nicht selten und nicht ohne Nachdruck betont Hieronymus dabei das korrelative Verhältnis von menschlichem Handeln und göttlichem Lohn. So z.B. in dem nur kurz vor seinem eigenen Wüstengang, und somit um die Zeit der Verfassung der Vita Pauli, geschriebenen Brief an Rufin, in dem er die Anachorese des Bonosus mit lobenden Worten beschreibt (s.o. III.1.6) – auf einen Lohn für seine Askese, so Hieronymus dort, habe Bonosus regelrecht einen Anspruch (premium, quod meretur). 481 Auch in den während seiner Wüstenaskese abgefassten Briefen taucht der Gedanke des Lohns für christliche Tugend immer wieder auf. So verweist er z.B. den Diakon Julian auf den „Lohn vom Herrn“ (a domino praemium), den er sich selbst durch seine gute Tat (die geistliche Aufsicht über die Schwester des Hieronymus) bereitet habe (tibi [...] pares).482 In dem Begleitschreiben zur Vita Pauli selbst, in dem Hieronymus ein Loblied auf die Tugenden des hundertjährigen Paulus von Concordia anstimmt, interpretiert er die Gesundheit des alten Mannes sogar als reine iustitia: Der tugendhafte Jubilar werde völlig zu Recht mit seiner jugendlichen Erscheinung belohnt (s.o. III.2.5).483 Als favorisiertes Bild für die himmlische Belohnung taucht in diesen Kontexten – in Anlehnung an 2 Tim 4,8 – immer wieder die „Krone der Gerechtigkeit“ (corona iustitiae) auf484, wie sie auch in der Vita Pauli dem Heiligen in Aussicht gestellt wird (VP 11,3). Noch Jahrzehnte später greift Hieronymus dieses Bild wiederholt auf, wenn es darum geht, den Zusammenhang von tugendhaftem Handeln und göttlicher Belohnung zu erläutern, so z.B. in der 393 verfassten485 Streitschrift gegen Jovinian. Mit der dort formulierten Korrelation: [P]lus laborans, plus aliquid mercedis accipiat486, die hier in verschiedenen Kontexten und Varianten zum Ausdruck gebracht wird487, ist geradezu der theologische Tenor die481
Vgl. Hier., ep. 3,5,3 (CSEL 54, 18,3–9 HILBERG). Vgl. Hier., ep. 6,2,2 (CSEL 54, 25,15f. HILBERG): [T]ibi a domino praemium in illius salute pares. 483 Vgl. Hier., ep. 10,2,3 (CSEL 54, 37,7–9 HILBERG): [P]eccati sciamus esse, quod ceteri adhuc uiuentes praemoriuntur in carne, iustitiae, quod tu adulescentiam in aliena aetate mentiris. 484 Vgl. z.B. Hier., ep. 7,3,2 (CSEL 54, 29,7f. HILBERG); ep. 7,6,2 (CSEL 54, 30,14f.). 485 Vgl. FÜRST, Hieronymus, 325. 486 Vgl. Hier., adv. Iovin. II,22 (PL 23, 318): Apostolus autem qui […] laborat manibus suis, ne quem gravet, et die ac nocte operatur, et ministrat his qui secum sunt, utique ideo hoc facit, ut plus laborans, plus aliquid mercedis accipiat. 487 Vgl. z.B. Hier., adv. Iovin. I,3 (PL 23, 213): Quantoque major est difficultas expertae quondam uoluptatis illecebris abstinere, tanto majus est praemium; a.a.O., I,13 (PL 23, 230): Et quod inuitis extorquendum est, cur non spe praemiorum offerimus Deo? 482
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ser Schrift wiedergegeben. Ein seltsamer Gott wäre es für Hieronymus gewesen, wie Von Campenhausen die Argumentation zusammenfasste, „der wohl die Sünden strafen, dann aber nicht auch die guten Werke belohnen wollte.“488 Gott, so Hieronymus, schuf den Menschen nämlich mit freiem Willen (liberum arbitrium), und so werden wir, seiner Auslegung von Jak 1,13–15 zufolge, weder zum Guten noch zum Bösen aus einer Notwendigkeit gezwungen (nec ad uirtutes, nec ad uitia necessitate trahimur) – sonst, so betont Hieronymus auch an dieser Stelle ausdrücklich, gäbe es auch keine „Krone“489. Mit dem Ausbruch des Streits um Pelagius stellt sich zwar auch Hieronymus wie selbstverständlich auf die von ihm erkannte Seite kirchlicher Rechtgläubigkeit 490 , doch lässt gerade sein noch im hohen Alter verfasster Dialog über die Position des Pelagius erkennen, dass „Hieronymus die eigentliche Streitfrage gar nicht erfaßt hat und in der Sache selbst seiner ganzen Art nach Pelagius viel näher steht als seinem vermeintlichen Bundesgenossen Augustin.“491 Diese grundsätzliche theologische Überzeugung des Hieronymus, dass lohnorientiertem christlichen Handeln nicht nur eine gewisse Heilsnotwendigkeit zukommt, sondern dass solches Handeln – aufgrund einer mehr oder weniger explizit artikulierten Anthropologie des freien Willens – auch eine Heilswirksamkeit entfaltet, schlägt sich auch in der Vita Pauli nieder. Dem Gläubigen, so betont Hieronymus in Anlehnung an Mk 9,23 sei „alles möglich“ (VP 6,2). Dezidiert erwähnt Hieronymus diesen Glaubensgrundsatz im Kontext der Schilderung asketischer Praxis, doch auch seine Beschreibung von Verhalten und Charakter der Protagonisten zeugt davon: Antonius ist zwar insgesamt dem Namensträger der Vita unterlegen, mit seinem entschlossenen Aufbruch und der Überwindung aller Hindernisse auf seiner Reise durch die Wüste entspricht er aber deutlich dem Ideal des selbstbestimmt agierenden Heiligen. Trotz der letztlich harmlos verlaufenden Begegnungen mit den Wüstenwesen wird Antonius dabei ganz im Sinne des bereits zu Beginn der Vita beschworenen miles Christi (VP 3,4) charakterisiert, als bonus proeliator (VP 8,2), der zu den Waffen greift (VP 7,4: armat; VP 8,2: arripuit). Die Suche nach dem Heiligen multo se melior (VP 7,2) impliziert zudem die stete Bemühung
488
VON CAMPENHAUSEN, Kirchenväter, 125. Hier., adv. Iovin. II,3 (PL 23, 286): Liberi arbitrii nos condidit Deus, nec ad uirtutes, nec ad uitia necessitate trahimur. Alioquin ubi necessitas, nec corona est. 490 VON CAMPENHAUSEN, Kirchenväter, 141f., stellt diese Wahl als eine typische Haltung für Hieronymus dar, der „eben immer bestrebt [ist], in den vordersten Reihen der kirchlichen Rechtgläubigkeit zu erscheinen und mehr oder weniger unbesehen zu verurteilen, was als zweifelhaft, verdächtig und unerwünscht gilt.“ 491 VON CAMPENHAUSEN, Kirchenväter, 139. 489
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um eine Steigerung der Tugendhaftigkeit. Antonius, so Hieronymus, kann noch vollkommener werden, wenn er sich noch mehr anstrengt, d.h. wenn er den anachoretischen Aspekt seiner Askese verschärft, indem er sich auf den mühsamen Weg macht, dessen Ziel ultra se (VP 7,1) und interius in der Wüste liegt (VP 7,2), und sich dort von dem Vorbild des „besseren“ Eremiten leiten lässt. Den Höhepunkt dieser von Hieronymus vertretenen Idealvorstellung erreicht die Erzählung in der geradezu paradigmatischen Szene, in der Antonius den verschlossenen Eingang der Höhle des Paulus erreicht. Der für sein Heil kämpfende Asket, der durch sein Handeln (sein unnachgiebiges Flehen um Einlass) ein Vordringen zum Heiligen regelrecht erzwingt, versinnbildlicht den Kern des hieronymianischen Ideals des selbstbestimmt agierenden christlichen Helden: Antonius will mit ganzer und letzter Kraft den Durchbruch zum Heiligen, und damit eben auch zur eigenen Heiligkeit, erwirken. Keine Wüste und erst recht keine verschlossene Tür kann ihn, dem als Gläubigen „alles möglich ist“, davon abhalten. Seine Worte sind Programm: [N]isi uidero, non recedam (VP 9,5). Die Heiligen des Hieronymus, so hat es bereits Coleiro erkannt, zeichnen sich gerade durch ihre Willenskraft aus – „will-power, which does not let itself be ruled by circumstances of any sort“492. Doch wie steht es um das willentliche Handeln des „viel besseren“ Eremiten bei seiner Flucht? Hieronymus schildert das Vorgehen des Paulus als paulatim procedens, rursusque tantumdem, atque idem saepius faciens (VP 5,1). Dass es sich hierbei um eine nur schwer verständliche Passage handelt, ist bereits hervorgehoben worden, und nicht zufällig bieten die Manuskripte gerade für diese Stelle eine Vielzahl von Lesarten (s.o. II.3.2, Anm. 70). Insgesamt geht aus dieser Beschreibung jedoch die Besonnenheit und Überlegung desjenigen hervor, den Hieronymus in demselben Satz noch explizit als prudentissimus charakterisiert hatte. Paulus ist zwar auf der Flucht, verhält sich jedoch keinesfalls wie einer, der Hals über Kopf davonläuft. Keineswegs entsteht also der Eindruck, als fliehe er aus Furcht oder gar in Panik. Seine Flucht geschieht vielmehr in Besonnenheit, willentlich und, wie sich noch zeigen wird (s.u. III.5.10), weil sie „vernünftig“ ist. Tatsächlich hebt sich Paulus gerade im Blick auf den Gang in die Wüste von Antonius ab, der zwar auch mit Entschlossenheit und Willenskraft vorgeht, dabei jedoch wiederholt gerade mit Erschrecken und Furcht zu kämpfen hat. Nebst seinen Begegnungen mit diversen Fabeltieren, die ihn erschrecken, auf dass er sich zunächst mit dem Kreuz (VP 7,4) und dann mit dem „Schild des Glaubens“ (scutum fidei) und dem „Panzer der Hoffnung“ (loricam spei) (VP 8,2) wappnen muss, ist für den direkten Vergleich besonders die Auffindung der Höhle von Interesse: Sowohl Paulus als auch Antonius erreichen zu unter492
COLEIRO, St. Jerome’s lives, 169.
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schiedlichen Zeitpunkten dieselbe Höhle. Während Paulus in VP 5,1 jedoch geradezu ungeduldig (auide) das Verborgene in Erfahrung bringen will (occulta cognoscere), scheint sich Antonius bei seiner Ankunft eher zu fürchten, die dunkle Höhle zu betreten. Antonius muss sich Mut zusprechen, indem er sich an Worte der Schrift erinnert: [P]erfecta dilectio foras mittit timorem (VP 9,3). Hieronymus deutet hier auf eine Passage aus dem ersten Johannesbrief (1 Joh 4,18) hin, in der es insgesamt heißt: „Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus; […] Wer sich aber fürchtet, der ist nicht vollkommen in der Liebe“ (φόβος οὐκ ἔστιν ἐν τῇ ἀγάπῃ ἀλλ’ ἡ τελεία ἀγάπη ἔξω βάλλει τὸν φόβον […] ὁ δὲ φοβούμενος οὐ τετελείωται ἐν τῇ ἀγάπῃ). Mit diesem expliziten Hinweis auf das adversative Verhältnis von Furcht und Vollkommenheit würde eine furchtsame Flucht des Heiligen, den Gott selbst Antonius als multo melior (VP 7,2) ankündigt und den Antonius später als quasi Christum erkennt (VP 12,4), umso verwunderlicher erscheinen. 4.6. Die freiwillige Flucht des Heiligen In Anbetracht des internen Widerspruchs, der sich mit einer furchtsamen Flucht des Paulus ergibt, lässt sich fragen, ob hier tatsächlich richtig interpretiert wird. Ist Furcht, von der ja ohnehin nirgends explizit die Rede ist, tatsächlich die treibende Kraft hinter der Flucht des Heiligen in der Vita Pauli? Nebst der Beobachtung, dass ein Zusammenhang zwischen dem Aufenthalt auf dem Landhaus und den Christenverfolgungen bereits eine Interpretation darstellt, die der Text nicht unmittelbar hergibt, ist auch die ausschlaggebende Aussage zur Flucht des Paulus in VP 5,1 Sache der Interpretation. Anders als es die zu Beginn zitierten Übersetzungen wiedergeben (s.o. III.4.3) enthält der entscheidende Abschnitt nur einen Hauptsatz, zwei Nebensätze und ein participium coniunctum, das sich auf das Subjekt des Satzes bezieht. Der Hauptsatz (necessitatem in uoluntatem uertit) enthält kein definiertes Subjekt. Dieses (prudentissimus adulescens) befindet sich in dem ersten temporalen Nebensatz: [Q]uod ubi […] intellexit. Damit ergibt sich zunächst folgende Aussage: „Als der äußerst besonnene junge Mann dieses erkannte, machte er aus Not eine Tugend.“ Gesagt ist damit, dass der junge Mann aus der Not eine Tugend machte und wann er dasselbe tat. Offen bleibt, inwiefern bzw. wodurch er aus der Not eine Tugend machte. Diese Information liefert das participium coniunctum (confugiens), das dem Hauptsatz folglich modaladverbial zugeordnet werden muss. Anders als in den zu Beginn aufgeführten Versionen lautet die Übersetzung demnach: „Als der äußerst besonnene junge Mann dieses erkannte, machte er aus Not eine Tugend, indem er in die Einöde der Berge floh.“ Diese sich an der Grammatik, nicht an der Sequenz des lateinischen Satzes orientierende Übersetzung bringt eine andere Aussage ans Licht. Belässt man
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vorerst die Wiedergabe der Wendung necessitatem in uoluntatem uertit bei der deutschen Redewendung „aus der Not eine Tugend machen“, so macht Paulus nun nicht etwa nach einer unüberlegten Flucht aus der Not eine Tugend, sondern bereits davor. Damit aber ist die Flucht nicht die Not, die in eine Tugend verwandelt werden muss, sondern bereits die Tugend selbst. Sein Entschluss für ein asketisches Leben in der Einöde der Berge ist demnach eben nicht purer Zwang oder kopflose Reaktion, sondern ein der Charakterisierung des Helden entsprechendes, „äußerst besonnenes“ (prudentissimus) „Verwandeln“ (uertere) eines widrigen Umstandes in eine zielgerichtete Initiative. Paulus läuft nicht zunächst ohne Ziel davon und findet sich dann im Laufe der Zeit mit dem Ort seiner Flucht (den montes) und seiner Situation (der deserta) ab.493 Vielmehr entscheidet er sich aus einer Erkenntnis (intellegere) heraus für das asketische Leben in der Einsamkeit. Untermauert wird diese Interpretation im genaueren Blick auf die Begrifflichkeit der Wendung necessitatem in uoluntatem uertit, die bisher ausschließlich im Blick auf ihren idiomatischen Charakter übersetzt wurde. Obwohl die deutsche Übersetzung, „aus der Not eine Tugend machen“, durchaus den Kern des Idioms in seiner Gesamtbedeutung wiedergibt und somit völlig zu Recht als Übersetzung gelten kann, sind die einzelnen Elemente der Wendung in den jeweiligen Sprachen von unterschiedlichem konnotativen Gehalt. So zielt uoluntas zwar letztlich auch auf den Willen ab, der zum tugendhaften Handeln führt. Betont wird dabei jedoch stärker ebendieser Aspekt des Wollens, des freien Willens, des eigenmächtigen Entschlusses. Somit steht bereits nur dieser Begriff an sich im starken Kontrast zu dem oben gezeichneten Bild des passiven Opfers. Nicht Schwäche oder Zwang stehen hier im Vordergrund. Vielmehr betont Hieronymus gerade die Kontrolle und Absicht seines Protagonisten, der die Not in ein Wollen „verwandelt“ (uertere). Die Evagriusübersetzung der Vita Antonii enthält an entscheidender Stelle eine ähnliche Formulierung: In Kap. 17 wird davon berichtet, wie Antonius seine Mönche über den Wert des asketischen Lebens belehrt, wobei Antonius, in Auslegung von Röm 8,18, die Leiden dieser (Lebens-) Zeit (passiones huius temporis) ins Verhältnis zum Erhalt der kommenden Herrlichkeit (superuentura gloria) stellt.494 Das darin erkannte Ungleichgewicht wird mit zahlreichen Beispielen veranschaulicht, die allesamt den geringen Einsatz eines christlichen tugendhaften Lebens im Blick auf den vielfachen himmlischen Lohn betonen. Diese berechnende Abwägung mündet in der rhetorischen Frage: Cur igitur non facimus de necessitate uirtutem?495 Die Mönche 493
Schließlich betont Hieronymus die Tatsache, dass Paulus aus der Not eine Tugend macht, noch vor dem Auffinden der Höhle. 494 Vgl. Evagr., v. Anton. 17 (166,282f. BERTRAND). 495 Vgl. Evagr., v. Anton. 17 (166,292f. BERTRAND).
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sollen erkennen, dass ihre Bemühungen um christliche uirtus geradezu die vernünftigere Entscheidung ist. Das damit vermittelte lohnorientierte und selbstbestimmte (facimus!) anthropologische Ideal entspricht den Ansichten des Hieronymus. Stärker noch als durch die von Evagrius eingesetzte Wendung (facimus … uirtutem) impliziert, betont Hieronymus dabei aber den effektiven und freien Willen (uoluntas) des Heiligen, der sich auf die Erkenntnis (intellegere) der Notwendigkeit hin für den Weg in die Wüste entscheidet (uertere). 4.7. Die „Flucht“ des Hieronymus Mit dieser Auffassung der Flucht des Paulus gibt sich erneut der Autor selbst in seiner literarischen Figur zu erkennen (s.o. III.3.3). Die Umstände seines eigenen Aufbruchs aus dem Kreis der Freunde, der schließlich in der Anachorese in der Wüste Chalkis endete, deutet Hieronymus in einem nur kurze Zeit vor der Verfassung der Vita Pauli geschriebenen Brief an Rufin an. Zu seinem Aufenthalt in Syrien kam es, so schreibt er dort, postquam me a tuo latere subitus turbo conuoluit, postquam glutino caritatis haerentem inpia distraxit auulsio496. Diese kryptische Aussage ist schon vielfach und unterschiedlich gedeutet worden und Georg Grützmacher resümierte schließlich mit Blick auf die nicht zu entziffernde „dunkle Bildsprache“: „Wir müssen hier einfach eingestehen, dass wir den Anlass nicht kennen“497. Aufschlussreicher als der Anlass selbst ist hier jedoch seine bildsprachliche Deutung. Entscheidend ist, dass Hieronymus die Anfänge seiner eigenen Anachorese mit einem plötzlichen – fluchtartigen – Wegziehen in Verbindung bringt, dessen Grund er als „plötzlichen Sturm“ (subitus turbo) umschreibt, und wobei eine auulsio impia das Band der Liebe (glutinum caritatis) zwischen ihm und seinen freundschaftlichen Bindungen durchtrennte (distraxit). Eine Parallele mit der Flucht des Paulus, deren auslösendes Moment als „Sturm der Verfolgung“ (VP 4,2) beschrieben wird, drängt sich geradezu auf. Auch seine eigene „Flucht“ stellt Hieronymus als Akt des Willens dar, der keinesfalls überstürzt oder unfreiwillig verlief. Nach eigener Aussage entsprach sein Vorhaben vielmehr einem lang gehegten „Wollen“, wie er dem Abt Theodosius und den Mönchen seines Klosters noch vor seinem Gang in die „Wüste“ schrieb.498 Auch während seines Wüstenaufenthalts ist es ihm ein Anliegen, dass seine „Flucht“ in die Wüste als Akt des freien Willens aufgefasst werde. Mit Nachdruck verweist er Papst Damasus in einem Brief darauf, dass
Hier., ep. 3,3,1 (CSEL 54, 14,14f. HILBERG). GRÜTZMACHER, Hieronymus, 147; vgl. SCHADE, Briefe I, 3. 498 Vgl. Hier., ep. 2, bes. 2 (CSEL 54, 11,5–8 HILBERG). 496 497
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er nicht durch fremden Urteilsspruch zu seinem Schicksal in der Wüste verdammt worden sei. Er selbst habe sich dazu entschlossen (ipse constitui).499 Besonders im Rückblick aber stilisiert sich Hieronymus als einen Anachoreten von eben jener Willensstärke, wie sie auch in seinen Helden der Vita Pauli zum Vorschein kommt. Von seinen späteren Briefen sticht dabei besonders seine Selbstdarstellung in dem berühmten Brief an Eustochium hervor, in dem er auf seine Askese in heremo zurückblickt. 500 Heldenhaft erscheint hier der Kampf des Asketen Hieronymus, der „verlassen von aller Hilfe“ (omni auxilio destitutus501) die Härten der Wüste erträgt, die in ihrer weiten Einsamkeit (uasta solitudo), „ausgebrannt von der Hitze der Sonne“ (exusta solis ardoribus), „den Mönchen eine schaurige Wohnstätte bietet“ (horridum monachis praestat habitaculum).502 Wie bereits Rebenich festgestellt hat, ist besonders dieser Abschnitt des Briefes „stark stilisiert und dient vor allem der Selbstdarstellung des Hieronymus als asketischer Autorität.“503 Auch Cain betont: „Jerome’s epistolary narrative about his own selfimposed ‚exile‘ in Chalcis was a highly rhetoricized ploy to forge a literary persona that directly served his self-fashioning needs.“504 Die Selbstbeschreibung sei demnach auch an einer strategisch entscheidenden Stelle in dem Brief eingefügt, so Cain, „to show that his own life experience embodied the
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Hier., ep. 16,2,1 (CSEL 54, 69,5–7 HILBERG): [E]t ne putes alterius hanc de me fuisse sententiam, quid mererer, ipse constitui. 500 Vgl. Hier., ep. 22,7,1–4 (CSEL 54, 152,15–154,8 HILBERG). 501 Vgl. Hier., ep. 22,7,3 (CSEL 54, 153,12 HILBERG). 502 Vgl. Hier., ep. 22,7,1 (CSEL 54, 152,15–17 HILBERG). 503 REBENICH, Hieronymus, 95. Besonders an der Stilisierung seiner Zeit in der Chalkidike als einen Aufenthalt in der „Wüste“, sei eben jene Intention der Selbstdarstellung des Hieronymus zu erkennen, so REBENICH. Entsprechend bedurften „die Mehrzahl der bisherigen Versuche, den Aufenthalt des Hieronymus in der eremus Chalcidos nachzuzeichnen, der Revision“ (ibid.). Bereits aufgrund seiner umfangreichen Bibliothek und den Kopisten, die er offensichtlich um sich hatte (s.o. III.3.6), wird sich Hieronymus nur „schwerlich in eine ‚Felsenhöhle‘ zurückgezogen haben, sondern vielmehr in einer festen Behausung untergekommen sein“ (a.a.O., 96); CAIN, Vox, 519, schließt sich Rebenich an und betont: „Jerome did not stay in a cave or in a dry and barren wilderness scorched by the rays of the sun, as he leads us to believe, but rather at Maronia, a small hamlet owned by his wealthy patron Evagrius and situated on the busy road between Antioch and Chalcis“; bereits BROWN, Holy man, 83 hat erkannt: „The desert of Syria was never a true desert. In the steppelands of Chalcis, occasional showers ensured that water was always near the surface; the ruins of deserted Roman forts trapped enough to support a hermit all the year round. The mountains had the same quality. To go to the ἔρεμος in Syria was to wander into the ever present fringe of the οἰκουμένη; it was not to disappear into another, unimaginable world. The desert was a standing challenge on the very edge of the village.“ 504 CAIN, Vox, 520.
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ascetic precepts that he had just doled out in the foregoing sections.“505 Diese Zeichnung einer persona als Teil einer „aggressive text-based self-fashioning campaign“ 506 lässt sich laut Cain bereits in seinen in der Wüste verfassten Briefen erkennen. Hieronymus verfolge dabei stets ein Ziel: „to package himself as the ideal hermit“507. Die Selbststilisierung des Hieronymus und die Zeichnung eines christlichen Helden in der Vita Pauli stimmen in der Idealisierung des selbstbestimmten Handelns des christlichen Asketen überein. Der in der Vita dargestellte Heilige ist immer auch zum Teil Hieronymus selbst. Doch auch hier gilt, dass sich Hieronymus mit der Figur des principium des Eremitentums auch selbst ein Vorbild vor Augen hält (s.o. III.3.6). Trotz aller Darstellung als entschlossener Eremit ist immer wieder auch das Ringen des Hieronymus mit seinem eigenen Willen und seiner Fähigkeit zur tatkräftigen Umsetzung desselben – „der mühsam erkämpfte und leidenschaftlich festgehaltene asketische Entschluß“ des Hieronymus, wie es Von Campenhausen beschreibt 508 – erkenntlich. Besonders in seinem noch vor seinem Wüstengang verfassten Brief an die Mönche in Kilikien gesteht er eben jene Schwäche ein und bittet entsprechend um Unterstützung, damit dem Willen auch die Tat folge (uestrum est, ut uoluntatem sequatur effectus509). Das Wollen, so Hieronymus, sei zwar seine Sache (meum est, ut uelim), doch zwischen Wollen (uelle) und Können (posse) erkennt Hieronymus bei sich eine Diskrepanz510. Eben damit unterscheidet er sich von dem in der Vita Pauli gezeichneten Heiligen, dessen vorbildliche Willenskraft eigenmächtig und effektiv in ein heils-orientiertes Handeln umgesetzt wird. 4.8. Fazit Ausgehend von der Feststellung, dass die Anachorese für das Heiligkeitsideal des Hieronymus geradezu wesensbestimmend ist, lässt die Flucht seines Protagonisten in der Vita Pauli zunächst aufmerken: Wenn dem Aufenthalt in der Wüste so große Bedeutung zukommt, sind nicht auch der Weg dorthin und die damit einhergehenden Motivationen von hagiographischer Relevanz? Athanasius verknüpft Wüstengang und Wüstenaufenthalt in der Vita Antonii eng miteinander. In dem Bestreben um asketische Steigerung sucht der Heili505
A.a.O., 523. A.a.O., 503. Hieronymus, so CAIN, a.a.O., 522, „was a shrewd opportunist and knew that his ascetic experience, if presented seductively, would certify him in the eyes of potential patrons […] as a veteran of spiritual warfare and therefore as an exceptional spiritual director.“ 507 A.a.O., 520. 508 VON CAMPENHAUSEN, Kirchenväter, 149. 509 Hier., ep. 2,2 (CSEL 54, 11,6f. HILBERG). 510 Vgl. Hier., ep. 2,2 (CSEL 54, 11,8 HILBERG). 506
4. Die furchtsame Flucht und der Wille des Heiligen
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ge den Dämonenkampf eben dort auf, wo sich die Dämonen vornehmlich aufhalten – in der Wüste. Der Wüstengang des Antonius ist also explizit asketisch motiviert. Anders der Befund in der Vita Pauli, in der es zunächst so scheint, als sei der Wüstenaufenthalt lediglich eine kontingente Folge einer durch Furcht motivierten Flucht des Protagonisten. Diese bei Auslegern der Vita nicht selten anzutreffende Darstellungsweise wird gestützt von der Deutung des Aufenthalts auf dem Landgut als erste Etappe der Flucht des Paulus – eine Interpretation, für die der Text jedoch kaum Anhalt gibt. Als Gründe für Hieronymus, überhaupt von einer Flucht seines Helden zu berichten, lassen sich gewisse „geschichtliche“ Faktoren nicht ausschließen: Sowohl das Wissen um einen historischen Paulus als auch eine von Hieronymus vorausgesetzte Kenntnis seiner Leser/innen einer etwaigen PaulusTradition wären denkbare Beweggründe für die narrative Integration einer Fluchtgeschichte. Auch ein „Wissen“ des Hieronymus um die Flucht vieler Christen vor den Verfolgungen des Decius und Valerian als Ursprünge des Mönchtums bietet sich als durchaus plausible Begründung für die Fluchtgeschichte in seiner Erzählung über den ersten Mönch an. Nicht erklären lässt sich damit die vermeintlich negative Darstellung des Protagonisten, dessen furchtsame Flucht zugleich die Geburt des Wüstenmönchtums in den Verruf brächte, nicht mehr als das Nebenprodukt eines pragmatischen Zugeständnisses an widrige Umstände gewesen zu sein. Etwaige Intentionen des Hieronymus, sein principium auf diese Weise zu präsentieren, geben sich nicht zu erkennen. Die Vermutung, Hieronymus stelle bewusst die Schwäche eines Menschen in den Vordergrund, um damit auf die Stärke und Fügung Gottes zu verweisen, erweist sich nicht nur aus Mangel an textlichen Grundlagen als unwahrscheinlich. Auch Hieronymus’ Überzeugung der Heilseffektivität und Heilsrelevanz menschlichen Handelns aus freiem Willen widerspricht der Darstellung eines schwachen Helden, dessen Schicksal sich gegen seinen Willen oder gar ohne sein Zutun entfaltet. Dieser Grundhaltung entsprechend geben sich die Helden der Vita Pauli insgesamt eher als selbstbestimmte Akteure zu erkennen, deren auf Lohn und Heil ausgerichtetes Handeln geradezu eine Verkörperung des Grundsatzes war, dass „dem Gläubigen alles möglich sei“. Hieronymus’ Antonius verkörpert dieses Ideal, indem er sich aufmacht, den „sehr viel Besseren“ „noch tiefer“ in der Wüste zu suchen. Sein Handeln ist durch den Willen motiviert, seine christliche Tugendhaftigkeit (d.h. seine Askese bzw. Anachorese) zu steigern; durch seinen Glauben, der ihn wappnet, ist sein Handeln effektiv auf das von Paulus später artikulierte Ziel der himmlischen Belohnung, der corona iustitiae, ausgerichtet. Dieses Schema lässt sich auch bei der Flucht des Paulus erkennen. Dabei deutet das behutsame Vordringen des als prudentissimus charakterisierten Protagonisten keinesfalls auf eine überstürzte Flucht aus Angst. Überhaupt
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III. Der heilige Paulus von Theben
stellt die Vita Paulus insgesamt als noch furchtloser als den ohnehin bereits entschlossenen miles Christi Antonius dar. Bei der jeweiligen Auffindung der Höhle ergibt sich der direkte Vergleich: Während Paulus mutig das Unbekannte erforscht, muss Antonius, wie an dieser Stelle explizit hervorgehoben wird, die Furcht (timor) durch die Erinnerung an ein Bibelwort, in dem Furcht als Zeichen mangelnder Vollkommenheit gedeutet wird, vertreiben. Gerade mit dieser Verknüpfung von Furcht und defizitärer Vollkommenheit (d.h. Heiligkeit) gibt sich der Widerspruch deutlich zu erkennen, der durch eine mutmaßliche furchtsame Flucht des Heiligen evoziert wird, in dessen Erscheinung Antonius sogar Christus selbst erkennt. Als Grundlage für eine andere Interpretation bietet sich eine Übersetzung der entscheidenden Passage zur Flucht des Paulus an, anhand derer seine Flucht nicht zur Not wird, die Paulus schließlich in eine Tugend verwandelt, sondern die Flucht selbst bereits das „Wollen“ des Akteurs widerspiegelt. Nicht Furcht also, sondern eine eigenmächtige Initiative, die aus einem Erkennen (intellegere) und einem Wollen (uoluntas) besteht, stellt sich so als Motivation des Heiligen heraus. Mit dieser Interpretation zeigt sich die Figur des Paulus erneut als Hieronymus’ Heiliger: Paulus entspricht zum einen der Selbststilisierung des Hieronymus in seiner „gewollten“ Flucht in die Wüste, in seinem selbstbestimmten Handeln bleibt er jedoch zugleich auch Vorbild für den stets mit seinen eigenen Idealen ringenden Autoren. Das mit der selbstbestimmten Flucht des Paulus vermittelte Heiligkeitsideal bestätigt viele der bereits beobachteten Merkmale einer hieronymianischen Vorstellung von Heiligkeit: Wie bereits wiederholt festgestellt, richtet sich das hagiographische Interesse des Hieronymus primär auf die Taten des Heiligen (s.o. bes. III.2.1). Als anthropologische Grundlage für die Heilseffektivität jener Taten zeigt sich hier der freie Wille. Dieser stützt sich wiederum auf der Fähigkeit des Christen zur Erkenntnis, dass der Weg der christlichen Tugend letztendlich der bessere, d.h. sich lohnendere, Weg ist. Der Heilige wirkt auf sein Heil hin, weil er es kann (d.h. sein Handeln hat effectus), weil er es aufgrund des Erkennens (intellegere) will (dazu hat er uoluntas) und letztlich, mit Blick auf die Belohnung, sogar geradezu muss (necessitas). Der christliche Heilige ist bei Hieronymus also gerade deshalb heilig, weil er eine „Notwendigkeit“ in ein „Wollen“ verwandelt. Er ist heilig, weil er will und tut, was er muss. Die Flucht des Paulus ist eine eben solche gewollte und insofern notwendige Entscheidung und Tat eines Heiligen. Notwendig ist sie dabei auch hinsichtlich eines weiteren zentralen Aspekts der hieronymianischen Heiligkeitsvorstellung: das „Werden“ des Heiligen (s.o. III.2.5; III.3.7). Da der Heilige nicht unbedingt von Anbeginn heilig ist, sondern durch entsprechende Taten überhaupt erst zum Heiligen wird, ist der asketische Weg der kontinuierlichen Anstrengung und Besserung zentral. Askese ist also Ausdruck einer willensorientierten Übung des als richtig erkannten Wegs. Dieser rich-
5. Das notwendige Martyrium des Heiligen
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tige Weg beginnt mit dem Gang in die Wüste, schließlich ist der Wüstenaufenthalt für Hieronymus geradezu grundlegend für das asketische Wirken des Heiligen auf sein Heil hin. Mit dieser richtungsweisenden Entscheidung des Heiligen ist die erste Bedingung für die Entstehung der Heiligkeit des Heiligen erfüllt. Entsprechend ist der Erzähler kaum daran interessiert darüber zu berichten, was im Leben des Paulus vor dieser Entscheidung passiert ist. Die Flucht des Paulus ist ein als richtig erkanntes, aktives Verwandeln einer Notwendigkeit in ein Wollen. Von Furcht ist hier keine Rede. Im Gegenteil, der Heilige bei Hieronymus ist heilig, eben weil er nicht gescheitert ist. Er fürchtet sich nicht, weil er vollkommen in der Liebe ist. Er ist Christusähnlich (quasi Christus) und ihm wird die corona iustitiae in Aussicht gestellt, weil er keine Schwächen zeigt. Paulus zeigt sich in dieser Hinsicht typisch für alle von Hieronymus porträtierten Heiligen, die Coleiro so beschreibt: „[T]he heroes in Jerome’s narratives are not simply morally great, they not only tower above all the other personalities mentioned, they are faultless, almost superhuman; and if there is any trace of human weakness in them it is only that which does not clash with their moral greatness – indeed, it might even enhance it.“ 511 Insgesamt entpuppt sich also die vermeintlich furchtsame Flucht des Paulus als ein als notwendig erkannter und gewollter Schritt eines selbstbestimmt handelnden christlichen Akteurs auf dem Weg seiner Heilig-werdung.
5. Das notwendige Martyrium des Heiligen Obwohl Erkenntnis und Wille des „äußerst besonnenen“ Protagonisten ausschlaggebend für seinen Gang in die Wüste sind, handelt es sich dennoch explizit um eine Flucht vor und somit um eine Reaktion auf etwas: Paulus reagiert auf eine „Not“, die er in ein Wollen verwandelt (s.o. III.4.6). Diese Not bestimmt sein Handeln zwar nicht, sie ist jedoch ohne Zweifel Ausgangssituation der Handlung. Erläutert wird diese Ausgangssituation in VP 2–3. Es sind die Christenverfolgungen unter Decius und Valerian, die dazu führten, wie Hieronymus in VP 2,1 betont, dass Christen gelobten, sich „für Christi Namen mit dem Schwert töten zu lassen“ (pro eo nomine gladio percuti). Die Flucht des Paulus in die Einöde der Wüste ist demnach – ob aus Furcht oder aus freiem Willen – eine Entscheidung gegen eben jenes Schicksal. Es ist eine Flucht vor dem Martyrium.512 In Anbetracht der zentralen Stellung des Martyriums für frühchristliche Frömmigkeit ist dieser Sachverhalt nicht ohne 511
A.a.O., 168. Einen Überblick über Ereignis und Deutung des Martyriums in der frühen Kirche bietet GEMEINHARDT, Märtyrer, 291–305; vgl. auch SLUSSER, Martyrium, 207–212. 512
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III. Der heilige Paulus von Theben
Brisanz für die Frage nach der Heiligkeit des hieronymianischen Helden in der Vita Pauli. 5.1. Der Martyriumsverweigerer Schon früh galt das Martyrium in christlicher Frömmigkeit als vollkommenste Form der Nachfolge Christi.513 In der Emulation des Leidens und Sterbens Christi wurde der Christ wahrhaft zum μιμητὴς Χριστοῦ514 und somit, in den Augen frühchristlicher Gemeinden, zum herausragenden „Typus der Heiligkeit“515, wenn nicht gar zum „Prototyp des Heiligen“ selbst.516 So ausgeprägt das Ansehen und die Verehrung derer war, die für ihren Glauben gestorben waren, so vehement wurde auch, gerade in den Verfolgungen unter Decius und Valerian, die Debatte um den Umgang mit denjenigen geführt, die, so Cyprian von Karthago, „unter der Anfeindung der Ver513
Der Sprachgebrauch des Martyriums als Lebenshingabe besteht spätestens seit dem Martyrium des Polycarp [Mitte des 2. Jh.] (vgl. ANGENENDT, Heilige, 35; GEMEINHARDT, Tota paradisi, 100f; ders., Die Heiligen, 16). Zwar ist bereits im Neuen Testament die Rede von Christen, die ihr Leben verloren, weil sie Christus bezeugten (z.B. Stephanus [vgl. Apg 7,54–57] oder Jakobus [vgl. Apg 12,2]); ein „Ansatz zur Märtyrerverehrung, gar zu liturgischer Verehrung“ ist dort jedoch noch nicht gegeben (VON DER NAHMER, Heiligenvita, 8). So sehr „vorausgesetzt werden darf, daß die Meinung bestand, der Mensch schulde Christus solches Standhalten, so unternimmt doch die Apostelgeschichte nichts, um den Gläubigen den Märtyrertod als religiös-sittliche Pflicht zur Nachahmung aufzutragen“ (ibid.). Der Begriff μάρτυς bedeutet im neutestamentlichen Griechisch primär „Zeuge“, etwa vor Gericht (vgl. SLUSSER, Martyrium, 208). So treten gegen Stephanus z.B. zunächst falsche μάρτυρες auf (Apg 6,13) und auch zu seiner Steinigung sind Zeugen anwesend (Apg 7,58). Die Apostel hingegen sind „Zeugen des Lebens, Sterbens und Auferstehens Christi, mit ihrem Leben und Verkünden Zeugen seiner Botschaft“ (VON DER NAHMER, Heiligenvita, 8) (vgl. z.B. Apg 1,8; 2,32; 3,15; 5,32; 10,39; 13,31). Selbst bei der Rede vom „Blut der Zeugen“ (Offb 17,6) in der Offenbarung „steht noch das Wortzeugnis, nicht das Zeugnis durch das Blut, im Vordergrund“ (GEMEINHARDT, Märtyrer, 291). Von diesem Zeugenbegriff in den neutestamentlichen Schriften „führt keine direkte Linie zum Polycarpmartyrium, wo das Wort μάρτυς dann einen theologischen Sachverhalt erfasst, der sich ohne eine fixierte Terminologie, aber der Sache nach bereits bei Ignatius von Antiochien und im Hirten des Hermas findet“ (ibid.). 514 Vgl. GEMEINHARDT, Märtyrer, 290; SLUSSER, Martyrium, 208. In späteren Märtyrererzählungen wird dieser Zusammenhang explizit hergestellt: So z.B. in dem von Euseb überlieferten Brief der Gemeinden von Lyon und Vienne (m. Lugd. 2,2–4 [SC 41, 23–25 BARDY]), worin betont wird, dass der Name „Märtyrer“ nur denen vorbehalten werden solle, die mit ihrem Tod Christus, den wahren Märtyrer (χριστός ὁ πιστὸς καὶ ἀληθινὸς μάρτυς; vgl. m. Lugd. 2,3 [SC 41, 24 BARDY]), imitiert und emuliert haben (ζηλωταὶ καὶ μιμηταὶ Χριστοῦ). 515 SPEYER, Kirchliche Heilige, 167. 516 SLUSSER, Martyrium, 210; vgl. auch ANGENENDT, Heilige, 35; HAUSAMMANN, Verfolgungs- und Wendezeit, 27.
5. Das notwendige Martyrium des Heiligen
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folgung“ (in persecutionis infestatione) „von dem Feind zu Fall gebracht worden waren“ (subplantati ab aduersario)517 und angesichts der Androhung mit Einkerkerung, Folter, Verbannung und Tod der Anweisung zur Teilnahme am Kaiserkult mit Opfern für den Genius des Kaisers Folge geleistet hatten. Sie wurden als lapsi518 (bzw. παραπεπτωκότες) bezeichnet.519 Ihre Reintegration in die Kirche und erneute Zulassung zur Kommunion galt keinesfalls als selbstverständlich. Im Gegenteil, Cyprian zufolge war die Buße nach der Taufe durchaus Ausdruck sowohl der bischöflichen paterna pietas als auch der göttlichen Milde (diuina clementia).520 Zu Recht, so der Bischof von Karthago, zog die Kirche die Bußfrist in Friedenszeiten in die Länge und kam nur den Kranken und den Sterbenden zu Hilfe.521 In Anbetracht der erneut drohenden Verfolgung 522 plädierte Cyprian für eine Milderung dieser Regelung, zumindest für diejenigen, die „sich von der Kirche nicht zurückgezogen haben, sondern vom ersten Tag ihres Falls (lapsus) nicht abgelassen haben, Buße zu tun und zu klagen und den Herrn anzuflehen“; ihnen solle „der Friede erteilt werden“, auf dass sie „zum Kampf, der bevorsteht“, gerüstet und unterwiesen werden könnten.523 Doch Cyprian standen rigoristische Gruppen gegenüber, die sich besonders um den Presbyter (und späteren Gegenbischof) Novatian in Rom versammelt hatten. Sie hielten eine zweite Buße nach der Taufe in jeder Hinsicht für ausgeschlossen524, „als gäbe es für sie gar keine Hoffnung auf Rettung mehr“ (ὡς μηκέτ’ οὔσης αὐτοῖς σωτηρίας ἐλπίδος), so der Bericht Eusebs von Cäsarea, „auch nicht wenn sie alles vollbringen, was zu einer wahrhaften Umkehr (ἐπιστροφὴ γνήσια) und zu einem reinen Bekenntnis (καθαρὰ ἐξομολόγησις) gehört“525. Noch Jahrzehnte später war die Frage nach Umgang mit Christen, die sich dem Martyrium nicht stellten, nicht abgeklungen, und wurde durch die Verfolgungen unter Diokletian und Galerius von 303 bis 311 neu entfacht. Mit vergleichbarer Schärfe wurde hier 517
Cypr., ep. 57,1,1 (CChr.SL 3B, 301,15f. DIERCKS). Vgl. Cypr., ep. 57,1,1 (CChr.SL 3B, 301,16 DIERCKS). 519 Vgl. SLUSSER, Martyrium, 209. 520 Vgl. Cypr., ep. 57,1,1 (CChr.SL 3B, 301,19–21 DIERCKS). 521 Vgl. Cypr., ep. 57,2,1 (CChr.SL 3B, 302,39–41 DIERCKS): Merito enim trahebatur dolentium paenitantia tempore longiore ut infirmis in exitu subueniretur. 522 Vgl. Cypr., ep. 57,2,2 (CChr.SL 3B, 301f.,25f. DIERCKS): [U]ideamus diem rursus alterius infestationis adpropinquare coepisse. 523 Vgl. Cypr., ep. 57,2,2 (CChr.SL 3B, 302,31–35 DIERCKS): [N]ecessitate cogente censuimus eis qui de ecclesia domini non recesserunt, sed paenitentiam agere et lamentari ac dominum deprecari a primo lapsus sui die non destiterunt, pacem dandam esse et eos ad proelium quod inminet armari et instrui oportere. 524 Vgl. VOGT, Novatian, 523; HAUSAMMANN, Verfolgungs- und Wendezeit, 91–101. 525 Vgl. Eus., h. e. VI,43,1 (SC 41, 153 BARDY): [Ὡ]ς μηκέτ’ οὔσης αὐτοῖς σωτηρίας ἐλπίδος μηδ’ εἰ πάντα τὰ εἰς ἐπιστροφὴν γνησίαν καὶ καθαρὰν ἐξομολόγησιν ἐπιτελοῖεν. 518
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zum Teil mit den traditores ins Gericht gegangen, die sich des Verrats an der Kirche durch die von den kaiserlichen Edikten geforderten Auslieferungen heiliger Schriften an die Verfolger schuldig gemacht hatten, um damit einem Martyrium zu entgehen.526 Rigoristische Positionen, wie sie besonders vehement in donatistischen Kreisen vertreten wurden, hatten sich kompromisslos gegen die Wiederaufnahme solch gefallener Christen ausgesprochen.527 Den Erzählungen von christlichen Heiligen in diesen Zeiten waren Fluchtgeschichten entsprechend fremd, wie auch Alison Goddard Elliott feststellt: „[I]ndeed, the heroic martyrs are more often depicted as resisting the urging of their families to flee and escape punishment“528. Hinsichtlich der Flucht des Paulus sind damit zwei Schwierigkeiten für seine Darstellung als Heiliger markiert: Mit dem Ideal der Lebenshingabe für und mit Christus als Inbegriff christlicher Vollkommenheit in der Nachfolge stellt das Ausbleiben des Martyriums bei Paulus seine Heiligkeit bereits grundsätzlich in Frage: Kann Paulus überhaupt ein Heiliger sein, ohne Christus durch seinen Tod bezeugt zu haben? Weitaus schwerer wiegt jedoch die Flucht vor dem Martyrium, zumal sie gewollt ist und in voller Absicht begangen wird (s.o. III.4.6): Steht Paulus damit nicht sogar im Verdacht, einem lapsus oder traditor ähnlich zu sein? 5.2. Märtyrer ohne Christenverfolgungen Um der Frage nach der Bedeutung der Flucht für die Heiligkeit des Paulus nachzugehen, sei zunächst ein Blick in den historischen Kontext geworfen. Hieronymus schreibt für eine Leserschaft, für die Christenverfolgungen keine akute Bedrohung mehr darstellten. Der letzte und zugleich umfassendste Versuch des antiken Rom, das Christentum auf reichsweiter Ebene zu bekämpfen, war bereits über 60 Jahre her. Mit dem Toleranz-Edikt des Galerius vom 30. April 311, mit dem das Christentum zur religio licita avancierte, und 526
Vgl. HAUSCHILD, Alte Kirche, 108. Zum Streit kam es insbesondere aufgrund der Frage nach der Rechtmäßigkeit des vermeintlich von einem traditor geweihten Bischofs Caecilian. In der 411 von Augustin veröffentlichen Kurzfassung der Akten der Konferenz von Karthago (Breviculus collationis cum Donatistis), die zur Verurteilung der Donatisten führte, kommt die alte Streitfrage teils deutlich zur Sprache: Vgl. z.B. Aug., brevic. III,13,25 (CChr.SL 149A, 290f. LANCEL), wo von der Verlesung der Briefe des Mensurius und des Secundus von Tigisi berichtet wird, die von den Donatisten als Beweise ins Feld geführt werden für die Behauptung, dass Mensurius, der Vorgänger der Caecilian, heilige Schriften ausgeliefert habe. Der Brief des Secundus unterstreicht dabei deutlich die rigoristische Position der Donatisten mit seinem rhetorischen Höhepunkt in dem antithetischen Ausruf des Briefschreibers, der den Ruf der Märtyrer vor Gericht anklingen lässt: Christianus sum et episcopus, non traditor (Aug., brevic. III,13,25 [CChr.SL 149A, 291,47f. LANCEL]). 528 ELLIOTT, Roads, 86, Anm. 35. 527
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mit dem ca. 2 Jahre später zwischen Konstantin und Licinius in Mailand getroffenen Abkommen529, mit dem jedem Reichsbewohner die Möglichkeit zur freien Ausübung seiner jeweiligen Religion gewährt wurde, uel obseruationi Christianorum uel ei religioni mentem suam dederat, quam ipse sibi aptissimam esse sentiret530, war ein langer Prozess in Gang gesetzt, der im späten 4. und 5. Jahrhundert sukzessive zur Verdrängung der Heiden aus der Öffentlichkeit führen sollte.531 Für die Leser/innen der Vita Pauli bestand also kaum Zweifel, dass – spätestens seit dem nur ein Jahrzehnt zuvor gescheiterten Versuch einer Restauration der römischen Kulte zusammen mit der damit einhergehenden missglückten Absicht einer Verdrängung der Christen aus dem öffentlichen Leben unter Julian (361–363) – die Verquickung des Staates mit der Kirche noch aufzuheben war. Zumindest aber eine Rückkehr zu reichsweiten Verfolgungen des Christentums schien äußerst unwahrscheinlich. Aus historischer Perspektive fehlt den Leser/innen der Vita der unmittelbare, existentielle Bezug zur Ausgangssituation, d.h. zur „Not“, auf die Paulus mit seiner Flucht reagiert. War mit dem Wandel der Zeiten auch die Anstößigkeit eines heiligen Martyriumsverweigerers verflogen? Hieronymus tut zumindest alles, um das Thema Christenverfolgung und Martyrium ins Gedächtnis zu rufen. Trotz mangelnder historischer Aktualität forciert er die Thematik geradezu. Mit ausführlichen und anschaulichen Beschreibungen (VP 2–3) wird der Leser/die Leserin gleich zu Beginn der Vita zurück in die Zeiten der Märtyrer/innen versetzt. Dezidiert also bringt Hieronymus seinen Helden in die scheinbar missliche Lage, als Flüchtling vor dem Martyrium dazustehen. Nicht überraschen mag demnach die Bemerkung Philip Rousseaus, der die Tatsache als „striking“ bezeichnete, „that in the aftermath of the reigns of Constantius and Julian Jerome should have taken up the old debate about flight from persecution“532. Dass es auch andere Gründe für den Wüstengang eines Asketen gab, wurde bereits an der Vita Antonii aufgezeigt (s.o. III.4.1). Eine „geschichtliche“ Grundlage für die Flucht ließ sich zwar nicht ausschließen (s.o. III.4.4), spätere Versionen der Vita Pauli hatten jedoch keinerlei Skrupel, den Wüstengang des Paulus anders zu begründen. So berichtet z.B. die im Synaxarium Alexandrinum überlieferte Erzählung von Anba Paulus – in der offiziellen
529
Vgl. Lact., mort. pers. 48,2–12 (FC 43, 212,16–218,11 STÄDELE). Lact., mort. pers. 48,3 (FC 43, 214,4–6 STÄDELE). 531 Eine „Konstantinische Wende“, bei der das Pendel noch zu Konstantins Zeiten plötzlich und vollständig zur Seite der Kirche umgeschlagen wäre, hat nicht stattgefunden, wie z.B. Martin WALLRAFF, Sonnenverehrung, 126–137, eindrücklich am Beispiel der zentralen Rolle des Sonnenkults in der imperialen Selbstdarstellung und Propaganda des Konstantin veranschaulicht. 532 ROUSSEAU, Ascetics, 134. 530
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III. Der heilige Paulus von Theben
Fassung der koptisch-orthodoxen Kirche auf Arabisch533 ‒, weder von Verfolgungen noch von einer Flucht.534 Als Grund für den Rückzug in die Wüste wird hier vielmehr eine – dem „besonnenen“ Charakter intuitiv weitaus entsprechendere – reflektierte Entscheidung geboten: Aus einem Streit mit seinem Bruder (!) um die Erbschaft der Eltern erkennt Paulus die Fallen des Reichtums, verzichtet auf seinen Anteil und zieht sich in die Einsamkeit zurück, wo er sich zunächst in einem Grab (sepulchrum) dem Gebet widmet.535 Die hiermit vorgenommene Änderung, die einer radikalen Tilgung der Fluchtthematik aus der Erzählung gleichkommt, lässt erkennen, dass durchaus Anstoß an der Flucht des Paulus vor dem Martyrium genommen werden konnte, und zwar noch lange nachdem Christenverfolgungen keine Bedrohung mehr darstellten. Wieso also führt Hieronymus die Flucht des Paulus so unmittelbar zusammen mit den Christenverfolgungen? Wieso erinnert er so deutlich an eine Bedrohung, der seine Leser/innen nicht ausgesetzt waren, und an ein Ideal, das von Paulus nicht unmittelbar erfüllt wird? Provoziert er damit nicht geradezu eine Kontroverse um seinen Heiligen? 5.3. „Making Martyrs“ Ein isolierter Blick auf den historischen Kontext ist für die Frage nach der Bedeutung der Märtyrerthematik für die Flucht des Paulus nicht ausreichend. Aufschluss gibt vielmehr der Diskurs, an dem die Vita partizipiert: Mit dem (historischen) Ende der staatlichen Verfolgungen war die Bedeutung der Märtyrer/innen und des Martyriums für christliche Frömmigkeit und Identität nämlich noch lange nicht beendet. Im Gegenteil, die „Verehrung der ‚alten‘ Märtyrer erlebte einen Aufschwung in der Memorialkultur der Spätantike“536, wobei eine enorme Vermehrung der Anzahl von Märtyrer/innen, von Erzählungen und Literatur über Märtyrer/innen in Passionen, Märtyrerakten und Predigten und von liturgischen Inszenierung und Feiern des Märtyrerkults zu beobachten ist.537 Lucy Grig beschreibt und deutet dieses Phänomen
533 Vgl. im Folgenden die Übersetzung ins Lateinische von FORGET (CSCO 78, 458,22– 466,24). 534 Vgl. auch WOLF/WOLF, Amba Pola, 206f; ŚWIDZIŃSKI, Paulus, 201f.; ELLIOTT, Roads, 105. 535 Vgl. syn. Al. (CSCO 78, 458,24–460,22 FORGET). 536 GEMEINHARDT, Märtyrer, 306. 537 Vgl. GRIG, Making martyrs, 142. Gerade der Zeitraum vom 4. Jh., „after the Conversion of Constantine“ bis ca. 120 Jahre danach zeichne sich besonders aus, so GRIG, a.a.O., 6, durch „the striking ferment of activity in the making of the martyrs, the significance and influence of which would be huge“.
5. Das notwendige Martyrium des Heiligen
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als „the making of martyrs“ – ein diskursiver Konstruktionsprozess 538 , der eben, bemerkenswerterweise, nicht schwerpunktmäßig zur Zeit der Christenverfolgungen stattgefunden hatte, sondern, so Grig, „was largely performed after the Peace, by the Church Triumphant“539. Gründe für diesen Konstruktionsprozess, d.h. für die Bedeutung des Märtyrers/der Märtyrerin für christliche Frömmigkeit und für die Entwicklung der Kirche im 4. Jahrhundert sind vielschichtig. Einen nicht unerheblichen Anteil mag dabei die Rolle des Märtyrers/der Märtyrerin als Träger/in und Bewahrer/in kirchlicher Identität in Zeiten des Umbruchs und der Neu-Orientierung der Kirche gehabt haben. Der Märtyrer/die Märtyrerin bot gewissermaßen Stabilität für die Identitätskrise einer Kirche 540 , deren Selbstverständnis in Verfolgungszeiten gerade über die Opposition zur Welt geprägt war. Für die zunehmend mit politischem Einfluss ausgestattete und gesellschaftlich eingebundene Kirche war der Märtyrer/die Märtyrerin also Symbol der Kontinuität. Indem das Ansehen der Märtyrer/innen in Erzählung und Kult gepflegt wurde, blieb die Kirche der Kaiser die Kirche der Märtyrer/innen.541 Über den Aspekt der Kontinuität hinaus stand der Märtyrer/die Märtyrerin zugleich aber auch für den Sieg der Kirche über ihre Widersacher. Die Aufführung, Rezeption und Feier der Geschichte des Märtyrers/der Märtyrerin geschah demnach nicht nur im Gedenken an den Märtyrer/die Märtyrerin selbst, sondern war zugleich auch Re-Inszenierung des Triumphs der Kirche insgesamt. 542 In der von christlichen Historikern gezeichneten Erfolgsgeschichte der Kirche spielten die Märtyrer/innen entsprechend eine zentrale Rolle. So ist z.B. Eusebs Historia Ecclesiastica durchwoben von Erzählungen über Christenverfolgungen und Martyrien, die eben jene Gegenüberstellung der Verderbtheit der alten heidnischen Herrschaft und des Triumphs der Märtyrer/innen betonen543, womit sie eine zentrale Stellung innerhalb der „justifi538
GRIG, a.a.O., 1, beschreibt den Konstruktionsprozess als „not just a matter of harnessing the mysterious, pre-existing charisma of the martyr. The martyr had to be ‚made‘. This ‚making‘ was a matter of representation: of text and image. The story made the martyr.“ 539 Ibid. 540 Vgl. a.a.O., 25f. 541 Vgl. a.a.O., 5; dabei betont GRIG, a.a.O., 76, „the triumphant Church of the fourth and fifth centuries continued to fashion for itself the identity of witness to Christ, through persecution, pain and torture, even while its enemies claimed themselves to be victims of persecution.“ 542 Vgl. a.a.O., 4: „Each re-telling of the martyr’s story (re)enacted the martyr’s victory, the victory of the Church.“ 543 Vgl. z.B. Eus., h. e. II, 25 (SC 31, 91–93 BARDY): Hier wird der Wahnsinn (μανία) Neros (Eus., h. e. II, 25,2 [SC 31, 91 BARDY]), von dem gesagt werde, dass er alles verurteilte, was gut war (τι ἀγαθὸν ἦν, ὑπὸ Νέρωνος κατακριθῆναι; Eus., h. e. II, 25,4 [SC 31,
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catory narrative“ 544 des Euseb einnehmen. In besonders dichter Abfolge ist Buch 8 der Kirchengeschichte den Geschichten einzelner Märtyrer/innen gewidmet, deren Siege im Kampf für den Glauben stets im scharfen Kontrast zu der moralisch schändlichen Verhaltensweise der Verfolger stehen.545 Der Kampf der Märtyrer/innen hatte aus christlicher Sicht zum Sieg der Kirche insgesamt beigetragen. Ihr persönlicher Sieg wurde nun wiederum aus der Perspektive der triumphalen Kirche deutlich erkennbar. Im Wachhalten des Gedächtnisses der Märtyrer/innen lagen demnach Apologie, Bestätigung und Feier der eigenen Identität als Kirche. Doch auch im Kampf gegen die Häresie kam den Märtyrer/innen im 4. und 5. Jahrhundert eine wichtige Funktion zu. Ihr einstiger Widerstand gegen eine externe, staatliche Bedrohung wurde nun auf den „internen“ Kampf mit Andersglaubenden übertragen. So sahen gerade die Kirchenväter, die im 4. Jahrhundert zum Gedächtnis der Märtyrer/innen predigten, wie Klaus Rosen betont, in den Märtyrer/innen „die nachzuahmenden Vorkämpfer gegen Zwietracht und Häresie.“ 546 Als Verfechter der Orthodoxie waren die Märtyrer/innen somit auch oder gerade im 4. Jahrhundert Zeugen für die Einheit der Kirche. Das Verwalten des Andenkens an die wahren Märtyrer/innen der Kirche war so nicht zuletzt auch eine Machtfrage, wie Grig betont.547 Immer wieder musste auch darüber neu verhandelt werden, wer die eigentlichen Helden des Glaubens waren und auf welche Weise man sie verehren sollte, schließlich hatten auch die Häretiker ihre Märtyrer/innen.548 Damit waren die
92 BARDY]), den Martyrien der Apostelfürsten Petrus und Paulus selbst gegenübergestellt (Eus., h. e. II, 25,5–8 [SC 31, 92f. BARDY]); in h. e. IV,16 (SC 31, 190–192 BARDY) bildet das „göttlichen Martyrium“ (θεῖον μαρτύριον) des Justin (Eus., h. e. IV, 16,1 [SC 31,190f. BARDY]) den Kontrast zu dem Verrat des heidnischen Philosophen Krescens, dem ἀφιλόσοφος καὶ φιλόκομπος (Eus., h. e. IV, 16,3 [SC 31, 191 BARDY]). 544 GRIG, Making martyrs, 25. 545 Besonders anschaulich und ausführlich wird auf die moralische Verderbtheit der Kaiser Maxentius und Maximinus in Eus., h. e. VIII,14 (SC 55, 32–36 BARDY) hingewiesen. 546 ROSEN, Märtyrer, 17. 547 Für Lucy Grig sind „power“ und „authority“ sogar die zentralen Aspekte für die Frage nach der Bedeutung der Märtyrer/innen im 4. und 5. Jh.; vgl. GRIG, Making martyrs, 6: „There are the martyrs themselves, both figures of power in their own right, and brokers for the awesome power of God. The power of these figures was something everybody wanted to access and there were various means – prayer, possession of relics, being buried near a martyr, building something in honour of a martyr. Obviously most of these means depended on the possession of economic power and were thus likely to be concentrated in the hands of the few.“ 548 GRIG, Making martyrs, 54–58 führt als Beispiel die Auseinandersetzung zwischen katholischen und donatistischen Bischöfen um den donatistischen Märtyrer Marculus an.
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Märtyrer/innen aber zugleich, so Grig, „almost uniquely powerful figures in the fourth and fifth centuries. Everyone wanted a piece of this power; the authorities, both ecclesiastical and secular, needed to control this power. The martyr narrative was predicated upon a power contest, its writing was a rewriting of a power equation. With each reading, each performance, this contest was re-enacted in a changing world.“549 In Anbetracht des andauernden hohen Stellenwerts der Märtyrer/innen und ihres breiten Einflusses auf den christlichen Diskurs, ist also – mit Hinblick auf die Bemerkung Rousseaus (s.o. III.5.2) – kaum die Tatsache erstaunlich, dass Hieronymus die Christenverfolgungen und das Martyrium thematisiert, sondern vielmehr wie er es tut. Nachdem er nämlich zwei Kapitel allein diesem Thema gewidmet hat und dabei äußerst detailliert die Leiden zweier Märtyrer schildert, folgt unmittelbar die Geschichte des Paulus, der keine der in VP 3,1 genannten Foltermethoden erleidet (eculeum, laminae, ignitae sartagines), sondern „besonnen“ (prudentissimus) und aus freiem Entschluss (uoluntas) flieht. Kommentarlos werden diese Schicksale aneinandergereiht. Eine „Debatte“ über die Legitimation der Flucht des Paulus, „the old debate about flight from persecution“ 550 , ist dabei nicht zu erkennen. Hieronymus entschuldigt das Verhalten seines Protagonisten nicht551, spricht nirgends an, warum Paulus nicht einem lapsus oder einem traditor gleicht, und erklärt auch nicht explizit, warum sich die Flucht nicht negativ auf die Heiligkeit des Paulus auswirkt. Die Frage ist also: Wenn Hieronymus, wie festgestellt, mit der Vita Pauli einen hagiographischen Beitrag leistet und dabei den nach wie vor prägenden Diskurs um das Martyrium nicht nur andeutet, sondern explizit aufgreift, wie positioniert er sich mit der Flucht des Paulus zum Martyrium und welches Licht ist damit auf das insgesamt in der Vita vermittelte Bild eines Heiligen geworfen? 5.4. Die legitime Flucht In Einklang mit zahlreichen Interpreten der Vita ist davon ausgegangen worden, dass Paulus vor einer „Not“ flieht (s.o. III.4.3). Hieronymus spricht von einer necessitas. Die Übersetzung mit „Not“ ergab sich primär mit Blick auf die sprichwörtliche Einbindung des Begriffs; für die Redewendung, necessitas in uoluntatem uertere, bot sich das deutsche Pendant an: „aus der Not eine Tugend machen“. Mit dieser Übersetzung ist der idiomatische Charakter der Vorlage passend gespiegelt. Die Bedeutungen der einzelnen BegrifHier, so GRIG, a.a.O., 58, zeige sich besonders „the striking power of the martyr narrative in a situation of religious and ecclesiastical controversy“. 549 A.a.O., 144f. 550 ROUSSEAU, Ascetics, 134. 551 Wie derzeit etwa noch Athanasius (s.u. III.5.8).
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fe der Wendung geraten dabei jedoch in den Hintergrund. Während mit necessitas tatsächlich in übertragener Bedeutung auf eine „Notlage“ im Sinne eines Schicksalsschlags verwiesen werden kann, klingt hier vordergründig eine „Notwendigkeit“ an, die eine „Unvermeidlichkeit“ bzw. eine „unvermeidliche, natürliche Folge“, ja sogar einen „Zwang“ suggeriert. Eine den sprichwörtlichen Charakter der Wendung vernachlässigende Übersetzung könnte lauten: Paulus „verwandelte (uertere) eine Notwendigkeit (necessitas) in eine freie Willensentscheidung (uoluntas)“. Die necessitas ist die Ausgangssituation, aufgrund derer sich Paulus aus freiem Willen zur Flucht entscheidet (s.o. III.4.6). Der Heilige ist, wie gesagt, heilig, weil er will und tut, was er muss (s.o. III.4.8). Doch inwiefern muss Paulus hier denn tatsächlich so handeln, wie er es tut? Welche „Not“ zwingt ihn zur Flucht? Hätte sich Paulus nicht entscheiden können, wie die in VP 2–3 beschriebenen milites Christi, das Martyrium zu erleiden? Wenn Furcht nicht der Auslöser seiner Flucht war, warum stellt sich Paulus nicht seinen Verfolgern und vermeidet damit den Eindruck, einem lapsus zu ähneln? Ein erster Hinweis auf die von Hieronymus gemeinten necessitas findet sich bereits in VP 2. Dort zitiert Hieronymus Cyprian in Bezug auf die Christenverfolgungen.552 Mit der Erwähnung Cyprians ist hier zugleich auf einen bestimmten theologischen Diskurs angespielt, denn der Bischof von Karthago war sowohl für seine eigene Flucht vor dem Martyrium als auch für seine theologische Aufarbeitung dieser Entscheidung bekannt. Bereits in dem ersten Amtsjahr Cyprians erteilte der 249 an die Macht gelangte Decius den reichsweiten Befehl zum öffentlichen Götteropfer als Loyalitätsbeweis. 553 Nachdem schon bald darauf erhebliche Feindseligkeiten der Bevölkerung gegen die Christen folgten, entschloss sich Cyprian, die Stadt zu verlassen und sich auf das Land zurückzuziehen.554 Seine secessio rechtfertigt der Bischof mit Blick auf den Nutzen (utilitas) für den Frieden und das Heil aller (ad pacem omnium nostrum pertinent et salutem).555 Keinesfalls aus Sorge um seine persönliche Sicherheit (non tam meam salutem […] cogitans) sei er geflohen, sondern, den Geboten des Herrn entsprechend (sicut domini mandata instruunt), allein um der Gemeinde willen – schließlich käme ein 552 Mit der Aussage in VP 2,2 uolentibus mori, non permittebat occidi, aber auch mit dem Hinweis auf den hostis callidus, der langsame Foltermethoden ersann, um den Geist zu töten, nicht den Körper (animas cupiebat iugulare, non corpora), bezieht sich Hieronymus anscheinend auf Cypr., ep. 56,2,2 (CChr.SL 3B 298,38f. DIERCKS). Dort schreibt Cyprian: [M]axime cum cupientibus mori non permitteretur occidi, sed tamdiu fessos tormenta laniarent quamdiu non fidem quae inuicta est uincerent, sed carnem quae infirma est fatigarent. 553 Vgl. HOFFMANN, Cyprian von Karthago, 169. 554 Vgl. HOFFMANN, Cyprian, 36–37. 555 Vgl. z.B. Cypr., ep. 14,1,2 (CChr.SL 3B 79,15–80,17 DIERCKS).
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dreistes Bleiben einer Provokation gleich, die den Aufruhr nur noch anstacheln würde (per inuerecundam praesentiam nostram seditio quae coeperat plus prouocaretur). 556 Cyprian floh also, nach eigener Darstellung, weder überstürzt noch aus Furcht, sondern wohlüberlegt mit Blick auf das größere Wohl. „[P]rudently“, so Edward Malone, habe sich Cyprian zurückgezogen, „considering his guidance of the Church more important for the time being than the sacrifice of this life through martyrdom“ 557 . Die Frage nach der Flucht vor dem Martyrium besteht bei Cyprian also aus einer Abwägung von Prioritäten, wobei die utilitas das ausschlaggebende Kriterium ist. Entsprechend war die Flucht für den Bischof nicht nur eine Option, sondern unter gewissen Umständen sogar geboten. Zwar betont auch er, dass der höchste uictoriae titulus darin bestehe, den Herrn in heidnischer Gefangenschaft zu bekennen (gentilium manibus adprehensum Dominum confiteri), doch auch die zweite Stufe zum Ruhm (ad gloriam gradus), bei der man sich in vorsichtigem Rückzug für den Herrn aufbewahre (cauta secessione subtractum Domino reseruari)558, hat für Cyprian eine gewisse Gleichwertigkeit. Unterschiedlich sind hier anscheinend lediglich die Ausrichtungen: Das erste Zeugnis sei ein öffentliches, das zweite ein privates ([i]lla publica, haec priuata confessio est559). Der erste Kämpfer siege über einen weltlichen Richter (ille iudicem saeculi uincit), der zweite – zufrieden damit, Gott zum Richter zu haben – bewahre sich ein reines Gewissen durch die Redlichkeit seines Herzens (hic contentus Deo suo iudice conscientiam puram cordis integritate custodit).560 Genauer betrachtet erfährt die recht verstandene und praktizierte Flucht in dieser Gegenüberstellung jedoch mehr als eine bloße Aufwertung. Mit dem geistig höheren Anspruch des redlichen Herzens und des reinen Gewissens, und mit der Erhebung des Gerichts vom Irdischen zum Göttlichen stellt die legitime, d.h. anhand des Kriteriums der utilitas für besser erachtete Flucht, das zwar mutige (fortitudo promptior561), doch letztlich eher passive und von begrenztem Nutzen erscheinende Martyrium geradezu in ihren Schatten. Mit Cyprian bietet Hieronymus seinen Leser/innen einen hermeneutischen Schlüssel für die Flucht des Paulus. Cyprians Rechtfertigung der Flucht in Verfolgungszeiten zusammen mit seinem bleibenden Ansehen als Bischof und Heiliger lassen das Verhalten des Protagonisten der Vita Pauli in einem anderen Licht erscheinen. Indem die Vita auf diese Weise nämlich an einem 556
Vgl. Cypr., ep. 20,1,2 (CChr.SL 3B, 106,8–107,12 DIERCKS). MALONE, Monk, 35. 558 Vgl. Cypr., laps. 3 (SC 547, 128,4–7 BÉVENOT). 559 Cypr., laps. 3 (SC 547, 128,7–130,8 BÉVENOT). 560 Cypr., laps. 3 (SC 547, 130,8f. BÉVENOT). 561 Cypr., laps. 3 (SC 547, 130,9f. BÉVENOT). 557
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Diskurs partizipiert, in dem Heiligkeit und Flucht vor dem Martyrium zusammen gedacht werden können, kommt der Flucht des Paulus grundsätzlich Legitimität zu. 5.5. „Voluntary martyrdom“ Mit seiner Verteidigung eines Rückzugs vor Verfolgungen hatte Cyprian prinzipiell kein theologisches Neuland betreten. Im Gegenteil: „Von der Frühzeit an war die Vermeidung von Verfolgung als ehrenwert erschienen, ja sogar als dem Evangelium gemäß“562, denn schon Jesus hatte in der Aussendungsrede an seine Jünger darauf hingewiesen: „Wenn sie euch aber in einer Stadt verfolgen, so flieht in eine andere“ (Mt 10,23: Ὅταν δὲ διώκωσιν ὑμᾶς ἐν τῇ πόλει ταύτῃ, φεύγετε εἰς τὴν ἑτέραν). In der Konfrontation mit feindlichen Kräften galt es zwar als selbstverständlich, mutig den Glauben zu bezeugen und das Bekenntnis „Christianus sum“ abzulegen, doch ebenso wurde davor gewarnt, Konfrontationen bewusst zu provozieren oder das Martyrium etwa aktiv herbeizuführen. Zwar ließ die „Komplexität mancher Situationen, mit denen man in der Verfolgung konfrontiert war, […] einige Formen der Vermeidung von Verfolgung als eine implizite Form der Leugnung erscheinen, wozu die Selbstanzeige die einzige klare Alternative war“563, doch selbst Geoffrey E.M. de Ste. Croix, der das „voluntary martyrdom“ als nicht zu unterschätzendes Phänomen in der alten Kirche hervorgehoben hatte564, be562
SLUSSER, Martyrium, 209. Ibid. Ein prägnantes Beispiel für eine Selbstanzeige als scheinbar einzigen Ausweg findet sich in den Acta Marcelli: Marcellus, ein Zenturio in der römischen Armee, legt bei einem Fest zu Ehren der Götter öffentlich seine Waffen nieder und weigert sich an der Feier teilzunehmen mit dem Bekenntnis: Ieso Christo regi aeterno milito; amodo imperatoribus uestris militare dsisto, sed et deos uestros ligneos et lapideos adorare contemno, quia sunt idola surda et muta (acta Marc. 1,1 [OECT, 250,7–10 MUSURILLO]). Als Grund für diese zunächst unaufgeforderte „Selbstanzeige“, aufgrund derer das Todesurteil über Marcellus verhängt wird, verweist Marcellus auf die Unvereinbarkeit seines Glaubens mit dem Dienst an der Waffe: [N]on […] decebat Christianum hominem militiis saecularibus militare, qui Christo domino militat (acta Marc. 4,3 [OECT, 252,17–19 MUSURILLO]). Marcellus befindet sich demnach als Soldat bereits in einer Situation der „Konfrontation“, einer Situation, in der ihm nun nur noch die Wahl zwischen Bekenntnis oder Leugnung bleibt. Obwohl keine direkte Aufforderung zum Bekenntnis erfolgt – niemand hatte Marcellus als Christen indiziert, angezeigt oder vor Gericht zitiert –, ist Flucht oder Versteck in dieser Situation keine Option mehr. 564 DE STE. CROIX, Early Christians, argumentiert, dass das Phänomen des freiwilligen Martyriums „may have given pagans rather more ground for their active antagonism to Christianity than we tend to suppose“ (129). Dabei, so DE STE. CROIX, a.a.O., 130, zeigten „a very large number of sources (Passions as well as literary texts) […] intrepid Christians going far beyond what their churches officially required of them, often indeed offering themselves up to the authorities of their own accord, and occasionally acting in a provoca563
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tonte, dass zumindest „[t]he heads of the churches, sensibly enough, forbade voluntary martyrdom again and again, and were inclined to refuse to these zealots the very name of martyr“565. Das „Gesetz des Martyriums“ (νόμος δὲ μαρτυρίας), so Gregor von Nazianz (ca. 326–390566), der sich selbst für verschiedene Fluchten rechtfertigen musste 567 , untersage zwar denjenigen, die gefasst werden, davor zurückzuschrecken (παρόντας ἀναδύεσθαι), doch ebenso verbiete es, „freiwillig in den Kampf zu gehen“ (ἐθελοντὰς πρὸς τὸν ἀγῶνα χωρεῖν). Ein freiwilliges Martyrium sei nicht nur gegen das Gesetz, so Gregor, sondern auch anmaßend (θράσος). Die Ablehnung einer Selbstauslieferung geschähe dabei aus Rücksicht auf die Verfolger und die Schwachen (φειδοῖ τῶν διωκόντων καὶ τῶν ἀσθενεστέρων). 568 Mit den „Schwachen“ sind diejenigen gemeint, die sich zwar bereitwillig ausliefern, der Folter dann aber nicht standhalten können und so schließlich doch zu Verrätern an ihrem Glauben werden. Vor dieser Gefahr der Selbstauslieferung wird bereits in einer kurzen Anekdote in der frühesten überlieferten Märtyrererzählung, dem Martyrium des Polycarp von Smyrna, gewarnt: Ein gewisser Quintus aus Phrygien, so heißt es dort, habe beim Anblick der wilden Tiere Angst bekommen569, so dass ihn der Prokonsul schließlich doch dazu bringen konnte, das Opfer darzubringen. 570 Gerade jener Quintus sei es jedoch gewesen, der nicht nur sich, sondern auch andere dazu bewogen habe, sich freiwillig auszuliefern (οὗτος δὲ ἦν ὁ tive manner, smashing images and so forth.“ Trotz kirchlicher Verurteilungen des freiwilligen Martyriums, „we do hear of an astonishingly large number of volunteers, most of whom, whatever bishops might say, were given full honour as martyrs, the general body of the faithful apparently regarding them with great respect“ (ibid.). Auf diese Weise habe „voluntary martyrdom“ erheblich beigetragen „to the outbreak of persecution and tended to intensify it when already in being“ (ibid.). Die Christenverfolgungen, so der Schluss DE STE. CROIX’, „need not have been nearly as vigorous as we might otherwise have assumed from the evidently large number of victims“ (a.a.O., 131). 565 A.a.O., 130. 566 HARTMANN, Gregor, 295f. 567 Gregor entzieht sich nach seiner Weihe zum Priester zunächst der „beängstigenden Würde durch Flucht zum Pontus (361/362)“ (Hartmann, Gregor, 295). Nach seiner reumütigen Rückkehr begründet er sein Verhalten in einer Rede, „die Verantwortung und Aura eines geistlich und sozial streng hierarchisch gefaßten Priestertums mit bis dahin unerhörter Intensität feiert“ (ibid.). 372 flieht der inzwischen zum Bischof Geweihte vor dem Verrat ins Gebirge, bereut aber erneut auch diese Flucht und rechtfertigt sie öffentlich nach seiner Rückkehr (vgl. a.a.O., 295f.). 568 Vgl. Greg. Naz., or. 43,6 (SC 384, 126,2–4 BERNARDI). 569 Vgl. m. Polyc. 4 (SQS 2.2, 3,1f. KNOPF): Εἷς δὲ ὀνόματι Κόϊντος, Φρύξ, προσφάτως ἐληλυθὼς ἀπὸ τῆς Φρυγίας, ἰδὼν τὰ θηρία ἐδειλίασεν. 570 Vgl. m. Polyc. 4 (SQS 2.2, 3,3–5 KNOPF): [Τ]οῦτον ὁ ἀνθύπατος πολλὰ ἐκλιπαρήσας ἔπεισεν ὀμόσαι καὶ ἐπιθῦσαι.
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παραβιασάμενος ἑαυτόν τε καί τινας προσελθεῖν ἑκόντας 571 ). Entsprechend erinnert der Verfasser seine Leserschaft daran, dass „wir jene, die sich selbst stellen, nicht loben“ (οὐκ ἐπαινοῦμεν τοὺς προσιόντας ἑαυτοῖς572). Schließlich entspreche solches Verhalten auch nicht dem Evangelium.573 Dieser Grundsatz wird auch Cyprian in den Acta proconsularia sancti Cypriani in seiner Unterredung mit dem Prokonsul Paternus in den Mund gelegt. Der Aufforderung des Prokonsuls, die Priester in der Stadt zu identifizieren, weigert sich Cyprian nachzukommen und verweist zudem darauf, dass sie sich auch nicht freiwillig stellen könnten (nec offerre se ipsos possunt), denn „unsere Lehre“ (disciplina nostra), so Cyprian, verbiete es, sich freiwillig auszuliefern (ne quis se ultro offerat). 574 Schon Tertullian verweist, zumindest noch in seinen frühen Schriften, auf diesen Grundsatz. Im ersten Buch „an seine Frau“ betont er, dass diejenigen zwar seliger seien (quanto beatiores), denen ein Märtyrertod gegönnt werde 575 , die Flucht in persecutionibus sei jedoch durchaus erlaubt (ex permissu): In Bezug auf Mt 10,23 sei es natürlich besser, von einer Stadt in eine andere zu fliehen, als, ergriffen und gefoltert, den Glauben letztlich zu verleugnen (melius … fugere de oppido in oppidum, quam comprehensum et distortum negare576). Mit der „Erlaubnis“ (Tertullian) bzw. dem „Gesetz“ (Gregor und Cyprian) Christi zur Flucht bei Verfolgung, das in kirchlicher Tradition immer wieder als Grundlage des Verbots eines „freiwilligen Martyriums“ diente, ist ein weiterer Schritt zur Einordnung der Flucht des Paulus in der Vita Pauli getan. Mehr noch als eine aus freiem Willen getroffene Entscheidung zur Flucht vor dem Martyrium hätte nämlich der freiwillige Gang ins Martyrium die Heiligkeit des Protagonisten in Frage gestellt, zumindest in einer kirchlicher Tradition und „Rechtgläubigkeit“ entsprechenden Darstellung, um die Hieronymus 571
M. Polyc. 4 (SQS 2.2, 3,2f. KNOPF). M. Polyc. 4 (SQS 2.2, 3,5f. KNOPF). 573 Vgl. m. Polyc. 4 (SQS 2.2, 3,6 KNOPF): [Ἐ]πειδὴ οὐχ οὕτως διδάσκει τὸ εὐαγγέλιον. Auch bei Clemens von Alexandrien findet sich dieser Grundsatz. In Buch 4 seiner Stromata tadelt er ausdrücklich diejenigen, die sich freiwillig in den Tod stürzen (ψέγομεν δὲ καὶ ἡμεῖς τοὺς ἐπιπηδήσαντας τῷ θανάτῳ) und beschreibt die Selbstauslieferung als ein Akt des Hasses gegen den Schöpfer (οἳ δὴ αὑτοὺς παραδιδόναι σπεύδουσι τῇ πρὸς τὸν δημιουργὸν ἀπεχθείᾳ). Selbstauslieferer, so Clemens, sterben nicht als Märtyrer, „selbst wenn sie vom Staat bestraft werden“ (τούτους ἐξάγειν ἑαυτοὺς ἀμαρτύρως λέγομεν, κἂν δημοσίᾳ κολάζωνται) (vgl. Clem. Al., strom. IV,17,1f. [GCS 15, 256,11–15 STÄHLIN/FRÜCHTEL/TREU]). 574 Vgl. acta procons. 1 (SHAW 14, 13,9–11 REITZENSTEIN). 575 Vgl. Tert., uxor. 3,4 (SC 273, 98,25f. MUNIER): At quanto beatiores, qui ualent beata testimonii confessione excedere. 576 Tert., uxor. 3,4 (SC 273, 98,23–25 MUNIER); vgl. auch Tert., pat. 13,6 (SC 310, 104,23–106,24 FREDOUILLE): Tertullian zählt die Flucht als eine Form des Kampfes in persecutionibus auf und betont: [S]i fuga urgeat, incommoda fugae caro militat. 572
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stets bemüht war.577 Freiwillig wäre ein Martyrium des Paulus aber deswegen gewesen, weil er der drohenden Gefahr einer Gefangennahme durch die Verfolger zu Beginn der Handlung gar nicht ausgesetzt war. Mit dem Aufenthalt auf einem äußerst versteckten (secretior) abgelegenen Landgut (in uilla remotiore) ist vielmehr klargestellt, dass Paulus der Verfolgung nicht unmittelbar zum Opfer hätte fallen können: Paulus ist zunächst in Sicherheit. Erst mit dem Verrat des Schwagers entsteht eine bedrohliche Situation und damit ein gewisser Zugzwang (necessitas) für den Protagonisten. Mit seinem Wissen um den Verrat bleibt dem Helden nur die Flucht, schließlich käme ein untätiges Verweilen in der uilla nun einer freiwilligen Auslieferung gleich. Paulus muss sich also entscheiden (necessitas). Sein Wollen (uoluntas) entspricht der einzigen Möglichkeit, die einem „kirchlichen“ Heiligen, d.h. einem im Einklang mit kirchlicher Lehre handelnden Vorbild, offensteht: Bei Ausschluss eines „freiwilligen Martyriums“ bleibt Paulus aus necessitas nur die Flucht. 5.6. Gottes πρόνοια und „spiritual martyrdom“ Das von kirchlichen Vertretern immer wieder betonte Verbot eines freiwilligen Martyriums wurde in erster Linie biblisch begründet. Nebst der Aussage Jesu in Mt 10,23 boten sich dabei verschiedene biblische exempla an. Athanasius hatte in der Verteidigung seiner eigenen Flucht578 auf zahlreiche dieser biblischen Fluchtgeschichten rekurriert. 579 Sowohl die Jünger als auch der Apostel Paulus seien geflohen 580 ; Mose habe sich vor dem Pharao verborgen581 und auch David habe sich Saul nicht freiwillig ausgeliefert582; die El-
577
Vgl. VON CAMPENHAUSEN, Kirchenväter, 141f.; s.o. III.4.5, Anm. 490. Nach den Verurteilungen des Athanasius auf den Synoden von Arles (353) und Mailand (355) drang der dux Aegypti Syrianus in der Nacht vom 8. auf den 9. Februar 356 mit Soldaten in die Theonaskirche ein, um Athanasius festzunehmen (vgl. PIEPENBRINK, Apologia, 193f.). In der Schrift zur Verteidigung seiner Flucht, Apologia de fuga sua, schildert Athanasius die Ereignisse jener Nacht (vgl. Ath., fug. 24 [SC 56, 162, 11–163,41 SZYMUSIAK]). 579 Vgl. Ath., fug. 11–20 (SC 56, 145,1–158,40 SZYMUSIAK). 580 Vgl. Ath., fug. 11 (SC 56, 145,2–6 SZYMUSIAK): Καὶ γὰρ καὶ οἱ μαθηταὶ ‚διὰ τὸν φόβον τῶν Ἰουδαίων» ἀνεχώρουν κρυπτόμενοι, καὶ ὁ Παῦλος ἐν Δαμασκῷ, παρὰ τοῦ ἐθνάρχου ζητούμενος, «ἀπὸ τοῦ τείχους ἐν σαργάνῃ κεχάλασται καὶ ἐξέφυγε τοῦ ζητοῦντος τὰς χεῖρας‘. 581 Vgl. Ath., fug. 18 (SC 56, 154,6–8 SZYMUSIAK): [Ὁ] δὲ μέγας Μωσῆς κρυπτόμενος πρὸ τούτου τὸν Φαραὼ καὶ δι’ αὐτὸν ἀποδημήσας εἰς Μαδιὰμ ἀκούσας. 582 Vgl. Ath., fug. 18 (SC 56, 155,11f. SZYMUSIAK): Καὶ ὁ μὲν Δαυὶδ φεύγων πρότερον τὸν Σαούλ. 578
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tern Jesu flohen vor Herodes583 und Jesus selbst habe sich vor den Pharisäern zurückgezogen584. Athanasius beruft sich bei der Auflistung dieser Vorbilder jedoch nicht einfach nur auf Autoritäten. Vielmehr begründet er ihr Verhalten theologisch. Da Gott jedem Menschen eine gewisse Lebenszeit zugedacht habe, solle der Mensch sich nicht herausnehmen, diese Zeit eigenwillig zu verkürzen585: „Wer sich den Verfolgern ausliefere und so seinen vorzeitigen Tod herbeiführe“, so spitzt Karen Piepenbrink die theologische Aussage des Athanasius zu, „handele Gottes Willen zuwider […]. Sein Tod sei überdies nicht als ein Martyrium, sondern eher als Suizid aufzufassen.“586 Mit dieser theologischen Aussage, zusammen mit den Verweisen auf die Fluchtszenen aus dem Leben Jesu, erhebt Athanasius die Vermeidung eines unzeitigen Todes sogar zu einer Form der Nachahmung Christi, „der sich selbst seinen Feinden erst gestellt habe, als der von Gott bestimmte Zeitpunkt (καιρός) gekommen war“587. In diesem Sinn betont Athanasius auch vehement, dass der gescheiterte Versuch der Soldaten, ihn in der Theonaskirche festzunehmen, und die damit ermöglichte Flucht einzig auf die πρόνοια Gottes zurückzuführen seien 588 . Einzig durch Christi Führung und seinen Schutz (τοῦ Κυρίου ὁδηγοῦντος καὶ αὐτοῦ φυλάττοντος589), so Athanasius, habe er entkommen können. Folglich hätte er mit einer freiwilligen Auslieferung nach geglückter Flucht nicht nur gegen das Gebot Gottes und das Vorbild der Heiligen gehandelt, er hätte sich zudem Gott gegenüber für seine Rettung undankbar gezeigt.590 Zwar weniger ausführlich, doch mit derselben theologischen Ausrichtung, hatte bereits Cyprian die Legitimität einer Flucht mit Blick auf die Frage nach göttlicher Fügung bzw. Vorhersehung erörtert. In seinem Traktat über die Sterblichkeit führt Cyprian zwei Argumente gegen eine freiwillige Ausliefe583
Vgl. Ath., fug. 12 (SC 56, 146,6–147,10 SZYMUSIAK): Ἐξ ἀρχῆς μὲν γὰρ ἅμα τῷ γενέσθαι ἄνθρωπος, ὅτε παιδίον ἦν, αὐτὸς διὰ τοῦ ἀγγέλου ἐνετείλατο τῷ Ἰωσήφ· ‚ἐγερθεὶς παράλαβε τὸ παιδίον καὶ τὴν μητέρα αὐτοῦ καὶ φεῦγε εἰς Αἴγυπτον · μέλλει γὰρ Ἡρώδης ζητεῖν τὴν ψυχὴν τοῦ παιδίου‘. 584 Vgl. Ath., fug. 12 (SC 56, 147,14–16 SZYMUSIAK): [O]ἱ μὲν Φαρισαῖοι ἐξελθόντες συμβούλιον ἔλαβον κατ’ αὐτοῦ ὅπως αὐτὸν ἀπολέσωσιν, ὁ δὲ Ἰησοῦς γνοὺς ἀνεχώρησεν ἐκεῖθεν. 585 Vgl. Ath., fug. 16f. 586 PIEPENBRINK, Apologia, 195f. 587 GEMEINHARDT, Märtyrer, 302. 588 Vgl. Ath., fug. 25 (SC 56, 163,1 SZYMUSIAK). 589 Ath., fug. 24 (SC 56, 163,37 SZYMUSIAK). 590 Vgl. Ath., fug. 25 (SC 56, 163,1–6 SZYMUSIAK): Τῆς τοίνυν Προνοίας οὕτως καὶ παραδόξως ῥυσαμένης, τίς ἂν δικαίως μέμψιν ἐπαγάγοι ὅτι μὴ τοῖς ζητοῦσιν ἑαυτοὺς ἐκδότους δεδώκαμεν, ἢ ὑποστρέψαντες ἐνεφανίσαμεν ἑαυτούς; Τοῦτο γάρ ἐστιν ἄντικρυς ἀχαριστῆσαι τῷ Κυρίῳ, παρ’ ἐντολήν τε αὐτοῦ πρᾶξαι καὶ ταῖς τῶν ἁγίων μάχεσθαι πράξεσιν.
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rung an. Das erste ähnelt der von Athanasius angeführten Begründung. Das Martyrium, so Cyprian, stehe „nicht in deiner Macht, sondern in Gottes Gnade“ (non est in tua potestate sed in Dei dignatione martyrium591). Nicht das Individuum dürfe sich also für das Martyrium entscheiden und es herbeiführen, sondern Gott selbst müsse dafür den Weg bereiten. Als zweites Argument führt Cyprian hier den auch in De Lapsis angeführten (s.o. III.5.4) Gedanken der „redlichen Flucht“ an. Zentral für die Frage nach der Legitimität einer Flucht sei Cyprian zufolge nämlich, dass es letztlich Gott selbst sei, „der Herz und Nieren erforscht und das Verborgene schaut und erkennt“ (Deus scrutator est renis et cordis et occultorum contemplator et cognitor 592 ). Gott, so Cyprian, „sieht, lobt und bestätigt dich“ (uidet te et laudat et conprobat593). Damit aber verlagert sich die Frage nach den Taten eines Heiligen erheblich. Es geht hier nicht mehr nur darum, was der Christ/die Christin tut, sondern um das, was er/sie sich dabei denkt bzw. damit intendiert. Mit diesem gesinnungsethischen Ansatz steigert sich nicht nur der geistige Anspruch einer Flucht (schließlich muss sich der Flüchtling vor dem Richterstuhl Gottes selbst rechtfertigen), es wird zudem ein anderer Maßstab angelegt, aufgrund dessen auch die Frage nach dem Lohn in ein anderes Licht gerät: Gott belohnt nicht das Martyrium an sich, sondern die Bereitschaft, die Intention bzw. den Willen zum Martyrium. Wenn Gott nämlich erkennt, dass die entsprechende Tapferkeit in der Absicht vorhanden gewesen wäre (perspicit aput te paratam fuisse uirtutem), dann gewährt er auch den Lohn für eben jene uirtus (reddit pro uirtute mercedem)594. Grundlegend für Cyprian ist also die innere Absicht, über die letztlich nur Gott selbst richten kann. Ob diese Absicht dann auch zu einem tatsächlichen Martyrium führt, liegt ebenso ausschließlich in Gottes Händen: Gott, nicht der Mensch, entscheidet, ob ein Martyriums-williger Christ/eine Martyriumswillige Christin tatsächlich zum Märtyrer/zur Märtyrerin wird. Malone hat diese auf den inneren Kampf des Christen/der Christin ausgerichtete Form der Nachfolge Christi als „spiritual martyrdom“595 beschrieben. Zwar bleibe auch bei Cyprian ein Unterschied zwischen „spiritual martyrdom“ und „real martyrdom“, jedoch sei gerade bei Cyprian deutlich zu erkennen, „that the most essential element in both is the firm will and the steadfast intention of accept591
Cypr., mort. 17 (CChr.SL 3A, 26,280f. SIMONETTI). Cypr., mort. 17 (CChr.SL 3A, 26,283f. SIMONETTI). 593 Cypr., mort. 17 (CChr.SL 3A, 26,243f. SIMONETTI). 594 Vgl. Cypr., mort. 17 (CChr.SL 3A, 26,285f. SIMONETTI). 595 Der Begriff bleibt vorzugsweise unübersetzt, da der englische Terminus „spiritual“ sowohl die „geistige“ als auch „geistliche“ Dimension der hier explizierten Auffassung des Martyriums umfasst. 592
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ing any suffering in preference to forsaking or denying Christ. For Cyprian the efficient cause of martyrdom was of much less importance than the final cause.“596 Entsprechend mache es für Cyprian im Prinzip auch keinen Unterschied, „whether the martyr dies in the course of his flight from persecution, or as a result of sufferings endured at the hands of the torturers, as long as he […] has done so for the love of Christ.“597 Greifbar wird dieser Grundsatz auch in einem von Cyprian mitverfassten Synodalschreiben aus dem Jahr 252. Angesichts der bevorstehenden neuen Verfolgungen kommt die Frage auf, ob es nicht geradezu in der Verantwortung der Bischöfe läge, den schon Gefallenen eine zweite Buße zu gewähren, um sie so mit dem Segen der Kirche und dem Empfang des Abendmahls für eine möglicherweise erneut bevorstehende Verfolgung zu wappnen. Im Blick ist dabei auch derjenige, der, „nachdem er seinen gesamten Besitz zurückgelassen hat, flieht“ (relictis omnibus rebus suis fugerit) und „sich im Verborgenen und in der Einsamkeit angesiedelt hat“ (latebris atque in solitudine constitutus)598. Werde es ihnen nicht etwa zur Last gelegt, so fragen die Bischöfe, wenn ein so „guter Soldat“ (bonus miles), „der all das Seinige verließ und der, indem er sowohl Haus als auch Eltern oder Kinder geringschätzte, es vorzog, seinem Herrn zu folgen (sequi dominum suum), ohne den Frieden und ohne die Gemeinschaft stirbt?“ 599 Deutlich wird hier die Gleichwertigkeit des gewaltsamen Todes nach Verhör und Folter und des Todes nach der Flucht in die Einsamkeit und Entbehrung etabliert. Beide Schicksale werden hier als Formen der Nachfolge Christi bezeichnet (dominum sequi). Mit Athanasius und Cyprian sind zwei prominente Stimmen im christlichen Diskurs um das freiwillige Martyrium angeführt. Die von ihnen diskutierten Fragen nach der πρόνοια Gottes und der prinzipiellen Erhebung christlicher Nachfolge zur Sache des Gewissens prägen den Diskurs und rücken die Flucht des Paulus in ein anderes Licht, denn Paulus’ Entscheidung gegen den Tod eines „herkömmlichen“ Martyriums lässt sich damit keinesfalls als Ablehnung des Martyriums im Allgemeinen bewerten. Die Anerkennung einer prinzipiellen Gleichwertigkeit des „spiritual martyrdom“ zusammen mit der offenkundigen, redlichen Leidensbereitschaft des Protagonisten, der sich aus freiem Willen (uoluntas) für eine lebenslange Anachorese entscheidet, lassen nun noch deutlicher erkennen (s.o. III.4), dass die Flucht des Paulus vor dem Martyrium in der Arena tatsächlich, wie Hieronymus selbst betont, eine 596
MALONE, Monk, 37. Ibid. 598 Cypr., ep. 57,4,3 (CChr.SL 3B, 306,96–99 DIERCKS). 599 Cypr., ep. 57,4,3 (CChr.SL 3B, 306,100–102 DIERCKS): [N]onne nobis inputabitur quod tam bonus miles, qui omnia sua dereliquit et contempta domo et parentibus aut liberis sequi dominum suum maluit, sine pace et sine communicatione decedit? 597
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Flucht hinein in (con-fugere) ein anderes Martyrium, ein „WüstenMartyrium“, ist. 5.7. Der Mönch als Märtyrer Hinter der Bezeichnung der Anachorese als Martyrium steht ein langer diskursiver Prozess, der um die Frage nach der Gestalt und dem Wesen vollkommener christlicher Nachfolge kreist. In der damit einhergehenden Suche nach Leitbildern jener Vollkommenheit ist dieser Diskurs zugleich immer auch schon hagiographisch aufgeladen. Grundlegend für den Diskurs ist die unerschütterliche Bedeutung des Märtyrers/der Märtyrerin für christliche Frömmigkeit und Identität (s.o. III.5.3). Sein radikales und in der imitatio des Todes Christi vollkommenes Vorbild wurde schnell zum Maßstab, an dem andere Formen christlicher Nachfolge sich messen mussten.600 Analoge Formen des Märtyrerideals gaben sich nach theologischen Reflexionen über den soteriologischen Kern des Martyriums als solche zu erkennen, wobei der eigentliche, heilsrelevante Wert des Martyriums nicht in der wortwörtlichen Imitation des Foltertodes Christi an sich gesehen wurde, sondern, wie bereits hervorgehoben, vielmehr die Redlichkeit, die innere Bereitschaft, die Intention, der Wille und der Mut des Märtyrers/der Märtyrerin als entscheidende Kriterien gesehen wurden (s.o. III.5.6). Mit einer solchen „Verinnerlichung“ des Martyriums ließen sich das mutige Bekenntnis des Märtyrers/der Märtyrerin, seine/ihre unbeugsame Ausdauer und sein/ihr willig ertragenes Leiden als Zeuge für den Glauben auch auf andere christliche Lebensformen übertragen. Entsprechend erhielten bald auch schon Christen/innen, deren Lebenswandel von vergleichbar beeindruckender Radikalität war, die Bezeichnung „Märtyrer/in“ wie einen Ehrentitel und wurden gerade „wegen ihrer Ähnlichkeit mit dem Ideal des Märtyrers als heilig anerkannt.“601 So findet sich schon bei Clemens von Alexandrien (ca. 140/150–220602) die Vorstellung, dass das Martyrium nicht unbedingt mit dem Tod endet, sondern ein Kampf im Leben sein könne 603 : „Wir nennen das Martyrium Vollen-
600
Vgl. MALONE, Monk, 1–3. SLUSSER, Martyrium, 210; vgl. im Folgenden GEMEINHARDT, Märtyrer, 305–314; ders., Die Heiligen, 26–29. 602 WYRWA, Clemens, 152. 603 Vgl. MALONE, Monk, 4–14; Das Martyrium bei Clemens, so MALONE, a.a.O., 7, sei nicht „an ideal of perfection toward which all must strive, but rather a specialized vocation which is reserved for a few chosen souls.“ Es gäbe vielmehr zwei Wege Christus zu bezeugen: „one by sacrificing life for Him, the other by living in strict conformity to His doctrine. Some men may be called to bear witness by death; all are obliged to bear witness by conforming to His doctrine“ (a.a.O., 8f.). „Gnostic martyrdom“ als ein aus der Erkennt601
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dung“ (τελείωσιν τὸ μαρτύριον καλοῦμεν), so Clemens im 4. Kapitel des 4. Buches seiner Stromata, welches insgesamt dieser Frage nach dem Martyrium im Leben gewidmet ist, „nicht weil der Mensch das Ende seines Lebens gefunden hat“ (οὐχ ὅτι τέλος τοῦ βίου ὁ ἄνθρωπος ἔλαβεν), „sondern weil er ein vollkommenes Werk der Liebe gezeigt hat“ (ἀλλ’ ὅτι τέλειον ἔργον ἀγάπης ἐνεδείξατο). 604 Jeder also, der auf „reine Weise“ (καθαρῶς) in der ἐπίγνωσις τοῦ θεοῦ gelebt habe, war mit seinem Leben und seinem Reden laut Clemens ein Märtyrer (μάρτυς ἐστὶ καὶ βίῳ καὶ λόγῳ).605 Prägender noch für die diskursive Übertragung des Märtyrerideals auf ein martyrium cotidianum in der Askese waren die Äußerungen des Origenes.606 Er betonte, dass christliche Vollkommenheit nicht primär in der Nachahmung des Kreuzestodes Christi, sondern vielmehr in einer bestimmten Lebensführung zu suchen sei. Imitatio Christi bei Origenes, so Malone, „meant acquiring a likeness to God through the performance of certain necessary works of asceticism“607. Mit Origenes war damit ein wegweisendes Fundament für asketische Bewegungen gelegt: „Origen not only passed on to the ascetics […] of later times the concept of martyrdom as the ideal of Christian perfection, but also developed and elaborated the concept of a spiritual or daily martyrdom.“608 Diesen Grundsätzen entsprechend genossen bereits die Konfessoren – Christen, die ihren Glauben im Angesicht von Folter und anderen Strafen zwar standhaft bekannt hatten, nicht jedoch hingerichtet wurden – märtyrerähnlichen Status. Gregor von Nazianz beschrieb jene „Lehrer der Tugend“ (ἀλεῖπται τῆς ἀρετῆς) später als „lebendige Märtyrer“ (ζῶντες μάρτυρες), „atmende Säulen“ (ἔμπνοοι στῆλαι), „schweigende Verkündigungen“ (σιγῶντα κηρύγματα), 609 die den Siegeskranz erhielten aufgrund ihrer Aus-übung (ἀσκέω) von „jedem Weg der Frömmigkeit“ (πᾶσα ὁδός
nis Gottes gelebtes Leben, sei, laut MALONE, a.a.O., 10–14, für Clemens „in a very real sense martyrdom“ (a.a.O., 14); vgl. GEMEINHARDT, Martyrium, 300. 604 Vgl. Clem. Al., strom. IV,14,3 (GCS 15, 255,1–3 FRÜCHTEL/STÄHLIN/TREU). 605 Vgl. Clem. Al., strom. IV,15,3 (GCS 15, 255,13–15 FRÜCHTEL/STÄHLIN/TREU): [Ε]ἰ τοίνυν ἡ πρὸς θεὸν ὁμολογία μαρτυρία ἐστί, πᾶσα ἡ καθαρῶς πολιτευσαμένη ψυχὴ μετ’ ἐπιγνώσεως τοῦ θεοῦ, ἡ ταῖς ἐντολαῖς ὑπακηκουῖα, μάρτυς ἐστὶ καὶ βίῳ καὶ λόγῳ. 606 Vgl. MALONE, Monk, 14–26. 607 A.a.O., 19. 608 A.a.O., 25f. Origenes sei dabei insbesondere für das Mönchtum prägend gewesen, so MALONE, a.a.O., 26, da die von ihm identifizierten „necessary works“ eines martyrium cotidianum („the practice of complete renunciation, the practice of virginity, and the practice of obedience“) gewissermaßen das Fundament für die drei zentralen monastischen Prinzipien, Armut, Keuschheit und Gehorsam legten. 609 Greg. Naz., or. 43,5 (SC 384, 126,9f. BERNARDI).
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εὐσεβείας) 610 . In willentlicher Bereitschaft und Erkenntnis (παρασκευὴ καὶ γνώμη) ertrugen sie all das, wofür Christus diejenigen krönt, die mit imitatio seine Nachfolge antreten (στεφανοῖ Χριστὸς τοὺς τὴν ἐκείνου μιμησαμένους).611 Auch in den „Jungfrauen“, den in sexueller Askese lebenden Frauen und Männern, sah man die Ideale des Martyriums verwirklicht612. Methodius von Olympus 613 hatte die Jungfräulichkeit in seinem bekanntesten Werk, dem Symposion, geradezu als Inbegriff einer asketischen Lebenshaltung angepriesen. Für ihn hatten die Jungfrauen sogar als wahre Märtyrer/innen zu gelten. Ihre Leiden nämlich seien, wie die der Märtyrer/innen, durchaus „körperlich“ (καρτερήσασαι σωμάτων ἀχθηδόνας). Anders als bei dem im Tod endenden Martyrium sei das Leiden der Jungfrauen jedoch nicht auf einen kurzen Moment beschränkt, sondern dauere vielmehr ihr Leben lang an (οὐ κατά τι μόριον χρόνων ἐν βραχεῖ […], ἀλλὰ διὰ παντὸς ἔτλησαν τοῦ βίου). Aufgrund ihres erfolgreichen Widerstands gegen diese lebenslängliche „wilde Folter der Lüste, gegen die Ängste, den Kummer und die anderen Schlechtigkeiten der Laster der Menschen“ (βασάνοις τε γὰρ ἀγρίαις ἡδονῶν καὶ φόβοις καὶ λύπαις ἀντισχοῦσαι καὶ τοῖς ἄλλοις τῆς πονηρίας τῶν ἀνθρώπων κακοῖς), erhielten sie, laut Methodius, vor allen anderen die Belohnung, in das „bessere Land der Verheißung herausgeführt zu werden“ (ἀποφέρονται τὰ γέρα πρῶται τῶν ἄλλων εἰς τὸν ἀμείνω τῆς ἐπαγγελίας ἐκτασσόμεναι χῶρον).614 Ambrosius (ca. 333/334–397615) brachte eben diesen Zusammenhang in seiner Schrift über die Jungfrauen auf den Punkt: Die Jungfräulichkeit, so der Bischof, sei nicht deshalb lobenswert, weil sie in Märtyrer/innen aufzufinden sei, sondern weil sie einen zum Märtyrer/zur Märtyrerin mache (non enim ideo laudabilis uirginitas, quia et in martyribus repperitur, sed quia ipsa martyres faciat 616 ). Repräsentativ für diese „Annäherung und latente Verschmelzung von Askese und Martyrium, die im 4. Jahrhundert zum Leitbild 610
Vgl. Greg. Naz., or. 43,5 (SC 384, 126,11–13 BERNARDI). Vgl. Greg. Naz., or. 43,5 (SC 384, 126,13–15 BERNARDI). 612 Vgl. ELLIOTT, Roads, 144; GEMEINHARDT, Die Heiligen, 27. 613 Nur wenig ist über Methodius bekannt. Hieronymus beschreibt ihn als Olympi Lyciae et postea Tyri episcopus (Hier., vir. ill. 83,1 [234 BARTHOLD]), verweist auf seine Werke Adversum Porphyrium, Symposium decem virginum, De resurrectione, De pytonissa, De αὐτεξουσίῳ, Kommentare zur Genesis und zum Hohen Lied, und weiß von seinem Tod als Märtyrer zu berichten: Ad extremum nouissimae persecutionis siue, ut alii affirmant, sub Decio et Valeriona in Chalcide Graeciae martyrio coronatus est (Hier., vir. ill. 83,2; 234 BARTHOLD). Sein Tod wird demnach um 311 angesetzt (vgl. BARTHOLD, De viris, 412; PAULI/SCHMIDT, Methodius, 502). 614 Vgl. Meth., symp. 7,3 (SC 95, 186,14–21 MUSURILLO). 615 MARKSCHIES, Ambrosius, 19–21. 616 Ambr., virg. I,3,10 (FC 81, 114,4f. DÜCKERS). 611
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eines ‚unblutigen Martyriums‘ führt“617, ist besonders die um ihrer Keuschheit und um ihres Glaubens willen verfolgte Agnes. Ihr schrieb Ambrosius später ein duplex martyrium, pudoris et religionis618 zu, womit das Ideal der Virginität deutlich als „gleichberechtigt neben dasjenige der Glaubenstreue bis in den Tod“619 tritt. Insgesamt war mit dieser graduellen Annäherung für den Übergang „from the ideal of physical martyrdom to spiritual“620 – „the transition from martyr to monk“621 – der Weg bereitet. Als Verkörperung des asketischen Ideals in Form der sexuellen Abstinenz, aber auch durch die zahlreichen Entbehrungen und Leiden einer Wüstenexistenz errang das Eremitentum so schon bald „den Rang eines vollgültigen Ersatzes“ 622 . Dem Wüsten-Mönch kam es entsprechend zu, im 4. Jahrhundert schließlich als „Nachfolger der Märtyrer“ zu gelten623 und somit zur neuen „Avantgarde des Christentums“624 zu werden. 5.8. Antonius der Märtyrer Die intentionale Übertragung bzw. Erweiterung des Märtyrerideals auf den Wüstenmönch ist in den frühesten Mönchsviten deutlich nachvollziehbar. In der Vita Antonii des Athanasius ist zudem erkennbar, dass noch eine gewisse Begründungsnot für die Heiligmäßigkeit eines christlichen Vorbilds ohne herkömmliches Martyrium bestand. Trotz der bereits langen Tradition, das Märtyrerideal auf andere Lebensformen auszubreiten (s.o. III.5.7), blieb der Verdacht bestehen, „that the martyr was the best saint.“625 So betont Athanasius explizit das Bereuen seines Helden, der sich danach sehnte „Zeugnis abzulegen“ ([η]ὔχετο γὰρ καὶ αὐτὸς μαρτυρῆσαι), und der wie einer wirkte, „dem es Schmerzen bereitete, dass er nicht Zeugnis abgelegt hatte“ ([α]ὐτὸς μὲν οὖν λυπουμένῳ ἐῴκει, ὅτι μὴ μεμαρτύρηκεν)626. Zugleich bietet der Autor für das Ausbleiben eines solchen Martyriums eine Erklärung: Als Heiliger wollte (und konnte!) sich Antonius natürlich nicht selbst ausliefern (παραδοῦναι δὲ μὴ θέλων ἑαυτόν627), und trotz seines für die Verfolger sicht617
GEMEINHARDT, Märtyrer, 306. Ambr., virg. I,2,9 (FC 81, 112,11f. DÜCKERS). 619 GEMEINHARDT, Märtyrer, 306. 620 ELLIOTT, Roads, 44. 621 MALONE, Monk, 14. 622 FUHRMANN, Mönchsgeschichten, 54. 623 Vgl. HOELLE, Commentary, 22; ELLIOTT, Roads, 42; SPEYER, Christliche Ideal, 126; SLUSSER, Martyrium, 210. 624 GEMEINHARDT, Die Heiligen, 26. 625 ELLIOTT, Roads, 43. 626 Ath., v. Anton. 46,6 (SC 400, 260,23f. BARTELINK); vgl. auch Ath., v. Anton. 46,2 (SC 400, 258,6f. BARTELINK): πόθον μὲν εἶχε μαρτυρῆσαι. 627 Ath., v. Anton. 46,2 (SC 400, 258,6f. BARTELINK). 618
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baren Dienstes an eingekerkerten Christen in Alexandrien blieb Antonius unversehrt.628 Athanasius sieht darin die Fügung Gottes: Der Herr selbst nämlich habe Antonius „zu unserem und anderer Nutzen“ bewahrt (ὁ δὲ Κύριος ἦν αὐτὸν φυλάττων εἰς τὴν ἡμῶν καὶ τὴν ἑτέρων ὠφέλειαν 629). Mit diesen Begründungen ist erklärt, warum Antonius – trotz andauernder Christenverfolgungen und eigener Bereitschaft zum Martyrium – nicht für seinen Glauben sterben durfte. Doch Athanasius zeigt zugleich, dass Antonius in gewissem Sinn dennoch als Märtyrer gelten kann, und zwar auf zwei Weisen: Zum einen nämlich wird betont, dass Antonius in seiner vorbildlichen Askese ein bereits aus anderen Kontexten bekanntes (s.o. III.5.7) „tägliches Martyrium“ erleidet (ἦν ἐκεῖ καθ’ ἡμέραν μαρτυρῶν 630). Zum anderen aber werden den Leser/innen schon früh in der Vita martyriumsähnliche Szenen geboten, die Antonius deutlich zum Märtyrer stilisieren und damit dem in den folgenden Kapiteln der Vita erzählten Wirken und Reden des Antonius die Autorität eines Heiligen verleihen. Athanasius stellt diese Analogie mit dem Dämonenkampf des Antonius her: Anschaulich und ausführlich schildert der Autor, wie Antonius von den Dämonen „ausgepeitscht und zerstochen“ wird (μαστιζόμενος καὶ κεντούμενος) und dabei unter „fürchterlichem körperlichem Schmerz“ leidet (ᾔσθετο μὲν δεινοτέρου πόνου σωματικοῦ). 631 Seufzend „aufgrund seiner körperlichen Schmerzen“ (διὰ τὸν τοῦ σώματος πόνον632) und von den Schlägen (πληγαί) des „Feindes“ und seiner großen Schar von Dämonen (ὁ ἐχθρός […] μετὰ πλήθους δαιμόνων) „sprachlos vor Qualen“ (ἄφωνος […] ἀπὸ τῶν βασάνων) bleibt er danach auf dem Boden liegen.633 Seine Schmerzen werden dabei als grausamer (σφοδρός) beschrieben, als es die Schläge von Menschen jemals hätten verursachen können.634 Da Antonius dabei aber nicht den Mut verliert und „ohne Zittern“ (ἀτρέμας) liegen bleibt635, erscheint ihm schließlich der Herr in einem Lichtstrahl durch das geöffnete Dach, wodurch die Dämonen plötzlich unsichtbar werden und die Schmerzen in seinem Körper
628
Vgl. Ath., v. Anton. 46. Ath., v. Anton. 46,6 (SC 400, 260,24–26. BARTELINK). 630 Ath., v. Anton. 47,1 (SC 400, 262,3f. BARTELINK). 631 Vgl. Ath., v. Anton. 9,8 (SC 400, 160,28–30 BARTELINK). 632 Ath., v. Anton. 9,8 (SC 400, 160,31f. BARTELINK). 633 Vgl. Ath., v. Anton. 8,2 (SC 400, 156,6–11 BARTELINK). 634 Vgl. Ath., v. Anton. 8,3 (SC 400, 156,11–13 BARTELINK): Διεβεβαιοῦτο γὰρ οὕτω σφοδροὺς γεγενῆσθαι τοὺς πόνους ὡς λέγειν μὴ δύνασθαι τὰς παρὰ ἀνθρώπων πληγὰς τοιαύτην ποτὲ βάσανον ἐμποιῆσαι. 635 Vgl. Ath., v. Anton. 9,8 (SC 400, 160,30f. BARTELINK): Ἀἀτρέμας δὲ μᾶλλον τῇ ψυχῇ γρηγορῶν ἀνέκειτο. 629
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aufhören. 636 Wie christliche Autoren in Hinblick auf das Martyrium auch anderenorts betonten637, so steht Christus auch Antonius auf dem Höhepunkt seines Martyriums zur Seite. 638 Wie Stephanus, dem ersten Märtyrer, wird Antonius dabei ein Blick in den Himmel gewährt (vgl. Apg 7,55–57). Der Sieg im Kampf wird Antonius von Christus selbst bestätigt639 und nicht zufällig findet dieser Todeskampf in einem Grab statt.640 Symbolisch aussagekräftig tritt Antonius schließlich nach seinen Siegen gegen die Dämonen aus seiner Grabeshöhle „wie aus einem Heiligtum“ (ὥσπερ ἔκ τινος ἀδύτου641) und erscheint nun in Gestalt eines wahrhaft Vollkommenen, als „the perfect
636 Vgl. Ath., v. Anton. 10,1f. (SC 400, 162,1–6 BARTELINK): Ὁ δὲ Κύριος […] εἰς ἀντίληψιν αὐτῷ γέγονεν. Ἀναβλέψας γοῦν, εἶδε τὴν στέγην ὥσπερ διανοιγομένην καὶ ἀκτῖνά τινα φωτὸς κατερχομένην πρὸς αὐτόν. Καὶ οἱ μὲν δαίμονες ἐξαίφνης ἄφαντοι γεγόνασιν, ὁ πόνος δὲ τοῦ σώματος εὐθὺς ἐπέπαυτο. In Anbetracht dieser Darstellung des Athanasius lässt sich das pauschale Urteil vieler Interpreten, die das eremitische Martyrium des Antonius als eine Form des „spiritual martyrdom“ bezeichnen, durchaus hinterfragen (vgl. MALONE, Monk, 44–46; BARTELINK, Introduction, 58, der von der „spiritualisation du martyre“ spricht; ELLIOTT, Roads, 42f., die betont: „The enemy is now within – the Devil himself […] The symbolic nexus of the drama lies in images of interiority“). Von einer „Verinnerlichung“ des Leidenskampfes des Antonius kann in Bezug auf den martyriumsartigen Dämonenkampf des Antonius zu Beginn der Vita jedoch kaum die Rede sein. Die Betonung des Athanasius liegt hier gerade auf der externen Natur der durchaus physischen Folter seines Helden: Antonius kämpft gegen äußere, für ihn (bzw. Athanasius) reelle Entitäten – Dämonen, die ihm dezidiert physische Schläge zufügen. Damit knüpft Athanasius in seiner Übertragung des Märtyrerideals viel unmittelbarer noch als etwa Clemens oder Origenes, bei denen tatsächlich eher von einer Verinnerlichung des Leidenskampfs im seelischen Ringen um geistige Perfektion die Rede sein kann (s.o. III.5.7), an den brutalen Todeskampf des Märtyrers gegen wilde Tiere und Folterknechte in der Arena an. 637 Der Märtyrerin Perpetua z.B. wird bereits vorab der Beistand Christi für ihr bevorstehendes Martyrium in einer Vision versichert. Dabei sieht sie, wie sie von Christus selbst in ihrem Kampf in Empfang genommen wird: Et leuauit caput et aspexit me et dixt mihi: ‚Bene uenisti, tegnon‘ (p. Perp. 4,9 [SC 417, 116,27f. AMAT]). Noch deutlicher äußert sich dazu Cyprian, bei dem Christus nicht nur beistehender Beobachter des Martyriums ist, sondern zum aktiven Mitkämpfer wird: [S]cientes uos sub oculis praesentis domini dimicare, confessione nominis eius ad ipsius gloriam peruenire, qui non sic est ut seruos suos tantum spectet, sed ipse luctatur in nobis, ipse congreditur, ipse in certamine agonis nostri et coronat pariter et coronatur (Cypr., ep. 10,4,4 [CChr.SL 3B, 53,94–54,98 DIERCKS]). 638 Vgl. Ath., v. Anton. 10,1 (SC 400, 162,1f. BARTELINK): Ὁ δὲ Κύριος οὐδὲ ἐν τούτῳ ἐπελάθετο τῆς ἀθλήσεως Ἀντωνίου, ἀλλ’ εἰς ἀντίληψιν αὐτῷ γέγονεν. 639 Vgl. Ath., v. Anton. 10,3 (SC 400, 164,12–14 BARTELINK): Ἐπεὶ οὖν ὑπέμεινας καὶ οὐχ ἡττήθης, ἔσομαί σοι ἀεὶ βοηθὸς καὶ ποιήσω σε ὀνομαστὸν πανταχοῦ γενέσθαι. 640 Vgl. Ath., v. Anton. 8. 641 Ath., v. Anton. 14,2 (SC 400, 172,6f. BARTELINK).
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natural human being“ 642 , „eingeweiht in tiefe Geheimnisse und gottbegeistert“ (μεμυσταγωγημένος καὶ θεοφορούμενος643), mit reiner Verfassung seiner Seele (τῆς δὲ ψυχῆς πάλιν καθαρὸν τὸ ἦθος 644 ) und innerlich „völlig gleich“ (ὅλος ἦν ἴσος645), d.h. ausgewogen und besonnen, wie einer der „vom Logos gesteuert“ wird (ὡς ὑπὸ τοῦ λόγου κυβερνώμενος646). So wie der Märtyrer nach seinem Martyrium zu einem neuen Leben aufersteht, so ist auch Antonius nun zu einer neuen Existenz bestimmt: Als Märtyrer rückt er in den Stand der Heiligen. Deutlich lässt sich hier der Versuch des Athanasius erkennen, Antonius als einen dem Märtyrer gleichwertigen, wenn nicht sogar überlegenen Heiligen darzustellen. Bei der Übertragung des Märtyrerideals auf das Ideal des Dämonen bekämpfenden Eremiten müssen natürlich zentrale Elemente des herkömmlichen Martyriums für die Situation des Eremiten angepasst werden. Für den asketischen Dämonenbekämpfer ist zum einen nicht der Tod Höhepunkt und Inbegriff des Martyriums, sondern der im Leben stattfindende Kampf. Zum anderen sind die Feinde des Asketen nicht primär Menschen, sondern der Teufel. Als anknüpfungsfähig erweist sich dieses unkonventionelle Martyrium, weil Athanasius auf bereits bestehende Traditionen christlicher Martyriumsdeutungen zurückgreift. Athanasius kreiert keinen neuen Diskurs, sondern fügt sich in einen bereits bestehenden ein. Auf die Vorstellung, dass das Martyrium nicht unbedingt mit dem Tod endet, sondern ein Kampf im Leben sein könne, ist bereits eingegangen worden (s.o. III.5.6 und III.5.7). Aber 642
RUBENSON, Pythagoras, 197. Ath., v. Anton. 14,2 (SC 400, 172,7 BARTELINK). 644 Ath., v. Anton. 14,3 (SC 400, 172,13f. BARTELINK). 645 Ath., v. Anton. 14,4 (SC 400, 174,18 BARTELINK). 646 Ath., v. Anton. 14,4 (SC 400, 174,18f. BARTELINK). Mit dieser Darstellung ist zugleich deutlich, dass Athanasius mit seinem Heiligen an einem hagiographischen Diskurs partizipiert, der sich kaum auf rein „christliche“ Aussagen, Motive und Ideale reduzieren lässt. Rubenson hat besonders hier auf die Parallelen zu Jamblichs Darstellung des Pythagoras verwiesen und daraus auf Athanasius’ „conscious reuse of pagan patterns in order to present a Christian alternative“ gefolgert: „In a sense, […] Pythagoras, is brought down by his own image“ (RUBENSON, Pythagoras, 205). Entsprechend sei eine Absicht der Vita Antonii „the presentation of an alternative to Pythagoras, an anti-Pythagoras“ (a.a.O., 206). Die Vita, so RUBENSON, a.a.O., 208, „should be read as an apologetic anti-Pythagorean […] treatise.“ Auch GEMEINHARDT, Antonius 56, betont, dass Antonius hier den Anschein eines Stoikers erwecke, schließlich sei es in der Tat ein stoisches Ziel, „unter der Anleitung des Logos zu leben“. Gemeinhardt mahnt jedoch zugleich an, dass der Logos „seit dem Prolog zum Johannesevangelium […] auch ein zentraler christlicher Begriff“ sei, so dass Antonius nicht unbedingt in Opposition zum heidnischen Philosophen gezeichnet werde, sondern lediglich das Ebenmaß erreicht habe, „das der Asket in der hellenistischen Philosophie ebenso anstrebt wie der christliche Mönch: ein Leben in Harmonie mit sich und – gemäß der christologischen Deutung des Logosbegriffs – mit Gott“ (ibid.). 643
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auch der Dämonenkampf stellt keine Neuerung per se dar. Wie bereits erwähnt, gehörte die Vorstellung, dass der Konflikt des Märtyrers/der Märtyrerin im Wesentlichen ein Kampf mit Satan selbst darstelle, gewissermaßen zum festen Repertoire der Märtyrerliteratur (s.o. II.2.5, Anm. 35). Athanasius beschreibt also mit den ihm im hagiographischen Diskurs zu Verfügung stehenden Leitbildern und Wertvorstellungen einen Märtyrer. Die Anspielungen dabei sind so offensichtlich, dass Athanasius auch ohne die Bezeichnung ἅγιος, seine Leserschaft davon überzeugt hat, dass Antonius – spätestens nach der bestätigenden Erscheinung Christi und der auferstehungsartigen Szene – fortan in der Rolle eines Heiligen agiert. Dabei ist die Tatsache, dass Antonius, trotz seines zu Beginn der Vita geschilderten erfolgreichen Martyriums im Dämonenkampf, im Verlauf der Erzählung nach wie vor auf der Suche nach dem Martyrium bleibt, keinesfalls der Inkonsequenz des Autors verschuldet. Hier kommt vielmehr eine Spannung zum Vorschein, die den Heiligen als „lebendigen Märtyrer“ geradezu wesentlich auszeichnet. Zunächst ist festzustellen, dass in den zwei zentralen Stellen in der Vita Antonii, die das Martyrium des Antonius thematisieren (v. Anton., 14 und 46) verschiedene Aussagen im Vordergrund stehen. Bei der Darstellung des Martyriums in Kapitel 14 geht es darum, Antonius als Vollkommenen für die Leserschaft der Vita zu etablieren, so dass sein Reden und Handeln im darauf folgenden Verlauf der Vita das Wirken eines Heiligen ist: Antonius’ Lehre hat Autorität und seine Wunder und Visionen sind vor der Gefahr der Zweideutigkeit gefeit, der solche Anzeichen von Heiligkeit nicht selten ausgesetzt sind.647 Kapitel 46 hingegen betont ein anderes: Trotz seiner Stellung als lebendiger Märtyrer und somit einer ihm zuzuschreibenden Heiligkeit ist Antonius ein Heiliger im Hier und Jetzt. Das eschatologische Heil steht noch aus, und so ist auch der Kampf letztendlich nie zu Ende. Selbst als Märtyrer, der sein Martyrium bestanden hat, bleibt Antonius den Versuchungen der Welt und den Bedingungen der Existenz ausgesetzt, so dass er seine Askese nicht nur weiterhin pflegt, sondern ihre Härte kontinuierlich steigert 648 , „immer eifrig im Kampf“ (ἀγωνιῶντες ἀεὶ649) und „im Hinblick auf den Tag des Gerichts“ (προβλέποντες τὴν ἡμέραν τῆς κρίσεως650). In dieser Hinsicht ist seine Askese ein fortdauerndes, „tägliches Martyrium“. Dass Antonius also trotz 647
Selbst von Jesus wird berichtet, dass seine Wunder der Skepsis seiner Zeitgenossen ausgesetzt waren. So befürchten die Beobachter eines Exorzismus sogar, er treibe die bösen Geister aus „ἐν τῷ ἄρχοντι τῶν δαιμονίων“ (Mk 3,22). Auch die Vita Antonii stellt sich diesem Problem, indem Antonius mit Nachdruck darauf hinweisen muss, ὅτι οὔτε αὐτοῦ οὔθ’ ὅλως ἀνθρώπων ἐστὶν ἡ θεραπεία, ἀλλὰ μόνου τοῦ θεοῦ τοῦ ποιοῦντος (Ath., v. Anton. 56,1 [SC 400, 286,6–8 BARTELINK]). 648 Vgl. z.B. Ath., v. Anton. 18f.; 45; 47. 649 Vgl. Ath., v. Anton. 19,5 (SC 400, 186,19 BARTELINK). 650 Vgl. Ath., v. Anton. 19,5 (SC 400, 186,20 BARTELINK).
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bestandenen Martyriums weiterhin den Wunsch nach einem im Tod endenden Martyrium hegt, ist demnach kein Widerspruch in der Erzählung, sondern konsequente Darstellung der paradoxen Existenz eines lebendigen christlichen Heiligen. Nicht umsonst betont Athanasius gerade im Zusammenhang mit der Erzählung in Kapitel 46 ebendiese Todessehnsucht des Antonius, der täglich „im Gedanken an die Wohnungen im Himmel“ seufzend sich nach ihnen sehnte und „die Vergänglichkeit des menschlichen Lebens“ erwog. 651 Athanasius will zwei Dinge zugleich sagen: Antonius ist als Märtyrer ein Heiliger, doch ist er zugleich den Begrenzungen einer irdischen Existenz unterworfen, die einer eschatologischen Vervollkommnung noch harrt. Hinter dem Wunsch des Antonius in Kapitel 46, das Martyrium zu erlangen, steht demnach nicht primär das Martyrium als Inbegriff christlicher Nachfolge in der imitatio des Leidens und Sterbens Christi (wie in Kapitel 14). Vielmehr steht hier der eschatologische Wunsch nach letztgültiger Vollendung im Vordergrund – der Wunsch nach dem Ende einer irdischen und somit noch unvollkommenen Existenz. Im Unterschied zu den mit ihrem Tod zur Vollkommenheit gelangten Märtyrer/innen ist Antonius vorerst noch ein Heiliger in Anführungszeichen – ein „Heiliger“ unter eschatologischem Vorbehalt. Er ist ein Vollkommener, der in gewisser Hinsicht noch nicht vollkommen vollkommen ist. Seine Eigenschaften, sein Erscheinen, sein Handeln und seine Wirkmacht entsprechen zwar den hagiographischen Vorgaben des spätantiken christlichen Diskurses; und dennoch hat Antonius noch nicht, wie die Märtyrer/innen, in vollkommenem Maß Anteil an der verheißenen Herrlichkeit Christi, „Seiner Macht und Schönheit, Seiner Herrschaft und Fürsorge für die Seinen“652. Entscheidend für Athanasius ist dabei, dass ebendiese Spannung eine von Gott gewollte, ja von Gott in die Wege geleitete ist. Das Antonius verwehrte herkömmliche – d.h. im Tod vollendete – Martyrium ist demnach zugleich für Athanasius ein Zeichen göttlicher Providenz, der Antonius zum Nutzen „für uns und andere“ bewahrt hat. 5.9. Mücken und Mädchen, Hitze und Lust Die „Verwandlung“ des Märtyrerideals auf das Eremitentum wird auch von Hieronymus in der Vita Pauli vorgenommen – wenn auch bei weitem nicht so explizit wie von Athanasius in der Vita Antonii. Weder von Schmerzen verursachenden Dämonenkämpfen noch von Qualen im asketischen Kampf gegen 651 Vgl. Ath., v. Anton. 45,1 (SC 400, 256,3–5 BARTELINK): ἐνθυμούμενος τὰς ἐν οὐρανῷ μονάς, τόν τε πόθον ἔχων εἰς αὐτὰς καὶ σκοπῶν τὸν ἐφήμερον τῶν ἀνθρώπων βίον. 652 HAUSAMMANN, Verfolgungs- und Wendezeit, 21f.
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III. Der heilige Paulus von Theben
Lust und Hunger wird aus dem Leben des Paulus berichtet. Hieronymus stellt diese Parallele subtiler, damit jedoch nicht weniger effektiv her; zunächst auf rein formeller Ebene: Die Paulusvita, so Berschin, „beginnt wie eine Passio: Sub Decio et Valeriano persecutoribus… Ganz äußerlich und anekdotisch stellt Hieronymus einen Zusammenhang zwischen Martyrium und Mönchtum, Passio und Vita her.“ 653 Auch mit kleinen Andeutungen, wie z.B. den Bezeichnungen der Eremiten als bonus proeliator (VP 8,2), miles Christi (VP 3,4) und bellator Christi (VP 16,1) oder mit der gerade in der Märtyrerliteratur häufig als Lohn in Aussicht gestellten corona iustitiae (VP 11,3) impliziert Hieronymus die Martyriumsförmigkeit der Wüstenaskese. In der Tatsache, dass erst der Verstorbene Paulus die Bezeichnung sanctus erhält (VP 16,7), mag sich die oben in Bezug auf Antonius geschilderte Spannung des „lebendigen Märtyrers“ spiegeln. Vollkommen vollkommen ist auch Paulus erst mit seinem Tod. Auch mit Blick auf den oben beschriebenen „gesinnungsethischen“ Aspekt des Martyriums (s.o. III.5.6) positioniert sich Hieronymus deutlich. In Anlehnung an Cyprians Brief an Fortunatus, Ahymnus, Optatus, Privatianus, Donatulus und Felix654 betont Hieronymus in VP 2,2, dass es dem Widersacher des Göttlichen, dem hostis callidus, ohnehin nicht darum ging, Körper zu töten. Vielmehr sei es ihm daran gelegen die anima des Menschen mit Brutalität zu erlegen (iugulare). Das Wesentliche am Martyrium ist für Hieronymus also die Leidensprüfung der anima, nicht die Tötung des Körpers per se.655 Eine solche Prüfung kann zwar im Tod enden, sie muss es aber nicht. Der Hinweis in VP 2,2 auf diese geglaubte Ausrichtung teuflischer Versuchung (auf den Geist, nicht auf den Körper) dient ganz wesentlich der Umdeutung des Martyriums auf die Wüstenaskese, denn im auf diese Weise definierten „Eigentlichen“ des Martyriums steht der Wüstenasket/die Wüstenasketin dem Märtyrer/der Märtyrerin in nichts nach. Zentral für besagte Umdeutung sind aber die beispielhaften Martyrien in VP 3, die aufgrund ihrer erotischen Thematik, aber auch aufgrund der scheinbar absurden Foltermethoden auf den ersten Blick so gar nicht in die Erzählung über den ersten Wüstenasketen zu passen scheinen. Zumindest aber vermitteln sie kaum den Eindruck, als veranschaulichten sie tatsächlich, wie von Hieronymus angegeben, die crudelitas der Christenverfolger (VP 2,2). 653
BERSCHIN, Biographie I, 143; vgl. REBENICH, Hagiograph, 37. Vgl. Cypr., ep. 56,2,2 (CChr.SL 3B 298,38f. DIERCKS); s.o. II.3.3, Anm. 86; III.5.4, Anm. 552. 655 Entsprechend verteidigt Cyprian auch die „Gefallenen“ in dem von Hieronymus zitierten Brief 56 (a.a.O.), indem er darauf hinweist, dass nur ihr schwaches Fleisch erschöpft war (carnem quae infirma est fatigarent), ihr Glaube aber nicht besiegt worden sei (non fidem quae inuicta est uincerent). 654
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Gewiss hätte Hieronymus hier – dem immensen Fundus der sich im Umlauf befindenden Märtyrerliteratur zufolge – grausamere Beispiele anbringen können: Zum Beispiel ein Martyrium wie das des Polycarp, dem, während er bei lebendigem Leib verbrannt wird, von seinen Peinigern ein Dolch in den Körper gestoßen wird, auf dass so viel Blut hinaus strömt, dass das Feuer davon gelöscht wurde (ἐξῆλθεν […] πλῆθος αἵματος, ὥστε κατασβέσαι τὸ πῦρ 656 ); oder wie das von Euseb von Cäsarea überlieferte Martyrium der Potamiaena, deren Leib von Kopf bis Fuß, Tropfen für Tropfen mit kochendem Pech übergossen wurde.657 Entsprechend überrascht es nicht, dass die Märtyrererzählungen des Hieronymus häufig für Irritationen bei Auslegern der Vita Pauli gesorgt haben. Berschin beschreibt die Episoden aus VP 3 als „zwei Sensationsszenen aus der Christenverfolgung“, mit denen Hieronymus gleich zu Beginn „sein ägyptisches Panorama“ eröffnet. 658 Besonders die vor Erotik knisternde Verführungsszene des jungen Märtyrers im Garten (VP 3,2–4) sei, in Berschins Worten, so „genüsslich“ von sinnlichen Details gespickt, dass der Passus aus Schulausgaben des 19. Jahrhunderts heraus gekürzt worden sei.659 Selbst die von Ignatius S. Kozik Ende der 60er Jahre herausgegebene Ausgabe der Vita Pauli überschlägt diesen Abschnitt noch komplett.660 Tatsächlich gestaltet Hieronymus hier aufwändig eine Szene von malerisch-sinnlicher Anschaulichkeit. So ist in VP 3,2 von einem im jugendlichen Alter Blühenden (iuuenali aetate florens) die Rede, der in einem „lieblichsten Garten“ (amoenissimus hortulus) zwischen hell-weißen Lilien (candentia lilia) und roten Rosen (rubentes rosae)661 auf ein mit Flaumfedern (pluma) versehenes „Bettlein“ (lectulus) gelegt wird. In der Nähe schlängelt sich, leicht murmelnd, ein Bach (cum leni iuxta murmure serperet riuus) und ein Wind streift (stringere) mit sanftem Säuseln (molle sibilum) leicht die Blätter der Bäume. Damit er nicht entkommen kann, wird der Jüngling in ein reizendes (blandus) Netz von Blumengewinden (serta) verwickelt. Das eigentliche „Martyrium“ beginnt in VP 3,3: Ein auffällig schönes Freudenmädchen 656
M. Polyc. 16,1 (SQS 3, 6,5f. KNOPF). Vgl. Eus., h. e. VI,5,4 (SC 41, 92 BARDY). 658 Vgl. BERSCHIN, Biographie I, 136. 659 Ibid. 660 Vgl. KOZIK, Desert hero. 661 Besonders an dieser Stelle zeigt sich die Aufmerksamkeit des Hieronymus für Details. Mit Lilie und Rose sind nämlich keinesfalls zwei willkürliche Blumen erwähnt. Sie sind vielmehr Bilder für das Wesen des keuschen Märtyrers und der Reinheit seines bestandenen Martyriums. Hieronymus selbst bietet in einem späteren Brief an Rusticus die entsprechende Deutung: Die Lilie habe „Reinheit“ in sich (puritas), während die Rose „Sittsamkeit“ bzw. „Keuschheit“ (verecundia) besitze (vgl. Hier., ep. 125,2,1 [CSEL 54, 120,6f. HILBERG]). 657
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(meretrix speciosa), die mit sinnlichen Umarmungen (delicati complexus) zunächst leicht seinen Hals berührt (stringere colla) und dann sogar ausdrücklich seinen Körper durch die Berührung seiner Geschlechtsteile mit ihren Händen (cum manibus adtrectare uirilia) mit Lust erregt (corpus in libidinem concitare), legt sich schließlich als uictrix impudica auf ihn herauf. So überwältigte ihn, den Folterungen nicht besiegen konnten, beinahe das sinnliche Verlangen (uoluptas) (VP 3,4). Die detailverliebte Ausführlichkeit der Beschreibung dieser „Folter“, die zudem auf den ersten Blick kaum für die im Prolog versprochene Erzählung über den ersten Wüstenmönch von Bedeutung zu sein scheint, ist bereits vielen Auslegern der Vita Pauli aufgefallen. Dabei wird sowohl bei dieser als auch bei der vorangehenden Märtyrererzählung von zwei „offenkundig erfundenen Episoden“ ausgegangen662, die Hieronymus jedoch nicht frei erdichtet, sondern literarischen Vorlagen entnimmt.663 Nebst der Quellenfrage wird unter den Auslegern jedoch vornehmlich die Intention des Hieronymus diskutiert: Was steckt hinter diesen Anekdoten und warum baut sie Hieronymus in 662
REBENICH, Hagiograph, 31. In der Gartenszene (VP 3,2) sah bereits Hermann WEINGARTEN, Ursprung, 5, eine „in ihren Einzelheiten fast wörtlich einer der lascivsten [sic] Episoden des [Apuleius]“ nachgebildet, „nur mit dem verschiedenen Ausgang, dass, während Lucius und Photis ‚inter mutuos amplexus animas anhelantes‘, Hieronymus seinen namenlosen Märtyrer sich, um die Lust zu unterdrücken, die Zungenspitze abbeissen und sie der reizenden Versucherin, die auf ihm liegt, ins Gesicht spucken lässt“ (a.a.O., 5, Anm. 2). Die Engführung der literarischen Quellenkritik Weingartens auf Apuleius ist von J.B. BAUER, Novellistisches, 135 (221), bestritten worden, der zwar auch der Meinung war, dass „die ganze Darbietung des zweiten Martyriums an allen Einzelheiten [zeige], daß sie erfunden ist“, dabei jedoch von mehreren Quellen ausgeht, aus denen „sich Hieronymus hat inspirieren lassen“ (a.a.O., 136). So stehe die Vergewaltigungsszene nicht etwa Apuleius, sondern Petron am nächsten (vgl. ibid.). Da der Textvergleich jedoch auch in diesem Fall „keine klar nachweisbare Abhängigkeit“ ergebe, so auch KECH, Unterhaltungsliteratur, 34, der sich auf Bauer beruft, müsse man sich mit der Feststellung begnügen, „Hieronymus habe unter sorgfältiger Vermeidung textidentischer Formulierungen die genannten Vorlagen zu Rate gezogen“. Auch die Schilderung des Gartens an sich müsse man zwar an solchen des hellenistischen Romans messen, Hieronymus gelinge es jedoch, „den ganzen Motivbestand dieser Beschreibungen in einen einzigen Satz zu fassen“ (BAUER, Novellistisches, 136 [222]). Auch die Schilderung des Gartens im Hohelied möge Hieronymus beeindruckt haben (vgl. z.B. Hld 4,12–5,1; 6,1–3). Dort, so BAUER, Novellistisches, 136 (222), werde „die Geliebte mit dem flos compi und dem lilium convallium verglichen“ (vgl. Hld 2,1), und vom Geliebten heiße es dort wiederholt, qui pascitur inter lilia (Hld 2,16; 6,2). Auch für das Zungenabbeißen am Ende der Erzählung ließen sich Vorbilder in nichtchristlichen Quellen erkennen (vgl. BAUER, Novellistisches, 136 [222]). Die erste Märtyrererzählung in der Vita Pauli (VP 3,1) erinnere laut BAUER, Novellistisches, 132 [218], u.a. an eine Novelle bei Apuleius, bei der ein ehebrecherischer Sklave damit bestraft werde, dass er an einen Baum voller Ameisen gebunden und mit Honig eingestrichen werde. 663
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seine Vita, dazu an dieser Stelle, ein? Hermann Weingarten (1877) nahm an, dass diese „sehr überflüssigen“ Märtyrergeschichten „ganz nach der Schablone der antiken Erotik, den Charakter mit Behagen ausgemalter raffinirter [sic] Lüsternheit“664 trage. Auch Grützmacher, der in seiner 1901 veröffentlichten Hieronymusbiographie wiederholt die „lüsterne Art des Hieronymus“ beklagte,665 meinte jene „alte Lüsternheit“ und „unreine Phantasie“ des Hieronymus an eben diesen Stellen besonders deutlich zu erkennen666. Grützmacher sprach von „grob-sinnlichen Erzählungen“, die, „mit den Elementen antiker Erotik getränkt“, den „Mönchen Ersatz für die sinnlichen Genüsse, die sie aufgegeben hatten“, waren. Gerade in dieser „pikanten Erbaulichkeit“ zeige sich Hieronymus in der Vita Pauli als Meister: „Mit schamloser Sinnlichkeit weiss [sic] er das Martyrium eines Jünglings zu schildern, der zur Hurerei verführt werden soll“667. Doch „wie gefährlich“, so Grützmacher, „musste eine solche Lektüre für die Mönche sein, wie musste ihre Phantasie vergiftet werden“668? Auch Richard Reitzenstein (1906) hatte auf den lasziv-erbaulichen Zweck der Erzählungen verwiesen, die Hieronymus erfunden habe „um seine fromme Wundergeschichte zu beleben“ 669 . Dabei habe Hieronymus „die mehr als schmutzige Geschichte sogar gegen den Zweck des Ganzen eingelegt, nur um auf diesen Kitzel für den Leser nicht zu verzichten“670. Selbst Kelly (1974) ist noch der Meinung, dass diese Anekdote als Äußerung sexueller Verdrängungsprozesse des Autors aufgefasst werden müsse: „[H]is obsession with sex comes out in the story, quite unnecessarily introduced but frankly related with relish, of the young martyr whose torture consisted in being intimately fondled by a beautiful harlot“671. Und auch Kech (1977) zweifelte an der moralischen Entrüstung des Hieronymus aufgrund der Beobachtung, dass „Spannung erzeugt wird, ja daß Hieronymus den Zeitpunkt der göttlichen Inspiration durch rhetorische Zuspitzung der ausweglos scheinenden Situation künstlich hinauszögert“672.
664
WEINGARTEN, Ursprung, 5. Vgl. GRÜTZMACHER, Hieronymus I, 252. Besonders mit Hinblick auf den Brief an Eustochium kam es Grützmacher „widerlich“ vor, wie Hieronymus „die junge adlige Römerin von siebzehn Jahren mit allem Schmutz und allen Lastern bekannt macht. Wie musste die Phantasie der Jungfrau vergiftet werden, wenn sie von all den schändlichen Praktiken erfuhr“ (ibid.). 666 Vgl. a.a.O., 253. 667 A.a.O., 162. 668 A.a.O., 163. 669 REITZENSTEIN, Wundererzählungen, 33. 670 Ibid. 671 KELLY, Jerome, 61. 672 KECH, Unterhaltungsliteratur, 32. 665
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Gegen diese Interpretationen richtete sich bereits Schade (1914). Er konzedierte zwar, dass man gewiss Anstoß nehmen könne an der in der Vita Pauli berichteten „Episode über einen der Verführung preisgegebenen Jüngling“673. Zweifellos habe hier jedoch nicht ‚schamlose Sinnlichkeit‘ die Feder geführt, „sondern die Idee, daß die Keuschheit auch durch das größte Opfer und das schmerzlichste Martyrium nicht zu teuer erkauft wird“ 674. Schades ebenso tendenziöse Gegendarstellung basiert sichtlich auf einer anderen Auffassung des Wesens und Charakters des Hieronymus im Allgemeinen. So betont er auch, dass Hieronymus’ Verkehr mit vornehmen römischen Matronen „in boshaft verleumderischer Weise ausgeschlachtet worden“ sei; wer aber die Schriften lese, so Schade, „die aus diesem Verhältnis hervorgingen oder es berühren, der kann sich des zwingenden Eindruckes nicht erwehren, daß hier alles edel und rein war, nicht getrübt durch den leisesten Hauch einer auch nur ganz im innersten Herzen sich regenden Unlauterkeit“675. Wo Hieronymus über seine eigenen Versuchungen berichte, spreche „ein so ergreifender Ernst, daß eine gesunde Phantasie sich nicht verletzt fühlen kann.“676 Beide Interpretationen erweisen sich als zu einseitig, denn die Märtyreranekdoten zu Beginn der Vita Pauli zeugen sowohl von erzählerischem Kalkül als auch von der Fähigkeit, Erotik narrativ überzeugend zu vermitteln. Damit lassen sie sich weder auf unterdrückte Triebe des Hieronymus reduzieren, die in schriftlicher Form ihr Ventil finden – als ein kurzer Moment der literarischen Selbstbefriedigung sozusagen –, noch trifft die von Schade verfochtene Reinheit, bei der „nichts Verfängliches“ bei Hieronymus zu erkennen sei, den Kern der Absicht des Hieronymus für diese Stelle. Nicht bestreiten lässt sich die unverkennbare Intention des Hieronymus, die Leser/innen mit seiner Erzählung zu fesseln. Die explizit erwähnten und für eine rein „sachliche“ Wiedergabe der Martyrien unnötigen Details (s.o.) malen selbstverständlich Bilder, von denen der Leser/die Leserin affektiv angesprochen wird. So lebhaft und sinnlich werden diese Szenen vor Augen geführt, dass die Absicht des Hieronymus, erotische Phantasien seiner Leserschaft zu stimulieren, kaum geleugnet werden kann. Doch nicht aus Lüsternheit und auch nicht nur zu Unterhaltungszwecken, d.h. „um auf diesen Kitzel für den Leser nicht zu verzichten“, und schon gar nicht „gegen den Zweck des Ganzen“677 baut Hieronymus diese Szenen ein, sondern vielmehr mit narrativer und theologischer Intention: „Moralische Entrüstung" wie Rebenich zu Recht betont,
673
SCHADE, Schriften, XXXII. Ibid. 675 Ibid. 676 Ibid. 677 REITZENSTEIN, Wundererzählungen, 33. 674
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„ist indes fehl am Platze.“678 Doch anders als Rebenich vermutet dienen diese Szenen zu mehr als nur zu dem Zweck, „die ‚fromme Wundergeschichte zu beleben‘ und dem Leser zusätzlich einen voyeuristischen Genuß zu verschaffen.“679 Wie bei den vielen anderen bereits genannten Stellen der Vita, so sind auch diese Szenen auf das Ziel des Hieronymus ausgerichtet, einen Heiligen darzustellen. Bewerkstelligt wird dies zunächst mit der Etablierung besagter Analogie von Martyrium und Wüstenaskese. Die Leiden der zwei Märtyrer sind nämlich keinesfalls mit Willkür gewählt. Vielmehr sind hier Szenarien dargestellt, welche die Askese des Eremiten geradezu paradigmatisch abbilden: In dem ersten Martyrium geht es um einen Jüngling, der sub ardentissimo sole zurückgelassen und von Mückenstichen (muscarum aculei) gepeinigt wird (VP 3,1). Die Folter durch Hitze und Insekten ist geradezu ein Vorgriff auf die harsche Lebenswelt der Wüste. Dabei wird das Schicksal des Jünglings sogar noch als weitaus schlimmer dargestellt, als die üblichen Methoden von „Folter(-pferd)“ und „[glühenden] Eisenplatten“ (eculeum laminasque), aus denen der Märtyrer, qui ignitas sartagines ante superasset, immerhin als uictor hervorging. In seinem späteren Brief an Eustochium betonte Hieronymus eben jene umgebungsbedingten Umstände einer Existenz in der uasta solitudo an erster Stelle seiner Aufzählung der eigenen Leiden in der „Einöde“ exusta solis ardoribus, die er als horridum habitaculum der Mönche beschreibt 680 ; und auch die „Gesellschaft von Skorpionen und wilden Tieren“ (scorpionum tantum socius et ferarum681) bleibt hier nicht unerwähnt.682 Insgesamt sind also mit der ersten Szene in VP 3 die durch die Umwelt verursachten Rahmenbedingungen des Wüstenmartyriums angesprochen. Der zweite Jüngling muss der Versuchung der Lust widerstehen. Mit dem Thema „Jungfräulichkeit“ ist nicht nur ein für monastische Literatur zentrales Leitmotiv zur Sprache gebracht, sondern vielmehr eine Wertvorstellung, die überhaupt „im Verlauf der Entfaltung der Alten Kirche zu einer zentralen 678
REBENICH, Hagiograph, 31. A.a.O., 31f. 680 Vgl. Hier., ep. 22,7,1 (CSEL 54, 152,15–17 HILBERG). 681 Hier., ep. 22,7,2 (CSEL 54, 153,8f. HILBERG). 682 In einer späteren Erzählung aus eremitischer Mönchsliteratur von Makarius dem Alexandriner nehmen die Stechmücken der Wüste sogar eine prominente Stelle ein (vgl. Pall., h. Laus. 18,4 [Vite dei Santi 2, 80,29–38 BARTELINK]): Aus der Selbstanklage, eine Mücke „aus Rache“ erschlagen zu haben (καταγνοὺς οὖν ἑαυτοῦ ὡς ἐκδικήσαντος ἑαυτόν), verurteilt sich Makarius dazu, sechs Monate nackt in einem Sumpf in der Wüste zu verweilen, „wo Stechmücken, die wie Wespen sind, sogar die Haut von Wildschweinen durchstechen können“ (ἔνθα οἱ κώνωπες καὶ συάγρων δέρματα τιτρώσκουσιν, ὡς σφῆκες ὄντες). Seine Verwundung nach sechs Monaten ist so ausgeprägt, dass man ihn überhaupt nur noch an der Stimme wiedererkennen konnte. 679
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christlichen Tugend und zwar für Männer und Frauen“683 geworden war. In dem Kampf gegen die sexuelle Lust kulminiert gewissermaßen der Kampf des Asketen gegen die leiblichen Bedürfnisse im Allgemeinen. Damit, so Speyer, schien Heiligkeit „vielen Christen gerade an die Bedingung der Jungfräulichkeit geknüpft zu sein.“684 Bereits in der Vita Antonii wird betont, dass die Versuchung der Lust eine Steigerung der Angriffe des „bösen Feindes“ (ὁ ἐχθρός) darstellt. Nachdem der Teufel nämlich mit seinen ersten Bemühungen gescheitert ist, Antonius durch die Erinnerung an seinen Besitz, die Sorge um seine Schwester, den Verkehr mit seiner Verwandtschaft, Geldgier, Ehrgeiz, die Lust auf Speise und durch all die anderen Freuden des Lebens die „Schwachheit des Körpers“ (ἡ ἀσθένεια τοῦ σώματος) vorzuführen und ihn somit von der Askese abzubringen685, setzt er gegen Antonius „die Waffen am Nabel seines Bauches“ (τὰ ἐπ’ ὀμφαλοῦ γαστρὸς ὅπλα686) ein, er gibt ihm „schmutzige Gedanken“ (λογισμοὶ ῥυπαροί687) ein und verwandelt sich schließlich des Nachts in eine Frau, um Antonius zu verführen688. Gerade die Versuchung durch den Teufel, der den Mönch des Nachts in Form einer Frau verführt, war ein beliebtes Motiv in monastischer Literatur: So wird z.B. in der Historia Monachorum in Aegypto von einem Mönch erzählt, zu dem der Teufel als wunderschöne Frau getarnt in seine Höhle flieht unter der Vorgabe, sich in der Wüste verirrt zu haben. Nach und nach erreicht der Teufel, dass sich der Mönch in die Frau verliebt. Nachdem der Mönch ihren Reizen verfällt und wie ein „Pferd, wild darauf, die Stute zu besteigen“ (θηλυμανὴς ἵππος689) erregt war, verschwindet die Frau und ein höhnisches Lachen erklingt in der Luft.690 Von einem anderen Mönch wird erzählt, dass seine Verführung durch böse Gedankenbilder (λογισμοί) so weit fortge-
683
Vgl. SPEYER, Kirchliche Heilige, 172. Ibid. 685 Vgl. Ath., v. Anton. 5,2 (SC 400, 142,4–11 BARTELINK): Καὶ τὸ μὲν πρῶτον ἐπείραζεν αὐτὸν ἀπὸ τῆς ἀσκήσεως καταγαγεῖν, ὑποβάλλων μνήμην τῶν κτημάτων, τῆς ἀδελφῆς τὴν κηδεμονίαν, τοῦ γένους τὴν οἰκειότητα, φιλαργυρίαν, φιλοδοξίαν, τροφῆς τὴν ποικίλην ἡδονήν, καὶ τὰς ἄλλας ἀνέσεις τοῦ βίου, καὶ τέλος τὸ τραχὺ τῆς ἀρετῆς, καὶ ὡς πολὺς αὐτῆς ἐστιν ὁ πόνος. Τοῦ τε σώματος τὴν ἀσθένειαν ὑπετίθετο, καὶ τοῦ χρόνου τὸ μῆκος. 686 Ath., v. Anton. 5,3 (SC 400, 142,17f. BARTELINK). 687 Ath., v. Anton. 5,4 (SC 400, 144,23f. BARTELINK). 688 Vgl. Ath., v. Anton. 5,5 (SC 400, 144,26–28 BARTELINK): Καὶ ὁ μὲν διάβολος ὑπέμενεν ὁ ἄθλιος καὶ ὡς γυνὴ σχηματίζεσθαι νυκτὸς καὶ πάντα τρόπον μιμεῖσθαι, μόνον ἵνα τὸν Ἀντώνιον ἀπατήσῃ. 689 H. mon. [Gr.] 1,34 (SHG 53, 21,18 FESTUGIÈRE). 690 Vgl. h. mon. [Gr.] 1,32–35 (SHG 53, 20,197–22,224 FESTUGIÈRE); Rufin, h. mon. I,4,1–8 (PTS 34, 262,303–264,340 SCHULZ-FLÜGEL). 684
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schritten war, dass es ihm schien, als läge die seinem Gedächtnis entsprungene Frau leibhaftig neben ihm.691 Der Eremit Apelles wehrt sich gegen den als Frau erscheinenden Teufel, indem er ihr mit einem glühenden Eisenstück ihr ganzes Gesicht und ihren Körper verbrennt.692 Theodoret von Cyrus berichtet von einem Jakobus, der Frauen mit Steinen bewerfen will, um sie von sich fern zu halten. 693 Palladius erzählt in seiner Historia Lausiaca von Pachon, dem ein Dämon begegnet, der sich in ein äthiopisches Mädchen verwandelt hatte. Das Mädchen setzt sich auf Pachons Knie und erregt ihn so stark, dass er glaubt mit ihr zu verkehren (νομίσαι με συγγενέσθαι αὐτῇ). Voller Wut schlägt Pachon den Dämon, woraufhin er sogleich verschwindet. Noch zwei Jahre danach konnte Pachon nicht den üblen Geruch seiner Hand ertragen.694 Dem Mönch Elias werden sogar von drei Engeln in einem Traum die Hoden abgeschnitten, um ihn von seiner Leidenschaft zu befreien, die ihm als geistlichem Vater eines Frauenklosters fast zum Verhängnis wurde.695 Mit dieser starken Ablehnung von Sexualität als Gefahr für christliche Frömmigkeit und Heiligkeit kommt der Szene des Gartenmartyriums in VP 3 bereits ein eigener, interner Zweck zu. Entscheidend ist dabei der Ausgang der Erzählung: Genauso intensiv wie der Leser/die Leserin mit in die Erotik der Szene hineingenommen wird, so abrupt wird er mit Ekel wieder aus etwaigen Lustgefühlen herausgerissen. Äußerst plötzlich nämlich wird mit der „rettenden“ Eingebung des Märtyrers, sich die Zunge abzubeißen und sie der Verführerin ins Gesicht zu spucken, das erotische Szenario beendet. Mit dem rhetorisch inszenierten Höhepunkt und seiner moralischen Ausrichtung zeigt sich die Erzählung als kleine abgeschlossene Predigt, die der Leserschaft ihre eigene sündige Lust vorführt: Beim Leser wird die Lust zunächst erzählerisch evoziert, die Erzählung erregt Lust im Leser. Und dann, in krasser Wende, mit einem Schlag, wird sie als solche entlarvt. Dem Leser wird seine Lust, wie die Zunge des Märtyrers gewissermaßen ins Gesicht gespuckt. Damit gibt sich erneut Kechs Prinzip der „szenischen Vereinzelung“ zu erkennen (s.o. II.2.3). Mit dem rhetorisch inszenierten Spannungsbogen der in sich ge-
691 Vgl. h. mon. [Gr.] 1,52 (SHG 53, 30,343–347 FESTUGIÈRE): [Κ]αὶ γὰρ θᾶττον ὁ νοῦς αὐτοῦ τοῖς λογισμοῖς ἐγκατέσκηψεν, ἡ μνήμη δὲ αὐτοῦ ὡσὰν συμπαρούσης γυναικὸς καὶ συνανακειμένης συνδιετίθετο, καὶ τὸ πρᾶγμα ἐν ὀφθαλμοῖς εἶχεν καὶ ὡς πράττων αὐτὸ διετέλει; Rufin, h. mon. I,6,11 (PTS 34, 270,463–466 SCHULZ-FLÜGEL). 692 Vgl. h. mon. [Gr.] 13,1 (SHG 53, 98,3–7 FESTUGIÈRE); Rufin, h. mon. XV,1,2 (PTS 34, 335,4–7 SCHULZ-FLÜGEL). 693 Thdt., h. rel. 21,25 (SC 257, 108,11f. CANIVET/LEROY-MOLINGHEN): ὁρῶ, ἔφη, δύο κατιούσας ἐκ τοῦ ὄρους γυναῖκας. Ἐγὼ δὲ τὸ ἄηθες δυσχεράνας καὶ λίθοις βαλεῖν ἐπιχειρήσας. 694 Vgl. Pall., h. Laus. 23,5 (Vite dei Santi 2, 130,38–44 BARTELINK). 695 Vgl. Pall., h. Laus. 29 (Vite dei Santi 2, 144,1–146,39 BARTELINK).
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III. Der heilige Paulus von Theben
schlossenen Szene wird in homiletischer Absicht, „unterhaltend-erbaulich“ zu einer theologisch moralischen Aussage geführt.696 Die moralische Aussage der kleinen Predigt entspricht durchweg den asketischen Vorstellungen des Hieronymus. Mit dem Thema der sexuellen Enthaltsamkeit ist vielleicht sogar eines seiner zentralen Anliegen überhaupt angesprochen. Besonders deutlich äußert er sich dazu in dem später verfassten Brief an Eustochium – „generally considered to be the finest expression of his ascetic doctrine“697. In dem Brief, den Kelly als systematische Entfaltung von Hieronymus’ „theory of sexuality“698 beschrieben hat, spricht Hieronymus auch sein eigenes Ringen mit der Leidenschaft während seiner Wüstenaskese an. Er erinnert sich oft an die Tänze der Mädchen (chori puellarum), wobei „in seinem kalten Körper der Geist mit den Sehnsüchten kochte“ (mens desideriis aestuabat in frigido corpore) und die Feuer der Wollust loderten (libidinum incendia bulliebant).699 Nur unter Tränen, im Gebet und durch wochenlanges Fasten sei Hieronymus in der Lage gewesen, das widerspenstige Fleisch (carnis repugnans) zu unterwerfen.700 Entsprechend schlägt sich dieser Kampf auch in der Darstellung seiner monastischen Helden nieder. Besonders die Vita Malchi ist exklusiv diesem Thema gewidmet. Hieronymus ermutigt damit „die Jungfrauen ihre Jungfräulichkeit zu bewahren“ ([u]irgines uirginitatem custodire exhortor 701 ). Deutlicher als anderenorts hebt Hieronymus dabei aber auch jenen Zusammenhang zwischen Keuschheit und Martyrium hervor: Der Protagonist flieht, weil er zur Heirat gezwungen werden soll, seine Keuschheit aber nicht preisgeben will.702 Im Kloster bändigt er zunächst den „Mutwillen des Fleisches“ (lasciuia carnis) mit Fasten. 703 Er gerät in Gefangenschaft und soll dort erneut zur Heirat gezwungen werden.704 Malchus jedoch will lieber sterben, als seine Keuschheit aufzugeben und wehklagt: Quid prodest parentes, patriam, rem familiarem contempsisse pro Domino, si hoc facio, quod ut ne facerem, illa contempsi?705 Das Verlassen von Eltern, Heimat und Vermögen hatte für Malchus keinen asketischen Wert an sich, zumindest aber zielten diese Verzichte alle auf das eine, höchste 696
Gegen WEINGARTEN, Ursprung, 5, der Hieronymus gerade hinsichtlich dieser Szene unterstellte, seine Absicht geschickt zu verhüllen, „nicht, möglichst erbaulich, sondern möglichst pikant zu sein“. 697 MILLER, Blazing body, 22. 698 KELLY, Jerome, 102. 699 Vgl. Hier., ep. 22,7,2 (CSEL 54,9–12 HILBERG). 700 Vgl. Hier., ep. 22,7,3 (CSEL 54,12–14 HILBERG). 701 Hier., v. Malchi 11 (SC 508, 210,3 MORALES). 702 Vgl. Hier., v. Malchi 3,1 (SC 508, 188,1–6 MORALES). 703 Vgl. Hier., v. Malchi 3,4 (SC 508, 190,14 MORALES). 704 Vgl. Hier., v. Malchi 4–6,2 (SC 508,192,1–196,14 MORALES). 705 Hier., v. Malchi 6,4 (SC 508, 198,22–24 MORALES).
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asketische Ziel der sexuellen Enthaltsamkeit. Entsprechend bleibt ihm nun nur noch der Märtyrertod als Alternative. Sein existentielles Ringen mündet in den Fragen: Quid agimus, anima? Perimus, an uincimus? Exspectamus manum Domini, an proprio mucrone confodimur?706 Malchus entschließt sich, sein Schwert gegen sich selbst zu richten, denn „der Tod [seiner Seele] sei mehr zu fürchten als der Tod seines Körpers“ (tua magis mors timenda est quam corporis707). Der Protagonist wird zwar letztendlich von seinem Vorhaben abgehalten, sein Märtyrerstatus ist damit jedoch keinesfalls in Frage gestellt. Die Erzählung betont vielmehr, dass der Märtyrertod überhaupt erst bei drohendem Verlust des hohen Ideals der Jungfräulichkeit notwendig geworden wäre. Habet et pudicitia seruanda martyrium suum708 – die Bewahrung der Keuschheit ist eine eigene und zwar vollkommen gleichwertige Form des Martyriums, so betont Hieronymus in der Vita Malchi. Ob im Tod oder in der Jungfräulichkeit, „in mir hast du einen Märtyrer“ (habeto me martyrem709), wie Malchus selbst betont. Dieser Zusammenführung von sexueller Enthaltsamkeit und dem Martyrium entsprechend sind die Widersacher der sexuellen Askese des Malchus „Verfolger“ (persequi), sein erfolgreicher Kampf gegen diese Opposition ist eine „Flucht“ (fugere).710 Die Aussage habet et seruata pudicitia martyrium suum 711 stellt einen Grundsatz des Hieronymus dar. Der Kampf um die sexuelle Enthaltsamkeit war für ihn geradezu Inbegriff des asketischen Kampfs, dessen vollkommene Form der Verwirklichung wiederum erst unter den harschen Bedingungen der Wüste zu erreichen war. Mit den Themen der „Wüste“ als Rahmenbedingung und der „Jungfräulichkeit“ als höchster Verwirklichungsform des asketischen Ideals repräsentieren die Martyrien in VP 3 die Kernaspekte des hieronymianischen Ideals der Wüstenaskese und damit die bereits genannten (s.o. III.1.6) wesentlichen Bedingung des Heiligwerdens: die Askese (versinnbildlicht durch die Jungfräulichkeit) und die Anachorese (versinnbildlicht durch die Wüste). Die Leiden der Märtyrer in VP 3 präfigurieren das Martyrium der Anachoreten. Gerade für dieses einleitende Kapitel 3 gilt also die Beobachtung Rebenichs: „[B]y means of the literary representation of the life of Paul of 706
Hier., v. Malchi 6,5 (SC 508, 198,25–27 MORALES). Hier., v. Malchi 6,5 (SC 508, 198,28 MORALES). 708 Hier., v. Malchi 6,5 (SC 508, 198,28f. MORALES). 709 Hier., v. Malchi 6,6 (SC 508, 198,33 MORALES). 710 Vgl. Hier., v. Malchi 3,1 (SC 508, 188,4–6 MORALES): Quantis pater minis, quantis mater blanditiis persecuti sint, ut pudicitiam proderem, haec res sola indicium est, quod et domum et parentes fugi; auch kurz vor seiner Entscheidung, den Märtyrertod selbst herbeizuführen, bezeichnet sich Malchus als martyr (Hier., v. Malchi 6,5 [SC 508, 198,30f. MORALES]). 711 Hier., ep. 130,5,3 (CSEL 56, 180,10 HILBERG). 707
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III. Der heilige Paulus von Theben
Thebes, Jerome transformed the bloody martyrdom of persecution into a bloodless martyrdom of asceticism“ 712 . Noch vor der Erzählung über den ersten Eremiten selbst ist das Eremitentum als solches als Spielart des Martyriums etabliert. Ihm kommt, zumindest strukturell, eine Gleichwertigkeit zu. Die Märtyrererzählungen in VP 3 fungieren demnach gewissermaßen als hermeneutischer Schlüssel für die Figur des Paulus und sein Handeln: Paulus, so ist damit also bereits angedeutet, ist eben kein Flüchtling vor dem Martyrium. Er ist als Wüstenasket ein Märtyrer. Ob als Märtyrer in der Arena oder in der Wüste – beide Schicksale enthalten die entscheidenden Merkmale getreuer Christusnachfolge. Entsprechend trifft auch der Protagonist der Vita eine solch freie Wahl: Sein Gang in die Wüste ist nicht etwa aus Furcht motiviert (s.o. III.4.6), sondern findet ganz im Sinne seiner Darstellung als prudentissimus adulescens statt. Indem diese Analogie bereits vorab von Hieronymus etabliert wird, gibt sich eben nicht, wie noch in der Vita Antonii, „the old debate about flight from persecution“713 zu erkennen. Paulus bereut seine Flucht nicht und Hieronymus bietet keine Apologie. Weder Bereuen noch Apologie sind hier jedoch nötig, denn die Flucht in die Wüste ist eine Flucht ins Martyrium. 5.10. Das vernünftige Martyrium und die logische necessitas Mittels der thematischen Ausrichtung der Märtyrerzählungen in VP 3 („Wüste“ und „Jungfräulichkeit“) etabliert Hieronymus eine gewisse Gleichwertigkeit zwischen „altem“ und „neuem“ Martyrium. Die Darstellungsweise der Martyrien deutet jedoch auf eine weitere Dimension hin. Unbestreitbar bleibt nämlich, dass den Erzählungen auch ein Unterhaltungswert zukommt. Hieronymus schildert den Verlauf der Martyrien keinesfalls mit sachlicher Distanz und beschränkt sich dabei auch nicht auf ihre wesentlichen Handlungsmomente. Mit blumiger Sprache und detaillierter Ausschmückung der Szenen zielt er vielmehr darauf, Gefühle wie Lust und Ekel zu evozieren. Damit aber reduziert er zugleich das Leiden von Christen in den Verfolgungszeiten, für das die Erzählungen schließlich beispielhaft sein sollen, auf geradezu frivole Anekdoten. Dahinter steckt durchaus eine Absicht, denn Hieronymus führt auf diese Weise über besagte Gleichwertigkeit hinaus und lenkt seine Leser/innen zu einem wichtigen Schluss mit Blick auf das in der Vita vertretene Heiligkeitsideal: Das „neue“ Martyrium in der Wüste ist nicht nur dem alten Martyrium in der Arena gleichwertig, es ist sogar dezidiert die bessere bzw. die vernünftigere Wahl – die Wahl eines Christen, der als prudentissimus gelten kann. Neben den u.a. mit Cyprian veranschaulichten guten Gründen 712 713
REBENICH, Ascetic hero, 26. ROUSSEAU, Ascetics, 134.
5. Das notwendige Martyrium des Heiligen
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für eine Flucht vor dem freiwilligen Märtyrertod bestärken also auch die Märtyrererzählungen die Einsicht, dass der Wüstengang dem Foltertod vorzuziehen ist. Anders als bei den Märtyrern der Verfolgungszeit läuft das Leben des Paulus nicht darauf hinaus, mit Honig beschmiert zu werden oder einer schönen Frau die eigene, selbst abgebissene Zunge ins Gesicht zu spucken. Sein Schicksal hat im Vergleich utilitas (s.o. III.5.4), sein „Leidensweg“ mit seiner Vollendung in erstarrter Gebetshaltung (VP 15,1) erscheint im Gegensatz würdevoll – eben ganz und gar nicht lächerlich. Der auf dieser Ebene erzeugte Kontrast zwischen den beiden Formen des Martyriums führt den Leser/die Leserin mit noch dringlicherer Notwendigkeit (necessitas) zu dem Schluss, dass die Entscheidung des Paulus zur Zuflucht in das eremitische Martyrium die einzig tragbare gewesen ist. Auf diese Weise erscheint Paulus, nicht etwa trotz, sondern gerade wegen seiner Flucht vor diesen minderwertigen Martyrien als überlegener Heiliger. 714 Auch in diskursiver Abgrenzung zum athanasianischen Antonius, der sich schließlich noch nach dem „alten“ Martyrium sehnt (und damit noch deutlicher in dem Zwiespalt von „alt“ und „neu“ steht715; s.o. III.5.8), ist Paulus also der „bessere“ Eremit.716 Dem Leser/der Leserin wird die Vernünftigkeit dieser Entscheidung zur Flucht vor dem einen Martyrium zugunsten einer Zu-flucht in ein anderes Martyrium nahegelegt. Auch diesbezüglich also handelt es sich keinesfalls um „sehr überflüssige“ Märtyrergeschichten zu Beginn der Vita, wie Her714 Bereits PLESCH, Originalität, 30, sah in den Märtyrererzählungen eine Rechtfertigung der Flucht des Paulus. Hieronymus, dem es daran gelegen sei, „seinen Helden ins hellste Licht zu setzten“, verfolge auch mit den Märtyrererzählungen das Ziel, „die Tugenden des Eremiten [zu] preisen und dabei alles Dunkle und Nachteilige ab[zu]streifen“. Laut PLESCH wolle Hieronymus sagen, dass Paulus zwar den „Tod durch das Schwert […] für den Namen Christi ertragen“ hätte; „aber Martern, die mit Erregung sündiger Fleischeslust verbunden waren […], Martern, die mehr die Seele würgten als den Leib […], durfte sich Paulus mit gutem Gewissen entziehen. […] Was Wunder, wenn der fromme, keusche Jüngling bei dem Gedanken schauderte eine ähnliche Todesart ertragen zu müssen und das Weite suchte.“ HOSTER, Form, 54, Anm. 9, bezeichnet die Meinung Pleschs als „wenig stichhaltig“, bietet dafür jedoch keinerlei Begründung. 715 Diese Beobachtung lässt sich auch an dem Aufbau der Vita Antonii festmachen. GEMEINHARDT, Passio Antonii, 97, der die Vita Antonii vor dem Hintergrund der Märtyrerakten und -passionen betrachtet, zeigt auf, dass und inwiefern man den ersten Teil der Vita Antonii (Kap. 1–46) sogar als passio bezeichnen könnte – „denn hier leidet Antonius; zwar behütet ihn im Prinzip Christus, dessen Passion er aber am eigenen Leibe nachahmen muss“ (a.a.O., 98). 716 Im Vergleich zur Vita Antonii lässt sich in der Vita Pauli also bereits eine gewisse Festigung einer Entwicklung erkennen, deren zwei „Etappen“ SPEYER, Kirchliche Heilige, 172f., folgendermaßen zusammenfasst: „Nach dem Sieg des Christentums betonte man zunächst noch die Gleichwertigkeit beider Formen der Heiligkeit. Bald aber überstrahlte der Asket alle übrigen Formen“.
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III. Der heilige Paulus von Theben
mann Weingarten behauptet hatte.717 Sie legitimieren nicht nur grundsätzlich Flucht und Anachorese, indem die Qualen der geschilderten Martyrien die eremitische Mühsal abbilden und so den Eremiten als Märtyrer erscheinen lassen, sie bestärken dazu auch die rationale necessitas der Entscheidung gegen das alte Martyrium, d.h. sie stützen den Eindruck, dass sich hinter der Flucht des Paulus tatsächlich eine necessitas verbirgt (bzw. dass sich Paulus geradezu „zwingend“ für das vernünftigere Martyrium entscheidet). Bezüglich der bereits in II.2.5 diskutierten These Susan Weingartens, dass sich die Vita Pauli durch Dreiergruppierungen auszeichne718, zeigt sich gerade an dieser Stelle eine Gruppierung, deren „third member of the triad sometimes differs and is often transcendent“719: Die zwei herkömmlichen Martyrien bilden mit dem Wüsten-Martyrium des Paulus eine Triade, wobei die von Weingarten betonte Steigerung in der dritten Instanz, d.h. in dem besseren Martyrium des Paulus, deutlich zu erkennen ist.720 In diesem Sinn kann dann auch von einer Flucht vor dem Martyrium die Rede sein: In III.2.2 ist festgestellt worden, dass, im Unterschied zu den anderen Viten des Hieronymus, der familiäre Hintergrund in der Vita Pauli nicht den narrativen Grund für die Anachorese des Paulus darstellt – Paulus flieht weder vor den Versuchungen des Reichtums und des Ruhms noch vor dem familiären Druck zur Verheiratung. Die „Negativfolie“ für die Flucht in der Vita Pauli sind vielmehr die dargestellten Martyrien selbst! Ähnlich wie der Reichtum, der Ruhm oder die Ehe ist der Foltertod in der Arena etwas, wovor geradezu geflohen werden muss (necessitas). Nur in diesem Sinn sind die Christenverfolgungen eine Bedrängnis (d.h. weil sie ohne utilitas und geradezu lächerlich sind), nicht jedoch, weil das Leiden für Christus vermieden werden soll. Neccesitas liegt demnach in Form eines Verbots des freiwilligen Martyriums vor und zugleich in Form rationaler Gründe, die mit geradezu zwingender Notwendigkeit für die größere utilitas des Gangs in die Wüste sprechen. Doch Hieronymus wird noch deutlicher, denn Paulus bleibt das herkömmliche Martyrium auch aufgrund einer handfesten Unmöglichkeit und somit einer logischen necessitas verwehrt. In der Darstellung des Vorgehens der Christenverfolger Decius und Valerian verweist Hieronymus in VP 2,2 auf Cyprian, der – als selbst einer, qui ab ipso passus est – behauptet habe, dass der listige Feind denjenigen Christen, die sterben wollten, es nicht gestattet habe, hingerichtet zu werden ([u]olentibus mori non permittebatur occidi). Hieronymus will damit zunächst auf die Grausamkeit der Christenverfolgung 717
Vgl. WEINGARTEN, Ursprung, 5. Vgl. WEINGARTEN, Saint’s saints, 75–77. 719 A.a.O., 76. 720 Allerdings bleibt gerade diese Dreiergruppe von Weingarten unerwähnt. 718
5. Das notwendige Martyrium des Heiligen
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hinweisen. Da Christen gelobt hatten, für den Namen Christi zu sterben (uoti tunc christianis erat, pro eo nomine gladio percuti; VP 2,1), zeuge es von besonderer Boshaftigkeit, ausgerechnet diesen Martyriums-willigen das erstrebte Schicksal zu verwehren. Hinsichtlich der Flucht des Paulus ist damit aber auch eine necessitas evident: Hätte Paulus den Märtyrertod gesucht, wäre er als Märtyrer erfolglos geblieben. Unter diesen Umständen wirkt die oben hervorgehobene freie Entscheidung des Paulus zu einer alternativen Form eines Martyriums jedoch noch beeindruckender. Paulus hätte kein Martyrium erleiden müssen, weil es faktisch gar nicht möglich gewesen wäre. Dennoch „flieht“ er in ein anderes Martyrium. Er lässt sich nicht von der „Listigkeit“ des Feindes abhalten. Fast, so scheint es, hat Paulus den listigen Feind damit selbst überlistet. Indem er das Martyrium umdeutet bzw. neu erfindet, erlangt Paulus das, was ihm als Willigem eigentlich verwehrt hätte bleiben sollen: ein vollwertiges Martyrium. Damit wird der Bogen zurück in die Lebensrealität der Leserschaft der Vita gespannt, denn auf gewisse Weise spiegelt die Erzählung hier die necessitas, in der sich die Leserschaft des Hieronymus, und natürlich auch Hieronymus selbst, befinden. Ein Martyrium in der Arena ist sowohl für Paulus als auch für Hieronymus und seine Leser/innen unmöglich geworden: Das Mailänder Edikt, wie auch Fuhrmann betont, „hatte den ursprünglichen Grundtyp des christlichen Heiligen, den Märtyrer, nahezu unmöglich gemacht“721. Die ethische, rationale und logische „Unmöglichkeit“ im Fall des Paulus ist zwar anders begründet als die historisch kontingente „Unmöglichkeit“ der Leser/innen, die Konsequenz ist jedoch in beiden Fällen die gleiche. Mit der necessitas ist also ein gemeinsamer Ausgangspunkt des Paulus und der Leserschaft des Hieronymus etabliert. Die necessitas als Ausgangspunkt bedeutet, dass jeder Christ/jede Christin sich entscheiden muss, „die Notwendigkeit in ein Wollen zu wenden“, wie Paulus es auch getan hat. In Anbetracht der Tatsache, dass ein Martyrium nicht mehr möglich ist, bleibt dem Christen, nach dem Vorbild des Paulus, die „Flucht“ in die Wüste. Der Eremit wird damit tatsächlich zum Vorbild für eine neue Zeit. Er ist anknüpfungsfähig aufgrund der vergleichbaren Rahmenbedingungen. Zwar wurden zu Hieronymus’ Zeiten nach wie vor auch die Geschichten der alten Märtyrer/innen erzählt. Doch mussten ihre Taten analog gedeutet werden, um sie auf die Lebenswirklichkeit der Adressaten zu übertragen: „[B]ishops narrated these stories of horror, wonder and heroism, and then told their congregations that they could themselves imitate the martyrs by abstaining from sex, or avoiding magical charms.“722 Die Geschichte des Paulus bedarf dieser Übertragung nicht. Sein Weg der Nachfolge und der Zeugenschaft für den christli721 722
FUHRMANN, Mönchsgeschichten, 54. GRIG, Making martyrs, 144.
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III. Der heilige Paulus von Theben
chen Glauben, sein Martyrium in der Wüste, ist für die Leser/innen eine plausible Option. Sein Gang in die Wüste ist literaliter Vorbild. Wie Paulus kann sich jeder Christ/jede Christin für ein „Martyrium“ in der Wüste entscheiden, da ein herkömmliches Martyrium für beide ohnehin nicht möglich ist.723 5.11. Fazit Im Blick auf die Darstellung des Paulus als Heiligen in der Vita Pauli führt die von Hieronymus geschilderte Flucht vor dem Märtyrertod zunächst zu zwei Fragen: 1. Ist es möglich, Paulus als Heiligen darzustellen, ohne dass er ein Martyrium erlitten hat? 2. Steht Paulus mit seiner Flucht vor dem Martyrium – zumal sie aus freiem Willen und in selbstbestimmter Manier begangen wird (s.o. III.4) – nicht sogar im Verdacht, einem lapsus oder traditor zu ähneln? Trotz mangelnder historischer Aktualität des Martyriums als existentieller Bedrohung für die intendierte Leserschaft der Vita bleiben die Fragen um das Martyrium von aktueller Bedeutung durch den diskursiven Kontext, der gerade im 4. Jahrhundert durch eine florierende „Produktion“ von Märtyrer/innen („making martyrs“) geprägt war. Verschiedene Aspekte des christlichen Diskurses um das Martyrium sind für die Interpretation der entsprechenden Positionierung des Hieronymus in der Vita Pauli entscheidend: Mit dem in der Vita erwähnten Cyprian ruft Hieronymus selbst eine prominente und wohl begründete Flucht vor dem Martyrium ins Gedächtnis. Cyprian fragte nach dem größeren Nutzen (utilitas) und erhob das Gewissen und die Redlichkeit des Handelns zum Maßstab für eine legitime und damit dem Martyrium durchaus gleichwertige Flucht. Richtungweisend für den hagiographischen Diskurs ist zudem eine bereits langwährende Tradition kirchlicher Verwerfung des freiwilligen Martyriums. Damit deutet sich für die Flucht des Paulus bereits eine gewisse Notwendigkeit (necessitas) an. Theologische Begründungen für die Ablehnung des „voluntary martyrdom“ wie auch der Verweis auf die menschliche Anerkennung des Willens und der Fügung (πρόνοια) Gottes bestätigen den Eindruck, dass das Handeln des Protagonisten einer gewissen Zwangsläufigkeit unterliegt. Die Verinnerlichung des ethischen Maßstabs eines gottgefälligen Martyriums in theologischem Denken zum „spiritual martyrdom“ erweist sich als Grundlage für die Übertragbarkeit des Märtyrerideals auf andere christliche Lebensformen. Mit der Bezeichnung von Bekennern, Jungfrauen und Asketen als „Märtyrer/in“ war der Weg zur Auffassung des Mönchs als „Nachfolger des Märtyrers“ bereitet. In der Vita 723 Vgl. ELLIOTT, Roads, 43: „Physical martyrdom had been possible for only a comparatively few Christians; the importance of the spiritual martyrdom of askēsis was that it represented a form of imitatio Christi open to all.“
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Antonii, der ersten Mönchsvita mit hagiographischer Ausrichtung, lässt sich diese Transition noch deutlich nachvollziehen: In Hinblick auf die offenkundige Intention des Athanasius, seinen Helden als heiligmäßiges Ideal darzustellen, stilisiert er Antonius in mehrerlei Hinsicht, besonders aber über den Dämonenkampf, als Märtyrer. Mit diesen theologischen Vorstellungen, Leitbildern und ihren jeweiligen Entwicklungsprozessen ist der hagiographische Diskurs zur Märtyrerthematik umrissen, innerhalb dessen und für den Hieronymus seine Vita Pauli verfasst. Dabei baut er zwar darauf auf, setzt jedoch durchaus auch eigene Akzente: Besonders im Unterschied zum apologetischen Umgang mit dem Martyrium des Athanasius in der Vita Antonii fällt auf, dass Hieronymus, der das Thema in den einleitenden Kapiteln VP 2 und 3 dezidiert anspricht, die Flucht seines Protagonisten nicht entschuldigt, sondern als alternativlose Willensentscheidung seines selbstbestimmten Protagonisten darstellt. Der Heiligkeit des Paulus schadet seine Flucht vor den in ihrer Darstellungsweise als „Negativfolie“ fungierenden Martyriumsszenarien des 3. Kapitels deshalb nicht, weil Paulus nicht vor dem Martyrium an sich flieht. Paulus ist nämlich Märtyrer. Dabei ist er nicht nur Märtyrer einer anderen, sondern sogar Märtyrer der „vernünftigeren“ Sorte. Die Flucht in der Vita Pauli schmälert das Ansehen des Protagonisten nicht, denn sie ist hier primär Zu-Flucht (con-fugere) hin zu etwas Besserem, zu einer Lebensform von größerer utilitas. Es handelt sich in der Vita Pauli also gar nicht um eine Flucht vor dem Martyrium, sondern, wenn überhaupt, um eine Flucht vor der necessitas, die in ein „Wollen“ gewendet wird. Necessitates geben sich dabei auf mehreren Ebenen zu erkennen: Die Selbstauslieferung zum Martyrium erweist sich als ethisch unvertretbar und wegen der Grausamkeit des Kaisers als logisch unmöglich. Die ohnehin nicht zum Tod führende Folter durch die Schergen des Kaisers wäre – den geschilderten Martyrien zufolge – geradezu lächerlich und nur wenig ruhmreich ausgefallen. Eine Selbstauslieferung hätte sich demnach auch aus diesem Grund als höchst unvernünftig erwiesen – vor allem in Anbetracht der besseren Alternative, die als spiritual martyrdom auf allen entscheidenden Ebenen dem herkömmlichen Martyrium entspricht. Die strukturelle Gleichwertigkeit von neuem und altem Martyrium deutet Hieronymus in den einleitenden Beispielmartyrien selbst an. Insgesamt zeigte sich damit, dass das kontroverse Kapitel 3 der Vita Pauli durchaus wichtige Funktionen erfüllt, und zwar zur Deutung der Flucht des Paulus (in ein anderes Martyrium), seines Aufenthalts in der Wüste (als Martyrium) und, in Konsequenz, seiner Person (als Märtyrer und somit als Heiliger). Als freiwilliger Wüstenmärtyrer personifiziert Paulus in mehrerlei Hinsicht das Heiligkeitskonzept des Hieronymus: 1. Paulus ist heilig, weil er tatsächlich Märtyrer ist. Als Märtyrer verwirklicht er die entschlossenste Form christlicher Nachfolge und entspricht damit dem auch für Hieronymus noch gültigem Leitbild eines Heiligen. 2. Paulus ist heilig, weil er mit freiem Wil-
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III. Der heilige Paulus von Theben
len (uoluntas) sein Martyrium erwählt und damit selbstbestimmt und aktiv auf sein Heil hinwirkt. 3. Paulus ist heilig, weil er eben jene zwei zentralen Werte bzw. Maßstäbe für Heiligkeit des Hieronymus konfliktfrei in seiner Person zusammenführt: Paulus ist „freiwilliger Wüstenmärtyrer“. Sein freiwilliges Wüstenmartyrium ist jedoch kein „voluntary martyrdom“ im Sinne von De Ste. Croix, denn sowohl theologische, ethische, rationale und logische necessitates „zwingen“ zugleich zum Weg in die Wüste. Der Heilige des Hieronymus zeichnet sich also auch in dieser Hinsicht dadurch aus, dass er willentlich, wissentlich und ohne ethische oder theologische Konflikte tut, was notwendig ist.
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Ertrag Paulus von Theben ist der erste Eremit. Mit dieser Aussage ist zweifellos die zentrale These der Vita Pauli wiedergegeben. Ausdrücklich wird sie im Prolog thematisiert. Dort fragt Hieronymus nach dem principium des Wüstenmönchtums, diskutiert andere vermeintliche Gründerfiguren (Elia, Johannes den Täufer, Antonius) und führt autoritative Zeugen für seine Behauptung an. Doch mit dem Anliegen des Hieronymus, Paulus als princeps rei istius zu präsentieren, ist kaum seine einzige Intention für die Vita Pauli genannt. Bereits ein Blick in Aufbau und Struktur der Vita lassen andere Schwerpunkte erkennen (s.o. II.2). So fällt auf, dass sich die Vita Pauli nur äußerst spärlich mit dem Leben des Paulus auseinandersetzt. Mit nur einem Satz ist das „Wenige“ über die Herkunft des Paulus gesagt (VP 4,1), über sein Leben in der Wüste habe „kein Mensch“ etwas erfahren (VP 1,4) und der Bericht über den greisen Paulus beschränkt sich auf das Geschehen eines einzigen Tages (VP 9–12). Einzig die Fluchtgeschichte des Paulus (VP 4f.) stellt den Namensträger der Vita exklusiv in den Mittelpunkt der Handlung. Größtenteils besteht die Vita aber aus einer Abenteuergeschichte des Antonius, die zwar nur neun Tage aus dem Leben des Antonius umfasst, sich aber über ganze 10 Kapitel der Vita (VP 7–16) erstreckt (s.o. II.2.1). Das Verhältnis von erzählter Zeit und Erzählzeit dieser Begegnungsgeschichte steht dabei im deutlichen Kontrast zur Dauer der erzählten Zeit von über 113 Jahren in der Vita insgesamt, die sich in Bezug auf das Leben des Paulus jedoch nur auf wenige Segmente von äußerst komprimierter Erzählzeit beschränkt (s.o. II.2.2). Die Abenteuergeschichte unterscheidet sich zudem von den Erzählabschnitten über das Leben des Paulus durch ihre präzise relative Chronologie: Während über die einzelnen Tage der Wüstenwanderung des Antonius geradezu akribisch Buch geführt wird (s.o. II.3.1), lassen sich die Stationen im Leben des Paulus nur vage zuordnen (s.o. II.3.2). Mit diesen Beobachtungen zu Chronologie und Aufbau erhärtete sich der Eindruck, dass die Vita Pauli weder Biographie im Sinne einer „Lebensbeschreibung“ des Paulus ist noch eine systematische Beweisführung der im Prolog aufgestellten These darstellt. Tatsächlich gerät die Frage nach dem chronologischen Primat des Paulus im Verlauf der Erzählung sogar eher in den Hintergrund. Hieronymus unterhält seine Leser/innen vielmehr mit einer spannenden Abenteuerreise durch die Wüste; er belehrt und erbaut sie dabei mit einzelnen
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Ertrag
in sich geschlossenen Erzählabschnitten, die in „szenischer Vereinzelung“ kleine Predigten darstellen (s.o. II.2.3), er fesselt mit ausgefeilter Rhetorik und erfreut mit hohem Stil und literarischen Anspielungen. Nicht zuletzt erreicht der Autor sein an christlicher Askese interessiertes Publikum durch die Anknüpfung an die bereits bekannte Figur des Antonius (s.o. II.4.2), und gerade in der Auseinandersetzung mit Antonius zeigt sich besonders deutlich, dass die chronologische Frage für Hieronymus eben nicht von primärer Bedeutung ist. Deutlich ist vielmehr, dass Hieronymus mit Paulus einen besseren Eremiten darstellen will (s.o. III.1.4). Die umfangreiche Beschäftigung mit Antonius in der gesamten Vita spielt diesem Ziel stets zu. Die lange Reise des Antonius ist einzig durch die göttliche Ankündigung eines multo melior motiviert (s.o. II.2.6), und auch sonst ist das Handeln des Antonius auf Paulus ausgerichtet: Paulus’ Vorrang wird von Antonius nie in Frage gestellt und während Antonius – mit seiner Reise durch die Wüste – noch auf der Suche nach Vervollkommnung ist, ist Paulus bereits „in paradiso“, so der Kern des Vergleichs. Paulus ist für Hieronymus also mehr als nur der erste Eremit. Er ist vielmehr Vorbild und Ideal (s.o. III.1.6). Diesem Ideal gibt Hieronymus auch einen Namen: Paulus, so Hieronymus, ist sanctus (VP 16,7). Wo sanctus drauf steht, steckt zwar nicht unbedingt „heilig“ drin. Die Vita Pauli gibt aber genügend Anlass zu der Annahme, dass es Hieronymus mit der Figur des Paulus tatsächlich um die Darstellung eines Heiligen geht. Mit der Feststellung, dass in der Vita Pauli ein Heiligkeitsideal vermittelt wird, lässt sich die Vita als hagiographischer Beitrag des Hieronymus einordnen. Die damit vertretene Auffassung von „Hagiographie“ richtet sich gegen eine in früherer Forschung häufig anzutreffende Beschränkung auf Gattungsfragen (s.o. I.2.1). Hagiographie, so der der hier implementierte Ansatz, erweist sich als solche nicht aufgrund bestimmter Formmerkmale, sondern einzig durch die Rede von Heiligem, die wiederum stets diskursiv etabliert und eingebunden ist. Als hagiographisch gilt, was sich implizit oder explizit an einem diskursiven Prozess zur Förderung und Verbreitung bestimmter Vorstellungen von Heiligkeit beteiligt. Dieser Ansatz ist besonders für eine Auseinandersetzung mit der Vita Pauli als Hagiographie von Bedeutung, da sie sich nur schwer, wenn überhaupt als Biographie in formaler Hinsicht einordnen lässt (s.o. II.2 und II.3). Mit der Auffassung von Hagiographie als Diskurs ist zugleich eine gewisse Herangehensweise zur Untersuchung der Vita Pauli vorgegeben. Die Frage nach der Darstellung eines Heiligen in der Vita Pauli stellt sich als Frage nach der Einbindung der Vita in ihren hagiographischen Diskurs. Hieronymus vermittelt seinem Publikum einen Heiligen, weil er Vorstellungen des ihm und seinen Leser/innen gemeinsamen Diskurses aufnimmt. Entsprechend ist die breite Rezeption der Vita in christlichen Kreisen nicht zuletzt auch auf ihre „hagiographische Plausibilität“ zurückzuführen, die sich als „erfolgrei-
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che“ Partizipation am hagiographischen Diskurs ihrer Zeit deuten lässt (s.o. I.2.2). Als Grundlegend für den hagiographischen Beitrag des Hieronymus wurde zunächst die Tatsache herausgestellt, dass Paulus bereits als vollkommener Eremit die für Hieronymus zentralen Merkmale eines Heiligen aufweist: Paulus ist 1. radikaler Asket und 2. bedingungsloser Anachoret (s.o. III.1). Diese zwei Grund-Ideale werden mit der Darstellung der Herkunft des Paulus (s.o. III.2) um wichtige Aspekte ergänzt. Mit der Betonung, dass Paulus mit seiner Anachorese keine familiären Verantwortungen vernachlässigt, umgeht Hieronymus für seinen Helden ein im monastisch-hagiographischen Diskurs durchaus brisantes ethisch-theologisches Spannungsfeld. Das von Paulus verwirklichte Heiligkeitsideal der Anachorese erscheint in der Vita Pauli in ungetrübtem Licht. Der princeps monachorum geht „konfliktfrei“ in die Wüste (s.o. III.2.4). Der auffällige Kontrast zwischen der minimalistischen Ausschmückung der Kindheit und Jugend des Paulus und der detaillierten Charakterisierung des greisen Paulus ließ eine weitere hagiographische Schwerpunktsetzung des Hieronymus erkennen: Anders als in der Vita Antonii z.B. werden Kindheit und Jugend nicht als Beleg für eine von Anbeginn angelegte Heiligkeit des Protagonisten angeführt. Hieronymus scheint sich Heiligkeit vielmehr als etwas vorzustellen, was im Menschen entstehen kann bzw. entstehen muss! Der Heilige ist nicht als Heiliger geboren, sondern wird durch seine Taten und Entscheidungen zum Heiligen (s.o. III.2.1). Paulus verkörpert damit auch nicht etwa das oft anzutreffende Ideal des puer senex, bei dem die „reife“ Kindheit die Heiligkeit eines Heiligen präfiguriert. Hieronymus betont vielmehr das am Ende des Lebens Erreichte, das sich in Form eines „jugendlichen“ Greisenalters zeigt. Durch die Erniedrigung, die mit den wesentlichen „Taten“ für die Heiligkeit eines Heiligen – der Anachorese und der Askese – erreicht wird, ist das im Matthäusevangelium angemahnte „Kind-Werden“ angestrebt. Entsprechend ist das Ideal der Heiligkeit eben nicht bereits in der Herkunft des Heiligen verwirklicht, sondern zeigt sich erst in der eschatologisch ausgerichteten Erscheinung des kindlichen Greises (s.o. III.2.5). Mit der Darstellung des Paulus als Gebildeten, der seine Bildung in der Anachorese hinter sich lässt (s.o. III.3), bestätigten sich zwei der bereits genannten Prinzipien der Heiligkeitsvorstellung des Hieronymus: Zunächst zeigt die Tatsache an sich, dass Paulus eine Bildung (im Sinne einer „werdenden Entrohung“ [e-ruditus]) genossen hat, erneut, dass Hieronymus ein „Entwicklungsmodell“ von Heiligkeit vertritt. Der Heilige kann – auch durch Bildung – zum Heiligen werden. Gerade hier stellt sich ein zentraler Unterschied zur Vita Antonii heraus: Während Paulus sich entwickelt (d.h. eruditus ist), ist die Askese bei Antonius ein Mittel, um so zu bleiben (d.h. aplastos – unverbildet), wie er von Anbeginn ist (s.o. III.3.7).
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Darüber hinaus ist mit Blick auf das Thema Bildung auch das von Hieronymus vertretene hagiographische Prinzip des „konfliktfreien Heiligen“ bei Paulus verwirklicht. Anders als Hieronymus selbst zieht sich Paulus nämlich ohne Bücher in die Wüste zurück. Damit hält sich der Autor, der selbst sein Leben lang mit seiner Vorliebe für pagane Bildungsgüter gerungen hat, mit seinem idealisierten Heiligen zunächst selbst einen Spiegel vor (s.o. III.3.6). Doch Paulus wird in der Wüste nicht etwa zum „wilden“ Ungebildeten. Indem er in rhetorisch „schöner“, d.h. „gebildeter“ Rede, Worte der Frömmigkeit äußert, die allesamt biblisch fundiert sind, verwirklicht Paulus vielmehr das von Hieronymus vertretene Ideal einer Bildung, die einzig im Dienst des Glaubens steht. Paulus hat einen gebildeten Glauben, entzieht sich jedoch durch seinen radikalen Bruch mit der Welt (zusammen mit allen „gebildeten“ Aktivitäten, die eine Verbindung zur Welt herstellen und aufrecht halten würden, wie z.B. das Schreiben von Briefen, die Lehre, Streitgespräche oder die Lektüre paganer Literatur) zugleich den mit einer Bildung (die leicht zur „Einbildung“ werden kann) einhergehenden Gefahren. Auch hier gibt sich also zu erkennen, dass sich Heiligkeit für Hieronymus durch eine Harmonisierung von Spannungen auszeichnet: Paulus ist weder trotz seiner Bildung noch dezidiert wegen ihr heilig. Seine Heiligkeit zeigt sich vielmehr in der Aufhebung dieser Spannung in seiner Person: Als christlich Gebildeter auf ideale Weise vereint Paulus die Ideale beider Pole, ohne dass dabei auch nur der Schein eines Konflikts bestehen bliebe. Das Gebildetsein und das Lassen von Bildung sind in dem von Hieronymus gezeichneten Heiligen auf vollkommene Weise in Einklang gebracht (s.o. III.3.8). Mit der Flucht des Paulus in die Wüste, die nicht etwa aus Furcht erfolgt, sondern vielmehr dem freien Willen des als prudentissimus charakterisierten Heiligen entspringt (s.o. III.4), konnten weitere Aspekte des hieronymianischen Heiligkeitsideals verdeutlicht werden. Das auf die Taten eines Heiligen gerichtete hagiographische Interesse des Hieronymus stützt sich auf der anthropologischen Annahme eines freien Willens (s.o. III.4.5). Zusammen mit der Fähigkeit der Erkenntnis, die den Weg der christlichen Tugend als den besseren, d.h. sich lohnenderen, begreift, wirkt der hieronymianische Heilige tatkräftig und selbstbestimmt auf sein Heil hin, weil er es kann (effectus), weil er es aufgrund einer Erkenntnis (intellegere) will (uoluntas), und letztlich, mit Blick auf den Aspekt der himmlischen Belohnung, sogar geradezu muss (necessitas). Der christliche Heilige ist bei Hieronymus also gerade deshalb heilig, weil er „Notwendigkeit“ aktiv in ein „Wollen“ verwandelt (d.h. „aus der Not eine Tugend macht“). Er ist heilig, weil er will und tut, was er muss (s.o. III.4.6). Die Flucht des Paulus ist eine eben solche gewollte/notwendige Entscheidung und somit die Tat eines Heiligen. Notwendig ist sie dabei auch mit Blick auf den zentralen hagiographischen Aspekt des „Werdens“ eines Heiligen. Da der Heilige nicht unbedingt von Anbeginn heilig ist, sondern durch
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entsprechende Taten überhaupt erst zum Heiligen wird, ist der asketische Weg der kontinuierlichen Anstrengung und Besserung zentral. Askese ist bei Hieronymus also Ausdruck einer Willens-orientierten Übung des als richtig erkannten Wegs. Dieser richtige Weg beginnt mit dem Gang in die Wüste, denn der Wüstenaufenthalt ist für Hieronymus geradezu grundlegend für das asketische Wirken des Heiligen auf sein Heil hin. Mit dieser richtungsweisenden Entscheidung des Paulus ist also die erste Grundbedingung für die Entstehung seiner Heiligkeit erfüllt. Dass es sich bei der Flucht des Paulus um eine Flucht vor den Christenverfolgungen handelt, schadet der Heiligkeit des Helden in keiner Weise, denn Paulus flieht dabei nicht vor dem Martyrium an sich (s.o. III.5). In seiner lebenslänglichen Wüstenaskese ist Paulus vielmehr ein Märtyrer. Mit den als „Negativfolie“ fungierenden Martyriumsszenen in VP 3 zeigt Hieronymus zudem, dass Paulus nicht nur ein anderes, sondern sogar das bessere Martyrium wählt. Seine Flucht ist also nicht Flucht vor dem Martyrium, sondern höchstens Flucht vor der necessitas, die er jedoch aktiv zu einem „Wollen“ verwandelt. Necessitates geben sich dabei auf mehreren Ebenen zu erkennen: Die Selbstauslieferung zum Martyrium erweist sich im Sinne eines „freiwilligen Martyriums“ als ethisch und theologisch unvertretbar (s.o. III.5.5) und wegen der Grausamkeit des Kaisers als logisch unmöglich. Die ohnehin nicht zum Tod führende Folter des Kaisers wäre zudem – den geschilderten "Martyrien" zufolge – geradezu lächerlich ausgefallen. Eine Selbstauslieferung hätte sich demnach auch aus diesem Grund als höchst unvernünftig erwiesen – vor allem in Anbetracht der besseren Alternative, die als „spiritual martyrdom“ auf allen entscheidenden Ebenen dem herkömmlichen Martyrium entspricht (s.o. III.5.6-8). Die strukturelle Gleichwertigkeit von neuem und altem Martyrium wird in den Beispielmartyrien zur Einleitung aufgezeigt (s.o. III.5.9): Damit erfüllt das kontroverse Kapitel 3 der Vita Pauli durchaus wichtige Funktionen, und zwar zur Deutung der Flucht des Paulus in ein anderes Martyrium, seines Aufenthalts in der Wüste als Martyrium und, in Konsequenz, seiner Person als Märtyrer und somit als Heiliger (s.o. III.5.10). Als freiwilliger Wüstenmärtyrer ist Paulus demnach in dreifacher Hinsicht ein Heiliger im hieronymianischen Sinne: 1. Paulus ist heilig, weil er tatsächlich Märtyrer ist. Als Märtyrer verwirklicht er die entschlossenste Form christlicher Nachfolge und entspricht damit dem auch für Hieronymus noch gültigen Leitbild eines Heiligen. 2. Paulus ist heilig, weil er in freiem Willen (uoluntas) sein Martyrium erwählt und damit selbstbestimmt und aktiv auf sein Heil hinwirkt. 3. Paulus ist heilig, weil er eben jene zwei zentralen Werte bzw. Maßstäbe für Heiligkeit des Hieronymus konfliktfrei in seiner Person zusammenführt: Paulus ist „freiwilliger Wüstenmärtyrer“. Sein freiwilliges Wüstenmartyrium ist jedoch kein „voluntary martyrdom“ im Sinne De Ste.
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Croix’, denn sowohl theologische, ethische, rationale und logische necessitates „zwingen“ zugleich zum Weg in die Wüste. Der heilige Held des Hieronymus zeichnet sich also erneut eben dadurch aus, dass er willentlich, wissentlich und ohne ethische oder theologische Konflikte tut, was notwendig ist. Insgesamt lassen sich die Erkenntnisse der vorliegenden Untersuchung zur Darstellung eines Heiligen in der Vita Pauli zu einigen Grundaspekten einer hieronymianischen Vorstellung von Heiligkeit destillieren: 1. Hieronymus vertritt ein „Entwicklungsmodell“ des Heiligen. Der Heilige ist nicht von Anbeginn heilig, er wird vielmehr durch seine Taten zum Heiligen (entsprechend ist der „jugendliche Greis“ im irdischen Leben das Ziel menschlicher Heiligkeit, wobei Heiligkeit insgesamt eschatologisch ausgerichtet bleibt: Erst mit bzw. nach dem Tod ist sie vollkommen vollkommen.) 2. Das Entwicklungsmodell von Heiligkeit wird ermöglicht durch die Annahme einer anthropologischen Grundausstattung mit einem freien Willen und der Fähigkeit zur Erkenntnis des richtigen Wegs. 3. Der Heilige zeichnet sich dabei eben durch sein tatkräftiges Handeln aus: Er tut, was er als richtig erkennt, was er will und was er muss. 4. Der von Hieronymus gezeichnete Heilige ist ein konfliktfreier Heiliger. Er ist eben wegen seiner Harmonisierung ethischer, theologischer und existentieller Spannungen bereits in paradiso. Als metasprachliche Übertragung der Bedeutung von Heiligkeit in der Vita Pauli kommt dieses Destillat der von Colpe geforderten Erhebung eines „Logos“ aus den beobachteten und diskursiv etablierten Phänomenen nach (s.o. I.1). Es ist das Ergebnis einer Untersuchung der Darstellung eines Heiligen in der Vita Pauli, wie sie Hieronymus als Teilnehmer und Gestalter eines spätantiken Diskurses um christliche Leitbilder und Vorstellungen von Heiligkeit seinen (ebenso an diesem Diskurs partizipierenden) Leser/innen geboten hat. Mit Blick auf die in I.2 diskutierte Bedeutung von „Hagiographie“ hat die vorliegende Untersuchung also aufgezeigt, wie Hieronymus einen „Heiligen schreibt“. Zwar ist damit keinesfalls eine Aussage über das Wesen christlicher Heiligkeitsvorstellungen an sich getroffen, die vorliegende Analyse eines Beitrags zum christlichen hagiographischen Diskurs der Spätantike (von nicht unerheblicher hagiographische Plausibilität) bietet jedoch einen Baustein in der wissenschaftlichen Diskussion um die Frage, was Heiligkeit im Denken und Glauben des spätantiken Christentums bedeutet hat.
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2. Ausgaben und Übersetzungen der Vita Pauli Bibliographische Angaben in den Anmerkungen verweisen auf den Namen des Autors (ggf. des Herausgebers) und einen aus dem Titel des jeweiligen Beitrags abgeleiteten Kurztitel (in den folgenden Verzeichnissen kursiv gedruckt). In wenigen Ausnahmen ist ein Kurztitel gewählt worden, der nicht dem Wortlaut des Titels entspricht. In diesen Fällen wird auf den Kurztitel in eckigen Klammern hinter der bibliographischen Angabe verwiesen. EWALD, Marie Liguori (Übers.), Life of St. Paul, the First Hermit, in: Roy J. Deferrari (Hg.), Early Christian Biographies (The Fathers of the Church 15), New York 31981 (1952), 225–238.
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Register
Register 1. Stellen Acta Marcelli 4,3
212
Acta Proconsularia sancti Cypriani 1 214 Ambrosius De virginibus I,2,9 I,3,10
222 221
Aristoteles Ars rhetorica III,14
94
Athanasius Vita Antonii
Proöm.,1 Proöm.,3 Proöm.,5 1,1 1,2
5f., 27, 50, 73, 79, 90, 96f., 101–103, 107–109, 111–113, 121, 125, 130, 132, 134–136, 141, 143, 146, 162–165, 171f., 179, 181–183, 187, 190, 195, 198, 205, 222, 225–227, 234, 238f., 243, 247, 251, 253, 258f., 261, 265 113 113 103 125, 133, 144, 163 125, 163
1,3 1,4 2,1 2,2f. 2,4 2,5 3,1 3,2 4 4,1f. 5 5,1 5,2–5 6 7,2 7,4 7,13 8 8,1 8,2f. 9,8 10,1–3 11 11,1f. 12 13,2 14 14,2 14,3f. 14,7 15,3 16–43 16,1 18f. 19,5 22,2 28,3–5
125, 142, 172 142 72, 132, 134 134 133f., 181, 190 134, 181 112, 181 113, 181 113 133 182 181 234 182 182 111, 182 103 224 112 223 223 190, 224 112 113 112 182 112 107, 224f. 225 107f. 107 112, 164 163 226 226 182 182
267
1. Stellen 41,4 44 45 45,1 46 46,2 46,6 47 47,1 48 49,2–4 51,1 54,8 55 56,1 57f. 60 61 63f. 65f. 66,2 71 72–80 72,1 72,3 73,3 73,4 74,2 77,1 81,5f. 86,2 87 89,3 91,1 91,8 92,2
108 107, 112 226 227 223 222 222f. 226 223 112 112 112 136 112 226 112 97, 102 112 112 102, 182 165, 173 112 112, 164 164 163 164, 172 165 163 163 164 164 112 68 50, 109 103 109
Apologia de fuga sua 11–20 215 12 216 16f. 216 24 215f. 25 216
Breviculus conlationis cum Donatistis III,13,25 204 Brief der Gemeinden von Lyon und Vienne (= Eus., h. e. V) 1,7–9 49 1,14 49 2,2–4 202 Cicero De Inventione I,20 I,23 I,34 I,35
94 95 131f. 131, 149f.
De Oratore I,1
156
Clemens von Alexandria Stromata IV,14,3 IV,15,3 IV,17,1f.
220 220 214
Cyprian Briefe Ep.10,4,4 Ep.14,1,2 Ep.20,1,2 Ep.56,2,2 Ep.57,1,1 2,2f. 4,3
224 210 211 67, 211, 228 203 203 218
De Lapsis 3
217 211
De Mortalitate 17
217f.
Augustinus Confessiones I,18[28] IX,2[2]
161 162
Epiphanius von Salamis Panarion/Adversus haereses
268 I,29,5,1–3
Register 99
Eugippius Epistola ad Paschasium 7 125 Euseb von Cäsarea Historia Ecclesiastica 96–98, 188, 207f. II,16,2 99 II,16,2–17,24 98 II,17,8f. 99 II,17,9 99 II,25 207 II,25,2 207 II,25,4 207 II,25,5–8 208 IV,16,1 208 VI,5,4 229 VI,9,6 97 VI,10,1 98 VI,42,2 188 VI,43,1 203 VIII,14 208
60 61 63f. 65f. 71 72 72–80 73 74 77 81 86 87 91 92
97, 102 112 112 102 112 163f. 112, 164 165, 172 163 163 164 164 112 103, 110 109f.
Gregor der Große „Vita Benedicti“ Prol.,1
143
Gregor von Nazianz Funebris in laudem Basilii Magni (or. 43) 5 220f. 6 213
Evagrius Hieronymus
Vita Antonii Proöm. 1 2 3 4 5 8 11 13 14 16–43 17 44 48 49 55 57f.
5f. 5 133, 144, 163 72, 132–134 113, 135 113 135 103 113 182 108, 112 112, 164 195 112 112 112 112 112
Adversus Iovinianum 150 I,3 191 II,22 191 II,3 192 Apologia adversus libros Rufini I,16 157 I,30 153, 158 II,29 157, 159 III,6 159 Briefe Ep.2 (ad Theodosium et ceteros anachoretas intrinsecus commorantes) 196 2,1 72 2,2 73, 196, 198 2,3 73
269
1. Stellen 2,4
73
Ep.3 (ad Bonosum) 3,3,1, 196 3,4,2 119 3,5,3 191 Ep.5 (ad Florentinum) 5,1,1 170 5,2,2 170 5,2,4 170 Ep.6 (ad Iulianum) 6,2,1f. 140 6,2,2 191 Ep.7 (ad Chromatium et al.) 7,3,2 191 7,4,1 140 Ep.8 (ad Niceam Hypodiaconum Aquileiae) 170 Ep.10 (ad Paulum senem Concordiae) 10,2,2 80, 147 10,2,3 147, 191 10,3,1 80 10,3,2 80, 170 10,3,3 80, 147 10,3,3 1, 82, 85 Ep.12 (ad Antonium) 12,1,1 149 Ep.14 (ad Heliodorum) 119 14,2,3 120 14,3,1 138 14,3,2f. 139 14,3,3 139 14,3,4 139 14,5,2 118 14,7,1 120 14,7,2 120 14,10,2 120 14,10,3 118 14,10,4 120 Ep.16 (ad Damasum) 16,2,1 197 Ep.17 (ad Marcum Presbyterum Chalcide)
17,2,4
159
Ep.22 (ad Eustochium) 119 22,1,2 127 22,5,1 127 22,7,1 197, 233 22,7,1–4 197 22,7,2 233, 236 22,7,3 197, 236 22,17,4 127 22,28,1 117 22,28,3 117 22,29,6 166 22,29,7 166 22,30,1 166 22,30,1f. 166 22,30,3f. 167 22,30,4 168 22,30,5 167 22,30,6 177 22,34,1 116, 121 22,34,3 116 22,36,1 105, 107 22,36,2 106 Ep.49 (ad Pammachium) 49,13,1 157 Ep.52 (ad Nepotianum) 119 52,1,1f. 157 Ep.53 (ad Paulinum) 53,1,2 150 53,3,1 176 53,3,4 177 53,3,5f. 177 53,4,1 176f. 53,11,1f 177 Ep.54 (ad Furiam) 54,4,1 54,15,1f. 54,18,3
119 136, 137 136 136
Ep.58 (ad Paulinum) 58,5,3 105 58,6,1 140 58,10,2 155
270
Register
Ep.100 (Paschalis Theophilus ad Totius aegypti Episcopos) 100,4,3 146
117,1 135,1 135,2–6
Ep.108 (=„Epitaphium Sanctae Paulae“) 124 108,1,1 124 108,3,1 124 108,3,1f. 128 108,6,2 130 108,6,3 137, 138 108,6,4 138 108,6,5 138, 140
Praefatio in Librum Iob 157, 159
Ep.123 (ad Geruchiam) 139 123,5,1 137 123,5,2 136 123,5,6 140 123,5,6-8 139 Ep.125 (ad Rusticum) 119 125,2,1 229 125,7,1 116 125,7,2 105 Ep.130 (ad Demetriadem) 119 130,3,1 129 130,4,1 129 130,5,3 237 Chronik a.252 a.354 a.356
67f., 74 68 157 68, 74
Commentariorum in Epistolam ad Ephesios 3,5 177 De Viris Illustribus 67, 74, 76, 86, 106, 253 11 106 11,1f. 106 11,6 106 53,3 86 68 128 83,1 221 83,2 221 88 68
177 160 160
Vita Hilarionis 1,6 2,1 2,5 2,6 2,7 4,1 5,1–5 6,1 7 19 32,1 32,4f.
60, 81, 141 1, 60 124 61 129, 141 61 61 61 61 61 61 61 61
Vita Malchi
81, 124, 130, 137, 236 124, 130, 236f. 236 137 137 137 236 236 237 237 236
3,1 3,4 3,5 3,6 3,8 4–6,2 6,4 6,5 6,6 11 Vita Pauli 1 1,1 1,2 1,3 1,4
2 2f. 2–6 2–16 2,1
36, 48 33, 100 33, 90, 107, 109, 132 3, 81, 114, 188 33, 37, 58, 81f., 95, 110, 118, 123, 126, 132, 169, 183, 245 33, 39, 47, 54, 57, 66f., 210, 243 36, 57f., 130, 183, 201, 205, 210 37, 39, 57 36, 39, 54, 94 65, 70, 201, 241
271
1. Stellen 2,2 3
3,1 3,2 3,2–4 3,3 3,4 4 4f. 4–6 4–16 4,1
4,1–6,1 4,2
4,2–6,1 5 5,1 5,2 6 6,1 6,1f. 6,2 7 7–9 7–16 7,1 7,1f. 7,2 7,3 7,3f.
36, 48f., 66f., 210, 228, 240 33, 36, 39, 47, 52, 54, 57, 65, 67, 228f., 233, 235, 237f., 243, 249 33, 52, 66f., 209, 233 66, 229f. 33, 229 229 192, 228, 230 42, 54, 57, 66, 68f., 123, 130 245 36, 38, 56–58, 65 57 33, 36, 39, 42, 57, 64f., 68–70, 123, 132, 149f., 152, 171, 183, 245 37 33, 57, 62, 64, 66f., 69, 87, 123, 126, 144, 156, 183, 196 33, 36 42, 54, 58, 64, 114, 123, 144 42, 64, 69, 144, 185, 190f., 194 75, 126 39, 42, 48, 52, 54, 58, 75, 114 33, 39, 57, 118, 183, 190 56 34, 36f., 39, 118, 126, 159, 192 37, 41, 43, 48, 53f., 58, 61, 63, 68, 111 34, 44, 46, 53 36, 53, 61, 63, 245 34, 37, 42, 53, 64, 68, 111, 121, 193 111 34, 53, 61, 111, 192–194 62, 87 126
7,4 7,4f. 7,5 7,6 8 8,1 8,2 8,3 8,4f. 8,5 8,6 8,9 9 9–12 9,1 9,1f. 9,2 9,3 9,3f. 9,4 9,4–6 9,5 9,6 9,6–10,1 10 10–12 10,1 10,1f. 10,2 10,2f. 10,3 11 11,1 11,2 11,3
11,3–12,3 12 12–15 12,1 12,2 12,3
76, 192f. 34 51 36, 126 41f., 48, 52, 54 62 41, 51, 192f., 228 34, 41, 126 34 41, 51, 126 75f. 126 41f., 46, 53f. 45, 48, 52f., 63, 245 36, 42, 62, 87 34 51, 62, 87 194 34 121 145 34, 45, 53, 62, 126, 193 34, 46, 53, 87, 126, 154 34 43, 46, 54 55 43, 46, 114, 117, 126, 154f., 169, 175 34 46, 103 43 34, 46, 74, 126, 154f., 175 42, 54 34, 46, 62, 145 62 34, 46, 62, 121, 126f., 146, 154f., 175f., 191, 228 62 34, 46, 54f. 46 43, 46 55, 108, 126, 154, 176 121
272 12,4 12,5 13 13–15 13,1 13,2–14,1 14 14,1 14,2 14,3 15 15f. 15,1 15,2 16 16,1 16,2–4 16,3 16,5f. 16,7 16,8 17 17f. 17,1 17,1–3 17,2 17,3 17,4 18
Register 46, 55, 75, 87, 121, 126, 194 87 48, 54f., 109 53 35, 43, 91, 104, 110f., 121 55 38, 54, 63 35, 43, 62, 111 35, 87 38 54f., 62 48, 52 35, 38, 43, 55, 62, 146, 239 35, 38, 146 37, 42, 48, 51, 53– 55, 63 35, 63, 228 35 121 35 35, 121, 228, 246 35, 38, 55, 63, 109 88, 90 36 88 35 89 89 89 35
Historia Monachorum in Aegypto 96, 103, 234 Prolog,5 103 1,1 103 1,3 103 1,32–35 234 1,34 234 1,52 235 13,1 235 22 97 22,1 97
Jamblich De vita Pythagorica [II] 3–10 125 [II] 10 150 [II] 11 117 [II] 12 150 [VI] 30 117 Laktanz De mortibus persecutorum 18,11–15 155 48,2–12 205 48,3 205 Marcion Martyrium Polycarpi 4 213f. 16,1 229 17,1 49 Methodius Olympius Symposion seu convivium virginum 7,3 221 Origenes In Leviticum homilia XI XI,1 180 Palladius Historia Lausiaca 7,6 8,6 17,4 18,4 22 23,5 29 47
58, 59, 97, 103, 235 103 97 103 233 100 235 235 58
273
1. Stellen Passio Sanctarum Perpetua et Felicitatis 4,9 224 18,6 49 18,8 49 18,9 49 19,5 49 20,1 50
Rufin Historia Monachorum 96f. I,4,1–8 234 I,6,11 235 XV,1,2 235 XXIX,5,5 96 XXX 97 XXX,1,1 97
Paulinus von Mailand Vita S. Ambrosii 1,1
Sozomenos 79
Philo von Alexandrien De Vita Contemplativa 98f., 106 18 98 20 98 Platon Gorgias 459 b–c
161
Pontius Vita Cypriani 2,1–3
148 128
Historia Ecclesiastica 97, 99f., 189 I,12,11 189 I,12,1 100 I,12,1–14,11 99, 189 I,12,9 100, 189 I,12,9–11 189 I,12,10 100 I,13,1 100 I,13,1–10 100 I,13,11–14 100 I,13,13f. 100 I,14,1 100 I,14,1–8 100 I,14,7f. 97 I,14,9–11 100 Sulpicius Severus Dialogi I,9,5
Porphyrios Vita Plotini 1
126
Vita Pythagorae 6
150
160
Synaxarium Alexandrinum 206 Tertullian
Quintilian Institutionis oratoriae V,10,23–31 132 V,10,20 132 V,10,24 131 V,10,25 149
De Patientia 13,6
214
De praescriptione haereticorum 7,9 166 Ad uxorem 3,4
214
274
Register
Theodoret von Cyrus Historia Religiosa 10,2 117 11,1 117 21,25 235 Vergil Aenaeis
II,650 III,57 IV,366f. VI,672 XII,59
87, 126 87, 126 138 87, 126 139
„Vita Pachomii“ 2 3
143, 146 144 144
2. Personen Biblische, Antike und Spätantike Personen Aelius Donatus (Grammatiker und Rhetoriklehrer) 157f. Amathas (Antoniusschüler) 3, 48, 50, 109f. Ambrosius von Mailand 143, 221f. Amun (Eremit) 58, 97, 100 Antonius der Große 1, 3, 30, 33–38, 40– 45, 48–53, 55, 56, 58f., 61–63, 68– 70, 72–75, 77f., 81, 87, 90f., 97, 100, 103f., 107–113, 121f., 125f., 132f., 135, 141f., 144f., 148, 154f., 162– 165, 167, 169, 171–175, 181f., 187, 190, 192f., 195, 199f., 222–228, 234, 239, 243, 245–247 Antonius in Haemona (Mönch) 149 Apuleius von Madaura 143, 230 Arcadius (Kaiser) 2 Aristoteles (Philosoph) 94, 157 Athanasius der Große 1, 5, 27, 34f., 48, 50, 52, 68, 79, 90, 96f., 103, 107, 109, 111, 113, 121, 125, 133–136, 141f., 145, 163–165, 171, 173, 181f., 198, 209, 215, 217f., 222–227, 243 Augustinus von Hippo 79, 144, 157, 158, 161f., 192, 204 Benedikt von Nursia 143 Blaesilla (Mutter der Asketin Paula) 124 Bonosus (Mönch) 119, 191
Caecilian (Bischof) 204 Cicero, Marcus Tullius 5, 95, 131f. 143, 149, 152f., 155f., 158–160, 166f. Clemens von Alexandrien 214, 219f., 224 Cyprian von Karthago 65–67, 70, 85f., 128, 170, 202f., 210–212, 214, 216– 218, 224, 228, 238, 240, 242 Damasus (Papst) 196 Decius (Kaiser) 33, 39, 50, 57, 65–71, 186, 199, 201f., 210, 221, 228, 240 Demetrias (Asketin) 119, 129 Diokletian (Kaiser) 155, 189, 203 Elia (bibl. Prophet) 33, 35, 48, 50, 52, 97, 101–105, 107f., 245 Elias (Mönch) 235 Epiphanius von Salamis 99 Eucherius von Lyon 27 Eugippius 125 Euseb von Cäsarea 27, 49, 67f., 74, 97– 99, 106, 188, 202f., 207f., 229 Eustochium (Asketin) 105–107, 115, 117, 119, 121, 127, 166, 177, 197, 231, 233, 236 Evagrius von Antiochien 5, 72, 79, 90, 103, 108–110, 113, 132–136, 142– 144, 163–165, 195–197
2. Personen Florentinus (Priester) 170 Furia (röm. Adelige) 119, 136f., 139, 141 Galerius (Kaiser) 155, 203f. Geruchia (röm. Adelige) 136, 139, 141 Gorgias von Leontinoi (Rhetor) 161 Gregor der Große 143 Gregor von Nazianz 177, 213f., 220 Heliodor (Bischof) 117, 119, 120, 138, 141, 169 Hilarion von Gaza 61, 124, 129, 130, 141 Jamblich (Philosoph) 26, 117, 124, 150, 173 Jesaia (Mönch) 58 Jesaja (bibl. Prophet) 146 Jesus/Christus 3, 34, 41, 51, 56, 61, 75, 89, 101, 105, 118–121, 126, 128, 138f., 149, 154f., 166, 168, 173, 175f., 190, 192, 200–202, 204, 210, 212, 214, 216–221, 224, 226–228, 238–241 Jeremia (bibl. Prophet) 105f. Johannes der Täufer 33, 35, 48, 50, 52, 101f., 104–108, 245 Johannes (Evangelist) 176 Johannes von Lykopolis 103 Jovinian (Mönch und Schriftsteller) 136, 191 Julian „Apostata“ (Kaiser) 205 Julian (Diakon) 140, 191 Kleopatra 75 Konstantin der Große 205f. Konstantius II (Kaiser) 68, 205 Krescens (Philosoph) 208 Laktanz 155, 156 Licinius (Kaiser) 205 Lukrez/ Titus Lucretius Carus 83 Macarius (Antoniusschüler) 3, 48, 50, 109f. Makarius der Ägypter 103 Makarius der Alexandriner 233 Makarius der Jüngere 58
275
Malchus (Asket) 3, 124, 130, 137, 236, 237 Marculus (donat. Märtyrer) 208 Mark Anton 75 Maxentius, Marcus Aurelius Valerius (Kaiser) 208 Maximinus Daia (Kaiser) 208 Mensurius (Bischof) 204 Methodius Olympius 221 Narcissus (Bischof von Jerusalem) 97f. Niceas (Subdiakon) 170 Novatian (Gegenbischof) 170, 203 Onnophrius (Eremit) 59, 117 Origenes 180, 220, 224 Ovid/Publius Ovidius Naso 143 Pachomius der Große 103, 144 Pachon (Asket) 235 Paësius (Mönch) 58 Palladius von Helenopolis 58f., 97, 103, 189, 235 Paphnutius 58, 117 Paula (Asketin) 124, 128–130, 137f., 140f. Paulinus von Mailand 79 Paulinus von Nola 105, 140, 150, 176f. Anba Paulus (Synaxarium Alexandrinum) 205f. Paulus (Apostel) 120, 126f., 136f.,176, 208, 215 Paulus der Einfältige 100 Paulus von Concordia 79–86, 88, 146f., 170, 191 Paulus von Oxyrynchus 2 Pelagius (Theologe) 191f. Perpetua (Märtyrerin) 49, 224 Petronius, Titus 230 Petrus (Apostel) 176, 208 Philo von Alexandrien 26, 98–100, 106, 189 Platon (Philosoph) 161 Plautus, Titus Maccius 166 Plotin (Philosoph) 26, 126 Polycarp von Smyrna 49, 202, 213, 229 Pontius (Diakon) 127, 128 Porphyrios (Philosoph) 26, 126, 150
276 Quintilian, Marcus Fabius (Rhetor) 131f., 149 Rogatus (Vater der Asketin Paula) 124 Rufinus von Aquileia 96f., 119, 153, 160, 189, 191, 196 Rufina (Tochter der Asketin Paula) 137 Rusticus (Mönch) 105, 116, 119, 229 Sallust/Gaius Sallustius Crispus 153, 158 Secundus von Tigisi 204 Sozomenos, Salamanes Hermeias 97, 100, 189 Sueton/Gaius Suetonius Tranquillus 20 Sulpicius Severus 79
Register Tacitus, Publius Cornelius 20, 88 Terenz 153, 158 Tertullian, Quintus Septimius Florens 166, 168, 214 Theodoret von Cyrus 96, 117, 235 Theodosius (Abt) 72, 196 Theodosius (Eremit) 117 Theodosius (Kaiser) 2, 96 Toxotius (jüngster Sohn der Asketin Paula) 137 Valentinian (Kaiser) 2 Valerian (Kaiser) 33, 39, 50, 57, 65–71, 186, 199, 201f., 228, 240 Vergil/ Publius Vergilius Maro 5, 87, 143, 153, 155, 157f., 171, 179 Vespasian (Kaiser) 2
Neuzeitliche und Moderne Autoren Angenendt, Arnold 202 Baer, Julius 67, 127 Balke, Klaudia 5 Bambeck, Manfred 143 Barthold, Claudia 74, 157, 221 Bauer, J.B. 86, 230 Baumeister, Theofried 79 Bautz, Friedrich Wilhelm 65, 105, 128 Berschin, Walter 6, 15–17, 20–22, 24, 30f., 37, 72, 79, 81, 87, 90f., 95, 124f., 228f. Bertrand, Pascal Henricus Elisabeth 5, 86 Böcher, Otto 182 Bormann, Karl 98 Breukelaar, Adriaan 79, 105 Brodersen, Kai 131 Brown, Peter 197 Brunert, Maria-Elisabeth 87, 113, 140, 157, 182 Bruns, Peter 117 Buchinger, Harald 27 Burton-Christie, Douglas 161 Cain, Andrew 85, 88, 169, 197f. Von Campenhausen, Hans 4, 87, 140, 157f., 192, 198, 215
Cavallera, Ferdinand 2, 83f., 86 Cavallin, Samuel 18 De Certeau, Michel 25–27 Chase, Michael 126 Cherf, John Frank 64 Chitty, Derwas J. 189 Cohn, Leopold 98 Coleiro, Edward 2–4, 60, 72, 76f., 84, 87f., 193, 201 Colpe, Carsten 10–13, 250 Conring, Barbara 146 Curtius, Ernst Robert 143 Dassmann, Ernst 72, 76 Deferrari, Roy J. 127 Delehaye, Hippolyte 2, 15f. Dillon, John 117 Dingel, Joachim 131 Driver, Steven D. 118f. Duval, Yves-Marie 105 Durkheim, Émile 11 Eliade, Mircea 12 Elliott, Alison Goddard 55f., 59f., 204, 206, 221f., 224, 242 Ewald, Marie Liguori 62, 84 Feder, Alfred 16 Foucault, Michel 23f., 26f.
2. Personen Frank, Karl Suso 66, 70f., 84, 96, 102f., 153 Fremantle, William Henry 62, 151 Frenschkowski, Marco 49 Fuhrmann, Manfred 2f., 62, 66, 69f., 84, 151, 184, 186, 222, 241 Fürst, Alfons 84, 117–119, 157, 159f., 191 Gärtner, Hans Armin 94f. Gemeinhardt, Peter VIII, 1, 6, 12–15, 17, 22f., 25, 27, 30, 49, 68, 72, 83, 91, 112, 121, 132, 142, 144, 151– 153, 156, 161–163, 165, 168, 172f., 181f., 201f., 206, 216, 219–222, 225, 239 Georges, Tobias 1 Geyser, Joseph 11 Goehring, James E. 98, 100f., 188 Greschat, Katharina 187 Grig, Lucy 206–209, 241 Grützmacher, Georg 2f., 84, 157, 196, 231
277
64, 66f., 69, 72, 75, 76, 151, 160, 184, 230f., 235 Kelly, John N. D. 2, 4, 78f., 84, 86f., 100, 105, 151, 157–159, 167, 231, 236 Klein, Wassilios 120 König, Hildegard 49 Kozik, Ignatius S. 186f., 229 Kroymann, J. 94 Laager, Jacques 58 Lambert, Bernard 79 Lampen, Willibrord 20 Landwehr, Achim 23, 26f., 31 Laurence, Patrik 105 Leclerc, Pierre 3, 60, 62, 72, 84, 99, 124, 151, 155, 157, 162 Leo, Friedrich 17–19 Lindemann, Uwe 182 Löhr, Winrich 99 Lorenz, Rudolf 120f. Luebeck, Aemilius 150, 158 Lurje, Michael 125
Haarländer, Stephanie 16f. Haeuser, Philipp 98 Hagendahl, Harald 150, 157–160, 165, 167, 171 Hartmann, Christoph 213 Harvey, Paul B. 62, 84, 151 Hausammann, Susi 202f., 227 Hauschild, Wolf-Dieter 65, 204 Heinzelmann, Martin 18–22, 30 Herkommer, Elmar 81–83, 85, 94f. Heussi, Karl 4f. Heyden, Katharina 12f., 25, 27 Hoelle, Philip Charles 4, 64, 68, 71, 78f., 81, 84, 86, 109, 155, 184f., 222 Hoffmann, Andreas 65, 128, 210 Hofmann, Beate 182 Holze, Heinrich 2, 69, 84, 187 Hoster, Dieter 7f., 17–19, 51, 77, 110, 118, 187, 239
Mach, Michael 98 Malone, Edward E. 211, 217–220, 222, 224 Markschies, Christoph 221 Mertel, Hans 17 Mertens, Johannes 62, 151 Migne, Jacques Paul 70 Miller, Patricia Cox 51, 105, 174, 236 Mohrmann, Christine 58 Monceaux, Paul 2, 4, 78, 84, 86 Morales, Edgardo Martín 64, 79, 84f., 102, 132, 184f.
Inowlocki, Sabrina 98f.
Parr, Rolf 26 Pauli, Judith 221 Piepenbrink, Karen 215f. Plesch, Julius 84, 239 Pollmann, Karla 58
Kaster, Robert A. 165–168 Kech, Herbert 3, 38, 40f., 43–45, 51,
Von der Nahmer, Dieter 22, 24f., 143, 145, 161f., 202 Nautin, Pierre 157–159 Oldfather, William Abbott 70, 79 Otto, Rudolf 11f.
278
Register
Rebenich, Stefan 2, 4–7, 66, 69, 74f., 77–79, 84–89, 108, 114, 151, 162f., 184, 186f., 197, 228, 230, 232f., 237f. Reitzenstein, Richard 214, 231f. Rosen, Klaus 208 Rosweyde, Heribert 62, 66, 68–70 Rottler, M. Matthaeus 62 Rousseau, Philip 205, 209, 238 Rubenson, Samuel 72, 150, 161f., 165, 168, 172f., 187, 225 Rühle, Oskar 17 Sauser, Ekkart 97 Schade, Ludwig 3f., 62, 64, 72, 76f., 84, 86, 90, 105, 119, 124, 136, 150, 157–159, 184, 186, 188, 196, 232 Schmidt, Christiane 221 Schulz-Flügel, Eva 166 Schulz-Wackerbarth, Wiebke 27 Schulz-Wackerbarth, Yorick 27, 181 Schwarte, Karl-Heinz 155 Seeliger, Hans Reinhard 49 Skeb, Matthias 96, 105, 144 Slusser, Michael 201–203, 212, 219, 222 Speyer, Wolfgang 120f., 180, 202, 222, 234, 239 De Ste. Croix, Geoffrey E.M. 212f., 244, 250
Städele, Alfons 156 Stahlmann, Ines 124 Steinmann, Jean 4 Surmann, Beate 125, 127f. Świdziński, Stanislaw 2, 7, 206 Tilly, Michael 187 Ulrich, Jörg 97 Van Uytfanghe, Marc 15, 22–28 Vallarsi, Dominic 64, 69f., 184, 186 Vivian, Tim 58f., 117 De Vogüé, Adalbert 47, 52, 83, 84 Vogt, Hermann Josef 180, 203 Wallraff, Martin 205 Ward, Benedicta 96 Weber, Dorothea 77, 174 Weingarten, Hermann 1–3, 188f., 230f., 236, 239f. Weingarten, Susan 47–52, 66, 72, 78f., 83f., 86–88, 91, 240 Williams, Frank 99 Wolf, Bernhard 206 Wolf, Marlene 206 Wundt, Wilhelm 11 Wyrwa, Dietmar 219
3. Sachen und Orte Abendmahl siehe Kommunion Ägypten 4, 7, 59, 68, 98–101, 106, 115, 182 – Koptisch 79, 113, 132, 156, 163, 206 aplastos siehe Bildung Apostel siehe Nachfolge Alexandrien 34, 41, 75, 76, 98, 223 Anachorese 4f., 8, 33, 39, 52, 56–58, 61, 69–72, 75, 94, 102f., 105, 110– 113, 118–123., 129f., 135–141, 145, 147–149, 180, 183, 187, 190f., 193, 196–199., 218f., 237, 240, 247
– Anachoret 56, 59, 105, 110, 115, 118, 148, 155, 197, 237, 247 Askese 5, 7, 33f., 36, 39, 42, 48f., 52, 56–58, 72, 75, 84–86, 88–91, 98f., 103, 106f., 110–113, 116–122, 127, 129–131, 134f., 139, 142, 145, 147, 149, 156f., 159, 166, 169, 171–175, 179–183, 187, 189–193, 195, 197– 201, 220–223, 225–228, 233f., 236– 239, 246f., 249 – Asket/-en 4, 52, 100, 113, 118, 141, 151, 163f., 177f., 182, 193, 225, 239, 242, 247, 272
3. Sachen und Orte – Asketin 124, 127, 271, 272 – Nahrungs- 34, 48, 56, 58, 87, 236 – Wüsten- 57, 72, 87, 113, 140, 145, 157, 169, 179, 191, 228, 233, 236, 237, 249 Auferstehung – Christi 126, 202 – Leben nach dem Tod 89, 147, 175f., 225 Bibel siehe Heilige Schrift Bildung/gebildet 33, 69, 72, 86, 88, 91, 94, 123, 132, 134, 147, 149–153, 155–180, 247f. – aplastos 171, 173, 179, 247 – Bildungsschicht/-elite 5, 85f., 88, 91, 155–157, 164 – Bildungstyp 161–164, 168, 178 – educatio 131, 132, 149 – eloquentia/Eloquenz 152–156, 159, 177f. – eruditus 123, 149–153, 155f., 161, 163, 173–175, 177–179 – illitteratus 152, 163 – litteratus 152f. siehe auch Lehrer, Rhetorik, Schule, θεοδίδακτος Biographie 3f., 6, 16–24, 27, 30, 38–40, 57, 63–65, 72, 77, 79, 81, 90, 124–129, 132, 145, 147, 150, 179, 188, 231, 245f. – Biograph 4, 37, 81, 117, 125, 150 Bischof 97, 203f., 210f., 213, 221 Buße 166, 203, 218 Cäsarea 49, 97f., 188, 203, 229 Chalkis/Chalkidike 4, 71, 85, 138, 159, 166, 169f., 196f., 221 Christenverfolgung 33, 36f., 39f., 43, 57f., 65–68, 70f., 73, 77, 131, 183– 189, 194, 196, 199, 201, 205–215, 218, 223, 229, 238–240, 249 corona iustitiae 154, 155, 176, 191f., 199, 201, 224, 228 Dämon/-en 111, 166, 181f., 182, 199, 223, 224, 225, 235 – Böse Geister 226 Dämonenkampf 111f., 181–183, 190, 199, 223–227, 243
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Donatisten 204, 208 educatio siehe Bildung Ehe 105, 130, 136f., 139f. Einsiedelei/Klause 34f., 53–55, 62f. siehe auch Höhle eloquentia siehe Bildung Eremitentum 3, 36, 57, 69, 72, 90f., 94, 96, 98f., 101f., 104–110, 112f., 115, 117f., 120, 122f., 129, 148, 169–171, 174, 180f., 187, 189f., 198, 222, 224, 227, 233, 238–240 – Eremit/-en 1, 3f., 8, 34, 37, 40, 46, 51, 53, 55f., 58f., 62, 74, 89f., 93f., 97f., 101f., 104, 108–110, 112, 115, 117, 121–123, 141f., 154–156, 162, 171, 177f., 180f., 193, 198, 225, 228, 233, 235, 238–241, 245–247 eruditus siehe Bildung Erzählungen siehe Geschichten Familie 70, 98, 121, 124f., 131, 136f., 139–141, 144, 169, 172, 204 Fasten siehe (Nahrungs-)Askese Flucht 4, 36, 39, 42, 57f., 64f., 69–71, 94, 123, 130, 137, 169, 182f., 185– 190, 193–196, 198–201, 204–206, 209–218, 236f., 238–243, 248f. Freund/-e 79f., 82, 85, 96, 98, 117–119, 140, 170, 196 – Gottes 102 Frömmigkeit 7, 91, 176, 179, 201f., 206f., 219f., 231, 235, 239, 248 Fügung 199, 215–219, 223, 242 – πρόνοια 215f., 218, 242 Gattung 16–25, 30f., 95, 246 Gebot/-e (Gottes) 80, 139, 147, 162, 210, 216 Gefallener/-e 67, 203f., 209f., 218, 228, 242 Geist – böser siehe Dämon/-en – menschlicher 29, 80, 87, 127, 132, 135, 142, 144, 156, 165, 169, 173, 176, 210f., 217, 224, 228, 236 Geschichte (Historie) – Gattungs- 18f. – Geschichtlichkeit (Historizität) 1–6,
280 11–13, 16–20, 23, 26, 28–32, 57, 60f., 65, 67, 74–78, 91, 107, 109, 126, 164, 167, 188f., 199, 204–206, 142 – Geschichtsschreibung 3, 21, 29, 32, 60, 82f. – Kirchen- 97f., 100, 207f. – Kultur- 143 – Quellen- 59 – Religions- 25 – Rezeptions- 90 – Traditions- 188 Geschicht/-en (Erzählung) – Abenteuer- 34f., 38–40, 42, 46, 53, 59, 63, 245, – Begegnungs- 34f. 53, 61–63, 68, 245 – Beispiel- 36f., 42, 67, 103, 126 – Erfolgs- 207 – Flucht- 33, 67f., 69f., 123, 144, 156, 188f., 199, 204, 215, 245 – Märtyrer- 33, 49, 202, 207f., 213, 229–241 – Mönchs- siehe Vita – Vor- 33, 38f., 57–59, 144 – Wunder- 23, 231, 233 Gesetz/-e 28 – des Martyriums (νόμος δὲ μαρτυρίας) 213f. – Gottes siehe Gebot/-e (Gottes) Gott 34f, 51, 69, 78, 80, 121, 123, 132f., 144, 147, 165, 168, 170, 172f., 175, 180, 190, 192, 194, 211, 216f., 220, 223, 225, 227 – -begeistert (θεοφορούμενος) 225 – Fügung Gottes (πρόνοια) siehe Fügung – Freund Gottes siehe Freund/-e – -gefällig 242 – Gesetz/Gebote Gottes siehe Gebot/-e (Gottes) – Gott lieben 69, 123, 132f., 144, 170 – (Heils-)Wirken/Handeln Gottes 78, 172, 190, 216f., 227 – Macht Gottes 11, 190 – Menschwerdung/Inkarnation Gottes 75, 78 – Reich Gottes siehe Himmel/-reich – -vertrauen 44f., 146
Register – von Gott gelehrt/gebildet siehe θεοδίδακτος – Weisheit Gottes 168, 173 – Wille Gottes siehe Wille Grammatik/grammaticus 55, 151f., 156f., 161, 172, 185, 194 Greis – senex puerilis 146–148 Hagiographie 7–10, 12–17, 19–32, 36, 38–40, 43, 47, 53, 56f., 59, 61, 72, 77f., 85, 90f., 93, 121f., 125, 127, 129, 131, 141, 143–145, 163, 174, 178, 198, 200, 209, 219, 227, 243, 246–248, 250 – Hagiograph 6, 9, 14f., 18, 29, 79, 121, 125, 128, 162, 169–171, 178 – hagiographischer Diskurs 6, 22–32, 85, 93, 97, 102, 114–117, 129, 141, 161f., 178, 225f., 242f., 246f., 250 – hagiographische Plausibilität 30, 32, 250 Heidentum 18f., 49, 51, 124, 144, 151, 161–164, 166f., 174f., 205, 207 – Heide/-n 49, 140, 205 – pagan 26, 49, 56, 150, 158, 160, 165, 171, 174f., 178f., 205, 212, 224, 248 Heil 34, 78, 134, 140, 149, 167, 191– 193, 198–201, 210, 219, 226, 244, 248f. Heilige Schrift/-en 14–16, 22, 104, 190 – Bibel 13, 104, 117, 134, 181, 200 Heiligenverehrung 15, 22–24, 202, 206 Himmel/-reich 134, 137, 146, 149, 177, 181, 224, 227 – Himmelfahrt 35, 38, 62f., 87, 97 – Paradies 35, 78, 91, 104, 119–121, 246, 250 – Reich Gottes 168 Historie siehe Geschichte Höhle – des Antonius 62, 224 – des Hieronymus 197 – des Paulus 7, 33–36, 41, 51, 53, 55, 58, 62–64, 69, 114f., 118, 122, 145, 154, 174, 190, 193–195, 200 siehe auch Einsiedelei/Klause, Kloster hostis callidus siehe Satan
3. Sachen und Orte Ideal/-e – aetas mentis-Ideal 152 – anthropologisches 143, 192, 196, 198–200 – asketisches 7, 8, 127, 135, 180, 222, 237, 243, 247 – Bildungs- 151f., 171, 175, 178–180, 248 – christliche/-s 7, 39, 143, 220, 225, 242, 248 – der Jungfräulichkeit/Virginität 222, 237 – des Märtyrers 204, 206, 219–222, 224f., 227, 238, 242, 243 – des puer senex siehe Jugend – des senex puerilis siehe Greis – eremitisches/anachoretisches 55, 108, 110f., 113, 115, 118f., 138, 141, 169f., 180f., 187, 198, 225, 227, 237, 247 – Heiligkeits- 7–9, 26, 91, 115, 120– 122, 146–149, 163f., 180f., 187, 189, 192f., 198, 200, 219, 237, 243, 246– 248 – kynisches 8 – monastisches 8, 73, 115, 118, 121, 170, 180, 187, 189f. – Paulus als Ideal 2, 7, 56, 114f., 118, 122, 171, 187, 206, 246–248 – theologisches 48, 130 illitteratus siehe Bildung imitatio siehe Nachfolge Inkarnation/Menschwerdung Gottes siehe Gott Jugend 33, 36f., 39, 58, 69, 72, 80, 93f., 105, 119, 123–127, 129f., 142– 148, 157, 162, 191, 229, 247, 250 siehe auch Kindheit – Junge/Jugendlicher/adulescens 71f., 105, 127, 143, 142, 144, 157, 162, 186, 190f., 194, 229, 238 – puer senex/puer senilis 142–146, 148 Jünger siehe Nachfolge Jungfräulichkeit/Virginität 33, 221f., 233f., 236–238 – Jungfrau/-en 78, 129, 135, 221, 231, 236, 242
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– Keuschheit 105, 130, 220, 222, 229, 232, 236f., 239 Kaiser 2, 33, 65–67, 69f., 76, 88, 155, 203f., 207f., 243, 249 Keuschheit siehe Jungfräulichkeit Kindheit 93, 123, 125–127, 129–131, 143–146, 148f., 171, 179, 247 – Kind/-er 136–140, 142–146, 149, 151, 162, 218, 247 Kirche 7, 19, 27, 118, 125, 134, 139, 142, 159, 177, 181, 183, 188, 190, 192, 201, 203–208, 212–216, 218, 233, 242 Kirchenvater/-väter 1, 6, 208 Klause siehe Einsiedelei, siehe auch Höhle Kloster/Klöster 7, 63, 75, 99, 104, 106f., 109, 160, 196, 235f. siehe auch Höhle, Einsiedelei Kommunion 203, 218 Koptisch siehe Ägypten Kult/-e 15, 19f., 25, 203, 205–207 Kultur 11, 19, 23, 25, 29, 143, 151, 153, 156, 206 Landhaus/villa 69–71, 88, 103, 123, 135, 156, 183–185, 194, 215 lapsus/lapsi seihe Gefallener/-e Lehrer 97, 108, 151, 156, 158, 164, 172, 220 Leiden 138, 195, 202, 209f., 218f., 221–224, 227f., 233, 237–241 Literatur 3, 6, 13, 17–19, 21, 25, 43, 57, 66, 79, 87, 90, 95, 102, 126–128, 132, 143, 153, 156, 160f., 166, 174f., 179, 206, 226, 228f., 233f., 248 – biographische 79, 17 siehe auch Biographie – christliche 25, 79, 143 siehe auch Heilige Schrift/-en – eremitische 57 – hagiographische 43, 128 siehe auch Hagiographie – klassisch-antike 17, 87, 132, 153, 156, 174 – lateinische 79, 143, 160 – -wissenschaft 16f., 21 – Märtyrer- 66, 206, 226, 228f.
282 – monastische 102, 161, 233f. – pagane/heidnische 160, 166, 174f., 179, 248 – Unterhaltungs- 90 – Viten- 17–19 siehe auch Vita/-en litteratus siehe Bildung logos 12, 168, 179, 225, 250 Löwe 35, 48, 51 Mailand 79, 205, 215 Martyrium/Martyrien 36, 39, 43, 47, 49, 52, 55, 57, 65–68, 77, 94, 170, 189, 201–233, 235–244, 249 – Flucht vor dem Martyrium 189, 201, 204–206, 210–212, 214, 218, 238– 243, 249 – freiwilliges Martyrium/voluntary martyrdom 212–216, 218, 239f., 242–244, 249 – geistliches/unblutiges Martyrium/spiritual martyrdom 77, 189, 217f., 220, 222, 224, 242f., 249 – Märtyrer/-in 33, 49f., 52, 56, 201f., 204–209, 213f., 216–224, 226–231, 233, 235, 237, 239–243, 249 – Märtyrer-/Zeugentod 56, 202, 204, 214, 216, 218f., 221–225, 227f., 237, 239–243, 24908 – tägliches- /martyrium cotidianum 220, 223, 226 Menschwerdung s. Inkarnation miles christi 155, 192, 200, 228 Mönchtum 1f., 5f., 77, 90f., 97–102, 104–107, 109f., 113, 115–123, 131, 151, 155, 161–163, 170, 180, 187– 190, 199, 220, 228, 245 – Mönch/-e 2, 33–35, 38, 40, 43, 48, 50, 59, 72f., 75, 77, 90, 96f., 100– 108, 110–113, 115f., 118f., 121–123, 137, 149, 157, 159, 163, 169, 181, 195–199, 219, 222, 225, 230f., 233– 235, 242 Mythologie 50, 174, 182 Nachfolge – Apostel 35, 120, 126f., 136f., 176, 202, 208, 215
Register – Christi/imitatio 7, 38, 56, 118–121, 128, 135, 138, 175f., 202, 204, 216– 221, 227, 238f., 241–243, 249 – Jünger 48, 102, 212, 215 – Nachfolger 48, 50, 108f., 122, 222, 242 – Schüler siehe Bildung Paradies siehe Himmel/-reich Passio 21, 24, 49, 56, 127f., 206, 228, 239 Philosophie 23, 28, 125f., 148, 152, 156–159, 165, 172, 175f., 179, 225 – Philosoph/-en 8, 11, 157f., 161, 163–165, 168f., 271, 173, 175, 208, 225 Präfatio 15, 83 Predigt/-en 42–44, 180, 206, 208, 235f., 246 Prolog 3–5, 36–38, 58, 81f., 85, 93f., 101, 104–107, 110–112, 114–116, 123, 188, 225, 230, 245 Proömium 82f., 94f. πρόνοια siehe Fügung Prophet/-en 35, 41, 101–106, 146 puer senex/puer senilis siehe Jugend Rhetorik 4–6, 31, 52, 72, 76f., 80, 89, 91, 94f., 100, 104, 106, 109, 114– 116, 127, 129, 131f., 150–154, 158f., 161f., 164, 173, 177–179, 188, 195, 197, 204, 231, 235, 246, 248 – Rhetor 67, 86, 95, 129, 132, 156– 158, 160–162, 172 Rom 79, 85, 116, 130, 157, 203, 204 Satan 41, 48–50, 52, 66f., 108, 121, 135, 183, 226 – Böser Feind/ὁ ἐχθρός 234 – Teufel 73, 108, 181f., 225, 234f. – hostis callidus 48, 49, 50, 66, 67, 210, 228 Schule 94, 151–153, 155, 157f. – Schüler 3, 35, 48, 50, 63, 97, 100, 104, 106–110, 122, 151, 153 Seele 97, 116, 123, 133, 139, 171, 224f., 237, 239
3. Sachen und Orte senex puerilis siehe Greis Spätantike 6, 13f., 23–25, 27f., 32, 73, 93f., 126, 135, 143, 151, 161f., 206, 227, 250 Syrien 4, 48, 52, 75, 79, 159, 169, 196f. Tabennisi 103 Teufel siehe Satan θεοδίδακτος 165, 172–174 Θεοφορούμενος siehe Gott Theben/Thebais 1, 3, 68, 71, 74, 109, 123, 132 Tod – als Bedrohung 187, 203, 218 – der Eltern des Antonius 133f., 141 – der Eltern des Hilarion 141 – der Eltern des Paulus 62, 66, 69–71, 141, 228 – des Antonius 68, 74, 109 – des Hieronymus 79 – des Paulus 46, 74, 108, 118, 127, 145f., 154, 175 – Jesu 202, 219f., 227 – Märtyrertod siehe Märtyrer Traditor 149, 204, 209, 242 Trinität 48, 52
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Tugend 7f., 27, 103, 112, 146f., 186f., 190f., 193–195, 199f., 209, 220, 234, 239, 248 villa siehe Landhaus Vita/-en – Bischofs- 18f. – Heiligen- 7, 17f., 24f., – Mönchs- 2, 55f, 58f., 72, 77, 125, 222, 243 – Philosophen- 150 Vollkommenheit 8, 75, 110, 118–123, 134, 146, 152, 169, 177, 179f., 183, 193f., 200–202, 204, 219f., 224, 226–228, 237, 247f., 250 Widmung 81, 82, 83 Wille – menschlicher 192f., 195–201, 210, 214, 217–219, 242–244, 248–250 – Gottes 216, 227, 242 Wüstenvater Wunder 20, 26f., 46, 61, 74f., 104, 226 Zeugentod siehe Martyrium