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German Pages 415 [418] Year 2019
Katharina Kostopoulos
Die Vergangenheit vor Augen Erinnerungsräume bei den attischen Rednern
HER MES Klassische Philologie
Franz Steiner Verlag
Einzelschrift 116
herme s Zeitschrift für klassische Philologie Einzelschriften Herausgeber: Prof. Dr. Jan-Wilhelm Beck, Universität Regensburg, Institut für Klassische Philologie, Universitätsstr. 31, 93053 Regensburg (verantwortlich für Latinistik) Prof. Dr. Karl-Joachim Hölkeskamp, Universität zu Köln, Historisches Institut – Alte Geschichte, 50923 Köln (verantwortlich für Alte Geschichte) Prof. Dr. Martin Hose, Ludwig-Maximilians-Universität München, Fakultät für Sprachund Literaturwissenschaften, Griechische und Lateinische Philologie, Schellingstr. 3 (VG), 80799 München (verantwortlich für Gräzistik)
band 116
Die Vergangenheit vor Augen Erinnerungsräume bei den attischen Rednern Katharina Kostopoulos
Franz Steiner Verlag
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Gerda Henkel Stiftung, Düsseldorf
Umschlagbild: Statue des Hermes / röm. Kopie, Vatikan Quelle: akg-images / Tristan Lafranchis Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2019 Layout, Satz und Herstellung durch den Verlag Druck: Offsetdruck Bokor, Bad Tölz Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-12501-7 (Print) ISBN 978-3-515-12508-6 (E-Book)
Vorwort Die vorliegende Arbeit ist die leicht überarbeitete und gekürzte Fassung meiner Dissertation, die im Oktober 2017 von der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln angenommen wurde. Von Herzen danken will ich zunächst und vor allem meinem Doktorvater Professor Dr. Karl-Joachim Hölkeskamp, der die Arbeit angeregt und mich mit konstruktiver Kritik und zahlreichen Ideen stets geduldig und anspornend betreut und gefördert hat. Professor Dr. Peter Franz Mittag und Professor Dr. Dietrich Boschung haben dankenswerterweise die weiteren Gutachten übernommen und wertvolle Hinweise und Ergänzungen beigesteuert, die in die Überarbeitung des Manuskripts für die Drucklegung mit eingegangen sind. Durch ein Doktorandenstipendium der Gerda Henkel Stiftung konnte ich mich zwei Jahre lang ausschließlich meiner Dissertation widmen, was den Schreibprozess entscheidend befördert hat – auch dafür sei an dieser Stelle gedankt. Zusätzlich wurde die Publikation der Arbeit durch die freundliche Gewährung eines Druckkostenzuschusses von Seiten der Stiftung gefördert. Mein herzlicher Dank gilt darüber hinaus meinen Kolleginnen und Kollegen am Institut für Alte Geschichte der Universität zu Köln. Insbesondere Dr. Michael Kleu hat Teile der Arbeit Korrektur gelesen und im Verlauf des Entstehungsprozesses immer wieder hilfreiche Hinweise eingebracht. Auch Dr. Frank Bücher, Dr. Julia Hoffmann-Salz, Dr. Sema Karataş und Dr. Simon Lentzsch standen stets für anregende Diskussionen zur Verfügung. Bedanken möchte ich mich auch bei den Zuhörern der Oberseminare am Lehrstuhl in Köln sowie bei Vorträgen in Bielefeld, Darmstadt, Bonn, Athen und Mainz. Durch kritische Nachfragen haben sie mir immer wieder neue Facetten der Thematik eröffnet und damit zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen. Ein besonderer Dank gilt meiner Schwester Paulena, die die Mühe auf sich genommen hat, mit großer Genauigkeit und einem bewundernswerten Sprachgefühl die gesamte Arbeit auf sprachliche und stilistische Fehler Korrektur zu lesen. Ich möchte mich auch bei meinen Freundinnen aus Studienzeiten Julia Kreische und Eva Devasi bedanken, die immer ein offenes Ohr für meine Fragen und Probleme hatten und ihre eigenen Erfahrungen aus der wissenschaftlichen Arbeit großzügig mit mir geteilt haben.
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Vorwort
Es ehrt mich besonders, dass das Buch in der Reihe der Hermes-Einzelschriften erscheint, und ich danke den Gutachtern, Professor Dr. Jan-Wilhelm Beck und Professor Dr. Martin Hose sowie wiederum Professor Dr. Karl-Joachim Hölkeskamp für die Aufnahme in die Reihe. Die Mitarbeiter des Steiner-Verlags, hier insbesondere Katharina Stüdemann, waren bei allen Fragen der Edition hilfsbereit und haben die Publikation in allen Belangen begleitet und vorangetrieben. Mein Mann Stelios und meine Kinder Johanna, Sophia und Marina, ebenso wie meine Eltern und Schwiegereltern haben mich während der Arbeit an meiner Dissertation in jeder Form, uneingeschränkt und tatkräftig unterstützt. Ohne ihr Vertrauen in mich und ihre Bereitschaft, immer wieder auf meine Forschungen Rücksicht zu nehmen, läge die Arbeit heute nicht vor. Dieses Buch ist daher meiner Familie gewidmet. Essen, im September 2019 Katharina Kostopoulos
Inhaltsverzeichnis 1 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6
Raum und Erinnerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erinnerungsraum und Denkmal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Raum und Erinnerung: Ein Forschungsüberblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Raum und Erinnerung in der griechischen Antike . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rhetorik und Raum: Die politische Kultur der athenischen Demokratie . . . . . Rhetorik und Erinnerung: „Es ist nämlich notwendig, Athener, die Vergangenheit als Zeugnis für die Zukunft zu gebrauchen.“ . . . . . . . . . . . . . .
2
Die Vergangenheit vor Augen: Lykurgos „Gegen Leokrates“ . . . . . . . . . . . . . 58
3 3.1 3.2 3.3
Die Akropolis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Propylaia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ruinen der Perserkriege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Statue der Athena „Promachos“ und Beutestücke aus den Perserkriegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Niederlagen auf der Akropolis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Akropolis als Schatzhaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Akropolis als öffentlicher Raum: Inschriften, Statuen und Eide . . . . . . . . . . Weihgeschenke: Darstellung persönlicher Verdienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit: Die Akropolis als Sinnbild der Polis und ihrer Geschichte . . . . . . . . . . . . .
3.4 3.5 3.6 3.7 3.8 4 4.1 4.2 4.3
Ehrenstatuen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Statuen als Erinnerungsträger: Begriffe und Chronologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Tyrannenmörder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konon und seine „Nachfolger“ Iphikrates, Chabrias, Timotheos . . . . . . . . . . . . 4.3.1 Konon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Iphikrates, Chabrias, Timotheos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Statuen und Familiengeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5 Die Aufstellung retrospektiver Porträts im 4. Jahrhundert und ihre Reflektion in den Reden: Die Statue des Solon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11 12 21 37 44 48 52
90 91 98 111 117 121 125 128 130 133 134 149 159 159 163 170 172
8
Inhaltsverzeichnis
4.6 Zur Bedeutung von Statuen und den Orten ihrer Aufstellung . . . . . . . . . . . . . . . 177 4.7 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 5 Inschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 5.1 Inschriften in Athen: Entwicklung, Bedeutung und Monumentalität . . . . . . . . . 186 5.1.1 Schrift, Schriftlichkeit und Inschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 5.1.2 Schriftliches Material bei den Rednern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 5.1.3 Inschriften als Monumente und ihre Sichtbarkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 5.2 Die Gesetze des Drakon und des Solon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 5.3 Weitere Gesetze und ihre Verortung im öffentlichen Raum der Polis . . . . . . . . . 206 5.4 Das 5. Jahrhundert: Die Perserkriege und ihre Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 5.4.1 „Falsche Dekrete“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 5.4.2 Grabepigramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 5.4.3 Monumente und Inschriften: Die Darstellung der Perserkriege in Delphi . . . . 219 5.4.4 Arthmios von Zeleia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 5.5 Ehreninschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 5.6 Goldene Kränze und andere Weihgeschenke mit Inschriften . . . . . . . . . . . . . . . . 237 5.7 Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 5.8 Listen: Ehrung, Verwaltung, Schuldner und Verräter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 5.9 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 6 Die Metaphorik der Mauern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 6.1 Historischer Überblick über Bau und Zerstörung der athenischen Mauern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 6.2 Die Bedeutung der Stadtmauern im 4. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 6.3 Sichtbarkeit der Mauern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 6.4 Die Mauern bei den attischen Rednern als Abbild der historischen Entwicklung der Stadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 6.4.1 Die „Vormauer“ und ihre Zerstörung durch die Perser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 6.4.2 Die Errichtung der Stadtmauern nach den Perserkriegen und die Rolle des Themistokles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 6.4.3 Die Mauern als Symbol der Vorherrschaft im 5. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . 266 6.4.4 Die Mauern und ihre Zerstörung als Symbol der Niederlage. . . . . . . . . . . . . . . 267 6.4.5 Zeichen einer neuen Zeit: der Wiederaufbau im Korinthischen Krieg . . . . . . . 274 6.5 Werk des Demos oder Verdienst einer einzelnen Person? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 6.6 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 7 7.1 7.2 7.3
Die Gräber der Vorfahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 Die Bedeutung von Gräbern: Raum, Ritual, Monument und Rede . . . . . . . . . . 284 Familie und Polis: Das Grab der Vorfahren als Beweis des Bürgerstatus . . . . . . 293 Die Gräber der Vorfahren: Die heldenhafte Vergangenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300
Inhaltsverzeichnis
9
7.4 Die Gefallenen der Perserkriege und ihre Gräber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 7.5 Verräter ohne Grab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 7.6 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 8 8.1 8.2 8.3 8.4 8.5 8.6 8.7
Tropaia als sichtbare Zeichen des Sieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 Historische Entwicklung des Tropaions . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 Tropaia bei den attischen Rednern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 Ruhm und Sieg im 5. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 Die Perserkriege und ihre Tropaia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 Tropaia als Zeichen des Sieges einzelner Strategen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 Sieger und Verlierer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 Fazit: Die Sichtbarkeit des Sieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342
9
Fazit: Die Erinnerungsräume der athenischen Demokratie . . . . . . . . . . . . . . 345
10 Quellen und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 10.1 Quellenverzeichnis: Quelleneditionen, Kommentare und Übersetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 10.2 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 Stellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 Namensregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406 Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413
1 Raum und Erinnerung Am 16.11.2016 besucht der scheidende US-Präsident Barack Obama die Stadt Athen. Eigentlich ist geplant, dass er seine Rede in der griechischen Hauptstadt auf der Pnyx halten soll, dem Ort der Volksversammlungen des klassischen Athen, „einem geschichtsträchtigen Hügel mit bestem Blick auf die Akropolis.“1 Aus Sicherheitsgründen entschließt man sich jedoch dazu, die Rede in das Kulturzentrum der Stavros-Niarchos-Stiftung zu verlegen. Im ersten Teil der Rede nimmt Obama auf die Entstehung der Demokratie in Athen und die damit verbundenen Personen, Ereignisse und Institutionen der antiken Polis Bezug. Obwohl er dabei auf das Panorama der Akropolis verzichten muss, bezieht er sich stark auf die Stadt und ihre Räumlichkeit als Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart. „Denn hier, auf den felsigen Hügeln dieser Stadt, wurde vor 2.500 Jahren eine neue Idee geboren: Demokratia. Kratos, die Macht, das Recht zu regieren, geht von demos aus, dem Volk. […] All diese Konzepte erwuchsen aus diesem felsigen Boden.“2
Etwa 2500 Jahre zuvor, genauer im Jahr 330 v. Chr., äußert sich der athenische Redner Demosthenes in der folgenden Art und Weise über den Gegensatz zwischen Philipp II. und den Bürgern Athens: Dieser stamme aus Pella, „einem damals ruhmlosen und kleinen Dorf “, während die Athener „jeden Tag Erinnerungen an die arete ihrer Vorfahren in jeder Art von Reden und Anblicken“ sehen könnten.3
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Faz.net 14.11.2016. Antike Jahresangaben ohne weitere Kennzeichnung beziehen sich auf Zeiträume vor Beginn der christlichen Zeitrechnung. https://de.usembassy.gov/de/rede-von-us-praesident-barack-obama-athen/. Demosth. 18,68: „καὶ μὴν οὐδὲ τοῦτό γε οὐδεὶς ἂν εἰπεῖν τολμήσαι, ὡς τῷ μὲν ἐν Πέλλῃ τραφέντι, χωρίῳ ἀδόξῳ τότε γε ὄντι καὶ μικρῷ, τοσαύτην μεγαλοψυχίαν προσῆκεν ἐγγενέσθαι ὥστε τῆς τῶν Ἑλλήνων ἀρχῆς ἐπιθυμῆσαι καὶ τοὺτο εἰς τὸν νοῦν ἐμβαλέσθαι, ὑμῖν δ᾽ οὖσιν Ἀθηναίοις καὶ κατὰ τὴν ἡμέραν ἑκάστην ἐν πᾶσι καὶ λόγοις καὶ θεωρήμασι τῆς τῶν προγόνων ἀρετῆς ὑπομνήμαθ᾽ ὁρῶσι τοσαύτην κακίαν ὑπάρξαι, ὥστε τῆς ἐλευθερίας αὐτεπαγγέλτους ἐθελοντὰς παραχωρῆσαι Φιλίππῳ. οὐδ᾽ ἂν εἷς ταῦτα φῆσειεν.“ (Sofern nicht anders angegeben handelt es sich um Übersetzungen der Verfasserin.) Der griechische Begriff „θεώρημα“ kann sowohl das Betrachten von Monumenten als auch von Festen und anderen Ritualen bedeuten – durch die Verbindung mit dem Verb „ὁρῶσι“
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Raum und Erinnerung
Die in beiden Reden zu konstatierende enge Verbindung zwischen Rhetorik, Raum und Erinnerung4 bildet das Thema der vorliegenden Arbeit. Dabei werden die folgenden Fragen im Mittelpunkt der Untersuchung stehen: Welche Bedeutung haben Erinnerungsräume, die sich in den erhaltenen Reden der so genannten „attischen Redner“ nachweisen lassen, „für die Gruppenkonstitution und für deren Selbstbild“?5 Inwieweit können Denkmäler und Monumente sowie weitere räumliche Strukturen im Rahmen der Geschichtsvermittlung durch Reden diese „historischen“ Informationen verstärken oder auch glaubwürdiger präsentieren, mithin als visuelle paradeigmata dienen? Beziehen sich die Redner dabei auf ein „kollektives Bildgedächtnis“? Lassen sich in Zusammenhang mit diesen Fragen Unterschiede zwischen den verschiedenen Redegattungen feststellen und ist eine chronologische Entwicklung der Einbeziehung räumlich-historischer Aspekte festzustellen? Es wird zu zeigen sein, dass sich „Geschichte“ als „komplexe Interaktion von (mündlicher) Narration, Ritual und Materialität“6 entfaltet – dieses Wechselspiel zwischen Rede und Raum gilt es im Folgenden in seinen unterschiedlichen Facetten zu beleuchten. Als Voraussetzungen für die nachfolgende empirische Untersuchung des Quellenmaterials werden zunächst zentrale Fragen zu Begriffen, Forschung und Methoden abgehandelt. Auch die enge Verknüpfung zwischen Rhetorik und Raum in der politischen Kultur der athenischen Demokratie sowie die Rolle der Rhetorik bei der Vergegenwärtigung von Vergangenheit für die athenischen Bürger sollen vorgestellt werden. 1.1 Erinnerungsraum und Denkmal Wie ist der Raumbegriff in der Antike verwendet worden und inwiefern lässt er sich als Untersuchungsobjekt der antiken Kulturgeschichte nutzen? Betrachtet man die Begriffsgeschichte des Raumes, so ist das griechische Wort chora (Land, Raum), im Gegensatz zum lateinischen spatium,7 mit der Vorstellung der Leere verbunden. Die chora bezeichnet also etwas, das mit Menschen oder Handlungen gefüllt werden kann.8
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sind wohl insbesondere die Monumente der ruhmreichen Vergangenheit Athens gemeint, vgl. auch der Kommentar bei Wankel 1976, 403 f. ad loc. sowie Yunis 2007, 108. Zur engen Verbindung zwischen Rhetorik und Monument vgl. Steiner 2001, 253: „no artifact without the speech that disseminates its message, and no verbal renown without some monument to spark it of.“ Rau 2013, 196. Vgl. auch Lahn/Schröter 2010, 4 f. Gehrke 2014, 35 f. Daher engl. space, espace = Schritt bzw. die Vorstellung, dass der Raum durchschritten werden kann, oder sich durch Schritte messen lässt. Vgl. Rau 2013, 56; vgl. auch Casevitz 1998 zu den Bedeutungsnuancen der Begriffe χώρα, χῶρος, χωρίον sowie τόπος, zusammenfassend 435: „χώρα s’applique à une région précise, lieu du sujet, lieu de la personne, χῶρος est un site, un terrain disponible, apte à tous usages, χωρίον est un endroit, terrain dans un ensemble, lieu-dit, place, point. Τόπος, désignant d’abord un endroit lointain,
Erinnerungsraum und Denkmal
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Topographie wird demenstprechend als „Zusammenfügung markanter Einzelpunkte begriffen“.9 Insgesamt lässt sich eine große Vielfalt der Raumbegriffe feststellen. Sie reichen von „mythischen Vorstellungen“ über „Definitionsversuche“ zu „ausgereifteren theoretischen Ansätzen“.10 Bei den griechischen „Raumdenkern“ Platon und Aristoteles handelt es sich zwar um die „am meisten zitierten antiken Theoretiker“ zur Thematik, jedoch haben sich auch die Pythagoräer und atomistische Philosophen wie Leukippos und Demokrit mit Fragen des Raumes befasst.11 Das durch Aristoteles vermittelte Raumverständnis des Platon weist dem Raum (χώρα) als dritter Gattung neben Idee und Empirie eine Mittlerrolle zwischen diesen beiden Feldern zu.12 Aristoteles’ Raumtheorie ist hingegen als „Ortstheorie“ zu bezeichnen, da sie sich mit den „‚natürlichen Örtern‘ der Körper und deren Bewegungen“ auseinandersetzt. Dabei unterscheidet Aristoteles nicht nur zwischen Ort und Körper, sondern auch zwischen Raum und Ort: „Ort steht für die Lokalisierbarkeit von Dingen oder Körpern. Dagegen ergibt sich der Raum aus der Bewegung dieser Körper von einem Ort zu einem anderen.“13 Auch zur Verbindung zwischen Raum und Erinnerung wurden von Platon und Aristoteles Überlegungen angestellt. In unterschiedlichen Zusammenhängen wird hervorgehoben, „dass sich menschliches Erinnern grundsätzlich in Form von Bildern vollzieht.“14 Zentral ist dabei auch die Verbindung zwischen den Begriffsfeldern „sehen“ und „wissen“, die Aristoteles zu Beginn der „Metaphysik“ konstatiert.15 Gerade die Theorie zur antiken Rhetorik kann darüber hinaus Aufschluss über die mögliche Verbindung von Raum und Erinnerung geben. Die Mnemotechnik basiert „auf der Enkodierung der zu erinnernden Inhalte in realen oder imaginären Architek-
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envisagé de loin, qui peut appartenir à des barbares ou à des personnes éloignées du lieu de l’énonciation, a peu à peu remplacé χῶρος, qui, d’abord poétique, est resté lié à la terre dans la prose.“ Zu den griechischen Begriffen vgl. auch Gilhuly/Worman 2014, 4. Damit entspricht der antike Raumbegriff der in der modernen Forschung oft angeführten Metapher des „Containerraums“ bzw. einem absoluten Raumbegriff. Vgl. dazu Hilger 2011, 28 f.; Bachmann-Medick 2006, 292; Kajetzke/Shroer 2010, 193; Hölkeskamp 2015, 36; Schmidt-Hofner/Ambos/Eich 2016, 11; Redepenning 2016, 30–33. Kühr 2006, 50, vgl. dazu bereits J. Engels, s. v. „Raum“, in: Mensch und Landschaft in der Antike (1999), 408–411. Rau 2013, 18. Vgl. die Darstellungen bei Quirling 1966; Patricios 1971; Algra 1995; Burkert 1996. Zu Raumkonzepten in der griechischen Literatur vgl. Jong 2012 und die weiteren Beiträge im Sammelband Jong (Hg.) 2012; Skempis/Ziogas 2014. Vgl. Rau 2013, 18. Rau 2013, 19. Hartmann 2010, 37, Anm. 32 mit Verweis auf Plat. Tht. 191c–d sowie Aristot. an. 431a17–18; 432a,1– 14 und der weiteren Literatur; Arrington 2015, 13. Aristot. metaph. 1,980a21–27. Vgl. zur Verbindung dieser Aspekte O’Connell 2017, 12. Vgl. außerdem Aristot. an. (de memoria et reminiscentia) 449b31–450a. Dort wird ein Zusammenhang von realen Örtlichkeiten und imaginären Vorstellungen hergestellt: „Erinnerung braucht zudem einen Ausgangspunkt und Aristoteles stellt fest, dass sich Orte als solche Ausgangspunkte der Erinnerung eignen.“ (Schade 2011, 118).
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Raum und Erinnerung
turen bzw. Gegenständen“.16 Da die antike Gedächtniskunst aber nicht nur einzelne Gebäude, sondern auch „ganze Stadtbilder als Erinnerungsspeicher“ nutzte, könne sich auch das Konzept der Erinnerungslandschaft, so Andreas Hartmann überzeugend, auf antike Vorbilder berufen.17 Zu bedenken ist hier aber immer, dass theoretische Schriften, die insbesondere aus dem philosophischen Bereich stammen, wenig Aufschluss über die gelebte Praxis geben können.18 Uwe Walter zufolge ist es zudem fraglich, ob „die Verteilung und Anordnung des zu memorierenden Stoffs in den Räumen eines Gebäudes oder den Bauten einer Stadt […] in der beschriebenen Weise überhaupt funktionieren konnte.“19 Doch auch wenn Walters Zweifel zutreffend wären, bliebe zu konstatieren, dass diese Art und Weise der Memorierung durch Objekte und Orte zumindest in den theoretischen Schriften weit verbreitet war und Aufschluss darüber geben kann, welche Bedeutung die Verknüpfung von Raum und Erinnerung in der antiken Rhetorik einnahm. Im modernen wissenschaftlichen Sprachgebrauch kann der Raum mit einem breiten Bedeutungsspektrum versehen werden. Es kann damit eine Oberfläche oder auch ein dreidimensionaler Raum ebenso wie ein nicht primär physischer Raum wie zum Beispiel der soziale Raum bezeichnet werden.20 Im Gegensatz zum Raum ist der Ort in der Wortbedeutung als räumliche Herausgehobenheit zu begreifen, er benennt also eine bestimmte Stelle innerhalb eines Raumes.21 Auch im alltäglichen Sprachgebrauch wird zwischen Ort und Raum unterschieden. Der Ort bezeichnet eine genau lokalisierbare Stelle, Räume sind meist großflächiger oder ausgedehnter konzipiert.22 In der vorliegenden Untersuchung wird dem Begriff des Raumes vor dem des Ortes der Vorzug gegeben, da es sich bei dem damit verknüpften und in dieser Untersuchung zentralen Konzept der Erinnerung um einen Prozess handelt, der mit Bewegung und Betrachtung, mit Blickachsen und unterschiedlichen Perspektiven der Wahrnehmung
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Hartmann 2010, 37 mit Verweis auf Rhet. Her. 3,28–40; Cic. De or. 2,350–360; Quint. Inst. 11,2. Vgl. auch Yates 1966, 17–62; J. Assmann 1992/2007, 29 f. auch zum Gegensatz zwischen Mnemotechnik und Erinnerungskultur; 59 f.; Coleman 1992, 5–38; Menke 2003; Small 2005, 81–94; Frank/Lange 2010, 59; Ebeling 2010, 121; Schade 2011, 113; 116–119; Hedrick 2013, 286 f.; Arrington 2015, 13. Hartmann 2010, 37 mit Anm. 33 mit den Quellen und weiterer Literatur; vgl. ebenso bereits J. Assmann 1992/2007, 60. Vgl. dazu Walter 2004, 33; Fredal 2006a, 7; Frank/Lange 2010, 59, dort wird außerdem die Mnemotechnik als „Teil einer Elitenkultur“ bezeichnet, die durch die Schnittstelle mit dem Performativen aber auch anderen Gruppen zugänglich gewesen sei. Vgl. auch Hartmann 2010, 37 mit Anm. 32. Als eindrückliches Beispiel eines antiken römischen Rezeptionsvorgangs kann Cic. Fin. 5,2 dienen. Dort werden Orte nicht nur als ein Gedächtnismedium unter anderen genannt, sondern gegenüber Wort und Schrift „stark privilegiert“. Eine ausführliche Besprechung dieser Passage bei Hartmann 2010, 31–35 (Zitat 32) mit der weiteren Literatur. Walter 2004, 34 mit Anm. 94–95 mit den Quellen und weiterer Literatur. Vgl. dagegen Yates 1966, 17–62. Vgl. Rau 2013, 58. Zum Konzept des sozialen Raumes vgl. insbesondere Löw 2001. Vgl. Rau 2013, 57 f. mit der Begriffsgeschichte. Vgl. Rau 2013, 64.
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verbunden ist. Einerseits kann der Prozess der Erinnerung in einem konkret erfahrbaren, physischen Raum stattfinden, andererseits kann der Begriff des Erinnerungsraumes aber auch einen metaphorischen Raum bezeichnen, der aus den (gemeinsamen) Erinnerungen der athenischen Bürger gebildet wird. Raum ist also ein „Produkt menschlicher Handlungen und Sinnzuschreibungen […], indem das handelnde und erkennende Subjekt naturräumliche Gegebenheiten und/oder menschliche Artefakte zueinander und zu sich selbst in Beziehung setzt (oder Letztere selbst schafft) und dabei mit Bedeutung versieht.“23
Eine wichtige Forschungsaufgabe ist es demnach, die Pluralität dieser räumlichen Dimensionen in ihrem jeweiligen Kontext zu analysieren. Die Vorteile einer solchen Betrachtung liegen mit Susanne Rau darin, dass Räume dann nicht auf Materialität oder Lokalisierung reduziert werden, wenn man sie wesentlich als „von Akteuren vorgestellt oder gemacht“, darüber hinaus von diesen „möglicherweise auch missbraucht oder individuell angeeignet“, betrachtet.24 Dieses Konzept legt den Fokus auf die zentrale Rolle des Beobachters, indem betont wird, dass Räume Beobachter benötigen, um gesellschaftlich zu existieren – sie sind maßgeblich auf Rezipienten, die sie wahrnehmen, benutzen und erinnern, angewiesen.25 Diese Rolle kann durch die Interaktion mit einem real präsenten Ort, ebenso aber auch ohne die Nähe eines externen Bezugspunkts ausgefüllt werden.26 Über den Raum im materiellen Sinne hinaus geht auch der Begriff der „Raumpraktiken“. Er bezeichnet die „aktivere Seite des räumlichen Handelns“, das heißt das „Durchqueren, Gestalten, Verändern, Schaffen von Verbindungen und weiteres Tun, das Räume schafft, verändert oder wieder zum Verschwinden bringt“. Diese Herangehensweise betont die Praktiken der Akteure, also entweder individuelle Handlungen, oder als kollektive Dimension eine von Susanne Rau so bezeichnete „(Raum-) Kultur“.27 In diesem Sinne ist auch die hier behandelte Rhetorik als Raumpraxis zu verstehen. Das Hauptaugenmerk der Untersuchung liegt im Rahmen der Raumwahrnehmung und Raumproduktion auf der konkret materiellen Seite der Erinnerung, also auf Erin23
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Schmidt-Hofner/Ambos/Eich 2016, 11 sowie zur Verbindung zwischen Raum und (soziopolitischer) Ordnung. Grundlegend zum soziologischen Aspekt des Raumes und der Raumproduktion Lefebvre 1974; Soja 1989; Bourdieu 1991; Löw 2001. Einen Überblick bietet Schroer 2006. Zur materiellen und symbolischen Seite des Raumes vgl. auch Rau 2013, 192; Hilger 2011, 37; Hölkeskamp 2015, 39 f. Rau 2013, 192. Zur Pluralität der Räume vgl. auch Hölkeskamp 2015, 38–40. Vgl. Rau 2013, 172. Rau 2013, 175–176. Zu der Verknüpfung der Konzepte „Erinnerung“ und „Raum“ vgl. auch Ebeling 2010, bes. 121; Damir-Geilsdorf/Hendrich 2005, 34–37. Zu der Rolle von Bildern als Bestandteile von Wirklichkeitskonstruktionen vgl. Von den Hoff/Schmidt 2001; Gilhuly/Worman 2014, 1 f.; Arrington 2015, 17. Rau 2013, 183; vgl. auch Mann 2009a, 11 f.; Hölkeskamp 2015, 17 f.
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nerungsräumen und einzelnen Objekten, die das „Kriterium der Lokalität“ erfüllen.28 Die beiden Begriffe „Denkmal“ und „Monument“ sind dabei zentral und werden in der Untersuchung synonym verwendet.29 Die Begriffsdefinition orientiert sich an den Prämissen, die Tonio Hölscher formuliert hat: Demnach lassen sich Denkmal und Monument nicht statisch, als ein Bündel von bestimmten Merkmalen, definieren, sondern als „dynamisches Konzept von Funktionen und Intentionen“.30 Grundsätzlich verweisen beide Begriffe auf ihre Funktion und Intention, an etwas zu erinnern bzw. etwas in das Gedächtnis zu rufen. Auch die Begriffe mnema oder mnemeion im Griechischen und das lateinische monumentum bezeichnen das Gedächtnis an ein Ereignis oder eine Person.31 Der Begriff mnema/mnemeion kann darüber hinaus ein (materielles) Denkmal bezeichnen. Auch die Stadt Athen insgesamt wird als mnemeion benannt.32 Der Begriff hypomnema kann ebenfalls im Sinne von „Denkmal“ aber auch als „Erinnerung“ oder „Gedächtnisstütze“ verstanden werden.33 Die Intention der Erinnerung kann von unterschiedlicher Intensität sein, somit ist die Denkmalhaftigkeit eine Qualität, „die den materiellen Trägern von Gedächtnis teils in mehr, teils in minder starkem Maß eigen ist.“34 Tonio Hölscher zufolge sind drei verschiedene Bedeutungsebenen des Denkmalbegriffs zu unterscheiden. Zunächst kann das Denkmal als „Überrest und Zeugnis der Vergangenheit“ begriffen werden.35 In diesem Sinne sind alle monumentalen Zeugnis-
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Rau 2013, 175 und zum Verhältnis von „Materialität und Konstruktivität“ dies. 2010, 333. Vgl. auch Hölkeskamp/Stein-Hölkeskamp 2011, 40 sowie knapp bereits Van Groningen 1953, 3. Auf der theoretischen Ebene Piltz 2008, 95: „Will man Raum nicht nur als Metapher fassen, bleibt der Historiker angewiesen auf ein materiales Korrelat. Oder anders herum: diese Abstrakta werden historisch dann greifbar, wenn man sie verortet. Dies hat zur Folge, dass Raum keine abstrakte Analysekategorie bleibt, sondern anhand vorhandener Quellenbefunde als z. B. Beschreibungskategorie und/ oder Medium in den Blick rückt.“ Vgl. T. Hölscher 2014a, 256 f. Im heutigen Sprachgebrauch ist mit dem Begriff des ‚Monuments‘ meist ein Denkmal von besonderer Größe gemeint, diese Charakterisierung wird in der vorliegenden Arbeit jedoch nicht vorgenommen. T. Hölscher 2014a, 256. Vgl. T. Hölscher 2014a, 257. Zur Verbindung der Konzepte „Monument“ und „Erinnerung“ vgl. Hedrick 2013, 386 f. sowie zur Begriffsdefinition des Monuments 388 f., zusammenfassend 389: „by etymology a ‚monumental‘ structure is associated with the recollection of the past.“ Vgl. auch ders. 2006, 17–19 sowie Hölkeskamp 2004b, 26. Vgl. Thomas 1989, 50; Marconi 2009, 170; Gehrke 2014, 29 f. Die Stadt als mnemeion beispielsweise bei Isokr. 8,94. Vgl. Clarke 2008, 281. Zum Begriff mnemeion bei Isokrates vgl. auch Alexiou 1995, 21 f. Vgl. Liddell/Scott 1940, s. v. ὑπόμνημα, 1889. Vgl. auch Kousser 2009, 269 f. Zum Begriff in Zusammenhang mit Inschriften Luraghi 2010, 260 und insbesondere Chaniotis 2014, vgl. Kap. 5.1.3 mit weiterer Literatur. T. Hölscher 2014a, 257. T. Hölscher 2014a, 257. Vgl. auch die „drei Klassen von Denkmälern“ bei Alings 1996, 13, die schematische Anordnung von Monumenten „memorialer Natur“ bei Walter 2004, 137 f. sowie die drei Aspekte der Verknüpfung von Raum und Erinnerung bei Damir-Geilsdorf/Hendrich 2005, 35. Demnach kann der physische Raum in „individueller Aneignung zu Erinnerungsanlass werden,
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se einer vergangenen Kultur als Denkmäler zu begreifen und kann jeder „antiquarische Überrest“ als „potentieller Erinnerungsgegenstand“ fungieren.36 Grundsätzlich ist keine Intention der Urheber impliziert, historisches Gedächtnis zu stiften, schließlich werden „Tempel, Häuser und Straßen […] zunächst nicht zu dem Zweck gebaut, die Erinnerung an Ereignisse oder Personen für die Nachwelt wach zu halten.“37 Stattdessen ist es die Nachwelt, die die Bauten oder ihre Ruinen als kulturelle Zeugnisse der Vergangenheit bewertet. Der Denkmalcharakter solcher Strukturen kann demnach als „dokumentarisch, un-intentional, rezeptions-bedingt“ bezeichnet werden.38 Es kommt im Verlaufe der Zeit zu einer „Transformation von Funktion in Memoria“.39 Dieses Phänomen lässt sich in einigen Reden des Demosthenes beobachten, in denen er die Häuser berühmter Strategen des 5. Jahrhunderts als Zeugnisse und Beweise ihres vorbildhaften und bescheidenen Privatlebens anführt.40 Auch die Symbolisierung bestimmter Ereignisse und Entwicklungen durch die Stadtmauern gehört zu dieser Gruppe.41 Auf einer weiteren Bedeutungsebene lassen sich Monumente als „Manifestation von herausragender, überzeitlicher Bedeutung“ charakterisieren, durch die sich Einzelpersonen oder Gruppen „dauerhafte sichtbare Zeichen für ihre zentralen Strukturen und Praktiken der Macht und Identität setzten“. Eine solche „Kultur der Monumente“ findet sich im antiken Griechenland ab der archaischen Zeit im sakralen Bereich, in Form von Tempelbauten sowie großformatigen Skulpturen für Heiligtümer und Gräber. Sie wird in den folgenden Jahrhunderten zu einer „Kultur der öffentlichen Räume“ weiterentwickelt.42 Solche Monumente waren gleichzeitig zu ihrer sakralen Bedeutungszuschreibung auch „Ausdruck besonderer Frömmigkeit und Freigiebigkeit, Macht und Größe“ der jeweiligen Bauherren, einzelner Personen oder aber, wie im Fall der Polis Athen, auch des gesamten Demos.43 Eindrücklichstes Beispiel sind die Bauten und Bilder der Akropolis, die auch und gerade im 4. Jahrhundert mit zahlreichen Sinnzuschreibungen versehen wurden.44
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oder zum Zweck kollektiver Erinnerung zum Erinnerungsanlass bestimmt oder mit dieser Absicht erbaut werden.“ Hartmann 2010, 22. T. Hölscher 2014a, 257. T. Hölscher 2014a, 257; vgl. dazu auch Hartmann 2010, 21, der darauf hinweist, dass insbesondere Baudenkmäler „nicht auf ihre Wirksamkeit als mnemonischer Index beschränkt“ seien, sondern auch meist eine gegenwärtig-praktische Funktion hätten. So wurde nicht jedes alte Gebäude in erster Linie als Denkmal begriffen, schon gar nicht als eines, das auf ein als bedeutsam empfundenes Ereignis oder eine Gestalt der Geschichte verweist. T. Hölscher 2010, 131. Demosth. 3,26; 13,29; 23,207. Vgl. Hedrick 2013, 388. Vgl. Kap. 6. T. Hölscher 2014a, 257. Zu Begriff und Konzept der öffentlichen Räume vgl. auch ders. 1998a. T. Hölscher 2014a, 258. Vgl. in diesem Zusammenhang den Begriff der „Repräsentation“ bei Bergmann 2000. Vgl. Kap. 3.
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Eine explizite und intentionale Kommemoration ist hingegen in der dritten Gruppe von Monumenten gegeben, die der Stiftung von ‚öffentlichem Gedächtnis‘ dienen: Diese Denkmäler im engeren Sinne sollen Taten und Personen ein „immerwährendes Andenken“ sichern und damit die Erinnerung für die Zukunft bewahren.45 Dieser engere Denkmalbegriff liegt bereits der Definition von Alois Riegl zugrunde, der in seiner Untersuchung „Der moderne Denkmalkultus“ Denkmäler als von Menschen geschaffene Objekte bezeichnete „errichtet zu dem bestimmten Zwecke, um einzelne menschliche Taten oder Geschicke (oder Komplexe mehrerer solcher) im Bewußtsein der nachlebenden Generationen stets gegenwärtig und lebendig zu erhalten“.46 Uwe Walter hat im Zusammenhang damit zu Recht angemerkt, dass die Begriffe „Präsenthaltung“ oder auch „Vergegenwärtigung“ die Funktion solcher Denkmäler besser zum Ausdruck bringen, als „Kommemoration“.47 Diese Wahrnehmung kann zusätzlich durch Gedenktafeln, Abgrenzung und Rituale oder aber auch konservatorische Maßnahmen gesteuert werden.48 Im Athen des 4. Jahrhunderts sind insbesondere die Ehrenstatuen in den Rahmen eines engeren Denkmalbegriffs einzuordnen.49 Bei den letzteren beiden Gruppen, die sich auf konkrete Denkmäler bezogen oft nicht trennscharf unterscheiden lassen, handelt es sich um den Ausdruck einer gemeinsamen Identität und eines spezifischen Anspruchs auf dauerhafte Dominanz, entweder einer Person gegenüber anderen Personen, oder einer Personengruppe, im Falle dieser Untersuchung der Bürger der Polis Athen, gegenüber anderen Gruppen. Die Prägung des Stadtbildes der Polis Athen durch die Errichtung insbesondere ‚politischer‘ Denkmäler erfolgte vor allem im 5. Jahrhundert, als „die öffentlichen Räume der Stadt zu […] Manifestationen politischer Botschaften umgestaltet“ wurden.50 Dabei lag es nicht in der Intention der Athener, „das Einmalige des Geschehens festzuhalten,
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T. Hölscher 2014a, 258 und ders. 2010, 131. Vgl. ähnlich auch schon Alings 1996, 15; Grütter 1997, 113; Alcock 2002, 28; Hölkeskamp/Stein-Hölkeskamp 2011, 45; Steinbock 2013a, 84. Zu Denkmälern als „Ausdruck der Wissensordnung“ vgl. Speitkamp 2000, 161. Riegl 1903, 1; dazu und zu der historischen Entwicklung des Denkmalbegriffs ausführlich Alings 1996; Walter 2004, 131 f. mit Anm. 2; Hartmann 2010, 21 mit Anm. 38. Von diesem Denkmalbegriff setzt sich Hartmann dann aber für seine Untersuchung explizit ab. Zu seiner Fragestellung in Hinblick auf Überreste der Vergangenheit in der Antike vgl. Kap. 1.2. Walter 2004, 131. Vgl. Speitkamp 2000, 161, der betont, dass Denkmäler nur scheinbar auf die Vergangenheit rückverwiesen, stattdessen aber vor allem eine Strukturierung und Deutung der Vergangenheit vornähmen und damit eine Nutzung für die Erinnerung in der Gegenwart sowie eine Steuerung der Zukunft ermöglichten. Vgl. Hartmann 2010, 22. Vgl. Kap. 4. T. Hölscher 2010, 137, der dieses Phänomen mit dem Begriff der „Monu-Mentalität“ belegt. Zu der Entstehung und Intention politischer Denkmäler vgl. auch Kap. 1.2 und Kap. 8.1 am Beispiel des Tropaions.
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sondern die allgemeinen Bedingungen und Voraussetzungen für Erfolge zu propagieren, als Handlungsanweisungen für die Nachkommenden.“51 Von diesen im engeren Sinne „historischen“ Monumenten und unabhängig von den drei genannten Kategorien sind die „Orte der mythischen Vorzeit“ abzugrenzen.52 Auch sie waren eine „Quelle“ der Identität als Gemeinschaft der Polisbürger. In Zusammenhang mit diesen Orten wurden basale Strukturen und Werte der Gemeinschaft in der Vorzeit verankert und gewannen dadurch Autorität und Stabilität.53 Das Aussehen der betreffenden Orte deckte eine große Spannbreite ab: Es reichte von „reinen Lokalitäten“ wie „Naturmalen“ bis hin zur monumentalen Ausgestaltung solcher Orte. Die eigentliche Suggestion ging aber immer vom Ort als solchem aus.54 Nicht nur die monumentale Ebene, sondern auch andere Medien bilden den Ausdruck gemeinsamer Identität: Rituale, Zeremonien, Feste, öffentliche Reden, performative Inszenierungen, aufwändige Lebensformen legen Zeugnis vom Selbstverständnis einer Gemeinschaft ab.55 Solche „Erinnerungshandlungen“ werden im Laufe der Untersuchung dort einbezogen, wo sie ausdrücklich auf einen Raum, einen Gedächtnisort oder ein Denkmal bezogen sind.56 Um die Bedeutung von Denkmälern als materielle Erinnerungsträger57 sowohl für die Redner, also auf der Ebene der argumentativen rhetorischen Nutzung als auch, soweit möglich, auf der Ebene der Rezeption durch die athenischen Bürger erfassen zu können, ist die folgende Untersuchung nach einzelnen Monumenten und Monumentkomplexen strukturiert. Diese Auswahl orientiert sich an den öffentlichen Räumen
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M. Meyer 2005, 310. Vgl. auch Foxhall 1995. Dieser Gedanke ist auch in den Reden des 4. Jahrhunderts überliefert, beispielsweise Demosth. 15,35; Plat. Mx. 245a und generell zu historischen Beispielen als Handlungsanweisungen für die Zukunft u. a. bei Aischin. 2,77; 138; And. 3,2; 29; Deinarch. 1,33; Demosth. 3,21–26; Isokr. 2,35; 4,141; 8,101; Lykurg. 1,83; 98; Lys. 2,3; 26; 25,23. Vgl. ausführlich T. Hölscher 2010, 132–137 mit Beispielen. Insbesondere die Mythen rund um die Taten des Theseus sowie die Amazonomachie spielten in ihrer Verortung in Athen eine herausragende Rolle. Eine ähnliche Abgrenzung von Denkmälern und „Gedächtnisorten“ nimmt auch Walter 2004, 155–195 am Beispiel Roms (mit ausführlichen Beispielen) vor. T. Hölscher 2010, 132. Vgl. Hölscher 2010, 136 f. T. Hölscher 2014a, 258. Vgl. ausführlich zu „Raum und Performanz“ mit den Quellen und weiterer Literatur Hölkeskamp 2015. Zur Bedeutung von Festen für die kollektive Identität einer Gemeinschaft und die damit verbundene Raumerfahrung vgl. auch H. Beck/Wiemer 2009, auch mit Betonung des Vergangenheitsbezugs der meisten Feste (28–34) sowie die weiteren Beiträge im zugehörigen Sammelband H. Beck/Wiemer (Hgg.) 2009. Vgl. außerdem Burkert 1987; Connerton 1989, 41–71; Chaniotis 1991; 2006; Zimmermann 1991; Robertson 1992; Evans 2010; Sourvinou-Inwood 2011; Schmitt Pantel 2013 auch zur Verbindung von Erinnerung, Ritual und Monumenten. Vgl. generell zur „externen Fixierung“ historischen „Wissens“ in solchen Medien Echterhoff 2008, 80 f. Vgl. Hartmann 2010, 22. Zum Begriff vgl. Speitkamp 2000, 161; T. Hölscher 2010, 131; Steinbock 2013a, 44; Gehrke 2014, 32.
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der Polis:58 Die Akropolis als wichtigstes Heiligtum im Zentrum der Stadt, die Ehrenstatuen insbesondere auf der Agora, die Stadtmauern, die Gräber und zuletzt, weil außerhalb und teilweise auch in großer räumlicher Distanz zur Polis Athen, die Tropaia. Dabei kann es sich nur um eine selektive Auswahl handeln, die jedoch die besondere Prominenz der genannten Monumente in den Reden widerspiegelt. Auch Inschriften werden einbezogen, sofern diese als Überreste von erheblichem Alterswert in ihrem „Dingcharakter“ wahrgenommen wurden. In diesem Fall ist weniger der Text als Text von Bedeutung, sondern der Text als Monument, also die „Rezeption seiner äußeren Gestalt“.59 Da hier vor allem die Inschriften innerhalb der Stadtmauern, insbesondere in Verbindung mit Monumenten auf der Akropolis und der Agora, eine Rolle spielen werden, folgt dieses Kapitel auf die Untersuchung zu den Ehrenstatuen. Die einzelnen Abschnitte der Untersuchung stehen mehr oder weniger unverbunden nebeneinander und können auch separat gelesen werden. Den diachronen Untersuchungen ist eine Analyse der Rede des Lykurgos „Gegen Leokrates“ vorangestellt, die in exemplarischer Weise den Umgang mit Erinnerungsräumen aufzeigt. Die Prozessrede nimmt zwar in diesem Zusammenhang eine Ausnahmestellung unter den Reden des 4. Jahrhunderts ein, soll aber trotzdem an prominenter Stelle und ausführlicher untersucht werden, da die Verwendung von vielen Elementen, die in den nachfolgenden systematischen Kapiteln untersucht werden sollen, hier verdichtet gezeigt werden kann.60 In den darauf folgenden Abschnitten soll dann sowohl anhand der Betrachtung einzelner Reden als auch der jeweils ausgewählten Monumente die Vernetzung von Monumenten, Rhetorik und Erinnerung zu Erinnerungsräumen in Athen und für die Athener deutlich gemacht werden. Dabei werden die Unterkapitel zu den Monumenten in einigen Fällen chronologisch angeordnet, wie die Betrachtungen zu den Ehrenstatuen (Kapitel 4) oder zu den Mauern Athens (Kapitel 6), in anderen Kapiteln wird eine Unterteilung nach Denkmälergattungen oder thematischen Kriterien vorgenommen. Dies geschieht insbesondere dann, wenn es sich, wie im Fall der Akropolis (Kapitel 3), um einen größeren Monumentkomplex handelt, oder aber, wie im Kapitel zu den Inschriften (Kapitel 5) oder auch zu den Gräbern (Kapitel 7) sich das Material, zumindest teilweise, einer genaueren chronologischen Einordnung entzieht. Durch die Mischung aus chronologischen und thematischen Kriterien der Analyse wird zudem das Potential der Vernetzung der Denkmäler besser deutlich. Die Kapitel werden jeweils 58
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Grundlegend T. Hölscher 1998a mit der älteren Literatur, knapp bereits ders. 1991, 355 f.; 368 f. Vgl. außerdem Reden 1998; Kenzler 1999 (insbesondere zur Agora, dazu auch die ausführliche Rezension von K.-J. Hölkeskamp, in: ZRG 119 (2002), 389–396); Bergmann 2000, 177 f.; Hénaff/Strong 2001, 4–6; Hölkeskamp 2003, 84; 86 f.; 2004b; 2015, 48–52; Boman 2003; Gottesman 2014. Zu den Inschriften als Symbole und Monumente vgl. Thomas 1989, 49 f.; 64–68. Dazu auch Hartmann 2010, 29 (Zitat) und ausführlich Kap. 5.1.3. In den folgenden inhaltlichen Kapiteln werden die entsprechenden Stellen aus der Rede „Gegen Leokrates“ erneut hinzugezogen. Die dadurch entstehenden Redundanzen sind beabsichtigt und sollen die besondere Bedeutung der ausgewählten Denkmäler und Monumente deutlich machen.
Raum und Erinnerung: Ein Forschungsüberblick
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von einem kurzen Abschnitt eingeleitet, der anhand eines Auszugs aus einer der Reden anschaulich nachzuvollziehen versucht, welche Ansichten sich den versammelten Athenern boten und wie diese Ansichten auf sie wirkten. Diese Abschnitte entbehren nicht einer gewissen Fantasie – historische Tatsachenberichte sind aufgrund der Quellenlage zu den einzelnen Reden nicht möglich – sollen aber als Einführung zentrale Punkte deutlich machen. Angelehnt ist dieses Vorgehen an die (weitaus ausführlicheren) Beschreibungen beispielsweise bei Karl Schlögel, der das „Motiv des Flanierens“ für seine Betrachtungen genutzt hat.61 In der Alten Geschichte hat Diane Favro als Rahmenhandlung zu ihrer Untersuchung „The Urban Image of Augustan Rome“ einen fiktiven Rundgang mehrerer Generationen einer Familie durch Rom und seine Umgebung ausgearbeitet, um zu zeigen, wie sehr sich das Bild und die Wahrnehmung dieser Stadt im Verlaufe der Herrschaft des Augustus verändert haben.62 1.2 Raum und Erinnerung: Ein Forschungsüberblick Nicht erst seit der Ausrufung des spatial turn in den Geistes- und Sozialwissenschaften sind die räumlichen Aspekte von Geschichte(n) und Erinnerung hervorgehoben worden.63 Der Begriff des Erinnerungsraumes lässt sich dabei als das Zusammenwirken zweier Konzepte verstehen. Erinnerung meint hier neben der persönlichen und individuellen Erinnerung vor allem die Ausprägung eines bzw. mehrerer „kollektiver“ respektive „sozialer“ Gedächtnisse. Als Räume werden „materielle Objektivationen der Erinnerung“, also Denkmäler und Monumente im weitesten Sinne, sowohl in greif-
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Vgl. Schlögel 2003 und knapp ders. 2007, 35, dazu auch Rau 2013, 110–112 (Zitat 111). Vgl. Favro 1996, Kap. 2 „A Walk Trough Republican Rome, 52 B. C.“ und Kap. 7 „A Walk Through Augustan Rome, A. D. 14“. So stand bereits der Historikertag 1986 unter dem Motto „Raum und Geschichte“. Vgl. hierzu den aus diesem Anlass verfassten Vortrag gleichen Titels von Reinhart Koselleck (hier zitiert aus seiner Veröffentlichung in Koselleck 2000, 78–96). So stellt Koselleck fest: „Daß Geschichte, was immer dies sei, mit Raum zu tun hat, oder besser Geschichten mit Räumen zu tun haben, das wird niemand leugnen wollen. Aber der Allgemeinheitsanspruch beider Kategorien ist so hoch, daß sie entweder verblassen oder emotional überfordert werden.“ (Koselleck 2000, 78) Koselleck legt den Schwerpunkt dann auf den Natur- und Handlungsraum, und beschreibt die Entwicklung vom Blickpunkt der Moderne aus betrachtet. (Koselleck 2000, 90–96) Vgl. dazu auch Hölkeskamp 2015, 34. Zum spatial turn: Bachmann-Medick 2006, bes. 284–328; die Beiträge bei Döring/ Thielmann (Hgg.) 2008; Günzel (Hg.) 2007 und 2010, dort vor allem der Beitrag von Döring 2010; Lahn/Schröter 2010 insbesondere zur Relevanz für die historischen Wissenschaften, dort auch der Beitrag von Rau (2010), ebenso Rau 2013, 8–11 und passim; Hilger 2011 zum spatial turn in der Architekturwissenschaft. Eine Zusammenfassung der altertumswissenschaftlichen Ansätze findet sich bei Scott 2013, 1–13; Hölkeskamp 2015, 33–40 mit weiterer Literatur; Schmidt-Hofner/Ambos/Eich 2016, 9 f.; Redepenning 2016. In seiner weitesten Definition als einer „gesteigerten Aufmerksamkeit für die räumliche Seite der geschichtlichen Welt“ bei Schlögel 2003, 68 und passim sowie ders. 2007, 33 f.; vgl. auch Hölkeskamp/Stein-Hölkeskamp 2011, 40.
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und sichtbar konkreter, als auch in metaphorischer Hinsicht verstanden.64 Die beiden Bereiche „Erinnerung“ und „Raum“ bedürfen eines Überblicks über die Forschungslandschaft. Grundlegend für das Konzept des „kollektiven Gedächtnisses“ sind die Untersuchungen von Maurice Halbwachs.65 Dabei werden zwei Konzepte von kollektivem Gedächtnis vereint: Das organische Gedächtnis des Individuums, das sich in einem bestimmten soziokulturellen Umfeld herausbildet und der Bezug auf Vergangenes innerhalb von sozialen Gruppen und Kulturgemeinschaften durch Interaktion, Kommunikation, Medien und Institutionen. Erst durch die Kommunikation mit Anderen werde Wissen über Daten und Fakten, kollektive Zeit- und Raumvorstellungen sowie verschiedene Denk- und Erfahrungsströmungen erworben.66 Kollektives und individuelles Gedächtnis sind demnach als wechselseitig voneinander abhängig zu begreifen. Träger des kollektiven Gedächtnisses sind zeitlich und räumlich begrenzte Gruppen, die Erinnerung stark wertend und hierarchisierend organisieren. Zentrale Funktion des kollektiven Gedächtnisses ist die Identitätsbildung: „Erinnert wird, was dem Selbstbild und den Interessen der Gruppe entspricht.“ Insofern besitzt diese Form der Erinnerung einen starken Gegenwartsbezug.67 Insgesamt lässt sich mittlerweile ein weiter Anwendungsbereich des Begriffs „kollektives Gedächtnis“ in zahlreichen wissenschaftlichen Disziplinen konstatieren. In diesem Prozess haben sich einige Kritikpunkte am Konzept und seiner Benennung ergeben. So ist als Alternative zu dem problematisierten Begriff des „kollektiven Gedächtnisses“ die Bezeichnung als „soziales Gedächtnis“ vorgeschlagen worden.68 Gerade der weite Anwendungsbereich der beiden Begriffe und seine Offenheit haben zum Vorwurf der Beliebigkeit und der mangelnden definitorischen Schärfe geführt.69 In64
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Hartmann 2010, 36. Zu den Begrifflichkeiten „Erinnerung“ und „Gedenken“ bzw. „Gedächtnis“ vgl. auch Platt/Dabag 1995, bes. 12. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung wird der Erinnerungsbegriff jedoch weiter gefasst und bezeichnet nicht nur Ereignisse, die unter direkter Beteiligung der „Erinnerungsgemeinschaft“ stattgefunden haben. Halbwachs 1925/1966; 1949/1991. Zum Folgenden die ausführliche Zusammenstellung bei Erll 2005, 14–18 mit weiterer Literatur, auch zur Biografie Halbwachs’. Ausführliche Diskussionen zum Konzept von Maurice Halbwachs und der damit verbundenen Kritik auch bei J. Assmann 1992/2007, 34–48; Niethammer 1995; Grosse-Kracht 1996; Reinhardt 1996; Wischermann 1996a und b; Straub 1998; die einschlägigen Beiträge bei Pethes/Korte (Hgg.) 2001; die Beiträge bei Echterhoff/Saar/J. Assmann (Hgg.) 2002; Misztal 2003, 50–56, jeweils mit weiterer Literatur. Vgl. Erll 2005, 15. Halbwachs 1925/1966, 21–23; 1949/1991, 55: „Die Erinnerung ist in sehr weitem Maße eine Rekonstruktion der Vergangenheit mit Hilfe von der Gegenwart entliehenen Gegebenheiten und wird im übrigen durch andere, zu früheren Zeiten unternommene Rekonstruktionen vorbereitet“. Vgl. Erll 2005, 16 f. (Zitat 17). Vgl. grundlegend zu Begriff und Konzept Fentress/Wickham 1992 und außerdem die Beiträge bei Welzer (Hg.) 2001; Steinbock 2013a, 8–13; Arrington 2015, 14 mit der Feststellung, dass beide Begriffe weitgehend synonym verwendet werden. Vgl. u.a. Niethammer 1995, der Begrifflichkeiten wie „kollektive Identität“ respektive „kollektives Gedächtnis“ als „Plastikwort“ (27) bewertet. So liege der Erfolg des Begriffs v. a. darin begründet,
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haltliche Kritik betrifft darüber hinaus insbesondere die Wechselbeziehung zwischen individuellem und kollektivem Gedächtnis, die bei Halbwachs zu stark zugunsten des „kollektiven“ Aspekts ausfalle.70 Die Quellen gäben außerdem nur selten die „Multiplizität und Varianz“ der Erinnerung wieder. Möglich sei vor diesem Hintergrund „allein das Aufzeigen eines Rahmens des innerhalb eines spezifischen kulturellen Systems bzw. einer bestimmten Gesellschaft grundsätzlich Möglichen bzw. Denkbaren.“71 Trotz dieser nachvollziehbaren Kritik gilt Halbwachs weithin als Ausgangspunkt für Untersuchungen zu Erinnerungskultur(en) von Gesellschaften. Fest steht, dass innerhalb einer Gruppe, die häufig zusammentrifft und sich austauscht, bei aller Varianz auch gemeinsame Erinnerungen und eine gewisse Einheitlichkeit der Geschichten zu erwarten sind, die ein gemeinsames Selbstbild formten.72 In diesem Sinne wird der Begriff des kollektiven oder sozialen Gedächtnisses in der vorliegenden Untersuchung Verwendung finden. In seiner 1941 veröffentlichten Arbeit über die sakrale Topographie des Heiligen Landes behandelt Halbwachs darüber hinaus die „materiellen Objektivationen der Erinnerung“, indem er die Beschreibungen aus Reiseberichten von Pilgern seit dem 4. Jahrhundert n. Chr. auswertet und analysiert und auf dieser Grundlage die heiligen Stätten als Erinnerungslandschaft entwirft.73 Dabei geht es zunächst um die Bedeutung des konkret erfahrbaren physischen Raumes für das kollektive Gedächtnis – die Geschichte wird an Orte geheftet, die eng mit dem Leben Jesu oder der frühen Christenheit im Heiligen Land verbunden sind.74 Deutlich wird aber auch die Dynamik und Veränderung, denen diese Erinnerungsräume und die verschiedenen Gruppen, die an der Konstruktion einer solchen Erinnerungslandschaft beteiligt sind, unterworfen sind. Darüber hinaus betont Halbwachs immer wieder den Zusammenhang zwischen Orten und Ritualen: Erinnerungen seien eng mit Riten des Gedenkens und der Verehrung in Form von Zeremonien, Prozessionen und religiösen Festen verknüpft. So sei es zu erklären, dass sich die (christlichen) topographisch fixierten Erinnerungen vor
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dass er nicht durch Definitionen festgelegt werden könne (42). Vgl. auch die Kritik bei Kansteiner 2002 sowie Walter 2004, 132. Vgl. Steinbock 2013a, 9; Arrington 2015, 15 auch zur Problematik der Begrifflichkeiten. Hartmann 2010, 26–28. Vgl. auch J. Shear 2013, 535, die in diesem Zusammenhang die Pluralität des kollektiven Gedächtnisses hervorhebt: „Rather than thinking of a single, unified collective memory for the city, we need to think in terms of overlapping spheres of collective memory which, for a variety of reasons, might map more or less closely on to each other.“ Vgl. ähnlich bereits Burke 1993, 298. Vgl. Hölkeskamp 2001, 334 f.; 2009, 21–23; Flaig 2004, 108; 111; 2005, 239; Fried 2004, 85 f.; Bücher 2006, 106–108; H. Beck/Wiemer 2009, 11–13; Hartmann 2010, 35–37; Steinbock 2013a, 7–13; Dally/T. Hölscher u. a. 2014, 17; 25; Galinsky 2015 sowie die weiteren Beiträge bei Galinsky/Lapatin (Hgg.) 2015 als Befürworter der Nutzung der Konzepte des „kollektiven“ (und „kulturellen“) Gedächtnisses in der Alten Geschichte. Halbwachs 1941 („Topographie légendaire des Evangiles en Terre Sainte“, dt. 2003, danach zitiert); ausführlich besprochen u. a. bei Alcock 2002, 24–28; knapp Erll 2008, 7; Hartmann 2010, 36. Vgl. Rau 2013, 96, 189 sowie J. Assmann 1992/2007, 39–42.
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allem auf solche Orte konzentrierten, die die Ausübung eines Kultes begünstigten.75 Auch in seinen anderen Publikationen spielen räumliche Vorstellungen eine tragende Rolle, bedenkt man, „wie sehr räumliche Metaphern Halbwachs’ Beschreibung von Gedächtnisfunktionen beherrschen: ‚Rahmen‘ (‚cadre matériel‘), ‚Räume‘ (‚espace‘), ‚Orte‘ (‚lieux‘), ‚verorten‘ (‚localiser‘, ‚situer‘) sind immer wiederkehrende Schlüsselbegriffe.“76 In Anlehnung an die von Halbwachs geprägte Begrifflichkeit soll in dieser Untersuchung auch der Begriff des „kollektiven Bildgedächtnisses“77als Verknüpfung von „Raum“ und „Erinnerung“ Anwendung finden – „geteilte“ Erinnerungen, das „Wissen“ um die Vergangenheit, das auf bestimmten Bildern beruht. Ein weiterer Ausbau des Konzeptes des kollektiven Gedächtnisses erfolgte durch Jan Assmann, der die Unterscheidung zwischen „kommunikativem“ und „kulturellem“ Gedächtnis einführte.78 Neben der Fixierung des kulturellen Gedächtnisses in „kanonischen“ Texten, für deren starke Betonung auch in Bezug auf das antike Griechenland Assmann berechtigterweise kritisiert worden ist,79 spielen besonders mündliche Überlieferung, aber auch Bilder und Symbole sowie Feste und Rituale als Gedächtnismedien eine tragende Rolle.80 Assmann verweist mehrfach ausdrücklich auf die Bedeutung von Orten für die Konstituierung und Tradierung des sozialen Gedächtnisses.81 Dabei hebt er auch die Parallele zwischen Gedächtniskunst und Erinnerungskultur hervor, die eben in der Raumbezogenheit liege: So arbeite die Gedächtniskunst mit
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Halbwachs 1941/2003, 165; 194 u. ö. Auch in der neueren Forschung wird der Zusammenhang von Ort, Erinnerung und Performanz deutlich hervorgehoben: Vgl. Hölkeskamp 2015; Schmidt-Hofner/Ambos/Eich 2016, 12 f. sowie die einschlägigen Beiträge im Sammelband Schmidt-Hofner/ Ambos/Eich (Hgg.) 2016. J. Assmann 1992/2007, 60. Eine knappe Zusammenfassung der weiteren raumsoziologischen Konzepte im Werk von Maurice Halbwachs bei Erll 2008, 7; Rau 2013, 95–97. Das Konzept des „kollektiven Bildgedächtnisses“ wurde in der kunstgeschichtlichen Bildwissenschaft von Aby Warburg in den 1920er Jahren entwickelt. Vgl. dazu Diers 1995 und zusammenfassend Erll 2005, 19–21 auch zu den Unterschieden und Gemeinsamkeiten zu den Theorien Halbwachs’. Vgl. zu Begriff und Konzept außerdem Frank/Lange 2010, 59, die das kollektive Bildgedächtnis durch gemeinsame, in der gemeinschaftlichen Praxis fundierte Bilder konstituiert sehen. Zum „sozialen Gedächtnis als Bildgedächtnis“ vgl. auch Borsdorf/Grütter 1999, 2 und 5 mit dem Begriff der „Erinnerungsveranlassungsleistung“ von Bildern, der ebenfalls den Forschungen Aby Warburgs entlehnt ist. Vgl. J. Assmann 1992/2007, 50–55 und die tabellarische Übersicht über beide Erinnerungsformen ebenda, 56. Vgl. auch zusammenfassend Hölkeskamp 2001, 334. Borsdorf/Grütter 1999, 4 f. besonders zur Trennung zwischen kommunikativem und kulturellem Gedächtnis; Jung 2006, 17–19; 2011, 10–12; J. Shear 2013, 513. Vgl. Hölkeskamp 2001, 334 f. Zu den Festen als Medien des kollektiven Gedächtnisses vgl. Kap. 1.1. J. Assmann 1992/2007, 39: „Diese Tendenz zur Lokalisierung gilt für jegliche Art von Gemeinschaften. Jede Gruppe, die sich als solche konsolidieren will, ist bestrebt, sich Orte zu schaffen und zu sichern, die nicht nur Schauplätze ihrer Interaktionsformen abgeben, sondern Symbole ihrer Identität und Anhaltspunkte ihrer Erinnerung. Das Gedächtnis braucht Orte, tendiert zur Verräumlichung.“ und kurz zusammengefasst 59: „Das ursprünglichste Medium jeder Mnemotechnik ist die Verräumlichung.“ Vgl. dazu auch Hartmann 2010, 37; Hedrick 2013, 286 f.
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„imaginierten Räumen“, die Erinnerungskultur mit „Zeichensetzungen im natürlichen Raum“.82 In seiner Untersuchung zum „monumentalen Gedächtnis in der altägyptischen Kultur“ hat Assmann Ende der 80er Jahre Erinnerungs- und Raumkonzepte weiter miteinander verknüpft.83 Denkmäler bildeten „das zentrale Medium und die wichtigste Organisationsform des kulturellen Gedächtnisses“ dieser Kultur, wobei „die Denkmälerkultur normativ und formativ in das individuelle und kollektive Leben“ eingreife, sodass man in diesem Zusammenhang von einer „Denkmäler-Ethik“ und einem regelrechten „monumentalen Diskurs“ sprechen könne.84 Darüber hinaus hebt Assmann die Bedeutung der Schrift in Verbindung mit Denkmälern hervor. Diese stelle den „Bezug zu einem individuellen Subjekt der Denkmalerrichtung sicher“, damit sei jedes Denkmal „ein Appell, den ein Individuum an das soziale Gedächtnis“ richte.85 Hervorzuheben ist, dass das durch Monumente geformte kulturelle Gedächtnis nicht nur eine kollektive, institutionalisierte Seite aufweist, sondern auch alltäglich und individuell erfahren werden kann: „durch spontanen Besuch der Denkmäler, in der Lektüre der Inschriften, im Aussprechen der Namen.“86 Angelehnt an Assmanns Ausführungen zum kulturellen Gedächtnis hat HansJoachim Gehrke in mehreren Untersuchungen unter dem Schlagwort der „intentionalen Geschichte“ die von einer Gruppe „geglaubten“ Erzählungen und Sagen, Mythen und Geschichte(n) zusammengefasst, die „von erheblicher, nicht selten entscheidender Bedeutung für das reale Leben“ gewesen seien und in hohem Maße „identitätsstiftend“ gewirkt hätten.87 Gerade am Beispiel der Polis Athen könnten, nicht zuletzt aufgrund der einmaligen Quellenlage, zu der Gehrke an prominenter Stelle auch die 82 83 84 85 86
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J. Assmann 1992/2007, 60. Zur antiken Gedächtniskunst und dem darin inbegriffenen Aspekt der Räumlichkeit vgl. Kap. 1.1. J. Assmann 1988. J. Assmann 1988, 96–98; 100. J. Assmann 1988, 100. J. Assmann 1988, 100. Diese Alltäglichkeit der Raumerfahrung gilt es auch in der vorliegenden Untersuchung herauszustreichen, während Fragen der (Assmann’schen) Kanonisierung weniger von Belang sind. A. Assmann 2009 (zuerst 1999) hat in der Veröffentlichung ihrer Habilitationsschrift aus dem Jahr 1999 zu „Erinnerungsräumen“ als „Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses“ einen dezidierten Schwerpunkt auf Erinnerung und Raum im metaphorischen wie im materiellen Sinne gelegt. Zwar werden vor allem Untersuchungsgegenstände der Neuzeit thematisiert, jedoch wird auch auf die Bedeutung von Monumenten, z. B. in den griechischen Poleis, hingewiesen. Vgl. A. Assmann 2009, 43 und allgemein: „Die Ereignisse und Taten einer großen, aber dunklen Vergangenheit bedürfen der Beglaubigung durch Orte und Gegenstände. Relikte, die diese Beglaubigungsfunktion erfüllen, gewinnen den Status von ‚Monumenten‘.“(55); 225–227; 299–301; 309. Vgl. Gehrke 1994 (Zitate 247). Zum Konzept der intentionalen Geschichte s. auch ders. 2001, besonders 286 und 297–306, dort auch zur Ausformung dieser intentionalen Geschichte in der Polis Athen; ders. 2003a; 2004, bes. 22–26; 2010, 16–18 sowie die weiteren Beiträge bei Foxhall/Gehrke/ Luraghi (Hgg.) 2010; Gehrke 2014, bes. 5–7 und passim. Kritisch zu Konzept und Begrifflichkeit Kühr 2006, 28–30.
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Rhetorik zählt, Funktion und Wirkung einer solchermaßen geformten intentionalen Geschichte untersucht werden.88 Besonders die Gefallenenreden trügen dazu bei, dass ein bestimmtes Bild der athenischen Geschichte immer wieder vermittelt würde, das sich vor allem auf die „mythisierte“ Schilderung der Perserkriege sowie die damit verknüpften Erzählungen einer noch davor liegenden Vergangenheit stütze.89 Bei den Reden für die Gefallenen, aber auch den Reden vor Volksversammlung und Gerichtshöfen, liegt meines Erachtens eine besondere Anwendbarkeit des Konzepts der intentionalen Geschichte vor. Gerade die Reden können als Ausdruck von gemeinsamen Werten, Normen und Traditionen, auch und gerade in Hinblick auf die Vergangenheit, gelten, da sie gegenüber einem breiten Publikum der athenischen Bürger gehalten oder zumindest im Nachhinein als solche verfasst wurden.90 Darüber hinaus hat Gehrke in Zusammenhang mit seinem Konzept der „intentionalen Geschichte“ immer auf die tragende Rolle materieller Strukturen für diese Form der kollektiven Erinnerung hingewiesen.91 Auch das Athen des 5. und 4. Jahrhunderts dient Gehrke als Beispiel dafür, wie durch die künstlerische Gestaltung zentraler Monumente, vor allem Tempel, an große Ereignisse erinnert wurde.92 In seiner kürzlich erschienen Veröffentlichung zum Thema „Geschichte als Element antiker Kultur. Die Griechen und ihre Vergangenheit“ hat Gehrke über die allgemeine Bedeutung von Materialität und Medialität für sein Konzept der intentionalen Geschichte hinaus vor allem auf die starke Wirkung von Inschriften in diesem Zusammenhang hingewiesen, durch die solche Geschichte(n) „auf Stein verewigt“ würden.93 Der Umgang Athens mit Monumenten werde außerdem besonders durch die Gemälde der Stoa Poikile deutlich: „Das ‚Wir‘ der intentionalen Geschichte ist hier in einer Linie repräsentiert, die die Stabilität der Gruppe, die Kontinuität ihrer Zielsetzungen und die Repetition ihrer Erfolge verbürgt, und das ist bildlich vor Augen gestellt worden […].“94 Gehrke betont aber auch, dass bloße Gegen-
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Vgl. knapp Gehrke 1994, 252 f. und ausführlicher ders. 2001, 301–303. Vgl. Gehrke 2001, 302. Zu den Gefallenenreden und ihrer Vermittlung eines bestimmten Geschichtsbildes vgl. vor allem Loraux 1981; Thomas 1989, 196–237; Prinz 1997; V. Binder 2007; J. Shear 2013, dazu auch ausführlich Steinbock 2013a, 49–58. Auch Gehrke 2014, 26 betont die Bedeutung der Rhetorik für intentionale Geschichte(n). So ließe sich aus den epitaphioi logoi, aber auch aus politischen und forensischen Debatten „eine intentionale Geschichte der Athener rekonstruieren.“ Vgl. Gehrke 1994, 251; 2001, 300; 2003a, 69. Vgl. Gehrke 2001, 303; 2004, 27 knapp zu verräumlichter Erinnerung an die Schlacht bei Marathon. Vgl. Gehrke 2014, 25–35, zu den Inschriften 25–29, treffend zusammengefasst: „Überhaupt dienten die Inschriften nicht zuletzt auch als Monumente der Geschichte, geradezu als Gedächtnisstütze zur Erinnerung an dasjenige, was der Gemeinschaft jeweils wichtig war und was sie nicht der Vergessenheit anheimfallen lassen wollte. Hier ist die intentionale Geschichte gleichsam auf Stein verewigt, und solche Steine lieferten nicht selten auch den Rahmen, ja geradezu die Bühne für Darbietungen, z. B. Ehrungen, die wiederum in die Zukunft blickten, bei denen aber auch Vergangenes zur Sprache kam.“ (28) Gehrke 2014, 31. Beschreibungen der Stoa Poikile finden sich bei: Schol. Demosth. 20,112; Paus. 1,15,1–3; Aristoph. Lys. 677–679 und Schol. Lys. 678; Plut. Kimon 4,6–7; Arr. an. 7,13,5. Eine
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stände oder Plätze nicht ausreichten, um Erinnerungen wachzurufen bzw. bestimmte Versionen von Geschichte festzuhalten. Dazu bedürfe es immer zusätzlich der Rede und des Rituals, also der mündlichen Erzählung und der wiederkehrenden, meist kultischen Handlung „um die erinnerten Dinge zu bestätigen und definitiv am Leben zu erhalten.“95 Besonders deutlich werde dieses Zusammenspiel von Materialität, Rede und Ritual an (monumentalen) Gräbern und dem damit verbundenen Heroenkult.96 Pierre Noras Werk „Les Lieux de Mémoire“, erschienen in drei Bänden zwischen 1982 und 1992, ist als „umfassendste Aufarbeitung“ des „verräumlichten kulturellen Gedächtnisses“ anzusehen.97 Motivation zur Einrichtung von Erinnerungsorten vor dem Hintergrund der aktuellen französischen Erinnerungsgemeinschaft und Historiographie ist für Nora die „Sicherung von Erinnerungsbeständen angesichts einer zunehmenden Erosion des Milieus, in denen sie ursprünglich lebendig tradiert wurden“. Diese lebendige Tradierung habe in den „milieux de mémoire“ stattgefunden, nun müsse man auf die „lieux de mémoire“ zurückgreifen.98 Auch wenn zahlreiche der dann in einzelnen Kapiteln behandelten „Orte“ primär symbolisch oder metaphorisch zu verstehen sind, verweist Nora in der Einleitung seines Werkes doch eindrücklich darauf, dass das Gedächtnis (im Gegensatz zur Geschichte) „am Konkreten, im Raum, an der Geste, am Bild und Gegenstand“ hafte.99 Die von Nora propagierte starke Opposition zwischen Gedächtnis und Geschichte respektive zwischen „milieux“ und „lieux de mémoire“ ist vor dem Hintergrund der aktuellen französischen Erinnerungsgemeinschaft und Historiographie zu sehen und somit schwer auf antike Erinnerungsgemeinschaften übertragbar. Die von Nora mehrfach konstatierte Erosion der „milieux de mémoire“ kann für das Athen des 4. Jahrhunderts nicht konstatiert
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umfangreiche Dokumentation zu Quellen und weiterer Literatur bei Hölkeskamp 2001, 342 Anm. 69, sowie umfassend K. Hallof / S. Kansteiner / L. Lehmann, s. v. „Mikon aus Athen“, Nr. 1–2, in: DNO 2 (2014); S. Kansteiner / L. Lehmann, s. v. „Panainos aus Athen“, Nr. (3), in: DNO 2 (2014); K. Hallof / S. Kansteiner / L. Lehmann, s. v. „Polygnot von Thasos“, Nr. 3, in: DNO 2 (2014). Gehrke 2014, 35 f. Vgl. Gehrke 2014, 34 f. Zu den Gräbern ausführlich Kap. 7. Nora 1984/1986/1992 und die auf Deutsch erschienene Einleitung des Werkes bei Nora/Kaiser 1998. Vgl. dazu Carrier 2002; Ebeling 2010, 126 f.; Hartmann 2010, 37; Hölkeskamp/Stein-Hölkeskamp 2011; Końcal 2011, 18–24 auch ausführlich zur Kritik an dem Konzept; Zitat Rau 2013, 120. Nora/Kaiser 1998, 11; dazu auch Hartmann 2010, 37. Zur Kritik am Begriff des Gedächtnis- bzw. Erinnerungsortes nach Nora vgl. Rau 2013, 119–121, die betont, dass dieser eher mit antiken topoi als „Merk-Örter“ und „Speicherplätze für Gedanken und Argumente“ als mit „modernen Raumbegriffen“ verbunden sei (119). Die angesprochenen Orte seien primär metaphorisch gemeint, als reale Orte nur aufgrund der vorliegenden symbolischen Funktion für die Gruppe interessant. Rau betont aber auch, dass sich sozialwissenschaftliche Ansätze nicht „eins zu eins auf die historische Materie übertragen“ lassen. (Zitat 121) Zur Verbindung mit der antiken Mnemotechnik vgl. auch Hartmann 2010, 37 mit Anm. 32 mit den Quellen und weiterer Literatur. Nora/Kaiser 1998, 14, ähnlich auch 38.
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werden.100 Publikationen mit ähnlicher Zielsetzung folgten dann in anderen europäischen Ländern.101 Die archäologische Forschung hat in den letzten Jahren verstärkt den Umgang der antiken Zeitgenossen mit Überresten der Vergangenheit in den Blick genommen. So hat Susan Alcock in mehreren Untersuchungen das aus der Ur- und Frühgeschichte stammende Konzept der „archaeologies of the past“ auf das antike Griechenland übertragen.102 Alcock beruft sich dabei insbesondere auf die Forschungen von Maurice Halbwachs und leitet vor allem aus seiner Untersuchung der „Topographie des Heiligen Landes“ den Begriff der „mnemoarchaeology“ ab.103 Sie beschäftigt sich mit dem griechischen Festland, Kreta und Messenien als Erinnerungslandschaften von der archaischen Zeit bis zur frühen römischen Kaiserzeit und thematisiert in diesem Rahmen sowohl den Umgang mit Überresten der Vergangenheit, als auch deren Kommemoration in Denkmälern. Es handelt sich jedoch um eine dezidiert archäologische Perspektive, die von vorhandenen Befunden ausgeht.104 Den Denkmalcharakter der Stadt Ilion als „Erinnerungsort an die mythische Zeit“ in verschiedenen antiken Epochen hat Dieter Hertel in seiner ausführlichen Untersuchung zu den „Mauern von Troja“ in den Mittelpunkt gestellt. Dabei bringt er die Erinnerungskultur nicht nur mit dem umfassend dargelegten archäologischen Befund, sondern auch mit in den Schriftquellen überlieferten Bauwerken und Denkmälern in Verbindung.105 Angelehnt an das Konzept der „invention of tradition“ nach Eric Hobsbawm hat Katja Sporn insbesondere die Bedeutung von bronzezeitlichen Überresten in nachfolgenden Epochen des antiken Griechenland untersucht.106 Dabei hebt sie sowohl die Bedeutung älterer Siedlungs- und Palastareale auf Kreta und Ägina aber auch am Beispiel der Akropolis von Athen, die „intentionelle Sichtbarkeit älterer (Stadt-)Mau100 Vgl. Borsdorf/Grütter 1999, 4; Walter 2004, 155 Anm. 1; Arrington 2015, 15. Walter 2004, 155 betont darüber hinaus auch den Unterschied zwischen Denkmal und Erinnerungsort: „Der Begriff meint also einen Ort oder Gegenstand, der schon da oder mindestens noch lokalisierbar ist und ausschließlich oder mindestens primär ein wichtiges vergangenes Ereignis symbolisiert: Erinnerungsorte werden nicht erst für den Zweck des Gedenkens als solche geschaffen.“ 101 „Deutsche Erinnerungsorte“ wurden von François/Schulze 2003 gesammelt. Vgl. dazu H. Beck/ Wiemer 2009, 15; Hartmann 2010, 37; Hölkeskamp/Stein-Hölkeskamp 2011, 37–39; Końcal 2011, 25–29 und mit den Zusammenfassungen zu ähnlichen Projekten in Italien, Österreich, den Niederlanden, Luxemburg und Russland; Rau 2013, 120 f. 102 Grundlegend die Untersuchungen von Bradley 1987; 2002 sowie die Beiträge bei Bradley/Williams (Hgg.) 1998; zusammenfassend Holtorf 2005. Vgl. Hartmann 2010, 16 mit Anm. 19 mit weiterer Literatur. 103 Vgl. Alcock 2002, 27 und ähnlich Boardman 2002, der sich mit dem Umgang der Griechen mit bronzezeitlichen Überresten befasst (191: „the physical evidence for the Greeks’ re-creation of their past“); s. dazu auch Hartmann 2010, 37. 104 Vgl. Hartmann 2010, 16. Grundlegend zum Zugang der Archäologie zur Einordnung von Räumen in (subjektive) Sinnzusammenhänge Tilley 1994, besonders 26–29, dazu auch Schmidt-Hofner/ Ambos/Eich 2016, 13. 105 Hertel 2003. 106 Sporn 2015.
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ern“, sowie auch die Funktion von Gräbern und Heiligtümern, die der Schaffung einer gemeinsamen Geschichte für die Bewohner einer Polis dienten, hervor.107 Auch „Naturräume oder Strukturen in der Natur“ konnten diese Funktion einnehmen.108 Außerdem bezieht Sporn die „Bildwelt“ in ihre Überlegungen mit ein, die ebenfalls Zeugnis von der heroischen Vergangenheit einer Polis geben konnte.109 Solche „erfundenen Traditionen“ in Zusammenhang mit materiellen Überresten seien vor allem mit „großen Umbrüchen“ in einzelnen Poleis als auch in der griechischen Poliswelt insgesamt in Verbindung zu bringen.110 Tonio Hölscher hat in zahlreichen Untersuchungen an der Schnittstelle zwischen Klassischer Archäologie und Alter Geschichte gearbeitet und immer wieder auf die Notwendigkeit der Verortung materieller Hinterlassenschaft in den jeweiligen sozialen Kontext hingewiesen. Dabei wurden auch die beiden Komplexe Raum und Erinnerung unter verschiedenen Gesichtspunkten miteinander verknüpft. In der Überarbeitung seiner Dissertation „Griechische Historienbilder des 5. und 4. Jahrhunderts“111 legt schon das Thema der Arbeit diese Verknüpfung nahe. Am Beispiel unterschiedlichster Gattungen wie groß- und kleinformatiger Malerei auf Architektur und Gefäßen, Statuen und Reliefs am Grab oder im Heiligtum versucht Hölscher darzustellen, in welcher Weise auf historische Ereignisse Bezug genommen werden konnte. Dabei konstatiert er, dass es sich bei den behandelten Historienbildern „fast ausschließlich um Denkmäler politischer Art“ handele, die der Betrachter durch sein (besonders mündlich erfahrenes) Vorwissen rezipiere und dabei eine bestimmte Erwartungshaltung gegenüber dem Monument an den Tag lege.112 Gerade diese „politischen Denkmäler“, insbesondere im öffentlichen Raum der Polis Athen, ihre Ausgestaltung und Rezeption, aber auch ihr Beitrag zur Erschaffung eines bestimmten Geschichtsbildes im Rahmen einer „memorialen Topographie“ werden in dieser und zahlreichen anderen Untersuchungen Hölschers immer wieder thematisiert.113 Monumente an zentralen Punkten der Polis zeigten Inhalte des kollektiven Selbstbewusstseins, hielten die Vergangenheit lebendig und formten gegenwärtige Verhaltensnormen. Diese Funktionen würden von Ritualen und öffentlichen Handlungen umrahmt und gefüllt.114 Das 107 108 109 110 111 112 113 114
Vgl. Sporn 2015, 71–79 (Zitat 76). Vgl. Sporn 2015, 79 f. (Zitat 79). Vgl. Sporn 2015, 80–82. Vgl. Sporn 2015, 84–87 (Zitat 86). T. Hölscher 1973. Vgl. T. Hölscher 1973, 17 f. (Zitat 17); 202–204. Die militärische Komponente dieser Denkmäler wird stark betont bei Low 2010, 354. Eine knappe Zusammenfassung zu den politischen Denkmälern bietet Neils 2013, 424–428. Vgl. T. Hölscher 1988a; 1991; 1998a; 1998b; 2010 (Zitat 136); 2012; 2014b, dort auch ausführlich zur Definition des historischen Denkmals, vgl. dazu Kap. 1.1. Vgl. T. Hölscher 1991, 356 f. Abzulehnen ist hingegen Hölschers allzu einseitige Interpretation der politischen Kultur Athens im 4. Jahrhundert, ebenda, 376–378. Mit der Niederlage im Peloponnesischen Krieg seien sämtliche öffentlichen Bauprojekte zum Erliegen gekommen, ein späteres
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„monumentale Gedächtnis“ sei auf diese Weise zur „Bildung von politischer Identität“ eingesetzt worden.115 Dabei komme den Orten und Denkmälern als Medien des historischen Gedächtnisses zugute, dass sie durch ihre Materialität „gegen die Fragilität der Erinnerungen und Überlieferungen, den Gestalten und Vorgängen der Vergangenheit eine konkret erfahrbare Präsenz“ gäben.116 Auf einer allgemeineren Ebene hat Hölscher für die Interaktion von Mensch und Bildwerk in der (griechischen) Antike die Konzepte der „Partizipation“ und der „konzeptuellen Präsenz“ geprägt: Die dargestellten Personen (und dadurch auch die mit ihnen verbundenen Ereignisse) erhalten „Teilhabe an gesellschaftlichen Situationen“ wie beispielsweise Festen, Volksversammlungen, juristischen Angelegenheiten, Handelstätigkeiten, Begräbnisritualen, Hochzeitszeremonien und privaten Gelagen.117 Gerade das „Leben mit Bildern“ bedeutete natürlich auch, dass diese nicht immer bewusst rezipiert wurden, entweder weil man sie nur eingeschränkt oder gar nicht sehen konnte, oder die Bewohner sie nur eingeschränkt wahrnahmen bzw. ignorierten.118 In der althistorischen Forschung ist das Interesse an materiellen Gedächtnismedien eng mit der Betonung der mündlichen Tradierung von Geschichte(n) verbunden.119 Rosalind Thomas hat schon Ende der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts in ihrer Untersuchung zu „Oral Tradition and Written Record in Classical Athens“ ausdrücklich auf die Bedeutung von Monumenten für die Erinnerungsleistung einer
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Wiederaufleben unter Lykurg, wie der Ausbau der Pnyx, habe rein symbolischen Charakter gehabt. Zusammenfassend 377: „Since the fourth century, however, the city was consciously shaped into a monument of its own culture“. Vgl. ähnlich ders. 2010, 146; vgl. dagegen zur lebhaften Bautätigkeit des 4. Jahrhunderts Knell 1995; 2000; J. Shear 2007a (insbesondere zur Agora: Die starke Betonung der Agora als „Raum des Demos“ im 4. Jahrhundert, der im 5. Jahrhundert gegenüber der Akropolis noch stark vernachlässigt worden sei, kann allerdings nicht überzeugen.) und zur Gestaltung der öffentlichen Räume zu Beginn des 4. Jahrhunderts auch dies. 2011. Zu den Ritualen vgl. auch T. Hölscher 2012, 33; 35. T. Hölscher 1998a, 102. Zum Ausdruck kollektiver Identität in und mit Monumenten ebenda, 85– 89. Der Begriff des „monumentalen Gedächtnisses“ wurde zuerst von Jan Assmann (1988) geprägt, dazu weiter oben in diesem Abschnitt. T. Hölscher 2010, 130. Vgl. auch ders. 2012, 28; 2014a, 187. Vgl. zur „Beglaubigunsfunktion von Orten“ und „Ruinen“ auch B. Binder, s. v. „Gedächtnisort“, in: Gedächtnis und Erinnerung (2001), 199–200; Kühr 2006, 42–46 (Zitat 42); Schmidt-Hofner 2016, 384: „… dürfte der Ortsbezug die Wirkung dieser Bildlichkeit befördert haben: weil Erzählungen und die durch sie artikulierten Werte und Selbstzuschreibungen durch die Assoziation mit einem konkreten Ort und besonders mit einer alltäglich vertrauten Landschaft mit anschaulichen Bildern konnotiert wurden; und weil diese ‚Verortung‘ die Bilderwelt und ihre Semantiken allpräsent machten. Man lebte sozusagen mit ihnen und war beständig mit Zeichen konfrontiert, die auf sie verwiesen. All dies musste in hohem Maße plausibilisierend wirken.“ T. Hölscher 2012, 35; zum Begriff der konzeptuellen Präsenz vgl. auch ders. 2014a, 182. T. Hölscher 2012, 39; ähnlich auch ders. 2014b, 281. Die Einschätzung Hartmanns 2010, 38, dass authentische und imaginierte Schauplätze und Überreste der Vergangenheit trotz des grundsätzlichen Bewusstseins für die Bedeutung von Orten und Objekten als Gedächtnismedien wenig Interesse in der neueren Forschung geweckt hätten, kann nicht überzeugen, vgl. dagegen den Forschungsüberblick im diesem Kapitel.
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Gruppe hingewiesen.120 Besonders betont Thomas die Rolle von Inschriften an der Schnittstelle von Text und Objekt. Ungeachtet ihres schriftlichen Inhaltes hätten Inschriften oft ihre Wirkung als bildliche bzw. materielle Symbole entfaltet.121 Gerade die athenischen Redner des 4. Jahrhunderts hätten sich oft auf die Inschriften bezogen, diese seien wiederum so eng mit den darauf verzeichneten Ereignissen verbunden, dass sie diese verkörpern könnten. Ähnlich verhalte es sich auch mit anderen Monumenten wie Gräbern oder Tempeln als Erinnerungszeichen.122 Karl-Joachim Hölkeskamp hat in zahlreichen Untersuchungen sowohl den Zusammenhang von Raum und Erinnerung theoretisch aufgearbeitet, als auch anhand konkreter Beispiele der griechischen wie auch römischen Antike exemplifiziert. Dabei hat er den Begriff des „monumentalen Gedächtnisses“ nach Jan Assmann für den öffentlichen Raum griechischer Poleis und Roms gewinnbringend eingesetzt.123 Am Beispiel der Rezeption der Schlacht bei Marathon hat Hölkeskamp die Entstehung und Entwicklung eines Ereignisses im kommunikativen und kulturellen Gedächtnis nachvollzogen und dabei einen klaren Schwerpunkt auf „Bilder und Symbole in der Form von Bauten und Denkmälern jeder Art, die das ‚monumentale Gedächtnis‘ einer Gesellschaft bilden“, gelegt und insbesondere auf die Vernetzung und Kombination verschiedener Medien hingewiesen.124 Einschlägig sind darüber hinaus besonders die zusammen mit Elke Stein-Hölkeskamp herausgegebenen Bände zu den Erinnerungsorten der griechischen und römischen Welt, denen umfassende Überlegungen der Herausgeber zum Themenkomplex der „Erinnerungsorte“ im Allgemeinen vorangestellt
120 Vgl. Thomas 1989, 49–52; knapp auch 101; 199 mit Anm. 10: „Monuments can actually encourage the invention of tradition, which then seems to be confirmed by the existence of monuments.“ Zu Thomas’ Konzept der mündlichen Überlieferung (auch) von Geschichte(n) vgl. Kap. 1.6 in Zusammenhang mit der Bedeutung der Rhetorik bei der Weitergabe von „historischem“ Wissen. 121 Vgl. Thomas 1989, 45 und dies. 1992, 85–88; Ausführlich zu den Inschriften als Erinnerungsträger vgl. Kap. 5. 122 Vgl. Thomas 1989, 49 f. „One can compare the orators’ use of memorials (mnemeia). They are the visual counterparts of many of the historical events the orators so often cite. They are used directly as arguments in themselves, and the orators do not need to stress that everyone will know of them.“ (50) 123 Vgl. Hölkeskamp 2001 (Marathon); 2004a (öffentliche Räume und Erinnerungslandschaften in Rom); 2009; Hölkeskamp/Stein-Hölkeskamp 2011, 40 f. 124 Hölkeskamp 2001, 334, besonders ausführlich zu Bildern und Botschaften der Stoa Poikile 342– 346. Einen weiteren Schwerpunkt bilden ergänzend „Gedenktage und Feste, Zeremonien und Rituale“ (335). Vgl. auch ders. 2009, 30 f. Vgl. zur Rezeption der Schlachten von Marathon und Plataiai insbesondere in Form von in Ritualen, Festen und Denkmälern Jung 2006 besonders ausführlich zu Marathon als „steingewordene Erinnerung“ 72–125, zu Plataiai 241–259. Jung betont dabei richtig, dass in der Literatur bestimmte Deutungen nachvollzogen wurden, die bereits in anderen Medien fest etabliert gewesen seien: Jung 2006, 390–392. Vgl. auch Osmers 2013, 202–208; 221 f.; 229–233; 237–243.
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sind.125 Darüber hinaus hat Hölkeskamp sich ausführlich mit der performativen Seite der Raumerfahrung befasst und diese auch am Beispiel der Panathenäen untersucht.126 Auch in den Forschungen zur römischen Erinnerungskultur ist verschiedentlich ein starker Bezug zu materiellen Erinnerungspraktiken hergestellt worden. Dabei steht die Stadt Rom mit ihren Monumenten im Mittelpunkt der Betrachtungen.127 Gelegentlich ist dabei auch der Vergleich zwischen griechischer und römischer rhetorischer Praxis in Hinblick auf den Aspekt der Räumlichkeit bemüht worden, wobei meist festgestellt wurde, dass die Argumentation „mit dem Sichtbaren“ in der römischen Rhetorik weitaus häufiger anzutreffen sei.128 Ein solche kontrastive Gegenüberstellung erscheint wenig zielführend, zumal auf „römischer Seite“ lediglich die Reden Ciceros als Beispiele angebracht werden, die aber nicht als repräsentativ für die römische Rhetorik angesehen werden können.129 Die Argumentation der athenischen Redner mit historischen Beispielen ist in den letzten Jahrzehnten mit unterschiedlichen Fragestellungen untersucht worden. Dabei sind drei sich überschneidende Herangehensweisen zu konstatieren.130 Eine erste Gruppe von Untersuchungen analysiert die Beispiele aus der Perspektive der klassischen Rhetorik. Bekannte historische Beispiele dienen dabei als Illustrationen aktueller Situationen und sind mithin als kunstvolles Mittel der Überzeugung zu bewerten. Die Beispiele werden einem zur Verfügung stehenden Pool an topoi entnommen. Problematisch ist hierbei die Annahme der Nutzung festgefügter Lehrsätze bei der Verfassung von Reden. Darüber hinaus wird der soziopolitische Aspekt der Nutzung von Vergangenheit unterbewertet, historische Beispiele deshalb oft als leere rhetorische Allgemeinplätze missverstanden, obwohl mit Sicherheit davon ausgegangen werden kann, dass die genannten Ereignisse selbst für die Gemeinschaft von tiefer Bedeutung waren.131 In Hinblick auf diese rhetorischen Voraussetzungen haben insbesondere Karl
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Stein-Hölkeskamp/Hölkeskamp (Hgg.) 2006 und 2010. Zusammenfassend zum Konzept der Erinnerungsorte in diesen beiden Bänden Hölkeskamp/Stein-Hölkeskamp 2011. Vgl. Hölkeskamp 2015, zu den Panathenäen 44 f. Vgl. Vasaly 1993; Bauer 1996; Jaeger 1997; die Beiträge bei C. Edwards / Woolf (Hgg.) 2003; Hölkeskamp 2004a; Morstein-Marx 2004, 97–107; Walter 2004, 84–195; Bücher 2006, besonders 119– 131 und 190–195; Roller 2010 sowie die Beiträge bei Mundt (Hg.) 2012. Zum Vergleich zwischen „materieller memoria“ im hellenistischen Griechenland und Rom Kousser 2015. Im Rahmen dieser Arbeit kann hier nur eine Auswahl geboten werden. Pöschl 1975, 208 (Zitat) sowie 213–216. Vgl. auch Vasaly 1993, 26. Vgl. ausführlich Vasaly 1993 mit den Belegen und weiterer Literatur sowie Bücher 2006, besonders 190–195 auch zur Frage der Wirkung der Raumbezüge zum Zeitpunkt einer Rede. Vgl. zum folgenden ausführlich Steinbock 2013a, 38–40, dessen Einteilung der Forschungslandschaft ich in diesem Zusammenhang weitgehend übernommen habe. Vgl. Steinbock 2013a, 38 und zur realen Bedeutung historischer Beispiele auch schon Ober 1989, 44; Wolpert 2002a, 139. Vgl. auch Plut. mor. 814c zur Bedeutung des topos der Perserkriege noch über 500 Jahre nach den Ereignissen.
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Jost und Michel Nouhaud die historischen Beispiele kategorisiert, um die zugrundeliegenden rhetorischen Lehrsätze zu rekonstruieren.132 In einer zweiten Gruppe von Forschungsansätzen wird der gegenseitige Einfluss von Reden und Historiographie untersucht. Einerseits betrifft dies den Einfluss des Redners Isokrates auf die Historiographie des 4. Jahrhunderts, andererseits die historiographischen Quellen der Redner. Da in Hinblick auf Letzteres oft beträchtliche Abweichungen festzustellen sind, führte dies zu der Annahme, dass die Redner eine erstaunliche Unkenntnis über die Geschichte ihrer eigenen Polis hatten.133 Die zugrundeliegende Vorstellung, Geschichtsschreibung sei eine wichtige Autorität für das historische Wissen, ist aber unhaltbar – grundsätzlich war das klassische Athen eine weitgehend mündliche Kultur, in der das geschriebene Wort lange Zeit eine untergeordnete Rolle spielte.134 Eine dritte Herangehensweise betrachtet die historischen Beispiele vor dem Hintergrund politischer aber auch rhetorischer Notwendigkeiten im Athen des 4. Jahrhunderts. Die Redner hätten zunächst Meinungen und Ansichten der Zuhörer respektiert. Es galt stets den Eindruck zu vermeiden, man wolle den Zuhörern Lektionen in Geschichte geben. Falsche, ungenaue oder vage Berichte seien in diesem Falle als vorgegebene Unkenntnis vor der ungebildeten Masse zu beurteilen.135 Oft habe man zudem zum Zweck der „Propaganda“ bewusst verfälscht und manipuliert, um die unmittelbaren politischen Ziele zu befördern.136 Sicherlich ist es richtig, die historischen Anspielungen im aktuellen soziopolitischen Kontext zu verorten. Es ist aber falsch anzunehmen, dass den Rednern eine genaue Kenntnis der Geschichte zugänglich war, die bereitlag, um von ihnen genutzt zu werden.137 Die Redner nutzten die Vergangenheit zu ihrem eigenen Vorteil, aber angesichts der kommunikativen Situation des 4. Jahrhunderts und einer fließenden und dynamischen Konzeption des kollektiven oder sozialen Gedächtnisses kann eine genaue Kenntnis der Geschehnisse der Vergangenheit, die dann wissentlich verfälscht wurde, um die Zuhörer zu manipulieren, nicht angenommen werden. Aus diesem Grund ist auch der Begriff der Propaganda nicht
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Jost 1936; Nouhaud 1982. Ähnlich auch Allroggen 1974. Vgl. Steinbock 2013a, 39. Vgl. dazu ausführlich Thomas 1989 und im Anschluss daran zusammenfassend Steinbock 2013a, 39 und ders. 2013b, 21–23. Zu der möglichen Verknüpfung zwischen Geschichtsschreibung und Rhetorik vgl. auch Kap. 1.6. So bereits Blass 1874, 7; Pearson 1941, 213; Ober 1989, 179. Perlman 1961; Kierdorf 1966; Demandt 1972; Allroggen 1974; Walters 1981; Nouhaud 1982; Harding 1987, 34–38 mit der Zusammenfassung 38: „In short, they were liars and cheats and their words cannot be trusted on any topic […].“ Worthington 1994; Milns 1994/95; Weißenberger 1996; Paulsen 1999. Zur Problematik des Begriffs „Propaganda“ in seiner Anwendung auf antike Gegebenheiten vgl. Bergmann 2000, 168; Osmers 2013, 29 f. und passim in Zusammenhang mit polisübergreifender Kommunikation. Vgl. Steinbock 2013a, 40.
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angebracht, da er zu sehr mit den modernen Phänomenen der Massenkommunikation und -manipulation verbunden ist.138 Allen diesen älteren Untersuchungen ist gemeinsam, dass die räumlichen Aspekte dieser Vergangenheitsbezüge keine oder nur eine beiläufige Rolle spielen.139 Dabei kann gerade die Einbindung von Monumenten und anderen räumlichen Bezügen auch Antworten auf die Frage geben, wie die historischen Bezüge als Argumente funktionierten und auf welchem Weg die Rezeption von historischem Material für die Zuhörer erfolgen konnte. Erst in den letzten Jahren ist von althistorischer Seite aus ein dezidierter Schwerpunkt auf „objektbezogene Erinnerungspraktiken“ gesetzt worden. Andreas Hartmann hat in seiner Untersuchung auf Textobjekte bezogene Praktiken analysiert, immer unter der Fragestellung wie Überreste der Vergangenheit deren Rekonstruktion in späterer Zeit beeinflussen. Hartmann nennt dies die „historische Evidenzkultur der griechisch-römischen Antike“.140 Objekte und Schauplätze seien als zentrale Elemente der antiken Erinnerungskultur zu verstehen. „Erinnerungslandschaften als dichtes Gewebe aus Denkmälern, Relikten und Gedächtnisorten“ käme eine „mitentscheidende Rolle“ im Prozess der Tradierung historischen Wissens zu.141 Zentral ist dabei einerseits die „Reaktion der antiken Menschen auf die echten Überreste der Vergangenheit“, andererseits „die Konstruktion geglaubter Überreste als materielle Konkretionen tatsächlicher oder intentionaler Geschichte.“142 Artefakt und Raum können nur Bedeutung tragen, wenn sie im Kontext eines spezifischen, kulturell geprägten Vorwissens stehen. Erst die Kenntnis seiner Geschichte „semiotisiert“ Objekt und Ort, macht sie somit zu Erinnerungsobjekten.143 138 139
Vgl. Steinbock 2013a, 40 und ähnlich Westwood 2019, 182 f. So bezieht sich Nouhaud 1982, 225 f. lediglich auf die Bauten der Akropolis sowie das Lob bestimmter Personen in diesem Zusammenhang. 140 Hartmann 2010, 17. 141 Hartmann 2010, 31. Denkmäler im engeren Sinne werden von Hartmann aber nur einbezogen, wenn ihr Alterswert zu einem späteren Zeitpunkt in besonderer Weise wahrgenommen wurde, besonders dann, wenn der ursprüngliche kommemorative Gehalt in Vergessenheit gerät und es zu einer „Neusemiotisierung“ kommt. In diesem Fall sei das Denkmal zum Relikt geworden und bringe eine neue, von seiner ursprünglichen Bedeutung losgelöste Tradition hervor. (vgl. Hartmann 2010, 21) Diese Abgrenzung wird von Hartmann auch auf Memorialstatuen angewendet, die ebenfalls mit kommemorativer Absicht gesetzt wurden, aber „nicht als eigentliche Ehrenstatuen für Personen der unmittelbaren Zeitgeschichte, sondern für Gestalten der weiter zurückliegenden Vergangenheit“. Im Englischen entspräche dies der Unterscheidung zwischen memorial und historic monument, wobei nur letztere Kategorie Bestandteil der Untersuchung Hartmanns ist. Diese Trennung erscheint mir artifiziell und in der Analyse der antiken Umstände kaum umsetzbar. Gerade der Begriff des Denkmals bzw. des mnemeion kann gewinnbringend eingesetzt werden, wie in Kapitel 1.1 bereits deutlich gemacht wurde. Auch Hartmann weist darauf hin, dass die Grenzen zwischen diesen Kategorien fließend seien, da umgekehrt keine eindeutigen Abgrenzungskriterien gewonnen werden könnten, vgl. Hartmann 2010, 21. 142 Hartmann 2010, 17. 143 Hartmann 2010, 44.
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Unter dem programmatischen Titel „Greek Notions of the Past in the Archaic and Classical Eras. History without Historians“ ist 2012 ein Sammelband mit zahlreichen Beiträgen namhafter Althistoriker des englischsprachigen Raums erschienen. In diesem wird die Aufgabe angegangen, zu zeigen, dass zwar auch Texte bei der Vermittlung der Vergangenheit eine Rolle spielten, die große Mehrheit der Griechen jedoch ihr Wissen über die Vergangenheit eben nicht aus historiographischen Werken bezog, sondern ein Verständnis von Geschichte durch das Leben in der Polis selbst erwarb, durch Rituale und Feste, durch die physische Umwelt und durch von Menschen gemachte Räume der Polis.144 In mehreren Beiträgen wird die Bedeutung materieller Erinnerungsträger in den Mittelpunkt gestellt. So seien Monumente nicht als architektonische oder kunsthistorische Werke anzusehen, sondern als Formen der Kommemoration, als Erinnerungsorte, kurzum als eine der offensichtlichsten Möglichkeiten, „Geschichte ohne Geschichtsschreibung“ zu vermitteln.145 Auch die Forschung zu Vergangenheitsbezügen bei den attischen Rednern beschäftigt sich zunehmend mit den räumlichen Aspekten der von den Reden transportierten Erinnerungsleistungen. In seiner Untersuchung zu „Social Memory in Athenian Public Discourse“ hat Bernd Steinbock ausdrücklich auf die tragende Rolle von Monumenten für die Erinnerung an bestimmte Episoden der athenischen Geschichte hingewiesen.146 Grundlegend ist für ihn zunächst, dass die in den Reden angeführten historischen Beispiele nicht als rhetorische Phrasen oder reine Propaganda zu verstehen seien, sondern entscheidende Faktoren der politischen Entscheidungsfindung darstellten.147 Besonders wichtig sei das Zusammenspiel von materiellen und performativen Medien, um ein individuell erinnertes Ereignis zu einem Teil des kollektiven Gedächtnisses zu machen, das heißt: Monumente, Inschriften und andere Überreste 144 Vgl. die Einleitung des Bandes Marincola 2012, 13. Zur Vermittlung von „Wissen“ über vergangene Ereignisse durch die Reden vgl. besonders den Beitrag von J. Hesk (2012), dazu Kap. 1.6. 145 Shapiro 2012, 160: „… monuments not just as architectural or art-historical works, but as forms of commemoration, as places of memory, as one of the most conspicuous forms of making ‚history without historians‘.“ Vgl. auch Foxhall 2012, 185 zum Status von Objekten in der sozialen Interaktion. Besonders einschlägig in Bezug auf die Raumthematik sind die Beiträge von Alan Shapiro; Lin Foxhall; John Hesk; Stephen Lambert; Lloyd Llewellyn-Jones sowie der ausführliche abschließende Kommentar von Simon Goldhill, Suzanne Said und Christopher Pelling. Ähnliche Fragestellungen bezogen auf die Verbindung von Raum, Literatur und Kultur verfolgen die Sammelbände von Jong (Hg.) 2012 sowie Gilhuly/Worman (Hgg.) 2014. 146 Steinbock 2013a. Vgl. außerdem die Untersuchung von Osmers 2013 zur „polisübergreifenden Kommunikation der klassischen Zeit“ in der die Bedeutung von Monumenten auch im Kontext der Rhetorik hervorgehoben wird. 147 Steinbock 2013a, 4; 33. Dadurch seien auch die Abweichungen in der Weitergabe dieser historischen Beispiele zu erklären; es bestand immer die Freiheit der Redner, von vorherrschenden Versionen abzuweichen. Dies zeigt Steinbock in seiner Untersuchung überzeugend anhand von vier Episoden aus der Geschichte des wechselvollen Verhältnisses zwischen Athen und Theben auf. Vgl. auch ders. 2013b, 65 f.; 74: „The past constituted important political capital in its own right […]“. Zur Konzeption der Polis Theben als „Erinnerungslandschaft“ vgl. bereits Kühr 2006, Kap. 4.
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treten in Verbindung zu symbolischen Handlungsformen wie Riten, Festen, Zeremonien. Beide Aspekte würden daher oft kombiniert, zum Beispiel durch zeremonielles Gedenken an einem Erinnerungsort.148 Umgekehrt könnten Monumente, Inschriften, öffentliches Gedenken und Feste sowie weitere literarische Quellen als Indikatoren dafür dienen, wie vertraut die Athener mit den von den Rednern präsentierten Geschichten waren, sofern diese ihre Quellen nicht selbst nennen.149 Monumente seien als besondere Träger des sozialen Gedächtnisses hervorzuheben, da sie durch ihre Materialität Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander verbänden. Ihre Funktion als „physical setting“ bildeten sie dabei zusammen mit den sie umgebenden Landschaften.150 Besonders werde diese Funktion in der Visualisierung militärischer Siege deutlich, durch Tropaia, Grabmonumente auf dem Schlachtfeld oder im demosion sema sowie durch die Weihung von Beutewaffen.151 Darüber hinaus bildeten die Monumente auf Akropolis und Agora ein essentielles Element des athenischen Erinnerungsrahmens.152 Durch ihre materiellen Eigenschaften erschienen die Monumente als stabil und sicherten so die Kontinuität der Erinnerung. Die Interpretation könne aber beträchtlich variieren, selbst wenn das betreffende Monument selbst unverändert bliebe.153 Die symbolische Bedeutung eines Monuments sei nie genau definiert worden und hänge immer von der Interpretation durch den Betrachter ab, der seine eigenen Erwartungen, Bedürfnisse und Kenntnisse bei der Interpretation mit einbringe.154 Auch in verschiedenen Aufsätzen der letzten Jahre, die sich mit einzelnen Reden oder Rednern beschäftigen, wurde verstärkt die räumliche Komponente der Vergegenwärtigung von Vergangenheit in den Blick genommen.155 Eine breit angelegte
148 Steinbock 2013a, 26. Zu diesem Aspekt und der weiteren Literatur vgl. Kap. 1.1. 149 Vgl. Steinbock 2013a, 46. 150 Vgl. Steinbock 2013a, 84. Vgl. knapp auch Clarke 2008, 12; 291; 309 f. Darüber hinaus bietet die Untersuchung von Katherine Clarke einen modernen Überblick über den Aspekt der Zeit in Lokalgeschichte(n) auch bei den attischen Rednern (bes. 246–286). 151 Vgl. Steinbock 2013a, 84–87. 152 Vgl. Steinbock 2013a, 88 f. Dafür spräche auch die häufige Erwähnung bei den Rednern, als Beispiele werden Aischin. 3,186; Lykurg. 1,51; Demosth. 21,170 genannt. 153 Vgl. Steinbock 2013a, 90; 2013b, 81. So würden in archaischer Zeit bronzezeitliche Gräber als Gräber von Heroen angesehen und zu Orten des Heroenkultes umgewandelt. Auch Parthenon und Propyläen auf der Akropolis hätten eine solche inhaltliche Umdeutung erfahren. Vgl. zu diesen Monumentkomplexen die Kapitel 3 und 7. 154 Vgl. Steinbock 2013a, 90 und ff. zur Überlieferungsgeschichte des Grabes der Spartaner im Kerameikos, das im Zuge der Auseinandersetzung zwischen Demokraten und Oligarchen 404/3 errichtet wurde und danach je nach historischem Kontext zahlreiche Umdeutungen erfuhr. Vgl. dazu Kap. 7.3. 155 Allen 2000 (Lykurgos); Hobden 2007 (Aischines, Demosthenes, Lykurgos); Steinbock 2011 (Lykurgos); M. Bakker 2012a und b (Demosthenes; Lysias); Steinbock 2013b (Aischines); Blanchard 2014 (Aischines); Schmidt-Hofner 2016 (Lysias, Isokrates, Lykurgos) mit einem Schwerpunkt auf dem Land bzw. der Landschaft Attika, zusammenfassend 359: „als Bezugspunkt und Symbol im politischen Imaginaire der Stadt, also in Vorstellungen und Bildern und den ihnen zugrunde liegenden Erzählungen, die kollektive Werte, Selbstbild und Ideologie der Polis artikulierten und
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Untersuchung der Verräumlichung von Vergangenheit und den damit verbundenen (Selbst-)Bildern und Wertvorstellungen bei den attischen Rednern steht aber noch aus. Diese Lücke soll die vorliegende Arbeit schließen. 1.3 Raum und Erinnerung in der griechischen Antike Vor dem Hintergrund des Forschungsstands ist die Klärung der Frage relevant, wie die antiken Zeitgenossen auf die materiellen Überreste der Vergangenheit sowie auf die Bauten und Bilder ihrer Umgebung grundsätzlich reagierten.156 Als Voraussetzung für eine solche Fragestellung muss angenommen werden, dass sie im alltäglichen Kontext mit materiellen Zeugnissen ihrer Vergangenheit konfrontiert wurden. Ein Beispiel hierfür sind die Überreste der mykenischen Palastkultur, „die als deutungsbedürftige Zeugen einer offensichtlich großen Vergangenheit in die nachfolgenden Gegenwarten hineinragten.“157 So wurden in zahlreichen Poleis an Orten bronzezeitlicher Siedlungstätigkeit sowie auch an Gräbern und Heiligtümern dieser Zeit Kulte eingerichtet. Auf der Akropolis von Athen wurden darüber hinaus die mykenischen Mauern neben den neuen Mauern gezeigt. Teile des sogenannten Pelargikons befanden sich vor dem Parthenon „und Teile der mykenischen Mauer“ wurden „deutlich sichtbar in die mnesikleischen Propyläen integriert.“158 „Ziel dieser Zurschaustellung von Alter war wohl die Anknüpfung und die Vereinnahmung der älteren Stätten als diejenigen der eigenen Vorfahren.“159 Besonders die dramatische Dichtung kann Auskunft über die Rezeption von Bauwerken durch breitere Bevölkerungsschichten geben. Ein Ausschnitt aus dem „Ion“ des Euripides verdeutlicht, welche Wirkung Bauten und Bilder im sakralen Kontext auf den Betrachter ausüben konnten.160 Die Dienerinnen der Kreusa betreten das Heiligtum des Apollon in Delphi und bringen ihre Bewunderung für die dort präsentierten Bilder zum Ausdruck. Dabei fordern sie sich gegenseitig mehrfach zum Betrachten der Bilder auf und es finden sich Anspielungen auf den Vorgang des Anschauens selbst.161 Besonders bedeutsam ist in Zusammenhang mit der Raumwahrnehmung die eröffnende Feststellung: Die erste Reaktion der Frauen beim Betreten des Heiligtums ist die Wahrnehmung des großen Tempels und der Vergleich mit der Akropolis darauf gründende normative Verhaltensforderungen […] formulierten.“ sowie ders. 2019 und Westwood 2019 (Demosthenes). 156 Vgl. Hartmann 2010, 13. 157 Hartmann 2010, 14 f. (Zitat 15). Vgl. auch Antonaccio 1994; Kühr 2006, 43; Ulf 2010; S. Price 2012, 21 f.; Sporn 2015 mit weiterer Literatur. 158 Sporn 2015, 71–76 (Zitat 76). 159 Sporn 2015, 76. 160 Eur. Ion 184–218. Zu dieser Passage und zum Folgenden vgl. insbesondere Marconi 2009, 168. 161 Eur. Ion 190; 193 f.; 201; 205–209; 210 f.; 214.
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ihrer Heimatstadt.162 Danach werden die Bilder an dem Bauwerk nach und nach der Betrachtung unterzogen. Diese Passage legt nahe, dass der Besuch eines Heiligtums die Betrachtung der Bilder an den Tempeln mit einschloss. In diesem Fall ist es wahrscheinlich, dass mit der Rezeption des Apollontempels gleichzeitig der Rezeptionsprozess der Bilder des Parthenon in Athen in den Jahren nach der Erbauung verdeutlicht wird, waren die Arbeiten daran zur Zeit der Aufführung des Dramas doch erst seit wenigen Jahren abgeschlossen – und das Bauwerk war für die Zuschauer des Dramas unmittelbar sichtbar.163 Eine weitere Zugangsmöglichkeit zur Rezeption von historischen Bauwerken und den darauf angebrachten Bildern bieten die Mimiamben des Herodas, die wohl in die erste Hälfte des 3. Jahrhunderts v. Chr. datiert werden können. Der 4. Mimiambos enthält den Dialog zweier Frauen, die das Asklepiosheiligtum auf Kos besuchen und im Rahmen der Darbringung von Opfergaben die dortigen Statuen und Gemälde bewundern.164 Während Beschreibungen von Objekten bereits in den homerischen Epen und in zahlreichen weiteren literarischen Gattungen anzutreffen sind, steht hier die indirekte Präsentation durch die Augen der sichtlich beeindruckten Betrachterinnen im Mittelpunkt. Die beiden Frauen haben wohl eher einen bescheidenen gesellschaftlichen Hintergrund, was auch in ihrer Interpretation der verschiedenen Objekte zum Ausdruck kommt.165 Dabei stehen weniger die Themen der Darstellung, als vielmehr die Darstellungsart, vor allem der Eindruck der Lebendigkeit im Vordergrund.166 Auch inschriftliche Zeugnisse wie der attische Ephebeneid können als Anhaltspunkt für die Bedeutung des räumlich erfahrenen Landes und seiner zentralen Elemente dienen. Als Zeugen des Eides werden gleichermaßen Götter und Heroen, daneben die Grenzsteine („ὅροι τῆς πατρίδος“), aber auch Weizen, Gerste, Weinstöcke, 162 163
Eur. Ion 184–186. Vgl. Marconi 2009, 168 und zur allgemeinen Bedeutung der Betrachtung von Bildern an Tempeln: „Within a culture in which going to a sanctuary meant gazing at the images displayed on the temples, everything that was on display on the outer cella was expected to be noticed and gazed upon, including the frieze, which, hiding on top of the walls of the cella building, was on the brink of nonvisibility.“ Eine Reaktion der Betrachter auf Bildwerke findet sich bereits im Satyrspiel des Aischylos Isthmiastai oder Theoroi indem die Satyrn die lebendige Darstellung der gemalten Votivbilder am isthmischen Tempel des Poseidon hervorheben und sich gegenseitig zum Anschauen des Tempels auffordern (F 78a, vgl. Krumeich/Pechstein/Seidensticker (Hgg.) 1999, 131–148; Zanker 2009, 107). 164 Zur Identifikation der im Mimiambos genannten Bauten und Statuen mit erhaltenen archäologischen Überresten vgl. G. Zanker 2009, 106 sowie zum Ausbau von Heiligtum und Kult als möglichem Anlass zur Abfassung der Verse. 165 Vgl. besonders Hom. Il. 10,260–267; 11,32–40 und insbesondere 18,483–608. Zentrale Passagen bei Herodas: 4,20–40; 56–78. Vgl. G. Zanker 2009, 107. Die Wahrnehmung prachtvoller Kunstwerke durch einfache Bürgerinnen findet sich auch bei Theokr. Eid. 15,80–86, vgl. G. Zanker 2009, 108. Dass es sich hierbei um die Ansichten einfacher Bevölkerungsschichten und nicht um die persönliche Meinung des Herodas zu den betreffenden Objekten handelt, hat schon Cunningham 1966, 114 mit Anm. 1 hervorgehoben. 166 Herodas 4,27–29; 32–34; 59–71.
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Öl- und Feigenbäume angerufen. Die Epheben schwören zudem, für die Heiligtümer Attikas zu kämpfen und das Vaterland („πατρίδα“) unbeschadet zu übergeben.167 Auf der literarischen Ebene stützen sich gerade in der antiken Historiographie die (Re-)Konstruktionen der Vergangenheit ganz wesentlich auf zum Teil heute verlorene Artefakte.168 Dabei geben vor allem die Historien des Herodot Aufschluss über die Ansicht, dass Bauten und Monumente Zeichen der Größe von Personen oder Gemeinwesen geben können.169 Die Bedeutung visueller Zeugnisse für die Zuhörer von Reden wird auf der sprachlichen Ebene deutlich, die von Elementen der „Veranschaulichung und Sichtbarkeit“ geprägt ist. Dieses Phänomen hat Peter O’Connell in einer kürzlich erschienenen Untersuchung ausführlich am Beispiel der Prozessreden analysiert.170 Dass darüber hinaus auch Denkmäler vergangener Ereignisse von den Rednern ausdrücklich genutzt und von den Zuhörern wahrgenommen wurden, zeigt beispielhaft ein Ausschnitt aus der Rede des Aischines „Gegen Ktesiphon“ aus dem Jahr 330. Aischines geht es hier darum, zu zeigen, dass verdiente Männer des 5. Jahrhunderts trotz ihrer ruhmreichen Taten nur bescheidene Ehrungen erhielten, die insbesondere nie eine Person in den Mittelpunkt stellten. Damit soll die von Ktesiphon vorgeschlagene Ehrung für Demosthenes umso unangemessener erscheinen. Zusammen mit seinen Zuhörern schreitet Aischines die verschiedenen Denkmäler der Agora ab, um seinen Standpunkt deutlich zu machen: Die Hermenstoa, die Stoa Poikile und das Metroon, in dem die inschriftliche Ehrung für die Demokraten aus Phyle aufbewahrt wurde.171 Dabei wird zunächst deutlich, dass die Zuhörer mehrfach zum genauen Hinsehen aufgefordert werden: In Gedanken („τῇ διανοίᾳ“) sollen sie sich auf die Agora begeben, um dort die Denkmäler zu betrachten, und bei der Inschrift im Metroon wird ausdrücklich hervorgehoben, dass
167 Rhodes/Osborne 2003, Nr. 88. HGIÜ 40 übersetzt „ὑπὲρ ἱερῶν“ mit dem Schutz „des Heiligen und Geheiligten“, eine Formulierung, die die Heiligtümer als bauliche Strukturen zumindest mit einschloss. Vgl. dazu auch Casey 2013, 419–421; T. Hölscher 2014b, 185; Schmidt-Hofner 2016, 358 und generell zur Symbolik des Ölbaums im klassischen Athen und den damit verbundenen Mythen und Bildern 353–359; 362. Die Bedeutung des Ölbaums als wichtiges Element der Landschaft Attika hat sich im übrigen auch in zwei der erhaltenen Reden des 4. Jahrhunderts niedergeschlagen (Lys. 7 sowie Demosth. 43). 168 Vgl. Hartmann 2010, 42. 169 Vgl. Boedeker/Raaflaub 1998, 2. Dieses Urteil fällt Herodot in Zusammenhang mit der Geschichte Ägyptens (Hdt. 2,35,1), aber auch der Insel Samos (Hdt. 3,60). Vgl. auch die kritischen Bemerkungen des Thukydides in diesem Zusammenhang (Thuk. 1,10,1 f.), die sich wohl explizit gegen die Auffassung des Herodot richteten, vgl. Boedeker/Raaflaub 1998, 3–5 und ausführlich Schnapp 2015, 263–268. 170 Vgl. O’Connell 2017. Zur besonderen Räumlichkeit der Gerichtshöfe und der dort gehaltenen Reden vgl. auch Blanshard 2014, der dafür den Begriff „forensic space“ verwendet (242; 245 u. ö.). Vgl. dort auch knapp zu den Monumenten als sichtbaren Beweisen vor Gericht (268). 171 Aischin. 3,183–187. Diese Passage wird in Kap. 5.5. ausführlich besprochen.
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diese „zu sehen“ sei.172 Insbesondere die Bedeutung der Sichtbarkeit der beigefügten Inschriften, die von allen überprüft werden konnten und die Aischines auch verlesen lässt, ist augenscheinlich.173 Daneben werden als weitere materielle Erinnerungsträger die Hermenstelen für den Sieg bei Eion am Strymon sowie das Marathongemälde in der Stoa Poikile benannt. Auch wenn eine solch ausführliche Besprechung von mehreren Denkmälern in Kombination eher selten ist, sind die Aufforderungen der Redner, bestimmte Objekte aus der Vergangenheit anzusehen bzw. sich innerlich, sozusagen vor dem „inneren Auge“, bildlich vorzustellen, zahlreich und in allen Redegattungen anzutreffen. So fordert Demosthenes in der 3. Olynthischen Rede seine Zuhörer ausdrücklich dazu auf, hinzusehen („θεάσασθ’ ὁποῖοι“), um die öffentlichen und privaten Bauten des 5. Jahrhunderts wahrzunehmen und mit den aktuellen Zuständen zu vergleichen.174 Beide Aspekte der Visualisierung von Rede, reale und vorgestellte Sichtbarkeit, werden in der folgenden Untersuchung eine Rolle spielen.175 Welche realen Möglichkeiten boten sich für die athenischen Bürger, die geschilderten räumlichen Aspekte der Reden wahrzunehmen? Die erste und häufigste Gelegenheit stellte sicherlich die alltägliche Konfrontation dar, zumal für diejenigen Bürger, die in Athen selbst und in der direkten Umgebung lebten. Die Akropolis als markanter Bezugspunkt war von zahlreichen Punkten der Stadt aus zu sehen.176 Wann immer man die Agora passierte, war man von geschichtsträchtigen Bauten und Bildern umgeben.177 Auch die (nicht minder alltäglichen) politischen Handlungen waren in einen solchen Rahmen eingebettet. Besonders von der Pnyx, dem Ort der Volksversammlung, aus war ein umfassender Blick auf andere öffentliche Räume und ihre Monumente mög172
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Aischin. 3,186: „Προέλθετε δὲ τῇ διανοίᾳ καὶ εἰς τὴν στοὰν τὴν ποικίλην·; 187: „ἐν τοίνυν τῷ Μητρώῳ ἣν ἔδοτε δωρεὰν τοῖς ἀπὸ Φυλῆς φεύγοντα τὸν δῆμον καταγαγοῦσιν, ἔστιν ἰδεῖν.“ Zu den verschiedenen Verben des Sehens und der Sichtbarkeit, die in den Reden Verwendung finden vgl. O’Connell 2017, 27. Allein in der Rede „Gegen Ktesiphon“ fordert Aischines seine Zuhörer vier Mal auf, sich mit Hilfe ihrer Vorstellungskraft etwas anzusehen (neben der hier genannten Textstelle zur Agora und ihren historischen Monumenten außerdem Aischin. 3,153; 157; 244, vgl. O’Connell 2017, 127 mit Anm. 31). Vgl. v.a. Aischin. 3,184: „ὅτι δ’ἀληθῆ λέγω, ἐξ αὐτῶν τῶν ποιημάτων γνώσεσθε.“ (Es folgt die Verlesung der inschriftlichen Verse auf dem Hermendenkmal) und ebenso für Phyle 187: „ὅτι δ᾽ ἀληθῆ λέγω, ἀναγνώσεται ὑμῖν τὸ ψήφισμα.“ Demosth. 3,25: „ἐν δὲ τοῖς κατὰ τὴν πόλιν αὐτὴν θεάσασθ’ ὁποῖοι, ἔν τε τοῖς κοινοῖς καὶ ἐν τοῖς ἰδίοις.“ (ähnliche Formulierungen auch 13,26; 22,76; 23,207; 24,184 f.). Darüber hinaus finden sich Aufforderungen zum Hinsehen oder Betonungen dieses Prozesses beispielsweise bei Demosth. 15,35; 18,68; 20,83; 22,78; Aischin. 1,25–26: 2,74: 3,257–259; And. 1,62; Hyp. 6,17; Lykurg. 1,64. Diese und weitere Belege werden in den jeweiligen Kapiteln genauer erläutert. Vgl. dazu auch Steiner 2001, 259. Vgl. O’Connell 2017, 167: „double nature of visuality: real sight and imaginary sight“. Vgl. dazu besonders und im Rahmen von Überlegungen zur rhetorischen Praxis in Athen Fredal 2006a, 3–5; J. Shear 2007a, 91. Vgl. Kap. 3 mit den Abbildungen. Vgl. Martin-McAuliffe/Papadopoulos 2012, 348: „[…] the Classical Agora was a locus for civic viewings, both of citizens and monuments…“
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lich – auch nach der Neuorientierung des Platzes für die Teilnehmer am Ende des 5. Jahrhunderts: Saßen die Zuschauer in den Versammlungen des 5. Jahrhunderts auf dem natürlichen Abhang des Pnyxhügels mit Blick auf die umliegende Stadt, so wurde nun die Versammlungsstätte um 180° gedreht und wies „gegen die natürliche Hangneigung“ nach Südwesten. Diese Neuausrichtung machte die Anlegung einer halbkreisförmigen Umfassungsmauer notwendig, die als Stütze für einen künstlich aufgeschütteten Erdwall diente. Damit richtete nun der Redner seinen Blick auf die Stadt, während die Zuschauer ihr den Rücken zukehrten (Abb. 1.1 und 1.2).178 Dieser Ort ist nicht aus funktionalen Gesichtspunkten – als Platz für große Versammlungen war er
Abb. 1.1: Blick von der Pnyx auf Agora, Areopag und Akropolis (© K. Kostopoulos) 178
Vgl. Johnstone 1996 auch zu der visuellen und akustischen Umgebung der anderen Orte öffentlicher Reden; Fredal 2006a, 4 mit der Vermutung, dass die Umkehrung der Sichtachse auf der Pnyx im Rahmen der Herrschaft der Dreißig am Ende des 5. Jahrhunderts eben diesen umfassenden Blick verhindern sollte. Die Teilnehmer der Volksversammlung kehrten dann dem Stadtgebiet den Rücken zu; eine Zusammenfassung der von der Pnyx aus sichtbaren öffentlichen Räume ebenda, 121 sowie ders. 2006b, 185: die Westecke der Agora mit den öffentlichen Gebäuden, das Dipylontor und der dahinter liegende Kerameikos, rechts der Areopag und im Süden die Akropolis. Johnstone 1996, 109–126 begründet die Neuorientierung stattdessen mit den äußerst schlechten akustischen Rahmenbedingungen (110: „made it likely that speakers could not be heard adequately by a significant portion of their audience …“). Zu den verschiedenen Bauphasen der Pnyx und den damit
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vor allem durch die akustischen Bedingungen sogar denkbar ungeeignet179 –, sondern aufgrund seines visuell-symbolischen Standortes ausgewählt worden.180
Abb. 1.2: Blick von der Pnyx nach Südwesten (© K. Kostopoulos)
Ob die wichtigen Erinnerungsräume der Polis auch von den Zuschauern im Dikasterion gesehen werden konnten, ist hingegen fraglich. Es handelt sich um ummauerte, zum Teil wohl auch überdachte Anlagen, so dass zumindest während eines Prozesses ein Blick auf die Stadt nicht möglich war.181 Sowohl auf dem Weg zu den Gerichtsgeverbundenen Forschungsproblemen vgl. McDonald 1943, 67–80; Hansen 1984, 22 f.; 1995, 131 f.; Beiträge bei Forsén/Stanton (Hgg.) 1996; Knell 2000, 55–62 (Zitat 55), mit dem Verweis darauf, dass der Umbau der Pnyx viel zu aufwändig war, um, wie bei Plutarch geschildert (Themistokles 11,4), in der Zeit der dreißig Tyrannen geplant und umgesetzt zu werden. Viel wahrscheinlicher sei dies für die Zeit nach der Wiederherstellung der Demokratie gemeinsam mit dem Neubau des Bouleuterions und des Prytaneions. Vgl. dagegen J. Shear 2011, 177–179 mit Abb. 1–2 und Hedrick 2013, 391 f. 179 Vgl. Joyner 1982, 122; Johnstone 1996; Fredal 2006a, 121; 2006b, 185; Villacèque 2013, 221–232. 180 Vgl. Fredal 2006b, 185. 181 Vgl. Camp 1992, 107–113 und ausführlich Boegehold 1995, 99–113 und insbesondere die Rekonstruktionszeichnung Fig. 8. Das so genannte „Gebäude A“ war zwar wohl mit einem offenen Innenhof ausgestattet, es ist jedoch nicht möglich, einzelne Reden genau diesem Gebäude zuzuordnen,
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bäuden als auch beim Verlassen derselben waren die athenischen Bürger jedoch von den Bauten und Bildern der Agora umgeben und auch die Monumente der Akropolis befanden sich in Sichtweite. Es ist also davon auszugehen, dass die Athener die markanten Erinnerungsräume ihrer Stadt aus unterschiedlichen Blickachsen kannten und damit bestimmte Ansichten im (kollektiven) „Bildgedächtnis“ gespeichert waren.182 Dem Alltag enthobene Feste und die dazugehörigen Rituale, insbesondere Prozessionen, boten ein weiteres Feld der Wahrnehmung. In Athen war dies besonders die Prozession im Rahmen der Panathenäen, die über eine „symbolisch bedeutsame Route“ vom Kerameikos über die Agora zum Tempel der Athena Polias auf der Akropolis führte.183 Andererseits ist aber darauf hinzuweisen, dass insbesondere die Betrachtung von bildlichem Reliefschmuck an Tempeln oder anderen Gebäuden mit einiger Anstrengung verbunden war. Er war oft in großer Höhe angebracht, sodass wichtige Details sicher nicht erkennbar waren.184 Auch ganze „Bildprogramme“ waren nur durch vollständiges Umgehen des betreffenden Gebäudes fassbar.185 „Die Menschen waren nicht ständig mit dem intensiven Betrachten, Verstehen und Interpretieren der Bildwerke beschäftigt“, größere Wichtigkeit kann vielmehr der Präsenz von und dem Leben mit diesen Bauten und Bildern beigemessen werden.186
so dass Fragen der konkreten Sichtbarkeit während des Prozesses letztlich unbeantwortet bleiben müssen. Das als „Heliaia“ bezeichnete Gebäude im Südwesten der Agora war zumindest in seiner ersten Phase nicht überdacht (Boegehold 1995, 100 vgl. auch Camp 1992, 46 f., der außerdem von mehreren Gerichtshöfen spricht, die nicht überdacht gewesen seien, ohne diese jedoch genauer zu benennen). Gegen die Identifikation dieses Gebäudes als Heliaia vgl. Gottesman 2014, 36 mit der weiteren Literatur – stattdessen habe es sich um das Aiakeion gehandelt. 182 Vgl. Fredal 2006a, 188–190. 183 Hölkeskamp 2015, 44 f. Vgl. auch ders. 2004a, 147 zu den immer wieder erfahrenen Blickachsen bei Prozessionen am Beispiel der römischen Republik. Zu den Panathenäen und ihren wichtigen Elementen vgl. Deubner 1956, 22–35; Parke 1977, 33–50; Graf 1995; 1996; Parker 1996, 75–76; 89–92; Neils (Hg.) 1992; 2012; Maurizio 1998; Hölkeskamp 2014, 273 f., jeweils mit den Quellen und weiterer Literatur. Zu den beim Panathenäenzug rezipierten Monumenten vgl. auch Martin-McAuliffe/Papadopoulos 2012, 349; Arrington 2015, 166–168 sowie die Skizze der Route des Panathenäenzuges bei Connolly 1998, 86. Zur „Lokalisierung von Erinnerung“ durch Prozessionen vgl. H. Beck / Wiemer 2009, 31. 184 Vgl. T. Hölscher 2012, 37 f. am Beispiel des Panathenäenfrieses am Parthenon. Optimistischer Hesberg 2003, 108–111; Connelly 2014, 153. 185 Vgl. T. Hölscher 2012, 37. 186 T. Hölscher 2012, 39 und ders. 2017, 127 f.
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1.4 Methodik Auf methodischer Ebene ergeben sich mehrere Problemfelder, wenn man die Reden des 4. Jahrhunderts als Quellenbasis für die Untersuchung des „kollektiven Bildgedächtnisses“ hinzuzieht. Diese betreffen die Ebene der Objekte, die Ebene der schriftlichen Quellen sowie die Verknüpfung dieser beiden Ebenen. Ausgehend von den untersuchten Objekten stellt ihre Zwischenstellung zwischen Gegenstand und Text eine Besonderheit dar. Viele der erwähnten Überreste sind heute nicht mehr erhalten,187 sie sind also nur durch die literarischen Zeugnisse, als „Textobjekte“, überliefert. In diesen Fällen lässt sich „die einst vorhandene objektbezogene Erinnerungspraxis […] für uns daher nur noch im Spiegel einer nachgelagerten literarischen Erinnerungskultur verfolgen.“188 Die Frage nach der Authentizität bestimmter Überreste kann oft nicht mit Bestimmtheit beantwortet werden. Anhaltspunkte zu dieser Frage lassen sich meist nur aus allgemeinen historischen Überlegungen gewinnen.189 Umgekehrt ist zu vermuten, dass „die zahlreichen vorhandenen Erinnerungsobjekte in der oralen Geschichtsüberlieferung eine wichtige Rolle spielten, doch stehen uns diesbezüglich nur dort aussagekräftige positive Evidenzen zur Verfügung, wo solche Phänomene Eingang in die schriftliche Tradition gefunden haben.“190
Auch bieten die antiken Quellen selbstverständlich kein vollständiges Abbild der Geschichtskultur ihrer Zeit, sondern eine selektive Auswahl, die den jeweiligen historischen Umständen, aber auch der Person des Geschichtsschreibers oder auch Redners geschuldet ist.191 Andererseits sind viele der bei den Rednern erwähnten Denkmäler und Monumente auch heute noch erhalten, zum Teil sogar als markant sichtbare Punkte im Stadtbild. Auch wenn dadurch über die literarische Überlieferung hinaus, durch eigenes Erleben und Nachvollziehen, Rückschlüsse auf die antike Sichtbarkeit und die mögliche Wirkung auf den antiken Betrachter möglich sind, sind antike und moderne „Ansichten“ selbstverständlich nicht deckungsgleich. Heutige visuelle Eindrücke können daher nur in Ergänzung zu den antiken Texten hinzugezogen werden. Auch wenn 187
Vgl. auch Hartmann 2010, 14, der als Beispiele die Translationen der Gebeine des Orest nach Sparta und des Theseus nach Athen, sowie die römischen spolia opima nennt, Anm. 13 mit der Literatur zu diesen Beispielen. 188 Hartmann 2010, 16; zum Problem des Erschließens von nicht-schriftlichen Konzepten wie Ansichten und Performanz aus Texten vgl. Lissarague/Schnapp 2007, 30 f. sowie neuerdings auch O’Connell 2017, 7. 189 Vgl. zur Problematik Hartmann 2010, 42 und passim. 190 Hartmann 2010, 20 vgl. auch 504, dort noch einmal zum Problem der antiken Wahrnehmung. Diese sei nicht näher möglich, als es die literarischen Zeugnisse zuließen. Deren Sichtweise sei als „spezifischer Rezeptionsprozess (zu werten), dessen Repräsentativität für uns kaum zu beurteilen“ sei. 191 Vgl. Hartmann 2010, 24.
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die Rezeption der Ansichten trotz der Annahme eines „kollektiven Bildgedächtnisses“ in der Antike individuell sicherlich unterschiedlich war, nimmt sich die vorliegende Untersuchung zum Ziel, gemeinsame Vorstellungen herauszuarbeiten, und damit „die Rekonstruktion des konventionellen Umgangs“ mit Bildern und Ansichten nachzuzeichnen.192 Um solche gemeinsamen Vorstellungen nachvollziehen zu können, sind von zentralen öffentlichen Räumen – Akropolis, Agora, Pnyx und Kerameikos – aus eine Reihe von fotografischen Aufnahmen entstanden, die zeigen, welche prominenten Blickachsen Teil der Verräumlichung von Vergangenheit gewesen sein könnten.193 Diese werden an den betreffenden Stellen hinzugezogen, insbesondere wenn deutlich wird, dass die Redner nicht nur allgemein auf Räume und Monumente Bezug nehmen, sondern ausdrücklich auf diese verweisen, sei es durch Verben des (Hin-)Sehens, sei es durch deiktische Pronomen oder Endungen, also gewissermaßen „sprachliche Fingerzeige“.194 Stellt man die Reden des 4. Jahrhunderts in den Mittelpunkt einer Untersuchung, dann muss man sich dem Problem der Überarbeitung dieser Reden zum Zwecke ihrer Publikation stellen. Können die uns überlieferten Reden195 etwas über das tatsächlich vor Volksversammlung und Gerichtshöfen Gesprochene aussagen? Vor allem Ian Worthington hat für die Annahme einer starken Überarbeitung der Reden zum Zweck der schriftlichen Veröffentlichung plädiert.196 Als wichtigste Indizien führt er die außer-
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Vgl. Olshausen 1993, 592 f.; Ajootian 1998, 1; Muth / I. Petrovic 2012, 287–290 (Zitat 289) auch zur Unmöglichkeit, die Rezeption durch den einzelnen, „realen“ Betrachter zu rekonstruieren: „Wir können lediglich rekonstruieren, was in den Bildern an Wirkung intendiert und wie ihr Wirkungsangebot konzipiert wurde.“ (288) sowie O’Connell 2017, 8 zu den Unterschieden zwischen individueller und gemeinsamer Wahrnehmung in den Prozessreden. Dies betrifft im Übrigen auch die Ebene der rhetorischen Argumentation generell, vgl. Todd 1991, 171: „we cannot tell which arguments were found conclusive by which jurors.“ Vgl. auch Missiou 1992, 4 f. 193 Zu den methodischen Problemen bei der Untersuchung moderner Fotografien, um antike Blickachsen nachzuvollziehen, vgl. die Untersuchung von Martin-McAuliffe/Papadopoulos 2012 zu den Ansichten und Anblicken der Akropolis. 194 Vgl. Bußmann/Hadumod, s. v. „deixis“, in: Lexikon der Sprachwissenschaft, Stuttgart 42008, 149. Zum deiktischen Charakter der Possessivpronomina vgl. Sennholz 1985, 149–159. Dazu zuletzt und gerade auch im Hinblick auf die athenischen Reden Grethlein 2010, 114 f.; O’Connell 2017, 27; 34 in Bezug auf bei dem Prozess anwesende Personen; 156 f., jeweils mit grundlegender Literatur zu diesem sprachlichen Phänomen; Serafim 2017, 120 f. Vgl. auch Bakker 2005, 71–91, der aber nur schriftlichen Zeugnissen einen deiktischen Charakter zusprechen will (bes. 71). 195 Vgl. Ober 1989, 44 mit Anm. 105: Nur ein kleiner Teil der Reden wurde auch publiziert, davon sind schätzungsweise etwa 10 %, vielleicht aber auch weniger, überliefert. Darüber hinaus ist eine ungleichmäßige zeitliche Verteilung der erhaltenen Reden zu konstatieren: So sind aus dem Zeitraum von 355–338 doppelt so viele Reden erhalten wie aus den Jahren 377–356, 14 der 17 erhaltenen Volksversammlungsreden stammen aus dem späteren Zeitraum (Ober 1989, 49). Zu Überlieferung und Forschungsdiskussion der Volksversammlungsreden vgl. zuletzt auch M. Edwards 2016. 196 Vgl. Worthington 1991;1994.
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ordentliche Länge einiger Reden197 sowie stilistisch-kompositionelle Argumente an.198 Zudem sei unter anderem im Gesandtschaftsprozess zu beobachten, dass Aischines auf Argumente des Demosthenes Bezug nehme, die aber in der erhaltenen Rede seines politischen Gegners nicht auftauchten – auch dies ein Indiz für die Überarbeitung.199 Sicherlich handelt es sich also bei den überlieferten Reden nicht um eine genaue wörtliche Wiedergabe des tatsächlich Gesprochenen. Anzunehmen ist vor allem, dass insbesondere die Gerichtsreden in Hinblick auf die Argumente der gegnerischen Partei überarbeitet wurden, dass Schwachstellen ausgelassen oder neue Punkte hinzugefügt wurden, zumal wenn man zur unterlegenen Seite gehörte.200 Selbstverständlich betraf diese Überarbeitung nicht nur rhetorische Stilmittel, sondern auch historische Beispiele konnten von Auslassungen und Umformungen betroffen sein. Es ist aber davon auszugehen, dass sich Argumente widerspiegeln, die auch im öffentlichen und mündlichen Diskurs genutzt wurden und gerade diese in „idealer Weise“ wiedergegeben wurden.201 Schließlich waren die Leser der schriftlich publizierten Reden auch bei der in den meisten Fällen kurz zuvor erfolgten mündlichen Präsentation derselben ebenfalls anwesend oder hatten von diesen Reden gehört – zumal wenn es sich um die großen öffentlichen „politischen“ Prozesse handelte.202 Eine völlige inhaltliche oder 197
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Dazu auch MacDowell 2000, 22–23: So ist im Gesandtschaftsprozess die Rede des Demosthenes fast doppelt so lang wie die Verteidigung des Aischines, vgl. auch Paulsen 1999, 431–446, der trotzdem vermutet, „daß die redaktionelle Bearbeitung sich in engen Grenzen hielt.“ (446) Dagegen Hubbard 2006, 195. Worthington 1991, 56–64; 1994, 114–118. Vgl. Worthington 1991, 57 und bereits Dover 1968, 168–170; Hubbard 2006, 188 f. auch generell zum Phänomen der Vorwegnahme von Argumenten der Verteidigung in Prozessreden 189–200. Vgl. Worthington 1991, 64. Zu der Frage der Überarbeitung der Reden vgl. generell Kennedy 1963, 203–206 (zur Überarbeitung und Publikation von Volksversammlungsreden); Todd 1991 mit der lakonischen Feststellung (167): „The problem is I think insoluble.“ Piepenbrink 2001, 96 f. mit Anm. 18; Small 2005, 206–212; Hubbard 2006; speziell zu den Reden des Demosthenes Trevett 1996 und zuletzt ders. 2019; Yunis 1996, 243–246; Tuplin 1998, 290–319; Milns 2000, 207–209; MacDowell 2009, 7 f. Vgl. Steinbock 2013a, 4 und 37 mit Anm. 168 mit Literatur zur Forschungsdiskussion insbesondere zu den Reden des Isokrates; 2013b, 83. Vgl. auch Trevett 1996, der keine Überarbeitung der Volksversammlungsreden des Demosthenes, aber auch symbouleutischer Reden generell annimmt, ähnlich Gagarin 1999, 163 mit Anm. 8 allgemein zur attischen Rhetorik. Martin 2009, 11; Bounas 2016, 300: Die Reden (hier des Demosthenes) sollten unabhängig von der „Veröffentlichungsform“ „als Bestandteil der politischen Praxis wahrgenommen werden, da der Rhetor vorrangig auf die Beeinflussung der athenischen Öffentlichkeit und der Politikgestaltung seiner Polis abzielte.“ O’Connell 2017, 7 f.: „While expansion or adjustment of arguments is possible, and perhaps even likely, there would have been little sense in publishing a speech that had no connection to the original performance.“ (7); 17. Dazu bereits Blass 1893, 49: „die Herausgabe hatte keinen anderen als den praktischen Zweck, den auch die gesprochene Rede gehabt hatte.“ Vgl. auch Wolpert 2002a, xiii Anm. 7, der die Überarbeitung sogar als Vorteil für die wissenschaftliche Analyse ansieht, da der Redner besonders wichtige Argumente verstärkt habe, diese also sogar leichter zu identifizieren seien. Vgl. zur Problematik auch Serafim 2017, 32 f. Vgl. Ober 2008, 193 mit Anm. 34. Ian Worthington vertritt dagegen die These, dass die publizierte Rede für ein lesendes Publikum bestimmt war, und dass dieses sich grundsätzlich von den Zuhö-
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auch argumentative Abweichung von schriftlicher und mündlicher Form hätte der Glaubwürdigkeit des Redners sicherlich geschadet.203 Gerade wenn dieser mit seiner Rede erfolgreich gewesen war, bestand überdies wohl kaum Veranlassung dazu, weitreichende Veränderungen vorzunehmen. Die erhaltenen Reden geben also Aufschluss sowohl über die Inhalte des kollektiven Gedächtnisses zu ihrer Zeit als auch über die Nutzung dieser Inhalte in der politischen Arena. Dies trifft umso mehr für den Bereich der Erinnerungsräume zu, denn diese konnten, zumal wenn sie mit ausdrücklichen oder impliziten Aufforderungen zum Hinsehen versehen waren, nur in der mündlichen Präsentation ihre volle Wirkung entfalten.204 Eine weitere Problematik des Quellenmaterials besteht darin, dass einige Reden in ihrer Zuordnung zu bestimmten Rednern umstritten sind, darüber hinaus gibt es zahlreiche ungeklärte Datierungsfragen. Diese Fragen werden an den entsprechenden Stellen angemerkt werden, jedoch spielt die exakte Datierung und Zuordnung für den Schwerpunkt der Erinnerungsräume keine tragende Rolle. Problematisch ist es lediglich, wenn eine sehr viel spätere Fälschung der betreffenden Rede vermutet wird.205 Ein besonderes methodisches Problem stellen die „Reden“ des Isokrates dar. Abgesehen von frühen Prozessreden, die Isokrates in seiner Tätigkeit als Logograph verfasst hat, waren diese „nicht als Vorträge zu einem konkreten Anlass geschrieben, sondern als Stellungnahmen mit allgemein politischem Anspruch, die zum Vorlesen bzw. Lesen gedacht waren.“ 206 Mit einigen seiner Schriften hatte Isokrates aber wohl die Hoffnung auf eine Beeinflussung größerer Gruppen gesetzt.207 So vermutet Evangelos Alexiou, dass Isokrates’ Reden „in direkter Berührung mit der Öffentlichkeit“ stehen, die er „gestalten und beeinflussen“ will.208 Auch wenn die gewählten Themen
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rern vor Gericht oder Volksversammlung unterschied. Vgl. Worthington 1991, 65; Hubbard 2006, 200. Zu gravierenden Veränderungen im Rahmen der Überarbeitung vgl. auch Worthington 1994, 114–118. Vgl. ähnlich auch Ober 1989, 49 mit Anm. 113 mit der älteren Literatur. Dagegen Hubbard 2006, 187. Vgl. auch O’Connell 2017, 8 zu den sprachlichen Mitteln der Visualisierung. Dies wird zu den jeweiligen Reden angemerkt. Vgl. eine ähnliche Bewertung des Umgangs mit der Problematik von Datierung und Autorschaft Ober 1989, 48 f.; Grethlein 2010, 128 f.; Wohl 2010, xf.; O’Connell 2017, 7 f. Albertz 2006, 67. Zu dem Unterschied zwischen den beiden Publikationsformen äußert sich auch Isokrates selbst (5,25 f.). Vgl. Ober 1989, 48. Zum Adressatenkreis des Isokrates vgl. insbesondere auch Usener 1994; 2003; Walter 1996, bes. 263 sowie zusammenfassend Blank 2014, 12 f. Zu den Publikationen des Isokrates, seinen Intentionen und der Rezeption vgl. auch Bringmann 1965; Jähne 1991; Gray 1994a und b; Alexiou 1995; Poulakos 1997; Poulakos/Depew (Hgg.) 2004; Ober 1998, 248–289; Too 2006; Classen 2010; Blank 2014 und die einschlägigen Beiträge bei Bouchet/Alexiou 2015. Alexiou 1995, 15. Inwieweit diese Ideen aufgenommen wurden, kann nicht mehr nachvollzogen werden, vgl. Jähne 1991, 132, zum Publikum des Isokrates als kaum zu klärende Frage 136; Usener 2003, 21 mit dem Hinweis, dass die von Isokrates angesprochene Öffentlichkeit von der Öffentlichkeit beispielsweise in der Volksversammlung zu unterscheiden sei. Es handele sich vielmehr um „Personen oder Personenkreise, die im öffentlichen und politischen Leben eine wichtige Rolle spielten bzw. spielen wollten oder sollten […] Personen, die für die Umsetzung seiner Reden ge-
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sich von den „tagespolitischen“ oder von bestimmten Rechtsfragen geleiteten Reden der anderen Rhetoren unterscheiden,209 sind doch ähnliche Überzeugungsstrategien zu beobachten. Gerade Isokrates stützt sich in einigen Reden sehr stark auf historische paradeigmata und Erzählungen,210 der Aspekt der Verräumlichung von Vergangenheit kann also auch dort untersucht werden. 1.5 Rhetorik und Raum: Die politische Kultur der athenischen Demokratie Seine besondere Relevanz erhält die Fragestellung nach der Bedeutung von Erinnerungsräumen für das historische Gedächtnis in antiken Gesellschaften durch die spezifische politische Kultur der griechischen Poleis und insbesondere durch die politische Kultur der athenischen Demokratie. Diese war geprägt von Öffentlichkeit, Dichte und unmittelbarem Handeln in einem urbanen Umfeld. Das bedeutet einerseits, dass alle Institutionen direkt aufeinander bezogen waren, andererseits, dass die Interaktion zwischen diesen Institutionen als politisches Entscheidungshandeln in der Öffentlichkeit stattfand. Räumlichkeit ist in diesem Zusammenhang also nicht nur metaphorisch zu verstehen, sondern als für alle beteiligten Bürger „sinnlich real“ begreifbar.211 Diese Sichtbarkeit wurde in der Forschung zur neuzeitlichen Geschichte mit dem Schlagwort „Vergesellschaftung unter Anwesenden“ belegt und lässt sich, wie Karl-Joachim Hölkeskamp gezeigt hat, auch auf die politische Kultur der griechischen Poleis übertragen.212 Basis dieses Konzepts ist die „räumlich-personale Verdichtung“ sowie die „Visualität von Menschen und Körpern“, also die Anwesenheit der Menschen als Bürger und Akteure. Hinzu kommt neben der Sichtbarkeit auch die Hörbarkeit als „präsentische Oralität“, die Bürger treten untereinander in „dialogische Inter-
eignet schienen. Dies sind nicht zuletzt seine zahlreichen Schüler, unter denen viele eine erfolgreiche politische Laufbahn einschlugen.“ (31) Vgl. auch Clarke 2008, 301 f. 209 Zu den thematischen Unterschieden insbesondere der Kritik an der Vorherrschaft des 5. Jahrhunderts vgl. Steinbock 2013b, 88 mit Anm. 98. 210 Zu den historischen Beispielen bei Isokrates vgl. Schmitz-Kahlmann 1939; Bradford-Welles 1966; Demandt 1972; Hamilton 1979; Grieser-Schmitz 1999; Clarke 2008, 261–272; Blank 2014, 15–21; Brunello 2015 sowie die einschlägigen Werke zur Geschichte bei den attischen Rednern, dazu Kap. 1.2. 211 Hölkeskamp 2009, 44; ähnlich bereits ders. 2003, 86: „Daher ist diese politische Kultur mit ihrer besonderen Direktheit, Sichtbarkeit und Hörbarkeit auf allen Ebenen auf eine entsprechende räumliche Dichte notwendig angewiesen …“; 2004a vor allem zur Bedeutung der Räumlichkeit in der politischen Kultur der römischen Republik, aber auch auf die antiken Stadtstaaten insgesamt bezogen, vgl. bes. 142: „Die politische Kultur der Stadtstaatlichkeit ist mithin strukturell von einer besonderen Räumlichkeit und Verräumlichung geprägt.“; 2004b. Daran anschließend konstatiert auch Hartmann 2010, 38 eine „Verräumlichung der politischen Sphäre in antiken Gesellschaften.“; vgl. ebenso H. Beck 2013 sowie die weiteren Beiträge bei H. Beck (Hg.) 2013. 212 Vgl. zum Konzept Schlögl 2004. Zur Übertragung des Konzepts auf Forschungsfragen der Alten Geschichte vgl. Hölkeskamp 2009, 44; 2015, 54 mit der weiteren Literatur.
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aktion“.213 Die Reden können damit auch als performative Akte charakterisiert werden, die Rede ist „ein kommunikatives Ereignis vor Publikum.“214 Die Rhetorik als Form der politischen Kommunikation muss unter diesen Umständen, in einer solchen Kultur der unmittelbaren Sichtbarkeit und Hörbarkeit eine zentrale Stellung einnehmen. Entsprechend entwickelt sich die öffentliche Rede im Verlauf des 5. Jahrhunderts zu dem Werkzeug zur Durchsetzung in allen entscheidenden Institutionen. Nur in der Rolle des Redners war eine Beschaffung von Mehrheiten möglich, dementsprechend war die Rhetorik der wichtigste „Schlüssel zu Macht, Herrschaft und Befehlsgewalt“.215 So kann die öffentliche Rede als „Kultur des Dialogs“ den Kern der Stadtstaatlichkeit der klassischen Polis prägen.216 In der vorliegenden Untersuchung wird dabei zwischen der politischen Kultur des 5. und 4. Jahrhunderts nicht grundlegend unterschieden, zumal die in der älteren Forschung verbreitete Meinung vom „Verfall einer Verfassungsform“ im 4. Jahrhundert in den letzten beiden Jahrzehnten zumeist abgelehnt wurde.217 Das Erscheinungsbild einer Polis war nicht ausschließlich durch die in verschiedenen Quellen hervorgehobene personale Ebene geprägt.218 Hinzu kam eine spezifische Territorialität und „eigentümliche Topographie“, die die Polis durch „markierte Räume und Zonen“ mit symbolischer, mentaler, religiöser und politischer Bedeutung
213
Hölkeskamp 2009, 44, vgl. auch T. Hölscher 2003, 164; H. Beck / Scholz/Walter 2008, 6 f.: „Verräumlichung der Rede als hör- und sichtbarer kultureller Praxis, die ihrerseits in ein komplexes Netzwerk von Orten, Symbolen und Erinnerungsmonumenten eingebettet ist.“; Mann 2009b, 148. Zur Sichtbarkeit („culture of viewing“) als zentralem Element der politischen Kultur der athenischen Demokratie vgl. auch Goldhill 1996, 18–21; 1998, 106–109; 1999, 1–10; 2000, 165–175; Farenga 2006, 4–8; Fredal 2006a, 5; Villacèque 2013; O’Connell 2017, 9. Vgl. auch Stollberg-Rilinger 2004, bes. 493; 500; 505 zur Verknüpfung von Bildern und Performanz im Rahmen einer „symbolischen Kommunikation“ und dies. 2005, 11. 214 O’Connell 2017, 3 f. (Zitat 4: „a communicative event before an audience“). Vgl. ebenda, 6: Die Bedeutung performativer Aspekte der Rede sei für den Zuhörer als wichtiger zu werten als die rhetorische Struktur der Rede. Vgl. auch Steiner 2001, 293: „view-worthy spectacle in and of itself “; Blanshard 2014, 241; 271; Serafim 2017, 2–6 und passim sowie die einschlägigen Beiträge bei Papaioannou/Serafim/Vela (Hgg.) 2017. 215 Hölkeskamp 2003, 81. Zur zentralen Rolle von Rede und Redner in Athen vgl. Ober 1989; Hansen 1995, 148 f.; 278–287; Stein-Hölkeskamp 2000; Bücher 2010; Worthington 2010; Piepenbrink 2015; E. Harris 2017; Wojciech 2019, 45–48 sowie die einschlägigen Beiträge bei Worthington (Hg.) 1994 und 2007; Gunderson (Hg.) 2009. 216 Hölkeskamp 2003, 85. Vgl. auch Hesberg/Thiel 2003, 11. Für eine breit angelegte Interpretation des Rhetorik-Begriffs vgl. Fredal 2006b, 183, 185 mit besonderer Betonung der visuellen Ebene. Zum Raum als Teil der praktischen Rhetorik vgl. auch Johnstone 1996, 98. 217 Zitat vgl. den Titel des Sammelbandes W. Eder / Auffarth (Hgg.) 1995, wenn auch als Frage formuliert. Vgl. stellvertretend für den Forschungsbereich die umfassenden Sammelbände W. Eder / Auffarth (Hgg.) 1995 (besonders pointiert der Beitrag von Davies 1995) sowie Tiersch (Hg.) 2016 mit der weiteren Literatur. 218 Betonung der Polis als Personenverband: Aristot. Pol. 1252a1–7; Hdt. 8,61 sowie die bei Thukydides überlieferten Aussagen des Perikles und des Nikias: Thuk. 1,143,5; 7,77,7. Zur Kontextualisierung dieser und anderer Aussagen in der Literatur vgl. Stähler 1993, 16 f.; Millett 1998, 205 f.; Balot 2014, 95; Dougherty 2014.
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strukturierte.219 Diese öffentlichen Räume – öffentlich, weil sie der Gemeinschaft bzw. dem Demos gehörten – waren „kein Spiegel der Lebensverhältnisse“, sondern „primäres formierendes Prinzip“ einer jeden Polis, und gerade für Athen lassen sich diese Prinzipien besonders gut nachvollziehen.220 Den drei Polen der Öffentlichkeit, nämlich Agora, Heiligtümer und Nekropolen (in Athen insbesondere die Akropolis und der Kerameikos) entspricht die Dreiteilung der Polisgesellschaft in Menschen, Götter und Verstorbene.221 Auch hier ist eine ganz konkrete räumliche Dichte zu konstatieren: Auf kleiner Fläche konnten alle diese Räume sichtbar erfahren (und zu Fuß erlaufen) werden.222 „Durch die teilweise monumentale Präsenz dieser Elemente und ihre Verbindung mit politischen, sozialen, wirtschaftlichen und religiösen Grundstrukturen einer Gesellschaft werden sie zu Trägern des kulturellen Gedächtnisses und stellen dadurch wichtige Erinnerungsräume dar, die zur Identitätsbildung der Bewohner beitragen.“223
Zu zeigen, dass die drei zentralen öffentlichen Räume mit den ihnen zugehörigen „gesellschaftlichen Gruppen“ immer wieder miteinander in Verbindung gebracht wurden und dass diese Verbindung auch und gerade in den Reden durch historische und räumliche Bezüge zustande kam, wird eine Aufgabe der folgenden Untersuchung sein. Analog zu den zentralen Aspekten der Sichtbarkeit und Hörbarkeit als Sinneswahrnehmungen ist nach den Medien zu fragen, die diese Wahrnehmungen vermitteln. So befasst sich diese Arbeit mit materiellen Strukturen als Medien der Vermittlung von Vergangenheit ebenso wie mit dem Medium der gesprochenen, schriftlich überlieferten Rede, in der wiederum über die räumlichen Medien gesprochen wird bzw. diese in Schilderungen einbezogen werden.224 Da die im Folgenden untersuchten Räumlichkeiten meist in Athen zu lokalisieren sind, muss insbesondere der gebaute Raum „als plurimediales Produkt“ in die Überlegungen mit einbezogen werden, „in dem Architektur, Bilder, Inschriften sowie Rituale“ miteinander in Verbindung treten.225 Das 219
Hölkeskamp 2003, 87; vgl. auch ders. 2004b, 27; 2015, 48 f. Zur Symbolik und Monumentalität des öffentlichen Raumes und seiner baulichen Strukturen vgl. auch Hedrick 2013. Grundlegend zur Topographie der Poleis Polignac 1995; T. Hölscher 1991 (zu Athen); 1998a (insbesondere zu den öffentlichen Räumen, dazu auch Kap. 1.1); Reden 1998 sowie der Überblick bei C. Morgan / Coulton 1997. 220 T. Hölscher 1998a, 12. Vgl. auch Hölkeskamp 2015, 49–52. 221 Vgl. T. Hölscher 1998a, 24 f. und ähnlich Lissarague/Schnapp 2007, 38. Vgl. zuletzt noch einmal T. Hölscher 2017, 16 mit der Betonung der Überschneidungen zwischen diesen drei Bereichen. 222 Vgl. Fredal 2006a, 188–190. 223 Mango 2010, 117. Betonung der Alltäglichkeit von öffentlichen Räumen (auch) als „extra-institutional public sphere“ vgl. Gottesman 2014. 224 Zur Verbindung und Interaktion dieser Medien vgl. auch Hesberg/Thiel 2003, 10 f. 225 Muth 2014, 289, vgl. außerdem 291 f. Zur Architektur als Medium des kollektiven Gedächtnisses vgl. Burkhardt 2008, 240; Ober 2008, 209 f. Vgl. auch zur historischen Interpretation von Text- und Bildmedien Erll 2008, 4 f.; Muth / I. Petrovic 2012. Zum Medienbegriff in den althistorischen und archäologischen Wissenschaften vgl. Hesberg/Thiel 2003; Muth 2014, 286–289.
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Zusammenwirken dieser Medien zeigt das Sichtbare und Sagbare in der politischen Kultur der athenischen Demokratie – ein Bilddiskurs, der Vergangenheit, Raum und Rede miteinander verknüpft.226 Die Verbindung von Rhetorik und Raum besitzt darüber hinaus eine Entsprechung auf sprachlicher Ebene: So umreißt das von Aristoteles beschriebene Konzept der enargeia den stilistischen Effekt, die Sinne der Zuhörer anzusprechen, indem begleitende Umstände so beschrieben werden, dass der Zuhörer zum „Augenzeugen“ der geschilderten Ereignisse wird – Ein Phänomen, dass auch in der Redekunst des 4. Jahrhunderts beobachtet werden kann.227 Ruth Bielfeldt hat für eine erweiterte Definition des enargeia-Begriffs plädiert, „nicht nur als rhetorische Vergegenwärtigung einer abwesenden, sondern als einer gesteigerten Präsentmachung der dem Menschen bereits offen oder latent gegenwärtigen Welt.“228 Enargeia sei demnach der zentrale poetische und philosophische Terminus für sinnliche Anschaulichkeit, der sich aus dem Wort ἀργής, d. h. „glänzend, schimmernd“ ableitet.229 Bei Aristoteles ist der Begriff Teil der Analyse der sinnlichen Anschaulichkeit im Rahmen der Rhetorik. Die Rede erreiche dann ihr Ziel, wenn es gelinge, mit Worten Sachverhalte und Gegenstände zur Evidenz zu bringen und den Zuhörern so vor Augen zu führen („πρὸ ὀμμάτων ποιεῖν“), dass deren Affekte erregt würden. Die Sinnlichkeit ergebe sich dabei weniger aus der De226 Vgl. Maasen/Mayerhauser/Renggli 2006, 8. Zur bildlichen Komponente der (historischen) Diskursanalyse vgl. Wodak u. a. 1998, 66; A. Landwehr 2008, 56–59 und einem Überblick über weitere Zugänge zur und Fragen an die historische Diskursanalyse; Frank/Lange 2010, 57, die für den visuellen Aspekt des Diskurses den Begriff „Viskurs“ nutzen. Grundsätzlich zur Bedeutung der Diskursanalyse für die Entstehung von „Raum-Ordnung“ Schmidt-Hofner/Ambos/Eich 2016, 12: „Bewusstsein für Sprache und Wissen als aktive, nicht bloß abbildende Größen in der sozialen Konstruktion von Räumen“. Überlegungen zu der Schnittstelle zwischen Erinnerungskultur und Diskursanalyse Haslinger 2006, 36–38. Zur Problematik des Diskursbegriffes vgl. Maset 2002, 26 f.; F. Eder 2006, 11 f. 227 Definition nach G. Zanker 1981, 297: „ἐνάργεια is the stylistic effect in which appeal is made to the senses of the listener and attendant circumstances are described in such a way that the listener will be turned into an eyewitness.“; Calame 1991; Vasaly 1993, 89–104; E. Bakker 2005, 157–160 am Beispiel der homerischen Epen; ebenso Radke-Uhlmann 2009; Otto 2009, vor allem 71–76; Webb 2009, 87–106. Eine Ausarbeitung des Begriffs unter rhetorischen Gesichtspunkten erfolgte erst ab der späten römischen Republik, wurde dann aber auch „rückwirkend“ auf die Redekunst des 4. Jahrhunderts übertragen. So untersucht Dion. Hal. Lysias 7 die Reden des Lysias als Beispiel für den Einsatz von enargeia. Vgl. Calame 1991, 10 f.; O’Connell 2017, 124–127, zusammenfassend 127: „Even though the Athenians of the fifth and fourth centuries had not yet developed a formal theory of enargeia, litigants and speechwriters employed many of the techniques later theorists assiociate with it to influence their jurors’ visual imganitations and to manipulate their emotions.“ Vgl. Anm. 8 mit der sprachwissenschaftlichen Literatur. Auch Spatharas 2017 betont die zentrale Bedeutung des Konzepts der enargeia bereits in der athenischen Redekunst des 4. Jahrhunderts am Beispiel der Rede des Demosthenes „Gegen Meidias“, ebenso Westwood 2017, 59; 65, insbesondere in Bezug auf die Reden des Aischines. Den Ursprung der Begriffsbildung bereits in den homerischen Epen hebt Calame 1991, 7 f. hervor und verweist außerdem (9) auf Isokr. 15,243 wo dieser seine Argumente als „ἐναργεῖς“ und „φανεροί“ bezeichnet. 228 Bielfeldt 2014, 41. 229 Vgl. Bielfeldt 2014, 35. Die lateinischen Entsprechungen lauten evidentia, inlustratio, perspicuitas.
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tailtreue oder Vollständigkeit der Schilderung als eben aus ἐνέργεια, die bei Aristoteles mit Begriffen wie „Aktivität, Aktualität, Belebung oder Bewegung“ umschrieben werden kann.230 Die Rhetorik insgesamt kann so bei den Zuhörern eine „geistig-sinnliche Bildproduktion“ anregen und die Einbildungskraft aktivieren.231 1.6 Rhetorik und Erinnerung: „Es ist nämlich notwendig, Athener, die Vergangenheit als Zeugnis für die Zukunft zu gebrauchen.“232 In der Forschung ist immer wieder deutlich hervorgehoben worden, dass Wissen über die Vergangenheit, zumal für einen durchschnittlichen athenischen Bürger, nicht über die Historiographie oder andere literarische Formate, sondern zunächst durch mündliche Vermittlung zugänglich war. Grundlage dieser Feststellungen sind die Ergebnisse von John Vansina zu „Oral tradition as history“, der sich wegweisend mit anthropologischen Fragestellungen um die Probleme und Prinzipien des Studiums mündlicher Traditionen auseinandersetzt. Bei diesen und nachfolgenden ethno-historischen Studien geht es um die Erforschung zeitgenössischer schriftloser Gesellschaften, deren einziger Zugang zur Vergangenheit die gemeinsame Erinnerung darstellt.233 Rosalind Thomas hat seit dem Ende der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts den Themenkomplex im Kontext des klassischen Athen systematisch aufbereitet.234 Zwar habe es im 5. und 4. Jahrhundert schriftliche Aufzeichnungen gegeben, gleichzeitig habe aber immer ein starker Bezug zu mündlichen Traditionen bestanden, und selbst „verschriftlichte“ Geschichten basierten stark auf mündlicher Überlieferung.235 Diese Mischung aus mündlichen und schriftlichen Formen der Kommunikation werde auch bei zentralen Institutionen wie der Volksversammlung deutlich. Grundlegend sei die mündliche Kommunikation durch Reden und die Bekanntmachung von Vorschlägen, zunehmend gebe es aber auch schriftliche Aufzeichnungen, wie unter anderem die Verschriftlichung von Reden seit dem Ende des 5. Jahrhunderts deutlich mache.236
230 Aristot. Rhet. 1410b36; 1411b24 ff.; 1412a2; 10. Vgl. dazu Radke-Uhlmann 2009, 12–16; Bielfeldt 2014, 36 mit Anm. 38 mit der weiteren Literatur. Vgl. ähnlich auch Aristot. Poet. 1455a23, dazu Chaniotis 2014, 156 mit der weiteren Literatur. 231 Bielfeldt 2014, 36 Anm. 38. 232 And. 3,2: „χρὴ γάρ, ὦ Ἀθηναῖοι, τεκμηρίοις χρῆσθαι τοῖς πρότερον γενομένοις περὶ τῶν μελλόντων ἔσεσθαι.“ Vgl. dazu auch Wojciech 2019, 50. 233 Vansina 1965; 1985. Vgl. zum Konzept der „Oral Tradition Studies“ und seine Anwendung auf die Untersuchung der athenischen Redner Steinbock 2013a, 21–23. 234 Thomas 1989; 1992 sowie zusammenfassend und mit neuerer Literatur 2009. Vgl. auch Raaflaub 1988 und ausführlich zur Bedeutung der Mündlichkeit für die historische Erinnerung Fried 2004, bes. 74 ff. 235 Vgl. Thomas 1989, 2; 89 und passim; vgl. dazu auch Steinbock 2013a, 21 f., der betont, dass Thomas damit das Konzept Vansinas auf eine „ancient, semiliterate society“ (22) übertragen habe. 236 Vgl. Thomas 1989, 21.
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Als zentrale Quellen ihrer Untersuchung seien die Reden vor Volksversammlung und Gerichtshöfen anzusehen, da sie die athenischen mündlichen Traditionen ausdrückten und darüber hinaus die Familiengeschichte des Redners mit einschlössen, die eine wertvolle Quelle für direkte (mündliche) Familientraditionen darstellte.237 Hinzu kommt die Gattung der Epitaphien, denen Thomas unter der Überschrift „Polis Tradition“ ein eigenes Kapitel widmet.238 Nicht zuletzt die (politische) Rhetorik konnte also als Mittel der Weitergabe von historischem Wissen dienen. Durch die Schilderung historischer Ereignisse oder Personen konnten die Gerichtshöfe und Volksversammlungen sowie die Reden für die Gefallenen eines Kriegsjahres im demosion sema zentrale Orte des Austauschs für die Auffrischung, aber auch die Umformung von Wissen über die Vergangenheit sein.239 Gerade die Epitaphien bildeten wohl für die meisten Athener die einzige Möglichkeit, eine zusammenhängende Erzählung der Geschichte Athens zu hören.240 Umgekehrt zeigt die Nutzung historischer Stoffe durch die Redner die Ideen, Einstellungen und Meinungen der Athener des 4. Jahrhunderts über ihre Vergangenheit – schließlich mussten sich die Redner am Erwartungs- und Wissenshorizont ihrer Zuhörer orientieren, um überzeugen zu können.241 Diese Orientierung an den gemeinsamen Vorstellungen kommt oft dadurch zum Ausdruck, dass die Redner in ihren Schilderungen der Vergangenheit auf die gemeinsamen Vorfahren Bezug nahmen, oder aber betonten, dass die Zuhörer von den genannten Dingen schon gehört hatten oder sich sogar selbst daran erinnerten – oft bezog der Redner sich dabei durch
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Vgl. Thomas 1989, 7. Darüber hinaus werden die attische Komödie und die Historiographie mit hinzugezogen. Im Übrigen hat Thomas auch die Bedeutung von Inschriften (als Texte und Objekte) sowie von Monumenten hervorgehoben, vgl. ebenda, besonders 49 f. und nochmals zur Bedeutung von Reden und Theater 201 f.; zur Verknüpfung von „Allgemeinwissen“ und Familientradition vgl. auch Hesk 2012, 226. Thomas 1989, 196–237, besonders ab 206 ff. Vgl. Gehrke 2003a, 68 f. auch in Bezug auf die Funktion von „gebundener Rede“ als Erinnerungsträger zur Prägung des kulturellen Gedächtnisses; Clarke 2008, 300 f.; 370, die den Redner als Schlüsselfigur bei der Weitergabe von Wissen über die Vergangenheit bezeichnet. Grethlein 2010, 3; Steinbock 2013a, 98; Hesk 2012, 209 f. sowie Barbato 2017. Ähnlich auch schon Burckhardt 1996, 227 f. sowie Nouhaud 1982, 108, allerdings in der dann folgenden Untersuchung mit der zentralen Fragestellung inwieweit die Redner von der Historiographie Gebrauch machten und worin Abweichungen bestanden. Vgl. Thomas 1989, 213 und 235; Pownall 2004, 30; Steinbock 2013a, 51; Barbato 2017, 218–222; Wojciech 2019, 47 f. Thomas 1989, 201 f.; vgl. auch Ober 1989, 178 f., der den Balanceakt der Redner zwischen didaktischer Funktion und Orientierung aufzeigt. Ober 1989 ist auch weiterhin das Referenzwerk zur Rolle des Redners in der athenischen Demokratie und dem Verhältnis zwischen Rednern und Demos. Vgl. schon Pearson 1941, 209–219, mit der Betonung darauf, dass es gerade nicht im Interesse des Redners lag, vor seinen Zuhörern als gebildeter Historiker zu erscheinen bes. 210 f.; 213; vgl. auch Nouhaud 1982, 106–112; Stein-Hölkeskamp 2000, 89 f.; Pownall 2004, 30; Wojciech 2018, 171. Vgl. dagegen (und direkt gegen Ober 1989 gerichtet) Canevaro 2017, 175–178. Dass die Kommunikation und Aushandlung oft auf direktem und lautstarkem Wege stattfinden konnte, hat zuletzt Thomas 2016 betont.
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die Nutzung der ersten Person Plural in die Erinnerungsgemeinschaft mit ein.242 Dabei gab es kein festgelegtes Set an historischen Beispielen und auch dasselbe Ereignis oder eine bestimmte Person der Vergangenheit konnte unterschiedliche Facetten des historischen Wissens und der Auffassung über Normen und Werte ansprechen.243 Darüber hinaus gilt es mit Bernd Steinbock hervorzuheben, dass der Redner weder „ein bloßes Sprachrohr einer bestimmten Tradition“, noch „ein Manipulator der unwissenden Masse“ war. Vielmehr ist er als Teilnehmer eines „komplexen Netzes an Erinnerungen und Vorstellungen“ zu verstehen, das aus verschiedenen Erinnerungsgemeinschaften und unterschiedlichen Trägern des sozialen Gedächtnisses zusammengesetzt war. Seine historischen Anspielungen können demnach als „integraler Bestandteil der Aushandlung und Manifestierung des geteilten Bildes der Athener von ihrer Vergangenheit“ verstanden werden.244 Dieses Wissen um eine „gemeinsame Tradition“, die durch historische Beispiele verdeutlicht wurde, wurde als eine „Bürgertugend“ bei den Zuhörern vorausgesetzt.245 Vom Standpunkt der Redner, also einer als elitär zu bezeichnenden Gruppe der athenischen Gesellschaft aus betrachtet, ist die wachsende Bedeutung der Schrift für die Konstitution und Weitergabe der sozialen Erinnerung dagegen nicht zu leugnen. Die rhetorische Erziehung umfasste die Lektüre der historiographischen Werke eines Thukydides und Herodot, aber auch der Lokalgeschichten der Attidographen, weiterhin der Tragiker und exemplarischer Reden anderer Redner.246 Trotzdem führt auch aus dieser Perspektive die Suche nach Schriftquellen der Redner nur zu unbefriedigenden Ergebnissen. In Anbetracht der Überzeugung als primärem Ziel einer Rede musste der
242 Vgl. Pearson 1941, 215–219; Ober 1989, 149 f.; 180 f.; Wolpert 2003, bes. 545–551; Steinbock 2013a, 42 f.; Wojciech 2018, 166; 170 f. Beispiele aus den Quellen vgl. Kap. 3.4 ad Isokr. 7,66. Zu den verschiedenen Formen der Ansprache an die Zuhörer (vor Gericht) und die erste Person Plural als Strategie des Redners „to absorb himself into the group“ vgl. Serafim 2017, 47–54 (Zitat 50). 243 Vgl. Pownall 2004, 32; Hesk 2012, 219; 226; Osmers 2013, 87, die besonders die „Flexibilität und Modifizierbarkeit“ des Umgangs mit Geschichte hervorhebt; Wojciech 2018, 165. 244 Steinbock 2013a, 99: „By resituating the orator’s historical allusions within the sociopolitical realm, I argue that the orator is neither a mere mouthpiece of one particular tradition nor a propagandistic manipulator of the ignorant masses. Instead, it should become clear that he participated and operated within a complex net of remembrances and beliefs, comprising a variety of different memory communities and carriers of social memory. His historical allusions were therefore an integral part of the negotiation and manifestation of the Athenian’s shared image of the past.“ Ähnlich auch Boedeker 1998, 194 f.; Wojciech 2018, 170 f.; dies. 2019, 50 f.; 54. Vgl. auch Steinbock 2013a, 22 mit dem Hinweis, dass die Einstellung der Redner gegenüber mündlicher Kommunikation, schriftlichen Dokumenten und Auswertung von Informationen von modernen Konzepten grundverschieden waren. Vgl. dazu auch bereits die Überlegungen bei Finley 1975, 27–30. 245 Wojciech 2018, 170 f. 246 Vgl. Fuhrmann 1984/2008, 9; Steinbock 2013a, 94–96 und in Zusammenhang mit der rhetorischen Ausbildung in der Schule des Isokrates F. Beck 1964, 277–279: „history is frequently taught for its educaional message and its moral examples rather than as an exercise in the scientific weighing of factual evidence.“ (279) Zur Frage der Nutzung schriftlicher Quellen durch die Redner vgl. zuletzt die Überlegungen von Canevaro 2017, 178–180.
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Redner die Einstellung, die Haltung seiner Zuhörer vor Augen haben und sind die historischen Anspielungen immer im Kontext der gesamtathenischen Erinnerungskultur zu suchen. Der Redner wählt also Beispiele aus, die am besten zu den vorliegenden Umständen passen und mit denen die Zuhörer am vertrautesten sind. Dieses allgemeine historische Bewusstsein muss nicht als beschränkt oder simpel abgewertet werden, wurde aber vor allem durch die mündliche Überlieferung geformt. Dieser Umstand macht es unwahrscheinlich, dass die Redner ihre historischen Beispiele besonders aus der Literatur auswählten, die ihnen ja durchaus zur Verfügung stand.247 In ihren Schilderungen vergangener Ereignisse und Personen folgen die Redner aber gerade nicht den schriftlichen Quellen, scheinbar hatten andere Träger des kollektiven Gedächtnisses mehr autoritatives Gewicht – dem Redner standen also verschiedene Quellen und Versionen zur Verfügung, aus denen er bewusst auswählte.248 Nur in vereinzelten Fällen lässt sich in den Reden eine bewusste Kopie aus anderen Schriftquellen nachweisen: Dies betrifft die Parallelerzählung der athenischen Geschichte des 5. Jahrhunderts, die Aischines aus der Friedensrede des Andokides übernommen hat,249 und die Plataier-Episode aus der Rede des Apollodoros „Gegen Neaira“, die aus Thukydides entnommen ist.250 Bernd Steinbock hat aber zu Recht darauf hingewiesen, dass selbst im Fall solcher Parallelen zwischen Reden und den schriftlichen Quellen zahlreiche Unterschiede festzustellen sind, da durch die (ursprünglich) mündliche Präsentation keine zwei Schilderungen der Vergangenheit exakt gleich seien, sondern immer an den jeweiligen Fall angepasst würden.251 Ziel des Redners war es nicht ‚historische Tatsa247 Vgl. Steinbock 2013a, 94 f. 248 Vgl. Steinbock 2013a, 95 mit Anm. 262; vgl. dagegen Thomas 1989, 201 f., die eine bewusste Auswahl des Redners zwischen verschiedenen Quellen und damit auch eine bewusste Abkehr von der thukydideischen Version eines Ereignisses bestreitet. Stattdessen werde der Redner zum Sprachrohr einer besonderen mündlichen Tradition. Zu Rezeption und Wirkung des thukydideischen Werkes im 4. Jahrhundert vgl. besonders Wilker 2011 und zur Verwendung des Werkes des Thukydides durch Demosthenes Westwood 2019, 183 f. 249 And. 3,3–9 und Aischin. 2,172–176. Vgl. den Kommentar zu der Gesandtschaftsrede bei Paulsen 1999, 409–415 (ad loc.); E. Harris 2000b, 479–505 bestreitet dagegen generell die Authentizität der 3. Rede des Andokides. Diese sei eine spätere Fälschung, die auf Aischines und anderen Quellen beruhe. Durch den noch größeren zeitlichen Abstand sei zu erklären, dass in der angeblich früheren Rede mehr historische Fehler und Ungenauigkeiten zu finden seien als in der Gesandtschaftsrede des Aischines, und zwar nicht nur in Bezug auf die Ereignisse des 5. Jahrhunderts, sondern auch in Bezug auf die (angeblich) unmittelbar zurückliegenden Ereignisse seit dem Ende des Peloponnesischen Krieges. Auch Hubbard 2006, 186 bezeichnet And. 3 als fiktive symbouleutische Rede. Das würde aber nicht erklären, warum Aischines ausgerechnet den Großvater des Andokides mit den Friedensschlüssen des 5. Jahrhunderts in Verbindung bringen sollte. Vgl. Thomas 1989, 119 Anm. 77; M. Edwards 1995, 194. Vgl. auch die Überlegungen bei Grethlein 2010, 128 f. mit Anm. 9 gegen die Argumentation von Harris („the number of historical errors seems a weak argument for an intertextual dependency“). Vgl. dazu auch Steinbock 2013a, 95 mit Anm. 263 mit weiterer Literatur; 2013b, 88 mit Anm. 97; Wojciech 2018, 175 f. mit Anm. 81. 250 Thuk. 2,71–78; 3,20–24; [Demosth.] 59,98–103. 251 Vgl. Steinbock 2013a, 96. Die Nutzung schriftlicher Quellen ist darüber hinaus auch dann wahrscheinlich, wenn oft erwähnte Ereignisse detaillierter als gewöhnlich geschildert wurden. So war
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chen‘ widerzugeben, sondern vielmehr die Ereignisse und Personen „gemäß geltender Wertevorstellungen“ zu beurteilen und in die Argumentation einfließen zu lassen.252 Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch der für die Untersuchung des Umgangs der antiken Quellen mit der Vergangenheit lange Zeit zentrale Begriff des paradeigma, der in seiner engen Auslegung und der Orientierung am römischen exemplum aber auch den Blick für andere Konzepte der Nutzung von Vergangenheit verstellt hat.253 Unter einem paradeigma wird in der Rhetorik grundsätzlich die Erwähnung eines Falles (also eines Geschehnisses, einer Tat, eines Werkes oder einer Person) verstanden, insofern dieser eine Konkretisierung des jeweiligen Sachverhalts darstellt, oder zum jeweiligen Redegegenstand in einem „Analogie-, Vorbild- oder Kontrastverhältnis“ steht. Dieser Fall kann historisch oder fiktional sein und dient je nach Redegattung als politisches oder juristisches Beweismittel sowie als rhetorischer Schmuck in Lob- und Festreden.254 Darüber hinaus werden durch diese Beispiele „Orientierungs-, Verhaltens- und Handlungsmuster wiedergegeben, an denen Menschen in Entscheidungssituationen ihr Handeln ausrichten sollen.“255 In der vorliegenden Untersuchung werden historische Beispiele im engeren Sinn und ihre Verräumlichung als (visuelle) paradeigmata256 eine Rolle spielen, jedoch werden auch weitere Darstel-
das Friedensangebot des Xerxes 480 Teil der lebendigen Erinnerung der Athener, nicht aber die Tatsache, dass es Alexander von Makedonien war, der dieses Angebot überbrachte. Diese Tatsache führt Demosthenes in seiner „zweiten Rede gegen Philipp“ (6,11) ein, um Philipp von Makedonien über seinen Vorfahren mit der Bedrohung durch die Perser in Verbindung zu bringen – eine Information, die er wohl aus den Schilderungen Herodots entnommen hat. Ob die Redner durch die Einführung solcher Details die kollektive Erinnerung tatsächlich, wie von Steinbock in diesem Zusammenhang angeführt, verändern konnten, halte ich für fraglich. Zum Ereignis und seiner argumentativen Verwendung in den Reden vgl. Weißenberger 1996. 252 Wojciech 2018, 169. 253 Dagegen ist der Begriff des exemplums für die Untersuchung der römischen Rhetorik elementar: Vgl. hierzu u. a. Hölkeskamp 1996; Walter 2004; Bücher 2006. Zu den Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen römischem exemplum und griechischem paradeigma vgl. knapp Moos 1996, 68; ausführlich Piepenbrink 2012; T. Hölscher 2014a, 278–280: So stünden im griechischen Geschichtsbild eher die „einzigartigen Höhepunkte“ der Ruhmestaten im Mittelpunkt, beim römischen exemplum vielmehr die „Erfüllung eines relativ statischen Kanons von Leitvorstellungen“ (278). 254 Rh. Al. 1429a21–22; Aristot. Rhet. 1393a26–1394a18 und zur praktischen Anwendung Aristot. Rhet. 1,9,40; 3,17,1417b38–1418a2; Kornhardt 1936; Fuhrmann 1973; Stierle 1973; B. Price 1979; David 1980; Klein 1996; Moos 1996; Schittko 2003; Albertz 2006, 14–16; Ottmers 2007, 83–86; 188–191; 197; Ruchatz 2007, 10–56 und neuerdings Wojciech 2018, 164, die von einem „Vorgang des Wahrscheinlich-Machens“ durch paradeigmata spricht. Vgl. die Überlegungen zum „exemplarischen Erzählen“ bei Rüsen 1982, 447–551. 255 Albertz 2006, 16; vgl. auch Wojciech 2018, 164. 256 Vgl. M. Meyer 2005, 310, die den paradigmatischen Charakter der Bilder des klassischen Athen betont, sowie auch den Begriff der „paradigmatic spaces“ bei Fredal 2006a, 6 f., der aber nicht genauer definiert wird.
Rhetorik und Erinnerung
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lungsformen einbezogen, in denen von der Vergangenheit zum Zweck der Plausibilisierung berichtet wird.257 Die Rede des Lykourgos „Gegen Leokrates“ kann besonders viele Themen sowie unterschiedliche Facetten der Verargumentierung von verräumlichter Vergangenheit aufzeigen und wird deshalb im folgenden Kapitel untersucht werden, um dann als Ausgangspunkt für die Analyse einzelner Monumente und Monumentkomplexe zu dienen.
257 Vgl. zu „räumlichen Repräsentationen als Plausibilisierungsstrategien“ Schmidt-Hofner 2016, 286. Zum breiten Spektrum der Vergangenheitsbezüge über das paradeigma hinaus vgl. Westwood 2019, 180 f.
2 Die Vergangenheit vor Augen: Lykurgos „Gegen Leokrates“ An einem frühen Morgen Anfang des Jahres 3301 herrscht gespannte Erwartung im großen Dikasterion an der Agora von Athen.2 Heute soll der Eisangelieprozess gegen Leokrates stattfinden, den Lykurgos, Sohn des Lykophron, angestrengt hat. Die beiden Kontrahenten werden genau beobachtet. Besonders der Angeklagte Leokrates erweckt die Neugier der Richter. Sehr viel wissen die versammelten Athener nicht über diesen Mann. Ein Schmied soll er sein, und man sagt, er sei nach der Niederlage bei Chaironeia erst nach Rhodos und dann nach Megara gegangen und sei dort als Kaufmann und Kornhändler tätig gewesen. Erst seit Kurzem sei er wieder in der Stadt. Aufgeregtes Tuscheln ist zu hören und viele Köpfe werden gereckt, als Lykurgos das Gerichtsgebäude betritt. Über ihn wissen sie alle umso mehr:3 Hat er nicht in den letzten Jahren dafür gesorgt, dass Lysikles und Autolykos der Prozess gemacht wurde? Hat er 1
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Das genaue Datum des Prozesses ist umstritten, die Angaben in der Rede selbst hierzu sind unzureichend. Die Datierung an den Anfang des Jahres 330 stützt sich besonders auf die Aussage bei Aischin. 3,252 „ἕτερος δ’ἐκπλεύσας ἰδιώτης εἰς Ῥόδον, ὅτι τὸν φόβον ἀνάνδρως ἤνεγκε, πρώην ποτὲ εἰσηγέλθη, καὶ ἴσαι αἱ ψῆφοι αὐτῷ ἐγένοντο· εἰ δὲ μία ψῆφος μετέπεσεν, ὑπερώριστ’ ἄν.“ Dem folgen u. a. Hansen 1975, Nr. 121 sowie Engels 2008, 113 und ders. 2014, 22. Für eine Datierung in das Jahr 331 plädieren dagegen Harris 2001, 159 Anm. 1 („the trial must be dated to early 331“) sowie Whitehead 2006, 132 mit Anm. 2. Zu den baulichen Strukturen auf der Agora, die als Dikasterien in Frage kommen vgl. Camp 1986, 107–109; Boegehold 1995, 5–15 sowie 91–113; Millett 1998, 217 f.; Kenzler 1999, 249–265; Knell 2000, 100–104 und Gottesman 2014, 36–38 sowie Blanshard 2014, 247–251, der betont, dass es zahlreiche bauliche Strukturen gab, die als Gerichtshöfe genutzt werden konnten, ohne eigens als solche ausgewiesen zu sein (insbesondere stoai). O’Connell 2017, 14–17 auch zu Fragen der Sicht- und Hörbarkeit im Dikasterion, sowie zu der generellen Schwierigkeit, den erhaltenen Reden bestimmte Gerichtshöfe zuzuordnen (17). Im vorliegenden Fall muss es sich um ein recht großes Gebäude gehandelt haben, da im von Lykurgos angestrebten Eisangelieprozess mindestens 501 Richter erlost wurden, meist war es die doppelte oder sogar die dreifache Anzahl. Vgl. grundlegend zu Verfahrensfragen im Eisangelieprozess Hansen 1975, 9–65, die Eisangelie-Klage des Lykurgos ist unter Nr. 121 im anschließenden Katalog aufgenommen, sowie ders. 1995, 220–226. Vgl. grundsätzlich zuletzt auch Volonaki 2019, 293–298. Zur Anzahl der Richter im vorliegenden Fall auch Allen 2000, 9; Engels 2008, 112; 2014, 23. Zur Biographie des Lykurgos vgl. ausführlich Engels 2008, 13–28 mit den Quellen und weiterer Literatur; vgl. daneben auch Chorianopoulou 2005, 56–80, die allerdings streckenweise nur auf die unter dem Namen des Plutarch veröffentlichte Lykurg-Biographie Bezug nimmt, ohne deren Quellenwert kritisch zu hinterfragen.
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nicht in beiden Fällen das Todesurteil erwirkt?4 Umso gespannter warten alle auf den Beginn des Prozesses und auf seinen Ausgang. Dass Lykurgos ein charismatischer und überzeugender Redner ist, ist allen bekannt, da er mit seiner umsichtigen Verwaltung der Finanzen, seinen militärischen und infrastrukturellen Reformen und Aktivitäten im religiös-kulturellen Bereich und in der Administration seit fast einem Jahrzehnt das politische Leben in der Stadt maßgeblich gestaltet. Und jeder, der will, kann sich von den Fortschritten und Ergebnissen seiner Baupolitik mit eigenen Augen überzeugen: Noch auf dem Weg zum Gerichtsgebäude sind die athenischen Bürger am neu errichteten Monument der Phylenheroen und am Tempel des Apollon Patroos auf der Agora vorbei gegangen. Das Dionysostheater erstrahlt in neuem Glanz und auch am Volksversammlungsplatz auf der Pnyx wird gebaut. Goldene Niken zieren erneut die Akropolis. Die Stadtmauern wurden instandgesetzt und auch der Hafen im Piräus ist mit Schiffshäusern und Skeuothek ausgebaut worden. Der Neubau des Panathenäischen Stadions, der Umbau und die Verschönerung des Lykeion und die Errichtung des Brunnenhauses an der Agora sind maßgeblich von Lykurgos befördert worden.5 Dieses Engagement für diverse Bauvorhaben in Athen spielt auch in Hinblick auf die folgende Untersuchung der Rede unter historisch-räumlichen Gesichtspunkten 4 5
Vgl. zu diesen beiden Prozessen Hansen 1975, Nr. 112 und 113 sowie zuletzt Volonaki 2019, 299 f. Was genau die Athener zum Zeitpunkt des Prozesses sehen konnten, welche Monumente noch im Bau oder schon abgeschlossen waren, muss aufgrund der Quellenlage Spekulation bleiben. Hauptquellen zu den Baumaßnahmen sind neben dem archäologischen Befund die Lykurg-Biographie bei (Ps.) Plut. mor. 841a–844a und das dort (851f–852e) überlieferte sog. Stratoklesdekret, das inschriftlich nur in Fragmenten erhalten ist (Syll.3 326). Zu den Baumaßnahmen zur Zeit des Lykurgos vgl. Hintzen-Bohlen 1996, zusammenfassend 88 f.; 90–92 (Tempel des Apollon Patroos); 92–94 (Phylenheroenmonument); 94 (Tempel der Artemis Aristoboule, Baumaßnahmen im Piräus, goldene Niken auf der Akropolis); 95 f. (Eleusis); 96–98 (Dionysostheater), immer auch mit dem Hinweis darauf, dass mehrere dieser Projekte schon in der Zeit des Eubulos begonnen wurden. Vor allem der Ausbau der Pnyx ist wahrscheinlich nicht mit Lykurgos in Verbindung zu bringen, zumindest weist keine der erhaltenen Quellen darauf hin. Da die Baumaßnahmen wohl erst 324 beendet waren, müssen aber zum Zeitpunkt des Prozesses gegen Leokrates die Bautätigkeiten in vollem Gange gewesen sein, vgl. Hintzen-Bohlen 1997, 37 f. Vgl. für den ausführlichen Katalog zu sämtlichen Baumaßnahmen in Athen zwischen 355 und 322 ebenfalls Hintzen-Bohlen 1997, 14–73; Knell 2000, 57–61 (Pnyx); 80–91 (Tempel des Apollon Patroos mit Kultbild); 93–96 (Eponymenmonument); 126–147 (Dionysostheater); 167–172 (Panathenäenstadion). Zu den verschiedenen Aspekten des „lykurgischen Reformprogramms“ vgl. Hintzen-Bohlen 1996; 1997; Wirth 1999, 30–53; Knell 2000; Lambert 2010; 2012a, 48–92 sowie die einschlägigen Beiträge in Azoulay/Ismard 2011. Kritisch zur allzu pauschalen Zuschreibung dieser Projekte bzw. der Fortsetzung bereits bestehender Projekte an die Initiative des Lykurgos vgl. Mikalson 1998, 29. Vgl. auch generell kritisch zur Konstruktion der Vorstellung einer „lykurgischen Ära“ Brun 2003, 493–507, der diese Tatsache u. a. einer Tendenz der Griechen zur „personnalisation de l’histoire“ (501) zuschreibt. So sei beispielsweise für die erneute Aufstellung goldener Niken auf der Akropolis vielmehr Demades verantwortlich gewesen (501 mit Anm. 38 mit den Quellen) und viele der Lykurgos zugeschriebenen Bauwerke seien schon unter Eubulos begonnen worden. Das wird aber auch von der oben genannten Forschung nicht bestritten. G. Oliver 2011 ausführlich zu den längerfristigen Prozessen und Abläufen. Eine starke Betonung der „lykurgischen Ära“ findet sich dagegen bei Faraguna 2011 sowie Engels 2014, 21 f. mit Anm. 3 sowie bereits Wirth 1997.
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eine Rolle. Deutlich wird bei der Betrachtung der Baumaßnahmen insgesamt ein starker Bezug auf die Vergangenheit, eine „retrospektive Tendenz“. Die Epoche der Perserkriege und der nachfolgenden Blütezeit des 5. Jahrhunderts besonders zur Zeit des Perikles diente dabei als Vorbild, indem einerseits Architekturen, die in dieser Zeit errichtet oder aber zerstört worden waren, instandgesetzt oder wiederaufgebaut wurden. Andererseits wurde bei Neubauten auch auf bestimmte Bauformen des 5. Jahrhunderts Bezug genommen.6 Das Engagement für verschiedene Bauprojekte unter diesem Gesichtspunkt kann als Indiz dafür angesehen werden, dass Lykurgos die Bedeutung und Wirkung „sichtbarer Vergangenheit“ deutlich bewusst gewesen sein muss.7 Inwiefern sich dies in seiner Rede niederschlägt, wird zu zeigen sein. Kehren wir zum Prozess zurück: Für welches Verbrechen wurde Leokrates eigentlich angeklagt? Lykurgos wählte das Eisangelieverfahren und bezichtigte Leokrates der prodosia, also des (Hoch-)Verrats. Diesen Tatbestand sah er durch das Verlassen der Stadt in der Notlage nach der Niederlage bei Chaironeia 338 als gegeben an, obwohl erst kurz nachdem Leokrates die Stadt verlassen hatte, auf Antrag des Hypereides ein Notstandspsephisma erlassen worden war, das dieses Verhalten unter Strafe stellte. Lykurgos verkehrte die Reihenfolge der Ereignisse, um die Anklage gewichtiger und überhaupt als berechtigt erscheinen zu lassen.8 Hinzu kamen als weitere Anklagepunkte Feigheit vor dem Feind, asebeia, Delikte gegen die Eltern sowie der Versuch des Sturzes der Demokratie.9 Als Konsequenz forderte Lykurgos die Todesstrafe. Lykurgos verfolgte diese Angelegenheit mehrere Jahre nach dem Geschehen wohl vor al-
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Hintzen-Bohlen 1996, 90–92, wo auf die enge formale Beziehung zwischen dem Tempel des Apollon Patroos und dem Erechtheion auf der Akropolis hingewiesen wird. Ähnliche Parallelen auch zwischen der Skene des Dionysostheaters und Hallenbauten des 5. Jahrhunderts, ebenda, 96–98. Beispiele für wiedererrichtete Bauwerke und Monumente: Der Tempel der Artemis Aristoboule, der Tempel des Apollon Patroos, das Phylenheroenmonument, die goldenen Niken auf der Akropolis sowie die Bauten im Piräus, Hintzen-Bohlen 1997, 123 f. (Artemis Aristoboule) und besonders 132–135. Da Hintzen-Bohlen den stilistischen Aspekt der Bauwerke jedoch besonders betont, sind für sie „die Rückgriffe auf die Vergangenheit […] nur Mittel zur Legitimierung der Ansprüche der Gegenwart“, vor allem in der Formensprache seien die Bauwerke vielmehr von Innovationen geprägt; ausführlich dazu Hintzen-Bohlen 1996, 102–106, Zitat 106 und zusammenfassend dies. 1997, 92 f. Die Tatsache, dass Bauwerke und Denkmäler des 5. Jahrhunderts wiedererrichtet wurden, die thematisch stark auf die Vergangenheit Bezug nahmen, scheint mir jedoch wichtiger als der Grad der stilistischen Aneignung der Vergangenheit. Insofern liegt der Akzent auf Tradition vor Innovation. Vgl. auch Lambert 2010, 228 f. der darüber hinaus betont, dass neben einer bestimmten Zeit der architektonischen Anbindung auch der Ort der Anknüpfung an die Vergangenheit eine Rolle spielt. Vgl. Piepenbrink 2001, 188 f. Hyp. Fr. 27–39 Jensen; vgl. auch Plut. mor. 848f–849a. Vgl. dazu Engels 1993, 99–114 und ders. 2008, 125 f.; 135 f. Dieser letzte Anklagepunkt war allein schon aus formalrechtlichen Gründen notwendig, um einen amtlosen Bürger wie Leokrates überhaupt einer Eisangelieklage zu unterwerfen. Vgl. zu den verfahrensrechtlichen Aspekten des Falles auch Albertz 2006, 76 f.; Engels 2008, 111–119; Azoulay 2011, 197–204; Volonaki 2019, 303–306.
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lem aus politischen Gründen mit solcher Vehemenz. Sebastian Schmidt-Hofner hebt hervor, dass nach der Niederlage von Chaironeia seine Bemühungen (und diejenigen seiner Mitstreiter10) „um eine Selbstvergewisserung und innere Stärkung der Polis“ vor allem auf einer „Restaurationspolitik“ fußten, in der die (bereits oben genannte) Baupolitik, Maßnahmen zur „Reorganisation und Ausschmückung von Kulten und Festen der Stadt“, ein Flottenbauprogramm sowie die Reform der Ephebie eine zentrale Rolle spielten. Im Rahmen von Diskussionen um die athenische Makedonienpolitik am Ende der 330er Jahre scheint nun auch diese „Restaurationspolitik“ unter Druck geraten zu sein.11 „Wahrscheinlich ging es Lykurgos um eine Bestätigung der Restaurationspolitik, die maßgeblich mit seiner Person verbunden und nun unter Druck geraten war; zu diesem Zwecke inszenierte er einen ideologisch hochaufgeladenen Prozess, der das athenische Richtervolk zu einer Grundsatzentscheidung über seine Politik zwang.“12
Lykurgos’ Bemühungen waren nicht von Erfolg gekrönt. Leokrates wurde nach Stimmengleichheit freigesprochen. Die Gründe dafür waren komplex und können aus heutiger Sicht, zumal in Anbetracht der Quellenlage, nicht mehr genau nachvollzogen werden. Möglich, aber nicht nachprüfbar ist zunächst eine überzeugende Verteidigung des Leokrates. Weiterhin ist der (zu) große zeitliche Abstand zum Geschehen zu bedenken, auch der Mangel an Zeugen(aussagen) in der Anklagerede und eine zu weite Auslegung des nomos eisangeltikos in derselben könnten eine Rolle gespielt haben. David Whitehead sieht den Grund für den Misserfolg aber besonders in der Distanz zwischen Redner und Zuhörern, die auch durch den streckenweise dozierenden Tonfall und die religiöse Einfärbung der Rede bedingt gewesen seien.13 Andererseits bedeutet das Ergebnis aber auch, dass Lykurgos immerhin die Hälfte der Richter durch seine Redestrategie überzeugen konnte. Diese Tatsache ist umso erstaunlicher, als die Anklage inhaltlich auf mehr als schwachen Füßen stand und Lykurgos keine stich-
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Vgl. Faraguna 2011, 68–70. Schmidt-Hofner 2016, 377 f. Vgl. auch Lambert 2010, 225. Schmidt-Hofner 2016, 379. Vgl. auch Albertz 2006, 75 f.; Steinbock 2011, 312: „Leocrates’ prosecution itself thus becomes a paradeigma to inspire patriotic devotion.“ Der Ausgang des Prozesses ist belegt bei Aischin. 3,252. Vgl. Whitehead 2006, 150 f.; vgl. auch Engels 2008, 122; E. Harris 2000a, 75 begründet den Misserfolg dagegen vor allem dadurch, dass der Anklagepunkt der prodosia zu weit ausgelegt worden sei. Lykurgos habe die andere Hälfte der Richter allein durch sein Prestige überzeugen können. Diese Erklärung erscheint mir etwas zu einfach, sowohl was die Gründe für den Erfolg als auch die für den Misserfolg der Anklage betrifft. Vgl. außerdem mit weiteren Erklärungsmöglichkeiten Hesk 2012, 211 f.; 218. Eine positive Beurteilung des Prozessausganges findet sich dagegen bei Allen 2000, 29 und passim; Martin 2009, 152, der zudem betont, dass religiöse Themen generell in den (wenn auch nur bruchstückhaft) erhaltenen Reden des Lykurgos zu finden seien; Steinbock 2011, 282; 312 (dort sogar als „great success“ – was sich aufgrund des Prozessausgangs wohl bezweifeln lässt); Faraguna 2011, 74; Volonaki 2019, 306; Schmidt-Hofner 2019, 202.
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haltigen Beweise vorbringen konnte – vielmehr konzentriert er sich in seiner Rede darauf, Leokrates als schlechten Bürger darzustellen.14 Hinzu kommt, dass die in der Rede angesprochenen Themen ungewöhnlich für die Funktion als Prozessrede sind: Stattdessen fühlt man sich zunächst an Epitaphien erinnert, da Lykurgos oft auf die Ereignisse rund um die wenige Jahre zuvor geschlagene Schlacht bei Chaironeia Bezug nimmt und eine Lobrede auf die Gefallenen dieser Schlacht mit einbringt.15 Auch die Nähe zur epideiktischen Redeliteratur ist augenfällig. Dadurch ist es zu erklären, dass die Rede unter anderem in Bezug auf die Verwendung von Beispielen aus der Vergangenheit eine Ausnahmestellung unter den erhaltenen Prozessreden einnimmt.16 Diese Beispiele sind hier äußerst zahlreich; in dem Abschnitt 75–145 argumentiert Lykurgos sogar fast ausschließlich mit paradeigmata aus der Vergangenheit, um einerseits den Kontrast zum Verhalten des Angeklagten herauszustreichen und andererseits Beispiele für die Strenge der Vorfahren bei der Bestrafung von Übeltätern anzubringen. Die Rede ist in dieser Hinsicht außergewöhnlich, soll aber trotzdem oder gerade wegen dieser Ausnahmestellung unter den Reden des 4. Jahrhunderts an dieser Stelle ausführlicher untersucht werden, da sie über ihre Sonderposition hinaus auch eine „idealtypische“ Rede zur Verwendung von Erinnerungsräumen in Zusammenhang mit solchen Vergangenheitsbezügen darstellt. Dadurch lässt sich die verdichtete Verwendung von vielen Elementen, die in den nachfolgenden systematischen Kapiteln untersucht werden sollen, beispielhaft zeigen.17 Betrachtet man die Rede unter formalen Aspekten, so hält sich Lykurgos nicht streng an die für eine Prozessrede übliche Gliederung: Nach dem prooimion folgt eine Erzählung der Sachverhalte des Falles, die diegesis. Diese ist im Vergleich zum Gesamtumfang der Rede sehr kurz und bietet weder eine genaue Chronologie der Ereignisse noch eine überzeugende Darstellung der „Verbrechen“ des Leokrates, die nur sehr vage formuliert werden. Das ist nicht zuletzt einfach darauf zurückzuführen, dass Lykurgos keine stichhaltigen Beweise für die von ihm vorgebrachten Anklagepunkte vorbringen kann.18 Anschließend wird die oben angesprochene eulogia auf die Gefallenen von Chaironeia sowie eine vorweggenommene Widerlegung der Argumente 14 15 16 17
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Vgl. Wohl 2010, 29. Lykurg. 1,45–51. Grundlegend zur Anführung vergangener Ereignisse in den Epitaphien Loraux 1981, 133–173 und passim. Zur inhaltlichen Nähe zu den Epitaphien vgl. auch Schmidt-Hofner 2016, 380 f. Vgl. auch Allen 2000, 10: „Lycurgus uses an unusual und excessive number of historical examples and quotations from the poets, devoting sixty out of the speech’s one hundred and fifty paragraphs to such material […]. The passage is unparalleled in Attic oratory.“ (Gemeint sind die Paragraphen 72–132. Allen bezieht sich hier auf historische paradeigmata im engeren Sinne; wenn man den Begriff des Vergangenheitsbezugs noch weiter fasst, ergibt sich ein längerer Abschnitt.) Scholz 2009, 181; 183; 186; Steinbock 2011, 280; Hesk 2012, 212–214. Ausführlich zu den historischen Beispielen in der Rede Vielberg 1991, allerdings vor allem mit der Fragestellung, welche literarischen Quellen Lykurgos genutzt haben könnte. Vgl. Engels 2008, 125, anders Allen 2000, 10.
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des Gegners (elenchos/refutatio) angebracht. Der bei weitem längste Abschnitt der Rede (75–145) besteht aus Reihen und Gruppen von Exkursen, die fast alle aus der Geschichte der Polis Athen entnommen sind. Dieser Teil der Rede bildet sozusagen das Gegengewicht zur diegesis: Da keine juristisch relevanten Beweise vorliegen, stellt Lykurgos den Gegensatz zwischen Leokrates und den ruhmreichen Vorfahren in den Vordergrund.19 Die Rede schließt mit einem kurzen Epilog, der noch einmal zu den wichtigsten Punkten der Einleitung zurückkehrt. Bringt man diese formale Seite, den Aufbau der Rede nach rhetorischen Gesichtspunkten, mit der inhaltlichen Ebene in Verbindung, so wird deutlich, dass Lykurgos in allen Teilen seiner Rede stark Bezug auf die Vergangenheit nimmt und diese Bezüge fast immer einen oder auch mehrere räumliche Aspekte aufweisen. Diese Strategie beginnt gleich mit der Einleitungsformel im ersten Paragraphen der Rede: Dort bringt Lykurgos zentrale Punkte der Anklage in Form eines Gebetes vor, und mit diesem Gebet sind gleichzeitig die wichtigsten Elemente der nachfolgenden Rede charakterisiert: Die starke Bezugnahme auf Religion, auf die Frömmigkeit gegenüber den Göttern, auf Vergangenheit und Traditionen und die Betonung der Räumlichkeit, die Vergangenheit und Gegenwart miteinander verbindet und wichtige Symbolstrukturen innerhalb der Polis aufzeigt. Bereits der Auftakt der vorliegenden Rede zeigt beispielhaft das Zusammenspiel von „Narration, Riten und Materialität“, die bei der Erschaffung eines spezifischen Bildes der Vergangenheit eine Rolle spielen:20 „Gerecht und fromm will ich meine Anklagerede gegen den Angeklagten Leokrates beginnen, sowohl in eurem Interesse als auch in dem der Götter. Ich will nämlich mein Gebet richten an Athena und an die anderen Gottheiten und Heroen, deren Statuen hier in unserer Polis und im attischen Umland aufgestellt sind. Wenn ich den Leokrates mit dieser Anzeige zu Recht angeklagt habe und ihn nun vor Gericht bringe als einen Verräter an diesen Göttern, ihren Tempeln, Schreinen und heiligen Bezirken, als einen Verräter an den Ehren, die ihnen durch Brauch und Sitte zustehen, und an den Opferriten, die euch von euren Vorfahren überliefert wurden, dann mögen sie mich an diesem heutigen Tage zu einem würdigen Ankläger der Vergehen des Leokrates machen.“21
An wen richtet Lykurgos sein Gebet? Zunächst an Athena, die Schutzgottheit der Polis, an andere Götter, mit denen wohl Poseidon, Zeus Horkios und Zeus Soter gemeint 19 20 21
Diese Strategie betont auch Schmidt-Hofner 2016, 380. Gehrke 2014, 35 f. Vgl. auch Millett 1998, 204; Martin 2009, 156 f. Lykurg. 1,1–2: „Δικαίαν, ὦ ’Αθηναῖοι, καὶ εὐσεβῆ καὶ ὑπὲρ ὑμῶν καὶ ὑπὲρ τῶν θεῶν τὴν ἀρχὴν τῆς κατηγορίας Λεωκράτους τοῦ κρινομένου ποιήσομαι. εὔχομαι γὰρ τῇ Ἀθηνᾷ καὶ τοῖς ἄλλοις θεοῖς καὶ τοῖς ἥρωσι τοῖς κατὰ τὴν πόλιν καὶ τὴν χώραν ἱδρυμένοις, εἰ μὲν εἰσήγγελκα Λεωκράτη δικαίως καὶ κρίνω τὸν προδόντ᾽ αὐτῶν καὶ τοὺς νεὼς καὶ τὰ ἕδη καὶ τὰ τεμένη καὶ τὰς ἐν τοῖς νόμοις τιμὰς καὶ θυσίας τὰς ὑπὸ τῶν ὑμετέρων προγόνων παραδεδομένας, ἐμὲ μὲν ἄξιον ἐν τῇ τήμερον ἡμέρᾳ τῶν Λεωκράτους ἀδικημάτων κατήγορον ποιῆσαι …“ Übers. J. Engels.
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waren,22 sowie an die Heroen, die aber nicht namentlich bezeichnet werden, sondern als „τοῖς ἥροσι τοῖς κατὰ τὴν πόλιν καὶ τὴν χώραν ἱδρυμένοις“. Hier wird also die räumliche Präsenz dieser Heroen durch ihre Statuen hervorgehoben – solche Heroenstatuen sind insbesondere für die attischen Phylenheroen bekannt. Diese waren nicht nur in der Polis selbst, nämlich in Form einer Statuengruppe an prominenter Stelle auf der Agora sowie am Ostfries des Parthenontempels auf der Akropolis, sondern auch im attischen Umland zu sehen.23 Für die anderen angerufenen Götter werden zwar unmittelbar keine Standbilder oder auch Kultorte erwähnt, besonders im Falle der Stadtgöttin Athena waren solche räumlichen Bezüge aber geradezu allgegenwärtig präsent, am deutlichsten sicherlich in ihren Statuen und Heiligtümern auf der Akropolis. Auch Poseidon und Zeus waren in Stadt und Umland prominente Heiligtümer geweiht.24 Sind die Götter und Heroen solchermaßen eingeführt, wird Leokrates in einem nächsten Schritt als „καὶ κρίνω τὸν προδόντ’ αὐτῶν καὶ τοὺς νεὼς καὶ τὰ ἕδη καὶ τὰ τεμένη“ angeklagt. Hier stehen also wiederum die Götter und ihre unmittelbar räumliche Präsenz im Mittelpunkt, diesmal nicht durch Statuen, sondern durch ihre „Behausungen“ im umfassenden Sinne: „Tempel, Schreine und heilige Bezirke“. Gleich in den ersten Sätzen der Anklagerede wird also die sakrale Sphäre der Polis verräumlicht, wobei die genannten Statuen und Monumente nicht nur religiös, sondern auch politisch von Bedeutung waren. Hinzu kommen bestimmte Handlungen für diese Götter, „τιμὰς καὶ θυσίας“, die Leokrates durch seine Taten verraten haben soll – hier kommen auch zum ersten Mal die Vorfahren ins Spiel, durch die diese Ehren und Opferriten überliefert worden sind.25
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Vgl. den Kommentar bei Engels 2008, 111. Zum Monument der Phylenheroen auf der Agora von Athen Kron 1976, 228–232; Darstellung am Parthenonfries: ebenda, 202–214; Kron verweist in den Kapiteln zu den einzelnen Phylenheroen auf ihre Kulte und Darstellungen sowohl in Athen selbst als auch in außerhalb gelegenen Demen; vgl. auch die entsprechenden Einträge im Katalog der Heroen von Attika bei Kearns 1989 sowie zusammenfassend 80–92; Ioakimidou 1997, 100–106; 274–280; zur Darstellung am Parthenonfries vgl. auch Neils 2001, 158–161. Im Stadtgebiet Athens sowie in den umliegenden Demen wurden darüber hinaus zahlreiche weitere Heroen verehrt, vgl. den umfassenden Katalog bei Kearns 1989, 139–207, wobei Statuen jedoch in den seltensten Fällen bezeugt sind (Ajax: 141, Paus. 1,35,3–4; Echelos: 165, Etym. m. s.v. Ἔχελος, IG II2 4546; Kranaos: 179, Paus. 1,31,8; Neanias: 188, Paus. 1,33,8; Hypodektes: 202, IG II2 2501; Nisos: 188, Thuk. 4,118,4 (Megara). Zu den Heiligtümern des Zeus und des Poseidon in Athen und ganz Attika vgl. Travlos 1971 und 1988. Demnach wurde Zeus in Athen selbst als Agoraios, Astrapaios, Eleutherios, Herkeios, Hypatos, Hypsistos, Morios, Olympios, Panhellenios, Phratrios, Polieus und Soter verehrt. Besonders das Heiligtum des Zeus Soter im Piräus sei hier gesondert erwähnt, da es im weiteren Verlauf der Rede (17; 136 f.) noch eine prominente Rolle spielen wird. Das prominenteste Heiligtum des Poseidon befand sich in Sounion an der Südspitze Attikas, Travlos 1988, 404–415 mit Belegen und Abbildungen. Sowohl Zeus als auch Poseidon wurden zudem auf der Akropolis schon vor ihrer prachtvollen Ausgestaltung verehrt, vgl. Schneider/Höcker 2001, 88 f., Poseidon dann später auch im Erechtheion, vgl. ebenda, 175. Vgl. auch Steinbock 2011, 306, der die von Lykurgos genannten Heiligtümer auf die Institution der Ephebie bezieht. Vgl. ähnlich auch Lykurg. 1,59 und 97.
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Auffällig ist, dass Leokrates zunächst einmal nicht angeklagt wird, seine Mitbürger, die Polis oder die Demokratie bzw. die demokratische Ordnung verraten zu haben, sondern der Verrat wird besonders an der sakralen Sphäre und ihren spezifischen Räumen festgemacht.26 Sicherlich sind bei der Untersuchung dieser Zusammenstellung von Anklagepunkten stilistisch-sprachliche Erwägungen nicht außer Acht zu lassen,27 es scheint in der Einleitungsformel durch ihre besondere Ausgestaltung aber auch deutlich der Grundstein für den thematischen Schwerpunkt der Rede gelegt: Die Götter, die Vorfahren und die Gedächtnisorte und Denkmäler der Stadt werden für Lykurgos eine ganz zentrale Rolle spielen.28 Im weiteren Verlauf des Prooimions wird die Anklage erneut auf eine räumliche Ebene gehoben, in diesem Falle verschiebt sich aber der Akzent von den Göttern auf die Vorfahren: Leokrates habe das Vaterland im Stich gelassen, die Heiligtümer der Väter, die Gräber der Vorfahren, ja das gesamte Land.29 Neben πατρίδα und χώρα als Lebensräume, die alles einschließen, was den Athenern wichtig ist, und den schon mehrfach angebrachten Heiligtümern werden hier zum ersten Mal die Gräber der Vorfahren eingeführt. Diese befanden sich zumindest teilweise in der Nähe des Prozessgeschehens im Kerameikos vor dem Dipylontor. Dort befanden sich sowohl Ehrengräber einzelner Personen als auch die Gemeinschaftsgräber der Gefallenen der einzelnen Kriegsjahre sowie Privatgräber.30 Jeder konnte sich dort durch eigene Anschauung die Tapferkeit vergangener Generationen vor Augen führen. Hier wie auch an anderer Stelle wird nicht präzisiert, wessen Gräber denn nun eigentlich gemeint sind. Es könnten alle Vorfahren der Athener insgesamt, die Gefallenen der Schlacht von Chaironeia, ebenso aber auch die persönlichen Vorfahren des Leokrates sein.31 Als 26 27 28
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Vgl. auch Schmidt-Hofner 2016, 381, der an dieser Stelle stark zusammenfassend die „Evokation Attikas“, sowie „heimische Bilder“ hervorhebt; ders. 2019, 196. Vgl. Engels 2008, 111: „Die sorgfältig komponierte Prosarhythmik, die Verdoppelung oder sogar Verdreifachung von ähnlichen Begriffen in den ersten Paragraphen geben stilistisch und sprachlich dem Beginn der Rede eine pathetische Tonlage“. Ebenso auch schon Salomone 1976, 43. Auf die besondere Rolle der Vergangenheit und der Vorfahren deuten auch die „nackten Zahlen“ hin, die von Rehdantz 1876, 70 zusammengestellt wurden: 22mal werden die progonoi erwähnt, 18mal pateres, patrios, patroos. Der Verrat an der Polis, ihren Bürgern, dem Vaterland wird in den folgenden Paragraphen (Lykurg. 1,2–5) auch weiterhin thematisiert, wobei aber auch immer wieder die eingangs erwähnten Heiligtümer aufgegriffen werden. Lykurg. 1,8: „τί γὰρ χρὴ παθεῖν τὸν ἐκλιπόντα μὲν τὴν πατρίδα, μὴ βοηθήσαντα δὲ τοῖς πατρῴοις ἱεροῖς, ἐγκαταλιπόντα δὲ τὰς τῶν προγόνων θήκας, ἅπασαν δὲ τὴν χώραν ὑποχείριον τοῖς πολεμίοις παραδόντα;“ Vgl. Martin 2009, 157 f.; Steinbock 2011, 307, der diesen Vorwurf mit dem Bruch des Ephebeneides verbindet, sicherlich eine Möglichkeit, die aber von Lykurgos selbst (abgesehen von dem Zitat des Ephebeneides später in der Rede) nicht erwähnt wird. Zur Topographie des Kerameikos vgl. Knigge 1988 und ausführlich Kap. 7.1. Auf die persönlichen Vorfahren des Leokrates weisen die Übersetzungen „die Gräber seiner Vorfahren“ (Engels 2008) / „the graves of his ancestors“ (E. Harris 2001) hin. Die neutrale Übersetzungsmöglichkeit „die Gräber der Vorfahren“ ist m. E. aber genauso gegeben. Salomone 1976, 46 schlägt hingegen vor, dass in der vorliegenden Rede mit dem Begriff θήκη immer die Gräber der
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Konsequenz aus diesem Verrat wird die Todesstrafe gefordert, diese sei allerdings ein immer noch zu geringes Strafmaß angesichts der Verbrechen des Leokrates. Auch im Rahmen der diegesis, also der Schilderung der Sachverhalte des Falles, spielen die Räume der Stadt (und darüber hinaus) eine besondere Rolle. Jetzt wird jedoch vermehrt auf die konkret-monumentale Ebene Bezug genommen. Das heißt, bestimmte Bauwerke werden genutzt, um die Schilderung historischer Ereignisse zu illustrieren, oder sie stehen symbolisch für bestimmte Ereignisse oder auch Personen. Ein besonders plakatives Beispiel stellt die bildhafte Beschreibung der Flucht des Leokrates dar: „Leokrates nun kümmerte sich um diese Anordnungen überhaupt nicht, raffte schnell sein vorhandenes Geld zusammen und schaffte es mit Hilfe seiner Sklaven auf einen Fischerkahn, während ein Schiff bereits vor der Küste vor Anker bereit lag. Spät am Abend verließ er dann mit seiner Hetäre Eirenis die Stadt durch das Stadttor, das in der Mitte der Akte liegt, segelte zu seinem Schiff und floh in aller Eile. Dabei hatte er weder Mitgefühl mit den Stadtmauern seines Vaterlandes, die er völlig ohne Verteidigung zurückließ, soweit es jedenfalls auf ihn ankam. Er geriet auch nicht in Furcht, als er bei seiner Abreise von ferne die Akropolis als ein Verräter erblickte und den Tempel des Zeus Soter und den der Athena Soteira, die er jetzt sehr bald flehentlich anrufen wird, daß sie ihn aus den Gefahren erretten mögen.“32
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Gefallenen von Chaironeia gemeint seien. Das ist zwar für die andere von ihr angeführte Stelle Lykurg. 1,144 durchaus zutreffend, erschließt sich hier jedoch nicht. Des Weiteren waren sowohl ein Urgroßvater als auch ein Großvater des Lykurgos mit Ehrengräbern auf dem Kerameikos bedacht worden; auch diese Tatsache war bei Erwähnung der Gräber der Vorfahren immer mit einbezogen, vgl. Engels 2008, 16 f. Auf die Gräber der Vorfahren kommt Lykurgos im Verlauf der Rede dann immer wieder zu sprechen, Lykurg. 1,43; 45; 109; 142; 144; 147. Eine ähnliche Anklage, die Gräber der Vorfahren im Stich gelassen zu haben, findet sich auch in der fragmentarisch erhaltenen Rede „Gegen Autolykos“ Fr. 3,3 Conomis, dazu den Kommentar von E. Harris 2001, 207 mit Anm. 11. Eine ausführliche Untersuchung zur Anführung der Gräber der Vorfahren bei den Rednern findet sich in Kap. 7. Lykurg. 1,17: „Λεωκράτης δὲ τούτων οὐδενὸς φροντίσας, συσκευασάμενος ἃ εἶχε χρήματα, μετὰ τῶν οἰκετῶν ἐπὶ τὸν λέμβον κατεκόμισε, τῆς νεὼς ἤδη περὶ τὴν ἀκτὴν ἐξορμούσης, καὶ περὶ δείλην ὀψίαν αὐτὸς μετὰ τῆς ἑταίρας Εἰρηνίδος κατὰ μέσην τὴν ἀκτὴν διὰ τῆς πυλίδος ἐξελθὼν πρὸς τὴν ναῦν προσέπλευσε καὶ ᾤχετο φεύγων, οὔτε τοὺς λιμένας τῆς πόλεως ἐλεῶν ἐξ ὧν ἀνήγετο, οὔτε τὰ τείχη τῆς πατρίδος αἰσχυνόμενος ὧν τὴν φυλακὴν ἔρημον τὸ καθ᾽ αὑτὸν μέρος κατέλιπεν· οὐδὲ τὴν ἀκρόπολιν καὶ τὸ ἱερὸν τοῦ Διὸς τοῦ Σωτῆρος καὶ τῆς Ἀθηνᾶς τῆς Σωτείρας ἀφορῶν καὶ προδιδοὺς ἐφοβήθη, οὓς αὐτίκα σώσοντας ἑαυτὸν ἐκ τῶν κινδύνων ἐπικαλέσεται.“ Übers. J. Engels. Vgl. zur Bedeutung dieses Paragraphen und seiner räumlichen Komponente Millett 1998, 204, der hervorhebt, dass Leokrates vorgeworfen wird, weniger Menschen als vielmehr Orte verlassen zu haben; Allen 2000, 27; Lambert 2010, 229; Steinbock 2011, 307; Balot 2014, 235; Schmidt-Hofner 2016, 381. In sprachlicher Hinsicht handelt es sich hier um ein Paradebeispiel für das rhetorische Mittel der enargeia, also der „bildhaften Anschaulichkeit“ einer Schilderung. Vgl. dazu Engels 2008, 126. Zum Begriff der enargeia und seiner Anwendbarkeit auf die Reden vgl. Kap. 1.5.
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Αuffällig sind hier besonders die historischen, symbolisch aufgeladenen Räume, mit denen Lykurgos die Schilderung der Flucht bildhaft ausschmückt. Dabei lässt er seine Zuhörer durch die Augen des Leokrates auf verschiedene Monumente blicken: Er spricht zunächst Häfen und Stadtmauern an, Symbole des Wohlstands und der militärischen Wehrhaftigkeit der Polis, die der Angeklagte ohne Verteidigung zurücklässt. Hafen und Mauer sind nicht nur funktionale Bauten, sondern gemahnen gleichzeitig durch ihre Baugeschichte und die mit ihnen verbundenen Ereignisse an die Blütezeit Athens im 5. Jahrhundert, auch wenn diese Verknüpfung hier nicht explizit erwähnt wird. Diese „Metaphorik der Mauern“ ist bei vielen Rednern in unterschiedlichen Kontexten weit verbreitet.33 Dann blickt Leokrates auf die Akropolis, wodurch ein ganzer Komplex von Monumenten und damit verbundenen Erinnerungen evoziert wird. Steht die Akropolis doch als Symbol für die gesamte Stadt und ihre Geschichte von mythischer Zeit an. Sie war nicht nur religiöses Zentrum der Polis und beherbergte Heiligtümer und Standbilder der Stadtgöttin Athena in ihren verschiedenen Facetten, sondern wartete besonders durch den Baukomplex des Ereichtheion mit unterschiedlichen mythischen Bezügen auf. Hinzu kamen zahlreiche kleinere Heiligtümer anderer Gottheiten sowie das eindrucksvolle Dionysostheater, das in Verbindung mit dem Heiligtum des Gottes am Südhang der Akropolis lag.34 Die politische Geschichte der Stadt spiegelte sich in den Ehrenstatuen und Dekreten, die dort aufgestellt waren. Die großen Monumente der Akropolis hatten außerdem eine starke visuelle Präsenz und waren von jedem Punkt der Stadt aus zu sehen. Auch wenn man aus einem der Häfen des Piräus abfuhr oder dort mit dem Schiff ankam, war die Akropolis bereits vom Meer aus sichtbar.35 Eine Schlüsselrolle kommt schließlich besonders den beiden zuletzt genannten und mit bestimmten Gottheiten verbundenen Tempeln zu. Zeus Soter und Athena Soteira sind einerseits Retter für das einzelne Individuum aus Not und Gefahr, andererseits auch für die gesamte Polis aus Notlagen. Eine solche lag ja mit der Niederlage von Chaironeia 338 nicht lange zurück, was durch die Anklage wieder präsent gemacht wurde. Über diese symbolträchtigen Monumente wird also ein individuelles Schicksal mit dem Schicksal der gesamten Polis verknüpft. Als besonderes Verbrechen kann demnach auch gelten, dass Leokrates eben jene Götter verrät, die nicht nur für seine eigene Rettung, sondern auch für die Rettung und Bewahrung der gesamten Po-
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Vgl. Kap. 6. Zu den Ursprungsmythen, die auf der Akropolis ihren Platz hatten vgl. Loraux 1993, 14 f., 23 u. ö. Lambert 2010, 229 hebt zudem den engen Bezug des Lykurgos selbst zur Akropolis hervor, da die Familie der Eteoboutadai ihre Herkunft von Erechtheus und Boutes ableitete und zudem die Priesterämter der Athena Polias und des Poseidon Erechtheus bekleidete. Zur visuellen Präsenz der Akropolis im athenischen Stadtbild vgl. ausführlich Kap. 3, eine Ansicht Athens vom Piräus aus gesehen findet sich bei Connolly 1998, 66.
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lis zuständig sind. Nicht umsonst ist es dieser Tempel, den Leokrates bei seiner Abfahrt aus dem Hafen als letztes erblickt. 36 Durch diese Bildhaftigkeit war die Nachvollziehbarkeit des Geschehenen für die Zuhörer gewährleistet. Hatte doch jeder von ihnen die genannten Monumente schon gesehen, vielleicht sogar aus dem Hafen abfahrend, das heißt aus dem gleichen Blickwinkel wie der nun Angeklagte. Wichtig ist darüber hinaus aber sicherlich vor allem die Symbolik der genannten Bauwerke, die „patriotische Gefühle wecken“ soll, stehen sie doch für Macht, religiösen Zusammenhalt und ruhmreiche Taten der Vergangenheit.37 Im Gegensatz dazu wird durch die beschriebene Entfernung des Leokrates von diesen Orten ein „Bild seiner Entfremdung von der Polis“ geschaffen.38 Als weiterer Anklagepunkt folgt der Vorwurf der Überführung der hiera patroa nach Megara.39 Dabei handelt es sich um Familienkultgegenstände und Hausgottheiten, die demzufolge an einen bestimmten Ort bzw. ein bestimmtes Haus gebunden waren und dadurch Familientraditionen widerspiegelten und bewahrten. Die Überführung an einen anderen Ort als Verbrechen zu bezeichnen ist sicherlich übertrieben, besonders wenn Leokrates längere Zeit in Megara bleiben wollte. Dann musste er die Kultgegenstände ja mitnehmen, um die Verehrung der hiera patroa weiter fortführen zu können.40 Die mangelnde Stichhaltigkeit dieses Anklagepunktes ist aber zweitrangig: Deutlich wird, dass Vergangenheit und Traditionen auch auf familiärer Ebene verdinglicht und damit präsent gemacht und verräumlicht werden.41 Direkt anschließend folgt der nun schon hinreichend bekannte Vorwurf, dass Stadt, Land und Heiligtümer von Leokrates im Stich gelassen worden seien. Indem hervorgehoben wird, dass Stadt und Land durch die Vorfahren nach der Göttin Athena be-
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Für die zweite Hälfte des 4. Jahrhunderts sind umfangreiche Baumaßnahmen am Diisoterion inschriftlich belegt: IG II2 1669; diese Inschrift kann nur ungenau in die Zeit nach 350 datiert werden, es ist also nicht bekannt, inwieweit auch Lykurgos oder ihm nahestehende Personen in die Baumaßnahmen involviert waren. Vgl. Hintzen-Bohlen 1997, 18 sowie Engels 2008, 127. Für eine besondere Bedeutung des Kultes des Zeus Soter und der Athena Soteira, dem Fest der Diisoteria, in der lykurgischen Ära spricht IG II2 1496; Z. 88–89; vgl. Parker 1996, 240; Mikalson 1998, 38 f.; 110 f.; Lambert 2010, 229; zu Entwicklung und Bedeutung des Kultes Garland 1987, 137–138 mit einer Auflistung der epigraphischen Zeugnisse 239 f. Zum archäologischen Befund vgl. ebenda, 152 sowie Travlos 1988, 342; Eickstedt 1991, 115 mit Anm. 484; Hoepfner/Schwandner 1994, 44 und Hintzen-Bohlen 1997, 18 die betont, dass das Heiligtum bis heute nicht genau lokalisiert werden konnte und für einen Standort in der Nähe der Agora plädiert. Allerdings gilt das Heiligtum bei Paus. 1,1,3 als eine der Sehenswürdigkeiten im Piräus. Zur mehrfachen Erwähnung des Heiligtums in der Rede vgl. Engels 2008, 127; Lambert 2010, 229. Engels 2008, 127. Schmidt-Hofner 2016, 381. Lykurg. 1,25. Vgl. Engels 2008, 132; Schmidt-Hofner 2016, 381. Vgl. Millett 1998, 204 f.
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nannt wurden, wird das Land noch einmal ausdrücklich mit dieser Göttin verbunden und bekommt damit eine besondere Sakralität zugesprochen.42 Als Lykurgos noch einmal die Lage nach der verheerenden Niederlage bei Chaironeia schildert, wird der Verrat des Leokrates wiederum mit Räumen und Monumenten in Verbindung gebracht: In diesem Falle sind es die hiera patroa, Tempel, Mauern, sowie auf einer allgemeineren umfassenden Ebene die Polis und das Umland.43 Es zeigt sich, dass Lykurgos verschiedene Elemente, sei es die Stadt insgesamt, monumentale Bauwerke oder auch Objekte der Familientradition immer wieder neu zusammenstellt, um den Verrat des Leokrates besonders bildlich darzustellen. Um die schockierenden und auch beschämenden Ereignisse nach Chaironeia noch deutlicher herauszustreichen, werden diese in Kontrast zu früheren Errungenschaften und Ruhmestaten der Athener gesetzt.44 Der recht kurze Tatenkatalog, der Athen als Kämpferin für die Freiheit der anderen Griechen und Herrin über die Barbaren charakterisiert, wird eingeleitet mit den Worten, die Athener seien ein Volk „ὃς πρότερον ἐπὶ τῷ αὐτόχθων εἶναι καὶ ἐλεύθερος ἐσεμνύνετο“.45 Es handelt sich um eine Anspielung auf den Mythos der Autochthonie der Athener, der sich bei zahlreichen Rednern großer Beliebtheit erfreute.46 Das Begriffspaar αὐτόχθων καὶ ἐλεύθερος steht einerseits in Kontrast zur elenden Lage der athenischen Bürgerschaft nach Chaironeia, fungiert andererseits als eine Art Begründung für die nachfolgend geschilderten Leistungen vergangener Zeiten. Der Mythos der Autochthonie hat zunächst verschiedene ideologisch-argumentative Funktionen, denn die Autochthonie galt den Athenern einerseits als Alleinstellungsmerkmal gegenüber anderen Poleis, andererseits als wichtiges Konzept zum Zusammenhalt im Inneren, nämlich als Selbstvergewisserung der eigenen eugeneia, die den demokratischen Gleichheitsgedanken unterstützen sollte. Dadurch war für alle Athener eine „edle Abstammung“ gewährleistet.47 Darüber hinaus handelt es sich um einen dezi42 43 44
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Lykurg. 1,26: „καὶ οἱ μὲν πατέρες ὑμῶν τῆ Ἀθηνᾶ ὡς τὴν χώραν εἰληχυία [ὁμώνυμον αὐτῇ] τὴν πατρίδα προσηγόρευον Ἀθήνας, ἵν᾽ οἱ τιμῶντες τὴν θεὸν τὴν ὁμώνυμον αὐτῇ πόλιν μὴ εγκαταλίπωσι.“ Lykurg. 1,38. Die Situation nach der Niederlage bei Chaironeia wird auch in den folgenden Paragraphen „sichtbar“ gemacht, indem Lykurgos zahlreiche Verben des Sehens in die Schilderung einarbeitet (bes. 1,40–41), dazu O’Connell 2017, 136–139. Lykurg. 1,41 f. Die Errungenschaften des 5. und auch 4. Jahrhunderts werden in diesem Falle recht allgemein formuliert: Athen war Vorkämpferin Griechenlands (durch den Seebund) und erbrachte u. a. Hilfeleistungen für Sparta und die kleinasiatischen Griechen, ohne dass diese aber im Detail benannt werden. Zur Deutung vgl. Engels 2008, 137 f. Lykurg. 1,41. Lykurgos kommt im weiteren Verlauf der Rede noch dreimal auf die Autochthonie der Athener zu sprechen 48; 83 und 100 (als Zitat aus Euripides, Erechtheus). Lys. 2,17; Isokr. 4,24; 32 f.; 8,49 f.; 12,123–126; Plat. Mx. 237b-c; Demosth. 18,205(?); [59,73–77]; 60,4 f.; Hyp. 6,7. Die verschiedenen ideologisch-argumentativen Funktionen sind bei Rosivach 1987, 302–305 aufgelistet, der den Autochthoniegedanken in 305 als „ideological tool“ charakterisiert. Vgl. auch Gotteland 2001, 319–321; 325; Schmidt-Hofner 2016, 369–373, zur „Fiktion der Egalität“ durch die „Fiktion einer gemeinsamen Abstammung“ 373; Ders. 2019, 195. Zu Entstehung und Funktion des
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diert „räumlichen Mythos“, sind die Athener demnach der wörtlichen Bedeutung entsprechend „erdgeboren“ und damit eng mit der attischen Erde, also mit einer bestimmten Landschaft verbunden.48 Es ist unwahrscheinlich, dass sich die athenischen Bürger tatsächlich im wörtlichen Sinne als erdgeboren betrachteten, vielmehr handelt es sich um einen topos der kollektiven Autochthonie aller Bürger, abgeleitet vom Mythos des erdgeborenen Urkönigs Erichthonios/Erechtheus. Mit diesem topos geht aber eine besondere Bindung an das Land „seit undenklichen Zeiten“ einher. Der Mythos diente dazu, die Athener als „schon immer“ ansässige Bewohner ihres Landes von den auf die Peloponnes zugewanderten Dorern abzuheben.49 Auf einer weiteren Ebene ist der Mythos der Autochthonie ebenfalls mit bestimmten Räumen verbunden: Die Akropolis bezeichnet den Geburtsort des Erichthonios und am anderen Pol finden auf dem Kerameikos die athenischen Bürger ihre letzte Ruhe in der gleichen attischen Erde.50 Passend zu dieser Polarität von Abstammung aus und Ende in der attischen Erde geht es im weiteren Verlauf der Anklage um die Gräber der Vorfahren unter verschiedenen Gesichtspunkten. In Anbetracht der Gräber der Gefallenen von Chaironeia wird zunächst erneut die Todesstrafe für Leokrates gefordert. Leokrates habe nicht nur an der „staatlichen Begräbnisprozession“ („ἐκφορὰν“) nicht teilgenommen, sondern hätten alle so gehandelt wie er, wären die Gefallenen sogar unbestattet geblieben („ὡς τὸ ἐπὶ τούτῳ μέρος ἀτάφων ἐκείνων τῶν ἀνδρῶν γεγενημένων“).51 Hier handelt es sich nicht um die Gräber der persönlichen Vorfahren oder auch der Vorfahren der gesamten Polis, sondern diese werden einem bestimmten Ereignis, das alle Zuhörer miterlebt hatten, zugeordnet. Der Raum als konkret monumentale Struktur erweist sich somit als Unterstützung des kommunikativen Gedächtnisses, werden doch unmittelbar zurückliegende Ereignisse und die beteiligten Personen durch räumliche Strukturen
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Autochthoniegedankens in Athen vgl. außerdem Parker 1987, 193–197; Loraux 1993; 2000, 16–23; 32–35; Shapiro 1998; Blok 2009. Die Übersetzung als „erdgeboren“ ist in der Forschung allgemein akzeptiert. Kritisch dazu Rosivach 1987, 297–301, der stattdessen die Übersetzung „always having the same land“ (301) vorschlägt. Loraux 1993, 49, dort besonders zur Bedeutung des Autochthoniegedankens im athenischen Epitaphios. Damit verbunden war dann der Anspruch auf Hegemonie, vgl. Schmidt-Hofner 2016, 372; 384 f. zur Suggestion einer ‚Naturgegebenheit‘ der mit der Autochthonie verbundenen Botschaften. Vielleicht mit ein Grund, dass der Mythos der Autochthonie zum Standardrepertoire der Epitaphien gehört, vgl. dazu ausführlich Loraux 1981, 150–152 (151: „le mythe athénien par excellence“) und passim; 1993, 41–51; Rosivach 1987, 302–304; Wilke 1996, 238–240; Walter-Karydi 2015, 144 f. Zur Bedeutung der Autochthonie bei den attischen Rednern insgesamt vgl. auch Thomas 1989, 217–221; Gotteland 2001, 319–330; Orth 2006 (Isokrates); Clarke 2008, 261–272 (bei Isokrates); 317 f.; Schmidt-Hofner 2016, 369–373. Vgl. auch die Betrachtungen von Osmers 2013, 153–171 zum Motiv der Autochthonie in der polisübergreifenden Kommunikation und zum Bedeutungsgehalt des Autochthoniebegriffs im athenischen Kontext 155 f. Lykurg. 1,45. Zur unabdingbaren Notwendigkeit der Bestattung (nicht nur) im antiken griechischen Verständnis vgl. Graen 2011, 42 f. mit weiterer Literatur.
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in Erinnerung gerufen. Sowohl die erwähnte Begräbnisprozession als auch der nachfolgende Epitaphios am Grab der Gefallenen, der für das Jahr 338 von Demosthenes gehalten worden war,52 war den meisten Zuhörern aus eigenem Erleben präsent. Das Grabmal auf dem demosion sema war weiterhin sichtbar, und durch die Abhaltung von Epitaphien in jedem Jahr wurden auch die Gefallenen vergangener Kämpfe immer wieder in das Gedenken mit einbezogen. Die „Gräber der Vorfahren“ des demosion sema waren somit allen Athenern bekannt und besonders symbolträchtig. An diesem Ort waren, wenn auch nicht alle siegreich, die tapferen Vorfahren versammelt, die sich für die Polis aufgeopfert hatten.53 Ein weiteres plakatives Beispiel für die Verknüpfung von Räumlichkeit mit der Anklage gegen Leokrates bilden Personifikationen, und auch hier sind die Gräber der Vorfahren mit eingebunden. Der Untätigkeit des Angeklagten in der Notlage für die Polis wird die Personifikation verschiedener Räume gegenüber gestellt.54 So stellt das Land seine Bäume, stellen die Toten ihre Gräber und die Tempel die dort geweihten Beutewaffen für den Verteidigungskampf zur Verfügung. Sowohl Holz als auch Steine aus Grabanlagen wurden für den Bau von Verteidigungsanlagen verwendet, die Funktion der Beutewaffen aus den Tempeln erschließt sich von selbst.55 Die Bedeutung dieser Räume ist aber nicht nur funktional in ihrer unmittelbaren Bedeutung für die gegenwärtige Lage, sondern auch symbolisch als Bezug zur Vergangenheit zu verstehen. Sind die Toten, die die Steine ihrer Grabbauten zur Verfügung stellen, doch die Vorfahren der Athener und die Beutewaffen aus den Tempeln künden von siegreichen Schlachten der Vergangenheit. In der anschließenden eulogia auf die Gefallenen von Chaironeia, die außerhalb des eigentlichen Argumentationsganges steht, kommen noch einmal verschiedene Aspekte historischer Raumbezüge zum Tragen. Hier findet sich einerseits eine der wenigen Stellen aus dem gesamten Korpus der attischen Redner, in der die Stadtmauern Athens negativ konnotiert sind. Sie dienen als Rückzugsort für diejenigen, die wie Leokrates zu feige sind, sich dem Kampf zu stellen. Sie können aber nur eine trügerische Sicherheit bieten, denn ausschlaggebend ist die Tapferkeit der Männer, die die Polis auf dem Schlachtfeld verteidigen.56
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Demosth. 60. Vgl. Engels 2008, 140 und ausführlich Kap. 7. Zu den Personifikationen als „recurring theme“ der Rede Millett 1998,204. Lykurg. 1,43: „τὸν οὐδὲ συμπενθῆσαι τὰς τῆς πατρίδος συμφορὰς τολμήσαντα, οὐδὲ συμβεβλημένον οὐδὲν εἰς τὴν τῆς πόλεως καὶ τοῦ δήμου σωτηρίαν, ὅθ᾽ ἡ μὲν χώρα τὰ δένδρα συνεβάλλετο, οἱ δὲ τετελευτηκότες τὰς θήκας, οἱ δὲ νεῲ τὰ ὅπλα.“ Zur Nutzung von Steinen aus Grabbauten zum Bau von Verteidigungsanlagen vgl. auch Aischin. 3,236 sowie den archäologischen Befund bei Knigge 1988, 41–42. Vgl. auch Stupperich 1977, 259; Engels 2008, 139. Lykurg. 1,47. Zur Geringschätzung der Stadtmauern im 4. Jahrhundert vgl. Ober 1985, 51–66, bes. 56 und 63 f. Ausführlich zu diesem Forschungsansatz und zur Bedeutung der Stadtmauern bei den attischen Rednern vgl. Kap. 6.
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Warum treten die athenischen Bürger mit einer solchen Bereitschaft für ihre Polis ein? Hier greift erneut das Argument der Autochthonie, ohne dass der Begriff explizit erwähnt wird: Das Land gehört „von Natur aus“ („φύσει“) zu den athenischen Kämpfern; daraus resultiert ihre besondere Bindung an eben dieses Land. Die autochthone Abstammung aus der attischen Erde wird hier zusätzlich mit Begriffen der Vaterschaft verbunden. Die natürliche Verbindung mit dem Land wird mit der natürlichen Vaterschaft gleichgestellt, während die Bindung an ein Land durch Einwanderung mit der Vaterschaft durch Adoption verglichen wird.57 Hier erfolgt also gleichzeitig eine Abgrenzung gegenüber (allen) anderen Poleis, die nicht von Autochthonen, sondern von Einwanderern unterschiedlicher Herkunft besiedelt wurden. Auch hier fällt die starke Raumbezogenheit des „Patriotismus“ der Athener auf, wird hier doch anstelle einer Bindung an die demokratische Ordnung, an das Bürger-Sein in den Institutionen vor allem eine starke Verbundenheit zum Land selbst postuliert. Neben den Gefallenen des Kampfes von Chaironeia werden Leokrates weitere Gegenbilder gegenübergestellt: Dabei handelt es sich um Personen, die durch ihre Ehrenstatuen auf der Agora für die Zuhörer präsent waren. Diese Tatsache wird von Lykurgos auch eigens hervorgehoben: Strategen und Tyrannentöter seien die Vorbilder, auf die die Polis Athen stolz sei und die durch ihre Ehrenstatuen den öffentlichen Raum prägten. Gleichzeitig bietet sich Lykurgos eine Gelegenheit, sich von den Praktiken anderer Poleis abzugrenzen: Dort würden nur Athleten mit Ehrenstatuen bedacht.58 Durch die Ehrenstatuen werden Personen des kulturellen Gedächtnisses mit denjenigen des kommunikativen Gedächtnisses verknüpft. Fest im kulturellen Gedächtnis der Athener verankert waren die erwähnten Tyrannentöter Harmodios und Aristogeiton, die nach der allgemeinen Auffassung die Tyrannis der Peisistratiden beendeten und den Weg für die Demokratie freimachten.59 Das Standbild, das ihre Taten verewigen sollte, war das erste rein politische Denkmal in den öffentlichen Räumen der Polis Athen.60 Nach seiner Verschleppung durch die Perser wurde es 477/6 durch eine Statuengruppe der Bildhauer Kritios und Nesiotes ersetzt, was für seine besondere Bedeutung spricht.61 Ehrenstatuen von Strategen wurden dagegen erst ab dem Beginn des 4. Jahrhunderts aufgestellt: Den Anfang machte das Standbild des Konon im Jahr 393, es folgten Standbilder seines Sohnes Timotheos sowie der Strategen Iphikrates und Chabrias, die in den Reden immer wieder genannt und mit Siegen für den athenischen Demos verbunden werden. Hier stehen sie hingegen nur als Gruppe von „Stra-
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Lykurg. 1,48. Vgl. hierzu auch Gotteland 2001, 325. Lykurg. 1,51: „εὑρήσετε δὲ παρὰ μὲν τοῖς ἄλλοις ἐν ταῖς ἀγοραῖς ἀθλητὰς ἀνακειμένους, παρ’ὑμῖν δὲ στρατηγοὺς ἀγαθοὺς καὶ τοὺς τὸν τύραννον ἀποκτείναντας.“ So auch schon bei Thuk. 1,20,2. Vgl. dazu Fehr 1984, 25; von den Hoff 2009, 193 f. Marmor parium A 54 (IG XII 5, Nr. 444/IG XII Suppl., S. 110); Fehr 1984, 6; 53. Vgl. dazu ausführlich Kap. 4.1 und 4.2.
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tegen“ den namentlich benannten Helden gegenüber – wahrscheinlich wussten die meisten Athener aus eigener Anschauung, welche Personen damit gemeint waren.62 Im Rahmen der Vorwegnahme von Argumenten der Verteidigung (55–74) greift Lykurgos ebenfalls auf paradeigmata der Vergangenheit zurück, und auch hier findet sich wieder die Strategie der Verräumlichung von Erinnerung. Der möglichen Verteidigungslinie, Leokrates habe gar kein Amt inne gehabt, in dessen Rahmen er Verrat hätte begehen können,63 begegnet Lykurgos damit, dass er wichtige Ämter als Beispiele aufzählt. Dabei fällt auf, dass ausschließlich Aufsichtsfunktionen über (militärisch) zentrale Räume genannt werden, nämlich Schiffshäuser, Stadttore und Feldlager, und vor allem die ersten beiden wiederum mit historischen Implikationen versehen werden. Die Schiffshäuser beherbergen die Flotte und können alte (und erhoffte neue) Seemacht Athens symbolisieren, während die Stadttore für die Wehrhaftigkeit der Stadt in Vergangenheit und Gegenwart stehen. Als Steigerung dieser Aufzählung von Zuständigkeiten habe aber Leokrates nicht nur einzelne Elemente, die mit einem Amt verbunden sind, verraten, sondern gleich die gesamte Stadt.64 Um vom Kern des Arguments, Leokrates habe kein Amt innegehabt, abzulenken, fügt Lykurgos an dieser Stelle eine Erzählung von der Eroberung und Zerstörung von Städten ein. Zunächst lässt er die Geschichte Athens Revue passieren. Athen habe sowohl die Tyrannis der Peisistratiden als auch die Niederlage im Peloponnesischen Krieg und die Herrschaft der Dreißig überstanden, sich nach allen Rückschlägen wieder aufrichten und die Freiheit wiedererlangen können. Diese Krisen und Niederlagen der Stadt werden nur kurz angerissen, es folgt keine genauere Schilderung der Ereignisse oder beteiligter Personen. Einzige Ausnahme ist die Schleifung der Mauern nach dem Peloponnesischen Krieg: In Wahrheit gesagt, ist nämlich die Zerstörung einer Stadt gleichbedeutend mit ihrem Tod. Das ist hierfür der größte Beweis: In alten Zeiten stand unsere Stadt einmal unter der Knechtschaft von Tyrannen, später dann unter den Dreißig Männern, und auf Befehl der Lakedaimonier wurden die Festungsmauern niedergerissen. Und dennoch, nach diesen beiden schlimmen Situationen haben wir unsere Freiheit wieder erlangt, und wir wurden für würdig gehalten, Schutzmacht des Wohlergehens der Hellenen zu werden.65
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Vgl. Kap. 4.3. Die von Lykurgos vorgebrachte Eisangelie-Klage wurde vor allem gegen zivile oder militärische Amtsträger angewendet, vgl. Engels 2008, 145 f.; Hansen 1975, 58 f. mit einer Auflistung aller vor der Volksversammlung vorgebrachten Eisangelie-Klagen, die ebenfalls aufzeigt, dass dieser Prozesstyp besonders gegen Beamte, v. a. Strategen, weit verbreitet war; vgl. auch Todd 1993, 114. Lykurg. 1,59: „ἐγὼ δ᾽ ἡγοῦμαι τοὺς μὲν τούτων κυρίους μέρος ἄν τι προδοῦναι τῆς ὑμετέρας δυνάμεως, τουτονὶ δ᾽ ὅλην ἔκδοτον ποιῆσαι τὴν πόλιν.“ Lykurg. 1,61: „εἰ γὰρ δεῖ τὴν ἀλήθειαν εἰπεῖν, πόλεώς ἐστι θάνατος ἀνάστατον γενέσθαι. τεκμήριον δὲ μέγιστον· ἡμῶν γὰρ ἡ πόλις τὸ μὲν παλαιὸν ὑπὸ τῶν τυράννων κατεδουλώθη, τὸ δ΄ ὕστερον ὑπὸ τῶν
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Dieses Element der Verknüpfung der Schleifung der Stadtmauern mit Niederlagen und Krisen, aber auch dem (erneuten) Aufstieg der Stadt, der durch die Wiedererrichtung der Stadtmauern symbolisiert wird, begegnet das ganze 4. Jahrhundert über in den unterschiedlichsten Redekontexten und kann als „Metaphorik der Mauern“ charakterisiert werden.66 In Gegensatz zur Möglichkeit des Wiederaufstiegs wird das Verhalten des Leokrates gestellt, worauf folgend die völlige Zerstörung und das Verlassen der Stadt durch seine Bürger heraufbeschworen werden. Nach der völligen Zerstörung nämlich sei ein Aufschwung zu neuer Größe nicht mehr möglich.67 Das Überleben einer Stadt hängt also von zwei Faktoren ab: Einerseits von ihrem physischen Dasein, andererseits von ihrer Besiedlung durch Bürger, die Politen. Auf den zweiten möglichen Einwand der Verteidigung hin, kein Mann könne für die Zerstörung der Stadt allein verantwortlich sein, bringt Lykurgos das Beispiel der drakontischen Gesetzgebung vor: Demnach habe die Todesstrafe selbst für das geringste Vergehen gedroht.68 Hier interessiert nicht so sehr der Wahrheitsgehalt dieser Behauptung, sondern wie Lykurgos versucht, dieses Gesetz seinen Zuhörern plausibel zu machen. Er leitet den Abschnitt zu den drakontischen Gesetzen folgendermaßen ein: „καίτοι ῥᾴδιόν ἐστιν, ὦ ἄνδρες, πρὸς τὰς τῶν ἀρχαίων νομοθετῶν διανοίας ἀποβλέψαντας τὴν ἀλήθειαν εὑρεῖν.“ (64) Man kann diese Aussage wörtlich auffassen, nämlich als Hinweis auf die konkrete Materialität dieser Gesetze in ihrer inschriftlichen Form, die für die Zuhörer sowohl in ihrer ursprünglichen Form auf axones und kyrbeis als auch in Abschriften auf Stelen vor der Stoa Basileios auf der Agora immer noch sichtbar waren und somit nachgeprüft werden konnten.69 Inschriften waren ebenfalls ein wichtiger Teil der materiellen Erinnerungskultur und wurden nicht nur von Lykurgos immer
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τριάκοντα, καὶ ὑπὸ Λακεδαιμονίων τὰ τείχη καθῃρέθη· καὶ ἐκ τούτων ὅμος ἀμφοτέρων ἠλευθερώθημεν καὶ τῆς τῶν Ἑλλήνων εὐδαιμονίας ἠξιώθημεν προστάται γενέσθαι.“ Übers. J. Engels. Das Wiedererstarken Athens in Zusammenhang mit dem Wiederaufbau der Mauern findet sich zum Beispiel bei And. 3,37–39. Zur „Metaphorik der Mauern“ im Kontext der homerischen Epen vgl. Hölkeskamp 2002, 320 f. Vgl. ausführlich Kap. 6. Lykurgos nennt als Beispiele für ein solches Schicksal Troja und Messene, die aber zum Zeitpunkt der Rede wieder besiedelt waren. Zu den möglichen Gründen und Motiven vgl. Engels 2008, 147 f. Zu „Ilion als Erinnerungsort“ in archaischer und klassischer Zeit ausführlich Hertel 2003, bes. 218– 236. Lykurg. 1,64–66. Zur Entwicklung des Topos der Härte der drakontischen Gesetzgebung vgl. Gagarin 1981, 116–125; Carawan 1998, 2, der im weiteren Verlauf auf die verfahrensrechtliche Verwendung und Interpretation der drakontischen Gesetze eingeht, ohne auf die materielle Seite der Gesetze einzugehen. Die Inschriften der solonischen (und wohl auch drakontischen) Gesetzgebung waren nach Gagarin 1981, 22 mit Anm. 34 noch Jahrhunderte später sichtbar und lesbar. Die Stele, die die Neuinschrift der drakontischen Gesetze trug, war in der Stoa Basileios aufgestellt, vermutlich stand eine Kopie derselben auf dem Areopag: Gagarin 1981, 27 mit Anm. 52. Vgl. auch P. Rhodes, s. v. „Axones“, in: DNP 2 (1997), 375 f.; ebenso Stroud 1979, 10; 15; 42. Vgl. dazu auch ausführlich Kap. 5.2.
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wieder dazu herangezogen, um vergangene Ereignisse (oder in diesem Falle altüberlieferte Gesetze) bildlich darzustellen.70 Recht ausführlich beschäftigt sich Lykurgos danach mit einer dritten möglichen Verteidigungslinie, die selbst mit der Vergangenheit argumentiert: Die athenische Bevölkerung insgesamt habe doch vor der Schlacht bei Salamis 480 v. Chr. die Stadt verlassen. Das zeitweise Verlassen der Stadt im Kriegsfall könne also nicht mit Verrat gleichgesetzt werden.71 Lykurgos antwortet zunächst einmal direkt darauf, indem er das Verlassen der Stadt vor der Schlacht bei Salamis als „Ortswechsel“ („τὸν τόπον μετήλλαξαν“) bezeichnet: „πρὸς τὸν ἐπιόντα κίνδυνον καλῶς βουλεσάμενοι“ (69). Er nimmt die Entgegnung aber wiederum zum Anlass, um ausschweifend von den Ruhmestaten der Vorfahren bei Salamis und in der nachfolgenden Zeit der athenischen Vorherrschaft zu berichten.72 In Zusammenhang mit der Schlacht bei Salamis ist wiederum auffällig, dass dieser Sieg mit einem räumlichen Marker versehen wird, und zwar mit dem Tropaion, also dem Siegeszeichen der Schlacht („οὐ τὸ ἐν Σαλαμῖνι τρόπαιον ἀγαπήσαντες ἔστησαν“). Dieses Tropaion wurde direkt nach der Schlacht in der gängigen Form aus Holz aufgestellt, und noch im 5. Jahrhundert aus Stein, wohl als Säulenmonument, wiedererrichtet und soll von der Stadt Athen aus zu sehen gewesen sein. Es existierte ein sichtbares Zeichen für den 150 Jahre alten Sieg, das die Erinnerung an dieses Ereignis präsent halten konnte.73 Im gleichen Abschnitt geht es als Steigerung dieses Siegeszeichens auch um neue Grenzen als Folgen der Siege des 5. Jahrhunderts. Lykurgos beschreibt die Vereinbarungen des sogenannten Kalliasfrie-
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Vgl. zu den Inschriften als Erinnerungsträger Kap. 5. Eine Zusammenstellung der bei Lykurgos in dieser Rede angeführten Inschriften bietet Davies 1996, 31 f., besonders betont wird die Verwendung von Inschriften in der Rede auch bei Lambert 2012, 255; 261; 265. Lykurg. 1,68–74. Nouhaud 1982, 160 zufolge „Lycurgue use ici d’un procédé de rhétorique assez grossier qui consiste à prêter à l’adversaire un argument absurd pour pouvoir le refuter en produisant le maximum d’effet.“ Das mag wahrscheinlich sein, kann aber aufgrund der fehlenden Verteidigungsrede(n) nur Spekulation bleiben. Wobei seine Schilderung der historischen Ereignisse stark zusammengefasst ist und in mehreren Punkten von der historiographischen Überlieferung wie auch von den Informationen bei anderen Rednern abweicht. So beispielsweise in Lykurg. 1,72 „ἐνενήκοντα μὲν ἔτη τῶν Ἑλλήνων ἡγεμόνες κατέστησαν“. Hier lässt sich bestenfalls von einem Euphemismus sprechen. Bei keinem der anderen Redner, die doch alle zu einer Verklärung der Vorherrschaft im 5. Jahrhundert neigen, findet sich eine solch hohe Zahl: And. 3,38 (85 Jahre), Demosth. 9,23 (73 Jahre), Isokr. 4,106 (70 Jahre) und Isokr. 12,56 (65 Jahre). Zu den historischen Irrtümern in Bezug auf Personennamen und Chronologie im gesamten Abschnitt vgl. Engels 2008, 149–152 und schon Nouhaud 1982, 157; 192 f.; 207; 254 mit Anm. 25. Ob, wie Engels 2008 in 149 sagt, die Erzählungen eines Herodot oder Thukydides „seinen damaligen Zuhörern bekannt“ waren, darf bezweifelt werden. Zu den historischen Kenntnissen des athenischen Demos vgl. Kap. 1.6. Lykurg. 1,73. Von einem steinernen Säulenmonument zur Erinnerung an die Schlacht bei Salamis geht West 1969, 15 f. aus, dort auch die Quellen und Verweis auf Beschreibungen des 18. und 19. Jahrhunderts, die von Überresten eines solchen Säulenmonuments am Kap Kynosura berichten. Vgl. dort ausführlich auch zum Tropaion von Marathon, des weiteren Verweise auf andere Tropaia der Perserkriege, z. B. Plataiai. Zu den Tropaia als Denkmälern vgl. Kap. 8.
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dens, die die Handlungsgrenzen für die Perser festlegten. Die Tatsache, dass diese Vereinbarungen als „τὸ κεφάλαιον τῆς νίκης“ noch vor der Errichtung des Siegeszeichens genannt werden, zeigt die enorme Bedeutung dieser territorialen Bestimmungen als Gegenbild zum „schmachvollen Diktat“ des Perserkönigs im Rahmen des Antalkidasfriedens von 387/6.74 Die gleiche Linie, die auch schon die Erwiderung auf dieses letzte Argument der Verteidigung bestimmt, verfolgt Lykurgos nun fast bis zum Ende seiner Rede, indem er seine Argumente mit historischen Beispielen untermauert und diese zum Teil zu weitschweifigen Exkursen ausbaut.75 Kern seiner Aussagen ist jeweils der Unterschied zwischen den athenischen Vorfahren einerseits und Leokrates andererseits.76 Zunächst wendet er sich „alten Gesetzen und sittlichen Grundsätzen“ zu, denen es seiner Ansicht nach nachzueifern gilt und die insbesondere Leokrates missachtet hat. Nach einem Appell an den Ephebeneid führt er hierzu den sogenannten Eid von Plataiai an, den er wörtlich zitiert.77 In Bezug auf die Räumlichkeit von Erinnerung findet sich in diesem Eid die Forderung, kein in den Perserkriegen zerstörtes Heiligtum wieder zu errichten, und zwar mit dem Zweck „ὑπόμνημα τοῖς ἐπιγιγνομένοις ἐάσω καταλείπεσθαι τῆς τῶν βαρβάρων ἀσεβείας“ (81). Hier wird die Existenz von räumlichen Erinnerungsträgern in einer bestimmten Inschrift bzw. in ihrer literarischen Fassung erwähnt. Die Historizität dieser Inschrift ist in der Forschung stark umstritten. Dieses Problem ist aber weniger von Bedeutung, wenn man bedenkt, dass es für die Frage nach der Erinnerungskultur des athenischen Demos nicht darauf ankommt, ob es sich tatsächlich um eine historische Inschrift aus der Zeit der Perserkriege handelt, sondern ob dies von den zuhörenden Athenern geglaubt wurde. Die durch Lykurgos vorgetragene Fassung der Inschrift spiegelt vor allem die Art und Weise wie dieser und ähnliche Texte im öffentlichen Diskurs des 4. Jahrhunderts instrumentalisiert wurden.78 Der Inhalt stimmt auf den ersten Blick nicht mit der historischen Realität überein: Zwar wird im Eidestext davon gesprochen, zerstörte Heiligtümer nicht wieder aufzubauen, aber die für alle sichtbare Realität war ja gerade eine andere. Jeder konnte sich mit Blick auf die Akropolis davon überzeugen, die in neuem Glanz erstrahlte.79 74 75 76 77
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Engels 2008, 152. Zu den Forschungsdiskussionen um den Kalliasfrieden vgl. Kap. 5.4.1. Zusammenfassend zur Bedeutung des Ereignisses bei anderen Rednern Nouhaud 1982, 235–238. Lykurg. 1,75–145. In diesem Teil der Rede wird der Mangel an eindeutigen Beweisen für einen irgendwie gearteten Verrat des Leokrates besonders deutlich, vgl. Engels 2008, 153. Lykurg. 1,80–82. Die Bedeutung dieser und der folgenden Zitate aus Inschriften und dramatischen Werken hebt besonders Allen 2000, 25 f. hervor, die diese als „the voice of the Athenian cultural heritage“ (25) bezeichnet. Zu den räumlichen Bezügen im Ephebeneid vgl. Kap. 1.3 sowie Schmidt-Hofner 2016, 381. Engels 2008, 156. Vgl. dort auch zur Forschungsdiskussion mit Anm. 132. Ausführlich zu den „gefälschten Inschriften“ aus der Zeit der Perserkriege s. Kap. 5.4.1, zum Eid von Plataiai auch Kap. 3.2. Vgl. Engels 2008, 156.
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Aber gerade an der Akropolis konnte man auch noch 150 Jahre später die Spuren der damaligen Zerstörung sehen. Einige Überreste der zerstörten Tempel wurden nämlich nicht abgeräumt, sondern demonstrativ in die nördliche Umfassungsmauer der Akropolis eingefügt. Dabei handelt es sich um die Gebälkteile des alten Athenatempels, weiter östlich hatte man 50 nur rudimentär bearbeitete Säulentrommeln des bei seiner Zerstörung nicht vollendeten sogenannten „Vor-Parthenon“ in das neue Mauerwerk eingefügt. Dass diese Überreste ein demonstratives Zeichen nach außen darstellten, erkennt man daran, dass sie vor allem von der Agora, dem politischen Zentrum der Stadt, aus gesehen besonders gut zu erkennen waren. „Die Ruinenteile (wurden so) zum Mahnmal umarrangiert und zugleich dem Burgberg als Ganzem von außen das vage Bild einer Tempelruine aufgeprägt“.80 Wenn man bedenkt, dass der Prozess auf der Agora abgehalten wurde, hatte Lykurgos sogar die Möglichkeit, mit einer Geste auf dieses Denkmal der Zerstörung durch die Perser zu verweisen. Gleich darauf führt Lykurgos eine Begründung für die weiter folgenden Exkurse aus der athenischen Vergangenheit an: Sie sollen einer besseren Beratung und Entscheidungsfindung in der Gegenwart dienen. Warum aber kann man gerade aus der Vergangenheit Athens so zahlreiche paradeigmata entnehmen? Stadt und Bewohner könnten ein Vorbild sein, da Athen die älteste Stadt sei und sich aus diesem Alter die besondere arete ihrer Bewohner ableiten lasse.81 Hier wird in Anspielung wieder der Autochthonie der Athener gedacht, liegt das hohe Alter der Polis Athen doch vor allem in diesem Mythos begründet – und wiederum bezeugt der Mythos der Autochthonie die besonderen Qualitäten der Athener. Als erstes paradeigma führt Lykurgos den Mythos vom Opfertod des Königs Kodros für seine Stadt an, als diese von den dorischen Peloponnesiern angegriffen wurde. Dieser Mythos wird vergleichsweise ausführlich geschildert, vermutlich aufgrund der Tatsache, dass er im 4. Jahrhundert nicht (mehr) allgemein bekannt war.82 Auffällig ist daneben aber auch die starke Bezugnahme auf die Begriffe πόλις, χώρα und πατρίδα, 80
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Schneider/Hoecker 2001, 105–107, Zitat 107. Kritisch dazu Wrede 1996, 37 ff.; Lindenlauf 1997, 72 f. Grund für die Verwendung zerstörten Materials sei „das Bedürfnis nach rascher Wiederherstellung“ noch in der Zeit des Themistokles gewesen. Der Charakter eines Mahnmals sei allein aus dem Eid von Plataiai abgelesen worden, der als Fälschung keinen Quellenwert besitze. Da es aber weder in der antiken Überlieferung noch durch archäologische Untersuchungen möglich ist, den Zeitpunkt der Errichtung der Nordmauer einzugrenzen, muss auch diese Annahme als Spekulation bezeichnet werden. Ausführlich zu der Wiederverwendung von Architekturteilen in der Nordmauer der Akropolis, nicht nur als „Mahnmal der Zerstörung“, sondern auch als Zeichen des Wiedererstarkens der Polis vgl. Kap. 3.2. Lykurg. 1,83: „ὅσον γὰρ τῷ χρόνῳ πασῶν ἐστιν ἀρχαιοτάτη, τοσοῦτον οἱ πρόγονοι ἡμῶν τῶν ἄλλων ἀνθρώπων ἀρετῇ διενηνόχασιν.“ Lykurg. 1,84–88. Die hier vorliegende Version des Mythos ist die ausführlichste uns erhaltene Fassung, die Ereignisse werden ansonsten nur in kurzen Notizen geschildert: Pherekydes FGrH 3 F 154; Hdt. 5,76; Hellanikos von Lesbos FGrH 4 F 125; Paus. 1,19,5. Vgl. ausführlich Robertson 1988, bes. 224–230; Engels 2008, 157 ad loc.; ausführlich Steinbock 2011; Arrington 2015, 204; Schmidt-Hofner 2016, 362 f., der dagegen die weite Verbreitung schon im 5. Jahrhundert betont.
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die, wie immer wieder betont wird, von Kodros und den übrigen Athenern seiner Zeit nicht im Stich gelassen wurden.83 König Kodros steht hier also als Gegenbild zu Leokrates, dem immer wieder vorgeworfen wird, die Polis, das Land (und nicht etwa seine Mitbürger) verraten zu haben. Dadurch erhält der Mythos einen stark räumlichen Charakter. Umgekehrt konnten die Zuhörer über sichtbare Gedächtnisorte und Denkmäler im Stadtbild Athens an diesen Mythos erinnert werden. So wurde Kodros im Neleion, dem Heiligtum seines Sohnes Neleus, als Heros verehrt, sein angebliches Grab konnte man am Fuß der Akropolis aufsuchen. Zusätzlich stand in Delphi eine Statue des Königs.84 Solche Gedächtnisorte und Denkmäler mussten nicht immer explizit erwähnt werden, sondern wurden augenscheinlich bei den Zuhörern als bekannt vorausgesetzt. Kannten die Anwesenden vielleicht nicht alle Details des Mythos, so hatten sie doch das Heiligtum oder das Grab des Kodros gesehen und konnten so über visuelle Eindrücke etwas mit diesem Mythos verbinden und ihm Glauben schenken.85 Die Athener hatten sich ihr Wissen über diesen und andere Mythen nicht durch literarisches Studium angeeignet, sondern einerseits durch mündliche Überlieferung, andererseits durch visuelle Vermittlung, wodurch diese Mythen Teil des kollektiven (Bild-) Gedächtnisses wurden.86 Sehr viel kürzer fällt dagegen die Schilderung des Schicksals von Kallistratos aus Aphidna aus, lagen die beschriebenen Ereignisse doch noch nicht lange zurück. Dieser war 362/1 wegen seiner Misserfolge als Stratege angeklagt worden, entzog sich dem Verfahren und wurde in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Trotzdem kehrte er 355
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Bildliche Darstellungen des 5. Jahrhunderts sind zudem auf Vasen und Kleinplastik belegt (E. Simon, s. v. „Kodros“, in: LIMC 6 (1992), 86–88 Nr. 1–3. In Lykurg. 1,84–88 erscheint 6 Mal χώρα, 5 Mal πόλις sowie 2 Mal πατρίδα. Auch in der gesamten Rede werden diese Worte sehr oft gebraucht, vgl. hierzu die Zählung bei Rehdantz 1876, 70 (58mal patris, 124mal polis, 19mal politai). Die Verwendung der „Landschaftsmetaphorik“ in der Rede wird besonders von Schmidt-Hofner 2016, 377–381 hervorgehoben, vgl. dort auch als Parallelbeispiel aus dem 5. Jahrhundert die Tragödie „Ödipus auf Kolonos“ des Sophokles (374–376), das zeigt, dass sich die hier angebrachte Symbolik und Metaphorik der Landschaft Attika auf eine längere Tradition stützen konnte. Verehrung im Neleion: IG I3 84; Grabinschrift: IG II2 4258; Statue in Delphi: Paus. 10,10,1. Vgl. auch Engels 2008, 157; T. Hölscher 2010, 134; Steinbock 2011, 284–286, der vermutet, dass es möglicherweise sogar drei Gedächtnisorte für Kodros gab: den Ort seines Todes außerhalb der Stadtmauern, sein Grab am Fuß der Akropolis und das Heiligtum (285); Arrington 2015, 204; Schmidt-Hofner 2016, 362 f. mit Anm. 23. Zum Heiligtum des Kodros, Neleus und der Basile vgl. Travlos 1971, 332–334 mit Belegen. Demnach nahm das Heiligtum eine recht große Fläche ein und befand sich im Ilissos-Gebiet südöstlich der Akropolis innerhalb der themistokleischen Stadtmauer. Vgl. Steinbock 2011, 284 sowie den Verweis auf die Darstellung des Kodros auf einer Vase des „Kodros-Malers“ (286) als weitere mögliche Visualisierung (ARV2 1268.1, um 430 v. Chr., zur Darstellung auch 304 f.). Auch bei Plat. symp. 208d sowie Aristot. Pol. 5,1310b34–40 wird die Tat des Kodros als beispielhaft angegeben. Steinbocks Annahme (288–292; 303), dass die Geschichte des Opfers des Kodros eng mit der Institution der Ephebie verbunden, und deshalb allgemein bekannt war, kann jedoch nicht überzeugen. Auffällig ist gerade die ausführliche Schilderung des Mythos durch Lykurgos, was vielmehr für einen gewissen Erklärungsbedarf spricht.
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nach Athen zurück und wurde hingerichtet, obwohl er am Altar der Zwölf Götter auf der Agora Asyl gesucht hatte. Dieses paradeigma der theoblabeia87 fand also im Zentrum der Polis statt, für alle sichtbar, an einem Ort, der von zahlreichen Bewohnern, zumindest der Stadt selbst, tagtäglich passiert wurde und in dessen Nähe auch der Prozess gegen Leokrates stattfand.88 Neben der zeitlichen Nähe des angeführten Ereignisses zu den aktuellen Geschehnissen, eine Tatsache, die durch die Formulierung „Τίς γὰρ οὐ μέμνηται τῶν πρεσβυτέρων ἢ τῶν νεωτέρων οὐκ ἀκήκοε Καλλίστρατον …“ (93) unterstrichen wird, konnte auch durch die genaue Lokalisierung an einem für alle zugänglichen und historisch bedeutsamen Ort, nicht zuletzt als zentraler Meilenstein der Polis, eine Verbindung zur aktuellen Lebenswelt hergestellt werden.89 Nach diesem kurzen Abstecher in die jüngere Geschichte kehrt Lykurgos – begleitet vom Protest seiner Zuhörer – in die mythische Zeit zurück und führt den Opfertod der Tochter des Erechtheus als weiteren Kontrast zu den Verbrechen des Leokrates an.90 Dieser Exkurs beinhaltet auch ein langes Zitat aus dem „Erechtheus“ des Euripides, in dem im Rahmen der Begründung für das Opfer der eigenen Tochter wiederum das Motiv der Autochthonie der Athener hervorgehoben wird. Gerade durch ihr Alter und ihre Entstehungsgeschichte unterscheide sich Athen von allen anderen Poleis, und es sei deshalb auch notwendig, große Opfer für ihren Erhalt zu bringen.91 Als weitere eigentlich historische, jedoch mythisch überhöhte Opfer für die Polis folgen die Heldentaten der Athener (und in diesem Falle auch der Spartaner) in den Perserkriegen. Nach einer ersten kurzen Anspielung auf die Schlacht bei Marathon
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Theoblabeia bezeichnet den Gedanken „daß die Gottheit zuerst den Verstand eines Übeltäters verwirrt und er sich dann unvorsichtig seinem eigenen Untergang ausliefert, bzw. daß ‚Verbrecher‘ wie Leokrates und Kallistratos sich selbst ihrer gerechten Strafe durch die athenischen Richter zuführen …“ Zitat Engels 2008, 158. Das Motiv der theoblabeia findet sich auch bei Aischin. 3,133 als Begründung für die Zerstörung von Theben. Zum verbreiteten Glauben im 4. Jahrhundert, die Götter kümmerten sich um die gerechte Bestrafung von Verbrechern bzw. die Einhaltung von Gesetzen vgl. auch Dover 1974, 257–261, bes. 259. Zum Schicksal des Kallistratos äußern sich auch [Demosth.] 50,46–49 sowie Hyp. 4,1. Vgl. auch Hansen 1975, 94–95 (Nr. 87). Da es sich um einen Eisangelieprozess handelte, also ein Verfahren mit mindestens 501, oft aber auch der zwei- oder dreifachen Menge an Richtern, brauchte man dafür ein entsprechend großes Gerichtsgebäude im Bereich der Agora. Dessen genaue Lokalisierung ist aber umstritten, es sind mehrere bauliche Strukturen erkennbar, die als Gerichtsgebäude in Frage kommen. Vgl. Engels 2008, 112, ausführlich Boegehold 1995, 5–15 sowie 91–113. Vgl. Camp 2001, 32; 35 mit Abb. 31. Der Zwölfgötteraltar wurde von Peisistratos 522/1 errichtet, wobei Lykurgos hier sicherlich nicht an die Zeit der Peisistratiden erinnern will. Die Funktion als Meilenstein ist belegt bei Hdt. 2,7 sowie IG II2 2640. Lykurg. 1,98–100. Zum Unmut der Zuhörer vgl. Engels 2008, 159. Vgl. dazu auch Gotteland 2001, 321 mit Anm. 38 mit den Parallelen bei anderen Rednern; 327 f.; Schmidt-Hofner 2016, 363, Anm. 25 auch zu den möglichen räumlichen Anknüpfungspunkten, etwa eine Statuengruppe des Myron auf der Akropolis, die von Pausanias (1,27,4 und 9,30,1) erwähnt wird. Vgl. auch die Neuinterpretation des Ostfrieses des Parthenon als Opferszene der Töchter des Erechtheus bei Connelly 2014, 164–189, der aber in der Forschung weitgehend abgelehnt wurde.
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(104) und die nachfolgende Vorherrschaft der Athener sowie einem etwas längeren Exkurs zu den Spartanern und dem „gebürtigen Athener“ Tyrtaios (105–107) kommt Lykurgos auf die Leistungen der Athener und Spartaner bei Marathon bzw. bei den Thermopylen zu sprechen.92 Als Beweis für die Tapferkeit der an diesen Orten Gefallenen führt Lykurgos die Epigramme über ihren Gräbern an, die „für alle Griechen sichtbar aufgeschrieben“ waren.93 Er weist darauf hin, dass es gut sei, sich an diese Verse zu erinnern und somit den Ruhm für die Kämpfer und ihre Stadt zu verewigen. Hier werden also Inschriften in ihrer Rolle als sichtbare, weil materielle Erinnerungsträger angebracht, die dabei helfen sollten, bestimmte Ereignisse und Personen im Gedächtnis des athenischen Demos zu verankern. Die Inschrift für die gefallenen Spartaner war Teil ihres Grabes bei den Thermopylen, den meisten Athenern wahrscheinlich nur aus Erzählungen bekannt.94 Anders verhält es sich mit dem Grabepigramm der Marathonomachen: Die Identifizierung und Verortung des dem Dichter Simonides zugeschriebenen Epigramms für die Gefallenen der Schlacht von Marathon ist in der Forschung umstritten.95 Während einerseits vermutet wird, dass die Inschrift mit einem Monument am Soros auf dem Schlachtfeld selbst in Verbindung stand,96 ist andererseits immer wieder auch eine Anbringung auf der Agora von Athen oder im demosion sema angenommen worden – in jedem Fall suggeriert der Redner, dass der Ort der Aufstellung den Athenern wohl bekannt war. Zumal wenn sich diese Inschrift in Athen selbst befand, hatten viele der Zuhörer sie schon gesehen oder zumindest davon gehört.97 Ein weiteres Epigramm auf die Gefallenen von Marathon, wenn auch 92 93 94 95
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Lykurg. 1,108–110. Lykurg. 1,109: „τοιγαροῦν ἐπὶ τοῖς ἠρίοις μαρτύρια ἔστιν ἰδεῖν τῆς ἀρετῆς αὐτῶν ἀναγεγραμμένα ἀληθῆ πρὸς ἅπαντας τοὺς Ἕλληνας, ἐκείνοις μέν …“ Übers. J. Engels. Zuerst beschrieben bei Hdt. 7,228, vgl. Albertz 2006, 49; 78–80. Zu dieser Inschrift vgl. auch Kap. 5.4.2 sowie 7.4 mit weiteren Quellen und Literatur. Epigr. XXI Page mit dem Kommentar ebenda = Campbell 1991, 540–541. Ebenso umstritten ist im Übrigen, ob es sich tatsächlich um ein Epigramm des Simonides handelt, vgl. Page Epigr. XXI, 225 f.; Hölkeskamp 2001, 345 f.; Jung 2006, 132 Anm. 17; Engels 2008, 165; Osmers 2013, 212 mit Anm. 630. Vgl. Page Epigr. XXI, 226–229 und insbesondere 229: „I continue, therefore, to believe that the epigram quoted by Lycurgus, and his particular version of it, is a copy of an inscription posted beside the casualty-lists on the Soros at Marathon in 490 B. C.“ Dieser Auffassung folgt A. Petrovic 2013, 204 mit Anm. a. Für die Anbringung an einem Grabmonument oder Kenotaph vgl. bereits Wycherley 1957, 43. Die Aussage von Engels 2008, 165, dass dieses Epigramm „zusammen mit einer Liste der Gefallenen auf einer Stele beim athenischen Marathonmonument“ lokalisiert werden könnte, muss bezweifelt werden. Dabei handelt es sich um Bruchstücke einer Basis mit Fragmenten mehrerer Epigramme, die an verschiedenen Stellen der Stadt gefunden wurden. Sie waren Teil eines Monuments, „das möglicherweise der Ehrung von Gefallenen diente“ ( Jung 2006, 84 und die weiteren Überlegungen 84–96). Die erhaltenen Fragmente stehen aber nicht mit dem Grabepigramm des Simonides in Zusammenhang und sind in ihrer Deutung umstritten. Zum „Marathonmonument“, der umstrittenen Intepretation der zugehörigen Inschriften und seiner Bedeutung für die athenische Erinnerungskultur vgl. IG I3 503/504 = ML 26; vgl. SEG 40,1990,28 (dort jedoch Zuweisung zur Schlacht bei Salamis). Zwei Fragmente wurden im Bereich der Agora entdeckt, ein weiteres wurde in einer
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mit etwas anderer Textfassung, soll sich neben dem betreffenden Gemälde in der Stoa Poikile an der athenischen Agora befunden haben.98 Auch auf der inhaltlichen Ebene der Epigramme spielt der räumliche Aspekt der Erinnerung eine Rolle: Betont das Epigramm auf die Spartaner vor allem ihre allgemeinen Tugenden und ihre Gesetzestreue, wird in dem Epigramm auf die Athener neben anderen Informationen auch der Ort der Schlacht explizit genannt. Dies unterstreicht die Bedeutung von Marathon im kollektiven Gedächtnis des athenischen Demos. Den nächsten thematischen Abschnitt in der langen Reihe von Beispielen aus der Vergangenheit bilden paradeigmata für die Strenge des Demos gegenüber Verrätern aus dem 5. und 4. Jahrhundert. Auch dort finden sich zahlreiche Verknüpfungen mit räumlichen Erinnerungsmarkern. So auch in der Erzählung vom Schicksal des Phrynichos, ein athenischer Stratege des 5. Jahrhunderts, der maßgeblich am Sturz der Demokratie im Jahre 411 beteiligt war.99 Noch während der sogenannten Herrschaft der 400 wurde Phrynichos ermordet, die Attentäter zunächst inhaftiert, auf Druck des Volkes aber wieder freigelassen. Dem Toten wurde postum der Prozess gemacht, er wurde für schuldig befunden, seine Gebeine wurden exhumiert und außer Landes geschafft. Lykurgos zufolge wurde die gleiche Strafe auch den Verteidigern des Phrynichos zuteil.100 Bei der Schilderung der Ereignisse wird die besondere Bedeutung der attischen Erde deutlich, die Lykurgos schon mehrfach angebracht hat.101 Sogar nachträglich noch werden also die Knochen von Männern, die dieser attischen Erde unwürdig sind, entfernt und „verbannt“. Wer „Land und Polis“ verraten hat, kann nicht erwarten, eben dort seine letzte Ruhe zu fin-
Mauer an der antiken Straße vom Dipylontor zur Akademie verbaut, zum Fundkontext vgl. Jung 2006, 84. Zur Interpretation: Welwei 2000a (für ein Monument der Perserkriege auf der Agora); Hölkeskamp 2001, 346 mit Anm. 95 und weiterer Literatur. Die Interpretation als Kenotaph für die Gefallenen im demosion sema befürworten Matthaiou 1988; 2003; A. Petrovic 2007, 158–177; Keesling 2010, 117 f.; Arrington 2015, 43–48. Vgl. aber die ausführlichen Überlegungen von Jung 2006, 84–96, der die erhaltenen Fragmente einem Monument für die Gefallenen der Schlacht bei Salamis bzw. des gesamten betreffenden Kriegsjahres zuweist. Ältere Forschung zu den inschriftlichen Epigrammen: J. Oliver 1935; 1936; Meritt 1956; 1962. Zur Forschungsdiskussion der letzten Jahre vgl. auch Osmers 2013, 206–208. 98 Suda s. v. Ποικίλη (Π 3079 Adler). Vgl. dazu auch Page Epigr. XXI, 226 f.; Francis/Vickers 1985; Nouhaud 1997, 1228; Hölkeskamp 2001, 345 f.; Jung 2006, 120 Anm. 185; 132 Anm. 22; Engels 2008, 165. 99 Lykurg. 1,112–116. Diese Episode wird bei keinem anderen Redner erwähnt, vgl. Nouhaud 1982, 290 mit Anm. 164. 100 Zu zweifelhaften Passagen oder auch offensichtlichen historischen Irrtümern in der Schilderung des Lykurgos vgl. Engels 2008, 166 mit den Quellen. Das Dekret gegen Phrynichos wird dabei allerdings als authentisch angesehen, vgl. Rhodes/Osborne 2003, 444 f. mit Verweis auf Plut. X Or. 834b und Krateros FGrH 342 F 17; ML 85. 101 Einerseits in Zusammenhang mit dem Mythos der Autochthonie Lykurg. 1,41; 48; 83; 100, andererseits in Verbindung mit Mythen wie den Taten der Könige Kodros und Erechtheus Lykurg. 1,84– 88 und 98–100.
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den.102 Als Gegenbild dazu drängt sich die Herbeischaffung von Gebeinen besonders verdienstvoller Personen nach Attika auf, wie sie uns für die Gebeine des Theseus bekannt ist, die durch Kimon in den 70er Jahren des 5. Jahrhunderts nach Athen gebracht wurden.103 Als weiteres Beispiel für die strenge Bestrafung von Verbrechen durch die Vorfahren bringt Lykurgos schließlich die Geschichte von Hipparchos an, den wir als den ersten Ostrakisierten der athenischen Geschichte kennen.104 Lykurgos berichtet hier jedoch von einer Verurteilung zum Tode in Abwesenheit und in Verbindung damit von der Einschmelzung seiner Statue, die auf der Akropolis aufgestellt war. Daraus sei eine Stele zur Aufzeichnung der „Verfluchten und Verräter“ gemacht worden. Die Namen auf dieser Liste lässt Lykurgos dann verlesen. Die Historizität dieser Geschichte ist zu bezweifeln, wichtig ist hier nur, wie sie durch Lykurgos ausgestaltet wird. Hipparchos wird ganz bildlich aus der Gemeinschaft der Bürger getilgt und ebenso bildlich für alle Zeit als Verräter im Stadtbild festgehalten. Dadurch kann der Vorgang auch nach so langer Zeit für die Zuhörer im aktuellen Prozess vergegenwärtigt werden. Da die Historizität der Episode fraglich ist, kann nicht davon ausgegangen werden, dass nun tatsächlich die Bürger die Stele auf der Akropolis sehen und somit die Aussage des Lykurgos überprüfen konnten. Die Tatsache allein, dass Lykurgos diesen Anschein erwecken möchte, zeigt aber, welche Rolle die Sichtbarmachung von Vergangenheit durch Inschriften und ihre materiellen Träger spielte.105 Gleichzeitig soll das Einschmelzen der Statue ausdrücklich als Beispiel für die Nachkommen dienen, wie
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Lykurg. 1,113: „ὅπως ἂν μὴ κέηται ἐν τῇ χώρᾳ μηδὲ τὰ ὀστᾶ τοῦ τὴν χώραν καὶ τὴν πόλιν προδιδόντος.“ Plut. Kimon 8,5–6; Theseus 36,1 f.; Nep. Kim. 2,5; Diod. 4,62,4. Vgl. Podlecki 1971; Stein-Hölkeskamp 1999, 163; Fell 2004 jeweils mit weiterer Literatur. Fraglich ist natürlich, ob dieser Vergleich auch den Athenern des 4. Jahrhunderts präsent war; um diese Frage beantworten zu können, mangelt es jedoch an Quellen. Bei den Rednern spielen die Gebeine des Theseus und ihre Translation nach Athen keine Rolle. 104 Lykurg. 1,117–119. Diese erste Ostrakisierung fand 488/7 statt, Quellen sind Aristot. Ath. Pol. 22,4 = Siewert 2002, T 39 und Androtion FGrH 324 F 6 = Siewert 2002, T 31, daneben auch Plut. Nikias 11,8 und Suda s. v. Ἵππαρχος (I 523 Adler). Vgl. auch Krumeich 1997, 63 f.; T. Hölscher 2012, 30; 2014a, 272. Habicht 1961, 16 zufolge handelt es sich um ein (angebliches) Psephisma des Jahres 479/8, das die Verurteilung des Hipparchos zum Tode in Abwesenheit bestimmte, weil er als Ostrakisierter trotz der Amnestie von 481/0 nicht zurückgekommen war und sich somit vom Kampf gegen die Perser ferngehalten hatte. 105 Engels 2008, 167 zufolge könnte es sich um eine Liste mit den Namen der Ostrakisierten gehandelt haben. Nach Krumeich 1997, 63 handelt es sich um eine glaubwürdige Schilderung: „Da diese Verräterstele dem athenischen Publikum gut bekannt gewesen sein muß, kann es sich nicht um durch den Redner erfundene Dokumente handeln. Sein Bericht über die Entstehung der Stele ist also vertrauenswürdig. Demnach existierte bereits vor 488/87 […] eine bronzene Porträtstatue dieses Politikers auf der Athener Akropolis …“ Habicht rechnet die Stele dagegen zu der Gruppe der „gefälschten Inschriften“ aus der Zeit der Perserkriege, vgl. Habicht 1961, 23, auch die Existenz einer Statue des Hipparchos auf der Akropolis wird von ihm abgelehnt, vgl. dazu auch Kap. 4.6.
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mit ähnlichen Verbrechern zu verfahren ist.106 Wir haben hier also eine gleich zweifache Einbeziehung von materiellen Erinnerungsträgern, eine doppelte Verbindung räumlicher Strukturen vor uns. Einerseits eine Ehrenstatue, die aber hier nicht dazu dient, jemanden in Erinnerung zu halten, sondern im Gegenteil ihn nach Art einer damnatio memoriae aus dem kollektiven Gedächtnis zu tilgen. Das Vergessen wird also ganz plastisch und unmittelbar deutlich gemacht.107 Andererseits werden die Zuhörer mit einer inschriftlichen Liste konfrontiert, die Verbrechen besonderen Ausmaßes in Erinnerung halten soll.108 Gleich im Anschluss nennt Lykurgos als weiteres Beispiel für die Strenge der Vorfahren gegenüber Verrätern das Psephisma gegen die dekeleischen Flüchtlinge, das heißt gegen Unterstützer des oligarchischen Aufstandes 411, die auch nach 410 in unmittelbarer Nähe der Stadt verblieben und von Dekeleia aus an den Angriffen der Spartaner teilnahmen.109 Für ihr Vergehen sollten sie demnach mit dem Tod bestraft werden, und zwar durch Hinabstürzen in das orygma oder auch barathron, einen Abgrund am westlichen Abhang des Nymphenhügels unmittelbar außerhalb der Stadtmauern. Die Art der Bestrafung kann daraus geschlossen werden, dass Lykurgos den Henker als „τῷ ἐπὶ τοῦ ὀρύγματος“ bezeichnet.110 Der Ort der damaligen Bestrafung war also noch zu sehen, über den visuellen Aspekt konnte eine Verknüpfung von Vergangenheit und Gegenwart hergestellt werden.111 Dann spricht Lykurgos recht ausführlich über das sogenannte Demophantosdekret aus dem Jahr 410.112 Hier wird die inhaltliche Ausdeutung wiederum mit einer genauen 106 Lykurg. 1,119: „οὐχ ὅπος τὸν χαλκοῦν ἀνδριάντα συγχωνεύσειαν, ἀλλ‘ ἵνα τοῖς ἐπιγιγνομένοις παράδειγμα εἰς τὸν λοιπὸν χρόνον ὡς εἶχον πρὸς τοὺς προδότας καταλίποιεν.“ 107 Vgl. Kousser 2009, 268, die betont, dass Statuen bestimmter Personen im Nahen Osten ein „substitute“ oder „uncanny double“ der dargestellten Person gewesen seien. Eine Beschädigung des Bildes konnte deshalb auch eine Beschädigung des „Prototyps“, selbst über den Tod hinaus, bedeuten. Diese Auffassung sei zwar von der griechischen Philosophie zurückgewiesen worden, dafür aber in panhellenischen Mythen oder lokalen religiösen Praktiken umso gegenwärtiger. Zum Konzept der damnatio memoriae im römischen Bereich vgl. Walter 2004, 28 f., der betont, dass diese „nicht auf tatsächliches Vergessen abzielt, sondern einen Akt des negativen Erinnerns darstellt, der gleichsam ein Anti-exemplum schafft.“ 108 Zu den Ehrenstatuen vgl. Kap. 4, zu den Inschriften Kap. 5. 109 Lykurg. 1,120–121. Da Lykurgos der einzige Autor ist, der dieses Psephisma explizit erwähnt, ist eine Verifizierung oder auch genauere Datierung nicht möglich. Vgl. auch Bleckmann 1998, 433– 434 mit Anm. 176. 110 Vgl. Engels 2008, 168; T. Thalheim, s. v. „Barathron“, in: RE II,2 (1896), 2853 mit den Quellenbelegen. Die gleiche Strafe wird u. a. auch bei Deinarch. 1,62 in der Anklagerede „Gegen Demosthenes“ erwähnt. Zur Lage des Barathron vgl. auch Müller 1987, 627–630 mit Quellen und weiterer Literatur. 111 Dazu passt auch die Überlieferung dieser Bestrafung in den Quellen, die mit schwerem Verrat an der Polis einhergeht. Hdt. 7,133; Thuk. 2,67,4; Xen. hell. 1,7,20. Vgl. zu Letzterem Bleckmann 1998, 436 mit Anm. 183. 112 Lykurg. 1,124–127. Lykurgos datiert das Dekret jedoch fälschlicherweise in die Zeit nach der Herrschaft der Dreißig, also nach 403. Das ist insofern erstaunlich, als dass das Dekret auch zu Lykurgos’ Zeit noch in Kraft gewesen zu sein scheint und durch weitere Gesetze ergänzt wurde, vgl.
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Ortsbestimmung verbunden. Gleich zu Beginn seiner Ausführungen benennt er das Dekret als „Stele im Bouleuterion“, weist also darauf hin, wo das Original zu sehen ist. Passend zur Örtlichkeit benennt er auch den wichtigsten Zweck dieser Inschrift: „Ταῦτα, ὧ ἄνδρες, ἔγραψαν εἰς τὴν στήλην, καὶ ταύτην ἔστησαν εἰς τὸ βουλευτήριον, ὑπόμνημα τοῖς καθ᾽ἑκαστην ἡμέραν συνιοῦσι καὶ βουλευομένοις ὑπὲρ τῆς πατρίδος, ὡς δεῖ πρὸς τοὺς τοιούτος ἔχειν.“ (126) Die Bouleuten hatten also bei ihrem tagtäglichen Geschäft dieses Dekret im wahrsten Sinne des Wortes vor Augen und konnten sich danach richten.113 Zweimal betont Lykurgos in diesem Abschnitt, dass hypomnemata und paradeigmata die Entscheidung für die Richter leicht machen sollen.114 Zum Abschluss der langen Reihe von Exkursen weist Lykurgos auf den (juristisch irrelevanten) Unterschied zwischen dem Angeklagten und dessen Vater hin.115 Im Mittelpunkt dieses Vergleichs steht eine Bronzestatue, die der Vater des Leokrates im Tempel des Zeus Soter geweiht hatte.116 Hier wird zunächst deutlich, dass die Statue als Denkmal verschiedene Funktionen erfüllen kann. Sie ist einerseits „μνημεῖον τῆς αὑτοῦ μετριότητος“ des Vaters, andererseits „ἐπονείδιστον“, ein „Objekt des Tadels“, für den Sohn. Auch wird der Verrat am Bronzestandbild des Vaters als möglicher offizieller Anklagepunkt genannt, der laut Lykurgos nur fallengelassen wurde, um den Namen des Zeus Soter nicht in der Anklageschrift nennen zu müssen. Hier wird also mithilfe der Erwähnung eines Standbildes, das wohl auch noch zum Zeitpunkt des Prozesses im Tempel des Zeus Soter aufgestellt war und somit betrachtet werden konnte, die Familiengeschichte des Angeklagten verbildlicht. Die persönlichen Motive des Vaters für die Weihung der Statue sind allerdings unbekannt. Außerdem waren mit dem Kult des Zeus Soter auch politische Aspekte berührt, die durch die Weihung an eben diesen Gott implizit mitschwingen: Die Wahrung der Freiheit gegen die Perser und gegen die Feinde der Demokratie.117 Alles dies waren Werte und Errungenschaften, die durch das Verhalten des Leokrates aufs Spiel gesetzt wurden.
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Engels 2008, 168 f. Vgl. dagegen Thomas 1989, 77, die annimmt, dass das Dekret nach 403 nicht wiederhergestellt wurde. Dies zeige umso mehr, welche Bedeutung der Inschrift als Erinnerungsträger und paradeigma für das Verhalten der Vorfahren zukomme. Obwohl das Dekret rechtlich keine bindende Wirkung mehr gehabt habe, konnte es dennoch als beispielhaft angeführt werden und war durch seine Sichtbarkeit weiterhin präsent. Ausführlich zum Demophantosdekret J. Shear 2007b, zur Erinnerungsfunktion der Inschrift 159, zur Sichtbarkeit neuerdings auch Volonaki 2019, 295. Vgl. die Erwähnung des Dekretes bei And. 1,96–98 und Demosth. 20,159. Vgl. dagegen J. Shear 2007b, 152 und 158, die die Stele vor dem Bouleutherion lokalisiert – auch Shear betont die enge Verbindung zwischen der Inschrift und der Tätigkeit der Bouleuten. Lykurg. 1,124 und 127. Zu den unterschiedlichen Aspekten des Begriffs hypomnema, auch als visueller Erinnerungsträger vgl. Kap. 1.1 sowie in Verbindung mit Inschriften 5.1.3. Lykurg. 1,136 f. Vgl. Balot 2014, 235 f.; Westwood 2017, 69. Der Tempel des Zeus Soter hatte schon bei der Beschreibung der Flucht des Leokrates eine Rolle gespielt (Lykurg. 1,17). Vgl. Engels 2008, 172.
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Noch einmal stellt Lykurgos den Gegensatz zwischen Leokrates und den Kämpfern der Schlacht von Chaironeia in den Mittelpunkt, sowohl den Überlebenden, die mit Recht ihren Platz in der Polis einnehmen, als auch den Gefallenen „δημοσίᾳ αὐτούς ἡ πόλις ἔθαψαν“.118 Wiederum werden die Grabmäler, die mnemeia, oder vielmehr die darauf verzeichneten Grabepigramme „τὰ ἐλεγεῖα τὰ ἐπιγεγραμμένα“ an dieser Stelle personifiziert, denn Leokrates habe sich bei seiner Rückkehr nicht vor ihnen geschämt. Bei den Gefallenen kann es sich sowohl um die Toten der Schlacht bei Chaironeia handeln, derer Lykurgos insbesondere gedenkt, als auch um die ruhmreichen Gefallenen der Vergangenheit Athens insgesamt – sowie auch in den Gefallenenreden immer der Gefallenen des aktuellen Kriegsjahres wie auch vergangener Kriegszüge gedacht wurde.119 Als Überleitung zum Epilog folgt eine nochmalige Warnung davor, Leokrates freizusprechen.120 Diese endet mit einer Anspielung auf den Vorschlag des Thebaners Erianthos am Ende des Peloponnesischen Krieges, Athen zu einer Schafweide zu machen.121 Auch Leokrates habe durch sein Verhalten für ein solches Schicksal der Stadt gestimmt. Ähnliche Vorstellungen hatte Lykurgos im Verlauf der Rede schon einmal angesprochen, als er vom Tod einer Stadt und in diesem Zusammenhang auch von der Niederlage im Peloponnesischen Krieg berichtet hatte.122 Hier handelt es sich um das Gegenbild zur Erwähnung all der Monumente und Denkmäler, die Lykurgos bis dahin in seiner Rede angebracht hat. Bewirkt das Verhalten des Leokrates doch, dass all diese Orte verschwinden, Athen sozusagen zum „Nicht-Ort“ oder eben einer „Schafweide“ (μηλόβοτος), und damit auch aus der Erinnerung getilgt wird. Im recht kurzen Epilog,123 in dem Lykurgos zu den Anklagepunkten des prooimions zurückkehrt, finden sich dann wiederum mehrere Bezüge auf räumliche Elemente mit historischen Bezügen. Leokrates hat sich durch mehrfachen Verrat, nämlich an der Stadt, den Göttern und seinen Eltern und Vorfahren, bzw. an ihren Tempeln und Denkmälern, schuldig gemacht. (147 und erneut 150) Im Kontrast dazu entwirft Lykurgos ein Bild von sich selbst als vorbildlichem Bürger, auch dies mithilfe von Räumen: als Vertreter von Vaterland, Heiligtümern und Gesetzen. (149) In einer letzten Steigerung lässt Lykurgos gar das personifizierte Land und seine wichtigsten bauli118 119 120 121
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Lykurg. 1,142. Vgl. Kap. 7.1 und 7.3. Lykurg. 1,145. Plut. Lysandros 15,2; Xen. hell. 2,2,19. Vgl. dazu auch Millett 1998, 205; Steinbock 2013a, 308 „Lycurgus’ rhetoric certainly draws on the emotionally charged memory of this historical precedent“. Als Teil des Konzepts einer „ritual polis destruction“ habe der Ausdruck „μηλόβοτον τὴν Ἀττικὴν εῖναι“ zudem die anderen Elemente einer solchen Zerstörung, nämlich die Versklavung der Bevölkerung, die vollständige Zerstörung der Bebauung sowie das Ende der landwirtschaftlichen Nutzung, mit in Erinnerung gerufen. Lykurg. 1,61. Ein ähnlicher Vorwurf findet sich auch in der fragmentarisch erhaltenen Rede „Gegen Autolykos“ Fr. 3,2 Conomis. Lykurg. 1,146–150.
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chen Strukturen – die Häfen, Schiffshäuser, Mauern, Tempel und Heiligtümer – um eine Verurteilung des Leokrates bitten.124 Die Person des Anklägers Lykurgos tritt nun völlig in den Hintergrund, sie scheint hinter der Stimme des Landes und seiner Bauwerke zu verschwinden.125 Die Wirkung solcher Appelle sollte nicht unterschätzt werden, verbanden die Athener doch „die Größe ihrer Stadt unmittelbar visuell mit dem Aspekt der Mauern der Festung Athen-Piräus, mit der Unversehrtheit Attikas und der Flotte als Garant und militärpolitischem Fundament der Demokratie seit dem Seesieg von Salamis.“126 Die Bittenden sind eben nicht nur „Bäume und Steine“ sondern können das Land, die Stadt und damit auch seine ruhmreiche Geschichte repräsentieren. Neben dieser langen Reihe von Beispielen der Verräumlichung von Erinnerung, die sich meist an konkreten Ereignissen oder Monumenten festmachen lassen, ist noch ein weiteres, allgemeineres Phänomen zu nennen: Lykurgos benutzt im Verlauf seiner Rede an mehreren Stellen, in denen er von der Vergangenheit berichtet, die Formulierungen „ἥδε ἡ πόλις / αὔτη ἡ πόλις“ und „ἥδε ἡ χώρα / αὕτη ἡ χώρα“ oder auch „ἡ πόλις ἡμῶν / ἡ χώρα ἡμῶν“.127 In diesen Fällen wird durch das Demonstrativ- bzw. das Possessivpronomen das stilistische Element der deixis hinzugefügt, das dem Ausdruck den Charakter des Zeigens und damit der räumlichen Bezugnahme verleiht.128 Als Lykurgos im Rahmen der diegesis auf die Benennung der Stadt nach Athena durch die Vorfahren hinweist, ist es „αὐτῇ πόλιν“, die nicht im Stich gelassen werden soll.129 Im weiteren Verlauf findet sich diese Formulierung auch im Exkurs über den mythischen Opfertod des Königs Kodros, der ohnehin stark durch die Bezugnahme auf πόλις und χώρα gekennzeichnet ist – „αὐτῶν ἔδοξε στρατεύειν ἐπὶ τὴν πόλιν ἡμῶν“ –130 und in Zusammenhang mit mythischen Beispielen, dieses Mal der Opferung der Tochter des Königs Erechtheus: „φασὶ γὰρ Εὔμολπον τὸν Ποσειδῶνος καὶ Χιόνης μετὰ Θρᾳκῶν ἐλθεῖν τῆς χώρας ταύτης ἀμφισβητοῦντα.“131 Dazu kann man sich den Redner vorstellen, wie er in einer ausholenden Geste die um den Prozessort herum liegende Stadt mit einbezieht. Lykurgos unterstreicht damit ganz deutlich, dass es sich bei der real existierenden Stadt, die zum Zeitpunkt der Rede jedem Bürger vor Augen stand, um die gleiche handelt, in der in mythischer Zeit außergewöhnliche Leistungen vollbracht wurden. Die Zeiten mögen sich geändert haben: Der Raum, die Polis als Lebenswelt, 124 Lykurg. 1,150: „νομίζοντες οὖν, ὦ Ἀθηναῖοι, ἱκετεύειν ὑμῶν τὴν χώραν καὶ τὰ δένδρα, δεῖσθαι τοὺς λιμένας τὰ νεώρια καὶ τὰ τείχη τῆς πόλεως, ἀξιοῦν δὲ καὶ τοὺς νεὼς καὶ τὰ ἱερὰ βοηθεῖν αὐτοῖς.“ 125 Allen 2000, 27: „The trees and the harbors have found a voice and are, as body politic, condemning Leocrates and begging the jurors for pity.“ Vgl. auch Millett 1998, 205; Westwood 2017, 69 f., der den Epilog der Rede als „a fine peace of enargeia“ bezeichnet; Schmidt-Hofner 2019, 196 f. 126 Engels 2008, 176. 127 Lykurg. 1,26; 84; 98. 128 Für Literatur zum Phänomen der Deixis und der Bedeutung bei den attischen Rednern vgl. Kap. 1.4. 129 Lykurg. 1,26. 130 Lykurg. 1,84. 131 Lykurg. 1,98.
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ist immer noch derselbe, über Jahrhunderte hinweg. Das erweckt, auch wenn man sich momentan in turbulenten und gar nicht so ruhmreichen Zeiten befindet, den Eindruck von Kontinuität und Stabilität: „Die räumliche Deixis schafft Stabilität auf der zeitlichen Achse“, indem sie Vergangenheit und Gegenwart miteinander verknüpft.132 Zusammenfassend lassen sich einige grundlegende Linien bei der Anführung von Erinnerungsräumen in der Rede des Lykurgos „Gegen Leokrates“ festhalten: Abgesehen von der Tatsache, dass Erinnerungsräume allein aufgrund ihrer schieren Häufigkeit in der Rede eine wichtige Rolle spielen, lassen sich verschiedene Strategien seitens Lykurgos feststellen, diese Erinnerungsräume in die Argumentation mit der Vergangenheit einzubinden. Einerseits spielt sich die Bezugnahme auf Erinnerungsräume auf einer allgemeinen Ebene ab, die vor allem in Zusammenhang mit dem Verbrechen an sich steht. Dies wird besonders in Prooimion und Epilog der Rede deutlich: Leokrates hat die Stadt als Raum verraten, ihre Tempel, ihre Gräber, ihre Mauern. Teilweise wird auch von Personifikationen dieser Räume Gebrauch gemacht, sei es, dass Gräber und Tempel, anders als Leokrates, bei der Verteidigung der Stadt zur Hilfe gekommen sind, sei es, dass sie um eine Verurteilung des Leokrates bitten. Und nie handelt es sich um Strukturen, die isoliert für sich stehen, sondern um solche, die gleichzeitig Erinnerungen an bestimmte Ereignisse oder Personen, Traditionen, Werte und Normen symbolhaft widerspiegeln. Darüber hinaus werden viele der vergangenen Ereignisse, die von Lykurgos als paradeigmata angeführt werden, sei es nun als Gegenbeispiele zum schmachvollen Verhalten des Leokrates, sei es als Vorbilder für die richterliche Strenge, mit spezifischen Räumen und Raumvorstellungen verknüpft. Dabei gibt es Erinnerungsräume, die in Zusammenhang mit bestimmten Ereignissen oder auch Personen immer wieder vorkommen. Es handelt sich um Heiligtümer und Tempel, Ehrenstatuen und Inschriften, die Stadtmauern, die Gräber der Vorfahren und Tropaia. Außerdem gibt es, besonders im Bereich der mythischen „Urgeschichte“, Geschichte(n), die inhaltlich mit einem räumlichen Aspekt behaftet sind. An erster Stelle steht dabei sicherlich der Mythos der Autochthonie der Athener, aber auch die Sage um König Kodros, in denen beiden außer der Stadt selbst zwar keine unmittelbar sichtbaren Räume direkt angesprochen werden, die aber besonders auf die Polis als Raum, oder im Falle der Autochthonie auf die attische Erde Bezug nehmen.
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Die Bedeutung des Phänomens der Deixis für die Vergegenwärtigung von Vergangenheit bei den Rednern hat Grethlein 2010, 114 anhand von Beispielen aus dem Epitaphios des Lysias deutlich gemacht. Er hebt dabei besonders hervor, dass solche deiktischen Ausdrücke nie in Zusammenhang mit der jüngeren Vergangenheit stünden, sondern immer im Kontext des mythischen Athen oder der Zeit der Perserkriege angebracht würden. „This suggests that the deictic pronouns are used specifically to forge a link between past and present Athens. The spatial deixis creates stability on the temporal axis.“
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Nicht zuletzt können Räume auch eine rein bestätigende Funktion innehaben, indem sie als Beglaubigung für die Anführung von Ereignissen oder auch Dekreten dienen. Kallistratos von Aphidna hat am Zwölfgötteraltar Zuflucht gesucht, der für alle sichtbar auf der Agora der Polis steht, und das Demophantosdekret ist als „Stele im Bouleuterion“ allen zugänglich und kann besonders den Ratsherren bei ihrer Amtsausübung behilflich sein. Wenn man sich die unterschiedlichen, tatsächlich materiell greifbaren Strukturen, die erwähnt werden, genauer ansieht, lässt sich außerdem eine Zweiteilung feststellen. Es gibt Gedächtnisorte und Denkmäler, die für alle sichtbar waren, entweder weil sie in der Stadt selbst, in zentralen öffentlichen Räumen oder im Umland verortet waren. Andere hingegen weisen die Eigenschaft der Sichtbarkeit nicht auf. Der Grund hierfür kann einerseits die zeitliche Distanz sein: Das betreffende Objekt war früher einmal sichtbar wie die Statue des Hipparchos, die (angeblich) schon lange zerstört ist. Ein anderer Grund ist die räumliche Distanz, das heißt der Gegenstand ist für die Zuhörer nicht unmittelbar sichtbar, der Ort kann aber zumindest theoretisch aufgesucht werden. Dies ist zum Beispiel bei den Grabepigrammen in Marathon und an den Thermopylen der Fall. Betrachtet man die Erinnerungsräume unter dem Aspekt der historischen Spannbreite, so wird deutlich, dass es kaum einen Bereich der athenischen Geschichte gibt, der nicht „verräumlicht“ werden kann. Von den mythischen Anfängen über die ersten Gesetzgeber, die Ruhmestaten der Perserkriege und die Pentekontaetie bis hin zu zeitnahen Ereignissen – alles scheint im kollektiven Gedächtnis der Athener durch Bilder oder andere räumliche Strukturen verankert. Selbst die krisenhafte Zeit des Peloponnesischen Krieges und der Herrschaft der Dreißig wird, wenn auch nur kurz, mittels räumlicher Veranschaulichung angesprochen. Was aber ist der Grund dafür, dass Lykurgos den Erinnerungsräumen in seiner Rede solch hohen Stellenwert einräumt? Zunächst liegt eine ganz pragmatische Begründung nahe, die in der Einleitung zu diesem Kapitel schon kurz angesprochen wurde: Da Lykurgos keine handfesten und stichhaltigen Beweise vorbringen kann, muss er auf die Vergangenheit und ihre Räume als „Füllmaterial“ seiner Anklagerede zurückgreifen. In ihrem Aufsatz „Changing the Authoritative Voice: Lycurgus’ Against Leocrates“ hat Danielle Allen auf der Ebene von Emotionen argumentiert, die ein athenischer Redner bei seinen Zuhörern wecken musste, um überzeugen zu können. Diese Redestrategie wird von ihr als „discourse of anger and pity“ oder im weitesten Sinne als pathos charakterisiert.133 Diesem Diskurs habe sich Lykurgos nicht unterordnen wollen, sondern habe sich stattdessen als neutraler Vertreter der Interessen der Polis präsentiert. Um diesen Mangel zu beheben, habe er seine „disinterested voice“ einerseits hinter den Stimmen der Dichter, deren Werke er so oft zitiert, andererseits hinter Per-
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Allen 2000, 24 f.
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sonifikationen des öffentlichen Raumes versteckt und habe dadurch eine neue Form der „authoritative voice“ geschaffen.134 Die Konstruktion eines mentalen Bildes von Attika als Opfer von Leokrates’ Taten erlaube es Lykurgos, Athen zum Leben zu erwecken und der Polis ihre eigene Stimme zu geben.135 Die dabei evozierte „anschauliche Bildlichkeit“ sollte eine größere Verbindlichkeit für die in der Rede vorgebrachten Forderungen schaffen.136 Aber handelt es sich hier tatsächlich um eine radikal neue Redestrategie? Haben wir hier ein singuläres Beispiel der rhetorischen Verräumlichung von Vergangenheit vor uns, der in anderen Reden nicht nachvollziehbar ist, oder zeigt die Rede eine auch von anderen Rednern angewendete Strategie nur in etwas größerem Ausmaß? Dieser Frage soll in den folgenden Kapiteln, strukturiert nach den Erinnerungsräumen und Monumenten, nachgegangen werden. Dabei steht zunächst die Akropolis als Erinnerungsraum im Mittelpunkt der Untersuchung, um, wie an der Rede des Leokrates im rhetorischen Kontext aufgezeigt, die Interaktion zwischen unterschiedlichen Monumenten und den damit verbundenen Erinnerungen besser beleuchten zu können.
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Allen 2000, 25–28. „Lycurgus’ prolific use of personification is central to a strategy aimed at crafting a new voice under the cover of which Lycurgus’ disinterested voice can disappear. As it turns out, he fills this void caused by his lack of personal arguments by personalizing the public space of the city to a far greater degree than do other orators.“ (26) Dem folgt Chorianopoulou 2005, 128 f. Vgl. auch Balot 2014, 236 f. Allen 2000, 27: „The construction of a mental image of Attica as the wronged victim of Leocrates’ actions allows Lycurgus to bring Athens to life and eventually, even, to give the city its own voice.“ Schmidt-Hofner 2016, 381.
3 Die Akropolis Im Sommer des Jahres 343 hören die Geschworenen die Verteidigungsrede des Aischines, der sich für sein Verhalten in den Friedensverhandlungen mit Philipp von Makedonien drei Jahre zuvor verantworten muss. Eindrücklich ruft er den versammelten Richtern in Erinnerung, wie die Befürworter eines Krieges mit Philipp die Zuhörer in der Volksversammlung für eine Ablehnung der Friedensbedingungen gewinnen wollten. Viele der Anwesenden sind bei den turbulenten Verhandlungen selbst dabei gewesen und können sich an die hitzigen Debatten erinnern. Wie so oft hätten die Redner ihre Zuhörer aufgefordert, auf die Propylaia zu blicken. Dabei sollten die Athener sich an die Schlacht bei Salamis erinnern, an die Gräber und Tropaia der Vorfahren, die von so zahlreichen Siegen und Triumphen der Polis kündeten.1 Und tatsächlich: Sind die Propylaia nicht ein beeindruckendes Bauwerk, das Tor zu all den weiteren Bauten und Bildern auf der Akropolis, die die Ruhmestaten der Athener symbolisieren? Viele haben die Propylaia und die anderen Bauten der Akropolis auf ihrem Weg zum Gerichtshof über die Agora kommend noch gesehen.2 Und Aischines hat recht: Zu zahlreichen Gelegenheiten sind sie bereits von den Rednern auf die genannten Bauten und die damit verbundenen Ruhmestaten der Vorfahren hingewiesen worden.
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Aischin. 2,74: „ἀνιστάμενοι δὲ οἱ συντεταγμένοι ῥήτορες, περὶ μὲν τῆς σωτηρίας τῆς πόλεως οὐδ᾽ ἐνεχείρουν λέγειν, ἀποβλέπειν δὲ εἰς τὰ προπύλαια τῆς ἀκροπόλεως ἐκέλευον ὑμᾶς, καὶ τῆς ἐν Σαλαμῖνι ναυμαχίας μεμνῆσθαι, καὶ τῶν τάφων τῶν προγόνων καὶ τῶν τροπαίων.“ Diese Volksversammlungssitzungen fanden am 18. und 19. des Monats Elaphebolion 346 statt. Zum Ablauf der Beratungen vgl. die Diskussion bei Sealey 1993, 146–148; Ellis 1994, 754 f.; Hammond 1994, 98–100; E. Harris 1995, 70–74; Paulsen 1999, 36–40; Carey 2000, 114–115 Anm. 87; MacDowell 2000, 5–7; Worthington 2008, 93–95; Rhodes 2010, 310 f.; Steinbock 2013b, 65–69; Brun 2015, 167–173; Barbato 2017, 229 f.; ausführlich Efstathiou 2004 mit der älteren Literatur 386 Anm. 2; kritisch zu seinen Ergebnissen Steinbock 2013b, 66 mit Anm. 3. Vgl. MacDowell 2000, 22, demzufolge der Prozess „in the court of the thesmothetai“ stattfand. Boegehold 1995, 5 stellt fest, dass es sich dabei nicht um die Bezeichnung für ein bestimmtes Gerichtsgebäude, sondern um die Bezeichnung für ein Gerichtsverfahren handelte, dem die Thesmotheten vorstanden. Für die baulichen Strukturen an der Agora, die für eine solche Gerichtsverhandlung in Frage kamen vgl. ebenda, 5–15; 91–113. Wo genau der Prozess stattfand kann jedoch nicht mehr rekonstruiert werden.
Die Propylaia
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3.1 Die Propylaia Eine rhetorische Strategie, die von Aischines in diesem Zusammenhang zwar kritisiert wird, die aber unter den Rednern beliebt gewesen zu sein scheint, ist also die Aufforderung, auf ein bestimmtes Monument auf der Akropolis, die Propylaia, zu blicken und sich dabei an die Schlacht bei Salamis und weitere Siege – symbolisiert durch die Tropaia3 – zu erinnern. Was machte die Propylaia so besonders, dass schon die bloße Aufforderung, den Blick auf sie zu richten, laut Aischines die Erinnerung an die ruhmreiche Vergangenheit aufrufen kann? Zunächst muss auf den besonderen Stellenwert der Propylaia im architektonischen Ensemble der Akropolisbauten hingewiesen werden. Der Begriff Propylaion bezeichnet eine besondere Form des monumentalen Torbaus, die in der griechischen Architektur entwickelt wurde und vor allem als Eingang zu einem temenos oder zu einem Heiligtum diente.4 Obwohl die Propylaia in Athen ebenfalls von ihrer Funktion her zunächst ein Zweckbau waren, war die architektonische Ausgestaltung um einiges prachtvoller als es diese Zweckmäßigkeit verlangte. Erwartete man von anderen Bauten wie Tempeln oder Schatzhäusern einen gewissen Grad an architektonischem Schmuck, war dies bei Torbauten grundsätzlich nicht der Fall, und so musste die aufwendige Form und Dekoration der Propylaia umso mehr ins Auge fallen.5 Sowohl hinsichtlich der Größe als auch des Aufbaus und des Materials waren die Propylaia im 5. Jahrhundert, aber auch noch in der Zeit der Redner einzigartig.6 Die Einzigartigkeit dieses Bauwerks inmitten all der prächtigen Tempel und Statuen Athens, aber auch über die Grenzen der Polis hinaus, könnte ein Grund für die häufige Erwähnung in den Reden sein.7 Hinzu kommt die Sichtbarkeit der Propylaia von zahlreichen, öffentlich zugänglichen Räumen der Stadt aus. Auf der Pnyx befanden sich die Propylaia genau in der Sicht von Redner und Zuhörern nach Osten, dementsprechend ordnet Aischines die prominente Erwähnung des Monuments bei den Rednern auch einer Debatte in der Volksversammlung zu.8 (Abb. 3.1) Abgesehen davon waren die Eingangsbauten der 3 4 5 6
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Zu den Tropaia vgl. Kap. 8. Vgl. Carpenter 1970, 1. Vgl. Hurwit 1999, 196; Hurwit 2004, 162: „an even stronger assertion of the grandeur of Periclean Athens than the Parthenon itself “. Vgl. Carpenter 1970, 119 mit einer genauen Beschreibung des Bauwerks 74–84; die ausführlichste Beschreibung und Besprechung des archäologischen Befundes bietet Dinsmoor 2004, vgl. neuerdings auch T. Shear 2016, 273–327 sowie Schneider 1999, 253, der betont, dass die Propylaia (sowie auch der Parthenontempel) von Beginn an weder religiöser noch profaner Zweckbau, sondern „von vornherein in erster Linie steinerne Zeichen“, also ein Denkmal darstellen sollten. Zur besonderen Stellung der Propylaia im Rahmen des religiösen Komplexes der Akropolisbauten vgl. auch Martin-McAuliffe/Papadopoulos 2012, 337 f.; Krasilnikoff 2015, 204. Hurwit 2004, 163. Vgl. Paulsen 1999, 345 (ad Aischin. 2,74); Steinbock 2013b, 80; Carey 2000, 118 Anm. 98 ad loc.
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Die Akropolis
Akropolis auch von zahlreichen anderen Punkten der Stadt, wie beispielsweise von der Agora, aus sichtbar (Abb. 3.2), und nicht zuletzt kannte jeder Athener, der im Rahmen der Panathenäen oder anderer Feste, der Amtsausübung oder aus privaten Motiven schon einmal die Stufen zur Akropolis hinaufgegangen war, die imposante Wirkung der Propylaia auch aus der Nähe.9 Umgekehrt bietet sich dem Betrachter beim Verlassen der Akropolis von den Propylaia aus ein Blick über die Stadt Athen bis zur Insel Salamis.10
Abb. 3.1: Blick von der Pnyx (vor dem Rednerpult stehend) auf die Akropolis (© K. Kostopoulos)
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Zur Raumerfahrung durch Feste, insbesondere der Panathenäen Kap. 1.2 und 1.3. Vgl. Martin-McAuliffe/Papadopoulos 2012, 342–345 mit Abb. 15 und 16: „Mnesikles designed the building to face and to view the island and mountains of Salamis.“
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Abb. 3.2 Blick vom Panathenäenweg auf die Akropolis (Propylaia und Niketempel) (© K. Kostopoulos)
Genau wie es Aischines in seiner Gesandtschaftsrede so bildlich schildert, verfährt Demosthenes in mehreren Gerichts- und Volksversammlungsreden, in denen er ausgehend von den Propylaia ein ganzes Panorama der prachtvollen Bauten der Stadt entfaltet. So wird in der Volksversammlungsrede „Über die Heeresorganisation“, die Demosthenes wohl Ende der 350er Jahre hielt,11 betont: Die Vorfahren hätten so viele und prachtvolle Heiligtümer, Häfen und andere Bauwerke hinterlassen, dass ihre Nachkommen sie nicht übertreffen könnten. Die Propylaia, die Hafenlagen und Stoai
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Zur Diskussion um Datierung und Zuschreibung der Rede vgl. Trevett 1994, 179–193 (mit weiterer Literatur); ders. 2011, 224–226, der die Rede als demosthenisch identifiziert und eine Datierung Ende der 350er Jahre favorisiert. Eine genauere Datierung sei aufgrund der Angaben in der Rede selbst nicht möglich. Die 13. Rede ist in der Forschung verschiedentlich als Fälschung angesehen worden, u. a. auch wegen der Parallelen zu Demosth. 3 und 23.
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Die Akropolis
werden dabei vom Redner besonders hervorgehoben.12 Dass ausgerechnet die Propylaia als einziges Bauwerk der Akropolis und zudem an erster Stelle genannt werden, zeugt von der besonderen Bedeutung, die sie hier, vielleicht sogar stellvertretend für die anderen Bauten auf der Akropolis und die Akropolis als ganzes Ensemble, einnehmen können.13 Tatsächlich sind vom Pnyxhügel aus nicht nur die Bauten der Akropolis gut zu sehen, auch viele andere öffentliche Räume befinden sich in unmittelbarer Nachbarschaft und damit in Sichtweite. So bot (und bietet) sich dem Besucher der Stätte der Volksversammlung die Möglichkeit des Ausblicks auf die umliegende Stadt mit dem Kerameikos, der Agora und der Akropolis. (Abb. 1.1) Begab man sich auf die gegenüberliegende Seite des Hügels, so konnte man nach Südwesten entlang der Langen Mauern bis zum Meer und zu den ebenfalls in der Rede genannten Hafenanlagen des Piräus blicken. (Abb. 1.2) Welche Personen werden hier mit der Errichtung der Bauwerke in Verbindung gebracht? Sie werden gleich im folgenden Paragraphen14 genannt, als Personen, die zwar das öffentliche Erscheinungsbild ihrer Polis gefördert, selbst aber in bescheidenen Häusern gelebt hätten:15 Stellvertretend für die damals einflussreichen Strategen werden Themistokles, Kimon und Aristeides angeführt, Personen, die zumindest mit dem Bau der Propylaia eigentlich nicht in Verbindung zu bringen sind. Genau die gleiche Dichotomie zwischen Prachtbauten im öffentlichen Raum und bescheidenen privaten Behausungen findet sich auch in der Gerichtsrede des 12
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Demosth. 13,28: „οἰκοδομήματα μέν γε καὶ κόσμον τῆς πόλεως, ἱερῶν καὶ λιμένων καὶ τῶν ἀκολούθων τούτοις, τοιοῦτον καὶ τοσοῦτον κατέλιπον ἐκεῖνοι, ὥστε μηδενὶ τῶν ἐπιγιγνομένων ὑπερβολὴν λελεῖσθαι, προπύλαια ταῦτα, νεώσοικοι, στοαὶ, τἄλλα, οἷς ἐκεῖνοι κοσμήσαντες τὴν πόλιν ἡμῖν παρέδωκαν·“ Mit den Stoai könnten z. B. die Stoa Basileios oder die Stoa Poikile an der Agora gemeint sein, vgl. Trevett 2011, 237 Anm. 53 (ad loc.). Zur Prominenz der Stoai auf der Agora und ihrer Multifunktionalität vgl. Millett 1998, 215 f.; Martin-McAuliffe/Papadopoulos 2012, 349–352, die darüber hinaus auch die Blickachsen auf die Bauten der Akropolis von diesen Stoai aus hervorheben. Vgl. dazu auch Hurwit 2004, 163 mit Bezug auf Demosth. 23,207; Martin-McAuliffe / Papadopoulos 2012, 337: „[…] the gateway prepares the visitor for what will be found within the sanctuary.“ Demosth. 13,29. Vgl. Trevett 1994, 182 f.; Trevett 2011, 64 Anm. 38 (ad 3,26) gibt zu bedenken, dass sowohl im 5. als auch im 4. Jahrhundert die Privathäuser reicher Bürger eher bescheidene Ausmaße hatten. Dies wird zumindest bei Demosthenes anders dargestellt, der nicht nur auf die Bescheidenheit des 5. Jahrhunderts, sondern auch auf die prachtvollere private Architektur seiner eigenen Zeit hinweist. Dies ist sicherlich ein Topos, um politische Gegner in ein schlechtes Licht zu rücken, trotzdem konnte dieser seine Wirkung wohl nur entfalten, wenn es eine Zurschaustellung von Reichtum in irgendeiner Form tatsächlich gegeben hat. Vgl. ausführlich Walter-Karydi 1994, die zudem hervorhebt, dass mit Hilfe von Elementen der Architektur und Malerei eine Gleichsetzung von öffentlichen und privaten Bauten stattfand, allerdings nur im Inneren der Häuser: „Die Nobilitierung des Wohnhauses spielt sich nur im Inneren ab; der einzelne Bürger der Polis stellt […] sein Haus nicht zur Schau.“ Vgl. außerdem Hedrick 2013, 388, der betont, dass Wohnhäuser im 4. Jahrhundert zu Statussymbolen geworden seien. Zum Vergleich zwischen öffentlichen und privaten Bauten des 5. Jahrhunderts bei Demosthenes in dieser und weiteren Reden vgl. Nouhaud 1982, 225; Walter-Karydi 1994, 9; 34 f.
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Demosthenes „Gegen Aristokrates“, die wohl nur wenig früher gehalten wurde. Die Häuser eines Themistokles oder Miltiades seien nicht größer gewesen als gewöhnliche Häuser. Die öffentlichen Gebäude hingegen seien von solcher Größe und solcher Qualität gewesen, dass den kommenden Generationen keine Möglichkeit gegeben wurde, sie zu übertreffen. Propylaia, Schiffshäuser, Stoai und der große Hafen (des Piräus) könnten von den Zuhörern betrachtet werden.16 Hier wird der Aspekt des Hinsehens, des Betrachtens der Monumente, zu dem die Zuhörer aufgefordert werden, noch deutlicher: einerseits durch das eingesetzte Verb „ὁρᾶτε“, andererseits insbesondere durch das mit den Propylaia verbundene deiktische Pronomen „ταῦτα“, das ein Indiz dafür sein könnte, dass der Redner auf das genannte Gebäude oder zumindest in die betreffende Richtung zeigte.17 Wiederum stehen die Propylaia am Beginn einer Aufzählung von Bauwerken, die von nachfolgenden Generationen nicht mehr übertroffen werden konnten. Die namentlich genannten Themistokles und Miltiades stellen hier insbesondere eine Verknüpfung zur Zeit der Perserkriege her, gleichzeitig stehen sie stellvertretend für alle anderen Männer, die die ruhmreiche Vergangenheit Athens geprägt haben. Ebenfalls in einer Gerichtsrede des Demosthenes wird die Erbauung sowohl der Propylaia als auch des Parthenon in einem Atemzug mit der Ausstattung der Tempel mit Beutestücken aus den Perserkriegen genannt, allerdings ohne die dafür verantwortlichen Männer beim Namen zu nennen. Die nachfolgenden Schilderungen nachahmenswerter historischer Ereignisse beschäftigen sich mit dem Verlassen der Stadt und der Schlacht bei Salamis im Jahr 480.18 Auch hier wird also weniger die Zeit um die Mitte des 5. Jahrhunderts, in der die Errichtung der genannten Bauten fiel, in den Mittelpunkt gerückt, sondern vielmehr werden die Errungenschaften der Perserkriege – einerseits herausragende Taten, andererseits die Beutestücke – mit den Bauten
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Demosth. 23,207: „τεκμήριον δέ· τὴν Θεμιστοκλέους μὲν οἰκίαν καὶ Μιλτιάδου καὶ τῶν τότε λαμπρῶν, εἴ τις ἄρ᾽ ὑμῶν οἶδεν ὁποία ποτ᾽ ἐστίν, ὁρᾶ τῶν πολλῶν οὐδὲν σεμνοτέραν οὖσαν, τὰ δὲ τῆς πόλεως οἰκοδομήματα καὶ κατασκευάσματα τηλικαῦτα καὶ τοιαῦθ᾽ ὥστε μηδενὶ τῶν ἐπιγιγνομένων ὑπερβολὴν λελεῖσθαι, προπύλαια ταῦτα, νεώσοικοι, στοαί, Πειραιεύς, τἄλλ᾽ οἷς κατεσκευασμένην ὁρᾶτε τὴν πόλιν.“ Vgl. außerdem Demosth. 3,25 f. mit der Unterscheidung zwischen bescheidenen Privathäusern (hier des Aristeides und des Miltiades) und prachtvollen öffentlichen Bauten. Es werden an dieser Stelle aber nur „Tempel und die Weihgeschenke in ihnen“ („κατεσκεύασαν ἡμῖν ἱερῶν καὶ τῶν ἐν τούτοις ἀναθημάτων“) genannt, wobei damit sicherlich (auch) die Tempel der Akropolis gemeint waren. Steinbock 2013b, 80 mit Anm. 64 sowie neuerdings auch Wohl 2019, 245 f., die zudem in Ihrem Aufsatz auf die generelle Bedeutung der räumlichen Argumentation in der Rede hinweist. Zu den Schwierigkeiten einer solchen Annahme aufgrund der architektonischen Gegebenheiten, die eine unmittelbare Sichtbarkeit der Gebäude wahrscheinlich ausschloss, vgl. Kap. 1.3. Demosth. 22,13: „ἃ δ᾽ οὖν πᾶσι μάλιστ᾽ ἀκοῦσαι γνώριμα, τοῦτο μὲν, εἰ βούλεσθε, οἱ τὰ προπύλαια καὶ τὸν παρθενῶν᾽ οἰκοδομήσαντες ἐκεῖνοι καὶ τἄλλ᾽ ἀπὸ τῶν βαρβάρων ἱερὰ κοσμήσαντες, ἐφ᾽οἷς φιλοτιμούμεθα πάντες εἰκότως […].“ Vgl. Nouhaud 1982, 225 f.; Steinbock 2013b, 81.
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auf der Akropolis verknüpft.19 Die genannten Taten werden dann zwar als „ἀρχαῖα καὶ παλαιά“20 bezeichnet. Trotzdem stehen sie als allen aus mündlicher Überlieferung vertraute Erzählungen vor der zeitlich näherliegenden Hilfe Athens für Euboia im Jahr 35721 (22,14), als paradeigmata für die Notwendigkeit der Errichtung von Trieren zum Schutz der Stadt. Hier werden also zunächst nicht die kriegerischen Leistungen selbst, sondern die damit verbundenen räumlichen Strukturen, Bauwerke und Beutestücke als Errungenschaften genannt, die jeden Athener mit Stolz erfüllten. Gegen Ende der Rede folgt dann noch einmal eine Aufzählung der Bauwerke des 5. Jahrhunderts und wiederum stehen die Propylaia gleich am Anfang, sogar noch vor dem Parthenon.22 An dieser Stelle wird das Volk mit der Errichtung dieser Bauwerke in Verbindung gebracht: Es habe zur Zeit des größten Wohlstandes nicht nur durch Taten geglänzt, sondern diese Taten durch eben diese Bauten verewigt (und sich nicht wie der Angeklagte Androtion nur selbst bereichert). Deutlich wird hier die enge Verknüpfung zwischen der Erinnerung an Taten und der Erinnerungsleistung durch Denkmäler, eine Erinnerungsleistung, die schon bei der Errichtung intendiert war.23 Auffällig ist, dass all diese Aufzählungen von prachtvollen Bauwerken des 5. Jahrhunderts mit prominenter Platzierung der Propylaia und die Nennung ihrer Verbindung insbesondere mit Ereignissen und Personen der Perserkriege aus Volksversammlungs-, aber vor allem Gerichtsreden des Demosthenes stammen, die in der Zeit zwischen 355 und ca. 350 gehalten wurden. Die in den meisten Fällen zu beobachtende enge Verbindung der genannten Bauten mit Personen ist vor allem dadurch zu erklären, dass in den Gerichtsreden dem Angeklagten verdiente Personen der Vergangenheit gegenübergestellt werden bzw.
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Vgl. auch Gauer 1968a, 128, der mit Verweis auf Demosth. 22,13 die gesamte Akropolis als „Denkmal der Perserkriege“ bezeichnet. Vgl. auch Castriota 1992, 135; 279 Anm. 4; T. Shear 2016, 5. Arrington 2015, 146 betont hingegen, dass gerade der Parthenon nicht mit Beutestücken in Verbindung gebracht werde, und auch das Bildprogramm wegen der großen Anzahl geschlagener und besiegter Athener nicht als Siegesmonument verstanden werden sollte. Demosth. 22,14. Auch dieses zeitlich jüngere Ereignis wird im Übrigen mit dem Vorgang des Sehens verbunden: „ἀλλ᾽ ἃ πάντες ἑωράκατε […].“ Vgl. Martin-McAuliffe/Papadopoulos 2012, 340, die auch die Bedeutung der Propylaia im 4. Jahrhundert (im Gegensatz zum Parthenon) hervorheben: „Whatever later generations thought of the Periklean building program, the ancient Athenians themselves valued the Propylaia.“ Genannt werden die hier zitierten Aussagen bei Demosthenes und Aischines sowie ein bei Cic. Off. 2,60 überliefertes Zitat des Demetrios von Phaleron. Demosth. 22,76: „τεκμήριον δέ· χρήματα γὰρ πλεῖστα τῶν Ἑλλήνων ποτὲ σχὼν ἅπανθ᾽ ὑπὲρ φιλοτίμιας ἀνήλωσεν, εἰσφέρων δ᾽ ἐκ τῶν ἰδίων οὐδένα κίνδυνον ὑπὲρ δόξης ἐξἐστη. ἀφ᾽ ὧν κτήματ᾽ ἀθάνατ᾽ αὐτῷ περίεστι, τὰ μὲν τῶν ἔργων ἡ μνήμη, τὰ δὲ τῶν ἀναθημάτων τῶν ἐπ᾽ ἐκείνοις σταθέντων τὸ κάλλος, προπύλαια ταῦτα, ὁ παρθενών, στοαί, νεώσοικοι […].“ Eine ganz ähnliche Verknüpfung von Taten und Bauwerken, auch hier „Propylaia, Parthenon, Stoai und Schiffshäuser“ findet sich in der Gerichtsrede „Gegen Timokrates“ aus dem Jahr 353 (Demosth. 24,184 f.). Vgl. zu dieser Passage und der enthaltenen architektonischen Rahmung Boedeker/Raaflaub 1998, 6; Martin-McAuliffe/ Papadopoulos 2012, 354.
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Kritik an den aktuellen Rednern – vor der Folie der Redner und Strategen der Vergangenheit – geübt wird. Dass es sich hierbei jedoch nicht um ein zeitlich und auf einen bestimmten Redner begrenztes Phänomen gehandelt haben kann, zeigt der schon genannte Tadel des Aischines aus dem Gesandtschaftsprozess gut zehn Jahre später, in dem die Redesituation vor der Volksversammlung am 19. Elaphebolion 346 zur Diskussion um den Philokratesfrieden geschildert wird.24 Auch hier fällt der Blick zunächst auf ein Bauwerk, die Propylaia, die ganz allein genannt werden, dann folgt die Aufforderung zur Erinnerung an die Taten der Vergangenheit, nämlich an die Seeschlacht bei Salamis – die Propylaia werden also, wie auch die dann genannten Gräber und die Tropaia der Vorfahren, als sichtbarer Beweis für den damaligen Sieg verwendet.25 Auch wenn Aischines diese Redestrategie verurteilt, kann er sich ihr doch nicht ganz verschließen: Auch er habe nämlich an all diese Dinge erinnert, sich aber gleichzeitig nicht davor gescheut, auch auf die Fehler der Vorfahren hinzuweisen.26 Den Stellenwert der Propylaia als Symbol für athenische Macht und Ruhm auch außerhalb Athens hebt Aischines im weiteren Verlauf der Rede hervor, indem er von einem Ausspruch des Thebaners Epaminondas berichtet. Dieser habe sich von dem Ansehen Athens nicht beeindrucken lassen, sondern vor der thebanischen Versammlung gefordert, die Propylaia von der athenischen Akropolis vor die Kadmeia in Theben zu bringen.27 Hier werden die Propylaia nicht mit einem bestimmten Ereignis der Geschichte Athens verknüpft, verkörpern aber den Stellenwert, den Athen unter den anderen griechischen Poleis genoss, und dies in einem Maße, dass man mit ihrem Transfer nach Theben augenscheinlich auch das zu Anfang erwähnte Ansehen Athens auf die Kadmeia verpflanzen wollte. Umgekehrt
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Aischin. 2,74. Vgl. Hunt 2010b, 232; Blanshard 2014, 265. Die Nennung der Propoylaia wird auch hervorgehoben von Martin-McAuliffe/Papadopoulos 2012, 340, die zudem 342–344 betonen, dass die Insel Salamis von den Propylaia aus sichtbar war – ein visuell belegbarer Verknüpfungspunkt zwischen Bauwerk und Ereignisort. Letztendlich ist die Schlacht von Salamis an dieser Stelle eingerahmt von räumlichen Bezügen. Zu den Gräbern an dieser Stelle vgl. Kap. 7.4, zu den Tropaia vgl. Kap. 8.4. Aischin. 2,75. Darauf folgt erst einmal eine Aufzählung der erfolgreichen Schlachten der Perserkriege bei Plataiai, Salamis, Marathon und Artemision sowie das Strategenamt des Tolmides mit dem Marsch über die Peloponnes (tatsächlich handelte es sich hierbei um eine Umsegelung der Peloponnes, die von Aischines in ein Landunternehmen umgewandelt wird, wahrscheinlich in Angleichung an die Invasionen der Peloponnes durch Theben im 4. Jahrhundert, vgl. Carey 2000, 119 Anm. 100 ad loc.), bevor Aischines zu den Fehlern und Misserfolgen der Vorfahren kommt: Die Sizilische Expedition, die Ablehnung eines Friedensangebots der Spartaner im Peloponnesischen Krieg unter dem Einfluss des Kleophon, die Niederlage im Peloponnesischen Krieg sowie die Schleifung der Mauern und die Herrschaft der Dreißig (2,76 f.). Zur Schleifung der Mauern vgl. Kap. 6.4.4. Aischin. 2,105: „οὐχ ὑποπτήξας τὸ τῶν Ἀθηναίων ἀξίωμα, εἶπε διαρρήδην ἐν τῷ πλήθει τῶν Θηβαίων, ὡς δεῖ τὰ τῆς Ἀθηναίων ἀκροπόλεως προπύλαια μετενεγκεῖν εἰς τὴν προστασίαν τῆς Καδμείας.“ Vgl. dazu Steinbock 2013b, 80 sowie Carey 2000, 118 Anm. 98 ad loc.
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sollte diese Forderung nach einer Verlegung der Akropolis ein „deutlich demütigendes Symbol für eine Hegemonialstellung Thebens gegenüber Athen“ darstellen.28 Perikles, der insbesondere bei Plutarch mit dem Bauprogramm auf der Akropolis in Verbindung gebracht wird,29 wird in Zusammenhang mit den Propylaia nur ein einziges Mal erwähnt, und zwar in der nur fragmentarisch erhaltenen Rede des Lykurgos „Gegen Kephisodotos“. Dort werden in aller Kürze zunächst die militärischen Errungenschaften des Perikles aufgezählt, dann die Bauten, für die er verantwortlich war und der Wohlstand, der unter seiner Führung angesammelt werden konnte.30 Für all diese Leistungen wurde er (lediglich) mit einem Olivenkranz geehrt – wahrscheinlich eine Anspielung auf die von Kephisodotos beantragten Ehrungen für Demades, die Lykurgos ablehnte.31 Seit der Mitte des 4. Jahrhunderts v. Chr.32 werden die Propylaia also von verschiedenen Rednern als sichtbares Erinnerungszeichen genutzt. Mit diesem verknüpfte Personen und Ereignisse stammen aber weniger aus der Zeit der tatsächlichen Erbauung, sondern aus der vorhergehenden Generation der Perserkriege. 33 3.2 Ruinen der Perserkriege Werden durch den Anblick der Propylaia ausschließlich die ruhmreichen Abschnitte der athenischen Geschichte in Erinnerung gerufen, vermitteln andere Sichtachsen offenbar andere Aspekte der athenischen Vergangenheit: Von zahlreichen Punkten der Stadt, so zum Beispiel von der Agora oder dem Kerameikos aus, sind es nicht die prachtvollen Bauten der Akropolis und ihr architektonischer Schmuck, die dem Betrachter zuerst auffallen, sondern die Befestigungsmauer, 28
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Paulsen 1999, 365 ad loc. Aischines will mit diesem Ausspruch Demosthenes’ Verhalten während der 2. Gesandtschaft 346 als falsch darstellen, hatte dieser doch für eine Verbindung mit Theben plädiert. Umso deutlicher muss Aischines hier das thebanische Selbstbewusstsein gegenüber Athen in den Mittelpunkt stellen. Plut. Perikles 12–14; auch die Propylaia werden der Gesamtplanung des Perikles zugeschrieben (13,7–8). Kritisch zu diesem Bild des Perikles als Initiator und „Bauherr“ der Akropolisbauten insbesondere Will 1995, 59–68, besonders 67. Belege für Perikles’ Mitgliedschaft in den EpistatenKommissionen sind neben Plutarch auch Strab. 9,1,12; Philochoros FGrH 328 F 121; Paus. 8,41,9 (dort allerdings nur die Verantwortlichkeit für das Bauprogramm des Parthenon allgemein). Lykurg. Fr. 9,2 Conomis: „Περικλῆς δὲ ὁ Σάμον καὶ Εὔβοιαν καὶ Αἴγιναν ἑλών, καὶ τὰ Προπύλαια καὶ τὸ Ὠιδεῖον καὶ τὸ Ἑκατόμπεδον οἰκοδομήσας, καὶ μύρια τάλαντα ἀργυρίου εἰς τὴν ἀκρόπολιν ἀνενεγκών, θαλλοῦ στεφάνῳ ἐστεφανώθη.“ Vgl. Lambert 2010, 230. Zur Verbindung des Perikles mit der Akropolis insgesamt vgl. Kap. 3.6. Auch Lykurg. Fr. 1,3 Conomis erwähnt den „Hekatompedon“, ob auch hier wieder in Zusammenhang mit den Leistungen des Perikles ist aufgrund des fehlenden Kontextes unklar. Vgl. E. Harris 2001, 212. Der erste erhaltene Beleg ist die Rede des Demosthenes „Gegen Androtion“ (Demosth. 22) aus dem Jahr 355. Die Bezeichnung der Propylaia als „encomia to the Periclean era“ (Hurwit 2004, 163) aufgrund der genannten Passagen bei den Rednern stellt also eine Fehlinterpretation dar.
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die das Heiligtum umschließt. Wenn man sich auf der Agora befindet, so zum Beispiel vor dem Bouleuterion an der Westseite des Platzes, oder wenn man sich auf dem Panathenäenweg über den Platz bewegt, fällt der Blick auf die Nordmauer der Akropolis.34 (Abb. 3.3–3.4)
Abb. 3.3 Blick von der Agora (vor dem Bouleuterion stehend) auf die Nordmauer der Akropolis (© K. Kostopoulos)
Abb. 3.4: Blick vom Panathenäenweg auf die Nordmauer der Akropolis (© K. Kostopoulos)
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Zur Prominenz dieser Blickachse vgl. auch Étienne 2004, 69: „tournée vers l’Agora, avait une position particulièrement ostentatoire“.
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Die Akropolis
Eine gute Sicht auf die Nordmauer der Akropolis bietet sich auch vom Kerameikos aus, sowohl aus der Blickrichtung des demosion sema als auch von der Heiligen Straße aus (Abb. 3.5 und 3.6).35
Abb. 3.5: Blick vom Kerameikos auf die Nordseite der Akropolis (© K. Kostopoulos)
Abb. 3.6: Blick vom Kerameikos (Heilige Straße) auf die Nordseite der Akropolis (© K. Kostopoulos) 35
Vgl. Blanshard 2014, 251.
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Die Nordmauer der Akropolis betont aber nicht nur den Festungscharakter des Ensembles, sondern ist durch ihre besondere Konstruktionsweise gleichzeitig als Denkmal zu deuten. Eingepasst in das Mauerwerk, das nach der zweifachen Zerstörung der Akropolis durch die Perser 480 und 47936 eventuell noch zur Zeit des Themistokles in den 70er Jahren errichtet wurde,37 finden sich Architekturteile der bei der Plünderung zerstörten Tempel: 29 nicht kannelierte Säulentrommeln des so genannten Vorparthenon, die in zwei Reihen untereinander angeordnet wurden, sowie Metopen und Architrav des alten Tempels der Athena Polias. Ob diese Wiederverwendung zerstörter Architektur absichtsvoll geschehen ist – das heißt, ob die Nordmauer der Akropolis ab dem Zeitpunkt ihrer Errichtung an die Zerstörung durch die Perser erinnern sollte –, ist in der Forschung umstritten. Vielfach sind Argumente gegen die bewusste Einpassung angebracht worden: Vorgeschlagen wurden einerseits die pragmatische Nutzung der Spolien aus finanziellen Gründen oder andererseits „das Bedürfnis nach rascher Wiederherstellung“ der Umfassungsmauer.38 Dass die Verwendung von bereits am Ort vorliegenden Materialien und ganzen Bauteilen auch aus finanziellen und zeitlichen Gründen von Vorteil war, soll hier nicht bestritten werden. Trotzdem lassen sich darüber hinaus viele plausible Argumente für eine absichtsvolle Einpassung anführen: Die Überreste der verschiedenen Tempel sind nicht zusammenhanglos in die neue Mauer verbaut worden. Säulentrommeln einerseits, Metopen und Architrav des alten Tempels der Athena Polias andererseits sind so in das Mauerwerk eingefügt, dass der ursprüngliche architektonische Zusammenhang deutlich wird.39 Ein weiteres Argument ist die Sichtbarkeit dieser Elemente. Diese Sichtbarkeit ist einerseits durch die prominente Platzierung in der Nordmauer gegeben, wodurch die betreffenden Abschnitte der Mauer insbesondere von vielbesuchten Plätzen und Straßen wie der Agora, dem Panathenäenweg und dem Kerameikos aus zu sehen waren
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Vgl. dazu neuerdings ausführlich Garland 2017 mit der älteren Literatur. Die Datierung der verschiedenen Mauerabschnitte ist umstritten, einen Überblick über die unterschiedlichen Vorschläge bei Lindenlauf 1997, 71–73 und dies. 2003, 54 f. Sie selbst spricht sich für eine Errichtung durch Themistokles oder Kimon aus. Für eine Datierung in themistokleische Zeit hat sich Korres 2002, 186 ausgesprochen, ebenda, 179–181 auch zu den verschiedenen Forschungsmeinungen. Vgl. dazu auch Kousser 2009, 280 Anm. 84 mit der weiteren Literatur. Lindenlauf 1997, 72 f., die Mauer den Charakter eines „Mahnmals“ aberkennt. Dieser sei aus dem Eid von Plataiai rückgeschlossen worden, der aber als Fälschung keinen Quellenwert besitze; vgl. aber dies. 2003, 55: „If the north sections of the citadel wall were constructed under Themistokles, then these represent one of the earliest, if not the earliest reminder of the destruction of Athens.“ Vgl. Kousser 2009, 271, ihrer Ansicht nach sind insbesondere die Säulentrommeln „the most distinctively templelike architectural fragments, arranged in a manner that seems insistently to recall their former purpose.“ 276; Auch Schneider/Höcker 2001, 105–107 sprechen sich für eine bereits bei der Erbauung beabsichtigte symbolische Bedeutung aus; vgl. auch R. Rhodes 1995, 32–34; Hartmann 2010, 183 mit Anm. 821; Martin-McAuliffe/Papadopoulos 2012, 347 f.; T. Shear 2016, 8; Garland 2017, 116; Proietti 2017, 82.
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und sind.40 Andererseits tragen die Formen der wiederverwendeten Architektur zu einer visuellen Hervorhebung bei, wobei sich vor allem die Säulentrommeln deutlich vom umgebenden Mauerwerk abheben. Bei den Metopen und dem Architrav des alten Athenatempels könnte die Sichtbarkeit durch die farbige Bemalung noch einmal gesteigert worden sein.41 Unspezifische rechteckige Blöcke der zerstörten Gebäude, die eine sehr viel homogenere Ansicht der Nordmauer bewirkt hätten, sind hingegen nicht verwendet worden.42 Das Konzept der gesamten Akropolis als Erinnerungsraum kann ein weiteres Argument dafür darstellen, dass auch mit den Spolien an etwas erinnert werden sollte: Auf der Akropolis wurde nicht nur an die Perserkriege, sondern auch an viele andere Episoden der athenischen Geschichte erinnert. Diese Praxis wird an einer der frühesten Hinterlassenschaften, nämlich der mykenischen Stadtmauer, ersichtlich. Diese wurde nicht nur erhalten, sondern absichtsvoll sichtbar gemacht, indem zum Beispiel im Fundament des Athena-Nike-Tempels ein Teil ausgespart wurde, um den Vorübergehenden die dahinter liegenden Überreste der mykenischen Mauer zu präsentieren.43 Diese Funktion wird auch im Umgang mit dem „Perserschutt“ (nicht nur) in der Nordmauer deutlich. Während an anderen Orten, zum Beispiel auf der Agora oder dem Kerameikos, der Schutt bald nach 479 abgetragen und entsorgt oder rein funktional als Füllmaterial für neue Bauten verwendet wurde, wird auf der Akropolis ein ganz anderer Umgang mit den Überresten der persischen Zerstörung ersichtlich.44 Insgesamt kann also von einer absichtsvoll geplanten Form der Erinnerung durch die Verbauung von Spolien der Perserkriege in der Nordmauer der Akropolis ausgegangen werden.45 40 41 42
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Vgl. Wrede 1996 mit Abb. 1-3; M. Meyer 2005, 284 („fernhin sichtbare[s] Zeichen“); Kellogg 2008, 363; Kousser 2009, 271; Martin-McAuliffe/Papadopoulos 2012, 348 mit besonderer Betonung der Sichtachse von der Agora zu den Spolien in der Nordmauer. Vgl. Kousser 2009, 271. Vgl. Kousser 2009, 271 mit Anm. 81; 275 f. Der unterschiedliche Umgang mit den Ruinen wird demnach besonders augenfällig, wenn man sich die Art der Verwendung von altem Baumaterial beim Bau des Parthenon vergegenwärtigt. Dort werden nämlich die wiederverwendeten Materialien harmonisch in die architektonische Umgebung integriert, sodass sie oft von den neuen Bauteilen nicht zu unterscheiden sind. Das Ziel war es also, im Gegensatz zu den Mauern, den Eindruck eines homogenen Ganzen zu erwecken. Die Erinnerung an die Zerstörung wurde ausgelöscht und machte einer Neuschöpfung Platz. Gleiches gilt im Übrigen auch für die bei der Erstürmung durch die Perser beschädigten oder zerstörten Gebäude auf der Agora, vgl. dazu ausführlich T. Shear 1993. Vgl. die Zusammenfassung der auf der Akropolis erinnerten Geschichte(n) bei Hartmann 2010, 499–505, zu den mykenischen Mauern 503 mit Anm. 38 f.; vgl. dazu auch R. Rhodes 1995, 36–40; Hurwit 1999, 76; 124 f.; Kousser 2009, Abb. 7; 276 Abb. 13; T. Hölscher 2010, 132; Martin-McAuliffe/Papadopoulos 2012, 341 f.; Sporn 2015, 76 sowie allgemein zur „memoria“ der mykenischen Mauern Ulf 2010. Vgl. Lindenlauf 2003, 56 f. Kousser 2009, 271: „carefully calculated form of commemoration“. Lambrinoudakis 1999, 554–560 betont neben der von ihm durchaus anerkannten politischen Erinnerungsfunktion (554) die reli-
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Eine solche Zurschaustellung von Spolien erscheint auf den ersten Blick ungewöhnlich: Hier wird an eine Niederlage erinnert, die in der Zerstörung der Akropolis, also des wichtigsten Heiligtums der Stadt, ihren Höhepunkt erreichte.46 Auf der anderen Seite können durch die Einfügung der zerstörten Überreste in eine neue, starke Befestigung aber auch das siegreiche Ende dieses Krieges und die neue Stärke Athens betont worden sein.47 Im Folgenden soll untersucht werden, unter welchen Aspekten die Redner des 4. Jahrhunderts mit der Zerstörung der Akropolis umgehen und welche Rolle die Nordmauer in diesem Zusammenhang gespielt haben könnte. Einige Redner setzen sich direkt mit der Eroberung Athens und der damit verbundenen Zerstörung auseinander: Andokides, der die Plünderung Athens unmittelbar nach dem Sieg bei Marathon beschreibt und damit die Ereignisse von 490 und 480/79 zusammenzieht, schildert die umfassende Zerstörung der Stadt durch die Perser als Rahmen für den Aufstieg Athens aufgrund der Einigkeit der Bürgerschaft. Nach der siegreichen Schlacht seien die Athener zurückgekehrt und hätten ihre Stadt in Ruinen vorgefunden, die Tempel niedergebrannt, Mauern und Häuser zerstört.48 Hier werden zwar die Akropolis oder einzelne Tempel nicht wörtlich benannt, es ist aber davon auszugehen, dass insbesondere die Tempel der Akropolis als wichtigstem Heiligtum der Stadt damit gemeint waren. Die Schilderung des Andokides bleibt aber nicht bei
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giöse Funktion der eingepassten Architektur. Dagegen bestreitet er, dass die klassische Akropolismauer eine militärische Funktion als Festung hatte. Dieser Aspekt wird vor allem von Hurwit 2004, 70 hervorgehoben. Ebenso auch Schneider/Höcker 2001, 107, die die Architekturteile in der Nordmauer als „Mahnmal“ deuten. Zudem hätten die Ruinenteile „dem Burgberg als Ganzem von außen das vage Bild einer Tempelruine aufgeprägt“, eine Einschätzung, der die Verfasserin nicht folgen kann, sind doch sowohl die Säulen, als auch besonders die Gebälkteile des Athena-Tempels im Funktionszusammenhang eines intakten Tempels angeordnet. Auch Grütter 1997, 121 sieht die Gebälkteile in der Nordmauer zu einseitig als „Zerstörungsdenkmal“, vgl. auch Steinbock 2013a, 324. Zur Bedeutung von Stadtzerstörungen in bildlicher Darstellung und Literatur vgl. Stähler 1992, 87, allerdings mit Bezug auf die Darstellungen der Zerstörung Trojas. Die Parallele zwischen Darstellungen der Zerstörung Trojas als mythischer Präfiguration der Zerstörung Athens in den Perserkriegen betont auch Kousser 2009, 274 f.: „myth served to exalt history and simultaneously to permit a contemplative distance from it“. Vgl. ebenfalls Steinbock 2013a, 325 f. Vgl. Kousser 2009, 271; Lindenlauf 2003, 55 betont dagegen die Wirkung der Nordmauer auf die Perser als „symbol of the unbroken force of Athens“. Warum diese Symbolik nicht auch für die Athener selbst von Bedeutung gewesen sein könnte, wird nicht ersichtlich, zumal dies von Lindenlauf dann auch für die perikleische Zeit angenommen wird. Erst jetzt stünden die Ruinen als Neuanfang für die bemerkenswerte athenische Entwicklung, „documenting its rise from the ashes into a powerful and wealthy city-state“ (ebenda, 56). Analog dazu stünde die Geschichte des verbrannten und wieder austreibenden Olivenbaumes auf der Akropolis bei Hdt. 8,55, vgl. dazu auch Schmidt-Hofner 2016, 358, ebenda auch zu dieser Symbolik in verschiedenen Dramen der klassischen Zeit. And. 1,108: „τοιγάρτοι διὰ ταῦτα, τὴν πόλιν ἀνάστατον παραλαβόντες ἱερά τε κατακεκαυμένα τείχη τε καὶ οἰκίας καταπεπτωκυίας, ἀφορμήν τε οὐδεμίαν ἔχοντες, διὰ τὸ ἀλλήλοις ὁμονοεῖν τὴν ἀρχὴν τῶν Ἑλλήνων κατηργάσαντο καὶ τὴν πόλιν ὑμῖν τοιαύτην καὶ τοσαύτην παρέδοσαν.“ Zur Zerstörung der Mauern als möglicher Hinweis auf eine archaische Stadtmauer vgl. Kap. 6.4.1.
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der Eroberung und den damit verbundenen sichtbaren Folgen stehen: Aufgrund ihrer Einigkeit seien die Athener in der Lage gewesen, den Nachfahren „diese schöne und großartige Stadt“ zu hinterlassen.49 Damit ist sicherlich auch die bauliche Ausgestaltung der Stadt gemeint, auf die der Redner gestisch verwiesen haben könnte. Der schmerzhafte Rückschlag habe die Polis also umso stärker gemacht und letztendlich zur Gründung des Seereiches geführt. Die Betonung der Einigkeit der Bürgerschaft und der Amnestie vergangener Vergehen sind der Situation des Andokides geschuldet, der in der Rede versucht, seine Wiederaufnahme in die Bürgerschaft zu erwirken – und das in einer Zeit nur wenige Jahre nach dem Ende des Peloponnesischen Krieges, in der sich seine Zuhörer noch selbst an erlittene Zerstörungen erinnerten und darum für solche Parallelen aus vergangener Zeit umso empfänglicher gewesen sein mussten. Der Redner konnte also gleichzeitig auf die noch sichtbaren Zerstörungen des gerade zurückliegenden Konfliktes und anhand der Spolien in der Nordmauer auch auf die Ruinen der Zeit der Perserkriege verweisen. Die Sichtbarkeit der Nordmauer vom Kerameikos aus konnte insbesondere in den Epitaphien eine Rolle spielen, die inmitten der Gräber der Gefallenen und mit einem guten Blick auf den betreffenden Abschnitt der Nordmauer gehalten wurden. Besonders bildlich wird die Situation vor der Schlacht bei Salamis in der Lysias zugeschriebenen Gefallenenrede geschildert. Nachdem sich die Athener bewusst dafür entschieden hatten, ihre Stadt für die Rettung ganz Griechenlands zu opfern, „war ihnen klar, dass ihre Stadt verlassen war, ihr Land verwüstet und von Barbaren überlaufen, dass ihre Tempel verbrannt waren und Schrecken aller Art ihnen bevorstanden.“50 Hier sind es ausdrücklich die ἱερά, die das Ausmaß der Zerstörung deutlich machen, neben den zahlreichen Tempeln im attischen Umland werden besonders die Tempel der Akropolis gemeint gewesen sein. Fasst man „ἐγγὺς“ nicht nur zeitlich, sondern auch und zugleich räumlich auf, wird gleichzeitig darauf hingewiesen, dass all diese Dinge für die Athener bei Salamis oder in Troizen „nahebei“ geschehen waren: „ἁπάντων δ’ἐγγὺς ὄντων τῶν δεινῶν.“ Für eine räumliche Interpretation spräche die Tatsache, dass der Brand insbesondere der Akropolis von den Athenern, die sich auf oder bei Salamis 49 50
And. 1,108. Lys. 2,37: „ἐπιστάμενοι δὲ τὴν μὲν πόλιν ἠρημωμένην, τὴν δὲ χώραν πορθουμένην καὶ μεστὴν τῶν βαρβάρων, ἱερῶν δὲ καομένων, ἁπάντων δ’ἐγγὺς ὄντων τῶν δεινῶν“ (Übers. I. Huber). Zur bildlichen Schilderung an dieser Stelle vgl. auch J. Shear 2013, 524–526. Ob diese Rede tatsächlich als Epitaphios bei einem öffentlichen Begräbnis für die Gefallenen eines Kriegsjahres gehalten wurde, oder ob es sich um ein Musterstück für Schulzwecke handelt, ist umstritten: vgl. dazu zusammenfassend Todd 2007, 159–164, der den Standpunkt vertritt, dass es sich tatsächlich um eine Rede des Lysias gehandelt habe, die aber wohl kaum offiziell und öffentlich als Gefallenenrede gehalten worden sei, sondern vielmehr als Pamphlet zirkulierte und eine breite Leserschaft fand (163:„a display piece which gained a wide readership“); ähnlich Dover 1968, 197. In jedem Fall handelt es sich um ein typisches Beispiel für Gefallenenreden. Die Wiedergabe „aktueller politischer Semantiken“ in dieser Rede betont auch Schmidt-Hofner 2016, 360. Zu den Elementen der Sichtbarkeit und der bildlichen Beschreibung in Lys. 2,34–43 vgl. O’Connell 2017, 146–148.
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befanden, zu sehen gewesen sein muss. 51 Ähnlich nah und präsent sind die Ereignisse durch die Sichtbarkeit der Nordmauer der Akropolis mit den Spolien in unmittelbarer Nachbarschaft des Kerameikos in der Gefallenenrede im Jahr 391. Wie in der Rede des Andokides ist auch hier die mit der Zerstörung verbundene Niederlage schnell vergessen, da Lysias diese in eine detailreiche Beschreibung der Schlacht bei Salamis einbettet und die nachfolgende Hegemonie Athens über Griechenland betont.52 Die Zerstörung der Stadt bildet damit historisch, ideologisch und symbolisch das Fundament für die neue Stärke Athens. Auch der „Panegyrikos“ des Isokrates aus dem Jahr 380, der epideiktische und deliberative Redeelemente verbindet,53 bringt die Zerstörung der Stadt gleichzeitig mit dem Erfolg bei Salamis zur Sprache, der in der Hauptsache den Athenern zu verdanken gewesen sei. Diese Passage bietet einerseits das bekannte Schema des Opfers Athens für die Rettung ganz Griechenlands: Die Athener verlassen ihre Stadt und nehmen die Zerstörung in Kauf, um die übrigen Griechen vor der Versklavung zu bewahren. Bemerkenswert ist aber, dass dabei gleich zweifach eine visuelle und räumliche Komponente mit eingebracht wird. Zunächst wird das Schicksal herausragender Menschen demjenigen mächtiger Städte gegenübergestellt. So wie es für einen solchen Menschen besser sei, ruhmvoll zu sterben, als in Schande zu leben, sei es auch für eine Stadt besser, „aus den Augen der Menschheit zu verschwinden, als in einem Zustand der Knechtschaft gesehen zu werden“.54 Hier wird die für alle sichtbare Vernichtung als absolute Auslöschung gedacht, demgegenüber steht die Versklavung durch andere, die ebenso für alle anderen sichtbar ist. Nach dieser allgemeinen Feststellung folgt die Schilderung der Evakuierung der Stadt: „Wie könnte man jedoch tüchtigere oder den Hellenen freundlicher gesinnte Männer aufweisen als die Athener von damals? Sie mußten ja den Anblick ertragen, wie ihre Polis entvölkert, ihr Land verwüstet wurde, ihre Heiligtümer ausgeraubt und ihre Tempel niedergebrannt wurden, ja wie der 51 52
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Vgl. Francis 1980, 71; Krasilnikoff 2015, 201 f. Lys. 2,34–43, die Hegemonie Athens wird dabei insbesondere in 43 betont. Eine kürzere Version der Abfolge von Eroberung und Hegemonie findet sich bei Isokr. 6,43 und 7,6, in der aber nicht von der Zerstörung der Tempel, sondern noch allgemeiner von der Zerstörung bzw. Eroberung Athens die Rede ist. Das Beziehen von Kraft aus der größten Schwäche wird dem sorglosen Verhalten im Peloponnesischen Krieg gegenüber gestellt. Damals habe man sich unbesiegbar geglaubt und sei als Folge davon beinahe versklavt worden. Noch allgemeiner Isokr. 4,71–72, wo „größte Gefahren“ überwunden werden („πλείστων κινδύνων εἰς τὸν αὐτὸν χρόνον συμπεσόντων“) und im Folgenden die Athener die Hegemonie als „Preis der Tapferkeit“ erhalten („εὐθὺς μὲν τῶν ἀριστείων ἠξιώθησαν, οὐ πολλῷ δ᾽ ὕστερον τὴν ἀρχὴν τῆς θαλάττης ἔλαβον“). Wie die meisten der „Reden“ des Isokrates, zirkulierte auch der „Panegyrikos“ in schriftlicher Form für ein breiteres Lesepublikum. Ob der Panegyrikos auch auf einem der panhellenischen Feste als offizieller panegyrikos logos verlesen wurde, ist unklar, vgl. Buchner 1958; Papillon 2004, 27; Blank 2014, 160–164; zusammenfassend Schmidt-Hofner 2016, 367. Isokr. 4,95: „ἀλλ᾽ ὥσπερ τῶν ἀνδρῶν τοῖς καλοῖς κἀγαθοῖς αἱρετώτερόν ἐστι καλῶς ἀποθανεῖν ἢ ζῆν αἰσχρῶς, οὕτω καὶ τῶν πόλεων ταῖς ὑπερεχούσιας λυσιτελεῖν ἐξ ἀνθρώπων ἀφανισθῆναι μᾶλλον ἢ δούλαις ὀφθῆναι γενομέναις.“ Übers. Ch. Ley-Hutton.
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gesamte Krieg sich auf ihr eigenes Vaterland konzentrierte und all dies nur, damit sie nicht schuldig würden an einer Versklavung der übrigen Griechen.“55 Sowohl die evakuierte Bevölkerung auf Salamis als auch die auf den Schiffen versammelten Mannschaften werden Zeugen der Zerstörung ihrer Stadt und insbesondere der Akropolis. Diese Sichtbarkeit, die auch von den Athenern hundert Jahre später nachvollzogen werden konnte, steigert die Eindrücklichkeit des geschilderten Ereignisses. Bei der folgenden Schilderung des Sieges bei Salamis werden die Athener als maßgeblich verantwortlich für den Sieg dargestellt, da sie trotz der unmittelbar zuvor erlittenen Verluste die meisten Schiffe für die Schlacht stellten. Als Konsequenz aus dem geschilderten Verhalten der Athener sollten diese auch in dem von Isokrates geforderten Feldzug gegen das Perserreich die Führungsrolle übernehmen.56 In den Kontext der Zerstörung der Akropolis durch die Perser und die Erinnerung an dieses Ereignis gehört auch die Überlieferung des sogenannten Eides von Plataiai, der entweder für ein authentisches Dokument eines von den Griechen vor der Schlacht bei Plataiai 479 geschworenen Eides oder für eine Fälschung des 4. Jahrhunderts gehalten wird.57 Der Eid ist in verschiedenen Quellengattungen in unterschiedlicher Form überliefert. Zunächst findet er sich als Teil einer Inschrift aus dem Demos Acharnai, die in die Mitte des 4. Jahrhunderts datiert werden kann, und die durch Dion, einen Priester der Athena Areia und des Ares, aufgestellt wurde, wobei auf dem gleichen Stein auch der so genannte Ephebeneid aufgezeichnet wurde.58 Literarisch bezeugt ist der Eid, wenn auch in anderer Form, in der Rede des Lykurgos „Gegen Leokrates“ 55
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Isokr. 4,96: „Καίτοι πῶς ἂν ἐκείνων ἄνδρες ἀμείνους ἢ μὰλλον φιλέλληνες ὄντες ἐπιδειχθεῖεν, οἴτινες ἔτλησαν ἐπιδεῖν, ὥστε μὴ τοῖς λοιποῖς αἴτιοι γενέσθαι τῆς δοθλείας, ἐρήμην μὲν τὴν πόλιν γενομένην, τὴν δὲ χώραν πορθουμένην, ἱερὰ δὲ συλώμενα καὶ νεὼς ἐμπιπραμένους, ἅπαντα δὲ τὸν πόλεμον περὶ τῆν πατρίδα τὴν αὑτων γιγνόνμενον;“ Übers. Ch. Ley-Hutton. Isokr. 4,97–99. Für die Authentizität des Eides sprechen sich Siewert 1972; Grütter 1997, 121; Van Wees 2006, 126; 151–154 (allerdings nur für die inschriftliche Version, die er als „an accurate copy of a genuine early fifth-century document“ bezeichnet (151), während die literarische Überlieferung als „radically altered version of it, which glorified Athens and deserved to be called a forgery“ (126) bezeichnet wird) aus. Krentz 2007 möchte den Eid auf der Stele in Acharnai nicht als Eid von Plataiai, sondern als Eid der Athener vor der Schlacht bei Marathon verstanden wissen; ähnlich auch Hall 2014, 72. Eine Fälschung vermuten dem ersten Herausgeber Robert 1938, 307–316 folgend u. a. auch Habicht 1961, 11 f.; Thomas 1989, 83–86 und Lindenlauf 2003, 56 sowie zuletzt Cartledge 2013 mit einer ausführlichen Besprechung des historischen Kontextes. Zweifel sind auch und insbesondere mit Blick auf die weiteren literarischen Quellen angebracht: So berichtet Hdt. 9,19 bei der Schilderung der Vorbereitungen der Schlacht von Plataiai nichts von einem solchen Eid und Theopompos FGrH 115 F 153 bezeichnet den Eid als eine „athenische propagandistische Erfindung“ (Engels 2008, 156; vgl. zur Quelle auch Van Wees 2006, 149 f.). Ein Überblick über die Forschungskontroverse findet sich bei Engels 2008, 156 mit Anm. 132; Hartmann 2010, 181 mit Anm. 806 mit Quellen und Literatur. Vorsichtig abwägend Rhodes/Osborne 2003, 442–449 (Nr. 88) mit dem Fazit: „On current evidence the historicity of a Plataeae oath can be neither proved nor disproved“ (449); zu einem ähnlichen Schluss kommt auch Raaflaub 1985/2004, 60. Rhodes/Osborne 2003, Nr. 88 mit den Nachweisen und weiterer Literatur. Die ausführlichste Diskussion der Inschrift und der ihr zugeordneten literarischen Überlieferung bietet Siewert 1972. Vgl.
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sowie bei Diodor.59 Über die Frage der Authentizität des Eides insgesamt hinaus ist gerade das für die Thematik der Räumlichkeit zentrale Element des Eides, nämlich der Schwur, die von den Persern zerstörten Heiligtümer als Mahnmal des begangenen Frevels stehen zu lassen und nicht durch neue Bauten zu ersetzen, umstritten. In der erhaltenen inschriftlichen Version aus der 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts findet sich diese Klausel nicht, wenn sie auch von mehreren Rednern des 4. Jahrhunderts angeführt wird – ihre Historizität muss also bezweifelt werden.60 Von Peter Rhodes und Robin Osborne wird zwar hervorgehoben, dass dieser Schwur in der aktualisierten Inschrift aus Acharnai ausgelassen worden sein könnte. Andererseits ist es Hans van Wees zufolge unwahrscheinlich, dass eine solche Klausel, die so stark athenische Interessen berührte – schließlich waren insbesondere die Tempel Athens von der Zerstörung durch die Perser betroffen – und die darüber hinaus die Frömmigkeit in einem speziellen Fall betont, gerade von einem athenischen Priester, der die Stele von Acharnai in Auftrag gegeben hatte, ausgelassen worden sein soll.61 Wie fügt sich das Versprechen, die von den Persern zerstörten Heiligtümer nicht wieder zu errichten, in die Reden des 4. Jahrhunderts ein? Ohne den Eid von Plataiai zu erwähnen und ohne direkten Bezug zu Athen wird von Isokrates im „Panegyrikos“, der um 380 zu datieren ist, ein Schwur der Ionier des gleichen Inhalts erwähnt.62 An den verbrannten Tempeln sollte weder etwas geändert noch wiederhergestellt werden. Die Funktion der zerstörten Überreste sei es gewesen, „für die Nachwelt ein Mahnmal für barbarische Gottlosigkeit“ zu sein und demzufolge diesen „Barbaren“ niemals Vertrauen zu schenken. Stattdessen ergibt sich folgende Konsequenz: „Jeder sollte sich vor solchen Menschen in acht nehmen und sie fürchten, wenn er sehen könne, daß die Perser nicht nur gegen uns persönlich, sondern auch gegen Heiligtümer Krieg geführt haben.“63 Der Akt des Sehens ist also notwendig, um Wissen über vergangene Ereignisse zu erwerben und die daraus erwachsenden Ratschläge zu befolgen.
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neuerdings auch Kellogg 2008; 2013. Zu den Motiven für die Fälschung bzw. Rekonstruktion von Inschriften im 4. Jahrhundert vgl. ausführlich Kap. 5.4.1. Lykurg. 1,81; Diod. 11,29,3–4. Vgl. ausführlich Siewert 1972, 102–106, der u. a. auch stilistische Gründe für die nachträgliche Einfügung der Klausel anführt; Van Wees 2006, 148 f.; Kellogg 2008, 360; Engels 2008, 156; Hartmann 2010, 181. Gleiches gilt für das in diesem Zusammenhang bei Plut. Perikles 17,1 angeführte sogenannte Kongressdekret des Jahres 449/8, in dem vorgeschlagen wurde, das Verbot des Wiederaufbaus zerstörter Tempel (zumindest teilweise) aufzuheben. Vgl. dazu Hartmann 2010, 181 Anm. 809 mit den Quellen und weiterer Literatur. Rhodes/Osborne 2003, 447; Van Wees 2006, 148. Nach Van Wees 2006, 149 ein weiteres Indiz dafür, dass die Klausel bezüglich der zerstörten Heiligtümer nicht Teil des ursprünglichen Eides von Plataiai gewesen sein kann – hätte doch Isokrates in diesem Fall ein solches lobenswertes Verhalten nicht den Ioniern, sondern gleich den Athenern zugeschrieben. Isokr. 4,156: „διὸ καὶ τοὺς Ἴωνας ἄξιον ἐπαινεῖν, ὅτι τῶν ἐμπρησθέντων ἱερῶν ἐπηράσαντο εἴ τινες κινήσειαν ἀποροῦντες πόθεν ἐπισκευάσωσιν, ἀλλ᾽ ἵν᾽ ὑπόμνημα τοῖς ἐπιγιγνομένοις ᾖ τῆς τῶν βαρβάρων ἀσεβείας, καὶ μηδεὶς πιστεύῃ τοὶς τοιαῦτα εἰς τὰ τῶν θεῶν ἐξαμαρτεῖν τολμῶσιν, ἀλλὰ καὶ
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In der Rede des Lykurgos „Gegen Leokrates“ wird 50 Jahre nach dem Panegyrikos dann sogar der Eidestext zitiert, der von den versammelten Griechen vor der Schlacht bei Plataiai 479 geschworen worden sein soll. Ein Abschnitt dieses Eidestextes soll demnach besagt haben: „Ich werde kein einziges der Heiligtümer, die von den Barbaren niedergebrannt und zerstört worden sind, wieder aufbauen, sondern sie als Zeichen der Erinnerung an die frevelhafte Gottlosigkeit der Barbaren für die nachkommenden Generationen zurücklassen.“64
Die große Ähnlichkeit im Wortlaut der bei Isokrates und dann bei Lykurgos überlieferten Klausel zu den Heiligtümern haben Peter Siewert dazu bewogen, in Isokrates den „Erfinder“ einer solchen Klausel zu sehen, die dann als Eid aller Griechen vor Plataiai in die literarische Tradition eingegangen sei.65 In beiden Texten wird eine Handlung in der Gegenwart beschworen, nämlich die Heiligtümer in ihrem zerstörten Zustand zu belassen, und dann der Grund dafür genannt. Als ὑπόμνημα, als Denkmal für die Zukunft, für kommende Generationen, sollen die Ruinen stehen bleiben, also für diejenigen, die als Zuhörer und Richter dem Prozess gegen Leokrates folgen.66 Wichtig in Zusammenhang mit den Reden ist es nicht oder nicht vorrangig, die tatsächliche Existenz eines solchen Eides in dieser oder jener Form nachzuweisen. Vielmehr ist es von Bedeutung, dass der Eid insbesondere bei Lykurgos in dieser Form angeführt werden konnte – das heißt der Redner erhoffte sich davon eine bestimmte Reaktion von seinen Zuhörern, und das, obwohl viele der Heiligtümer, die die Perser auf der Akropolis und anderswo zerstört hatten, längst durch neuere und prachtvollere Bauten ersetzt worden waren. Ein Mahnmal dieses Ereignisses, nämlich gerade die benannten zerstörten, nicht wiedererrichteten Tempel, war als Teil der Nordmauer der Akropolis zu sehen. Gleich hinter diesem Mauerabschnitt könnte zudem die Cella des archaischen Tempels der Athena Polias noch bis in die Kaiserzeit gestanden haben – eine Ruine oder zumindest ein Überrest, der beim Betreten der Akropolis unmittelbar hinter der
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φυλάττωνται καὶ δεδίωσιν, ὁρωντες αὐτοὺς οὐ μόνον τοῖς σώμασιν ἡμῶν ἀλλὰ καὶ τοῖς ἀναθήμασι πολεμήσαντας.“ Übers. Ch. Ley-Hutton. Dass die Zerstörung von Heiligtümern der Feinde auch bei den Griechen eine durchaus gängige Praxis war, betont Kousser 2009, 267–269; 263. Unter anderem hätten die Perser ihre Zerstörung griechischer Heiligtümer nach Hdt. 5,102 als Racheakt für die Zerstörung der Heiligtümer von Sardeis im Rahmen des Ionischen Aufstandes begründet; vgl. auch Lindenlauf 2003, 55. Lykurg. 1,81: „καὶ τῶν ἱερῶν τῶν ἐμπρησθέντων καὶ καταβληθέντων ὑπὸ τῶν βαρβάρων οὐδὲν ἀνοικοδομήσω παντάπασιν, ἀλλ’ὑπόμνημα τοῖς ἐπιγιγνομένοις ἐάσω καταλείπεσθαι τῆς τῶν βαρβάρων ἀσεβείας.“ Übers. J. Engels. Zum Redekontext ausführlich Kap. 2. Die entsprechende Klausel überliefern auch Diod. 11,29,3–4 (basierend auf Ephoros) sowie Paus. 10,35,2. Vgl. Siewert 1972, 105 f. Siewerts Vermutung, dass Lykurgos wohl ursprünglich den inschriftlichen Text zitiert, die nun im Text enthaltene literarische Fassung dagegen „nachträglich von einem späteren Herausgeber der Lykurgrede aus Ephoros eingelegt“ (108) wurde, ist nicht plausibel. Eine Entstehung der Tempelklausel als Eid der Griechen in der Generation nach 380 vermutet auch Van Wees 2006, 149. Vgl. Gehrke 2014, 27.
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bronzenen Athenastatue sichtbar gewesen sein muss. Zudem blieb der Altar vor dem alten Athenatempel weiterhin Zentrum des Kultes auf der Akropolis.67 Die Bedeutung des Eides insbesondere in Verbindung mit der Tempelklausel wird von Andreas Hartmann treffend in diesem Sinne formuliert: „Dass diese Fassung des Eides ganz offensichtlich ein feststehender Bestandteil der literarischen Tradition wurde, zeigt, dass dergleichen vorstellbar und plausibel war. Gerade wenn man also die Authentizität des Eides in dieser Form negiert, muss man annehmen, dass es zum Zeitpunkt seiner Fabrizierung noch ruinöse Tempelbauten gab, welche die Entstehung einer solchen aitiologischen Legende nahelegten.“68
Indirekt spielt die Zerstörung der Stadt eine Rolle, wenn auf die Opferrolle Athens vor der Schlacht bei Salamis hingewiesen wird. Immer geht Athen gestärkt aus dieser Prüfung hervor. So heißt es in der „Zweiten Rede gegen Philipp“ des Demosthenes aus dem Jahr 344, die Athener hätten nicht nur ein für sie unrühmliches Friedensangebot des Perserkönigs ausgeschlagen, sondern es vorgezogen, „ihr Land zu verlassen und jede beliebige Mühsal auf sich zu nehmen; und danach vollbrachten sie Taten, die alle immer gern im Munde führen, aber niemand würdig zu schildern vermag; deshalb werde auch ich sie besser übergehen (denn sie sind größer, als daß sie jemand mit Worten beschreiben könnte)“.69
Da Demosthenes hier die Ereignisse des Jahres 479 schildert, muss das nochmalige Verlassen der Stadt in diesem Jahr und der nachfolgende Erfolg der Schlacht bei Plataiai gemeint sein. Sicherlich soll aber gleichzeitig an die im Jahr davor stattfindende 67
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Vgl. Rhodes/Osborne 2003, 447, die in Verbindung mit dem Tempel der Athena Polias ausdrücklich auf die Möglichkeit hinweisen, im 4. Jh. auf den Eid von Plataiai zu verweisen und dabei auf die Ruine des Tempels der Athena Polias zu zeigen. Vgl. ebenfalls Ferrari 2002, 14–31; Kellogg 2008, 360 mit Anm. 17; Hall 2014, 68 f.; Martin-McAuliffe/Papadopoulos 2012, 346; Krasilnikoff 2015, 202 f. Vgl. Hartmann 2010, 183–186 (mit der Literatur gegen die Fortexistenz des alten Tempels Anm. 834). Die Sichtbarkeit von Ruinen der Akropolisbauten auch noch im 4. Jahrhundert wird hingegen von Engels 2008, 156 außer Acht gelassen: „Die Zuhörer Lykurgs konnten ja mit einem Blick auf die Akropolis und über ihre Stadt Athen sehen, daß diese Klausel des Eides nicht erfüllt worden war, sofern sie wirklich 479 beschworen worden sein sollte.“ Hartmann 2010, 181; vgl. auch Rhodes/Osborne 2003, 447. Vgl. Hartmann 2010, 182 auch zur weiteren literarischen Tradition um verbrannte Überreste auf und um die Akropolis, die von den antiken Autoren meist mit den Zerstörungen durch die Perser in Verbindung gebracht wurden, u. a. bei Hdt. 5,77,3 sowie später bei Paus. 1,27,6. Hier zeige sich eine „deutliche Tendenz, nicht mehr verstandene historische Monumente durch die Fokussierung des griechischen Geschichtsbewusstseins auf die Perserkriege mit neuer Bedeutung zu füllen.“ Demosth. 6,11: „εὑρίσκει γὰρ οἶμαι καὶ ἀκούει τοὺς μὲν ὑμετέρους προγόνους, ἐξὸν αὐτοῖς τῶν λοιπῶν ἄρχειν Ἑλλήνων ὥστ’ αὐτοῖς ὑπακούειν βασιλεῖ, οὐ μόνον οὐκ ἀνασχομένους τὸν λόγον τοῦτον, ἡνίκ’ ἦλθεν Ἀλέξανδρος ὁ τούτων πρόγονος περὶ τούτων κῆρυξ, ἀλλὰ καὶ τὴν χώραν ἐκλιπεῖν προελομένους καὶ παθεῖν ὁτιοῦν ὑπομείναντας, καὶ μετὰ ταῦτα πράξαντας ταῦθ’ ἃ πάντες αἰεὶ γλίχονται λέγειν, ἀξίως δ’ οὐδεὶς εἰπεῖν δεδύνηται, διόπερ κἀγὼ παραλεῖψω δικαίως (ἔστι γὰρ μείζονα τἀκείνων ἔργα ἢ ὡς τῷ λόγῳ τις ἂν εἴποι).“ Übers. W. Unte.
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Die Akropolis
Schlacht bei Salamis erinnert werden.70 Eine explizite Verknüpfung von dem Verlassen der Stadt mit dem Erfolg bei Salamis hatte Demosthenes schon zuvor in einer Gerichtsrede genutzt.71 In beiden Fällen kann die Stadt aus einer aussichtslosen Lage gestärkt hervorgehen, wobei weder diese Aussichtslosigkeit noch die darauf folgenden Siege detailliert geschildert, ja nicht einmal namentlich benannt werden müssen. In beiden Fällen weist Demosthenes darauf hin, dass die folgenden Schilderungen allen durch mündliche Überlieferung bekannt seien.72 Eine nicht unwahrscheinliche Aussage, wenn man bedenkt, wie kurz jeweils auf das selbstgewählte Exil und den folgenden Sieg hingewiesen wird. Die ersten Hinweise auf eine solche Kombination der Zerstörung der Stadt und der nachfolgenden Hegemonie finden sich schon in den zu Beginn des Abschnitts besprochenen Reden des Andokides und des Lysias vom Beginn des 4. Jahrhunderts.73 Auch Isokrates erwähnt in mehreren seiner Reden über einen Zeitraum von gut 30 Jahren hinweg das Opfer der Athener zur Sicherstellung der Freiheit aller Griechen.74 Dieser Lobpreis der Vorfahren zu Zeiten der Perserkriege kann auch mit Kritik am gegenwärtigen Verhalten der Bürger verbunden sein: Im Gegensatz zu den Vorfahren, die ihr Land verließen, um die Freiheit Anderer sicherzustellen, und die Barbaren zu Lande und zu Wasser besiegten, seien die Zeitgenossen noch nicht einmal bereit, zum eigenen Vorteil Risiken auf sich zu nehmen.75 Mit den Siegen zu Lande und zu Wasser sind sicherlich die Kämpfe bei Plataiai und Salamis gemeint.76 In der Rede „An Philipp“ ist es gerade dieses Aufopfern der eigenen Stadt für die Freiheit der Anderen, das Athen noch vor den Schlachten bei Marathon und Salamis zu Ruhm verholfen habe.77 Je nach Redekontext kann diese Strategie auch mit den Einflussmöglichkeiten der großen Redner und Strategen der Perserkriege in Zusammenhang gebracht werden. In der „Antidosis-Rede“, in der Isokrates sich bemüht, den Einfluss führender Redner auf die Geschicke der Stadt nachzuweisen, ist es darum Themistokles, der die Vorfahren davon überzeugt, die Stadt zu verlassen. Als Ergebnis seien die Athener „für lange Zeit zu Herrschern über die Griechen“ geworden.78 Und im „Panathenaikos“ heißt es wiederum in Zusammenhang mit der Schlacht bei Salamis, Sparta habe, obwohl es doch die 70 71 72 73 74 75 76 77 78
Vgl. Unte 2002, 246 f. Anm. 8 ad loc. Demosth. 22,13. Vgl. ähnlich, jedoch noch stärker verkürzt Demad. 45. Demosth. 22,13: „ἃ δ᾽οὖν πᾶσι μάλιστ᾽ ἀκοῦσαι γνώριμα […].“ Lys. 2,34–43; And. 1,108. Ob die Allgemeinheit der Athener auch aus der schriftlichen Überlieferung über die Ereignisse unterrichtet war, wie Demosth. 6,11 zusätzlich behauptet, darf dagegen bezweifelt werden, vgl. Kap. 1.6. Isokr. 5,147; 6,43; 6,83; 8,43; 12,50; 14,57; 15,233, knapp auch Isokr. 7,6. Isokr. 8,43. Vgl. Papillon 2004, 146 Anm. 28 ad loc. Isokr. 5,147: „ἐκ δὲ τῆς Μαραθῶνι μάχης καὶ τῆς ἐν Σαλαμῖνι ναυμαχίας, καὶ μάλισθ᾽ ὅτι τὴν αὑτῶν ἐξέλιπον ὑπὲρ τῆς τῶν Ἑλλήνων σωτηρίας, ἅπαντες αὐτὴν ἐγκωμιάζουσιν.“ Vgl. 6,83 mit ähnlichem Wortlaut, wenn auch in völlig anderem Kontext. Isokr. 15,233. Vgl. auch den Kommentar bei Too 2008, 204 ad loc.
Die Statue der Athena „Promachos“ und Beutestücke aus den Perserkriegen
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gesamte Peloponnes kontrollierte, nur zehn Trieren zur Verfügung gestellt, während die Athener, die doch gerade ihre Stadt verlassen mussten und „heimatlos geworden waren“ („ἀνάστατοι γενόμενοι“), mehr und bessere Schiffe beigesteuert hätten als alle anderen Verbündeten zusammen.79 Handelt es sich also jeweils um unterschiedliche Redekontexte mit verschiedenen Schwerpunkten, lautet die Kernbotschaft doch stets: Die Athener mussten die Zerstörung ihrer Stadt als großen Rückschlag verkraften, haben aber trotzdem in der Folge ruhmreiche Siege errungen und haben gerade deswegen mit Recht die Vorherrschaft über ganz Griechenland erlangt. Die Zerstörung der Tempel, das Verlassen oder die Eroberung der Stadt: all diese Rückschläge, die von den Rednern niemals als Niederlagen bezeichnet werden, sind immer direkt mit dem (Wieder)Aufstieg der Stadt verbunden. Eine bildlich-sichtbare Parallele dazu bot die Mauer um die Akropolis, indem sie einerseits von der neuen Verteidigungsfähigkeit der Stadt kündete, andererseits aber durch die Verbauung von Spolien der zerstörten Tempel auch die Erinnerung an diese Zerstörung mit einschloss. Die Nordmauer und darin verbauten Spolien werden von den Rednern zwar nie direkt benannt, bilden aber den visuellen Rückhalt für die Erzählungen der Redner von Zerstörung und Wiederaufbau. 3.3 Die Statue der Athena „Promachos“ und Beutestücke aus den Perserkriegen Betrat der Athener durch die Propylaia kommend die Akropolis, so ist anzunehmen, dass sein Blick zunächst auf eine kolossale Bronzestatue der Athena gelenkt wurde, die, mit dem Gesicht zum Eingang, der Ostseite des Torbaus direkt gegenüber stand.80 Durch ihre Höhe von neun Metern ragte sie über den Mauerring der Akropolis hinaus und war damit auch aus der umliegenden Stadt zu sehen. Darüber hinaus berichtet Pausanias, dass Speerspitze und Helmbusch der Statue von den Schiffen, die sich von Sounion näherten, zu sehen waren, wenn sich die Sonne in dem Metall spiegelte.81 Das Aussehen der Statue selbst kann aus erhaltenen Nachbildungen auf Bronzemünzen des 79 80
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Isokr. 12,50. Vgl. ähnlich Isokr. 4,97–99. Vgl. die Rekonstruktionsskizze bei Stevens 1936, 494 Abb. 44 sowie Kousser 2009, 272; Monaco 2009, 275. Diese Statue wird in der Forschung gemeinhin als Athena Promachos bezeichnet. Hierbei handelt es sich jedoch um eine spätere Benennung durch Schol. Demosth. 22,13 (45 Dilts). In den Quellen des 5. und 4. Jahrhunderts wird die Statue durchweg als „bronzene Athena“ („Ἀθηνᾶ χαλκῆν“) bezeichnet. Vgl. auch K. Hallof / J. Raeder / B. Seidensticker, s. v. „Phidias“, Nr. 7, in: DNO 2 (2014) mit der ausführlichen Dokumentation der antiken Quellen zum Standbild. Paus. 1,28,2: „ἄγαλμα Ἀθηνᾶς χαλκοῦν ἀπὸ Μήδων τῶν ἐς Μαραθῶνα ἀποβάντων, τέχνη Φειδίου […] ταύτης τῆς Ἀθηνᾶς ἡ τοῦ δόρατος αἰχμὴ καὶ ὁ λόφος τοῦ κράνους ἀπὸ Σουνίου προσπλέουσίν ἐστιν ἤδη σύνοπτα“. Vgl. auch Stevens 1936, 491–499. Die Höhe von neun Metern bezieht sich auf das gesamte Monument, das heißt die Statue mit ihrer Basis. Die Statue allein wird wohl eine Höhe von ca. 7,50 m gehabt haben, vgl. die Überlegungen K. Hallof / J. Raeder / B. Seidensticker, s. v. „Phidias“, Nr. 7, in: DNO 2 (2014).
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Die Akropolis
2. und 3. Jahrhunderts n. Chr. nur ungefähr rekonstruiert werden.82 Die Statue war in Ponderation und Haltung wahrscheinlich der Athena Parthenos ähnlich. Ihren Schild schmückten getriebene Reliefs, eine Lanze war gegen die linke Schulter gelehnt. In der vorgestreckten rechten Hand trug sie vermutlich eine Nike als Attribut der Sieghaftigkeit. Sie war mit einem Peplos und einem Helm unbestimmten Typs bekleidet.83 Das Bildprogramm des Schildes könnte metaphorisch zur Erinnerung an die Perserkriege beigetragen haben: Pausanias zufolge war der Schild mit Darstellungen der Zentaurenkämpfe geschmückt, ein Thema, das sich auf der Akropolis auch auf den Südmetopen des Parthenon wiederholte.84 An der Kolossalstatue der Athena wäre dann zum ersten Mal in Athen der Versuch gemacht worden, die Perserkriege durch mythische Bilder in Szene zu setzen.85 Die kolossale Bronzestatue wurde in den Jahren zwischen 467 und 447, also noch vor dem Start des umfangreichen Bauprogramms auf der Akropolis, errichtet. Aus den erhaltenen Bauabrechnungen lassen sich die enormen Kosten von 83 Talenten erschließen, die innerhalb von neun Jahren für dieses Standbild aufgewendet wurden.86 Insbesondere in der Zeit ihrer Errichtung, als der Parthenon und andere Bauten noch nicht standen, hat das Erscheinungsbild der Statue die Akropolis insgesamt dominiert – eine Tatsache, die für das 4. Jahrhundert nicht mehr gilt, trotzdem aber die außergewöhnliche Stellung des Standbildes unterstreicht, als erstes Zeichen neben den Akropolismauern, dass Athen wieder zu neuer Stärke gelangt war.87 Zu dieser Symbolik gehörte auch die Positionierung der Statue innerhalb der Ruinen: Das Standbild stand direkt vor den Überresten des Tempels der Athena Polias.88 Kann diese Statue auch in den Reden als Erinnerungsträger genutzt werden?
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Vgl. zu den Münzdarstellungen die Zusammenstellung bei K. Hallof / J. Raeder / B. Seidensticker, s. v. „Phidias“, Nr. 7, in: DNO 2 (2014) mit den Belegen und weiterer Literatur. Vgl. Gauer 1968a, 105 mit den Quellen und weiterer Literatur. Zur Nike als wahrscheinliches Attribut vgl. auch Kousser 2009, 263, zu den verschiedenen Rekonstruktionsmöglichkeiten vgl. Palagia 2013, 119–124. Paus. 1,28,2; Vgl. Knell 1990, 98–101. Die Kentauromachie erscheint außerdem am westlichen Cellafries des Hephaisteions an der Agora, vgl. Knell 1990, 133–136. Vgl. Kousser 2009, 272. Dagegen die Vermutung bei T. Hölscher / Simon 1976, 131, die Schilddarstellung der bronzenen Athena sei erst unter dem Einfluss der Amazonomachie auf dem Schild der Parthenos nachträglich gefertigt worden – die Wahl sei dabei auf die Kentauromachie als komplementäres Thema zur Amazonomachie gefallen. IG I3 435. Vgl. Kousser 2009, 272, zur Datierungsproblematik vgl. auch Monaco 2009, 279 sowie Palagia 2013, die für eine Errichtung zeitgleich mit der Athena Parthenos, also im Rahmen des Perikleischen Bauprogramms plädiert. Vgl. besonders Kousser 2009, 272 sowie Gehrke 2001, 303; Martin-McAuliffe/Papadopoulos 2012, 345 f. und bereits Raubitschek/Stevens 1946 zur besonderen visuellen Prominenz des Standbildes, die möglicherweise noch durch rund um die Basis aufgestellte Tropaia gesteigert worden sein könnte. Vgl. Kousser 2009, 272, die davon ausgeht, dass die Basis in situ erhalten ist, und damit eine Ausrichtung der Statue an der Achse des Tempels zeige. Vgl. hingegen kritisch K. Hallof / J. Raeder / B.
Die Statue der Athena „Promachos“ und Beutestücke aus den Perserkriegen
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Demosthenes lässt im Jahr 343 die Inschrift gegen Arthmios aus Zeleia verlesen, um dadurch exemplarisch auf den Umgang der Vorfahren mit Verrätern zu verweisen.89 Arthmios war proxenos der Athener in seiner Heimatstadt und soll nach Auskunft mehrerer Redner zwischen 477 und 461 mit persischem Gold auf die Peloponnes gekommen sein, um Unfrieden zwischen den dortigen Poleis und Athen zu schüren. Daraufhin wurde er von den Athenern in Athen selbst und im Gebiet der Bundesgenossen zum atimos und Feind erklärt.90 Neben der paradigmatischen Funktion der Geschichte geht es Demosthenes auch darum, das Dokument genau zu verorten. Die Inschrift stehe auf der Akropolis, ταυτησὶ impliziert ein gleichzeitiges gestisches Verweisen des Demosthenes auf den benannten Ort, der vom Gerichtshof aus zu sehen gewesen sein könnte.91 Nun sei die Akropolis schon an sich ein heiliger Ort von beträchtlichem Ausmaß, die Inschrift stehe aber gerade zur Rechten der großen Bronzestatue der Athena. Diese Statue sei von allen Griechen gemeinsam finanziert worden und geweiht als ein Denkmal der Perserkriege.92 Die Verwendung des Wortes „ἀριστεῖον“ an dieser Stelle könnte darauf hinweisen, dass die Statue aus Athens Anteil an der Beute von einer oder mehrerer Schlachten der Perserkriege stammen könnte. „Allerdings gebraucht der Redner das Wort sonst nicht in diesem speziellen Sinn. Aristeion kann bei ihm jeder Preis einer Aristie und jedes Denkmal einer Ruhmestat heißen.“93 Gerade durch die Aufstel-
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Seidensticker, s. v. „Phidias“, Nr. 7, in: DNO 2 (2014). Zum Standort vor dem Tempel vgl. auch Martin-McAuliffe/Papadopoulos 2012, 346. Zu dieser Inschrift und ihrer Authentizität vgl. ausführlich Kap. 5.4.4. Zum historischen Hintergrund vgl. Meiggs 1972, 508–512; Nouhaud 1982, 239–242. Demosth. 19, 272. Vgl. den Kommentar bei MacDowell 2000, ad loc.: „D. gestures towards the Akropolis, which may be visible from the court.“ Zur Problematik der Sichtbarkeit von Monumenten während eines Prozesses vgl. Kap. 1.3. Vgl. auch Deinarch. 2,24, der die Inschrift ebenfalls auf der Akropolis verortet. Ausführlich zu der Lokalisierung dieser Inschrift bei den Rednern vgl. Kap. 5.4.4. Demosth. 19,272: „νὴ Δί’, ἀλλ’ ὅπως ἔτυχεν ταῦτα τὰ γράμμαθ’ ἔστηκεν.“ ἀλλ’ ὅλης οὔσης ἱερᾶς τῆς ἀκροπόλεως ταυτησὶ καὶ πολλὴν εὐρεχωρίαν ἐχούσης, παρὰ τὴν χαλκῆν τὴν μεγάλην Ἀθηνᾶν ἐκ δεξιᾶς ἕστηκεν, ἣν ἀριστεῖον ἡ πόλις τοῦ πρὸς τοὺς βαρβάρους πολέμου, δόντων τῶν Ἑλλήνων τὰ χρήματα ταῦτ’, ἀνέθηκεν. τότε μὲν τοίνυν οὕτω σεμνὸν ἦν τὸ δίκαιον καὶ τὸ κολάζειν τοὺς τὰ τοιαῦτα ποιοῦντας ἔντιμον, ὥστε τῆς αὐτῆς ἠξιοῦτο στάσεως τό τε ἀριστεῖον τῆς θεοῦ καὶ αἱ κατὰ τῶν τὰ τοιαῦτ’ ἀδικούντων τιμωρίαι· νῦν δὲ γέλως, ἄδεια, αἰσχύνη, εί μὴ τὴν ἄγαν ταύτην ἐξουσίαν σχήσετε νῦν ὑμεῖς.“ Zur Verbindung von Statue und Inschrift an dieser Stelle vgl. Monaco 2009, 275 f.; 279 f.; 283, dort auch die Hervorhebung der Statue und der damit verbundenen Denkmäler als Teil des Panathenäenweges; Lindenlauf 2003, 54 zufolge stammte die Statue offiziell aus der Beute von Marathon (vgl. Paus. 1,28,2), wahrscheinlicher ist aber eine Errichtung aus Beutegeldern späterer Kämpfe, z. B. der Schlacht am Eurymedon im Jahr 465 (wobei die Errichtung der Statue schon 467 begann); vgl. auch Gauer 1968a, 24, der die Unsicherheit in der Überlieferung darauf zurückführt, dass dieses und andere Denkmäler durch ihre Weihinschrift nicht auf ein bestimmtes Ereignis bezogen waren. Vielmehr sei wohl in den meisten Fällen in allgemeinen Worten von den Perserkriegen die Rede gewesen. Daher habe die mündliche Tradition einen weiten Spielraum in dieser Frage gehabt. Vgl. dagegen Paulsen 1999, 259 ad loc., der aber eine andere Datierung von Inschrift und Statue voraussetzt (455 und 449) sowie Palagia 2013, 118 f. Gauer 1968a, 39 mit den Belegen in Anm. 133. Unter anderem werden auch die Beutestücke aus den Perserkriegen im Schatz der Athena als aristeia bezeichnet, so beispielsweise bei Demosth. 24,129.
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Die Akropolis
lung neben dem „ἀριστεῖον τοῦ πρὸς τοὺς βαρβάρους πολέμου“ hätten die Vorfahren aber gezeigt, wie wichtig ihnen die Bestrafung von Verbrechern sei. In der gegenwärtigen Situation würde man dagegen zu nachsichtig mit solchen und anderen Verbrechen umgehen – eine Aussage, die natürlich auf die gewünschte Verurteilung des Angeklagten Aischines zielt. Wichtig ist in Zusammenhang mit der Bedeutung von Erinnerungsräumen einerseits die genaue Lokalisierung der Akropolis insgesamt durch Gesten, andererseits die Tatsache, dass die Bronzestatue der Athena zweimal als ἀριστεῖον bezeichnet wird, und zwar ausdrücklich zur Erinnerung an die Perserkriege – der Begriff ἀριστεῖον könnte also in diesem Fall auch als „Denkmal“ gedeutet werden.94 Die bronzene Athena steht für die Sieghaftigkeit der Polis und passt deshalb auch thematisch zur Inschrift gegen Arthmios von Zeleia – repräsentierte dieser doch die Versuche der Perser, auf die griechischen Poleis Einfluss zu nehmen, und die Antwort der Athener darauf.95 Mehrere Aspekte tragen also zu der herausgehobenen Bedeutung von Inschrift und Standbild bei: Die Sakralität des Aufstellungsortes, die „Erinnerungsveranlassungsleistung“,96 die durch beide Monumente erbracht wird, und nicht zuletzt die Öffentlichkeit, in der die Erinnerung stattfindet. Eine ironische Haltung gegenüber dem so charakterisierten Standbild nimmt Aischines über zehn Jahre später im Kranzprozess ein. Demosthenes habe geschworen, jeden Befürworter eines Friedens mit Philipp persönlich ins Gefängnis zu bringen, und zwar bei Athena, deren Statue Phidias wohl nur geschaffen habe, um damit Demosthenes’ Meineid zu unterstützen.97 Mit dieser Statue des Phidias könnte wohl, gerade wegen ihrer Dominanz des Erscheinungsbildes der Akropolis und wegen der Sichtbarkeit auch über den eigentlichen Bereich der Akropolis hinaus, die kolossale Bronzestatue gemeint sein.98 Offenbar hatte Demosthenes ebenfalls in Zusammenhang mit dem Philokratesfrieden den Namen der Göttin in einem Eid angebracht. Als weitere räumliche Bezugspunkte werden Beutestücke genannt, die nach dem siegreichen Ende des Konfliktes mit den Persern auf der Akropolis geweiht wurden.99 94
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Vgl. auch die Übersetzung von Yunis 2005 als „memorial (statue)“ (ad loc.). Den Denkmalcharakter der Athena Promachos in Zusammenhang mit den Perserkriegen betont auch M. Bakker 2012b, 383; dort außerdem die sichtbare Herausgehobenheit dieser und anderer Monumente „towered above the city as lasting monuments in memory of the Athenian victory over the Persians.“ Vgl. T. Hölscher 2017, 121. Vgl. Monaco 2009, 301. Zum Begriff vgl. Kap. 1.2. Aischin. 3,150. Carey 2000, 215 Anm. 166 ad loc. Möglich wäre hier jedoch auch ein Bezug auf die Athena Parthenos im Parthenon, die ebenfalls von Phidias geschaffen wurde. Eine Zusammenstellung der Spolienweihungen aus den Perserkriegen durch die Athener und andere Griechen mit den dazugehörigen Quellen findet sich bei Gauer 1968a, 43 f.; vgl. auch Francis 1980, 81–83. Auskunft über konkrete Beutestücke finden sich bei Hdt. 9,82,1 (Palastzelt des Xerxes mit Einrichtung); 9,22,2 (Rüstung des Masistios); 9,70,3 (Krippe des Mardonios sowie eine große Menge an goldenen und silbernen Geräten, Geschirr und Schmuck); Paus. 1,27,1 erwähnt den Panzer des Masistios, Befehlshaber der Reiterei bei Plataiai sowie den (angeblichen) Dolch des Mar-
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Welche Beutestücke noch im 4. Jahrhundert auf der Akropolis von Athen zu sehen gewesen sein könnten, ist schwer festzustellen. Viele der ursprünglich geweihten Stücke wurden in den letzten Jahren des Peloponnesischen Krieges eingeschmolzen und ausgemünzt.100 Neben den typischen Beutestücken wie Waffen oder Rüstungsteilen stand auf der Akropolis möglicherweise sogar ein Schiffsanathem aus der Schlacht bei Salamis oder den Feldzügen des Jahres 478 – so wird es zumindest von Werner Gauer aus zwei Basisblöcken mit Überresten einer Weihinschrift mit sehr großen Buchstaben erschlossen. Solche Postamente sind für ein gesichertes Schiffsanathem aus dem Heraion von Samos bekannt.101 In der bereits in Zusammenhang mit Propylaia und Parthenon genannten Gerichtsrede des Demosthenes „Gegen Androtion“ wird den Beutestücken aus den Perserkriegen ein besonderer Stellenwert eingeräumt, gerade durch die Tatsache, dass sie gemeinsam mit den beiden herausragenden Bauten als „ἐφ᾽οἷς φιλοτιμούμεθα πάντες εἰκότως“ bezeichnet werden.102 Dadurch werden die Beutestücke einerseits und die Bauwerke andererseits in ihrem symbolischen Wert auf eine Ebene gehoben.103 In diesem Zusammenhang werden sowohl die Erbauung der Tempel als auch die Weihung von Beutestücken nicht mit den Leistungen des gesamten Demos, sondern mit den Verdiensten einzelner Männer in Verbindung gebracht. Auch wenn dies den unmittelbaren Zielen der Rede dient – dem Angeklagten werden verdiente Männer der Vergangenheit gegenübergestellt –, waren es auch tatsächlich insbesondere die Strategen gewesen, die maßgeblichen Anteil an der Beute erhalten und diese dann in den Tempeln auf der Akropolis geweiht hatten.104 In der Rede „Gegen Timokrates“ nur zwei Jahre später wird Glauketes, der von Timokrates durch einen Gesetzesantrag unterstützt worden war,105 vorgeworfen, er habe als Schatzmeister auf der Akropolis die Siegespreise der Vorfahren über die Barbaren gestohlen. Als Beispiele werden der Thron mit silbernen Füßen und der Skimitar des Mardonios mit einem Gewicht von 300 Dareiken genannt.106 Die mit diesen
donios. Auch die erhaltenen Inventarlisten der Tempel auf der Akropolis können Anhaltspunkte für solche außergewöhnlichen Beutestücke liefern, so etwa IG II2 1394, 11–14. 100 Vgl. Linders 2007, 777–782, hier 781. Vgl. generell zur Bedeutung von Beutestücken und ihrer sichtbaren Zurschaustellung Jackson 1991, besonders 229; 232 f. 101 Vgl. Gauer 1968a, 72 f.; vgl. dazu auch M. Meyer 2005, 281 und 285 mit Anm. 45 mit der weiteren Literatur. Vgl. die hypothetische Rekonstruktion bei Stevens 1936, 494 mit Abb. 44 und Schneider/ Höcker 2001, Abb. 165. 102 Demosth. 22,13. Vgl. Kap. 3.1. 103 Vgl. D. Thompson 1956, 281 Anm. 2. 104 Die Weihung von Beutestücken durch die Strategen betont auch D. Thompson 1956, 282. 105 Zum historischen Hintergrund des Prozesses und zu den beteiligten Personen vgl. MacDowell 2009, 181–185. 106 Demosth. 24,129: „ἔπειτα ταμιεύσας ἐν ἀκροπόλει τἀριστεῖα τὴς πόλεως, ἃ ἔλαβεν ἀπὸ τῶν βαρβάρων, ὑφῃρημένος ἐξ ἀκροπόλεως, τόν τε δίφρον τὸν ἀργυρόποδα καὶ τὸν ἀκινάκην τὸν Μαρδονίου, ὃς ἦγε τριακοσίους δαρεικούς; ἀλλὰ ταῦτά γ᾽ οὕτω περιφανῆ ἐστιν ὥστε πάντας ἀνθρώπους εἰδέναι.“
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Beutestücken zusammenhängenden Taten, fährt Demosthenes fort, seien so oft gefeiert worden, dass sie allen bekannt seien. Das heißt umgekehrt, dass die genannten Gegenstände symbolisch für die Erfolge der Perserkriege stehen können – eine Tatsache, die das Vergehen des Glauketes umso schwerwiegender erscheinen lässt. Eine Inventarliste des Parthenon aus dem frühen 4. Jahrhundert nennt neben anderen Stücken tatsächlich einen goldenen persischen Dolch und einen diphros mit silbernen Füßen.107 Nach der Darstellung des Demosthenes wurden diese entwendet, insbesondere der Dolch des Mardonios wird aber von Pausanias neben anderen Gegenständen im Erechtheion beschrieben. Demosthenes trifft hier also entweder eine Falschaussage, oder die Stücke wurden später wieder gefunden und zurück gebracht.108 Welche dieser Vermutungen letztlich zutreffend ist, wird nicht zu klären sein, wichtig ist, dass diese Beutestücke im 4. Jahrhundert weiterhin als Zeugnisse und „materielle Manifestationen“ der Siege gegen die Barbaren galten und die Anklage der Entwendung dieser Stücke als schwerwiegend bezeichnet werden konnte.109 Ob diese für die Athener im 4. Jahrhundert sichtbar präsent waren, ist schwer nachzuvollziehen. Viele wertvolle Weihegaben für die Göttin wurden im nach außen abgeschlossenen rückwärtigen Teil des Parthenon untergebracht und waren damit für die Öffentlichkeit nicht zugänglich.110 Tonio Hölscher vermutet hingegen, dass diese „Schaustücke […] in zentralen Heiligtümern demonstrativ ausgestellt“ waren. „Die Öffentlichkeit der […] Kultstätten wurde genutzt, um kollektives Gedächtnis und politische Identität zu stiften.“111 Da in einigen Stücken des Aristophanes diphrophoroi erwähnt werden und auch auf dem Parthenonfries Figuren zu erkennen sind, die eine Art Stuhl oder Hocker tragen, scheint Dorothy Thompsons Vermutung, dass einige Stücke als Teil des Rituals im Panathenäenzug mitgetragen wurden, zumindest plausibel, ist aber aus den Quellen in dieser Deutlichkeit nicht nachzuweisen, da an keiner Stelle erwähnt wird, dass es sich bei diesen diphroi tatsächlich um Weihgeschenke aus den Perserkriegen handelt.112 Der Vorwurf des Lykurgos an Leokrates gipfelt in dem Vorwurf, dass neben dem Land selbst auch die Gräber der Toten zur Verteidigung beigetragen hätten, und auch die Tempel hätten ihre Waffen beigesteuert. Dabei kann es sich nur um einen Verweis
107 IG II2 1394,11–14. Vgl. dazu D. Thompson 1956, 285 f. mit der weiteren Überlieferung zum diphros mit den silbernen Füßen: Hdt. 8,90, als Sitz des Xerxes bei der Schlacht von Salamis allerdings ohne genauere Beschreibung; Harpokr. s.v. ἀργυρόπους δίφρος; Plut. Themistokles 13,1; Athen. 12,514a– b. 108 Paus. 1,27,1. Vgl. D. Thompson 1956, 286. 109 Vgl. Hartmann 2010, 504; Steinbock 2013a, 110: „material manifestations of this victory“. 110 Vgl. Stähler 1992, 91, der angibt, der Thron des Xerxes sei im Opisthodom, Dolch des Mardonios und Panzer des Masistios seien dagegen im Erechtheion aufbewahrt worden. 111 T. Hölscher 1998a, 90, vgl. zur symbolischen Bedeutung der Beutestücke auch Linders 1997, 33. 112 D. Thompson 1956, 289 f.; vgl. die Belege bei Aristoph. Av. 1552 sowie Athen. 12, 514a–b.
Niederlagen auf der Akropolis
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auf Beutewaffen handeln, die in Heiligtümern ganz Attikas – besonders prominent jedoch in den Tempeln auf der Akropolis – geweiht wurden.113 3.4 Niederlagen auf der Akropolis Nicht nur Eroberung und Zerstörung in den Perserkriegen, auch weitere Niederlagen in der Geschichte Athens sind eng mit dem Schicksal der Akropolis verbunden. Die Besatzung auf der Akropolis, die von den Spartanern auf Betreiben der neuen Machthaber, den sogenannten „dreißig Tyrannen“, eingerichtet wurde,114 wird als einschneidendes Ereignis insbesondere in den Gerichtsreden des Lysias erwähnt. Zur Zeit der im Folgenden genannten Reden mussten die zuhörenden Richter die geschilderten Ereignisse noch in lebhafter Erinnerung haben. Insbesondere die unmittelbar nach Inkrafttreten der Amnestie gehaltene Anklagerede „Gegen Eratosthenes“115 entwirft ein düsteres Bild der gerade vergangenen Schrecknisse und verbindet dabei die Besatzung der Spartaner eng mit der Herrschaft der Dreißig, ein Phänomen, das bei den Schilderungen der Ereignisse 404/3 des Öfteren begegnet.116 Lysias appelliert an seine Zuhörer, durch die Verurteilung des Eratosthenes, der zu den „dreißig Tyrannen“ der Jahre 404/3 gehörte, Rache für das erlittene Unrecht zu nehmen und den Unterschied zwischen der vergangenen Unrechtsherrschaft und der jetzigen Herrschaft der „tüchtigsten Männer“, also der Demokratie, zu bedenken. In Zusammenhang damit sollten sich die Richter an die „fremden Truppen“ erinnern, „welche diese Leute als Wächter ihrer eigenen Herrschaft und eurer Knechtschaft auf der Akropolis einquartierten.“117 (Unrechte) Herrschaft und (unverdiente) Knechtschaft werden durch die Akropolis symbolisiert – ein Symbol, das über der Agora als Ort des Prozesses sichtbar aufragte. Die „fremden Truppen“ werden gar nicht genauer bezeichnet. Einerseits wusste ohnehin jeder Zuhörer, dass es Spartaner gewesen waren, andererseits stehen hier die Untaten der Dreißig im Mittelpunkt, die als eigentliche Akteure für die Besetzung der Akropolis verantwortlich gemacht werden. Wichtig ist aber die genaue Verortung der Ereignisse, ein insbesondere bei Lysias zu beobachtendes Phänomen; die eigentliche militärische Niederlage der Athener bei Aigospotamoi wird im Gegensatz dazu nicht
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Lykurg. 1,43: „ὅθ’ ἡ μὲν χώρα τὰ δένδρα συνεβάλλετο, οἱ δὲ τετελευτηκότες τὰς θήκας, οἱ δὲ νεὼ τὰ ὅπλα.“ Zu den Ereignissen Xen. hell. 2,3,11–14. Ob die Rede tatsächlich gehalten wurde, ist umstritten. Da Lysias als Metöke in Athen lebte ist unklar, ob er die Anklagerede bei der euthynai des Eratosthenes überhaupt halten durfte. Möglich wäre stattdessen auch eine Verbreitung der Rede in schriftlicher Form. Vgl. Carawan 1998, 376 f.; Todd 2000, 114; Chiron 2002 und ausführlich zum Status des Lysias Bearzot 1997, 44–47. Vgl. auch Xen. hell. 2,3,13 f. Wolpert 2002a, 16. Lys. 12,94: „… ἀναμνησθέντες δὲ τῶν ἐπικούρων, οὓς οὗτοι φύλακας τῆς σφετέρας ἀρχῆς καὶ τῆς ὑμετέρας δουλείας εἰς τὴν ἀκρόπολιν κατέστησαν.“ Übers. I. Huber.
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Die Akropolis
oder nur vage mit Ortsbezeichnungen oder räumlichen Konkretisierungen verbunden.118 In der Rede „Gegen Agoratos“, die nur wenige Jahre später datiert, sind es dann wiederum die Dreißig, die die elende Lage der Stadt nach dem Peloponnesischen Krieg zu verschulden haben. Lysias berichtet an dieser Stelle von der Schleifung der Mauern, der Auslieferung der Flotte und der Zerstörung der Schiffswerften als Folgen der Niederlage. Dann heißt es abschließend: „Die Spartaner hielten unsere Akropolis besetzt, und die ganze Macht unserer Stadt war gebrochen, so dass sie sich in nichts von der armseligsten Gemeinde unterschied.“119 Zunächst gilt es hier, auf ein allgemeines Phänomen in der gesamten Aussage hinzuweisen. Die Folgen der Niederlage im Peloponnesischen Krieg werden den versammelten Richtern durch Monumente und Gebäude veranschaulicht und dadurch präsent gemacht: Mauern,120 Schiffe, Schiffswerften und schließlich die Akropolis waren Ausdruck der Macht und des Stolzes der Polis („die ganze Macht unserer Stadt war gebrochen“) und waren zu diesem Zeitpunkt für die Athener verloren – entweder durch Zerstörung oder durch Besatzung. Einerseits ist dabei an die konkret militärische Bedeutung der genannten Räume und Objekte zu denken. Bei Mauern, Schiffen und Schiffswerften erschließt sich diese Bedeutung von selbst, aber auch die Akropolis war an der Wende vom 5. zum 4. Jahrhundert immer noch eine Festung.121 Hinzu kommt jedoch insbesondere im Falle der Akropolis die repräsentative Bedeutung als wichtigstes Heiligtum mit prachtvollen Bauten – die Besetzung dieses symbolträchtigen Monumentkomplexes kann also als besondere Demütigung für die Athener angesehen werden. Durch das Possessivpronomen, das jeweils mit dem Begriff der Akropolis verbunden ist, wird diese Demütigung besonders betont. Auch hier bestand für den Redner die Möglichkeit, auf die Akropolis oder auch in Richtung der Mauern oder des Piräus zu deuten. Aber nicht nur unmittelbar nach der Niederlage im Peloponnesischen Krieg und der Herrschaft der Dreißig konnte auf die Besetzung der Akropolis in diesem Zusammenhang verwiesen werden. Im „Areopagitikos“ des Isokrates – einer fiktiven symbouleutischen Rede, die wohl in den Jahren zwischen 358 und 352 verfasst wur-
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Vgl. M. Bakker 2012b, 386 und die Bezeichnung der Akropolis und anderer Monumente in diesem Zusammenhang als „spatial anchor points“ (387). 119 Lys. 13,46: „ἔτι δὲ τὰ τείχη ὡς κατεσκάφη καὶ αἱ νῆες τοῖς πολεμίοις παρεδόθησαν καὶ νεώρια καθῃρέθη καὶ Λακεδαιμόνιοι τὴν ἀκρόπολιν ἡμῶν εἶχον καὶ ἡ δύναμις ἅπασα τῆς πόλεως παρελύθη, ὥστε μηδὲν διαφέρειν τῆς ἐλαχίστης [πόλεως τὴν πόλιν].“ Übers. nach I. Huber. Vgl. dazu auch Bearzot 1997, 297 ad loc. 120 Vgl. dazu Kap. 6. 121 Vgl. Lindenlauf 1997, 71–74; vgl. dagegen Stähler 1993, 24; Lambrinoudakis 1999, 551, der die klassische Akropolismauer als „péribole elaboré qui circonscrivait cet espace consacré à des cultes multiples“ charakterisiert (Anm. 1 mit weiterer Literatur). Außerdem hätte die neue Mauer, die von ihm insgesamt zwischen 468 und 461 datiert wird, der Vergrößerung und systematischen Reorganisation der sakralen Räume und Monumente auf der Akropolis gedient (553). Zu den Mauern siehe auch Kap. 6.
Niederlagen auf der Akropolis
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de122 – stellt dieser den Leistungen der (vom Areopag beaufsichtigten) Demokratie die Misserfolge der Herrschaft der Dreißig gegenüber. Als das Volk die Polis kontrollierte, habe Athen in die Akropolen anderer Poleis Besatzungen gelegt, als aber die Dreißig herrschten, habe der Feind die athenische Akropolis kontrolliert.123 Auch hier, wie bei Lysias, ist die Akropolis nicht nur für Athen, sondern auch für jede andere Polis Ausdruck von Autonomie, Souveränität und Macht des Gemeinwesens. Im Folgenden heißt es denn auch deutlich: „Die Spartaner waren unsere Herren“ („δεσπότας ἡμῶν ὄντας Λακεδαιμονίους“), ein Zustand, der sich erst umgekehrt habe, als die exilierten Demokraten zurückkehrten und Konon die Schlacht bei Knidos gewinnen konnte, woraufhin die Athener die Seeherrschaft hätten wiedergewinnen können. Auch und gerade die Spartaner hätten die neu gewonnene Machtstellung anerkannt.124 Ein zweiter Gegensatz zwischen Demokratie und Herrschaft der Dreißig wird dann durch die Bautätigkeit hergestellt. Unter der Demokratie sei die Stadt mit Tempeln und öffentlichen Bauten geschmückt worden, so dass „auch heute noch Besucher glauben, Athen verdiene es, nicht nur über die Griechen zu herrschen, sondern über alle anderen Völker der Erde.“ Hingegen hätten die Dreißig die öffentlichen Bauten vernachlässigt, die Tempel geplündert und die Schiffswerften zerstört.125 Zwar wird hier die Akropolis nicht wörtlich genannt, es ist aber dennoch davon auszugehen, dass mit den Tempeln wohl insbesondere die Tempel auf der Akropolis gemeint waren, die ja auch die größten finanziellen Rücklagen der Stadt beherbergten. Gleich zweimal wird auf die Sichtbarkeit und Erfahrbarkeit dieser Symbolik der Macht hingewiesen. Zunächst spricht Isokrates seine Zeitgenossen an, die sich an die Errichtung der Bauten des 5. Jahrhunderts erinnern. Hier ist wohl kaum das Erinnern aus persönlichem Erle122
Vgl. Too 2000, 182 mit der Diskussion weiterer Datierungsmöglichkeiten, die aber alle in den Zeitraum zwischen 358 und 352 fallen. 123 Isokr. 7,65: „καὶ τότε μέν, ὅτε τὸ πλῆθος ἦν κύριον τῶν πραγμάτων, ἡμᾶς τὰς τῶν ἄλλων ἀκροπόλεις φρουροῦντας, ἐπειδὴ δ᾽ οἱ τριάκοντα παρέλαβον τὴν πολιτείαν, τοὺς πολεμίους τὴν ἡμετέραν ἔχοντας;“ 124 Eine Zusammenziehung von zwei Ereignissen, die in der Realität fast zehn Jahre auseinander lagen (403 und 394). Eine offizielle Anerkennung der erneuten Seeherrschaft der Athener durch die Spartaner, von der 394 keinesfalls die Rede sein konnte, kann nur als Fiktion bezeichnet werden. Vgl. Nouhaud 1982, 335. 125 Isokr. 7,66: „καὶ μὲν δὴ καὶ τάδε τίς οὐ μνημονεύει τῶν ἡλικιωτῶν τῶν ἐμῶν, τὴν μὲν δημορκατίαν οὕτω κοσμήσασαν τὴν πόλιν καὶ τοῖς ἱεροῖς καὶ τοῖς ὁσίοις, ὥστ᾽ ἔτι καὶ νῦν τοὺς ἀφικνοθμένους νομίζειν αὐτὴν ἀξίαν εἶναι μὴ μόνον τῶν Ἑλλήνων ἄρχειν ἀλλὰ καὶ τῶν ἄλλων ἁπάντων, τοὺς δὲ τριάκοντα τῶν μὲν ἀμελήσαντας, τὰ δὲ συλήσαντας, τοὺς δὲ νεωσοίκους ἐπὶ καθαιρέσει τριῶν ταλάντων ἀποδομένους, εἰς οὓς ἡ πόλις ἀνἠλωσεν οὐκ ἐλάττω χιλίων ταλάντων;“ Übers. Ch. Ley-Hutton. Vgl. Nouhaud 1982, 226; 309, wobei die Gegenüberstellung von Monumenten aus rhetorischen Motiven vermutet wird. Die Zerstörung der Arsenale/Schiffswerften wird hier zwar den Dreißig vorgeworfen, war aber wahrscheinlich schon eine der Kapitulationsbedingungen der Spartaner, vgl. auch Lys. 13,46. In jedem Fall handelt es sich an dieser Stelle um die eindrücklichste Schilderung der Verbindung von Monumenten und Erinnerung bei Isokrates. Vgl. ähnlich aber auch Isokr. 4,57 sowie 15,234, vgl. Boedeker/Raaflaub 1998, 5 f. Die früheste Überlegung zu der Verbindung zwischen den Bauten der Polis und ihrem Machtpotential finden sich bei Hdt. 3,60 (am Beispiel Samos) sowie Thuk. 1,10,2.
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Die Akropolis
ben gemeint, sondern eher die mündliche Weitergabe von Geschichte(n) in Form von Erzählungen insbesondere innerhalb der Familie durch Eltern und Großeltern.126 Die Vernachlässigung, Zerstörung und Plünderung von Bauten konnten hingegen noch viele der Zuhörer selbst erlebt haben. Insbesondere die Herrschaft der Dreißig, die auf die Niederlage im Peloponnesischen Krieg folgte, muss für viele so einschneidend und auch traumatisch gewesen sein, dass die Formulierung „Wer unter meinen Altersgenossen könnte sich außerdem nicht an folgendes erinnern“ („καὶ τάδε τίς οὐ μνημονεύει τῶν ἡλικιωτῶν τῶν ἐμῶν“) hier wohl kaum als leere rhetorische Floskel abgetan werden kann.127 Des Weiteren ist von den Besuchern die Rede, die zum aktuellen Zeitpunkt die Stadt besichtigten, und durch den Anblick eben jener Bauten davon überzeugt würden, dass Athen nicht nur dazu berechtigt sei, alle anderen Griechen zu beherrschen, sondern sogar alle anderen Völker.128 Dies vermittelt, dass die genannten Bauten sowohl durch Erinnerung im kollektiven Bildgedächtnis als auch durch aktuelle Betrachtung sichtbar waren und dadurch den Unterschied zwischen den beiden Abschnitten der athenischen Geschichte präsent machen konnten. Andere, weiter zurückliegende Ereignisse der athenischen Geschichte, die mit einer Besetzung der Akropolis verbunden waren, sind nur in Fragmenten erhalten. In der Rede des Lysias „Gegen Theozotides“ wird die Besetzung der Akropolis durch den Spartanerkönig Kleomenes im Jahre 508 erwähnt.129 Der genaue Zusammenhang dieser historischen Anspielung ist unklar, es könnte sich um ein Beispiel für Hybris gegenüber der Polis Athen handeln, die parallel zu den Handlungen des Angeklagten zu sehen sein soll.130 Auf eine allgemeinere Ebene wird die Besetzung der Akropolis in der Verteidigung des Lykophron durch Hypereides im Jahr 333 gehoben. Der Angeklagte sah sich wegen Ehebruchs einer Eisangelie-Klage ausgesetzt. In der Verteidigung musste es nun insbesondere darum gehen, nachzuweisen, dass die Prozessform der Eisangelie für seinen Fall völlig unpassend war. Aus diesem Grund werden als Beispiel für berechtigte Kla-
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Isokrates, der im Jahr 436 geboren wurde, konnte sich dabei auf die Erzählungen seiner Eltern stützen und hatte die Fertigstellung einiger Bauten auf der Akropolis, wenn auch als Kind, noch selbst miterleben können. Die Bedeutung dieser und ähnlicher Formulierungen ist in der Forschung umstritten. Vgl. dazu Pearson 1941, 215–219; Ober 1989, 149 f.; 180; Steinbock 2013a, 42 f.; Wojciech 2018, 166; 170 f. Eine generelle Beurteilung ist m. E. schwierig, stattdessen gilt es jeweils in der Rede zu klären, ob es sich um eine leere Floskel oder eine tatsächliche Aufforderung zur Erinnerung handelt. Diese und ähnliche Formulierungen finden sich im Werk des Iskokrates besonders häufig: Isokr. 3,28; 6,42; 7,64–66; 12,102–103; 168; 14,40, vgl. Wojciech 2018, 171 mit Anm. 50. Eine ähnliche Formulierung findet sich auch bei Isokr. 15,234, dort werden die so bewunderten Bauten allerdings auf die Person und die Leistungen des Perikles bezogen, vgl. Kap. 3.5. Lys. Fr. 64,129 Carey: „ἐ]πειδὴ δὲ Κλε[ομένης …, ὦ ἄν]δρες δικασταί, [τὴν ὑμετέραν ἀκρόπ]ολιν κατέλαβε“. Vgl. Todd 2000, 386 Anm. 7 ad loc. (= Fr. 10,45). Der Vorschlag des Theozotides wird unmittelbar zuvor als „ὕβρις καὶ [μ]εγάλη διαβο[λ]ὴ […] τῆς πόλεως“ bezeichnet.
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gen mehrere Vergehen genannt, die wiederum alle mit wichtigen und symbolträchtigen Räumen der Polis verbunden sind: Der Verrat an den Hafenanlagen, das Niederbrennen öffentlicher Gebäude und die Besetzung der Akropolis seien Vergehen, die eine solche Klage nach sich zögen.131 Diese Trias aus Hafenanlagen, öffentlichen Gebäuden und Akropolis begegnet auch im positiven Sinne bei Demosthenes: Propylaia, Stoai und Hafenanlagen sind in seinen Reden die Bauten bzw. Baukomplexe, die von der ruhmreichen Vergangenheit der Stadt künden.132 3.5 Die Akropolis als Schatzhaus Am Beispiel der Propylaia ist deutlich geworden, dass die Errichtung der Bauten der Akropolis weniger mit der Person oder der Zeit des Perikles in Verbindung gebracht wird, sondern vielmehr mit Personen und Ereignissen der Perserkriege. Eine Funktion wird aber immer wieder mit der Zeit der Vorherrschaft im Seebund oder aber direkt mit der Person des Perikles verknüpft: Die Akropolis wird oft als Symbol für Reichtum und Wohlstand im 5. Jahrhundert angeführt oder auch konkret als Schatzhaus angesprochen. Bei Andokides, der im Jahr 391 vor der Volksversammlung für einen Friedensschluss mit den Spartanern wirbt, sind es alle Athener, die zur Anhäufung von Reichtümern beigetragen haben. Das damit verbundene Lob des gesamten Demos (Andokides schließt sich durch die erste Person Plural selbst dabei ein) entspricht der Intention bzw. dem Adressatenkreis seiner Rede, denn ihm geht es ja gerade darum, die Mehrheit der Volksversammlung von seinem Vorschlag zu überzeugen. Ein Argument beschäftigt sich mit dem Wohlstand, der durch Friedensverträge zustande kommt: Verschiedene Friedensschlüsse im Verlauf des 5. Jahrhunderts hätten es möglich gemacht, zunächst 1000 und dann noch einmal 7000 Talente auf der Akropolis zu hinterlegen.133 Auch für Demosthenes sind die auf der Akropolis zusammengetragenen Reichtümer ein wichtiger Bestandteil der Machtstellung der Athener im 5. Jahrhundert:
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Hyp. 1 Fr. 3: „ἢ νεωρίων προδοσίαν ἢ ἀρχείων ἐμπυρισμὸν ἢ κατάληψιν ἄκρας“; vgl. ähnlich auch Demosth. 13,14, wo ein gerade zurückliegender Einbruch in das Opisthodom, also den rückwärtig an die Cella des Parthenon angrenzenden Raum, in dem die Tempelschätze aufbewahrt wurden (Trevett 2011, 232 Anm. 33 ad loc.), in der öffentlichen Reaktion als „τὸν δῆμον καταλελύσθαι, τοὺς νόμους οὐκέτ᾽ εἶναι“ zusammengefasst wird. Auch wenn diese heftige Reaktion von Demosthenes getadelt wird, so bezeichnet auch er das Eindringen in den Tempel (und den versuchten Raub der Tempelschätze) als Vergehen, das mit dem Tod bestraft werden müsse. Zu den Kriterien für eine Eisangelie-Klage vgl. Hansen 1975, 21–28. Vgl. dazu Kap. 3.1 mit den Belegen. And. 3,7 f. Zu den historischen Irrtümern in Zusammenhang mit den genannten Friedensschlüssen vgl. Kap. 6.4.
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Die Akropolis
„Unsere Vorfahren, denen die Redner anders als heute nicht nach dem Munde redeten oder den Hof machten, herrschten 45 Jahre lang über die Griechen mit deren Einverständnis, brachten mehr als zehntausend Talente auf die Akropolis, und der König dieses Landes dort war ihnen untertan, wie es einem Barbaren den Griechen gegenüber zukommt“.134
Wiederum in einer Volksversammlungsrede (die „3. Olynthische Rede“ aus dem Jahr 348), insbesondere mit dem Gedanken der Vorherrschaft nicht nur über Griechen, sondern auch über die Makedonen verknüpft, steht also der Wohlstand der Stadt im Zentrum, mit konkreten Summen benannt und mit einem bestimmten Ort verbunden. Konsequenterweise wird im darauf folgenden Paragraphen die prachtvolle Ausgestaltung des öffentlichen Raums zu dieser Zeit hervorgehoben, wobei keine konkreten Bauwerke genannt werden, sondern Demosthenes von Gebäuden, Prachtwerken von Tempeln und Weihgeschenken spricht.135 Hier wie auch bei Andokides sind es die Vorfahren der versammelten Athener, die Solches geleistet haben. Da im vorhergehenden Abschnitt die Akropolis ausdrücklich genannt wurde, ist davon auszugehen, dass insbesondere die prachtvollen Tempel dort zu verorten sind. Hier wie auch schon an anderer Stelle folgt dann im Gegensatz dazu das bescheidene Privatleben der Vorfahren, das in der Bescheidenheit der privaten Bauten seinen Ausdruck fände.136 Auch im Rahmen von seltenen negativen Äußerungen über die Seeherrschaft der Athener137 spielt die Deponierung von Geldern auf der Akropolis eine Rolle. In seiner in Form einer Rede verfassten Schrift „An Philipp“ ruft Isokrates den Makedonenkönig zu einem Kriegszug der vereinten griechischen Poleis gegen das Perserreich auf. Die Vorherrschaft wird in diesem Zusammenhang negativ bewertet, positiv hervorgehoben werden hingegen die Opfer, die Athen für die Rettung Griechenlands in den
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Demosth. 3,24: „ἐκεῖνοι τοίνυν, οἷς οὐκ ἐχαρίζονθ’ οἱ λέγοντες οὐδ’ ἐφίλουν αὐτοὺς ὥσπερ ὑμᾶς οὗτοι νῦν, πέντε μὲν καὶ τετταράκοντ’ ἔτη τῶν Ἑλλήνων ἦρξαν ἑκόντων, πλείω δ’ ἢ μύρια τάλαντ’ εἰς τὴν ἀκρόπολιν ἀνήγαγον, ὑπήκουεν δ’ ὁ ταύτην τὴν χώραν ἔχων αὐτοῖς βασιλεύς, ὥσπερ ἐστὶ προσῆκον βάρβαρον Ἕλλησι […]“ Übers. nach W. Unte. Vgl. eine ganz ähnliche Formulierung auch bei Demosth. 13,26 hier aber zusätzlich in Verbindung mit militärischen Erfolgen, ausgedrückt durch die Errichtung von Tropaia, vgl. dazu Kap. 8.2. Nach Thuk. 2,13,3 wurde in dem genannten Zeitraum eine Rücklage von 9700 Talenten auf der Akropolis gebildet. Demosth. 3,25: „δημοσίᾳ μὲν τοίνυν οἰκοδομήματα καὶ κάλλη τοιαῦτα καὶ τοσαῦτα κατεσκεύασαν ἡμῖν ἱερῶν καὶ τῶν ἐν τούτοις ἀναθημάτων […].“ Vgl. T. Shear 2016, 4, der hier auch eine Gleichstellung der Monumente mit den kurz zuvor genannten Tropaia für militärische Siege ausmacht. Demosth. 3,25–26: Auch an dieser Stelle werden Miltiades und Aristeides stellvertretend für die „damals berühmten Männer“ genannt. Vgl. Demosth. 13,29; 23,207. Eine negative Bewertung der athenischen Vorherrschaft im Seebund findet nur bei Isokrates statt, vgl. dazu Nouhaud 1982, 213–216; Grieser-Schmitz 1999, Kap. 3.2. Aischines’ Kritik an den Taten der Vorfahren in 2,75–77 bezieht sich nur auf einzelne Ereignisse des Peloponnesischen Krieges und berührt nicht den grundsätzlichen Charakter der athenischen Machtposition im 5. Jahrhundert; vgl. auch And. 3,28–32.
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Perserkriegen auf sich genommen habe.138 Dementsprechend konstatiert Isokrates, dass Athen weder wegen seiner Seeherrschaft, noch wegen der Eintreibung von Tributen und der Hinterlegung auf der Akropolis, noch wegen der Macht über viele Poleis gelobt würde.139 Trotz dieser Kritik werden hier die Seeherrschaft, der damit einhergehende Wohlstand und der Machtgedanke miteinander kombiniert, als dazugehöriger Erinnerungsraum fungiert die Akropolis. Positiver fällt das Urteil des Isokrates in der (fiktiven) Volksversammlungsrede „Über den Frieden“ aus, in der die Situation nach dem Ende des Bundesgenossenkrieges 355 analysiert wird. Dort übt Isokrates zwar einerseits vor allem Kritik an unüberlegten Einmischungen in die Angelegenheiten der Bundesgenossen in beiden Seebünden, andererseits wird die Vorherrschaft aber auch als Hegemonie bezeichnet, mit der die anderen Griechen einverstanden gewesen seien.140 Vor diesem Hintergrund werden auch die Taten der Vorfahren in der Pentekontaetie bis kurz vor Ausbruch des Peloponnesischen Krieges als vorbildlich dargestellt, wobei hier auch der Wohlstand der Stadt eine Rolle spielt. Und selbst als die Vorfahren verhasst waren, hielten sie es dennoch für nötig, „trotz ihrer großen Vorräte an Gold und Silber auf der Akropolis […] selbst für ihre Entscheidungen in den Kampf zu ziehen, wenn sie Krieg gegen ein Volk beschlossen hatten.”141 Im Mittelpunkt steht an dieser Stelle zunächst die militärische Einsatzbereitschaft, die trotz des großen Wohlstandes, ausgedrückt durch die Akropolis „voll von Gold und Silber”, immer vorhanden gewesen sei. Auch wenn die militärische Komponente hier im Mittelpunkt steht, wird der Wohlstand mit einem räumlichen und damit greifbaren Aspekt versehen. Im Gegensatz dazu seien die Athener der Gegenwart arm und zahlreich und würden sich trotz ihrer Armut in der Kriegführung auf Söldner verlassen. Wohlstand und militärisches Engagement stehen also Armut und Söldnerwesen antithetisch gegenüber. Im weiteren Verlauf der Rede geht es dann nicht nur um das Fehlverhalten des Demos in Vergangenheit und Gegenwart, sondern auch um seine Fehlleitung durch bestimmte Redner und Strategen. Ihnen wird Perikles als vorbildlicher Staatsmann gegenübergestellt, der sich insbesondere weniger um die Mehrung seines eigenen Vermögens, umso mehr aber um den Wohlstand der gesamten Polis gesorgt habe: „Perikles […] selbst war nun nicht darauf aus, sich persönlich zu bereichern […], während er auf der Akropolis achttausend Talente anhäufte, die Weihegaben nicht mitgerechnet.“142 138
Auch dies ein zumindest indirekter Verweis auf die Akropolis, nämlich ihre Zerstörung in den Perserkriegen 480/79, vgl. dazu Kap. 3.2. 139 Isokr. 5,146. 140 Isokr. 8,29 f. Vgl. Gillis 1970, 199–209; Davidson 1990. 141 Isokr. 8,47: „ὅσον ἐκεῖνοι μὲν εἰ πολεμεῖν πρός τινας ψηφίσαιντο, μεστῆς οὔσης ἀργυρίου καὶ χρυσίου τῆς ἀκροπόλεως ὅμως ὑπὲρ τῶν δοξάντων τοῖς αὐτῶν σώμασιν ᾤοντο δεῖν κινδυνεύειν“ Übers. Ch. Ley-Hutton. 142 Isokr. 8,126: „καίτοι Περικλῆς […] οὐκ ἐπὶ τὸν ἴδιον χρηματισμὸν ὥρμησεν […] εἰς δὲ τὴν ἀκρόπολιν ἀνήγαγεν ὀκτακισχίλια τάλαντα χωρὶς τῶν ἱερῶν.“ Übers. Ch. Ley-Hutton.
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Ein umfassendes Lob des Perikles, das sich vor allem mit seiner Baupolitik auseinandersetzt, findet sich dann in der als Verteidigungsrede gestalteten „Antidosis-Rede“. Da Isokrates bei der Abfassung der Rede über 80 Jahre alt war, kann diese als eine Art Rechtfertigung des Isokrates für seine Lebensleistung verstanden werden.143 Perikles steht dort in einer Reihe mit anderen großen Rednern der Vergangenheit wie Solon, Kleisthenes und Themistokles, die zeigen sollen, dass „die besten und berühmtesten Redner […] sich um unsere Polis die größten Verdienste erworben haben.“144 Perikles habe die Stadt mit Tempeln und Monumenten ausgeschmückt, sodass selbst heutige Besucher vom berechtigten Machtanspruch der Athener überzeugt seien. Darüber hinaus habe Perikles aber auch zehntausend Talente auf die Akropolis gebracht.145 Diese Passage beinhaltet also sogar einen doppelten Hinweis auf die Bauten im Herzen Athens, sowohl durch die konkreten Tempel und Monumente, die sicherlich auch die Bauten der Akropolis mit einschlossen, die in der Gegenwart betrachtet werden sollten und immer noch eine Botschaft der Machtstellung Athens vermitteln konnten, als auch durch die Funktion der Akropolis als Schatzkammer der Polis und damit als Symbol ihres Wohlstandes.146 Gleich zweifach an Personen und Bauten gebunden ist die Schilderung der ruhmreichen Taten der Vorfahren in der Rede des Deinarchos „Gegen Demosthenes“. In dieser Rede werden paradeigmata der athenischen Vergangenheit vor allem angeführt, um zu zeigen, dass das gute oder schlechte Schicksal der Stadt besonders von den Grundsätzen ihrer Anführer abhänge. Diese Beispiele stehen jeweils in Gegensatz oder Analogie zum Verhalten des Angeklagten.147 Nachdem Deinarchos kurz die großen Gefahren für die Stadt und dem Kampf um die Freiheit der Vorfahren angesprochen hat, ohne Namen oder Orte zu nennen, greift er zwei Personen besonders heraus: Aristeides und Themistokles. Während Themistokles insbesondere für den Bau der Stadtmauern gerühmt wird,148 liege der Verdienst des Aristeides darin, den Tribut der anderen Griechen (also der Mitglieder des Seebundes) auf die Akropolis gebracht zu haben.149 Von 143 Vgl. Ober 1998, 256–260; Too 2008, 1–4; Blank 2014, 440. 144 Isokr. 15,231: „ἔτι δὲ τῶν παλαιῶν τοὺς ἀρίστους ῥήτορας καὶ μεγίστην δόξαν λαβόντας πλείστων ἀγαθῶν αἰτίους τῇ πόλει γεγενημένους“ Übers. Ch. Ley-Hutton. 145 Isokr. 15,234: „τὸ δὲ τελευταῖον Περικλῆς καὶ δημαγωγὸς ὢν ἀγαθὸς καὶ ῥήτωρ ἄριστος οὕτως ἐκόσμησε τὴν πόλιν καὶ τοῖς ἱεροῖς καὶ τοῖς ἀναθήμασι καὶ τοῖς ἄλλοις ἅπασιν, ὥστ᾽ ἔτι καὶ νῦν τοὺς εἰσαφικνουμένους εἰς αὐτὴν νομίζειν μὴ μόνον ἄρχειν ἀξίαν εἶναι τῶν Ἑλλήνων ἀλλὰ καὶ τῶν ἄλλων ἁπάντων, καὶ πρὸς τούτοις εἰς τὴν ἀκρόπολιν οὐκ ἐλάττω μυρίων ταλάντων ἀνήνεγκε.“ Vgl. die ähnliche Formulierung bei Isokr. 7,66, dazu Kap. 3.4. Vgl. dazu den Kommentar bei Too 2008, 204 f. ad loc. sowie Blanshard 2014, 264. 146 Eine ähnliche Kombination von Baupolitik und Deponierung von Geldern auf der Akropolis findet sich auch bei Lykurg. Fr. 9,2. 147 Vgl. Worthington 2001, 12 und ders. 1992, 190–192 ad Deinarch. 1,37. 148 Dazu Kap. 6.4.2. 149 Deinarch. 1,37: „ὧν τοὺς μὲν ἀρχαίους ἐκείνους μακρὸν ἂν εἴη λέγειν, Ἀριστείδην καὶ Θεμιστοκλέα, τοὺς ὀρθώσαντας τὰ τείχη τῆς πόλεως καὶ τοὺς φόρους εἰς ἀκρόπολιν ἀνενεγκόντας παρ᾽ ἑκόντων καὶ βουλομένων τῶν Ἑλλήνων·“
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den zahlreichen Verdiensten dieser Männer (die große Zahl wird von Deinarchos auch einleitend hervorgehoben) werden gerade solche hervorgehoben, die mit sichtbaren Monumenten verbunden sind. Die Akropolis steht auch hier wieder für die dort deponierten Reichtümer und damit für den Wohlstand der Stadt zur Zeit des Seebundes. Parallel dazu wird im weiteren Verlauf der Rede die Untätigkeit des Demosthenes in diesem Bereich hervorgehoben: Welchen Schmuck für die Göttin habe dieser denn auf die Akropolis gebracht – so die anklagende Frage des Deinarchos.150 Im Gegensatz zu Aristeides hat Demosthenes also nicht zur weiteren Ausschmückung (und damit zur Schatzbildung) auf der Akropolis beigetragen. In diesem Zusammenhang wird Demosthenes auch vorgeworfen, die Beförderung der Baupolitik sowohl an den Hafenanlagen als auch im emporion und anderswo in der Stadt oder im weiteren Umland vernachlässigt zu haben. Da Demosthenes sich in diesem Bereich nicht hervorgetan hat, kann er keine sichtbaren Beweise seiner Leistungen erbringen.151 Sowohl in Bezug auf die Vergangenheit als auch auf die Gegenwart werden also die Verdienste führender Redner und Strategen, oder eben die Abwesenheit von Verdiensten, mit Bauten oder zumindest der Hinterlegung von Geld und Gegenständen an für allen zugänglichen Orten als sichtbaren Zeichen verknüpft.152 3.6 Die Akropolis als öffentlicher Raum: Inschriften, Statuen und Eide Auch wenn in einem gesonderten Kapitel ausführlich auf die Bedeutung von Inschriften als materielle Erinnerungsträger eingegangen werden wird, gilt es an dieser Stelle auf einen häufig vorkommenden Zusatz bei der Anführung von Inschriften hinzuweisen, in dem die Inschriften nicht nur erwähnt bzw. verlesen, sondern auch genauer lokalisiert werden.153 Einer der Orte, um die Inschriften einer breiten Öffentlichkeit zugänglich und sichtbar zu machen, ist die Akropolis: In Zusammenhang mit der Inschrift zur Bestrafung des Arthmios von Zeleia wird sowohl bei Demosthenes als auch
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Deinarch. 1,96: „τίς ἀνενήνεκται τῇ θεῷ κόσμος εἰς ἀκρόπολιν ὑπὸ τούτου;“ Deinarch. 1,96: „ἢ ποῖοι νεώσοικοι τούτου πολιτευομένου γεγόνασι; […] τί κατεσκεύακεν οἰκοδόμημα Δημοσθένης ἐν τῷ ἐμπορίῳ τῷ ὑμετέρῳ ἢ ἐν τῷ ἄστει ἢ ἄλλοθί που τῆς χώρας; οὐδεὶς ἂν οὐδαμοῦ δείξειεν.“ Weitaus pragmatischer dargestellt als in diesem symbolträchtigen Vergleich zwischen Gegenwart und Vergangenheit, in dessen Zentrum die Akropolis neben anderen Bauten als Spiegel der Leistungen verdienter Männer und als Symbol des Wohlstandes steht, erscheint die Akropolis in einigen Reden, die ausschließlich in Zusammenhang mit Ereignissen der Gegenwart auf sie verweisen. Dies geschieht beispielsweise, wenn Andokides 1,132 seine Stellung als Schatzmeister auf der Akropolis anführt, um der endeixis Anklage entgegenzuwirken, oder wenn Jahrzehnte später im Rahmen des Harpalos-Prozesses in der Rede des Hypereides 5,9 f. mehrfach darauf verwiesen wird, dass die von Harpalos übergebenen Gelder auf die Akropolis gebracht wurden. Vgl. dazu und zum Folgenden ausführlich Kap. 5.4.4.
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bei Deinarchos darauf hingewiesen, dass diese auf der Akropolis aufgestellt war.154 Demosthenes verortet sie sogar noch genauer neben dem kolossalen Standbild der Athena (Promachos) als einem Denkmal der Siege gegen die Perser. Durch die Formulierung „ἀκροπόλεως ταυτησὶ“ wird zudem deutlich, dass er gestisch auf den Aufstellungsort verweist. Auffällig ist, und auf diese Tatsache verweist Demosthenes auch selbst, dass gerade an diesem geheiligten und mit Erinnerungen an vollbrachte Heldentaten des Demos verbundenen Ort Inschriften aufgestellt werden, die sich mit Vergehen gegen den Demos befassen. Dies gilt nicht nur für den genannten Arthmios von Zeleia. Mehrfach wird in Gerichtsreden darauf hingewiesen, dass gegenüber der Polis verschuldete Personen auf der Akropolis registriert seien. In einer wohl irrtümlich Demosthenes zugewiesenen Gerichtsrede aus der Zeit zwischen 338 und 324 wird zweimal darauf hingewiesen, dass der Angeklagte ein Staatsschuldner und als solcher auf der Akropolis verzeichnet sei.155 Wird zu Beginn der Rede nur kurz und ohne weitere Details auf diese Tatsache verwiesen, ist die entsprechende Aussage am Ende der Rede weitaus komplexer gefasst. Zunächst wird darauf hingewiesen, dass zu Beginn jedes Monats die Athener die Heiligtümer auf der Akropolis besuchten, um bestimmte Gebete zu sprechen, das heißt jeder Athener hält sich mindestens einmal im Monat an dem Ort auf, wo der Angeklagte und sein Vater als Schuldner registriert sind.156 Aber nicht nur diese Tatsache allein könnte eine Belastung darstellen. Würden die Richter nun den Angeklagten freisprechen, wäre nicht nur die Liste der Staatschuldner ein Zeugnis für den ungerechten Richterspruch, sondern auch die Anwesenheit zahlreicher anderer „Eide und Dokumente“, die für eine Verurteilung des Angeklagten sprechen würden.157 Die Akropolis war also demnach einerseits ein geheiligter Ort, der regelmäßig zur Andacht aufgesucht wurde, andererseits der Ort, an dem zahlreiche inschriftliche Dokumente rechtliche Bestimmungen, aber auch Vergehen gegen die Polis, wie eben die Verschuldung, sichtbar machten. Diese Inschriften hatten auch eine historische Dimension, da zum Beispiel die Vergehen vergangener Generationen, wie des Vaters des Angeklagten, und die „Dokumente und Eide“ aus Jahrzehnten der athenischen Ge154 155
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Demosth. 19,272 und Deinarch. 2,24. [Demosth.] 25,4 und 99. Zur Problematik der Authentizität vgl. Wohl 2010, 51. Die rhetorischen Strategien und Bilder seien jedoch typisch für die Gerichtsreden der Zeit und damit als solche zu interpretieren. Vgl. dagegen Faraguna 2001, 75 (mit der weiteren Literatur Anm. 46), der sowohl Komposition als auch Präsentation der Rede durch Demosthenes annimmt, und den Prozess um 325 datiert. Zu den regelmäßigen Gelegenheiten für Besuche auf der Akropolis vgl. Hurwit 1999, 47 f. [Demosth.] 25,99, zum Text vgl. Kap. 5.8. Die endeixis war eine Anklage- und Verfahrensform gegen „Staatsschuldner, Verbannte oder atimoi, die Orte (Heimat, Volksversammlung, Rat, Gerichtshöfe, Heiligtümer, Markt) besuchten, deren Besuch ihnen durch Gesetz oder Volksbeschluß untersagt war, oder die gesetzlich verbotene Tätigkeiten ausübten.“ (G. Thür, s. v. „Endeixis“, in: DNP 3 (1997), 1025); vgl. Aristot. Ath. Pol. 52,1. Ausführlich zur endeixis auch Hansen 1976, der hier besprochene Fall ist unter Nr. 32 aufgenommen.
Die Akropolis als öffentlicher Raum: Inschriften, Statuen und Eide
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schichte präsent gehalten wurden. Dass diese Dokumente, insbesondere die Liste der Schuldner, auch manipuliert werden konnten, konnte in den Reden ebenfalls deutlich geäußert werden. Gleichzeitig wird die Beweiskraft der Inschrift hervorgehoben: Wer aufgrund von unrechtmäßigen Absprachen nicht auf dieser Liste verzeichnet sei, könne auch nicht mit einer endeixis belangt werden.158 An der Schnittstelle zwischen Ehrung und Zurschaustellung von Handlungen gegen den Demos steht die Schilderung des Schicksals von Hipparchos, Sohn des Charmos, in der Rede des Lykurgos „Gegen Leokrates“, die bereits im zweiten Kapitel angesprochen wurde. Das Standbild dieses Mannes habe zunächst auf der Akropolis gestanden. Nachdem er aber wegen Verrat am Volk (prodosia) in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden sei, habe man seine Statue eingeschmolzen und daraus eine Liste zur Aufzeichnung von „Verfluchten und Verrätern“ gemacht.159 Zwar wird nur für die Statue die Akropolis ausdrücklich als Aufstellungsort genannt, vermutlich stand aber auch die Inschriftenstele auf der Akropolis – oder Lykurgos wollte dies zumindest suggerieren.160 Da die Historizität der Episode fraglich ist, kann nicht davon ausgegangen werden, dass nun tatsächlich die Bürger die Stele sehen und somit die Aussage des Lykurgos überprüfen konnten. Die Tatsache allein, dass Lykurgos diesen Anschein erwecken möchte, zeigt aber, welche Rolle die Sichtbarmachung von Vergangenheit durch Inschriften und ihre materiellen Träger spielte.161 Eine Liste durchweg positiven Inhalts wird in der Rede des Apollodoros „Gegen Neaira“ präsentiert. In dem Prozess wird die Angeklagte beschuldigt, als Fremde ungesetzlich mit einem Athener in Ehegemeinschaft zu leben. Die aus dieser Ehe hervorgegangenen Kinder würden demnach unrechtmäßig das athenische Bürgerrecht ausüben. Als Gegenbeispiel wird die Verleihung des Bürgerrechts an diejenigen Plataier angeführt, die nach der Zerstörung der Stadt durch Sparta und Theben 427 nach Athen geflohen waren. Diese Bürgerrechtsverleihung erfolgte nicht zuletzt, so schildert es zumindest der Redner, aufgrund des unermüdlichen Kampfes der Plataier in den verschiedenen Schlachten der Perserkriege.162 Nichtsdestotrotz seien die Plataier vor der Bürgerrechtsverleihung einer dokimasia unterzogen worden, erst danach habe man die Namen auf der Liste verzeichnet. Diese Liste ist also gleichzeitig eine Ehrung und ein „Beweisstück“ der Plataier, andererseits aber auch ein Dokument, um einen Miss-
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So beispielsweise bei Demosth. 58,19 und 48. Lykurg. 1,117–119, vgl. dazu ausführlich Kap. 2 auch zum historischen Kontext und zur Datierung der Rede. 160 Zum Problem der Authentizität vgl. Kap. 2 sowie 5.8. 161 Engels 2008, 167 zufolge könnte es sich um eine Liste mit den Namen der Ostrakisierten gehandelt haben. Zur Problematik oben Kap. 2. Zur Bedeutung von Inschriften und ihrer Verortung auf der Akropolis insbesondere zur Zeit des Lykurgos vgl. ausführlich Lambert 2010. 162 [Demosth.] 59,94–96, eine der wenigen Passagen erhaltener Reden, in der die Teilnahme der Plataier an der Schlacht bei Marathon erwähnt wird. Diese Information wird außerdem nur noch bei Isokr. 14,57 gegeben. Vgl. Wojciech 2018, 179 f.
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Die Akropolis
brauch oder ungerechtfertigten Anspruch auf das athenische Bürgerrecht durch weitere Personen zu verhindern. Die Liste sei dann „auf der Akropolis, neben dem Tempel der Athena“ aufgestellt worden.163 Auch hier erfolgt also eine genauere Lokalisierung eines historischen Dokuments auf dem Gebiet der Akropolis – zumindest theoretisch hatten die Athener die Möglichkeit, die Existenz einer solchen Inschrift zu überprüfen. Umso schwerwiegender musste es erscheinen, wenn Objekte und Inschriften von der Akropolis entfernt wurden. Diese Anklage erhebt Demosthenes gleich zweimal in Zusammenhang mit Goldkränzen „an die Göttin“, die also wohl auf der Akropolis deponiert waren und durch ihre Inschriften von den Wohltaten der Athener gegenüber anderen Poleis und den Leistungen verdienter Strategen wie Konon kündeten.164 Es handelt sich hier also um Weihgeschenke und gleichzeitig historische Dokumente, die auf der Akropolis, an einem allen zugänglichen Ort, sichtbarer Ausdruck der Verdienste der Vorfahren waren. Der Aspekt der Öffentlichkeit und Sichtbarkeit wie auch der Sakralität der Akropolis spielt ebenfalls eine Rolle, wenn die Akropolis bzw. einer der Tempel als Ort von Eidesleistungen oder von anderen öffentlichen Handlungen vor Zeugen erwähnt wird. Diese Funktion lässt sich schon in einer der frühesten erhaltenen Reden des Antiphon ausmachen und ist bis in die Mitte des 4. Jahrhunderts in weiteren Prozessreden anzutreffen.165 Die Akropolis fungiert also auch durch die Aufstellung von Inschriften und Statuen als „Erinnerungsraum“ der Polis, im positiven wie im negativen Sinne. Sie bildet damit den idealen Rahmen für öffentliche und vor Zeugen vollzogene Handlungen. Ob die einzelnen Inschriften tatsächlich auf der Akropolis zu sehen waren, ist dabei zweitrangig. Wichtig ist, dass sie von den Rednern mit der Eigenschaft der Sichtbarkeit ausgestattet werden, um eine gesteigerte Glaubwürdigkeit der eigenen Aussagen zu erreichen. 3.7 Weihgeschenke: Darstellung persönlicher Verdienste Im Erbschaftsprozess „Über das Vermögen des Dikaiogenes“ des Jahres 389 berichtet der Ankläger Menexenos auch von den Verdiensten seiner Vorfahren für die Polis, die diese mit Hilfe ihres Vermögens erworben hätten. Zu diesen Verdiensten zählten insbesondere die Übernahme von Choregien, Beiträge zu Kriegsausgaben und Trier-
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[Demosth.] 59,105: „καὶ στῆσαι ἐν ἀκροπόλει παρὰ τῇ θεῷ“. Brodersen 2004 ad loc. übersetzt stattdessen „bei der Statue der Göttin Athena“. 164 Demosth. 22,71–75 und 24,180 f.; ausführlich zu diesen Inschriften in Kap. 5.6. 165 Antiph. 6,39: „καὶ ἐγὼ πεισθεὶς ὑπὸ τῶν φίλων διηλλάγην τοὐτοις ἐν τῇ πόλει ἐναντίον μαρτύρων, οἵπερ διήλλαττον ἡμᾶς πρὸς τῷ νεῷ τῆς Ἀθηνᾶς·“ Gagarin 1998, 86 Anm. 34 ad loc. identifiziert den genannten Tempel der Athena als Parthenon; vgl. auch And. 1,42 und 76; Demosth. 36,15.
Weihgeschenke: Darstellung persönlicher Verdienste
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archien. Als Beweis für diese Dienste an der Polis seien aus dem verbleibenden Vermögen Weihgeschenke in den Tempeln aufgestellt worden, als „μνημεῖα τῆς αὑτῶν ἀρετῆς“. Als Beispiele werden Dreifüße im Heiligtum des Dionysos und weitere nicht näher benannte Weihgeschenke im Heiligtum des Pythischen Apollo genannt.166 Damit könnte einerseits das Heiligtum des Apollon Pythios in Delphi gemeint sein, wahrscheinlicher ist aber, dass in diesem Zusammenhang das Heiligtum des Apollon Pythios in Athen selbst angesprochen wurde. Es befand sich am Ilissos in der Nähe des Olympieion.167 Da in der Nähe dieses Heiligtums zahlreiche Basen und weitere Überreste von choregischen Denkmälern gefunden wurden, wird sich die Aussage des Menexenos aller Wahrscheinlichkeit nach auf dieses Heiligtum beziehen.168 In der Rede folgen dann die Weihgeschenke auf der Akropolis: Die Vorfahren hätten dort einen Teil ihres Vermögens geweiht und auf diese Weise das Heiligtum mit einer großen Anzahl bronzener und marmorner Statuen ausgestattet, dabei sei zu bedenken, dass es sich um Weihegaben aus privatem Vermögen handele.169 Erst nach der Aufzählung dieser sichtbaren Beweisstücke bürgerlicher Tugend werden die militärischen Leistungen der Vorfahren kurz aufgezählt, dabei werden jeweils der militärische Rang und der Ort der Schlacht genannt, eine Datierung erfolgt nicht. Anhand dieser Rede wird deutlich, dass nicht nur die Leistungen des gesamten Demos, insbesondere in den Perserkriegen, oder aber herausragender Redner und Strategen mit Monumenten „versehen“ und somit sichtbar gemacht werden konnten. Insbesondere in Privatprozessen konnten auch die Verdienste der Vorfahren einer betroffenen Familie damit herausgehoben werden. Ausdruck fanden diese Verdienste dann insbesondere durch Weihgeschenke. Auch der Kläger im Prozess „Gegen Theomnestos“ berichtet von den Verdiensten seines Vaters, zunächst unter Nennung dessen mehrfacher und vorbildlicher Bekleidung des Feldherrenamtes. Weder sei er jemals gefangen genommen worden noch den Bürgern Rechenschaft schuldig geblieben. Zudem sei er unter der Herrschaft der Dreißig „wegen seines Eintretens für das Volk“ („δι᾽ εὔνοιαν τοῦ ὑμετέρου πλήθους“) 166 Isaios 5,41. Vgl. Wilson 2000, 202, dort auch ausführliche Überlegungen zu den Dreifüßen als Monumentalisierung des Sieges als choregos (198–244); Liddel 2007, 203 f. mit Verweis auf Isaios 7,40, dort werden solche Dreifüße „μνημεῖα τῆς ἐκείνου φιλοτιμίας“ bezeichnet. Vgl. auch den Kommentar ad Isaios 7,40 bei Griffith-Williams 2013, 84: „presumably because the tripod stood as a public memorial of which his audience would be aware.“ Vgl. dort auch ausführlich zum Ablauf von Erbschaftsprozessen, 3–25. 167 Zum Heiligtum am Ilissos vgl. Travlos 1971, 100–103; 578; Wycherley 1978, 166–168; Travlos 1971, 91 bezeichnet ein Höhlenheiligtum am Nordhang der Akropolis ebenfalls als Pythion: Apollon Pythios sei dabei mit dem dort inschriftlich bezeugten Apollon Hypoakraios gleichzusetzen. Wichtig war dieses Heiligtum auch als Station des panathenäischen Festzuges, hierzu ebenda, 422 f. mit Abb. 540. Vgl. dagegen Wycherley 1978, 177 Anm. 9, der „Pythian associations“ zwar nicht abstreitet, das Heiligtum des Apollon Pythios in Athen sei jedoch dasjenige am Ilissos gewesen. Vgl. dort auch die ältere Literatur zum Problem. 168 Zu den archäologischen Funden vgl. Travlos 1971, 100 mit Abb. 131 sowie 135–137; 578 zu neueren Funden. 169 Isaios 5,42 mit einem weiteren kurzen Verweis auf diese Weihgeschenke in 44.
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Die Akropolis
getötet worden.170 Die militärischen Leistungen des Vaters sind dadurch immer noch sichtbar, dass „die Andenken (mnemeia) an seine Tapferkeit als Weihegeschenke in euren Heiligtümern aufbewahrt werden.“171 Weder die Weihgeschenke noch die Heiligtümer werden hier genauer beschrieben, es ist aber davon auszugehen, dass es sich weniger um die Weihgeschenke aus Leistungen für die Allgemeinheit, also zum Beispiel Dreifüße für den Sieg in einer Choregie, oder aus privatem Vermögen, wie in der Rede des Isaios, handelt. Vielmehr geht es hier um militärisches Engagement, sichtbares Zeichen dafür sind insbesondere Weihgeschenke aus Kriegsbeute sowie die erbeuteten Schilde der Feinde, die ebenfalls geweiht werden konnten.172 Welche Heiligtümer hier gemeint sein können, kann nur vermutet werden – die Akropolis als Ort mit dem größten Prestige und der größten Sichtbarkeit im Zentrum der Polis ist dabei eine Möglichkeit. Im Gegensatz dazu wirft der Kläger dem Prozessgegner vor: „Die Andenken an die Schlechtigkeit dieses Menschen und seines Vaters sind in den Heiligtümern der Feinde, so angeboren ist ihre Nichtswürdigkeit.“ Das heißt, der Angeklagte und sein Vater haben demnach nicht nur keine eigenen Weihgeschenke als Beweis ihrer eigenen militärischen Tüchtigkeit vorzuweisen, sondern die Zeichen ihrer Niederlagen sind auch noch als Weihgeschenke in den Tempeln der Feinde zu sehen. 3.8 Fazit: Die Akropolis als Sinnbild der Polis und ihrer Geschichte Die historischen Bezüge, die mit Hilfe der Akropolis und ihrer Monumente in den Reden hergestellt werden, sind vielschichtig. Es hat sich gezeigt, dass mit den erfolgreichen Kapiteln der Geschichte der Stadt insbesondere die Propylaia hervorgehoben werden. Andere Bauten, wie beispielsweise der Parthenon, werden weit weniger häufig, bei Aufzählungen erst nach den Propylaia genannt, Bauwerke wie das Erechtheion finden gar keine Erwähnung. Ein Grund hierfür könnte die gut sichtbare Position der Eingangsbauten sein. Es steht weniger die eigentliche Zeit der Errichtung dieser Monumente nach der Mitte des 5. Jahrhunderts im Mittelpunkt, sondern vielmehr die Protagonisten der siegreichen Schlachten der Perserkriege. Perikles wird in Zusammenhang mit der Akropolis vor allem dann angeführt, wenn es um die Funktion der Akropolis bzw. des Parthenon als Schatzhaus geht. Er wird dagegen nur selten als verantwortlich für das Bauprogramm bezeichnet.173 Wiederum in Zusammenhang mit den Perserkriegen stehen die bronzene Statue der Athena und die Beutestücke aus
170 Lys. 10,27. 171 Lys. 10,28: „οὗ ἔτι καὶ νῦν, ὦ ἄνδρες δικασταί, τῆς ἀρετῆς τᾶ μνημεῖα πρὸς τοῖς ὑμετέροις ἀνάκειται, τὰ δὲ τούτου καὶ τοῦ τούτου πατρὸς τῆς κακίας πρὸς τοῖς τῶν πολεμίων·“ Übers. I. Huber. 172 Vgl. Todd 2007, 692 ad loc.; Wohl 2010, 307 f. 173 Isokr. 15,234; Lykurg. Fr. 9,2.
Fazit: Die Akropolis als Sinnbild der Polis und ihrer Geschichte
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den Perserkriegen – wobei der Aspekt der Sichtbarkeit nur für das Standbild in einem hohen Maße angenommen werden kann. Nicht nur Erfolge, sondern auch Gefahren für die Akropolis und damit für die gesamte Stadt werden von den Rednern hervorgehoben. Dies betrifft zunächst die (zweifache) Zerstörung der Akropolis durch die Perser – selten ohne dann auf die umso größeren Erfolge in der Folgezeit zu verweisen. Als „bildliche Stütze“ könnten dabei die Bauteile archaischer Tempel in der Nordmauer der Akropolis sowie auch eventuelle Überreste des alten Tempels der Athena Polias gedient haben. Auch bei der Erwähnung der Niederlage nach dem Peloponnesischen Krieg, die je nach Kontext der Rede den Zuhörern noch in lebendiger Erinnerung sein musste, konnten sowohl die politisch-militärische Krise als auch ihre Überwindung und das erneute Erstarken der Athener in den Mittelpunkt gestellt werden. Die Besetzung der Akropolis durch die Spartaner versinnbildlichte dabei einen Tiefpunkt der Geschichte der Polis. Die Eroberung der Akropolis bedeutete die Herrschaft über Athen, oder, allgemeiner gesprochen, die Akropolis stand für Athen als Ganzes.174 Auch Inschriften, die auf der Akropolis sowohl von Verbrechen gegen als auch von Verdiensten für die Polis kündeten, konnten zur visuellen Unterstützung der Argumentation herangezogen werden. Gleiches gilt für die Verdienste der eigenen Vorfahren einer Prozesspartei, die mit Weihgeschenken in Tempeln belegt werden konnten. Die Symbolkraft der Akropolis für die Geschichte und damit die Identität der Polis kann erneut die bereits in Kapitel 2 angeführte Passage aus der Rede des Lykurgos gegen Leokrates besonders verdeutlichen, in der dieser die „Flucht“ des Leokrates nach der Niederlage Athens bei Chaironeia 338 bildlich schildert.175 Zwar spricht Lykurgos in dieser Passage nicht nur die Akropolis, sondern auch Häfen und Stadtmauern sowie einen Tempel an, jedoch wird der Aspekt des Verrats an der Polis insbesondere mit dem Anblick der Akropolis verknüpft. Dadurch wird vermittelt, dass der Verrat an diesem geheiligten und erinnerungsgesättigten Ort für die Athener gleichzeitig Verrat an der ganzen Stadt bedeutete. Bedenkt man die hohe symbolische, historische, politische, militärische und religiöse Bedeutung der Akropolis,176 ihrer einzelnen Bauten und anderer Objekte sowie ihre visuelle Omnipräsenz von verschiedenen Punkten der Stadt aus, dann liegt auch der Schluss nahe, dass, wenn die Redner Tempel oder Heiligtümer erwähnen, zwar nicht ausschließlich die Akropolis damit gemeint sein muss, sie aber zumindest als mit inbegriffen gedacht werden kann.177 174 175 176 177
Zitat nach Lindenlauf 2003, 57. Lykurg. 1,17, ausführlich dazu Kap. 2. So beispielsweise Low 2010, 355; vgl. auch die Beiträge bei Neils (Hg.) 2005 sowie die umfassenden Betrachtungen etwa bei Holtzmann 2003; Hurwit 1999; 2004; Schneider/Höcker 2001. Vgl. die zahlreiche Erwähnung von Tempeln und Heiligtümern ohne genauere Benennung bei Aischin. 2,152; Demosth. 3,25; 13,28; 20,149; 24,181; Deinarch. 1,99; Hyp. 6,21; Isokr. 7,66; 15,234; Lys. 10,28; 12,96; 99 und insbesondere bei Lykurg. 1,1; 8; 26; 38; 43; 45; 59; 81; 147; 149; 150.
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Die Akropolis
Umgekehrt knüpft sich an die Prominenz der Akropolis eine generelle Frage an: In welchem Ausmaß musste überhaupt noch auf die Akropolis und ihre Bauten und Denkmäler hingewiesen werden? Das gesamte Heiligtum sowie viele seiner einzelnen Monumente waren im Stadtbild omnipräsent und gleichzeitig mit wichtigen Ereignissen, Personen und Mythen verknüpft. Werden diese Personen und Ereignisse in den Reden genannt, ist es ohne weiteres vorstellbar, dass die Zuhörer selbst gedanklich die Verbindung zu den entsprechenden Monumenten herstellten.178 Die Akropolis ist also als Erinnerungsraum für verschiedene Phasen der athenischen Geschichte konzeptualisiert179 und wird auch bei den attischen Rednern auf diese Weise angeführt. „Ein knappes Jahrhundert nach ihrer Errichtung waren die Bauten [nicht nur] der perikleischen Zeit bereits selbst zu Medien der Erinnerung geworden, die ganz gezielt bestimmte Assoziationsketten auszulösen vermochten.“180
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So werden beispielsweise die Bildprogramme des Parthenon wie auch des Athena-Nike-Tempels in den Reden nicht erwähnt, wohl aber die dargestellten mythischen Themen. Prägnantes Beispiel hierfür ist die (nicht nur auf der Akropolis bildlich dargestellte) Amazonomachie, die besonders in den Epitaphien eine Rolle spielt: Lys. 2,4–6; Plat. Mx. 239–241; Isokr. 4,68–70; vgl. auch 6,42; 7,75; 12,191–194; Demosth. 60,8. Diese Verbildlichung in verschiedenen Medien wird auch in Zusammenhang mit anderen etablierten mythischen Erzählungen deutlich, gerade mit Blick auf die anderen Mythen, die in den Epitaphien immer wieder genannt werden: der Kampf des Erechtheus mit den Athenern gegen die Thraker unter Eumolpos, die Unterstützung der Herakliden sowie der „Sieben gegen Theben“. So fällt auf, dass auch diese Mythen überall im Stadtbild und gerade auf und an der Akropolis präsent waren. Auch das Bildprogramm des Athena-Nike-Tempels könnte auf die emblematischen Mythen der Epitaphien bezogen werden. Vgl. Harrison 1997; Schultz 2009; Arrington 2015, 175 f.; Schmidt-Hofner 2016, 365. Das Erechtheion erinnerte (neben anderen Aspekten) an den König Erechtheus und seine Taten (vgl. Parker 1987, 200–204), Gräber der Sieben gegen Theben wurden in der Nähe von Eleusis gezeigt (dazu Steinbock 2013a, 159–169; 193– 196). Auch der Streit zwischen Athena und Poseidon um Attika kann unter diesem Gesichtspunkt untersucht werden (vgl. Loraux 2002, 176 f.). Gerade diese Mythenkomplexe sind es wiederum, die in den Reden besonders häufig erwähnt werden (Vgl. die ausführliche Zusammenstellung der mythischen Themen in den Reden bei Gotteland 2001) – die Mythenauswahl wurde wohl auch durch die „Sichtbarkeit“ dieser Mythen insbesondere auf der Akropolis bestimmt. Gigantomachie und Kentauromachie, die ebenfalls an prominenter Stelle im Bildprogramm des Parthenon erscheinen, spielen hingegen in den Reden keine Rolle. 179 Vgl. Lindenlauf 2003, 57. 180 Hartmann 2010, 500.
4 Ehrenstatuen „Es war nicht unvernünftig, wie sie sich tapfer verhalten haben, weil ihr allein unter den Hellenen, Athener, gute Männer recht zu ehren versteht. In anderen Poleis nämlich werdet ihr auf der Agora Standbilder von Athleten aufgestellt finden, bei euch aber solche von guten Strategen und Tyrannentötern. Es ist nicht leicht, selbst aus ganz Griechenland auch nur wenige Männer von solcher Art zu finden.“1
Mit diesen Worten würdigt Lykurgos in der Rede „Gegen Leokrates“ die Leistungen der Gefallenen der Schlacht bei Chaironeia. Die Ehrungen, die sie in ihrer Heimatpolis zu erwarten hatten, seien von ganz besonderer Art. Strategen und Tyrannentöter sind es nämlich, die auf der Agora als vorbildliche Bürger mit Statuen geehrt werden.2 Eine solche Aussage bekommt im Gerichtsprozess darüber hinaus ein starkes Gewicht, weil sich die im dikasterion versammelten Athener auf der Agora und damit inmitten dieser Statuen befinden, an denen sie auf dem Weg zum Gerichtshof gerade noch vorbeigegangen sind. Die Aussage des Lykurgos stellt gleichzeitig den Rahmen für die Untersuchung in diesem Kapitel dar: Darstellungsthemen und Orte der Aufstellung sowie die Verwendung dieser Informationen bei den Rednern werden im Mittelpunkt der Analyse stehen. Die drei von Lykurgos genannten Eckpunkte, die Agora als zentraler Ort der Aufstellung solcher Ehrungen sowie Tyrannenmörder und Strategen als die im Bild Geehrten und Erinnerten bilden den Schwerpunkt des Kapitels.
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Lykurg. 1,51: „καὶ δι’ἃ οὐκ ἀλόγως ἐπετήδευον, ἐπίστασθε, ὦ Ἀθηναῖοι, μόνοι τῶν Ἑλλήνων τοὺς ἀγαθοὺς ἄνδρας τιμᾶν· εὑρήσετε δὲ παρὰ μὲν τοῖς ἄλλοις ἐν ταῖς ἀγοραῖς ἀθλητὰς ἀνακειμένους, παρ’ὑμῖν δὲ στρατηγοὺς ἀγαθοὺς καὶ τοὺς τὸν τύραννον ἀποκτείναντας. καὶ τοιούτος μὲν ἄνδρας οὐδ’ἐξ ἁπάσης τῆς Ἑλλάδος ὀλίγους εὑρεῖν ῥάδιον…“ Übers. J. Engels. Von den Hoff 2009, 196 betont, dass es sich bei dieser Textstelle um ein „aussagekräftiges Bild der tragenden Werte der Athener“ handelt. Zur Textstelle vgl. ausführlich Kap. 4.2 sowie Kap. 2.
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Ehrenstatuen
4.1 Statuen als Erinnerungsträger: Begriffe und Chronologie Öffentliche Ehrenstatuen, die Bilder des „guten Bürgers“ allen vor Augen stellten, spielen in Zusammenhang mit der Visualisierung von Vergangenheit in den Reden eine wichtige Rolle. Der Begriff eikon, der seit dem frühen 5. Jahrhundert für Standbilder in Gebrauch ist, wird auch von den Rednern meist zur Bezeichnung der von ihnen angeführten Statuen genutzt. Damit wird die Darstellung eines bestimmten Individuums bezeichnet, die auch zum Träger von Normen und Werten werden kann.3 Dabei kann mit der Beifügung chalkos auch das Material des Standbildes genauer benannt werden, manchmal meint der Begriff das Standbild selbst. Seltener findet der Begriff andrias Verwendung, der seit dem 7. Jahrhundert sowohl das „Standbild eines sterblichen Mannes“ als auch ein „Götterbild“ bezeichnen konnte.4 Davon abzugrenzen ist der archaische Begriff des sema (=Zeichen) sowie die Bezeichnung agalma, die für Weihgaben und Darstellungen von Göttern reserviert ist.5 Von den antiken Zeitgenossen konnte die Statue in ihrer Funktion als Erinnerungsträger darüber hinaus als mnema, also als Erinnerung für die kommenden Generationen aufgefasst und benannt werden, denn in Form von Statuen konnten Menschen, die nicht länger präsent waren, über die Zeit gegenwärtig gehalten werden.6 Die Bezeichnung kann mit dem Begriff „Denkmal“ bzw. „Erinnerungsmal“ übersetzt werden und besitzt damit einen eindeutig verweisenden Charakter.7 Um die Bedeutung, die Statuen als Erinnerungsträger in den Reden spielen, besser einordnen zu können, müssen zunächst neben den verwendeten Begrifflichkeiten die antiken Konzepte von Statuen und ihren Ausdrucksmöglichkeiten untersucht werden. Diese Untersuchung stellt zwei Punkte in den Mittelpunkt: Den Aspekt der Lebendigkeit, der einer Statue zugesprochen wird, und damit verbunden ihre konkrete, körperliche Präsenz, und, angelehnt an die Einbindung der Statuen in rhetorische Zusammenhänge, ihre Funktion als visuelle paradeigmata. Beide Aspekte kommen in einer Aussage zum Standbild des Chabrias zum Ausdruck, die in der „Rhetorik“ des Aristoteles überliefert ist: 3 4 5 6
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Vgl. Metzler 1971, 154–160; Tanner 2006, 104–108; G. Oliver 2007, 182; Queyrel 2012, 73; Vorster 2017, 16 f. [Demosth.] 12,4; Lykurg. 1,119. Vgl. zur Bedeutung Metzler 1971, 153 f. (Zitate 154). Ausführliche Besprechung und Belege für semata vgl. Niemeyer 1996, 12–15, ebenda 16 f. zum Begriff agalma. Vgl. auch die Angaben bei E. Struck, s. v. „ἄγαλμα“, in: LFE 1 (1979), Sp. 31 f. sowie V. Langholf, s. v. „σῆμα“, in: LFE 4 (2010), Sp. 103–106. Vgl. Marconi 2009, 172 mit weiterer Literatur, der diese Funktion von Statuen bis in früharchaische Zeit zurückverfolgt mit dem Verweis auf Cert. Hom. Hes. 324, das diese Funktion in früher Zeit widerspiegele. Vgl. bereits Niemeyer 1996, 15; Steiner 2001, 252–259 auch zu den Begriffen agalma und sema insbesondere im Grabkontext. Vgl. Niemeyer 1996, 15; die Bedeutung der Statue als mnema bzw. mnemeion betont auch Queyrel 2012, 90 sowie Chaniotis 2017, 148 und Vorster 2017, 16 f. Vgl. auch die Untersuchung der Begriffe mnema, mnemeion und hypomnema im Kap. 1.1.
Statuen als Erinnerungsträger: Begriffe und Chronologie
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„Ferner sagte Lykoleon in seiner Verteidigungsrede für Chabrios [sic!]: ‚Ohne Ehrfurcht vor seinem Fürsprecher dem bronzenen Standbild.‘ Das ist eine Metapher, in einer konkreten Situation gebildet, die zwar nicht immer paßt, dafür aber anschaulich ist. In seiner Gefahr bittet ja die Statue, das leblose Belebte, das Mahnmal seiner für die Stadt geleisteten Taten.“8
Die dort genannte Metapher präsentiert die Statue als personifizierten Bittsteller, gleichzeitig leblos und belebt. Darüber hinaus wird die Funktion als visuelles paradeigma benannt, dient die Statue doch als „Mahnmal seiner für die Stadt geleisteten Taten.“ Eine Betonung der lebendigen Erinnerung, die durch eine Statuenehrung zum Ausdruck kommen kann, findet sich auch in der Inschrift für eine Statuenweihung auf der Akropolis, die der Athener Polystratos für seinen Bruder Polyllos hatte errichten lassen. Die Statue wird als „unsterbliche Erinnerung an den sterblichen Körper“ bezeichnet, was ihre „kommemorative Funktion“ unterstreicht.9 Zum Aspekt der Lebendigkeit und Präsenz hat Tonio Hölscher hervorgehoben, dass die Schriftquellen ausdrücklich den künstlichen Charakter von Bildwerken hervorheben, indem sie bestimmte Materialien oder die Urheberschaft bestimmter Bildhauer nennen.10 Die visuelle und materielle Präsenz der Statuen führte dann dazu, dass die zeitgenössische Gesellschaft mit ihnen in konkreten Handlungen und Ritualen umgehen konnte. Für diese Zwischenstellung zwischen von Menschen geschaffener Materialität und der Integration in die Welt der lebenden Menschen hat Hölscher den Begriff der „konzeptuellen Präsenz“ geprägt. Durch die sichtbare Präsenz des Bildes selbst wie auch durch damit verbundene Rituale und die Einbindung in den alltäglichen oder auch politischen Diskurs sollten die Statuen „‚realen‘ Gestalten der Vergangenheit oder der Ferne über die Distanz von Raum und/oder Zeit eine Gegenwart, eine körperliche Präsenz im Hier und Jetzt“ geben.11 Die starke Präsenz von Statuen 8
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Aristot. Rhet. 3,1411b: „καὶ Λυκολέων ὑπὲρ Χαβρίου „οὐδὲ τὴν ἱκετηρίαν αἰσχυνθέντες αὐτοῦ, τὴν εἰκόνα τὴν χαλκῆν“· μεταφορὰ γὰρ ἐν τῷ παρόντι, ἀλλ᾽ οὐκ ἀεί, ἀλλὰ πρὸ ὀμμάτων· κινδυνεύοντος γὰρ αὐτοῦ ἱκετεύει ἡ εἰκών, τὸ ἄψυχον δὴ ἔμψυχον, τὸ ὑπόμνημα τῶν τῆς πόλεως ἔργων.“ Übers. G. Krapinger. T. Hölscher 2017, 29 sieht hier ein „Changieren zwischen materiellem Bild und lebender Person“. Zur Textstelle vgl. auch Kap. 4.3.2. IG II/III2 3838: „Πόλυλλος Πολυλλίδου Παιανιεύς./ εἰκόνα τήνδ’ἀνέθηκε Πολύστρατος αὐτοῦ ἀδελφόν,/ μνημοσύνην θνητοῦ σώματος ἀθάνατον.“ Vgl. Löhr 2000, Nr. 89; Krumeich 2007, 388 (dort auch die Übersetzung) mit Anm. 24 und der Überlegung, ob es sich dabei um eine Weihung zu Lebzeiten oder postum gehandelt haben könnte, dort auch die weitere Literatur. Vgl. T. Hölscher 2012, 32; 2014b, 181 mit Verweis auf das Beispiel der Standbilder des Daidalos: Die Bildwerke mussten „angeblich gefesselt werden“, gleichzeitig wurde „die kunstvolle Arbeit in kostbaren Materialien hervorgehoben“ (mit Anm. 47 und dem Verweis auf Kratin. Fr. 75 Kassel/ Austin; Diod. 4,76; Dion. Chrys. 37,9–10), sowie auf Vasenbilder des 5. Jahrhunderts, die Statuen „in Aktion“ zeigen, gleichzeitig aber die „materielle Dinglichkeit des Bildwerks durch einen Sockel und altertümliche Kunstformen“ hervorheben (182). Vgl. auch ders. 2017, 24–26. T. Hölscher 2014b, 181 vgl. auch ders. 2012, 32 mit Anm. 40 und zuletzt 2017, 18–22. Die Praxis der Bekränzung von Ehrenstatuen ist belegt durch SEG 8,529; 48,742 B7. Allerdings stammen die ge-
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Ehrenstatuen
liegt auch in ihrer Allgegenwart begründet, denn zentrale öffentliche Räume wie Heiligtümer, Agora sowie öffentliche Plätze und Straßen beherbergten Statuen.12 Dadurch war der Umgang mit diesen Statuen oft aber auch weniger durch bewusstes Wahrnehmen und Betrachten, sondern vor allem durch das unbewusste Leben mit diesen Bildern geprägt.13 Das Erscheinungsbild der Statuen, insbesondere von öffentlichen Ehrenstatuen, war von den „Interessen, Problemen, Wertvorstellungen geprägt, die zur Entstehungszeit des Monuments in der athenischen Öffentlichkeit aktuell waren“. Nicht nur in Athen, sondern auch in anderen griechischen Poleis verkörperten die Statuen der klassischen Epoche über ihr jeweiliges Darstellungsthema hinaus bestimmte Verhaltensideale für Individuen oder Gruppen.14 Die Rolle als positive Vorbilder für die athenischen Bürger nahmen die Dargestellten im übertragenen Sinne, nämlich durch ihre Taten und Leistungen, ein, aber auch ganz konkret, indem sie sich auf ihren Sockeln über die Betrachter erhoben.15 Ähnlich dem rhetorischen paradeigma können Statuen demnach als visuelle paradeigmata verstanden werden, die den athenischen Bürgern permanent vor Augen standen.16 Insbesondere wenn Statuen durch die Polis und für den öffentlichen Raum in Auftrag gegeben wurden, waren sie weniger porträtierend auf ein Individuum zugeschnitten, sondern stellten vielmehr idealisierte Repräsentationen dar. Sie sollten vermitteln, welche permanenten Werte in der Gesellschaft des Betrachters Gültigkeit besaßen. Neben der Funktion als visuelle paradeigmata können Statuen auch stellvertretend für ein Ereignis stehen: So kann die Aussage in der Gesandtschaftsrede des Demosthenes, dass die Arkader Philipp eine Bronzestatue aufge-
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nannten Inschriften aus dem 2. Jahrhundert und später. Den Aspekt der Bekränzung von Statuen in Zusammenhang mit der Erinnerung an bestimmte Ereignisse betont Chaniotis 2017, 148. Vgl. Steiner 2001, xi, die f. Statuen als „key artefacts in this cultural landscape“ bezeichnet; Chaniotis 2017, 144. Vgl. T. Hölscher 2012, 39; ähnlich auch ders. 2014b, 181, vgl. dazu auch die Kap. 1.2 und 1.3. Fehr 1984, 14 f. und T. Hölscher 1988b, 383: „‚Idealität‘ bedeutet im 5. Jahrhundert nicht ‚Heroisierung‘, sondern Einreihung in das allgemeine Menschenbild der Zeit.“; ähnlich bereits ausführlich ders. 1971, 12–23. Vgl. Dillon 2006, 61. Vgl. zum alltäglichen Anblick der Statuen bereits Gauer 1968b, 119: „Indem die Polis eine solche Bildnisstatue […] in den Zentren des politischen Lebens errichtete, stellte sie den Bürgern ein Bild dieses ihres Bürgerideals vor Augen. Das ist sehr konkret zu verstehen, denn jeder attische Bürger hatte wohl täglich die Gelegenheit, eine solche Statue zu betrachten.“ Zum Begriff des visuellen paradeigmas Dillon 2006, 62; Tanner 2006, 140: „The everyday appropriation of such imagery by viewers and the pleasure they took in gazing on and evaluating bodies and faces that pointed towards exemplary characters enculturated viewers into the same sets of civic values as underlay both the forms and the institution of portraiture.“ Vgl. außerdem T. Hölscher 2017, 115. Eine Analogie zwischen Rhetorik und Skulptur sieht Steiner 2001, 265 f. in der Entsprechung zwischen Ehrenstatuen und Lobreden; dort auch Beispiele für Statuen in anderen Textgattungen, so die Einbindung von Siegesstatuen in die Dichtung des Pindar 259–265.
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stellt und diese geschmückt hätten, als Metapher dafür dienen, dass diese nun auf Seite der Makedonen stehen.17 Den Schwerpunkt der Betrachtungen dieses Kapitels werden Ehrenstatuen als politische Denkmäler im engeren Sinne bilden. Der Begriff bezeichnet grundsätzlich eine „auf offiziellen Beschluss der Gemeinschaft der Bürger oder ihrer Gremien im öffentlichen Raum einer griechischen Polis errichtete Bildnisstatue“. Sie diente der „als allgemeingültig präsentierten“ Würdigung der „Leistungen und Verdienste“ der dargestellten Person. Neben der Verleihung eines Kranzes, der Speisung auf Staatskosten (sitesis) und dem herausgehobenen Sitz im Theater (prohedria) gehörte sie zu den höchsten Ehrungen, die die Polis an Bürger und Auswärtige vergeben konnte. Die meisten dieser Statuen wurden auf der Agora, also im Zentrum des öffentlich-politischen Raumes der Polis, aufgestellt. Darüber hinaus konnten Ehrenstatuen auch in Heiligtümern errichtet werden.18 „Der Grund für die Ehrung wurde dabei in der Regel in der Inschrift auf der Statuenbasis, gelegentlich aber auch auf einer separaten, direkt neben der Statue platzierten Marmorstele dokumentiert, auf der das entsprechende Dekret zu lesen war.“19 Durch die Aufstellung gerade auf der Agora wurde „die ganze politische Gemeinschaft“ zur Adressatin der mit den Bildern verbundenen Botschaften. Nicht nur metaphorische, sondern auch reale, physische Nähe zu diesen Statuen „bedeutete sehr konkret Nähe zu den von ihnen verkörperten Werten.“20 Der Beginn der Praxis der Aufstellung von Ehrenstatuen als politische Denkmäler in solchen öffentlichen Räumen lässt sich in Athen mit der Statuengruppe der so genannten Tyrannenmörder Harmodios und Aristogeiton nachweisen.21 Diese war kurz nach 510 mitten auf der Agora, „dort, wo sich in archaischer Zeit das kultische und politische Zentrum befunden haben muss“ und die bis dahin von Bildnisstatuen
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Vgl. Thomas 1989, 51 mit Bezug auf Demosth. 19,261 sowie 19,330. Von den Hoff 2009, 193. Krumeich 2007, 382; Gauthier 1985, 93 betont, dass die Statue dabei die größte der möglichen Ehrungen war („la plus impressionnante d’entre elles“). Vgl. auch von den Hoff 2009, 193. Zum Ablauf der Gewährung einer Ehrenstatue vgl. auch G. Oliver 2007, 189 und umfassend bereits Gauthier 1985. Von den Hoff 2009, 194, hier in Zusammenhang mit den Tyrannenmördern; vgl. auch T. Hölscher 2017, 22; 115. Brunnsåker 21971; H. Thompson/Wycherley 1972, 155–158; Taylor 1981, zur Statuengruppe insbesondere 33–50; Fehr 1984; C. Landwehr 1985, 27–47; Schuchhardt / C. Landwehr 1986; Krumeich 1995b, 300–304; 1997, 57–59; Ober 2003, bes. 216–222; Bumke 2004, 131–145; F. Hölscher 2010 und neuerdings Azoulay 2014 mit umfassender Bibliographie; K. Hallof / S. Kansteiner / L. Lehmann, s. v. „Kritios aus Athen und Nesiotes“, Nr. 1, in: DNO 1 (2014). Darüber hinaus beschäftigen sich zahlreiche weitere Beiträge zu Statuenehrungen auch mit den Tyrannenmördern, die aber hier nicht aufgezählt werden können und stattdessen zu einzelnen Aspekten als Belege angeführt werden. In anderen Poleis wurden Ehrenstatuen „für einzelne Könige, Strategen und agonistische Sieger“ bereits im 6. und 5. Jahrhundert regelmäßig aufgestellt, vgl. dazu Krumeich 1997, 202; 205 f. (Zitat 204); 2007, 384.
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Ehrenstatuen
freigehalten worden war, aufgestellt worden.22 Gerade die Statuengruppe des Antenor weist eine singuläre Position auf, die sich von allen bis dahin üblichen, traditionellen funktionalen und räumlichen Kontexten für Statuen in der Polis, also als Bilder am Grab oder als Weihgaben auf der Akropolis und in anderen Heiligtümern, abhob.23 Gegen eine Funktion im Grabkontext spricht, dass das Grab der beiden Geehrten, das auf dem Kerameikos gezeigt wurde, räumlich zu weit entfernt lag, um eine solche Verbindung plausibel zu machen. Sicherlich war auch die Statuengruppe ein Ort, an dem bestimmte Rituale stattfanden, aber diesen kann keine kultische Funktion im eigentlichen Sinn zugeschrieben werden.24 Wie Tonio Hölscher in zahlreichen Untersuchungen deutlich gemacht hat, diente die Statuengruppe einzig der „Rühmung einer politischen Tat“, ist also als „erstes eigentlich politisches Denkmal Griechenlands“ und somit zumindest als Vorläufer der Ehrenstatuen des 4. Jahrhunderts aufzufassen.25 In 22
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Zitat Bumke 2004, 133. Zur umstrittenen Datierung der Statuengruppe, ihrer Funktion und den möglichen Auftraggebern Brunnsåker 1971, 43 und 97 f. mit Bezug auf Plin. nat. 34,17 zur Datierung kurz nach 510; Taylor 1981, 34–37, der zudem eine Gestaltung der frühen Statuengruppe nach dem Vorbild der typisch-archaischen Kouroi annimmt, ebenso Grütter 1997, 114 und Anm. 10 mit der weiteren Literatur; Fornara 1970, 157 f.; Fehr 1984, 6; Bumke 2004, 131 f.; Azoulay 2014, 43–48, der die beiden Möglichkeiten der Datierung kurz nach 510 („à chaud“) oder aber in die 480er Jahre nach der Schlacht bei Marathon („à froid“) diskutiert und zu dem Schluss kommt, dass die Frage auf Basis der vorliegenden Quellen und Argumente nicht abschließend beantwortet werden kann. Vgl. auch den umfassenden Kommentar bei K. Hallof / R. Krumeich / L. Lehmann, s. v. „Antenor aus Athen“, Nr. 1, in: DNO 1 (2014) mit allen Belegen und der Literatur. Ich gebe hier der konventionellen Datierung kurz nach 510 den Vorzug. Die Argumentationen der Redner des 4. Jahrhunderts stützen sich zwangsläufig auf die spätere Statuengruppe, die hier deshalb auch ausführlicher besprochen werden soll. Azoulay 2014, 41 Anm. 11 betont auch den Status der Agora als „no man’s land“ und hebt hervor, dass eine Aufstellung der Statuen des Antenor an zentraler Stelle der Agora zwar wahrscheinlich sei, jedoch keine Quelle sichere Auskunft darüber gebe. Vgl. T. Hölscher 1973, 85; J. Shear 2012, 35; Azoulay 2014, 40 f. F. Hölscher 2010, 244 sieht die Tyrannenmörder als Pendants zu den in anderen Poleis auf der Agora aufgestellten Statuen mythischer Heroen. Zur Lokalisierung des Grabes: Paus. 1,29,15. Die kultische Funktion wird stark betont von Taylor 1981, 25–27; Kearns 1989, 55; 150; Garland 1992, 94–96; Shapiro 1994, 124–126 „a political monument, given a religious coloring by the prior existence of the hero cult“ (124); Krumeich 1995b, 301 f.: demnach standen die Tyrannenmörder am südöstlichen Rand der kreisförmigen Orchestra, in archaischer Zeit politisches und kultisches Zentrum der Polis, im Heiligtum des Dionysos Lenaios, vgl. auch Anm. 49 mit weiterer Literatur und Anm. 51 mit Verweis auf Xen. Hier. 4,5 (dort jedoch nur allgemein zur Aufstellung von Statuen für Mörder von Tyrannen an heiligen Orten: „εἰκόνας ἐν τοῖς ἱεροῖς ἱστᾶσιν“), vgl. auch die Angabe bei Timaios, Lexikon Platonicum, s. v. orchestra (318 Bonelli 2007): „τὸ τοῦ θεάτρου μέσον χωρίον, καὶ τόπος ἐπιφανὴς εἰς πανήγυριν, ἔνθα Ἁρμοδίου καὶ Ἀριστογείτονος εἰκόνες.“ Eine starke Betonung der religiösen Komponente J. Shear 2012, dagegen T. Hölscher 2017, 105 mit Anm. 5. Vgl. zur Abwägung zwischen politischer und religiöser Komponente vermittelnd Stähler 1992, 45. Die Vermutung von Petre 1997, 1212–1215, es habe sich auf Grundlage des Vergleichs mit Tragödienstoffen der Zeit mehr um eine tragische als eine heroisch verstandene Statuengruppe gehandelt, kann nicht überzeugen. T. Hölscher 2012, 24 f. und ders. schon 1973, 85 f.; 1988a, 143–145; 1991, 371; 1998b, 158–163; 2010, 138–142, vgl. dort (140) auch die Bemerkung, dass durch das Denkmal der Tyrannenmörder die Agora zum politischen Raum wurde; 2014a, 254–256; 262–267 und insbesondere die Aussage in 269, durch die Tyrannenmörder-Gruppe sei die Gattung der Ehrenstatue geschaffen worden; 2017,
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diesem Zusammenhang geht Hölscher auch davon aus, dass die Statuengruppe auf Beschluss der Volksversammlung aufgestellt wurde, eine in der Forschung durchaus umstrittene Annahme, da die Quellen, die Aufschluss über den Prozess der Aufstellung geben, in das 4. Jahrhundert oder später datieren.26 Unumstritten ist hingegen die große Bedeutung der Statuengruppe im öffentlichen Raum der Polis von Beginn an, die dadurch zum Ausdruck kommt, dass nach dem Raub der ursprünglichen Statuen durch die Perser sehr schnell, nämlich 477/6, eine neue Statuengruppe von den Bildhauern Kritios und Nesiotes errichtet wurde.27 Auch der Raub selbst kann noch einmal zu der gesteigerten Bedeutung der Statuen beigetragen haben.28 Der Standort dieser Statuengruppe konnte auf Basis der antiken Überlieferung und durch archäologische Untersuchungen ungefähr bestimmt werden.29 Danach befand sie sich am Panathenäenweg gegenüber dem Metroon. Der Standort bedeutet eine zentrale Sichtbarkeit und Präsenz der beiden Geehrten: Jeder, der sich über die Agora kommend der Akropolis näherte, musste an diesem Monument, das zudem isoliert von anderen
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105 f. Vgl. ähnlich auch Niemeyer 1996, 23; Grütter 1997, 115; Krumeich 1997, 57–59; Ajootian 1998, 1; Krumeich 2007, 384 mit der zusätzlichen Charakterisierung als „zentrales Denkmal Athens“. Die Bezeichnung als „politisches Denkmal“ findet sich bereits bei Fehr 1984, 11. Vgl. J. Shear 2012, 34 f., die die Aufstellung der Statuengruppe mit der Errichtung der ersten öffentlich-politischen Bauten an der Agora in Verbindung bringt, gleichzeitig aber auch die kultische Funktion der Statuengruppe stark betont. Vgl. T. Hölscher 2014a, 256 und 263, der auch Überlegungen zu möglichen Diskussionen und Streitigkeiten um diese erste Statuenaufstellung anstellt sowie ders. 2017, 105 f. Vgl. ähnlich auch schon Gauthier 1985, 92; Krumeich 1995b, 302; J. Shear 2012, 35 sowie zuletzt Vorster 2017, 34 („von den Gremien der Polis öffentlich beschlossen“). Quellen: Aristot. Rhet. 1368a; Demosth. 20,70; Plin. nat. 34,17. Zurückhaltender Ajootian 1998, 3: „The question of who actually commissioned the works remains unanswered.“ Ähnlich Ober 2003, 217. Vincent Auzoulay zufolge handelte es sich hingegen auch nicht um ein Ehrenmonument, da die beiden Helden zwar im Bild gefeiert wurden, dieses Bild aber nicht durch die Volksversammlung beschlossen worden sei. Azoulay nennt an dieser Stelle aber keinen alternativen Entscheidungsträger. Vgl. Azoulay 2014, 42 f.; 135. In diesem Zusammenhang kritisiert Azoulay auch die zahlreichen uneinheitlichen und unpräzisen Beschreibungen der Gruppe ohne entsprechendes griechisches Vokabular in der Forschung, als Beispiel aus dem frankophonen Raum die Bezeichnung der „statue commémorative“. (42) Gerade diese Unmöglichkeit der Einordnung sei es aber, die diese Statuen einzigartig mache, und damit der Grund für ihren Erfolg. Die Datierung ist belegt durch marmor parium A 54 (IG XII 5, Nr. 444/IG XII Suppl., S. 110), die Identität der Bildhauer bei Paus. 1,8,5 (Kritios) sowie Lukian. Philopseudes 18 (Nesiotes). Vgl. T. Hölscher 2010, 138; Azoulay 2014, 52 und 55 mit Anm. 1. Vgl. Francis 1980, 74; F. Hölscher 2010, 246; Azoulay 2014, 53, der in diesem Zusammenhang von einer „aura exceptionelle“ spricht. Arr. An. 3,16,8; Paus. 1,8,4–6; Timaios, Lexikon Platonicum, s. v. orchestra (318 Bonelli 2007). Vgl. zu diesen Quellen und ihrer Bewertung H. Thompson / Wycherley 1972, 157 f.; Taylor 1981, 40–43; Azoulay 2014, 56 mit Abb. 1 sowie Anm. 5–9 auch zur weiteren Literatur. Zum Standort vgl. auch T. Hölscher 1991, 371; ausführlich Ajootian 1998, 1–13, mit der Rekonstruktion des Standorts der Tyrannenmördergruppe Abb. 1.5, die besonders den Zusammenhang zwischen der Statuengruppe und den Wettkämpfen der Panathenäen hervorhebt, vgl. v.a. 7–10; Bumke 2004, 133 mit Anm. 731.
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Ehrenstatuen
Bauwerken stand, vorbeikommen.30 Da die Agora in der klassischen Zeit nur an ihren Rändern bebaut war, waren die Statuen letztlich von allen Seiten des Platzes aus für den Besucher zu sehen.31 „Nun standen diese Ehrenstatuen im Zentrum der Stadt, den Athenern vor Augen, inmitten des politischen Geschehens, in unmittelbarer Nähe zum Tagungsort der Volksversammlung“, und konnten demnach nicht nur an ein historisches Ereignis erinnern, sondern auch einen konkret mahnenden Charakter erhalten: Jeder der Teilnehmer der Volksversammlung sollte sich als potentieller Tyrannenmörder verstehen.32 Durch zahlreiche römische Kopien und Darstellungen auf anderen Bildträgern, insbesondere bemalter Keramik, sind das Erscheinungsbild und die symbolischen Gesten der Statuen gesichert, auch wenn über einige Details Uneinigkeit herrscht.33 Die beiden Protagonisten sind im Augenblick der Tat, allerdings ohne ihr Opfer, dargestellt. Dabei repräsentieren sie zwar zwei unterschiedliche Phasen der Tat, gleichzeitig aber auch die Gemeinsamkeit des Vorgehens.34 Die Nacktheit der Statuen kann „als Zeichen der vorbildhaften athletischen physischen Schulung“ aufgefasst werden.35 30 31 32
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Vgl. Krumeich 1997, 58; Dillon 2006, 101 mit Anm. 16; Azoulay 2014, 56 f. Vgl. auch Von den Hoff 2009, 195 Abb. 1. Vgl. Krumeich 1995b, 302. F. Hölscher 2010, 245; vgl. auch Ober 2003, 218 f., „the viewer is drawn into the action and invited to complete the narrative for himself “. Ober spricht in diesem Zusammenhang von der „kinetic energy“ der Statuengruppe; von den Hoff 2009, 194; T. Hölscher 2010, 141: Die politische Funktion sei dabei als wichtiger zu werten, als die Nähe zum „Tatort“. Alle weiteren Denkmäler seien nicht dort errichtet worden, weil es sich um den Ereignisort handele, sondern weil die Vorgänge und Personen für die Menschen auf der Agora präsent gehalten werden sollten; T. Hölscher 2012, 24 f.; 2014a, 263; 2017, 108. Vgl. Brunnsåker 1971, 45–83 mit der ausführlichen Besprechung der Marmorkopien und möglicher Rückschlüsse auf das originale Standbild, ebenda, 99–120 zu den Darstellungen auf Münzen und Vasen; Fehr 1984, 8–11; C. Landwehr 1985, 27–47; Schuchhardt / C. Landwehr 1986; Steiner 2001, 38; F. Hölscher 2010, 252 f.; Azoulay 2014, 56 und ausführlich zum Erscheinungsbild der Statue ebenda 60–68; T. Hölscher 2014a, 262; zu der Darstellung der Tyrannenmörder auf der bemalten Keramik des 5. Jahrhunderts vgl. Azoulay 2014, 75–80 und 105–113 zur Popularität des Motivs nach dem Ende der Herrschaft der Dreißig, insbesondere auf Panathenäischen Preisamphoren; vgl. dazu auch Neer 2002, 168–182; Oenbrink 2004, 373–400; F. Hölscher 2010, 252, die das Motiv auf den Panathenäischen Amphoren des 4. Jahrhunderts als „Wahrzeichen“ Athens deutet. Vgl. ebenso J. Shear 2010, 131: „an almost official emblem of the city.“ Auch durch das Medium von Reliefdarstellungen erfolgte eine Auseinandersetzung mit der Tyrannenmördergruppe. So ist auf dem Fries des Hephaistostempels an der Agora die Figur des Theseus im Lapithenkampf dem Typus des Tyrannenmörders Harmodios angepasst. Vgl. T. Hölscher 1988a, 145 und ders. 2014a, 263; Azoulay 2014, 251 f.: Auf dem Westfries sei Theseus dem Harmodios, auf dem Ostfries hingegen dem Aristogeiton angepasst. Zu Angleichungen zwischen Bewegungsmotiven bei Bildnissen des Theseus und des Harmodios vgl. auch Hudeczek 1972–1975, 134–149; Taylor 1981, 78–146 (zur Angleichung auf Vasenbildern); 147–158 (knapp zu großformatiger Malerei und Skulptur); Stewart 1985, 63; von den Hoff 2001, 83; 86; 2010, 169. Vgl. Fehr 1984, 22; 26; 48; Grütter 1997, 115–117; Bumke 2004, 141 f.; von den Hoff 2009, 194; F. Hölscher 2010, 247. Von den Hoff 2009, 194; vgl. Fehr 1984,30; F. Hölscher 2010, 247. Vgl. dagegen Azoulay 2014,61, der die Deutung als „heroische und erotische Nacktheit“ vorzieht.
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Auch das zugehörige Epigramm auf der Statuenbasis wurde identifiziert.36 Die singuläre Position dieser Statuengruppe wird umso deutlicher dadurch, dass bis zum Beginn des 4. Jahrhunderts keine weiteren Standbilder auf der Agora errichtet und auch andere Ehrungen in diesem Bereich streng kontrolliert wurden.37 Schenkt man der Schilderung des Demosthenes und des Aischines Glauben, wurde den erfolgreichen Strategen der Schlacht von Eion am Strymon 476/5 eine ähnliche Ehrung verweigert, stattdessen erhielten sie drei steinerne Hermen, die zwar rühmende Inschriften trugen, aber die Namen der Strategen nicht nannten.38 Die meisten öffentlichen Ehrungen waren vergänglich, das heißt sie bestanden meist aus einem Kranz und einer Danksagung, was das Bemühen des Demos zeigt, individuelle militärische Verdienste nicht über kollektive Verdienste der Bürgersoldaten zu erheben.39 Statuen verdienter Feldherren wurden hingegen im gesamten 5. Jahrhundert auf private Initiative auf der Akropolis gestiftet.40
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Vgl. H. Thompson / Wycherley 1972, 156 f.; F. Hölscher 2010, 247 mit Anm. 3 mit den Quellen und der weiteren Literatur; A. Petrovic 2010, 209 f.; Azoulay 2014, 58 f. mit den Möglichkeiten der Rekonstruktion: Neben Namen und Tat der Geehrten wurde wohl auch die Einrichtung der Isonomia in der Folge hervorgehoben. Vgl. von den Hoff 2009, 194; die einzige Ausnahme bildet möglicherweise die Statue eines gewissen Leagros, die an der Umfassungsmauer des Zwölfgötteraltars aufgestellt wurde (IG I3 951). Allerdings handelte es sich hier wohl um eine private Stiftung, die den betreffenden Göttern gewidmet war, vgl. dazu J. Shear 2011, 275 mit der Diskussion weiterer möglicher Vergleichsbeispiele; Azoulay 2014, 57 und 296 Anm. 19 mit der weiteren Literatur. Im Übrigen hat schon Krumeich 1995a, 283 Anm. 111 angemerkt, dass unklar sei, ob es sich tatsächlich um eine Porträtstatue oder um eine andere Form des Weihgeschenks gehandelt habe, vgl. dort auch die ältere Literatur und die ausführlichen Überlegungen bei Krumeich 1997, 64–68. Demosth. 20,112 und der gesamte Abschnitt 112–119 mit Überlegungen zu den Ehrungen bei den Vorfahren; Aischin. 3,183. Zu den Parallelen zwischen den beiden Textpassagen vgl. den Kommentar bei Kremmydas 2012, 382 f. ad loc. Vgl. zum Hermenmonument Osborne 1985, 48–64 mit der älteren Literatur und zur besonderen Sichtbarkeit dieses Monuments vor allem 61; zur Abfolge von Ehrungen auf der Agora im 5. Jahrhundert auch Gauthier 1985, 122–124; Krumeich 1997 zu den Bildnissen von „Staatsmännern“ des 5. Jahrhunderts in den griechischen Poleis, zum Hermenmonument 54 f.; Steiner 2001, 267 f. (besonders zum Hermenmonument); J. Shear 2007a, 105; Azoulay 2014, 58 und 130 f. Als weiteres Beispiel für die restriktivere Ehrungspraxis des 5. Jahrhunderts wird die ebenfalls bei Aischines (3,186) geschilderte Diskussion um Darstellung und Namensbeischrift des Miltiades in der Stoa Poikile benannt, vgl. hierzu T. Hölscher 1988b, 380, der treffend dazu bemerkt, dass die Diskussionen, „selbst wenn sie nicht im 5. Jh. in dieser Form stattgefunden hätten, zumindest bezeichnend für die Auffassung weiterer Kreise im 4. Jh. wären.“ Krumeich 1997, 55 f. Vgl. Dillon 2006, 101. Vgl. Löhr 1995, 166 f.; Krumeich 1997, bes. Kap. 4 (51–150); Dillon 2006, 101, die zudem betont, dass diese Votivstatuen wohl alle postum errichtet wurden, während Statuen für siegreiche Athleten auch zu Lebzeiten aufgestellt wurden (zur Diskussion dieser Frage in Zusammenhang mit dem Porträt des Perikles vgl. auch T. Hölscher 1988b, 381 f.). Dillon 2006 hebt außerdem hervor (105), dass privat in Auftrag gegebene Statuen von lebenden und verstorbenen Familienmitgliedern auch im 4. Jahrhundert weiterhin die größte Kategorie an Porträts in den meisten Poleis und Heiligtümern ausmachten. Dies betraf im Übrigen auch diejenigen Feldherren, wie Konon, Iphikrates und Timotheos, die gleichzeitig auch Statuen auf der Agora erhielten. Vgl. zu den privaten
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Ehrenstatuen
Erst ab dem frühen 4. Jahrhundert wurde eine Reihe von Ehrenstatuen auf der Agora errichtet, deren Aufstellung bestimmten Regeln und Abläufen unterlag: Neben den damit verbundenen, in Zusammenhang mit den Reden zu analysierenden, symbolischen Bedeutungsebenen brachte die Aufstellung an diesem Ort somit zunächst zum Ausdruck, dass die Statuen vom Demos gewährt und deshalb auch auf der Agora als dem öffentlichen Raum des Demos aufgestellt wurden.41 Zunächst wurde das bronzene Standbild des athenischen Strategen Konon, das zusammen mit demjenigen des zyprischen Königs Euagoras im Jahr 393 von der Volksversammlung beschlossen wurde, in der Nähe der Stoa des Zeus Eleutherios errichtet.42 Einige Jahre später folgte dann eine Ehrenstatue des Strategen Iphikrates und mit einigem zeitlichen Abstand wurden kurz hintereinander die Strategen Chabrias und Timotheos, der Sohn des Konon, ebenfalls mit Standbildern geehrt, jeweils kurz nach den betreffenden militärischen Erfolgen.43 In den Jahrzehnten „einer Neubelebung des athenischen Groß-
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Statuenweihungen auf der Akropolis auch J. Shear 2007a, 108; Arrington 2015, 183–188; T. Hölscher 2017, 122–126; zu den privaten Statuenweihungen insgesamt neuerdings auch Hochscheid 2015, allerdings mit dem Schwerpunkt auf der praktischen Seite der Statuenproduktion. Auch in anderen Heiligtümern Athens wurden auf private Initiative Statuen aufgestellt: So ließ Themistokles sein Standbild im Heiligtum der Artemis Aristoboule errichten (Plut. Themistokles 22,2, vgl. auch dort die Hervorhebung der Sichtbarkeit und der besonderen Qualtität seines Standbildes: „καὶ φαίνεταί τις οὐ τὴν ψυχὴν μόνον, ἀλλὰ καὶ τὴν ὄψιν ἡρωϊκὸς γενόμενος.“), das besonders mit seiner Person verknüpft war, vgl. dazu ausführlich Krumeich 1997, 78 f. sowie Steiner 2001, 268; T. Hölscher 2014a, 272, der gleichzeitig die öffentliche Kritik in Zusammenhang mit dem Bildnis des Themistokles hervorhebt; ebenso Arrington 2015, 181 f. Zur besonderen Sichtbarkeit des Porträts der Perikles im Rahmen der Bilder und Bauten auf der Akropolis vgl. Hölscher 1988b, 380 f.; Stemmer 1995, 166 und 185 f.; Krumeich 1997, 114–125. Die Statue wird bei den Rednern trotz ihrer anscheinend großen visuellen Prominenz jedoch nicht erwähnt. Vgl. ausführlich Tanner 2006, 110–115 und bereits 1992, 179 f.; J. Shear 2007a, 108; T. Hölscher 2012, 23 und 35, der die zunehmende Reglementierung zur Aufstellung solcher Statuen mit den Diskussionen verbindet, die jeweils mit ihrer Errichtung verbunden waren. Demosth. 20,70; Schol. Demosth. 21,62; Isokr. 9,57; Paus 1,3,1; Nep. Timoth. 2,3, dazu Richter 1965, 107; T. Hölscher 1988b, 378. Zu den Quellen Wycherley 1957, 213. Vgl. Weinert 1995, 307–309; Krumeich 1997, 207 f.; Dillon 2006, 101 mit Anm. 20 mit der älteren Literatur; J. Shear 2007a, 107 f.; 112; von den Hoff 2009, 194; Azoulay 2014, 126 nimmt an, dass diese beiden Statuen ausdrücklich nach dem Modell der Tyrannenmörder gestaltet und aufgestellt wurden, als Beleg dienen Demosth. 20,70 sowie Apsines 3,5 Dilts. Dabei handelt es sich aber um spätere Bewertungen dieses Vorgangs, aus der Zeit der Aufstellung selbst ist keine solche Bewertung bzw. kein solcher Vergleich erhalten, vgl. bereits Gauthier 1985, 97. Iphikrates: Aischin. 3,243; Demosth. 23,130; Schol. Demosth. 21,62; Aristot. Rhet. 1397b25–30; Chabrias: Aischin. 3,243; Aristot. Rhet. 3,1411b; Nep. Chabr. 1,2–3; Timotheos: Aischin. 3,243; Nep. Timoth. 2,3; Paus. 1,3,1; zu den weiteren Quellen vgl. auch Kap. 4.3.2. Vgl. Richter 1965, 159 f.; ausführlich Gauthier 1985, 97–99 und 177–180 (Iphikrates), 99–102 (Chabrias), 102 f. (Timotheos); Dillon 2006, 102 mit Anm. 25–27; J. Shear 2007a, 110 f.; von den Hoff 2009, 196; Azoulay 2014, 131 f. Die Statue des Iphikrates wurde 389 für den Sieg gegen eine spartanische Streitmacht bei Korinth im Jahr zuvor gewährt, Chabrias erhielt eine Ehrenstatue für den Sieg in der Seeschlacht bei Naxos 376 und Timotheos für den Sieg bei Korkyra 375 und die daran anschließende Aufnahme Korkyras und anderer Städte in den zweiten Attischen Seebund. Die Annahme bei G. Oliver 2007, 189 sowie bei MacDowell 1990, 283, Iphikrates habe die megistai timai erst 371 erhalten, beruht auf einer
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machtstrebens“ des 4. Jahrhunderts waren es also die für Athen erfolgreichen Strategen und ihre Verbündeten, die diese herausragende Ehrung erhielten.44 Die genaue Ikonographie dieser Statuen ist unbekannt, jedoch ist zumindest für die Statue des Chabrias Bewaffnung bezeugt. Rekonstruktionsversuche auf Basis der schriftlichen Überlieferung zeigen ihn aufrecht stehend, einen Speer mit der Speerspitze nach oben gerichtet in der rechten Hand, den Schild gegen das linke Bein gelehnt.45 Auch mehrere heute unbenannte, in römischen Kopien überlieferte Bildnisse des 4. Jahrhunderts sind behelmt und müssen auf ähnliche Statuen zurückgehen – ein ähnliches Erscheinungsbild weisen auch die Kopien von Strategenköpfen des 5. Jahrhunderts auf.46 Das Fragment der Rede des Polyeuktos von Sphettos gegen die Ehrungen für Demades nennt andere mögliche Attribute für Ehrenstatuen, wie zum Beispiel das Akrostolion eines Schiffes – ein Attribut, das unter anderem für die Statue des Konon vorstellbar ist, der ja für einen Seesieg geehrt wurde.47 Der Vergleich mit Bildern von Soldaten auf Grabmonumenten des 4. Jahrhunderts legt als Bekleidung eine Hoplitenrüstung oder einen kurzen Chiton mit Chlamys nahe.48 Größere Sicherheit besteht hinsichtlich des
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Aussage bei Dion. Hal. Lysias 12,5, dazu ausführlich Gauthier 1985, 177–180 mit den Gegenargumenten, Quellen (insbesondere Aussagen der Redner) und weiterer Literatur. Zu den möglichen Standorten vgl. auch von den Hoff 2009, 195 Abb. 1. Kurz nach den genannten Ehrungen, in den Jahren zwischen 374 und 370, wurde auch die Statue der Eirene mitten auf der Agora aufgestellt, vgl. K. Hallof / S. Kansteiner / L. Lehmann, s. v. „Kephisodot der Ältere aus Athen“, Nr. 3, in: DNO 3 (2014) mit den Quellen und weiterer Literatur. Von den Hoff 2009, 196; vgl. auch J. Shear 2007a, 108. Shear bewertet das Aufkommen der Ehrenstatuen zudem als „a revolution in the city’s practices of commemoration“ (2007, 91). Vgl. auch schon Gauthier 1985, 107–109 mit ausführlichen Überlegungen, ob die ausschließliche Ehrung von Strategen durch ein Gesetz festgelegt worden sein könnte und dem Schluss: „Le privilège des stratèges vainqueurs était de fait, non de droit.“ (107) Um 330 sei dann wohl auf Initiative des Lykurgos oder seines Umfeldes eine Modifikation der Gesetze vorgenommen worden (ebenda, 110–112). Diod. 15,32,5; 33,4, dort ist die Rede von mehreren Statuen (Pl.); Polyain. 2,1,2; Nep. Chabr. 1,2–3: Demnach hatte Chabrias die Statue zwar für einen Seesieg bei Naxos erhalten, „in Erinnerung an einen weiteren, kurz zuvor errungenen militärischen Erfolg gegen die Spartaner bei Theben (377) bewirkte Chabrias“ die Darstellung in der geschilderten Form; Zitat Krumeich 1997, 209 mit Abb. 113 und f. mit weiteren Überlegungen; Tanner 1992, 180; 2006, 113; Dillon 2006, 107 mit der Rekonstruktionszeichnung Abb. 143 und Anm. 92 mit der weiteren Literatur; J. Shear 2007a, 110 f. und 2011, 282 f. (Schild und Speer, kriegerische Pose, Basis verziert mit Zitaten und Olivenzweigen); vgl. auch schon J. Anderson 1963, 413, der sich zudem mit der älteren Forschungsmeinung auseinandersetzt, wonach die Ehrenstatue des Chabrias eine kniende Position einnahm (411 f. mit den Quellen und weiterer Literatur); Buckler 1972, 466–474 mit pl. 116. Zurückhaltender von den Hoff 2009, 196, der nur die Behelmung bzw. Bewaffnung als gesichert ansieht. Vgl. von den Hoff 2009, 196 mit Anm. 11 mit der weiteren Literatur zu den Strategenköpfen, dazu auch Krumeich 1997, 15 f.; Dillon 2006, 109 f. Zum „Typus Pastoret“, der in der Vergangenheit oft mit dem Bildnis des Konon in Verbindung gebracht wurde vgl. ausführlich Weinert 1995, 306–309 und dem Fazit, „daß diese Identifizierung nicht zu verifizieren ist und noch nicht einmal gesichert ist, daß es sich überhaupt um das Porträt eines attischen Strategen handelt.“ Rhet. Gr. IX 545 Walz; vgl. auch Krumeich 1997, 210; Dillon 2006, 107 mit Anm. 94. Vgl. Dillon 2006, 107 f. mit dem Verweis auf ähnliche Darstellungsformen auf Dokumentenreliefs, die sich mit Ehrungen im militärischen Bereich befassen. Als dritte, wenn auch relativ unwahr-
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Aufstellungsortes der Ehrenstatuen, wobei grundsätzlich der Demos für die Wahl des Standortes zuständig war.49 Es sind aber auch Fälle überliefert, in denen den Stiftern oder dem Geehrten die Auswahl überlassen wurde. Diese wählten einen möglichst wirkungsvollen Standort, eine Tatsache, die in späteren Inschriften dadurch reflektiert wird, dass man Standbilder für besonders prominente Männer „an dem sichtbarsten Ort“ aufstellen solle.50 Dabei war eine Aufstellung nahe bei den Tyrannenmördern aber wohl ausdrücklich untersagt.51 Die Statuen des Konon und des Euagoras befanden sich im Nordwesten der Agora, nahe bei der Stoa des Zeus Eleutherios, der genaue Standort ist aus der kurzen Erwähnung bei Pausanias nicht zu bestimmen.52 Die Nähe zur Stoa des Zeus Eleutherios ist dabei programmatisch aufzufassen, wurden doch die „Taten damit visuell als Akte im Sinne der Athenischen Freiheit inszeniert und damit auch als solche verstanden“.53 Darüber hinaus wurde durch die Aufstellung der Statuen
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scheinliche Darstellungsmöglichkeit nennt Dillon (109) die heroische Nacktheit, für die es aber abgesehen von den Tyrannenmördern und einigen Figuren auf dem Parthenonfries wenige direkte Belege gebe. T. Hölscher 2012, 24 mit Anm. 17 zufolge ist Nacktheit für die Statue des Konon zumindest vorstellbar, ebenso ders. 2017, 111; vgl. außerdem J. Shear 2011, 279, die dabei besonders auf den Vergleich mit der Tyrannenmördergruppe in Demosth. 20,70 verweist, s. dazu Kap. 4.7, vgl. dagegen Himmelmann 1990, 86–101, der zwar grundsätzlich betont, dass „die Darstellung des Strategen an keinen festen Typus gebunden“ war (96), Nacktheit, zurückgehend auf das Porträt des Perikles aus dem 5. Jahrhundert, aber ausschließt. Vgl. Tanner 2006, 112. Stark betont bei T. Hölscher 2010, 142; 2012, 25 mit Anm. 22 mit der weiteren Literatur; 2017, 51 f. Vgl. Azoulay 2014, 134 und Anm. 47 mit Verweis auf Lukian Anacharsis 17 „epiphanestatoi topoi“: Dort wird (anachronistisch auf die Zeit Solons bezogen) eine Bestimmung erwähnt, wonach Ehrenstatuen entweder neben den Statuen der eponymen Heroen auf der Agora oder aber „neben der Athena“ auf der Akropolis errichtet worden seien. Vgl. zur Textstelle auch Krumeich 2007, 391 mit Anm. 33; Queyrel 2012, 73. Zum Begriff in Verbindung mit Inschriften der hellenistischen Zeit vgl. Ma 2013, 130–135; Chaniotis 2014, 143 f. Eine römische Entsprechung findet die Formulierung im „occulatissimus locus“ bei Plin. nat. 34,24, vgl. dazu Hölkeskamp 2004a, 158 mit Anm. 66. Vgl. Brunnsåker 1971, 123 f. mit Anm. 48 / Katalognr. 5 und 6 und den inschriftlichen Nachweisen, die aber erst Ende des 4. und Anfang des 3. Jahrhunderts datieren: IG II2 450b Z. 10–12 (314/3) sowie IG II2 646 Z. 38–40 (295/4); Gauthier 1985, 92 f.; T. Hölscher 1988b, 377; 1998b, 168; Krumeich 2007, 386; G. Oliver 2007, 198: Die Tatsache, dass diese Regelung bis zum Beginn des 3. Jahrhunderts v. Chr. aufrechterhalten wurde, zeige außerdem, dass Volksversammlung und Boule die Kontrolle über die Gestaltung der Agora wirksam ausübten; T. Hölscher 2012, 26. Paus. 1,3,1. Vgl. dazu auch von den Hoff 2009, 196, dagegen Krumeich 2007, 385, der betont, dass die Statuen im Heiligtum des Zeus Eleutherios, nämlich zwischen der Stoa und dem Altar des Zeus errichtet wurden und damit „unmittelbar in Topographie und kultischen Kontext des Heiligtums integriert“ waren. „Der religiöse Aspekt der beiden Ehrenstatuen ist hier nicht zu übersehen und verbindet die politische Komponente der Ehrung mit dem Dank an einen wichtigen Polis-Gott, der seit den Perserkriegen als Verbündeter Athens kultisch verehrt wurde.“ Vgl. ähnlich auch Vorster 2017, 34. Von den Hoff 2009, 196; vgl. dazu auch Weinert 1995, 308; Krumeich 1997, 208; G. Oliver 2007, 197; J. Shear 2007a, 111, die auch darauf hinweist, dass das Innere der Stoa in der Mitte des 4. Jahrhunderts mit Gemälden ausgestaltet wurde, die eine solche Botschaft zusätzlich unterstützten: Theseus mit Demos und Demokratia sowie das Reitereigefecht in der Schlacht bei Mantineia. Die Kombination der beiden Themen bringe zum Ausdruck, dass militärische Siege durch die demokratische Polis gewonnen würden. Vgl. zu den Gemälden und ihren Botschaften auch T. Hölscher
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des Konon und seines Sohnes Timotheos nebeneinander die Relation zwischen Vater und Sohn herausgehoben, die Freiheit Athens damit als „Angelegenheit eines Oikos“ charakterisiert.54 Diese Botschaft wurde weiterhin dadurch unterstrichen, dass Statuen des Konon und des Timotheos auf private Initiative hin auch auf der Akropolis aufgestellt wurden – möglicherweise in ihrem Erscheinungsbild den Statuen auf der Agora angepasst.55 Auf einer dreistufigen, bogenförmigen Basis, die mit einiger Sicherheit vor der Nordseite des Parthenon lokalisiert werden kann, wurde zunächst Konon allein, später zusammen mit seinem Sohn durch Bronzestatuen „repräsentiert“. Wahrscheinlich wurde dieses Monument zur gleichen Zeit wie die Ehrenstatue auf der Agora, also 393, errichtet und dann nach der Verleihung einer Ehrenstatue an Timotheos im Jahr 375 erweitert.56 Durch die Ikonographie und den Standort (bzw. die Standorte) wurden also bestimmte, in diesem Fall militärische Leistungen hervorgehoben, die sich zwar von den Statuen der Tyrannenmörder unterschieden, jedoch wie diese die „Vorstellung der aktiven Befreiung der Polis“ zum Ausdruck brachten.57 Gerade der Platz vor der Stoa des Zeus Eleutherios entwickelte sich „neben dem Aufstellungsort der Tyrannenmördergruppe seit 393 v. Chr. durch die Präsenz von Ehrenstatuen verdienter Staatsmänner zu einem der politisch repräsentativsten Plätze auf der Agora.“58 Als Grund für das Aufkommen und die anschließende Verstetigung der öffentlichen Ehrung durch Statuen sind unterschiedliche Erklärungen möglich: Mit Blick auf die gesamtgriechische Poliswelt könnte Vincent Azoulay zufolge als externer Faktor ein
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2010, 142: In der Verbindung von Demokratie und und militärischen Siegen liege die Freiheit begründet. Vgl. auch ders. 2017, 114, dort auch generell zur Bedeutung der Aufstellung von Statuen neben „bedeutungsvollen Monumenten“. Von den Hoff 2009, 196; vgl. auch Knell 2000, 73 („Familienanathem“); Krumeich 2007, 390 f., der die Statuengruppe sogar als „dynastisches Denkmal“ verstanden sehen will; T. Hölscher 2012, 25. Vgl. Funke 1980, 122 mit Anm. 55, dort auch der Hinweis, dass auch in Ephesos und Samos eine Statue des Timotheos neben derjenigen seines Vaters Konon aufgestellt worden sein könnte. Vgl. T. Hölscher 1988b, 380; Löhr 1995, 167 mit der Annahme, dass die Statuengruppe des Konon und Timotheos auf der Akropolis wohl Vorbild für die gemeinsame Aufstellung auf der Agora gewesen sei: „Die Tatsache, daß Konon und Timotheos auf der Agora ein gemeinsames Monument von der Polis errichtet wurde, die mit der Ehrung ihrer Helden auch sich selbst ein Denkmal setzte, spricht dafür, daß die offizielle Seite die ursprünglich private Repräsentationsweise akzeptiert hatte und sie zur eigenen Selbstdarstellung nutzte.“ Vgl. auch ebenda, 307 mit Anm. 14 mit der weiteren Literatur und ders. 2000, Nr. 85–86 mit umfassender Dokumentation sowie Nr. 91 und 100 zu den Statuen in Ephesos und auf Samos; Dillon 2006, 105; ausführlich Krumeich 2007, 389–391 und Anm. 29 mit den Quellen und der älteren Literatur. Krumeich 2007, 389 f.; vgl. auch Queyrel 2012, 77 sowie die Überlegungen bei Löhr 2000, Nr. 85 und 86 sowie S. 186 f. Von den Hoff 2009, 196; vgl. auch Queyrel 2012, 74. Weinert 1995, 307. Besonders beliebt war darüber hinaus die Straße am Westrand der Agora ungefähr auf Höhe des Metroons und des Alten Bouleuterions und in der Nähe des Eponymenmonuments. Die Stelle war aufgrund der Funktion des Eponymenmonuments als Ort der Bekanntmachung von Informationen für die einzelnen Phylen zumindest ab 350/40 besonders stark frequentiert, hierzu und zu den dort aufgestellten Statuen Krumeich 1995a, 284. Zur generellen Bedeutung bestimmter Orte für die Bedeutung von (Porträt)Statuen vgl. Tanner 2006, 112.
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Konkurrenzkampf mit anderen Poleis der Auslöser gewesen sein. Nach 404 hatte der spartanische Stratege Lysandros zu Lebzeiten Statuen in Delphi, Olympia und Ephesos erhalten. Konon erhielt nach dem Sieg bei Knidos Statuen in Erythrai, Samos und Ephesos.59 Trotz des möglichen Konkurrenzdrucks als Auslöser handelt es sich um eine Innovation, da mit Konon zum ersten Mal nachweislich ein Bürger zu Lebzeiten in und von seiner Heimatpolis geehrt wurde.60 Darüber hinaus wurde die Statue für Konon in Ephesos und Samos in Heiligtümern und nicht auf den Agorai der Poleis aufgestellt.61 Als interner und längerfristiger Faktor ist für Azoulay die Entwicklung der so genannten megistai timai in Athen selbst anzusehen. Sitesis und prohedria seien als erstes um 430 an die Nachfahren von Harmodios und Aristogeiton verliehen worden und im Demophantosdekret von 411 noch einmal ausdrücklich auf die Tyrannenmörder bezogen worden.62 Möglicherweise hätten die Bestimmungen dieses Dekretes auch die Statuenehrung miteingeschlossen, obwohl diese nicht ausdrücklich erwähnt wird. Damit könnte dieses Dekret als rechtliche Grundlage für erste Statuenehrungen zu Beginn des 4. Jahrhunderts gedient haben.63 Darüber hinaus ist die veränderte Rolle der Strategen im Rahmen der militärischen Unternehmungen Athens in den Blick zu nehmen: Zwar geht man mittlerweile davon aus, dass weiterhin ein großer Teil des Aufgebots aus Bürgersoldaten bestand, jedoch sei das Strategenamt laut Philippe Gauthier immer mehr als techne wahrgenommen worden und der Stratege dementsprechend als maßgeblich für den Erfolg (oder auch Misserfolg) einer militärischen Unternehmung geehrt oder zur Verantwortung gezogen worden.64 Eine Anmerkung bei Aischines legt nahe, dass in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts noch weitere Personen für ihre militärischen Verdienste mit Statuen auf der Ago-
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Erythrai: Rhodes/Osborne 2003, Nr. 8, Z. 13–16; Samos und Ephesos: Paus. 6,3,16; Demosth. 20,71 spricht von Ehrungen durch andere Poleis, ohne die Namen zu nennen. Vgl. Azoulay 2014, 132. Zu den Ehrungen für Konon vgl. auch Funke 1980, 120 mit Anm. 51; Weinert 1995, 307 mit Anm. 10; Krumeich 1997, 208; Ma 2013, 4 f. Vgl. Ma 2013, 5; Azoulay 2014, 132. Eine weitere Erklärung mit innerathenischem Schwerpunkt bietet Nouhaud 1982, 338: „… en un temps où les héros se font rares, on saisissait l’occasion de glorifier le chef qui, le premier, renoue vraiment avec le succès.“ Paus. 6,3,16; vgl. J. Shear 2007a, 109. Vgl. Azoulay 2014, 90–92 zum Demophantosdekret und 133 f. Das Demophantosdekret wird zitiert bei And. 1,96–98, bei Demosth. 20,159 wird der abschließende Schwur des Dekrets wiedergegeben, der sich mit den Ehrungen für Harmodios und Aristogeiton befasst, zur Textstelle Kremmydas 2012, 445 f. ad loc. Zum Demophantosdekret als „nachträglicher Sanktionierung“ des Tyrannenmordes s. auch F. Hölscher 2010, 251, die sich in Hinblick auf eine zeitliche Festlegung der Ehrungen aber zurückhält und lediglich angibt, dass diese vor 390 für die Nachfahren von Harmodios und Aristogeiton gewährt worden sein müssen (248). Vgl. Azoulay 2014, 134. Vgl. Gauthier 1985, 125–127 und bereits Stewart 1979, 122 f. Zur veränderten Rolle der Strategen im 4. Jahrhundert vgl. auch Hansen 1984, 57 f. mit Verweis auf Aristot. Pol. 1305a 7–15 sowie ders. 1995, 280 f.
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ra geehrt wurden.65 Die Ehrung erfolgte, soweit aus den Quellen nachvollziehbar, in allen Fällen bereits zu Lebzeiten der geehrten Strategen, während die Statuengruppe der Tyrannenmörder erst postum errichtet wurde.66 Mit der Statue des Redners Demades, die für seine erfolgreichen Verhandlungen mit dem Makedonenkönig Alexander nach der Zerstörung Thebens 335 von der Volksversammlung beschlossen und auf der Agora aufgestellt wurde, endete die Beschränkung auf die Rolle des Strategenamtes; in der Folge wurden die Statuenehrungen insgesamt auf der Agora häufiger und wohl auch alltäglicher.67 Die Statuenehrungen können als starke Hervorhebung eines Individuums im zeitgenössischen Diskurs als problematisch angesehen werden.68 Dass die Ehrung eines einzelnen Mitbürgers durch eine Bronzestatue auf der Agora auch von Konflikten begleitet werden konnte, zeigt die Tatsache, dass die Dekrete zur Errichtung einer Statue oft rechtlich angefochten wurden: von den fünf vor 323 in dieser Form geehrten Athenern, deren Namen sicher überliefert sind, wurde gegen drei der Ehrungen durch einen Prozess, allerdings in allen Fällen erfolglos, vorgegangen. Iphikrates wurde von einem Nachfahren des Tyrannenmörders Harmodios angeklagt, die Ehrung des
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Aischin. 3,243: „ἐπερώτησον δὴ τοὺς δικαστάς, εἰ ἐγίγνωσκον Χάβριαν καὶ Ἰφικράτην καὶ Τιμόθεον, καὶ πυθοῦ παρ᾽ ἀυτῶν, διὰ τί τὰς δωρεὰς αὐτοῖς ἔδοσαν καὶ τὰς εἰκόνας ἔστησαν. ἅπαντες γὰρ ἅμα ἀποκρινοῦνται, ὅτι Χάβρια μὲν διὰ τὴν περὶ Νάξον ναυμαχίαν, Ἰφικράτει δὲ ὅτι μόραν Λακεδαιμονίων ἀπέκτεινε, Τιμοθέῳ δὲ διὰ τὸν περίπλουν τὸν εἰς Κέρκυραν, καὶ ἄλλοις, ὧν ἑκάστῳ πολλὰ καὶ καλὰ κατὰ πόλεμον ἔργα πέπρακται.“ Vgl. dazu Gauthier 1985, 94 f. mit der Schlussfolgerung: „il put ou il dut y en avoir d’autres“, allerdings mit der Einschränkung ebenda, 124 „la concession des megistai timai demeura assez rare, même au IVe siècle.“; ebenso Krumeich 1997, 209 „Insgesamt ergibt sich jedoch der Eindruck, daß die Errichtung öffentlicher Porträtstatuen bis zum Ende der klassischen Zeit nur recht selten beschlossen wurde.“; Dillon 2006, 102. Dillon hebt ebenfalls hervor (107), dass selbst wenn man von weiteren Statuenehrungen ausgeht, es sich insgesamt um eine recht seltene und nur unregelmäßig verliehene Ehrung handele. Dies erkläre auch die starke Zunahme privater Statuenweihungen in traditionellen Kontexten wie z. B. Heiligtümern. Zur Praxis der Aufstellung von Statuen ausschließlich siegreicher Strategen bis zum Ende der 30er Jahre des 4. Jahrhunderts vgl. auch die Aussage bei Aischin. 2,80: „καὶ γὰρ τὰς εἰκόνας ἵστατε, καὶ τὰς προεδρίας καὶ τοὺς στεφάνους καὶ τὰς ἐν πρυτανείῳ σιτήσεις δίδοτε, οὐ τοῖς τὴν εἰρήνην ἀπαγγείλασιν, ἀλλὰ τοῖς τὴν μάχην νικήσασιν.“ Dazu Gauthier 1985, 106 f. Vgl. außerdem Demosth. 19,330; 20,120; 23,197; Isokr. 2,36; 9,73. Vgl. Gauthier 1985, 103; von den Hoff 2009, 198. Vgl. H. Thompson / Wycherley 1972, 158; Gauthier 1985, 109 f. zu den historischen Umständen der Ehrung; ausführlich Brun 2000, 78–83; Dillon 2006, 102; G. Oliver 2007, 183 spricht in diesem Zusammenhang von „active statue culture“. Vgl. auch der Hinweis bei Deinarch. 1,43 zu einer Statue für Diphilos, Sohn des Diopheites, der wohl ungefähr gleichzeitig mit Demades geehrt wurde, dazu Brun 2000, 81; Monaco 2011, 228–230. Vgl. Azoulay 2014, 148 f. Die starke Hervorhebung liegt nicht zuletzt auch in den enormen Kosten von ca. 3000 Drachmen für eine Statue und spiegelt sich auch in der strengen Kontrolle des Prozesses durch die Volksversammlung. Das Monopol der Volksversammlung zeige sich auch in der Grammatik der zugehörigen Ehreninschriften, dort stehe der Demos stets im Nominativ, während der Geehrte im Akkusativ den passiven Part im Prozess einnähme. Vgl. zu den Diskussionen um die Aufstellung von Ehrenstatuen auch T. Hölscher 2017, 112 f. Zu den Ehrenstatuen als Kostenfaktor vgl. auch G. Oliver 2007, 194.
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Chabrias wurde durch Leodamas von Acharnai angefochten, ebenso die Ehrung für Demades durch die Redner Lykurgos und Polyeuktos von Sphettos.69 Darüber hinaus beginnt ab der Mitte des 4. Jahrhunderts eine „retrospektive Statuenehrung“ mit Bildnissen des Miltiades und des Themistokles wohl im Prytaneion, des Solon auf der Agora oder auch der drei Tragiker Aischylos, Sophokles und Euripides (um 336/0) im Dionysostheater. Auch ein Bildnis des Sokrates wurde von der Volksversammlung in Auftrag gegeben und im Pompeion, also in einem öffentlichen Gebäude, aufgestellt. Diese Form der Ehrung setzt sich dann Ende des 4. und Anfang des 3. Jahrhunderts unter geänderten politischen Rahmenbedingungen fort.70 An anderen Orten konnten Bürger auch andere Rollen einnehmen, wie die Tragikerstatuen im Dionysostheater, die die Dargestellten im Bürgermantel, als Redner vor dem Demos, zeigten. Auch siegreiche Dichter konnten mit Statuen im Dionysostheater geehrt werden.71 Ebenso wurde wohl auch eine Statue des Solon auf Salamis präsentiert.72 Insgesamt ist das Bild von den Ehrenstatuen und dem Prozess ihrer Aufstellung unvollständig. Oft kennen wir weder ihr Aussehen noch die Standorte oder die jeweiligen Volksbeschlüsse.73 Und es sei gleich vorweggenommen: Auch die Redner geben über solche Prozesse wenig Auskunft. Vielmehr wird über diese Statuen ein bestimmtes Bild der athenischen Vergangenheit (und Gegenwart) vermittelt. Über
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Dion. Hal. Lysias 12; Schol. Demosth. 21,62; Aristot. Rhet. 1398a 17–22 (alle zu Iphikrates); Demosth. 20,146–147 (Chabrias); Rhet. Gr. IX 545 Walz (Demades); vgl. Krumeich 1997, 207; Brun 2000, 78–82; Azoulay 2014, 149. Da im Prozess gegen Iphikrates, aber auch in den Reden, die sich mit der Ehrung des Demades befassen, auf die Statuen und ihre historischen Vorbilder eingegangen wird, werden diese in den Kap. 4.3.2 und 4.6 noch ausführlich besprochen. Azoulay versteht die Zahl von fünf Ehrungen bis 323 als absolut, was vor dem Hintergrund der Aussage bei Aischin. 3,243 zumindest fraglich erscheint. Paus. 1,18,3 (zur den Statuen des Miltiades und des Themistokles); von den Hoff 2009, 198 mit den Beispielen und Anm. 21 f. mit den Quellen und mit der weiteren Literatur. Von den Hoff beschäftigt sich dann ausführlich mit der Ehrenstatue des Demosthenes (197–213), die aber zeitlich und auch in Hinblick auf die Quellen hier nicht Gegenstand der Untersuchung sein kann. Zu den Statuen des Miltiades und des Themistokles im Prytaneion vgl. auch Krumeich 1997, 85, der betont, dass eine genauere Eingrenzung der Herstellung dieser Porträts zwischen dem frühen 4. Jahrhundert und dem Besuch des Pausanias in Athen kaum möglich sei. Die Datierung in die Mitte des 4. Jahrhunderts beruht auf vier römischen Repliken, die aber „auch auf ein literarisch nicht überliefertes Bildnis des Miltiades zurückgehen können.“ Vgl. auch Dillon 2006, 104 mit Anm. 55, die mit Verweis auf Paus. 1,8,2 auch ein bronzenes Standbild des Kallias auf der Agora des 4. Jahrhunderts vermutet. Vgl. zu diesen Statuenehrungen Kap. 4.5. Zu der Statue des Sokrates vgl. Zanker 1995, 62–66 (mit Betonung der öffentlichen Aufstellung 62), von der Aufstellung im Pompeion berichtet Diog. Laert. 2,43. Das Bildnis Platons wurde hingegen auf private Iniatitive in der Akademie aufgestellt, vgl. Zanker 1995, 70–79, bes. 72. Vgl. Dillon 2006, 102: Einer der ersten so Geehrten sei Astydamas für einen Sieg 340. Zur Statue des Solon Aischin. 1,25 f. und Demosth. 19,251–256, dazu auch Kap. 4.5. Vgl. von den Hoff 2009, 196. Zur Tragikergruppe im Dionysostheater vgl. ausführlich Hackländer/Kansteiner/ Weinert 1995, 325–331, insbesondere die Katalognummern C22 und 23; zu den Besonderheiten der Aufstellung im Dionysostheater vgl. Vorster 2017, 34 f. Vgl. von den Hoff 2009, 197.
Die Tyrannenmörder
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die Gattung der Ehrenstatuen hinaus werden außerdem auch private Bildnisse, sofern sie in den Reden Erwähnung finden, eine Rolle spielen. Können sie doch ebenfalls Auskunft darüber geben, welche Rolle dem athenischen Bürger und „seinem“ Platz in der athenischen Geschichte zukam. Insgesamt soll versucht werden zu zeigen, inwiefern die „historische Physiognomie“74 der athenischen Polis durch die Standbilder von „Gründerheroen“, führenden Strategen und Rednern, vorbildlichen Bürgern sowie auswärtigen Wohltätern abgebildet und in den Reden reflektiert wird. Chronologisch vorgehend werden dabei zunächst die Statuen der Tyrannenmörder sowie der Strategen des 4. Jahrhunderts, dann die Statuen als Elemente der Familiengeschichte und retrospektive Statuenehrungen betrachtet. Abschließend sollen allgemeine Überlegungen zur Bedeutung der Statuen als Erinnerungsmale sowie einzelne Beispiele eine Rolle spielen, die insbesondere die enge Verknüpfung zwischen einzelnen Statuen und dem Ort ihrer Aufstellung deutlich machen. 4.2 Die Tyrannenmörder Um die Bedeutung der Tyrannenmördergruppe als Medium der Geschichtskultur in den Reden zu verstehen, muss zunächst betont werden, dass die statuarische Darstellung mit anderen Medien verknüpft war, die den „Mythos“ vom Ende der Tyrannis durch das Attentat des Harmodios und des Aristogeiton beförderten und unterstützten. Überliefert sind mehrere Trinklieder, die zum Vortrag beim Symposion bestimmt waren und die Harmodios und Aristogeiton gegenüber den zu solchen Anlässen versammelten Bürgern als Befreier von der Tyrannis priesen.75 Diese Trinklieder wurden wohl schon früh nach den Ereignissen, eventuell sogar schon vor der Aufstellung der Statuen, gedichtet. Sie waren nicht nur in exklusiven, aristokratischen Kreisen bekannt, sondern ihre Inhalte waren zumindest im 5. Jahrhundert so weit verbreitet, dass ihre Kenntnis in mehreren Komödien des Aristophanes vorausgesetzt wird.76 Den beiden Tyrannenmördern wurde an ihrem Grab im Kerameikos vom archon polemarchos jährlich beim Fest der Epitaphia Opfer dargebracht.77 Auch die Statuen auf der Agora 74 75 76
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T. Hölscher 2012, 26. Athen. 15,695,10–13. Vgl. dazu Taylor 1981, 51–74; F. Hölscher 2010, 248–250; Azoulay 2014, 71 f. sowie bereits Ehrenberg 1956; Fornara 1970, 170–180. Aristoph. Vesp. 1225; Lys. 633; Ach. 980. Vgl. Fehr 1984, 45; G. Anderson 2003, 197–206; Flaig 2004, 106 f., der die Bedeutung der Trinklieder als „hochpolitisch“ betont (107, vs. Thomas 1989, 259); F. Hölscher 2010, 248; J. Shear 2010, 131, die außerdem hervorhebt, dass der Vortragende beim Gesang die Handlungen der Tyrannenmörder nachahmte; Dies. 2012, 33; 36 f.; Azoulay 2014, 72–74. Aristot. Ath. Pol. 58,1; Poll. 8,91. Vgl. dazu auch Gauthier 1985, 92; Chaniotis 1991, 125; Flaig 2004, 105 f., der zudem auf den prominenten Platz des Grabes im Kontext der Gräberstraße hinweist (Paus. 1,29,15); von den Hoff 2009, 194; Hartmann 2010, 294; F. Hölscher 2010, 248, die betont, es habe sich bei diesen Opfern um enagismata gehandelt, also Opfer, die insbesondere für Heroen dargebracht wurden; zum Kult für die Tyrannenmörder vgl. zuletzt ausführlich J. Shear 2012 mit
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Ehrenstatuen
wurden möglicherweise aus Anlass des Panathenäenfestes bekränzt und waren damit wohl Teil einer regelmäßig stattfindenden Zeremonie, die zu ihren Ehren stattfand. Die Datierung der Einrichtung solcher kultischer Handlungen bei der Statuengruppe ist umstritten, in jedem Fall sollen diese aber nach dem Ende der Herrschaft der Dreißig und der Wiederherstellung der Demokratie aufgenommen worden sein.78 Sowohl die Statuengruppe allein als auch die mit ihnen verbundenen Orte und Rituale werden von den Rednern in unterschiedlichen Zusammenhängen eingesetzt. In einer Passage der Gesandtschaftsrede des Demosthenes wird deutlich, dass die solchermaßen auf verschiedene öffentliche Räume verteilten Ehrungen noch im Jahr 343 praktiziert und damit aktualisiert wurden. Darüber hinaus gibt der Redner an, dass diese Ehrungen mit Ehrungen von Göttern und Heroen gleichzusetzen seien. Wenn die Angabe bei Demosthenes stimmt, „dann brachte man den Tyrannenmördern nicht nur anläßlich der Epitaphia am Grab, sondern auch in anderen Tempeln (bei allen Schlachtopfern) Libationen und Trankopfer dar.“79 Der Schwerpunkt liegt hier weniger auf den Orten als vielmehr auf den Handlungen der Erinnerungspflege, nämlich Opfern und Gesängen, die aber natürlich eng mit den jeweiligen Orten der
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der weiteren Literatur, die sich im Übrigen dafür ausspricht, dass auch die enagismata für die Tyrannenmörder im Rahmen der Panathäen dargebracht wurden (31–33). Vgl. dazu bereits auch Taylor 1981, 18–24 mit starker Betonung des religiösen Aspekts der Verehrung der Tyrannenmörder; kritisch zu den enagismata Azoulay 2014, 113 f., es habe sich weniger um heroische Ehren als um ein Gedenken in Zusammenhang mit den jährlichen Opfern an den Gräbern der Gefallenen gehandelt, im Mittelpunkt stehe also die „fonction guerrière“; zum Grab der Tyrannenmörder, seiner möglichen Lokalisierung und seiner Bedeutung im Rahmen der weiteren öffentlichen Gräber vgl. zuletzt Arrington 2015, 70–73. Vgl. Taylor 1981, 18–25; Ajootian 1998, 9 f. mit Verweis auf den im ersten Vers von Skolion 1 und 3 erwähnten Myrtenzweig sowie auf entsprechende Darstellungen auf Panathenäischen Preisamphoren und Anm. 61 f. mit den Nachweisen und der älteren Literatur; J. Shear 2012, 29 f. befürwortet eine Einrichtung des Kultues schon am Ende des 6. Jahrhunderts; Azoulay 2014, 114–117 mit allgemeineren Überlegungen zu „des chants, des couronnes et des libations offertes à leurs effigies sur l’Agora, lors des grands fêtes athéniennes“ und zur möglichen Datierung. Demosth. 19,280: „καὶ τὸν ἀφ᾽ Ἁρμοδίου καὶ τῶν τὰ μέγιστ᾽ἀγάθ᾽ ὑμᾶς εἰργασμένων, οὓς νόμῳ διὰ τὰς εὐεργεσίας, ἃς ὑπῆρξαν εἰς ὑμᾶς, ἐν ἅπασι τοῖς ἱεροῖς ἐπὶ ταῖς θυσίαις σπονδῶν καὶ κρατήρων κοινωνοὺς πεποίησθε, καὶ ᾄδετε καὶ τιμᾶτ᾽ἐξ ἴσου τοῖς ἥρωσιν καὶ τοὶς θεοῖς;“ Zitat Flaig 2004, 107 Anm. 29; vgl. dazu auch Boehringer 1996, 49 f.; F. Hölscher 2010, 248; J. Shear 2012, 30 und bereits Taylor 1981, 13 f., der diese Ehrung als Ausweitung der sitesis interpretiert. Zur Identifikation des hier angesprochenen Nachfahren des Harmodios vgl. MacDowell 2000, 325 f. ad loc., ebenso zur Frage, ob mit den Tyrannenmördern tatsächlich ein Heroenkult verbunden war und der Feststellung: „… D.’s words ἐξ ἴσου τοῖς ἥρωσι rather imply that the tyrannicides were not themselves ἥρωες.“ Vgl. Hyp. 2, Fr. 15b, 1–3, der den Nebenkläger Demokrates, einen Nachfahren des Aristogeiton direkt anspricht und in diesem Zusammenhang betont, dass es ein Gesetz verbiete, schlecht von Harmodios und Aristogeiton, „τοὺς μὲν σοὺς προγόνους“, zu sprechen oder sie durch Lieder zu verunglimpfen. Vgl. Taylor 1981, 27; zur Datierung des Gesetzes Petre 1997, 1224; zu Demokrates vgl. auch Whitehead 2000, 46–50 ad loc. sowie Cooper 2001, 82 Anm. 7 ad loc. Auch hier liegt wohl weniger ein Bezug zur Statuengruppe als visuellem Medium der Erinnerung nahe als vielmehr die „akustische“ Erinnerung, die in den Skolia fortbestand und hier als Gegenstück zu dieser ehrenvollen Erinnerung in Trinkliedern durch das Verbot von Spottliedern ausgedrückt wird.
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Verehrung verbunden gewesen sein müssen. Begründet wird die besondere Form der Ehrung durch die Bezeichnung der Tyrannenmörder als „größte Wohltäter“ (τῶν τὰ μέγιστ᾽ἀγάθ᾽ ὑμᾶς εἰργασμένων), also mit dem, was sie für die Polis insgesamt geleistet hätten. Das Standbild der Tyrannenmörder selbst konnte schon im 5. Jahrhundert als vorbildhaft herangezogen werden.80 Herodot schildert ein Gespräch zwischen Miltiades und Kallimachos am Vorabend der Schlacht bei Marathon, in dem Miltiades betont, dass es nun in Kallimachos’ Hand läge, „ein Denkmal ewigen Ruhmes zu hinterlassen, wie es nicht einmal Harmodios und Aristogeiton besitzen“. Die Aussage zeigt sicherlich weniger die Bedeutung des Monuments zum Zeitpunkt des Gesprächs als vielmehr zum Zeitpunkt der Abfassung des Geschichtswerks einige Jahrzehnte später, als Marathon schon ein Mythos mit ähnlicher identitätsstiftender Wirkung wie die Tyrannenmörder geworden war.81 Die Verknüpfung zwischen der Tat der Tyrannenmörder und der Schlacht bei Marathon in den Augen späterer Generationen wird auch auf der Agora selbst deutlich: Von der Statuengruppe aus konnte man auf die Stoa Poikile mit dem Gemälde der Schlacht bei Marathon blicken.82 Die Vielfalt der Medien, die von den Taten der Tyrannenmörder Zeugnis gaben,83 in deren Mittelpunkt aber die Statuengruppe auf der Agora stand, wird auch in den Komödien des Aristophanes deutlich. In der „Lysistrate“ nimmt der Chor der alten Männer neben der Statue des Aristogeiton die Pose des Harmodios ein, dies wird als „explizit demokratischer Habitus“ verstanden.84 Die Wirkung dieser Nachahmung entsteht wahrscheinlich nicht 80 81
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Vgl. T. Hölscher 1998b, 160, der die Funktion der Tyrannenmörder als „konkrete exempla“ hervorhebt; ders. 2010, 138 und 141. Hdt. 6,109,3: „Ἐν σοὶ νῦν Καλλίμαχε ἐστὶ ἢ καταδουλῶσαι Ἀθήνας ἢ ἐλευθέρας ποιήσαντα μνημόσυνα λιπέσθαι ἐς τὸν ἅπαντα ἀνθρώπων βίον οἷα οὐδὲ Ἁρμόδιός τε καὶ Ἀριστογείτων λείπουσι.“ Übersetzung nach J. Feix. Vgl. dazu Gauthier 1985, 123 Anm. 145; Jung 2006, 135 f.; J. Shear 2012, 37. Zur Entstehung und Entwicklung des „Mythos Marathon“ und seinen zentralen Elementen in Athen vgl. Loraux 1981, 157–173 und bereits dies. 1973; Flashar 1996; Hölkeskamp 2001; 2009, 29–35; Gehrke 2003b; 2004; 2009, besonders 89–96 und mit Betonung der Rolle der Redner bei der Kanonisierung des Mythos im 4. Jahrhundert 95 f.; Jung 2006, besonders 72–169 sowie den Forschungsüberblick bei Fink 2014. Vgl. J. Shear 2010, 131; 2012, 41 mit Betonung der umgekehrten Blickachse: „Viewers, particularly those standing on the stoa’s steps, were able to look from one monument to the other and to see both the inspiring models of the Tyrannicides and the results of imitating them in the victory celebrated by the painting.“ Vgl. dazu auch Ober 2003, 216, besonders zum Wechselspiel zwischen Text und Monument im Fall der Tyrannenmörder. Aristoph. Lys. 631–634. Zitat von den Hoff 2009, 194; vgl. Ober 2003, 220 f.; T. Hölscher 2014a, 263. Vgl. auch T. Hölscher 2012, 32 und 35, der die Stelle aber so interpretiert, dass der Anführer der Männer die Kampfhandlung des Aristogeiton nachahmt, vgl. ebenso J. Shear 2012, 40 mit Anm. 65. Brunnsåker 1971, 33 zu beiden Möglichkeiten. Bei Fehr 1984, 39 f. wird vor allem die den Statuen inhärente Botschaft der Disziplin betont: In der Komödie werde auf eine Aufstellung auf der Agora in Reih und Glied mit Aristogeiton angespielt, die Gruppe werde also als eine Art Phalanx verstanden, das heißt die bronzene Statuengruppe soll um eine lebende Statue erweitert werden. Dass diese Textstelle weniger „ridiculous posturing“, sondern vielmehr auch durch die Zi-
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Ehrenstatuen
durch eine intensive Interpretation der Botschaft, sondern durch „unmittelbare Anschauung und Inkorporierung“.85 In den „Ekklesiazusen“ wird verfügt, dass die Losmaschine neben der Statue des Harmodios aufzustellen sei.86 Die Auseinandersetzung der Redner mit dem Standbild selbst steht in engem Zusammenhang mit der beginnenden Praxis der Aufstellung von Ehrenstatuen im 4. Jahrhundert. Die älteste uns erhaltene Textstelle stammt aus der Rede des Demosthenes „Gegen Leptines“ aus dem Jahr 355 und steht im Kontext eines längeren Abschnitts, der sich mit den Verdiensten des Strategen Konon auseinandersetzt (Demosth. 20,68– 74). In diesem Zusammenhang wird auch die Ehrenstatue des Konon erwähnt und hervorgehoben, dass es sich um die erste Bronzestatue seit derjenigen für Harmodios und Aristogeiton gehandelt habe. Grund hierfür sei die Ähnlichkeit der Taten Konons mit denjenigen der Tyrannenmörder. Konon habe nämlich durch seinen Sieg über die Spartaner einer „großen Tyrannis“ („οὐ μικράν τυραννίδα“) ein Ende gesetzt.87 Diese Gleichsetzung wirkt auf den ersten Blick unpassend, da keine unmittelbare Gemeinsamkeit zwischen dem isolierten Attentat auf einen Tyrannen und dem kollektiven Sieg der Flotte unter Konon über die Lakedaimonier besteht. Für die Athener scheint die Analogie aber einleuchtend gewesen zu sein, zumal eben die Statue des Konon als erste nach derjenigen für die Tyrannenmörder auf der Agora errichtet worden war, und damit einen sichtbaren Vergleichspunkt bot.88
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tate aus den Skolia echte Anerkennung der Statuengruppe bedeutet, betont Ajootian 1998, 10. Vgl. hingegen Petre 1997, 1218 mit der Beurteilung, es handele sich um eine „oscena parodia die versi arcaici e il comico della postura ‚statuaria‘ del personaggio.“ Direkte Belege für eine Verspottung der „übertriebenen“ Ehrungen zu Beginn des 4. Jahrhunderts bzw. eine Kritik am „Mythos“ der Tyrannenmörder: Thuk. 6,54–59; Plat. Hipparch. 229C-D; vgl. Shear 2012, 42–50; Azoulay 2014, 117– 120. Zu den Tyrannenmördern in den Komödien des Aristophanes vgl. auch Taylor 1981, 181–187. T. Hölscher 2014a, 263. Aristoph. Ekkl. 681. Vgl. Brunnsåker 1971, 34 f., der vermutet, man habe Harmodios allein aus metrischen Gründen ausgewählt, oder aber der jüngere der beiden Tyrannenmörder böte sich mehr an, da in diesem Zusammenhang eine junge Frau das Wort ergreift. Vgl. auch Azoulay 2014, 64: Die Geste des Harmodios sei ursprünglich typisch für die Darstellung des Apollon, wird aber zum Attribut des Harmodios und damit zur visuellen Signatur des gesamten Monuments. Eventuell zieht Harmodios unter anderem aus diesem Grund mehr Blicke auf sich, demzufolge werde in den Quellen oft nur Harmodios allein erwähnt (so beispielsweise Thuk. 6,53,3 und Aristoph. Equ. 786–787; Vesp. 1224–1225), auch Demosth. 19,280 erwähnt nur einen Nachfahren des Harmodios – wobei in der Folge aber der Plural beide Tyrannenmörder bezeichnet (vgl. den Kommentar bei Paulsen 1999, 265 ad loc.); Fehr 1984, 44 f., der die Tyrannenmörder in diesem Zusammenhang als „Schutzpatrone der Gleichheit“ (45) bezeichnet. Azoulay 2014, 117 f. will diese Positionierung dagegen als Parodie des Gleichheitsgedankens und damit auch der Statue verstanden wissen, da hier doch durch die Losmaschine Plätze beim Symposion zugewiesen werden sollen. Demosth. 20,70: „διόπερ οὐ μόνον αὐτῷ τὴν ἀτέλειαν ἔδωκαν οἱ τότε, ἀλλὰ καὶ χαλκῆν εἰκόνα, ὥσπερ Ἁρμοδίου καὶ Ἀριστογείτονος, ἔστησαν πρώτου· ἡγοῦντο γὰρ οὐ μικράν τυραννίδα καὶ τοῦτον, τὴν Λακεδαιμονίων ἀρχὴν καταλύσαντα, πεπαυκέναι.“ Vgl. Tanner 1992, 179; Clarke 2008, 255; Kremmydas 2012, 313 f. ad loc; J. Shear 2012, 38. Weiter zu den Tyrannenmördern in dieser Rede 218–220 mit dem Verweis auf die häufige Nennung der
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In der Gerichtsrede „Gegen Meidias“, die einige Jahre später gehalten wurde, wird der Angeklagte als Gefahr für die Demokratie dargestellt.89 Vor diesem Hintergrund dienen die Tyrannenmörder als Gegenbeispiele, die aufgrund der außerordentlichen Bedeutung ihrer Taten auch die höchsten Ehrungen erhalten hätten. Die Statuengruppe wird nicht direkt erwähnt, wohl aber die Stele, die direkt neben den Statuen auf der Agora aufgestellt war. Auch die Ergänzung, sie hätten die Ehrungen erhalten, weil sie Menschen davon abgehalten hätten, Missbrauch zu begehen, bezieht sich mehr auf den aktuellen Fall, als das sie die Taten der Tyrannenmörder konkret beschreiben würde.90 Die Aussage in all ihrer Kürze zeigt auf, wie fest die Tat der beiden Männer, nämlich die Ermordung des Hipparchos und damit, so zumindest die allgemeine Auffassung, die Beendigung der Tyrannis der Peisistratiden, im kollektiven Gedächtnis der Zuhörer verankert gewesen sein muss. Die Sichtbarkeit und Lesbarkeit der Stele wird dadurch unterstrichen, dass Demosthenes annimmt, die athenischen Bürger würden es nicht dulden, wenn nachträglich inhaltliche Ergänzungen zu dieser Inschrift gemacht würden.91 All diese höchsten Ehrungen hätten den Geehrten jedoch nicht das Recht gegeben, jeden beliebigen Bürger zu misshandeln.92 Auffällig ist hier, dass Privilegien, die eigentlich den Nachfahren der Tyrannenmörder verliehen und dementsprechend auf einer Stele offiziell verzeichnet waren, als Ehrungen der Tyrannenmörder selbst erscheinen.93 Desweiteren wird ein Zusammenhang zwischen den Tyrannenmördern und den Strategen und ihren Taten hergestellt. Die letztgenannten hätten Seeschlachten gewonnen und Städte erobert und demzufolge auch zahlreiche Tropaia für die Polis errichtet.94 Die Bezugnahme auf den Erinnerungsraum der Polis ist umso auffälliger, wenn man bedenkt, dass die genannte Gerichtsrede nur mit wenigen historisch-räumlichen Bezügen aufwartet und sich vielmehr fast ausschließlich mit dem Tathergang im öffentlichen Raum der Polis beschäftigt.95 Die Würdigung der
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Geehrten in unterschiedlichen argumentativen Kontexten (18; 29; 70; 127; 128; 159; 160); Azoulay 2014, 127. Zum Vergleich zwischen den Tyrannenmördern und Konon vgl. auch Kap. 4.3.1. Vgl. zum Argumentationsgang der Rede und zu Fragen der Redesituation und der Publikation E. Harris 1989; Cohen 1990; Wilson 1991 und den Kommentar von MacDowell 1990, 3–37 sowie Ober 1994. Demosth. 21,170: „ὑπὲρ γὰρ αὐτοῦ τούτου τὰς ἄλλας ἔλαβον δωρέας, ὅτι τοὺς ὑβρίζοντας ἔπαυσαν.“ M. Bakker 2012a, 411 zufolge, ist es gerade die Stele mit ihrer Inschrift, die „visualisation“ mit „visibility“ verbinden kann. Vgl. auch den Hinweis bei G. Oliver 2007, 196, dass neben der Stele auf der Agora auch eine zweite, identische Stele auf der Akropolis aufgestellt wurde. Demosth. 21,170: „ἀλλ᾽ὅμως οὐδενὶ πώποτε τούτων δεδώκατε τὴν δωρεὰν ταύτην οὐδ᾽ἂν δοίητε, ἐξεῖναι τοὺς ἰδίους ἐχθροὺς ὐβρίζειν αὐτῶν ἐκάστῳ, ὁπότ᾽ἂν βούλεται καὶ ὃν ἂν δύνεται τρόπον. οὐδὲ γὰρ Ἁρμοδίῳ καὶ Ἀριστογείτονι· τούτοις γὰρ δὴ μέγισται δέδονται δωρεαὶ παρ᾽ὑμῶν καὶ ὑπὲρ μεγίστων. οὐδ᾽ ἂν ἠνέσχεσθε, εἰ προσέγραψέ τις ἐν τῇ στήλῃ „ἐξεῖναι δὲ καὶ ὑβρίζειν αὐτοῖς ὃν ἂν βούλωνται“· “ Vgl. MacDowell 1990, 387 ad loc. Demosth. 21,169. Zu den Tropaia als Erinnerungsmedien vgl. Kap. 8. Vgl. M. Bakker 2012a, 410 f. Das einzige weitere Monument mit historischen Bezügen, das in der Rede aufgeführt wird, ist das Eponymenmonument. Meidias habe nämlich Sykophanten beauf-
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Ehrenstatuen
Tyrannenmörder in der Rede fällt darüber hinaus umso mehr ins Gewicht, da kurz zuvor den Alkmeoniden die Befreiung von der Tyrannis zugesprochen wird. Dass in ein und derselben Rede verschiedene Versionen eines Ereignisses genannt werden konnten, ist keine Seltenheit und wird im Übrigen in Zusammenhang mit dem Tyrannenmord schon von Thukydides berichtet. Beide Versionen seien den athenischen Bürgern „vom Hörensagen“, also aus mündlicher Überlieferung, bekannt gewesen, meist sei aber die Heldentat des Harmodios und des Aristogeiton als Begründung für das Ende der Tyrannis favorisiert worden.96 Eine noch stärkere Verkürzung ist in der Rede „Gegen Aristokrates“ zu beobachten, die ebenfalls in der Mitte des 4. Jahrhunderts zu verorten ist. Ohne die Namen der beiden Geehrten zu nennen, werden ihre Bronzestatuen und „ταῖς μεγίσταις δωρειαῖς“ erwähnt.97 Auch der Grund für die Ehrung lässt sich nur aus der Schilderung aktueller Ereignisse ableiten, nämlich der Ermordung des Philiskos aus Abydos durch Thersagoras und Exekestos in Lampsakos und der von Demosthenes angestrebten Bewertung ihrer Tat.98 Da man in der eigenen Polis eine solche Tat (nämlich einen „Tyrannenmord“) mit unvergleichlichen Ehrungen bedacht habe, könne man die genannten Männer nicht wie Gesetzlose behandeln. Auch Lykurgos erwähnt die Tyrannenmörder und ihre Statuen auf der Agora in der bereits in der Einleitung des Kapitels aufgeführten Aussage nur kurz und ohne den Grund für ihre Errichtung zu nennen. Hier geht es vielmehr um die emblematische und vorbildhafte Funktion, die durch diese Statuen, aber auch diejenigen der Strategen für die Bürger Athens gerade in Krisenzeiten ausgeübt werden kann. Diese Statuen haben der Aussage des Lykurgos zufolge drei Funktionen zu erfüllen: Sie zeigen, dass die Athener den richtigen Umgang mit ihren Wohltätern pflegen, was im Um-
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tragt, dort Demosthenes als Deserteur zu diffamieren. Demosth. 21,103, vgl. dazu MacDowell 1990, 326 ad loc.; M. Bakker 2012a, 410. Demosth. 21,144. An dieser Stelle sollen die Verdienste der Vorfahren des Alkibiades hervorgehoben werden, dessen Vater Alkmeonide war – der herausragende Verdienst der Familie sei es eben gewesen, dass sie mit Geldern aus Delphi die Stadt von den Peisistratiden befreit hätten. Auch hier gibt es jedoch keinen Hinweis auf die Spartaner, die ja maßgeblich am Ende der Tyrannis in Athen beteiligt waren. Vgl. Thuk. 6,53–54. Vgl. zur Überlieferungsgeschichte der Ereignisse auch Flaig 2004, besonders 113. Demosth. 23,143: „πῶς οὖν οὐκ αἰσχρὸν καὶ δεινὸν ἂν ἦτε πεποιηκότες, ὦ ἄνδρες Ἀθηναῖοι, εἰ τοὺς μὲν παρ᾽ ὑμῖν τοιοῦτό τι πράξαντας χαλκοῦς ἱστάντες καὶ ταῖς μεγίσταις δωρειαῖς τιμῶντες ἐφαίνεσθε, τοὺς δ᾽ ἑτέπωθί που τὴν αὐτὴν τούτοις διάνοιαν ὑπὲρ τῆς αὐτῶν πατρίδος ἐχόντας ἐκδότους εἶναι κατεψηφισμένοι;“ Vgl. noch kürzer Isokr. 8,143, der nur die Tat und „höchste Ehrungen“ ohne Namensnennung anführt, vgl. dazu Kremmydas 2012, 220. Demosth. 23,141–143. Philiskos war hyparchos des persischen Satrapen Ariobarzanes und hatte diesem die Unterstützung Athens und Spartas für eine Revolte gegen Artaxerxes II. gesichert (Xen. hell. 7,1,27; Diod. 15,70,2). Auf Betreiben des Timotheos hatten Ariobarzanes und Philiskos das athenische Bürgerrecht erhalten (Demosth. 23,141). Aufgrund seines gesetzlosen, ja tyrannischen Verhaltens in einigen Poleis am Hellespont, so zumindest die Schilderung bei Demosthenes, sei Philiskos dann von den genannten Bürgern von Lampsakos getötet worden (23,141 f.).
Die Tyrannenmörder
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kehrschluss bedeutet, dass sie Verräter wie Leokrates angemessen zu bestrafen wissen. Sie sind Vorbilder für das tapfere Verhalten der Nachkommen, hier der Gefallenen der Schlacht bei Chaironeia, und damit wiederum Gegenbilder zum schmachvollen Verhalten des Angeklagten Leokrates.99 Und nicht zuletzt zeigen sie die Überlegenheit Athens gegenüber anderen griechischen Poleis.100 Dies können sie natürlich nur leisten, wenn mit den Statuen die entsprechende Erinnerung an ruhmvolle Personen und ihre Taten verbunden ist, die durch ihre Präsenz auf der Agora sichtbar hervorgehoben wird. Das zeigt auch die Tatsache, dass Lykurgos hier eine Gleichstellung von Standbildern und dargestellten Männern vornimmt, indem er nach der Erwähnung der Statuen betont, dass es schwer sei, „aus ganz Griechenland auch nur wenige Männer von solcher Art zu finden“. Die Standbilder geben Auskunft über die Verdienste der Dargestellten und scheinen diese sogar geradezu zu verkörpern. In einem weiteren Schritt gilt es, sämtliche weiteren Textstellen, die sich mit den Tyrannenmördern, ihrer Tat oder ihren Ehrungen befassen, genauer zu betrachten. Denn selbst wenn die Statuen nicht explizit erwähnt werden, mussten sie doch allen Zuhörern bekannt, sogar unmittelbar präsent sein. Dies wird umso klarer, wenn man bedenkt, dass es sich bei den meisten der im folgenden genannten Reden, mit Ausnahme der Gefallenenrede des Hypereides und einer Anspielung in der Friedensrede des Isokrates, um Gerichtsreden handelt. Das bedeutet, dass alle Richter die Statuengruppe auf ihrem Weg zum Dikasterion gesehen haben konnten. Außerdem hatte der Redner die Möglichkeit, von seinem Platz aus in die Richtung der Statuengruppe zu deuten. Durch ihre Sichtbarkeit im Zentrum des öffentlichen Lebens und Verankerung im kulturellen Gedächtnis der Bürger durch die Statuengruppe selbst sowie durch andere Medien, die durch die zuvor genannten Beispiele deutlich geworden ist, konnten die sichtbaren Medien als „Verstärker“ des Gesagten dienen, auch wenn nur die Namen (und eventuell die Tat) genannt werden. Dabei muss nicht unbedingt der Tyrannenmord als solcher im Mittelpunkt stehen, sondern auch weniger populäre Motive können angesprochen werden. So kritisiert Aischines im Jahr 345 in der Rede „Gegen Timarchos“ den Vergleich zwischen der Liebesbeziehung von Harmodios und Aristogeiton mit der Beziehung zwischen Achilleus und Patroklos durch die Anklage.101
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Lykurg. 1,51: „εὑρήσετε δὲ παρὰ μὲν τοῖς ἄλλοις ἐν ταῖς ἀγοραῖς ἀθλητὰς ἀνακειμένους, παρ’ὑμῖν δὲ στρατηγοὺς ἀγαθοὺς καὶ τοὺς τὸν τύραννον ἀποκτείναντας. καὶ τοιούτος μὲν ἄνδρας οὐδ’ἐξ ἁπάσης τῆς Ἑλλάδος ὀλίγους εὑρεῖν ῥάδιον, τοὺς δὲ τοὺς στεφανίτας ἀγῶνας νενικηκότας εὐπετῶς πολλαχόθεν ἔστι γεγονότας ἰδεῖν.“ Dazu Krumeich 1997, 201 f. und 211. Zur Konzeption der Agora auch durch Statuen als politischer Raum vgl. T. Hölscher 2012, 19 f.; Zu möglichen, wenn auch seltenen Athletenehrungen in Form von Statuen vgl. Krumeich 1995a, 284. Ders. 1997, 201 f. betont, dass, der Aussage bei Lykurgos folgend, wie im 6. und 5. auch im 4. Jahrhundert („zumindest bis etwa 330“) für die Agora im Auftrag der Polis errichtete Siegerstatuen weder durch archäologische noch schriftliche Quellen belegt seien. 100 Vgl. Krumeich 1997, 211; Dillon 2006, 101. 101 Aischin. 1,132 f.; 140.
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Ehrenstatuen
Aischines selbst bezeichnet die Tyrannenmörder als „Wohltäter“ (132: „τοὺς εὐεργέτας τοὺς ὑμετέρους“; 140: „τοὺς τῆς πόλεως μὲν εὐεργέτας“) und als „Männer von herausragenden Tugenden“ („ταῖς δ᾽ ἀρεταῖς ὑπερενηνοχότας“). Die demonstrative Formulierung ist ein Hinweis darauf, dass der Redner in die Richtung der Statuengruppe gezeigt haben könnte.102 Im Gegensatz zur Beziehung zwischen Patroklos und Achilleus und ihren Taten, die ausführlich besprochen werden,103 bleibt es an den genannten Stellen bei der bloßen namentlichen Nennung der Tyrannenmörder und ihrer Bezeichnung als Wohltäter – eine zumindest rudimentäre Kenntnis der Geschichte(n) rund um diese beiden Personen wird also wiederum vorausgesetzt. Das Beispiel der Tyrannenmörder wird außerdem besonders dann häufig eingesetzt, wenn die Redner sich im Rahmen von Gerichtsprozessen mit Ehrungen befassen, und damit ein Vergleich mit den ersten Geehrten Harmodios und Aristogeiton naheliegt. Dies geschieht umso mehr, wenn man die aktuell zur Debatte stehende Ehrung als ungerechtfertigt, zumal im Vergleich mit diesen größten Wohltätern, darstellen will.104 In der Verteidigungsrede des Iphikrates gegen Harmodios, einen Nachfahren des gleichnamigen Tyrannentöters, vergleicht der Redner seine Taten (und damit indirekt auch seine Ehrungen) mit denjenigen der Tyrannenmörder und spricht gleichzeitig dem Ankläger eine solche Nähe ab. Vorstellbar ist, dass auch in der Anklage der Vergleich zwischen Harmodios und Aristogeiton auf der einen Seite und Iphikrates auf der anderen Seite eine Rolle gespielt hat, zumal der Titel der Rede bei Dionysios von Halikarnassos mit „Über die Statue des Iphikrates“ überliefert ist.105 Gleichermaßen prangert Deinarchos in der Rede „Gegen Demosthenes“ die Ehrungen für Demades an, die Demosthenes durchgesetzt habe. Dieser Mann, der so oft gegen den Willen und gegen die Interessen des Demos gehandelt habe, habe auf Betreiben des Demosthenes nicht nur eine Bronzestatue auf der Agora erhalten, sondern auch das Recht auf die Speisung im Prytaneion, und dies zusammen mit den Nachfahren von Harmodios und Aristogeiton. Es liegt nahe, auch in Bezug auf die Bronzestatue die Parallele zu den Tyrannenmördern zu ziehen, eine Ehrung, die für die Zuschauer viel offensichtlicher zu vergleichen war, obwohl die Statue des Demades sicherlich nicht in unmittelbarer Nähe der Tyrannenmörder stand.106
102
Aischin. 1,140. Vgl. die Übersetzung bei Carey 2000: „In this way the city’s benefactors, Harmodius and Aristogeiton, those men of outstandig virtues…“; vgl. hingegen die Übersetzung bei Adams (Loeb), der das Demonstrativpronomen mit dem Titel als Wohltäter verbindet: „And so it was that those benefactors of the state, Harmodios and Aristogeiton, men pre-eminent for their virtues …“. Die Bezeichnung der Tyrannenmörder als euergetai tritt hier zum ersten Mal auf, vgl. Azoulay 2014, 135. Die Bezeichnung als Wohltäter findet sich außerdem bei Demosth. 19,280. 103 Aischin. 1, 141–153. 104 Vgl. Azoulay 2014, 135 f. 105 Vgl. Kap. 4.3.2. 106 Deinarch. 1,101: „ἀλλὰ περιεῖδες αὐτὸν ἐν τῇ ἀγορᾷ χαλκοῦν σταθέντα καὶ τῆς ἐν πρυτανείῳ σιτήσεως κεκοινωνηκότα τοῖς Ἁρμοδίου καὶ Ἀριστογείτονος ἀπογόνοις.“ Dass hier auch ein Vergleich zwi-
Die Tyrannenmörder
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Selbst in privaten Erbschaftsprozessen konnte der Vergleich mit Harmodios und Aristogeiton und ihren Taten angebracht werden, zumal wenn es sich beim Gegner um einen Nachfahren eben dieser Tyrannenmörder handelt. Zentral ist in der betreffenden Rede des Isaios dem Kontext entsprechend das Thema der Abstammung, bzw. das Abwägen zwischen Ruhm durch Geburt und Ruhm durch Mannhaftigkeit. Der angesprochene Dikaiogenes, ein Nachfahre des Harmodios, habe sich dieses Vorfahren und seiner Ehrungen, genannt werden die Speisung im Prytaneion, die Ehrensitze im Theater und Steuerbefreiung, nicht würdig erwiesen, da er nur um das Vermögen seines Vaters gekämpft habe, also Besitz dem Ruhm vorgezogen habe. Aristogeiton und Harmodios seien dagegen nicht aufgrund ihrer Abstammung, sondern aufgrund ihrer mannhaften Taten geehrt worden, und zwar, weil sie den Tyrannen getötet hatten.107 Auch hier spielt neben den konkret benannten Ehrungen, die auch auf die Nachfahren und damit auf Dikaiogenes übertragen wurden, sicherlich auch die sichtbare Ehrung mit Statuen, die in direkter Nachbarschaft zum Dikasterion, in dem der Prozess stattfand, zu sehen waren, eine Rolle. War es doch gerade der hier eingeforderte Mannesmut, der in der Statuengruppe mit der Darstellung ihrer Tat im Zentrum stand. In den Gefallenenreden finden die Tyrannenmörder und ihre Tat nur selten Erwähnung. Das einzige erhaltene Beispiel stammt aus der Rede des Hypereides für die Gefallenen des Lamischen Krieges, also des Jahres 322.108 Auch in diesem Fall erfolgt die Anführung des Beispiels der Tyrannenmörder im Vergleich mit Personen der Zeitgeschichte, nämlich dem Anlass der Rede entsprechend mit den Gefallenen des Lamischen Krieges. Hier stehen die Tyrannenmörder im Gegensatz zu den zuvor genannten Beispielen auf einer Ebene mit den für die Stadt Gefallenen und werden in einem weiteren Schritt sogar als unterlegen dargestellt. Harmodios und Aristogeiton nämlich hätten die Tyrannis in ihrer Heimatstadt beendet, während die gerade Verstorbenen durch ihre Taten die Tyrannen aus ganz Griechenland vertrieben hätten.109 schen den Ehrungen mit Bronzestatuen intendiert ist, befürwortet Azoulay 2014, 136. Zum historischen Hintergrund Worthington 1992, 271 f. ad loc. 107 Isaios 5,46–47: „… ἀλλ’ἴσως διὰ τοὺς προγόνους ἀξιώσεις μου πλέον ἔχειν, ὅτι τὸν τύραννον ἀπέκτειναν. ἐγὼ δ’ἐκείνους μὲν ἐπαινῶ, σοὶ δὲ οὐδὲν ἡγοῦμαι τῆς ἐκείνων ἀρετῆς μετεῖναι. πρῶτον μὲν γὰρ εἴλου ἀντὶ τῆς ἐκείνων δόξης τὴν ἡμετέραν οὐσίαν κτήσασθαι, καὶ ἐβουλήθης μᾶλλον Δικαιογένους καλεῖσθαι ὑὸς ἢ Ἁρμοδίου, ὑπεριδὼν μὲν τὴν ἐν Πρυτανείῳ σίτησιν, καταφρονήσας δὲ προεδριῶν καὶ ἀτελειῶν, ἃ τοῖς ἐξ ἐκείνων γεγονόσι δέδοται. ἔτι δὲ ὁ Ἀριστογείτων ἐκεῖνος καὶ Ἁρμόδιος οὐ διὰ τὸ γένος ἐτιμήθησαν ἀλλὰ διὰ τὴν ἀνδραγαθίαν, ἧς σοι οὐδὲν μέτεστιν, ὦ Δικαιόγενες.“ Vgl. J. Shear 2012, 47 f. Ein Hinweis auf die Nachfahren von Harmodios und Aristogeiton und die damit verbundenen Privilegien findet sich auch bei Demosth. 20,18 und passim sowie Deinarch. 1,63. 108 Vgl. Herrman 2009, 104. 109 Hyp. 6,39: „Οἶμαι δὲ καὶ τὴν πρὸς ἀλλήλους φιλίαν τῷ δήμῳ βεβαιότατα ἐνδειξαμένους, λέγω δὲ Ἁρμόδιον καὶ Ἀριστογείτονα, οὐθένας οὕτως αὑτοῖς οἰκειοτέρους ὑμῖν εἶναι νομίζειν ὡς Λεωσθέη καὶ τοὺς ἐκείνῳ συναγωνισαμένους, οὐδ᾽ ἔστιν οἷς ἂν μᾶλλον ἢ τούτοις πλησιάσειαν ἐν Ἅιδου. εἰκότως· οὐκ ἐλάττω γὰρ ἐκείνων ἔργα διεπράξαντο, ἀλλ᾽ εἰ δέον εἰπεῖν, καὶ μείζω. οἱ μὲν γὰρ τοὺς τῆς πατρίδος τυράννους [κα]τέλυσαν, οὗτοι δὲ τοὺς τῆς Ἑλλάδος ἁπάσης.“ Vgl. Nouhaud 1982, 22 mit der treffenden Formulierung in Bezug auf die Statuen: „Hypéride se risque à les faire
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Wenn die Ergänzung des Demonstrativpronomens im einleitenden Satz der Bemerkung richtig ist („Οἶμαι δὲ καὶ τὴν πρὸς ἀλλήλους φιλίαν τῷ δήμῳ βεβαιότατα ἐνδειξαμένους“),110 dann werden Harmodios und Aristogeiton trotzdem besonders hervorgehoben. In diesem Fall handelt es sich wohl weniger um einen Hinweis auf ihr Standbild auf der Agora, sondern vielmehr auf ihr Grab, das auf dem Kerameikos verortet und Gegenstand der Verehrung war – Hypereides könnte im Rahmen seiner Rede auch gestisch darauf verwiesen haben.111 Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Tyrannenmörder vor 390 in den Reden keine Rolle spielen, ihre Statuen sogar erst ab der Mitte des 4. Jahrhunderts bei den Rednern audrücklich Erwähnung finden. Sowohl ihre Taten als auch ihre Ehrungen werden stark verkürzt dargestellt, in den seltenen Fällen, in denen die Statuen überhaupt erwähnt werden, erfolgt keine genauere Beschreibung. Häufiger ist die Formulierung der „höchsten Ehrungen“ für Harmodios und Aristogeiton anzutreffen, in diesem Fall sind die Statuen sicherlich miteingeschlossen.112 Die Tyrannenmörder bilden oft einen Vergleichspunkt zu anderen Geehrten bzw. einen Kontrast zu negativ dargestellten Angeklagten oder Prozessgegnern, was die Funktion ihrer Statuen als visuelle paradeigmata verdeutlicht. Eine inhaltliche Gemeinsamkeit aller Redepassagen, die sich mit den Tyrannenmördern und insbesondere mit den Statuen oder damit verbundenen Festen und Ritualen auseinandersetzen, bildet die Version vom Tyrannenmord als Ende der Tyrannenherrschaft und als Befreiung der Polis. Gleichzeitig existieren aber auch andere Versionen vom Ende der Tyrannis, die zwar weniger häufig genannt werden, aber wohl bekannt waren.113 Gerade durch die zunehmende Konzentration auf die materiellen Medien der Erinnerung in der 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts ist es möglicherweise zu erklären, dass dann zunehmend die Version der Befreiung Athens durch die Tyrannenmörder erinnert wurde.114 Neben der Glorifizierung der Tyrannenmörder als Befreier kam es andererseits im Verlauf des 4. Jahrhunderts zu einer Banalisie-
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descendre de leur piédestal.“ Dagegen betont Taylor 1981, 24 die starke Verbindung der Tyrannenmörder mit den Gefallenen, und zwar nicht nur des aktuellen Kriegszuges, sondern auch mit den Helden der Perserkriege und des Trojanischen Krieges, die in den Paragraphen zuvor (6,35–38) genannt werden. Vgl. auch Engels 1993, 378, der mit diesem Vergleich den Höhepunkt der Rede erreicht sieht, sowie zum Vergleich zwischen dem Kampf für die Demokratie und der Perserabwehr Balot 2014, 255, der diese Verknüpfung auch über den Anblick der Tyrannenmördergruppe hergestellt sieht. Die Ergänzung findet sich bereits in der editio prima von Churchill Babington 1858 ad loc. Vgl. Wilke 1996, 250 f. und besonders Arrington 2015, 72 f. Diese starke Verkürzung gilt für sämtliche antike Quellen, s. Brunnsåker 1972, 41 mit den Belegen 33–41. Isokr. 15,232; Demosth. 21,144. Vgl. hierzu Flaig 2004, 112; 2005, 232 f., der diese widersprüchlichen und gleichzeitig auftretenden Geschichten als „diskohärente Erinnerungen“ bezeichnet. Vgl. auch Thomas 1989, 251–254, die Beispiele aus der mündlichen Überlieferung aus dem frühen 4. Jahrhundert anbringt, dort werde jeweils die eigene Familie mit der Vertreibung der Tyrannen in Verbindung gebracht. Vgl. Nouhaud 1982, 22; Thomas 1989, 254 mit Anm. 38.
Konon und seine „Nachfolger“ Iphikrates, Chabrias, Timotheos
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rung des Monuments, denn durch immer weitere Statuen auf der Agora wurden auch die Tyrannenmörder vergleichbar. Dadurch konnten sie ein Modell zur Nachahmung für alle Wohltäter der Polis werden.115 4.3 Konon und seine „Nachfolger“ Iphikrates, Chabrias, Timotheos 4.3.1 Konon Nachdem die Statuengruppe der Tyrannenmörder für mehr als hundert Jahre die einzige ihrer Art auf der Agora blieb, sich die Ehrungspraxis durch Statuen innerhalb Athens also vor allem auf die Akropolis beschränkte, wo im Verlaufe des 5. Jahrhunderts zahlreiche Statuen, von Privatpersonen initiiert und finanziert, aufgestellt wurden,116 erhielt der Stratege Konon im Sommer des Jahres 393 für den Sieg in der Seeschlacht bei Knidos gegen die Spartaner im Jahr zuvor eine Ehrenstatue auf der Agora in der Nähe der Stoa des Zeus Eleutherios.117 Wenn man bedenkt, wie lange eine solche Ehrung für einen athenischen Bürger an diesem Ort vermieden wurde, so ist es umso erstaunlicher, dass gleichzeitig eine Statue des zyprischen Königs Euagoras aufgestellt wurde, der zwar das athenische Bürgerrecht als Belohnung für seine Verdienste erhalten hatte, gleichwohl aber sowohl durch seine auswärtige Herkunft als auch durch seine politische Stellung als Alleinherrscher als wenig geeignet für eine solch außergewöhnliche Ehrung erscheint.118 In den Quellen, die sich unmittelbar mit der Schlacht bei Knidos und ihren Folgen für Athen auseinandersetzen, gibt es aber keine kritischen Erwähnungen in dieser Hinsicht, auch die Außergewöhnlichkeit der Ehrung auf der Agora, zumal für noch lebende Personen, ist nicht hervorgehoben worden.119 Auffällig ist jedoch, dass unmittelbar nach Knidos und der Statuenehrung das Ereignis bei den Rednern zunächst weder besonders hervorgehoben oder als Wende115 116 117
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Vgl. Azoulay 2014, 123 f. Vgl. Kap. 4.1. Vgl. Funke 1980, 120 mit Anm. 51 und dem Verweis auf die Quellen: Paus. 1,3,1; IG II2 20 = Rhodes/ Osborne Nr. 11 und die Ergänzungen bei Lewis/Stroud 1979, 180–193 = SEG 29 sowie die Nennung bei Isokr. 9,57 und Demosth. 20,69 f. Vgl. auch ders. 1983, 152–154. Zum zeitlichen Ablauf vgl. auch Gauthier 1985, 96; Strauss 1986, 126–129 und neuerdings Asmonti 2015, 162–166. IG I3 113. Vgl. J. Shear 2011, 256; 277; Azoulay 2014, 129. Azoulay weist auch darauf hin, dass Euagoras wahrscheinlich schon 410, spätestens aber 407 das athenische Bürgerrecht erhalten hatte und ein Ehrendekret des Jahres 393 ihn als Hellenen feierte (mit Anm. 14 und Verweis auf SEG 29 86,16–17 und der weiteren Literatur). Überlegungen bei Monaco 2009, 293 f. zur möglichen Lokalisierung der Inschrift auf der Akropolis IG II2 20, bes. Z. 21. Vgl. dagegen Krumeich 1997, 208 Anm. 11 mit der Annahme, dass Euagoras das athenische Bürgerrecht 393 zusammen mit der Statue erhalten habe, allerdings ohne Quellenbeleg. Vgl. zu den rechtlichen Fragen Krumeich 1997, 59 mit Anm. 63, der betont, dass es kein Gesetz gegeben habe, das eine Statuenaufstellung für „lebende Politiker“ auf der Agora verboten habe, vielmehr habe es sich um eine „konventionelle Restriktion“ gehandelt. Auch in Zusammenhang
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Ehrenstatuen
punkt der athenischen Geschichte wahrgenommen wird noch die Leistungen Konons besonders gelobt werden, vielmehr steht der Profit für die Perser im Mittelpunkt der Betrachtungen.120 Erst nach der Gründung und dem Ausbau des zweiten Seebunds in den 70er Jahren des 4. Jahrhunderts werden in der Rhetorik und der Historiographie die Erfolge im Seekrieg und die Rückgewinnung der athenischen Vorherrschaft einander zugeordnet, so dass Konon, teilweise zusammen mit Timotheos, als „Neubegründer der athenischen Großmachtstellung“ erscheint. In der Rückschau wirken die Erfolge Konons als Voraussetzungen für den erneuten Machtanstieg Athens.121 Im Zuge dieser Neudeutung der historischen Ereignisse kann dann auch die Statuenehrung in die Überlegungen mit einbezogen werden. Dabei wird das Ereignis nicht als radikaler Bruch in der Ehrungspraxis, sondern vielmehr als Wiederaufnahme einer durch die Statuengruppe der Tyrannenmörder begründeten Tradition interpretiert.122 Dies trifft auch für die erste Erwähnung dieser Ehrung bei den Rednern zu, die in die Zeit um 370/365 zu datieren ist. Isokrates fasst in seiner Rede „Euagoras“ die Verdienste der beiden Geehrten zusammen, indem er betont, dass durch den Sieg bei Knidos die Herrschaft der Lakedaimonier beendet worden sei, die Griechen befreit worden seien, Athen einen Teil seines alten Ruhmes wiedererlangen konnte und die Führung der Bundesgenossen erneut übernommen habe. Durch seinen Oberbefehl habe Konon diesen Sieg maßgeblich zu verantworten, der Erfolg sei aber durch die Unterstützung des Euagoras erst möglich geworden.123 Vor diesem Hintergrund erscheinen die dann mit der Verleihung der Ehrenstatue an Konon sei nirgendwo von der Aufhebung eines Gesetzes die Rede. 120 Lys. 2,59 f.; And. 3,22; Plat. Mx. 246a; Isokr. 4,119 (in der gleichen Rede 142 f. dann aber schon mit Konon als zentraler Figur) sowie die Rede des Spartaners Derkylidas bei Xen. hell. 4,8,4. Vgl. Seager 1967, 100 f.; Funke 1980, 120 mit Anm. 51; Gauthier 1985, 97, der zudem hervorhebt, dass Konon seit mehr als 12 Jahren im Exil lebte und zum Zeitpunkt der Ehrung keine offizielle Funktion in Athen bekleidete. Erst in der Rückschau sei der Sieg bei Knidos als Wendepunkt wahrgenommen worden, die einzig fassbare Wohltat (97: „bienfait tangible“) sei zu diesem Zeitpunkt die Hilfe bei der Wiedererrichtung der Langen Mauern gewesen. Zu diesem Punkt vgl. auch Kap. 6.4.5; Worthington 1992, 19–22. Die Rolle und die Interessen der Perser in den Konflikten zu Beginn des 4. Jahrhunderts wurde zuletzt besonders von Asmonti 2015 hervorgehoben. 121 Funke 1980, 121 und 122 Anm. 55 und ders. 1983, 151. Auch eine Stele mit der Seebundsurkunde sei beim Standbild des Zeus Eleutherios, und damit in der Nähe der beiden Statuen aufgestellt worden (IG II2 43,Z. 65 f.), vgl. ebenso auch West 1995, 244; G. Oliver 2007, 197. 122 Vgl. Azoulay 2014, 126–129. Azoulay bringt als ähnliche Form des Umgangs mit der Vergangenheit die Tatsache an, dass nach 403 von den Rednern besonders häufig große Gesetzgeber der archaischen Zeit (Theseus, Drakon und Solon) erwähnt würden. Dabei habe die aktuelle Politik in Wirklichkeit nicht viel mit dieser lange vergangenen Epoche zu tun gehabt, im Gegenteil sollte die Feier der patrios politeia politische Innovationen verdecken. In diesem Zusammenhang seien auch die Tyrannenmörder als Gründer der Demokratie eingebracht worden (ebenda, 126) – hier ist jedoch anzumerken, dass diese Zuordnung von Tyrannenmördern zu demokratischer Ordnung erst nach 390 in den Reden festzustellen ist. Zu Solon, Drakon und ihren (inschriftlich erhaltenen) Gesetzen vgl. Kap. 5.2. 123 Isokr. 9,56. Dabei handelt es sich nur um die Zusammenfassung der Taten der beiden Geehrten, die in den vorausgehenden Abschnitten (ab 9,52) ausführlich geschildert werden. Zu Aufbau und
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geschilderten Ehrungen als angemessen. Dabei wird die Exklusivität einer solchen Ehrung von Isokrates durchaus hervorgehoben, indem er sie eben als „größte Ehren“ („ταῖς μεγίσταις τιμαῖς“) bezeichnet. Darüber hinaus werden die Ehrenstatuen genau lokalisiert: „wo sich die Statue des Zeus Soter befindet, in unmittelbarer Nähe dieser Statue und beide nah beieinander“ („ἐστήσαμεν οὗπερ τὸ τοῦ Διὸς ἄγαλμα τοῦ σωτῆρος, πλησίον ἐκείνου τε καὶ σφῶν αὐτῶν“). Die Statuen zeichnen sich also durch die Nähe zu einem Götterbild aus, das die Größe ihrer Taten hervorheben und durch seine Sakralität diese Ehrung zusätzlich steigern kann. Darüber hinaus erinnert die gemeinsame Aufstellung an die Freundschaft der beiden Männer, was sie wiederum in die Nähe der ebenfalls als Freunde geehrten Harmodios und Aristogeiton rückt.124 Über diese Passage hinaus wird Konon von Isokrates in mehreren Reden hervorgehoben, meist in Verbindung mit dem Sieg bei Knidos und der daraus folgenden erneuten Vorrangstellung Athens bzw. dem Ende der Vormacht Spartas – dies hängt sicherlich auch damit zusammen, dass Timotheos, der Sohn des Konon, ein Schüler des Isokrates war.125 Ein ausdrücklicher Vergleich mit der Tyrannenmördergruppe erfolgt dann in der bereits erwähnten Rede des Demosthenes „Gegen Leptines“. Vor dem Hintergrund, dass die Rede sich vehement gegen die Aussetzung bestimmter Privilegien für die Nachfahren von Wohltätern ausspricht, werden einige dieser Wohltäter und ihre Leistungen genauer betrachtet. Auch der Stratege Konon und seine Taten werden einer Prüfung unterzogen.126 Im Mittelpunkt stehen dabei der Sieg bei Knidos sowie die Wiedererrichtung der Mauern Athens.127 Für den Sieg bei Knidos sei Konon nicht nur mit ateleia, sondern auch mit einer Bronzestatue geehrt worden, so wie es zuvor nur für Harmodios und Aristogeiton der Fall gewesen sei. Die Erklärung hierfür sei die Ähnlichkeit der Taten der Geehrten. Durch den Sieg bei Knidos habe Konon der Macht der Spartaner und damit einer großen Tyrannis ein Ende gesetzt.128 Durch das Stichwort der Tyrannis werden also zwei Ereignisse, die zeitlich und sachlich keine BerühIntention der Rede vgl. Sykutris 1924; Mason 1975 sowie zusammenfassend Too 2000, 139 f. 124 Isokr. 9,57. Übers. Ch. Ley-Hutton. Vgl. dazu Nouhaud 1982, 337, der die Statuen als Beweise für die Verdienste der beiden Geehrten auffasst; Weinert 1995, 307; Steiner 2001, 279; Low 2010, 355 will die Statuen als „emblems of Athenian strength“ verstanden wissen. Zur Entsprechung zwischen Zeus Eleutherios und Zeus Soter vgl. T. Hölscher 1988b, 381. Die Analogie zur Statuengruppe der Tyrannenmörder hebt besonders Azoulay 2014, 129 hervor, der zudem die Vermutung äußert, dass auch die Statuen von Konon und Euagoras nackt gewesen sein könnten, um die Ähnlichkeit noch deutlicher zu machen. Diese Annahme wird jedoch als reine Hypothese gekennzeichnet, da sich in den Quellen keinerlei Angaben über das Erscheinungsbild der beiden Statuen befänden. Vgl. auch schon Gauthier 1985, 97, der von einer „réplique moderne du groupe des tyrannoctones“ spricht, bis auf den Ort (Agora) und die Zweizahl aber nicht weiter auf diese Parallele eingeht. 125 Isokr. 4,142; 154; 5,62–64; 7,12; 65. Vgl. Nouhaud 1982, 334–337 und zu Timotheos Kap. 4.3.2. 126 Demosth. 20,68–74. Vgl. dazu Nouhaud 1982, 337 f.; Bianco 2007, 107–112. Weitere in dieser Passage der Rede behandelte Personen sind insbesondere der Stratege Chabrias (20,75–84) sowie fremde Wohltäter (20,30–66). 127 Zu den Mauern vgl. Kap. 6.4.5. 128 Demosth. 20,70. Zu den Ehrenstatuen als Vergleichspunkt in diesem Fall vgl. Steiner 2001, 268.
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rungspunkte haben, miteinander verknüpft – für den Redner und seine Zuhörer lag der Gedanke einer solchen Analogie also zumindest nahe.129 Der zweite Anknüpfungspunkt zwischen den Tyrannenmördern und Konon liegt in ihrer Rolle als Befreier, die auch in der zuvor verlesenen, zur Statue gehörenden Inschrift erwähnt wird.130 Es handelt sich um einen Aspekt, der auch in anderen Reden immer wieder aufgegriffen wird und der durch den Aufstellungsort der neuen Ehrenstatuen an der Stoa des Zeus Eleutherios unterstrichen wird.131 An dieser Stelle spielt der bei Isokrates hervorgehobene König Euagoras sowie seine Ehrenstatue im Übrigen keine Rolle. Es wird vielmehr hervorgehoben, dass Konon als Stratege in den Diensten des Perserkönigs und ohne finanzielle Unterstützung der Polis („παρ᾽ ἡμῶν οὐδ᾽ ἡντινοῦν ἀφορμὴν λαβών“) die Seeschlacht über die Spartaner gewonnen, die Harmosten als Repräsentanten der spartanischen Tyrannis vertrieben und die Mauern wiedererrichtet habe.132 Als zusätzliches Alleinstellungsmerkmal über die Bronzestatue hinaus erscheint dann die wohl neben der Statue aufgestellte Stele, die Konons Rolle als Befreier auch der athenischen Verbündeten hervorhebt.133 Hier wird also der visuellen Erinnerungsleistung durch die Statue eine Inschrift als weiterer Aspekt der Vergegenwärtigung von Vergangenheit hinzugefügt.134 Auf diese Weise habe von der Bewunderung der anderen Griechen für seine Verdienste auch die Polis insgesamt profitiert. Auch die Ehrungen anderer Poleis für Konon werden erwähnt: Da dies unmittelbar auf die Erwähnung der Bronzestatue folgt, könnte es sich dabei ebenfalls (unter anderem) um Statuenehrungen 129 130
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Vgl. Weinert 1995, 307; Bianco 2007, 109; Azoulay 2014, 127; 134. Demosth. 20,69. Vgl. dazu Seager 1967, 100; Strauss 1986, 129; J. Shear 2007a, 107; Azoulay 2014, 128. Azoulay weist im Übrigen darauf hin, dass auch das Grab des Konon auf dem Kerameikos an das Grab von Harmodios und Aristogeiton angrenzte (Paus. 1,29,15), Timotheos sei dann wiederum neben seinem Vater bestattet worden. Dies zeige, wie die Erinnerung an die Tyrannenmörder exklusiv von einer Familie vereinnahmt wurde (146 und 147 mit Abb. 17 zur möglichen Lage der Gräber). Isokr. 9,56; Demosth. 20,69; Deinarch. 1,14. Vgl. auch Azoulay 2014, 128 sowie die Überlegungen zum genauen Aufstellungsort in Kap. 4.1. Demosth. 20,68. Demosth. 20,69. Vgl. dazu Nouhaud 1982, 337; J. Shear 2011, 277. Im Gegensatz dazu war im 5. Jahrhundert entweder eine bildliche Darstellung oder eine Inschrift als Ehrung auf der Agora möglich: vgl. Azoulay 2014, 130 f., als Beispiel die Hermeninschriften (Aischin. 3,183) sowie die Darstellung des Miltiades und anderer Personen in der Stoa Poikile (Aischin. 3,186). Mit der Ehrung der Männer aus Phyle 403 kommt es dann zu einer langsamen Modifizierung dieser Ehrungspraxis, da diese namentlich auf einer Inschriftenstele verzeichnet wurden, die mitten auf der Agora und somit für alle sichtbar aufgestellt wurde – auch hier waren aber keine Porträts der Genannten enthalten (Aischin. 3,187). Über die Stele als Inschriftenträger zu Ehren Konons hinaus werden in zwei demosthenischen Reden außerdem goldene Kränze erwähnt, die als Weihgeschenke für Athena auf der Akropolis aufgestellt waren. Darunter habe sich auch ein Kranz „von Konon aus der Seeschlacht gegen die Spartaner“ (Demosth. 22,72: „Κόνων ἀπὸ τῆς ναυμαχίας τῆς πρὸς Λακεδαιμονίους“) befunden, damit wird sicherlich der Sieg bei Knidos gemeint sein. Vgl. Nouhaud 1982, 334; ebenso Demosth. 24,180 f. (dort auch ein Kranz des Strategen Chabrias). Diese Kränze werden als „ἃ ζῆλον πολὺν εἶχε καὶ φιλοτιμίαν ὑμῖν“ (Demosth. 22,73) bezeichnet. Vgl. dazu auch Kap. 5.6.
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gehandelt haben. Solche Ehrungen sind für die Poleis Erythrai, Samos und Ephesos bezeugt135 und bringen einen zusätzlichen Aspekt der Sichtbarkeit in die Schilderung hinein. Zwar waren die Statuen dann nicht unmittelbar für die athenische Zuhörerschaft sichtbar, jedoch steigert die Aussage den Eindruck von Präsenz, den Konon und seine Taten in der gesamten griechischen Welt hinterlassen haben mussten. Neben dieser ausführlichen Schilderung von Taten und Ehrungen gibt es bei den Rednern, ebenso wie im Fall der Tyrannenmörder, auch stark verkürzte Aussagen zu Konon, die sich allgemein auf „größte Ehren“ (megistai timai) beziehen. Auch hier wird an die Statuenehrung als Bezugspunkt gedacht worden sein, so zum Beispiel in der Rede des Hypereides „Gegen Philippides“.136 Gerade die Reden, die sich mit der Rolle Konons als Befreier Athens und Griechenlands befassen, und sei es nur in aller Kürze, beinhalten allein durch diesen Titel einen impliziten Verweis auf die Statue und ihren symbolträchtigen Aufstellungsort, eben an der Stoa des Zeus Eleutherios, „des Befreiers“.137 4.3.2 Iphikrates, Chabrias, Timotheos Einige Jahre nach der Ehrenstatue für Konon erhielt der Stratege Iphikrates eine Ehrenstatue auf der Agora, in etwas größerem zeitlichen Abstand folgten dann Statuen des Chabrias (kurz nach 376) und des Timotheos (kurz nach 375). Die Statue des Timotheos wurde wohl neben derjenigen seines Vaters Konon aufgestellt.138 Es ist auffällig, dass gerade diese Strategen von den Rednern besonders häufig als historische paradeigmata benannt werden,139 wobei mitunter auch ihre Statuen erwähnt werden. Diese paradeigmata werden nicht immer positiv gewertet, zumal wenn der Redner einen Vergleich zwischen den genannten Strategen des 4. Jahrhunderts und denjenigen des 5. Jahrhunderts und ihren Ehrungen anstellt. 135 136
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Demosth. 20,71; Belege für die Ehrungen in den einzelnen Poleis vgl. Kap. 4.1. Hyp. 2, Fr. 6, ebenfalls mit dem Hinweis auf Wohltaten für Athen und ganz Griechenland, obwohl hier aufgrund der fragmentierten Überlieferung nicht deutlich wird, ob tatsächlich Konon gemeint ist: „… καλῶ[ν πραγμάτων καὶ τῇ] πόλει καὶ τοῖς Ἕλλης[ιν αἴτι]ος ἐγένετο. τοι[γαροῦν] καὶ παρ᾽ ἡμῖν κα[ὶ παρὰ] το[ῖς] ἄλλοις πᾶσιν [τῶν μεγίς]των δωρεῶ[ν ἔτυχεν … δ]ικαίως [… γ]ὰρ … ὑπὸ.“ Vgl. die Diskussion der verschiedenen Möglichkeiten bei Whitehead 2000, 40 ad loc. sowie knapp Cooper 2001, Anm. 3 ad loc. Deinarch. 1,14; 3,17; Isokr. 5,64. Auch die zahlreichen weiteren Erwähnungen des Konon und seiner Taten können mit Blick auf die sichtbaren Ehrungen gelesen werden, auch wenn der visuelle Aspekt nur hypothetisch angenommen werden kann, da er in der Rede selbst nicht erwähnt wird: Aischin. 2,70; And. 3,22; Deinarch. 1,75; Demosth. 19,191; Isokr. 4,142;154; 7,12;65; Lys. 19,12 f. Zum historischen Hintergrund der jeweiligen Reden, der argumentativen oder paradigmatischen Funktion Konons und den damit verbundenen historischen Verkürzungen und Vereinfachungen ausführlich Nouhaud 1982, 334–338 und der zusammenfassenden Bemerkung, Konon sei „l’objet des références les plus nombreuses.“ Vgl. auch Canevaro 2016, 304; 307 f. Vgl. Kap. 4.1. Vgl. Nouhaud 1982, 338.
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Zunächst gilt es jedoch erneut festzustellen, dass in Zusammenhang mit der Aufstellung der Statue des Iphikrates aufgrund seines Sieges gegen eine spartanische Streitmacht bei Korinth im Jahr 390 zum ersten Mal Konflikte um die Aufstellung einer Ehrenstatue belegt sind. Anscheinend klagte ein gewisser Harmodios, ein Nachfahre des „Tyrannenmörders“ gleichen Namens, gegen die Verleihung der megistai timai an den Strategen.140 Dass es dabei wohl insbesondere um die Ehrung mit einer Bronzestatue auf der Agora ging, zeigt der bei Dionysios von Halikarnassos überlieferte Titel der Anklagerede „Über die Statue des Iphikrates“ („περὶ τῆς Ἰφικράτους εἰκόνος“).141 Die Anklagerede selbst ist nicht erhalten, die Verteidigung gegen diese Anklage ist in der Rhetorik des Aristoteles in Fragmenten überliefert und wird dort dem Redner Lysias zugeschrieben. Auch diese Fragmente machen deutlich, dass gerade das Standbild einen Streitpunkt der Auseinandersetzung bildete.142 Zudem habe Iphikrates seine Leistungen über die ruhmreiche Abstammung des Anklägers Harmodios gestellt und sie in die Nähe der Tyrannentöter gerückt – wie sich ja auch seine Statue in räumlicher Nähe zu der Statuengruppe der beiden Geehrten befand: „Ebenso argumentiert Iphikrates, wenn er sagt, daß derjenige der Ehrwürdigste ist, der auch moralisch der Beste ist, denn auch an Harmodios und Aristogeiton war nichts Ehrwürdiges, ehe sie nicht eine ehrwürdige Tat vollbrachten. Er selbst stünde ihnen auch näher: „‚Meine Leistungen sind denen des Harmodios und des Aristogeiton näher verwandt als deine!‘“ 143 Diese Aussage beinhaltet gleichzeitig eine Kritik am Ankläger: Dieser könne sich nicht auf seine Verwandtschaft zu den Tyrannenmördern berufen, sondern müsse sich, genau wie Iphikrates, der sich keiner solch edlen Abstammung rühmen konnte, die Ehrungen erst verdienen. Diese Aussage fügt sich in den Kontext einer athenisch-demokratischen Ideologie ein.144 Ein Vergleich mit der Ehrungspraxis in anderen Poleis, der
140 Vgl. hierzu auch F. Hölscher 2010, 248. Harmodios habe das „Ansehen seines Vorfahren durch diese Ausweitung verwässert“ gesehen; vgl. bereits Gauthier 1985, 180, der auch das jugendliche Alter des Iphikrates zum Zeitpunkt der Ehrung als Grund für die Klage anführt; Krumeich 1997, 208; Dillon 2006, 102 mit Anm. 25 und der weiteren Literatur. Grundsätzlich skeptisch gegenüber der Verleihung der megistai timai an Iphikrates H. Thompson / Wycherley 1972, 158. 141 Dion. Hal. Lysias 12; vgl. auch Schol. Demosth. 21,62, der den allgemeineren Titel „Über seine Ehrungen“ („περὶ τῶν αὐτοῦ δωρεῶν“) überliefert. Die Fragmente sind aufgenommen bei Thalheim Fr. 18; Vgl. Azoulay 2014, 150 mit Anm. 92. 142 Aristot. Rhet. 1397b 25–30. Ob es sich tatsächlich um eine Rede des Lysias gehandelt hat, ist umstritten: Dion. Hal. Lys. 12,5 geht von einer Fälschung aus, dem folgt Dover 1968, 45–46; 93. Vgl. hingegen Gauthier 1985, 177–180, der auf Basis der Überlegungen zur Datierung der Ehrung für Iphikrates eine Autorschaft des Lysias zumindest für möglich hält. 143 Aristot. Rhet. 1398a17–22: „καὶ ὡς Ἰφικράτης, ὅτι γενναιότατος ὁ βέλτιστος· καὶ γὰρ Ἁρμοδίῳ καὶ Ἀριστογείτονι οὐδὲν πρότερον ὑπῆρχε γενναῖον πρὶν γενναῖόν τι πρᾶξαι. καὶ ὅτι συγγενέστερος αὐτός· „τὰ γοῦν ἔργα συγγενέστερά ἐστι τὰ ἐμὰ τοῖς Ἁρμοδίου καὶ Ἀριστογείτονος ἢ τὰ σά.“ Übers. G. Krapinger. In einem bei Aristeid. 28,85 (= Fr. 46 Carey) überlieferten Fragment wird Iphikrates im Anschluss daran sogar als „Waffenbruder“ der Tyrannenmörder („ἢ παραλαβεῖν ἂν αὐτούς φησίν ἢ ὑπ᾽ἐκείνων παρακληθῆναι“) vorgestellt. 144 Vgl. Neer 2002, 173; Azoulay 2014, 150 f.
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die Athener unter Druck gesetzt, und damit einen Freispruch bewirkt haben könnte, zeigt zudem die Aussage aus der Verteidigungsrede, dass man dem Iphikrates auf der Peloponnes bereits eine Stele von gewaltiger Größe aufgestellt habe.145 Die Anklage war augenscheinlich erfolglos, denn die Statue und weitere Ehrungen des Iphikrates werden in zahlreichen späteren Reden erwähnt, während der Konflikt um ihre Aufstellung offenbar in Vergessenheit geriet, oder aber zumindest nicht mehr für wichtig erachtet wurde.146 Fast vierzig Jahre nach der Aufstellung der Statue können die Ehrungen für Iphikrates in der Rede des Demosthenes „Gegen Aristokrates“ stattdessen das Glück dieses Mannes verdeutlichen: Genannt wird hier an erster Stelle das bronzene Standbild, die Speisung im Prytaneion und weitere nicht näher benannte Ehrungen.147 Nach der Schilderung der ungerechten Behandlung des Iphikrates durch den thrakischen König Kotys (23,130–136) heißt es außerdem zusammenfassend Kotys habe ihn seiner Ehrungen, der sitesis und der Statue berauben wollen.148 Die Bündelung dieser Ehrungen wird als das begriffen, was das Leben eines athenischen Bürgers lebenswert macht, und dessen Verlust auf gleicher Stufe steht wie der Verlust der Heimatpolis, die ihm eben diese Ehrungen verliehen hat.149 Die Statue(n) erscheinen dabei als Selbstverständlichkeit, die als Ehrung zumindest in diesem Kontext nicht in Frage gestellt wird – ein möglicher Hinweis darauf, dass mit der Ehrenstatue für Iphikrates eine neue Tradition der Ehrungen ihren Anfang nahm, während die Statuen für Konon und Euagoras vielmehr als Ausnahmen wahrgenommen wurden.150 Darüber hinaus gibt es nur ein einziges weiteres Beispiel, das einen einzelnen Strategen zusammen mit seiner Statue aufführt. Die Rhetorik des Aristoteles überliefert einen Ausspruch des Lykoleon in einer Verteidigungsrede für den athenischen Strategen Chabrias, in der von „seinem Fürsprecher dem bronzenen Standbild“ die Rede ist.151 Hier wird das Standbild als Personifikation des Dargestellten charakterisiert, die für diesen Dargestellten eintreten kann. Aristoteles selbst erklärt den Ausspruch, indem 145 Aristeid. 28,85. Vgl. dazu auch Azoulay 2014, 151 f. 146 Zusätzlich wurde für Iphikrates wohl 372/1 eine Statue auf der Akropolis aufgestellt, die im Pronaos des Parthenon stand. Die Statue wurde wohl entweder von Iphikrates selbst oder von einer Person aus seinem Umfeld als privates Weihgeschenk gestiftet. Paus. 1,24,7, vgl. Löhr 1995, 167; Krumeich 1997, 212. 147 Demosth. 23,130: „ἴστε δήπου τοῦτ᾽, ὦ ἄνδρες Ἀθηναῖοι, ὅτι χαλκῆς εἰκόνος οὔσης παρ᾽ὑμῖν Ἰφικράτει καὶ σιτήσεως ἐν πρυτανείῳ καὶ δωρειῶν καὶ τιμῶν ἄλλων, δι᾽ ἃς εὐδαίμων ἐκεῖνος ἦν …“ Vgl. Stewart 1979, 124. 148 Demosth. 23,136: „ὁ μὲν γ᾽ ἐκεῖνον τιμάς, σίτησιν, εἰκόνας, πατριδ᾽ἣ ζηλωτὸν αὐτὸν ἐποίησεν, ὀλίγου δέω λέγειν πάνθ᾽ ὧν ἄνευ ζῆν οὐκ ἄξιον ἦν Ἰφικράτει, νομίζων ἀποστερήσειν οὐκ ἐπεστράφη·“ 149 Vgl. Tanner 1992, 182; Dillon 2006, 102. 150 Vgl. Azoulay 2014, 150 und 152 mit Verweis auf den Ausspruch des Iphikrates bei Plut. mor. 187b: „τὸ μὲν ἐμὸν ἀπ᾽ἐμοῦ γένος ἄρχεται, τὸ δὲ σὸν ἐν σοὶ παύεται.“ 151 Aristot. Rhet. 3,1411b: „καὶ Λυκολέων ὑπὲρ Χαβρίου „οὐδὲ τὴν ἱκετηρίαν αἰσχυνθέντες αὐτοῦ, τὴν εἰκόνα τὴν χαλκῆν“· μεταφορὰ γὰρ ἐν τῷ παρόντι, ἀλλ᾽ οὐκ ἀεί, ἀλλὰ πρὸ ὀμμάτων· κινδυνεύοντος γὰρ αὐτοῦ ἱκετεύει ἡ εἰκών, τὸ ἄψυχον δὴ ἔμψυχον, τὸ ὑπόμνημα τῶν τῆς πόλεως ἔργων.“ Übers. G. Krapinger.
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er die Statue als „das leblose Belebte“ und „Mahnmal seiner für die Stadt geleisteten Taten“ bezeichnet. Die Statue bekommt also insofern eine tragende Rolle, als dass sie nicht nur an die Taten des Chabrias erinnert, sondern diese positive Erinnerung auch aktiv zu seinen Gunsten eingesetzt werden kann. Chabrias nutzt hier die Bedeutung seiner Statue als Verteidigungsstrategie vor der Menge der versammelten Richter, die ihrerseits den Demos repräsentieren, der für die Aufstellung dieser Statue zuständig war. Diese Richter waren in einem Gerichtshof zusammengekommen, der sich unmittelbar angrenzend zur Agora befand, auf der die betreffende Statue aufgestellt war.152 Über diese Beispiele hinaus werden die genannten Strategen Iphikrates, Chabrias und Timotheos, wenn von den Bronzestatuen die Rede ist, nur gemeinsam erwähnt – die Statuenehrung erscheint in der Rückschau als etwas, das sie über ihre Taten hinaus auszeichnet. Außerdem steht die Betonung der Ehrung mit Standbildern immer in Zusammenhang mit Vergleichen, die sowohl weiter in die Vergangenheit als auch in die Gegenwart hineinreichen können. Bei Demosthenes handelt es sich um kritische Überlegungen zu den Ehrungen für Strategen, da diese im Rahmen zweier Reden mit den siegreichen Strategen des 5. Jahrhunderts, Miltiades und Themistokles, und ihren Ehrungen verglichen werden. Zunächst erfolgt diese Kritik in der Rede „Gegen Aristokrates“ aus dem Jahr 352, dieselbe Rede, in der die Statuenehrung für Iphikrates als Kennzeichen eines glücklichen Bürgers dargestellt wird.153 Demosthenes zieht im Rahmen der digressio einen ausführlichen Vergleich zwischen der Ehrungspraxis des 5. und derjenigen des 4. Jahrhunderts.154 Die Vorfahren hätten weder für Themistokles noch für Miltiades, die Sieger von Salamis und Marathon, Bronzestatuen errichtet, noch ihre Dankbarkeit für sie auf eine andere außerordentliche Weise zum Ausdruck gebracht. Ihr Dank hätte vielmehr darin bestanden, diese Männer weiterhin zu ihren Anführern zu wählen, eine weitaus größere Ehrung als ein bronzenes Standbild. Infolgedessen hätte der Demos sich auch nicht seiner eigenen Verdienste um diese Siege beraubt, denn niemand habe je behauptet, dass der Sieg von Salamis allein Themistokles, der Sieg von Marathon nur Miltiades gehöre – es habe sich eben um gemeinschaftliche Siege des Demos gehandelt.155 Im Gegensatz dazu entwirft Demosthenes ein Bild der 152 153 154 155
Vgl. Tanner 2006, 122. Demosth. 23,130–136. Zur Einordnung in die Struktur der Rede vgl. Papillon 1998, 38 f. „a digression from the proof of the speech having an ethical and pathetic content.“ (38) Demosth. 23,196–198: „Ἄξιον τοίνυν, ὦ ἄνδρες Ἀθεναῖοι, κἀκεῖνο ἐξετάσαι, πῶς ποθ’οἱ πάλαι τὰς τιμὰς ἔνεμον καὶ τὰς δωρειὰς τοῖς ὡς ἀληθῶς εὐεργέταις, καὶ ὅσοι πολῖται τύχοιεν ὄντες καὶ ὅσοι ξένοι. κἂν μὲν ἴδητ’ἐκείνους ἄμεινον ὑμῶν, καλὸν τὸ μιμήσασθαι, ἂν δ’ὑμας αὐτούς, ἐφ’ὑμῖν ἔσται τὸ πράττειν. πρῶτον μὲν τοίνυν ἐκεῖνοι Θεμιστοκλέα τὸν τὴν ἐν Σαλαμῖνι ναυμαχίαν νικήσαντα, καὶ Μιλτιάδην τὸν ἠγούμενον Μαραθῶνι καὶ πολλοὺς ἄλλους, οὐκ ἴσα τοῖς νῦν στρατηγοῖς ἀγαθ’εἰργασμένους, οὐ χαλκοῦς ἵστασαν οὐδ’ὑπερηγάπων. (197) οὐκ ἄρα τοῖς ἑαυτοὺς ἀγαθόν τι ποιοῦσιν χάριν εἶχον; σφόδρα γ’, ὦ ἄνδρες Ἀθηναἰοι, καὶ ἀπεδίδοσάν γε καὶ αὑτῶν κἀκείνων ἀξίαν· ὄντες γὰρ πολλοῦ πάντες ἄξιοι προὔκρινον ἐκείνους αὑτῶν ἡγεῖσθαι. ἔστι δὲ σώφροσιν ἀνθρώποις καὶ πρὸς ἀλήθειαν βουλομένοις σκοπεῖν πολὺ μείζων τιμὴ τῆς χαλκῆς εἰκόνος τὸ καλῶν κἀγαθῶν ἀνδρῶν κεκρίσθαι πρῶτον, (198)
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Ehrungspraxis seiner eigenen Zeit und der vergangenen Jahrzehnte. Es werde allgemein angenommen, dass Kerkyra von Timotheos erobert worden sei, dass Iphikrates eine spartanische Einheit geschlagen habe und dass Chabrias die Seeschlacht bei Naxos gewonnen habe. Dieser Eindruck sei vom Demos selbst durch die herausragenden Ehrungen befördert worden, die man diesen Männern zugestanden habe – hier sind sicherlich vor allem die Bronzestatuen gemeint, die ja in Zusammenhang mit Themistokles und Miltiades kurz zuvor noch erwähnt wurden.156 Demosthenes fasst zusammen: Die Vorfahren hätten Ehrungen richtig und zum allgemeinen Vorteil verliehen, die gegenwärtige Ehrungspraxis sei dagegen falsch.157 Demosthenes vertritt hier aller Wahrscheinlichkeit nach diese Ansicht, da Aristokrates angeklagt wird, rechtswidrige Ehrungen für den Söldnerführer Charidemos vorgeschlagen zu haben.158 Eine vergleichbare Argumentationsstruktur findet sich in einer demosthenischen Volksversammlungsrede, die ähnlich zu datieren ist. Hier geht es weniger um die Verfehlungen eines Einzelnen, sondern um eine generelle Analyse des Umgangs mit führenden Politikern, die aber wiederum zu Ungunsten der Gegenwart ausfällt. Dabei konzentriert sich Demosthenes insbesondere auf die Organisationsform der Symmorien – die Anführer dieser Symmorien würden mit Bronzestatuen geehrt und bereicherten sich auf Kosten der Polis, während die übrigen Bürger tatenlos zusähen.159 Die folgende Passage entspricht fast wörtlich den Vorwürfen aus der Rede „Gegen Aristokrates“, nämlich dem Vergleich zwischen den Leistungen des Miltiades und des Themistokles und ihren Ehrungen gegenüber denjenigen der Strategen Iphikrates, Chabrias und Timotheos.160 Die Tatsache, dass eine fast identische Argumentationsstruktur in zwei zeitlich nahe beieinander liegenden Reden in unterschiedlichen Kontexten verwendet wird, das heißt sowohl vor Gericht als auch vor der Volksversamm-
καὶ γάρ τοι τὼν ἔργων τῶν τότ’, ἄνδρες Ἀθηναῖοι, οὐδενὸς ἀπεστέρησαν ἑαυτούς, οὐδ’ἔστιν οὐδεὶς ὅστις ἂν εἴποι τὴν ἐν Σαλαμῖνι ναυμαχίαν Θεμιστοκλέους, ἀλλ’Ἀθηναίων, οὐδὲ τὴν Μαραθῶνι μάχην Μιλτιάδου, ἀλλὰ τῆς πόλεως.“ Vgl. hierzu Gauthier 1985, 121 f.; Krumeich 1997, 54 und 57; Hobden 2007, 494; Liddel 2016, 351 f.; Lape 2019, 108 f. 156 Demosth. 23,198: „νῦν δ’, ῷ ἄνδρες Ἀθηναῖοι, πολλοὶ τοῦτο λέγουσιν, ὡς Κέρκυραν εἷλε Τιμόθεος καὶ τὴν μόραν κατέκοψεν Ἰφικράτης καὶ τὴν περὶ Νάξον ἐνίκα ναυμαχίαν Χαβρίας· δοκεῖτε γὰρ αὐτοὶ τῶν ἔργων τούτων παραχωρεῖν τῶν τιμῶν ταῖς ὑπερβολαῖς αἷς δεδώκατ’ἐπ’αὐτοῖς ἑκάστῳ τούτων.“ Vgl. dazu auch Azoulay 2014, 147 f. 157 Demosth. 23,199: „τὰς μὲν δὴ πολιτικὰς δωρεὰς οὕτως ἐκεῖνοί τε καλῶς καὶ λυσιτελούντος αὐτοῖς ἐδίδοσαν καὶ ἡμεῖς οὐκ ὀρθῶς·“ Zur Schwäche des Demos als rhetorischer Topos vgl. Gauthier 1985, 124 f.: Vielmehr sei die Verbindung von Siegen mit den Namen einzelner Strategen auf die Änderung der Rolle ebenjener Strategen in der Kriegführung Athens zurückzuführen. Zu der veränderten Rolle der Strategen im 4. Jahrhundert vgl. Kap. 4.1. 158 Zur Thematik der Rede und zum historischen Hintergrund vgl. Papillon 1998, 11–14. 159 Demosth. 13,20. 160 Demosth. 13,21–23: Zu den Parallelen und Unterschieden zu Demosth. 23,196–200 vgl. Trevett 1994, 181 f., Trevett spricht sich im Zuge dieser Überlegungen für eine Einordnung der Rede als demosthenisch aus, vgl. auch ders. 2011, 224 f.
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lung, zeigt die Wirkung, die man sich von ihr versprach.161 Kern der Argumentation ist der Vergleich zwischen der Ehrungspraxis der Vergangenheit und der Gegenwart, bzw. den unmittelbar zurückliegenden Ehrungen. Die Vergangenheit wird an dieser Stelle durch die sichtbare Präsenz der Ehrenstatuen für die Zuhörer erfahrbar gemacht. Jeder kann mit eigenen Augen nachvollziehen, dass die Ehrungen für Themistokles und Miltiades von anderer Art gewesen sein müssen als diejenigen für die genannten Strategen. In späteren Reden können dann die Ehrenstatuen für Iphikrates, Chabrias und Timotheos wiederum als Vorbilder der Leistungen und Ehrungen aktueller politischer Gegner herangezogen werden. In der Rede „Gegen Ktesiphon“ des Aischines, die in das Jahr 330 datiert, stellt dieser den Leistungen der drei Strategen das verwerfliche Verhalten seines Gegners Demosthenes gegenüber. Die Strategen seien für ihre militärischen Siege mit Statuen geehrt worden, Chabrias für die Seeschlacht bei Naxos, Iphikrates für den Sieg über eine spartanische Einheit bei Korinth, Timotheos für seine Reise um die Peloponnes nach Korkyra. Aischines ergänzt, dass es auch andere Beispiele dieser Art gebe, ein Hinweis darauf, dass zur Zeit der Rede auch andere Personen aufgrund militärischer Leistungen durch Ehrenstatuen auf der Agora geehrt wurden.162 Auch Lykurgos wird in seinem bereits mehrfach angeführten Ausspruch zu den Statuen von Strategen und Tyrannentötern auf der Agora vor allem die Statuen der genannten Strategen gemeint haben.163 Über die direkte Erwähnung der Statuenehrungen hinaus werden auch bei der allgemeinen Anführung von Ehrungen oder höchsten Ehrungen die Bronzestatuen mit inbegriffen sein. Gerade wenn es um eine ausführliche Würdigung der Leistungen eines einzelnen Strategen geht und dabei immer wieder seine Ehrungen angesprochen werden, stand den Zuhörern vermutlich insbesondere die Ehrenstatue vor Augen.164
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Ob die Rede „Über die Heeresorganisation“ (13) erfolgreich war, ist unbekannt, ebenso der Ausgang der Rede „Gegen Aristokrates“. Die Tatsache, dass der Stratege Charidemos weiterhin in der Gunst der Athener stand, spricht aber eher für einen Misserfolg (vgl. den Kommentar bei Vince (Loeb) 1964, 213; Papillon 1998, 13 f.) 162 Aischin. 3,243–244: „ἐπερώτησον δὴ τοὺς δικαστάς, εἰ ἐγίφνωσκον Χαβρίαν καὶ Ἰφικράτην καὶ Τιμόθεον, καὶ πυθοῦ παρ’αὐτῶν, διὰ τί τὰς δωρεὰς αὐτοῖς ἔδοσαν καὶ τὰς εἰκόνας ἔστησαν. ἅπαντες γὰρ ἅμα ἀποκρινοὺνται, ὅτι Χαβρία μὲν διὰ τὴν περὶ Νάξον ναυμαχίαν, Ἰφικράτει δὲ ὅτι μόραν Λακεδαιμονίων ἀπέκτεινε, Τιμοθέω δὲ διὰ τὸν περίπλουν τὸν εἰς Κέρκυραν, καὶ ἄλλοις, ὧν ἑκάστῳ πολλὰ καὶ καλὰ κατὰ πόλεμον ἔργα πέπρακται.“ Zu den möglichen Statuen anderer Personen s. auch Gauthier 1985, 94 f.; Dillon 2006, 102. 163 Lykurg. 1,51, vgl. dazu die Einleitung zu Kap. 4 sowie Kap. 4.2. Vgl. Gauthier 1985, 107. 164 So z. B. bei Demosth. 20,75–86 zu den Leistungen und Ehrungen für Chabrias; 84–85 befasst sich darüber hinaus auch mit Ehrungen für Iphikrates und Timotheos. Zu den starken Übertreibungen dieser Eloge vgl. Nouhaud 1982, 340, die im Übrigen bei der Beschreibung der Seeschlacht von Naxos (77) besonders augenfällig sind, die darüber hinaus nicht namentlich erwähnt wird, was die Bekanntheit des Ereignisses voraussetzt („si connue que Démosthène ne la nomme même
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In der Rede „Gegen Meidias“ wird Iphikrates als „berühmt“ („Ἰφικράτην ποτ᾽ ἐκεῖνον“165) hervorgehoben, als jemand, der sich durch zahlreiche Freunde, finanziellen Wohlstand, aber auch Ruhm und damit einhergehende Ehrungen auszeichnete. Vor diesem Hintergrund wird hervorgehoben, dass er trotz dieser Auszeichnungen den Gesetzen gehorchte, den Wünschen anderer entgegenkam und es insbesondere auch akzeptierte, von einem Konkurrenten im Wettstreit besiegt zu werden.166 Iphikrates steht hier als exemplarisches Gegenbild zum Angeklagten Meidias und ist durch die für statuarische Ehrung zusätzlich visuell präsent.167 Exemplarisch ist auch die Rolle des Timotheos in einer pseudo-demosthenischen Rede aus der Mitte des 4. Jahrhunderts. Seine Funktion als paradeigma, und zwar als ein neueres Beispiel, das gegenüber solchen aus einer weiter zurückliegenden Vergangenheit vorzuziehen sei, wird ausdrücklich betont. Timotheos als ein solches paradeigma, sei von höchstem Ansehen gewesen und habe die höchsten Ehrungen erhalten.168 Die exemplarische Wirkung konnte durch die Sichtbarkeit des Geehrten sicherlich noch gesteigert werden, auch wenn diese hier nicht eigens erwähnt wird. Über den konkreten Verweis auf die Ehrenstatue oder die Ehrungen für die genannten Strategen hinaus ist es auffällig, dass gerade diejenigen Strategen, die als erste Statuen auf der Agora erhalten haben, in den Reden am häufigsten angeführt werden.169 Dies ist zunächst sicherlich durch den Redeanlass und den konkreten Argumentationszusammenhang bedingt. Dieses Phänomen könnte auch dadurch zu erklären sein, dass die in den Reden genannten Strategen durch ihre permanente Sichtbarkeit in Form der Statuen im öffentlichen Raum im Gedächtnis der jeweiligen Zuhörer ge-
pas …“); ausführlich auch Gauthier 1985, 99–102; Bianco 2007, 106 f.; Kremmydas 2012, 335–337 ad loc. 165 Zur Übersetzung MacDowell 1990, 282 ad loc. 166 Demosth. 21,62–63: „ἀλλ᾽ ὅμως πολλοὺς μὲν ἔχων φίλους Ἰφικράτης, πολλὰ δὲ χρἠματα κεκτημένος, φρονῶν δ᾽ ἐφ᾽ αὑτῷ τηλικοῦντον ἡλίκον εἰκὸς ἄνδρα καὶ δόξης καὶ τιμῶν τετυχηκόθ᾽ ὧν ἐκεῖνος ἠξίωτο παρ᾽ ὑμῶν, οὐκ ἐβιάδιζεν ἐπὶ τὰς τῶν χρυσοχόων οἰκίας νύκτωρ, οὐδὲ κατερρήγνυε τὰ παρασκευαζόμεν᾽ ἱμάτι᾽ εἰς τὴν ἑορτήν, οὐδὲ διέφθειρε διδάσκαλον, οὐδὲ χορὸν μανθάνειν ἐκώλυεν, οὐδὲ τῶν ἄλλων οὐδὲν ὧν οὗτος διεπράττετ᾽ ἐποίει, ἀλλὰ τοῖς νόμοις καὶ τῇ τῶν ἄλλων βουλήσει συγχωρῶν ἠνείχετο καὶ νικῶντα καὶ στεφανούμενον τὸν ἐχθρὸν ὁρῶν, εἰκότως· ἐν ᾗ γὰρ αὐτὸς εὐδαίμων ᾔδει γεγονὼς πολιτείᾳ, ταύτῃ συγχωρεῖν τὰ τοιαῦτ᾽ ἠξίου.“ Im folgenden Paragraphen wird darüber hinaus die Konkurrenz zwischen dem Strategen Chabrias und seinem Gegner Philostratos von Kolonos erwähnt, ohne allerdings genauer auf den Status der beiden Kontrahenten einzugehen. 167 Vgl. auch den Kommentar bei MacDowell 1990, 283 ad loc. 168 [Demosth.] 61,46: „εἰ δὲ δεῖ μὴ παλαιὰ λέγοντας διατρίβειν, ἔχοντας ὑπογυιοτέροις παραδείγμασι χρῆσθαι, τοῦτο μὲν Τιμόθεον οὐκ ἐξ ὧν νεώτερος ὢν ἐπετήδευσεν, ἀλλ᾽ ἐξ ὧν Ἰσοκράτει συνδιατρίψας ἔπραξε, μεγίστης δόξης καὶ πλείστων τιμῶν εὑρήσεις ἀξιωθέντα·“ Als weiter zurückliegende paradeigmata werden Perikles und Alkibiades genannt. (61,45) Vergleichspunkt bei all diesen Personen ist allerdings nicht die Ehrung, sondern die Verbindung dieser Männer mit einem philosphischen Lehrer und den daraus resultierenden politischen Fähigkeiten, vgl. MacDowell 2009, 28. 169 Vgl. Nouhaud 1982, 338, jedoch ohne die Verbindung zu den Statuenehrungen herzustellen; Gauthier 1985, 95 mit Anm. 51.
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genwärtig waren und sich deshalb besonders als paradeigmata eigneten. Die Präferenz für die durch Statuen geehrten Strategen ist dann besonders auffällig, wenn diese als Gruppe, entweder mit bloßer Namensnennung oder aber in Verbindung mit ihren Siegen, genannt werden. Dies betrifft einerseits Iphikrates, Chabrias und Timotheos (selten ergänzt durch Konon) oder aber Konon und Timotheos als Vater und Sohn, die nicht nur auf der Agora, sondern auch auf der Akropolis zusammen geehrt wurden.170 Die Ehrenstatuen „als ruhmreiche Dokumente athenischer Leistungen“171 waren wahrscheinlich nicht der einzige Grund für die häufige Nennung der Taten der Strategen. Ihre besondere Verankerung im kollektiven Gedächtnis der athenischen Bürgerschaft wurde darüber hinaus, wie ja auch im Fall der Tyrannenmörder, durch weitere Medien befördert. Überliefert ist zum Beispiel das Fest der Epinikia am 16. Boedromion für den Sieg des Chabrias bei Naxos, das der Stratege selbst gestiftet hatte.172 4.4 Statuen und Familiengeschichte Auf einer ganz anderen Ebene als die bisher besprochene Auseinandersetzung mit der Darstellung und Ehrung von Personen von öffentlichem Interesse bewegt sich die Aufstellung von Statuen durch Einzelpersonen oder ganze Familien. Dabei handelte es sich um Weihgeschenke, die in Heiligtümern aufgestellt wurden, also eine Praxis, die in den griechischen Poleis seit der archaischen Zeit selbstverständlich geläufig war.173 Was diese Statuen jedoch auf eine Ebene mit den besprochenen Ehrenstatuen rückt und sie mit ihnen vergleichbar macht, ist ihre ausdrückliche Bezeichnung als μνημεῖα, die an bestimmte Personen und Ereignisse erinnern sollen. Diese Form der Erinnerung kann in einem privaten Erbschaftsprozess eine Rolle spielen, wie in der Rede des Isaios „Über das Vermögen des Dikaiogenes“ aus dem Jahr 389. Der letzte Teil der 170 Iphikrates, Chabrias, Timotheos, (Konon): Demosth. 20,84–86; 23,148–183 passim; Deinarch. 1,75; Konon und Timotheos: Aischin. 2,70; Deinarch. 1,14–17. Vgl. dazu Nouhaud 1982, 339; Gauthier 1985, 102; ausführlicher Kommentar bei Worthington 1992, 148–160 ad loc.; Deinarch. 3,17; Isokr. 7,12. Vgl. dazu Nouhaud 1982, 335 („il ne dissocie pas le père et le fils“); Isokr. Ep. 8,8. Darüber hinaus lassen sich weitere Reden anführen, die einen der genannten Strategen und seine Leistungen besonders hervorheben, ohne die damit verbundenen Ehrungen ausdrücklich zu erwähnen: Konon: vgl. Kap. 4.3.1; Iphikrates: Isaios 2,6; Demosth. Prooimion 50,2 f.; Iphikrates und Chabrias: Demosth. 4,23; Timotheos: Isaios 6,27; Demosth. 8,74 f.; Hyp. 5,23; Isokr. 15,101–139. 171 Krumeich 1995a, 283. 172 Plut. Phokion 6,3; Ephoros FGrH 70 F 80; Polyain. 3,11,2 (dort ist allerdings nur das Datum der Schlacht überliefert, es finden sich keine Informationen zu einem von Chabrias gestifteten Fest); vgl. Deubner 1956, 235; Chaniotis 1991, 124 f. mit dem Hinweis Anm. 3, dass es sich hierbei um das bis in das 3. Jh. n. Chr. inschriftlich bezeugte Fest Epinikia handeln könnte (vgl. IG II2 2193,27; 2245,180; 183); Parker 1996, 238; 248; Steinbock 2013a, 69; J. Shear 2013, 534 f.; Gauthier 1985, 101 mit Anm. 77. Chabrias selbst habe durch die Verteilung von Wein an die Bevölkerung jedes Jahr an diesen Sieg (und die damit verbundene Ehrung) erinnert. 173 Vgl. T. Hölscher 2017, 55–57 (Anm. 1 mit der älteren und grundlegenden Literatur zum Thema).
Statuen und Familiengeschichte
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Rede baut einen Kontrast zwischen den Vorfahren des Redners und der Niedertracht und Feigheit des Prozessgegners (ebenfalls mit Namen Dikaiogenes) auf.174 Die Vorfahren hätten sich durch öffentliche Leistungen für die Polis in Form von Leiturgien (Choregie, Sondersteuern im Kriegsfall, Trierarchie) verdient gemacht. Als Beweis dieser Leistungen („τούτων μαρτύρια“) hätten sie Weihungen in den Tempeln aus ihrem verbliebenen privaten Vermögen erbracht. Diese seien Monumente ihrer Tugend („μνημεῖα τῆς αὐτῶν ἀρετῆς“). Hierbei handelte es sich vor allem um Dreifüße, die im Heiligtum des Dionysos, aber auch im Heiligtum des Apollon Pythios aufgestellt wurden.175 Darüber hinaus hätten die Vorfahren aber auch einen Teil ihres privaten Vermögens dafür aufgewendet, bronzene und marmorne Statuen auf der Akropolis aufzustellen.176 Die große Anzahl dieser Statuen wird in Verbindung mit dem Umstand, dass es sich um Aufwendungen aus privatem Vermögen handelte, noch einmal eigens betont. Dreifüße und Statuen werden also als sichtbare und greifbare Zeugen der Vergangenheit geltend gemacht, als Beweise für die Leistungen der Vorfahren, deren bleibende Wirkung im Mittelpunkt steht, denn schließlich hätten diese Vorfahren, so wird im Anschluss weiter geschildert, im Kampf für ihr Vaterland ihr Leben gelassen. Lykurgos, der in der Rede „Gegen Leokrates“ sehr ausführliche Schilderungen der Vergangenheit der Polis anbringt, die auch zahlreiche Erinnerungsräume mit einschließen,177 kommt gegen Ende der Rede auf den Vater des Angeklagten zu sprechen. Auch diesen habe Leokrates verraten, ein schwerwiegender Vorwurf, bedenkt man, welche Bedeutung die Sorge für die Eltern im athenischen und gesamtgriechischen Vorstellungshorizont beigemessen wurde.178 Anhand eines Bronzestandbildes, das der Vater des Angeklagten im Tempel des Zeus Soter wohl als Weihgeschenk aufgestellt hatte, wird deutlich gemacht, auf welche Weise sich Leokrates gegenüber seinem Vater
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Isaios 5,35–47. Höhepunkt dieser Schlusspassage ist ein Vergleich zwischen Dikaiogenes und dessen Vorfahren, den Tyrannenmördern, vgl. Kap. 4.2, vgl. auch M. Edwards 2007, 80. Isaios 5,41: „καίτοι, ὦ ἄνδρες, οἱ ἡμέτεροι πρόγονοι οἱ ταῦτα κτησάμενοι καὶ καταλιπόντες πάσας μὲν χορηγίας ἐχορήγησαν, εἰσήνεγκαν δὲ εἰς τὸν πόλεμον χρήματα πολλὰ ὑμῖν, καὶ τριηραρχοῦντες οὐδένα χρόνον διέλιπον. καὶ τούτων μαρτύρια ἐν τοῖς ἱεροῖς ἀναθήματα ἐκεῖνοι ἐκ τῶν περιόντων, μνημεῖα τῆς αὐτῶν ἀρετῆς, ἀνέθεσαν, τοῦτο μὲν ἐν Διονύσου τρίποδας, οὓς χορηγοῦντες καὶ νικῶντες ἔλαβον, τοῦτο δ᾽ ἐν Πυθίου·“. Mit dem Dionysosheiligtum ist das Heiligtum beim Theater in Athen selbst gemeint, die Weihungen im Heiligtum des Apollon Pythios wurden wohl aus Anlass von Siegen bei den Thargelia gestiftet, vgl. dazu den Kommentar bei M. Edwards 2007 ad loc und die Überlegungen zum Heiligtum des Apollon Pythios in Athen Kap. 3.7. Isaios 5,42: „ἔτι δ᾽ἐν ἀκροπόλει ἀπαρχὰς τῶν ὄντων ἀναθέντες πολλοῖς, ὡς ἀπὸ ἰδίας κτήσεως, ἀγάλμασι χαλκοῖς καὶ λιθίνοις κεκοσμἠκασι τὸ ἱερόν.“ Zu den privaten Weihungen auf der Akropolis vgl. Kap. 3.7. Vgl. dazu ausführlich Kap. 2. Vgl. Schmitz 2004, 231 f. Dabei fand die „gesetzliche Verpflichtung die Eltern im Alter zu ernähren und zu versorgen“ in einer Klage wegen Misshandlung der Eltern (γραφὲ γονέων κακώσεως; Solon F 111 Ruschenbusch) Ausdruck. Im Rahmen des Dokimasieverfahrens mussten die Kandidaten für ein öffentliches Amt „unter Eid angeben, daß sie die Eltern gut behandelt hatten“ (Schmitz 2004, 231), dies wird belegt durch Aristot. Ath. Pol. 55,3.
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schuldig gemacht hatte. Zunächst habe er die Bronzestatue selbst „im Stich gelassen und den Feinden ausgeliefert zur Plünderung und Mißhandlung“. Dieser Vorwurf wiegt umso schwerer, als die Bronzestatue schon vom Vater als „Denkmal seiner eigenen aufrichtigen Bescheidenheit“ („μνημεῖον τῆς αὐτοῦ μετριότητος“) aufgestellt worden sei. Diese sei durch den Verrat des Leokrates selbst zu einem „Objekt des Tadels“ geworden, habe also ihre ursprüngliche, rühmende Bedeutung verloren.179 Der Verrat betrifft also einerseits die Statue als materielles Objekt, das verlassen werden kann und dadurch schutzlos wird. Andererseits berührt der Verrat die Botschaft, die mit der Statue verbunden ist, eine Botschaft, die schon mit dem Zeitpunkt der Errichtung intendiert war, und die nun in das Gegenteil verkehrt wird. Die Schwere des Vergehens zeigt sich Lykurgos zufolge auch darin, dass der „Verrat“ an der Statue eigentlich ein Teil der Anklageschrift sein müsste – nur aus Rücksicht auf die Gottheit, deren Name nicht in einer Anklageschrift erscheinen sollte, habe er davon abgesehen.180 Statuen in ihrer Funktion als Weihgeschenke können also in bestimmten Kontexten auch zur Visualisierung der Leistungen persönlicher Vorfahren eingesetzt werden. Dass es sich dabei nicht nur um ein zeitlich begrenztes Phänomen gehandelt haben kann, verdeutlichen die beiden genannten Beispiele, die fast 60 Jahre trennen und die sich mit unterschiedlich gelagerten Fällen befassen. 4.5 Die Aufstellung retrospektiver Porträts im 4. Jahrhundert und ihre Reflektion in den Reden: Die Statue des Solon Für die Zeit ab der Mitte des 4. Jahrhunderts ist in späteren Quellen die vermehrte Aufstellung so genannter „retrospektiver Statuen“ überliefert.181 Pausanias berichtet von Statuen des Miltiades und des Themistokles im Prytaneion an der Agora, die dort schon ab der Mitte des 4. Jahrhunderts gestanden haben könnten und die vermutlich auf Veranlassung des Demos dort aufgestellt wurden.182 Wenn es sich bei den drei er-
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Lykurg. 1,136: „Ἡγοῦμαι δ’ἔγωγε καὶ τὸν πατέρα αὐτῷ τὸν τετελευτηκότα, εἴ τις ἄρ’ἔστιν αἴσθησις τοῖς ἐκεῖ περὶ τῶν ἐνθάδε γιγνομένων, ἁπάντων ἂν χαλεπώτατον γενέσθαι δικαστήν, οὗ τὴν χαλκῆν εἰκόνα ἔκδοτον κατέλιπε τοῖς πολεμίοις ἐν τῷ τοῦ Διὸς Σωτῆρος ἱεροσυλῆσαι καὶ αἰκίσασθαι, καὶ ἢν ἐκεῖνος ἔστησε μνημεῖον τῆς αὐτοῦ μετριότητος, ταὺτην αὐτὸς ἐπονείδιστον ἐποίσε· τοιούτου γὰρ υἱοῦ πατὴρ προσαγορεύεται.“ Übers. J. Engels. 180 Lykurg. 1,137. 181 Vgl. von den Hoff 2009, 198 mit der Bewertung: „Das bedeutet natürlich auch, dass man stärker zurück als in die Gegenwart schaute.“, Anm. 22 mit der weiteren Literatur. 182 Paus. 1,18,3. Vgl. Richter 1965, 94–99; Gauer 1968b, 128–132; Metzler 1971, 191 vermutet, dass die Statuen ungefähr zu der Zeit aufgestellt wurden, als Demosth. 23,196 die beiden Männer gemeinsam nennt; J. Chambers 1975, 83 und 128; Hertel 1995, 259–268, bes. 261; P. Zanker 1995, 66–68; Krumeich 1997, 85 f. mit ausführlichen Überlegungen zur (unsicheren) Datierung und der Anmerkung: „Beide Staatsmänner erhielten offensichtlich als Repräsentanten der machtpolitischen Blütezeit Athens einen Platz im Prytaneion, welches bis in das dritte nachchristliche Jahrhundert
Die Aufstellung retrospektiver Porträts im 4. Jahrhundert
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haltenen Kopien tatsächlich um Wiedergaben des Miltiades-Porträts aus dem Prytaneion handelt, so war dieser nicht als Feldherr, sondern im Bürgermantel dargestellt. Paul Zanker interpretiert diese Tatsache wie folgt: „Auch der Sieger von Marathon hatte sich nach seinem Sieg über die Perser wieder in die bürgerliche Norm eingeordnet, war ein vorbildlicher Demokrat gewesen, ein Gleicher unter Gleichen.“183 Pausanias beschreibt außerdem eine Bronzestatue des Kallias auf der Agora neben der Statue der Göttin Eirene.184 Abgesehen davon, dass es fraglich ist, ob diese Statuen bereits im 4. Jahrhundert errichtet wurden, werden sie bei den Rednern in Zusammenhang mit den genannten Personen nie erwähnt.185 Anders verhält es sich mit den retrospektiven Statuenehrungen für Solon, für den sowohl eine Statue auf Salamis als auch auf der Agora von Athen neben anderen Quellen auch bei den Rednern belegt ist. Die Standbilder Solons sollen deshalb an dieser Stelle als greifbare Beispiele genauer beleuchtet werden. Die Bedeutung der Statue des Solon im öffentlichen Diskurs und damit ihr Stellenwert als visuelles paradeigma lässt sich an einem „Schlagabtausch“ um eine Statue auf Salamis ablesen, der zwischen Aischines und Demosthenes stattfand.186 Es handelt sich noch nicht einmal um eine unmittelbare Bezugnahme in den erhaltenen Redepaaren des Gesandtschaftsprozesses und des Kranzprozesses, sondern zwischen Argument und Gegenargument in Bezug auf diese Statue und ihre Aussagekraft liegen zwei Jahre.
nicht nur ein religiöses Zentrum der Stadt darstellte, sondern auch als Aufbewahrungsort der solonischen Gesetze sowie öffentlicher Porträtstatuen berühmter Bürger und somit als eine Art Museum der Stadtgeschichte diente.“ (86); Blösel 2004, 253; T. Hölscher 2010, 142. 183 P. Zanker 1995, 66 mit Abb. 36, s. auch 68 zu diesem und anderen Porträts als „Leitbildern exemplarischen Bürgerseins“, durch die der „Eindruck einer bruchlosen Einheit zwischen Vergangenheit und Gegenwart“ vermittelt werden sollte. Zumindest im Vergleich mit einigen Aussagen in den Reden kann diese Interpretation nur eingeschränkt akzeptiert werden. Oft erscheint die Generation der Perserkriege vielmehr als unerreichbares Vorbild für die Personen und Umstände der Gegenwart, das ausführlichste Beispiel hierfür bietet Demosth. 3,21–29. 184 Paus. 1,8,2. Vgl. dazu Richter 1965, 101; T. Hölscher 1988b, 381; Krumeich 1997, 91–93; Dillon 2006, 103 mit Anm. 55; T. Hölscher 2010, 142; ders. 2012, 25 mit Anm. 23 mit den Quellen und weiterer Literatur. 185 Miltiades: Aischin. 3,181 f.; 186; And. 3,3; 4,33; Demosth. 3,25 f.; 13,22; 19,303; 23,196; 206 f.; 26,6 f.; Hyp. 6,37; Isokr. 8,75; 15,306; Themistokles: Aischin. 1,25; 2,9; 3,181 f.; 259; Deinarch. 1,37; Demosth. 13,22; 29; 18,204; 19,303; 20,73 f.; 23,196; 206 f.; Hyp. 6,37; Isokr. 4,154; 8,75; 12,51 f.; 15,307; Lys. 2,42; 12,63; Kallias: Demosth. 19,273–275; Isokr. 12,59–61; Lys. 19,48. Kallias wird insbesondere in Verbindung mit dem von ihm ausgehandelten Frieden mit den Persern 449 genannt, dieser Friedensschluss gehört zu einer Gruppe mehrerer gefälschter Inschriften des 4. Jahrhunderts, die sich mit zentralen Ereignissen des 5. Jahrhunderts auseinandersetzen, vgl. Kap. 5.4.1. 186 Vgl. zum Folgenden auch Dillon 2006, 61 f. und Anm. 6 mit den Quellen und weiterer Literatur, die den Austausch als „cultural work“ (62) von Statuen in der zeitgenössischen Gesellschaft bezeichnet. „… portrait statues presented visual paradigms by which viewers were meant to regulate their own appearance as well as evaluate the appearance of others, and it makes clear the active, performative qualities of portrait images.“ Vgl. bereits Hansen 1989, 80 f., der die Diskussion vor allem als Beleg dafür auffasst, dass Solon von den Rednern als historische Figur und nicht als rein rhetorisches Mittel verstanden wurde.
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Im Prozess gegen Timokrates des Jahres 345 hatte Aischines zuerst auf diese Statue Bezug genommen. Im betreffenden Redeabschnitt geht es ihm darum, einen Kontrast zwischen dem Angeklagten und den Rednern der Vergangenheit deutlich zu machen – dieser Kontrast wird vor allem über die Körperhaltung des Redners und seine Gestik hergestellt. Aischines betont, dass die Redner des 5. Jahrhunderts – er nennt Perikles, Themistokles und Aristeides – bei ihren Reden vor der Volksversammlung ein würdevolles und zurückhaltendes Auftreten zeigten, indem sie das Gesprochene nicht mit ausladenden Gesten untermalten, sondern den Arm am Körper, im Gewand („ἐντὸς τὴν χεῖρα ἔχων“) hielten. Die Statue des Solon auf Salamis soll diesen nun Aischines zufolge in ebendieser zurückhaltenden Rednerpose dargestellt haben.187 Diese Statue bilde einen überzeugenden und soliden Beweis für die Schilderungen des Redners. Das Argument bekommt dadurch besonderes Gewicht, dass Aischines annimmt, alle Zuhörer seien bereits einmal nach Salamis gesegelt und hätten diese Statue gesehen, könnten also als Zeugen des Gesagten auftreten. Die Statue wird darüber hinaus als Erinnerung und Nachahmung (1,25: „ὑπόμνημα καὶ μίμημα“) der von Solon eingenommenen Pose aufgefasst. Verkörpert durch die Statue wird ein Idealbild des Redners vor Augen geführt, das dem Verhalten des Angeklagten, der sich vor der Volksversammlung wie ein Pankratiast verhalten habe, entgegensteht und damit sein regelwidriges Verhalten noch deutlicher macht. Die Zuhörer werden dazu aufgefordert, den Unterschied zwischen der Haltung der Statue und dem Verhalten des Timarchos in der Versammlung zu beobachten (1,26: „Σκέψασθε δή, ὦ ἄνδρες Ἀθηναῖοι, ὅσον διαφέρει ὁ Σόλων Τιμάρχου“).188 Diese Argumentation, die sich maßgeblich auf die Statue eines lange Verstorbenen stützt, wird von Demosthenes zwei Jahre später in der Gesandtschaftsrede wie-
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Zur Statue und zum Darstellungsmotiv vgl. P. Zanker 1995, 52 f.; Raeck 2000, 154. Zu den Gründen für die Aufstellung auf Salamis vgl. Higbie 1997, 303 f. Zur Bedeutung der Gestik in diesem Zusammenhang O’Connell 2017, 76 f. sowie ausführlich zu den Vorstellungen einer angemessenen Gestik in den Prozessreden 53–79. Aischin. 1,25–26: „καὶ οὕτος ἦσαν σώφρονες οἱ ἀρχαῖοι ἐκεῖνοι ῥήτορες ὁ Περικλῆς καὶ ὁ Θεμιστοκλῆς καὶ ὁ Ἀριστείδης, ὁ τὴν ἀνόμοιον ἔχων ἐπωνυμίαν Τιμάρχῳ τουτῳι, ὥστε ὃ νυνὶ πάντες ἐν ἔθει πράττομεν, τὸ τὴν χεῖρα ἔξω ἔχοντες λέγειν, τότε τοῦτο θρασύ τι ἐδόκει εἶναι, καὶ εὐλαβοῦντο αὐτὸ πράττειν. μέγα δὲ πάνυ τούτου σημεῖον ἔργῳ ὑμῖν οἶμαι ἐπιδείξειν. εὖ γὰρ οἶδ’ὅτι πάντες ἐκπεπλεύκατε εἰς Σαλαμῖνα καὶ τεθεωρήκατε τὴν Σόλωνος εἰκόνα, καὶ αὐτοὶ μαρτυρήσαιτ’ ἂν ὅτι ἐν τῇ ἀγορᾷ τῇ Σαλαμινίων ἀνάκειται ὁ Σόλων ἐντὸς τὴν χεῖρα ἔχων. τοῦτο δ’ἐστίν, ὦ ἄνδρες Ἀθηναῖοι, ὑπόμνημα καὶ μίμημα τοῦ Σόλωνος σχήματος, ὃν τρόπον ἔχων αὐτὸς διελέγετο τῷ δίμῳ τῶν Ἀθηναίων. (26) Σκέψασθε δή, ὦ ἄνδρες Ἀθηναῖοι, ὅσον διαφέρει ὁ Σόλων Τιμάρχου καὶ οἱ ἄνδρες ἐκεῖνοι ὧν ὀλίγῳ πρότερον ἐπεμνήσθην. ἐκεῖνοι μέν γε ᾐσχύνοντο ἔξω τὴν χεῖρα ἔχοντες λέγειν, οὑτοσὶ δὲ οὐ πάλαι, ἀλλὰ πρώην ποτὲ ῥίψας θοἰμάτιον γυμνὸς ἐπαγκρατίαζεν ἐν τῇ ἐκκλησίᾳ …“ Vgl. dazu Fredal 2006a, 167–169; Clarke 2008, 258, die zudem betont, dass Solon darüber hinaus gleich zu Beginn der Rede (1,6–7) als „alter Gesetzgeber“ („ὁ παλαιὸς νομοθέτης“) hervorgehoben wird: „drawing on the shared vision of Solon as a crucial benefactor and paradigm of the Athenian self-image.“ Mann 2009b, 150 f.; Wohl 2010, 45 f.; Hesk 2012, 223 f.; Westwood 2017, 71–73; Carey 2017, 271–274; Zu Solon als Gesetzgeber in den Reden vgl. ausführlich Kap. 5.2.
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der aufgegriffen. Er fordert die Zuhörer auf, sich an die „Geschichte“ des Aischines zu erinnern, diese Statue sei „ein Beispiel für die Selbstbeherrschung der Redner zu Solons Zeit“ („ἔφη τὸν Σόλων᾽ ἀνακεῖσθαι τῆς τῶν τότε δημηγορούντων σωφροσύνης παράδειγμα“). Dem hält Demosthenes entgegen, dass den Salaminiern zufolge die Statue weniger als 50 Jahre alt sei, und da Solon mehr als 240 Jahre früher gelebt habe, sei der Bildhauer weder ein Zeitgenosse des Dargestellten noch lebte sein Großvater zur Zeit Solons – eine Anspielung auf die Weitergabe von Erinnerung innerhalb der Familie durch mündliche Überlieferung. Darüber hinaus nimmt Demosthenes Bezug auf das Verhalten des Aischines bei der Argumentation: Er habe nämlich die Pose dieser Statue eingenommen, ohne jedoch Solons „Geist und Gesinnung“ („τὸ τὴν ψυχὴν τὴν Σόλωνος ἰδεῖν καὶ τὴν διάνοιαν“) nachgeahmt zu haben.189 Um diese „inneren Werte“ Solons besser darstellen zu können, erwähnt und zitiert Demosthenes eine Elegie des Solon, mit der dieser die Rückeroberung von Salamis bewirkt habe.190 In diesem Fall wird, in Abgrenzung von der Argumentation des politischen Gegners, einem schriftlichen Erinnerungsmedium der Vorzug vor einem visuellen Medium gegeben.191 Eine Statue, ihre Datierung und ihre Ikonographie sowie die damit verbundene Botschaft kann also Gegenstand einer rhetorischen Diskussion werden. Zwei Punkte, die sowohl die inhaltliche als auch die zeitliche Ebene betreffen, sind an dieser Argumentation besonders auffällig: Es handelt sich um die Statue einer Person, die kein Bestandteil des kommunikativen Gedächtnisses mehr war, eine Tatsache, die von Demosthenes durch die Jahresangaben eigens hervorgehoben wird. Auch wenn er das Alter der Statue bestreitet, besteht auch für ihn kein Zweifel an der Vorbildwirkung des Dargestellten, er wählt aber ein anderes Medium (nämlich die Gedichte Solons) aus, das diese Vorbildwirkung besser darstellen soll. Auf zeitlicher Ebene ist es wichtig, die Distanz zwischen Argument und Gegenargument hervorzuheben, denn die Bezugnahme des Demosthenes erfolgt erst zwei Jahre später. Ob sich die Zuhörer tatsächlich an das Argument des Aischines erinnerten, sei dahingestellt, allein das erneute Wiederaufgreifen zeigt, welche Bedeutung Demosthenes dem Punkt beimaß und dass er sich von
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Demosth. 19,251–252. Vgl. dazu auch Thomas 1989, 51 mit Anm. 120; Stein-Hölkeskamp 2000, 81; Tanner 2006, 122–124 mit Anm. 92; Dillon 2006, 62, die neben der Nachahmung der Pose in der Rede selbst auch die Ähnlichkeit mit der später entstandenen Statue des Aischines (um 320) hervorhebt; Clarke 2008, 254; Mann 2009b, 159; Hesk 2012, 223; Villacèque 2013, 300–304; Canevaro 2017, 182 f.; T. Hölscher 2017, 115; vgl. außerdem Wojciech 2018, 173: Demosthenes reflektiere „die grundsätzliche Meinung des Publikums, es gebe einen richtigen und einen falschen Zugang zur gemeinsamen Vergangenheit.“ 190 Demosth. 19,252–256, mit einer kurzen Anmerkung zur Statue in 255: Es gehe nicht darum mit der Hand im Gewand zu sprechen, sondern mit der Hand im Gewand zu verhandeln, eine deutliche Anspielung auf die angebliche Bestechlichkeit des Aischines bei der Aushandlung des Philokratesfriedens. 191 Vgl. Clarke 2008, 287 f.; Hesk 2012, 224, der an dieser Stelle von einem regelrechten „Mediendiskurs“ spricht; Schmidt-Hofner 2019, 200.
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dieser Argumentation eine Reaktion der Zuhörer erwartete. Hier handelt es sich also mit Paul Zanker um „ein in seiner Seltenheit wertvolles Zeugnis für Funktion und Rezeption öffentlicher Ehrenmonumente […]. In einer entsprechenden Situation und am richtigen Ort kann eine solche Statue sogar zum Leitbild und Argument werden, kann über den eigentlichen Anlaß ihrer Errichtung hinaus wirken, ist also in ganz anderer Weise in den gesellschaftlichen Prozeß eingebunden als wir es nach unseren modernen Erfahrungen erwarten würden.“192
Eine Gerichtsrede aus der Zeit zwischen 338 und 324193 deutet darüber hinaus darauf hin, dass auch auf der athenischen Agora selbst, wohl im 4. Jahrhundert v. Chr., eine Bronzestatue des Solon aufgestellt worden war. Auch der Grund für die außergewöhnliche Ehrung wird genannt: seine Gesetze, die bis in die Gegenwart gültig seien und die nun von den Zeitgenossen missachtet würden. Ergänzend dazu werden die Vorfahren insgesamt dafür gelobt, dass sie dem Tod ins Auge geblickt hätten, um die Gesetze vor der Zerstörung zu bewahren, während diejenigen, die gegenwärtig gegen eben diese Gesetze verstießen, nicht bestraft würden.194 Hier dient die Visualisierung der angesprochenen Person als Verstärkung der Anklage, die den Kontrast zwischen Vergangenheit und Gegenwart hervorhebt. Obwohl die athenischen Bürger doch Solon, und damit indirekt auch seine Gesetze, ständig vor Augen hätten, hielten sie sich weder an diese Gesetze, noch bestraften sie diejenigen, die dagegen verstießen. Vor dem Hintergrund der Sichtbarkeit muss dieser Vorwurf umso schwerwiegender erscheinen.195 Möglicherweise stand diese Statue vor der Stoa Poikile – eventuell sogar mit Blickrichtung zu den Tyrannenmördern. Damit sind, wie von Sheila Dillon betont, die „Begründer der Demokratie“, zumindest aus der Perspektive des 4. Jahrhunderts, auch im öffentlichen Raum miteinander in Verbindung gebracht worden.196
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P. Zanker 1995, 53. [Demosth.] 26. Zu den Schwierigkeiten der Zuordnung und Datierung vgl. MacDowell 2009, 312 f. mit der Vermutung, dass es sich (wie bei Demosth. 25) um eine Rede aus dem Prozess gegen Aristogeiton handelt, die aber nicht von Demosthenes, sondern von einem anderen Redner verfasst wurde. 194 [Demosth.] 26,23: „… ὡς πάνδεινόν ἐστι τοὺς μὲν προγόνους ὑπὲρ τοῦ μὴ καταλυθῆναι τοὺς νόμους ἀποθνήσκειν τολμᾶν, ὑμᾶς δὲ μηδὲ τοὺς ἐξαμαρτάνοντας εἰς αὐτοὺς τιμωρεῖσθαι, καὶ τὸν μὲν γράψαντα τοὺς νόμους Σόλωνα [ἐψηφήσθαι] χαλκοῦν ἐν ἀγορᾶ στῆσαι, αὐτῶν δὲ τῶν νόμων ὀλιγωροῦντας φαίνεσθαι, δι’οὓς κἀκεῖνον ὑπερβαλλόντως συμβέβηκε τιμᾶσθαι.“ Zur Datierung der Statue Richter 1965, 84. 195 Viel mehr als mit einer figürlichen Darstellung seiner Person wird Solon jedoch bei den Rednern allein durch sein Gesetzeswerk definiert, dessen schriftliche Fixierung in Inschriften auch immer wieder betont wird. Vgl. dazu Kap. 5.2. Die Verbindung der Person und des Gesetzeswerkes Solons mit einer Ehrenstatue ist dagegen nur in diesem Fall anzutreffen. 196 Paus. 1,16,1; Ail. Var. 8,16; Wycherley 1957, 39–41, Nr. 80; 216, Nr. 709–710; Richter 1965, 84; vgl. hierzu H. Thompson / Wycherley 1972, 159; Goldhill 1998, 107 f.; Dillon 2006, 104 mit Anm. 52 mit der weiteren Literatur; T. Hölscher 2017, 114.
Zur Bedeutung von Statuen und den Orten ihrer Aufstellung
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4.6 Zur Bedeutung von Statuen und den Orten ihrer Aufstellung Im Gegensatz zu der Nutzung bestimmter Statuen historischer oder zeitgenössischer Personen im Rahmen einer rhetorischen Argumentation ist eine generelle Reflektion zur Bedeutung der Statuen als Erinnerungsträger selten anzutreffen. Zudem sind die beiden Reden des Isokrates, die eine solche Reflektion beinhalten, an eine bestimmte Person, nämlich Nikokles, den Sohn des zyprischen Königs Euagoras, gerichtet. Sie waren also nicht für den öffentlichen Vortrag vor einem größeren Publikum bestimmt und können deshalb nicht als Widerspiegelung einer weit verbreiteten Ansicht aufgefasst werden.197 Die Rede „An Nikokles“ enthält einen knapp gefassten Ratschlag. Nikokles solle es vorziehen, Bilder seiner Tugend anstatt Bilder seines Körpers als Erinnerung für die Zukunft zu hinterlassen.198 Diese Forderung wird dann einige Jahre später in der Rede „Euagoras“ genauer ausgeführt.199 Statuen als Abbildung des Körpers seien zwar „gute Denkmäler“ („καλὰ μὲν εἶναι μνημεῖα καὶ τὰς τῶν σωμάτων εἰκόνας“), aber Bilder der Taten und des Charakters, die sich insbesondere in guten Reden fänden, seien höher zu schätzen. Für diese Bewertung führt Isokrates drei Gründe an: Die Geehrten hätten sich weniger durch körperliche Schönheit als durch ihre Taten und ihren Intellekt ausgezeichnet.200 Statuen seien unbeweglich, verblieben dort, wo sie aufgestellt wurden, während Reden in ganz Griechenland verbreitet werden könnten.201 Außerdem könnten in Reden ausgedrückte Charakterzüge und Gedanken weitaus leichter von den Nachkommen nachgeahmt werden, während man seinen Körper niemals einer Statue angleichen könne. Isokrates scheint sich hier also deutlich für das Erinnerungsmedium der Rede gegenüber der Statuendarstellung auszusprechen. Dem ist entgegenzuhalten, dass zwar die Rede selbst ein solches rhetorisches Denkmal für den König Euagoras darstellt, dass aber in dieser Rede die Ehrung für die Leistung des Königs gemeinsam mit dem athenischen Strategen Konon insbesondere in Form von Statuen als „größte Ehren“ („ταῖς μεγίσταις τιμαῖς“) und „sowohl als Erinnerung an die Größe ihrer guten Taten als auch an ihre Freundschaft zueinander“ („ἀμφοτέρων ὑπόμνημα καὶ τοῦ μεγέθους τῆς εὐεργεσίας καὶ τῆς φιλίας τῆς πρὸς ἀλλήλους“) hervorgehoben wird, die zudem noch genau lokalisiert werden.202 Darüber 197 198 199 200 201
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Vgl. zum Adressatenkreis der Reden des Isokrates Kap. 1.4. Dass die Ansicht zu den Ehrenstatuen in den unten genannten Reden weniger die allgemeine Auffassung von der Bedeutung einer solchen Statue widerspiegelt, betont auch Dillon 2006,106. Isokr. 2,36: „βούλου τὰς εἰκόνας τὴς ἀρετῆς ὑπόμνημα μᾶλλον ἢ τοῦ σώματος καταλιπεῖν.“ Isokr. 9,73–75. Isokr. 9,73. Isokr. 9,74. Vgl. hierzu auch Steiner 2001, 280, die betont, dass durch das Medium der Rede nicht nur eine größere Mobilität gegeben war, sondern auch ein bestimmtes, ausgewähltes Publikum angesprochen werden konnte, das in den Augen des Isokrates einen größeren Wert besäße als die heterogene Gruppe von Bürgern, die Statuen oder auch Gräber im öffentlichen Raum frequentierte. Isokr. 9,52–57, Zitate Isokr. 9,57 Übers. Ch. Ley-Hutton; dazu auch Kap. 4.3.1.
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hinaus hat Deborah Steiner hervorgehoben, dass gerade in der Passage, die die Kraft der Rede gegenüber der Statue besonders hervorhebt, Attribute auf Reden übertragen werden, die normalerweise auf Statuen anzuwenden sind. So wird das Publikum einer Rede nicht als Zuhörer, sondern als Zuschauer bezeichnet.203 Gerade die Funktion, die Isokrates dann der Porträtstatue abspricht, nämlich ein sichtbares Beispiel darzustellen, an denen die Bürger nicht nur ihre körperliche Erscheinung, sondern auch ihr Verhalten ausrichten sollen, war im allgemeinen Verständnis der Zeit geradezu zentral für die Statuenauffassung.204 Die „exemplarische und erzieherische Kraft“ der visuellen Medien zeigt sich selbst bei Isokrates, der die Standbilder als tupoi bezeichnet, also als Formen oder Matrizen, die dem Bereich der künstlerischen Darstellung zuzurechnen sind.205 Die Bedeutung von Statuen für die Ehrungspraxis im öffentlichen Raum wird in anderen Reden dann besonders deutlich, wenn die Bürger diese Ehrungen bedroht sahen. So setzt sich Demosthenes in der Rede „Gegen Leptines“ an mehreren Stellen mit der Bedeutung von Ehrungen sowohl für die Polis als auch für Einzelpersonen auseinander. Dabei hatte Leptines mit seinem Gesetzesvorschlag nur eine bestimmte Form der Ehrung, nämlich die ateleia, im Blick, eine Argumentation, die auch Demosthenes seinem Gegner in den Mund legt und dabei immer wieder auf Statuenehrungen zu sprechen kommt.206 Auch wenn Leptines behaupte, dass durch sein Gesetz weder bereits bestehende Statuenehrungen zurückgenommen würden noch die Ehrung durch Statuen in der Zukunft eingeschränkt würde, befördere sein Gesetz doch das Misstrauen gegenüber jedweder Ehrung in der Zukunft, da es Einschränkungen vornähme.207 Die Verknüpfung von Statuen und Erinnerung spielt hier zwar keine Rolle, es wird aber deutlich, dass die Ehrung durch Statuen zur Zeit der Rede um die Mitte des 4. Jahrhunderts gleichwertig neben der sitesis stand und als Gegenleistung für erbrachte Leistungen bestimmten Personen selbstverständlich zustand. Nicht zuletzt spielen im weiteren Verlauf der Rede die Ehrungen für verdiente Strategen wie Konon und
203 Isokr. 9,73: „ἐγὼ δ᾽, ὦ Νικόκλεις, ἡγοῦμαι καλὰ μὲν εἶναι μνημεῖα καὶ τὰς τῶν σωμάτων εἰκόνας, πολὺ μέντοι πλείονος ἀξίας τὰς τῶν πράξεων καὶ τῆς διανοίας, ἃς ἐν τοῖς λόγοις ἄν τις μόνον τοῖς τεχνικῶς ἔχουσι θεωρήσειεν.“ Vgl. Steiner 2001, 279. Vgl. auch Niemeyer 1996, 9 f. der schon in der Dichtung des Pindar einen Vergleich zwischen der Gattung der Bildhauerei und der Dichtung ausmacht. Pind. Nem. 5,1 ff. verwendet ein ganz ähnliches Argument wie Isokrates, wenn er hervorhebt, dass die „bewegliche“ Dichtung dem „statischen“ Bildwerk in der Wirkung vorzuziehen sei. Auch hier ist „der hohe Rang der Dinge, die er für sie [die Dichtung] zum Maßstab nimmt“ vorauszusetzen (Niemeyer 1996, 10). 204 Vgl. Steiner 2001, 280, siehe dazu auch die Einleitung zum Kapitel. 205 Steiner 2001, 280 mit Bezug auf Isokr. 9,74 („ἔπειθ᾽ὅτι τοὺς μὲν τύπους ἀναγκαῖον παρὰ τούτοις εἶναι μόνοις…“). Der Begriff wird bei Isokr. 13,18 sowie als Zitat aus 13,18 in 15,194 auch als Ausdruck für die Prägung des Schülers durch den Lehrer verwendet. 206 Demosth. 20,120, dazu auch Tanner 2006, 115; Kremmydas 2012, 391 f. ad loc.; Canevaro 2016, 383 f. ad loc. 207 Als weiteres Beispiel neben den Statuen nennt Demosthenes die sitesis.
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Chabrias in der Vergangenheit eine Rolle, wobei auch anhand dieser konkreten Stellen wieder auf die Ehrenbildnisse auf der Agora verwiesen wird.208 In der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts und insbesondere in der Zeit nach 338 wird vor allem in Gerichtsreden über die vermehrte Aufstellungspraxis von Statuen, aber auch über die generelle Bedeutung von Statuen als Erinnerungsmale und die Agora als Ort der Aufstellung reflektiert, bzw. Überlegungen zu diesen Themen spiegeln sich in der Behandlung von Ereignissen und Personen. Lykurgos geht in der Rede „Gegen Leokrates“ gleich mehrfach auf die Bedeutung von Statuen sowie auf das ihnen innewohnende Erinnerungspotential ein. Passend zu den zahlreichen religiös eingefärbten Passagen eröffnet Lykurgos seine Rede mit einem Gebet an Athena im Besonderen, aber auch an die anderen Gottheiten und Heroen, „deren Statuen hier in unserer Polis und im attischen Umland aufgestellt sind.“209 Das zeigt zunächst einmal, welche Bedeutung den Statuen als Darstellungen eben jener Götter und Heroen zukommt.210 Wenn man darüber hinaus bedenkt, dass vor allem die Heroen auch Bestandteil von Geschichte(n) waren, kann hier durchaus auch das Erinnerungspotential dieser Statuen angesprochen sein, zumal im weiteren Verlauf des Einleitungssatzes auch Bräuche und Sitten sowie die Opferriten der Vorfahren benannt werden.211 Gleich zu Beginn seiner Rede bezieht sich Lykurgos damit auf eine ideale Gemeinschaft von Göttern und Heroen, verstorbenen und lebenden Menschen, an denen die gegenwärtige Gesellschaft ihre kulturelle und ethische Orientierung definieren und ihre Lebenspraxis ausrichten kann.212 Die Hervorhebung der Statuen von Strategen und Tyrannentötern als Besonderheit der Ehrungspraxis in Athen mit ihren Funktionen ist weiter oben schon angesprochen worden: Damit wird die Agora durch die dort aufgestellten Statuen bewusst als Raum des Politischen konzipiert.213 Als ein Beispiel für die strenge Bestrafung von Verbrechen durch die Vorfahren nennt Lykurgos im weiteren Verlauf der Rede die bereits angeführte Geschichte von Hipparchos, Sohn des Charmos, der in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden sei.214 In Verbindung damit sei seine Statue, die auf der Akropolis aufgestellt war, eingeschmolzen worden. Daraus sei eine Stele gemacht worden zur Aufzeichnung der „Verfluchten und Verräter“. Das Dekret zur Entfernung der Statue von seinem Platz auf der Akro-
208 Zu Konon Kap. 4.3.1, zu Chabrias Kap. 4.3.2. 209 Lykurg. 1,1: „εὔχομαι γὰρ τῇ Ἀθηνᾷ καὶ τοῖς ἄλλοις θεοῖς καὶ τοῖς ἥρωσι τοῖς κατὰ τὴν πόλιν καὶ τὴν χώραν ἱδρυμένοις“ Übers. J. Engels. 210 Vgl. dazu T. Hölscher 2012, 29. Zur lebendigen Präsenz der Götter in und durch ihre Statuen vgl. auch ausführlich F. Hölscher 2014. 211 Zur Einleitung der Rede insgesamt vgl. auch Kap. 2. 212 Vgl. T. Hölscher 2012, 29. 213 Lykurg. 1,51, und dazu G. Oliver 2007, 196; T. Hölscher 1988b, 381; 2012, 19 f. 214 Lykurg. 1,117–119. Quellen und weitere Literatur vgl. Kap. 2.
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polis und die Namensliste von der Stele lässt Lykurgos dann verlesen.215 Die Statue des Hipparchos wird dabei als „Stellvertreter“, als Repräsentation der realen Person aufgefasst, da der Verurteilte selbst sich der Bestrafung durch die Flucht entzogen hat.216 Außerdem kann das Ereignis durch seine Verräumlichung auch nach so langer Zeit für die Zuhörer im aktuellen Prozess vergegenwärtigt werden.217 Darüber hinaus betont Lykurgos die exemplarische Wirkung der Ereignisse: Das Einschmelzen der Statue soll ausdrücklich als Beispiel für die Nachkommen dienen, wie mit ähnlichen Verbrechern zu verfahren ist „οὐχ ὅπος τὸν χαλκοῦν ἀνδριάντα συγχωνεύσειαν, ἀλλ’ ἵνα τοῖς ἐπιγιγνομένοις παράδειγμα εἰς τὸν λοιπὸν χρόνον ὡς εἶχον πρὸς τοὺς προδότας καταλίποιεν.“ (119) Bedenkt man, dass insbesondere die Agora als Standort der Ehrenstatuen des 4. Jahrhunderts bedeutsam war und dadurch verstärkt zu einem „Platz politischer Tugend“ wurde, erscheint es auch möglich, das Verbot oder den Vorwurf des Betretens der Agora für bestimmte Personen als Gegensatz zwischen dem Verhalten des Angeklagten und den dort aufgestellten Ehrenstatuen zu deuten.218 Diese Parallele liegt dann besonders nahe, wenn es sich bei dem Angeklagten um einen erfolglosen Strategen handelt. So beschuldigt Lykurgos den Strategen Lysikles, einen der Oberbefehlshaber der Schlacht bei Chaironeia 338, dass er für den Tod und die Gefangenschaft
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Lykurg. 1,118. Sicherlich trägt auch die genaue Lokalisierung der Statue an einem so prominenten Ort wie der Akropolis zur Steigerung der räumlichen Präsenz der Argumentation bei. Zur Akropolis als Aufstellungsort von Statuen vgl. Kap. 3.6. Krumeich 2007, 394 hebt in diesem Zusammenhang hervor, dass auch „‚private‘ Weihgeschenke auf der Akropolis nicht per se von einem staatlichen Zugriff ausgenommen waren.“ Zur Diskussion um die Historizität des geschilderten Ereignisses vgl. Kap. 2. Vgl. auch die Aussage bei Lykurg. 1,119: „Τί δοκοῦσιν ὑμῖν, ὦ ἄνδρες; ἆρά γ’ὁμοίως ὑμῖν περὶ τῶν ἀδικούντων γιγνώσκειν, καὶ οὐκ, ἐπειδὴ καὶ τὸ σῶμα οὐκ ἐδὐναντο ὑποχείριον [τοῦ προδότου] λαβεῖν, τὸ μνημεῖον τοῦ προδότου ἀνελόντες ταῖς ἐνδεχομέναις τιμωρίαις ἐκόλασαν;“ „Was ist euer Eindruck, ihr Männer? Hatten sie etwa die gleiche Einstellung gegenüber Übeltätern wie ihr, und haben sie nicht, als sie die Person des Verbrechers nicht in ihre Hände bekommen konnten, wenigstens das Denkmal des Verräters zerstört und ihn nach ihren Möglichkeiten bestraft?“ Übers. J. Engels. Vgl. Krumeich 1997, 63 f. mit weiteren Beispielen aus griechischen Poleis; Steiner 2001, 5–9, unter anderem mit dem Verweis auf die Nutzung von Wachsfiguren im Rahmen von Verfluchungsritualen im Athen des 5. und 4. Jahrhunderts (9); Kousser 2009, 268. Vgl. auch die Formulierung bei T. Hölscher 2012, 30: „Das Bild war getötet worden, aber das Material schloss immer noch die Identität der Person ein und wurde darum mit dem Namen derer gebrandmarkt, die seine politische Position vertraten.“ Vgl. auch ders. 2014a, 272 f. Zur Frage der tatsächlichen Sichtbarkeit der Inschriftenstele Kap. 2. Vgl. auch Gehrke 2014, 22; Azoulay 2014, 49 f., der zudem eine Parallele zur damnatio memoriae in Zusammenhang mit der Herrschaft der Peisistratiden zieht. So zeige die Statuengruppe der Tyrannenmörder ausdrücklich nicht das Opfer, gleichzeitig sei aber auf der Akropolis, wie bei Thuk. 6,55,1 geschildert, eine Stele mit den Namen des Hippias und seiner Kinder aufgestellt worden, um die Ungerechtigkeit in Erinnerung zu behalten. Die Weihinschrift der Peisistratiden am Zwölfgötteraltar sei hingegen entfernt worden. Zu den Inschriften als Erinnerungsträger vgl. Kap. 5. T. Hölscher 2012, 32. Zu den vielfältigen Funktionen, die die Agora auch im 4. Jahrhundert selbstverständlich weiterhin einnahm vgl. insbesondere Gottesman 2014, 26–43.
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tausender Bürger, die Niederlage und in der Folge die Versklavung ganz Griechenlands verantwortlich sei. Trotz all dieser Vergehen habe er die Unverfrorenheit, weiter zu leben und sogar die Agora zu betreten, obwohl er selbst doch ein „Denkmal der Schande und des Tadels für das Vaterland“ („ὑπόμνημα γεγονὼς αἰσχύνης καὶ ὀνείδους τῇ πατρίδι“) darstelle. Analog zu den Statuen, die ja ebenfalls als ὑπομνήματα bezeichnet werden konnten, ist der Angeklagte ein Gegenbild zu diesen Statuen, was im direkten Vergleich auf der Agora besonders in den Blick fällt,219 waren es doch insbesondere diese Ehrenstatuen, die den Platz zum „Raum politischer Vorbilder“ machten.220 Die gestiegene Zahl von Statuenehrungen auf der Agora im letzten Drittel des 4. Jahrhunderts ruft mitunter wiederum Kritik hervor. Alle Beispiele, die eine solche Kritik üben, stammen aus dem Harpalos-Prozess des Jahres 323 und richten sich explizit gegen die Rolle des Demosthenes bei der Gewährung dieser Ehrungen. Der Vorwurf aus der Rede des Hypereides ist nur fragmentarisch erhalten. Demosthenes habe für den König Alexander eine Statue auf der Agora aufstellen wollen. Da hier für die Statue der Begriff eikon (und nicht agalma) benutzt wird, kann ein damit verbundener Kult nicht vorausgesetzt werden, vielmehr ist die Statue auch durch den Ort der Aufstellung in der Tradition der Ehrenstatuen für athenische Strategen zu sehen.221 In der Anklage des Deinarchos aus dem gleichen Prozess geht es dann in einer ausführlicheren Beschuldigung um die Bestechlichkeit des Demosthenes bei der Gewährung von Ehrungen für Bürger und Auswärtige. Gegen Geldzahlungen habe er für Diphilos sitesis und eine Statue auf der Agora vorgeschlagen. Für mehrere Personen habe er das athenische Bürgerrecht beantragt. Für Pairisades, Satyros und Gorgippos, die von Deinarchos als „Tyrannen vom Pontos“ bezeichnet werden, seien durch Demosthenes außerdem Bronzestatuen auf der Agora beantragt worden.222 Dabei handelt es sich um
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Lykurg. Fr. 12,1 Conomis (= Diod. 16,88,2): „Ἐστρατήγεις, ὦ Λυσίκλεις, καὶ χιλίων μὲν πολιτῶν τετελευτηκότων, δισχιλίων δ᾽ αἰχμαλώτων γεγονότων, τροπαίου δὲ κατὰ τῆς πόλεως ἑστηκότος, τῆς δ᾽ Ἑλλάδος ἁπάσης δουλευούσης, καὶ τούτων ἁπάντων γεγενημένων σοῦ ἡγουμένου καὶ στρατηγοῦντος, τολμᾷς ζῆν καὶ τοῦ ἡλίου φῶς ὁρᾶν καὶ εἰς τὴν ἀγόραν ἐμβάλλειν, ὑπόμνημα γεγονὼς αἰσχύνης καὶ ὀνείδους τῇ πατρίδι.“ Eine ähnliche Interpretationsmöglichkeit liegt auch für weitere Redepassagen nahe, die sich mit dem Betreten der Agora durch unwürdige Männer oder mit einem Verbot für bestimmte Personen, diesen Platz zu betreten, befassen: And. 1,76; Aischin. 2,148; 3,176; Demosth. 22,77; 24,185. Vgl. dazu T. Hölscher 2012, 32; 2014a, 272. 220 T. Hölscher 2014a, 272. 221 Hyp. 5,32: „…] στῆσαι εἰκό[να Ἀλεξάν]δρου βασιλ[έως τοῦ ἀνι]κήτου θεοῦ…“ Vgl. den Kommentar bei Whitehead 2000, 458 f. ad loc. 222 Deinarch. 1,43. Vgl. dazu Gauthier 1985, 95 mit Anm. 51 und dem Verweis auf Davies 1971, 167–169, Nr. 4487; ausführlich Worthington 1992, 200–207 ad loc. mit der weiteren Literatur; ders. 2001, 24 Anm. 33–35 ad loc.; Dillon 2006, 103, die betont, dass es Demosthenes weniger um finanzielle Zuwendungen, sondern um politische Einflussmöglichkeiten ging; Harding 2015, 48 f. Soweit wir die genannten Personen identifizieren können, handelte es sich um Ehrungen, die erst wenige Jahre zurücklagen. Ehrungen für die Genannten IG II2 212 ohne Erwähnung von Statuen. Statuenehrungen für die bosporanischen Herrscher sind belegt durch IG II/III2 653,40–42, dazu Burstein 1978, bes. 430 zu den Ehrenstatuen; T. Hölscher 1988b, 379; Heinen 1996; Löhr 2000, Nr. 150.
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den bosporanischen Herrscher Pairisades I. (344/3–311/10) sowie seine Söhne Satyros (der zukünftige Satyros II.) und Gorgippos. Die von Demosthenes beantragten Ehrungen bezogen sich auf die Verdienste dieser Personen um die Getreideversorgung Athens – Ehreninschriften für weitere bosporanische Könige sind schon aus der Mitte des 4. Jahrhunderts bekannt.223 Diese Ehrungen sind, anders als hier dargestellt, nicht als „Alleingang“ des Demosthenes zu verstehen, sondern wurden durch die Volksversammlung beschlossen – insgesamt profitierte die Bevölkerung Athens am meisten von einer sicheren Getreideversorgung.224 Über die konkrete Kritik am Verhalten des Demosthenes hinaus ist hier auch ein indirekter Vergleich mit den zu Recht an diesem Ort Geehrten denkbar – mit Harmodios und Aristogeiton, aber auch mit den Strategen, die in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts Ehrenstatuen erhalten hatten. Dieser Vergleich ist später in der Rede direkt formuliert, wenn es um die Statuenehrung für Demades auf der Agora geht – auch diese habe Demosthenes maßgeblich unterstützt, anstatt dafür zu sorgen, dass der Redner für seine Vergehen bestraft werde.225 Der suggerierte Vergleich mit Harmodios und Aristogeiton bzw. ihren Nachkommen betrifft durch die Ehrungen mit sitesis und Ehrenstatuen auch die Leistungen, die hinter diesen Ehrungen stehen und mit denen sich ein Demades nicht messen kann.226 Die Reaktionen gegen die Ehrung des Demades mit einer Bronzestatue auf der Agora sind darüber hinaus sicherlich auch dadurch zu erklären, dass mit seiner Person zum ersten Mal ein Redner (und kein Stratege) mit einer Ehrenstatue bedacht wurde.227 Dass zur Zeit der Ehrung nach 335 militärischer Ruhm immer noch als maßgeblich für die Errichtung und damit auch das Aussehen einer Ehrenstatue angesehen wurde, zeigt ein Fragment des Redners Polyeuktos von Sphettos, der ironisch fragt, wie man sich ein solches Standbild vorzustellen habe: er nennt als mögliche Attribute einen Schild oder eine Schiffszier und betont jeweils sofort, dass diese Dinge für Demades nicht in Frage kämen.228 223 224 225 226
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Vgl. Burstein 1978; Worthington 1992, 205–207; Moreno 2007, 260–269. Zur Identifikation der genannten Personen vgl. die Überlegungen bei Heinen 1996 mit der älteren Literatur. Zu den Ehreninschriften für Leukon I. und seine Söhne vgl. Kap. 5.5. Vgl. Worthington 1992, 207. Deinarch. 1,101, dazu auch Kap. 4.2. Auch in anderen Reden stehen im Übrigen die Ehrungen für Demades in der Kritik. So richtet sich Lykurg. Fr. 9 Conomis gegen einen Vorschlag des Kephisodotos zur Verleihung der Ehrungen nach 338 bzw. 335. Zum Vergleich werden in 9,2 unter anderem die militärischen Leistungen und die Bauten eines Perikles angeführt, der dafür aber nur einen Olivenkranz als Ehrung erhalten habe. Vor diesem Hintergrund müssen die für Demades vorgeschlagene sitesis und die Ehrenstatue umso unangemessener erscheinen. Vgl. dazu auch den Kommentar bei Carey 2001, 212 f. (ad loc.) und zur Textstelle auch Gauthier 1985, 94; Tanner 2006, 111. Vgl. Brun 2000, 81; Dillon 2006, 107 mit Anm. 93; Azoulay 2014, 136 mit Anm. 51. Rhet. Gr. IX 545 Walz. Vgl. dazu Gauthier 1985, 109 f.; Brun 2000, 80 f.; Dillon 2006, 107. Die Statue des Demades wird bei Aischin. 3,243 nicht erwähnt, ein weiterer Hinweis darauf, dass die Ehrung für einen Redner umstritten war. Außerdem wurde die Ehrung wohl schnell zurückgenommen, entweder schon nach 323 oder nach 319 mit dem Tod des Demades, vgl. hierzu Gauthier 1985, 110
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Eine der zeitlich spätesten Reden – der „Epitaphios“ des Hypereides für die Gefallenen des Lamischen Krieges – stellt dann die Ehrungen für Götter und Menschen nebeneinander. Man vernachlässige Statuen, Altäre und Tempel für die Götter, um im Gegenzug solche für Menschen sorgsam zu pflegen – eine Anspielung insbesondere auf die herausragenden Ehrungen für Philipp II. und Alexander den Großen, die in den Augen der Athener, wie die Gegenüberstellung es nahelegt, weniger mit der eigenen Ehrungspraxis für verdiente Männer als mit göttlichen Ehren zu vergleichen seien.229 Hier wird ein Bruch mit allem Althergebrachten angeprangert, der weit über die Kritik hinausgeht, die um die Mitte des Jahrhunderts noch an den Ehrenstatuen für Iphikrates, Chabrias und Timotheos geübt wurde.230 Die Bedeutung von Statuen als Erinnerungsträger in Athen scheint sogar in einem Brief Philipps II. auf, der, so es sich denn tatsächlich um eine authentische Überlieferung handelt, im Jahr 340, kurz vor Ausbruch des Krieges zwischen Athen und den Makedonen, verfasst wurde. Nachdem der Verfasser des Briefes den Umgang der Athener und ihrer Verbündeten mit seinen Gesandten kritisiert hat, führt er ein Beispiel aus der athenischen Geschichte des 5. Jahrhunderts an.231 In Zusammenhang mit einem Konflikt zwischen Athen und Megara hätten die Megarer den athenischen Gesandten Anthemokritos getötet. Daraufhin hätten die Athener nicht nur die Megarer von den Mysterien ausgeschlossen, sondern hätten auch eine Statue des Getöteten vor den Stadttoren aufgestellt, um an diese Ungerechtigkeit zu erinnern („ὑπομνήματα δὲ τῆς ἀδικίας ἔστησαν ἀνδριάντα πρὸ τῶν πυλῶν“).232 Die Lokalisierung des Standbildes vor den Stadttoren deutet darauf hin, dass sich diese Erinnerungsfunktion nicht nur an die athenische Bevölkerung, sondern auch nach außen, dabei vor allem wohl nach Megara richten sollte. Allerdings scheint diese Geschichte nicht besonders verbreitet gewesen zu sein, zumindest ist in der erhaltenen Überlieferung durch die Redner nur
mit Bezug auf Plut. mor. 820f, dazu auch Brun 2000, 82. Dass Aischines die Ehrung für Demades nicht erwähnt, liegt aber sicherlich auch daran, dass der Redner die glorreiche Vergangenheit Athens hervorheben will, vgl. Gauthier 1985, 111. 229 Hyp. 6,21: „φανερὸν δ᾽ ἐξ ὧν ἀναγκαζόμεθα καὶ νῦν ἔτι· θυσίας μὲν ἀνθρώποις γιγνομένας ἐφορᾶν, ἀγάλματα δὲ καὶ βωμοὺς καὶ ναοὺς τοῖς μὲν θεοῖς ἀμελῶς, τοῖς δὲ ἀνθρώποις ἐπιμελῶς συντελούμενα, καὶ τοὺς καζομένους.“ Vgl. Herrman 2009, 88–90 ad loc. zum möglichen Erscheinungsbild einer solchen Statue und der Hervorhebung des Begriffes ἀγάλματα an dieser Stelle. 230 Vgl. besonders Demosth. 13,21–23; 23,201, vgl. Kap. 4.3.2. 231 Die Datierung des geschilderten Ereignisses ist allerdings umstritten. Trevett 2011, 215 Anm. 7 ad loc. hält eine Datierung in das Jahr 432/1 für wahrscheinlich, als es am Vorabend des Peloponnesischen Krieges zu starken Spannungen zwischen Athen und Megara kam. Connor 1962, 236 f. verortet das Ereignis dagegen in der Mitte des 4. Jahrhunderts, als es zu einem Konflikt zwischen Athen und Megara um das heilige Land (Hiera Orgas) im Grenzgebiet zwischen den beiden Poleis kam. 232 [Demosth.] 12,4; bei Plut. Perikles 30,3 wird außerdem davon berichtet, dass Anthemokritos ein Begräbnis nahe beim Dipylontor erhielt – ein weiterer Hinweis darauf, dass die Person und ihre Verdienste, aber auch der Frevel der Megarer, im öffentlichen Gedächtnis der Athener verankert wurde. Zu den Gräbern als Träger von Erinnerung vgl. Kap. 7.
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noch ein einziges Mal von Anthemokritos und seinem Standbild zu lesen.233 Der fragmentarische Erhaltungszustand macht es jedoch nicht möglich, den weiteren Kontext und die Argumentation mit diesem Standbild zu erschließen. 4.7 Fazit Insgesamt wird deutlich, dass die Auseinandersetzung mit Ehrenstatuen und den mit ihnen verbundenen Personen und Ereignissen vor allem ein Phänomen der Prozessreden ist.234 Gerade die Reden vor einem Dikasterion auf der Agora bezogen sich auf Statuen, die auf eben diesem Platz aufgestellt waren – die Sichtbarkeit könnte dabei neben der passenden Thematik also eine Rolle bei der Einbindung in die Rede gespielt haben.235 Da sich diese Reden meist mit dem Verhalten einer einzelnen Person befassen, dienen die Ehrenstatuen bzw. die Dargestellten als paradeigmata für die Zeitgenossen oder als Gegenbilder zum Angeklagten. Die Eigenschaften und Verdienste, die dem Angeklagten fehlen – militärischer Erfolg und der Einsatz für die Belange der Polis – werden von den Ehrenstatuen allen Anwesenden deutlich vor Augen geführt. Dabei spielt die Ikonographie der Statuen meist keine Rolle – die einzige belegte Ausnahme bildet die „Diskussion“ zwischen Aischines und Demosthenes über das Erscheinungsbild und die Botschaft der Statue des Solon auf Salamis. Die Auseinandersetzung mit der Praxis der Statuenaufstellung selbst und der Agora als Ort der Ehrung setzt erst ein, als eben diese Ehrungspraxis schon geläufig ist. Zuvor stehen die Personen der Geehrten und ihre Leistungen im Mittelpunkt. Betrachtet man die zeitliche Abfolge der Redner, ist es zudem augenfällig, dass erst mit der Ehrenstatue für Konon die Statuen als räumliche Erinnerungsträger thematisiert werden. Auch die Tyrannenmörder und ihre Statuen spielen vor etwa 390 in den Reden keine Rolle, obwohl sie durchaus schon vorher als visuelle paradeigmata für alle sichtbar waren. Dabei zeichnet sich die Agora als „Memorialraum der athenischen Identität“ ab – eine Tatsache, die Aischines im Kranzprozess hervorhebt: „ἁπάντων γὰρ ἡμῖν τῶν καλῶν ἔργων τὰ ὑπομνήματα ἐν τῇ ἀγορᾷ ἀνάκεται.“236 An dieser Stelle sind zwar andere 233
Isaios 24, Fr. 21. Das Fragment ist sehr kurz, es scheint aber, dass die Statue in diesem Zusammenhang als reine Ortsangabe fungierte. 234 Ausnahmen bilden die Reden des Isokrates, Demosth. 13 sowie die Gefallenenrede des Hypereides (Hyp. 6). 235 Vgl. J. Shear 2011, 283: „This connection between monuments is brought out by the location of the courts: they are opposite the Stoa of Zeus so that these two areas particularly focused on the citizen were joined together by their place in the square.“ 236 Aischin. 3,186, Zitat T. Hölscher 2010, 141, vgl. auch Mann 2009a, 12 zur Agora als „zentralem Repräsentationsraum“ gerade in Bezug auf die Ehrenstatuen, sowie auch von den Hoff 2009; Bielfeldt 2012, 91. Dabei ist jedoch hervorzuheben, dass die Agora insgesamt, also der Platz an sich, nur an dieser Stelle auf eine solche Weise hervorgehoben wird. Vgl. dazu auch Millett 1998, 214–216 mit Anm. 25 sowie 220 mit Anm. 33. Diese Beurteilung stehe oft in Verbindung mit spezifischer rheto-
Fazit
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Denkmäler gemeint, die Statuen trugen aber maßgeblich zur Prägung des Platzes bei. In Hinblick auf die Nutzung von Statuen im Rahmen historischer Bezüge ist also eine klare Hierachie von Ehrungen237 zu erkennen: Zentral sind die Ehrenstatuen auf der Agora, Statuen im sakralen Kontext der Akropolis oder anderer Heiligtümer werden weitaus seltener erwähnt.238 Besonders der Platz vor der Stoa des Zeus Eleutherios entwickelte sich durch die Errichtung zahlreicher Ehrenstatuen in diesem Bereich „zu einem der politisch repräsentativsten Plätze auf der Agora.“239
rischer Argumentation und könne nicht als allgemeine Auffassung der Athener angesehen werden. Gilhuly/Worman 2014, 6. 237 Vgl. T. Hölscher 1998b, 168 und für eine solche Hierarchisierung von Ehrungen in den hellenistischen Poleis Ma 2013 und in Rom T. Hölscher 2001, bes. 189–199 sowie Hölkeskamp 2004a. 238 Von den Hoff 2009, 196, vgl. auch Queyrel 2012, 74. 239 Weinert 1995, 307.
5 Inschriften „Denn sie glaubten nicht, dass es nötig sei durch Inschriften geehrt zu werden, sondern im Gedächtnis derjenigen, denen sie geholfen hatten. Und von dieser Zeit an bis zu diesem Tag hat die Erinnerung unsterblich Bestand.“1
Mit diesen Worten stellt Aischines in der Rede „Gegen Ktesiphon“ Ehrung von und Erinnerung an Männer wie Themistokles, Miltiades und Aristeides der von Ktesiphon beantragten Ehrung für Demosthenes gegenüber. Als sichtbarer Vergleichspunkt dient Aischines die Feststellung, dass die Ehrung mit einem Kranz für die verdienten Männer der Vergangenheit nirgendwo schriftlich verzeichnet sei. Um diese Feststellung zu beweisen, nimmt Aischines seine Zuhörer mit auf einen imaginären Rundgang über die Agora. Dabei stehen trotz der eingangs getroffenen Feststellung Inschriften im Mittelpunkt: die Hermeninschriften für die siegreichen Truppen der Schlacht von Eion am Strymon und die Ehreninschriften für die aus Phyle zurückkehrenden Demokraten am Ende des 5. Jahrhunderts – Inschriften, die Aischines auch wörtlich zitieren lässt.2 Mehrmals weist Aischines auf die Sichtbarkeit dieser Inschriften und ihre Bedeutung als Zeugnisse für die Vergangenheit hin, ja er fordert seine Zuhörer sogar dazu auf, sich mit Hilfe ihrer Vorstellungskraft an die betreffenden Orte zu begeben – Orte, die sich zudem in unmittelbarer Nachbarschaft zum Prozessgeschehen befinden. 5.1 Inschriften in Athen: Entwicklung, Bedeutung und Monumentalität 5.1.1 Schrift, Schriftlichkeit und Inschriften Um die Bedeutung von Inschriften und ihre Rolle als Erinnerungsträger in den Reden besser verstehen zu können, müssen zunächst einige Überlegungen über die Bedeutung von Schriftlichkeit in der politischen Kultur des 4. Jahrhunderts auf einer allge1 2
Aischin. 3,182: „οὐ γὰρ ᾤοντο δεῖν ἐν τοῖς γράμμασι τιμᾶσθαι, ἀλλ᾽ ἐν τῇ μνήμῃ τῶν εὖ πεπονθότων, ἣ ἀπ᾽ἐκείνου τοῦ χρόνου μέχρι τῆσδε τῆς ἡμέρας ἀθάνατος οὖσα διαμένει.“ Ausführliche Besprechung vgl. Kap. 5.5.
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meinen Ebene und Inschriften im Besonderen angestellt werden. Mit diesen Fragen hat sich insbesondere Rosalind Thomas im Rahmen mehrerer Untersuchungen auseinandergesetzt.3 Sie geht davon aus, dass ab der 2. Hälfte des 5. Jahrhunderts zumindest die in Stadtnähe lebenden athenischen Bürger elementare Lese- und Schreibfähigkeiten besaßen. Dabei handelte es sich um eine „pragmatische Lesefähigkeit und Schriftlichkeit“, die in enger Verbindung zur Rezeption öffentlicher und privater Inschriften, oftmals auch in Zusammenhang mit sakralen Räumen wie insbesondere Tempeln stand.4 Das Lesen von Inschriften hat man sich dabei weniger als individuelle, sondern vielmehr als kollektive Handlung vorzustellen, die in einer größeren Gruppe stattfand, bei der also eine Person den anderen vorlas.5 Auch lange nach Einführung der Schrift kann von einer komplexen Vermischung von Schriftlichkeit und Mündlichkeit ausgegangen werden. So ist die Nutzung von schriftlichen Aufzeichnungen nicht eindeutig bestimmbar; allein die Existenz schriftlicher Aufzeichnungen im allgemeinen und öffentlicher Inschriften im Besonderen bedeutete nicht zwingend, dass diese auch gelesen wurden. Dies hängt neben der Verbreitung der Lesefähigkeit auch mit der Beschaffenheit der Inschriften selbst zusammen. Sie waren ortsgebunden, das heißt, der Leser musste sich aktiv zu ihnen begeben, um sie zu rezipieren. Darüber hinaus waren die Inschriften oft in einer Höhe angebracht, die den Lesevorgang mit einer körperlichen Anstrengung verband.6 Demgegenüber ist in der Forschung aber auch die erhebliche Bedeutung der Schrift „sowohl in der formalen Verrechtlichung wie in Normensetzung und Identitätsstiftung“ der griechischen Poleis hervorgehoben worden.7 Auch in Verbindung mit solchen Annahmen wird aber weiterhin darauf hingewiesen, dass „die mündliche Kommunikation ganz entschieden dominierte“ und „das Visuelle einen hohen Stellenwert hatte“.8 Es kann somit als Voraussetzung festgehalten werden, dass Schriftlichkeit und Schriftvermögen grundsätzlich einen wichtigen Stellenwert besaßen, aber nicht zwingend davon ausgegangen werden kann, dass dieser Stellenwert 3 4 5 6 7
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Thomas 1989; 1992; 2009; vgl. auch W. Harris 1989, bes. 65–115; Coulet 1996; Svenbro 1988/2005 jeweils mit der älteren Literatur. Einen Überblick über die neueren Forschungen bietet Werner 2009. Vgl. Thomas 1989, 30. Vgl. Hedrick 2006, 117 am Beispiel der Texte am Eponymenmonument. Vgl. auch Stähli 2014, 128, der als zusätzlichen Aspekt betont, dass der „Leser […] sich im Akt der lauten Lektüre zum Garanten ihrer verbindlichen Gültigkeit“ macht. Vgl. Thomas 1989, 35; Bing 2002, 44 f. u.a. auch mit dem Beispiel eines Vasenbildes vom Beginn des 5. Jahrhunderts, das den Leser einer Inschrift in gebückter Haltung vor einer Inschriftenstele zeigt (Boardman 1989, Nr. 79). Vgl. Gehrke 1998, 46; 51 f. Hierzu ist kritisch anzumerken, dass Gehrke bei der Annahme eines hohen Alphabetisierungsgrades auf Quellen, die in das 4. Jahrhundert bzw. weitaus später zu datieren sind, verweist. Vgl. auch Rhodes 2001, 141 f. Vgl. dagegen Hedrick 1999, 388 zur Ambivalenz von Schriftlichkeit, die gleichzeitig als Mittel der (öffentlichen) Kommunikation fungierte, aber auch ein Instrument der Exklusion darstellen konnte. Die politische Bedeutung der Schriftlichkeit hänge immer von der jeweiligen historischen Situation ab. Gehrke 1998, 51 f.
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sich analog im konkreten Gebrauch der einzelnen öffentlichen Schriftzeugnisse wie eben der Inschriften widerspiegelte. Die Aufstellung von Inschriften mit Gesetzen, Dekreten, Verträgen und anderen Texten in Athen ist eine Praxis, die schon seit der archaischen Zeit nachgewiesen werden kann und in der Forschung unter der Bezeichnung „epigraphical habit“ firmiert.9 Dabei wurde aber immer nur ein geringer Prozentsatz von Texten (nicht nur in der archaischen Zeit, sondern im antiken Griechenland insgesamt) auf Stein oder anderen Materialien dauerhaft festgehalten. Daraus lässt sich umgekehrt aber auch ein besonderer Stellenwert von dauerhaften schriftlichen Aufzeichnungen ableiten. In einer vorwiegend oralen Kultur musste schon die schriftliche Fixierung des eigenen Namens auf einem Objekt eine gewichtige Sorge um das persönliche Prestige und den eigenen Nachruhm bedeuten.10 Solchermaßen verstetigte Dokumente waren für eine breitere Öffentlichkeit bestimmt, weil ihr Inhalt jedermann betraf und auf lange bzw. unbestimmte Zeit gültig sein sollte.11 Am Ende des 5. Jahrhunderts wurde in Athen mit dem Metroon an der Agora auch ein Archiv eingerichtet, in dem Dokumente, wohl meist auf Papyrus, niedergelegt wurden. Zuvor waren einige Dokumente auch im Bouleuterion aufbewahrt worden.12 Wie viele der Dekrete, Verträge und anderen Dokumente darüber hinaus als inschriftliche Monumente im öffentlichen Raum aufgestellt wurden, kann nicht mehr nachvollzogen werden.13 In jedem Fall befand sich der Originaltext im Metroon, die Inschrift auf der Stele war eine Kopie dieses Textes.14 Für die Fixierung von Dokumenten auf verschiedenen Inschriftenträgern mit unterschiedlichen Aufstellungsorten gab es keine festen Regeln. Ob ein Dokument zusätzlich als Inschrift auf einer Stele oder an der Wand eines Gebäudes im öffentlichen Raum platziert wurde hing davon ab, welche Bedeutung die Athener dem betreffenden Dokument zumaßen.15 Betrachtet man dann die Häufigkeit, mit der antike Texte die stelai gerade im Vergleich zu Archivtexten nennen, zumindest wenn es um Gesetze und Dekrete geht, muss wohl davon ausgegangen werden, dass in der Folge die öffentlichen Inschriften
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Der Begriff wurde als erstes von MacMullen 1982 für die Inschriftenkultur des römischen Reiches geprägt und ist in der Folge auch von E. Meyer 1990 übernommen worden. Für die Anwendung auf die griechische Schriftkultur vgl. Hedrick 1999; Scafuro 2013. Zur Definition des Begriffs vgl. Hedrick 1999, 389. Vgl. Thomas 1989, 88–93; Stähli 2014, 128. Zur inschriftlichen Publikation als selektiver Prozess vgl. auch Sickinger 2004, 98 f. Vgl. Lawton 1995, 27; Luraghi 2010, 258. Vgl. Thomas 1989, 39 f. und 75 mit Verweis auf And. 2,23 f., außerdem auch zahlreiche weitere inschriftliche Belege mit Anm. 193; Hedrick 1999, 393; ausführlich Sickinger 1999, 114–138; Scafuro 2013, 406 f. Vgl. Hedrick 1999, 393; Osborne 1999, 342; Scafuro 2013, 401. Vgl. Rhodes 2001, 37 f. auch zu möglichen Abweichungen zwischen Originaltext und Inschrift. Vgl. Thomas 1989, 76. Zu Material und Format der Stelen vgl. auch ausführlich Lawton 1995, 10–13; Sickinger 2004, 100 f.; Scafuro 2013, 402–404.
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in der kollektiven Wahrnehmung deutlich mehr Raum einnahmen als die Originaldokumente und damit als primärer Bedeutungsträger rezipiert wurden.16 Der politische Hintergrund der Entstehung eines öffentlichen Archivs ist maßgeblich in der Revision athenischer Gesetze in der letzten Dekade des 5. Jahrhunderts auszumachen. Dabei entwickelte sich eine Kultur der Selektion, Entdeckung und Erfindung von Dokumenten der Vergangenheit, wobei viele dieser Dokumente in Form von Inschriften überliefert wurden.17 Diese Konzentration auf historische (oder als historisch angesehene) Dokumente intensivierte sich noch einmal nach 338, als man verstärkt nach Beispielen aus der Vergangenheit für die Gegenwart suchte. Um aber aus der Vergangenheit lernen zu können, musste man sich ein bestimmtes Wissen aneignen, bei dem zunehmend auch die inschriftlichen Dokumente eine Rolle spielten.18 Einige der „erfundenen“ Inschriften, die meist vorgeben, aus der Zeit der Perserkriege zu stammen, werden auch in verschiedenen Reden erwähnt und werden deshalb in einem eigenen Kapitel behandelt.19 5.1.2 Schriftliches Material bei den Rednern In den Reden ist im gesamten 4. Jahrhundert eine Mischung von Verweisen auf schriftliche und mündliche Zeugnisse zu verzeichnen. In vielen Reden beziehen sich die Redner auf die mündliche Überlieferung, obwohl schriftliches Material vorhanden wäre.20 Auch im Fall von kürzlich erfolgten Urteilen oder Details von Fällen werden meist mündliche Berichte statt schriftliche Aufzeichnungen angeführt.21 Im Verlauf des Jahrhunderts ist jedoch eine vermehrte Einbindung (in)schriftlichen Materials in die
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Vgl. Thomas 1989, 46; Rhodes 2001, 136 mit Verweis auf And. 1,95; Lys. 1,30 sowie Demosth. 20,36; Scafuro 2013, 409 mit der weiteren Literatur. Vgl. Lambert 2011, 206; 2012b, 255. Eine vollständige Neuaufzeichnung der athenischen Gesetze auf zusammenhängenden Stelen in oder bei der Stoa Basileios ist allein aufgrund des begrenzten Platzes an dieser Stelle abzulehnen. Vgl. Sickinger 2004, 100 mit Anm. 41 mit der älteren Literatur. Lambert 2011, 206: „So intense was this focus on inscriptions as sources of past exempla that a culture developed of re-inscribing, elaborating and indeed inventing old inscriptions and deploying them for instructional purposes.“ Kap. 5.4.1, dort auch die weitere Literatur zu den bis heute umstrittenen Forschungsfragen zu den „Falsche[n] Urkunden zur Geschichte Athens im Zeitalter der Perserkriege“, so der Titel des wegweisenden Aufsatzes von Habicht 1961. Vgl. Thomas 1989, 17; 30; 35, ebenda, 67: „not a deeply ingrained habit“ in Bezug auf die Konsultation von inschriftlichen Dekreten. Zur Bevorzugung mündlicher Berichte von Zeugen bis in das späte 4. Jahrhundert vgl. O’Connell 2017, 86–90. Vgl. dagegen Rhodes 2001, 144: „Athens by the late fifth century, and even more in the fourth, was a state which made considerable use of written records.“ Ähnlich auch Sickinger 2004, 94; 104 mit der Information, dass fast die Hälfte der erhaltenen Prozessreden eine Aufforderung an den grammateus enthalten, ein Gesetz zu verlesen (mit den Quellenangaben Anm. 63; zusammenfassend 106). Vgl. Thomas 1989, 68.
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Reden zu verzeichnen. So werden schriftliche Vertragstexte zum ersten Mal Anfang des 4. Jahrhunderts in den Reden erwähnt. Anklagen und Einsprüche in schriftlicher Form werden erstmals in den erhaltenen Reden durch Demosthenes eingebracht. Insgesamt können schriftliche Dokumente mündliche Formen insbesondere in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts ersetzen oder deren Aussage verdoppeln.22 Hervorzuheben ist, dass schon das Vorzeigen der beweisenden Dokumente vor der Verlesung als Teil der epideixis, also der Sichtbarmachung von Beweisen, angesehen werden muss.23 Ein erstes Beispiel für die, in diesem Fall sogar fallentscheidende, Einbringung einer Inschrift findet sich in der Mysterienrede des Andokides aus dem Jahr 400/399. Unter Bezugnahme auf ein traditionelles Gesetz („νόμος πάτριος“) hatte Kallias als einer der kerykes des Mysterienkultes in Eleusis die Todesstrafe für Andokides gefordert, da dieser unerlaubterweise einen Ölzweig auf dem Altar der eleusinischen Götter in Athen niedergelegt habe. Dem habe Kephalos als Unterstützer des Andokides unter Bezugnahme auf „ἡ δὲ στήλη παρ’ ᾗ ἕστηκας“ widersprochen, da dort als Strafe nur ein Bußgeld verzeichnet sei.24 Dieses und andere zeitlich spätere Beispiele, die in den einzelnen thematischen Abschnitten besprochen werden sollen, zeigen, dass insbesondere die öffentlichen, sichtbaren und für alle zugänglichen Stelen für rhetorische Zwecke genutzt wurden.25 Die Konsultation von Aufzeichnungen im Metroon scheint weniger gängig gewesen zu sein, weder für gewöhnliche Athener noch für Angehörige der gebildeten Elite.26 Einen Wendepunkt stellen in dieser Hinsicht die Reden des Aischines 22
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Vgl. Thomas 1989, 44 f. Zur Nutzung schriftlicher Dokumente in den Reden des Demosthenes vgl. M. Bakker 2012a, 396 mit prägnanten Beispielen Anm. 10: Zeugenaussagen: Serie von 7 in 28,10–13, Gesetze: 23,82; 86; 87; 24,19; 43,62; Dekrete: 8,6; 22; 35 („Demosthenes refers with a deictic iota to decrees that the Assembly had ratified (8,6) which suggests that he kept them in his hands during his speech.“); 18,222; 20,54; 63; 70; 24,27; 34,16; 47,20, Verträge: 19,61–62; 35,10–13; Inventare: 41,28; 42,16; Briefe: 4,37; 18,142; 221; 19,38; 51; 187; Orakel: 19,297; Gedichte: 19,243; 245; 247; 255. Hinzuzufügen ist außerdem der Beweis einer Grenzziehung durch eine Inschrift in [Demosth.] 7,40, vgl. dazu Davies 1996, 33, allerdings wurde die Rede wohl nachträglich und fälschlich den Reden des Demosthenes zugeordnet. Vgl. M. Bakker 2012a, 397 mit Verweis auf Demosth. 20,84 sowie 23,82. Die Verlesung einer Inschrift sei zudem ein wichtiger Teil der Inszenierung des „theatre in the law court“ gewesen und keinesfalls eine bürokratische Notwendigkeit. And. 1,116. Vgl. dazu Svenbro 1988/2005, 111 f.; Thomas 1989, 68; Davies 1996, 30 zu den weiteren inschriftlichen Dekreten, die Andokides in dieser Rede anbringt: „Andokides’ text preserves accurate versions of genuine acts of state enacted by the Assembly at the time when he says they were“. Davies 1996, 36 sieht eine maßgebliche Weiterentwicklung der Nutzung (in)schriftlicher Dokumente bereits im Vergleich zwischen den Reden des Antiphon und des Andokides. Vgl. Thomas 1989, 68. Hingegen wird [Demosth.] 25,99 oft als Beleg für eine häufige Konsultation der Aufzeichnungen im Metroon gedeutet. Dem ist einerseits die unklare Datierung und Zuweisung der Rede an einen bestimmten Redner entgegenzuhalten. Thomas 1989, 69 betont aber auch, dass die Interpretation der Forschung an dieser Stelle hinterfragt werden muss: Demzufolge werde der Besuch des Metroons in einem symbolischen und halb-religiösen Licht gesehen, vergleichbar mit der im Anschluss daran vorgetragenen Vorstellung, dass die Richter am Anfang des Monats auf die Akropolis zum Gebet gehen. Vgl. dazu auch Kap. 5.8 sowie Kap. 3.6. Sicherlich ist hier die Sakralität der Orte
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dar, der nicht nur historische Dokumente insgesamt, sondern auch als erster die Bedeutung des öffentlichen Archivs reflektiert und die Aufzeichnungen für seine Rhetorik ausgiebig nutzt.27 Die Überlegungen des Aischines zur Bedeutung der schriftlichen Aufzeichnung von Dekreten kommen zum Beispiel in der „Gesandtschaftsrede“ zum Ausdruck. Es sei eine Praxis von größtem Verdienst und größtem Nutzen für die Opfer übler Nachrede, dass Daten und Dekrete aufbewahrt würden und zwar ausdrücklich „für alle Zeit“ („ἐν τοῖς δημοσίοις γράμμασι τὸν ἅπαντα χρόνον φυλάττετε“).28 Dieses Urteil ist auch durch die persönlichen Interessen des Aischines zu erklären, der sich als Opfer einer solchen Verleumdung durch Demosthenes sieht und in den folgenden Paragraphen eben verschiedene Briefe und Dekrete vorlegt, um Demosthenes’ Aussage als falsch darzustellen.29 Diese neue Art der Nutzung von öffentlichen Aufzeichnungen wird auch von den Zeitgenossen des Aischines bemerkt und übernommen: Demosthenes hebt sowohl in der „Gesandtschaftsrede“ als auch in der „Kranzrede“ den Umgang des Aischines mit Dokumenten negativ hervor.30 In späteren Reden, so zum Beispiel bei Lykurgos und Deinarchos, wird dann die Bedeutung des Metroons als Ort der Aufbewahrung von
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ein Schwerpunkt der Ausführungen, trotzdem ist es auffällig, dass für beide Orte die Konsultation von Inschriften so sehr in den Mittelpunkt gerückt wird. Vgl. zur Stelle auch Sickinger 1999, 161 f. und zur Nutzung der Aufzeichnungen im Metroon durch die Redner 160–170; 2004, 102 und 103 zur tatsächlichen Nutzung des Metroons anhand verschiedener Textstellen: „… although the speeches of the orators recognise the Metroon as the repository of Athenian laws, and the possibility that the laws could be consulted, they never describe themselves or others actually looking up a specific document inside the building.“ Richardson 2015, 356: Der Redner nehme hier an, dass die Richter die Möglichkeit hatten, die Gesetze zu überprüfen, scheine aber nicht damit zu rechnen, dass die Zuhörer mit diesen Gesetzen vertraut waren. Aischin. 2,32; 58; 89; 92; 96; 135 sowie 3,24; 75; 187. Vgl. Thomas 1989, 69–71 und 88; Clarke 2008, 292. Vgl. dagegen Sickinger 1999, 162 f., der zwar die besondere Bedeutung archivierter Dokumente bei Aischines nicht bestreitet, wohl aber die Annahme, dass Aischines sich als erster ausführlich mit den Dokumenten im Metroon beschäftigt habe. Kritisch auch Lane Fox 1994, 140 f., der zwar ebenfalls eine gesteigerte Nutzung der Dekrete im Metroon ab den 350er Jahren konstatiert, in diesem Zusammenhang aber gleichzeitig betont, dass die erhaltenen Reden eine „tiny surviving fraction“ bildeten. Auch in den Reden des Aischines seien solche Dokumente nur an bestimmten Punkten angebracht worden. Eine genaue Zitierung und Besprechung öffentlicher Texte fände sich darüber hinaus bereits bei Demosth. 24,26–28; 63–87 (insbes. 71). Es muss aber betont werden, dass sich an den genannten Stellen keine Überlegungen genereller Art zur Bedeutung des Metroons finden. Es handelt sich also tatsächlich um eine Besonderheit der Reden des Aischines. Clarke 2008, 292 f. betont außerdem die ausgiebige Nutzung schriftlicher Aufzeichnungen in den Redepaaren des Aischines und Demosthenes, dabei handelt es sich aber häufig um Belege für kürzlich stattgefundene Ereignisse, die das eigene gute Verhalten und die Verbrechen des Gegners belegen sollen. Aischin. 2,89. Aischin. 2,90–92. Demosth. 18,209 im Rahmen eines längeren Abschnitts ab 206 in Bezug auf vergangene Ereignisse, die von Aischines genannt worden waren. Generell kritisch zum Umgang des Aischines mit historischen Dokumenten und der Vergangenheit insgesamt Demosth. 19,303, vgl. Kap. 5.4.1.
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Dokumenten stärker betont, der Ort selbst wird zum paradeigma.31 Neben den öffentlich aufgestellten Stelen mit Gesetzen, Dekreten und Verträgen und den Dokumenten im Metroon werden ab der Mitte des 4. Jahrhunderts auch öffentliche Epigramme sowie Zitate aus dichterischen Werken bei mehreren Rednern erwähnt bzw. zitiert.32 Rosalind Thomas schließt aus diesem Befund, dass mit zunehmendem Fortschreiten des Jahrhunderts alle möglichen Zeugnisse – die meisten von ihnen mit dokumentarischem Charakter – angebracht werden mussten, um die Tugend der athenischen Vorfahren zu beweisen. Dies könne sicherlich auch damit zusammenhängen, dass die mündlichen Traditionen im Verlaufe der Zeit schwächer wurden und deshalb „Unterstützung“ durch schriftliche Beweise nötig war.33 Durch ihre Platzierung in zentralen öffentlichen Räumen der Polis dienten gerade die Epigramme als exempla virtutis, indem die Texte das Wertesystem der Polis darstellten und dadurch zur Nachahmung anspornten.34 Zudem zeige die Entwicklung einen wachsenden Respekt vor dem geschriebenen Wort: Die Taten der Vorfahren würden aus diesem Grund nicht nur durch mündliche Überlieferung, sondern auch in Form von schriftlichen Dokumenten präsentiert, in einigen Fällen auch durch wörtliche Zitate von Inschriftentexten. Dieser Gedanke wird mit fortschreitender Zeit zunehmend auch von den Rednern geäußert.35 Thomas hebt hervor, dass noch bei Andokides, Lysias und Isokrates keine 31 32
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Lykurg. 1,67; Deinarch. 1,86 sowie [Demosth.] 25,99. Vgl. hierzu Thomas 1989, 71 auch zum Metroon: „The place can now be a paradigm in its own right.“ Es handelt sich um die Epigramme der Hermenstoa, das Epigramm für die bei den Thermopylen gefallenen Spartaner, für die bei Marathon gefallenen Athener sowie für die Demokraten, die von der Festung Phyle aus die Herrschaft der Dreißig beendeten. Hermenepigramme: Aischin. 3,183–185; Demosth. 20,112; möglicherweise auch bei Hyp. Fr. 105 Jensen; vgl. auch Xen. hipp. 3,2; Epigramme für die gefallenen Athener und Spartaner: Lykurg. 1,109; Epigramm für die Demokraten aus Phyle: Aischin. 3,187 (zusammen mit dem Dekret im Metroon). Vgl. dazu Thomas 1989, 86 f. Vgl. außerdem neuerdings ausführlich A. Petrovic 2013 mit mehreren tabellarischen Zusammenstellungen der Zitierung der Epigramme bei den Rednern und anderen Autoren sowie den Aufstellungsorten der zugehörigen Inschriften. Ders. 2010, 204 mit einer Definition des öffentlichen Epigramms („public epigram“) hinsichtlich Aufstellungsort und beschließender Gruppe. Die Einbindung dichterischer Verse ist allerdings nur für Reden des Demosthenes, Aischines und Lykurgos belegt. Vgl. dazu ausführlich und mit den einzelnen Belegen Perlman 1964. Thomas 1989, 87: „Apparently all kinds of material, most of it documentary, must now be brought forward and quoted in order to prove the virtue of the Athenian ancestors.“ Vgl. auch Lambert 2011, 206. A. Petrovic 2013, 208–211 vermutet als weitere Erklärung neben der gesteigerten Bedeutung schriftlichen Materials „an sich“ auch, dass die Epigramme von den Rednern nicht aus dem Text der Inschriften selbst, sondern aus Sammlungen von Epigrammen entnommen wurden, die seit dem 5. Jahrhundert zirkulierten und ab der Mitte des 4. Jahrhunderts in verstärktem Maße von den Rednern konsultiert wurden, eine Annahme, die in der Forschung jedoch stark umstritten ist, vgl. die Angaben bei A. Petrovic 2013, 208 Anm. 40. Letztendlich kann sich Petrovic, zumindest was die Redner anbetrifft, auf drei Inschriften stützen, sicher keine „cumulative evidence“ (208). A. Petrovic 2010, 214, der zudem hervorhebt, dass diese Inschriften insbesondere an die jüngere Generation gerichtet waren, also didaktischen Charakter hatten. Aischin. 3,113; 3,192; Demosth. 8,5; And. 3,12 ist laut Thomas 1989, 88 als isoliertes früheres Beispiel anzusehen. Zur wachsenden Bedeutung von Inschriften in den Reden im Verlauf des 4. Jahrhunderts vgl. auch Steinbock 2013a, 93 sowie generell Wojciech 2018, 170. Kritisch dazu Bing 2002, 55 f.
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patriotischen Dekrete und Epigramme angebracht würden, dies sei insbesondere im Fall der Reden des Isokrates auffällig, da dieser häufig auf die paradeigmata der Perserkriege eingehe.36 Dem ist entgegenzuhalten, dass gerade die Vergleichbarkeit zwischen den für ein engeres (Lese-)Publikum bestimmten großen „Reden“ des Isokrates und den am unmittelbaren Fall und der Interaktion mit den versammelten Richtern orientierten Prozessreden eines Aischines, Demosthenes oder Lykurgos schwierig ist.37 Stellvertretend für diese Problematik sei die negative Einstellung gegenüber der Aufzeichnung und Aufstellung von Gesetzen an öffentlichen Orten im „Areopagitikos“ des Isokrates benannt. Eine große Anzahl spezifischer Gesetze sei ein Zeichen schlechter Regierung, während gut regierte Poleis keine Notwendigkeit hätten, ihre Stoai mit inschriftlichen Gesetzen zu füllen. Wichtiger sei es vielmehr, die Gerechtigkeit zu verinnerlichen, dies sei eine Frage der guten Erziehung.38 Die Rede, die wohl nur in schriftlicher Form zirkulierte, ist Ausdruck eines konservativen politischen Programms, das aufgrund einer starken Unzufriedenheit mit der aktuellen Ausprägung der Demokratie eine Rückkehr zur patrios politeia und insbesondere zur früheren Autorität des Areopags fordert.39 Hier wie auch bei anderen Reden des Isokrates stellt sich die Frage nach der Rezeption der Rede – wahrscheinlich ist hier wie auch an anderer Stelle, dass es sich hier nicht um Ansichten handelt, die auf ein breiteres Publikum zielen und deshalb auch keine weit verbreiteten Ansichten zum Thema spiegeln.40 Neben der Nutzung von Inschriften mit stark paradigmatischem Potential muss aber auch die weitere Nutzung von Dokumenten durch die Redner in Betracht gezogen werden. Auch die Einbringung von schriftlichen Texten als Zeugenaussage verzeichnet einen leichten Anstieg im Verlauf des 4. Jahrhunderts. Die frühen Reden stützen sich vor allem auf Zeugenaussagen und weniger auf Dekrete, zudem werden aus den Dokumenten keine historischen Beispiele entnommen.41 Mit der größeren Wertschätzung schriftlicher Dokumente ab der Mitte des 4. Jahrhunderts entwickelt 36
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Thomas 1989, 87 mit Anm. 240. Vgl. außerdem zu diesem Phänomen A. Petrovic 2013, 208 f. mit Anm. 40. Clarke 2008, 290 gibt als Erklärung für die geringe Bezugnahme auf Inschriften bei Isokrates auch eine thematische Begründung an, da dieser sich stark auf die weiter zurückliegende bzw. mythische Vergangenheit stütze und sich deshalb insbesondere auf Rituale „as bridges across time“ beziehe. Zur Nutzung schriftlicher Dokumente im Panathenaikos des Isokrates vgl. Brunello 2015, 99–105. Vgl. Kap. 1.4. Isokr. 7,40 f.: „δεῖν δὲ τοὺς ὀρθῶς πολιτευομένους οὐ τὰς στοὰς ἐμπιπλάναι γραμμάτων, ἀλλ᾽ ἐν ταῖς ψυχαῖς ἔχειν τὸ δίκαιον·“ (41) Auffällig ist hier die Ähnlichkeit mit den bei Plutarch überlieferten Ansichten des legendären Gesetzgebers Lykurgos in Sparta, der ebenfalls eine Festigung der Gesetze in den Bürgern durch das Mittel der Erziehung befürwortete: Plut. Lykurgos, 13,1–14,1. Ein ähnlicher Gedanke wird auch bei Plut. mor. 780c geäußert. Vgl. dazu Too 2000, 191 f. Anm. 29 ad Isokr. 7,41. Vgl. Too 2000, 182. Vgl. Kap. 1.4. Vgl. Thomas 1989, 87 mit den Belegen für Antiphon, Andokides und Lysias, die im Vergleich mit den späteren Reden weitaus geringer erscheinen.
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sich dann aber auch die Ansicht, dass die Vorfahren solche Dokumente nicht benötigten, da sie aufgrund ihrer Tugend nicht auf solche paradeigmata angewiesen waren. Das heißt, in der Gegenwart der Reden werden die schriftlichen Aufzeichnungen zwar zunehmend als notwendig erachtet, gleichzeitig gilt Schriftlichkeit aber als Zeichen einer negativen Entwicklung im Vergleich zu den Vorfahren.42 5.1.3 Inschriften als Monumente und ihre Sichtbarkeit Über diese wachsende Bedeutung von Schriftlichkeit hinaus gilt es auch, einen anderen Aspekt der Rezeption von Inschriften als Erinnerungsträger hervorzuheben, der ebenfalls von Rosalind Thomas untersucht wurde. Die Bedeutung der Inschriften liegt ihr zufolge oft gerade in ihren nicht-schriftlichen Komponenten, indem sie, neben ihrem schriftlichen Inhalt, als physische Artefakte und damit auch als bildliche oder materielle Symbole erscheinen.43 Charles Hedrick hat mehrfach hervorgehoben, dass Texte auf vergänglichem Material gezeigt wurden, um gelesen zu werden, dagegen konnten dauerhafte Texte auf Stein ebenso gelesen werden, hatten darüber hinaus aber eine starke symbolische Dimension. Im Laufe der Zeit, also mit dem wachsenden Alter der Inschrift, sei der Inhalt weniger relevant geworden, stattdessen stünde die Bedeutung als Monument immer mehr im Vordergrund.44 In diesem Zusammenhang beziehen sich die Redner auf öffentliche, steinerne Inschriften, die auf der Agora oder auf der Akropolis, aber auch in Amtsgebäuden wie dem Bouleuterion aufgestellt sein konnten. Diese Stelen sind oft so eng mit den aufgezeichneten Ereignissen verbunden,
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Vgl. insbesondere die Auffassung bei Demosth. 9,41: „οὐχ ἵν’αὐτοῖς ᾖ χρήσιμα (καὶ γὰρ ἄνευ τούτων τῶν γραμμάτων τὰ δέοντ’ ἐφρόνουν), ἀλλ’ ἵν’ ὑμεῖς ἔχηθ’ ὑπομνήματα καὶ παραδείγματα, ὡς ὑπὲρ τῶν τοιούτων σπουδάζειν προσήκει […].“ Vgl. zum Kontext auch Kap. 5.4.4. Vgl. Thomas 1989, 88 f.; Kellogg 2008, 369 f. Vgl. Thomas 1989, 45; Rhodes 2001, 140 f.; Liddel 2007, 172; Lambert 2010, 226; 2012b, 255; Steinbock 2013a, 93. Hedrick 1999, 393, mit der Betonung der monumentalen Funktion ökonomischer Inschriften („economic inscriptions“) sowie 411; ders. 2006, grundsätzlich 111: „Public inscriptions are created and cultivated to serve the monumental needs of the community, not the documentary convenience of historians.“ Und insbesondere 114: „Enduring inscriptions […] are monumental; in time they outlive whatever practical relevance they may have had, and become associated with something more general: tradition. Impermanent texts were displayed to be read. Permanent texts may of course also have been read […] but they possess in addition an exaggerated symbolic dimension. Impermanence emphasizes the importance of content, permanence detracts from it, and over time content becomes less and less relevant to the significance of the monument.“ Ebenso Kellogg 2008, 370 mit Anm. 37. Luraghi 2010, 258 betont, dass diese monumentale und symbolische Wirkung einer Inschrift schon bei der Aufzeichnung mit beabsichtigt war.
Inschriften in Athen: Entwicklung, Bedeutung und Monumentalität
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dass sie der Vertrag, der Frieden, die Ehrung oder die Strafe sind, die sie verzeichnen – gleichzeitig Erinnerungszeichen und schriftliche Dokumente.45 „Überhaupt dienten die Inschriften nicht zuletzt auch als Monumente der Geschichte, geradezu als Gedächtnisstütze zur Erinnerung an dasjenige, was der Gemeinschaft jeweils wichtig war und was sie nicht der Vergessenheit anheimfallen lassen wollte. Hier ist die intentionale Geschichte gleichsam auf Stein verewigt, und solche Steine lieferten nicht selten auch den Rahmen, ja geradezu die Bühne für Darbietungen, z. B. Ehrungen, die wiederum in die Zukunft blickten, bei denen aber auch Vergangenes zur Sprache kam.“46
Diese Bedeutung ist dabei zunächst unabhängig davon, ob diese Inschriften von vielen Athenern gelesen wurden oder gelesen werden konnten.47 Die in vielen Inschriften geläufige Formulierungen „σκοπεῖν τῶι βουλομένωι“ oder „ἵνα πάντες εἰδῶσιν“ kann ebenso das Betrachten des Monuments „als Monument“, sowie auch das Sehen und Lesen des Textes der betreffenden Inschrift bezeichnen.48 Die bildlich-monumentale Präsenz von Inschriften konnte durch Reliefs unterstützt und gesteigert werden.49 Während einige Inschriften als gut bekannte Denkmäler erscheinen, wurden andere im Kontext der betreffenden Rede offenbar erst bekannt gemacht. Die Kommunikation schriftlicher Dokumente in mündlicher Form an die anwesenden Zuhörer übernahm dabei der grammateus, der dafür zuständig war, im Rat und in der Volksversammlung schriftliche Dokumente zu verlesen.50 Die Inschriften eigneten sich darüber hinaus auch deshalb als Erinnerungsträger, weil sie kollektive Einstellungen der Bürger spiegelten, indem
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Vgl. Thomas 1989, 49: „For, more than documents, they were also stone memorials or symbols of the honour, treaty or decision that they recorded – material objects which were a reminder and symbol of the decision they recorded, as well as documents with written contents.“ Ähnlich auch dies. 1992, 85. Zu den Stelen im Bouleuterion Thomas 1989, 77. Vgl. außerdem Lambert 2012b, 255 zur Bedeutungssteigerung der Inschriften durch ihre monumentale Präsentation insbesondere auf der Akropolis. Richardson 2015, 352 hebt in diesem Zusammenhang besonders die monumentale Sichtbarkeit von Inschriften im Rahmen von Prozessreden hervor, die für Redner und Zuhörer unmittelbar vor dem Prozess gegeben war. Kritisch zur symbolischen Bedeutung von Inschriften vgl. Bing 2002, 54 f. mit Anm. 33, der aber dennoch einräumt, „that certain inscribed monuments may have held symbolic importance in their communities quite appart from whether they were read“. Natürlich kann es sich bei solchen Inschriften nur um eine kleine Gruppe handeln und nicht um sämtliche auf dauerhaftem Material verzeichneten Texte. Bings Annahme einer „fundamental apathy of most readers towards their inscribed heritage“ ist aber sicherlich zu einseitig formuliert (56). Gehrke 2014, 28 und bereits ders. 2001, 288 am Beispiel der Polis Magnesia am Mäander. Vgl. außerdem Hedrick 2006, 117; Lambert 2010, 226 zur „monumental intentionality“ von Inschriften und ders. 2011, 200 insbesondere zu den Ehreninschriften; Luraghi 2010, 260. Vgl. Thomas 1989, 45; 64–68; Hedrick 1999, 389. Rhodes 2001, 141: „gazing on the monument and deriving knowledge from the monument in that sense as well as seeing and reading the text.“ Zur Formulierung vgl. auch Thomas 1992, 85. So insbesondere durch die so genannten „Urkundenreliefs“, dazu grundlegend M. Meyer 1989. Vgl. insbesondere Kap. 5.5 mit weiterer Literatur. Aristot. Ath. Pol. 54,5, vgl. Thomas 1989, 64; Canevaro 2013, 1 f. und zuletzt ders. 2019, 78 f.
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Inschriften
dort enthaltene Beschlüsse zwar von individuellen Personen vorgeschlagen, jedoch immer von der Mehrzahl der Bürger beschlossen worden waren.51 Damit können Inschriften als Quelle für die Entwicklung der Einstellung der athenischen Bürger gegenüber der Vergangenheit herangezogen werden.52 Für die Öffentlichkeit bestimmte Inschriften setzten ein „strukturiertes und konstruiertes Bild von der Vergangenheit“ voraus und gelten demnach ebenso wie die Geschichtsschreibung als „Zeugnisse einer ‚intentionalen Historie‘“. Für diese Funktion von Inschriften hat Angelos Chaniotis den Begriff der „Mnemopoetik“ geprägt. Dabei können sowohl „gemeinsam erlebte Ereignisse“ als auch „tradierte Fakten der fernen Vergangenheit“ Grundlage der konstruierten und komponierten Erinnerung sein.53 In ihrer kommemorativen Funktion werden Inschriften von Chaniotis als hypomnemata, also „Gedächtnisstützen und Medien der Erinnerungskontrolle“ bezeichnet.54 Nicht nur die Inschrift als Monument und Text, sondern auch der Ort ihrer Aufstellung war Ausdruck der Intentionalität, der jeweilige Aufstellungsort der Inschriften bedarf also eines besonderen Augenmerks.55 Die meisten Inschriften in Athen waren in und um die Heiligtümer auf der Akropolis aufgestellt. Dabei geht Stephen Lambert davon aus, dass die ersten Inschriften aus perikleischer Zeit eine schmückende Funktion als Ergänzung zu den neuen großen Bauten und Monumenten hatten.56 Darüber hinaus zeigt aber die Tatsache, dass die Inschriften auf der Akropolis neben den prachtvollen Bauwerken aufgestellt waren, ihre Bedeutung unabhängig davon wie oft die Inschrift gesehen oder gelesen wurde.57 Monumentcharakter hatten sicherlich insbesondere die Tributlisten des attischen Seebundes, die durch ihre schiere Größe von
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Vgl. Luraghi 2010, 248; Lambert 2012b, 255. Vgl. Lambert 2012b, 254. Chaniotis 2014, 134. Vgl. dazu auch Luraghi 2010, 260 und zum hier aufgegriffenen Konzept der intentionalen Geschichte Kap. 1.2, zuletzt Gehrke 2014. Chaniotis 2014, 137 f. Chaniotis konzentriert sich in seiner Untersuchung allerdings auf hellenistische Inschriften. Dort fänden sich auch Belege, dass der Begriff hypomnema im Text der Inschrift selbst als Begründung für die Aufzeichnung einer Urkunde angebracht würde, „manchmal mit dem ausdrücklichen Hinweis darauf, dass die Inschrift als Erinnerung für die Nachkommen dienen soll.“ (138 mit den Belegen Anm. 24) Vgl. dazu bereits Hedrick 1999, 421 f. Vgl. Osborne 1999, 346 f.; Liddel 2003, 80–81; Lambert 2011, 201; Kellogg 2013, 263; 266. Vgl. Lambert 2011, 201. Ob die Akropolis damit tatsächlich als „place of verbal culture as well as a place of architectural and sculptural culture“ präsentiert werden sollte, lässt sich meines Erachtens aus den Quellen nicht erschließen. Zur Akropolis als bevorzugtem Aufstellungsort von Inschriften vgl. auch J. Shear 2007a, 91 f.; Liddel 2003, 79–81, zur schmückenden bzw. ästhetischen Funktion der dort aufgestellten Inschriften 80 f. Vgl. Lambert 2011, 201. Nicht überzeugen kann hingegen die Aussage bei Osborne 1999, 347 die Inschriften sollten durch ihre Aufstellung auf der Akropolis gerade nicht, oder weniger, sichtbar sein und abgetrennt von dem politischen in den religiösen Bereich versetzt werden. Vgl. auch Liddel 2007, 173: Die Akropolis war zwar kein „everyday thoroughfare“, jedoch gab es zahlreiche, öffentliche wie auch private Gegelegenheiten, diesen Ort zu besuchen; ebenso Krumeich 2007, 392 f. sowie bereits Holtzmann 2003, 194.
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bis zu 3,5 Metern Ausdruck der Macht Athens waren.58 Grundsätzlich wurde durch die Aufstellung auf der Akropolis in der Nähe vieler wichtiger Heiligtümer auch die Anbindung an die göttliche Sphäre betont.59 Ab dem Ende des 5. Jahrhunderts wurden dann aber auch auf der Agora zahlreiche Inschriften platziert. Dabei handelte es sich insbesondere um Gesetze, Dekrete und Ehrungen für verdiente Bürger.60 Die Aufstellung der Inschriften konzentrierte sich auf drei Räume: vor dem Bouleuterion, vor und in der Stoa Basileios und vor der Stoa des Zeus Eleutherios.61 Die enge Verbindung der Amtsgebäude der Beamten sowie der Boule mit diesen Inschriften macht den Zusammenhang zwischen politischer Ordnung und diesen Gesetzen deutlich. Hinzu kommt, dass die genannten Gebäude die Westseite des Platzes prägten, während sich an der Ostseite zahlreiche Gerichtsgebäude befanden. So wurden die so genannten Gebäude A und B um 400 genau gegenüber der Stoa Basileios errichtet.62 Gerade die Agora als Aufstellungsort von Inschriften(stelen) macht auch den Aspekt der Alltäglichkeit deutlich, der mit diesen „steinernen Texten“ verbunden werden kann. Die Athener waren bei ihren gewohnten Handlungen von zahlreichen Inschriften umgeben, ohne dass diese in jedem Fall bewusst wahrgenommen oder gelesen werden mussten.63 5.2 Die Gesetze des Drakon und des Solon In der bisherigen Forschung zur Einarbeitung vergangener Ereignisse und paradeigmata in den Reden des 4. Jahrhunderts ist immer wieder betont worden, dass insbesondere die archaische Zeit nur vage im kollektiven Gedächtnis der athenischen Bürger verankert war. Es sind immer nur einzelne Personen und ihre Leistungen, die schlag-
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IG I3 259–291. Vgl. Hedrick 1999, 400 mit Anm. 59. Dort findet sich der Verweis auf die mit den Tributlisten in Verbindung stehende Inschrift IG I3 60, Z. 31, in der ausdrücklich die Sichtbarkeit der Listen betont wird (σκο]πε͂ν το͂[ι βολομένοι). Vgl. auch Lambert 2011, 203. Vgl. Osborne 1999, 347; Lambert 2011, 201 f.; Liddel 2003, 79–81. Aufschluss über die übliche Praxis, Inschriften in den Tempeln aufzustellen, gibt auch die Parodie der üblichen Praxis in einem Fragment des Hypereides wieder (Hyp. Fr. 79 Jensen, dazu auch Liddel 2003, 81). Vgl. auch Krumeich 2007, 393. Die von den Rednern oft hervorgehobenen Inschriften sind in Kap. 3.6 knapp zusammengefasst. Vgl. ausführlich zu den einzelnen Inschriften und den genauen Auftellungsorten J. Shear 2007a, 96–108; 2011, 85–111, außerdem zusammenfassend Liddel 2003, 81 f. Vgl. J. Shear 2007a, 101. Vgl. J. Shear 2007a, 101–104; zur Verortung der Gerichtshöfe grundlegend Boegehold 1995, 5–15 sowie 91–113. Zur Übereinstimmung von Ort und Inhalt der Inschrift vgl. auch Aristot. Ath. Pol. 35,2. Vgl. Sickinger 2004, 95 f., der zudem betont, dass das Problem der „Auffindbarkeit“ von Inschriften (Anm. 8 mit der Literatur zur Forschungsdiskussion) geringer war als gemeinhin angenommen. Ähnlich auch Richardson 2000, 601–615 mit Beispielen. Zum „Ordnungssystem“ im Metroon selbst vgl. Thomas 1989, 78–81; Sickinger 1999, 147–157; 2004, 103. Vgl. Scafuro 2013, 409.
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lichtartig herausgegriffen werden.64 Die mit Abstand wichtigste und am häufigsten erwähnte Person in den überlieferten Reden ist Solon, der sowohl in Verbindung mit einzelnen Gesetzen als auch ab der Mitte des 4. Jahrhunderts als „Begründer der Demokratie“ angeführt wird. Dies entspricht der allgemeinen Auffassung vom Leben und Wirken Solons und seiner Bedeutung für die aktuelle politische Ordnung insbesondere in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts, eine Auffassung, die nicht nur in den Reden, sondern auch besonders explizit in der „Athenaion Politeia“ zum Ausdruck gebracht wird.65 Die häufige Nennung Solons spiegelt den Wunsch, gerade im öffentlich-politischen Bereich einen ersten Urheber auszumachen.66 Eng damit verbunden ist das Ideal und Konzept der patrios politeia, das von den Rednern nicht mit Kleisthenes, Ephialtes oder Perikles, sondern vielmehr mit Solon oder sogar Theseus als Gründerfiguren verknüpft wird.67 Die Bezeichnung von Gesetzen als „solonisch“ ist in der Forschung unterschiedlich interpretiert worden: Während einerseits vermutet wird, dass mit dieser Formulierung umschrieben werden sollte, dass die betreffenden Gesetze (nach der Neuaufzeichnung zwischen 410 und 399) auch aktuell Gültigkeit besaßen, unabhängig davon, ob sie tatsächlich von Solon eingesetzt wurden, wird gerade in Zusammenhang mit der Betonung eines besonderen Alters von Gesetzen von den Rednern immer wieder auf die originalen und weiterhin sichtbaren Inschriftenträger
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Neben Solon sind dies insbesondere Drakon, die „Tyrannenmörder“ Harmodios und Aristogeiton (vgl. Kap. 4.2) sowie, wenn auch selten, Peisistratos bzw. die Peisistratiden (meist in Zusammenhang mit ihrer Vertreibung) und Kleisthenes, vgl. zusammenfassend Nouhaud 1982, 20–23 sowie die systematische Auswertung Ruschenbusch 1958. Zu Peisistratos und der Tyrannis bei den Rednern vgl. auch Rhodes 2011, 14 f.; zur Rolle des Kleisthenes in der Erinnerungskultur der Athener vgl. G. Anderson 2007. Demosth. 18,6; 22,30–31; 57,31–32; Aischin. 1,17–20; 3,38; 3,257; Isokr. 7,16;19–28; 12,148; 15,231 f.;313– 315, besonders der Areopagitikos (7) setzt sich intensiv mit der Rolle Solons auseinander. Vgl. Jost 1936, 130; Hansen 1989, 93–95; Clarke 2008, 264 f.; Hyp. 3,21 f.; Deinarch. 2,16–17; Aristot. Ath. Pol. 9,1; 28,2; 41,2. Dagegen gilt zum Beispiel bei Herodot Kleisthenes als Begründer der Demokratie: Hdt. 5,66; 69; 78 und insbesondere 6,131, dazu Hansen 1989, 78 mit Anm. 36. Zu Person und Gesetzen des Solon in den erhaltenen Reden vgl. Jost 1936, passim; Pearson 1941, 221–224; Van Groningen 1953, 10 f.; Ruschenbusch 1958, 399–408, u. a. mit einer tabellarischen Aufstellung aller namentlichen Erwähnungen Solons (399 f.); Allroggen 1974, 68–70; Nouhaud 1982, 21; Hansen 1989; Thomas 1994 mit Betonung der historischen Figur des Gesetzgebers (zusammenfassend 132: „The lawgiver is appealed to, discussed, interpreted, to such an extent that he has a character and authority in his own right.“; vgl. auch Wohl 2010, 28); Worthington 1994, 111; Milns 1994/95 zu Solon in den Reden des Demosthenes; Piepenbrink 2001, 123–132; 163–166; 2012, 108 f.; Mossé 2004; Clarke 2008, 254 (Demosthenes); 258 (Aischines); 264 f. (Isokrates); Azoulay 2014, 123; Canevaro 2019, 81–83. Zur Rolle Solons als Begründers der Demokratie auch bei anderen Autoren vgl. Hansen 1989, 78 insbesondere zur Athenaion Politeia (mit den Belegen); Rhodes 1981, 118–120; 376–377; Hölkeskamp 1999, 55 f. Vgl. Van Groningen 1953, 8; Hansen 1989, 82; Thomas 1989, 175–178 insbesondere in Zusammenhang mit der Suche nach einem genealogischen Stammvater in der Familie; Thomas 1994, 124. Vgl. Hansen 1989, 75–78 mit den Quellenbelegen Anm. 24; zum Konzept der patrios politeia insbesondere im Athen des 4. Jahrhunderts vgl. auch Ruschenbusch 1958; Mossé 1978; Witte 1995; Rhodes 1993; 2011.
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als historische Dokumente Bezug genommen. In Verbindung mit institutionellen Gesetzen wird dagegen nicht auf axones und kyrbeis verwiesen, jedoch wird der historische Kontext stark betont, indem insbesondere die Absichten Solons als Gesetzgeber hervorgehoben werden.68 Im folgenden Abschnitt soll nun untersucht werden, inwiefern die inschriftlich erhaltenen Gesetze Solons bei den Rednern als räumliche Marker zur Erinnerung an die Person und ihre Leistungen eingesetzt werden können.69 In diesem Zusammenhang soll gleichermaßen die Überlieferung der drakontischen Gesetze in ihrer materiellen Ausprägung analysiert werden. Zunächst muss festgestellt werden, in welcher Form die axones und kyrbeis mit den Gesetzen Drakons und Solons noch vorlagen und ob stattdessen bzw. darüber hinaus andere sichtbare Inschriftenträger mit den betreffenden Gesetzen im öffentlichen Raum platziert waren. Ronald Stroud nimmt an, dass axones und kyrbeis unterschiedliche Inschriftenträger bezeichnen. Bei den axones handelte es sich demnach um lange, rechteckige, viereckige Hölzer mit Achsen, die in einen mannshohen Rahmen eingehängt waren. Sie wurden von allen vier Seiten beschrieben, konnten gedreht und so gelesen werden. Die Buchstaben waren in bustrophedon tief eingeschnitten. Diese axones wurden nur zur Aufzeichnung der Gesetzgebung Drakons und Solons verwendet.70 Die kyrbeis waren hingegen freistehende Objekte ähnlich einer Stele, die entweder aus Bronze oder Stein gefertigt waren, und drei- oder vierseitig beschrieben sein konnten. Solche Inschriftenträger sind nicht nur für Athen belegt und wurden dort nicht nur für die drakontische bzw. solonische Gesetzgebung verwendet.71 Abweichend von Strouds Überlegungen wird auch vermutet, dass es sich bei den Begriffen axones und kyrbeis um unterschiedliche Bezeichnungen für die gleichen Gegenstände handelt.72 Die Gesetze wurden (zumindest in Teilen) am Ende des 5. Jahrhunderts neu aufgezeichnet. Diese Neuaufzeichnung erfolgte auf steinernen Stelen, die vor der Stoa Basileios aufgestellt waren, sowie auf den Mauern der Stoa selbst.73 Dadurch wurden 68
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Vgl. Hansen 1989, 79–81; 87 mit der treffenden Zusammenfassung: „Historical examples are meant to be historical“ (81) und mit den Überlegungen, dass die institutionellen Bestimmungen, die Solon zugeschrieben wurden, wohl vor allem mündlich tradiert wurden, sodass sich in diesem Fall ein Verweis auf die Axones erübrigte (82–85). Rhodes 2006, 249 f.; Rhodes 2011, 26: „Solon was taken seriously as the author of these laws“, ebenso auch Wojciech 2018, 178 f. Vgl. dagegen noch die ältere Forschung, so beispielsweise Jost 1936, 193: „Der Name Drakons dient eigentlich nur dazu, die Bedeutung der zitierten Gesetze hervorzuheben, der des Solon oft ebenso.“; Ruschenbusch 1966, 53–58; Engels 1993, 249–253. Die Fragestellung richtet sich gegen die Aussage von Flaig 2005, 246, dass es u. a. für Solon keine spezifischen Erinnerungsorte gebe. Vgl. Stroud 1979, 41. Vgl. Stroud 1979, 42. Zur Unterscheidung von axones und kyrbeis vgl. auch Gagarin 2008, 99 mit Anm. 15. Vgl. P. Rhodes, s. v. „Kyrbeis“, in: DNP 6 (1999), 998 mit Verweis auf die Untersuchung von Andrewes 1974, 21–28, bes. 26–28. ML 86 = IG I3 104; Lys. 30; And. 1,81–89. Vgl. MacDowell 1978, 46–48; Stroud 1979, 10; Ostwald 1986, 509–524; Robertson 1990; Rhodes 1991; Todd 1993, 57 f.; 1996, 120–131; Sealey 1994, 44–50;
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die alten Inschriften zwar formell ersetzt, es gibt aber keinen Hinweis darauf, dass sie zur Zeit der Neuaufzeichnung absichtlich zerstört wurden; demnach waren aller Wahrscheinlichkeit nach auch die originalen Inschriften im 4. Jahrhundert weiterhin sichtbar. Einer Aussage des Aristoteles zufolge wurden die kyrbeis ebenfalls in der Stoa Basileios aufbewahrt, Fragmente der axones waren noch bis zur Zeit des Pausanias im Prytaneion zu sehen.74 Gerade die Aufbewahrung der axones zeigt den Wunsch nach historischer Erhaltung, wobei diese dauerhafte Aufbewahrung wohl schon bei der Schaffung dieser Inschriftenträger im 6. Jahrhundert intendiert war.75 Die Aufbewahrung der Inschriften im Original auf diesen speziellen Inschriftenträgern ist auch deshalb besonders hervorzuheben, da zumindest einige der erhaltenen Bestimmungen durch neue Gesetze eigentlich obsolet waren. Die kyrbeis und axones waren selbst visuelle paradeigmata einer vorbildlichen gesetzgeberischen Tätigkeit geworden; aus diesem Grund wurden sie erhalten, weniger aus archivarischen Gründen oder aus der Auffassung heraus, dass alle vergangenen Gesetze aufbewahrt werden sollten.76 Besonders in den Gerichtsreden stehen gattungsbedingt Drakon und Solon als Gesetzgeber sowie ihre direkt oder indirekt zitierten Gesetze im Mittelpunkt der Betrachtungen. Bereits in den Gerichtsreden des Redners Antiphon werden die ältesten Gesetze zum Blutrecht als Bestimmungen aufgefasst, die niemals verändert wurden. Für diese Unveränderlichkeit und Stabilität konnten die steinernen Inschriften durch ihre sichtbare Dauerhaftigkeit in besonderem Maße stehen, auch wenn Antiphon nicht eigens auf die zu den Gesetzen gehörenden Inschriftenträger verweist.77 In der „Verteidigungsrede im Mordfall Eratosthenes“ fordert Lysias den grammateus zur Verlesung eines bestimmten Gesetzes auf. Dabei wird der Ort der Publikation des Gesetzes eigens mit benannt: „das Gesetz von der Säule des Areopag“.78 Damit war wohl das Gesetz Drakons über „gerechtfertigte Tötung“ gemeint, das an diesem Ort verzeichnet gewesen sein soll.79 Da weder hier noch bei den Erwähnungen „des Gesetzgebers“ in den folgenden Paragraphen der Name Drakons genannt wird, ist davon
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Thomas 1994, 120; Sickinger 1999, 93–105; 2004, 100–102; Munn 2000, 264–272; Volonaki 2001; Sundahl 2003, bes. 129 f.; Lanni 2006, 142–148; Gagarin 2008, 183–188; Wohl 2010, 289 mit weiterer Literatur Anm. 8. Aristot. Ath. Pol. 7,1; Paus. 1,18,3; ebenso Plut. Solon 25,1. Vgl. Stroud 1979, 10; 15; 42; Thomas 1989, 77 mit Anm. 198; Sickinger 2004, 94 f.; 102; Scafuro 2013, 405. Vgl. Scafuro 2013, 405 f., dort auch die Bezeichnung der weiteren Aufbewahrung ab dem 4. Jahrhundert als „museum conservation“ (406). Vgl. Thomas 1989, 77; Rhodes 2006; Rhodes 2011, 17. Dabei lassen die Angaben bei den antiken Autoren unterschiedliche Schlüsse darauf zu, welche Gesetze auf welchen Inschriftenträgern aufgezeichnet waren, vgl. dazu ausführlich Stroud 1979, der schlussfolgert, dass die axones im Prytaneion und die kyrbeis auf der Agora die gleichen Texte Drakons und Solons beinhalteten. Antiph. 5,14; 6,2. Vgl. Van Groningen 1953, 11; Sickinger 2004, 95. Lys. 1,30: „Ἀνάγνωθι δέ μοι καὶ τοῦτον τὸν νόμον ἐκ τῆς στήλης τῆς ἐξ Ἀρείου πάγου.“ Vgl. Thomas 1989, 64; Sickinger 2004, 96; 105. Vgl. Huber 2004, Anm. 5 ad loc.; M. Bakker 2012b, 379.
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auszugehen, dass es sich um einen Hinweis auf einen allgemein bekannten Ort handelt, der fest mit dem Namen Drakons oder zumindest mit der Vorstellung von alten und gültigen Gesetzen verbunden war.80 Gleichermaßen werden durch Andokides auch Gesetzesinschriften auf Stein mit der Gesetzestätigkeit Solons in Zusammenhang gebracht und vom Redner zudem genau verortet. Er erwähnt ein Gesetz „ὃς ἐν τῇ στῆλῃ ἔμπροσθέν ἐστι τοῦ βουλευτηρίου“ und bezeichnet es kurz darauf als „Gesetz Solons“ („τὸν Σόλωνος νόμον“), das er dann verlesen lässt.81 Bei dem Gesetz handelt es sich jedoch um das sogenannte Demophantos-Dekret, das in das Jahr 410 zu datieren, und damit nur wenig älter ist als die auf das Jahr 400/399 zu datierende Rede. Offenbar will Andokides die lange und fortdauernde Gültigkeit des Gesetzes durch die Verbindung mit der Person Solons hervorheben.82 Eine weitere Steigerung der Nachprüfbarkeit und damit der Glaubwürdigkeit wird durch die genaue Bezeichnung des Aufstellungsortes erreicht. Eine ähnliche Verknüpfung von Alter und Ort erfährt auch die Erwähnung der Neuaufzeichnung der Gesetze Drakons und Solons in der gleichen Rede.83 Die Schilderung gehört in den Kontext der Neuaufzeichnung der Gesetze nach der Herrschaft der Dreißig und der Amnestie von 403, auf die sich Andokides auch ausdrücklich beruft. Er schildert die Überprüfung der drakontischen und solonischen Gesetze und betont ausdrücklich und mehrfach, dass die überprüften und weiterhin gültigen Gesetze in der Stoa (1,85: „εἰς τὴν στοάν“) inschriftlich festgehalten werden sollten. Ein damit in Zusammenhang stehendes Gesetz vom Ende des 5. Jahrhunderts, das Andokides wörtlich zitiert, betont, dass die Hinzufügungen und Ergänzungen zu den alten Gesetzen vor den Eponymenheroen für alle sichtbar aufgeschrieben werden sollten (Andok. 1,83: „ἐκτιθέντων πρὸς τοὺς ἐπωνύμους, σκοπεῖν τῷ βουλομένῳ“). Nach der Ratifizierung durch den Areopag sollten die Gesetze dann „an den Wänden“ inschriftlich festgehalten werden, damit jeder sie betrachten könne (Andok. 1,84: „σκοπεῖν τῷ βουλομένῳ“).84 In den Prozessreden des Lysias scheint die materielle Seite der solonischen Gesetzgebung keine Rolle zu spielen, auch wenn Solon namentlich oder aber als „der Gesetzgeber“ an einigen Stellen erscheint.85 In der Anklagerede „Gegen Nikomachos“ aus dem Jahr 399 fragt Lysias nach möglichen Gründen für den Freispruch des Angeklagten. Die übliche Argumentationsweise der Verteidigung, dass der Angeklagte sich in militärischen Unternehmungen verdient gemacht habe, lehnt Lysias ab, statt80 81 82 83 84 85
Lys. 1,31; 33. Vgl. M. Bakker 2012b, 379, der in diesem Zusammenhang sogar den Begriff „lieu de mémoire“ anbringt. And. 1,95 f. Vgl. Ruschenbusch 1958, 403 f.; Sickinger 2004, 96. Zur Datierung des Gesetzes vgl. auch den Kommentar von MacDowell 1998, 126 Anm. 80 ad loc. Vgl. Ruschenbusch 1958, 404, der die Erwähnung Solons in diesem Zusammenhang als „unentbehrliche chronologische Formel“ bezeichnet. And. 1,81–86. Vgl. dazu Rhodes 2011, 21; J. Shear 2011, 239. Vgl. auch die gleiche Formulierung bei Demosth. 24,18. Vgl. Hedrick 1999, 413. Lys. 3,42; 10,15–20; 30,2; 26; 28.
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dessen beschuldigt er den Angeklagten, die solonischen Gesetze verfälscht zu haben. Hier bezieht sich Lysias auf die Neuaufzeichnung der Gesetze in den Jahren nach den oligarchischen Umstürzen 411 sowie 403/2. Der Angeklagte war wohl ein Mitglied beider Kommissionen zur Neuaufzeichnung der Gesetze.86 Die Athener seien aber auch selbst an den Vergehen des Mannes schuld. In der Vergangenheit hätten sich die Vorfahren „einen Solon, einen Themistokles und einen Perikles zu Gesetzgebern“ gewählt, „weil sie glaubten, dass die Gesetze von gleichem Charakter sein würden wie die Gesetzgeber.“87 Im Kontrast dazu stünden Nikomachos, Teisamenos und andere, die trotz ihrer charakterlichen Defizite mit umfassenden Vollmachten betraut worden seien, „die altehrwürdigen Gesetze neu aufzuschreiben“, zumal Nikomachos von einem nicht-athenischen Vater abstamme.88 Auch hier wird eine Parallele zwischen den solonischen Gesetzen und der Neuaufzeichnung von Gesetzen am Ende des 5. und Anfang des 4. Jahrhunderts hergestellt. Sowohl alte als auch neue Gesetze sind mit inschriftlicher Dokumentation verbunden und eng mit den aufzeichnenden Personen verknüpft. Dabei sind Solon, Themistokles und Perikles als paradeigmata zu verstehen, gegenüber denen die im aktuellen Prozess Beschuldigten als unwürdig und unfähig erscheinen sollen.89 In zahlreichen Gerichtsreden des Demosthenes spielen Solon als „der Gesetzgeber“ oder auch die Gesetze Solons, die in den unterschiedlichsten Zusammenhängen wörtlich zitiert werden, eine wichtige Rolle.90 In zwei Reden aus der Mitte des 4. Jahrhunderts wird dabei auch auf die Verortung der Gesetze und der zugehörigen Entwürfe hingewiesen. So habe Solon selbst festgelegt, dass Gesetzesentwürfe vor den Statuen der Eponymenheroen, also mitten auf der Agora, aufgestellt würden und während der Sitzungen der Volksversammlung verlesen werden sollten. Ziel sei es gewesen, dass jeder die Entwürfe möglichst oft hören sollte und sie, aufgrund der öffentlichen Auf-
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Lys. 30,26: „…ἀλλὰ ὅτε ὑμεῖς ἐκινδυνεύετε ἐκπλέοντες, οὗτος αὐτοῦ μένων τοὺς Σόλωνος νόμους ἐλυμαίνετο…“ Vgl. ausführlich Todd 1996; 2000, 296–298, der jedoch betont, dass die genauen Anklagepunkte aus der Rede nicht erschlossen werden können. Vgl. außerdem Nelson 2006. Lys. 30,28: „ἃ καὶ ὑμῶν ἔχοι ἄν τις κατηγορῆσαι, ὅτι οἱ μὲν πρόγονοι νομοθέτας ᾑροῦντο Σόλωνα καὶ Θεμιστοκλέα καὶ Περικλέα, ἡγούμενοι τοιούτος ἔσεσθαι τοὺς νόμους οἷοίπερ ἂν ὦσιν οἱ τιθέντες …“ Vgl. dazu Jost 1936, 104. Lys. 30,29: „…καὶ τὸ τελευταῖον Νικόμαχον εἵλεσθε ἀναγράφειν τὰ πάτρια, ᾧ κατὰ πατέρα τὴς πόλεως οὐδὲν προσήκει·“ Vgl. Jost 1936, 104. Demosth. 18,6; 19,251–256 (dort aber mit dem Schwerpunkt auf der Statue des Solon und dem Streit mit Aischines über ihre Interpretation); 20,90–94; 102–104; 22,25 f.; 30–32; 24,103; 106; 113– 115; 142; 148; 211–214 (Vergleich Gesetze/Gesetzgeber Solon vs. Timokrates, teilw. Verlesung der Gesetze); 26,4; 23(Statue); 36,27; 42,1; 43,62; 66 f.; 78; 44,67 f.; 48,56 f.; 57,31 f.; 61,49 f.; Drakon: 20,158; 23,51, dazu MacDowell 2009,198 f.: „He calls on the clerk to read out a number of laws, and comments on each of them. He attributes all these laws to Drakon, who lived nearly three centuries earlier; the attribution may well be correct, at least in most cases, and it enhances the dignity and grandeur of the laws.“; 24,211. Zu den solonischen Gesetzen in den Reden des Demosthens vgl. auch Hobden 2007, 492.
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stellung, auch selbst studieren konnte, sodass dann die rechtmäßigen und nützlichen Gesetze beschlossen werden konnten.91 Diese Bestimmung gibt die festgelegte Prozedur zum Zeitpunkt der Rede wieder, die vorschrieb, dass Gesetzesvorschläge auf geweißten Tafeln aus Holz zur Bekanntmachung an den Statuen der Eponymenheroen aufgestellt wurden. Dieses Standbild zeichnete sich neben seiner religiösen und politischen Bedeutung auch durch eine ausgeprägte Sichtbarkeit aufgrund der zentralen Position auf der Agora aus.92 Dass diese Regelung zur Bekanntmachung von Gesetzesentwürfen mit Solon in Verbindung gebracht wurde, zeigt die Bedeutung der Sichtbarkeit und Lesbarkeit eben dieser Texte als historische Autorisierung – und weniger die tatsächlichen Zustände zur Zeit Solons, da die Bedeutung der Eponymenheroen und damit eines möglichen Monuments frühestens für die Zeit der kleisthenischen Reformen angenommen werden kann.93 Auch zur tatsächlichen Konsultation der Gesetze Drakons finden sich Äußerungen in zwei Gerichtsreden aus der Mitte des 4. Jahrhunderts, wobei die Rede „Gegen Euergos und Mnesiboulos“ wohl fälschlicherweise Demosthenes zugeordnet wurde.94 In der Rede „Gegen Aristokrates“ erwähnt der Redner „das Gesetz auf dem Axon“, ohne eine Erklärung für den Begriff oder einen genauen Ort zu nennen – ein Zeichen dafür, dass die Kenntnis der Inschrift als allgemein bekannt vorausgesetzt wurde.95 Gleiches erwartet der Redner ausdrücklich für die enthaltenen rechtlichen Bestimmungen, die dann aber dennoch genannt werden. An dieser Stelle zeigt sich also einmal mehr, dass die Inschrift als Monument, in ihrer materiellen Erscheinungsform eine gewisse Prominenz besaß, die inhaltliche Rezeption der Inschrift selbst aber nicht ohne Weiteres gegeben war, auch wenn der Redner dies so formuliert. Ob es sich bei dem erwähnten Axon tatsächlich um den originalen Axon aus der Zeit Drakons handelte oder ob der Redner sich auf die Neuaufzeichnung auf einer steinernen Stele bezieht, die ja durch die Überschriften „erster“ bzw. „zweiter Axon“ organisiert war, lässt sich nicht fest-
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Demosth. 20,94: „καὶ πρὸ τούτων γ᾽ ἐπέταξεν ἐκθεῖναι πρόσθε τῶν ἐπωνύμων καὶ τῷ γραμματεῖ παραδοῦναι, τοῦτον δ᾽ἐν ταῖς ἐκκλησίαις ἀναγιγνώσκειν, ἵν᾽ἕκαστος ὑμῶν ἀκούσας πολλάκις καὶ κατὰ σχολὴν σκεψάμενος, ἃ ἃν ᾖ καὶ δίκαια καὶ συμφέροντα, ταῦτα νομοθετῇ.“ Vgl. Kremmydas 2012, 353 f. ad loc., zur Bedeutung des Monuments der Eponymenheroen vgl. T. Shear 1970; Kron 1976 sowohl zu den einzelnen Heroen als auch zu der Statuengruppe insgesamt, zusammenfassend 242–247; Kearns 1989, 80–92; 160; Ioakimidou 1997, 274–280; T. Hölscher 1998b, 162; Knell 2000, 93–95; Fredal 2006a, 114 f.; J. Shear 2007a, 96; 101. Die ersten Verweise in den antiken Quellen finden sich bei Aristoph. Equ. 977–980 sowie Pax 1183–4. Vgl. zu den Quellen auch H. Thompson / Wycherley 1972, 85–90. Die Errichtung des Monuments wird bei J. Shear 2007a, 96 in die Zeit nach 430 datiert. Vgl. T. Shear 1970, 189–222 mit der umfangreichen archäologischen Dokumentation; Ioakimidou 1997, 100–107 mit einer Zusammenstellung der literarischen Quellen, dem archäologischen Befund und der älteren Literatur und die Diskussion zu Bedeutung und Symbolik des Monuments 274–280. Für eine frühere Datierung plädieren hingegen Kron 1976, 229–232; Robertson 1990, 50–52. Demosth. 23,31; [Demosth.] 47,71, vgl. Scafuro 2011, 298. Demosth. 23,31: „ὡς ἐν τῷ ἄξονι εἴρηται.“ Vgl. Richardson 2015, 354–358.
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stellen.96 In der gesamten Rede werden dutzende von Gesetzen angeführt, die dem von Aristokrates vorgeschlagenen Dekret widersprechen, das Gesetz auf dem Axon ist eines dieser Gesetze. Insgesamt soll ein Kontrast zwischen „dem Gesetzgeber“ und Aristokrates hergestellt werden.97 In der Rede „Gegen Euergos und Mnesiboulos“ betont der Redner, dass er seine rechtliche Position selbst überprüft habe – eine in dieser Form einzigartige Aussage in den erhaltenen Prozessreden –, zunächst durch die Konsultation der exegetai, dann durch das Lesen der Gesetze Drakons auf der Stele selbst.98 Hier geht es also weniger um die „kollektive“ Rezeption einer Inschrift, sondern vielmehr um den individuellen Umgang in einem konkreten Fall. Die Rolle Solons bzw. der solonischen Gesetze ist auch in mehreren Reden des Aischines von Bedeutung und kann dabei sowohl zur Einleitung der rechtlichen Thematik einer Rede dienen, als auch im Rahmen des Schlussplädoyers Verwendung finden.99 In der Anfangspassage der Rede „Gegen Timarchos“ betont Aischines, wie stark sich Solon, Drakon und weitere nicht namentlich benannte Gesetzgeber mit Fragen von Anstand und Sittlichkeit befasst hätten. Diese Gesetzgebung zum sittlichen Verhalten beträfe alle von Kindheit an und in allen Altersklassen, gleichgültig ob Privatperson oder öffentlicher Redner. Aischines weist besonders darauf hin, dass die Gesetze niedergeschrieben und den Nachkommen überantwortet worden seien, was die versammelten Richter zu Wächtern dieser Gesetze mache.100 In den folgenden Paragraphen wird dann in Zusammenhang mit einzelnen Gesetzen immer wieder „der Gesetzgeber“ erwähnt, damit könnte wiederum der zuvor namentlich genannte Solon gemeint sein.101 Einige der angesprochenen Gesetze lässt Aischines dann verlesen (1,12;16;21). Eine zusätzliche materiell greifbare Komponente erhält dieser längere Abschnitt zur Gesetzgebung Solons durch die Betrachtungen zur Statue des Solon auf Salamis, die in dieser Arbeit an anderer Stelle ausführlich besprochen wird.102
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Vgl. Richardson 2015, 355. Demosth. 23,37; 44; 51; 53; 60; 62; 82; 86; 87. Vgl. Richardson 2015, 358, und zusammenfassend zum Argumentationsrahmen der Rede insgesamt: „The speaker moves again into the realm of monuments of the past.“ (357) 98 [Demosth.] 47,71: „Ταῦτα ἀκοὐσας ἐγὼ τῶν ἐξηγητῶν, καὶ τοὺς νόμους ἐπισκεψάμενος τοὺς τοῦ Δράκοντος ἐκ τῆς στήλης …“ Vgl. dazu Thomas 1989, 66 f.; Sickinger 2004, 96; Richardson 2015, 358, der vermutet, dass hier auf den gleichen Inschriftenträger wie in Demosth. 23,31 verwiesen wird, da die Axones Ende des 5. Jahrhunderts auf Stelen übertragen wurden, die Inschrift aber unter den Überschriften „erster“ bzw. „zweiter Axon“ organisiert war. Möglich sei aber auch die Bezugnahme auf eine andere epigraphische Quelle, die uns nicht erhalten ist. 99 Aischin. 1,6–7 und mit Solon als vorbildlichem Redner 3,2; beispielhafte Schlusspassage 3,257–259. Vgl. Ruschenbusch 1958, 401, der hervorhebt, dass sich für die Nennung Solons am Beginn oder Ende einer Rede 10 Beispiele finden, „also an den gewichtigsten Stellen“. 100 Aischin. 1,6–7: „καὶ τούτους τοὺς νόμους ἀναγράψαντες ὑμῖν παρακατέθεντο, καὶ ὑμᾶς αὐτῶν ἐπέστησαν φύλακας.“ (7) Vgl. dazu Hansen 1989, 73 mit Anm. 15; Clarke 2008, 258; 286. 101 Aischin. 1,8–32. 102 Aischin. 1,25 f. Vgl. dazu ausführlich Kap. 4.5.
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Auch die Anfangspassage der Rede „Gegen Ktesiphon“ nimmt Bezug auf die solonischen Gesetze, in diesem Fall zum Verhalten der Redner, und ihre Missachtung in der Gegenwart.103 Die Schlusspassage der gleichen Rede ist dann ein beeindruckendes Zeugnis sowohl für die Vergegenwärtigung von Vergangenheit als auch für die Verwendung visueller und materieller Erinnerungsträger in diesem Zusammenhang. Aischines befasst sich an dieser Stelle mit Solon und Aristeides als den „Wohltätern der Polis“ („τοὺς τῆς πόλεως εὐεργέτας“), der Verurteilung des Arthmios von Zeleia104 sowie mit Themistokles und den Gefallenen von Marathon und Plataiai, die stellvertretend für ihn das Schlussplädoyer halten.105 Solon wird in dieser breit gefächerten Zusammenstellung als Erster genannt. Die Zuhörer sollen sich vorstellen, Solon und die anderen Personen auf der Rednerbühne („ἐπὶ τοῦ βήματος“) zu sehen und werden dann noch einmal ausdrücklich zum Hinsehen aufgefordert. Solon wird dabei als derjenige hervorgehoben, der die Demokratie als Philosoph und Gesetzgeber mit den besten Gesetzen ausgestattet habe. Neben der Visualisierung der Person Solons selbst können auch die Gesetze durch ihre inschriftliche Präsenz diesem visuellen Aspekt zugerechnet werden. In seiner Rolle als Gesetzgeber bittet er die Richter, nicht mehr Wert auf Demosthenes’ Argumentation als auf die Eide und Gesetze zu legen.106 Stärker mit dem materiellen Aspekt der Inschriften und ihrer Lesbarkeit bzw. dem Ort ihrer Aufbewahrung verknüpft sind hingegen die Betrachtungen des Lykurgos in der Rede „Gegen Leokrates“. In die Überlegungen zum geforderten Strafmaß, der Todesstrafe, bindet Lykurgos „die Auffassungen der alten Gesetzgeber“ ein, die die versammelten Richter visuell zu Kenntnis nehmen sollen.107 Daran anschließend stellt Lykurgos einige Überlegungen zum Strafmaß bei den „alten Gesetzgebern“ an – da es sich um die Frage der Todesstrafe handelt, ist wahrscheinlich Drakon gemeint, auch wenn er hier nicht namentlich genannt wird.108 In Bezug nicht nur auf diese Gesetze heißt es dann weiter: „Stellt euch zum Beispiel doch nur einmal vor, ihr Männer, jemand wäre in das Metroon hineingegangen und hätte ein einziges Gesetz ausgelöscht. 103
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Aischin. 3,2. Vgl. dazu Hobden 2007, 491 f. und zur Diskussion, ob Solon tatsächlich Gesetze hinsichtlich der Volksversammlung erlassen haben könnte, Anm. 7, dort auch die treffende Zusammenfassung des Fragekomplexes: „However, concern with the truth is unnecessary. With its recollection of ‚the myth of Solonian democracy‘ Aeschines’ speech participates in the creation of the myth as much as it reflects any perceived ‚reality‘.“ Vgl. dazu ausführlich Kap. 5.4.4. Aischin. 3,257–259, damit stehen sie als positive paradeigmata in Kontrast zu den „συνηγόρους τοὺς κοινωνοὺς τῶν δωροδοκημάτων“ (257), die der Prozessgegner für sich sprechen lassen will. Vgl. Hobden 2007, 500 f., die zudem auf die Parallelen zur Schlusspassage in der Leokratesrede des Lykurgos verweist. Aischin. 3,257: „Σόλωνα μὲν τὸν καλλίστοις νόμοις κοσμήσαντα τὴν δημοκρατίαν, ἄνδρα φιλόσοφον καὶ νομοθέτην ἀγαθόν, σωφρόνως, ὡς προσῖκον αὐτῷ, δεόμενον ὑμῶν μηδενὶ τρόπῳ τοὺς Δημοσθένους λόγους περὶ πλείονος ποιήσασθαι τῶν ὅρκων καὶ τῶν νόμων […].“ Lykurg. 1,64: „καίτοι ῥᾴδιόν ἐστιν, ὦ ἄνδρες, πρὸς τὰς τῶν ἀρχαίων νομοθετῶν διανοίας ἀποβλέψαντας τὴν ἀλήθειαν εὑρεῖν.“ Vgl. den Kommentar bei Engels 2008, 148 ad loc.
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Danach würde er sich damit verteidigen wollen, dass bei einem einzigen Gesetz doch der Polis kein Schaden entstanden sei; würdet ihr diesen Mann denn nicht mit dem Tod bestrafen? Und das meiner Meinung nach ganz zu Recht, wenn ihr die anderen Gesetze bewahren wolltet.“109 Inschriftlich verzeichnete Gesetze werden hier eng mit dem Ort ihrer Aufstellung und Aufbewahrung, dem Metroon, in Verbindung gebracht. Die Zerstörung der (materiellen) Inschrift wird dabei mit der Auslöschung des Gesetzes gleichgesetzt, ein Vergehen, für das Lykurgos ebenfalls die Todesstrafe für angemessen hält. Solon und Drakon als Gesetzgeber können also in unterschiedlichen Zusammenhängen von den Rednern angeführt werden. Zunächst firmieren sie als Garanten für die Gültigkeit von Gesetzen, sowohl von alten als auch von zeitgenössischen Gesetzen oder Neuaufzeichnungen. Diese Gesetze werden mitunter von den Rednern genau verortet, in vielen anderen Fällen wird aber die bloße Namensnennung des jeweiligen Gesetzgebers auch die materielle Rezeption des jeweiligen Gesetzes mit eingeschlossen haben. Die als solonisch und drakontisch verstandenen Gesetze können sowohl als Vorbilder für die Gesetzgebung und Rechtsprechung zur Zeit des Redners herangezogen werden als auch sichtbare Gegenbilder zu aktuellen Gesetzgebungsverfahren darstellen. Gegenstand des Vergleichs sind neben dem Gesetz selbst auch die damit verbundenen Personen Solon oder Drakon gegenüber den Zeitgenossen des Redners. Außerdem bilden die Gesetze Handlungsanweisungen für die Athener, die durch ihre konkrete Materialität noch deutlicher greifbar gemacht werden. 5.3 Weitere Gesetze und ihre Verortung im öffentlichen Raum der Polis Andokides, der im Jahr 415 zusammen mit weiteren Mitgliedern seiner Familie in den so genannten Mysterienfrevel verwickelt war und daraufhin ins Exil ging, unternahm nach der Wiederherstellung der Demokratie 410 einen ersten erfolglosen Versuch, nach Athen zurückkehren zu können. In einer Rede vor der Volksversammlung versucht er die Athener von seinen Taten zum Wohle Athens in den Jahren zuvor zu überzeugen. Gegen Ende der Rede bittet er die Bürger, ein Dekret des Menippos wieder in Kraft zu setzen, das Andokides in unmittelbarem Anschluss an die Ereignisse 415 Immunität gewährt hatte, wenn er Informationen zum Hermenfrevel geben würde.110 Dabei betont er, dass die inschriftliche Aufzeichnung dieses Dekretes immer noch im 109 Lykurg. 1,66: „φέρε γάρ, ὦ ἄνδρες, εἴ τις ἕνα νόμον εἰς τὸ Μητρῷον ἐλθὼν ἐξαλείψειεν, εἶτ’ ἀπολογοῖτο ὡς οὐδὲν παρὰ τοῦτον τῇ πόλει ἐστίν, ἆρ’ οὐκ ἂν ἀπεκτείνατ’ αὐτόν; ἐγὼ μὲν οἶμαι δικαίως, εἴπερ ἐμέλλετε καὶ τοὺς ἄλλους σῴζειν.“ Vgl. den Kommentar bei Engels 2008, 149 ad loc. zum Metroon als Aufbewahrungsort von Inschriften und anderen Orten der Publikation; zur Textstelle vgl. auch Sickinger 2004, 103. 110 And. 2,23. Zum historischen Hintergrund des Dekretes vgl. den Kommentar von MacDowell 1998, Anm. 7 ad loc.
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Bouleuterion aufbewahrt werde. Die nachprüfbare materielle Publikation an einem öffentlichen Ort soll also augenscheinlich nicht nur die Glaubwürdigkeit, sondern auch die ungebrochene Geltung seiner Aussage unterstreichen. Darüber hinaus wird in der etwa 10 Jahre später ebenfalls von Andokides gehaltenen „Mysterienrede“ die Bedeutung von Gesetzesinschriften in Zusammenhang mit ihrer Zerstörung zur Sprache gebracht. Andokides erwähnt diejenigen, die von der Amnestie des Jahres 403 am meisten profitiert hätten. Für diese Personen seien Stelen zerstört, Gesetze ungültig gemacht und Dekrete aufgehoben worden.111 Die Zerstörung der materiellen Existenz eines Gesetzes oder Dekretes zeigt die enge Verbindung des Inhalts mit seiner monumentalen Aufzeichnung.112 Im Rahmen einer recht ausführlichen Besprechung des Demophantosdekretes geht schließlich auch Lykurgos „Gegen Leokrates“ auf die Materialität und Sichtbarkeit dieser Inschrift ein.113 Dabei werden drei Aspekte hervorgehoben: der Prozess des Aufschreibens selbst, die Aufstellung der Inschrift im Bouleuterion an der Agora und insbesondere die damit verbundene Funktion, „diejenigen, die dort jeden Tag zusammenkommen und über das Wohl des Vaterlandes beraten, daran zu erinnern, wie man sich gegenüber solchen Männern verhalten soll“.114 In seiner Eigenschaft als ὑπόμνημα ist also die Inschrift ein Erinnerungsträger für die Bouleuten, in einem weiteren Schritt soll sie diese Funktion aber natürlich auch für die versammelten Richter im aktuellen Prozess übernehmen. Jeder, der will, so suggeriert es zumindest die Aussage des Lykurgos, kann selbst in das Bouleuterion gehen, um die Aussage des Redners zu überprüfen, aber auch um sich die Bedeutung dieses Dekretes in Erinnerung zu rufen.115 Diese Argumentation nimmt Lykurgos noch einmal auf, wenn er zum Abschluss des Abschnitts betont: „Ihr habt Stützen eurer Erinnerung und Beispiele für die Strafen, die jene verhängt haben, in den Volksbeschlüssen über die Verbrecher formuliert.“116 Der abschließende Appell des Lykurgos an die Richter kann als Zusammenfassung der in 110–127 genannten Beispiele dienen, die allesamt die harte Bestrafung von Verbrechen durch die Vorfahren belegen sollen: Neben dem Demophantosdekret sind dies die Ermordung des Phrynichos im Herbst 411 und der postume Prozess gegen 111
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And. 1,103: „ὧν ἕνεκα καὶ στήλας ἀνείλετε καὶ νόμους ἀκύρους ἐποιήσατε καὶ ψηφίσματα ἐξηλείψατε.“ Vgl. dazu Thomas 1989, 52, die vermutet, dass im Rahmen der Amnestie eine vollständige Zerstörung der betreffenden Gesetze vorgesehen war. Es sollten also nicht nur die steinernen Stelen, sondern auch die Texte in den Archiven zerstört werden. Vgl. Lambert 2011, 202: „inscribed decrees can be so intimately connected with what they record that destroying an inscription recording something is often conceptualized as destroying the thing recorded.“ Lykurg. 1,124–127. Zur Einbindung in die Rede und der historischen Verortung vgl. Kap. 2. Lykurg. 1,126: „… ὑπόμνημα τοῖς καθ’ ἑκαστην ἡμέραν συνιοῦσι καὶ βουλευομένοις ὑπὲρ τῆς πατρίδος, ὡς δεῖ πρὸς τοὺς τοιούτος ἔχειν.“ Übers. J. Engels. Vgl. J. Shear 2011, 101 f. Vgl. J. Shear 2011, 160 f. Lykurg. 1,127: „ὑπομνήματα δ’ ἔχετε καὶ παραδείγματα τῆς ἐκείνων τιμωρίας τὰ ἐν τοῖς περὶ τῶν ἀδικούντων ψηφίσμασιν ὡρισμένα.“ Vgl. Thomas 1989, 77.
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ihn (112–116), die Verurteilung und nachfolgende Bestrafung des Hipparchos, Sohn des Charmos, in Abwesenheit (117–119), ein Psephisma gegen athenische Deserteure im dekeleisch-ionischen Krieg (120–121) sowie die Hinrichtung eines athenischen Ratsherrn nach der Schlacht bei Salamis 480, weil er ein Friedensangebot der Perser annehmen wollte (122–123). Alle mit diesen Ereignissen verbundenen Volksbeschlüsse und Dekrete lässt Lykurgos jeweils im Anschluss auch verlesen. Auch im Fall des Hipparchos weist er dabei explizit auf eine Stele als Inschriftenträger hin.117 Die beiden angeführten Beispiele machen deutlich, dass Dekrete und ihre Verortung sowohl an der Wende vom 5. zum 4. Jahrhundert als auch einige Jahrzehnte später angeführt werden können. Darüber hinaus werden sakrale Gesetze im gesamten 4. Jahrhundert in unterschiedlichen Reden angeführt, häufig auch mit dem genauen Ort der Aufstellung und in seltenen Fällen auch mit einer Begründung für diesen Ort, in Verbindung gebracht. Im Prozess „Gegen Nikomachos“, der zu Beginn des 4. Jahrhunderts stattfand, beruft sich der Ankläger auf die althergebrachten Opferriten, die auf „Gesetzespfeilern und –säulen“ („ἐκ τῶν κύρβεων καὶ τῶν στηλῶν“) verzeichnet seien.118 Der Begriff kyrbeis könnte ein Hinweis darauf sein, dass es sich um Gesetze Solons handelt, möglich ist aber auch, dass damit nur das hohe Alter der Vorschriften unterstrichen werden sollte.119 Über das Medium dieser inschriftlich festgehaltenen Opferriten wird darüber hinaus eine direkte Verbindung zu den Vorfahren hergestellt: „Unsere Vorfahren, die in Übereinstimmung mit den alten Satzungen auf den kyrbeis opferten, hinterließen uns unsere Stadt als die größte und wohlhabendste aller griechischen Stadtstaaten, und so sollten auch wir die Opferriten wie bei ihnen beibehalten, wenn auch aus keinem anderen Grund als wegen des Erfolgs, mit dem ihre Opfer gesegnet waren.“120 Die Befolgung der Satzungen, die durch das Medium der Inschrift bis in die Gegenwart des Redners präsent waren, dient hier als Begründung für die Größe der Polis im 5. Jahrhundert: Geschichte zeigt sich als „Verknüpfung von Narration, Ritual und Materialität“.121 Das Narrativ der Rede vermittelt über die Schilderung vom Ritual des Opfers und den damit verbundenen Inschriften eine Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen den Zuhörern und ihren Vorfahren.
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Dazu Kap. 5.8. Zu den Textstellen vgl. auch Kap. 2 sowie die zusammenfassende Besprechung bei Rhodes/Osborne 2003, 444 f. Als authentisch wird dabei nur das Dekret gegen Phrynichos angesehen mit Verweis auf Plut. X Or. 834b und Krateros FGrH 342 F 17; ML 85. 118 Lys. 30,17. Vgl. Huber 2005, 223 Anm. 7 ad loc. zum Standort der kyrbeis und Stelen in der Stoa Basileios. Huber scheint davon auszugehen, dass es sich hier tatsächlich um Bestimmungen Solons handelt. 119 Vgl. Todd 2000, 303 Anm. 18 ad loc.: „some form of ancestral regulation“. 120 Lys. 30,18: „οἱ τοίνυν πρόγονοι τὰ ἐκ τῶν κύρβεων θύοντες μεγίστην καὶ εὐδαμονεστάτην τῶν Ἑλληνίδων τὴν πόλιν παρέδοσαν, ὥστε ἄξιον ἡμῖν τὰς αὐτὰς ἐκείνοις θυσίας ποιεὶσθαι, καὶ εἰ μηδὲν δι᾽ ἄλλο, τῆς τύχης ἕνεκα τῆς ἐξ ἐκείνων τῶν ἱερῶν γεγενημένης.“ Übers. nach I. Huber. 121 Gehrke 2014, 35 f.
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In der zeitlich ähnlich einzuordnenden Rede „Gegen Andokides“ werden sowohl schriftlich festgehaltene Gesetze als auch ungeschriebene Gesetze zum Umgang mit Religionsfrevel mit der Person des Perikles in Verbindung gebracht, wobei hier aber den ungeschriebenen Gesetzen eine größere Bedeutung und Tragweite zugeschrieben wird.122 Alle weiteren Beispiele datieren in die 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts, dabei geht es stets darum, das hohe Alter der religiösen Vorschriften hervorzuheben. Bemerkenswert ist dabei insbesondere eine Passage aus der Rede „Gegen Neaira“, die sich mit den Bestimmungen über die Frau des archon basileus befasst.123 In diesem Zusammenhang wird zunächst genau beschrieben, an welchem Ort und auf welchem Inschriftenträger diese Bestimmungen verzeichnet waren: auf einer Marmorstele („ἐν στήλῃ λιθίνῃ“), aufgestellt „im Tempel des Dionysos beim Altar an den Sümpfen“ („ἐν τῷ ἱερῷ τοῦ Διονύσου παρὰ τὸν βωμὸν ἐν Λίμναις“). Die Lage dieses Heiligtums ist heute unbekannt.124 Der Redner betont, dass die Stele auch jetzt noch an diesem Ort stehe und hebt das Alter der Schriftzüge hervor sowie die Tatsache, dass es sich bei dem genannten Tempel um den „ältesten und heiligsten Tempel des Dionysos“ handele. Grund für die Aufbewahrung der Inschrift sei ihre Funktion als Zeugnis der eusebeia gegenüber dem Gott sowie als Pfand für die Nachkommen,125 die Funktion geht also auf die Zeit der Niederschrift dieser Gesetze zurück, bindet aber gleichzeitig als Handlungsanweisung für zukünftige Generationen die Gegenwart der Rede selbst ein. Darüber hinaus wird eine Aussage zur Sichtbarkeit der Inschriften getroffen. Man habe diesen Tempel auch deshalb ausgewählt, „damit (ihrer Ehrwürdigkeit halber) nicht viele das darauf Eingeschriebene zu sehen bekämen. Nur einmal im Jahr nämlich wird dieser Tempel geöffnet, am 12. Tag des Monats Anthesterion.“126 Hier soll also gerade die auf wenige Personen und Zeitpunkte eingeschränkte Sichtbarkeit die besondere Sakralität und Ehrwürdigkeit der Inschrift bzw. der verzeichneten Bestimmungen unterstreichen. Auch Aischines bringt inschriftlich verzeichnete alte Sakralgesetze vor, um seine Vorwürfe gegen die Lokrer und Demosthenes zu untermauern. Er erinnert an ein Orakel, eine Verfluchung und Eide aus der Zeit des sogenannten Ersten Heiligen Krieges um 590, die durch die Vorfahren der Athener und die Amphiktyonen vorgenommen wurden. Die genannten Inschriften lässt Aischines verlesen und betont im Anschluss, dass die Verfluchung, die Eide und das Orakel auch gegenwärtig noch öffentlich auf-
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[Lys.] 6,10. [Demosth.] 59,76. Übers. K. Brodersen. Vgl. dazu auch Trevett 1990, 417–419; Rhodes 2001, 140; Sickinger 2004, 97 f. 124 Vgl. Kapparis 1999, 335 f.; Brodersen 2004, 12. 125 [Demosth.] 59,76: „μαρτυρίαν ποιούμενος ὁ δῆμος ὑπὲρ τῆς αὑτοῦ εὐσεβείας πρὸς τὸν θεὸν καὶ παρακαταθήκην καταλείπων τοῖς ἐπιγιγνομένοις.“ 126 [Demosth.] 59,76: „…ἵνα μὴ πολλοὶ εἰδῶσιν τὰ γεγραμμένα· ἅπαξ γὰρ τοῦ ἐνιαυτοῦ ἑκαστοῦ ἀνοίγεται, τῇ δωδεκάτῃ τοῦ ἀνθεστηριῶνος μηνός.“ Vgl. Kapparis 1999, 338 f.
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gestellt seien.127 Trotz dieser alten und für alle sichtbaren Dokumente hätten die Anführer der Lokrer begonnen, die Ebene von Krisa/Kirrha zu bestellen und den Hafen zu besetzen. Außerdem hätten sie einige der Gesandten in Delphi, unter ihnen auch Demosthenes, bestochen, um diese widerrechtlichen Handlungen durchführen zu können. Welche große Bedeutung der Sakralität des Ortes der Aufstellung einer Inschrift zukommt, zeigt ein Fragment des Hypereides „Gegen Demades“. Dort wird dafür plädiert, dass eine Ehrenstele besser auf den Kreuzwegen neben der Bildsäule der Hekate stehen sollte – also dort, wo Reste von Reinigungs- und Sühneopfern deponiert wurden – als in den Tempeln der Polis, das heißt an prominenter Stelle und für alle alltäglich sichtbar.128 Diese Aussage ist wahrscheinlich als Angriff gegen Demades gemeint, da auf seinen Antrag hin eine Stele mit Ehrenbeschluss für Alkimachos, einem Gesandten des Makedonenkönigs, sowie eventuell auch ein Standbild Philipps II. (zu dem ebenfalls eine Ehreninschrift gehört haben könnte), aufgestellt worden war.129 Wenn Gesetze und Dekrete mit den Orten ihrer Aufstellung in Zusammenhang gebracht werden, können diese sich also sowohl in Sichtweite der Gerichtshöfe als auch in größerer Distanz zum aktuellen Geschehen befinden. Die Spannbreite reicht dabei vom benachbarten Bouleuterion bis hin zu Bestimmungen der Sakralgesetzgebung in diversen Tempeln, wobei auch der eingeschränkte Zugang hervorgehoben werden kann. In jedem Fall wird durch die Erwähnung ihrer Existenz auf Stein sowohl eine Verbindung zwischen Gegenwart und Vergangenheit als auch zwischen dem Innen und Außen der Gerichtshöfe hergestellt.130
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Aischin. 3,112 f.: „Ταύτης τῆς ἀρᾶς καὶ τῶν ὅρκων καὶ τῆς μαντείας ἀναγεγραμμένων ἔτι καὶ νῦν …“ (113). Vgl. dazu Steinbock 2013a, 302–304, auch zur Forschungsdiskussion zur Authentizität der zitierten Eide (Anm. 69). Der historische Hintergrund und das Zustandekommen von Orakel, Verfluchung und Eid wird in 107–112 genauer beschrieben, unter anderem wird dabei auch die Rolle Solons erwähnt, vgl. dazu auch Westwood 2017, 63. Hyp. Fr. 79 Jensen. Vgl. als weiteres Beispiel für Inschriften im sakralen Bereich auch Lykurg. Fr. 6,12, allerdings steht der dort verwendete Begriff kyrbeis ohne weiteren Textbezug, sodass die Einbettung in weitere Überlegungen zur Inschrift in der Rede nicht erschlossen werden kann. Wahrscheinlich handelt es sich hier um solonische kyrbeis, auf denen religiöse Kalender verzeichnet waren. Die Rede ist, soweit dies erschlossen werden kann, die Verteidigung einer Priesterin der Athena Polias, vgl. zum Kontext und zur möglichen Funktion der kyrbeis an dieser Stelle E. Harris 2001, 209 f. mit Anm. 23 ad loc. Vgl. Engels 1993, 141; Brun 2015, 65. Die Ehrung ist inschriftlich belegt: IG II2 239. Vgl. zu dieser Einschätzung auch M. Bakker 2012a, 401.
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5.4 Das 5. Jahrhundert: Die Perserkriege und ihre Folgen 5.4.1 „Falsche Dekrete“ Mehrere Inschriften, die im 4. Jahrhundert nicht nur bei den Rednern immer wieder angeführt werden, geben vor, aus der Zeit der Perserkriege oder der folgenden Jahrzehnte zu stammen. In der Forschung hat man sich ausführlich der Frage gewidmet, ob es sich um Kopien echter Inschriften aus der jeweiligen Zeit, um spätere Rekonstruktionen einer nur unvollständig erinnerten früheren Inschrift oder aber um bewusste Fälschungen handelt, zumal in einigen Fällen die entsprechenden Inschriften identifiziert werden konnten.131 Grundlegend hat sich mit diesen Inschriften Christian Habicht zu Beginn der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts in einem wegweisenden Aufsatz befasst.132 Es handelt sich insgesamt um neun Inschriften: Das Psephisma des Miltiades von 490, das Psephisma des Themistokles von 480, das Psephisma der Troizenier von 480, das Psephisma der Boule in Salamis 479 zur Hinrichtung eines Ratsherrn, der Helleneneid bzw. der so genannte „Eid von Plataiai“ von 479, das Psephisma von 479/78 über die Zerstörung der Statue des Hipparchos, das Psephisma über die atimia des Arthmios von Zeleia zwischen 479 und 450, der Kalliasfriede von 449 sowie der athenische Ephebeneid.133 Dabei erkennt Habicht nur im Ephebeneid eine „authentische Schwurformel“ des 5. Jahrhunderts, alle anderen Dokumente werden auf der Basis von formal-sprachlichen und sachlich-chronologisch-historischen Argumenten als „ausnahmslos apokryph“ angesehen.134 Diese Texte werden in politischen Reden angesichts der Gefahr durch Makedonien und die inneren Auseinandersetzungen Athens über die Einstellung zu Philipp II. genutzt und dabei einmal oder mehrmals im Wortlaut verlesen, das heißt, sie haben in dieser Zeit als Urkunden vorgelegen.135 Die „Erfindung“ dieser Inschriften datiert Habicht in die Mitte des 4. Jahrhunderts, weniger im 131 132
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Vgl. Steinbock 2013a, 94. Habicht 1961. Vgl. auch M. Chambers 1961; 1967; Robertson 1976; W. Thompson 1981; Chaniotis 1988, 238–243 (D 10–17); 259–264 und knapp ders. 2014, 140 f.; Thomas 1989, 84–94; Johansson 2001; Blösel 2004, 247–254; Bertrand 2005; Kellogg 2008; 2013; Hartmann 2010, 484–489, u. a. auch mit der Problematisierung des Fälschungsbegriffs sowie der Verwendung von Kategorien wie „Urkunde“ und „Urkundlichkeit“ in diesem Zusammenhang; Cartledge 2013; Hall 2014, 55–76. Im Übrigen hatte schon Theopomp FGrH 115 F 153–155 einige der „Urkunden“ als Fälschungen verworfen. Zum Unbehagen späterer antiker Autoren gegenüber dem Themistokles-Dekret vgl. Blösel 2004, 254 mit den Belegen und weiterer Literatur. Zum Fälschungsbegriff vgl. auch Foxhall 1995, 144 f.; Canevaro 2013, 35. Kritisch zum Forschungsansatz Habichts und seiner „Nachfolger“ vgl. Davies 1996, der statt des Begriffs der Fälschung („forgery“) die Bezeichnung als Rekonstruktion („reconstruction“) vorschlägt (30). Auflistung mit allen Quellenbelegen bei Habicht 1961, 17–19. Besonders ausführliche Überlegungen stellt Habicht zum Themistokles-Dekret an (1–11), aus denen er die Betrachtungen zu den übrigen Inschriften ableitet. Habicht 1961, 19 f. Vgl. Habicht 1961, 17.
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literarisch-historiographischen Kontext, sondern vielmehr als eigens für bestimmte Reden, also zu bestimmten politischen Zwecken gefertigt.136 Die Erfindung solcher Inschriften zu dieser Zeit sei sowohl durch die wachsende Bedeutung der Schriftlichkeit im Allgemeinen als auch inschriftlicher Dokumente als Beweismittel im Besonderen zu erklären. Dies sei der Grund dafür, dass „mit der Zeit die Politiker, wo sie auf Athens große Zeit im frühen 5. Jahrhundert zu sprechen kamen, gleichfalls das Bedürfnis empfanden, dem Publikum unmittelbare, d. h. anschauliche und wörtliche Proben von der Sinnesart der Vorväter zu geben, denen zugleich der Charakter des Authentischen innewohnen mußte.“137
Einige dieser Inschriften wurden darüber hinaus auch auf Stein aufgezeichnet und öffentlich aufgestellt. Der Helleneneid ist zusammen mit dem Ephebeneid auf einer Stele aus dem attischen Demos Acharnai überliefert, auch die Stele mit dem Psephisma des Themistokles aus Troizen ist erhalten.138 Insgesamt folgt die Forschung den zentralen Aussagen Habichts auch weiterhin, allerdings ist sowohl der Zeitpunkt der Einführung der „gefälschten Urkunden“ in den politischen Diskurs als auch die Frage der Originalität einiger der Inschriften umstritten.139 Im Rahmen der hier angestellten Betrachtungen gilt es aber weniger diese Fragen der Echtheit, Authentizität und des möglichen politischen Hintergrundes der Erfindung und Nutzung der betreffenden Inschriften zu hinterfragen, sondern vielmehr auf ihren Stellenwert im unmittelbaren Kontext der jeweiligen Reden einzugehen, wobei
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Vgl. Habicht 1961, 27–29, dagegen Chaniotis 1988, 261–263, der vielmehr den Attidographen Kleidemos als Verfasser der Dekrete ausmacht. Habicht 1961, 30; ausdrücklich betont auch bei Thomas 1989, 86 und 90 f.; vgl. auch Steinbock 2013a, 94, der besonders hervorhebt, dass durch die Bedrohung durch Philipp die Perserkriege wieder verstärkt im öffentlichen Diskurs anzutreffen waren, und in diesem Zusammenhang die inschriftlichen Dekrete als Werkzeuge dienten, um Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen. Themistoklesdekret: ML 23; Helleneneid auf der Stele von Acharnai: Rhodes/Osborne 88. Vgl. Habicht 1961, 31 f., der eine ähnliche Publikation auch für den Kalliasfrieden und die Stele zur Bestrafung des Arthmios von Zeleia annimmt; Thomas 1989, 84–86; Steinbock 2013a, 94 mit Anm. 257 mit weiterer Literatur. Rosalind Thomas gibt zu bedenken, dass einige der Inschriften schon vor Beginn der Auseinandersetzungen mit Makedonien in Reden erwähnt werden, und damit vielleicht besser mit der Außenpolitik Athens in den 370er Jahren verbunden werden können. So ist schon im „Panegyrikos“ des Isokrates (4,120) die Inschrift des Kalliasfriedens belegt, darüber hinaus befasst sich der Redner Kephisodotos noch vor der Mitte des 4. Jahrhunderts mit dem Miltiades-Dekret (Aristot. Rhet. 3,1411a10, wahrscheinlich 357/6, Datierung nach Thomas 1989, 85, während Habicht 1961, 13 den Beleg gemeinsam mit der Erwähnung der Dekrete bei Aischines in das Jahr 348 datiert). Grundsätzlich stimmt Thomas (84–86) den Überlegungen von Habicht aber zu; ähnlich Kellogg 2008, 371. Cartledge 2013, 33 betont die Bedeutung des Königsfriedens. Vor diesem Hintergrund seien in den folgenden Jahren insbesondere die Ruhmestaten gegen die Perser in der Vergangenheit hervorgehoben worden. Damit stünden auch „Dokumente“ wie der Kalliasfriede oder der bei Cartledge ausführlich untersuchte Eid von Plataiai in Zusammenhang. Eine „Erfindung“ in der Mitte der 370er Jahre wird auch von Robertson 1976 angenommen.
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insbesondere der Aspekt der (tatsächlichen oder angenommenen) Sichtbarkeit und Materialität dieser Inschriften im Mittelpunkt stehen wird. Denn auch wenn es sich in den meisten Fällen wohl um Fälschungen des 4. Jahrhunderts handelt, so waren einige Inschriften, wie oben bereits erwähnt, im öffentlichen Raum der Polis sichtbar und werden als solche von den Rednern zitiert. Die Athener werden wohl kaum Möglichkeiten gehabt haben, die historische Glaubwürdigkeit und Echtheit dieser Inschriften zu überprüfen: Es ist zwar bekannt, dass betrügerische Hinzufügungen zu Dokumenten und Listen oder auch falsche Testamente durchaus erkannt und angeprangert wurden, hier aber handelt es sich um vollständige Inschriften, die passend zu historischen Ereignissen präsentiert wurden.140 Im Rahmen der Erwähnung bei einzelnen Rednern werden die genannten Inschriften aus der Zeit der Perserkriege darüber hinaus mit authentischen Dokumenten der jüngeren Zeit vermischt.141 „Die Einführung von Pseudo-Dokumenten in historische Narrationen“ belegt „die Erwartungshaltung, dass diese auf nachprüfbaren Evidenzen beruhen und jedenfalls berichten, was wirklich geschehen ist.“142 Der Aspekt der Materialität und Sichtbarkeit wird schon bei der frühesten Erwähnung des Kalliasfriedens im „Panegyrikos“ des Isokrates deutlich. Dort wird betont, dass man den Unterschied zwischen dem Kalliasfrieden und dem Königsfrieden am besten erkennen könne, wenn man beide Verträge vergliche.143 Das ist aber nur unter der Voraussetzung möglich, dass beide Texte sichtbar und lesbar sind – dies wird von Isokrates zumindest suggeriert, auch wenn sich die tatsächliche Lesbarkeit nicht nachweisen lässt.144 Auch die Bezeichnung des Kalliasfriedens in der „Gesandtschaftsrede“ des Demosthenes als ein von allen besprochener Friedensschluss (19,273: „τὴν ὑπὸ πάντων 140 Vgl. Thomas 1989, 91. 141 Eine solche „Vermischung“ findet sich zum Beispiel bei Demosth. 19 sowie Lykurg. 1. Vgl. Habicht 1961, 31, der die Praxis der Anführung falscher Dokumente auch mit der Einfügung wörtlicher Reden handelnder Personen in der Geschichtsschreibung vergleicht. 142 Hartmann 2010, 487. Vgl. auch Hansen 1989, 81 f.: „You reconstruct historical documents and ancestral constitutions only if history matters and if historical arguments are likely to influence your audience so that they vote your way. Persuasion is essential, and so the historical examples and the historical documents read out in symbouleutic and forensic speeches are extremely important no matter whether the information we get is historically accurate or not.“ 143 Isokr. 4,120: „Μάλιστα δ᾽ ἄν τις συνίδοι τὸ μέγεθος τῆς μεταβολῆς, εἰ παραναγνοίη τὰς συνθήκας τάς τ᾽ ἐφ᾽ ἡμῶν γενομένας καὶ τὰς νῦν ἀναγεγραμμένας. τότε μὲν γὰρ ἡμεῖς φανησόμεθα τὴν ἀρχὴν τὴν βασιλέως ὁρίζοντες καὶ τῶν φόρων ἐνίους τάττοντες καὶ κωλύοντες αὐτὸν τῇ θαλάττῃ χρῆσθαι.“ Vgl. Thomas 1989, 86 mit Anm. 234 sowie zu den Implikationen der Gegenüberstellung auch W. Thompson 1981, 165. In der Volksversammlungsrede „Über die Freiheit der Rhodier“ weist auch Demosthenes auf den Kalliasfrieden und den Unterschied dieses Vertrages zum Königsfrieden hin (15,29, dieser Vergleich wird zudem als „allen bekanntes Beispiel“ bezeichnet: „καὶ παράδειγμα λέγειν ἔχω τούτου πᾶσιν ὑμῖν γνώριμον“), vgl. Pearson 1941, 227. 144 Vgl. Hall 2014, 62 f.; 65: „This strongly implies that the existence of the earlier peace treaty was a matter of common knowledge by 380 BCE, though it need not entail that Isokrates had actually consulted the written document himself or, if he had, that he remembered its details faithfully.“
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θρυλουμένην εἰρήνην“) zeigt, welchen Stellenwert dieser Vertrag im öffentlich-politischen Diskurs einnahm. Dies wird besonders dadurch deutlich, dass sich das Beispiel in einen längeren Abschnitt einfügt, der den Umgang der Vorfahren mit Bestechung genauer ausführt. Die harte Bestrafung des Kallias aufgrund eines solchen Vorwurfs wird umso eindrücklicher, da sie der großartigen Leistung des Friedensschlusses gegenübergestellt wird.145 Die Prominenz dieses Friedensvertrages dürfte abgesehen von seinem historischen Inhalt auch eine räumliche Komponente gehabt haben. So wird vermutet, dass eine Inschriftenstele mit dem Vertrag neben der Statue des Kallias auf der Agora aufgestellt gewesen sein könnte.146 Eine für die Betrachtung der genannten Inschriften zentrale Textstelle bildet ein Vorwurf des Demosthenes aus der gleichen Rede. Aischines habe im Rahmen einer Volksversammlungsrede (des Jahres 348, also in Zusammenhang mit der Eroberung von Olynth) die Dekrete des Miltiades sowie des Themistokles und den Ephebeneid vorgetragen.147 Die genannten Dokumente erscheinen hier als zentrale Elemente der Überzeugungsstrategie des Aischines und werden dementsprechend von Demosthenes wieder aufgegriffen. Auffällig ist auch, dass der Nennung der Dekrete keine weiteren Erklärungen folgen, die Zuhörer wussten also augenscheinlich, was mit diesen Anspielungen gemeint war.148 Eine Komponente der Sichtbarkeit wird dadurch eingebracht, dass der Ephebeneid im Tempel der Aglauros verortet wird. Ob hier der Tempel als Ort der Eidesleistung angesprochen wird, oder die inschriftliche Fassung dieses Eides ebenfalls dort zu sehen war, wird nicht deutlich.149 In der Rede „Gegen Leokrates“ des Lykurgos werden dann gleich mehrere der oben genannten „Fälschungen“ aufgegriffen und ausführlich betrachtet, ein deutliches Zeichen dafür, dass die genannten Beispiele weiterhin eine hohe Relevanz besaßen.150 145
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Demosth. 19,273–274: „ἑκεῖνοι τοίνυν, ὡς ἅπαντες εὖ οἶδ᾽ ὅτι τὸν λόγον τοῦτον ἀκηκόατε, Καλλίαν τὸν Ἱππονίκου ταύτην τὴν ὑπὸ πάντων θρυλουμένην εἰρήνην πρεσβεύσαντα […] (274) καλλίω ταύτης εἰρήνην οὔτε πρότερον οὔθ᾽ ὕστερον οὐδεὶς ἂν εἰπεῖν ἔχοι πεποιημένην τὴν πόλιν.“ Vgl. Thomas 1989, 84 und bereits Pearson 1941, 227; Habicht 1961, 16 mit dem Hinweis, dass Demosthenes unmittelbar zuvor das Beispiel des Arthmios von Zeleia (mit der zugehörigen Inschrift) angebracht hatte. Paus. 1,8,2. Vgl. Habicht 1961, 25 und 32; Robertson 1976, 15 f.; Hartmann 2010, 486, der die Tradition über den Kalliasfrieden in diesem Zusammenhang als Ergebnis eines „Missverständnisses des monumentalen Gedächtnisses Athens“ bezeichnet. Bei den Rednern wird die Statue des Kallias nicht erwähnt, vgl. Kap. 4.5. Demosth. 19,303: „τίς ὁ τοὺς μακροὺς καὶ καλοὺς λόγους ἐκείνους δημηγορῶν, καὶ τὸ Μιλτιάδου καὶ τὸ Θεμιστοκλέους ψήφισμ᾽ ἀναγιγνώσκων καὶ τὸν ἐν τῷ τῆς Ἀγλαύρου τῶν ἐφήβων ὅρκον;“ Vgl. zum historischen Hintergrund Habicht 1961, 12 f. Auch die Kritik Theopomps an den Inschriften FGrH 115 F 153 beziehe sich auf die genannte Diskussion in der Volksversammlung. Da Theopomp noch den Helleneneid und den Kalliasfrieden nennt, sei es möglich, dass Aischines ebenfalls darauf Bezug nahm. Zum Vorwurf des Demosthenes vgl. auch Paulsen 1999, 280 ad loc.; Kellogg 2008, 372; Steinbock 2013a, 94; Schmidt-Hofner 2019, 200. Vgl. Thomas 1989, 84. Vgl. Thomas 1989, 85, die dafür plädiert, dass im Tempel eine Kopie der Inschrift aufgestellt war. Vgl. dazu ausführlich Lambert 2010; ders. 2012b, 255 f. und 265; außerdem Davies 1996, 31 f.; Steinbock 2013a, 93 f.; Gehrke 2014, 27.
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Lykurgos lässt den Ephebeneid und den Eid von Plataiai verlesen, bespricht ausführlich die Inhalte und die damit verbundenen Botschaften. Dabei weist er ausdrücklich darauf hin, dass die Tugend der Vorfahren anhand der geschriebenen Worte erkannt werden könne.151 Im Kontext mehrerer Beispiele zur Bestrafung von Verrat durch die Vorfahren wird auch das Beispiel des hier nicht namentlich genannten Ratsherrn angebracht, der vor der Schlacht bei Salamis dazu geraten habe, Verhandlungen mit dem Perserkönig Xerxes aufzunehmen. Auch in einer anderen Rede wird das Ereignis erwähnt, jedoch ist Lykurgos der Einzige, der auf ein entsprechendes Dekret verweist und dieses dann auch als Beweisstück verlesen lässt.152 Die Beispielhaftigkeit liegt in diesem Fall in dem Dekret selbst als Zeugnis („es ist ein vornehmer Volksbeschluss und eurer Vorfahren würdig“) und weniger in der Handlung, die dazu führte (nämlich in der Tötung durch die anderen Ratsmitglieder).153 Darüber hinaus befasst sich Lykurgos mit der Evakuierung Athens 480 als möglicher Argumentation der Verteidigung und paraphrasiert die Bestimmungen des Kalliasfriedens, in beiden Fällen aber ohne die betreffenden Inschriften zu benennen.154 In der Rede „Gegen Athenogenes“ des Hypereides, die zwischen 330 und 324 gehalten wurde, wird schließlich das Dekret der Troizener angebracht. Da die Troizener den Athenern vor „mehr als 150 Jahren“ gegen die Barbaren geholfen hätten, seien die Athener verpflichtet, auch den Troizenern zur Hilfe zu kommen und hätten dies ja auch durch die Aufnahme und Einbürgerung der notleidenden Troizener nach der Schlacht bei Chaironeia getan.155 Als Beweis für die Richtigkeit seiner Aussage („ταῦτα ὅτι ἀληθῆ λέ[γω“) lässt Hypereides das Dekret der Troizener dann auch verlesen.156
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Lykurg. 1,75–82. Betonung des Geschriebenen bei Lykurg. 1,80: „καὶ γὰρ παλαιῶν ὄντων τῶν τότε πεπραγμένων ὅμως ἱκανῶς ἔστιν ἐν τοῖς γεγραμμένοις ἰδεῖν τὴν ἐκείνων ἀρετήν.“ Dazu Thomas 1989, 88. Zu den räumlichen Aspekten des Eidestextes des Eides von Plataiai selbst vgl. Kap. 2 und 3.2. Lykurg. 1,122. Vgl. Habicht 1961, 22, der das Dekret als Erfindung Lykurgs identifiziert, um die eigentlich gesetzlose Tötung eines Ratsherrn zu legalisieren (ähnliche Überlegungen auch ebenda, 31). Eine Kombination dieses so genannten „Salamis-Dekretes“ mit dem Themistokles-Dekret findet sich bei Demosth. 18,204, ohne dass aber auf die inschriftliche Fixierung der damit verbundenen Ereignisse und Beschlüsse hingewiesen wird. Vgl. auch Thomas 1989, 85 mit Anm. 229. Vgl. Thomas 1989, 85 Anm. 229; 88. In den Kontext der Bestrafung von Verrätern durch die Vorfahren gehört auch die Geschichte um Hipparchos, Sohn des Charmos (117–119), die ebenfalls mit einer Inschrift verknüpft wird, dazu Kap. 5.8. Lykurg. 1,68 f.; 73. Vgl. Habicht 1961, 15 f. Die Evakuierung Athens in Verbindung mit der Person des Themistokles wird auch bei Isokr. 15,233 erwähnt. Vgl. zum historischen Hintergrund Whitehead 2000, 339–346 ad Hyp. 3,31–33; Steinbock 2013a, 98, der betont, dass das Dekret nicht nur in der vorliegenden Rede, sondern wohl auch beim Hilfegesuch der Troizener vor der athenischen Volksversammlung vorgebracht worden sei. Entsprechend der „norm of reciprocity“ könne dieses Argument als Bestandteil des sozialen Gedächtnisses auf die politische Entscheidungsfindung Einfluss nehmen. Hyp. 3,32 f.: „ἀπομνημονεύσαντες τὴν εὐεργεσίαν τ[ὴν] πρὸς τὸν βάρβαρον δι᾽ ἐτῶν πλείόνων [ἢ πε]ντήκοντα κ[αὶ] ἑκατόν, καὶ οἰόμενοι [δεῖν] τοὺς ἐν τοῖς κινδύνοις ὑμῖν χρησίμους [γε]νομένους τούτους ἀτυχοῦντ[ας περ]ις[ωθῆναι] ὑφ᾽ὑμῶν. […] καὶ ταῦτα ὅτι ἀληθῆ λέ[γω, ἀνα]γνώσεται ὑμῖν
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Gerade in der umfassenden Nutzung dieser Dekrete durch Lykurgos, aber auch in den punktuellen Verweisen bei anderen Rednern wird deutlich, dass diese Inschriften als Denkmäler für die Leistungen der Vorfahren fungierten, und damit Bestandteil der „intentionalen Vergangenheitspflege“ der Polis waren.157 Damit sind sie sowohl als Symbole der Zeit der Perserkriege und der folgenden Jahre, als auch besonders der athenischen Kultur und Identität des 4. Jahrhunderts v. Chr. anzusehen.158 5.4.2 Grabepigramme Die „Gräber der Vorfahren“ waren insbesondere in den Gefallenenreden, die ja inmitten dieser Gräber gehalten wurden, ein verbreiteter Aspekt der Ermahnung an die Zuhörer, dem Beispiel der Vorfahren zu folgen.159 Diese paradigmatische Funktion konnten in seltenen Fällen auch die damit verbundenen Inschriften in Form von Epigrammen übernehmen.160 Dabei konnte es sich auch um Gräber handeln, die außerhalb Athens lagen, die den meisten athenischen Bürgern also wohl durch mündliche Überlieferung und nicht aus eigener Anschauung bekannt waren. Das prägnanteste Beispiel findet sich erneut in der Rede „Gegen Leokrates“, in der Lykurgos sich auf die Grabepigramme der gefallenen Spartaner bei den Thermopylen und der Athener bei Marathon als sichtbare Beweise für die Tugend der Vorfahren bezieht, die der Angeklagte Leokrates jedoch missachtet habe. Die Identifizierung und Verortung des dem Dichter Simonides zugeschriebenen Epigramms für die Gefallenen der Schlacht von Marathon ist in der Forschung umstritten.161 Während einerseits vermutet wird, dass die Inschrift mit einem Monument am Soros auf dem Schlachtfeld selbst in Verbindung stand, ist andererseits immer wieder auch eine Anbringung auf der Agora von Athen oder im demosion sema angenommen worden. Darüber hinaus könnte es sich an dieser Stelle auch um ein Epigramm handeln, das in der Stoa Poikile beim Gemälde der Marathon-Schlacht seinen Platz hatte, das aber wiederum erst in einer sehr späten
[…] πρὸς δὲ τούτοις τὸ τῶν [Τροιζηνίω]ν ψήφισμα ὃ ἐψηφίσαντ[ο τῇ πόλει τῇ ὑμ]ετέρᾳ, δι᾽ ὃ ὑμεῖς αὐτοὺς [ὑπεδέξασθε] καὶ πολίτας ἐποιήσασθε.“ 157 Gehrke 2014, 27. Vgl. auch Clarke 2008, 291 mit Anm. 129. 158 Vgl. die Zusammenfassung der Bedeutung des „Eides von Plataiai“ für das Selbstverständnis der Athener im 4. Jahrhundert bei Cartledge 2013, 4, eine Analyse, die sich auch auf die anderen Inschriften dieser Gruppe übertragen lässt. 159 Vgl. dazu Kap. 7. 160 Diese Tatsache ist umso auffälliger, als Grabinschriften den am weitesten verbreiteten Inschriftentyp im antiken Athen darstellten, vgl. Hedrick 1999, 388. 161 Epigr. XXI Page mit dem Kommentar ebenda (gegen eine Platzierung beim Soros von Marathon) = Campbell 1991, 540–541. Ebenso umstritten ist im Übrigen, ob es sich tatsächlich um ein Epigramm des Simonides handelt, vgl. Hölkeskamp 2001, 345 f.; Jung 2006, 120 Anm. 185; 132 Anm. 17; Engels 2008, 165.
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Quelle belegt ist.162 Lykurgos selbst macht an dieser Stelle keine Angabe zur genauen Lokalisierung. Die Athener hätten durch ihren Sieg gezeigt, dass Tapferkeit (andreia) mehr wiege als Reichtum und Tugend (arete) wichtiger sei als die zahlenmäßige Überlegenheit. Das Beispiel der Spartaner zeige ihre herausragende Tapferkeit, auch wenn sie bei den Thermopylen eine Niederlage gegen die Perser hinnehmen mussten.163 Die Epigramme über ihren Gräbern am Ort der Schlacht werden als „wahres Zeugnis ihres Heldenmutes“ bezeichnet, das „für alle Griechen sichtbar“ sei. Es handelt sich also um Zeugnisse, die nicht nur die Spartaner bzw. die Athener betreffen, sondern für eine breite griechische Öffentlichkeit als Adressatenkreis konzipiert sind und „Verhaltensnormen“ transportieren, „die als überzeitlich und immergültig gedacht sind“.164 Dabei ist es wahrscheinlich, dass den meisten Athenern die Verse durch mündliche Tradierung bekannt waren, also auch eine gewisse Bandbreite an Variationen zu erwarten ist.165 Sowohl die Inschrift am Grab der Spartaner als auch diejenige für die Gefallenen von Marathon werden dann von Lykurgos wörtlich zitiert.166 Anschließend hebt Lykurgos die Bedeutung der Inschriften als Teil des Erinnerungsprozesses hervor. Für die Athener selbst sei es gut, „sich an diese Verse zu erinnern“, darüber hinaus würden aber das Lob für die Gefallenen und der Ruhm für die Polis „auf immer und ewig erinnert“.167 Durch die Inschriften wird also die Erinnerung an vorbildliche Taten der Vergangenheit in der Gegenwart gefördert, gleichzeitig wird diese Erinnerung aber auch durch die betreffenden Monumente und ihre Aufschriften selbst in die Zukunft 162 Vgl. die Überlegungen in Kap. 2 ad Lykurg. 1,109. 163 Lykurg. 1,108–110, vgl. dazu auch Kap. 2. 164 Lykurg. 1,109: „τοιγαροῦν ἐπὶ τοῖς ἠρίοις μαρτύρια ἔστιν ἰδεῖν τῆς ἀρετῆς αὐτῶν ἀναγεγραμμένα ἀληθῆ πρὸς ἅπαντας τοὺς Ἕλληνας […].“ Übers. J. Engels. Zur Interpretation des Thermopylenepigramms und seiner Funktion in der Rede des Lykurgos vgl. Albertz 2006, 57–60; 78 f. (Zitat 79). Vgl. dazu Bing 2002, 45 mit Anm. 11, der trotz seiner starken Skepsis gegenüber der Rezeption von Inschriften (und insbesondere inschriftlichen Epigrammen) betont, „that a few exceptional epigrams, like that by Simonides of the dead at Thermopylai, were remembered orally beyond their monuments.“ Zu Entwurf, Intention und Rezeption des Thermopylen-Epigramms vgl. Albertz 2006, 57–66; A. Petrovic 2007, 245–249; 2010, 212 f. 165 Vgl. Higbie 2010, 198 f., die zudem hervorhebt, dass der akkuraten Wiedergabe des „tatsächlich“ Geschriebenen wahrscheinlich keine besondere Bedeutung beigemessen wurde. Eine Rezeption durch das Lesen der Worte auf dem Monument oder das Auswendiglernen im Unterricht sei hingegen nur von der „upper social class“ zu erwarten. 166 Lykurg. 1,109; Die Texte wurden Simonides aus Keos zugeschrieben und werden auch bei weiteren antiken Autoren, teilweise in leichter Abwandlung, überliefert. Marathon: Aristeid. 28,63; Schol. Aristeid. 46,118; Suda s. v. Ποικίλη (Π 3079 Adler); Thermopylen: Hdt. 7,228; Diod. 11,33,2; Strab. 9,4,16; Anth. Pal. 7,249; Suda s. v. Λεωνίδης (Λ 272 Adler) sowie in lateinischer Übersetzung bei Cic. Tusc. 1,42. A. Petrovic 2013, 207 plädiert dafür, dass „Lycurgus was using some sort of collection of verse-inscriptions as a source for the inscriptions set up in the plain of Marathon and in the pass of Thermopylae“. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, bleibt der Befund, dass die Sichtbarkeit und Präsenz der Inschriften stark betont wird. Zur Aufstellung der Epigramme am Schlachtort vgl. auch Osmers 2013, 230 f. 167 Lykurg. 1,110: „Ταῦτα, ὦ Ἀθηναῖοι, καὶ μνημονεύεσθαι καλὰ καὶ τοῖς πράξασιν ἔπαινος καὶ τῇ πόλει δόξα ἀείμνηστος.“ Übers. J. Engels.
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weitergetragen. Diese Erinnerungsträger und die damit verbundenen Botschaften bilden dann die Kontrastfolie für eine weitere Gegenüberstellung mit den Vergehen des Leokrates. Später in der Rede kommt Lykurgos noch einmal auf die Grabepigramme der Gefallenen in Athen selbst zu sprechen: Leokrates habe sich bei seiner Rückkehr nach Athen nicht einmal vor den Grabepigrammen geschämt, die auf den Grabmälern der Gefallenen angebracht seien.168 Die Epigramme verkörpern also die Taten, die sie benennen und für alle sichtbar schriftlich festhalten. Bei den Gefallenen kann es sich sowohl um die Toten der Schlacht bei Chaironeia handeln, derer Lykurgos insbesondere gedenkt, als auch um die ruhmreichen Gefallenen der Vergangenheit Athens insgesamt – so wie auch in den Gefallenenreden immer der Gefallenen des aktuellen Kriegsjahres wie auch vergangener Kriegszüge gedacht wurde.169 Auch in der „Kranzrede“ des Demosthenes, die nur kurze Zeit nach der Rede des Lykurgos „Gegen Leokrates“ datiert, wird die Grabinschrift für die Gefallenen von Chaironeia ausdrücklich im Rahmen einer längeren Passage (18,285–296) erwähnt, die sich mit der Niederlage und den Verlusten der Schlacht auseinandersetzt und gleichzeitig Demosthenes’ Integrität als Redner und Politiker dem Verrat des Aischines gegenüberstellt.170 Demosthenes lässt die Inschrift verlesen und betont, dass sie auf Kosten der Polis angebracht wurde. Mit dem Zitat, das auch den Willen des Zeus und das Schicksal erwähnt, betont der Redner, dass die Niederlage nach dem Willen der Götter geschehen sei und nicht auf seinem Fehlverhalten beruhe, wie es von Aischines geschildert worden sei.171 Demosthenes weist zwar nicht auf die Sichtbarkeit oder den genauen Ort der Inschrift hin,172 da die Niederlage bei Chaironeia aber erst wenige Jahre zurücklag und sich unter den Zuhörern sicherlich auch Hinterbliebene der Gefallenen befanden, konnte der Redner die Kenntnis der Inschrift (als Monument) wohl voraussetzen, der schriftliche Inhalt wird aber dennoch in der Rede wörtlich zitiert.
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Lykurg. 1,142. Vgl. Kap. 7.1 und 7.3. Demosth. 18,289. Demosth. 18,289–290. Bis auf die letzte Zeile der Inschrift, die von Demosthenes im Text der Rede selbst zitiert wird, ist das Epigramm als nachträglich eingefügte Fälschung anzusehen, vgl. Yunis 2005, 104 Anm. 226 ad loc.; Low 2010, 353 Anm. 40, die außerdem mit Bezug auf den abweichenden Text des letzten Verses in IG II2 5226 annimmt, dass Demosthenes sich entweder auf ein anderes Monument oder einen fehlenden Teil desselben Monuments bezieht. Eine andere Möglichkeit sei es, dass Demosthenes davon überzeugt war, dass seine Zuhörer die Inschrift nicht gelesen hatten und deshalb eine eigene, erfundene Version der Inschrift anbringen konnte. Vgl. A. Petrovic 2013, 204, der vermutet, dass hier das Grabmal bzw. Monument für die Gefallenen mit Inschrift auf dem Schlachtfeld selbst, also ein Denkmal außerhalb Athens, gemeint ist. Vgl. dagegen Low 2010, 353 Anm. 40, es handele sich um das Epigramm eines Monuments im demosion sema, möglicherweise eine Variante von IG II2 5226, ähnlich bereits Stupperich 1977, 258 f. Unentschieden Ma 2008, 85 Anm. 97: „The ancient context is unclear, and the text needs re-examining.“
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5.4.3 Monumente und Inschriften: Die Darstellung der Perserkriege in Delphi Die Bezugnahme auf Monumente außerhalb Athens ist bei den Rednern relativ selten anzutreffen, wohl auch aus dem Grund, dass eine unmittelbare Sichtbarkeit der betreffenden Objekte nicht gegeben war.173 In Verbindung mit Inschriften sind es neben den eben angesprochenen Grabepigrammen auch Weihgeschenke an das Heiligtum von Delphi, die von den Rednern, allerdings erst in der 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts, zur Verbildlichung historischer Ereignisse genutzt werden. Im Rahmen der ausführlichen Schilderung der Geschichte der Plataier, ihrer Wohltaten für ganz Griechenland und Athen und ihrer anschließenden Einbürgerung betont der Ankläger in der Rede „Gegen Neaira“ auch das Verhalten der Plataier gegenüber den Spartanern und ihrem „König“ Pausanias. In Zusammenhang damit erfolgt eine Schilderung des Streites um die Inschrift auf dem Weihgeschenk der Griechen in Delphi. Pausanias habe auf dem Dreifuß, den die Griechen nach Delphi weihen wollten, sich selbst als Sieger und Weihenden inschriftlich verewigen wollen. Daraufhin hätten die Plataier im Namen der übrigen Griechen bei den Amphiktyonen Klage gegen die Spartaner erhoben. Die Spartaner hätten ein Bußgeld zahlen müssen, die betreffenden Verse seien ausgemeißelt worden und stattdessen seien die Namen der Städte eingetragen worden, die an den Kämpfen beteiligt waren.174 Besonders wegen dieses Vorgehens sei eine Feindschaft der Spartaner gegenüber Plataiai entstanden; so erkläre sich das spätere militärische Vorgehen der Spartaner gegen die boiotische Polis, das in der Rede ausführlich geschildert wird.175 Diese Erklärung zeigt, welche Bedeutung einer solchen Inschrift und der damit verbundenen Selbstdarstellung zukam, oder aber welche Bedeutung ihr zur Zeit der Rede zugesprochen wurde. Im Apollonheiligtum von Delphi präsentierten sich griechische Poleis, aber auch einzelne Persönlichkeiten einer breiten Öffentlichkeit – umso wichtiger war es, welche Botschaften mit einem solchen prestigeträchtigen Monument verbunden wurden.176
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Markante Ausnahme bilden die Tropaia siegreicher Schlachten, dazu ausführlich Kap. 8. [Demosth.] 59,97 f.: „ἐφ’οἷς φυσηθεὶς Παυσανίας ὁ τῶν Λακεδαιμονίων βασιλεὺς ἐπέγραψεν ἐπὶ τὸν τρίποδα τὸν ἐν Δελφοῖς, ὃν οἱ Ἕλληνες οἱ συμμαχεσάμενοι τὴν Πλαταιᾶσι μάχην καὶ τὴν ἐν Σαλαμῖνι ναυμαχίαν ναυμαχήσαντες κοινῇ ποιησάμενοι ἀνέθηκαν ἀριστεῖον τῷ Ἀπόλλωνι ἀπὸ τῶν βαρβάρων, „Ἐλλήνων ἀρχηγός, ἐπεὶ στρατὸν ὤλεσε Μήδων, Παυσανίας Φοίβῳ μνῆμ’ ἀνέθηκε τόδε.“ ὡς αὑτοῦ τοῦ ἔργου ὄντος καὶ τοῦ ἀναθήματος, ἀλλ’ οὐ κοινοῦ τῶν συμμάχον· (98) ὀργισθέντων δὲ τῶν Ἑλλήνων, οἱ Πλαταιεῖς λαγχάνουσι δίκην τοῖς Λακεδαιμονίοις εἰς τοὺς Ἀμφικτύονας χιλίων ταλάντων ὑπὲρ τῶν συμμάχων, καὶ ἠνάγκασαν αὐτοὺς ἐκκολάψαντας τὰ ἐλεγεῖα ἐπιγράψαι τὰς πόλεις τὰς κοινωνούσας τοῦ ἔργου.“ Der Konflikt wird bereits bei Thuk. 1,132,2–3 geschildert, allerdings in kürzerer Form. Dort erscheint zudem die Ausmeißelung der ersten Inschrift als eine Maßnahme der Spartaner selbst. Zur Erscheinungsform des Denkmals insgesamt Hdt. 9,81; Paus. 10,13,9. Vgl. Trevett 1990, 409–411; Jung 2006, 243–245 zu den verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten sowie 246–248 zum Streit um die Inschrift. [Demosth.] 59,98–103. Vgl. den Überblick bei Maaß 2010 mit der weiteren Literatur.
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Noch stärker an die politischen Umstände der Zeit gebunden ist eine Weihung von goldenen Schilden im neu erbauten Tempel in Delphi, nachdem der alte Apollontempel im Jahr 373 durch ein Feuer zerstört worden war. Aischines schildert, dass die Athener auf Betreiben der Thebaner eine Bestrafung durch den Amphiktyonenrat fürchten mussten, da diese Schilde die folgende Aufschrift trugen: „Die Athener, von den Medern und den Thebanern, als sie gegen die Griechen kämpften.“177 Bei diesen Schilden mit ihrer Aufschrift handelte es sich um „Embleme des Medismos“, die die Thebaner auf keinen Fall tolerieren wollten.178 Bernd Steinbock vermutet, dass es sich um die Nachbildungen von Beutewaffen aus der Schlacht bei Plataiai handelte, die zwar einerseits in ihrer Neuweihung um 340 die anti-thebanische Stimmung im Athen der Zeit reflektieren, gleichzeitig aber wohl frühere Votivgaben ersetzten, die beim Brand des Tempels zerstört worden waren.179 Die beiden genannten Beispiele zeigen, welche Bedeutung der Repräsentation nicht nur der Erinnerung an die Perserkriege durch Monumente, sondern auch durch die darauf angebrachten Inschriften in einem polisübergreifenden Kontext zukommen konnte. Darüber hinaus konnten die Streitigkeiten um solche Inschriften und ihre Deutung auch als historische Stoffe in die Reden des 4. Jahrhunderts eingebunden werden. Auch wenn in diesem Fall nicht alle Bürger die genannten Monumente und Inschriften selbst gesehen haben konnten, kannten sie doch ähnliche Stücke aus den athenischen Heiligtümern180 – hier ist es also die Strategie der Verbildlichung von Ereignissen (vor dem impliziten Hintergrund vergleichbarer Monumente), die über die Frage der konkreten Sichtbarkeit hinaus eine Rolle spielt.
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Aischin. 3,116: „ἐξηγγέλλετο δ᾽ἡμῖν παρὰ τῶν βουλομένων εὔνοιαν ἐνδείκνυσθαι τῇ πόλει, ὅτι οἱ Ἀμφισσεῖς ὑποπεπτωκότες τότε καὶ δεινῶς θεραπεύοντες τοὺς Θεβαίους εἰσέφερον δόγμα κατὰ τῆς ἡμετέρας πόλεως, πεντήκοντα ταλάντοις ζημιῶσαι τὸν δῆμον τὸν Ἀθηναίων, ὅτι χρυσᾶς ἀσπίδας ἀνέθεμεν πρὸς τὸν καινὸν νεὼν πρὶν ἐξαρέσασθαι, καὶ ἐπεγράψαμεν τὸ προσῆκον ἐπίγραμμα, „Ἀθηναῖοι ἀπὸ Μήδων καὶ Θηβαίων, ὅτε τἀναντία τοῖς Ἕλλησιν ἐμάχοντο.“ Carey 2000, 203 Anm. 128 ad loc. zufolge handelt es sich dabei um eine Neuweihung von Schilden aus dem Kampf gegen die Perser 480, da Theben zu der Zeit auf der Seite der Perser gestanden habe. 178 Vgl. Steinbock 2013a, 87 f.; 152; 331, Zitat 88: „These emblems of their medism were surely an intolerable eyesore to the Thebans.“ Steinbock ordnet die Neuweihung der Schilde in den Rahmen der wachsenden Bedrohung durch Philipp von Makedonien in den 350er und 340er Jahren ein, mit dem die Thebaner verbündet waren. In diesem Zusammenhang seien zunehmend Erinnerungshandlungen zu verzeichnen, die an die Ruhmestaten der griechischen Verbündeten und den Verrat Thebens in den Perserkriegen erinnerten. 179 Vgl. Steinbock 2013a, 111 mit Anm. 49. Zu den Neuweihungen als Ausdruck anti-thebanischer Ressentiments Gauer 1968a, 26 f.; Flower/Marincola 2002, 30. 180 Zu den Beutestücken auf der Akropolis und ihrer Erwähnung bei den Rednern vgl. Kap. 3.3.
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5.4.4 Arthmios von Zeleia Ein von mehreren Rednern in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts gern genutztes paradeigma der strengen Bestrafung von Verrätern durch die Vorfahren betrifft die Ereignisse um Arthmios, Sohn des Pythonax, aus Zeleia. Dieser war in seiner Heimatpolis wohl proxenos der Athener, trat aber zwischen 477 und 461 in den Dienst der Perser und wurde mit Bestechungsgeldern auf die Peloponnes geschickt, „um dort Ressentiments gegen die Athener zu schüren und so die Rivalität zwischen den griechischen Städten zu verstärken.“181 Daraufhin wurde er durch die Athener in Athen und im Gebiet der Bundesgenossen für ehrlos (atimos) erklärt, der Beschluss wurde auf einer bronzenen Stele auf der Akropolis veröffentlicht.182 Die unterschiedliche Ausgestaltung der Schilderung dieses Ereignisses sowie die zugrundeliegenden Motive und Interessen der jeweiligen Redner sind in der Forschung bereits unter verschiedenen Gesichtspunkten untersucht worden.183 Ob es sich bei der betreffenden Inschrift (sowie auch den damit verbundenen Ereignissen) um eine Erfindung bzw. Fälschung handelt, spielt für die vorliegende Untersuchung nur eine untergeordnete Rolle184 – wichtig ist auch hier, dass die Schilderung geglaubt und als historisch akzeptiert wurde und damit auch auf eine materielle Seite dieser Überlieferung verwiesen werden konnte. In Zusammenhang mit der räumlichen Komponente der Erinnerung an dieses Ereignis soll hier insbesondere der Umgang mit der Inschrift und ihrem Aufstellungsort genauer betrachtet werden. Die früheste erhaltene Erwähnung findet sich in der Gesandtschaftsrede des Demosthenes, dort spielen gerade die Inschrift und ihre Verortung eine zentrale Rolle.185 Zunächst betont Demosthenes die Rolle der Vergangenheit 181
E. Stein-Hölkeskamp, s. v. „Arthmios“, in: DNP 2 (1997), 64 f. Quellen: Plut. Themistokles 6,3; Schol. Aristeid. 2,217,2; Demosth. 19,269–272; 9,41–44; Aischin. 3,258; Deinarch. 2,24–26. 182 Vgl. zum historischen Hintergrund Meiggs 1972, 508–512; Nouhaud 1982, 239 und Anm. 380 mit der älteren Literatur. Die genaue Datierung des Ereignisses ist unklar, abhängig davon, ob das Dekret Themistokles oder Kimon zugeschrieben wird. Das früheste vorgeschlagene Datum betrifft den Zeitraum von 477 bis 470, das späteste 451/0. Vgl. auch die Überlegungen bei Worthington 1992, 309 ad loc. Zur Platzierung auf der Akropolis vgl. Thomas 1989, 84: „placed prominently on the Acropolis“, wobei der genaue Standort aber nicht mehr erschlossen werden kann. 183 Vgl. Swoboda 1893 auch mit Überlegungen zu Material und Aufstellungsort der Inschrift (62 f.); Cary 1935; Habicht 1961; Nouhaud 1982, 239–242; Famerie 1992. 184 Die Frage, ob es sich bei der Inschrift um eine Fälschung des 4. Jahrhunderts oder ein authentisches, inschriftlich festgehaltenes Dekret des 5. Jahrhunderts handelt, ist in der Forschung umstritten. Habicht 1961, 18–19; 23–25; 27–28 geht von einer Fälschung aus, da die Überlieferung in der Gesandtschaftsrede des Demosthenes das älteste Zeugnis für dieses Dokument und die damit verbundenen Ereignisse darstelle. Aischines und Deinarchos hätte augenscheinlich keine andere Quelle als die Rede ihres Gegners zur Verfügung gestanden. Darüber hinaus werde an keiner Stelle der Antragsteller des Dekretes benannt und auch spätere Autoren stützten sich nur auf die Informationen bei den Rednern. Darüber hinaus führt Habicht begriffliche und historische Argumente an. Für die Authentizität der Inschrift plädieren hingegen Meiggs 1972, 508–512; Thomas 1989, 85; Worthington 1992, 310; Rhodes 2011, 25 f. 185 Demosth. 19,269–272.
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als Anleitung für die gegenwärtigen Umstände insofern, als das Verhalten der Vorfahren, in diesem Fall die strenge Bestrafung von Verrätern und Korruption, nachzuahmen sei.186 Das Beispiel der Bestrafung des Arthmios aus Zeleia wird dann durch die Verlesung der Inschrift eingeleitet, der sicht- und hörbare Text dient also als Ausgangspunkt der nachfolgenden Betrachtungen.187 Nach der Verlesung fasst Demosthenes die wichtigsten Punkte noch einmal zusammen: Arthmios, und mit ihm seine Familie und seine Nachkommen, sei zum Feind des athenischen Volkes („ἐχθρὸν εἶναι καὶ πολέμιον“) erklärt worden, weil er persisches Gold auf die Peloponnes gebracht habe. Die Vorfahren hätten also verhindern wollen, dass Griechenland insgesamt aufgrund von Korruption durch die Perser ein Unglück widerfahre, jetzt aber verhindere man noch nicht einmal, dass ein athenischer Bürger der eigenen Polis Schaden zufüge.188 Zum Abschluss kommt Demosthenes dann noch einmal auf die Inschrift selbst und insbesondere auf ihren Aufstellungsort zu sprechen. Als möglichen Einwand von Seiten der Zuhörer führt der Redner an, dass die Inschrift an irgendeinem zufälligen und beliebigen Ort stünde. Dem hält er entgegen, dass die Inschriftenstele nicht irgendwo auf der Akropolis stehe, sondern direkt neben der bronzenen Statue der Athena (Promachos). Und gerade dieser Aufstellungsort der Inschrift zeige, welche Bedeutung die Vorfahren der Bestrafung solcher Verbrechen beigemessen hätten, wenn sie nämlich die Inschrift und das „ἀριστεῖον τοῦ πρὸς τοὺς βαρβάρους πολέμου“ eines Ortes für würdig befunden hätten.189 Über den Ort, die Akropolis, hinaus wird also eine thematische Verbindung zwischen den beiden Erinnerungsträgern Statue und Inschrift hergestellt. Die Bronzestatue der Athena Promachos, die als Denkmal des Sieges gegen die Perser angesprochen wird, und die Bestrafung eines Mannes, der auf Anweisung der Perser Zwietracht zwischen den griechischen Poleis verbreiten sollte, stehen für das vorbildliche militärische wie diplomatische Verhalten der Vorfahren gegenüber den Persern und ihren Verbündeten. Die Formulierung „ἀκροπόλεως ταυτησὶ“ legt darüber hinaus
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Demosth. 19,269: „ἔστι δ᾽ ὑμῖν, ὦ ἄνδρες Ἀθηναῖοι, περὶ τούτων μόνοις τῶν πάντων ἀνθρώπων οἰκείοις χρῆσθαι παραδείγμασι, καὶ τοὺς προγόνους, οὓς ἐπαινεῖτε δικαίως, ἔργῳ μιμεῖσθαι.“ Der Abschnitt zum Umgang der Vorfahren mit Verrätern umfasst die Paragraphen 258–287. Neben Arthmios von Zeleia dienen dort auch die Verräter Lasthenes und Euthykrates im Konflikt zwischen Olynth und Sparta 382–379, die Bestrafung des Kallias wegen der Annahme von Bestechungsgeldern ebenso wie Epikrates zu Beginn des 4. Jahrhunderts, Thrasyboulos und ein nicht namentlich benannter Nachfahre des Tyrannenmörders Harmodios als Beispiele. Demosth. 19,270. Demosth. 19,271. Vgl. zu dieser Argumentation Milns 1994/95. Demosth. 19,272: „νὴ Δί’, ἀλλ’ ὅπως ἔτυχεν ταῦτα τὰ γράμμαθ’ ἔστηκεν.“ ἀλλ’ ὅλης οὔσης ἱερᾶς τῆς ἀκροπόλεως ταυτησὶ καὶ πολλὴν εὐρεχωρίαν ἐχούσης, παρὰ τὴν χαλκῆν τὴν μεγάλην Ἀθηνᾶν ἐκ δεξιᾶς ἕστηκεν, ἣν ἀριστεῖον ἡ πόλις τοῦ πρὸς τοὺς βαρβάρους πολέμου, δόντων τῶν Ἑλλήνων τὰ χρήματα ταῦτ’, ἀνέθηκεν. τότε μὲν τοίνυν οὕτω σεμνὸν ἦν τὸ δίκαιον καὶ τὸ κολάζειν τοὺς τὰ τοιαῦτα ποιοῦντας ἔντιμον, ὥστε τῆς αὐτῆς ἠξιοῦτο στάσεως τό τε ἀριστεῖον τῆς θεοῦ καὶ αἱ κατὰ τῶν τὰ τοιαῦτ’ ἀδικούντων τιμωρίαι· νῦν δὲ γέλως, ἄδεια, αἰσχύνη, εί μὴ τὴν ἄγαν ταύτην ἐξουσίαν σχήσετε νῦν ὑμεῖς.“
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die Vermutung nahe, dass Demosthenes gestisch auf den Ort verwiesen haben könnte.190 Auch in der „Dritten Rede gegen Philipp“ vor der Volksversammlung zwei Jahre später geht Demosthenes nicht nur auf das Ereignis, sondern auch auf die Inschrift als „schriftliches Zeugnis der Vorfahren“ („γράμματα τῶν προγόνων τῶν ὑμετέρων“) und „Beispiel“ ein, das ausdrücklich als Beweis für die geschilderte strenge Bestrafung von Bestechung und Korruption durch die Vorfahren aufzufassen sei.191 Demosthenes betont dabei, dass er den Beweis eben durch dieses schriftliche Zeugnis und nicht durch seine eigenen Worte erbringen werde.192 Zentrale Passagen des Dekrets werden von ihm selbst verlesen (in der Gesandtschaftsrede hatte er den Text noch vom grammateus verlesen lassen).193 Die Verortung der Inschrift auf der Akropolis wird an dieser Stelle nur kurz erwähnt („εἰς στήλην χαλκῆν γράψαντες εἰς ἀκρόπολιν“), ohne die Bedeutung des Ortes weiter zu erläutern. Schwerpunkt der Betrachtungen bildet hier vielmehr die Ausdeutung der Absichten und Wertvorstellungen der Vorfahren, die Demosthenes dann im Folgenden anstellt.194 Die Erwähnung des Arthmios von Zeleia am Ende der Rede des Aischines „Gegen Ktesiphon“ steht in Zusammenhang mit mehreren visuellen Aspekten, die schon in Zusammenhang mit Person und Gesetzen des Solon präsentiert wurden.195 Gerade die Tatsache, dass es sich um das Schlussplädoyer der Rede handelt und damit einen letzten Höhepunkt der Rede markiert, der noch einmal die besondere Aufmerksamkeit der Zuhörer erreichen soll, zeigt, welche Popularität den erwähnten Personen und Ereignissen zukam.196 Dementsprechend ist auch die Geschichte des Arthmios stark verkürzt dargestellt, die Inschrift als Erinnerungsträger wird nicht erwähnt. Nachdem 190 Vgl. den Kommentar bei MacDowell 2000, ad loc.: „D. gestures towards the Akropolis, which may be visible from the court.“ Zum Aspekt der Sichtbarkeit an dieser Stelle vgl. auch Hartmann 2010, 487 Anm. 431 mit der Schlussfolgerung, dass es sich zum Zeitpunkt der Rede „kaum um eine ganz rezente Fälschung“ gehandelt haben könnte. Zum Areal um die bronzene Athena als prominenten Ort der Aufstellung von Inschriften und weiteren Statuen (in Zusammenhang mit dieser Textstelle) vgl. Monaco 2009, 275 f. sowie 301 zu Inschrift und Statue als „emblemi comuni“ des Sieges über die Perser. 191 Demosth. 9,41: „τὰ δ’ἐν τοῖς ἄνωθεν χρόνοις ὅτι τἀναντί’ εἶχεν ἐγὼ δηλώσω, οὐ λόγους ἐμαυτοῦ λέγων, ἀλλὰ γράμματα τῶν προγόνων τῶν ὑμετέρων ἁκεῖνοι κατέθεντ’ εἰς στήλην χαλκῆν γράψαντες εἰς ἀκρόπολιν [οὐχ ἵν’αὐτοῖς ᾖ χρήσιμα (καὶ γὰρ ἄνευ τούτων τῶν γραμμάτων τὰ δέοντ’ ἐφρόνουν), ἀλλ’ ἵν’ ὑμεῖς ἔχηθ’ ὑπομνήματα καὶ παραδείγματα, ὡς ὑπὲρ τῶν τοιούτων σπουδάζειν προσήκει […]].“ Vgl. Clarke 2008, 290 f.: „This offers quite an interesting example of how the past-present contrast […] might be enhanced by the authentication of the ancient side of the comparison through its being physically fixed to remain constant through time.“ 192 Vgl. Thomas 1989, 88. 193 Demosth. 9,42. Zu den begrifflichen Unterschieden im Gegensatz zur Gesandtschaftsrede und den möglichen Motiven für diese Änderungen vgl. Nouhaud 1982, 239 f. Ausführlich zur Überlieferung in der „3. Rede gegen Philipp“ Colin 1933. 194 Demosth. 9,43–45. 195 Aischin. 3,257–259, vgl. Kap. 5.2. 196 Vgl. bereits Colin 1933, 238.
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die betreffende Inschrift von Demosthenes sowohl in einer Rede vor Gericht als auch vor der Volksversammlung angebracht worden war, konnte ihr Inhalt wohl als bekannt vorausgesetzt werden, sodass Aischines sich hier mit einigen Schlagworten begnügt und die Geschichte mit weiteren historischen Figuren ausschmückt. Das Element der Sichtbarkeit wird hier aber besonders dadurch eingebracht, dass es Aristeides ist, dem der Vergleich zwischen Arthmios und Demosthenes in den Mund gelegt wird. Dieses „Vorbild“ des 5. Jahrhunderts sollen sich die versammelten Richter bildlich auf der Rednerbühne vorstellen – Ziel ist es, die damit verbundene Anklage und den Vergleich noch dramatischer zu gestalten: Arthmios bringe Gold aus dem Perserreich nach Griechenland, Demosthenes aber sei von den Persern bestochen worden und besitze das Geld immer noch. Dennoch solle er nicht bestraft werden, sondern stattdessen mit einer goldenen Krone geehrt werden.197 Obwohl hier weder die Inschrift erwähnt noch direkt daraus zitiert wird, finden sich hier die beiden Begrifflichkeiten der Funktion des Arthmios als proxenos der Athener und die Strafe der atimia miteinander verbunden, so dass von einer Kenntnis der Inschrift und des Textes ausgegangen werden kann.198 In der Rede „Gegen Aristogeiton“ präsentiert Deinarchos, ebenfalls gegen Ende, das Beispiel des Arthmios von Zeleia.199 Da es sich um eine Anklagerede aus dem Harpalos-Prozess handelt, der sich mit dem Tatbestand der Bestechung befasst, liegt die Nutzung dieses historischen paradeigmas nahe.200 Dabei weist Deinarchos zweimal auf die Inschrift in Zusammenhang mit dem Ort ihrer Aufstellung hin. Demnach handelt es sich um eine Stele auf der Akropolis, die als „Beispiel für die Nachfahren“ („παράδειγμα ὑμῖν τοῖς ἐπιγιγνομένοις“) aufgestellt worden sei.201 Nachdem er betont hat, dass auch der Grund für die Verbannung aufgezeichnet wurde, lässt Deinarchos die Inschrift dann verlesen; die Tatsache, dass er die Verlesung mit den Worten „prüft
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Aischin. 3,258 f.: „Ἀριστείδην δὲ τὸν τοὺς φόρους τάξαντα τοῖς Ἕλλησιν, οὗ τελευτήσαντος τὰς τυγατέρας ἐξέδωκεν ὁ δῆμος, σχετλιάζοντα ἐπὶ τῷ τῆς δικαιοσύνης προπηλακισμῷ, καὶ ἐπερωτῶντα, εἰ οὐκ αἰσχύνεσθε, εἰ οἱ μὲν πατέρες ὑμῶν Ἄρθμιον τὸν Ζελείτην κομίσαντα εἰς τὴν Ἑλλάδα τὸ ἐκ Μἠδων χρυσίον ἐπιδημήσαντα εἰς τὴν πόλιν, πρόξενον ὄντα τοῦ δήμου τοῦ Ἀθηναίων, παρ᾽ οὐδὲν μὲν ἦλθον ἀποκτεῖναι, ἐξεκήρυξαν δ᾽ἐκ τῆς πόλεως καὶ ἐξ ἁπάσης ἧς ἄρχουσιν Ἀθηναῖοι, ὑμεῖς δὲ Δημοσθένην, οὐ κομίσαντα τὸ ἐκ Μήδων χρυσίον, ἀλλὰ δωροδοκήσαντα καὶ ἔτι καὶ νῦν κεκτημένον, χρυσῷ στεφάνῳ μέλλετε στεφανοῦν.“ Vgl. Nouhaud 1982, 241; Westwood 2017, 65 f. 198 Vgl. Nouhaud 1982, 241. 199 Deinarch. 2,24–26. Zwar ist die Rede nicht vollständig überliefert, Worthington 2001, 45 nimmt aber an, dass sie ursprünglich nicht viel länger gewesen sein kann. Vgl. auch schon ders. 1992, 312, dass wahrscheinlich nur noch ein allgemeines Fazit folgte. 200 Vgl. Nouhaud 1982, 241. 201 Deinarch. 2,24: „καλῶς γάρ, ὦ Ἀθηναῖοι, καλῶς οἱ πρόγονοι περὶ τούτων ψηφισάμενοι στήλην εἰς ἀκρόπολιν ἀνήνεγκαν, ὅτε φασὶν Ἄρθμιον τὸν Πυθώνακτος τὸν Ζελείτην κομίσαι τὸ χρυσίον ἐκ Μήδων ἐπὶ διαφθορᾷ τὼν Ἑλλήνων. […] καὶ ταῦθ᾽, ὥσπερ εἶπον, εἰς τὴν ἀκρόπολιν εἰς στήλην χαλκῆν γράψαντες ἀνέθεσαν, παράδειγμα ὑμῖν τοῖς ἐπιγιγνομένοις καθιστάντες, καὶ νομίζοντες τὸν ὁπωσοῦν χρήματα λαμβάνοντα οὐχ ὑπὲρ τῆς πόλεως ἀλλ᾽ ὑπὲρ τῶν διδόντων βουλεύεσθαι.“ Vgl. Worthington 1992, 310 ad loc.
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diese Stele“ („καί μοι σκοπεῖτε ταύτην τὴν στήλην“) einleitet, zeigt, dass es sich um einen allgemein bekannten Teil der rhetorischen Argumentation handelte.202 Hätten die Athener schon einen Mann, der kein Hellene sei, wegen dieser Vergehen verbannt, welche Strafe hätten sie dann verhängt, wenn es sich, wie im aktuellen Prozess, um einen Strategen oder Redner aus der eigenen Polis gehandelt hätte?203 Hier, wie auch in den beiden Reden des Demosthenes, wird also die räumliche Präsenz dieses Dekrets und die damit verbundene paradigmatische Funktion der Inschrift für die Zuhörer bzw. die Nachkommen insgesamt hervorgehoben.204 Die Verwendung der Geschichte des Arthmios von Zeleia und seiner Bestrafung durch die Athener interpretiert Ian Worthington als rhetorischen topos, also als historisches Narrativ, das für die Redner bereitlag, um bestimmte Ansichten zum Ausdruck zu bringen.205 Die Strategie der Verbildlichung musste die Eindrücklichkeit eines solchen topos unweigerlich steigern und sollte wohl die Aufmerksamkeit der Zuhörer besonders auf dieses Beispiel lenken. 5.5 Ehreninschriften Berücksichtigt man die erhaltenen Inschriften Athens vom Ende des 6. bis zum Ende des 4. Jahrhunderts, so machen unter den ca. 1000 Dekreten von Rat und Volksversammlung etwa drei Viertel Ehreninschriften für Poleis oder Individuen aus.206 Der größte Teil dieser Ehreninschriften wurde, normalerweise auf Initiative und Kosten der Polis, auf steinernen Stelen im öffentlichen Raum der Polis aufgestellt, ein Großteil wohl auf der Akropolis. Das Motiv für diese öffentliche Aufstellung konnte ab etwa 340 v. Chr. im Dekret selbst verzeichnet sein. Die Inschrift sollte demnach als Ermutigung für andere dienen, gleichermaßen als Wohltäter für die Polis zu agieren, um dann ebenfalls eine solche Ehrung zu erhalten.207 Stephen Lambert vermutet, dass die 202 Deinarch. 2,25. Vgl. Thomas 1989, 84; Worthington 1992, 311 ad loc. sieht die hier getroffenen Aussagen als (indirektes) Zitat der Inschrift. 203 Deinarch. 2,26. 204 Die größte Ähnlichkeit sieht Nouhaud 1982, 241 zwischen Deinarch. 2 und Demosth. 9, da beide an die Entscheidung erinnern, das Dekret auf der Akropolis aufzustellen. Zu den weiteren Gemeinsamkeiten in der Schilderung der historischen Begebenheit auch ebenda, 241 f. 205 Vgl. Worthington 1992, 18–24 generell zur Verwendung von topoi bei den Rednern und 310 f. zu Arthmios von Zeleia. 206 Vgl. Lambert 2011, 194; zu den Ehreninschriften des 4. Jahrhunderts vgl. auch Liddel 2016 mit ausführlicher Dokumentation. 207 IG II2 360 = Rhodes/Osborne 2003, Nr. 95, Z. 61–64: Dekret aus dem Jahr 330/329. Vgl. Lambert 2011, 194. Lambert bezeichnet diese Klauseln mit dem Begriff der „hortatory intentionality“ (195 u. ö.). Er vermutet, dass eine solche Klausel ursprünglich in die gesetzlichen Regelungen zur Gewährung von Ehrungen eingebettet war, die um 350 zu datieren seien (196). Vgl. dazu auch Liddel 2016, 347. Ausführlich zu den unterschiedlichen Formulierungen am Ende eines Inschriftentextes, die sich mit den Motiven der Aufstellung befassten, vgl. Hedrick 1999, 408–425.
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„anspornende Intentionalität“ auch schon zu den früheren Inschriften gehöre, auch wenn eine solche Klausel in den Inschriften vor 340 nicht auftauche.208 Auch vergangene Leistungen, das heißt entweder die Taten des Geehrten selbst, oder aber seiner Vorfahren, konnten in Ehrendekreten ab der 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts benannt werden. Dieser retrospektive Aspekt einer Inschrift konnte durch das „physische Arrangement“ zusätzlich betont werden, indem die Inschrift auf Ehrungen für Vorfahren am gleichen Ort Bezug nahm.209 Ehrendekrete bilden ein wichtiges Thema in den politischen Debatten etwa ab der Mitte des 4. Jahrhunderts, sowohl bezüglich der generellen Prinzipien der Verleihung von Ehrungen bzw. den damit verbundenen Ehrendekreten als auch in Zusammenhang mit individuellen Fällen. Nicht zuletzt stehen eine Ehrung, das zugehörige Ehrendekret und die Bekanntmachung im Dionysostheater zumindest formell im Zentrum der Auseinandersetzung zwischen Aischines und Demosthenes im „Kranzprozess“.210 Mit Abnahme der militärischen Stärke Athens wurden die Ehrenschriften dann als eine Art „diplomatische Waffe“ in zwischenstaatlichen Beziehungen wichtiger.211 Ebenso wie bei anderen Inschriften spricht vieles dafür, die Texte von Ehrendekreten insbesondere als „sprechende Objekte“ zu verstehen. Der bevorzugte Ort der Akropolis unterstrich durch seine besondere Sichtbarkeit den „anspornenden Effekt“, den diese Inschriften weniger durch ihren detaillierten Inhalt, der wohl kaum von allen Besuchern der Akropolis rezipiert wurde, sondern vielmehr durch die bloße Existenz ausüben konnten.212 Der monumentale Aspekt solcher Ehreninschriften wurde dadurch verstärkt, dass sie manchmal durch ein Relief bekrönt wurden, das den Geehrten oft zusammen mit der Göttin Athena zeigte, die ihn in einigen Fällen auch bekränzte.213 Durch die bildliche Anwesenheit der Gottheit wurde außerdem eine göttliche Sanktion des schriftlichen Inhalts deutlich gemacht, die Reliefs hatten also eine Votivfunktion, waren gleichzeitig aber untrennbar mit dem politischen Kontext verbunden.214 Ab 208 Vgl. Lambert 2011, 195: „Commonly an honorific decree represents just one point along a line of mutually beneficial exchanges that extends back generations into the past and is expected to continue long into the future, an extension in time reflected in the wording of the decrees themselves: in the frequent recognition that an honorand’s benefactions continue a tradition of benefaction begun by his ancestors, and in the common extension of honours to descendants.“ Vgl. ebenda, 205 mit entsprechenden Überlegungen in der Geschichtsschreibung bei Hdt. 1,1 sowie Thuk. 1,22 und dem Verweis auf Demosth. 20,64. 209 Vgl. M. Meyer 1989, 25; Lambert 2012b, 256 mit den Belegen. 210 Vgl. Liddel 2007, 171 f.; 2016, 348 f. auch generell zu Ehrungen als Argumenten in den Diskussionen zwischen Demosthenes und Aischines; Lambert 2011, 196. 211 Vgl. Lambert 2011, 196. 212 Vgl. Lambert 2011, 200. 213 Vgl. ausführlich und umfassend M. Meyer 1989, die das Motiv der Bekränzung als „Bildformel für die Ehrung schlechthin“ bezeichnet (136) sowie Lawton 1995, besonders 30–34; Hesberg 2003, 117, der die „Fernwirkung“ solcher Reliefs betont; Blanshard 2004; 2007; Liddel 2007, 174; Lambert 2011, 200. 214 Vgl. Lawton 1995, 27 f.
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dem letzten Drittel des 5. Jahrhunderts sind solche Reliefs insbesondere für auswärtige Wohltäter der Polis Athen belegt.215 Ehreninschriften werden in den Reden insbesondere dann in Verbindung mit historischen Anspielungen und paradeigmata benannt, wenn die Verleihung von Ehrungen in einem konkreten Fall thematisiert wird. Meist handelt es sich dabei um Prozessreden, die sich mit Gesetzesvorschlägen oder Anträgen zu Ehrungen befassen. Dies ist auch in der Rede des Demosthenes „Gegen Leptines“ der Fall, die sich mit der Verleihung von Ehrungen auch anhand von zahlreichen Monumenten und anderen Medien befasst.216 An mehreren Punkten seiner Argumentation weist Demosthenes ausdrücklich auf bestimmte Inschriften, ihre Aufstellungsorte und ihre konkrete Sichtbarkeit hin.217 Dies gilt auch für Ehrungen, die erst wenige Jahre zurücklagen und den Zuhörern damit noch besonders präsent waren. In Zusammenhang mit den Ehrungen für den bosporanischen König Leukon im Jahr 357218 lässt Demosthenes zunächst die betreffenden Ehrendekrete verlesen.219 Darüber hinaus geht er auf die Aufstellungsorte der Inschriftenstelen ein: Sowohl die Athener als auch der Geehrte hätten Inschriftenstelen mit Kopien dieser Dekrete sowohl am Bosporus als auch im Piräus und in Hieron (bei Byzantion, an der Einfahrt zum Schwarzen Meer) aufgestellt.220 Gerade die Aufstellung im Hafen der Polis Athen 215
Vgl. Lawton 1995, 5 f. mit dem ausführlichen Katalog. Deutlich bereits bei der Ehrung für Apollonophanes aus Kolophon des Jahres 427/26 (IG I3 65, Lawton 1995, Nr. 65 s. auch Nr. 81 Ende 5. / Anfang 4. Jh. und Nr. 89 =IG II2 89; Nr. 90 vom Beginn des 4. Jhs., in allen diesen Fällen kann der Geehrte nicht identifiziert werden). Vgl. auch das nur fragmentarisch erhaltene Relief der Ehrung für Epikerdes von Kyrene (IG I3 125, Lawton 1995, Nr. 10) aus dem Jahr 405/4, das den Geehrten und eine weitere Figur (wahrscheinlich Athena?) zeigt. Da von der Figur der Göttin nur der untere Teil erhalten ist, kann ihre Handhaltung bzw. eine Bekränzung nicht erschlossen werden, vgl. Lawton 1995, 87 mit der älteren Literatur. Deutlich zu sehen ist die Bekränzung durch Athena hingegen auf der Stele mit der Ehrung für Phokinos, Nikandros und Dexi[ppos] (IG II2 231; Lawton 1995, Nr. 36) des Jahres 347/46 sowie bei weiteren Beispielen aus der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts (Lawton 1995, Nr. 43 (aus dem Demos Eitea); 49; 124; 126; 131; 134; 137; 140; 141). Hinzu kommen weitere Figurenkonstellationen im Relief, die ebenso zu einer Monumentalisierung und Visualisierung der entsprechenden Inschrift beitrugen. 216 Neben den Inschriften spielen insbesondere auch die Ehrenstatuen eine zentrale Rolle, vgl. dazu Kap. 4, dort auch zum historischen und rechtlichen Kontext der Rede. 217 Vgl. West 1995; Clarke 2008, 291; M. Bakker 2012a, 401 f.; Kremmydas 2012, 8 und zu den einzelnen Textstellen. 218 Leukon regierte von ca. 390 bis ca. 350 und hatte sich um die Getreideversorgung Athens verdient gemacht, dazu auch Strab. 7,4,4–6. Das Ehrendekret aus Athen ist nicht erhalten, anders als Ehrendekrete der Arkader (CIRB 37) oder aus Mytilene (Syll.3 212) für diesen Herrscher. Zur Getreideversorgung Athens im 5. Jahrhundert und den damit verbunden Beziehungen zu den bosporanischen Herrschern vgl. Moreno 2007. 219 Demosth. 20,35. 220 Demosth. 20,36: „Ὡς μὲν εἰκότως καὶ δικαίως τετύχηκεν τῆς ἀτελείας παρ᾽ ὑμῶν ὁ Λεύκων, ἀκηκόατ᾽ ἐκ τῶν ψηφισμάτων, ὦ ἄνδρες δικασταί. τούτων δ᾽ ἀπάντων στήλας ἀντιγράφους ἐστήσαθ᾽ ὑμεῖς κἀκεῖνος, τὴν μὲν ἐν Βοσπόρῳ, τὴν δ᾽ ἐν Πειραιεῖ, τὴν δ᾽ ἐφ᾽ Ἱερῷ.“ Zum Standort der Ehreninschrift vgl. Lambert 2012b, 260, dort auch der Verweis auf die Ehreninschrift für die Söhne des Leukon, Spartokos, Pairisades und Apollonios aus dem Jahr 347/6 (IG II2 212 = Lambert 2012b,
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zeigt die Verbindung von Inhalt und Ort der Aufstellung, da der Genannte für die Unterstützung der Getreideversorgung Athens geehrt wurde.221 Die Aufstellung an unterschiedlichen Orten garantierte den Ehrungen für Leukon eine breite Öffentlichkeit. Die Sichtbarkeit der Inschriften war dabei nicht nur in Athen selbst gegeben, sondern auch im Fall von Hieron wahrscheinlich, da die dortige Inschrift von den Getreideschiffen von und nach Athen aufgrund der Lage des Ortes am Eingang zum thrakischen Bosporos sichtbar gewesen sein könnte.222 Rosalind Thomas sieht die Funktion dieser Stelen in der Darstellung oder auch Verkörperung der aufgezeichneten Übereinkunft.223 Dementsprechend sei es, so fährt Demosthenes fort, auch für jeden zu sehen, dass sich Leukon an die Abmachungen gehalten habe, die Athener aber nicht, obwohl die Stelen mit den zugehörigen Ehrungen weiterhin sichtbar seien. Die Athener hätten sie also durch ihr Verhalten ungültig gemacht. Ein solches Verhalten sei noch schlimmer als die Stelen niederzureißen, denn so stünden die Stelen als Beweise für das Fehlverhalten der Polis, das mit dem Verb „βλασφημεῖν“ als ein Akt der Entweihung, ein Frevel gegen die Götter hervorgehoben wird.224 Hier sind drei Elemente des Umgangs mit Inschriften und den zugehörigen Inschriftenträgern hervorzuheben: ihre Sichtbarkeit für alle, ihre Funktion als Beweise und die Verkörperung der Ehrungen, die in den Inschriften festgelegt wurden. Hervorzuheben ist auch die ausführliche Besprechung der Wohltaten und Ehrungen des Epikerdes aus Kyrene in der gleichen Rede.225 Demosthenes weist ausdrücklich auf das Dekret vom Ende des 5. Jahrhunderts hin (20,42: „οὗτος γὰρ ἁνήρ, ὡς τὸ ψήφισμα τοῦτο δηλοῖ τὸ τότε αὐτῷ γραφέν …“) und lässt den Text dann auch verlesen.226 Ein Ehrendekret
Nr. 19), in der auch bestimmt wurde, dass die neue Stele „neben derjenigen für Satyros und Leukon“ aufgestellt werden sollte (Z. 46–47). Lambert vermutet deshalb, dass die ältere Stele „something of a Piraeus landmark“ darstellte. Vgl. bereits ders. 2011, 195; 200 mit Anm. 20 sowie Löhr 2000, Nr. 132 und 133. Harding 2015, 48 gibt an, dass auch eine Statue des Leukon aufgestellt wurde, allerdings gibt er dazu keine Quellenbelege an. 221 Vgl. Liddel 2003, 82. 222 Vgl. den Kommentar von Kremmydas 2012, 259 f. ad loc. Die Vermutung unter Verweis auf IG II2 212,46–47, eine weitere Stele habe sich auf der Agora von Athen befunden, lässt sich hingegen nicht nachvollziehen. Liddel 2007, 173; M. Bakker 2012a, 401. 223 Vgl. Thomas 1989, 50: „It is the stelai themselves that he cites, not simply their written content, or a remote decree in the abstract. The stelai themselves are the convenants.“ 224 Demosth. 20,37: „μὴ γὰρ οἴεσθ᾽ ὑμῖν ἄλλο τι τὰς στήλας ἑστάναι ταύτας ἢ τούτων πάντων ὧν ἔχετε ἢ δεδώκατε συνθήκας, αἷς ὁ μὲν Λεύκων ἐμμένων φανεῖται καὶ ποιεῖν ἀεί τι προθυμούμενος ὑμᾶς εὖ, ὑμεῖς δ᾽ἑστώσας ἀκύρους πεποιηκότες, ὃ πολὺ δεινότερον τοῦ καθελεῖν· αὗται γὰρ οὑτωσὶ τοῖς βουλομένοις κατὰ τῆς πόλεως βλασφημεῖν τεκμήριον ὡς ἀληθῆ λέγουσιν ἑστήξουσιν.“ Kremmydas 2012, 260 f. betont hier die Formalisierung der Ehrungen zu συνθήκας, um den Gedanken einer bindenden Vereinbarung zwischen zwei Parteien hervorzuheben, ebenso Canevaro 2016, 261 ad loc. Vgl. auch M. Bakker 2012a, 401, der hervorhebt, dass die Formulierung „ἑστώσας ἀκύρους“ dazu dient, eine Verbindung zwischen räumlichem und konzeptuellem Aspekt (also zwischen Stele und den enthaltenen Abmachungen) der Ehreninschrift herzustellen. 225 Demosth. 20,41–45. 226 Demosth. 20,42 und 44.
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des Jahres 405/4 für Epikerdes und das zugehörige bildliche Relief, das wohl den Geehrten mit Athena und eventuell einer weiteren Figur zeigte, ist erhalten, allerdings kann der ursprüngliche Standort aufgrund der Fundsituation nicht mehr erschlossen werden.227 Es scheint sich bei diesem Dekret um eine bildlich monumentalisierte Inschrift zu handeln, die sich also zur Visualisierung des hier angebrachten paradeigmas besonders eignete. Auch am Ende des Abschnitts zu den Ehrungen für fremde Wohltäter (Demosth. 20,30–66), zu dem auch die Überlegungen zu den Ehrungen für Leukon gehören, greift Demosthenes diese zentralen Elemente noch einmal auf. Dabei verbindet er die sinnliche Wahrnehmung des Hörens der soeben in Zusammenhang mit den verschiedenen Ehrungen verlesenen Dekrete mit der optischen Wahrnehmung durch das Betrachten der Inschriften. Auch hier sind es weniger die Texte als vielmehr die Stelen als materielle Erinnerungsträger, die als Denkmäler des ethos der Polis dienen und als sichtbare paradeigmata für zukünftige Wohltäter stehen können.228 Inschriften bilden damit eine entscheidende Unterstützung der Überzeugungskraft des Redners durch exemplarische Bezüge zur Vergangenheit. Sie betonen die grundlegende Kontinuität der Polis im Umgang mit ihren Wohltätern sowie vorbildliche Taten einzelner Individuen.229 Auch im Abschnitt zu den athenischen Wohltätern und ihren Ehrungen (Demosth. 20,67–87) wird die Rolle von Inschriften hervorgehoben. Als Alleinstellungsmerkmal der Ehrung für den Strategen Konon wird die Inschrift auf seiner Stele benannt, die ihn als Befreier der athenischen Verbündeten bezeichne. Diese Ehrung sei als Zeichen dafür anzusehen, dass Konon den Respekt der Athener gewinnen wollte, diese aber die Bewunderung der anderen Griechen. Denn wenn ein athenischer Bürger einer anderen Polis Wohltaten erweise, so erhalte auch die Polis einen Anteil an seinem Ruhm („τούτου τὴν δόξαν τὸ τῆς πόλεως ὄνομα καρποῦται“).230 Auch die Ehrung für den Strategen Chabrias wird besonders betont und verlesen.231 Dass die Anführung von (Ehren-)Inschriften auch zu Diskus227 IG I3 125; Vgl. Lawton 1995, Nr. 10 sowie die Verweise und Erklärungen 6 und 87 mit der älteren Literatur; Kremmydas 2012, 267 f. 228 Demosth. 20,64: „…προσήκει τοίνυν τὰς στήλας ταύτας κυρίας ἐᾶν τὸν πάντα χρόνον, ἵν᾽, ἕως μὲν ἄν τινες ζῶσι, μηδὲν ὑφ᾽ ὑμῶν ἀδικῶνται, ἐπειδὰν δὲ τελευτήσωσιν, ἐκεῖναι τοῦ τῆς πόλεως ἤθους μνημεῖον ὦσι, καὶ παραδείγματα ἑστῶσι τοῖς βουλομένοις τι ποιεῖν ὑμᾶς ἀγαθόν, ὅτι τοὺς εὖ ποιήσαντας ἡ πόλις ἀντ᾽ εὖ πεποίηκεν.“ Vgl. Thomas 1989, 50: „The sentence slips between decrees being read out, inscriptions and the actual honour, the stelai are memorials and paradigms.“ Vgl. auch ebenda 65, die Verbindung der Textstelle mit einer Stele zur Verzeichnung der Wohltäter kann aber nicht überzeugen. Vgl. zur Textstelle außerdem West 1995, 237; Clarke 2008, 291; Lambert 2011, 205 mit dem Verweis auf ähnliche Gedanken (allerdings bezüglich der Fortdauer der Geschichtsschreibung in der Zukunft) bei Hdt. 1,1 und Thuk. 1,22; Kremmydas 2012, 305 f. ad loc; M. Bakker 2012a, 401 f.; Canevaro 2016, 301 ad loc. 229 Vgl. Clarke 2008, 291. 230 Demosth. 20,69. Vgl. J. Shear 2011, 237 sowie den Kommentar bei Kremmydas 2012, 312 ad loc. und die weiteren Überlegungen zu den Ehrungen für Konon im Kap. 4.3.1. 231 Demosth. 20,84–86. Vgl. dazu M. Bakker 2012a, 397; Kremmydas 2012, 334 f. ad loc.; Canevaro 2013, 2.
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sionen und unterschiedlichen Interpretationen führen konnte, zeigt dann die Stellungnahme des Demosthenes zu einer möglichen rhetorischen Verwendung der Ehreninschriften in der so genannten Hermenstoa an der Agora durch die Verteidigung.232 Es gebe in diesem Zusammenhang das übliche Argument („πρόχειρος λόγος“), dass in der Zeit der Vorfahren keine Ehrungen wie im zeitgenössischen Athen vorgenommen wurden und die betreffenden Wohltäter solche Ehrungen auch nie eingefordert hätten. Es wird also deutlich, dass nicht nur im vorliegenden Fall, sondern wohl auch zu anderen Anlässen die Argumentation aus dem Text der Hermeninschriften abgeleitet wurde und die Verlesung dieser Inschriften, die hier ebenfalls erwähnt wird, in diesem Kontext ein allgemein bekanntes rhetorisches Mittel war.233 Demosthenes stellt die betreffenden Argumente als nachteilig für die Polis und falsch dar: Entweder würde man damit ausdrücken, dass kein einziger Wohltäter irgendwelcher Ehrungen für würdig zu erachten sei, oder aber man bezichtige die Polis der Undankbarkeit. Richtig sei vielmehr, dass jede Zeit ihre eigene Form der Ehrung für verdiente Bürger vorsehe, und dass dementsprechend auch die Strategen des 5. Jahrhunderts diejenigen Ehrungen erhalten hätten, die sie sich wünschten.234 Hier wird also die Bedeutung von Inschriften und ihre Verlesung in Zusammenhang mit einer bestimmten Argumentationsstruktur und Thematik hervorgehoben, gleichzeitig aber zurückgewiesen (was Demosthenes aber nicht davon abhält, in seiner eigenen Rede zahlreiche inschriftliche Zeugnisse anzubringen – er spricht sich hier auch nicht generell gegen Inschriften als Beweismittel aus). Die generelle Bedeutung von Inschriften als Erinnerungsträger wird dann gegen Ende der Rede betont: Die Privilegien, deren Abschaffung nun gefordert werde, seien vom Demos selbst bezeugt und in Form von Inschriften aufgezeichnet worden, sie befänden sich in Heiligtümern und seien allgemein bekannt.235 Inschriften werden hier also als Zeugnisse charakterisiert, die durch einen hervorgehobenen Aufstellungsort und ihre große Bekanntheit Autorität aus232 233
Demosth. 20,112–114. Demosth. 20,112: „Ἔστι τοίνυν τις πρόχειρος λόγος, ὡς ἄρα καὶ παρ᾽ ἡμῖν ἐπὶ τῶν προγόνων πόλλ᾽ ἀγάθ᾽ εἰργασμένοι τινὲς οὐδενὸς ἠξιοῦντο τοιούτου, ἀλλ᾽ ἀγαπητῶς ἐπιγράμματος ἐν τοῖς Ἑρμαῖς ἔτυχον·“ Zur Formulierung Kremmydas 2012, 382 und ff. zum Hermenepigramm und seiner Bedeutung an dieser Stelle, vgl. auch Canevaro 2016, 375 f. ad loc sowie ders. 2017, 183 f. Ein späteres Beispiel einer solchen Argumentation bildet Aischin. 3,183–185. Die Deutung von Thomas 1989, 67, Demosthenes drücke hier die geringe Rezeption der Inschriften aus, beruht wohl auf einer Fehlinterpretation des Textes. Die Argumentation bei A. Petrovic 2013, 208, dass die Hermenepigramme zuerst von Leptines zitiert worden seien, ist nicht überzeugend, es handelt sich lediglich um das erste bezeugte Beispiel. 234 Demosth. 20,113 f. Vgl. dagegen Aischin. 3,183 (Hermeninschriften) und 186 (Marathongemälde in der Stoa Poikile). In beiden Fällen hätten die Strategen um bestimmte Formen der Ehrung, nämlich namentliche Nennung, gebeten, die ihnen aber insbesondere für das Marathongemälde in der Stoa Poikile nicht gewährt wurden. 235 Demosth. 20,149: „μὴ τοίνυν ἂ μὲν ἦν ἀμάρτυρα, ταῦτ᾽ ἐπὶ τῇ τοῦ δήμου προφάσει διὰ σοῦ δεδόσθω, ὧν δ᾽αὐτὸς ὁ δῆμος μαρτυρίας ἔστησεν ἐν τοῖς ἱεροῖς ἀναγράψας καὶ πάντες συνίσασιν, ταῦτ᾽ ἀφελέσθαι παραίνει·“ Vgl. auch Canevaro 2016, 412 ad loc.
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strahlen – vor dem Hintergrund dieser greifbaren Zeugen wird eine Rücknahme von einmal gewährten Privilegien zu einem Affront gegenüber dem Geehrten wie auch der gesamten Polis. Abschließend wird das so genannte Demophantos-Dekret aus dem Jahr 410 angeführt. Neben der Erinnerung an die empfangenen Wohltaten sollten sich die Athener die „Stele des Demophantos“ in das Gedächtnis rufen, aus dem dann eine Bestimmung genannt wird: Wenn jemand bei der Verteidigung der Demokratie stürbe, so sollten ihm die gleichen Ehrungen zuteilwerden wie Harmodios und Aristogeiton.236 Auch hier scheint es sich um eine Inschrift gehandelt zu haben, die sich bei den Rednern besonderer Beliebtheit erfreute. Demosthenes spielt hier darauf an, dass auch sein Vorredner Phormio auf diese Stele Bezug genommen hatte.237 Mit dem Zitat aus dem inschriftlichen Text des Dekrets kann Demosthenes gleich auf zwei historische Beispiele Bezug nehmen: Auf die Bestimmungen der Stele selbst und auf die Tyrannenmörder Harmodios und Aristogeiton, die hier als Vorbilder und Prototypen aller nachfolgenden Geehrten erscheinen.238 Vor dem Hintergrund dieses Vergleichs aufgrund von sichtbaren Erinnerungsträgern wie der Inschrift, aber hier auch der weiteren Medien, die mit der Ehrung der Tyrannenmörder in Zusammenhang standen, kann Demosthenes dann noch einmal von den versammelten Richtern fordern, sich ihrem Eid aus dem Demophantos-Dekret entsprechend gegen das Gesetz des Leptines auszusprechen – ein Appell, mit dem er und seine Mitkläger dann auch erfolgreich sein sollten.239 Insgesamt kann die Einbindung inschriftlichen Materials in die Rede Zeugnis von der räumlichen Konzeptualisierung von Gesetzen und Dekreten geben, da diese als integraler Bestandteil des monumentalen urbanen Raumes erscheinen, der die politischen Versammlungsräume umgab und von allen An-
236 Demosth. 20,159: „ἀλλ᾽ ἀναμνησθέντες τῶν καιρῶν, παρ᾽ὃυς εὖ πεπονθότες εὖ πεποιήκατε τοὺς εὐρομένους, καὶ τῆς Δημοφάντου στήλης περὶ ἧς εἶπε Φορμίων, ἐν ᾗ γέγραπται καὶ ὀμώμοται, ἄν τις ἀμύνων τι πάθῃ τῇ δημοκρατίᾳ, τὰς αὐτὰς δώσειν δωρεὰς ἅσπερ Ἁρμοδίῳ καὶ Ἀριστογείτονι, καταψηφίσασθε τοῦ νόμου.“ 237 Vgl. Thomas 1989, 76; Kremmydas 2012, 445 f. ad loc. mit besonderer Betonung der Sichtbarkeit: „The allusion to the stele of Demophantos also exploits its visibility as a physical presence in a public space of the city very much like the stelai honouring Leukon and the other benefactors.“ Zur Erwähnung der Stele in der Rede des Phormio spekuliert Kremmydas, diese sei wohl ein „memorable highlight“ (446) gewesen. Vgl. auch Canevaro 2016, 422 f. ad loc. Die weiteren Erwähnungen des Demophantos-Dekretes bei den Rednern sind in Kap. 5.1 zusammengefasst. 238 Zur der Verbindung zwischen dem Demophantosdekret und der Statuengruppe der Tyrannenmörder auch in räumlicher Hinsicht auf der Agora vgl. J. Shear 2007b, 152 und besonders 159; 2011, 102: „This setting reinforced the oath’s stipulation that the Athenians follow the model of Harmodios and Aristogeiton and become the slayers of tyrants because the sculptured figures themselves served as models for the proper behaviour for Athenians.“ Je nach Aufstellungsort der Stele sei es sogar möglich gewesen, von dort direkt zu der Statuengruppe zu blicken. Zu den Tyrannenmördern und den Ehrungen insbesondere durch Statuen vgl. Kap. 4.2. 239 Vgl. E. Harris 2008, 20 f.; Kremmydas 2012, 60, der die erfolgreiche Anklage u. a. auch mit der Redestrategie des Demosthenes in Verbindung bringt: „Demosthenes offered the city a vision for the future based on the trusted values of the past.“
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wesenden gesehen und überprüft werden konnte.240 Es wird deutlich, dass Inschriften ebenso wie Ehrenstatuen die Ehrungspraxis der Polis in Vergangenheit und Gegenwart widerspiegeln konnten.241 Eine zentrale Rolle bei der Untersuchung von Ehreninschriften als Erinnerungsträger nimmt die bereits zu Anfang des Kapitels angebrachte Passage in der Rede des Aischines „Gegen Ktesiphon“ ein, in der dieser den versammelten athenischen Richtern in Form eines imaginären Rundgangs über die Agora zu zeigen versucht, dass die von Ktesiphon vorgeschlagene Ehrung für Demosthenes völlig unangebracht sei, indem er Demosthenes und seine Leistungen mit ruhmreichen Taten und Personen der Vergangenheit vergleicht. Die grundlegende Botschaft aller angebrachten Beispiele ist, dass die Athener in der Vergangenheit die Verdienste des Demos als Kollektiv über die Leistungen einzelner Führungspersönlichkeiten stellten.242 Dabei nähert Aischines sich der Frage der Inschriften von zwei Seiten an: Einerseits wird betont, dass die großen Männer der Vergangenheit gerade nicht in und durch Inschriften geehrt wurden, andererseits zitiert Aischines mehrfach Inschriften des 5. Jahrhunderts, um die Unterschiede in der Ehrungspraxis aufzuzeigen. Zunächst wird Demosthenes direkt mit Themistokles, Miltiades, den nicht namentlich benannten Männern aus Phyle („οἱ ἀπὸ Φυλῆς φεύγοντα τὸν δῆμον καταγαγόντες“) sowie Aristeides verglichen. Trotz ihrer herausragenden Verdienste sei für keinen dieser Männer ein Dekret über ihre Bekränzung überliefert. Viel wichtiger als das geschriebene Wort sei die unsterbliche Erinnerung durch diejenigen, denen sie geholfen hätten – also das individuelle Erinnern und seine mündliche Weitergabe an die nachfolgende Generation.243 Aus der anfänglichen Antithese zwischen Ehrung durch Erinnerung und Ehrung mit Bekränzung wird schließlich ein Gegensatz zwischen Inschrift und Erinnerung hergestellt.244 In den folgenden 240 M. Bakker 2012a, 402: „His use of epigraphical material attests to the spatial conceptualisation of laws and decrees as they are presented as an integral part of the monumental urban space that surrounded Athens’ political venues and could be seen and checked by all.“ 241 Vgl. Thomas 1989, 49. 242 Aischin. 3,181–190. Der Abschnitt ist in der Forschung schon lange als außergewöhnlich wahrgenommen, vielfach besprochen und bewertet worden, vgl. ausführlich Hobden 2007, 494–499; ebenda, 495 Anm. 13 auch mit Überlegungen zur Sichtbarkeit der genannten Denkmäler vom Gerichtshof aus. Hobden vergleicht außerdem die Betonung der Verdienste des Demos in dieser Redepassage mit der Bewertung des Einsatzes für die Polis in den Gefallenenreden. J. Shear 2007a, 106 f.; Clarke 2008, 257 f.; Hesk 2012, 220 mit der treffenden Zusammenfassung: „At each monument, Aeschines ‚performs a reading‘ of the buildings, their inscriptions and images, to show that in the old days the Athenians honoured the collective valour over and above the achievements of individual leaders.“ (ähnlich Hobden 2007, 495); Blanshard 2014, 261 f.: „The monument teaches the jury a moral lesson about status, individuals, and the collective.“ (261) 243 Aischin. 3,182: „οὐ γὰρ ᾤοντο δεῖν ἐν τοῖς γράμμασι τιμᾶσθαι, ἀλλ᾽ ἐν τῆ μνήμῃ εὖ πεπονθότων, ἣ ἀπ᾽ ἐκείνου τοῦ χρόνου μέχρι τῆσδε τῆς ἡμέρας ἀθάνατος οὖσα διαμένει.“ Vgl. dazu auch die Einleitung zum Kapitel. 244 Vgl. Thomas 1989, 89 mit Verweis auf Thuk. 2,43,3: dort wird eine ähnliche Aussage für die Gefallenenrede des Perikles überliefert: „ἀνδρῶν γὰρ ἐπιφανῶν πᾶσα γῆ τάφος, καὶ οὐ στηλῶν μόνον ἐν τῇ οἰκείᾳ σημαίνει ἐπιγραφή, ἀλλὰ καὶ ἐν τῆ μὴ προσηκούσῃ ἄγραφος μνήμη παρ᾽ ἑκάστῳ τῆς
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Paragraphen bringt der Redner dann einige Beispiele für Ehrungen in der Vergangenheit an, um diese These zu belegen. Dabei begegnet immer wieder das Phänomen, dass die Ehrung einzelner Männer durch Inschriften angefochten, gleichzeitig aber die tragende Rolle von Inschriften als Erinnerungsträgern hervorgehoben wird. Zunächst widmet sich Aischines den Strategen, die für den Sieg gegen die Perser bei Eion am Strymon verantwortlich waren. Sie hätten nach ihrer Rückkehr den Demos um eine Ehrung gebeten und daraufhin das Recht erhalten, drei steinerne Hermen in der Hermenstoa aufzustellen, unter der Bedingung, dass ihre Namen nicht dort verzeichnet würden. Damit sollten die Inschriften, die auf den Hermen angebracht wurden, mehr als Ehrung des Demos als der Strategen wahrgenommen werden.245 Wie wichtig diese Inschrift und ihre Wahrnehmung durch die versammelten Athener ist, zeigt Aischines dann durch die Wiedergabe des auf den Hermen verzeichneten Textes, der als Beweis für die Informationen dient, die der Redner zuvor gegeben hat, gleichzeitig aber ein Panorama der glorreichen Vergangenheit Athens aufzeigt.246 Dabei werden auf der ersten Herme alle Kämpfer der Schlacht bei Eion gewürdigt, während auf der zweiten Herme die Verdienste der führenden Strategen hervorgehoben werden, wie zuvor bereits von Aischines betont ohne ihre Namen zu nennen. In Zusammenhang damit wird auch die Vorbildfunktion dieser Männer hervorgehoben, die ausdrücklich durch die Betrachtung der Inschrift transportiert werde.247 Auf der dritten Herme wird dann
γνώμης μᾶλλον ἢ τοῦ ἔργου ἐνδιαιτᾶται.“ Vgl. dazu auch Kellogg 2008, 368; Arrington 2011, 181 f.; Walter-Karydi 2015, 156. 245 Aischin. 3,183: „Ἦσάν τινες, ὦ ἄνδρες Αθηναῖοι, κατὰ τοὺς τότε καιρούς, οἳ πολὺν πόνον ὑπομείναντες καὶ μεγάλους κινδύνους ἐπι τῷ Στρυμόνι ποταμῷ ἐνίκων μαχόμενοι Μήδους· οὗτοι δεῦρο ἀφικόμενοι τὸν δῆμον ᾔτησαν δωρεάν, καὶ ἔδωκεν αύτοῖς ὁ Ἑρμᾶς στῆσαι ἐν τῇ στοᾷ τῇ τῶν Ἑρμῶν, ἐφ’ᾧτε μὴ ἐπιγράφειν τὸ ὄνομα τὸ ἑαυτῶν, ἵναμὴ τῶν στρατηγῶν, ἀλλὰ τοῦ δήμου δοκῇ εἶναι τὸ ἐπίγραμμα.“ Vgl. dazu Gauthier 1985, 122 f.; Stein-Hölkeskamp 1989, 214; Steiner 2001, 267; Bielfeldt 2012, 92; Balot 2014, 184 f. Kritisch zum historischen Ablauf bereits T. Hölscher 1973, 55–57. Zur Wahrnehmung und Sichtbarkeit der Hermeninschriften vgl. Osborne 1985, besonders 61; Thomas 1989, 86 mit der Literatur Anm. 237; 216: „The victory was remembered ultimately because of the written epigrams which survived purely oral tradition“ Aufgrund dieser Inschrift als Hauptquelle sei auch der Name Kimons im Zusammenhang mit der Schlacht in Vergessenheit geraten. M. Meyer 2005, 295–297. Eine in Fragementen erhaltene Pelike, die dem Pan-Maler (also der Zeit zwischen 480 und 450, ARV2 555.92) zugeschrieben wird, reflektiert möglicherweise das Erscheinungsbild dieser Hermen. Vgl. Arrington 2015, 196 f. und ausführlich Shapiro 2012, 162–167. 246 Aischin. 3,184–185. Da diese Inschriften nur in der literarischen Überlieferung vorliegen, kann nicht mehr nachvollzogen werden, ob Aischines hier die Verse korrekt wiedergibt, vgl. Hobden 2007, 496 mit Anm. 16. Vgl. dagegen A. Petrovic 2013, 207 f., der in Strophe a,5–6 aufgrund metrischer Ungenauigkeit und einer ev. falschen Reihenfolge der Strophen eine literarische Quelle (anstatt eigene Anschauung am Original) für das zitierte Epigramm annimmt. 247 Aischin. 3,184: „μᾶλλόν τις τάδ᾽ ἰδὼν καὶ ἐπεσσομένων ἐθελήσει/ἀμφὶ ξυνοῖσι πράγμασι μόχθον ἔχειν.“ Vgl. zur Inschrift als Ermutigung für die Nachkommen A. Petrovic 2010, 214 f.; Lambert 2011, 195 f. Wie Hobden 2007, 496 hervorhebt, beinhaltete gerade die dritte Strophe „a strong Cimonian subtext“, der den Zeitgenossen des 5. Jahrhunderts sicherlich bewusst war. Dieser Subtext kann aber in der 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts verringert oder gar verschwunden sein, zumal wenn man bedenkt, dass Kimon in den historischen Schilderungen der Redner kaum eine Rolle spielt:
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eine Verbindung zu den Heldentaten der Athener im Trojanischen Krieg unter der Führung des Menestheus hergestellt, damit sollen die Siege gegen die Perser in die gleiche heroische Tradition gestellt werden wie die mythischen Kämpfe gegen Troja.248 Die namentliche Nennung des Menestheus muss umso mehr auffallen, da sie den Strategen von Eion gerade nicht zugestanden wird.249 Auch in Zusammenhang mit dem Marathon-Gemälde wird auf die Bedeutung von Inschriften verwiesen. So habe Miltiades um die Ehrung einer Namensbeischrift gebeten, diese aber vom Volk nicht erhalten.250 Wie bei so vielen anderen bei den Rednern angebrachten historischen Beispielen ist die Frage, ob es eine solche Anfrage tatsächlich gegeben hat, nebensächlich251 – vielmehr zeigt es die herausragende Bedeutung, die einer solchen namentlichen Inschrift in Athen zugemessen wurde. Aischines’ Interpretation der Stoa Poikile und insbesondere des Marathon-Gemäldes als Denkmal des athenischen Kollektivs war aber wahrscheinlich nur eine von mehreren Deutungsmöglichkeiten. Aischines selbst erkennt ja die Prominenz der Figur des Miltiades im Rahmen des Gemäldes an und nimmt an, dass die Zuhörer auch ohne Inschrift noch zu seiner Zeit wissen, wer dargestellt ist.252 Zuletzt wendet sich Aischines den Männern zu, die, so wird es von den Rednern mehrfach geschildert,253 von Phyle aus die Herrschaft der Dreißig bekämpft und die Demokratie wiederhergestellt hatten. Ausdrücklich weist er auf die Sichtbarkeit der
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And. 3,3 (= Aischin. 3,186); [And.] 4,33; Demosth. 13,29; 23,204 f., vgl. Nouhaud 1982, 219–221, der Kimon als „le grand oublié parmi les ‚personnages‘ de la Pentékontaétie“ (221) bezeichnet. Aischin. 3,185; Menestheus bei Hom. Il. 2,552–554. Vgl. dazu den Kommentar bei Carey 2000, 227 Anm. 211 ad loc. Ebenda, Anm. 210 auch der Verweis auf die in vielen Einzelheiten abweichende Wiedergabe der Hermeninschriften bei Plut. Kimon 7. Zu den Mythen um Menestheus und ihren bildlichen Darstellungen als möglichen Anknüpfungspunkten an die Inschrift vgl. ausführlich Shapiro 2012, 167–176. Vgl. Welwei 2000b, 304. Aischin. 3,186. Vgl. den Kommentar bei Carey 2000, 228 Anm. 213 ad loc., der das Beispiel als rein rhetorische Erfindung bewertet. Die Kritik bezieht sich insbesondere auf die Bezeichnung des Miltiades als „Sohn des Kimon“ – es wird wohl eher Kimon, der Sohn des Miltiades gemeint sein. Davon abgesehen wird aber eine Diskussion um die Gestaltung der Gemälde in der Stoa Poikile als durchaus plausibel angesehen, vgl. Stein-Hölkeskamp 1989, 214–216; Shapiro 1992, 31. Zur Forschungsdiskussion Krumeich 1996, 44 mit Anm. 4. Vgl. Hobden 2007, 496. Auch weitere Personen wie der Polemarch Kallimachos und der Heros Echethleus wurden deutlich hervorgehoben und konnten noch von Pausanias (1,15,3) identifiziert werden. Eine andere Interpretation des Marathon-Gemäldes mit anderen Schwerpunkten bietet [Demosth.] 59,94. „It seems plausible that Aeschines’ analysis was just one amongst a number of competing analyses potentially familiar to the jurors.“ So werden Thrasyboulos und seine Verbündeten stark verkürzt als „οἱ ἀπὸ Φυλής“ bezeichnet: Lys. 31,8–9; Aischin. 3,187; Demosth. 24,134. Außerdem wird der Sturz der Herrschaft der Dreißig als „ἀπὸ Φυλῆς κατελθεῖν“ (Lys. 16,4; 28,12; 31,8; Aischin. 2,176; 3,195) oder „οἱ ἀπὸ Φυλὴς τὸν δῆμον καταγαγόντες“ (Aisch. 3,181; 187; 190; 208; Demosth. 19,280; 24,135) bezeichnet. Vgl. zu diesen Formulierungen Steinbock 2013a, 236 f. mit den Anm. 77–79.
Ehreninschriften
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im Metroon aufbewahrten Ehrung für diese Personen hin.254 Nachdem Aischines einige Überlegungen zur Beantragung des Dekrets durch Archinos aus Koile und zu den bescheidenen Ehrungen angestellt hat, die dort neben den Namen der Männer verzeichnet seien und ganz im Gegensatz zu dem für Demosthenes geforderten Kranz stünden, lässt er als Beweis das betreffende Dekret verlesen. Zusätzlich lässt Aischines auch das Epigramm für die Männer aus Phyle verlesen, das wohl am Dekret zur Ehrung der Demokraten angebracht war.255 Durch die Beschreibung zusammen mit den Hermeninschriften und den Gemälden der Stoa Poikile als Zeugnisse für militärische Siege gegen auswärtige Feinde wird auch der Sieg der Demokraten als ein solcher präsentiert.256 Die historischen Informationen, die Aischines hier als Argumente gegen die beantragte Ehrung für Demosthenes anbringt, werden also durch Inschriften belegt und veranschaulicht. Im Fall des Stoa Poikile ist es eine nicht vorhandene Inschrift, im Fall der Ereignisse von Phyle werden dagegen sogar zwei schriftliche Dokumente verlesen. Neben diesen beiden Reden, die sich intensiv mit den Ehreninschriften auseinandersetzen, befassen sich einige Reden mit einzelnen Ehreninschriften, die in den speziellen thematischen Kontext der Rede eingebunden werden. So beschäftigt sich Apollodoros im Rahmen seiner Rede „Gegen Neaira“ mit den historischen paradeigmata von Bürgerrechtsverleihungen. Besonders ausführlich wird das Beispiel der Bürgerrechtsverleihung an die Plataier geschildert, indem zunächst das Verhältnis zwischen den beiden Poleis und die Geschichte der Plataier seit der Schlacht von Marathon dargestellt wird.257 Im Rahmen dieser Schilderung spielen mehrere materielle Erinnerungsträger eine Rolle: Das Marathon-Gemälde in der Stoa Poikile, die Schlangensäule in Delphi und ihre Inschrift sowie das Ehrendekret zur Verleihung des Bürgerrechts an die Plataier in Verbindung mit einer Liste ebenjener Plataier, die das Bürgerrecht erhielten.258 Nach der Verlesung des Dekrets, das mit den Worten „πάλιν σκοπεῖτε“ einge254 Aischin. 3,187: „ἐν τοίνυν τῷ Μητρώῳ ἣν ἔδοτε δωρεὰν τοῖς ἀπὸ Φυλῆς φεύγοντα τὸν δῆμον καταγαγοῦσιν, ἔστιν ἰδεῖν.“ Vgl. zur Betonung des Aufstellungsortes an dieser Stelle auch Steinbock 2013a, 93. 255 Aischin. 3,190, die Inschrift ist stark fragmentiert erhalten (CEG 431; SEG 28,45). Vgl. Raubitschek 1941; M. Taylor 2002; Wolpert 2002a, 87 f., der die monumentale Wirkung der Inschriften betont; Hobden 2007, 498 f.; Lambert 2012b, 258; A. Petrovic 2013, 204; 207; Steinbock 2013a, 237–239, der zudem die Rolle der Inschrift als materielle Erinnerung für spätere Generationen hervorhebt; zur Erinnerung an die „Männer aus Phyle“ in weiteren Medien vgl. ebenda, 235–245. Auch der Ort Phyle selbst wurde demnach zum „topographical and narratological fixed point“, an den sich die Erinnerung an den Sturz der Herrschaft der Dreißig anbinden ließ (244). Zur monumentalen Erinnerung an die „Männer aus Phyle“ vgl. auch J. Shear 2011, 232–234, die u. a. betont, dass es sich um das erste (erhaltene) inschriftlich festgehaltene Dokument zu Ehren von Athenern handelt (mit Anm. 27); 245; 297–301; 305 f.; vgl. dies. 2013, 533. 256 Vgl. J. Shear 2011, 305. 257 [Demosth.] 59,94–107. 258 [Demosth.] 59,94 (Stoa Poikile); 97 f. (Schlangensäule, dazu Kap. 5.4.3); 105 (Bürgerrecht für Plataier).
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leitet wird, und der Betonung, dass jeder Plataier vor der Verleihung des Bürgerrechts einer Überprüfung (dokimasia) unterzogen wurde, berichtet der Redner weiter, dass „diejenigen, die bei der Überprüfung anerkannt worden sind, auf einer Marmorstele eingetragen werden, die auf der Akropolis bei der (Statue der) Göttin (Athene) aufzustellen ist, damit dadurch dieses Geschenk auch für die Nachkommen der Empfänger gesichert werde und damit man untersuchen könne, mit wem ein jeder durch Abstammung verwandt sei.“259
Die Liste steht also sichtbar für alle auf einer steinernen Stele inschriftlich verzeichnet an einem öffentlich zugänglichen Ort, der darüber hinaus durch seine Sakralität der Ehrung Geltung verleiht.260 Außerdem wird vorausgesetzt, dass die Liste der Plataier auch weiterhin konsultiert und gelesen wurde, um Abstammungsfragen zu klären.261 Dabei scheint die Stele vom Dekret selbst getrennt gewesen zu sein, dessen Verortung hier nicht genau angegeben wird.262 Dass das Dekret auch über diese Rede hinaus einen Referenzpunkt bei weiteren Bürgerrechtsverleihungen darstellte, zeigt eine spätere Inschrift, die auf das Dekret auf der Akropolis verweist.263 Darüber hinaus werden Ehreninschriften oft in Zusammenhang mit weiteren Ehrungen, wie zum Beispiel Ehrenstatuen, erwähnt, wie es auch in der oben untersuchten Rede „Gegen Leptines“ bei der Betrachtung der Verdienste und Ehrungen des Strategen Konon der Fall ist.264 Dabei können Teile der betreffenden Inschriften zitiert oder eine sichtbare Stele als Inschriftenträger benannt werden. Dieser Effekt der vielfachen Veranschaulichung durch die Vernetzung verschiedener Medien der Erinnerung kann am Beispiel der Tyrannenmörder deutlich gemacht werden: In der Rede des Demosthenes „Gegen Meidias“ ist allgemein von den „μέγισται […] δωρεαὶ“ für die
259 [Demosth.] 59,105: „… ἔπειτα τοὺς δοκιμασθέντας ἀναγραφῆναι ἐν στήλῃ λιθίνῃ, καὶ στῆσαι ἐν ἀκροπόλει παρὰ τῇ θεῷ, ἵνα σῴζηται ἡ δωρεὰ τοῖς ἐπιγιγνομένοις καὶ ᾖ ἐξελέγξαι ὅτου ἂν ἕκαστος ᾖ συγγενής.“ Übers. K. Brodersen. Ausführliche Besprechung des Dekrets bei Canevaro 2013, 196– 208; auch die Bestimmung zur Verzeichnung der Namen auf einer Stele sei wohl Bestandteil des Dekrets gewesen, auch wenn der in die Rede eingefügte Text diese nicht wiedergebe (201), einer der Punkte, die zeigten, dass es sich hier um einen nachträglich eingefügten bzw. gefälschten Text handele. 260 Ob es sich um die Statue oder den Tempel der Athena auf der Akropolis handelt, sei dahingestellt. Zur Übersetzungsproblematik an dieser Stelle vgl. Kap. 3.3, vgl. Thomas 1989, 64 mit der Ortsangabe „nahe beim Tempel der Göttin“, ebenso Canevaro 2013, 199. 261 Vgl. Steinbock 2013a, 93, der die Stele darüber hinaus als „memorial of the Plataeans’ loyalty toward Athens and of their undeserved fate“ bezeichnet, ähnlich auch ebenda, 123. 262 Vgl. Thomas 1989, 65. 263 IG II/III2 237, Z. 17, 338/7. Vgl. dazu Thomas 1989, 65 (dort auch die Übersetzung: „The decree in which the grant was made is inscribed on the Acropolis“). 264 Demosth. 20,69.
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beiden Geehrten die Rede, die auch die Statue mit einschlossen, die Stele wird dann aber ausdrücklich erwähnt.265 5.6 Goldene Kränze und andere Weihgeschenke mit Inschriften In der Rede „Gegen Androtion“, die Demosthenes im Jahr 355 als Logograph für Diodoros als zweiten Redner der Anklage verfasst hat, befasst sich ein längerer Abschnitt mit den Weihungen von goldenen Kränzen auf der Akropolis als Erinnerungszeichen einer ruhmreichen Vergangenheit.266 Dabei werden neben den im Folgenden behandelten Inschriften auf goldenen Kränzen, die der Athena auf der Akropolis geweiht waren, zentrale als Denkmäler fungierende Bauten, die Propylaia, der Parthenon, Stoai und Hafenanlagen als Visualisierungen der ruhmreichen Vergangenheit in den Mittelpunkt gestellt. Die zentrale Rolle der goldenen Kränze mit den Inschriften ergibt sich aus der Tatsache, dass dem Angeklagten vorgeworfen wird, diese eingeschmolzen und daraus Opferschalen („φιάλαις“) mit anderer Aufschrift hergestellt zu haben.267 Die Bedeutung der zerstörten Objekte mit ihren Inschriften liegt nach Ansicht des Redners zunächst in ihrer Funktion und ihrem Alter. Es handelt sich um sakrale Objekte („χρήματα ἱερά“), von denen einige schon vor der Lebenszeit der Zuhörer geweiht wurden.268 Darüber hinaus widmet sich der Redner aber vor allem den Inschriften, die auf oder neben den Kränzen verzeichnet waren.269 Er bezeichnet diese als „καλὰ καὶ ζηλωτὰ ἐπιγράμματα“, der Begriff „ζηλωτός“ drückt nicht nur Bewunderung für die verzeichneten Leistungen aus, sondern beinhaltet auch den Aspekt des Nacheiferns. 265 Demosth. 21,170. Thomas 1989, 64 zufolge handelte es sich um „one of the best known of the city’s inscriptions“. Dafür, dass diese Inschrift tatsächlich gelesen wurde, gebe es allerdings nur schwache Belege, da es bei den rhetorischen Anspielungen meist um die Stele als paradeigma und Denkmal gehe. Auch Demosth. 20 erwähnt mehrfach Ehrendekrete in Zusammenhang mit den Tyrannenmördern (20,127; 159). 266 Demosth. 22,69–78. 267 Demosth. 22,73. Vgl. E. Harris 2008, 195 Anm. 106 ad loc. Es scheint sich bei diesem Vorgang um eine durchaus gebräuchliche Routineangelegenheit gehandelt zu haben, vgl. auch D. Harris 1995, 31–36. Das Dekret beruht auf einem Vorschlag des Androtion vor 365/4, das Einschmelzen der Kränze erfolgte dann durch die tamiai der Athena, vgl. E. Harris 2008, 167 f. 268 Demosth. 22,71. 269 Vgl. Richardson 2015, 353, es wird demnach aus dem Text nicht deutlich, ob die Inschriften auf den Kränzen selbst oder als separate Beschriftung beigefügt waren. D. Harris 1995, 104–105 plädiert für separate Beschriftungen, die in einem der erhaltenen Dekrete erwähnt würden (IG II2 212, Z. 34–49). Die dort verwendete Formulierung ist aber so vage gehalten, dass ebenso auch die Beschriftung der Kränze selbst gemeint sein könnte. Möglich ist auch, dass nicht alle Kränze mit demselben Typ der Beschriftung versehen waren, so wurden manche Kränze schon mit Inschriften geweiht, das heißt eventuell von den Weihenden selbst dort angebracht. Möglich wäre auch eine Verzeichnung der Inschrift auf einer Stele mit vorspringenden Stützen, um den Kranz dort anzubringen. Bei der Zerstörung der Kränze wären diese separaten Inschriften dann auch zerstört worden.
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Inschriften
Demgegenüber werden die neuen Inschriften als „ἀσεβῆ καὶ δεινὰ“ aufgefasst.270 Vor der Nennung der einzelnen Inschriften wird ihre Sichtbarkeit betont: „οἶμαι γὰρ ὑμᾶς ἅπαντας ὁρᾶν ὑπὸ τῶν στεφάνων ταῖς χοινικίσι κάτωθεν γεγραμμένα.“271 Hier wird angenommen, dass jeder der Zuhörer diese Inschriften schon einmal gesehen hatte – sicher ein Mittel der rhetorischen Verstärkung, da die Kränze wohl in den Tempeln aufbewahrt wurden, in die sie geweiht worden waren und nur an Festtagen öffentlich präsentiert wurden.272 Dann werden einige der Inschriften wörtlich zitiert. Es handelt sich um Weihinschriften der Bundesgenossen, aber auch einzelner Poleis, die der Göttin Athena oder auch dem Demos gewidmet waren. Auch Individuen wie der Stratege Konon hatten augenscheinlich für militärische Erfolge der Athena einen solchen Kranz geweiht.273 Aufgrund der Tatsache, dass hier mehrere Beispiele genannt und wörtlich zitiert werden, vermutet Molly Richardson, dass der Redner zwar voraussetzt, dass die Zuhörer die Inschriften gesehen haben, aber nicht ausdrücklich erwartet, dass diese auch gelesen wurden.274 Darüber hinaus ist aber auch zu betonen, dass der Redner hier von Objekten spricht, die aktuell nicht mehr sichtbar sind, da sie zerstört wurden. Er kann also nicht, wie in vielen anderen Fällen der Erwähnung materieller Objekte, davon ausgehen, dass seine Zuhörer idealerweise noch auf dem Weg zum Gerichtshof mit dem Anblick konfrontiert waren. Die vom Redner angenommene Vertrautheit mit diesen Objekten kann daraus resultieren, wo und wann die Inschriften aufgestellt waren oder wie oft diese Gegenstände auch zu anderen Gelegenheiten erwähnt wurden. Ihre Prominenz, die augenscheinlich unabhängig von der aktuellen physischen Präsenz war, hängt möglicherweise auch mit der besonderen Form der Monumente zusammen. Eine Sammlung von goldenen Kränzen mit Inschriften stellte ein außergewöhnliches Zeugnis dar.275 Der Redner fährt fort: Die auf den Kränzen verzeichneten Inschriften seien ein Zeichen der Bewunderung („ζῆλον“) und der Ehrliebe („φιλοτιμίαν“) gewesen, die durch das Einschmelzen verloren gingen. Diesen werden 270 Demosth. 22,72. 271 Demosth. 22,72. Vgl. Montgomery 1983, 32. Den Verweis auf die Sichtbarkeit der Inschriften an dieser Stelle betont besonders Richardson 2015, 353. 272 Vgl. D. Harris 1995, 105 Anm. 3. 273 Demosth. 22,72. Vgl. Funke 1983, 154 f.; D. Harris 1995, 105 Anm. 3 vermutet, dass der von Konon geweihte Kranz in den Inventarlisten des Erechtheion erwähnt wird (IG II2 1424a und 1425,283 ff.) und dass die Bürger diesen an Festtagen sahen, wo er öffentlich ausgestellt oder bei Prozessionen mitgetragen wurde. Die Kränze der Bundesgenossen stammen aus den Jahren 377/6 bis 368/7, vgl. D. Harris 1995, 32 mit Anm. 127 mit den Belegen und weiterer Literatur, f. auch zu den Vorwürfen des Demosthenes gegen Androtion und der möglichen Datierung der Einschmelzung der genannten Kränze; Liddel 2007, 201 f. Zum Kranz des Konon auch Kap. 4.3.1. 274 Vgl. Richardson 2015, 354 Anm. 11. 275 Richardson 2015, 359. Richardson verweist in diesem Zusammenhang auf die häufige Erwähnung Solons und der solonischen Gesetze in der Rede (Demosth. 22,25 f. und besonders 30–32) als Kontrast zur Person und Gesetzgebung des Angeklagten. Auch diese Gesetze waren schließlich auf außergewöhnlichen Inschriftenträgern verzeichnet, diese würden allerdings als bekannt vorausgesetzt und nicht eigens erwähnt, auch die Sichtbarkeit werde nicht hervorgehoben.
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wiederum der niedere Charakter und die banalen Gegenstände und Inschriften des Angeklagten gegenübergestellt.276 Im Rahmen dieser Argumentation werden mehrere Funktionen der Inschriften deutlich: Die Kränze, die diese Inschriften tragen, sind Symbole der dort verzeichneten Taten, rufen Bewunderung hervor und fordern zur Nachahmung auf. Diese Funktion können sie durch ihre konkrete Sichtbarkeit in zentralen sakralen Räumen der Polis einnehmen. Demgegenüber erscheinen die Handlungen und materiellen Hinterlassenschaften eines Androtion als unwürdig. In der Rede „Gegen Timokrates“, die zwei Jahre später gehalten wurde, werden die Überlegungen zu den goldenen Kränzen mit ihren Inschriften fast wörtlich noch einmal aufgenommen, da es sich bei Timokrates um einen Verbündeten des zuvor Angeklagten Androtion handelt, der hier ebenfalls namentlich angesprochen wird.277 Zu den beispielhaft zitierten Inschriften wird diejenige des Chabrias aus der Beute der Seeschlacht bei Naxos hinzugefügt – eine Tatsache, die neben der allgemeinen Bekanntheit des Chabrias wie auch des Konon und anderer Strategen auch in der prominenten Aufstellung ihrer Ehrenstatuen auf der Agora gespiegelt wird.278 In einer zusätzlich eingefügten Passage werden den Angeklagten drei Verbrechen vorgeworfen, derer sie sich durch das Einschmelzen der Kränze schuldig gemacht hätten: Sie hätten der Göttin die Kränze geraubt und dadurch zweitens den Geist des Nacheiferns ausgelöscht, der in den auf den Kränzen verzeichneten Taten hervorgerufen wurde. An dieser Stelle wird die Bedeutung der Kränze (und ihrer Inschriften) als „ὑπομνήματα“ deutlich hervorgehoben. Schließlich hätten sie die Weihenden einer großen Ehre beraubt, nämlich Dankbarkeit für empfangene Wohltaten zu zeigen.279 Auch in einem weiteren Prozess kurz nach der Mitte des 4. Jahrhunderts, in der sich ein gewisser Euxitheus gegen seine Streichung aus der Demenliste wehrt, spielen Weihgeschenke mit Inschriften eine Rolle in der Argumentation. Hier geht es allerdings um Waffen (opla), die der Kläger selbst der Göttin Athena gewidmet hatte. Seine Gegner hätten diese Schilde entfernt und die Inschrift gelöscht, die seine Demenge276 Demosth. 22,73: „ταῦτα μὲν τοίνυν, ἃ ζῆλον πολὺν εἶχε καὶ φιλοτιμίαν ὑμῖν, ἠφάνισται καθαιρεθέντων τῶν στεφάνων.“ 22,74 ist eine fälschliche Einschiebung aus Demosth. 24,182, vgl. E. Harris 2008, 195 Anm. 108 ad loc. In 22,75 erfolgt dann noch einmal der Vergleich zwischen den Kränzen als „ἀρετῆς σημεῖον“, während die Schalen nur Symbole des Reichtums seien. Richardson 2015, 254 betont, dass die Sichtbarkeit der Schalen (im Gegensatz zu den Kränzen) vom Redner nicht erwähnt wird. Vermutlich befanden sich die Schalen aber an den gleichen Orten wie zuvor die Kränze, also in verschiedenen Tempeln auf der Akropolis und eventuell auch auf der Agora. Die genauen Aufbewahrungsorte, also konkrete Tempel oder andere Bauten, werden aber nicht erwähnt und müssen deshalb Spekulation bleiben. 277 Demosth. 24,180–183. 278 Demosth. 24,180. Zu den Statuen des Konon und des Chabrias in den Reden vgl. Kap. 4.3.1 und 4.3.2. 279 Demosth. 24,182: „τρία τοίνυν ἐκ τούτου τὰ δεινότατ᾽ ἄν τις ἴδοι πεπραγμέν᾽ αὐτοῖς. τὴν μὲν γὰρ θεὸν τοὺς στεφάνους σεσυλήκασι· τῆς πόλεως δὲ τὸν ζῆλον ἠφανίκασι τὸν ἐκ τῶν ἔργων, ὧν ὑπόμνεμα ἦσαν ὄντες οἱ στέφανοι· τοὺς δ᾽ ἀναθέντας δόξαν οὐ μικρὰν ἀφῄρηνται, τὸ δοκεῖν ὧν ἂν εὖ πάθωσιν ἐθέλειν μεμνῆσθαι.“
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nossen zu seinen Ehren dort angebracht hätten.280 Hier sollen also sowohl die materielle, nicht-schriftliche als auch die schriftliche Erinnerung an eine Person zerstört werden, um diese nach Art einer damnatio memoriae aus dem öffentlichen Gedächtnis zu entfernen. Ausdrücklich wird die Inschrift als derjenige Teil der Weihung bezeichnet, der Euxitheus zur Ehre gereiche.281 5.7 Verträge Die öffentliche Aufstellung und die Verstetigung des schriftlich Festgelegten auf Stein liegt besonders für Verträge nahe. Eine Inschrift des Jahres 363/2 über einen Vertrag zwischen Athen und der Polis Iulis beinhaltet beispielsweise die Bestimmung, dass der Text auf einer Stele zu verzeichnen sei, damit das Bündnis Gültigkeit bekommen könne.282 Die öffentliche Aufstellung wird damit Teil des Vertrages, „die Inschrift ist ein Monument oder Denkmal, dessen öffentliche Präsenz und Existenz die andauernde Kraft der verzeichneten Entscheidung garantiert.“283 Welche Bedeutung diese öffentliche Präsenz von Verträgen im politischen und rechtlichen Diskurs hatte, zeigt die Tatsache, dass Verträge zwischen zwei oder mehreren Vertragsparteien, ihre Entstehung und die Orte ihrer Aufstellung entsprechend dem historischen Kontext der Reden ein oft vertretenes Thema sind. An dieser Stelle sollen diejenigen Beispiele genauer beleuchtet werden, die auf in der Vergangenheit geschlossene Verträge und dabei explizit auf die damit verbundenen Inschriften eingehen. Die „Friedensrede“ des Andokides aus dem Jahr 391 ist das früheste erhaltene Beispiel für die Anführung von Inschriften in diesem Kontext. Da Andokides (letztlich ohne Erfolg) darum bemüht ist, für einen Frieden mit Sparta zu werben, widmet er sich der Geschichte von vergangenen Konflikten und anschließenden Friedensschlüssen zwischen Athen und Sparta. Dabei hebt er an mehreren Stellen den Unterschied zwischen dem aufgezwungenen Waffenstillstand am Ende des Peloponnesischen Krieges 404 und den aktuell vorliegenden Vorschlägen eines Friedensschlusses auf Augenhöhe hervor. Er fordert die Zuhörer in der Volksversammlung auf, die Bedingungen
280 Demosth. 57,64: „καὶ γὰρ τοῦτο φανερὸν ἐγένετο, καὶ ὅτι γ᾽ ἱεροσυλήσαντες τὰ ὅπλα (εἰρήσεται γάρ), ἃ ἐγὼ ἀνέθηκα τῇ Ἀθηνᾷ, καὶ τὸ ψήφισμ᾽ ἐκκολάψαντες ὃ ἐμοὶ ἐψηφίσανθ᾽ οἱ δημόται, συνώμνυον οὗτοι ἐπ᾽ ἔμ᾽ οἱ ὑπ᾽ ἐμοῦ τὰ κοινὰ εἰσπραχθέντες.“ 281 Demosth. 57,64: „καὶ τίς ὑμῶν ἂν καταγνοίη μου τοσαύτην μανίαν, ὦ ἄνδρες δικασταί, ὥστε τηλικούτων ἕνεκα πρὸς τὸ πρᾶγμα τεκμηρίων ἄξια θανάτου διαπράξασθαι, καὶ ἃ ἐμοὶ φιλοτιμίαν ἔφερε, ταῦτ᾽ ἀφανίζειν;“ Vgl. Thomas 1989, 52. 282 IG II2 111 = Rhodes/Osborne 39. Vgl. dazu Thomas 1992, 85. 283 Thomas 1992, 85: „The inscription is a monument or memorial whose public presence and very existence guarantee the continuing force of the decision it records.“
Verträge
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auf Basis der damals schriftlich niedergelegten Inschriften zu vergleichen.284 Dieser steingewordene Waffenstillstand mit den Spartanern wird kurz darauf erneut erwähnt, darüber hinaus wird die öffentliche Publikation durch eine steinerne Inschrift in Zusammenhang mit den aktuellen Friedensverhandlungen des Korinthischen Krieges noch einmal aufgenommen.285 Rosalind Thomas nimmt aufgrund der recht detaillierten Überlegungen an, dass Andokides die Stele tatsächlich gelesen haben könnte, auch wenn es erstaunlich wäre, dass die Inschrift, die die vernichtende Niederlage der Athener zur Schau stellte, zum Zeitpunkt der Rede noch gestanden haben sollte. Die umfangreichen Erklärungen des Andokides deuten dann aber darauf hin, dass er nicht erwartete, dass seine Zuhörer ebenfalls die Inschrift konsultiert hatten.286 Auch in Zusammenhang mit dem negativ bewerteten sogenannten Königsfrieden des Jahres 386 kann die Materialität durch Inschriften hervorgehoben werden. Ohne die betreffenden Inschriften direkt zu nennen, betont Isokrates im „Panegyrikos“, dass das veränderte Verhältnis zwischen Persern und Griechen bzw. den Athenern anhand des Kalliasfriedens des 5. Jahrhunderts einerseits und dem nur wenige Jahre zurückliegenden Königsfrieden andererseits deutlich werde.287 Auch wenn gerade Form und Inhalt des Kalliasfriedens stark umstritten sind,288 ist doch die hier postulierte Sichtbarkeit für beide Friedensschlüsse von Bedeutung. Unabhängig von der Frage, ob die Inschrift des Kalliasfriedens tatsächlich präsent war, deutet die vage Wiedergabe des Inhalts, die vielleicht den allgemeinen Kenntnisstand spiegelt, darauf hin, dass der Vertrag nicht gelesen wurde bzw. Isokrates dies von seinen Lesern nicht erwartete.289 Gegen Ende der Rede kommt Isokrates dann erneut auf den Königsfrieden zu sprechen. Er hebt hervor, dass die eigentlich positiven Bestimmungen, nämlich die Autonomie der Inseln und Poleis, schon lange verletzt würden, und „vergebens auf den Stelen“ („μάτην ἐν ταῖς στήλαις“), also ohne jede Durchsetzungskraft, verzeichnet seien. Die Abschnitte jedoch, die Schande über Athen brächten, würden beachtet werden, obwohl man sie besser schon lange gestürzt hätte – auch hier also noch einmal der indirekte Verweis auf die Materialität des Vertrages, dessen Bestimmungen dann als „Befehle“ („προστάγματα“) und nicht als „Verträge“ („συνθήκας“) charakterisiert werden.290 Noch einmal gesteigert wird der Bezug auf die Inschrift als monumentale Verkörperung des Vertrages, indem Isokrates die folgende Bemerkung macht:
284 And. 3,12: „σκέψασθε δὲ ἐξ αὐτῶν τῶν γραμμάτων, ἅ τε ἡμῖν ἐν τῇ στήλῃ γέγραπται, ἐφ᾽οἷς τε νῦν ἔξεστι τὴν εἰρήνην ποιεῖσθαι.“ 285 And. 3,22 und 3,34. 286 Vgl. Thomas 1989, 67. 287 Isokr. 4,120. 288 Dazu sowie zu den anderen „gefälschten“ Urkunden des 5. Jahrhunderts vgl. Kap. 5.4.1. 289 Vgl. Thomas 1989, 67, die aufgrund der Angaben bei Isokrates annimmt, dass die Inschrift des Kalliasfriedens 380 schon vorhanden war (Anm. 173); vgl. auch Hall 2014, 65. 290 Isokr. 4,176. Vgl. Clarke 2008, 292.
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„Er hat uns außerdem gezwungen, diesen Vertrag auf Marmorstelen einzumeißeln und in den allen Griechen gemeinsamen Heiligtümern aufzustellen, was für den Perserkönig ein viel ruhmreicheres Denkmal ist als die auf den Schlachtfeldern errichteten Siegeszeichen. Denn diese stehen für nicht so bedeutende Leistungen und für einen einzigen glücklichen Erfolg, der Vertrag aber steht für den gesamten Krieg und für ganz Griechenland.“291
Die erzwungene Niederschrift des Vertrages auf monumentalen Inschriftenträgern wird verbunden mit ihrer Verortung in mehreren Heiligtümern und in einem weiteren Schritt mit den Tropaia für eine gewonnene Schlacht verglichen.292 Die Inschriften dieses ungerechten Vertrages werden als bessere Tropaia angesehen als diejenigen, welche nach einer Schlacht aufgestellt wurden, da die Inschriften den gesamten Krieg auf Kosten ganz Griechenlands repräsentierten. Das zeigt, welche Bedeutung den Inschriften zumindest in dieser Rede zugesprochen werden kann, obwohl den Monumenten an dieser Stelle keine Funktion als Erinnerungsträger zugeordnet wird, da der angesprochene Abschluss des Königsfriedens erst einige Jahre zurücklag. Allerdings wird eine ähnliche Argumentation von Isokrates vier Jahrzehnte später im „Panathenaikos“ wieder aufgenommen. Erneut wird der Akt des Aufschreibens betont, in diesem Fall, dem Hauptthema der Rede entsprechend, aber den Spartanern zur Last gelegt. Auch diese hätten die Inschriften ausdrücklich auf Stein verzeichnet, in ihren Tempeln aufgestellt und auch ihre Verbündeten gezwungen das Gleiche zu tun.293 Es handelt sich hier um den Schlusspunkt eines längeren Abschnitts mit Überlegungen zum Verhältnis zwischen Athen bzw. Sparta und den Persern (97–107). Dass dieser Abschnitt mit den Inschriften als materiellen Erinnerungsträgern für das schmachvolle Verhalten der Spartaner in diesem Zusammenhang abschließt, zeugt von der wichtigen Bedeutung der Inschriften im Argumentationskontext. Die Rolle von Inschriften als Verkörperung von und damit auch Erinnerung an einen bestimmten Vertrag wird dann besonders deutlich, wenn von den Rednern gefordert wird, bestimmte Vertragsinschriften zu zerstören. Eine solche Maßnahme fordert Isokrates bereits im „Panegyrikos“ bezüglich des Königsfriedens.294 In der Volksver291
Isokr. 4,180: „καὶ ταύτας ἡμᾶς ἠνάγκασεν ἐν στήλαις λιθίναις ἀναγράψαντας ἐν τοῖς κοινοῖς τῶν ἱερῶν καταθεῖναι, πολὺ κάλλιον τρόπαιον τῶν εν ταῖς μάχαις γιγνομένων· τὰ μὲν γὰρ ὑπὲρ μικρῶν ἔργων καὶ μιᾶς τύχης ἐστίν, αὗται δ᾽ ὑπὲρ ἅπαντος τοῦ πολέμου καὶ καθ᾽ ὅλης τῆς Ἑλλάδος ἑστήκασιν.“ Übers. Ch. Ley-Hutton. 292 Zu den Tropaia vgl. Kap. 8, zur kraftvollen Symbolik des Tropaions an dieser Stelle vgl. auch Thomas 1989, 50: „… a powerful visual symbol of defeat.“ 293 Isokr. 12,107: „… ἀλλὰ τὰς τοιαύτας συνθήκας αὐτοί τ᾽ ἐν τοῖς ἱεροῖς τοῖς σφετέροις αὐτῶν ἀνέγραψαν καὶ τοὺς συμμάχους ἠνάγκασαν.“ Vgl. auch den Kommentar bei Roth 2003, 142 ad loc., der zudem die Parellele zu Isokr. 4,180 hervorhebt. 294 Isokr. 4,176. Dass es sich beim Phänomen des Stürzens von Verträgen um eine verbreitete Praxis handelte, zeigt auch die kurze Bemerkung bei Hyp. 20,4 zur Zerstörung der Vertragsstele zwischen Philipp und den Thebanern sowie das Beispiel des Philokratesfriedens bei Philochoros FGrH 328 F 55a.
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sammlungsrede „Für die Megalopoliten“ des Jahres 353/2 fordert dann Demosthenes als Bedingung für eine Unterstützung von Megalopolis gegen die Spartaner, dass die Megalopoliten den Bündnisvertrag mit Theben auflösen.295 Diese Forderung betrifft die Stelen als materielle Inschriftenträger selbst. Diese sollen zerstört werden, um die neue Verbindung zu Athen zu bekräftigen. Die Ansicht der Bürger von Megalopolis sei es aber, dass Freundschaft nicht auf inschriftlichen Stelen, sondern auf gegenseitigen Vorteil begründet sei. Demgegenüber hält Demosthenes noch einmal fest, dass die Zerstörung der Stelen eine unabdingbare Voraussetzung sei.296 Hier wird nicht nur die Verkörperung eines Bündnisses durch materielle Inschriftenträger deutlich, sondern ein Diskurs, der über diese Bedeutung geführt werden konnte. Der Stellenwert solcher Inschriften erscheint also als nicht eindeutig festgelegt und kann immer wieder neu ausgehandelt werden. 5.8 Listen: Ehrung, Verwaltung, Schuldner und Verräter Neben den Inschriften, die als kürzerer oder längerer Text einen Vertrag, eine Ehrung oder ein Gesetz öffentlich darstellten, konnten auf den Inschriftensteinen oft Listen mit Namen von Personen in der Öffentlichkeit präsentiert werden:297 Dies betraf zum Beispiel die im Kapitel der Ehreninschriften besprochenen Plataier, die das athenische Bürgerrecht erhalten hatten, oder auch die „Demokraten aus Phyle“,298 ebenso Listen, die sowohl die Wohltäter der Polis als auch Staatsschuldner in aller Öffentlichkeit auf der Akropolis benennen konnten. Listen in inschriftlicher, öffentlich zugängli295 Demosth. 16,27 f. Zum historischen Hintergrund vgl. Trevett 2011, 274–276. 296 Demosth. 16,27: „Λέγουσι τοίνυν οἱ μάλιστα δοκοῦντες δίκαια λέγειν ὡς δεῖ τὰς στήλας καθέλεῖν αὐτοὺς τὰς πρὸς Θηβαίους, εἴπερ ἡμέτεροι βεβαίως ἔσονται σύμμαχοι. οἱ δὲ φασι μὲν αὐτοῖς οὐ[κ εἶναι] στήλας ἀλλὰ τὸ συμφέρον εἶναι τὸ ποιοῦν τῆν φιλίαν, τοὺς δὲ βοηθοῦντας ἑαυτοῖς, τούτους νομίζειν εἶναι συμμάχους. ἐγὼ δ᾽, εἰ τὰ μάλιστ᾽ εἰσὶ τοιοῦτοι, ὡδί πως ἔχω. φημὶ δεῖν ἅμα τούτους ἀξιοῦν καθαιρεῖν τὰς στήλας καὶ Λακεδαιμονίους ἄγειν εἰρήνην.“ Vgl. dazu auch Thomas 1989, 50: „It is not enough to be friendly with Athens; the stelai – the material proof – which show the contrary must be removed. […] Not only do stelai provide an authoritative text; they symbolize the friendship so strongly that they actually are the friendship. It is the material symbol which is being referred to, not so much the document or the writing itself.“ Vgl. auch ebenda, 52 mit dem Verweis auf And. 1,77–79. Dort wird das Dekret des Patrokleides zitiert, das ausführliche Anweisungen enthält, auf welche Weise Inschriften und Kopien zerstört werden sollten. Vgl. Thomas 1992, 85, die den Vorgang als eine Art damnatio memoriae bezeichnet; Coulet 1996, 111; Clarke 2008, 292. 297 Vgl. Thomas 1989, 66; ausführlich Liddel 2007, 182–198. 298 [Demosth.] 59,105, dazu Kap. 5.6. Weitere Listen, die Ehren für bestimmte Personen bezeugen, betreffen die Inschrift für die Einbürgerung der Boioter, deren Datierung umstritten ist (IG II2 37, vgl. dazu Steinbock 2013a, 257 mit Anm. 140), für die Demokraten aus Phyle, für die nach Phyle Eingebürgerten, sowie die Kriegswaisen im Dekret des Theozotides, vgl. zu diesen Listen Liddel 2007, 193 f., der außerdem auch eine Liste der siegreichen Choregen (möglicherweise auf der Agora) und die Gefallenenlisten mit in diese Gruppe einbezieht. Zu den Gefallenenlisten als Monumente vgl. Kap. 7.
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cher Form boten verschiedene Vorteile hinsichtlich der Rezeption. Das Lesen dieser Inschriften erforderte ein geringeres Maß an Alphabetisierung als das Lesen zusammenhängender Texte. Auch für die Redner, die ihren Zuhörern bestimmte Inschriften präsentierten, war es einfach, aus einer Liste einen Namen herauszugreifen oder auch fälschlich einen Namen hinzuzufügen – dementsprechend finden sich in den erhaltenen Reden relativ häufig Bezugnahmen auf solche Listen.299 Polly Low hat darüber hinaus darauf hingewiesen, dass die Vorliebe für solche Namenslisten weniger dem Wunsch nach bürokratischer Genauigkeit entspreche als vielmehr zur Anerkennung der Ausübung bürgerlicher Pflichten und zur Ermutigung der Nachahmung durch Andere diene.300 Peter Liddel hat zudem hervorgehoben, dass im Falle einer Ehrung eine solche Liste die Ehrung in einer Gruppe und damit die Ideale der demokratischen Polisordnung besser zum Ausdruck brachte als ein Ehrendekret, zumal ein Dekret, das ein einzelnes Individuum würdigte.301 Im Gegensatz zu anderen Inschriftentypen werden diese Listen auch von den Rednern des frühen 4. Jahrhunderts angesprochen. In Zusammenhang mit den Vorfällen des Jahres 415, in die Andokides und mehrere seiner Verwandten verwickelt gewesen sein sollen, verliest und bespricht der Angeklagte ausführlich eine Liste derjenigen, die damals angeklagt wurden, am so genannten Mysterienfrevel beteiligt gewesen zu sein.302 Wenig später reflektiert Andokides dann über die Bedeutung dieser Inschriften, die nicht nur in der unmittelbaren Beschuldigung und den dramatischen Folgen für die Familie (Todesstrafe, Konfiskation des Vermögens) bestehe, sondern auch darin, dass die betreffenden Personen „auf Stelen als Frevler gegen die Götter“ („ἀναγραφέντας ἐν στήλαις ὡς ὄντας ἀλιτηρίους τῶν θεῶν“) verzeichnet würden.303 Damit wird einerseits die Verortung der Inschrift im monumentalen und sakralen Raum, andererseits auch die Dauerhaftigkeit betont: Mit einer solchen Inschrift würde die Familie des Andokides auch für zukünftige Generationen als Frevler gegen die Götter und gegen die Polis sichtbar sein.
299 Vgl. Thomas 1989, 66; 2009, 30–36; Liddel 2007, 183 mit dem Verweis auf die Schwierigkeiten der Konsultation der Listen: „The apparently haphazard system with which many lists were organized, along with their often small and indistinct lettering, has led some scholars to suggest that many lists were intended to be symbolic records of duties performed by or on behalf of the polis, rather than aids to systematic consultation.“ Trotzdem sei davon auszugehen, dass „in most cases publication on stone probably allowed for both consultation and symbolism.“ 300 Vgl. Low 2010, 344 und bereits Liddel 2007, 196–198. 301 Vgl. Liddel 2007, 198. 302 And. 1,47. 303 And. 1,51. Thomas 1989, 66 weist außerdem darauf hin, dass in der gleichen Rede (And. 1,78) andere Stelen zur Verzeichnung von Deserteuren, verurteilten Mördern oder Beteiligten an der Tyrannis 411 im „Dekret des Patrokleides“ erwähnt werden, indem ihre Zerstörung im Rahmen der Amnestie von 403 angeordnet wird. Die konkrete Form dieser Listen sei aber unklar. Zudem geht es im vorliegenden Dekret ja gerade um die Zerstörung der betreffenden Inschriften, ob im Verlauf des 4. Jahrhunderts neue derartige Inschriften angelegt wurden, ist zumindest aus den Anführungen der Redner nicht ersichtlich.
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In Zusammenhang mit Erbschaftsstreitigkeiten konnten Listen als Mittel zur Diskreditierung des Prozessgegners eingesetzt werden. So beschuldigt Menexenos seinen Gegner Dikaiogenes, trotz seines großen Vermögens keine eisphorai gezahlt zu haben. Als Beweis führt er eine Liste an, die vor den Statuen der Eponymenheroen aufgestellt sei und deren Überschrift wörtlich zitiert wird.304 Es handelt sich zwar hier um Personen und Ereignisse, die unmittelbar den vorliegenden Fall betrafen und erst wenige Jahre zurücklagen, die genaue Verortung und die Charakterisierung der Liste als „schändlich“ („αἰσχίστῳ“) deuten aber darauf hin, welche Bedeutung solchen Listen zukommen konnten. Die beiden Belege vom Beginn des 4. Jahrhunderts befassen sich also mit Listen, die Vergehen gegen die Polis dokumentieren. Auch in weiteren Reden finden besonders solche negativen Handlungen, die durch Inschriften ähnlicher Art belegt werden, Erwähnung. Am häufigsten genannt wird dabei eine Liste, die auf der Akropolis aufbewahrt wurde und auf der öffentliche Schuldner verzeichnet wurden. Rosalind Thomas zufolge handelte es sich dabei wohl nicht um eine Stele aus Stein, sondern vielmehr um eine hölzerne Tafel, die sich vielleicht im Tempel der Athena befand.305 Diese Liste scheint tatsächlich oft konsultiert worden zu sein; wenn sich die Redner auf Schuldner der Polis beziehen kann davon ausgegangen werden, dass immer diese Liste gemeint ist. Ausdrücklich verortet wird sie in einer Prozessrede der Jahre nach 338.306 Der Angeklagte, ein Mann namens Aristogeiton, sei als öffentlicher Schuldner („ὀφείλοντα τῷ δημοσίῳ“) auf der Akropolis registriert und es wird zumindest rhetorisch angenommen, dass auch die versammelten Richter davon wussten bzw. die betreffende Inschrift selbst gesehen hatten.307 Noch deutlicher wird diese Aussage im Rahmen des Schlussplädoyers der Rede formuliert, darüber hinaus werden zwei Orte, die bezüglich der Inschriften konsultiert werden konnten, miteinander verbunden. Noch vor der Nennung der Akropolis wird das Metroon erwähnt, das als Heiligtum der Muttergottheit einerseits den sakralen Charakter betont, andererseits aber auch als Ort der Konsultation von Gesetzen durch den Einzelnen angesprochen wird. Auch in Zusammenhang mit der Akropolis appelliert der Redner an jeden einzelnen Richter: Wie könne man am ersten Tag eines jeden Monats auf die Akropolis steigen, um seine Gebete zu verrichten, wenn doch gleichzeitig der Angeklagte und
304 Isaios 5,38: „καὶ τοῦτο ἐπέδωκεν, οὐκ εἰσήνεγκεν, ἀλλ᾽ ἐπ᾽ αἰσχίστῳ ἐπιγράμματι ἐξετέθη αὐτοῦ τοὔνομα ἔμπροσθεν τῶν ἐπωνύμων, ὅτι οἵδε εἰς σωτηρίαν τῆς πόλεως ὑποσχόμενοι τῷ δήμῳ εἰσοίσειν χρήματα ἐθελονταὶ οὐκ εἰσήνεγκαν.“ 305 Vgl. Thomas 1989, 65 mit Anm. 165 mit Verweis auf die oft verwendeten Begriffe engraphein und grammateion bei [Demosth.] 58,16 und 18, die für steinerne Inschriften nicht üblich seien, allerdings auch mit dem Verweis auf Demosth. 47,22, der eine Stele für Schuldner von Ausrüstung erwähnt. Vgl. zu den Stelen für Schuldner auch Liddel 2007, 186–188, der ebenfalls von einer Liste aus ephemerem Material ausgeht – eine steinerne Liste sei nur für die Schuldner in den Aufzeichnungen der epimeletai bezeugt (188–191). 306 [Demosth.] 25,4; 99. 307 [Demosth.] 25,4.
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sein Vater dort (also auf der Liste der Schuldner) registriert seien, und das Urteil entgegen der bestehenden Eide und der dort aufgestellten Dokumente gefällt worden sei? Auch hier wird also der Aspekt der Sakralität des Ortes und der dort vollzogenen religiösen Handlungen mit den öffentlich aufgestellten Dokumenten verknüpft, die Beweischarakter haben und für alle Anwesenden sichtbar und nachprüfbar aufgestellt sind.308 Auch weitere Prozessreden der 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts nehmen Bezug auf die Liste der Schuldner auf der Akropolis. Der Ankläger in der Rede „Gegen Theokrines“ scheint die Akropolis aufgesucht zu haben, um den Namen seines Gegners dort zu überprüfen, er diskutiert die Frage, ob es sich um den Namen des Großvaters des Angeklagten oder des Angeklagten selbst handelt, und seinen Plan, eine Kopie von der Tafel zu machen.309 Dort wird auch deutlich, dass es Versuche gab, die Verzeichnung des eigenen Namens auf dieser Liste zu vermeiden.310 Über die Liste der Schuldner hinaus gab es wohl auch Listen in speziellen Angelegenheiten: So ist mehrfach von einer Liste zur Verzeichnung derjenigen die Rede, die Schiffsausrüstung schuldig waren, dabei wird deutlich, dass sich um eine Stele handelte, deren Text öffentlich einsehbar war.311 Auch die Stele der „Verfluchten und Verräter“, die von Lykurgos in der Rede „Gegen Leokrates“ angeführt wird, ist als Liste zu verstehen, die in der Rede einen exemplarischen Charakter zugesprochen bekommt.312 Sollte die Schilderung des Lykurgos zutreffen, dass die eingeschmolzene Statue des Hipparchos zur Herstellung der Stele verwendet wurde, dann müsste es sich um eine Bronzestele gehandelt haben. Dieser Hipparchos sei auf der Liste als erster verzeichnet.313 Sowohl das (inschriftliche) Dekret zur Abnahme des Standbildes, dass sich auf der Basis der Stele befunden haben könnte, als auch die Aufschrift auf der Stele und die dort verzeichneten Namen lässt Lykurgos dann als Beweismittel verlesen.314 Neben der exemplarischen Bestrafung des 308 [Demosth.] 25,99: „πῶς δ᾽ εἰς τὸ μητρῷον βαδιεῖσθε, ἄν τι βούλησθε; οὐ γὰρ δήπου καθ᾽ ἕν᾽ ὑμῶν ἕκαστος ὡς ἐπὶ κυρίους τοὺς νόμους πορεύεται, εἰ νῦν μὴ βεβαιώσαντες αὐτοῦς ἔξιθ᾽ ἄπαντες κοινῇ. πῶς δὲ ταῖς νουμηνίαις εἰς ἀκρόπολιν ἀναβαίνοντες, τἀγαθὰ τῇ πόλει διδόναι καὶ ἕκαστος ἑαυτῷ τοῖς θεοῖς εὔξεται, ὅταν ὄντος ἔκεῖ τούτου καὶ τοῦ πατρὸς αὐτοῦ τοὺ χρηστοῦ τἀναντία τοῖς ὅρκοις καὶ τοῖς ἐκεῖ γράμμασιν ἐγνωκότες ἦτε;“ Vgl. hingegen Thomas 1989, 69, die hier nur die Sakralität der beiden Orte betont sieht und weniger die tatsächliche Konsultation von Inschriften. Meiner Ansicht nach sind jedoch beide Aspekte miteinander verknüpft und zeigen zumindest, welche symbolische Rolle den Inschriften und ihren Orten zukommt, zumal es sich hier um den Abschluss der Rede handelt, der die Zuhörer noch einmal stark ansprechen soll. Vgl. auch Kap. 5.1.3. 309 Demosth. 58,14–18. Vgl. Thomas 1989, 65. 310 Demosth. 40,22; 58,19; 48. Auch die Argumentation bei Aristot. Rhet. 2,1400a32–6 bezieht sich auf Versuche, eine Löschung von einer solchen Liste vornehmen zu lassen, vgl. dazu Thomas 1989, 66. 311 Demosth. 47,18; 22. Scafuro 2011, 306 Anm. 42 ad loc. 312 Lykurg. 1,117–119: „καὶ ποιήσαντες στήλην, ἐψηφίσαντο εἰς ταύτην ἀναγράφειν τοὺς ἀλιτηρίους καὶ τοὺς προδότας“. Für den vollständigen Text und weitere Literatur vgl. Kap. 2. 313 Lykurg. 1,117. Kritisch zum Material der Stele (wie auch der Schilderung der Ereignisse insgesamt) Thomas 1989, 65 f. 314 Lykurg. 1,118. Vgl. zur Kombination von Dekret und Stele Thomas 1989, 66. Thomas bezweifelt sowohl die Existenz bzw. Einschmelzung einer solchen Statue als auch die Authentizität des Dekretes (ebenda mit Anm. 168). Die sichtbare Liste auf der Akropolis mit dem Namen des Hipparchos
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Täters sei es den Vorfahren auch darum gegangen, mit der Inschrift ein bleibendes Beispiel für die Zukunft zu hinterlassen.315 Auch wenn die Umstände der Aufstellung der Inschrift sowie auch die Existenz der Inschrift selbst stark umstritten sind, so zeigt sich hier, welche Rolle solche als Listen verfasste Inschriften in Zusammenhang mit der Erinnerung an vergangene Ereignisse und der Mahnung an das Verhalten im gegenwärtigen Prozess einnehmen konnten.316 Neben den Stelen zur Aufzeichnung von Schuldnern und Verbrechern ist bei Lysias auch eine Stele für die Wohltäter der Polis in Zusammenhang mit der Ermordung des Phrynichos und dem Sturz der Herrschaft der 400 belegt.317 Einige Bürger sowie auch der Angeklagte hätten versucht, sich durch Bestechung dort als Wohltäter verzeichnen zu lassen. Diese Liste könnte ebenfalls auf einer Stele auf der Akropolis angebracht worden sein.318 Neben dieser ominösen „Liste der Wohltäter“ und den Listen, die ehrenhaftes Verhalten in konkreten historischen Kontexten wiedergeben (genannt wurden die Liste für die Plataier sowie für die „Demokraten aus Phyle“), spielen bei den Rednern also vor allem Listen eine Rolle, die negatives Verhalten, meist eines Angeklagten oder seiner Vorfahren, im Rahmen von Prozessreden deutlich machen und beweisen sollen. Diese Beispiele weisen oft nur geringe historische Bezüge auf und bewegen sich auf einer persönlichen Ebene. Eine Ausnahme bildet die bei Lykurgos
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an erster Stelle habe wohl eine solche „Erfindung“ des Lykurgos befördert sowie 85: „The decree about Hipparchus is colorful but unlikely.“ Vgl. Rhodes/Osborne 2003, 444 f., die sich insbesondere kritisch zum Zusammenhang zwischen dem Einschmelzen der Statue und der Fertigung einer Inschriftenstele aus dem dadurch gewonnenen Material zeigen. Zwar seien bronzene Stelen zur Aufzeichnung von politischen und religiösen Verbrechen durchaus üblich gewesen, die Herstellung der Stele durch Einschmelzen einer Statue des Hipparchos sei aber unwahrscheinlich, da abgesehen von den Tyrannenmördern keine Bronzestatuen von (menschlichen) Individuen im späten 6. / frühen 5.Jh. aufgestellt worden seien. Ober 2008, 192 geht von der Existenz und Sichtbarkeit der Inschrift aus („a highly visible monument set up in a public place“ und 197: „a paradigmatic message-bearing Athenian monument“). Azoulay 2014, 49 f. zieht eine Parallele zu den Inschriften, die an die Tyrannis erinnern sollten: Auf der Akropolis sei, wie bei Thuk. 6,55,1 geschildert, eine Stele mit den Namen des Hippias und seiner Kinder aufgestellt worden, um die Ungerechtigkeit in Erinnerung zu behalten. Die Weihinschrift der Peisistratiden am Zwölfgötteraltar sei hingegen entfernt worden. Einen Überblick über die literarische Überlieferung von bronzenen Stelen, meist „decrees of ostentatious damnatio against various unpatriotic or unsocial persons“ (u. a. auch bei Deinarch. 2,24 zu Arthmios von Zeleia) vgl. Davies 1996, 34. Lykurg. 1,119: „… ἀλλ’ ἵνα τοῖς ἐπιγιγνομένοις παράδειγμα εἰς τὸν λοιπὸν χρόνον ὡς εἶχον πρὸς τοὺς προδότας καταλίποιεν.“ Auch wenn an dieser Stelle keine klare Evidenz dafür vorliegt, dass die Athener tatsächlich auf die Akropolis gingen, um sie zu lesen. Vgl. Thomas 1989, 66. Vgl. auch die weitere Besprechung der Inschrift in Kap. 2 und 3.6 mit weiterer Literatur. Lys. 13,70–72. Vgl. Thomas 1989, 65; Sickinger 1999, 165. Lys. 13,72. Dabei handelt es sich um eine Inschrift, die eng mit den Ereignissen im Jahr 411 verbunden ist. Ein erhaltenes Dekret des Jahres 410/09 (IG I3 102; ML 85, vgl. Thomas 1989, 65 mit Anm. 167) nennt den Namen Agoratos und weitere als Wohltäter und könnte mit einem der in Lys. 13,70–72 genannten Dokumente identisch sein, vgl. die ausführlichen Überlegungen bei Bearzot 1997, 312–321 sowie knapp Todd 2000, 154 Anm. 45 ad loc.
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genannte Stele der Verräter, die eng mit ihrem historischen Kontext und den besonderen Umständen der Aufstellung verbunden interpretiert wird. 5.9 Fazit Betrachtet man Inschriften zunächst unabhängig von ihrer Verwendung bei den Rednern, so begegnet Räumlichkeit als Charakteristikum der Inschriften selbst auf zwei verschiedenen Ebenen: in der monumentalen Gestalt des Inschriftenträgers (wenn es sich um eine öffentliche Inschrift handelt) sowie in der Verbindung zwischen Inhalt des Inschriftentextes und Ort der Aufstellung. Hinsichtlich der Verwendung von Inschriften im Rahmen der Verräumlichung von Vergangenheit bei den Rednern lässt sich ein Schwerpunkt in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts ausmachen, wobei einige Inschriften wie Verträge und Listen durchaus auch schon im frühen 4. Jahrhundert in einiger Häufigkeit hinzugezogen werden. Inschriften mit historisch-paradigmatischem Charakter finden hingegen besonders in der 2. Hälfte des Jahrhunderts Anwendung. Vor allem die Reden des Aischines und des Lykurgos319 sind dabei hervorzuheben, aber auch die Reden des Demosthenes zeigen, je nach Thematik der Rede, einen starken Bezug zu Inschriften als Bestandteile historischer Betrachtungen, besonders stark ausgeprägt ist dies in der Rede „Gegen Leptines“. Die Reden sagen selten etwas darüber aus, warum die Texte für Redner und Richter vertraut waren, der genaue Ort der Aufstellung oder eine ausgeprägte Sichtbarkeit werden ebenfalls nur in wenigen Fällen hervorgehoben. Sie zeigen aber die Beziehung zwischen athenischen Bürgern und Inschriften, die von den Rednern gespiegelt wurden.320 In diesem Sinne könnte auch die Schlusspassage der Rede des Aischines „Gegen Ktesiphon“ gedeutet werden, also derjenigen Rede, die auch den eingangs beleuchteten „imaginären Rundgang“ über die Agora beinhaltet. Auch zum Abschluss dieser Rede appelliert Aischines an die Vorstellungskraft seiner Zuhörer: „Stellt euch vor, dass ihr hier auf der Rednerbühne, wo ich jetzt stehe, die Wohltäter der Polis in einer Reihe gegen die Zügellosigkeit dieser Männer aufgestellt seht“, ruft er seinen Zuhörern zu.321 Wen sollen sich die Zuhörer vorstellen? Solon und Aristeides halten stellvertretend das Schlussplädoyer gegen Demosthenes, Solon habe die Demokratie mit
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Vgl. den treffenden Kommentar bei Rhodes/Osborne 2003, 445: „Aeschines and Lycurgus show clearly the tendency evident in Athens in the middle of the fourth century to elaborate texts around known historical circumstances, and to elaborate historical circumstances around texts.“ 320 Vgl. Richardson 2015, 351. 321 Aischin. 3,257: „ὑπολαμβάνετε ὁρᾶν ἐπὶ τοῦ βήματος, οὗ νῦν ἑστηκὼς ἐγὼ λέγω, ἀντιπαρατεταγμένους πρὸς τὴν τούτων ἀσέλγειαν τοὺς τῆς πόλεως εὐεργέτας […].“
Fazit
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den besten Gesetzen ausgestattet, Aristeides habe den Tribut für die Griechen festgelegt.322 Gesetze und Tribute sind zwei Errungenschaften der Vergangenheit, die durch Inschriften weiterhin mitten unter den Athenern präsent waren. Darüber hinaus wird Aristeides dann der Verweis auf die Bestrafung des Arthmios von Zeleia in den Mund gelegt – ein weiteres historisches paradeigma, das mit einer öffentlich aufgestellten Inschrift verbunden wurde.323 Verknüpft wird dieser Appell zum Abschluss mit Themistokles, den Gefallenen von Marathon und Plataiai sowie den personifizierten Gräbern der Vorfahren324 – Aischines schöpft das gesamte Potential der lebendigen und durch die räumlichen Bezüge auch konkret gegenwärtigen athenischen Vergangenheit aus, um seine Zuhörer von seinem Standpunkt zu überzeugen.325
322 Aischin. 3,257–258. Clarke 2008, 261 betont außerdem, dass es sich bei Solon und Aristeides um zwei oft in den Reden des Demosthenes angeführte historische Persönlichkeiten handelt – die hier aber ihren Bewunderer anklagen. 323 Aischin. 3,258–259, dazu ausführlich Kap. 5.4.4. 324 Aischin. 3,259. Vgl. Hobden 2007, 500, die einen Vergleich zwischen der Schlusspassage der „Kranzrede“ und dem Abschluss der Rede des Lykurgos „Gegen Leokrates“ zieht; vgl. auch Clarke 2008, 261; 282; Westwood 2017, 61–63. 325 Vgl. zur Interpretation der Passage als Kombination aus „pyhsical sight, imaginary sight, and the language of demonstration and visibility“ O’Connell 2017, 170 mit der treffenden Bemerkung: „Persuasion is a process, and the effect of the rhetoric of seeing is cumulative.“
6 Die Metaphorik der Mauern „The history of the walls of Athens is the history of the expansion and contraction of the city in its successive phases of growth and decline, in victory, disaster, and recovery. Construction and destruction mark the great epochs; and an account of the walls will incidentally provide a general historical introduction.“1
Diese einleitenden Sätze aus „The Stones of Athens“ von Richard E. Wycherley charakterisieren treffend die Baugeschichte der Befestigung Athens. Auch bei den Rednern können die Mauern sowohl die katastrophalen Niederlagen als auch die Stärke der Stadt demonstrieren. In mehreren Reden des Lysias verweist dieser auf die Zerstörung der Mauern durch die Spartaner nach dem Ende des Peloponnesischen Krieges.2 In der Rede des Demosthenes „Gegen Leptines“ widmet dieser sich demgegenüber den Verdiensten des Strategen Konon. Nachdem der Redner die militärischen Erfolge dieses Mannes ausführlich gewürdigt hat, fasst er zusammen: „Die ehrenvollste Tat von allen war die Errichtung der Mauern.“3 6.1 Historischer Überblick über Bau und Zerstörung der athenischen Mauern Nachdem seit der mykenischen Zeit die Akropolis mit ihrer unmittelbaren Umgebung von einer Mauer und dem sogenannten Pelargikon oder Pelasgikon umgeben war, vermutet man für die archaische Zeit, jedoch kaum vor dem Beginn des 6. Jahrhunderts, einen Mauerring um das gesamte Stadtgebiet. Die literarischen Quellen scheinen für eine solche Mauer zu sprechen – da es jedoch keinerlei archäologische Überreste gibt,
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Wycherley 1978, 7; vgl. ähnlich Goldhill 2007, 147. Lys. 12,70; 13,8–15; 43–48; 18,5; 34,3 f. Manchmal werden auch die „dreißig Tyrannen“ der Jahre 404/3 für die Zerstörung verantwortlich gemacht, vgl. ausführlich Kap. 6.4.4. Demosth. 20,72: „πολλὰ μὲν γάρ ἐστιν, ὦ ἄνδρες Ἀθηναῖοι, τῶν ὑπ᾽ ἐκείνου πραχθέντων ἄξι᾽ ἐπαίνου, δι᾽ ἃ πάντα προσήκει μὴ λύειν τὰς ἐπὶ τούτοις δοθείσας δωρειάς, κάλλιστον δὲ πάντων ἡ τῶν τειχῶν ἀνάστασις.“ Vgl. Kap. 6.4.5.
Historischer Überblick über Bau und Zerstörung der athenischen Mauern
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sind weder Datierung noch Verlauf der Mauer genau zu bestimmen.4 Nach der Eroberung der Stadt durch die Perser war Athen zunächst ohne Befestigung, auf Betreiben des Themistokles wurde die Stadt jedoch innerhalb eines Jahres von einem neuen Mauerring umgeben. Über den Bau dieser Mauer unterrichtet Thukydides in aller Ausführlichkeit, er betont darüber hinaus: „Für diese Mauer wurde alles sich nur anbietende Material benutzt, darunter zerstörte Bauten und sogar Grabsteine.“5 Außerdem wurde der Piräus mit Verteidigungsanlagen ausgestattet. Vor der Mitte des 5. Jahrhunderts folgte dann der Bau von zwei der sogenannten Langen Mauern (die nördliche Mauer zum Piräus und die Mauer zum Hafen von Phaleron, 5 km weiter östlich) und im Jahr 445 wurde dann die Süd- oder Mittelmauer zwischen den beiden ersten errichtet, sie verlief nur 167 Meter von der nördlichen Langen Mauer entfernt und sicherte so einen Korridor zum Piräus.6 Die Kapitulationsbedingungen am Ende des Peloponnesischen Krieges legten dann die Schleifung der Langen Mauern und der Befestigung des Piräus fest und wurden unmittelbar darauf ausgeführt.7 Die Stadtmauern selbst waren wohl nicht Teil dieser Bedingungen, aber wahrscheinlich waren auch diese stark beschädigt und reparaturbedürftig.8 Wie Bauinschriften belegen, wurde ab 395/4 mit dem Wiederaufbau begonnen, die Arbeiten dauerten bis 392/1 an. Maßgebliche finanzielle und personelle Unterstützung erhielten die Athener durch den Strategen Konon, der sich
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Als literarische Belege für eine solche archaische Mauer werden Thuk. 1,89,3; 1,93,2; Hdt. 9,13,2; And. 1,108 angeführt. Vgl. Travlos 1971, 158; Winter 1971, 61–64; Vanderpool 1974, 156–160; Lauter-Bufé/Lauter 1975, 1–9; Wycherley 1978, 7–11: Er nennt als mögliche Zeitpunkte den Beginn des 6. Jhs. als sich die Stadt nach Norden ausdehnte und die Agora angelegt wurde, oder aber die Zeit des Peisistratos, der sehr darauf bedacht war, die wachsende Macht Athens auch visuell deutlich zu machen. (10 f.) Winter 1982, 199–204; Weir 1995, 247–258, der das Fehlen der archäologischen Überreste dadurch zu erklären versucht, dass das steinerne Material der alten Mauer für die themistokleische Mauer wiederverwendet worden sei. Wenn man bedenkt, in welcher Eile die Mauern nach dem Ende der Perserkriege errichtet wurden, erscheint diese Erklärung durchaus plausibel. Infrage gestellt wird die Existenz einer archaischen Ringmauer durch Wokalek 1973, 57–60; Stähler 1993, 13 f.; Papadopoulos 2008, 31–46; 32, Anm. 10 und 11 mit weiterer Literatur zur Forschungsdiskussion. Thuk. 1,93,2. Der vollständige Bericht über den Bau der Mauer umfasst 1,89–93. Travlos 1971, 158. Wycherley 1978, 11 f. hebt hervor, dass die Mauern zwar in aller Eile errichtet wurden, letztendlich aber doch so solide waren, dass sie über Jahrhunderte der Verteidigung Athens dienen konnten. Goldhill 2007, 145 betont die außerordentliche Länge der Schilderung bei Thukydides und die Bedeutung des Mauerbaus, die sich daraus ableiten lässt. Wycherley 1978, 16. „It was not till the whole scheme was near completion, after the middle of the century, that the Athenians were able to turn their thoughts and devote their resources wholeheartedly to embellishing their city with the splendid new buildings and temples of Perikles’ time.“ Vgl. knapp zur Bedeutung dieser Mauern für die Polis Athen Goldhill 2007, 130 sowie ausführlich Conwell 2008, 36–78 (auch zur Baugeschichte). Xen. hell. 2,2,20–23. Vgl. aber Conwell 2008, 104 f., der hervorhebt, dass die Langen Mauern zwar geschleift, aber nicht vollständig zerstört worden seien. Immerhin waren die Langen Mauern jeweils 12,6 km lang und die vollständige Zerstörung somit mit einem erheblichen Aufwand verbunden. Wycherley 1978, 19.
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Die Metaphorik der Mauern
vom Sommer 393 an in der Stadt aufhielt.9 Bedingt durch die wachsende Macht Makedoniens und die Entwicklung neuer Belagerungstechniken wurden die Mauern in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts stetig verstärkt, beschleunigt durch den Fall von Olynth 348 und besonders durch die Niederlage bei Chaironeia 338 v. Chr., unter anderem auch in Form einer Vormauer, dem προτείχισμα.10 6.2 Die Bedeutung der Stadtmauern im 4. Jahrhundert Eine über den unmittelbaren militärisch-fortifikatorischen Nutzen hinausgehende symbolische Bedeutung der Mauern lässt sich bereits in den homerischen Epen nachweisen. Dort sind die Mauern Zeichen der Souveränität einer Polis, indem sie diese als abgegrenzten und speziell geschützten Bereich gegenüber der Welt außerhalb der Polis markieren. Sie definieren diese als eigenen Mikrokosmos und schaffen die besondere Identität der Polis als „Hafen von Sicherheit und Frieden“.11 Diese hohe materielle und symbolische Bedeutung wurde auch für die frühe Polis der archaischen Zeit festgestellt, in der die Mauern „den Raum des bürgerlichen Lebens“ definierten.12 Die Mauern symbolisierten nicht nur „Stabilität in Raum und Zeit“, sondern konnten „als Demarkationslinie der Polis und damit des von Menschen gestalteten Raumes […] nahezu für diese Polisordnung selbst“ stehen.13 Im Zuge dessen kam den Stadttoren als Orten des Übergangs eine besondere Bedeutung zu. Die belegte Praxis von Kulten an diesen Übergängen verdeutlicht diesen Stellenwert.14
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Xen. hell. 4,8,9 f. und 12; Diod. 14,85. Vgl. Funke 1980, 129. Die Aufenthaltsdauer betrug dabei aber insgesamt weniger als ein Jahr, da Konon schon im Sommer des darauffolgenden Jahres 392 nach gescheiterten Friedensverhandlungen in Sardeis von Tiribazos gefangen genommen wurde, vgl. ebenda,128 f. Zu dieser Bauphase ausführlich Conwell 2008, 109–131; vgl. auch Seager 1967, 103; Asmonti 2015, 163. Die Baumaßnahmen nach 338 zeigt eine Bauinschrift aus dem Jahr 337/6: IG II2 244, vgl. die ausführliche Besprechung bei Maier 1959, 36–48 (Nr. 10). Vgl. auch Travlos 1971, 159; Wycherley 1978, 20 f.; Conwell 2008, 133–152. Hom. Il. 2,559; 4,36. Vgl. Ducrey 1995, 248 f.; Kremmydas 2012, 315; Hölkeskamp 2002, 320 f., Zitat 321, der besonders auf die häufig wiederkehrende Bezeichnung der Polis als „wohlummauert“ („εὐτείχεος“) hinweist, vgl. Anm. 83 und 84 mit weiteren Belegen aus Ilias und Odyssee und ders. 2003, 94; Grethlein 2008, 32–35. T. Hölscher 1998a, 67. Hölkeskamp 2003, 94; Kühr 2006, 119, dort besonders zur Bedeutung der Mauern in den homerischen Epen und bei den Mythen um die Gründung der Polis Theben, Anm. 187–189 mit Belegen und weiterer Literatur. Vgl. kritisch zu den Mauern als konstitutiver Bestandteil der archaischen Poleis Ducrey 1995. Vgl. T. Hölscher 1998a, 69 f.
Die Bedeutung der Stadtmauern im 4. Jahrhundert
253
Diese hohe Wertschätzung für die Stadtmauern setzte sich auch im 5. Jahrhundert fort, indem die Mauern sogar „zum Symbol der attischen Vormachtstellung in Griechenland“ werden konnten.15 Hat dahingehend im 4. Jahrhundert ein Umdenken stattgefunden? Dies wird zumindest von Josiah Ober in seiner Untersuchung „Fortress Attica. Defense of the Athenian Land Frontier 404–322 B. C.“ postuliert. Ober konstatiert dort eine generelle Angst vor Invasionen im 4. Jahrhundert und die daraus resultierende Überzeugung der Bürger, dass potentielle Invasoren daran gehindert werden müssen, Attika zu betreten. Diese Furcht sei nicht nur das Ergebnis materieller Faktoren (Schutz von Ressourcen), auch die Erfahrungen des Peloponnesischen Krieges und die psychologischen Reaktionen darauf hätten maßgeblich zur Entwicklung einer „defensiven Mentalität“16 beigetragen. Besonders die Erinnerung an die Defensivstrategie des Perikles, die Bürger hinter die Langen Mauern zu evakuieren und das Umland der Verwüstung zu überlassen, eine Strategie, die nicht den erwünschten Erfolg, sondern großes Leiden für die Bevölkerung bedeutete, sei zur Negativfolie geworden. Vor dieser Folie sei es nun nicht mehr das Ziel gewesen, nur die Stadt und das unmittelbare Umland, sondern ganz Attika in die Verteidigung einzubeziehen.17 Diese Grundhaltung der Athener bezüglich der Verteidigung ihrer Stadt sei sowohl in den Reden vom Ende des 5. bis zum Ende des 4.Jahrhunderts als auch in der philosophischen Literatur der gleichen Zeit zu beobachten.18 Hierbei hebt Ober besonders die zahlreichen Geschichten der erfolgreichen Abwehr von Invasionen hervor, wie die Abwehr der Peloponnesier unter Eurystheus, die Zurückdrängung der Thraker und Skythen sowie auch der Amazonen und die Schlacht bei Marathon als Abwehr einer persischen Invasion.19 15 16 17 18
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So beispielsweise bei Eur. Herc. 793. Zitat aus Funke 1980, 104; vgl. außerdem Camp 2000; Dougherty 2014, 150; Gehrke 2014, 34, der die Bedeutung von Mauern als Erinnerungsorte hervorhebt. Der Begriff „defensive mentality“ findet sich zum ersten Mal bei Ober 1985, 3 und wird im Verlauf seiner Untersuchung immer wieder aufgegriffen. Vgl. Camp 2000, 43. Ober 1985, 51 f., zusammenfassend noch einmal 56. Als Belege nennt Ober u. a. Lys. 2,23; 34,8–10; And. 1,107; 3,8; Fr. 3,1; Isokr. 8,77;84;92; 7,13; Demosth. 18,299–300 in Verbindung mit Aischin. 3,236. Bei dem Konflikt zwischen Demosthenes und Aischines im „Kranzprozess“ ist zu bedenken, dass es bei den negativen Aussagen zum Mauerbau weniger um den Wert desselben, sondern vielmehr um den Angriff auf den politischen Gegner geht. Demosth. 14,30; Aischin. 2,75–76.; Lykurg. 1,47, in dieser Rede des Weiteren eine ganze Serie von Geschichten, die sich mit der Verteidigung der chora beschäftigen: 84–88 (Mythos um König Kodros); 98–100 (Abwehr des Thrakereinfalls); 104; 108–110 (Abwehr der Perser bei Marathon). In Lykurg. 1,59 wird zudem auf die Bedeutung der „amtlichen Aufsicht“ über die Stadttore hingewiesen. Repräsentativ für die philosophische Literatur: Plat. Gorg. 519a, der den Bau von Mauern und Hafenanlagen durch Themistokles, Kimon und Perikles scharf verurteilt. Gerade in den erhaltenen Reden wird aber zumindest die Bautätigkeit des Themistokles, insbesondere auch der Mauerbau des Öfteren positiv hervorgehoben, vgl. Kap. 6.4.2. Zudem erscheint das Vorgehen, die philosophische Literatur heranzuziehen, um eine allgemein verbreitete Stimmung im athenischen Demos zu belegen, fraglich. Ober 1985, 60 f., als Beleg wird vor allem die Serie von Beispielen bei Isokr. 4,58; 68–69; 86–87 genannt. Es handelt sich um Themen, die besonders für die Epitaphien typisch sind.
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Die Metaphorik der Mauern
Diese Interpretationen sind aber sowohl in der althistorischen als auch der archäologischen Forschung in mehrfacher Hinsicht kritisiert worden.20 Die Kritik bezieht sich auf die Beurteilung der Reaktionen der Athener auf den Peloponnesischen Krieg, die Annahme einer im gesamten 4. Jahrhundert allgemein verbreiteten Furcht vor Invasionen oder aber auch auf die Feststellung, die Athener hätten moralischen Abscheu gegen einen Rückzug hinter die Langen Mauern entwickelt. Die gleichzeitigen Bestrebungen der Athener, erneut Einfluss in ganz Griechenland zu gewinnen, die in der Gründung des zweiten Seebundes gipfelten, sowie die Wiedererrichtung der Langen Mauern und die Bemühungen um eine neue Flotte sprechen eine deutlich andere Sprache.21 Zudem ist eine strikte Trennung von verwerflicher „city-defense“ und ehrenvoller „chora-defense“ nicht einleuchtend.22 Beide Konzepte werden, einander ergänzend und verstärkend, in den politischen Überlegungen der Athener eine Rolle gespielt haben. Dies wird auch gestützt durch den Quellenbefund der attischen Reden, in dem sich beide Aspekte, abhängig von der jeweils aktuellen politischen Lage, beobachten lassen. So ist beispielsweise im frühesten von Ober ausgemachten Beleg, der Volksversammlungsrede des Lysias „Gegen den Umsturz der Verfassung“, eine Ablehnung der perikleischen Verteidigungspolitik eindeutig. Dies bedeutet aber nicht eine generelle Ablehnung der (Langen) Mauern, denn in der gleichen Rede kennzeichnet der Redner die Mauern als Zeichen von Macht und Schutz, das Fehlen der
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Vgl. die Rezensionen von P. Gauthier, in: RPh 60 (1986), 302–303 sowie von M. Munn, in: AJA 90 (1986), 363–365, der besonders die sehr subjektive Interpretation der archäologischen Überreste als militärische Strukturen sowie die Annahme eines Verteidigungssystems entlang der attischen Grenzen bemängelt und die allgemeine Verbreitung einer „defensive mentality“ (Ober 1985, 3 und passim) innerhalb des Demos bezweifelt. Vgl. auch Munn 1993, 18–25. Generell zustimmend zu den Thesen Obers äußert sich dagegen S. van der Maele, in: Phoenix 40 (1986), 370–372, der aber ebenfalls Datierungs- und Interpretationsfehler in der Untersuchung der archäologischen Überreste feststellt und betont, dass der genaue Verlauf der attischen Grenze heute nicht mehr feststellbar sei und deshalb auch nicht festgestellt werden könne, welche Überreste denn überhaupt zu Athen bzw. Attika gehörten. Ebenfalls Kritik an der archäologischen Interpretation in der Rezension von H. Lohmann, in: Gymnasium 94 (1987), 270–274, vgl. ähnlich auch ders. 1995, 516–524, wiederum in Auseinandersetzung mit Ober sowie am Beispiel des Demos Atene ders. 1993, bes. 138–161. Sehr polemisch, aber auch mit fundierter Kritik an der althistorischen Seite der Forschung P. Harding, in: Phoenix 42 (1988), 61–71 und Phoenix 44 (1990), 377–380, der besonders gegen die Idee eines neuen Verteidigungssystems im 4. Jh., der defensiven Politik als Reaktion auf die Invasionen im Peloponnesischen Krieg sowie der besonderen Bedeutung der Verteidigung von Attika argumentiert. Vgl. auch die Antwort auf diese Kritik bei J. Ober, in: Phoenix 43 (1989), 294–301. Vgl. Badian 1995. Die gleichzeitige Bedeutung von „imperialism and panhellenism“ wird allerdings auch von Ober nicht bestritten, vgl. Ober 1985, 3. Ober 1985, 63 f. Dass gleichzeitig mit einer verstärkten Bedeutung der Verteidigung der Heimat weniger Motivation bestanden habe, weit entfernte Kriegszüge zu unternehmen, sollen Lys. 34 und Lykurg. 1 deutlich machen. Hier handelt es sich aber um Reden, die kurz nach vernichtenden Niederlagen gehalten wurden (Peloponnesischer Krieg bzw. Chaironeia) und somit kaum repräsentativ für das gesamte Jahrhundert sein können. Vgl. auch Munn 1993, 32. Zur gegenseitigen Ergänzung der Verteidigung von asty und chora vgl. auch Conwell 2008, 121 f.
Sichtbarkeit der Mauern
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Mauern dagegen als großen Verlust.23 Dieses Phänomen der hohen Wertschätzung der Mauern bei gleichzeitiger Ablehnung einer Taktik des Rückzugs hinter die Mauern im Krieg findet sich auch in anderen Reden.24 Die weiterhin hohe Bedeutung der Befestigung der Stadt und des Piräus zeigt sich auch im Wiederaufbau derselben ab der Mitte der 90er Jahre des 4. Jahrhunderts und in einem weiteren Bauprogramm ca. 50 Jahre später. Auch in der Zwischenzeit wird es sicherlich permanente Ausbesserungsarbeiten gegeben haben, verstärkt dann ab 348, bedingt durch die wachsende Bedrohung von seiten Makedoniens.25 Zudem datiert die Errichtung der meisten Forts und Wachtürme, die in Obers Untersuchung eine gesteigerte Bedeutung der Verteidigung der chora belegen sollen, vor allem aus der Mitte des 4. Jahrhunderts, während mit dem Wiederaufbau der Langen Mauern und der erneuten Befestigung des Piräus schon zu Beginn des Jahrhunderts begonnen wurde.26 6.3 Sichtbarkeit der Mauern Um die Bedeutung, die die Mauern der Stadt in den attischen Reden einnehmen, nachvollziehen zu können, muss man sich neben ihrer historischen und konkret fortifikatorischen Bedeutung ihre eindrucksvolle visuelle Präsenz vor Augen führen. Von jedem Punkt der Stadt aus müssen die Stadtmauern für die in der Stadt lebenden oder gerade dort anwesenden athenischen Bürger zu sehen gewesen sein, es sei denn größere Gebäude oder Hügel versperrten die Sicht. Eine Position auf einer dieser Erhebungen im Gelände innerhalb des Stadtgebietes (Akropolis, Pnyx, Areopag, Musenhügel) erlaubte einen noch besseren Blick, nicht nur auf einzelne Abschnitte der Befestigung,
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Ablehnung der perikleischen Verteidigungspolitik: Lys. 34,8–10, Mauern als Symbol für Macht und Schutz ebenda,3–4. Vgl. hier besonders And. 3 und parallel dazu Aischin. 2. In diesen Reden führen u. a. die Langen Mauern wie ein „roter Faden“ durch die Schilderung der athenischen Geschichte und werden dabei stets als Garanten für Frieden und Sicherheit angesprochen, vgl. dazu Kap. 6.4. Gleichzeitig äußern sich beide Redner auch kritisch zu einer rein auf die Mauern gestützten Verteidigung: And. 3,8; Aischin. 2,76–77. Auch Lykurg. 1,47 betont die Feigheit eines Rückzugs hinter die Mauern, entscheidend sei die Tapferkeit der Männer, die außerhalb derselben auf dem Schlachtfeld kämpften. In der gleichen Rede werden die Mauern der Stadt aber sogar mehrfach personifiziert und erscheinen somit gemeinsam mit anderen Monumenten als Symbole für die Polis Athen und ihre Werte und Errungenschaften: Lykurg. 1,17; 150. In Lykurg. 1,38 stehen die Mauern zudem für die Wehrhaftigkeit der Stadt. Zur Ambivalenz der Symbolik der Mauern bzw. zum unterschiedlichen Deutungsangebot vgl. auch Dougherty 2014, 163. Ober 1985, 56 wertet die Tatsache, dass es zwischen dem Abschluss des Wiederaufbaus Mitte der 80er Jahre des 4. Jhs. und 338 kein größeres Bauprogramm gegeben hat, dagegen als Beweis für die geringe Rolle der Stadtbefestigung gegenüber der Verteidigung der chora. Vgl. dagegen Knell 2000, 14, der die Bemühungen um Wiederaufbau und Ausbau der Stadtmauern als „Dauerthema“ des 4. Jahrhunderts bezeichnet. Vgl. auch die Belege bei Maier 1959 sowie Conwell 2008, 123–130. IG II2 1656–64; Xen. hell. 4,8,10; Diod. 14,85,3. Vgl. auch Rez. Harding 1988, 64.
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Die Metaphorik der Mauern
sondern auf größere Teile des Gesamtverlaufs. Die Athener, die von außerhalb zu einer politischen Versammlung oder einem Gerichtsverfahren gekommen waren, hatten kurz zuvor eines der Stadttore durchschritten. Bei Gefallenenreden bzw. generell auf dem Kerameikos befand man sich in unmittelbarer Nachbarschaft der Stadtmauern (Abb. 6.1). Auch die Langen Mauern müssen eventuell sogar in ihrer ganzen Länge (von der Akropolis oder dem Pnyxhügel aus konnte man bei klarem Wetter bis zum Meer sehen, Abb. 1.2), zu sehen gewesen sein. Ebenso waren die Befestigungen des Piräus sicherlich vielen durch eigene Anschauung präsent.
Abb. 6.1: Abschnitt der Stadtmauer im Kerameikos südlich des Heiligen Tores (© K. Kostopoulos)
6.4 Die Mauern bei den attischen Rednern als Abbild der historischen Entwicklung der Stadt Die besondere Prominenz der Stadtmauern in den Reden sowie der Faktor ihrer Sichtbarkeit zeigen sich dann besonders deutlich, wenn ihre Errichtung und Zerstörung mit Erzählungen der Geschichte Athens verbunden wird. In der Rede „Über den Frieden“ des Jahres 391 macht sich Andokides die visuelle Präsenz von Stadtmauer und Langen Mauern zunutze, um die Athener von den Vor-
Die Mauern bei den attischen Rednern als Abbild der historischen Entwicklung
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teilen eines Friedensschlusses mit Sparta zu überzeugen. Sein Hauptargument ist es, dass vergangene Friedensschlüsse den Athenern stets Machtzuwachs und Wohlstand gebracht hätten, die nach dem aktuell diskutierten Friedensschluss erneut zu erwarten seien.27 Er zieht eine Parallele zwischen der Blütezeit Athens im 5. Jahrhundert und der Gegenwart und erweckt die Illusion, dass eine solche Blütezeit mit dem angestrebten Frieden erneut erreichbar sei. Deutliches Zeichen einer solchen Blütezeit seien unter anderem ein Ausbau der Flotte und anderer Truppen, ein Anwachsen des Staatsschatzes, aber auch Bau und Ausbau von Stadtmauern und Langen Mauern sowie die Befestigung des Piräus. Als unmittelbare Ergebnisse verschiedener Friedensvereinbarungen der Pentekontaetie nennt Andokides zunächst die Befestigung des Piräus und die Errichtung der von ihm so genannten Langen Mauer im Norden (erst danach folgen die Modernisierung und Erweiterung der Flotte und die Verstärkung der Truppen durch Kavallerie und Söldner).28 Kurz darauf nimmt Andokides Bezug auf die vorteilhaften Folgen des 30jährigen Friedens von 446 für die Polis. Athen konnte finanzielle Rücklagen bilden, die Flotte noch einmal vergrößern, neue Hafenanlagen anlegen und neue Streitkräfte in Dienst stellen, und zuletzt „wurde die Lange Mauer im Süden errichtet.“29 Auch hier wird den Mauern ein besonderes Augenmerk zuteil, indem sie die Aufzählung nicht wie im vorherigen Beispiel eröffnen, sondern sie beschließen und dadurch ebenfalls an exponierter Stelle der Aufzählung stehen. Eine der Erwiderungen der Gegner des Friedensschlusses war augenscheinlich, dass der zuletzt geschlossene Frieden mit Sparta, nämlich die Vereinbarungen am Ende des Peloponnesischen Krieges, ganz die gegenteiligen Ergebnisse erzielt hatte. Hier hebt Andokides aber hervor, dass ein Unterschied zwischen „εἰρήνη“ und „σπονδαὶ“ beste27 28
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Vgl. Missiou 1992, 58 f. And. 3,5: „πρῶτον μὲν τὸν Πειραιᾶ ἐτειχίσαμεν ἐν τούτῳ τῷ χρόνῳ, εἶτα τὸ μακρὸν τεῖχος τὸ βόρειον·“ Die Vergangenheitsbezüge in der Friedensrede des Andokides sind äußerst problematisch und beinhalten zahlreiche Anachronismen. Andokides spricht in 3,5 von einem durch Kimon ausgehandelten 50jährigen Frieden, den es gar nicht gegeben hat, ev. meint er den 5jährigen Frieden von 451. Dann ist aber auch seine Zuordnung der Errichtung der Befestigungen zu diesem Friedensschluss nicht vorstellbar, wurde doch die Lange Mauer im Norden (von Athen zum Piräus) schon 457 errichtet, die Befestigung des Piräus selbst erfolgte sogar schon nach 480 auf Betreiben des Themistokles. Nicht erwähnt wird die Mauer im Süden (von Athen nach Phaleron), obwohl sie zur gleichen Zeit wie diejenige im Norden errichtet wurde. Weitere Literatur zu den historischen Irrtümern und den möglichen Gründen: Nouhaud 1982, 230–234; Scheidel/Siewert 1988, 163–170, bes. 166–169; ausführlich auch Thomas 1989, 119–123, die die eigenwillige Interpretation der Geschichte des 5. Jahrhunderts mit Andokides’ Familientraditionen zu erklären sucht, die Beteiligung eines Großvaters wird von Andokides in 3,8 auch eigens hervorgehoben. Zur Terminologie („nördliche“ bzw. „südliche“ Mauer) an dieser Stelle vgl. Conwell 2008, 21–23 sowie ausführlich zum Bau der Langen Mauern im 5. Jahrhundert 37–78. And. 3,7: „καὶ τὸ τεῖχος τὸ μακρὸν τὸ νότιον ἐτειχίσθη.“ Auch hier wiederum zahlreiche historische Irrtümer: Vgl. den Kommentar bei M. Edwards 1995, 194–197 auch in Hinblick auf die Mauern. Da die Mauer im Süden (zum Hafen von Phaleron) gleichzeitig mit der im Norden errichtet wurde, kann hier nur die so genannte mittlere Mauer gemeint sein, die wiederum Athen mit dem Piräus verband, sodass zwischen dieser und der Mauer im Norden ein schmaler Korridor entstand.
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Die Metaphorik der Mauern
he. Ein aufgezwungener Friede unter ungleichen Partnern wie derjenige am Ende des Peloponnesischen Krieges habe dann natürlich auch schlimme Folgen, die Andokides klar benennt: Die Schleifung der Mauern, die Auslieferung der Flotte und die Wiederaufnahme der Exilierten waren die schmerzhaften Folgen für Athen.30 Ganz anders sehe es aber mit dem aktuell diskutierten Friedensschluss aus, denn dieser sei ein Friede auf Augenhöhe, und habe deshalb ganz andere Konsequenzen. Diese unterschiedlichen Folgen werden von Andokides anhand des Mauerbeispiels dann noch einmal kontrastiert.31 Deutlich wird hier außerdem eine doppelte Visualisierung der Bestimmungen. Einerseits ist der Inhalt der Beschlüsse, die Mauern selbst, für alle Zuhörer zu sehen, andererseits sind die Kapitulationsbedingungen inschriftlich festgehalten und können somit von allen überprüft werden, auch wenn wohl die wenigsten Zuhörer des Andokides solche Inschriften gelesen haben. Gleichzeitig versucht Andokides damit, seine eigene Glaubwürdigkeit zu steigern, ist doch seinen detaillierten Beschreibungen zu entnehmen, dass zumindest er selbst diese Inschrift aus eigener Anschauung kannte.32 Im Gegensatz zu den unrühmlichen Kapitulationsbedingungen wird hervorgehoben, dass unter den aktuell ausgehandelten Friedensbedingungen der vor kurzem abgeschlossene Neubau der Stadtmauern legitimiert würde. Die gegensätzlichen Bestimmungen der alten und neuen Friedensbedingungen werden einander in mehreren parallel strukturierten Sätzen gegenübergestellt. Zum Abschluss seiner Rede und als Erwiderung auf die Einwände der Gegner des Friedens („ἀπὸ δὲ τῶν τειχῶν οὐκ εἶναι σφίσι τροφήν“33) fasst er dann noch einmal die Entwicklung Athens vom Beginn des 5. Jahrhunderts bis in die Gegenwart zusammen; hier wird die tragende Rolle der Mauern besonders deutlich.34 Zu einem von Andokides nicht näher benannten 30
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And. 3,11: „σπονδὰς δέ, ὅταν κρατήσωσι κατὰ τὸν πόλεμον, οἱ κρείττους τοῖς ἥττοσιν ἐξ ἐπιταγμάτων ποιοῦνται, ὥσπερ ἡμῶν κρατήσαντες Λακεδαιμόνιοι τῷ πολέμῳ ἐπέταξαν ἡμῖν καὶ τείχη καθαιρεῖν καὶ τὰς ναῦς παραδιδόναι καὶ τοὺς φεύγοντας καταδέχεσθαι.“ Die Kapitulationsbedingungen werden genauso noch einmal in 3,31 aufgeführt. And. 3,12: „ἐκεῖ μὲν γὰρ γέγραπται τὰ τείχη καθαιρεῖν, ἐν δὲ τοῖσδε ἔξεστιν οἰκοδομεῖν·“ Vgl. Thomas 1989, 67, die hervorhebt, dass die detaillierte Wiedergabe der Friedensbedingungen davon zeuge, dass Andokides sich die Inschrift selbst angeschaut habe. Seine umfangreichen Erläuterungen zeigten aber, dass er damit etwas für seine Zeit Ungewöhnliches tat: „Consultation of the inscribed decrees […] was not a deeply ingrained habit.“ Vgl. auch den Kommentar bei M. Edwards 1995, ad loc. Zu den Inschriften bei den Rednern sowie Fragen der tatsächlichen Konsultation dieser Texte vgl. Kap. 5. And. 3,36. Ein deutliches Zeichen dafür, dass zwar die Bedeutung der Mauern für die Sicherheit der Polis allgemein anerkannt und wohl auch ihre symbolische Bedeutung weit verbreitet war, jedoch Uneinigkeit herrschte, ob der Besitz von Mauern und Flotte als ausreichendes Ergebnis des Friedens mit Sparta angesehen werden konnte. Ein Großteil des athenischen Demos befürwortete wohl eine Weiterführung der Kampfhandlungen insbesondere aus dem Grund, Besitzungen in der Ägäis zurückzuerlangen und die Getreidezufuhr vom Schwarzen Meer zu sichern. Vgl. dazu M. Edwards 1995, 110. And. 3,37–39: „Ἦν γάρ ποτε χρόνος, ὦ Ἀθηναῖοι, ὅτε τείχη καὶ ναῦς οὐκ ἐκεκτήμεθα· γενομένων δὲ τούτων τὴν ἀρχὴν ἐποιησάμεθα τῶν ἀγαθῶν. ὧν εἰ καὶ νῦν ἐπιθυμεῖτε, ταῦτα κατεγράσασθε. ταύτην δὲ λαβόντες ἀφορμὴν οἱ πατέρες ἡμῶν κατηγράσαντο τῇ πόλει δύναμιν τοσαύτην ὅσην οὔπω τις ἄλλη
Die Mauern bei den attischen Rednern als Abbild der historischen Entwicklung
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Zeitpunkt in der Geschichte – hier kann nur die Zeit unmittelbar nach den Perserkriegen gemeint sein – hatte Athen weder Mauern noch Schiffe. Mit Errichtung bzw. Bau derselben begann dann die Erfolgsgeschichte der Stadt. Diese beiden Komponenten, Mauern und Schiffe, werden als die Grundlagen der Vorherrschaft im Seebund benannt, durch sie war die Herrschaft größer als die jeder anderen Stadt zuvor. Die Vorherrschaft im Seebund wird dann genauer geschildert, wobei Andokides nicht nur die positiven Seiten hervorhebt, sondern auch Kritik übt. Schließlich war es sein Ziel, dass die Friedensvereinbarungen mit Sparta akzeptiert werden sollten, die Athener also nicht auf eine aggressive Expansion im Stil des Seebunds im 5. Jahrhundert drangen. So wird auch der Bau der Stadtmauern als heimliche List bezeichnet, statt den Athenern oder Themistokles ob dieser Tat Lob auszusprechen, wird der Erfolg als vor allem durch die Fehler anderer, nämlich der Spartaner und ihrer Ephoren ermöglicht dargestellt.35 Nach dieser Erfolgsgeschichte über 85 Jahre folgte der Bruch durch die Niederlage im Peloponnesischen Krieg, und nun war es der Verlust von Mauern und Schiffen, der sicherstellen sollte, dass die Athener keine neue Machtposition aufbauen konnten. Der Kreis schließt sich in der Gegenwart, in der die Spartaner den Athenern zusichern, dass sie bei einem Friedensschluss ihre Mauern und Schiffe halten können. Die athenische Geschichte wird also sowohl von Erfolgen als auch von Niederlagen bestimmt, und immer sind es die Mauern, deren Bau mit Machtentfaltung und –besitz und deren Zerstörung mit der größten Niederlage verbunden ist.36 Eine ähnliche Schilderung der Erfolge des 5. Jahrhunderts in Verbindung mit dem Bau der Mauern findet sich fast fünfzig Jahre später (343/2) in der „Gesandtschaftsrede“ des Aischines. Sie leitet den Schlussteil seiner Rede über 184 Paragraphen ein, in
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πόλις ἐκτήσατο […] καὶ ταῦτα τὰ ἀγαθὰ ἐν ὀγδοήκοντα καὶ πέντε ἡμῖν ἔτεσιν ἐγένετο. κρατηθέντες δὲ τῷ πολέμῳ τά τε ἄλλα ἀπωλέσαμεν, καὶ τὰ τείχη καὶ τὰς ναῦς ἔλαβον ἡμῶν Λακεδαιμόνιοι, τὰς μὲν παραλαβόντες, τὰ δὲ καθελόντες, ὅπως μὴ πάλιν ταύτην ἔχοντες ἀφορμὴν δύναμιν τῆ πόλει κατασκευάσαιμεν. πεισθέντες τοίνυν ὑφ᾽ ἡμῶν Λακεδαιμόνιοι πάρεισι νυνί πρέσβεις αὐτοκράτορες, τά τε ἐνέχυρα ἡμῖν ἀποδιδόντες, καὶ τὰ τείχη καὶ ναῦς ἐῶντες κεκτῆσθαι, τάς τε νήσους ἡμετέρας εἶναι.“ Vgl. dazu Missiou 1992, 78–82, die grundsätzlich betont: „He [Andokides] makes use of concepts and terms which describe the empire, but immediately sets out to tarnish the memories they might evoke.“ (78) Zur unterdrückten Nennung des Themistokles vgl. Kap. 6.4.2. Allerdings versäumt es Andokides deutlich zu machen, warum Mauern und Schiffe erneuten Wohlstand bringen können, vgl. Missiou 1992, 85 „and thus the analogy he implied between the prosperity that would follow the conclusion of the proposed peace and the prosperity that had been experienced in the past was not accepted by his audience.“ Dieses Auseinanderklaffen zwischen den Vorschlägen des Andokides und den Erwartungen seiner Zuhörer beschreibt Missiou weiter als „conceptual gap […] with regard to the empire and the wars of the past“. Die breite Masse habe grundsätzlich andere Vorstellungen von Krieg und Frieden gehabt, für sie seien Mauern und Schiffe keine ausreichenden Ziele gewesen, vgl. ebenda, 69 sowie 75 f. Missious schematische Einteilung des politischen Geschehens in Athen in Klasseninteressen ist allerdings kritisch zu sehen. Ebenso sei es falsch, Andokides als Oligarchen zu bezeichnen, schließlich hebe er in seinen historischen Schilderungen immer die Bedeutung der Demokratie hervor, vgl. Thomas 1989, 119 mit Anm. 77 und die Überlegungen bei Furley 1995.
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dem Aischines auf die positiven Folgen von Friedensschlüssen im Gegensatz zu den Katastrophen als Folgen von Kriegen hinweist.37 Inhaltlich stimmt sie fast vollständig mit dem Abschnitt bei Andokides überein, mitsamt allen historischen Fehlern. Es ist aber sicherlich nicht zielführend, Aischines, ebenso wie Andokides, als schlechten Historiker zu bezeichnen, wie es in der älteren Forschung oft geschehen ist,38 sondern sich vielmehr zu fragen, warum Aischines eine Redepassage, die ein halbes Jahrhundert früher gehalten wurde, für seine eigenen Zwecke wieder verwendet, zumal Andokides mit seiner Rede damals keinen Erfolg gehabt hatte. Mögliche Gründe für die Wiederverwendung dieser Passage sind zunächst im gleichen Ziel der beiden Reden zu sehen, den Rednern geht es um die Rechtfertigung bzw. das Werben für einen Friedensschluss. In Andokides’ Fall ist dies eben der unmittelbar anstehende Frieden mit Sparta 392/1, der noch die Zustimmung der Volksversammlung benötigt, bei Aischines der Philokratesfrieden 346, für den er sich in einer Verteidigungsrede vor einem Dikasterion rechtfertigt.39 Aischines übernimmt dabei aber nicht nur die historischen „Fakten“ respektive Irrtümer, sondern auch ihre Ausgestaltung, insbesondere mit visuell-räumlichen Aspekten. Auch er bezieht sich bei der Schilderung der Friedensschlüsse des 5. Jahrhunderts auf die verschiedenen Etappen der Errichtung der Langen Mauern bzw. der Befestigung des Piräus. Aischines hält seine Rede in einem der Dikasterien auf der Agora: Auch von dort aus war zumindest die Stadtmauer gut sichtbar bzw. diese war von den Zuhörern durchschritten worden, um auf die Agora zu gelangen. Alle weiteren Erwähnungen der Stadtmauern oder der Langen Mauern in diesen und anderen Reden betreffen jeweils einzelne Etappen ihrer Geschichte. Diese sollen in den folgenden Kapiteln in chronologischer Folge behandelt werden.
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Die Passage Aischin. 2,172–177 ist als Adaption der Schilderung bei And. 3,3–9 zu sehen, zum Teil handelt es sich um eine wörtliche Kopie bestimmter Passagen. Zur Forschungsdiskussion und der weiteren Literatur vgl. Kap. 1.6. Vgl. Tischler 1941, 23–26; Harding 1987, 34 f. Die Redner waren eben keine Historiker und hatten nur ein begrenztes Interesse an historischer „Wahrheit“ und Tatsachenberichten. Eine solche wurde auch von den Zuhörern nicht erwartet, vgl. in Bezug auf historische Irrtümer bei Andokides z. B. Missiou 1992, 59–61. Viel bedeutender sei vielmehr, mit welchen Wertungen Andokides die vergangenen Ereignisse versehe, denn historische Beispiele hätten neben der „descriptive force“ vor allem eine „prescriptive force“ (61), das heißt die Wertungen der Vergangenheit sollen auf gegenwärtige und zukünftige Entscheidungen übertragen werden; recht positiv zu den historischen Kenntnissen eines Andokides auch Thomas 1989, 119–123; schließlich handele es sich bei dieser Passage um die einzige ausführlichere Schilderung der Ereignisse der Pentekontaetie, zusammenfassend: „If anything, Andocides was probably more knowledgeable than most …“ (122). Zur Auffassung von historischer Wahrheit bzw. Wahrscheinlichkeit bei den attischen Rednern zuletzt auch Wojciech 2018, 169: „[…] keine detailgetreue Rekonstruktion eines Ereignisses, sondern eine Bewertung gemäß geltender Wertevorstellungen“. Paulsen 1999, 409: Bei beiden handelt es sich um Parabresbeia-Reden, deren Zielsetzung nur „nuanciell unterschiedlich [ist]: Andokides will zeigen, daß Frieden niemals der Demokratie geschadet hat, Aischines, daß Frieden dem Krieg vorzuziehen ist.“
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6.4.1 Die „Vormauer“ und ihre Zerstörung durch die Perser Die erste Etappe in der langen Geschichte der Mauern Athens wird von Andokides ausgeklammert, von Aischines in seiner Gesandtschaftsrede jedoch kurz benannt. Es ist die Existenz einer Mauer noch vor den Perserkriegen.40 Der Akzent liegt dabei auf der Tatsache, dass trotz der Zerstörung der Mauern durch die Perser, die Unsicherheit und Schutzlosigkeit bedeutete, sowohl der innere Frieden als auch der Frieden mit Sparta Bestand hatten. Dass die Athener gleich nach ihrer Rückkehr in aller Eile damit begannen, diese Mauern wiederzuerrichten, wird hier ausgeklammert.41 Das gleiche Prinzip wendet Andokides in der so genannten Mysterienrede des Jahres 400/399 an, indem er betont, dass die Zerstörung nicht nur der Mauern, sondern auch der Tempel, Häuser, ja der gesamten Stadt die Athener nicht davon abgehalten hätte, den inneren Frieden und die Einheit zu wahren.42 Die Schilderung der Zerstörung der Mauern dient hier als Parallele zur Situation der Stadt am Ende des 5. Jahrhunderts, durch die Andokides versucht, eine Anklage wegen unerlaubter Anwesenheit bei den eleusinischen Mysterien abzuwenden, indem er sich insbesondere auf die kurz zuvor beschlossene Amnestie bezieht. Wiederum liege Athen in Trümmern, wiederum seien die Mauern zerstört – aber die Athener könnten die Situation zum Guten wenden und wieder zu alter Machtfülle gelangen, wenn sie von Streitigkeiten untereinander absähen.43 Abgesehen von diesen beiden Textstellen werden die „alten Mauern“ aber in keiner weiteren erhaltenen Rede erwähnt, und auch Andokides und Aischines äußern sich nicht zu den Umständen ihrer Errichtung. Vielleicht waren diese zum Zeitpunkt der Reden auch gar nicht mehr bekannt, aber vor allem war den Rednern mit der Parallelisierung der Zerstörung mit dem Zustand ihrer eigenen Zeit wohl auch weit besser gedient. 6.4.2 Die Errichtung der Stadtmauern nach den Perserkriegen und die Rolle des Themistokles Die (Neu-)Errichtung der Stadtmauern, der Langen Mauern und der Befestigung des Piräus nach den Perserkriegen wird von den Rednern dann weitaus häufiger angeführt. Bis auf eine Stelle bei Lysias, die in das Ende des Jahres 403 datiert, wird dieses Ereignis
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Aischin. 2,172: „Πρότερον ἡ πόλις ἡμῶν εὐδόξησε μετὰ τὴν ἐν Σαλαμῖνι ναυμαχίαν, καὶ τῶν τειχῶν ὑπὸ τῶν βαρβάρων πεπτωκότων …“ Zur Wiedererrichtung der Stadtmauern nach den Perserkriegen vgl. Kap. 6.4.2. And. 1,108. Die Zerstörung wird von Andokides unmittelbar im Anschluss an die Schilderung der Schlacht bei Marathon (1,107) angebracht. Der griechische Text sowie weitere Literatur finden sich in Kap. 3.2. And. 1,109; vgl. dazu auch Wohl 2010, 212 f. Die Passage 106–109 „turns Athens’ heroic history into a history of amnesties.“ (213)
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vor allem ab der Mitte des 4. Jahrhunderts und später erwähnt.44 Lysias geht es in der Anklagerede „Gegen Eratosthenes“ darum, den Angeklagten, ein Mitglied der Dreißig Tyrannen, dahingehend zu diffamieren, dass er mit Theramenes, auch er ein Mitglied der Dreißig, eng zusammengearbeitet haben soll.45 „Ich glaube ja wirklich, wenn der Angeklagte mit Themistokles in der Regierung gewesen wäre, würde er sich ebenso rühmen, die Stadtmauern wieder aufgebaut zu haben, wie er nun gemeinsam mit Theramenes daran beteiligt gewesen sein will, dass sie niedergerissen wurden. Aber das scheint mir nicht das gleiche zu sein, denn der eine hat die Mauern gegen den Willen der Spartaner errichtet, dieser aber hat sie niedergerissen und dabei die Bürger betrogen.“46
Zunächst wird die Errichtung der Mauern durch Themistokles der Zerstörung derselben durch Theramenes gegenübergestellt – Theramenes hatte ja mit den Spartanern über die Kapitulationsbedingungen nach dem Peloponnesischen Krieg verhandelt. Lysias hebt hervor, dass im Gegensatz dazu Themistokles gerade nicht mit den Lakedaimoniern zusammengearbeitet hatte, sondern durch eine List möglich gemacht hatte, dass die Mauern ohne deren Wissen errichtet werden konnten.47 Die starke Personalisierung von Bau und Zerstörung der Mauern hängt zunächst einmal mit der Argumentation zusammen, der Angeklagte sei ein enger Vertrauter des Theramenes gewesen. Außerdem werden hier durch die Schilderung von Bau und Zerstörung der Mauern zwei Erinnerungsschichten miteinander verknüpft. So liegt die Zerstörung der Mauern unmittelbar zurück, die Errichtung der themistokleischen Mauer datiert dagegen ca. 80 Jahre früher. Durch den großen zeitlichen Abstand kann Lysias zwei Geschichten vergleichen, die streng genommen nicht zusammen passen – hatte sich Themistokles doch um die Errichtung der Stadtmauern und der Befestigung des Piräus verdient gemacht, während nach dem Peloponnesischen Krieg als Kapitulationsbedingung besonders die Langen Mauern zerstört wurden.48 44 45 46
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Der Mauerbau als herausragendes Verdienst des Themistokles wird allerdings schon bei Thuk. 1,90,3 hervorgehoben. Vgl. dazu den ausführlichen Kommentar bei Bearzot 1997, 1–11 sowie 31–65, außerdem Todd 2000, 113–115 sowie bei Usher 1985, 247 ad loc. Lys. 12,63: „καίτοι σφόδρ᾽ ἂν αὐτὸν οἶμαι μετὰ Θεμιστοκλέους πολιτευόμενον προσποιεῖσθαι πράττειν ὅπος οἰκοδομηθήσεται τὰ τείχη, ὁπότε καὶ μετὰ Θηραμένους ὅπως καθαιρεθήσεται. οὐ γάρ μοι δοκοῦσιν ἴσου ἄξιοι γεγενῆσθαι· ὁ μὲν γὰρ Λακεδαιμονίων ἀκόντων ᾠκοδόμησεν αὐτά, οὗτος δὲ τοὺς πολίτας ἐξαπατήσας καθεῖλε.“ Übers. I. Huber. Ähnliche Vorwürfe an die Adresse des Theramenes, allerdings ohne noch einmal den Vergleich mit Themistokles zu bemühen, folgen im weiteren Verlauf der Rede 68 und 70. Verbunden mit dem Vorwurf der Zerstörung der Mauern sind dabei die Übergabe der Flotte (68) oder in einer Zusammenziehung der Ereignisse die Aufgabe der demokratischen Verfassung (70). Parallel dazu auch Plut. Lysandros 14,5–6. Vgl. dazu den Kommentar bei Bearzot 1997, 171 f. (ad loc.). Vgl. die Schilderung bei Plut. Themistokles 19,1–3; 20,3 sowie Thuk. 1,89–93. Zudem ist die Rolle der beiden Politiker durchaus unterschiedlich, vgl. dazu auch Bearzot 1997, 172; Todd 2000, 129 mit Anm. 35.
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In der Prozessrede „Gegen Leptines“ setzt Demosthenes ebenfalls die historische Bezugnahme auf den Mauerbau durch Themistokles ein. Er vergleicht Themistokles mit dem Strategen Konon, der maßgeblich für die Wiedererrichtung der Mauern verantwortlich war, und nun ist es Themistokles, der hinter dem Strategen des 4. Jahrhunderts zurückstehen muss. Diese Herabsetzung des Themistokles kann durch die Umstände der Prozessrede „Gegen Leptines“ erklärt werden. Leptines hatte beantragt, dass sämtliche ehrenvolle Ausnahmen von den Leiturgien (ateleiai), abgesehen von denjenigen für die Nachkommen des Harmodios und Aristogeiton, ausgesetzt werden sollten.49 Dem begegnet Demosthenes vor allem dadurch, dass er Personen nennt, die aufgrund ihrer Verdienste eine, höchstens zwei Generationen zuvor mit der ateleia bedacht worden waren. Einer dieser Personen ist Konon. Um nun die Wohltaten Konons, mit denen er sich diese Ehrung verdient hatte und als dessen größte Demosthenes „die Errichtung der Mauern“ bezeichnet,50 noch mehr herauszustreichen, wird der Vergleich mit Themistokles angestrengt, der dann natürlich zu Ungunsten des Letzteren ausfallen muss. Denn während Themistokles den Bau der Stadtmauern durch List möglich gemacht habe, sei dies Konon durch seine militärischen Siege gelungen.51 Trotz dieses stark vereinfachten Vergleichs, der über die Unterschiede in den jeweiligen historischen Situationen hinwegsieht, wird aber auch die große Popularität, die der Mauerbau durch Themistokles noch weit über hundert Jahre später gehabt haben muss, deutlich. Zunächst wird Themistokles als „der berühmteste Mann seiner Zeit“ bezeichnet. Seine Überlistung der Spartaner wird nicht nur beiläufig angesprochen, sondern ausführlicher geschildert, gleichzeitig unter der Voraussetzung, dass jeder der Anwesenden von der Täuschung der Spartaner durch Themistokles gehört hatte.52 Ein Indiz dafür, dass diese List im kollektiven Gedächtnis der Athener eigentlich positiv belegt war, macht die nachfolgende Entschuldigung deutlich: Die Athener sollten sich durch die nachfolgenden Schilderungen nicht beleidigt fühlen, sondern darüber nachdenken, ob sie wahr seien.53 Neben der Kontrastierung mit den Errungenschaften Ko49 50 51
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Zum rechtlichen Hintergrund vgl. MacDowell 2009, 156 und besonders zur Ehrung mit ateleia ders. 2004. Demosth. 20,72. Zu den Ehrungen für Konon vgl. Funke 1980, 122 Anm. 55. Zur besonderen Hervorhebung des Mauerbaus im Rahmen der Ruhmestaten Konons vgl. Kap. 6.4.5. Gemeint ist die Seeschlacht bei Knidos 394, in der Konon, wohlgemerkt als Kommandant einer persischen Flotte, einen Sieg über die spartanischen Streitkräfte davongetragen hatte. In der Folge kam er, ausgestattet mit persischen Geldmitteln, nach Athen, wo er den allerdings bereits zuvor begonnenen Neubau der Langen Mauern maßgeblich vorantrieb. Vgl. dazu Funke 1980, 129. Zur negativen Bewertung der metis des Themistokles an dieser Stelle vgl. auch MacDowell 2009, 162 sowie den Kommentar von Kremmydas 2012, 317 f. ad loc., dort auch zu den sprachlichen Mitteln des Vergleichs. Bei Thuk. 1,90–91 wird die metis hingegen als überaus lobenswerte Eigenschaft des Themistokles hervorgehoben, die sich auch in der Schlacht bei Salamis gezeigt habe. Demosth. 20,73: „ὁ τῶν καθ᾽ ἑαυτὸν ἁπάντων ἀνδρῶν ἐνδοξότατος […] καὶ πάντες ἴσως ἀκηκόαθ᾽ ὃν τρόπον ἐξαπατῆσαι λέγεται.“ Demosth. 20,74: „καὶ πρὸς Διός, ἄνδρες Ἀθηναῖοι, μηδεὶς φθόνῳ τὸ μέλλον ἀκούσῃ, ἀλλ᾽ ἂν ἀληθὲς ᾖ σκοπείτω“. Besondere Emphase bekommt diese Entschuldigung durch die Bezugnahme auf Zeus,
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nons diente diese Passage gerade durch die allgemeine Bekanntheit des Geschilderten wohl auch der Unterhaltung der Zuhörer.54 Grundsätzlich eigneten sich Themistokles und Konon sehr gut für einen Vergleich, hatten sie sich doch nicht nur beide für den Mauerbau engagiert, sondern waren beide verdiente Strategen und galten als maßgeblich für die Ausweitung der athenischen Seemacht in unterschiedlichen Epochen.55 In der Antidosis-Rede des Isokrates steht Themistokles in einer Reihe mit Kleisthenes, Miltiades und Perikles als vorbildlichen Führern der Polis. Neben seinen Verdiensten um die Begründung der Vormachtstellung Athens wird die Errichtung der Stadtmauern und der Befestigungen des Piräus auf sein Betreiben hervorgehoben, auch hier spielt das Handeln gegen die Interessen der Spartaner eine Rolle: „Überlegt, wer es war, der nach ihm [Miltiades] die Griechen befreit und unsere Vorfahren zur Hegemonie und Machtstellung, die sie innehatten, geführt hat, der die von Natur aus günstige Lage des Piräus erkannt und gegen den Willen der Lakedaimonier mit einer Mauer umgeben hat.“56
Auffällig ist auch, dass sowohl Themistokles als auch die anderen großen Persönlichkeiten in den Passagen zuvor nicht namentlich genannt werden. Isokrates konnte also davon ausgehen, dass seine Zuhörer respektive Leser aufgrund dieser kurzen Beschreibung ganz genau wussten, wer gemeint war.57 Eine ähnlich traditionelle Sicht der Dinge bietet abschließend Deinarchos im Rahmen des so genannten Harpalos-Prozesses des Jahres 323, der sich maßgeblich gegen Demosthenes richtete. Deinarchos bezieht sich auf die Errungenschaften der Zeit nach den Perserkriegen, um den Kontrast zum Niedergang der eigenen Zeit deutlich
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vgl. Kremmydas 2012, 317. Zur Rolle des Themistokles bei Demosthenes als „model for emulation“ vgl. Clarke 2008, 254 mit Hinweis auf Demosth. 13,21 sowie 18,204 und 208. Zu nennen wären darüber hinaus auch Demosth. 19,303; 23,196 und 205–207. Vgl. Kremmydas 2012, 316: Demosthenes habe sich bei der Schilderung des Mauerbaus nach den Perserkriegen nachweislich aus den historiographischen Quellen bedient (besonders Thuk. 1,89– 93, ev. kommen auch Ephoros oder einer der Attidographen in Frage), stütze sich aber sicherlich gleichzeitig auch auf mündliche Traditionen. Vgl. Kremmydas 2012,316. Dieser betont (317), dass darüber hinaus auch die Kooperation der beiden Männer mit den Persern gegen Ende ihres Lebens von den Rednern gerne verschwiegen werde, eine verständliche Strategie, wenn man die meist positive Beurteilung der beiden Strategen bedenkt. Ein ähnlicher Vergleich zwischen Konon und Themistokles findet sich bei Isokr. 4,154, allerdings ohne Erwähnung des Mauerbaus. Zur Gegenüberstellung von Konon und Themistokles vgl. auch Hesk 2000, 45–49; Bianco 2007, 109 f.; Wojciech 2018, 171 f. Isokr. 15,307: „τίς δ᾽ ἦν ὁ μετ᾽ ἐκεῖνον τοὺς Ἕλληνας ἐλευθερώσας καὶ τοὺς προγόνους ἐπὶ τὴν ἡγεμονίαν καὶ τὴν δυναστείαν ἣν ἔσχον προαγαγών, ἔτι δὲ τὴν φύσιν τὴν τοῦ Πειραιέως κατιδὼν καὶ τὸ τεῖχος ἀκόντων Λακεδαιμονίων τῆ πόλει περιβαλών;“ Bei der Antidosis-Rede handelt es sich um eine fiktive Verteidigungsrede des 82-jährigen Isokrates vor einem Dikasterion. Die Rede war also von vornherein zur Lektüre bestimmt, was auch ihre für eine Gerichtsrede außerordentliche Länge von 323 Paragraphen erklärt. Vgl. Too 2000, 201 f.; 205 und der Kommentar in dies. 2008, 237 ad loc. Namentlich genannt wird Themistokles in der gleichen Rede 235 im Zusammenhang mit der Schlacht bei Salamis.
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werden zu lassen.58 Die ihm zubemessene Redezeit würde es nicht erlauben, in aller Ausführlichkeit von Aristeides und Themistokles zu sprechen: Diese seien die Männer, die die Stadtmauern errichtet hätten und den Tribut der Griechen auf die Akropolis gebracht hätten.59 Auffällig ist hier, dass verschiedene Ereignisse und Personen zusammengezogen werden. So wird weder deutlich, wer für die Errichtung der Mauern und wer für die Eintreibung der Tribute verantwortlich war, noch welche Mauern eigentlich errichtet wurden.60 Betrachtet man die anderen Textstellen dieses Kapitels, so wird wohl durch die Zuhörer eine automatische Verknüpfung zwischen Themistokles und den Mauern hergestellt worden sein. Bei der Kürze der Schilderung wird deutlich, dass der Bau der Mauern hier schlagwortartig für die Verdienste des Themistokles steht, während seine durchaus auch populären Maßnahmen während der Perserkriege – anders als in den meisten anderen Reden – unerwähnt bleiben.61 Dies könnte einerseits durch die Symbolkraft der Mauern bedingt sein, die für militärische Wehrhaftigkeit stehen und hier zudem in einem Atemzug mit dem damit einhergehenden Wohlstand genannt werden. Andererseits bedient sich Deinarchos hier des Mittels der Sichtbarkeit, waren doch Reste der themistokleischen Stadtmauern selbst zur Zeit des Harpalosprozesses noch zu sehen.62 Gleiches gilt umso mehr für die anderen Reden eines Lysias, Demosthenes und Isokrates: die Mauern als Ergebnisse der Bemühungen eines Mannes stehen allen Zuhörern plastisch und unmittelbar vor Augen.
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Worthington 1992, 191, vgl. ähnlich auch Demosth. 3,21. Deinarch. 1,37: „ὧν τοὺς μὲν ἀρχαίους ἐκείνους μακρὸν ἂν εἴη λέγειν, Ἀριστείδην καὶ Θεμιστοκλέα, τοὺς ὀρθώσαντας τὰ τείχη τῆς πόλεως καὶ τοὺς φόρους εἰς ἀκρόπολιν ἀνενεγκόντας παρ᾽ ἑκόντων καὶ βουλομένων τῶν Ἑλλήνων·“ Vgl. Worthington 1992, 191: Es war gängige Redepraxis des Deinarchos, zwei Personen mit gleicher politischer Ideologie oder gemeinsamen Interessen zu verbinden. Die Verbindung zwischen Themistokles und Aristeides war auch in der übrigen Publizistik und Rhetorik des Jahrhunderts verbreitet, wie beispielsweise Aristot. Ath. Pol. 23,3–4 und Aischin. 1,25; 3,181 f.; 258 f.; Demosth. 13,29; Isokr. 8,75 zeigen. Nach Thuk. 1,89,3 war Themistokles nur für den Bau der Stadtmauer und der Piräusmauer verantwortlich; da Thukydides die Verdienste des Themistokles sehr positiv schildert, ist es deshalb eher unwahrscheinlich, dass dieser auch am Bau der Langen Mauern beteiligt war. Dies wird ihm erst bei Demosth. 20,72–74 zugeschrieben. Zeitlich gesehen liegen die beiden Ereignisse ebenfalls weiter auseinander als hier suggeriert wird: So erfolgte der Bau der Stadtmauer direkt nach den Perserkriegen, während die Tribute des Seebundes erst ab der Mitte des 5. Jahrhunderts auf die Akropolis gebracht wurden, vgl. der Hinweis bei Worthington 1992, 192. Vgl. auch J. Chambers 1975, 80, der jedoch gleichzeitig betont, dass Themistokles in den Reden weitaus häufiger mit seinen Verdiensten in den Perserkriegen, besonders bei Salamis, in Verbindung gebracht wird. Vgl. Travlos 1971, 158. Insbesondere im Kerameikos haben sich noch Abschnitte des themistokleischen Mauerwerks erhalten.
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6.4.3 Die Mauern als Symbol der Vorherrschaft im 5. Jahrhundert Die Erwähnung der Mauern als ein Zeichen des Wohlstandes und auch der Vorherrschaft im weiteren Verlauf des 5. Jahrhunderts sind, betrachtet man die attischen Reden insgesamt, relativ selten. Weitaus häufiger sind andere Monumente als sichtbare Symbole für die gesteigerte Bedeutung der Stadt: die Bauten der Akropolis oder auch die Siegeszeichen für gewonnene Schlachten.63 Abgesehen von den bereits genannten und erläuterten Redepassagen bei Andokides und Aischines werden die Mauern nur in der Rede „Gegen den Umsturz der Verfassung“ des Lysias erwähnt, die im Herbst des Jahres 403 gehalten wurde, also noch einmal gute zehn Jahre früher als die Friedensrede des Andokides. In einer nicht näher kommentierten kurzen Aufzählung der Machtgrundlagen Athens im 5. Jahrhundert werden Mauern, Schiffe, Geld und Verbündete genannt.64 Trotz aller dieser Machtfaktoren habe man den Euboiern das Recht der epigameia verliehen und so den Bürgerverband weiter gestärkt. Dieses historische Beispiel berührt die eigentliche Thematik der Rede. Sie richtet sich primär gegen einen Vorschlag des Phormisios, die bürgerlichen Rechte nach dem Ende der Herrschaft der Dreißig nur von Personen mit Landbesitz ausüben zu lassen.65 Neben dem Verlust der Mauern nach der Niederlage im Peloponnesischen Krieg drohe nun auch ein Verlust an Bürgern, da doch jeder zur Verteidigung der Polis benötigt werde.66 Trotz der eher nebensächlichen Erwähnung der Mauern in einer kurzen Aufzählung steht hier wiederum der Besitz und Verlust der Mauern für Machtfülle und Machtlosigkeit Athens.
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Hervorgehoben werden die Bauten der Akropolis sowie weitere Monumente im Stadtgebiet z. B. bei Demosth. 3,24 f.; 13,26–31; zu Akropolis und Tropaia vgl. Kap. 3 und 8. Lys. 34,3: „… ἐπεὶ καὶ ὅτε τὰ τείχη καὶ τὰς ναῦς καὶ τὰ χρήματα καὶ συμμάχους ἐκτησάμεθα …“ Es ist unklar, ob die Rede von Lysias selbst oder einem befreundeten athenischen Bürger gehalten wurde. Möglicherweise zirkulierte sie auch nur als Pamphlet, vgl. Todd. 2000, 335. Vgl. dagegen M. Edwards 2016, 25 f. Das Hauptargument der Gegner des Vorschlags war, dass eine Eingrenzung der Bürgerschaft nicht der patrios politeia entspräche (die Befürworter bedienten sich der gleichen Argumentation unter umgekehrten Vorzeichen). Beide Seiten „were equally keen to argue that their proposals matched with the original intentions of the founding fathers of the Athenian polis.“ In diesen Rahmen fügt sich das Beispiel des Heiratsrechts für Euboia ein, auch wenn es nicht ganz so weit zurücklag. Vgl. dazu Todd 2000, 335 f., Zitat 336. Dieses Recht auf epigameia für die Euboier wird allerdings von keiner anderen Quelle erwähnt, weshalb eine Datierung oder Verifizierung nicht möglich ist, vgl. Todd 2000, 340 Anm. 8. Lys. 34,4.
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6.4.4 Die Mauern und ihre Zerstörung als Symbol der Niederlage Weitaus stärker als mit der Zeit der größten Machtausdehnung im 5. Jahrhundert ist die Geschichte der Stadtmauern mit den größten Niederlagen der Stadt verknüpft. Daher sollen zunächst einige grundsätzliche Redestrategien zur Darstellung solcher Niederlagen aufgezeigt werden. Betrachtet man die überlieferten Reden, so wird deutlich, dass die Athener grundsätzlich ungern an die Niederlagen der Stadt bzw. wenig ruhmreiche Episoden der Vergangenheit erinnert wurden. Als die Niederlage schlechthin kann dabei sicherlich die Schlacht bei Aigospotaimoi und die nachfolgende Kapitulation im Peloponnesischen Krieg aufgefasst werden – handelte es sich dabei doch um den Schlusspunkt eines äußerst langwierigen und verlustreichen Konfliktes, der auch das Ende des attischen Seebundes bedeutete. Nicht zuletzt war diese Niederlage auch noch zur See erfolgt, also in dem Element, in dem die Athener bis dahin die Überlegenheit gegenüber Sparta behaupten konnten. Dieses Ereignis wurde im nachfolgenden 4. Jahrhundert fast ausschließlich in Anspielungen und auch dann nur verklausuliert erwähnt,67 Details der Schlacht und damit verbundener Personen werden selten berichtet.68 Ähnlich verhält es sich auch mit der sogenannten Sizilischen Expedition von 413, die nur in Ausnahmefällen als mahnendes Beispiel für die Gegenwart herangezogen wurde.69 Besonders weniger bekannte Schlachten des 5. Jahrhunderts wurden darüber hinaus oft als Siege umgedeutet.70 Anders sieht es mit der Kapitulation nach dem Peloponnesischen Krieg und ihren Folgen aus. Auch wenn diese wunden Punkte der athenischen Geschichte ebenfalls oft nur in Anspielungen erwähnt werden, so fällt doch auf, dass dann häufig von der Zerstörung der Mauern gesprochen wird: Sie steht sinnbildlich auch für das Ende des Seebundes und der damit verbundenen Macht der Stadt, selbst wenn dieser Punkt nicht explizit genannt wird.71 Die Zerstörung der Mauern ist eine sichtbare Demütigung der geschlagenen Athener neben der rein militärischen Schwächung.72 Die Schleifung der Mauern wird in allen Aufzählungen der Konsequenzen der Niederlage genannt und steht als Symbol für das gesamte Ausmaß der Niederlage, also für die militärische Nie-
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So bezeichnet Lysias die Schlacht bei Aigospotamoi für gewöhnlich als „συμφορά“ (6,46; 12,43; Fr. 70,167 Carey) oder als „Seeschlacht am Hellespont“ bzw. „Verlust der Schiffe“, ohne den Ort zu nennen (19,16; 21,9; 30,10;). In den Reden des Isokrates ist die Formulierung „ἀτυχία ἡ ἐν Ἑλλησπόντῳ“ geläufig (Isokr. 4,119; 7,64; 12,99), vgl. dazu Nouhaud 1982, 280; Wolpert 2002a, 120 f.; Pownall 2004, 31 f.; Steinbock 2017, 149 mit Anm. 141. Vgl. Nouhaud 1982, 280–282. Aischin. 2,76; Isokr. 8,84–86. Vgl. Nouhaud 1982, 270–275 und zuletzt Steinbock 2017, 143–154. Vgl. Nouhaud 1982, 228 f. Vgl. Wolpert 2002a, 121. Vgl. Kremmydas 2012, 315 sowie Goldhill 2007, 130.
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derlage gegen Sparta und in einem weiteren Schritt sogar für die nachfolgende Herrschaft der Dreißig.73 Eine besonders eindrückliche visuelle Kraft hatte die Erwähnung der Zerstörung der Mauern sicherlich, wenn dieser Zustand der Zerstörung, die Mauer als Ruine, den Zuhörern konkret vor Augen stand. Die Athener wurden so täglich an die erlittene Niederlage erinnert.74 Das ist bei allen Reden der Fall, die zwischen 404 und dem Wiederaufbau der Mauern ab 395/4 gehalten wurden. Dies umfasst die Reden des Lyisas sowie die Mysterienrede des Andokides, alle anderen Textbeispiele datieren nach der Wiedererrichtung Ende der 90er Jahre des 4. Jahrhunderts.75 Abgesehen davon, dass die weiterhin sichtbaren Ausbesserungen auch nach der Fertigstellung den Wiederaufbau nicht vergessen machten, musste der schutzlose Zustand in der Dekade nach dem Peloponnesischen Krieg bei den Zeitgenossen bleibenden Eindruck hinterlassen haben; damit blieben die zerstörten Mauern zumindest im kollektiven Gedächtnis lebendig. Gleich nach dem Ende der Herrschaft der Dreißig im Herbst 403 bringt Lysias die Schutzlosigkeit Athens zum Ausdruck, die durch den Verlust der Mauern gegeben ist. Hier wird die Existenz der Mauern ihrem Verschwinden gegenübergestellt. Zur Macht gehören Mauern, Schiffe, Geld und Verbündete,76 während der aktuelle Zustand der Macht- und Schutzlosigkeit allein durch die fehlenden Mauern hervorgehoben wird – ihr Verlust steht stellvertretend für alle anderen Verluste, die Athen als Folge der Niederlage hinnehmen musste.77 In einem Redefragment des Lysias, das wohl kurz nach dem Ende der Herrschaft der Dreißig datiert, wird die Zerstörung der Mauern als Ereignis angesehen, das die Geschichte Athens sowie auch die persönliche Biographie des Redners in ein „Vorher“ und „Nachher“ teilt. Die Zerstörung der Mauern steht als sichtbarer Wendepunkt im Mittelpunkt der Betrachtungen.78
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Wolpert 2002a, 121: „The demolition of the Long Walls, the only item included in all lists, symbolized the full extent of Athenian defeat more than any other image. Referring simultaneously to the surrender to Sparta and the overthrow of the democracy, this image conflated the two events.“ Vgl. Wolpert 2002a, 120. Fraglich ist die Datierung für die Lysias zugeschriebenen Fragmente 70,170, Z. 195–196 sowie 50,107, Z. 100–109 Carey. Medda 2003, 181–188 vertritt die Meinung, dass in Fr. 70 die Wiedererrichtung nach der Zerstörung am Ende des Peloponnesischen Krieges gemeint sei, da der Bau durch Themistokles explizit hätte genannt werden müssen. Auch die rhetorische Struktur des Satzes impliziere, dass die Errichtung nach der Zerstörung gemeint sei, vgl. auch Todd 2007, 14 Anm. 51. Für Fr. 50,107 ergibt sich hingegen durch den Inhalt eine Datierung kurz nach dem Ende der Herrschaft der Dreißig bzw. der Amnestie, das heißt, die Mauern sind noch nicht wieder errichtet. Lys. 34,3, zum historischen Hintergrund und zur Thematik der Rede vgl. Kap. 6.4.3. Lys. 34,4. Vgl. dazu auch Todd 2000, 340 Anm. 9. Lys. Fr. 50,107, Z. 100–109 Carey.
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Besonders eindrücklich wird der Zustand der Stadt nach der Kapitulation von Lysias in der Rede „Gegen Agoratos“ aus dem Jahr 399 geschildert, in der er gleich an mehreren Stellen die Zerstörung der Mauern als eindrückliches Bild aufgreift: In seiner Schilderung der Beratungen vor der Volksversammlung zu den Friedensbedingungen der Spartaner steht „die Schleifung der Mauern“ („ἡ κατασκαφῆ τῶν τειχῶν“) stellvertretend für die Kapitulationsbedingungen insgesamt, es ist sogar vom „Mitleid mit den Mauern“ (15: „ἐλεοῦντες τὰ τείχη“) die Rede.79 Im weiteren Verlauf der Rede kommt Lysias dann erneut auf die Konsequenzen der Niederlage im Peloponnesischen Krieg sowie der nachfolgenden Herrschaft der Dreißig zu sprechen. Es wird zunächst darauf hingewiesen, dass sich alle Zuhörer an die geschilderten Ereignisse erinnern können.80 Es handelt sich dabei nicht um einen Topos, den die Redner gerne nutzen, um die Zuhörer für sich einzunehmen,81 sondern hier ist eine tatsächliche Möglichkeit der Erinnerung gegeben, denn seit dem Ende des Peloponnesischen Krieges sind erst wenige Jahre vergangen. Nachdem der Redner die zahlreichen persönlichen Tragödien innerhalb der Familien angesprochen hat, wendet er sich dem Schicksal der gesamten Stadt zu: „Außerdem wurden die Mauern geschleift, die Flotte den Feinden ausgeliefert, die Schiffswerften zerstört; die Spartaner hielten unsere Burg besetzt, und die ganze Macht unserer Stadt war gebrochen, so dass sie sich in nichts von der armseligsten Gemeinde unterschied.“82
Die Schleifung der Mauern steht gleich zu Beginn einer Kette von Katastrophen wie der Übergabe der Schiffe, der Zerstörung der Schiffshäuser und der Besetzung der Akropolis, allesamt Aspekte, die räumliche Gesichtspunkte der Niederlage aufgreifen. Das Ergebnis dieser materiellen und räumlichen Zerstörung war für die Athener immer noch sichtbar. Die Überreste von Stadtmauern und Langen Mauern konnten an mehreren Punkten der Stadt betrachtet werden. Im Piräus lagen die Schiffshäuser weiter zerstört und auch dort waren die Befestigungen geschleift worden. Der Anblick der Akropolis war den meisten Richtern alltäglich vertraut und konnte auch unmittelbar vor oder nach dem Prozess erfolgen. Dabei konnten sich die athenischen Bürger daran erinnern, wie dieses Symbol des Wohlstandes und der Machtfülle Athens zu einer Garnison der Feinde geworden war.83 Zusammenfassend unterschied sich Athen infolgedessen nicht von den schwächsten Poleis. Besonders das Fehlen der Mauern und aller anderen Bauten zeigt also die materielle Schwäche der Polis. All diese Elemente 79 80 81 82 83
Lys. 13,8–15; vgl. Kremmydas 2012, 316. Lys. 13,43; 44; 48. Vgl. Ober 1989, 149 f. Lys. 13,46: „ἔτι δὲ τὰ τείχη ὡς κατεσκάφη καὶ αἱ νῆες τοῖς πολεμίοις παρεδόθησαν καὶ νεώρια καθῃρέθη καὶ Λακεδαιμόνιοι τὴν ἀκρόπολιν ἡμῶν εἶχον καὶ ἡ δύναμις ἅπασα τῆς πόλεως παρελύθη, ὥστε μηδὲν διαφέρειν τῆς ἐλαχίστης [πόλεως τὴν πόλιν].“ Übers. I. Huber. Zur Bedeutung der Akropolis als Erinnerungsraum auch von Niederlagen vgl. Kap. 3.4.
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zeugten zudem bildlich von der Schuld des Angeklagten Agoratos, der nicht nur mit der Herrschaft der Dreißig, sondern in Zusammenziehung der Ereignisse mit den katastrophalen Folgen des Peloponnesischen Krieges in Verbindung gebracht wurde, da er durch die Denunziation viele Menschen ins Gefängnis gebracht hatte, die gegen diese etwas hätten unternehmen können.84 Eine ähnliche Zusammenziehung der Kapitulation nach dem Peloponnesischen Krieg mit der nachfolgenden Herrschaft der Dreißig begegnet auch in anderen Reden, wobei die Mauern als sichtbare Zeichen dieser für viele Athener schmerzhaften Zeit fungieren. In einer Passage der Rede „Über den Besitz von Nikias’ Bruder“, die von Lysias für einen der Söhne des Eukrates verfasst wurde, geht es um den Bruder des Strategen Nikias – den genannten Eukrates – und seine Rolle nach dem Ende des Peloponnesischen Krieges. Nachdem er nach der Seeschlacht von Aigospotamoi zum Strategen gewählt worden war, kam er wenig später ums Leben, da er sich gemeinsam mit anderen Strategen den von Theramenes ausgehandelten Friedensbedingungen widersetzt hatte, nicht ohne zuvor eine Beteiligung an der so genannten Herrschaft der Dreißig abgelehnt zu haben. Diese Zusammenziehung von Ereignissen, nämlich einerseits der Kapitulation Athens und andererseits der Herrschaft der Dreißig, gibt dem Redner Gelegenheit, Eukrates gleichzeitig als Gegner der Kapitulationsbedingungen und als Gegner der Oligarchie darzustellen.85 Deutlich wird diese Strategie der Verknüpfung verschiedener Ereignisse durch die Aufzählung ihrer sichtbaren Zeichen, die die Versammelten durch die Augen des Eukrates erblicken. Hier wird zuerst die Zerstörung der Mauern benannt, des Weiteren die Auslieferung der Schiffe und die Versklavung der Demokratie.86 Konnte zwar Eukrates all diese Dinge nicht mehr erleben, so mussten sie den Richtern im aktuellen Prozess weniger als zehn Jahre nach den geschilderten Ereignissen noch deutlich vor Augen stehen. 84 85
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Lys. 13,48. Vgl. Wolpert 2002b, 121, der von einem „telescoping of the surrender of Athens and overthrow of the democracy“ spricht. Zusätzlich zu diesen chronologischen Schwierigkeiten, weist er auch darauf hin, dass die angesprochene starke Loyalität der Demokratie gegenüber nicht mit dem Angebot zur Zusammenarbeit durch die Dreißig zusammenpasst. Warum schenkten diese Eukrates überhaupt Vertrauen, wurden doch andere Familienmitglieder wie sein Neffe Nikeratos auf ihre Veranlassung getötet? Vgl. ebenda, 120. Zur bei den Rednern weitverbreiteten Strategie der Darstellung der Niederlage im Peloponnesischen Krieg mit Auslieferung der Flotte und Schleifung der Mauern und der nachfolgenden Herrschaft der Dreißig als unvermeidbarer „Kettenreaktion“ vgl. ders. 2002a, 121. M. Bakker 2012b, 386 hebt hervor, dass die Verantwortung der Dreißig für den Niedergang der Stadt oft durch räumliche Bezüge/Metaphern wie eben die Zerstörung der Mauern unterstrichen wird. Lys. 18,5: „ἀλλ᾽ἐξὸν αὐτῷ καὶ τῶν τριάκοντα γενέσθαι καὶ μηδενὸς ἔλλατον δύνασθαι, μᾶλλον εἵλετο πράττων ὑπὲρ τῆς ὑμετέρας σωτηρίας ἀπολέσθαι ἢ ἐπιδεῖν τείχη καθαιρούμενα καὶ τὰς ναῦς τοῖς πολεμίοις παραδιδομένας καὶ τὸ ὑμέτερον πλῆθος καταδεδουλωμένον.“ Die Strategie, die Dreißig auch für die Zerstörung der Mauern verantwortlich zu machen, findet sich auch bei Lys. 12,70 und 13,14–16; 34.
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Auch in der bereits besprochenen Friedensrede des Andokides wird an mehreren Stellen auf die Zerstörung der Mauern als sichtbares Zeichen der Niederlage und Kapitulation Bezug genommen: In der mit 40 Paragraphen recht kurzen Rede verwendet Andokides zu Anfang, in der Mitte und am Ende der Rede insgesamt vier Mal das Motiv der Zerstörung der Mauern auf dieser Bedeutungsebene.87 Nach dem Ende des Korinthischen Krieges und der Gründung des Zweiten Seebundes ist ein Wandel in der Symbolik der Mauern zu konstatieren: Zwar fungieren sie weiterhin als Symbol der Niederlage, aber diese Niederlage wird nun meist an die weitere Entwicklung der Stadt, das heißt an ein Wiedererstarken gekoppelt. Auch in der fiktiven Gefallenenrede, die durch den Menexenos-Dialog Platons überliefert ist, wird auf die Zerstörung der Mauern hingewiesen.88 Der Redner betont vor dem Hintergrund des Korinthischen Krieges, an dessen Ende die Rede gehalten worden sein soll, dass man den anderen Griechen nach dem Peloponnesischen Krieg zunächst feindlich gesonnen war. Auf die Wohltaten Athens gegenüber den anderen Poleis hätten diese nur mit Undank reagiert. Paarweise werden Beispiele für Dank und Undank angeordnet. Neben dem Bündnis mit den Persern und der Wegnahme der Schiffe wird den Poleis dort „die Niederreißung der Mauern zum Lohne dafür, daß wir die Zerstörung der ihrigen verhindert hatten“, vorgeworfen.89 Hier begegnet also einerseits das Bild der Zerstörung der Mauern als Zeichen der Niederlage, daran gebunden ist ein Hinweis auf die Ruhmestaten der Athener in den Perserkriegen, als sie die Mauern der anderen Poleis vor der Zerstörung bewahrt hätten. Die hier erfolgende Schuldzuweisung an andere Poleis in Hinblick auf die Mauern ist in den Reden einzigartig und lässt sich dadurch erklären, dass im gerade erfolgten Korinthischen Krieg Athen wiederum großmütig auf Seiten der Poleis wie Korinth und Theben kämpfte, die sich zuvor so undankbar gezeigt hatten – so zumindest die Wertung der Ereignisse im Epitaphios.90 Eine Politik fernab von aggressiven Eroberungsgedanken rät auch Isokrates im Rahmen des „Plataikos“ an:91 Athen solle sich, statt andere Poleis mit Gewalt zu erobern, lieber an eine „mildere Herrschaft“ über Griechenland halten. Als Beispiel führt er den 87 88
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And. 3,11–12; 31; 39. Auffällig sind einerseits die ironischen Übertreibungen in der Rede, die auch darauf zurückführbar sind, dass der Epitaphios der Aspasia zugeschrieben wird. Andererseits finden sich zahlreiche Elemente, die den traditionellen Bestandteilen der übrigen erhaltenen Epitaphien sehr ähneln, sodass die vorliegende Rede auch als ideales Modell für einen solchen Epitaphios angesehen werden kann. Vgl. die ausführlichen Überlegungen bei Tsitsiridis 1998, 63–92; Pownall 2004, 34–41 (mit der Interpretation als Parodie und damit Kritik an der zeitgenössischen Rhetorik) sowie Eucken 2003 und 2010 mit der weiteren Literatur. Plat. Mx. 244c: „[…] καὶ τείχη καθελόντες ἀνθ᾽ ὧν ἡμεῖς τἀκείνων ἐκωλύσαμεν πεσεῖν.“ Übers. O. Apelt. Plat. Mx. 244d. Der Topos des athenischen Großmuts, der Hilfsbereitschaft gegenüber ehemaligen Feinden, findet sich beispielsweise auch bei Demosth. 18,96; vgl. Wojciech 2018, 180 f. Isokr. 14,39–40.
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zweifachen Machtwechsel zwischen Athen und Sparta an: Sparta habe Athen im Peloponnesischen Krieg besiegen können, obwohl die Athener eigentlich unbesiegbar seien, im Gegenzug habe Athen wiederum die Vorherrschaft erreicht, und das obwohl die Polis ohne ihre Mauern war und sich in einem schlechten Zustand befand. Die Schwäche Athens in der Zeit nach dem Peloponnesischen Krieg wird also erneut an der Abwesenheit der Mauern festgemacht. Hier ist allerdings ein Wendepunkt festzustellen: Die zerstörten Mauern beschreiben nicht einfach die Schutzlosigkeit und Machtlosigkeit der Stadt, sondern können als Zeichen dafür verstanden werden, dass Athen sich trotz dieses wenig aussichtsreichen Zustandes zu neuer Größe aufschwingen kann. Aus der Niederlage geht Athen gestärkt hervor. Hier wird jedoch besonders die Gerechtigkeit des athenischen Anspruches gegenüber Sparta betont, die Mauern und der übrige Zustand der Stadt haben demgegenüber nur untergeordnete Bedeutung. Eine Rückbesinnung auf die „alte“, sich auf die Zerstörung und die daraus resultierende Schwäche konzentrierende Sichtweise bietet Aischines in der „Gesandtschaftsrede“.92 Da sich diese besonders gegen einzelne Redner und insbesondere gegen Demosthenes richtet, werden die Niederlage und ihre Folgen hier Rednern zur Last gelegt, die den Demos schlecht beraten hätten. Die Zerstörung der Mauern ist wiederum einer von vielen Punkten, die die Schwächung der Polis deutlich machen, welche in der Terrorherrschaft der Dreißig ihren katastrophalen Höhepunkt findet. Die Athener seien am Ende so froh über den Friedensschluss gewesen, dass sie alles aufgegeben hätten. Die folgende Aufzählung von zerstörten Mauern, Garnison und Ende der Demokratie schließen also alles ein, was Athen zuvor ausgemacht hatte. Die beiden letzten Textstellen, in denen die Mauern als Folge der Niederlage im Peloponnesischen Krieg vorkommen, stammen beide aus dem Jahr 330; in beiden findet sich das Bild einer Niederlage, aus der Athen letzten Endes gestärkt hervorgeht. Lykurgos spannt in der Rede „Gegen Leokrates“ einen großen Bogen von der Tyrannis des 6. Jahrhunderts zu den Dreißig Tyrannen und fügt die Zerstörung der Mauern durch die Spartaner an: Hier werden die Niederlage im Peloponnesischen Krieg, die Kapitulation und ihre Folgen wiederum zu einem Ereignis zusammengezogen. Weitere Konsequenzen der Niederlage im Peloponnesischen Krieg werden nicht erwähnt, die Zerstörung der Mauern steht als Sinnbild für alle negativen Folgen. Dies wird durch die Worte des Lykurgos bestätigt, die diese Passage einleiten: „In Wahrheit gesagt, ist nämlich die Zerstörung einer Stadt gleichbedeutend mit ihrem Tod: Das ist hierfür der größte Beweis: In alten Zeiten stand unsere Stadt einmal unter der
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Aischin. 2,77: „τελευτῶντες δὲ εἰς τοῦτο τὴν πόλιν προήγαγον, ὥστε ἀγαπητῶς τὴν εἰρήνην ποιήσασθαι, ἀποστάντας πάντων καὶ τὰ τείχη καθελόντας, καὶ παραδεξαμένους φρουρὰν καὶ Λακεδαιμόνιον ἁρμοστήν, καὶ τῆς δημοκρατίας τοῖς τριάκοντα ἀφεμένους, οἳ χιλίους καὶ πεντακοσίους τῶν πολιτῶν ἀκρίτους ἀπέκτειναν.“
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Knechtschaft von Tyrannen, später dann unter den ‚Dreißig‘ Männern, und auf Befehl der Lakedaimonier wurden die Festungsmauern niedergerissen.“93
Die Stadt erscheint als lebendes Wesen, das sterben kann, die Mauern als seine äußere Hülle. Aber, und hier schließt sich Lykurgos der Tendenz an, die schon in den Texten von Platon und Isokrates zu beobachten war: Athen hat seine Freiheit wiedererlangt, und nicht nur das, die Athener sind wiederum „Schutzmacht der Hellenen“ geworden. Daneben spielen auch die Gründe der Anklage gegen Leokrates eine Rolle: Hätten alle nach der Niederlage bei Chaironeia so gehandelt wie er, hätte die Stadt nicht gerettet werden können.94 In die gleiche Richtung geht die Schilderung des Beginns des Korinthischen Krieges in der Kranzrede des Demosthenes. Die Spartaner hatten die Vorherrschaft zu Lande und zur See inne, hielten zahlreiche Poleis und Inseln besetzt. Trotzdem kämpften die Athener, die weder Mauern noch Schiffe besaßen, bei Haliartos und Korinth gegen diese übermächtig erscheinenden Feinde. Athen mag zwar äußerlich schwach erscheinen, eilt aber trotzdem den anderen Poleis zur Hilfe und befindet sich wieder auf dem Weg zu alter Größe.95 In den genannten Beispielen stehen die Mauern weiterhin als Symbol für die Niederlage, der Schwerpunkt der Symbolik verändert sich jedoch von einem mahnenden Schrecken hin zu einer überwindbaren Schwäche. Ein möglicher Grund für diese Veränderung der Symbolik der Mauern ist die Parallele zur Situation nach 338, die stark von der Niederlage bei Chaironeia geprägt war. Gerade Demosthenes geht es um die Rechtfertigung seiner Politik im Vorfeld und er will zeigen, dass ein Wiederaufstieg Athens möglich ist. Hinzu kommt das Motiv der Hilfeleistung für Schwächere, das ebenso die Stärke Athens betont: Die von Demosthenes genannten Beispiele reichen von den Perserkriegen, dem Korinthischen Krieg, der Hilfe für die Spartaner nach der Niederlage bei Leuktra bis hin zu der Hilfe für Euboia gegen die Thebaner 357.96
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Lykurg. 1,61: „εἰ γὰρ δεῖ τὴν ἀλήθειαν εἰπεῖν, πόλεώς ἐστι θάνατος ἀνάστατον γενέσθαι. τεκμήριον δὲ μέγιστον· ἡμῶν γὰρ ἡ πόλις τὸ μὲν παλαιὸν ὑπὸ τῶν τυράννων κατεδουλώθη, τὸ δ΄ ὕστερον ὑπὸ τῶν τριάκοντα, καὶ ὑπὸ Λακεδαιμονίων τὰ τείχη καθῃρέθη· καὶ ἐκ τούτων ὅμος ἀμφοτέρων ἠλευθερώθημεν καὶ τῆς τῶν Ἑλλήνων εὐδαιμονίας ἠξιώθημεν προστάται γενέσθαι.“ Übers. J. Engels. Lykurg. 1,60; 62–64. Demosth. 18,96: „ὑμεῖς τοίνυν, ἄνδρες Ἀθηναῖοι, Λακεδαιμονίων γῆς καὶ θαλάττης ἀρχόντων, καὶ τὰ κύκλῳ τῆς Ἀττικῆς κατεχόντων ἁρμοσταῖς καὶ φρουραῖς […] οὔτε ναῦς οὔτε τείχη τῆς πόλεως τότε κεκτημένης, ἐξήλθετ᾽ εἰς Ἁλίαρτον καὶ πάλιν οὐ πολλαῖς ἡμέραις ὕστερον εἰς Κόρινθον […].“ Demosth. 18,94–101. Auch bei der Schilderung von Stadtzerstörungen außerhalb Athens kann die Zerstörung der Mauern zur Verbildlichung der Ereignisse eingesetzt werden. Beispiele hierfür sind die Schilderung der Zerstörung Thebens durch Alexander 335 bei Aischin. 3,157–158 oder die Beschreibung der Ruinen von Phokis durch Demosthenes 19,64–65, vgl. die ausführliche Interpretation unter dem Stichwort der enargeia bei O’Connell 2017, 128–136. Hier handelt es sich um Ereignisse, die wenige Jahre zuvor außerhalb Athens stattgefunden hatten – trotzdem versuchen die Redner die Illusion der Sichtbarkeit zu erzeugen.
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6.4.5 Zeichen einer neuen Zeit: der Wiederaufbau im Korinthischen Krieg In der Gefallenenrede, die Lysias zugesprochen wird, ist der Wiederaufbau der Mauern Teil der Versöhnungspolitik der demokratischen Gegenrevolutionäre, die die Herrschaft der Dreißig beendeten.97 Insgesamt versteht der Redner darunter die Wiederherstellung der alten Größe der Polis, die erneute Harmonie in der Bürgerschaft (durch die Amnestie) sowie eben die Wiedererrichtung der Mauern, die zerstört worden waren.98 Die parallelen Formulierungen zeigen, dass jeweils etwas Altes, das zerstört war, neu errichtet oder wieder hergestellt wird: Die Größe der Stadt, die Harmonie in der Bürgerschaft und die Monumente und Bauwerke sind damit auf das Engste miteinander verbunden. Die Mauern sind also sichtbares Zeichen für das Wiedererstarken der Stadt – genau wie ihre Zerstörung symbolisch für die größte Niederlage, Demütigung und die daraus erfolgende Schutz- und Machtlosigkeit steht. Wie auch schon bei der Zerstörung der Mauern beobachtet,99 geschieht hier eine Zusammenziehung von Ereignissen, einerseits das Ende der Herrschaft der Dreißig und des damit verbundenen Bürgerkrieges, andererseits die monumentale Neugestaltung der Stadt, die eigentlich fast eine Dekade später erfolgte.100 Die Behauptung einer Verantwortung der demokratischen Gegenrevolutionäre für den Mauerbau ist aber nicht nur anachronistisch, sie steht auch im Gegensatz zur sonst geläufigen Zuschreibung an den Strategen Konon in der Geschichtsschreibung und in anderen Reden.101 Der Anachronismus muss aber keineswegs von Unwissen oder einer späteren Abfassung der Rede zeugen, da er Teil der negativen Porträtierung Konons ist, die sich durch die gesamte Rede zieht.102 Diese negative Darstellung des Strategen ist dadurch zu erklären, dass zum Zeitpunkt der Rede eine Hilfe von Seiten der Perser, mit denen Konon ja enge Verbindungen pflegte und mit deren finanzieller Hilfe der Mauerbau erst abgeschlossen
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Lys. 2,63: „καὶ γάρ τοι μεγάλην μὲν ἀντὶ μικρᾶς ἀπέδειξαν τὴν πόλιν, ὁμονοοῦσαν δὲ ἀντὶ στασιαζούσης ἀπέφηναν, τείχη δὲ ἀντὶ τῶν καθῃρημένων ἀνέστησαν.“ Zu den Fragen der Autorschaft und der Redesituation vgl. die Angaben in Kap. 3.2. Eine Anspielung auf den Wiederaufbau der Mauern findet sich auch bei Lys. Fr. 70,170, Z. 195–196 Carey, die Datierung ist allerdings umstritten. Der Wiederaufbau wird dort weder einer bestimmten Person noch einer bestimmten Gruppierung zugesprochen. 98 Vgl. auch Wolpert 2002a, xii, der von diesen Aspekten besonders die erneute Harmonie innerhalb der Bürgerschaft hervorhebt. 99 So wird die Zerstörung der Mauern oft den so genannten dreißig Tyrannen angelastet. Dazu Kap. 6.4.4. 100 Das belegen die inschriftlich erhaltenen Bauabrechnungen ab 395/4, so beispielsweise Rhodes/ Osborne 2003, Nr.9. 101 Xen. hell. 4,8,9–10. Zur Rolle Konons beim Mauerbau in den Reden vgl. die Belege und Analysen im weiteren Verlauf des Kapitels. 102 Vgl. auch die auch negative Darstellung der Schlacht bei Knidos als Niederlage gegen Fremde in 2,59, auch dort wird Konon nicht erwähnt, ebenso die Kritik an den Generälen von Aigospotamoi, in die er mit eingeschlossen sein könnte, in 2,58. Vgl. dazu Todd 2007, 159 f.; 263. Den zeitnahen Abschluss des Mauerbaus zeigt nach Todd 2007, 263 die Zeitform des Verbs an.
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werden konnte, nicht mehr wünschenswert erschien.103 Da die Rede des Lysias als Gefallenenrede auf dem Kerameikos gehalten wurde, war hier, wie bei den anderen Gefallenenreden, die Sichtbarkeit von Teilen der wieder errichteten Mauern in besonderer Weise gegeben.104 (Abb. 6.1) Eine ähnliche Kontrastierung von alten Niederlagen und neuen Erfolgen findet in der Friedensrede des Andokides statt. Die Kapitulationsbedingungen des Peloponnesischen Krieges werden dabei dem aktuellen Friedensangebot der Spartaner gegenübergestellt, wobei der Redner einleitend seine Zuhörer zum Hinsehen auffordert. Dabei wird als inhaltlicher Unterschied zwischen den beiden Friedensschlüssen das Schicksal der Mauern hervorgehoben. Während diese nach dem Peloponnesischen Krieg niedergerissen werden sollten, könnten sie unter den aktuell vorgeschlagenen Bedingungen wieder aufgebaut werden.105 Da der Mauerbau zum Zeitpunkt der Rede abgeschlossen war, geht es hier wohl vor allem um die Akzeptanz desselben durch die Spartaner, auch wenn es hier so klingt, als sollten die Mauern noch gebaut werden. Vom zeitlichen Standpunkt nach Ende des Korinthischen Krieges aus erscheinen dann die neu gebauten Mauern und die Flotte als Voraussetzungen für ein erneutes Eingreifen in die Machtverhältnisse in Griechenland, wie eine Aussage des platonischen „Menexenos“ zeigt: „Nachdem sie aber ihre Mauern wieder aufgebaut und die Flotte wieder hergestellt hatten, nahmen sie den Krieg, als die Lage der Dinge sie dazu zwang, wieder auf und bekämpften die Lakedaimonier zum Schutze der Parier.“106 Mauern und Schiffe sind „Symbol der attischen Vormachtstellung in Griechenland“ und geben Athen die Hoffnung, wieder zu alter Größe und Einfluss zurück gelangen zu können.107 Eine eindeutige Verbindung des Wiederaufbaus der Langen Mauern mit der Person des Strategen Konon setzt dann erst in der Mitte des 4. Jahrhunderts ein. Konon war nach der gewonnen Schlacht von Knidos 394 nach Athen gekommen und hatte den Mauerbau sowohl durch finanzielle Unterstützung persischer Geldmittel als auch durch personelle Unterstützung durch seine Schiffsmannschaften maßgeblich vorangetrieben. Begonnen hatte der Wiederaufbau der Langen Mauern allerdings schon in
103 Vgl. Todd 2007, 160 und Anm. 52 mit weiterer Literatur. 104 Vgl. M. Bakker 2012b, 383. 105 And. 3,12. Die Zustimmung der Spartaner zu Mauern und Schiffen erneut in 3,39. Vgl. dazu auch Kap. 6.4. 106 Plat. Mx. 245a-b: „τειχισαμένη δὲ καὶ ναυπηγησαμένη, ἐκδεξαμένη τὸν πόλεμον, ἐπειδὴ ἠναγκάσθη πολεμεῖν, ὑπὲρ Παρίων ἐπολέμει Λακεδαιμονίοις.“ Übers. O. Apelt. und weiter 245e zum Erhalt der Mauern nach dem Königsfrieden: „καὶ γὰρ ναῦς καὶ τείχη ἔχοντες καὶ τὰς ἡμετέρας αὐτῶν ἀποικίας ἀπηλλάγημεν τοῦ πολέμου·“ 107 Funke 1980, 104; vgl. auch den Kommentar bei Tsitsiridis 1998, 346, der den stark symbolischen Charakter des Wiederaufbaus der Mauern betont. Hier zeige sich der Wille der Athener, an die alte arche anzuknüpfen.
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seiner Abwesenheit im Jahre 395108 und dauerte bis 391 an, als der Stratege die Stadt schon wieder verlassen hatte. Knidos als zentrales Ereignis und die Person Konons selbst wurden zunächst zwiespältig beurteilt. Konon lebte seit mehr als zwölf Jahren im Exil und hatte weder zum Zeitpunkt des Seesieges noch nach seiner Rückkehr eine offizielle Funktion in Athen. Darüber hinaus blieg der Sieg von Knidos zunächst ohne spürbare Auswirkungen auf die Polis, tatsächlich war die einzige direkt „fassbare Wohltat“ die Hilfe bei der Wiedererrichtung der Mauern.109 Erst durch den Ausbau des Seebundes in den 70er Jahren des 4. Jahrhunderts und die anfänglichen Erfolge wurden die „Anfänge einer Rückgewinnung der attischen Vorherrschaft im griechischen Raum einander unmittelbar zugeordnet“.110 In der Prozessrede „Gegen Leptines“ spricht Demosthenes sich für eine Beibehaltung sämtlicher Ehrungen, insbesondere der ateleia, für athenische und fremde Wohltäter aus und verweist immer wieder auf Personen, die in der Vergangenheit mit besonderen Ehrungen bedacht worden waren. In diesem Rahmen werden ausführlich die Verdienste Konons beleuchtet: Als sich Athen im Zustand größter Schwäche befand, habe er die Spartaner als Stratege in persischen Diensten zur See besiegt und die Harmosten von den Inseln vertrieben: „καὶ μετὰ ταῦτα δεῦρ’ ἐλθὼν ἀνέστησε τὰ τείχη, καὶ πρῶτος πάλιν περὶ τῆς ἡγεμονίας ἐποίησε τῇ πόλει τὸν λόγον πρὸς Λακεδαιμονίους εἶναι.“111 Siege zur See und Neubau der Mauern gäben Anlass dazu, in einen erneuten Wettkampf mit Sparta um die Hegemonie über Griechenland einzutreten.112 Wiederum wird die enge Verknüpfung zwischen militärischer Stärke nach außen und Wehrhaftigkeit nach innen deutlich, die durch Schiffe und Mauern symbolisiert wird.113 Nach Aufzählung der Ehrungen, die Konon vom Demos erhalten hatte, wie die ateleia sowie eine Ehrenstatue mit Ehreninschrift und Verlesung der entsprechenden Dekrete, kommt Demosthenes noch einmal auf die Leistungen Konons zurück, indem er feststellt: „πολλὰ μὲν γάρ ἐστιν, ὦ ἄνδρες Ἀθηναῖοι, τῶν ὑπ’ ἐκείνου πραχθέντων ἄξι’ 108 Rhodes/Osborne 2003, Nr. 9; Sealey 1993, 10 Nr. 13; Kremmydas 2012, 315; vgl. Funke 1980, 129 mit Anm. 74; dort 118–135 auch ausführlich zum Wirken Konons in Athen 393/2; Conwell 2008, 112–115 (zu den epigraphischen Quellen) und ff. mit weiteren Überlegungen zu Beginn und Ende der Bauphase; Asmonti 2015, 162–164; Canevaro 2016, 310 ad Demosth. 20,72. 109 Vgl. Gauthier 1985, 96 f., die Wiedererrichtung der Mauern wird hier als „bienfait tangible“ bezeichnet. 110 Funke 1980, 121 f. mit den Belegen Anm. 52 f. auch zu den „Brechungen“ im Kononbild in der zeitgenössischen Historiographie (Anm. 53). Positive Bewertungen der Leistungen Konons finden sich zuerst im „Panegyrikos“ des Isokrates, allerdings ohne eine Nennung des Mauerbaus als besonderer Verdienst. 111 Demosth. 20,68. 112 Zur Interpretation der Folgen der Schlacht bei Knidos für das Machtgefüge in Griechenland vgl. Kremmydas 2012, 311 f. Besonders Isokrates 4,154; 5,46 und 63–64; 9,56 betont Konons Beitrag zum Ende der spartanischen Hegemonie und zur Wiederherstellung der athenischen Vorherrschaft, in der Folge auch Deinarch. 1,76 sowie Demosth. 20,68. 113 Diese Paarung von Schiffen und Mauern durchzieht besonderes die „Friedensrede“ des Andokides, vgl. Kap. 6.4.
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ἐπαίνου, δι’ ἃ πάντα προσήκει μὴ δὲ πάντων ἡ τῶν τειχῶν ἀνάστασις.“114 Diese besondere Hervorhebung des Wiederaufbaus der Mauern lässt sich auf verschiedene mögliche Gründe zurückführen. Die Mauern garantierten einerseits die Sicherheit der Bürger nach einer Zeit der Unsicherheit, hatten also einen unmittelbar praktisch-militärischen Wert, machten gleichzeitig aber auch symbolisch den Wiederaufstieg der Stadt deutlich.115 Zudem war das Ergebnis der Anstrengungen Konons zum Zeitpunkt der Rede im Stadtbild immer noch gut zu sehen und seine Leistungen dadurch unmittelbar präsent. In den folgenden beiden Paragraphen wird dann der bereits besprochene Vergleich mit Themistokles unternommen,116 der nach der vorangegangenen Lobrede nur zu Gunsten Konons ausfallen kann. Konon habe den Wiederaufbau der Mauern durch militärische Sieghaftigkeit erreicht, während Themistokles sich einer List bedienen musste. Warum aber diese besondere Bedeutung der Mauern? Bewunderten die Athener nicht vor allem anderen Ruhm im Kampf, Eroberungen, Hegemonie? Die Mauern aber lagen ihnen im wahrsten Sinne des Wortes näher, jeder konnte sich mit eigenen Augen davon überzeugen, was Konon geleistet hatte, während Knidos und die befreiten Inseln allzu weit weg lagen. Zu diesem Akzent auf das Sichtbare, unmittelbar Begreifbare passt auch die Beschreibung der Ehrenstatue des Strategen mit ihrer Inschrift, denn auch diese befand sich in unmittelbarer Nachbarschaft der Dikasterien auf der Agora.117 Als Voraussetzung für ein Wiedererstarken der Stadt im 4. Jahrhundert sieht schließlich auch Isokrates den Bau der Mauern, und auch hier wird diese Tat und sogar der nachfolgende erneute gute Ruf Athens allein Konon zugeschrieben: „Er baute nicht nur die Mauern seiner Vaterstadt wieder auf, sondern brachte Athen auch wieder dasselbe Ansehen, von dem es so tief gesunken war.“118 Hier liegt die Konzentration des Wiederaufstiegs auf eine Person insbesondere in zwei Faktoren begründet: Erstens handelt es sich um die Schrift „An Philipp“ aus dem Jahr 346, in der Isokrates versucht, Philipp von Makedonien davon zu überzeugen, die griechischen Poleis im Kampf gegen das Perserreich zu vereinen.119 Dabei führt er zahlreiche große Staatsmänner und
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Demosth. 20,72. Kremmydas 2012, 315 f., der betont, dass die Mauern einer Stadt auch Ausdruck ihrer Souveränität waren, ihre Zerstörung durch den Feind ziele also neben dem militärischen Effekt auch darauf, die Bevölkerung zu demütigen. „This act of Konon was therefore an ultimate act of defiance towards Athens’ enemies and the terms they had imposed at the end of the Peloponnesian War but also the first sign of the resurgence of the city.“ (316) Demosth. 20,73–74; vgl. Kap. 6.4.2. Funke 1980, 122 mit Anm. 55. Zu den Ehrenstatuen als Erinnerungsträger vgl. Kap. 4; zu den Inschriften vgl. Kap. 5. Isokr. 5,64: „οὐ μόνον δὲ τὰ τείχη τῆς πατρίδος ἀνώρθωσεν, ἀλλὰ καὶ τὴν πόλιν εἰς τὴν αὐτὴν δόξαν προήγαγεν ἐξ ἧσπερ ἐξέπεσεν.“ Perlman 1957, 312 formuliert dazu treffend: „Conon is the example of Athens’ strength, even when defeated.“ Der Titel der Rede legt Philipp II. als alleinigen Adressaten nahe, jedoch wird aus dem Inhalt deutlich, dass sich die Rede gleichzeitig auch an die Athener richtet, vgl. Perlman 1957,308 f., der zudem
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Die Metaphorik der Mauern
Strategen als Beispiele dafür an, dass selbst schwierigere Situationen von diesen gemeistert wurden. Neben Konon sind diese vorbildhaften Personen auch Alkibiades, Dionysios von Syrakus und Kyros.120 Darüber hinaus war Timotheos, der Sohn des Konon, ein Schüler der Rhetorikschule des Isokrates, er und sein Vater werden in seinen Reden stets positiv gezeichnet.121 Der Wiederaufbau der Mauern zu Beginn des 4. Jahrhunderts wird also oft einer einzelnen Person, nämlich dem Strategen Konon zugeschrieben, kann aber auch als Verdienst des athenischen Demos insgesamt argumentativ eingesetzt werden. In jedem Fall künden die neuen Mauern von einem Wiedererstarken der Polis Athen. 6.5 Werk des Demos oder Verdienst einer einzelnen Person? Im ausführlichen Bericht des Thukydides über den Bau der Mauern nach den Perserkriegen wird der gemeinsame Wunsch und die gemeinsame Anstrengung aller athenischen Bürger im Bauprozess betont. Die Mauern seien so zunächst eine Erinnerung an die kollektive Leistung des athenischen Demos.122 Gerade die eilige Errichtung der Mauern im Jahr 479 wird wohl nur durch eine gemeinsame Leistung und Arbeitskraft vieler athenischen Bürger möglich gewesen sein.123 Darüber hinaus befasste sich die Volksversammlung mit Fragen der Organisation des Mauerbaus gerade in Krisenzeiten – sogar in eigens für diesen Zweck anberaumten Sitzungen.124 Gleichzeitig hebt Thukydides aber auch die Rolle der Führerschaft des Themistokles hervor. Gleichermaßen werden auch in den Reden die verschiedenen Phasen des Mauerbaus häufig mit berühmten Personen der athenischen Geschichte in Verbindung betont, dass verschiedene Probleme, die in der Rede angesprochen werden, vielmehr die griechischen Poleis oder Athen als Philipp betreffen; ebenso argumentiert Markle 1976, 80; 84. Dazu passt auch die zeitweise Ansprache an ein Kollektiv 5,1–2 und insbesondere der Schlussappell in 155. Gerade Konon personifiziert darüber hinaus besonders die Bedeutung Athens als Seemacht durch den Sieg bei Knidos und die mögliche Verbindung Athens mit Persien, an der Philipp wenig gelegen sein konnte, vgl. Perlman 1957, 312; kritisch dazu Markle 1976, 82 f. mit Anm. 8 mit weiterer Literatur, der die Schrift mehr als „Propaganda“ denn als praktischen Ratschlag an Philipp sieht. Schließlich habe sich Philipp stets entgegengesetzt zu den Ratschlägen des Isokrates verhalten: Statt die griechischen Poleis gegen die Perser zu einen, habe er immer versucht die großen Poleis gegeneinander auszuspielen und dadurch zu isolieren. 120 Alkibiades: 5,58–61; Dionysios von Syrakus: 5,65; Kyros: 5,66. Dabei übt Isokrates vor allem an Alkibiades und Dionysios auch Kritik, vgl. hierzu auch Clarke 2008, 261 f. 121 Alexiou 1995, 68–87 am Beispiel des „Timotheosexkurses“ (Isokr. 15,101–139); vgl. dazu auch Usher 2002, 318. Die besondere Rolle von Konon und Timotheos gerade in den Reden des Isokrates wird auch in Zusammenhang mit den Ehrenstatuen der beiden Strategen deutlich, vgl. dazu Kap. 4.3.1 und 4.3.2. 122 Thuk. 1,90,3 und 1,93,1–2. Vgl. Goldhill 2007, 145 f.: „The walls become a monument to Athens’ collective effort and Themistocles’ cunning leadership.“ (146) 123 Vgl. Wycherley 1978, 11 f.; Stähler 1993, 14 f.; Camp 2000, 47. 124 IG II2 244. Vgl. Wycherley 1978, 20.
Werk des Demos oder Verdienst einer einzelnen Person?
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gebracht. Die Befestigung der Stadt und des Piräus nach den Perserkriegen wird als Leistung des Themistokles angesehen, teilweise wird ihm sogar auch der Bau der Langen Mauern zugesprochen. Das gleiche Phänomen findet sich beim Wiederaufbau zu Beginn des 4. Jahrhunderts. Hier ist es der Stratege Konon, dem die maßgebliche Verantwortung für die Durchführung dieses Projekts zugesprochen wird. In der Anklagerede des Demosthenes „Gegen Leptines“ werden die Errungenschaften dieser beiden Personen gar auf der Basis des Mauerbaus miteinander verglichen.125 Neutral geschildert oder aber ausdrücklich als Verdienst des Demos bezeichnet wird der Bau bzw. der Wiederaufbau der Mauern besonders noch während des Korinthischen Krieges, das heißt unmittelbar nach der erneuten Fertigstellung der Langen Mauern.126 Dies kann, wie im Fall der Gefallenenrede des Lysias, mit der aktuellen politischen Situation begründet werden, die der Erinnerung an die Leistungen Konons und seiner Unterstützung durch die Perser nicht förderlich war.127 Zudem ist es in den Gefallenenreden üblich, die Verdienste der Gefallenen als Kollektiv und weniger die von Einzelpersonen hervorzuheben.128 Wurden die Errungenschaften rund um den Mauerbau dem Demos zugeschrieben, so hatte dies mit Sicherheit stets auch mit dem Adressatenkreis zu tun. Dies ist insbesondere in der Friedensrede des Andokides der Fall, in der dieser vor der Volksversammlung um einen Frieden mit Sparta während des Korinthischen Krieges wirbt. Um die Zuhörer wohlgesonnen zu stimmen, war es gewiss auch dienlich, die Errungenschaften durch diverse Friedensschlüsse im Verlaufe von fast einem Jahrhundert als Verdienst des gesamten Demos zu bezeichnen.129 Anna Missiou hat in ihrer Untersuchung der Friedensrede des Andokides auf dessen oligarchische Haltung hingewiesen, die sich durch die gesamte Rede ziehe. Dabei bezieht sie sich auf seine Betonung der Vorteile von Friedensschlüssen mit den Spartanern gegenüber den Nachteilen der athenischen Hegemonie des 5. Jahrhunderts, deren Schattenseiten Andokides klar benennt. Vor dem Hintergrund dieser Haltung habe er die in der demokratischen Tradition stehenden Helden wie Themistokles bewusst nicht erwähnt.130 Dass Andokides sich einer Argumentation bediente, die dem
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Demosth. 20,72–74, vgl. dazu Kap. 6.4.2. Themistokles: Lys. 12,63; Isokr. 15,307; Deinarch. 1,37. Konon: Demosth. 20,68; Isokr. 5,69. Eine negativ eingefärbte Anspielung auf die List des Themistokles, ohne jedoch seinen Namen zu nennen, findet sich bereits bei And. 3,38. Lys. Fr. 70,170, Z. 195–196 Carey; Lys. 2,63; And. 3,5–7 und parallel dazu auch Aischin. 2,172– 174. Vgl. Camp 2000, 47: „… fortifications represent by far the greatest physical expression of public, communal participation, whether we think in terms of money, labor, or organization.“ Vgl. Kap. 6.4.5. Eine Ausnahme bildet hier lediglich die Gefallenenrede des Hypereides, der den Strategen Leosthenes sehr stark in den Mittelpunkt des Lobes stellt (Hyp. 5). And. 3,3–9; 37–39. Missiou 1992, 78–82, gleiches gelte auch für die Nichtnennung des Perikles. Es ist aber weitaus übertrieben, zu sagen „Andokides […] in this speech refers to practically everybody by name except Perikles and, as we have seen in this section, Themistokles.“ Da Andokides in seiner Rede vor allem die Vorteile der vergangenen Friedensschlüsse mit Sparta für Athen hervorheben will,
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Tenor etwa der Gefallenenreden entgegenstand, lässt sich sicherlich nicht bestreiten, gleichzeitig kann unter diesem Gesichtspunkt aber gerade die wiederholte Betonung des „wir“ in seiner Rede eine abmildernde Intention gehabt haben, die den versammelten Demos gewogen stimmen sollte. Gleiches gilt für den Wiederaufbau der Mauern, wobei Konon natürlich dadurch, dass Andokides für einen Frieden mit Sparta wirbt, durch seinen Sieg über die spartanische Flotte bei Knidos 394 als vorbildhafter Stratege und Verantwortlicher für den Wiederaufbau der Mauern nicht geeignet ist.131 Unter den Vorzeichen einer (fiktiven) Gefallenenrede wird auch im platonischen Menexenos die Wiedererrichtung der Mauern als Verdienst des Demos gewürdigt, um auf dieser Basis erneut in das Machtgefüge in Griechenland eingreifen zu können.132 Umgekehrt zeugt eine Verbindung der verschiedenen Phasen des Mauerbaus mit bestimmten Personen nicht zwingend von der Missachtung der Leistungen des Demos, sondern ist auch rhetorisch bedingt. Um historische Assoziationen bei den Zuhörern zu wecken, braucht es „Schlüssel“, um das kollektive Gedächtnis zu aktivieren. Im Fall der Mauern sprechen also gleich zwei Faktoren das kollektive Gedächtnis der Zuhörer an: Die Bindung an eine bestimmte Person und die Visualisierung. Die gleiche Funktion hat auch die Zuschreibung an Personen oder Personengruppen für die Zerstörung der Mauern. Für dieses einschneidende Ereignis werden die Spartaner als Sieger des Peloponnesischen Krieges, die dreißig Oligarchen, oder in einem Fall sogar explizit eine Person aus dieser Gruppe, nämlich Theramenes, verantwortlich gemacht.133 In diesen Fällen konnte die personelle Verknüpfung des Geschehens darüber hinaus auch dem Ziel dienen, den Demos von jeglicher Mitschuld an diesem Ereignis freizusprechen.134 6.6 Fazit Die zahlreichen Bezüge in den verschiedenen Redegattungen geben die Voraussetzung dafür wieder, dass die Mauern Athens auch über die Einbindung in historische Beispiele und Anspielungen hinaus zum allgemeinen Symbol für Wohlstand und militärische Wehrhaftigkeit werden können. In der Anklagerede des Lykurgos „Gegen Leokrates“ wird dieses Phänomen mehrmals deutlich. Die Mauern, wie auch andere
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werden die Personen genannt, die für die jeweiligen Friedensverhandlungen verantwortlich waren, darunter auch Verwandte des Andokides. Vgl. die negative Darstellung der Schlacht von Knidos bei And. 3,22. Plat. Mx. 245a. Vgl. die Belege Kap. 6.4.4. Vgl. Wolpert 2002a, 120 f.; M. Bakker 2012b, 386, der betont, dass gerade die Verantwortlichkeit der Dreißig für die Zerstörung der Mauern oder die Besetzung der Akropolis und der Akademie durch die Spartaner mit möglichst genauen räumlichen Bezügen versehen sind, um die Schuld im öffentlichen Raum der Stadt sichtbar zu machen.
Fazit
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Monumente, sind aus ihrem zeitlichen Zusammenhang gerissen, das heißt, sie stehen nicht in Verbindung mit einer historischen Erzählung. Besonders eindrücklich wird dies, wenn die Mauern personifiziert und damit selbst zu Akteuren des politischen Geschehens werden. So wird Leokrates angeklagt, dass er sich vor den Stadtmauern nicht geschämt habe („οὔτε τὰ τείχη τῆς πατρίδος αἰσχυνόμενος ὧν τὴν φυλακὴν ἔρημον τὸ καθ᾽ αὑτὸν μέρος κατέλιπεν“), obwohl er sie ebenso wie Akropolis und andere Tempel ohne Verteidigung zurückließ, als er Athen nach der Niederlage bei Chaironeia 338 verließ.135 Als Resultate des Verrats werden zudem immer wieder auch die Mauern als bildliche Symbole der Wehrhaftigkeit der Stadt bemüht. „In seinem Verrat ging er soweit, dass jedenfalls nach seiner Entscheidung die Tempel verlassen waren, die Wachposten der Mauern nicht besetzt, die Polis und ihr Umland aufgegeben.“136 Im letzten Paragraphen der Rede sind es dann auch die Hafenanlagen, die Stadtmauern, die Tempel und Heiligtümer, die die Richter um eine Verurteilung des Angeklagten bitten. „Stellt euch nun vor, ihr Athener, dass das attische Land selbst und seine Bäume euch anflehen, dass die Häfen, die Werften und die Stadtmauern euch bitten, dass die Tempel und Heiligtümer euch darum ersuchen, ihnen zur Hilfe zu eilen.“137 Die Mauern und andere monumentale Strukturen können hier an die Stelle des Anklägers Lykurgos treten, weil sie die Stadt, ihre Geschichte, ihre Werte und Normen verkörpern. Welche Rolle können die Mauern also für die Selbstdarstellung und Selbstwahrnehmung der Athener einnehmen? Drei historische Wendepunkte markieren die Bauphasen der Mauern Athens: Die Errichtung der themistokleischen Stadtmauer und Befestigung des Piräus unmittelbar nach den Perserkriegen, die Schleifung nach der Niederlage im Peloponnesischen Krieg sowie der Wiederaufbau ungefähr zehn Jahre später. Diese Schlüsselmomente der Geschichte der Polis erhielten durch die jeweilige Visualisierung des Geschehens in Verbindung mit den Mauern eine besondere Präsenz und Eindrücklichkeit. Dabei wird in den Reden kaum je differenziert, um welche Mauern es sich handelte. Die Festungsmauern Athens unterliegen damit einer „Transformation von Funktion in Memoria“ – ihre „lebensweltliche Funktion“ kann gegenüber der Geschichte, die sie symbolisieren, in den Hintergrund geraten.138 Die besondere Prominenz der Mauern als Symbol der athenischen Geschichte könnte auch darin begründet liegen, dass große Teile der athenischen Bürger sowohl in die Planung als auch in den Bauprozess selbst involviert waren.
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Lykurg. 1,17. Zum Hintergrund der Rede ausführlich Kap. 2. Lykurg. 1,38: „καὶ εἰς τοσοῦτον προδοσίας ἦλθε, ὥστε κατὰ τὴν τούτου προαίρεσιν ἔρημοι μὲν ἦσαν οἱ νεῴ, ἔρημοι δ᾽ αἱ φυλακαὶ τῶν τειχῶν, ἐξελέλειπτο δ᾽ἡ πόλις καὶ ἡ χώρα.“ Übers. J. Engels. Lykurg. 1,150: „νομίζοντες οὖν, ὦ Ἀθηναῖοι, ἱκετεύειν ὑμῶν τὴν χώραν καὶ τὰ δένδρα, δεῖσθαι τοὺς λιμένας τὰ νεώρια καὶ τὰ τείχη τῆς πόλεως, ἀξιοῦν δὲ καὶ τοὺς νεὼς καὶ τὰ ἱερὰ βοηθεῖν αὐτοῖς […].“ Übers. J. Engels. Hölscher 2010, 131.
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Die Mauern stehen besonders kurz nach ihrer Zerstörung für die Niederlage und machen diese Niederlage damit einerseits besonders plastisch sichtbar, machen die Schilderung andererseits aber auch erträglicher, indem die Schuld an dieser Katastrophe auf andere abgewälzt wird. Ab dem Zeitpunkt der Wiedererrichtung kommt es dann mehr und mehr zu einer Akzentverschiebung der Bedeutung von der Niederlage zu einem erneuten Aufstieg. Dieser Aufstieg wird verstärkt mit bestimmten Personen, insbesondere mit dem Strategen Konon, verbunden. In diesem Kontext können auch Themistokles und der Mauerbau nach den Perserkriegen als Parallele herangezogen werden. In dieser historischen Entwicklung kann den Mauern die Funktion einer die Geschichte der Polis durchgängig begleitenden Veranschaulichung zugesprochen werden, die es letztlich sogar erlaubte, sie, offenbar in Vertrauen auf ihre gegebene Symbolkraft, ganz ohne den Zusatz konkreter historischer Verweise als Sinnnbild zu gebrauchen, wie es die Rede des Lykurgos zeigt.
7 Die Gräber der Vorfahren Im März des Jahres 323 stehen mehrere stadtbekannte Redner vor Gericht: Aristogeiton, Aristonikos, Kephisophon, Charikles, Demades, Hagnonides, der Stratege Philokles und Polyeuktos aus Sphettos werden angeklagt, Bestechungsgelder von Harpalos, Sohn des Machatas, dem ehemaligen Schatzmeister Alexanders des Großen in Babylon, angenommen zu haben. Am meisten Aufsehen erregt aber die Anklage gegen den berühmtesten und einflussreichsten Redner der Zeit: Auch Demosthenes soll eine Summe von 20 Talenten in Gold angenommen haben, um besagtem Harpalos die Flucht aus Athen zu ermöglichen.1 Gleich zehn Männer unterstützen die Anklage gegen Demosthenes, einer von ihnen hat seine Rede von Deinarchos verfassen lassen.2 Nachdem in der betreffenden Rede oft auf die Vergangenheit der Polis Bezug genommen wurde, insbesondere um zu zeigen, dass das Schicksal einer Polis vor allem von ihren guten oder schlechten Anführern abhängt, appelliert der Redner am Schluss an die versammelten Richter, kein Mitleid mit dem Angeklagten zu haben. Stattdessen richtet er den Blick auf das Land und die Vorfahren: Das Land, die althergebrachten Opferriten und die Gräber der Vorfahren dienen als sichtbare Fixpunkte, die die Athener von ihren Pflichten bei der Stimmabgabe überzeugen sollen. 3 Polly Low kommt in ihrer Untersuchung zu der Erinnerung an Kriegsgefallene im klassischen Athen zu dem Schluss, dass abgesehen von den Epitaphien die Nennung von Monumenten und rituellen Handlungen für die Kriegsgefallenen insgesamt nur selten in den erhaltenen Reden bezeugt sei.4 Dies werde im Vergleich zu anderen Monumenten und anderen Formen der Erinnerung an kriegerische Handlungen deutlich,
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Zum historischen Hintergrund des Prozesses und den erhaltenen Reden und Redefragmenten vgl. Badian 1961, 16–43; Sealey 1993, 213–215; Worthington 1992, 41–77; 2000, 102–108; 2001, 5–10; Brun 2015, 253–286. Vgl. Worthington 1992, 52–55; 2001, 11, es handelt sich entweder um Himaraios oder um Menesaichmos. Als Metöke war es Deinarchos nicht erlaubt, selbst vor Gericht zu sprechen. Deinarch. 1,110: „εἰς ταύτην (τὴν χώραν) ἀποβλέψαντας, ὦ Ἀθηναῖοι, καὶ τὰς ἐν αὐτῇ γιγνομένας πατρίους θυσίας καὶ τὰς τῶν προγόνων θήκας φέρειν δεῖ τοὺς εὖ φρονοῦντας τὴν ψῆφον.“ Vgl. zu den räumlichen Komponenten dieser Passage auch Schmidt-Hofner 2019, 197. Vgl. Low 2010, 354 („a thin set of material“), sie nennt Leokr. 1,142; Demosth. 57,37; Demosth. 18,208; Isokr. 8,87–88.
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zumal andere Monumente sehr viel ausführlicher von den Rednern erwähnt und besprochen würden.5 Selbst im Rahmen der Epitaphien zögen die Redner es vor, sich auf Monumente außerhalb des Kerameikos zu beziehen, um ihre Argumente bildlich zu veranschaulichen, dies sei in anderen Redegattungen noch auffälliger.6 Gerade vor diesem Hintergrund sollen hier nun auch die anderen erhaltenen Reden in ihren Bezügen auf die „Gräber der Vorfahren“ in den Blick genommen werden. Es wird zu zeigen sein, dass gerade die Gräber als räumlicher Bezug und Verknüpfung mit der Vergangenheit einen appellativen Charakter bekommen konnten und insgesamt durchaus einen besonderen Stellenwert als Erinnerungsträger hatten. 7.1 Die Bedeutung von Gräbern: Raum, Ritual, Monument und Rede Orte des Begräbnisses zählten ebenso zu den zentralen öffentlichen Räumen einer Polis wie Heiligtümer und Platzanlagen. Tonio Hölscher hat betont, dass in Athen, wie auch in anderen Poleis, in der 2. Hälfte des 8. Jahrhunderts die Gräber dabei durch „rituelle Ausgrenzung“ „mehr und mehr aus dem Raum der Siedlung nach ‚draußen‘, in definierte Bereiche des Totenkults verlegt“ worden seien.7 Dies entspräche einem grundsätzlichen Merkmal der Entstehung der Polis, nämlich der Schaffung eines gemeinsamen Lebensraums durch die Gemeinschaft der Bürger und die damit verbundene Abgrenzung von der „Welt des ‚Draußen‘“.8 Demgegenüber ist hervorgehoben worden, dass es in den griechischen Poleis keine strikt aus- und abgegrenzten „Räume der Toten“ gegeben habe, die Begriffe „Friedhof “ wie auch „Nekropole“ auf die antiken griechischen Verhältnisse nur begrenzt anwendbar seien.9 Auch wenn man von der Existenz solcher „Räume für die Toten“ ausgeht, besitzen diese unzweifelhaft „ei-
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Low 2010, 354 zieht als Beleg einen Vergleich zwischen den vagen Anspielungen auf die Epigramme auf den Gräbern und der ausführlichen Zitierung und Besprechung des Phyle-Monuments bei Aischin. 3,190. Es gebe nur einen indirekten Verweis auf Gefallenenlisten, während andere Listen in den erhaltenen Reden durchaus prominent verwendet würden. Als Grund für die seltene Erwähnung der Monumente für die Gefallenen nennt Low (355 f.) die Tatsache, dass der Kerameikos allgemein kein vielbesuchter Stadtteil Athens gewesen sei. Darüber hinaus, und dieser Einwand erscheint sehr viel gewichtiger, sei der Tod (in einer möglicherweise sogar erfolglosen Schlacht) eben auch mit negativen Implikationen behaftet, die bei der Nennung der damit verbundenen Monumente unterdrückt werden müssten. Vgl. auch die Bemerkung bei Arrington 2015, 2, die Gefallenen und damit auch ihre Gräber stellten eine „disturbing and disruptive presence“ dar, außerdem die zusammenfassenden Feststellungen 90. Zum mangelnden Interesse an einer Erinnerung an die Gefallenen vgl. auch die Überlegungen bei Low 2010, 357 f. Low 2010, 355. Morris 1987, 65–68; 192 f.; T. Hölscher 1998a, 63. Vgl. T. Hölscher 1998a, 64. So beispielsweise Walter-Karydi 2015, 20 mit Anm. 3: Einzelne Gräber konnten sich demnach bis etwa 500 v. Chr. weiterhin innerhalb der Stadtmauern Athens befinden, Kinderbestattungen auch später noch.
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nen ausgeprägten Aspekt von Öffentlichkeit“, indem die Gemeinschaft der Bürger ihre Toten „mit gemeinsamen Totenfesten“ ehrte.10 Diese Totenfeste fanden in der archaischen Zeit in einem familiären Rahmen statt, der aber durch Rituale und Agone sowie durch mit dem Grab verbundene visuelle Aspekte wie aufwändige Grabmäler, Gefäße, Stelen und Bildwerke, oftmals verbunden mit Inschriften, auf die Gemeinschaft der Polis ausgedehnt wurde.11 Eine besondere Prominenz und Sichtbarkeit erhielten die Gräber in der archaischen Zeit und dann seit dem Ende des 5. Jahrhunderts und im gesamten 4. Jahrhundert durch aufwändige Reliefs und Grabplastiken, die den Verstorbenen entweder im Familienverband oder als Einzelfigur zeigten. Dabei wurde ein Set von Figurentypen entwickelt, das die einzelnen Familienmitglieder in exemplarischer Weise zeigte.12 Die Statuen und Reliefs der Verstorbenen waren „wegen ihrer exemplarischen Bedeutung nahsichtig für die Lebenden positioniert.“13 Die Gräber können als mnemata, als Denkmäler der Geschichte einer Familie oder auch einer bestimmten Person verstanden werden, die auch über die einzelnen Familien hinaus kollektive
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T. Hölscher 1998a, 64. Vgl. T. Hölscher 1998a, 64; Liddel 2007, 218 f. und neuerdings Arrington 2015, 27–32. Zur Bedeutung von Monumenten für das Gedenken an die Toten in den homerischen Epen und in der archaischen Zeit vgl. Steiner 2001, 253–259. Vgl. Kurtz/Boardman 1971, 137–141; Morris 1992, 128–155 (auch zur Außenwirkung der Gräber im demosion sema); 1994: Wendepunkt in der Selbstdarstellung am Grab um 430 (bes. 67, dort auch zu den Gräbern als „matter of serious concern and a major arena of self-definition“); grundlegend für das vierte Jahrhundert Scholl 1996 und Bergemann 1997 und zum Aspekt der Porträtdarstellung auf Grabreliefs ders. 2007; vgl. auch die Zusammenstellung bei Stupperich 1977, 86–135 zu den einzelnen Familienmitgliedern sowie ausführlich zu den Darstellungen von Kriegern 162–199; Knell 1990, 28 f. mit Betonung der Sichtwirkung der Reliefbilder zur Straße: „Sie scheinen eher den Weg zu begleiten als die Gräber zu schmücken.“ (29); M. Meyer 1999; G. Oliver 2000, 59–86 insbesondere zu den Kosten eines solchen Monuments und den Überlegungen, welche Bürger Grabmonumente aufstellen konnten; Hesberg 2003, 116 f.; Dillon 2006, 65–73; Osborne 2010 besonders zu Kriegerdarstellungen auf individuellen Grabstelen; Graen 2011, 64–66; 203–208; Marchiandi 2011, 140–147; Betonung der Sichtbarkeit auch bei Stroszeck 2014, 149 sowie Walter-Karydi 2015, 21 f.; 26 mit Betonung der Funktion der Gräber als „Ehrung und Erinnerung in der diesseitigen Nachwelt“ und ausführlich zu Grabreliefs und Grabplastik der klassischen Zeit 125–368; Arrington 2015, 205–237 zu den Reliefs und den lutrophoroi (Gefäße mit Bemalung als Grabmarkierung und Grabbeigabe). Ausdruck des Bewusstseins für die starke Wirkung auf die Betrachter und den repräsentativen Charakter solcher Grabmonumente stellen auch eines oder mehrere Gesetze gegen Grabluxus dar, die nicht mehr genau datiert werden können, vgl. Stupperich 1977, 71–86; Prinz 1997, 38–41; ausführlich zu den verschiedenen Grabluxusgesetzen nicht nur in Athen, sondern auch in anderen griechischen Poleis Engels 1998; Arrington 2015, 51 f. mit Anm. 151 mit der weiteren Literatur. Maßgeblich für die Einschränkungen im 5. Jahrhundert ist das so genannte „post-aliquanto“- Gesetz, das bei Cic. Leg. 2,26,64–65 belegt ist und vor allem durch den archäologischen Befund gestützt wird, der einen starken Rückgang von Grabmonumenten ab dem Ende des 6. Jahrhunderts verzeichnet. Außerdem zu rechtlichen Bestimmungen hinsichtlich der Begräbnisse: Demosth. 43,62; Plut. Solon 21. Vgl. Liddel 2007, 218 Anm. 23 mit der weiteren Literatur, vgl. außerdem Walter-Karydi 2015, 108. Kritisch zum Umgang mit diesen Gesetzen in der Forschung und einer genauen Untersuchung der Überlieferungsproblematik Morris 1992/93. T. Hölscher 2012, 37; Walter-Karydi 2015, 21.
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Bedeutung erhalten konnten.14 Die Nekropole war der Ort, an dem der Kontakt zu den in den Reden genannten Vorfahren unmittelbar stattfand, am ehesten sichtbar und greifbar wurde.15 Neben den mit dem Begräbnis selbst verbundenen Riten am Grab sind auch anschließende Besuche überliefert, insbesondere in Zusammenhang mit den jährlichen Festen, in denen Besuche der Gräber eine bedeutende Rolle spielten.16 Neben den auf private Kosten errichteten Gräbern mit ihren zugehörigen Grabmälern gab es auch auf öffentliche Kosten errichtete Grabmäler für einzelne Wohltäter der Polis, seit dem 5. Jahrhundert auch für größere Gruppen, insbesondere für die im Krieg gefallenen Athener, die in dem Gebiet vor dem Dipylon-Tor bestattet wurden.17 Der Standort der Nekropole ist dabei nicht zufällig gewählt, denn das Dipylon-Tor war das Haupttor der Stadt. Diese hatten also eine repräsentative Wirkung, sowohl für die nach Athen kommenden athenischen Bürger als auch für Fremde, die die Stadt besuchten.18 Die Verlängerung dieser Straße führte auf und über die Agora, damit war die Nekropole direkt mit dem zentralen öffentlichen Raum der athenischen Bürger verbunden.19 Im Kerameikos traf man sich nicht nur aus Anlass der öffentlichen Begräbnisfeierlichkeiten, sondern auch zur Panathenäenprozession und zu Fackelläufen, sowie zu Kulthandlungen beim Heiligtum des Dionysos Eleuthereus 14
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T. Hölscher 1998a, 65. Zur Bedeutung von Gräbern als Denkmäler respektive mnemata vgl. auch Kurtz/Boardman 1971, 105 (mnema und sema als übliche Terminologie für Grabstätten); Morris 1994, 67; Scholl 1996, 88–92 (88: Stele als „Kultmal und Denkmal“); Dowden 1997, 121; Alcock 2002, 2; 27 f.; umfassend Hartmann 2010, 264–393; M. Bakker 2012b, 380–382, der Kerameikos wird dort als „lieux de mémoire par excellence“ aufgefasst (382); Stroszeck 2013b auch zu den Begrifflichkeiten; Gehrke 2014, 34; Arrington 2015, 13–18; 281–284 und passim. Vgl. T. Hölscher 2010, 138. Vgl. Kurtz/Boardman 1971, 143 f.; Garland 1985, 104–120; Johnston 1999, 36–81; Boehringer 2001, 41 f. So wurde an den genesia das elterliche Grab besucht. Ob dieses Fest jeweils zu den Geburtsoder Todestagen der Verstorbenen erfolgte oder es einen festen Termin im athenischen Festkalender gab, ist umstritten, vgl. Humphreys 1980, 100 f. auch mit der Aufführung weiterer Gelegenheiten für Besuche am Grab. Der Totenkult im Rahmen der anthesteria sah einen Besuch der Gräber hingegen nicht vor. Liddel 2007, 217 f. auch zu den nemesia sowie den regelmäßigen Besuchen von Familienmitgliedern am Grab des Verstorbenen, die mit der Darbringung von Weih- und Opfergaben verbunden waren; Low 2010, 351; Graen 2011, 57; Marchiandi 2011, 148 f. Zur generellen Bedeutung der Befolgung der vorgeschriebenen Regeln des Grabkultes in Athen vgl. Scholl 1996, 91 f. Vgl. T. Hölscher 1998a, 65 f.; 1998b, 168, dort wird das demosion sema außerdem ausdrücklich als „separater politischer Begräbnisplatz“ neben dem Bereich der Familiengräber bezeichnet; 2010, 145. Vgl. die Zusammenstellung des archäologischen Befundes und genaue Lokalisierung bei Travlos 1971, 299–322 mit Abb. 391 (Plan Stand der damaligen Grabungen) sowie 417 mit dem Kerameikos mit dem umgebenden Polisgebiet; Knigge 1988; Arrington 2010, 510–521 mit Abb. 2 und 4 sowie zusammenfassend ders. 2015, 52–54 und eine ausführliche Zusammenstellung der archäologischen Befunde 59–78 mit Abb. 2.2 und 2.4; Stroszeck 2014. Vgl. T. Hölscher 2010, 145 sowie bereits Stupperich 1977, 4, daran anknüpfend Schade 2011, 114; vgl. dagegen Arrington 2015, 65, der betont, dass es Orte gegeben hätte, die eine größere Sichtbarkeit garantierten (mit Beispielen). Vgl. auch die Zusammenstellung sämtlicher Begräbnisplätze in Athen in klassischer Zeit, die sich außerhalb der zahlreichen Tore der Polis erstreckten, Kurtz/ Boardman 1971, 92–96 sowie ausgedehnt auf ganz Attika der Katalog bei Bergemann 1997, 183–210. Vgl. Arrington 2015, 53.
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und beim Heiligtum der Artemis Ariste und Kalliste.20 Im Bereich des demosion sema war die Straße bis zu 39 Meter breit, einerseits ein Hinweis auf den besonderen Rang der beigesetzten Krieger, andererseits bot die „platzartige Verbreiterung“ Raum für die zahlreichen Teilnehmer bei öffentlichen Bestattungen und die Zuhörer der Epitaphien.21 Der Zeitpunkt der Einrichtung des als demosion sema22 bezeichneten Areals kann nicht mehr zweifelsfrei erschlossen werden. Bei Thukydides erscheint die Bestattung der Gefallenen in diesem Grabbezirk im Rahmen einer besonderen Form des Begräbnisses als „Normalfall“, zur Zeit der Perserkriege war dieser Bezirk aber „wahrscheinlich noch nicht in Gebrauch“.23 Vermutet wird eine Einrichtung „in den Jahren nach den Perserkriegen“, wobei auch eine etwas frühere Entstehung um 500 in der Forschung diskutiert wird – letzten Endes lassen sich aufgrund der unzureichenden Quellenlage aber nur Vermutungen anstellen.24 Dabei ist die Nekropole aber nicht als 20 21 22
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Die sakrale Komponente dieses Raumes wird hervorgehoben bei Arrington 2010, 525–528; zusammenfassend auch ders. 2015, 53. Knell 1990, 26. Vgl. auch Low 2010, 344 f., die betont, dass die betreffende Gegend nicht nur der öffentlichen Bestattung von Gefallenen diente, sondern andere, private Gräber ebenfalls dort anzutreffen waren; Arrington 2015, 53; Walter-Karydi 2015, 139. Der Begriff ist ausschließlich bei Thuk. 2,34,5 bezeugt. Weitere Termini für diesen besonderen Bereich waren mnema, taphos oder polyandrion. Plat. Mx. 242 b-c; Lys. 2,60 (in 2,63 dann aber zur Bezeichnung eines bestimmten Grabes bzw. mehrerer Gräber, vgl. zur Problematik Arrington 2015, 67: „Unless a particular late-fifth-century polyandrion lay close to the speaker, taphos, like mnēma or sēma, must mean the whole public cemetery.“); Demosth. 60,1; 13; IG II2 471, Z. 22; Paus. 1,29,3. Vgl. Czech-Schneider 1994, 5 mit Anm. 6. Vgl. dagegen Arrington 2015, 66 f. mit Anm. 41 mit der Forschungsdiskussion zu diesen Begriffen. Der Begriff mnema werde zwar in den Quellen oft genutzt, um ein einzelnes Grab zu bezeichnen, gerade bei Pausanias werde aber deutlich, dass damit eine ganze Gruppe von Gräbern gemeint sei. Vgl. auch die Bezeichnung mnema bei Demosth. 43,79 für eine Gruppe von Privatgräbern in einem geschlossenen Bereich. Vgl. dagegen Bravo 2006, 110–112 kritisch zur Austauschbarkeit von Singular und Plural in diesem Zusammenhang (Belege 112 f.), der die genannten Textstellen als Bezug auf das Grab der Gefallenen des Kriegsjahres oder mehrere einzelne Gräber und nicht auf das demosion sema insgesamt verstanden wissen will (114 f. mit dem zusätzlichen Verweis auf Hyp. 6,1). Darüber hinaus vermutet Bravo 2006, 119; 124 f., dass es sich in dieser Passage des Thukydides um das Werk eines späteren Interpolators handelt, der die Epitaphien des 4. Jahrhunderts kannte. Die argumentative Grundlage für diese Annahme erscheint mir als äußerst dünn und wurde in der Forschung meines Wissens auch nicht aufgegriffen. Auch in den einschlägigen Kommentaren zu Buch 2 des Thukydides werden keine solchen Vermutungen geäußert (vgl. Gomme 1956; Rhodes 1988; Hornblower 1991 jeweils ad loc.). Thuk. 2,34,5. Vgl. Hartmann 2010, 311 (Zitate s. ebenda). Paus. 1,29,4: dabei ist die Aussage des Pausanias „πρωτοὶ δὲ ἐτάφησαν“ über das Grab der Gefallenen von Drabeskos 465/4 wohl eher topographisch als chronologisch aufzufassen, denn er erwähnt als frühestes polyandreion dasjenige für die Athener, die in den Konflikten mit den Aigineten „vor der Invasion der Perser“, also wohl zwischen 505 und 480 gefallen waren (Paus. 1,29,7: „οἱ πρὶν ἢ στρατεῦσαι τὸν Μῆδον ἐπολέμησαν πρὸς Αἰγινήτας“). Vgl. den Kommentar bei E. Meyer 1972, 480 Anm. 59 ad loc., der das Jahr 488/7 nennt. Hartmann 2010, 311 f. Vgl. bereits grundlegend Jacoby 1944, der sich jedoch für eine Datierung in die Mitte der 60er Jahre des 5. Jhs. ausspricht; Clairmont 1983 mit Besprechung auch der epigraphischen und archäologischen Quellen; Czech-Schneider 1994 (Einrichtung nach Marathon), ebenso auch Walter-Karydi 2015, 139–142. Eine frühere Entstehung der Bestattung im demosion sema befürworten hingegen Stupperich 1977, 206–208;
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abgetrennter und klar umrissener Bereich zu verstehen, der sich geordnet entlang der Straße erstreckte (wie es auf älteren Rekonstruktionen oft dargestellt wird), sondern eher als lockere und offene Anordnung von Gräbern. Horoi mit der Aufschrift „ΟΡΟΣ ΚΕΡΑΜΕΙΚΟΥ“, die entlang der Straße zur Akademie gefunden wurden und die in die zweite Hälfte des 4. Jahrhunderts datieren, zeigen, dass es sich nicht um eine gewöhnliche Straße handelte, sondern dass diese eine offizielle Funktion innerhalb der Polis hatte.25 Der Begriff demosion sema wird nur von Thukydides verwendet, die Redner benutzen stattdessen oft die Pluralformen demosia mnemata oder demosioi taphoi.26 Der archäologische Befund zeigt denn auch, dass sich die öffentlichen Gräber nicht nur entlang der Hauptachse zur Akademie befanden, sondern auch in Querstraßen.27 Darüber hinaus befanden sich in diesem Bereich Privatgräber sowie mehrere Heiligtümer, aber auch die Werkstätten, insbesondere Töpfereien, lagen in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Gräbern – daher rührt auch der Name des umgebenden Demos „Kerameikos“ bzw. „Kerameis“.28 Gerade durch diese fehlende Distanz zu den Toten
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237–238 u. ö.; Thomas 1989, 207; Bravo 2006, 109; 125–131. Vgl. auch die Überlegungen bei Loraux 1981, 20–24 sowie neuerdings von Arrington 2015, 39–49, der eine Datierung zwischen 506/5 und 490/89 vorschlägt, allerdings vor allem auf einen unpublizierten Befund gestützt („sherds from an early polyandreion … have been dated by the excavator to the first quarter of the fifth century“) sowie auf eine umstrittene Interpretation des so genannten „Marathon-Monuments“, das er als Basis für Gefallenenlisten vom Anfang des 5. Jahrhunderts deutet; vgl. bereits ders. 2010, 505 f.; 2011, 191 f. Vgl. auch ders. 2015, 3–5 mit einem Überblick über die ältere Forschungsliteratur; 40 f. zur Problematik der Auswertung der Schilderungen bei Pausanias; dazu ausführlich Knoepfler 1996, bes. 278–281; zur starken Verschüttung und Überbauung des Bereichs bereits zur Zeit des Pausanias und früher vgl. auch Kurtz/Boardman 1971, 109. Vgl. Steffelbauer 2007, 244 f.; Arrington 2010, 523 f., der zudem Beispiel für vereinzelte, früher datierte Überreste solcher horoi anbringt. Demosth. 18,208; 57,37; Isokr. 8,88, ebenso auch bei Plut. Perikles 28,5. Vgl. Bravo 2006, 113; Arrington 2015, 67 mit Anm. 48 und die ausführlichen Überlegungen zur Konzeption und Gestalt des demosion sema 67–76, zusammenfassend 74: „Yet nothing survives that would have indicated to the visitor that he had entered or left a clearly defined „public cemetery“ space. Public graves gathered close to one another […] and spread outward, creating a more scattered and increasingly porous periphery, and it is impossible to draw a sharp line indicating where the cemetery began and where it ended.“ Vgl. auch die Zusammenstellung der Befunde bei Stroszeck 2014. Vgl. Arrington 2010, 510–521 mit Abb. 2-4; 2015, 67 f. mit Anm. 53 mit den Nachweisen. Auch einige literarische Quellen unterstützen diese Annahme: Aristoph. Av. 395–399; Cic. Fin. 5,2,5; Suda s. v. Κεραμεικός (K 1354 Adler). Vgl. auch Goette 2009, 188. Arrington (2015, 68–73) vermutet auch, dass sich die Gräber jeweils um ein zentrales Monument der ruhmreichen athenischen Vergangenheit gruppierten, eine bestechende Interpretation, die aber aufgrund des unterschiedlich zu interpretierenden Befundes (gerade in Hinblick auf das so genannte „Marathon-Monument“) oder der ungesicherten Lokalisierung (Grab der Tyrannenmörder) als Spekulation zu bezeichnen ist. Darüber hinaus gebe es aber keine thematische oder chronologische Anordnung von Gräbern (76–78). Vgl. Patterson 2006, 55 f. (56: Kerameikos als „multi-use area“); Low 2010, 344 f. („diffused space“ 345); 355 mit Anm. 50. Wohnbauten im Kerameikos werden u. a. von Isaios 5,26 und 6,20 erwähnt. Arrington 2015, 75: „It was more a neighborhood of graves than a modern cemetery.“; 82–88. Der archäologische Befund ist zusammengestellt bei Stroszeck 2014, 99–110 (Heiligtümer); 111–123 (Wohnhäuser); 124–131 (Töpferbetriebe und Werkstätten).
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sei die Erinnerung an sie bei den Lebenden präsent gehalten worden.29 Wenn man dieses Nebeneinander von Lebenden und Toten akzeptiert, wären auch die Stelen und Monumente für die Gefallenen im alltäglichen Leben der Athener sichtbar. Trotzdem kann der in der Forschung allgemein etablierte Begriff demosion sema oder „öffentlicher Begräbnisplatz“ weiterhin angewendet werden, wenn man ihn eben nicht als „Friedhof “ im modernen Sinne, sondern als einen Bereich der Polis versteht, in dem sich die öffentlichen Gräber konzentrierten, und der insgesamt – und dafür sprechen gerade auch die platzartige Verbreiterung der Straße und die dort stattfindenden öffentlichen Ereignisse – als öffentlicher Raum mit bestimmten Funktionen anzusehen ist.30 Welche Rituale zeichneten diesen öffentlichen Raum besonders aus? Die Gefallenen wurden noch am Ort der Schlacht eingeäschert, die Asche wurde nach Athen überführt und im dafür vorgesehenen Gemeinschaftsgrab an einem bestimmten Zeitpunkt im Winter (nach Abschluss der Feldzüge) beigesetzt: Dabei wurde die Asche der Gefallenen in einer Prozession von der Agora zum Kerameikos gebracht.31 Abgesehen von den damit verbundenen Begräbnisriten ehrte man die Gefallenen durch jährliche Opfer und Leichenspiele, die vom archon polemarchos durchgeführt wur-
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Vgl. Patterson 2006, 56; Walter-Karydi 2015, 21; 139. Dagegen Low 2010, 355: „There is little impression from literary sources that this was a particularly well-frequented part of Athens.“ Ähnlich auch Arrington 2010, 524 f.; 2011, 207. Vgl. Arrington 2015, 76. Die Konzeption des demosion sema als separater Begräbnisplatz wurde insbesondere von Cynthia Patterson und Polly Low angezweifelt. Sie haben in ihren Untersuchungen betont, dass dieser Bereich nicht exklusiv den athenischen Bürgern vorbehalten war. So wurden auch Fremde, wie der Gesandte Pythagoras aus Selymbria, im Kerameikos begraben. IG I3 1154; Vgl. Patterson 2006, 51; zum Grabmal des Pythagoras vgl. Hoepfner 1973, 145–163; Knigge 1988, 97–101, Abb. 91-92; Hildebrandt 2006, 364–365, Kat. Nr. 318. Weitere Grabmäler finden sich für Silenos aus Rhegion (IG I3 1178) sowie für Gesandte aus Korkyra (IG II2 5224). Vgl. Low 2010, 345 mit Anm. 17 und zur älteren Forschungsdiskussion in dieser Frage Czech-Schneider 1994, 7 f. mit Anm. 16. Einen Überblick über die so genannten „Gesandtengräber“ bietet Stroszeck 2014, 168–174. Zum Begräbnis von Fremden im Kerameikos äußert sich auch Lys. 2,66, vgl. Kap. 7.3. Zu beachten ist aber, dass die archäologisch identifizierten Gesandtengräber nicht an der Straße vor dem Dipylon-Tor, also im eigentlichen demosion sema, sondern nahe beim Heiligen Tor etwas weiter südlich lagen. Es handelte sich aber um eine prominente und für Vorbeigehende besonders sichtbare Platzierung. Cynthia Patterson sieht darüber hinaus das demosion sema insgesamt als „modern invention“ (55), beruhend auf der Aussage bei Thuk. 2,34,5 und der späteren Beschreibung bei Paus. 1,9,2–4. Der Begriff sema beziehe sich immer auf ein Grab, also ein einzelnes Monument, in das die Toten gelegt wurden. Würde es sich um eine offizielle Bezeichnung für einen besonderen Bereich der Nekropole handeln, wäre dieser Begriff häufiger überliefert (Patterson 2006, 53–55 mit Anm. 36). Vgl. auch Bravo 2006, 113 f. und zum „Nebeneinander“ unterschiedlicher Gräber im Kerameikos 129; Walter-Karydi 2015, 139: „Auf jeden Fall aber beziehen sich alle diese Namen auf die Gräber selbst, nicht auf einen Raum.“ Vgl. Czech-Schneider 1994, 5; Graen 2011, 46; Cartledge 2013, 21; Low 2012, 14 f.; Schmitt Pantel 2013, 436 mit Betonung der gemeinsamen Raumerfahrung durch die Prozession; Arrington 2015, 34 f.
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den.32 Die Annahme von Agonen zu Ehren der Gefallenen wird durch archäologische Befunde unterstützt: Es handelt sich dabei um mehrere bronzene Preisgefäße aus der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts, jeweils mit der Aufschrift „Die Athener. Preis für die im Krieg Gefallenen“ („Ἀθεναῖοι ἆθλα ἐπὶ τοῖς ἐν τοι πολέμοι“).33 Ob auch von einer Heroisierung der solchermaßen geehrten Kriegsgefallenen gesprochen werden kann, ist umstritten.34 Andreas Hartmann betont, dass es im „griechischen Denken“ keine „scharfe konzeptionelle Scheidung zwischen Heroen- und Totenkult“ gab. Ebensowenig lässt sich von einem „Kanonisierungsprozess zur Heroswerdung sprechen, der die Empfänger eines Heroenkultes eindeutig von denen eines Grabkultes geschieden hätte“. Wichtig sei vor allem, „dass überhaupt ein öffentlicher Kult für eine bestimmte Person oder Gruppe eingerichtet wurde“, denn dies zeige „deren besondere Bedeutung für die Gemeinschaft.“35 Die „Staatsgräber“ als Monumente bestanden (neben den Gräbern als tumuli oder periboloi36) aus einer Liste der Gefallenen auf einer oder mehreren Stelen. Die Namen wurden ohne Demotikon oder Patronymikon geordnet nach Phylen aufgeführt. Darüber konnte eine bildliche Darstellung, meist des Kampfgeschehens, angebracht sein,
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Plat. Mx. 249b3–6; Aristot. Ath. Pol. 58,1; Lys. 2,80–81; Demosth. 60,13; 36, dort wird im Übrigen auch die Bedeutung eines öffentlichen Monuments zu ihren Ehren hervorgehoben („σεμνὸν δέ γ᾽ ἀγήρως τιμὰς καὶ μνήμην ἀρετῆς δημοσίᾳ κτησαμένους ἐπιδεῖν“), vgl. J. Shear 2013, 521; Poll. 8,91. Der (ideale) Ablauf einer öffentlichen Totenfeier im 5. Jahrhundert wird bei Thuk. 2,34 beschrieben. Vgl. Loraux 1981, 17 f.; Czech-Schneider 1994, 6 f.; Low 2010, 348; Arrington 2015, 35–38. IG I3, 523–525, vgl. Prinz 1997, 33–35, der vermutet, dass solche Agone getrennt von der eigentlichen Bestattungsfeier stattfanden, ebenso bereits Kurtz/Boardman 1971, 112; Hartmann 2010, 312 mit Anm. 1579. Vgl. dagegen Stupperich 1977, 54–56: Agon und Opfer seien zusammen mit dem jährlichen Begräbnis der Gefallenen vollzogen worden, ebenso Clairmont 1983, 22–28. Auch Aussagen in den Gefallenenreden werden dabei als Indizien herangezogen: Eine Heroisierung der Kriegsgefallenen wird eventuell schon im Epitaphios des Perikles für die Gefallenen von Samos angesprochen, bezeugt bei Stesimbrotos von Thasos FGrH 107 F 9; Demosth. 60,34; Hyp. 6,27–28; 35; 43. Dazu und zur älteren Forschung vgl. Hartmann 2010, 308–310. Kritisch zur Heroisierung von Kriegsgefallenen Loraux 1981, 39–42; Welwei 1991; Arrington 2015, 113–120. Grundlegender Überblick zur Entstehung von Heroenkult und Grabkult im frühen Griechenland Antonaccio 1995 sowie die Zusammenfassung bei Hartmann 2010, 265–286. Zu den Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen Götterkult, Heroenkult und Totenkult vgl. Boehringer 2001, 37–46, der trotz der insbesondere rituellen Gemeinsamkeiten zwischen Totenkult und Heroenkult für eine klare Trennung zwischen beiden Bereichen plädiert (45). Hartmann 2010, 310, vgl. bereits Stupperich 1977, 57–70; Welwei 1991, 50; Boehringer 1996, 50 f.; Flashar 1996, 72; Prinz 1997, 23–25 und neuerdings J. Shear 2013, 511; Walter-Karydi 2015, 48; 155. Neben den Gefallenen im demosion sema ist ein solcher Grab- bzw. Heroenkult insbesondere für die Gefallenen der Schlachtfelder der Perserkriege diskutiert worden: Vgl. ausführlich Jung 2006, 61–66 (Marathon); 259–271 (Plataiai), jeweils mit der älteren Literatur; Hartmann 2010, 310–328, auch hier wiederum mit dem Verweis, dass heroische Ehren beispielsweise für die Gefallenen von Marathon (auf dem Schlachtfeld selbst) erst für die hellenistische Zeit sicher belegt seien, 311 mit Anm. 1575 kritisch zum frühen Ansatz von Jung. Auch die Translation von Gebeinen der Heroen spielt in diesem Zusammenhang eine Rolle: vgl. Hartmann 2010, 252–258 mit einer Zusammenfassung der Forschungsproblematik, den Quellen und der Literatur. Vgl. zur Terminologie Marchiandi 2011, 133 mit Anm. 4; Arrington 2015, 79–82.
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möglich war auch ein Epigramm auf die Gefallenen auf der Basis des Monuments. Soweit aus den archäologischen Überresten nachzuvollziehen, wurden die Athener dabei zwar als Sieger präsentiert, sowohl im Bild als auch im Text wurde aber auch auf die Gefahren und Opfer des Krieges verwiesen.37 Einzelne Personen konnten durch die Bezeichnung ihres militärischen Ranges hervorgehoben werden, im Bild gab es jedoch keine Heraushebung von einzelnen Kämpfern wie es etwa auf den privaten Grabmälern der Zeit durchaus geläufig war.38 Diese Monumente waren übermannshoch und waren auf einer Länge von mehreren Metern aufgestellt.39 Das Totengedenken diente auch der Stärkung einer gemeinsamen bürgerlichen Identität mit sowohl retrospektiver als auch prospektiver Funktion. Durch das „optisch erfahrbare Angebot“ der Denkmäler mit ihrer stark appellativen und paradigmatischen Wirkung wurden die Möglichkeiten der bürgerlichen Identifikation noch einmal gesteigert.40 Die Entwicklung einer solchen Identität wurde außerdem maßgeblich durch die bei dem Begräbnis der für die Polis Gefallenen gehaltenen Gefallenenrede (epitaphios41)
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Wann diese Gefallenenlisten zum ersten Mal aufgestellt wurden, kann aufgrund der unzureichenden Quellenlage nur vermutet werden. Die Forschung plädiert entweder für eine Aufstellung ab der Entstehung öffentlicher Begräbnisse (Kurtz/Boardman 1971, 112) oder aber dafür, dass die Aufstellung solcher Stelen erst im weiteren Verlauf des 5. Jahrhunderts üblich wurde (vgl. Thomas 1989, 207 Anm. 44). Zu den Gefallenlisten vgl. Bradeen 1969; T. Hölscher 1973, 104–106; Stupperich 1977, 4–12; Clairmont 1983, 46–59; Loraux 1981, 22 f.; Czech-Schneider 1994, 12 f.; Low 2010, 343–347 und besonders 344 zur symbolischen Bedeutung dieser Listen: „to record, and in doing so honour, services rendered to the state by its citizens and non-citizens and to urge others to perform similar services.“ Die Gräber für die Gefallenen werden von Low generell im Rahmen der Ehrungspraxis für verdiente Bürger gesehen und analysiert, vgl. auch dies. 2012, 16–27. Die Bedeutung der Gefallenenlisten als „demokratische Monumente“ hebt J. Shear 2013, 526 hervor; ähnlich auch Schmitt Pantel 2013, 436; Walter-Karydi 2015, 146–148. Zu den Gefallenenlisten zuletzt ausführlich Arrington 2011 und 2015, 91–108, der die Monumente weniger als Siegeszeichen als vielmehr als Erinnerung an Niederlagen oder zumindest Verluste und Opfer für die Polis verstanden wissen will (vgl. besonders die treffende Bemerkung 2015, 105: „the more massive the defeat, the larger the stone“), vgl. ähnlich auch Proietti 2017, 84–89. Zur Ikonographie der Grabreliefs vgl. Stupperich 1977, 14–22; 1994; Goette 2009; Osborne 2010, 248 f. auch zu den Gefallenenlisten; Arrington 2011, 196–199; 2015, 99–104, der hervorhebt, dass solche Reliefs selten und erst ab den 430er Jahren belegt sind, zu den Darstellungen 107 f.; Walter-Karydi 2015, 148–151, die betont, dass auch wenn ein solches Relief vorhanden war, immer Grabepigramm und Liste der Gefallenen den Mittelpunkt des Monuments bildeten. Vgl. auch die Überlegungen von Barringer 2014 zu möglichen rundplastischen Monumenten für Gefallene. Das früheste erhaltene epigraphische Zeugnis bildet die Gefallenenliste der 465/4 bei Drabeskos Gefallenen. Die meisten dieser Listen sind aus dem 5. Jahrhundert erhalten, aus dem 4. Jahrhundert ist nur eine Namensliste für das Jahr 394/3 überliefert (Rhodes/Osborne 2003, Nr. 7a mit dem Kommetar 42 f.), zu den möglichen Gründen für diesen Befund vgl. Stupperich 1977, 252 f.; Arrington 2011, 186. Vgl. Clairmont 1983, 51 f. mit einer Zusammenstellung der möglichen Titulierungen. Vgl. Arrington 2011, 194 f.; 2015, 95 f. Flashar 1996, 66 sowie zur Verbindung von „Kunst“ und Erinnerung in Form von Grabmälern bereits Francis 1980, 61. Zum Begriff vgl. Prinz 1997, 86 f.
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gefördert.42 Nach den Schilderungen bei Diodor und Dionysios von Halikarnassos wurden diese zur Zeit der Perserkriege zum ersten Mal gehalten,43 wahrscheinlich ist eine Entstehung gemeinsam mit oder kurz nach der Einrichtung des demosion sema.44 Auch wenn nur einige dieser Reden überliefert sind, die zudem nicht immer tatsächlich gehalten wurden, ergibt sich insgesamt das Bild einer feststehenden Redegattung mit bestimmten zentralen Elementen:45 Das Lob der im vergangenen Kriegsjahr Gefallenen wird dabei insbesondere mit dem Ruhm aller weiteren Bestatteten verknüpft. Dabei werden einige mythische Kampfhandlungen wie beispielsweise die Amazonomachie oder der Kampf gegen die Thraker unter Eumolpos sowie die Schlachten der Perserkriege meist in den Mittelpunkt gestellt.46 Das „Rednerpult am Polyandrion“ stellte dabei einen „realen Erinnerungsort“ dar, diesem wurde die in den Epitaphien präsentierte Geschichte als „imaginärer Raum“ hinzugefügt.47 Die Gräber nehmen damit eine Zwischenstellung zwischen diesen beiden Polen ein: Einerseits sind sie reale Objekte, andererseits sind sie als „Plätze der gepflegten Erinnerung“ mit den mit ihnen verbundenen Botschaften Teil der intentionalen Geschichte und können somit auch Teil des imaginären Erinnerungsraums werden.48 Insgesamt stellen sich die Gräber und die mit ihnen verbundenen Monumente,
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Zur besonderen Bedeutung der Erinnerung an den Gräbern für die Bildung einer gemeinsamen Identität vgl. auch Fried 2004, 197; Steinbock 2013a, 85 f.; die große Emotionalität solcher Orte resultiere auch aus den dort abgehaltenen Ritualen (86: „incorporated memorial practices“); Gehrke 2014, 34. Diod. 11,33,3; Dion. Hal. 5,17,4. Vgl. zu den Datierungsfragen Kierdorf 1966, 83–95; Prinz 1997, 38– 48; Hartmann 2010, 311. Epitaphios bei Thuk. 2,34,6–8, gefolgt von der Gefallenenrede des Perikles auf die Gefallenen des ersten Kriegsjahres im Peloponnesischen Krieg (2,35–46). Die Einzigartigkeit der Gefallenenrede in Athen betont Demosth. 20,141. Grundlegend Loraux 1981; Prinz 1997 (mit ausführlicher Interpretation der erhaltenen Reden); Arrington 2015, 108–113. Graen 2011, 47 bezeichnet die Gefallenenrede als „wichtigsten Bestandteil“ eines öffentlichen Begräbnisses, ohne aber Quellen zu nennen; ebenso Prinz 1997, 10; 36; 10–13 mit Überlegungen zu den politischen und rituell-religiösen Aspekten der Reden. Eine knappe Zusammenstellung und Diskussion der erhaltenen Gefallenenreden des 5. und 4. Jahrhunderts bietet J. Shear 2013, 511 f. Vgl. außerdem Walcot 1973; Stupperich 1977, 33–53; Walters 1980; Thomas 1989, 209–211; Czech-Schneider 1994, 33–35. Plut. Perikles 8,6; Thuk. 2,35–46; Gorg. Fr. 5a-6 Buchheim; Lys. 2; Plat. Mx. 236d–249c; Demosth. 60; Hyp. 6. Elemente der Epitaphien sind außerdem in Isokr. 4 und Lykurg. 1 enthalten. Prinz 1997, 73 betont demgegenüber, dass das „Lob der Polis … nur auf den ersten Blick stereotyp“ erscheine, die Redner könnten „diese Topoi nicht nur unterschiedlich akzentuieren und kombinieren, sondern sie auch im Sinne ihrer Argumentation umdeuten.“ Vgl. ebenso Wilke 1996, 252. Untersuchung der zentralen mythischen Themen bei Loraux 1981, 147–156; Wilke 1996, 237–247 sowie ausführlich Gotteland 2001, 125–213. Schade 2011, 115; vgl. auch Schmitt Pantel 2013, 437. Gehrke 2014, 34, der die Gräber zudem als „lieux de mémoire“ bezeichnet und als besonders wichtig für die intentionale Geschichte hervorhebt. Vgl. ähnlich Hartmann 2010, 300, der das Grab (speziell in Zusammenhang mit dem Heroenkult) als „herausragendes Erinnerungsmedium“ bezeichnet. Vgl. auch Grethlein 2008, 28–32 zu den Gräbern als Erinnerungsträgern bereits in den homerischen Epen, die er treffend als „timemarks“ bezeichnet.
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Rituale und Reden als „visuelles Spektakel“ dar, in dessen Rahmen dann auch auf die Vergangenheit und ihre visuelle Präsenz Bezug genommen werden konnte.49 Zwei Aspekte der Transportierung von Geschichte(n), einerseits das Grab als Ausdruck der Familiengeschichte, andererseits die Verbindung zur Polis,50 aber auch die Erinnerungsfunktion der Gräber im demosion sema sollen im Folgenden in den Blick genommen werden. 7.2 Familie und Polis: Das Grab der Vorfahren als Beweis des Bürgerstatus Neben der Nekropole im Kerameikos und in anderen Bezirken vor den Stadttoren und weiteren zentralen Bestattungsplätzen in den einzelnen Demen gab es auch ländliche Grabstätten, die in unmittelbarer Nähe der Bauernhöfe angelegt wurden. „Dies bezeugt letztendlich eine tiefe Verwurzelung der Bauern mit ihrem Land, in dem die Gebeine der Vorfahren ruhten, betonte doch das Familiengrab auf dem eigenen Grund und Boden Alter und Rechtmäßigkeit des Besitzanspruches und informierte gleichzeitig den Vorbeireisenden über den Namen der hier ansässigen Familie.“
Oft wurden die Mitglieder einer Familie dort über Generationen bestattet.51 Aus der spätklassischen Zeit sind monumentale Grabterrassen und Reste von Grabhügeln erhalten. Die meisten dieser Grabanlagen säumten Straßen und Wege und konnten die Grenze eines Anwesens markieren.52 Dadurch war ihre Sichtbarkeit nach außen und damit ihre Repräsentation der Geschichte einer Familie gewährleistet.53 Anklänge an die prachtvollen Begräbnisse der Aristokraten finden sich in der Rede „Euagoras“ des Isokrates, eine Lobrede auf den zyprischen König gleichen Namens, der 374/3 verstorben war. Zu Beginn der Rede widmet sich der Redner zunächst den Ehren, die dem König durch seinen Sohn bei seinem Begräbnis zuteil wurden. Dazu werden Grabbeigaben, Tänze, Gesänge und sportliche Agone sowie Wettbewerbe mit Pferden und Trieren gezählt.54 Euagoras würde, sofern er um die ihm zuteil gewordenen Ehrungen 49 50 51
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O’Connell 2017, 148. Zu den räumlichen Strukturen als „Kulisse“ der Epitaphien vgl. Johnstone 1996, 100; M. Bakker 2012b, 382 f.; Blanshard 2014, 251. Vgl. zusammenfassend Liddel 2007, 222. Graen 2011, 73. Vgl. Kurtz/Boardman 1971, 105–108; Humphreys 1980; Garland 1982; Bergemann 1997, 7–33, insbesondere 32 zu den „Grabstelen als Abstammungsbelegen“; 18–20 mit Überlegungen zu möglichen Unterschieden in der Ausstattung städtischer und ländlicher Grabbauten und dem Schluss, „dass die großen Grabbezirke aus der Umgebung der Stadt denjenigen aus dem ländlichen Attika an Größe und Opulenz ihrer Ausstattung ebenbürtig waren.“; Liddel 2007, 219; Marchiandi 2011. Vgl. ausführlich Bergemann 1997, 7–24, zur Verortung entlang der Straßen sowie auch als Grenzmarkierung von Einzelgehöften bes. 16 f.; knapp Graen 2011, 73 f.; Walter-Karydi 2015, 162–169. Vgl. Humphreys 1980, 103; Liddel 2007, 219; Marchiandi 2011, 135–139. Isokr. 9,1 f.
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wüsste, diese Anstrengungen mit Freude empfangen und die Sorge und verschwenderischen Ausgaben seines Sohnes würdigen – durch das Verb „ὁρῶντα“ wird zudem suggeriert, dass Euagoras selbst auf diese Handlungen und Objekte blickt. Aber, so fährt Isokrates fort, viel mehr als für diese Ehrbezeugungen am Grab wäre der Verstorbene wohl für einen Bericht seiner Taten zu Lebzeiten dankbar.55 Damit leitet Isokrates zu seiner Lobrede über, die eben eine solche Würdigung der Taten des Euagoras darstellen soll. Die Gräber der Vorfahren als elementarer Bestandteil des Selbstverständnisses griechischer Polisbürger sind Bestandteil eines Appells des Demosthenes an die Volksversammlung im Rahmen seiner ersten erhaltenen Rede vor dieser Versammlung im Jahre 354.56 Demosthenes spricht sich in dieser Rede vehement gegen ein aggressives Vorgehen gegenüber dem Perserreich aus und fordert stattdessen eine Reform des Finanzierungssystems der athenischen Flotte. Die Gräber der Vorfahren spielen dabei in Zusammenhang mit dem Themenkomplex einer Bedrohung durch die Perser eine Rolle. Laut Demosthenes bestünde nämlich keine Gefahr, dass griechische Söldner auf der Seite der Perser gegen ihr eigenes Heimatland kämpften – denn wer wäre so fehlgeleitet, sich selbst, seine Eltern, die Gräber seiner Vorfahren und das Vaterland für einen kurzlebigen Profit zu opfern?57 Die Gräber werden hier also als ein elementarer Bestandteil des Selbstverständnisses griechischer wie auch athenischer Bürger angeführt, das nicht wegen der Aussicht auf finanzielle Vorteile aufgegeben werden dürfe. Dazu zähle neben der Familie mit ihren vergangenen Generationen – die eben durch die Gräber repräsentiert werde – auch das Vaterland als umfassende politische Einheit. Die Gräber der Familie spielen außerdem in zahlreichen Gerichtsreden des Demosthenes eine Rolle, in denen es um Fragen der Abstammung geht. In der Rede „Gegen Eubulides“ wehrt sich der Kläger gegen die Entscheidung seines Demos Halimus, ihn von der Demenliste zu streichen. Die Gräber von Familienmitgliedern dienen ihm dabei als Argumente zum Beweis seines Bürgerstatus. So habe sein Vater vier seiner Kinder, also Geschwister des Klägers, „εἰς τὰ πατρῷα μνήματα“ begraben, in einer Grabstätte also, die den Mitgliedern seines genos gehörte. Niemand habe ihn daran gehindert oder ihn deswegen verklagt. Der Redner betont noch einmal, dass ein solches Vorgehen niemals erlaubt würde, wenn es sich nicht um ein Mitglied des genos hande-
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Isokr. 9,2: „ἡγησάμην Εὐαγόραν, εἴ τίς ἐστιν αἴσθησις τοῖς τετελευτηκόσι περὶ τῶν ἐνθάδε γιγνομένων, εὐμενῶς μὲν ἀποδέχεσθαι καὶ ταῦτα, καὶ χαίρειν ὁρῶντα τήν τε περὶ αὐτὸν ἐπιμέλειαν καὶ τὴν σὴν μεγαλοπρέπειαν, πολὺ δ᾽ ἂν ἔτι πλείω χάριν ἔχειν ἢ τοῖς ἄλλοις ἅπασιν, εἴ τις δυνηθείη περὶ τῶν ἐπιτηδευμάτων αὐτοῦ καὶ τῶν κινδύνων ἀξίως διελθεῖν τῶν ἐκεῖνῳ πεπραγμένων·“ Vgl. Steiner 2001, 278. Auch die Rede insgesamt wird durch das Verb „ὁρῶν“ eingeleitet. Der Redner suggeriert also zumindest, dass er das Begräbnis selbst miterlebt hat. Demosth. 14,32. Demosth. 14,32: „τίς οὖν οὕτος δυστυχής ἐστιν ὅστις ἑαυτόν, γονέας, τάφους, πατρίδ᾽ ἕνεκα κέρδους βραχέος προέσθαι βουλήσεται;“
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le.58 Im weiteren Verlauf der Rede werden dann Verwandte der Mutter als Zeugen vorgebracht, die als Mitglieder der gleichen Phratrie und des gleichen Demos vorgestellt werden und dieselben Gräber der Vorfahren („τὰ μνήματα ταὐτά“) hätten.59 Neben der Mitgliedschaft in verschiedenen Personenverbänden sind es also insbesondere die Gräber, die als sichtbares Zeugnis für Verwandtschaft angebracht werden können. Darüber hinaus werden die Verdienste eines gewissen Amytheon hervorgehoben, der als Onkel des Klägers vorgestellt wird. Dieser sei an den Kämpfen auf Sizilien beteiligt gewesen und habe ein öffentliches Begräbnis „ἐν τοῖς δημοσίοις μνήμασι“ erhalten – hier wird wohl die Verzeichnung des Namens auf den Gefallenenlisten gemeint sein, da eine tatsächliche Rückführung und Bestattung der Gefallenen aufgrund der Umstände der Niederlage nicht möglich war.60 Auch hier dient das Grab dazu, die Familie in der Geschichte der Polis zu verorten, in diesem Fall aber nicht über den Grabbezirk der Familie, sondern durch die Verortung bei den für die Polis Gefallenen.61 Der Redner hoffte durch den damit ausgedrückten Opferwillen der Familie für die Polis wohl die Richter positiv zu beeinflussen.62 In diesem Sinne konnten die Listen der Gefallenen als sichtbarer Beweis für das Engagement eines Bürgers und seiner Familie für die Polis gelten.63 Welche zentrale Bedeutung dem Begräbnis in der Heimatpolis, eben dort, wo auch die Vorfahren begraben waren, zukam, macht der Schlussparagraph der Rede gleich zweifach deutlich. In einem letzten Appell wendet sich der Kläger an die versammelten Richter: Durch diesen Prozess erbitte er das Recht zurück, seine Mutter „εἰς τὰ πατρῷα μνήματα“ zu begraben, eindringlich fordert er die Richter auf, ihn nicht daran zu hindern. Dann bezieht er sich auf seine Person: Eher als seine Familie zurückzulassen würde er sich selbst töten, sodass er zumindest in seinem Vaterland begraben werden könne.64 Auch in Verbindung mit Besitz- und Erbschaftsstreitigkeiten konnte das Argument der Gräber der Vorfahren angebracht werden.65 Ein Argument in der Rede „Gegen 58 59 60 61 62 63 64
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Demosth. 57,28. Vgl. Bravo 2006, 112; Patterson 2006, 51; Liddel 2007, 219. Demosth. 57,40. Demosth. 57,37. Vgl. Low 2010, 352 und die ausführliche Schilderung der finalen Niederlage auf Sizilien und der zahlreichen Opfer Thuk. 7,81–87. Dazu ausführlicher Kap. 7.3. Vgl. Low 2010, 352. Vgl. Low 2010, 353: „… the lists of the war dead, like other lists, could function as monuments to citizen participation.“ Zur Bedeutung von inschriftlichen Listen vgl. auch Kap. 5.8. Demosth. 57,70: „ἔτι τοίνυν, ὦ ἄνδρες δικασταί, τοὺς ἐννέα ἄρχοντας ἀνακρίνετε, εἰ γονέας εὖ ποιοῦσιν. ἐγὼ δὲ τοῦ μὲν πατρός ὀρφανὸς κατελείφθην, τὴν δὲ μητέρ᾽ ἱκετεύω ὑμᾶς καὶ ἀντιβολῶ διὰ τοῦτον τὸν ἀγῶν᾽ ἀπόδοτέ μοι θάψαι εἰς τὰ πατρῷα μνήματα καὶ μή με κωλύσητε, μηδὲ ἄπολιν ποιήσητε, μηδὲ τῶν οἰκείων ἀποστερήσητε τοσούτων ὄντων τὸ πλὴθος, καὶ ὅλως ἀπολέσητε. πρότερον γὰρ ἢ προλιπεῖν τούτους, εἰ μὴ δυνατὸν ὑπ᾽ αὐτῶν εἴη σωθῆναι, ἀποκτείναιμ᾽ ἂν ἐμαυτόν, ὥστ᾽ ἐν τῇ πατρίδι γ᾽ ὑπὸ τούτων ταφῆναι.“ Vgl. Liddel 2007, 219. In diesem Zusammenhang spielen Gräber und die Sorge um Grab und Begräbnis auch in den Reden des Isaios eine Rolle (beispielsweise 6,51; 9,7; 36, dazu Bravo 2006, 112). Allerdings handelt es
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Makartatos“ befasst sich mit dem Familiengrab der Buseliden, von dem Namensgeber Buselos stammten sowohl Kläger als auch Beklagter ab.66 Der Kläger Sositheus betont, dass es ein gemeinsames Grabmal für alle Nachkommen des Buselos gebe („καὶ μνήματος ὄντος κοινοῦ ἅπασι τοῖς ἀπὸ τοῦ Βουσέλου γενομένοις“), dieses werde „Grab der Buseliden“ genannt und umfasse einen großen Platz („καὶ καλεῖται τὸ μνῆμα Βουσελιδῶν, πολὺς τόπος περιβεβλημένος“), der auf traditionelle Weise („ὥσπερ οἱ ἀρχαῖοι ἐνόμιζον“) eingefriedet sei.67 Das Grab wird gleich zweimal als mnema bezeichnet, ein Begriff, der gleichzeitig die Bedeutung als Grabmal wie auch als Erinnerungsbzw. Denkmal bezeichnen kann. Die Benennung des Grabes nach dem Vorfahren Buselos erscheint als allgemein bekannt, außerdem wird eine genauere Beschreibung des Grabmals beigefügt, die sicher auch das hohe Alter des Grabes belegen soll. In diesem Grab lägen also alle Nachkommen des Buselos, einige Namen zählt der Redner auch auf. Der Vater und der Großvater des Prozessgegners Makartatos jedoch seien nicht dort begraben, sondern hätten ein eigenes Grab in einiger Entfernung vom eigentlichen Familiengrab errichtet. Diese Tatsache sieht der Kläger als Beweis dafür an, dass seine Gegner nicht mit der Familie verbunden seien.68 Hier handelt es sich um eine anschauliche Gegenüberstellung des Grabes als Kernelement und Identifikationspunkt einer (großen) athenischen Familie mit dem ausdrücklich getrennt davon errichteten Grab zweier Männer, die eben dadurch zeigen, dass sie nicht zu der genannten Familie gehören. Dass seine Zuhörer die gleichen Schlussfolgerungen wie der Redner aus diesem sichtbaren Vergleich ziehen könnten, wird durch die rhetorische Frage zum Abschluss des Abschnitts ausgedrückt. Die Alltäglichkeit des Anblicks solcher Familiengräber69 bringt eine Passage aus einer weiteren Prozessrede des Demosthenes zum Ausdruck. Um zu zeigen, dass es sich im Streitfall, einem Nachbarschaftsstreit, um privates Land handelt, berichtet der Be-
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sich dort meist um das Grab eines unmittelbar zuvor Verstorbenen, weiter reichende historische Implikationen sind damit nicht verbunden, vgl. Humphreys 1980, 98 f. mit den Belegen. Umgekehrt wird auch die Tatsache, dass jemand sich nicht um das Begräbnis eines (angeblichen) Verwandten gekümmert habe als Beleg für fehlende Verwandtschaftsbeziehungen oder Feindschaft zwischen Familienmitgliedern angeführt, vgl. beispielsweise Lys. 14,27: Der Vater des Angeklagten (beide mit Namen Alkibiades, bei dem Vater handelt es sich um den bekannten Strategen des Peloponnesischen Krieges) habe seinen Sohn so sehr gehasst, dass er im Falle von dessen Tod nicht einmal für das Begräbnis sorgen wollte („ὁ δὲ πατὴρ αὐτὸν οὕτος ἐμίσει σφόδρα, ὥστ᾽ οὐδ᾽ ἀποθανόντος ἔφασκε τὰ ὀστᾶ κομίσασθαι“). Demosth. 43,79–80. Vgl. Humphreys 1980, 115 f.; Liddel 2007, 219; ausführlich zum Streitfall und den komplizierten verwandtschaftlichen Beziehungen des Falles Scafuro 2011, 123–136 und 136–141 zu Datierung und Autorschaft der Rede. Ob diese tatsächlich von Demosthenes verfasst wurde, ist umstritten, vgl. ebenda, 138 f. Demosth. 43,79. Demosth. 43,80. Die meisten waren jedoch nicht von solcher Größe wie das sogenannte Buseliden-Grab, sondern umfassten meist nur zwei oder drei, größere etwa sechs Gräber, vgl. Humphreys 1980, 116 (-121 mit den epigraphischen und archäologischen Belegen).
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klagte,70 dass auf dem Grundstück zahlreiche Bäume gepflanzt seien und es alte Grabmäler (μνήματα παλαιὰ) gebe, beide aus einer Zeit, als sein Vater das betreffende Land noch gar nicht erworben hatte. Dass es sich bei diesen mnemata um Gräber handelt, wird durch die einleitend gestellte rhetorische Frage deutlich („τίς δὲ πάλιν τοὺς αὑτοῦ προγόνους θάπτειν;“).71 Darüber hinaus betont der Redner, dass es solche mnemata auf den meisten Grundstücken gebe.72 Dies kennzeichnet sie als einen Anblick, der den meisten athenischen Bürgern wohlvertraut war. Es handelt sich jedoch nicht um Gräber der aktuell dort lebenden Familie – trotzdem werden diese respektiert und als sichtbare Beweise für die vorgebrachten Argumente verwendet. Auch in großen politischen Prozessen können die Gräber der persönlichen Vorfahren des Redners angeführt werden, um als Schlüsselelemente des Selbstverständnisses als athenischer Bürger zu dienen. So geht Aischines in der „Gesandtschaftsrede“ im Rahmen seiner Verteidigung gegen die Vorwürfe des Demosthenes auf sein Selbstbewusstsein als athenischer Bürger ein und kombiniert dabei verschiedene Aspekte. Zunächst beschreibt er die gesamte Gruppe der Gesandten, die sich mit einer Anklage wegen Bestechung bei den Verhandlungen des Philokrates-Friedens konfrontiert sah. So seien diese Gesandten wegen der folgenden Eigenschaften vom athenischen Demos mit den Verhandlungen betraut worden: Sie besäßen Schreine und Gräber der Vorfahren in ihrer Heimat, teilten mit den anderen Bürgern die Interessen und Umgangsformen freier Männer, seien rechtlich gültig verheiratet und hätten dementsprechend angeheiratete Verwandte und Kinder.73 Hier wird also einerseits die Einbindung in einen Familienverband betont, andererseits der gemeinsame Horizont aller Bürger hervorgehoben. Dabei stehen die Schreine und Gräber der Vorfahren als „handgreifliche Beweise“ an erster Stelle der Aufzählung.74 Demosthenes stehe hingegen außerhalb dieser Gruppe, er zeichnet sich allein durch Käuflichkeit aus – drücke aber gleichzeitig Empörung und Verachtung gegenüber Bestechlichkeit aus, als sei er Aristeides. Aischines stellt also einen zweifachen Gegensatz her: Zwischen Demosthenes und den anderen Gesandten sowie zwischen Demosthenes und einer Vorbildfigur des 5. Jahrhunderts, die sich durch die Festsetzung des Tributs für die Griechen um die 70 71 72 73 74
Abgesehen von den Informationen in der erhaltenen Rede ist nichts über die Prozessparteien bekannt, auch der Name des Redners ist nicht überliefert, eine Datierung des Prozesses ist ebenfalls nicht möglich. Zum Gegenstand des Streitfalls vgl. Bers 2003, 81 f. Demosth. 55,13 f. Demosth. 55,15: „ἆρ᾽ ὑμῖν δοκοῦσι διαρρήδην μαρτυρεῖν, καὶ χωρίον εἶναι δένδρων μεστὸν καὶ μνήματ᾽ ἔχειν τινὰ καὶ τἄλλ᾽ ἅσπερ καὶ τοῖς πλείστοις χωρίοις συμβέβηκεν […].“ Vgl. Graen 2011, 73. Die Anonymität der hier bezeichneten Gräber betont Foxhall 1995, 138. Aischin. 2,23: „ἡμεῖς δέ, οἷς ἱερὰ καὶ τάφοι προγόνων ὑπάρχουσιν ἐν τῇ πατρίδι, καὶ διατριβαὶ καὶ συνήθειαι μεθ᾽ ὑμῶν ἐλευθέριοι, καὶ γάμοι κατὰ τοὺς νόμους καὶ κηδεσταὶ καὶ τέκνα […].“ Vgl. Liddel 2007, 220. Paulsen 1999, 314 ad loc. mit dem Verweis auf die Parallelstelle bei Demosth. 19,267, dort seien mit dem Wort ἱερὰ aber wohl Tempel gemeint. Vgl. dagegen MacDowell 2000 ad loc., der auch an dieser Stelle „shrines or tombs“ übersetzt.
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Polis verdient gemacht habe.75 Im weiteren Verlauf der Rede geht Aischines dann auf seine persönliche Situation ein. Um das Mitleid der versammelten Richter zu erwecken, holt er seine Kinder an seine Seite und fragt die Athener, ob sie denn glaubten, dass er nicht nur sein Land, seine Freunde und sein Recht, die Tempel und Gräber der Vorfahren zu besuchen, sondern auch diese Kinder an Philipp verraten würde.76 Neben dem Heimatland als großer Rahmen werden hier also Personen genannt, die dem Redner besonders nahe stehen, insbesondere die Kinder, die den versammelten Athenern sichtbar vor Augen stehen,77 darüber hinaus aber auch räumliche Strukturen, nämlich Tempel und Gräber, die den Redner mit den Vorfahren als weitere Gruppe verbinden. Eine ähnliche Zusammenstellung von Heiligtümern und Gräbern der Vorfahren findet sich in der Rede des Lykurgos „Gegen Leokrates“. Hier bringt der Redner als Anklage gegen den Beschuldigten eben jene Aspekte vor, die Aischines in seiner Rede so vehement zurückgewiesen hatte. Es scheint sich also um eine geläufige Zusammenstellung von Dingen zu handeln, deren Verrat besonders schwer wiegt. Leokrates sei ein Mann, „der sein Vaterland im Stich gelassen hat, der den Heiligtümern seiner Väter seine Hilfe verweigerte, die Gräber seiner Vorfahren zurückließ und das gesamte Land in die Hand der Feinde geraten lassen wollte“. Aufgrund dieser Vergehen müsse Leokrates mit dem Tode bestraft werden.78 Im weiteren Verlauf der Rede bringt Lykurgos eine ähnliche Anschuldigung vor, die er jedoch noch stärker mit dem Angeklagten persönlich in Verbindung bringt. Dieser habe sich der „Misshandlung seiner Eltern“ schuldig gemacht, „weil er ihre Denkmäler zerstören und sie der Riten berauben wollte, die ihnen dem Brauch nach zukommen.“79 In Verbindung mit den Gräbern werden 75 76
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Aischin. 2,23. Die Festlegung des Tributs wird auch bei anderen Rednern zusammen mit der Person des Aristeides erwähnt und steht emblematisch für die Vorherrschaft Athens im Seebund des 5. Jahrhunderts: Aischin. 3,258; [And.] 4,11–12; Demosth. 23,209; Deinarch. 1,37. Aischin. 2,152: „ἐρωτῶ γὰρ, ὦ ἄνδρες Ἀθηναῖοι, εἰ δοκῶ ἂν ὑμῖν πρὸς τῇ πατρίδι καὶ τῇ τῶν φίλων συνηθείᾳ καὶ ἱερῶν καὶ τάφων πατρῴων μετουσίᾳ τουτουσὶ τοὺς πάντων ἀνθρώπων ἐμοὶ φιλτάτους προδοῦναι Φιλίππῳ […].“ Vgl. den Kommentar bei Paulsen 1999, 397 ad loc: Der Begriff μετουσίᾳ bezeichnet darüber hinaus auch den Aspekt der Teilnahme und Gemeinschaft; damit sind wohl auch die gemeinsamen Riten gemeint, die an diesen Orten vollzogen wurden. Hierbei handelt es sich um eine in vielen Reden (besonders zum Abschluss einer Rede) auftretende Strategie „to influence the jurors’ votes through visual display“ vgl. O’Connell 2017, 11 mit Anm. 46 mit den Belegen und weiterer Literatur. Lykurg. 1,8: „τί γὰρ χρὴ παθεῖν τὸν ἐκλιπόντα μὲν τὴν πατρίδα, μὴ βοηθήσαντα δὲ τοῖς πατρῴοις ἱεροῖς, εγκαταλιπόντα δὲ τὰς τῶν προγόνων θήκας, ἅπασαν δὲ τὴν χώραν ὑποχείριον τοῖς πολεμίοις παραδόντα.“ Übers. J. Engels. Vgl. ähnlich auch Lykurg. 1,97 sowie Lys. 31,20–23; Is. 4,19–20; 6,64– 65 (als Schlussparagraphen in einem Erbschaftsstreit); Aischin. 1,13; Demosth. 25,54; 65; 41,11; 43,59; Deinarch. 2,8; 18. Vgl. dazu Liddel 2007, 216–218 auch zu den allgemeinen Erwartungen an die Sorge für das Grab der Eltern bei den Rednern. Lykurg. 1,147: „τὸ καθ’ ἑαυτὸν γέγονεν αἴτιος, τοκέων δὲ κακώσεως τὰ μνημεῖα αὐτῶν ἀφανίζων καὶ τῶν νομίμων ἀποστερῶν […].“ Übers. J. Engels. Vgl. ähnlich auch auf die Toten der Polis insgesamt bezogen 1,59 und 97. Ein ähnlicher Vorwurf in Zusammenhang mit den Gräbern der Vorfahren findet sich wohl auch in der Rede „Gegen Autolykos“ (Lykurg. Fr. 3,3 Conomis), die einige Jahre
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auch die Riten genannt, die neben den Gräbern selbst die Erinnerung an die Verstorbenen wachhielten. Welche Bedeutung dem Nachweis der Gräber der Vorfahren für den Bürgerstatus und die damit verbundenen Rechte und Pflichten zukommt, zeigt schließlich eine Aussage des Redners Deinarchos aus der Rede „Gegen Aristogeiton“ aus dem Jahr 323. Deinarchos gibt in Zusammenhang mit einer Darstellung der Verfehlungen des Angeklagten die Fragen an Amtsbewerber bei der dokimasia an. Der Kandidat werde gefragt, was für eine Person er sei, ob er seine Eltern gut behandele, ob er an militärischen Unternehmungen teilgenommen habe, ob er ein Ahnengrab habe und ob er seine Steuern gezahlt habe.80 Die Frage nach dem Grab fällt hier besonders auf, da die weiteren Fragen das Verhalten des Amtsanwärters betreffen, hier aber die Aspekte des Raumes und der Vergangenheit angesprochen werden. Deinarchos führt dann anhand der einzelnen Fragen genauer aus, warum der Angeklagte sie alle nur verneinen könne. So könne Aristogeiton weder das Grabmal seines Vaters zeigen, noch habe er, als sein Vater in Eretria gestorben sei, diesem ein ordnungsgemäßes Begräbnis zukommen lassen.81 Hinsichtlich des Grabes wird Aristogeiton also gleich als zweifach schuldig präsentiert. Die Verbindung von Gräbern, Familien und bürgerlicher Zugehörigkeit stand den Athenern im Übrigen auch bildlich vor allem durch die Darstellungen auf den Grabreliefs vor Augen. Dort wurde der Verstorbene oft im Bürgergewand, also mit Hymation und Stab, abgebildet.82 Die Gräber der Vorfahren stellen also ein wichtiges Element des Selbstverständnisses als athenischer Bürger dar. Dies zeigt sich insbesondere in Prozessen um Erbschaftsstreitigkeiten oder um die Abstammung von einer Familie und wird verwendet, um die besonders enge Verbindung zu der jeweiligen Familie darzustellen und zu beweisen. Das Verlassen der Gräber der Vorfahren muss vor diesem Hintergrund umso gravierender erscheinen. Die Verbindung zur Polis insgesamt erscheint noch enger durch die Bedeutung der Gräber als Teil der Fragen bei der doki-
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früher, wohl 338 oder kurz danach, gehalten wurde. Auch dem Autolykos hatte Lykurgos wohl vorgeworfen, die Gräber seiner Vorfahren im Stich gelassen zu haben, vgl. den Kommentar zu Fr. 3,3 bei E. Harris 2001, 207 Anm. 11 ad loc. Deinarch. 2,17. Zu den Fragen im Rahmen der dokimasia vgl. auch den Kommentar bei Worthington 2001, 50 Anm. 13 ad loc. mit Verweis auf Demosth. 57,66–70; Bergemann 1997, 24–25, 32; Graen 2011, 73. Diese und weitere Fragen der dokimasia sind überliefert bei Aristot. Ath. Pol. 55,3, dazu Rhodes 1992, 615–617; 663; 669: Neben der Frage nach den Gräbern der Vorfahren beinhalte auch die Frage nach dem Kult des Apollon Patroos und des Zeus Herkeios und den betreffenden Heiligtümern eine räumliche Komponente. Deinarch. 2,18: „τοσοῦτον δ᾽ ἀπολέλοιπε τοῦ πατρὸς μνῆμά τι ἔχειν, ὦ Ἀθηναῖοι, δεῖξαι, ὥστ᾽ οὐδ᾽ ἐν Ἐρετρίᾳ τοῦ πατρὸς αὐτοῦ τελευτήσαντος ἐκεῖ τὰ νομιζόμενα ἐποίησεν αὐτῷ.“ Vgl. Bergemann 1997, 76–78: „Die häufigste Darstellungsform von Männern auf den attischen Grabreliefs“, mit Skizzen der verschiedenen Figurenschemata; Arrington 2015, 217 f. Auch die Darstellungen von Kämpfenden zeigten dementsprechend weniger den individuell erworbenen Ruhm als vielmehr den Dienst für die Polis.
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masia – nur, wer die Gräber seiner Vorfahren in Athen und Attika nachweisen kann, ist befähigt, ein Amt für die Polis zu übernehmen. 7.3 Die Gräber der Vorfahren: Die heldenhafte Vergangenheit Neben den Ahnen einer bestimmten Person oder einer Familie werden in den Reden auch die Gräber der Vorfahren aller athenischen Bürger angeführt. Dabei werden entweder die Gräber aller Vorfahren einer ruhmreichen Vergangenheit oder aber die Gräber der Gefallenen konkreter Schlachten als sichtbare Zeugnisse der Leistungen der Bestatteten erwähnt. In den meisten Fällen handelt es sich um Gräber, die Teil des demosion sema waren und damit eine besondere Rolle in der öffentlichen Wahrnehmung spielten.83 Dieser konkrete Raumbezug wird vor allem in den Gefallenenreden deutlich, die vor Ort, also umgeben von den angeprochenen Gräbern, gehalten wurden. Dieser Bezug auf die umliegenden räumlichen Strukturen als performativer Raum der Rede ist besonders in der Gefallenenrede des Lysias zu beobachten.84 In Hinblick auf die Gräber bezieht er sich aber weniger auf das Grab als räumliche Markierung, sondern legt den Fokus auf die Gefallenen selbst als „diejenigen, die hier liegen“, oder als „die hier ruhenden Männer“ („οἱ ἐνθάδε κείμενοι ἄνδρες“).85 Jonas Grethlein hat in seiner Untersuchung „The Greeks and their Past“ die Verbindung von räumlichem und zeitlichem Kontinuum und das Auflösen der Zeit im Raum durch diese Formulierung konstatiert.86 Stephen Todd hat zudem darauf hingewiesen, dass die Wahl des „neut-
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Ein Bezug auf die Gräber der Vorfahren als Appell zum Handeln findet sich schon bei Aischyl. Pers. 402–405, der den Kampfgesang vor der Schlacht bei Salamis wiedergibt: Dort werden Vaterland, Frauen und Kinder, Tempel und Gräber der Vorfahren als diejenigen Elemente genannt, um deren Freiheit gekämpft werden muss. Vgl. dazu auch Schmidt-Hofner 2016, 365. Dazu grundsätzlich M. Bakker 2012b, 380–382, und ff. nicht nur zu den Gräbern, sondern auch zu weiteren in der Gefallenenrede genannten Denkmälern und Monumenten. In der Gefallenenrede des Perikles bei Thukydides wird dem Ort der Bestattung dagegen ausdrücklich eine geringe Bedeutung zugesprochen, Thuk. 2,43,2–3: „κοινῇ γὰρ τὰ σώματα διδόντες ἰδίᾳ τὸν ἀγήρων ἔπαινον ἐλάμβανον καὶ τὸν τάφον ἐπισημότατον, οὐκ ἐν ᾧ κεῖνται μᾶλλον, ἀλλ᾽ ἐν ᾧ ἡ δόξα αὐτῶν παρὰ τῷ ἐντυχόντι αἰεὶ καὶ λόγου καὶ ἔργου καιρῷ αἰείμνηστος καταλείπεται. ἀνδρῶν γὰρ ἐπιφανῶν πᾶσα γῆ τάφος, καὶ οὐ στηλῶν μόνον ἐν τῇ οἰκείᾳ σημαίνει ἐπιγραφή, ἀλλὰ καὶ ἐν τῇ μὴ προσηκούσῃ ἄγραφος μνήμη παρ᾽ ἑκάστῳ τῆς γνώμης μᾶλλον ἢ τοῦ ἔργου ἐνδιαιτᾶται.“ („Denn gemeinsam gaben sie ihr Leben hin – jeder für sich gewann unsterbliches Lob und ein weithin berühmtes Grab, nicht das, in dem sie ruhen, sondern dass ihr Ruhm für jede Gelegenheit zu Rede oder Tat unvergessen nachlebt. Hervorragenden Männern ist die ganze Erde Grab; und nicht nur eine Inschrift auf einer Stele zeugt in der Heimat von ihnen, sondern auch in der Fremde wohnt, geistig, nicht stofflich, in jedermann ungeschriebenes Gedenken.“) Übers. nach G. Landmann. Lys. 2,1–2; 54; 60; 64; 66, außerdem 75 und 76, dort allerdings nur bezogen auf die Gefallenen des aktuellen Kriegsjahres, vgl. Todd 2007, 210. Zur Formulierung vgl. auch Loraux 1981, 22. Vgl. Grethlein 2010, 115: „The temporal continuum is even embodied by a spatial mark within ‚this city‘. The burial ground assembles generations of dead and thus creates a present that has absorbed Athens’ past. The dissolving of time in place shows in the undifferentiated use of ‚those who lie
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ralen“ Verbs „κειμένοι“ anstatt „θαπτόμενοι“ die Aufmerksamkeit vom Prozess des Begräbnisses hin zum Kerameikos als öffentliche Gedenkstätte lenken soll.87 Gleich in den einleitenden Sätzen der Gefallenenrede stellt der Redner Überlegungen dazu an, ob man „in einer Rede die Tapferkeit der hier ruhenden Männer“ würdigen könne.88 Nachdem er als captatio benevolentiae festgestellt hat, dass alle Zeit der Welt nicht ausreichen würde, um diese genügend zu loben, fasst er zusammen: „Sie kannten jedes Land, kein Meer war ihnen unvertraut; überall, bei allen Menschen preisen die, welche ihr eigenes Unglück beklagen, die tapferen Taten dieser Männer.“ 89 Diese Männer sind also keiner bestimmten Epoche oder bestimmten Schlacht zuzuordnen, sondern alle diejenigen, die im Kampf für die Polis gefallen sind und deren Lob der Redner im Folgenden vorbringen will.90 Im Verlaufe der Rede kommt Lysias dann aber auch auf die Niederlage nach dem Peloponnesischen Krieg und die Dominanz des Perserreiches zu sprechen. „An diesem Grab“ – gemeint ist aber wohl das demosion sema insgesamt, da Lysias auf die Gefallenen mehrerer Kriegsjahre Bezug nimmt91 – wurden „die hier Liegenden“ beklagt, nach Auskunft des Redners schor man sich sogar die Haare „als Zeichen der Trauer“, „denn zugleich mit diesen Tapferen war auch die Freiheit zu Grabe getragen worden“.92 Hier geht es also um die Gefallenen des Peloponnesischen Krieges, insbesondere derjenigen Kämpfe, die Athens Hegemonie ein Ende setzten.93 Eine Vernetzung unterschiedlicher materieller Erinnerungsträger wird dann in Zusammenhang mit der Bekämpfung der Herrschaft der Dreißig deutlich. Tropaia, die Wiederrichtung der Stadtmauern und die „Gräber der Spartaner“ werden zu einem Bild des erneuten Aufstiegs Athens zusammengefügt.94 Insbesondere die Gräber der
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here‘ for the deceased of different eras.“ Knapp Todd 2007, 210: „The effect is to emphasize the location of the current honorands within a larger tradition.“ Vgl. Todd 2007, 254: „… to distract attention from the process of burial towards the role of the Kerameikos as public memorial.“ Lys. 2,1: „Εἰ μὲν ἡγούμην οἷόν τε εἶναι, ὦ παρόντες ἐπὶ τῷδε τῷ τάφῳ, λόγῳ δηλῶσαι τὴν τῶν ἐνθάδε κειμένων [ἀνδρῶν] ἀρετήν, ἐμεμψάμην ἂν τοῖς ἐπαγγείλασιν ἐπ’ αὐτοῖς ἐξ ὀλίγων ἡμερῶν λέγειν·“ Übers. I. Huber. Vgl. M. Bakker 2012b, 382. Lys. 2,2: „οὔτε γὰρ γῆς ἄπειροι οὔτε θαλάττης οὐδεμιᾶς, πανταχῇ δὲ καὶ παρὰ πᾶσιν ἀνθρώποις οἱ τὰ αὑτῶν πενθοῦντες κακὰ τὰς τούτων ἀρετὰς ὑμνοῦσι.“ Übers. I. Huber. Vgl. Kartes 2000, 32, der aber fälschlicherweise alle derartigen Formulierungen im Epitaphios des Lysias auf diese Weise deutet; vgl. dagegen Grethlein 2010, 115. Bravo 2006, 116 sieht hier nur einen Hinweis auf die Gräber der Gefallenen des aktuellen Kriegsjahres. Vgl. Arrington 2015, 66 f. Lys. 2,60: „ὥστ’ ἄξιον ἦν ἐπὶ τῷδε τῷ τάφῳ τότε κείρασθαι τῇ Ἑλλάδι καὶ πενθῆναι τοὺς ἐνθάδε κειμένους, ὡς συγκαταθαπτομένης τῆς αὑτῶν ἐλευθερίας τῇ τούτων ἀρετῇ·“ Übers. I. Huber. Vgl. Grethlein 2010, 115; M. Bakker 2012b, 383, der hier wiederum die Funktion der Gräber als „performative space“ hervorhebt; Bravo 2006, 116 f.; Todd 2007, 260 ad loc. bezieht die Formulierung konkret auf die Schlacht von Aigospotamoi. Lys. 2,63. Vgl. zu den anderen räumlichen Aspekten der Textstelle auch Kap. 6 und Kap. 8.
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Spartaner werden als sichtbare „Zeugen ihrer Tapferkeit“, das heißt der Tapferkeit der Athener, präsentiert.95 Diese Sichtbarkeit war im Rahmen der Abhaltung der Gefallenenrede im demosion sema tatsächlich gegeben, der Redner könnte – sollte die Rede denn tatsächlich gehalten worden sein – sogar auf das Grab gezeigt haben.96 Das Grab der Spartaner wurde 1930 entdeckt und aufgrund der Inschrift mit der Überschrift ΛΑ[ΚΕΔΑΙΜΟΝΙΟΙ] und den Namen der beiden Polemarchen Chairon und Thibrachos identifiziert.97 Es liegt direkt an der Straße vom Dipylon-Tor zur Akademie, nur wenige Meter vom Dipylon-Tor entfernt prominent platziert. Im archäologischen Befund dieses Grabes wurden zuletzt „eindeutige Belege für einen längere Zeit praktizierten Grabkult“ gefunden, „der an die Bestattung unmittelbar anschloss.“98 Die Gestattung eines Begräbnisses der gefallenen Spartaner ist wohl dadurch zu erklären, dass dies dem spartanischen Anführer Pausanias ursprünglich durch die in Athen verbliebenen Oligarchen versprochen wurde, dann aber auch von den Demokraten zumindest toleriert wurde, da Pausanias nach dem Ende der militärischen Auseinandersetzung die Verhandlungen initiiert und vorangebracht hatte.99 Die Erwähnung des Grabes der Spartaner als Denkmal eines Sieges der Athener ist dann die Folge einer Umdeutung in den folgenden Jahres: Es sind eben nicht gefallene Athener, deren Gräber in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gestellt werden, sondern es handelt es sich um Gefallene einer feindlichen Polis – der Bürgerkrieg des Jahres 403 sowie der Erfolg der Spartaner in der Schlacht bei Mounichia wird dadurch zu einem Sieg über auswärtige Feinde umgedeutet.100 Die demokratischen „Rückkehrer“
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Lys. 2,63: „… μάρτυρας δὲ τῆς αὑτῶν ἀρετῆς ἐγγὺς ὄντας τοῦδε τοῦ μνήματος τοὺς Λακεδαιμονίων τάφους παρέχονται.“ Übers. I. Huber. Vgl. auch Xen. hell. 2,4,33 zum Tod einiger Spartaner (drei von ihnen werden namentlich genannt) und ihrem Begräbnis im Kerameikos. 96 Vgl. Todd 2007, 263 ad loc. 97 IG II2 11678. Vgl. zur Architektur der Grabes Kienlin 2003, der zudem betont, dass sich durch längere Zeiträume getrennte „Belegungsphasen“ ausmachen lassen, bei den Bestatteten handelt es sich aber wohl durchweg um Spartaner (115 f.); zum historischen Hintergrund Steinbock 2013a, 91; Stroszeck 2013a, 382–384. Der ältere Forschungsstand ist bei Willemsen 1977 zusammengetragen, dort auch ausführlich zum archäologischen Befund; im Verlauf des 4. Jahrhunderts wurde das Grab verschüttet, wohl ein Grund dafür, dass es nur bei Xenophon und Lysias erwähnt wird (Willemsen 1977, 135; vgl. auch Steinbock 2013a, 92 f.). 98 Hartmann 2010, 309, der den Befund als Beleg für die Heroisierung Kriegsgefallener ansieht. Vgl. die ausführliche Untersuchung bei Stroszeck 2006, dort ist aber 107 nur von einem Opfer unmittelbar in Zusammenhang mit der Bestattung die Rede; 2013a, 390–395; 2014, 254–259, mit dem Hinweis auf „mehrere aufeinander folgende Opfervorgänge“ (259). Zur Lokalisierung des Grabes vgl. auch Arrington 2010, 513 mit Abb. 4. 99 Vgl. Steinbock 2013a, 91: Im Übrigen lag es im Interesse der Athener, Pausanias gegenüber seinem Rivalen Lysandros zu stärken, der die Oligarchen in Athen maßgeblich unterstützt hatte. Steinbock befasst sich auch mit einer möglichen Rezeption des Grabdenkmals durch die Spartaner, die er besonders in den Anmerkungen bei Xen. hell. 2,4,33 gespiegelt sieht. 100 Vgl. Wolpert 2002a, 89; Todd 2007, 262 f. ad loc.; Arrington 2011, 193; J. Shear 2011, 299 f.; Steinbock 2013a, 92: „As a result of this process, the tomb of the Spartans could be viewed as yet another
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(οἱ δὲ κατελθόντες) werden im folgenden Abschnitt mit den „hier Liegenden“ und ihren Taten verglichen, also wiederum mit der Gesamtheit der für die Polis Athen Gefallenen. Sie seien diesen Verstorbenen ebenbürtig gewesen, da sie weniger an der Rache an ihren Feinden, sondern vielmehr an der Errettung der Stadt interessiert waren.101 Schließlich wendet sich der Redner auch den „hier liegenden Fremden“ („τοὺς ξένους τοὺς ἐνθάδε κειμένους“) zu, die den Athenern in der schwierigen Situation am Ende des 5. Jahrhunderts zur Hilfe kamen. Damit könnten Kämpfer verbündeter Poleis wie Theben, Megara und Argos gemeint sein,102 oder aber in Athen lebende Metöken und Xenoi, die an den Kämpfen beteiligt waren. Sollte die letztere Vermutung zutreffen, wäre dies ein Hinweis darauf, dass Lysias als in Athen lebender Metöke die Gefallenenrede selbst verfasst haben könnte.103 In jedem Fall spielt auch im Fall der Fremden der Aspekt der Verräumlichung eine Rolle. Da sie ihr Leben für die Polis Athen geopfert hatten, wurden auch diese Fremden „betrauert und öffentlich bestattet“, weiterhin erhielten sie „die gleichen Ehren“ wie die gefallenen Athener.104 Über die Gräber wird also im Abschnitt 2,63–66 der Gefallenenrede eine Verbindung zwischen verschiedenen Gruppen von Gefallenen im Rahmen der Auseinandersetzungen nach der Herrschaft der Dreißig und den weiteren gefallenen Athenern vergangener Generationen hergestellt – die Zuhörer der Gefallenenrede waren dabei von eben jenen Gräbern umgeben, auf die sich der Redner bezog. Eine ähnliche Verknüpfung vergangener Kämpfe mit den Gräbern der Gefallenen findet sich in der fiktiven Gefallenenrede des platonischen Menexenos. Obwohl diese Rede nie gehalten wurde, soll sie aber wohl eine typische Gefallenenrede darstellen, und es kann angenommen werden, dass sie deshalb häufige Themen und Stilmittel dieses Genres spiegelt.105 Die Rede, die Aspasia, der Frau des Perikles, in den Mund gelegt wird, und die wohl kurz nach 387/6 verfasst wurde, befasst sich, ebenso wie die anderen Beispiele dieser Redegattungen auch, mit den Gefallenen vergangener Generationen. In dieser Rede wird in Zusammenhang mit den Gefallenen diverser Schlachten monument celebrating both the victorious return of the demos from exile and the fall of the Thirty and their foreign supporters.“ Die Information zum Sieg des Heeres der Peloponnesier unter Pausanias findet sich bei Xen. hell. 2,4,35. Zu den Ereignissen vgl. auch Wolpert 2002a, 24–28. 101 Lys. 2,64: „οἱ δὲ κατελθόντες αὐτῶν, ἀδελφὰ τὰ βουλεύματα τοῖς ἔργοις τῶν ἐνθάδε κειμένων ἐπιδεικνύντες, οὐκ ἐπὶ τιμωρίαν τῶν ἐχθρῶν ἀλλ’ ἐπὶ σωτηρίαν τῆς πόλεως ἐτράποντο …“ Übers. I. Huber. Vgl. Grethlein 2010, 115 mit der Überlegung, dass hier auch die Gefallenen des Korinthischen Krieges gemeint sein könnten, „but is more likely to include also the soldiers from earlier wars.“ 102 Lys. 2,66. Vgl. Huber 2004, 244 Anm. 14 ad loc. 103 Vgl. Todd 2000, 27; 2007, 162; 265 ad loc. 104 Lys. 2,66: „ἄξιον δὲ καὶ τοὺς ξένους τοὺς ἐνθάδε κειμένους ἐπαινέσαι, οἳ τῷ πλήθει βοηθήσαντες καὶ περὶ τῆς ἡμετέρας σωτηρίας μαχόμενοι, πατρίδα τὴν ἀρετὴν ἡγησάμενοι, τοιαύτην τοῦ βίου τελευτὴν ἐποιήσαντο· ἀνθ’ ὧν ἡ πόλις αὐτοὺς καὶ ἐπένθησε καὶ ἔθαψε δημοσίᾳ, καὶ ἔδωκεν ἔχειν αὐτοῖς τὸν ἅπαντα χρόνον τὰς αὐτὰς τιμὰς τοῖς ἀστοῖς.“ Übers. I. Huber. Vgl. Steinbock 2013a, 240 f.: „The funeral monument could certainly serve as a material reminder of their important contribution.“ (241) 105 Vgl. Kap. 6.4.4.
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des 5. Jahrhunderts immer wieder betont, dass sie im demosion sema bestattet seien. So seien die Gefallenen der Schlacht bei Tanagra (457 v. Chr.) „die ersten nach dem Perserkrieg, die in dieser Grabstätte, von der Polis geehrt, beigesetzt sind.“106 Die Schilderung der Schlacht bei Sphaktereia wird mit der Feststellung abgeschlossen: „Es ziemt sich also, diese Männer zu preisen, die diesen Kampf auf sich nahmen und nun hier ihre Ruhestätte gefunden haben.“107 Auch die Gefallenen im Rahmen der Sizilienexpedition und der Seeschlacht bei den Arginusen werden, neben den Schilderungen der damit verbundenen Taten, mit ihrer Grabstätte im Kerameikos („ἐνθάδε κεῖνται“) in Verbindung gebracht und damit verortet, auch wenn es sich in diesen Fällen wohl nur um Kenotaphe gehandelt haben kann.108 Der gesamte Abschnitt zu den Leistungen der Vorfahren, der von den mythischen Kämpfen gegen Eumolpos sowie gegen die Amazonen bis zum Königsfrieden reicht,109 wird schließlich zusammengefasst, indem betont wird, dass diese Leistungen aufgrund ihrer Zahl unmöglich gebührend gewürdigt werden könnten. Auch hier wird hervorgehoben, dass es sich um die Männer handelt, „die hier bestattet liegen“, durch die sichtbaren Gräber wird also wiederum die Verbindung zwischen der Vergangenheit und dem „aktuellen“ Umfeld der Rede hergestellt.110 Die Bedeutung der Gräber der Vorfahren wird auch dann deutlich, wenn diese und die damit verbundenen Begräbnisfeierlichkeiten als Erinnerung an große Katastrophen der athenischen Geschichte hinzugezogen werden. So schildert Isokrates in der „Rede über den Frieden“ die Verluste in der Zeit des Peloponnesischen Krieges, indem
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Plat. Mx. 242b-c: „οὗτοι δὴ πρῶτοι μετὰ τὸν Περσικὸν πόλεμον, Ἕλλησιν ἤδη ὑπὲρ τῆς ἐλευθερίας βοηθοῦντες πρὸς Ἕλληνας, ἄνδρες ἀγαθοὶ γενόμενοι καὶ ἐλευθερώσαντες οἷς ἐβοήθουν, ἐν τῷδε τῷ μνήματι τιμηθέντες ὑπὸ τῆς πόλεως πρῶτοι ἐτέθησαν.“ Übers. nach O. Apelt. Vgl. die nüchterne Schilderung der Schlacht bei Thuk. 1,108,1, die im Gegensatz zur Darstellung im parodistisch überzeichneten Epitaphios eine schmerzliche Niederlage für die Athener war. Tsitsiridis 1998, 304 ad loc. betont, dass diese Gefallenen nicht „als erste überhaupt im Kerameikos bestattet worden seien“, sondern dass es sich um die ersten unter denen handelte, „die für die Freiheit der Griechen gegen andere Griechen“ gekämpft hätten; vgl. zur Textstelle auch Bravo 2006, 118. 107 Plat. Mx. 242d: „τούτους δὴ ἄξιον ἐπαινέσαι τοὺς ἄνδρας, οἳ τοῦτον τὸν πόλεμον πολεμήσαντες ἐνθάδε κεῖνται […].“ Übers. O. Apelt. 108 Plat. Mx. 242e-243b, und die Anm. 33 ad loc. (in der Übersetzung O. Apelt, 163) Zum rituellen Umgang mit den Kenotaphen in Analogie zu den „tatsächlichen“ Gräbern vgl. Kurtz/Boardman 1971, 99 f. Vgl. dagegen Bravo 2006, 118, der hier ein klares Indiz für eine parodistische Überzeichnung sieht. 109 Plat. Mx. 239b-246a. 110 Plat. Mx. 246a: „Καὶ τὰ μὲν δὴ ἔργα ταῦτα τῶν ἀνδρῶν τῶν ἐνθάδε κειμένων καὶ τῶν ἄλλων, ὅσοι ὑπὲρ τῆς πόλεως τετελευτήκασι […].“ Vgl. Grethlein 2010, 123: „The indiscriminate reference to all the generations which fought and died for the polis merges the single stages of Athenian history in a continuum …“ Tsitsirides 1998, 368 ad loc. gibt an, dass hier neben den gefallenen Athenern auch die Fremden gemeint seien, die ebenfalls im Kerameikos bestattet wurden. Dahingegen ist die einleitende Formulierung in der demosthenischen Gefallenenrede Demosth. 60,1: „τοὺς ἐν τῷδε τῷ τάφῳ κειμένους“ nur auf die Gefallenen des aktuellen Kriegsjahres bezogen. Vgl. Bravo 2006, 114. Zur Bedeutung der Demonstrativpronomina als Hinweis auf die ursprünglich mündliche Redesituation vgl. Wilke 1996, 237.
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er neben den verlorenen Schlachten auch die Begräbnisse der Gefallenen in jedem Kriegsjahr hervorhebt: „Kurz und gut, es gab jedes Jahr dieses eine immer wiederkehrende Ereignis, nämlich die Veranstaltung der öffentlichen Leichenfeiern, zu denen viele unserer Nachbarn und der anderen Griechen wiederholt kamen, nicht um ihren Kummer über die Verstorbenen mit uns zu bezeugen, sondern um sich über unser Unglück zu freuen. Schließlich hatten die Athener, ohne es zu merken, einerseits die öffentlichen Gräber mit Bürgern angefüllt, andererseits aber die Phratrien und die Demenlisten mit Menschen, die keine Beziehung zur Polis hatten.“111
Es wird also weniger der feierliche Aspekt dieser Handlungen betont, sondern es handelte sich hier um eine weitere Gelegenheit für die anderen Griechen, sich an den Misserfolgen der Athener zu weiden. Über die Abhaltung der Begräbnisse hätten die Athener darüber hinaus auch übersehen, dass immer mehr Personen in die Demenlisten eingetragen wurden, die keine Verbindung zur Polis hatten. Die Pflege der Tradition verwehrte also den Blick auf das Wesentliche. Polly Low sieht hier eine für Isokrates typische Argumentationsweise, nämlich die Kritik an Dingen, auf die die Athener besonders stolz waren.112 Dieser Charakter der Gräber als Element des bürgerlichen Selbstverständnisses kommt dann noch einmal in der Rede des Lykurgos „Gegen Leokrates“ zum Ausdruck, indem dieser mehrfach und in unterschiedlichen Kontexten auf die Gräber der Vorfahren eingeht. Dabei geht es immer wieder um die Missachtung dieser Gräber, und damit der Gefallenen und ihrer Leistungen, durch die Handlungen des Leokrates.113 So sei jener vor der Gefahr nach der Niederlage bei Chaironeia aus der Stadt geflohen. „Dabei stellten damals doch das attische Land seine Bäume, die Toten sogar ihre Gräber und die Tempel ihre Waffen bereit.“114 Hier werden zentrale Elemente der Polis – das Land, die Toten und ihre Gräber, die Tempel – personifiziert, um ihren Einsatz für die Verteidigung der Heimat zu zeigen, während Leokrates an dieser Verteidigung nicht beteiligt war. Die Toten und ihre Gräber werden nicht genauer be111
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Isokr. 8,87–88: „πλὴν ἓν ἦν τοῦτο τῶν ἐγκυκλίων, ταφὰς ποιεῖν καθ᾽ ἕκαστον τὸν ενιαυτόν, εἰς ἃς πολλοὶ καὶ τῶν ἀστυγειτόνων καὶ τῶν ἄλλων Ἑλλήνων ἐφοίτων, οὐ συμπενθήσοντες τοὺς τεθνεῶτας ἀλλὰ συνησθησόμενοι ταῖς ἡμετέραις συμφοραῖς. τελευτῶντες δ᾽ ἔλαθον σφᾶς αὐτοὺς τοὺς μὲν τάφους τοὺς δημοσίους τῶν πολιτῶν ἐμπλήσαντες, τὰς δὲ φρατρίας καὶ τὰ γραμματεῖα τὰ ληξιαρχικὰ τῶν οὐδὲν τῇ πόλει προσηκόντων.“ Übers. Ch. Ley-Hutton. Vgl. Low 2010, 353 f. Andererseits betont Low: „It is not self-evident that the classical Athenians were overwhelmingly proud of, or even aware of, these monuments.“ Sicherlich kann man den Stolz auf und die Beachtung dieser Monumente durch die Athener nicht allein aus dieser Textstelle schließen, betrachtet man aber die Aussagen der Redner insgesamt, so ist dieser Schluss wohl dennoch zulässig. Vgl. zu den Textstellen und ihrer Botschaft insgesamt Liddel 2007, 221. Lykurg. 1,43: „ὅθ’ ἡ μὲν χώρα τὰ δένδρα συνεβάλλετο, οἱ δὲ τετελευτηκότες τὰς θήκας, οἱ δὲ νεὼ τὰ ὅπλα.“ Übers. J. Engels.
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nannt. Lykurgos schließt damit offenbar alle Generationen der bereits verstorbenen Athener in seine Argumentation mit ein.115 Kurz darauf wird ein weiterer Bezug zu den Gefallenen und ihren Gräbern hergestellt. Leokrates habe nicht nur keinen Beitrag zur Verteidigung der Polis geleistet, er habe auch nicht an der „Begräbnisprozession“ („ἐκφορά“) teilgenommen. Dieser Vorwurf bezieht sich also ganz konkret auf die Gefallenen der Schlacht bei Chaironeia. Daraus schließt Lykurgos zunächst, dass diese, ginge es nach Leokrates, unbeerdigt geblieben wären – ein harter Vorwurf, wenn man bedenkt, welche Bedeutung der ordnungsgemäßen Bestattung der Verstorbenen in den griechischen Poleis zukam.116 Neben diesem Vorwurf bringt Lykurgos dann den Aspekt der Sichtbarkeit dieser Gräber mit ein, indem er betont, dass Leokrates „sich nicht einmal beim Vorbeigehen an ihren Gräbern geschämt habe“.117 Im weiteren Verlauf der Rede kommt Lykurgos erneut auf die Gräber der Gefallenen von Chaironeia und das ungebührliche Verhalten des Leokrates ihnen gegenüber zu sprechen.118 Dabei werden auch die Grabepigramme als zusätzliches Medium der Vergegenwärtigung der Vergangenheit mit einbezogen.119 Verdeutlicht durch Gräber oder die Möglichkeit in attischer Erde begraben zu werden, erscheint das Verhalten des Leokrates außerdem als ein Vergehen, das alle Generationen betrifft. Der älteren Generation werde die Möglichkeit verwehrt, „im freien Boden ihres Vaterlandes ihre letzte Ruhestätte zu finden“ und für die Jüngeren, die sich ja noch an ihre Mitkämpfer in der Schlacht erinnerten, müsse der Verrat an den Gräbern dieser Helden umso schwerwiegender erscheinen.120 Auch mythische Helden und ihre Gräber werden in die Argumentation Bei der Neuaushebung von Gräben vor dem proteichisma wurden die Stützmauern teilweise mit Spolien von „Staatsgräbern“ aufgebaut, mit dem abgegrabenen Schutt wurden die linke Seite der Akademiestraße und zerstörte Gräber zugeschüttet, vgl. Stupperich 1977, 259: „Angesichts der drohenden Gefahr wurden die Mauern wichtiger bewertet als die Gräber“. Diese hier so positiv dargestellte „Weiterverwendung“ der Monumente wird bei Aischin. 3,236 scharf kritisiert: „οὐ γὰρ περιχαρακώσαντα χρὴ τὰ τείχη, οὐδὲ τάφους δημοσίους ἀνελόντα τὸν όρθῶς πεποίτευμένον δωρεὰς αἰτεῖν, ἀλλ᾽ ἀγαθοῦ τινος αἴτιον γεγενημένον τῇ πόλει.“ Zu erklären ist dieser Vorwurf dadurch, dass Demosthenes maßgeblich für die Instandsetzung der Verteidigungsanlagen nach 338 verantwortlich war. Vgl. Conwell 2008, 133 mit Anm. 2. Vgl. zu dieser unterschiedlichen Bewertung auch Kap. 2. 116 Vgl. Kurtz/Boardman 1971, 143; Scholl 1996, 91 f.; Graen 2011, 42 f.; Cartledge 2013, 20 f., dort auch der Verweis auf Hdt. 3,38: Um die unterschiedlichen kulturellen Normen verschiedener Völker darzustellen, habe dieser die fundamental gegensätzlichen Begräbnisriten einander gegenübergestellt. Zu den Betrachtungen des Herodot an dieser Stelle vgl. auch Czech-Schneider 1994, 4. 117 Lykurg. 1,45: „ὧν οὗτος οὐδὲ τὰς θήκας παριὼν ᾑσχύνθη, ὀγδόῳ ἔτει τὴν πατρίδα αὐτῶν προσαγορεύων.“ Übers. J. Engels. Vgl. Allen 2000, 27. 118 Lykurg. 1,142; 144. Vgl. Low 2010, 352; Walter-Karydi 2015, 151. Ein ähnlicher, wenn auch positiv formulierter Gedanke zum Grabmonument als Ausdruck der militärischen Pflichten findet sich bei Xen. hell. 2,4,17, dazu Low 2010, 351. 119 Lykurg. 1,142, vgl. dazu auch Kap. 5.4.2. 120 Lykurg. 1,144: „ποία δ’ ἡλικία δικαίως ἂν τοῦτον ἐλεήσειε; πότερον ἡ τῶν πρεσβυτέρων; ἀλλ’ οὐδὲ γηροτροφηθῆναι οὐδ’ ἐν ἐλευθέρῳ ἐδάφει τῆς πατρίδος αὐτοῖς ταφῆναι τὸ καθ’ αὑτὸν μέρος παρέδωκεν. ἀλλ’ ἡ τῶν νεωτέρων; καὶ τίς ἀναμνησθεὶς τῶν ἡλικιωτῶν τῶν ἐν Χαιρωνείᾳ ἑαυτῷ συμπαραταξαμένων καὶ τῶν κινδύνων τὼν αὐτῶν μετασχόντων, σώσειε τὸν τὰς ἐκείνων θήκας προδεδωκότα, καὶ τῇ αὐτῇ 115
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des Lykurgos mit einbezogen. Im Rahmen der ausführlichen Schilderung der Taten des Königs Kodros121 kommt der Redner auch auf dessen Opfertod für die Stadt zu sprechen. Neben „göttergleichen Ehren“ erhielten der König und weitere Könige „auch nach ihrem Tode noch einen Anteil an dem Land, für das sie sich so eifrig eingesetzt hatten.“122 Nur wer sich als dessen würdig erwiese, dürfe also in attischer Erde begraben werden – und das Grab des Königs Kodros als sichtbarer Beweis dieser Aussage war tatsächlich, so zumindest eine spätere Inschrift, am Fuß der Akropolis zu sehen.123 Darüber hinaus wurde Kodros im Neleion, dem Heiligtum seines Sohnes Neleus im Südosten der Stadt, als Heros verehrt.124 Aufgrund seiner Verbrechen sollte Leokrates hingegen keinen Anteil an dem Land erhalten, also nicht in Attika begraben werden.125 Der Kontrast wird nun von einem Vergleich zwischen Kodros und Leokrates auf eine Gegenüberstellung zwischen dem Angeklagten und „die durch ihre Tüchtigkeit ausgezeichneten Bürger“ verschoben. Diese Gegenüberstellung zeigt die besondere Bedeutung des Grabes nicht nur in Verbindung mit den Vorfahren, sondern auch in Verbindung mit der Erde, die diese Gräber aufnimmt. Insgesamt gelingt Lykurgos auch über den steten Verweis auf die Gräber die Konstruktion eines mentalen Bildes von Attika als dem betroffenen Opfer der Verbrechen des Angeklagten. Die Gräber fungieren dadurch als Teil einer Strategie, Athen insgesamt lebendig werden und eine eigene Stimme bekommen zu lassen.126 Die Anführung der Gräber der Vorfahren in der Rede zeigt die zahlreichen Facetten, in denen diese als Denkmäler angebracht werden konnten. Die Spannweite reicht ψήφῳ τῶν μὲν ὑπὲρ τῆς ἐλευθερίας τελευτησάντων παράνοιαν καταγνοίη, τὸν δ’ ἐγκαταλιπόντα τὴν πατρίδα ὡς εὖ φρονοῦντα ἀθῷον ἀφείη;“ Übers. J. Engels. 121 Lykurg. 1,84–88, zur gesamten Passage vgl. Kap. 2. 122 Lykurg. 1,88: „τοιγαροῦν μονώτατοι ἐπώνυμοι τῆς χώρας εἰσίν ἰσοθέων τιμῶν τετυχηκότες, εἰκότως· ὑπὲρ ἧς γὰρ οὕτω σφόδρα ἐσπούδαζον, δικαίως ταύτης καὶ τεθνεῶτες ἐκληρονόμουν.“ Übers. J. Engels. 123 IG II2 4258. 124 Verehrung im Neleion: IG I3 84, vgl. Travlos 1971, 332–334 mit Belegen. Demnach nahm das Heiligtum ein recht großes Gebiet ein und befand sich im Ilissos-Gebiet südöstlich der Akropolis innerhalb der themistokleischen Stadtmauer. Statue in Delphi: Paus. 10,10,1. Vgl. auch Engels 2008, 157; T. Hölscher 2010, 134. Ein weiteres Beispiel für die Verbindung von Mythos und Grab bildet der Mythos der „Sieben gegen Theben“, vgl. hierzu Steinbock 2013a, 159–162: Ihr Begräbnis und der damit verbundene Ort in Eleusis gelte als integraler Bestandteil des Mythos und wird beispielsweise bei Lys. 2,10 genannt. Das Begräbnis der „Sieben“ in Eleusis wird bei Hdt. 9,27,3 erwähnt, die Gräber wurden noch in römischer Zeit an der Straße von Eleusis nach Megara gezeigt (Paus. 1,39,2). Mit diesen Gräbern verbundene Traditionen waren möglicherweise noch früher gebräuchlich, als die Erwähnung bei Herodot vermittelt. In der Gegend wurden neun mittelhelladische Gräber ausgegraben, drei davon beinhalteten Zeichen spätgeometrischer Kultaktivität sowie eine Peribolosmauer vom Ende des 8. Jahrhunderts. Steinbock 2013a, 165 merkt dazu an, dass die Überzeugungskraft der mythischen Beispiele maßgeblich von lokalen Kulten abhänge, die Orte selbst würden dadurch zu „permanent material reminders“ und unterstützten damit auch die Weitergabe von Geschichten an jüngere Generationen. 125 Lykurg. 1,89. 126 Vgl. Allen 2000, 27.
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von den Gräbern der Vorfahren der Familie, die mit bestimmten Riten und Bräuchen verbunden sind, bis hin zu den Gräbern als handelnde Subjekte, die aktiv an der Verteidigung der Polis mitwirken. Hinsichtlich der damit verknüpften „historischen“ Ereignisse beginnt Lykurgos in der mythischen Vorzeit mit Taten und Grab des Königs Kodros, er erwähnt die Gräber der Gefallenen der Perserkriege (davon wird weiter unten noch die Rede sein) sowie die Gefallenen der Schlacht bei Chaironeia und ihre Gräber. Im Rahmen des Harpalos-Prozesses im Jahr 323 nutzen dann gleich mehrere der Redner die Erinnerung an die Verstorbenen, ihre Gräber und ihre Leistungen, um die Richter davon zu überzeugen, in ihrem Sinne abzustimmen. Dabei entfaltet insbesondere Deinarchos im Schlussteil der Rede „Gegen Demosthenes“ ein vielfältiges Bild der ruhmreichen Vergangenheit, das sehr stark räumlich geprägt ist – von diesem Appell an die Richter war schon in der Einleitung zum Kapitel die Rede.127 Vielmehr als mit dem Angeklagten Mitleid zu haben, solle man sich des Landes erbarmen, das dann vom Redner personifiziert wird und selbst um die Verurteilung des Angeklagten bittet. Die Vorfahren hätten um dieses Landes willen viele Gefahren auf sich genommen und seine Freiheit bewahrt – eine mögliche Anspielung auf die Perserkriege. Das Land bewahre zahlreiche paradeigmata der Tugenden der Gefallenen, eine erste Anspielung auf die Gräber, aber auch andere Denkmäler und Monumente wie Tropaia oder auch Ehrenstatuen könnten gemeint sein.128 Daraufhin fordert der Redner die versammelten Athener auf, bei der Stimmabgabe auf das Land, die traditionellen Opfer und die Gräber der Vorfahren zu blicken.129 Während Land und Gräber für die Taten der Vorfahren stehen, bilden die Opferfeiern eine Art rituelles Bindeglied, das die Gemeinschaft in Vergangenheit und Gegenwart zusammenhält. Die Bedeutung der Räumlichkeit in diesem Zusammenhang wird insbesondere durch die Aufforderung zum Hinsehen („ἀποβλέψαντας“) unterstrichen. Daran anschließend betont Deinarchos, dass Demosthenes in seiner Familiengeschichte keine ehrenvollen Vorfahren vorzuweisen habe.130 Zwar folgt an dieser Stelle kein erneuter Verweis auf die Gräber, da diese jedoch in Zusammenhang mit den Vorfahren aller Athener eine so wichtige Stellung einnahmen, könnte auch hier eine solche Anspielung zumindest intendiert sein: Demosthenes kann eben keine Gräber zeigen, die seine Familie mit der ruhmvollen Geschichte Athens in Verbindung bringen. Einen ähnlichen Appell an die Versammelten bringt Hypereides im gleichen Prozess, ebenfalls „Gegen Demosthenes“ an. Die Richter hätten ihre Pflicht zu erfüllen, indem sie besonders auf die Sicherheit der Stadt sowie den übrigen Wohlstand ach-
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Deinarch. 1,109–111. Deinarch. 1,109. Deinarch. 1,110, der griechische Text findet sich in der Einleitung zum Kapitel. Deinarch. 1,111.
Die Gefallenen der Perserkriege und ihre Gräber
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teten. Hypereides fordert die Zuhörer dann auf, sich an die Gräber der Vorfahren zu erinnern und in diesem Sinne die Angeklagten zu bestrafen.131 7.4 Die Gefallenen der Perserkriege und ihre Gräber Eine ausdrückliche Verbindung der Gräber mit den Gefallenen der Perserkriege ist erst für die zweite Hälfte des 4. Jahrhunderts überliefert.132 Wenn Aischines in der „Gesandtschaftsrede“ ein ganzes Panaroma der Erinnerungsräume der Stadt entfaltet, nämlich die Propylaia zusammen mit den Gräbern und Tropaia der Vorfahren als Beispiele benennt, wird in diesem Zusammenhang die Seeschlacht bei Salamis als historisches Ereignis erwähnt.133 Dabei wird durch die Verben „ἀποβλέπειν“ und „μεμνῆσθαι“ der visuelle Aspekt mit dem Prozess der Erinnerung verknüpft. Da hier gemeinsam mit den Gräbern auch Tropaia in der Mehrzahl genannt werden, ist es wahrscheinlich, dass nicht nur die Gefallenen dieser Schlacht gemeint sind. Aischines kritisiert an dieser Stelle zwar die Konzentration anderer Redner auf diese Aspekte der Vergangenheit, räumt aber selbst ein, dass man sich an all diese Dinge erinnern solle.134 Sehr viel stärker mit den Ereignissen und Personen der Perserkriege verbunden ist ein Teil des Schlussplädoyers der Rede „Gegen Ktesiphon“, in dem zunächst darauf hingewiesen wird, dass Demosthenes einen goldenen Kranz erhalten solle, obwohl er doch Bestechungsgelder von den Persern angenommen habe. Dem werden die Helden der Perserkriege und ihre Gräber in einer eindrucksvollen Personifizierung gegenübergestellt. Aischines fragt die versammelten Athener:
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Hyp. 5,39: „καὶ εἰς τοὺς τάφους τοὺς τῶν προγόνων, τιμωρήσασθαι τοὺς ἀδικοῦντας ὑπὲρ ἀπάσης τῆς πόλεως […].“ Vgl. dagegen Grethlein 2010, 115, der die Formulierung „οἱ ἐνθάδε κείμενοι ἄνδρες“ bei Lys. 2,54 auf die Gefallenen der Perserkriege bezieht. Meiner Ansicht nach betrifft diese Formulierung aber mehrere Generationen von Gefallenen des 5. Jahrhunderts, unter ihnen auch die Gefallenen der Perserkriege, die mit den Worten beschrieben werden: „Καθ᾽ ἕκαστον μὲν οὖν οὐ ῥᾴδιον τὰ ὑπὸ πολλῶν κινδυνευθέντα ὑφ᾽ ἑνός ῥηθῆναι, οὐδὲ τὰ ἐν ἅπαντι τῷ χρόνῳ πραχθέντα ἐν μιᾷ ἡμέρᾳ δηλωθῆναι. τίς γὰρ ἂν ἢ λόγος ἢ χρόνος ἢ ῥήτωρ ἱκανὸς γένοιτο μηνῦσαι τὴν τῶν ἐνθάδε κειμένων ἀνδρῶν ἀρετήν;“ In 2,55–57 werden dann die Ruhmestaten der Perserkriege sowie die Vorherrschaft des 5. Jahrhunderts geschildert. Vgl. ebenso auch Bravo 2006, 116: „Si riferiscono sicuramente agli Ateniesi che durante i settant’ anni dell’ egemonia ateniese sono caduti in varie guerre che hanno reso possibile la libertà dei Greci.“ Aischin. 2,74: „ἀνιστάμενοι δὲ οἱ συντεταγμένοι ῥήτορες, περὶ μὲν τῆς σωτηρίας τῆς πόλεως οὐδ᾽ ἐνεχείρουν λέγειν, ἀποβλέπειν δὲ εἰς τἀ προπύλαια τῆς ἀκροπόλεως ἐκέλευον ὑμᾶς, καὶ τῆς ἐν Σαλαμῖνι ναυμαχίας μεμνῆσθαι, καὶ τῶν τάφων τῶν προγόνων καὶ τῶν τροπαίων.“ Besprechung der weiteren Elemente der Stelle in den Κapiteln 3.1 und 8.4. Aischin. 2,75. Darüber hinaus sind gerade die erhaltenen Reden des Aischines insgesamt sehr stark von Vergangenheitsbezügen durchzogen.
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Die Gräber der Vorfahren
„Denkt ihr nicht, dass Themistokles und die Gefallenen von Marathon und Plataiai und diese Gräber der Vorfahren aufstöhnen werden, wenn ein Mann, der einräumt, dass er sich mit den Barbaren gegen die Griechen verschworen hat, bekränzt wird?“135
Hier steht Themistokles als herausragende Einzelgestalt gemeinsam mit den Gefallenen von Marathon und Plataiai stellvertretend für die Erfolge der Athener gegen die Perser. Die Gräber der Gefallenen dienen als sichtbare Zeichen ihrer Opfer für die Stadt – und auch hier können durchaus die Gefallenen weiterer Schlachten mit angesprochen sein. Diese Passage weist Bezüge zur erhaltenen Verteidigungsrede des Demosthenes aus dem gleichen Prozess auf. In einem längeren Abschnitt setzt sich dieser mit dem Vorbild der Vorfahren auseinander, um zu zeigen, dass im Jahr 338 keine andere als die von ihm vorgeschlagene Politik möglich war.136 Demosthenes versichert den Athenern, dass sie zu Recht Gefahren auf sich genommen hätten, um Freiheit und Sicherheit für alle zu gewährleisten – gemeint wird hier zunächst die nicht lange zurückliegende Schlacht bei Chaironeia sein. Als Vergleich bringt Demosthenes dann die Vorfahren an, die für die gleichen Ziele gekämpft hätten. Er nennt die Schlachten bei Marathon, Plataiai, Salamis und Artemision (in dieser Reihenfolge), ohne einen der Protagonisten wie Miltiades, Aristeides oder Themistokles zu erwähnen, und schließt in einem weiteren Schritt alle anderen tapferen Männer mit ein, die in den öffentlichen Gräbern lägen, begraben durch die Polis und alle mit denselben Ehren – gleichgültig ob sie erfolgreich oder erfolglos gewesen seien.137 Auch hier erfolgt die Überleitung von den Gefallenen der Perserkriege zu den Gräbern aller Gefallenen Athens. Diese Gräber bekommen ihre Bedeutung durch die paradigmatischen Handlungen derjenigen, die in ihnen bestattet wurden. Diese vorbildhafte, symbolische Bedeutung der Männer und ihrer Gräber wird dadurch unterstrichen, dass sie von Demosthenes als Teil eines Schwurs angebracht werden. Auch Lykurgos befasst sich kurz mit den Gräbern der Gefallenen an den Thermopylen und bei Marathon. Wichtiger als diese Gräber selbst sind in diesem Zusammenhang aber die inschriftlichen Epigramme als zusätzliche Medien der Erinnerung.138
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Aischin. 3,259: „Θεμιστοκλέα δὲ καὶ τοὺς ἐν Μαραθῶνι τελευτήσαντας καὶ τοὺς ἐν Πλαταιαῖς καὶ ἀυτοὺς τοὺς τάφους τοὺς τῶν προγόνων οὐκ οἴεσθε στενάξειν, εἰ ὁ μετὰ τῶν βαρβάρων ὁμολογῶν τοῖς Ἕλλησιν ἀντιπράττειν στεφανωθήσεται;“ Demosth. 18,199–210. Vgl. Yunis 2005, 29 f. Demosth. 18,208: „μὰ τοὺς Μαραθῶνι προκινδυνεύσαντας τῶν προγόνων, καὶ τοὺς ἐν Πλαταιαῖς παραταξαμένους, καὶ τοὺς ἐν Σαλαμῖνι ναυμαχἠσαντας καὶ τοὺς ἐπ᾽ Ἀρτεμισίῳ, καὶ πολλοὺς ἑτέρους τοὺς ἐν τοῖς δημοσίοις μνήμασιν κειμένους ἀγαθοὺς ἄνδρας, οὓς ἅπαντας ὁμοίως ἡ πόλις τῆς αὐτῆς ἀξιώσασα τιμῆς ἔθαψεν, Αἰσχίνη, οὐχὶ τοὺς κατορθώσαντας αὐτῶν οὐδὲ τοὺς κρατήσαντας μόνους.“ Vgl. Low 2010, 353; Westwood 2017, 64, der die Passage als Antwort auf Aischin. 3, 259 interpretiert. Lykurg. 1,109, vgl. dazu ausführlich Kap. 5.4.2. Gräber und Inschriften an den Thermopylen sind auch bei Hdt. 7,228; Diod. 11,33,2 sowie Strab. 9,4,2; 16 bezeugt, vgl. Hartmann 2010, 316.
Verräter ohne Grab
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Betrachtet man die erhaltenen Textstellen zu den Gräbern der Gefallenen der Perserkriege, so fällt die zeitliche Verdichtung der Reden ab dem Ende der 340er Jahre sowie die geringe Zahl an Beispielen insgesamt auf. Nur Aischines, Demosthenes (auch in direkter Bezugnahme aufeinander) und Lykurgos beziehen die Thematik in ihre Reden ein, wobei die Gräber dann gleichzeitig auch mit weiteren Generationen der für die Polis Gefallenen in Zusammenhang gebracht werden. 7.5 Verräter ohne Grab Gegenüber der paradigmatischen Symbolik und Sichtbarkeit der Gräber der Vorfahren muss die Forderung, athenischen Bürgern das Begräbnis in der attischen Erde zu verweigern, umso schwerwiegender erscheinen. In der Gerichtsrede „Über das Pferdegespann“, in der sich der Sohn des Strategen Alkibiades zu Beginn des 4. Jahrhunderts gegen eine Anklage zur Wehr setzte, sein Vater habe dem Teisias ein Pferdegespann gestohlen, werden die Verdienste des Alkibiades und seiner Familie mütterlicherseits, der Alkmeoniden, in den Mittelpunkt gestellt. Diese hätten sich der Tyrannis der Peisistratiden entgegengestellt und seien dafür hart bestraft worden: Die Peisistratiden nämlich hätten nicht nur ihre Häuser zerstört, sondern auch die Gräber der Familie aufgraben lassen.139 Lykurgos fordert diese Strafe in der Rede „Gegen Leokrates“ als Strafe für den Angeklagten,140 bringt aber auch im Rahmen seiner Aufzählung der strengen Ahndung von Verbrechen durch die Vorfahren einen solchen Vorfall an. In Zusammenhang mit der Erzählung über die postume Bestrafung des Phrynichos wegen Verrates an der Polis schildert Lykurgos, wie die Knochen des Phrynichos ausgegraben und außer Landes geschafft wurden, „damit in der Heimaterde nicht einmal die Knochen eines Mannes beerdigt liegen sollten, der dieses Land und die Polis verraten habe.“ Selbst seine Verteidiger seien hingerichtet und nicht in attischer Erde bestattet worden.141 Die beiden Beispiele zeigen eindrücklich, welche ideelle Bedeutung der Bestattung in der attischen Erde zukam. Der Gedanke, dass das Begräbnis in Attika ein Privileg darstellte, von dem verurteilte Verräter sowie der asebeia Schuldige ausgeschlossen
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Isokr. 16,26: „τετταράκοντα δ᾽ ἔτη τῆς στάσεως γενομένης ὑπὸ μὲν τῶν τυράννων τοσούτῳ μᾶλλον τῶν ἄλλων ἐμισήθησαν, ὥσθ᾽ ὁπότε τἀκείνων κρατήσειεν, οὐ μόνον τὰς οἰκίας αὐτῶν κατέσκαπτον ἀλλὰ καὶ τοὺς τάφους ἀνώρυττον […].“ Vgl. Stähler 1993, 19. 140 Lykurg. 1,89. 141 Lykurg. 1,113–115, Zitat 113: „καὶ ψηφίζεται ὁ δῆμος Κριτίου εἰπόντος τὸν μὲν νεκρὸν κρίνειν προδοσίας, κἂν δόξῃ προδότης ὢν ἐν τῇ χώρᾳ τεθάφθαι, τά τε ὀστᾶ αὐτοῦ ἀνορύξαι καὶ ἐξορίσαι ἔξω τῆς Ἀττικῆς, ὅπως ἂν μὴ κέηται ἐν τῇ χώρᾳ μηδὲ τὰ ὀστᾶ τοῦ τῆν χώραν καὶ τὴν πόλιν προδιδόντος.“ Übers. J. Engels. Vgl. die ausführlichere Besprechung auch des historischen Hintergrundes in Kap. 2.
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Die Gräber der Vorfahren
waren, wird darüber hinaus in mehreren weiteren Reden sowie in der „Hellenika“ des Xenophon geäußert.142 Die besondere Bedeutung des Begräbnisses in attischer Erde und das Verbot dieses Begräbnisses bei besonderen Verbrechen könnte auch mit dem gerade bei den Rednern vielzitierten Mythos der Autochthonie in Zusammenhang stehen, in dem die Abstammung aus der attischen Erde hervorgehoben wird. Es ist unwahrscheinlich, dass sich die athenischen Bürger tatsächlich im wörtlichen Sinne als „erdgeboren“ betrachteten, vielmehr handelt es sich um einen topos der kollektiven Autochthonie aller Bürger, abgeleitet vom Mythos des erdgeborenen Königs Erichthonios/Erechtheus. Nicht zuletzt ist die Autochthonie der Athener besonders in den Epitaphien ein beliebtes Thema, dass die edle Abstammung und die enge Verbundenheit der Athener mit ihrem Land aufzeigt.143 7.6 Fazit Der eingangs genannte Befund von Polly Low erscheint insofern als richtig, als die „Gräber der Gefallenen“ nicht oder nur selten im Zentrum der Aufmerksamkeit der Reden stehen. Zum Einen vervielfacht sich jedoch die Anzahl der relevanten Textstellen, die Bestandteil dieses Kapitels sind, wenn man auch einfachen Formulierungen wie „die Gräber der Vorfahren“ oder „die hier bestatteten Männer“ einen räumlichen, durchaus auch monumentalen Charakter zuspricht. Ein direkter Vergleich mit anderen Monumenten in Athen erscheint außerdem schwierig, um den Stellenwert der Gräber einschätzen zu können: So wird zum Beispiel das Monument für die Demokraten aus Phyle, das Low als Kontrast anbringt,144 nur einmal in den erhaltenen Reden und in einem bestimmten Argumentationskontext genannt – wahrscheinlich auch ein Grund dafür, dass es vom Redner so ausführlich vorgestellt werden muss. Die Gräber der Vorfahren waren hingegen, gerade für die Zuhörer beim epitaphios, unmittelbar präsent und bedurften keiner langen Erläuterungen – ob ein Monument ausführlich besprochen oder nur kurz erwähnt wurde, sagt somit zunächst einmal nichts über seine Bedeutung für die Zuhörer aus. Im vorliegenden Kapitel wurde der Untersuchungsgegenstand darüber hinaus auch auf die Gräber der persönlichen Vorfahren ausgedehnt, unabhängig davon, ob diese im Krieg gefallen waren oder nicht. Dadurch ergibt sich ein vielschichtiges Bild des Umgangs der Athener mit den Gräbern der Toten vergangener Generationen. Der Bezug auf diese Gräber konnte in Zusammenhang
142 Xen. hell. 1,7,22; Lys. 12,96 (hier jedoch als Verbot der dreißig Tyrannen); Hyp. 4,18. Vgl. Liddel 2007, 217. 143 Zur Entstehung des Mythos der Autochthonie und seiner Verwendung bei den Rednern vgl. Belege und Literatur in Kap. 2. 144 Vgl. Low 2010, 354.
Fazit
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mit der Familiengeschichte über einzelne und konkret benannte Gräber und Grabmäler erfolgen, während der Bezug auf die Gräber der Vorfahren insgesamt oder auch auf die öffentlichen Gräber eher allgemein gehalten war. Die Gräber der Vorfahren stellen zunächst ein wichtiges Element des Selbstverständnisses als athenischer Bürger dar. Dies zeigt sich insbesondere im Fall von Erbschaftsstreitigkeiten oder in Diskussionen um die Abstammung von einer Familie, in denen die Gräber dazu dienten, die besonders enge Verbindung zu der jeweiligen Familie darzustellen und zu beweisen. Eine engere Verbindung zur Polis insgesamt ergibt sich aus der Bedeutung der Gräber als Teil der Fragen bei der dokimasia – nur, wer die Gräber seiner Vorfahren in Athen und Attika nachweisen kann, ist befähigt, ein Amt für die Polis zu übernehmen. Die öffentlichen Gräber der Vorfahren aller Athener konnten vielfältige Funktionen übernehmen. Sie sollten an die Verstorbenen erinnern und ihre Leistungen, insbesondere ihre Aufopferung für die Polis, allen vor Augen führen. Gerade durch die Verknüpfung von öffentlichem Raum, Monumenten und Bildern in den und durch die Reden und den damit verbundenen rituellen Handlungen (zumindest in Zusammenhang mit den Epitaphien) wurde ein bestimmtes Bild und eine spezifische Wahrnehmung der Toten und ihrer Leistungen für die Polis befördert,145 als deren visuellem Beleg ihren Grabstätten erhebliche Bedeutung zugesprochen werden kann.
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Vgl. auch die zusammenfassenden Bemerkungen bei Arrington 2015,14.
8 Tropaia als sichtbare Zeichen des Sieges „Ich meine allerdings, dass ihr euch dieser Dinge entschlossen annehmen müsst und so handelt wie es der Polis würdig ist, indem ihr bedenkt, dass ihr es gern hört, wenn jemand eure Vorfahren lobt, von ihren Taten erzählt und von ihren Tropaia spricht. Ihr solltet bedenken, dass eure Vorfahren die Tropaia nicht aufgestellt haben, damit ihr diese bewundernd anschaut, sondern damit ihr die Tugenden derjenigen nachahmt, die sie aufgestellt haben.“1
Mit diesem Appell beschließt Demosthenes die Rede „Über die Freiheit der Rhodier“ und zumindest in diesem Punkt müssen seine Zuhörer in der Volksversammlung ihm Recht geben – auch wenn sie seinen Vorschlägen dann doch nicht zustimmen werden.2 Tatsächlich sind sie in zahlreichen Reden, nicht nur vor der Volksversammlung, sondern auch bei Prozessen oder in Gefallenenreden auf die Tropaia der Vorfahren hingewiesen worden, kraftvolle Symbole für die Siege der Polis in der Vergangenheit. Nur zu verständlich, dass auch der junge Redner Demosthenes seine Rede mit diesem Bild einer Vergangenheit beendet, die es nachzuahmen gilt. 8.1 Historische Entwicklung des Tropaions Das Tropaion war im 5. und 4. Jahrhundert fester Bestandteil eines kriegerischen Konfliktes: Es bestand aus einem einfachen hölzernen Pfosten oder Baumstumpf, an dem eine Panoplie sowie weitere Beutewaffen befestigt waren. Es wurde auf dem Schlachtfeld selbst genau an der Stelle errichtet, an der die Gegner sich zur Flucht gewendet 1
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Demosth. 15,35: „ἐγὼ μὲν οὖν οἶμαι δεῖν ὑμᾶς ἀντιλαμβάνεσθαι τῶν πραγμάτων τούτων ἐρρωμένως, καὶ πράττειν ἄξια τῆς πόλεως, ἐνθυμουμένους ὅτι χαίρετ᾽ ἀκούοντες, ὅταν τις ἐπαινῇ τοὺς προγόνους ὑμῶν καὶ τὰ πεπραγμέν᾽ ἐκεῖνοις διεξίῃ καὶ τὰ τρόπαια λέγῃ. νομίζετε τοίνυν ταῦτ᾽ ἀναθεῖναι τοὺς προγόνους ὑμῶν οὐχ ἵνα θαυμάζητ᾽ αὐτὰ θεωροῦντες, ἀλλ᾽ ἵνα καὶ μιμῆσθε τὰς τῶν ἀναθέντων ἀρετάς.“ Zum historischen Hintergrund der Rede vgl. Trevett 2011, 257–261, zu den möglichen Gründen für die Ablehnung der Vorschläge des Demosthenes 260 f.; vgl. auch Radicke 1995, 53 f.; MacDowell 2009, 223. Zur Textstelle vgl. auch Kap. 8.2.
Historische Entwicklung des Tropaions
315
hatten. Die Errichtung wurde von Kulthandlungen begleitet, da die Tropaia gleichzeitig auch Weihgeschenke an Zeus Tropaios waren. Das Tropaion war ein deutliches Zeichen dafür, dass die errichtende Konfliktpartei den Sieg für sich beanspruchte und dies auch von der unterlegenen Partei nicht verhindert werden konnte.3 Meist war damit auch die Erlaubnis an die Unterlegenen verknüpft, ihre Gefallenen zu bergen.4 Auch nach Seeschlachten wurde ein Tropaion errichtet, entweder an der am nächsten gelegenen Küste oder auch im Ausfahrthafen der siegreichen Flotte.5
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Vgl. immer noch grundlegend Woelcke 1911, 127–235; F. Lammert, s. v. „tropaion“ (1), in: RE VII A 1 (1939), Sp. 663–673; Janssen 1957, 6 f. (zur Wortbedeutung); ebenda, 39–50 zu Bedeutung und Verwendungskontexten des Tropaions. Allerdings werden dort methodisch problematisch aus späteren Quellen (besonders Plutarch) auf Gegebenheiten des 5. und 4. Jhs. Rückschlüsse gezogen. Ausführliche Angaben zu den Bestimmungen und Kontexten der Aufstellung eines Tropaions Pritchett 1974, 252–263; Sage 1996, 100–103 mit Diskussion zentraler Quellen; T. Hölscher 1998b, 157 f. mit starker Betonung der politischen Komponente; vgl. neuerdings auch Stroszeck 2004; Krentz 2007, 173; Lissarague/Schnapp 2007, 35 sowie ausführlich Rabe 2008, zum formalen Ablauf 6–11, zum Erscheinungsbild 22–26 sowie zuletzt Kinnee 2018. Zur Funktion als Weihgeschenk an Zeus Tropaios vgl. West 1969, 8 und Anm. 8 mit weiterer Literatur. Die religiöse Komponente des Tropaions wird in der Forschung kontrovers diskutiert und besonders von Stähler 1992, 5–7 in den Mittelpunkt gerückt, sie ist weiterhin besonders in der französischsprachigen Forschung prominent, allerdings mit unterschiedlichen Ergebnissen und Schwerpunkten: Picard 1957, bes. 24–34 sowie 16 dezidiert gegen eine repräsentative Funktion des griechischen Tropaions; Lonis 1979, 136–140 (140: Tropaion als „statue de Zeus arbitre de l’agôn“) und neuerdings Giovannini 2007, 152; 205: der Sieger „érigeait un trophée qui représentait Zeus Tropaios“. Stark betont wird die religiöse, ja magische Komponente auch bei Kinnee 2018, 2 („necromantic talisman“); 7 („magical talisman“); 21 („the mystical trophy as a talisman of ‚black magic‘“) und besonders 25–30, wobei aber auch immer die weiteren politisch-militärischen und sozialen Bedeutungsnuancen mit in den Blick genommen werden. Gerade der Aspekt der „Nekromantie“ in Zusammenhang mit dem Tropaion kann jedoch nicht durch Quellen belegt werden und ist deshalb abzulehnen. Differenziert zum Zusammenspiel von religiösem und profanem Aspekt Jacquemin 2000, 63, das Tropaion bezeichne „la constatation d’un fait et une relation de reconnaissance au dieu suprême“; vgl. auch die Überlegungen bei Stroszeck 2004, 319 f.; Rabe 2008, 19–22. Die ausschließliche oder dominierende religiöse Funktion erscheint besonders vor dem Hintergrund der literarischen Quellen unwahrscheinlich, da dort die Tropaia selten in einem religiösen Kontext stehen. Eine Ausnahme bildet der Gorgias zugeschriebene Epitaphios, der die Tropaia ausdrücklich als „Weihegaben für Zeus“ bezeichnet (Fr. 6,4 Buchheim); West 1969, 9–11 sieht auch eine moralische Funktion in der Vergänglichkeit des Tropaions, die durch das Material gegeben war: Ebenso sollten auch die Konflikte zwischen den griechischen Poleis nicht auf Ewigkeit zur Schau gestellt werden und für den Unterlegenen sei das Tropaion ja gerade ein Zeichen der Niederlage mit beschämender Wirkung gewesen. Umgekehrt sollte es für den Sieger auf die Vergänglichkeit des Schlachtenglücks hindeuten. Zum hölzernen Tropaion als Zeichen der Niederlage vgl. bes. ebenda, 13. Jacquemin 2000, 63 hat dagegen zu Recht darauf hingewiesen, dass es sich bei dieser moralischen Bewertung um eine spätere Entwicklung handelt (stellvertretend Diod. 13,24,5–6), die panhellenische Gedanken der Zeit widerspiegeln, vgl. auch Stroszeck 2004, 312 f. Vgl. Pritchett 1974, 259. Vgl. Jacquemin 2000, 63; Krentz 2007, 175. Ein Seetropaion wurde dem Poseidon geweiht. Ein deutliches Beispiel für die Errichtung eines Tropaions nach einem Seesieg, weit entfernt vom eigentlichen Schlachtort, bildet Thuk. 8,42,4, wonach die Spartaner nach ihrem Sieg über die Athener 412/11 mehr als 80 km zurücklegten, um das Tropaion auf Syme zu errichten, also in einem von den Athenern kontrollierten Gebiet, eine deutliche Machtdemonstration an den Gegner. Zu
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Tropaia als sichtbare Zeichen des Sieges
Wann genau die Aufstellung eines Tropaions nach einer Schlacht gebräuchlich wurde, kann aufgrund mangelnder Quellen nicht mehr nachvollzogen werden. Eine ungefähre Annäherung ist über die genauere Funktionsbestimmung der Tropaia möglich. Wenn man diese mit Tonio Hölscher nicht nur als formale Feststellung der siegreichen Partei und Weihung an eine Gottheit interpretiert, sondern als „der erste Schritt politischer Selbstrepräsentation“ begreift, ist die Entstehung des Phänomens um die Mitte des 6. Jahrhunderts wahrscheinlich.6 Eine weite Verbreitung ist erst für das 5. Jahrhundert belegt. Aufschlussreich für die allgemeine Bedeutung der Aufstellung eines Tropaions unmittelbar nach der Schlacht ist die Überlieferung bei Plutarch in Zusammenhang mit der Schlacht bei Plataiai 479: Zwischen Athenern und Spartanern sei ein Streit entbrannt, wer ein Tropaion für alle Griechen errichten dürfe, schließlich habe man sich darauf geeinigt, den Plataiern diese Ehre zu überlassen.7 Über das unmittelbar nach einer Schlacht aufgestellte, hölzerne Tropaion hinaus konnten später an gleicher Stelle oder auch in nahegelegenen Heiligtümern sowie in der Polis des Siegers steinerne Siegesdenkmäler aufgestellt werden. Auch diese wurden als Tropaia bezeichnet.8 Solche steinernen oder sogar marmornen Tropaia sind
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dieser Episode vgl. auch Pritchett 1974, 273; Van Wees 2004, 215. Vgl. auch Thuk. 2,92,3–5: Hier wird der Sieg nach der Schlacht bei Naupaktos 429 von beiden Parteien beansprucht. Die Athener errichten ein Tropaion an dem Ort, von dem sie zur Schlacht ausgefahren waren, die Peloponnesier im achaiischen Rhion. T. Hölscher 1998b, 157; vorsichtiger Jacquemin 2000, 63: „Il ne semble pas que la coutume ait été largement répandue avant l’époque classique“, mit Verweis auf eine ähnliche Anordnung von Beutewaffen bei Hom. Il. 10,465–468, dazu auch Pritchett 1974, 249; Kinnee 2018, 35 f.; für eine Entstehung des Brauches zumindest vor 490 plädieren Stähler 1992, 78 sowie M. Meyer 2005, 279 mit Anm. 10. Aufgrund der Datierungsproblematik finden sich in der Forschung teilweise recht vage Formulierungen, die die lange Tradition der Aufstellung von Tropaia betonen, vgl. neuerdings noch stellvertretend Giovannini 2007, 205 „une coutume très ancienne“, hingegen wird auch eine Datierung in das 5. Jh. mehrfach befürwortet, vgl. z.B. Sage 1996, 101; Krentz 2002; Stroszeck 2004, 309 mit Verweis auf Aischyl. Sept. 276 f.; Van Wees 2004, 138; Kinnee 2018, 22–25. Vgl. auch die ausführlichen Betrachtungen bei Rabe 2008, 11–14; 18, die zu dem Schluss kommt, dass die Frage nach der Entstehungszeit anhand der vorliegenden Quellen nicht zu beantworten sei. Plut. Aristeides 20,1–2, dazu auch H. Beck 2009, 62 f. Diese Unterscheidung von ephemeren und dauerhaften Tropaia hat bereits Woelcke 1911, 142 f. getroffen. Sie ist in der Forschung weithin übernommen worden, vgl. z.B. Gauer 1968a, 14; West 1969, 9; Pritchett 1974, 250; R. Hurschmann, s. v. „Tropaion“, in: DNP 12,1 (2002), 872 f.; Jacquemin 2000, 63; Rabe 2008, 2 f. Belege für die Bezeichnung der marmornen Denkmäler als Tropaia schon im 5. Jh.: Aristoph. Equ. 1334; Vesp. 711; Fr. 413K (Athen. Deipnos. 3,111A); dazu ausführlich West 1969, 12 f.; Rabe 2008, 40. Zu erklären ist die Möglichkeit einer „Verewigung“ des Tropaions eventuell dadurch, dass das ungeschriebene Gebot der Verwendung von vergänglichem Material nicht für Siege gegen Nicht-Griechen galt, vgl. dazu West 1969, 11 mit Bezug auf Cic. Inv. 2,23,69; vgl. auch die Vermutung bei Sage 1996, 101, Tropaia aus Holz seien die Norm gewesen, während man dauerhafte Tropaia in Gegenden aufgestellt habe, die man für längere Zeit dominieren konnte oder zu können glaubte, allerdings ohne weitere Ausführung. Diese Annahme lässt sich m. E. aus den Quellen nicht ableiten.
Historische Entwicklung des Tropaions
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aus den antiken Quellen besonders für die Schlachtorte der Perserkriege bekannt, archäologisch aber schwer nachzuweisen.9 Grundsätzlich ist festzustellen, dass die Verwendung des Tropaion, über seine konkrete Verwendung nach einer Schlacht hinaus, unter den griechischen Poleis weit verbreitet war – unabhängig von Ausmaß und Bedeutung des Kampfgeschehens. Dies zeigt sich durch die Bemühung um eine „Verewigung“ des Monuments in Stein, aber auch die Darstellung von Tropaia auf verschiedenen Bildträgern: So sind ab der Mitte des 5. Jahrhunderts mehrere attische Vasen überliefert, die das Motiv einer Tropaion errichtenden bzw. bekränzenden Nike zeigen.10 Es handelt sich dabei um Bilder aus dem privaten Bereich des Symposions, das Thema erfuhr jedoch im Relief auch Aufmerksamkeit im öffentlichen Raum. Bekanntestes Beispiel für Athen sind die Darstellungen mehrerer Tropaia, die von Niken errichtet und geschmückt werden, auf der Balustrade des Athena-Nike-Tempels: Diese Tropaia „weisen nicht einmal auf einen einzigen historischen Vorgang, sondern repräsentieren in einem idealen Schaubild die ruhmreiche kriegerische Vergangenheit Athens insgesamt.“11 Die Prominenz des Tro9
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Zu den Tropaia der Athener als Erinnerungsträger der Perserkriege ausführlich Kap. 8.4. Überliefert wird auch ein Tropaion-Monument der Delphier für die erfolgreiche Abwehr eines zur Plünderung des Heiligtums ausgeschickten Persertrupps, Diod. 11,14,2–4 (zum Ereignis Hdt. 8,35–39, allerdings wird die Errichtung eines Tropaions nicht erwähnt); Vgl. Meritt 1947, 58–62 mit der Edition des dazugehörigen Epigramms; Gauer 1968a, 14; Chaniotis 1988, 238 datiert das von Meritt edierte Epigramm in die Zeit kurz nach 400 (ev. 380?) und betont, dass es sich dabei nicht unbedingt um ein Original aus der Zeit der Perserkriege handeln muss, sondern dieses auch erst im 4. Jh. gedichtet worden sein kann, dort auch die weitere Literatur zur Textedition; Gauer 1994, 174, der zu Recht darauf hinweist, dass die Plünderung des Heiligtums schwerlich stattgefunden haben kann, da Delphi perserfreundlich eingestellt war, die tatsächliche Existenz eines solchen Tropaions ist also ebenfalls fragwürdig; optimistischer Jacquemin 1994, 193, die auch Reiseberichte anführt, die von Überresten dieses Tropaions berichtet hätten, allerdings ohne Belege; vgl. auch M. Meyer 2005, 299 Anm. 125; Rabe 2008, 109 f.; Kinnee 2018, 43. Von einem bronzenen Tropaion bei Leuktra berichtet Cic. Inv. 2,23,69, dazu Rabe 2008, 129–132; Kinnee 2018, 52 f. Tropaion 447 in Boiotien: Plut. Agesilaos 19,2; bronzenes Tropaion in Kleinasien aus der Zeit um 410: Plut. Alkibiades 29,2; weitere Beispiele bei Lonis 1979, 268 f. sowie Rabe 2008, 111–116; Kinnee 2018, 49–55. Darunter besonders Boston, Mus. Fin. Arts 20.187 = ARV2 857.2, dazu neuerdings Kinnee 2018, 6 und zu den Vasenbildern insgesamt 46 f. Vgl. auch die Zusammenstellung A. Goulaki-Voutira, s. v. „Nike. Klassische Zeit“, in: LIMC 6 (1992), 859–881, Nr. 159–167 sowie Thöne 1999. Ausführlich und überzeugend T. Hölscher 1997, 143–166, Zitat 157, der die von den Niken vollzogenen Handlungen (Tropaia und Opfer in Anwesenheit der Athena) mit den okkasionellen niketeria zur Feier eines militärischen Sieges in Zusammenhang bringt. Vgl. auch ders. 1973, 93 und 95 mit dem Hinweis auf ein weiteres Tropaion im Hintergrund der Darstellung des Westfrieses desselben Bauwerks und 1998b, 173–176; Knell 1990, 147–149; Stähler 1992, 77 f.; 84; Brouskari 1999, insbesondere 93–102; Holtzmann 2003, 160–163; Rabe 2008, 56–59. Andere Deutungen der dargestellten Rituale bei Simon 1985/86 (chthonische Opfer zu Ehren des Theseus) sowie dies. 1997; Jameson 1994, 307–324 (Opfer zu Beginn eines Feldzuges); Thöne 1999, 64–73 (agonale Siegesfeiern im Rahmen der Panathenäen); Kinnee 2018, 48 f. Ein weiteres Relief von der Akropolis mit Tropaion-Darstellung vom Ende des 5. Jhs. ist Akropolismuseum Nr. 3173 ( J. Anderson 1970, Pl. 11). Zu Tropaion-Darstellungen auf verschiedenen Bildträgern vgl. Janssen 1957, 51 f.; 62–64 und der ausführliche Katalog 81 ff. (dort wird auf die griechischen Darstellungen allerdings meist nur in den Fußnoten verwiesen). Darstellungen finden sich danach im 5. Jahrhundert zunächst auf Vasen und
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paions in bildlichen Darstellungen seit der Mitte des 5. Jahrhunderts wird von Britta Rabe durch die Möglichkeit der Abbildung eines „gemeinschaftlich errungenen Sieges“ durch dieses Motiv erklärt.12 Auch in der Geschichtsschreibung des späten 5. und des 4. Jahrhunderts wird die Errichtung von Tropaia oft erwähnt: Bei Thukydides sowie in der Hellenika des Xenophon kommt der Begriff allein 88 Mal vor.13 Die weite Verbreitung des Motivs zeigt, dass es sich um ein Prestigesymbol von großem psychologischem Wert handelte, das noch weit über den eigentlichen Konflikt hinaus Zeugnis von der militärischen arete der Sieger gab.14 Es handelte sich somit um ein dezidiert politisches Monument, das von den Qualitäten des Siegers zeugte.15 Durch die Monumentalisierung in Stein wurde der Denkmalcharakter des Siegeszeichens noch einmal gesteigert.16
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Reliefs, ab dem 4. Jahrhundert auch auf Münzen und vereinzelt auf Gemmen. Allerdings sind in Athen erst in hellenistischer Zeit Münzen mit Tropaiondarstellungen als Beizeichen geprägt worden, die frühen Beispiele stammen vor allem aus Kleinasien, Unteritalien und Sizilien. Vgl. die ausführliche Zusammenstellung der Münzmotive (nach damaligem Forschungsstand) bei Woelcke 1911, 200–205. Die Darstellung auf Vasen und Reliefs korrespondiert mit den zwei Ebenen der Funktion von Bildern, wie sie von T. Hölscher 1998b, 155 beschrieben werden: „Public monuments created political identity […], objects of social life, especially equipment of symposia and religious rituals, presented in their images the society’s ideal concepts and models.“ Zu den bildlichen Darstellungen zuletzt ausführlich Rabe 2008, 44–76 sowie Kinnee 2018, 46–49. Rabe 2008, 74–76 (Zitat 74). Diese Zahl nennt Pritchett 1974, 272, die Belege dazu ausführlich in tabellarischer Form ebenda, 264–269. Herodot erwähnt dagegen keine Tropaia, dazu Pritchett 1974, 263 und 270 mit einigen vagen Erklärungsversuchen („Herodotos’ interest was focused on the award of aristeia after the battle“ bzw. „Herodotos felt that his audience did not need to be told who won the great battles of the Persian Wars.“) Vgl. auch Rabe 2008, 6 mit Anm. 3; Kinnee 2018, 36–38 (Thukydides); 39 f. (Xenophon). Vgl. Janssen 1957, 46; Pritchett 1974, 273; am eindrücklichsten formuliert bei T. Hölscher 1998b, 157: „Trophies originated in the sixth century, not primarily as religious offerings to the gods by victorious warriors, but as a monumental, celebratory sign of victory, set up collectively by the army on the place of its glorious success.“ Verschiedentlich wurde versucht, die Prominenz des Motivs allein durch die religiöse Bedeutung der Tropaia zu erklären. T. Hölscher 1998b, 157 f., der davon ausgeht, dass die politische Bedeutung als Siegesmonument dem Tropaion von Beginn an inhärent war. Vgl. dagegen die ältere Forschung wie beispielsweise West 1969, 13 f., der einen Bedeutungswandel vom Zeichen der Niederlage und der Beschämung des Unterlegenen zu einem Siegeszeichen feststellt und diesen vor allem auf das erste steinerne Tropaion für den Sieg bei Marathon zurückführt. Vgl. Miller 1997, 31 f. in Bezug auf das Tropaion von Marathon: „The monument evidently replaced the tropeia set up immediately after the battle […], effecting a transformation from trophy to memorial.“ Der Unterschied zwischen „trophy“ und „memorial“ wird an dieser Stelle allerdings nicht weiter erläutert, auch die ephemeren Tropaia konnten sicherlich sowohl Trophäe als auch Denkmal sein. Diese strikte Trennung findet sich auch bei Kinnee 2018, 50. M. Meyer 2005, 279 bezeichnet dagegen auch die ephemeren Siegeszeichen als Denkmäler, die den Sieg kommemorieren sollen, ebenso auch schon Hölkeskamp 2001, 337.
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8.2 Tropaia bei den attischen Rednern Die große Aussagekraft und bildliche Wirkung des Tropaions spiegelt sich auch in den Reden des 4. Jahrhunderts: Tropaia werden keineswegs nur vereinzelt und im militärischen Kontext angeführt.17 Ab dem Ende des 5. Jahrhunderts bis 330 spielen Tropaia in den Schilderungen vergangener Ereignisse eine Rolle, sei es vor der Volksversammlung, vor Gericht, in Gefallenenreden oder auch in Reden, die der epideiktischen Redegattung zuzurechnen sind. Frühester Beleg ist die „Rede gegen den Umsturz der Verfassung“ des Lysias, die in das Jahr 403 datiert wird, spätester Beleg die Reden des Demosthenes und des Aischines aus dem „Kranzprozess“ des Jahres 330. Die Tropaia dienen im Kontext der Reden nicht nur als Symbole für Sieg oder Niederlage, sondern sollen als „konkrete Objekte“ angeschaut werden und bestimmte Reaktionen hervorrufen.18 Am deutlichsten wird dies im Schlussparagraphen der „Rede für die Freiheit der Rhodier“ des Demosthenes, der schon zu Beginn des Kapitels zitiert wurde:19 Dort appelliert der Redner an die versammelten athenischen Bürger, sich der zuvor geschilderten Probleme anzunehmen wie es sich den Athenern gebührt. Sie sollten sich daran erinnern, wie gerne sie den Rednern zuhörten, wenn diese die Vorfahren rühmten, ihre Heldentaten beschrieben und ihre Tropaia aufzählten. Die Vorfahren hätten diese Tropaia jedoch nicht zur Bewunderung durch die Nachkommen aufgestellt, sondern damit die Tugenden der Männer, die sie aufgestellt hatten, nachgeahmt würden.20 Deutlich werden in diesem kurzen Abschnitt drei Punkte: Erstens gehörte es offenbar zum Standardrepertoire der Redner, sowohl die Vorfahren und ihre Taten als auch die damit verbundenen Siegeszeichen als räumliche Anknüpfungspunkte anzuführen. Zweitens konnten und sollten diese Tropaia noch Jahrzehnte nach den Ereignissen von den Nachfahren der damaligen Kämpfer betrachtet und als Markierung entscheidender konkreter Ereignisse der glorreichen Geschichte gelesen 17 18 19 20
Wie es z. B. in der Geschichtsschreibung des Thukydides der Fall ist: Die siegreiche Partei eines geschilderten Konfliktes stellt nach bestandener Schlacht ein Siegeszeichen auf, bzw. über die unterlegene Partei wird ein Tropaion errichtet, vgl. Kap. 8.1. Vgl. so schon bei West 1969, 13 sowie ähnlich Pritchett 1974, 273. Zur Datierungsproblematik der Rede vgl. ausführlich Karvounis 2002, 175–192 mit der älteren Literatur. Für eine Frühdatierung 353/2 hat sich zuletzt auch Trevett 2011, 257 f. ausgesprochen, MacDowell 2009, 229 befürwortet dagegen eine Datierung in das Jahr 351. Demosth. 15,35. Vgl. den Kommentar zur Rede bei Radicke 1995. Zum Argumentationsgang der Rede auch Karvounis 2002, 192–221, allerdings ohne den Schlussparagraphen mit einzubeziehen. Die hier vorgenommene Charakterisierung des Tropaions (bzw. der Tropaia) als „wirkliches, greifbares Dauermonument“ hebt auch Tsitsiridis 1998, 279 hervor und sieht parallel dazu auch die Formulierung bei Plat. Mx. 240d. Eine ähnliche Formulierung auch bei Demosth. 13,26, ebenfalls eine Volksversammlungsrede vom Ende der 50er Jahre des 4. Jhs.: Dort ist die Nennung von Tropaia mit der Aufzählung weiterer Monumente im Stadtgebiet selbst verbunden, vgl. Kap. 3.1. Ähnliche Formulierungen finden sich dann in der 348 gehaltenen „3. Olynthischen Rede“, Demosth. 3,23–31, dazu MacDowell 2009, 226 f. Die genannten Beispiele werden in den folgenden Kapiteln genauer untersucht.
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werden: Es müssen also dauerhafte, aus Stein errichtete Tropaion-Denkmäler gemeint sein.21 Und drittens dienen sie als greifbare Vorbilder und Aufforderung dazu, die Taten der Vorfahren nachzuahmen – sie sind sichtbare paradeigmata.22 Diese Aufforderung zur Nachahmung wird besonders dadurch unterstrichen, dass die Vorfahren persönlich als Errichter dieser Tropaia benannt werden, „die abstrakte Forderung des axia prattein tes poleos wird so auf eine persönliche Ebene gehoben.“23 Einen besonderen Stellenwert bekommen diese Aussagen dadurch, dass sie den Abschluss der genannten Rede bilden.24 An dieser Stelle konnte der Redner sicherlich keine Überlegungen anbringen, die nicht der allgemeinen Auffassung seiner Zuhörer entsprachen. Es bedurfte vielmehr einer Formulierung, die die Zuhörer emotional ansprach, ihre Werte und Überzeugungen auf den Punkt brachte und sie somit zum Handeln aufforderte. Die Bedeutung von Tropaia in der politischen Diskussion wird im „Gesandtschaftsprozess“ des Jahres 343 deutlich. In dieser nicht nur rechtlichen, sondern auch rednerischen Auseinandersetzung zwischen Demosthenes und Aischines geht es um die Rolle der beiden Redner bei der Aushandlung und Diskussion des sogenannten Philokratesfriedens drei Jahre zuvor. Besonders das Verhalten des Aischines stand dabei zur Debatte, hatte Demosthenes ihn doch formal angeklagt, sich bei den Verhandlungen mit Philipp II. und den anschließenden Debatten vor der Volksversammlung entgegen den Interessen der Polis Athen verhalten zu haben. In diesem Prozess spielt die Argumentation mit der Vergangenheit eine tragende Rolle, auch indem die beiden Redner mehrfach zu den historischen Bezügen des Gegners Stellung nehmen.25 Im Rahmen des Prozesses wird von Demosthenes gleich mehrfach der Vorwurf vorgebracht, Aischines habe anlässlich der Volksversammlung zur Diskussion der Friedensbedingungen Philipps II.26 den Athenern geraten, weder der Vorfahren, noch ihrer Seeschlachten oder Tropaia zu gedenken, sondern die Friedensbedingungen zu akzeptieren und keine anderen Poleis darin mit einzubeziehen.27 Demosthenes nennt zunächst zwar weder Namen noch Orte in Verbindung mit diesem Vorwurf, da er jedoch von „See-
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Vgl. auch Radicke 1995 mit dem Kommentar ad loc. Steinbock 2013a, 84 (zu Demosth. 15,35): „τρόπαια were indeed regarded as palpable symbols for the community’s accomplishments and as incentives for a younger generation to emulate the ἀρετή of their forefathers …“; vgl. auch Thomas 1989, 50–51 mit Anm. 119 sowie Clarke 2008, 281; 285. Radicke 1995, 166 ad loc. Demosthenes verweist in Volksversammlungsreden des Öfteren am Schluss auf die Vorfahren: Demosth. 3,36; 9,74; 10,73 f.; 13,34; 14,41. Vgl. Radicke 1995, Kommentar ad loc. Vgl. den Kommentar zu beiden Reden bei Paulsen 1999 mit Nennung der jeweiligen Bezüge ad loc. und neuerdings Steinbock 2013b, 65–103. Vgl. die Einleitung zu Kap. 3 mit der weiteren Literatur. Demosth. 19,16: „…ὡς οὔτε τῶν προγόνων ὑμᾶς μεμνῆσθαι δέοι οὔτε τῶν τὰ τρόπαια καὶ τὰς ναυμαχίας λεγόντων ἀνέχεσθαι, νόμον τε θήσειν καὶ γράψειν μηδενί τῶν Ἑλλήνων ὑμᾶς βοηθεῖν, ὃς ἂν μὴ πρότερος βεβοηθηκῶς ὑμῖν ᾖ.“ Vgl. auch den Kommentar bei MacDowell 2000, ad loc. und zuletzt Canevaro 2017, 180; Kinnee 2018, 41 sowie Wojciech 2018, 172 f.
Tropaia bei den attischen Rednern
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schlachten“ spricht, wird wohl insbesondere die Schlacht bei Salamis gemeint sein.28 Nachdem er den Vorwurf gleich zu Beginn der narratio eingebracht hat, wird dieser zu Beginn des Schlussteils noch zweimal vertiefend wiederholt, zunächst ähnlich knapp wie zu Beginn der Rede,29 dann aber detaillierter, indem Aischines’ ehrbares Verhalten vor der Gesandtschaft seinem ehrlosen Verhalten bei der anschließenden Beratung gegenübergestellt wird. Zunächst habe dieser über „Marathon, Salamis, Schlachten und Tropaia“ gesprochen, kaum habe er jedoch makedonischen Boden betreten, habe er angeraten, sich nicht an die Vorfahren zu erinnern und auch nicht von Tropaia zu sprechen.30 Hier wird also ganz direkt auf Marathon und Salamis und die damit verbundenen Siegeszeichen Bezug genommen: Zunächst ihre positive Darstellung durch Aischines, dann ihre Ablehnung quasi als Verrat an den Wertvorstellungen der Polis.31 In seiner Verteidigungsrede nimmt Aischines dann auf diese konkreten Anklagepunkte ebenfalls mehrfach Bezug, zweimal bezieht er dabei auch die Tropaia mit ein.32 Zunächst erfolgt eine Wiederaufnahme des Vorwurfs seines Gegners, den Aischines sofort vehement bestreitet.33 Diese Ablehnung richtet sich natürlich vor allem gegen den Vorwurf, er habe zuerst gegen den von Philokrates ausgehandelten Frieden gesprochen, dann aber am zweiten Tag der Versammlung den Friedensschluss befürwortet. Die Tatsache, dass die Ablehnung der Erinnerung an die Vorfahren, die Siege und die Tropaia hier eigens erwähnt wird, zeigt aber, dass gerade diese Themen von einiger Bedeutung waren und Aischines um ihren Einfluss auf die Zuhörer genau wusste. Ebenfalls aus diesem Grunde versucht er wohl kurz darauf genauer zu erläu28 29 30
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Vgl. den Kommentar bei Yunis 2005, 125 Anm. 25 ad loc. Demosth. 19,307. Demosth. 19,311: „ἐκεῖν᾽ ἃ διεξῆλθον ἐν ἀρχῇ δεδημηγορηκώς, τὸν Μαραθῶνα, τὴν Σαλαμῖνα, τὰς μάχας, τὰ τρόπαια, ἐξαίφνης ὡς ἐπέβη Μακεδονίας, πάντα τἀναντία τούτοις, μὴ προγόνων μεμνῆσθαι, μὴ τρόπαια λέγειν, μὴ βοηθεῖν μηδενί, μὴ κοινῇ μετὰ τῶν Ἑλλήνων βουλεύεσθαι, μόνον οὐ καθελεῖν τὰ τείχη.“ Vgl. Paulsen 1999, 339 (Kommentar zu Aischin. 2,63); Ruffing 2006, 24; Clarke 2008, 257, dort auch die starke Betonung der Tatsache, dass gerade die erhaltenen Reden des Aischines sehr häufig auf die athenische Vergangenheit Bezug nehmen; Hunt 2010b, 232 mit Anm. 31; Steinbock 2013b, 68, der die durch Demosthenes überlieferten Äußerungen des Aischines als „scandalous“ bezeichnet; ähnlich auch Demosthenes selbst gegen Ende seiner Rede (19,312): „καίτοι τούτων αἰσχίους λόγοι οὐδένες πώποτ᾽ ἐν τῷ παντὶ χρόνῳ γεγόνασι παρ᾽ ὑμῖν.“ In einem ähnlichen Tenor setzt Demosthenes seine Rede bis Paragraph 313 fort. MacDowell 2000 weist in seinem Kommentar zu Demosth. 19,16 (ad loc.) darauf hin, dass Demosthenes Aischines’ Wortwahl nicht genau zitiere, sondern in seinen eigenen Worten wiedergebe, u. a. sicherlich auch, „because the summary in his own words makes the speech appear to have been more outrageous than it actually was.“ Vgl. dort auch zum Argumentationskontext wie er bei Demosthenes einerseits, bei Aischines andererseits dargestellt wird und knapp bei Canevaro 2017, 180 f. Aischin. 2,63; 74 f.; 138; 171. Aischin. 2,63 f. Damit verknüpft ist der Vorwurf an die Adresse des Demosthenes, Aischines’ damalige Rede falsch wiedergegeben zu haben, Aischin. 2,69. Vgl. dazu Clarke 2008, 258 f.; Steinbock 2013b, 75 und 82, wo er dahingehend zu Recht betont, dass Aischines Demosthenes’ Vorwurf nicht generell abstreitet, „but seeks to show that his references to the past were more nuanced than Demosthenes claims.“ (82)
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Tropaia als sichtbare Zeichen des Sieges
tern, wie seine Äußerungen in diesem Punkt gemeint waren, indem er die Situation in der Volksversammlung am 19. Elaphebolion 346 aus seiner Sicht schildert. Mehrere Redner hätten sich abgesprochen und in ihren Reden keinerlei Maßnahmen für die Rettung der Stadt vorgeschlagen. Stattdessen hätten sie ihre Zuhörer aufgefordert, auf die Propylaia der Akropolis zu blicken und sich an die Seeschlacht bei Salamis und die Gräber und Tropaia der Vorfahren zu erinnern.34 Hier erscheint die Argumentation mit der Vergangenheit anhand von Ereignissen, in diesem Fall der Seeschlacht bei Salamis, sowie besonders anhand von damit verknüpften Erinnerungsräumen, den Propylaia, den Gräbern und den Tropaia, als gängige Redepraxis besonders in Entscheidungssituationen. Eine solche Argumentationsweise lehnt Aischines in dieser Form jedoch ab35 und plädiert stattdessen dafür, zwar an diese Dinge zu denken, jedoch nur die Weisheit und die Ruhmestaten der Vorfahren nachzuahmen, ihre Irrtümer und fehlgeleiteten Ambitionen aber zu vermeiden.36 Auch im „Kranzprozess“ mehr als zehn Jahre nach diesen Ereignissen spielen die Erinnerungsräume der Stadt eine bedeutende Rolle. Hier wirft Demosthenes es seinem Gegner Aischines allerdings vor, über Tropaia, Schlachten und große Taten der Vorfahren gesprochen zu haben, da diese Aufzählung von Ereignissen und damit verbundenen Räumen gar nicht mit dem vorliegenden Fall in Zusammenhang stehe.37 Welche Tropaia Demosthenes an dieser Stelle meint, wird nicht deutlich. Da er sich auf die Anklagerede des Aischines bezieht, sind damit vielleicht auch Monumente und Denkmäler verschiedenster Art gemeint, die an vergangene Leistungen der Athener erinnern. Im betreffenden Abschnitt der Rede des Aischines spricht dieser im Rahmen eines regelrechten „Rundgangs“ durch die Erinnerungslandschaft Athens von den Hermeninschriften zu Ehren der Siege gegen die Perser bei Eion am Strymon, von den Gemälden der Stoa Poikile sowie den Ehrungen für die Demokraten aus Phyle.
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Aischin. 2,74 f., vgl. auch die Besprechung in der Einleitung zu Kap. 3 (mit dem griechischen Text) sowie in den Kapiteln 3.1 und 7.3. Zuvor (2,70–73) hatte Aischines die ausweglose militärische Situation zum Zeitpunkt der Debatte geschildert, nach dem genannten Vorwurf an die Adresse der anderen Redner folgt die Wiedergabe seiner eigenen Rede zur Unterstützung des Vorschlags des Philokrates (2,75–79). Vgl. Hobden 2007, 495 f. Als Ruhmestaten nennt er mehrere Schlachten der Perserkriege sowie die Expedition des Tolmides, die dann genannten Katastrophen sind die Sizilische Expedition, die Abweisung des spartanischen Friedensvorschlags im Peloponnesischen Krieg mit der nachfolgenden totalen Niederlage und der Herrschaft der Dreißig (2,75–77). Am Schluss nennt Aischines als Quelle für diese Informationen seinen Vater und seinen Onkel. Vgl. zur Struktur der Verteidigung des Aischines Steinbock 2013b, 69. Demosth. 18,209, im Folgenden dann aber grundsätzlich positiv gegenüber den Taten der Vorfahren als Maßstab für die Akteure der Gegenwart, wenn es um die Beurteilung öffentlichen Handelns geht. Auch unmittelbar vor dieser Kritik hatte sich Demosthenes in Form eines feierlichen Eides auf die Vorfahren, die bei Marathon, Plataiai, Salamis und Artemision gekämpft hatten, bezogen (18,208). Insofern spricht er Aischines das Recht ab, eines seiner argumentativen Kernthemen, nämlich die athenische Vergangenheit, zu benutzen bzw. zu missbrauchen. Vgl. Usher 1993 ad loc.
Ruhm und Sieg im 5. Jahrhundert
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Diese wurden von Demosthenes vielleicht an dieser Stelle als Tropaia der Taten der Athener im übertragenen Sinne verstanden, da sie ebenso von ruhmreichen Siegen der Vergangenheit kündeten.38 Dass über die Anführung der Tropaia diskutiert und gestritten wurde, haben die genannten Textstellen gezeigt. Im Folgenden soll herausgearbeitet werden, in welchen historischen Zusammenhängen der rhetorischen und politischen Argumentation das Motiv des Tropaions eine Rolle spielt. 8.3 Ruhm und Sieg im 5. Jahrhundert Die Tropaia können zu Sinnbildern für den Ruhm und die Sieghaftigkeit einer ganzen Epoche werden. Dies gilt besonders für das 5. Jahrhundert vor dem Ausbruch des Peloponnesischen Krieges, wenn sie von den Rednern als Vorbild für die Gegenwart herangezogen werden. Schon in dem als Volksversammlungsrede verfassten Pamphlet „Gegen den Umsturz der Verfassung“, das an das Ende des 5. Jahrhunderts datiert wird, heißt es: „Aber mit dem Gedanken daran, dass wir auch schon vielen in Not Geratenen geholfen und in fremdem Land viele Siegeszeichen über die Feinde errichtet haben, sollen wir als tapfere Männer nun für unser Vaterland und für uns selbst einstehen, im Vertrauen auf die Götter und in der Hoffnung darauf, dass das Recht auf der Seite der Bedrängten sein wird.“39
Hier wird also einerseits auf die frühere militärische Leistungsfähigkeit des athenischen Demos hingewiesen, der sich nicht nur durch die große Zahl an Siegeszeichen ausgezeichnet habe, sondern diese auch noch weit entfernt von der Heimat aufgestellt habe. Im Geiste dieser Errungenschaften müssten die Athener nun aber in der gegenwärtigen schwierigen Lage vor allem die Probleme in ihrer Polis bekämpfen, um erneut eine stabile Demokratie wiederherzustellen.40 Wird hier noch auf die veränderten Bedingungen der Rede Rücksicht genommen und darauf hingewiesen, dass diese Tro-
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Die Kritik des Demosthenes an dieser Stelle bezieht sich wohl besonders auf Aischin. 3,181–190, vgl. die Anmerkung bei Yunis 2005, ad loc. sowie schon Wankel 1976 ad loc. (968 f.), der auch auf die Nennung von Tropaia in beiden Reden des Gesandtschaftsprozesses hinweist; vgl. Zuercher 1983 Anm. 67 ad loc., der betont, dass der Vorwurf des Demosthenes an dieser Stelle unterblieben wäre, hätte Aischines mit der oben genannten Passage „nicht ziemlichen Eindruck gemacht“. Zum Rundgang des Aischines über die Agora vgl. besonders Kap. 5.5. Lys. 34,10: „ἀλλὰ γὰρ χρὴ ἀναμνησθέντας ὅτι ἤδη καὶ ἑτέροις ἀδικουμένοις βοηθήσαντες ἐν τῇ ἀλλοτρίᾳ πολλὰ τρόπαια τῶν πολεμίων ἐστήσαμεν, ἄνδρας ἀγαθοὺς περὶ τῆς πατρίδος καὶ ἡμῶν αὐτῶν γίγνεσθαι, πιστεύοντας μὲν τοῖς θεοῖς καὶ ἐλπίζοντας ἐπὶ τὸ δίκαιον μετὰ τῶν ἀδικουμένων ἔσεσθαι.“ Übers. I. Huber. Zum historischen Hintergrund der Rede vgl. Kap. 6.4.3.
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Tropaia als sichtbare Zeichen des Sieges
paia zwar bewundernswert seien, im Moment aber andere Dinge drängender, so ist die Vorherrschaft des 5. Jahrhunderts in der „3. Olyntischen Rede“ des Demosthenes 50 Jahre später allein leuchtendes Vorbild für die Gegenwart, dem es nachzueifern gilt.41 Hier wird die Zeit der Vorherrschaft im Delisch-Attischen Seebund mit verschiedenen Komponenten in Verbindung gebracht: Macht über die anderen Griechen, materieller Wohlstand, Unterlegenheit der Makedonen und eben militärische Erfolge „zu Lande und zu Wasser“, also in allen Bereichen der griechischen Welt, die durch „viele herrliche Siegeszeichen“ sichtbar gemacht werden.42 Die Tatsache, dass weder Orte der Siege noch Namen genannt werden, macht einerseits die große Zahl der Siege deutlich, andererseits wird suggeriert, dass die Zuhörer mit den Erfolgen ihrer Vorfahren vertraut waren. 8.4 Die Perserkriege und ihre Tropaia Diese Vertrautheit lässt sich besonders für die Schilderungen der Ereignisse der Perserkriege nachweisen, die oft mit den Siegeszeichen der verschiedenen Schlachten in Verbindung gebracht werden. Dies könnte auch dadurch zu erklären sein, dass die Tropaia von Marathon und Salamis zur Zeit der Reden noch existierten und damit für die Zuhörer tatsächlich noch sichtbar waren. Überreste eines solchen marmornen „Tropaion-Denkmals“ wurden in Marathon identifiziert. Es handelt sich dabei um eine ca. 10 m hohe Säule mit ionischem Kapitell aus pentelischem Marmor. Sie wurde vermutlich von einem ebenfalls marmornen Tropaion gekrönt, an seiner Seite eine Nike, die das Tropaion vorbereitete oder bekränzte.43 Dieses Denkmal wird in die 60er Jahre des 5. Jahrhunderts datiert. Zeitnah wurden auch verschiedene andere Monumente errichtet, die an die ruhmreichen Taten 41
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Demosth. 3,24 als Teil einer Passage (3,23–31), die sich mit den Errungenschaften der Vorfahren u. a. auch auf der Basis von Monumenten und Bauwerken beschäftigt; zu den ähnlichen Formulierungen und Beispielen bei Demosth. 13,26–31 vgl. MacDowell 2009, 226 f. und 237 und Kap. 3.2; ausführlich zum historischen Hintergrund und zur Datierung der Rede auch in Zusammenhang mit den beiden ersten Olynthischen Reden Karvounis 2002, 287–316 mit der älteren Literatur, ebenda, 340–342 auch zur Kritik an den führenden Politikern, mit der diese Passage in Zusammenhang steht. Demosth. 3,24: „πολλὰ δὲ καὶ καλὰ καὶ πεζῇ καὶ ναυμαχοῦντες ἔστησαν τρόπαι᾽ αὐτοὶ στρατευόμενοι, μόνοι δ᾽ ἀνθρώπων κρείττω τὴν ἐπὶ τοῖς ἔργοις δόξαν τῶν φθονούντων κατέλιπον.“ Brun 2015, 111 vermutet, dass an dieser Stelle besonders an die Schlachten von Marathon und Salamis erinnert werden sollte. Paus. 1,32,5. Vgl. Vanderpool 1966, 93–106 Taf. 31–34; Gauer 1968a, 14; West 1969, 7 f.; Welwei 2000a, 188 f.; Clairmont 1983, 111 f. Nr. 6B; Müller 1987, 667 f. mit Abb. 16; Travlos 1988, 254 Abb. 315, 316; Stähler 1992, 4 f. Taf. 2,1; Petrakos 1996, 26–30 mit einer genauen Beschreibung des Fundkontextes und Rekonstruktion der Säule (Abb. 8); Miller 1997, 31 f.; T. Hölscher 1998a, 100 f.; 1998b, 157 f.; Welwei 1999, 39; Jacquemin 2000, 64; Hölkeskamp 2001, 341 Taf. 43d; Goette/Weber 2004, 30; 87 f. Abb. 106-108; M. Meyer 2005, 299; Jung 2006, 122; Rabe 2008, 101–104 mit Tafel 29,1, die
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der Perserkriege erinnern sollten, wie die Statuengruppe mit Miltiades, umgeben von Göttern und Heroen, in Delphi, die Gemälde der Stoa Poikile sowie die Bronzestatue der Athena Promachos auf der Akropolis.44 In verschiedenen Komödien des Aristophanes wird das dauerhafte Tropaion von Marathon dann ausdrücklich erwähnt.45 „In einem Siegesdenkmal, das im Gegensatz zum alten Tropaion eben nicht vergänglich war, wurde hier die Erinnerung an Marathon […] geradezu in einem bewussten Akt der Verewigung in Stein monumentalisiert.“46 Das Tropaion stand dabei nicht isoliert, sondern war Teil einer regelrechten Erinnerungslandschaft auf dem Schlachtfeld. Dazu gehörten auch das Monument bzw. Grab des Miltiades und der Grabhügel für die gefallenen Athener. Aufschluss über die mit diesem Ensemble erinnerungsträchtiger Orte und Monumente verbundenen Memorialpraktiken erhält man besonders durch Inschriften aus der hellenistischen Zeit. So ist ein Zug der Epheben im Rahmen ihrer Ausbildung nach Marathon für das Jahr 123/2 belegt. Die Epheben zogen zum Grab der Marathonkämpfer und ehrten die Gefallenen mit Kränzen und einer Libation.47 Im Zuge der Ephebenausbildung erfolgte
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sich jedoch dafür ausspricht, dass lediglich eine schreitende Nike als Bekrönung angebracht war (104); Keesling 2010, 125 f.; Kinnee 2018, 50 f. Vgl. West 1969, 9; Hölkeskamp 2001, 341–346 zum Monument respektive „Grab“ des Miltiades auf dem Schlachtfeld, zur Statuengruppe mit Miltiades in Delphi, zur Athena Promachos und zu den Gemälden der Stoa Poikile; Jung 2006, 122 und ausführlich zu den anderen Monumenten für Marathon 96–108 (Weihgeschenke in Delphi) sowie 109–122 (Stoa Poikile); Hartmann 2010, 312 f. M. Meyer 2005, 299 Anm. 125 befürwortet eine Datierung um die Mitte des 5. Jahrhunderts, u. a. sei in dieser Zeit das Motiv der Tropaion schmückenden Nike aufgekommen, ebenda mit den Belegen und der weiteren Literatur sowie die Belege in Kap. 8.1. Kinnee 2018, 50 bezieht auch die so genannte Nike des Kallimachos in die Betrachtung mit ein, da hier ebenfalls ein Säulenmomument von einer Nikestatue bekrönt würde. Vgl. zu diesem Monument ausführlich Keesling 2010, die das Tropaion von Marathon als „closely related successor to the Callimachus dedication“ (125) bezeichnet – durch das stilistische Merkmal einer nicht-kannelierten Säule seien beide Monumente zudem visuell mit der unvollendeten Architektur des Älteren Parthenon verknüpft (127 f.). Aristoph. Equ. 1334: „τῆς γὰρ πόλεως ἄξια πράττεις καὶ τοῦ Μαραθῶνι τροπαίου.“; Vesp. 711; Fr. 413K (Athen. Deipnos. 3,111A). Zur Interpretation dieser Textstellen vgl. bes. West 1969, 12 f. Das Tropaion von Marathon wird auch in einer nur fragmentarisch erhaltenen Elegie des Kritias erwähnt (Fr. 2 Diels/Kranz), vgl. dazu Jost 1936, 25. Hölkeskamp 2001, 341; vgl. auch Lindenlauf 2003, 54, die die Ersetzung von hölzernen durch steinerne Tropaia als „Akt der Identitätskonstruktion“ bezeichnet; vgl. dagegen Stähler 1992, 5–7 mit starker Betonung der religiösen Komponente der Aufstellung u. a. wegen der beigefügten Nike-Figur, wohingegen der Ruhm der Sieger von Stähler als „nachgeordnete Komponente“ (7) gesehen wird. Ob die „übernatürliche Ursache“ aber den „Ort der Erinnerungsmale“ bestimmte, scheint zweifelhaft. Sicherlich kann eine religiöse Komponente der Tropaia nicht abgestritten werden, wie die Verknüpfung mit Zeus Tropaios sowie mit Opferhandlungen nach der Errichtung und noch weit darüber hinaus zeigen, aber zumindest den Ort der Aufstellung bestimmte zunächst einmal das Schlachtgeschehen selbst. Vgl. auch die Diskussion dieser Frage in Kap. 8.1. IG II2 1006,26 f.; 69 f.; noch später Paus. 1,32,3–4; vgl. Pélékidis 1962, 253; Jung 2006, 176–181 auch zur Beteiligung der Epheben am Fest der Artemis Agrotera, das schon unmittelbar nach der Schlacht mit Marathon in Verbindung gebracht wurde. Vgl. dazu und zur Raumbezogenheit dieses Kultes auch Schmidt-Hofner 2016, 361 f.
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außerdem eine Begehung der Erinnerungsorte Marathon und Salamis.48 Auch wenn Entstehungszeit und Ausgestaltung der Ephebie vor der Reform 336/5 äußerst umstritten sind und aufgrund der Quellenlage nicht mehr bestimmt werden können,49 so ist es wahrscheinlich, dass diese für eine spätere Zeit überlieferten Feste auf Vorformen der klassischen Zeit basierten.50 Solche Erinnerungsrituale sind für andere Schlachtenorte 48 49
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Zu den „Ortsbegehungen“ der Epheben vgl. H. Beck 2009, 55 mit einer Zusammenfassung der drei Teile der Ephebenausbildung; Hartmann 2010, 313–316, allerdings skeptisch gegenüber einer regelmäßige Begehung von Marathon; Steinbock 2011, 297–299; Kellogg 2013, 272. Die Hauptquelle zur Ephebie im 4. Jh. bildet Aristot. Ath. Pol. 42 aus den 330er bzw. 320er Jahren. In die gleiche Zeit fällt der Beleg zum Ephebeneid bei Lykurg. 1,76 f., vgl. dazu den Kommentar bei Engels 2008 ad loc. Hinweise auf eine militärische Ausbildung der Jugend aber auch schon bei Aischin. 1,49; 2,167 sowie Demosth. 19,303. Der militärische Teil der Ausbildung bildete den Schwerpunkt, allerdings erwähnt Aristot. Ath. Pol. 42,3: „Diese versammeln nun die Epheben und führen sie zunächst durch die Heiligtümer“; vgl. auch Demosth. 19,303; Philochoros FGrH 328 F 15. Eventuell sind die schon bei Thuk. 1,105 und 2,13 erwähnten neoi und neotatoi als Epheben zu verstehen. Grundlegend zur reformierten Ephebie des 4. Jhs.: Burckhardt 1996, 26–75, bes. 29–33 (zu Entstehung und Entwicklung); 56 f. (zur Beteiligung der Epheben an Kulten und zum Rundgang durch die Heiligtümer) mit der älteren Literatur. Casey 2013, bes. 418–427 mit weiterer Literatur; Kellogg 2013, 264–266. Auch in der älteren Forschung ist die Existenz eines Vorläufers der 336/5 reformierten Ephebie befürwortet worden: Vgl. hier besonders Reinmuth 1952 sowie ders. 1971 zu den Ephebeninschriften (die Zusammenstellung ist jedoch als veraltet zu bewerten. Kritisch zur Frühdatierung einiger Inschriften Burckhardt 1996, 29 mit Anm. 9; vgl. auch Hartmann 2010, 313–316) und Roscam 1969, der sich besonders auf bildliche Darstellungen von jungen Männern auf Vasen seit der 2. Hälfte des 5. Jhs. stützt; vgl. auch Pélékidis 1962, 71–79; Steinbock 2011, 294 f. Vorsichtig optimistisch Jung 2006, 61–66; vgl. auch Welwei 1991, 58 und 62; Hölkeskamp 2001, 340. Ob die Begehung wichtiger Erinnerungsorte sowie die Teilnahme an dort stattfindenden Polisfesten schon im 4. Jh. Teil einer weniger institutionalisierten Ephebenausbildung war, ist umstritten. Dazu grundsätzlich positiv H. Beck 2009, 56 f. Wenn es Vorformen eines solchen Brauches schon im 5. bzw. 4. Jahrhundert gegeben hat, dann hatte sogar jeder athenische Bürger, der die Ephebie durchlaufen hatte, dieses Tropaion schon einmal zu Gesicht bekommen. Wie viele Bürger eines Jahrganges vor der reformierten Ephebie tatsächlich die militärische Ausbildung durchliefen, kann für die Zeit vor 336/5 aufgrund mangelnder Quellen allerdings nicht mehr erschlossen werden, vgl. Burckhardt 1996, 32 und zu den erhöhten Teilnehmerzahlen nach der Reform 33–43; zur Problematik der Weiterführung älterer Rituale ebenda, 56 f. Vgl. dagegen Jung 2006, 180: „Die Annahme, daß eine besondere Ehrung der Gefallenen durch die jungen athenischen Bürger nicht vor der Ära Lykurgs und der in dieser Zeit durchgeführten Neuordnung der Ephebie eingeführt wurde, ist wahrscheinlich.“ Auch H.-J. Gehrke, s. v. „Ephebeia“, in: DNP 3 (1997), Sp. 1071–1075 sieht die „kultische Verehrung der Vorfahren, v. a. der Helden der Perserkriege“ (1074) als markantes Charakteristikum der hellenistischen Zeit; ähnlich auch Burckhardt 2004, 200–202, der aber durchaus treffend anmerkt, dass im Einzelfall nicht klar sei, „an welchen Kulten die Epheben seit alters teilnahmen und wo sie neu beansprucht wurden, oder ob die Quellen lediglich verstärkt auf die Partizipation der Epheben an vielen städtischen Kulten eingehen.“ Für einen Beginn dieser „zivilen Komponente“ der Ausbildung im Rahmen der „lykurgischen Restaurationsphase“ plädieren außerdem Schmidt-Hofner 2016, 378 mit Anm. 56 und bereits Steinbock 2011, 294–311. Hölkeskamp 2001, 340 vermutet einen „Zug der Jungmannschaft […] spätestens seit der Institutionalisierung der Ephebie“; vgl. auch die Beteiligung der neaniskoi bei der Prozession in Plataiai, Plut. Aristeides 21,3. Cartledge 2013, 157 betont hingegen den Unterschied zwischen den „Epheben“ als Altersklasse bereits im 5. Jahrhundert und der Institution der Ephebie, die erst im letzten Drittel des 4. Jahrhunderts eingerichtet worden sei.
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der Perserkriege, wie zum Beispiel Plataiai, schon für die Zeit unmittelbar nach den Ereignissen anzunehmen: In einer Totenfeier für die in der Schlacht gefallenen Griechen zog eine Prozession zu den Gräbern der Gefallenen, die Grabstelen wurden gesalbt und bekränzt, ein Stier wurde geopfert.51 Durch den historisch bedeutsamen Ort, an dem diese Totengedenken stattfanden, verbanden sich „historische Kommemoration“ und „Ehrung der Toten“.52 Geht man von solchen oder ähnlichen regelmäßigen Erinnerungsritualen auch in Marathon aus, dann war dieser Ort mit seiner Topographie und seinen Monumenten nicht nur den unmittelbar in der Nähe lebenden Athenern, sondern als Ort von „Erinnerungsfesten“ großen Teilen der athenischen Bürgerschaft bekannt.53 Auch für die Schlachten von Salamis und Plataiai könnten schon in klassischer Zeit marmorne Tropaia errichtet worden sein.54 William West vermutet für das Tropaion von Salamis eine ähnliche Gestaltung wie für das Tropaion von Marathon, es könnte aber durchaus auch möglich sein, dass es durch die Andeutung von Schiffsteilen
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Detailliert Plut. Aristeides 21,3–6; Thuk. 3,58,3–4 erwähnt hingegen nur Trank- und Speiseopfer sowie Gewandspenden. „Im Kern“ handelt es sich aber augenscheinlich um „dasselbe Ritual“ (so Jung 2006, 263 mit Anm. 129). Vgl. auch H. Beck 2009, 62 und 67. Von diesem Totengedenken zu unterscheiden sind die panhellenischen Eleutherien, die alle vier Jahre abgehalten wurden. Diese Gedenkfeier mit stark agonalem Charakter ist allerdings erst für das 3./2. Jh. v. Chr. belegt (IG II2 3149a, vgl. auch ausführlich Jung 2006, 344–351 mit weiteren inschriftlichen Belegen; Poseidippios Fr. 31 Kassel/Austin; Strab. 9,2,31; Plut. Aristeides 21; Paus. 9,2,6); vgl. dazu Étienne/Piérart 1975, bes. 61–75; Chaniotis 1991, 124 und passim zu den einzelnen Elementen der Feste. Zur jährlichen Gefallenenehrung durch die Plataier vgl. auch Hölkeskamp 2001, 335; Jung 2006, 262–265, der den „panhellenischen Rahmen der Erinnerung“ betont (265). Schließlich ehrten die Plataier nicht nur ihre eigenen Gefallenen, sondern auch die der anderen griechischen Kontingente; ebenda, 344– 351 mit weiteren Belegen zu den Eleutherien, u. a. den zahlreichen überlieferten Siegerinschriften; H. Beck 2009, 66 spricht von einer Einrichtung der Eleutherien schon im 4. Jh, vgl. auch die Überlegungen bei Hartmann 2010, 319–328 sowie Cartledge 2013, 128–130. Welwei 1999, 55 f. geht gar mit Plut. Aristeides 21 von einer zeitgleichen Einrichtung der Feste aus. Es ist umstritten, ob man in Zusammenhang mit solchen Erinnerungsritualen von einer Heroisierung der Gefallenen sprechen kann: vgl. Flashar 1996, 73; Welwei 1991, 55–58 (zu Plataiai) und 62 (zu Marathon); zu Marathon auch Scheer 1993, 52 f. mit Anm. 221. Zur Frage der Heroisierung von Gefallenen vgl. auch die Überlegungen in Kap. 7.1. H. Beck 2009, 75. Belegt ist des Weiteren das Fest der Herakleia, das schon vor 480 mit lokaler Bedeutung existierte dann aber umgestaltet und auf eine gesamtattische Ebene gehoben wurde, in der Folge sogar über Attika hinaus Bedeutung erlangte. Am Herakles-Heiligtum in Marathon hatte sich das athenische Heer zur Schlacht aufgestellt (Hdt. 6,108), Herakles wurde dann auch als Schlachthelfer auf dem Gemälde in der Stoa Poikile dargestellt, vgl. Hölkeskamp 2001, 339; ausführlich Jung 2006, 28–38. Paus. 1,36,1 (Salamis); 9,2,6 (Plataiai). Die Existenz in klassischer Zeit wird allerdings besonders auf der Basis der Erwähnung bei den attischen Rednern vermutet. Vgl. West 1969, 15. Er nimmt zudem auf der Grundlage von Reiseberichten des 18. und 19. Jahrhunderts an, dass es sich bei dem Tropaion von Salamis um ein Säulenmonument ähnlich dem bei Marathon handelte, West 1969, 15 mit Anm. 41; zum Tropaion von Salamis vgl. auch Clairmont 1983, 117–122 Nr. 10A; T. Hölscher 1998a, 100 f.; Rabe 2008, 104–106; Balot 2014, 190; Kinnee 2018, 51 f.
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als Tropaion für einen Seesieg kenntlich gemacht wurde.55 Reiseberichte des 18. und 19. Jahrhunderts erwähnen übereinstimmend Überreste einer Marmorsäule am Kap Varvara (Kynosura) auf Salamis, in einigen der Berichte wird auch ausdrücklich auf die Sichtbarkeit dieser Stelle von Athen aus hingewiesen.56 Wann genau die Umwandlung des ursprünglich hölzernen Monuments in ein dauerhaftes Tropaion aus Stein erfolgte, ist nicht sicher. Aus den Schriftquellen des 5. Jahrhunderts ist nichts darüber bekannt. Im 4. Jahrhundert wird das Tropaion von Salamis dann nicht nur bei den Rednern, sondern auch in der Anabasis des Xenophon als noch sichtbar („τεκμήρια ὁρᾶν“) beschrieben.57 Auch dort ist der Grund für die Nennung der Stolz auf die Überlegenheit der Griechen gegenüber den Barbaren und die Einladung zur Nachahmung dieser Taten. Dass es sich um eine bloße Metapher für diese Siege handelt, ist unwahrscheinlich, da im Fall von Salamis ja sogar die tatsächliche Sichtbarkeit von Athen aus gegeben war.58 Im Übrigen gilt für das Tropaion von Salamis das gleiche wie für das Tropaion von Marathon: Auch dieses Denkmal wurde in hellenistischer Zeit von den Epheben als Teil ihrer Ausbildung am Fest der Aianteia besucht, es wurde ein Kranz niedergelegt und sogar eine Regatta abgehalten. Hier wie auch bei dem oben erwähnten Zug der Epheben zum Tropaion von Marathon könnte es aber klassische Vorläufer dieses Brauchs gegeben haben.59
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Vgl. West 1969, 15; eine Ausstattung mit Schiffsteilen gibt M. Meyer 2005, 308 mit Anm. 175 zu bedenken, allerdings können das wohl kaum die von ihr erwähnten hölzernen Schiffstrümmer gewesen sein, die nach der Schlacht laut Hdt. 8,96,2 angespült wurden. Diese können höchstens Teil des sofort errichteten, ephemeren Tropaions gewesen sein. Vgl. Müller 1987, 648 f. West 1969, 15 f. mit den Belegen; ausführliche Überlegungen zum Standort des Tropaions auch bei Wallace 1969, 299–302 (mit der älteren Literatur) mit Abbildungen eines möglichen Fundamentsteins und Einschnitten im darunterliegenden Fels, die eine Fläche von ca. 1,80 m × 1,70 m markierten. (pl. 66, Abb.8-12) Er vermutet zusätzlich ein weiteres Tropaion auf der gegenüberliegenden Halbinsel Psyttaleia, dem heutigen Leipsokoutali (belegt durch Plut. Aristeides 9,2). Da aber schon die Identifikation dieser Halbinsel mit dem antiken Psyttaleia in der Forschung äußerst umstritten ist und die dort gefundenen spärlichen und stark zerstörten Überreste weder datiert noch anderweitig zugeordnet werden können, scheint die Annahme eines weiteren Tropaions an dieser Stelle als bloße Spekulation; dieser Vermutung hat sich allerdings auch Müller 1987, 705 f. angeschlossen, vgl. auch die Skizze S. 693, die die möglichen Standorte der beiden Tropaia verzeichnet. Vgl. Rabe 2008, 104–106 skeptisch zu einem zweiten Tropaion auf Psyttaleia. Plat. Mx. 245a; Lykurg. 1,73; Aischin. 2,74; Xen. an. 3,2,13. Vgl. dazu West 1969, 16. West 1969, 17 vermutet sogar, dass auch das Tropaion von Salamis bereits im 5. Jh. in seiner steinernen Ausführung existierte, da Salamis neben Marathon schon bald als die entscheidende Schlacht in den Quellen genannt wurde. Dem folgt auch T. Hölscher 1998a, 101: „Das Monument für Salamis dürfte nicht viel später [als das Tropaion von Marathon] entstanden sein, vielleicht unter Perikles, der Themistokles und seiner Flottenpolitik wieder näher stand.“ West 1969, 16 und zuletzt ausführlich Martin-McAuliffe/Papadopoulos 2012. IG II2 1006,29 f. 69 f.; 1035,31–35, dazu Culley 1975, 207–223 und 1977, 282–298, dort 296 f. auch zum Tropaion von Salamis und zur möglichen Lage des polyandreions; Plut. mor. 349F. Vgl. Kirsten, s. v. „tropaion“ (1), in: RE VII A 1 (1939), Sp. 673; Pélékidis 1962, 247–249; Chaniotis 1991, 124; Burckhardt 2004, 199–202; Jung 2006, 177 f.; Hartmann 2010, 314 f.
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Noch dürftiger gestaltet sich die Quellenlage für ein Tropaion in Plataiai, gerade daher rühren wahrscheinlich auch die zahlreichen divergierenden Vermutungen in der Forschung. Da Pausanias von einem steinernen Tropaion berichtet, sind verschiedene Gelegenheiten im 4. Jahrhundert in Erwägung gezogen worden, die Anlass zu einer solchen Monumentalisierung gegeben haben könnten.60 Da die verschiedenen Optionen jeglichen Rückhalt in den zeitgenössischen Quellen vermissen lassen, lässt sich hierzu aber keine abschließende Aussage treffen. Inwieweit werden diese Denkmäler nun in die Schilderungen der Perserkriege bei den Rednern mit einbezogen? Aufgrund des Kriteriums der Sichtbarkeit, das in den bereits zitierten Volksversammlungsreden des Demosthenes deutlich angesprochen wird, ist davon auszugehen, dass dort die beständigen Tropaia der Perserkriege gemeint sind.61 Da Demosthenes die vorbildlichen Taten der Vorfahren des 5. Jahrhunderts anführt, die in der Mitte des 4. Jahrhunderts noch zu sehen sein sollen, kann es sich nur um dauerhafte, steinerne Tropaia handeln, wenn seine Aufforderung wörtlich zu nehmen ist. Solche dauerhaften Siegeszeichen sind zumindest nur für die Perserkriege bekannt. Diese Siegeszeichen hatte schon Lysias in seiner Gefallenenrede aus der Zeit des Korinthischen Krieges als „überall, unsterblich und groß“ bezeichnet.62 In der gleichen Rede begegnet zum ersten Mal innerhalb der Reden die Bezugnahme auf das Tropaion von Marathon als räumlicher Markierung des ausführlich gerühmten Schlachtgeschehens.63 Damit kann einerseits das hölzerne Tropaion gemeint sein, dass unmittelbar nach dem Sieg aufgestellt wurde. Die Zuhörer der Gefallenenrede hatten aber sicherlich das steinerne Denkmal vor Augen, das schon seit der Mitte des 5. Jahrhunderts in der Ebene von Marathon seinen Platz hatte. Es wird besonders betont, dass es sich um ein Siegeszeichen „über Barbaren“ handelt, deren erdrückende Übermacht auch an anderer Stelle Erwähnung findet, um die Verdienste der Athener noch mehr herauszustreichen.64 Diese Schilderungen der Ruhmestaten der Perserkriege, die die Vorfahren der anwesenden Zuhörer vollbracht hatten, konnten im 60
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Paus. 9,2,6. West 1969, 18 vermutet eine Wiedererrichtung des Tropaions durch die Spartaner nach 386 als Reaktion auf die Verewigung ihrer bekanntesten Tropaia durch die Athener während Jacquemin 2000, 64 eine Monumentalisierung im letzten Drittel des 4. Jahrhunderts durch den Korinthischen Bund im Zuge der Organisation der alle vier Jahre stattfindenden Eleutherien in Plataiai favorisiert. Vgl. auch die Überlegungen bei Rabe 2008, 106–109, die sich für eine Errichtung aller dauerhaften Tropaia „schon bald nach den Perserkriegen“ (108) ausspricht. Demosth. 13,26; 15,35. Bezugnehmend auf Demosth. 15,35 äußert auch Radicke 1995, Kommentar ad loc. diese Auffassung. Lys. 2,20. Tropaia werden im Epitaphios des Lysias neben dieser Stelle auch in 25; 53 und 63 erwähnt, vgl. den Kommentar bei Todd 2007, 230 (zu Lys. 2,20); Kinnee 2018, 39, die in diesem Zusammenhang den kommemorativen Wert des Tropaions hervorhebt. Lys. 2,25. Besonders pointiert Lys. 2,20: „μόνοι γὰρ ὑπὲρ ἁπάσης τῆς Ἑλλάδος πρὸς πολλὰς μυριάδας τῶν βαρβάρων διεκινδύνευσαν.“ („Denn sie allein führten für ganz Griechenland den Kampf gegen Myriaden von Barbaren.“ Übers. I. Huber). Dieses Motiv findet sich zuerst in der Rede der Athener vor der Schlacht bei Plataiai Hdt. 9,27,5 sowie in einer Rede bei Thuk. 1,73,4. Zu der Entwicklung
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demosion sema, also inmitten dieser gefallenen Vorfahren, sicherlich eine besonders große Wirkung entfalten.65 So verwundert es nicht, dass auch in der parodistisch überzeichneten Gefallenenrede aus dem platonischen Menexenos gleich mehrfach auf die Tropaia hingewiesen wird. Auch hier kommt Marathon eine herausragende Rolle zu, da die Athener dort „zum ersten Male Siegeszeichen über die Barbaren aufrichteten“.66 Es ist auffällig, dass hier von Tropaia im Plural gesprochen wird.67 Aus diesem Grund könnten an dieser Stelle neben den konkreten Siegeszeichen auch die „erfolgreiche Perserabwehr der Griechen allgemein“ gemeint sein.68 Die Tropaia bekommen eine didaktische Funktion zugeschrieben, nicht wie bei Demosthenes für die athenischen Nachkommen, sondern für die anderen Griechen, um „ihnen zu zeigen, daß die Persermacht nicht unbezwinglich sei und daß keine Menschenmenge und kein Reichtum gegen die Mannestugend aufkommen kann“. Abschließend werden die Griechen als „Schüler der Marathonkämpfer“ bezeichnet.69 Auch die Erwähnung von Tropaia in Zusammenhang mit der Schlacht bei Salamis war wohl durchaus gebräuchlich. Aufschluss darüber gibt vor allem die Rechtfertigung
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dieses Gedankens in der weiteren antiken Literatur wie auch bei den Rednern vgl. Jung 2006, 131– 133 mit weiterer Literatur Anm. 25. Zu den Gräbern der Vorfahren vgl. Kap. 7. Plat. Mx. 240d: „ἐν τούτῳ δὴ ἄν τις γενόμενος γνοίη οἷοι ἄρα ἐτύγχανον ὄντες τὴν ἀρετὴν οἱ Μαραθῶνι δεξάμενοι τὴν τὼν βαρβάρων δύναμιν καὶ κολασάμενοι τὴν ὑπερηφανίαν ὅλης τῆς Ἀσίας καὶ πρῶτοι στήσαντες τρόπαια τὼν βαρβάρων.“ Übers. O. Apelt. Das Siegeszeichen von Marathon wird auch in 245a benannt. Mit der Formulierung kann nicht gemeint sein, dass es sich um das erste Tropaion überhaupt handelt, wie bei R. Hurschmann, s. v. „Tropaion“, in: DNP 12,1 (2002), 872 f. angenommen, da die genauere Bezeichnung „τῶν βαρβάρων“ einen schon vorher üblichen Brauch impliziert. Wie M. Meyer 2005, 279 Anm. 10 betont, sei eine solch späte Datierung zudem unwahrscheinlich, da die Markierung bestimmter Stellen z. B. durch Hermen auch schon vorher bekannt war. Eine ähnliche Formulierung findet sich bei Isokr. 10,67, dort allerdings in Bezug auf den Sieg der Griechen im trojanischen Krieg. Vgl. Rabe 2008, 39. Vgl. M. Meyer 2005, 280 mit Anm. 18. Rabe 2008, 40. Die Annahme Rabes, „je allgemeiner die Formulierung gehalten ist […], desto eher liegt die Vermutung nahe, daß es sich nicht um ein Tropaion als solches handelt, sondern um eine metonymische Verwendung des Wortes“, ist hingegen abzulehnen. Plat. Mx. 240e: „εἰς ἐκεῖνο γὰρ τὸ ἔργον ἀποβλέψαντες καὶ τὰς ὑστέρας μάχας ἐτόλμησαν διακινδυνεύειν οἱ Ἕλληνες ὑπὲρ τῆς σωτηρίας, μαθηταὶ τῶν Μαραθῶνι γενόμενοι.“ Übers. O. Apelt. Diese didaktische Funktion der Taten der Athener, die hier durch das sichtbare Zeugnis unterstützt wird, ist ein typisches Element der Epitaphien bereits des 5. Jhs. Vgl. die Gefallenenrede des Perikles bei Thuk. 2,41,1, in der Athen als „Schule von Hellas“ („τῆς Ἑλλάδος παίδευσιν“) bezeichnet wird. Dass die Nennung des Tropaions an dieser Stelle mehr als nur Metapherncharakter hat, hebt auch Tsitsiridis 1998 ad loc. hervor. Auch im Panegyrikos des Isokrates (4,87), der viele Elemente einer Gefallenenrede aufgreift, wird die Aufstellung eines Tropaions nach der Schlacht von Marathon thematisiert, hier allerdings ohne die Sichtbarkeit und weitere Funktion des Denkmals zu betonen, handelt es sich doch um eine kurze Aufzählung der Ereignisse, die verdeutlichen soll, mit welcher Schnelligkeit die Athener der übermächtigen Bedrohung Herr wurden. Vgl. dazu auch Loraux 1973, 22, die Schnelligkeit des Geschehens wird auch bei Lys. 2,26 betont. Dagegen wird bei Hdt. 6,113 die Länge der Schlacht besonders hervorgehoben, um die besondere Anstrengung der Athener zu belegen.
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des Aischines für sein Verhalten in der Diskussion um das Friedensangebot Philipps II. im Jahr 346. Dort betont er, dass seine Vorredner besonders auf die Propylaia, Tropaia und Gräber der Vorfahren in Zusammenhang mit der Erinnerung an die Schlacht bei Salamis Bezug genommen hätten.70 Aischines beschreibt hier also eine Redepraxis der Argumentation mit den Errungenschaften der Perserkriege in Verbindung mit den zugeordneten Monumenten, die sicherlich auch über den geschilderten konkreten Anlass hinaus verbreitet war.71 Ob sich dieses Zitat nur auf das Tropaion von Salamis bezieht oder die verschiedenen Tropaia der Perserkriege gemeint waren – Aischines erwähnt an dieser Stelle die Tropaia in der Pluralform –, lässt sich nicht eindeutig feststellen. Eindeutig ist die Zuordnung dagegen in der Prozessrede des Lykurgos „Gegen Leokrates“ einige Jahre später. Das Tropaion von Salamis ist dabei nur eine Etappe auf dem Weg zum Kalliasfrieden, der den Persern endgültig Grenzen setzte.72 Das Siegeszeichen, das einen bestimmten Punkt in der Landschaft und damit die Kontrolle über ein eng abgestecktes Gebiet, das Schlachtfeld, markiert, weist über sich hinaus auf die Begrenzung eines weit größeren Raumes, der von den Griechen kontrolliert wurde. Auch gestisch könnte der Redner diesen Unterschied angedeutet haben. Anhaltspunkt für ein dauerhaftes Tropaion für die Schlacht bei Plataiai bietet der „Plataikos“ des Isokrates, in dem die Plataier nach der Zerstörung ihrer Polis durch die Thebaner im Jahr 37373 vor der athenischen Volksversammlung um Schutz bitten: „Selbst wenn ihr also beschlossen habt, euch nicht um uns selbst zu kümmern, kann es dennoch nicht in eurem Interesse sein, die Zerstörung unseres Landes zu dulden, in dem sehr bedeutende Zeichen als Erinnerung an eure Tapferkeit und an die all jener zu finden sind, die mit euch gekämpft haben. Alle anderen Siegeszeichen nämlich stehen für den Sieg einer Polis über eine andere, jene jedoch stehen für ganz Griechenland, siegreich im Kampf gegen die gesamte Streitmacht aus Asien.“74
Nachdem die beiden konstituierenden Elemente einer Polis von den Plataiern benannt worden sind, die Bürger und das Land, steht die Einzigartigkeit der Topographie Plataiais im Vordergrund. Als Erinnerung für den Sieg bei Plataiai in den Per70 71 72 73
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Aischin. 2,74, vgl. dazu auch Kap. 3.1 sowie 7.4. Vgl. Steinbock 2013b, 80, vgl. auch auch Kap. 3.1. Lykurg. 1,73. So zumindest das „dramatische Datum“ der Rede. Ob diese tatsächlich von einem Vertreter der Plataier vor der athenischen Volksversammlung gehalten wurde, ist fraglich. Möglicherweise handelt es sich um eine rhetorische Übung für Schulzwecke oder um ein politisches Pamphlet, auch in diesem Fall ist eine Abfassung kurz nach 373 wahrscheinlich, vgl. Papillon 2004, 228 f. Isokr. 14,58–59: „Εἰ δ᾽ οὖν καὶ μηδὲν ὑμῖν τῶν σωμάτων τῶν ἡμετέρων δέδοκται φροντίζειν, ἀλλὰ τήν γε χώραν οὐ πρὸς ὑμῶν ἐστὶν ἀνέχεσθαι πεπορθημένην, ἐν ᾗ μέγιστα σημεῖα τῆς ἀρετῆς τῆς ὑμετέρας καὶ τῶν ἄλλων τῶν συναγωνισαμένων καταλείπεται· τὰ μὲν γὰρ ἄλλα τρόπαια πόλει πρὸς πόλιν γέγονεν, ἐκεῖνα δ᾽ ὑπὲρ ἁπάσης τῆς Ἑλλάδος πρὸς ὅλην τὴν ἐκ τῆς Ἀσίας δύναμιν ἕστηκεν.“ Übers. Ch. Ley-Hutton. Vgl. dazu auch Lonis 1979, 268, Isokrates beziehe sich hier auf das bei Paus. 9,2,6 erwähnte steinerne Tropaion 50 Stadien von der Stadt entfernt.
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serkriegen stehe dort immer noch das Tropaion dieser Schlacht, ein Indiz dafür, dass auch dieses Tropaion irgendwann durch ein dauerhaftes Tropaion aus Stein ersetzt worden sein muss. Zusätzlich wird die besondere Qualität dieses Tropaions gegenüber anderen hervorgehoben. Während andere Siegeszeichen den Sieg einer Polis über eine andere bezeugten, stehe das Tropaion von Plataiai für den Sieg ganz Griechenlands gegen die Streitkräfte der Perser. Der Abschnitt liefert damit auch die Begründung für die Vernachlässigung dieses Tropaions, sei es ephemer oder tatsächlich ebenfalls aus Stein, sowie der Schlacht von Plataiai insgesamt bei den anderen Rednern.75 Salamis und ganz besonders Marathon waren weitaus besser geeignet, die Verdienste der Athener deutlich zu machen – und die Tropaia dieser Schlachten waren bleibende und sichtbare Zeichen dafür. Selbst die Rolle der Spartaner in den Perserkriegen kann durch Tropaia verdeutlicht werden, allerdings unter umgekehrten Vorzeichen, ist doch das Ereignis, das bei den Rednern am meisten lobende Verwendung findet, die Niederlage bei den Thermopylen.76 Wird in diesem Zusammenhang ein Tropaion erwähnt, dann muss es sich um das Tropaion handeln, das von den Persern aufgestellt wurde, aber gleichzeitig auch zum Symbol für die Tapferkeit und das Opfer der Spartaner werden konnte. Ausdrücklich erwähnt wird dieses Tropaion bei Isokrates in der „Rede an Philipp“: Dort entwirft Isokrates das „Bild des Königs als eines Friedensstifters und ‚guten Bürgers‘“, der den „Dienst am Gemeinwohl“ zu seiner Priorität machen soll. Als Beispiele für das geforderte uneigennützige Handeln im Dienste aller Griechen werden die Ereignisse der 75
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Vgl. Chambers 1975, 71–75; Nouhaud 1982, 162–164; Jung 2006, 291–295; Bearzot 2007, 70–73, besonders zum oft verschwiegenen Beitrag der Spartaner zu diesem Sieg. Einzige Ausnahme bietet der platonische Menexenos. Dort werden die Tropaia von Marathon, Salamis und Plataiai zusammen genannt, um die Politik der Athener gegenüber dem Perserkönig zu Beginn des 4. Jhs. zu begründen. Man vermied es, den Persern offiziell von Seiten der Polis Hilfe anzubieten, „aus Scheu vor den Siegeszeichen in Marathon, Salamis und Plataiai“ (Plat. Mx. 245a: „αἰσχυνομένη τὰ τρόπαια τά τε Μαραθῶνι καὶ Σαλαμῖνι καὶ Πλαταιαῖς“), die somit die Perserkriege und den erfolgreichen Kampf gegen den übermächtigen Feind insgesamt symbolisieren. Die Scheu vor den Tropaia ist aber nicht nur symbolisch zu verstehen, sondern konnte zumindest im Fall von Marathon und Salamis konkret erfahren werden, wenn man die Tropaia tatsächlich vor Augen hatte. Vgl. ähnlich auch der Kommentar bei Tsitsiridis 1998 ad loc., der ein dauerhaftes Monument in Plataiai voraussetzt, ohne die Annahme zu belegen. Jung 2006, 291 f. Anm. 234 verweist auch hier darauf, dass die Schilderung der Schlacht von Plataiai auch im Menexenos (241c) „nach Marathon und Salamis deutlich abfällt“. Lys. 2,31; Isokr. 4,92; 5,148; 6,100; 12,187; Lykurg. 1,108 f. Vgl. dazu ausführlich Albertz 2006, 67–80; Bearzot 2007, 68–70, die hervorhebt, dass die spartanische Leistung nur bei Isokrates 5,148; 6,100 und 12,187 unvoreingenommen gelobt wird, während die übrigen Textstellen einen Vergleich mit Athen anstrebten, der immer zu Ungunsten der Spartaner ausfalle. Zu den Thermopylen als „Ort der Erinnerung“ der Spartaner und dem „Erinnerungsfest“ der Leonideen Hdt. 7,228 (zu den Inschriften bei den Thermopylen); Paus. 3,14,1 und IG V 1,18; 660; Chaniotis 1991, 124; Nouhaud 1997, 1231–1234; Hölkeskamp 2001, 335 (Zitate); H. Beck 2009, 60 mit Anm. 24 geht davon aus, dass ab der Mitte des 5. Jhs. in Sparta ein Agon mit Epitaphios stattfand. Ein „rituelles Totengedenken“ an den Thermopylen selbst sei zwar sehr wahrscheinlich, könne aber aus den Quellen nicht eindeutig belegt werden; ebenso schon Albertz 2006, 65 mit Anm. 186.
Die Perserkriege und ihre Tropaia
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Perserkriege verwendet.77 In diesem Zusammenhang erfolgt auch eine Schilderung des Opfers der Spartaner bei den Thermopylen. Deutlich wird die Bewunderung, die das Tropaion dieser Schlacht hervorruft, und zwar ausdrücklich dann, wenn es von den Zeitgenossen betrachtet wird, seine tatsächliche Sichtbarkeit wird also vorausgesetzt. Da es relativ unwahrscheinlich ist, dass die Perser tatsächlich nach der Schlacht bei den Thermopylen ein (griechisches) Tropaion aufgestellt haben, könnte man Isokrates’ Bemerkung als rein rhetorisch ansehen. Durch den Hinweis auf die aktuelle Sichtbarkeit des Monuments soll aber zumindest die Illusion erweckt werden, dass es auch in der Realität existiert und noch in der Gegenwart als Zeuge der Opferbereitschaft der Spartaner steht.78 Im Gegensatz dazu stehen die Tropaia für Siege der Spartaner gegen andere griechische Poleis, diese seien nämlich trotz der Siege kein Zeichen der arete, sondern der Habsucht (pleonexia).79 Ein gemeinsamer Punkt bei der Nennung der Tropaia der Perserkriege, sei es nun das hölzerne nach der Schlacht oder das marmorne, nachträglich aufgestellte, ist die Tatsache, dass die Aufsteller dieser Siegeszeichen hier immer die Athener (bzw. in seltenen Fällen die Spartaner) und nie einzelne Personen sind. Es kommt kein Tropaion des Miltiades oder des Themistokles vor, sondern die Tropaia sind stets Zeichen der Verdienste der gesamten Bürgerschaft und nicht der Errungenschaften eines Einzelnen.80
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Isokr. 5,148, dazu Albertz 2006, 74. Vgl. den Kommentar bei Papillon 2004, 107 Anm. 85 (ad Isokr. 5,148) mit weiteren Erklärungsvorschlägen aus der älteren Literatur und der Vermutung: „Perhaps Isocrates passes on some oral tradition about the arrogant boasting oft he Persians after their victory, but this is unprovable.“ Zum Problem auch Jacquemin 2000, 64; Steinbock 2013a, 85. Isokr. 5,148. Die zahlreichen Tropaia der Spartaner werden auch in Isokr. 6,54 thematisiert. Da es sich hierbei um die fiktive Rede des spartanischen Königs Archidamos vor der Apella handelt, sind sie positiv konnotiert und bezeichnen die Kämpfe Spartas „in ganz Europa und Asien“ um anderen Hilfe zu leisten. Im Gegensatz dazu konnte Sparta in der aktuellen Situation der Rede (im Jahr 366, so zumindest das „dramatische Datum“) nicht einmal das eigene Territorium verteidigen. Auch wenn beispielsweise das Tropaion in Marathon zusammen mit dem Denkmal für Miltiades in Delphi und den Gemälden der Stoa Poikile eng mit dem „Ruhm des Miltiades und der Philaiden“ verknüpft war, so Jung 2006, 122, der zudem darauf hinweist, dass sich nach Paus. 1,32,4 auch das Grab des Miltiades in der Nähe befunden habe. Ähnlich deutlich drückt auch Stähler 1992, 4 die enge Verbindung der Person des Miltiades mit dem Tropaion der Schlacht bei Marathon aus, das er als „Das Tropaion des Miltiades bei Marathon“ bezeichnet. Vgl. auch Welwei 1999, 39. Bei den Rednern wird das Tropaion von Marathon hingegen nicht mit dem Strategen Miltiades in Verbindung gebracht. Besonders Demosthenes hebt des Öfteren hervor, dass Miltiades und Themistokles für ihre Leistungen nicht besonders geehrt, und die Siege dem Demos zugeschrieben würden, vgl. insbesondere Kap. 4.3.2 mit den Belegen.
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Tropaia als sichtbare Zeichen des Sieges
8.5 Tropaia als Zeichen des Sieges einzelner Strategen Deutlichstes Beispiel für die Funktion des Tropaions als sichtbares Zeichen der Verdienste einer bestimmten Person ist hingegen die Schilderung der Taten des Strategen Chabrias in der Prozessrede des Demosthenes „Gegen Leptines“. Über zwölf Paragraphen hinweg werden die Leistungen und Ehrungen des Chabrias ausführlich dargestellt, um zu begründen, warum es ein Verbrechen wäre, seinem Sohn die dem Vater gewährte Ehrung der ateleia zu entziehen.81 Dabei wird in Verbindung mit den militärischen Erfolgen des Vaters mehrfach auf die Aufstellung von Tropaia verwiesen. Zunächst werden Siege auf Zypern und in Ägypten mit der Aufstellung mehrerer Tropaia verknüpft.82 Auf einer allgemeineren Ebene wird dann die Sieglosigkeit der Feinde mit den Erfolgen unter dem Kommando des Chabrias kontrastiert. Diese Sieglosigkeit zeigt sich auch in der Tatsache, dass keine Tropaia errichtet werden konnten, während die Athener unter dem Kommando des Chabrias mehrere Tropaia über zahlreiche Feinde errichtet hätten.83 Als Steigerung der Glaubwürdigkeit wird dann eine Liste präsentiert, auf der die Anzahl der erbeuteten Schiffe, die Anzahl der eroberten Städte, Beutegelder sowie die Standorte der einzelnen Tropaia verzeichnet sein sollen.84 Es handelt sich also um eine doppelte Visualisierung der Verdienste des Chabrias, in dem einerseits ein sichtbares und greifbares Dokument präsentiert wird, in dem andererseits wiederum auch die Siege durch die Tropaia verortet werden und damit einen zumindest imaginären „Schau-Platz“ bekommen. Demosthenes fordert den grammateus dann auf, diese Liste den anwesenden Richtern vorzulesen. Christos Kremmydas hat die Vermutung geäußert, dass es sich dabei wahrscheinlich um eine Zusammenstellung handelt, die von Demosthenes selbst verfasst wurde, da der Redner keine Angaben zu ihrer Herkunft macht. Hätte es sich um ein öffentliches Dokument gehandelt, hätte Demosthenes diese Tatsache sicherlich erwähnt. Trotzdem sollte bei den Zuhörern wohl der Eindruck entstehen, es handele sich um eine Art „postume euthynai“ des Chabrias. Die Anzahl und die Standorte der Tropaia könnte Demosthenes dabei aus der Erwähnung der Schlachten in Ehreninschriften sowie aus mündlichen Quellen in
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Demosth. 20,75–86. Zu den Gründen für die besondere Wertschätzung des Chabrias vgl. Lehmann 2004, 73; zur Passage auch Bianco 2007, 106 f. mit Betonung der militärischen Komponente des Lobes. Demosth. 20,76. Gemeint sind die Feldzüge gegen die Perser auf Zypern 388 und in Ägypten 386. Vgl. dazu E. Harris 2008, 45 Anm. 107 ad loc. Demosth. 20,78. Vgl. dazu auch den Kommentar von Kremmydas 2012, 324 f. sowie Canevaro 2016, 320 beide ad loc. Vgl. Gauthier 1985, 99–102; M. Bakker 2012a, 397, der die Präsentation beweisender Dokumente als Teil der epideixis bezeichnet, mit der „power of making the evidence visible“ vgl. auch ebenda, 401 f. zur Rede „Gegen Leptines“. Zur epideixis (und den zugehörigen sprachlichen Formulierungen) vgl. auch O’Connell 2017, 90–93; 112–114.
Tropaia als Zeichen des Sieges einzelner Strategen
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Erfahrung gebracht haben.85 Die Zahlen dieser Liste werden kurz darauf noch einmal von Demosthenes zusammengefasst, durch die erneute Wiederholung des zuvor Gesagten sollte die Glaubwürdigkeit gesteigert werden.86 Zum Abschluss dieser Schilderung der Taten des Chabrias wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass diese Tropaia als Beweise seiner Verdienste nicht nur für die Athener, sondern für alle Menschen sichtbar seien. Vor diesem Hintergrund sei es umso schändlicher, dem so gepriesenen Strategen bzw. seinen Nachfahren die Ehrungen wieder abzuerkennen. Hier stehen im Gegensatz zu den zuvor genannten Aufzählungen der Liste allein die Tropaia für die Verdienste des Mannes. Der Grund wird mit genannt: Es ist ihre Sichtbarkeit, die allen sein militärisches Geschick deutlich vor Augen führt.87 Die gleiche Art des Lobes findet sich auch für Feldherren des 5. Jahrhunderts, wenn auch ohne Nennung von Schlachtorten oder andere Ausführungen. Von den militärischen Erfolgen des Nikias zeugen „viele herrliche Siegeszeichen“, wie es in der Rede „Über den Besitz von Nikias’ Bruder“ vom Beginn des 4. Jahrhunderts heißt. Hier folgt aber keine genaue Auflistung, sondern es wird lediglich festgestellt, dass diese einfach zu zahlreich sind, um sie alle einzeln zu benennen.88 Auch die umgekehrte Feststellung – die sich auch schon in der Rede „Gegen Leptines“ findet –, dass es den Feinden unter einem bestimmten Strategen nicht möglich war, ein Siegeszeichen gegen die Athener zu errichten, ist gebräuchlich: „Obwohl die Polis zu jener Zeit die meisten Gefahren zu bestehen hatte, konnten die Feinde niemals ein Siegeszeichen über euch errichten, wenn mein Vater die Führung hatte.“ Die-
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Kremmydas 2012, 325: „a kind of posthumous euthynai“ (Kommentar ad loc.). Die Angaben habe Demosthenes aus verschiedenen Quellen wie Ehrendekreten, Statueninschriften, Schiffslisten und Kopien öffentlicher Berichte zusammengetragen. Demosth. 20,80 und der Kommentar bei Kremmydas 2012, 328 f. ad loc. Demosth. 20,83: „καὶ τί φήσομεν, ὦ ἄνδρες Ἀθηναῖοι, ὅταν τὰ μὲν τρόπαι᾽ ἑστήκῃ δῆλα πᾶσιν ἀνθρώποις, ἃ ὑπὲρ ὑμῶν στρατηγῶν ἐκεῖνος ἔστησε, τῶν δ᾽ ἐπὶ τούτοις δωρεῖων ἀφῃρημένον τι φαίνηται;“ Kremmydas 2012, 333 ad loc. hebt hervor, dass neben dem Attribut der Sichtbarkeit auch die Stabilität bei der Erwähnung der Tropaia eine Rolle spielt: Die Perfektform „ἑστήκῃ“ ist eine seltene Form des Perfekt, die die Dauerhaftigkeit einer Sache, in diesem Fall des Tropaions als Monument des Sieges hervorhebt. Die gleiche Funktion erfüllt diese Verbform im Übrigen auch bei den Stelen und Ehrenstatuen anderer Wohltäter, die in der Rede häufig erwähnt werden: Demosth. 20,37 (zu den Ehrendekreten für Leukon, dem König des bosporanischen Reiches); 64 (zu den Ehrendekreten für alle genannten Wohltäter), jeweils mit dem Kommentar bei Kremmydas 2012, ad loc. Im Übrigen konnte die Errichtung von Tropaia als Verdienst eines Einzelnen nicht nur in bestimmten Reden, sondern auch in privaten Erinnerungsmonumenten hervorgehoben werden, vgl. IG II2 7716 und die ausführliche Besprechung mit Übersetzung bei Arrington 2015, 230 f., der aber betont, dass sich die Darstellung gegen die öffentliche Rhetorik richte. Das ist in Hinblick auf die Würdigung von Gefallenen und ihrer Tropaia in den Epitaphien sicherlich richtig, wie hier aber gezeigt werden kann, trifft dies nicht auf die attische Rhetorik insgesamt zu. Lys. 18,3: „στρατηγῶν γὰρ πολλὰς μὲν πόλεις εἷλε, πολλὰ δὲ καὶ καλὰ κατὰ τῶν πολεμίων ἔστησε τρόπαια, ὧν καθ᾽ ἓν ἕκαστον πολὺ ἂν ἔργον εἴη λέγειν.“ Übers. I. Huber. Vgl. Rabe 2008,41 mit dem Verweis auf ähnliche Formulierungen in den Texten von Grabepigrammen (f.).
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Tropaia als sichtbare Zeichen des Sieges
ses Lob lässt Isokrates in der Rede „Über das Pferdegespann“ den Sohn des Alkibiades über seinen berühmten Vater vorbringen.89 In der Rede des Demosthenes „Gegen Meidias“ werden dem Angeklagten Männer gegenüber gestellt, die für Athen Seeschlachten gewonnen, Städte erobert, und wiederum Tropaia aufgestellt hätten. Mit solchen Verdiensten könne sich der Beschuldigte keinesfalls messen.90 Hier sind wohl Strategen des 5. oder auch des 4. Jahrhunderts gemeint, die allen Zuhörern bekannt waren. Jedoch werden weder Namen noch konkrete Orte genannt, dies kann als Zeichen dafür gedeutet werden, dass die genannten Tropaia an dieser Stelle symbolisch für die zahlreichen Landsiege der so gerühmten Männer stehen.91 Selbst für Personen aus der archaischen Zeit wie Solon oder sogar der mythischen Vergangenheit, in diesem Fall Herakles, findet sich das Bild des Tropaions als Beweis für ihre außergewöhnlichen Taten.92 Im Hinblick auf das Tropaion Solons wird dieses gar als „Beweis seines Mutes“ („τῆς μὲν ἀνδρείας […] ὑπόμνημα“) angeführt, der eben nur durch die Sichtbarkeit des Tropaions erbracht werden kann.93 Dass die sichtbaren 89
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Isokr. 16,21: „πλείστων δὲ κινδύνων τῇ πόλει κατ᾽ ἐκεῖνον τὸν καιρὸν γενομένων οὐδεπώποτε τοῦ πατρὸς ἡγουμένου τρόπαιον ὑμῶν ἔστησαν οἱ πολέμιοι.“ Vgl. die Formulierung bei Demosth. 20,78. Einem ähnlichen Muster folgt die Erwähnung von Tropaia in der fiktiven Volksversammlungsrede des Königs Archidamos vor der spartanischen Apella (vgl. Mirhady 2000,72 Anm. 17 ad Isokr. 16,21). Dort betont Archidamos, der Feind habe unter der Herrschaft seiner Familie niemals ein Siegeszeichen über Sparta errichtet (Isokr. 6,111). Durch die Platzierung im Schlussparagraphen der Rede bekommt die Aussage ein besonderes Gewicht. Ιn Isokr. Ep. 9,3 stehen die Tropaia dagegen für die Siege unter dem persönlichen Kommando des Archidamos. Tropaia als Beweis für die militärische arete der eigenen Vorfahren finden sich darüber hinaus schon bei And. 1,147. Vgl. dazu auch Missiou 1992,15 und ff. zu den Verdiensten der einzelnen Familienmitglieder, die Andokides im Verlauf der Rede genauer schildert. Demosth. 21,169: „ἐγὼ γὰρ οἶδ᾽ ὅτι πολλοὶ πολλὰ κἀγαθὰ ὑμᾶς εἰσιν εἰργασμένοι, οὐ κατὰ τὰς Μειδίου λῃτουργίας, οἱ μὲν ναυμαχίας νενικηκότες, οἱ δὲ πόλεις εἰληφότες, οἱ δὲ πολλὰ καὶ καλὰ ὑπὲρ τῆς πόλεως στήσαντες τρόπαια·“ Vgl. den Kommentar ad loc. bei MacDowell 1990, der die Formulierung an dieser Stelle als „metonymy for winning victories on land“ bezeichnet. Demzufolge sei das beigefügte „καλὰ“ keine genauere Bezeichnung für die Gestaltung der Tropaia, sondern solle die besondere Qualität der Siege unterstreichen. Demosth. 61,49: Solon, das Tropaion dient der Versinnbildlichung „seines“ Sieges gegen Megara. Zum angeblichen Tropaion Solons schon Woelcke 1911, 135, der angibt, Solon habe auf Salamis kein Tropaion aufgerichtet, sondern dem Ares einen Tempel erbaut. Demosthenes habe den Brauch seiner Zeit auf den Sieg Solons übertragen, um diesen für die Zeitgenossen anschaulicher zu machen. Isokr. 5,112, wo die Säulen des Herakles als „Tropaion zum Zeichen des Sieges über die Barbaren“ und als „Denkmal seiner arete“ („τρόπαιον μὲν τῶν βαρβάρων, μνημεῖον δὲ τῆς ἀρετῆς τῆς αὐτοῦ“) bezeichnet werden. Hier handelt es sich um die Rede „An Philipp“, in der Isokrates König Philipp von Makedonien dazu bewegen will, einen vereinten Feldzug der Griechen gegen die Perser zu führen. Als Parallele zu diesem Vorhaben dient der mythische Vorfahr Herakles, der ein solch eindrucksvolles Siegeszeichen ebenfalls „gegen Barbaren“ errichten konnte. Vgl. zur Bedeutung des Tropaions als „Bezeichung für Siege innerhalb mythischer Schilderungen“ Rabe 2008, 39. Zur realen politischen Bedeutung solcher mythischer Vorbilder vgl. Markle 1976, 97 f. und zum Vorbild Herakles 85; Gotteland 2001, 235–244 sowie umfassend Walker 1995. Demosth. 61,49.
Sieger und Verlierer
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Zeichen des Sieges auf Ereignisse übertragen werden, in denen historisch gesehen gar keine Tropaia errichtet worden sein können, zeugt von ihrer großen Popularität. Ein Tropaion kann aber auch zur Anklage werden: So wirft Lykurgos dem Strategen Lysikles vor, dass unter seinem Kommando nicht nur viele Athener gefallen seien oder gefangen genommen wurden, sondern dass ein Tropaion als Zeichen des Sieges über die Polis errichtet wurde und Griechenland in die Sklaverei geraten sei.94 Das Siegeszeichen der Feinde, in diesem Falle der Makedonen, ist das für alle deutliche Zeichen der Niederlage bei Chaironeia und gibt gleichzeitig Zeugnis vom persönlichen Versagen des Angeklagten. Bedenkt man, wie oft dagegen in den erhaltenen Reden die Tropaia für die militärischen Verdienste eines Mannes stehen, so muss diese Anklage umso schwerer wiegen. Auf diesen Vorwurf wird im folgenden Kapitel noch genauer einzugehen sein. 8.6 Sieger und Verlierer Auch in Verbindung mit anderen militärischen Konflikten können Tropaia in den Reden eine Rolle spielen. Oft ist die Angabe der Errichtung eines Tropaions neutral geschildert, um anzugeben, welche Partei gewonnen oder verloren hat. Die Wendung „ein Tropaion aufrichten“ ist Synonym für den Sieg, die Wendung „ein Tropaion wurde über sie errichtet“ Synonym für die Niederlage.95 Dabei handelt es sich meist um die Ergebnisse von Kämpfen des 5. und 4. Jahrhunderts. In der Gefallenenrede des Lysias werden Tropaia unter verschiedenen Aspekten thematisiert: Neben den Tropaia der Perserkriege96 wird das Tropaion für den Sieg der Athener bei Megara 458 erwähnt, vielleicht deshalb, weil es sich um ein ungewöhnliches Ereignis handelt. Hatten in dieser Schlacht doch vor allem die sehr jungen und die alten Athener gekämpft, da ein Großteil der wehrfähigen Männer durch einen Konflikt mit Aigina gebunden war.97 Das ursprüngliche Tropaion war für die Zuhörer nicht mehr zu sehen, jedoch befindet sich an der Westseite des Frieses des Athena-Nike-Tempels auf der Akropolis 94 95
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Lykurg. Fr. 12,1 Conomis: „τροπαίου δὲ κατὰ τῆς πόλεως ἑστηκότος, τῆς δ᾽ Ἑλλάδος ἁπάσης δουλευούσης“. Vgl. auch Conomis 1961, 136–138 (Nr. XI.) und die Überlegungen im folgenden Kapitel (8.6.). Stellvertretend für diese beiden Aspekte Demosth. 19,148: „πότερ᾽ οἴεσθε πλέον Φωκέας Θηβαίων ἢ Φίλιππον ὑμῶν κρατεῖν τῷ πολέμῳ; ἐγὼ μὲν γᾶρ ἐξ εὖ οἶδ᾽ ὅτι Φωκεῖς Θηβαίων. εἶχόν γε Ὀρχομενὸν καὶ Κορώνειαν καὶ τὸ Τιλφωσαῖον, καὶ τοὺς ἐν Νέωσιν ἀπειλήφεσαν αὐτῶν, καὶ ἐβδομήκοντα καὶ διακοσίους ἀπεκτόνεσαν ἐπὶ τῷ Ἡδυλείῳ, καὶ τρόπαιον εἱστήκει, καὶ ἱπποκράτουν, καὶ κακῶν Ἰλιὰς περιειστήκει Θηβαίους.“ 320: „… ἐκρατοῦντο δὲ Θηβαῖοι καὶ μάχην ἥττηντο καὶ τρόπαιον ἀπ᾽ αὐτῶν εἱστήκει …“ Vgl. dazu ausführlich Rabe 2008, 38–43, die diese Formulierung auch in Grabepigrammen identifiziert hat (41–43 mit den Belegen). Lys. 2,20 und 25, vgl. dazu Kap. 8.4. Lys. 2,53. Die Schilderung der historischen Ereignisse bei Lys. 2,48–53 basiert wahrscheinlich auf Thuk. 1,105. Vgl. Thomas 1989, 227–229; Todd 2007,249 f.
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Tropaia als sichtbare Zeichen des Sieges
die Darstellung einer historischen Schlacht gegen Griechen mit einem Tropaion im Hintergrund: Diese Darstellung wurde von Tonio Hölscher als mögliche Wiedergabe des Kampfes gegen Megara gedeutet – eine mögliche, wenn auch nicht gesicherte Interpretation.98 Erklärungsbedürftig ist die Erwähnung eines Siegeszeichens für den Sieg der Demokraten aus Phyle 403 in der gleichen Rede, müsste es sich dabei doch um ein Siegeszeichen im Rahmen eines Bürgerkrieges handeln. An dieser Stelle wird nicht erwähnt, dass es sich in der für die Demokraten siegreichen Schlacht von Mounichia, um eine Auseinandersetzung zwischen verfeindeten Gruppierungen der Athener handelte, die Niederlage gegen die Spartaner im Piräus wird ausgelassen.99 Die Gräber der Spartaner im Kerameikos werden als „Zeugen der Tapferkeit“ der Athener gleich im Anschluss genannt.100 Während Stephen Todd die Errichtung eines Tropaions nach der Schlacht von Mounichia unter Bezugnahme auf die Schilderung bei Xenophon (2,4,19) zumindest als plausibel bezeichnet, sei eine Errichtung über die Spartaner eigentlich unmöglich, waren diese doch die Sieger und errichteten ihr eigenes Tropaion.101 Tonio Hölscher zufolge handelt es sich demnach um ein nachträglich durch Thrasyboulos errichtetes Tropaion, das die Demütigung, die auch durch die Bestattung der Spartaner im Kerameikos deutlich geworden war, ausgleichen sollte.102 Zumindest in der kollektiven, in der Gefallenenrede des Lysias zum Ausdruck gebrachten Erinnerung der Athener, konnte das Geschehen damit zu einem athenischen Sieg ge-
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T. Hölscher 1973, 95. Die Themen der einzelnen Friese sind in der Forschung jedoch überaus umstritten. Die Interpretation Hölschers kann aufgrund mangelnder Beischriften oder anderer erklärender Quellen nur Vermutung bleiben. Zu den Deutungen der einzelnen Friese und der Literatur vgl. unter dem Gesichtspunkt des Tropaion-Motivs Rabe 2008, 60–63: Demnach zeigten „die einzelnen Friesseiten Kämpfe gegen prinzipiell benennbare Gegner“, „jedoch offenbar keine historischen, sondern generalisierte Schlachten mit einem für Athen jeweils siegreichen Ausgang“. Arrington 2015, 173 mit Anm. 135–139: Nordfries: Kampf der Athener gegen Eurystheus; Südfries: Kampf der Athener gegen die Perser, eventuell die Schlacht bei Marathon oder Plataiai; Westfries: Kampf Griechen gegen Griechen, das dargestellte Tropaion deutet aber auf ein bestimmtes historisches Ereignis hin. In Arringtons Untersuchung der Szenen steht dann die Darstellung der Gefallenen im Mittelpunkt (173–176); auf Basis der Prominenz dieses Motivs im Westfries plädiert er für die Darstellung der Bergung der Gefallenen vor Theben (174 f.; vgl. bereits. Harrison 1997, 117–122). 99 Steinbock 2013a, 92; vgl. auch Wolpert 2002a, 89 zur Chronologie der Ereignisse ebenda, 24–28. 100 Lys. 2,63, dazu auch Kap. 7.3. 101 Mounichia: Xen. hell. 2,4,19; Tropaion der Spartaner: Xen. hell. 2,4,35. Vgl. Todd 2007, 262 f. ad Lys. 2,63. 102 T. Hölscher 1998b, 176. Die Deutung als Tropaion des Thrasyboulos ist insofern problematisch, als dass nur Lys. 2,63 als Quellenbeleg fungiert, der die Person des Feldherrn in diesem Zusammenhang gar nicht erwähnt. J. Shear 2011, 299 verortet das Tropaion im Piräus, allerdings ohne Belege für diese Annahme zu nennen, ähnlich auch Clairmont 1983, 205 Nr. 60b. Rabe 2008, 41 sieht an dieser Stelle den Begriff als „metonymischen Ausdruck für einen Sieg“ während Stroszeck 2004, 322–326; 328 die Überreste des sogenannten „monument on the Third Horos“ im Kerameikos von Athen als Tropaion des Thrasyboulos identifiziert.
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gen einen äußeren Feind werden, der durch das Tropaion und die in der Nähe liegenden Gräber der Spartaner unmittelbar sichtbar werden konnte.103 Auch als Zeichen für Siege und Niederlagen der Spartaner wird das Bild des Tropaions bemüht. In der fiktiven Volksversammlungsrede des Archidamos wird zunächst das Tropaion der Schlacht von Leuktra angeführt, das aber nur an das Unglück in der Schlacht erinnere. Ein erneutes Nachgeben gegenüber den Thebanern würde aber zu einem noch eindrucksvolleren und „sichtbareren“ Tropaion führen, da es neben dem Unglück in der Schlacht auch den Charakter der Spartaner widerspiegeln würde.104 Beim Tropaion der Thebaner für den Sieg bei Leuktra könnte es sich ebenfalls um ein steinernes Tropaion gehandelt haben, allerdings gibt darüber erst Cicero Auskunft. Wenn dies zutrifft, hatte der Vergleich des Archidamos, das neue Tropaion sei „eindrucksvoller und sichtbarer“ („σεμνότερον […] καὶ φανερώτερον“), mit Sicherheit eine noch größere Wirkung bei den Zuhörern.105 Wie bereits erwähnt, werden auch Niederlagen der Athener durch die Nennung von Tropaia verdeutlicht:106 Als Ergebnisse der Niederlage von Chaironeia werden von Lykurgos in der Rede „Gegen Lysikles“ die Zahlen des Verlustes benannt und mit dem Tropaion als sichtbarem Zeichen des Siegers verbunden. Dieses Ergebnis wird dem verantwortlichen Strategen Lysikles zur Last gelegt. Parallel zum Tropaion des Feindes wird Lysikles dadurch zum „Denkmal der Schande und des Tadels“ („ὑπόμνημα […] αἰσχύνης καὶ ὀνείδους“): ein Vorwurf, der umso schwerer wiegt, wenn man bedenkt, dass Tropaia in den Reden häufig als Beweise der Verdienste einer Person angeführt werden.107 Ob die Makedonen bei Chaironeia tatsächlich ein Tropaion aufgestellt haben, ist durch die Quellen nicht zweifelsfrei festzustellen. Pausanias stellt fest, dass weder Philipp noch Alexander Tropaia errichtet hätten.108 Andererseits sind bei Diodor zwei Tropaia Philipps erwähnt, unter anderem wiederum für die Schlacht bei Chaironeia.109 Vielleicht haben also die Makedonen zumindest in einzelnen Fällen diesen 103
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Ausführlich zu den verschiedenen Deutungen, die das Grab der Spartaner im demosion sema erfahren hat Steinbock 2013a, 90–93; zum Sieg gegen die Spartaner am Ende des Bürgerkrieges als Erinnerung, die beide Bürgerkriegsparteien akzeptieren konnten, vgl. Wolpert 2002a, 87. Zur Bedeutung dieses Grabes als materieller Erinnerungsträger vgl. Kap. 7.3. Isokr. 6,10; in 6,99 dann wiederum mit Siegen der Spartaner bei Dipaia 470 verknüpft. Cic. Inv. 2,23,69 schildert die Beschwerde der Spartaner über ein bronzenes Tropaion, das die Thebaner unrechtmäßig nach der Schlacht bei Leuktra aufgestellt hätten. Nach Woelcke 1911, 143 bildet diese Quelle den deutlichsten Anhaltspunkt für den Beginn des Brauchs, auch dauerhafte Tropaia aufzustellen, eine Annahme, die allein aufgrund des großen zeitlichen Abstands der Quelle zum Geschehen nicht haltbar ist. Lykurg. Fr. 12,1 Conomis. Besonders deutlich im Falle des Strategen Chabrias, der bei Demosth. 20,75–83 gepriesen wird. Dazu ausführlich Kap. 8.5. Paus. 9,40,7–9. Diod. 16,4,7 (Sieg über den Illyrer Bardylis); 16,86,6; 88,2 (Sieg bei Chaironeia); 18,32,2. Vgl. hierzu auch Jacquemin 2000, 64, die außerdem Tropaion-Darstellungen auf hellenistisch-makedonischen Münzen als Zeichen dieser Adaption anführt. Pritchett 1974, 262 f. und Rabe 2008, 10 f.
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griechischen Brauch adaptiert. Selbst wenn es sich hier „nur“ um eine Metapher für den Sieg der Makedonen handeln würde, wäre es doch ein deutliches Zeichen ihres Symbolgehaltes, da das Tropaion in diesem Fall auch dann angeführt wird, wenn es augenscheinlich gar nicht existieren kann – und die anwesenden Zuhörer das auch gewusst haben müssen, da sie schließlich Zeitgenossen oder sogar Teilnehmer der genannten Schlacht gewesen waren. Die Verwendung des Tropaion-Begriffs kann aber auch von der Strategie zeugen, Niederlagen zumindest den Anschein eines Sieges zu geben, indem man der Erzählung das Attribut des Sieges beifügt. Im platonischen Menexenos wird zwar die Niederlage der Athener im Rahmen der Sizilischen Expedition beschrieben, der Redner weist aber einleitend darauf hin, dass in Sizilien zunächst „zahlreiche Siegeszeichen“ errichtet wurden.110 Vor diesem Hintergrund ist die abschließende Niederlage zwar umso bitterer, zeigt aber die grundsätzliche Sieghaftigkeit der Athener durch sichtbare Zeichen.111 Meist können die erwähnten Tropaia zum Zeitpunkt der Rede nicht (mehr) sichtbar gewesen sein – sei es wegen der zeitlichen oder auch der örtlichen Entfernung. Sie sind dann zunächst einfach ein Bild, um Sieg oder Niederlage auszudrücken. Trotzdem wird, wie sich bereits mehrfach gezeigt hat, auf ihre ja tatsächlich gar nicht gegebene Sichtbarkeit in manchen Fällen ausdrücklich hingewiesen. Das führt zu der Annahme, dass die Nennung von etwas zumindest potentiell Sichtbarem, wie eben einem Tropaion, dazu geeignet war, der Schilderung vergangener Ereignisse innerhalb der Argumentation größere Glaubwürdigkeit zu verleihen. Was sichtbar war, dessen Erwähnung scheint in den Augen der Zuhörer einen gesteigerten Wahrheitsgehalt besessen zu haben – hierauf wird im letzten Teil dieses Kapitels (8.7) abschließend noch ausführlicher einzugehen sein. In Einzelfällen kann der Begriff des Tropaions für die allgemeinen militärischen Qualitäten einer Gruppe stehen. So wird die Sieglosigkeit der Perser in Vergangenheit und Gegenwart im „Panegyrikos“ des Isokrates durch ihre Erziehung und die Staatsform, unter der sie leben, begründet, sie zeigt sich aber darin, dass sie „keine Tropaia
110 111
zufolge sind die Aussagen zu den makedonischen Tropaia als plausibel zu werten. Ma 2008, 78 mit Anm. 41, der die Aussage zum Tropaion als Irrtum Diodors wertet. Bei Lykurgos sei die Annahme eines Tropaions als Metapher gemeint. Allgemeinere Überlegungen zu hellenistischen Siegesmalen bei Chaniotis 2005, 233–235. Plat. Mx. 243a und der Kommentar bei Tsitsiridis 1998 ad loc. Vgl. auch die Nennung der Tropaia in Zusammenhang mit der Sizilischen Expedition bei Thuk. 6,70,3–7,72,1. Dort sind die Kampfhandlungen Anlass zur Errichtung von 22 Tropaia (davon 11 für Siege der Athener). Vgl. die Zusammenstellung bei Pritchett 1974, 265 f.; Jacquemin 2000, 64 hebt die große Zahl der für diesen Konflikt genannten Tropaia (24!) hervor, die auch dadurch zu erklären sind, dass Tropaia eben nicht nur für entscheidende Siege, sondern auch für kleinere Scharmützel errichtet wurden. Zur Erinnerung der Athener an die Siegeszeichen trotz der abschließenden katastrophalen Niederlage vgl. J. Anderson 1970, 4 f. sowie zuletzt Steinbock 2017, 141 mit Anm. 140.
Sieger und Verlierer
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errichten können“.112 In der gleichen Rede findet sich auch die einzige Aussage innerhalb des untersuchten Textkorpus, die die Vergänglichkeit und die große Zahl der Tropaia (nach jeder Schlacht) der Dauerhaftigkeit eines (in Stein geschriebenen) Friedensschlusses gegenüberstellt – diese Inschrift wird dann wiederum als Tropaion im übertragenen Sinne bezeichnet. So sei die Inschrift des so genannten Königsfriedens für den Perserkönig „ein viel ruhmreicheres Denkmal […] als die auf den Schlachtfeldern errichteten Siegeszeichen.“113 „Offensichtlich ist hier nicht von einem wirklichen Tropaion die Rede, der Terminus dient lediglich dazu, die Eigenschaft des Vertrages als Ausdruck des persischen Sieges metonymisch zu verdeutlichen.“114 Vollständig metaphorisch erscheint das Tropaion dann, wenn es nicht mehr mit einem militärischen Ereignis verbunden ist. Das ist in der Rede „Gegen Ktesiphon“ der Fall, indem Aischines die Richter davor warnt, Demosthenes mit einem Kranz zu ehren und damit ein Tropaion ihrer eigenen Niederlage im Dionysostheater zu errichten.115 Die Errichtung eines solchen Tropaions würde bei der Verleihung eines goldenen Kranzes, wie von Ktesiphon gefordert, in einem zentralen öffentlichen Raum inmitten der Stadt, also buchstäblich vor aller Augen, stattfinden. Die Metapher ist Teil eines der Höhepunkte der Rede, während dem Aischines die Zuhörer bittet, sich die Szene der Ehrung des Demosthenes bildlich vorzustellen, an einem Ort, an dem die Waisen von im Krieg Gefallenen von der Polis mit Waffen ausgestatten werden, und in Anwesenheit der Thebaner, deren Untergang Demosthenes maßgeblich mit verschuldet habe. Auch die Zerstörung der Polis Theben sollen sich die Athener wiederum bildlich vor Augen führen.116 In einer wichtigen Passage bemüht Aischines zentrale Bilder der Eroberung einer Stadt, die für das Selbstverständnis der Athener von beson-
112 113 114 115
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Isokr. 4,150: „οὐ γὰρ οἷόντε τοὺς οὕτω τρεφομένους καὶ πολιτευομένους οὔτε τῆς ἄλλης ἀρετῆς μετέχειν οὔτ᾽ἐν ταῖς μάχαις τρόπαιον ἱστάναι τῶν πολεμίων.“ Übers. Ch. Ley-Hutton. Isokr. 4,180: „πολὺ κάλλιον τρόπαιον τῶν ἐν ταῖς μάχαις γιγνομένων“. Übers. Ch. Ley-Hutton. Vgl. Rabe 2008, 38 und in Zusammenhang mit der Inschrift des Friedensvertrages als Erinnerungsträger vgl. Kap. 5.7. Rabe 2008, 38 mit dem Verweis auf Aristot. Rhet. 1411b; zur symbolisch-metaphorischen Bedeutung vgl. auch Kinnee 2018, 38 f. Aischin. 3,156: „μὴ πρὸς Διὸς καὶ θεῶν, ἱκετεύω ὑμᾶς, ὦ ἄνδρες Ἀθηναῖοι, μὴ τρόπαιον ἵστατε ἀφ᾽ ὑμῶν αὐτῶν ἐν τῇ τοῦ Διονύσου ὀρχήστρᾳ“. Vgl. Rabe 2008, 38: „Ein derartig abstrahierender Sprachgebrauch zeugt nicht nur von der hohen Bekanntheit des Wortes und seiner Bedeutung, sondern auch von der verbreiteten Kenntnis des Brauchs.“ Aischin. 3,152–158 (besonders 157: „ἀλλ᾽ ἐπειδὴ τοῖς σώμασιν οὐ παρεγένεσθε, ἀλλὰ ταῖς γε διανοίαις ἀποβλέψατ᾽ αὐτῶν εἰς τᾶς συμφοράς, καὶ νομίζαθ᾽ ὁρᾶν ἁλισκομένην τὴν πόλιν, τειχῶν κατασκαφάς…“); vgl. Yunis 2007, 103; 379: Diese emotionale Passage transportiert damit das Kernargument des Aischines: Es wäre ein Verbrechen, die höchste Ehrung, die die Polis zu vergeben habe, ausgerechnet dem Bürger zu verleihen, der hauptverantwortlich für die Niederlage bei Chaironeia und die darauf folgende makedonische Hegemonie sei. Zur Strategie der Visualisierung in Zusammenhang mit der Zerstörung Thebens vgl. ausführlich O’Connell 2017, 128–131. Eine ähnliche Vorgehensweise ist auch bei der Schilderung der Zerstörung von Phokis bei Demosth. 19,65 zu beobachten.
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derer Bedeutung waren, und dazu gehörte eben auch das Tropaion, eigentlich ein Siegeszeichen, das aber auch den schlimmsten Niederlagen Ausdruck verleihen konnte. 8.7 Fazit: Die Sichtbarkeit des Sieges Die Sichtbarkeit eines Tropaions oder mehrerer Tropaia kann unmittelbar zur Sprache gebracht werden: erstens durch die Bezeichnung der Monumente als sichtbar, zweitens durch die Annahme, dass sie Objekte der Anschauung sind, und drittens durch die Aufforderung an die Zuhörer, die Tropaia anzuschauen. Der Anspruch der Sichtbarkeit, der mit der Nennung nicht nur der dauerhaften, sondern auch der ephemeren Tropaia verbunden war, wird aber auch durch ihre Funktion als „sichtbare ‚Beweise‘“ und „handfeste Zeugen des Sieges“ deutlich. So werden die Tropaia der Perserkriege in der Anabasis des Xenophon als „τεκμήρια“ bezeichnet und bei Diodor als „μάρτυρα νίκας“.117 Ähnliche Bezeichnungen für Tropaia finden sich auch bei den attischen Rednern: So wird das angebliche Tropaion Solons bei Demosthenes als „τῆς μὲν ἀνδρείας […] ὑπόμνημα“ bezeichnet,118 die Tropaia der Schlacht von Plataiai gelten im „Plataikos“ des Isokrates als „μέγιστα σημεῖα τῆς ἀρετῆς“.119 Wie sich bereits herausgestellt hat, müssen alle diese Zuschreibungen der Sichtbarkeit aber kein Anzeichen dafür sein, dass die betreffenden Tropaia tatsächlich sichtbar oder überhaupt nur real waren. Für die Athener sichtbar waren wohl nur die Tropaia von Marathon und Salamis. Für alle anderen Tropaia wird das Attribut der Sichtbarkeit aber ebenfalls zumindest in Anspruch genommen.120 Diese Tatsache zeugt von einem „tief verwurzelten Bedürfnis nach Anschaulichkeit, nach einem sichtbaren, greifbaren, überzeugenden ‚Beweis‘ für den Sieg“.121 Marion Meyer zufolge zeigt sich dieses Bedürfnis vor allem in der Errichtung eines dauerhaften Monuments für den Seesieg bei Salamis, denn dieses Tropaion könne gar nicht, wie bei einer Landschlacht, den Wendepunkt bezeichnen, die Stelle also, an der der Feind besiegt worden war. Das Tropaion sei damit von seiner pragmatischen Funktion entbunden und werde zum mnema des Sieges.122 All diese Tropaia konnten dem Anspruch der Sichtbarkeit auch deshalb genügen, da sie Teil der alltägli117
Xen. an. 3,2,13 sowie Diod. 11,14,4 (in einem angeblich 480 entstandenen Epigramm der Delphier). Vgl. M. Meyer 2005, 279 f. Vgl. auch Meritt 1947, 58–62; West 1969, 15, ebenfalls mit Verweis auf die Textstelle bei Xenophon: „The tropaia are tekmeria one can see.“ 118 Demosth. 61,49, vgl. Kap. 8.5. 119 Isokr. 14,58. 120 Besonders eindrücklich in der Passage Demosth. 20,75–86, in der Demosthenes mit verschiedenen Strategien versucht, die räumlich und zeitlich entfernten Tropaia des Chabrias für die Zuhörer sichtbar werden zu lassen. Vgl. auch Low 2010, 356, die Tropaia als Beispiel dafür anbringt, dass die Redner auch bereit gewesen seien, „to employ monuments both geographically and chronologically distant from them and their audience“. 121 M. Meyer 2005, 308. 122 Vgl. M. Meyer 2005, 308.
Fazit: Die Sichtbarkeit des Sieges
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chen Bilderwelt der Polis waren: Davon zeugen Vasendarstellungen, aber auch Reliefs, die an prominenter Stelle angebracht waren, wie zum Beispiel das Relief an der Balustrade des Athena-Nike-Tempels, das aufgrund seiner Positionierung von zahlreichen Punkten der Stadt aus sichtbar war.123 (Abb. 8.1 und 8.2)
Abb. 8.1: Blick auf den Athena Nike Tempel vom Areopag-Hügel (© K. Kostopoulos)
Abb. 8.2: Blick auf die Akropolis mit dem Athena-Nike-Tempel vom Kerameikos aus (© K. Kostopoulos)
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Die Außenwirkung dieses Reliefs betont auch T. Hölscher 1997, 147 mit dem Hinweis darauf, dass die drei Abschnitte der Balustrade nicht gleichzeitig zu überblicken waren und sich deshalb das Bildmotiv auf allen drei Seiten wiederholt.
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Die in den Reden genannten Tropaia dienten also zunächst der Visualisierung des Sieges, besonders häufig werden in diesem Zusammenhang Siege der Athener thematisiert. Je nach Kontext konnten aber auch die Siege anderer Poleis oder nicht-griechischer Gruppen gemeint sein. Seine bloße Nennung genügte, um den Ausgang einer Schlacht zu bezeichnen, was sicherlich neben dem symbolischen Wert der Aufstellung seine Beliebtheit erklärt. Umgekehrt konnten die Tropaia im Ausnahmefall auch als Zeichen der Niederlage verwendet werden. Die Tropaia sind darüber hinaus oft mit Personen verbunden, die für die Errichtung eines Siegeszeichens verantwortlich sind. Dies gilt allerdings nicht für die Perserkriege, dann sind es nie Themistokles oder Miltiades, die das Tropaion errichten, sondern es ist immer der Demos. Die Sichtbarkeit der Tropaia wird mehrfach hervorgehoben. Im Falle von Marathon und Salamis ist diese Sichtbarkeit tatsächlich gegeben, ansonsten handelt es sich um das Attribut der Sichtbarkeit zur Steigerung der Glaubhaftigkeit einer Schilderung, wie es insbesondere beim Tatenbericht des Chabrias bei Demosthenes der Fall ist. In diesem Zusammenhang spielt es auch keine Rolle, ob im konkreten Fall ein ephemeres oder ein dauerhaftes Tropaion gemeint ist, dies wird von den Rednern auch gar nicht betont.124 Es ist davon auszugehen, dass bei der Erwähnung der Tropaia von Marathon oder Salamis immer die dauerhaften Denkmäler gemeint sind, obwohl von der Aufstellung unmittelbar nach der Schlacht berichtet wird – insbesondere wenn die Sichtbarkeit eigens hervorgehoben wird. Insgesamt erweist sich das Tropaion als wichtiger visueller Erinnerungsträger der athenischen Rhetorik, der sich besonders zur Illustration der siegreichen Vergangenheit der Polis Athen eignete und mit dem zahlreiche Botschaften verknüpft werden konnten.
124
Vgl. Kinnee 2018, 57.
9 Fazit: Die Erinnerungsräume der athenischen Demokratie Nachdem zu Beginn dieser Untersuchung für die Rede des Lykurgos „Gegen Leokrates“ eine zentrale Rolle der Erinnerungsräume in der Argumentation mit den Taten der Vorfahren und den Ereignissen der Vergangenheit konstatiert worden war, stellte sich die Frage, ob es sich dabei um eine neue oder andere Redestrategie im Vergleich zu den übrigen Zeugnissen der attischen Rhetorik handelte. Die argumentative Einbindung von Erinnerungsräumen bekommt durch die Personifikationen, die aber nur einen kleinen Teil der räumlichen Bezüge in der Rede ausmachen, eine ganz besondere Qualität und auch die Quantität der räumlichen Bezüge ist in der vorangehenden und folgenden Rhetorik beispiellos. In Hinblick auf die grundlegende Bedeutung von Erinnerungsräumen muss man die Frage jedoch verneinen. Die „Rhetorik der Räume“ spricht aus vielen der uns erhaltenen Reden. Die Sichtbarkeit von vielen der genannten Orte und Denkmäler steht dabei oft im Mittelpunkt – dies unterstreicht ihr Potential als wichtige Ergänzung zu der Erinnerung an die athenische Geschichte durch den Appell an das kollektive Bildgedächtnis der zuhörenden Athener. Die einzelnen Monumentgruppen zeigen je eigene Schwerpunkte der Visualisierung von Vergangenheit: Die Akropolis als Baukomplex sowie auch die einzelnen dort errichteten und aufgestellten Bauwerke, Statuen und Inschriften wurden in den Reden vielseitig und vielschichtig eingesetzt. Dabei kann die starke Gewichtung einzelner baulicher Strukturen, insbesondere der Propylaia, durch ihre Verköperung der ruhmreichen Geschichte der Polis, vor allem aber durch ihre visuelle Prominenz erklärt werden. Diese Sichtbarkeit ist auch der Grund dafür, dass die Bauten und Denkmäler, wie auch die Akropolis insgesamt, im Kontext der Reden nicht genauer beschrieben werden. Die Akropolis insgesamt konnte sowohl Wohlstand und Einfluss Athens im 5. Jahrhundert symbolisieren, gleichzeitig aber auch die katastrophalen Niederlagen – die Zerstörung durch die Perser wie auch die Niederlage gegen Sparta am Ende des Peloponnesischen Krieges – sichtbar machen. Bei den Ehrenstatuen, die in den Reden besonders hervorgehoben und mit historischen Ereignissen verbunden werden, handelt es sich vor allem um die auf Beschluss des Demos aufgestellten Ehrenstatuen auf der Agora. Die Tyrannenmörder sowie die Strategen des 4. Jahrhunderts Konon, Iphikrates, Chabrias und Timotheos sind die
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Fazit: Die Erinnerungsräume der athenischen Demokratie
sichtbaren und am häufigsten erwähnten paradeigmata großer Verdienste um die Polis Athen. Das genaue Erscheinungsbild der Statuen spielt in diesem Zusammenhang kaum eine Rolle. Im Rahmen der Betrachtung nehmen die Inschriften eine Sonderstellung ein, da Text und Monument verbunden sind. In Zusammenhang mit Inschriften als Belege für vergangene Ereignisse oder sogar als visuelle paradeigmata steht aber klar der Monumentcharakter im Vordergrund. Die Stadtmauern sind hingegen weniger als paradeigmata als vielmehr zur Veranschaulichung vergangener Ereignisse verwendet worden. Dies hängt sicherlich auch damit zusammen, dass es sich ursprünglich um ein rein funktionales Bauwerk handelte, dem dann nachträglicher Denkmalcharakter zugesprochen wurde. Die Gräber der Vorfahren können entweder die im demosion sema Bestatteten einer bestimmten Schlacht oder eines bestimmten Jahres repräsentieren, oder aber alle im Dienst der Polis Gefallenen mit einem Erinnerungsraum verbinden. Darüber hinaus kann auch die Erinnerung an die persönlichen Vorfahren eines Redners, das heißt an die Verstorbenen einer bestimmten Familie, durch Gräber visualisiert werden. Der besondere Statusnachweis durch diese Gräber wird durch ihre Einbindung in die Fragen an jeden athenischen Bürger bei der dokimasia deutlich. Hinzu kommt als Steigerung die eingangs bereits angesprochene symbolische und metaphorische Bedeutung von Objekten, die über Fragen der konkreten Sichtbarkeit hinausgeht. Diese Überwindung einer konkreten Verortung macht deutlich, wie etabliert die jeweilige Form von Monumenten und die mit ihnen verbundenen Botschaften waren. Dieses Phänomen begegnet insbesondere in Zusammenhang mit den Tropaia, die emblematisch für die Sieghaftigkeit einer Person oder einer Polis genannt werden können. Die Illusion einer konkreten räumlichen Präsenz bleibt aber auch hier in den meisten Fällen von Bedeutung. Die untersuchten Monumente können zunächst gerade aufgrund ihrer visuellen Präsenz Teil des kollektiven Bildgedächtnisses sein. Wie insbesondere am Fallbeispiel der Tropaia festgestellt, kann diese Sichtbarkeit real erfahrbar, aber auch nur hypothetisch angenommen sein. Sie wird in einigen Fällen von den Rednern betont, oft kann sie aber nur nachträglich erschlossen werden, da auf die allen Bürgern vertrauten „Ansichten“ ihrer Polis nicht eigens hingewiesen werden musste. Das Phänomen der „angenommenen Sichtbarkeit“ betont darüber hinaus die Bedeutung, die dem Aspekt des „Anschauens“ zugesprochen wurde. In vielen Fällen scheint die Erwähnung von Räumlichkeit in Zusammenhang mit historischen Ereignissen und Personen dazu gedient zu haben, eben diese Erzählungen glaubwürdiger, da visuell nachvollziehbar, zu gestalten. Zahlreiche Monumente werden ausdrücklich mit bestimmten historischen Ereignissen verbunden. Dabei kommt es oft zu einer Verknüpfung eines Monuments mit besonders bekannten Ereignissen. Ein Beispiel hierfür bildet die Verbindung der Propylaia mit Ereignissen und Personen aus der Zeit der Perserkriege; hier zeigt sich zu-
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sätzlich die ebenfalls verbreitete Praxis, zwei Phasen der athenischen Geschichte in der Besprechung von Monumenten zusammenzuziehen. Auch Niederlagen können visualisiert werden, insbesondere durch die besondere Gestaltung der Befestigungsmauer der Akropolis, die Geschichte(n) um ihre Besetzung und die mit den Langen Mauern verbundenen Erzählungen. Die Verbindung von Monumenten mit der Erinnerung an einzelne Personen und ihre Leistungen findet insbesondere (wenn auch nicht ausschließlich) in den Prozessreden statt, da diese thematisch stark auf den Kläger oder den Angeklagten bezogen sind. Aufgrund ihrer personellen Darstellung können vor allem Ehrenstatuen als Denkmäler besonderer Verdienste fungieren. Hier wird auch die Funktion von Objekten als „visuelle paradeigmata“ besonders deutlich: Die Ehrenstatuen sind sichtbare Vorbilder oder ebenso häufig auch Gegenbilder zum Angeklagten. Außerdem können Stadtmauern, Inschriften, seltener Tropaia oder auch Bauten der Akropolis mit den Leistungen einzelner Personen verknüpft werden, wichtiger sind in diesen Fällen meist aber die Leistungen des gesamten Demos. Agora und Akropolis im Zentrum der Polis sind die zentralen öffentlichen Räume mit den meisten historisch-räumlichen Bezügen. Es wird also eine Hierarchie der Erinnerungsräume „von innen nach außen“ deutlich, wobei aber meist einzelne Aspekte wie Statuen, Inschriften oder Bauten thematisiert und angesprochen werden. Insbesondere die Agora als Platz mit ihren politischen, religiösen und ökonomischen Funktionen, die auch den historisch-symbolischen Aspekt mit einschließen, wird nur selten in die Argumentation eingebunden. Dieser Schwerpunkt auf Einzelansichten findet eine Parallele im Umgang mit historischen Ereignissen, auch dort fällt der Blick der Redner eher selten auf längerfristige Abläufe und Entwicklungen, sondern es werden meist einzelne Ereignisse punktuell herausgegriffen. Gerade die Monumente und Denkmäler der zentralen öffentlichen Räume waren darüber hinaus für alle alltäglich sichtbar, manchmal sogar unmittelbar beim Anhören der jeweiligen Rede. Durch die Vertrautheit der athenischen Bürger mit diesen alltäglichen Ansichten ist auch das Phänomen zu erklären, dass die Denkmäler nur in Ausnahmefällen genauer beschrieben werden – so wie es parallel dazu auch bei den immer wieder erwähnten historischen Ereignissen der Fall war. Die Auswahl der Objekte durch die Redner ist ebenso selektiv wie die Anführung historischer Beispiele selbst. Die in den Reden genannten Räume und Monumente sind nicht als Abbild der Denkmallandschaft, als detailgetreue „historische Physiognomie“ der Polis zu verstehen. Dies gilt beispielsweise für die Denkmäler der Akropolis. Während die Athena Promachos und ihr prominenter Aufstellungsort in einigen Reden erwähnt werden, spielt das gleich daneben aufgestellte Bronzegespann für den Sieg gegen Boioter und Chalkidier im Jahr 506 keine Rolle – wie im Übrigen auch das damit verbundene historische Ereignis in Vergessenheit geraten zu sein scheint. Wichtig ist es abschließend zu betonen, dass die einzelnen Denkmäler und Monumente nicht isoliert zu sehen sind. Stattdessen ist im Verlauf der vorliegenden Untersu-
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chung die Vernetzung deutlich geworden, die zwischen den verschiedenen Objekten besteht,1 und damit auch bestimmte Personen und Ereignisse, die Gegenstand dieser Vernetzung sind, besonders hervorhebt. Diese durch Erinnerungsräume multivernetzten Personen und Ereignisse sind als zentral für das Selbstbild der athenischen Bürger anzusehen. Dieses Phänomen betrifft zunächst die Perserkriege bzw. ihre zentralen Schlachten und ihre Protagonisten. Dieses Ensemble an Ereignissen und Personen wird nicht nur in zahlreichen Reden immer wieder in längeren Narrativen sowie durch kurze Anspielungen und paradeigmata in den Mittelpunkt gestellt, sondern zusätzlich auch durch zahlreiche Medien verbildlicht und ist damit fester Bestandteil des kollektiven (Bild-)Gedächtnisses der Athener. Alle in der Untersuchung behandelten Monumente sind auf unterschiedliche Weise mit den Perserkriegen verknüpft – lediglich die Ehrenstatuen können nur indirekt mit den Protagonisten der Perserkriege in Zusammenhang gebracht werden, weil es den Rednern meist darum geht zu zeigen, dass sich die betreffenden Strategen mit weitaus bescheideneren Ehrungen begnügt hätten. Demgegenüber sind die durch Ehrenstatuen im Stadtbild verewigten Strategen wie Konon auch durch weitere Medien und räumliche Strukturen wie Inschriften, Tropaia oder auch die Langen Mauern präsent und können gerade deshalb von den Rednern besonders intensiv als paradeigmata des vorbildlichen Verhaltens angebracht werden. Die beiden genannten, durch die Vernetzung verschiedener Monumente besonders prominenten Beispiele zeigen auch, dass viele der Monumente mehr mit den außenpolitischen Ereignissen und den darin eingebundenen Personen verknüpft sind als mit der demokratischen Ordnung als Aspekt der internen Entwicklung der Polis.2 Demgegenüber steht die räumlich vernetzte Erinnerung an Solon und sein Gesetzeswerk, die weniger durch seine selten genannte Statue, als vielmehr durch die ihm zugeschriebenen Inschriften in den öffentlichen Räumen der Polis gegenwärtig war. Auch die Tyrannenmörder, die bei den Rednern fast ausschließlich als Begründer der Demokratie und vorbildliche Bürger eine Rolle spielen, werden im Stadtbild durch den Ort ihrer Tat selbst, durch die Statuengruppe, das Grab sowie durch die damit verbundenen Riten präsent gehalten. Die genannten Beispiele machen darüber hinaus eine weitere Ebene der Vernetzung deutlich. Durch die visuelle Vergegenwärtigung von Personen und Ereignissen der Vergangenheit werden gleichzeitig die wichtigen öffentlichen Räume mit den zugehörigen Gruppen miteinander in Verbindung gebracht – auch dieses Phänomen lässt sich am besten anhand der Personen und Ereignisse der Perserkriege nachvollziehen. Als Protagonist einer solchermaßen verräumlichten Geschichte erscheint besonders der athenische Demos insgesamt: In Zusammenhang mit der Erwähnung räumlicher Strukturen nehmen die Redner häufig auf „unsere Polis“ („ἡ πόλις ἡμῶν“) oder 1 2
Bergmann 2000, 181 spricht in diesem Zusammenhang von einer „Vergesellschaftung mit anderen Monumenten“. Vgl. auch T. Hölscher 1998b, 183.
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auch „unsere Akropolis“ („ἡ ἀκρόπολις ἡμῶν“) Bezug. Bei den Inschriften handelt es sich um Gesetze, Ehrungen (sowie auch Strafen) und Verträge, die durch den Demos beschlossen wurden – ein Aspekt, der insbesondere in Verbindung mit den Ehreninschriften betont wird. Mauern und Tropaia sind vom Demos insgesamt errichtet worden und zeugen von den Leistungen der Gemeinschaft. Nicht zuletzt bezeichnen die Gräber der Vorfahren, die sogar personifiziert werden können, die gefallenen Vorfahren aller athenischen Bürger. Die genannten Denkmäler veranschaulichen also die Konstitution der Athener als Gruppe mit einer gemeinsamen Geschichte und gemeinsamen Wertvorstellungen, wie es zumindest in den Reden als Ideal formuliert wird. Neben den genannten Schwerpunkten wird die große zeitliche und thematische Spannbreite sowohl der behandelten Themen als auch der damit verbundenen Erinnerungsräume deutlich. Ein und dasselbe Monument konnte dabei die unterschiedlichsten Interpretationen erfahren und in verschiedenen Redekontexten eingesetzt werden. Dieses Phänomen wird besonders dann deutlich, wenn in den erhaltenen Reden ein Konflikt über die Bedeutung von Denkmälern auszumachen ist. Diese Bezugnahme ist insbesondere in den Redepaaren des „Gesandtschaftsprozesses“ und des „Kranzprozesses“ des Demosthenes und des Aischines zu konstatieren, die sich sowohl zu der Bedeutung von Errinnerungsräumen in der rhetorischen Argumentation als auch zur Interpretation einzelner Denkmäler wie Tropaia und Statuen durch den Gegner äußern. Vergangenheitsbezüge und ihre Verräumlichung können mit ihrem diskursiven Potential also auch als Gegenstände des „Wechselspiels und Wettstreits“ verstanden werden.3 Derartige Konflikte sind in den erhaltenen Reden darüber hinaus aufgrund der Überlieferungslage nur in Ansätzen greifbar, wenn etwa in einer Anklagerede auf die Argumentation der Verteidigung Bezug genommen wird. Grundsätzlich sind Bezüge auf Erinnerungsräume und die Verargumentierung von Denkmälern und Monumenten in Reden des gesamten 4. Jahrhunderts anzutreffen. Die Lysias und Andokides zugesprochenen Reden vom Ende des 5. und Anfang des 4. Jahrhunderts weisen bereits zahlreiche räumliche Bezüge auf. Da sich beide Redner besonders mit den Niederlagen des Peloponnesischen Krieges befassen, wird insbesondere die Geschichte und der Anblick der Stadtmauern Athens in die Argumentation eingebunden, darüber hinaus werden aber auch die Akropolis, Inschriften, sowie Gräber und Tropaia der Vorfahren angesprochen. Zu einer intensiveren Verwendung einer solchen Redestrategie kommt es dann aber insbesondere in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts und vor allem in den Jahren nach 338. Das Jahr 330 mit der Rede des Lykurgos „Gegen Leokrates“, die diese Untersuchung eingeleitet hat, sowie dem „Kranzprozess“ zwischen Demosthenes und Aischines ist als Höhepunkt dieser Entwicklung anzusehen. Gleichzeitig ist zu beobachten, dass die Reden im gesamten vier-
3
Vgl. Hobden 2007, 498; Clarke 2008, 273 (Zitat) und generell zur Diskussion vor Gericht als Agon Blanshard 2010, 205–207.
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ten Jahrhundert, mit ihren je eigenen historischen und politischen Voraussetzungen, immer auch abhängig von der jeweiligen Redegattung, unterschiedliche Semantiken der Erinnerungsräume, aber auch je eigene rhetorische Strategien zur Einbindung dieser Erinnerungsräume entwickelten.4 Obwohl es Überschneidungen im Publikum bei verschiedenen Redegattungen gegeben haben muss, müssen die unterschiedlichen Bedürfnisse forensischer, symbouleutischer und epideiktischer Rede eine Rolle gespielt haben.5 Erinnerungsräume sind ein Phänomen insbesondere der symbouleutischen Reden sowie der forensischen Reden mit politischen Themen. Im Kontext dieser Reden beförderten sowohl inhaltliche Voraussetzungen als auch die Verortung der Reden auf der Pnyx und in den Dikasterien auf der Agora den Bezug zu den umliegenden Erinnerungsräumen der Polis. Aber auch hier lassen sich Variationen zwischen verschiedenen Rednern und sogar zwischen einzelnen Reden eines Redners feststellen – im Bewusstsein der athenischen Bürger (also auch der Redner) gab eben nicht die athenische Geschichte, sondern eine Vielzahl von Geschichten, die Gegenstand der Verräumlichung sein konnten. Dabei reicht die Spannbreite von der Nutzung der Denkmäler und Monumente als visuelle paradeigmata bis hin zum Aspekt der Räumlichkeit als Mittel der Veranschaulichung von historischen Erzählungen, oder anders ausgedrückt von einer exemplarischen bis zu einer ikonischen Funktion. In beiden Fällen ist es für die Überzeugungsleistung zunächst einmal unwesentlich, ob es sich dabei um ausführliche Schilderungen oder auch nur um knappe Anspielungen handelt. Die Forschung zur antiken Rhetorik hat sich bisher besonders auf die eindrücklicheren paradeigmata konzentriert, sicherlich konnten aber „beiläufig“ angebrachte historisch-räumliche Bezüge ebenfalls eine starke Wirkung entfalten. Durch die Einbindung öffentlicher Räume, Monumente und Bilder in ihre Reden griffen die Redner Sichtbares, Bekanntes und alltäglich Präsentes auf, um ihre historischen Schilderungen und paradeigmata zu visualisieren und damit eindrücklicher zu gestalten. Die Einbeziehung von Monumenten und Denkmälern sowie anderen räumlichen Bezügen konnte ganz konkret dazu beitragen, dass die Zuhörer einer Rede historisches Material rezipieren konnten. Diese Strategie war also ein Mittel der Überzeugung und hatte damit zunächst einen ganz pragmatischen Hintergrund.6 Gleichzeitig beeinflussten die Redner dadurch die Art und Weise der Betrachtung und Wahrnehmung dieser Monumente und stärkten das Gefühl der Gemeinschaft, indem die Zuhörerschaft mit den gleichen Ansichten und den damit verbundenen Wertvorstellungen konfrontiert wurde.7 Durch die zentrale Rolle der Rhetorik in der politischen Kultur der athenischen Demokratie konnten die Erinnerungsräume der Polis mit ihren Denkmälern und Monumenten die Geschichte(n) der Athener sichtbar vergegenwärtigen. 4 5 6 7
Vgl. Schmidt-Hofner 2016, 373. Vgl. Clarke 2008, 251. Vgl. O’Connell 2017, 172. Vgl. Arrington 2015, 14.
10 Quellen und Literatur 10.1 Quellenverzeichnis: Quelleneditionen, Kommentare und Übersetzungen Die gebräuchlichen Ausgaben antiker Autoren (Bibliotheca Teubneriana, Collection Budé, Oxford Classical Texts, Loeb Classical Library) sowie die epigraphischen Editionen, die nach den Standardeditionen und –corpora (vgl. DNP 1 (1996), XV–XLVII) zitiert werden, sind nicht aufgeführt. Aeschines. Translated by C. Carey (The Oratory of Classical Greece 3), Austin, TX 2000. (Kommentar: Carey 2000) Andocides. Edited and translated by M. Edwards (Greek orators 4), Warminster 1995. (Kommentar: M. Edwards 1995) Antiphon & Andocides. Translated by M. Gagarin & D. M. MacDowell (The Oratory of Classical Greece 1), Austin, TX 1998. (Kommentar: Gagarin 1998; MacDowell 1998) Antiphon & Lysias. Translation with commentary and notes by M. Edwards / S. Usher (Greek orators I), Warminster 1985. Antiphon, Gegen die Stiefmutter und Apollodoros, Gegen Neaira (Demosthenes 59). Frauen vor Gericht. Eingeleitet, herausgegeben und übersetzt von K. Brodersen, Darmstadt 2004. (Kommentar: Brodersen 2004) Apollodoros, Against Neaira [D. 59], Edited with Introduction, Translation and Commentary by K. A. Kapparis, Berlin/New York 1999. Aristoteles, Rhetorik. Übersetzt und herausgegeben von G. Krapinger, Stuttgart 2010 (zuerst 1999). ARV2 = J. D. Beazley, Attic red figure vase-painters, 3 Bde., Oxford 1963. Canevaro 2016 = M. Canevaro, Demostene, „Contro Leptine“. Introduzione, Traduzione e Commento Storico (Texte und Kommentare 55), Berlin 2016. CIRB = Corpus Inscriptionum regni Bosporani. Herausgegeben von V. Struve, Moskau 1965. Conomis = Lycurgi oratio in Leocratem: cum ceteratum Lycurgi orationum fragmentis, herausgegeben von N. C. Conomis, Leipzig 1970. Conomis 1961 = N. C. Conomis, Notes on the Fragments of Lycurgus, in: Klio 39 (1961), 72–152. Demosthenes, Against Meidias (oration 21). Edited with introduction, translation, and commentary by D. M. MacDowell, Oxford 1990.
352
Quellen und Literatur
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