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German Pages 759 [776] Year 1998
Die Universität Göttingen unter dem Nationalsozialismus
Herausgegeben von Heinrich Becker, Hans-Joachim Dahms, Cornelia Wegeier
Zweite, erweiterte Ausgabe
IC-G-Saur München 1998
Gedruckt mit Unterstützung der Stiftung der Georg-August-Universität zu Göttingen, des Universitätsbunds Göttingen e.V., der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Hauptvorstand Frankfurt, der Max-Traeger-Stiftung, Frankfurt a. M. und Professor Dr. h. c. mult. Klaus G. Saur.
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Die Universität Göttingen unter dem Nationalsozialismus / hrsg. von Heinrich Becker ... - 2., erw. Aufl. - München : Saur, 1998 ISBN 3-598-10853-2 ©
Gedruckt auf säurefreiem Papier / Printed on acid-free paper © 1998 by Κ. G. Saur Verlag GmbH & Co. KG, München Part of Reed Elsevier Alle Rechte Vorbehalten. All Rights Stricdy Reserved Jede Art der Vervielfältigung ohne Erlaubnis des Verlags ist unzulässig Satz / Typesetting by Fotosatz Herbert Buck, Kumhausen Druck / Printed by Strauss Offsetdruck, Mörlenbach Binden / Bound by Buchbinderei Schaumann, Darmstadt ISBN 3-598-10853-2
Vorwort zur zweiten Ausgabe William Sheridan Allen, der Autor eines bekannten Werks über die nationalsozialistische „Machtergreifung" am Beispiel des nur wenige Kilometer von Göttingen entfernten Northeim, hat sich lange gegen eine zweite Ausgabe seines Buchs mit den Worten gestemmt: „If it isn't broken, don't fix it". 1 Wenn wir jetzt, ziemlich genau zehn Jahre nach dem ersten Erscheinen und mehreren Nachdrucken unseres Buchs, eine zweite Ausgabe herausbringen, beabsichtigen wir weniger eine Reparatur des Bandes (der u.E. trotz vieler Rezensionen und auch angesichts neuerer Publikationen in der Zwischenzeit in seinen wesentlichen Bestandteilen heil geblieben ist) als vielmehr eine Erweiterung. Unsere Ziele sind also: 1) wo nötig, den Inhalt der ersten Ausgabe zu korrigieren, 2) vor allem aber, wo möglich, ihn zu vervollständigen.
/. Zuvor sind aber ein paar Bemerkungen zur bisherigen Aufnahme des Werks am Platze. Hier können sich die Autorinnen der ersten Ausgabe nicht beklagen: es erschienen schon bis 1989 über 30 Rezensionen, davon ein halbes Dutzend in den USA, mehrere auch in Italien und Osterreich. Die Besprechungen waren im Tenor durchweg positiv. Bemängelt wurde außer einigen inhaltlichen Fehlern oder Formulierungsschwächen hauptsächlich das Fehlen von Beiträgen über Medizin, Chemie und Biologie sowie im Bereich der neuen Philologien und der Musik- und Kunstgeschichte. Diese Klagen trafen sich gut mit unseren ohnehin seit 1987 gehegten Anderungs- und Erweiterungsabsichten (siehe das Vorwort zur ersten Ausgabe). Auf die in den Besprechungen geübte Detailkritik kann hier nicht ausführlicher eingegangen werden (sie wurde in den Korrekturen der Einzelbeiträge, soweit möglich, berücksichtigt). Nur zwei ausführliche und außerordentlich sachkundige Rezensionen von Reinhard Siegmund-Schultze und Renate Tobies aus der damaligen DDR seien hier hervorgehoben, signalisierten sie doch schon vor der „Wende" von 1989 konvergierende Fragestellungen und Interessen zumindest bei einigen ost- und westdeutschen Wissenschaftshistorikern. In diesen beiden Besprechungen wurde nun jeweils bemängelt, daß die Entnazifizierung des Lehrkörpers der Universität Göttingen nach 1945 nur sehr kursorisch behandelt wurde.2 Das ist tatsächlich ein Manko des Buchs, aber eines, das wir nicht zu verantworten hatten. Denn der weitaus größte Teil der Entnazifizierungsakten für die Universität Göttingen waren durch das Entnazifizierungsschlußgesetz des Landes Niedersachsen aus dem Jahre 1951 für die Forschung gesperrt gewesen. Wir begrüßen es sehr, daß in derselben Woche, in der unser Buch erschien, das Gesetz in diesem Punkte geändert wurde, so daß seitdem der Weg für entsprechende Recherchen offensteht. Vergleichende Untersuchungen von west- und ostdeutschen Universitäten wären hier besonders interessant. Denn es ist nicht ausgemacht, daß die Entnazifizierungspolitik der SBZ/DDR immer konsequenter verfuhr, als es in den Westzonen bzw. der BRD geschah (wie die Rezensenten offenbar annahmen).3 Die kritischsten Besprechungen wurden von Göttinger Rezensenten geschrieben. So hielt Ulrich Popplow schon den methodischen Ansatz, einzelne Fächer und Institute als Beschreibungseinheit zu wählen, für einen Weg, „der in einer Sackgasse endet".4 Da anders aber keine Erkenntnisse über die programmatische und auch vor allem tatsächliche Verän5
derung von Wissenschaftsinhalten unter dem Nationalsozialismus und allgemein unter Diktaturbedingungen gewonnen werden können, um die es uns hauptsächlich ging und geht, werden wir diesen Weg, bestärkt durch fast alle anderen Rezensionen und auch durch die ähnlich angelegte Hamburger Universitätsgeschichte5, weiter beschreiten. Auf eine dezidiert negative Rezension muß hier schließlich etwas ausführlicher reagiert werden. Die Besprechung des bekannten Göttinger Altphilologen Carl Joachim Classen in der altphilologischen Zeitschrift „Gnomon"6 verfolgt nämlich die interessante Tendenz, die konservativen Kräfte der Universität von Mitschuld für die Machtübernahme der Nationalsozialisten an der Hochschule zu entlasten. In diesem Sinne trägt Classen - zur Kritik der Einleitung - etwa das erstaunliche Argument vor: „Durchgehend scheint D. allzu rasch geneigt, in den konservativen Kräften die Wegbereiter des N.-S. Regimes zu sehen und u.a. zu vergessen, daß gerade auch viele jüdische Intellektuelle sehr konservativ und sehr nationalistisch waren".7 Dazu ist nun Folgendes zu sagen: 1) „D." hat in der Einleitung meist das Reden von „Konservatismus" und dergleichen als Haltungen von Hochschullehrern vermieden, sondern sich vorzugsweise mit ihren besser verifizierbaren parteipolitischen Präferenzen beschäftigt. Das hat für die Betrachtung der jüdischen Hochschullehrer folgende Konsequenz: so „konservativ" und nationalistisch einige von ihnen auch immer gewesen sein mögen, waren sie jedenfalls sämtlich nicht Mitglieder in Organisationen wie der DNVP (den Deutsch-Nationalen) oder dem Stahlhelm (von der NSDAP natürlich ganz zu schweigen), wie das bei vielen ihrer nichtjüdischen Kollegen der Fall war. 2) Aber selbst wenn nicht nur einige, sondern sogar alle jüdischen Hochschullehrer sehr konservativ und sehr nationalistisch gewesen wären, könnte dies nicht dafür herhalten, ihre entsprechend gesinnten nichtjüdischen Kollegen vom Vorwurf zu entlasten, dem Nationalsozialismus den Weg bereitet zu haben.
II. Nun zu den Korrekturen und Änderungen gegenüber der ersten Ausgabe: hier haben wir uns auf das Minimum beschränkt, nämlich Druck- und offensichtliche inhaltliche Fehler. Sonst haben wir die Texte im Wesentlichen gelassen, wie sie sind, ohne damit implizieren zu wollen, daß seit 1987 nicht eine Reihe von neuen Erkenntnissen über die Universität Göttingen im Nationalsozialismus und ihre Institute, Fächer und Angehörigen etc. hinzugekommen sind (siehe dazu die Literaturhinweise am Ende des Vorworts). Bis auf eine Ausnahme ist es überflüssig, diese Änderungen hier im Vorwort zu erwähnen, und das ist die Veränderung des Titels. Der Wegfall der Unterzeile „Das verdrängte Kapitel ihrer 250jährigen Geschichte" legte sich aus zwei Gründen nahe. Erstens ist der Anlaß eines Jubiläums inzwischen nicht mehr gegeben. Zweitens kann von einer „Verdrängung" inzwischen nicht mehr oder jedenfalls nicht mehr in dem Umfang die Rede sein wie 1987, als das Buch zuerst erschien. Denn inzwischen sind einige Initiativen ergriffen worden, um das Defizit zu beheben. Dazu gehörte als eine erste Anstrengung schon beim Jubiläum die Rede des damaligen Universitätspräsidenten Norbert Kamp über das Jubiläum von 1937.8 Am 18. April 1989 wurde eine Erinnerungstafel der nach 1933 durch die Nationalsozialisten entlassenen Hochschullehrer im Eingangsbereich der Universitätsaula (gegenüber einer Tafel für die Göttinger Sieben) angebracht. Eine Sammlung der bei der 6
Tafelenthüllung gehaltenen Reden wurde den Amtsverdrängten der Nazizeit bzw. ihren Angehörigen zugeschickt.9 Auch in einzelnen Fakultäten und Instituten regten sich Aktivitäten. Dazu gehörte ein „Tag der offenen Tür" zum Thema „Theologie und Politik an der Theologischen Fakultät Göttingen in der Zeit 1933 —1945. Erinnerung und Vergegenwärtigung" in der Theologischen Fakultät noch während der Jubiläumsfeierlichkeiten am 19.5.1987. Dabei hielten Hans-Walter Krumwiede und Inge Mager später gedruckte Einführungsvorträge.10 Auch eine Reihe von „Ehemaligen" berichteten als Zeitzeugen. Die Fachschaft hatte eine ausführliche Dokumentation vorgelegt.11 Es folgten später entsprechende Vorlesungsreihen in der Juristischen und Medizinischen Fakultät, die inzwischen auch gedruckt vorliegen.12 Auch in mehreren Beiträgen der seit 1987 erscheinenden Buchreihe „Göttinger Universitätsschriften" wird auf die Universität im Nationalsozialismus Bezug genommen.13 Dabei mußte ein Autor die Erfahrung machen, daß sogar Hinterbliebene von Historikern es für eine gute Idee halten können, deren Nachlässe zu zensieren, wenn ihnen das Bild ihres Ahnen in der Geschichte ins Schwanken zu geraten droht.14 Auch einige Doktor- und Diplomarbeiten an verschiedenen Fachbereichen beschäftigten sich inzwischen ausführlicher mit dem Thema.15 Ferner sei an verschiedene Veranstaltungen des AStA der Universität und einzelner Fachschaften, wie etwa der besonders rührigen Fachschaft Mathematik, erinnert. Trotzdem bleibt natürlich die Frage, ob solche meist recht punktuellen Aktivitäten ausreichen, um zu verhindern, daß das Thema — nach einer kurzen Konjunktur im Zuge des Universitätsjubiläums - nicht erneut kollektivem Beschweigen verfällt.16 Die kurze Geschichte des zum Jubiläum durch die Volkswagensstiftung für fünf Jahre vorfinanzierten Lehrstuhls für Wissenschaftsgeschichte, von dem man — natürlich neben anderen Aufgaben — eine Verstetigung von Forschungs- und Lehrbemühungen zur Wissenschafts- und Hochschulgeschichte im Nationalsozialismus hätte erhoffen können, ist in dieser Hinsicht beunruhigend. Die Sparerlässe der Niedersächsischen Landesregierung schufen hier einen Vorwand, um das offenbar ungeliebte Jubiläumsgeschenk fast vollständig und sozusagen weitgehend unbenutzt zurückzugeben! Dabei gäbe es in Göttingen wegen des Auslaufens von Sperrfristen bei vielen einschlägigen Nachlässen in der Handschriftenabteilung der Universitätsbibliothek17 oder durch die Verkürzung solcher Fristen infolge neuer gesetzlicher Bestimmungen18 bei vielen Akten des Universitätsarchivs viele interessante neue Arbeitsfelder.
III. Die Ergänzungen zur ersten Ausgabe sind die neuen Beiträge zur Medizinischen Fakultät, dem Seminar für englische Philologie und dem Kunstgeschichtlichen Seminar in der Philosophischen sowie den chemischen Instituten in der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät. Diese Artikel sind jeweils — wie bisher schon die anderen Aufsätze — in der Reihenfolge des Vorlesungsverzeichnisses vom Sommersemester 1932 eingeordnet worden. Vollständigkeit in jeder Hinsicht konnte nach wie vor nicht unser Ziel sein (die inzwischen erschienene Geschichte der Universität Hamburg „Hochschulalltag im ,Dritten Reich'" verwirklicht sie in drei Bänden auf 1567 Seiten19). Statt dessen haben wir zunächst einmal eine Vollständigkeit hinsichtlich der Opfer der nationalsozialistischen „Säuberungs"-politik 7
und der durch sie vertretenen Fächer angestrebt. Bei den Hochschullehrern ist dies nun bis auf zwei Fälle erreicht. Nur über den Leiter des Sinologischen Seminars Dr. Gustav Haloun in der Philosophischen Fakultät und den Direktor des Mineralogisch-Petrographischen Instituts Prof. Victor Moritz Goldschmidt in der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät enthält der Band keine näheren Informationen, weil zugesagte Artikel die Herausgeber nicht erreicht haben. Damit kann sich der vorliegende Band nun als (fast) vollständige Fallgeschichte von Vertreibung und Emigration an einer Universität zum - ebenfalls im Saur-Verlag erschienenen - umfassenden Emigrationslexikon von Röder und Strauss präsentieren. 20 Aber auch in anderer Hinsicht sind wir der Vollständigkeit immerhin ein ganzes Stück nähergekommen. Die drei (damals jedenfalls) kleineren Fakultäten (Theologische, Rechts- und Staatswissenschaftliche und Medizinische) sind nun vollständig abgedeckt, bei der Philosophischen Fakultät sind es - nach dem Stand von 1932 - 9 von 16 Seminaren, bei der MathematischNaturwissenschaftlichen 17 von 29 Instituten, darunter jeweils inzwischen - mit Ausnahme der Biologie - alle (damals) größeren.
IV. Die zusammenfassende Einleitung wurde nicht für die zweite Ausgabe umgeschrieben. Deswegen sei an dieser Stelle wenigstens angedeutet, wie die neuen Beiträge den bisherigen Gesamteindruck der Universität verändern: 1. Die deutlichste (und gleichzeitig erschreckendste) Ergänzung bilden sicherlich die Vorgänge in der Medizinischen Fakultät, insbesondere die fast 2000 Fälle von Zwangssterilisierungen und die über 300 Opfer der „Euthanasie". Offenbar hat es auch eine Mitwisserschaft von einigen Göttinger Medizinern an den Menschenversuchen im KZ Dachau gegeben. Ob weitergehende Verbindungen vorhanden waren, konnte nicht abschließend geklärt, sondern nur mit Plausibilitätserwägungen ausgeschlossen werden. Dieser Komplex bedarf weiterer Forschungen. 21 2. Der Chemie-Beitrag zeigt, daß es nur einer Kette glücklicher Umstände zu danken ist, wenn die chemischen Institute — als die „dritte Säule" für den Weltruf der Göttinger Naturwissenschaft vor 1933 — nicht dasselbe Maß an Zerstörung erlitten wie die mathematischen und physikalischen. Dazu hat insbesondere das Engagement des Nobelpreisträgers Adolf Windaus beigetragen. Der Artikel gibt auch weitere Hinweise auf den Personalaustausch der Universität Göttingen mit wichtigen staatlichen Stellen. Bisher war vor allem der Zuzug von ausgewiesenen Nationalsozialisten zu verfolgen.22 Nun kann auch die umgekehrte Richtung umfassender betrachtet werden, nämlich die mit erstaunlichen Karrieren verbundene Abwanderung führender nationalsozialistischer Aktivisten an andere Hochschulorte oder in die Hochschulverwaltung. In bezug auf diese Karrieren hat Ulrich Majer das paradoxe, aber erhellende Wort von der (zeitweisen) „Entnazifizierung Göttingens durch die Nationalsozialisten" geprägt. 3. Der Kunstgeschichte-Beitrag zeigt erneut, daß Göttingen vor 1933 nicht nur wegen seiner hervorragenden Naturwissenschàftler etwas zu bieten hatte. Der Nationalsozialismus hat verhindert, daß hier Leute ihren Weg machen konnten, die — wie besonders Nikolaus Pevsner, aber auch Wolfgang Stechow — in der Emigration zu Berühmtheiten wurden. Be8
mühungen, sie nach 1945 wieder nach Göttingen zurückzuholen, sind — auch hier - gänzlich ausgeblieben. 4. Der Anglistik-Beitrag verweist auf eine Konstellation, die auch für andere neue Philologien charakteristisch sein dürfte, nämlich den Zwiespalt, in denen die Fachvertreter gerieten, wenn sie die Literatur und Kultur von Ländern hochhalten wollten, zu denen das Dritte Reich in prinzipielle Gegnerschaft geriet. In der Anglistik bekommen wir nun auch einen jener selten belegten Fälle dafür präsentiert, daß ehrgeizige Nachwuchswissenschaftler die beschleunigte Entlassung jüdischer Ordinarien betrieben, um dann deren Lehrstuhl zu besetzen. 5. Schließlich sei noch ein Aspekt angeführt, der sich durch die Schlußkapitel der meisten neuen Beiträge zieht. Verschiedentlich ist in der Literatur das Ausbleiben einer öffentlichen Auseinandersetzung nach 1945 über die Universitäten und die Wissenschaften im Nationalsozialismus beklagt worden. Dies Bild korrigieren die neuen Artikel nun in einer wichtigen Hinsicht. Solche Auseinandersetzungen hat es offenbar in Göttingen gegeben, wie die Schilderung der öffentlichen Kontroverse zwischen Alexander Mitscherlich und dem zweiten Göttinger Nachkriegsrektor Hermann Rein über die Medizinverbrechen der Nazizeit (im Anschluß an Mitscherlichs Dokumentation vom Nürnberger Arzteprozeß) sowie die Präsentation einer spektakulären öffentlichen Vorlesung des Anglisten Herbert Schöffler „zur Lage" nach 1945 zeigen. Allerdings wird man kaum behaupten können, daß die dabei öffentlich hervorgetretenen Göttinger Hochschullehrer eine heute noch vertretbare Position bezogen haben. Dagegen enthalten die privaten Aufzeichnungen eines bedeutenden Wissenschaftlers wie Adolf Windaus durchaus bedenkenswerte Ansätze, über die Frage von individueller und kollektiver Schuld am Zustandekommen der nationalsozialistischen Herrschaft und an ihren Verbrechen nachzudenken. Die von Michael Kater mit Recht aufgeworfene Frage: „Wie typisch war denn nun Göttingen?"23 ist mit diesen Andeutungen natürlich noch nicht beantwortet. Eine Antwort ist schwierig, weil eine zusammenfassende „reichsweite" Untersuchung, mit der man Göttingen vergleichen könnte, noch nicht vorliegt. Helmut Heibers großangelegte Studie24 zielt zwar in diese Richtung und enthält auch viel interessantes und wichtiges Material. Aber wegen ihres weitgehenden Verzichts auf Zusammenfassung und ihrer Zurückhaltung gegenüber Statistiken eignet sie sich nur bedingt als Vergleichspunkt. Hinsichtlich der Studentenzahlen wenigstens bietet der zweite Band des „Datenhandbuchs zur deutschen Hochschulgeschichte" seit kurzem ausgezeichnetes Vergleichsmaterial.25 Diese Einschränkungen vorausgeschickt, läßt sich aber die These vertreten, daß Göttingen offenbar in einer wichtigen Hinsicht untypisch war: wo seine Hochschullehrer, Seminare und Institute eine führende Stellung in der internationalen wissenschaftlichen Welt gehabt hatten (und schon das kann ja nicht jede Universität für sich beanspruchen), also vor allem in den Naturwissenschaften und der Mathematik, gab es nach 1933 die — im Vergleich zu den anderen Hochschulen - radikalsten „Säuberungen" und Substanzverluste. Wie Schappacher und Kneser für die Mathematik gezeigt haben26, galt das mathematische Institut den Nationalsozialisten nicht nur als besonders stark „verjudet", sondern zudem als „Hochburg des Marxismus" und wurde deshalb beschleunigt „gesäubert". Es würde unsere Erkentnis von der Wissenschaftsgeschichte im Nationalsozialismus sehr fördern, wenn in der Zukunft auf der Basis von lokalen Untersuchungen wie der oben genannten Hamburger und der hier präsentierten verstärkt vergleichende und zusammenfassende Studien erarbeitet und publiziert würden. 9
V. Schließlich möchte ich all denen, die zum Zustandekommen dieses Bandes beigetragen haben, herzlich danken. Das sind natürlich vor allem die Beiträger der neuen Artikel. Ich nutze die Gelegenheit, ihnen sowohl für die Geduld zu danken, mit der sie die vielfältigen Nachfragen und Änderungsvorschläge der Herausgeber ertragen, als auch für die Nachsicht, mit der sie den Druck ihrer schon oft seit längerem abgelieferten Beiträge abgewartet haben. Der Umfang der neuen Beiträge übertrifft den der „alten" gelegentlich. Dazu hat sicher auch beigetragen, daß die Herausgeber — durch das „know-how" der ersten Auflage beflügelt - sich mit Anregungen, Nachfragen und Vorschlägen stärker inhaltlich eingeschaltet haben. Ich hoffe, daß wir damit die neuen Beiträger nicht über Gebühr behelligt haben und daß die Autoren der „alten" Beiträge sich durch diese partielle Ungleichbehandlung nicht beeinträchtigt fühlen werden. Auch dem Saur Verlag, insbesondere Frau Barbara Fischer, Frau Bia von Bülow und Herrn Andreas Brandmair, danke ich für professionelle Betreuung und auch für den gezeigten Langmut. Für namhafte Zuschüsse zu den Druckkosten des Buchs danke ich außerdem Herrn Prof. Dr. h.c. mult. Klaus G. Saur, der Stiftung der Georg-August-Universität zu Göttingen, dem Universitätsbund Göttingen e.V. und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Hauptvorstand Frankfurt. Daß unter dem eingetretenen Zeitverzug die Aktualität des Themas nicht gelitten hat, könnte oberflächlich als ein gewisser Trost erscheinen. Angesichts der seit der deutschen Vereinigung wiedererwachten rechtsradikalen und auch neonazistischen und rassistischen Tendenzen kann davon bei Lichte besehen natürlich nicht die Rede sein.
Für die Herausgeber: Hans-Joachim Dahms November 1997
Anmerkungen* 1 2 3
4 5 4 7
Allen (1984) XVI Siegmund-Schultze (1989) und Tobies (1989) Es trifft sich, daß Christina Eibl (Universität Stuttgart) in ihrer Dissertation gerade eine Biographie des (u. a.) ehemaligen Göttinger Chemie-Professors Peter Adolf Thiessen erstellt. Ihm ist es gelungen, sowohl als nationalsozialistischer Aktivist im Dritten Reich als auch erstaunlicherweise danach als braver Sozialist in der DDR eine wichtige Rolle in der staatlichen Wissenschaftspolitik zu spielen (siehe dazu auch den Chemie-Beitrag von Ulrich Majer in diesem Band). Popplow (1989), S. 461 Krause/Huber/Fischer (1991) Classen (1989 b) ebenda, S. 74 Die Rechtstendenz einiger jüdischer Professoren hat der Verfasser der Einleitung (wie auch andere Autoren des Bandes) übrigens nicht etwa „vergessen", sondern selbst herausgestellt (erste Auflage, S. 31).
* Die Literaturangaben in diesen Anmerkungen beziehen sich auf den folgenden Anhang.
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8 Kamp (1987 a), siehe auch die erweiterte Fassung: Kamp (1988) ' Exodus Professorum (1989) 10 Krumwiede (1987) und Mager (1987) 11 Fachschaft Theologie (1987) 12 Es handelt sich um Dreier/Sellert (1989), die eine von der Fachschaft initiierte Vorlesungsreihe der Juristischen Fakultät aus dem Wintersemester 1987/88 herausgaben, sowie um Friedrich/Matzow (1992), die eine von der Medizinischen Fakultät, der Ärztekammer und der Göttinger Arzteinitiative (IPPNW) im Wintersemester 1989/90 veranstaltete Ringvorlesung edierten. Anders als die Juristen-Vorlesunsgsreihe enthält die Medizinerreihe auch einen auf Göttingen eingehenden Beitrag: Zimmermann (1992). Dabei handelt es sich um eine erste Präsentation von Teilen des in diesem Band enthaltenen Medizinartikels. Leider hat Zimmermann, dem für die Vorbereitung seines Vortrags die Einsicht in umfangreiche Vorarbeiten gewährt wurde, es nicht für nötig gehalten, vor einer Publikation vieler dieser Rechercheresultate die Einwilligung der Autoren einzuholen und ihren Anteil an seiner Veröffentlichung ausreichend kenntlich zu machen. Sein in Fußnoten ausgesprochener Dank für „Mithilfe bei der Durchsicht des Aktenmaterials" bzw. für „Hinweise" aus dem Hauptstaatsarchiv Hannover soll wohl vergessen lassen, daß er selbst keine einzige dieser Akten selbst eingesehen hat. Er läßt auch gänzlich unerwähnt, daß er die genannten Manuskripte ausführlich benutzt hat. Im Sommer 1997 ist Zimmermann schließlich in einer Dokumentation „Dienstbare Wissenschaft: Medizin 1933 bis 1945" im Göttinger Tageblatt (vom 14. 6., S. 21 (Teil 1), 16. 6., S. 12 (Teil 2), 21. 6., S. 39 (Teil 3), und 23. 6., S. 17 (Teil 4 und Schluß)) so weit gegangen, selbst die ohnehin unzureichenden Hinweise auf die genannten Arbeiten (die zum Teil inzwischen in erweiterter Fassung bereits publiziert waren) fortzulassen und statt dessen zu behaupten: „Die Darstellung fußt zum größten Teil auf bislang noch nicht untersuchten Quellen." Dadurch hat er nun den ganz unzutreffenden Eindruck erweckt, er selbst habe diesen „größten Teil" der Quellen eingesehen und ausgewertet, und zwar allein. Tatsächlich hat er aber — nach wie vor — nichts anderes getan, als eine (weder vorher erbetene noch nachträglich autorisierte) Bearbeitung von Texten anderer vorzulegen. 13 siehe den Anhang zu diesem Vorwort 14 siehe Petke (1987), Anmerkung 3, S. 288 ff. sowie das Vorwort von Boockmann/Wellenreuther (1987), S. 7 15 siehe etwa Engmann/Wiechert (1992), Koch (1994), Kulick (1993), Lüddecke (1994), Nußbeck (1993), Obermann (1990), Ohrt (1995), Wiegandt (1995). Besonders sei auch hingewiesen auf die demnächst fertig werdende Dissertation von Ánikó Szabo (Hannover) über Rückkehr von und Wiedergutmachung an während des Nationalsozialismus vertriebenen Hochschullehrern in Niedersachsen. Sie wird auch eine um einige Angaben erweiterte Liste dieser vertriebenen Hochschullehrer in Göttingen enthalten. Deshalb wurde auf eine Ergänzung von Heinrich Beckers „Aufstellung..." (S. 709 ff.) verzichtet. 16 siehe in diesem Sinne schon das „Studentische Nachwort" zu Dreier/Sellert (1989), S. 355 ff. 17 So sind in den letzten Jahren u.a. die Nachlässe von Karl Brandi, Ulrich Kahrstedt, Josef König, Georg Misch, Herman Nohl und Max Pohlenz — meist vollständig — zur Benutzung freigeworden, so daß sich auf den Gebieten der Geschichte, Pädagogik und Philosophie ganz neue Perspektiven eröffnen. 18 besonders durch den § 5 des „Gesetzes über die Sicherung und Nutzung von Archivgut in Niedersachen" vom 25. Mai 1993 (Nieders. GVBl Nr. 18/1993 vom 4.6.1993, S. 129-131) 19 Krause/Huber/Fischer (1991) 20 Röder/Strauss (1983) Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933. 21 Kürzlich ist Ernst Klees Buch „Auschwitz, die NS-Medizin und ihre Opfer", (Frankfurt am Main 1997), erschienen, in dem einige zusätzliche Informationen zu den Dachauer KZ-Versuchen zu finden sind (dort S. 210 — 243). Auf diese wichtige Veröffentlichung konnte im Medizin-Beitrag nicht mehr eingegangen werden. Weitere Aufschlüsse sind von der vollständigen Publikation der Akten des Nürnberger Arzteprozesses (mit Kommentierung) zu erwarten, die vom Hamburger Institut für Sozialforschung geplant wird. 22 siehe die Einleitung S. 53 ff. 23 Kater (1993), S. 404 24 Heiber (1991), (1992) und (1994); siehe für Göttingen besonders Heiber (1991), S. 362 ff. 25 Titze (1995) 26 Schappacher/Kneser (1990)
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Seit 1987 erschienene Literatur zum Thema des Buchs* William Sheridan Allen (1984) The Nazi Seizure of Power. The Experience of a Single German Town 1922 -1945, New York (revised edition) Hans-Paul Bahrdt (1988) Studium in Göttingen in der Zeit nach 1945, in: Duwe/Gottschalk/Koerner (1988), S. 203-211 Geoffrey Bird (1990) Educational Reconstruction of the Universities in the British Zone, in: Heinemann (1990 a), S. 105 - 108 Hartmut Boockmann (1987) Geschichtsunterricht und Geschichtsstudium in Göttingen. Formen und Gegenstände in Beharrung und Wandel, in: Boockmann/Wellenreuther (1987), S. 161-185 ders. (1994) Die Verfassung der Georg-August-Universität von den Anfängen bis 1968, in: Schlotter (1994), S. 11-24 Hartmut Boockmann/Hermann Wellenreuther (Hrsg.) (1987) Geschichtswissenschaft in Göttingen. Eine Vorlesungsreihe, Göttingen (= Göttinger Universitätsschriften, Serie A: Schriften, Band 2) Peter Borscheid (1990) 100 Jahre Allianz (Hrsg. Allianz Aktiengesellschaft Holding, München), München, bes. S. 110 f. Rolf Wilhelm Brednich (1987) Die Volkskunde an der Universität Göttingen, in: H. Gerndt (Hrsg.) (1987) Volkskunde und Nationalsozialismus, München, S. 109-117 Einar Brynjólfsson (1996) Die Entnazifizierung der Universität Göttingen am Beispiel der Philosophischen Fakultät. Magisterarbeit am Fachbereich Historisch-Philologische Wissenschaften der Universität Göttingen Hertha Luise Busemann (1991) Deutsche und Juden in Göttingen im ersten Jahr nach dem Holocaust, in: Göttinger Jahrbuch 39 (1991), S. 205-226 Wolfgang Buss (1989) Von den ritterlichen Exercitien zur modernen Bewegungskultur, 250 Jahre Leibesübungen und Sport an der Universität Göttingen, Duderstadt ders. (1991) Der Einfluß Zimmermanns auf die englische Erziehung, in: W. Henze (Hrsg.) (1991) B. Zimmermann — H. Nohl — K. Hahn. Ein Beitrag zur Reformpädagogik, Duderstadt, S. 111 - 1 2 1 Axel Frhr. von Campenhausen (1987) Rudolf Smend (1882— 1975). Integration in zerrissener Zeit, in: Loos (1987), S. 510- 527 Carl Joachim Classen (1989 a) Kurt Latte, Professor der Klassischen Philologie 1931 —1935; 1945 -1957, in: ders. (Hrsg.) Die Klassische Altertumswissenschaft an der GeorgAugust-Universität Göttingen. Eine Ringvorlesung zu ihrer Geschichte, Göttingen (= Göttinger Universitätsschriften, Serie A: Schriften, Band 14), S. 197 - 233 ders. (1989 b) Rezension von Becker/Dahms/Wegeler (Hrsg.) (1987), in: Gnomon 61 (1989) S. 73-75 Hans-Joachim Dahms (1997) Die Universität Göttingen 1918 -1989, erscheint in: von Thadden/Trittel (1997) ders./Frank Halfmann (1988) Die Universität Göttingen in der Revolution 1918/19, in: Hans-Georg Schmeling (Hrsg.) 1918. Die Revolution in Südhannover, Göttingen (= Begleitheft zur Dokumentation des Museumsverbundes Südniedersachsen), S. 59 — 83 * Diese Angaben erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie schließen uns bekanntgewordene Literatur ein, die nach 1987 publiziert wurde und einen Bezug zur Göttinger Universitätsgeschichte im Nationalsozialismus hat. Wie in der ersten Auflage wurden auch Titel berücksichtigt, die die Zeit unmittelbar vor 1933 und direkt nach 1945 behandeln. 12
Dieter Dölling (1987) Robert von Hippel (1966-1951) Ein deutscher Strafrechtswissenschaftler im Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert, in: Loos (1987), S. 413-434 Ralf Dreier (1987) Julius Binder (1879 -1939) Ein Rechtsphilosoph zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, in: Loos (1987), S. 435 — 455 ders./Wolfgang Sellert (Hrsg.) (1989) Recht und Justiz im „Dritten Reich", Frankfurt am Main Erna Duhm (1987) Die Entwicklung der Psychologie an der Georgia Augusta — ein historischer Rückblick, in: Georgia Augusta 47 (1987), S. 3 7 - 4 0 Valerie Dundas-Grant (1990) As Assistant University Officer in Göttingen and Bonn: An Erfahrungsbericht, in: Heinemann (1990 a), S. 109-122 Kornelia Duwe/Carola Gottschalk/Marianne Koerner (Hrsg.) (1988) Göttingen ohne Gänseliesel. Texte, Göttingen Kornelia Duwe/Uta Schäfer (1988) Damals herrschte nicht Temperatur Null, sondern minus 30 Grad. Als jüdischer Gewerkschafter im Nachkriegsalltag von Göttingen. Interview mit Artur Levi, in: Duwe/Gottschalk/Koerner (1988), S. 238- 243 Klaus Düwel/Günter Blümel (Hrsg.) (1988) Volkshochschule Göttingen 1948, Göttingen Harry Ebersbach (1987) Hundert Jahre Juristisches Seminar der Georgia Augusta, in: Loos (1987), S. 548-564 Reiner Eck (1989) Zur Entstehung des Archivs für berufsständische Rassenstatistik in der Göttinger Universitätsbibliothek. Ein vergessenes Kapitel Benutzungsgeschichte der Weimarer Zeit, in: Peter Vodozek/Manfred Komorowski (Hrsg.) Bibliotheken während des Nationalsozialismus ( = Wolfenbütteler Schriften zur Geschichte des Buchwesens, Band 16) Wiesbaden, S. 327-334 Claudia Engmann/Bernd Wiechert (1992) Erbe und Auftrag. Die Musik bei der Zweihundertjahrfeier der Göttinger Universität im Jahre 1937, in: Göttinger Jahrbuch 40 (1992), S. 253-279 Robert P. Ericksen (1988) Widerstand als ambivalenter Gegenstand historischer Forschung. Am Beispiel der evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Göttingen, in: Kirchliche Zeitgeschichte 1 (1988), S. 6 8 - 7 8 ders. (1994) Religion und Nationalsozialismus im Spiegel der Entnazifizierungsakten der Göttinger Universität, in: Kirchliche Zeitgeschichte 7 (1994), S. 83 - 101 Exodus Professorum (1989) Akademische Feier zur Enthüllung einer Ehrentafel für die zwischen 1933 und 1945 entlassenen und vertriebenen Professoren und Dozenten der Georgia Augusta am 18. April 1989 (mit Beiträgen von Norbert Kamp und Artur Levi und ausgewählten Zeugnissen aus Briefen und Dokumenten der entlassenen Professoren), Göttingen ( = Göttinger Universitätsreden 86) Fachschaftsrat an der Theologischen Fakultät Göttingen (Hrsg.) (1987) Theologie im Nationalsozialismus. Fallbeispiele aus der theologischen Fakultät Göttingen. Festschrift der Fachschaft evang. Theologie zum 250. Universitätsjubiläum, Göttingen Victor Farias (1987) Heidegger et le nazisme, Lagrasse ders. (1989) Heidegger und der Nationalsozialismus (mit einem Vorwort von Jürgen Habermas), Frankfurt am Main Hannes Friedrich/Wolfgang Matzow (Hrsg.) (1992) Dienstbare Medizin. Arzte betrachten ihr Fach im Nationalsozialismus, Göttingen Dietrich Goldschmidt (1995) Als Redakteur bei der „Göttinger Universitäts-Zeitung". Erinnerungen 1945 bis 1949, in: Das Argument 37 (1995), 2 0 7 - 2 2 2
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Vorwort zur ersten Ausgabe Im Jahre 1965, 20 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkriegs, wurde von Studenten der Georg-August-Universität der erste Versuch unternommen, die Geschichte ihrer Universität im Nationalsozialismus zu untersuchen. Das in Nr. 9 der Studentenzeitschrift „Politikon" bekanntgemachte Ergebnis ihrer Recherchen stieß damals nicht nur auf positive Reaktionen. Einige Leser empfanden das ganze Unternehmen, das sich nur als Anstoß für weitergehende wissenschaftliche Untersuchungen verstanden hatte, als „Nestbeschmutzung" und empfahlen konsequent, „16 km östlich zu gehen". Andere meinten, die Verfasser „seien zu jung, . . . nicht dabei gewesen und hätten allein schon deswegen kein Recht, über die Universität im Dritten Reich zu schreiben und zu urteilen". Die in Nr. 10 der Zeitschrift gegebene Antwort auf letzteren Einwand, „daß wir gewissermaßen aus einer Notlage handelten, weil diejenigen, die es besser können und wissen als wir, seit zwanzig Jahren nichts unternommen haben, um uns über das Verhalten der Universität im Dritten Reich aufzuklären", können wir uns voll zu eigen machen. Denn als sich im Sommer 1982 mit Blick auf den bevorstehenden 50. Jahrestag der Bücherverbrennungen vom 10. Mai 1933 die Projektgruppe bildete, die nun diesen Band vorlegt, waren fast weitere 20 Jahre vergangen, ohne daß in der Zwischenzeit von Göttinger Hochschullehrern Anstrengungen unternommen worden wären, die genannte Notlage zu beheben. In Göttingen hatten — außerhalb der Universität - allein Ulrich Popplow einige sehr aufschlußreiche Augenzeugenberichte über die Zeit der „Machtergreifung" in Göttingen publiziert und Günter Meinhardt in seiner Geschichte der Universität Göttingen ein kurzes Kapitel der Universität „in den Jahren der geistigen Unfreiheit" gewidmet. Die wichtigsten Arbeiten zum Thema sind im Ausland erschienen. Vor allem sind hier die Biographien über David Hilbert und Richard Courant von Constance Reid, Alan Beyerchens „Scientists under Hitler" und die Arbeiten von Barbara Marshall über die Universität Göttingen in der Zeit der Weimarer Republik zu nennen. Es schien damals noch ein Gesetz zu herrschen, demzufolge die Beschäftigung mit dieser Hochschule im Nationalsozialismus im Quadrat der Entfernung zunimmt. Wie wir bald erfahren mußten, hatte die kollektive Verdrängungsleistung nicht nur mit Unterlassungen der sachlich und fachlich Zuständigen zu tun. Vielmehr hat es bis in die späten 70er Jahre hinein auch Behinderungen und Verhinderungen entsprechender Versuche gegeben, wenn sie von anderen unternommen wurden. Inzwischen scheint aber an der Universität Göttingen die Berührungsangst mit dem Thema Nationalsozialismus allmählich abzunehmen. Sie unternahm im Mai 1983, am 50. Jahrestag der Bücherverbrennungen, zum ersten Mal einige Anstrengungen, das bisherige Schweigen zu brechen. Albrecht Schöne hielt seinen (inzwischen in den „Göttinger Universitätsreden") veröffentlichten Vortrag über die Bücherverbrennung in Göttingen, gleichzeitig fand eine Ausstellung über Max Born und James Franck statt, jener beiden prominenten Physiker, die Göttingen infolge der nationalsozialistischen „Säuberungen" hatten verlassen müssen. Diese ersten Versuche, so wichtig sie auch waren, reichen aber gewiß nicht hin, um dem Thema „Nationalsozialismus und Universität" in Göttingen gerecht zu werden. Man muß sich etwa vor Augen führen, daß Born und Franck nur zwei von insgesamt 52 Angehörigen des Lehrkörpers von 1933 waren, die den „Säuberungen" weichen mußten. Es kommt hinzu, daß der Nationalsozialismus nicht nur durch seine Politik der Bücherverbrennungen und „Säuberungen" eine Zäsur markiert hat, sondern auch durch seine Politik des „Neuaufbaus" der Hochschulen nach seinem Bilde. 19
Das Konzept unserer Untersuchungen unterscheidet sich von den bisher publizierten Arbeiten über Hochschule und Nationalsozialismus vor allem durch die Wahl der Beschreibungseinheit. Waren dies bisher zumeist einzelne Personen auf der einen Seite oder die Institution „Universität" als Ganzes auf der anderen Seite gewesen, so haben wir einzelne Fächer bzw. Institute als Beschreibungseinheit genommen. Gewiß sind fachspezifische Ansätze neuerdings auch schon von anderen verfolgt worden, wenn man nur etwa an den Sammelband „Naturwissenschaft, Technik und NS-Ideologie" (herausgegeben von Herbert Mehrtens und Steffen Richter) oder die aus Anlaß der Bücherverbrennungen veranstalteten und inzwischen publizierten Vortragsreihen „Hochschule und Wissenschaft im Dritten Reich" (herausgegeben von Jörg Tröger), „Wissenschaft im Dritten Reich" (herausgegeben von Peter Lundgreen) sowie die in der Zeitschrift „Berichte zur Wissenschaftsgeschichte" gesammelten Aufsätze zum Thema denkt. Unser Konzept der Untersuchung der Fächer und Institute einer Universität hebt sich von diesen Versuchen dadurch ab, daß wir einerseits die einzelnen Institute als Schnittpunkte der sonst stets etwas disparaten biographischen, fachlichen und institutionellen Beschreibungsebenen nehmen und andererseits die lebendigen Interaktionsverhältnisse zwischen den verschiedenen Fächern und Instituten im Auge behalten konnten. In den einzelnen Beiträgen wird nun nicht alles geschildert, was an unserem Beschreibungsobjekt Institut in der Zeit des Nationalsozialismus geschehen ist. Vielmehr wollen wir das für den Nationalsozialismus Typische, aber auch das für die Universität Göttingen Spezifische herausstellen. Was dabei im einzelnen als „typisch" zu gelten hat, ist dabei oft nicht leicht herauszufinden. So ist zwar die „Säuberungspolitik" gegen aus rassischen und politischen Gründen mißliebige Hochschulangehörige für den Nationalsozialismus typisch. Aber schwieriger ist das für den „Neuaufbau" zu beurteilen, weil die Nationalsozialisten hier zum Teil an längere Traditionen und Entwicklungslinien anknüpften, so daß häufig „nur" neue Austragungsmodalitäten für alte Konflikte (z.B. einzelner wissenschaftlicher Schulen) geschaffen wurden. In diesem allgemeineren Rahmen haben die einzelnen Autoren, die großteils ihre Ausbildung an den Instituten erhalten haben, die sie nun untersuchen, soweit möglich, folgende Punkte bearbeitet: 1) den Stand des Faches bzw. Instituts vor der „Machtergreifung", um die durch sie ausgelösten Veränderungen sichtbar zu machen (und zwar aufgegliedert nach dem Lehrpersonal, dem wissenschaftlichen Nachwuchs und den Studenten, den Forschungsschwerpunkten und dem Lehrbetrieb sowie der sachlichen und finanziellen Ausstattung), 2) die Ereignisse im Frühjahr 1933: das Verhalten der Institutsangehörigen bei der „Machtergreifung", die folgenden Beurlaubungen und Entlassungen aus rassischen und politischen Gründen, die Vorlesungsboykotte sowie die Reaktionen der an diesen Ereignissen aktiv oder passiv Beteiligten, 3) die Fortsetzung der „Säuberungs"-politik und den damit einhergehenden „Neuaufbau" bis zum Kriegsbeginn, also die weiteren Entlassungswellen, die Neubesetzungen der so freigewordenen Stellen, die Veränderungen von Fachinhalten und Forschungstätigkeit, die neuen Modalitäten für die Qualifikation wissenschaftlichen Nachwuchses und ihre konkreten Auswirkungen, die Veränderung der Studienanforderungen und der Studentenzahlen, 4) die Auswirkungen des zweiten Weltkriegs auf den Lehr- und Forschungsbetrieb und auf den „Alltag" des Instituts und schließlich
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5) den Übergang der Universität in die erste Nachkriegszeit und hier vor allem die Entnazifizierung, die unter dem Aspekt von Kontinuität und Diskontinuität unbedingt dazugehört. Die Durchführung dieses Programms mündete bei einzelnen Autoren darin, daß sie mit der Vertiefung in die Details eine kaum noch zu bewältigende Masse an Material fanden. Die hier veröffentlichten Aufsätze sind so meist sehr gedrängte Kurzfassungen von ausführlicheren Langfassungen, die häufig 100 Manuskriptseiten weit überschreiten. Wir benutzen als Herausgeber die Gelegenheit, den Autoren für die Kooperationsbereitschaft zu danken, die es ermöglichte, sich — wenngleich häufig unter Schmerzen — von einem Teil des angesammelten Faktenreichtums wieder zu trennen. Die Beschreibung einer Universität durch die Darstellung einzelner Institute, wie sie in diesem Band versucht wird, hat natürlich einige Nachteile. So tritt notwendigerweise die zentrale universitäre Entscheidungsebene mit Rektor und Senat und die dezentrale mit den Dekanen und Fakultäten in den Hintergrund. Dieser Mangel mag als gravierend empfunden werden, weil durch die Einführung des „Führerprinzips" auch an den Hochschulen durch die Nationalsozialisten gerade diese Ebenen (bzw. ihre Repräsentanten) gestärkt wurden. Allerdings ist das Führerprinzip mit der Installierung des Rektors als Führer der Hochschule für einzelne Hochschulen und auch allgemein schon hinreichend in der einschlägigen Literatur untersucht worden, so daß uns dieser Mangel unseres Konzepts nicht allzu schwerwiegend erscheint, zumal ohnehin nur so die tatsächlichen Auswirkungen des Führerprinzips auf das reale Universitätsleben gezeigt werden können. Anders verhält es sich mit den Fakultäten. Auf dieser Ebene wird sicherlich weiter zu untersuchen sein, inwieweit sich trotz deren offizieller Herabstufung zu bloßen Beratungsorganen des Dekans als „Unterführer" die tatsächlichen Machtverhältnisse an der Universität so dramatisch geändert haben, wie es der institutionelle Umbau vermuten läßt. Vollständigkeit konnte bei der großen Vielzahl der bereits vor 1933 vorhandenen Universitätsinstitute von vornherein nicht unser Ziel sein. Wir glauben aber, daß wir die meisten der für das Profil der Universität in der fraglichen Zeit wesentlichen Institute abgedeckt haben. Selbst vermissen wir am ehesten Beiträge über die schon wegen der Quantität (an Hochschullehrern und Studenten) wichtige medizinische Fakultät und die in Göttingen damals auch qualitativ herausragenden chemischen Institute. Die für diese Bereiche angeworbenen Bearbeiter haben leider vor der Größe der Aufgabe kapituliert. Für andere wichtige und interessante Gebiete ließen sich von vornherein keine Mitarbeiter finden, die bereit gewesen wären, sich an einem Projekt von zunächst nur ungefähren Konturen und ungewisser Zukunft zu beteiligen. Umso mehr müssen wir uns bei Robert P. Ericksen (für den Geschichtsbeitrag), Ulrich Hunger und Rainer Paul dafür bedanken, daß sie sich noch im April letzten Jahres bereit erklärt haben, in wenigen Monaten einige Lücken zu füllen, die ohne ihre Beiträge empfindlich gewesen wären. Die Reihenfolge der Beiträge in diesem Band richtet sich nach der Gliederung des Vorlesungsverzeichnisses aus dem Sommersemester 1932. Als Quellen haben neben den Werken der Institutsmitglieder aus der damaligen Zeit, den zeitgenössischen Zeitungen und Zeitschriften sowie den Gesprächen mit Zeitzeugen hauptsächlich die Akten des Universitätsarchivs Göttingen gedient. Dies hat seinen Grund zum Teil darin, daß diese Akten bisher kaum oder überhaupt nicht ausgewertet waren und jedenfalls den Politikon-Redakteuren, aber offenbar auch Meinhardt und Popplow nicht zur 21
Verfügung standen. Umgekehrt standen uns viele Zeitzeugen, die die Politikon-Mitarbeiter oder Popplow noch befragt hatten, nicht mehr zur Verfügung. So sind die meisten 1965 Befragten inzwischen verstorben. In einigen Fällen starben von uns befragte Zeitzeugen in der Zwischenzeit bis heute, zum Teil zwischen der Verabredung zu einem Interview und dessen Zustandekommen. Wir sind ihnen allen, die bereit waren, unsere Arbeit zu unterstützen, und die häufig von sich aus weitergehende Informationen beisteuerten, zu besonderem Dank verpflichtet. So lückenhaft persönliche Erinnerungen nach langer Zeit oft sind, haben sie gerade für die Zeit des Nationalsozialismus einen hohen Wert, weil sie häufig die einzige Quelle sind. Dies trifft besonders dort zu, wo schriftliche Berichte von staatlichen Stellen unterdrückt, Akten vernichtet wurden oder wegen rechtlicher und sonstiger Hemmnisse nicht zugänglich sind. Auf der anderen Seite haben die Zeitzeugen uns häufig wertvolle ergänzende Informationen verschafft, wenn es etwa nicht möglich war, aus dem ArchivMaterial bekannte oder erschlossene Vorgänge richtig zu verstehen, einzuordnen und zu gewichten. Durch fehlende Quellen verursachte Lücken bleiben aber an einigen Stellen spürbar, wenn wir etwa nur Resultate andernorts getroffener Entscheidungen vor uns haben, aber nicht rekonstruieren können, wie es zu diesen Entscheidungen gekommen ist. Dies ist bei Vorgängen aus dem Kultusministerium in Berlin, aber auch bei personellen Austauschprozessen mit anderen Universitäten der Fall. Lücken sind insbesondere auch bei der Darstellung der Entnazifizierung zu verzeichnen, auf die wir andererseits wegen der Kontinuitätsproblematik nicht verzichten konnten. Hier behindert seit Dezember 1951 das „Gesetz zum Abschluß der Entnazifizierung im Lande Niedersachsen" mit seinen Bestimmungen über die Akteneinsicht die historische Forschung. Die Präsentation des Materials erfolgt in allen Beiträgen in einer mehr deskriptiven und weniger theoretischen Weise. Dies Vorgehen erschien uns naheliegend, weil die gegenwärtige Forschungslage jedenfalls für die Hochschulen im Nationalsozialismus weniger an einem Mangel an „Faschismustheorie" als an einem Mangel an gesichertem und übersichtlich aufgearbeitetem Tatsachenmaterial krankt. Dies Material haben wir uns bemüht, in einer Weise darzustellen, die einerseits interessierten Laien noch verständlich bleibt, andererseits aber den Fachleuten Neues und auch Ansatzpunkte für weitergehende Überlegungen und Forschungen bieten kann. Wir selbst sehen die mögliche methodische Funktion unserer Untersuchungen vor allem in zwei Richtungen. Sie können einerseits als Fallstudien für solche Fächer dienen, für die schon allgemeinere Darstellungen vorliegen, und andererseits dabei mithelfen, diejenigen Sachgebiete zu erschließen, bei denen dies noch nicht der Fall ist, und das sind bedauerlicherweise noch ziemlich viele. Ehe es dazu kommen kann, breiter angelegte vergleichende Arbeiten fachlich zusammengehöriger Institute an verschiedenen Universitäten zu erstellen, wird wahrscheinlich noch viel Zeit vergehen. Denn ein Projekt an der Universität Hamburg ist nach unserer Kenntnis bisher das einzige mit einem ähnlichen Ansatz. Dieser Band wäre ohne die Hilfeleistungen vieler nicht zustande gekommen. Wir benützen die Gelegenheit, hier unseren Dank dafür abzustatten. Zunächst gilt er dem (seinerzeitigen) kommissarischen Direktor des Göttinger Universitätsarchivs Prof. Norbert Kamp, der uns die Benutzererlaubnis (analog den für das Bundesarchiv in Koblenz geltenden Bestimmungen) gab. In den Jahren der Recherchierarbeit dort „vor O r t " war uns Frau Anneliese Bruns eine unentbehrliche Hilfe, die sicherlich außerhalb unserer Gruppe das meiste zum Gelin22
gen des Projekts beigetragen hat. Auch die kompetente Beratung in der Handschriften- und Katalogabteilung der Universitätsbibliothek hat uns sehr weitergeholfen. Bei der Abfassung der einzelnen Beiträge waren uns viele Personen mit Anregungen und Kritik behilflich. Von ihnen möchten wir hier besonders den Professoren Manfred Heinemann (Hannover) und Aharon Kleinberger (Tel Aviv) Dank sagen, die uns wertvolle Hinweise gegeben haben. Herr Dr. Jürgen Fischer (Bonn) hat durch Hilfe in der Sache auch durch Ermunterung und Zuspruch zur Fortsetzung des Unternehmens beigetragen, eine Unterstützung, die uns sonst selten zuteil geworden ist. Bei der Ausstattung des Bandes waren uns verschiedene Einzelpersonen und Institutionen behilflich. Photos stellten uns das Universitätsarchiv Göttingen, das Stadtarchiv Göttingen, das Städtische Museum Göttingen sowie Frau Angela Drexler und Professor Firgau (München) zur Verfügung. Wir danken ihnen allen dafür, daß sie dabei mitgeholfen haben, daß der Band nicht nur dem Geist, sondern auch dem Auge etwas bieten kann. Für die Projektarbeit bis zur Fertigstellung der Manuskripte haben wir keine öffentlichen oder privaten Gelder beantragt oder in Anspruch genommen. Die Drucklegung hätte aber nicht ohne Druckkostenzuschüsse erfolgen können. Wir danken den folgenden Personen und Institutionen dafür, daß sie uns nicht nur den Druck ermöglicht, sondern auch dafür gesorgt haben, daß der Abgabepreis noch erschwinglich bleibt: Allgemeiner Studentenausschuß (AStA) der Universität Göttingen, Arbeitsgemeinschaft für Regionalforschung, Waake bei Göttingen, Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Bundesvorstand (Frankfurt), Landesvorstand (Hannover) und Bezirksvorstand (Braunschweig), Kulturamt der Stadt Göttingen, Max-Traeger-Stiftung, Frankfurt am Main und Herr Dr. Seymour Weiner, Baltimore (USA). Wir danken ferner Frau Barbara Fischer sowie den Herren Manfred Link und Dr. Dieter Lutz vom K.G. Saur Verlag für Ihre umsichtige und jederzeit freundliche Betreuung des Bandes. Die Reaktionen auf unsere Arbeit können und wollen wir nicht vorwegnehmen. Wir würden uns freuen, wenn sowohl diejenigen, die „dabei gewesen sind" als auch die später Geborenen uns nicht mit „prinzipiellen" Einwänden der eingangs genannten Art begegneten, sondern durch Korrekturen und Ergänzungen zu einer besseren Kenntnis des Themas — und vielleicht zu einer verbesserten zweiten Auflage — beitragen würden. Göttingen, im März 1987
Die Herausgeber
23
Inhalt
Abkürzungsverzeichnis
27
Hans-Joachim Duhms Einleitung
29
Theologische Fakultät Robert P. Ericksen Die Göttinger Theologische Fakultät im Dritten Reich
75
Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät Frank Halfmann Eine „Pflanzstätte bester nationalsozialistischer Rechtsgelehrter": Die juristische Abteilung der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät
102
Matthias Groß Die nationalsozialistische „Umwandlung" der ökonomischen Institute
156
Medizinische Fakultät Ulrich Beushausen, Hans-Joachim Duhms, Thomas Koch, Almuth Massing und Konrad Obermann Die Medizinische Fakultät im Dritten Reich
183
Philosophische Fakultät Huns-Joachim Duhms Aufstieg und Ende der Lebensphilosophie: Das philosophische Seminar der Universität Göttingen zwischen 1917 und 1950
287
Erwin Ratzke Das Pädagogische Institut der Universität Göttingen. Ein Uberblick über seine Entwicklung in den Jahren 1923-1949
318
Cornelia Wegeier Das Institut für Altertumskunde der Universität Göttingen 1921 -1962: Ein Beitrag zur Geschichte der Klassischen Philologie seit Wilamowitz
337
Ulrich Hunger Germanistik zwischen Geistesgeschichte und „völkischer Wissenschaft": Das Seminar für deutsche Philologie im Dritten Reich
365
Lars U. Scholl „Zum Besten der besonders in Göttingen gepflegten Anglistik". Das Seminar für Englische Philologie
391 25
Robert P. Ericksen Kontinuitäten konservativer Geschichtsschreibung am Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte: Von der Weimarer Zeit über die nationalsozialistische Ära bis in die Bundesrepublik
427
Michael Neumann Uber den Versuch, ein Fach zu verhindern: Soziologie in Göttingen 1920 - 1950 . . .
454
Ulrike Wollenhaupt-Schmidt „Hitler hat die Bäume geschüttelt und Amerika hat die Früchte geerntet." Zur Geschichte des Kunstgeschichtlichen Seminars während des Nationalsozialismus Rolf Wilhelm Brednich Volkskunde - die völkische Wissenschaft von Blut und Boden
469 491
Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät Rainer Paul Psychologie unter den Bedingungen der „Kulturwende". Das Psychologische Institut 1933 - 1 9 4 5
499
Norbert Schappacher Das Mathematische Institut der Universität Göttingen 1929 - 1 9 5 0
523
Ulf Rosenow Göttinger Physik unter dem Nationalsozialismus
552
Ulrich Majer Vom Weltruhm der zwanziger Jahre zur Normalität der Nachkriegszeit: Die Geschichte der Chemie in Göttingen von 1930 bis 1950
589
Heinrich Becker Von der Nahrungssicherung zu Kolonialträumen: Die landwirtschaftlichen Institute im Dritten Reich
630
* * *
Wolfgang Buss Der allgemeine Hochschulsport und das Institut für Leibesübungen der Universität Göttingen in der Zeit des Nationalsozialismus
657
Cordula Tollmien Das Kaiser-Wilhelm-Institut für Strömungsforschung verbunden mit der Aerodynamischen Versuchsanstalt
684
Heinrich Becker Aufstellung der Professoren, Privatdozenten, Lehrbeauftragten und Nachwuchswissenschaftler, die infolge der nationalsozialistischen Maßnahmen die Universität Göttingen verlassen mußten
709
Personenregister
723
Sachregister
747
Verzeichnis der Abbildungen
755
Verzeichnis der Autoren
757
26
A bkürzungsverzeichnis AAfL AfL ao. ATB AVA AWA BAK BBG BK Chef AW DBG DC DCSB DCSV DDP DeHofL DEK DFG DHM DMV DNVP DS: DVL DVP DVSTB FAD Fak. GHZ GJ GM GN GT GZ GzVeN HBfL Ifl IJB ISK JAO KPD KWG KWI KZ Ldw LKA LKE Math.-Nat.
Akademischer Ausschuß für Leibesübungen Amt für Leibesübungen außerordentlich Akademischer Turnbund Aerodynamische Versuchsanstalt Akademisches Wissenschaftliches Arbeitsamt (bzw. Akademisches Wehramt) Bundesarchiv Koblenz Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums Bekennende Kirche Chef des Ausbildungswesens der SA Deutsches Beamtengesetz Deutsche Christen Deutsch-Christliche Studentinnen Bewegung Deutsch-Christliche Studenten Vereinigung Deutsche Demokratische Partei Deutsches Hochschulamt für Leibesübungen Deutsche Evangelische Kirche Deutsche Forschungsgemeinschaft Deutsche Hochschulmeisterschaften Deutsche Mathematiker Vereinigung Deutschnationale Volkspartei Deutsche Studentenschaft Deutsche Versuchsanstalt Luftfahrt Deutsche Volkspartei Deutschvölkischer Schutz- und Trutzbund Freiwilliger Arbeitsdienst Fakultät Göttinger Hochschulzeitung Göttinger Jahrbuch Göttinger Monatsblätter Göttinger Nachrichten Göttinger Tageblatt Göttinger Zeitung Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses Hochschulblätter für Leibesübungen Institut (bzw. Institute) für Leibesübungen Internatinaler Jugendbund Internationaler Sozialistischer Kampfbund Justizausbildungsordnung Kommunistische Partei Deutschlands Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft Kaiser-Wilhelm-Institut Konzentrationslager Landwirtschaftliche Landeskirchenamt (Hannover) Leibesübungen und körperliche Erziehung (Zeitschrift) Mathemathisch-Naturwissenschaftliche 27
Med. MPG MPI nb.ao. NC NHZ NKM NSBO NSDDB NSDAP NSDStB NSFK NSKK NSV OKW Phil. PM PTR RBG RDSTO REM RFR RGBl RkfJ RLM RMdl RPM RSG R.u.St. SA SD SPD SS SSDO Theol. TF TUSA UAG UAG, Κ UAG, R UAG, S UBG uk. USPD VC VDSt VfZG VLF VO WA WGL 28
Medizinische Max-Planck-Gesellschaft Max-Planck-Institut nicht beamtete(r) außerordentliche(r) Numerus Clausus Niedersächsische Hochschulzeitung Niedersächsisches Kultusministerium) Nationalsozialistische Betriebsorganisation Nationalsozialistischer Deutscher Dozentenbund Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Nationalsozialistischer Deutscher Studentenbund Nationalsozialistisches Fliegerkorps Nationalsozialistisches Kraftfahrerkorps Nationalsozialistische Volkswohlfahrt Oberkommando der Wehrmacht Philosophische Preußisches Ministerium für Erziehung, Wissenschaft und Volksbildung Physikalisch-Technische-Reichsanstalt Reichsbürgergesetz Reichsdienststrafordnung Reichsministerium für Erziehung, Wissenschaft und Volksbildung Reichsforschungsrat Reichsgesetzblatt Reichskuratorium für Jugendertüchtigung Reichsluftfahrtministerium Reichsminister(ium) des Innern Reichs- und Preußische(s) Minister(ium) für Erziehung, Wissenschaft und Volksbildung Rote Studentengruppe Rechts- und Staatswissenschaftliche Sturmabteilung Sicherheitsdienst (der SS) Sozialdemokratische Partei Deutschlands Schutzstaffel Sozialistische Studentenschaft Deutschlands und Österreichs Theologische Theologische Fakultät Turn- und Sportamt Universitätsarchiv Göttingen Universitätsarchiv Göttingen, Kuratorialakten Universitätsarchiv Göttingen, Rektoratsakten Universitätsarchiv Göttingen, Sekretariatsakten Universitätsbibliothek Göttingen unabkömmlich Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands Turnerschaft des Gothaer-Vertreter-Convents Verein Deutscher Studenten Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte Vereinigung Luftfahrtforschung Verordnung Wehramt Wissenschaftliche Gesellschaft für Luftfahrt
Einleitung* HANS-JOACHIM DAHMS
1. Vorbemerkungen Als die Universität Göttingen im Sommersemester 1937 ihr 200jähriges Jubiläum beging, nutzte der Führer des Nationalsozialistischen Deutschen Dozentenbundes, der Mediziner Blume, die Gelegenheit zu einem Rückblick auf die seit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933 erkämpften „Errungenschaften" an der Hochschule und zu einer Vorschau auf zukünftige Aufgaben und Perspektiven. Sein Beitrag für die Jubiläumsausgabe der „Niedersächsischen Hochschulzeitung" schließt mit folgenden Bemerkungen: „Als 1933 die seit diesem Zeitpunkt mit unbeirrbarer Konsequenz durchgeführte Säuberung der deutschen Hochschulen von fremdrassigen, volksschädlichen Elementen einsetzte, da war es nicht weiter verwunderlich, daß diese Schädlinge nun das Ende der Wissenschaft in Deutschland prophezeiten . . . Die deutsche Wissenschaft wird aber gereinigt von allen Schlacken fremdrassigen Denkens in nächster Zukunft größer dastehen denn je und dann wird es sich erweisen, daß der Nationalsozialismus überhaupt erst die notwendige Voraussetzung dafür war, daß die deutsche Wissenschaft sich in freier und dabei in arteigener Weise entfalten und gestalten konnte." 1 Obwohl die Folgen der nationalsozialistischen „Säuberungen" für die deutschen Universitäten wohl ohne Beispiel in der neuzeitlichen Geschichte und an der Universität Göttingen in ihren Motiven und nach ihrem Umfang jedenfalls ohne Parallele in ihrer gesamten Entwicklung sind, hat die Universität bisher wenig unternommen, um die — großenteils unwiderbringlichen — Verluste zu dokumentieren. Daß der von Blume beschworene und 1937 noch in den Anfängen steckende „Neuaufbau" der Hochschulen keineswegs dazu geführt hat, daß diese „in nächster Zukunft größer dastehen denn je", ist bekannt genug. Aber die bis weit in die Nachkriegszeit hineinreichenden Folgen der nationalsozialistischen „Hochschulreform" mit ihren grundlegenden Umgestaltungen des Studiums, der Qualifikation akademischen Nachwuchses bis hin zu den Lehrstuhlneubesetzungen und den Versuchen zur Ausgestaltung eines „deutschen" Wissenschaftsbegriffs sind noch weitgehend unerforscht, obwohl gerade Göttingen hier auf vielen Gebieten eine Vorreiterrolle einnahm. Die folgenden Bemerkungen haben zum Ziel, sowohl den destruktiven als auch den „konstruktiven" Aspekt der nationalsozialistischen Hochschulpolitik — die „Säuberungen" wie den „Neuaufbau" — in Verlauf und Resultaten darzustellen und anschließend zu fragen, was davon nach 1945 übriggeblieben ist. Dabei soll besonders untersucht werden, ob die Universität bloßes Objekt einer „von außen" verordneten Politik gewesen ist oder
* Für Gespräche und Informationen vor der Abfassung dieses Artikels stellten sich besonders Dr. Hannah Vogt und Prof. Hans Drexler ( t ) (beide Göttingen) zur Verfügung. Prof. Drexler gewähne mir Einblick in sein Privatarchiv. Mit Anregungen und Kritik waren mir die Herren Professoren Heinemann (Hannover), Jarausch (Chapel Hill), Kleinberger (Tel Aviv) und Vierhaus (Göttingen) behilflich. Ihnen allen danke ich dafür, am meisten aber Dr. Fischer (Bonn), der außer mit zahlreichen Hinweisen in der Sache durch seine vielfachen Ermunterungen dazu beigetragen hat, daß das Projekt eine kritische Durststrecke überwinden konnte.
29
ob in welchem Maße sie und ihre Mitglieder und Funktionsträger diese aktiv vorangetrieben, sie „bloß" mitgemacht, zähneknirschend erduldet oder ihr Widerstand entgegengesetzt haben. Zuvor muß jedoch erörtert werden, welchen Anteil die Hochschule oder einzelne ihrer Mitglieder und Institutionen durch Handeln oder auch Unterlassen daran gehabt haben, daß sich der Nationalsozialismus an ihr so stark ausbreiten konnte, daß der frühere Hochschulgruppenführer des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes, Hugo Rönck, beim Universitätsjubiläum mit einigem Recht schreiben konnte, daß schon 1931 „eigentlich in Göttingen die Hochschule für den Nationalsozialismus erobert" 2 war.
2. Die Weimarer Zeit 2.1 Universitätsstadt Göttingen Die Stadt Göttingen war bis zum Jahre 1946 ein Teil der preußischen Provinz Hannover und bildete seit der preußischen Verwaltungsreform im Jahre 1885 einen eigenen Stadtkreis. Ihre Einwohnerzahl erreichte am Ende des ersten Weltkrieges die Zahl von knapp 40 000 und stieg bis zum Beginn des zweiten Weltkrieges kontinuierlich auf 50 000 an. Als Stadt dieser Größenordnung rangierte Göttingen zwar nicht unter den zentralen Hauptorten des norddeutschen Raums wie Hannover, Bremen, Hamburg und Kassel. Aber immerhin war Göttingen doch nächst dem Oberzentrum Kassel für den südniedersächsischen Raum die wichtigste Stadt. Die Wirtschaftsstruktur Göttingens war und ist für die übrigen Städte des heutigen Landes Niedersachsen ganz außergewöhnlich. Göttingen hatte gleichzeitig den geringsten Industrieanteil und den höchsten Anteil im Bereich des Handels und vor allem der (privaten und öffentlichen) Dienstleistungen aufzuweisen. Dem entsprach auch die Sozialstruktur der Stadt mit ihrem überproportionalen Anteil an Angestellten und Beamten und dem entsprechend überproportional niedrigen Anteil an Arbeitern.3 Diese Wirtschafts- und Sozialstruktur weist schon auf den zentralen Faktor hin, der der Stadt ihr Gepräge gab und gibt: die 1737 gegründete Universität. Für unsere Zwecke ist ein Blick auf die politischen Kräfteverhältnisse in Göttingen wichtig. Der politische Antagonismus zwischen Rechten und Linken war in Göttingen durch eine früh gegründete und schon 1931 zur absoluten Mehrheit in der Stadt gelangte Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) und den — nach 1933 im Untergrund weiterkämpfenden — Internationalen Sozialistischen Kampfhund (ISK) akzentuiert. Der ISK ist für die Geschichte Göttingens als auch seiner Universität bemerkenswert. Denn diese Organisation etablierte sich als Nachfolgeorganisation des „Internationalen Jugendbundes" (IJB) nach einem Unvereinbarkeitsbeschluß der SPD 1925 als eigenständige politische Links-Partei.4 Gründer von IJB und ISK und bis zu seinem Tode im Jahr 1927 ihr charismatischer Führer war Leonard Nelson, dem in Göttingen auch deswegen eine größere Hochschullehrerkarriere versagt blieb (S. 289 f.). Im Spektrum der vielen kleinen Splitterparteien der Linken vertrat der ISK das Konzept eines nichtmarxistischen, auf dem Prinzip der Gerechtigkeit aufbauenden ethischen Sozialismus. Die rigiden „Mindestanforderungen" an eine Mitgliedschaft (wie Abstinenz von Alkohol und Nikotin, Vegetarismus, Atheismus etc.) zeigen einerseits, daß der Bund Wert darauf legte, Politik und Lebenspraxis unmittelbar zu verbinden, streifen andererseits aber deutlich die Grenzen zum politischen Sektierertum. Seine Mitgliedschaft in Göttingen rekrutierte der ISK vor allem 30
in der Lehrerschaft. An der Universität gehörte ihm nach Nelsons Tod nur noch der Psychologiedozent Heinrich Düker als Mitglied an (S. 506). Allerdings gab es vor allem im Bereich der mathematischen und physikalischen Institute eine ganze Reihe von Sympathisanten, darunter die Mathematiker Hilbert und Courant sowie Bernays und Lüneburg (S. 542). Außerdem arbeiteten studentische Mitglieder des ISK in der Roten Studentengruppe (RSG) mit Kommunisten zusammen und stellten dort zeitweise auch den Vorsitzenden. Schon bevor die Göttinger Ortsgruppe der NSDAP - als eine der ersten Ortsgruppen im norddeutschen Raum — gegründet wurde5, hatte der Antisemitismus in Göttingen eine längere Tradition. Nach dem ersten Weltkrieg trat zunächst vor allem der „Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund" (DVSTB) auf den Plan.6 Zu dessen Gründern und Leitern in Göttingen zählte der bereits früher durch antisemitische Veröffentlichungen hervorgetretene Studienrat und Honorarprofessor für alte Geschichte an der Universität Hugo Willrich (S. 431 f.) Teile des DVSTB bildeten in Göttingen das erste Rekrutierungsfeld für die im Mai 1922 hier gegründete NSDAP. Zwar versuchte die Ortsgruppe unter ihrem ersten Führer, dem Medizinstudenten Ludolf Haase, zunächst, die Dominanz des vor allem unter Göttinger Arbeitern unbeliebten studentischen Elements zu vertuschen. Aber unter ihren Führungskräften waren in Göttingen Akademiker immer bestimmend. Dazu gehören etwa als Ortsgruppenleiter der Theologiestudent Hugo Rönck, als Kreisleiter der Chemieassistent Dr. Rudolf Mentzel (von 1930 - 1 9 3 3 ) oder als sein Nachfolger (von 1933 bis 1945) der Astronom Dr. Thomas Gengier.7 Auch im Lehrkörper der Universität gab es schon vor 1933 eine Handvoll von Parteimitgliedern, die - ebenso wie Mentzel — nach der „Machtübernahme" Karriere machten. Dazu gehörten etwa der außerordentliche Professor der Volkswirtschaft Jens Jessen (S. 161 f.), der Dozent der Agrarwissenschaften Konrad Meyer (S. 638) oder die beiden außerordentlichen Professoren der Chemie Gerhart Jander und Peter Thiessen (597 ff.).8 An der Universität hatten aber vor 1933 unter den Nationalsozialisten die Studenten das Ubergewicht. Bevor es im Wintersemester 1926/27 unter Führung des späteren Leiters des „Rassenpolitischen Amtes" der Partei, Dr. Walter Gross, zur Gründung einer Hochschulgruppe des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes (NSDStB) kam, hatten studentische Mitglieder der Partei schon wichtige Amter der studentischen Selbstverwaltung innegehabt, wie etwa der Chemiestudent Achim Gercke als Leiter des Fachschaftsamtes der Göttinger Studentenschaft, der sich alsbald als Organisator eines „Archivs für rassenkundliche Berufsstatistik" und später als „Sachverständiger für Rasseforschung beim Reichsminister des Inneren" einen Namen machte.9 Gercke hatte schon 1925 das ungeheure Projekt in Angriff genommen, mit seinem „Archiv" ein „Register sämtlicher Juden in Deutschland" anzulegen, wobei unter den Begriff „Jude" nicht nur die Angehörigen der mosaischen Religion, sondern auch die getauften oder konfessionslosen „Judenstämmlinge" und die „jüdischen Mischlinge" fallen sollten.10 Dieses Vorhaben stieß natürlich von vornherein nicht nur wegen seines Umfangs, sondern auch wegen der Probleme, gleichzeitig „einwandfreie" und doch nichtoffizielle Daten als Erhebungsgrundlage zu verwenden, auf ungeheure Schwierigkeiten. Denn einerseits wollte man die Datensammlung gegenüber „dem Novembersystem" geheimhalten, andererseits wollte man nicht wie ähnliche frühere antisemitische Nachschlagwerke unüberprüfte Angaben verwenden. Im wichtigsten dieser Kompendien, dem 1929 ff. in zweiter Auflage erschienenen vierbändigen „Semi-Kürschner", finden sich nämlich z.B. einige Göttinger Hochschullehrer, 31
die fälschlich als Juden eingeordnet wurden, wie etwa die berühmten Mathematiker Felix Klein und David Hilbert, so daß der Semi-Kürschner in einer nachgelieferten Berichtigung auf einen empörten Protest eines Mathematikers hin etwa zerknirscht zugeben mußte, daß Klein „über 1,80 groß, auch nach seinem sonstigen Äußeren den verwöhntesten Rassenanforderungen genügt" habe.11 Da das Archiv fürs erste nur die Juden in leitenden Stellungen herausfiltern wollte und diese in der Regel wenigstens ihr Abitur gemacht oder auch studiert hatten, kam man auf die Idee, die Abiturientenlisten der Schulverzeichnisse und die Lebensläufe der Doktordissertationen nach Religionsangaben zu durchforsten. Durch Vermittlung einiger Beschäftigter der Universitätsbibliothek erhielt man bald auch Zutritt zu den Kellern der Bibliothek, wo diese Unterlagen über Jahrzehnte hinweg gesammelt waren, und so sollen im Laufe der Zeit bis 1931 nach Haases - sicher weit übertriebenen12 — Angaben schon 400 000 Karteikarten entstanden sein. Prof. Willrich unterstützte die Arbeit des Archivs durch die Hergabe seines Namens für die Einrichtung eines Postfachs, und er wie auch Prof. Jander traten als Mitglieder eines Förderkreises der „Freunde der deutschen Auskunftei" in Erscheinung. Die Verwendung der gesammelten Daten war vielfältig. Zuerst hatte man für etwaige Eheschließungen „Deutsche Auskunft" bereitstellen wollen. Auskünfte über einzelne Personen haben auch später noch beim Bestreben zur „Reinhaltung der Partei" und bei der Bekämpfung politischer Gegner eine Rolle gespielt. So sahen die Betreiber des Archivs es etwa als einen ihrer schönsten Erfolge an, daß sie den Stahlhelmkandidaten Duesterberg bei den Reichspräsidentenwahlen 1932 als „Nichtarier" „enttarnen" konnten. 13 Ganz im Sinne des Archivnamens spielten aber statistische Angaben und namentliche Listen über die Vertretung von Juden in bestimmten Berufssparten an bestimmten Orten die größte Rolle. Besonders bemerkenswert ist dabei die Erstellung und geheime Zirkulation von zwei gedruckten Reihen, nämlich einerseits „Die jüdischen Richter und Staatsanwälte" und andererseits „Der jüdische Einfluß auf den Deutschen Hohen Schulen" (Abb. 1 - 4). Das schon 1928 unter Verwendung des Vorlesungsverzeichnisses vom Wintersemester 1926/27 in Umlauf gebrachte Heft 1 der letzten Reihe ist der Universität Göttingen gewidmet.14 Es enthält außer einer „Rassenstatistik" für die einzelnen Fakultäten eine namentliche Liste sämtlicher „Juden", „Judenstämmlinge" und auch „Judengenossen" der Universität.15 Daß die „Beratung deutschgesinnter Professoren" bei Berufungsfragen durch das Archiv „ein weiteres Vordringen der Juden an den Universitäten zu verhindern" gewußt habe, wie Haase schreibt16, ist für Göttingen allerdings eher unwahrscheinlich. Denn auch nach dem Erscheinen des Heftes wurden etwa an der juristischen Fakultät noch mit den Professoren Honig, Leibholz und Gutmann einige „Nichtarier" berufen, von denen sogar zwei in der Schriftenreihe des Archivs aufgeführt gewesen waren.17 Immerhin waren aber die Hefte doch offenbar so gut bekannt, daß es zwei Göttinger Hochschullehrer schon vor 1933 für wichtig hielten, sich unter Vorlage eines Ariernachweises aus dem Verzeichnis streichen zu lassen.18
2.2 Die Universität Göttingen vor der „Machtergreifung" Mit 3 662 Studierenden und einem Prozentanteil von 3,7 an der Gesamtstudentenzahl des Deutschen Reiches (im Sommersemester 1932) lag die Universität Göttingen deutlich in ihrer Größe hinter den Universitäten Berlin, München, Leipzig, Bonn und Köln, aber noch vor so bedeutenden Hochschulen wie Frankfurt, Freiburg oder Marburg.19 Uber das wis32
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Abb. 7 Telegraphische Beurlaubung der ersten sechs jüdischen Professoren durch das Berliner Kultusministerium am 25. April 1933: Vorderseite
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Abb. 9 Bericht des Göttinger Tageblatts über die Beurlaubung jüdischer Professoren am 26. April 1933
sehen Gründen Entlassenen als erste beurlaubt wurden, kann nur vermutet werden: Sie waren wohl auch politisch unliebsam. Interessant in diesem Zusammenhang ist aber, daß von ihnen schließlich kein einziger wegen § 4 („politische Unzuverlässigkeit") von der Universität vertrieben wurde, obwohl diese Möglichkeit nach den Ausführungsbestimmungen vorrangig geprüft werden sollte und bei Courant und Noether tatsächlich auch erwogen wurde (S. 529 f.). N u r bei diesen beiden hat es auch Versuche gegeben, durch Eingaben von Hochschullehrern oder auch Studenten ein Verbleiben im Amt zu ermöglichen. Merkwürdig an der Beurlaubungsaktion ist schließlich, daß Courant und Born ihre Suspendierung später in eine normale Beurlaubung auf eigenen Antrag zu Auslandsaufenthalten umgewandelt bekamen und man Born zeitweise ausdrücklich „in Zusammenhang mit der Universität halten" wollte (S. 559). Zum Zeitpunkt des angekündigten, aber nie ht eingehaltenen Geltungsendes des Berufsbeamtengesetzes im September 1933 wurden dann die ersten 11 Entlassungen verfügt. Darunter waren in Göttingen nur zwei beamtete Professoren, nämlich der Jurist Richard Honig und der Philosoph Moritz Geiger, während alle übrigen nur Honorarprofessoren, nichtbeamtete außerordentliche Professoren oder Privatdozenten waren, die man einfach durch den Entzug der Venia legendi von der Hochschule entfernte. Das Berufsbeamtengesetz hatte in § 8 die Pensionsbemessung für nach § 3 Entlassene so festgesetzt, daß nur nach vorheriger mindestens zehnjähriger Dienstzeit im Beamtenverhältnis ein Ruhegehaltsanspruch bestand. Bis auf Geiger (S. 311) erfüllten alle diese Voraussetzungen nicht, und da nach § 3 Absatz 3 des „Gesetzes zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiete des allgemeinen Beamten-, des Besoldungs- und des Versorgungsrechts" vom 30. Juni 193371 „Nichtarier" auch nirgendwo anders in Beamtenstellen kommen durften, waren den Betroffenen alle einschlägigen Berufsmöglichkeiten im Deutschen Reich genommen. Sie waren deshalb die ersten, die aus Göttingen emigrierten. Eine zweite Welle von Entlassungen hätte es in Göttingen eigentlich mit dem „Reichsbürgergesetz", einem jener auf dem „Parteitag der Freiheit" vom September 1935 erlassenen drei Rassengesetze geben können. Denn dieses Gesetz bestimmte in § 2: „Reichsbürger ist nur der Staatsangehörige deutschen und artverwandten Blutes, der durch sein Verhalten beweist, daß er gewillt und geeignet ist, in Treue dem Deutschen Volk und Reich zu dienen". 72 Zusammen mit der Bestimmung der ersten Durchführungsverordnung, vom 14. 11. dieses Jahres, die lautete: „Jüdische Beamte treten mit Ablauf des 31. Dezember 1935 in den Ruhestand" 73 , ergab sich die Handhabe zu einer weiteren „Säuberungsaktion". Denn obwohl der Begriff des „Juden" im Reichsbürgergesetz nun „großzügiger"7* definiert wurde als noch der des „Nichtariers" im Berufsbeamtengesetz, hob die neue „Rechtslage" doch die im Berufsbeamtengesetz noch gegebenen Ausnahmen für Altbeamte und Frontkämpfer auf, so daß auch diese nun von der Hochschule zu verweisen waren. In Göttingen wurden nach dem Reichsbürgergesetz nur noch ganze vier Hochschullehrer betroffen. In der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät handelte es sich um Prof. Leibholz, der, obwohl nicht Weltkriegsteilnehmer, wegen seiner Teilnahme an Kämpfen gegen die Spartakisten zunächst als „Frontkämpfer" behandelt (S. 113), dann aber nach einer studentischen Boykottdrohung im Frühjahr 1935 an die Universitätsbibliothek versetzt worden war. In der Philosophischen Fakultät waren der Historiker Prof. Hessel, der Latinist Prof. Latte und der Philosoph Prof. Misch betroffen. 75 Misch wurde bei der Bemessung seines Ruhegehaltes totz seines Lazarettdienstes im ersten Weltkrieg im übrigen nicht als „Frontkämpfer" behandelt (S. 295). Wenn man bedenkt, daß eine sehr viel größere Anzahl von Göttinger Hochschullehrern 43
ursprünglich die Ausnahmebestimmungen des „Arierparagraphen" erfüllt hatte und sich eigentlich noch im Amt hätte befinden müssen, ist diese geringe Anzahl eigentlich erstaunlich. Die Erklärung dafür ist, daß die Mehrzahl von ihnen zwischen September 1933 und Frühjahr 1935 entweder „freiwillig" ihr Amt aufgaben oder durch Einschränkungen ihrer Tätigkeit zur Aufgabe gedrängt wurden. So legten außer James Franck auch die Professoren Weyl (Mathematik) und Goldschmidt (Mineralogie) ihre Amter nieder.76 Sie konnten sich den Verzicht auf alle Ansprüche gegen den Staat aus ihrer langen Dienstzeit erlauben, weil sie als weltberühmte Gelehrte im Ausland leicht eine Stelle fanden. Andere wie die „Altbeamten" Bernstein und Landau (beide Mathematik) wurden mit Anwendung jenes unscheinbaren § 6 des Berufsbeamtengesetzes „zur Vereinfachung der Verwaltung" in den Ruhestand versetzt (S. 531). Entgegen dem Wortlaut des Gesetzes wurden danach ihre Stellen doch wieder besetzt. Bei Landau war die Versetzung in den Ruhestand die Reaktion auf einen Emeritierungsantrag gewesen, den er nach einem studentischen Boykott gegen seine Vorlesung im November 1933 gestellt hatte (S. 531). Anderen wie Courant und Born wurde „nahegelegt", einen Antrag auf Emeritierung zu stellen, was sie auch taten. Schließlich führte der Entzug der Prüfungsberechtigung im Staats- und im Doktorexamen dazu, daß einige Hochschullehrer einen Antrag auf Emeritierung einreichten. Da alle diese Fälle nach außen so dargestellt wurden, als wären diese Emeritierungen oder Versetzungen in den Ruhestand völlig freiwillig und auf Antrag der Betroffenen zustandegekommen 77 und sich zudem auf einen längeren Zeitraum verteilten, mag Außenstehenden der Großteil der Entlassungen aus rassischen Gründen von der Universität Göttingen wie der übliche Personalwechsel erschienen sein. Nach dem Ende 1935, zu dem die Versetzungen in den Ruhestand nach dem Reichsbürgergesetz vorgenommen wurden, waren nur noch solche „Nichtarier" an der Universität Göttingen, die wegen der „liberaleren" Definition des „Juden" als „Mischlinge" ersten oder zweiten Grades nicht entlassen worden waren. Aber auch die „jüdisch Versippten" (die schon seit dem Juni 1933 nicht mehr in den Staatsdienst aufgenommen werden durften) gehörten zur Zielgruppe der noch zu „Säubernden". Daß jetzt Rechtsvorschriften vollends nur Fassade waren, zeigt sich besonders eindrucksvoll an der „Rechtskonstruktion", mit der das Ausscheiden dieser Personengruppe von den Hochschulen betrieben wurde. So hieß es für die „jüdisch Versippten": „Mein Rundschreiben, das den deutschblütigen Ehegatten, der in einer deutsch-jüdischen Mischehe lebt, verbietet, in seiner Wohnung die Reichs- und Nationalflagge zu hissen, gilt auch für Beamte. Da der Zustand, daß ein Beamter nicht flaggen darf, auf die Dauer nicht tragbar ist, ist der jüdisch versippte Beamte in der Regel gemäß § 6 BBG in den Ruhestand zu versetzen."78 Da von dieser Gruppe Prof. Weyl schon von sich aus den Beamtendienst quittiert hatte und man den erst im Sommersemester 1933 berufenen Chemiker Prof. von Wartenberg nach einem Studentenboykott schon 1936 in den Ruhestand versetzt hatte, mußte der Göttinger Kurator nur in einem Fall, dem des Leiters des Instituts für Leibesübungen Dr. Zimmermann, eine Stellungnahme zu der Frage abgeben, ob wegen nicht nur besonderer fachlicher Eignung, sondern auch wegen „besonderer Zuverlässigkeit" von einer Entlassung abzusehen sei. Valentiners Hinweis auf die hohen fachlichen Qualitäten Zimmermanns und auch auf den Umstand, daß er auf ein bedeutendes Erbe zugunsten eines Neubaus des Instituts für Leibesübungen verzichtet hatte, bewirkten nichts: Er wurde einen Tag nach Schlüsselübergabe des Instituts entlassen (S. 672 ff.). Nach entsprechenden Pressionen wurde schließlich 1938 als letzter übriggebliebener , J u d e " an der Universität der Rechtslehrer Professor
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von Gierke in den Ruhestand geschickt (S. 117 f.). N u r der „Vierteljude" Prof. Martius (Medizin) blieb als einziger „Nichtarier" während der gesamten Dauer des NS-Regimes im Göttinger Lehrkörper (S. 192 f.).79
3.1.4 Vertreibungen aus politischen Gründen Man kann Entlassungen aus rassischen oder aus politischen Gründen natürlich nicht säuberlich voneinander trennen, weil beide Arten von Motiven in einigen Fällen in einer Person zusammentrafen. Das Beispiel Göttingen zeigt jedoch, daß die vielfach anzutreffende Vorstellung, alle Juden seien schon per se linksorientiert gewesen, falsch ist. Denn selbst bei den im April 1933 beurlaubten sechs Hochschullehrern sind nur bei zweien aktuelle politische Hintergründe nachweisbar, während bei den übrigen längst zurückliegende Ereignisse herangezogen werden mußten. Insofern liegen die klarsten Fälle politisch begründeter Entlassung in Göttingen bei den Nicht-Juden vor.80 Bevor ich zu diesen Mitgliedern des Lehrkörpers komme, verdienen die Relegationen von Studenten im Herbst 1933 Erwähnung. Nach zwei Erlassen vom 29. Juni und vom 9. August wurden auch in Göttingen die kommunistischen und marxistischen Studenten von der Universität und gleichzeitig von allen deutschen Hochschulen verwiesen.81 Das traf in Göttingen 9 Mitglieder der Roten Studentengruppe (die in ihrer Mehrheit schon gar nicht mehr in Göttingen immatrikuliert waren) und 4 Mitglieder der Sozialistischen Studentenschaft. Da davon auszugehen ist, daß die bei der Relegation beteiligten nationalsozialistischen „Kommilitonen" kaum einen ihrer früheren Gegner geschont haben, gibt die geringe Anzahl der schließlich Relegierten gleichzeitig einen Eindruck von der zahlenmäßigen Schwäche der studentischen Linken an der Universität Göttingen vor 1933. Für einige prominente Mitglieder der beiden Gruppen ist ihre spätere Behandlung durch die Nationalsozialisten aktenkundig. So wurde die letzte Vorsitzende der RSG, Hannah Vogt, schon im März 1933 in das Konzentrationslager Moringen eingeliefert, in dem sie bis zum November des Jahres eingesperrt blieb.82 Nach einem ersten erfolglosen Versuch im Jahre 1936, wieder zum Studium zugelassen zu werden, der an negativen „Beurteilungen" der Göttinger Universitätsbehörden scheiterte, gelang ihr dies nach einem Verhör beim Sicherheitsdienst der SS in der Wagnerstraße 1942. Bei dieser Gelegenheit hatte sich Rektor Plischke gegen eine Wiederzulassung - außer mit politischen auch mit sexistischen Argumenten - gesträubt.83 Rudolf von Leyden (Kampfname: Rudi Anders), der zusammen mit Hannah Vogt als Redner bei der vom NSDStB und Stahlhelm gesprengten Versammlung der RSG vorgesehen und ihr Vorgänger als Leiter der Gruppe war, konnte durch ein Versehen der Universitätsverwaltung noch im Sommer 1933 seine Promotion in Göttingen abschließen. Nach seiner Emigration nach Indien wurde ihm von Göttingen aus durch Anschlag am schwarzen Brett der Entzug der Doktorwürde „zugestellt". 84 Weil die politischen Gründe dafür offenbar als nicht ausreichend angesehen wurden, schob man den - offenbar völlig aus der Luft gegriffenen — Vorwurf der Homosexualität als Begründung nach. Eine andere Behandlung als die Mitglieder der kommunistisch dominierten RSG erfuhren die sozialdemokratischen Studenten. So wurde etwa Hans Kellner nach seinem Eintritt in die SA im Sommersemester 1933 schon nach kurzer Zeit wieder zum Studium zugelassen und konnte im April 1938 in Göttingen sein Doktorexamen machen (S. 111). 45
Bei den Hochschullehrern waren Entlassungen aus politischen Gründen nur ausnahmsweise mit vorheriger politischer Betätigung gegen das NS-Regime zu begründen. So war der erste im ganzen Reichsgebiet, dem nach § 18 der neuen Reichshabilitationsordnung wegen „Unwürdigkeit" die Habilitation aberkannt wurde, der Privatdozent der Anatomie Karl Salier, der zum Zeitpunkt der Machtübernahme jedenfalls noch kein Gegner des Nationalsozialismus gewesen ist. Denn er gehörte zu den Unterzeichnern der „Kundgebung" gegen den Franck-Rücktritt und lieferte auch auf der Rückseite seines „vorläufigen Fragebogens" unaufgefordert einen über die Großelterngeneration zurückreichenden „Ariernachweis". 8 5 Statt nun aber mit seinem Spezialgebiet, der Rassenforschung, bei der allgemeinen Konjunktur dieses Fachs schnell Karriere machen zu können, fiel seine eigene Rassentheorie aber beim Leiter des rassenpolitischen Amtes der Partei und vormaligen Gründer der NSDStBHochschulgruppe in Göttingen Dr. Walter Gross in Ungnade, weshalb Salier die Venia legendi entzogen wurde. 86 Im Fall des Physikdozenten Kyropoulos hatte die Aberkennung nach § 18 einen Zug ins Groteske. Weil seine Ehefrau im Garten eines jüdischen Nachbarn randalierende SA-Männer als „Schweinevolk" beschimpft hatte, wurde Kyropoulos wegen „ungenügender Gleichschaltung" (seiner Ehefrau!) die Lehrberechtigung entzogen (S. 716). So ist der einzige Fall einer Entlassung aus politischen Gründen in Göttingen, die mit Widerstand gegen das Regime im Zusammenhang steht, die Aberkennung der Habilitation bei dem Psychologiedozenten Heinrich Düker (S. 512). Düker hatte trotz einer frühen Hausdurchsuchung Anfang April 1933 und einer Reihe von Verhören seine Widerstandstätigkeit gegen die Nationalsozialisten fortgesetzt, war aber im Frühjahr 1936 nach der Zerstörung der benachbarten Hannoversch-Mündener ISK-Gruppe festgenommen und zu drei Jahren Gefängnis verurteilt worden. Die Universität komplettierte seine Ächtung durch den Entzug der Lehrbefugnis. Spätere Beteiligungen an Umsturzplänen brachten ihn im Winter 1944 ins K Z Sachsenhausen, aus dem er 1945 befreit wurde. Neben diesen Fällen gab es an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät noch eine Reihe von Versetzungen in den Ruhestand und eine Suspendierung, die teilweise einen politischen Hintergrund hatten. Sie waren aber eigentlich mehr die Ausführung eines Plans nationalsozialistischer Aktivisten an dieser Fakultät, Stellen für ihre Mitkämpfer freizubekommen, als Folge von Widerstandshandlungen der so Gemaßregelten (S. 113 und 171 f.) In diese „Lehrstuhlbeschaffungsaktionen" ist auch der Fall des Pädagogen Prof. Nohl an der Philosophischen Fakultät einzuordnen, dessen Lehrstuhl „aus Anlaß des Neuaufbaus der deutschen Hochschulen" offenbar aus politischen Gründen kassiert (S. 327) und danach in der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät mit einem prononcierten Nationalsozialisten besetzt wurde (S. 170).
3.2 Nationalsozialistischer „Neuaufbau" der Hochschule 3.2.1 Programme Die Ziele des nationalsozialistischen „Neuaufbaus" waren vor 1933 in der Programmatik der Partei und ihrer Unterorganisationen weit weniger explizit gewesen als die „Säuberungs"-forderung. Die bestehende programmatische Lücke wurde aber schnell durch einige nationalsozialistische oder nach der „Machtergreifung" eilig zu den neuen Machthabern übergelaufene Hochschullehrer überbrückt. Dazu gehörten etwa der bekannte Freiburger Philosoph Martin Heidegger (vor allem mit seiner Rektoratsrede vom Mai 1933 „Zur
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Selbstbehauptung der deutschen Universität" und der darin verkündeten Trias von Arbeits-, Wehr- und Wissensdienst für die Hochschulangehörigen), der Leipziger Soziologe Hans Freyer mit seinem Vorschlag eines „politischen Semesters" und schließlich der Hamburger Jurist Adolf Rein mit seiner schon im Dezember 1932 veröffentlichten und im gleichen Monat in Göttingen vorgetragenen Idee einer „politischen Universität". 87 Dabei hätte Reins Vorschlag der Gründung einer „politischen Fakultät" als Kernstück der neuen „Machtuniversität" die weitestgehenden Eingriffe in den institutionellen Aufbau der Universitäten erfordert, während auf der anderen Seite etwa Heideggers Ideen traditionelle Strukturen im wesentlichen unangetastet ließen und vor allem darauf hinausliefen, den Studenten und Dozenten zusätzliche, außerwissenschaftliche Leistungen aufzubürden. Für Göttingen ist nun die Beobachtung zu machen, daß gerade von derjenigen Programmatik, die am weitesten ging und von einer Reihe von Mitgliedern des Lehrkörpers wie vor allem dem Historiker Otto Westphal in öffentlichen Diskussionen der Universität im Mai 193388 propagiert worden war, in der Folgezeit am wenigsten verwirklicht wurde. Realisiert — und das auch nur in Ansätzen — wurden andere.
3.2.2 Studienreform Nachdem die schon im April 1933 als Zwangskörperschaft eingeführte „Deutsche Studentenschaft" ihren revolutionären Elan bei den Bücherverbrennungen des 10. Mai 193389 hatten austoben können, war sie mit dem eigentlich geplanten zweiten Teil ihrer „Aktion wider den undeutschen Geist", den Vorlesungsboykotten gegen unliebsame Hochschullehrer, zumindest in Göttingen schon unmittelbar danach in die Defensive geraten. Es mutet kurios an, daß einige von Studentenschaftsführer Wolff abkommandierte „Gefolgsleute" nicht etwa selbst Boykotts organisierten, sondern dafür sorgten, daß die Vorlesungen des Mineralogen Victor Moritz Goldschmidt im Sommersemester 1933 ungestört weiterlaufen konnten. Dazu hatte das Eingreifen des Kurators geführt, nachdem sich Goldschmidts Kollege Windaus bei Valentiner über Boykottdrohungen von nationalsozialistischen Studenten gegen Goldschmidt beschwert hatte.90 Trotz gelegentlicher späterer Boykotts bzw. Boykottdrohungen (S. 113 f. und 531) (die dann regelmäßig das Ausscheiden des Boykottierten aus dem Lehrkörper zur Folge hatten) wurde die Studentenschaft nach dem revolutionären Sommersemester 1933 dann aber immer mehr zum Ordnungsfaktor, der die Studenten im Sinne der genannten Dreiheit von Arbeits-, Wehr- und Wissensdienst beschäftigt hielt. Die Anforderungen und die Durchführung dieser Dienste sind sowohl im allgemeinen als auch für spezifische Universitäten schon so oft und ausführlich geschildert worden 91 , daß ich mich hier auf einige Göttinger Besonderheiten beschränken kann. Zunächst der Arbeitsdienst·, hier ist das Interessanteste aus Göttinger Sicht die Kontinuität seit der studentischen Arbeitslagerbewegung aus der Spätphase der Weimarer Republik. Wie es scheint, sind die Hoffnungen der studentischen Aktivisten der „Volksgemeinschafts"-ideologie durch die obligatorische Einführung einer nur halbjährigen Dienstpflicht schwer enttäuscht worden.92 U m so weniger wird es ihnen geschmeckt haben, daß die Veranstaltung entsprechender Lager ihnen schon 1934 aus der Hand genommen und 1935 ganz beim Reichsarbeitsdienst zentralisiert wurde. Beim Wehrdienst lagen die Dinge anders. Denn nationalsozialistische Studenten hatten - zumindest in Göttingen — vor 1933 kein großes Gewicht auf Wehrsportlager gelegt.93 So mußte die Universität für das mit der Durchführung des Wehrsports betraute neue SA47
Hochschulamt eigens ein Wehrsportlager einrichten und mit Mitteln aus ihrem Etat und dem des Instituts für Leibesübungen ausstatten.'4 Es wird berichtet, daß dort in Levershausen bei Sudheim die anfängliche „Lagereuphorie" bald infolge des harten militärischen Drills einer tiefgehenden Ernüchterung gewichen sei.95 Anders als an anderen Hochschulorten wurde der - dem Niedergang seiner Mutterorganisation SA parallele — Verfall der SA-Hochschulämter in Göttingen durch einen Veruntreuungsskandal begleitet, dèr nicht wie sonst üblich vertuscht wurde, sondern 1935 zur Verurteilung des Leiters des Hochschulamtes und Führers des SA-Studentensturms Brinkmann zu einer Gefängnisstrafe von 3 Monaten führte." Der Wissensdienst war sicher das diffuseste und in Inhalt und Organisationsformen undurchsichtigste Element der neuen Trias studentischer „Dienste". Er wurde von eigens eingerichteten Amtern der Studentenschaft, den Fachschaften der einzelnen Studienfächer und den „Kameradschaftshäusern" und „Wohnkameradschaften" (wie die gleichgeschalteten Verbindungen jetzt hießen) mit unterschiedlichen Zielen, unterschiedlichen Themen, unterschiedlicher Intensität und unterschiedlichen zeitlichen Beanspruchungen durchgeführt. Die Entwicklung dieses Dienstes tritt vielleicht aber am deutlichsten bei der Beobachtung jener Veranstaltungen hervor, die die Universität als Institution selbst dazu beisteuerte. Ich meine die „Vorlesungen für Hörer aller Fakultäten". Dieser Veranstaltungstypus war schon in den letzten Jahren der Weimarer Republik zunehmend populär geworden. Außer der Gesamtuniversität hatten auch einzelne Fakultäten entsprechende Zyklen angeboten. Die Themen hatten sich aber weitgehend von jedem Aktualitätsbezug ferngehalten. Das gilt zum Teil auch noch für die (vermutlich schon im Wintersemester 1932/33 konzipierten) Vorlesungsreihen des Sommersemesters 1933 mit Themen wie „Die geistige Lage der Gegenwart im Spiegel der Wissenschaft" oder „Probleme und Gestalten der Renaissance", an denen auch noch eine ganze Reihe der kurze Zeit später entlassenen „Nichtarier" als Vortragende teilnahmen.97 Der Umschwung kam hier erst mit dem Wintersemester 1933/34. Denn nun kündigte die Gesamtuniversität eine Vortragsreihe „Rasse, Volk und Staat" an, bei der außer dem üblich gewordenen Getön der geisteswissenschaftlichen Aktivisten und Mitläufer des NS-Regimes auch so handfeste und geradezu prophetische Themen wie „Stoffwirtschaft im deutschen Lebensraum" (Prof. Thiessen), „Deutschlands Lage im chemischen Krieg" (Dr. Manegold) oder schließlich allgemein die „Wehrpolitische Lage Deutschlands" (Dr. Schüz) zur Sprache kamen.98 Das ungeheure Anschwellen dieser „politischen Vorlesungen" fand aber im Kultusministerium in Berlin keine Sympathie. Von dort aus wurde verfügt, daß statt der „Uberzahl politischer Vorlesungen" nur noch wenige Veranstaltungen angeboten wurden, die dafür aber „strengen Anforderungen" genügen und von ausgesuchten Stützen des Regimes bestritten werden sollten.99 Für Göttingen fand man diese im Gauarbeitsführer Hermann Wagner und dem Gauschulungsleiter August Schirmer.100 Diese Lehrveranstaltungen wurden dann im übrigen für alle Studenten — und zeitweise auch für Dozenten — verbindlich gemacht. Man muß sich nun vor Augen halten, daß alle Anforderungen durch Arbeits-, Wehrund Wissensdienst zu den weitergeltenden Anforderungen eines Fachstudiums hinzukamen und somit teils die Semesterferien, teils die Wochenenden und teils die Abende oder die frühen Morgenstunden ausfüllten. So beklagten sich denn auch der Göttinger Rektor Neumann und der Studentenschaftsführer Wolff auf eine entsprechende Anfrage des Ministeriums an alle Hochschulen über „unzweckmäßige Störungen" des Studiums, über das „Nebeneinander her" der verschiedenen Veranstaltungsarten und die konkurrierenden Ansprüche der mit der Durchführung betrauten NS-Organisationen und schließlich über 48
die „Überanstrengungen . . . , wenn am Sonnabend und Sonntag jede freie Zeit wegfällt." 101 Abhilfe erhofften sie sich von einer Reduktion der „Stoffüberfüllung" und der „viel zu vielen Sonderfächer" und einer „organischen Lösung", die „alle Teile der Erziehung (die politische, die wissenschaftliche und die körperliche) zu einem Ganzen vereinigt". Ein derartiger Einschnitt trat auch im Frühjahr 1935 ein, als mit der Einführung der allgemeinen Arbeitsdienstpflicht und der allgemeinen Wehrpflicht diese bisherigen studentischen „Dienste" vom Studium entflochten und ihm als Zugangsvoraussetzung vorgelagert wurden. Damit fiel auch etwa der Zeitpunkt zusammen, von dem an man von einer „integrierten" Phase der nationalsozialistischen Studienreform sprechen kann, die nun auf die Studieninhalte und den Aufbau der Curricula übergriff. In Berlin hatte man nicht auf die Antworten zur Rundfrage nach „Störungen im Studium" gewartet, um inhaltliche Änderungen der Studiengänge vorzubereiten, sondern offenbar schon kurz nach der Machtübernahme in entsprechenden Arbeitsgruppen mit der Ausarbeitung neuer Studienrichtungen und Prüfungsordnungen begonnen. Zu den ersten, die schon im Frühjahr 1935 in Kraft traten, gehören diejenigen in Jura (S. 127 ff.) Volkswirtschaft (S. 164 f.) und Landwirtschaft (S. 639 f.). Sie sind inhaltlich bemerkenswert, weil sie das Studium jeweils durch ein integriertes, sehr stark verschultes und strikt im nationalsozialistischen Sinne reglementiertes Grundstudium beginnen lassen. Ihrem Zustandekommen nach sind sie aus Göttinger Sicht interessant, weil mit Jens Jessen (S.164) und Konrad Meyer (S. 639) einige frühere Göttinger nationalsozialistische Aktivisten, die sofort nach 1933 an anderen Orten akademische Karriere gemacht hatten, an ihrer Erarbeitung beteiligt waren. Im Laufe der Jahre kam eine Vielzahl neuer Studien- und Prüfungsordnungen hinzu 102 , von denen vielleicht die Richtlinien für Lehrerbildung aus dem Juli 1937 die wichtigsten sind. Sie enthalten die Vorschrift eines integrierten einjährigen Eingangsstudiums für Lehrer aller Schularten an einer Hochschule für Lehrerbildung. Dieser vergleichsweise „moderne" — und bald wieder aufgegebene — Gedanke verschwindet allerdings völlig hinter dem ideologisierten Fächerkanon dieses Grundstudiums mit Fächern wie Rassenkunde und Volkskunde. 103 Auch der Kriegsausbruch hat die Weiterführung der Studienreform nicht aufhalten können. So wurde noch 1941 ein Diplomstudiengang für Psychologie eingeführt, der die langen Professionalisierungsschwierigkeiten dieses Studienfachs unter dem Vorzeichen der Wehrpsychologie schließlich zum Ende brachte.104 In Göttingen hat aber vor 1945 kein Student mehr nach diesen Vorschriften einen Abschluß machen können (S. 516), anders als etwa nach der noch 1942 eingeführten Diplomprüfungsordnung in Physik (S. 571). Wie die integrierte Phase der Studienreform von den passiv Beteiligten, den Studenten, aufgenommen wurde, wissen wir im allgemeinen nicht. Die Reaktion eines direkten Widerstandes ist in Göttingen interessanterweise nur im einzigen Fach belegt, das in der NS-Zeit keine Änderung seiner Prüfungsordnung erfuhr, der Theologie. Hier provozierte die Frontstellung zwischen der NS-Bewegung der „Deutschen Christen" (DC) und der „Bekennenden Kirche" (BK) auch in der Fakultät Konflikte, die sich zeitweise bis zu Boykotts BK-treuer Studenten gegen exponierte Anhänger der D C steigerten und zur Etablierung von Ersatzlehrveranstaltungen durch BK-Anhänger in der Dozentenschaft führten (S. 81 ff.). Der Konflikt wurde später nach langen Querelen durch einen Kompromiß entschärft.
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3.2.3 Habilitation und Dozentur Die Habilitation war und ist im deutschen Universitätsleben die Eingangstür zur Hochschullehrerlaufbahn. Es erscheint im Sinne der Nationalsozialisten folgerichtig, daß sie hier den Hebel ansetzten, um politisch genehmen wissenschaftlichen Nachwuchs von unerwünschtem zu trennen. Das geschah formal dadurch, daß mit Erlaß vom Oktober 1933 und ausführlicher mit der neuen Reichshabilitationsordnung vom Dezember 1934 zur weiterhin obligatorischen Habilitation außer einer „Lehrprobe" der Nachweis „nichtwissenschaftlicher Leistungen" in Form der sogenannten „Gemeinschaftslager" (= Wehrsportlager) und „Dozentenakademien" hinzukamen, wenn man nicht nur den neu eingeführten Grad eines Dr. habil erwerben, sondern auch Dozent an einer Hochschule werden wollte.105 Zur Durchführung solcher Aufgaben hatten die Nationalsozialisten, gleichfalls im Oktober 1933, eigens an allen deutschen Hochschulen eine „Dozentenschaft" ins Leben gerufen, die vom Assistenten bis zum außerordentlichen Professor den gesamten wissenschaftlichen Nachwuchs organisierte. Zusätzlich wurde im Berliner Ministerium eine Zentrale gegründet. Jede örtliche Dozentenschaft hatte sich zur Durchführung ihrer Aufgaben jeweils mehrere Amter geschaffen, darunter ein „Amt für Wehrsport" für Durchführung der Gemeinschaftslager und ein „Wissenschaftliches A m t " für die Dozentenakademien. 106 Hier wurden die zukünftigen Teilnehmer jeweils registriert, nach Berlin weitergemeldet und von dort zu Lehrgängen zusammengestellt und „einberufen". In Göttingen konstituierte sich die Dozentenschaft im November 1933 unter ihrem ersten Führer, dem Agrarwissenschaftler Hermann Vogel, Leiter des wichtigen Wissenschaftlichen Amtes war der außerordentliche Professor der Völkerkunde Hans Plischke. Der organisatorische Aufbau war bereits im Dezember des Jahres abgeschlossen und so erhielten die Mitglieder der Dozentenschaft schon im Frühjahr 1934 Gelegenheit, sich bei einem gemeinsamen Lager in Rittmarshausen miteinander und — nach den Erinnerungen von Vogels Nachfolger Blume — „mit dem bis vor kurzer Zeit ja noch so unbeliebten Thema .Nationalsozialismus und Hochschule' vertraut zu machen". In den Räumen und in der Umgebung dieses nach 1933 ausgebauten ehemaligen Lagers des FAD, das 1937 aus Anlaß des Universitätsjubiläums gründlich renoviert und in Anwesenheit Rusts feierlich erweitert wurde (S. 498 ff.) fanden außer einer Reihe von studentischen Führungs- und Fachschaftslagern und Lehrerfortbildungsseminaren reichsweit auch (mindestens) fünf Dozentenlager statt107, deren Teilnehmerzahlen zwischen 40 und 70 schwankten. Als Personal stand den Lehrgangsleitern, zu denen auch der Göttinger Rektor Neumannn und der später nach Göttingen berufene Königsberger Rektor Heyse gehörten 108 , weitere wissenschaftliche Kräfte zur Verfügung, die entweder für einzelne Vorträge anreisten oder die gesamte Dauer über anwesend waren. Aufschlußreich für den Ablauf solcher Lager ist, daß zum ständigen Personal außer einem Adjutanten des Lagerleiters auch ein „Zuständiger für äußere Lagerleitung und Sport" sowie ein „Sangesleiter" gehörten. Neumann rekrutierte die letztgenannten Funktionsträger bevorzugt unter den altgedienten Aktivisten des Göttinger NSDStB. Wie sah so ein Lager nun im einzelnen aus? Zufälligerweise gibt es vom ersten reichsweiten Dozentenlager in Rittmarshausen (dem 5. auf Reichsebene) einen Bericht seines Leiters Neumann und eines später prominenten Teilnehmers, des Theologen Trillhaas. Während Neumann sich zufrieden über den Ablauf des Lagers (darunter zwei Nachmittagsausmärsche und ein Ganztagsmarsch mit Gepäck über eine erhebliche Wegstrecke, außerdem der Besuch einer Ausstellung über „Erbgut und Rasse") äußert und „Geist und die Geschlossen50
heit des Lehrgangs" als „sehr gut" bewertet109, kam Trillhaas als Teilnehmer zu skeptischeren Urteilen.110 Er berichtet von der ständigen Furcht vor Bespitzelungen und unerträglichem Konkurrenz- und Anpassungsdruck, wenn man etwa vom Lagerleiter „nicht zufällig zu einem langen scrutinium auf einen Spaziergang" mitgenommen wurde. Auch das „paramilitärische Allotria" 111 des Lageralltags wurde als störend empfunden. Trillhaas erwähnt als Reaktion auf die Strapazen eines Gepäckmarsches mit fünfundzwanzig Pfund Sand im Tornister den Ausruf eines Teilnehmers „Ist denn keiner da, der mir den Dolchstoß von hinten versetzt?"112 Andererseits scheinen die Teilnehmer einige Aspekte auch positiv aufgenommen zu haben. So bildeten sich Bekanntschaften und gelegentlich auch lange Freundschaften über die Grenzen der universitären Fächer und Herkunftsorte hinweg. Gleich im ersten Dozentenlager in Rittmarshausen (mit noch ausschließlich Göttinger Teilnehmern) schlossen sich unter dem Eindruck einer besonders verheerenden Rede Neumanns einige Göttinger Dozenten zu einer dauerhaften Arbeitsgemeinschaft „gegen die doppelte Logik" zusammen. 113 Dieser Zusammenhalt überdauerte die Nazi-Ära und war einigen Beteiligten sogar bei der Entnazifizierung von Nutzen. So waren die Eindrücke von diesen Lagern durchaus gemischt. Ihre allgemeine Folge scheint die Einübung von Anpassungs- und Uberlebensstrategien gewesen zu sein, die dazu verholfen haben mag, daß sich ihre Absolventen auch nach 1945 ohne größere Schwierigkeiten an die geänderten Verhältnisse gewöhnen konnten. Nach größeren reichsweiten Stichproben zu urteilen, scheinen nur relativ wenige Fälle ausgesprochen positiver oder ausgesprochen negativer „Beurteilungen" der Lagerleiter die Erteilung oder Versagung der Dozentur entscheidend beeinflußt zu haben.114 In Göttingen jedenfalls ist kein einziger Fall bekannt, wo eine negative Bewertung der Teilnahme an solchen Lagern eine Dozentur auf Dauer verhindert hätte. In einem einzigen Fall fiel ein Kandidat allerdings schon durch das Habilitationskolloquium. Dabei handelt es sich mit der Althistorikerin Gerda Krüger allerdings um eine Frau, und es ist offensichtlich, daß die schikanösen Fragen im Kolloquium nicht nur spezifisch nationalsozialistische Hintergründe hatten, sondern auch Folge der traditionellen sexistischen Vorurteile deutscher Hochschullehrer waren (S. 352 f.). Negative „Beurteilungen" der Lagerleiter konnten akademische Karrieren aber in Göttingen zumindest zeitweise verstellen. Das ist etwa Josef König in der Philosophie geschehen (S. 298 f.). Sein Fachkollege Eduard Baumgarten war dagegen vorübergehend wegen eines negativen Gutachtens von Martin Heidegger nicht einmal zur Habilitation zugelassen worden (S. 299 ff.). Da Dozentenlager nach 1937 im Lager Taennich (Thüringen) und danach im Reichslager für Beamte in Bad Tölz zentralisiert wurden, verlor Rittmarshausen von diesem Zeitpunkt an seine Bedeutung, bevor es 1938 aus hygienischen Gründen auch für andere Belegungszwecke geschlossen wurde.115 Im Kriege wurden die sogenannten „Polenbaracken" dann offenbar mit Zwangsarbeitern belegt. Es scheint, daß der mit den „außerwissenschaftlichen Leistungen" angestrebte politische Ausleseeffekt im Laufe der späten 30er Jahre immer weniger wirksam werden konnte, weil diese zusätzliche Hürde immer mehr wissenschaftliche Nachwuchskräfte davon abschreckte, überhaupt eine Hochschullehrerkarriere anzustreben. So wird es auch erklärlich, daß der Umfang dieser „Leistungen" immer mehr reduziert wurde. Andererseits wurde im Frühjahr 1939 mit der Zahlung von Diäten für ausgewählte Privatdozenten und außerordentliche Professoren eine „wirtschaftliche Sicherstellung des Hochschullehrernachwuchses" eingeführt und damit ein materieller Anreiz für eine akademische Karriere gegeben.116 51
3.2.4 Berufungspraxis Bevor auch außerordentliche Professoren und Dozenten Diäten zugesprochen bekamen, bestand häufig ihre einzige Chance in der Berufung auf einen jener Lehrstühle, deren Inhaber die Nationalsozialisten zuvor aus rassischen oder politischen Gründen entlassen hatten. Diese Situation wurde von einigen Göttinger Nachwuchswissenschaftlern und von auswärts nach Göttingen Berufenen als unangenehme Zwangslage empfunden (S. 567). Sie gingen jedoch niemals so weit wie der Berliner Mediziner Prof. Krayer, der eine Vertretung eines „nichtarischen" Kollegen in Göttingen ablehnte, weil er sie „als ein Unrecht" empfand (S. 196). Krayer wurde durch eine Drohung mit § 4 BBG („politische Unzuverlässigkeit ") schnell zur Räson gebracht.117 Bevor wir uns den Berufungen zuwenden können, ist ein Blick auf die Neueinrichtung von Lehrstühlen angebracht.118 Denn dadurch werden interessante Einblicke in nationalsozialistische Prioritätensetzungen der Göttinger Forschung und Lehre möglich. Nach Kultusminister Rusts erster programmatischer Rede vom März 1933, in der er Aussagen zu Schwerpunkten der zukünftigen Forschungslandschaft machte119, oder nach den späteren Studienrichtlinien und Prüfungsordnungen für die Lehrerbildung (die für weite Bereiche der Lehre Schwerpunktsetzungen implizierten) zu urteilen, hätte man auch in Göttingen mit einer Einrichtung bzw. einem Ausbau der ideologischen Lieblingsfächer des Nationalsozialismus wie Rassenkunde, Wehrkunde, Ur- und Frühgeschichte und Volkskunde rechnen können. Dazu kam es jedoch bis auf eine Ausnahme nicht. Im Fall der Rassenkunde griff man lieber auf (auch dann noch schwer besetzbare) Lehraufträge zurück, als sich eine Besetzung des bereits beantragten und genehmigten Lehrstuhls für Rassenhygiene in der Medizinischen Fakultät mit dem Gründer der NSDAP-Ortsgruppe in Göttingen und nunmehr Hannoveraner Arzt Ludolf Haase abzeichnete.120 In der Wehrkunde und insbesondere in der Kriegsgeschichte war die Universität schon lange vor 1933 so gut mit Lehrpersonal und Lehraufträgen versorgt (S. 436), daß sich die — übrigens vor 1933 auch schon von der studentischen Stahlhelmgemeinschaft angeregte121 - Einrichtung von entsprechenden Lehrstühlen erübrigte und man im Gegenteil mit dem Privatdozenten Alfred Schüz sogar einen Kriegsgeschichtler an die Universität Hamburg abgeben konnte. Eine Aufwertung der seit längerem vom Leiter des Hannoverschen Landesmuseums und Göttinger Honorarprofessor Jakob-Friesen verwalteten Lehrauftrags für Ur· und Frühgeschichte zu einer ordentlichen Professur erwies sich nach verschiedenen Anläufen aus finanziellen Gründen als undurchführbar.122 Daher war die Volkskunde das einzige der nationalsozialistischen Paradefächer, das sich 1938 mit einem Lehrstuhl in Göttingen etablierte (S. 492 f.), nachdem sie seit der Weimarer Zeit von den Germanisten nebenbei mitbetreut worden war (S. 366 ff.). Dieser Lehrstuhl war wohlweislich der „religiösen Volkskunde des südniedersächsischen Raumes" gewidmet, um ihn für den gewünschten Inhaber, den ehemaligen Kerstlingeröder Pastor und Wortführer der „Deutschen Christen" in Göttingen, Eugen Mattiat, passend zu machen (S. 493). Trotz der auch in Göttingen dramatisch von fast 4 000 bei ihrem Maximum im Sommersemester 1932 auf weniger als 1 200 bei ihrem Minimum im Sommersemester 1938 abgesunkenen Studentenzahlen123 ist es erstaunlich, daß es in einigen weniger ideologischen Bereichen dann aber doch zu einer ganzen Reihe von Lehrstuhlneugründungen kam. Der Löwenanteil dieser insgesamt 13 Stellen124 kam mit drei Professuren den Agrarwissenschaf ten zugute und diente so der wissenschaftlichen Absicherung der „Nahrungssicherungs"und später der „Lebensraum"-politik (S. 641 ff). Die von einem der drei, dem Agrarpoliti52
ker und Gaudozentenbundsfiihrer Arthur Schürmann betriebene Gründung eines Kolonialinstituts blieb indes ein „kolonialer Traum" (S. 646 f.). Einen Aufschwung erlebten auch die Volkswirtschaftler, deren Zuwachs an Lehrstühlen in Göttingen jedoch durch Umwidmungen einer juristischen (S.122 f.) und einer pädagogischen Professur (S. 327) „erwirtschaftet" wurde. In beiden Fällen haben allerdings offenbar nicht nur Prioritätensetzungen einer zentral geplanten Hochschulpolitik, sondern Anstrengungen der Göttinger Fachvertreter der Landwirtschaft und der Volkswirtschaft beigetragen, durch personelle Aufstockungen die drohende Schließung dieser Bereiche in Göttingen und eine Zentralisierung an anderer Stelle zu verhindern (S. 644 und S. 167). Landwirtschaft und Volkswirtschaft waren in Göttingen auch Fächer, deren Studentenzahlen weniger dramatisch absanken als die Zahlen an der Universität im Ganzen, ganz im Gegensatz etwa zu den Ziffern bei der Theologie (S. 90) und einigen geisteswissenschaftlichen Fächern wie der Philosophie (S. 306) und der Altertumskunde (S. 351), die im Nationalsozialismus ihre beherrschende Rolle in der Philosophischen Fakultät verloren, obwohl ihre Fachvertreter in Göttingen zum größten Teil erst nach 1933 berufene ausgewiesene Nationalsozialisten waren. Die eigentliche Berufungspolitik in der nationalsozialistischen Ära an der Universität Göttingen wird hier nur insoweit dargestellt, als sie für diese Zeit charakteristische Ergebnisse zeitigte (die unter den Umständen der vorangegangenen Weimarer Zeit jedenfalls nicht zustande gekommen wären). Zunächst ist dabei die Reihe von Fällen zu erwähnen, in denen unzureichend (oder unter Umständen überhaupt nicht) akademisch ausgewiesene Kandidaten auf Lehrstühle kamen. Das geschah in der Theologie durch Einsatz des nationalsozialistischen Dekans Emanuel Hirsch direkt bei der ersten Berufung (von Otto Weber) und ein Jahr später 1935 bei der Berufung Walter Birnbaums. Beide waren zum Zeitpunkt ihrer Berufung nicht promoviert (S. 80 und S. 95), und nur Weber konnte die Doktorprüfung in einem zweifelhaften Verfahren vor der eigenen Fakultät 1938 nachholen (S. 95). In der Philosophischen Fakultät war der neuberufene Eugen Mattiat nicht nur nicht habilitiert und nicht promoviert, sondern hatte sein Fach auch nicht einmal studiert, so daß er gezwungen war, seine Tätigkeit in Göttingen gleichermaßen als Professor und Student seines Fachs aufzunehmen (S. 493). Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät schließlich hatte mit den Juristen Wilhelm Saure und Georg Erler ebenfalls nichthabilitierte Neuankömmlinge in ihren Reihen (S. 124 f. und 121). Alle diese Fälle sind auch deswegen interessant, weil sie Einblick in verschiedenartige personelle Austauschbeziehungen zwischen dem Bereich der „Praxis" im nationalsozialistischen Staat und der Hochschule geben. Die Theologen Weber und Birnbaum wirkten vor ihrer Göttinger Zeit in der Reichskirchenleitung des Reichsbischofs Müller (S. 80). Mattiat war Referatsleiter für Geisteswissenschaften im Kultusministenum in Berlin gewesen (S. 494), von wo auch der (allerdings habilitierte) Orientalist Walter Hinz einen Absprung nach Göttingen schaffte. Beide waren in Berlin an der Ausgestaltung des berüchtigten „Reichsinstitutes für Geschichte des neuen Deutschland" beteiligt gewesen.125 Ihre in Göttingen erreichten Positionen als Dekan der Philosophischen Fakultät (Hinz) und Dozentenbundsführer (Mattiat) nutzten die beiden dann, um mit Erich Botzenhart einen (nicht habilitierten) Kandidaten auf eine vakante Geschichtsprofessur nachzuziehen (S. 442 f.). In der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät war diese Tendenz zum Austausch mit der „Praxis" weniger ausgeprägt. Aber immerhin stammte der nichthabilitierte Wilhelm Saure aus der Führung des Reichsnährstandes (S. 124). Zeitweise war auch —schließlich ergebnislos - der Plan erwogen worden, mit Ulrich von Hassell einen nichtpromovierten Mann des diplomatischen Dienstes für die Fakultät zu gewinnen. Daraus wurde je53
doch nichts. An von Hassell hätten Göttinger Nationalsozialisten wenig Freude gehabt. Denn er gehörte später zu den wichtigsten Männern des konservativen Widerstandes gegen Hitler und zu den Planern des Staatsstreiches vom 20. Juli 1944 (S. 58 f.). Es ist nicht verwunderlich, daß einem Teil der jeweiligen Fakultätsmitglieder, die noch an formal ordnungsgemäße Berufungsverfahren aus den Zeiten der Weimarer Republik gewöhnt waren, die neuen Kollegen und vor allem das Verfahren, in dem sie berufen wurden, ein Dorn im Auge war. So gab es aus den Kreisen der Theologischen Fakultät Proteste gegen die Berufung Birnbaums (S. 82). In der Philosophischen Fakultät erhob der Historiker Prof. Kaehler energischen Einwand gegen die Berufung Botzenharts (S. 443). Hier stieß auch die Berufung des Philosophen Heyse (S. 305) auf Bedenken der Fachvertreter. Daß diese Berufungen trotzdem durchgesetzt werden konnten, ist eine der Folgen der Umstellung der Universitätsorganisation von der kollegialen Selbstverwaltung auf das Führerprinzip. Dabei hatten der Rektor als „Führer" der Hochschule und — mit einigem Abstand dahinter — die von ihm bestellten Dekane als seine „Unterführer" zentralen Stellenwert, während die bisherigen Entscheidungsträger, die Kollegialorgane Senat (auf zentraler Ebene) und Fakultäten (auf dezentraler Ebene) zu bloßen Beratungsorganen herabsanken126, die häufig nicht einmal konsultiert wurden. In Göttingen setzte sich vor allem der längjährige „Führer der Hochschule" Neumann im Benehmen mit seinen Unterführern häufig genug über Beschlüsse der Fakultäten hinweg oder konterkarierte in seinen Begleitschreiben zu Berufungsvorschlägen der Fakultäten deren Stellungnahmen. Die deutlichsten Fälle solchen Vorgehens sind wohl die Berufung Heyses, die Neumann und der seinerzeitige Dekan Plischke gegen einen ausdrücklichen Beschluß der Fakultät in Berlin durchsetzten (S. 305), und die Berufung Birnbaums in der Theologischen Fakultät, die von Dekan Hirsch im Gespräch mit dem zuständigen Referenten Mattiat nach telefonischer Rücksprache mit Neumann abgewickelt wurde. Bei der Berufung des späteren Gaudozentenbundführers Schürmann in die Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät wurden weder Rektor noch Dekan auch nur gefragt, ein selbst während der Nazizeit in Göttingen einmaliger Vorgang (S. 642).
3.2.5 Revolutionierung der Wissenschaft und die Göttinger „Akademie der Wissenschaften des NS-Dozentenbundes" Trotz reichlichen Zuwachses an Nationalsozialisten im Lehrkörper konnten die führenden Aktivisten jedoch keine reine Freude über einen Teil ihrer neuen Kollegen empfinden. Denn diese waren nur in den seltensten Fällen geeignet, jene fachspezifischen Wissenschaftsrevolutionen voranzutreiben, die unter der Herrschaft des Nationalsozialismus Konjunktur hatten. Ich meine jene Programme einer spezifisch „deutschen" oder auch „arischen" Wissenschaft, die den überwundenen „undeutschen" und „nichtarischen" Wissenschaftsidealen der Weimarer Zeit gegenübergestellt wurden und die besonders in den exakten Naturwissenschaften im Gefolge der Grundlagenkrisen der Mathematik und der neuen Physik als „Deutsche Mathematik" (S. 532 f.) und „Deutsche Physik" für Unruhe sorgten (S. 554 f.). In der Göttinger Mathematik hat es zwar zunächst einige Vertreter dieser Richtungen gegeben (wie Tornier, Weber und Teichmüller), aber diese zogen es doch bald vor, sich in die Hauptstadt dieser Bewegung nach Berlin zu begeben (S. 536 f.). In der Physik waren entsprechende Personalansprüche gar nicht erst angemeldet worden (S. 564), und ausgerechnet der vom Ministerium ins Rennen geschickte und als Nachfolger Francks berufene Prof. 54
Joos hatte sich durch eine experimentelle Bestätigung der „artfremden" Einsteinschen Relativitätstheorie einen Namen gemacht. Angesichts der auch in anderen Bereichen unbefriedigenden Ausbeute der Berufungspolitik für die Zwecke einer nationalsozialistischen Hochschulreform und Revolutionierung einzelner Fächer überrascht es nicht, daß in Göttingen auf Abhilfe gesonnen wurde. So wurde im Frühjahr des Jubiläumssemesters 1937 eine Institution aus der Taufe gehoben, die mit dem anspruchsvollen Titel einer „Akademie der Wissenschaften des NS-Dozentenbundes" an die Öffentlichkeit trat. Wie schon die Gründung des Dozentenlagers in Rittmarshausen bestätigt auch diese Gründung Göttingens führende Stellung in der nationalsozialistischen Hochschulreform im Reich, denn parallele Gründungen hat es sonst nur noch in Tübingen und Kiel gegeben. 127 Die Gründungen des NS-Dozentenbundes wurden von vornherein vom Mißtrauen konkurrierender Stellen verfolgt. So hatte Kultusminister Rust dafür gesorgt, daß diese Projekte auf den Status von Experimenten beschränkt blieben. 128 Und auch Alfred Rosenberg als „Beauftragter des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung" der Partei und Betreiber eines konkurrierenden Projekts einer nationalsozialistischen Wissenschaftsrevolution, nämlich der Alternativuniversität „Hohe Schule", sah ihr Anwachsen mit Argwohn. 1 2 9 In Göttingen kam noch hinzu, daß die NS-Akademie offensichtlich auch als Konkurrenzorganisation zur traditionellen „Gesellschaft der Wissenschaften" konzipiert war und auch von ihren Gegnern so verstanden wurde. 130 Die Gründung erfolgte kurz nach der Ankunft ihres „wissenschaftlichen Leiters" Hans Heyse im April des Jubiläumsjahres 1937. Dies schuf auch den Vorwand dafür, daß nicht ein Repräsentant der traditionellen Akademie, sondern Heyse bei den Festakten im Juni 1937 das Wort ergreifen konnte. 131 Danach ruhten die Aktivitäten wieder, weil Heyse damit beschäftigt war, ihm für die Zwecke der NS-Akademie überlassene Räume des von den Nationalsozialisten geschlossenen Pädagogischen Seminars mit Hitlerbildern, Ledersesseln und langen Tischen standesgemäß auszustatten. 132 Nach einem neuerlichen Festakt am 10. Juni 1938 in Anwesenheit des Reichsdozentenbundsführers Schultze, aber in Abwesenheit des ebenfalls eingeladenen Ministers Rust wurde dann die „wissenschaftliche Arbeit" der Akademie aufgenommen. Dabei wurden im kleinen Kreise prononcierter NS-Größen der Universität 133 einige Vorträge über Themen wie „Die Hoheit des Staates (Volk, Staat, Reich)" gehalten. 134 Die Zuhörer dürften nie mehr als zwanzig gewesen sein, Doppelmitgliedschaften mit der „Gesellschaft der Wissenschaften" gab es mit dem Mathematiker Hasse (S. 538) und dem Landwirtschaftler Lenkeit nur in zwei Fällen. Gerade von Hasse durfte man aber kaum die Fortentwicklung von Fachprogrammatiken wie der „Deutschen Mathematik" erwarten, denn durch seinen Einsatz waren die in Göttingen tätigen „Deutschen Mathematiker" nach Berlin abgedrängt worden (S. 536 f.). Interessanter als Gründung und Aktivität der Akademie ist in Göttingen ihr Zusammenbruch. Noch auf einer hoffnungsvollen ersten „Reichstagung" der Akademien vom 8. bis 10. Juni 1939 hatte Reichsdozentenbundsführer Schultze glänzende Zukunftsperspektiven entworfen und abermals den „einzigen unüberwindlichen Gegensatz im Gedankenreich" mit den Worten festgenagelt: „Deutsche Wissenschaft gegen demokratisch-marxistische Geistesverwirrung jüdischer Mache" 1 3 5 . Einige Göttinger Mitglieder hatten sich mit Vorträgen über „Das politische Leben der Germanen" (Neumann) oder „Imperialismus und völkische Wirtschaftsordnung" (Rath) beteiligt. Die Nachbereitung dieser Tagung am Ende des Monats in Göttingen war aber die letzte Aktivität der hiesigen Akademie überhaupt, denn der Eifer der alten Mitglieder war schon 55
erlahmt und die neuberufenen Nationalsozialisten ließen sich von Heyse nicht zur Mitarbeit und Übernahme von Vorträgen bewegen. 136 So ist also die NS-Akademie in Göttingen schon an innerer Auszehrung eingegangen, bevor Rosenberg auch den Schwestergründungen den Garaus machte. 137
3.3 3.3.1
1939-1945 Krieg
In der wissenschaftlichen Literatur hat es Erörterungen darüber gegeben, ob der 2. Weltkrieg und seine Folgen noch zu den Spezifika des Nationalsozialismus für den Wissenschaftsbetrieb an den Hochschulen zu rechnen sind oder nicht. 138 Das Beispiel der Universität Göttingen gibt Anschauungsmaterial für beide Positionen. Denn einerseits hat der von den deutschen Nationalsozialisten begonnene Krieg auch hier zu einer stärkeren Unterordnung von Forschung und Lehre unter die Zwecke des Regimes geführt. Andererseits geschah dies aber unter Bedingungen, die den Hochschulalltag - zum Teil gerade wegen der totalen Mobilmachung von Hochschule und Wissenschaft für den Kriegseinsatz - so veränderten, daß die zwischen 1933 und 1939 eingeführten nationalsozialistischen „Errungenschaften" abgeschwächt wurden, ganz verschwanden oder sich sogar in ihr Gegenteil verkehrten. Zunächst ist festzustellen, daß die Mobilisierung der Universität für den Kriegseinsatz mit ihren Wellen von Einberufungen, Beurlaubungen von der Front und Rückrufen zum Kriegsdienst ziemlich genau den Kriegsverlauf widerspiegelt. So wurde die Universität Göttingen — anders als die benachbarte Aerodynamische Versuchsanstalt (AVA) (S. 697) — mit Kriegsbeginn als „Bedarfsstelle zweiter Ordnung" zeitweise ganz geschlossen.139 Der Großteil der Studenten und die jüngeren Hochschullehrer waren zum Kriegsdienst eingezogen worden. Bald nach erfolgreichem Abschluß des Polenfeldzuges wurde die Universität jedoch Anfang Oktober wieder mit einem Trimester in allen Fakultäten e r ö f f n e t . U m gleichzeitig möglichst schnell noch für möglichst viele Studienabschlüsse zu sorgen, aber auch möglichst viele Studenten in kurzer Zeit wieder an die Front zu bekommen, wurde dann noch bis 1941 an der Trimestereinteilung festgehalten. Danach wurden wieder die üblichen Semester eingefühlt und sogar verstärkt Studienurlaube zur Fortsetzung und Abschluß eines Studiums gestattet. Diese Zeiten endeten jedoch alsbald mit dem deutschen Uberfall auf die Sowjetunion im Sommer 1941. Vor allem seit der Kriegswende bei Stalingrad wurden auch die noch in Göttingen Studierenden zum Kriegseinsatz herangezogen, sei es bei Fabrik- oder Ernteeinsätzen in den Semesterferien 141 oder beim Luftschutz in Göttingen selbst. Auch die in Göttingen gebliebenen Hochschullehrer wurden zur Kriegsverwendung gedrängt oder stellten sich freiwillig dafür zur Verfügung. Das wird besonders bei der Kriegsforschung deutlich. In der Physik hatten einige Göttinger wie Professor Joos und Privatdozent Hanle zwar den Anstoß dazu gegeben, jenen „Nibelungenring der sich selbst weiter ausbreitenden Kettenreaktion" zu schmieden, wie Joos blumig für die Festschrift zum 50. Geburtstag Hitlers die technische Nutzung der Kernspaltung umschrieben hatte (S. 566). Aber mit dem „Uranverein", der sich dann den deutschen Anstrengungen zum Bau einer Atombombe widmete, hatten Göttinger Wissenschaftler bis auf eine Ausnahme im weiteren Verlauf nichts mehr zu tun (S. 571). In der Mathematik waren einige Instituts-
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mitglieder mit Interpolationsrechnungen für die Sternwarte Babelsberg und mit Verfolgungskurven beschäftigt (S. 539). Was in der Chemie geschah, ist uns nicht bekannt. Es wäre sicher interessant zu wissen, ob sich nicht auch im zweiten Weltkrieg Göttinger Wissenschaftler mit der Vorbereitung eines - dann freilich unterbliebenen - Gaskrieges beschäftigt haben. Im Ganzen muß man aber wohl sagen, daß die Arbeiten Göttinger naturwissenschaftlicher Institute für den Kriegseinsatz nicht außergewöhnlich umfangreich waren. Dies gilt jedenfalls dann, wenn man sie mit den Anstrengungen vergleicht, die die Göttinger AVA (S. 688) seit Anfang 1933 im Zusammenhang mit dem Aufbau einer deutschen Luftwaffe unternommen hatte. Denn während Personalbestand und Finanzmittel der Universität während der gesamten Periode des Nationalsozialismus stagnierten und in einigen Bereichen sogar rückläufig waren, explodierten hier die Personalerweiterungen und Etatmittel mit einem Faktor 10 gegenüber den Verhältnissen in der Weimarer Zeit (S. 689). In der Medizinischen Fakultät schlug sich die Mobilisierung für den Kriegseinsatz außer durch die Inanspruchnahme der Kliniken als Lazarette auch im Lehrangebot für die große Zahl der zeitweise vom Kriegsdienst befreiten Medizinstudenten142 nieder, die auf ihre zukünftige Rolle als Feldärzte vorbereitet wurden. So finden sich in den Vorlesungsangeboten der Fakultät fast sämtliche Stadien eines Soldatenlebens berücksichtigt, von der „Luftfahrtmedizin" über „Diagnostik und Therapie der für den Truppenarzt wichtigsten Dermatosen" und „Wehrpsychiatrie" bis hin zur „Wehrpathologie", „Wehrchirurgie" und „Krüppelfürsorge" 14\ Ein Mitglied der Fakultät, Prof. Ewald, hat sich aber geweigert, an den nationalsozialistischen „Euthanasie"-programmen als Gutachter mitzuwirken (S. 223 f.).144 Auch außerhalb der Naturwissenschaften und Medizin waren verschiedene Wissenschaftler und Institute an der Vorbereitung des „Endsieges" beteiligt. So betätigten sich Historiker wie der Privatdozent Walter Hubatsch und Professor Percy Ernst Schramm als Tagebuchführer beim Oberkommando der Wehrmacht (S. 445). Andere widmeten sich mehr der moralischen Seite des Krieges. So sorgte sich der praktische Theologe Walter Birnbaum darum, den Soldaten die Gefahren des atheistischen Bolschewismus vorzuführen (S. 90). Wo moralische Aufrüstung nichts fruchtete, wurde die nationalsozialistische Kriegsjustiz tätig. Der frühere langjährige Dekan der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät, der Strafrechtler Karl Siegert, meldete beispielsweise der Universität von Zeit zu Zeit seine wechselnden Adressen als Kriegsgerichtsrat (S. 126). Mit der Planung für den angestrebten Siegfrieden waren Göttinger Hochschullehrer jedoch nur wenig befaßt: ein geplantes Kolonialinstitut blieb in seinen Anfängen stecken (S. 646 f.). Der ehemalige Göttinger Dozent der Agrarwissenschaft Konrad Meyer konzipierte aber, allerdings nun als Berliner Professor, den „Generalplan Ost" zur Besiedelung des dann eroberten „Lebensraums im Osten" (S. 641). Lehre und Studium einerseits, wissenschaftliche Forschung und auch „praxisnähere" Einsätze von Wissenschaftlern andererseits entsprachen so in vielfältiger Weise den Erfordernissen der Kriegführung des Hitler-Regimes. Damit im Zusammenhang stand aber die — zum Teil gerade durch den totalen Kriegseinsatz erzwungene — Abkehr von vielen Selbstverständlichkeiten, die den Universitätsalltag seit 1933 bestimmt hatten. Am auffälligsten ist hier wohl die verstärkte Zulassung der seit 1934 maximal auf 10 % der Gesamtstudierendenzahl beschränkten Frauen zum Universitätsstudium. Sie führte dazu, daß der Frauenanteil an der Gesamtzahl der Studierenden einen Prozentsatz erreichte wie nie zuvor und in einzelnen Fächern, neben einigen Kriegsverletzten, fast nur noch Frau57
en studierten, weil ihre männlichen Kommilitonen eingezogen waren.145 Auf der Ebene des wissenschaftlichen Nachwuchses fielen die nach 1933 eingeführten obligatorischen „nichtwissenschaftlichen Leistungen" als Voraussetzungen zur Erlangung einer Dozentur fort. Unter den wenigen, die sich überhaupt noch während der Kriegszeit habilitieren konnten, befand sich mit der Mathematikerin Helene Braun auch die einzige Frau in der gesamten Nazizeit an der Universität Göttingen.1451 Eine Reihe ihrer ohnehin nicht sehr zahlreichen männlichen Dozentenkollegen, die zuvor die Gemeinschaftslager und Dozentenakademien durchlaufen hatten, fielen im Kriege146, in einzelnen Fächern wie der Geschichte mehr als die Hälfte des gesamten während der NS-Zeit hervorgebrachten wissenschaftlichen Nachwuchses (S. 445). Schließlich trat an die Stelle der „Akademie der Wissenschaften des NS-Dozentenbundes" in Göttingen seit 1943 unter dem Rektor und Dozentenbundsführer Drexler eine „weltanschauliche Arbeitsgemeinschaft", der einige prononcierte Nationalsozialisten wie Schürmann und Neumann schon nicht mehr angehörten, dagegen aber einige Nichtnationalsozialisten wie der Psychologieprofessor von Allesch und der Zoologie-Dozent von Holst (die beide später im Entnazifizierungsverfahren Drexler zu Hilfe kamen).147 Im Ganzen bietet damit die Kriegszeit an der Universität Göttigen ein zwiespältiges Bild: während ein Großteil der früheren Universitätsangehörigen auf verschiedenste Weise in den Kriegsverlauf hineingezogen wurde und — bis in die letzten Kriegstage — viele Kriegstote zu beklagen waren148, erlebte auf der anderen Seite der Universitätsalltag in verschiedenen Bereichen eine nicht unerhebliche Entideologisierung. Dies etwas entspanntere Bild wurde jedoch in Göttingen von den Folgen des gescheiterten Attentats auf Hitler vom 20. Juli 1944 mit einem Schlag zerstört.
3.3.2 Der 20. Juli 1944 und seine Folgen in Göttingen Obwohl eine Reihe von Göttinger Hochschullehrern und Studenten, allen voran der Psychologiedozent Heinrich Düker als Mitglied des ISK (S. 508 ff.) und mit einigem Abstand danach die größtenteils für begrenztere Ziele kämpfenden Angehörigen der Bekennenden Kirche (S. 81 f.) im Lehrkörper und in der Studentenschaft, Widerstand gegen das NS-Regime geleistet hatten, scheint doch kein Göttinger Universitätsangehöriger direkt an den Attentatsplänen beteiligt gewesen zu sein. Wenn man allerdings auch ehemalige Göttinger mit einbezieht, ändert sich das Bild stark. Denn zwei der wichtigsten Männer der Verschwörung waren um 1933 an der Universität Göttingen gewesen. Da ist einmal der Volkswirtschaftler Jens Jessen zu nennen. Er hatte eine ungewöhnlich weite Strecke bis zu seiner Ankunft im konservativen Teil des Widerstands zurückzulegen.149 Denn er war schon weit vor 1933 begeisterter Nationalsozialist gewesen und hatte nach 1933 diesen Umstand weidlich für seine steile berufliche Karriere ausgenutzt. Auch das Ausmaß, in dem er in seiner kurzen Göttinger Zeit nach 1933 zu den Wortführern der nationalsozialistischen Gleichschaltung gehört hatte, ist überraschend (S. 161). Jessen beteiligte sich an der Verschwörung nicht nur als tatkräftiger Organisator, sondern auch als einer der Autoren des „vorläufigen Staatsgrundgesetzes" (S. 162). Der andere war Adam von Trott zu Solz, der 1932 bei dem Göttinger Völkerrechtler Herbert Kraus promoviert hatte (S. 137). Trott war an der Verschwörung des 20. Juli 1944 wegen seiner Stellung im Außenministerium vor allem als Kontaktmann zu ausländischen 58
Regierungen beteiligt und hat in dieser Eigenschaft verschiedentlich wichtige Sondierungen über die Bedingungen eines eventuellen Friedensschlusses geführt.150 Jessen und Trott wurden bald nach dem Scheitern des Attentats als Verschwörer entdeckt, vor dem Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und hingerichtet.151 In Göttingen verliefen die unmittelbaren Folgen des gescheiterten Attentats glimpflicher. Hier ist namentlich nur der Physiker Robert Pohl als Mitwisser der Attentatspläne bekannt (S. 572). Er war von einem früheren Studienfreund, dem Studienrat Hermann Kaiser (zum Zeitpunkt des Attentats Kriegstagebuchführer beim Oberbefehlshaber des Ersatzheeres), um ein direktes Engagement, nämlich die Übernahme von Verantwortung in der Kultusverwaltung, gebeten worden, für die Kaiser nach geglücktem Attentat als Staatssekretär vorgesehen war.152 Das hatte Pohl aber weit von sich gewiesen. Andererseits war Pohl durch seine ironischen Bemerkungen in vielen Vorlesungen schon seit langem dem Göttinger Kreisleiter der NSDAP Dr. Gengier ein Dorn im Auge. Insofern ist es kein Zufall, daß Pohl genannt wurde, als Gengier auf örtlicher Ebene Aktivitäten entwickelte, um sich in die allgemeine Jagd auf Mitwisser und Sympathisanten des Attentats einzuschalten. Zu diesem Zweck bestellte Gengier die Angehörigen sämtlicher ihm unterstellten Parteigliederungen zu sich, darunter von der Universität den Führer des NS-Studentenbundes und den Führer des Dozentenbundes (und gleichzeitig Rektor der Universität) Drexler. Gengier verlangte die Herausgabe von Namen von „Verdächtigen" und drohte Drexler, sonst von sich aus Pohl und den Mediziner Deuticke zu melden, der sich wegen seiner Weigerung, für das Winterhilfswerk zu sammeln, „verdächtig" gemacht hatte. Drexler hat in dieser Lage nach Rücksprache mit dem Gaudozentenbundsführer (und Rektor der Universität Hannover) Prof. Pfannmüller eine Liste von etwa 15 „dem Nationalsozialismus fernestehenden" Angehörigen der Göttinger Universität aufgesetzt, nach seinen Angaben, um durch die Einbettung der eigentlich gefährdeten Pohl und Deuticke in eine größere Umgebung diese umso effektiver zu schützen.153 Diese Liste enthielt jeweils für jeden Genannten ein Beurteilungsblatt mit den „kritischen" Angaben zur Person und soll mit einer Präambel auf einem Deckblatt versehen gewesen sein, demzufolge keiner der Genannten trotz ihrer Distanz zum Nationalsozialismus „im Verdacht der Mitwisserschaft oder des Sympathisierens mit dem 20. Juli" stände. Wer alles in dieser Liste genannt wurde, ist unbekannt. Jedenfalls waren auf ihr neben Pohl und Deuticke mit den Professoren Schramm (damals Tagebuchführer beim Oberkommando der Wehrmacht) und Plischke (Drexlers Amtsvorgänger als „Führer" der Hochschule) nebst ihren Ehefrauen auch Hochschullehrer aufgeführt, von denen man schwerlich behaupten konnte, daß sie dem Nationalsozialismus fernegestanden hätten. Über Schramms Ehefrau war insbesondere berichtet, daß ihre Schwester Elisabeth von Thadden als Mitglied des sogenannten „Solfkreises", also als Angehörige des Widerstandes gegen Hitler, 1943 hingericht worden sei. Das führte später nach der Weiterleitung der Liste nicht nur an Pfannmüller, sondern auch an Gengier zu einem Verhör Frau Schramms durch die Gestapo in Göttingen und zu einer Vernehmung ihres Mannes durch General Jodl im „Führerhauptquartier". Allen 15 auf der Liste genannten Personen ist aber bis zum Kriegsende nichts weiter geschehen, obwohl insbesondere Pohl „Monate der Angst" (S. 572) durchlebt hat. In der Nachkriegszeit war es kein Wunder, daß die verschiedenen Genannten gegenüber dem Verfasser der Liste gegensätzliche Gefühle hegten. Pohl hatte offenbar den Eindruck, daß Drexler dazu hatte beitragen wollen, ihm das Leben zu retten. Dagegen fühlten Plischke, Schramm und ihre Ehefrauen sich als Opfer einer Denunziation. Es ist zweifelhaft, ob 59
der Vorgang, für den natürlich die Existenz der Präambel zu der Liste wesentlich ist, noch jemals aufgeklärt werden kann. Denn die Akten des Dozentenbundes wurden von Drexler weisungsgemäß kurz vor Kriegsende verbrannt, die Akten der Entnazifizierungsverfahren, in die einzelne aufgefundene Beurteilungsblätter eingeführt wurden154, sind bis auf den heutigen Tag der historischen Forschung unzugänglich155 und die wesentlich Beteiligten verstorben.
4. Nach 1945 4.1 Entnazifizierung Göttingen war die erste deutsche Universität, die schon im September 1945 den Lehr- und Studienbetrieb wieder in allen Fakultäten aufnahm. Da das Wintersemester 1944/45 im Februar 1945 „ordnungsgemäß" zu Ende gebracht worden war, hatte die Universität äußerlich nicht einmal ein ganzes Semester verloren. Einige Mitglieder der Hochschule versuchten auch, die Zäsur der militärischen Niederlage durch demonstrative Kontinuitäten zu überdecken (S. 445 f.). Eine Diskussion im akademischen Senat über eine öffentliche Grundsatzerklärung zur wissenschaftlichen und politischen Lage der Hochschule verlief ergebnislos.156 Alle beteiligten Hochschullehrer deklarierten ihr unpolitisches Selbstverständnis und projizierten es in die Verhältnisse vor 1933 hinein, an die man nun anzuknüpfen habe.157 Nach allen diesen Indizien zu schließen, wäre ein Neubeginn an der Universität Göttingen kaum bemerkbar geworden, hätte man die Universität sich selbst überlassen. So mußte der Anstoß zum Wandel von außen kommen, von der Besatzungsmacht. Die britischen Besatzungsbehörden hatten die beiden Ziele Entnazifizierung und „Umerziehung" zur Demokratie auf ihre Fahnen geschrieben. Sie hielten vor allem eine Säuberung des Lehrkörpers von nationalsozialistischen Elementen und die Rückkehr der durch die Nationalsozialisten von der Universität gewiesenen, insbesondere der emigrierten Hochschullehrer, für geeignete Mittel zur Erreichung ihrer Ziele. Die Entnazifizierung der Universität Göttingen stand wegen des frühen Studienbeginns von vornherein unter besonderen Vorzeichen. Weil die entsprechenden Alliierten Kontrollratsdirektiven Nr. 24 vom Januar 1946 und Nr. 38 vom September 1946 erst in Kraft traten, als der Universitätsbetrieb längst aufgenommen worden war, mußte die Entnazifizierung des erforderlichen Lehrpersonals (und auch der Studenten)158 in einem provisorischen Eilverfahren vorgezogen werden. Dies Verfahren lag ganz in den Händen der Besatzungsbehörde. Es gab nur drei Kategorien von Betroffenen, nämlich die Unbedenklichen, die zu Studium bzw. Lehre zugelassen wurden, die Belasteten, die nicht zugelassen wurden und schließlich die noch unentschiedenen und weiter zu überprüfenden Fälle. 159 In diesem ersten Verfahren, zu dem eine Revision zugelassen war, legten die Briten strenge Maßstäbe an, so daß eine ganze Reihe von Personen von der Universität ausgeschlossen blieben. Aber in Göttingen, das wegen des Zuzugs von Flüchtlingen aus dem deutschen Osten und von den „Reichsuniversitäten" Posen, Prag und Straßburg etwa doppelt so viele Hochschullehrer wie zum Zeitbeginn des Wintersemesters 1944/45 in seinen Mauern beherbergte, war es leicht möglich, nationalsozialistisch Belastete durch unbedenkliche Kräfte zu ersetzen.
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Die genannten Kontrollratsdirektiven von 1946 definierten Ziele und Konsequenzen der Entnazifizierung genauer und legten vor allem 5 Kategorien fest, in denen die einem Entnazifizierungsverfahren Unterzogenen der Schwere ihrer Vergehen nach eingeordnet wurden, nämlich als 1) Hauptschuldige 2) Belastete (Aktivisten, Militaristen und Nutznießer) 3) Minderbelastete 4) Mitläufer 5) Entlastete. Den ersten vier Kategorien waren jeweils umfangreiche Kriterienlisten beigegeben. Das Verfahren lief so ab, daß die Betroffenen einen Fragebogen auszufüllen hatten, der von der Militärbehörde geprüft wurde. Danach wurde vor einem Entnazifizierungsausschuß vom „öffentlichen Kläger" Anklage erhoben, die der Betroffene durch Beibringung von Entlastungsmaterial entkräften oder abmildern konnte. Ein Entnazifizierungsverfahren endete jeweils mit einem Bescheid, aus dem sich die Zugehörigkeit zu einer Kategorie und entsprechende Sanktionen (wie etwa Entlassung aus dem öffentlichen Dienst oder Entzug des Wahlrechtes) ergaben. Anders als auf die erste Phase der Entnazifizierung hatte die Universität auf dieses Stadium erheblichen Einfluß. Zwar hatten sich die Briten Anklageerhebung nach den Kategorien 1 und 2 selbst vorbehalten 160 , aber alle übrigen Verfahren wurden von deutschen Ausschüssen durchgeführt. Die Universität hatte im Ganzen drei Entnazifizierungsausschüsse, einen für das Verwaltungs-, einen für das (nichtwissenschaftliche) Klinikspersonal und schließlich einen für den Lehrkörper. Dieser letztere war auf Wunsch der Briten halbparitätisch mit Angehörigen der Hochschule und des öffentlichen Lebens besetzt (also Persönlichkeiten aus Parteien, Gewerkschaften und Kirchen), da man offenbar den Selbstreinigungskräften der Hochschule nicht voll vertraute. Die Besetzungsliste 1 ' 1 für den universitären Teil zeigt, daß man der britischen Aufforderung nachgekommen war, den Ausschuß mit erklärten Antinazis und Verfolgten des Regimes oder wenigstens mit Nichtnazis zu besetzen, denn ihm gehörten von den früheren Mitgliedern des Göttinger Lehrkörpers Düker und Pohl sowie der von den Nationalsozialisten entlassene Mediziner Rudolf Ehrenberg an. Den Vorsitz führte der neu nach Göttingen berufene Jurist Ludwig Raiser. Nach einem Jahr Ausschußarbeit waren von den 102 beamteten ordentlichen und außerordentlichen Professoren der Universität vom Mai 1945 noch 14 im Verfahren, 16 entlassen und 13 nach erfolgreichem Einspruch wieder eingestellt. 162 Beim Abschluß der Verfahren (die zum Teil auch vom Entnazifizierungshauptausschuß der Stadt weitergeführt wurden) gab es in nur 3 Fällen Einstufungen in die Kategorie ΠΙ (mit nachfolgendem Berufsverbot) und 5mal in die Kategorie IV 163 . All diese mühsame und undankbare Arbeit der verschiedenen Entnazifizierungsausschüsse wurde mit den gesetzlichen Normen zur Fortsetzung und Beendigung der Entnazifizierung im Lande Niedersachsen wieder zunichte gemacht. Denn in ihnen wurde verfügt, daß nach Kategorie III und IV Verurteilte ohne Verfahren in die Kategorie V zu überführen seien. 164 Damit konnten sich alle in Göttingen durch den Prozeß der Entnazifizierung Gelaufenen Hoffnungen auf Gehalt bzw. Pension oder sogar eine Wiedereinstellung machen. Die Wiederzulassung wurde durch das sogenannte 131-Gesetz des Landes geregelt. In ihm wurde allerdings nur für den Fall, daß ein Beamter seine Position nicht seinen früheren Verbindungen zum Nationalsozialismus verdankte, eine Anerkennung als „Beamter zur Wie61
derverwendung" bejaht. Die Hochschulen, denen man inzwischen das Selbstverwaltungsrecht wiedergegeben hatte, erhielten in § 20 das Privileg, an tatsächlichen Wiederverwendungen beteiligt zu werden.165 Daß nicht alle „Professoren zur Wiederverwendung" tatsächlich wiederverwendet wurden, ist ein Ergebnis der eigens zur Klärung solcher Fragen eingerichteten zahlreichen Fakultätskommissionen. In der Theologischen Fakultät hatte sich der langjährige Dekan und begeisterte Nationalsozialist Hirsch unter Berufung auf ein altes Augenleiden vor Beginn der Entnazifizierung pensionieren lassen (S. 91). Von den beiden unter seiner Ägide berufenen nichtpromovierten Kollegen Weber und Birnbaum wurde nur Birnbaum nicht wieder verwendet. Möglicherweise hat für Weber den Ausschlag gegeben, daß er noch rechtzeitig vor 1945 den Doktortitel erworben hatte. Birnbaum verzehrte dagegen bis zu seiner Emeritierung sein Gehalt ohne jede Lehrverpflichtung (S. 94). In der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät blieben einzig die Professoren Siegert und Rath dauerhaft von der Hochschule ausgeschlossen, die zu ihrer „großen Zeit" im Zusammenwirken mit dem Agrarpolitiker Schürmann nach Meinung nicht nur der passiv Beteiligten die Fakultät terrorisiert hatten.166 In der Philosophischen Fakultät erreichte der Volkskundeprofessor Mattiat nicht den Titel eines „Professors zur Wiederverwendung" (S. 496). Er setzte sein Berufsleben nach 1945 wieder (wie vor 1933) als Pastor fort. Außer Mattiat kehrten auch die Professoren Bötzenhart (S. 448), Drexler (S. 357), Heyse (S. 309) und Pongs (S. 379) nie wieder in den Lehrkörper zurück. Drexler als letzter Rektor und „Führer der Hochschule" vor 1945 war zwar in der Revision seines Entnazifizierungsverfahrens in die Kategorie IV eingeordnet worden, weil ihm die „Meldung" nach dem 20. Juli 1944 schließlich als Lebensrettungsaktion ausgelegt worden war, aber davon zeigte sich die Fakultät gänzlich unbeeindruckt. Zu seiner dauerhaften Entfernung trug bei, daß zwei der Professoren, die auf seiner Liste gestanden hatten, inzwischen wieder völlig unbeanstandet in der Fakultät Platz genommen hatten, nämlich Plischke und Schramm. Insbesondere Plischke war es im eigenen Entnazifizierungsverfahren zugute gekommen, daß er einmal auf einer Liste der „dem Nationalsozialismus fernestehenden" Mitglieder der Universität Göttingen gestanden hatte.167 Die 1953 gegründete Landwirtschaftliche Fakultät schließlich wollte den ehemaligen Gaudozentenbundsführer Schürmann nicht wieder in ihre Reihen aufnehmen (S. 649). Selbst wenn man zu diesen von uns untersuchten Fällen noch einige wenige einschlägige hinzuaddiert168, kommt man als Ergebnis der Entnazifizierung zu einem mageren Resultat. Denn alle anderen „belasteten" Hochschullehrer wurden wieder in den Lehrkörper aufgenommen, soweit sie nicht bereits vorher pensioniert oder emeritiert worden waren wie etwa der langjährige Rektor Neumann (S. 359). Einigen „wiederverwendeten" Professoren vertraute man später auch einige der sensibelsten Bereiche der Universität an. So etwa wurde der Orientalist Hinz nach einigen Jahren als Redakteur beim Göttinger Tageblatt 1957 wieder Professor der Universität und auch Leiter des Akademischen Auslandsamts, obwohl er im Berliner Kultusministerium einer der maßgeblichen Organisatoren des „Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschland" gewesen war. Der 1953 wiederverwendete Rechtshistoriker Wilhelm Ebel bekam, obwohl früher Mitarbeiter des „Ahnenerbes" der SS, das Universitätsarchiv zur Verwaltung. Er sorgte dort dafür, daß einige notwendige Forschungen unterblieben.169
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4.2 Remigration und Rehabilitation An die moralisch eigentlich selbstverständliche Verpflichtung, Wiedergutmachung an ihren seit 1933 entlassenen und vielfach emigrierten Mitgliedern zu üben, hat die Universität in vielen Fällen von sich aus nicht gedacht. Insbesondere zur Rückholung von Emigranten bedurfte es des Anstoßes der Besatzungsmacht, die der Universität im Dezember 1945 eine Emigrantenliste zusandte und um Stellungnahme bat, welche der Genannten für eine Rückkehr in Frage kamen.170 Wer in der Folge wann und von wem überhaupt zu einer Rückkehr aufgefordert wurde, wird nicht immer aus den Akten deutlich. Das Ergebnis der Rückholaktion ist jedenfalls niederschmetternd. Denn nur zwei der später entlassenen und emigrierten Mitglieder des Lehrkörpers von 1933 kehrten nach 1945 in diesen zurück. Beide waren im Exil in Oxford gewesen, wo sie wegen ihres späten Emigrationszeitpunktes keine permanenten Positionen hatten bekommen können. Der erste Rückkehrer war der Philosoph Georg Misch, der erst im Frühjahr 1939 emigriert war und sich bei seiner Rückkehr 1946 einem Entnazifizierungsverfahren ausgesetzt sah (S. 310). Er wurde bald nach seiner Rückkehr emeritiert. Der zweite war der Jurist Gerhard Leibholz, der mit seiner Familie im September 1938 emigriert war (S. 114). Anders als Misch kehrte er erst nach vorsichtigen Sondierungen bei Gastvorlesungen in Göttingen nach Deutschland zurück und wurde 1959 wieder aktives Mitglied des Göttinger Lehrkörpers. Neben Leibholz und Misch ist noch der 1938 berufene Carl Ludwig Siegel zu nennen, der als letzter Göttinger Emigrant der Universität überhaupt mitten im Krieg über Norwegen geflüchtet war (S. 538). Er ist einer der ganz wenigen Angehörigen einer naturwissenschaftlichen Fakultät in Deutschland, die überhaupt zurückkehrten. Außer Leibholz, Misch und Siegel gab es noch einige weitere, die nach ihrer Pensionierung im Ausland nach Deutschland zurückkamen, aber nicht mehr an einer Hochschule aktiv wurden. Zu ihnen gehört Max Born, der nach seiner Rückkehr 1954 eine umfangreiche politische Wirksamkeit - etwa gegen die drohende atomare Bewaffnung der Bundeswehr - aufnahm (S. 576). Daß die Universität Göttingen ihren früheren Ruf als „Mekka der Naturwissenschaften" nicht hat wiedererlangen können, liegt auch daran, daß kein noch in Forschung und Lehre aktiver Hochschullehrer seinem Beispiel gefolgt ist. Die Gründe für den geringen Erfolg der Rückholaktionen sind vielfältig. Zum einen sind berufliche Faktoren zu nennen: Den häufig ausgezeichneten Stellungen, die zumal die Göttinger Naturwissenschaftler (S. 574), aber auch ein Großteil ihrer geisteswissenschaftlichen Kollegen171 im Ausland erreicht hatten, standen keine besseren Möglichkeiten im Deutschland der unmittelbaren Nachkriegszeit gegenüber. Im Gegenteil: vielfach waren die Stellen langfristig besetzt oder, wenn sie — etwa im Zuge der Entnazifizierung — vorübergehend freiwurden, warteten schon viele andere auf eine Anstellung. Dazu kommt, daß den 1933 noch nicht als Professoren Etablierten häufig eine Rückkehr nur zu den „früheren Bedingungen" angedient wurde172, eine für ehemalige Privatdozenten, die inzwischen im Ausland Professor geworden waren, nicht sonderlich verlockende Aussicht. Zum zweiten sind soziale und familiäre Bindungen in der neuen Umgebung des Exillandes entscheidend geworden, denen häufig traumatische Erinnerungen an Entlassung und Vertreibung in Deutschland und die Meidung durch ihre früheren „Kollegen" gegenüberstanden. Schließlich sind unmittelbar politische Motive zu nennen, die mit der historischen Schuld der Deutschen für Krieg und Holocaust und einer oft als problematisch beurteilten Besserungsfähigkeit zusammenhängen. Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang, daß mit Ja63
mes Franck ein gerade in dieser Hinsicht skeptischer Betrachter doch zu den ersten gehörte, die eine materielle Hilfsaktion für die notleidende deutsche Bevölkerung einleiten wollten.173 Zu einer Rückkehr nach Deutschland war er jedoch nicht bereit. Besser als mit der Rückkehr von Emigranten sah es in Göttingen bei der Wiedergutmachung für die erstaunlich große Gruppe der im Lande gebliebenen Entlassenen aus. Einige von ihnen waren vor 1945 gestorben wie der Mathematiker Landau und der Historiker Hessel, Anfang 1946 der Anglist Hecht. Von den noch für eine Rehabilitation in Frage Kommenden wurde mehr als die Hälfte wieder Mitglied des Göttinger Lehrkörpers. Wegen der speziellen „Säuberungsaktivitäten" in der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät zwischen 1933 und 1938 ist es nicht verwunderlich, daß auch überproportional viele Hochschullehrer aus dieser Fakultät in den Genuß solcher Wiedergutmachung kamen (S. 129 ff.). In der Medizinischen Fakultät gab es mit Rudolf Ehrenberg nur eine Rückkehr in den Lehrkörper in Göttingen, Karl Salier wurde Professor in München. Die Philosophische Fakultät nahm den Latinisten Kurt Latte und den Pädagogen Herman Nohl wieder in ihre Reihen auf. Schließlich gliederte die Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät den einzigen Widerstandskämpfer der Universität, Heinrich Düker, und den Chemiker von Wartenberg wieder in den Lehrkörper ein. Das Ergebnis dieser Wiedergutmachungen hätte noch positiver ausfallen können, wenn die Universität sich für einige Personen mehr eingesetzt hätte. Die Wiederaufnahme einiger lehnte sie sogar mit skandalösen Begründungen ab, wie etwa die des Physikers Kyropoulos, bei dem aus der Weimarer Zeit zurückliegende angebliche Bedenken gegen seine Habilitation aufgefrischt wurden.174 Gleichartige Erwägungen hat es bei der Wiederverwendung von Entnazifizierten nicht gegeben.
5. Schlußbemerkungen In seiner polemischen Schrift „Hochschullehrer klagen an. Von der Demontage Deutscher Wissenschaft" hat Herbert Grabert für den in Göttingen ansässigen „Verband der nichtamtierenden (amtsverdrängten) Hochschullehrer" einen Vergleich zwischen den Resultaten der nationalsozialistischen Entlassungspolitik und der Entnazifizierung nach 1945 gezogen und ist dabei u.a. zu folgendem Ergebnis gelangt: „Nach dem Zusammenbruch des Weimarer Staates wurde im Rahmen der vom Reichstag beschlossenen Ermächtigung... das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 erlassen. Das führte zu einem ersten Einbruch in den Personalbestand der Hochschulen. Nach dem Zusammenbruch von 1945 erfolgte ein erneuter Eingriff, diesmal von seiten der Besatzungsbehörden der Siegermächte. Dieser Eingriff überbot den von 1933 um mehr als das Viereinhalbfache ( 1 : 4 , 6). Er führte zu einer Personalkatastrophe, wie sie in der Geschichte der deutschen Wissenschaft beispiellos ist." 175 Dies wurde 1953 geschrieben, als die Wiedereingliederung der „Amtsverdrängten" noch im vollen Gange war. Wenn man deren Endresultat jedoch in einen Vergleich der Kontinuitäten und Diskontinuitäten von 1933 einerseits und 1945 andererseits einbezieht, kommt man für Göttingen zu genau entgegengesetzten Schlußfolgerungen: Nach 1933 wurden 52 Hochschullehrer unter nationalsozialistischen Vorzeichen entlassen, während nach 1945 nur eine Handvoll unter nationalsozialistischen Vorzeichen Berufener nie wieder in den Lehrkörper zurückkehrte. Die Diskontinuität war 1933 bei weitem größer als 1945. Der Vergleich der Ergeb64
nisse von Entnazifizierung und Wiedergutmachung zeigt ferner, daß nach 1945 auch keine sehr überzeugenden Anstrengungen unternommen worden sind, die 1933 ausgelösten Diskontinuitäten im Lehrkörper der Hochschule wenigstens teilweise wieder rückgängig zu machen und auf der anderen Seite den Zusammenbruch der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zu einem tiefgreifenden Neubeginn zu nutzen. 176
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Jubiläumssondernummer der GHZ: „200 Jahre Universität Göttingen 1737 - 1 9 3 7 " , Göttingen 1937, S. 40 ebd., S. 30. Röncks Artikel trägt den Titel: „Wir eroberten der Bewegung die Hochschule". siehe zu diesen Angaben Haubner (1964), S. 4 ff. und S. 76 ff. siehe zum ISK allgemein die Monographie von Link (1964) sowie neuerdings Klär (1982), zu seiner pädagogischen Konzeption S. 202 ff. in diesem Band sowie zu seinem Widerstand gegen den Nationalsozialismus S. 330 ff. in diesem Band. Die Rolle des ISK in der Göttinger Arbeiterbewegung beschreibt Bons (1986), S. 40 f. siehe dazu Maser (1973), S. 320, zur Frühgeschichte der NSDAP in Südniedersachsen Noakes (1971) und zur Geschichte der Partei in der Weimarer Zeit in Göttingen Kühn (1983) Noakes (1971) S. 1 0 - 15; siehe dazu auch Haase (1942), S. 101 ff. und besonders S. 119 ff.: „Hauptstück XVIII: Die Gründung des Stützpunktes Göttingen" siehe dazu Popplow (1983), S. 59 ff. Heiber (1966) enthält zum späteren Wirken dieser beiden einiges Material. Siehe auch Zierold (1968), S. 192 f. und passim und „Im Frieden der Menschheit, im Krieg dem Vaterland" (1986), S. 50 f. Gerckes Lebenslauf bis 1934 findet sich im Deutschen Führerlexikon (1935), S. 144 Haase (1942), S. 685 f. Sigilla veri (1933), Deckblatt Nr. 14 Zahlenangabe nach Haase (1942), S.709. Da das Archiv die Schulverzeichnisse als hauptsächliche Datenbasis nahm, hätten von den etwa 500 000 deutschen Juden zum damaligen Zeitpunkt fast alle ein Abitur gemacht! Gercke schrieb dem Verfasser also am 19. 8. 1983 mit einigem Recht u.a.: „Was Ludolf Haase aus Unkenntnis in maßloser Ubertreibung geäußert hat, widerlegt sich von selbst." Haase (1942), S. 712 f. Diese Darstellung wird durch Duesterberg (1949) bestätigt. „Der jüdische Einfluß auf den Deutschen Hohen Schulen. Heft 1. Universität Göttingen" (1928) Dabei werden zu der undurchsichtigen Kategorie der „Judengenossen" auch Personen gerechnet, die kurze Zeit später wie Emanuel Hirsch als Sympathisanten des Nationalsozialismus hervortraten. Haase (1942), S. 710 So Honig im Heft 1 (Universität Göttingen), S. 12, und Gutmann im Heft 7 (Universität Breslau, 2. Teil), S. 110 siehe die Berichtigung im Heft 8 (Universität Berlin, 4. Teil), S. 124 Lorenz (1943), S. 38 und S. 235 ebd., S. 232; siehe auch die Seite 374 in diesem Band Meinhardt (1977), S. 101 siehe dazu UAG, S, I.B.3c Nr. 63d („Feier am 18. 1. (Gedenktag der Reichsgründung)") siehe die Zeitungsausschnittsammlung Göttinger Zeitungen vom 20.1. 1921, ebd. UAG, S, I.B.3c, Nr. 63g („Feier des 11. August als Nationalfeiertag des deutschen Volkes") ebd. UAG, Phil.-Fak., II. Ph. Nr. 8g („Betr. Ehrenpromotionen und Verzeichnis 1889 - 1 9 6 3 " ) Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, daß aus nur 1 % der Professorengehälter von Mitgliedern der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät in der Wirtschaftskrise 4 Assistenten bezahlt werden konnten (S. 633 f.).
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Marshall (1977), S. 271 Diesen Angehörigen der KPD habe ich nicht identifizieren können. 3 0 Marshall (1977), S. 271 f. 3 1 siehe Wilhelm (1978), S. 102. Der ehemalige Göttinger Rabbiner Meir Rosenberg soll sich darüber beklagt haben, „daß die zahlreichen jüdischen Lehrenden an der Universität Göttingen mit der Synagogengemeinde so gut wie nie Kontakt gehabt hatten." (ebd., S. 99) 3 2 Kühn (1983), S. 28; die vollständigen Wahlergebnisse finden sich in GHZ vom 11./12. Juni 1932 3 3 UAG, S, X.G.2. Nr. 693 (80) („Bar Kochba") 3 4 UAG, S, X.G.2. Nr. 693 (79) („Betr.: die Verbindung Visurgia") 3 5 siehe zu diesem Resultat und zum Preußischen Verfassungskonflikt" allgemein UAG, K, X X X x c c c („Abänderung des Preußischen Studentenrechts") 3 6 siehe zur Diskussion des statistischen Werts ihrer Angaben allgemein Kater (1975), S. 148 ff. Für Göttingen ist aufschlußreich, daß der sehr viel weiter verbreitete „Semi-Kürschner" die ohnehin nicht ganz exakten Angaben des Göttinger „Archivs" zwar übernahm, bei der namentlichen Aufstellung der Listen aber übersah, daß dieser auch „arische Judengenossen" mitgezählt hatte (Band III, S. 791 f.). 37 siehe dazu G T vom 8. 3. 1932 und den kritischen Bericht im Göttinger Volksblatt vom 10. 4. 1932 sowie die Erinnerungen des ehemaligen Lagerleiters Henkel in den GM vom Mai 1983 nebst der in den folgenden Nummern dokumentierten Kontroverse. 3 8 Göttinger Volksblatt vom 10. 4.1932 3 9 siehe GHZ vom Nov. und Dez. 1932 sowie besonders vom Jan. 1933 « siehe dazu die G H Z vom 2. 11.1932, S. 6 und UAG, K, X X X . I . Nr. 10 sowie die Erinnerungen des damaligen Teilnehmers König in den GM vom März 1983. « Marshall (1977), S. 288 4 2 siehe dazu Marshall (1972), S. 294 4 3 UAG, S, X.G.2. Nr. 693 (167) („Studentische Stahlhelm-Gemeinschaft zu Göttingen") sowie zum Stahlhelm in Göttingen allgemein Marshall (1972), S. 246 ff. 4 4 siehe dazu den Bericht von Kriminalassessor Ippensen vom 1. 12. 1931 in U A G , S, X.G2/693 (165a), (Deutscher Studentenverband ) 4 5 Eine Lehrstuhlniederlegung eines so prominenten Mitglieds des Lehrkörpers wie James Franck und vor allem einen Gegenprotest, der die Anhängerschaft der „Säuberungspolitik" im Lehrkörper enthüllte, hat es sonst an keiner Hochschule des Reichs gegeben. 4 6 siehe Zentralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung in Preußen (1933), S. 106 47 siehe dazu den Bericht im G T vom 1. 2. 1933 und Kühn (1983), S. 40 f. 4 8 Vgl. die Berichterstattung im G T vom 14. 3. 1933 („Die Grundzüge der neuen Schulpolitik", S. 5) und vom 13./14. 4. 1933, S. 3 („Geheimrat Valentiner wieder in Göttingen") 4 9 siehe GHZ vom 26./27. 11. 1932, S. 3 („Geheimrat Valentiner als Ministerialdirektor ins preußische Kultusministerium berufen") 5 0 siehe Wilhelm (1978), S. 40 ff. 51 Hilberg (1982), S. 74, nennt Gercke als Mitglied des reichsweiten „Boykottkomitees". 5 2 siehe Anmerkung 9 und Adam (1979), S. 105 f. 5 3 G T vom 27. 2. 1933, S. 4 („Nationalsozialismus und Berufsbeamtentum") 54 Dies geschah im übrigen noch auf die Weimarer Reichverfassung! 5 5 3. Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 6. Mai 1933 (RGBl. I S. 245) „Zu § 1". 5 6 1. Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 11. April 1933 (RGBl. I, S. 195, Ziffer 2, Absatz 1 „zu § 3"). 57 Hilberg (1982), S. 66 f. 5 8 2. Durchführungsverordnung vom 6. Mai 1933, „Zu § 3 " , Absatz 3. Wer z.B. Lazarettdienst geleistet oder Kriegsforschung betrieben hatte, war also nicht „Frontkämpfer". 5 9 Hubatsch (1966), S. 375 f. 6 0 G Z vom 15. 4.1933, S. 1 6 1 siehe zu diesem Themenbereich Walle (1982) S. 30 ff. und S. 556 in diesem Band 6 2 siehe das Protokollbuch der Phil. Fakultät 28
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Beyerchen (1980), S. 41 So etwa den damaligen Dozenten Michaelis und Schaffstein in der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät (Mitteilung von F. Halfmann) Popplow (1979), S. 194 f. GT vom 8. 3. 1933, S. 11 GZ vom 26. 4. 1933, S. 1. Beurlaubungen hat es zu diesem Zeitpunkt außer in Göttingen an den Universitäten Frankfurt a. Main, Marburg, Königsberg, Kiel sowie an der Handelshochschule in Königsberg gegeben. GZ vom 25. 4.1933, S. 1: „Aktion gegen Kieler Professoren. Studentenschaft fordert Beurlaubungen von 28 Hochschullehrern". Tatsächlich wurden in Kiel aber „nur" 9 beurlaubt, über 2 weitere blieb Verfügung vorbehalten (GZ vom 26. 4. 1933, S. 1). siehe die „Nachweisung" vom 11. 2. 1937 in UAG, Κ, IX.83 („Durchführung des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums") siehe Anmerkung 55. Diese Merkwürdigkeiten lassen die Beurlaubungen auch in Preußen als selbst im Sinne des BBG - illegal erscheinen. In Baden wurden die ersten Beurlaubungen sogar schon am 6. 4.1933, also einen Tag vor dem BBG, erlassen. Siehe dazu Weckbecker (1985), S. 273 ff. RGBl 1933 I, S. 433 ff. RGBl 1935 I, S. 1146, § 2 Absatz 1 RGBl 1935 I, S. 1333, § 4 Absatz 2 Satz 1 so ein Kommentar des Parteiblatts „Göttinger Nachrichten" (in UAG, K, IX.83) vom 16. 11. 1935 UAG, K, IX.83, „Nachweisung" vom 11. 2. 1937 ebd. siehe etwa die fortlaufende „Chronik der Georg August Universität" in den „Mitteilungen" des Universitätsbundes Göttingen, Jahrgänge 1933 - 1935 UAG, K, IX.83, Runderlaß des REM vom 19. 4. 1937 siehe das „Verzeichnis der am 1. 1. 1945 beschäftigten jüdischen Mischlinge und jüdisch Versippten der Universität Göttingen" in UAG, K, IX.83. Martius findet sich merkwürdigerweise auch im „Deutschen Führerlexikon 1934/35". In Heidelberg z.B. gab es dagegen auch eine größere Reihe von Entlassungen wegen „politischer Unzuverlässigkeit" sowohl von Juden als auch von Nichtjuden. Siehe die Aufstellung von Weckbecker (1985), S. 283 ff. UAG, K, XXX.B.10.VII siehe dazu Vogt (1983), S. 15 ff. Er sah insbesondere nicht ein, „warum gerade sie als Frau, die viele andere zusätzliche Betätigungsmöglichkeiten hat, zu studieren wünscht und studieren muß", UAG, K, XXX.B.10.VH Universitätsrat Hillmann an REM, 2. 12.1938 in UAG, Κ, XXX.A.c („Bestimmungen über Zulassung und Promotion der Nichtarier") Später wurde Salier einer der schärfsten Kritiker des nationalsozialistischen Mitläufertums. Siehe Salier (1961) siehe zu diesem Vorgang auch die Artikel „Wissenschaftlich gedeckte Wühlarbeit" in den GN vom 18. 1. 1935, S. 3 und „Der Fall Salier. ,Die Idee bleibt rein' " im GT vom 23. 1. 1935 Ankündigung in der GHZ vom 26./27.11.1932, S. 4 für den 16.12.1932,20.30 Uhr im Auditorium Maximum siehe die Artikel in der GHZ vom 15./16. 5. 1933 und in der folgenden Nummer siehe dazu Schöne (1983) sowie Füssel (1983) und Hunger (1985), S. 27 ff. Sauder (1983a) dokumentiert auf S. 191 einen Brief des Göttinger Studentenschaftsführers Wolff, in dem er vorsichtig Kritik an der Aktion übt: .Jetzt aber, wo der Jude durch unseren Kampf seiner Macht beraubt ist, ihn noch überall anzuprangern, halten wir für nicht angemessen." Dieser Vorgang findet sich in UAG, Κ, X.37 („Beurlaubung und Vertretung jüdischer Professoren"). siehe allgemein Adam (1977), S. 84 ff. siehe die GHZ vom 14./15. 1. 1933 Dies scheint eher die Domäne des Stahlhelm und einiger Verbindungen gewesen zu sein.
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siehe dazu UAG, Κ, XXX.M.9 („Wehrsport und SA-Hochschulamt") und 9a („Sportschule in Levershausen"). « Popplow (1977), S. 170 ff. " siehe den Vorgang und das Urteil in UAG, K, XXX.M.9a 97 siehe dazu das „Verzeichnis der Vorlesungen der Universität Göttingen, Sommerhalbjahr 1933", S. 1 ff. 98 „Verzeichnis der Vorlesungen . . . Winterhalbjahr 1933/34", S. 1 ff. 99 Rundschreiben PM an alle Hochschulen in UAG, R, 4301b („Lehrbetrieb. 1933-1939"). 00 Wagner wurde sogar im „Deutschen Führerlexikon 1934/35" geführt (S. 512). Siehe zu Widerständen gegen ihre Lehraufträge S. 105 f. in diesem Band 01 Rektor Neumann an RPM, 28. 7. 1934, wie Anmerkung 99; ähnlich für Tübingen Adam (1977), S. 91 ff. 02 Eine Aufstellung aller dieser Neuordnungen bis 1942 enthält Kasper (1943), Band II, S. 471 ff. 03 siehe S. 1 des REM-Erlasses vom 16. 7. 1937 in UAG, R, 4105 04 siehe dazu allgemein Geuter (1984) und in diesem Band S. 326 u. 338 05 zur Konzeption dieser Lager und ihren wechselnden Organisationsformen siehe Losemann (1980). 06 UAG, K, IV.D.2 („Dozentenschaft der Universität Göttingen und Preußische Dozentenschaft I, 11. 10. 1933 - " ) 07 UAG, K, IV.D.4 („Gemeinschaftslager und Dozentenakademielehrgänge in Rittmarshausen"). 08 Losemann (1980), S. 96 09 Bericht Neumanns vom 8. 10.1934 in UAG, R, 3210b („Dozentenschaft der Universität 1933 -1939"). 10 Trillhaas (1976), S. 164 ff. 11 so Gadamer (1977), S. 56 12 Trillhaas (1976), S. 164 13 siehe dazu Heckmann an Dekan Phil. Fak., 6. 5.1946 in der Akte „Habilitation Dr. Baumgarten" (ohne Aktennummer) im UAG. 14 Kelly (1980), S. 71 und Losemann (1980), S. 102 ff. 15 siehe UAG, K, XXX.F ff., 2.1. („Studentenschaft Politische Schulung. Schulungslager des Studentenwerks e.V. in Rittmarshausen") 16 siehe die entsprechenden Regelungen bei Kasper (1943) Band Π, S. 51 ff. 17 PM an Krayer, 20. 6. 1933, in: UAG, Κ, X.37 18 Die Einrichtung von Instituten und insbesondere Neubauten konnte wegen des erheblichen Aufwandes im allgemeinen nicht untersucht werden. Siehe aber als Einzelfälle die S. 237, 477 ff. und 669 ff. in diesem Band. 19 G T vom 18. 4. 1933, S. 3: „Rust über Hochschule und Kunst". 20 UAG, R, 3205 („Professoren der Medizinischen Fakultät"). 21 siehe die „Denkschrift betreffend Errichtung von Lehrstühlen für Wehrwissenschaft" in UAG, S, X.G.2. 693 (167) 22 siehe zu diesem Vorgang UAG, R, 3205 („Professoren der Philosophischen Fakultät" 1933 -1944). 23 Lorenz (1943), Band I, S. 235 24 siehe die Aufstellung in UAG, K, XVI.A.a.55 25 Heiber (1966), passim und S. 234 in diesem Band 26 siehe dazu Seier (1964) 27 Kelly (1973), S. 403 erwähnt allerdings noch eine weitere Gründung in Gießen, die jedoch nur auf dem Papier existiert hat, weil sie erst am 4. 11. 1940 eröffnet wurde. 28 Runderlaß des REM vom 27. 8. 1937 „Betr. die Gründung von Dozentenakademien" in UAG, R, 3210 29 Kelly (1973), S. 411 ff.; siehe zu Rosenbergs Projekt allgemein Bollmus (1980) 30 So sah es die Göttinger Akademie der Wissenschaften zumindest rückblickend in ihrem Jahrbuch (1962), S. 7 31 siehe seine Rede in „Wissenschaft und Glaube" (1938) und in Auszügen in diesem Band, S. 316 32 Einzelheiten dieser Beschaffungsprogramme finden sich in der Akte „NS-Akademie" (bei den Akten des Philosophischen Seminars) im UAG.
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133 Mitgliederlisten befinden sich jeweils in den Vorlesungsverzeichnissen. im Akte „NS-Akademie" (s. Anm. 132) 135 S. 12 seiner Eröffnungsrede in „Erste Reichstagung" (1940) 136 wie Anm. 132 137 Kelly (1973), S. 412-443 und Kelly (1980), S. 72 ff IM Kleinberger (1980), S. 29 139 siehe den Runderlaß des REM in den Akten des Philosophischen Seminars im UAG 140 siehe die „Ansprache des Rektors der Georg-August-Universität zu Göttingen bei der Verpflichtung der Studierenden und Totengedenkfeier am 19. November 1939" ( - Sonderdruck der N H Z Nr. 1 vom Dezember 1939) 141 UAG, K, XXVI.28 142 Von Maercker (1979) nennt für das Sommersemester 1943 1479 Medizinstudenten (von insgesamt 2453 Immatrikulierten) (S. 154). 143 so im „Verzeichnis der Vorlesungen. Winterhalbjahr 1944/45", S. 35 ff. 144 siehe dazu Klee (1983), S. 223 ff. 145 Das trifft zumindest für die Fächer der Philosophischen Fakultät zu. Siehe Lorenz (1943), Band I, S. 230 1451 Die 1940 nach Göttingen kommende Anglistin Hertha Marquardt hatte sich 1937 in Königsberg habilitiert. 144 siehe die Aufstellung „Die Toten der Georgia Augusta 1939 -1945", S. 7 ff. 147 Privatakten Drexler 148 Insgesamt fielen 18 Professoren und Dozenten (davon mindestens 3 noch zu einem Zeitpunkt, als Göttingen schon befreit war), 44 wissenschaftliche Assistenten, Hunderte von Studenten und 37 nichtwissenschaftliche Beamte, Angestellte und Arbeiter der Universität; siehe Anmerkung 146 149 so Scholder (1982), S. 34 und van Roon (1981), S. 143 f. 150 Hoffmann (1979), S. 265 ff. und S. 283 ff. 151 ebd., S. 651 (zu Trott) und Scholder (1982), S. 43 (zu Jessen) 152 Hoffmann (1979), S. 454. Nach van Roon (1976), S. 275, war Kaiser sogar das Amt des Kultusministers angeboten worden, was er aber abgelehnt hatte. 153 „Erinnerungen" Drexler in seinen Privatakten 154 so die „Beurteilung" Plischkes nach Aussage Drexler 155 So will es § 5, Absatz 2 des „Gesetzes zum Abschluß der Entnazifizierung im Lande Niedersachsen" vom 18.12.1951 (Nds. GVB1. 1951, S. 233 f.) Der Gesetzentwurf der rechtsradikalen Sozialistischen Reichspartei hatte vorgesehen, die Entnazifizierungsakten nicht wie tatsächlich beschlossen bei dem Staatsarchiv in Hannover, sondern bei der Juristischen Fakultät der Universität Göttingen zu verwahren. 15' Fesefeldt (1962), S. 155 ff. 157 ebd., siehe für ein typisches Selbstzeugnis dieser Haltung auch S. 481 f. in diesem Band 158 Bird (1981) 159 siehe dazu: Schneider, Dumke (1985) und UAG, Κ, IX.97 („Entnazifizierung I") 160 Verordnung Nr. 110 (der Britischen Militärregierung): Übertragung der Entnazifizierungsaufgaben auf die Regierungen der Länder, Artikel Π,7 (Amtsblatt der Militärregierung Deutschland, Britisches Kontrollgebiet Nr. 21 (1947), S. 608 ff.) 161 in UAG, Κ, IX.97 (Entnazifizierung I") 142 ebd., Aufstellung des Kurators vom 5. 8.1947 163 UAG Κ, IX, 101.a („Amtsenthobene Hochschullehrer") Blatt 23 ff. In Kategorie ΠΙ waren die Professoren Rath, Schürmann und Mattiat, in IV Ebel, Siegert, Neumann, Drexler und Botzenhart. 164 Gesetz zum Abschluß der Entnazifizierung im Lande Niedersachsen, § 3, wie Anm. 155 165 Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Angehörigen des öffentlichen Dienstes im Lande Niedersachsen vom 24.12.1951 (Nds. GVB1 1951, S. 233 ff.) 166 Auch Prof. Drexler schreibt in seinen „Erinnerungen" von Schürmanns „Terrorregiment". 167 Plischkes Einstufung in Kategorie IV monierte die britische Militärregierung als „peculiar" (UAG, K, IX.97). »» siehe dazu UAG, Κ, IX. 101a)
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So hatte Marshall (1972), S. XVI, den Eindruck: „The university archive is a private archive and therefore has the power to turn individual researchers away". Ebel hat ihr auch den Einblick in jedes Dokument verwehrt, das nach 1930 datierte. UAG, Κ, IX.83 enthält nur die Antwort, nämlich Entwürfe der Fakultäten zu einer Gesamtliste der Universität und diese Liste. so insbesondere die Kunstgeschichtler Hermann Stechow und Nikolaus Pevsner; siehe Dahms (1987) und S. 483 f. in diesem Band ebd. siehe Lemmerich (1982), S. 173 UAG, K, IX.83, Blatt 236 Grabert (1953), S. 34 Das Thema „Neubeginn" kann hier nicht mehr behandelt werden. Siehe dazu die Vorträge von Heimpel, Kamp und Kertz in „Der Neubeginn der Georgia Augusta zum Wintersemester 1945-46", Göttingen 1986.
Quellen- und Literaturverzeichnis Ungedruckte Quellen UAG, Κ, IX. 83 Durchführung des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums UAG, Κ, X. 37 Beurlaubung und Vertretung jüdischer Professoren Chronik der Georgia Augusta 1931 - 1 9 3 8 (Typoskript im UAG) Privatakten Prof. Drexler (im Besitz der Familie Drexler) H. Drexler (o.J.) Erinnerungen (Typoskript im Besitz der Familie Drexler) L. Haase (1942) Aufstand in Niedersachsen (Typoskript in der Handschriftenabteilung der UBG)
Gedruckte Quellen Deutsche Wissenschaft (1939) Arbeit und Aufgabe, Leipzig ( - Festgabe für A. Hitler zum 50. Geburtstag) Deutsches Führerlexikon 1934/35, Berlin Der jüdische Einfluß auf den Deutschen Hohen Schulen, Heft 1: Universität Göttingen, Göttingen 1928 G. Kasper u.a. (Hrsg.) (1943) Die Deutsche Hochschulverwaltung. Sammlung der das Hochschulwesen betreffenden Gesetze, Verordnungen und Erlasse (2 Bände), Berlin C. Lorenz (Bearb.) (1943) Zehnjahres-Statistik des Hochschulbesuchs und der Abschlußprüfungen (2 Bände), Berlin Erste Reichstagung der wissenschaftlichen Akademien des NSD-Dozentenbundes (1940) München, Berlin Sigilla veri (1933) (= Ergänzungen und Korrekturen zu Stauff (1929)) H. Stauff (Hrsg.) (1929) Semi-Kürschner (4 Bände), Erfurt Wissenschaft und Glaube. Reden und Ansprachen zur 200-Jahrfeier der Georg-August-Universität zu Göttingen im Juni 1937 (1938) Oldenburg, Berlin
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Die Göttinger Theologische Fakultät im Dritten Reich * ROBERT P . ERICKSEN
Zwei besondere Aspekte müssen beachtet werden, um das Verhalten der Göttinger Theologischen Fakultät während der Jahre des Dritten Reiches richtig einzuschätzen. Erstens haben viele Theologen und Kirchenführer überall in Deutschland den Aufstieg Adolf Hitlers als ein Geschenk Gottes begrüßt. 1 Sie bejammerten die Weimarer Republik, in der sie den Triumph des rationalen Säkularismus und der moralischen Dekadenz sahen, während sie im Nationalsozialismus die Rückkehr zum Respekt vor Autorität und geistigen Werten erblickten. Infolgedessen war die Theologie eine Disziplin, in der der Prozeß der „Gleichschaltung" ebenso leicht aus inneren wie aus äußeren Zwängen resultieren konnte. Zweitens standen die Theologen beruflich in einer doppelten Treuepflicht, denn in der Regel hielten sie die Verbindung mit der Kirche gleichzeitig mit ihren Verpflichtungen der Universität gegenüber aufrecht. Als daher der Versuch, die Gleichschaltung in der Evangelischen Kirche zu vollziehen, zum „Kirchenkampf" führte, übertrug sich der Konflikt auf die Angelegenheiten der Göttinger Theologischen Fakultät. Obwohl die Fakultät größtenteils einig war in ihrer Zustimmung zu der „Deutschen Erneuerung", wie sie von Hitler und dem Nationalsozialismus vertreten wurde, wurde sie durch den Kirchenkampf gespalten. Diese Spaltung erzeugte eine gespannte Lage und führte zur Verbitterung, die sich bis in die Nachkriegszeit auswirkte.
Emanuel Hirsch Ein weiterer wesentlicher Faktor für die Geschichte der Theologischen Fakultät ist darin zu sehen, daß Emanuel Hirsch in den zwanziger Jahren der Star der Fakultät und in den Dreißigern das mächtigste Mitglied war. Hirsch hat nie die langfristige Bedeutung seines engen Freundes Paul Tillich oder die seines Kollegen im Göttingen der frühen zwanziger Jahre, Karl Barth, erlangt, zum Teil wegen der Unannehmbarkeit seiner politischen Ansichten. Wolfgang Trillhaas, der in den Zwanzigern unter Hirsch studiert hatte, beschreibt ihn als den einzigen Barth intellektuell Ebenbürtigen in Göttingen in jenen frühen Jahren. 2 1927 erhielt Hirsch einen Ruf nach Leipzig und 1931 nach Tübingen. Jedesmal nutzte er die Gelegenheit, für sich mehr Gehalt und für die Theologische Fakultät größere finanzielle Unterstützung von der Göttinger Universitätsverwaltung abzuzwacken; und bei letzterer Berufung rief seine Entscheidung in Göttingen zu bleiben, einen Fackelzug der Studenten ihm * Diese Untersuchung, die zum Teil vom American Council of Learned Societies unterstützt wurde, entstand in erster Linie im Universitätsarchiv Göttingen. Nachforschungen erfolgten auch im Landeskirchlichen Archiv Hannover, die nachfolgend mit LKA und der zugehörigen Aktennummer wiedergegeben werden. Dieser Aufsatz ist schon in anderer Form in „The Göttingen University Theological Faculty: A Test Case in Gleichschaltung and Denazification," Central European History; XVII (Dec. 1984) und in Theologians under Hitler: Gerhard Kittel, Paul Altbaus and Emanuel Hirsch (New Haven: Yale University Press, 1985; deutsche Ausgabe, München: Carl Hanser Verlag, 1986) erschienen. Reinhard Umbach danke ich für die Ubersetzung ins Deutsche und wichtige Hinweise zur Entwicklung der Göttinger Theologischen Fakultät im Dritten Reich.
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zu Ehren hervor. 3 Zu seiner Popularität als Lehrer kam Hirschs enorme Produktivität als Gelehrter. In der Zeit war er einer der größten, wenn nicht der größte Theologe in Deutschland.4 Mit dieser Bedeutung als Wissenschaftler und Lehrer im Hintergrund war Hirsch aufgrund seiner Bindung an die nationalsozialistische Bewegung von 1933 - 1939 Dekan der Theologischen Fakultät. Hirschs Hang zum Nationalsozialismus läßt sich bis zu seinen starken und frustrierten patriotischen Gefühlen zur Zeit des Ersten Weltkrieges zurückverfolgen. Er reagierte auf den Enthusiasmus von 1914 mit dem Versuch, sich freiwillig beim Heer zu melden, wurde jedoch als untauglich abgewiesen.5 Seine Enttäuschung nahm mit Deutschlands Niederlage noch zu und läßt sich in der Bitterkeit seiner Kritik am Versailler Vertrag wiedererkennen. 6 Sogar später noch neigte er dazu, kriegerisch-bildhafte Redewendungen zu gebrauchen und sich selbst als Soldaten zu beschreiben, der mit der Schreibmaschine anstelle des Maschinengewehrs kämpft. 7 So trug der Erste Weltkrieg zu der konservativen, nationalistischen politischen Ethik bei, die Hirsch in seiner Theologie der zwanziger Jahre entwickelte. Der zweite Ausgangspunkt für Hirschs politische Haltung war intellektueller Art, nämlich die Krisis der Vernunft im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert. Er kannte die Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts und sympathisierte mit der radikalen Kritik an den nihilistischen Schlußfolgerungen Nietzsches: die Suche nach Wahrheit war durch Subjektivität und Relativismus verhängnisvoll kompromittiert, und die einstigen Wahrheiten waren gekennzeichnet von oberflächlichem Verständnis und Schwindel. Aber Hirsch, der als Pfarrerssohn die Theologenkarriere eingeschlagen hatte, war nicht bereit, Nietzsches Nihilismus als letztes Wort gelten zu lassen. Vielmehr nahm er Luther, den deutschen Reformator, Fichte, den deutschen Idealisten, und Kierkegaard, den dänischen Existentialisten, zu Hilfe und versuchte, eine Alternative zu entwerfen. Diese Antwort hatte einige Ähnlichkeit mit den erfolgreichsten theologischen Antworten des 20. Jahrhunderts, denen von Barth, Bultmann und Tillich. Jeder konzentrierte sich auf die Reformation und auf Kierkegaard, und jeder verließ sich letztlich auf einen Glaubenssprung, auf einen irrationalen Glauben an den Primat von Gottes Offenbarung. 8 Aber Hirsch wich in zwei wesentlichen Hinsichten von den anderen Theologen ab. Erstens war er nie in Ubereinstimmung mit der neo-orthodoxen Schule von Barth, denn er hielt mit größtem Nachdruck an dem Instrumentarium des Rationalismus fest. Aber am wichtigsten war, daß Hirsch einfach eine konservative und nationalistische Auffassung von Politik und Gesellschaft als axiomatisch vertrat. Sozial fürchtete er die zentrifugale Kraft der modernen pluralistischen Gesellschaft; intellektuell „die allumfassende Debatte um Alles"; und politisch billigte er einen autoritären Staat als die geeignete Antwort auf die desintegrative Vielfalt. Hirschs Glaubenssprung ging dann mehr nach rechts als nach links.9 Hirschs politische Hinwendung zur Rechten bedeutete nicht notwendigerweise eine Unterstützung des Nationalsozialismus. Diesen unterstützte er öffentlich erst 1932 anläßlich der Wahl vom 10. April. Zu diesem Zeitpunkt Schloß er sich Hitler in einem Briefe an, um den das „Göttinger Tageblatt" gebeten hatte: „Sie wissen, daß ich nicht Nationalsozialist bin und mehr als ein durchaus nicht leichtes Bedenken gegen die NSDAP habe. Sie wissen auch, daß ich Hugenberg für den von seinem Volke nicht erkannten rechten Staatsmann für die gegenwärtige Notzeit halte. . . . Aber ich komme nicht um die Tatsache herum, daß in der ohne mein Zutun entstandenen verfahrenen Lage am Zehnten April sich mir Hitler als einziger Repräsentant eines Willens zum Bruche mit den Fehlern des Jahrzwölfts 1919 bis 1931 und zu einem neuen deutschen Anfange bietet.'" 0 76
Zwar trat Hirsch der Partei erst 1937 bei," aber bereits nach dem Januar 1933 arbeitete er begeistert, beharrlich und aggressiv mit dem Nationalsozialismus zusammen.
Der Konflikt zwischen Bekennender Kirche und Deutschen Christen Eine solche Zusammenarbeit mit dem Nationalsozialismus traf auf die Kirche als Institution nicht zu. Sie zerfiel trotz ihrer grundsätzlichen Zustimmung zur Weltanschauung der nationalsozialistischen Bewegung in ihrer Reaktion auf den Staat der Nationalsozialisten rasch in zwei Parteien. Die alles bestimmende Frage im Kirchenkampf war die nach der nationalen kirchlichen Einheit. 1933 schien die traditionelle geographische Aufteilung innerhalb des deutschen Protestantismus im Widerspruch zu der neuen Bedeutung einer völkischen Einheit zu stehen, besonders in den Augen von überzeugten Nationalsozialisten in der Kirche. Die in der Bewegung der „Deutschen Christen" (DC) vereinigten Nationalsozialisten strebten die Errichtung einer zentralistischen Reichskirche als Bundesgenosse und Stütze des nationalsozialistischen Staates an. Zuerst schienen sie auch Erfolg zu haben. Die Reichskirche wurde ins Leben gerufen, und dem DC-Kandidaten für das Amt des Reichsbischofs, Ludwig Müller, gelang es mit Unterstützung von Hirsch, der zu seinen Beratern gezählt wird, 12 den gemäßigten Kandidaten, Friedrich von Bodelschwingh, aus dem Amt zu drängen, freilich nicht ohne die plumpe Zuhilfenahme von Gewalt. 13 Im weiteren entfremdeten sich die D C in der berühmten Veranstaltung im Berliner Sportpalast vom November 1933 Teilen der gemäßigten Kirchenanhänger. Dr. Reinhold Krause, DC-Gauleiter von Berlin, forderte dort, die neue Kirche müsse sich selbst von allem jüdischen Einfluß und sogar von dem Einfluß des Alten Testamentes befreien. Als Reaktion auf die theologische Häresie und die politische Einmischung entstand innerhalb der Kirche unter der Führung von Martin Niemöller, und Karl Barth eine Gegenbewegung. Sie führte zur Barmer Erklärung vom Juni 1934 und zur Gründung der „Bekennenden Kirche" (BK) in Opposition zu den DC. Im Grunde genommen kann man alle Streitfragen, die in der Folgezeit die Göttinger Theologische Fakultät betrafen, als Ausdruck des Konfliktes zwischen DC- und BKInteressen begreifen. Auf den ersten Blick wäre der Konflikt in Göttingen nicht unbedingt zu erwarten gewesen. So wurde z.B. kein Mitglied der Fakultät wegen politischer Opposition zum Regime entlassen, wie etwa Paul Tillich in Frankfurt oder Karl Barth in Bonn. Ferner gaben Landesbischof Marahrens und die Landeskirche Hannover ihrer Sympathie für die NS-Erneuerung mit ihrem Zögern Ausdruck, der radikalen BK-Linie von Niemöller und Barth zu folgen.14 Die Fakultät war 1933 von Mitgliedern der D C beherrscht. Diese Ausrichtung wurde noch verstärkt durch planmäßige Berufung 15 von DC-Mitgliedern oder den D C nahestehenden Professoren. Eine Ausnahme von dieser Regel, von der noch zu sprechen sein wird, war die Berufung des BK-Anhängers Joachim Jeremias auf den Lehrstuhl für das Neue Testament 1935. Und schließlich war der einzige BK-Professor im Jahre 1933, Hermann Dörries, ein konservativer Nationalist, so wie Hirsch und die anderen, und sogar Mitglied der NSDAP. 16 Ein Beispiel für Dörries' politische Haltung vor 1933 ist in dem Falle Günther Dehn überliefert, der 1931 als Professor für Praktische Theologie nach Halle berufen worden war. Dehn hatte 1928 in Frage gestellt, ob die Kirche Kriegstote ehren oder auf andere Weise den Militarismus unterstützen solle. Als Nazi-Studenten gegen sein Recht, auf dieser Basis 77
zu lehren, Front machten, kam ihnen Dörries gemeinsam mit Hirsch in einer öffentlichen Erklärung gegen Dehn zu Hilfe. Indem sie zugestanden, daß das Prinzip der akademischen Freiheit normalerweise Vorrang haben solle, behaupteten sie, daß dies ein anderer Fall sei. Die eine Minimalvoraussetzung für jeden Lehrer der deutschen Jugend solle sein, „die Erkenntnis, daß die Nation und ihre Freiheit bei aller Fragwürdigkeit des creatürlichen Lebens auch für den Christen von Gott geheiligte Güter sind, die eine ganze Hingabe des Herzens und des Lebens fordern und aus dieser Erkenntnis folgend dann das Bekenntnis zu dem leidenschaftlichen Freiheitswillen unseres Volkes, das von macht- und habgierigen Feinden geknechtet und geschändet wird." 17 Das politische Engagement von Dörries verdeutlicht auch, daß die Problematik des BK-DCKonfliktes eine weitaus stärkere Aufmerksamkeit erfordert als das bisher der Fall war. In der zu sehr simplifizierenden Nachkriegssichtweise wird Opposition zu den D C meistens mit Unterstützung der BK, und zum anderen Unterstützung der BK mit Widerstand gegen den Nationalsozialismus gleichgesetzt.
Emanuel Hirschs politische Rolle In der ungeklärten Lage Anfang 1933 war es noch nicht ausgemacht, daß Hirsch ein unnachgiebiger DC-Anhänger werden und wie sich die Beziehung zwischen ihm und Dörries entwickeln würde. Hirsch hatte z.B. ein gutes Verhältnis zu Bischof Marahrens, und am 15. April 1933 schrieb er ihm, um ihn zu Anstrengungen zur Einigung der Kirche zu ermutigen, aber auch davor zu warnen, die Unversehrtheit der Lutherischen Konfession zu opfern. 18 Das war in Ubereinstimmung mit Marahrens' grundlegender Haltung: Die Landeskirche Hannover hielt sich zur DC-orientierten Kirche aufgrund von lutherischkonfessionellen Bedenken auf Distanz, wie es auch die Kirchen von Bayern und Württemberg taten, die sogenannten „intakten" Landeskirchen. Aber als wenige Tage später Hitler Ludwig Müller zu seinem persönlichen „Bevollmächtigten" für kirchliche Angelegenheiten ernannte, folgte Hirsch dieser Leitung und wurde einer von Müllers energischsten Parteigängern, besonders unter angesehenen Theologen. 1 ' Sehr bald danach schrieb Marahrens verzweifelt an Hirschs Freund in Erlangen, Paul Althaus, und bat um dessen Mithilfe, Hirsch von seinem unheilvollen Kurs, den er eingeschlagen hatte, abzubringen. 20 Die Bitte hat nichts genutzt. Hirsch unterstützte selbst dann noch die radikalisierte Reichskirchenleitung mit Jäger, als andere längst Abstand von dieser Führung genommen hatten. 21 Kurz darauf brach die Kluft zwischen Hirsch und der Landeskirche auf, die die Entwicklung in Göttingen, auf deren Betrachtung wir uns im folgenden konzentrieren, 22 in den nächsten Jahren kennzeichnete. Sobald sich Hirsch auf die D C festgelegt hatte, schufen seine hohe Position als Dekan und seine direkte und scharfzüngige Art eine Atmosphäre von Furcht und Verbitterung an der Fakultät. Hermann Dörries etwa, der sich noch im Jahre 1931 mit Hirsch im Fall Dehn verbündet hatte, hat später davon erzählt, daß er von Hirsch denunziert und nur durch die freundliche Intervention des Rektors, Friedrich Neumann, nicht in ein Konzentrationslager geschickt worden sei.23 Der Alttestamentler Friedrich Baumgärtel bestätigte diese Atmosphäre unter Hirsch. Trotz seines Wunsches, in Göttingen zu bleiben, nahm er einen Ruf nach Erlangen an, um der gedrückten und angespannten Lage in Göttingen zu entkommen.24 Der Verdacht, daß Hirsch mit geheimen Denunziationen zu tun hatte, wird auch durch seine Funktion ab 1937 als Vertrauensmann des NSD-Dozentenbundes an der Theo78
logischen Fakultät genährt. 25 Schließlich hat Adolf Wischmann, Studentenpfarrer in Göttingen in den späten dreißiger Jahren, offen einen Fall einer Denunziation durch Hirsch bezeugt. 1939 wurde Wischmanns Gehalt einbehalten. Als Hirsch gefragt wurde, ob er diese Maßnahme veranlaßt habe, verneinte er die Frage. Als Wischmann aber mit Belastungsmaterial konfrontiert wurde, war darunter auch ein von Hirsch unterzeichneter Brief.26 Hirschs angriffslustige und einschüchternde Rolle innerhalb der Theologischen Fakultät und seine weit über eine bloße Kooperation hinausgehende Verbindung zum Ministerium in Berlin wird durch die Fakultätsakten bestätigt. So fragte beispielsweise am 10. Dezember 1933 die BK-orientierte „Vorläufige Leitung der DEK" bei der Göttinger Theologischen Fakultät wegen eines Gutachtens zur Frage des Eides auf den Führer an. Anstatt zu antworten, schickte Hirsch den Brief sofort an den Kirchenrat Mattiat, der später als Professor für Volkskunde an der Universität Göttingen noch eine Rolle spielen sollte (S. 314 f.), ins Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung. In einer beigefügten Anmerkung äußerte Hirsch die Vermutung, daß die BK Unterstützung für Karl Barth erreichen wolle, der beabsichtige, den Diensteid auf Hitler zu umgehen, und er fragte um Rat an, ob die Dekane der theologischen Fakultäten überhaupt darauf antworten sollten.27 Hirschs Aktion führte umgehend eine Antwort des Ministers in Form einer Direktive an die Rektoren herbei: „Es ist zu meiner Kenntnis gekommen, daß von einer angeblichen vorläufigen Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche' eine mit dem Namen Breit unterzeichnete Aufforderung an die Dekane der Evangelischen Theologischen Fakultäten ergangen ist, zu dem Beamteneid gutachtlich Stellung zu nehmen. Ich ersuche zu veranlassen, daß auf diese Aufforderung eine Antwort nicht erfolgt."28 Dieser Vorfall ist ein Musterbeispiel für den Verlauf der nächsten Jahre. Hirsch hielt eine Flut von Korrespondenzen mit dem Ministerium aufrecht, der er durch persönliche Vorsprachen in Berlin zusätzliches Gewicht verlieh. Gemeinsam mit dem Ministerium für Erziehung, Wissenschaft und Volksbildung errichtete er eine effektive Einheitsfront gegen alle BK-orientierten Aktivitäten, die die Theologische Fakultät betrafen. Während der ersten Monate des Jahres 1935 spitzte sich der Konflikt an der Fakultät rasch zu. Zum einen gab der Minister für Wissenschaft, Bernhard Rust, einen Sechs-PunkteErlaß heraus (am 28. 2. 1935), mit dem er sich dagegen verwahrte, daß Theologieprofessoren sich in den Kirchenkampf einmischten, weil das unverträglich mit ihrem Beamtenstatus sei. Sie sollten außerdem auch ihre Studenten anhalten, ihre Gedanken auf die Theologie statt auf Kirchenpolitik zu richten. Zusätzlich sollten Fakultätsmitglieder von jeder Beteiligung an einer Prüfungskommission absehen, die nicht unter der Leitung einer offiziell anerkannten (d.h. nicht mit der BK verbundenen) Kirchenbehörde stand und die nicht mit Kollegen besetzt war, die „jederzeit rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat eintreten". 2 ' Sechs Mitglieder der Fakultät (Stange, Meyer, Bauer, Dörries, von Campenhausen und Hoffmann) unterzeichneten ein Protestschreiben an Rust, in dem sie sowohl ihre Loyalität dem NS-Staat gegenüber als auch die akademische Freiheit und ihr Recht und ihre Pflicht betonten, sich aktiv in Kirchenfragen einzumischen. Dieser Brief wurde über das Dekanatsbüro abgeschickt. Hirsch fügte ein Begleitschreiben bei, in dem er die Einwände seiner Kollegen erläuterte, aber empfahl, sie zu ignorieren,30 was dann auch geschah. Die Amtsführung und das Auftreten von Hirsch, aber auch das Verhalten anderer regimetreuer Professoren löste 1934 eine ungewöhnliche Protestaktion von studentischer Seite aus. Ein oder mehrere Studenten schickten anonyme Postkarten, meistens in Hannover eingeworfen, ans Dekanat am Wilhelmsplatz, die gereimte Schmähgedichte auf einige Professo79
ren enthielten, vor allem auf Hirsch und den Neutestamentier Behm. Hirsch fühlte sich derart provoziert, daß er die Polizei einschaltete, Schriftproben aller Hörer der in den Gedichten erwähnten Vorlesungen einholte, Graphologen einschaltete und sich sogar von der Post in Hannover Daten über die Briefkästen durchgeben ließ, in die die Karten eingeworfen worden sein mußten. Mit kriminalistischer Dekansakribie versuchte er dann, Ubergangszeiten von den Briefkästen zum Hauptbahnhof mit den wahrscheinlichen Wartezeiten von gewissen Studenten zu vergleichen, die am Wochenende über Hannover nach Hause fuhren. Der oder die Täter sind aber allem Anschein nach nie gefaßt worden. 31 Konflikte mit anders denkenden Studenten der BK sollten Hirsch auch noch in den kommenden Jahren ausgiebig beschäftigen.
Die Berufung von Walter Birnbaum Ein weiterer Streitfall entstand 1935 mit der umstrittenen und zunächst provisorischen Berufung von Walter Birnbaum auf den Lehrstuhl für Praktische Theologie. Mit dieser Berufung hatte es eine besondere Bewandtnis. Nach längerer Vakanz des Lehrstuhls und Wirren über dessen Wiederbesetzung reiste Hirsch 1935 zum Reichserziehungsministerium nach Berlin, in dem offensichtlichen Bemühen, die Berufung des ihm aus den Auseinandersetzungen mit der kirchlichen Opposition bekannten Birnbaum auf den Göttinger Lehrstuhl zu erreichen. Zu seiner eigenen Überraschung, so ist zu vermuten, bekam Hirsch nicht nur den gewünschten Birnbaum, sondern in einem Personalpaket auch den früheren Greifswalder Professor Joachim Jeremias, einen Anhänger der BK, auf den Lehrstuhl für neues Testament zugewiesen. Die Fakultät wurde nur noch über das Ergebnis der Neuberufungen in Kenntnis gesetzt.32 Die Berufung von Birnbaum stellte sich aus mehreren Gründen als kontrovers heraus. Erstens waren Birnbaums akademische Zeugnisse suspekt. Zweitens hatte er eng mit Ludwig Müller und sogar dem berüchtigten August Jäger in den Auseinandersetzungen des Kirchenkampfes zusammengearbeitet. Die Übertragung des Göttinger Lehrstuhls an Birnbaum wurde daher als Lohn für politische Verdienste angesehen. Von Anfang an boykottierten Studenten der BK Birnbaums Veranstaltungen und protestierten gegen seine Mitwirkung in den Prüfungsausschüssen, und am Ende erwies er sich als besonders widerspenstiges Mitglied des „Entlassenen"-Lehrkörpers nach 1945. Sogar Hirsch, sein Mentor, soll sich über Birnbaums Lehrqualitäten mokiert haben: „Wenn im Garten Eden ein Birnbaum anstelle des Apfelbaumes gestanden hätte, wäre es nie zum Sündenfall gekommen." 33 Birnbaum hatte zwar einen theologischen Grad erworben, war aber 1926 bei der mündlichen Prüfung für den Grad des Lizentiaten in Leipzig durchgefallen, obwohl seine schriftliche Arbeit, „Die katholische liturgische Bewegung. Darstellung und Kritik", im selben Jahr publiziert wurde. Anstatt eine akademische Karriere anzustreben oder eine Pfarrstelle zu übernehmen, wurde Birnbaum Geschäftsführer der Wichernvereinigung im Rauhen Haus in Hamburg. In seiner Autobiographie betont er das „volksmissionarische" Anliegen, das aus dieser Arbeit erwuchs. Dort beschreibt er auch wilde, fast schon gewalttätige Abende, an denen er und seine Kollegen mit Freidenkern und Kommunisten in den Arbeitervierteln von Hamburg herumdebattierten. Nach eigenen Angaben war Birnbaum, dessen völkische, nationalistische und anti-kommunistische Gesinnung geistesverwandt mit der der Nationalsozialisten war, nie Mitglied der NSDAP, 34 jedoch Schloß er sich 1933 gleich den D C an. Später rechtfertigte er diesen Schritt mit dem Hinweis auf die großen Zuwachs80
raten in der Kirchenmitgliedschaft zu jener Zeit und seiner Überzeugung, daß die Wende von 1933 eine große Gelegenheit für die Volksmission nach dem Wichernschen Vorbild dargestellt habe.35 Birnbaum zählte Ende 1933 zur nationalen Führung der D C und wurde im April 1934 Mitglied der Reichskirchenregierung, wo er eng mit Reichsbischof Müller und direkt unter August Jäger arbeitete.36 Birnbaum war nach eigenen Angaben im Urlaub, als letzterer eine gewaltsame Eingliederung der Bayerischen und Württembergischen Landeskirchen versuchte und ihre Bischöfe im Herbst 1934 verhaften ließ.37 Jäger wurde bald nach diesem Umsturzversuch entlassen, und Birnbaum gesteht Schwierigkeiten mit Jägers Nachfolger, Dr. Werner, ein, der ihm schließlich „Unregelmäßigkeiten" zur Last legte.38 Am 20. März 1935 bot das Kultusministerium Birnbaum, der nie promoviert oder sich habilitiert hatte, die vorläufige Berufung auf den Lehrstuhl für Praktische Theologie in Göttingen an und befreite ihn so aus einer unangenehmen Lage. Birnbaum erklärte in bemerkenswerter Offenheit, nach dem Erhalt seiner Vertretungsberufung erst einmal in einer Bibliothek in einem Lexikon festgestellt zu haben, was das Fach Praktische Theologie, das er nun zu lehren hatte, eigentlich sei.39 Birnbaums Ankunft in Göttingen im April 1935 provozierte eine Flut von Beschwerden von Seiten der BK-Studenten ans Landeskirchenamt (LKA) Hannover. Zum Beispiel beklagte sich Wolfgang Schroeder, ein Student der Theologie, im Juli 1935 in einem Schreiben an Pastor Eberhard Klügel im LKA aus theologischen Gründen über Birnbaum und gab sowohl den Inhalt seiner privaten Unterredungen mit Birnbaum als auch den einiger Veranstaltungen wieder. Schroeder berichtete, „daß er (Birnbaum) es bedaure, daß Luther bei der Lehre von der Rechtfertigung stehen geblieben sei, anstatt zur koiné Ktisis als zentral neutestamentlich durchzustoßen." Wenn Studenten gegen Birnbaums Aussagen Einwände erhoben oder ihn etwas fragten, antwortete er manchmal laut: „Kinder, ihr seid aber auch zu empfindlich!" Schroeder monierte schließlich ein „Kuddelmuddel von Meinungen" und eine „heillose Verwirrung und Verwischung der Begriffe und die Unfähigkeit, theologisch zu denken." Weiter klagte Schroeder Birnbaum an, die Nazis mit Äußerungen wie „Der Nationalsozialismus ist der Aufbruch des Lebens gegen den Tod" und „daß nun der Nationalsozialismus mit der Aufgabe betraut wird, die Kirche zu retten" regelrecht zu vergöttern. 40 Von der merkwürdigen Theologie Birnbaums zeugt auch ein anderes Beispiel. Im Reichsberufswettkampf der deutschen Studenten 1936/37 wurde die von Birnbaum betreute Arbeit der Fachschaft Theologie „Der Beitrag der Kirche im Kampf gegen den Bolschewismus" als ,Reichsbeste* in der weltanschaulichen Sparte mit dem Prädikat .wertvoll' ausgezeichnet.41
Hirschs Verfolgung des studentischen
Widerstandes
Nachdem sich die Studenten beim LKA Hannover beschwert hatten, beobachtete Hirsch sie sehr genau. Im Juni 1936 hatte REM Rust an die theologischen Dekane unter dem Vermerk „streng vertraulich" geschrieben, daß die „sogenannte vorläufige Leitung der DEK" an jeder Universität eine BK-Gruppe aufbauen wolle. Rust forderte die Dekane auf, jeweils einen Bericht über entsprechende Aktivitäten an die Gestapo und an ihn selbst zu liefern.42 Hirsch antwortete schnell und schätzte, daß etwa drei Viertel der Theologiestudenten durch die BK beeinflußt seien. Trotz gelegentlicher Unruhen aber sei bisher kein 81
Veranstaltungsboykott erfolgt. Hirschs Sorge galt mehr den BK-Fachschaftsaktivitäten, die sich mit der von der Fakultät geförderten Fachschaftsarbeit kreuzten. Er sprach sich aber gegen jeden ministeriellen Eingriff aus, weil die Fakultät die Probleme selber effektiver lösen könne. Stattdessen empfahl Hirsch „die Einführung des Fakultätsexamens anstelle des bisher weit verbreiteten kirchlichen Examens zum Abschluß des Theologiestudiums". 43 Hirsch wird zwar nicht der einzige Dekan gewesen sein, der Rust Bericht erstattete, aber sein Einfluß ist in einem Brief Rusts, der knapp zwei Wochen später, am 4. Juli 1935, an die Evangelisch Theologischen Fakultäten gesandt wurde, deutlich spürbar. Rust teilte mit, daß er von „Ersatzvorlesungen und Prüfungen" durch die BK gehört habe. Das sehe er im Widerspruch zum Kirchen-Staats-Vertrag von 1931, und er verfügte daraufhin, daß zukünftige Pastoren mindestens drei Jahre an einer deutschen Universität studieren und sich von einer Prüfungsbehörde prüfen lassen müssen, die sich aus Kirchen- und Staatsvertretern zusammensetzt und die sich kooperativ verhalten soll. Einzig unter diesen Voraussetzungen würde ein Studium und eine Prüfung anerkannt werden. 44 Das war zwar nicht genau das, wozu Hirsch geraten hatte, aber ein Zusammenhang der Ziele von Minister und Dekan ist offensichtlich. Der Konflikt spitzte sich im Wintersemester 1935/36 zu. In den ersten Tagen des Semesters informierte Hirsch den Stiftsinspektor, daß Studenten des Theologischen Stiftes Unterredungen mit dem LKA in Hannover über ihre Einwände gegen Birnbaum gehabt hätten. Hirsch bestand darauf, daß das REM beschlossen habe, keinen Protest gegen Birnbaums Berufung zuzulassen, und ordnete an, „daß in den Gemeinschaftsräumen des Theologischen Stiftes Gespräche kirchenpolitischer Tendenz untersagt sind." Eine Kopie dieses Schreibens sandte Hirsch auch an Mattiat ins Kultusministerium und an den Präsidenten des LKA, Schnelle.45 Dieser antwortete ziemlich indigniert, daß das LKA durchaus noch hoffe, das Problem Birnbaum zu lösen, jedoch friedlich. Er fügte hinzu, daß das LKA jederzeit den Meinungen der Studenten offenstehe. 46 Darauf antwortete Hirsch in seiner sehr typischen ungeduldigen Art: „Ich habe das Gefühl, daß das von Ihnen beabsichtigte Schreiben des Landeskirchenamtes an die Studenten in den Kreis eingreift, über den nicht ich, sondern der Herr Minister selber die Verfügung hat." 47 Hirsch versprach, die Korrespondenz an den Minister weiterzuleiten und den Bescheid abzuwarten. Gleichfalls in den ersten Tagen des Wintersemesters 1935/36 forderte Hirsch Birnbaum auf, über das Studentenverhalten in seinen Kursen zu berichten, besonders über Boykottendenzen. Birnbaum antwortete, daß seine Veranstaltungen weit weniger besucht würden als im vorangegangenen Semester. So habe seine erste Vorlesung im November nur etwa 30 gegenüber den 40 bis 45 Studenten angelockt, die früher gekommen seien.48 Birnbaum gab auch das Gerücht weiter, daß die BK-Studenten Bode und Reich am 4. November mit Oberlandeskirchenrat Mahrenholz zusammengetroffen seien und daß dieser die BK-Studenten vorsichtig in ihrem Widerstand gegen Birnbaum ermutigt habe.49 Noch am selben Tag, als er Birnbaums Bericht erhielt, sandte Hirsch ihn mit einem persönlichen Begleitbrief und einem offiziellen Bericht für den REM an Mattiat in Berlin weiter. Wieder war er der Meinung, daß offenes Einschreiten die Lage nur verschlimmern würde, und er sagte voraus, daß Birnbaum in der Lage sei zu überleben. 50 Außerdem strich Hirsch als seine eigene Leistung heraus, daß er durch mehrere diskrete Gespräche mit Studenten und Assistenten eine Explosion verhindert habe. Der Universitätsrat sei ebenfalls hinzugezogen worden. Obwohl gegen die Einmischung des LKA ein rechtliches Vorgehen möglich gewesen wäre, das auf 82
das Mißverhalten von Mahrenholz abzuzielen hätte, war Hirsch überzeugt, daß der Mangel an Beweisen ein solches Verfahren schwierig machen würde. Deshalb beschwor er Mattiat, vorsichtig zu sein, und bat zum mindesten darum, daß nichts unternommen würde, bis er am Ende des Monats mündlichen Bericht abgegeben habe.51 Im Dezember 1935 forderte der Wissenschaftsminister beim Universitätskurator einen weiteren Bericht über BK-Studentengruppen an.52 Darin bezeichnet Hirsch den Studenten Bode als Anführer53 und Professor Dörries und den Dozenten Hoffmann als enge Mitarbeiter einer aktiven BK-Gruppe in Göttingen. Hirsch fügt hinzu, daß der Arbeitskreis, der durch Hoffmann ins Leben gerufen worden sei, „nicht rechtlich, aber faktisch, eine homiletische Ersatzausbildung" im Widerspruch zu dem früheren ministeriellen Erlaß gegen solche Ersatzkurse darstelle.54 Akten aus dem LKA belegen, daß Hoffmann tatsächlich ausgewählt worden ist, um ein paralleles homiletisches Seminar zu veranstalten, so daß BKStudenten die Unterweisung durch Birnbaum umgehen konnten. 55 Hirsch versuchte Hoffmann einzuschüchtern, damit dieser seine Tätigkeit aufgebe: „Mir sind Ihre homiletischen Sonderübungen bekannt. Ich bitte Sie, sich auf Grund des beiliegenden Erlasses darüber zu äußern, ob Sie dieselben sofort einzustellen bereit sind."56 Hoffmann antwortete mit dem Zugeständnis, außerhalb seiner Vorlesungstätigkeit seit Anfang des Semesters private „Besprechungen" durchzuführen. Dies gehe auf eine Bitte der Studenten zurück, die eine freie „Arbeitsgemeinschaft" gebildet hätten, und er glaube nicht, daß das unter den ministeriellen Erlaß falle.57 Als Hoffmann diese Begründung aufrecht erhielt, war Hirschs Plan vereitelt. Er mißbilligte Hoffmanns Interpretation und setzte wiederum den Wissenschaftsminister in Kenntnis, mit Details der BK-Aktivitäten und Namen (Bode, Marahrens, Mahrenholz, Dörries und Hoffmann werden erwähnt). Aber in Anbetracht der „Zweifelhaftigkeit" und „Geringfügigkeit" der Situation empfahl er, sie zu ignorieren.58 Möglicherweise als Antwort auf Hirschs Ratschlag zur Mäßigung schrieb der Minister einige Tage später dem Universitätskurator und brachte seine Hoffnung auf eine friedliche Entwicklung in der Kirche zum Ausdruck sowie sein Versprechen, daß zu diesem Zwecke Bestrafungen auf ein Minimum reduziert würden. Aber der Erlaß, der vorschrieb, daß sich Mitglieder einer Theologischen Fakultät von der Teilnahme am Kirchenkampf fernzuhalten hatten, wurde bekräftigt.59 Das Jahr 1935 bedeutete einen wichtigen Wendepunkt für die Theologische Fakultät. Es war ein Jahr des Konflikts - Birnbaums Berufung, Ersatzkurse, Examensfragen — , und die Fronten waren jetzt gezogen. BK-Studenten, das LKA in Hannover und eine sehr kleine Gruppe der Hochschullehrer an der Fakultät bildeten die eine Seite; Hirsch, eine Mehrheit der Fakultät und das Kultusministerium bildeten die andere. Die Atmosphäre war durch diese Auseinandersetzung vergiftet. Zudem waren die Macht und die Loyalität Hirschs jetzt etabliert und deutlich sichtbar. Obwohl er die Studenten nicht so umfassend kontrollieren konnte, wie er das gerne gehabt hätte, und obwohl er Gewalt scheute, bediente er sich in seinem Versuch, die BK mundtot zu machen, jederzeit einschüchternder Maßnahmen und seines „hand-in-glove" - Verhältnisses zur Regierung. 1936 bestand diese Lage weiter fort. Zunächst versuchte Hirsch, die BK-Fachschaftsaktivitäten zu unterdrücken. Im Februar wandte er sich beispielsweise an den Universitätskurator und sprach sich gegen jede finanzielle Unterstützung des semesterbeschließenden Fachlagers aus, das von dem Studentenführer Bode vorgeschlagen und von Dörries unterstützt worden war. Hirsch beschuldigte Bode der Sabotage an dem früheren Fachschaftslager der Theologischen Fakultät, und er bezeichnete Bodes Vorschlag als „Gegenmaßnahme", die keinesfalls Staats- oder Universitätsgelder erhalten sollte.60 Als nächstes schrieb 83
Hirsch dem Stiftsinspektor von Campenhausen und warnte ihn aufs neue vor jedweder weiteren Hilfeleistung bei Bodes Aktivitäten. Hirsch war gewillt, von Campenhausens frühere Mitwirkung zu vergessen, aber „möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, daß die Fachschaftsarbeit ein offizielles Stück der politischen Universität ist und daß eine Gruppe, welche die Studenten im Sinne der Abhaltungen von der Fachschaftsarbeit beeinflußt, von jemandem, der das Stiftsinspektoramt innehat, weder durch Rat noch durch Mitarbeit unterstützt werden kann."61 Von Campenhausens Antwort war der von Hoffmann ähnlich. Er verneinte, daß diese Aktivitäten gegen die offizielle Fachschaftsarbeit gerichtet seien, weder in der Absicht, noch tatsächlich. Er sehe es als seine Christenpflicht an, studentischen Anfragen mit Rat und Hilfe zu begegnen und fügte hinzu: „Ich bitte mich wie bisher in der Freiheit meiner persönlichen theologischen und kirchlichen Uberzeugung nicht hindern zu wollen."'2 Darauf antwortete Hirsch mit Sarkasmus und Zähigkeit. Von Campenhausen stehe es frei „allen beliebigen Studierenden" zu raten und zu helfen, so viel er wolle; allerdings „Es geht darum, daß die Sondergruppenarbeit der Studierenden Bode und Harms von Ihnen, solange Sie Stiftsinspektor sind, gemäß von mir Ihnen erteiltem dienstlichen Befehl nicht mehr irgendwie unterstützt werden darf."63 Nicht von Campenhausen, sondern Hirsch entschied, ob die Aktivitäten schädlich waren. Die nächste Phase des Konflikts um die Birnbaum-Berufung entstand ebenfalls im Frühjahr 1936. Hirsch, DC-Mitglieder und das Kultusministerium wollten dessen vorläufige Berufung entgegen den Einsprüchen der BK-Studenten und den Vorbehalten der Landeskirche in eine dauerhafte umwandeln. Der Prodekan Johannes Hempel fuhr nach Hannover und versuchte — erfolglos — die Einwände zu zerstreuen. Als das LKA begriff, daß sein Einspruch ignoriert und Birnbaum auf jeden Fall berufen werden würde, teilte es dem Ministerium formal seine „Bedenken" gegen Birnbaum mit, eine bedeutsame, wenngleich vergebliche Geste.64 Die Berufung Birnbaums, des umstrittensten und vielleicht unglaubwürdigsten DCMitgliedes der Fakultät, führte unerbittlich zu den letzten Stufen im Konflikt über Ersatzkurse und Prüfungen. Im Herbst 1936 entdeckte Hirsch drei Briefe, die unter BK-Studenten kursierten. Er schickte umgehend Kopien an den Wissenschaftsminister, zusammen mit einem Begleitschreiben, das das Material der radikalen BK-Gruppe Berlin-Dahlem Martin Niemöllers zuschrieb, und führte aus: „Es ist bemerkenswert, daß ein Vertreter des Landeskirchenamtes Hannover, Pastor Klügel, mit dieser Göttinger Filiale des Berlin-Dahlemer Kreises zusammenarbeitet. . . . Es ist weiter bemerkenswert, daß der Landesbischof selber mit diesem Kreis bekennender Studenten in Göttingen in Verbindung und Fühlung steht.... Nach meinen Beobachtungen haben die beiden Dinge auf die Theologiestudenten den Eindruck hervorgerufen, daß die Landeskirche von den Studenten eine bestimmte kirchliche und kirchenpolitische Haltung fordert."65 Hirschs Brief wurde am 13. November abgeschickt. Vier Tage später wandte der Wissenschaftsminister seine schärfste Waffe in der Auseinandersetzung um die BK-Ersatzveranstaltungen an, die Vollmacht, Studenten vom Studium zu verbannen. In einem Rundbrief an die Dekane der Theologischen Fakultäten erließ er mit dem 17. November 1936: „Jedem eingeschriebenen Studenten der evangelischen Theologie ist es verboten, derartige Ersatzkurse oder ähnliche Einrichtungen an Stelle der Hochschulvorlesungen zu besuchen und sich am Boykott gegen Hochschullehrer zu beteiligen. Bei Zuwiderhandlungen haben die Rektoren den dauernden Ausschluß vom Studium an allen deutschen Hochschulen auf Grund der Bestimmungen der Strafordnung für Studenten vom 1. April 1935 durchzuführen."66 84
Die nächsten Wochen brachten eine Flut von Erwiderungen auf diesen ministeriellen Erlaß. Zunächst einmal veröffentlichte Hirsch den Erlaß und wollte ihn dazu verwenden, die Initiatoren der Ersatzkurse einzuschüchtern. So erhielt etwa der Stadtsuperintendent Lueder, einer der Leiter, einen Brief von Hirsch, in dem dieser zukünftige Strafen bis hin zum völligen Ausschluß vom Studium andeutete.67 Lueder beschwerte sich beim LKA, und dieses wiederum beim Wissenschaftsministerium (am 1. März 1937). Der Wettlauf zwischen dem LKA und Hirsch um Einfluß beim Ministerium war ein sehr ungleicher Kampf. Hirsch erklärte gegenüber dem Minister, daß sein Brief „nichts weiter als eine freundliche Information über den ergangenen Ministererlaß" gewesen sei. Seine Absicht sei es gewesen, den Theologiestudenten dabei behilflich zu sein, „Gewissenskonflikte" zu vermeiden, indem er ihnen klarmachte, daß sie keine Alternative hätten, als diese BK-Kurse aufzugeben; es sei höchst „zweckmäßig" gewesen, diese Information über Lueder laufen zu lassen, da dieser einen der Ersatzzirkel gegründet habe und von den anderen wisse. Dann kommt Hirsch auf andere Anschuldigungen in der LKA-Beschwerde zu sprechen, ζ. B. darauf, daß er, Hirsch, den Kirchenfrieden bedrohe oder den Erlaß des Ministers interpretiere. Hirsch blieb dabei, daß unabhängig davon, wie die Pastoren ihre Gruppen nun nannten, der Zweck sei, den Studenten zu ermöglichen, aus Birnbaums Seminaren wegzubleiben. Das LKA habe zudem mit seinem Angriff auf Hirsch indirekt versucht, den Ministererlaß vom 17. November zu attackieren.68 Die letztendliche Antwort aus dem Ministerium in dieser Angelegenheit ist von Hirschs Freund im Ministerium, Mattiat, verfaßt worden. Sie übernahm ausnahmslos die Hirsch'sche Argumentation. Tatsächlich liest sich Hirschs Brief wie der erste Entwurf von Mattiats Stellungnahme.69 Auch Studenten protestierten gegen den Erlaß. Im Februar 1937 legte Heinz Rettberg im Namen von 40 Göttinger Kommilitonen (die anonym blieben) beim Reichsminister Einspruch ein, dahingehend, daß sie der Erlaß vom November in „große Gewissensbedrängnis" bringe. In Anbetracht ihrer zukünftigen Dienste im Namen der Kirche könnten Theologiestudenten nur durch solche Lehrer eine angemessene Ausbildung erhalten, deren Verpflichtung gegenüber Schrift und Bekenntnis dem Ordinationsgelübde entspreche. Deshalb plädierten sie für „Lernfreiheit" in der Wahl ihrer Studieninhalte.70 Rettberg schickte diesen Brief an Hirsch ins Dekanat, der ihn mit verschiedenen Anmerkungen an den Minister weiterleitete. Zum einen führte er an, daß Rettberg ein Anführer der BK-Gruppe sei, die vor allem den Arger um Birnbaums Kurse angezettelt habe. Außerdem habe Martin Niemöller vor weniger als einer Woche in Göttingen gesprochen, dabei die Fakultätspolitik des Reichsministers attackiert und vermutlich den Brief inspiriert. Hirsch empfiehlt deshalb, den studentischen Protest zu ignorieren und den Erlaß in Kraft zu lassen, was der Minister denn auch mit Nachdruck tat.71 Im August 1937 teilte Hirsch zwar dem Kurator mit, daß offenbar keine Ersatzkurse mehr in Göttingen abgehalten würden72, und im Oktober informierte er den Rektor, daß Disziplinarmaßnahmen nicht nötig gewesen seien; der Erlaß vom 17. November 1936 habe sein gewünschtes Ziel erreicht, illegale Aktivitäten in der Theologiestudentenschaft zu unterbinden.73 Aber die Siegesmeldung von Hirsch an den Rektor war noch etwas verfrüht. Zur Ausschaltung der letzten institutionellen Gruppenzusammenhänge von BK-Studenten war Hirsch dann doch auf die Hilfe des Rektors und die Drohung der Gestapo angewiesen. Die Deutsch Christliche Studenten Vereinigung (DCSV) und die Deutsch Christliche Studentinnen Bewegung (DCSB), die im November/Dezember 1937 25 bzw. 11 Mitglieder hatten, wurden verboten. Gegen dieses erste Verbot erhoben die beiden Vorsitzenden Johann Tibbe und Gertraud Klein beim Rektor Einspruch. Von einem Dreier-Ausschuß, bestehend 85
aus dem Rektor, dem Dozentenbundsführer Blume und einem Vertreter der Studentenbundsführung, wurden beide Gruppen endgültig und auf Dauer verboten.74 Für dieses Verbot reichte, da ein Beweis, daß die beiden Gruppen „den planmäßigen Unterricht der Evangelischen Fakultät durch Ersatzvorlesungen" sabotiert hatten, nicht erbracht werden konnte75, allein die Zugehörigkeit zur reichsweiten DCSV, die nach Meinung von Hirsch mit der BK „aufs Engste verwachsen" sei76, aus. Allein in dem Sachverhalt, daß beide örtlichen Gruppen sich eben nicht von dem überörtlichen DCSV getrennt und „gegen seine Machenschaften Stellung genommen, sondern sie zum mindesten stillschweigend gebilligt" hätten, sah der Rektor eine „Auflehnung" gegen das ministerielle Verbot von Ersatzveranstaltungen.77 Mit dem Verbot der beiden Studentengruppen, dessen Einhaltung von der Gestapo überwacht wurde78, war die Universitätsleitung in Göttingen der allgemeinen Entwicklung vorausgeeilt. Ein halbes Jahr später verbot der Minister per Runderlaß alle noch bestehenden DCSV- und DCSB-Gruppen.79 Der durch derartige Zwangsmaßnahmen zustande gekommene „Frieden" in der Fakultät täuscht über die komplexe Situation hinweg, denn während Hirsch die Fakultät und die Studenten unter seiner Kontrolle glaubte, kontrollierten weder er noch der Staat das Prüfungsverfahren der Landeskirche.
Zuspitzung des Konflikts: der Kampf um die Prüfungsteilnehmer Die ganze Sache mit den Ersatzkursen und den theologischen Prüfungen brachte die Landeskirche in eine schwierige Position. Sie wollte keinen Streit mit dem Kultusministerium beginnen, vor allem nicht unter Umständen, die einem Erfolg nicht förderlich waren. Da aber die Abschlußprüfung der Zeitpunkt war, zu dem der Geistliche in den kirchlichen Dienst eintrat, hielt die Landeskirche daran fest, hier Kontrolle auszuüben. Dazu kam, daß der studentische Widerstand immens war, nicht nur gegen die Prüfungen bei Birnbaum, sondern jetzt auch gegen solche bei Hirsch. 1936 veröffentlichte Hirsch zwei Arbeiten, „Die Lage der Theologie" (in: Deutsche Theologie80) und „Das Alte Testament und die Predigt des Evangeliums".81 Viele Mitglieder der BK beurteilten diese beiden Schriften als häretisch, d. h. den Parametern der lutherischen Konfession widersprechend. Im zweitgenannten Buch vertrat Hirsch die These, das Alte Testament sei für das Evangelium von geringer Bedeutung, offensichtlich um die Linie der DC zu bestärken, die das Christentum „entjudaisieren" wollte. Sowohl unter dem starken inneren als auch dem studentischen Druck entschloß sich das LKA endlich, eine feste Haltung einzunehmen. Im Frühjahr 1937 nahm es theologische Prüfungen zu seinen eigenen Bedingungen ab, d. h. ausschließlich mit Prüfern, die für es konfessionell tragbar waren.82 Im Mai reagierte Hirsch darauf mit einer Notiz an alle Mitglieder der Theologischen Fakultät, worin er jedwede Mitarbeit in den Prüfungs-Kommissionen des LKA untersagte und Berichterstattung über jede Kontaktaufnahme einforderte, die von der Kirche ausginge.83 Am 16. Mai 1938 unternahm der Staat seine letzte und heftigste Anstrengung, in dem Prüfungsstreit zu einem vollen Erfolg zu kommen. Das Ministerium für Kirchliche Angelegenheiten drohte mit der Streichung der Beihilfe für alle Studenten, die sich ab Herbst 1938 noch durch die Landeskirche — ohne die volle Mitwirkung aller Fakultätsmitglieder prüfen ließen.84 Die Bekenntnisgemeinschaft Hannover antwortete sofort und schlug der Landeskirche eine „Pfarrverwesung" vor, bei der die Bekenntnisgemeinschaft sowohl für das Gehalt als auch die Versicherungsbeiträge in vollem Umfang aufkommen würde, um 86
den BK-Studenten eine Einstellung zu sichern, die die offizielle Abschlußprüfung umgehen und ein konfessionell annehmbares Pfarramt anstreben wollten. „Die Pfarrverwesung ist die Versorgung landeskirchlicher Lutheraner durch öffentliche und sonderliche Verkündigung des Wortes Gottes und Sakramentsverwaltung, sowie durch kirchliche Jugendunterweisung in den Teilen der Landeskirche, in denen eine bekenntnismäßige Bestellung des Pfarramtes verhindert wird." 85 Dieser Vorschlag erreichte die Landeskirche zur selben Zeit wie eine Flut studentischer Einsprüche gegen den Erlaß. Hannoversche Theologiestudenten der Universitäten Erlangen, Tübingen, Halle, Rostock und Greifswald kündigten ebenso wie Göttinger Studenten an, daß sie sich keiner Abschlußprüfung unterziehen würden, an der Birnbaum oder Hirsch teilnähmen. Diese Petition unterzeichneten über 60 Studenten, so daß das Problem des „theologischen Nachwuchses" von Hannover nicht auf die leichte Schulter genommen werden konnte. 86 Eine Denkschrift im LKA-Archiv, datiert vom Juni 1938, dokumentiert die Beunruhigung in der Kirche angesichts dieser Lage. Zum einen sieht diese Stellungnahme keine legale Basis für den Erlaß des Ministers und erwägt den Einspruch auf dieser Grundlage. Zum andern werden sowohl das erste als auch das zweite theologische Examen (das erste zugestandenermaßen als theologisches und das zweite als konfessionelles) als Qualifikationen für den Dienst in der Kirche angesehen. Deshalb müßten auch die Prüfer in Ubereinstimmung mit der Konfession der Kirche stehen, um in Frage zu kommen. „Infolgedessen ist es heute einfach nicht mehr tragbar, daß Professoren, die durch eine staatliche Besetzung — wenn auch als 'Theologieprofessoren' — ins Amt gekommen sind, eo ipso die für die bekenntnismäßige Entwicklung der Landeskirche so wesentliche Prüfungsfunktion wahrnehmen. Es ist im Falle unserer L.-Kirche nicht tragbar, daß ein Professor, dem von der Landeskirche bekenntnismäßige Lehrweise abgesprochen ist oder ein Professor, der das A T als Offenbarungsgrundlage der Kirche aufgegeben hat, mitprüfen." 87 Und was die „Folgeerscheinungen" für zukünftige Geistliche in der Landeskirche betrifft, werden diese „ . . . im Falle einer künftigen Mitwirkung sämtlicher Göttinger Professoren bei der Prüfung ziemlich vernichtend sein. Es ist jetzt schon erkennbar, daß die kirchlich und bekenntnismäßig klare und feststehende Jugend die Hannoverschen Prüfungen meiden und Hannover zum gr. Teil überhaupt verloren gehen wird. Das ist aber der für die Landeskirche wertvollste Teil. Dagegen werden die DC, einschließlich deren Thüringer Richtung, die bisher Hannover meiden, sich sehr ermutigt fühlen. Bereits nach den bisherigen Erfahrungen ist deutlich, daß, wenn sie erst einmal durch die Prüfungen hindurchgeschleust sind, so gut wie keine Möglichkeit besteht, sie wieder auszuscheiden."88 Die Analyse fährt fort zu betonen, daß die Kirche entweder Vorkehrungen treffen müsse, die finanzielle Unterstützung zu ersetzen, die die Studenten seitens des Staates einbüßen, oder vielleicht Hannoverschen Studenten zu empfehlen, sich in der Bayerischen Landeskirche prüfen zu lassen (versehen mit einer umgekehrten Abmachung). Es kommt in der Denkschrift auch die Befürchtung zum Ausdruck, daß im Falle des zweiten möglichen Ausweges der Staat bald auch den Bayerischen Prüfungsausschuß für die D C übernehmen könnte. 89 Die Antwort von Bischof Marahrens findet sich als Tagebucheintragung vom 16. Juni 1938: „Der neue Erlaß ist nicht vor dem Mißverständnis geschützt, daß der radikal deutschchristliche Standpunkt einzelner Professoren kirchlich legitimiert und der theologische Nachwuchs ihrem Einfluß mehr als bisher erschlossen werden soll."' 0 Weiter schlägt er ein Sechs-Punkte-Programm für die nahe Zukunft vor, das er als „gangbar" bezeichnet. Es enthält die Einsprüche ans Ministerium wegen des kirchlichen Sonder87
rechtes ebenso wie den Hinweis auf die Unmöglichkeit, die Pläne für die Herbstprüfungen noch zu ändern. Aber die Landeskirche sei damit einverstanden, alle Fakultätsmitglieder zuzulassen, die ihr Vertrauen besäßen, und mit den anderen für die Zukunft eine Lösung des Problems anzustreben." A m 15. August 1938 schickt der Reichsminister für die kirchlichen Angelegenheiten seine Antwort ans L K A ab: „Nach dem Kirchengesetz über die Vorbildung der Geistlichen vom 31. Oktober 1928 muß an jeder ersten theologischen Prüfung ein ordentlicher Professor der evangelischtheologischen Fakultät teilnehmen. 1. Diese Vorschrift ist seit Frühjahr 1937 nicht eingehalten worden. 2. In den seitdem (erstmalig im März 1937) stattgefundenen ersten theologischen Prüfungen ist demnach die Prüfungskommission gesetzwidrig zusammengesetzt gewesen." 92 Der Brief fährt mit dem Versprechen fort, gegenüber solchen Studenten, die dieses illegale Examen abgelegt hätten, Milde walten zu lassen, aber nur unter der Voraussetzung, daß zukünftige Prüfungen strikt dem Erlaß vom 16. Mai 1938 entsprächen und volle Kooperationsbereitschaft zwischen der Landeskirche und der Fakultät sichtbar würde. 93 A m nächsten Tag setzte Hirsch einen Brief an die Göttinger Theologiestudenten auf und heftete ihn ans Schwarze Brett: „Ich warne die Studenten der Theologie, an der seitens des Landeskirchenamtes jetzt zum Herbsttermin 1938 ohne Beteiligung der theologischen Fakultät abgehaltenen ersten theologischen Prüfung teilzunehmen. Die Prüfung ist für Sie wertlos, da sie den Bestimmungen der Verordnung des Kirchenministers vom 31. Mai 1938 widerspricht. Für die Besoldung und die Ruhegehälter von Kandidaten, die diese Prüfung abgelegt haben, dürfen Mittel aus Kirchensteuern und Staatsleistungen nicht verwandt werden. Mir ist amtlich mitgeteilt worden, daß auf die Teilnehmer der Prüfung in Hannover zum Herbsttermin die wirtschaftlichen Folgen dieser Verordnung fallen werden. Eine Ausnahme wird nicht gemacht werden. Um den Studenten der Theologie zum Herbsttermin die Möglichkeit zu geben, eine rechtmäßige erste theologische Prüfung, die für ihr künftiges Leben Wert hat, abzulegen, bin ich auf Grund besonderer Ermächtigung des Ministeriums bereit, solche Studenten - auch wenn sie aus der hannoverschen Landeskirche stammen - zur ersten theologischen Prüfung vor der Göttinger theologischen Fakultät zuzulassen. Es ist nach amtlicher Mitteilung mit Sicherheit anzunehmen, daß diese staatlich geltende Fakultätsprüfung von einer ganzen Reihe von Landeskirchen, darunter auch der großen Kirche der Altpreußischen Union, anerkannt wird. Ich werde mich außerdem, ohne in der Rücksicht etwas versprechen zu können, bemühen, daß die Einstellung der Absolventen dieser Fakultätsprüfung vom Herbst 1938 auch in der hannoverschen Landeskirche möglich wird. Studenten, welche sich bereits bei einer anderen Stelle zum Examen gemeldet haben, dürfen darauf rechnen, daß ich die Formalien der Prüfung so behandeln werde, daß sie ihr Examen vor der Einziehung zur zweijährigen Dienstzeit vollständig erledigt haben." 94 Dieses Stadium der Krise führte schließlich zu einer Entscheidung. Verschiedene denkbare Auswege waren erwogen worden, einschließlich der Möglichkeit, die Prüfung in eine zweitägige Sitzung mit der theologischen Fakultät und eine dritte Sitzung unter der Zuständigkeit der Landeskirche aufzuspalten. Die von Hirsch dem Oberlandeskirchenrat Stalmann, der ihn als Emissär der Landeskirche aufsuchte, am 26. August unterbreitete letztendliche Lösung war einfacher, obwohl auf ihr Zustandekommen nichts hingedeutet hatte. Stalmann war an demselben Tag bereits mit den BK-Professoren Dörries und Joachim Jeremias zusammengetroffen, die beide nicht sehr optimistisch über die Chancen einer Einigung waren. Außerdem waren schon die ersten Minuten der Unterredung mit Hirsch von solcher Erregung erfüllt, daß Stalmann fürchtete, sie würde platzen. Aber im weiteren Verlauf des Ge-
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sprächs schlug Hirsch schließlich einen Kompromiß vor. Er selbst würde freiwillig nicht an zukünftigen Prüfungen teilnehmen und wollte zusehen, daß auch Birnbaum keine Studenten prüfen werde, die entschieden gegen ihn seien. Birnbaum würde aber an den Examina der übrigen teilnehmen, denn den rechtlichen Bestimmungen des Ministeriums müsse entsprochen werden. Darüber hinaus gab Hirsch seiner Ansicht Ausdruck, daß am Ende „die receptio ein rein kirchlicher Akt sei, bei dem eine Fakultät auch nach Einführung der Fakultätsprüfung nicht mitzureden habe." 95 Ein internes Schreiben verdeutlicht, daß Marahrens mit diesem Kompromiß nicht ganz glücklich war. Er wollte nicht den Rechtsanspruch aufgeben, daß die Kirche die Oberhoheit über die Teilnahme von Fakultätsmitgliedern an den Prüfungen auf der Grundlage ihrer konfessionellen Verträglichkeit ausübte.96 Andererseits führte dieser Kompromiß aus der sich abzeichnenden Krise um die Herbstexamina heraus, sicherte vermutlich die Gültigkeit der Prüfungen nach 1937 (obwohl das nicht explizit garantiert wurde), auch schien er eine akzeptable Lösung für die meisten Studenten zu sein. Deshalb wurde er von der Landeskirche übernommen. 97
Nationalsozialistische
Ressentiments gegen die Theologie
Dekan Hirsch mußte bei seinem großen Engagement für den Nationalsozialismus eine für ihn offensichtlich bittere Erfahrung machen: Für viele Parteistellen galten Theologen und Studenten der Theologie auch bei nationalsozialistischer Einstellung als suspekt. So warf der HJ-Führer von Niedersachsen, Blomquist, kurzerhand sämtliche Theologiestudenten aus dem HJ- und Jungvolkdienst hinaus. Nachdem sich einer von drei durch diesen Hinauswurf betroffenen Göttinger Studenten bei Hirsch beschwert hatte, verwahrte sich der Dekan in einem Brief an den Reichserziehungsminister gegen die — unterstellte — Gleichstellung der Göttinger Theologischen Fakultät mit der Bekennenden Kirche. Sichtlich betroffen fährt Hirsch fort: „Ich genieße seit der Machtübernahme ununterbrochen das Vertrauen des Herrn Ministers für die Führung der Göttinger Theologischen Fakultät. Ich habe dieses Vertrauen die ganzen Jahre durch radikalen Einsatz im Sinne der Bewegung zu rechtfertigen gesucht. Ich weiß auch, daß das unerhörte Benehmen zahlreicher kirchlicher Stellen und desgleichen die Verhetzung einer Reihe von Theologiestudenten durch unverantwortliche Fanatiker Schwierigkeiten für sämtliche politischen Stellen erzeugt h a b e n . . . Gleichwohl möchte ich die Uberzeugung aussprechen, daß es nicht Sache eines einzelnen Gebietsführers der HJ ist, von sich aus die Fakultät einer staatlichen Hochschule als ganzes zu diffamieren . . . Ich halte es für geboten,... daß nicht einzelne impulsive Unterführer ihre Launen an der Theologischen Fakultät auslassen."98 In einem Antwortschreiben beruhigt der Minister Hirsch mit der Nachricht, er sei schon bei der Reichsjugendführung vorstellig geworden.99 Die Sonderbehandlung von Theologiestudenten durch Staats- und Parteistellen beschäftigte auch Hirschs Nachfolger im Amt des Dekans, Otto Weber. Auf eine Anfrage von Weber über die Teilnahme von Theologiestudenten an der Erntehilfe teilt der Reichsstudentenführer am 20. 6. 39 mit, daß alle Studenten der evangelischen Theologie Erntehilfe leisten dürften, sofern sie sich bekenntnismäßig zurückhielten: „Interkonfessionelle Parteinahme, die die Dorfgemeinschaft stören könnte, ist unter allen Umständen aus dem Einsatz fernzuhalten." Diese Bestimmung, die sich offensichtlich gegen die BK-Studenten richtete, denn die Kame89
radschaftsstudenten der NSDAP „nehmen selbstverständlich an der Erntehilfe teil", führte zum Ausschluß einer Reihe bekennender Studenten von dem Arbeitsdienst, der sehr attraktiv gewesen zu sein scheint. Dekan Weber pochte in einem — anscheinend jedoch nicht abgeschickten - Beschwerdebrief an das Reichserziehungsministerium auf „das Recht der Gleichstellung mit den anderen Studenten" und Schloß: Was die Fakultät erbittet, ist ausschließlich die Wiederherstellung der vollen politischen und akademischen Ehre für alle, die ihrer würdig sind."100
Kriegszeit Die sechs Jahre von 1933 — 1939, während derer Hirsch als Dekan amtierte, erwiesen sich als die turbulentesten der Fakultät. Als er das Amt an Otto Weber weitergab, war die Prüfungsfrage gelöst. Vor allem aber entzog der Kriegsausbruch dem Kirchenkampf die Aufmerksamkeit und beraubte die Universität zunehmend ihrer Studenten. Die Zahl der Theologiestudenten hatte sich von genau 400 im WS 32/33 auf 74 im SS 1938 reduziert. Mit Ausbruch des Krieges fiel sie noch einmal von 46 Studenten im Herbst-Trimester 1939 auf den offiziell vermerkten absoluten Niedrigststand von 7 Immatrikulierten im SS 1943. Bei immerhin 9 ordentlichen Lehrstühlen ergab sich ein deutliches zahlenmäßiges Ubergewicht der Dozenten gegenüber den Studenten.101 Parallel zu den gesunkenen Anforderungen an die Fakultät ließ schließlich auch Birnbaums Bedeutung für die Fakultät nach. Birnbaum verlegte seine Tätigkeit zunehmend weg von der Theologie auf das Gebiet der ideologischen Kriegsführung. Im WS 41/42 hielt er im Fach Praktische Theologie für Hörer aller Fakultäten eine Vorlesung mit dem Titel 'Bolschewistische Weltanschauung als prinzipielles Gottlosentum' ab. In einem Bericht der Zeitung Hannover Kurier über die Lage an der Göttinger Universität heißt es dazu am 6. 8. 41 unter der Uberschrift „Wissenschaftler entlarvt den Bolschewismus": „Besondere Aufmerksamkeit verdienen . . . alle jene Vorlesungsthemen, in denen sich der Krieg widerspiegelt... Im nächsten Semester untersucht ζ. B. eine Vorlesung die Landnahme der Germanen in England . . . Sind schon diese Fragenkreise von ungewöhnlicher Aktualität und Bedeutung, so gilt das erst recht für die von einem Theologen angezeigte Vorlesung, der die bolschewistische Weltanschauung als prinzipielles Gottlosentum darstellt und sich damit an Hörer aller Fakultäten wenden will." Durch diese Veranstaltung gut vorbereitet, folgte Birnbaum 1941 Görings Aufruf an die Universitätslehrer, in den Vortragsdienst für Luftwaffenpersonal an der russischen Front einzutreten. Mit Vorträgen über die „Übel des Bolschewismus" reiste Birnbaum ständig umher und genoß zur Abwechslung das Privileg von Erholungsreisen nach Holland, Belgien und Frankreich. 102 Als die russische Front zusammenbrach, kehrte Birnbaum nach Göttingen zurück, verbrachte indessen seine meiste Zeit mit kriegsbezogenen Verwaltungstätigkeiten, z.B. als Luftschutzkommissar mit der Aufgabe, wertvolles Universitätsmaterial vor Luftangriffen zu schützen.105
Die Entnazifizierung und ihre langwierigen Folgen Als am 8. April 1945 -Göttingen an die amerikanischen Truppen fiel, wandten sich die Gedanken wieder mehr der Zukunft der Universität und ihrer Fakultäten zu. Der Entnazifizierungsprozeß an der Göttinger Theologischen Fakultät ist dabei aus mehreren Gründen 90
von Interesse. Hirsch wurde unter sehr ungewöhnlichen Umständen aus der Fakultät entfernt, die noch lange nach 1945 Auswirkungen hatten. Auch Birnbaums Entlassung löste einen erbitterten Streit über seine Rolle aus, der sich über Jahrzehnte hinzog und grundsätzliche Fragen darüber weckte, ob eine akzeptable Methode gefunden werden konnte, die Universitäten von nationalsozialistischen Elementen zu säubern, d. h. den Prozeß der Gleichschaltung umzukehren. A m Ende blieben an der Theologischen Fakultät vier von neun Lehrstühlen unverändert. Fünf wurden neu besetzt aufgrund von drei Entlassungen aus politischen Gründen — zu denen Trillhaas neben Birnbaum und Gerhardt auch Hirsch zählt —, einer Versetzung in den Ruhestand und einer Wegberufung nach Erlangen. 104 Die neuberufenen Professoren verliehen der Göttinger Theologischen Fakultät eine Periode von hohem Ansehen und den Ruf, von der BK geprägt zu sein. Die früheren Anhänger der BK waren jetzt politisch erwünscht. A m 6. Juli 1945 tauchte Hirschs Name auf der ersten Liste von Göttinger Universitätsangehörigen auf, die aus politischen Gründen entlassen werden sollten; aber die Britische Militärregierung entdeckte bald, daß er wenige Tage zuvor „pensioniert" worden war. 105 A m 30. Mai 1945 hatte Hirsch einen Antrag auf Pensionierung aus gesundheitlichen Gründen eingereicht. Er war zwar schon seit Jahren fast völlig blind, legte aber jetzt ein Attest vor, um zu belegen, daß sich der Zustand seiner Augen so verschlechtert habe, daß er sein Lehramt nicht mehr länger ausfüllen könne. 106 Augenscheinlich hatte der neue Rektor, Rudolf Smend, Hirsch angeraten, diesen Weg zu wählen, um sich vor den Konsequenzen eines Entnazifizierungsverfahrens zu bewahren. 107 Diese Vermutung erklärt auch den sonst eigenartigen Aktenvermerk von Smend, daß Hirsch ihm versprochen habe, keine weiteren Vorlesungen anzukündigen noch sich an künftigen akademischen Feiern zu beteiligen. 108 Am 19. Juni traf sich Smend mit Major Beattie, dem britischen Offizier, der in der Militärregierung für das Erziehungswesen zuständig war. Beattie billigte Hirschs Pensionierung, aber für die Zukunft behalte er sich Entscheidungen über „die Ausscheidung und die Ernennung vor." 1 0 9 Als Hirsch dann auf der ersten Relegiertenliste auftauchte, entstand die Frage, ob er seine Pension weiter erhalten sollte. (Sie betrug 75 % von dem, was er als Emeritus bekommen hätte, die Entlassenen hingegen bekamen überhaupt keine Pension). Smend intervenierte erfolgreich, um Hirschs Pension zu sichern, ebenso wie er es vorher schon geschafft hatte, ihm seine von der Universität zugewiesene Wohnung im Hainholzweg 66 zu erhalten, von der aus man die wunderschöne „Schillerwiese" überschauen konnte. 110 In allen diesen Fällen wurde Hirsch sehr mild behandelt und auf eine weitgehend komfortable Weise entlastet, freilich ohne die Ehre eines festlichen Abschieds und ohne den vollen Status eines Emeritus. So vermied er — was er wohl auch als eine Entwürdigung empfunden hätte — den Bruch mit seinem Leben und Werk. Außerdem blieb ihm der schwerwiegende ökonomische Verlust erspart, wäre er einem normalen Entnazifizierungsverfahren ausgesetzt worden. Die Nachteile dieser Vorgehensweise, durch die Hirsch pensioniert wurde, traten erst in den späteren Jahren zutage. Das Fehlen aller Ehren angesichts seiner wissenschaftlichen Leistung fing an, für ihn und seine Gönner schwerer zu wiegen. Trotz fast völliger Blindheit war Hirsch auch im Alter von 57 Jahren zweifelsfrei noch nicht zum Rückzug bereit. Er verfaßte den Großteil seines wissenschaftlichen Werkes zwischen 1945 und seinem Todesjahr 1972, und er versammelte eine Gruppe von Anhängern unter der neuen Studentengeneration, die in diesen Jahren durch die Theologische Fakultät Göttingens ging, um sich herum. 111 Die erste Forderung nach einer Anhebung von Hirschs Status kam im Jahre 1949 von 91
sehen der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft. Sie erbat vom Göttinger Kurator einen Assistenten für seine wissenschaftliche Arbeit, besonders im Hinblick auf sein schlechtes Augenlicht.112 Der selbst gerade erst entnazifizierte Kurator Bojunga antwortete scharf, indem er Hirschs Schuld aus den Jahren des Dritten Reichs erwähnt: „Ich bin überzeugt, daß es auf seine Einsicht in die Aussichtslosigkeit einer weiteren Wirksamkeit an der hiesigen Universität zurückzuführen ist, wenn er unmittelbar nach dem Einmarsch der Amerikaner sein seit langen Jahren bestehendes Augenleiden zum Anlaß nahm, unter dem 30. 5. 45 seine Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit zu erbitten." 113 Bojunga zitierte auch die damalige Theologische Fakultät, die Hirsch die Schuld an den politischen Berufungen zweier Theologen, Birnbaum und Gerhardt, gab, die beide später entlassen werden mußten. Und „Prof. Smend äußerte sich vor kurzem mir gegenüber, wie ich Ihnen ganz vertraulich mitteilen möchte, sehr ungehalten über die jetzige charakterliche Haltung von Prof. Hirsch, die den Bemühungen von Prof. Smend um die Abwendung der Pensionsentziehung im Jahre 1945 in keiner Weise entspreche."114 1952 versuchte Birnbaum, jetzt als Vorsitzender des „Verbandes Amtsverdrängter Hochschullehrer" in Göttingen, für Hirsch zu intervenieren. Der damalige Rektor, der Theologe Wolfgang Trillhaas, wies zwar die Eingabe ab, informierte aber Hirsch. Dieser antwortete, daß er in Wirklichkeit nicht mit Birnbaums Verband zu tun habe, und lehnte die Vorstellung eines eigenen Bittgesuchs an den Rektor ab. Aber das bedeute nicht, daß er unter diesen Umständen „Désintéressement" empfinde.115 Trillhaas drückte Hirsch seinen Dank dafür aus, korrigiert worden zu sein, sowie seine Bereitschaft, die Sache mit Hirschs Status vor den Kurator und die Fakultät zu bringen. Allerdings sagte Trillhaas voraus, daß infolge der medizinischen Begründung von Hirschs Pensionierung das „Gesetz zum Abschluß der Entnazifizierung" auf seinen Fall nicht zutreffe, denn er war nicht „entnazifiziert" worden. Diese Vermutung sollte sich als richtig erweisen.116 1954 startete Birnbaum erneut einen Versuch, Hirschs Status in den eines Emeritus umzuwandeln.117 Als sein neuerlicher Vorschlag die Theologische Fakultät erreichte, wurde er angesichts von Hirschs Bedeutung als Theologe und seines weiterführenden Werkes angenommen. Aber die Fakultät wollte auch nicht zu direkt in diese Forderung einstimmen, um die Tatsache weder zu entschuldigen noch zu übersehen, daß Hirsch „in den Tagen des sog. ,Dritten Reiches' sowohl auf kirchen- wie auf hochschulpolitischem Gebiet zu den aktivsten und einflußreichsten Vertretern nationalsozialistischer Weltanschauung gehört hat." 118 In diesem delikaten Versuch, Hirschs Emeritierung gutzuheißen, ohne sich für sie stark zu machen, bestand die Fakultät auf einer weiteren Vorbedingung, die hilft, ihre weiterbestehende ablehnende Haltung gegenüber Hirsch zu verdeutlichen: „Während der Weimarer Republik ist es Professor Hirsch gelungen, sich der Vereidigung auf die Verfassung zu entziehen". Die Fakultät wollte nun seiner Emeritierung nur unter der Bedingung zustimmen, daß „es ihm nicht ein zweites Mal gestattet wird, seiner Ablehnung der demokratischen Staatsordnung durch Verweigerung des Beamteneides Ausdruck zu geben."119 Dieser Vorstoß, Hirsch zu rehabilitieren, schlug ebenso fehl wie ein weiterer zu seinen Gunsten seitens seines früheren Kollegen Professor Johannes Hempel, der wie Hirsch in schlechtem Ruf stand.120 In allen Fällen scheiterten die Anstrengungen an der Tatsache, daß Hirsch 1945 die Universität aus gesundheitlichen Gründen verlassen hatte. Neue Gesetze betrafen jeweils nur die Rehabilitierung solcher, die unter der Militärregierung aus politi92
sehen Gründen gelitten hatten. Hirsch behauptete zwar (nach Hempel), Papiere zu besitzen, die die gewaltsame Entfernung aus seinem Büro bewiesen, aber diese Unterlagen wurden niemals beigebracht. Die rechtliche Basis von Hirschs Pensionierung konnte nur auf eine Weise geändert werden, nämlich durch die Annahme eines erneuten Rufs auf einen Lehrstuhl. Dieser legale Ausweg war für die Wiedereinstellung einer (vorübergehend) dienstunfähigen Person zugelassen. Aber Hirsch war zu dem Zeitpunkt, als diese Möglichkeit erkannt wurde, auch aus Altersgründen dienstuntauglich. Er hätte noch Honorarprofessor werden können, aber diesen Schritt war die Göttinger Theologische Fakultät einfach nicht bereit zu machen.121 Ein unterschwelliger, aber wichtiger Faktor in all diesem Hin und Her muß in der stolzen und reizbaren Natur von Hirsch selbst gesehen werden. Es wird unter den Kollegen weitgehend der Eindruck geteilt, daß Hirsch seine politische Haltung nach 1945 niemals wirklich revidiert hat und daß es unmöglich war, mit ihm über Politik zu reden.122 Den besonderen Charakterzug verdeutlicht ein Vorfall von 1956. Im Hinblick auf die rechtliche Unmöglichkeit, Hirschs Status zu ändern, schlug Birnbaum vor, seinen Namen im Vorlesungsverzeichnis mit der Anmerkung „im Ruhestand" zu versehen und daß er Einladungen und Post wie ein Emeritus erhalten solle.123 Rektor Werner Weber bat den Dekan der Theologischen Fakultät um Rat und brachte seine Zustimmung sowie die Meinung zum Ausdruck, sich darin nicht von der Urheberschaft des Vorschlags (d.h. Birnbaum) beirren zu lassen.124 Weber erhielt darauf eine zustimmende Antwort und leitete den Vorschlag zur Einverständniserklärung an Hirsch weiter.125 Der aber antwortete scharf ablehnend. Er beschuldigte die Universität, nur halbherzige Versuche zu unternehmen, seinen Fall wiedergutzumachen, ohne aber seine angesichts der ungerechten Bedrängnis, in die er 1945 gebracht worden sei, entgangene Leistungsfähigkeit in Rechnung zu stellen. Seine lebenslange Verpflichtung zu Ehre und Klarheit zwänge ihn, die unaufrichtige und minimale Ehrung zurückzuweisen, die ihm jetzt angeboten werde.126 Für Hirsch wäre nur ein solcher Schritt annehmbar gewesen, in dem die Universität sich mit einer öffentlichen Erklärung von der Haltung des Staates distanziert hätte. Der dreiste Birnbaum, den ein Kollege aus jener Zeit als ein „Würmchen" neben Hirsch titulierte, erreichte seine Entnazifizierung auf andere Weise.127 In den Monaten nach der Einnahme Göttingens suchte er sowohl Major Beattie als auch Bischof Marahrens auf, um seine Position abzusichern. Er beantragte auch seine Emeritierung, aber ohne Erfolg. Am 17. September 1945 wurde er entlassen.128 Im Januar 1946 versuchte er, seinen Status von „entlassen" in „pensioniert" umzuwandeln, was sein Einkommen von Null auf 75 % der normalen Ruhestandsbezüge hätte hochschnellen lassen. Laut seiner Memoiren erklärten sich Rektor, Senat, Fakultät, Kurator und Militärregierung einverstanden; aber dann bemerkte der „Finanzgewaltige beim Oberpräsidenten", daß eine Pensionierung nur aus medizinischen Gründen erfolgen konnte, und vereitelte den Plan.129 1946 und 1947 ging Birnbaum vor zwei Entnazifizierungsausschüsse, die ihn beide in Gruppe ΠΙ einstuften, d.h. der starken und andauernden Unterstützung der nationalsozialistischen Ideologie für schuldig erklärten. Das zog sowohl das Verbot zu lehren als auch zu publizieren nach sich.130 Als 1948 die Entnazifizierung auf deutsche Stellen überging, strengte Birnbaum einen Prozeß mit drei verschiedenen Verfahren an, der 1951 mit seiner Rehabilitation endete.131 Die nächste Runde des Konflikts war bemerkenswert. Birnbaum erfuhr, daß trotz seiner juristischen Entlastung die Theologische Fakultät nicht bereit war, ihn wieder aufzunehmen. Hermann Dörries, zu der Zeit gerade Dekan, sagte ihm denn auch: „Wenn Sie je soll93
ten der Fakultät wieder aufgenötigt werden, lege ich sofort mein Amt nieder, und kein Ordinarius wird bereitsein, es zu übernehmen." 132 Der nächste Dekan, Zimmerli, bekräftigte die Hartnäckigkeit der Fakultät, und trotz der fragwürdigen rechtlichen Basis verhinderte die Fakultät erfolgreich die Rückkehr Birnbaums in ihre Reihen. 133 Die Kompromißlösung bestand darin, Birnbaum als Professor der Universität ohne Verpflichtung gegenüber einer Fakultät zu führen. Er brachte noch ein paar Jahre in Göttingen zu, versuchte einige Vorträge zu halten und die soziale Achtung zu ignorieren (z.B. daß Leute die Straßenseite wechselten, um zu vermeiden, mit ihm sprechen zu müssen). Aber dann gab er auf und zog 1958 nach München, obwohl er einen offiziellen Wohnsitz in Göttingen beibehielt, bis er im Jahre 1961 alt genug für seine Emeritierung war.134 Aufgrund seines vierjährigen Professorats von 1935 bis zum Kriegsausbruch 1939, plus seiner partiellen Dienstzeit von 1939 bis 1945, durfte Birnbaum von 1952 bis 1961 sein volles Professorengehalt und von 1961 bis zur Gegenwart seine Emerituspension beziehen. Das sah er nie als einen Vorteil an, vielmehr beklagte er sich immer bitterlich über die üble Behandlung durch die Universität und besonders durch die Theologische Fakultät nach 1945. Während er sich niemals fragte, ob sein enthusiastisches Eintreten für die DC und den Nationalsozialismus vielleicht falsch gewesen sein mag, und die politische Natur seiner Berufung leugnete, verglich er die Entnazifizierung an der Universität mit der Gleichschaltung der Nationalsozialisten nach der Machtergreifung und behauptete, jene habe weitaus mehr Menschen betroffen und sei zudem grausamer durchgeführt worden. Soweit Birnbaum ernstzunehmende Argumente anführt, werden sie durch den einseitigen und geradezu kriegerischen Ton seiner Ausführungen unterhöhlt. Er redet sich über Nebensächlichkeiten heraus, erklärt allen Widerstand gegen ihn als Resultat der BK-DC-Rivalität, ignoriert die nationalsozialistische Emphase in seinen Schriften, einschließlich seiner Rolle als Görings bevorzugter Vortragsredner, und zuguterletzt wischt er alle seine Kritiker mit der oft zitierten Phrase beiseite: „Nun ja, er war Bekenner." 135 In der Endbetrachtung scheint man bei der Säuberung der Göttinger Theologischen Fakultät noch das Beste aus der verfahrenen Situation gemacht zu haben. Es mag unangebracht gewesen sein, Hirsch vor der vollen Verantwortlichkeit für seine Rolle im Dritten Reich zu bewahren. Sie hätte ihm sicher die Entfernung aus der Fakultät, den Verlust jeglichen Einkommens und eine lange Zeit der Achtung eingebracht. Angesichts seines Alters und seiner Gebrechlichkeit ist es fast unmöglich, sich vorzustellen, er wäre aus seinem Haus gewiesen worden und hätte sich irgendwie auf eigene Faust durch die ersten Nachkriegsjahre schlagen sollen (Birnbaum fing zum Beispiel an, Schamottesteinöfen zu bauen und auf dem Schwarzen Markt Kuckucksuhren an die Amerikaner zu verkaufen). Wenn ihn eine solche Entwicklung schon nicht physisch vernichtet hätte, so wären ohne Zweifel seine intellektuellen Leistungen nach 1945, wenn nicht sogar ausgelöscht, so doch zumindest reduziert worden. Andererseits scheinen angesichts des Ausmaßes seiner Beteiligung an den Maßnahmen der Nazizeit weder die geringfügigen Herabwürdigungen noch die juristischen Hindernisse, die seine letzten Jahre einengten, eine übermäßig harte Bestrafung zu sein. Auch Birnbaum ist auf eine Weise bestraft worden, die zuerst materiell schwierig war und später für ihn psychisch schwer zu ertragen blieb. Die Frage, ob eine strafrechtliche Verfolgung in solchen Fällen angemessen gewesen wäre, ist schwer zu beantworten. Weder Birnbaum noch Hirsch töteten Juden. Demgegenüber unterstützten beide aktiv das nationalsozialistische Regime, manchmal mit bitteren Konsequenzen für die Personen um sie herum. Die Entscheidung der Theologischen Fakultät nach 1945, ihnen Einfluß und Ehre zu verweigern, scheint im Rückblick die passende Antwort auf ihr Verhalten und ihre Haltung gewe94
sen zu sein. Es mag sein, daß zu vielen Personen ein reibungsloser Übergang vom Dritten Reich in die Nachkriegszeit gewährt worden ist, ohne sich gründlich mit ihrer Haltung auseinanderzusetzen, die sie im Nationalsozialismus eingenommen hatten. Der Fall von Otto Weber zeigt vielleicht am deutlichsten, wie es angesichts der Komplexität des Problems auf die Nuance ankommt. Weber war nicht nur loyaler Parteigenosse136, sondern gehörte 1933, quasi ein Vorgänger von Birnbaum, der Reichskirchenführung unter Bischof Ludwig Müller als für die reformierten Christen ernannter „Kirchenminister" an. In dem inneren Zirkel der Reichskirchenführung war der 31jährige Weber mit den Verhandlungen mit der kirchlichen Opposition und der Ausarbeitung der Rahmenverfassung für alle Landeskirchen betraut.137 Diese Arbeit fand aber bei radikalisierten Anhängern aus der Leitung der D C wenig Gegenliebe, sie forderten Webers Entlassung.138 Nach zweimaligem Rücktritt 1933 aus dem „Geistigen Ministerium" 139 , Annäherung an die kirchliche Opposition 1 * 5 und alsbaldigem Wiedereintritt in die Kirchenleitung141 - ein Verhalten, das nach Scholder zeigt, daß Webers „Ehrgeiz noch immer seine Einsicht überwog" 142 — plante Weber in Zusammenarbeit mit Hirsch, Gogarten und dem ehemaligen Göttinger Privatdozenten Kittel zentral die Gleichschaltung der Theologischen Fakultäten,143 eine Tätigkeit, die auch zu Webers weiterer Karriere beitrug. Im Rahmen dieses Gesamtplans wurde durch die Berufung von Weber auf einen für ihn neu eingerichteten Lehrstuhl und von Gogarten an der Universität Göttingen ein „Schwerpunkt für die neue deutsche Theologie" geschaffen.144 Weber hatte, wie Birnbaum, vor seiner Berufung nicht promoviert. Anders als Birnbaum holte Weber die Promotion in einem ganz ungewöhnlichen Fall als Professor an der eigenen Fakultät nach. Webers Promotionsansinnen wurde, nachdem zwei Professoren der Fakultät dem angestrebten Vorhaben widersprochen hatten145, erst mit dem Einverständnis von Rektor Sommer144 und nachdem Weber von der Pflicht, in Göttingen studiert zu haben, befreit worden war147, in die Tat umgesetzt. Augenscheinlich als eine Gefälligkeitspromotion nahm die Fakultät die bereits veröffentlichte „Bibelkunde des Alten Testaments, Bd. I und Π" als Doktorarbeit an, obwohl diese Schrift, wie der Gutachter bemerkte, nach ihrem eigenen Anspruch nicht die Forschung des Alten Testaments fördern, sondern dem Unterricht des Alten Testaments dienlich sein wollte.148 Die mündliche Prüfung erfolgte am 7. 6. 1938 im Studierzimmer von Hirsch im Hainholzweg 66149, in der Weber über Probleme der Calvin-Forschung referierte150, einen Sachverhalt, über den er in den vergangenen Jahren Aufsätze veröffentlicht hatte.151 Prüfer in der mündlichen Promotionsprüfung des Professors Otto Weber waren seine Kollegen Hirsch, Gogarten und Gerhardt.152 Webers Promotionsurkunde datiert vom 8. 6. 1938.153 In seiner Amtsführung als Professor für reformierte Theologie, wie Weber seinen Lehrstuhl selbst bezeichnete154, sah es Weber beispielsweise als eine Aufgabe an, seine Verbindungen in die Schweiz im Interesse der Werbung um Verständnis für „unser nationalsozialistisches Deutschland" zu nutzen und „kirchliche Greuelmärchen" zu entkräften.155 1939 wurde Weber dann als Nachfolger von Hirsch bis Kriegsende Dekan der Theologischen Fakultät. Dennoch überstand er das Jahr 1945 ziemlich unbeschädigt und war später sogar Rektor der Universität. Birnbaum griff Weber in dem Revisionsverfahren zu Hirschs Rechtfertigung erbittert an: „Man kann nicht mit einer besonderen politischen Belastung Hirschs rechtfertigen; sein Nachfolger im Dekanat, Prof. Otto Weber, Dekan 1939 -1945, hat nicht die kritische Haltung Hirschs und dessen Mut zur Opposition gezeigt, sondern er galt bei uns als partei- und
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behördenfromm . . . ; aber er hatte - um nicht mehr zu sagen — geeignete Freunde, so daß er nach 1945 nicht eine Stunde entlassen gewesen ist und unter dem Rektorat Smend bereits wieder im Senat saß!" 156 Weber aufgrund von dessen Werdegang in dieselbe Ecke zu stellen wie sich selbst und Hirsch, verdeutlicht die Abwesenheit jedes Differenzierungsvermögens, die auch Birnbaums Autobiographie kennzeichnet. Zu sagen, Weber habe nicht Hirschs Talent zur Opposition gehabt, heißt nur zuzugestehen, daß er nicht so viele Leute angegriffen oder so viele Unrechtmäßigkeiten begangen hat. Zwar war seine Berufung nach Göttingen eine politische wie bei Birnbaum — im Gegensatz zu dieser erscheint Webers Berufung aber nicht als letzter Ausweg aus einer persönlichen Zwangslage —, seine Amtsführung aber war kein Blitzableiter für Kontroversen. Webers direkte Schuld war einfach viel geringer als die jedes seiner beiden Kollegen. Entscheidend für seine andere Behandlung war sein reumütiges Verhalten und seine Kooperationsbereitschaft nach 1945, die ganz im Gegensatz zu der Unverbesserlichkeit von Hirsch und Birnbaum stand. Als dem früheren Rektor Smend Birnbaums Vorwürfe gegen Weber gezeigt wurden, widersprach er ganz energisch. Laut Smend blieb Weber in seiner Position, weil er die Zustimmung sowohl der Theologischen Fakultät, des Rektors, des Senats, der Militärregierung als auch der evangelischen Kirche, vertreten durch Karl Barth, erhielt. Smend fügte hinzu, daß der Lehrbetrieb ohne Webers gewaltige Leistung — sowohl vor als auch nach dem Zusammenbruch — für „das gesamte Fürsorgewesen für die Studentenschaft" gar nicht hätte aufgenommen werden können. 1 5 7
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So schrieb z.B. Paul Althaus: „Unsere evangelischen Kirchen haben die deutsche Wende vor 1933 als ein Geschenk und Wunder Gottes begrüßt." Vgl. Althaus (1934), S. 5 Vgl. Trillhaas (1976), S. 88, 97 f. UAG, TF, 17. Nr. 3 7 - 4 0 , 52, 7 0 - 7 8 . Das Göttinger Tageblatt vom 18. 2. 31 berichtete von der Studentendemonstration unter der Schlagzeile „Fackelzug der Studentenschaft für Prof. Dr. Hirsch". Eine Bestätigung von Hirschs exzellenter Lehrbefähigung erhielt ich auch von Prof. Götz Harbsmeier in einem Interview vom 13. 12. 72. Harbsmeier studierte von 1 9 3 0 - 3 5 unter Hirsch und lehrte später an der Göttinger Fakultät. Vgl. Schütte (1972). Trillhaas (1972), S. 602, schrieb: „Man wäre geneigt zu sagen: Hirsch war der letzte Fürst der in den Reichtümern der Bildung beheimateten evangelischen Theologie." Hirsch meldete sich am 3. 8. 14. Er war damals Stiftsinspektor und trug sein Bedauern ins Stiftsbuch ein, nicht angenommen worden zu sein. Des weiteren beschreibt er den Klang der des Nachts an seinem offenen Fenster vorbeimarschierenden Truppen und den Eindruck, den das auf ihn machte. Den Stiftsbucheintrag beschrieb mir Prof. Walther Zimmerli in einem Interview vom 29. 10. 1982. Schjerring (1979), S. 56 - 64, zeigt Hirschs Kriegsbegeisterung und dessen Verbitterung auf Versailles in seiner Studie über Hirsch auf. Vgl. z.B. Hirsch (1935) Vgl. z.B. Zähmt (1966) oder Nicholls (1969) Zur weiteren Erörterung dieses Themas vgl. Ericksen (1985, 1986). Zur Illustration von Hirschs politischer und intellektueller Haltung in den zwanziger Jahren vgl. Hirsch (19253) Göttinger Tageblatt, 9./10. 4. 32, „Ich werde Hitler wählen!" Dieser Aufruf Hirschs, abgegeben am 8. 4. 32, verfolgte ganz klar die Absicht, zur Wahl Hitlers zu ermutigen. Hirschs Parteimitgliedsnummer war 5 076 856, datiert auf den 1. 5. 37. Vgl. UAG, TF, 17. Nr. 3. Dieses Datum erklärt sich dadurch, daß die Parteimitgliedschaft seit der Zeit der sogenannten „Märzgefallenen" von 1933 bis Mai 1937 gesperrt worden war.
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Scholder (1977), S. 417 Dieser Vorfall ist oft beschrieben worden. Vgl. beispielsweise Wright (1977), oder Scholder (1977) 14 Zum Ausblick auf die Differenzen zwischen „intakter" Lutherischer Landeskirche Hannover und der barthianischen BK vgl. Klügel (1964) 15 Im Frühjahr 1934 war im Umfeld der Reichskirchenleitung der Ausbau Göttingens zu einem „Schwerpunkt für die neue deutsche Theologie" beschlossen worden. Vgl. Scholder (1985), S. 91 16 Dörries' Parteinummer war 2372330 mit Eintrittsdatum 1. 5. 33, vgl. UAG, Κ, IX. 85 17 Zitiert in Schjerring (1979), S. 171 f. 18 LKA, L2 4a Bd. 1, Hirsch an Marahrens, 15. 4. 33 19 Für eine ausführliche Darlegung dazu vgl. Hirsch (1933) 20 Marahrens an Paul Althaus, 19. 5. 33. Ich sah diesen Brief im Nachlaß Althaus', in den mich sein Sohn, Pf. Gerhard Althaus, freundlicherweise Einblick nehmen ließ. 21 So etwa im Juli 1934, als Hirschs ehemaliger Beraterkollege von Reichsbischof Müller, Fezer (Scholder [1977], S. 417) ebenso wie andere sich nicht an dem Verfassungsausschuß beteiligten. Vgl. Scholder (1985), S. 272 22 Zur Bedeutung von Hirsch in den Auseinandersetzungen um die Reichskirchenleitung vgl. Scholder (1977) und ders. (1985) 23 Interview mit Dörries, 14.10. 72 24 Diese Erklärung gab mir Prof. Walther Zimmerli in einem Interview am 29. 10. 82 und wurde von Prof. Wolfgang Trillhaas in einem Interview am 2. 11. 82 bestätigt. 25 UAG, TF, 12, Nr. 33. Die Bedeutung dieser Position im NSD-Dozentenbund gab mir Prof. Trillhaas zu verstehen. 26 Adolf Wischmann an Prof. Trillhaas, 18. 3. 82. Diesen Brief zeigte mir freundlicherweise Prof. Trillhaas. 27 UAG, TF, 140. Hirsch an Kirchenrat Mattiat, Ministerium f. Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, 14. 2. 34 28 UAG, TF, 140. REM an die Rektoren, 10.1. 35 29 UAG, TF, 140. REM an die Kuratoren, 28. 2. 35 30 UAG, TF, 140. Stange, Meyer, Bauer, Dörries, von Campenhausen und Hoffmann an den REM, 12. 3. 35; Hirsch an den REM. Jene sechs Dozenten waren es auch, die neben dem neu berufenen Joachim Jeremias auf die ministerielle Rundfrage, wer alles an der Augsburger Bekenntnissynode im Juni 1935 teilgenommen habe, entweder lapidar mit „Nein" oder mit dem Hinweis anworteten, das sei ihre Privatsache und falle in den Bereich ihres christlichen Gewissens. Vgl. UAG, R, 3202b. Diesen Hinweis verdanke ich R. Umbach. 31 UAG, S, 10, Lid. Nr. 599 (5). Disziplinarangelegenheiten 1931-1936 32 Zu dem komplexen Sachverhalt der Berufung von Birnbaum und Jeremias, auf den hier im einzelnen nicht näher eingegangen werden kann, vgl. UAG, R, 3202b. Birnbaum (1973), S. 206 f., will dagegen durch die Annahme der vorläufig noch provisorischen Professur das Ministerium aus einer Verlegenheit befreit haben. 33 Diese Version bekam ich von einem langjährigen Mitglied der Theologischen Fakultät zu hören. Obwohl ich sie nicht verifizieren kann, glaube ich, daß sie gut mit den Persönlichkeiten der beiden Männer übereinstimmt. Einer der damaligen Studenten, der jetzige Bischof von Oldenburg, HansHeinrich Harms, konnte sich in einem Gespräch mit R. Umbach am 30. 1. 82 ebenfalls gut an dieses Bonmot Hirschs erinnern. 34 Birnbaum (1973), S. 127 und 248. In Akten der Universität, vgl. UAG, Κ, IX.97,1, wird Birnbaum in „Statistische Angaben über den Stand der Reinigungsarbeiten ab 1. 3. 1946" als NSDAPMitglied, allerdings ohne Parteinummer oder Eintrittsdatum, geführt. » Birnbaum (1973), S. 139 36 ebd., S. 1 5 6 - 5 9 37 ebd., S. 190 f. 38 ebd., S. 194 39 ebd., S. 210 40 LKA S1 HU 133a, Wolfgang Schroeder an Pf. Klügel, 25. 7. 35 41 UAG, TF, 152. Fachschaftsleiter an Dekan 15. 6. 37. Den Hinweis auf den Wettkampfbeitrag verdanke ich R. Umbach. 13
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UAG, TF, 140, REM an Dekane 6. 6. 35 UAG, TF, 140. Hirsch an REM 17. 6. 35. Hirsch schrieb ebenfalls am 13. 6. 35 ins Ministerium an Mattiat. In diesem Brief berichtet er von Bischof Marahrens' Unterstützung der BK, einschließlich seiner Billigung des Beschlusses auf der Augsburger-BK-Synode, für den Ersatzunterricht einzutreten. 44 UAG, TF, 140, Rust an die Evangelischen Theologischen Fakultäten, 4. 7. 35 45 UAG, TF, 140, Hirsch an Mattiat, 6.11. 35 46 UAG, TF, 140, Präsident Schnelle an Hirsch, 23. 11. 35 47 UAG, TF, 140, Hirsch an Schnelle, 3. 12. 35 48 Ein solcher Vergleich der Teilnehmerzahlen zwischen zwei Seminaren ist angesichts des drastischen Rückgangs der Zahl der Theologiestudenten (s. unten) in Bezug auf etwaige Boykottendenzen wenig aussagekräftig. 49 Birnbaum, der sehr viel später, in seiner Biographie (1973), S. 229, seinen angeblich großen Lehrerfolg bei den Studenten herausstellte, bereitete zwei Stellungnahmen vor, beide auf den 22. 11. 35 datiert, beide in UAG, TF, 140. 50 In einem früheren Brief an Mattiat schrieb Hirsch (26.11. 35): „Es dürfen um Gottes Willen nicht Märtyrer geschaffen werden." 51 UAG, TF, 140, „Urteil des Dekans der Theologischen Fakultät über das zweckmäßig einzuschlagende Verfahren", abgesandt an Mattiat am 22. 11. 35 52 UAG, TF, 140, REM an den Kurator, 14. 12. 35 53 Edmund Bode, später im Krieg gefallen, taucht in den Akten als namentlich genannter „Studentenführer" am häufigsten auf. Offiziell wegen Fernbleibens von einem Fachschaftslager in Rittmarshausen, in Wirklichkeit aber wohl wegen der von ihm mitgetragenen Arbeit in der BK-„Gegen"-Fachschaft entzog Hirsch ihm und seinem Kommilitonen Hans Heinrich Harms die Berechtigung, ein weiteres Semester im Theologischen Stift zu wohnen; vgl. UAG, R, 1136. 54 UAG, TF, 140, Hirsch an REM, 23.12. 35 55 LKA, S 1 H II 133a, „Ersatz für die Birnbaumschen Seminare", 2.11.35. Hoffmann war von Dörries für diese Aufgabe vorgeschlagen worden. 56 UAG, TF, 140, Hirsch an Hoffmann, 23. 12. 35 57 ebd., Hoffmann an Hirsch, 1. 1. 36 58 ebd., Hirsch an den Minister, „vertraulich", 3. 1. 36 59 ebd., REM an die Universitätskuratoren, 15. 1. 36 60 ebd., Hirsch an den Kurator, 21. 2. 36 61 ebd., Hirsch an den Dozenten Dr. Freiherr von Campenhausen, 25. 2. 36 62 ebd., von Campenhausen an Hirsch 29. 2. 36 63 ebd., Hirsch an von Campenhausen, 3. 3. 36 64 Vgl. Klügel, S. 326 f. 65 UAG, TF, 140, Hirsch an den Minister, 13. 11. 36 66 ebd., REM an die Dekane, 17. 11. 36 67 ebd., Hirsch an den Superintendenten Dr. Lueder, 24.11. 36 " ebd., Hirsch an REM, 24. 3. 37 69 ebd., REM (im Auftrag Mattiat) an das LKA Hannover, 16. 4. 37 70 ebd., Heinz Rettberg an den Minister, 16. 2. 37 71 ebd., Hirsch an den REM, 19. 2. 37, und REM an Hirsch, 22. 3. 37 72 ebd., Hirsch an den Kurator, 14. 8. 37 73 ebd., Hirsch an den Rektor, 26.10. 37 74 Vgl. UAG, R, 9354 (7) Verbot der Deutsch-Christlichen Studentinnen Bewegung und 9354 (8) Verbot der Deutsch-Christlichen Studenten Vereinigung. 75 UAG, R, 9354 (8) Rektor: Gründe für Verbot DCSV, 29. 12. 37 76 UAG, R, 9354 (7) Dekan Hirsch an Rektor 26. 10. 37 77 UAG, R, 9354 (8) Rektor: Beschluß Verbot DCSV 29. 12. 37 78 In einem Brief an den Kurator vom 17. 1. 38 wird berichtet, daß eine Gruppe BK-Studenten als politische Gruppierung eingestuft und namentlich der Gestapo gemeldet wurde. Eine Liste mit den Namen von 10 Personen liegt dem Schreiben bei. Vgl. UAG, TF, 150. 43
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UAG, R, 9354 (7) REM an Kurator (Runderlaß) 9. 6. 38 Zur kirchlichen Kritik an dieser Arbeit vgl. LKA S 1 H II 132, „Der Rat der EvangelischLutherischen Kirche Deutschlands, An die Bekenntnisgemeinschaft der evang. Luth. Landeskirche Hannovers", 8. 9. 36, ein mit „Stoll" unterzeichnetes Dokument 81 Die zweite Arbeit wird kritisiert in LKA S 1 H II 132. „Zu den im Erlaß des Herrn Reichsministers für die kirchlichen Angelegenheiten . . . vom 16. Mai 1938", S. 3. Dies Dokument stellt einen Entwurf zu einer Stellungnahme gegen den Erlaß dar. 82 Dafür finden sich Belege in LKA S 1 H II 133 a, z.B. Minister für kirchliche Angelegenheiten an die Landeskirche, 15. 8. 38 83 UAG, TF, 140. Hirsch an die Mitglieder der Theologischen Fakultät „im weitesten Sinne", 15. 5. 37 84 Einen Bezug auf diesen Erlaß enthält LKA, S 1 H II 133 und 133 a 85 Vgl. LKA, S 1 H II 133 a, „Ordnung für die Pfarrverwesung in der Hannov. ev. luth. Landeskirche", ein mit L. Fündling, Wietzendorf, den 22. 5. 38, unterzeichnetes fünfseitiges Dokument. 8 « Die Petitionen finden sich im LKA, S 1 H II 133 87 LKA, S 1 H II 133 a, „Denkschrift: Die Zukunft der theologischen Prüfungen", Juni 1938, S. 2 88 ebd., S. 3 89 ebd., S. 4 90 LKA, S 1 H II 133 a, Marahrens, Tagebuch Nr. 2490, 16. 6.1938 9 ' ebd. 92 LKA, S 1 H II 133 a, Reichsminister für die kirchlichen Angelegenheiten (im Auftrag Stahn) an die Kirchenregierung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannover, 15. 8. 38 93 ebd. 94 LKA, S 1 Η Π 133 a, Hirsch an die Studenten der Theologie 16. 8. 38 95 LKA, S 1 H II 133 a, Oberlandeskirchenrat Stalmann an Marahrens, 27. 8. 38, S. 2. Stalmanns Name taucht in diesem Brief nicht auf, aber ein nachfolgendes Schreiben aus dieser Akte von Stalmann an Oberlandeskirchenrat Meyer legt sowohl vom Schrifttyp als auch vom Inhalt her nahe, daß Stalmann der Absender und somit der Autor des Briefes an Marahrens gewesen sein muß. 96 LKA, S 1 H II 133 a, „Erwägungen zum Schreiben vom 27. 8.", von Marahrens paraphiert. Das stellt eine Reaktion auf Stalmanns Bericht und sein Treffen mit Hirsch dar. 97 Das folgere ich aufgrund eines Briefes von Stalmann an Meyer, 9. 9. 38, in LKA, S 1 Η Π 133 a, in dem Stalmann erklärt, daß er die Herbstprüfungen vorbereitet. Er bedauert, Meyer darüber informieren zu müssen, daß er mit Birnbaum prüfen müsse, aber daß kein ausgesprochener BKStudent in seiner Prüfungsabteilung sei. 98 UAG, TF, 152, Hirsch an REM 3. 9. 37 99 ebd., REM an Hirsch 19. 10. 37 100 Der Briefwechsel findet sich in UAG, TF, 152. Den Hinweis auf die Sonderbehandlung der Theologiestudenten verdanke ich R. Umbach. 101 Vgl. Ch. Lorenz (1943), Bd. 1 102 Birnbaum, S. 232 f. 103 ebd., S. 236. Birnbaum beklagt sich darüber, daß er trotz seiner verschiedenen Dienste, besonders als meistgefragter „Luftwaffenredner", und ungeachtet des Vorschlags eines Oberleutnants, ihm das „Ritterkreuz am weißen Bande" zu verleihen, nicht einmal mit einem niedrigeren Orden ausgezeichnet worden sei. 104 Trillhaas (1976), S. 211 f. 105 UAG, TF, 17, Nr. 159 106 UAG, TF, 17, Hirsch an Rektor Smend 30. 5. 45 107 Diese Ansicht kam in Interviews mit den Professoren Dörries (14. 10. 72), Jeremias (14. 10. 72), Harbsmeier (13. 10. 72) und Trillhaas (2. 11. 82) zum Ausdruck. Sie taucht auch in einem Schreiben des Kurators an Zierold vom 11. 10. 49 (UAG, TF, 17, Nr. 184) auf. 108 UAG, TF, 17, Nr. 172 109 UAG, TF, 17, Rektor an Kurator, 25. 6. 45 110 UAG, TF, 17, Rektor an Kurator, 13. 6. 45 111 Dieser Vorgang wird zum Beispiel von Trillhaas (1976) S. 218 berichtet. 80
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UAG, TF, 17, Dr. Zierold, Geschäftsführender Vizepräsident der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft, an den Kurator (Bojunga), 7. 10. 49 113 UAG, TF, 17, Nr. 184, Kurator an Zierold, 11. 10. 49 ut ebd. 115 UAG, TF, 17, Nr. 186, Hirsch an den Rektor, 12. 2. 52 116 UAG, TF, 17, Nr. 185, Rektor (Trillhaas) an Hirsch, 14. 2. 52 117 UAG, TF, 17, Nr. 188 f., Birnbaum, Vorsitzender des Verbands amtsverdrängter Hochschullehrer e.V., Hochschulgruppe Göttingen, an Oberbürgermeister Abg. Föge, 26. 9. 54 118 UAG, TF, 17, Der Dekan der Theologischen Fakultät an den Rektor, 29. 2. 56 u ' ebd. UAG, TF, 17, Nr. 219 u. 222, Prof. Hempel an den Dekan, 13. 2. 59, und an den Kurator, 3. 5. 59 121 UAG, TF, 17, Rektor an den Dekan, 9. 10. 56, und Der Niedersächsische Kirchenminister an den Kurator, 6. 2. 57 '22 Interviews mit Harbsmeier, Dörries und Jeremias 123 UAG, TF, 17, Nr. 196, Birnbaum an den Rektor, 12. 11. 56 12" UAG, TF, 17, Nr. 197, Rektor an den Dekan, 19. 11. 56 125 UAG, TF, 17, Nr. 199, Rektor an Hirsch, 8. 12. 56 126 UAG, TF, 17, Nr. 200, Hirsch an den Rektor, 12. 12. 56 127 Für Birnbaums Ansichten zu seiner Entnazifizierung und seinem Kampf, sie zu meistern, vgl. die S. 242 - 278 seiner Autobiographie. Das Kapitel trägt bezeichnenderweise die Uberschrift „Im dunklen Tal - kein Unglück". Archivdokumente sind zu finden in LKA S 1 Η II 133 und 133 a 128 Birnbaum, S. 2 4 2 - 2 5 1 '2' ebd., S. 253 130 ebd., S. 255 f. 1 3 1 ebd., S. 262 - 268 132 zitiert in Birnbaum, S. 269 133 Laut Birnbaum, S. 272, protestierte sogar die Juristische Fakultät wegen der Illegalität dieses Standpunkts der Theologischen Fakultät. 134 Birnbaum, S. 289 1 3 5 ebd., S. 246 136 Weber hatte die Parteinummer 2832208, Eintrittsdatum 1. 5. 33. Vgl. UAG, Κ, IX, 85 1 37 Scholder (1977), S. 682 u. 692 »8 ebd., S. 718 i3» ebd., S. 723 u. 730 1« Scholder (1985), S. 53 m Scholder (1977), S. 724 und ders. (1985), S. 88 1« Scholder (1985), S. 88 1 « ebd., S. 91 1 4 4 ebd. 145 UAG, Promotionsakte Nr. 398, Otto Weber, Hirsch an Rektor, 3. 5. 38 146 UAG, Promotionsakte Nr. 398, Rektor an Dekan 18. 6. 38 147 UAG, Promotionsakte Nr. 398, Weber an Dekan 17. 5. 38 148 UAG, Promotionsakte Nr. 398, Beurteilung der Promotionsschrift. Unterzeichnet ist die Beurteilung von Baumgärtel, einverstanden erklärt haben sich Hirsch und Gerhardt. 149 UAG, Promotionsakte Nr. 398, Hirsch an Rektor, 20. 5. 38 15° UAG, Promotionsakte Nr. 398, Hirsch an Baumgärtel und Gerhardt 151 Vgl. Schriftenverzeichnis Otto Weber in UAG, Promotionsakte Nr. 398 152 UAG, Promotionsakte Nr. 398, Niederschrift Promotionsprüfung 7. 6. 38 153 UAG, Promotionsakte Nr. 398 154 UAG, Promotionsakte Nr. 398, Lebenslauf (ohne Datum) 155 UAG, R, 3202 b, Weber an PMW, 4.10. 1934 156 UAG, TF, 17, Nr. 159, Birnbaum an Oberbürgermeister Abg. Föge, 26. 9. 54 157 UAG, TF, 17, Nr. 207, Prof. R. Smend an den Kurator, 23. 4. 58. Diese positive Ansicht über Weber wird durch Zimmerli in einem Interview bekräftigt, 29. 10. 82. 112
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Quellen- und
Literaturverzeichnis
Ungedruckte Quellen Akten des Universitätsarchivs Göttingen (UAG) Landeskirchliches Archiv Hannover, S 1 H II 133, S 1 H II 133 a. Dokumentierte Gespräche mit mit mit mit mit
Prof. Prof. Prof. Prof. Prof.
Dr. Dr. Dr. Dr. Dr.
Hermann Dörries am 14.10. 72. Götz Harbsmeier am 13. 10. 72. Joachim Jeremias am 14.10. 72. Wolfgang Trillhaas am 2.11. 82. Walter Zimmerli am 29. 10. 82.
Gedruckte Quellen und Literatur P. Althaus (1934 3 ) Die deutsche Stunde der Kirche, Göttingen W. Birnbaum (1973) Zeuge meiner Zeit. Aussagen zu 1912 bis 1972, Göttingen R. P. Ericksen (1985, 1986) Theologians under Hitler: Gerhard Kittel, Paul Althaus and Emanuel Hirsch, New Haven, deutsche Ubers., München E. Hirsch (1925 3 ) Deutschlands Schicksal. Staat, Volk und Menschheit im Lichte einer ethischen Geschichtsansicht, Göttingen ders. (1933) Das kirchliche Wollen der deutschen Christen, Berlin ders. (1935) Christliche Freiheit und politische Bindung. Ein Brief an Dr. Stapel und anderes, Hamburg ders. (1936) „Die Lage der Theologie", Deutsche Theologie, 2/3 ders. (1936) Das Alte Testament und die Predigt des Evangeliums, Tübingen E. Klügel (1964) Die Lutherische Landeskirche Hannovers und ihr Bischof 1933 - 1 9 4 5 , Berlin CH. Lorenz (1943) Zehnjahres-Statistik des Hochschulbesuchs und der Abschlußprüfungen, Bd. 1. Hochschulbesuch. Hrsg. vom Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, Berlin W. Nicholls (1969) Systematic and Philosophical Theology, Harmondsworth J.-H. Sch)0rring (1979) Theologische Gewissensethik und politische Wirklichkeit: Das Beispiel Eduard Geismars und Emanuel Hirschs, Göttingen K. Scholder (1977) Die Kirchen und das Dritte Reich. Bd. 1: Vorgeschichte und Zeit der Illusionen 1 9 1 8 - 1 9 3 4 , Stuttgart ders. (1985) Die Kirchen und das Dritte Reich. Bd. 2: Das Jahr der Ernüchterung. 1934. Barmen und Rom, Stuttgart H.-W. Schütte, Hrsg. (1972) Bibliographie Emanuel Hirsch, Berlin W. Trillhaas (1972) „Repräsentant und Außenseiter einer Generation", Evangelische Kommentare, 5 ders. (1976) Aufgehobene Vergangenheit. Aus meinem Leben, Göttingen J.R.C. Wright (1977) „Uber den Parteien". Die politische Haltung der evangelischen Kirchenführer 1918 - 1 9 3 3 , Göttingen H. Zahrnt (1966) Die Sache mit Gott. Die protestantische Theologie im 20. Jahrhundert, München
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Eine „Pflanzstätte bester nationalsozialistischer Rechtsgelehrter Die Juristische Abteilung der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät FRANK HALFMANN
„Nicht der Geist, nicht die Idee, nicht die Vernunft an sich beherrscht unser Rechtsleben. Vielmehr ist das Blut als unzerstörbare Einheit von Körper und Geist, von Leib und Seele zugleich Ausgangspunkt und Ziel des R e c h t s . . . . So wird auch die Wissenschaft vom Recht, von der Lebensordnung des Volkes mit der großen, durch die nationalsozialistische Revolution eingeleiteten Zeitenwende, eine grundlegende Wandlung erfahren." Karl Siegert, Ziele und Wege des deutschen Rechts (1937), S. 119 f. und 136 An Publikationen zu dem Komplex „Recht und Nationalsozialismus" herrscht mittlerweile wahrlich kein Mangel mehr 1 . Nur vereinzelt trifft man freilich auf Darstellungen, die sich mit den Konsequenzen jener Ara zwischen 1933 und 1945 für die „Gelehrtenrepublik" einer Universität befassen. Meines Wissens haben bisher allein Erich Döhring in seiner „Geschichte der juristischen Fakultät" an der Christian-Albrechts-Universität Kiel, die den Zeitraum von 1665 bis 1965 umspannt2, und Birgit Vezina in ihrer Dissertation „ ,Die Gleichschaltung' der Universität Heidelberg" den Versuch unternommen, der Periode des „Dritten Reiches" auf diesem Feld gerecht zu werden3. Nichts davon findet sich in Wilhelm Ebels Festvortrag „Zur Geschichte der Juristenfakultät und des Rechtsstudiums an der Georgia Augusta", den er im Mai 1960 aus Anlaß der Einweihung des Collegium Juridicum gehalten hat 4 . Das Versäumte wenigstens ansatzweise nachzuholen, hat dieser Beitrag zum Ziel. Dabei sollen — nach einem komprimierten Blick auf die Situation der juristischen Abteilung in der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät während der Weimarer Republik — vor allem die gravierenden Veränderungen im Lehrkörper nachgezeichnet werden. Immerhin sind alle zehn ordentlichen Professoren des Rechts, die das Personal- und Vorlesungsverzeichnis für das Sommersemester 1933 aufführte, im Laufe der nächsten fünf Jahre aus ihrem Amt geschieden. Vier von ihnen traten aus Altersgründen in den Ruhestand, die anderen mußten jedoch ihre Lehrstühle mehr oder weniger unfreiwillig räumen. Vorgestellt wird ferner der Kreis zumeist jüngerer Rechtslehrer, die sich als nationalsozialistische Avantgarde verstanden und entschlossen die Aufgabe anpackten, die Göttinger Juristenfakultät binnen Kürze nach ihrem Weltbild umzugestalten. In welchem Ausmaß ihnen dieses Vorhaben gelungen ist, kann anhand des Konzepts überprüft werden, das sie entworfen haben. Der Artikel schließt mit einem Blick auf die Kontinuitätsproblematik: der Wiedergutmachung an den Opfern des Nationalsozialismus einerseits und der Entnazifizierung der nationalsozialistisch belasteten Juristen der Fakultät andererseits5.
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1. Die Situation während der Weimarer Republik 1.1 Die politische Einstellung der Professoren Dem Verhältnis der deutschen Hochschullehrer zum demokratischen Verfassungsstaat, der im Jahre 1919 als Folge des Ersten Weltkriegs aus der Taufe gehoben wurde, ist eine Reihe von Abhandlungen gewidmet6. Der allenthalben konstatierte fest strukturierte Konservatismus des weit überwiegenden Teils der Professorenschaft dominierte in Göttingen ebenfalls (S. 35). Professor Wolfgang Kunkel, von 1929 bis 1936 als Ordinarius für Römisches und Bürgerliches Recht an der Georgia Augusta, kolportierte in seinem Münchener Vortrag über den „Professor im Dritten Reich" den Ausspruch eines der beiden Vertreter des Öffentlichen Rechts über die Reichsfarben der Weimarer Republik. In gespielter Zerstreutheit pflegte er zur Belustigung seiner Hörer zu stammeln: „Die Reichsfarben — ach, wie sind sie doch, ich habe sie schon wieder vergessen: ach ja, schwarz, rot, gelb sind sie." 7 Der andere bei Kunkel erwähnte Publizist, der Völkerrechtler Professor Herbert Kraus, ab 1928 in der Fakultät, wird von ihm gleichermaßen als alter Konservativer apostrophiert, dem „jede Massenbewegung ein Greuel war" 8 , welcher politischen Couleur auch immer. Im Frühjahr 1929 erbot sich dieser, im Auftrage von Rektor und Senat ein Gutachten darüber anzufertigen, wie die Universität die offiziellen Verfassungsfeiern am 11. August eines jeden Jahres vermeiden könne 9 . In seinen Seminaren versammelten sich vorzugsweise Sprößlinge aus blaublütigem Hause, weil sie häufig - der Tradition gehorchend - eine Karriere im Auswärtigen Dienst anstrebten10. Unter anderem diesen „Umgang" sowie seine verzweigte Kommunikation mit internationalen Institutionen nahmen ihm die Nationalsozialisten derart übel, daß sie ihn später — wie noch en détail zu berichten sein wird — aus seinem Amt drängten. Den meisten übrigen Professoren attestierte Kunkel eine ähnliche politische Haltung. Sie seien in ihrer Mehrheit bestenfalls indifferent gegenüber der Weimarer Republik gewesen. Kaum einer dieser Gruppe habe die Demokratie offen verketzert; für sie einzutreten, sei ihnen aber ebensowenig in den Sinn gekommen. Als sich die Fronten zwischen den Parteien im Reichstag zu Beginn der dreißiger Jahre verhärteten, sei auch unter den Professoren, die sich innerlich mit der Verfassung arrangiert hatten, die Bereitschaft zur Loyalität geschwunden. Prof. Kunkel gesteht freimütig ein, daß er selbst in einer eher konservativ eingefärbten Familie aufgewachsen und von ihr geprägt worden ist. Er habe durchweg die Deutsche Volkspartei mit ihrem nationalliberalen Programm gewählt und erst bei der letzten Reichstagswahl vor Hitlers „Machtergreifung" seine Stimme den Sozialdemokraten anvertraut, weil er sich von ihnen im Bündnis mit der Arbeiterschaft einen erfolgreichen Widerstand gegen das „drohende Verhängnis" erhofft habe11. Robert von Hippel, der Senior unter den juristischen Doctores, im Jahre 1899 als Strafrechtler an die Universität Göttingen berufen, bekannte sich 1936 in einem Fragebogen des Reichswissenschaftsministeriums zur Mitgliedschaft in der Deutschen Volkspartei bis 192912. Vor dem Ersten Weltkrieg gehörte er dem Vorstand ihrer Vorläuferin, der Nationalliberalen Partei, in Göttingen an und beklagte in einem Redebeitrag auf der vaterländischen Kundgebung der Universität am 19. Oktober 1918 die militärische Niederlage des Deutschen Reiches und die sich abzeichnenden Konturen des Friedensschlusses13. Mit einem vergleichbaren geistigen Hintergrund war Gerhard Leibholz ausgestattet, als 103
er 1931 die neu eingerichtete dritte Professur für Öffentliches Recht übernahm. Er entstammte einem wohlhabenden jüdischen Fabrikantenhause in Berlin 14 . Seine ersten bedeutsamen staatsrechtlichen Veröffentlichungen über die „Gleichheit vor dem Gesetz" (1925), zu den „Problemen des fascistischen Verfassungsrechts" (1928), über das „Wesen der Repräsentation" (1929) und die „Auflösung der liberalen Demokratie in Deutschland und das autoritäre Staatsbild" (1933) verraten — getreu seiner Erkenntnis, daß es „eine voraussetzungslose, wertfreie Wissenschaft nicht g i b t . . . und daß insbesondere die öffentlichrechtlichen Disziplinen in diesem Sinne einen besonderen, nämlich politischen Akzent haben" 1 5 - ein liberal-konservatives Staatsverständnis. Bei aller gebotenen Vorsicht scheint mir die Einschätzung gerechtfertigt, daß Leibholz zu jener Zeit zwar keineswegs daran mitwirken wollte, dem Parlamentarismus das Lebenslicht auszublasen. Gegen eine Stärkung staatlicher Autorität hatte er aber durchaus nichts einzuwenden 16 . A m entschiedensten vertrat Professor Julius Binder, ab 1919 für Römisches und Bürgerliches Recht sowie für Rechtsphilosophie zuständig, nach außen hin die nationale Sache. Er ordnete sich selbst als nationalliberal (seit 1895) und anschließend (seit 1919) als deutschnational ein17. In Würzburg fungierte er zwischen 1916 und 1918 als Vorsitzender der Nationalliberalen Partei und gesellte sich nach dem Ersten Weltkrieg zu dem antisemitisch aufgeladenen Alldeutschen Verband 18 . Während des Wintersemesters 1924/25 und des Sommersemesters 1925 übte Julius Binder das Amt des Rektors der Georgia Augusta aus. Nach der Wahl des „ruhmreichen, hoch verehrten" Ehrenbürgers der Universität Paul von Hindenburg zum Reichspräsidenten am 26. April 1925 beeilte er sich, ihm in einem emphatischen Schreiben zu gratulieren. Gegen Ende des schwülstigen Loblieds heißt es: „ . . . Daß die Mehrheit des deutschen Volkes Sie zum Führer der Nation, zum Haupt des Staates erkoren hat, darin sehen wir eine frohe Verheißung, die Morgenröte einer neuen und besseren Zeit. Der Ruf der Sammlung ist nicht vergebens gewesen; die erzielte Verständigung der staatserhaltenden Parteien wird fortwirken und um sich greifen, und von ihrem Vertrauen getragen werden Eure Exzellenz mit starker Hand und klarem Blick unsere Geschicke lenken, um immer breiter werdenden Schichten der Bevölkerung ein Gegenstand neuer Verehrung und Bewunderung und die Erscheinung einer neu erstehenden Einheit zu werden." Diese Passage der Eloge, die das Göttinger Tageblatt am 1. Mai 1925 abdruckte, erregte beim Preußischen Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung unter Carl Heinrich Becker Mißfallen. Mit Erlaß vom 9. Juli 1925 erhielt der Kurator der Universität die Anweisung, von Binder die Auskunft einzuholen, welche Parteien er denn zu den staatserhaltenden rechne. Ohne Arg gab er an, darunter verstehe er die Deutschnationale Partei und die Deutsche Volkspartei. Mit seiner Antwort vom 30. Juli 1925 wollte der Minister ihm noch eine Brücke bauen, als er voraussetzte, daß es ihm „als Staatsbeamten und Vertreter einer preußischen Universität fern gelegen haben muß, alle anderen Parteien als nicht staatserhaltend zu bezeichnen." Er verlangte allerdings von Julius Binder als dem Sprecher der gesamten Universität fürderhin „dasjenige Maß an Zurückhaltung . . . , das durch Ihre unpolitische Amtsstellung geboten erscheint". Der Rektor war jedoch nicht willens, diesen milden Rüffel einzustecken. Er zeigte sich uneinsichtig, wieso „diese W e n d u n g . . . Anlaß zu irgendwelcher Aufregung geben konnte". Letztlich habe ihn nur die Sorge um das Wohl des Staates zu der Glückwunschadresse bewegt. Kurzum: „Ich glaube deshalb mit meinem Schreiben keinen Anlaß zu irgendwelcher Korrektur geboten zu haben, " Geradezu zwangsläufig belegte ihn der Minister nunmehr durch Erlaß vom 16. September 1925 mit einem Verweis, da er „sich einer Verletzung der Ihnen als Beamten obliegenden Pflichten schuldig gemacht" habe 19 . 104
Julius Binder betätigte sich zudem auf politischen Veranstaltungen mit Verve als Diskutant. Professor Friedrich Schaffstein, ein gebürtiger Göttinger des Jahrgangs 1905, der am Orte seine schulische und einen großen Teil seiner akademischen Lehrzeit absolvierte, erinnerte sich an ein scharfes Rededuell, das Binder zu Anfang der zwanziger Jahre bei einer SPD-Veranstaltung mit einem Fakultätskollegen, dem Staats-, Verwaltungs- und Völkerrechtler Professor Julius Karl Hatschek, ausfocht 20 . Hatschek 21 war einer der Exponenten jenes Häufleins von Hochschullehrern, die in der Abdankung des Kaisers und der Ausrufung der Republik nach dem Ersten Weltkrieg kein nationales Drama sahen. An den Vorlesungen, die der Arbeiter- und Volksrat in Göttingen gemeinsam mit dem „Politischen Verein freiheitlich gesinnter Akademiker" im Dezember 1918 an der Universität organisierte, beteiligte er sich mit einem Vortrag über die „Naturgeschichte der Revolution". Julius Hatschek hat innerhalb der Fakultät stets eine Außenseiterrolle gespielt. In einem Bericht an den Minister der geistlichen und Unterrichts-Angelegenheiten vom 28. Dezember 1917 schwärzte sie ihn — offenbar zum wiederholten Male 22 — an: er zeige als Lehrer „vielfach eine Neigung zu zersetzender Kritik und einen Mangel an Zurückhaltung, die zumal bei einem Vertreter des Staatsrechts in hohem Maße unerwünscht" seien. Die Fakultät lehnte daher „mit Entschiedenheit" seine Beförderung auf den Lehrstuhl ab, der seit der Emeritierung des Geheimen Justizrats Professor Ferdinand Frensdorff im Jahre 1916 verwaist war. Da sich ihre personellen Wünsche aber nicht realisieren ließen, rutschte doch Julius Hatschek im Jahre 1921 als persönlicher Ordinarius auf die vakante Stelle. Seine Sympathien für die Weimarer Republik verhehlte auch Professor Richard Martin Honig nicht, der seit dem Frühjahr 1917 in Göttingen lebte, sich 1919 habilitierte, dem 1925 ein Extraordinariat übertragen und der 1931 für die wiederbelebte zweite ordentliche Professur im Strafrecht nominiert wurde. Er war wie Hatschek jüdischer Herkunft, hatte sich aber 1914 taufen lassen 23 . Wie sein ehemaliger Korrekturassistent Friedrich Schaffstein zu berichten wußte 24 , nahm Richard Honig kein Blatt vor den Mund und garnierte seine Vorlesungen in seiner bisweilen schroff ironischen Art mit abfälligen Bemerkungen vor allem über die Nationalsozialisten, wenngleich er selbst keiner Partei beigetreten war. Die politisch bewegten Zeiten der zwanziger Jahre machten also vor den Toren der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät keineswegs halt. Die These vom unpolitischen, nur seiner wissenschaftlichen Arbeit frönenden Professor 25 muß sich demnach Abstriche gefallen lassen. Die zweifellos vorhandenen ideologischen Spannungen allein schon unter den Juristen bargen allerhand Zündstoff im alltäglichen Umgang, so daß Friedrich Schaffstein in der Rückschau das kollegiale Verhältnis der Professoren untereinander nach dem Zweiten Weltkrieg als angenehmer empfunden hat. Dabei mag allerdings eine Erfahrung mitgeschwungen haben, die ihm als Privatdozent nicht erspart geblieben sein dürfte und die der Handelsrechtler und Rechtssoziologe Professor Ernst Eduard Hirsch in seiner Autobiographie „Aus des Kaisers Zeiten durch die Weimarer Republik in das Land Atatürks" verewigt hat. Für seinen Vertretungsauftrag im Wintersemester 1930/31 hatte ihm sein Frankfurter Mentor Professor Hans Otto de Boor, von 1919 bis 1921 Privatdozent für Römisches und Bürgerliches Recht an der Georgia Augusta, als Memento den Satz mit auf den Weg gegeben: „In Frankfurt ist ein Privatdozent ein junger Kollege, in Göttingen ist er ein Nichts." 2 6
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1.2 Der latente Antisemitismus Anders als etwa in Breslau, wo studentische Mitglieder von Korps und Burschenschaften im selben Jahr Tumulte gegen den frisch berufenen jüdischen Zivilrechtler Ernst Cohn inszenierten27, blieben an der niedersächsischen Landesuniversität vor dem 30. Januar 1933 dezidierte antisemitische Provokationen aus. Seit der Jahrhundertwende beherbergte die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät — wenn ich mich nicht irre — mindestens zehn Dozenten, die nach landläufiger Meinung2* jüdischer Abstammung waren29. Selbst wenn keiner der Aspiranten auf eine universitäre Position seinen religiösen Glauben oder den seiner Ahnen offenbaren mußte, so wußte „man" doch einfach, wer jüdische Vorfahren aufwies30. Neben der an sich schon imposanten Zahl jüdischer Rechtsgelehrter fällt darüber hinaus ins Gewicht, daß noch 1931 - wie bereits angedeutet — mit Gerhard Leibholz aus Greifswald und Richard Honig (im Zuge einer Hausberufung) zwei Juden zur erlauchten Schar der Ordinarien kooptiert wurden, ohne daß sich innerhalb und außerhalb der Fakultät Protest artikuliert hätte. Dazu übernahm der jüdische Staatswissenschaftler Franz Gutmann am 1. September 1932 unbeanstandet turnusmäßig das Dekanat. Dennoch vermitteln diese Fakten wohl nur ein oberflächliches Bild. Unter der glatten Fassade scheinen die Ressentiments hin und wieder gebrodelt zu haben. Barbara Marshall vermeldet eine „systematische rechtsradikale und antisemitische Hetze" gegen Julius Hatschek und den Philosophen Leonard Nelson wegen ihrer Auftritte im Rahmen der Vortragsreihe des Arbeiter- und Volksrates in Göttingen 31 . Wolfgang Kunkel beobachtete „jenen stillen Antisemitismus, den man mehr fühlen als deutlich wahrnehmen konnte", eine Einstellung, die ihm aus seinem Elternhaus nicht fremd war. Wiederum ohne Roß und Reiter zu nennen, läßt er durchblicken, daß bei Berufungsdiskussionen in der Fakultät eine Distanz gegenüber jüdischen Kandidaten unverkennbar gewesen sei32. Richard Honig hat in der Tat gemeint, die Stagnation in seinem akademischen Aufstieg während der Jahre als Privatdozent und als nichtbeamteter Extraordinarius sei seiner „nichtarischen" Herkunft geschuldet33. Prof. Friedrich Schaffstein, der in unserem Gespräch ansonsten äußerst zurückhaltend zu den einzelnen Akteuren Stellung bezog, identifizierte mit Julius Binder und Herbert Meyer, seit 1918 ordentlicher Professor für Deutsches, Bürgerliches und Handelsrecht in Göttingen, zwei Herren der Fakultät, die ihre antisemitische Gesinnung kaum zu kaschieren trachteten.
2. Die ersten personellen „Säuberungen " Am 30. Januar 1933 verfügte die juristische Abteilung über insgesamt elf Ordinariate. Sechs von ihnen entfielen auf das Bürgerliche Recht und seine Nebengebiete und wurden — nach der Anciennität geordnet — von den Professoren Paul Oertmann (seit 1918), Herbert Meyer (seit 1918), Julius Binder (seit 1919), Julius von Gierke (seit 1925), Wolfgang Kunkel (seit 1929) wahrgenommen. Professor Helmut Rühl, der erst zum 1. April 1931 berufen worden war, als das Preußische Wissenschaftsministerium im Zusammenhang mit der Reform des juristischen Studiums unter anderem eine weitere Professur im Bürgerlichen Recht für Göttingen etatisiert hatte34, verstarb am 5. April 1932 im Alter von nicht einmal 29 Jahren; sein Lehrstuhl war Anfang 1933 noch nicht wieder besetzt.
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Das Strafrecht vertraten die beiden Professoren Robert von Hippel (seit 1899) und Richard Martin Honig (seit 1931). Die drei Ordinariate im öffentlichen Recht versahen die Professoren Paul Schoen (seit 1900), Herbert Kraus (seit 1928) und Gerhard Leibholz (seit 1931). Den Lehrkörper im Bereich der Rechtswissenschaften komplettierten die beiden Honorarprofessoren Walter Boldt, der Steuerrecht und Gemeindeverwaltungsrecht las, und Bruno Jung, Oberbürgermeister der Stadt Göttingen, der Veranstaltungen im Fürsorgerecht abhielt. Als nichtbeamtete außerordentliche Professoren wirkten Hans Niedermeyer im Römischen und Bürgerlichen Recht sowie Hermann Mirbt, der die Gebiete Staats-, Verwaltungs-, Kirchen- und Sozialversicherungsrecht abdeckte. Als Privatdozenten warteten auf ihre Chance Karl Larenz, seit 1929 mit der venia legendi für Rechtsphilosophie und Bürgerliches Recht ausgestattet, Friedrich Schaffstein, seit 1930 für Strafrecht und Strafprozeßrecht habilitiert, Karl Michaelis35, seit 1931 befugt, Bürgerliches Recht und Zivilprozeßrecht zu lehren, sowie Adalbert von Unruh, seit 1932 mit Vorlesungen und Übungen im Staats-, Verwaltungs- und Luftrecht betraut. Diese Personalliste geriet bald infolge einer Fülle ungewöhnlicher Ereignisse, aber auch üblicher Vorgänge durcheinander. Nach gut fünf Jahren befanden sich aus ihr allein die Herren Jung, Niedermeyer, nunmehr als ordentlicher Professor, und Mirbt noch im aktiven Dienst an der Göttinger Fakultät. Darin manifestiert sich eine außergewöhnliche „Umschlagsgeschwindigkeit".
2.1 Die Entlassung Richard
Honigs
Als erster mußte der Strafrechtler Richard Honig 36 den rigiden Normen des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 (kurz: Berufsbeamtengesetz) weichen. Sein Name erscheint in dem Telegramm des Preußischen Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 25. April 1933, mit dem er sechs als vordringlich empfundene Beurlaubungen aussprach37. Dieses abrupte Ende seiner Zugehörigkeit zur civitas académica in Deutschland verdankte Prof. Honig zwei bereits erwähnten Eigenschaften: seiner jüdischen Abstammung und der unverhohlenen Gegnerschaft zum Nationalsozialismus. Für die Verbreitung der ersten Tatsache hatte im Jahre 1928 der „Kreis der Freunde und Förderer der Deutschen Auskunftei" mit seiner Handschrift über den „jüdischen Einfluß auf den Deutschen Hohen Schulen" (Heft 1. Universität Göttingen) gesorgt38. Seit Mitte April 1933 zirkulierte an allen preußischen Universitäten ein Fragebogen, der auf die Bedürfnisse des Berufsbeamtengesetzes zugeschnitten war. Richard Honig hat darauf verzichtet, seine Entlassung auf diese Weise voranzutreiben. In seine Personalakte ist ein Erlaß des Ministers vom 14. Juni 1933 eingeheftet, in dem moniert wird, daß etliche Mitglieder des Lehrkörpers den Fragebogen entweder überhaupt nicht oder unvollständig ausgefüllt zurückgegeben haben39. Kurz nach dem Regierungswechsel in Berlin muß Prof. Honig geahnt haben, daß seine Göttinger Tage gezählt waren. Professor Karl Michaelis berichtete mir von einer Begegnung, die etwa im März 1933 stattgefunden hat und ihm haften geblieben ist, weil es nicht alle Tage vorkam, daß ein veritabler Ordinarius einen jungen Privatdozenten aufsuchte. Richard Honig erschien sichtlich beunruhigt in der Prinz-Albrecht-Straße bei Michaelis und wollte von ihm wissen, wie er denn die politische Lage beurteile. Allzu viel Tröstliches hatte er auch nicht parat, versprach aber, beim Dekan Prof. Gutmann vorstellig zu werden, 107
um wenigstens irgendwelche Krawalle während der Vorlesungen des nahenden Sommersemesters zu verhüten. In dieses Vorhaben sollte ferner der Extraordinarius für wirtschaftliche Staatswissenschaften Dr. Jens Peter Jessen, seit 1930 Parteigenosse der N S D A P und mit einem Schlage einer der einflußreichsten Drahtzieher hinter den Kulissen der Universität Göttingen, eingeschaltet werden 40 . Für Prof. Honig gab es jedoch angesichts der geschilderten „Verfehlungen" kein Pardon. Zwar lief der akademische Betrieb auch für ihn bis in die zweite Hälfte des Aprils 1933 hinein wie gewohnt. Noch unter dem 20. April 1933 forderte der Dekan ihn auf, seine strafrechtlichen Klausurthemen für die anstehenden Zwischenprüfungen zu formulieren, die seit der preußischen Studienreform von 1931 obligatorisch waren 41 . Die Beurlaubung Honigs rief unter seinen Kollegen keinen geharnischten Protest hervor. Während sich die Professoren Binder, Meyer und Jessen im Gegenteil befriedigt zeigten, daß nun endlich unter den Juden aufgeräumt wurde, konnte und wollte lediglich der Geheimrat von Hippel seine Empörung über den Rausschmiß nicht unterdrücken. Andere wie Herbert Kraus und Wolfgang Kunkel, die selbst gefährdet waren, hielten sich mit Äußerungen lieber zurück 42 . Mit Schreiben vom 26. Mai 1933 richtete die Fakultät, jetzt schon mit Prof. H. Meyer als Dekan, allerdings an den Kurator der Universität die Petition, vor einer endgültigen Entscheidung im Falle Honig angehört zu werden. Geheimrat Valentiner setzte daraufhin am 14. Juli 1933 einen Bericht an den Minister auf, in dem er versuchte, für Prof. Honig mit Hinweis auf den Termin seiner Vereidigung als Referendar die Sonderregelung des Berufsbeamtengesetzes für Altbeamte (S. 40) zu reklamieren 43 . Große Resonanz hat die Demarche in Berlin nicht ausgelöst. Mit Erlaß vom 2. September 1933 entledigte sich das Deutsche Reich mit kargen Worten seines unbequemen Hochschullehrers Richard Honig: „Auf Grund von § 3 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 werden Sie hiermit in den Ruhestand versetzt." Der zweite Satz verhieß auch nichts Gutes: „Wegen Regelung Ihrer Bezüge ergeht demnächst weitere Verfügung." Der Kurator empfing zudem die Anweisung, die Zahlung des Gehalts mit Ende Dezember 1933 einzustellen 44 . Der Privatdozent Friedrich Schaffstein, der durch ein Telefonat des Ministerialrats Prof. Achelis vom 28. April 1933 und ein Telegramm vom selben Tage zum Vertreter Honigs für das Sommersemester bestimmt wurde 45 , erlebte in jenen Tagen nach der Beurlaubung einen entsetzten Richard Honig, der vor allem die finanzielle Bedrohung für sich und seine Familie spürte 44 . Diese Angst war nicht übertrieben. Da er vor dem 1. Juli 1931 keine Dienstzeiten als Beamter bei einer Behörde des Reiches, eines Landes oder einer Gemeinde (S 9 Absatz 1 des Berufsbeamtengesetzes) absolviert hatte, konnte er auf keine anrechnungsfähige Zugehörigkeit zum öffentlichen Dienst von mindestens zehn Jahren (§ 8 des Berufsbeamtengesetzes) zurückblicken. Ergo versagte ihm der Minister mit Erlaß vom 28. Dezember 1933 jeglichen Anspruch auf ein Ruhegehalt. Trotz eines Einspruchs, den Prof. Honig im Februar 1934 aus Istanbul an den Kurator schickte, korrigierte der Minister seinen Bescheid nicht 47 . Für Richard Honig keimte gottlob schon im Juli 1933 eine neue Hoffnung auf. Kemal Atatürk hielt für die von ihm neu gegründete Universität Istanbul Ausschau nach emigrierten oder ausreisewilligen deutschen Hochschullehrern, die bereit waren, die Stellen der entlassenen altislamischen Gelehrten einzunehmen. Die Kontakte liefen über eine „Notgemeinschaft deutscher Wissenschaftler im Ausland", die sich in Zürich etabliert hatte 48 . In seinem Tagebuch „Unsere Reisen" hat Prof. Honig unter dem 15. Juli 1933 eine Fahrt in die Schweiz notiert, um dort mit Prof. Malche und Prof. Philipp Schwartz, einem 108
exilierten Frankfurter Pathologen, über einen Ruf nach Istanbul zu verhandeln 49 . Davon setzte er den Kurator nach seiner Rückkehr am 23. Juli 1933 pflichtschuldigst in Kenntnis50. Am 29. September 1933 brach Richard Honig in sein Zufluchtsland auf51. An der neuen Wirkungsstätte entstand freilich zunächst ein Gerangel um das Fach, das er repräsentieren sollte. Sein Vertrag sicherte ihm den gerade geschaffenen Lehrstuhl für Rechtsphilosophie und allgemeine Rechtsgeschichte zu. Auf dieselbe Position reflektierte aber auch Dr. Ferid Ayiter, ein türkischer Wissenschaftler, der in Göttingen eine rechtsphilosophische Dissertation unter der Ägide von Julius Binder angefertigt hatte und auf ein Versprechen des Ministeriums in Ankara pochte. Nachdem diese Querele ausgeräumt war, kam Prof. Honig seiner Lehrverpflichtung mit Hilfe eines Dolmetschers entweder in deutscher oder französischer Sprache nach. Die Anstellungskontrakte der ausländischen Gelehrten enthielten jedoch eine Klausel, nach der sie alles Erdenkliche tun mußten, um nach dem dritten Jahr in Türkisch unterrichten zu können 52 . Prof. Honig fiel es schwer, diese Forderung zu erfüllen; immerhin gelang es ihm, ab und an in der fremden Sprache vorzutra-
2.2 Das kurze „Gastspiel" Gerhart Husserls Geradezu exemplarisch verdeutlicht der Fall des Gerhart Husserl, ordentlicher Professor für Römisches und Bürgerliches Recht sowie Zivilprozeßrecht an der Universität Kiel, den menschenverachtenden Umgang der nationalsozialistischen Administration mit mißliebigen Personen und entlarvt zugleich die Intransigenz der Fakultät gegenüber dem Versuch, ihr einen „Outcast" zuzuweisen. Nach den Plänen der NSDAP sollten die Grenzlanduniversitäten im Norden und Osten wie Kiel, Königsberg und Breslau eine besondere politische Qualität als Festungen gegen den Ungeist jenseits der Schlagbäume entwickeln. So nahm auch die Juristenfakultät der Christian-Albrechts-Universität ihre Mission als ideologischer Stoßtrupp von Anfang an sehr ernst54. Dem heißen Bemühen, im Nu „judenfrei" zu sein, stand neben anderen Prof. Husserl im Wege. Ihn umgab die Aura eines Helden von Langemarck, für jedermann sichtbar wegen der großen Schußwunde am KopP 5 . Dieser Frontkämpfer par excellence wurde zwar am 29. April 1933 beurlaubt; seine endgültige Entfernung aus dem Dienst verbot indes der hinderliche § 3 Absatz 2 des Berufsbeamtengesetzes. Gleichwohl sollte Husserl, der sich inzwischen nach Berlin-Grunewald zurückgezogen hatte, aus Kiel weichen. Der Preußische Wissenschaftsminister verfiel daher auf die Idee, ihn nach Göttingen abzuschieben, wo er 1912 sein rechtswissenschaftliches Studium begonnen hatte. Am 29. Oktober 1933 hob er den Zwangsurlaub auf56 und setzte ihn mit Erlaß vom 25. November 1933 rückwirkend ab dem 1. August 1933 bei gleichzeitiger vorübergehender Freistellung zur Forschung auf den Lehrstuhl, der durch das Ableben von Prof. Rühl seit mehr als einem Jahr zur Disposition stand57. Die Mehrheit der Kollegen war sich in einem Punkt schnell einig: „Göttingen hat denselben Rang wie Kiel, und wir wollen Husserl nicht." 58 In einem sechsseitigen Papier59 trugen sie die Gründe für ihre Aversion zusammen. Dabei klang eingangs das Befremden darüber an, vor der Berufung nicht informiert worden zu sein. Anschließend rückten zunächst noch Einwände in den Vordergrund, die die momentan ausreichende Versorgung mit Zivilisten betrafen und Gerhart Husserl schon insofern als den „denkbar ungeeignetsten Anwärter" abqualifizierten. Das Vokabular, mit dem die Fakultät den „in Kiel abgebauten" (sie!) Professor als Wissenschaftler verriß, reichte von seiner „Anlage zu 109
spitzfindiger, formal-logischer Denkweise" über seine Art der Darstellung, die „alles andere als anschaulich, durchaus abstrakt, häufig unklar und vielfach auch für den Kenner nahezu unverständlich" sei, bis hin zu dem Vorwurf, seine „Gedankenwelt und Denkweise (stamme) aus dem Intellektualismus des achtzehnten Jahrhunderts". Indem man ihn als „reinen Phänomenologen" brandmarkte, konnte man seinen Vater, den Philosophen Edmund Husserl, von 1901 bis 1916 a.o. Professor in Göttingen, gleich miterledigen. Die rechtsphilosophischen Leistungen des Sohnes reduzierten sich im Urteil der Fakultät sowieso „im wesentlichen auf eine Nachahmung der Methode seines Vaters" 60 . Doch damit nicht genug. Die wahre Motivation für die vereinten Anstrengungen des Juristenkollegiums gegen Husserl lag in seiner jüdischen Abkunft begründet. Nun drohte durch Husserl - den der Dekan H. Meyer aus antisemitischer Uberzeugung bereits 1923 erfolgreich von einer Habilitation in Göttingen abgehalten hatte61 — der Georgia Augusta „eine Herabsetzung ihrer Geltung als Hochschule", wenn „abermals ein Nichtarier" berufen werde, nachdem Prof. Honig unlängst erst „aus der Fakultät entfernt" worden sei. Heinz Wolff, der Führer der Deutschen Studentenschaft, blies ins selbe Horn und empfand die Absicht des Ministers deshalb als besonders schwerwiegend, „weil in Göttingen sowieso Staatsrecht noch von einem Juden (Gerhard Leibholz, d. Verf.) gelesen" werde62. Dieses geballte Veto zeigte bei Ministerialrat Achelis Wirkung. Die Fakultät empfing Mitte Januar 1934 aus Berlin die Nachricht, die „Berufung" von Prof. Husserl sei als „etatstechnische Maßnahme" zu verstehen gewesen. Zum 1. Mai 1934 versetzte ihn der Minister gemäß § 5 des Berufsbeamtengesetzes an die Universität Frankfurt am Main63, die in den Planungen der Wissenschaftsbürokratie eine Zeitlang als Sammelbecken für nichtarische Professoren vorgesehen war64.
2.3 Die verhinderte Promotion David Daubes und die Relegation Hans Kellners Die Puristen der „nationalen Erhebung" nahmen nicht nur die Spitzen der akademischen Hierarchie ins Visier. Auch der Mittelbau und die Studenten waren vor ihrem Zugriff nicht sicher. David Daube, Jahrgang 1909, aus Freiburg im Breisgau, der 1930 in seiner Heimatstadt das Referendarexamen bestanden hatte, fand in Göttingen Anschluß an die Gelehrtenrunde um den Juristen Wolfgang Kunkel und die klassischen Philologen Eduard Fraenkel, Kurt Latte und Hermann Fränkel. Im Jahre 1932 verfaßte er eine rechtswissenschaftliche Doktorarbeit und unterzog sich dem Rigorosum. Dafür wurde ihm das selten verliehene Prädikat „mit Auszeichnung" zuteil65. Sein Opus ist jedoch weder in der Promotionskartei des Universitätsarchivs noch der juristischen Fakultät verzeichnet. Prof. Daube erklärt diese Kuriosität mit dem Hinweis, es sei ihm 1933 nicht mehr erlaubt worden, seine Dissertation zu veröffentlichen und die Pflichtexemplare abzuliefern. Dekan Herbert Meyer habe allerdings die Freundlichkeit besessen, ihm zu bescheinigen, daß allein die geänderte Rechtslage die Aushändigung des Diploms vereitelt habe66. David Daube ging nach Großbritannien ins Exil und setzte seine Studien in Cambridge fort 67 . „Kommunistische oder marxistische Betätigung" in studentischen Gruppen wurde mit der Relegation von der Universität geahndet. Dafür sorgten zwei ministerielle Erlasse vom 29. Juni 1933 und vom 9. August 1933. Dieser Bannstrahl traf am 24. November 1933 auch zwei Studenten der Rechtswissenschaft, Werner Eckstein aus Düsseldorf und Hans Kellner 110
aus Hannoversch Münden 68 . Kellner, nach dem Kriege im südniedersächsischen Raum eine prominente Persönlichkeit als Oberkreisdirektor des Landkreises Göttingen von 1948 bis 1971 und nachfolgend als Regierungspräsident in Hildesheim bis 1978, führte den Ortsverband der linksorientierten „Sozialistischen Studentenschaft Deutschlands und Österreichs" bis Ende 1932 an. Die Zahl ihrer Anhänger hielt sich in bescheidenen Grenzen, so daß sie an der Universität keinen bedeutenden Einfluß gewann. Im Frühsommer 1933 Schloß sich Hans Kellner der SA an, „wohl vorwiegend seiner sozialistischen Tendenzen wegen", wie Dr. Erich Förthmann, der Geschäftsführer des Studentenhauses, in einem Rapport an den Führer der Deutschen Studentenschaft in Göttingen mutmaßte 69 . Das bewahrte ihn jedoch nicht vor dem temporären Ausschluß vom Studium, den der Rektor sämtlichen deutschen Universitäten und Hochschulen kundtat, im Januar 1934 nach einem Widerspruch Kellners bei dem Universitätsrichter Hillmann aber widerrief 70 . Zuvor schon hatte Rektor Friedrich Neumann einen Antrag Kellners auf ein Universitätsstipendium für das Sommersemester wegen seiner politischen UnZuverlässigkeit abgelehnt71, obwohl Dekan Meyer ihn befürwortend weitergeleitet hatte72. Der dadurch heraufbeschworene pekuniäre Engpaß erlaubte es Hans Kellner erst im November 1936, sein Studium mit dem Referendarexamen abzuschließen und im April 1938 über ein aktienrechtliches Thema bei Prof. von Gierke zu promovieren.
3. Die Haltung der Dozenten zum Nationalsozialismus nach der „Machtergreifung" Im Ergebnis der Dekanatswahl vom 27. April 1933, mit der gemäß ministerieller Order 73 die Gleichschaltung der Hochschulen initiiert werden sollte, drückt sich aus, wem die Fakultät am ehesten zutraute, in der unruhigen Zeit des Umbruchs ihre Geschicke zu lenken: Sie übertrug Prof. Herbert Meyer wieder die Geschäftsführung, die er erst am 1. September 1932 an Prof. Franz Gutmann abgetreten hatte. Der jüdische Staatswissenschaftler Gutmann war trotz seiner Meriten als hochdekorierter Weltkriegs-Veteran in seinem Amt nicht mehr haltbar. Die Fakultät beließ ihn aber — erstaunlich genug — für eine Karenzzeit von sechs Monaten als Prodekan. Mit der Installation des Führerprinzips an den Hochschulen, als der Minister den Rektor ernannte und dieser die Dekane als Unterführer an den Fakultäten kürte, vollendete sich jedoch die Demontage Gutmanns. Rektor Neumann bestätigte Meyer am 23. November 1933 in seiner Funktion 74 . Eine Woche später holte der Dekan den hinreichend bewährten Julius Binder als ständigen Vertreter an seine Seite. Von Binder heißt es, er habe emphatischer noch als Herbert Meyer den Sieg der Nationalsozialisten begrüßt. Am 5. April 1933 ließ er sich als Mitglied der NSDAP mit der Nummer 3 551 5657S einschreiben. Hernach beeilte er sich mit einer Bitte an den Minister, die Schmach des Verweises aus dem Jahre 1925 zu tilgen. Die erhoffte Wiederaufnahme des Verfahrens unterblieb zwar, weil das Disziplinarrecht dazu keine Handhabe bot. Minister Rust verschaffte aber Linderung, indem er schrieb, „nach den Grundsätzen der nationalen Regierung (wäre) die Verhängung einer Ordnungsstrafe wegen des fraglichen Tatbestands nicht erfolgt" 76 . Darüber hinaus diente sich Binder auf vielfältige Weise an: So besuchte er regelmäßig die Schulungsabende der NSDAP, distanzierte sich vom Römischen Recht, das nach der Parteidoktrin neben dem germanischen Recht nicht mehr als gleichwertiger Urgrund der zeitgenössischen Kodifikationen rangieren durfte 77 , und bekräftigte auch publizistisch seinen politischen Standort 78 . Dies alles verhinderte nicht, daß die jungen, vorwärts drän111
genden Nationalsozialisten an der Universität sowohl ihn als auch insbesondere Herbert Meyer - wie sich noch zeigen wird — eher skeptisch musterten79. Prof. Meyer achtete dagegen trotz aller Bereitschaft zur tätigen Mitarbeit auf einen gehörigen Abstand zur Partei, auch wenn er mit Konterfei und Kurzbiographie das „Deutsche Führerlexikon 1934/35" bereicherte. Der persönlichen Aufforderung zum Beitritt, ausgesprochen von Amtsgerichtsrat Schmidt aus Northeim, dem Bezirksführer des Juristenbundes in der NSDAP 80 , entzog er sich mit dem Hinweis auf eine Äußerung des Reichsjustizkommissars Hans Frank. In dessen Namen hatte Prof. Wilhelm Kisch, der Dekan der Juristischen Fakultät an der Universität München, auch die Göttinger Rechtswissenschaftler für eine korporative Mitgliedschaft in der Akademie für Deutsches Recht geworben. Zugleich sah er einer möglichst zahlreichen Aufnahme der einzelnen Fakultätsangehörigen im Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen entgegen, die einen Eintritt in die Partei nicht voraussetze, „wohl aber die weltanschauliche Verbundenheit mit deren Programm" 81 . Diese Einschränkung nutzte Herbert Meyer, um der Umarmung durch die NSDAP auszuweichen82. Die gedrosselte Euphorie selbst eines Mannes wie Herbert Meyer für die nationalsozialistische Bewegung unterstreicht Prof. Kunkels Ansicht, die meisten seiner Göttinger Kollegen, unter ihnen vornehmlich die älteren, hätten sich für das Hitlerregime nicht erwärmen können. Das habe auch für die stramm national gesinnten Herren gegolten, die die Weimarer Republik der Lächerlichkeit preisgaben, nun aber, aufgeschreckt durch das unverblümte Programm und die nachfolgende radikale Praxis der Nationalsozialisten alles für „hellen Wahnsinn" hielten. Die Honoratioren wie eben Paul Schoen, Robert von Hippel oder Paul Oertmann, deren Emeritierung nicht mehr lange auf sich warten ließ, konnten es sich leisten, in ihren Vorlesungen der Anpassungswelle zu trotzen. Niemand nahm sie mehr so recht ernst; eine Gefahr für die noch keineswegs gefestigte „Bewegung" ging von ihnen nicht aus83.
4. Die „negative Auslese" nach dem Plan Karl Siegerts 4.1 Die Berufung Karl Siegerts und sein Konzept Professoren
zur Beseitigung
„belasteter"
Das Klima an der Fakultät änderte sich fühlbar mit dem sukzessiven Einrücken junger Wissenschaftler, denen das personelle Vakuum von einem auf den anderen Tag — zumeist ohne den beschwerlichen Umweg über ein Extraordinariat — die große Gelegenheit zu früher Bewährung bot und die sich umgehend der Aufgabe widmeten, ihre Disziplin ideologisch aufzurüsten. Das galt einmal für Hans Würdinger, Privatdozent an der Universität München seit dem Wintersemester 1931/32, der am 27. Oktober 1933®4 im Alter von dreißig Jahren den Lehrstuhl des entpflichteten Professors Paul Oertmann übernahm. Sein Aufenthalt in Göttingen dauerte zwar nur bis zum 1. April 193585, politisch setzte er sich aber sogleich markant in Szene8'. Eminenten Einfluß übte Professor Karl Siegert aus, der mit dem 11. November 1933 die Nachfolge Richard Honigs antrat87. Friedrich Schaffstein, im Sommersemester sein Vertreter, hatte zuvor mehrfach an ihn herangetragene Offerten zurückgewiesen, die freie Stelle auch planmäßig zu besetzen88. Karl Siegert, geboren am 2. Juli 1901 in Uslar (Solling), stu112
dierte in Münster und Halle. Nach Promotion (1923) und Habilitation (1931) arbeitete er im Justizdienst, zuletzt als Landgerichtsrat in Münster. Das Parteibuch der NSDAP erwarb er am 1. Mai 1933 unter der Nummer 2 490 163; der nationalsozialistische Juristenbund verzeichnete ihn ebenfalls als Mitglied (Nr. 019 814). Dem nationalsozialistischen Dozentenbund, der zu Beginn nur die Altparteigenossen in seine Reihen aufnahm89, diente er seit Anfang 1935 als Vertrauensmann in der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät. In dieser Eigenschaft brachte Siegert am 14. Januar 1935 seine ausführlichen „Vorschläge zum Ausbau des Lehrkörpers unserer Fakultät" zu Papier. Aus dem Zukunftsentwurf seien an dieser Stelle nur die „Ergänzungen" behandelt, die die Fakultät nicht zu Gesicht bekam, sondern den politischen Instanzen vorbehalten waren. Den Kampf um eine „nationalsozialistische Gesamthaltung" sollte eine „negative Auslese" eröffnen, die erst den Platz schaffen würde, um „die Gesamtlinie verbessern" zu können. Den seinerzeit verbliebenen nichtarischen Professoren von Gierke, Gutmann und Leibholz attestierte er, sie seien zwar, „jeder für sich betrachtet, nicht oder kaum schädlich". Sie ramponierten aber das makellose Bild, das Siegert vorschwebte. Desgleichen störte ihn die Anwesenheit der („arischen") „Fachgenossen Passow, Kraus und Kunkel", die er als „liberalistische Belastung" empfand. Er wies auch die Richtung, wie man sie aus dem Lehrkörper entfernen könne: durch „Versetzung u. Beförderung an eine .größere' Universität oder durch Emeritierung" 90 . Dank seiner ausgezeichneten Beziehungen zur Ministerialbürokratie" und zur Reichsamtsleitung des NSD-Dozentenbundes in München92 gelang es Karl Siegen, seine Wünsche nach Reinigung der Fakultät samt und sonders durchzusetzen.
4.2 Die Versetzung von Gerhard Leibholz in den Ruhestand Anders als sein Vater und sein älterer Bruder Hans93, die ihre Posten als Stadtrat bzw. Landgerichtsrat in Berlin noch im April 1933 verloren, konnte Prof. Gerhard Leibholz für eine Reihe von Monaten in seinem Amt verweilen. Ihm kam eine andere Ausnahme zum § 3 des Berufsbeamtengesetzes in Verbindung mit der Dritten Verordnung zu seiner Durchführung (Nr. 2 Absatz 3 zu § 3) zustatten. Danach waren den Frontkämpfern des Ersten Weltkriegs gleichzuachten jene Angehörigen von regierungstreuen Truppen und Freikorps, die Anfang Januar 1919 unter der Führung von Gustav Noske, wenig später erster Reichswehrminister, den „Spartakus-Aufstand"94 niederschlugen. Eine Liste, die der Kurator im Jahre 1937 „über die am 1. April 1933 im Dienst befindlichen Hochschullehrer und Assistenzkräfte jüdischer Abstammung" aufstellen mußte, trägt bei Leibholz den Vermerk „Teilnehmer an Kämpfen gegen Spartakisten" 95 . Die Studenten, soweit sie sich zum Nationalsozialismus bekannten, waren darüber ausgenscheinlich nicht informiert. Vielleicht hätte es sie aber ohnehin nicht davon abgehalten, zum Boykott der Leibholzschen Vorlesung über „Deutsches Reichs- und Landesstaatsrecht" im Sommersemester 1933 aufzurufen. Studenten in SA-Uniformen versperrten ihren zahlreichen Kommilitonen und selbstverständlich auch dem jüdischen Dozenten breitbeinig den Zutritt zum Hörsaal. Weder Rektor Neumann noch Dekan Meyer, der Leibholz gegen Ende April telefonisch gebeten hatte, der pompösen Feier zur Eröffnung des Semesters am 3. Mai 1933 fernzubleiben, schritten gegen diese Störungen ein, die sich den ganzen Mai hindurch von montags bis freitags wiederholten. Erst als eine Gruppe von Hörern, die sich nicht einschüchtern ließ, bei Wissenschaftsminister Rust protestierte, konnte Prof. Leibholz sein Kolleg Mitte Juni doch noch beginnen96. 113
Der Schutzschild des „Frontkämpfer-Paragraphen" erwies sich jedoch binnen kurzem als porös. Für das Sommersemester 1935 kündigte Gerhard Leibholz die Vorlesung „Politische Ideengeschichte der Neuzeit und das Staatsbild des 20. Jahrhunderts" an, die er auch im Wintersemester 1933/34 angeboten hatte. Die Göttinger Nachrichten, das Kampfblatt der NSDAP, berichtete am 13. Februar 1935 über die geplanten Veranstaltungen der Universität während des kommenden Semesters und führte dabei auch Leibholz' staatsrechtliches Thema auf97. Der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund wandte sich daraufhin mit einem Leserbrief an die Zeitung, in dem er sich gegen die Person des Dozenten, eines Juden, verwahrte98. Dieser neuerliche Vorstoß der antisemitischen Studenten bewog das Ministerium, Gerhard Leibholz aufzuzeigen, daß er an einer deutschen Universität des „Dritten Reiches" unerwünscht sei. Mit Erlaß vom 4. März 1935, ergänzt durch Erlaß vom 18. April 1935, delegierte es ihn an die Universitätsbibliothek mit dem Auftrag, ausländisches besonders faschistisches Staatsrecht im Rahmen der dort vorhandenen Möglichkeiten zu erforschen99. Diese Order knüpfte an seine „Probleme des fascistischen Verfassungsrechts" von 1928 und an seine Vorlesung „Der Faschismus" vom Wintersemester 1933/34 an. Leibholz erschien einige Male an dem zugewiesenen Arbeitsplatz. Bald jedoch bat ihn Dr. Josef Becker, der scheidende Direktor, er möge seine Studien besser zu Hause treiben, um jeglichen Aufruhr von vornherein zu vermeiden100. Das Reichsbürgergesetz vom 15. September 1935, verkündet auf dem Nürnberger „Reichsparteitag der Freiheit", läutete den nächsten Exodus ein. Mit Schnellbrief vom 14. Oktober 1935101 verbreitete der Reichs- und Preußische Wissenschaftsminister in seinem Zuständigkeitsbereich einen Erlaß des Innenministers vom 30. September 1935102. Darin wurde die Beurlaubung aller „jüdischen Beamten, die von drei oder vier der Rasse nach volljüdischen Großelternteilen abstammen", mit sofortiger Wirkung verfügt. Die Erste Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. November 1935 beseitigte in ihrem § 4 Absatz 2 Satz 1 alle Zweifel: „Jüdische Beamte treten mit Ablauf des 31. Dezembers 1935 in den Ruhestand." Gerhard Leibholz kam dieser gesetzlichen Automatik zuvor und beantragte seine Entpflichtung103. Der Minister tat ihm mit Erlaß vom 6. Dezember 1935 diesen „Gefallen" 104 . Um kein Hintertürchen für irgendwelche Aktivitäten offenzulassen, mußte der Kurator ihm Anfang März 1936 noch rückwirkend zum Jahresende 1935 die Lehrbefugnis entziehen105. Prof. Leibholz stand nicht mittellos da; ihm waren Emeritenbezüge von rund 10 600 Reichsmark jährlich bewilligt worden104. Er wohnte noch fast drei Jahre lang in Göttingen. Enge verwandtschaftliche Bande erschwerten die Ausreise. Unter menschlichen Aspekten betrachtete er diese Zeit des Nationalsozialismus als eine Offenbarung, legte sie doch die charakterliche Substanz seiner Mitmenschen in ihrem Verhältnis zu ihm frei107. Nachdem er endgültig verfemt war, zählte der alte Geheimrat Paul Oertmann zu den raren Besuchern in seinem Hause. Frau Leibholz zitiert ihn mit den Worten: „Herr Kollege, ich schäme mich, ein Deutscher zu sein." Sie berichtet auch, eine Gruppe von Studenten sei beim Ministerium nochmals für ihren Mann eingetreten108. Am 9. September 1938, noch vor der „Reichskristallnacht", verließ die Familie Göttingen, weil sich die Anzeichen mehrten, daß Gerhard Leibholz der Reisepaß entzogen werden könnte. Nach einem kurzen Aufenthalt in Zürich emigrierte sie über Frankreich nach England109.
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4.3 Die Berufung Wolfgang Runkels an die Universität Bonn Wolfgang Kunkel, ab dem 1. Oktober 1929 Nachfolger von Fritz Pringsheim in Göttingen, rangierte gleich zu Beginn des „Dritten Reiches" unter den unsicheren Kantonisten. In seinen Vorlesungen hatte er sich als Gegner der Nationalsozialisten zu erkennen gegeben110. Mit Herbert Meyer legte er sich an, weil der Dekan kein Wort des Mitgefühls für die ausgebooteten Kollegen Honig und Leibholz aufbrachte. Zudem dachte er nicht daran, die herzlichen Verbindungen zu den jüdischen Altphilologen in Göttingen und auch zu seinem Lehrer Ernst Levy in Freiburg abzubrechen. Er selbst will aber von der Gefahr, die ihm drohte, erst anläßlich seines Abschieds aus Göttingen durch den Kurator erfahren haben. Gewissen Konzessionen konnte er nach eigenem Bekunden nicht ausweichen. Dem Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen trat er bei, ließ sich aber nur selten bei den Versammlungen blicken111. Die Anregung Siegerts, einen Mann wie Wolfgang Kunkel „unter großzügiger Behandlung" aus Göttingen wegzulotsen, scheint im Ministerium auf fruchtbaren Boden gefallen zu sein. Die Begleitumstände verraten allerdings Widersprüchlichkeiten. Im Dezember 1935 meldete sich der Rektor der Universität Marburg bei Prof. Friedrich Neumann und ersuchte ihn um eine gutachterliche Äußerung über Prof. Kunkel in „fachwissenschaftlicher, persönlicher und politischer Beziehung" 112 . Der Göttinger Rektor pries seine „große Gelehrsamkeit" als Philologe und Historiker. Er sei gewiß „lebendig genug, um sich in die Gegenwart einzufühlen", „trotz seiner Jugend und trotz seiner Leistung als Forscher und als Persönlichkeit" gehöre er aber „nach vieler Richtung einer vergehenden Zeit" an. Zur NSDAP pflege er keine unmittelbare Verbindung, doch sei anerkennenswert, daß er an einer freiwilligen Übung im Reichsheer teilgenommen habe113. Diese in politischer Hinsicht kaum schmeichelhafte Auskunft mag dazu beigetragen haben, daß Marburg nicht mehr an Prof. Kunkel herantrat. Etwa zur gleichen Zeit interessierte sich ferner die Universität Bonn für den Rechtsgeschichtler114. Das Ministerium ebnete ihm den Weg an den Rhein. Angesichts der Widrigkeiten in Göttingen zögerte er nicht mit seiner Zusage115, obwohl die Fakultät und der Rektor ihn nun merkwürdigerweise wegen seiner „wissenschaftlichen Bedeutung und seines pädagogischen Talents" „mit allen Kräften" zu halten suchten116. Rückwirkend zum 1. Oktober 1936 wurde Wolfgang Kunkel nach Bonn berufen117.
4.4 Die Versetzung von Herbert Kraus in den Ruhestand Die Weitläufigkeit des fließend Englisch und Französisch parlierenden Herbert Kraus, seine Tätigkeit im Auswärtigen Amt seit 1917 und die damit verbundene Teilnahme an den Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk und in Versailles stempelten ihn nach 1933 zu einem „politisch unbrauchbaren Mitarbeiter" 118 . In den Augen Karl Siegerts war er „vor der Machtübernahme (ein) ausgesprochener Demokrat und Vorkämpfer des Völkerbundsgedankens", der Individualismus und Humanität als höchste Ideale gefeiert habe119. Seine Zurückhaltung in den ersten Jahren des Nationalsozialismus120 habe er allmählich wieder abgelegt, sei aber peinlichst bestrebt, sich keine Blöße zu geben. Mit gesteigertem Mißtrauen beobachteten Siegert und Genossen den Einfluß des Völkerrechtlers auf die Studenten, die regelmäßig seine Seminare besuchten. Es müsse dringend die „Züchtung von Diplomaten alten Stils" unterbunden und „ein Typ von nationalsozialistischen Vertretern der deutschen Interessen im Ausland" herangebildet werden121. Dabei war es der Fakultät gleichgültig, 115
mit welcher rechtlichen Konstruktion das Ausscheiden von Prof. Kraus bewerkstelligt wurde 122 . Schon ab 1934 ging das Berliner Ministerium daran, den Lebensnerv seines Wirkens als Völkerrechtler, den ständigen Austausch mit Kollegen aus Europa und Ubersee, zu blockieren. Mehrere seiner Anträge, zu Kongressen ins Ausland reisen zu dürfen, beschied es abschlägig 123 . Entscheidende Bedeutung kam dabei einem Bericht zu, den das Personalamt der NSDAP-Gauleitung für Süd-Hannover und Braunschweig über Prof. Kraus anfertigte. Seine Eignung, das Deutsche Reich bei staatsrechtlichen Tagungen repräsentieren zu können, wurde darin lebhaft bestritten. Derlei müsse einem Manne vorbehalten bleiben, der „voll und ganz Nationalsozialist ist und der nicht aus der Notwendigkeit der Gleichschaltung heraus sich bemüßigt fühlt, die Existenz des Dritten Reiches als gegeben hinzunehmen und den Nationalsozialismus von der wissenschaftlichen Seite zu verstehen sucht" 1 2 4 . Mit Bezug auf seine Angaben im „Fragebogen zum Nachweis der arischen Abstammung des Beamten", der Anfang 1936 auszufüllen war, sollte sich Herbert Kraus über seine vorübergehenden Beziehungen zur Ortsgruppe Dresden der Deutschen Friedensgesellschaft äußern 125 . In seiner Antwort stellte er ihm unterschobene Neigungen zum Pazifismus in Abrede. Die Zeitschrift „Die Friedens warte", für ihn von wissenschaftlicher Relevanz, habe er als Mitglied der Deutschen Friedensgesellschaft preisgünstiger abonnieren können. Ansonsten habe er häufig, beispielsweise 1920 auf einer Tagung der Deutschen Liga für den Völkerbund in Braunschweig, vehement gegen die Versailler Friedensverträge polemisiert126. Bei dem Kesseltreiben gegen Kraus durfte und wollte die Dozentenschaft nicht fehlen. Ihr Urteil über ihn brachte ihr Führer Werner Blume, Privatdozent für Anatomie, auf den bündigen Nenner: „ . . . charakterlich weich, politisch früher starke gesellschaftliche Bindungen . . . zum Auswärtigen Amt, jetzt b e m ü h t . . . , den Geist der Zeit zu erfassen" 1 2 7 . Zu Beginn des Jahres 1937 verwertete das Ministerium die Information, Kraus habe dem Pro-Palästina-Komitee angehört 128 . In der eingeforderten dienstlichen Erklärung unternahm er wiederum den Versuch, die Kontakte zur zionistischen Bewegung in Deutschland mit seinen damaligen Forschungen zu den Problemen von völkischen Minoritäten zu rechtfertigen, aus denen sein 1927 veröffentlichtes Buch „Das Recht der Minderheiten" hervorgegangen ist129. Bei Lichte besehen war es zu diesem Zeitpunkt schon unerheblich, wie auch immer Prof. Kraus sich einließ. Selbst als der Kurator ihm am 27. Mai 1937 mitteilen mußte, in Berlin werde erwogen, ihn gemäß § 6 des Berufsbeamtengesetzes in den Ruhestand zu versetzen 130 , bäumte er sich noch einmal auf. In seiner Bedrängnis gab er seinen — bei aller Kritik — eher moderaten Studien zum Versailler Vertrag und zum Pariser Völkerbund im nachhinein einen nationalistischen Anstrich und opferte sein Postulat einer vertieften internationalen Rechts- und Friedensordnung zugunsten einer stärkeren Betonung des Kriegsvölkerrechts. Die zehnseitige Bittschrift endete mit der feierlichen Erklärung von Herbert Kraus, „daß ich mich einschränkungslos für geeignet halte, das Recht des nationalsozialistischen Staates und seiner Beziehungen zu anderen Staaten erfolgreich zu lehren" 131 . Reichsminister Rust ließ sich jedoch nicht erweichen. Mit Schnellbrief vom 29. Juni 1937 bot er als Alternative lediglich die Emeritierung „aus Gesundheitsrücksichten" an, falls Prof. Kraus darauf antrage 132 . Desillusioniert fand sich der 53jährige mit dieser Lösung ab 133 . Sein Schreiben vom folgenden Tag ging zwar postwendend am 2. Juli 1937 im Ministerium ein, löste aber juristische Komplikationen aus. A m Tage zuvor war das Deutsche Beamtengesetz in Kraft getreten; sein § 70 — für eine Übergangsphase durch § 179 Absatz 1 116
modifiziert - sah ein freiwilliges Ausscheiden aus dem Beamtenverhältnis auf Lebenszeit ohne den Nachweis der Dienstunfähigkeit erst ab dem sechzigsten Lebensjahr vor. Deshalb bediente sich der Minister in seinem Erlaß vom 20. September 1937 doch des § 6 Berufsbeamtengesetz und versetzte Prof. Kraus mit Wirkung zum 31. Dezember 1937 in den Ruhestand134. Der Kurator beurlaubte ihn mit Ermächtigung aus Berlin ab sofort von seinen Dienstgeschäften135. Diese Maßnahme traf Kraus auch finanziell empfindlich. Eine Emeritierung nach dem Gesetz über die Entpflichtung und Versetzung von Hochschullehrern aus Anlaß des Neuaufbaus des deutschen Hochschulwesens vom 21. Januar 1935 hätte ihm die bisherigen Bezüge ungeschmälert erhalten, während sich nunmehr die Pension nach den allgemeinen beamtenrechtlichen Vorschriften (unter Berücksichtigung der Dienstzeiten etc.) bemaß136. Seinen Protest vom 26. September 1937 verwarf der Reichswissenschaftsminister137, der auch von der rechtlich gebotenen Einziehung des Lehrstuhls absah138. Herbert Kraus kündigte umgehend seine Göttinger Wohnung und sandte auch eine Doktorarbeit, die er betreut hatte, mit dem Bemerken an den Dekan zurück, er werde kein Votum mehr erstatten139. Einige Monate lebte er in Berlin; dann zog er in seine Heimatstadt Dresden um.
4.5 Die Entpflichtung Julius von Gierkes Der Name Julius von Gierkes tauchte ebenfalls in dem Heft über den „jüdischen Einfluß auf den Deutschen Hohen Schulen" auf140. Er blieb 1933 unbehelligt, weil ihm als „Altbeamten" durch § 3 Absatz 2 des Berufsbeamtengesetzes Schonung widerfuhr. Nach seiner Zeit als Privatdozent an der Georgia Augusta von 1901 bis 1904 wechselte er nach Königsberg und wurde dort bereits 1908 zum Ordinarius ernannt. Zudem stand Prof. von Gierke nach Aussage von Prof. Schaffstein wegen der großen Popularität seines Vaters Otto von Gierke, der sich um den germanistischen Anteil an der deutschen Rechtsentwicklung verdient gemacht hatte, einstweilen „unter Naturschutz" 141 . Es dauerte allerdings nur ein gutes Jahr, bis ihm die neuen Herren einen Vorgeschmack davon gönnten, wie sie mit ihm noch umzuspringen gedachten. Durch einen allgemeinen Erlaß vom 11. Mai 1934 entzog der Minister unter anderem ihm und dem Ökonomen Franz Gutmann die Mitgliedschaft in den Prüfungsausschüssen für das Referendarexamen 142 . War schon bei der Eliminierung von Prof. Kraus nicht alles mit rechten Dingen zugegangen, so schreckte das Reichswissenschaftsministerium selbst vor massiven Pressionen nicht zurück, um Prof. Julius von Gierke auf das Abstellgleis zu bugsieren. Das Reichsbürgergesetz vom 15. September 1935 nebst der Ersten Verordnung vom 14. November 1935 mit ihrer Ruhestandsregelung in § 4 Absatz 2 Satz 1 konnte ihm nichts anhaben, weil die Juden-Definition des § 5 Absatz 1 Satz 1 (Abstammung von „mindestens drei der Rasse nach volljüdischen Großeltern") auf ihn nicht zutraf. Und auch das letzte halbwegs legale Instrument - wenn man sich einmal auf die nationalsozialistische Rechtsethik einlassen will - , das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums mit seinen Paragraphen 5 und 6, wurde nicht genutzt143. Ein - selbstredend unveröffentlichtes - Rundschreiben des Reichs- und Preußischen Ministers des Inneren vom 16. August 1937, das contra legem befahl, auch den jüdischen Mischlingen nach den Normen des Berufsbeamtengesetzes den Stuhl vor die Tür zu stellen, ist in der Wissenschaftsverwaltung nicht mehr rechtzeitig bis zum 30. September 1937 befolgt worden. 117
Dennoch ließ es die Bürokraten nicht ruhen, im weiten Lande könnten noch einige versprengte, irgendwie jüdisch angehauchte Beschäftigte des öffentlichen Dienstes ihres Amtes walten. Zum Stichtag 1. Oktober 1937 mußten daher die Universitätskuratoren eine Liste mit den Hochschulbeamten einreichen, die als Mischlinge oder jüdisch Versippte galten oder mit einem Mischling verheiratet waren144. Aus der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät war nur Julius von Gierke auf ihr vermerkt. Prof. Siegert, ein furioser Judenhasser145, nahm jede Gelegenheit wahr, um auf das rassische „Manko" des Handelsrechtlers aufmerksam zu machen. Auf eine Anfrage von Dr. Lasch, Direktor der Akademie für Deutsches Recht, der zu einer Tagung der Abteilung für Rechtsforschung auch Nichtmitglieder einladen wollte, riet er ihm ab, Prof. von Gierke zu bedenken, weil der „allerdings Halbjude" sei144. Es wurde Julius von Gierke schließlich nicht vergolten, daß er sich nach 1933 dem Aufbruch nicht versagen mochte. Als man im Rahmen der Fakultät auf ministerielles Ersuchen hin gegen Ende 1934 Überlegungen anstrengte, wie der juristische Studiengang zu reformieren sei, unterbreitete er umfangreiche Vorschläge „im Hinblick auf die große Wiedererneuerung unseres Rechts", um in den „Rechtsbeflissenen" ein „nationales und soziales Rechtsempfinden" zu wecken147. Tragische Züge trägt die Neujahrsadresse von Gierkes an den Dekan Karl Siegert zum Jahreswechsel 1937/38, als seine Entpflichtung im Laufe der nächsten Monate eigentlich schon eine abgekartete Sache war. Prof. Siegert hatte dem Fakultätsausschuß zu Weihnachten „für die im Jubiläumsjahr 1937 geleistete Mitarbeit gedankt" und zugleich — „im Vertrauen auf den Führer" - angekündigt, im kommenden Jahr „den Kreis d e r . . . stark veränderten Fakultät fest zusammenzuschließen". In seiner Erwiderung hoffte Julius von Gierke „auf ein gedeihliches Zusammenwirken in der Fakultät unter Ihrer bewährten Führung". Leise Kritik flocht er ein, indem er fortfuhr: „Möge es gelingen, daß sich unsere deutsche Rechtswissenschaft und deutsche Rechtslehre auf der erneuerten Grundlage siegreich durchsetzt unter Beseitigung der vorhandenen Uberspannungen."148 Am 3. Mai 1938 leitete das Wissenschaftsministerium die Ablösung von Gierkes ein. Der Kurator war durch Erlaß gehalten, den damals 63jährigen Professor mit dem Gedanken anzufreunden, es sei das beste für ihn, „wegen seiner nicht rein deutschblütigen Abstammung . . . seine vorzeitige Emeritierung zu beantragen"149. Aber erst nach der Drohung des Ministers, notfalls im Verwaltungswege gegen ihn einzuschreiten150, stellte von Gierke den gewünschten Antrag151 und schied zum 30. September 1938 mit dem Dank des „Führers und Reichskanzlers" für seine „akademische Wirksamkeit" aus dem Dienst aus152.
5. Die Besonderheiten einiger „normaler" Abgänge Bisweilen verbargen sich auch hinter scheinbar normalen Personalfluktuationen Vorkommnisse, die der nationalsozialistischen Herrschaft eigentümlich waren.
5.1 Der Aufstieg der Prìvatdozenten Karl Larenz, Karl Michaelis, Fñedñch Schaffstein und Adalbert von Unruh Die rassisch und politisch motivierten Entlassungen und Versetzungen begünstigten den zügigen Aufstieg fertig ausgebildeter Nachwuchskräfte, sofern sie neben „wissenschaftlicher Begabung, Lehrfähigkeit und Charakterfestigkeit" vor allem eine „klare nationalsozialisti118
sehe Haltung und Aktivität" erkennen ließen153. Daß dieses Prädikat zumindest dreien der Göttinger Privatdozenten verliehen wurde154, beweist ihre Beförderung auf Professorenstellen innerhalb weniger Wochen im Herbst 1933. Karl Larenz, ein Schüler Prof. Binders, gehörte mit Friedrich Schaffstein den Volkskonservativen an, die Sympathien für die Nationalsozialisten hegten, ohne aber den Anschluß an sie vollzogen zu haben155. Er sprang mit Wirkung vom 30. April 1933 für den einen Tag zuvor in Kiel beurlaubten Gerhart Husserl ein und bekam seinen Lehrstuhl am 28. Oktober 1933 endgültig zugesprochen156. Karl Michaelis mußte gleichfalls nicht lange ausharren, bis er an die bevorzugt bediente Universität Kiel beordert wurde. Seit dem 18. Juli 1933 nahm er die Professur für Bürgerliches Recht und Prozeßrecht wahr, die Professor Dr. Werner Wedemeyer wegen seiner engen Kontakte zu Juden räumen mußte. Den Titel eines planmäßigen Extraordinarius erhielt Michaelis am 3. November 1934157. Auch Friedrich Schaffstein brauchte keine Nachteile zu gewärtigen, weil er es aus Pietät verschmäht hatte, unmittelbar von Richard Honigs Demission zu profitieren. Zum 1. Oktober 1933 wechselte er gleich als ordentlicher Professor an die Universität Leipzig und landete schon im April 1935 als dritter Sproß der Göttinger Fakultät in Kiel, nachdem der bekannte Kriminologe Hans von Hentig nach Bonn abgedrängt worden war158. Nur Adalbert von Unruh, Privatdozent seit 1932, mußte sich etwas gedulden. Im Sommersemester 1935 vertrat er den Lehrstuhl für Öffentliches Recht des emeritierten Professors Paul Schoen159, im Wintersemester darauf wurde er in gleicher Funktion an der Universität Frankfurt eingesetzt. Dort ernannte ihn der Minister mit Wirkung vom 1. April 1936 zum beamteten außerordentlichen Professor140.
5.2 Die Berufung Herbert Meyers an die Universität Berlin Die älteren Professoren vom „Typ Herbert Meyer" 161 erleichterten den Nazis in der Übergangsperiode den Siegeszug an den Hochschulen, verkörperten auf der anderen Seite jedoch das bekämpfte „reaktionäre" Element. Die schmerzliche Einsicht, von den forschen Nachwuchsleuten nicht als spiritus rector der „Bewegung" anerkannt zu werden, dämmerte auch Prof. Meyer recht bald. Die konsequente Anwendung des Führerprinzips im universitären Alltag kollidierte mit den eingeschliffenen Gewohnheiten auf dem Felde der akademischen Verwaltung. Mit Befremden mußte Herbert Meyer erleben, daß der erste Führer der Dozentenschaft an der Universität, der Privatdozent für landwirtschaftliche Tierzucht Hermann Vogel, als Fakultätsvertreter nicht einen der außerplanmäßigen Extraordinarien (Hermann Mirbt oder Hans Niedermeyer), sondern zunächst gar den Fakultätsassistenten Dr. Gercke und wenig später — sich korrigierend — den Oberassistenten am Staatswissenschaftlichen Seminar Scherbening entsandte. Mit seiner Rechtsmeinung, nach wie vor könne nur ein habilitierter Nichtordinarius an den Fakultätssitzungen teilnehmen, stieß Prof. Meyer weder beim Rektor noch bei seinem theologischen Amtsbruder Prof. Hirsch auf Gegenliebe und mußte daher wohl oder übel zurückstecken. Um seine Auffassung halbwegs zu retten, zog er Prof. Niedermeyer als persönlichen Vertrauensmann hinzu162. In seiner Position als Dekan litt er mehrfach unter Alleingängen des Rektors Neumann in Angelegenheiten, die die Belange der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät tangierten163. So schaltete Prof. Neumann die Juristen und die Volkswirte nicht ein, als er 119
im September 1934 beim Ministerium Lehraufträge für Arbeitsdienst und Sozialpolitik (Gauarbeitsführer Dr. Wagner) und für politische Schulung (Gauschulungsleiter Schirmer) beantragte. Besonders brüskiert fühlte sich Herbert Meyer Anfang 1935 durch einen Coup des Rektors, der den Professor für Agrarpolitik Artur Schürmann auch in seine Fakultät als Ökonomen integrierte (S. 643). Herbert Meyer mag gespürt haben, daß er zum Anachronismus zu werden drohte. Noch während die Sache Schürmann schwelte, kam er mit Schreiben vom 14. Mai 1935 beim Rektor darum ein, von der Dekanatsleitung entbunden zu werden 164 . Zwei Tage danach übernahm Prof. Hans Niedermeyer kommissarisch die Amtsgeschäfte, weil er die Bestallungsurkunde zum ordentlichen Professor noch nicht in Händen hielt165. Zur Verblüffung auch seiner Intimfeinde 166 berief der Reichswissenschaftsminister Herbert Meyer ungeachtet seines Alters von bereits 62 Jahren zum 1. November 1937 an die Universität Berlin167. Wer den Anstoß dazu gegeben hat, konnte ich nicht in Erfahrung bringen. Jedenfalls befreite ihn dieser Schritt von den pausenlosen Streitereien mit Schürmann und Konsorten (S. 125) und verschaffte ihm zugleich die Ehre, an Deutschlands namhaftester Universität lehren zu dürfen 168 .
6. Die personellen
Ergänzungen
6.1 Die Vorschläge Siegerts zum Ausbau des Lehrkörpers Parallel zu der Hätz auf alle wahren oder vermeintlichen Widersacher widmete sich Prof. Siegert ambitioniert dem Ausbau der Fakultät. Ihre „Schlagkraft" zu verbessern, an sie „Dozenten mit guter nationalsozialistischer Grundhaltung, gediegener wissenschaftlicher und pädagogischer Begabung und großer Charakterfestigkeit" zu binden, lautete sein Programm. Die Göttinger Fakultät könne sich dank der renommierten Persönlichkeiten, die sie in Vergangenheit und Gegenwart hervorgebracht habe, durchaus mit den Vorzeigeuniversitäten Kiel, Breslau und Königsberg messen und habe hinlänglich bewiesen, daß sie „eine gute Pflanzstätte zur Heranbildung bester nationalsozialistischer Rechtsgelehrter" sei. Es müsse angestrebt werden, eine „umfassende nationalsozialistische Rechtswissenschaft" zu entwickeln und sie „in der jungen Mannschaft der angehenden Rechtswahrer" zu verbreiten. Diese sollten „den nationalsozialistischen Staat nicht bloß loyal bejahen, sondern müssen sich für ihn und die neue Wissenschaft voll einsetzen." 169 Das anvisierte Ideal zu realisieren, erwies sich aber als ein recht beschwerliches Geschäft170, zumal der Ruf der Fakultät mehr und mehr unter den Umtrieben der „Hardliner" Karl Siegert, Artur Schürmann und Klaus-Wilhelm Rath litt171.
6.2 Die Lehrstühle für Öffentliches Recht Unter dem Aspekt der politischen Mobilisierung verstand es sich von selbst, daß Prof. Siegert dem Staatsrecht Priorität einräumte, zumal die Fachvertreter, die zu Beginn des Jahres 1935 noch in der Fakultät saßen (Paul Schoen, Herbert Kraus, Gerhard Leibholz und Hermann Mirbt) aus seiner Sicht allesamt indiskutabel waren. Auch der nichtbeamtete Extraordinarius Mirbt konnte kaum auf eine entschiedene Förderung hoffen, weil er mit seiner Mitgliedschaft bei den Freimaurern bis 1933 „eine Instinktlosigkeit verraten" und darüber hinaus literarisch wenig vorzuweisen hatte172. 120
6.2.1 Die Nachfolge Schoen Siegerts Absichten wurden jedoch schon bei der ersten sich bietenden Gelegenheit durchkreuzt. Die Emeritierung von Prof. Schoen zum 31. März 1935 kam dem Ministerium zupaß, um Professor Rudolf Smend zu degradieren. Mit seinen Werken „Die politische Gewalt im Verfassungsstaat und das Problem der Staatsform" von 1923 und „Verfassung und Verfassungsrecht" von 1928 hatte er die staatstheoretische Diskussion in der Weimarer Republik maßgeblich mitgestaltet. Dies und sein beharrliches Eintreten für seine jüdischen Schüler173 brachten ihn bei den Nationalsozialisten in Mißkredit. Seinen Lehrstuhl an der Universität Berlin mußte er daher für Dr. Reinhard Höhn 174 , einen Günstling der Partei, freimachen175. Nach mündlicher Aufforderung durch den Ministeriumsreferenten Prof. Eckhardt setzte die Göttinger Fakultät Smend auf Platz eins ihres Berufungsvorschlags vom 23. Februar 1935176. Er wollte allerdings seine Bindungen an Berlin nicht ohne weiteres kappen und lehnte deshalb den Ruf ab. Daß dies aber nur ein symbolischer Akt sein konnte, hatte er bei einer Besprechung im Ministerium einsehen müssen. Dort gab man ihm unzweideutig zu verstehen, ein weiteres Mal dürfe er sich nicht verweigern177. Zum 1. November 1935 mußte Rudolf Smend endgültig nach Göttingen übersiedeln178. Die folgenden neuneinhalb Jahre „als politisch Gemassregelter in dem menschlich und politisch beinahe unerträglichen Kreise" 179 sind ihm schwergefallen. Er wirkte jedoch, wie auch Prof. Siegert feststellte180, trotz seines kritischen Intellektualismus' in der Fakultät loyal mit.
6.2.2 Die Nachfolge Leibholz Gelegenheit zum „Neuaufbau" bot sich dagegen bei dem freigewordenen Lehrstuhl von Gerhard Leibholz. Nach mehreren Fehlschlägen entsann sich Siegert, mittlerweile zum Dekan aufgestiegen, nämlich seines Duzfreundes Dr. Georg Erler 181 aus gemeinsamen Münsteraner Tagen und versuchte, den Landgerichtsrat in Münster und Dozenten an der Hochschule für Politik in Bochum für einen Wechsel nach Göttingen zu begeistern182. Die bis dato nicht geglückte Habilitation183 sollte kein Hinderungsgrund sein. Die Fakultät, schrieb Siegert, zähle nicht mehr zu jenen, „welche nach alter Sitte Habilitierte haben wollen"; bei ihr sei „nicht die Form, sondern die Eignung als Nationalsozialist und Wissenschaftler ausschlaggebend"184. Rücksprachen bei den zuständigen Instanzen hatten ihn aber gelehrt, daß es nicht gelingen würde, seinen Protege umstandslos in eine beamtete Professur zu hieven185. Siegert schlug deshalb vor, Erler möge sich dem Fakultätskollegium im November 1937 mit einem Vortrag an der örtlichen Verwaltungsakademie bekannt machen und im Sommersemester 1938 den Leibholzschen Lehrstuhl vertreten186. Um etwa auftauchende Schwierigkeiten bei der Beurlaubung aus dem Richterdienst zu beseitigen, wollte der Agrarrechtler Prof. Saure (S. 124) seinen guten Draht zu Dr. Roland Freisler, seinerzeit Staatssekretär im Reichsjustizministerium, nutzen187. Dieser Plan ging reibungslos auf, so daß Georg Erler am 19. November 1938 zum beamteten außerordentlichen Professor ernannt wurde188. Während einer Forschungsreise in das südliche Afrika 189 , die er im Frühjahr 1939 antrat, brach der Zweite Weltkrieg aus. Bis zum November des Jahres saß Erler in Portugiesisch Mozambique fest190. Die britische Marine enterte vor Sierra Leone das Schiff, auf dem er den Heimweg riskiert hatte. Als Zivilinternierter wurde er schließlich 1940 nach Australien deportiert191. Dort erhielt er drei Jahre später aus Göttingen die Nachricht von seiner Berufung zum ordentlichen Professor192.
121
6.2.3 Die Nachfolge Kraus Kaum hatte Prof. Kraus durch seinen Antrag auf Emeritierung signalisiert, daß er den enervierenden Schikanen nicht länger standhalten konnte oder mochte, durfte Karl Siegert triumphieren. Die politische Lage der Fakultät habe sich erheblich verbessert: „Ich bin so sehr optimistisch für unsere Zukunft geworden". 193 In diesem Aufwind wollte er endlich den ersehnten nationalsozialistischen Fachvertreter für das Völkerrecht akquirieren. Die Bemühungen der Fakultät mündeten jedoch in ausgedehnte Nachfolgewirren, die nur gelegentlich durch Vertretungen unterbrochen wurden. Erst zum 1. April 1940 konnte mit Prof. Ulrich Scheuner,194 der der Fakultät zuvor noch eine Absage erteilt hatte,195 ein Ersatz für Herbert Kraus gewonnen werden.196 Die Erleichterung über das Ende der zweieinhalbjährigen Vakanz währte aber nicht lange. Scheuner war nämlich auserkoren, an der Universität Straßburg, die nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Frankreich als „Hüterin gegen den Geist des demokratischen Westens" wieder gegründet worden war,197 ab dem 1. Juli 1941 Dienst zu tun. 198 Da weitere Versuche einer Neubesetzung scheiterten (S. 127), mußte Göttingen bis zum Kriegsende auf einen Völkerrechtler verzichten.
6.3 Die Lehrstühle für Strafrecht Auf Siegerts Skala der Bedeutsamkeit für die Politisierung der Fakultät gebührte dem Strafrecht der zweite Rang hinter dem Staatsrecht.199 Allzuviel Kopfzerbrechen bereitete ihm die personelle Ausstattung dieser Disziplin zu Anfang des Jahres 1935 nicht. Geheimrat von Hippel war zum 30. September 1934 emeritiert worden, Siegert hielt ihn aber noch für so rüstig, daß er sich fortan in nennenswertem Umfang am akademischen Unterricht werde beteiligen können. 200 Es ist allerdings fraglich, ob Siegert auch zu diesem Urteil gelangt wäre, wenn von Hippel nicht schon am 29. April 1933 in einem längeren Schreiben an den Kurator dem Ondit entgegengetreten wäre, er sei jüdischer Abstammung, und dank seiner Vorliebe für genealogische Forschungen den Stammbaum seiner Familie weit zurückverfolgt hätte.201 Eigentlich drängte sich Siegert nur ein jüngerer Fachgenosse für die Nachfolge von Hippels auf, der „in gleicher Weise politische Aktivität mit hinreichenden wissenschaftlichen Leistungen" verband: Prof. Schaffstein aus Leipzig, aber der war zu seinem Leidwesen schon für Kiel reserviert.202 Als „Gegengewicht gegenüber den nicht zeitgemäßen Anschauungen von Hippels" forderte er deshalb nur einen Lehrauftrag, der es erlauben würde, den Nachwuchs zu testen und heranreifen zu lassen.203
6.3.1 Die Nachfolge von Hippel Die Fakultät entschied sich jedoch Ende 1934 anders. Der nichtbeamtete Extraordinarius Prof. Hans Niedermeyer, seit 1921 Privatdozent und seit 1926 außerordentlicher Professor, sollte aus seinen wirtschaftlich ungesicherten Verhältnissen erlöst werden. Nachdem er in der Weimarer Republik als liberal gegolten hatte,204 schwenkte er beizeiten zu den Nationalsozialisten über.205 Rektor Friedrich Neumann, sein Gönner, fragte beim Ministerium wegen einer Planstelle für ihn an206 und erinnerte an die immer noch offene Zivilrechtsprofessur Rühl, die allerdings im Jahre 1934 für den Völkerkundler Prof. Hans Plischke an die Philosophische Fakultät abgetreten werden mußte, um Plischke die Beförderung zum Ordinarius zu ermöglichen.207 Im Einvernehmen mit dem Ministerium insistierten die Juristen nicht auf dem zweiten Strafrechtler, 208 sondern bescherten Hans Niedermeyer einen 122
quicken Aufstieg: Seiner Ernennung zum beamteten außerordentlichen Professor am 30. Januar 1935 folgte am 18. Mai 1935 die Berufung zum Ordinarius.
6.3.2 Die Nachfolge Gutmann Die Möglichkeit, den Verlust des kriminalistischen Lehrstuhls wieder wettzumachen, bot sich schon im Laufe des Jahres 1935, nachdem der Staatswissenschaftler Prof. Franz Gutmann in seine Entpflichtung zum 31. März 1936 einwilligen mußte (S. 163 f.). Der erste Dreiervorschlag erledigte sich aus diversen Gründen. 209 Beim nächsten Anlauf rückte die Fakultät im Januar 1936 den Kölner Dozenten Dr. Hans Welzel, der vorwiegend mit rechtsphilosophischen Werken hervorgetreten war, auf die zweite Position. Sie rühmte seine „frische Persönlichkeit" und bezeichnete seine Haltung zum Nationalsozialismus als „aufgeschlossen und ehrlich". 210 Als Unterführer der juristischen Dozentenschaft und als „brauchbarer Mitarbeiter in Arbeitsgemeinschaften und Lagern der Fachschaft" erdiente sich Welzel ordentliche Noten der Kölner Studentenschaft.211 Und da er wissenschaftlich in der geistigen Nachbarschaft der Kieler Schule um Georg Dahm und Friedrich Schaffstein angesiedelt wurde, störte es nicht weiter, daß er kein Mitglied der NSDAP war.212 Das Ministerium wählte ihn für Göttingen aus, nachdem er einen Lehrauftrag im Sommersemester 1936 zur Zufriedenheit der Fakultät abgewickelt hatte.213 Es wies ihn zum 1. Oktober 1936 in die freie Stelle ein214 und ernannte ihn mit Wirkung vom 1. Januar 1937 zum beamteten Extraordinarius, ab dem 1. Februar 1940 schließlich zum ordentlichen Professor. Restlos beglückt reagierte Siegert nicht auf den etwas jüngeren Kollegen, dessen fachliche Qualitäten er jedoch nicht bekritteln mochte. Er sei eben „kein Aktivist" und habe „nach wie vor gewisse persönliche altbürgerliche Hemmungen"; wenigstens lehre er aber „nationalsozialistische Rechtsauffassungen". 215 Welzel festigte außerdem neben dem Dreigestirn Siegert, Schürmann und Rath sowie Saure die Phalanx der Juristen und Volkswirte in der „Akademie der Wissenschaften des NSD-Dozentenbundes" (S. 55 f.), die der Philosophieprofessor Hans Heyse am 22. April 1937 gründete.216
6.4 Die Lehrstühle für Bürgerliches Recht Entgegen seinem historisch gewachsenen Gewicht, ablesbar an der Majorität der Lehrstühle, mußte sich das Zivilrecht in Siegerts Abriß über den Ausbau des Lehrkörpers noch hinter der Nationalökonomie mit einer Statistenrolle begnügen. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Zur Stabilisierung der nationalsozialistischen Herrschaft war es nicht nötig, die Kodifikationen des Privatrechts wie das Bürgerliche Gesetzbuch, das Handelsgesetzbuch und die Zivilprozeßordnung im Nu zu revidieren. Eine veränderte Interpretation der Generalklauseln („Treu und Glauben", „gute Sitten" etc.) sollte der völkischen Rechtsauffassung Geltung verschaffen, bis ein neues Volksgesetzbuch konzipiert war.217 Es ist daher kein Wunder, daß das gesunkene Ansehen vor allem des Römischen Rechts eine Reduktion des Kontingents bürgerlichrechtlicher Professuren begünstigte. So mußten die Juristen den Lehrstuhl Kunkel an die staatswissenschaftliche Abteilung abgeben, die mit dieser Stelle eine Dozentur für Betriebswirtschaft einrichtete (S. 170).218
6.4.1 Die Nachfolge Würdinger Bescheidenheit kennzeichnet denn auch die personellen Ansprüche, die Siegert für das Zivil123
recht erhob. Den außerordentlichen Prof. Michaelis hätte er gern in sein früheres Ambiente zurückgeholt. Er wußte jedoch, daß es im Jahre 1935 nahezu ausgeschlossen war, einen jüngeren Hochschullehrer von Kiel „loszueisen".219 Keine der sonstigen Persönlichkeiten, über die als Ersatz für Prof. Würdinger debattiert wurde, konnte ihn so recht entzücken.220 Am ehesten bestand noch bei Dr. Eduard Wahl, einem Berliner Privatdozenten und Referenten am Kaiser-Wilhelm-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, „eine gewisse Vermutung für politische Einsatzbereitschaft". 221 Rektor Neumann teilte diese Ansicht und lobte ihn von Platz drei der Liste nach vorn. 222 Daraufhin ernannte ihn das Ministerium ab dem 1. April 1935 zum beamteten Extraordinarius.223 Politisch blieb der „Gelehrtentyp" Wahl unauffällig: „ . . . kein Aktivist für den Nationalsozialismus", lautete Siegerts knappes Verdikt. 224 Zum 1. Januar 1941 verließ Eduard Wahl Göttingen in Richtung Heidelberg.225
6.4.2 Die Nachfolge Binder Als Julius Binder im Jahre 1937 seinen Lehrstuhl für Römisches und Bürgerliches Recht sowie Rechtsphilosophie aufgeben mußte,226 wurde der Graben zwischen den älteren und den jüngeren Fakultätsmitgliedern aktenkundig. Der erste Berufungsvorschlag vom 18. Januar 1937 trug noch die Handschrift der Gruppe um den Dekan Hans Niedermeyer, Julius Binder und Herbert Meyer. Die Reverenz gegenüber den Verdiensten Binders schlug sich in der Plazierung seiner Schüler, der Dozenten Dr. Gerhard Dulckeit und Dr. Martin Busse, nieder. Während der Fakultätsausschuß beide pari passu und dahinter den Dozenten Dr. Franz Wieacker aus Leipzig nannte,227 schalteten sich Binder und Meyer mit einem Sondervotum ein, in dem sie Dulckeit, 1934 in Göttingen habilitiert, als den „gegebenen Nachfolger" herausstellten, der alle drei involvierten Rechtsgebiete am besten beherrsche.228 Dagegen machte die andere Fraktion sofort mobil. Zunächst galt es, Dulckeit zu diskreditieren. Auf Bitten des Rektors knöpfte sich Hans Welzel die Monographie Dulckeits über „Rechtsbegriff und Rechtsgestalt. Untersuchungen zu Hegels Philosophie des Rechts und ihrer Gegenwartsbedeutung" vor und kritisierte die „schiefen Aktualisierungen" der Hegeischen Positionen.229 Selbstverständlich ergriff auch Siegert das Wort. Er warf Dulckeit vor, zu sehr dem Neuhegelianismus verhaftet zu sein. Außerdem mahnte er, weil es diesmal konvenierte, den Brauch an, einem Dozenten grundsätzlich nicht am Orte seiner Habilitation zu einer Professur zu verhelfen.230 Hinter diesem personenzentrierten Angriff verbarg sich jedoch ein verändertes Konzept für den vakanten Lehrstuhl. Die antike Rechtsgeschichte und die Rechtsphilosophie seien — so Siegert — durch die Herren Niedermeyer, Smend und Welzel ausreichend abgedeckt. Der Bereich „Rechtsverkehr" müsse vorangetrieben werden; dafür komme Dr. Busse, Stabsleiter im Stabsamt des Reichsbauernführers,231 wie gerufen, zumal gerade vom Bauernrecht her, in der bewußten Abkehr von den Denkformen des bisher gelehrten bürgerlichen Rechts, das zukunftsträchtige Recht des Nationalsozialismus aufgebaut werden solle.232 Nur kurze Zeit nachdem Siegert seine Machtfülle ab dem 1. April 1937 um das Amt des Dekans erweitert hatte, schickte die Fakultät eine ergänzende Liste an das Ministerium. Auf ihr erschien erstmals der Name des Ministerialdirektors Dr. Wilhelm Saure aus dem Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft.233 Die ursprüngliche Reihenfolge mit Busse und Wieacker 234 an der Spitze (nur Dulckeit war ausgebootet) wollte die Fakultät nicht antasten. Gleichwohl legte sie, „unter maßgebender Mitwirkung des NSDDozentenbundes, insbesondere Gauamtsleiters Prof. Schürmann, den größten Nachdruck" auf den nicht habilitierten SS-Mann Saure, einen Kollegen Busses beim Reichsnährstand.235 124
Diese überraschende Wende hatte sich auf der Fakultätssitzung vom 28. April 1937 angebahnt. Artur Schürmann lancierte den Namen Saure und erregte damit den Unwillen Herbert Meyers. Die Animosität zwischen den beiden Kontrahenten kulminierte in einem heftigen Wortgefecht. Hernach beklagte sich Schürmann in einer offiziellen Beschwerde an Dekan und Rektor über die gereizten Attacken Meyers. Er mochte nicht als „Outsider" der Nationalökonomie tituliert werden, dessen Ratschlag bei einer juristischen Professur ohnehin nicht gefragt sei. Meyer wunderte sich ebenso wie Herbert Kraus über die Präsentation Saures, der nur als Kommentator des Reichserbhofgesetzes bekannt war, sich damit aber für einen Lehrstuhl mit den Hauptgebieten Römisches Recht und Rechtsphilosophie nicht sonderlich qualifiziert hatte. Mit Blick auf Schürmann konnte sich Meyer daher die Bemerkung nicht verkneifen, es sei der Fakultät wenig gedient, wenn eines ihrer Mitglieder wegen einer Professur „irgendwie in seinem Bekanntenkreis herumsuche". 236 Zum 1. Dezember 1937 vollzog das Reichswissenschaftsministerium den Senkrechtstart Wilhelm Saures auf die ordentliche Professur für Rechtsphilosophie und Bürgerliches Recht, speziell das Bauern- und Bodenrecht sowie das Wirtschafts- und Arbeitsrecht. Außerdem stand er dem neugegründeten Institut für Agrar- und Wirtschaftsrecht vor.237 Auf Saures Initiative hin entsandte das SS-Hauptamt ab dem Sommersemester 1938 zunächst fünf Untersturmführer, die die Verwaltungslaufbahn innerhalb der SS einschlagen wollten, zum Studium nach Göttingen. 238 Nicht allzu lange konnte sich die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät im Glänze dieses prototypischen Nationalsozialisten sonnen. Wilhelm Saure wurde nach der militärischen Überrumpelung der Tschechoslowakei gebraucht, um ab dem 1. Januar 1940 als Rektor die Deutsche Karls-Universität in Prag zu einer Bastion im Osten des Reiches zu formen. 239 Für die Nachfolge empfahl er Martin Busse, mittlerweile beamteter Extraordinarius in Kiel. Dieser trat sein Amt im April 1941 an, müßte aber schon am 9. Januar 1942 wieder in den Krieg ziehen, aus dem er nicht mehr zurückkehrte. 240
6.4.3 Die Nachfolge Meyer Eine erste Runde des einsetzenden Tauziehens um die Nachfolge Herbert Meyers führte zu keinem Ergebnis. Beim zweiten Anlauf einigte sich die Fakultät auf Dr. Wilhelm Ebel, im Laufe des Sommersemesters 1938 zum planmäßigen Extraordinarius in Rostock ernannt, dessen rechtshistorische Forschungen ihr besonders gefielen.241 Daneben vergaß sie nicht, seinen politischen Eifer gebührend herauszustreichen, den sie einem ausführlichen Lebenslauf entnehmen konnte. Bis Ende März 1936 agierte Ebel als politischer Leiter der Ortsgruppe Bonn der NSDAP, deren Mitglied er seit dem 1. Mai 1933 war. Die Deutsche Dozentenschaft und der NSD-Dozentenbund delegierten ihn in die Gremien der dortigen Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät. In Rostock setzte er seine Parteikarriere als Gauhauptstellenleiter im Gaurechtsamt Mecklenburg fort. Außerdem übte er folgende Funktionen aus: Gaugruppenwalter Hochschullehrer im Nationalsozialistischen Rechtswahrerbund, Gaubeauftragter für wissenschaftliche Arbeiten, Lektor des Amts für Rechtsschrifttum im Reichsrechtsamt der NSDAP sowie Lektor in der Reichsstelle zur Förderung des Deutschen Schrifttums im Amte des Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten weltanschaulichen Erziehung.242 Dieser hochkarätige Aktivist fand sich in dem „sehr netten Kreis von Juristen" 243 an der Georgia Augusta schnell zurecht. Nach einer Vertretung im Sommersemester 1939 bedachte ihn das Ministerium ab dem 1. Oktober 1939 mit dem Ordinariat. In der Hochschulgruppe Göttingen des NSD-Dozentenbundes mischte er sogleich als Verantwortlicher des Amts für Nachwuchsförderung mit.244 Auf Ebel wird noch zurückzukommen sein. 125
6.4.4 Die Nachfolge von Gierke Nachdem Julius von Gierke vertrieben worden war, vertrat der junge Kieler Privatdozent Dr. Hans Tägert diese Vakanz im Sommersemester 1939.245 Er erschien auch hinter Prof. Hermann Krause, der aber - wie vor ihm schon andere - Heidelberg nicht gegen Göttingen eintauschen mochte,246 auf der Berufungsliste der Fakultät.247 Die Ernennung zum planmäßigen Extraordinarius im Februar 1940 nahm er, der seit Kriegsbeginn eingezogen war, auf einem Vorpostenboot der Marine in der Ostsee entgegen.248 Seine Lehrtätigkeit konnte er auch als ordentlicher Professor ab dem 1. November 1941 nur sporadisch fortsetzen.249 Er fiel wenige Tage vor Kriegsende am 2. Mai 1945.250
6.5 Das Ergebnis der Personalpolitik Mit dem Fazit der essentiellen Rekonstruktionsphase, die gegen Ende des Jahres 1939 abgeschlossen war, ehe der Ausbruch des Krieges das Gefüge des Lehrkörpers und seine Präsenz in Göttingen gehörig erschütterte, durften die Juristen und Staatswissenschaftler im NSDDozentenbund einigermaßen zufrieden sein, auch wenn der „Erfolg" der „Negativauslese" nicht wiederholbar war.251 Kummer bereitete ihnen ausgerechnet das wichtige öffentliche Recht, weil sie die Abordnung Rudolf Smends „schlucken" und bei der Suche nach einem exzellenten Völkerrechtler Pannen verkraften mußten; allein die Berufung Georg Erlers, der allerdings für den Lehrbetrieb nicht zum Einsatz kommen konnte, durfte hier auf der Habenseite gebucht werden. Dagegen war das Strafrecht mit Karl Siegert und Hans Welzel beinahe optimal besetzt. Im Zivilrecht überwogen die erklärten Nationalsozialisten Wilhelm Saure, Wilhelm Ebel, Hans Tägert und - mit Abstrichen - Eduard Wahl deutlich den besonneneren Hans Niedermeyer.
6.6 Karl Siegerts Kriegseinsatz und die Dekanatsnachfolge Kurz nach Kriegsbeginn, am 7. September 1939, wurde Prof. Siegert zur Wehrmacht eingezogen, am 31. Oktober 1939 aber nach Northeim versetzt, um seine Tätigkeiten als Hochschullehrer und Dekan fortführen zu können. 252 Im Mai 1940 bildete er in Göttingen Rekruten aus, wünschte jedoch inständig, in die Kampfhandlungen eingreifen zu dürfen.253 Um seinem „militärischen Avancement" nicht zu schaden, sah die Fakultät von einem Antrag auf uk-Stellung Siegerts selbst dann ab, als Hans Welzel eine Krankheit auskurieren mußte und das Strafrecht nahezu brachlag.254 Wegen seines Alters wurde Leutnant Siegert im Oktober 1940 aus der Frontdivision abgezogen und statt dessen einem Landesschützenregiment in Bergen bei Celle, anschließend in der Umgebung von Magdeburg zugeteilt.255 Seit Herbst 1941 beschäftigte ihn die Luftwaffe als Kriegsgerichtsrat.256 Da auch Siegerts Prodekan Klaus-Wilhelm Rath sich während des Krieges immer weniger um das Dekanat kümmern konnte,257 mußte sich der Rektor der Universität nach Ersatz für seinen „Unterführer" umsehen. Wilhelm Ebel, der aus Sicht der Nationalsozialisten an der Fakultät vielleicht noch am ehesten in Frage gekommen wäre, stand nicht zur Verfügung. Denn er nahm als Angehöriger der Waffen-SS am Frankreich-Feldzug teil258 und konnte sich erst zum 31. August 1940 an der Universität zurückmelden.259 Ein Jahr später, als der Angriff auf die Sowjetunion bevorstand, wurde er erneut rekrutiert.260 Ab Ende 1941 verbrachte er freilich geraume Zeit nicht in Schützengräben, sondern an einem 126
Berliner Schreibtisch im Rasse- und Siedlungshauptamt der Reichsführung SS, weil er als kommissarischer Leiter der Abteilung für indogermanisch-deutsche Rechtsgeschichte an dem Projekt „Ahnenerbe" mitarbeitete.261 Schließlich besuchte er im November 1943 als SS-Hauptsturmführer den dritten Lehrgang für germanische Offiziere an der SS-Junkerschule in Bad Tölz. 262 Deshalb wurde Rudolf Smend zunächst ab dem Winterhalbjahr 1941/42 mit der Verwaltung der Dekanatsgeschäfte betraut, ehe ihn Rektor Prof. Plischke im Frühjahr 1943 zum Dekan bestimmte. Diese Bestellung eines Nicht-Parteimitglieds kann als Indiz für einçn Kurswechsel nach dem faktischen Rückzug des Triumvirats Siegert, Rath und Schürmann gesehen werden. Denn auch in der Berufungspolitik wurden nun in der Fakultät — mit Rückendeckung des Rektors und auch des neuen NSD-Dozentenbundsführers und späteren Rektors Drexler — andere Akzente gesetzt. Ein Beispiel dafür liefert die Ersatzberufung für den Lehrstuhl Wahl. Die Fakultät entschied sich für den Rostocker Ordinarius Dr. Walter Hallstein,263 obwohl der Reichsdozentenbund in seinem Gutachten nur Abträgliches über ihn zu berichten wußte. Hallstein sei „sehr vorsichtig und zurückhaltend" und werde „niemals geeignet sein, selbständig als Kämpfer und Führerpersönlichkeit im nationalsozialistischen Sinne zu wirken". 264 Rektor Prof. Plischke sprang der Fakultät bei und schwärmte von Hallsteins Rednergabe und seinen Erfolgen als Wissenschaftler und akademischer Lehrer. Dagegen erwähnte er mit keiner Zeile den weiteren Aspiranten Rudolf Reinhardt, ordentlicher Professor in Marburg und immerhin — so sollte man meinen — mit dem Vorzug ausgestattet, seit 1933 der NSDAP anzugehören.265 Da beide für Göttingen jedoch nicht erreichbar waren,266 wünschte die Fakultät den unverdächtigen Extraordinarius Günther Beitzke aus Jena 267 und nahm sogar in Kauf, bis zum Sommer 1943 auf ihn warten zu müssen.268 Unter dem Vorsitz von Rudolf Smend probierte die Fakultät im Januar 1942 etwas noch Ungewöhnlicheres als bei der fehlgeschlagenen Berufung von Hallstein, um den nach Prof. Scheuners Abgang nach Straßburg abermals vakant gewordenen Lehrstuhl für Völkerrecht zu besetzen. Sie bat — unterstützt durch den Rektor Prof. Plischke und den Führer des NSD-Dozentenbundes Prof. Drexler — um die Berufung des nicht einmal promovierten Botschafters zur Disposition Ulrich von Hasseil,269 dessen nahezu fünfundzwanzigjährige Erfahrungen in der diplomatischen Praxis sie ebenso hoch schätzte wie seine Schriften zur Außenpolitik. 270 Von Hassell stand jedoch, wie bald zu hören war, nicht zur Verfügung.271 Diese Aktion trug Rudolf Smend nach dem mißglückten Attentat auf Hitler, an dessen Vorbereitung auch von Hassell mitgewirkt hatte, im Jahre 1944 eine Visite der Geheimen Staatspolizei ein.272
7. Das Studium der Rechtswissenschaft Akzeptiert man den Zuspruch, den eine spezielle akademische Disziplin und die mit ihr verbundenen Berufe bei den Studienanfängern finden, als ein Barometer für ihr gesellschaftliches Ansehen, dann war es um die Rechtswissenschaft während des Dritten Reiches schlecht bestellt. Der fast durchgängige Sturz der Einschreibungszahlen an sämtlichen deutschen Hochschulen seit dem Sommersemester 1933 bis zum Kriegsbeginn ist gewiß zu einem guten Teil auch anderen Faktoren geschuldet, etwa dem Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen vom 25. April 1933273 und seinen Durchführungsverordnungen274 sowie der Abnahme des Anteils der 18- bis 25jährigen an der Bevölkerung um circa ein Viertel 127
in dem betrachteten Zeitraum.275 Konfrontiert man jedoch das Absinken der Ziffern für alle Universitäten des Deutschen Reiches mit dem Schwund allein beim juristischen Studium, offenbart sich ein signifikanter Unterschied. Die Immatrikulationen waren in ihrer Gesamtheit zum Sommersemester 1939, ehe die allgemeine Mobilmachung im Kriege den Zustrom der Studenten zunächst weiter abebben ließ, auf exakt fünfzig Prozent des Standes vom Sommersemester 1933 gefallen; im Fach Rechtswissenschaft schrumpften sie dagegen auf rund dreißig Prozent.276 Für Göttingen ergibt sich eine noch negativere Bilanz: Waren zum Sommersemester 1933 immerhin 698 Studierende (darunter 35 Frauen) eingeschrieben, so konnte das Sekretariat im Sommersemester 1939 lediglich 154 zukünftige Rechtswahrer (bei einer Frau) registrieren.277 Das entspricht einer Quote von 22 Prozent. In einem Rapport vom 4. Mai 1943 an den Stellvertreter des örtlichen Dozentenbundsführers wagte es Prof. Smend, als internen Grund für den fatalen Imageverlust „eine gewisse berufliche Verstimmung gerade bei den Juristen" zur Sprache zu bringen.278 Die „starke Flucht aus dem Anwärtertum für die staatlichen Rechtswahrerberufe" sei eine direkte Folge der strengen „Kritik am Rechtswahrerstande, vor allem am Richtertum". 279 Diesen Trend lösten bereits die Justizausbildungsordnung vom 22. Juli 1934280 und die „Richtlinien für das Studium der Rechtswissenschaft" vom 18. Januar 1935281 mit ihrem martialischen Duktus und den rabiaten Eingriffen in den Fächerkanon und den Aufbau des Studiums aus. Die jungen Juristen sollten sich, in „Selbstzucht und Einordnung geübt" sowie durch Arbeitsdienst und Wehrsport „körperlich gestählt" (§ 2 Absatz 1 Satz 1 JAO), in extenso „mit dem Nationalsozialismus und seinen weltanschaulichen Grundlagen, mit dem Gedanken der Verbindung von Blut und Boden, von Rasse und Volkstum, mit dem deutschen Gemeinschaftsleben und mit den großen Männern des deutschen Volkes" beschäftigen (§ 4 Absatz 2 Satz 4 JAO). Spätestens während des Referendariats mußten sie gelernt haben, im Sinne des Freund-Feind-Schemas zu funktionieren und nicht nur „treffend und volksverständlich Recht zu sprechen", sondern auch „Volksschädlinge zu bekämpfen" ($ 26 JAO). Parallel zu den Vorgaben für das Studium der Wirtschaftswissenschaften (S. 164 f.) und der Landwirtschaft (S. 639 f.) rückte der Unterricht über Rasse und Sippe, über Volk und Staat in ihrem historisch-politischen Kontext, vornehmlich der letzten hundert Jahre, an den Anfang der juristischen Ausbildung. Ungewohnt klangen auch die Titel einiger der neun Bereiche, zu denen die einzelnen Vorlesungen gebündelt wurden: Volk (unter anderem mit „Volk und Rasse", „Volkskunde", „Sippenforschung", „Familie" und „Familienerbe"), Stände (mit „Bauer", „Arbeiter" und „Unternehmer"), Rechtsverkehr (mit „Vertrag und Unrecht", „Boden", „Ware und Geld", „Geistiges Schaffen" sowie „Handel und Gewerbe") oder Rechtsschutz (mit „Verbrechen und Strafe", „Rechtsstreit" und „Vollstreckung"). Diese Einteilung im reichsweit obligatorischen Studienplan diktierte fortan auch die Struktur des Vorlesungsverzeichnisses (Abschnitt III Ziffer 6 der Richtlinien). Da im Kriege vermehrt Verwaltungsaufgaben zu bewältigen waren, propagierte das Reichswissenschaftsministerium ab 1941 eine Reform, um die öffentlich-rechtlichen und die wirtschaftswissenschaftlichen Veranstaltungen aufzustocken.282 Gegen die Einwände der Fakultäten, denen nicht einleuchtete, wie ihnen der Minister just zu diesem Zeitpunkt angesichts reduzierter Lehrkapazitäten ein ausgeweitetes Curriculum aufladen konnte, 283 verkündete Bernhard Rust höchstpersönlich am 10. Juli 1944 auf der Tagung der Dekane in Posen eine revidierte „Studienordnung für die Rechts- und Staatswissenschaflichen Fakultäten" 284 . Eine darauf abgestimmte Prüfungsordnung ist nicht mehr in Kraft getreten. 128
8. Die Rehabilitation der Opfer des Nationalsozialismus 8.1 Die weitere Lehrtätigkeit Julius von Gierkes Nur einen Tag nach dem offiziellen Waffenstillstand und kaum drei Wochen, nachdem die amerikanische Besatzungsmacht mit Rudolf Smend als kommissarischem Rektor einverstanden gewesen war,285 entwarf er ein Schreiben an die vorzeitig entpflichteten Professoren, die in Göttingen erreichbar waren, unter ihnen Julius von Gierke. Darin bat Smend sie, sich aufs neue „als vollberechtigtes Mitglied der Georgia-Augusta zu betrachten", weil der Rechtsgrund für die erlittene Herabwürdigung inzwischen entfallen sei.286 Prof. von Gierke, mittlerweile siebzig Jahre alt, zögerte nicht, der Fakultät — dezimiert durch Tod und Amtsenthebungen (S. 133 ff.) — als Emeritus beizustehen. Bis kurz vor seinem Ableben engagierte er sich für die akademische Lehre.287
8.2 Die Reaktivierung von Herbert Kraus Prof. Herbert Kraus erlebte das Ende der faschistischen Diktatur in einer Berchtesgadener Pension. Dort hatte er nach dem Bombardement auf Dresden mit seiner Familie Unterschlupf gefunden.288 Trotz der miserablen Nachrichtenverbindungen erfuhr er von der Absicht, in Göttingen den Lehrbetrieb schon zum Wintersemester 1945/46 wieder aufzunehmen. Am 16. Juni 1945 wandte er sich in einem Brief an die Universität und bekundete sein Interesse daran, so rasch wie irgend möglich reaktiviert zu werden.289 Die Fakultät, in der Prof. Smend zu jener Zeit auch das Dekanat verwaltete, tat sich seltsam schwer damit, diesen Antrag rückhaltlos zu befürworten. Zum einen ließ sie durchblicken, Prof. Kraus befinde sich bereits im 61. Lebensjahr. Dann hakte sie bei seinen Redewendungen von der verbrauchten Arbeitskraft und der notwendigen Rücksicht auf seine Gesundheit ein, die ihm das Reichswissenschaftsministerium im Jahre 1937 insinuiert hatte, um das Emeritierungsgesuch zu begründen. Erst als sich die obskure Fama, Prof. Kraus sei in der Uniform eines amerikanischen Majors angetroffen worden,290 in nichts auflöste, gab die Fakultät ihre Reserve auf und schlug am 2. November 1945 vor, Herbert Kraus vollständig zu rehabilitieren.291 Ehe der Oberpräsident der Provinz Hannover die Versetzung in den Ruhestand mit Erlaß vom 7. Dezember 1945 aufhob und ihn mit Wirkung vom 1. Oktober 1945 in seine alten Rechte einsetzte,292 traten die Angehörigen von Dr. Hjalmar Schacht an Prof. Kraus heran, um ihn als Berater in die Verteidigung des früheren Reichswirtschaftsministers und Reichsbankpräsidenten im Nürnberger Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher einzuspannen. Für dieses Mandat bewilligte ihm der Oberpräsident Urlaub „in dem hierzu notwendigen Umfange". 295 Mit dem Urteil des Internationalen Militärtribunals vom 1. Oktober 1946 gegen Hermann Göring, Rudolf Heß und andere war der Aufenthalt von Herbert Kraus in Nürnberg noch nicht beendet. Auf Wunsch des Generalsekretärs des Gerichts sollte er als deutscher Vertreter in der Kommission mitarbeiten, die den Druck der umfangreichen Prozeßprotokolle vorzubereiten hatte.294 Zum Wintersemester 1947/48 fand sich Prof. Kraus wieder in Göttingen ein. Unter Hinweis auf einen „moralischen Anspruch", den er aus seiner Zwangspensionierung ableitete,295 gelang es ihm, seine Emeritierung über das 68. Lebensjahr hinaus bis zum 30. September 1953 29 ' zu verzögern, um den Wiederaufbau des Instituts für Völkerrecht zu 129
einem vorläufigen Abschluß bringen zu können. Für eine Wunde, die ihm das Nazi-Regime zugefügt hatte, hielt jedoch auch die Bundesrepublik kein Trostpflaster bereit. Seinen Antrag auf Nachzahlung der Differenz zwischen den fast acht Jahre lang empfangenen Versorgungsbezügen und dem vollen Diensteinkommen als Ordinarius wies der Regierungspräsident in Hildesheim ab.297 Prof. Kraus selbst zeigte sich seinen ehemaligen Opponenten gegenüber sehr viel generöser. So sträubte er sich nicht dagegen, Prof. Siegert in seinem Hause zu begrüßen, der zu Beginn der fünfziger Jahre einmal um einen Rat bei ihm einkam.298 Deshalb verwundert es auch nicht weiter, daß Karl Siegerts „Grundlinien des Völkerstrafprozeßrechts" von 1953 als Band 8 der „Göttinger Beiträge für Gegenwartsfragen, Völkerrecht, Geschichte, Internationalpolitik", herausgegeben vom Institut für Völkerrecht, erscheinen konnten und sich sowohl der langjährige Dekan als auch sein „Vize" Prof. Klaus-Wilhelm Rath in die Schar der Gratulanten zu seinem achtzigsten Geburtstag am 2. Januar 1964 einreihen durf-
8.3 Der Verzicht Richard Honigs auf eine Rückkehr in seine Professur Obwohl sein Vertrag mit der türkischen Regierung nicht gekündigt worden wäre,300 entschied sich Prof. Richard Honig im September 1939,301 nach den Vereinigten Staaten von Amerika aufzubrechen. Er tat dies nicht ohne Gewissensbisse, weil er sich seinen Istanbuler Gastgebern gegenüber im Obligo fühlte. Sein ältester Sohn Richard Ernst hatte jedoch gerade auf dem deutschen Gymnasium die Hochschulreife erworben und sollte im „Land der unbegrenzten Möglichkeiten" sein Studium der Physik aufnehmen können. Für Prof. Honig begannen damit aber entbehrungsreiche Jahre. Die Lehrstühle für europäisches Recht waren allesamt besetzt. Er konnte sich und seine Familie nur durch kurzfristige und teilweise berufsfremde Beschäftigungen über Wasser halten.302 In dieser unsicheren Situation erreichte ihn die Anfrage der Fakultät vom 27. September 1946, ob er auf seinen Göttinger Lehrstuhl zurückkehren wolle.303 Aus seinem Brief, über fünf Monate später abgesandt,304 läßt sich erahnen, wie er sich mit dieser Offerte herumgeplagt hat, ehe er beschloß, sie auszuschlagen. Der Verlust seiner Professur schmerzte ihn immer noch, aber möglicherweise graute ihm davor, in Göttingen dem einen oder anderen jener Herren zu begegnen, die für das System eingetreten waren, das ihn über Bord geworfen hatte. Behutsam deutete er eine derartige Gefühlslage an, wenn er schrieb, er habe sich „im Laufe der letzten Jahre zwangsläufig zu weit von meinem früheren Leben in Göttingen fortentwickelt", um sich „nun wieder in die alten und doch so veränderten Verhältnisse zurückfinden zu können". Außerdem sah er sich durch den Text eines Schreibens gehindert, den das Hauptquartier der Militärregierung im Lande Niedersachsen an ihn gerichtet hatte.305 Richard Honig hatte im August 1945 die amerikanische Nationalität erworben, 306 und diese Tatsache schien eine Rückberufung auszuschließen. Letzten Endes hat er sich wohl auch dem Argument seiner Frau Käte gebeugt, es gehe nicht an, sich flugs wieder aus dem Land zu verabschieden, das .sie toleriert und unlängst erst eingebürgert habe.307 Richard Honig hat aber seither den Kontakt zur Göttinger Fakultät nicht mehr abreißen lassen. Sie war ihm — soweit möglich - in dem ermüdenden Verfahren um seine Rehabilitation behilflich. Erst nachdem das Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für die im Ausland lebenden Angehörigen des öffentlichen Dienstes vom 18. März 1952 verabschiedet worden war, erließ der Niedersächsische Kultusminister 130
am 8. Januar 1953 einen Wiedergutmachungsbescheid, der die finanziellen Nachteile der vergangenen zwanzig Jahre wenigstens halbwegs kompensierte.308 Durch gesonderten Beschluß vom 23. März 1953 erkannte ihm das Niedersächsische Landesministerium die Rechtsstellung eines entpflichteten ordentlichen Professors in der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Göttingen zu.309 In den ungeschmälerten Genuß seiner Emeritenbezüge konnte Prof. Honig allerdings einstweilen nicht kommen, weil im Zuge der Devisenbewirtschaftung nur dreihundert DM monatlich transferiert werden durften; der restliche Betrag war auf einem Sperrkonto zu deponieren.310 Seit dem Jahre 1954 hielt Richard Honig einige Male während des Sommersemesters Vorlesungen zum amerikanischen Strafrecht und bot gemeinsam mit den Fakultätskollegen de Boor, Leibholz und Beitzke ein rechtsvergleichendes Seminar an.311 Nach dem Tode seiner Frau ließ er sich 1974 wieder in Göttingen nieder und starb hier im Alter von 91 Jahren am 25. Februar 1981.
8.4 Die späte Rückberufung von Gerhard Leibholz Ihren bisher gewohnten Lebensstil konnte die Familie Leibholz im englischen Exil nicht beibehalten. Die Emeritenbezüge wurden selbstredend nicht außer Landes überwiesen. Die restriktive Devisenpolitik der Nationalsozialisten erlaubte Prof. Leibholz auch nur die Anlage eines Bruchteils seines Vermögens im Ausland während der Jahre 1937 und 1938. Aus den ärgsten Kalamitäten befreite ihn ein kleines Stipendium, das ihm der Weltrat der Kirchen spendierte.312 Beruflich konnte Gerhard Leibholz nicht allzuviel unternehmen. Ein Hochschullehrer für deutsches Staatsrecht hatte im Vergleich zu den bekannten Naturwissenschaftlern nicht eben glänzende Aussichten in England. Prof. Leibholz griff deshalb dankbar die Möglichkeit auf, ab und an als Externer eine Vorlesung in Oxford halten zu dürfen.313 Er verfaßte zudem eine Reihe von Aufsätzen und eine Monographie, die das Verhältnis der christlichen Religion zur Politik thematisierten314 und den Schwenk seiner späteren wissenschaftlichen Produktion hin zur Politologie einleiteten. Ein Verfolgter des Nationalsozialismus zu sein, bewahrte ihn und seine Familie nicht vor Auswüchsen der antideutschen Stimmung in England. Vielerorts differenzierte man nicht zwischen Exilanten und Anhängern Hitlers. 315 Als die Furcht vor einer Invasion der deutschen Armee um sich griff, unterfiel auch Gerhard Leibholz der Kategorie „feindlicher Ausländer" und wurde zu Pfingsten 1940 in der Nähe Liverpools interniert.316 Dort waren Nationalsozialisten und Refugees in der ersten Zeit unterschiedslos miteinander kaserniert. Dank der rastlosen Bemühungen seiner Frau und der Freundschaft zu George Bell, dem Bischof von Chichester, öffneten sich am 26. Juli 1940 die Tore des Alien Internment Camps für ihn wieder.317 In einem ständigen — meist brieflich geführten — Dialog mit dem Geistlichen warb Prof. Leibholz für eine nuancierte Sicht gegenüber Deutschland und den Deutschen. Vor allem versuchte er darzulegen, daß es lohnend sein müsse, die Zellen des Widerstands gegen Hitler von England aus zu ermutigen.318 Den Bischof bezog Gerhard Leibholz auch des öfteren in seine Überlegungen ein, als er sich vor die Frage gestellt sah, ob er in Göttingen einen neuen Anfang wagen wolle. George Bell hatte ihn Ende Oktober 1945 nach einem Gespräch mit Prof. Smend anläßlich einer Reise nach Stuttgart von dem Beschluß der Universitätsrektoren unterrichtet, alle ausgewanderten Hochschullehrer um ihre Rück131
kehr zu bitten.319 Eine Aufforderung an Prof. Leibholz sandte die Fakultät am 24. November 1945 über die Education Branch der englischen Control Commission ab.320 Aus ihrer Sicht hätte die Revision des Unrechts zügig vorgenommen werden können, weil die Militärbehörden Georg Erler, den Inhaber der Professur, seines Amtes enthoben hatten und er überdies nach wie vor im fernen Australien festgehalten wurde.321 Gerhard Leibholz zögerte jedoch. Die Zustände im zerstörten Deutschland animierten ihn nicht zur Heimreise. Nähere eigene Angehörige lebten nach dem Freitod seines Bruders und seiner Schwägerin nicht mehr auf dem Kontinent, wohl aber Verwandte seiner Frau, vor allem die Eltern. 322 Auf Anraten von Freunden und Kollegen entschied sich Gerhard Leibholz für einen Mittelweg. Ab dem Jahre 1947, als ihm die englische Administration erstmals wieder die Ausreise gestattete,323 besuchte er Deutschland in den Sommermonaten, hielt in Göttingen Gastvorlesungen324 und sammelte Eindrücke über die Situation der Bevölkerung und über den politischen Kurs der Alliierten.325 Die Praxis der Entnazifizierung, in deren Verlauf nach seiner Auffassung der Kontrast zwischen den eingefleischten Nazis und der facettenreichen Gegnerschaft zum Dritten Reich immer konturloser zu werden drohte, verfolgte er mit wachsender Skepsis. Schon Mitte 1947 ahnte er voraus, daß die Clique der Ewiggestrigen allmählich wieder - von der Woge des aufkeimenden Antikommunismus getragen - in bedeutsame Bereiche der Politik und in andere Felder des öffentlichen Lebens einsickern werde.32' Gerhard Leibholz wartete deshalb weiter ab, gab seinen Wohnsitz in Oxford vorerst nicht auf und beteiligte sich auf Bitten des Foreign Office von 1946 bis 1949 an der Reeducation in britischen Kriegsgefangenenlagern.327 Derweil betonte die Universität Göttingen die „Bedeutung der Wiedergewinnung einer Persönlichkeit wie derjenigen von Prof. Dr. Leibholz für die Fakultät und darüber hinaus für das Land Niedersachsen".328 Im Jahre 1950, als die Nachfolge für Rudolf Smend zu klären war, dachte die Fakultät erneut vornehmlich an ihn, verhehlte aber nicht, daß sie einen längeren Schwebezustand nicht hinnehmen wolle und daher alsbald eine definitive Antwort wünsche.329 Da Prof. Leibholz wegen seiner Emeritenbezüge nicht auf ein volles Ordinariat angewiesen war, fühlte er sich frei, statt dessen ab 1951 als Richter im zweiten Senat des neugeschaffenen Bundesverfassungsgerichts zwanzig Jahre lang die Interpretation des Grundgesetzes mitzuprägen.330 Daneben blieb er der Universität Göttingen durch einen Lehrauftrag für Politische Wissenschaft verpflichtet.331 Erst die Einrichtung eines Lehrstuhls für Politische Wissenschaften und Allgemeine Staatslehre, der präzis auf seine wissenschaftlichen Interessen zugeschnitten war, bewog ihn im Jahre 1959 dazu, der Fakultät für weitere zehn Jahre als aktives Mitglied anzugehören.332
8.5 Die dauerhafte Emigration David Daubes Auf der Liste der vertriebenen deutschen Gelehrten in Großbritannien, die die Society for Protection of Science and Learning zusammengestellt und der Militärregierung übergeben hat,333 ist auch David Daube vermerkt — allerdings irrtümlich als ehemaliger Assistent.334 Der Doktorand bei Prof. Kunkel wäre im Falle seiner Rückkehr als Assistent eingestellt worden.335 Die Akten zur Wiedergutmachung lassen nicht erkennen, ob David Daube je angeschrieben worden ist. Es darf bezweifelt werden, daß ein solches Angebot auch nur unter beruflichem Aspekt für ihn hätte attraktiv sein können. Längst hatte er sich in England bestens zurechtgefunden. Nach dem Doktorat für Philosophie 1936 in Cambridge arbeitete 132
er dort als Fellow am Gonville und Caius College und ab 1946 als Lecturer in Law. An der University of Aberdeen übernahm er im Jahre 1951 seine erste Professur. David Daube wechselte vier Jahre später nach Oxford und ging schließlich 1970 als Professor-inResidence an die Law School der University of California in Berkeley. Das korrespondierende Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Göttingen (1964) lebt heute als Emeritus in Kalifornien.336
9. Die Entnazifizierung und die Wiederverwendung amtsenthobener Professoren 9.1 Das Verfahren der Entnazifizierung Die Unzulänglichkeiten der Entnazifizierungsverfahren zu kritisieren, ist in der Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik allemal populärer gewesen als sie wenigstens im Grundsatz zu billigen. Unter den nicht eben zahlreichen Stimmen, die bei allen Bedenken in Einzelfragen öffentlich die „Reinigung der geistigen Luft" 337 gerade an den Hochschulen verteidigten, verdient die von Prof. Dr. Ludwig Raiser338 für Göttingen gesteigerte Beachtung. Er, dem die Nationalsozialisten im Jahre 1934 die venia legendi verweigert hatten, saß dem Unterausschuß an der Universität vor, der die Hochschullehrer einer ersten Prüfung ihrer politischen Vergangenheit zu unterziehen hatte und dem städtischen Entnazifizierungs-Hauptausschuß zuarbeitete. Ihm ging es nicht darum, Schuldige zu bestrafen, sondern in diesem Läuterungsprozeß die Glaubwürdigkeit der deutschen Wissenschaft nach innen, gegenüber den leidgeprüften Opfern und dem enttäuschten studentischen Nachwuchs, und nach außen zu restaurieren, um somit wieder Anschluß an die internationale science community zu finden. Als Kriterium für die Auslese taugte nach seiner Meinung nur „das Verhalten in Forschung und Lehre, in Publikationen und in den Organen der akademischen Selbstverwaltung", nicht jedoch allein die formale Zugehörigkeit zu nationalsozialistisch infiltrierten Organisationen.339 Man kann Ludwig Raiser auch darin beipflichten, daß derartige Entscheidungen über ein Berufsverbot und den Verlust von Beamtenrechten nach einiger Zeit revisibel sein mußten, sofern der Betroffene in Wort und Schrift eine Abkehr von „autoritären Denkformen und ihrer weltanschaulichen Verbrämung" 340 erkennen ließ und - so möchte ich hinzufügen — sein Verhalten im Dritten Reich nicht mit dem Mantel des Schweigens überdeckte, sondern daran mitwirkte, die Ursachen für den Sieg des Ungeistes freizulegen. Der konkrete Verlauf der Entnazifizierung in Niedersachsen ist an anderer Stelle in diesem Band reflektiert worden (S. 60 f). Von den Juristen, die während der Zeit des Nationalsozialismus der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Göttingen angehörten, durften die Ordinarien Günther Beitzke, Hans Niedermeyer, Rudolf Smend und Hans Welzel sowie der außerplanmäßige Professor Hermann Mirbt ohne Unterbrechung weiter amtieren. Dagegen verloren die Professoren Karl Siegert, Wilhelm Ebel und Georg Erler einheitlich durch einen Akt des englischen Militärgouvernements am 19. Juli 1945 ihren Beamtenstatus.341
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9.2 Die Emeritierung Karl Siegerts Prof. Siegert wurde zunächst auf der Basis der Verordnung über das Verfahren zur Fortführung und zum Abschluß der Entnazifizierung im Lande Niedersachsen vom 30. März 1948542 und der Verordnung über Rechtsgrundsätze der Entnazifizierung im Lande Niedersachsen vom 3. Juli 1948343 durch eine Entscheidung vom 19. März 1949 in die Kategorie ΙΠ (wesentlicher Förderer oder Nutznießer des Nationalsozialismus — § 5 lit. d) der „Rechtsgrundsätze") eingestuft.344 Im Wiederaufnahmeverfahren erreichte er am 23. August 1949 eine Korrektur des Bescheides: Klassifikation in Kategorie IV (Unterstützer des Nationalsozialismus - § 5 lit. c) der „Rechtsgrundsätze") bei gleichzeitiger Kürzung einer etwa erdienten Pension um dreißig Prozent. 345 Da diese Beschränkung aber in dem Maßnahmenkatalog der §§ 8 und 9 der Verordnung über die Rechtsgrundsätze der Entnazifizierung nicht enthalten und deshalb gemäß § 14 des niedersächsischen Gesetzes zu Artikel 131 des Grundgesetzes unbeachtlich war, stand Prof. Siegert mit Beginn des Jahres 1952 ohne Vorbehalt zur Wiederverwendung auf einem Lehrstuhl seines Fachgebietes an.346 Das 131er Gesetz räumte den Beamten auf Abruf allerdings keinen einklagbaren Anspruch auf eine freie Stelle ein; es sicherte ihnen lediglich eine fehlerfreie Ausübung des ministeriellen Ermessens zu. Dazu dekretierte der Niedersächsische Kultusminister am 23. Januar 1952, bei allen Berufungen sei künftig gesondert zu berichten, falls die Fakultäten einen amtsenthobenen Hochschullehrer für eine einschlägige Vakanz nicht berücksichtigen wollten.347 Das geschah im Falle Siegert, als Prof. Welzel einen Ruf an die Universität Bonn annahm und der Dekan aus der Nazi-Zeit mit Antrag vom 19. April 1952 seine Ansprüche auf dieses Ordinariat anmeldete, die Fakultät ihn aber von ihrer Liste für die Ersatzberufung fernhielt.348 Sie rechtfertigte diesen Schritt auf dreifache Weise. Zum einen sah sie „ihr wissenschaftliches Ansehen und ihre Wirkungsmöglichkeit aufs Spiel gesetzt", sofern Karl Siegert in die offene Position eingewiesen werde, weil er den Aufgaben eines akademischen Forschers und Lehrers nicht habe genügen können. Seine Publikationen würden weithin abgelehnt, und in seiner Lehrtätigkeit sei er gleichfalls ohne sichtbare Erfolge geblieben. In zweiter Linie erst warf die Fakultät ihm vor, maßgeblich für den „außerordentlich schlechten Ruf" der Göttinger Fakultät während des Dritten Reiches verantwortlich zu sein. Dabei erinnerte sie an Vorgänge, „die hier nicht im einzelnen dargelegt zu werden brauchen". Schließlich schien ihr auch eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Prof. Siegert innerhalb der Fakultät nicht gewährleistet.349 Mit der Pauschalität der vorgebrachten politischen Skrupel gab sich der Kultusminister nicht zufrieden, zumal ihm über die wissenschaftlichen Qualitäten Siegerts anderslautende Gutachten erstattet worden waren.350 Dekan Prof. Weber mußte deshalb Anfang Januar 1953 zum mündlichen Vortrag nach Hannover reisen, konnte den Minister in der Unterredung aber augenscheinlich überzeugen. Die Fakultät sperrte sich auch drei Jahre später noch gegen die Anregung der Wissenschaftsverwaltung, Karl Siegert wenigstens durch einen Lehrauftrag an sich zu binden.351 Allerdings fand sie sich Ende 1956 bereit, ihn als Emeritus wieder zu inkorporieren, nachdem eine Novelle des Bundesgesetzes zu Artikel 131 des Grundgesetzes, auf die das niedersächsische Gesetz Bezug nahm, die Altersgrenze von 65 Jahren für eine Entpflichtung der Wartestandsbeamten beseitigt hatte.352 Die Fakultät behandelt Karl Siegert aber seither bis zu seinem Tode am 1. August 1988 als nicht existente Person.
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9.3 Die Wiederverwendung Wilhelm Ebels Prof. Ebel geriet Anfang Mai 1945 in Kriegsgefangenschaft und verbrachte anschließend mehr als zwei Jahre in Internierungshaft. 353 Im Entnazifizierungsverfahren wurde er am 1. März 1949 in die Kategorie IV ohne Beschränkungen eingereiht und am 13. September 1950 in seinen Beamtenrechten bestätigt.354 Sein alter Lehrstuhl war jedoch seit 1947 mit Prof. Hans Thieme besetzt. Wilhelm Ebel bestritt den Lebensunterhalt für sich und seine vielköpfige Familie mit juristischen Hilfsarbeiten für die Gothaer Versicherungsgruppe, ehe ihm 1952 - nun als Professor zur Wiederverwendung — ein Lehrauftrag für Deutsche Rechtsgeschichte und Deutsches Privatrecht erteilt wurde.355 Danach mochte er nicht mehr abwarten, bis sich die Möglichkeit ergab, ihn mit einem Ordinariat seines Fachgebiets zu bedenken. Mit Schreiben vom 20. Oktober 1951 und vom 12. Januar 1952 reklamierte er — wenn auch vergeblich — den Lehrstuhl des öffentlichen Rechts für sich, den zuvor Rudolf Smend innehatte. 35 ' Diesen mißglückten Vorstoß hatte die Fakultät anderthalb Jahre später noch nicht vergessen. Dennoch piazierte sie Wilhelm Ebel trotz „der Trübung, welche das Bild seiner Persönlichkeit durch sein Verhalten vor 1945 und auch noch im Entnazifizierungsverfahren erfahren hat", auf Rang 2 ihrer Vorschlagsliste vom 31. Juli 1953, nachdem Prof. Thieme sich nach Freiburg verändert hatte. Mit Wirkung vom 1. Oktober 1953 berief ihn ein anderer, nun demokratisch legitimierter Minister mit einem Abstand von vierzehn Jahren zum zweiten Mal auf dieselbe Professur.357 Auf Grund seiner angegriffenen Gesundheit mußte Prof. Ebel zum Sommersemester 1965 im Alter von 56 Jahren um seine Emeritierung nachsuchen.358 Aus seinem Amt als Direktor des Universitätsarchivs schied er jedoch erst 1978. Während der über zwanzig Jahre auf diesem Posten bremste er mitunter Forscher, die Aktenbestände aus der nationalsozialistischen Ära sichten wollten. Die englische Historikerin Barbara Marshall mußte gar das Thema ihrer Dissertation, einer Studie über die politische Entwicklung zweier deutscher Universitätsstädte in der Weimarer Republik am Beispiel Göttingens und Münsters, auf die Periode von 1918 bis 1930 einengen, um nach einer Intervention der niedersächsischen Landesregierung und des Rektors das Göttinger Universitätsarchiv überhaupt betreten zu dürfen. Prof. Ebel ließ die Doktorandin sodann nicht aus den Augen und achtete persönlich darauf, daß ihr kein Dokument aus der Zeit nach 1930 in die Hände fiel.359
9.4 Die Wiederverwendung Georg Erlers Am 1. Januar 1948 kam Prof. Erler nach fast neunjähriger Abwesenheit aus dem Gewahrsam in Australien heim. Der Entnazifizierungsausschuß erkannte bei ihm am 31. August 1948 auf die Kategorie V (entlastet). Seine Beamtenrechte wurden am 7. November 1950 bekräftigt;360 in diesem Verfahren bescheinigte die Fakultät Georg Erler in einem Bericht an den Kurator, er verdanke seine Stellung an der Universität Göttingen „weder ganz noch überwiegend seinen Beziehungen zum Nationalsozialismus". 3 ' 1 Wegen eines Lungenleidens, das er sich während der Internierung zugezogen hatte362, konnte er vorerst kein Amt ausfüllen. Im Hinblick auf seine Dienstunfähigkeit trat er gegen Ende 1950 in den Ruhestand. 363 Im Jahre 1952 hatte sich sein Befinden so weit gebessert, daß die Fakultät einen Lehrauftrag für ihn erwirken konnte. 364 Seit 1953 mit dem Titel eines Honorarprofessors dekoriert, bemühte sich Georg Erler fortan, wieder in den aktiven Hochschuldienst übernommen zu werden. 3 ' 5 135
Als die Entpflichtung von Herbert Kraus zum 30. September 1953 herannahte, nominierte die Fakultät Prof. Erler als einzigen Kandidaten für dessen Nachfolge. Daß ihm das Odium seiner Verstrickung in den Nationalsozialismus noch anhaftete, wird aus der zusätzlich geäußerten Bitte ersichtlich, Prof. Kraus auch als Emeritus die geschäftsführende Leitung des Instituts für Völkerrecht zu belassen und Prof. Erler lediglich als Mitdirektor einzusetzen. Vordergründig rechtfertigte sie dies mit den weitgespannten Forschungszielen des Instituts und konnte sogar — was wunder — das Einverständnis Georg Erlers mit dieser Regelung vermelden.366 In seinem Begleitbericht an den Kultusminister zeigte sich der Kurator Dr. Helmut Bojunga wenig erbaut von dem ungewöhnlichen Gesuch der Fakultät. Er fürchtete, es werde damit ein Präzedenzfall geschaffen, und wähnte in dieser Konstellation „so viele Gefahren des Konfliktstoffes" verborgen, daß er dringend von einer derartigen Lösung abriet.367 Meines Wissens hat der Minister der begehrten Ausnahme nicht zugestimmt. Wegen eines fortschreitenden Augenleidens stellte Prof. Erler sein Ordinariat mit dem 1. April 1968 vor dem Erreichen der Altersgrenze zur Verfügung. 368 Georg Erler zeichnet sich vor vielen anderen „belasteten" Professoren dadurch aus, daß er im Jahr seiner Emeritierung der Frage des Münchener Verlegers Rolf Seeliger nach seiner nationalsozialistischen Vergangenheit nicht ausgewichen ist. Er suchte in seiner schriftlichen Antwort 369 nicht nach Entschuldigungen „für politische und wissenschaftliche Verzeichnungen und Fehlurteile", sondern bekannte sich dazu, „in den Vorkriegsjahren von der Richtigkeit vieler Gedanken und Bestrebungen des Nationalsozialismus überzeugt" gewesen zu sein, „wenn auch bei wachsenden Vorbehalten gegenüber den bei ihrer Durchführung deutlich werdenden Auswüchsen". Es gereicht ihm ebenfalls zur Ehre, die gern benutzte Ausrede von Hochschullehrern, man habe nationalsozialistische Phrasen „nur unter schwerem Druck und aus Tarnung" publiziert, als „untaugliches Mittel" im Umgang mit der eigenen Geschichte während des Dritten Reiches desavouiert zu haben.
10. Die fehlende Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit Auf eine genaue Analyse der weiteren Berufungspolitik ausgangs der vierziger und während der fünfziger Jahre muß im Rahmen dieses Artikels verzichtet werden. Gerade wenn sie unter der Perspektive betrieben werden soll zu dokumentieren, in welchem Ausmaß der Lehrkörper der Fakultät über die nationalsozialistische Diktatur hinaus mit Wissenschaftlern durchsetzt war, deren Affinität 370 zu jenem Unrechtsstaat schwerlich zu leugnen ist, bedarf sie gewissenhafter Recherchen. An einem Faktum gibt es allerdings nichts zu deuteln: Nachdem die meisten der besagten Rechtsgelehrten ihr Entnazifizierungsverfahren „glücklich" überstanden hatten, waren sie auch nicht mehr gezwungen, coram publico Rechenschaft über ihr Tun und Lassen abzulegen. Anders als Georg Erler blieben die übrigen Professoren durchweg ein (erklärendes Wort schuldig. Allenfalls andeutungsweise und eher beschwichtigend handelte die Fakultät diesen Komplex in ihren Berufungsvorschlägen ab.371 Dagegen vermag ich aus der unmittelbaren Nachkriegszeit neben Prof. Raiser nur noch Prof. Dr. Werner Flume372 als einen Mann hervorzuheben, dem es nicht an dem Mut gebrach, im Jahre 1933 gegen die Emeritierung seines jüdischen Doktorvaters Prof. Fritz Schulz aufzubegehren und der sich daraufhin erst 1946 bei Prof. Kunkel habilitieren konnte.
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Die zunächst nur selten durchbrochene stillschweigende Übereinkunft der bundesrepublikanischen Gesellschaft, das Vergangene nicht anzutasten und schon gar nicht einer unkalkulierbaren öffentlichen Erörterung auszuliefern, ist auch an den Universitäten getreulich befolgt worden. Sie wirkt in ihren Ausläufern bis auf den heutigen Tag nach. Das bezeugt der Euphemismus,
mit dem Prof. Dr. Wolfgang Sellen in seiner Ansprache
vom
30. November 1985 anläßlich einer akademischen Gedenkfeier zur Wiedereröffnung der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät im Wintersemester 1 9 4 5 / 4 6 befand: „Die Göttinger Rechtsfakultät hat die Lehren aus der Geschichte gezogen . . . " 3 7 3
Anmerkungen: Siehe nur das Literaturverzeichnis und dazu die Lektürehinweise bei Reifner (1981). Aus der jüngsten Zeit seien noch erwähnt: Rottleuthner (1983), Hirsch u. a. (1984), Reifner/Sonnen (1984), Fangmann/Paech (1984) und Böckenförde (1985) 2 Siehe Döhring (1965) 3 Siehe Vezina (1982) 4 Siehe Ebel (1960) 5 Diese Untersuchung wäre ohne die Hilfe und das Entgegenkommen von Zeitzeugen bzw. ihrer Nachkommen nicht möglich gewesen. Ich danke Frau Sabine Leibholz, Göttingen, für die Ubersendung ihres Buches „vergangen - erlebt - überwunden. Schicksale der Familie Bonhoeffer", Frau Eva Peuckert, geb. von Gierke, Eddigehausen, den Herren Prof. Dr. David Daube, Berkeley/USA, Dr. Werner Hill, Hannover, Richard E. Honig, Princeton/USA, Dr. Hans Kellner, Göttingen, Frau Mathilde Kraus, Göttingen, den Herren Dr. Ernst Gottfried Mahrenholz, Karlsruhe, Prof. Dr. Karl Michaelis, Göttingen, Prof. Dr. Friedrich Schaffstein, Göttingen, Prof. Dr. Rudolf Smend jr., Göttingen, und dem inzwischen verstorbenen Prof. Dr. Henning Zwirner, Hannover. Prof. Daube, der Göttingen 1933 verlassen mußte, zeigte sich „sehr bewegt, daß die junge Generation an den durch die Ereignisse der dreißiger Jahre aus den Fugen geratenen Schicksalen Anteil nimmt". „Innere Hemmnisse" hielten ihn jedoch bedauerlicherweise davon ab, des näheren auf die Fragen einzugehen, die ich ihm unterbreitet hatte. (Prof. Daube an den Verf., 2o. 3. 1984) Dagegen verweigerten — keineswegs überraschend — Prof. Siegert und die Tochter von Prof. W. Ebel, Frau Else Ebel (Bochum) jede Mitarbeit. Leider blieb ein solches Verhalten nicht auf den Personenkreis beschränkt, der zu den „Tätern" gerechnet werden muß. Unzugänglich zeigten sich auch die Nachkommen von Prof. v. Gierke. Am einschneidendsten erwies sich, daß der Präsident der Universität und der Dekan der Juristischen Fakultät mir die Einsicht in die Berufungsakten und in die Protokollbücher der Fakultät verwehrten (Bescheid des Präsidenten der Georg-August-Universität, Prof. N. Kamp, vom 15. 11. 1983 und Bescheid des Dekans der Juristischen Fakultät, Prof. F. Loos, vom 20. 2. 1984) 1
Siehe Kunkel (1966), S. 104 ff.; Abendroth (1966), S. 189 ff.; Bleuel (1968); Wippermann (1969), S. 143 ff.; Ringer (1983); Abendroth (1984), S. 11 ff.; vor allem auch den 1930 verfaßten Aufsatz von Rudolf Smend, Hochschule und Parteien, in: Smend (1955), S. 277 ff. 7 Kunkel (1966), S. 107 8 Siehe ebenda 9 Zitiert nach Marshall (1977), S. 287 mit Anm. 112 10 Zu den Doktoranden von Prof. Kraus zählte u. a. auch Adam von Trott zu Solz, der als Legationsrat im Auswärtigen Amt tätig war und am 8. 8. 1944 als Angehöriger des Kreisauer Kreises und als Freund des Hitler-Attentäters Claus Graf Schenk von Stauffenberg hingerichtet wurde. 11 Siehe Kunkel (1966), S. 107 f. 12 UAG, Κ, XVI. II. A. a. Nr. 11, Bl. 172 13 Auszüge aus dem Appell von Hippels zitiert Marshall (1977), S. 267 l * Siehe S. Leibholz (1979), S. 72 15 G. Leibholz (1933), S. 5 (Vorwort) 6
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So erblickte Prof. Leibholz selbst in den faschistischen Diktaturen italienischer und sich etablierender deutscher Machart für die Zukunft eine grundsätzliche Tendenz zur Demokratie; siehe G. Leibholz (1933), S. 79. Ähnlich werden seine frühen Werke auch von Abendroth (1984), S. 23, und Fangmann (1981), S. 222, beurteilt. ' 7 UAG, Κ, XVI. II. A. a. Nr. 24, Bl. 1 18 Siehe Marshall (1977), S. 275 Anm. 55 mit einer Aufzählung weiterer einschlägiger Ehrenämter " UAG, Κ, XVI. II. A. a. Nr. 24, Bl. 44, 50, 51, 52 u. 54 20 So Prof. Schaffstein im Gespräch mit mir am 9. 9.1983 21 Julius Karl Hatschek war zunächst jüdischen Glaubens, konvertierte aber später zum Protestantismus. Hatschek starb in Göttingen am 12. 6. 1926 im Alter von 53 Jahren. 22 In einem Erlaß vom 19.11.1917 - U I Nr. 15649 - auf einen Bericht des Kurators vom 18. 7. 1916 — Nr. 2405 — hatte der Minister eine Versetzung des Extraordinarius Hatschek abgelehnt; siehe UAG, Κ, XVI. Π. B. 18. I. 23 Laut Auskunft seines Sohnes Richard E. Honig im Gespräch mit mir am 28. 9. 1983 24 Prof. Schaffstein im Gespräch am 9. 9. 1983 25 So zum Beispiel Kunkel (1966), S. 109 26 Hirsch (1982), S. 153 f. 27 Siehe den Bericht in der Göttinger Hochschul-Zeitung Nr. 4, 20./21.12.1932, S. 3; ebenso Hirsch (1982), S. 152; Göppinger (1963), S. 99 Anm. 2 28 Zu der Aporie einer eindeutigen Definition der „jüdischen Rasse" siehe nur Vezina (1982), S. 38 29 Es sind dies die Ordinarien Ferdinand Frensdorff, Victor Ehrenberg, Julius von Gierke, Julius Hatschek, Karl Lehmann, Ernst Rabel, Richard Martin Honig, Fritz Pringsheim, Gerhard Leibholz und der Privatdozent Leo Rosenberg. Die Zuordnung erfolgt weitgehend in Anlehnung an die Abschrift eines Artikels über die jüdischen Lehrer an der Universität Göttingen in der „Central-Verein-Zeitung. Allgemeine Zeitung des Judentums", Berlin, 24. 6. 1937, in: UAG, R. u. St. Fak., Π J 49, 30. 8. 1937. 30 So Prof. Schaffstein im Gespräch am 9. 9. 1983 31 Siehe Marshall (1977), S. 268 Anm. 20 32 Siehe Kunkel (1966), S. 108 f. 33 So Herr Richard E. Honig im Gespräch am 28. 9. 1983 34 UAG, Κ, XVI. II. B. 18. I., Ministerialerlaß, 8. 1. 1931 - U I Nr. 1920/30.1 35 Dr. Karl Michaelis fehlt aus unerklärlichen Gründen in Ebels „Catalogus professorum Gottingensium" unter J 7: Privatdozenten; siehe Ebel (1962), S. 70. 36 Zu Einzelheiten seiner Biographie siehe UAG, Κ, XVI. II. A. a. Nr. 36, Personalakte Honig, Bl. 3, und UAG, Κ, XVI. II. C. .Juristisches Seminar. 2. Seminarassistenten", 21. 9.1923, handgeschriebene Lebensläufe 37 Über den dort gleichfalls aufgeführten Psychologen Dr. Curt W. Bondy, Honorarprofessor in der Philosophischen Fakultät, der als ehemaliger Leiter des Eisenacher Jugendgefängnisses seit dem Wintersemester 1931/32 in der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät zusammen mit dem Privatdozenten Dr. Schaffstein kriminalpsychologische Seminare anbot, siehe S. 326 in diesem Band. Zur ausführlichen Bestätigung der Beurlaubungen siehe UAG, Κ, X. 37. „Beurlaubung und Vertretung jüdischer Professoren", Ministerialerlaß, 2. 5. 1933 - U I Nr. 16046 - , der jede Tätigkeit in Verbindung mit der Stellung an der Universität untersagte. Die Rechtmäßigkeit der Zwangsbeurlaubungen war auch 1933 umstritten. Siehe einen Artikel von A. Köttgen im Reichsverwaltungsblatt und Preußischen Verwaltungsblatt, Band 54 (1933), S. 205 ff. 38 Siehe: Der jüdische Einfluß auf den Deutschen Hohen Schulen (1928), S. 12 39 UAG, Κ, XVI. Π. A. a. Nr. 36, Bl. 79, Verfügung Kurator, 26. 6. 1933, an Honig unter Bezug auf Ministerialerlaß, 14. 6.1933 40 Laut Auskunft von Prof. Dr. Karl Michaelis im Gespräch mit mir am 10. 10. 1983 41 UAG, R. u. St. Fak., Π J 30, Dekan Gutmann an Honig, 20. 4.1933 42 So Prof. Schaffstein im Gespräch am 9. 9. 1983 über die Reaktion der Fakultät
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« UAG, Κ, XVI. Π. Α. a. Nr. 36, Bl. 78, 78 R, handschriftlicher Entwurf Kurator für Bericht an REM, 14. 7. 1933 UAG, Κ, XVI. Π. A. a. Nr. 36, Bl. 82, Ministerialerlaß, 2. 9. 1933 4 5 UAG, Κ, X.37, Telegramm REM an Kurator, 28. 4. 1933, 18.40 Uhr. Ihm war eine entsprechende Anfrage des Dekans Gutmann beim REM am 27. 4.1933 vorausgegangen. 46 So Prof. Schaffstein im Gespräch am 9. 9.1983 47 UAG, Κ, XVI. II. A. a. Nr. 36, Bl. 94 u. 98 48 Siehe dazu die Darstellungen bei Widmann (1973), S. 45 ff.; Neumark (1980), S. 13 ff.; Hirsch (1982), S. 173 f. 49 Laut Auskunft von Herrn Richard E. Honig im Schreiben vom 23. 10. 1983 50 UAG, Κ, XVI. Π. A. a. Nr. 36, Bl. 80, Honig an Kurator, 23. 7. 1933 51 Laut Auskunft von Herrn Richard E. Honig im Schreiben vom 23. 10. 1983 5 2 Siehe die Schilderung bei Hirsch (1982), S. 197 u. 210 53 Laut Auskunft von Herrn Richard E. Honig im Gespräch am 28. 9. 1983 54 Siehe dazu Döhring (1965), S. 206 f. 55 Siehe G. Leibholz / Hill (1982), S. 17 M Siehe Volbehr / Weyl (1956), Π A Nr. 96, S. 42 57 UAG, R, 3203 b, Ministerialerlaß, 25. 11.1933 5« G. Leibholz / Hill (1982), S. 17; desgleichen Kunkel (1966), S. 119 59 Siehe zum folgenden UAG, R, 3203, Fakultät an PM, 13. 12. 1933 60 Man lese dagegen nur die kurze Würdigung für Gerhart Husserl in dem Nekrolog von Hollerbach (1974), S. 7 f. 61 Gerhart Husserl verstand den Wink, wich nach Bonn aus und wurde dort am 22. 7. 1924 habilitiert. « UAG, R, 3203, Wolff an Ministerialrat Prof. Dr. Achelis, PM, 15.12.1933 63 UAG, R, 3203, Ministerialerlaß, 10. 4.1934. Diese - aus der Sicht der Fakultät lästige - Episode hat Ebel in seinem „Catalogus professorum Gottingensium" glatt unterschlagen. 64 Siehe dazu Göppinger (1963), S. 97; Kunkel (1966), S. 117; Stuchlik (1984), S. 98 ff. Prof. Husserl konnte auch in Frankfurt seine Lehrtätigkeit nicht mehr aufnehmen und ließ sich zum 1. 4. 1935 emeritieren. Im Oktober 1936 wanderte er in die USA aus. Siehe Göppinger (1963), S. 105; Strauss / Röder (1983), S. 546. 65 So Prof. Daubes knappe Schilderung in seinem Schreiben an mich vom 20. 3. 1984. Damit stimmen überein die Lebensläufe in: Watson (1974), S. VII ff., und Daube (1983), S. 37. 66 Prof. Daube in seinem Schreiben vom 20. 3. 1984: Erst einige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg (an das genaue Datum könne er sich nicht erinnern) sei ihm die Urkunde in einer kleinen Zeremonie überreicht worden, als er sich für einen Tag in Göttingen aufgehalten habe. Allerdings wurden jüdische Hochschulabsolventen 1933 noch nicht grundsätzlich an dem Erwerb des Dr.-Grades gehindert, siehe die Promotion von Lothar Lazarus am 22. 7. 1933. a Siehe Watson (1974), S. VII; Strauss / Röder (1983), S. 204; Daube (1983), S. 37 M UAG, R. u. St. Fak., D J 113, Rektor an „sämtliche deutschen Universitäten und Hochschulen" unter Erwähnung der beiden genannten Ministerialerlasse, 24.11. 1933 69 UAG, R. u. St. Fak., Π J 70, Dr. Förthmann an Führer der Deutschen Studentenschaft Göttingen, 10. 7.1933. 70 Laut Auskunft von Herrn Dr. Kellner im Gespräch mit mir am 21. 10. 1983 71 Die Versagung beruhte auf einem Ministerialerlaß vom 22. 4. 1933; siehe UAG, R. u. St. Fak., Π J70 7 1 UAG, R. u. St. Fak., Π J 70, Bewerbung Kellner, 14. 6. 1933, mit Vermerk Dekan H. Meyer, 16. 6. 1933. 73 UAG, R. u. St. Fak., Π J 1, Ministerialerlaß, 21. 4. 1933 74 UAG, R, 4103, Rektor an H. Meyer, 23.11. 1933 7 5 UAG, Κ, XVI. II. A. a. Nr. 24, Bl. 106, Anzeige über Parteimitgliedschaft. Gleichzeitig wechselte Binder vom Stahlhelm in die SA über; siehe UAG, R, 3203, Rektor an Archivrat Dr. Engel, REM, 10.12.1935. 76 UAG, Κ, XVI. Π. A. a. Nr. 24, Bl. 75, Ministerialerlaß, 7. 6.1933 139
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Siehe Baethge (1965), S. 26. Zum geschwundenen Ansehen des Römischen Rechts siehe auch Kunkel (1966), S. 126. Siehe etwa die Schriften „Der deutsche Volksstaat" (1934), „Völkische Politik und Führung" (1934) und „Philosophie und Staat" (1935/36). Auf Einladung der Deutschen Philosophischen Gesellschaft referierte Binder im Mai 1933 an der Universität Berlin über den „Autoritären Staat"; siehe Göttinger Tageblatt, Nr. 24,29. 5. 1933, S. 7. Prof. Siegert bescheinigte ihm in den Göttinger Nachrichten vom 8. 1.1936: „Seine besonderen Verdienste liegen auf dem Gebiete der staatsphilosophischen Grundlegung des nationalsozialistischen Staates." UAG, R, 4103, Prof. Siegert in seinem „Bericht über die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät", 6. 10. 1937, S. 3, über H. Meyer: „ . . . am Umbruch zum Nationalsozialismus innerlich nicht beteiligt." UAG, R. u. St. Fak., Π J 90, Schmidt an H. Meyer, 19. 9. 1933 UAG, R. u. St. Fak., II J 90, Dekan Kisch, Jur. Fak. München, an alle anderen Dekane, 18. 8. 1933 UAG, R. u. St. Fak., II J 90, H. Meyer an Schmidt, 21. 9. 1933 Zur Mitgliedschaft weiterer Göttinger Hochschullehrer im Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen s. UAG, R. u. St. Fak., II J 86, Verzeichnis der rechts- und wirtschaftswissenschaftlichen Hochschullehrer, 24. 11. 1938, UAG, Κ, XVI. II. A. a. Nr. 24, Bl. 128, und Kunkel (1966), S. 124 Siehe Kunkel (1966), S. 121 f. UAG, R, 3203, Ministerialerlaß, 27. 10. 1933 Hans Würdinger wurde 1935 nach Breslau berufen. Neben Binder und Siegert erbot sich Würdinger zu einem Vortrag in den „Führerschulungslagern für das Landjahr 1934"; siehe UAG, R. u. St. Fak., II J 85, 8. 2. 1934. Bei der „Reichsfeier" der Universität am 30. 1. 1935 hielt er die Festansprache über den „Wandel im Verhältnis von Wirtschaft und Staat"; siehe den Bericht im Göttinger Tageblatt, 31. 1. 1935, S. 4. Auf der ominösen Tagung vom 3. und 4. 10. 1936 in Berlin über das Thema „Das Judentum in der Rechtswissenschaft" bestritt er die Sparte „Das Judentum im Handelsrecht" und verstieg sich zu der Behauptung, typisch für das jüdische Wirken in der Wirtschaft sei die Auffassung, der Konkurs eigne sich als normales Mittel der finanziellen Sanierung, siehe den Sitzungsbericht in Deutsche JuristenZeitung 1936, H. 20, Sp. 1228 ff. (1230). Details über seine Berufung nach Göttingen habe ich nicht zusammentragen können, da ich weder seine Personalakte noch die Berufungsakten der Fakultät für den Zeitraum von 1932 bis 1937 (UAG, R. u. St. Fak., II J 8) einsehen durfte. So Prof. Schaffstein im Gespräch am 9. 9.1983 UAG, R. u. St. Fak., II J 49, Begleitschreiben Prof. Dr. Bacher, REM, zum Ministerialerlaß, 18. 7. 1935 UAG, R, 4103, „Vorschläge" Siegert, 14. 1. 1935, S. 13 f. Prof. Dr. Karl-August Eckhardt, von 1924 bis 1928 als Schüler Herbert Meyers Privatdozent in Göttingen, dann Ordinarius für Deutsches, Bürgerliches und Handelsrecht in Kiel, widmete sich während seiner Tätigkeit als Personalreferent im Reichswissenschaftsministerium zwischen 1934 und 1935 mit besonderer Fürsorge seiner alten akademischen Heimat. Siehe Prof. Siegerts häufige Korrespondenz mit dem „lieben Kameraden" Dr. Redenz, etwa das Schreiben vom 18. 7. 1938 (UAG, R. u. St. Fak., II J 1), in dem er sich rühmte, er habe als Vertrauensmann des Dozentenbundes - quasi am Dekan vorbei — „viele Dinge durch direkte Verhandlungen mit dem Rektor in unserem Sinne beeinflussen können". Hans Leibholz emigrierte nach Holland und wählte Ende 1940, nachdem die deutsche Wehrmacht die Niederlande besetzt hatte, zusammen mit seiner Frau den Freitod; siehe S. Leibholz (1979), S. 123. Siehe dazu im einzelnen nur Carsten (1973), S. 171 ff. UAG, Κ, IX. 83. „Durchführung des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums", Bl. 58, Aufstellung Kurator, 11. 2. 1937 Siehe zu diesen Vorfällen Baethge (1965), S. 24 f.; S. Leibholz (1979), S. 97 f., die jedoch irrtümlich die Vorlesung „Die politische Ideengeschichte der Neuzeit und das Staatsbild des 20. Jahrhunderts" als Auslöser der Unruhen angibt; G. Leibholz /Hill (1982), S. 13
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Es erstaunt, daß die Parteipostille in ihrer Auswahl der „einführenden und allgemein unterrichtenden Themen von öffentlichem Interesse" als einzige staatsrechtliche Vorlesung die des Nichtariers Prof. Leibholz notierte.
Siehe die Erklärung des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes in den Göttinger Nachrichten, Nr. 40, 16. 2. 1935, S. 3. 9 9 U A G , R, 3203 b, Ministerialerlaß, 18. 4.1935 W I ρ Leibholz b κ» Siehe G. Leibholz / Hill (1982), S. 13 f. 10> UAG, Κ, IX. 83., Bl. 1, Erlaß REM, 14. 10. 1935 Ζ II a Nr. 3110, Ζ I, Μ, E II b u. a. 102 UAG, Κ, IX. 83., Bl. 1, Erlaß RMdl, 30. 9. 1935 II S Β. 6100/30.9. 103 Die genaue zeitliche Abfolge konnte ich nicht rekonstruieren, weil mir der Einblick in die Personalakte von Prof. Leibholz versagt blieb. 104 UAG, Κ, IX. 83., Bl. 41 R, Erwähnung Ministerialerlaß, 6. 12. 1935, unter 2. 3. 1936 105 UAG, Κ, IX. 83., Bl. 41, Kurator an Leibholz, 2. 3. 1936 106 UAG, Κ, IX. 83., Bl. 59 107 Siehe G. Leibholz / Hill (1982), S. 15 108 Siehe S. Leibholz (1979), S. 99 109 Siehe S. Leibholz (1979), S. 112 f., 116 f. 110 So Prof. Schaffstein im Gespräch am 9. 9. 1983. Prof. Kunkel selbst beurteilte sein Engagement wesentlich zurückhaltender; siehe Kunkel (1966), S. 122 f. 111 Siehe Kunkel (1966), S. 116 ff.; Coing (1981), S. V, X V f.; Sturm (1981), S. 599 112 UAG, R, 3203, Prof. Bauer, Rektor der Philipps-Universität Marburg, an Rektor Neumann, 13.12. 1935 113 UAG, R, 3203, Rektor Neumann an Rektor Bauer, 18. 12. 1935 114 UAG, R, 3203, Anfrage Kurator Universität Bonn, 28. 11. 1935. Zu der Einflußnahme durch den Vorgänger Kunkels auf dem Bonner Lehrstuhl, Prof. Dr. Eberhard Bruck, siehe Nörr (1984), S. 10. 115 Siehe Coing (1981), S. V 116 UAG, R, 3203, Dekan Niedermeyer an REM, 14. 5.1936, und Rektor an REM, 16. 5.1936 117 UAG, Κ, XVI. II. B. 18. Π., Ministerialerlaß, 7. 11.1936 118 UAG, R, 4103, Siegert im „Bericht über die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät", 6. 10. 1937 119 UAG, R, 3203, Siegert an Dr. Grüninger, REM, 14. 6.1937 120 Prof. Kraus hat sich Ende 1933 beim Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen angemeldet. Sein Eintritt ist unter dem 13. 1. 1934 mit Nr. 36 226 vermerkt; siehe UAG, Κ, XVI. Π. A. a. Nr. 21, Personalakte Kraus, Bl. 138, Antwort zu 2. c) im Fragebogen von 1935. 121 UAG, R, 3203, Siegert an Dr. Grüninger, REM, 14. 6. 1937 122 UAG, R. u. St. Fak., Π J 61, Siegen an Oberregierungsrat Kasper, REM, 26. 8. 1937 123 UAG, Κ, XVI. II. A. a. Nr. 21, Personalakte Kraus, Bl. 116, 123, 236 f., 238, 241 124 UAG, Κ, XVI. II. A. a. Nr. 21, Bl. 112, NSDAP-Gauleitung an Kurator, 19. 3. 1934 125 UAG, R, 3203, Ministerialerlaß, 15. 4.1936 W I ρ Nr. Kraus 3 a ι 2 6 UAG, R, 3203, Kraus an Rektor, 27. 4. 1936 127 UAG, R, 3203, Blume an Rektor, 30. 4. 1936 128 UAG, R, 3203, Ministerialerlaß, 24. 2. 1937 W I ρ Nr. Kraus 3 a, b 129 UAG, R, 3203, Kraus an Rektor, 2. 3.1937 1 30 UAG, Κ, XVI. II. A. a. Nr. 21, Bl. 155, 156, Ministerialerlaß, 24. 5. 1937 131 UAG, Κ, XVI. II. A. a. Nr. 21, Bl. 157 bis 166, Kraus an REM, 2. 6.1937 132 UAG, Κ, XVI. II. A. a. Nr. 21, Bl. 173, Ministerialerlaß, 29. 6. 1937 133 UAG, Κ, XVI. II. A. a. Nr. 21, Bl. 175, Kraus an REM, 30. 6. 1937 134 U A G , Κ, XVI. Π. B. 18. Π., Ministerialerlaß, 20. 9. 1937 Ζ Π d Nr. Kraus 7 g - i, WP (a). Gemäß $ 7 Absatz 2 Satz 1 des Berufsbeamtengesetzes in der Fassung des sechsten Änderungsgesetzes vom 26. 9. 1934 mußten Verfügungen auf Grund dieses Gesetzes spätestens bis zum Inkrafttreten des neuen Deutschen Beamtengesetzes am 1. 7. 1937 zugestellt sein. Ziffer 9 zu § 184 D B G der Verordnung zur Durchführung des Deutschen Beamtengesetzes vom 29. 6.1937 (RGBl. I, S. 669 ff.) erlaubte es, Entlassungsverfügungen noch bis zum 30. 9. 1937 zuzustellen, sofern die Sache bei der zuständigen obersten Reichsbehörde am 30. 6. 1937 schon anhängig war. 98
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UAG, R, 3203, Kurator an Kraus, 25. 9.1937 UAG, Κ, XVI. Π. A. a. Nr. 21, Personalakte Kraus, Bl. 227, Ministerialerlaß, 24. 5. 1938 UAG, R, 3203, Ministerialerlaß, 14. 10. 1937 - Ζ Π d Nr. Kraus 7, i, k, WP (b) Siehe § 6 des Berufsbeamtengesetzes in seiner erweiterten Fassung durch das Änderungsgesetz vom 23. 6.1933 UAG, R, 3203, Kraus an Dekan Siegert, 22. 8.1937, und UAG, R. u. St. Fak., II J 61, Siegert an Oberregierungsrat Kasper, REM, 26. 8. 1937 Siehe: Der jüdische Einfluß auf den Deutschen Hohen Schulen (1928), S. 10. Nach diesen Angaben stammte von Gierkes Mutter Lili, geb. Löning, aus einer jüdischen Familie. Er fiel demnach unter die Kategorie „Mischling ersten Grades". So Prof. Schaffstein im Gespräch am 9. 9. 1983 UAG, R, 4204, Ministerialerlaß, 11. 5.1934 - U I Nr. 1250 UAG, K, EX. 83., Bl. 100, Ministerialerlaß, 2. 9. 1937 - Ζ Π a 3804 Darin hieß es mit Bezug auf Ziffer 9 zu § 184 D B G der Verordnung zur Durchführung des Deutschen Beamtengesetzes vom 29. 6. 1937 unmißverständlich: „Werden die vorstehend erörterten Fristen (30. 9. 1937) versäumt, so kann der Beamte aus seinem bisherigen Rang nicht mehr entfernt werden." UAG, Κ, IX. 83., Bl. 101,103, Ministerialerlaß, 16.10.1937 - W A 2264 - ; Nachweis auf Grund Ministerialerlaß, 18.11. 1937 - Ζ Π a Nr. 4903 (b) Prof. Siegert wütete auf der Tagung vom 3 . / 4 . 1 0 . 1 9 3 6 über „Das Judentum in der Rechtswissenschaft" gegen den jüdischen Einfluß im Strafverfahrensrecht. Er verlangte abschließend die „Ausrottung jeglichen jüdischen Geistes aus unserer Strafrechtspflege" und prophezeite: „Diesem jüdischen Geiste wollen wir ein artgebundenes deutsches Gemeinschaftsdenken entgegensetzen." Siehe Klee / Siegert (1936), S. 19 ff., 38. (Das Heft mit den Beiträgen von Klee und Siegert ist in der Niedersächsichen Staats- und Universitätsbibliothek zu Göttingen unter „Verlust" abgebucht.) Siehe ferner seine Ausfälle in: Siegert (1937), S. 118,121. Wiederholt verteilte Siegert an seine Doktoranden Themen, die sich um die „Judenfrage" drehten: - Ludwig Bünger, Judentum und die Wiederaufnahme des Strafverfahrens, 1939 - Oskar Erdmann, Der Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre, 1939 - Hermann Verspohl, Deutschblütige Angestellte im jüdischen Haushalt im Lichte des Strafrechts, 1938 Über seine Dissertation bei Siegert stolperte Dr. Hans Puvogel als niedersächsischer Justizminister im März 1978. „Die leitenden Grundgedanken bei der Entmannung gefährlicher Sittlichkeitsverbrecher" von 1937 zwangen ihn zur Demission. UAG, R. u. St. Fak., II J 90, Dekan Siegert an Dr. Lasch, 11. 10. 1937 UAG, R. u. St. Fak., II J 27, v. Gierke „Vorschläge zur Reform des Rechtsstudiums", November 1934 Zwei Jahre zuvor hatte er sich noch in einer Randbemerkung über die Selbstbeweihräucherung des Bundes Nationalsozialistischer Deutscher Juristen mokiert, der in einem Schreiben vom 14. 11. 1932 „als berufener Vertreter der wahrhaft deutschen Rechtsgestaltung eines kommenden neuen Staates" zu seiner dritten Reichstagung in Leipzig einlud; siehe UAG, R. u. St. Fak., D J 86. UAG, R. u. St. Fak., Π J 1, Dekan an Mitglieder des Fakultätsausschusses, 24.12. 1937; von Gierke an Dekan Siegert, 31.12. 1937 UAG, R, 3203, Ministerialerlaß, 3. 5. 1938, zitiert in vertraulichem Bericht Kurator Bojunga an Rektor, 4. 7. 1938 - Tagebuch-Nr. 3430 UAG, R, 3203, Ministerialerlaß, 30. 6. 1938 - W Ρ von Gierke f (a) UAG, R, 3203, von Gierke an REM, 4. 7. 1938: „Auf Grund meiner heutigen Verhandlung mit dem Herrn Kurator der Universität beantrage ich meine Emeritierung." UAG, Κ, XVI. II. B. 18. Π, Ministerialerlaß, 3. 9. 1938 - W Ρ von Gierke g (a) - . Die Entpflichtung wurde auf Grund von § 2 des Gesetzes über die besonderen Rechtsverhältnisse der beamteten Lehrer an den wissenschaftlichen Hochschulen vom 9. 4. 1938 (RGBl. I, S. 377) in Verbindung mit den §§ 70 und 179 Absatz 1 des Deutschen Beamtengesetzes vorgenommen. UAG, R, 4103, „Vorschläge" Siegert, 14. 1. 1935, S. 4
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Prof. Siegert rechnete Karl Larenz, Karl Michaelis und Friedrich Schaffstein zu den „herausgestellten nationalsozialistischen Dozenten", deren Verlust für Göttingen er lebhaft bedauerte; siehe UAG, R, 4103, „Vorschläge", 14. 1. 1935, S. 2 und 13. 155 In dieser Frage war ihnen Prof. Jessen ein ständiger Diskussionspartner; so Prof. Schaffstein, der nach eigenen Angaben erst 1937 die Mitgliedschaft in der NSDAP erwarb, im Gespräch am 9. 9. 1983. 156 Siehe Volbehr / Weyl (1956), Π A Nr. 111, S. 45; Döhring (1965), S. 202 '57 Siehe Volbehr / Weyl (1956), Π Β Nr. 5, S. 52; Döhring (1965), S. 202 Karl Michaelis wurde zum 31. 10. 1945 wegen seiner Mitgliedschaften in SA und NSDAP an der Universität Leipzig, wohin er 1938 als Ordinarius berufen worden war, entlassen, sein Dienstverhältnis jedoch in Form von Aufträgen für Gutachten und Forschungsvorhaben fortgesetzt; siehe Feige (1978), Band I, S. 40, 75, 79 f., Band II, S. 15 Anm. 17, S. 168,188; Welsh (1985), S. 360 f. Im Jahre 1948 ging Prof. Michaelis nach Münster und arbeitete im Provinzialschulkollegium, ehe er 1949 als Lehrbeauftragter und kommissarischer Kurator wieder an die Universität wechselte. Als Ordinarius auf einem rechtsgeschichtlichen Lehrstuhl in Münster seit 1951 nahm er 1956 den Ruf auf eine Professur für Deutsche Rechtsgeschichte, Bürgerliches Recht und Handelsrecht an der Georgia Augusta an. 1969 wurde er emeritiert und lebt nach wie vor in Göttingen. IM Siehe Volbehr / Weyl (1956), II A Nr. 114, S. 45 f.; Döhring (1965), S. 202 i " UAG, R, 3203, Ministerialerlaß, 25. 3.1935 - W I ρ von Unruh b UAG, R, 3303 b, Ministerialerlaß, 8. 7. 1936 - W I ρ 247 Π 161 UAG, R. u. St. Fak., II J 1, Siegert an Reichsamtsleitung NSD-Dozentenbund, 18. 7. 1938 162 UAG, R. u. St. Fak., II J 52, heftiger Schriftwechsel unter dem 7., 16., 17., 20., 21. und 30.11.1933 sowie unter dem 12. 12. 1933 i " UAG, Κ, XVI. V. A. a. Nr. 55, H. Meyer an REM, 9. 5. 1935 164 UAG, R, 4103, H. Meyer an Rektor, 14. 5. 1935 165 UAG, R, 4103, Rektor an Niedermeyer, 16. 5.1935 >«• UAG, R. u. St. Fak., Π J 1, Siegert an Dr. Grüninger, REM, 27. 9. 1937 167 UAG, R, 3203, Ministerialerlaß, 29. 10. 1937 - W Ρ Nr. 2640 (a) 168 Diese Berufung kann aber entgegen der Einschätzung von Frau Leibholz wohl kaum als Beweis für die Annahme gewertet werden, der Ehrgeiz, noch einen Lehrstuhl in Berlin zu bekommen, habe Herbert Meyer „dem Nationalsozialismus in die Arme" getrieben; siehe S. Leibholz (1979), 5. 97 f. Die Gelegenheit dazu wäre wahrlich in den Jahren 1934 und 1935 günstiger gewesen, als sein Schüler Prof. Eckhardt die Personalabteilung des Ministeriums leitete. Herbert Meyer starb in Berlin am 6. 3. 1941 im Alter von 66 Jahren. » » UAG, R, 4103, „Vorschläge" Siegert, 14. 1. 1935, S. 1 f. 170 Es ist in diesem Rahmen nicht möglich, alle Berufungsvorgänge im einzelnen zu schildern. Insbesondere wird zumeist darauf verzichtet, sämtliche auf Berufungslisten auftauchenden Kandidaten zu nennen und zu charakterisieren, auf nicht zustande gekommene Berufungen sowie Professoren einzugehen, die wegen einer nur kurzen Aufenthaltsdauer in Göttingen kaum Spuren in der Fakultät hinterlassen haben. 171 So Prof. Schaffstein im Gespräch am 9. 9. 1983 172 UAG, R, 4103, Siegert im „Bericht über die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät", 6. 10.1937, S. 2. Immerhin hatte Prof. Mirbt ebenso wie der Privatdozent Dr. von Unruh am 11. 11. 1933 in Dresden das „Bekenntnis der Professoren an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat" unterzeichnet; siehe das Faksimile bei Baethge (1965), S. 27. 173 UAG, K, Personalakte Smend, Bl. 79, Fragebogen des Military Government of Germany, 21. 8. 1947, S. 9 174 Prof. Siegert versuchte im August 1937 vergeblich, den SS-Standartenführer Reinhard Höhn für Göttingen zu gewinnen; siehe UAG, R. u. St. Fak., II J 1, 26. 8. 1937. Zudem bemühte er sich, in Hohns Institut „einen jüngeren Aktivisten" unterzubringen, um ihm „eine gediegene Schulung" angedeihen zu lassen; siehe UAG, R. u. St. Fak., II J 63, Siegert an Höhn, 19. 4.1937. 154
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So Prof. Schaffstein im Gespräch am 9. 9. 1983. Siehe auch Vezina (1982), S. 127 f. Prof. Smend ebenso wie die Professoren Johannes Heckel, München, und Heinrich Triepel, Berlin, mußten als Mitherausgeber des „Archivs des öffentlichen Rechts" nach dem Erscheinen des 24. Bandes neuer Folge im Jahre 1933 ausscheiden. UAG, Κ, XVI. II. B. 18. IL, Fakultät an REM, 23. 2. 1935 Das geht aus einem Brief hervor, den Prof. Smend am 27. 2. 1935 an seine Mutter in Göttingen sandte. Uber seine Weigerung, den Lehrstuhl in Berlin aufzugeben, schrieb er ihr am 12. 3. 1937: „Ich war der erste Professor, bei dem sie hier damit (gemeint ist die zwangsweise Versetzung, d. Verf.) angefangen haben, und ich hatte das Gefühl, nicht aus Furcht davor etwas tun zu dürfen, was ich sonst vielleicht oder wahrscheinlich nicht getan hätte." Diese Zitate verdanke ich Herrn Prof. Dr. theol. Rudolf Smend jr., der sie mir mit Schreiben vom 15. 6. 1983 mitgeteilt hat. UAG, K, Personalakte Smend, Bl. 17, Ministerialerlaß, 12. 2.1936 - W I Ρ 2044/35 UAG, K, Personalakte Smend, Bl. 85, Smend an NKM, 27. 3.1948 UAG, R, 4103, Siegert im „Bericht über die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät", 6. 10. 1937, S. 2 Georg Heinrich Johannes Erler trat 1933 unter der Nr. 2 156 865 in die NSDAP ein. In seiner Münsteraner Zeit bekleidete er eine Vielzahl von Parteiämtern; siehe Seeliger (1968), S. 13. Mitglied im Nationalsozialistischen Rechtswahrerbund war er unter der Nr. A 24495; siehe UAG, R. u. St. Fak., II J 86, Verzeichnis der rechts- und wirtschaftswissenschaftlichen Hochschullehrer, 24. 11. 1938. Im Göttinger NSD-Dozentenbund verwaltete er ab dem Sommersemester 1939 das Auslandsamt; siehe Amtliches Personalverzeichnis und Verzeichnis der Vorlesungen für das Sommersemester 1939.
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UAG, R. u. St. Fak., II J 1, Siegert an Erler, 23. 10. 1937 UAG, R. u. St. Fak., II J 1, Siegert an Dr. Grüninger, REM, 18. 8. 1937. Erlers Habilitation sei „vor vier Jahren . . . in Münster zunichte gemacht worden". UAG, R. u. St. Fak., II J 1, Siegert an Erler, 23. 10.1937 UAG, R. u. St. Fak., II J 1, Siegert an Erler, 29.11. 1937 UAG, R. u. St. Fak., II J 1, Siegert an Erler, 23. 10. 1937 UAG, R. u. St. Fak., II J 1, Siegen an Erler, 29.11.1937 UAG, R. u. St. Fak., II J 86, Verzeichnis der rechts- und wirtschaftswissenschaftlichen Hochschullehrer, 24. 11. 1938 Prof. Erler wollte die „Entwicklung der afrikanischen Bevölkerung zur Fähigkeit einer Teilnahme an den öffentlichen Angelegenheiten und die Situation eines Staates mit unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen studieren"; siehe Rauschning (1975), S. 142. UAG, R. u. St. Fak., II J 63, Prodekan Rath an REM, 30. 9.1939 Siehe zur Chronologie der Ereignisse Seeliger (1968), S. 19 (Stellungnahme Erler); Rauschning (1975), S. 142; Rauschning (1981), S. 493; Zieger (1981), S. 462 Siehe Seeliger (1968), S. 19 (Stellungnahme Erler). Die Ernennung erfolgte zum 1. 12. 1943; siehe UAG, Κ, IX. 101 a., Personalblatt Erler. UAG, R. u. St. Fak., II J 1, Siegert an Ministerialdirektor Dr. Saure, Reichsernährungsministerium, 26. 8. 1937 Ulrich Scheuner schrieb sich mit Abhandlungen wie „Die nationale Revolution" (1934), „Die Gerichte und die Prüfung politischer Staatshandlungen" (1936), „Die Rechtsstellung der Persönlichkeit in der Gemeinschaft" (1937), „Der Gleichheitsgedanke in der völkischen Verfassungsordnung" (1939), „Politische Wissenschaft in der Auseinandersetzung um Volk und Raum" (1940) sowie „Staatstheorie und Verfassungsrecht des Faschismus" (1941) in die erste Reihe der nationalsozialistischen Staatsrechtslehrer. Dabei plädierte er mit anderen für eine Uberwindung der liberalen Freiheitsrechte des Staatsbürgers. Das hinderte ihn nicht, sich nach dem Kriege als Mitherausgeber des vierbändigen Werkes „Die Grundrechte. Handbuch der Theorie und Praxis der Grundrechte" (1954 ff.) zu betätigen. Über Scheuners Rolle in der Staatsrechtslehre des „Dritten Reiches" siehe näher Meinck (1978) und Fangmann (1981), S. 237 ff. UAG, R. u. St. Fak., II J 61, Absage Scheuners an Dekan Siegert, 1. 12. 1938 Mitteilungen des Universitätsbundes Göttingen, Jahrgang X X I , Heft 2 (1941), S. 30, Eintragung unter dem 16. 4. 1940
Siehe dazu die Ansprache von Prof. Dr. Karl Schmidt, Rektor der Reichsuniversität Straßburg, am Tage der „feierlichen Wiederaufnahme der Lehr- und Forschungstätigkeit der Universität" am 23. 11. 1941, in: Strassburger Universitätsreden, Heft 1, 1942 198 UAG, Κ, XVI. II. B. 18. II., Ministerialerlaß, 15. 9. 1941 - W Ρ 2219 (a) - . Im Jahre 1951 setzte die Fakultät Prof. Scheuner erneut auf eine Berufungsliste, als die Nachfolge des emeritierten Prof. Smend geregelt werden mußte; siehe UAG, Κ, XVI. II. B. 18. III., Fakultät an NKM, 10. 7. 1951. 199 UAG, R, 4103, „Vorschläge" Siegert, 14. 1.1935, S. 7 200 Siehe ebenda, S. 7 2 0 1 UAG, Κ, XVI. II. A. a. Nr. 11, Personalakte von Hippel, Bl. 143 bis 146, von Hippel an Kurator, 29. 4.1933 1938 mußte von Hippel erneut zu solchen Gerüchten, zu deren Klärung auch das REM intervenierte, Stellung nehmen; siehe ebd., Bl. 182 - 213 2 0 2 In Kiel bildete Schaffstein mit Prof. Dr. Georg Dahm ein richtungsweisendes Gespann des nationalsozialistischen Strafrechts. Im Jahre 1941 folgte die Berufung nach Straßburg, dort war er auch Dekan. Im Jahre 1952 erhielt Prof. Schaffstein einen Lehrauftrag für Strafrecht an der GeorgiaAugusta; ab 1954 nahm er den Lehrstuhl Prof. Welzeis ein. Die Göttinger Akademie der Wissenschaften kooptierte ihn 1956. Er lebt als Emeritus (seit 1970) in Göttingen. 203 UAG, R, 4103, „Vorschläge" Siegert, 14.1.1935, S. 13 2 0 4 So Prof. Schaffstein im Gespräch am 9. 9.1983; ebenso G. Leibholz / Hill (1982), S. 15. Allerdings rief Hans Niedermeyer - gemeinsam mit Julius Binder, Herbert Meyer und Paul Oertmann vor der Kommunalwahl in Preußen am 12. 3. 1933 in einer Zeitungsannonce zur Stimmabgabe für die Kampffront „Schwarz-Weiß-Rot" auf; siehe Göttinger Tageblatt, 8. 3. 1933, S. 11. 205 Uber Prof. Niedermeyer wird berichtet, er habe diesen Schritt mit dem Satz gerechtfertigt: „Warum sollte ich das nicht tun? Die vorherige Regierung hat ja nichts für mich getan."; siehe G. Leibholz / Hill (1982), S. 15; ebenso Baethge (1965), S. 26 206 UAG, R, 3203, Rektor Neumann an Ministerialdirektor Prof. Dr. Vahlen, REM, 14. 8. 1934. 207 UAG, Κ, XVI. IV. B., Dekan Rechts- u. Staatswiss. Fak. an Kurator, 2. 10. 1945, zur Übertragung des Lehrstuhls Rühl / Husserl im Jahre 1934 an die Philosophische Fakultät 208 UAG, Κ, XVI. II. B. 18. II., Ministerialerlaß, 14. 11. 1934 - U I Nr. 19142 - , und Fakultät an REM, 16. 11. 1934 209 UAG, Κ, XVI. II. B. 18. II., Fakultät an REM, 2. 7. 1935, und zweiter Berufungsvorschlag Fakultät an REM, 2. 1.1936 21° UAG, Κ, XVI. II. B. 18. II., Fakultät an REM, 2.1.1936 2 1 1 UAG, Κ, XVI. II. B. 18. II., Riechelmann, Führer der Studentenschaft in Göttingen, über die Beurteilung Welzels durch die Kölner Studentenschaft, 16. 1. 1936 2 1 2 UAG, Κ, XVI. II. B. 18. II., Fakultät an REM, 2. 1. 1936, S. 3, sowie UAG, R. u. St. Fak., II J 86, Verzeichnis der rechts- und wirtschaftswissenschaftlichen Hochschullehrer, 24. 11. 1938. Welzel gehörte danach aber dem Nationalsozialistischen Rechtswahrerbund an. 213 UAG, Κ, XVI. II. B. 18. II., Ministerialerlaß, 20. 2. 1936 - W I ρ 61 - , erwähnt im Bericht Rektor an REM, 16. 5. 1936, und Fakultät an REM, 14. 5. 1936 214 UAG, R, 3203, Ministerialerlaß, 27.10. 1936 - W I ρ Nr. 1195 2 1 5 UAG, R, 4103, Siegert im „Bericht über die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät", 6. 10. 1937 216 Siehe Baethge (1965), S. 21, mit einem Faksimile aus dem Vorlesungsverzeichnis des Wintersemesters 1938/39 217 Siehe zur Rolle des Zivilrechts im Nationalsozialismus und zu den Plänen für ein Volksgesetzbuch nur Grimm (1985), S. 32 ff. 218 UAG, Κ, XVI. II. B. 18. II., Rektor an REM, 15. 9. 1936, zum Antrag der Fakultät auf Umwandlung der Professur für Römisches Recht 219 UAG, R, 4103, Weitere Ergänzung der „Vorschläge" Siegert, 23. 1. 1935 220 UAG, R, 4103, „Vorschläge" Siegert, 14. 1. 1935, S. 10, sowie UAG, Κ, XVI. II. B. 18. II., Berufungsvorschlag Fakultät an REM, 7. 2. 1935 22> UAG, R, 4103, Weitere Ergänzung der „Vorschläge" Siegert, 23. 1.1935 197
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UAG, Κ, XVI. Π. Β. 18. Π., Rektor an REM, 11. 2.1935 UAG, R, 3203 b, Ministerialerlaß, 11. 4. 1935 - W I ρ Nr. 226.1 - . Die Berufung Wahls zum Ordinarius erfolgte mit Wirkung vom 1. 9. 1938. UAG, R, 4103, Siegert im „Bericht über die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät", 6. 10.1937, S. 4. Die NSDAP (Nr. 4 610 418) und der Nationalsozialistische Rechtswahrerbund (Nr. 18865 M 238) wußten aber auch Prof. Wahl in ihren Reihen; siehe UAG, R. u. St. Fak., II J 86, Verzeichnis der rechts- und wirtschaftswissenschaftlichen Hochschullehrer, 24. 11. 1938. UAG, Κ, XVI. Π. B. 18. II., Ministerialerlaß, 20. 11. 1940 - W Ρ 111/40 (a) Prof. Wahl wurde 1971 in Heidelberg emeritiert. Nach dem Kriege trat er der ChristlichDemokratischen Union bei und saß für sie zunächst im Heidelberger Stadtrat, anschließend zwischen 1949 und 1969 im Deutschen Bundestag. UAG, R, 3203, Ministerialerlaß, 2. 1. 1936 - W I ρ Binder - . Die Entpflichtung erfolgte zum 31. 3. 1936. Gleichzeitig wurde Prof. Binder beauftragt, seinen Lehrstuhl bis zum Ende des Wintersemesters 1936/37 zu vertreten. UAG, Κ, XVI. II. B. 18. II., Fakultät an REM, 18. 1. 1937 UAG, Κ, XVI. Π. B. 18. IL, Sondergutachten Binder, 19. 1.1937, dem sich Prof. H. Meyer anschloß UAG, Κ, XVI. II. B. 18. II., gutachterliche Äußerung Welzel an Rektor, 26. 1.1937 UAG, Κ, XVI. II. B. 18. II., Stellungnahme Siegert zum Sondervotum Binder und H. Meyer auf Ersuchen des Rektors, 27. 1. 1937 UAG, Κ, XVI. II. B. 18. II., Berufungsvorschlag Fakultät an REM, 18. 1.1937 UAG, Κ, XVI. II. B. 18. II., Stellungnahme Siegert, 27.1. 1937 Wilhelm Saure, geb. 25. 9. 1899, Promotion 1930 in Göttingen mit einer Arbeit über „Die völkerrechtliche Stellung des Rheins". Ab 1933 diente er dem Reichsbauernführer als Rechtsberater (Hauptabteilungsleiter des Stabes Β im Stabsamt); daneben wirkte er im Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft, zuletzt als Ministerialdirektor. Zusätzlich gehörte er dem Reichserbhofgericht an und verwaltete den Vorsitz des Ausschusses für Erbhofrecht der Akademie für Deutsches Recht. Seine politische Laufbahn begann er 1919 in der völkischen und nahtlos anschließend in der nationalsozialistischen Bewegung. Überdies machte Saure auch in der SS Karriere; siehe UAG, R. u. St. Fak., Π J 113, 24. 6. 1938. Kürschners Deutscher Gelehrten-Kalender von 1940/41 führt ihn als „SS-Oberführer im Rasse- und Siedlungshauptamt".
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Prof. Franz Wieacker kam erst nach dem Krieg nach Göttingen. Nachdem er schon 1947 an der Spitze des Berufungsvorschlags der Fakultät für den früheren Lehrstuhl Kunkel gestanden hatte, entschied er sich 1953 für die Georgia Augusta und trat die Nachfolge von Prof. Niedermeyer an. 1973 wurde er emeritiert und lebt seither weiterhin in Göttingen. UAG, Κ, XVI. II. B. 18. II., Ergänzung zum Berufungsvorschlag, 29. 4.1937, sowie UAG, R. u. St. Fak., II J 1, Bericht Dekan über freie Lehrstühle in der Fakultät, 16. 8. 1937 UAG, R, 4103, Beschwerdeschreiben Schürmann an Dekan, 29. 4. 1937, sowie Schreiben Siegert an Rektor, 4. 5. 1937, in dem er Prof. Schürmanns Anliegen guthieß UAG, R. u. St. Fak., Π J 86, Siegert an Reichsgeschäftsstelle NS-Rechtswahrerbund, 21. 3. 1938 UAG, R. u. St. Fak., Π J 113, Saure an Rektor, 24. 6. 1938; ferner UAG, R. u. St. Fak., II J 91 und II J 1, Siegert an Reichsrechtsamt der NSDAP, 16. 6. und 5. 7. 1938 UAG, R. u. St. Fak., Π J 61, Ministerialerlaß, 27. 11. 1939 - W Ρ 3603, Ζ ΠΙ (b) - , zitiert in Schreiben Saure an Siegert, 29. 11. 1939. Die Ernennung Busses zum Ordinarius erfolgte noch in Kiel mit Wirkung vom 1. 10. 1940; siehe Volbehr / Weyl (1956), Π A Nr. 120, S. 46. Zu seinem Kriegseinsatz siehe UAG, R. u. St. Fak., II J 64, Smend an REM, 5. 1. 1942. Prof. Busse fiel am 16. 2. 1945; siehe Die Toten der Georgia Augusta 1939 - 1945, S. 7. UAG, Κ, XVI. II. Β. 18. II., zweiter Berufungsvorschlag Fakultät an REM, 3. 10. 1938 UAG, R. u. St. Fak., II J 61, Abschrift Lebenslauf Ebel von etwa August oder September 1938, 17. 9. 1938 UAG, R. u. St. Fak., II J 61, Siegen an seinen Königsberger Strafrechtskollegen Prof. Dr. G. Boldt, 9. 5. 1938
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UAG, R. u. St. Fak., II J 49, Hochschulgruppenführer Prof. Blume an Rektor, 29. 9.1939 UAG, R. u. St. Fak., Π J 61, Dekan Siegert an REM, 20. 2. 1939 Hans Tagen war Mitglied der NSDAP (Nr. 2 731 491) und des Nationalsozialistischen Rechtswahrerbundes (Nr. A 22533); siehe UAG, R. u. St. Fak., Π J 86, Verzeichnis der rechts- und wirtschaftswissenschaftlichen Hochschullehrer, 24. 11.1938. 246 UAG, R. u. St. Fak., Π J 61, Absage Prof. Krause an Dekan, 7. 12.1938 247 UAG, Κ, XVI. II. B. 18. Π., Berufungsvorschlag Fakultät an REM, 3.10.1938 248 UAG, R. u. St. Fak., II J 63 und Π J 1, Dekan an Prof. Dr. Groh, REM, 2. und 8.1.1940. 249 UAG, Κ, XVI. Π. B. 18. II., Geschäftsführender Dekan Smend an Rektor, 12.1. 1942. 250 Siehe Die Toten der Georgia Augusta 1930-1945, S. 8 251 Mißt man daran den nationalsozialistisch gewendeten Neuaufbau der Fakultät, kann man Prof. Dr. Wolfgang Sellen nicht widersprechen, der in seiner Ansprache anläßlich der Gedenkfeier zur „Wiedereröffnung der Göttinger Juristischen Fakultät zum Wintersemester 1945-46" am 30. 11. 1985 meinte, man könne nicht sagen, „daß die Nationalsozialisten die Göttinger Fakultät insgesamt in die Hand bekommen . . . hätten"; siehe Sellen (1986), S. 13. Richtig ist diese Aussage aber wahrlich nur dann, wenn man die Emphase vernehmlich auf das Wort „insgesamt" legt. 252 UAG, R. u. St. Fak., Π J 61, Siegert an Prof. Krüger, 28.11. 1939 255 UAG, R. u. St. Fak., Π J 61, Siegen an Prof. Saure, 9. 5.1940 254 UAG, R. u. St. Fak., Π J 64, Niedermeyer an Welzel, 6. 9. 1940 255 UAG, R. u. St. Fak., Π J 61, Siegen an Prof. Busse, 19.10.1940, sowie UAG, R. u. St. Fak., Π J 1, Geschäftsführender Dekan Smend an Siegen, 29. 5. und 12. 7. 1941 256 UAG, R. u. St. Fak., Π J 49, Smend an Kurator, 5. 11. 1941, Aufstellung über die Feldpostadressen der Fakultätsmitglieder, und Nov. 1943, Liste der zur Wehrmacht eingezogenen Fakultätsangehörigen 257 UAG, R. u. St. Fak., Π J 1, Siegen an Rektor, 25. 7.1942 258 Siehe Landwehr (1981), S. 467 ff. 259 UAG, R. u. St. Fak., Π J 64, Niedermeyer an REM, 31. 8.1940 260 UAG, R. u. St. Fak., Π J 49, Liste der zur Wehrmacht eingezogenen Fakultätsangehörigen, November 1943 261 Siehe Kater (1974), S. 195, der Prof. Ebel allerdings mit dem falschen Vornamen „Wolfgang" versieht. 262 UAG, R. u. St. Fak., II J 49, Liste der zur Wehrmacht eingezogenen Fakultätsangehörigen, November 1943 263 Nach der Gründung der Bundesrepublik gewann Konrad Adenauer Walter Hallstein als Staatssekretär im Bundeskanzleramt und im Auswärtigen Amt. Ab 1958 präsidierte er neun Jahre lang der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Hallstein starb 1982. 264 UAG, Κ, XVI. II. B. 18. II., Gutachten Reichsdozentenbund über die Professoren Walter Hallstein und Rudolf Reinhardt, 3.12. 1940 - 3/8 - 2 J. - , sowie Berufungsvorschlag Fakultät an REM, 6. 1. 1941 2 « UAG, Κ, XVI. II. B. 18. Π., Rektor Plischke an REM, 17.1.1941 266 UAG, Κ, XVI. Π. B. 18. Π., Ministerialerlaß, 1. 2.1941 - W Ρ 171/41 - betr. Prof. Hallstein; erneuter Berufungsvorschlag Fakultät an REM, 26. 3.1941, betr. Prof. Reinhardt 267 UAG, Κ, XVI. II. B. 18. II., Berufungsvorschlag Fakultät an REM, 26. 3. 1941, in dem allein Prof. Beitzke genannt ist 268 UAG, Κ, XVI. II. B. 18. Π., Ministerialerlaß, 9. 4. 1941 - W Ρ 913 - . D a n a c h war Prof. Beitzke erst seit dem 13. 9.1939 in Jena tätig; eine Wegberufung könne frühestens zum 1. 4.1942 verantwortet werden. Daraufhin erklärte sich die Fakultät mit Bericht vom 29. 5. 1941 bereit zu warten, wenn er nur für Göttingen reserviert bleibe. Wegen seines Fronteinsatzes verzogene sich die Berufung Beitzkes bis zum 23. Juni 1943. 269 Ulrich von Hasseil war seit 1932 Botschafter in Rom. Im Jahre 1938 wurde er wegen Differenzen mit dem Außenministerium abberufen und arbeitete seit 1940 im Vorstand des „Mitteleuropäischen Wirtschaftstages". Seine Aktivitäten in der Widerstandsbewegung bestrafte der Volksgerichtshof am 8. 9. 1944 mit dem Tode; von Hassell wurde fioch am selben Tage hingerichtet. 270 UAG, Κ, XVI. II. B. 18. II., Berufungsvorschlag Fakultät an REM, 12. 1. 1942; Stellungnahme NSD-Dozentenbund, 16. 1. 1942; Bericht Rektor an REM, 24. 1. 1942 271 UAG, Κ, XVI. Π. B. 18. Π., Fakultät an REM, 23. 3. 1942 147 245
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Siehe Baethge (1965), S. 25, basierend auf einem Interview mit Prof. Smend, der 1947 im Fragebogen des Military Government of Germany als weiteren Grund für die Verfolgung durch die Gestapo seine losen Beziehungen zum Widerstand nannte; siehe UAG, K, Personalakte Smend, Bl. 81. RGBl. 1933, Teil I, S. 225 Siehe die Erste Verordnung zur Durchführung des Gesetzes gegen die Uberfüllung deutscher Schulen und Hochschulen vom 25. 4. 1933 (RGBl. I, S. 226) sowie die Anordnung des RIM über die zahlenmäßige Begrenzung des Zugangs zu den Hochschulen vom 12. 1. 1934 (RMBl., S. 16) Siehe dazu Setzier in: Adam (1977), S. 218 f. Siehe Lorenz (1943), S. 148 bis 151: Für das Sommersemester 1933 addierte sie ein Total von 113 247, für das Sommersemester 1939 von 56 667 Studierenden. 15 115 Immatrikulationen für Jura im Sommersemester 1933 standen 4 555 im Sommersemester 1939 gegenüber. Siehe ebd. S. 229 UAG, R. u. St. Fak., II J 113, Smend an stellvertr. Dozentenbundsführer, 4. 5. 1943 Verständlicherweise drückte sich Prof. Smend in seinen Berichten an den „Sicherheitsdienst des Reichsführers SS - SD-Abschnitt Braunschweig, Leitaußenstelle Göttingen", die er ab dem Sommer 1942 semesterweise erstatten mußte, sehr viel hermetischer über die „Gesamthaltung der Studentenschaft" aus; siehe UAG, R. u. St. Fak., II J 49, 27. 5. und 14. 9. 1942, 4. 1. und 11. 6. 1943. Prof. Smend spielte damit unter anderem auf die „Richterbriefe" an, mit denen der Reichsjustizminister ab Oktober 1942 die Richter noch enger an die Kandare nahm; siehe dazu Hirsch u.a. (1984), S. 540 ff. Siehe ferner die Entschließung „Gegen die Angriffe auf die Universitäten und die Hochschullehrer", verabschiedet auf der Tagung der Rechts- und Wirtschaftsfakultäten am 26./27. 2.1943 in Leipzig; siehe UAG, R. u. St. Fak., II J 116. Die Justizausbildungsordnung vom 22. 7. 1934 (RGBl. I, S. 727 ff.) wurde auf Grund des Artikels 5 des Ersten Gesetzes zur Uberleitung der Rechtspflege auf das Reich vom 16. 2. 1934 (RGBl. I, 5. 91) erlassen. UAG, R. u. St. Fak., II J 27, Ministerialerlaß, 18. 1. 1935 UAG, R. u. St. Fak., II J 116, Ministerialerlaß, 26. 6. 1941, und Stellungnahme Fakultät an REM, 19. 9. 1941 UAG, R. u. St. Fak., II J 116, Stellungnahmen Bonner Fakultät, 6. 10.1943, und Marburger Fakultät, 8. 10. 1943, an REM sowie im Protokoll festgehaltene Debatten auf der Tagung der Rechtsund Wirtschaftsfakultäten am 17. und 18. 12. 1943 in Breslau UAG, R. u. St. Fak., Π J 47, Ministerialerlaß, 15. 7.1944 - W J 1140/44 (a) - , und UAG, R. u. St. Fak., II J 117, Ansprache Rust auf der Tagung der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten vom 10. und 11. 7. 1944 in Posen, S. 6 bis 9 der Niederschrift Siehe zu diesem Vorgang die eingehende Darstellung bei Fesefeldt (1962), S. 139 ff. UAG, Κ, IX. 83., Entwurf Schreiben Smend, 9. 5. 1945, das nach seinem Willen durch die zuständigen Dekane übergeben werden sollte Siehe Thieme (1955), S. 1142; Koch (1964), S. 373 f. Julius von Gierke starb in Göttingen am 2. 8. 1960 im Alter von 85 Jahren. So die Schilderung von Frau Mathilde Kraus im Gespräch mit mir am 30. 10. 1986 UAG, Κ, XVI. II. A. a. Nr. 21, Personalakte Kraus, Band I, Bl. 249, Kraus an Rektor, 16. 6. 1945 UAG, Κ, XVI, Π. A. a. Nr. 21, Personalakte Kraus, Band I, Bl. 248, 248 R, Smend an Oberpräsidenten der Provinz Hannover, 24. 8. 1945 UAG, Κ, XVI. II. B. 18. II., Dekan Welzel an Oberpräsidenten, 2. 11. 1945 Zuvor schon beantragte Prof. Smend, Herbert Kraus bis zu seiner Rückberufung für das Wintersemester 1945/46 einen Lehrauftrag für Staats- und Völkerrecht zu erteilen; siehe UAG, Κ, XVI. II. A.a. Nr. 21, Personalakte Kraus, Band I, Bl. 255, 260, 260 R, Smend an Kurator, 10. 9. 1945; stattgebende Verfügung Kurator, 25. 9.1945 - Tagebuch-Nr. 1842 II UAG, Κ, XVI. Π. A. a. Nr. 21, Personalakte Kraus, Band I, Bl. 268, Erlaß Oberpräsident, 7.12.1945 - O. P. Nr. 2334 II Κ I UAG, Κ, XVI. II. A. a. Nr. 21, Personalakte Kraus, Band I, Bl. 267, Erlaß Oberpräsident, 6. 12. 1945 - Ο. P. Nr. 2617 Κ I UAG, Κ, XVI. Π. A. a. Nr. 21, Personalakte Kraus, Band I, Bl. 290, 292, 297 und 300
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UAG, Κ, XVI. Π. Α. a. N r . 21, Personalakte Kraus, Band Π, Bl. 74 ff., Kraus an NKM, 20.12.1951 UAG, Κ, XVI. Π. A. a. N r . 21, Personalakte Kraus, Band Π, Bl. 92, 93, 123, 135, 164 a 297 UAG, Κ, XVI. Π. A. a. N r . 21, Personalakte Kraus, Band Π, Bl. 229 bis 232, Bescheid Reg. präs. Hildesheim, 12. 9.1955 298 So Frau Mathilde Kraus im Gespräch am 30.10. 1986 299 Siehe die Festschrift für Prof. Kraus unter dem Titel „Recht im Dienste der Menschenwürde", überreicht im Jahre 1964 vom Vorstand des „Göttinger Arbeitskreises", dessen Präsident er zwölf Jahre lang war, S. XV. und XVI. Kurz nach der Vollendung seines 81. Lebensjahres starb Herbert Kraus am 15. 3. 1965 in Göttingen. 300 So die Erinnerung von Herrn Richard E. Honig im Gespräch am 28. 9. 1983. 301 UAG, Κ, XVI. II. A. a. Nr. 36, Bl. 127 R, Wiedergutmachungsbescheid NKM, 8.1. 1953, S. 2 (Sachverhalt) 302 Die Informationen über das Leben Prof. Honigs in den USA verdanke ich dem Gespräch mit Herrn Richard E. Honig am 28. 9.1983. 303 UAG, Κ, XVI. II. B. 18. III., Dekan Passow an NKM, 21. 7. 1947. Die Fakultät hatte den Lehrstuhl Weigmann, früher Kunkel, der wieder der Rechtswissenschaft zustehen sollte, für Prof. Honig freigehalten. 304 UAG, Κ, IX. 83., Honig an Dekan, 15. 2. 1947; dazu die englischsprachige Mitteilung vom 5. 4.1947, mit der Mr. G.C. Bird, der University Education Control Officer, den Rektor über die Absage Prof. Honigs in Kenntnis setzte 305 Die Anfrage hatte folgenden Wortlaut: „Please indicate by replying direct to this H Q whether you retained your German nationality and, if so, whether you would be interested in accepting Göttingen University's offer." Prof. Honig gibt ihn in seinem Schreiben vom 15. 2. 1947 an den Dekan wieder; siehe UAG, Κ, IX. 83. 304 UAG, Κ, XVI. II. A. a. Nr. 36, Bl. 266, Honig an Kurator, 10. 6.1957 307 So Herr Richard E. Honig im Gespräch am 28. 9. 1983 308 UAG, Κ, XVI. II. A. a. Nr. 36, Bl. 127 bis 128 R, Ministerialerlaß, 8.1. 1953 309 UAG, Κ, XVI. II. A. a. Nr. 36, Bl. 134, Ministerialerlaß, 1. 4.1953 310 UAG, Κ, XVI. II. A. a. Nr. 36, Bl. 142, Verfügung Reg.präs. Hildesheim, 19. 5. 1953 311 UAG, Κ, XVI. II. A. a. Nr. 36, Bl. 187, 188, Dekan an NKM, 16. 7. 1954 312 Siehe dazu S. Leibholz (1979), S. 125, 138, 162 313 Siehe S. Leibholz (1979), S. 201; Schneider (1972), S. 61; Bethge / Jasper (1974), S. 36 f.: 1940 über „Das Wesen der Demokratie" am Balliol College, 1942 über „Christianity and Politics" am Christ Church College 3H Siehe Schneider (1972), S. 9 und 16 bis 18 3 '5 Siehe S. Leibholz (1979), S. 152 ff.; G. Leibholz / Hill (1982), S. 18 f. 316 Siehe S. Leibholz (1979), S. 153. Dies geschah, obwohl der Familie Leibholz bei der Einreise nach England als Ergebnis einer politischen Uberprüfung der Vermerk „Flüchtlinge der nationalsozialistischen Unterdrückung" auf die Personalausweise gestempelt worden war. 317 Siehe S. Leibholz (1979), S. 155 bis 168; Bethge / Jasper (1974), S. 16 Anm. 1 318 Siehe G. Leibholz / Hill (1982), S. 20. Über den deutschen Widerstand war Prof. Leibholz durch die Brüder seiner Frau, Klaus und Dietrich Bonhoeffer, und ihre Schwäger Hans von Dohnanyi und Rüdiger Schleicher sehr gut informiert. Alle vier wurden im April 1945 an verschiedenen Orten (Gefängnis Berlin-Moabit, Konzentrationslager Sachsenhausen und Flossenbürg) von den Nationalsozialisten ermordet. 319 Bethge / Jasper (1974), S. 238, Bischof von Chichester an Leibholz, 31. 10. 1945; siehe auch UAG, Κ, XVI. II. B. 18. II., Dekan an Kurator, 15. 4. 1946 320 UAG, Κ, IX. 83., Dekan an Leibholz, 12. 2. 1946. Den förmlichen Antrag auf Rückberufung als „ein Akt der Wiedergutmachung" an den Oberpräsidenten der Provinz Hannover stellte die Fakultät mit Schreiben vom 29. 3. 1946; siehe UAG, Κ, XVI. Π. B. 18. Π. 321 UAG, Κ, XVI. II. B. 18. III., Bericht Kurator an NKM, 8. 4.1947 322 Siehe Bethge / Jasper (1974), S. 45, Leibholz an Prof. Hodgson, Theologe am Christ Church College in Oxford, 20. 3. 1942 323 Siehe S. Leibholz (1979), S. 229 296
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UAG, Κ, XVI. Π. Β. 18. ΠΙ., Vermerk Kurator, 26.1.1948 Siehe Bethge / Jasper (1974), S. 266, Leibholz an Bischof von Chichester, 13. 1.1947 326 Siehe Bethge / Jasper (1974), S. 275 f., Leibholz an Bischof von Chichester, 20. 7. 1947 327 Siehe Schneider (1972), S. 61; S. Leibholz (1979), S. 227 f.; G. Leibholz / Hill (1982), S. 22 b, 23 328 UAG, Κ, XVI. II. B. 18. III., Kurator an Prof. Passow, 8. 8. 1947 329 UAG, Κ, XVI. II. B. 18. III., Antrag Fakultät an NKM, 24. 2.1950 33 ° Siehe G. Leibholz / Hill (1982), S. 24 ff. 331 UAG, Κ, XVI. II. B. 18. III., Antrag Fakultät an NKM, 14. 10. 1950, und Ministerialerlaß, 4. 5. 1951 - Nr. 1/1924/51 332 Prof. Leibholz wurde im Jahre 1969 emeritiert und starb kurz nach seinem achtzigsten Geburtstag am 19. 2. 1982 in Göttingen. 333 Siehe Bethge / Jasper (1974), S. 243, Leibholz an Bischof von Chichester, 7.11. 1945 334 UAG, Κ, IX. 83., Bl. 249, Dekan an Rektor, 14. 5. 1946 335 UAG, Κ, IX. 83., Bl. 230 a 336 Siehe zu den biographischen Daten Watson (1974), S. VII f.; Strauss / Röder (1983), S. 204; Daube (1983), S. 37 337 Raiser (1966), S. 179 338 Der gemeinsame Protest mit anderen jungen Wissenschaftlern gegen die Entlassung seines jüdischen Lehrers Martin Wolff und dessen Kollegen Ernst Rabel, Direktor des Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht, kostete Ludwig Raiser nach der Habilitation im Dezember 1933 die Dozentur. Er ließ sich deshalb als Rechtsanwalt nieder und trat 1937 in den Vorstand einer Versicherungsgesellschaft ein. Im Jahre 1942 erhielt er dann doch einen Ruf nach Straßburg; wegen seines Kriegseinsatzes hat er dort allerdings nie gelesen. An die Universität Göttingen kam er im Oktober 1945, bekleidete von 1948 bis 1950 das Amt des Rektors und war von 1952 bis 1955 Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Danach wechselte er auf einen Lehrstuhl in Tübingen. 339 Siehe Raiser (1966), S. 179 f. 340 Siehe ebenda, S. 180 341 UAG, K, IX. 101 a. „Amtsenthobene Hochschullehrer (Art. 131 GG)'\ Personalblätter über die Professoren Siegert, Ebel und Erler, Januar 1952 3 4 2 Nds. GVB1., 1948, S. 41 ff. 343 Nds. GVB1. 1948, S. 68 ff. 344 UAG, K, IX. 101 a., Personalblatt Siegert, Januar 1952 345 Siehe ebenda 346 Siehe ebenda. Die Einzelheiten der Wiederverwendung von Hochschullehrern regelte § 20 in Verbindung mit § 5 des niedersächsischen Gesetzes zu Artikel 131 des Grundgesetzes vom 24. 12.1951 (Nds. GVBl. S. 233 ff.). 347 UAG, K, IX. 101 a., Ministerialerlaß, 23. 1. 1952 - 1/157/52 - , Erläuterungen zu der Sollvorschrift des S 5 Nds. Gesetz zu Art. 131 G G 348 UAG, K, XVI. H. B. 18. m., Berufungsvorschlag Fakultät an NKM, 6. 6.1952 349 UAG, K, XVI. II. B. 18. ΠΙ., Bericht Fakultät an NKM, 7. 6. 1952 350 UAG, K, XVI. Π. B. 18. ΙΠ., Ministerialerlaß, 7.1.1953 - Nr. 31/53 351 UAG, K, IX. 101 a., grundlegender Ministerialerlaß, 23.1. 1952; UAG, K, XVI. II. B. 41., hinhaltendes Schreiben Dekan an NKM, 15. 3. 1952; UAG, K, IX. 101 a., Ministerialerlaß, 14. 2. 1956; Bericht Rektor an NKM, 27. 3.1956 3 5 2 Siehe dazu die Ministerialerlasse, 14. 2.1956 und 19. 9.1956 unter Hinweis auf § 20 Absatz 5 des Landesgesetzes in Verbindung mit $ 78 a Absatz 2 des Bundesgesetzes in der Fassung vom 1. 9.1953 (BGBl. I, S. 1288 ff.). Danach beschloß das niedersächsische Landesministerium, die Hochschullehrer zur Wiederverwendung nach der Vollendung des 55. Lebensjahres zu entpflichten. Prof. Siegert, geb. 2. 7. 1901, erfüllte diese Voraussetzung seit kurzem. 353 UAG, K, IX. 101 a., Personalblatt Ebel, Januar 1952: „bis 20. 8. 1947 in Internierungshaft", sowie Landwehr (1981), S. 471 f. 354 UAG, K, IX. 101 a., Personalblatt Ebel, Januar 1952 3 5 5 Siehe Landwehr (1981), S. 472 324 325
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UAG, Κ, Χ. 35. Π., Staatssekretär Rönnebeck, ΝΚΜ, an Rektor, 17. 12. 1952, S. 2 UAG, Κ, DC. 101 a„ Ministerialerlaß, 1. 3.1954, zitiert im Bericht Kurator an NKM, 19. 4. 1956 Siehe Landwehr (1980), S. 622; Landwehr (1981), S. 476. Prof. Ebel starb in Göttingen am 22. 6. 1980 im Alter von 72 Jahren. Siehe Marshall (1972), S. XV f. mit Anm. 1 Ähnliches passierte auch Prof. Kleinberger aus Tel Aviv, wie er in einem Gespräch mit C. Wegeier am 29. 6. 1983 schilderte. UAG, Κ, IX. 101 a., Personalblatt Erler, Januar 1952 UAG, Κ, XVI. II. B. 18. HL, Erwähnung im Berufungsvorschlag Fakultät an NKM, 3. 8. 1953 UAG, Κ, IX. 101 a., Aufstellung über die amtsenthobenen Hochschullehrer der Universität Göttingen, S. 1 UAG, Κ, XVI. II. B. 18. III., Ministerialerlaß, 7.11. 1950, erwähnt im Bericht Kurator an NKM, 11. 8. 1953 UAG, Κ, XVI. II. B. 18. III., Antrag Fakultät an NKM, 5. 2.1952; Ministerialerlaß, 17. 3. 1952, beide zitiert im Bericht Kurator an NKM, 11. 8. 1953 UAG, Κ, XVI. II. B. 18. EL, Antrag Erler an NKM, 18. 3. 1952; Ministerialerlaß, 15. 9.1952, beide zitiert in Bericht Kurator an NKM, 11. 8. 1953 UAG, Κ, XVI. U. B. 18. HL, Berufungsvorschlag Fakultät an NKM, 3. 8. 1953, vor allem S. 3 f. UAG, Κ, XVI. II. B. 18. ΠΙ., Bericht Kurator an NKM, 11. 8.1953 Siehe Seeliger (1968), S. 17 (Stellungnahme Erler); ebenso Rauschning (1975), S. 144; Zieger (1981), S. 464 Siehe zum folgenden Seeliger (1968), S. 17 ff. (Stellungnahme Erler) Zur Skala der Verhaltensformen von Wissenschaftlern gegenüber dem Nationalsozialismus siehe Lundgreen (1985), S. 9 UAG, Κ, XVI. II. B. 18. ΠΙ., beispielsweise Berufungsvorschlag Fakultät an NKM, 12. 3. 1947, zur Besetzung des Lehrstuhls Erler. Über Prof. Dr. Werner Weber (1904 - 1976), von 1931 bis 1935 als Referent im Preußischen Kultus- und Reichserziehungsministerium, zuletzt im Range eines Oberregierungsrats, danach Ordinarius an der Handelshochschule Berlin und seit 1942 an der Universität Leipzig, der den Ruf nach Göttingen 1949 erhielt, heißt es auf Seite 5: „Der einigermaßen positivistische Charakter seiner Arbeiten . . . hat ihn nicht gehindert, sich zugleich charaktervoll gegen besonders grobe Mißstände in der Verfassungs- und der kirchenpolitischen Praxis des Dritten Reiches einzusetzen." Dennoch bereitete die Berufung seinerzeit noch „gewisse Schwierigkeiten aus politischen Gründen", wie der Kurator in einem Vermerk vom 26. 1. 1948 - TagebuchNr. 323 - festhielt. Zu Prof. Webers Entlassung an der Universität Leipzig mit Wirkung vom 15. 11. 1945 wegen seiner Mitgliedschaften in SA und NSDAP und zu dem Lehrauftrag ab dem 1. 10. 1947 mit den alten Bezügen eines ordentlichen Professors siehe Feige (1978), Band I, S. 79 f., Band II, S. 44 f. Anm. 169, S. 168, 189; Welsh (1985), S. 360 f. In dem Berufungsvorschlag vom 6. 6.1952 für den Lehrstuhl Welzel konnte Prof. Weber als Dekan über den Nachfolger Prof. Schaffstein dann schon formulieren: „Seiner Wiederverwendung haben möglicherweise bisher politische Gründe entgegengestanden. Ohne in eine Erörterung darüber einzutreten, welche Berechtigung solche Hemmungen gehabt haben mögen, ist die Fakultät der Auffassung, daß sie jedenfalls jetzt kein Gewicht mehr haben." Werner Flume, geb. 1908, Promotion 1931 bei Fritz Schulz in Bonn, arbeitete nach dem Assessorexamen zunächst als Syndikusanwalt in Berlin und anschließend bis zu seinem Wechsel 1949 nach Göttingen in einem Industrieunternehmen des Ruhrgebiets. Im Jahre 1954 nahm er einen Ruf nach Bonn an und wurde dort 1976 emeritiert. Siehe zu seinem Widerstand im „Dritten Reich" Kunkel (1966), S. 119; Jakobs (1978), S. 658; Sturm (1981), S. 598 Anm. 23. Siehe Sellen (1986), S. 14
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Quellen- und
Literaturverzeichnis
Unveröffentlichte Dokumente Akten des Universitätsarchivs Göttingen (UAG) Dokumentierte Gespräche mit Richard E. Honig, 28. 9.1983 mit Hans Kellner, 21. 10.1983 mit Mathilde Kraus, 30.10. 1986 mit Karl Michaelis, 10. 10.1983 mit Friedrich Schaffstein, 9. 9.1983 mit Rudolf Smend jr., 19. 6.1983 Schriftliche Auskünfte von David Daube, 20. 3.1984 von Richard E. Honig, 23.10. 1983 von Rudolf Smend jr., 15. 6.1983
Gedruckte Quellen Amtliches Personalverzeichnis und Verzeichnis der Vorlesungen, Universität Göttingen, Jahrgänge 1933 bis 1945 Bundesgesetzblatt, Jahrgänge 1951 und 1953 Göttinger Hochschul-Zeitung, Jahrgang 1932 Göttinger Nachrichten, Jahrgänge 1935 und 1936 Göttinger Tageblatt, Jahrgänge 1933 bis 1935 Mitteilungen des Universitätsbundes Göttingen, Jahrgänge 1933 bis 1944 Ministerialblatt des Reichsministers der Justiz, Jahrgang 1933 Niedersächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt, Jahrgänge 1948 und 1951 Reichsgesetzblatt, Jahrgänge 1933, 1934, 1937, 1938 und 1941 Reichsministerialblatt, Jahrgang 1934
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Die nationalsozialistische „ Umwandlungder ökonomischen Institute MATTHIAS GROSS
1. Überblick Als akademische Wissenschaft hat die Ökonomie eine verhältnismäßig lange Geschichte. Seit dem 18. Jahrhundert ist sie an den Universitäten vertreten. Aus dem Kanon benachbarter Disziplinen konnte sie sich jedoch erst später lösen und erst allmählich das Profil annehmen, das wir heute mit dem Begriff Wirtschaftswissenschaft bezeichnen. An der Universität Göttingen wurde schon kurz nach ihrer Gründung für dieses Fach ein Lehrauftrag erteilt.2 Doch erst an der Wende zum 20. Jahrhundert wurden eigentliche ökonomische Institute gegründet, nämlich das Institut für Versicherungswissenschaft (1895) und das für Staatswissenschaft (1899) durch die Professoren Wilhelm Lexis (1837 — 1914) und Gustav Cohn (1840-1919). 3 In den Jahren 1914 bzw. 1917 wurden diese beiden Lehrstühle in die neugebildete Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät überführt. Ein dritter ökonomischer Lehrstuhl entstand 1922 mit der Berufung von Richard Passow (1880 bis 1949) zum Direktor des neugegründeten Instituts „Wirtschaftslehre der Unternehmung". 4 Neben diesen drei Ordinarien wurden ein bis zwei Lehraufträge an Privatdozenten vergeben.5 1923 wurde in Preußen erstmals ein Diplomstudiengang für Volkswirte eingeführt.6 Daneben konnte man in Göttingen auch noch ein Diplom als Versicherungssachverständiger erwerben.7 Versicherungswissenschaft hatte hier seit Lexis Tradition. Dafür gab es in Göttingen spezielle Lehrangebote in Versicherungsrecht, Versicherungsmathematik und Versicherungswirtschaftswissenschaften. Nach 1933 erfuhr die ökonomische Abteilung eine für damalige Verhältnisse bemerkenswerte Ausdehnung, nicht zuletzt bedingt durch die veränderte politische und universitäre Situation. Diese Expansion ging einher mit der Vertreibung der bisherigen Lehrstuhlinhaber und schließlich mit einer starken Verschiebung der Inhalte von Forschung und Lehre. Ab 1938 waren die ökonomischen Lehrstühle fast gänzlich mit Anhängern der sog. Gottl-Schule besetzt.8 Nach 1933 bezeichneten Vertreter dieser Gruppe ihren theoretischen Ansatz als „(neue) deutsche Volkswirtschaftslehre".9 Mit diesem kurzen Überblick ist auch die Vorgehensweise dieser Untersuchung skizziert. Da die Expansion der ökonomischen Abteilung während der Zeit des Nationalsozialismus mit dem Vordringen einer bestimmten Lehre zusammenhängt, wird vorab der Stand der Ökonomie in den zwanziger Jahren, vor allem in Göttingen, betrachtet. Danach wird die Zeit ab 1933 eingehend beleuchtet und untersucht, wer innerhalb von Fakultät und Universität welche Entwicklung vorantrieb. Außerdem ist einzugehen auf die nationalsozialistischen Reformen von Studium und Studienbedingungen sowie deren Umsetzung in Göttingen.
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der akademischen Ökonomie in den zwanziger Jahren
2. Die „chronische Kñse"10
„Mißverständnisse, Schlagworte, Zerfahrenheit des Urteils, geringe Autorität nach Außen wie in der Wissenschaft selbst sowie geringe Produktivität an Resultaten, in summa: eine ,chronische Krise' ", so charakterisierte in der Zusammenfassung von Krohn 11 Josef A. Schumpeter 1927 die Wirtschaftstheorie in Deutschland. In dieser Situation entstanden, für die Zeit von erheblicher Bedeutung, eine Reihe von Ansätzen zu einer gänzlich neuen Gestaltung der Wirtschaftswissenschaften durch Persönlichkeiten, „die es für den Beruf der Zeit und ihren eigenen halten, die Theorie von Grund auf zu reformieren und dem Vorhandenen toto coelo ablehnend gegenüberzustehen."12 Verbunden mit einer stark betonten subjektiven Originalität der Ansätze entstanden als Resultat eine Vielzahl deutlich voneinander abweichender Schulen, die sich in einem Punkt weitgehend einig waren, in der Ablehnung der als umfassendes Theoriegebäude auftretenden Neoklassik. Die Ansätze zu einer grundsätzlichen Neuerung der bestehenden Wirtschaftswissenschaft seien, so Schumpeter, selbst so unterschiedlich, daß man den Autoren schon Unrecht tue, wenn man sie auch nur gemeinsam aufzähle.13 Zu den von Schumpeter namentlich Aufgeführten, wie F. v. Gottl-Ottlilienfeld und R. Liefmann kann man noch einige Autoren und ihre theoretischen Ansätze hinzuzählen, z.B. O. Spann mit seiner Ständetheorie, H. Ritschis Gemeinwirtschaftslehre oder W. Mitscherlichs Wirtschaftsstufenlehre. Die beiden letztgenannten und weniger bekannten Autoren, die als basale Triebkräfte der Wirtschaftsentwicklung Individualismus und Universalismus unterschieden14, lehrten in den 20er und auch noch in den 30er Jahren in Göttingen. Das Phänomen einer Vielzahl von einander bekämpfenden Schulen läßt sich durch zwei Momente erklären. Zum einen waren die ökonomischen Probleme der Zeit enorm: Gebietsveränderungen als Folge des Krieges, Nachkriegswirtschaftskrise, Inflation, Reparationen und Transferprobleme und schließlich die Weltwirtschaftskrise zu Anfang der 30er Jahre kamen zu den generellen Folgen der Industrialisierung hinzu. Zum anderen, und dies dürfte die tiefergehende Erklärung sein, war die Weiterentwicklung der deutschen Wirtschaftswissenschaften durch ihre besondere Tradition der sogenannten „historischen Schule" gehemmt. Diese Richtung der Wirtschaftswissenschaften entstand Mitte des 19. Jahrhunderts und war vorwiegend auf den deutschen Sprachraum konzentriert. Sie betonte „die historische Einmaligkeit wirtschaftlicher Phänomene und bemühte sich um Zeit- und Wirklichkeitsnähe; ihr (nicht erreichtes) Ziel war es, ökonomische Gesetzmäßigkeiten empirisch induktiv aus einer universalen Gesamtschau des wirtschaftsgeschichtlichen Materials abzuleiten."15 Die deduktive Methode der klassischen Ökonomen wurde von ihr abgelehnt, obwohl sie deren Erkenntnisse z.T. in die eigenen Analysen miteinbezog. Durch die Ablehnung deduktiv hergeleiteter allgemeingültiger Annahmen und Wirkungsweisen war die historische Schule seit Beginn ihres Bestehens in sich selbst sehr inhomogen und in eine Vielzahl verschiedener Einzelrichtungen und Gruppen gespalten. Trotz dieser Zersplittertheit beherrschten Vertreter ihrer Tradition bis weit ins 20. Jahrhundert hinein die akademische Wirtschaftswissenschaft. Die an der klassischen Ökonomie orientierte Wirtschaftstheorie hingegen nahm in Deutschland eher eine Randexistenz ein.16 In dieser Situation der Wissenschaft, in der selbst in zentralen Bereichen der Wirtschaftswissenschaften, etwa dem „Preisschema", kein der internationalen Entwicklung entsprechendes Durchschnittsniveau 157
von Verständnis und Können erreicht wurde17, unternahm die Preußische Regierung den Versuch, die ökonomische Ausbildung zu vereinheitlichen. Mit dem Erlaß einer Prüfungsordnung wurde im April 1923 ein Studiengang für Diplomvolkswirte neu geschaffen.18 Vor dieser Einrichtung eines Diplomstudienganges konnte man ein wirtschaftswissenschaftliches Studium nur durch eine Promotion abschließen. Die Schaffung des neuen Studienganges bedeutete für die akademische Ökonomie eine Aufwertung und gleichzeitig eine Änderung der Zielsetzung der Ausbildung. Die neuen Diplom-Volkswirte sollten in praktischen Berufen in der Industrie und in Verwaltungen tätig werden und hatten sich daher weniger wissenschaftlich spezialisiert als vielmehr allgemein fundiert auszuweisen. Prüfungsfächer zur Erlangung des neuen Studienabschlusses waren allgemeine Volkswirtschaftslehre (Wirtschaftstheorie, Geldtheorie), spezielle Volkswirtschaftslehre (Wirtschaftspolitik und -geschichte), Finanzwissenschaft, Statistik, Betriebswirtschaftslehre, bürgerliches Recht und Handelsrecht, allgemeine Staatslehre (Staatsrecht, Verwaltungsrecht, Steuerrecht, Völkerrecht) und ein Wahlpflichtfach aus benachbarten Disziplinen je nach Angebot der Universität. Die Prüfung selbst wurde durch das entsprechende Prüfungsamt abgenommen, dem Ökonomen und Juristen sowie eine Anzahl „Praktiker", Persönlichkeiten aus der Wirtschaft angehörten. Den Vorsitz sollte ebenfalls ein „Praktiker" aus Verwaltung oder Selbstverwaltung der Universität führen.19 Analog zum Abschluß als Diplom-Volkswirt boten manche Hochschulen ein Examen als Diplom-Kaufmann und/oder, wie auch in Göttingen, Studiengänge für Versicherungswissenschaft an. Der Göttinger Studiengang für Versicherungswirtschaft teilte sich in eine administrative und eine mathematische Ausbildung. Die administrative Ausbildung fiel nach und nach weg, war nach 1927 nur noch als Aufbaustudium möglich, später nur noch ein Wahlfach unter anderen, während Versicherungsmathematik als Ausbildungsgang fortgeführt wurde.20
3. Wirtschaftswissenschaft in Göttingen vor 1933 Nach der Emeritierung bzw. dem Tod von W. Lexis und G. Cohn wurde die Ökonomie in Göttingen vor allem geprägt durch Lexis' Nachfolger Karl Oldenberg (1864 - 1 9 3 6 ) , der zwar 1929 emeritiert wurde, jedoch noch bis in die 30er Jahre hinein Vorlesungen abhielt. Oldenberg, als Schmoller-Schüler21 der historischen Schule verwachsen, war vor allem Agrarpolitiker. Einem romantischen Antikapitalismus anhängend, forderte er eine Rückkehr zum Agrarstaat und zur Autarkie, wozu eine wirtschaftliche Expansion in die Ostgebiete nötig sei.22 Oldenbergs Widerpart war der 1922 berufene Richard Passow, der nach der Promotion in Jura und in Staatswissenschaften in der Großindustrie gearbeitet hatte, um danach als Ordinarius an die Universität zurückzukehren.23 Sowohl in seiner Einschätzung des industriellen Fortschritts als auch in seinem wissenschaftlichen Ansatz stand er konträr zu Oldenberg. So bestand für ihn etwa Kapitalismus darin, daß Kapital in großen Mengen in einem Unternehmen gebunden werde, was zum Vordringen der Konzerne führe,24 eine Entwicklung, die Oldenberg ablehnte. Passow befaßte sich vor allem mit rechtlichen Problemen der Betriebswirtschaftslehre, sah sein Fachgebiet aber eher als Teil der speziellen Wirtschaftslehre, also der Wirtschaftspolitik.25 Die Berufung des von einem anderen wissenschaftlichen Ansatz ausgehenden Passow und damit die Begründung der Betriebswirtschaftslehre in Göttingen scheint mir erklärbar durch die Einführung des Diplomstudienganges 1923 sowie aus der Tatsache, daß er gleich158
zeitig auch Jurist war. Sein Lehrstuhl war nämlich die Nachfolge einer juristischen Professur, welche zuerst auch wieder durch einen Juristen besetzt werden sollte. Erst später kamen Ökonomen in die Wahl.26 Der dritte Lehrstuhl wurde wegen Krankheit des Inhabers, J. B. Esslen, bis zu dessen Ausscheiden 192727 fast die ganze Zeit von verschiedenen Ökonomen vertreten. Interessante Einblicke gibt die Auseinandersetzung um Esslens Nachfolge. Die Fakultätsmehrheit mit K. Oldenberg an der Spitze votierte für Ökonomen der historischen bzw. der sozial-rechtlichen Schule, während eine Minderheit unter Federführung von Passow ein Votum für L. v. Mises abgab.28 Dieser orthodox-liberale, strikt antisozialistische Ökonom stand in strengem wissenschaftlichen Gegensatz zu den von Oldenberg Vorgeschlagenen. Mises wurde, da er sich gegen jeden Staatseingriff in die Wirtschaft aussprach, von Oldenberg abgelehnt.29 Für Passow war er dagegen ein „ausgesprochen theoretischer Kopf", der zudem über praktische Erfahrungen verfüge.30 Berufen wurde letztendlich Waldemar Mitscherlich, der den Vorstellungen von Oldenberg und der Fakultätsmehrheit sehr viel mehr entsprach. Mitscherlich entwickelte sehr eigenwillige wirtschaftliche Theorien, die eher Philosophien glichen, wie seine Wirtschaftsstufenlehre. Wirtschaftsstufenlehren stellten allgemein den Versuch der Historischen Schule dar, in übergreifenden Theorien den Ablauf der wirtschaftlichen Entwicklung aufzuzeigen. In Mitscherlichs Variante waren frühe geschichtliche Epochen geprägt durch universalistische Gesellschafts- und Wirtschaftsformen. In der Aufklärung habe das Kapital, allerdings nur das „Erwerbskapital", seine moralischen und ethischen Bande verloren, was zu den „üblen Auswirkungen des Individualismus" geführt habe. Der dadurch entstandene Kapitalismus weiche jedoch zur Zeit der „korporativ gebundenen Wirtschaft auf einzelwirtschaftlicher Grundlage", manifestiert in dem Zurückgehen des „Erwerbskapitals" durch zunehmende Monopolisierung und Kartellierung. Dem folge der Staat und ringe „nach neuen Formen seiner Gestaltung, auch er beginnt sich von den individualistischen Tendenzen zu lösen, die im Parlamentarismus eine ihrer stärksten Verkörperungen finden." Mitscherlichs anti-demokratische, anti-parlamentarische Einstellung wird in diesen Passagen deutlich. Eine verstärkt nationalistische, chauvinistische Wendung erfuhr seine Stufenlehre in einer Neuauflage 1943.31 Seit 1931 lehrte als Nachfolger von Oldenberg neben Mitscherlich und Passow noch Franz Gutmann (1879 -1967). 3 2 Er war vom Ministerium vorgeschlagen und berufen worden, nachdem dessen vorige Vorschläge, R. Stucken und A. Löwe, ihrer „wirklichkeitsfernen" Theorien wegen von der Fakultät abgelehnt worden waren.33 Als Schüler von G. F. Knapp 34 (1842 -1926) stand auch Gutmann in der Tradition der Historischen Schule, löste sich jedoch später davon und veröffentlichte Arbeiten zur Geldtheorie.35 Passow, Gutmann und der noch vorzustellende Privatdozent, (seit 1932 Extraordinarius) Jens Peter Jessen, galten als gute und erfrischende Lehrer, während Mitscherlich als langweiliger und unbeliebter Gelehrtentyp beschrieben wird.36 Die drei Ordinarien trugen, ergänzt durch den einen oder anderen Lehrauftrag, die gesamte Ausbildung der angehenden Volkswirte und Versicherungssachverständigen. Daneben hörten die Studenten juristische Vorlesungen und zum Teil Versicherungsmathematik bei Prof. F. Bernstein, der der Math.Nat. Fakultät angehörte. Nach einem Anstieg der Studentenzahlen nach dem Krieg studierten in Göttingen im SS 1925 100 Männer und immerhin 12 Frauen — 1903 hatte erstmals eine Frau das Staatswissenschaftliche Seminar besucht 37 — Wirtschaftswissenschaften. In den folgenden Semestern ging die Zahl der Studenten der Wirtschaftswissenschaften bis auf einen Tiefstand von 47 Männern und 6 Frauen im Sommersemester 1929 zurück, danach 159
stieg die Zahl wieder auf 60 Männer und 12 Frauen im Wintersemester 1932/33 an. 38 Für die 20er Jahre liegen keine statistischen Angaben über die Zahl der Studenten in den jeweiligen Studiengängen vor. Bekannt sind nur die Teilnehmerzahlen der Seminare. Danach zählte das versicherungswissenschaftliche Seminar im WS 1913/14 76 Teilnehmer, das Staatswissenschaftliche 32. Nach dem Krieg schrumpfte die Teilnehmerzahl des Versicherungswissenschaftlichen Seminars auf 13 — 14 (1924 — 1926), sank 1927, aufgrund der neuen Prüfungsordnung, erneut und stieg erst wieder 1929/30 an, weil Mathematiker als Lehrer keine Berufschancen hatten und auf Versicherungsmathematik umsattelten. 39 Auf die politische Einstellung der Dozenten lassen die Aussagen von Zeitzeugen Rückschlüsse zu. Eine konservative Grundtendenz war ihnen danach allen gemein. Passow wird innerhalb dieser Grundeinstellung eher als liberal, Gutmann und Mitscherlich eher als nationalistisch beschrieben. 40 Gutmann, der „jüdischer Abstammung", aber protestantischen Bekenntnisses 41 war, wird als Militarist bezeichnet, der, sah er „vorbeimarschierende SA, am liebsten mitmarschiert wäre". 4 2 Im ersten Weltkrieg war er als mehrfach dekorierter Frontsoldat bis zum Hauptmann aufgestiegen. 43 Ein direktes parteipolitisches Engagement ist nur von dem außerordentlichen nichtbeamteten Professor Jens Peter Jessen (1896-1944) bekannt, der seit 1930 Mitglied der N S D A P war. 44 Jessen hatte nach dem ersten Weltkrieg, dessen Ende er, als hoch ausgezeichneter Hauptmann, im Lazarett erlebte, in Kiel Nationalökonomie und Jura studiert, u.a. bei R. Passow und B. Harms. Danach war er in die Industrie gegangen und hatte im Ausland gearbeitet. Bis 1933 hatte er vor allem diese Erfahrungen wissenschaftlich verarbeitet. 45 Hinzu kam seine Mitarbeit am „Wörterbuch der Volkswirtschaft" 4 4 , zu welchem er eine Vielzahl von Artikeln beisteuerte. Auch Gutmann und Passow verfaßten für das Handbuch Artikel. Der Beitrag „Reparationen" von Jessen beruhte wahrscheinlich auf einer Vorlesung gleichen Themas, die er 1930 gehalten hatte. Nach eigenen Angaben hatte er ungefähr 180 Hörer — eine enorme Zahl. 47 In einem anderen Artikel „Sozialismus II — Nationalsozialismus" schilderte er Aufbau und politisches Programm der N S D A P , wobei auch kritische Töne z.B. zum Antisemitismus und zur Wirtschaftspolitik der N S D A P anklingen. Jessen war nicht nur der erste Ökonomiedozent, sondern an seiner Fakultät überhaupt der erste Göttinger Hochschullehrer, der Mitglied der N S D A P wurde. Seine Mitgliedschaft war an der Universität bekannt. 48 Innerhalb der Partei arbeitete er besonders auf wirtschaftspolitischem Gebiet. An zweien der parteiinternen Studienkreise der „wirtschaftspolitischen Abteilung" (Sitz in München) - Sozialwirtschaft und Weltwirtschaft - nahm er teil. 4 ' Zur gleichen Zeit hatte er Verbindung zur parteiunabhängigen „Studiengesellschaft für Geld- und Kreditwirtschaft", deren Forderungen zur Auflage von defizitär finanzierten Arbeitsbeschaffungsprogrammen im NSDAP-Programm von 1932 aufgenommen wurden. 50 Innerhalb der Fakultät hatte Jessen gute, fast freundschaftliche Beziehungen zu Gutmann und auch zu Passow. 51 Von einer offen anti-jüdischen Haltung ist im Fall Gutmann noch nichts zu verspüren. Auch bei Gutmanns Berufung spielte seine „Abstammung" keine Rolle, obwohl diese durch die Veröffentlichungen des Göttinger „Archivs für rassenkundliche Berufsstatistik" (S. 32 ff.) bekannt war. 52 Über die Politisierung der Studenten kann keine Aussage getroffen werden, allerdings waren einige der Assistenten Mitglieder von SA und Stahlhelm, aber auch der SPD. 53
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4. Die Folgen der „Machtergreifung" für die Göttinger Wirtschaftswissenschaften Den ersten sichtbaren Ausdruck fanden die neuen politischen Verhältnisse im Rücktritt Professor Gutmanns vom Dekanat. Schon eine Woche nach dem ministeriellen Erlaß zur Neuwahl der Dekane und Rektoren meldete er dem Rektor, daß die Fakultät den Juristen Herbert Mayer zum neuen Dekan bestimmt habe.54 Gutmann blieb jedoch bis zur Einführung des Führerprinzips im Herbst 1933 Prodekan.55
4.1 Die plötzliche Karriere des J. P. Jessen Aber bereits vor dieser ersten offensichtlichen Folge der Machtergreifung wurden hinter den Kulissen größere Veränderungen vorbereitet. Wie schon angeführt, war die NSDAPMitgliedschaft von Professoren die große Ausnahme. Umso mehr spielten deshalb in den Anfängen der nationalsozialistischen Herrschaft diese wenigen und die aktivistischen Studenten und Assistenten eine wichtige Rolle. Herausragende Figur war hier J. P. Jessen, der als Führer einer Abordnung von Dozentenschaft und Studentenschaft den damaligen Rektor Schermer zum Rücktritt aufforderte.56 Als einziges Mitglied der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät unterschrieb Jessen die „Kundgebung Göttinger Dozenten" anläßlich des Rücktritts von J. Franck.57 Jessens herausragende Bedeutung für die folgenden Veränderungen an der Universität wird durch einen anderen Sachverhalt noch deutlicher. Schon in den ersten Tagen nach der „Machtübernahme" suchte er den ehemaligen Kurator der Universität Göttingen, Geheimrat Valentiner, der seit dem Herbst 1932 als Ministerialdirektor Leiter der Hochschulabteilung des preußischen Wissenschaftsministeriums war, in Berlin auf, um mit Valentiner nach dessen Bekunden „Namens der jüngeren Dozenten an der Universität Göttingen eine Anzahl von Personalveränderungswünschen am Lehrkörper . . . zu besprechen."58 Jessen, der diesen Besuch bei Valentiner unter Umgehung des Dienstweges mehrfach wiederholte, erschien dem ehemaligen und auch wieder späteren Kurator auf Grund dessen Kenntnis der Göttinger Verhältnisse durchaus legitimiert, „als Sprecher der jüngeren nationalsozialistischen Generation über so wichtige Dinge aufzutreten." 59 Parallel zu seinem Engagement zur nationalsozialistischen Umgestaltung des Lehrkörpers der Göttinger Universität begann Jessen mit nachdrücklichem Hinweis auf seine politischen Verdienste seine wissenschaftliche Karriere vorzubereiten. Am 14. 4. 1933 schrieb er an das Ministerium: „Ich halte es für dringend erforderlich, eine Stätte zu schaffen, an der die Sozial- und Wirtschaftslehre des Nationalsozialismus ein zentrales Studium findet. Da ich derjenige gewesen bin, der den Nationalsozialismus wissenschaftlich an den deutschen Hochschulen in die Literatur eingeführt hat, so glaube ich, daß die oben angedeutete Aufgabe mir übertragen werden sollte. Da jedoch über die sachlichen Voraussetzungen, insbesondere die Bereitstellung eines Instituts, erst dann konkrete Vorschläge gemacht werden können, wenn die Entscheidung über meine endgültige Verwendung durch den Herrn Reichskommissar getroffen ist, so muß ich mich im gegenwärtigen Augenblick auf die Stellung dieses grundsätzlichen Antrags beschränken, (...). Lediglich im Hinblick auf die angespannte Finanzlage bemerke ich schon jetzt, daß es grundsätzlich möglich sein wird, den Grundstein für die Durchführung der genannten Aufgabe unter Ausnutzung bereits vorhandener Einrichtungen zu legen."60 161
Wie so viele andere wollte also auch Jessen die gute Stunde nutzen und seine persönliche Karriere forcieren. Dieses Vorgehen, das seine Verdienste bei den nun Mächtigen in Erinnerung brachte, hat teilweise Erfolg gehabt. Zwei Wochen später wurde Jessen telefonisch mit der Vertretung des verstorbenen Professors Landmann in Kiel betraut.61 Am 14. 7.1933 wurde er endgültig zum Ordinarius in Kiel und zugleich mit Wirkung zum 1. 10.1933 zum Direktor des Instituts für Weltwirtschaft und Seeverkehr ernannt.62 Zusätzlich übernahm er noch die Herausgabe des „Weltwirtschaftlichen Archivs", einer bedeutenden Fachzeitschrift für Ökonomie. In beiden Funktionen wurde Jessen Nachfolger von Bernhard Harms, der 1933 zurücktreten mußte und erst 1935, nach einem Bekenntnis zu Hitler, teilweise rehabilitiert wurde.63 Jessen hatte damit eines der bestausgestattetsten und angesehensten Institute in Deutschland erhalten. In Kiel geriet er jedoch alsbald in Konflikt mit Repräsentanten der dortigen NSDAP. Schon 1934 wurde er nach Marburg und ein Jahr später nach Berlin berufen, wo er über den preußischen Finanzminister J. Popitz (1884 -1945) und über seine Mitgliedschaft in der Mittwochsgesellschaft K. Goerdeler und Generaloberst Beck kennenlernte.64 Mit diesen und anderen bildete Jessen eine der drei großen Gruppen, die sich zum Attentat und dem versuchten Umsturz vom 20. Juli 1944 verbündeten. Jessen hat sich an diesem Plan sowohl durch seinen persönlichen Einsatz in der militärischen Stelle, die er im Kriegseinsatz einnahm, als auch durch Diskussionen und Entwürfe von Programmen und zukünftigen Gesetzen beteiligt. Zwei wichtige Papiere tragen seine Handschrift und machen deutlich, daß er sich trotz Gegnerschaft zum Hitlerregime nicht zum Demokraten gewandelt hat.65 Im November 1944 wurde er nach dem fehlgeschlagenen Attentat in Plötzensee hingerichtet.66 Die Entwicklung Jessens von einem überzeugten Vorreiter des Nationalsozialismus an der Universität Göttingen zu einem Mitglied des Widerstandes vom 20. Juli 1944 überrascht. Allerdings scheinen bereits lange vor 1944 im REM an Jessens politischer Zuverlässigkeit Zweifel bestanden zu haben. Am 12. November 1937 zog Oberregierungsrat Kasper vom REM „in amtlichen Ermittlungen" in Göttingen Auskünfte über Jessens politische Vergangenheit ein,67 die weit über die durchaus übliche briefliche Anfrage nach der Parteizugehörigkeit und das Eintrittsdatum in die Partei hinausgingen. Der inzwischen in den Ruhestand getretene Kurator bescheinigte Jessen gegenüber dem Untersuchungsbeauftragten im mündlichen Gespräch als auch in der späteren schriftlichen Zusammenfassung eine von Anfang an vorhandene nationale Einstellung, über die „auch in den Jahren vor 1933 niemand . . . in Zweifel sein konnte." Eine Einstellung, die Valentiner mit dem geschilderten Engagement Jessens bei der Säuberung des Lehrkörpers der Universität Göttingen weiter untermauerte.68
4.2 Nationalsozialistische
Konfliktlösung
Auch bei den Wirtschaftswissenschaftlern -rçurden bereits vor 1933 schwelende Konflikte im Zuge der nationalsozialistischen „Machtergreifung" gelöst. Diese „Lösung" ist auch insofern interessant, als sie verdeutlicht, wie die Nationalsozialisten mit jenen konservativen und ihnen teilweise durchaus nahestehenden Hochschullehrern umgingen, die sich in örtlichen Konflikten mißliebig gemacht hatten, auf deren Dienste man aber nicht verzichten wollte. Ende 1932 war ein von persönlicher Gegensätzlichkeit und Antipathie überlagerter 162
Streit zwischen den Professoren Mitscherlich und Gutmann um die Besetzung einer von beiden verwalteten Assistentenstelle eskaliert, zu dessen Verschärfung vor allem Mitscherlichs Forderungen beigetragen hatten. Die übrigen Ökonomen stellten sich hinter Gutmann. Ende Januar 1933 sah der Oberassistent des Staatswissenschaftlichen Seminars Pott, Doktorand bei Gutmann, jedoch dem derzeitigen Seminardirektor Mitscherlich unterstellt, die Gelegenheit, auf formalem Wege gegen Mitscherlich vorzugehen. Er beschuldigte ihn nämlich der Veruntreuung von Seminargeldern, da er ihn zu Aufgaben der privaten Ahnenforschung herangezogen habe.69 Gutmann, Jessen und Passow unterstützten die Position des Oberassistenten, der, Mitglied der NSDAP, Einfluß bei Rust gehabt haben soll.70 Auch die nationalsozialistische Studentenschaft stellte sich auf seine Seite und kündigte Aktionen gegen Mitscherlich an. Der Kurator, Geheimrat Valentiner, berichtete an das Ministerium, die Studentenschaft habe „erklären lassen, sie werde die Vorlesungen Prof. Mitscherlichs nicht besuchen."71 Im selben Brief bat er im Namen der Fakultät um eine Versetzung Mitscherlichs, da dieser sowohl „als Lehrer wie als Forscher als eine große Enttäuschung angesehen" würde. Im Juni 1933 wurde Mitscherlich als Mitglied der verschiedenen Prüfungsämter beurlaubt.72 Um die Aufhebung dieser Beurlaubung bat Mitscherlich im November 1933 das Ministerium mit der Begründung, die NSDAP habe „über das Vorgehen eines Teils der Göttinger Studentenschaft im letzten Semester gegen ihn Ermittlungen erhoben", welche „die völlige Grundlosigkeit dieses Verhaltens" ergeben hätte.73 Rektor Neumann schrieb jedoch dem Kurator - streng vertraulich —, daß sich die „grundsätzliche Haltung der Studentenschaft" nicht geändert habe und ihm nicht bekannt sei, daß die NSDAP in der Sache eingegriffen habe.74 Mitscherlichs Bitte wurde deshalb vom Ministerium nicht entsprochen.75 Stattdessen wurde er im April 1934 auf Grund von § 5 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums an die Universität Halle versetzt.76 Schon zum Sommersemester 1934 vertrat ihn Gerhard Albrecht,77 der zuvor auf Druck von Parteistellen und Wirtschaftsverbänden als Dekan der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät in Jena zurückgetreten war.78 Da Albrecht aber auch in Göttingen nicht als aktivistischer Nationalsozialist auffiel, hintertrieb Rektor Neumann eine endgültige Berufung, so daß Albrecht an eine dritte Universität, nach Marburg, „berufen" wurde.79 Göttingen wurde schließlich Gustav Aubin zugewiesen, der den Nationalsozialisten an seiner alten Universität Halle nicht erwünscht war. Er hatte don 1931 als Rektor den NSDStB verboten. Außerdem, so wurde ihm vorgeworfen, habe er die Berufung des pazifistischen Theologen Dehn betrieben und anläßlich einer Demonstration „rücksichtslos die Polizei gegen deutsche Studenten" eingesetzt. Überdies gehörte er einer demokratischen Partei an, so daß er nach 1933 zuerst beurlaubt, dann zu einer Lehrstuhlvertretung nach Köln,80 schließlich auf Vorschlag des Ministeriums zum 1. 11. 1934 auf den Göttinger Lehrstuhl „versetzt" wurde. 81 Mit diesem „Versetzungskarussell" wurden so die durch örtliche Konflikte belasteten Professoren durch jeweils andere ersetzt.
4.3 Die Entpflichtung von Gutmann Als letzte personelle Folge der „Machtergreifung" wurde Prof. Gutmann in einem langen Prozeß von seinem Lehrstuhl verdrängt. Nachdem er bereits im Frühjahr 1933 aufgrund seiner „jüdischen Abstammung" als Dekan zurücktreten mußte, wurde er wegen des gleichen Sachverhaltes zum 12. 5.1934 aus dem Prüfungsausschuß für Referendare und 163
zum 3. 9.1934 aus dem für Volkswirte entfernt.82 Aber dabei blieb es nicht. Mitte 1935 wurde ihm mehrmals, wohl initiiert vom Ministerium, nahegelegt, seine Entpflichtung zu beantragen. Er sollte demnach zuerst für das Wintersemester um Beurlaubung nachsuchen, was er auch tat, und danach binnen vier Wochen um seine Entpflichtung zum ersten April 1936 bitten.83 Die Entbindung wurde sofort ausgesprochen unter Erteilung eines unbesoldeten Forschungsauftrages, den er sich, allerdings besoldet, erbeten hatte.84 Er selbst zog nach München. Ende 1936 erhielt er die Erlaubnis, nach den USA zu fahren und über eine Gastprofessur zu verhandeln.85 1939 emigrierte er endgültig und lehrte bis zu seiner Emeritierung an der University of North Carolina, Chapel Hill. 86 Das Gutmannsche Ordinariat wurde nicht erneut besetzt, sondern in einen juristischen Lehrstuhl umgewandelt.87 Die Lehrstuhlverlagerung erfolgte im Rahmen einer geplanten großangelegten Reform der ökonomischen Ausbildung und der Ausbildungsstätten. Nach der Entlassung Gutmanns, die sich schon seit 1934 deutlich abzeichnete, der Versetzung von Mitscherlich und dem Karrieresprung Jessens verblieben der ökonomischen Abteilung nur noch Professor Passow und als Nachfolger Mitscherlichs Professor Aubin.
5. Nationalsozialistische Studienreform Seit der Machtübernahme waren von nationalsozialistischer Seite Überlegungen zu einer Reform der Wirtschaftswissenschaften angestellt worden. So hatte Jessen in seinem oben zitierten Brief von einer Wirtschafts- und Soziallehre des Nationalsozialismus gesprochen, für die er die organisatorischen Voraussetzungen mit schaffen wollte. Während die Diskussion um eine nationalsozialistische wirtschaftswissenschaftliche Theorie in den Fachzeitschriften zögernd begann, wurde in den nationalsozialistischen Verbänden und „Standesorganisationen" über eine Reform des Studiums debattiert. Im zuständigen Ministerium hatte sich vor allem der ehemalige Göttinger Jurist, Ministerialreferent Prof. Eckhardt, der Reform angenommen und zusammen mit einigen „Beratern", u.a. v. Gottl-Ottlilienfeld, Jessen, Wiskemann, Nicklisch und Hunke"8 die „Richtlinien für das Studium der Wirtschaftswissenschaften" erarbeitet, die im Mai 1935 erlassen wurden.89 Eine mit den „Richtlinien" vergleichbare bindende Vorgabe hatte es früher nicht gegeben. Das Vorlesungsangebot war nur durch die Prüfungsordnung geregelt gewesen, während die Vorlesungen nun für alle ökonomischen Fakultäten im gleichen Semesterturnus vorgeschrieben wurden. Die Richtlinien gaben mit dem Ziel, „erneut eine echte politische Lehre der Volkswirtschaft" zu schaffen, vor allem auch die Inhalte der Ausbildung vor. Das neue Studium gliederte sich dem Ziel entsprechend in ein politisch-fachliches Grundstudium von zwei Semestern, dem eigentlichen Fachstudium von drei Semestern und ein bis zwei Prüfungssemestern. Grundlegend war z.B. die Vorlesung „Volk und Wirtschaft", die zeigen sollte, „daß Wirtschaft nicht vom Markt oder von der Unternehmung, sondern vom Volke her verstanden sein will, und wie sie, in Gestalt der Volkswirtschaft, den deutschen Sozialismus zu verwirklichen hat." 90 Auffallend ist die starke Betonung juristischer Vorlesungen von über einem Drittel der Lehrveranstaltungen. Die Studienreform wurde schließlich abgeschlossen mit dem Erlaß einheitlicher Prüfungsordnungen im Jahr 1937. Die neue Prüfungsordnung, die sich formal nur wenig von ihrer Vorläuferin unterschied, gab als neue, die Prüfungen leitende Anforderung vor, daß nun alle Fragen in ihren Bindungen an die rassischen, politischen und geschichtlichen 164
Grundlagen des deutschen Volkes zu erörtern und zu beurteilen waren. Neu war auch das starke Gewicht, das auf Praktika gelegt wurde: sechs Monate in Verwaltung oder Industrie, begleitet von einem „Institutspraktikum" an der Hochschule. Vermittelt werden sollten die Praktikumsplätze von örtlichen Wirtschaftspraktikantenämtern als Außenstellen des Instituts für angewandte Wirtschaftswissenschaft, welches Rust 1935 gegründet hatte." Neben der Reform des Studiums ging von den „Richtlinien für das Studium der Wirtschaftswissenschaften" vom Mai 1935 auch der Anstoß aus zur Neuordnung der Ausbildungsstätten, da das dort geforderte Lehrangebot nur große Fakultäten erbringen konnten. Um einen normalen Studienbetrieb zu gewährleisten, hielt das Ministerium vier Lehrstühle, und zwar je zwei volkswirtschaftliche und zwei betriebswirtschaftliche, für notwendig. 92 Man beabsichtigte deshalb, die Prüfungsausschüsse an den kleineren Fakultäten aufzulösen und das Studium an einigen größeren zu zentralisieren.93 Kriterium für das Verbleiben des wirtschaftswissenschaftlichen Ausbildungsganges an einer Universität war die Verbindung der Hochschule mit dem sie umgebenden Raum. 94 Jenseits der ideologischen Schnörkel bedeutete dies die Lage der Universität in einem wirtschaftlichen Ballungsgebiet, durch die eine praxisnahe Ausbildung und die Ableistung von Praktika erleichtert werden sollte. Die Prüfungsberechtigung für Diplom-Volkswirte sollte den Industriegebieten fernliegenden Universitäten, die nur zwei volkswirtschaftliche Lehrstühle vorweisen konnten, entzogen werden. 95 Nach diesen Kriterien war der volkswirtschaftliche Ausbildungsgang in Göttingen 1935 in hohem Maß gefährdet, obwohl schon entschieden worden war, daß die versicherungswirtschaftlichen Studienmöglichkeiten in Göttingen verbleiben sollten.96
6. Göttinger Pläne und der Umbau der Fakultät bis 1937 Bereits lange bevor der volkswirtschaftliche Ausbildungsgang durch die ministeriellen Zentralisierungspläne gefährdet wurde, hatten örtliche Nationalsozialisten eigene Vorstellungen zur Umgestaltung des volkswirtschaftlichen Lehrkörpers entwickelt und umzusetzen begonnen. Die Initiative ging zuerst vor allem vom nationalsozialistischen Rektor der Universität, Neumann, aus. Nach seinen Vorstellungen benötigte, wie er gegenüber dem REM betonte, die Fakultät „eine entschiedene Kraft, die bestimmend für ein neues volkswirtschaftliches Denken und Arbeiten eintrete"97, „den politischen Vertreter einer Wirtschaftswissenschaft", der aus „einer lebendigen Geschichtsschreibung heraus arbeitet."98 Das Vorschlagsrecht für die Berufungslisten lag jedoch weiter in den Händen der Fakultät, so daß die Vorschläge einer direkten Einflußnahme durch den Rektor nur schwer zugänglich waren. Neumann taktierte deshalb vorerst so, daß er die Berufung auf den durch Mitscherlichs Versetzung freien Lehrstuhl hinauszögerte und den Willen der Fakultät durch entgegenlautende Stellungnahmen konterkarierte. So widersetzte er sich im Mai 1934 einer Berufung Jessens99 ebenso wie dem Wunsch der Fakultät, G. Albrecht zu berufen, da dieser weder mit „der Dozentenschaft noch mit dem entschiedenen Teil der Studentenschaft" zusammenarbeite, noch im Schulungslager Rittmarshausen oder im Hochschulkreis Niedersachsen tätig sei.100 Auch den Wirtschaftshistoriker Aubin lehnte er als „ekklektisch arbeitenden Nationalökonom" ab.101 Zu einer Berufung von Professor Aubin, schrieb er dem Ministerium, könne er nur dann seine Zustimmung geben, falls ein Lehrauftrag bereit165
gestellt würde für eine jüngere nicht-beamtete Lehrkraft.102 Unter Berücksichtigung der Tatsache, daß Professor Gutmann keine Prüfungserlaubnis mehr hatte, wurde der gewünschte Lehrauftrag im Herbst 1934 genehmigt. Neumann selbst und nicht die Fakultät, die sogar darum bitten mußte, bei der letztendlichen Auswahl eines Kandidaten nicht übergangen zu werden, machte sich auf die Suche nach einem geeigneten Privatdozenten. Nach Einholen politischer Gutachten wurde der „nationalistische und anti-liberale", „politisch auf das lebhafteste im Sinne der deutschen Gegenwart interessierte"103 Hans Kretschmar nach Göttingen geholt - um die alten Professoren an die Wand zu drücken, wie ihm Prof. Passow gelegentlich ins Gesicht sagte.104 Neben dem Abhalten der Propädeutika sollte Kretschmar auch die Universitätsstelle für Raumplanung betreuen. Wissenschaftlich hervorgetan hatte sich Kretschmar bis dahin vor allem mit seiner Dissertation, in der er es unternommen hatte, eine spezifisch deutsche, anti-liberale Volkswirtschaftslehre dogmengeschichtlich nachzuweisen.105 Neben der Einflußnahme auf Berufungen setzte der Rektor zur Umgestaltung der ökonomischen Forschungsrichtung auch andere Mittel ein. Ein Hauptinstrument dafür war der Hochschulkreis Niedersachsen, der 1934 gegründet wurde, mit der Zielsetzung, „Männer", die aus der Praxis von Partei und Verwaltung kamen, und Dozenten und Studenten der Universität zusammenzubringen, was in Schulungslagern und -kursen sowie in öffentlichkeitswirksamen Vorträgen und Veranstaltungen geschah.106 Neumann betrachtete ihn als „das wichtigste Werkzeug, um in einem neuen volkswirtschaftlichen Denken zu schulen"107 und A. Schürmann, der Gaudozentenbundsführer, hielt ihn für „das Sammelbecken aktiver und entschlossener Nationalsozialisten in der Hochschule".108 Auf die Initiative Neumanns und des Hochschulkreises gehen auch die Gründungen der Universitätsstelle für Raumplanung und der Universitätsstelle für Landeserschließung und Verkehr zurück.109 Durch die Organisationsform als Universitätsstelle konnten diese Einrichtungen an der für diese Gebiete zuständigen Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät vorbei gegründet werden. In ihrem Rahmen wurde vorerst nur von studentischen Hilfskräften Material gesammelt, später jedoch auch wissenschaftliche Arbeiten und Promotionen durchgeführt.110 Rektor Neumann wurde in seinen Umgestaltungsbemühungen von dem 1933 nach Göttingen berufenen Juristen Karl Siegert bestärkt, der als Gaugruppenwalter der Hochschullehrer im NS-Rechtswahrerbund Anfang 1935 einen umfassenden Plan zum weiteren politisch-wissenschaftlichen Ausbau der gesamten Fakultät inklusive deren wirtschaftswissenschaftlichen Teil aufgestellt hat. Die detaillierten „Vorschläge zum Ausbau des Lehrkörpers unserer Fakultät", die anscheinend auf „großzügige" Planungen des Ministerialreferenten Prof. Eckhardt zurückgingen,111 zielten darauf ab, die Konkurrenzfähigkeit zu den politisch-wissenschaftlich „vorbildlichen" Schwesterfakultäten dadurch herzustellen, daß neben den wissenschaftlich ausgewiesenen älteren Dozenten jüngere aktivistische Wissenschaftler berufen werden sollten, die „ihre Aktivität gegenüber den (...) Neigungen der älteren Generation zum Festhalten am Bestehenden im Sinne eines lebendigen Fortschritts" einsetzen. „In einer Gemeinschaft von jungen und alten Dozenten" könne Göttingen dann „den Kampf um die Erneuerung des Rechts im nationalsozialistischen Sinne" führen. Für die Volkswirtschaftslehre sah der Plan neben dem schon bewilligten Lehrauftrag für Kretschmar und einem weiteren als Ersatz für den beurlaubten Prof. Gutmann noch einen zusätzlichen Lehrstuhl vor, der von einer anderen Fakultät ausgeliehen werden sollte. Da zusätzliche Mittel des Ministeriums für keine der Maßnahmen zu erwarten waren, wollte
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man bestehende Stellen aufteilen. Ein Ordinariat ergab dann rechnerisch die Mittel für ein Extraordinariat und einen weiteren Lehrauftrag. Zu den der Fakultät eingereichten „Vorschlägen" verfaßte Siegert auch noch einen Anhang, der nur „für die politischen Stellen bestimmt" war. Darin schrieb er: „Die ,Vorschläge' bedeuten nicht eine Verwirklichung des mir vorschwebenden Idealzustands (...) Erheblich erleichtert würde dieser Kampf durch eine negative Auslese". In diesem Zusammenhang nannte Siegert die „nicht-arischen" Fakultätsmitglieder - der Ökonom Gutmann und die Juristen v. Gierke und Leibholz gehörten der Fakultät noch an - , die zwar nicht einzeln, sondern „in ihrer Gesamtheit und dadurch, daß zu ihrer naturgemäßen Zurückhaltung die liberalistische Belastung der Fachgenossen Passow, Kraus und Kunkel" hinzutrete, die „nationalistische Gesamthaltung" beeinträchtigten. Falls möglich, sollten einige von ihnen „unter großzügiger Behandlung (Versetzung und Beförderung an eine .größere* Universität oder durch Emeritierung) aus dem Lehrkörper" entfernt werden.112 Die großen Pläne der Göttinger Nationalsozialisten zum Um- und Ausbau des wirtschaftswissenschaftlichen Lehrkörpers wurden Mitte 1935 durch die Uberlegungen zur Konzentration der ökonomischen Ausbildung an größeren Fakultäten stark gefährdet. In Göttingen gab man aber die eigenen Pläne keineswegs auf, sondern versuchte den Umbau der Wirtschaftswissenschaften zu einem nationalsozialistischen Fachgebiet mit dem Erhalt dieses Ausbildungsganges als Ganzes zu koppeln. Ein erster Erfolg gelang mit der Durchsetzung der bereits seit Anfang 1935 vom Rektor der Universität Neumann gegen den Widerstand der Fakultät betriebenen Aufnahme des Agrarwissenschaftlers und Gaudozentenbundsführer A. Schürmann in die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät im August 1935. Mit der zusätzlichen Mitgliedschaft von Schürmann in der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät — der Agrarpolitiker blieb daneben auch weiterhin Mitglied der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät (S. 643) — konnten zwei Ziele erreicht werden. Erstens sollte der resolute Nationalsozialist nach eigenen Worten den zügigen nationalsozialistischen Umbau der gesamten Fakultät vorantreiben. 113 So setzte er sich mit seinen guten Verbindungen nach Berlin nachdrücklich für den Erhalt der wirtschaftswissenschaftlichen Ausbildung in Göttingen ein. Zweitens war er eine weitere wirtschaftswissenschaftliche Lehrkraft, wenn er auch auf seinem neuen Fachgebiet der speziellen Volkswirtschaftslehre, der Wirtschaftspolitik, nur unzureichend fachlich ausgewiesen war. Als ein weiterer Erfolg im Bemühen um den Erhalt der Wirtschaftswissenschaften als Ausbildungsgang muß die Errichtung des Instituts für Handwerkswesen und dessen Verzahnung mit der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät angesehen werden. Finanziert wurde dieses Institut vom deutschen Handwerksinstitüt und vom Landeshandwerksmeister, also einem Berufsverband, und war bis Oktober 1936 nur Außenstelle des deutschen Handwerksinstituts, später ein extern finanziertes Universitätsseminar.114 Geleitet wurde die neue Einrichtung vom ehemaligen Generalsekretär des deutschen Handwerks- und Gewerbekammertages H. Meusch, Mitglied der NSDAP seit April 1933,115 der seit Sommersemester 1934 einen Lehrauftrag der Fakultät innehatte.116 Gegen die externe Finanzierung einer universitären Einrichtung legte Prof. Passow deutlichen, aber wirkungslosen Protest
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Zusammenfassend betrachtet scheinen die Berliner Pläne zur Konzentration der wirtschaftswissenschaftlichen Ausbildung an einigen wenigen zentralen Universitäten etwas voreilig gewesen zu sein. Sie berücksichtigten nicht genug, daß ein Abbau, wie etwa in Göttingen angestrebt, schon wegen der Studenten und der inneruniversitären Zusammenhänge von Fachgebieten nicht von heute auf morgen durchgeführt werden konnte. Der Lehrbetrieb mußte vorerst weitergeführt werden. Als Ersatz für den beurlaubten Prof. Gutmann wurde deshalb zum Wintersemester 1935/36 ein Lehrauftrag bewilligt und an den Frankfurter Dozenten Dr. Klaus-Wilhelm Rath vergeben. Rektor Neumann schrieb an das Ministerium, „die volkswirtschaftliche Grundhaltung und weltanschauliche Richtung des Dozenten Rath" sei ihm gelobt worden." 8 Auch Dekan Niedermayer beurteilte Ende 1935 Raths Arbeiten als solche, „die die Einstellung der heutigen Zeit zur gesellschaftstheoretischen Ökonomik des Liberalismus rechtfertigen und stützen". 119 Mit der Vergabe des Lehrauftrages an Rath beantragte man, dessen Lehrauftrag zur festen Institution zu machen und schlug ihn als kommissarischen Leiter des versicherungswissenschaftlichen Seminars vor.120 Während Kretschmar „vor allem Arbeiten übernommen hatte, die mit der Landschaftsplanung im engeren und weiteren Zusammenhang stehen" 121 , war mit Rath endlich der „nationalsozialistische Dozent" (NSDAP-Mitglied seit 1933)122 gefunden, „der den grundsätzlichen Fragen der wirtschaftlichen Staatswissenschaften von einem neuen Standort aus nachgeht." 123 Sehr schnell nach seiner Ankunft in Göttingen wurde er zum Vertreter der NichtOrdinarien im Fakultätsrat ernannt 124 und 1937 Presseverantwortlicher des Gaudozentenbundes. 125 Mit Siegert und Schürmann zusammen betrieb er vehement die weitere nationalsozialistische Ausrichtung der Fakultät. Die Wertung der Person Raths durch Rektor Neumann in politischer wie auch in wissenschaftlicher Hinsicht wird deutlich vor dem Hintergrund der Diskussion um eine „deutsche" Volkswirtschaftslehre.
7. Die Auseinandersetzung um eine „deutsche" Volkswirtschaftslehre Der Nationalsozialismus hatte keine eigenen wirtschaftswissenschaftlichen Vorstellungen, die irgendwie als grundlegende Programmatik gelten könnten, sondern nur einzelne konfuse Versatzstücke, die je nach politischer Opportunität herausgestellt wurden. Schon vor 1933 und besonders nach der „Machtergreifung" versuchten verschiedene Wissenschaftler jedoch, eine ökonomische Theorie des Nationalsozialismus zu gestalten bzw. ihre eigenen Theorien als Grundlage oder Weiterführung nationalsozialistischer Ideen zu propagieren. Darunter waren so bekannte Ökonomen wie O. Spann, W. Sombart126 und später besonders F. v. Gottl-Ottlilienfeld, der eine nach heutigen Maßstäben überraschende Wirkung auch gerade auf jüngere Ökonomen erzielte. Gotti selbst unterschied in der Festgabe der deutschen Wissenschaft zu Hitlers 50. Geburtstag drei Richtungen der Wirtschaftswissenschaften, erstens die reine Theorie der „Ricardotümelei", eben die Klassik, zweitens deren bloße Negation und drittens seine Richtung. Letztere sei bestrebt, durch Vertiefung der bisherigen Anschauungen der „weltanschaulich bestimmten Wirtschaftspolitik unserer Tage auch noch ihren festen Rückhalt an der Wissenschaft" zu geben. Mit einem solchen Vorgehen werde die Weltmeinung in „unserem Fache" streng wissenschaftlich überholt ebenso wie der „Dilettantismus des Fachs, das heillose Durcheinander der Definitionen und Theorien, der Systeme und Schulen." 168
Mit einem solchen Vorgehen werde zudem „erstmals Ernst gemacht mit echter Wirtschaftswissenschaft, die sich selber schlüssig ausweist als politische Wissenschaft. So schmiedet diese dritte Richtung unser Fach zu einer der geistigen Waffen zurecht im Arsenal des Dritten Reiches und löst damit eine deutsche Aufgabe." 127 Der politische Anspruch dieser Wissenschaftsrichtung sowie Ähnlichkeiten in methodologischen Fragen sind zentrale Momente, die die von Gotti inspirierten jüngeren Wissenschaftler einigten, die als die „Gottl-Schule" bezeichnet werden. Ihr Anspruch war, in einer umfassenden Gesamtsicht der sozialen Gebilde Gottls und der „wirtschaftsgeschichtlichen Wirklichkeit" eine „deutsche Volkswirtschaftslehre und insbesondere eine Theorie der Volkswirtschaft aufzubauen, welche das Historisch-Politische nicht außer oder neben sich, sondern in sich hat." 128 Mit diesem Wissenschaftsansatz, der selbst zum Teil wiederum Ausdruck der grundlegenden gewandelten politischen Rahmenbedingungen war, bekam die latente und nie gänzlich eingeschlafene Werturteilsdebatte der deutschen Wirtschaftswissenschaften aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg 129 erneut große Bedeutung. Interessanterweise war gerade der Mentor der neuen Wissenschaftsrichtung, Gottl-Ottlilienfeld, ehe er über die Herleitung bzw. Definition eines „ontologischen Werturteils" zum Vertreter einer „politischen Wissenschaft" wurde, in der Werturteilsdebatte vor dem 1. Weltkrieg einer der „wichtigsten Kämpfer im Streit um eine wertfreie Wissenschaft" 130 gewesen. Eben seine Stellungnahmen zur Werturteilsfreiheit der Wissenschaft waren es auch, die Klaus-Wilhelm Rath im Vorfeld seines Göttinger Lehrauftrages bekannt gemacht hatten. Rath, der sich mit seiner Skepsis gegenüber allen theoretischen Bemühungen um eine „Wesenslehre" von der Wirtschaft auch von den übrigen Mitgliedern der „Gottl-Schule" absetzte, 131 veröffentlichte noch als Privatdozent in Frankfurt 1935 einen Aufsatz zur „Selbstbestimmung der Finanzwissenschaft". 132 Darin wandte er sich gegen eine Finanzwissenschaft, die den politischen Staatswillen als Resultat von Einzelwillen auffasse, wie dies die „exakte klassisch-liberale Theorie" tue. Das Erfahrungsobjekt der Staatswirtschaft sei entgegen dieser Ansicht ein streng durchkonstruiertes Gebilde und nicht durch einen gesellschaftlichen Prozeß erschaffen. Jeder Akt der Staatswirtschaft sei deshalb an und für sich schon sinnbezogen und wissenschaftliche Objektivität werde damit unnötig. Als Ergebnis seiner Kritik der „reinen Theorie" zog Rath den Schluß, daß man sich von deren Denken frei machen und die Wirtschaft phänomenologisch als Ganzes in ihrem Wesen verstehen lernen müsse. Rath ging mit seinen Überlegungen noch weiter: das Wesen einer Sache könne von unterschiedlichen Menschen ganz verschieden gesehen werden. Deshalb müsse die Weltanschauung des Wissenschaftlers die richtige sein, dann werde er auch das wahre Wesen der Dinge sehen. Mit Weltanschauung „ist jenes ursprüngliche Verhältnis gemeint, das Forscher wie Arbeiter, Bauer wie Bürger eint, das einem Volke gemeinsam ist. Das also eint. In ihm wird die Wahrheit gefunden." 133 Wahrheit war damit zu einer Sache des völkischen Bewußtseins, der Weltanschauung und der richtigen Erkenntnis des politischen Werdens und Wollens geworden. Der darin versteckte Vorwurf an methodologisch Andersdenkende machte eine Erwiderung der Rathschen Gedanken gefährlich. Trotzdem fanden sich einige Kontrahenten, deren vehementester wohl H . Peter war. 134 Die notwendige Abkehr von dem Anspruch einer wertfreien Wissenschaft als zentralem Moment der politischen Wissenschaft wurde in den folgenden Jahren von einer Reihe der jüngeren Ökonomen der sogenannten Gottl-Schule in Abhandlungen immer wieder vertreten. 135 169
8. Die Göttinger Wirtschaftswissenschaften als nationalsozialistische Hochburg Durch die Bereitstellung des zusätzlichen Lehrauftrages für K.-W. Rath war die Existenz des volkswirtschaftlichen Studienganges nur vorübergehend sichergestellt. Um einen normalen Studienbetrieb zu gewährleisten, erachtete das Ministerium wie beschrieben vier Lehrstühle für notwendig. Obwohl Göttinger Nationalsozialisten bei einflußreichen Parteigenossen in Berlin intervenierten,136 ließ das Ministerium weder in dieser Frage mit sich handeln noch war es bereit, zusätzliche Mittel für den gefährdeten Studiengang bereitzustellen. Zu seiner Erhaltung war es daher nötig, aus den bisher zur Verfügung stehenden Mitteln der Universität je einen betriebswirtschaftlichen und einen volkswirtschaftlichen Lehrstuhl zu schaffen. Der erste Erfolg auf diesem Weg zeichnete sich ab, als nach dem Weggang des Juristen Prof. Kunkel innerhalb der Fakultät ein vakantes Ordinariat zur Verfügung stand (S. 115). 1936 wurde es in einen Lehrstuhl für Betriebslehre umgewandelt, mit dessen Vertretung man ab Wintersemester 1936/37 den Leipziger Dozenten Dipl.Ing., Dipl. Kaufmann Dr. Walter Weigmann beauftragte.137 Im Herbst 1937 erhielt Weigmann diesen Lehrstuhl als Extraordinariat übertragen.138 Die Bereitstellung des zweiten zusätzlich benötigten Lehrstuhls steht im Zusammenhang mit der „Säuberung" der Universität durch die Nationalsozialisten. Nach der Entlassung von Prof. Nohl (S. 327) wurde dessen Pädagogiklehrstuhl mit Erlaß vom 30. 3.1937 in einen Lehrstuhl für politische Volkswirtschaftslehre und Finanzwissenschaft umgewandelt.139 Diesen neuen wirtschaftswissenschaftlichen Lehrstuhl erhielt Rath ebenfalls in Form eines Extraordinariats. Zwei Jahre später wurden Rath und Weigmann zu Ordinarien ernannt.140 Mit dieser Umschichtung innerhalb der Universität war die wirtschaftswissenschaftliche Ausbildung für Göttingen gerettet. Ende 1937 können auch die Pläne Prof. Siegerts in Bezug auf die Volkswirtschaftslehre als weitgehend erfüllt betrachtet werden. Denn auch der zuletzt berufene Weigmann, Mitglied der NSDAP seit 1. 5. 1933141, sei „lebendig und nationalsozialistischer Aktivist. Er bemüht sich, eine nationalsozialistische Betriebslehre aufzubauen und ist bei den Studenten beliebt."142 Auch in den offiziellen Positionen der Fakultät wurde der Einfluß der älteren, gemäßigteren Professoren immer mehr zu Gunsten der jüngeren nationalsozialistischen Aktivisten zurückgedrängt. So trat der konservative, unter Nationalsozialisten durchaus angesehene Herbert Meyer, der sich durch das Vorgehen F. Neumanns anläßlich der Geschehnisse um den Beitritt Schürmanns zur Fakultät übergangen fühlte, 1935 vom Dekanat zurück (S. 120). Sein Nachfolger wurde der Jurist H. Niedermayer, nach Einschätzung Siegerts kein Aktivist, jedoch ein loyaler Nationalsozialist.143 1937 wurde Siegert selbst Dekan und Rath Prodekan.144 Das zwischenmenschliche Klima zwischen den nationalsozialistischen Aktivisten und den übrigen Fakultätsmitgliedern war durch das Vorgehen von Schürmann, Siegert und Rath sehr gespannt. Die Fakultät hatte deshalb den Spitznamen Fakultät Schürmann erhalten.145 Politischer Leumund, Gutachten von Parteistellen, persönliche Nähe zu den nationalsozialistischen Professoren, besonders zu Prof. Siegert, waren bei Berufungen ausschlaggebend geworden, so daß z.B. Prof. Passow den Juristen Erler, einen Schützling Siegerts, gelegentlich ironisch fragte, ob er eigentlich mit Siegert verwandt oder verschwägert sei.144 Auch Studenten waren Gesinnungsschnüffeleien und Verweigerung der Prüfungsabnahme aus politischen Gründen ausgesetzt.147 170
Getrübt wurde das Bild einer durch und durch nationalsozialistischen Abteilung nur durch Professor Aubin, welcher „erst im liberalen Sinne und mit einer Instinktlosigkeit in der Judenfrage aufgefallen" sei, jetzt aber die Nationalsozialisten in ihrer Arbeit ungestört lasse, und durch Prof. Passow. Dieser war, obwohl er wissenschaftlich unbrauchbar sei und trotz seiner liberalen Einstellung immer noch Mitglied bzw. stellvertretender Vorsitzender der verschiedenen Prüfungsämter. Hier sei „ein Wandel nötig", so die Beurteilung der Lage durch den Dekan und Vertrauensmann des NSD-Dozentenbundes Prof. Siegert 1937.148
9. Die Ausschaltung Professor Passows Den Anlaß zu Passows Entfernung aus der Fakultät lieferte ein trivialer Vorfall. Prof. Passow legte sich mit den Nationalsozialisten innerhalb der Fakultät immer wieder an. Bis 1938 hatte diese Auseinandersetzung solch ein Niveau angenommen, daß die nationalsozialistischen Dozenten ihre Vorlesungen so terminierten, daß sie sich mit jenen Passows überschnitten. Anläßlich solch einer Uberschneidung sagte Passow vor Studenten, er könne seine Vorlesung nicht noch einmal verlegen, er sei doch kein Weichmann, mit „ch" geschrieben.149 Weigmann empfand diese Bemerkung - nach Rücksprache mit Siegert — als Beleidigung seiner Person und des NSD-Dozentenbundes. 150 Zwei Tage später schickte er ein Mitglied des Dozentenbundes als „Kartellträger" zu Passow, um Satisfaktion zu fordern.151 Da dieser Passow nicht antraf, schrieb der „Kartellträger" ihm einen Brief und bat um einen Termin. Passow antwortete, daß er sich über die Sache nur mit amtlichen Stellen der Universität unterhalten wolle, sandte jedoch an Weigmann ein Entschuldigungsschreiben. Er habe diese Bezeichnung „Weichmann" nicht auf Weigmann beziehen wollen, sondern selbstironisch auf sich selbst. Siegert hatte inzwischen ein amtliches Verfahren gegen Passow eingeleitet, wobei diesem u.a. von Rektor Sommer „das Ungehörige seines Verhaltens energisch" vorgehalten wurde. Damit nicht genug wurde nun eine großangelegte Intrige gegen Passow angezettelt, die Entschuldigung Passows unterschlagen und der Briefwechsel zwischen Passow und dem „Kartellträger" wurden an die Studentenschaft, die Dozentenschaft und über die Universität hinaus an akademische Organisationen verschickt, mit der Erläuterung, Passow habe den Ehrbegriff des Nationalsozialismus lächerlich gemacht, weshalb jeder weitere Umgang mit ihm unmöglich sei. Auf Veranlassung Siegerts verbreitete die Studentenschaft diese Version per Anschlag und rief zum Vorlesungsboykott auf. N u n stellte sich auch noch der Rektor vor die Studentenschaft, gab ihr Recht und betonte, er müsse dem Minister Meldung machen.152 Beim Minister forderte er die sofortige Amtsenthebung Passows, die im August 1938 erfolgte, gemäß § 6 des DBG v. 26.1.1937. 153 Die förmliche Anklageerhebung erfolgte erst im November 1938 gemäß § 78 RDSTO, verbunden mit der vorläufigen Dienstenthebung.154 Dieses Dienststrafverfahren war vor allem angestrengt worden, weil Passow inzwischen beim Staatsanwalt Strafanzeige gegen Siegert eingereicht hatte, die angeblich „unberechtigte" Angriffe und Verleumdungen Siegerts und des Dozentenbundes enthielt. Das Verfahren wurde, so Passow, vom Staatsanwalt auf Druck des Ministeriums niedergeschlagen.155 Die angebotene Inanspruchnahme eines Gnadenerlasses lehnte Passow ab.156 Ein Urteil erging erst 1942. Darin wurde festgestellt, daß Passow in weiten Teilen Unrecht geschehen war, so daß eine Dienstenthebung nicht angebracht sei.157 Die vorläufige 171
Dienstenthebung war schon 1940 aufgehoben worden, allerdings erhielt Passow Hausverbot an der Göttinger Universität. Erst im April 1945 konnte er sein Institut wieder betre-
10. Die „deutsche Volkswirtschaftslehre" in
Göttingen
Kurze Zeit nach Passows Amtsenthebung verstarb Prof. Aubin, so daß nun ein Lehrstuhl zur Neubesetzung und einer zur Vertretung anstand.159 Da eine Opposition innerhalb der Fakultät nicht mehr zu befürchten war, wurde in den anstehenden Besetzungen offener verfahren. Rath begründete seine Vorschläge folgendermaßen: „Eine vordringliche Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft ist die Herausarbeitung einer dem weltanschaulichen wie politischen Umbruch gerecht werdenden, die neuen geschichtlichen Tatsachen berücksichtigende Theorie. Diese Theorie zu erarbeiten ist ein besonderes Anliegen der in Göttingen wirkenden Wirtschaftswissenschaften. Es wurde dabei Wert auf entsprechende Fühlung mit der politischen Praxis gelegt. Die Neubesetzung des Lehrstuhls wird nur dann eine fruchtbare sein, wenn der zu Berufende dieses in der Fakultät gepflegte Anliegen als sein eigenstes betrachtet und über die dazu notwendigen Vorarbeiten verfügt."160 Neben der geistigen Nähe zu Raths wissenschaftlichen Auffassungen spielte für Berufungen und Vertretungen ein guter nationalsozialistischer Leumund eine große Rolle.161 So wurde 1938 Siegfried Wendt zuerst vertretungsweise, dann als Lehrstuhlinhaber nach Göttingen geholt.162 Wendt, seit 1933 Mitglied der NSDAP 163 , hatte sich nach 1933 der wissenschaftlichen Richtung Raths angenähert.164 Auch nach seinem Weggang standen 1944 nur Ökonomen der sogenannten Gottl-Schule zur Debatte. 165 Dazu gehörte unter anderem auch Gisbert Rittig, damals Privatdozent, der während des Krieges in Göttingen mehrmals Vertretungen wahrgenommen hatte,166 da Kretschmar, Weigmann und Wendt wechselweise zum Kriegsdienst eingezogen waren. Rittig wurde insbesondere von Rath favorisiert. Vor allem dessen Buch „Der soziale Preis" wurde von ihm geschätzt, weil es in seine eigene wissenschaftliche Konzeption paßte.167 Eine endgültige Berufung erfolgte während des Krieges nicht mehr. H . Kretschmar, inzwischen Extraordinarius, vertrat bis 1945 den Lehrstuhl Passows. Zusätzlich war der Privatdozent R. Schaeder mit einem Lehrauftrag betraut worden, desgleichen erhielt W. Wernet, der H. Meusch in der Leitung des Instituts für Handwerkswesen abgelöst hatte, einen weiteren Lehrauftrag. Wernet dozierte jedoch über Volkswirtschaftspolitik und Wehrwirtschaft. 168 Daneben bot auch Prof. Kurt Brüning, Leiter des Provinzialinstituts für Landeskunde und Landesplanung mit eigentlichem Sitz in Hannover, das nach Kriegsbeginn bei der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät geführt wurde, Vorlesungen an der Universität Göttingen an.169 In den Jahren 1937 - 40 erlebte die ökonomische Abteilung eine nationalsozialistische Blüte. Neben dem normalen Unterricht wurden auch fächerübergreifende Seminare, z.T. mit externen Gästen und Politikern angeboten. So beispielsweise im SS 1937 und im WS 1937/38, als die Professoren Rath, Kretschmar, Weigmann und Schürmann ein wirtschaftspolitisches Seminar gemeinsam mit dem Staatsrat und Lehrbeauftragten in der MathematischNaturwissenschaftlichen Fakultät, Reinke, anboten.170 Auch die Gottische Gebildelehre fand ihren Platz in Seminaren, die Rath zusammen mit dem Philosophen O.F. Bollnow abhielt. Gegen Ende der 30er Jahre traten Lehrveranstaltungen zur Wirtschaftsplanung und zur Wehrwirtschaft immer mehr nach vorne und bildeten in den Kriegsjahren Schwerpunk172
te. Diesem Angebot stand, nachdem die Zahl der Studenten der Wirtschaftswissenschaft auf 30 im SS 1934 zurückgegangen war, bis 1938 ein langsamer, aber überproportionaler Anstieg der Studenten gegenüber. Im Wintersemester 1937/38 und im Sommersemester 1938 erreichte die Zahl der Studenten mit 68 bzw. 64 Personen den höchsten Stand, danach nahm ihre Zahl, trotz Blüte der nationalsozialistischen Wissenschaft, auf 38 im Sommersemester 1939 wieder ab.171 Die wissenschaftliche Produktion von Rath, der 1937 ebenso wie Kretschmar und Schürmann in der von Schürmann herausgegebenen Festschrift des NSD-Dozentenbundes zu,m 200-jährigen Universitätsjubiläum einen Artikel veröffentlicht hatte,172 bestand fast nur aus seinen Beiträgen zu den Auseinandersetzungen um eine nationalsozialistische Volkswirtschaftslehre und deren methodologischen und weltanschaulichen Voraussetzungen. Wie schon beschrieben, war dies für ihn ein „Kampf" gegen die exakte, den klassischen Grundlagen folgende Theorie und deren Interpretation der Wirklichkeit. Deren konstruiertes und falsches Weltbild diene dazu, gesellschaftliche und wirtschaftliche Verhältnisse aufzubauen und zu legitimieren, die dem deutschen Volk und Staat nicht angemessen und jüdisch und kapitalistisch unterwandert seien. Diese „jüdische Unterwanderung" von Wirtschaft und Wirtschaftstheorie versuchte er nachzuweisen und untersuchte die gesamte Theoriegeschichte nach solchem jüdischen oder „gesinnungsjüdischen" Einfluß. 173 Seine Arbeitsergebnisse machte er auch populärwissenschaftlich publik mit einer Artikelserie in dem Organ des NS-Rechtswahrerbundes „Die deutsche Wirtschaft". Hier ging er so weit, einem seiner wissenschaftlichen Gegner in der Auseinandersetzung um eine deutsche Volkswirtschaftslehre, dem Tübinger Dozenten Hans Peter, dessen Arbeiten nach dem Krieg als wegweisend galten, „Gesinnungsjudentum" vorzuwerfen. 174 Dies war jedoch selbst in diesem vehement geführten Streit eine deutliche Entgleisung. Mit konkreten Forschungsarbeiten oder gar Ergebnissen konnte der Apologet einer „deutschen Volkswirtschaftslehre" kaum aufwarten. Raths wissenschaftlicher Widerpart H. Peter hielt ihm 1938 in einem offenen Brief, der die Antwort auf den Vorwurf des Gesinnungsjudentums war, denn auch vor: „Das einzige Positive an Ihren Arbeiten pflegt die Feststellung zu sein, daß wir eine Aufgabe haben. Warum gehen Sie nicht einmal selbst an diese Arbeit und finden die ,Freiheit zu erlösender Tat'?"175 Rath ging an die Arbeit. Ende 1939 begann er für den Ausschuß der Akademie für deutsches Recht ein Auftragsgutachten zur Gleichschaltung des Versicherungssektors zu erstellen. 17 ' Ziel des Gutachtens war die wissenschaftliche Begründung für die Bereitstellung von Beschäftigten der Versicherungswirtschaft für den Kriegseinsatz sowie für die Verstaatlichung der Versicherungen, um deren Vermögen der Kriegsverwendung zuzuführen. Für diese Arbeit war ihm ein Honorar von 50 000 RM zugesagt worden, welches die nicht gefragte Versicherungswirtschaft aufbringen sollte. Diese stellte sich jedoch der drohenden Gleichschaltung entgegen, machte die Sache öffentlich, verweigerte die Bezahlung von Raths Gutachten 177 und beauftragte Jens Jessen, ein Gegengutachten zu erstellen.178 Raths Gutachten soll in numerierter Auflage bei hohen Politikern und bei staatlichen Behörden zirkuliert sein. Das gleichlautende, 1942 erschienene Buch179 wurde jedoch gleich wieder aus dem Handel genommen, weil anscheinend die Fehlerhaftigkeit des statistischen Materials, teilweise sogar Fälschungen desselben, entdeckt worden waren.180
173
11. Vom Kriegsbeginn zur Entnazifizierung Der Krieg veränderte auch das Universitätsleben stark. Studenten und Professoren wurden eingezogen, der Lehrbetrieb eingeschränkt. Von 1939 bis 1941 sanken die Einschreibungen im Fach Volkswirtschaftslehre um rund die Hälfte, wobei zunehmend mehr Frauen studierten. Deren Anteil war bis zum Kriegsbeginn ständig gesunken.181 Nach den ersten Kriegserfolgen kehrten viele Studenten als Fronturlauber an die Universität zurück, um alsbald erneut in den Krieg aufzubrechen. In den späteren Kriegsjahren bestimmten die Rekonvaleszenten der Göttinger Kliniken das Bild.182 Der Frauenanteil an den Studenten der Fakultät stieg bis 1943 auf über ein Drittel. Diese Frauen studierten vor allem Volkswirtschaftslehre, da der Richterberuf nur Männern offenstand. 183 Eine weitere Verschiebung der Bedeutung der Studienfächer ergab sich dadurch, daß der Staatsdienst und insbesondere der Richterberuf im Nationalsozialismus zunehmend unbeliebter geworden war. Mehr als die Hälfte der Studenten der Fakultät studierten deshalb 1943 Volkswirtschaftslehre.184 Die Umkehrung der Reihenfolge der Fächer Jura und Volkswirtschaft ist umso auffälliger, als noch in der Weimarer Republik (WS 1932/33) das Verhältnis von Jura- zu Volkswirtschaftsstudenten 10 zu 1 betragen hatte und selbst nach einem vergleichsweise starken Rückgang der Studenten der Rechtswissenschaft im Sommersemester 1939 immer noch bei 4 zu 1 lag.185 Im Lauf des Jahres 1944 setzte ein Zustrom von Studenten zerstörter Hochschulen nach Göttingen ein. Die Anfängervorlesungen mußten von Rath im Auditorium maximum gehalten werden, das trotzdem überfüllt war.186 Die Professoren Kretschmar, Weigmann und Wendt wurden eingezogen. Die drei Eingezogenen konnten je nach Kriegslage hin und wieder ihre Lehrtätigkeit in Göttingen weiter ausüben. Für die Zeit ihres Kriegseinsatzes wurden sie und nach der Wegberufung von Wendt auch dessen vakanter Lehrstuhl vertreten durch Dozenten mehr oder weniger weit entfernter Universitäten, die für ein bis zwei Tage pro Woche nach Göttingen reisten. N u r G. Rittig vertrat über längere Zeit einen Lehrstuhl. Kretschmar und Weigmann fielen noch in den letzten Kriegstagen.187 Das Kriegsende mit dem Zusammenbruch des „Dritten Reiches" gestattete es endlich Passow, an die Universität zurückzukehren. Er hatte, nachdem die nationalsozialistisch belasteten Dozenten Mitte 1945 ihrer Ämter und Funktionen enthoben worden waren, als einziger Ordinarius alle Institute zu vertreten. Aufgrund ihrer Verbindungen zum Nationalsozialismus wurden 1945 Prof. Rath und der Privatdozent Dr. Wilhelm Wernet, der seit 1941 Wirtschaftspolitik gelehrt hatte,188 entlassen. Prof. Rath wurde erst im Juli 1948 im Entnazifizierungsverfahren in die Gruppe III (Minderbelastete) eingestuft. Die Berufungsinstanz folgte dieser Einschätzung, so daß er nicht mehr als Hochschullehrer tätig sein durfte. Im Juli 1950 wurde er im Wiederaufnahmeverfahren in die Kategorie IV eingestuft und war demnach als Professor zur Wiederverwendung bei Lehrstuhlbesetzungen zu berücksichtigen.189 Die Göttinger Fakultät hat für ihn jedoch weder einen Lehrauftrag beantragt noch ihn in Berufungslisten aufgenommen. Sie hat sich auch geweigert, nachdem dies durch Erlaß ermöglicht wurde, ihn in Göttingen zu emeritieren.190 1957 wurde er deshalb an der T H Hannover vorzeitig emeritiert. 191 Wernet dagegen kehrte 1950 als Lektor für Handwerkswesen an die Universität zurück und wurde kurz danach vom Niedersächsischen Handwerkskammertag wieder als geschäftsführender Direktor des Instituts für Handwerkswesen vorgeschlagen.192 Zusätzlich zu Passow, dem einzigen Ordinarius, kamen noch 1945 Erich Egner nach Göttingen sowie Georg 174
Weippert, der zwei Jahre lang einen volkswirtschaftlichen Lehrstuhl vertrat. Auch Gisbert Rittig kehrte 1946 zuerst als Lehrbeauftragter und ab 1951 als Inhaber des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre und Versicherungswirtschaft 1 ' 3 nach Göttingen zurück. Der frühere Lehrstuhl von Weigmann für Betriebswirtschaftslehre wurde nach dem Krieg eingezogen.194 Erst 1954 bot die Fakultät F. Gutmann (1879 -1967) den Lehrstuhl an, aus dem er 1936 vertrieben worden war. Gutmann lehnte diese Art einer sehr späten Wiedergutmachung ab.195
12. Kontinuitäten
— Diskontinuitäten
Der wirtschaftswissenschaftliche Teil der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät wurde von 1933 bis 1945 personell als auch fachlich-wissenschaftlich grundlegend verändert. Die vor 1933 bestehende wissenschaftliche Spaltung des Lehrkörpers grob in zwei Lager, die durch die Exponenten Mitscherlich und Passow gekennzeichnet war, wurde durch den völligen Ersatz des Lehrkörpers auf besondere Art gegenstandslos. Stationen auf diesem Weg der Ablösung des alten Lehrkörpers waren die Karriere des nationalsozialistischen Aktivisten J. P. Jessen, die ihn - für höhere Aufgaben vorgesehen — bereits 1933 von Göttingen wegführte, die Strafversetzung von Mitscherlich nach örtlichen Querelen (1934), die Entlassung Gutmanns aus „rassischen Gründen" (1936) — eine Verfolgung, die Gutmann später auch zur Emigration zwang — und das auch von Nationalsozialisten erst nach langen Auseinandersetzungen erreichte vorübergehende Ausscheiden von Passow (1937). Nationalsozialisten an der Universität gelang es, die Pläne des Reichserziehungsministeriums, die auf einen Abbau des volkswirtschaftlichen Studiengangs in Göttingen hinausliefen, nicht nur im Ansatz abzuwehren, sondern eine genau gegenteilige Entwicklung des Ausbaus, verbunden mit einer speziellen Berufungspolitik, durchzusetzen. Der Ausbau der Volkswirtschaft in Göttingen um zwei neue Lehrstühle, ein Zuwachs, der nach dem Verlust des früheren Lehrstuhls von Gutmann eine reale Expansion um ein zusätzliches Ordinariat bedeutete, ging ausschließlich zu Lasten anderer Bereiche der Göttinger Universität. Mit der erzwungenen Aufnahme von Schürmann in die Fakultät wurde der Volkswirtschaft, wenn auch in Doppelmitgliedschaft mit der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, ein weiteres Ordinariat zugeordnet. Auf die neu geschaffenen oder von ihren früheren Inhabern freigemachten Lehrstühle wurden nach der Ausschaltung aller Widerstände in der Fakultät jüngere nationalsozialistische Aktivisten berufen, die obendrein mehr oder weniger einer wissenschaftlichen „Schule" zugerechnet werden müssen: Der mit dem Namen des Berliner Professors F.v. Gottl-Ottlilienfeld verbundenen Richtung der Wirtschaftswissenschaften als „politische Wissenschaften". Diese Berufungspolitik, die zwar in gewisser Weise an die von Mitscherlich bis 1934 vertretene „historische" Tradition anknüpfte, erreichte durch eine grundlegende Veränderung des Lehrkörpers eine Neuausrichtung der Wirtschaftswissenschaften in Göttingen. Die Etablierung einer Gruppe junger, politischer Wissenschaftler stellte auch in anderer Hinsicht eine Besonderheit dar. Mit Kretschmar, Weigmann, Rath, Wendt und, wenn auch noch vorläufig und in Vertretung, Rittig, wurde Göttingen zu einem, wenn nicht zu dem bedeutendsten Zentrum der sogenannten Gott 1-Schule.196 Der Krieg leitete bereits zu einer weiteren grundlegenden Veränderung der wissenschaftlichen Ausrichtung über. So konnte Prof. Egner seiner noch im Krieg erfolgten Berufung erst nach Kriegsende 175
Folge leisten. Durch den Tod von Kretschmar und Weigmann im Krieg wurden zwei weitere Lehrstühle vakant. Der Krieg hatte in gewissem Sinn einen größeren Einfluß auf die Veränderung des Lehrkörpers als die nachfolgende Entnazifizierung. Durch die Entnazifizierung nach dem Zusammenbruch des „Dritten Reiches" wurde neben dem bereits im Krieg geschaßten Agrarpolitiker Schürmann auch der letzte verbliebene Repräsentant des durch die Nationalsozialisten neu geschaffenen Lehrkörpers auf Dauer von der Universität entfernt. Die mit dem Zusammenbruch des „Dritten Reiches" begonnene neue Phase der Entwicklung der Volkswirtschaft in Göttingen griff sowohl Traditionslinien aus der Zeit vor 1933 als auch zum Teil solche auf, die in der durch den Nationalsozialismus veränderten volkswirtschaftlichen Wissenschaftsrichtung Göttingens standen. Einerseits konnte Prof. Passow nach Kriegsende an sein Institut zurückkehren und seine 1920 begonnene und seit 1937 unterbrochene Arbeit wieder aufnehmen. Andererseits aber wurde nach 1945 auch kein vollständiger Bruch mit jener Gottischen Schule herbeigeführt. Deren Tradition setzten nach dem vollständigen Ausscheiden der alten nationalistischen Ordinarien der früher mit Vertretungsaufgaben in Göttingen betraute und über einen Lehrauftrag zum Professor avancierte G. Rittig und vor allem der neu berufene E. Egner fort. Der Ausbau der Wirtschaftswissenschaften in Göttingen während des Dritten Reiches wurde durch die Einziehung des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, den der gefallene Professor Weigmann innegehabt hatte, dagegen weitgehend rückgängig gemacht.
Anmerkungen 1
UAG,
F,
n.J.l,
Siegen (Dekan) an Redenz, Reichsamtsleitung
des
NSD-Dozentenbundes,
18. 7. 1938: „da ich mit Hilfe von Schürmann eine ganze Fakultät umwandeln 2
konnte."
1755 an J . H . G . v. Justi, Ebel (1962) und Frensdorff (1901)
' Ebel (1962); U A G , K, X V I . I V . C ; U A G , K, X . 4 . I . N r . 122 4
Ebel (1962); U A G , F , II.J 6. III.4a, Schriftwechsel zwischen Fakultät und Kurator von September 1913 bis Februar 1922
5 Ebel (1962) ' U A G , K, XVI.II.B.30.I 7
U A G , K, X V I . C . d . 5 . N r . 1 0 - 2 4
8
D e r Begriff „Gottl-Schule" erscheint problematisch, da eine direkte Lehrer-Schüler-Beziehung nicht vorliegt. Während Krause (1969) den Begriff meidet und v o n der Gruppe u m F . v. GottlOttlilienfeld spricht, die er anhand ihrer Teilnahme am Methodenstreit nach 1933 identifiziert, spricht Krohn (1981) von einer Schule (S. 182) und auch Weber, Topitsch (1952) fassen diese Ö k o nomen als Schule auf. Ein Zeitgenosse und Mitglied dieser „ G r u p p e " (Pütz (1940) S. 93) spricht dagegen nur von einer durch Gotti angeregten „jungen Generation deutscher Wissenschaftler", zwischen denen selbst auch Unterschiede bestanden (vgl. ebd. A n m . 1, S. 124 f.). In Ermangelung einer kürzeren und präziseren Bezeichnung wird im folgenden an dem Begriff „Gottl-Schule" festgehalten.
9
Egner (1937)
10
Schumpeter (1927) S. 271
11
K r o h n (1981) S. 19
12
Schumpeter (1927) S. 271
»
ebd.
14
Mitscherlich (1921), Ritsehl (1931)
15
Meyer's Großes Taschenlexikon (1981), Stichwort „Historische Schule"
16
Vgl. dazu Krause (1969), Barkai (1964), Stavenhagen (1964), Ritzel (1950), Eisermann (1956)
176
17 18 19
20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30
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« 46 47 48 49
so 51 52 53
54
55 56 57
58 59 60 61
Schumpeter (1927) S. 271 UAG, Κ, XVI.n.B.30.1 In Göttingen war dies der Kurator der Universität, Geheimrat Valentiner, vgl. UAG, K, XVI.II.C.d.5. Nr. 10 ebd. Nr. 24 UAG, F, II.J.6. ΠΙ Fakultät 4a. „Vorschlagslisten", 3. 3. 1914, Fak. an Kurator Krüger (1983) S. 34 f. UAG, F, II, J.6. in.4a „Vorschlagslisten" und Egner (1947) Passow (1927) Egner (1949) und Koch (1949) UAG, F, J.6. ΙΠ, Briefwechsel zwischen Fakultät und PMW 1921/22 Ebel (1962) UAG, F, J.6. III, Fakultät an PMW 21. 11.1927 Ebd. Ebd., Passow fühlte sich durch die Art und Weise der Diskussion auch persönlich angegriffen. Ebd., Passow an Hippel, 19. 12.1927 Mitscherlich (1921) und Krause (1969) S. 112 Ebel (1962) UAG, F, II.J.6. 4a, Fak. an PEM, 17. 2. 1930 Diese beiden jüngeren Ökonomen, insbesondere Löwe, gaben mit den so abqualifizierten Veröffentlichungen wichtige Anstöße zur Konjunkturtheorie. Vgl. dazu Krohn (1981) S. 117 und 128 ff. Strauss/Röder, (eds) (1983), „Gutmann, Franz", S. 440 Gutmann (1906), Ders. (1913), Ders.(1928), Ders. (1921), Elster (Hg) (1933) Interview mit Dr. Karl Branner, 28. 3. 1983 Chronik der Georg August Universität zu Göttingen 1903 Zu den Angaben über die Studentenzahlen ab SS 1925 vgl. Statistisches Jahrbuch des Deutschen Reiches 1926 und die folgenden Jahrgänge. Chronik der Georg August Universität zu Göttingen 1903 - 1930 Interview mit Dr. Karl Branner, 28. 3. 1983 Strauss/Röder (eds) (1983) S. 440 Interview mit Dr. Karl Branner, 28. 3. 1983 Strauss/Röder (eds) (1983) S. 440 Führerlexikon 1935, UAG, ohne Ortsangabe, Darstellung Jessen, J . P. Schmölders (1949) Elster (Hg.) (1933) UAG, Κ, XVI, II.a.S.16. „Jessen" Interview mit Dr. Karl Branner, 28. 3. 1983 Barkai (1977) S. 35 ff. Ebd., S. 46 f. Passow war Jessen's Doktorvater. Interview mit Dr. Karl Branner 28. 3.1983 Archiv für rassenkundliche Berufsstatistik (1931) S. 110 UAG, K, X V I . I V . C N r . 1503; UAG, K, XVI.II.C, Jessen an Gutmann, 8. 12. 1932 und „Stellvertretender Kurator an Kurator", 6. 2. 1933; Angaben der Familie von Prof. Dr. R. Passow UAG, F. II.J.l.III, „Dekanat", Erlaß vom 21.04.1933; ebd., Dekan Gutmann an Rektor, 27. 4. 1933. Der Rücktritt bzw. die Ablösung erfolgte, so Kunkel (1966) S. 113, da es „auch für den Harmlosesten vorauszusehen war, daß er als Dekan Schwierigkeiten haben werde." UAG, F, n . J . l . m , Dekan an Rektor 30.11. 1933 Gemäß Schermers eigenen Angaben im Entnazifizierungsverfahren UAG, K, XVI.V.A.a.37 Vgl. Göttinger Tageblatt, 2. 4. 1933 UAG, Κ, XVI, Il.a.S. 16. Valentiner an Oberregierungsrat Kasper, REM, 25. 11. 1937 ebd. UAG, Κ, XVI, II.a S. 16. Jessen an PMW (über Dienstweg), 14. 4. 1933 UAG, K, X.4.I.Nr. 122 S. 1 - 1 2 4 „Beurlaubung und Vertretung jüdischer Professoren", darin Aktennotiz vom 28. 3.1933
177
« UAG, Κ, XVLHa. S. 16. PMW an Jessen, 14. 7.1933 « Krause (1969), S. 68ff. M Scholder (1982); die näheren Umstände dieser Berufungen sind mir nicht bekannt. « Melnikow (1964) S. 187 ff.; Zeller (1963) S. 316; Mommsen (1970) S. 110, 112 f., 133 « Schmölders (1949) 67 UAG, K, SVI, n.a. S. 16. Oberregierungsrat Kasper an Valentiner, 8. 11. 1937 M ebd., Valentiner an Kasper, 25.11.1937 49 UAG, Κ, XVI,n,C, Pott an Kurator, 31.1.1933 70 ebd., Jessen an Gutmann, 8.12.1932 und Stellvertretender Kurator an Kurator, 6. 2.1933 7 ' UAG, K, XVI,n.a.S. 16, Kurator an REM, 3. 3.1933 Vgl. auch UAG, Κ, XVI, Π.Β.18.Η, Kurator an REM, 18. 5. 1934 72 UAG, K, XVLII.C.S. 5, Kurator an Vorsitzende der Prüfungsämter, 20. 6. 1933 73 UAG, K,XVI.n.A.a.22.n „Dr. Mitscherlich", Mitscherlich an REM (Dienstweg), 25. 11. 1933 74 Ebd., Rektor an Kurator, 30. 11. 1933 75 UAG, R, 2101, REM an Rektor, 19.12. 1933 76 Ebd., 11. 4.1934, REM an Mitscherlich, (Dienstweg) 77 UAG, K, XVI.II.B.41, Bd. 1, REM an Mitscherlich 8. 8. 1934 Ebd., REM an Albrecht, 24. 4.1934 78 Krohn (1981) S. 185 79 Ebd., Rektor an REM, 14. 9.1934 »o UAG, K, XVI.II.X.a.31, „Dr. Aubin" 81 UAG, R, 3203, Rektor an REM, 5.10.1934 82 UAG, K, XVI.II.C.S. 7, Bd. I Nr. 149 f. 83 UAG, R, 3203b, Dekan an REM, 6. 9.1935, REM an Gutmann, 20. 7. 35 84 UAG, R, 3203b, REM an Gutmann, 17. 8. 1935 85 UAG, R, 3203b, REM an Rektor, 21. 12. 1936 86 Strauss/Röder (eds.) (1983) S. 440 87 UAG, R, 3203b, REM an Rektor, 20. 7.1935 88 Eckhardt (1935) 89 ebd. 90 ebd. 91 UAG, Κ, XVI. Π. B. 30. Π Nr. 44 92 UAG, R, 3203, Dekan an Rektor, 27. 7. 1936 93 UAG, K, V.P.w, Bd. VIII 16. 5. 1935-20. 6. 1937 „Bekanntmachung und Zulassungen und allg. Prüfungsangelegenheiten", REM an nachgeordnete Dienststellen, 24. 3. 1937 94 Ebd. 95 UAG, K, XVI.II.B.41, Bd. I Nr. 3348 96 UAG, K, XVI.II.C.S. 1, 3. 5. 1935 Institut für math. Statistik an Rektor 97 UAG, R, 3203, Rektor an REM, 14. 9.1934 98 Ebd., Rektor an REM, 23. 5. 1934 99 Ebd., Rektor an REM, 23. 5. 1934. Die Rückberufung von Jessen sowohl wegen dessen fachlicher, persönlicher und politischer Qualitäten war vom Kurator Valentiner zusammen mit dem Dekan der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät H. Meyer betrieben worden. Valentiner bedauerte gegenüber dem Ministerium noch 1937, daß dem Antrag auf Rückberufung von Jessen „im Rahmen der damaligen Neuorganisation" nicht entsprochen werden konnte (vgl. UAG, Κ, XVI, Il.a.S. 16, Valentiner an Oberregierungsrat Kasper, 25.11. 37) 100 UAG, R, 3203, Rektor an REM, 14. 9.1934 101 ebd., Rektor an REM, 15.10. 1934 102 ebd., Rektor an REM, 14. 9. 1934 103 UAG, R, 3203, Prof. Muhs, Greifswald, an Rektor, 1.11.1934 104 Privatakten Passow, Anschuldigungsschrift im Dienststrafverfahren Passow 105 Kretschmar (1930) 106 UAG, R, 3203, Rektor an REM, 28. 8. 1934 107 UAG, R, 3203, Rektor an REM 108 UAG, R, 3210, A. Schürmann - Bericht über das Dozentenbundslager des Gaues Niedersachsen in Rittmarshausen am 24./25. 10. 1936 178
U A G , R, 2509 u.a. Herring (1937) 111 U A G , R, 4103, Siegert, Vorschläge . . . 14. 1.1935 Ebd. 113 U A G , Κ, XVI, V.A.a. 55, Dekan Plessner an den niedersächsischen Kultusminister, 19.12. 1957 114 U A G , K, XVI.II.C.S. 1, Nr. 3 - 4 und Nr. 3 6 - 6 3 »5 U A G , K, XVI.H.A.e.l. „Dr. Meusch" 116 Ebel (1962) 117 U A G , K, XVI.n.C.X.l, Nr. 22 118 U A G , R, 3401, Rektor an REM, 4. 7. 1935 119 U A G , R, 3401, Dekan an REM, 5.12.1935 120 Ebd. Rektor an REM, 7. 12.1935 und 23. 3.1936 121 Ebd. Rektor an REM, 7. 12.1935 122 U A G , R, 4103, Siegert, K., Bericht . . . , 6.10.1937 123 U A G , R, 3401, Rektor an REM, 7. 12. 1935 124 U A G , F, II.J.52.HI „Fakultät" 4, Führer der Dozentenschaft Blume an Dekan, 28. 11.1935 U A G , R, 3401, Rektor an REM, 16. 4.1937 126 Sombart (1934) 127 Gottl-Ottlilienfeld (1939) S. 75 f. 128 Pütz (1940) S. 93 129 Zum Werturteilsstreit vor dem 1. Weltkrieg, insbesondere auf der Tagung des Vereins für Sozialpolitik 1909 vgl. Weber/Topitsch (1952) 130 Schumpeter (1927) S. 272. 131 Pütz (1940) S. 94 und Anm. 1 S. 124 f. » 2 Rath (1935) 133 ebd. S. 63 134 Krause (1969) S. 78 f. 135 Zur Bedeutung der Abkehr von dem Wertfreiheitspostulat vgl. Pütz (1940); zu dem Unterschied zwischen „jüngeren" und „älteren" Wissenschaftlern in dieser Frage vgl. insbesondere Anm. 2, S. 94 134 U A G , R, 3203, Schürmann an Konrad Meyer, 11. 6. 1936; ebd. Neumann an Archivrat Dr. Engel, 20. 6. 1936; U A G , R, 4103, Rath an Dr. v.Renteln, 18. 6.1936 137 U A G , F, III.4.a, Dekan an REM, 14. 9.1936 138 U A G , K, XVI.II.B.18, Nr. 90 ff. 139 Ebd. Nr. 86, 30. 3.1937; ebd. Nr. 88; sowohl Rath als auch Weigmann waren die Kandidaten des NSD-Dozentenbundes, U A G , F, II.J.l. Dekanat III Fakultät, Siegert an Reichsamtsleitung des NSD-Dozentenbundes - Redenz, 16. 8. 1937 140 Ebel (1962) 141 U A G , K, XVI.II.B.18, Nr. 62, Beurteilung Weigmanns durch NSDAP-Gauleitung Sachsen, NSDDozentenbund, 20. 8. 1936 142 U A G , R, 4103, Siegert, Bericht . . . , 6. 10.1937 143 U A G , R, 4103, Siegert, Bericht . . . , 6.10.1937 144 Ebel (1962) 145 U A G , Κ, XVI, V.A.a.55, Hannoversche Neueste Nachrichten, 24. 2.1949, Zeitungsausschnitt: „Fakultät Schürmann" 146 Privatakten Passow, Anschuldigungsschrift im Dienststrafverfahren gegen Prof. Passow, 12.12 .1942 147 Interview mit Dr. Karl Branner, 28. 3. 1983 148 U A G , R 4103, Siegert, Bericht . . . , 6.10. 1937 149 Privatakten Passow, Anklageerhebung im Dienststrafverfahren gegen Prof. Passow, 4.12. 1938 150 ebd., Siegert an Dorschel, 25. 1. 1939 151 ebd., Anklageerhebung im Dienststrafverfahren gegen Prof. Passow, 31. 3. 1942 152 Ebd. 153 U A G , K, XVI.H.B.41, Bd. I, Rektor an REM, 30. 8. 1938 109 110
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Privatakten Passow, Verfügung des Ministeriums v. 8. 4. 1940, Verfügung WP Passow 2J (6) '55 UAG, K, XVI.II.a.l8.n, Bojunga an REM, 10. 2. 1947 156 Privatakten Passow, Aktennotiz zum Gespräch zwischen Passow und Ministerialrat Kasper in Berlin am 4. 4. 1940 157 UAG, K, XVI.n.X.a. 18.11, 10. 2. 1947 158 Ebd. 12. 4. 1940 und 13. 4. 1945 15' UAG, K, XVI.n.B.41, Bd. 1, Fakultät an REM, 25. 2. 1939 160 UAG, R, 3307b, Rath und Weigmann an Rektor, 10. 8. 1944 161 UAG, F, II.J.l. Dekanat III Fakultät, Siegert an Reichsamtsleitung des NSD-DozentenbundesRedenz, 16. 8. 1937 i « Ebel (1962) UAG, K, XVI.II.B.18, Nr. 127, Dekan an REM, 14.12.1938 144 Ebd., Prof. Dr. Dr. Fr. Hoffmann an Dekan, 11. 11. 1938 i«5 Nämlich Weippert, Rittig, Egner, Schaeder, UAG, K, XVI.II.B.18, Nr. 212 und 223 Ebel (1962) ν * Rath (1935) "8 Ebel (1962) 1W Vorlesungsverzeichnis WS 1938/39 170 Vorlesungsverzeichnis für das SS 1937 und WS 1937/38 171 Vorlesungsverzeichnisse 1937 - 1940; Ch. Lorenz (1943) Bd. 1, S. 120 - 1 2 4 und S. 212 - 235 172 Rath (1937) und Kretschmar (1937) in Schürmann (1937) 173 Rath (1936); ders. (1938a); ders. (1938b) 174 Rath (1938a), sowie UAG, F, II.J.l. 175 UAG, F, II.J.l, Offener Brief von H. Peter an K.-W. Rath im Juli 1938 176 Möller (1964) 177 Brief von E. Densau an H.-J.Dahms vom 9. 8.1984. Tatsächlich hatte Rath Zahlungen für Arbeiten für den Untersuchungsausschuß der R.V.A. in erheblicher Höhe erhalten, UAG, K, XVI.II.C.S.l, Nr. 46 bis 55; desgleichen gingen Zahlungen ein von M. Bormann, UAG, K, XVI.II.C.S.l, Nr. 2 9 - 7 2 178 Brief von E. Densau an H.-J. Dahms vom 9. 8. 1984 i 7 ' Rath (1942) Konkurrenzsystem, Organisationsform und Wirtschaftlichkeit im Versicherungswesen i 80 Brief von E. Densau an H.-J. Dahms vom 9. 8. 1984 « ι Ch. Lorenz (1943), Bd. 1 182 UAG, K, XVI.II.B.41, Rektor an REM, 2. 2. 1942 " J UAG, F, n.J.49, Dekan an Rektor, 14. 9. 1942; ebd., Dekan an Rektor, 4. 1. 1943 184 UAG, K, XVI.II.49, Dekan an Rektor, 11. 6.1943 185 Statistisches Jahrbuch des deutschen Reiches 1933 und Ch. Lorenz (1943) Bd. 1 i«6 UAG, F, H.J.47.V, Dekan an Rektor, 25. 5.1944 187 U A G , K. XVI.n.d.22, Frau Kretschmar an Kurator, 21.12.1945. Kretschmar war von der Militärregierung in Unkenntnis seines Ablebens am 19. 7. 1945 entlassen worden; UAG, K, XVI.II. A.a.37 188 Rath am 6. 7. 1945 UAG, K, XVI.II.B.18, Kurator an REM, 26. 1.1948; UAG, Κ, XVI II.C.S.l w UAG, R, 3207,11, Rektor an Kurator, 29. 1. 1952 wo UAG, Κ, XVI, Π.Β.18.ΠΙ i'i Ebel (1962) i' 2 UAG, K, XVI.II.C.S.1, Nr. 105 u. 152 i " Ebel (1962) 194 UAG, K, XVI.II.C.S.l, Passow an Kurator 12.1. 1948 i' 5 UAG, K, XVI.II.B.18.III i " Je nach Autoren fällt die personelle Beschreibung der „Gottl-Schule" anders aus. Während Pütz (1940) S. 94 und in Anlehnung an ihn Krause (1969) S. 116), einschließlich der genannten 5 Göttinger Wissenschaftler namentlich 15 Personen zu dieser „Schule" zählen, führt Krohn (1981) S. 182 neben Rath, Wendt und Kretschmar nur E. Egner und K. Wiskemann auf. Diese Wissenschaftlergruppe war selbst nach der umfangreicheren Aufstellung von Pütz (1940) auf einige wenige Hoch154
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schulen konzentriert. Örtliche Schwerpunkte für diese Gruppe bildeten neben der Universität Berlin im gleichen und vielleicht sogar stärkeren Maß Göttingen. Zu diesen beiden Orten trat mit Abstand Graz mit seinem Forschungsinstitut für deutsche Volkswirtschaftslehre (Vgl. Kürschners Deutscher Gelehrtenkalender 1940/41).
Quellen- und Literaturverzeichnis Ungedruckte Quellen Akten des Universitätsarchivs Göttingen Privatakten der Familie Passow Dokumentiertes Gespräch mit Dr. Karl Branner, 28. 3. 1983
Gedruckte Quellen Archiv für rassenkundliche Berufsstatistik (1931): Der jüdische Einfluß auf den Deutschen Hohen Schulen, Heft 7, Universität Breslau, 2. Teil, ohne Ortsangabe Chroniken der Georg-August-Universität zu Göttingen 1903 —1930 Deutsches Führerlexikon 1934/1935, Berlin (im UAG) Statistische Jahrbücher des Deutschen Reiches 1926 bis 1932 Kürschners Deutscher Gelehrtenkalender 1940/41, Berlin Ch. Lorenz (1943) Zehnjahresstatistik des Hochschulbesuchs und der Abschlußprüfungen Bd. 1. Hochschulbesuch. Hrsg. vom Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung. Berlin. Vorlesungsverzeichnisse der Universität Göttingen
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181
H. Herring (1937) Die Nebenerwerbssiedlung in Zusammenhang mit der Auflockerung der Wohn- und Arbeitsplätze, Düsseldorf G. Kasper, F. Senger (Hg.) (1939) Studien- und Prüfungsbestimmungen für Volkswirte, Kaufleute und Handelslehrer, Berlin W. Koch (1949) Richard Passow t , in: Der Wirtschaftsprüfer, Nr. 5, 29. 3.1949 W. Krause (1969) Wirtschaftstheorie unter dem Hakenkreuz, Berlin H. Kretschmar (1930) Die Einheit der Volkswirtschaft in der älteren deutschen Wirtschaftslehre, in: Probleme der Weltwirtschaft, Bd. 50 ders. (1937) Hochschule und Raum, in: Schürmann (Hg.) (1937) K.-D. Krohn (1981) Wirtschaftstheorien als politische Interessen. Die akademische Nationalökonomie 1918-1933, Frankfurt/M., New York D. Krüger (1983) Nationalökonomen im wilhelmischen Deutschland, Göttingen W. Kunkel (1966) Der Professor im Dritten Reich, in: Die deutsche Universität im Dritten Reich, München D. Melnikov (1964) 20. Juli, Legende und Wirklichkeit, Berlin W. Mitscherlich (1921) Skizze einer Wirtschaftsstufentheorie, in: Weltwirtschaftliches Archiv, Bd. 16, Heft 2 und 3, Kiel Meyers Großes Taschenlexikon (1981) Mannheim, Wien, Zürich A. Möller (1964) Regionaler Versicherungsaufbau, in: Versicherungswirtschaft Nr. 5, September 1964, Karlsruhe T. Mommsen (1970) The German Resistance to Hitler, Berkeley, L.A. R. Passow (1927) Kapitalismus, Jena, 2. Auflage T. Pütz (1940) Uber den Erkenntnisgegenstand der Volkswirtschaftslehre, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Bd. 100 K. W. Rath (1935) Die Aufgabe einer Selbstbesinnung der Finanzwissenschaft, in: Finanzarchiv N.F., Bd. 3 ders. (1936) Judentum und Wirtschaftswissenschaft, Berlin ders. (1937) Um Volk und Wirtschaft, in: Schürmann, A. (Hg.) (1937) ders. (1938a) Um die Brechung des jüdischen Einflusses in Wirtschaft und Wirtschaftswissenschaft, in: Die nationale Wirtschaft (Organ des NS-Rechtswahrerbundes), Heft Nr. 7 ders. (1938b) Artikelserie in der Essener Nationalzeitung: Jüdische Ausbeutung, 27.10.1938; Jüdische Wirtschaftsbetätigung, 30.10.1938; Jüdische Wissenschaft, 1.11.1938; Jüdische Verwirrungsmethoden, 9.11. 1938; Befreiung vom jüdischen Alpdruck, 15. 11. 1938 ders. (1942) Konkurrenzsystem, Organisationsform und Wirtschaftlichkeit im Versicherungswesen, Berlin H. Ritsehl (1931) Gemeinwirtschaft und Kapitalistische Marktwirtschaft, Tübingen G. Ritzel (1950) Schmoller versus Menger, eine Analyse des Methodenstreits in Hinblick auf den Historismus in der Nationalökonomie, Basel H. A. Strauss, W. Röder (eds.) (1983) International Biographical Dictionary of Central European Emigrees, 1933-45, Vol. Π, 1, 2, The Arts Sciences and Literature, München, New York, London, Paris G. Schmölders (1949) In memoriam Jens Peter Jessen, in: Schmollers Jahrbuch, 59. Jg., S. 3 — 4 K. Scholder (1982) Die Mittwochsgesellschaft, Berlin A. Schürmann (Hg.) (1937) Volk und Hochschule im Umbruch, Oldenburg, Berlin J. A. Schumpeter (1927) Die Wirtschaftstheorie der Gegenwart in Deutschland, in: ders. Dogmenhistorische und biographische Aufsätze, Tübingen (1954) W. Sombart (1934) Der Deutsche Sozialismus, Berlin G. Stavenhagen (1964) Geschichte der Wirtschaftstheorie, 3. Auflage, Göttingen W. Weber, E. Topitsch (1952) Das Wertfreiheitsproblem seit Max Weber, in: R. Jochimsen, H. Knobel (1971) Gegenstand und Methoden der Nationalökonomie, Köln E. Zeller (1963) Geist der Freiheit, München 182
Die Medizinische Fakultät im Dritten Reich* ULRICH BEUSHAUSEN, HANS-JOACHIM DAHMS, THOMAS KOCH, ALMUTH MASSING und KONRAD OBERMANN
Einleitung Die Bearbeitung des Themas „Medizin und Mediziner im Nationalsozialismus" hat in der deutschen Nachkriegsgeschichte einen eigenartigen Verlauf genommen. Sie begann so schnell und intensiv wie wohl in keinem anderen akademischen Fach bzw. Berufszweig. Dies ist dem Umstand zu verdanken, daß die Arbeitsgemeinschaft westdeutscher Ärztekammern eine Kommission unter Leitung des damaligen Heidelberger Privatdozenten Alexander Mitscherlich zur Beobachtung des Nürnberger Ärzteprozesses geschickt hatte und daß diese Kommission schon kurz nach Beginn des Prozesses eine erste Dokumentation „Das Diktat der Menschenverachtung" erstellte, die bereits im Frühjahr 1947 erschien. 1 Aber mit dieser Publikation hatte das Interesse der Ärzteschaft am Thema offenbar schon seinen Höhepunkt überschritten. Denn an den Enthüllungen über die nationalsozialistischen Medizinverbrechen (vor allem Menschenversuche und „Euthanasie") entzündete sich sofort weniger eine öffentliche Debatte als vielmehr eine heftige, teils öffentlich, teils hinter den Kulissen betriebene Kampagne, deren Ziel es war, Mitscherlich mundtot zu machen, seine Dokumentation zu diskreditieren und die von ihm ans Licht gebrachten Sachverhalte dem bald üblichen „kommunikativen Beschweigen" anheimfallen zu lassen. Wie wir sehen werden, war an dieser Auseinandersetzung an vorderster Stelle auch der prominente Göttinger Physiologe und zweite Nachkriegsrektor Hermann Rein beteiligt. 2 Es ist sicherlich eine Folge der Kampagne, daß die nach Prozeßende unter dem Titel „Medizin ohne Menschlichkeit" publizierte erweiterte — und in einigen wenigen Punkten korrigierte — Fassung der Dokumentation von der medizinischen Zunft totgeschwiegen wurde3 und ihr Hauptautor Mitscherlich schon zu Beginn der 50er Jahre allenthalben als „ein neuer Gumbel" 4 erschien. Danach dauerte es lange Jahre, ehe das Thema wieder aufgegriffen und vor allem um jene zahlreichen Bereiche erweitert wurde, die für die Medizin im Nationalsozialismus ebenfalls charakteristisch sind, obwohl sie in Nürnberg nicht verhandelt worden waren. Als das deutsche Ärzteblatt sich schließlich im Jahre 1988/89 dazu entschloß, das zu tun, was schon gegen Ende der vierziger Jahre angebracht gewesen wäre, nämlich eine längere Artikelserie zum Thema „Medizin im Nationalsozialismus" zu bringen 5 , konnten die daran beteiligten Autoren auf eine etwa seit Beginn der 80er Jahre immer stärker angewachsene Reihe von Publikationen zurückgreifen, die ihrerseits schon Anlaß zu zusammenfassenden Literaturüberblicken und Bibliographien geworden sind.4 Die Erforschung der nationalsozialistischen Zeit an den medizinischen Fakultäten ist hinter dieser neueren Entwicklung zunächst zurückgeblieben. Der erste Anlauf wurde hier von einer studentischen Arbeitsgruppe an der Universität Gießen genommen, die ihre Dokumentation „Aeskulap und Hakenkreuz" im Jahre 1982 publizierte. 7 Etwa zu dieser Zeit begann auch die Arbeit an einer Untersuchung an der Universität Hamburg, die schließlich 1989 unter dem Titel „Medizinische Wissenschaft im ,Dritten Reich* " vorgelegt wurde.8 183
Obwohl inzwischen auch Publikationen über andere medizinische Fakultäten bzw. entsprechende Kapitel bzw. Passagen über diese in allgemeineren universitätsgeschichtlichen Darstellungen erschienen sind9, werden sich an der umfangreichen Hamburger Studie sowie einer kurze Zeit später erschienenen Untersuchung für die Freiburger Medizinische Fakultät 10 wohl alle künftigen derartigen Untersuchungen orientieren müssen. Zur Medizinischen Fakultät der Universität Göttingen im Nationalsozialismus existierte nur Weniges an Vorarbeiten. In der Nachkriegszeit — etwa zu Jubiläen — erschienene historische Darstellungen übergehen diese Zeit selbst dann, wenn sie von Autoren geschrieben wurden, die in Konflikte mit dem NS-Regime verwickelt gewesen waren. Jedoch ist erwähnenswert, daß einige Medizinprofessoren wie insbesondere Peter-Emil Becker, Joachim Ernst Meyer und Ulrich Venzlaff sich — ausführlicher meist erst nach ihrer Emeritierung — wissenschaftlich mit der Vergangenheit ihrer jeweiligen Disziplinen auseinandergesetzt haben11 und daß die Fakultät im Wintersemester 1989 eine Ringvorlesung zum Thema angeboten hat, die später auch publiziert wurde.12 Zu Beginn unserer Arbeit an der Fakultätsgeschichte konnte man sich dagegen fast ausschließlich auf Christiane Borscheis Dissertation „Das Physiologische Institut der Universität Göttingen 1840 bis zur Gegenwart" stützen13, die in mehreren Kapiteln auch die Ara Hermann Rein in der Zeit von 1932 bis 1952 schildert.14 In welchem Umfang und in welcher Intensität die medizinische Fakultät der Universität vom Denken und Handeln des Nationalsozialismus erfaßt wurde, wird im Folgenden untersucht. Dabei muß der Schwerpunkt auf der Darstellung jener Komplexe liegen, die für das Thema „Nationalsozialismus und Medizin" typisch sind (während diejenigen Aspekte beiseite gelassen werden, in denen sich an der Fakultät gegenüber „normalen Zeiten" nichts wesentlich geändert hatte). Es geht also um folgende Sachverhalte: 1) die „Säuberung" des Lehrkörpers und der Studentenschaft von rassisch und politisch mißliebigen Fakultätsangehörigen, 2) der — in Göttingen ausnahmsweise gescheiterte — Versuch der Inthronisation der Rassenhygiene als medizinisches Zentralfach des Nationalsozialismus, 3) die Praxis der Zwangssterilisierungen als Umsetzung der von der Rassenhygiene propagierten „Negativauslese", 4) die „Euthanasie" und schließlich 5) die Fakultät im Kriege mit dem Schwerpunkt auf „kriegswichtiger Forschung" in der Anatomie und der Physiologie. Es sei hier schon darauf hingewiesen, daß in die Komplexe „Zwangssterilisierung", „Euthanasie" und „kriegswichtige Forschung" mit den Professoren Heinrich Martius, Gottfried Ewald und Hermann Rein in Göttingen gerade solche Hochschullehrer verwickelt waren, die einerseits sämtlich keine Mitglieder der NSDAP waren und andererseits auf nationaler, im Falle Rein auch auf internationaler Ebene zur wissenschaftlichen Spitzengruppe ihres jeweiligen Fachs gehörten. Ewald genießt seit langem einen schon fast legendären Ruf, weil er als einziger Hochschullehrer einen schriftlichen Protest gegen die „Euthanasie" eingereicht hatte. Dies Bild wird im Folgenden etwas schärfere Konturen gewinnen. Auch bei Martius und Rein wird die Frage von Mitmachen oder Verweigern aufgeworfen. In einem abschließenden Kapitel sollen ferner die Versuche einer Aufarbeitung der Vergangenheit im Nationalsozialismus an der medizinischen Fakultät nach 1945 - bzw. die Gründe für ihr Ausbleiben — dargestellt werden. Dabei zeigt sich, in welchem Zusammenhang die verschiedenartigen Reaktionen (zwischen bewußter Teilnahme an der Bewältigung 184
der Vergangenheit auf der einen und starrer Abwehr auf der anderen Seite) mit den vorhergehenden Handlungsweisen in der Zeit der NS-Herrschaft stehen.
1. Die Göttinger Medizinische Fakultät vor 1933 Um einen Ausgangspunkt für die Darstellung der folgenden nationalsozialistischen Zeit zu bekommen, muß zunächst die „Ausgangslage" der Fakultät in der Zeit vor der nationalsozialistischen Machtübernahme skizziert werden. Ein naheliegender Weg, sich die Größe und Bedeutung der Fakultät zunächst rein quantitativ vor Augen zu stellen, besteht in er Betrachtung von Hochschullehrer- und vor allem Studentenzahlen. Mit ihren 16 Ordinarien, 14 nichtbeamteten Extraordinarien und 20 Privatdozenten gehörte die Göttinger medizinische Fakultät am Ende der Weimarer Republik im Sommersemester 1932 zu den kleineren Fakultäten im Reichsgebiet.15 Hinsichtlich der immatrikulierten Studenten lag sie damals mit 578 Studenten mit Greifswald (537), Gießen (499) und Halle (454) ganz am Ende der Statistik, weit hinter den führenden Berliner (2907) und Münchener (2442) Fakultäten und auch noch deutlich hinter Hochschulorten wie etwa Würzburg (1593), Bonn (1422), Heidelberg (1308) und Freiburg (1248).16 Die Göttinger Fakultät gehörte aber in der Zeit des Nationalsozialismus zu den wenigen medizinischen Fakultäten, die bis zum letzten Friedenssemester, dem Sommersemester 1939 — bei nur leicht abnehmenden absoluten Studentenzahlen — ihren Rangplatz nach der Studentenfrequenz verbessern konnten. Sie wurde im Zweiten Weltkrieg — bei nur geringfügig veränderter Zahl an Hochschullehrern17 — zu den meistbesuchten medizinischen Forschungs- und Lehreinrichtungen des Deutschen Reiches (siehe unten S. 229). Die organisatorische Gliederung der Fakultät blieb in der gesamten Zeit bis 1945 im Wesentlichen konstant: aus den sechs theoretischen Anstalten (der Anatomie, der Physiologie, der Pharmakologie, der Pathologie, der medizinischen Chemie und Hygiene sowie der Gerichtsmedizin) ging lediglich die Physiologische Chemie 1940 als neues Institut aus der Physiologie hervor.18 Bei den klinischen Anstalten, also den zu den „vereinigten Kliniken" zusammengefaßten medizinischen Klinik, der chirurgischen Klinik, der Frauenklinik und der Kinderklinik sowie der Augenklinik, der Psychiatrie, der Hals-, Nasen-, Ohrenklinik, der Klinik für Haut- und Geschlechtskrankheiten und der Zahnklinik blieb die Organisationsstruktur unverändert. An baulichen Veränderungen ist zu vermerken, daß die Physiologie, die bis dahin in beengten Verhältnissen in der Burgstraße untergekommen war, 1938 einen Neubau am Ludendorffring (heute: Kreuzbergring) bezog19, während die Hygiene sich ab 1941 schräg gegenüber im umgebauten früheren Waisenhaus einrichten konnte. Der geplante Neubau der Psychiatrie blieb dagegen während der Zeit des Nationalsozialismus unausgeführt. Über die wissenschaftliche Bedeutung der Fakultät vor der nationalsozialistischen Machtübernahme läßt sich kaum ein pauschales Urteil fällen. Es scheint aber, daß die zu größeren Teilen veraltete Bausubstanz und mangelhafte Ausstattung weder für Studenten noch für ehrgeizige Hochschullehrer sonderlich attraktiv gewesen ist. Das gilt besonders für die Institute, die noch nicht in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts zwischen Humboldtstraße und Goßlerstraße einen Neubau erhalten hatten, sondern in ihren noch älteren Räumen an der Geiststraße, in der Burgstraße und am Steinsgraben ausharren mußten. Andererseits führte diese Konstellation dazu, daß man solche Institute gegen Ende der Weimarer Republik und in der frühen Nazizeit zum Teil sehr jungen Professoren anbot, die noch keine großen An185
sprüche stellen konnten. Zu diesen gehörten auch Hermann Rein und Gottfried Ewald. Man muß sagen, daß sich das mit solchen Berufungen eingegangene Risiko für die Fakultät voll bezahlt machte. Denn auf diese beiden wie auch auf den kurze Zeit vorher berufenen Gynäkologen Heinrich Martius ging es vor allem zurück, daß das Ansehen der Fakultät in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit und ihre Attraktivität für die Studenten in der Folgezeit stetig zunahmen. Da für die Entwicklung nach 1933 im großen Umfang politische und auch „rassische" Umstände bestimmend wurden, müssen diese in die Bestandsaufnahme vor 1933 einbezogen werden. Wie sah es also mit den politischen Kräfteverhältnissen in der Fakultät vor 1933 aus? Zu Beginn der Weimarer Zeit scheint die Medizinische Fakultät noch eine Hochburg des Liberalismus in der Professorenschaft gewesen zu sein.20 Mit dem Hygieniker Hans Reichenbach hatte sich ein Ordinarius — und zudem der amtierende Rektor der Universität — am 2. März 1919 für die rechtsliberale Deutsche Volkspartei (DVP) in die Stadtverordnetenversammlung wählen lassen.21 Noch größeren Rückhalt hatte die linksliberale Deutsche Demokratische Partei (DDP) im Lehrkörper der Medizinischen Fakultät gehabt. So unterzeichneten die Professoren Paul Jensen (Physiologie), Josef Igersheimer (Augenheilkunde), Carl Mannich (Pharmazeutische Chemie) und Friedrich Merkel (Anatomie) schon Ende November 1918 einen Aufruf an die „Männer und Frauen Göttingens, Stadt und Land!" zur Gründung einer ,,große(n) demokratische(n) Partei für das einige Reich", in dem sie sich „entschlossen auf den Boden der republikanischen Staatsform" stellten und „den neuen Staat gegen jede Reaktion verteidigen" wollten.22 Außer Jensen trat nach der Gründung der DDP auch der Pharmakologe Wolfgang Heubner bei den zahlreichen politischen Debatten in der Stadt für diese Partei auf.23 Selbst der spätere langjährige Dekan in der Nazizeit Rudolf Stich war — von der Gründung bis zur Weigerung seiner Partei, bei der Reichspräsidentenwahl 1925 Hindenburg zu unterstützen — Mitglied der DDP gewesen24, ohne jedoch für diese Partei öffentlich in Erscheinung zu treten. Während also unmitttelbar nach der Revolution von 1918/19 ein erstaunlich großer Teil der medizinischen Ordinarien und Extraordinarien mit dem Liberalismus sympathisierte, gab es nur einen einzigen Privatdozenten an der Fakultät, der nach 1918 öffentlich für die linksliberale DDP auftrat. Es handelte sich um den Hygieniker Werner Rosenthal, der schon als Student vor dem ersten Weltkrieg in der — zumindest in Göttingen — linksliberal dominierten Freistudentenschaft aktiv gewesen war und sich als junger Privatdozent und Göttinger Führer der liberalen „Freisinnigen" öffentlich mit der Forderung nach Einführung der parlamentarischen Demokratie exponiert hatte.25 Sein politisches Engagement brachte ihm später bei den völkischen Gegnern dieser Partei zusätzlich zu seiner Nennung auf einer .Judenliste" der Universität Göttingen die durchaus abfällig gemeinte Bezeichnung „Demokrat" ein.26 In Folge von Emeritierungen, Rufen an andere Universitäten und nicht zuletzt (wie im Fall Stich) durch politische Umorientierungen wurden die liberalen Kräfte an der Fakultät im Laufe der 20er Jahre ständig schwächer. Bezeichnend dafür ist, daß einzig Rosenthal von den Linksliberalen der ersten Stunde der Weimarer Demokratie noch in ihrem Lehrkörper geblieben war. Dagegen spielten im Laufe der Weimarer Zeit die völkischen und insbesondere auch die nationalsozialistischen Kreise eine immer stärkere Rolle.
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Die außerordentlich starke Vertretung von Nationalsozialisten unter den Medizinern ist allgemein bekannt und in der Literatur verschiedentlich hervorgehoben worden.27 Michael Kater ist nach Auswertung einer großen Stichprobe zu dem Schluß gekommen, daß die Arzte mit 44,8 % Mitgliedern in der NSDAP entweder schon vor 1933 oder zwischen 1933 und 1945 dreimal so stark repräsentiert waren, als es ihrer Anzahl in der Gesamtbevölkerung entsprochen hätte.28 In vergleichbaren sozialen Gruppen von Akademikern wie den Rechtsanwälten, Lehrern und Ingenieuren seien höchstens halb so viele Parteimitglieder zu finden gewesen als unter den Medizinern.29 Wie steht es nun mit der NSDAP-Mitgliedschaft von Angehörigen der Göttinger Medizinischen Fakultät vor 1933? Generell liegen uns für diese Zeit keine lokalen statistischen Daten vor. Dafür, daß die politische Tendenz hier ähnlich gewesen sein dürfte, spricht die Tatsache, daß Göttinger Mediziner auch in Leitungsfunktionen von NS-Parteiorganisationen in der Stadt und der Universität führende Rollen spielten, während auf gesamtstaatlicher und regionaler Ebene das Gegenteil der Fall gewesen zu sein scheint.30 Allerdings muß dabei säuberlich nach den Personalkategorien der Studenten, Nichtordinarien und Ordinarien differenziert werden. Für die Gruppe der Göttinger Studenten sticht nun hervor, daß sowohl der Gründer der Ortsgruppe Göttingen der NSDAP, Ludolf Haase, als auch der Gründer der Hochschulgruppe des NSDStB in Göttingen, Walter Gross, Medizin studierten bzw. studiert hatten. Da Haase es schon weit vor 1933 zeitweise zum Gauleiter der Partei brachte und Gross nach 1933 sogar Leiter des rassenpolitischen Amtes der NSDAP wurde31 und beide im übrigen nach 1933 im Zusammenhang mit der geplanten Einrichtung eines Lehrstuhls für Rassenhygiene in Göttingen eine — freilich recht unterschiedliche — Rolle gespielt haben, soll auf den Zusammenhang ihres beruflichen und politischen Werdegangs in Göttingen hier etwas näher eingegangen werden. Ludolf Haase hat 1941 seine politische Karriere in einem für die Frühgeschichte der NSDAP in Niedersachen einzigartigen umfangreichen Bericht mit dem Titel „Aufstand in Niedersachsen" dargestellt.32 In dieser Zeit, nämlich am 5.8.1941, hat der am 6.1.1898 geborene Haase auch für sein schließlich dem Ende entgegen gehendes Promotionsverfahren einen Lebenslauf abgefaßt.33 Darin wird ein enger Zusammenhang von Studium und Politik erkennbar. Haases politische Karriere führte ihn — bei diversen Studienunterbrechungen — vom Gründer der Ortsgruppe Göttingen der NSDAP im Frühjahr 1922 bis zum Gauleiter des Gaues Braunschweig-Südhannover im Jahre 1928. In seiner Dissertation „Uber das Syndrom der Akrokephalosyndaktylie" wird schon auf der ersten Seite die „Frage der Bildungsinfluenz" aufgeworfen, die „nicht nur vom wissenschaftlichen Interesse, sondern auch deshalb von Bedeutung (sei, Verf.), weil im Falle der Erblichkeit das Sterilisationsgesetz bei derartig schwer beeinträchtigten Kranken zur Anwendung kommen muss". Der Haase offenbar nicht nur kollegial, sondern auch politisch eng verbundene Pathologe Prof. Georg Gruber beurteilte Haases Leistung mit „sehr gut".34 Walter Gross, am 21.10.1904 in Kassel geboren, begann sein Studium im Sommersemester 1923 und machte im Juni 1928 in Göttingen sein medizinisches Staatsexamen. Gleich danach schritt er mit fünf Gesinnungsgenossen zur Gründung einer Hochschulgruppe des NSDStB, deren Führer er wurde.35 In seiner Dissertation untersuchte er die „Habitusform Gallensteinkranker", wobei „berücksichtigt wurde die Altersverteilung, Pigmentierung, Augenfarbe, Körpergröße, Brust-, Bauch- Hüftumfang, Unter-, Mittel-, Oberlänge, der Index nach Becher-Lerhoff, sowie die Schädelmasse und ihre Indices".36 187
Trotz dieses enormen Messaufwands war, wie sein Doktorvater, der Chirurg Prof. Karl Heinrich Bauer, in seinem mit der Beurteilung „gut" abschließenden Gutachtens meinte, das Untersuchungsergebnis „insofern ein negatives, als sich ein besonderer Habitustyp als besonders häufig nicht hat erweisen lassen".37 Gross wurde noch 1933 zum Leiter des rassenpolitischen Amtes der NSDAP. Mit dieser Organisation hatte er maßgeblichen Einfluß auf die gesamte Rassenpolitik des Regimes und machte davon, wie wir sehen werden, auch in Göttingen rigorosen Gebrauch. Er gehörte auch zu den ersten Propagandisten einer „endgültigen Lösung der Judenfrage".38 Unter den NichtOrdinarien taten sich im Lehrkörper der Medizinischen Fakultät nach 1933 besonders der Anatom Werner Blume und der Gynäkologe Emil Wehefritz hervor.39 Die Anzeichen dieser späteren Karrieren waren bei den beiden unterschiedlich stark ausgeprägt. Obwohl Blume der NSDAP unstreitig jedenfalls seit 1928 angehörte und schon deshalb einer der ältesten „alten Kämpfer" an der Universität war, bemühte er sich doch um den Nachweis, schon seit 1923 außer in der SA Niederbayern auch bereits Mitglied in der NSDAP gewesen und in der Zeit des Parteiverbots nach dem gescheiterten Putschversuch illegal aktiv geblieben zu sein.40 Wehefritz trat der Partei erst zum 1. Mai 1933 bei. Schließlich ist die Gruppe der Medizinprofessoren hinsichtlich ihres politischen Engagements zu betrachten. Von ihnen ist unseres Wissens keiner das Risiko eingegangen, sich vor 1933 mit offenen Stellungnahmen zugunsten des Nationalsozialismus zu exponieren. Diese Zurückhaltung gaben aber vier von ihnen, nämlich der Pädiatriker Prof. Hans Beumer, der Anatom Prof. Hugo Fuchs, der Gerichtsmediziner Prof. Berthold Mueller und der Hygieniker Prof. Franz Schütz bereits am 1. April 1933 auf.41 Sie waren damit die ersten Göttinger Ordinarien überhaupt, die der NSDAP beitraten. Beumer festigte sein Engagement durch sein Wirken als Dekan — und damit unter nationalsozialistischen Vorzeichen als „Führer" (S. 54) - der Medizinischen Fakultät, bevor er sich zum WS 1935/36 durch Mueller ablösen ließ.42 Die besondere Anfälligkeit von Medizinern für den Nationalsozialimus wird in der wissenschaftlichen Literatur unter anderem durch die — im Zeichen der Weltwirtschaftskrise verschärfte — Arbeitsmarktkonkurrenz gegenüber den in der Medizin überproportional vertretenen Juden erklärt, die sich die Nationalsozialisten propagandistisch zunutze machten, indem sie einen Abbau der „Arzteschwemme" durch Reduktion der Zahl jüdischer Arzte forderten.43 Wie sah es damit in Göttingen aus? Die „rassischen Verhältnisse" sowohl an der Medizinischen Fakultät als auch in der Ärzteschaft in Göttingen hätten kaum Anhalt für eine auf dem Konkurrenzmotiv aufbauende Propaganda geboten. Denn die Fakultät zählte unter ihren 16 aktiven Ordinarien vor 1933 nur einen einzigen, der nach den späteren nationalsozialistischen Kriterien eventuell als Jude einzustufen gewesen wäre, nämlich den Gynäkologen Heinrich Martius.44 Auf der Ebene der Nichtordinarien war die Präsenz von „Nichtariern" etwas größer. Fünf von 14 nichtbeamteten Extraordinarien und einer von 23 Privatdozenten stammten von jüdischen Vorfahren ab. Außer dem 1926 nach Göttingen berufenen Martius und dem erst 1932 zum Privatdozenten für Neurologie und Psychiatrie ernannten Paul Hoch waren übrigens alle „Nichtarier" der Fakultät in der 1928 in Umlauf gebrachten Schrift „Der jüdische Einfluß auf den deutschen hohen Schulen, Heft 1: Göttingen", ebenso wie im antisemitischen Nachschlagewerk „Semi-Kürschner" von 1929, Artikel „Göttingen" erwähnt45, so daß man davon ausgehen kann, daß der „Verjudungsgrad" der Medizinischen Fakultät bereits weit vor 1933 188
ein offenes Geheimnis in Göttingen war. Die vom Göttinger Tageblatt am 26.7.1933 unter diesem Titel öffentlich gemachte Ziffer bewegte sich bei etwa 13 Prozent und blieb damit deutlich hinter den Zahlen für die anderen Göttinger Fakultäten (natürlich mit Ausnahme der Theologischen) als auch hinter den meisten anderen medizinischen Fakultäten im Reichsgebiet zurück.44 Auch unter den Göttinger niedergelassenen Ärzten waren 1933 nur vier Juden.47
2. Die Medizinische Fakultät
1933-1945
2.1 „Säuberungs"-politik 2.1.1 ...
im Lehrkörper
Ebenso wie alle übrigen Medizinischen Fakultäten war auch die Göttinger von der antisemitischen Entlassungspolitik des neuen Regimes betroffen. Das war zunächst eine Folge des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" (BBG) vom 7. April 1933 mit seinem § 3, dem „Arierparagraphen", und seinen Bestimmungen gegen politisch Mißliebige (S. 40). Von diesen Bestimmungen wurden hier in einer ersten Entlassungswelle zunächst drei Dozenten betroffen. Die nb. ao. Professoren Kurt Blühdorn (Kinderheilkunde) und Felix Stern (Psychiatrie) wurden am 2.10.1933 aufgrund des § 3 entlassen, der Privatdozent Paul Hoch am 18.9.1933.48 Ihre weiteren Lebensläufe unterscheiden sich deutlich: Blühdorn ging zunächst als Kinderarzt nach Hannover. 1938 gelang ihm die Emigration in die USA. Ein besonders trauriges Schicksal erlitt Stern. Er zog nach Berlin um (eine damals häufige Reaktion auf Pressionen in einem antisemitischen Kleinstadtmilieu4') und betrieb dort ab 1935 eine private Praxis. Um im Herbst 1941 seiner Deportation zuvorzukommen, nahm er sich das Leben. Er war der einzige Göttinger Hochschullehrer, der so unmittelbar von Deportation und Ermordung im KZ bedroht war.50 Nach 1945 findet sich in offiziellen Listen über die von der Universität Vertriebenen kein Hinweis auf Sterns Selbstmord. Lediglich der Brief eines Hamburger Regierungsrats, der 1965 Anfrage wegen eines Entschädigungsverfahrens stellte, gibt in wenigen Zeilen überhaupt Auskunft darüber.51 Ganz anders war dagegen der Verlauf bei Hoch, der schon 1933 nach New York auswanderte und in den USA zum Prof. für Klinische Psychiatrie, zum Mitglied und auch zum Präsidenten mehrerer Psychiater- und Neurologenverbände avancierte sowie Mitherausgeber des „American Journal of Psychiatry" und Berater des Staates New York wurde.52 Der Pharmakologe Hans Handovsky und Rosenthal waren zwar Frontkämpfer gewesen und erfüllten insofern eine Ausnahmebedingung des „Arierparagraphen", doch konnten auch sie nicht ihre Lehrtätigkeit an der Universität fortsetzen. Handovsky hatte schon seit Jahren immer wieder Streitigkeiten mit der Fakultät und seinem Vorgesetzten Prof. Heubner gehabt.53 Wer auch immer für diese beiderseitigen Animositäten verantwortlich gewesen war — die Fakultät nutzte die Gunst der Stunde: Nachdem Handovsky auf „Anraten" des Dekans zunächst seine Vorlesungen des Sommersemesters am 1. Mai 1933 zurückgezogen hatte, sollte er wegen seines Frontkämpfertums im WS 1933/34 wieder lesen können. Der Kurator schrieb daraufhin an den Dekan Prof. Beumer ganz richtig, daß Handovsky unter die Ausnahmeregelung falle, und „politische 189
Unzuverlässigkeit" (§ 4 des BBG) könne nicht angenommen werden. Gemeinsam mit dem jetzigen Institutsleiter, Prof. Frey, sei er aber der Meinung, daß etwas geschehen müsse ob der Dekan an den Minister schreiben wolle.54 Beumer wandte sich daraufhin in einem Brief an den Wissenschaftsminister: Handovsky sei „menschlich und wissenschaftlich unerfreulich"; es sei „schwer verständlich", wenn gerade hier kein „Reinigungsprozeß" stattfinde.55 Eine Wiederaufnahme der Lehrtätigkeit im WS 1933/34 wurde so verhindert. Am 2.12.1933 gewährte der Minister Handovsky dann Urlaub für Forschungsaufenthalte im Ausland „vorbehaltlich einer Regelung gemäß des BBG". In Belgien fand Handovsky gute Arbeitsbedingungen, so daß er am 28. Januar 1934 demonstrativ auf seine Lehrbefugnis verzichtete.56 Noch 1936, als die Universität von einer belgischen Firma zu einer Stellungnahme bezüglich einer vorgesehenen Einstellung Handovskys gebeten wurde, urteilte Prof. Frey nach den Angaben des Dekans Mueller, er halte diesen „charakterlich durchaus nicht für einwandfrei", bei ihm sei „die Neigung aufgetreten, Kollegen gegeneinander aufzuhetzen". 57 Und der Dozentenschaftsführer Werner Blume schrieb: Handovsky sei „Volljude" und nach dem Verbot der Ausübung seiner venia legendi inzwischen „als Emigrationsjude" nach Belgien gegangen. In Göttingen sei er „eine der ganz unangenehmen jüdischen Erscheinungen an der Universität gewesen, mit der niemand etwas zu tun haben wollte". Zudem sei er mit der „Vollblutjüdin" Handovsky geb. Stein (einer niedergelassenen Göttinger Ärztin58) verheiratet gewesen, „die sich ebenfalls durch alle unangenehmen Charaktereigenschaften des auserwählten Volkes auszeichnete".59 Der Hygeniker Werner Rosenthal hatte schon seit Jahren zur Aufbesserung seiner unzureichenden Lehrauftragsvergütungen verschiedene Kreisassistenzarztstellen angenommen, offenbar in der Hoffnung, dort zum Kreisarzt aufzusteigen und dann materieller Sorgen entledigt zu sein. Die Fakultät bemühte sich 1925 um die Einrichtung einer Assistenzarztstelle für den 55-jährigen und verwies dabei auf seine hervorragenden wissenschaftlichen Leistungen auf dem Gebiet der Phagozytose-, Bakterienfiltrations-, Virus- und Immunitätsforschung. In diesem Zusammenhang fällt auch die verdächtig klingende (und auf Diskrimierung hindeutende) Formulierung: „Die Gründe, aus denen Rosenthal trotz anerkannt wissenschaftlicher Leistung das Endziel der akademischen Laufbahn nicht erreicht hat, sind hier nicht zu erörtern." Es sei eben nicht selten, daß gute Leute „durch die Ungunst der Umstände" gehemmt würden.60 Das Gesuch wurde dann vom Wissenschaftsminister mit Hinweis auf die angespannte Finanzlage abgelehnt.61 Seine Frau, die als Beamtin seit seiner Pensionierung als Kreisassistenzarzt Hauptverdienerin war, wurde 1933 ohne Bezüge in den Ruhestand versetzt. Rosenthal ließ sich daraufhin von seinen universitären Pflichten beurlauben und versuchte, in Magdeburg eine Kassenarztpraxis aufzubauen. Dauerhafte finanzielle Schwierigkeiten zwangen ihn aber, sich im Ausland um eine Anstellung zu bemühen. Wegen einer Stellenzusage aus Indien ersuchte der Hygieniker am 19.10.1934 um Verlängerung seiner Beurlaubung und eine Mitteilung an das Auswärtige Amt, daß seiner Unterstützung im Ausland keinerlei Bedenken entgegenstünden. Die Reaktionen der Dozentenschaft und des Dekans zeigen, wie die örtliche „Basis" von Naziaktivisten auch ohne Anweisung übergeordneter Stellen ehemaligen jüdischen Kollegen Schwierigkeiten machte. Der stellvertretende Führer der Dozentenschaft Wehefritz schrieb nämlich: Da Rosenthal Jude sei und „politisch sehr links" stehe, solle er weder eine verlängerte Beurlaubung noch ein Empfehlungsschreiben bekommen.62 Dekan Beumer äußerte, Prof. Reichenbach (emeritierter Hygieniker) beurteile Rosenthal sehr positiv. Allerdings, so meinte Beumer selbst, „wird man Herrn Rosenthal nach Erscheinung nicht als einen Mann hinstellen können, der 190
geeignet wäre, dem Ausland den richtigen Begriff von deutschem Geist und Wesen zu vermitteln" und sprach sich gegen das Gesuch aus. Der Minister lehnte den Antrag dann auch ab.63 In einem langen Abschiedsbrief an seine Freunde schilderte Rosenthal die ökonomischen und psychischen Schwierigkeiten, die ihn zur Emigration bewogen hatten. Er schrieb u.a.: „Ich liebe Deutschland und das deutsche Volk viel zu sehr, um einen neuen Umsturz mit unvermeidlichen üblen Folgen wünschen zu können — um seiner Regierung Mißerfolge wünschen zu können,.. ,". 64 Das sind keine leeren Worte: Rosenthals hatte sich u.a. 1914 freiwillig zum Militär gemeldet. So wird ein Patriotismus deutlich, der bei ihm wie bei vielen anderen Juden erst nach starken Repressalien die Entscheidung zur Emigration reifen ließ. Da bis auf den Physiologen Rudolf Ehrenberg und den Gynäkologen Heinrich Martius schon 1934 alle jüdischen Hochschullehrer aus der Medizinischen Fakultät herausgedrängt worden waren, gab es auch hier keine „zweite Welle" von Entlassungen nach dem „Reichsbürgergesetz" vom September 1935 und seinen Durchführungsverordnungen (S. 43 f.). Ein gut dokumentiertes Schicksal und gleichzeitig ein Beispiel für die Möglichkeiten „arischer" Universitätsangehörige, ihren jüdischen Mitbürgern und Kollegen zu helfen, ist das Rudolf Ehrenbergs. Ihm wurde mit Beginn des SS 1933 vom Dekan ebenfalls nahegelegt, seine Vorlesungen nicht mehr zu halten. Der Direktor des Physiologischen Instituts, Prof. Rein, schrieb daraufhin am 2. Mai an den Dekan, daß Ehrenberg mit der Vorlesung und dem Praktikum der Physiologischen Chemie beauftragt und sein Ausfall daher keinesfalls zu verantworten sei. Mit dem Hinweis, Ehrenberg sei „Langenmark" (sie!) -Kämpfer gewesen, bat Rein um schnelle Klärung der Angelegenheit - und schon am nächsten Tag zog der Dekan seine Empfehlung zurück.65 Da Ehrenberg nachweisen konnte, Frontkämpfer gewesen zu sein, war er also zunächst von der Entlassung ausgenommen. 1934 stellte dann das Physiologische Institut einen Antrag, Ehrenbergs Dienstverhältnis trotz seiner jüdischen Herkunft und seines Alters zu verlängern. Der Minister genehmigte zwar eine vorläufige Weiterbeschäftigung, doch im gleichen Schreiben wurde die Entlassung Ehrenbergs zum 30. September 1935 angeordnet — um einer „jüngeren Kraft" Platz zu machen.66 Rein versuchte dann mit Hilfe des Dekans und des Kurators zu intervenieren und in Berlin vorzusprechen. Wiederholt wurden Ehrenbergs Langemarck-Erfahrung und seine wissenschaftlichen Leistungen erwähnt, doch war es nicht möglich, ihm eine Stelle an der Universität zu verschaffen.67 So beantragte Ehrenberg im Juni 1935 die vorzeitige Versetzung in den Ruhestand. Dank der Fürsprache Reins und eines falschen Gutachtens seines Verbindungsbruders, des Internisten Prof. Straub, der ihm trotz guter Gesundheit dauernde Dienstunfähigkeit wegen einer Herz- und Lungenerkrankung attestierte, genehmigte der Minister diesen Antrag unter Gewährung eines — allerdings geringen — Ruhegehaltes.68 Ehrenberg behielt also seine venia legendi und bot in den folgenden Semestern auch weiterhin Seminare an. Eine Anfrage des Dekans Prof. Krantz am 27. Mai 1938, ob Ehrenberg wegen der mittlerweile verschärften Promotionsbedingungen überhaupt noch Vorlesungen halten dürfe, wurde vom Rektor dann mit dem Zusatz, daß er ein Untersagen der Vorlesungen begrüßen würde, an den Minister weitergeleitet. Dieser entschied, daß die Universität „kein Bedürfnis" für eine Dozentur Ehrenbergs habe und entzog ihm am 5. Juli 1938 die Lehrerlaubnis.69 Dank der Courage Prof. Reins konnte Ehrenberg aber auch weiterhin am Physiologischen Institut arbeiten und sogar Doktoranden ausbilden, bei denen dann Rein 191
als Doktorvater angegeben wurde.70 Bedeutsam sind Ehrenbergs wissenschaftliche Leistungen: Die Entwicklung der radiometrischen Mikroanalyse stellte eine Pionierarbeit in der Benutzung radioaktiver Elemente (Isotopen-Markierung) dar. Zudem schrieb er auch mehrere Bücher über theoretische Biologie und Metabiologie.71 Walter Putschar, Privatdozent für Pathologie, war zwar nicht vom BBG betroffen, mußte jedoch wegen seiner jüdischen Frau unter Antisemitismus leiden. Mit Unterstützung seines Institutsdirektors Prof. Gruber sah er sich während einer Beurlaubung 1935 in New York nach einer Stellung um. Die Beurlaubung wurde 1936 nicht verlängert, und Putschar blieb in den USA.72 So kam er einer Entfernung von der Göttinger Universität wegen seiner „jüdischen Versippung" zuvor, die mit dem Reichsbeamtengesetz vom Mai 1937 Entlassungsgrund wurde. Ein Rundschreiben des RMdl vom August 1937 bestimmte, daß Beamte, die jüdische „Mischlinge zweiten Grades" waren, im Gegensatz zu den „Mischlingen ersten Grades" nicht generell zu entlassen seien (S. 44). Einen solchen „Vierteljuden" (also „Mischling zweiten Grades") hatte die Fakultät mit Heinrich Martius in ihren Reihen, da sein Großvater mütterlicherseits als Sohn jüdischer Eltern getauft worden war.73 Er war von den Entlassungen nach dem Berufsbeamtengesetz offenbar deshalb verschont geblieben, weil er exemplarisch die Ausnahme für „Frontkämpfer" vom Arierparagraphen verkörperte.74 Da nach 1937 keine besonderen Gründe für eine Entlassung vorlagen, war er der einzige Dozent jüdischer Abstammung, der die gesamte NS-Zeit über - wenngleich, wie wir sehen werden, unter zunehmenden Schwierigkeiten — an der Universität Göttingen im Amt blieb.75 Das spektakulärste Ereignis unter den politisch bedingten Entlassungen an der medizinischen Fakultät war die Entlassung Karl Sailers. Sein Schicksal wird wegen seiner engen Verbindung mit der Besetzung des geplanten Lehrstuhls für Rassenhygiene aber in einem eigenen Kapitel weiter unten (S. 198 ff.) behandelt. Generell ist es wegen der großen Fluktuation von Privatdozenten und außerordentlichen Professoren in nichtuniversitäre Kliniken schwierig, hier den Einfluß der nationalsozialistischen Gesetzgebung und Personalpolitik zu klären. Belegen lassen sich für Göttingen weitere zwei Betroffene, die ihre Positionen aus politischen Gründen verloren: Etwas unklar ist der Fall des Privatdozenten für Gynäkologie Robert Brühl. Wohl nach Reibereien innerhalb der Klinik wurde Brühl zum 1. Okt. 1933 nach Bonn versetzt (im Tausch mit dem Bonner Privatdozenten Bickenbach). Die Universität führte ihn später in der Liste der aufgrund des BBG Ausgeschiedenen.76 In Bonn bat Brühl um Entlassung zum 1. April 1936, obwohl ein Antrag auf Einstellung als Oberarzt noch in der Schwebe war. Er übernahm dann verschiedene Klinikstellen. 1947 wurde er als ein aus politischen Gründen Vertriebener rehabilitiert.77 Der Privatdozent Hugo Fasold (Kinderheilkunde) beantragte — nach wiederholten politischen Streitereien mit anderen Ärzten — auf Anraten seines Klinikdirektors und Dekans der Fakultät Prof. Beumer Ende 1934 ein Jahr Beurlaubung für eine Stelle im Kreiskinderkrankenhaus Schwenningen. Dies wurde genehmigt78, ein Gesuch auf Verlängerung der Beurlaubung und auch eine Umhabilitierung nach Tübingen jedoch nicht. Es wurde sogar beabsichtigt, Fasold die Lehrbefugnis zu entziehen.79 Am 5.2.1936 legte Fasold diese dann von sich aus nieder. Er hatte auch weiterhin große Unannehmlichkeiten mit der Partei durchzustehen: 1942 Schloß ihn der Gau Baden aus dem NSD-Arztebund aus, da er einer Mutter mitgeteilt hatte, ein Heilmittel für ihr erkranktes Kind, Bananen, sei nicht erhältlich 192
und damit eine Rettung aussichtslos. Dies wurde dem Kinderarzt als eine „ . . . — gelinde gesagt - fahrlässige, an Sabotage der Ernährungslage des deutschen Volkes grenzende Handlung eines deutschen Arztes" ausgelegt.80 1944 verurteilte ihn ein Gericht in Lahr wegen wehrkraftzersetzender Äußerungen sogar zu einem Jahr Haft im Konzentrationslager - die Strafe wurde allerdings bis nach dem Krieg ausgesetzt.81
2.1.2 ... und in der Studentenschaft Angesichts zahlreicher Sonderregelungen unterschied sich die „Säuberung" in der Studentenschaft der medizinischen Fakultäten deutlich von der in den übrigen Fakultäten. Hier soll versucht werden, die immer schärfer werdenden Bestimmungen darzustellen, soweit sie in Göttingen belegt sind. Aus der Universität wegen politischer Gründe herausgedrängte Studenten gab es nur wenige. Die ministeriellen Erlasse vom 22. Juni und 9. August 1933, die den Verweis marxistischer oder kommunistischer Studenten von der Universität anordneten, betrafen in der medizinischen Fakultät „nur" zwei Studenten, nämlich Wilhelm Hoffmann und Werner Pelz.82 Die Beschränkungen für jüdische Studenten sollen hier für die einzelnen Studienabschnitte anhand Göttinger Fälle dargestellt werden83: Den Zugang zur Hochschule beschränkte das schon am 25. April 1933 erlassene „Gesetz gegen die Uberfüllung deutscher Schulen und Hochschulen", das den Anteil neuimmatrikulierter „Nichtarier" auf 1,5 % und ihren Anteil an der Gesamtstudentenzahl in den einzelnen Fakultäten auf 5 % beschränkte. Das hatte in Göttingen allerdings wegen der ohnehin darunter liegenden Zahlen keine Auswirkungen. Ein im Dezember 1933 erschienener Runderlaß, daß die trotz dieser Quoten immatrikulierten „nichtarischen" Studenten im Lehr- und Lernbetrieb den „Ariern" gleichgestellt seien, nahm jedoch die Medizinalpraktikanten aus. Für sie sollte die Quotierungsregelung des „Überfüllungs-Gesetzes" gelten: ein weiterer Engpaß in der Ausbildung zum Arzt. In Göttingen konnte deswegen z.B. ein Sohn des 1926 gestorbenen Göttinger Jura-Professors Julius Hatschek (S. 105), der cand. med. Gustav Hatschek, zunächst nicht als Medizinalpraktikant eingestellt werden.84 Eine Anordnung vom 15.12.1933 Schloß dann die aus der Liste der Studenten Gestrichenen von Prüfungen aus. Seit Anfang 1935 mußten dann diejenigen „nichtarischen" Kandidaten der Medizin, die ihr Studium nach dem WS 1932/33 begonnen hatten, eine zusätzliche Erlaubnis zur Prüfungs-z«/ciben. b i e boA m e h r Tinfr a l · Wap i t i u n b L'eim, m i l Ile ein S t i l i b e u t f A e n (Sei· Ite· flnb Retiro beutlAen (Seifte·, ber lo m e l t · m i i i b i a m i b e r l p i u A > a r l f . eiflf a t r i Πια u n b p i e l · i r i t i f l ift u u b her ItA b o A n o t V o l l 1Mb S l t c n f A · heit i m m e i t n i r t i r i b e i p ä b i t u n b In f D a b t b a f t e l ( i r ä | ( e o f f e n b a i l bot. &·>•
Abb. 10 Aufruf zur Bücherverbrennung im Mai 1933, Göttinger Zeitung vom 5. 5. 1933
Abb. 12 Bücherverbrennung vor der Albanischule am 10. Mai 1933
Schulen. Jedoch lassen schon die - sicherlich von Unger inspirierten - geistesgeschichtlichen, psychologisierenden und intuitiven Versuche der Dissertation, einen Zugang zum „inneren Vorgang" des Dichters, zur „Geschichte seiner Seele" zu finden und die „geniale Individualität" im „Wesen des Genius", seine „geistige Substanz" und „wesentliche Wirklichkeit" im „Urerlebnis" zu fassen50, eine Anschlußfähigkeit an einige lebensphilosophische und irrationale Ideologeme des Nationalsozialismus erkennen. Fricke scheute sich nach 1933 nicht, sich öffentlich und mit Nachdruck zu den Zielen des Nationalsozialismus zu bekennen: „Die deutsche Revolution ist in ihrem äußeren Prozeß, dem Vorgang der Machtergreifung, abgeschlossen. Ihre innere Bewegung aber, die auf eine totale Wiedergeburt des Volksganzen zielt, ist damit erst ermöglicht und steht erst in den Anfängen. Das Antlitz der Nation beginnt sich aus der Tiefe zu wandeln. Unfruchtbare, verwesende, schmarotzende Oberflächenschichten werden unwiderstehlich hinuntergepflügt und eingeschmolzen in den erloschen geglaubten, aber jugendlich glühend hervorgebrochenen Kern jener völkischen Urwirklichkeit, aus der wir alle leben, die vor uns war, über uns ist und nach uns sein wird." 51 Vor allem die Lektüre von zahlreichen Aufsätzen Frickes, die 1943 in dem Sammelband „Vollendung und Aufbruch" zusammengefaßt wurden, hinterläßt aufgrund der Verquickung von literaturwissenschaftlicher Brillanz und ideologischem Fanatismus einen bedrückenden Eindruck. Die dort auftretenden Bekenntnisse zum „germanisch-deutschen Geist", zum „Glauben" statt der „Vernunft", zur „inneren Volkwerdung" und zur Germanistik als „volksdienender Lebenswissenschaft" hatte Fricke schon während der Göttinger Bücherverbrennung bei seiner Brandrede geäußert, die bereits von Schöne (1983) und Sauder (1983) analysiert worden ist und hier nicht näher untersucht zu werden braucht. Fricke erscheint daher als ein hochbegabter, aber auch ehrgeiziger und karrierebewußter Germanist der ,neuen Generation' mit Bereitschaft zur Anpassung an das Regime. Er selbst hat später seine Verstrickung mit literaturwissenschaftlicher Eloquenz als „wie immer ungewollte oder selbst ungeahnte Schuld" teils eingestanden, teils abgestritten bzw. gerechtfertigt·52 Nach seiner Tätigkeit als Privatdozent, die er 1931 angetreten hatte, verließ Fricke Göttingen, um zum Sommersemester 1934 die planmäßige außerordentliche Professur für Deutsche Literaturgeschichte an der Berliner Universität zu übernehmen 53 ; noch im gleichen Jahr erhielt er den Ruf auf eine ordentliche Professur an der Universität Kiel. Von dort führte ihn sein Weg über Tübingen/Straßburg (1941), Istanbul (1950) und Mannheim (1957) nach Köln (1960), wo er bis zu seiner Emeritierung als Ordinarius für Neuere deutsche Literaturgeschichte wirkte. 54 Besser noch als die akademische Laufbahn Gerhard Frickes ermöglicht das Beispiel Clemens Lugowski paradigmatische sozialgeschichtliche Einblicke in die labile Situation der nach dem Jahr 1933 habilitierten Privatdozenten. Lugowski wurde 1904 in Berlin geboren und studierte nach seinem Abitur 1923 zunächst Maschinenbau an der T H Charlottenburg. Nach Abbruch des technischen Studiums entschloß er sich jedoch 1925, Germanistik, Geschichte und Philosophie zu studieren, wobei er von Berlin über Erlangen nach Göttingen wechselte. Dort promovierte er 1932 bei Friedrich Neumann mit einer gehaltvollen Arbeit über „Die Formen der Individualität im Roman", die noch 1976 vom Suhrkamp-Verlag nachgedruckt wurde. Auch seine 1936 veröffentlichte Habilitationsschrift „Wirklichkeit und Dichtung : Untersuchungen zur Wirklichkeitsauffassung Heinrich von Kleists" bietet anspruchsvolle Literaturwissenschaft, wenn auch als Zeichen der Zeit in Vorbemerkung und Schlußwort erste, typische Reverenzen an die neuen Machthaber auftauchen, in denen 373
der Autor das Untersuchungsergebnis auf die „deutsche Selbstgestaltung" bezieht und bei Kleist eine „Haltung von urwesentlichem volkhaftem Sinngehalt" konstatiert. 55 Diese Rhetorik deutet an, daß selbst von einem der „beanlagtesten und produktivsten Anwärter, die für das germanistische Fach zur Verfügung stehen" 5 6 das Bekenntnis zum nationalsozialistischen Staat gefordert wurde, wenn er als ungeschützter' Dozent, lediglich mit einer befristeten Hilfskraftstelle wirtschaftlich über Wasser gehalten, den Ruf auf eine ordentliche Professur an einer deutschen Universität nicht gefährden wollte. Neben die wissenschaftliche Qualifikation mußten die Fachschaftsarbeit, die Tätigkeit in den NSHochschulverbänden und die politische, weltanschauliche und vor allem körperliche Ertüchtigung in den Schulungslagern treten. Zugleich war die Mitgliedschaft in einer Organisation der N S D A P erwünscht. Lugowski gehörte seit 1934 der SA an, kannte die Fachschaftsarbeit und das Lagerleben im Göttinger Schulungslager Rittmarshausen 57 , hatte aufgrund seiner Kameradschaftlichkeit ausgezeichnete Lehrerfolge, nahm am 2. Dozentenlehrgang des Reichs-SA-Hochschulamtes sowie am 7. Lehrgang der Dozentenakademie teil 58 und wurde als junger Dozent „Amtswalter der Studentenschaft und des NSDDozentenbundes" , 59 „Politisch ist er unbedingt zuverlässig. In der Gruppe der jüngeren ausgeprägt nationalsozialistisch gerichteten Dozenten der deutschen Sprache und Literatur nimmt er eine geachtete Stelle ein." 6 0 Das erzwungene, erwünschte oder gewollte politische Engagement Lugowskis, das aus dem für das Dritte Reich so charakteristischen Anspruch resultierte, die „Wissenschaft" mit dem „Leben" zu verbinden, schlug sich auch in seinen Aufsätzen nieder. Hier wurde die grundsätzliche Tendenz vieler Autoren sichtbar, die in den umfassenden monographischen Darstellungen geübte relative Zurückhaltung aufzugeben und im Genre des aktuellen, oftmals polemisch gefärbten Zeitschriftenaufsatzes eine fortschreitende Radikalisierung ihrer Sichtweisen — z.T. in einem schwer kommensurablen Jargon — zu präsentieren. Lugowski suchte nach dem „deutschen T o n " , der „nationalen Selbstverwirklichung", der „Spannweite des ,deutschen Wesens' " , dem „germanischen Selbstgefühl" und der „Verkörperung deutschen Volkstums" in deutscher Sprache und Literatur, wobei er vor allem das Heldenlied, das Volkslied, das Volksbuch sowie Wolfram, Walther, Luther, Herder und Jacob Grimm heranzog und gegen die äußerliche „Überfremdung" durch die humanistische Kunstauffassung und die „mechanistische Lebensauffassung der westeuropäischen Aufklärung" 6 1 absetzte: „ .Echtes' von .Unechtem' zu scheiden, ursprünglich Deutsches von fremden Bestandteilen, aber auch nur Vermeintes, Vorgespiegeltes von dem Wesenserfüllten: das wird damit als ernsteste Aufgabe der deutschkundlichen Forschung ergriffen. Jeder Jude kann ein Drama schreiben, in dem Schauspieler patriotische Sätze aussprechen; aber er kann kein nationales Drama schreiben. Aus dieser Tatsache entspringt die selbstverständliche Vorsicht gegen alle in einer Dichtung bloß angenommene Gesinnung, die auch in der widernatürlichen Verkupplung mit einer völkisch wesensfremden Welt erscheinen kann." 62 Schon 1936, ein Jahr nach seiner Habilitation, erkundete das Reichswissenschaftsministerium beim Göttinger Rektor, ob Lugowki bereit sei, eine der „durch Ausscheiden [der] Stelleninhaber wegen Alters und Krankheit an der deutschen Abteilung der Universitäten in Pretoria und Kapstadt" freiwerdenden Stellen zu übernehmen. 63 Freilich war Lugowski nicht gewillt, einen Ruf nach Südafrika anzunehmen. Nachdem er verschiedene Lehrstuhlvertretungen für neuere deutsche Philologie an den Universitäten Heidelberg, Göttingen und Königsberg übernommen hatte 64 , erhielt er 1940 einen Ruf auf eine planmäßige außerordentliche Professur für deutsche Sprache und Literatur an der Universität Kiel. Sein Enga374
gement für das nationalsozialistische Deutschland endete für Lugowski am 26. Oktober 1942 mit dem Tod in einem Feldlazarett an der Ostfront. Die nichtbeamteten außerordentlichen Professoren besaßen am Seminar für deutsche Philologie in besoldungs- und dienstrechtlicher Hinsicht eine ähnliche Stellung wie die Dozenten; sie erhielten jedoch den Professorentitel und mit diesem die korporativen Rechte innerhalb der Gemeinschaft der Hochschullehrer. Der Altgermanist Ludwig Wolff, 1892 in Bad Wildungen geboren, wurde 1920 in Göttingen bei Edward Schröder mit „Studien über die Dreikonsonanz in den germanischen Sprachen" promoviert und habilitierte sich ebenfalls dort im Jahr 1922. Am deutschen Seminar lehrte er zunächst als Privatdozent, seit 1928 als nichtbeamteter a.o. Professor, wobei er sich auf dem Gebiet der germanischen und deutschen Philologie von den Anfängen bis zum Spätmittelalter (unter Einschluß des Altnordischen sowie der Volkskunde, vor allem der Märchen- und Sagenforschung) auswies.65 Seine Veröffentlichungen, unter denen sich auch eine populäre Schrift über „Die Helden der Völkerwanderungszeit" (1928) befindet, behandeln vor allem editorische, textkritische und sprachgeschichtliche Detailprobleme. Aus diesen Schriften geht kein politisches Engagement für den Nationalsozialismus hervor, wie auch gutachtliche Äußerungen über Wolff bestätigten, daß er in dieser Hinsicht „nie besonders aktiv hervorgetreten" 6 6 sei und als Dozent eher mit der „älteren Gelehrtengeneration" sympathisiert habe. 67 Von Göttingen wurde Wolff 1937 als Nachfolger Karl Helms auf den Lehrstuhl für deutsche Philologie an der Universität Marburg berufen und dort zum Direktor des Germanistischen Seminars ernannt. 68 Sein Kollege Kurt May kam erst 1928 nach Göttingen; der 1892 in Heilbronn geborene May hatte in Straßburg und München, insbesondere bei dem damaligen Münchner Privatdozenten Rudolf Unger, deutsche Philologie studiert und 1921 in Berlin als Schüler Julius Petersens und Gustav Roethes mit einer Arbeit über „Lessings und Herders kunsttheoretische Gedanken in ihrem Zusammenhang" (1923) erfolgreich die Doktorprüfung bestanden. Seine Habilitation im Fach deutsche Sprache und Literatur fand 1925 an der Universität Erlangen statt („Das Weltbild in Gellerts Dichtung", 1928), wo er bis zum Wintersemester 1927/28 lehrte. Durch Vermittlung Rudolf Ungers erfolgte 1928 die Umhabilitierung Mays nach Göttingen durch eine öffentliche Probevorlesung zum Thema „Klassik und Romantik im Meister und Ofterdingen." 6 9 May vertrat bis 1933 das Fach deutsche Philologie als Privatdozent, anschließend als nichtbeamteter außerordentlicher Professor, der mit einem Dozentenstipendium vergütet wurde; erst 1939 erfolgte die Verbeamtung als außerplanmäßiger Professor. In dieser Eigenschaft blieb May der Göttinger Philosophischen Fakultät bis 1952 erhalten, wenn man von den Lehrstuhlvertretungen in Marburg (1940/41) und Prag (1943/44) sowie von der Vertretung des Göttinger Ordinariats für neuere deutsche Literaturgeschichte (Pongs-Lehrstuhl) nach 1945 absieht. Als Sechzigjähriger wurde er 1952 — 27 Jahre nach seiner Habilitation - auf die ordentliche Professur für neuere Philologie an der Universität Frankfurt/Main berufen. E r starb dort 1959 als Emeritus. Die verhaltene Entwicklung der akademischen Laufbahn Kurt Mays trägt sicherlich die Züge der Zeit, insbesondere was die soziale und hochschulpolitische Situation der dreißiger Jahre angeht. Hingegen läßt sich in den Schriften Mays kaum ein ernsthafter Bezug auf das NS-System wiederfinden. Sein Arbeitsfeld war das 18. und 19. Jahrhundert, d.h. Poetik, Metrik und Stilistik vor allem des Sturm und Drang, der Klassik und der Romantik. Seine Form- und Stilanalysen, aber auch seine literaturgeschichtlichen Wertungen sind ohne Tadel: als Hauptbeleg sei hier sein Buch über „Faust II. Teil: in der Sprachform gedeutet" (1936) genannt. Daß er am 1. 1. 1939 einen Lehrauftrag für das „Schrifttum des Grenz-, 375
Volks- und Auslandsdeutschtums" erhielt, lag im zeitbedingten Trend und war ein Versuch, seine institutionelle Position am Seminar und in der Fakultät zu verbessern. Freilich untersuchte May in seinen Aufsätzen über die zeitgenössische (vor allem: völkische und politische) Dichtung, über das „aktivistische Drama" und über Hebbels Nibelungen-Tragödie literaturwissenschaftliche Sujets, die im Dritten Reich erwünscht und gefordert waren; allenfalls mag man ihm bei diesen Anpassungsbemühungen entgegenhalten, auf die behandelten Schriften allzu viel philologische und interpretatorische Sorgfalt verwandt zu haben. 70
Die Lehrstühle für Neu- und Altgermanistik. Geistesgeschichte, Philologie und Weltanschauung Vielfach scheint sich May — was die innere Haltung und den wissenschaftlichen Stil betrifft — Rudolf Unger zum Vorbild genommen zu haben, wie auch in den Veröffentlichungen Frickes und Lugowskis der Einfluß Ungers unverkennbar zu Tage tritt. Unger wirkte in Göttingen als Ordinarius für deutsche Philologie, insbesondere für neuere deutsche Literaturgeschichte, von 1925 bis zu seinem Tode 1942. Dem Seminar für deutsche Philologie stand er als Direktor vor; ebenfalls leitete er die neuere Abteilung. Ein Urteil über diesen als Mensch wie als Wissenschaftler in hohem Maße angesehenen Gelehrten, der zugleich Leitfigur und Nestor der geistesgeschichtlichen Schule in der Literaturwissenschaft war, fällt nicht leicht. Die Akten bieten ein eigentümlich farbloses Bild ohne kräftige Akzente. Bescheidenheit, Zurückhaltung, Freundlichkeit, vor allem das Fehlen jeglicher Allüren konstatierten die, die ihn kannten. Für Kurt May war er der „stille Kämpfer von verhaltener Leidenschaft." 71 Das Urteil seines Schülers Gerhard Fricke läßt vermuten, daß Unger seine literaturwissenschaftlichen Überzeugungen, insbesondere die Suche nach der inneren Form, selbst gelebt hat: „Seine stille, gesammelte, ganz nach innen gewandte Art hat ihm alles öffentliche Hervortreten stets verwehrt. Der inneren Welt der Seele, den Grundfragen des menschlichen Daseins, der Sinndeutung von Leben und Tod war er forschend, grübelnd und nach innen lauschend zugewandt, und Dichtung wurde ihm, dem Schüler Diltheys, zur symbolischen Deutung des Lebens, zur vielstimmigen, ringenden und sich wandelnden Antwort der edelsten Geister unseres Volkes auf die alte, immer neue Frage nach dem Menschen, nach der Welt und nach Gott." 7 2 Unger wurde 1876 in Hildburghausen geboren; er studierte in Heidelberg, München und Berlin zunächst Rechtswissenschaft und Nationalökonomie, sodann Klassische Philologie, Anglistik, Kunstgeschichte, Philosophie und Germanistik, insbesondere neuere deutsche Literaturgeschichte. Bei Franz Muncker promovierte er in München 1902 mit einer Arbeit über „Platen in seinem Verhältnis zu Goethe". Die Münchner Habilitationsschrift von 1905 „Hamanns Sprachtheorie im Zusammenhange seines Denkens" war der Auftakt zu seinem Hauptwerk „Hamann und die Aufklärung", das 1911 in zwei Bänden erschien und für die Literaturwissenschaft, aber auch für Unger selbst, bahnbrechend wirkte. Während seiner Privatdozentenzeit wurde er in München 1911 zum außerordentlichen Professor ernannt. 1915 erhielt er als Nachfolger Julius Petersens ein Ordinariat an der Universität Basel, die er 1917 verließ, um in Halle eine ordentliche Professur anzutreten. Von dort erhielt Unger weitere Rufe an verschiedene Universitäten, denen er auch Folge leistete. Sein Weg führte von Halle über Zürich (1920), Königsberg (1921) und Breslau (1924) nach Göttingen (1925), wo er den Lehrstuhl von Richard Weißenfels übernahm und 1929 zum Mitglied der Gesellschaft der Wissenschaften gewählt wurde. 73 376
Von Ungers Schriften haben am nachdrücklichsten diejenigen gewirkt, die sich mit den methodischen und theoretischen Fragen seines Fachs auseinandersetzten. In den schon 1929 im Band „Aufsätze zur Prinzipienlehre der Literaturgeschichte" versammelten Arbeiten (Rudolf Unger: Gesammelte Studien; 1) wandte sich Unger gegen den philologischempirischen Wissenschaftsbegriff des Positivismus, der durch Scherer und seine Schule nun auch die neuere Literaturgeschichte zu dominieren drohte. Dagegen erstrebte Unger — und er war damit in der Neugermanistik der zwanziger Jahre erfolgreich — eine philosophische Grundlegung der Literaturwissenschaft nach den geistesgeschichtlichen Prinzipien Diltheys.74 Die Geistesgeschichte, begriffen als „spezifische Betrachtungsweise geistiger Dinge, die sich auf den ideellen Oberbau der Kultursynthese richtet und das einzelne Geistesgebiet erfaßt als Auswirkung des Gesamtgeistes der jeweiligen Kultureinheit," 75 gab der Literaturwissenschaft die Direktive, die Dichtung in ihrer Eigenschaft als Lebensdeutung zu erfassen und deren Widerspiegelung in der jeweiligen Bewußtseinsstufe des Gesamtgeistes festzustellen. Dabei wandte sich die geistesgeschichtliche Germanistik an die „metayphysischen Urprobleme" des Menschen: „neben dem Intellekt auch an Gefühl, Willen und Phantasie, kurz: an das innere Leben in seiner Totalität." 76 Neben der objektiv-phänomenologischen bevorzugte Unger vor allem die subjektiv-psychologische Methode, die dem Literarhistoriker besonders naheliege; er beschrieb sie als deutendes „Sich-Einfühlen in die Lebensempfindung, das Ich- und Weltgefühl des betreffenden Dichters, aus der sein individuelles Erleben und Gestalten jener Problematik ursprünglich hervorwächst." 77 Es ist die Frage, ob die Ungersche Akzentuierung von „Leben", „Ganzheit", „Intuition", „Seele", „Wesensimmanenz", „Substanz", „Volks- und Kulturgut", usw. sowie seine Kritik an Rationalismus, Empirismus und Intellektualismus den nationalsozialistischen Ideologievorstellungen zugearbeitet haben. Wie Voßkamp schon ausgeführt hat, ist die Nähe der geistesgeschichtlichen Literaturbetrachtung zu völkischen Tendenzen nicht zu leugnen, wenn auch die politischen Zugeständnisse sich in Grenzen hielten78 und der Behauptung Kurt Mays von 1942, daß Unger „eine sich ihrer neu bewußte deutsche VolksGeist-Geschichte" angestrebt habe, „die ihrerseits nach einer biologischen Begründung verlangt" 7 ', widersprochen werden muß. Rudolf Unger stand dem Nationalsozialismus als politischer Bewegung fern. Seine nach 1933 veröffentlichten Aufsätze über Novalis, Gervinus und die romantische Begriffsprägung „Heilige Wehmut" 80 lassen eine Kontinuität in seinen Anschauungen erkennen, nicht jedoch irgend eine Anpassung an zeitgenössische Weltanschauungsfragen. Die bei ihm angefertigten Promotionen folgen nur im Ausnahmefall einer völkisch inspirierten Thematik 81 , seine Promotionsgutachten sind gehaltvoll und sachlich ausgeführt. Die Vorlesungen Ungers behandelten vornehmlich die Epochen Sturm und Drang, Klassik, Romantik und Vormärz, oder sie waren biographisch und werkgeschichtlich auf eine Person ausgerichtet, insbesondere Herder, Hölderlin, Jean Paul, Grabbe, Büchner, C. F. Meyer und immer wieder Goethe und Schiller: Nacheinander las Unger über den „jungen", den „Weimarer", den „nachitalienischen", den „späten" Goethe, den „Goethe im Zeitalter der Revolution und Napoleons", sowie über den „vorklassischen", den „klassischen" und den „Weimarer" Schiller. Daß Unger weder hochschulpolitisch, noch wissenschaftlich, noch persönlich dem Nationalsozialismus die geringste Aufmerksamkeit geschenkt hat, hängt mit der Tatsache zusammen, daß er zu der alten, international anerkannten, bereits vor 1933 arrivierten Generation prominentester Hochschullehrer gehörte, die es sich - ganz im Gegensatz zu 377
ihren jungen, aufstrebenden Schülern — bei einiger Zivilcourage leisten konnten, auf ein öffentliches Bekenntnis zur neuen Staatsordnung zu verzichten und sich in die „reine" Forschung zurückzuziehen. Rudolf Unger verstarb als 65jähriger Anfang 1942 während einer Vorlesung über Goethes Spätzeit durch Herzschlag. Die Nachbesetzung des Unger-Lehrstuhls erfolgte in der Erkenntnis, daß die „Bedeutung des Lehrstuhls und seines verstorbenen Inhabers" die Fakultät verpflichte, „sich von vornherein nach ganz besonders qualifizierten, sowohl als Forscher wie als Lehrer voll ausgewiesenen Vertretern dieses Faches umzusehen", die „an der Spitze der Forschung liegen". 8 2 Die Wahl wäre zweifellos auf den auch von Unger seinerzeit hochgeschätzten Gerhard Fricke gefallen, der jedoch gerade einen Ruf nach Straßburg erhalten hatte und nicht zur Verfügung stand. So setzte die Fakultät Fricke auf Platz 1 der Liste, unterbreitete jedoch de facto nur einen Zweiervorschlag, bei dem der 53jährige Hermann Pongs (Stuttgart) vor Paul Böckmann (Heidelberg) piaziert wurde. Pongs war 1889 in Odenkirchen (Rheinland) geboren worden, hatte Deutsch, Geschichte und Philosophie in Heidelberg, Marburg, München, Berlin und Straßburg studiert und 1912 die Doktorprüfung an der Universität Marburg abgelegt. 1914-1918 nahm er am Weltkrieg teil. 1922 habilitierte er sich in Marburg, erhielt eine Privatdozentur und wurde dort 1927 zum außerordentlichen Professor ernannt. In gleicher Eigenschaft ging er im selben Jahr an die Reichsuniversität Groningen, wo er von 1927 bis 1929 neuere Literaturwissenschaft lehrte. Anschließend folgte er einem Ruf auf die ordentliche Professur für deutsche Literatur und Aesthetik an der Technischen Hochschule Stuttgart. 1939 meldete sich Pongs als Rittmeister a.D. erneut zum Kriegsdienst, der ihn diesmal nach Rußland führte. Der Ruf nach Göttingen erreichte ihn während einer Abkommandierung an das O K W Inland in Berlin. Er entschied sich, den Ruf anzunehmen, wurde u.k. gestellt und mit Wirkung vom 1. November 1942 zum ordentlichen Professor für deutsche Philologie, insbesondere neuere deutsche Literaturgeschichte, an der Göttinger Philosophischen Fakultät ernannt, deren Mitglieder sein Kommen begrüßten, zumal der Fakultätsausschuß und die Berufungskommission sich einstimmig für ihn ausgesprochen hatten. Diese waren der Meinung, Pongs zeichne sich „durch die Unbedingtheit seiner wissenschaftlichen Fragestellung aus. Seine Forschungsarbeit erhält ihren Charakter durch die Verbindung einer stark philosophischen Betrachtungsweise mit der sorgfältigen Deutung des dichterischen Kunstwerks im Sinne des interpretatorischen Verständnisses. In selbständiger Auseinandersetzung mit den modernen philosophischen Strömungen, stets angeregt und selbst anregend, ist er zu einer tiefen, sachlich berechtigten Form der Auslegung literarischer Kunstwerke vorgedrungen." Weiterhin rühmte man seine „Eigenart der Fragestellung", die „Aufgeschlossenheit für die Vielheit der historischen Erscheinungen" und die Qualität seines engagierten Vortrags. 83 Die Symbolforschung, die Dichtung des 19. Jahrhunderts, vor allem aber die zeitgenössische politische Lyrik und Kriegsdichtung bildeten die Schwerpunkte der Pongsschen Forschungsarbeit. Die Lektüre seiner Monographien und seiner außerordentlich zahlreichen — zumeist in der Zeitschrift „Dichtung und Volkstum" veröffentlichten — Aufsätze wird heute zur schwer erträglichen Leseleistung. Pongs' wissenschaftliche Vorgehensweise ist der nationalsozialistischen Literaturtheorie im engeren Sinn zuzurechnen. 84 Sowohl die Methodik als auch besonders der Jargon seiner Darstellung wirken unpräzise, kaum verständlich und irrational. In seinem Hauptwerk „Das Bild in der Dichtung", das von 1927 bis 1973 in 4 Bänden erschien, unterbreitete Pongs die Auffassung von der Entstehung und der Interpretation jeglicher Dichtung als symbolischer Handlung: „Der hier beschrittene Weg 378
ist der der Beschreibung und Deutung von Dichtungen, in denen Symbol als Phänomen sich entfaltet." 8 5 Damit verhielt sich Pongs konform zu der im Nationalsozialismus bevorzugten Transformation der Geschichte (in diesem Fall: Literaturgeschichte) in ein mythisches, zyklisch-symbolhaftes Weltverständnis 86 , dessen Erforschung intuitiv, existentialistisch, gefühlsmetaphorisch gesteuert war: „Im metaphorischen Akt dann, als originäre Verschmelzung von Gleichnis und Beseelung, findet sich die Polarität, ganz ins Individuelle gesenkt, wieder als mythisches und magischmystisches Bild, das mythische sich erhebend zur geistigen Gestalt-Offenbarung, das mystische hinstrebend zum Eingehen in den wirkenden Grund. Es ergibt sich die überragende Bedeutung des dichterischen Bildes, in dessen Motivabwandlungen die Polaritäten sich selber essentiell und potentiell darstellen, während das Schöpferische Objektive sichtbar eingeht ins Individuell-Uberindividuelle der Bildschaffung und ihres Sinns." 87 Diese Literaturbetrachtung war politisch-kompensatorisch inspiriert; nach Pongs' Aussage kam ihm der Anstoß „aus einem entscheidenden innern Erlebnis auf dem Rückzug 1918: daß im drohenden Zusammenbruch Deutschlands, auch wenn alles verloren ging, aller sogenannte ,Besitz', alle Sicherheit der Existenz, eines uns unverlierbar blieb: unsere innere Art zu wirken und zu sein, die Kraft des Bildens selber, die das Leben neu verwandeln kann." 88 Pongs' weitere Veröffentlichungen über „Krieg als Volksschicksal im deutschen Schriftt u m " (1934) „Ein Beitrag zum Dämonischen im Biedermeyer" (1935), „Rilkes Umschlag und das Erlebnis der Frontgeneration" (1936), „Neue Aufgaben der Literaturwissenschaft" (1937), „Rheinische Stammesseele in der Dichtung der Gegenwart" (1938), „Soldatische Ehre in der Dichtung der Gegenwart" (1942) und anderes mehr lassen erkennen, daß der Autor nicht nur die existentialistische Literaturwissenschaft in Anlehnung an Martin Heidegger favorisiert, sondern auch fast alle Bestandteile der NS-Ideologie in seinen Schriften verarbeitet hat, wie etwa völkische, heroisierende, militaristische, rassisch-biologische und mystische Sichtweisen. Hinzu kamen — neben Berufungen auf den „Parteiphilosophen" Alfred Rosenberg und die konservativ-revolutionären Denker Moeller van den Bruck und Ernst Krieck — immer wieder offene Bekenntnisse zum Nationalsozialismus: „Wir aber, die wir den Umbruch erlebt haben, wollen uns öffnen der Kraft aller Dichtung, die aus den Urbildern von Volk und Reich gewachsen ist. Wir brauchen sie, die Geisteskraft der Dichtung, wie wir sie brauchen, die Blutsbruderschaft aller um das Reich Gefallenen, damit wir stark und hart werden, hineinwachsen in die Haltung, die die Zeit verlangt, die uns den Führer gegeben hat für das neue Reich. Des Führers gedenken wir in dieser Stunde." 89 Pongs konnte seine Tätigkeit als Göttinger Ordinarius für neuere deutsche Literaturgeschichte nur drei Jahre lang ausüben. Er hielt Vorlesungen über Schiller, Goethe, Hölderlin, Kleist, C. F. Meyer sowie über Gattungsprobleme, Symbolfragen und die Epochen der Romantik und des Biedermeyer. Für die Seminarbibliothek schaffte er vor allem Literatur über die zeitgenössische Dichtung an, ein „Stoff", der „den wissenschaftlichen Arbeitszielen Professor Ungers ferner" gelegen habe 90 ; in diesem Zusammenhang organisierte er auch für die Studenten „Vorträge bedeutender Dichter" mit anschließender Diskussion. 91 Am 23. 8. 1945 ordnete die britische Militärregierung die Entlassung Pongs' aus dem Staatsdienst unter Fortfall der Bezüge an. Einer weiteren Ausübung seines Amtes hatte er sich zu enthalten. Pongs - seit 1940 NSDAP-Mitglied - wurde zwar 1949 ordnungsgemäß entnazifiziert und als „entlastet" eingestuft (Kategorie V), seine Professur konnte er jedoch nicht wieder antreten, da die Fakultät sich inzwischen öffentlich von ihm und seinem Verhalten während der NS-Zeit distanziert hatte und daher sein Recht auf Wiederverwendung als Hochschullehrer nicht mehr durchzusetzen war. 1950 wurde er aus Versorgungsgründen
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in den Status eines Wartestandsbeamten eingewiesen und 1954, nachdem er das 65. Lebensjahr erreicht hatte, mit vollen Emeritenbezügen emeritiert. Der hochbetagte Pongs starb 1979 als fast Neunzigjähriger in Gerlingen bei Stuttgart; sein reichhaltiges wissenschaftliches oeuvre, das er auch nach 1945 hinterließ, zeugt von der Kontinuität seiner Anschauungen. Amtsenthoben wurde ebenfalls sein Kollege und Leiter der älteren Abteilung des Seminars für deutsche Philologie, Friedrich Neumann. Die Entlassung ist vornehmlich im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Rektor der Universität von 1933 — 38 sowie seiner NSDAP-Mitgliedschaft seit 1933 zu sehen. Neumanns Rektorat, das er offenbar der Tatsache verdankte, daß er sowohl für überzeugte Nationalsozialisten als auch für die älteren, unpolitischen Ordinarien konsensfähig war, kann hier nicht näher thematisiert werden und ist nur insofern von Belang, als es die Tätigkeit als Wissenschaftler und Seminardirektor betraf. Neumann wurde 1889 in Wilhelmshöhe bei Kassel geboren. Nach dem Abitur 1907 studierte er deutsche Philologie, Philosophie und Klassische Philologie in Marburg, München und Göttingen, wo er 1914 mit einer Arbeit über die „Geschichte des neuhochdeutschen Reimes von Opitz bis Wieland", für deren Druckfassung er 1920 den Scherer-Preis erhielt, bei Edward Schröder promoviert wurde. Den Weltkrieg 1914 - 1 9 1 8 erlebte Neumann als Kriegsfreiwilliger an der Westfront. Nachdem er nach Kriegsende 2 Jahre im Schuldienst verbracht hatte, habilitierte er sich 1921 in Göttingen mit einer Arbeit über Freidank. Im gleichen Jahr erhielt er die planmäßige außerordentliche Professur für deutsche Sprache und Literatur an der Universität Leipzig; 1922 wurde er dort zum ordentlichen Professor als Nachfolger von Eduard Sievers ernannt. 1927 folgte Friedrich Neumann einem Ruf nach Göttingen auf den Lehrstuhl seines Lehrers Edward Schröder und vertrat damit die deutsche Sprache und Literatur unter gleichzeitiger Ernennung zum Direktor des Seminars für deutsche Philologie. 92 Neumann ist nicht als Exponent einer literaturwissenschaftlich-philosophischen Forschungsrichtung wie seine Kollegen Unger und Pongs anzusehen und wirkte entsprechend auch nicht schulenbildend im engeren Sinn. Vor 1933 war er mit Arbeiten zur Metrik, Sprachgeschichte und vor allem mit Interpretationen zur „klassischen" Dichtung des deutschen Mittelalters und ihrer Autoren hervorgetreten. Die Arbeit an diesen Interessenschwerpunkten, — die immer auch die neuere deutsche Literatur mit einschloß — setzte Neumann mit zahlreichen Veröffentlichungen nach 1945 fort, wobei er sich besonders philologischen Detailproblemen und der Edition mittelhochdeutscher Literatur zuwandte.' 3 Von 1933 bis 1945 war das wissenschaftliche Werk Friedrich Neumanns jedoch anders gewichtet. Die Forschungsarbeiten traten zurück zugunsten des Genres der öffentlichen Ansprachen, in denen er zu aktuellen hochschulpolitischen, universitätsgeschichtlichen und weltanschaulichen Problemen seiner Zeit Stellung nahm. Vornehmlich wertete er Gegenstände seiner Fachwissenschaft, der er sich forschend während des Rektorats kaum noch widmen konnte, aus nationalsozialistischer Sicht. Als Leiter von Dozentenakademien trug er des öfteren im Schulungslager Rittmarshausen vor, „und zwar in einem etwas gesuchten journalistischen Stil, fast wie ein Kritiker der alten Frankfurter oder der Vossischen Zeitung"; „Neumanns Belehrungen über unsere germanischen Altvorderen und über mittelhochdeutsche T e x t e " ' 4 begegnen auch in den Universitätsreden „Deutsche Dichtung und deutsche Wirklichkeit" (1933) und „Deutsche Sprache und deutsches Leben" (1935). Literatur war für Neumann eine Ausformung der „geschichtlichen Grundkräfte" und daher nur „als ein unablässiges Ringen nach artgemäßen und zeitgemäßen Formen zu begreifen". 95 Die Beschäftigung mit ihr diente lediglich dem praktischen Zweck, „für das deutsche Da380
sein eine neue und eigenere Wirklichkeit" 9 6 aufzubauen. Damit war der Germanistik eine Rolle beim Aufbau des nationalsozialistischen Staates zugewiesen; ihre Legitimation als Wissenschaft bezog sie aus der Anwendbarkeit auf das „Leben" und die „Wirklichkeit": „Auch in Richtung auf unsere kommende Dichtung lautet die gegenwärtigste Frage, ob es gelingen wird, am Schicksal gewachsener Lebensläufe eine beispielhafte Lebensform zu entwickeln. Die Dichtung kann nicht eine solche Lebensform willkürlich in das Leben hineinbauen. Sie muß vielmehr das, was im Leben selbst nach seiner ihm zugehörigen Darstellung und Deutung ruft, zu sichtbarem Leben erlösen, so daß sich daran neues Leben in bewußter Form entfalten kann. So bleibt nur noch die Frage, ob denn in diesem Leben selbst eine bewegte Tätigkeit sichtbar wird, die sich zum gültigen Dienste formen will. Ein solches bewegtes Tun, das seinen Sinn ganz in die erziehende Kraft seiner Bewegung aufnehmen kann, scheint mir allerdings gegeben zu sein. Die richtig gesehne echte Arbeit, die von allem Selbstischen losgelöst als Dienst gedient wird, der dem Ganzen gilt, wird eine soldatisch ritterliche und damit deutsch-männliche Wirklichkeit schaffen, in der wir als Volk unsere lebendige urständische Einheit finden werden." 97 Die Fähigkeit zur Reaktivierung von Dichtung, Sprache und Leben sei vor allem durch das „Spracherbe gegeben, das sich in immer wieder durchbrechender Erneuerung aus der nordisch-germanischen Herkunft unserer Sprache herleitet. Wer dies germanische Erbe verleugnet, arbeitet gegen ein deutsches Eigenleben von gültiger Art. Diese Grundrichtung ist ferner durch den nationalsozialistischen Willen gegeben, der mit politischem Sinn aus den geschichtlich natürlichen Möglichkeiten heraus an einem deutschen Gesamtstil formt." 9 8 Politische Funktion, ethnische Gebundenheit, heroische Lebensgestaltung, germanische Ursprünglichkeit, lebensphilosophisches Ganzheits- und Gemeinschaftsdenken finden sich als Leitgedanken auch in Friedrich Neumanns Aufsätzen über „Volk, Nation und Staat" (1937), „Sprache, Volk und Rasse" (1939), „Soldatenlied, Volkslied" (1940), „Vom Ursprung des deutschen Sprechens" (1941), „Die Lebensauffassung altgermanischen Dichtens" (1941) und „Gedanken über die Aufgaben der deutschen Bühne" (1942) wieder. Hingegen trifft man bei Neumanns germanistischen Lehrveranstaltungen, die er zusätzlich zu seinen Rektoratsverpflichtungen abhielt, eine solche Thematik nur vereinzelt an. Die von ihm betreuten Dissertationen behandeln — soweit das aus Stichproben ersichtlich war - sprach-, stil- und literaturgeschichtliche Fragen von der altnordischen bis zur neueren deutschen Dichtung und weisen in ihren Problemstellungen keine ersichtlichen Bezüge zur NS-Ideologie a u f ; auch die Promotionsgutachten Neumanns sind durchweg fachlich und sachlich strukturiert. Neumanns Tätigkeit am Seminar läßt sich aus den Akten nur bedingt rekonstruieren, da der Alltagsbetrieb — soweit er ohne Reibungen und Neuerungen ablief — in der Regel nicht dokumentiert ist. Generell finden zumal in den Kuratorialakten nur systemfremde, kaum systemkonforme Verwaltungsvorgänge ihren Niederschlag. So ist für Neumann lediglich zu ermitteln, daß seine Forschungs- und Lehrtätigkeit am Seminar hinter seine amtlichen Verpflichtungen als Rektor zurücktreten mußte und er sich — wie schon dargestellt - besonders für die germanistisch-volkskundliche Arbeit eingesetzt hat. Nach seiner Amtsenthebung durch die Militärregierung 1945 kam Neumann zur Wiederverwendung als Hochschullehrer nicht mehr in Frage. 1949 wurde er von den zuständigen Entnazifizierungsbehörden in Kategorie IV („Mitläufer") eingestuft und im gleichen Jahr vom Kultusminister in den Wartestand versetzt. 1954 erfolgte seine ordnungsgemäße Emeritierung. Bis zu seinem Tod publizierte Neumann noch ein Fülle von wissenschaftlichen Arbeiten, wofür er 1973 die Brüder-Grimm-Medaille der Universität Marburg erhielt. Friedrich Neumann starb — fast neunzigjährig, wie sein Kollege Pongs — am 12. 12. 1978 in Göttingen.
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Bilanz 1945 Eine Bilanz des Seminars für deutsche Philologie im Jahr 1945 läßt sich am ehesten von den äußeren Umständen her ziehen. Das Seminargebäude war erhalten geblieben; die Kriegsverluste der ausgelagerten Bücher und Lehrmittel (durch Verschüttung des Bergwerks Volpriehausen) hielten sich in Grenzen.100 Der Ansturm der Studierwilligen auf das Fach Germanistik, deren Zahl bis 1948 auf 800 emporschnellte,101 ließ ein starkes Bedürfnis der Nachkriegs- und Notzeit-Generation nach geisteswissenschaftlicher Betätigung erkennen, wobei die sozialpsychologischen Motive hier nicht näher ausgeführt werden können. Für den Aktivitätsdrang dieser Studentengeneration spricht auch, daß sich 1947 unter der Leitung des Lehrbeauftragten Prof. Niedecken-Gebhardt eine theaterwissenschaftliche Arbeitsgruppe konstituierte, die sich später zur Abteilung für Theaterwissenschaft des Seminars für deutsche Philologie entwickelte.102 Die Arbeit am Niedersächsischen Wörterbuch setzte der Flüchtling Wolfgang Jungandreas fort, der zuvor in Posen eine außerordentliche Professur innegehabt und bis 1944 das Schlesische Wörterbuch betreut hatte. Als Hilfsassistent des deutschen Seminars bereitete er den Druck des von Janssen und Neumann begonnenen Niedersächsischen Wörterbuches vor, das 1953 mit den ersten Lieferungen erschien.103 In dieser Situation der wiederauflebenden germanistischen Lehre und Forschung wirkte es sich nachteilig aus, daß beide Seminardirektoren entlassen waren; lediglich der Indogermanist Wolfgang Krause blieb im Amt und betreute weiterhin die nordische Philologie. Die Geschäfte des Seminars für deutsche Philologie führten der Dozent Klaus Ziegler und der außerplanmäßige Professor Kurt May104. Als Hilfskräfte unterstützten sie in der Nachkriegszeit Wolfgang Jungandreas, Hans Neumann, Heinrich Fauteck und Reta Schmitz 105 . Die Wiederbesetzung der Direktorenstelle der älteren Abteilung traf zunächst auf Schwierigkeiten. Die Philosophische Fakultät bot den Lehrstuhl, der nach 1945 von Alfred Hübner vertreten wurde, lediglich Jost Trier (Münster) an, denn: „Die Ausgeblutetheit der altgermanistischen Wissenschaft ermöglicht es nicht, den üblichen Dreiervorschlag aufzustellen." 106 Als der „führende Altgermanist seiner Generation" 107 nicht für Göttingen zu gewinnen war, stellte die Fakultät im Oktober 1946 einen Dreiervorschlag auf und wandte sich nacheinander an Theodor Frings (Leipzig), Julius Schwietering (Frankfurt) und Ulrich Pretzel (Hamburg), jedoch ebenfalls ohne Erfolg.108 Schließlich wurde der Göttinger Privatdozent Hans Neumann auf die Professur seines Vorgängers Friedrich Neumann berufen.109 Daß in H. Neumann ein im Dritten Reich politisch verfolgter und außer Landes gedrängter Wissenschaftler auf den Göttinger altgermanistischen Lehrstuhl kam, beleuchtet die Wiederbesetzungspraxis der deutschen Universitäten, die nach 1945 darauf bedacht waren, sowohl wissenschaftlich ausgewiesene als auch politisch unbelastete Hochschullehrer zu ermitteln. Besonders favorisiert wurde seitens der Militärregierung die Rückberufung emigrierter Hochschullehrer. So drangen die Besatzungsbehörden darauf, für die Pongs-Nachfolge den nach Flushing, N Y (Queens College), ausgewanderten Richard Alewyn zu gewinnen, obwohl die Fakultät am 20. 2. 1946 in einem Zweiervorschlag den Freiburger Gelehrten Walter Rehm vor Alewyn piaziert hatte.110 Die Verhandlungen mit Alewyn führten aus nicht eindeutig zu rekonstruierenden Gründen nicht zum Erfolg; u.a. spielten wohl praktische Schwierigkeiten bei der Rücksiedlung und die unsichere politische Zukunft Deutschlands eine Rolle. 111 Als auch Rehm von der Göttinger Professur für neuere deutsche Literaturgeschichte Abstand nahm, glaubte der Dekan Herman Nohl, vor einem „völligen Vakuum" zu stehen: „Es kommen dann nur doch Persönlichkeiten dritten und vierten Ranges in Fra382
ge." 112 Auch wenn diese Einschätzung allzu skeptisch war, so erwies sich eine im Frühjahr 1947 präsentierte Dreierliste der Fakultät ebenfalls als erfolglos 113 ; Günther Müller (Bonn), Emil Staiger (Zürich) und Benno von Wiese (Münster) verhielten sich ablehnend. Nachdem eine Reihe weiterer Namen diskutiert und verworfen worden war — bei gleichzeitigen Versuchen Alewyns, in Göttingen erneut Resonanz zu gewinnen —, entschied sich die Fakultät Ende 1947, „vorläufig keinen Berufungsvorschlag für das verwaiste Ordinariat der neueren Literaturgeschichte einzureichen." 114 Mitte 1949 kam bei Umfragen erneut eine Liste ins Gespräch, die die Namen Friedrich Beißner (Tübingen), Werner Milch (Marburg), Kurt May (Göttingen) und Benno von Wiese (Münster) aufwies. A m 20. 7. 1949 tauchte erstmals der Name Wolfgang Kayser (Lissabon) auf 115 , was die nahezu fünfjährigen Bemühungen zu einem positiven Abschluß brachte. Der von Emil Staiger besonders empfohlene Kayser signalisierte, einen Ruf nach Göttingen sofort annehmen zu wollen. So setzte die Fakultät am 21. 9. 1949 den Literaturwissenschaftler aus Lissabon auf den ersten Platz der Vorschlagsliste, nicht ohne seine „Kleine deutsche Versschule" (1946) sowie „Das sprachliche Kunstw e r k " (1948) als didaktisch hervorragende, ja wissenschaftlich „epochemachende" Leistungen ausführlich gewürdigt zu haben. 116 Kayser wurde am 15. 2. 1951 auf die planmäßige ordentliche Professur für Neuere deutsche Literaturgeschichte berufen und am 2. 3. 1951 zum Mitdirektor des Seminars für deutsche Philologie an der Universität Göttingen ernannt. 117 Spätestens mit der Berufung Hans Neumanns und Wolfgang Kaysers war das Schicksal der Göttinger Germanistik im Dritten Reich abgeschlossen. In den fünfziger Jahren begann ein neuer wissenschaftsgeschichtlicher Abschnitt, der für eine Untersuchung von Kontinuitäten und Brüchen nicht minder lohnend erscheint.
Anmerkungen 1
Vgl. Lammen u.a. (1967), Dahle (1969), Ziegler (1965), Gilman (1971), Greß (1971), Reiss (1973), Vondung (1973), Ketelsen (1976), Denkler u. Prümm (1976). Neueste Arbeiten zu dieser Thematik: Pinkerneil (1980), Allemann (1983), Scharfe (1984), Voßkamp (1985).
2
Vgl. Adam (1977), Vezina (1982), Frontabschnitt Hochschule (1982), Reiter (1982) So für die Runenforschung und die Skandinavistik. Vgl. Hunger (1984), Paul (1985). Zur Volkskunde Brednich (1985)
3
• Vgl. Schöne (1983), Sauder (1983), Füssel (1983), Hunger (1985), S. 2 7 - 3 6 5 Zmegac (1972), S. 76 ff 6 7 8 9 10 11
12 » 14 15
" 17 18
" 20
Vgl. Gilman (1971), S. 73 ff, Voßkamp (1985), S. 147 f Vgl. Seeliger (1965), S. 43 - 53; Schöne (1983), S. 18 ff; Sauder (1983), S. 149 ff Friedrich Neumann zum fünfzigsten Geburtstage (1939), S. 97 Vgl. Pinkerneil (1980), S. 86 Vgl. Voßkamp (1985), S. 144 ff Vgl. Verzeichnisse der Vorlesungen ( 1 9 2 9 - 1 9 4 5 ) Vgl. Chronik ( 1 9 3 1 - 3 8 ) , S. 68 Chronik ( 1 9 2 7 - 3 0 ) , S. 99 U A G , Κ, XVI. IV. C.g.3, Denkschrift Fr. Neumanns v. 2 0 . 1 2 . 1927 Vgl. U A G , K, 4. V. a 57, P M W an Kurator, 19. 5. 1927 U A G , K, 4.V.a 57, Dekan (Hecht) an Kurator, 10. 8. 1927 U A G , Κ, XVI. IV. C.g.l, Rektor (Neumann) an Dekan 24. 5. 1935 U A G , Κ, XVI. IV. C.g.3, Rektor (Neumann) an REM, 7. 5. 1935 Ebenda, R E M an Kurator, 18. 7. 1935 Ebenda, Dekan (Plischke) an R E M 8. 5. 1935
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49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 w 61 62 63 64
Vgl. Ebenda, Rektor (Neumann) an REM, 7. 5. 1935, Rektor (Neumann) an Kurator, 28. 6. 1935. Vgl. UAG, Κ, XVI. IV. C.g.4, Rektor (Neumann) an REM 13.11.1936. Weiterhin siehe Artikel „Das Niedersächsische Wörterbuch erscheint." — In: Deutsche Volkszeitung, 2. 10. 1948, u. Chronik (1931-38), S. 71 Vgl. UAG, Κ, XVI. IV. C.g.l, Janssen an Kurator, 21.5. 1937 u. C.g.4, Rektor (Neumann) an Dekan, 6. 11. 1936 Siehe den Beitrag von Brednich in diesem Bande UAG, Κ, XVI. IV. C.g.l, Rektor (Neumann) an REM, 3. 2.1936 Vgl. Hunger (1984), S. 70 - 95, 220 - 237; Paul (1985) Vgl. Paul (1985), S. 7 - 1 1 Vgl. Hunger (1984), S. 2 0 3 - 2 3 7 Petersen u. Pongs (1934), S. ΠΙ Fr. Neumann (1939), S. 110 £ Zum Praxisbezug vgl. Korff (1933), S. 342 ff Vgl. neben den Verzeichnissen der Vorlesungen auch die Chronik (1927-30), S. 99; (1931-38), S. 69 Verzeichnis der Vorlesungen, WS 1933/34, S. 29 UAG, Κ, XVI. IV. C.g.l, Unger an Kurator, 6.12.1934 Vgl. Jarausch (1984), S. 176 ff Vgl. Lorenz (1943), S. 148-151, S. 230 UAG, Κ, XVI. IV. C.g.4, Neumann an Kurator, 29. 3. 1943 Wapnewski (1972), S. 203 Vgl. UAG, Κ, XVI. IV. C.g.l. „Etat". Darin: Ausgabeanweisung REM, 26.10. 1936; Janssen an Kurator, 21. 5. 1937; Krause an Kurator, 10.11. 1937 So der Stand von 1937; vgl. Verzeichnis der Vorlesungen, WS 1937/38 UAG, Κ, XVI. IV. C.g.l, Rektor (Neumann) an Dekan, 24. 5. 1935 Ebenda, Dekan (Plischke) an REM, 29. 5. 1935 Ebenda, REM an Kurator, 26.10. 1935 Vgl. UAG, Κ, XVI. IV. C.g.4, Rektor an REM, 13. 11. 1936, Neumann an Kurator, 30. 5. 1940, May an Kurator, 17. 3.1946. Dr. Hans Janssen wurde am 28. 4.1945 vom Amtsgericht Göttingen für tot erklärt. Vgl. ebenda, VdK an Kurator, 12. 12. 1950 Vgl. UAG, Κ. XVI. IV. C.g.4, Neumann an Kurator, 12. 11.1942 Vgl. ebenda, Aktennotiz des Kurators, 4. 5. 1943 Vgl. ebenda, Lebensläufe Helmut Vogel, Arthur Rieck, Erika Briegleb, Marie-Luise Böttner, Ursula Probst Vgl. Chronik (1931 -1938), S. 69 f 1936 hatte sich Mays Stipendium erst auf 180,— RM gesteigert. Vgl. UAG, R, 3205 I, Neumann an REM, 23. 7. 1936 Vgl. UAG, R, 3305 b, Hübner an Rektor, 13. 2. 1935 Vgl. Fricke (1929), S. 1 - 6 Fricke (1933b), S. 494 Seeliger (1965), S. 49 Vgl. UAG, R, 3305 b, REM an Fricke, 22. 9. 1934 Vgl. Sauder (1983), S. 149 Lugowski (1936a), S. 223 f UAG, R, 3307b, Neumann an REM, 29. 10. 1934 Vgl. UAG, R, 3305b, Rektor (Neumann) an Dekan Phil. Fak. Würzburg, 11. 10. 1935 Vgl. UAG, R, 3307b, Neumann an REM, 29. 10. 1934 UAG, R, 3305b, Beurteilung Lugowskis vom 4. 7. 1938 (nicht gezeichnet) Ebenda Lugowski (1939), S. 5 Lugowski (1939), S. 3. Vgl. auch Lugowski (1934), (1936b), (1938), passim UAG, R, 3305b, REM an Rektor, 9. 9. 1936 Vgl. UAG, R, 3305b, REM an Kurator, 6. 10. 1936 u. 27. 5. 1937, REM an Lugowski, 14. 7. 1937 u. 2. 4. 1938
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« Vgl. UAG, R, 3205 I, Rektor an REM, 14. 8.1936 4 4 Vgl. UAG, R, 3205 I, Beurteilung des NSD-Dozentenbundes, 15. 5.1936 6 7 Vgl. UAG, R, 3205 I, Rektor an REM, 14. 8.1936 " Vgl. UAG, K, Akte Wolff 69 Vgl. Chronik (1927-30), S. 42 f 70 Vgl. May (1937), (1938), (1941a), (1941b) 71 May (1942) S. 37 72 Fricke (1942), S. 128 73 Zur Biographie Ungers siehe Chronik (1924 - 26), S. 31; May (1942); Kluckhohn (1942); UAG, K, Akte Unger; Phil. Fak, Akte Unger 74 Vgl. Voßkamp (1985), S. 144; May (1942). S. 37; Mayer (1965), S. 329 ff; Zmegac (1979), S. 76 ff 75 Unger (1926), S. 190 76 Ebenda, S. 190 77 Ebenda, S. 184 78 Vgl. Voßkamp (1985), S. 145 79 May (1942), S. 41 80 Vgl. Wiederabdruck dieser Aufsätze bei Unger (1944), Nachdruck (1966) 81 Aufgrund der „Liste der in der Zeit vom 1.1. 1932 bis zum 1. 6.1938 gedruckten Dissertationen" der Phil. Fak. (UAG, R, 4202) wären in dieser Hinsicht zu nennen: Karl Schwarze: Der siebenjährige Krieg in der zeitgenössischen deutschen Literatur. Kriegserleben und Kriegserlebnis in Schrifttum und Dichtung des 18. Jahrhunderts (Diss. Göttingen 1936), sowie Reta Schmitz: Das Problem „Volkstum und Dichtung" bei Herder (Diss. Göttingen 1937) 82 UAG, Phil. Fak., Akte Unger, Dekan an REM, 25. 3.1942 83 UAG, Phil. Fak., Akte Unger, Dekan an REM, 25. 3. 1942, Anlage 1 M Vgl. Gilman (1971), S. 73 ff, Voßkamp (1985), S. 147 ff, Schöne (1972) 85 Pongs (1927-1973), Bd. 2, Vorwort 8« Vgl. Hunger (1984), S. 389 ff 87 Pongs (1927-1973), Bd. 1, S. VOI 88 Ebenda, S. VI 89 Pongs (1935b), S. 14 90 UAG, K, XVI. IV. C.g.l, Rektor an REM, 8. 8.1942 9 1 Ebenda, Pongs an Kurator, 27. 7. 1943 9 2 Vgl. Chronik (1927-30), S. 67; UAG, Nachruf Friedrich Neumann; Fr. Neumann (1964a) 93 Vgl. Fr. Neumann (1964b), (1969) 9 « Trillhaas (1976), S. 165 u. 167 9 5 Fr. Neumann (1933a), S. 2 9 6 Ebenda, S. 13 9 7 Ebenda, S. 20 98 Fr. Neumann (1935), S. 22 9 9 Vgl. UAG, R, 4202, „Liste der in der Zeit vom 1.1.1932 bis zum 1. Juni 1938 gedruckten Dissertationen" der Philosophischen Fakultät κ» Vgl. UAG, K, XVI. IV. C.g.l, May an Kurator, 27. 3.1947 101 Vgl. ebenda, May an Kurator, 27. 3. 1947 102 Vgl. ebenda, Kurator an May, 17. 10. 1947; UAG, K, XVI. IV. C.g.4, May an Kurator, 3. 12. 1947 103 Vgl. UAG, K, XVI. IV. C.g.5, Jungandreas an Kurator, 6. 6. 1947; „Das Niedersächsische Wörterbuch erscheint". - Artikel in: Deutsche Volkszeitung, 2. 10. 1948; U A G K, XVI. IV. C.g.4, Krause und May an Kurator, 16. 8. 1946 «M Vgl. UAG, K, XVI. IV. C.g.l, Kurator an Ziegler, 23. 8. 1945; Kurator an May, 22. 2. 1947; UAG, K, XVI. IV. C.g.4, May an Kurator, 17. 3. 1946 os Vgl. UAG, K, XVI. IV. C.g.4, May an Kurator, 17. 3.1946; Ziegler an Dekan, 17. 12. 1945; Krause u. May an Kurator, 16. 8.1946; May an Kurator, 20. 9. 1947 i« Künzi-Pfluger (1966), S. 1 - 6 143 Zur Berufung Siegels wurde die Bernstein-Stelle gegen die Hausdorff-Stelle in Bonn getauscht: siehe UAG, R, 3206 I, Kurator an Minister, 28. 10. 1937. Siegel hatte wohl gewünscht, nicht auf einen entlassenen Juden zu folgen. Hausdorff war zwar auch Jude, aber 1935 aufgrund eines Gesetzes emeritiert worden, das nicht unmittelbar ein Judengesetz war: siehe Mehrtens (1980). So Eichler in GE. Teilnehmer waren insbesondere auch die Ausländer Arf, Bergström und Humbert. Vgl. Seminarausarbeitung Göttingen SS 1938/WS 1938/39: „Rationale und ganzzahlige Punkte auf algebraischen Kurven". Eichler konnte sich außerdem an Seminare über Diophantische Approximation und die Hasse — Weil Zetafunktion arithmetischer Funktionenkörper erinnern. (GE) - Vgl. die Einleitungen zur 56. und 59. Arbeit in Hasse (1975). 145 Indizien dafür sind etwa die in Anm. 143 erwähnten Vorgänge. Auch lehnte Siegel den Vorschlag, einen Artikel mit Hasse gemeinsam zu veröffentlichen, unter Hinweis auf die früheren Koautoren Bieberbach und Schur sowie Feller und Tornier, mit der ironischen Begründung ab: „Ich möchte nicht, daß Sie dann durch meinen Namen kompromittiert würden." (15. 1. 1939) 146 So Hlawka an Schappacher, 28. 10. 1985; vgl. Hlawka (1985), S. 374. Ähnlich G E 147 Ziegenbein erledigte einen Großteil der Institutsverwaltung selbständig: UAG, S, III, D 335 (52 Π), Hasse an Kurator, 22. 7. 1938, mit dem Sekretär Otto Schmidt, einem strammen Nazi. 14» UAG, S, ΠΙ, D 335 (52 Π), Hasse an Kurator, 22. 7. 1938. Vgl. Hlawka an Schappacher, 28. 10. 1985 149 Deutsche Wiss. (1939), S. 1 4 9 - 1 5 1 . Hasses Zugeständnisse an die Erfordernisse dieses Bandes sind rhetorischer Art; „rein inhaltlich" deckt sich das, was er hier sagt bzw. andeutet, z.B. gut mit den Ausführungen in Hasse (1930). 150 Siehe Vorlesungsverzeichnis, z.B. Sommer 1939. In den Akten der NS-Akademie (Archiv des Philosophischen Seminars) tritt Hasse nicht weiter in Erscheinung. 151 UAG, K, XVI.V.Cc 4, Hasse an Kurator, 10.11.1937. Hieraus geht auch hervor, daß die Akte dieses Falles der NSDAP zur Untersuchung übergeben wurde. 152 MI, Ziegenbein an Oberfinanzpräsident Hannover, 2. 11. 1937 153 So GE; vgl. GD. Hasse und Schmid haben offenbar bald zu ihrem vorigen guten Verhältnis zurückgefunden. Vgl. Hasse (1958), wo die Göttinger Entlassung ganz unterdrückt wird. 154 UAG, K, 4.V.C 305, Lebenslauf Siegel in Habilitationsgesuch vom 11. 8. 1921. Schließlich wurde Siegel 1942 aus dem Staatsdienst entlassen, siehe UAG, K, XVI.V.Aa 69 155 Hasses Forschungsgruppe, in der auch W. Magnus (vgl. 3.3 unten) mitarbeitete, beschäftigte sich mit Verfolgungskurven: siehe BÄK R26 III R F R 3, Forschungsaufträge OKM; FEP. - In Göttin144
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gen wurden unter Max Schuler ebenfalls OKM-Aufträge ausgeführt: BÄK, ebd.; vgl. den Beitrag von C. Tollmien in diesem Band, S. 699. Inwieweit ein Zusammenhang mit Arbeiten in den Räumen des mathematischen Instituts bestand, ist unklar. 156 MI, Kaluza an Kurator, 14. 1. 1943; Kurator an OB Gnade, 21. 1. 1943 157 Jedenfalls wurden die Auswirkungen der Belegung auf das Institut stark übertrieben, als es darum ging, die Einquartierung eines Teils des Städtischen Krankenhauses im Institut zu verhindern: MI, OKM an Kurator, 5. 8.1943; 8. 12. 1943; „Marinestelle Göttingen, Bunsenstr. 3 - 5" an Gesundheitsamt, 7. 12. 1943 158 MI, Kurator an Institut, 13. 7.1943 '5' UAG, K, XVI.V.Cc, Reichsminister für Luftfahrt an Kurator, 22. 9.1939. Die Rechnungen dienten zur Aufstellung von Sterntabellen für die Orientierung der Wetterflieger über dem Atlantik: GD. 160 MI, Institut an Kurator, 17. 1. 1947. Die Zahlen wurden wahrscheinlich übertrieben. BDC, H. Hasse, Korrespondenz Parteikanzlei, 21. 12. 1939 Alle Schreiben in UAG, K, XVI.V.Aa 53 163 Diese Vorgänge in UAG, Κ, IX, 83; das Zitat Blatt 235 164 Siehe UAG Κ, XVI, V.Aa 82. Die Berufung erfolgte vor der Entscheidung über Hasses Entlassungsverfahren: „Es kann kein Zweifel sein, daß Professor Hasse die Erlaubnis zur Ausübung der Lehrtätigkeit . . . nicht erteilt werden wird." (Kurator an Minister, 19. 9. 1946) 165 Siehe Schappacher (1985) 166 Siehe z.B. Maas (1985)
Anhang: Wissenschaftliches Personal Diese Tabelle wurde von Bettina Göhler zusammengestellt. Sie gibt den Personalbestand des mathematischen Instituts Göttingen zwischen SS 28 und WS 44/45 ausgehend von den Vorlesungsverzeichnissen an. Ergänzt wurde Arnold Schmidt, der SS 1932 bis SS 1933 aus dem Privatfond der Fakultät - vgl. 1.2 - bezahlt wurde. Die Namensverzeichnisse erschienen nicht immer passend zu den Vorlesungsverzeichnissen; so fehlen Angaben für WS 34/35, SS 36, 3. Trim. 41 und Trim. 42, die soweit wie möglich ergänzt wurden. Ordentliche Professoren Bernstein SS 28 - SS 33 Courant SS 28 - SS 34 Hasse SS 34 - WS 44/45 Herglotz SS 28 - WS 44/45 Hilbert SS 28 - SS 30, emer. WS 30/31 - WS 42/43
Kaluza WS 36/37 - WS 44/45 Landau SS 28 - WS 33/34 Siegel SS 3 8 - W S 42/43 Tornier WS 34/35 - SS 36 Weyl WS 30/31 - SS 33
Gastprofessor R. Nevanlinna WS 36/37 - WS 37/38 Außerord. Professoren Noether SS 28 - SS 33 Bernays WS 28/29 - SS 33 Neugebauer SS 30 - SS 33 Oberassistent Neugebauer SS 30 - SS 33, beurl. WS 33/34 - WS 35/36 Rohrbach SS 37 - SS 41 Ullrich SS 35 - WS 35/36, beurl. WS 36/37 - SS 38
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Planmäßige Assistenten Lewy SS 28 - SS 33 Neugebauer SS 28 - SS 30 Ziegenbein WS 34/35 - WS 43/44
Api Assistenten Bernays WS 28/29 - SS 33 Bödewadt WS 35/36 - WS 42/43 Boehle WS 36/37 - WS 38/39 Braun SS 39 - WS 43/44 Cauer SS 29 - WS 35/36 Cohn-Vossen SS 28 - WS 29/30 Eichler SS 38 - WS 43/44 Fenchel SS 29 - SS 33 Friedrichs SS 30 Gentzen WS 36/37 - WS 43/44 Heesch WS 30/31 - SS 35 Kochendörffer WS 38/39 - SS 39 Lüneburg WS 31/32 - SS 33 Lyra 3. Trim. 40 - WS 44/45 Mittmann (arbeitete am Inst, für Stat. & Vers.math.) WS 35/36 Reilich SS 28 - SS 34 H . L. Schmid W S 37/38 A. Schmidt W S 29/30 - W S 35/36 T h . Schneider WS 39/40 - WS 43/44 Teichmüller WS 36/37 - SS 37 Ulm WS 33/34 - SS 35 v. d. Waerden SS 28 Wagner WS 35/36 W . Weber W S 28/29 - WS 35/36 Wegner WS 30/31 - SS 31 Witt SS 35 - SS 37 Wittich SS 37 - W S 38/39
Prìvatdozenten ohne Stelle am Mathematischen Institut Görtier SS 41 - WS 44/45 Graeser SS 38 - WS 44/45 Grandjot SS 28 - WS 35/36 Hohenemser SS 32 - WS 32/33 Münzner (Api. Ass. Inst, für Stat. & Vers.math.) SS 39 - WS 44/45 Tollmien (angest. am K W I Strömungsforschung) WS 36/37 - WS 38/39
Quellen- und Literaturverzeichnis Unveröffentlichte Dokumente Akten des Universitätsarchivs Göttingen, ( U A G ) . Archiv Max-Planck-Institut für Strömungsforschung, Göttingen (AStr).
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Die Göttinger Physik unter dem
Nationalsozialismus
ULF ROSENOW
Die einzigartige Stellung Göttingens als „Weltzentrum der Physik" in den zwanziger und frühen dreißiger Jahren und deren plötzliche Beendigung durch den Einbruch des Nationalsozialismus 1933 sind häufig beschrieben worden. 1 Es ist aber keine zusammenhängende Darstellung der Göttinger Physik unter dem Nationalsozialismus zu finden. 2 Dieser Beitrag soll einen Uberblick über die Entwicklung der Göttinger Physik im Dritten Reich vermitteln."' Aus Platzgründen mußte eine Konzentration auf die Herzfächer Theoretische Physik und Experimentalphysik I und II erfolgen und viele interessante Details beiseite gelassen werden. Die Zeit vor 1933 wird insoweit zusammenfassend behandelt, als es für das Verständnis des weiteren Verlaufs unerläßlich erscheint. Auf eine nochmalige Würdigung der fachlichen Bedeutung dieser Periode der Physik wurde jedoch verzichtet. 3 Auch wird abschließend auf die Zeit nach dem Zusammenbruch eingegangen, auf den Neubeginn, das Verhältnis der Emigranten zu Deutschland einschließlich der Frage der Rückkehrwilligkeit und -möglichkeit und auf die Frage der Wiedergutmachung.
Das „Goldene Zeitalter"4 Jene einzigartigen Jahre der Physik in Göttingen begannen mit der Berufung Max Borns 1920 auf den theoretischen Lehrstuhl. Born erreichte bei seinen Berufungsverhandlungen durch Ausnutzung eines von ihm im Stellenplan entdeckten Buchungsfehlers 5 auch die Einrichtung eines zweiten Lehrstuhls für Experimentalphysik und die Berufung seines Freundes James Franck auf diesen. Er bemühte sich auch erfolgreich darum, daß Robert Wichard Pohl den Ruf auf den ersten Lehrstuhl für Experimentalphysik erhielt. Pohl war schon 1916 auf ein Extraordinariat nach Göttingen berufen worden, das er aber kriegsbedingt erst 1919 antreten konnte. Die baldige Berühmtheit der akademischen Lehre zog einen qualifizierten wissenschaftlichen Nachwuchs an, gleichermaßen aus dem östlichen und westlichen Ausland, besonders nachdem Franck 1926 den Nobelpreis erhalten hatte und Born die neue Quantenmechanik Heisenbergs, zu der er die Anwendung der Matrizenrechnung beisteuerte und die von beiden zusammen mit Jordan ausgearbeitet wurde, 1926/27 in einer Vortragsreise in Nordamerika bekanntgemacht hatte. 6 Ein entsprechender Anteil von Physikstudenten in Göttingen läßt sich durch Zahlen belegen. Beispielsweise studierten im Sommersemester 1932 in Göttingen von insgesamt 3 662 Studierenden 206 (5,6 %) Physik, in Deutschland 2 299 (1,8 %) von 126 381/ Zwischen den drei Physikalischen Instituten entstand bald ein reger Gedankenaustausch, wozu wohl einerseits die durch die Berufungsvereinbarungen Borns festgelegte enge räumli* Dankenswerterweise stellten sich Zeitzeugen für Gespräche und Korrespondenz zur Verfügung, so Prof. Wilhelm Hanle, Prof. Otto Heckmann, Prof. Friedrich Hund und Prof. Wilhelm Walcher. Prof. Hanle stellte mir freundlicherweise auch das Manuskript eines der American Physical Society gegebenen Interviews und auszugsweise den Entwurf unveröffentlicher Memoiren zur Verfügung.
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che Verflechtung der drei Lehrstühle, andererseits das durchaus freundschaftliche Verhältnis der drei Lehrstuhlinhaber beigetragen haben mögen. 8 Gelegentliche Konflikte gab es eher zwischen Born und Franck einerseits und Pohl andererseits, dem auch die gemeinsame Verwaltung der drei Institute oblag. Pohl hatte schon 1922 einen Ruf auf den Lehrstuhl Röntgens nach Würzburg erhalten - wie übrigens auch Franck auf den Rubensschen Lehrstuhl nach Berlin - , war aber damals mehr als hervorragender Lehrer denn als Forscher bekannt. Seine wissenschaftlichen Ansichten wurden von Franck und Born als etwas eigenwillig angesehen, 9 · 10 besonders die in seinem Institut durchgeführten und im Schatten der Atomforschung stehenden Arbeiten über „Farbzentren", deren Bedeutung erst nach dem zweiten Weltkrieg im Zusammenhang mit der Entwicklung der Halbleitertechnik erkannt wurde." Auch die materielle Basis der Göttinger physikalischen Institute war in den 20er Jahren durchweg günstig. Es bestand trotz der wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Nachkriegsjahre eine weitsichtige, wohlwollende Unterstützung durch das Kultusministerium. 12 Während der Inflation konnte Born die regelmäßige Unterstützung der physikalischen Institute durch den Industriellen Carl Still erreichen, 13 und ab Ende der 20er Jahre konnten durch Zuwendungen der Rockefeller-Stiftung umfangreiche Neubauten errichtet und ein erheblicher Teil des Personal- und Sachetats gedeckt werden. Dieses wurde durch Vermittlung des Mathematikers Courant 14 und „intensiven Einsatz" Pohls als Dekan 1926/27 15 erreicht. Gerade diese gute finanzielle Ausstattung der mathematischen und physikalischen Institute führte jedoch auch zu Mißgunst und Neid und ließ Gegensätze innerhalb der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät entstehen, die sich allerdings nicht nur aus der Wahrung fachspezifischer Interessen erklären lassen, sondern ihre Wurzeln zumindest zum Teil in ideologischen Bereichen hatten, wobei es auch Indizien für unterschwellige antisemitische Einstellungen gab. Daß der Antisemitismus in der Göttinger Fakultät nach dem ersten Weltkrieg eine gewisse Rolle spielte, geht schon daraus hervor, daß es Born 1922 nicht wagte, seinen „jüdischen" Freund Theodor v. Karman für einen Lehrstuhl vorzuschlagen, nachdem er schon die Berufung Francks erreicht hatte.16 Mit der Verknappung der Mittel in der Folge der Weltwirtschaftskrise entstand Ende 1931 in der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät ein schwerer Konflikt (S. 632 ff.). Es ging um die den Universitäten vom Ministerium auf dem Wege der Notverordnung auferlegten Etatkürzungen, auf die die Universität u.a. mit einer Kundgebung „Wider die Gefährdung des Geisteslebens" am 15. 12. 1931 reagiert hatte. Besonders durch die angedrohte Streichung von Assistentenstellen war die Besorgnis auf „die Erhaltung der Forschungsmöglichkeiten des wissenschaftlichen Nachwuchses" gerichtet. 17 Born schlug 1932 vor, die zur Streichung anstehenden Assistentenstellen durch einen freiwilligen Verzicht der Professoren auf einen kleinen Teil ihres Gehaltes zu finanzieren. Daraufhin wurde ein einprozentiger Verzicht im Fakultätsrat beschlossen, was aber zu einer Eskalation der Gegensätze führte. Born erinnert sich: „ . . . aber die überstimmten zeigten eine Gehässigkeit, wie wir sie nie zuvor erlebt hatten: es waren einige Historiker, aber vor allem die Landwirtschaftler und Forstleute. Ein halbes Jahr später wußten wir, was sie eigentlich waren: verkappte Nazis, die Fürsorge für Einzelne für ebenso überflüssig hielten wie das Funktionieren wissenschaftlicher Institute." 18 In diesem aus der Rückerinnerung geschriebenen und nicht in allen Einzelheiten präzisen Urteil hat sich das Erlebnis des Nationalsozialismus niedergeschlagen 1 ' (S. 635). Es erscheint jedoch fragwürdig, die beteiligten, zweifellos rechtskonservativen landwirtschaftlichen Hochschullehrer schon vor 1933 als Nazis einzustufen. Eher dürfte wohl auch auf 553
sie Schönes Einschätzung zutreffen, daß die Universitätslehrer „keineswegs zu den Sturmabteilungen des Nationalsozialismus gehörten". 20 Hingegen dürften antisemitische Einstellungen eine Rolle gespielt haben.21 Unter den 23 Unterzeichnern des Gehaltsverzichts waren tatsächlich keine Landwirte (unter denen auch keiner nichtarisch war), aber alle sieben Juden22 der Fakultät. Daß es gerade unter den Physikern (und Mathematikern) einen so starken „jüdischen" Anteil gab, läßt sich mit der um 1900 weit verbreiteten antisemitischen Diskriminierung in den Wissenschaften erklären. Davon war aber die Physik weniger betroffen, da sie als reine Wissenschaft und damit als „brotlose Kunst, die nur wenigen die Laufbahn als Universitätslehrer versprach", 23 galt. Einen deutlichen Wandel dieser Situation beobachtet man nach dem ersten Weltkrieg in der Bildung einer starken antisemitischen Gruppierung um Philipp Lenard und Johannes Stark, also nun auch unter den deutschen Physikern, auf die im folgenden Abschnitt näher eingegangen wird.
Antisemitismus und „deutsche" Physik Die Entwicklung des Antisemitismus in der deutschen Physik, als deren Protagonisten die Nobelpreisträger Philipp Lenard (1905) und Johannes Stark (1919) auf sehr unterschiedliche Weise hervorgetreten sind, wird bei Beyerchen (1977) eingehend beschrieben. Lenard, Schüler Heinrich Hertz', entwickelte eine Aversion gegen die theoretische Physik. Seine durch den ersten Weltkrieg vertieften Vorurteile gegenüber „dem Engländer" 24 , Frustrationen aus dem Prioritätenstreit mit W. C. Röntgen und schließlich seine scharfe Gegnerschaft zu Albert Einstein münden in einen ausgesprochenen Antisemitismus und in die Gegenvorstellung von einer „nordischen" oder „arischen" Physik, die von einer besonderen Anschaulichkeit geprägt sein sollte. Lenard gehörte 1915 zu den 94 Unterzeichnern des „Aufrufs an die Kulturwelt". 25 Der Aufruf gipfelte in der Feststellung, daß deutsche Kultur ohne deutschen Militarismus vom Antlitz der Erde getilgt worden wäre. Einstein lehnte diesen Aufruf scharf ab und war selbst an der Abfassung eines „Manifests an alle Europäer" beteiligt, welches zum Ausgleich der Gegensätze aufrief. Mit der experimentellen Bestätigung der Lichtablenkung im Schwerefeld der Sonne anläßlich der Sonnenfinsternis 1919 wurde Einstein nun auch zu einer Weltberühmtheit, was die scharfe Gegnerschaft Lenards nun vollends hervorrief. Auf der Versammlung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Arzte in Bad Nauheim 1920 kam die Ablehnung Einsteins durch Lenard offen zum Ausbruch. Einer der Befürworter der Einsteinschen Theorie war Max Born, bei dem Einstein während des Kongresses in Frankfurt wohnte. Lenard fühlte sich verkannt und führte das auf Machenschaften der jüdisch beeinflußten Physikergemeinschaft zurück. Er ließ nun seinem Antisemitismus freien Lauf, ließ völkisches Gedankengut in seine wissenschaftlichen Publikationen einfließen26 und wies sich 1924 mit einem Treuebekenntnis als Anhänger Hitlers, welcher gerade seine Gefängnishaft angetreten hatte, aus.27 Er trat erst 1937 der NSDAP bei, anläßlich der Feier zur Taufe „des Philipp-Lenard-Instituts" der Universität Heidelberg. Auf ähnlichen Wegen gelangte Johannes Stark ebenfalls zur Unterzeichnung dieses Treuebekenntnisses. Auch bei Stark gibt es eine Auseinandersetzung mit Einstein über die Priorität der Entdeckung der Quantennatur photochemischer Prozesse.28 Der erste Weltkrieg verstärkte seinen Nationalismus, der auch in eine Gegnerschaft zur Weimarer Republik mündete. Obwohl Stark 1919 den Nobelpreis erhielt, ist eine Entfremdung von den 554
modernen Entwicklungen der Physik zu beobachten. Andererseits entwickelte Stark, im Gegensatz zu Lenard, betont berufspolitische Aktivitäten.29 1920 wurde Stark nach Würzburg berufen. Die Beteiligung an einer Porzellanfabrik mit seinen Nobelpreisgeldern wurde ihm ebenso verübelt wie die Annahme einer Habilitationsschrift über die optischen Eigenschaften des Porzellans des Ingenieurs Ludwig Glasser, der sich in der Anti-EinsteinKampagne hervorgetan hatte. Stark wurde bereits 1922 „auf eigenen Wunsch" aus seinem Amt in Würzburg entlassen. In einem Buch zog er gegen die angebliche Vorherrschaft der Theorie, speziell der Relativität und der Bohr-Sommerfeldschen Quantentheorie und den damit verbundenen angeblichen Dogmatismus zu Felde. Nach dem Scheitern seiner intensiven Bemühungen, zum Präsidenten der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt (PTR) berufen zu werden, wendete er sich ebenfalls völkischem Gedankengut zu und wurde Anhänger Hitlers und ein „deutscher" Physiker. Der NSDAP trat er am 1. April 1931 bei.
Der Einbruch des Nationalsozialismus Der Rücktritt Francks Noch im Januar 1933 war Franck zu Berufungsverhandlungen ins Ministerium nach Berlin eingeladen worden. Er war erster Kandidat für den Lehrstuhl Walter Nernsts, der 1922 anstelle von Franck Nachfolger von Rubens geworden war. Nach Beyerchen habe Franck gleichzeitig auch das Kaiser-Wilhelm-Institut für Physik übernehmen sollen (eine Angabe, die allerdings zu klären bleibt, da Albert Einstein Direktor dieses Instituts war und vor 1933 wohl noch niemand an seine Ablösung dachte). Haber hatte zudem die Vorstellung, daß Franck möglicherweise 1936 auch seine eigene Nachfolge als Direktor des KWI für Physikalische Chemie antreten könnte. 30 Die Machtergreifung 1933 führte zur Unterbrechung der Berufungsverhandlungen. Es griffen nun schnell die antijüdischen Maßnahmen des Hitlerregimes. Besonders die zum 1. April 1933 initiierten reichsweiten Judenboykottmaßnahmen arteten in Göttingen schon am 28. März 1933 zu einer vorgezogenen „Kristallnacht" aus. Während eines SAUmzuges wurden die Schaufenster jüdischer Geschäfte eingeschlagen und jüdische Bürger drangsaliert und gedemütigt.31 Franck war durch seine in Berlin lebende Tochter Elisabeth und seine vielen Freunde auch über die dortigen Vorgänge orientiert. Von diesen war Albert Einsteins brieflich erklärter Austritt aus der Akademie der Wissenschaften und deren schäbige Reaktion mit einer Presseerklärung am 1. 4.1933, in der sie Einstein Greuelpropaganda vorwarf und seinen Rücktritt ohne Bedauern zur Kenntnis nahm, vielleicht derjenige, der das meiste Aufsehen erregte. Franck und seine engsten Mitarbeiter und Freunde, wie z.B. Max Born, Oberassistentin Hertha Sponer, Schwiegersohn Arthur von Hippel, Assistent Heinrich Kuhn, diskutierten mögliche Konsequenzen. Man war sich im klaren darüber, daß man die zunächst eingenommene abwartende Haltung aufgeben mußte. Für Franck wurde der Gedanke an einen öffentlichen Rücktritt immer zwingender, obwohl ihn viele seiner Freunde und Bekannten von vermeintlich voreiligen Schritten zurückzuhalten versuchten.32 Heckmann ist Franck noch am 16. April 1933 auf der Straße begegnet und hat ihm dringend von dem beabsichtigten Schritt abgeraten. Er hatte die damals häufige Ansicht vertreten, daß sich die revolutionären Auswüchse des Umsturzes bald legen würden und daß man das System durch Rückzug auf den wissenschaftlichen Bereich überstehen könne.33 Er habe damals kein Verständnis für Francks Entschluß gehabt. Sogar Max Planck 555
habe einem Kollegen geraten, einen einjährigen Urlaub zu nehmen, danach würden alle unangenehmen Begleiterscheinungen dieser Zeit verschwunden sein. Die Geschichte hat jedoch die Richtigkeit der Franckschen Befürchtungen bestätigt. Mitte April 1933 waren die ersten Entlassungen an verschiedenen Hochschulen bekannt geworden, und in der Osterausgabe des Göttinger Tageblattes wurde über die Beurlaubung von 16 Hochschullehrern an anderen Universitäten des Reichs berichtet. Es sei kaum zweifelhaft, daß diese Beurlaubungen das endgültige Ausscheiden bedeuten würden. Minister Rust beabsichtige, die „Judenfrage" noch vor dem 1. Mai „anzupacken", um Unruhen bei Semesterbeginn zu vermeiden. Dafür seien Fragebögen zur Uberprüfung der Hochschullehrer aufgrund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. 4. 1933 unterwegs nach Göttingen. Am Ostersonntag, dem 17. 4. 1933, richtete Franck den folgenden Brief an den Preußischen Minister für Kunst, Wissenschaft und Volksbildung: „Durch diese Zeilen bitte ich Sie, Herr Minister, mich von meinen Pflichten als ordentlicher Professor an der Universität Göttingen und als Direktor des II. Physikalischen Instituts dieser Universität zu entbinden. Der Entschluß ist mir eine innere Notwendigkeit wegen der Einstellung der Regierung dem deutschen Judentum gegenüber." 34 Diese behördeninterne Mitteilung an den Minister ist äußerst knapp gehalten. In seinem Anschreiben an den Rektor, das er auch zur Grundlage seiner öffentlichen Erklärung machte, die er noch am 17. 4. 1933 telefonisch an die „Göttinger Zeitung" durchgab, begründete Franck seine Bitte um Amtsenthebung wesentlich deutlicher. Nach der Mitteilung, versuchen zu wollen, weiter in Deutschland wissenschaftlich zu arbeiten, heißt es darin: „Wir Deutsche jüdischer Abstammung werden als Fremde und Feinde des Vaterlandes behandelt. Man fordert, daß unsere Kinder in dem Bewußtsein aufwachsen, sich nie als Deutsche bewähren zu d ü r f e n . . . Wer im Kriege war, soll die Erlaubnis erhalten, weiter dem Staate zu dienen. Ich lehne es ab, von dieser Vergünstigung Gebrauch zu machen, wenn ich auch Verständnis für den Standpunkt derer habe, die es heute für ihre Pflicht halten, auf ihrem Posten auszuhalten."35 Anders als Courant, der nach seiner Beurlaubung um sein Verbleiben im Amt kämpfte (S. 529), lehnte es Franck ab, von der Ausnahmeregelung für die Frontkämpfer des ersten Weltkrieges Gebrauch zu machen. Den Frontkämpferstatus hätte Franck in Anspruch nehmen können, da er sich zu Beginn des ersten Weltkrieges (übrigens ebenso wie O t t o Hahn, Gustav Hertz, Wilhelm Westphal und Erwin Madelung) freiwillig zu einem Kommando seines Freundes Fritz Haber gemeldet hatte, der den Kriegseinsatz von Giftgasen vorgeschlagen hatte und nun mit deren Entwicklung und Erprobung beauftragt war. 3 6 , 3 7 Franck und Hahn unternahmen es damals persönlich, die Wirkungen von Gasmasken, zum Beispiel gegen Phosgen, auszuprobieren, weil sie meinten, am ehesten das Erreichen einer gefährlichen Wirkungsschwelle beurteilen zu können. 3 8 Franck hatte gehofft, durch sein Beispiel andere Hochschullehrer zu ähnlichen Protesten bewegen zu können und damit vielleicht die sich abzeichnende, verhängnisvolle Entwicklung der Judenfrage aufhalten zu können. Diese Hoffnung erfüllte sich nicht. Grete Paquin, die Sekretärin Francks, hat berichtet, sie habe am Abend der Veröffentlichung der Rücktrittserklärung mit der Sekretärin Pohls vergeblich bis 22 U h r im Institut auf solidarische Anrufe aus Francks Kollegenkreise gewartet. 39 Lediglich der Rektor der T H Stuttgart, P.P. Ewald, gratulierte Franck und teilte mit, daß er sein Amt als Rektor mit der Begründung niedergelegt habe, daß er „den Standpunkt der Regierung in der Rassenfrage nicht teilen könne." 4 0 Der private Zuspruch, den Franck erhielt, war allerdings gewaltig. In Francks Nachlaß befinden sich Dutzende von zustimmenden Briefen aus allen Landesteilen und Bevölkerungsschichten. 41 Erwähnt 556
sei ein Brief von Francks ehemaligem Regiment, in dem alle Offiziere „dem verehrten und lieben Kollegen ihre immerwährende Freundschaft aussprechen." 42 Die öffentliche Resonanz auf die Rücktrittserklärung des Nobelpreisträgers Franck war im In- und Ausland groß. Viele Tageszeitungen berichteten darüber, oft noch ungefärbt. Die Vossische Zeitung vom 18. 4.1933 schrieb sogar: „Der Brief Professor Francks könnte, wenn er auf allen Seiten ohne Eifer und Voreingenommenheit gelesen wird, wie er gemeint ist, zur Selbstbesinnung helfen." Aus dem nationalsozialistischen Umfeld kam es dagegen zu einer scharfen Reaktion von 42 Dozenten der Georgia Augusta. Sie veröffentlichten im Göttinger Tageblatt eine Erklärung, in der es heißt, daß Francks Rücktrittserklärung „einem Sabotageakt gleichkommt" und die Hoffnung ausgedrückt wird, „daß die Regierung die notwendigen Reinigungsmaßnahmen daher beschleunigt durchführen wird" (S. 41 u. 42 ff.). Franck wird der Vorwurf gemacht, Kopf einer Gruppe zu sein, wogegen er sich zur Wehr setzt. 43 Auch Rektor Schermer scheint sich dieser Auffassung anzuschließen. In seinem Anschreiben an den Minister, mit dem er Francks Entlassungsgesuch weiterleitet, schreibt er: „Nachdem die Angelegenheit in der Göttinger Presse erörtert worden ist und nachdem namentlich der Eindruck entstanden ist, Herr Professor Franck handele als Beauftragter einer bestimmten Gruppe von Dozenten, kann ich die mündlich vertretene Auffassung, die Entscheidung in der Angelegenheit Franck nach Möglichkeit hinauszuschieben, nicht mehr aufrechterhalten. Ich würde im Gegenteil begrüßen, wenn der Herr Minister die Entscheidung möglichst bald träfe." 44 Franck betritt sein Institut noch ein einziges Mal, um sich von seinen Mitarbeitern zu verabschieden. Eine Reise nach Berlin macht ihm klar, daß in der Industrie keine geeignete Stelle für ihn zu finden ist und er seine Absicht aufgeben muß, in Deutschland weiter wissenschaftlich zu arbeiten. Im Sommersemester 1933 hält Franck noch ein Seminar in seiner Privatwohnung ab. 45 A m 12. 8. 1933 erhielten Franck und Courant Reisegenehmigungen in die Türkei. Sie waren dort zusammen mit Born als Berater für den Aufbau der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Istanbul tätig. 46 Bekanntlich nahm die Türkei zu vergleichsweise großzügigen Bedingungen ab 1933 deutsche wissenschaftliche Emigranten auf, was ihr eine willkommene Gelegenheit zur Modernisierung ihres Hochschulsystems war. Franck verließ Göttingen endgültig am 28.11. 1933, und eine große Menschenmenge verabschiedete ihn auf dem Bahnsteig. Er reiste zunächst zur Wahrnehmung von Gastprofessuren in die Vereinigten Staaten von Amerika, nach Cambridge, Massachusetts (Dezember 1933), und Baltimore (Januar bis März 1934), danach als Gastprofessor zu Niels Bohr nach Kopenhagen. 47 Beamtenrechtlich wurde sein Fall wie folgt abgewickelt. A m 27. 4.1933 erteilte ihm der Kurator drei Wochen Urlaub. Franck ersuchte um Urlaubsverlängerung „bis zur Erledigung meines Gesuches." Der Minister erteilte daraufhin Urlaub bis zur endgültigen Entscheidung des Falles. A m 11. 12. 1933, also nach Francks Abreise, teilte der Minister schließlich über den Kurator mit, daß er keine Veranlassung habe, „aufgrund des Beamtengesetzes gegen Sie (Franck, der Verf.) vorzugehen." Und weiter: „ . . . Ihrem Antrag vom 17. 4.1933 vermag ich im Hinblick auf die bestehenden gesetzlichen Vorschriften nicht stattzugeben. Sollten Sie jedoch mit Ihrem Antrag die Absicht verbunden haben, auf Ihre Entlassung aus dem preußischen Staatsdienst nachzusuchen, so bin ich bereit, diesem Antrag zu entsprechen. Zuvor bedarf es jedoch bestimmungsgemäß noch der vorherigen Einreichung einer Erklärung darüber, daß Sie auf irgendwelche Ansprüche auf Gehalt, Ruhegehalt und Hinterbliebenenhilfe verzichten."48 557
Franck blieb nichts anderes übrig, als diese Verzichtserklärung abzugeben. In den 50er Jahren wird das erhebliche Schwierigkeiten bei seinem Wiedergutmachungsverfahren bereiten. Am 8. 2. 1934 spricht der Minister die Entlassung mit Wirkung vom 1. 1. 1934 mit dem Zusatz „ . . . indem ich Ihnen zugleich meine Anerkennung für Ihre akademische Wirksamkeit an dieser Universität ausspreche", aus. Die Wahl dieser Floskel fällt vergleichsweise49 kühl aus und wird dem Wirken Francks in keiner Weise gerecht. Aus dem Kreis der „Deutschen Physiker" nimmt Lenard den Fall Franck zum Anlaß, am 28. 6. 1933 einen Brief an die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zu richten, in dem er dem Senat drei Fragen vorlegt, nämlich, ob der Senat Sorge tragen werde, „daß 1. der Jude Fritz Haber, 2. der Jude James Franck, 3. der Jesuit Muckermann aus den Instituten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft alsbald entfernt, beziehlich vollständig ferngehalten werden? Etwaige Taufen oder Dispens vom Papst ändern gar nichts an der Beschaffenheit der 3 Genannten." 50
Max Borns Beurlaubung und Emigration Warum Max Born zu den ersten sechs per Telegramm vom 25. 4. 33 (S. 42 ff.) beurlaubten Göttinger Professoren gehört, ist zunächst kaum verständlich. Er hatte nie einer Partei angehört und war, mit einer Ausnahme, nie öffentlich politisch in Erscheinung getreten. N u r einmal hatte Born seine äußere Zurückhaltung aufgegeben, als er sich mit Einstein, der als „Linker", wenn nicht gar als „Roter" galt, und dem Psychologen Max Wertheimer nach der Ausrufung Eberts zum Reichskanzler zum Reichstagsgebäude begab, um sich für die nebst dem Rektor der Universität von revolutionären Studenten festgehaltenen Professoren einzusetzen.51 Mit Einstein verband ihn eine pazifistische und antimilitaristische, dem Menschen zugeneigte Uberzeugung. 1915, noch zur Zeit des verbreiteten Hurra-Patriotismus, schreibt er von seiner militärischen Dienststelle in Berlin an seine Frau: „ . . . und doch scheint mir das Leid einer einzigen Mutter um ihren einzigen Sohn, das Leid eines jungen Weibes um ihren Mann, größer als der große Kampf der Völker." 52 Borns politische Einstellung war durch sein nichtmonarchistisches Elternhaus geprägt und hatte sich in seiner Göttinger Studentenzeit auch durch die zeitweilige Teilnahme an dem Kreis um Leonard Nelson sowie die Auseinandersetzung mit der Husserlschen Philosophie gefestigt.53 Dies mag, wie auch seine andauernde Freundschaft mit dem den Nationalsozialisten verhaßten Einstein, den Stellen, die die Maßnahmen nach dem Beamtengesetz vorbereiteten, bekannt gewesen sein. Obwohl Born ein sehr politisch denkender Mensch war — auch die klare Einsicht in die Notwendigkeit einer schnellen Emigration belegt das —, scheute er sich, dem Beispiel Francks zu folgen. Zwar hatten Born, Courant, Franck und Weyl nach der Erinnerung Otto Neugebauers bei Treffen in Francks Haus einen Massenaustritt im Geiste der „Göttinger Sieben" erwogen, aber daraus ist nichts geworden.54 Born entschied sich also sehr schnell zur Emigration und verließ mit Frau Hedwig und Sohn Gustav Göttingen schon am 9. 5. 1933. Eine erste Zuflucht ließ sich in dem üblichen Sommerurlaubsquartier der Familie Born in Wolkenstein, Südtirol, finden. In einem Brief an Einstein vom 2. 6. 1933 äußert er sein Unverständnis über Francks Wunsch, in Deutschland auszuharren: „ . . . ich hätte nicht die Nerven dazu, sehe auch den Sinn nicht ein. Aber er (und auch Courant) sind trotz ihres Judentums, das viel ausgeprägter ist als bei mir, innerlich Deutsche." 55 558
Die weitere Abwicklung des Falles Born ist insofern besonders interessant, als die Kultusbürokratie Born - ganz entgegen dem Eindruck, den die abrupte Beurlaubung vermittelt - offenbar an der Universität Göttingen zu halten bemüht ist. Besonders Kurator Valentiner, aber offenbar auch Ministerialrat Achelis in Berlin bemühen sich, die Angelegenheit unter Ausschöpfung des beamtenrechtlichen Rahmens möglichst positiv für die Universität Göttingen und für Max Born persönlich abzuwickeln. Valentiner erreicht zunächst, entgegen dem erklärten Willen Borns, die Anerkennung Borns als Frontkämpfer und verhindert damit seine Entlassung nach dem Beamtengesetz. Born hatte am 24. 5. 1933 aus Wolkenstein eine vom Kurator angeforderte Aufstellung über seine Militärdienste übersandt, die mit dem Satz schließt: „Ich glaube, im Kriege das getan zu haben, was mir mein Körper gestattete." In einem privaten Anschreiben an den Kurator betont er jedoch, er mache „ . . . obige Antwort pflichtgemäß, aber mit widerstrebendem Gefühl: Ich möchte unter keinen Umständen den Anschein erwecken, als ob ich mich um die Rücknahme meiner Beurlaubung bemühe." Und weiter betont er, „daß ich ganz und gar Francks Standpunkt teile und keine Sonderbehandlung als Kriegsteilnehmer oder dgl. wünsche." 56 Kurator Valentiner hat sich offenbar darüber hinweggesetzt. In einer im Zusammenhang mit dem Reichsbürgergesetz vom 14. 11. 1935 vom Ministerium angeforderten Aufstellung steht bei Born noch ein „ja" unter der Rubrik „Frontkämpfer", das allerdings zu einem nicht vermerkten Zeitpunkt durchgestrichen und durch ein „nein" ersetzt wurde.57 Aus Zürich richtet Born an den Minister ein Gesuch um Beurlaubung nach Cambridge. Da längere Zeit keine Antwort kam, richtet Born unter Verkennung der beamtenrechtlichen Konsequenzen am 10. 8. 1933 an den Minister die Bitte um Entlassung aus seinem Amt. Er teilt einen Ruf nach Cambridge auf eine „Lectorship" vom 1. 10. 1933 an mit. Born wird nun vom Minister mit Datum vom 28. 8. 1933 zu einer Erklärung über den Verzicht auf Gehalt-, Ruhegehalt und Hinterbliebenenbezüge aufgefordert, was ihm erst die Konsequenzen seines Antrages deutlich macht. Hedwig Born schreibt dann auch an den Kurator: „Mein Mann dachte, dem Ministerium die Sache zu erleichtern", und der Kurator an den Minister: „Born hat seinen Antrag so verstanden, daß er das Ruhegehalt weiter bezieht." Die Antwort des Ministerialdirektors Achelis ist positiv, ja sie erscheint aus heutiger Sicht verblüffend durch die Äußerung: „ . . . unsere Absicht geht dahin, Professor Born im Zusammenhang mit der Universität Göttingen zu halten." 58 Born wird am 9. 10. 1933 für 3 Jahre zum Zwecke wissenschaftlicher Arbeit an die Universität Cambridge beurlaubt. Gleichzeitig wird die am 2. 5. 1933 (in Nachfolge des Telegramms vom 25. 4. 1933) ausgesprochene dienstliche Beurlaubung aufgehoben, auch dies ein wohl bemerkenswerter und kaum bekannter Vorgang, der beamtenrechtlich wieder eine völlige Normalität herstellt. Allerdings gibt es noch eine lange Querele um die vom Landesfinanzamt Hannover geforderte Zahlung von „Reichsfluchtsteuer". Es geht immerhin um einen Betrag in der Größenordnung von zwei Drittel von Borns letztem Jahreseinkommen. Born versucht schließlich, vom Minister die Bestätigung zu erhalten, daß seine Tätigkeit in Cambridge deutschen Interessen dienen bzw. ein vorzeitiger Abbruch derselben diesen schaden würde, wozu er Gutachten des Vizekanzlers der Universität Cambridge und der Mathematischen Fakultät, des Deutschen Botschafters in London, von Hoesch, und von Max Planck beifügt. Schließlich schlägt der Kurator dem Minister mit Hinweis auf die möglichen negativen Auswirkungen im Ausland vor, Born zu bewegen, von sich aus um Entpflichtung zu bitten. Unter dieser Voraussetzung wäre der Minister bereit, ein „deutsches Interesse" zu erklären, wobei jetzt (10. 1. 1934) zum Ausdruck gebracht wird, daß eine Rückkehr Borns auf seinen Göt559
tinger Lehrstuhl praktisch nicht mehr in Frage kommt. Nach weiteren Abklärungen bittet Born am 2 0 . 2 . 1935 um Entpflichtung. Der Reichsminister übersendet unter dem 23. 7 . 1 9 3 5 die vom Führer und Reichskanzler persönlich unterzeichnete Entpflichtungsurkunde, die anders als bei Franck nach Form und Inhalt eine deutliche Anerkennung Borns darstellt. 59 Borns Entpflichtung wird zum Ende März 1935 wirksam. 60 Die Emeritenbezüge sollten jedoch für die Dauer der dreijährigen Gastprofessur ruhen. Der genehmigte Urlaub gelte als beendet. Schon vorher hatte der Minister die Fakultät um Vorschläge zur Wiederbesetzung des Bornschen Lehrstuhls bis zum 15. 7. 1935 gebeten. Das Reichsbürgergesetz mit der 1. Durchführungs-VO vom 1 4 . 1 1 . 1 9 3 5 hatte für Born keine direkten Konsequenzen mehr, obwohl sich das Ministerium darüber zunächst nicht im klaren zu sein schien. Born wird nämlich zunächst in den Ruhestand versetzt (31. 12. 1935), ihm wird das Merkmal „Frontkämpfer" aberkannt, was auch eine Reduzierung der Bezüge auf 35 % bedeutet hätte, Maßnahmen, die schließlich zurückgenommen wurden, da ein Emeritus nicht als Beamter gelten konnte. Am 5. 6 . 1 9 3 7 genehmigt der Minister Born die Verlegung seines Wohnsitzes nach Edinburgh, wohin Born inzwischen einen Ruf erhalten hatte. Ab Juli 1937 erhielt Born auch ein monatliches Ruhegehalt, welches sogar ins Ausland transferiert werden durfte. Es wird im November 1938, dem Monat der „Reichskristallnacht" letztmalig angewiesen. Mit diesem Ereignis endet das beamtenrechtlich normale Dienstverhältnis zum Deutschen Reich abrupt. Mit Verordnung des Reichsministers des Inneren vom 9. 11. 1938 (am Vortage der „Reichskristallnacht"!) wird „der Max B o r n " der deutschen Staatsangehörigkeit für verlustig erklärt. Es folgt die Aberkennung des Doktorgrades durch Beschluß der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Göttingen vom 1. 12. 1938. Auch das Bankguthaben Borns, von allerdings nur noch 77,53 Reichsmark, bei der Deutschen Bank in Köln, wird von der Gestapo am 13. 12. 1938 beschlagnahmt mit der Begründung, der „Jude B o r n " habe durch Vorträge an der „Freien Deutschen Hochschule" in Paris das Ansehen des Reiches in schwerster Weise verletzt, womit hier vermutlich nur die Begründung für die Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft Borns wiederholt wird. 61
Die Emigration der Assistenten Unter dem Tl. 5. 1933 findet sich im Tagebuch des Kuratoriums der Eintrag, daß von Dr. Heitier und Dr. Nordheim eine Mitteilung eingegangen sei, daß im Institut für Theoretische Physik keine kommunistischen Besprechungen stattgefunden hätten. Das Institut wurde also kommunistischer Umtriebe verdächtigt. Den „nichtarischen" Dozenten wurde schon mit dem 28. 4. 1933 über Dekan Reich eine Empfehlung übermittelt, „ . . . ihre Rechte aus der venia legendi nicht auszuüben", also keine Vorlesungen zu halten. Im Mai 1933 wurden sie den Beamten im Sinne des „Beamtengesetzes" gleichgestellt (S. 40). Dies war im September die Handhabe, ihnen die Lehrbefugnis zu entziehen. Darüber hinaus wurde ihnen, soweit sie beamtete Stellen innehatten, zum 31. 10. 1933 gekündigt, da sie ja meist schon aus Altersgründen nicht für die Ausnahmeregelung für Frontkämpfer in Frage kamen. Ausweislich des amtlichen Vorlesungsverzeichnisses für das Sommersemester 1933 gehörten zu Borns Institut der planmäßige Assistent Walter Heitier und der außerplanmäßige Assistent Lothar Wolfgang Nordheim, beide Privatdozenten und „jüdisch". Außerdem ar-
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beitete Eduard Teller, eigentlich Hilfsassistent bei Eucken im Institut für Physikalische Chemie und als solcher, obwohl „jüdisch", nicht vom „Beamtengesetz" betroffen, mit Born zusammen. Schließlich hatte Born eine Vereinbarung mit dem Lennard-JonesLaboratory in Bristol, jeweils für ein Jahr im Wechsel einen seiner Assistenten dorthin zu entsenden. Dies war 1932 — 33 gerade Martin Stobbe. Nordheim wurde am 20.9. zum 31. 10.1933 gekündigt. 62 Ähnlich erging es Heitier. Born konnte mit Bristol einen vorzeitigen Tausch Heitiers gegen den als „Arier" nicht gefährdeten Stobbe vereinbaren. Heitier ging von Bristol bald nach Dublin, wo schon Schrödinger arbeitete, und erhielt später einen Ruf nach Zürich. 63 In Stobbe begegnet uns der seltene Fall eines „Ariers", der aus Gewissensgründen seine Stelle kündigte. Er emigrierte im Frühjahr 1934 und opferte damit nicht nur eine mögliche Karriere in Deutschland, sondern, wie sich zeigte, eine gesicherte Zukunft überhaupt. Er ist damit einer der ersten Fälle von jüngeren, noch unbekannten Emigranten, denen es nicht gelang, eine dauerhafte Stelle zu finden. 64 Stobbe geht 1936 zunächst nach Princeton, 1936 nach England, dann nach Oslo. Er ist im zweiten Weltkrieg verschollen. 65 Eduard Teller, später als „Vater der Wasserstoffbombe" apostrophiert, befolgte den Rat Euckens, möglichst bald das Land zu verlassen. Er geht über Kopenhagen und London nach Amerika. 66 Zu Francks Institut gehörten 1933 die Oberassistenten Hertha Sponer, die planmäßigen Assistenten Günther Cario und Arthur von Hippel, die außerplanmäßigen Assistenten Heinrich Kuhn und Werner Kroebel sowie sein Privatassistent Eugen Rabinowitch. 67 Hertha Sponer ist außerplanmäßige Professorin, Cario, von Hippel und Kuhn sind Privatdozenten. Nur Kuhn und Rabinowitch sind „jüdisch", jedoch galt von Hippel, Schwiegersohn Francks, als „jüdisch versippt", was es ihm geraten erscheinen ließ, mit seiner Familie ins Ausland zu gehen. Von Hippel ist einer derjenigen Wissenschaftler, die an die Universität Istanbul gehen (S. 709 ff.). Er bleibt dort aber nur ein Jahr, geht 1934 nach Kopenhagen und schließlich nach Boston. 68 Heinrich Kuhn bittet von sich aus um seine Entlassung. Ende Juli 1933 entspricht Pohl diesem Wunsch. Kuhn geht nach Oxford. Er arbeitete im Krieg an der Atombombenentwicklung in England mit. Rabinowitch, ein naturalisierter Russe, verliert sowohl sein Stipendium, das er von der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft erhielt, als auch seine deutsche Staatsangehörigkeit. 69 Uber Kopenhagen und England geht er 1938 nach Amerika. Nachfolger auf von Hippels Assistentenstelle wird übrigens jener Dr. W. Dames, dem nachgesagt wird, daß er Franck in der Zeit vor 1933 für die N S D A P beobachtet habe. 70 Dames ist der einzige Mitarbeiter in den Physikalischen Instituten, der als Anhänger des Nationalsozialismus nach 1933 persönliche Vorteile erlangte. 71 Hertha Sponer, die Franck schon 1922 aus Berlin als Assistentin mitgebracht hatte und die 1933 Oberassistentin in seinem Institut ist, sieht 1933 ebenfalls — obwohl „arisch" — einer ungewissen Zukunft entgegen, mußte sie doch wegen ihrer antinazistischen Einstellung nach offiziellem Jargon als „unzuverlässig" gelten. Sie hatte am 20. 10. 1925 die Venia legendi für Physik erhalten 72 und war am 26. 1. 1932 zur nichtbeamteten, außerordentlichen Professorin ernannt worden. Offenbar entsprach sie nicht den Vorstellungen der Nationalsozialisten von der sozialen Stellung der Frau, welche aber in diesem Punkt die weit verbreitete konservative Einstellung zur Frau in der Gesellschaft, insbesondere in akademischen Berufen, aufgreift. Nicht sie, sondern Pohl wird zur Vertretung Francks bestellt. Pohl will sie offenbar als Assistentin entlassen. Daraufhin konsultiert der Kurator am 18. 12. 1933 Eucken und den Zoologen Kühn und vermerkt: „Pohl ist dagegen, daß Frauen in die akademische Laufbahn eintreten, und glaubt daher, den jetzigen Zeitpunkt benutzen zu müs561
sen." 73 Die Fakultät genehmigt einen zweisemestrigen Gastaufenthalt in Oslo. Hertha Sponer reist Anfang September 1933 nach Oslo und wird nicht mehr nach Göttingen zurückkehren. Am 23. 8. 1935 befürwortet die Fakultät eine Urlaubsverlängerung bis Oktober 1937, nun mit der Bemerkung, daß es die Fakultät begrüßen würde, „wenn Fräulein Sponer weiterhin der Göttinger Universität angehören würde, da sie als Gelehrte von ihren Fachkollegen sehr geschätzt wird." Am 26. 5. 1936 teilt der Dekan dem Kurator mit, daß Frau Sponer einen Ruf als ordentliche Professorin an die Duke University angenommen habe. In Oslo stellt Hertha Sponer noch ihr zweibändiges Werk „Molekülspektren und ihre Anwendung auf chemische Probleme" fertig, das 1935/36 bei Springer in der früher von Franck, danach von Hund herausgegebenen Reihe „Struktur und Eigenschaften der Materie" erschien. Die Widmung „Meinem Lehrer und Freund James Franck gewidmet" und die Danksagungen u.a. an Franck, Teller, Rabinowitch, konnten unbeanstandet passieren. Während Borns Institut vollständig verwaiste, blieben Francks Institut die beiden „arischen" Assistenten Cario und Kroebel erhalten.
Kontinuität durch Robert Wichard Pohl74 Das I. Physikalische Institut war, weil ausschließlich „arisch" besetzt, vollständig intakt geblieben. Nach dem amtlichen Namensverzeichnis für das Sommersemester 1932 gehörten ihm Oberassistent Rudolf Hilsch und planmäßiger Assistent Gerhard Bauer an. Beyerchen führt in seiner Aufstellung noch den außerplanmäßigen Assistenten Rudolf Fleischmann an.75 Pohl, der nach Gerlach76 „zu den letzten und erklärtesten Vertretern autoritärer Institutsleiter" gehörte, hatte dem neuen System gegenüber eine starke, nahezu unangreifbare Stellung. Hatte er doch 1932 den Ruf auf den Heidelberger Lehrstuhl Lenards, des Protagonisten der „Deutschen Physik", erhalten. Zudem ist er nach der vollständigen Verwaisung des Bornschen und weitgehenden Verwaisung des Franckschen Lehrstuhls nun der einzige, dem die Organisation eines geregelten Lehr- und Forschungsangebotes des Göttinger Physikalischen Instituts übertragen werden kann, zumal ihm schon ohnehin die gemeinsame Verwaltung der Physikalischen Insitute oblag. Schließlich erfüllte Pohl mit der Anlage seiner großen Vorlesung wichtige Kriterien der „Deutschen Physik", ohne dieser selbst auch nur im geringsten nahezustehen, nämlich große Anschaulichkeit, unmittelbare Naturverbundenheit durch sorgfältiges Experimentieren, Vermeidung „formalistischer" Vorgehensweise. Hinzu kam, daß ohne sein Zutun einiges aus seiner „Einführung in die Physik" begierig im Wehrkundeunterricht der höheren Schulen aufgegriffen wurde. So werden insbesondere die Versuche zur Bestimmung der Geschwindigkeit von Pistolenkugeln und seine Besprechung der Kreiselbewegung, des Kreiselkompasses und des künstlichen Horizontes hervorgehoben. 77 Im Gegensatz zur Hochschulphysik wurden ja die Ideen der „Deutschen Physik" ebenso wie die Bestrebungen zur Einführung des Faches „Wehrkunde" bei den Gymnasiallehrern häufig geradezu freudig aufgenommen, 78 was auch mit Bemühungen um die Eindeutschung physikalischer Fachausdrücke einhergeht. Aus einer von W. Hillers 1935 vorgelegten Liste seien zur Erheiterung einige Preziosen zitiert: „möhr" für orange, „veil" für violett, lila, „Macht" für potentielle Energie, „Wucht" für kinetische Energie, „Lückenfächer" für Absorptionsspektrum, „Unterkleinrohr" für Ultramikroskop, „die Treibe (nicht: der Treiber)" für Motor. 79 562
Zweifellos wandelte sich Pohls von Jungk 8 0 als „kluge Vorsicht" apostrophierte Haltung zunehmend in Reserviertheit oder gar Gegnerschaft dem System gegenüber. Genüßlich mag er jeweils den Vorgang zur Entstehung der Farbe „Braun" in seiner großen Vorlesung vorgeführt haben, der in allen Auflagen seines Optikbandes der „Einführung in die Physik" beschrieben ist, mit der beziehungsreichen, aber unangreifbaren Formulierung: „Durch die Bewegung verschwinden die drei einzelnen Farben (Schwarz, Rot, Gelb) in einem einheitlichen Braun". 8 1 Die Bewegung einer in Kaliumbromid an einer Kathode injizierten Elektronenwolke, die als braune Wolke zur Anode wandert, vom Beschauer aus nach rechts, kommentiert Pohl: „Und jetzt polen wir das äußere Feld um und schon wandert die braune Masse nach links". 8 2 Pohl bestimmt also nun für einige Zeit weitgehend allein die Geschicke der Physik in Göttingen und hat bei allen wichtigen Anlässen, zumindest bis zur Wiederbesetzung der Lehrstühle Borns und Francks, das entscheidende Wort. Pohl sorgt damit aber auch für eine Kontinuität der physikalischen Grundausbildung, übrigens auch über den Zusammenbruch 1945 hinaus.
Nachfolge Borns und Francks Der Anspruch der „Deutschen Physik"83 Da die beiden bedeutenden Lehrstühle Borns und Francks und einige Assistentenstellen in beiden Instituten unbesetzt waren, konnte erwartet werden, daß die Vertreter der „Deutschen Physik" massiv versuchen würden, Leute ihrer Couleur in diese wichtigen Positionen zu bringen. Johannes Stark hatte endlich die Chance zu einer neuen Karriere erhalten. Er war am 1. 5. 1933 zum Präsidenten der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt ( P T R ) ernannt worden, wenn auch — wie von Laue später äußert — „gegen das einhellige Votum aller befragten Fachmänner." 8 4 Ende Juni 1933 wird er auch Präsident der „Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft" 85 , die er in „Deutsche Forschungsgemeinschaft" umbenennt („weil es im neuen Deutschland keine N o t mehr gibt"). Er gewinnt so schließlich die Möglichkeit eines außerordentlichen Einflusses auf die Physikpolitik im Dritten Reich, wenn auch nicht in der Allmacht, die er angestrebt hatte, und mit vergleichsweise spärlicher tatsächlicher Auswirkung. Seine Grenzen wurden aufgezeigt, als seine Aufnahme in die Preußische Akademie der Wissenschaften im wesentlichen durch eine Rede Max von Laues verhindert wurde. Sein weiterer Niedergang — 1936 wurde er zum Rücktritt als Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft gezwungen, 1939 tritt er auch als Präsident der P T R zurück - ist bei Beyerchen ausführlich dargestellt. Aber auch schon 1934 ist keine Einflußnahme Starks auf die Wiederbesetzung des Franckschen Lehrstuhls festzustellen, ebensowenig, wie später auf die Nachfolge Borns. Stark versuchte zwar, gelegentlich mit rabiaten Mitteln, gegen die verhaßte moderne Richtung der Physik anzugehen, wie die folgende Redestelle aus dem Jahre 1936 enthüllt: 86 „Nun, Einstein ist heute aus Deutschland verschwunden . . . aber leider haben seine deutschen Freunde und Förderer noch die Möglichkeit, in seinem Geiste weiterzuwirken. Noch steht sein Hauptförderer Planck an der Spitze der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, noch darf sein Interpretator und Freund, Herr von Laue, in der Berliner Akademie der Wissenschaften die physikalische Gutachterrolle spielen und der theoretische Formalist Heisenberg, Geist vom Geiste Einsteins, soll sogar durch eine Berufung ausgezeichnet werden!"
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Auch läßt er am 15. 7. 1937 jenen berüchtigten Artikel in das SS-Organ „Schwarzes Corps" einrücken, wegen dessen „Existenz sich wohl jeder normaldenkende Wissenschaftler im Dritten Reich schämte". 8 7 Darin ist von „Judenzöglingen", „spintisierenden und unfruchtbaren Theoretikern", schließlich von „weißen Juden" die Rede, „ . . . . allesamt Statthalter des Judentums im Deutschen Geistesleben, die ebenso verschwinden müssen, wie die Juden selbst." Tatsächlich war es aber so, daß die Gruppe der „Deutschen Physiker" relativ klein blieb und in ihr „sich keine fähigen jüngeren Physiker" heranbildeten, und „Lenard . . . bedauerte, daß Schüler von ihm keine Stelle fanden." 8 8 So ist es verständlich, daß die „Deutsche Physik" in Göttingen keine Rolle gespielt hat, ja nicht einmal ein offenes Interesse aus dieser Richtung an der Besetzung der Lehrstühle von Franck und Born geäußert wurde.
Nachfolge Francks Zunächst waren durch die Beurlaubungen Francks Lehrstuhl bis Anfang 1934, Borns bis Mitte 1935 blockiert. Francks Entlassung aus dem Staatsdienst mit Wirkung vom 1. 1. 1934 wurde erst am 8. 2. 1934 genehmigt (S. 558). A m 12. 3. 1934 bringt Ministerialrat Achelis in einem Schreiben an Rektor Neumann für die Nachfolge Francks den englischen Physiker Henry Brose in Vorschlag, der sich „der nationalen Regierung Deutschlands aufs engste verbunden" fühle und „in Fachkreisen sehr gut beurteilt" werde. Mit ihm werde gleichzeitig auch wieder eine internationale Beziehung hergestellt. Die Fakultät möge vertraulich um eine Stellungnahme gebeten werden. 89 Neumann antwortet unter Beifügung eines Berichts der Fakultät am 28. 3. 1934, daß Brose ganz unbekannt, seine Produktion klein sei, und er um so weniger in Frage komme, „als gerade das Ausland sehr darauf achtet, mit welchen Kräften wir besetzen." Er verweist auf einen Vorschlag der Fakultät, der Bothe, Heidelberg (der 1954 zusammen mit Max Born den Nobelpreis für Physik erhielt), an erster und Kulenkampff, München, an zweiter Stelle nennt, eine Berufungsliste, die er als amtlich anzusehen bittet. Die Fakultät bringt am 30. 11.1934 dem Rektor gegenüber noch einmal nachdrücklich Kulenkampff in Vorschlag, nachdem Bothe offenbar vergriffen ist. Dekan Reich spielt schon auf eine mögliche Ablehnung Kulenkampffs an, indem er für den Fall, daß das Ministerium „einen in der Partei aktiven H e r r n " wünscht, eine Teilung des Lehrstuhls unter Aufwertung der Oberassistentenstelle anbietet. Am 5. 12. 1934 lehnt die Dozentenschaft Kulenkampff ab als „eine demokratisch eingestellte Natur, von der Offenheit, Geradheit und Rückgrat nicht zu erwarten sind", und als aus einem Institut kommend, das sich „einer geschlossenen Ablehnung des Nationalsozialismus gegenüber zu befleißigen" scheine. N u n bittet Rektor Neumann am 10. 12. 1934 die Fakultät um ein Urteil über die vom Ministerium ins Spiel gebrachten Kossei, Danzig, und Joos, Jena, und bittet gleichzeitig darum, auf Kulenkampff nicht mehr zurückzukommen. Die Fakultät ignoriert diesen Wunsch, indem sie noch einmal Kulenkampff und an zweiter und dritter Stelle Geiger, Tübingen, und Gehrtsen, Gießen, vorschlägt. Der Rektor setzt sich darüber hinweg, bemerkt aber, daß der „hiesige Fachvertreter für Physik" — es kann sich nur um Pohl handeln — darum gebeten habe, ihn davon zu entheben, über Kossei und Joos zu urteilen. Mit gleichem Datum setzt sich die Dozentenschaft „unter allen Umständen" für Joos und Kossei ein. Kurator Valentiner springt der Fakultät am 8. 2. 1935 mit einem ausführlichen Schreiben an den Minister bei. Uber den nicht empfohlenen Joos heißt es, er habe „als Wissenschaftler an sich eine sehr erhebliche Leistung vollbracht. Von ihm stammt die einwandfreie experimentelle Ver564
teidigung des für die Relativitätstheorie grundlegenden Versuchs", also ein Urteil, welches Joos in den Augen der Partei eigentlich hätte disqualifizieren müssen. Der Kurator empfiehlt noch einmal Geiger und betont, daß für die Wiederbesetzung des Franckschen Lehrstuhls nur eine wirklich überragende Persönlichkeit in Frage käme, denn diese Besetzung werde in den „angelsächsischen und skandinavischen Kreisen" beachtet werden. Diese Bemerkung muß nicht als fachliche Abwertung Joos' gelesen werden. An gleicher Stelle wird erwähnt, daß Joos von seinem Arbeitsspektrum her nicht als geeignete Ergänzung der vorhandenen Arbeitsrichtungen angesehen werde. Es wäre auch denkbar, daß sich die Fakultät lediglich in der Verfahrensfrage durchsetzen wollte. Für die Ablehnung durch Pohl käme auch die Vorstellung in Frage, nach der Erfahrung mit der Berühmtheit Franck (S. 553) nicht wieder eine starke Persönlichkeit neben sich haben zu wollen. Zweifel an der fachlichen Qualifikation Joos' sind an keiner Stelle der Akten zu finden. Joos wird schließlich mit Wirkung vom 1. 4. 1935 berufen. Die „sehr erhebliche Leistung", die der Kurator erwähnte, war die Wiederholung des Michelson-Moreley-Versuches mit modernsten apparativen Mitteln der Zeiss-Werke, mit dem Joos die Äther-Theorie Lenards widerlegte. Versuch und Ergebnis hat Joos in allen Auflagen seines Buches „Theoretische Physik" auch im Dritten Reich beschrieben. Damit konnte er nicht zu den „deutschen" Physikern gerechnet werden. Hanle stellt dar, daß Joos, wie auch er selber, innerlich Gegner des Nationalsozialismus waren, was auch durch Schüler Joos' bestätigt wird. 90 Daß Joos trotzdem vom Ministerium, also letztlich wohl aus NSKreisen in Vorschlag gebracht worden ist, könnte damit zusammenhängen, daß Joos schon von Ende 1922 bis Ende 1923 NSDAP-Mitglied war. Ein diesbezüglicher offizieller Akteneintrag 91 besagt außerdem, daß diese Mitgliedschaft dann ab 1923 ruhte. Die N S D A P wurde allerdings 14 Tage nach Hitlers Putschversuch, dem „Marsch auf die Feldherrnhalle" in München am 9. 11. 1923, verboten. Die erwähnte Akte wurde auf Grund eines ministeriellen Erlasses vom 26. 8. 35 angelegt, der den Institutsleitern auferlegte, einen Fragebogen zur NSDAP-Mitgliedschaft der Beamten auszufüllen. Joos hat die betreffenden Angaben eigenhändig in seinen Fragebogen eingetragen - ein halbes Jahr nach seiner Berufung nach Göttingen und ohne erkennbare Zwangslage. Im Widerspruch zu diesem Aktenvermerk steht der spätere Beschluß, mit dem das Entnazifizierungsverfahren Joos' eingestellt wird, „da er überhaupt nicht belastet ist". 9 2 In diesem ist nur von einer Anmeldung Joos zur Mitgliedschaft in der N S D A P im Herbst 1923 die Rede. Zu einer ordentlichen Mitgliedschaft sei es nicht gekommen, Joos somit „vom Gesetz nicht betroffen". In der Begründung heißt es u.a.: „ . . . daß der Betroffene als ein Gegner des Nationalsozialismus bekannt war und sich in mehreren Fällen für aus rassischen Gründen Verfolgte eingesetzt hat." Konzessionen gegenüber dem neuen Regiment findet man im Vorwort zur zweiten Auflage 1934 seiner „Theoretischen Physik", wo man liest: daß im harten Daseinskampf des Deutschen Volkes die Beherrschung der theoretischen Zusammenhänge bei der Entwicklung der Technik eine mächtige Waffe darstellt.. ," 9 3 Allerdings kann dies auch als Verteidigung der in dem Buch vertretenen kompromißlosen Darstellung der theoretischen Physik gedeutet werden. Im Vorlesungsverzeichnis des Wintersemesters 1936/37 findet man die Vorlesung Joos' „Die Physik als Waffe im Daseinskampf". Schließlich liefert Joos auch einen Aufsatz „Theoretische Physik" zu der dem „Führer" zum 50. Geburtstag 1939 gewidmeten Festschrift des Ministeriums Rust. Es ist neben den die Technik betreffenden Beiträgen des Göttinger Strömungsforschers L. Prandtl über „Mechanik" und des Göttin-
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ger Metallurgen G. Masing über „Metallkunde" der einzige physikalische Aufsatz in der Festschrift, in welcher insbesondere die Experimentalphysik fehlt. Neben der Beschwörung des „faustischen Drangs nach Erkenntnis" finden sich d o n auch die Sätze: „Das Jahr des Umbruchs brachte den Befehl, auch die letzte nicht eingebrachte Frucht zu ernten und der Stärkung des Deutschen Volkes nutzbar zu machen. Es war für jeden Physiker Ehrenpflicht, erst einmal sein möglichstes beizutragen." Auch macht Joos auf die ungeheuren Energien der Kernumwandlung aufmerksam, deren Erforschung einst lehren werde, „ . . . jenen Nibelungenring der sich selbst weiter ausbreitenden Kettenreaktion" zu schmieden, vor deren Gewalt alles bisher Bekannte verblaßt.94 Der Artikel versucht im übrigen, die Bedeutung der theoretischen Physik und der durch sie ermöglichten technischen Anwendungen dem Laien deutlich zu machen. Relativitätstheorie und Quantenmechanik werden nicht erwähnt.
Nachfolge
Borns
Bei der Nachfolge Borns war wegen dessen dreijähriger Beurlaubung im Sommer 1933 zunächst eine Regelung der Vertretung dringend nötig. Ab Sommersemester 1933 war Heckmann mit der Leitung des Instituts beauftragt. Es folgten Stobbe (Wintersemester 1933/34, nur Vorlesung), dann Fues aus Hannover ab Sommersemester 1934 und schließlich der aus Berlin als Oberassistent an das Institut berufene Dozent Sauter, der ab Sommersemester 1935 bis Herbst 1936 mit der Leitung beauftragt wurde. Es ist bisher offenbar nicht bekannt, daß die Fakultät sich schon im Wintersemester 1933/34 um die Übernahme der Vertretung des Bornschen Lehrstuhls durch Werner Heisenberg, damals in Leipzig und 1932 mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet, bemühte. Am 27. 1. 1934 teilt Rektor Neumann dem Minister mit, Heisenberg sei „grundsätzlich bereit, für einige Jahre vertretungsweise die Göttinger Professur für theoretische Physik zu übernehmen", sogar bereits für das Sommersemester 1934.95 Am 6. 10. 1934 teilt Neumann im Zusammenhang mit der Berufung Fues nach Breslau weiter mit, daß Heisenberg zu einer Dauervertretung bereit sei und auch die Studentenschaft dafür eintrete, da das Lehrtalent Heisenbergs bekannt sei. Ebensowenig scheint bekannt zu sein, daß die Fakultät aufgrund der Verfügung des Ministers vom 23. 7. 1935, Vorschläge für die Nachfolge Borns zu unterbreiten, eine Berufungsliste mit den Namen Heisenberg, Hund und Becker gleichrangig, und Jordan vorlegt, wobei, wie Neumann in seinem Anschreiben betont, die Fakultät zunächst nur Heisenberg als einzigen Vorschlag verstanden wissen möchte. Sauter, zu dem die Fakultät nach Aufforderung durch den Minister auch Stellung nehmen sollte, wird zwar in der Vertretung als „ausgezeichnet bewährt" und für die meisten theoretischen Lehrstühle als durchaus geeignet, aber für diese Stelle als nicht in Frage kommend bezeichnet. Der Minister teilt aber unter dem 9. 3. 1936 ohne Begründung mit, daß eine Berufung der auf der Liste Genannten nicht möglich ist, und bittet, die Fakultät zu veranlassen, erneut zu Dr. Sauter Stellung zu nehmen. Die Fakultät hält nun, nach einem Schreiben des Rektors an den Minister vom 6. 5. 1936, Sauter für eine tragbare Lösung. Eine endgültige Lösung wird schließlich durch Ereignisse in Berlin herbeigeführt. Der „nichtarische" Gustav Hertz zog sich 1935 von seinem Lehrstuhl an der T H Berlin in die Industrie zurück. Als zweiter auf der Liste verhandelte Hans Geiger über dessen Nachfolge, wobei auch über die Vertretung der theoretischen Physik an der Technischen Hochschule 566
(über einen Weggang Richard Beckers und eine „kleine Lösung": Dozentur statt Ordinariat) gesprochen wurde. Da Geiger eine solche für tragbar hielt, wurde Becker dann ohne ersichtliche Mitwirkung der Fakultät zum 1. 10. 1936 nach Göttingen berufen. Bezeichnend ist die Form dieser Berufung. Dem ins Kultusministerium bestellten Richard Becker, der nicht die Absicht hatte, von Berlin nach Göttingen zu gehen, eröffnete der Ministerialdirektor Mentzel: „Herr Professor, wenn Sie freiwillig nach Göttingen gehen, sind Sie hiermit berufen, und wenn Sie nicht freiwillig gehen, sind Sie hiermit nach Göttingen versetzt". 96 Becker war bedrückt darüber, Borns Lehrstuhl übernehmen zu müssen. Er mag empfunden haben, damit unwillkürlich etwas zur endgültigen Vertreibung Borns beigetragen zu haben, obwohl diese zu diesem Zeitpunkt ja bereits unabänderlich war. Unter dem 12. 7. 1936 schreibt er an Born, in Anspielung auf die Nachfolge, u. a. „ . . . ich hoffe nur, daß Sie nicht zu böse darüber sind."' 7
Lehr· und Forschungstätigkeit und Einstellung auf das System nach 1933 Lehre Der Lehrbetrieb ist äußerlich durch die schon seit 1930 rapide fallenden Studentenzahlen gekennzeichnet (s. Tabelle und Graphik) und vom Höchststand von fast 1 200 Studierenden im Sommersemester 1930 fällt die Zahl laut dem amtlichen Namensverzeichnis in der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät insgesamt auf den Tiefstand unter 150 im Sommersemester 1941. Im Sommersemester 1932 sind es in der Physik 203 Studenten, davon 16 Frauen, und im Wintersemester 1938/39 nur noch 68, darunter 4 Frauen.98 Dieser Rückgang beeinflußt aber nicht die Vielfalt des Lehrangebotes. Insbesondere zeigt eine Durchsicht des Vorlesungsverzeichnisses, daß alle Vorlesungen, Praktika und Seminare, die zum Grundbestandteil der Physikausbildung gehören, mit Regelmäßigkeit angeboten werden. Von besonderem Interesse ist die Frage, ob auch nach 1933 die moderne Physik, also im wesentlichen Quanten- bzw. Wellenmechanik und Relativitätstheorie, die allerdings auch vor 1933 nur sporadisch explizit im Lehrangebot auftauchten, weiter in Vorlesungen und Seminaren gelehrt werden konnten. Dies war offenbar der Fall, was Vorlesungsankündigungen wie „Quantentheorie" (Ν. N., SS 1934) oder „Atomtheoretische Fragen der atmosphärischen und kosmischen Physik" (Cario, WS 1933/34) vermuten lassen. Im Sommersemester 1934 liest Schuler immerhin eine „Einführung in die Relativitätstheorie, allgemeinverständlich." Der Zusatz mag beabsichtigt haben, das Thema gleich von dem Odium „jüdischen Intellektualismus" und Formalismus zu befreien und es mit der „dem deutschen Wesen entsprechenden Anschaulichkeit" darzustellen, um Angriffen aus Richtung der „Deutschen Physik" von vornherein die Spitze zu nehmen. Gelegentlich hat man dem auch durch unverfängliche Bezeichnungen vorzubeugen versucht. Im Wintersemester 1934/35 bietet Fues ein „Seminar über Fragen der neuen Physik" an, Heckmann und Sauter im Sommersemester 1936 ein Seminar „über Elektrodynamik bewegter Körper", also unter dem Titel von Einsteins berühmter Veröffentlichung aus dem Jahre 1905 über die spezielle Relativitätstheorie. Heckmann schreibt, daß jedem Teilnehmer klar war, worum es sich in diesem Seminar handelte.99 Er habe mit Sauter die Absicht verfolgt, die gegensätzlichen Standpunkte der „Deutschen Physik" und der modernen Physik sich frei auseinandersetzen zu lassen, was im übrigen voll zugunsten der modernen Physik ausgegangen sei. 567
Ab Sommersemester 1937 hält Becker dann regelmäßig ein Seminar über Quantenmechanik ab. Heckmann berichtet, daß er auf Kolloquiumsvorträgen „ein gewisses Schmunzeln" mit der Bemerkung weckte, daß zwischen der Behandlung der „Newtonschen Kosmologie" nach Newton oder nach Einstein kein wesentlicher Unterschied bestehe. Lediglich ein Korrespondent der „Frankfurter Zeitung" habe ihm einmal geraten, bei der Erwähnung des Namens Einstein vorsichtiger zu sein. Weiter nimmt Heckmann in Anspruch, daß in seinem 1942 erschienenen Buch über die Newtonsche Kosmologie „die einzige positive Darstellung der Einsteinschen Gravitationstheorie" in Deutschland zwischen 1933 und 1945 publiziert wurde.100 Allerdings hatten zu dieser Zeit auch schon die „Religionsgespräche" stattgefunden, und die Relativitätstheorie war inzwischen geduldet, wenn auch die Nennung des Namens ihres Schöpfers unerwünscht war.
Forschung Was die Forschung anbetrifft, so ist nach 1933 ein Substanzverlust durch die Emigration, darüber hinaus aber auch ein Verlust an Internationalität offensichtlich, ohne daß das hier im einzelnen dargelegt werden muß. Daß der Forschungsbetrieb rein äußerlich keine deutlichen Einbrüche erlebte, ist aus der Zahl der abgelegten Doktor-Examen zu entnehmen (s. Tabelle und Schaubild), insbesondere, was die drei physikalischen Kernfächer anbelangt. Im Rahmen der üblichen Schwankungsbreite bleibt sie konstant bis zum kriegsbedingten Abfall nach 1939. Das ist bei der sonst in der Physik stark abfallenden Studentenzahl erstaunlich. Bei Ausschöpfung der vorhandenen Kapazitäten muß also ein geringerer Selektionsdruck für die qualifizierten Bewerber um Doktorandenstellen bestanden haben. Kriegswichtige Forschungszweige, wie die angewandte Mechanik (Strömungsforschung), erfahren sogar eine deutliche Zunahme. Die Themen der Arbeiten lassen keinerlei Hinweise auf politisch bestimmte Aussagen erkennen, insbesondere auch nichts, was der „Deutschen Physik" zuzurechnen wäre. In den 30er Jahren deutet auch nichts Thematisches auf Wehroder Kriegsforschung. Im übrigen werden während des Dritten Reiches in Göttingen keine physikalischen Einrichtungen geschlossen oder neue eröffnet, mit einer einzigen, etwas randständigen Ausnahme. Das schon seit den 20er Jahren von Küstner im Bereich der Chirurgischen Klinik betriebene private Laboratorium wird 1939 als „Institut für Medizinische Physik" planmässig eingerichtet, allerdings an der Medizinischen Fakultät, der es bis heute angehört.101 Küstner hatte schon 1922 das erste brauchbare Ionisationsdosimeter (Küstnersches Eichstandsgerät) konstruiert und in den 30er Jahren Vorlesungen über Röntgenphysik, physikalische Behandlungsmethoden und schließlich Medizinische Physik und Biophysik angeboten.
Politische Rahmenbedingungen Die beschriebene äußerliche Normalität des Lehr- und Forschungsbetriebes war aber eine scheinbare. Studenten wie Dozenten mußten den besonderen Anforderungen des Systems genügen. Besonders hing das akademische Fortkommen häufig von politischen Randbedingungen ab. So findet man die Astronomen Hans Kienle und Otto Heckmann, als einzige Göttinger Physiker, bei den Unterzeichnern des „Bekenntnisses der Professoren an den 568
deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat" vom 11. 11. 1933.102 Beide wurden dann 1934 von Gerlach für den astronomischen Lehrstuhl der Universität München vorgeschlagen. Heckmann wird in diesem Berufungsverfahren scharf wegen seiner Zugehörigkeit zur katholischen Jugendbewegung in der Weimarer Zeit abgelehnt,103 und zwar von dem Münchener NS-Dozentenschaftsführer und, in Personalunion, Gaudozentenbundsführer Wilhelm Führer, der ihm auch später wieder erhebliche Schwierigkeiten bereitet (S. 570). Diese Episode zeigt, wie schwer es war, auch mit deutlichen Bekenntnissen zum Regime eine von diesem als belastet angesehene Vergangenheit vergessen zu machen. Heckmann, obwohl schon 1929 habilitiert, besucht auch mehrere NS-Dozentenlager, wohl auch als Referent, ζ. B. Borna bei Leipzig (Wehrsportlager) und, zusammen mit Sauter, Kiel-Buchenhagen (ideologische Schulung in Dozentenakademie) sowie nach 1937 noch das Reichslager für Beamte in Bad Tölz. 104 Nach übereinstimmenden Angaben10S gab es im II. Physikalischen Institut auch einen Assistenten, der ein aktiver Anhänger des Systems war und darin noch von seiner Frau, die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft nationalsozialistischer Studentinnen war, übertroffen wurde. Vor diesem habe man „Manschetten" gehabt und Vorsicht bei nicht linientreuen Unterhaltungsgegenständen geübt. Ahnliches habe nach Hanle für einen Mechaniker gegolten. Weiter soll nach Hanle (1987) der am II. Physikalischen Institut von 1935 bis 1937 tätige Assistent Dr. U. Stille der SS angehört haben. Schließlich war ein Physiker namens König, der dadurch auffiel, daß er immer Uniform trug, 1943/44 an das I. Physikalische Institut ausgelagert. An den physikalischen Instituten hat es aber keine offenen nationalsozialistischen Aktivitäten gegeben.
Die Kñegsjabre Ab Mitte 1939 kamen Forschung und Lehre durch die Einberufungen und bald auch durch Etatkürzungen und einen Entwicklungsstop für langfristige Vorhaben weitgehend zum Erliegen. Friedensplanungen und -entwicklungen wurden untersagt und ab Anfang 1942 auch mit strengen Strafen bedroht.106 Forschungsmittel standen schon bald nur noch für „kriegswichtige", später für „kriegsentscheidende" Forschungen zur Verfügung. Das bedeutete aber nicht, daß unter diesem Zeichen große Mittel bereitgestellt wurden. Ludwig107 beschreibt eingehend, wie grotesk die Bedeutung einer gründlichen Ausbildung des wissenschaftlichen und technischen Nachwuchses und einer koordinierten Förderung der Forschung, auch der Grundlagenforschung, für die Kriegsführung noch weit bis in die Kriegsjahre hinein verkannt wurde. Nach Ludwig gelang weder eine Zusammenarbeit noch eine wirkliche Abstimmung aller forschungstreibenden Kräfte. Der Niedergang der „Deutschen Physik", der sich im Fall seines Repräsentanten Stark schon andeutete,108 wird mit dem Münchener „Religionsgespräch" vom 15. 11. 1940 (ein ähnliches Gespräch folgt Anfang November 1942 in Seefeld) besiegelt. Dabei handelt es sich um eine Aussprache zwischen Vertretern der modernen Physik einerseits und der „Deutschen Physik" andererseits, dessen Zustandekommen der Darmstädter Physiker Wolfgang Finkelburg als Bedingung für seine Übernahme des Postens des Hochschuldozentenbundsführers in Darmstadt durchgesetzt hatte, um der von der „arischen Physik" ausgehenden Bedrohung entgegen treten zu können. Das Gespräch wurde von Gaudozentenbundsführer Wilhelm Führer genehmigt.109 Für Göttingen ist interessant, daß Georg Joos als Physiker 569
mit Industrieverbindungen und Otto Heckmann als Spezialist für Relativitätstheorie geladen wurden, beide auf der Seite der modernen Physik. Außerdem nahm auch der spätere Nachfolger Joos' in Göttingen, Kopfermann aus Kiel, teil. Das Gespräch verlief schon am ersten Vormittag so peinlich für die „Deutsche Physik", daß zwei ihrer Vertreter nachmittags nicht mehr erschienen. Die Abschlußerklärung fiel dann, nach Sommerfelds Worten, dünn und trivial aus, stellt aber einen politischen Sieg der modernen Physik dar. Die Relativitätstheorie wurde zum festen Bestandteil der Physik erklärt, Quanten- und Wellenmechanik als die einzigen Methoden anerkannt, die Aussagen über die Vorgänge im Atom machen können. Die „arische Physik" mußte sich mit so vagen Aussagen begnügen wie der, daß es wünschenswert sei, über den Formalismus solcher Methoden hinaus zu einem tieferen Verständnis zu gelangen, oder jener, daß die vierdimensionale Darstellung in Raum-ZeitKoordinaten keine neue Auffassung von Raum und Zeit begründe. Die Enttäuschung der „deutschen Physiker" war dementsprechend groß. Es kam zum Streit in den eigenen Reihen. Die Vertreter der modernen Physik konnten sich aber zunächst ihres Erfolges nicht recht erfreuen. Joos, der voller Angst und in der Annahme nach München gefahren war, dort verhaftet zu werden, sah sich in der Folgezeit persönlichen Angriffen ausgesetzt, die ihn schließlich bewogen haben sollen, auf seinen Lehrstuhl in Göttingen zu verzichten, ohne daß allerdings sein Wechsel zur Firma Zeiss nach Jena eine schnelle Beendigung der Anfeindungen bedeutet habe.110 Ob ihn das aber, wie Beyerchen meint, aus dem universitären in den industriellen Bereich getrieben hat, muß bezweifelt werden, war doch die bei Zeiss gebotene leitende Position für sich genommen attraktiv genug für einen solchen Schritt. Im übrigen konnte die Industrie zu dieser Zeit (1941) solche Positionen unabhängig von parteipolitischer Einflußnahme besetzen. Otto Heckmann sah sich erheblichen Schwierigkeiten bei seiner Berufung nach Hamburg gegenüber, die ihm Führer bereitete, der inzwischen zum Nachfolger Mentzels im Wissenschaftsministerium geworden war. Erst 1941 konnte er dem Ruf nach Hamburg folgen. Dieser Abgesang der „Deutschen Physik" ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, daß es allmählich klar geworden war, daß diese zu keinem greifbaren Nutzen für das System geführt hatte und nicht „zu kriegsentscheidenden" Forschungsergebnissen beitrug. Insbesondere konnte dier,Deutsche Physik" nach der Entdeckung der Kernspaltung durch Otto Hahn nichts zu dem in den Kriegsjahren spektakulärsten physikalischen Forschungsvorhaben, der Nutzung der Kernenergie, beitragen, welches andererseits sofort von einer Reihe von modernen Physikern aufgegriffen wurde. Der zitierte Hinweis in Joos Beitrag zur Hitler-Festschrift deutete schon darauf hin. Lise Meitners und W. Frischs Hinweis auf die bei der Kernspaltung freiwerdenden ungeheuren Energien war im Februar in der englischen Zeitschrift „Nature" erschienen. S. Flügge hatte seine genaue Berechnung dieser Energie zur gleichen Zeit bei den „Naturwissenschaften" eingereicht, die dann im Juni erschien. Joos und Hanle richteten im April 1939 eine Mitteilung an den Physikreferenten im Ministerium Rust, den schon erwähnten Dames, in dem sie auf die Möglichkeit einer „Uranmaschine" (Kernkraftwerk) aufmerksam machen.111 Dieser Mitteilung ging folgender Vorfall voraus:112 Hanle hatte 1939 das Thema eines Kolloqiumvortrages über Otto Hahns Entdeckung der Kernspaltung und Neutronenvermehrung sehr kurzfristig geändert und über die Möglichkeit der Uranmaschine gesprochen. Joos brach daraufhin die Diskussion abrupt ab und überschüttete Hanle anschließend mit Vorwürfen, so etwas „Welterschütterndes" in einem Kolloquium zu bringen, was doch „denen, die so etwas machen, einen kolossalen wirtschaftlichen Vorsprung" gäbe. Er hatte 570
ein hohes persönliches Risiko für sie beide gesehen, wenn sie dies Politikum nicht sofort nach Berlin meldeten, da Hanle anläßlich seines Wechsels nach Göttingen Dames gegenüber versprechen mußte, sich jeder politischen Äußerung zu enthalten. Der entsprechende Brief führte dann zur Einberufung eines kleinen Gremiums von Physikern schon am 30. 4.1939 im Wissenschaftsministerium in Berlin, das mit der Bearbeitung der Kernenergiegewinnung beauftragt wurde und das ein Vorläufer des eigentlichen „Uranvereins" war.113 Damit hatten Göttinger Physiker einen Anstoß zu den deutschen Anstrengungen zur Nutzung der Kernenergie gegeben.114 Auch an den diesbezüglichen Entwicklungsarbeiten wurden sie in bescheidenem Maße beteiligt, so Joos und Hanle mit Untersuchungen zur Erzeugung von äußerst reiner Kohle (als Moderatormaterial für Kernreaktoren) und Walcher (ab 1942 in Göttingen, s. u.). Eine Aussage, was alles an „kriegsentscheidender" Forschung in Göttingen durchgeführt wurde, ist nicht möglich. Kopfermann, ab 1942 Nachfolger von Joos, hat für sich selbst jede Beteiligung an irgendeiner Form der Kriegsforschung abgelehnt. Ihm hatte die Erfahrung gereicht, den ersten Weltkrieg von Anfang an bis Ende an vorderster Front miterlebt zu haben. Als Oberassistent brachte er aus Kiel den Dozenten Wilhelm Walcher mit, der dem „Uranverein" angehörte. Walcher hatte schon 1936 einen Massenspektrographen zur Isotopentrennung gebaut, der grundsätzlich auch zur Trennung der Uran-Isotope geeignet war, allerdings nur für praktich nicht verwertbare Mengen im Milligrammbereich. Im Rahmen des „Uranvereins" erhielt er 1940 den Auftrag zum Bau von zwei Massenspektrometern zur Bestimmung von Isotopenmischungsverhältnissen und daneben zur Fortsetzung der massenspektrometrischen Trennversuche für Kernspin-Untersuchungen. Die Massenspektrometer wurden mit Wolfgang Paul, der zu diesem Zweck uk. gestellt worden war, entwickelt. Nach Fertigstellung sollten zehn weitere Geräte gebaut werden; sie wurden wegen Beschaffungsengpässen und mangels geeigneter technischer und besonders auch personeller Ausstattung des Instituts bis Kriegsende nicht fertig. Die zehn Sätze mit Bauteilen dienten nach dem Krieg drei Arbeitsgruppen für massenspektrometrische Forschungsarbeiten. Vakuumkammern, die, von einer Fremdfirma gefertigt, unbrauchbar waren und in einem hintersten Kellerloch verstaut waren, konnten wenige Tage vor der Besetzung von Göttingen einem SS-Kommando, das den Auftrag hatte, kriegswichtiges Forschungsgerät zu vernichten, um es nicht in Feindeshand fallen zu lassen, als Herzstück der Apparaturen angedreht werden.115 Walcher berichtet auch, daß er im Rahmen des Massenspektrometerprojektes zwei Diplomandinnen und zwei Staatsexamenskandidatinnen beschäftigt habe. 1942 war das Physik-Diplom, das es schon in den Zwanziger Jahren für technische Physik an den Technischen Hochschulen gab, nun auch an den Universitäten eingeführt worden, aus dem kriegsbedingten Bedürfnis nach schnelleren Studienabschlüssen heraus. Die Statistik (s. Tabelle u. Schaubild) zeigt für das Jahr 1944 schon (wahrscheinlich) 5 abgeschlossene Physikdiplome. Nach der anfänglichen nationalsozialistischen Achtung des Frauenstudiums füllten nun Frauen die Plätze der eingezogenen Männer (und werden zum Kriegsende vielfach wieder in die Fabriken abkommandiert). Ein wichtiger Aspekt der als „kriegsentscheidend" begründeten Forschungen war auch die Möglichkeit, Rückstellungen von Personal von der Front zu erreichen. Die Rückrufaktion von 5000 Wissenschaftlern und Technikern von der Front wird mit dem Namen des Leiters des Planungsamtes im Reichsforschungsrat, Prof. Werner Osenberg, in Verbindung gebracht.116 Immerhin konnten auf diese Weise der Assistent Brix und 1944 ein Glasbläsermeister und ein Feinmechanikermeister an das II. Physikalische Institut nach Göttingen ge571
holt werden. Vermutlich gelang ähnliches auch in dem einen oder anderen Fall an den anderen Instituten. Auch schon vor der „Osenberg-Aktion" waren, wie erwähnt, uk.Stellungen möglich. Insgesamt wird übrigens der Betrieb an den Physikalischen Instituten als normal geschildert, abgesehen davon, daß es wenig Studenten gegeben habe, darunter hauptsächlich Frauen. 117
Der 20. Juli 1944 und seine Folgen Abschließend zu den Kriegsjahren ist noch auf die Situation an der Göttinger Universität nach dem Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 einzugehen. Infolge des gescheiterten Attentats gerät Pohl in eine gewisse, unverschuldete Gefährdung. Einen zufälligen Kontakt mit einer zentralen Figur des Widerstandes beschreibt Pohl in einem Brief aus dem Jahr 1955 an den früheren Rektor Drexler wie folgt: „Seit vielen Jahren war mir ein Studienrat Hermann Kaiser in Wiesbaden bekannt. Bei einem seiner Besuche verblüffte er mich mit der Frage, ob ich nach erfolgreicher Beseitigung Hitlers ein Amt in der Unterrichtsverwaltung zu übernehmen bereit sei. Ich lehnte ab, weil ich mich nicht auf eine politische Tätigkeit einlassen wollte. — Etwa eine Stunde nach diesem Gespräch kamen etliche Gäste aus dem Kollegenkreis, um deren Einladung mich Herr Kaiser gebeten hatte. Herr Kaiser setzte, wenn auch nicht so deutlich wie unter vier Augen, seine Ansichten über einen bald fälligen Wechsel der Dinge auseinander. Ich selbst verhielt mich durchaus passiv, weil mir das Ganze überaus fatal war. — Wenige Monate später erschien Herr Kaiser abermals und erklärte mir in großer Erregung, einer meiner Gäste habe offenbar nicht dicht gehalten. General Beck habe die Gespräche in meinem Hause erfahren und mache es mir zur Pflicht, alles abzuleugnen, falls mich die SS vernehmen sollte! Auf meine entsetzte Frage, wie man sich das denke und ob mein Name irgendwo schriftlich genannt sei, bekam ich die Auskunft, schriftliche Aufzeichnungen seien in einem Panzerschrank gesichert! Nach diesen Vorfällen betrachtete ich mich nach dem mißglückten Attentat als ernstlich gefährdet und ich möchte die Monate der Angst nicht noch einmal durchleben. Herr Kaiser ist sehr bald verhaftet und hingerichtet worden." 118 Kaiser war Kriegstagebuchführer beim Oberkommandierenden des Ersatzheeres und ein wichtiger Koordinator zwischen zivilen und militärischen Verschwörern des 20. Juli. 1 1 9 Woher Kaiser und Pohl sich kannten und was der Grund der gelegentlichen Besuche Kaisers bei Pohl war, ist unbekannt. Ebenfalls nach Mitteilung Drexlers wurde Pohl dann nach dem 20. Juli von NSDAPOrtsgruppenleiter Gengier als Sympathisant verdächtigt, jedoch ohne jeden Zusammenhang mit der Affäre Kaiser, von der Gengier nichts ahnte. Gengier haben als Verdachtsmomente gereicht, daß Pohl sich gegen die „Deutsche Physik" des „Heidelberger Physikers" (gemeint ist Lenard) gestellt und in seiner Vorlesung gesagt habe, Braun sei keine Farbe. Die der Wehrmacht angehörigen Medizinstudenten hatten angeblich Anweisung, bei solchen Anlässen den Hörsaal zu verlassen, was aber keiner befolgt habe. 120 Pohl muß für derartige Anspielungen bekannt gewesen sein. Die Verdächtigung Genglers war nach Drexlers Darstellung einer der Anlässe zur Anlegung einer Liste von dem Nationalsozialismus fernstehenden, aber nicht in Verdacht der Mitwisserschaft und des Sympathisierens mit den Männern des 20. Juli stehenden Personen, die Pohl als einen der Gefährdeten durch Einbettung in eine größere Gruppe schützen sollte (S. 59 und S. 354). Jedenfalls blieb dies für Pohl glücklicherweise ohne Folgen. Noch in den „Monaten der Angst" im Kriegswinter 1944/45 ließ es sich Pohl nicht nehmen, in einem Vorlesungsversuch einen beweglichen Gegenstand
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mit einem weißen Fähnchen zu kennzeichnen und dazu zu bemerken, er sei 1919 wegen eines schwarzweißroten und „später" wegen eines schwarzrotgoldenen Fähnchens kritisiert worden. Nun nähme er eben ein weißes.121 Denkt man an Pohls Emeritierung 1952, so macht dieser Hinweis deutlich, daß er als akademischer Lehrer seinen Amtseid unter vier verschiedenen Verfassungen geleistet hat und damit auch zum Kontinuitätssymbol wird.
Die Nachkriegszeit Die Physikalischen Institutsgebäude waren, wie im großen und ganzen Göttingen selbst, im Krieg nicht zerstört worden, wozu insbesondere auch die Übergabe der Stadt an die Amerikaner durch Oberbürgermeister Gnade am 8. 4. 1945 beigetragen hatte. Diese Tat ermöglichte auch eine Wiedereröffnung der Georgia Augusta als erste deutsche Nachkriegsuniversität schon zum September 1945.122 Über den vorlesungsfreien Sommer 1945 hin war ein notdürftiger Betrieb der Institute aufrechterhalten worden. Durch weitere glückliche Umstände kam es in Göttingen vorübergehend zu einer kurzen Blüte der Physik. Max Planck war seit dem 16. 5.1945 in Göttingen. Er sah sich gezwungen, im hohen Alter von 87 Jahren noch einmal die Präsidentschaft der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft vertretungsweise zu übernehmen, da der letzte Präsident, Vogler, freiwillig aus dem Leben geschieden war. Planck schlug als Nachfolger Otto Hahn vor, der 1945 den Nobelpreis für Chemie erhalten hatte, aber noch in England zusammen mit von Laue, Heisenberg, von Weizsäcker und anderen interniert war. Anfang 1946 wurde dann ein Teil der Internierten nach Göttingen entlassen,123 wo die Generalverwaltung der KaiserWilhelm-Gesellschaft ihren Sitz nahm. Otto Hahn übernahm am 1. 4.1946 das Amt des Präsidenten der Gesellschaft, die dann am 11.9. 1946 unter dem Namen „Max-PlanckGesellschaft zur Förderung der Wissenschaften" zunächst in der englischen Besatzungszone neu begründet wurde.124 Die englischen Besatzungsbehörden hatten es zur Auflage machen müssen, den Namen „Kaiser Wilhelm" nicht mehr zu verwenden. In Göttingen waren also 1946 neben den im Amt befindlichen — stellvertretend seien nur die drei Institutsdirektoren Pohl, Kopfermann und Becker genannt - noch so berühmte Physiker wie Planck, von Laue und Heisenberg versammelt, also drei der fünf in Deutschland verbliebenen Physik-Nobelpreisträger. Die beiden weiteren sind die Exponenten der „Deutschen Physik", Lenard und Stark.125
Entnazifizierung Durch den Zusammenbruch des Dritten Reiches gab es unter den Dozenten der Göttinger Physik praktisch keine personellen Veränderungen, da kaum jemand als belastet gelten konnte. N u r der besagte Assistent (S. 569) schied im Juni 1945 aus dem Π. Physikalischen Institut aus. Er wurde dann Anfang der 50er Jahre an eine Hessische Hochschule berufen, wozu auch ein ehemaliger Kollege mit einem positiven Gutachten beitrug; jener habe im Dritten Reich niemandem einen Schaden zugefügt, er sei ein sehr guter Physiker, und ein Rückfall sei nicht zu befürchten. Bis auf diesen Fall war die Ende Juli 1945 von den Alliierten grundsätzlich beschlossene Entnazifizierung (S. 60 ff.) für die Göttinger Physiker eher eine Formsache. Allenfalls konnte man ihnen eine Mitgliedschaft in der NSDAP oder deren Unterorganisationen vorhalten, die für Dozenten fast unvermeidlich war. Kopfermann war 573
1941 in Kiel vom damaligen Rektor gegen seinen Willen zum Dekan ernannt und zum Beitritt in die NSDAP gedrängt worden. Walcher, der 1933 auf Anraten von Gustav Hertz, der ihn zum Assistenten machen wollte, Anwärter beim NSKK (NS-Kraftfahrerkorps) geworden war, davon aber nur ein halbes Jahr Gebrauch gemacht hatte, wurde 1942 in Kiel zunächst „wegen UnZuverlässigkeit" die Habilitation versagt. Erst auf Intervention von Kopfermann beim Rektor und von diesem in Berlin wurde die Habilitation schließlich genehmigt.126 Nun konnten aber gerade die Physiker auf die vielen früheren Beziehungen zu jüdischen Kollegen verweisen, ja diese geradezu ausspielen. So gibt es in einem Gutachten etwa die folgenden Passagen: „Prof. X war Schüler des jüdischen Prof. A, Assistent des jüdischen Prof. B, im Kaiser-Wilhelm-Institut des jüdischen Prof. C anschließend Stipendiat beim halbjüdischen Prof. D und schließlich Oberassistent bei dem nichtarischen Prof. E . . . Prof. X hatte während der ganzen Dauer des Dritten Reiches Bilder seiner jüdischen Lehrer auf seinem Schreibtisch stehen." Er sei ein Gegner der „Deutschen Physik" gewesen, habe in seinen Arbeiten immer jüdische Autoren zitiert, usw.127 Die aus der englischen Internierung entlassene Gruppe um Otto Hahn, also von Laue, Heisenberg, von Weizsäcker, mußten vermutlich das Entnazifizierungsverfahren nicht mehr durchlaufen, waren sie doch gezielt unter dem Aspekt des Wiederaufbaus der Wissenschaft im Nachkriegsdeutschland entlassen worden.
Rückkehr von Emigranten In Bezug auf die emigrierten Göttinger Physiker ergab sich die Frage der Rückkehrmöglichkeiten und der Rückkehrwilligkeit. Eine Rückkehrmöglichkeit war allerdings ohne besondere Maßnahmen seitens der Universität schon deshalb kaum gegeben, weil einerseits mit oder kurz nach dem Kriegsende kaum Stellen frei geworden waren, andererseits natürlich nach 12 Jahren eine Rückkehr in die alten Positionen allenfalls für die damaligen Ordinarien in Frage gekommen wäre. Von Seiten der Universität Göttingen ist aber ein Bemühen um Rückberufungen zunächst gar nicht feststellbar. Erst auf Verlangen der Militärbehörden (S. 63) hat der Rektor am 7. 5. 1946 erstmalig bei der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät um eine Aufstellung der seit 1933 aus politischen Gründen verdrängten Hochschullehrer gebeten. Dekan Eucken übersendet eine Liste der folgenden ehemaligen Angehörigen der drei Physikalischen Kerninstitute mit knapper Angabe ihrer gegenwärtigen Positionen. Sie enthält Franck (Leiter des Physikalisch-Chemischen Spezialinstituts in Chicago), Born (o. Professor für theoretische Physik, Universität Edinburgh), Heitier (o. Professor für theoretische Physik, Bristol), Nordheim (o. Professor für theoretische Physik, Duke University), ν. Hippel (o. Professor; MIT, Boston), Kuhn (Tutor, Experimentalphysik, Oxford University mit Anmerkung „Rückkehr kommt nicht in Frage") und Sponer (o. Professorin, Experimental-Physik, Duke University). Alle waren also in gesicherten Positionen, und Eucken teilt auch mit, daß noch keiner der Emigranten unmittelbare Wünsche auf Rückkehr geäußert habe.128 Die Rückkehrwilligkeit hing aber nicht nur von der materiellen Situation der Emigranten ab. Viele von ihnen hatten sich ja an dem „Manhattan-Projekt", der amerikanischen Atombombenentwicklung, beteiligt, so Franck im Metallurgical Laboratory in Chicago, Nordheim in Los Alamos, Kuhn in Oxford an der englischen Parallele, oder aus der Gruppe 574
der ehemals Göttinger Assistenten, Doktoranden und Studenten M. Delbrück, W. M. Elsässer, E. R. Rabinowitch, E. Teller und V. F. Weiskopf, neben den vor 1933 zeitweilig ebenfalls in Göttingen weilenden R. Brode, E. U. Condon und R. Oppenheimer (dem späteren wissenschaftlichen Leiter des „Manhattan-Projekts"). Dies hatte wesentlich zur Anerkennung der Emigranten beigetragen. 129 Diejenigen unter ihnen, die noch nicht, wie Franck 1941, die amerikanische Staatsbürgerschaft erworben hatten, erhielten sie jetzt bei ihrer Beteiligung an der Atombombenentwicklung, wobei bemerkenswert ist, daß die Naturalisierung direkt aus dem Status des „enemy alien" (feindlicher Fremder) erfolgte. Umgekehrt hegten die Eingebürgerten Gefühle der Dankbarkeit gegenüber ihrem neuen Heimatland. 130 Inwieweit auch die andauernde Verpflichtung zu strikter Geheimhaltung 131 ein Hindernis für eine Rückkehr nach Deutschland gewesen sein könnte, bleibt dahingestellt. Tatsächlich ist keiner dieser Physiker in eine aktive Laufbahn nach Deutschland zurückgekehrt. Man muß aber leider auch davon ausgehen, daß sie nicht mit ungeteilter Freude empfangen worden wären. Wurde doch selbst Otto Hahn der absurde Vorwurf gemacht, den Amerikanern das Geheimnis der „ B o m b e " verraten zu haben. 132 Die Auseinandersetzung mit der Möglichkeit des Abwurfs der Atombombe über Deutschland blieb den deutschen Emigranten erspart. Zweifellos hatten die meisten von ihnen die Teilnahme an dieser Entwicklung als zweispaltig empfunden, weil von Anfang an klar war, daß es sich um ein Massenvernichtungsmittel nie gekannter Sprengkraft handeln würde. Franck bezeichnete in einem Nachruf auf Niels Bohr den Bau der Atombombe als „bittere Notwendigkeit", 1 3 3 weil man nach damaligen Informationen annehmen mußte, daß Hitlerdeutschland mit der Entwicklung der Atombombe begonnen hatte. Der beginnende Widerstand gegen die Verwendung der Atombombe und das durch ihre Existenz ausgelöste Wettrüsten wurde durch das von Franck und sechs weiteren Physikern und Chemikern an den Kriegsminister der U S A gerichtete Memorandum markiert, das als „Franck-Report" bekannt geworden ist.134 Die Bombe hatte jedoch längst ihre militärische Eigendynamik gewonnen. Die Haltung der Emigranten gegenüber dem Nachkriegsdeutschland blieb aber sehr zwiespältig. Dies zeigt sich an der Auseinandersetzung um einen Appell, den Franck angesichts der N o t im Nachkriegsdeutschland an die amerikanische Regierung richten wollte und der von deutschen und österreichischen Emigranten unterzeichnet werden sollte. In ihm wird gefordert, der deutschen Bevölkerung eine geordnete Rückkehr in die Völkergemeinschaft zu ermöglichen, die Hungersnot zu lindern, von der Agrarisierung (dem „Morgenthau-Plan") abzusehen und den Wiederaufbau zu ermöglichen. Die N o t würde gerade diejenigen besonders hart treffen, die die Konzentrationslager überlebt hätten oder sonst sehnlich auf die Ankunft der Alliierten gewartet hätten, während die gefangenen Naziverbrecher gut versorgt seien.135 Der Appell fand jedoch unter den angesprochenen Emigranten ein sehr unterschiedliches Echo. Typisch für eine abwägend ablehnende Haltung ist der aus Osterreich emigrierte Romancier Hermann Broch, der in Briefen an Franck, Thomas Mann und andere 136 und in einer längeren grundsätzlichen Abhandlung 137 seine kritische Haltung gegenüber dem Nachkriegsdeutschland dargelegt und dabei auf die Gefahr einer ungerechten Bevorzugung Deutschlands gegenüber den von ihm Überfallenen Völkern eingeht. Einstein, den Franck auch anspricht, lehnt kühl ab, in einem Brief, in dem er Franck das „ D u " entzieht. In einem weiteren Brief vergleicht er den Appell mit der „Tränenkampagne" rechter Kreise nach dem 1. Weltkrieg. Er verweist auch darauf, daß die Deutschen nach einem wohlerwogenen Plan Millionen hingeschlachtet hätten, jetzt aber weder Schuldgefühle noch Reue zeigten 575
und zum gleichen fähig wären.138 Franck läßt daraufhin die Angelegenheit fallen und hat auch danach keine weiteren ähnlichen Aktivitäten unternommen. Trotz des Appells hat Franck, wie auch Born, eine reservierte Haltung gegenüber dem Nachkriegsdeutschland. In der Ablehnung eines Rufes an die Universität Heidelberg schreibt Franck, daß er keine Berührung mit jenem ansehnlichen Teil der Bevölkerung haben möchte, der gegenüber dem Nationalsozialismus gleichgültig geblieben war.159 Für das Ausbleiben einer nennenswerten Remigration der Physiker140 aus den USA waren also einerseits das Fehlen entsprechender Rückrufbemühungen und andererseits die positive und dankbare Einstellung zu Amerika, die günstigen materiellen Rahmenbedingungen dort sowie Ressentiments und fehlendes Vertrauen gegenüber der politischen Entwicklung im Nachkriegsdeutschland ursächlich. Umgekehrt läßt sich die Einstellung im Nachkriegsdeutschland zur Remigration an den Wiedergutmachungsbemühungen festmachen, denen der letzte Abschnitt gewidmet ist. Von den ehemals Göttinger Physikern kehrte nur Max Born, wenn auch erst als Emeritus, nach Deutschland zurück. Da er damit, sowie mit seinen hier entwickelten Aktivitäten eine Sonderstellung unter den Emigranten einnimmt, sei hier ein Blick auf seinen weiteren Lebensweg erlaubt. Früher und häufiger als Franck ist Born des öfteren nach Deutschland gereist, z.B. auch zu Urlauben, bevor er sich nach seiner Emeritierung in Edinburgh 1953 mit seiner Frau in Bad Pyrmont für den Lebensabend niederließ. Einstein hatte hierfür kein Verständnis und schrieb am 12. 10. 1953, daß er in das „Land der Massenmörder unserer Stammesgenossen" gezogen sei. In seiner Antwort an Einstein verweist Born darauf, daß manche ihrer gemeinsamen Freunde viel Schlimmeres erlebt hätten als sie beide und daß die Amerikaner in Dresden, Hiroshima und Nagasaki gezeigt hätten, daß sie an Schnelligkeit des Vertilgens den Nazis noch über seien. Born gibt hierzu noch einen Kommentar, der seine Haltung verdeutlicht. Die übliche Differenzierung, bei Auschwitz und BergenBelsen handele es sich um Abschlachtungen, bei Hiroshima und Nagasaki dagegen um Kampf, läßt er nicht gelten. Das verschleiere, daß es sich in beiden Fällen um Unbeteiligte, Alte, Frauen und Kinder gehandelt habe, durch deren Vernichtung man „irgendein politisch-militärisches Ziel erreichen" wolle. Die Menschheit gehe dem Untergang entgegen, „wenn nicht der gefühlsmäßige Abscheu vor Greueltaten über das konstruierte Verstandesurteil die Oberhand" gewinne.141 Mit dem Gewicht des Nobelpreises 1954, der ihn nach der Idee Nobels dazu verpflichte, zum Fortschritt der menschlichen Rasse beizutragen,142 und nach seiner Rückkehr nach Deutschland begann Born, sich auch in der Öffentlichkeit gegen das atomare Wettrüsten zu engagieren. Aufgrund einer in der Zeitschrift „Listener" Ende 1954 publizierten Rundfunkansprache Bertrand Russells setzte er sich mit diesem in Verbindung und beteiligte sich aktiv an der Formulierung eines von Russell angeregten Appells an die Regierungen aller Völker, auf Krieg als letztes Mittel der Politik feierlich zu verzichten. Auch Einstein unterzeichnete den Appell wenige Tage vor seinem Tode, am 11. 4. 1955.143 Born gab 1955 in einem Brief an Otto Hahn auch den Anstoß zur „Mainauer Kundgebung" von 18 Nobelpreisträgern gegen den Gebrauch von Atomwaffen und des Krieges überhaupt. Born gehörte auch zu den Unterzeichnern der Göttinger Erklärung der (ebenfalls) 18 Atomwissenschaftler vom 12. 4. 1957 gegen die drohende atomare Bewaffnung der Bundeswehr144 und beteiligte sich aktiv an der Kampagne „Kampf dem Atomtod".
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Wiedergutmachungsbemühungen Die ersten sichtbaren Bemühungen um eine Wiedergutmachung des geschehenen Unrechts gehen Anfang 1947 von der Akademie der Wissenschaften in Göttingen aus, die Born und Franck wieder als Mitglieder zu gewinnen versucht. Beide waren 1938 aus der Liste der Mitglieder der Akademie gestrichen worden.145 Im amtlichen Namensverzeichnis der Universität waren Franck letztmalig im Wintersemester 1933/34, Born im Sommersemester 1936 in der Liste der ordentlichen Mitglieder erschienen. Danach wurden sie vermutlich weiter als ausländische ordentliche Mitglieder oder als korrespondierende Mitglieder geführt, die nicht im amtlichen Namensverzeichnis ausgedruckt zu werden pflegten. Erst im Februar 1937 ersucht der Minister die Göttinger Akademie146 wie auch die anderen Reichsakademien,147 die „Nichtarier bei den Deutschen Akademien der Wissenschaften" namhaft zu machen.148 Aus welchem konkreten Anlaß Born und Franck 1938 als Mitglieder gestrichen wurden, geht aus den Akten der Akademie nicht hervor. 149 Die Streichung könnte allerdings nicht zwingend gewesen sein, denn noch im August 1942 teilt der Präsident der Preußischen dem der Göttinger Akademie mit, der Minister habe im Falle James Franck auf Veranlassung des Auswärtigen Amtes mit Erlaß vom 23. 4. 1941 „angewiesen, vorläufig nichts zu unternehmen, weil hinsichtlich der amerikanischen korrespondierenden Mitglieder erst nach dem Kriege eine Entscheidung getroffen werden soll." Aus diesem Grunde sei die Streichung Francks bei der Preußischen Akademie der Wissenschaften unterblieben, jetzt allerdings wegen der vorangegangenen Streichung in Göttingen auch beabsichtigt.150 Nun, 1947, bittet der Vorsitzende der Akademie, Rudolf Smend, beide, sie wieder als Mitglieder der Akademie führen zu dürfen. Born und Franck nehmen zunnächst Anstoß an der von Smend benutzten Formulierung, daß seinerzeit „bedauerliche Umstände" zu ihrem Ausschluß geführt hätten. Beide sind schließlich unter dem Gesichtspunkt bereit, wieder Akademiemitglieder zu werden, daß dies einer geistigen Erneuerung Deutschlands dienen könnte.151 1948 verleiht die Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG) Max Born die Max-PlanckMedaille. Born war 1934 schon einmal für die Verleihung vorgeschlagen worden. Die DPG wagte es aber damals mit Rücksicht auf die politische Lage schon nicht mehr, den Vorschlag auszuführen. Born reist mit seiner Frau zur Entgegennahme dieser Ehrung auf der Physikertagung in Clausthal-Zellerfeld erstmals wieder nach Deutschland. Auch Franck erhält 1951 die Medaille, zusammen mit Hertz. Er nimmt sie an, ohne aber zur Entgegennahme nach Deutschland zu reisen.152 Schließlich wird Born und Franck auch die Ehrenbürgerschaft der Stadt Göttingen angetragen, aus Anlaß der 1000-Jahr-Feier 1953. Wiederum verständigen sich beide. Sie wollen diese Ehrung dahingehend verstanden wissen, daß die Stadt damit gleichzeitig die Millionen zu ehren gedenke, die dem Massenwahn des Nationalsozialismus zum Opfer gefallen sind. Franck fällt es besonders schwer, zum ersten mal wieder nach Deutschland und nach Göttingen zu reisen. In seiner kurzen Dankesansprache, die er stellvertretend für die insgesamt sechs Geehrten hält, geht er mit keinem Wort auf die Vertreibung ein, sondern erwähnt nur eine leichte Wehmut, die sich in die Festfreude mische, auch, daß einige von ihnen „weit entfernt" von Göttingen „sich niedergelassen haben." 153 Borns materielle Wiedergutmachung regelt sich ohne Probleme, da er bereits 1935 emeritiert wurde. Mit Erlaß des Niedersächsischen Kultusministers vom 15. 8. 1949 wird er in alle Rechte eines entpflichteten ordentlichen Professors wiedereingesetzt. Ende 1949 kommen auch die Wiedergutmachungsbemühungen für Franck in Gang.154 Unter dem 577
1. 12. 1949 ist der Niedersächsische Kultusminister bereit, die am 8. 2. 1934 ausgesprochene Entlassung Francks aufzuheben und ihn zu emeritieren, sofern er einen Antrag hierzu stellt. Die Fakultät beantragt am 16.11.1950 einstimmig, „den besonders gelagerten Fall Francks auch besonders zu regeln und diesen menschlich und wissenschaftlich hochangesehenen Mann nicht darunter leiden zu lassen, daß er sich seinerzeit mutig und weitsichtig zu einer Protestaktion gegen die Nazimethoden entschlossen hat." Der Kurator bittet dazu, den Antrag der Fakultät als persönlichen Antrag Francks zu werten. Der Minister kann sich dem nicht anschließen und gibt die folgende, doch erstaunliche Begründung: „Eine Abweichung von diesem Grundsatz ist im vorliegenden Fall um so weniger möglich, weil seinerzeit ein unmittelbarer Zwang auf Prof. Franck seitens der Behörden zum Verzicht auf sein Amt nicht ausgeübt worden ist." Der Akte Francks liegt auch, ohne ersichtlichen Grund, eine eidesstattliche Erklärung des Professors der T H Hannover Konrad Meyer (S. 638) bei, welche unter dem Datum des 12. 10. 1950 die folgenden bemerkenswerten Formulierungen enthält: „Unmittelbar nach den Ereignissen des Januar 1933 erschien von dem o. Prof. der Physik F r a n k (sie) gegen das neue Regime eine öffentliche Stellungnahme, die eine Bloßstellung und Brüskierung der eigenen Regierung besonders vor dem Ausland bedeutete:"155 Dies ist insofern ein ganz und gar unglaublicher Vorgang, als hier der Gegenprotest der 42 Dozenten zu Francks Rücktrittserklärung 1933, an dem Konrad Meyer damals maßgeblichen Anteil hatte, sinngemäß wiederholt wird. Die Wiedergutmachungsangelegenheit zieht sich dann außerordentlich lange hin. Am 13. 8. 1954 schreiben die Anwälte Francks: „Die verzögerliche Behandlung macht inbesondere bei den ausländischen Fragern einen sehr schlechten Eindruck. Es ist bereits sogar die Vermutung geäußert worden, daß versteckte antisemitische Gründe mitspielen könnten. . . " 156 Der Wiedergutmachungsbescheid wird schließlich am 19. 11. 1954 ausgestellt. Er setzte Franck als Emeritus ab 1. 4. 1954 ein und gesteht eine dem Gehalt eines Emeritus entsprechende Entschädigung für die Zeit vom 1. 4. 1950 bis 31. 3. 1954 zu.157 Franck stirbt am 21. 5. 1964 bei einem Besuch in Göttingen an plötzlichem Herzversagen. Das Göttinger Tageblatt würdigt ihn am 24./25. 5. 1964 nach Erwähnung des Nobelpreises mit dem Satz: „Nachdem Franck 1934 vorübergehend als Gastprofessor in Kopenhagen tätig war, wanderte er 1935 nach den Vereinigten Staaten aus." Rektor Zimmerli deutet das Geschehen von 1933 in seiner Gedenkrede kaum an: „Unter der erzwungenen Trennung von Deutschland hat er gelitten". 158 N u r der damalige Kultusminister wird in seinem Nachruf etwas expliziter, wenn er sagt: „Mit großer Beschämung muß ich als Niedersächsischer Kultusminister heute auch des Undanks gedenken, mit dem der Staat diesem verdienten Manne in der Zeit des Nationalsozialismus begegnet ist." 159 Max Born überlebt James Franck um einige Jahre und stirbt am 5. 1. 1970 in Göttingen.
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Anmerkungen 1
Z.B. bei Jungk (1982), S. 1 7 - 5 1 , wegen der späteren Bedeutung vieler emigrierter Göttinger Physiker für die Entwickung der Atombombe, oder Beyerchen (1977), S. 6 - 3 9 , sowie Born (1969), S. 2 8 9 - 3 4 2 . Max Born und James Franck wurde 1982/83 zur hundertsten Wiederkehr ihres Geburtsjahres eine auch in Göttingen gezeigte Ausstellung gewidmet; siehe Lemmerich (1982). Aus gleichem Anlaß fand eine Gedenkfeier der Universität statt; siehe Göttinger Universitätsreden Nr. 69 (1983).
Einiges findet sich bei Heckmann (1980), Kapitel 3: Politik und Kosmologie. Siehe hierzu Hund (1969). 4 Max Born, der Beginn „des goldenen Zeitalters", ein Brief an Arnold Sommerfeld, mitgeteilt von Armin Hermann, in: Hedwig und Max Born (1969), S. 9 4 - 1 0 0 . Die Titel und der dem eigentlichen Brief vorangestellte Kommentar stammen offenbar von Armin Hermann. 5 Lemmerich (1982), S. 51, Jungk (1982), S. 23. 6 Eine Aufstellung der bekanntesten bei Born und Franck tätigen Assistenten und Doktoranden dieser Jahre findet sich bei Lemmerich (1982), S. 91, eine Aufstellung der Seminarteilnehmer und Gasthörer, S. 92. 7 Entnommen Lorenz (1943), S. 148, 232 u. 235. Die internationale Bedeutung der Göttinger Physik veranlaßte Born und Franck, ab Sommersemester 1931 einen „Englischen Sprachkurs für Studierende der Physik" einzuführen, der dann fast folgerichtig ab Sommersemester 1935 nicht mehr im Vorlesungsverzeichnis erscheint. 8 Akte Born, UAG, Κ, XVI, V, A, a, 33, Zum Arbeitsklima in den Physikalischen Instituten siehe auch Rathenau (1983), S. 23 u. 24. » Hund (1983). »" Walcher (1983). 11 Siehe auch den Nachruf von Ch. Starck, dem damaligen Rektor der Georg-August-Universität Göttingen, zum Tode Pohls am 5. 6. 1976, Göttingen, im Oktober 1976. 12 Zum Teil aber wohl auch auf Francks und Pohls Bleibeverhandlungen zurückzuführen. Nach dem zweiten Weltkrieg ist eine gegensätzliche Entwicklung zu beobachten. 1953/54 war „eine Reduzierung der Naturwissenschaften auf ein normales Maß" ein erklärtes Ziel des Ministeriums („MüllerBojunga-Plan"). Hund (1983) hielt diesen Plan sogar für eine späte Rache an den mathematischnaturwissenschaftlichen Fächern für deren damalige Prominenz. 2 3
Siehe Born (1969), S. 271 u. 321. u Hund (1983). 15 Siehe Nachruf Pohl, Anm. 11. 16 Beyerchen (1977), S. 20. 17 Brief des Zoologen Kühn an Dekan Born vom 11. 11. 1931, siehe UAG, Math Nat Fak 41. l g Einstein et al. (1969), S. 155/156. Warum Born „Historiker" erwähnt (die der Fakultät nicht angehörten), bleibt unverständlich. Auch an „Forstleuten" gab es nur den Lehrbeauftragten Oberförster Nachtigall. 19 Siehe auch Beyerchen (1977), S. 21, der irrtümlich von etwa 10 % spricht, was aber wohl lediglich Borns ursprünglicher Abschätzung entspricht (5 - 10 %, Born (1969), S. 337). 2 0 Schöne (1983), S. 10. Man wird eher an Jakob Grimms frühe Einschätzung seiner Kollegen erinnert: „Die Charaktere der Professoren fingen an, sich zu entblättern, gleich den Bäumen des Herbstes bei Nachtfrost", zit. n. Jens (1983). Den Hinweis auf diese Rede verdanke ich Hans-Joachim Kunst, Marburg. 2 1 Beyerchen (1977), S. 21 vermutet, daß die Landwirte in den mathematischen und physikalischen Instituten das Wirken einer „jüdischen Clique" sahen. 2 2 Die Zordnung erfolgte nach Wilhelm (1978), S. 9 9 - 1 0 1 . 2 3 Lemmerich (1982), S. 4 u. 7. 2 4 Frank (1949), S. 202. Frank erwähnt die „wissenschaftlich" frisierten Versuche, die beweisen sollten, daß die deutsche Physik ihrer ganzen Struktur nach völlig verschieden von der französischen oder englischen Physik sei, und gibt eine ausführliche Darstellung der gegenseitigen Vorurteile. Man beachte, daß hier die deutsche Physik noch ganz frei von einer antisemitischen Haltung ist. 13
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Der Text des Aufrufes findet sich bei Kellermann (1915) oder Nikolai (1919), wiederaufgelegt 1984. Beyerchen (1977), S. 92. Ein frühes Beispiel ist das „Mahnwort an deutsche Naturforscher" bei Lenard (1922). Zum Werdegang Lenards siehe auch Breger (1985). 27 Textauszug: „ . . . . als solche (Naturforscher) möchten wir hiermit nach unserem innersten Empfinden kundgeben, daß wir in Hitler und seinen Genossen - wie sie vor und in den jüngst abgelaufenen Gerichtsverfahren sich verhalten und geäußert haben, in ihrem ganzen, so offenbar gewordenen Denken und Fühlen - eben denselben Geist erkennen, den wir bei unserer Arbeit, damit sie tiefgehend und erfolgreich sei, selbst stets gesucht, erstrebt, aus uns hervorgeholt haben: den Geist restloser Klarheit, der Ehrlichkeit der Außenwelt gegenüber, zugleich der inneren Einheitlichkeit, den Geist, der jede Kompromißarbeit haßt, weil sie unwahrhaftig ist." In: Becker (Hrsg.) (1936), S. 1415 28 Beyerchen (1977), S. 104. 29 Hierzu und zu dem weiteren Werdegang Starks wird auf die ausführliche Darstellung bei Beyerchen (1977), Kapitel 6, verwiesen. 30 Beyerchen (1977), S. 18 und Lemmerich (1983), S. 116. 31 Siehe Wilhelm (1978), S. 46. 32 Vgl. Kuhn (1965), S. 63, sowie Beyerchen (1977), S. 16. 33 Heckmann (1983). 34 Siehe UAG, S, ΠΙ, A, 1 299e. 35 ebd. Abgedruckt auch in der „Göttinger Zeitung" vom 18. 4. 1933 (Lemmerich (1982), S. 114). 36 Siehe Lemmerich (1982), S. 37, wo allerdings der irreführende Eindruck entsteht, als wäre Franck ohne sein eigenes Zutun der Giftgastruppe zugeteilt worden. 37 Zur Haltung Habers vgl. Frank (1949), S. 200, der auch mitteilt, Haber und Nernst seien im Friedensvertrag von Versailles sogar auf die Liste der Kriegsverbrecher gesetzt worden. Born (1969) berichtet, daß Rutherford bei einem Besuch in Göttingen eine Einladung zum Tee bei Borns ausschlug, um dem dort anwesenden Erfinder des Giftgaskrieges, Haber, nicht die Hand reichen zu müssen. 38 Es ist vielleicht bemerkenswert, daß Max Born die Teilnahme an der Giftgasentwicklung aus moralischen Gründen ablehnte und auch während des 1. Weltkrieges alle persönlichen Beziehungen zu Haber abbrach. Otto Hahn hatte nur anfänglich Bedenken in bezug auf das Verbot durch die Haager Konvention. Wie Franck selbst, nach Hertz (1965) ein „grundgütiger Mensch", zum Giftgaskrieg stand, ist nicht bekannt. 39 Popplow (1977), S. 174. « Lemmerich (1982), S. 115. 41 Persönliche Mitteilung von H. Mehrtens (TU Berlin) nach Durchsicht der „Franck Papers", Dept. of Special Collections of the University of Chicago Library. 42 Popplow (1977), S. 174. 43 Brief Francks an den Zoologen Kühn vom 24. 4. 1933. Franck nennt „als Beweis, daß meine Absicht zurückzutreten schon seit Wochen immer bestimmter eine Notwendigkeit wurde", als Zeugen Thiersch, Graf Vitzthum und Geheimrat Bosch, mit denen er sich also beraten hat. Erwähnt wird auch der antijüdische Boykott in Göttingen. 44 UAG, S, ΠΙ. A, 1, 299e. 45 Lemmerich (1982), S. 116. 46 Widmann (1973), S. 53. 47 Einen Lebensabriß Francks hat Kuhn (1975) vorgelegt. 48 Siehe Akte Franck, UAG, Κ, XVI, V, A, a., 32, hier besonders Blatt 114, und Lemmerich (1982), S. 126. 49 In der Entpflichtungsurkunde Courants heißt es: meine Anerkennung und meinen besonderen Dank für Ihre verdienstvolle akademische W i r k s a m k e i t . . . " Zu Born siehe diesbezüglich Anmerkung 59. 50 Lemmerich (1982), S. 116. 51 Vgl. Born (1969), S. 259: „Wir glaubten damals an ein freies, demokratisches, sozialistisches Deutschland, und wir hatten seine Geburt miterlebt". Nach der Beschreibung Borns (1969, S. 257-259) muß sich der Vorgang am 9. 11. 1918 oder ein bis zwei Tage später zugetragen haben. 26
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Siehe Lemmerich (1982), S. 40. » Born (1969), S. 142 ff. 54 Beyerchen (1977), S. 23. 55 Einstein et al. (1969), S. 164. * Siehe Akte Born, UAG, Κ, XVI, V, A, a. 33, Blatt 132 ff. 57 Siehe UAG, Κ, IX, 83, Blatt 14, lfd. Nr. 1. 58 Akte Born, UAG, Κ, XVI, V, A, a, 33. 59 Abschrift der Entpflichtungsurkunde, Akte Born, UAG, Κ, XVI, V, A, a., 33, Blatt 202: „Im Namen des Reichs. Auf Ihren Antrag entbinde ich Sie mit Ende März 1935 von den amtlichen Verpflichtungen in der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Göttingen. Ich spreche Ihnen für Ihre akademische Wirksamkeit und die dem Reich geleisteten Dienste meinen Dank aus. Berchtesgaden, den 23. 7. 1935. Der Führer und Reichskanzler, gez. Adolf Hitler". Nach Lemmerich (1982), S. 126, wird die gewählte Formulierung vor dem Hintergrund der Bemühungen verständlich, Born möglicherweise nach Göttingen zurückzuholen. Heisenberg habe offenbar mit Billigung amtlicher Stellen bei Born in Cambridge entsprechend angefragt. Born habe aber abgelehnt, weil er ohne Familie habe kommen sollen. 52
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Beyerchen (1977, S. 38) irrt also, wenn er meint, Born sei zum 31. 12. 1935 unter den Nürnberger Gesetzen in den Ruhestand versetzt worden. Zitiert aus Akte Born, UAG, Κ, XVI, V, A, a, 33. Nach § 2 des Gesetzes über . . . die Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft vom 14. 7. 1933 (RGBl. I, S. 480) und der dazu ergangenen DurchführungsVO vom 26. 7. 1933 (RGBl. I, S. 538) wird u.a. „feindselige Propaganda" als der gebotenen Treuepflicht zuwiderlaufend genannt. Das Vermögen des Betroffenen wird ggf. als dem Reich verfallen erklärt.
« Akte Physikalische Institute, UAG, Κ, XVI, V, C, a, I, 3. 63 Hierzu und zu dem folgenden vgl. auch Beyerchen (1977), Kapitel 2: Göttingen 1933. 64 Schon ab 30. 5. 1933 äußerte Einstein gegenüber Born seine Besorgnis über die Aussichten dieser Gruppe von jüngeren Forschern. Siehe Einstein et al. (1969), S. 159. 65 Es muß als eine bedauerliche Unterlassung angesehen werden, daß Martin Stobbe im Emigrantenlexikon (Strauss u. Röder (1983) nicht erwähnt wird. 6 6 Beyerchen (1977), S. 29 u. 30. 67 Das amtliche Namensverzeichnis für das Sommersemester 1933 ist, wie damals offenbar die Regel, im Gegensatz zum amtlichen Vorlesungsverzeichnis erst gegen oder gar nach Ende des Semesters erschienen. Kuhn ist daher darin schon nicht mehr enthalten, an seiner Stelle erscheint Karl Hecht. Franck und Born sind als beurlaubt aufgeführt und Otto Heckmann als mit der Leitung des Instituts für theoretische Physik beauftragt. 68 69
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Beyerchen (1977), S. 28 u. 29. Nach dem schon erwähnten Gesetz (Anm. 61) konnten frühere Einbürgerungen bei jetzt „unerwünschten" Personen widerrufen werden. Baethge (1965), S. 23. Er wird Ende der 30er Jahre Physik-Referent im REM und ist in dieser Eigenschaft auch mit dem Uranprojekt befaßt. Die Darstellung bei Lemmerich (1982, S. 94), sie sei auf Einspruch Pohls nicht habilitiert worden, entspricht also nicht den Tatsachen, sondern betrifft möglicherweise die Frage der Weiterbeschäftigung nach 1933. Akte Sponer, UAG, Κ, XVI, V, A, d., 63, der auch das folgende Zitat entnommen ist. Ein Einblick in die Lebenslaufakte Pohls im U A G war nicht möglich, daher die vergleichsweise kurze Darstellung. Beyerchen (1977), S. 34. Gerlach (1978), S. 3. Brämer u. Kremer (1980), S. 167 u. 175 f. Z.B. stellt der „Deutsche Verein zur Förderung des mathematischen und naturwissenschaftlichen Unterrichts", der 1933 schon über 40 Jahre bestand, „für die im Rahmen der nationalen Wiedergeburt unseres Deutschen Volkes notwendigen Schulreformen . . . seine Mitarbeit freudig zur Verfügung." Siehe Brämer u. Kremer (1980), S. 153.
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Siehe Brämer u. Kremer (1980), S. 209 ff. Walcher (1987) erinnert außerdem die folgenden Eindeutschungsvorschläge aus Richtung des Verbandes Deutscher Ingenieure (VDI): „Der Schluckzug im Jenflied des Farbbandes" für Absorptionskurve im ultravioletten Spektrum, und „der ViertopfVierpuff-Zerknall-Treibling" für Vierzylinder-Viertakt-Explosionsmotor.
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Jungk (1982), S. 42. Pohl (1943), S. 313. So erinnert sich z.B. Walcher (1983). Eine Kodifizierung der „Deutschen Physik" wurde von Philipp Lenard erst in seinem 1936/37 erschienenen vierbändigen Werk gleichen Namens versucht. So von Laue (1947). Hierbei stellten sich aber von 55 befragten Universitäten und wissenschaftlichen Instituten nur die Universität München, die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft unter Planck und vier Akademien der Wissenschaft, darunter die Göttinger, gegen das Votum für Stark als Präsident (Beyerchen (1977), S. 118).
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Vgl. Brüche (1946) ebd. Siehe Richten Die „Deutsche Physik", in: Mehrtens u. Richter (1980), S. 116-141. Nach Beyerischen (1977, S. 171), waren zu Beginn des 2. Weltkrieges, also nach 6 Jahren nationalsozialistischer Herrschaft, ganze 6 physikalische Lehrstühle von insgesamt 81 im Deutschen Reich (einschließlich Osterreich) mit „Deutschen Physikern" besetzt. Dies waren: Theoretische Physik Universität München (W. Müller), Experimentalphysik T H München (Thomaschek), Theoretische Physik Heidelberg (C. Wesch), Experimentalphysik Heidelberg (A. Becker), Experimentalphysik T H Karlsruhe (A. Bühl), Experimentalphysik T H Stuttgart (A. Schmidt). Der hier geschilderte Ablauf der Neubesetzungen der Lehrstühle Borns und Francks ergibt sich aus der Rektoratsakte UAG, R, 3205 b. Hanle (1989). Joos habe sich häufig für Nicht-Nationalsozialisten bei deren politischen Schwierigkeiten eingesetzt, so z.B. dem entlassenen Philosophen Leisegang in Jena ein Physikstudium ermöglicht und ihm anschließend eine Stelle besorgt. A. Schmillen wurde von Joos als Doktorand angenommen, unmittelbar nachdem jenem eine Bewerbung um das Lehramt noch in der Staatsexamensprüfung verwehrt worden war (Brief Schmillen vom 12. 12. 1986). In zwei Fußnoten seiner Memoiren wirft mir der 1941 auf den Giessener Lehrstuhl berufene Hanle, mit Bezug auf einen ihm vertraulich überlassenen Entwurf dieses Kapitels, in polemisierender Art. u.a. vor, ich hätte „Joos des Nazismus verdächtigt", „fleißig belastendes Material gesammelt" (was demnach vorhanden wäre), sei „völlig überfordert" gewesen und habe als 1935 Geborener nicht die Zeit des Nationalsozialismus verstehen können (Hanle 1989, S. 60), schließlich „Joos verleumdet" (ebd., S. 63). Zu einer Korrektur der nach der klaren Aktenlage geschilderten Tatsachen kann Hanle aber nichts beisteuern.
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UAG, Κ, IX, 85 (Mitgliedschaft.. in der NSDAP usw.), Eintrag vom 25. 9.1935. Hanle, den Joos 1937 als Oberassistenten nach Göttingen holte, führt als Beleg für ihrer beider Gegnerschaft an, daß Joos ihn 1933 überredet habe, in den „Stahlhelm" einzutreten, weil einzig dieser doch ein Gegengewicht zur SA habe darstellen und z.B. Übergriffen den „Juden" gegenüber habe verhindern können (Hanle (1979), S. 64, siehe auch Hanle (1989) S. 55 ff.). Diese Auffassung erfährt eine gewisse Bestätigung durch Bracher (1979), S. 287 ff., u. Sauer (1974), S. 268 ff. Beschluß des öffentlichen Klägers bei der Spruchkammer Heidenheim vom 20. 12. 1946 im Verfahren gegen Joos, Universitätsprofessor; vgl. damit den Fragebogen in seiner Personalakte. Joos (1934), Vorwort. veröffentlich unter dem Titel „Deutsche wissenschaftliche Arbeit und Aufgabe", Leipzig, 1939. UAG, R, III, A, 1, 299e, der auch die folgenden Angaben entnommen sind. Walcher (1987). Lemmerich (1982), S. 127. Lorenz (1943), S. 148, 232 u. 235. Heckmann (1980), S. 30. Heckmann (1980), S. 33.
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Akte Institut für Medizinische Physik, UAG, Κ, XVI, III, B, k, 1, Bl. 164. Siehe Politikon Nr. 9 (1965), S. 27. Das Bekenntnis, „überreicht vom Nationalsozialistischen Lehrerbund Deutschland/Sachsen", knüpft mit seinem Motto „Einen Ruf an die Gebildeten der Welt" an den schon erwähnten „Aufruf an die Kulturwelt" aus dem Jahre 1915 an. 103 Beyerchen (1977), S. 154. 104 Heckmann (1983). Hinweise auf Teilnahme an Studentenlagern als Referent bei Heckmann (1980), S. 31. 105 Walcher (1983 u. 1985), Hanle (1987). Dem Wunsch der Informanten, den Namen des Betreffenden nicht preiszugeben, wurde entsprochen. 104 Vgl. Ludwig (1979), S. 297. Walcher (1985) nennt vier Dringlichkeitsstufen von Aufträgen: normal, Sonderstufe (S), doppelte Sonderstufe (SS), ab 1944 auch Dringende Entwicklung (DE). 107 Ludwig (1979), Kapitel 6. »o» Beyerchen (1977), Kap. 6. 109 Der Ablauf des Gesprächs in München ist bei Beyerchen (1977, S. 177 — 179) wiedergegeben. Das Seefelder Gespräch ebd. S. 192. Siehe auch bei Richter (1980), S. 127 f. 110 Heckmann (1983). Vgl. auch Beyerchen (1977), S. 182. 111 Vgl. auch Jungk (1982), S. 80. Hanle (1987) erklärt die Mitteilung eines so wichtigen, potentiell systemstabilisierenden Sachverhalts an ein Regime, dem man innerlich ablehnend gegenüber stand, mit professionellem Ehrgeiz und der Möglichkeit einer gewissen Rehabilitation im politischen Umfeld. 112 Hanle (1979), S. 79 und Hanle (1989), S. 77 ff. 113 Die später als „Uranverein" bezeichnete Gruppe von Physikern wurde in Konkurrenz zum Wissenschaftsministerium vom Heereswaffenamt aufgrund eines Briefes des Hamburger Physikers Harteck und seines Mitarbeiters Groth, der am 24. 4. 1939 beim Reichskriegsministerium eintraf, erstmals am 26. 9. 1939 einberufen. In diesem Brief wurde auf die Möglichkeit der Atombombe aufmerksam gemacht (s. Bagge u. a. (1957), S. 19, und Jungk (1982), S. 89). 114 Der Bau von Atombomben wurde nicht angeordnet. Heisenberg (1969), S. 249. Walcher (1987). 116 Ludwig (1979), S. 237-270. 117 Walcher (1987). 118 Brief datiert vom 18. 3. 1955 in den Privatakten Prof. Drexlers. 119 Roon (1976), S. 259. Hoffmann (1979, S. 454) gibt an, daß Kaiser als Staatssekretär im Kultusministerium vorgesehen war. 120 Kertz (1986), S. 38 f. 121 Kertz (1986), ebd., S. 38. 122 Siehe Göttinger Universitätsreden Nr. 77 (1986). i « Hahn (1969), S. 193 ff. 124 Die Einbeziehung auch der Institute in der amerikanischen Besatzungszone konnte nach Otto Hahn (1969, S. 216) erst auf der erneuten Gründungsversammlung in Göttingen am 25. 2.1948 vollzogen werden. 125 Nimmt man die Chemiker Otto Hahn und Adolf Windaus hinzu, so vereinigte Göttingen 1946 fünf der zwölf unter dem Nationalsozialismus in Deutschland gebliebenen Nobelpreisträger. 126 Walcher (1985). 127 Verfasser hat Einblick in ein solches Gutachten nehmen können. 128 UAG, Κ, IX, 83, Bl. 250/251. 129 Zur Physikeremigration vgl. Stuewer (1984), zur Wissenschaftsemigration insgesamt Möller (1984). 130 Stuewer (1984), S. 35/36. Der dort wiedergegebene Brief H. Bethes an Sommerfeld vom 20. 5. 1947, mit dem Bethe seinen Verzicht auf die Übernahme des ehemaligen Sommerfeldschen Lehrstuhls in München begründet, enthält exemplarisch die Gründe gegen eine Rückkehr. 131 Siehe zu dieser Problematik, die eine Besonderheit der Physikeremigration darstellt, insbesondere auch· zur Auflehnung gegen die über 1945 hinaus fortbestehenden Geheimhaltungsvorschriften, Jungk (1982), S. 216 ff. 102
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Hahn (1969), S. 198, aber auch S. 181, 193, 197. Lemmerich (1982), S. 132. Publiziert in „Bulletin of the Atomic Scientiests", May 1, 1946. Text in deutscher Übersetzung bei Jungk (1982), S. 3 2 4 - 3 3 7 . Der Appell ist wiedergegeben bei Lützeler (1978), S. 449. Lützeler (1981). Lützeler (1978), S. 4 2 8 - 4 5 2 . Lemmerich (1982), S. 141 f. Dies und weiteres zu Francks und Borns Haltung zum Nachkriegsdeutschland bei Lemmerich (1982), S. 144 ff.
Stuewer (1984, S. 35) meint sogar, keiner der in die USA emigrierten Kernphysiker wäre in sein Geburtsland zurückgekehrt, was allerdings zumindest für den bei Struewer auf S. 29 erwähnten Nobelpreisträger (1943) Otto Stern nicht richtig ist, der schon 1945 nach Hamburg zurückkehrte. 141 Einstein et al. (1969), S. 266 f. u. 273 f. 1« Lemmerich (1982), S. 158. 143 Nathan u. Norden (1981), S. 631. 144 Abgedruckt bei Lemmerich (1982), S. 1 6 5 - 1 6 7 . 145 Die Streichung „im Jahre 1938" (ohne nähere Datumsangabe) geht aus einem Brief des Präsidenten der Preußischen Akademie der Wissenschaften an den Präsidenten der Göttinger Akademie der Wissenschaften vom 24. 8. 1942 und dem Antwortschreiben vom 18. 9. 1942 hervor, beide in AAW, Akte Pers 66, Bl. 26 u. 27. Die Angabe bei Lemmerich (1983, S. 144), beide seien 1933 „ausgeschlossen" worden, ist falsch. 146 AAW, Pers 5, 1, Bl. 1. 147 Nach einem Protokoll des Kartells der Akademien von der Sitzung am 24. 5. 1937 in Berlin. AAW, Pers 5, 2, Bl. Ib. 148 Der Zeitpunkt des Ersuchens könnte mit der 200-Jahrfeier der Universität und der Gegengründung einer Nationalsozialistischen Akademie in Göttingen zusammenhängen (S. 54 ff.). 149 Ein ministerieller Erlaß vom 15. 11. 1938, also wenige Tage nach der „Reichskristallnacht", schreibt den Ausschluß von „Mischlingen" und „jüdisch versippten" Mitgliedern vor (AAW, Pers 5, 1, Bl. 4), ist also für Born und Franck nicht direkt zutreffend. 150 Siehe Anm. 145. 151 Lemmerich (1982), S. 144. 152 Lemmerich (1982), S. 147. 153 Abgedruckt in Göttinger Jahrbuch 1954, S. 101. 154 Diese und die folgenden Angaben aus Akte Franck, UAG, Κ, XVI, V, A, a, 32, ab Bl. 121. »s ebd., Bl. 126. 156 ebd., Bl. 165. 157 ebd., B1.172. Der Beginn des Entschädigungszeitraumes hängt wohl mit der Vollendung des 68. Lebensjahres Francks am 26. 8. 1950 zusammen. In Chicago wurde Franck schon drei Jahre früher in den Ruhestand versetzt, allerdings auch weiterhin lebenslang aus dem Samuel-Fels-Fonds besoldet (Lemmerich (1982), S. 170). 158 Siehe Göttinger Tageblatt vom 26. 5. 1964 (und auch den offiziellen Nachruf der Universität Göttingen von Rektor Zimmerli). 159 Göttinger Tageblatt vom 26. 5.1964. 140
Quellen- und Literaturverzeichnis Ungedruckte Quellen Akten des Universitätsarchivs Göttingen (UAG) Akten des Archivs der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (zitiert als AAW)
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Dokumentierte Gespräche mit Otto Heckmann am 22. 2. 1983 (zitiert als Heckmann (1983)) mit Friedrich Hund am 1. 3.1983 (zitiert als Hund (1983)) mit Wilhelm Walcher am 27. 5.1983 und am 8.1.1987 (zitiert als Walcher (1987)) Interview mit Wilhelm Hanle, geführt 1979 von Brenda P. Winnewisser für das Center of History of Physics (Niels Bohr Library) des American Institute of Physics, New York (zitiert als Hanle (1979)) und ergänzendes Gespräch Hanles mit Verfasser am 8.1.1987 (zitiert als Hanle (1987)) Briefe Wilhelm Walchers an Verfasser vom 31. 5.1985 (zitiert als Walcher (1985)) Wilhelm Walchers an Verfasser vom 20.10.1988 mit Anmerkungen zur ersten Auflage (zitiert als Walcher (1988))
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Vom Weltruhm der zwanziger Jahre zur Normalität der Nachkriegszeit: Die Geschichte der Chemie in Göttingen von 1930 bis 1950* ULRICH MAJER
Neben Mathematik und Physik war die Chemie die dritte Säule, auf der der Weltruhm der Göttinger Universität in den zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts ruhte. Nicht nur beherbergte Göttingen seit 1910 mit Otto Wallach erstmals einen Nobelpreisträger für Chemie in seinen Mauern, sondern die Universität hatte auch die Fortüne, mit Richard Zsigmondy und Adolf Windaus sehr frühzeitig, bereits 1908 und 1915, zwei junge Wissenschaftler nach Göttingen berufen zu haben, die später in kurzem Abstand, 1926 und 1928, den Nobelpreis für Chemie verliehen bekamen. Zsigmondy erhielt 1926 den Nobelpreis für seine Arbeiten auf dem Gebiet der Kolloidchemie, ein Gebiet, das gleichsam von ihm entdeckt worden war, und dessen Bedeutung erst nach dem zweiten Weltkrieg richtig erkannt wurde. Windaus erhielt den Nobelpreis für Chemie für seine bahnbrechenden Untersuchungen auf dem Gebiet der Biochemie, genauer gesagt der Sterine, die 1925 zur Entdeckung und anschließenden Reindarstellung des Vitamin D führten und damit das „Ende der Englischen Krankheit" einleuteten, wie es damals überschwenglich in den Tageszeitungen hieß, die durch den Mangel von Vitamin D bei Kindern verursacht wird. Entsprechend groß war der Triumph der Göttinger Chemie, die mit ihren drei Instituten neben Berlin und München zu den bedeutendsten Forschungsstätten der Chemie nicht nur in Deutschland, sondern in der ganzen Welt zählte. Und dennoch währte der Ruhm nicht allzulange. Bereits 1929 — also nur wenige Jahre nach Verleihung der Nobelpreise an Zsigmondy und Windaus — tat man sich ausgesprochen schwer, einen geeigneten Nachfolger für Zsigmondy zu finden. Die Gründe für diese Schwierigkeiten waren vornehmlich hausgemachter Natur. Man hatte es versäumt, das Extraordinariat Zsigmondys in ein ordentliches Ordinariat umzuwandeln, so daß über mehrere Jahre kein Anorganiker zu gewinnen war, der geeignet schien, die ruhmreiche Tradition der anorganischen Chemie in Göttingen fortzusetzen. Den beiden anderen Instituten, dem Allgemeinen Chemischen Laboratorium [ACL] und dem Physikalisch Chemischen Institut, blieben zwar solche Schwierigkeiten erspart, aber auch ihr Ruhm verblaßte, gemessen an dem der zwanziger Jahre, unter den Wirren und Widrigkeiten der Nazizeit. Vergleicht man den Zustand der Göttinger Chemie nach dem Ende des Dritten Reiches mit ihrem internationalen Ruhm, den sie in den zwanziger Jahren besessen hat, dann kann man wohl sagen, daß die Chemie das Dritte Reich zwar überlebt hat — und nicht einmal so schlecht, verglichen mit dem ungeheuren Aderlaß, den Mathematik und Physik in Göttingen erleiden mußten — aber daß sie doch bei weitem nicht mehr die internationale Bedeutung und den wissenschaftlichen Rang besaß, den sie vor der Machtergreifung besessen hatte. Daran waren nicht alleine die Nationalsozialisten schuld — ihren Zenit hatte die Göt* Ich danke Frau Charlotte Henrici (geb. von Wartenberg) und den Herren Prof. Oskar Glemser, Dr. Ulrich Popplow und Dr. Günther Windaus ( t ) für ihre Bereitschaft zu ausführlichen Gesprächen. G. Windaus bin ich außerdem für die Überlassung zweier unveröffentlichter Manuskripte seines Vaters sowie eines Vortragsmanuskripts zur Göttinger Universitätsgeschichte zu Dank verbunden (siehe dazu das Quellenverzeichnis).
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tinger Chemie bereits vor 1933 überschritten 1 - aber die Verhältnisse des Dritten Reiches haben doch das ihrige dazu beigetragen, wie wir noch sehen werden, den Prozess der Normalisierung zu beschleunigen, denn eine vergleichbare internationale Bedeutung wie in den zwanziger Jahren hat die Göttinger Chemie nie mehr erreicht. Die Arbeit ist grob in drei Zeitabschnitte eingeteilt: erstens, die Zeit von 1928 bis zur Machtergreifung 1933; zweitens, die Zeit von 1933 bis zum Kriegsende; und drittens die unmittelbare Nachkriegszeit bis ca. 1950. Diese Einteilung ergibt sich einerseits aus dem Wunsch, die Geschichte der Göttinger Chemie vor und nach dem „Dritten Reich" wenigstens in Ansätzen mit zu behandeln, um so den Einfluß des Nationalsozialismus auf die Entwicklung der Chemie deutlicher hervortreten zu lassen, andererseits aus gewissen personellen Zäsuren, die mit den betrachteten Zeitabschnitten zusammenfallen.
1. Struktur und Entwicklung der Göttinger Chemie von den zwanziger Jahren bis zum Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft 1.1. Die organisatorische Struktur der Chemischen Institute Wie an den meisten anderen deutschen Universitäten war das Fach Chemie an der Universität Göttingen zu Beginn der zwanziger Jahre bereits soweit differenziert, daß es in mehrere verschiedene Fachrichtungen unterteilt war, die zum Teil durch eigene Institute vertreten waren. So gab es 1922, also zur Zeit der Trennung der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen von der Philosophischen Fakultät, drei selbständige Institute mit folgenden Abteilungen: a) Allgemeines Chemisches Laboratorium (ACL) Abteilung für Organische Chemie Abteilung für Anorganische Chemie Abteilung für Biochemie Chemisch Technische Sammlung Abteilung für Pharmazeutische Chemie b) Institut für Anorganische Chemie c) Physikalisch-Chemisches Institut Abteilung für Photochemie Abteilung für Metallographie. Wie man unschwer aus der Aufteilung der Institute erkennen kann, war das Allgemeine Chemische Laboratorium nicht nur bei weitem das größte unter den drei chemischen Instituten, sondern es spiegelte auch mit seinen fünf Abteilungen für organische, anorganische und Biochemie, sowie technische und pharmazeutische Chemie 2 die „Welt der Chemie" noch einmal im kleinen wieder. Dieser leicht anachronistische Umstand, wenn man so will, sollte für die Entwicklung der Chemie in Göttingen nicht ohne Folgen bleiben, insofern die Existenz einer eigenen Abteilung für anorganische Chemie im ACL die zeitweilige Schließung bzw. schließliche Umwandlung des vorhandenen Instituts für Anorganische Chemie in ein Institut für Metallkunde in nicht unerheblichem Maße befördert hat. Dieser an sich harmlose Vorgang stellt einen der wichtigsten politischen Eingriffe der Nationalsozialisten in die Entwicklung der Göttinger Chemie dar. Man muß jedoch sogleich hinzufügen, um die Ambivalenz des Geschehens deutlich zu machen, daß der Vorgang, so wie er politisch von den Nationalsozialisten inszeniert wurde, nicht möglich gewesen wäre ohne die 590
besonderen lokalen Göttinger Voraussetzungen, welche die Umwandlung des Instituts für Anorganische Chemie in ein Institut für Metallkunde stark begünstigten. Zu diesen Voraussetzungen zählen, neben der schon genannten Existenz einer eigenen Abteilung für anorganische Chemie im ACL, insbesondere die beiden folgenden Umstände, die mit der organisatorischen Struktur der Chemie in Göttingen zusammenhängen. (Auf die anderen, in den Personen liegenden Umstände werde ich später zu sprechen kommen). Der wichtigste Umstand war wohl der, daß das sog. Institut für Anorganische Chemie keineswegs das Gebiet abdeckte, das man mit dem Wort anorganisch zu bezeichnen pflegt. Anders gesagt, die Bezeichnung „Institut für Anorganische Chemie" war äußerst schmeichelhaft für das, was in diesem Institut tatsächlich seit vielen Jahren unter Leitung von Prof. Zsigmondy geforscht und gelehrt wurde, nämlich Kolloidchemie.3 Dieser Umstand begünstigte seinerseits die Existenz einer eigenen Abteilung für anorganische Chemie im ACL, der nicht nur die Ausbildung der Anfänger in anorganischer Chemie oblag, sondern die zudem auch politisch bemerkenswert aktiv war.4 Ein weiterer, gleichsam komplementärer Faktor kam hinzu, der die Umwandlung des Institutes für Anorganische Chemie in ein Institut für Metallkunde begünstigte. Das 1894 gegründete Institut für Physikalische Chemie hatte sich unter der Leitung von W. Nernst zu einem bedeutenden Institut für Grundlagenfragen der Thermodynamik entwickelt. Als 1907 Tammann als Nachfolger von Nernst berufen wurde, änderte dieser die Forschungsrichtung. Unter seiner Leitung wurde in erster Linie Metallforschung getrieben. Dank Tammann, der ein international bekannter und vielfach ausgezeichneter Fachmann auf dem Gebiet der metallischen Legierungen war, verfügte das Institut über hervorragende Beziehungen zur Industrie. Diese Tradition wurde jedoch 1929, als es um die Entscheidung über die Nachfolge Tammanns ging, nicht fortgesetzt. Stattdessen wollte man mit der Berufung von A. Eucken an die alte Tradition von Nernst wieder anzuknüpfen. So kam es, daß die Universität Göttingen 1930 über keine nennenswerte Einrichtung auf dem von ihr einst so gepflegten Gebiet der Metallkunde verfügte. Dieser Zustand mißfiel vielen Mitgliedern der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, und sie ergriffen die nächstbeste Gelegenheit, diesen Zustand zu ändern. Diese bot sich 1935 mit der Einführung des Gesetzes über die „Entpflichtung und Versetzung von Hochschullehrern aus Anlaß des Neuaufbaues des deutschen Hochschulwesens".5 Man ergriff diese Gelegenheit um so bereitwilliger, als man dadurch gleichzeitig zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen konnte: Man konnte einerseits H. von Wartenberg, den eigenwilligen Nachfolger Zsigmondys, als „jüdisch versippten" Hochschullehrer und Leiter des Institutes für Anorganische Chemie auf diesem Wege entpflichten, und man konnte gleichzeitig an die Tradition der Metallforschung, die durch Euckens Berufung abgebrochen worden war, wieder anknüpfen, indem man das Institut für Anorganische Chemie kurzerhand in ein Institut für allgemeine Metallkunde umwandelte. Dieser organisatorische Zustand, der 1938 mit der Übersiedlung der Abteilung Metallographie des Physikalisch-Chemischen Institutes in das Institut für Metallkunde seinen vorläufigen Abschluß gefunden hatte, währte - mit einer Reihe von kleineren Veränderungen6 — bis zum Ende des zweiten Weltkrieges. Dann endlich wurde auch in Göttingen mit der längst überfälligen Teilung des Allgemeinen Chemischen Laboratoriums in ein Institut für Organische Chemie einerseits und ein Institut für Anorganische Chemie andererseits jener Schritt nachgeholt, den andere weit unbedeutendere Universitäten bereits lange vor dem zweiten Weltkrieg vollzogen hatten. Wenn man das Institut für Metallkunde nicht zu den eigentlich „chemischen" Instituten 591
im engeren Sinne rechnet, da es weit mehr als die anderen Institute auf die angewandte Forschung in der metallverarbeitenden Industrie ausgerichtet war, dann hatte Göttingen zu Anfang der fünfziger Jahre wiederum drei chemische Institute, diesmal jedoch in einer zeit-, vor allem aber sachgemäßeren Schlachtordnung, nämlich ein Institut für Organische, ein Institut für Anorganische Chemie sowie ein Institut für Physikalische Chemie. So scheint es rein äußerlich, als sei nicht viel geschehen in der Zeit vom Ende der zwanziger Jahre bis zum Beginn der Nachkriegszeit. Doch dieser Schein trügt und verschwindet, sobald wir uns der sachlichen und personellen Entwicklung der Chemie in dem betreffenden Zeitraum zuwenden.
1.2 Windaus und das Allgemeine Chemische Laboratoñum Das Allgemeine Chemische Laboratorium, unter der Leitung von A. Windaus, spiegelte, wie gesagt, die Welt der Chemie noch einmal in sich wieder. Es war nicht nur das größte, sondern vor allem auch das mit Abstand erfolgreichste und beständigste unter den drei Göttinger chemischen Instituten. Es hat, wie kein anderes Institut, ein große Zahl sehr guter, ja bedeutender Chemiker hervorgebracht, wie A. Butenandt, K. Dimroth, R. Tscheche, H. Brockmann, um nur die bekanntesten Namen zu nennen7, und weltweit anerkannte Forschungsergebnisse auf dem Gebiet der organischen, vor allem aber der Biochemie gezeitigt. Vieles, wenn nicht das meiste davon, verdankte das Institut der Leitung von A. Windaus, der - so Butenandts Worte — „eine Schule von hohem Rang" gegründet hatte.8 Windaus verkörperte in seiner Person gleichsam die Größe und Kontinuität der Göttinger Chemie. Zu diesem Eindruck hat sicherlich nicht zuletzt die beinahe dreißigjährige Leitung des Instituts von 1915 bis 1944 durch Windaus beigetragen. Der äußere Schein trügt jedoch ein wenig. Nicht nur trug Windaus sich mit Rücktrittsgedanken, die bisher der Öffentlichkeit verborgen blieben, sondern die Arbeit des Institutes litt auch durch die Verunsicherung der Mitarbeiter auf Grund der politischen Umstände und eine dadurch verursachte außerordentlich große Fluktuation des wissenschaftlichen Personals. Obwohl dem Allgemeinen Chemischen Laboratorium durch das hohe Ansehen und das außerordentliche Verhandlungsgeschick von Windaus Schlimmeres erspart blieb, sollte auch dieses Institut von den Wirren und Nöten der Nazizeit nicht ganz verschont bleiben. Seine Fähigkeit zum Verhandeln hatte Windaus bereits vor 1933 beim Ausbau des Institutes und der Lösung von Personalfragen unter Beweis gestellt. Davon soll zunächst in diesem Kapitel die Rede sein, bevor wir auf die Zeit nach 1933 zu sprechen kommen, als es um das Uberleben des Institutes als einer wissenschaftlich funktionierenden Einrichtung ging. Windaus, der 1918 öffentlich zur Unterstützung der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP) aufgerufen und ihr danach noch bis 1924 als Mitglied angehört hatte9, war ein gestrenger und weitsichtiger Institutsleiter.10 Als er 1915 von O.Wallach das Laboratorium in der Hospitalstraße übernahm, war dieses ein zwar wohlgeordnetes, aber doch recht kleines Institut. Es kam daher für Windaus darauf an, dieses Institut bei nächster Gelegenheit auszubauen. Die erste große Gelegenheit hierzu bot sich, als Windaus 1925 — also noch vor der Verleihung des Nobelpreises — fast gleichzeitig zwei Rufe erhielt, den einen nach Heidelberg, den anderen nach dem von Windaus besonders geschätzten Freiburg, das damals zu Baden gehörte. Die anschließenden Bleibeverhandlungen mit dem Ministerium in Berlin nutzte Windaus, um ein Höchstmaß an Zugeständnissen, sowohl sachlicher als auch personeller Art, auszuhandeln. Nicht nur erhielt Windaus mit der Un592
terstiitzung des Kurators und einiger Kollegen aus der Fakultät" die Zusage für einen umfangreichen Ausbau des Institutes samt neuer Laboreinrichtungen sowie eine Reihe neuer Stellen, sondern auch die Zusicherung, daß die Göttinger Chemie ihrem Schwerpunkt nach in Zukunft auf die Biochemie ausgerichtet sein würde. Hier interessiert jedoch weniger der äußere Umfang der Zusagen als vielmehr die institutspolitischen Ziele, die von Windaus im Zuge der Verhandlungen verfolgt und zum größten Teil durchgesetzt wurden. Der erste Punkt betrifft die personalpolitische Neugestaltung des Institutes. Windaus, der das Institut auf die Biochemie ausrichten wollte, konnte nicht allen Mitgliedern gegenüber gleich bestimmt auftreten. Walter Borsche, mit dem er sich persönlich gut verstand, war ein Schüler von Wallach, und etwa so alt wie er selbst. Windaus, der ein natürliches Interesse an Borsches „Fortkommen" hatte, machte diesen Punkt offenbar zum Gegenstand seiner Bleibeverhandlungen. Jedenfalls lesen wir in einem Bericht des Kurators Valentiner an das Ministerium: „Ferner bat er [Windaus], alles zu tun, um den an Prof. Borsche ergangenen oder noch ergehenden Ruf nach Frankfurt so verlockend wie nur irgend möglich zu gestalten, damit dieser den Ruf auch annimmt, was sonst sehr zweifelhaft ist. Nimmt er ihn an, dann habe er, Windaus, ja bereits die Zusicherung von Herrn Richter [dem zuständigen Geheimrat im Ministerium] daß er sich den Nachfolger von Borsche aussuchen darf."12 In der Tat ging Borsche 1926 nach Frankfurt. Windaus hatte aber noch einen weiteren personalpolitischen Wunsch, der ein Licht auf die zukünftigen Ereignisse wirft. Er soll geneigt gewesen sein, „die Stelle des Abteilungsvorstehers [für anorganische Chemie] sofort zu besetzen, wenn nur jemand da sei, der genügend qualifiziert sei, um vor Herrn Jander gestellt werden zu können."13 Anscheinend fand sich jedoch kein geeigneter Anorganiker, so daß Windaus es vorzog, die Abteilungsvorsteherstelle gegen eine planmäßige Assistentenstelle einzutauschen. Dadurch war ihm einerseits die Abteilung für anorganische Chemie direkt unterstellt, so daß er - wie das Ministerium lakonisch bemerkte — „vollkommen frei über alle Hilfskräfte verfügen [konnte]"14, und andererseits war Jander, von dem Windaus nicht sehr viel hielt15, zumindest vorübergehend als Abteilungsvorsteher entmachtet.16 Der zweite Punkt betrifft die demokratische Selbstverwaltung des Institutes. Windaus, der politisch durchaus demokratisch gesinnt war - er war wie gesagt Mitglied der DDP - lehnte gleichwohl die Preussische Hochschulreform ab, weil sie den Mitarbeitern, insbesondere aber den Abteilungsvorstehern, zuviel Mitspracherecht einräumte. In diesem Sinne muß er bei den Bleibeverhandlungen auf eine Ausnahme für sein Institut gedrungen haben, denn in dem Bericht des Kurators an das Ministerium heißt es: „Auch die Zusage habe er von Herrn Richter, daß die Hochschulreform nicht auf das Windaussche Institut angewendet werden solle. Das hat besonderen Eindruck auf Windaus gemacht, weil er in Freiburg - da in Baden die Reform nicht geplant ist - in diesem für ihn sehr wichtigen Punkte („ich will keine Konflikte im Institut, aber die Reform, die den Abteilungsvorstehern zuviel Rechte gibt und ihnen jeden Ehrgeiz nimmt, schafft Konflikte") völlig frei gewesen wäre. In demselben Sinne war für Windaus bestimmend die Zusicherung von Herrn Richter, daß er niemals von dem Einfluss auf die in seinem Institut zu absolvierenden Doktorexamen ausgeschlossen würde".17 Ob sich Windaus mit seiner Ablehnung der Hochschulreform wirklich durchgesetzt hat, entzieht sich unserer Kenntnis. Fest steht, daß er in Göttingen geblieben ist und ein gestrenger, aber zugleich gerechter Institutsleiter war, der nicht nur viel von seinen Mitarbeitern verlangte, sondern sich auch für diese einsetzte, wenn es darum ging, sie wissenschaftlich und finanziell zu fördern. So hat er sich, um nur ein Beispiel zu erwähnen, zusammen mit anderen Kollegen der math.-nat.-Fakultät 1931/32 bereit erklärt, auf einen Teil seines Ge593
hakes zu verzichten, damit von diesem Geld die aufgrund von Sparbeschlüssen entlassenen Assistenten weiter finanziert werden konnten [man stelle sich das einmal heute vor!]. So kann man alles in allem zu Recht sagen: Windaus war Patriarch und Demokrat in einer Person. Die Arbeiten von Windaus in den Jahren der Weimarer Republik waren von großen Erfolgen gekrönt. Nicht nur gelang ihm die Klärung der Natur der Sterine, sondern er konnte auch die Beziehung des Vitamines D zu den Sterinen aufklären. 1925 lud ihn der Physiologe Arthur Hess nach New York zur Mitarbeit am Vitamin-D-Problem ein: Ein Mangel an Vitamin D, das wußte man aus Erfahrung, führt zur sog. englischen Krankheit, der Rachitis. Man wußte auch, daß UV-Bestrahlung die Krankheit mildert. Man wußte aber nicht, welcher Zusammenhang zwischen UV-Strahlung und Vitamin D besteht. Windaus gelang es in Zusammenarbeit mit dem Göttinger Experimentalphysiker R. W. Pohl, den Zusammenhang aufzuklären: Vitamin D entsteht in der Haut durch Umwandlung eines Sterins mittels UV-Strahlung. Für diese Entdeckung erhielt er 1928 den Nobelpreis.
1.3 Der personelle „ Umbruch " der Göttinger Chemie vor der Machtergreifung Wie bereits beiläufig bemerkt, bildete das Jahr 1929 eine gewisse Zäsur in der Geschichte der Göttinger Chemie, insofern in diesem Jahr gleich zwei Positionen frei wurden und neu zu besetzen waren, nämlich das Extra - Ordinariat für anorganische Chemie und der Lehrstuhl für Physikalische Chemie. Zsigmondy bat nach mehrjähriger, schwerer Krankheit, in deren Verlauf er sich seit dem SS 1927 durch seinen Assistenten, Peter Adolf Thiessen, hatte vertreten lassen, zum 1. März 1929 um seine rechtzeitige Emeritierung, und Tammann wurde nach Erreichung der Altersgrenze von 68 Jahren zum 31. September 1929 emeritiert. Anders als vielleicht angesichts der Bedeutung der bisherigen Stelleninhaber zu erwarten gewesen wäre, plante die Fakultät eine Neuausrichtung der beiden Institute. Wie häufig in solchen Fällen, kam es daher zu gewissen Auseinandersetzungen um die Frage der Nachfolge zwischen den scheidenden Ordinarien und der Fakultät, welche die vakanten Positionen nach eigenem Gutdünken neu besetzen wollte, ohne an das Votum der Vorgänger gebunden zu sein. Die Auseinandersetzungen waren zwar in beiden Fällen nicht sehr gravierend, sie sollten aber doch indirekt die weitere Entwicklung der Chemie in Göttingen entscheidend beeinflussen. Zunächst bat Zsigmondy, der ein starkes Interesse daran hatte, daß das von ihm entwickelte Gebiet der Kolloidchemie [und Membranfilter] in Göttingen fortgeführt wurde, „bei der Bildung der Kommission für die Neuregelung berücksichtigt zu werden". 18 Diesem Wunsch wurde nicht entsprochen. Daraufhin schrieb Zsigmondy an den Dekan der math. nat. Fakultät folgenden Brief: „Der mir seinerzeit erteilte Lehrauftrag für anorganische Chemie mit besonderer Berücksichtigung der Kolloidchemie hat eine enge Kombination zwischen diesen beiden Gebieten herbeigeführt. Die Weiterführung dieser Arbeitsrichtung in der von mir eingeführten und seit mehr als zwanzig Jahren betriebenen Weise setzt eine Persönlichkeit voraus, die imstande ist, den vielfachen Anforderungen der Vereinigung dieser beiden Wissenszweige in Lehre und Forschung zu genügen. In dieser Hinsicht gestatte ich mir, auf meinen Assistenten, den Privatdozenten Dr. P.A. Thiessen, hinzuweisen . . . Aus diesem Grund habe ich im Interesse der Kontinuität dieses Forschungszweiges den Wunsch, Dr. Thiessen der akademischen Laufbahn weiter zu erhalten. Ich würde diese Möglichkeit als gegeben erachten, wenn Herr Dr. Thiesssen in die Liste der Berufungsvorschläge aufgenommen wird." 1 9
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Auffällig an diesem Brief ist, wie stark das fachliche Interesse Zsigmondys an einer Fortführung der Kolloidchemie mit dem perönlichen Wunsch verknüpft ist, seinen Assistenten, Dr. Thiessen, bei der Nachfolge zu berücksichtigen. Die Fakultät setzte sich jedoch über beide Wünsche gleichermaßen hinweg, weil sie das Fach Anorganische Chemie auf eine breitere Grundlage, sowohl theoretisch wie experimentell, gestellt sehen wollte.20 Dementsprechend machte sie am 8. März 1929 zunächst folgenden Dreiervorschlag für die Wiederbesetzung: Biltz, von Wartenberg und Stock. Sie hatte die Rechnung jedoch ohne den Wirt gemacht. Bereits am 18. April schickte der Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung den Vorschlag mit der Begründung zurück, daß Zsigmondy nur ein Extraordinariat innegehabt habe, die drei genannten Herren aber bereits alle Ordinarien seien, so daß sie für Göttingen „unter diesen Umständen nicht zu gewinnen sind". 21 Damit war die Absicht der Fakultät, einen bekannten Anorganiker nach Göttingen zu berufen, zunächst einmal gescheitert. Noch während man angestrengt nach einem Nachfolger für Zsigmondy suchte, stand jedoch bereits wegen der Emeritierung von Prof. Tammann die nächste Nachfolgeregelung an. So kam man auf den genialen Einfall, die Vorschläge für die Wiederbesetzung beider Lehrstühle miteinander zu verbinden, um so im Zuge der Besetzung der Physikalischen Chemie auch eine passende Besetzung der anorganischen Chemie zu erreichen. Mit diesem „Hintergedanken" reichte die Fakultät am 12. Juli desselben Jahre den folgenden Doppelvorschlag ein: A) Physikalische Chemie: A. Eucken, H. von Wartenberg [äquo loco], sowie M. Trautz, B) Anorganische Chemie: K. F. Bonhoeffer, E. Jaenecke, E. Riesenfeld, C. Tubandt.22 Diese Liste läßt die Absicht der Fakultät klar erkennen, die unter Tammann so geschätzte Metallkunde nicht weiter fortzusetzen, sondern sich, wie schon im Falle der Anorganischen Chemie, wieder mehr um die Grundlagen des Faches Physikalische Chemie in seiner vollen Breite zu bemühen. Das zeigen nicht nur die sehr breiten und an Grundlagenfragen interessierten Arbeitsgebiete der beiden Erstplazierten, A. Eucken und H. von Wartenberg23, sondern auch der Umstand, daß beide Schüler von W. Nernst gewesen sind. M.a.W.: die Fakultät wollte offenbar an die ältere Tradition von W. Nernst wieder anknüpfen. Diese Absicht ging auch auf, denn A. Eucken kam als Nachfolger G. Tammanns zum I. April 1930 nach Göttingen. Die andere Absicht, mit der Doppelliste auch die Probleme um die Wiederbesetzung der Anorganischen Chemie zu lösen, ging jedoch nicht auf, da keiner der Kandidaten bereit war, den Ruf nach Göttingen anzunehmen. Der Grund lag zum einen in der unzulänglichen Ausstattung des Instituts und zum anderen in der bereits erwähnten Tatsache, daß es sich bei der Stelle Zsigmondys um ein Extraordinariat handelte. Da das Ministerium nicht bereit war, diese Stelle in ein Ordinariat umzuwandeln24, blieb der Fakultät keine andere Wahl, wenn sie an ihrer Absicht festhalten wollte, einen renomierten Anorganiker zu gewinnen, als sich nach einem privaten Geldgeber für den Ausbau und die Ausstattung des Instituts umzuschauen. Ein solcher war auch nach relativ kurzer Zeit, dank der ausgezeichneten Kontakte der Physiker J. Franck und M. Born zur Rockefeller Foundation, gefunden. Am II. Mai 1932 teilte die Stiftung Franck mit, daß sie für den Ausbau des Instituts für anorganische Chemie zweihunderttausend [!] Reichsmark zur Verfügung stelle, eine für die damalige Zeit erstaunlich hohe Summe.25 Allerdings stellte die Rockefeller Foundation, wie in solchen Fällen üblich, gewisse Auflagen an die Vergabe der Mittel.26 Im vorliegenden Fall bestand die Hauptauflage darin, entweder H. Mark27 oder H. von Wartenberg für Göttingen zu gewinnen. Daher war 595
Franck höchst erleichtert, als er am 30. August 1932 der Rockefeiler Foundation schreiben konnte: „Heute kann ich die erfreuliche Nachricht senden, daß die Verhandlungen zwischen dem Ministerium und Prof. von Wartenberg zum Ziel geführt haben."28 In der Tat hatte von Wartenberg am Tage zuvor - also am 29. August 1932 - den Ruf, als Nachfolger von Zsigmondy und neuer Direktor des Institutes für Anorganische Chemie nach Göttingen zu kommen, angenommen. Ausgehend von der Stellensituation mußte von Wartenberg sich zunächst mit einem planmäßigen Extrordinariat und einem persönlichen Ordinariat zufrieden geben29, allerdings mit der „protokollarischen" Zusage des Ministeriums, die Stelle bei nächster Gelegenheit in ein planmäßiges Ordinariat zu verwandeln bzw. das nächste freiwerdende Ordinariat der math. nat. Fakultät auf von Wartenberg zu übertragen. [Diese Zusage sollte, gerade wegen ihres protokollarischen Charakters, noch eine schicksalhafte Rolle für von Wartenberg spielen.] Der Termin für den Antritt der Stelle war auf den 1. April 1933 datiert, ein Datum, das insofern bedeutsam ist, weil damit der Amtsantritt von Wartenbergs bereits in die Zeit nach der „Machtergreifung" fiel, während der Ruf an ihn noch vorher ergangen war. Noch im Winter 1932/33 wurde mit dem Ausbau des Institutes begonnen. Von Wartenberg kontrollierte selbst die Bauplanung und Ausführung. Zu diesem Zweck reiste er mehrmals von Danzig nach Göttingen. Damit war die äußerst lange Zeit der Vakanz des Institutes beendet30, und die anorganische Chemie hätte mit von Wartenberg wieder ruhigen, vor allem aber erfolgreichen Zeiten entgegengehen können, wenn es nicht noch vor dem Amtsantritt zu einer Reihe von Vorfällen und Ungeschicklichkeiten gekommen wäre, die von Wartenbergs Position in Göttingen von Anfang an erschwerten. Hinzu kam außerdem, daß von Wartenberg mit einer „Halbjüdin" verheiratet gewesen war, und es ist schwer zu sagen, welcher von beiden Faktoren für das künftige Schicksal von Wartenbergs der ausschlaggebende war.31 Bereits während der Berufungsverhandlung kam es zu Unstimmigkeiten zwischen von Wartenberg und seiner zukünftigen Fakultät. Anlaß war die Kündigung des Privatdozenten und langjährigen Stellvertreters Zsigmondys, Adolf Thiessen, zum 1.4.1933, welche von Wartenberg in Nachbesserung seiner, zu jener Zeit bereits abgeschlossenen, aber noch nicht offiziell bestätigten, Berufungsverhandlungen beim Ministerium durchgesetzt hatte.32 In dieser Kündigung sah die Fakultät angesichts der Verdienste Thiessens um das Anorganische Institut eine unzumutbare „Unbilligkeit". Die Art des Vorgehens habe „insbesondere diejenigen Herren, welche sich, gewissermaßen als Ausschuß der Fakultät um die Rockefellerschenkung für das Institut und, darauf fussend, um die Herberufung des Herrn Professors von Wartenberg aus Danzig bemüht haben", etwas indigniert. Die Fakultät insistierte darauf, „nichts unversucht zu lassen, um Herrn Thiessen wenigstens einige Zeit über den 1. April 1933 zu sichern, ohne doch Herrn von Wartenberg zu schädigen".33 Sie bat folglich das Ministerium um die Bewilligung entweder einer außerplanmäßigen Assistentenstelle oder eines Lehrauftrages mit annähernd gleicher Vergütung. Dieses ist zwar nicht erfolgt. Thiessen erhielt jedoch, auf Vermittlung von Windaus, die Assistentenstelle am Mineralogischen Institut bei Prof. Goldschmidt, die er bis zu seiner „Berufung" nach Münster am 1. April 1935 offiziell innehatte. Dies war keineswegs der einzige Vorgang, der von Wartenberg noch vor seinem Amtsantritt am 1. April 1933 in eine schwierige, um nicht zu sagen völlig isolierte Lage brachte. Da jedoch die anderen Ereignisse bereits mit den politischen Veränderungen um 1933 zusammenhängen, werden diese an späterer Stelle geschildert.
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2. Der Einfluß des Nationalsozialismus auf die Entwicklung der Chemie in Göttingen Verglichen mit den rasanten Auswirkungen in Mathematik und Physik zeigten sich die Folgen der nationalsozialistischen Machtübernahme in der Chemie erst wesentlich später und auch insgesamt weniger dramatisch. In Ermangelung sogenannter Nicht-Arier entfielen in der Chemie die Voraussetzungen für Zwangsbeurlaubungen und andere rassistische Maßnahmen. Es gab aber noch einen zweiten Grund, warum in der Chemie sich die Folgen der nationalsozialistischen Herrschaft erst wesentlich später zeigten: Die Göttinger Chemie verfügte über ein ganz besonderes „Verhältnis" zu den Nationalsozialisten, einen direkten Draht nach Berlin, der durch den Ruf dreier Göttinger Chemiker nach Berlin zustande kam — ein Vorgang, den man ironisch als Entnazifizierung der Göttinger Chemie bezeichnen kann — ohne den die Entwicklung der Göttinger Chemie nach 1933 kaum zu verstehen ist. Daher soll zunächst dieser Vorgang geschildert werden. Die Entwicklung läßt sich insgesamt unter drei Gesichtspunkten zusammenfassen: (i) die erstaunliche Karriere nationalsozialistischer Göttinger Chemiker, (ii) die Auseinandersetzungen um den Erhalt der Freiheit von Lehre und Forschung am ACL, (iii) Die Entpflichtung von Wartenbergs im Zuge der Umwandlung des Institutes für Anorganische Chemie in ein Institut für Metallkunde. 2.1. Die „Entnazifizierung"
der Göttinger Chemie durch die
Nationalsozialisten
Die Göttinger Chemischen Institute waren vor 1933, im Vergleich zu anderen Instituten, mit einer auffällig hohen Zahl von aktiven Nationalsozialisten ausgestattet, so daß man sie als eine Art Hochburg der Nationalsozialisten an der Universität Göttingen bezeichnen kann, obgleich Windaus zumindest das ACL von politischen Aktivitäten jeder Art frei zu halten versuchte. Von den nach der Machtübernahme zu erwartenden Agitationen dieser Gruppe, mit all ihren Konsequenzen, wurde die Göttinger Chemie gleichwohl verschont, weil die führenden Köpfe dieser Gruppe eine geradezu erstaunliche Karriere machten: Sie stiegen innerhalb weniger Monate in die zentralen Schaltstellen der Wissenschaft und Wissenschaftsverwaltung des Dritten Reiches in Berlin auf. Ihre Aktivitäten dort sollten allerdings, wie wir noch sehen werden, tiefgreifende Auswirkungen auf die Entwicklung der Chemie in Göttingen haben. Die Gruppe der nationalsozialistischen Aktivisten (innerhalb der Chemie) bestand 1933 aus den außerplanmäßigen Professoren Gerhart Jander und Peter Adolf Thiessen sowie Rudolf Mentzel, einem Privatassistenten von Jander. Gerhart Jander, der sich 1921 in Göttingen habilitiert hatte, war seit 1925 außerplanmäßiger Professor und Leiter der Abteilung für Anorganische Chemie im Allgemeinen Chemischen Laboratorium. Anders als sein wissenschaftlicher verlief sein politischer Werdegang. Während der erstere durchaus normal, ja man kann fast sagen, akademisch unauffällig verlieP4, zeigte jener beachtliche Sprünge, die auf ein außergewöhnliches politisches Talent hindeuteten. Kurz nach Ende des ersten Weltkrieges hatte sich Jander (wie Windaus) in der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei engagiert. Am 7. Januar 1919 lud er im Namen dieser Partei in der Göttinger Presse Studenten und akademische Lehrer unter dem Motto „Pflicht jedes Akademikers ist es jetzt, politisch tätig zu sein" zu einer parteipolitischen „Akademiker Versammlung" ein.35 Später wollte jedoch Jander sein Engagement 597
für diese Partei nicht mehr wahrhaben. In der Kartei der ehemaligen Hochschullehrer und Dozenten wird nur eine Mitgliedschaft von 1919 bis 1924 in der stramm rechten Deutsch Nationalen Volkspartei (DNVP) erwähnt. Nach seinem Eintreten für die DDP scheint Gerhart Jander zunehmend dem politischen Beispel seines jüngeren Bruders Wilhelm gefolgt zu sein.36 Unter dessen Führung wurde im Dezember 1922 die Göttinger SA gegründet.37 Jedenfalls trat Gerhart Jander bereits am 4. 3.1925 der NSDAP bei, so daß er die sehr niedrige Mitgliedsnummer 2970 erhielt. Aufgrund seines frühen Beitritts wurde er Blutsordenträger, wohingegen andere, wie sein Assistent Mentzel, die gleichfalls 1925 in die Partei eingetreten waren, nur das goldene Parteiabzeichen erhielten.38 Er gehörte überdies dem Förderkreis der „Freunde der Deutschen Auskunftei" an, jener Vereinigung, die durch Erstellung und Zirkulation von Namenslisten den Einfluß der Juden an den Deutschen Hochschulen zurückdrängen wollte. Um das Maß voll zu machen: Jander gehörte im Frühjahr 1933 auch zu jenen 42 Unterzeichnern einer „Kundgebung", die als Antwort auf die Rücktrittserklärung des Physikers und Nobelpreisträgers J. Franck von der Regierung beschleunigte Reinigungsmaßnahmen in der Universität forderten.39 Auch Thiessen hatte sich, 1926, in Göttingen habilitiert. Nach der Erkrankung Zsigmondys vertrat er, wie bereits erwähnt, dessen Stelle als Direktor im Institut für Anorganische Chemie. 1932 wurde er zum außerplanmäsigen Professor ernannt. Thiessen war, wie Jander und Mentzel, bereits 1925 in die NSDAP eingetreten. 1928 verließ er aber wieder die Partei und trat ihr erst erneut 1933 bei.40 Trotzdem erhielt er das Goldene Parteiabzeichen. Der Dritte im Bunde, Adolf Mentzel, war wissenschaftlich noch nicht hervorgetreten, als er sich bereits politisch betätigte. Er hatte von 1919 bis 1925 in Göttingen Chemie studiert und bei Windaus 1925 nach Meinung des Generaldirektors der KWG „schlecht und recht" promoviert.41 Nach einjähriger Tätigkeit in der chemischen Industrie kehrte Mentzel nach Göttingen zurück und trat eine Mitarbeiterstelle als Privatassistent von Jander an, die er bis 1933 innehatte. Politisch hatte sich Mentzel bereits in jungen Jahren um so deutlicher profiliert. In den ersten Jahren der Weimarer Republik beteiligte sich Mentzel zuerst als Mitglied des Göttinger Studentenbataillons, dann als Kapp-Putsch-Teilnehmer, als Freiwilliger des Freikorps Wolf in Oberschlesien, und schließlich seit 1922/23 als SA-Mitglied aktiv an gewaltsamen Auseinandersetzungen. 1925 trat er kurz nach Jander in die NSDAP ein und erhielt die Mitgliedsnummer 2973. Fünf Monate später trat er aber bereits wieder aus der Partei aus, um ihr im Mai 1928 erneut beizutreten. Trotz der Unterbrechung behielt er seine alte Mitgliedsnummer und somit auch das Goldene Parteiabzeichen. In der Partei und ihren Unterorganisationen machte Mentzel — nach seinem Wiedereintritt - schnell Karriere: Er wurde SA-Sturmführer und schon im Juni 1930 Kreisleiter der NSDAP in Göttingen. 1932 trat er in die SS ein und übernahm die Führung des I. Sturmbann der Standarte 51. In der SS brachte er es immerhin bis zum Obersturmführer.42 Im Juni 1933 legte Mentzel überraschend die Kreisleitung der NSDAP in Göttingen nieder, um in Greifswald kurzerhand zu „habilitieren". Diese „Habilitation" war ein einziger Skandal. Mentzel, der unter Jander an der Entwicklung chemischer Kampfstoffe gearbeitet hatte43, reichte eine seinem bisherigen Arbeitsgebiet entsprechende Arbeit zum Thema „Wehrchemie" in Greifswald zur Habilitation ein. Die dortige Fakultät bekam diese Arbeit aber nie zu sehen (!), da sie aus militärischen Gründen der Geheimhaltung unterliege. Die Fakultät weigerte sich denn auch zunächst, die Arbeit als Habilitationsleistung anzuerkennen. Die Habilitationskommision bezeichnete Mentzel gar als „Empiriker mit verhältnismäßig primitiven wissenschaftlichen Kenntnissen". Da jedoch Rust, der neue Kultusmini598
ster in Berlin, als ehemaliger Gauleiter von Südhannover mit Mentzel bestens bekannt war, gebot er die Habilitation Mentzels als dringlich. Die Fakultät in Greifswald überließ daraufhin die Entscheidung dem Ministerium. So erhielt Mentzel am 29. Juni 1933 die „venia legendi" für das Fach „angewandte Chemie unter besonderer Berücksichtigung des Luftschutzes". Mit dieser „Habilitation" war eine wichtige Voraussetzung für seine weitere Karriere geschaffen worden. Der eigentliche Aufstieg der Göttinger Seilschaft begann mit der Übernahme der Stelle des kommissarischen Direktors am KWI für Physikalische Chemie und Elektrochemie in Berlin am 1. Oktober 1933 durch Jander. Jander, der seit seiner Habilitation vor elf Jahren nicht einen einzigen Ruf an eine andere Hochschule erhalten hatte, wurde somit Nachfolger des Nobelpreisträgers Fritz Haber in einem der international angesehensten deutschen Forschungsinstitute. Sein Vorgänger hatte, nachdem er aufgefordert worden war, jüdische Mitarbeiter zu entlassen, aus Protest gegen diese Maßnahme um sèine Entlassung gebeten. Er begründete diesen Schritt mit seiner Traditon, „bei der Auswahl von Mitarbeitern nur die fachlichen und charakterlichen Eigenschaften der Bewerber zu berücksichtigen, ohne nach ihrer rassenmäßigen Beschaffenheit zu fragen". 44 Nach einer kurzen Periode der Vakanz, in der Otto Hahn neben seinem eigenen Institut auch noch das von Haber mitverwaltete45, trat der in Göttingen beurlaubte Jander kommissarisch an seine Stelle. Die Ernennung von Jander dürfte keineswegs darauf zurückzuführen sein, daß es keine anderen Chemiker gab, die sich nationalsozialistisch profiliert hatten. Vielmehr scheint die Ernennung auf den langjährigen Kontakt und die persönliche Freundschaft 4 * zwischen dem ehemaligen Gauleiter von Südhannover, Rust, und dem ehemaligen Göttinger Kreisleiter der NSDAP, Mentzel, zurückzugehen, der die Ernennung Janders vermittelt haben dürfte. 47 Gegen die für sie vollkommen unfaßbare Ernennung eines „völlig unbekannten Professors" aus Göttingen protestierten der Präsident und der Generaldirektor der KWG, Max Planck und Friedrich Glum, sowohl bei Rust als auch unmittelbar bei Hitler 48 sowie bei den zuständigen Abteilungen des Ministeriums und sogar, wegen der militärischen Bedeutung des KWI, bei der Militärführung. Von der letzteren wurde Glum an den zuständigen Abteilungsleiter für Chemie/Physik des Kriegswaffenamtes verwiesen, ausgerechnet jenen Schumann, der bereits seit längerem mit Mentzel zusammenarbeitete. 49 Kein Wunder: alle Proteste fruchteten nichts. Quasi zum Trost versicherten die Referenten des Kultusministeriums, neben Jander andere „tüchtige" Wissenschaftler zu stellen. Damit war niemand anderes gemeint als die noch unbekannteren Herren Thiessen und Mentzel.50 Wie das Ministerium versprochen hatte, so geschah es. Thiessen und Mentzel folgten Jander im November 1933 nach Berlin und wurden am besagten KWI Abteilungsleiter für Kolloidchemie respective für „chemische Kampfstoffe" — eine neue Abteilung, die eigens für diesen Zweck geschaffen worden war. Mit dieser Ernennung wurde Mentzel zum Kampfgasexperten des Institutes, und damit gewissermaßen zum eigentlichen Erben Habers, dem Erfinder der deutschen Kampfgase im ersten Weltkrieg. „Fassungslos" — so Glum — „standen Planck und ich der neuen Crew im Haberschen Institut gegenüber. Dilettantismus und Verbrechertum schienen sich hier die Hand zu reichen." 51 Innerhalb kürzester Zeit wurde das Institut von jüdischen Mitarbeitern und all den Personen gesäubert, die dem Regime kritisch gegenüber standen, mit der Folge, daß fast die gesamte Belegschaft ausgewechselt werden mußte. 52 Aber so ganz scheint die Leitung des Haber-Instituts durch Jander seine Auftraggeber (im Ministerium) nicht überzeugt zu haben, denn sie währte nicht lange. Bereits 1935 wurde er — sicherlich mit Zutun seiner Untergebenen — als Ordinarius für Chemie nach Greifs599
wald geschickt. 53 Zumindest im nachhinein hatte Mentzel, mit Bezug auf den politischen Werdegang Janders, keine sehr hohe Meinung über seinen früheren privaten Arbeitgeber: , Jander war einer von den Leuten, die sich superschlau benahmen. Er sagte sich: irgendwie muß ich in der Welt zu einem leitenden Posten kommen. Entweder in der NSDAP, wenn sie siegt. Ich werde also Mitglied. Oder über die kommunistische Partei, also werde ich Mitglied der kommunistischen Partei. Oder über Beziehungen durch die Freimaurerei, also werde ich Feimaurer. Oder mit Hilfe der Wehrmacht, also biete ich der Wehrmacht meine Mitarbeit an und mache für sie chemische Kampfstoffe und Nebelstoffe. Er war sozusagen ein Vier-Bänder-Mann! Solche Pflaumen hat's eine Menge gegeben."54 Diese Einschätzung von Seiten Mentzels dürfte nicht ganz unabhängig von Janders Nachkriegskarriere entstanden sein. Jander wurde nämlich 1951 Direktor des Institutes für anorganische Chemie der Technischen Universität in West-Berlin. 55 Die schillernde Person Jander ist heute, 30 Jahre nach seinem Tod im Jahr 1961, den Studenten der Chemie ein bekannter, aber weitgehend unverfänglicher Begriff. Von Jander mitverfaßte Lehrbücher zur anorganischen Chemie werden noch heute unter seinem Namen fortgeführt. 56 Nachfolger von Jander als Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für physikalische Chemie und Elekrochemie wurde jener Thiessen, dem in Göttingen noch zwei Jahre zuvor die Kündigung gedroht hatte. Seine Amtsübernahme stellte insofern eine weitere Zäsur dar, als sich mit ihr der Forschungsbetrieb wieder zunehmend normalisierte. Thiessen baute das Institut zu einem „nationalsozialistischen Musterbetrieb" auf, in dem Mentzel Leiter der chemisch-technischen Abteilung war. 57 Mentzel war bereits 1934 auch zum Dozenten an der neu gegründeten Wehrtechnischen Fakultät der Technischen Hochschule in Berlin, an deren Zustandekommen außer ihm selbst vor allem sein Freund Schumann maßgeblichen Anteil hatte, ernannt worden. Im Dezember 1935 erfolgte nach vorausgegangener Aufwertung seiner Stelle durch den Wissenschaftsminister Rust seine Ernennung zum ordentlichen Professor für Wehrchemie an der Technischen Hochschule Berlin. Das Gutachten über die „Qualifikation" Mentzels zum Ordinarius erstellte niemand anderes als sein Freund Thiessen, mit dem zusammen er Habers einstige Privatwohnung am Faraday-Weg in Berlin Dahlem bewohnte. 58 Die Einflußmöglichkeiten von Thiessen, aber vor allem von Mentzel, waren zu dieser Zeit bereits nicht mehr auf ihr eigenes Institut beschränkt. Im Sommer 1934 wurden Thiessen und Mentzel als Referenten für Naturwissenschaft in das Ministerium von Rust berufen. Zusammen mit dem Agrarwissenschaftler K. Meyer 5 ' waren nach der Machtergreifung binnen kurzem damit gleich drei ehemalige Göttinger Universitätsmitglieder zu Referenten im Wissenschaftsministerium aufgestiegen. Thiessen hatte in seiner ehrenamtlichen Ministeriumsstelle die Aufgabe, für enge Kontakte zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Technik zu sorgen 60 . Mentzel wurde unter dem Vorsitz des Leiters des Heereswaffenamtes, seines Kampfgefährten Schumann, dessen Stellvertreter in der gerade gegründeten Abteilung Wissenschaft Π, durch welche die Wehrmacht alle zivilen Institute überblicken und gegebenenfalls für ihre Zwecke nutzen wollte. 61 Für ein Ministerium, wie dem für Wissenschaft, in dem sehr unterschiedliche nationalsozialistische Gruppierungen um Macht und Einfluß rangen 62 , war ein Mann wie Mentzel mit seinen guten Kontakten sowohl zum Heer wie auch zur SS von großer Bedeutung. Hier konnte er seine Fähigkeiten, von denen sein Freund Rust sagte, „Gebt ihm einen Holzhammer, und er hat das Instrument, daß er braucht" 6 3 , voll einsetzen. Mentzel baute die vorerst ehrenamtliche Funktion im R E M schnell zu einem entscheidenden Machtzentrum für Forschungs- und Hochschulfragen aus. 64 Im Mai 1939 wurde er auch formal Leiter des zusammengefaßten Amtes Wissenschaft. 65 Als Gegenspieler von Jo600
hannes Stark — des zum Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft aufgestiegenen Vertreters der „Deutschen Physik" — setzte sich Mentzel weitgehend durch und übernahm am 14.11.1936 auch noch selbst das Amt des Präsidenten der DFG. 66 In dieser Positon nahm Mentzel schließlich entscheidenden Einfluß auf den 1937 von seinem Freund Thiessen maßgeblich mit initiierten67 Reichsforschungsrat.68 Die wichtigsten Organe dieses als Koordinierungs- und Planungsgremium geschaffenen RFR waren die Fachspartenleiter. Zum Fachspartenleiter für Chemie wurde wiederum Mentzels Freund Thiessen berufen.69 Bis zum Ende des Krieges war Mentzel einerseits zum Ministerialdirektor, andererseits zum Brigadeführer der SS aufgestiegen.70 Das Ende des Krieges bedeutete für Mentzel zugleich das Ende seiner Karriere. Für Thiessen hingegen stellte das Ende des Dritten Reiches keineswegs auch das Ende seiner wissenschaftlichen, genauer sollte man sagen: politischen Karriere dar. Er stellte schnell Kontakt zu den in Berlin einmarschierenden sowjetischen Truppen her71 und verlagerte das Kaiser-Wilhelm-Institut für physikalische Chemie in die Sowjetunion.72 Thiessen selbst ging in die UDSSR und arbeitete dort von 1945 bis 1956. Nach seiner Rückkehr in die DDR wurde er ordentlicher Professor für physikalische Chemie an der HumboldtUniversität und Direktor des Instituts für physikalische Chemie der Akademie der Wissenschaften der DDR. Hoch dekoriert übernahm Thiessen 1957 einen Posten, zu dem ihn seine Erfahrungen in der Forschungssteuerung im Dritten Reich offenbar geradezu prädestinierten, nämlich das Amt des ersten Vorsitzenden des Forschungsrates beim Ministerrat der DDR. 1964 wurde er als Mitglied des Staatsrates der DDR emeritiert.73
2.2. Der Angriff auf die Freiheit von Lehre und Forschung Trotz oder gerade wegen des rasanten Aufstieges der drei Göttinger Chemiker Jander, Mentzel und Thiessen im Kultusministerium zu Berlin blieb der Göttinger Chemie nach 1933 ein vergleichsweise dramatisches Schicksal erspart, wie es anderen Fächern widerfuhr, die in einem geradezu atemberaubenden Tempo zerschlagen wurden. Dennoch blieb auch die Chemie in Göttingen von Ein- und Ubergriffen seitens der Nationalsozialisten nicht ganz verschont. Das trifft insbesondere für das ACL zu, dessen Direktor Windaus das Institut von jeglicher politischer Aktivität frei zu halten versuchte, was ihm jedoch gründlich mißlang. Dazu gehören zunächst vier Vorkommnisse, die für das weitere Geschehen symptomatisch sind. 1) Die erste Bedrohung für das Institut und seine wissenschaftliche Arbeit kam von Seiten der örtlichen Chemikerfachschaft, die bereits im März 1933 eine Hakenkreuzfahne auf dem Dache des Allgemeinen Chemischen Institutes hißte, was Windaus zu folgender Mahnung am Schwarzen Brett des Institutes veranlaßte: „Das Chemische Institut Göttingen ist eine Stätte der Forschung und Lehre. Parteipolitik gehört nicht in ein wissenschaftliches Institut, und ich bin seit Jahren stets bestrebt gewesen, die Politik vom Institut fern zu halten. — Ich halte auch jetzt an diesem Standpunkt fest und ersuche alle Institutsangehörigen, sich innerhalb des Instituts ihren wissenschaftlichen Arbeiten zu widmen und sich parteipolitischer Bestrebungen zu enthalten, gez. Windaus; März 1933"74 Die Mahnung blieb jedoch ungehört. Stattdessen rief die Studentenschaft bereits im Mai desselben Jahres zum Boykott der Vorlesungen und Übungen von Prof. Viktor Moritz Goldschmidt auf. Goldschmidt war Jude und Direktor des damals in der Welt einzigartigen Mineralogischen Instituts der Göttinger Universität, das wegen seiner geochemischen For601
schungen in enger Verbindung zur Chemie stand.75 An der Aktion gegen Goldschmidt waren, wie Windaus in einem Bericht an den von ihm hochgeschätzten Kurator, Geheimrat Valentiner, feststellte76, eine Reihe von „Herren aus der anorganischen Abteilung meines Institutes" aktiv beteiligt, insbesondere ein Herr Schorstein, Doktorand von Prof. Jander! Nicht allein dieser Umstand, sondern vor allem die Reaktion von Windaus macht deutlich, wie sehr sich bereits zu diesem frühen Zeitpunkt die politischen Machtverhältnisse an der Universität Göttingen zugunsten der Nationalsozialisten verschoben hatten, denn Windaus fährt fort: „Wenn ich könnte wie ich wollte, würde ich gegen diesen Mann energisch vorgehen, ich glaube aber, dass dies nur zu meinem Abgang führen würde. Und ich will versuchen zu bleiben, so lange es mir irgend möglich ist. Ich erbitte Ihren Rat oder Ihre Anweisung, was ich tun soll. Früher habe ich stets jede Art politischer Betätigung innerhalb des Institutes verboten; ein solches Verbot wird aber jetzt nicht mehr möglich sein." 77 Die hier noch vertraulich gemachte Andeutung eines möglichen — wenngleich für Windaus höchst unerwünschten — „Abgangs" sollte alsbald zur ultima ratio im Kampf um die Erhaltung des Allgemeinen Chemischen Institutes werden. 2) Die politische Einstellung von Windaus zu den veränderten Machtverhältnissen manifestiert sich auch in folgendem Ereignis. Nach dem Tod Hindenburgs wurde Windaus in seiner Eigenschaft als Nobelpreisträger von dem damaligen Präsidenten der DFG, J. Stark, telegrafisch aufgefordert, die Wahl Hitlers zum Reichskanzler zu unterstützen.78 Das Telegramm hatte folgenden Wortlaut: „Umgehend Antwort erwarten, ob sie zusammen mit anderen Nobelpreisträgern folgende Kundgebung unterzeichnen wollen: In Adolf Hitler verehren und bewundern wir deutsche Naturforscher den Retter und Führer des deutschen Volkes. Unter seinem Schutz und seiner Förderung wird unsere wissenschaftliche Arbeit dem deutschen Volke dienen und das deutsche Ansehen in der Welt mehren."79 Auf diese Anfrage reagierte Windaus kurz und bündig mit den Worten: „Ich unterzeichne keine Kundgebungen für Hitler. — Adolf Windaus". Die Antwort von Stark war Empörung: „Sie haben es fertig gebracht zu erklären, daß Sie die Kundgebung für Adolf Hitler nicht unterzeichnen. Ich bin empört über Ihre in schroffer Form gehaltene Erklärung. Sie ist nach meiner Meinung unvereinbar mit den Pflichten eines Beamten im nationalsozialistischen Reich." 80 Windaus persönlich geschah zwar nichts, wie er betont, er wurde allerdings aus dem Stab der Forschungsgemeinschaft sowie aus dem Präsidium der Deutschen Chemischen und der Kaiser-Wilhelm Gesellschaft entfernt. Dies reichte jedoch offenbar nicht, um Windaus mundtot zu machen, denn als er einige Zeit später von der Forschungsgemeinschaft zu einer Tagung über Fragen der deutschen Wissenschaft nach Berlin eingeladen wurde, erhielt er kurz vor seiner Abreise folgenden Eilbrief: „Wie mir mitgeteilt wird, wird von Ihnen behauptet, daß Sie ein scharfer Gegner des Nationalsozialismus seien. Ich möchte es dahingestellt sein lassen, ob diese Behauptung zutrifft. Immerhin wollen Sie es unter diesen Umständen verstehen, wenn ich meine Einladung zurücknehme."81 Da hatte sich der Organisator der Tagung wohl offenbar nicht rechtzeitig über die politische Gesinnung der prospektiven Tagungsteilnehmer informiert und mußte nun, ob auf höhere Weisung oder aus eigenem Antrieb, bleibt dahingestellt, die Einladung zurücknehmen. Doch bei solch einzelnen Vorfällen blieb es nicht; vielmehr wurde Windaus der Briefverkehr mit dem Nobelkomitee in Stockholm und mit russischen Gelehrten ausdrücklich untersagt. Auch die folgende Begebenheit paßt in diese Serie von Repressalien. 3) Im Mai 1934 frug Windaus beim Rektor der Universität an, ob ihm eine Reise nach Eng602
land zu einer Tagung gestattet werde. Wie seit der Machtübernahme üblich, schickte der Rektor das Gesuch an den Gauleiter der NSDAP „Südhannover", einen Herrn Maul, der folgende höchst kompetente Antwort gab: „Die Teilnahme des Prof. Windaus . . . an einer wissenschaftlichen Tagung in London muß ich ablehnen. Der Genannte ist und bleibt Demokrat [sie!]. Er lehnt die nationalsozialistische Bewegung ab. Weltanschaulich ist er für die NSDAP keineswegs tragbar. Seine Teilnahme an der Tagung muß ich daher aus politischen Gründen ablehnen. Man muss Prof. Windaus, der Nobelpreisträger ist, als „Wissenschaftler von Rang" ansprechen. Es besteht m. E. aber immer die Möglichkeit, daß Personen mit einer derartigen Einstellung internationale Tagungen dazu benutzen, um im Auslande ein falsches Bild über Staat und Bewegung zu entwerfen, gez. Maul (Gauleiter)" 82
Mentzel, der Windaus als Wissenschaftler schätzte83, teilte nicht den Weitblick des Gauleiters und genehmigte die Reise. Doch bei solch relativ harmlosem, wenn auch groteskem Geplänkel blieb es nicht. Die Auseinandersetzung wurde alsbald härter, und als Windaus im Februar 1935 die Einladung erhielt, für ein Jahr an der University of Chicago die Professur für organische Chemie zu übernehmen (mit der Möglichkeit einer Verlängerung), wurde dies durch den diskreten Hinweis abgeblockt, daß für den Fall des Versuches einer dauerhaften Übersiedlung in das Ausland die Reichsfluchtsteuer erhoben würde. 84 Windaus, der ein nicht unerhebliches Vermögen besaß — allein die Einkünfte aus einer 10-prozentigen Gewinnbeteiligung aus dem Patent zur Herstellung des Vitamin D bei der Firma E. Merck (Darmstadt) und der IG Farben-Industrie (Elberfeld) betrugen 1932 85.000,- RM und stiegen 1940 sogar auf 210.000,- RM 85 , ein Vielfaches seines Gehalts als Ordinarius und Institutsleiter — war an diesem Punkte empfindlich getroffen, so daß er die Einladung absagte. Die politischen Auseinandersetzungen am ACL blieben jedoch keineswegs auf Windaus beschränkt. Auch andere Mitglieder des Institutes, die sich kritisch oder auch nur indifferent verhielten, hatten unter politischen Repressalien zu leiden: Es kam zur Vereitelung der Habilitation von R. Tscheche86, einem der tüchtigsten Mitarbeiter von Windaus, dem die Reindarstellung des Vitamin D gelungen war. Man verhinderte auch die Besetzung von Assistentenstellen durch Mitarbeiter von Windaus87, so daß viele von ihnen die Universität verlassen oder — wie Fernholz — gar ins Ausland gehen mußten. Selbst ein Antrag der Fakultät auf einen besoldeten Lehrauftrag für den Privatdozenten F. Micheel, mit dem dessen bisherigen wissenschaftlichen Erfolge gewürdigt werden sollten, lehnte der Dozentenbundsführer H. Vogel mit der Begründung ab, daß gerade im ACL nicht weiterhin „politisch zum mindesten indifferente Kräfte" in den Vordergrund zu steilen seien.88 Die Kennzeichnung von Micheel als einer Person, die sich gegenüber der „neuen Universitätsarbeit durchaus neutral verhalte" 89 , sollte jedoch binnen kürzester Zeit überholt sein. 4) Höhepunkt der Auseinandersetzungen war eine Hetzkampagne von nationalsozialistischen Studenten gegen einen jüdischen Kommilitonen im Jahre 1935, der mit der ausdrücklichen Genehmigung des Ministeriums (die damals selbstverständlich notwendig war) bei Windaus promovierte. Im Zuge dieser Aktion — an der neben Studenten auch wissenschaftliche Mitarbeiter beteiligt waren — kam es zur Denunziation von Institutsangehörigen bei der SA als ,Judenfreunde". Dies brachte vermutlich das Faß zum Uberlaufen und veranlaßte Windaus, am 23. 8.1935 in einem Schreiben an den Rektor der Universität beim Ministerium einen Termin zu erwirken, bei dem Windaus die Gründe für „eine baldige Entpflichtung" mitteilen wollte.90 Um welche Gründe es sich im einzelnen handelt, geht aus einem Text hervor, den sein Sohn Günther aufbewahrt hat:
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„An das Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung richte ich die Bitte, ihm folgendes vortragen zu dürfen. Ich habe in den letzten Monaten bemerken müssen, daß zwischen Studenten des Institutes und mir kein Vertrauensverhältnis besteht und daß mir daher eine ersprießliche Tätigkeit im Chemischen Laboratorium nicht mehr möglich ist. So haben Studenten meines Institutes — ohne sich vorher mit mir auszusprechen und sogar ohne mir von ihrer Absicht überhaupt eine Andeutung zu machen — einige meiner tüchtigsten Mitarbeiter kürzlich bei der SA und anderswo als Judenfreunde angezeigt, weil meine Mitarbeiter mit einem jüdischen Studenten verkehren. Dieser jüdische Student ist der einzige Nichtarier des Instituts, meiner Ansicht nach ein ordentlicher, begabter und fleissiger Mann, der bei mir seine Doktorarbeit anfertigt. Er wird natürlich von mir zu den gemeinsamen Besprechungen herangezogen, in denen wir in Form eines Colloquiums Arbeitspläne und in Aussicht genommene Experimente erörtern. Die Spannung zwischen denjenigen Studenten, die mit dem Juden sprechen und den übrigen, die scharf gegen jeden Juden eingestellt sind, hat sich immer mehr vertieft, obschon ich mich dauernd bemüht habe, den Frieden innerhalb des Instituts aufrecht zu erhalten. In Anbetracht des Umstandes, daß der jüdische Student von dem Herrn Minister zum Studium zugelassen ist, halte ich das Verhalten der Studenten für unerträglich und glaube es als Institutsleiter nicht zulassen zu dürfen. Wenn ich sicher wäre, die Unterstützung des Herrn Ministers zu finden, würde ich gegen diejenigen, die ich für die Ruhestörer im Institut halte, energisch vorgehen. Ich bezweifele aber, daß ich damit im Sinne des Ministeriums handeln würde, und es ist nicht meine Absicht, mich in Gegensatz zu meiner vorgesetzten Behörde zu stellen. Ich bin zu alt, um die ethischen Anschauungen, in denen ich aufgewachsen bin, noch ändern zu können. Da es mir unmöglich ist, unter den gegenwärtigen gespannten Zuständen wissenschaftlich weiter zu arbeiten, halte ich es für das Richtige, meinen Platz zu räumen und ihn frei zu machen für einen Mann, der die jetzige Entwicklung und die Jugend besser versteht als ich. Ich verhehle nicht meine tiefe Enttäuschung darüber, daß ich vorzeitig und verbittert die mir liebgewesene Tätigkeit aufgeben muß. Ich bin aber überzeugt, daß ich unter den jetzigen Umständen die Leistungsfähigkeit und damit das Ansehen des Instituts nicht aufrecht erhalten kann; in diesem Zusammenhang erlaube ich mir noch, das Folgende hervorzuheben: Ich habe während meiner Dozentenzeit — ich bin 32 Jahre Universitätsdozent — meine Mitarbeiter und Assistenten ausschließlich nach ihrer Begabung, ihrer Leistung und ihrer Zuverlässigkeit ausgewählt; ich glaube, erwähnen zu dürfen, daß seit Kriegsende wohl aus keinem anderen Institut so viele hervorragende Forscher hervorgegangen sind wie aus dem hiesigen - darunter übrigens kein Jude. In den letzten Jahren gelingt es mir indessen nicht mehr, die wirklich begabten Leute an die Plätze zu bringen, wo sie der deutschen Wissenschaft am besten dienen würden. Ihre Habilitation wird abgelehnt, Assistentenstellen werden ihnen verweigert. So etwas wirkt abschreckend auf andere, sie verlassen vorzeitig das Institut und gehen ins Ausland oder in eine Fabrik; für die deutsche Wissenschaft sind sie verloren. Aus diesen Schwierigkeiten, die mir entgegentreten, entnehme ich, das ich das Vertrauen der maßgebenden Stellen nicht besitze und glaube auch aus diesem Grunde, um meine Entpflichtung bitten zu müssen." 91 Dieses Schreiben, das in einzelnen Passagen deutliche Parallelen zu dem oben zitierten Entpflichtungsgesuch Habers aufweist, sandte Windaus mit der Bitte um eine Unterredung an das Ministerium. Es hat dort seine beabsichtigte Wirkung nicht verfehlt. Der Rücktritt von Windaus und damit die Gefährdung der Funktionsfähigkeit eines der bekanntesten Chemischen Institute lief dem sich abzeichnenden Interesse des Ministeriums an einer „funktionierenden Wissenschaft" 9 2 deutlich zuwider. Bereits am 7. 10. 1935 wurden die beiden Referenten für Naturwissenschaften, Mentzel und Thiessen, von Prof. Bacher, dem Leiter der Hochschulabteilung, nach Göttingen in Marsch gesetzt mit dem Auftrag, eine Beilegung des Institutskonfliktes zu erreichen. 93 Für Mentzel und Thiessen war diese Mission nicht leicht, denn sie sollten zwei Dinge unter einen H u t bringen, die sich unter nationalsozialistischen Vorzeichen kaum miteinan604
der vereinbaren ließen: Einerseits sollten sie Windaus in Göttingen halten, und andererseits sollten sie gegen ihre eigenen Gesinnungsgenossen vor Ort vorgehen, denn Windaus verlangte nicht weniger als eine „Personalverschiebung, welche die Reibungsflächen beseitigen würde". 94 Genauer gesagt: Windaus verlangte eine Entfernung der Rädelsführer, insbesondere des Vorsitzenden der Chemikerfachschaft, eines gewissen Herrn Kimpel, aus seinem Institut. Geradezu ultimativ setzte er hinzu: „Wenn das Ministerium nicht in der Lage ist, auf meinen Wunsch einzugehen, bitte ich mich von meiner hiesigen Lehrtätigkeit zum 31. 3. 1936 zurückziehen zu dürfen." 95 Die Auseinandersetzungen bekamen damit, allerdings unter sehr viel ungünstigeren Bedingungen, einen ähnlichen Charakter wie seine Bleibeverhandlungen in den zwanziger Jahren. Das trifft insbesondere auf Windaus* Wunsch zu, den Privatdozenten Micheel96 durch einen Ruf nach Münster loszuwerden. Dieser Punkt war für Windaus entscheidend, da sich Micheel, nach allem, was wir wissen, von einem „politisch indifferenten" Mitläufer zu einem hundertfünfzigprozentigen Anhänger der Nationalsozialisten gewandelt hatte, der nach Mentzels Worten mit seiner Propaganda für die Partei das ganze Institut kaputt zu machen drohte.97 Obwohl in der Besprechung mit Mentzel und Thiessen, bei der die Unruhestifter vorübergehend anwesend waren, bereits im Grundsatz Einvernehmen hinsichtlich einer Lösung der Personalprobleme erzielt worden war, scheint sich in der Folgezeit am Institut nichts Entscheidendes geändert zu haben. Denn Windaus teilte dem Minsterium am 27. November mit, daß er sich zwar gegenüber Thiessen und Mentzel verpflichtet habe, noch bis zum Ende des laufenden Wintersemesters im Amte zu bleiben. Andererseits habe er aber deutlich erklärt, daß er unter den „gegenwärtigen Verhältnissen" nicht weiter amtieren wolle: „In diesem wichtigen Punkt hat also leider augenscheinlich ein gegenseitiges Missverstehen stattgefunden".98 Von Windaus darüber unterrichtet, daß eine endgültige Entscheidung bei einer Besprechung Windaus' im Minsterium am 2. 1. 1936 bevorstehe, schaltet sich am 27. 12. 1935 Kurator Valentiner unter Hinweis auf seine satzungsmäßigen Pflichten mit einer Eingabe an das Ministerium in den Konflikt ein. Gleich zu Anfang macht er den Minister darauf aufmerksam, daß Windaus vor einem halben Jahr in der Göttinger „Gesellschaft der Wissenschaften" von seinen Untersuchungen eines der „zentralsten und wichtigsten Krankheitsprobleme der Gegenwart" gesprochen habe. Es sei nun alles zu vermeiden, „was auch nur entfernt dazu beitragen könnte, die fortlaufende Arbeit zu so hohem Ziele zu stören oder gar zu hemmen!" Diesen Bericht sendet der Kurator — mit fein abgestuften Begleitschreiben versehen — sogleich an drei verschiedene Stellen im Ministerium: (i) An den Leiter der Hochschulabteilung, Prof. Bacher, dem er persönlich mitteilt: „In diesem Bericht habe ich der Vertraulichkeit wegen nur von einem „zentralen Krankheitsproblem" gesprochen. Ihnen persönlich darf ich sagen, daß es sich um nichts geringeres als das Krebsproblem handelt!"
Er fügt dann noch hinzu, um seinem Anliegen mehr Gewicht zu verleihen, „daß man in den englischsprechenden Forscherkreisen dem Krebsproblem auf demselben Wege wie Prof. Windaus nachgehe." (ii) An Prof. Thiessen99, den ehrenamtlichen Referenten für Hochschulangelegenheiten, dem er nur andeutet, „welche ungeheure Tragweite der bevorstehenden Entscheidung innewohnt und wie dringend notwendig das Hierbleiben von Windaus in Wahrheit ist." Und schließlich (iii) an Prof. Mentzel, den Referent für Naturwissenschaften, den er lediglich bittet, „Bei der ganz außerordentlichen Bedeutung der Angelegenheit für Göttingen wie für Deutsch605
land . . . diesem Gesichtspunkte meines Berichtes [gemeint, aber nicht genannt ist die Krebsforschung] Rechnung zu tragen." Als sei dies alles noch nicht genug, um das Ministerium von der Bedeutung der Windausschen Forschungen zu überzeugen, sendet schließlich in konzertierter Aktion auch noch der Sekretär der Akademie der Wissenschaften, Prof. Thiersch, mit gleichem Datum ein Schreiben in Sachen Windaus an Bacher, in dem er ebenfalls (und scheinbar unabhängig) darauf verweist, daß Windaus neuerdings an der Lösung des Krebsproblemes arbeite — Untersuchungen, „über die er in der letzten Sitzung berichtet hat". 1 0 0 Ganz so geheim, wie die Briefschreiber vorgaben, waren Windaus Forschungen auf diesem Gebiet allerdings nicht. In der Universitätschronik des Zeitraums von 1931 bis 1938 werden sie ausdrücklich erwähnt. 101 In den erneuten Verhandlungen mit Mentzel und Thiessen, die an einer effektiven Arbeit der chemischen Institute interessiert gewesen sein dürften 102 , setzte sich Windaus am 2. 1. 1936 über das „Wie" einer Bereinigung der Probleme an seinem Institut weitgehend durch: Diejenigen nationalsozialistischen Studenten, mit denen Windaus „eine weitere Zusammenarbeit ablehnte", erklärten sich bereit, Micheel in seine neue Stellung zu begleiten, wenn dieser einen Ruf an eine andere Hochschule erhalten sollte. 103 Damit war der Konflikt, der vier Monate zuvor mit dem Rücktrittsgesuch von Windaus begonnen hatte, im Prinzip beigelegt. Man kann sich leicht vorstellen, daß diese Lösung dem Ministerium nicht gerade leicht gefallen war, mußte es doch Kritik aus den eigenen Reihen, insbesondere vom N S D S t B und der Gauleitung-Südhannover der N S D A P befürchten. U m so mehr erhebt sich daher die Frage, wieso das Ministerium zu so weitgehenden Zugeständnissen gegenüber Windaus bereit war. War es nur das zum Äußersten entschlossene Auftreten eines einzelnen, welches das Ministerium zum Einlenken bewegte? War es das internationale Ansehen des Nobelpreisträgers Windaus und der befürchtete weltweite Skandal um seine vorzeitige Demissionierung, welcher das Ministerium zum Nachgeben zwang? Oder war es gar eine Form von höherer Einsicht bei den zuständigen Hochschulreferenten, daß man die Wissenschaft vor unqualifizierten Angriffen schützen müsse, wie es Mentzel und Thiessen bei der Entnazifizierung vor dem Spruchgericht in Bielefeld aussagten? 104 Ich persönlich bin der Ansicht, daß alle drei Faktoren eine Rolle gespielt haben müssen, denn in anderen Fällen hat sich das Ministerium weder von dem „entschlossenen Auftreten" einzelner (vgl. J. Franck), noch von dem „Ansehen" und dem zu befürchtenden „internationalen Skandal" (vgl. die Entlassungen von Courant und Born) davon abbringen lassen, politisch mißliebige Personen zu entlassen. M.a.W. ohne das entschlossene Auftreten von Windaus und ohne sein internationales Ansehen als Nobelpreisträger, aber auch ohne den wissenschaftlichen Respekt und die persönliche Hochachtung, die Mentzel und Thiessen als ehemalige „Göttinger Chemiker" Windaus entgegenbrachten, wäre der Kompromiß aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zustandegekommen. Nach der vollständigen Durchsetzung seiner Forderungen wurden unter Windaus* Leitung die Arbeiten zur chemischen Aufklärung der Sterine sowie der Vitamine D und E fortgesetzt und Arbeiten im Rahmen des Vierjahresplans über krebserzeugende chemische Substanzen aufgenommen. Die Aufklärung des antirachitischen Faktors, des Vitamin D2, war bereits in der Zeit des Institutskonflikts 1935/36 gelungen. Ebenfalls 1936 wurde Windaus zum außerordentlichen Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften ernannt, eine Ehrung, die nicht ohne Billigung der Machthaber erfolgt sein dürfte. 105
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Das Ende dieser trotz aller Schwierigkeiten sehr erfolgreichen Periode des Instituts zeichnete sich im Dezember 1943 ab: Windaus beantragte, aus dem Amte, das er beinahe dreißig Jahre innehatte, zum September 1944 auszuscheiden.106 Lange Verhandlungen mit dem als Nachfolger von Windaus berufenen Prof. Schöpf aus Darmstadt verhinderten eine Neubesetzung vor Kriegsende.
2.3. Der Fall von Wartenberg In gewisser Weise bildet der Fall v. Wartenberg das Gegenstück zu den Ereignissen um Windaus. Während jener durch ein geschicktes und entschlossenes Auftreten ein Maximum an Zugeständnissen (für die damaligen Verhältnisse) vom Ministerium ertrotzte, verlor von Wartenberg Institut und Stellung. Das lag zweifellos in erster Linie an einer Reihe höchst ungünstiger Umstände, die sämtlich gegen von Wartenberg gerichtet waren, und gegen die er sich kaum wehren konnte. Verstärkt wurde dieser Trend jedoch durch das teilweise ungeschickte, teilweise unentschlossene, in jedem Fall aber taktisch unkluge Verhalten von Wartenbergs. Dabei hatte alles so gut angefangen: Man hatte nach langer Vakanz der anorganischen Chemie die Unterstützung der Rockefeiler Foundation für den Ausbau des Institutes gewonnen. Von Wartenberg galt als ein sehr guter Anorganiker mit hohem experimentellen Geschick; er war zugleich Physikochemiker, Schüler von Nernst, der viel von Grundlagenfragen verstand und die anorganische Chemie in voller Breite vertreten konnte. Doch von Wartenberg hatte seine Stellung in Göttingen noch nicht angetreten, da traten bereits die ersten Schwierigkeiten auf, von denen hier nur die beiden wichtigsten genannt seien.
2.3.1 Die Kündigung Thiessens durch von Wartenberg Dieser Vorgang wurde bereits am Ende des Abschnitts 1.4 geschildert, da er noch in die Zeit vor der Machtergreifung fiel. Hier soll nur noch einmal betont werden, zu welch nachhaltiger Verstimmung das Vorgehen von Wartenbergs auf Seiten der Fakultät und vielen seiner Kollegen führte. Denn so berechtigt der Wunsch von Wartenbergs nach einem jüngeren Assistenten seiner Wahl auch gewesen sein mag (und darüber besteht in meinen Augen gar kein Zweifel), so hatte von Wartenberg gleichwohl mit der Kündigung Thiessens zum 1. April 1933, ohne die Fakultät zu konsultieren, einen entscheidenden Fehler begangen, der ihn noch teuer zu stehen kommen sollte. Es kam nämlich nicht darauf an, wie von Wartenberg meinte, die Kündigung in einer „möglichst entgegenkommenden Form" auszusprechen - eine nette, aber belanglose Geste - sondern für Thiessen, dessen Verdienste als kommissarischer Leiter für das Anorganische Institut unbestritten waren, einen angemessenen Ersatz zu finden. (Man erinnere sich nur an das ungleich geschicktere Vorgehen von Windaus, der im Fall Borsche vor einem ganz ähnlichen Problem stand, dieses aber dadurch löste, daß er sich um einen Ruf für Borsche nach Frankfurt bemühte.) Entsprechend ungehalten war die Reaktion der Fakultät, insbesondere die von Tammann und der restaurativen Kreise um Zsigmondy — vgl. Brief des Kurators vom 24. 10. 1932 an Breuer - die keine Gelegenheit ausließen, sich für die einst erlittene Niederlage bei der inhaltlichen Neuorientierung und Besetzung ihrer Institute zu revanchieren. Dort heißt es unter anderem: „Nicht nur er, sondern auch die Fakultät, insbesondere diejenigen Herren, welche sich, gewissermaßen als Ausschuß der Fakultät um die Rockefellerschenkung für das Institut und, darauf fus-
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send, um die Herberufung des Herrn Professors von Wartenberg aus Danzig bemüht haben, sind oder waren etwas indigniert darüber, daß Herr Dr. Thiessen so kurzerhand seine Stellung verlieren soll. . . . Der verstorbene Professor Zsigmondy hielt ausserordentlich grosse Stücke auf seinen Schüler Thiessen und diese Meinung besteht auch bei einem nicht kleinen Teil der Fakultät. Aber auch diejenigen Ordinarien, die in ihrem günstigen Urteil nicht ganz so weit gehen, erklären ihn für sehr tüchtig. . . . Gerade Geheimrat Tammann, der wegen seiner hohen Anforderungen bekannt und gefürchtet ist, setzt sich besonders für Herrn Thiessen ein."
Man kann diesen Vorgang in seiner Bedeutung für das weitere Schicksal von Wartenbergs kaum genug betonen, denn zum einen stieg mit Thiessen jener Mann im Ministerium zum Referent für Hochschulangelegenheiten — und damit quasi zum Vorgesetzten von Wartenbergs — auf, dem dieser selbst zuvor im Alleingang gekündigt hatte, zum anderen erklärt der Vorgang auch, jedenfalls zu einem guten Teil, warum die Fakultät später, als es um den Erhalt des Anorganischen Institutes und damit um von Wartenbergs eigene Stellung ging, diesem nicht gerade hilfreich zur Seite stand. Dies entschuldigt zwar nicht das Verhalten der Fakultät gegenüber von Wartenberg, aber es macht es psychologisch leichter verständlich. Freilich ist in diesem Zusammenhang die Möglichkeit nicht auszuschließen, daß von Wartenberg weniger aus den genannten wissenschaftlichen als vielmehr aus politischen Motiven die Kündigung von Thiessen betrieben hat. Immerhin stammte seine Frau aus einer jüdischen Familie und von Wartenberg könnte die nationalsozialistische Gesinnung des Herrn Thiessen mißfallen haben, auch wenn — oder gerade weil — in den Akten über einen möglichen politischen Hintergrund der Entlassung Thiessens durch von Wartenberg nichts zu finden ist. Wie dem auch sei, jedenfalls ändert es nichts an unserer Bewertung, daß das Vorgehen von Wartenbergs, wenn er seine eigene Stellung halten wollte, taktisch ungeschickt war. Das trifft auch für den nächsten Punkt zu.
2.3.2 „In Danzig sind es die Polen, in Göttingen die Nazis." Die zweite Schwierigkeit, mit der von Wartenberg zu kämpfen hatte, stammte ebenfalls aus einer Zeit, da er sein Amt in Göttingen noch gar nicht angetreten hatte. Unmittelbar nach seinem Dienstantritt im SS 1933 kam es zu studentischen Protesten gegen ihn. Anlaß war eine Äußerung, die von Wartenberg angeblich bei einer Reise nach Göttingen im Juli 1932 gemacht haben soll. Auf die Frage, ob er sich nicht freue, von Danzig wegen der Polen wegzukommen — gemeint sind die Bemühungen um eine Polonisierung der Freien Stadt Danzig - soll er erwidert haben: „In Danzig sind es die Polen, in Göttingen die Nazis." 107 Diese Äußerung — ob nun gefallen oder nicht — diente den Studenten als Anlaß, gegen von Wartenberg mobil zu machen. Um weitere Störungen seiner Vorlesung zu vermeiden, sah von Wartenberg sich gezwungen, vor dem Hogruf, dem Hochschulgruppenführer des NSDStB, Walther Voß, folgende öffentliche Erklärung zu seiner Verteidigung abzugeben: „Ich kann mich nach 3/4 Jahren nicht genau meiner Äußerungen entsinnen. Meiner Einstellung nach glaube ich nicht, in dieser Form gesprochen zu haben. Sollte aber irgendeine Bemerkung von mir so aufgefaßt worden sein, so bedaure ich lebhaft, Anlaß dazu gegeben zu haben, da meine Uberzeugung seit jeher national ist." 108
Diese Erklärung muß unter den damaligen Umständen als eine ausgesprochen laue Zurücknahme der fraglichen Äußerung verstanden werden. Entsprechend doppelsinnig wurde sie durch den Hochschulgruppenführer Voß an gleicher Stelle kommentiert. In der Göttinger Hochschul-Zeitung vom 30. 4. 1933 fordert er seine Kameraden auf, die Störaktionen gegen von Wartenberg einzustellen: 608
„Herr Prof. ν. Wartenberg ist kein Jude und kann für sich das Recht in Anspruch nehmen, zu behaupten, seit jeher unbedingt national gewesen zu sein. Daran hat ihn auch nicht die Ehe mit einer Jüdin gehindert. . . . Grundsätzlich soll hier einmal in aller Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht werden, daß zwar der NSDStB keinen Semiten oder Philosemiten an der Hochschule dulden kann, daß aber zuständig einzig und allein das Kultusministerium ist. Ich warne daher die Studentenschaft, besonders aber die Kameraden des NSDStB, vor Einzelaktionen! Das Kultusministerium ist stark genug, um Dozenten auszuschalten, die nach den neuen Bestimmungen zu verschwinden haben. Die Aufgabe der Studentenschaft, besonders aber des NSDStB, ist jetzt mehr denn je, die Deutsche Hochschule mit deutschem Idealismus und deutschem Gedankengut zu erfüllen." Der in dem Aufruf enthaltene Hinweis, „Das Kultusministerium ist stark genug, um Dozenten auszuschalten, die nach den neuen Bestimmungen zu verschwinden haben", der für die Studenten zweifelsohne als Beschwichtigung, für von Wartenberg und andere Dozenten aber als Androhung einer höheren Gewalt gedacht war, sollte denn auch kurze Zeit später in Erfüllung gehen. Zunächst jedoch stellten die Studenten ihre Kampagne gegen von Wartenberg ein. Gleichwohl hatte von Wartenberg weiter mit Schwierigkeiten zu kämpfen, die jedoch fürs erste weniger politischer als vielmehr praktischer Natur waren: So mußte er im Herbst 1933 das Praktikum für Fortgeschrittene für das kommende Wintersemester absagen, weil die Umbaumaßnahmen, die trotz der Rockefeller-Schenkung nur schleppend vorangingen, die Durchführung des Praktikums nicht zuließen. Schlimmer aber war, daß die Ausbildung der Anfangssemester in anorganischer Chemie auch nach dem Amtsantritt von Wartenbergs weiterhin in der Obhut des Allgemeinen Chemischen Institutes lag. Hierdurch war von Wartenberg, was die Rekrutierung jüngerer Mitarbeiter betraf, weitgehend vom studentischen Nachwuchs abgeschnitten. Dies brachte ihm später seitens des Rektors den zwar zutreffenden aber gleichwohl unberechtigten Vorwurf ein, er habe „keinen einzigen Doktoranden ausgebildet".109 Das wenig kollegiale Verhalten von Windaus in dieser Frage — Windaus hatte noch bei der Berufung von Wartenbergs dafür plädiert, die Ausbildung in anorganischer Chemie einem kompetenten Anorganiker zu übertragen, jetzt aber sperrte er sich wieder dagegen - hat sicherlich nicht gerade zur Stärkung der Stellung von Wartenbergs beigetragen. Trotz dieser Schwierigkeiten nahm er unverzüglich seine wissenschaftlichen Arbeiten wieder auf. 1936 berichtete er der Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen über seine Ergebnisse, die auch technisch von Bedeutung waren.110 1934 setzte die Universität Frankfurt ihn auf die Berufungsliste für die Leitung der anorganischen Chemie.111 Trotz der beachtlichen wissenschaftlichen Erfolge konnte von Wartenberg weder sein Institut noch seine Stellung als außerordentlicher Professor behalten.
2.3.3 Die Entpflichtung von Wartenbergs Das Unglück nahm seinen Anfang bereits mit der Berufungsverhandlung, die von Wartenberg mit dem Ministerium geführt hatte. Denn dabei hatte er eingewilligt, sich zunächst mit einem persönlichen Ordinariat und planmäßigen Extraordinariat zufrieden zu geben, allerdings mit der schriftlichen Zusage des Ministeriums, die Stelle bei nächster Gelegenheit in ein planmäßiges Ordinariat zu verwandeln bzw. auf Antrag der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät das nächste, freiwerdende Ordinariat auf ihn zu übertragen. Daraus wurde jedoch nichts, denn als von Wartenberg im Februar 1934 in einem Gesuch an das Ministerium die Einhaltung der seinerzeit gegebenen Zusage einforderte, kommentierte bereits der Rektor: 609
„Auch wenn man in Rechnung stellt, daß Prof. Windaus einen sehr starken Akzent auf organische Chemie legt, scheint mir nicht sicher, daß ein gesondertes Ordinariat für anorganische Chemie notwendig ist. Aber da von Wartenberg zugleich auch physikalischer Chemiker ist, ließe sich vielleicht in Form eines Ordinariates ein erweiterter Lehrauftrag für anorganische Chemie und Metallkunde schaffen. Uber die in dem Gesuch aufgeworfenen finanziellen Fragen habe ich kein Urteil."112 Der Vorschlag des Rektors, einen „erweiterten Lehrauftrag für anorganische Chemie und Metallkunde" einzurichten, entbehrte nicht einer gewissen Heimtücke, insofern damit das leidige Thema der Metallkunde wieder ins Spiel gebracht wurde. Doch hieraus wurde zunächst nichts, denn der Kurator, der von Wartenberg wohl gesonnen war und drohendes Unheil kommen sah, urteilte ganz zu Recht: „Meines Erachtens käme am ersten ein erweiterter Lehrauftrag für die Chemie der höchsten Temperaturen in Frage. Auf diesem technisch überaus wichtigen Sondergebiet liegen die wirklichen Leistungen von Wartenbergs. Für die eminente Wichtigkeit dieses Sondergebietes dürfte genügen, auf die Förderung der Materialkunde, beispielsweise auf die Ermittlung und Gewinnung hochfeuerfester Substanzen hinzuweisen! Ein Lehrauftrag für Metallkunde käme meiner Ansicht nach für von Wartenberg nicht in Frage, so sehr ich einen solchen Lehrauftrag für Göttingen an und für sich begrüßen würde."113 Man muß an dieser äußerlich sehr reservierten Stellungnahme des Kurators Valentiner das außerordentliche Geschick würdigen: Indem er auf die wirklichen Fähigkeiten von Wartenbergs auf dem Gebiet der Chemie der höchsten Temperaturen und ihre Bedeutung für die Gewinnung feuerfester Substanzen hinweist, versucht er zu verhindern, daß ihm ein Lehrauftrag erteilt wird, für den er zugegebenermaßen nicht kompetent ist, denn dies hätte unweigerlich zu seiner alsbaldigen Ablösung geführt. Der Rektor ließ jedoch nicht von seinem Plan ab, die Metallkunde auf dem einen oder anderen Wege nach Göttingen zurückzuholen und auf diese Weise von Wartenberg kalt zu stellen, denn am 12. Juli 1934 schreibt er unaufgefordert an das Ministerium: „Der letzte Tag der Gesellschaft für Metallkunde in Göttingen, eine Art Tammannfeier, hat den älteren Plan greifbar werden lassen, für Göttingen die Metallkunde als Arbeitsfeld zu erhalten. Tammann war Metallkundler als physikalischer Chemiker. Prof. Eucken ist nur an der Grenze Metallkundler. Die Fachschaftsstelle für Metallkunde im N.S.L.B. wird dafür eintreten, daß zunächst das Arbeitsgebiet Vogels114 gestärkt wird. Wir sind voll damit einverstanden. Zugleich möchten wir, daß für die Zukunft die Bahn frei bleibt für eine volle metallkundliche Forschungsund Lehrstelle."115 Das Ministerium, mittlerweile fest in der Hand von Mentzel und Thiessen, entsprach dem Wunsch des Rektors auf eine ausgesprochen konspirative Weise, denn es teilte dem Kurator am 30. Aug. 1934 in einem geheim gehaltenen Brief die Umwandlung des Extraordinariats für anorganische Chemie in ein Ordinariat mit: „Das Extraordinariat für anorganische Chemie ist in ein Ordinariat umgewandelt worden. Der jetzige Stelleninhaber des Lehrstuhles, Prof. von Wartenberg, bleibt planmäßiger Extraordinarius. In seinen Bezügen tritt daher auch keine Änderung ein. Weitere Bekanntgabe an v. Wartenberg und die Fakultät hat nicht zu erfolgen, gez. Mentzel"116 Hier wird nun die wahre Absicht deutlich: Man wollte nicht nur im vorhinein einen Lehrstuhl für das Gebiet der Metallkunde frei machen — und zwar ohne Wissen der Fakultät! — sondern gleichzeitig auch von Wartenberg kalt stellen, der mit einer „Halbjüdin" verheiratet war. Dazu war jedes Mittel recht, selbst das des Vertragsbruches hinsichtlich der in der Berufungsverhandlung zugesagten Stellenumwandlung! Es sollte aber noch schlimmer kommen. So in Unkenntnis gelassen, bemühte sich von Wartenberg im Oktober 1935 erneut und natürlich wiederum vergeblich um die Anhebung seiner Stelle beim Ministerium. Mentzels 610
Antwort lautete kurz und lakonisch: „Ich bemerke hierzu, daß ich eine Erörterung der erwähnten Fragen nicht für erforderlich halte." Hinter von Wartenbergs Rücken gingen jedoch die konspirativen Bemühungen weiter, die Metallkunde auf die eine oder andere Weise erneut in Göttingen zu etablieren, und von Wartenberg auf diesem Wege los zu werden. Ganz im Sinne dieser Bemühungen erhielt Gustav Tammann — obgleich längst emeritiert — am 27. April 1936 den „Adlerschild des Deutschen Reiches"117 im Namen des „Führers und Reichskanzlers" Adolf Hitler verliehen. In der Feierstunde in der Aula der Universität - in der Prof. Mentzel höchstpersönlich die Glückwünsche des Reichswissenschaftsministers überbrachte — wurde die Bedeutung der Metallkunde insbesondere durch das Schlußwort des Geehrten noch einmal hervorgehoben. Diese Mahnung sollte alsbald aufgrund der sehr guten „Zusammenarbeit" zwischen dem nationalsozialistischen Dozentenbund und dem damaligen Rektor Neumann Erfolg haben. Ohne ersichtlichen Anlaß kam am 27. August 1936 ein Schreiben des NSD-Dozentenbundführers Blume an den Rektor, in dem die sofortige Amtsenthebung von Prof. von Wartenberg gefordert wurde. Zur Begründung seiner Forderung führte Blume vier Punkte an: 1) „Die Vorlesung von Prof. von Wartenberg ist so schlecht, daß man deren Besuch den Studenten auf die Dauer nicht zumuten kann." 2) „Prof. von Wartenberg ist mit einer Vierteljüdin verheiratet." 3) „1933 hat Prof. von Wartenberg nach unseren Informationen die Nationalsozialisten auf eine Stufe mit den Polen gestellt." 4) „Das Verhältnis v. Wartenbergs zum Direktor des allgemeinen Chemischen Instituts, Prof. Windaus, [ist] ein schlechtes." Jeder der Punkte bedarf eines kurzen Kommentars, obgleich die Absicht der Verfasser, von Wartenberg als einen „jüdisch versippten" und außerdem politisch mißliebigen Feind der Nationalsozialisten hinzustellen, klar zu Tage liegt. Zu Punkt 2) ist zunächst zu bemerken, so seltsam das auch heute klingen mag, daß von Wartenberg nicht mit einer „Viertel-" sondern mit einer „Halbjüdin" verheiratet war118, und insofern sogar eine Untertreibung vorliegt, die sicherlich nicht in der Absicht des Verfassers lag. Doch wie dem auch sei, in keinem Fall hätte nach der damals geltenden „Rechtsordnung" dieser Grund ausgereicht, von Wartenberg des Amtes zu entheben. Auch der dritte Punkt (wie im übrigen natürlich auch der vierte) führte gemäß der nationalsozialistischen Praxis keineswegs zwingend zur Amtsenthebung. Zum einen lag die umstrittene Äußerung bereits recht lange zurück, zum anderen war die ganze Angelegenheit damals „öffentlich" beigelegt worden. Der Vergleich zwischen Polen und Nationalsozialisten diente alleine dem Zweck, von Wartenberg politisch zu diskreditieren. Zum ersten und letzten Punkt muß man jedoch sagen, daß hier, wie häufig in solchen Fällen, die Lügen mit einem Körnchen Wahrheit garniert wurden, damit die Diffamierungen um so besser greifen. Richtig scheint zu sein, daß von Wartenberg, wenn man seinem Nachfolger und Verehrer Prof. Glemser Glauben schenken darf, nicht das allergrößte pädagogische Talent besaß und „mehr Forscher als Lehrer" war. Richtig ist aber auch, und das verschweigt der Brief absichtlich, daß von Wartenberg in der Ausübung seiner Lehrtätigkeit durch verschiedene Umstände behindert war. So mußte er, wie bereits erwähnt, das Praktikum für Fotgeschrittene im WS 33/34 wegen Umbaumaßnahmen absagen. Außerdem wurde ihm die fällige Übertragung der Anfängerausbildung in anorganischer Chemie verwehrt. Damit sind wir beim letzten Punkt angelangt. Was das Verhältnis zwischen Windaus und von Wartenberg betrifft, so muß man wohl zugestehen, daß es hier, wegen des Fortbestandes der anorganischen Abteilung im Allgemei611
nen Chemischen Laboratorium, einen natürlichen Interessengegensatz gab, der durch den anhaltenden Widerstand von Windaus, die Ausbildung der Anfänger in Anorganischer Chemie an von Wartenberg zu übertragen, noch verstärkt wurde. Dadurch war wohl auch das persönliche Verhältnis getrübt.119 Was auch immer der sachliche Gehalt der Vorwürfe war, jedenfalls kam das Schreiben des NSDDB dem Rektor gelegen, denn als dieser im September eine Anfrage seitens der Universität Münster wegen einer möglichen Berufung von Wartenbergs erhielt, konnte er am 23. September 1936 antworten:120 „Im Rahmen der Göttinger Universität ist Prof. v. Wartenberg in keiner Richtung hervorgetreten. Sein Unterricht hat starke Mängel gezeigt. Die Unzulänglichkeiten seines Unterrichts sind sogar über den engeren Kreis der Chemiker hinaus bekannt geworden. Die gesamte Institutsarbeit wird genügend dadurch gekennzeichnet sein, daß Prof. von Wartenberg seit seinem Eintritt in den Göttinger Lehrkörper noch nie bei einer Promotion Hauptreferent gewesen ist. Prof. v. Wartenberg ist versagt geblieben, auf irgend einem Felde seine Person zum Einsatz zu bringen. So hat er weder als Forscher noch als Lehrer die Anziehungskraft ausgeübt, die man bei dem Leiter eines Instituts voraussetzen muß. Dadurch hat sich ergeben, daß sein wertvolles Institut entgegen den drängenden Forschungsbedürfnissen nicht ausgenutzt wird. Von hier aus wird verständlich sein, daß die Göttinger Universität Prof. von Wartenberg nicht hält, falls sich für ihn eine andere Verwendung ermöglicht. Heil Hitler!"
Das Perfide dieser Antwort liegt vor allem darin, daß der Rektor eine Kopie dieses Briefes an Mentzel persönlich schickte. Dieser ergriff denn auch sofort die ihm dargebotene Gelegenheit und verlangte vom Rektor umgehend einen „Sonderbericht über die Forschungsund Unterrichtstätigkeit des Professors der Chemie Dr. Hans von Wartenberg". Diesen Bericht, dessen Vorwürfe sich im wesentlichen mit den obigen decken, sendet der Rektor am 5. Oktober 1936 offiziell an Bachér, den Leiter der Hochschulabteilung (und wieder an Mentzel persönlich) mit einem Begleitschreiben, das über Sinn und Zweck des Berichtes nicht den geringsten Zweifel läßt:121 „Beiliegend reiche ich Ihnen unmittelbar ein amtliches Schreiben zu, das einen gesonderten Charakter hat, weil es sich nicht auf allgemeine Universitätsangelegenheiten, sondern auf reine Personalfragen bezieht. Ich darf daran erinnern, daß wir schon früher gelegentlich über diese Frage gesprochen haben. Ich glaube, daß durch den Vierjahresplan der Zeitpunkt erreicht ist, der zwingt, an diese Personalfrage erneut heranzugehen." Aus dem Schreiben des Rektors wird deutlich, daß er bereits früher mit dem Ministerium wegen von Wartenberg konspiriert hatte. Der Hinweis auf den Vierjahresplan gibt ihm nun das bislang fehlende Sachargument an die Hand, den Fall Wartenberg endgültig zu lösen. Im Vierjahresplan wurde die chemische Forschung ab Herbst 1936 unter der Leitung von Carl Krauch, einem der späteren Generaldirektor der IG Farben, in Übereinstimmung mit den Verwertungsinteressen der Industrie einer zentralen Lenkung unterworfen und auf praktische Belange ausgerichtet. Auf diese Linie einer industrienahen Zweckforschung wollte der Rektor auch die Göttinger anorganische Chemie bringen und daher kam ihm der Fall von Wartenberg gerade recht. Auf den „Sonderbericht" des Rektors reagierte das Ministerium denn auch unverzüglich. Am 12. November 1936 emtpflichtete es von Wartenberg zum 30. März 1937 auf Grund des Paragraphen 4 des „Gesetzes über die Entpflichtung und Versetzung von Hochschullehrern aus Anlaß des Neuaufbaues des deutschen Hochschulwesens" vom 21. Januar 1935. Dort heißt es: „Fällt aus Anlaß des Neuaufbaues ein Lehrstuhl fort oder wird er einem anderen Fachgebiet zugeschlagen, so kann der bisherige Inhaber von seinen amtlichen Verpflichtungen entbunden werden." So geschah es; gleichzeitig teilte das Ministerium mit: „Den hierdurch freiwerdenden Lehrstuhl stelle ich der Fakultät für das Gebiet der Metallkunde zur Verfügung. — Führer und Reichskanzler A. Hitler". 122 612
Mit der Entpflichtung von Wartenbergs und der zugesagten Umwandlung seines Instituts in ein Institut für Metallkunde hatten — nach langem Bemühen — Rektor und Dozentenschaft endlich ihr Ziel erreicht. Doch an diesem Vorgang bleibt — trotz aller Zeitumstände — etwas verwunderlich: Gegen diese Umwandlung hat es, nach allem, was wir wissen, innerhalb der Fakultät keinerlei Widerstand gegeben und das, obwohl die Fakultät erst wenige Jahre zuvor die anwendungsorientierte Metallkunde bewußt zugunsten einer breiter orientierten Grundlagenforschung aufgegeben hatte. Auch mögliche Probleme mit der Rockefeller-Foundation, die den Umbau des Institutes unter der Auflage genehmigt hatte, daß von Wartenberg (oder Mark) mit der Leitung des Instituts betraut würden, führen zu keinerlei Einsprüchen gegen die Umwandlung. Offenbar hatten sich die Machtverhältnisse innerhalb der Fakultät 1936 bereits so geändert, daß solche Bedenken, wenn es sie denn gegeben hat, ignoriert werden konnten. Damit hatte ein weiteres, unrühmliches Kapitel der Göttinger Universität sein vorläufiges Ende gefunden. Was nun kam, war die übliche Routine: die Besetzung des Lehrstuhles für Metallkunde. Nach einem vergeblichen Versuch, Prof. Wever vom KWI für Eisenforschung in Düsseldorf zu gewinnen — dieser lehnte den Ruf mit Hinweis auf wichtige Arbeiten des KWI innerhalb des Vierjahresplanes ab123 — wurde schließlich Georg Masing, Leiter der Forschungsabteilung bei Siemens & Halske und Schüler von Tammann, zum 1. Oktober 1937 nach Göttingen berufen. Außerdem wurde dem Institut für Metallkunde auch die Abteilung für Metallographie des Institutes für Physikalische Chemie unter Leitung von Rudolf Vogel als Abteilung für Konstruktionslehre eingegliedert. Mit der Entpflichtung von Wartenbergs ging die Ausbildung in anorganischer Chemie schließlich ganz auf die Abteilung Anorganische Chemie im ACL über. Diese wurde von Günther Rienäcker geleitet, der sich 1937 in Göttingen habilitiert hatte. Im September 1942 übernahm Josef Goubeau die Stelle von Rienäcker, der einen Ruf nach Rostock erhalten hatte. Goubeau wirkte und lehrte bis in die Nachkriegszeit in Göttingen. Bevor ich auf die weitere Entwicklung der Chemie in Göttingen eingehe — insbesondere die Teilung des Allgemeinen Chemischen Laboratoriums — muß ich noch kurz berichten, wie von Wartenberg die Zeit bis 1945 verbracht hat. Zunächst einmal mußte er, auf Geheiß des Ministeriums, die Stelle des Direktors in dem ihm abgenommenen Institut fast ein Jahr lang vertreten, bis Masing die Stelle Ende Oktober 1937 antrat. Nach seinem endgültigen Abgang fand von Wartenberg Unterschlupf bei seinem Kollegen Pohl in der Physik. Dieser - und nicht etwa ein Chemiker - stellte ihm zwei kleine Räume in der Experimentalphysik zur Verfügung, wo von Wartenberg weiter mit bescheidenen Mitteln seine chemischen Versuche zur Reindarstellung des Siliziums sowie gewisser Fluorverbindungen durchführen konnte. Trotz der bescheidenen Mittel sind diese Arbeiten — nach Auskunft von Prof. Glemser124 — „brilliant", was einmal mehr das außerordentlich experimentelle Geschick von Wartenbergs beweist. Während dieser Zeit machte von Wartenberg mehrere, selbstverständlich vergebliche Eingaben beim Ministerium wegen Höherstufung seiner Pensionsbezüge. Dabei machte fer geltend, daß er nicht nur 20 Jahre in Danzig Ordinarius gewesen war, sondern daß ihm auch in Göttingen eine Stelle als Ordinarius zugesagt worden war. Was von Wartenberg zu jener Zeit aber noch nicht wußte, war der Umstand, daß sein persönliches Ordinariat noch während seiner Amtszeit in ein planmäßiges Ordinariat umgewandelt worden war. Dieser Umstand war ja vor ihm auf Geheiß des Ministeriums geheimgehalten worden, und es sollte noch weitere ganze 16 Jahre dauern, bevor er schließlich davon offiziell erfuhr. (Siehe Kapitel 3.1)
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3. Die Normalisierung der Chemie in der unmittelbaren Nachkriegszeit Das Kriegsende und der Untergang des Dritten Reiches stellten für die Arbeit der chemischen Institute an der Universität Göttingen keine einschneidende Zäsur dar. Zwar galt es, die Institute als wissenschaftlich funktionierende Einrichtungen neu zu organisieren, aber dies war eine Arbeit, von der mehr oder weniger alle Institute in Deutschland betroffen waren. Mit dem Untergang des Dritten Reiches stellte sich jedoch die Frage nach der Wiedergutmachung für das im Nationalsozialismus erlittene Unrecht. In Göttingens Chemie betraf das — und dies wußten fast alle Beteiligten — in erster Linie Prof. von Wartenberg.
3.1 Die „Wiedergutmachung" an von Wartenberg Zunächst fing in Bezug auf die Wiedergutmachung auch alles sehr gut an: Am 9. 5. 1945 gab der Rektor folgende „Erklärung" gegenüber von Wartenberg ab: „Die Universität begrüßt es als eine glückliche Folge des Wegfalles eines Teiles der bisherigen Gesetzgebung, daß die darauf beruhende vorzeitige Entpflichtung einer Anzahl hochgeschätzter Mitglieder ihres Lehrkörpers ihre Grundlage verloren hat. Rechtliche Folgerungen aus dieser Wandlung im einzelnen zu ziehen, muß der Zukunft vorbehalten bleiben. Im Einvernehmen mit dem akademischen Senat und dem Herrn Kurator bitte ich Sie aber, sich schon jetzt als vollberechtigtes Mitglied der Georgia-Augusta zu betrachten."125 Damit schien der Weg frei für ein völlige Rehabilitation von Wartenbergs. Da jedoch sein Institut ebenso wie sein Lehrstuhl durch die Umwandlung in das Institut für Metallkunde eine andere Verwendung gefunden hatten, stand nun keine geeignete Einrichtung zur Verfügung, die man von Wartenberg hätte anbieten können. Einen Ausweg bot allein die längst überfällige Teilung des Allgemeinen Chemischen Laboratoriums, dessen Leitung nach wie vor unbesetzt war, da der vorgesehene Nachfolger von Windaus, Prof. Schöpf aus Darmstadt, den Ruf nach Göttingen noch nicht angenommen hatte. (Siehe Abschnitt 3.2) Am 21. August stellte denn auch die Fakultät auf Anregung des Kurators den Antrag, das Allgemeine Chemische Institut zu teilen und von Wartenberg zum Direktor des neuen Instituts für Anorganische Chemie zu machen. Eucken, der damals Dekan war, begründete den Antrag mit der Bemerkung: „Die Gelegenheit hierzu ist deshalb besonders günstig, weil zur Besetzung der Direktorenstelle der vorzeitig emeritierte, nach Aufhebung der Verfügungen des nationalsozialistischen Staates aber wieder voll im Amt befindliche ordentliche Prof. Hans von Wartenberg, einer der erfolgreichsten und angesehensten jetzt lebenden Anorganiker, zur Verfügung steht, ohne daß der Verwaltung irgendwelche zusätzliche Ausgaben entstehen."126 Wie das Schreiben zeigt, gingen Dekan und Fakultät ganz selbstverständlich davon aus, daß von Wartenberg ordentlicher Professor gewesen war, und so gesehen, auch wieder werden sollte. Dekan und Fakultät hatten jedoch die Rechnung ohne den Wirt gemacht, denn der Kurator wendete zunächst sachlich ganz korrekt ein, daß von Wartenberg nur eine „außerordentliche" Professur innegehabt habe, so daß es — angesichts der angespannten Haushaltslage — „genügt, von Wartenberg auf seiner außerordentlichen Professur zu belassen und ihn zum Direktor des neuen anorganischen Institutes zu benennen".127 So geschah es denn auch. Am 30. August 1945 stellte der Kurator beim Oberpräsidenten in Hannover den Antrag, von Wartenberg wieder in sein altes Amt einzusetzen. In diesem Antrag werden zum ersten Mal die eigentlichen Gründe für die vorzeitige Entpflichtung von Wartenbergs angesprochen und somit auch von offizieller Seite anerkannt: „Trotz der neutralen Fassung der 614
für diese Maßnahme angezogenen Gesetzesunterlage war der Grund dafür die Tatsache, daß Prof. von Wartenberg mit einer Halbjüdin verheiratet war." 1 2 8 Am 26. September 1945 schreibt der Oberpräsident von Hannover an von Wartenberg: „Ihre Entbindung von amtlichen Verpflichtungen hebe ich hiermit auf und ersuche Sie, Ihr früheres Lehrgebiet anorganische Chemie in Vorlesungen und Übungen zu vertreten. Für den Zeitpunkt der Teilung des Allgemeinen Chemischen Instituts habe ich in Aussicht genommen, Sie zum Direktor des Anorganisch Chemischen Instituts zu machen."129 Mit dieser Maßnahme war zwar der alte Zustand insoweit wieder hergestellt, als von Wartenberg wieder in sein Amt als außerordentlicher Professor eingesetzt war und Direktor des neu zu gründenden Institutes für Anorganische Chemie werden sollte 130 , es war aber nach wie vor nicht die einst gegebene Zusage eingehalten worden, von Wartenberg so bald wie möglich ein frei gewordenes Ordinariat zu übertragen. Erst im Oktober 1947, kurz vor der Emeritierung von Wartenbergs, entschließt sich die Fakultät, auch dieses Unrecht — von dem sie offiziell gar nichts wußte — wieder gut zu machen. In der Absicht, von Wartenberg als planmäßigen Ordinarius zu emeritieren, bittet sie den Kurator um Auskunft, „ob von Wartenberg persönlicher oder planmäßiger Ordinarius ist." Der Kurator teilt wahrheitsgemäß mit, daß von Wartenberg nur persönlicher Ordinarius ist — aber wiederum, ohne die seinerzeit gegebene Zusage der Stellenumwandlung zu erwähnen, geschweige denn darauf hinzuweisen, daß die Stelle 1935 tatsächlich angehoben wurde, ohne daß man dies der Fakultät und von Wartenberg mitgeteilt hatte. Daraufhin stellte die Fakultät am 11. 10.1947 folgenden Antrag: „Als Prof. von Wartenberg am 1. 4. 1933 als Direktor des Institutes für anorganische Chemie nach Göttingen kam, war er zuvor 20 Jahre Ordinarius in Danzig gewesen. . . . Herr von Wartenberg wird am 24. 3. 1948 achtundsechzig Jahre alt. Die Fakultät hält es aber für ganz ausgeschlossen, daß die Entpflichtung durchgeführt wird, bevor er wieder in ein planmäßiges Ordinariat eingerückt ist, und stellt daher den Antrag, eines der Ordinariate Herrn Wartenberg zu übertragen.
Ferner hält es die Fakultät für unerläßlich, daß dieses Ordinariat auch nach der Emeritierung von Wartenbergs für den Direktor des Anorganisch Chemischen Institutes erhalten bleibt."131 Wie man diesem Schreiben entnehmen kann, hatte die Fakultät bis zu diesem Zeitpunkt keine Ahnung davon, daß von Wartenberg tatsächlich 1935 um das ihm zugesagte Ordinatriat betrogen worden ist, als heimlich hinter seinem Rücken und dem der Fakultät seine Stelle in ein Ordinariat umgewandelt wurde. In dem Begleitschreiben des Kurators Bojunga an den Kultusminister wird nun dieser Umstand das erste Mal erwähnt und ausdrücklich zur Rechtfertigung der Stellenanhebung verwandt: „Ich trete dieser Auffassung um so mehr bei, als die nationalsozialistische Regierung tatsächlich nicht nur durch eine vorzeitige Emeritierung aus politischen Gründen den Eintritt der Bedingungen für die versprochene Höherstufung vereitelt, sondern sogar nach erfolgtem Eintritt der Bedingungen die Erfüllung der Zusage arglistig unterlassen hat. Prof. von Wartenberg und die Fakultät wissen dieses gar nicht einmal und ich habe mich nicht für berechtigt gehalten sie ohne ministerielle Genehmigung hiervon in Kenntnis zu setzen." 1 3 2
Dies Schreiben des Kurators sollte noch ein Nachspiel haben, denn irgendwie muß von Wartenberg von dem für ihn schmerzlichen Inhalt später erfahren haben. Uber seinen brisanten Inhalt hinaus macht der Begleitbrief die Dienstauffassung des Kurators Bojunga deutlich. Auch nach Untergang des Nationalsozialismus, Auflösung des Ministeriums, Amtsentfernung und häufig Anklage seiner vormaligen Amtsträger, glaubt der Kurator — frei nach dem Motto, was damals Recht war, ist auch heute noch gültig, falls es nicht ausdrücklich widerrufen wurde — er sei nach wie vor an die damals von den Nationalsozialisten verhängte Schweigepflicht gebunden. So unterbleibt die Unterrichtung der Fakultät über die 13 Jahre zurückliegende Stellenanhebung. 615
Entsprechend den Anträgen von Fakultät und Kurator wurde von Wartenberg am 19. 4. 1948 zum Ordinarius ernannt und sogleich darauf, einen Tag später, auf seinen eigenen Antrag hin, zum 30. 9. 1948 emeritiert. Damit wird 16 Jahre nach dem ihm gegebenen Versprechen der baldigen Ernennung zum Ordinarius und 15 Jahre nach seinem Amtsantritt die damalige Zusage gleichsam in allerletzter Sekunde erfüllt. Die Hoffnungen der Fakultät, auch nach der Emeritierung von Wartenbergs das Ordinariat für den Direktor des Anorganischen Institutes erhalten zu können, erfüllt sich jedoch nicht, denn das Ministerium lehnte den weitergehenden Antrag der Fakultät ab.133 So kam es, daß die anorganische Chemie abermals durch keinen ordentlichen Lehrstuhl vertreten war. (Siehe auch den nächsten Abschnitt.) Mit der Emeritierung als Ordinarius war für von Wartenberg die Angelegenheit seiner unterbliebenen Höhereinstufung noch keineswegs beigelegt. Im August 1953 — kurz vor der Verabschiedung des „Bundesergänzungsgesetzes zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung vom 18. 9. 1953" und vermutlich im direkten Zusammenhang mit dem Gesetz — bittet von Wartenberg den Kurator um Auskunft, wann das erste Ordinariat nach seiner Berufung am 1. April 1933 frei wurde. Der Kurator informierte ihn nun erstmals wahrheitsgemäß, vor allem aber vollständig — nicht ohne sich im Ministerium Rückendeckung geholt zu haben — daß das Extraordinariat bereits 1934 in ein Ordinariat umgewandelt worden war. Gleichsam entschuldigend fügt er hinzu: „gemäß dem darüber ergangenen Erlaß des Ministeriums hatte eine Bekanntgabe dieser Umwandlung an den Lehrstuhlinhaber und die akademischen Behörden nicht zu erfolgen." Daraufhin strengt von Wartenberg ein Verfahren zur Wiedergutmachung beim Regierungspräsidenten in Hildesheim an. In dem juristischen Zwischenbescheid vom 29. 10. 1954 offenbart sich eine Rechtskontinuität, die an Peinlichkeit kaum noch zu übertreffen ist: „M.E. ist es ein im Haushaltsrecht durchaus übliches Verfahren, daß eine Bekanntgabe von Stellenhebungen und dergleichen an den derzeitigen Stelleninhaber unterbleibt, um in ihm keine Hoffnungen zu erwecken, die sich später aus mancherlei Gründen nicht erfüllen lassen. Weiterhin ist es auch heute durchaus möglich, daß eine derartig gehobene Stelle nicht mit dem derzeitigen Stelleninhaber besetzt wird. Im übrigen ist die oberste Landesbehörde bei der Besetzung von Lehrstühlen gehalten, das Vorschlagsrecht der Fakultät zu beachten, so daß aus diesem Umstand nicht ohne weiteres geschlossen werden kann, daß eine Planstelle einem mit der Verwaltung der Stelle betrauten Beamten endgültig überlassen wird. Es liegt weiterhin auf der Hand, daß, nachdem das planmäßige Ordinariat anderweitig besetzt war, das persönliche Ordinariat des Antragstellers gegenstandslos geworden war und eine Entpflichtung des Stelleninhabers zur Folge haben mußte. gez. Sieber/Wein"
Eine bessere Begründung für ihr Verhalten gegenüber von Wartenberg hätten Mentzel und Thiessen sich auch nicht ausdenken können! Der letzte Satz dieses Bescheides ist inhaltlich fast identisch mit dem Paragraph 4 des „Gesetzes über die Entpflichtung und Versetzung von Hochschullehrern aus Anlaß des Neuaufbaues des Deutschen Hochschulwesens", aufgrund dessen von Wartenberg entlassen worden war. Offenbar hatten die Verwaltungsbeamten Sieber und Wein Schwierigkeiten, die „Rechtsverhältnisse" im Dritten Reich von denen im Deutschland der Nachkriegszeit zu unterscheiden. Aber das ist ja nicht weiter verwunderlich angesichts der Kontinuität der juristischen Verwaltung. Trotz einer erneuten Darlegung und Richtigstellung der damaligen Vorgänge durch den Kurator blieb es bei dem ablehnenden Bescheid, auch wenn die juristische Begründung „entpolitisiert" wurde. Scheinbar zum Trost für die entgangene Entschädigung (aber selbstverständlich ohne ursächlichen Zusammenhang) beantragt der Kurator im Januar 1954 beim Kultusminister von Niedersachsen die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an von Wartenberg (sowie an den Philosophen Georg Misch). Nach mehrjähriger Verzögerung verlieh schließlich Mini616
sterpräsident Hellwege in einer Feierstunde in Göttingen am 25. April 1956 den Großen Bundesverdienstorden an von Wartenberg. Dabei las er die an den Bundespräsidenten gerichtete Antragsbegründung zur Verleihung des Ordens ganz oder auszugsweise vor.134 In dieser Begründung wurde u.a. betont, „daß Prof. von Wartenberg im Jahre 1937 aus politischen Gründen emeritiert worden ist." Ein solcher Hinweis war durchaus in Ordnung und nicht zu beanstanden. Dann aber hieß es unseligerweise weiter, „daß die vorzeitige Emeritierung des Professors von Wartenberg geschah, weil er mit einer Halbjüdin verheiratet war." Diese wenig taktvolle Formulierung veranlaßte später die Witwe von Wartenbergs, welche bei der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes anwesend war, dieses nach dem Tod ihres Mannes an den Kurator mit der Bemerkung zurückzuschicken: „Das Verdienstkreuz, das meinem Mann unter so beleidigenden Umständen überreicht wurde, habe ich der Sekretärin übergeben. Es war uns immer ein Kummer, diesen Orden im Hause zu haben; es wäre für mich eine Kränkung gewesen, wenn mein Mann ihn getragen hätte."
Das Bundesverdienstkreuz befindet sich noch immer in seiner Personalakte. Von Wartenberg verstarb am 4. Oktober 1960 in Göttingen. Der Verdacht, der Frau von Wartenberg beschlichen hatte, daß der Orden nur „aus Gründen der Wiedergutmachung verliehen worden sei", ist sicher nicht ganz von der Hand zu weisen. So soll der Kurator nachträglich geäußert haben, „Prof. von Wartenberg würde die Auszeichnung nicht erhalten haben, wenn nicht der Wiedergutmachungsaspekt vorgelegen hätte." Aber genau hierin, so sieht zumindest der Verfasser es, liegt die eigentliche „Kränkung", denn von Wartenberg hatte sehr wohl allein auf Grund seiner wissenschaftlichen Leistung — ganz unabhängig von aller politischen Verfolgung — den Orden verdient gehabt.
3.2 Die Teilung des Allgemeinen Chemischen Laboratoriums Was die Entwicklung der Chemie in Göttingen in den Nachkriegsjahren anbelangt, so kann man von einer „Normalisierung" im doppelten Sinne sprechen. Zum einen entwickelte sich die Chemie institutionell in Richtung einer Unterteilung in organische, anorganische und physikalische Chemie, wie sie heute allgemein üblich ist, und wie sie auch in Göttingen besteht. Zum anderen verlor die Göttinger Chemie ihre herausragende Stellung, die sie vor dem Dritten Reich eingenommen hatte; stattdessen mußte sie sich in das Mittelfeld einordnen, in dem zwar gute, aber vergleichsweise „normale Forschung" im Sinne von Thomas Kuhn betrieben wird. Genau genommen setzten beide Tendenzen bereits vor dem Kriege ein. Unmittelbar nach der Umwandlung des anorganisch chemischen Institutes in ein Institut für Metallkunde hatte die Fakultät beantragt — ich nehme an, auf Vorschlag von Windaus - das Allgemeine Chemische Laboratorium in der Weise neu zu organisieren, daß das Technologisch-Chemische Institut 135 — nach dem Ausscheiden von A. Kötz — nebst einer weiteren Abteilungvorsteherstelle in zwei Abteilungen, eine für organische und eine für anorganische Chemie aufgeteilt wurde. Leiter der organischen Abteilung wurde Dr. Zeile aus München, Leiter der anorganischen Abteilung wurde Dr. G. Rienäcker, der sich 1937 in Göttingen habilitiert hatte. Damit war der erste Schritt in Richtung einer Aufteilung der Allgemeinen Chemie in organische und anorganische Chemie getan. Dennoch sollte es weitere acht Jahre dauern, bis dieser Schritt auch auf der Ebene der Institute bzw. Lehrstühle - und nicht nur auf der Ebene der Abteilungsvorsteher — vollzogen wurde. Noch wäh-
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rend des Krieges waren beide Abteilungsvorsteherstellen neu besetzt worden: Im August 1942 wurde H. Lettré aus Berlin, ein Schüler von Windaus, der Nachfolger von Zeile. Im September 1942 übernahm J. Goubeau die Stelle von Rienäcker, der einen Ruf nach Rostock erhalten hatte. Beide wirkten bis in die Nachkriegszeit in Göttingen. Als es im Dezember 1943 darum gegangen war, einen Nachfolger für Windaus zu finden, hatte sich die Frage einer Teilung des Institutes zunächst nicht gestellt, denn der ins Auge gefaßte Nachfolger von Windaus, Prof. Schöpf aus Darmstadt, wollte an der Einheit des Institutes festhalten. Als sich jedoch die Verhandlungen mit Schöpf bis Kriegsende ohne Ergebnis hinzogen, entschloß sich die Fakultät im August 1945 - unter Zustimmung des Senates - die Teilung des Allgemeinen Chemischen Laboratoriums in Hannover zu beantragen und von Wartenberg wieder in sein altes Amt als Direktor des Institutes für anorganische Chemie einzusetzen. Wie bereits geschildert, gab es hierbei jedoch unerwartete Schwierigkeiten. Als Direktor des neu zu schaffenden organisch-chemischen Instituts wurde Prof. H. Brockmann vorgeschlagen. Der Antrag wurde (bis auf den schon erwähnten Punkt) von der Bezirksregierung in Hannover genehmigt. Prof. von Wartenberg erhielt nur eine außerplanmäßige Professur, die nach seiner Emeritierung eingezogen wurde. Dadurch kam es, daß die anorganische Chemie abermals durch keinen ordentlichen Lehrstuhl vertreten war. Dieser ungünstige Zustand wurde erst 1953 beendet, als nach der Emeritierung Masings der Lehrstuhl für Metallkunde neu zu besetzen war. Prof. Oskar Glemser, der als Nachfolger von Masing vorgesehen war, legte als Anorganiker Wert darauf, sein Amt als Nachfolger von Wartenbergs anzutreten. Daher wurde im April 1953 der Lehrstuhl für Metallkunde wieder dem Institut für anorganische Chemie zurückgegeben, und gleichzeitig erhielt die Metallkunde ein Extraordinariat der anorganischen Chemie. Damit war nach fast 20 Jahren ungefähr der Zustand hergestellt, den man ursprünglich hatte haben wollen, der jedoch durch das Eingreifen der Nationalsozialisten vereitelt worden war.
3.3 Reflexionen eines Wissenschafliers über die Zeit des Nationalsozialismus Äußerungen von Wissenschaftlern über die Zeit des Nationalsozialismus — und insbesondere ihre Rolle und Verantwortung als Wissenschaftler in dieser Zeit - sind eine große Seltenheit, zumal, wenn sie unmittelbar nach Ende des Krieges unter dem Eindruck des Zusammenbruchs des „Dritten Reiches" niedergeschrieben wurden. Windaus ist ein solch seltener Fall. Anlaß seiner Überlegungen war offenbart der Beginn der Kriegsverbrecherprozesse in Nürnberg. 136 Das erklärt auch, warum seine Aufzeichnungen in Form von Anklagen und Erwiderungen abgefaßt sind, die sich auf allgemeine politiche Fragen beziehen. Diese Aufzeichnungen - die mir dankenswerterweise der Sohn Dr. Günter Windaus überlassen hat - sind deshalb besonders wertvoll und aufschlußreich, weil hier ein Wissenschaftler, über dessen demokratische Gesinnung kein Zweifel besteht - und der deshalb auch nichts zu beschönigen hat - sich selbstkritisch fragt, was er und seine Kollegen, aber auch die Deutschen in ihrer großen Mehrheit falsch gemacht haben. So beginnt einer der Texte: „Das deutsche Volk wird heute angeklagt, daß es mitschuldig sei an den Greueln der nationalsozialistischen Führung, die die Folter und den Mord in den KZ-Lagern und anderswo zur ständigen Einrichtung machte."
Was nun folgt, ist aber keineswegs eine der üblichen Entschuldigungen, man habe von alle618
dem nichts gewußt, sondern ein klares Bekenntnis, daß es Schuldige, Unschuldige und eine dritte Gruppe von Personen gegeben habe, bei denen die Frage nach Schuld oder Nichtschuld schwer zu beantworten ist und nur von Fall zu Fall entschieden werden kann. „1. Sicher schuldig sind diejenigen Deutschen, die die Befehle zu diesen Greueln gegeben haben und diejenigen, die sie ausgeführt haben. Dabei sind die letzteren die Verführten gewesen. 2. Sicher unschuldig sind diejenigen, die versucht haben, sich dem Nationalsozialismus entgegen zu stellen. Sie haben den Versuch grossenteils mit ihrem Leben bezahlt, einige sind in den KZLagern dem Tode entgangen. Diese aktiven Gegner waren nicht sehr zahlreich. 3. Wie war es mit der grossen Masse? Sie hat sich bei den Abstimmungen für Hitler eingesetzt, sie ist in die Partei, in die S.S., die S.A. oder in eine andere Parteiorganisation eingetreten. Hat sie sich schon damit schuldig gemacht? Ich glaube, nein. Denn niemand konnte in den Jahren, als der Nationalsozialismus sich ausbreitete, wissen, daß die Führung zu den grauenvollen Methoden greifen würde, wie es später geschah." Auf die dritte, größte Gruppe und ihr Verhalten geht Windaus näher ein. Im Zentrum seiner Überlegungen steht dabei der Eintritt in die N S D A P oder einer ihrer Organisationen, die für ihn noch keine verwerfliche Handlung darstellt. Seine Ansicht begründet er damit, daß Hitler erst allmählich sein menschenverachtendes Antlitz zeigte. Hierzu eine typische Passage. Auf den Einwand, daß Hitler von vornherein scharf und ungerecht gegen die Juden vorgegangen sei, antwortet Windaus: „Das trifft zu. Allerdings waren die anfänglichen Massnahmen, nach denen jüdische Beamte unter Weiterzahlung ihres Gehaltes pensioniert wurden, noch nicht barbarisch. Barbarisch wurde die Judenverfolgung erst in den folgenden Jahren. Überhaupt wurde Hitlers Missachtung der Menschenrechte allmählich immer rücksichtsloser und empörte auch viele Parteigenossen." Als aber Hitlers Menschenverachtung immer deutlicher sichtar wurde, so geht die Argumentation weiter, war es für die Mehrheit bereits zu spät, der Partei die Gefolgschaft aufzukündigen oder zu verweigern. Hierzu nochmals ein Ausschnitt: „Aber Personen, die einmal in die Partei eingetreten waren, konnten nicht wieder heraus, ohne ihre Existenz aufs Spiel zu setzen. Später, etwa ab 1937, wurde ein direkter Zwang ausgeübt, um junge Menschen zu veranlassen, einer Parteiorganisation beizutreten. So habe ich es miterlebt, daß der akademische Nachwuchs keine Assistentenstelle erhielt und nicht zur Habilitation zugelassen wurde, wenn er nicht einer Parteiorganisation angehörte. Auf diesem Wege sind fast alle jungen Dozenten und Assistenten meines Göttinger Instituts in die Partei gepreßt worden, obschon kaum einer Sympathien für den Nationalsozialismus hegte." Freilich ist sich auch Windaus darüber im klaren, daß damit noch nicht der Vorwurf der Alliierten ausgeräumt ist, „daß das deutsche Volk die Greuel, die in den KZ-Lagern und anderswo verübt wurden, a) gekannt habe und b) schuldig sei, weil es nichts dagegen unternommen habe." Was den ersten Teil betrifft, unterscheidet Windaus abermals drei Gruppen: (i) Solche die völlig ahnungslos waren; (ii) solche, die über die Greuel wirklich Bescheid wußten, und (iii) die große Masse, die nur eine ungefähre Ahnung hatte, nämlich nur „soweit unterrichtet war, wie ich selbst: Ich hatte Gerüchte gehört, wußte aber nichts Sicheres. So hatte ich vernommen, daß Niemöller und Thälmann im KZ-Lager eingesperrt seien . . . Im Jahre 40 oder 41 wurde behauptet, daß unheilbar Geisteskranke beseitigt würden . . . Ich wußte, daß die Juden nach dem Osten geschafft wurden, aber daß sie gequält, gefoltert und ermordet wurden, davon wußte ich nicht." Was den zweiten Teil des Vorwurfes betrifft, „daß wir nichts gegen die Greuel unternommen haben" (die wirklich bekannt waren), verweist Windaus darauf, daß es lebensgefährlich war, sich gegen Hitler aufzulehnen, und er fügt warnend hinzu, damit sich in dieser Hinsicht niemand selbst überschätze: „Ich glaube, daß sehr wenige der Menschen, die jetzt in pharisäerhafter Weise über Deutsche urteilen, in derselben Lage wie wir das eigene Leben und dasjenige ihrer Familie geopfert hätten." D o c h damit ist keineswegs jede Schuld geleugnet, aber, so schließt Windaus das Argument ab, 619
„wenn wir überhaupt schuldig sind, dann nur dadurch, daß unsere politische Gleichgültigkeit und Unfähigkeit es einer Verbrecherbande ermöglicht hat, eine uneingeschränkte Diktatur in Deutschland zu errichten, gegen die jeder Widerstand des einzelnen aussichtslos war." Ganz gleich, wie man zu dieser Argumentation über Schuld oder Unschuld im einzelnen steht, fest steht jedenfalls, daß für die meisten Deutschen, die nicht ihr eigenes Leben, und das ihrer Familienangehörigen, aufs Spiel setzen wollten, nach der Machtergreifung nur noch die Opposition im kleinen übrig blieb. So auch für Windaus, der freimütig bekennt: „Zu einem Mordversuch an Hitler und seiner Bande konnte ich mich nicht entschließen." Windaus zählt sodann einige der Begebenheiten auf, bei denen er sich gegen die Nationalsozialisten gestellt hat. Die meisten von diesen wurden bereits geschildert. Trotz aller Opposition im kleinen bleibt aber der Vorwurf bestehen, aufgrund politischer Gleichgültigkeit und Desinteresse Hitlers Gefährlichkeit zu spät erkannt, und dementsprechend zu spät oder meist gar nicht gehandelt zu haben. D o c h dieser Vorwurf trifft — nach der Auffassung von Windaus — nicht allein die Deutschen in ihrer überwiegenden Mehrheit, sondern auch die Alliierten, die, nach seiner Ansicht, eine gewisse Mitverantwortung für die Entwicklung der politischen Verhältnisse vor und nach 1933 in Deutschland tragen. Als Beleg für seine Ansicht führt Windaus drei bzw. vier Günde an: 1) „Wäre man 1918 den gutwilligen und friedensbereiten Politikern wie Stresemann und Brüning mehr entgegengekommen, niemals hätte sich der Nationalsozialismus so ausgebreitet." 2) „Aber dasselbe Ausland, das gegenüber Stresemann und Brüning hart geblieben war, ließ es zu, daß Hitler die allgemeine Wehrpflicht einführte, das Rheinland militärisch besetzte, sich aus den Fesseln des Versailler Vertrages löste und sogar in Osterreich einmarschierte. Es war für die ohnmächtige Opposition in Deutschland eine furchtbare Enttäuschung, daß das Ausland das alles hinnahm, und es wurde dem Deutschen Volk demonstriert, daß man gegenüber den Alliierten Erfolge nicht durch freundschaftliche Verhandlungen, sondern durch Draufgängertum und Drohungen erreichte." 3) „Später kam dazu die Wallfahrt von Lloyd George zu Hitler und 1938 der offene Brief von Churchill, in dem stand: er wünsche dem englischen Volk, wenn es einmal ins Unglück gerate, daß es einen Mann von der Kraft und des Willens und des Geistes wie Hitler finde! Haben diese Männer gewußt, wie sie durch ihr Verhalten die Stellung Hitlers in Deutschland stärkten? Und dasselbe tat Chamberlain im Herbst 1938, als er in der Tschechenfrage so große Nachgiebigkeit zeigte, wenn auch seine Haltung durch edle Friedensliebe eingegeben war." In diesem Kontext erwähnt Windaus schließlich noch ein Ereignis, das sich in Göttingen abspielte: „Als im Jahre 1937 das Unversitätsjubiläum gefeiert wurde und daraus ein nationalsozialistisches Propagandafest gemacht wurde, schickte ich die Einladungskarten zurück und lehnte eine Beteiligung ab. Das Ausland aber hatte Delegationen geschickt, die sich in überschwenglichen Reden überboten. . . . Wie wurden wir, die wir abgelehnt hatten mitzufeiern, auf das Verhalten des Auslandes hingewiesen!"137 Nach all diesen kritischen und selbstkritischen Überlegungen nimmt es nicht Wunder, daß Windaus in einem Brief an den Kurator Bojunga, in dem er sich am 3. Januar 1947 für die Glückwünsche zu seinem siebzigsten Geburtstag bedankt, die nachdenklichen W o r t e äußert: 138 „Ich habe das Glück gehabt, daß wissenschaftliche Erkenntis, die mir geglückt war, praktische Bedeutung gewonnen hat. Aber ich kann nicht mit Zufriedenheit auf die Jahre des Schaffens zurückblicken. Ich frage mich immer, ob ich etwas hätte tun können, um den politischen und wissenschaftlichen Zusammenbruch, den ich kommen sah, zu verhüten. Ich sage mir, wie gering meine Leistung ist verglichen mit dem furchtbaren Elend, das uns umgibt und gegen das wir so wenig tun können. Ich neige an sich zu einer optimistischen Lebensauffassung, aber in den letzten Monaten habe ich oft gefürchtet, daß es uns nicht gelingen würde, unser wissenschaftliches und politisches Ansehen zurückzugewinnen."
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Anmerkungen 1
Mit völliger Sicherheit läßt sich eine solche Aussage natürlich nicht behaupten, aber es sprechen doch viele Anzeichen dafür, daß der Höhepunkt des wissenschaftlichen Erfolges bereits vor 1933 überschritten war, insofern es neuer Initiativen und großer Anstrengungen bedurft hätte, die hervorragenden Ideen und Erfolge der zwanziger Jahre zu wiederholen. Nichts oder nur sehr wenig deutet aber darauf hin; stattdessen war man in erster Linie auf die Sicherung und Bewahrung des Erreichten hinaus.
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Die Abteilung für Pharmazeutische Chemie wurde bereits im Jahr 1920 räumlich, nicht aber rechtlich ausgegliedert; letzteres geschah erst im Jahre 1929, als die Abteilung auch de jure in ein selbständiges Institut umgewandelt wurde. Dessen Existenz währte allerdings nicht lange; das Institut wurde bereits 1941 wieder geschlossen. Das Institut für Pharmazie bleibt in dieser Arbeit bewußt unberücksichtigt, weil bereits zu Beginn unseres Jahrhunderts die Pharmazie an den meisten deutschen Universitäten ein selbständiges Fach war und nur in Göttingen noch formal zur Chemie gerechnet wurde. Siehe dazu für Göttingen auch Ganß (1937). Das Institut war 1903 auf Drängen der Industrie vom Preußischen Kultusministerium probeweise genehmigt worden, und den Professoren Klein, Riecke, Wallach und Nernst war es gelungen, das Institut nach Göttingen zu holen. Das Institut war als kleines Forschungsinstitut ausgelegt, in dem vor allem Doktoranden ihre Dissertation anfertigen sollten. Von dem ersten Institutsdirektor, Prof. Tammann, wurden nur Spezialvorlesungen aus seinem eigenen Gebiet, der Metallkunde, erwartet. Die Grundausbildung der Studenten in anorganischer Chemie oblag der Abteilung für anorganische Chemie im ACL. Daran änderte sich auch nichts, als Zsigmondy 1908 als Nachfolger von Tammann berufen wurde. Lediglich das Arbeitsgebiet wechselte entsprechend den verschiedenen Interessen der Institutsleiter von Metallkunde zu Kolloidchemie.
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Das gilt vor allem für den Leiter der Abteilung, Prof. G. Jander und seinen (privaten) Assistenten Mentzel, die allerdings beide wissenschaftlich weit weniger hervorgetreten sind. Vgl. Abschnitt 2.1 siehe S. 327 in diesem Band Diese betreffen in erster Linie: (i) die Schließung der Abteilung für Photochemie im Institut für Physikalische Chemie im Jahre 1932, nachdem Prof. A. Coehn, der Vorsteher dieser Abteilung, bereits im Jahre 1929 emeritiert worden war; (ii) die formale Verselbständigung und schließlich Aufhebung des Institutes für Pharmazeutische Chemie im Jahr 1941, welches die Chemie im engeren Sinne kaum tangiert; (iii) die Errichtung eines eigenen Gebäudes im Jahre 1929 für die Biochemie; diese blieb jedoch „Abteilung" des Allgemeinen Chemischen Laboratoriums bis zu ihrer Aufhebung nach Kriegsende.
Insgesamt sind allein 10 chemische Lehrstühle in Deutschland und zwei in den USA von WindausSchülern besetzt worden; vgl. Brockmann (1960), S. 20 - 25 8 vgl. Butenandt (1960) S. 15 ' so der Eintrag im Entnazifizierungsfragebogen vom 23.7.1947 in der Personalakte Windaus 10 Diese Einschätzung in dieser oder einer ähnlichen Form - findet sich bei den meisten seiner Schüler; vgl. „Adolf Windaus zum Gedenken" (1960). Ich gehe davon aus, daß sie zutreffend ist. 11 Die Kollegen Franck, Hilbert, Kühn, Pohl und Stille hatten ein Gesuch an den Minister um den Erhalt von Windaus in Göttingen unterzeichnet, das von dem Kurator Valentiner mit dem Vermerk weitergeleitet wurde: „Einen besseren Chemiker als Windaus dürfte es in Preussen zur Zeit nicht geben und daß ausgerechnet dieser erste Chemiker Preussens zufälligerweise zugleich auch noch . . . biologisch eingestellt ist, erscheint mir als ein so ganz aussergewöhnlicher Glücksfall für Preussen, daß das allein schon genügen dürfte, um ihm die angeregte Unterstützung zu leihen," Personalakte Windaus, Kurator an PM, 25.6.1925 12 ebenda, Kurator an PM, 12.7.1925 13 ebenda 14 ebenda, Windelband (PM) an Valentiner, 7.1.1926 15 Dieser Eindruck, wie er sich aus der Aktenlage ergibt, wurde von Oskar Glemser, dem Nachfolger von Wartenbergs, und Günter Windaus, dem Sohn von A. Windaus, jeweils in einem Gespräch, das Herausgeber und Autor mit beiden geführt haben, bestätigt. 7
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Man muß in diesem Zusammenhang zwischen zwei Arten von Abteilungsvorsteherstellen unterscheiden: (i) solche, die mit einer gewöhnlichen Assistentenstelle ausgestattet waren und mit denen keine eigenen Befugnisse verbunden waren, und (ii) solche, mit denen eigene Befugnisse verbunden waren, wie z.B. die Stelle bei der Biochemie. 17 Kurator an PM, 12.7.1925, Personalakte Windaus. Diese für Windaus überaus wichtige Forderung wurde nach 1933 nicht mehr genügend beachtet — Doktorarbeiten bzw. Doktoranden wurden gegen seinen Willen abgelehnt — was gewisse Rücktrittsabsichten von Windaus in nicht unerheblichem Maße bestärkte. 18 Personalakte Phil. Fak. Zsigmondy, 8.2.1929 19 Personalakte Phil Fak. Zsigmondy, Zsigmondy an Dekan der math. nat. Fakultät, 23.2.1929 20 Siehe das Schreiben des Rektors an das Ministerium in Berlin betreff des Ausbaues des Instituts für Anorganische Chemie, wo es u.a. heißt: „Es ist schon seit langer Zeit von allen maßgebenden Stellen anerkannt worden, daß bei dem derzeitigen Umfang der chemischen Wissenschaft organische und anorganische Chemie unmöglich von einem einzigen Ordinarius vertreten werden können. Prof. Windaus und die Fakultät haben es für notwendig erachtet, daß die Vorlesungen über.. anorganische Chemie . . unbedingt von einem Dozenten gelesen werden müssen, der selbst auf diesem Gebiet produktiv tätig ist. Doch sind alle diese Bemühungen an dem Gesundheitszustand von Prof. Zsigmondy gescheitert. Nach dem Ableben Zsigmondy's war aber der Zeitpunkt gekommen, jetzt eine Verselbständigung des Anorganisch-Chemischen Instituts durchzuführen." (UAG R 3206) 2 » UAG, Κ, XVI, V, B, 3, Π („Ersatzvorschläge") 22 ebenda 23 Bezüglich der Arbeitsgebiete siehe die Nachrufe auf Eucken und von Wartenberg in Naturwissenschaft 14 (1944) und Zeitschrift für Elektrochemie 4 (1949) und 21 (1950) 24 Dies ist an sich nichts Ungewöhnliches, denn auch damals hieß es, angesichts einer Wirtschaftskrise bis aufs äußerste sparen! Ungewöhnlich wird der ganze Vorgang erst, wenn man bedenkt, daß Zsigmondy, der 1926 den Nobelpreis für Chemie erhalten hatte, dadurch keinerlei Verbesserung seiner Position bzw. seiner Bezüge erreichen konnte. 25 Man sollte in diesem Zusamenhang allerdings erwähnen, daß die Rockefeller-Foundation bereits zuvor den Ausbau zweier anderer Institute in Göttingen finanziell unterstützt hatte: den Neubau des Mathematischen und den Ausbau des Physikalischen Institutes, so daß Göttingen für die Stiftung keine unbekannte Größe war. 26 Macrakis (1986) 27 Herman Mark, Österreicher, „Halbjude" und Nazi-Gegner, war Leiter des Labors für Hochpolymere bei den IG-Farben in Ludwigshafen. Wegen des heraufziehenden Nationalsozialismus nahm er im Herst 1932 eine ordentliche Professur an der Universität Wien an. Nach dem „Anschluß" Österreichs emigrierte er in die USA. vgl. Mark (1988) 28 UAG, Κ, XVI, V, C, o, 6 (Institut für (anorganische Chemie) allgemeine Metallkunde. Ausbau des Instituts mit Mitteln der Rockefeiler Stiftung) 29 Das bedeutete, daß von Wartenberg nur die Bezüge eines planmäßigen Extraordinarius erhielt, aber in der Fakultät gleichberechtigt mit den Ordinarien mitbestimmen konnte. 30 Die Vakanz dauerte de facto 6 Jahre, nämlich vom Sommersemester 1927, dem Beginn der Vertretung Zsigmondys durch seinen Assistenten Thiessen, bis zum Sommersemester 1933, dem Amtsantritt von Wartenbergs. 31 Frau Gertrud von Wartenberg war eine Tochter des bekannten Chemikers Otto Warburg. Ihre Großeltern väterlicherseits waren beide jüdischer Abstammung, so daß sie nach der damaligen Nomenklatur als „Halb-" und nicht als „Viertelsjüdin" galt, wie es irrtümlich in einem Schreiben des NSD Dozentenbundführers Blume an den Rektor unterstellt wurde. Vgl. Abschnitt 2.3.3. 32 Die Hintergründe für diese Kündigung werden genauer in Abschnitt 2.3.1 geschildert. 33 Kurator an PM, 24.10.1932 UAG, Κ 34 Die Personalkartei der Universität Göttingen weist folgende Daten auf: geboren 1892, Reifeprüfung 1912, Promotion 1917, Habilitation 1921; Okt. 1916 - April 1918 Assistent in Berlin, April 1918 - Okt. 1919 Assistent bei Zsigmondy; Okt. 1919 - Okt. 1933 Assistent, später Oberassistent bei Windaus, seit 1.10.1933 kommissarischer Direktor des Kaiser Wilhelm Institutes für physikalische Chemie in Berlin.
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Göttinger Tageblatt vom 7.1.1919, S. 7. Zu den Auseinandersetzungen auf dieser Versammlung der DDP vgl. Dahms/Halfmann (1988), S. 77 36 Wilhelm Jander hatte von 1919 bis 1922 in Göttingen gleichfalls Chemie studiert und war anschließend wissenschaftlicher Mitarbeiter, 1927 habilitierte er sich in Würzburg; vgl. Pötsch (1989) S. 223. Zur weiteren Karriere des überzeugten Nationalsozialisten W. Jander vgl. Hammerstein (1989), bes. 419 ff. 37 Kühn (1983), S. 21 38 „Blutsordenträger" sind die frühen Mitglieder der NSDAP aus „den Tagen des Kampfes" 39 vgl. Göttinger Tageblatt vom 24.4.1933 4 0 vgl. Im Frieden der Menschheit, im Kriege dem Vaterland (1986); S. 60 41 Glum (1964), S. 449 42 Heiber (1966), S. 815 43 Mentzel hatte seit 1926 an der Entwicklung von chemischen Kampfstoffen gearbeitet und zwar im Auftrag von Erich Schumann, dem Abteilungsleiter des Sonderreferates S der Abteilung Chemie/Physik des Kriegswaffenamtes 44 Glum (1964), S. 443 45 ebenda, S. 444 46 vgl. Heiber (1966), S. 816 4 7 Einen solchen Zusammenhang unterstellt auch Glum (1964), S. 448, der von einer „Personalintrige eines herzlich unbedeutenden, aber ehrgeizigen Mannes" spricht. 48 Glum (1964), S. 448 49 Dieser Schumann war für Glum neben Mentzel die Figur, die ihm auf dem Gebiet der Wissenschaft „über den Weg gelaufen" ist; vgl. Glum (1964), S. 451. 50 ebenda, S. 449 51 ebenda 52 Im Frieden der Menschheit, im Kriege dem Vaterland (1986), S. 43 53 Heiber (1966), S. 820 und Pötsch (1989), S. 223 54 Popplow (1990) 55 Pötsch (1989), S. 223 56 Jander/Blasius: Lehrbuch der analytischen präparativen anorganischen Chemie, 13. Auflage, Stuttgart, 1989, dieselben: Einführung in das anorganische Publikum, 13. Aufl. Stuttgart, 1989 sowie Jander/Jahr Maßanalyse. Theorie und Praxis der Titrationen mit chemischen und physikalischen Indikationen, 15. Auflage Berlin, New York, 1990 57 Im Frieden der Menschheit, im Kriege dem Vaterlande (1986), S. 43 ff. und Beyerchen (1982), S. 94 f. 58 vgl. Heiber (1966), S. 816, Zierold (1968), S. 191 u. 224, Ebert u. Rupieper (579), S. 471 f. 59 vgl. S. 418 ff. 60 Zierold (1968), S. 217, Anmerkung 4 61 Heiber (1966), S. 645 f. und 816, Beyerchen (1982), S. 87 f. 62 Diese Auseinandersetzungen an einem Fallbeispiel durchziehen mehr als 1000 Druckseiten bei Heiber (1966). 63 Zierold (1968), S. 191 M Heiber (1966), S. 817 65 ebenda, S. 643 f. 66 Vgl. zu den Auseinandersetzungen zwischen Mentzel und Stark Zierold (1968), S. 199 und Beyerchen (1982), S. 166 ff. 67 Zierold (1968), S. 217, Anmerkung 4 68 ebenda, S. 219 ff. 69 ebenda, S. 243 ff. Zum Kompetenzwirrwar bei Versuchen, die chemische Forschung zentral zu koordinieren vgl. Ludwig (1974), S. 216 ff. und Mehrtens (1979), S. 435 f. 70 Heiber (1966), S. 817. Allerdings war auf Einspruch des Finanzministers seine ordentliche Professur wegen der vielen anderen Amter in eine Honorarprofessur umgewandelt worden. 71 Ardenne (1986), S. 176 72 Glum (1964), s. 554 35
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vgl. Pötsch (1989), S. 420 und Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen (1964), S. 352 Zitat nach Günter Windaus (1977) 75 vgl. Wedepohl (1987) S. 71. In der Kommission für Geochemie der Gesellschaft der Wissenschaft zu Göttingen arbeiteten unter dem Vorsitz von Goldschmidt die Professoren Angenheister, Eucken, Franck, Kühn, Pohl, Tammann und Windaus eng zusammen. Vgl. Nachrichten der Gesellschaft für Wissenschaften zu Göttingen, Geschäftliche Mitteilungen 1932/33. Bericht über die Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der Geochemie im Rechnungsjahr 1932/33, S. 38 — 40 76 Der Kurator der Göttinger Universität war noch kurz vor der Machtergreifung in das preussische Ministerium für Wissenschaft, Kultur und Volksbildung als Leiter der Abteilung für das Hochschulwesen berufen worden, von den Nationalsozialisten aber sofort wieder nach Göttingen zurückversetzt worden, worüber nicht wenige der Professoren hocherfreut waren, schätzten sie doch Valentiner als eine Persönlichkeit mit hohem Verhandlungsgeschick, die sich für die Belange der Universitätstests gegenüber dem Ministerium eingesetzt hatte; so auch Windaus. 77 Günter Windaus (1977) 78 J. Stark war Nobelpreisträger für Physik und einer der Vertreter einer „Deutschen Physik", die gegen die Relativitätstheorie opponierten. 79 Günter Windaus (1977) so ibid. 81 ibid. 82 Personalakte Windaus, NSDAP-Gauleitung Südhannover-Braunschweig (Maul), 9.6.1934 83 Nach mündlicher Auskunft von Herrn Dr. U. Popplow (Felix-Klein-Gymnasium, Göttingen), der Mentzel zweimal nach seiner Rolle im Dritten Reich befragte, hielt Mentzel sehr große Stücke auf Windaus, sowohl als Wissenschaftler wie auch als Persönlichkeit. 84 Dies bedeutete, daß fast das gesamte im Reich vorhandene Vermögen der betroffenen Person eingezogen wurde, so daß der Betroffene im Ausland mittellos dastand; vgl. Windaus an Kurator, 23.4.1935, Personalakte Windaus 85 Siehe dazu die Seite 10 und die Anlage des von Windaus am 23.7.1947 abgeschickten Entnazifizierungsfragebogen in seiner Personalakte. 86 Tscheche wurde nach dem zweiten Weltkrieg Ordinarius für Pharmazie in Bonn. 87 Windaus stellte im April 1935 den Antrag, Dr. O. Stange die Assistentenstelle in seinem Institut zu übertragen. Auch dieser Antrag wurde vom NSDDB abgelehnt: vgl. UAG, K, 4 IVi/44, Schreiben der Dozentenschaft an den Rektor vom 24.6.1935 88 UAG, R, 3206; Dozentenschaft an Rektor, 27.6.1934 89 ebenda, Rektor an PM, 2.7.1934 90 Personalakte Windaus, Windaus an Kurator, 23.8.1935 « siehe Zitat 8 in G. Windaus (1977), S. 6 92 Mehrtens (1979) spricht, bezogen auf die Naturwissenschaften und insbesondere auf die Chemie, von einer solchen sich um diese Zeit abzeichnenden Tendenz in der nationalsozialistischen Wissenschaftssteuerung. 93 G. Windaus (1979), S. 9 94 So in einem Schreiben vom 12.10.1935, in welchem Windaus seine Forderungen nochmal schriftlich wiederholt: „Ich bin bereit, in meiner Göttinger Stelle zu verbleiben, wenn das Ministerium dem Vorsitzenden der Chemikerschaft [Herrn Kimpel] ausdrücklich eine solche [agitatorische] Betätigung verbietet, und ich habe mir bereits erlaubt vorzuschlagen, daß eine Personalverschiebung, welche die Reibungsflächen beseitigen würde, vorgenommen wird"; Zitat 9 in G. Windaus (1977) 95 G. Windaus (1979), S. 9; Windaus an REM, 12.10.1935 96 G. Windaus (1979), S. 10; In dem Text von Windaus ist der Name Micheel anonymisiert. Nach seiner Erinnerung und derjenigen von Mentzel muß es sich bei dem Dozenten um Micheel gehandelt haben. Dies wird auch durch den weiteren Gang der Dinge bestätigt. 97 Mentzel nach Popplow (1990) 98 Personalakte Windaus, Windaus an REM, 27.11.1935 (Abschrift) 99 Thiessen war mittlerweile Professor in Münster geworden.
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Siehe das Schreiben von Thiersch vom 27.12.1935; Akten der Göttinger Akademie der Wissenschaften (Abschrift in Personalakte Windaus). Eine Bestätigung für diese Behauptung konnte ich allerdings in den Unterlagen der Akademie der Wissenschaften nicht finden. liJ i Chronik der Georgia Augusta 1931 - 1938, S. 123 f. 102 Heiber (1966) S. 821 weist ausdrücklich darauf hin, daß die Schumann-Mentzel Gruppe an einer effektiven Arbeit der in ihre Zuständigkeit fallenden Institutionen interessiert gewesen sei. Aus diesem Grunde habe sie zur „Deutschen Physik" und „Deutschen Chemie" deutlich Abstand gehalten und gegen die Behinderung der Arbeit „durch die lächerlichen Spielereien nationalsozialistischer Wirrköpfe Stellung bezogen." 100
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G. Windaus (1977) S. 10, Zitat 10 Es sollte jedoch noch ein halbes Jahr dauern, bevor Micheel einen Ruf auf ein Extaordinariat in Münster erhielt. Nach eigenem Bekunden hatte Mentzel größte Schwierigkeiten, Micheel, den er als einen „üblen Patron" bezeichnete, an einer anderen Universität unterzubringen. Die Universität Münster war erst nach Zuführung einer neuen Planstelle bereit, Micheel zu berufen. Nach dem Krieg soll Micheel, den Angaben Mentzels zufolge, sich erneut politisch umorientiert und sich als „konsequenter Antinationalsozialist" ausgegeben haben (Informationen von U. Popplow)
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vgl. H. Heiber (1966), S. 820 f. Die Behauptung von Schumann, Mentzel und Thiessen, man habe gleichsam eine Art „Widerstandsgruppe Forschung" gebildet, „die sämtliche sich zum Schaden der Wissenschaft auswirkenden Maßnahmen von Partei und Staat mit allen möglichen Mitteln zu torpedieren bemüht gewesen sei", ist sicherlich eine reine Schutzbehauptung. Der Wahrheit näher dürfte Mentzel mit der Behauptung gegenüber U. Popplow kommen, er habe seinerzeit das chemische Institut frei von „politischen Unruhen" - sprich vom Terror der nationalsozialistischen Chemikerschaft — gehalten. Hartkopf (1983) Die Ernennung von Windaus erfolgte am 19.5.1936 Windaus schied zwei Monate vor Erreichen der Altersgrenze im Alter von 68 Jahren aus. Er litt nach Angabe von Dimroth (1968) an schwerem Rheuma. UAG, S, LU, A, 1, Nr. 299 e, von Wartenberg an Rektor, 11.4.1933 Göttinger Hochschul-Zeitung, Nr. 1, vom 30.4.1933 UAG, S, ΠΙ, A, 1, Nr. 299 e, Rektor an Bacher, 5.10.1936 vgl. von Wartenberg/Wehner (1936) und von Wartenberg (1937); siehe Pötsch (1989), S. 445 vgl. Hammerstein (1989), S. 379 Personalakte von Wartenberg, Brief vom 5.2.1934. Die „finanziellen Fragen" betreffen die Finanzierung der höheren Bezüge eines planmäßigen gegenüber einem außerplanmäßigen Ordinariat; die Differenz machte ca. 3000, - RM p.a. ebenda, Brief vom 5.3.1934 Gemeint ist Rudolf Vogel, Privatdozent seit 1913 und a.o. Prof. seit 1922, der die 1926 entstandene metallographische Abteilung am Institut für Physikalische Chemie leitete und auf dem Gebiet der Legierungen arbeitete. Vgl. Ebel (1962), S. 149 und 169 und Glemser (1987) S. 65, sowie Mitteilungen des Universitätsbundes 17 Jg. (1936) Heft 2, S. 44
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»5 UAG, R 3206 116 Personalakte von Wartenberg, PM an Kurator, 30.8.1934 117 Der Adlerschild des Deutschen Reiches war in Ermangelung eines Reichsordens als hohe Auszeichnung in der Weimarer Republik geschaffen worden. Er wurde vom Reichspräsidenten verliehen. Die Angaben über die Gesamtzahl der ausgezeichneten Personen schwanken zwischen 53 und 70. Die geringe Zahl der Ausgezeichneten weist auf den hohen Rang dieser Auszeichnung hin. Vgl. Brockhaus Enzyklopädie 17. Aufl. Bd. 1 (1966) 118 vgl. Fußnote 30 119 So berichtete Frau Charlotte Henrici, eine Tochter von Wartenbergs, daß ihr Vater in Göttingen sehr kühl aufgenommen und bald ganz isoliert gewesen sei. '2° UAG, R 3206 121 ebenda 122 Personalakte von Wartenberg 123 UAG, Κ, XVI, V, B, 3, Π bis 1938 („Ersatzvorschläge")
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In einem Gespräch mit Prof. Glemser am 20.04.1989 zur Entwicklung der Göttinger Chemie lobte dieser die experimentellen Arbeiten von Wartenbergs in höchsten Tönen. 125 Personalakte von Wartenberg 126 UAG, Κ, XVI, V, B, 3, ΠΙ ab 1939 („Ersatzvorschläge"), Antrag der Fakultät vom 21.8.1945. Hier irrte der Dekan, denn von Wartenberg hatte nur ein planmäßiges Extraordinariat, aber kein Ordinariat. 127 ebenda, Schreiben des Kurators vom 9.8.1945 128 Personalakte von Wartenberg, Schreiben des Kurators vom 30.8.1945 129 Personalakte von Wartenberg, Schreiben des Oberpräsidenten der Provinz Hannover vom 26 September 1945 130 Das neue Institut hatte zunächst kein eigenes Gebäude, denn das alte Institut, das von Wartenberg einst mit Hilfe der Rockefeller Foundation umgebaut und erweitert hatte, stand ja als Institut für Metallphysik nach wie vor unter der Leitung von Masing. 131 siehe UAG, Κ, XVI, V, b, 3, ΠΙ ab 1939 132 Personalakte von Wartenberg 133 siehe UAG, Κ, XVI, V, b, 3, ΠΙ ab 1939 134 Personalakte von Wartenberg, Kurator an Nds. Kultusminister, 1961 135 Das Technologisch Chemische Institut war zwar formal seit 1924 ein selbständiges Institut, de facto war es aber eine Abteilung des Allgemeinen Chemischen Laboratoriums; nach dem Ausscheiden ihres langjährigen Leiters A. Kötz konnte Windaus an die dringend erforderliche Reorganisation seines Institutes gehen. 136 Die Texte sind nach Auskunft von Günther Windaus im Jahre 1946 geschrieben, also zu der Zeit, als die Nürnberger Prozesse begannen. 137 Immerhin hatten auch einige ausländische Universitäten (insbesondere aus England und auch der Schweiz) die Einladung ebenfalls abgelehnt, teils auch mit explizit politischen Begründungen. Diese wurden natürlich in Göttingen nicht publik gemacht. Siehe zu diesen Umständen des Universitätsjubiläums Näheres in Ratzke (1988) 138 Personalakte Windaus. Der Brief schließt mit dem etwas optimistischeren Ausblick: „Möchte das Jahr 1947 uns eine kleine Hoffnung geben, daß sich die ethischen Auffassungen, in denen wir aufgewachsen sind, durchzusetzen beginnen."
Quellen- und
Literaturverzeichnis
Ungedruckte Quellen A k t e n des Universitätsarchivs Göttingen ( U A G ) a) Kuratorialakten (K) Personalakte von Wartenberg, XVI, IV, A , a, 145 Personalakte Windaus, XVI, IV, A, a, 84 Personalakte Zsigmondy, XVI, IV, A, a, 21 Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät, Einrichtung neuer Professoren und Ersatzvorschläge für Professuren, XVI, V, B, 3, II bis 1938 XVI, V, b, 3, ΠΙ ab 1939 Institut für (anorganische Chemie) allgemeine Metallkunde, XVI, V, C, o b) Rektoratsakten (R) 3206; Professoren der Math.- Nat. Fakultät c) Chronik der Georgia Augusta 1931 - 1 9 3 8 (Typoskript im U A G )
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Von der Nahrungssicherung zu Kolonialträumen: Die landwirtschaftlichen Institute im Dritten Reich* HEINRICH BECKER
Die Entwicklung der landwirtschaftlichen Institute im Dritten Reich weicht in vielerlei Hinsicht von derjenigen anderer Göttinger Institute ab. Die Agrarwissenschaftler unterstützten als eine fast geschlossene Gruppe aktiv die Machtübernahme der Nationalsozialisten an der Universität. Die besondere Ausprägung ihres Engagements war teilweise Folge innerfakultativer Konflikte vor 1933. Mit der ideologischen Aufwertung der Landwirtschaft durch die Nationalsozialisten setzte ein Ausbau der landwirtschaftlichen Lehreinrichtungen ein. Die im Zuge des Ausbaus neu nach Göttingen berufenen Agrarwissenschaftler nahmen in der nationalsozialistischen Universität zentrale Kontroll- und Führungsfunktionen wahr, an denen auch die frühere Einheitlichkeit innerhalb der Gruppe der Landwirte zerbrach. Die „erfolgreiche" Tätigkeit in politischen Funktionen benutzten die beteiligten Agrarwissenschaftler, um örtliche Vorhaben auch gegen den Widerstand des dafür zuständigen Reichsministeriums durchzusetzen, wie am Beispiel des Instituts für Koloniale Landwirtschaft gezeigt werden wird. Die Sonderrolle der Agrarwissenschaftler an der Universität beendeten erst Einberufungen zum Kriegsdienst und Diadochenkämpfe zwischen nationalsozialistischen Gruppierungen. Die folgende Darstellung soll die politische Entwicklung an den landwirtschaftlichen Instituten im Dritten Reich exemplarisch aufzeigen. Das Hauptaugenmerk wird dabei auf die über eine passive Anpassung an von „oben" vorgegebene Strukturen und Machtverhältnisse hinausgehenden politischen Aktivitäten gelegt. Die Darstellung gliedert sich in drei Abschnitte. Im ersten Teil werden, ausgehend von der Entwicklung der landwirtschaftlichen Einrichtungen in der Weimarer Republik, das Verhalten der Agrarwissenschaftler im Zuge der „Machtergreifung" der Nationalsozialisten an der Universität und die daran anknüpfenden Veränderungen dargestellt. In einem kürzeren Mittelteil wird die unter maßgeblichem Einfluß eines ehemaligen Göttinger Agrarwissenschaftlers vorgenommene nationalsozialistische Umwandlung der Studienbedingungen und der Wissenschaftsorganisation skizziert. Der anschließende dritte Teil schildert, vom Ausbau der landwirtschaftlichen Einrichtungen ab 1934 ausgehend, vor allem die politische Betätigung von Agrarwissenschaftlern bis zum Ende des Krieges.
Die aktive Unterstützung der „Machtergreifung" an der Universität Die Entwicklung in den zwanziger Jahren Die für Landwirtschaftsstudium und -Wissenschaft entscheidenden Umgestaltungen erfolgten, wie in einigen anderen Fächern auch, in den ersten Jahren nach dem 1. Weltkrieg. 1922 leitete Preußen durch die Einführung eines auf der allgemeinen Hochschulreife aufbauen* Der Artikel ist eine Kurzfassung einer vorerst nur als Manuskript vorliegenden umfassenden Untersuchung über die Landwirtschaftsinstitute an der Universität Göttingen im Dritten Reich.
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den 6-semestrigen Diplomstudiums als Regelstudiengang die Akademisierung landwirtschaftlicher Hochschulausbildung ein 1 . Parallel zu der Veränderung des Landwirtschaftsstudiums und zu einem dramatischen Anstieg der Studentenzahlen - während vor dem 1. Weltkrieg in Göttingen etwa 50 Studenten Landwirtschaft studiert hatten, schnellte die Zahl der Agrarstudenten nach Kriegsende explosionsartig auf einen Höchststand von 591 im Wintersemester 1922/23 hoch 2 wurden die landwirtschaftlichen Lehreinrichtungen an der Universität Göttingen institutionell neu gestaltet und erweitert. Das seit 1872 an der Universität bestehende Landwirtschaftliche Institut wurde zu vier selbständigen Instituten ausgebaut und mit zwei weiteren Instituten und einer von der Landwirtschaftskammer der Provinz Hannover überstellten ehemaligen Versuchsstation unter einer gemeinsamen inneren Verwaltung in die 1922 neu geschaffene Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät integriert. Nach Abschluß dieses Ausbaus 1924 bestanden die landwirtschaftlichen Lehreinrichtungen aus folgenden Instituten: Institut für Tierzucht und Molkereiwesen (bisher Milchwirtschaftlich-bakteriologisches Laboratorium), Institut für Pflanzenbau (bisher Versuchsfeld und landwirtschaftlich-physiologisches Labor), Institut für landwirtschaftliche Betriebslehre (bisher Abteilung für landwirtschaftliche Betriebslehre), Agriculturchemisches und bodenkundliches Institut (bisher Agriculturchemisches Laboratorium), Institut für Tierernährungslehre (neu, bisher von der Landwirtschaftskammer als landwirtschaftliche Versuchsstation betrieben), Tierärztliches Institut, Institut für landwirtschaftliche Bakteriologie (bisher landwirtschaftlich-bakteriologisches Institut) 3 . Zu den Lehreinrichtungen gehörten weiterhin Lehraufträge, von denen der für Landtechnik und der für Forstwirtschaft, aus dem sich ein forstwirtschaftlicher Lehrapparat mit eigenen Räumen an der Universität entwickelte 4 , in der späteren Entwicklung besondere Bedeutung erlangten. In der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, die als größte Fakultät der Universität 1930 inklusive des Forstwirtschaftlichen Lehrapparates 31 Institute und Seminare umfaßte 5 , waren die Agrarwissenschaftler in Fragen der Immatrikulation, des Studien- und Prüfungswesens und in der Verleihung des Doktorgrades selbständig. 6 Darüberhinaus grenzte die bis zur Herauslösung der Landwirtschaft aus der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät 1952 bestehende, etwas eigentümliche Konstruktion einer gemeinsamen inneren Verwaltung die Agrarwissenschaftler zusätzlich von den übrigen Fakultätskollegen ab und bot ihnen eine einzigartige Möglichkeit, einheitlich Einfluß auf die Geschicke der ihnen weitgehend fremd gebliebenen Fakultät zu nehmen. An die Spitze der gemeinsamen Verwaltung wurde für jeweils 2 Jahre aus dem Kreis der landwirtschaftlichen Ordinarien ein geschäftsführender Direktor gewählt 7 . Anfang der 20er Jahre waren für die in Göttingen etablierten Fachgebiete der Landwirtschaft folgende ordentliche Professoren berufen worden: Jonas Schmidt, Tierzucht Otto Tornau, Pflanzenbau 631
Wilhelm Seedorf, Betriebswirtschaft Edwin Blanck, Agrikulturchemie Franz Lehmann, Tierernährungslehre Siegmund Schermer, Tiermedizin August Rippel, Mikrobiologie. 1945 waren von diesen Institutsdirektoren noch die Professoren Tornau, Seedorf, Blanck, Schermer und Rippel im Amt. Auch der Leiter des Forstwirtschaftlichen Apparates, Oberförster Nachtigall, nahm den Lehrauftrag, mit dem er erstmals 1921 betraut wurde, noch 1945 wahr8. Die politische Einstellung der Agrarwissenschaftler führte in der Fakultät relativ schnell zu Konflikten. Der Kurator der Universität, Geheimrat Valentiner, bescheinigte ihnen auch in Abgrenzung zu anderen Hochschullehrern, daß sie „von Anfang an politisch rechts gestanden hätten" 9 und einen „unzweideutigen nationalen Standpunkt vertraten" 10 . Aus dieser Uberzeugung heraus widersetzten sich die Agrarwissenschaftler Berufungen von Juden auf naturwissenschaftliche Lehrstühle in der Fakultät11. Gegenüber den rein naturwissenschaftlichen Fachgebieten, die teilweise von jüdischen Professoren vertreten wurden, fühlten sich die Landwirte in der Fakultät zurückgesetzt12. Während erstere, und hier vor allem die Vertreter der Mathematik, Physik und Chemie, große internationale Erfolge errangen und ihre Institute teilweise mit Hilfe ausländischer Gelder weiter ausbauten, mußten die Landwirte einen deutlichen Rückschlag hinnehmen. Mit der Emeritierung des Professors für Tierernährung, Franz Lehmann, im Jahr 1928 wurde dessen Lehrstuhl vom Ministerium eingezogen. Das Institut selber blieb der Universität erhalten13. Auch dieser „Rückschlag" korrespondiert, ähnlich wie der vorausgegangene Ausbau der landwirtschaftlichen Institute, in auffallender Weise mit der Entwicklung der Studentenzahlen und auch mit der Arbeitsmarktentwicklung der Diplomlandwirte. Die Zahl der Agrarstudenten war von ihrem Maximum mit 591 Personen im Wintersemester 1922/23 rasch und deutlich gesunken. Zehn Jahre später, im Wintersemester 1932/33, studierten in Göttingen nur noch 60 Männer und 4 Frauen Landwirtschaft14. Trotz eines allgemeinen Rückgangs der Zahl der Agrarstudenten in Deutschland waren die Berufsaussichten von ausgebildeten Diplomlandwirten Anfang der 30er Jahre ausgesprochen schlecht. 1932 errechnete man, daß der voraussichtliche Bedarf an Diplomlandwirten für die nächsten 8 Jahre allein mit den zu diesem Zeitpunkt bereits arbeitslosen und mindestens durchschnittlich qualifizierten Diplomlandwirten gedeckt werden könne, während in den kommenden Jahren noch das Doppelte des jährlichen Bedarfs ihr Studium beendeten15. Beide Entwicklungen bildeten auch den Hintergrund für den folgenden Konflikt.
Der fakultätsinterne Konflikt am Ende der Weimarer Republik Die bisherigen Auseinandersetzungen in der Fakultät zwischen der weitgehend geschlossenen Gruppe der Agrarwissenschaftler und einem großen Teil ihrer übrigen Kollegen eskalierten 1931 aus Anlaß staatlicher Sparmaßnahmen in der Wirtschaftskrise. Im Dezember 1931 kürzte das preußische Kultusministerium den bisherigen Etat der landwirtschaftlichen Institute in Göttingen von 234 000 RM, von denen 95 800 RM für die Bezüge der Professoren festgelegt waren, für das kommende Haushaltsjahr 1932 um 60 000 RM 16 . Innerhalb 632
von nur 10 Tagen hatte die Innere Verwaltung der landwirtschaftlichen Institute zu melden, in welcher Form sie diese Einsparungen umzusetzen gedachte. Als Folge der Etatkürzung mußten an den landwirtschaftlichen Instituten 3 Assistentenstellen und 7 Stellen des nichtwissenschaftlichen Personals abgebaut und der Sachmittelaufwand erheblich reduziert werden17. Die Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät bedauerte am 14. 1. 1932 in einem einstimmig gefaßten Beschluß die Kürzungen an den „in enger Verbindung und Wechselbeziehung mit den Arbeiten rein naturwissenschaftlicher Institute" stehenden landwirtschaftlichen Einrichtungen 18 . Dieses Bedauern durch die Fakultät reichte den Agrarwissenschaftlern keineswegs aus. Ein von den Agrarwissenschaftlern erstellter Entwurf eines Protestes gegen die sie betreffenden Kürzungen argumentierte auf einer ganz anderen Ebene. Sie knüpften darin an die vor allem von konservativen Kreisen vertretenen Konzepte zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Krise Deutschlands an. Nach diesen Konzepten zeige nur die Abkehr vom wirtschaftlichen Liberalismus und dem inzwischen zusammengebrochenen Weltmarkt und eine Umorientierung der gesamten Wirtschaft auf den nationalen Binnenmarkt mit der Landwirtschaft im Zentrum einen Ausweg aus den großen wirtschaftlichen Problemen. Wegen der überragenden Bedeutung der Landwirtschaft als „maßgebendem" Faktor des Binnenmarktes habe man, so die Göttinger Agrarwissenschaftler, auch der Landwirtschaftswissenschaft erhöhte Aufmerksamkeit angedeihen zu lassen, da sich ohne wissenschaftliche Grundlagen die erhoffte Gesundung der deutschen Landwirtschaft und damit des gesamten „Wirtschaftskörpers" niemals in der notwendig kurzen Zeit erreichen lasse19. Eine ähnliche Herleitung der gesellschaftlichen Bedeutung der Agrarwissenschaft prägte auch die Proteste der Landwirtschaftskammer der Provinz Hannover 20 , die Berichterstattung der Zeitung „Göttinger Tageblatt" 21 , die den Nationalsozialisten nahestand, und die Ablehnung der Kürzungen durch die studentische „Göttinger Hochschulzeitung" 22 . Diese Proteste gingen einen für das Klima an der Universität entscheidenden Schritt über die vorausgegangene Argumentation der Agrarwissenschaftler hinaus, indem sie die Kürzungen an den landwirtschaftlichen Instituten um fast 50 % der disponiblen Mittel den erzwungenen Einsparungen an der Universität insgesamt von 2,5 % des bisherigen Etats gegenüberstellten und eine Umverteilung der Kürzungen an den landwirtschaftlichen Instituten zu Lasten anderer Bereiche der Universität forderten. Die besondere Betroffenheit der landwirtschaftlichen Institute durch die Sparverfügung des Kultusministeriums war auch eine Folge der in Preußen institutionell geteilten Zuständigkeit für die landwirtschaftliche Hochschulausbildung. Das Kultusministerium konnte, da die beiden landwirtschaftlichen Hochschulen, Berlin und Bonn-Poppelsdorf, vom Landwirtschaftsministerium unterhalten wurden, den Landwirtschaftseinrichtungen an den Universitäten größere Einsparungen zumuten, ohne die Ausbildungsmöglichkeiten insgesamt über Gebühr zu gefährden. Nicht nur die geringere Betroffenheit der übrigen Institute der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät durch die Sparverfügung der Regierung, sondern auch die Art, wie die Einsparungen der Finanzmittel in der übrigen Fakultät vorgenommen wurden, gaben dem fakultätsinternen Konflikt eine besondere Note. Die gleiche Sparverordnung, die die Landwirte so deutlich betroffen hatte, zwang die übrigen Institute der gemeinsamen Fakultät zur Einsparung von 5 % ihres bisherigen Etats, einschließlich eines Abbaus von 4 außerplanmäßigen Assistentenstellen23. Um sich andeutende Auseinandersetzungen zwischen den einzelnen Instituten über die Frage, welche Stellen entbehrlich seien, zu vermei633
den, arbeitete auf Initiative des Dekans Max Born eine Professorengruppe, der neben dem Dekan die Professoren Franck, Pohl, Courant, Windaus und Kühn angehörten, einen Vorschlag zur Beibehaltung der bedrohten Stellen aus24. Der Vorschlag sah neben allgemeinen Sachmittelkürzungen vor, daß die formal entlassenen 4 Stelleninhaber aus Mitteln der Fakultät weiter entlohnt werden sollten. Die Fakultätsmittel, und hierin lag das sensationell Neue, sollten durch eine freiwillige Umlage auf die Dienstbezüge der ordentlichen Professoren von 1 % und durch die Einbehaltung von Kolleggeldern bereitgestellt werden 25 . Mit der Abgabe der nicht unwesentlichen Kolleggelder überstieg der Einkommensabzug der Professoren die 1 %-Marke deutlich. In einer stürmischen Fakultätssitzung am 20. 1. 1932 erkämpfte die Professorengruppe die Zustimmung für den auch in den Augen eines seiner Betreiber „völlig regelwidrigen und gegen jede Tradition verstoßenden" Antrag 2 '. Letztlich haben dem Antrag, der im letzten Teil, der 1 %-Gehaltsabtretung, nur eine private Ubereinkunft der Unterzeichner war, alle nichtlandwirtschaftlichen Ordinarien an der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät durch ihre Unterschrift zugestimmt. Die Annahme dieses Antrages wurde in der Fakultät nur dadurch erreicht, daß — entgegen der ursprünglichen Absicht - die von der Fakultät gesammelten Gelder anteilsmäßig allen Professoren, unabhängig davon, ob sie diesen Antrag unterstützt hatten oder nicht, zur Verfügung gestellt werden sollten 27 . Dieses Verfahren hatte zur Folge, daß nach der Entlassung der 4 betroffenen Assistenten zum 30. 6. 1932 und dem Inkrafttreten der Fakultätsvereinbarung auch Agrarwissenschaftler, die den Beschluß nicht mit- und nichts zur Sammlung der Fakultätsmittel beigetragen hatten, regelmäßig ihren Anteil an den durch eine Umlage auf die Gehälter ihrer Kollegen gesammelten Fakultätsmittel überwiesen bekamen 28 . Der ungewöhnliche Fakultätsbeschluß wurde Mitte 1933 aufgehoben, als infolge der nationalsozialistischen „Säuberungen" in der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät genügend vakante Stellen vorhanden waren, an denen die ursprünglichen Sparmaßnahmen ohne Probleme durchgeführt werden konnten 29 . Die Fakultätsvereinbarung vom 2 0 . 1 . 1 9 3 2 beendete die Auseinandersetzungen innerhalb der Fakultät keineswegs. Die Landwirte setzten die Proteste gegen die Kürzungen ihrer Mittel in einer Art fort, die das Ministerium zum Eingreifen veranlaßte. Der Kurator wurde angewiesen, auf die Agrarwissenschaftler, von denen namentlich der emeritierte Professor Lehmann in den Augen des Ministeriums eine unwillkommene Rolle spielte, mit einem „quos ego" einzuwirken: „Die Herren scheinen nicht zu begreifen, daß die ihnen zugemuteten Maßnahmen einzig und allein imstande waren, die Landwirtschaft als Institution zu retten" 3 0 . Trotz dieser Ruhigstellung und auch nach der Wahl eines Landwirtes, des Tiermediziners Prof. Schermer, zum Rektor der Universität am 16. 7. 1932", blieb die Situation in der Fakultät von Mißtrauen und Verbitterung gekennzeichnet. Kurze Zeit später, unter anderen politischen Verhältnissen, sollte das Gefühl der Landwirte, „ungerechtfertigt" zurückgesetzt worden zu sein, dramatische Folgen haben.
1933: Die nationalsozialistische „Machtübernahme" an der Universität Im Frühjahr und Sommer 1933 schlug sich die politische Einstellung der Agrarwissenschaftler und ihre Verbitterung über die Entwicklung des eigenen Fachgebietes in den letzten Jah634
ren in einer aktiven Beteiligung an der nationalsozialistischen Umgestaltung der Universität 1933 nieder. Das besondere und über eine passive Anpassung an neue politische Gegebenheiten weit hinausgehende Engagement von Agrarwissenschaftlern wird exemplarisch durch ihre Reaktion auf die erste offensichtliche Veränderung der Situation an der Universität Göttingen dokumentiert, auf den Rücktritt ihres Fakultätskollegen, des jüdischen Professors James Franck. James Franck, Nobelpreisträger für Physik, trat am 17. 4. 1933 von seiner Göttinger Professur zurück. Anlaß für diesen Schritt, zu dem sich Franck bereits nach dem ersten Judenboykott in Göttingen am 28. 3. 1933 entschlossen hatte32, war der Beginn der Durchführung des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums". Nach § 3 dieses Gesetzes waren alle Beamten „nicht arischer Abstammung" in den Ruhestand zu versetzen. Als ehemaliger Frontsoldat des 1. Weltkrieges fiel Franck jedoch unter eine Ausnahmeregelung und wäre daher von der Anwendung des Gesetzes nicht betroffen worden. In seinem mit dem Antisemitismus der neuen Machthaber begründeten Rücktritt verzichtete Franck auf diese Vergünstigung und ersuchte den Minister um seine Entpflichtung33. Prof. Franck wurde für diesen Schritt von seinen Göttinger Kollegen weder Verständnis noch öffentliche Anerkennung entgegengebracht. Ganz im Gegenteil: 7 Tage nach der auch in der Göttinger Presse erschienenen Rücktrittserklärung34 veröffentlichte die Zeitung „Göttinger Tageblatt" eine von 42 Professoren und Dozenten unterzeichnete Erklärung gegen die Begründung des Rücktritts des bekannten und renommierten Professors. Die Unterzeichner dieser Erklärung sahen insbesondere in dem Satz der Rücktrittsbegründung von Franck: „Wir Deutsche jüdischer Abstammung werden als Fremde und Feinde des Vaterlandes behandelt" eine „erhebliche Erschwerung der innen- und außenpolitischen Arbeit" ihrer Regierung. Weiter heißt es: „Wir sind uns einig darin, daß die Form der obigen Rücktrittserklärung einem Sabotageakt gleichkommt und hoffen, daß die Regierung die notwendigen Reinigungsmaßnahmen daher beschleunigt durchführen wird" 35 . 12 der 42 Unterzeichner dieser Aufforderung zur Entlassung jüdischer Kollegen kamen aus dem landwirtschaftlichen Lehrgebiet. Im einzelnen unterzeichneten die ordentlichen Professoren E. Blanck, J. Schmidt, O. Tornau und A. Rippel, ihr emeritierter Kollege F. Lehmann, der Leiter des Forstwirtschaftlichen Lehrapparates, der Lehrbeauftragte Oberförster Nachtigall sowie sämtliche zu der Zeit an den landwirtschaftlichen Instituten tätigen außerplanmäßigen nicht-beamteten Professoren und Privatdozenten, P. Hesse, F. Voß 36 , F. Giesecke, E. Lampbrecht, K. Meyer und H. Vogel, die Erklärung. Nur zwei ordentliche Professoren der Landwirtschaft, der amtierende Rektor Schermer und der Betriebswirtschaftler Seedorf, haben diesen Aufruf nicht mitunterzeichnet. Die von Umfang und Bedeutung der Unterschriften deutliche überproportionale Beteiligung der Agrarwissenschaftler an der Erklärung gegen die Art des Rücktritts ihres Fakultätskollegen deutet auf die vor 1933 entstandenen Konflikte an der Fakultät hin: Außer den Landwirten haben nur 5 weitere Privatdozenten, aber kein einziger nicht-landwirtschaftlicher Professor, aus der gemeinsamen Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät die „beschämende Stellungnahme"37 unterzeichnet. Zwei Tage nach dem öffentlichen Aufruf zu „Reinigungsmaßnahmen" an der Universität Göttingen durch die 42 Professoren und Dozenten wurden vom Wissenschaftsministerium per Telegramm, so als ob Gefahr im Verzuge sei, die ersten 6 Mitglieder des Göttinger Lehrkörpers, die Professoren Honig, Courant, Born, Noether, Bernstein und Bondy, von ihren Aufgaben entbunden und beurlaubt38. Diese de facto-Entlassungen, die den Beginn umfangreicher „Säuberungen" kennzeichneten, waren Teil eines größeren, umfassenderen 635
Programms, zu dem zwar die 42er-Erklärung nicht ursächlich beigetragen hat, zu der sie aber eine durchaus willkommene zusätzliche Legitimation lieferte. Die Beteiligung der Agrarwissenschaftler an der „42er-Erklärung" gegen die Form des Rücktritts von James Franck war keineswegs ihre einzige Aktivität zur Veränderung der Universität. Ein besonderes politisches Engagement legten bei der Umgestaltung der Universität die Privatdozenten, allen voran der Assistent am Institut für Pflanzenbau, Konrad Meyer, an den Tag. Konrad Meyer, seit 1931 Mitglied der NSDAP 39 , wurde durch die Festrede zur Eröffnung des Sommersemesters am 3. 5. 193340 und durch eine Rede zur „Kundgebung" der Universität am 19. 5. 1933, durch die der erste „Spatenstich" zum Aufbau einer politischen Universität vorgenommen werden sollte41, besonders herausgestellt. In den programmatischen Reden forderte Meyer, daß sich an der Universität, nachdem diese durch die jüngsten Veränderungen wieder ein deutsches Gesicht erhalten habe, auch ein deutlicher Wandel im Inneren vollziehen müsse und ein Geist einkehre, der deutscher Wesensart entspreche. Das Programm war keine leere Drohung. Der Redner, der 1933 in der Universität kein offiziöses Amt bekleidete, hatte den Einfluß und die Macht, die vorerst noch örtliche Umsetzung dieses Programms voranzutreiben. Meyers Einfluß zeigt sich auch daran, daß der Kurator der Universität den Privatdozenten für Pflanzenbau zur Frage einer Weiterbeschäftigung des außerordentlichen Professors für Mathematik O. Neugebauer an der Universität Göttingen 42 und zur Beurteilung des Dozenten der Psychologie H. Düker (S. 510 u. 531) konsultierte. Mit seiner direkten Einflußnahme auf die Umgestaltung der Universität stand Meyer unter den landwirtschaftlichen Dozenten keineswegs alleine. Der Privatdozent für Tierzucht, Hermann Vogel, der sich als Mitglied des Freikorps Epp an der Niederschlagung der Münchener Räterepublik beteiligt hatte und seit dem 1. 5. 1932 der NSDAP angehörte41, nahm 1933 als erster Führer der NS-Dozentenschaft politische Kontrollfunktionen wahr, die ebenfalls substantiell in den universitären Alltag eingriffen. Wie solche Eingriffe im Alltag der Universität ihren Niederschlag fanden und wie sich gleichzeitig das politische Engagement auch im kleinen zum Vorteil des Handelnden auswirkte, läßt sich an der Person und den Aktivitäten Vogels gleichsam exemplarisch aufzeigen. An Vogel, der „politisch zu den entscheidendsten Kräften" der Universität gehörte44, hatte man, um ihn finanziell abzusichern und ihm gleichzeitig genügend Zeit für die politische Arbeit zu belassen, einen besoldeten Lehrauftrag vergeben45. Als Dozentenbundsführer lehnte Vogel einen beantragten Lehrauftrag für den Chemiker Micheel, mit dem die Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät dessen wissenschaftlichen Erfolg honorieren wollte46, ab. Micheel zählte für Vogel zu den „politisch indifferenten Kräften", die man nicht in den Vordergrund stellen wolle47. Aufgrund dieses Gutachtens unterblieb die Erteilung des Lehrauftrages an Micheel48. Die eher traditionellen politischen Aktivitäten der landwirtschaftlichen Ordinarien für das „neue Leben", wie etwa der Eintritt in die NSDAP, qualifizierten trotz aller Anstrengungen einzelner Akteure nicht für jede hochschulpolitische Aufgabe, wie sich anläßlich der angeordneten Neuwahl des Rektors der Universität am 26. 4. 1933 zeigte. Prof. Schermer, seit dem Wintersemester 1932/33 Rektor, verzichtete trotz eines dem Wahltermin unmittelbar vorausgegangenen Eintritts in die NSDAP 4 9 auf eine erneute Kandidatur. Anlaß für diesen Verzicht war wahrscheinlich der Einspruch jüngerer nationalsozialistischer Dozenten50, denen Schermer nicht radikal genug erschien. Auf Schermers Vorschlag hin wurde der Germanist Prof. Neumann, der zu diesem Zeitpunkt noch nicht Mitglied der NSDAP war51, zum Rektor und er, Schermer, in einem in der Neuwahlverfügung nicht 636
vorgesehenen besonderen Wahlgang zum Prorektor gewählt 52 . Die Enttäuschung über die gescheiterten Wiederwahlbemühungen hinderte Schermer, den die Gauleitung der N S D A P auch später als vollkommen zuverlässig charakterisierte 53 , nicht daran, weitere Amter im Postenwirrwarr der Nationalsozialisten zu übernehmen 54 . Nach 1945 wurde aus dem Einspruch der nationalsozialistischen Aktivisten gegen seine Wiederwahl als Rektor eine für seine Entnazifizierung sehr förderliche „Amtsenthebung" aus politischen Gründen 55 . Die Entwicklung an den landwirtschaftlichen Einrichtungen anderer Universitäten und Hochschulen nach der Machtergreifung verlief keineswegs in gleicher oder ähnlicher Weise wie in Göttingen. Den Göttinger Agrarwissenschaftlern war bereits zur Zeit ihres Eintretens für den Nationalsozialismus bekannt, daß eben jener Staat eine ganze Fachrichtung innerhalb ihres eigenen Wissenschaftsbereiches, die landwirtschaftliche Marktlehre, auflöste und auch Agrarwissenschaftler aus rassistischen oder politischen Gründen aus ihren Amtern entfernte.
Der Lohn des politischen Engagements Die nationalsozialistischen Aktivitäten der Agrarwissenschaftler zeigten für sie in zweifacher Weise positive Auswirkungen. Einmal lieferten sie eine zusätzliche Begründung für den Erhalt der landwirtschaftlichen Studienmöglichkeiten an der Universität Göttingen und zweitens wurden sie zu einem wichtigen Moment des beruflichen Fortkommens. Der Erhalt der landwirtschaftlichen Lehreinrichtungen in Göttingen erschien im Frühjahr und Sommer 1933, trotz der „Machtübernahme" der Nationalsozialisten, gefährdeter denn je, nachdem sich nun auch eine Organisation der Landwirtschaft, die Preußische Hauptlandwirtschaftskammer, für eine Reduzierung der landwirtschaftlichen Hochschulausbildungsstätten in Preußen von 7 auf 4 ausgesprochen hatte 56 . Für einen Erhalt der landwirtschaftlichen Lehreinrichtungen in Göttingen traten in Eingaben an das Ministerium die regionalen Führer der nun nationalsozialistischen Landwirtschaftsorganisation, des „Reichsnährstandes" 57 und der Rektor der Universität, Neumann, ein. Für den Rektor ergab sich die Notwendigkeit des Erhalts der landwirtschaftlichen Lehreinrichtungen zum einen aus ihrer gestiegenen funktionalen Bedeutung für die Universität als Ganzes. Für die angestrebte „bodenständige" Ausrichtung der Universität auf den sie umgebenden „Raum", wie sie beispielhaft in der Gründung des „Hochschulkreises Niedersachsen" zum Ausdruck komme, in der die Universität mehr und mehr die Verantwortung für die sie umgebende Landschaft übernehmen werde, sollten die landwirtschaftlichen Institute es der Universität ermöglichen, „in lebendige Verbindung zu dem eigentümlichen bäuerlichen Leben zu treten" 5 8 . Zum anderen war das politische Verhalten der Dozenten und Studenten der Landwirtschaft für den Rektor ein wichtiger Grund, die landwirtschaftlichen Einrichtungen zu erhalten. Beide Gruppen seien „ganz besonders wichtig für die Neuordnung der Universität gewesen, weil sie sich für dieses Leben mit ihrer ganzen Kraft eingesetzt haben" 5 9 . Das durch ihr Eintreten für die Neugestaltung der Universität gestiegene Ansehen der Agrarwissenschaftler nahm der Rektor im November 1933, wenn auch vergebens, zum Anlaß, dem Ministerium die Aufteilung der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät in eine mathematisch-naturwissenschaftliche und eine landwirtschaftliche Abteilung vorzuschlagen 60 . Auf die Eingaben hin beeilte sich das Ministerium mitzuteilen, daß es nicht die Absicht habe, die landwirtschaftlichen Institute in Göttingen aufzulösen 61 . Einen Monat später, im
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November 1933, erhöhte das Ministerium unter ausdrücklichem Bezug auf die Kürzungen im Jahr 1932 die Etatmittel der Göttinger landwirtschaftlichen Institute für das Jahr 1934 um 34 000 RM, „um die wissenschaftlichen Institute in die Lage zu setzen, an der durch die nationalsozialistische Regierung besonders erstrebten Förderung der Landwirtschaft mit Erfolg mitzuarbeiten" 62 . Diese erstrebte Förderung der Landwirtschaft hinderte das Wissenschaftsministerium aber nicht, gleichzeitig die Einstellung der landwirtschaftlichen Studienmöglichkeiten an der Universität Kiel zu verfügen 63 . Das den Agrarwissenschaftlern bei fast jeder Gelegenheit bescheinigte aktive Eintreten für den nationalsozialistischen Staat trug auch wesentlich zu ihrem beruflichen Fortkommen bei, ein Zusammenhang, der am augenfälligsten an der Karriereentwicklung des wissenschaftlichen Nachwuchses abzulesen ist. Die landwirtschaftlichen Nachwuchswissenschaftler, die sich ohne Ausnahme nationalsozialistisch betätigt hatten, erreichten mit einer Ausnahme bis zum Jahr 1936 Berufungen auf entsprechende Lehrstühle 64 . Diese Karrieresprünge sind um so überraschender, als angesichts der Knappheit entsprechender Stellen zu Beginn der 30er Jahre die Berufsaussichten des wissenschaftlichen Nachwuchses in dem Fach Landwirtschaft als ausgesprochen düster galten65. Zwei dieser Karrieren verdienen besondere Aufmerksamkeit, die von Paul Hesse und vor allem die von Konrad Meyer. Paul Hesse, außerplanmäßiger, nicht-beamteter Professor für landwirtschaftliche Betriebslehre, profitierte, wenn auch ohne eigenes Zutun, direkt von einer durch die nationalsozialistische Machtübernahme ausgelösten Entpflichtung eines Landwirtschaftsprofessors an einer anderen Hochschule. Für eine Karriere hatte sich Hesse in Göttingen durch seine Mitarbeit in dem Sammelbecken aktiver Nationalsozialisten, dem „Hochschulkreis Niedersachsen", zusätzlich qualifiziert und war im Dozentenlager Rittmarshausen positiv aufgefallen66. Zudem hatte Hesse 1934 den ersten Versuch unternommen, „die landwirtschaftliche Betriebslehre auf die Ziele nationalsozialistischer Wirtschaftspolitik auszurichten" 67 . Ob dieser Verdienste vom Göttinger Rektor wärmstens empfohlen, wurde Hesse 1936 als Professor für Agrarpolitik an die Landwirtschaftliche Hochschule Hohenheim berufen 68 . Dort wurde er Nachfolger von Prof. Jenny, der aus politischen Gründen freiwillig auf seinen Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre verzichtet hatte69. Eine auch im Nationalsozialismus besondere Karriere stellte der von Göttingen ausgehende Werdegang des Privatdozenten für Pflanzenbau, Konrad Meyer, dar. Bereits im Oktober 1933 wurde Meyer von seinen Göttinger Verpflichtungen für die Aufgaben eines Referenten im Preußischen Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung beurlaubt70. Am 1. 4. 1934 folgte die Ernennung Meyers zum Ordinarius für Acker- und Pflanzenbau an der Thüringischen Landesuniversität Jena71 und am 13. 12. 1934 die Berufung als Professor für Pflanzenbau an die Friedrich-Wilhelms-Universität nach Berlin72. Unter Beibehaltung seiner Tätigkeit als Referent im Wissenschaftsministerium wurde Meyer 1935 an der Berliner Universität Direktor eines neugeschaffenen Instituts für Ackerbau und Landbaupolitik und hielt Vorlesungen über Agrarpolitik 73 . Der der politischen Entwicklung in Göttingen auch weiter eng verbundene Meyer hatte federführenden Einfluß auf die Ausgestaltung der Rahmenbedingungen der gesamten Agrarwissenschaften im Dritten Reich.
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Nationalsozialistische Rahmenbedingungen für Landwirtschaftsstudium und Agrarwissenschaft Die nationalsozialistische Studienordnung Den ersten von zwei „Meilensteinen" zur nationalsozialistischen Neuordnung der Agrarwissenschaft stellten die neuen „Richtlinien für das Studium der Landwirtschaft" von 1935 dar. Verantwortlich für die Ausarbeitung dieses „nachgeholten 30. Januars der Wissenschaft" 7 4 war im Reichs- und Preußischen Wissenschaftsministerium, das seit 1934 gegen den Widerstand des Ernährungsministers Darré die alleinige Verantwortung für die gesamte landwirtschaftliche Hochschulausbildung hatte 75 , der ehemalige Göttinger Privatdozent für Pflanzenbau, Konrad Meyer 7 ', der sich für diese Aufgabe mit einem im Frühjahr 1933 in Göttingen erstellten Vorschlag zur Reform des landwirtschaftlichen Studien- und Hochschulwesens „qualifiziert" hatte 77 . Die Leitgedanken dieses Entwurfs fanden denn auch Eingang in die neue Studienordnung. Ziel der neuen Studien- und Prüfungsordnung, die die alte Diplomprüfungsordnung aus dem Jahr 1922 ersetzte, war weit weniger eine Veränderung des Studiums und der Studienbedingungen, als vielmehr eine Veränderung der Landwirtschaftswissenschaft selbst. Diese sollte auf die nationalsozialistische Agrarpolitik, die zentral im „Grundgesetz des deutschen Bauerntums" 7 8 , dem „Reichserbhofgesetz" ihren Niederschlag gefunden hatte, ausgerichtet werden. Dieses Ziel stellte die „Anrede" den neuen Studienrichtlinien voran: „Die deutsche Landwirtschaftswissenschaft muß nationalsozialistisch werden. . . . Der deutschen Landwirtschaft hat der nationalsozialistische Gedanke von Blut und Boden grundlegend neuen Sinn und Inhalt zu geben. Dieser geistige Umbruch, der sich auf allen Gebieten und Wirkungsbereichen vollzieht, darf auch vor der Landwirtschaftswissenschaft nicht haltmachen" 79 . Dem politischen Auftrag der Agrarwissenschaft entsprach die Politisierung des Studienangebots. In enger Anlehnung an das neugestaltete volkswirtschaftliche Studium 80 bildete eine gemeinsam für Agrar-, Volkswirtschafts- und Jurastudenten konzipierte „weltanschaulich-politische" Grundausbildung mit Vorlesungen wie „Politische Geschichte", „Volk und Staat", „Volk und Rasse" und „Deutsches Recht" die Grundlage des Studiums. Eine „Verdichtung" der naturwissenschaftlichen Ausbildung schaffte bei gleicher Studienlänge den Raum für neue agrarpolitische Prüfungsfächer im Hauptstudium (Landwirtschaftspolitik, Deutsche Ernährungswirtschaft, Deutsche Bauerngeschichte, Bauern und Bodenrecht, Deutsche Volkskunde) 81 . In das Zentrum des landwirtschaftlichen Studiums und damit auch in das der Agrarwissenschaften wurde ein neues Fachgebiet gerückt, die — nationalsozialistische — Agrarpolitik. Dieses neue, bisher an den Universitäten kaum etablierte Fach sollte der Grundbaustein der gesamten Agrarwissenschaft werden und den entscheidenden Stoß im „gewaltigen Umbruch von der liberalen zur sozialistischen Wirtschaftspolitik ( . . . ) führen". 8 2 Ein Vorhaben, das vor allem die Lehrinhalte in den bereits früher etablierten Fachgebieten im wirtschaftswissenschaftlichen Teil des Agrarstudiums und hier besonders die landwirtschaftliche Betriebslehre betraf. An den Veränderungen in diesem Teil sollte „eindeutig der neue Geist" zu erkennen sein 83 . Die landwirtschaftliche Betriebslehre, die aufgrund ihrer individualistisch liberalen Anschauungen für den Nationalsozialismus unbrauchbar sei, habe sich zu einer „bäuerlichen Nutzenlehre" zu wandeln und auf das — frühe - Leitbild der nationalsozialistischen Agrarpolitik, den „Erbhof" auszurichten 84 , einen Hof, der als 639
immerwährendes Familiengut den wirtschaftlichen Prozessen weitgehend entzogen werden sollte. Der Vorlesungsplan war für alle landwirtschaftlichen Hochschulen und Universitäten verbindlich vorgeschrieben, der Besuch den Studenten jedoch freigestellt. Diese Freiwilligkeit für Studenten wurde dadurch unterstrichen, daß die „weltanschaulich-politischen Grundlagen" nicht Gegenstand einer Prüfung waren 85 . Die Studienordnung regelte auch den Zugang zum Studium neu. Ihrem Ziel, der Ausrichtung von Studium und Wissenschaft auf die nationalsozialistische Agrarpolitik, entsprechend, wurden nur solche Personen zum Landwirtschaftsstudium zugelassen, die nach den Bestimmungen des „Reichserbhofgesetzes" „bauernfähig" waren. Mit dieser Regelung wurden generell alle „Nicht-Arier" vom Studium ausgeschlossen 86 . In anderen Studiengängen konnten zur gleichen Zeit „jüdische" Studenten auf Antrag und unter Schwierigkeiten noch bis zur Höhe des „jüdischen Anteils" an der Gesamtbevölkerung zum Studium zugelassen werden. Die „Richtlinien für das Studium der Landwirtschaft", die am 30. 6. 1935 vom Reichswissenschaftsminister Rust im Beisein des Diplomlandwirts und Führers der SS Heinrich Himmler verkündet wurden 87 , waren nach Meinung ihrer Gestalter erst ein Anfang 88 . Der programmatischen Gestaltung des Lehrbetriebes müsse eine „Reform des Lehrkörpers nachfolgen", bei der „Kompromißlosigkeit des Vorgehens erste Voraussetzung für den Erfolg" sei 89 .
Der Forschungsdienst Als zweiter „Meilenstein" zur nationalsozialistischen Umgestaltung der Arbeitsinhalte der Agrarwissenschaften ergänzte der „Forschungsdienst (Reichsarbeitsgemeinschaften der Landwirtschaftswissenschaften)" die neue Studienordnung. Im „engsten Freundeskreis" um Konrad Meyer im Frühjahr 1934 „kraft revolutionären Aktes" gegründet 90 , wurde diese Gründung ein Jahr später als Zwangskörperschaft der gesamten Agrarwissenschaft, in einem besonderen Akt nationalsozialistischer Machtbalance zwischen Erziehungsminister Rust und Ernährungsminister Darre staatlich legitimiert 91 . Im „Forschungsdienst" wurden die verschiedenen Fachrichtungen der Landwirtschaftswissenschaft zwangsweise in „Reichsarbeitsgemeinschaften" organisiert, die von Obleuten und ihnen zur Seite stehenden „Vertrauensmännern" für einzelne Fachgebiete geleitet wurden. An der Spitze des gesamten „Forschungsdienstes", ausgestattet mit weitgehenden Eingriffsbefugnissen und Steuerungsmöglichkeiten stand ein Obmann. Sein Name: Konrad Meyer 92 . Als Ziel des „Forschungsdienstes" gab Meyer vor: „Unsere Landwirtschaftswissenschaft muß nationalsozialistisch werden" 9 3 . Ein Ziel, das — ganz im Sinn und in der Wortwahl früherer Göttinger Reden — durch einen „Läuterungsprozeß der Wissenschaft" erreicht werden sollte, indem zunächst diejenigen voranzugehen hätten, „bei denen der Kraftaufwand zu vergessen am geringsten ist, eben weil sie vielleicht nicht,soviel wissen' und daher auch nicht soviel zu vergessen brauchen" 9 4 . Trotz eines später festgestellten zeitweisen Mangels an Mitarbeitern und Forschungskräften mit solchen Qualifikationen 95 , konnte Obmann Meyer im Rechenschaftsbericht 1938 erfreut feststellen, daß die Agrarwissenschaft „mehr und mehr nationalsozialistisch wird" 9 6 . Wie solche „Erfolge" zustande kamen, wird für Göttingen noch zu zeigen sein.
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Neben seiner „erfolgreichen Tätigkeit" als Obmann des „Forschungsdienstes" war Meyer mit ähnlichen Befugnissen auch Obmann der „Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung". Mit diesem zentralen Steuerungsinstrument sollte eine die traditionellen Fachgebiete übergreifende Raumforschung und Landesplanung als originär nationalsozialistische Wissenschaft etabliert und abgesichert werden97. Dem 1937 gegründeten und als zentrales Wissenschaftskoordinierungsinstrument gedachten „Reichsforschungsrat" gehörte Meyer, der kurzzeitig auch Vizepräsident der D F G gewesen war98, als Leiter der Fachgliederung „Landbauwissenschaft und allgemeine Biologie" an. In diesem Gremium von 13 Einzelpersonen, dem auch zwei weitere frühere Göttinger Wissenschaftler und NSDAPMitglieder, R. Mentzel als Präsident der D F G und P.A. Thiessen als Leiter der Fachgruppe Chemie und Organische Werkstoffe, angehörten, verfügte Meyer aufgrund des hinter ihm stehenden Apparates des „Forschungsdienstes" und seiner SS-Zugehörigkeit über große Einflußmöglichkeiten, die sich nicht zuletzt in einer enormen Erhöhung der Finanzmittel für die von Meyer vertretene Fachsparte niederschlugen99. Mit seiner Tätigkeit als nationalsozialistischer Wissenschaftsorganisator war der Tatendrang des ehemaligen Göttinger Privatdozenten keineswegs befriedigt. Unter Beibehaltung seiner Berliner Professur erschloß sich der überzeugte Nationalsozialist Meyer, der seit 1939 auch ordentliches Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften war100 , im Krieg ein neues großes Aufgabengebiet. Im Auftrage des Führers der SS, Heinrich Himmler, erarbeitete das SS-Mitglied Meyer, letzter Dienstgrad „Oberführer der SS", als — nebenberuflicher - Leiter des Planungsamtes des Stabsamtes den „Generalplan Ost" 1 0 1 , in dem die raumplanerische Besiedlung der eroberten Gebiete der UdSSR projektiert wurde. Nach Kriegsende brachte diese letzte Tätigkeit Meyer eine Anklage am Militärgerichtshof in Nürnberg ein, die aber mit einem Freispruch in zentralen Anklagepunkten endete102. 1956 wurde Meyer wieder Professor, nun allerdings für Landesplanung an der Universität Hannover und ein Jahr später auch Mitglied der Akademie für Raumforschung und Landesplanung103. 1970 hielt man Meyer gar für geeignet, den Artikel über die „Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung" in dem „Handbuch für Raumforschung und Raumordnung" zu verfassen104.
Eine Hochburg des Nationalsozialismus Der Ausbau der landwirtschaftlichen Lehreinrichtungen 1934 bis 1936 In Göttingen schienen die Hoffnungen, die die Agrarwissenschaftler in die Nationalsozialisten gesetzt hatten, schnell in Erfüllung zu gehen. Fast übergangslos von den vorausgegangenen Abbaubestrebungen leiteten die nationalsozialistischen Machthaber noch vor der Neuordnung des Landwirtschaftsstudiums einen vornehmlich politisch orientierten Ausbau der Göttinger landwirtschaftlichen Lehreinrichtungen durch die Errichtung eines Lehrstuhls für Agrarpolitik ein. Die Besetzung dieses Lehrstuhls verdient besondere Aufmerksamkeit, da es sich um die einzige Berufung eines Professors an die Universität Göttingen im Dritten Reich handelt, an der kein Organ der Universität beteiligt gewesen ist105, und aufgrund der Tatsache, daß der neu berufene Professor für Agrarpolitik die Geschicke der Universität in den folgenden Jahren deutlich beeinflußt hat. Der erste Anstoß zur Errichtung einer Professur für Agrarpolitik ging bereits im November 1933 vom Rektor der Universität, Neumann, aus, der sich zur Unterstützung der 641
Ausrichtung der Universität auf den sie umgebenden Raum eine speziell auf das „niedersächsische Bauernleben" ausgerichtete Professur wünschte106. Ohne einen Bezug zu diesem Antrag des Rektors und ohne eine Rücksprache mit der Universität beauftragte das Ministerium am 14. 5. 1934 den Bonner Privatdozenten Artur Schürmann mit der Wahrnehmung eines Lehrauftrages für Agrarpolitik an der Universität Göttingen 107 . Schürmann hatte sich in seiner bisherigen Arbeit nur wenig für das Fach Agrarpolitik profiliert, ein Sachverhalt, der aber das Ministerium nicht daran hinderte, ihn am 13. 10. 1934 zum persönlichen Ordinarius für Agrarpolitik und zum Direktor eines noch zu schaffenden Instituts für Agrarwesen und Agrarpolitik zu ernennen 108 . Bereits 1936 wurde die persönliche Professur von Schürmann als Lohn für seine noch zu schildernde erfolgreiche politische Arbeit in ein planmäßiges Ordinariat umgewandelt109. Die neue Studienordnung verpflichtete die landwirtschaftlichen Lehreinrichtungen ab 1935 zum Angebot einer ganzen Reihe primär politischer Lehrveranstaltungen, die in der Regel von Dozenten aus der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät abgehalten wurden 110 . Bei dieser verordneten Politisierung des Studiums der Landwirtschaft ließ es die Universität aber keineswegs bewenden. Auf Antrag des Rektors der Universität erteilte das Ministerium in Berlin dem „Reichskommissar für Landarbeiterfragen" und Lehrer an der Bauernhochschule in Goslar, Helmut Reinke, der seit 1923 der NSDAP angehörte, einen „Lehrauftrag für Deutschen Sozialismus insbesondere Landarbeiterfragen". Dieser Lehrauftrag bestand als Teil des landwirtschaftlichen Lehrangebots bis Ende des Krieges fort 111 . Das Bemühen der landwirtschaftlichen Institute um nicht-politische Lehraufträge, wie um einen nach der neuen Prüfungsordnung notwendigen Lehrauftrag für Pflanzenschutz, blieb dagegen aus Geldmangel vorerst erfolglos112. Die Wiedereinrichtung eines Lehrstuhls für Tierernährung 1936. fügte den Göttinger Landwirtschaftseinrichtungen in kürzester Zeit eine weitere, allerdings produktionstechnisch orientierte Professur hinzu. Ursprünglich war dieser Lehrstuhl eine Professur für Volkswirtschaftslehre an der Landwirtschaft- und Tierärztlichen Fakultät in Berlin gewesen. Nach der Entpflichtung des dortigen Lehrstuhlinhabers, des Professors für Agrarpolitik Kurt Ritter, aus politischen Gründen 113 , verlegte das Ministerium dessen Professur unter Umwandlung in ein Extraordinariat für Tierernährung nach Göttingen 1 u . Die Berufung von Walter Lenkeit 1936 auf den neuen Lehrstuhl, wie auch die zeitgleiche von Otto Sommer als Nachfolger für den nach Berlin gewechselten Tierzüchter Jonas Schmidt, erfolgten in normalen Berufungsverfahren. Bei beiden Neuberufungen wurde von der Universität das politische Engagement beider Kandidaten in der NSDAP und für die neue Agrarpolitik, neben ihrer fachlichen Eignung, positiv hervorgehoben 115 . Anders als in der Weimarer Republik stand diesem Ausbau der landwirtschaftlichen Lehreinrichtungen keine entsprechende Entwicklung der Studentenzahlen gegenüber. Der seit den 20er Jahren bestehende Trend eines Rückgangs der Zahl der Studenten setzte sich trotz der ideologischen Heraushebung der Landwirtschaft auch nach der „Machtergreifung" bis 1935 weiter fort. Im Sommersemester 1935 verzeichneten die landwirtschaftlichen Institute mit 50 Studenten die geringste Studentenzahl. Danach stieg die Zahl der Agrarstudenten kurzzeitig deutlich bis auf ein Maximum von 93 im Wintersemester 1936/37 an. Aber bereits im letzten „Friedenssemester" im Sommer 1939 lag die Zahl der Agrarstudenten mit 56 Personen wieder deutlich niedriger116. Im Krieg, in dem die Nationalsozialisten große Aufgaben auf Diplomlandwirte beim „Aufbau der Osträume" zukommen sahen117, ging die Zahl der Göttinger Agrarstudenten deutlich zurück. Im Wintersemester 1941 zählte die Statistik nur noch 29 Studenten der Landwirtschaft (25 Männer, 4 Frauen)118. 642
Professor Schürmann als politischer Kontrolleur der Universität Alle drei neuen Professoren der Agrarwissenschaft waren von Anfang an in Göttingen politisch aktiv, besetzten wichtige Schaltstellen im Gefüge der Universität und drängten die älteren Agrarwissenschaftler schnell in den Hintergrund. Der politische Einfluß von Prof. Sommer als Rektor der Universität vom 1. 4.1938 bis zu seinem Weggang nach Hohenheim am 1. 10. 1940 1 " und der von Prof. Lenkeit als Dekan der MathematischNaturwissenschaftlichen Fakultät vom Sommersemester 1937 bis in die Kriegszeit120 wurden weit übertroffen von dem ihres Kollegen Artur Schürmann. Schürmann, der trotz eines entsprechenden Vorschlages des Wissenschaftsministeriums121 kein Amt in der üblichen Universitätshierarchie bekleidete, gewann seinen Einfluß aus seiner Stellung im NSD-Dozentenbund. In dieser Parteiorganisation, die ihre Aufgabe in der nationalsozialistischen Gestaltung und Kontrolle der Hochschulen und Universitäten sah122, avancierte Schürmann, der erst seit dem 1. 5. 1933 Mitglied der NSDAP war123, 1935 zum Gaudozentenbundsführer124 und später in der Reichsführung dieser Organisation zusätzlich auch zum „Fachschaftsleiter für Wirtschaftswissenschaften" und kommissarisch zum „Fachschaftsleiter für koloniale Wissenschaft" 125 . Neben einer Vielzahl weiterer Positionen im Organisations- und Amterwirrwarr der Nationalsozialisten hatte Schürmann im „Forschungsdienst" seines Freundes K. Meyer auch die Stellung eines „Vertrauensmannes" für Agrarpolitik und Marktwesen inne126. Als Gaudozentenbundsführer im Gau Süd-Hannover-Braunschweig war Schürmann der Vorgesetzte der örtlichen Dozentenbundsführer an den 7 Hochschulen seines Bezirks. Seine Hauptaufgabe sah der Göttinger Agrarpolitiker, der als einer der aktivsten Dozentenbundsführer überhaupt galt127, in der politischen Kontrolle der Universität. Sein Ziel war, „an den Hochschulen eine wissenschaftliche Minierarbeit am Nationalsozialismus zu verhindern" und die „nationalsozialistische Wissenschaft zu entwickeln" 128 . Die erste Station auf dem Weg zu diesem Ziel war für Schürmann die Übernahme des Vorsitzes in der landwirtschaftlichen Prüfungskommission am 21. 1.1936. Entgegen der bisherigen Übung, nach der der geschäftsführende Direktor der landwirtschaftlichen Institute auch gleichzeitig den Vorsitz in der Prüfungskommission führte, und eines an der alten Regelung orientierten Fakultätsantrages und trotz massiver Proteste des geschäftsführenden Direktors A. Rippel, wurde Schürmann, auf Vorschlag des Rektors Neumann, durch den Minister in diese Position eingesetzt129. Schürmanns „praktische Kontrolle und Erziehungsarbeit" als Ausschußvorsitzender veranlaßten seinen Stellvertreter O. Tornau am 17. 6. 1937 zurückzutreten. Nachfolger von Tornau wurde das politisch aktive NSDAPMitglied O. Sommer 130 . Die nächste wichtige Station auf Schürmanns Weg zur politischen Kontrolle und Ausschaltung von politischen Gegnern war 1936 seine zusätzliche Ernennung zum Mitglied der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät. Die Fakultät hatte sich durch ihren Dekan H. Meyer in einer langen Auseinandersetzung, in der sie u.a. ein Gutachten ihres ehemaligen Mitglieds und inzwischen in Berlin lehrenden Volkswirts Jens Jessen über Schürmanns volkswirtschaftliche Qualifikationen einholte, den auf einen Antrag des Rektors Neumann zurückgehenden Aufnahmebemühungen von Schür mann entgegengestellt. Gegen die politischen Intentionen des Antrages, die von der „Entschlossenheit des Agrarpolitikers" einen starken Anstoß zu der als notwendig betrachteten Umgestaltung des volkswirtschaftlichen Denkens erwarteten, half der Widerstand jedoch wenig131. Schürmann enttäuschte die in ihn gesetzten Erwartungen nicht. Als Garant für die „rich643
tige" Ausrichtung seiner zusätzlichen Fakultät lasteten ihm Zeitgenossen eine maßgebliche Beteiligung an der Vertreibung oder Einschränkung der Professoren Passow, H. Meyer, Binder, Aubin, Kraus und Horneffer an, sowie die Berufung des Nationalsozialisten Saure als Nachfolger des Juristen Binder. Die unheilvolle Tätigkeit Schürmanns brachte seiner zweiten Fakultät den Spitznamen „Fakultät Schürmann" ein132. Die Aktivitäten Schürmanns beschränkten sich keineswegs nur auf die politische Kontrolle der Universität und auf die Ausschaltung politischer Gegner. In den Fällen, in denen es dem Gaudozentenbundsführer, der zum 200jährigen Jubiläum der Universitätsgründung eine Festschrift des Dozentenbundes herausgegeben hatte133, opportun erschien, setzte er sich, unter Ausnutzung seiner guten Verbindungen, auch gegen Widerstände im Wissenschaftsministerium in Berlin für Interessen der Universität ein. Der Erhalt der vom Abbau bedrohten volkswirtschaftlichen Studienmöglichkeiten in Göttingen geht mit auf einen von Schürmann entwickelten und Berlin vor vollendete Tatsachen stellenden Plan134 und auf Interventionen bei seinem Ziehvater K. Meyer zurück135. In einem zweiten Fall eigener Machtanmaßung übertrug Schürmann 1936, ohne Rücksprache mit dem Ministerium, dem Landmaschinenfachmann K. Gallwitz den seit 1935 vakanten Lehrauftrag für Landmaschinenkunde. Das Ministerium betonte zwar seine ausschließliche Zuständigkeit und verbat sich für die Zukunft ein ähnliches Vorgehen, fand sich aber dann doch mit der Person des neuen Lehrbeauftragten, der nach Konflikten mit dem örtlichen NSD-Dozentenbund die Technische Hochschule Karlsruhe hatte verlassen müssen, ab. Die seit langem von den landwirtschaftlichen Instituten gewünschte und 1939 geschaffene außerordentliche Professur für Landmaschinenkunde wurde Gallwitz trotz der Fürsprache auch von Schürmann erst nach langen Widerständen im Ministerium 1942 übertragen136. In einem anderen Fall ließ sich der Widerstand zentraler Parteistellen in München gegen eine Berufung nicht überwinden. Die von den Göttinger Landwirtschaftsinstituten gewünschte Berufung des Breslauer Prof. H.F. Krallinger als Nachfolger für den 1940 nach Hohenheim gewechselten Prof. O. Sommer auf den Lehrstuhl für Tierzucht scheiterte nach langen Bemühungen an der Ablehnung Krallingers durch die Führung des NSDDozentenbundes. Diese hielt das aktive Parteimitglied der NSDAP Krallinger nach einer Denunziation als praktizierenden Katholiken für ungeeignet, die Erziehungsaufgaben eines Hochschullehrers im „Dritten Reich" wahrzunehmen. Nach der endgültigen Ablehnung nahm sich Krallinger am 12. 6. 1943 das Leben 137 .
Die Veränderung der Lehr- und Forschungsinhalte Das Hauptaugenmerk der Nationalsozialisten bei der Veränderung der Arbeitsinhalte der Agrarwissenschaft war ihrer eigenen Handlungsmaxime entsprechend auch in Göttingen auf eine Umgestaltung der wirtschaftswissenschaftlichen Teilgebiete dieses Wissenschaftsbereiches ausgerichtet. Träger auch der fachinhaltlichen Umorientierung war vor allem das Institut für Agrarwesen und Agrarpolitik. An dieser nationalsozialistischen Neugründung waren, wie nicht anders zu erwarten, sowohl die agrarpolitischen Veröffentlichungen des Institutsdirektors A. Schürmann138 als auch die Arbeiten der übrigen Institutsmitarbeiter zu Tagesfragen der nationalsozialistischen Agrarpolitik139 durch einen „festen Standpunkt des Nationalsozialismus"140 gekennzeichnet. Einen besonderen Stellenwert an Schürmanns Institut hatte die angegliederte „Arbeits644
gemeinschaft für Raumforschung an der Universität Göttingen". Schürmann, der namentlich zur Gründungssitzung der"„Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung", als deren Obmann sein Freund Konrad Meyer fungierte, eingeladen worden war141, wurde zum Leiter der Raumforschung an der Universität Göttingen ernannt142. Die örtliche „Arbeitsgemeinschaft" führte unter seiner Leitung, neben einer Koordination aller „raumforschungsrelevanten" Arbeiten an der Universität Göttingen — eine Aufgabe, die Schürmann als Wissenschaftskoordinator im kleinen zusätzliche Einflußmöglichkeiten eröffnete - , mit eigenem Personal selbständig „Raumforschungsarbeiten" durch. Diese hatten u.a. die „Feststellung der Siedlerreserve für die neuen Ostgebiete" innerhalb der niedersächsischen Landbevölkerung zur Aufgabe143. Der „Generalplan Ost" Konrad Meyers erhielt durch diese Erhebung der Göttinger Universität, wegen deren Dringlichkeit der Bearbeiter vom Kriegseinsatz als Soldat freigestellt wurde, eine notwendige Ergänzung und Untermauerung. Die bekannte politische Ausrichtung der Arbeiten am Institut für Agrarwesen und Agrarpolitik veranlaßte nach Kriegsende die Universität, die bei Prof. Schürmann angefertigten Doktorarbeiten zur eventuellen Aberkennung des Doktorgrades einer politischen Uberprüfung zu unterziehen. Das Ergebnis dieser im Vorgriff auf erwarteten öffentlichen Druck durchgeführten Untersuchung war eindeutig: mit graduellen Unterschieden waren alle untersuchten Arbeiten „von der Grundlage der nationalsozialistischen Weltanschauung her aufgebaut". Ein Entzug der Doktorgrade durch die Universität erfolgte jedoch nicht 144 . Die zweite wirtschaftswissenschaftliche Landwirtschaftseinrichtung, das seit langem etablierte Institut für Landarbeits- und Betriebswirtschaftslehre, war dagegen einem hohen Anpassungsdruck ausgesetzt. Der Anlaß für den Ausbruch der nach Ansicht der Nationalsozialisten in der ursprünglichen Fachausrichtung bereits angelegten Konflikte war banal. 1936 veröffentlichte der politisch der früheren DNVP nahestehende national-konservative Betriebswirtschaftler Prof. Seedorf einen Artikel, „Der Leistungsgedanke in der Erzeugungsschlacht", in dem er dafür eintrat, auch bei der angestrebten größtmöglichen nationalen Produktion von Agrarprodukten der erreichten Leistung den getätigten Aufwand gegenüberzustellen und die Aufwendungen dort zum Einsatz zu bringen, wo sie die höchsten Erträge erwirtschafteten145. Dieser Artikel stellte in den Augen der Nationalsozialisten einen Angriff auf den „deutschen Leistungswillen"146 in der „Erzeugungsschlacht" dar. Aus „Sorge um die Reinhaltung des agrarpolitischen Gedankengutes" veranlaßte der Obmann des „Forschungsdienstes", K. Meyer 147 , den Schriftleiter seines Zentralorgans und späteren Professor für landwirtschaftliche Betriebslehre in Berlin, M. Schönberg, zu einem Gegenartikel gegen die „typisch jüdische Besitzauffassung" von Seedorf148. Diese Intervention des „Forschungsdienstes" widerlegt an einem konkreten Beispiel die beschönigende Nachkriegsdarstellung der Institution „Forschungsdienst", nach der dieser ein Mittel zur Selbstbehauptung der Wissenschaft gegen den Machtanspruch der NSDAP gewesen sei149. Dem Angriff des „Forschungsdienstes" auf die Lehrmeinung des Göttinger Professors schlossen sich bald andere nationalsozialistische Postillen an150. Durch die Erweiterung der nationalsozialistischen Kritik auch auf eine bei Prof. Seedorf angefertige Doktorarbeit 151 zielten die neuen Angriffe auf die Person des Professors selbst. Seedorfs Göttinger Fachkollegen stellten sich keineswegs vor ihren angegriffenen Kollegen. Im Gegenteil, nach einem Bericht von Schürmann tadelten auch die übrigen Agrarwissenschaftler die von Seedorf in dem Aufsatz vertretene Meinung und die kritisierte 645
Doktorarbeit. Indem sie die Kritik an Seedorf zum Anlaß nahmen, wegen einer angeblich schon lange andauernden mangelhaften Vertretung der landwirtschaftlichen Betriebslehre, einen Antrag auf einen zusätzlichen Lehrauftrag für das von Seedorf vertretene Fachgebiet zu stellen152, gingen Seedorfs Fachkollegen einen entscheidenden, auf die Ersetzung ihres Kollegen zielenden Schritt über die Angriffe in der nationalsozialistischen Presse hinaus. Die Angriffe auf Seedorf, der in großer Sorge um seine Professur vergeblich eine Uberprüfung seiner gesamten Lehr- und Forschungstätigkeit verlangte153, gipfelten in der Rede des „Reichsbauernführers" und Reichslandwirtschaftsministers Darre auf dem „4. Reichsbauerntag" in Goslar 1936. In der im Rundfunk übertragenen Rede wurde Seedorf kaum verklausuliert gedroht: „Es ist immer noch besser, es geht ein Narr zugrunde, als daß das deutsche Landvolk und in Auswirkung davon das ganze deutsche Volk an einem Narren zugrunde geht" 154 . Trotz dieser massiven Bedrohung blieb das Bemühen seiner Göttinger Kollegen um einen Ersatzlehrauftrag aus Geldmangel folgenlos155. Nachdem sich Seedorf der herrschenden Auffassung von der Landwirtschaft angenähert hatte und so auch dem Anliegen der Intervention des „Forschungsdienstes" entsprach, wurde der Göttinger Betriebslehreprofessor zum „6. Reichsbauerntag" als Ehrengast eingeladen156.
„Koloniale" Agrarwissenschaft Die Geschichte der „kolonialen Wissenschaft" in Göttingen und des heute vergessenen „Instituts für koloniale Landwirtschaft" zwischen 1937 und 1945 ist ein Beispiel dafür, wie aus Vorhaben von konservativen Kreisen der Universität letztlich nationalsozialistische Maßnahmen wurden, die örtliche Nationalsozialisten auch gegen den Widerstand zentraler Behörden des Dritten Reiches durchsetzten. Im allgemeinen Aufschwung, den koloniale Fragen in den späten 30er Jahren nahmen, ging die Anregung für koloniale Ambitionen der Universität auf den Kurator der Universität, Geheimrat Valentiner, im Jahr 1937 zurück. Für den Kurator war Kolonialbesitz schlicht „lebensnotwendig" für das deutsche Volk. Ziel der „Kolonialbemühungen" der Universität Göttingen sollte es von Anfang an sein, für die in Kürze erwartete Rückgabe oder Neugewinnung von Kolonien das dann notwendige Verwaltungspersonal auszubilden157. Die Konkurrenz anderer Hochschulen um einen solchen Ausbildungsgang, für den sich Göttingen durch die räumliche Nähe zur Kolonialschule in Witzenhausen besonders qualifiziert glaubte, war stark. An der Universität Hamburg wurde 1938 vom Wissenschaftsministerium als neuer Schwerpunkt ein „Kolonialinstitut" errichtet158. Den Antrag des Göttinger Rektors Sommer aus dem gleichen Jahr, im Rahmen eines vorgeschlagenen schwerpunktmäßigen Ausbaus der Kolonialwissenschaften an den niedersächsischen Hochschulen in Göttingen ein Institut für koloniale Landwirtschaft zu errichten, wurde in Berlin rundheraus abgelehnt. Mit dieser Ablehnung gaben sich Rektor Sommer und Gaudozentenbundsführer Schürmann nicht zufrieden. Sie beschlossen, die Pläne für ein solches Institut von sich aus intensiv voranzutreiben159. Nach verschiedenen erfolglosen Bemühungen, das Vorhaben umzusetzen, kam der entscheidende Anstoß zur Errichtung des Instituts für koloniale Landwirtschaft wiederum von Prof. Schürmann, der die notwendigen Finanzmittel vom Reichsnährstand beschafft hatte160. Mit der danach erreichten Erlaubnis des Wissenschaftsministeriums, das zwei 646
Lehraufträge für kolonialen Pflanzenbau und für koloniale Tierzucht bereitstellte" 1 , wurde das neue Institut am 5.10.1940 feierlich eröffnet. Mit diesem Institut, das „brauchbare Kräfte" für den deutschen Kolonialdienst nach dem Sieg über England ausbilden sollte, hoffte die Universität, „das Ansehen der deutschen Wissenschaft zu stärken" 162 . Der Göttinger Plan eines 6-semestrigen Studiums zum „kolonialen Landwirt" ließ sich nicht durchsetzen. Aber mitten im Krieg, als sich die Lehrtätigkeit im Fach Landwirtschaft in Göttingen nach der Einberufung der Professoren Gallwitz und Lenkeit zum Kriegsdienst und dem Weggang von Prof. Sommer nur noch mühsam durch Lehraufträge aufrechterhalten ließ, richtete das Wissenschaftsministerium ein 2-semestriges „kolonialwissenschaftliches Zusatzstudium für Diplomlandwirte" an den Universitäten Göttingen und Hamburg ein 1 ' 3 . Dieser neue Aufbaustudiengang zum „Diplom-Kolonial-Landwirt" hat in Göttingen vom Erlaß der Studienordnung im November 1941 bis zum Ende des Krieges, keine große Rolle gespielt164. 1940 glaubte Prof. Schürmann ein neues und lukratives Betätigungsfeld erkannt zu haben. Er, der bis dahin in der Angelegenheit des Instituts für koloniale Landwirtschaft nur als Organisator tätig gewesen war, begann nun an seinem Institut selber Kolonialforschung zu betreiben. Mit der ihm eigenen Energie und seinen unkonventionellen Methoden wurde Schürmann schnell zu einem der wichtigsten Kolonialforscher in Deutschland. Vortragsreisen und „wissenschaftliche Exkursionen" in die besetzten Länder Frankreich und Belgien benutzte Schürmann zur Beschaffung von Akten der Kolonialbehörden dieser Länder. Diese geraubten Akten wurden nach Göttingen gebracht165. Da es trotz früherer anderslautender Aussagen in Göttingen an Experten mit praktischen Erfahrungen in den Kolonien mangelte, stellte Schürmann 1941 den deutschfreundlichen Belgier Henry van Steenberghe, der nie eine Hochschule besucht hatte, aber über Erfahrungen in belgischen Kolonien verfügte, als Privatangestellten ein166. Steenberghe erhielt später auch einen „Lehrauftrag für koloniale Betriebswirtschaftslehre"167. Militärische Erfolge in Afrika, die bei den Nationalsozialisten die Hoffnungen auf den Zusammenbruch des britischen Empires in kürzester Frist nährten, bescherten der „Kolonialwissenschaft" eine große Konjunktur. Im Rahmen dieser Entwicklung war Schürmann im Sommersemester 1942 am Aufbau eines von der NSDAP geplanten „Reichskolonialinstituts" in Berlin beteiligt16' und handelte eine enge Zusammenarbeit über koloniale Fragen mit dem Reichsluftfahrtministerium/Oberbefehlshaber der Luftwaffe aus16'. Die militärische Entwicklung ließ jedoch alle .kolonialen Vorhaben alsbald gegenstandslos werden.
Der Sturz Schürmanns Die Karriere Schürmanns als Kolonialwissenschaftler — daneben war Schürmann im Sommersemester 1943 auch an Umsiedlungsaktionen in besetzten Gebieten der Sowjetunion beteiligt170 — lieferte den Anlaß zum Sturz dieses Professors und für seine Entfernung von der Universität noch vor dem Ende des Dritten Reiches. Die Ursache für den Sturz des Göttinger Agrarpolitikers lag in dem Konkurrenzverhalten der verschiedenen Machtgruppierungen in der NSDAP bzw. in oder zwischen ihren Tochterorganisationen. Der persönliche Führungsanspruch von Schürmann hatte bereits gelegentlich zu Konflikten mit anderen Parteigliederungen, der Universitätsverwaltung oder einzelnen Parteimitgliedern geführt und ihm 1939 bei seiner Einmischung in die Aus647
einandersetzung zwischen Prof. Heyse und Privatdozent Baumgarten an der Philosophischen Fakultät (S. 307) eine Duellforderung von Baumgarten eingebracht171. Jedoch erst mit Veränderungen in der Gauleitung der NSDAP, im örtlichen Dozentenbund und in der Universitätsspitze172 und wohl auch mit dem Bedeutungsverlust seiner Auffassung nationalsozialistischer Agrarpolitik und seiner neuen wissenschaftlichen Forschungstätigkeit, der „Kolonialforschung", waren die Voraussetzungen zum Sturz des einst mächtigen Gaudozentenbundsführers entstanden. In einer Intrige wurde Schürmann, dessen Sturz in Göttingen der Rektor Plischke, der Dozentenbundsführer der Universität Drexler und der örtliche SD aktiv betrieben, des Plagiats an den Arbeiten seines „Angestellten", des Belgiers Steenberghe, beschuldigt, ein im Dritten Reich zur Ausschaltung von Gegnern beliebter Vorwurf 173 . Auf Druck des Rektors beantragte Schürmann im Dezember 1942 ein Disziplinarverfahren gegen sich selbst, in dem die gegen ihn intrigierenden Gruppen die institutionellen Bedingungen für eine Verurteilung im voraus festlegten. Fast 1 Jahr später, am 1. 11. 1943, wurde Schürmann des Plagiats für schuldig befunden. Nach diesem Schuldspruch, für den nicht zuletzt die Art seiner herrischen Verteidigung mit verantwortlich gewesen sein soll, wurde Schürmann bereits am 4. 12. 1943 vom Kurator aufgefordert, seine Tätigkeit an der Universität einzustellen. Am 27. 2. 1944 folgte die formelle Amtsenthebung durch den Minister174. Schürmann, der zum Militärdienst eingezogen wurde, legte gegen das Urteil Berufung ein. Seine Göttinger Kontrahenten fürchteten, angesichts der 12 von aktiven und mächtigen Nationalsozialisten zugunsten von Schürmann abgegebenen Gutachten, wohl nicht zu Unrecht einen Freispruch Schürmann in der Berufungsverhandlung und daran anschließend seine mögliche Rückkehr nach Göttingen 175 . Das Kriegsende verhinderte die Berufungsverhandlung.
1945: Entnazifizierung und alte Konflikte, aber kein Neubeginn Das Kriegsende stellte für die Göttinger Landwirtschaftsinstitute personell keinen großen Bruch dar. Bereits im Krieg hatte sich durch den Weggang von Prof. Sommer und die Amtsenthebung von Prof. Schürmann die Zahl der Professoren fast wieder auf den Stand von 1933 reduziert und der politische Einfluß der Agrarwissenschaftler auf die Universität deutlich vermindert. Durch die einsetzenden Entnazifizierungsverfahren nach der Kapitulation wurde von dem verbliebenen Lehrkörper nur Prof. Lenkeit über einen längeren Zeitraum bis zur Wiedereinsetzung 1948 von seinem Lehrstuhl entfernt 176 . Ein ganz besonderes Entnazifizierungsverfahren war das des amtsenthobenen Professors für Agrarpolitik Schürmann. Schürmann wurde 1945 von der Militärregierung aufgrund seiner nationalsozialistischen Aktivitäten entlassen. 1949 stufte die Spruchkammer Schürmann als „Minderbelasteten" in die Kategorie III der vierfach gegliederten Verantwortlichkeit von Nationalsozialisten ein. Durch diese Einstufung war Schürmann eine Tätigkeit als Hochschul- oder sonstiger Lehrer untersagt. 1952, mit dem niedersächsischen Abschlußgesetz zur Entnazifizierung automatisch als Entlasteter in die Kategorie V überführt, meldete Schürmann wieder Ansprüche auf eine ordentliche Professur in Göttingen an. Aufgrund dieses Anspruches wurde das noch offene Berufungsverfahren wegen des Plagiatsvorwurfs erneut aufgerollt und Schürmann 1957 vor dem Oberlandesgericht vom vorsätzlichen Plagiat freigesprochen. Trotz der nach dem Freispruch wiederholten Aufforderung des niedersächsischen Kultusministers, Schürmann wie648
der in den Lehrkörper der Universität Göttingen aufzunehmen, lehnten 1957 und 1958 sowohl die Rechts- und Staatswissenschaftliche als auch die seit 1952 bestehende Landwirtschaftliche Fakultät dieses Ansinnen ganz entschieden ab 177 . Schürmann gehörte durch diese Ablehnung zu den wenigen nationalsozialistischen Professoren, die nach Kriegsende nicht mehr an die Universität Göttingen zurückfanden. Kurz nach Kriegsende brachen an der Frage der Fakultätszugehörigkeit des Lehrstuhls für Agrarpolitik und seiner Wiederbesetzung die alten Konflikte in der MathematischNaturwissenschaftlichen Fakultät wieder auf. Die Fakultät trat in der Mehrheit dafür e;n, das Institut für Agrarpolitik, das auch zur Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät gehörte, aus dem Fakultätsverband auszugliedern, die Agrarwissenschaftler sahen dagegen in ihm einen unverzichtbaren Bestandteil ihres Fachgebietes 178 . In der Eskalation dieser Auseinandersetzung wurde den Agrarwissenschaftlern in einer für sie durchaus schwierigen Situation - sie mußten sich gleichzeitig gegen den Plan einer „Grünen Hochschule" in Hannover, der die Verlegung der landwirtschaftlichen Einrichtungen von Göttingen nach Hannover bedeutet hätte, wehren 179 - von der Fakultätsmehrheit die Abtrennung von den naturwissenschaftlichen Fächern nahegelegt. 1947 beantragten die Agrarwissenschaftler die Genehmigung zur Bildung einer eigenen Fakultät 180 . Der Zusammenbruch des Dritten Reiches hatte dagegen keine weiteren speziellen Auswirkungen auf die landwirtschaftlichen Institute mit sich gebracht. Von sich aus beendeten die Göttinger Agrarwissenschaftler mit einer Änderung der Prüfungsordnung die seit 1935 bestehende besondere Heraushebung des Fachs Agrarpolitik aus dem übrigen Fächerkanon 181 und das hart erkämpfte unselige „Institut für koloniale Landwirtschaft" wurde, da unzeitgemäß, sang- und klanglos aufgelöst. Das Resultat des Dritten Reiches stellte sich für die landwirtschaftlichen Institute an der Universität in bezug auf den Ausbau ihrer Lehreinrichtungen positiv dar. Von 13 neuen Lehrstühlen, die die Universität zwischen 1933 und 1945 erhalten hatte, waren 3 (Agrarpolitik, Tierernährung, Landmaschinenkunde) dem Fach Landwirtschaft zugute gekommen 182 . Diese Lehrstühle, einschließlich desjenigen für Agrarpolitik, blieben den landwirtschaftlichen Einrichtungen auch nach 1945 erhalten. Eine Auseinandersetzung der Agrarwissenschaftler mit ihren weit über den Rahmen einer passiven Anpassung an die veränderten Rahmenverhältnisse im Dritten Reich hinausgehenden Aktivitäten erfolgte nach 1945 — soweit feststellbar — nicht. Eine grundlegende Änderung der politischen Einstellung des Lehrkörpers vollzog sich erst langsam durch die Emeritierung der alten, ehemals nationalsozialistisch aktiven Professoren und durch die Wiederbesetzung der 1945 bereits vakanten Lehrstühle für Tierzucht und Agrarpolitik.
Anmerkungen 1
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U A G , Κ, XVI, VII Β 15 Prüfungsordnung für Studierende der Landwirtschaft..., vom 24. 7. 1922 sowie Benecke (1925), S. 15 f. U A G , S. II C 6, 197 d und e. Herpel (1932), S. 51. ebd., S. 109 f. U A G , Vorlesungsverzeichnis der Georg-August-Universität für das Sommersemester 1931. U A G , Ldw. Fakultät, Paket IV, Leiter der Ldw. Abteilung an Rektor, 22. 10. 1947. Herpel (1932), S. 51.
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ebd., und Ebel (1962). UAG, Κ, XVI. V.Ad 9 (Beiakte), Kurator an REM, 9. 10. 1935. UAG, Κ, XVI. V.Ad 9, Kurator an REM, ohne Datum. Beyerchen (1982), S. 42. Gallwitz (1980), S. 8. UAG, S, UI A 1, 299 e, PMW an F. Lehmann, 21. 5. 1928 sowie UAG, Chronik der Universität 1927-1930 (1930), S. 130 und Lenkeit (1980), S. 11. UAG, S, II C 6, 197 d und e. Bedarf und Nachwuchs an akademisch gebildeten Landwirten (1933), S. 66. UAG, Κ, XVI. IV. C. v. 40 Sparmaßnahmen (Ldw. Institute), PMW, Erlaß UI, Nr. 17586, 21.12. 1931. UAG, Κ, XVI, IV C. v. 40 PMW, UI 15112, 1. 2. 1932. UAG, Κ, XVI. IV C. v. 40, Math.-Nat. Fak. I Nr. 1039, 15.1. 1932. UAG, Math.-Nat. Fak., 41, Entwurf Göttingen 1932. UAG, Κ, XVI. IV C. v. 40. Göttinger Tageblatt, 18. 1. 1932. Göttinger Hochschulzeitung, Wintersemester 1931/32, Nr. 7, 10. 2. 1932. UAG, Math.-Nat. Fak., 41, Dekan Born an Courant, Windaus und Kühn, 15. 1. 1932. UAG, Math.-Nat. Fak., 41. UAG, Math.-Nat. Fak., 41, Beschluß der Fakultät Nr. 1143, 20.1. 1932. Born (1975), S. 337 und Einstein, Born (1982), S. 156. Born (1975), S. 338. UAG, Math.-Nat. Fak., 41, Dekan an Geschäftsführenden Direktor d. landwirtschaftlichen Institute, 28. 7. 1933. UAG, M.-N. Fak., 41, Dekan an Kurator, 23. 5.1933. UAG, Κ, XVI. IV. C. v. 40, PMW an Kurator, 28.1. 1932. UAG, K, IV.A Prorektor- bzw. Rektoratswahl, Π 1931-1957. UAG, S, III A 1, Nr. 299 e, Franck an Prof. Kühn, 24. 4.1933. UAG, S. IU A 1, Nr. 299 e, Franck an Rektor, 17. 4. 1933. Göttinger Zeitung, 18. 4. 1933. Göttinger Tageblatt, 24. 4. 1933. F. Voß, seit 1921 nicht beamteter Professor, wird aufgrund der Ausrichtung seines Arbeitsgebietes - Laboratorium für landwirtschaftliche Zoologie, land- und forstwirtschaftliche Schädlingsbekämpfung und Landesfauna und Lehrauftrag für landwirtschaftliche Zoologie - zur Landwirtschaft gezählt, obwohl sein 1-Mann-Laboratorium räumlich im Institut für Zoologie untergebracht war. 37 Kamp (1983), S. 9. 38 UAG, Κ, X, 37 Beurlaubungen jüdischer Professoren, Telegramm PMW an Kurator, 26. 4.1933. 39 Herferth (1962), S. 1054. 40 Göttinger Hochschulzeitung, Sommersemester 1933, Nr. 2, 18./19. 5. 1933. 41 Göttinger Tageblatt, 20. 5. 1933. 42 UAG, Κ. X, 37, Blatt 113-118. 43 UAG, R, 3306 b, Lebenslauf H. Vogel, ohne Datumsangabe (1935). 44 UAG, R, 3306 b, Rektor (Neumann) an PMW, 19. 2.1934. 45 UAG, R 3306 b, Erlaß PMW, 24. 3.1934, Rektor an PMW, 26. 4. 1934 und Kurator an Vogel, 18. 5. 1934. 46 UAG, R 3306 b, Rektor an REM, 2. 7. 1934. 47 UAG, R 3306 b, Dozentenschaft an Rektor, 27. 6. 1934. 48 UAG, R 3306 b, Kurator an Rektor, 8. 8. 1934. 49 Göttinger Tageblatt, 27. 4. 1933. 50 UAG, Κ, XVI. V. Aa 37, Erläuterungen zum Fragebogen des Military Government of Germany 17. 9. 1945. 51 Neumann trat am 1. 5.1933 in die NSDAP ein. UAG, Κ. IX 85, Liste der NSDAP-Mitgliedschaft bis 1935, 26. 8. 1935. 9
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UAG, Κ, rv A, 1 Prorektor und Rektorwahl II 1931-1957; Protokoll der Konzilsitzung vom 26. 4. 1933. UAG, Κ, XVI, V. Aa. 37. NSDAP, Gauleitung Süd-Hannover-Braunschweig Re/A, 13. 2. 1934. Schermer war z.B. Hochschulringführer des NS-Altherrenbundes der Deutschen Studenten; vgl. UAG, Vorlesungsverzeichnisse der Georg-August-Universität 1936 f. UAG, Κ, XVI. V. Aa. 37. Erläuterungen zum Fragebogen des Military Government of Germany, 17. 9. 1945. UAG, Κ, XVI, IV. C. v. 40, Stellungnahme der Lehrer der Landwirtschaft an Deutschen Hochschulen zu den Vorschlägen der Preußischen Hauptlandwirtschaftskammer. UAG, Κ, XVI. IV. C. v. 40. UAG, Κ, XVI. IV. C. v. 40, Rektor (Neumann) an PMW, 28. 8. 1933. ebd. UAG, Κ, XVI. V Β 27, Rektor an PMW, 17. 11. 1933. UAG, Κ, XVI. IV. C. v. 40, PMW an Kurator, 4. 10. 1933. UAG, Κ, XVI. IV. C. v. 40, PMW an Kurator, 29. 11.1933. Blohm (1968), S. 241. Ebel (1962). Die Ausnahme war Privatdozent und später api. Prof. Lamprecht, an den, trotz fachlicher Qualifikation und nationalsozialistischem Engagement, aufgrund der beschränkten Stellensituation erst in einer neuen Ausbauphase der landwirtschaftlichen Forschungseinrichtungen eine Berufung erging (vgl. auch UAG, F, 18 und 21). In gewisser Weise stellte auch F. Voß eine Ausnahme dar, da es der Universität erst nach langen Bemühungen gelang, ihm eine Kustodenstelle zu vermitteln (vgl. UAG, Κ, XVI, V Ad 9). Enquete-Ausschuß, II. Unterausschuß, Bd. 14 (1930), S. 44. UAG, R, 3206, Rektor (Neumann) an Landw. Hochschule Hohenheim, 21. 12.1935 und Dozentenschaft Göttingen an Deutsche Dozentenschaft, 19. 12. 1935. Schürmann (1936), S. 569 zu Hesse (1934). UAG, R, 3206 REM an Hesse, 30. 3. 1936 und 16. 7. 1936. Franz (1968), S. 129 f. und Klein (1968), S. 35. UAG, Κ, XVI. V. c Nr. 341, PMW an Kurator UI 16817. UAG, R, 3306 b, Kurator an Rektor, 26. 4. 1934 und Oehme (1982), S. 143. Asen (1955), Bd. 1. Bülow (1960), S. 919 und Piegler (1940), S. 99. Heiber (1966), S. 14. Rantzau (1939), S. 5 f. und Zierold (1968), S. 221. Meyer, K. (1938), S. 4. Meyer, K. (1933). Saure (1941), S. 13. UAG, Κ, XVI. VU. Β. 15 ΙΠ, „Das Studium der Landwirtschaft", Berlin 1935, S. 3 f. und Meyer, K. (1938), S. 7 f. Meyer, K. (1938), S. 60. UAG, Κ, XVI. VIL Β 15 ΙΠ, „Das Studium der Landwirtschaft", Berlin 1935 und Meyer, K. (1938), S. 68 f. Vgl. ebd. Meyer, K. (1938), S. 65. Schürmann (1938), S. 82. ebd., S. 78. UAG, Κ, XVI. VE. Β 15 ΙΠ, „Das Studium der Landwirtschaft", Berlin 1935, Teil B, S. 10 und Willikens (1943), S. 4. Meyer, K. (1938), S. 4. ebd. Sala, E. (Hauptschriftleiter der Nationalsozialistischen Landpost), zitiert nach Ferber (1936), S. 668. Meyer, K. (1936 a), S. 8 f. An der Aussage von Zierold (1968), S. 221, nach der diese Gründung auf einen Auftrag von Darre zurückging, erschien aufgrund der engen Verbindung K. Meyers mit dem Reichserziehungsministerium Zweifel angebracht. 651
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Der Forschungsdienst, Bd. 1, 1936, S. 15 f.; Zierold (1968), S. 221 f. Der Forschungsdienst, Bd. 1, 1936, S. 15 f. 93 Der Forschungsdienst, Bd. 4, 1937, S. 307. 94 Meyer, K. (1935), S. 29 und ähnlich Ders. (1936 b), S. 163 f. 95 Meyer, K. (1938 a), S. 6. *> ebd., S. 8. 97 Der Forschungsdienst, Bd. 1, 1936, S. 332 f. und Meyer, K. (1936 c). 98 Zierold (1968), S. 182 und S. 188. 99 Zierold (1968), S. 219 ff. und S. 370. 100 Der Forschungsdienst, Bd. 7, 1939, S. 548. 101 Heiber (1958), S. 289. 102 Militärgerichtshof Nürnberg, Nr. 1, Fall VIII, 10. 3. 1948, Protokoll. 103 Kürschners Deutscher Gelehrtenkalender 1961. 104 Handbuch für Raumforschung und Landesplanung (1970), Bd. 3, Spalte 2719 f. 105 UAG, Κ, XVI. V. Aa 55, Kurator an NKM, 29. 1. 1958. 106 UAG, Κ, XVI. V. Β 27. 107 UAG, Κ, XVI. V. Aa 55, PMW an Kurator, 14. 5. 1934. 108 UAG, Κ, XVI. V. Aa 55, PMW an Kurator, 2. 10. 1934. 109 UAG, Κ, XVI. V. Aa 55, REM an Kurator, 24. 3.1936. "0 UAG, Κ, XVI. VII, Β 15 a, III Rektor (Neumann) an REM, 10. 9. 1935. 111 UAG, R 3401 b und Vorlesungsverzeichnis der G.-A.-Universität, Wintersemester 1944/45. 112 UAG, R. 3401 b. Erst gegen Ende des Krieges wurde je ein Lehrauftrag für Pflanzenschutz und für landwirtschaftliches Bauen eingerichtet. 113 Asen (1955), Bd. 1 und Bülow (1960), S. 919; Ritter (1955), 1. Halbbd., S. VII. 114 UAG, XVI, V Β 3, Π, REM an Kurator, 18. 3.1936. 115 UAG, Ldw. Fak., Paket II; R, 3206 und R, 4215, Rektor an REM, 7. 10. 1936. 116 Lorenz (1943), Bd. 1, S. 235. 117 Willikens (1943), S. 4. 118 Lorenz (1943) ebd. 119 UAG, R. 2101. >2° UAG, R. 2101. 121 1935 zögerte das Ministerium die Ernennung des Prorektors und der Dekane hinaus, da man dort vorübergehend Schürmann als Prorektor in Betracht zog. UAG, R. 2101, REM an Rektor, 16. 5.1935. 122 UAG, R 3210 b, Bericht über das Dozentenbundslager des Gaus Niedersachsen in Rittmarshausen am 24. und 25. 10. 1936. 123 UAG, Κ, XVI. V. Aa 55. Fragebogen: Mitgliedschaft in der NSDAP vom 26. 8. 1935. 124 UAG, Κ, XVI. V. Aa 55, Schürmann an Kurator, 29. 10. 1938. i » UAG, Κ, XVI. V. Aa, 55. 126 Piegler (1940), S. 14. 127 UAG, R 3210 b, Reichsamtsleiter NSD-Dozentenbund, Rundschreiben, 16. 11. 1936. 128 UAG, R, 3210 b, Bericht über das Dozentenbundslager . . . , 25. 10. 1936, S. 4. 129 UAG, Κ, XVI. V. B. 15 a. 130 UAG, R, 4215. 131 UAG, Κ, XVI. V. Aa 55. Vgl. auch die Beiträge von M. Groß und F. Halfmann in diesem Band. 132 Gummersbacher Neueste Nachrichten vom 24. 2. 1949 und UAG; Κ, XVI, V, Aa 55 und R 3203. 133 Schürmann (Hrsg.) (1937). 134 UAG, R, 3201, Schürmann an Rektor, 27. 7. 1936. 135 UAG, R, 3203, Schürmann an K. Meyer, 11.6. 1936. 136 Gallwitz (1980), S. 7 f. 137 Zu Krallinger vgl. UAG, Κ, XVI, V Β 3; Landw. Fakultät Paket IV, Berufungen Tierzucht und Privatakten Drexler, NSD-Dozentenbund an Drexler, 9. 1. 1943. 138 Schürmann (1935) und Ders. (1941). 139 UAG, Κ, XVI. VII. C Κ 1. 92
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Schürmann (1941), Vorwort. U A G , R, 2101, REM, 18. 1. 1936. i « Meyer, K. (Hrsg.) (1938), S. 467. 143 U A G , Κ, XVI. VII. C, K, 2. Schürmann an Kurator, 14. 10. 1940, und Kurator 5. 11. 1940. 144 U A G , Math.-Nat. Fak. 19 b. Insbesondere Prof. W. Abel an Seedorf, 6. 5. 1947. 1« Seedorf (1936). 146 Meyer, K. (1936 d) und Backe (1936). 147 Vorbemerkung K. Meyers zu Schönberg (1936). 148 Schönberg (1936). 149 Haushofer (1958), S. 234. 150 U A G , Landw. Fak., Paket ΠΙ, Seedorf an REM, 22.10. 1936, und Meyer, K. an Seedorf, 23. 11. 1936. 151 Goltz, Joachim v.d.: „Auswirkungen der Stein-Hardenbergschen Agrarreformen im Laufe des 19. Jahrhunderts", U A G , Promotionsakte N r . 13, 1935. 152 U A G , Ldw. Fak., Paket HI und R, 3401 b. 153 U A G , Landw. Fak., Paket III, Seedorf an REM, 22.10.1936. 154 Darré (1936), S. 45. 155 U A G , Landw. Fak., Paket III, REM an Dekan, 26. 11. 1936. 156 Seedorf (1955), S. 13. 157 U A G , R, 4305 a, Kolonialfragen u. Plischke (1940). 158 ASTA der Universität Hamburg (1969), S. 150. 159 U A G , R, 4305 a, Rektor an REM, 7. 3.1938, REM an Rektor, 22.10. 1938, Rektor an Gaudozentenbundsführer, 31. 10.1938. 160 U A G , Κ, XVI. V. Aa 55, Kurator an Schürmann, 11. 1. 1944 und Κ, XVI. VII. C, Z, 2, Direktor landw. Institute an REM, 4. 9. 1940. 161 U A G , Κ, XVI. VII. C, Z, 2. 162 Plischke (1940), S. 16. i « U A G , Κ, XVI. VII. C, Z, 2. 164 Aus den zur Verfügung stehenden Quellen konnte nicht ermittelt werden, ob bis Kriegsende in Göttingen überhaupt Zusatzprüfungen zum „Dipl.-Kolonial-Landwirt" abgehalten worden sind. U A G , Κ, XVI. V. Aa 55 und Κ, XVI. VII. C. K. 1. !«• U A G , Κ, XVI. VII. C. Z. 2. Schürmann an REM, 17. 3.1941 und Κ, XVI. V. Aa 55 Kurator an Schürmann, 11. 1.1944. 167 U A G , Math.-Nat. Fak., 19 a, REM an Steenberghe, 17. 6. 1941. 168 U A G , Κ, XVI. V. Aa 55, NSDAP-Reichsleitung an Kurator, 4. 3. 1941 und 22. 1. 1942 und Kurator an „Reichskolonialinstitut", 21. 1. 1942. 169 U A G , Κ, XVI. V. Aa 55. Reichsminister der Luftfahrt an Stellv. Kurator, 12. 2. 1942. 170 U A G , Κ, XVI. V. Aa 55 und Akte Juristen, II J 64. 171 U A G , Κ, XVI. V. Aa 55 Beiakte, Kurator an Prof. Groh, 14. 10. 1944. 172 Privatakten Drexler, Drexler, „Entwurf für meine Aussagen in der Sache Schürmann", o.J. 173 Heiber (1966), S. 647 f. berichtete über einen anderen spektakulären Fall eines Sturzes mit Hilfe eines Plagiatvorwurfs. 174 U A G , Κ, XVI. V. Aa 55, Privatakten Drexler, Drexler, E n t w u r f . . . 175 Privatakten Drexler, Rektor (Drexler) an Regierungspräsident, 18. 1. 1944 und 17. 5. 1944, an Entlehen, 29. 3. 1944 und an Prof. Südhof, 2. 6. 1944. 176 U A G , Landw. Fak., Paket II und Vorlesungsverzeichnis der Georg-August-Universität Göttingen, Wintersemester 1948/49. 177 U A G , Κ, XVI. V Aa 55. 178 U A G , Landw. Fak., Paket IV, Lehrstuhlbesetzungen. 179 U A G , Κ, XVI. V Β 45 und Landw. Fakultät Paket IV. 180 U A G , Landw. Fak., Paket IV, Ldw. Abteilung an Rektor, 22.10.1947. 181 U A G , Κ, XVI. V Β 15 ΠΙ, Dir. ldw. Institute an Kurator, 12. 4.1946. 182 U A G , Κ, X V I V Aa 55. Zusammenstellung Neuzugänge bei den Lehrstühlen von den Rechnungsjahren 1933-1945. 141
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Quellen- und
Literaturverzeichnis
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Der allgemeine Hochschulsport und das Institut für Leibesübungen der Universität Göttingen in der Zeit des Nationalsozialismus WOLFGANG BUSS
Die Entwicklung des Sports und der Leibesübungen an der Universität Göttingen in der Zeit des Nationalsozialismus verlief weitgehend in Ubereinstimmung mit der an den übrigen Universitäten im Reich; sie war bestimmt durch die Funktionalisierung dieses Bereichs für die weltanschaulichen und politischen Zielsetzungen der nationalsozialistischen Machthaber. Diese spezifische Funktionalisierung des Sports nahm jedoch nicht erst mit dem Jahre 1933 ihren Anfang, sondern ist bis auf die Anfangsphase der Weimarer Republik zurückzuverfolgen. Für den Staat und seine Bildungsinstitutionen hatten die Leibesübungen als Erziehungsmittel jedoch schon immer eine besondere Bedeutung. Deshalb muß eine kritische Darstellung des universitären Sports im Dritten Reich auch mit einem kurzen Aufriß der Entwicklung seit der Universitätsgründung beginnen. Erst aus der Kenntnis dieser Vorentwicklung — insbesondere der Ereignisse in der Weimarer Zeit — kann es zu einer sachgerechten Bewertung der Bedeutung und der Funktion des Sports im Gesamtgefüge der Göttinger Universität kommen.
1. Die allgemeine Entwicklung der Leibesübungen an der Universität bis zum Jahre 1933 1.1 Die Zeit von der Gründung der Universität 1734 bis zum Ende des Ersten Weltkrieges 1918' Seit der Gründung der Universität Göttingen im Jahre 17342 gehörten zeitgemäße Formen der Leibesübungen zum festen Bestandteil des universitären Lebens. So heißt es schon in den Gründungsakten, „daß man — zumal auf besonderen Wunsch des Königs — größten Wert auf Einrichtungen legen müßte, die den körperlichen Exerzitien dienen sollten" 3 . Dementsprechend wurde in Göttingen schon 1735 — ein Jahr nach Beginn des Lehrbetriebes und noch zwei Jahre vor der offiziellen Einweihung der Universität - als eines der ersten neuerbauten Universitätsgebäude ein Reitinstitut in Betrieb genommen. Daneben wurden an der Universität die zu den klassischen, ritterlichen Exerzitien zählenden Disziplinen Fechten, Tanzen, Voltigieren und Ballschlagen gepflegt. Diese das 18. Jahrhundert bestimmenden Disziplinen verlieren um die Jahrhundertwende zum 19. Jahrhundert jedoch immer mehr an Bedeutung4 und werden allmählich durch Leibesübungsformen der philantropinischen Richtung verdrängt. Deren Wurzeln waren beeinflußt durch die geistige Bewegung von Aufklärung und Romantik sowie die politischen Entwicklungen in Folge der französischen Revolution und napoleonischen Zeit. Das Hauptelement dieser neuen Leibesübungskultur, die Turnbewegung, hatte deshalb auch starke politische Züge und wurde gerade von Studenten und Professoren als Träger des Kampfes für die nationale Befreiung, die nationale Einheit und die Emanzipation des Bürgertums beeinflußt. 657
Die im Anschluß an den Wiener Kongreß 1815 einsetzende politische Restaurationsphase in ganz Europa wirkte sich nun jedoch auch auf diese neue Bewegung restriktiv aus bzw. verlangsamte mit der sog. „Turnsperre" von 1820 zunächst einmal die Entwicklung. In den meisten deutschen Staaten wurde das Turnen als staatsgefährdend betrachtet und verboten. Dies galt auch für entsprechende Aktivitäten an der Göttinger Universität, wie der Vorgang um eine nicht erteilte Erlaubnis zum Turnen in Zusammenhang mit Voltigierübungen im Jahre 1822 zeigt5. Wenn es auch den staatlichen Stellen damit nicht gelang, diese neue Richtung der Leibesübungen mit ihren Hauptelementen des Turnens und der Gymnastik wieder zu eliminieren, so erfuhr die stürmisch begonnene Entwicklung doch eine erhebliche Verzögerung. Erst als die feudalen Herrschaften Mitte des 19. Jahrhunderts erkannt hatten, daß sich diese Art der Leibesübungen - vor allem als Frei- und Ordnungsübungen auch in hervorragender Weise zu Zwecken einer vormilitärischen Ertüchtigung sowie einer obrigkeitsunterwürfigen Gemeinerziehung nutzbar machen ließ, erfuhr sie staatliche Anerkennung und Förderung. Es kam jetzt zu zahlreichen Gründungen von Turnvereinen, so auch an der Göttinger Universität 1860 zur Gründung des „Akademischen Turnvereins" (ATV), der gleichzeitig Mitglied in dem im gleichen Jahr auf nationaler Ebene gegründeten „Akademischen Turnerbund" (ATB) wurde. In Göttingen hatte dieser Turnverein jedoch von Anfang an Probleme auf der Suche nach angemessenen Übungsstätten. Erst im Jahre 1901 gelang es, mit einer Fechthalle die erste universitätseigene bedeckte Übungsstätte zu errichten sowie einen Universitätsspielplatz am Hainberg (heutige Schillerwiesen) zu beziehen. 1903 folgte dann noch eine Universitätsturnhalle direkt neben der Fechthalle in der Geiststraße. Jetzt gab es mit dem Oberlehrer Prof. Kraetzschmar, dem akademischen Turnlehrer A. Eulert und dem cand.phil. B. Zimmermann auch eigene Turnlehrer, die für die Durchführung des allgemeinen Turnunterrichts an der Universität verantwortlich waren. Damit wurde jetzt auch in Göttingen die aus dem sog. „Spielerlaß" von 1883 resultierende Forderung des preußischen Kultusministers nach Heranziehung der gesamten Studentenschaft zu Leibesübungen, speziell nach Einrichtung von „Spielkursen", realisiert. Gleichzeitig führte man „Turnlehrerkurse" durch, in denen angehende Gymnasiallehrer zu „Akademischen Turnlehrern" (später „Turnphilologen") ausgebildet wurden und die Fakultas für das Fach „Leibesübungen" erwarben. Für den sportlichen Betrieb insgesamt war jetzt seit Anfang des Jahrhunderts auch ein eigener Universitätsausschuß, der „Akademische Ausschuß für Leibesübungen" (AAfL) — bestehend nur aus Professoren verschiedener Fakultäten - zuständig. Die Hauptaktivitäten gingen jedoch von den studentischen Verbindungen aus, die in den letzten Jahren vor Beginn des 1. Weltkrieges allerdings nicht mehr allein den Turnbetrieb bzw. die klassischen Disziplinen wie das Reiten und Fechten pflegten, sondern sich nun auch verstärkt der aus England kommenden Spiel- und Sportbewegung öffneten.
1.2 Die Entwicklung in der Weimarer Republik 1.2.1 Die allgemeine Reichsentwicklung Seit dem Kriegsende 1918 wurde die Forderung nach Aufwertung der körperlichen Erziehung an den Hochschulen und Universitäten mit besonderem Nachdruck erhoben. Damit sollte zunächst vor allem der schlechten physischen Verfassung der meisten Studierenden in der ersten Nachkriegszeit entgegengewirkt werden. Gleichzeitig war damit aber auch eine politische Intention verbunden: „Leibesertüchtigung" sollte die durch den Versailler 658
Friedensvertrag von 1919 entfallende allgemeine Wehrpflicht ersetzen. Die Aufwertung der körperlichen Erziehung gipfelte 1920 auf dem 2. Deutschen Studententag in Göttingen in der Forderung nach einem Pflichtsport für alle Studierenden6. Vor allem das zu dieser Zeit schon die Studentenschaft dominierende völkisch-nationalistische Verbindungswesen betonte dabei immer wieder die Ersatzfunktion der Leibesübungen für die fehlende Wehrertüchtigung. Der Tenor aller Aufrufe und Forderungen war dabei stets der gleiche: Wehrhaftmachung der deutschen Jugend, Erziehung im völkisch-vaterländischen Geist und Herausbildung starker Führer zum Kampf gegen den nationalen Feind 7 . Mit der konsequenten Zielsetzung Pflichtsport war ein systematischer organisatorischer Aufbau des Hochschulsports verbunden. Seit 1920 wurden an allen Hochschulen „Amter für Leibesübungen" (AfL) geschaffen, auf Reichsebene zusammengeschlossen im TUSA (Turn- und Sportamt der Deutschen Studentenschaft, später AfL). 1921 kam das „Deutsche Hochschulamt für Leibesübungen" (DeHofL), ein Zusammenschluß der Dozentenschaft, der Studentenschaft und der Vereinigung der Turn- und Sportlehrer, dazu. Mittels dieser Institutionen wurde nun vor allem mit den staatlichen Stellen um die Realisierung der proklamierten Zielvorstellungen intensiv und letztlich auch mit Erfolg gerungen. In einer Zwischenbilanz Mitte der zwanziger Jahre konnte festgestellt werden, daß inzwischen die Leibesübungen als ergänzender Bestandteil der Hochschulausbildung anerkannt waren, für die Philologie Studierenden eine Sportpflicht bestand und erste Institute für Leibesübungen mit Lehr- und Forschungsaufgaben installiert waren, alles Forderungen des Göttinger Studententages von 19208. Damit war aber zugleich auch ein erster Sättigungsgrad im Bereich der hochschulpolitischen Möglichkeiten erreicht. Dies galt vor allem für die darüber hinausgehenden politisch motivierten Zielsetzungen einer breiten Volkssportbewegung als Mittel „nationaler Erneuerung" und zur Stärkung der allgemeinen Wehrkraft. Angesichts der allgemeinen politischen und wirtschaftlichen Stabilisierung Mitte der zwanziger Jahre verloren diese Bestrebungen jetzt zwischenzeitlich an Zugkraft. Stattdessen kam es - bedingt durch die verbesserten materiellen Voraussetzungen — zu einem kontinuierlichen Anstieg der Leistungs- und Wettkampfsportaktivitäten, die in ihrer Ausrichtung auf Rekorde und Meisterschaften der allgemeinen Mobilisierung breiter Massen abträglich waren9. Dies gelang erst wieder mit der neuerlichen Verschärfung des allgemeinen politischen Klimas und der Radikalisierung großer Teile der Studentenschaft Ende der zwanziger Jahre, wofür der sog. „Verfassungskonflikt" zwischen der Deutschen Studentenschaft (DSt) und dem Preußischen Kultusminister im Jahre 1927 beispielhaft stand10. Hiervon profitierten insbesondere das die Weimarer Republik von Anfang an ablehnende völkischnationalistische Verbindungswesen und die in diesem politischen Spektrum entstandenen politischen Vereinigungen, wie z.B. der 1926 gegründete „Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund" (NSDStB). Dieser wurde schon zum Ende der zwanziger Jahre an vielen Hochschulen zur politischen Führungskraft in den Studentenparlamenten und beherrschte ab 1931 die DSt auch mehrheitlich11. Jetzt wurde das Konzept einer breiten Entwicklung der Leibesübungen erweitert mit dem Ziel einer allgemeinen Wehrsportbewegung. In Zusammenarbeit von fast allen Korporationsverbänden, dem Grenz- und Ostamt der DSt sowie der Reichswehr wurde bis zum Jahre 1931 unter dem Decknamen „Akademisches Wissenschaftliches Arbeitsamt" ( = „Akademisches Wehramt" — AWA) eine Tarnorganisation zur Aktivierung eines soldatischen Führernachwuchses aus den Reihen der Studentenschaft geschaffen. Das Ziel war, im Rahmen streng kasernierter Formen von Arbeitsdienst und Grenz- und Ostlandsdienst659
einsätzen im Sinne der revanchistischen Bestrebungen zu erziehen und eine militante Kampforganisation geistig und physisch für den Kampf um die Revision der Versailler Verträge auszubilden. Die mit der Wirtschaftskrise seit Ende der zwanziger Jahre verbundene allgemeine materielle Notlage hatte gerade auch die Studentenschaft und die Jungakademiker in ihren beruflichen Möglichkeiten stark eingeschränkt und für solch militante Bestrebungen ansprechbar gemacht12. So konnten bis Ende 1932 schon mehr als 2 000 Studenten in Lagern des „freiwilligen Arbeitsdienstes"13 und ca. 4 000 Studenten in 81 Wehrsportlagern zusammengefaßt werden14. Begünstigt wurde diese Entwicklung auch durch die Unterstützung seitens der von dem Zentrumspolitiker Brüning geführten Reichsregierung, die in ihrem Haushaltsplan für das Jahr 1931 1,5 Mio RM zur Förderung des Wehrsports vorgesehen hatte sowie durch die Gründung des mit gleicher Zielsetzung ausgerichteten „Reichskuratoriums für Jugendertüchtigung" (RAfJ) durch den Reichspräsidenten von Hindenburg am 14. 9. 1932. Eine weitere Festigung seiner Arbeit konnte das AWA dann im September 1932 durch ein Abkommen mit der DSt und anschließend mit den Instituten für Leibesübungen erzielen, worin die gemeinsame Forderung nach „akademischer Wehrertüchtigung" sowie eine Abgrenzung der Arbeitsgebiete festgelegt wurden15. Dieses starke Anwachsen des studentischen Wehrsportes hatte nun auch Auswirkungen auf den rein sportlichen Übungs- und Wettkampfbetrieb. Mit der Begründung eines noch konsequenteren „Kurswechsels" im Hochschulsport hatte der Leiter des Amtes für Leibesübungen der DSt, Fritz Weber, schon 1931 die weitere Marschroute festgelegt: Konzentration auf den Breitensport — vor allem in Form von Geländesport und Ferienlagern —, Zurückdrängen des individualistisch geprägten Leistungssportes, Abbau des Wettkampfwesens und ein neuerliches Bekenntnis zum Pflichtsport für alle Studierenden". Ausdruck dieser Tendenz waren auch die auf dem 15. Deutschen Studententag in Königsberg im Juli 1932 verabschiedeten „Grundsätzlichen Richtlinien für den studentischen Leibesübungsbetrieb", die noch einmal das Ziel „nationaler Erziehung" und die „Umstellung zu größerer Breiten- und Tiefenarbeit" betonten17. Gleichzeitig wurden anstelle des bisher alle drei Jahre stattfindenden „Akademischen Olympia" und der bisherigen „Deutschen Hochschulmeisterschaften" im Juli 1932 in Freiburg „Akademische Kampfspiele" durchgeführt. Der neue Name „Kampfspiele" sowie das Programm dokumentierten nachhaltig den Zeitgeist. Standen vorher eindeutig Einzelwettkämpfe im Mittelpunkt, so waren es jetzt Mannschafts- und Mehrkämpfe. Kernstück des Programms bildeten der Mannschaftsfünfkampf für Hochschulen und der Geländesportfünfkampf. Gleichzeitig wurde in Freiburg beschlossen, schon im Wintersemester 1932/33 von der Durchführung jeglicher Hochschulmeisterschaften abzusehen, da „Vorbedingung für die Wehrarbeit eine gründliche vielseitige körperliche Ausbildung" sei und „die Zweckbindung der Leibesübungen die sei, den Körper der Studenten in den Stand zu setzen, daß er auch im Ernstfall für das Vaterland eintreten könne" 18 . Zum Jahresende 1932 - also an der Schwelle zum Dritten Reich — waren damit die Ziele des Göttinger Studententages von 1920 schon weitgehend realisiert: Die Leibesübungen waren ein staatlicherseits anerkannter Bestandteil der Hochschulausbildung, ihre Ausübung war für einen Teil der Studierenden, nämlich die Philologen, pflichtmäßig festgelegt und die Formen und Arten des praktischen Betriebes waren letztlich so angelegt, daß sie der zentralen Forderung nach Erfassung breiter Massen mit dem Ziel einer wehrertüchtigenden Körperschulung gerecht wurden.
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1.2.2 Die Göttinger Entwicklung von
1918—1933
Die spezifische Entwicklung an der Universität Göttingen verlief von 1919 bis 1933 praktisch kongruent zu der vorher skizzierten allgemeinen Entwicklung im Reich. Als Organisationsformen des allgemeinen Hochschulsports bestanden seit 1922 ein Turn- und Sportamt (später Amt für Leibesübungen) der Studentenschaft, ein Akademischer Ausschuß für Leibesübungen und seit 1924 ein Institut für Leibesübungen. Auch in Bezug auf die pflichtmäßige Teilnahme galt hier natürlich die Verordnung des preußischen Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 24. 3. 1925, die den Hochschulsport für Philologen obligatorisch machte. Hierbei hatte die Göttinger Universität sogar insofern eine Vorreiterrolle gespielt, als der Senat schon 1922 der Einführung eines Leistungsbuches nebst zugehöriger Leistungskarte zugestimmt hatte und schon 1924 selbständig die Leibesübungspflicht beschloß19. Auch das dritte Struktur- und Entwicklungsmerkmal des Hochschulsports der Weimarer Zeit, die Ausrichtung auf wehrsportliche Ziele, wurde in Göttingen relativ früh sichtbar. So hieß es schon im Semesterbericht des Wintersemesters 1928/29 u.a.: „Verschiedene Sportarten waren neu aufgenommen worden, z.B. das Kleinkaliberschießen für Damen, Gepäckmarsch und Jiu-Jitsu" 20 . Auch an der Göttinger Universität wurde dieser Wehrsport von einem örtlichen „Akademischen Wissenschaftlichen Arbeitsamt" bzw. „Allgemeinen Wehramt" erfolgreich organisiert. Immerhin klagte das örtliche AFL im Semesterbericht des Wintersemesters 1931/32 über sinkende Teilnehmerzahlen am allgemeinen Sprtbetrieb und führte als Grund hierfür ausdrücklich die Einführung des Wehrsportes an21. Das Göttinger Hochschulsportgeschehen seit Beginn der Weimarer Republik war aber nicht nur ein Reflex der allgemeinen Zeiterscheinungen. So wie schon 1920 durch den 2. Deutschen Studententag gingen auch in den nachfolgenden Jahren gerade von hier eine Reihe wichtiger Impulse aus, die in einigen Bereichen maßgebend für die Entwicklung an den Hochschulen Preußens und im übrigen Reich wurden. Dies war vor allem das Verdienst eines Mannes, des Göttinger akademischen Turn- und Sportlehrers Bernhard Zimmermann. Sein besonderer Einsatz und sein Wirken galt dabei der Anerkennung der Leibesübungen als grundsätzlicher Bestandteil jeglicher studentischen Ausbildung und darüberhinaus der Entwicklung des Faches Leibesübungen als wissenschaftliche Disziplin. Schon vor dem 1. Weltkrieg war Zimmermann als „Gehilfe" des damaligen akademischen Turnlehrers Eulert in Diensten der Universität gewesen und hatte nun nach Kriegsende und Gefangenschaft dessen Position übernommen. Am 1. Okt. 1921 begann Zimmermann in Göttingen seine hauptamtliche Tätigkeit als erster Preußischer „Akademischer Turn- und Sportlehrer". Er war von nun an hauptverantwortlich für die Organisation und Durchführung des allgemeinen Studentensports sowie für die Durchführung der Lehrgänge und Kurse für die 4-semestrige universitäre Turnlehrerausbildung zur Erlangung der Nebenfachfakultas im Fach „Turnen". Zimmermann spielte in den folgenden Jahren aber nicht nur auf der Göttinger Ebene eine bedeutende Rolle beim Aufbau des Hochschulsports. Bald war er auch im Vorstand des „Deutschen Hochschulamtes für Leibesübungen" tätig und wurde Mitherausgeber der in Göttingen erscheinenden wichtigsten Zeitschrift auf dem Gebiet der Hochschulleibesübungen, den „Hochschulblättern für Leibesübungen". Aus diesen Funktionen heraus war er auch verantwortlicher Mitorganisator der großen hochschulsportlichen Veranstaltungen dieser Jahre, z.B. des Akademischen Olympia in Marburg 1924. Inhaltlich bezog er dabei stets Positionen, die die besonderen pädagogisch-humanen sowie die gesundheitlich-hygienischen Faktoren der Leibesübungen betonten 22 . Der militan661
ten politischen Funktionalisierung der Leibesübungen stand er zurückhaltend gegenüber. So kritisierte er z.B. 1922 in einer Stellungnahme zur Einführung des Leistungsbuches für alle Studierenden den darin vorgeschriebenen Gepäckmarsch als nicht angebrachte militärische Übung 23 . Neben dem organisatorischen Aufbau des Hochschulsports an der Göttinger Universität war er vor allem um die Anerkennung der Leibesübungen als universitäre Wissenschaftsund Lehrdisziplin bemüht. In zahlreichen Aufsätzen für verschiedene Fachzeitschriften verdeutlichte er immer wieder die Notwendigkeit eines entsprechenden Ausbildungsfaches. Mit diesen Bemühungen hatte er schließlich auch erste Erfolge. Im Jahre 1924 erhielt er auf Antrag der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Göttingen den ersten Lehrauftrag für „Geschichte und Organisation der Leibesübungen", der für das Fach Leibesübungen überhaupt vom preußischen Unterrichtsministerium erteilt wurde. Mit dieser persönlichen Anerkennung, die Zimmermann primär als eine Anerkennung des Faches betrachtete, begnügte er sich jedoch nicht. Ihm ging es vor allem auch um die institutionelle Absicherung und Gestaltung des Faches. Das Ziel war die Errichtung eines wissenschaftlichen Institutes für Leibesübungen. Dies war eine Wunschvorstellung aller im Hochschulsport engagierten Kräfte, die seit den Beschlüssen des Göttinger Studententages und des D e H o f L besonders intensiv diskutiert wurde. Auch diesen nächsten wichtigen Schritt konnte Zimmermann nun überrraschend schnell realisieren. In Zusammenarbeit mit dem Akademischen Ausschuß für Leibesübungen, dem Senat und vor allem dem Zimmermann noch lange Jahre verbundenen Kurator der Universität, Geheimrat Valentiner, gelang es ihm innerhalb von sechs Monaten des Jahres 1924 die räumlichen, materiellen und personellen Voraussetzungen für ein Institut für Leibesübungen zu schaffen und schon zum Wintersemester 1924/25 die endgültige Zustimmung des preußischen Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung zur Errichtung eines „Institutes für Leibesübungen" an der Göttinger Universität zu erhalten 24 . Damit war zwar nur ein Teil der von Zimmermann für die Errichtung eines solchen Instituts aufgestellten Forderungen realisiert 25 , aber mit der Bereitstellung von zusätzlichen Haushaltsmitteln für die Anstellung eines Assistenten, für „sportärztliche Bemühung", für den „Ausbau der Konstitutions- und Typenforschung" sowie für die Verwaltung und Erweiterung der wissenschaftlichen Bibliothek 2 ' konnte der Lehr- und Forschungsbetrieb des neuen Institutes aufgenommen werden 27 . Die Universität Göttingen hatte damit als erste Universität in Preußen ein solches auch vom Minister anerkanntes Institut erhalten - ein Jahr, bevor per ministeriellen Erlaß am 30. 9. 1925 die Errichtung solcher Institute auch für die anderen preußischen Universitäten angeordnet wurde 28 . Obwohl die jetzt folgenden Jahre Zimmermann in der Leitung und dem Ausbau des neuen Instituts stark beanspruchten, war er weiterhin um die Verbesserung seiner eigenen Qualifikation sowie um die Gestaltung erster Ansätze einer eigenständigen wissenschaftlichen Forschung in seinem Fachgebiet bemüht. So arbeitete er u.a. eng mit dem bekannten Göttinger Reformpädagogen Prof. Herman Nohl zusammen, in dessen Versuchsschule er die Studien zum „Göttinger System des Gruppenwetteifers" mit beeinflußte. Ein anderer Schwerpunkt seiner Arbeit war die Entwicklung der Sportfotografie und der Unterrichtsfilme für den Sportunterricht. Sein Spezialgebiet war die „fotografische Aufnahme sportlicher Bewegungsvorgänge" und „die Illustration des Bewegungsablaufs sportlicher Übungen über die Fotografie (Lichtbild und Film)" 2 9 . Über den Bereich seiner Tätigkeit an der Universität hinaus, zu der ja auch die praktische und wissenschaftliche Ausbildung der Studierenden der Leibesübungen gehörte, wirkte Zimmermann in den kommenden Jahren auch als ver662
antwortlicher Leiter von Ausbildungslehrgängen für Lehrer und Lehrerinnen aller Schulgattungen der Provinz Hannover und konnte dadurch wertvolle Anregungen für die Gestaltung des Schulturnunterrichts geben. Er hatte sich damit in den wenigen Jahren seiner Tätigkeit innerhalb und außerhalb der Universität so viel Anerkennung erworben, daß ihm zweimal der Eintritt in das preußische Unterrichtsministerium angeboten wurde30. Er verzichtete jedoch auf diese ehrenvolle Berufung, weil er sich mit den besonderen Aufgaben, die ihm in Göttingen „an seinem" Institut erwuchsen, auf das engste verbunden fühlte. Als Pädagoge und „Menschenführer" im besten Sinne benötigte er die tägliche Kommunikation mit seinen Studenten und den ständigen direkten Bezug zur Praxis. Hatte er sich also einer Karriere versprechenden Ministeriallaufbahn quasi selbst entzogen, so wurden seine Leistungen für den Aufbau des Hochschulsports allgemein und speziell in Göttingen dann im Jahre 1928 in dem von ihm selbst gesteckten Rahmen angemessen gewürdigt und belohnt: am 19. 11. 1928 wurde er zum ersten Direktor des Göttinger Institutes für Leibesübungen ernannt31. Diese Ernennung und die damit verbundene öffentliche Anerkennung war jedoch für Zimmermann kein Anlaß des Ausruhens auf den beachtlichen Ergebnissen weniger Aufbaujahre. Vielmehr war es ein Ansporn, seine persönliche Berufssituation sowie den Entwicklungsstand seines Faches und Institutes weiter auszubauen und zu verbessern. Zu seiner weiteren persönlichen Qualifikation arbeitete er schon seit einiger Zeit an einer historischen Dissertation mit dem Titel „Geschichte des Reitinstitutes der Göttinger Universität", die er als Dokorand des bekannten Historikers Karl Brandi bei der philosophischen Fakultät einreichte und nach erfolgreichem Rigorosum im Sommersemester 1933 dort auch promoviert wurde. Diese zusätzliche wissenschaftliche Qualifikation, die Zimmermann nun schon im Alter von 44 Jahren - fast 20 Jahre nach Ablegung des Staatsexamens - erlangte, war nicht nur ein persönlicher Erfolg, sondern bedeutete zugleich auch eine weitere Anerkennung des Faches Leibesübungen. Eine der traditionellen universitären Disziplinen, die Geschichtswissenschaft, hatte erstmals eine auf den Sport bezogene Dissertationsthematik anerkannt. Im Bereich des weiteren Ausbaus des Faches ging es jetzt vor allem um die Erweiterung des Studiums der Leibesübungen und die Uberführung der bisherigen vier-semestrigen Nebenfachausbildung in Lehrgängen und Kursen in ein ordentliches, mindestens acht Semester umfassendes Studium; das Ziel war der akademisch ausgebildete Sportlehrer an höheren Schulen, der sogenannte Turnphilologe. Nicht zuletzt durch entsprechende Stellungnahmen und Entwürfe von Zimmermann32 wurde diese Möglichkeit im reformfreudigen preußischen Kultusministerium diskutiert und es galt jetzt, die durch sein Amt im Vorstand des DeHofL und als Vorsitzender der Vereinigung der Akademischen Turn- und Sportlehrer in Preußen entstandenen guten Beziehungen zum Ministerium zu nutzen. Häufig wurde er in dieser Zeit auch vom zuständigen Referenten im Ministerium, dem Ministerialrat Ottendorff, als fachkompetenter Berater herangezogen, und als zum 1. 8. 1929 der entsprechende ministerielle Erlaß zur „Neuordnung der Ausbildung der Turn- und Sportlehrer/innen an den höheren Schulen in Preußen" für ganz Preußen Gültigkeit erhielt, war dies auch ein Verdienst Zimmermanns. Schließlich galt es, die noch immer unbefriedigenden räumlichen Bedingungen des IfL zu verbessern. Zwar war zu dem Grundbestand aus dem Gründungsjahr 1924 im Sommersemester 1925 das Ruderhaus an der Fulda in Wilhelmshausen und 1926 eine Segelflughalle am Brauweg gekommen, insgesamt litt der Betrieb jedoch sehr unter der zerstreuten Lage der Übungs-, Lehr- und Verwaltungsräume, die über das gesamte Stadtgebiet verteilt waren. 663
Zimmermanns Plan war die Schaffung einer großzügigen, zentral gelegenen Sportanlage für die Göttinger Universität, der jedoch angesichts der bedrückenden wirschaftlichen Verhältnisse am Ende der zwanziger Jahre als staatliche Maßnahme keine Aussicht auf Realisierung hatte. Er entschloß sich deshalb zu einem großen persönlichen Opfer. Gegenüber seinem Onkel, dem Genfer Konsul und späteren Ehrenbürger der Universität Göttingen Groenewold, verzichtete er auf das ihm zustehende Erbe von ca. 120 000 R M und ließ diesen Betrag als Stiftung für die Grundsteinlegung neuer Institutsanlagen am Kreuzbergring verwenden 33 . Damit waren die Voraussetzungen für den Neubau eines Institutes gegeben und bald darauf konnten die Arbeiten beginnen. Zunächst nahm man den Bau des Hörsaal- und Verwaltungsgebäudes in Angriff und schon Ende 1932 stand dieser Teil des Gesamtbauvorhabens. U m dieses herum sollten sich dann auf dem Gelände am Kreuzbergring in einem zweiten Bauabschnitt der Hallenkomplex und die Außenanlagen einschließlich der Gebäude der Segelflugabteilung gruppieren. Dies war der räumliche, personelle und strukturelle Entwicklungsstand des Institutes für Leibesübungen am Ende der Weimarer Republik. Vor allem durch das engagierte Wirken des Institutsdirektors Bernhard Zimmermann war es in wenigen Jahren zu einer anerkannten Stätte sachgerechter Ausbildung geworden, von der entscheidende Impulse für die Gesamtentwicklung dieses noch sehr jungen Studienfaches ausgingen.
2. Die Leibesübungen in der Zeit des Nationalsozialismus 2.1 Die weitere Aufwertung der Leibesübungen durch die Nationalsozialisten Die Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933 bedeutete auch für die Hochschulen die sofortige Ausrichtung auf das nationalsozialistische Erziehungssystem. Dabei wurde die körperliche Erziehung entsprechend den Grundsätzen nationalsozialistischer Erziehung ein Schwerpunkt im Erziehungsprogramm der Studentenschaft. Sie sollten in diesem Bereich in besonderem Maße zur Ausbildung und Auslese einer kommenden Führerschicht des nationalsozialistischen Staates beitragen, wobei die „Wehrertüchtigung" eine zentrale Zielsetzung war 34 . Diese eindeutige Funktionalisierung der Leibesübungen knüpfte damit nahtlos an die schon am Ende der Weimarer Republik einsetzende Wehrsportentwicklung im Hochschulsport an.
2.2 Der organisatoñsche Ausbau des Hochschulsports 2.2.1 Die Einführung der zweisemestñgen Sportpflicht Durch die schon vorhandene inhaltliche Ausrichtung auf Wehrertüchtigung lag der Schwerpunkt der nationalsozialistischen Maßnahmen im Hochschulsport zunächst im organisatorischen Bereich. Innerhalb von zwei Jahren vom Februar 1933 bis zum März 1935 wurde über eine Reihe von Zwischenstufen allmählich eine Struktur realisiert, die das gewünschte Ergebnis der vollständigen Erfassung und pflichtmäßigen Teilnahme jedes Studierenden an Programmen der körperlichen Ertüchtigung gewährleistete. Im Februar 1933 erfolgte zunächst per Erlaß die Einführung einer zweisemestrigen Pflichtsportausbildung für die Studierenden an den landwirtschaftlichen Hochschulen, und 664
zwar mit Wirkung vom Sommersemester 1933 35 , nachdem bisher nur die Philologen und die Studierenden an den technischen Hochschulen hierzu verpflichtet waren. Die erste wichtige Zwischenstufe beim organisatorischen Aufbau des nationalsozialistischen Hochschulsports wurde dann Ende April 1933 mit Einführung der „zweisemestrigen Sportpflicht für alle Studierenden" an den Universitäten und Hochschulen erreicht. Der hierzu herausgegebene Erlaß besagte, daß innerhalb einer Semesterwoche eine Teilnahme an mindestens drei Stunden des Leibesübungsbetriebes zur Pflicht wurde und darüberhinaus noch an vier vollen Tagen im Semester Übungsmärsche unter Leitung eines Wehrsportlehrers zu absolvieren waren 36 . Für die Philologie Studierenden wurde durch einen Zusatzerlaß vom 23. 5. 1933 noch ergänzend bestimmt, daß sie für zwei Semester in den Kernfächern am Studium der Turnphilologen teilzunehmen hatten. Als Ersatzleistung galt aber nur für jeweils ein Semester — entweder die Teilnahme an einem sechswöchigen Geländesportlehrgang oder die Teilnahme an einem freiwilligen Werkhalbjahr zu Beginn des Studiums 37 . In Göttingen wurde dieser Pflichtsport nun ab Wintersemester 1933/34 allein durch das IfL organisiert, nachdem es im Sommersemester 1933 noch erhebliche Kompetenzstreitigkeiten mit den neben dem IfL entstandenen studentischen Amtern für Wehrsport, dem „Wehramt der Studentenschaft" und dem „SA-Hochschulamt" gegeben hatte 38 . Die für alle Studierenden verbindlichen Übungsstunden lagen dabei in den frühen Morgenstunden mittwochs und freitags jeweils von 6 - 8 Uhr. Dies ergab sich allein schon aus dem Fehlen ausreichend freier Sportstätten in Göttingen und der Vermeidung von Kollisionen mit dem Lehrbetrieb der sog. wissenschaftlichen Fächer. Nicht zuletzt der frühe Termin führte nun jedoch zu einer Reihe von Schwierigkeiten, wie es aus Berichten des neuen Rektors Neumann an den preußischen Kultusminister sowie des IfL-Direktors Zimmermann an den Kurator der Universität zu entnehmen ist. Neumann berichtete u.a. von „unzweckmäßigen Störungen", die dadurch entstünden, „daß der Zeitraum, der für die wissenschaftliche Schulung und der Zeitraum, der für die politische, wehrsportliche und körperliche Schulung vorgesehen ist, nicht scharf genug getrennt gehalten werden, weil verschiedene Ämter nebeneinander arbeiten. Außerdem können Uberanstrengungen eintreten, wenn am Sonnabend und weitgehend am Sonntag jede freie Zeit fortfällt, um etwa zu verhindern, daß der SA-Dienst zuviel Zeit in der Woche f o n n i m m t " 3 9 . Zimmermann sah ähnliche Probleme, aber mehr aus fachlicher Sicht: „Die in Anspruchnahme der Studenten durch durchgreifende körperliche Ausbildung und sofort anschließende wissenschaftliche Arbeit wurde erhöht durch den weiten Anweg der Mehrzahl der Teilnehmer zum Jahnspielplatz, also durch sehr frühes Aufstehen und Schwierigkeiten der Einnahme des Frühstücks. Die Durchführung der vorgeschriebenen körperlichen Ausbildung wurde — abgesehen von der oben begründeten vorzeitigen Entlassung einiger Teilnehmer - stellenweise dadurch beeinträchtigt, daß ein Teil der Studierenden übermüdet und sportlich wenig leistungsfähig ist" 4 0 . Allerdings sah Zimmermann auch kaum Anderungsmöglichkeiten. „Die geringen Freizeiten des benötigten Übungsplatzes, die Rücksicht auf den Studienplan der Universität, die politische Schulung und der SA-Dienst der Studierenden schränken die Wahl der Übungszeiten derart ein, daß tatsächlich nur die jetzt gültigen Übungsstunden übrig bleiben" 4 1 . Rektor Neumann sah in den Schwierigkeiten allerdings auch einen gewissen positiven Effekt: „Der Druck, der dadurch auf den wissenschaftlichen Unterricht ausgeübt wird, kann eine heilsame Wirkung haben, wenn man ihn richtig benutzt. Der wissenschaftliche Unterricht leidet auf den meisten Gebieten an Stoffüberfüllung. Außerdem wird der Student für 665
viel zu viel Sonderfächer eingespannt. Die politische und körperliche Erziehung zwingt wenigstens von außen her, den wissenschaftlichen Unterricht auf ein besseres Maß einzuschränken" 4 2 . Die Uberprüfung der Teilnahme lag beim Institut für Leibesübungen, das Testate für die jeweilige Teilnahme ausgab. Somit konnte sich kein Studierender mehr diesem Pflichtsport entziehen, wenn er nicht Schwierigkeiten für die Fortsetzung seines Studiums riskieren wollte. Jetzt war also die alte Forderung der Studentenschaft aus dem Jahre 1920 realisiert worden, nach der jeder Studierende zur Teilnahme an Leibesübungen verpflichtet war. Daß es von der erstmaligen Forderung bis zur vollständigen Verwirklichung 13 Jahre dauerte, zeigt wie langwierig und umstritten die Diskussion um diese Maßnahme war. Der Zeitpunkt der Bekanntgabe dieses Erlasses - etwa drei Monate nach der Machtübernahme — zeigt aber wiederum auch, wie schnell sich die Nationalsozialisten jetzt über jahrelang mehr oder weniger starke Hemmnisse, Einwände und Bedenken hinwegzusetzen vermochten.
2.2.2 Der spezielle Ausbau des Wehrsports Schon vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten hatte es ja eine Reihe wehrsportlicher Angebote für die Studentenschaft gegeben. Sie wurden jedoch zumeist außerhalb der Universität in speziellen Lagern durchgeführt und lagen ausschließlich in den Händen der studentischen Wehrämter. Jetzt aber, nachdem es zwischen der sich „selbstverwaltenden" Studentenschaft und der staatlichen Kultusbürokratie de facto nur noch geringe Gegensätze und unterschiedliche Kompetenzbereiche gab, mußte der staatliche Einfluß auch auf diesem Gebiet deutlich sichtbar werden. Rein formal blieb die Wehrsportausbildung auch weiterhin in der Verantwortung der Studentenschaft, und zwar zunächst bei den jetzt auch offiziell als „Wehrämter" deklarierten Nachfolgeämtern der aufgelösten A W A . Vom Kultusministerium wurde nun in der Regel nach Absprache mit der DSt für jede Hochschule noch ein eigener Wehrsportlehrer abgestellt, der die gesamte Wehrsportausbildung der Hochschule zu leiten und zu organisieren hatte. Finanziert wurde der Wehrsport fast ausschließlich durch Haushaltsmittel des IfL, das auch für die Anschaffung der Ausrüstungen wie Tornister, Spaten, Keulen, Karten und K-KBüchsen zuständig war 43 . Im Anfangsjahr 1933 wurden in Göttingen insgesamt ca. 4 500 R M für Wehrsportmaßnahmen aufgebracht, 1934 dann schon die erhebliche Summe von 20 000 R M ; das waren ca. 40 % des gesamten Personal- und Sachhaushaltes des Göttinger IfL. Die Wehrsportmaßnahmen wurden jedoch nicht nur dort durchgeführt. Ab August 1933 mußten die einzelnen Hochschulen auch eigene Wehrsportlager einrichten. Mit einiger Verzögerung erwarb die Göttinger Universität das ehemalige Jugendheim des Landkreises Northeim in Levershausen in der Nähe der Gemeinde Sudheim. Verwaltet wurde dieses Lager von dem im September 1933 neu eingerichteten SA-Hochschulamt. Dieses Amt hatte das studentische Wehramt abgelöst und verdeutlichte den noch vorhandenen Machteinfluß der SA auch auf der Hochschule. Diese stürmische Entwicklung bei der Integration des Wehrsports in das Programm der Hochschulleibesübungen fand nun auch nachhaltig Unterstützung durch die Universitätsleitung. Besonders der neue Göttinger Rektor Neumann zeigte sich als Förderer aller wehrsportlichen Aktivitäten, selbst wenn sie in größerem Umfang den sonstigen Lehrbetrieb einschränkten. So wies er z.B. in einem Rundschreiben alle Dozenten an, am 12. Juli 1933 den Lehrbetrieb wegen eines Tagesmarsches aller Studierenden im Rahmen ihrer Pflichtsportausbildung gänzlich ausfallen zu lassen44. Kurze Zeit später war er dann auch Gast auf dem Sommerfest des IfL, das dieses Mal auf dem Gelände
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des Bootshauses in Wilhelmshafen an der Fulda stattfand. Dort erlebte er Leistungsüberprüfungen der Studenten im Geländesport, u.a. mit den Inhalten „Geländebewertung, Geländeausnutzung, Entfernung schätzen, Tarnen, Kartenkunde, Meldungen etc." 45 . Anfang 1934 wurde diese Wehrsportausbildung über die vom Reichsinnenminister am 7. 2. 1934 erlassene neue Verfassung der Studentenschaft auch formalrechtlich noch einmal abgesichert. Im Teil 2, Stück 4, das sich auf die Aufgaben bezog, wurde dabei die besondere „Verpflichtung der Studierenden zum SA-Dienst und zum Arbeitsdienst" betont, wie auch die Aufgabe des SA-Hochschulamtes mit der „Erziehung zur Wehrhaftigkeit" noch einmal vermerkt wurde44. In der Praxis hatten diese Verpflichtungen zur Folge, daß von nun ab die SA-Hochschulämter die Studierenden zur Teilnahme an ihren Veranstaltungen zwingen konnten. Durch Erlaß vom 21. 4.1934 wurde nämlich u.a. festgelegt, daß ab Sommersemester 1935 „das Belegen von Vorlesungen von dem Nachweis der durch das SA-Hochschulamt vorgeschriebenen Betätigung bei den Instituten für Leibesübungen bzw. den SA-Hochschulämtern abhängig ist" und „das Belegen von Vorlesungen im 2. und 3. Studiensemester von einer vorherigen Anmeldung beim SA-Hochschulamt abhängig" gemacht werden sollte47. Der Studiengang jedes Studierenden führte also nicht mehr nur über die Teilnahme am Pflichtsportangebot der IfL, sondern sah jetzt auch noch die pflichtmäßige Absolvierung des wehrsportlich orientierten Angebots der SA-Hochschulämter vor.
2.2.3 Die Einführung der dreisemestrigen Sportpflicht und der Erlaß der Hochschulsportordnung Eine weitere Steigerung erfuhr die gesamte Entwicklung im April 1934. Durch Erlaß vom 28. 4. wurde die Teilnahme am studentischen Pflichtsport um ein Semester auf drei erhöht. Während der ersten drei Semester mußten jetzt wöchentlich mindestens zwei Übungszeiten von 1,5 bis 2 Stunden absolviert werden. Damit begann sich langsam ein endgültiges Organisationsbild für die körperliche Erziehung der Studentenschaft abzuzeichnen, das mit dem Erlaß der „Hochschulsportordnung" am 30. Okt. 1934 seine endgültige Gestalt erreichte48. Dies war eine der ersten wichtigen Maßnahmen des neugeschaffenen Amtes „ K " (körperliche Erziehung) im Reichserziehungsministerium. Von entscheidender Bedeutung waren in dieser Hochschulsportordnung die Abschnitte I —III, die den allgemeinen Sportbetrieb betrafen. Sie traten bereits ab Wintersemester 1934/35 in Kraft, während die Abschnitte IV — VII erst ab Sommersemester 1935 Gültigkeit erhielten. Insbesondere erfuhr die „Grundausbildung", also die schon bestehende pflichtmäßige Ausbildung der ersten drei Semester, eine sehr präzise und umfangreiche Neuregelung. Es wurde jetzt genauestens festgelegt, welche Ubungsarten in welchen Semestern abzuleisten waren und in welchen eine Leistungsprüfung erfolgte. Die Teilnahme wurde auf einer sog. „Grundkarte" bescheinigt, auf der jedem Studenten auch eine punktmäßige Bewertung seiner Leistungen eingetragen wurde. So gab es einen Punkt für jede abgeleistete Übungsstunde bzw. 15 - 20 Punkte für jede bestandene Leistungsprüfung. Insgesamt waren 200 Punkte erreichbar. Erfüllt waren die Bedingungen der Grundkarte bei 150 Punkten. Die Erreichung der Mindestpunktzahl war insofern von besonderer Bedeutung, als nur hierdurch eine Zulassung zum vierten Semester möglich wurde; die ausgefüllte Grundkarte galt dabei als Ausweis. Wer dahingegen die geforderte Leistung nicht erbringen konnte, mußte unter Umständen mit der Verweisung von der Hochschule rechnen. In diesem System der konsequenten Erfassung und dem Zwang nicht nur zur Teilnahme, sondern auch zum Nachweis einer bestimmten Leistung, sahen die nationalsozialisti667
sehen Machthaber eine Gewähr dafür, daß die körperliche Erziehung der Studentenschaft ein zentraler Bestandteil ihres Ausbildungsganges wurde. Nur wer von nun an seine körperliche Leistungsfähigkeit nachwies, hatte eine Chance, auch die wissenschaftliche Qualifikation durch die Universität zu erlangen. Wenn man hierzu außerdem noch die Wehrerziehung durch das SA-Hochschulamt sowie die politische Schulung durch den NSDStB berücksichtigte, blieb von der sog. „akademischen Freiheit" der Studierenden kaum etwas übrig. An die erfolgreich abgeschlossene Grundausbildung Schloß sich dann die freiwillige Teilnahme am „Sportbetrieb der älteren Studierenden" an. Auch hierbei wurde die Teilnahme erst durch den Besitz einer Sportkarte möglich, auf der die erzielten Leistungen registriert wurden und die von Semester zu Semester neu gelöst werden mußte. Alles war kursusmäßig geordnet und sogar die Teilnehmerzahlen innerhalb eines Kurses durch die Hochschulsportordnung festgelegt. Die Kurse waren unterteilt in zweistündige Anfängerkurse und sich daran anschließende vierstündige Fortgeschrittenenkurse. Auch hierbei sollte eine ständige Leistungsüberprüfung erfolgen. Mit der Hochschulsportordnung war also dem Studentensport im Herbst 1934 staatlicherseits ein fester Rahmen gegeben worden, der sich eindeutig und klar in die nationalsozialistischen Organisationen des Sports einfügte und sich darüber hinaus konsequent dem Gefüge des sich entwickelnden nationalsozialistischen Erziehungssystems anpaßte. Der Studentensport hatte damit seine letzte Freizügigkeit verloren und wurde nun — gleich allen anderen universitären und gesellschaftlichen Teilbereichen — gänzlich staatlicherseits organisiert und kontrolliert 49 . Zur gleichen Zeit des Erlasses der Hochschulsportordnung, nämlich am 29. 10. 1934, wurden auch die letzten noch nicht vom Staat kontrollierten Organe im Bereich der Hochschulleibesübungen, die Akademischen Ausschüsse für Leibesübungen, aufgelöst50. Dieses war die konsequente Folge der bisherigen Entwicklung und zeigte noch einmal deutlich, daß die Nationalsozialisten nun nicht mehr gewillt waren, irgendeine Entscheidung oder Maßnahme in diesem Bereich einem selbständig arbeitenden Gremium zu überlassen, selbst dann nicht, wenn ihnen durch die personelle Zusammensetzung jederzeit eine Einflußnahme möglich war. Das System der Kontrolle wurde so total wie nur möglich ausgebaut.
2.2.4 Die Entwicklung ab 1934 In der Folgezeit gab es gegenüber den Festlegungen der Hochschulsportordnung mit einzelnen Ausnahmen kaum noch Veränderungen. Zu den Ausnahmen gehörte z.B. die Auflösung der SA-Hochschulämter in Verbindung mit der SA-Entmachtung nach dem sog. „Röhm-Putsch" am 30. 4. 1934. Der gesamte Aufgabenbereich wurde daraufhin dem Amt „Chef des Ausbildungswesens der S A " , kurz „Chef A W " genannt, übertragen. Aber auch diese Organisation hatte nur noch bis zum 1. 3 . 1 9 3 5 Bestand. Im Mai 1935 war mit der Einführung der „allgemeinen Wehrpflicht" das letztliche Ziel der Nationalsozialisten erreicht, und die bisherigen Ersatzmaßnahmen wurden überflüssig. In dem hierzu erlassenen „Wehrgesetz" vom 21. 5. 1935 wurde im Abschnitt II „Die Wehrpflicht" festgelegt, daß alle Männer vom 18. bis 45. Lebensjahr wehrpflichtig wurden 51 . Von nun an bedurfte es keiner eigenen wehrsportlichen Erziehung an der Hochschule mehr. Jetzt hatten alle wehrtauglichen Abiturienten vor dem Studienbeginn ihre Wehrdienstzeit abzuleisten und erfuhren hierbei eine viel intensivere und zielorientiertere Ausbildung. Ergänzt wurde das Wehrpflichtgesetz wenige Wochen später noch durch das Reichsarbeitsdienstgesetz, das die bisherige Arbeitsdienstausbildung in eine einheitliche feste Form brachte. Jeder Jugendliche war 668
jetzt vom 18. Lebensjahr an verpflichtet, für sechs Monate in einem Arbeitsdienstlager zu dienen52. Innerhalb von zwei Jahren, von Anfang 1933 bis 1935, hatte sich damit in der Organisation der körperlichen Ausbildung der Studentenschaft eine Entwicklung vollzogen, die zwar über zahlreiche Zwischenformen verlief, schließlich aber doch dem nationalsozialistischen Erziehungsziel im Hochschulbereich vollauf entsprach. Der junge Student erfuhr von jetzt an noch vor Studienbeginn und dann auf der Hochschule eine umfassende, vielgestaltige körperliche Ausbildung, die ihn dem Idealbild vom „kämpferisch-vitalen politischen Soldaten und Volksgenossen" näherbringen sollte. Das Schema dieser Organisation wurde in den kommenden Jahren in einzelnen unbedeutenden Punkten noch etwas variiert, blieb aber generell so, wie es sich im Jahre 1935 zeigte, auch für die nachfolgenden Jahre von Gültigkeit.
2.3 Personelle und bauliche Entwicklung am IfL ab 1933 2.3.1 Die Anpassung der Institutsleitung an die neuen Erfordernisse und der forcierte Ausbau der Institutseinrichtungen Der Machtübernahme in Deutschland durch die Nationalsozialisten am 30. 1. 1933 stand der IfL-Direktor Zimmermann, der selbst politisch nie hervorgetreten war, zunächst recht gelassen gegenüber. Aufgrund seiner bisherigen sachlichen Leistungen und Arbeit am und für das IfL sah er keinerlei Konflikte und Gefahren mit und durch die neuen Machthaber. Darüberhinaus begrüßte er aus der Sache heraus — wie so viele seiner damaligen Kollegen — grundsätzlich die vermeintliche Aufwertung, die die Leibesübungen durch die neuen Machthaber jetzt erhielten. Als praktisch veranlagter Mensch gelang ihm auch die Um- und Einstellung auf die neuen Anforderungen ohne Komplikationen. In einem Brief an seinen Hannoveraner Kollegen Vogel im Mai 1933 schilderte er seine ersten Erfahrungen mit den neuen Verhältnissen: „Der Döberitzer Kursus (ein pflichtmäßiger Geländesportlehrgang für alle IfL-Direktoren und ihre Stellvertreter, der Verf.) ist mir gut bekommen und wir haben uns auf die neuen Erfordernisse der Zeit eingestellt. Allerdings sind die Dinge noch im unklaren, weil noch kein Mensch weiß, wieweit die Studenten an der Aufbauarbeit sich beteiligen werden. Da von ihrer Seite der Wehrsportlehrer angestellt werden soll, ist auch mit einer starken Mitwirkung der Studenten zu rechnen. Wir werden vom IfL, wie es sich auch entwickeln wird, die Sportstudenten zu einer wehrsportlichen Gemeinschaft zusammenfassen und ganz in dem Sinne arbeiten, wie wir es in Döberitz besprochen haben. Vom Ministerium ist noch keine Antwort auf meinen Antrag betreffs Beschaffung von Geräten für den Wehrsport eingelaufen. Ich setzte aber Mittel schon jetzt ein aus einem laufenden Etat, um den dringendsten Anforderungen genüge zu leisten. Wir sind insofern günstig dran, weil wir neben dem Jahnplatz noch eine größere Fläche haben, auf der wir eine vorschriftsmäßige Hindernisbahn anlegen. Gleich dahinter ist ein 16 qm abgeräumtes Kiesgrubengelände, das wir auch sehr schön verwenden können. Wir sind ja elastisch genug, um unserem alten guten Sport eine Orientierung nach der wehrsportlichen Seite hin zu geben. Man kann dann eine Trennung machen zwischen Wehrsport im eigentlichen Sinne mit durchaus sportlichem Einschlag und Geländesport. Der letzere läßt sich nur unter gewissen Bedingungen durchführen, da wir keinen Truppenübungsplatz in der Nähe haben. Flurschaden und Anzeigen von Förstern drohen, wenn wir über die paar verfügbaren Geländestreifen hinausgehen; daran wird schon viel scheitern fürchte ich. Ich werde aber in den Pfingstferien meine Sportstudenten zu einem Wehrsportlager in der Nähe Göttingens zusammenfassen."53 669
Inwieweit das aus dem Brief ersichtliche Bemühen um den Wehrsport aus Überzeugung für die Sache erfolgte oder nur taktisch bedingt war, um dem Zeitgeist gerecht zu werden, muß letztlich offen bleiben. Fest steht, daß sich Zimmermann gerade in diesen ersten Monaten des Jahres 1933 mit den vielfältigen und teilweise radikalen Machtansprüchen der jetzt neben dem Institut agierenden studentischen Organisationen und der SA auseinanderzusetzen hatte. Offensichtlich praktizierte er dabei die Linie, möglichst viele der vorgegebenen wehrsportlichen Inhalte über das Institut abwickeln zu können, um dadurch nicht noch mehr Einfluß auf den allgemeinen Sportbetrieb und die allgemeine körperliche Ausbildung der Studentenschaft zu verlieren; dieses war und blieb ein zentrales Anliegen seit Beginn seiner Hochschultätigkeit. Die Sorge hierum bewegte ihn auch noch einige Monate später, als er die Erfahrungen des ersten nationalsozialistischen Sommers in einem weiteren Brief an Vogel verarbeitete: „Wir müssen jetzt regional auch zusammenhalten, um über gewisse Schwierigkeiten hinwegzukommen . . . Die Einstellung der Studentenschaft ist anscheinend so, daß sie die IfL nur für die Turnlehrerausbildung gelten lassen will. Wenn die Studentenschaft die gesamten Leibesübungen für den übrigen Kreis der Studenten übernehmen will, so wird natürlich nichts Gescheites herauskommen. Wir alten Leute haben für diese Kompetenzschwierigkeiten gar nichts übrig, sondern denken nur an die sachliche Arbeit, und da würde es einem weh tun, wenn die allgemeine körperliche Ausbildung, die immer die entscheidende Grundlage bleiben muß, für die Heraufführung zum Geländesport etc. im Dilettantischen zerflattern"54. Mit dem Erlaß der Hochschulsportordnung 1934 schienen aber auch diese zwischenzeitlichen Unsicherheiten überwunden. Der Anpassungskurs von Zimmermann schien sich für ihn und die Stellung des Institutes im gerade in Göttingen stark ideologisierten und stramm geführten nationalsozialistischen Hochschulgefüge bewährt zu haben. Inzwischen waren die traditionellen Aufgaben und Kompetenzbereiche des IfL - vor allem in Abgrenzung zum SA-Hochschulamt — auch durch einen Erlaß des preußischen Kultusministers vom 28. 11. 1933 noch einmal bestätigt worden und folgendermaßen festgelegt: a) Zuständigkeit für alle Fragen der reinen körperlichen Erziehung (auch soweit sie Voraussetzungen für den SA-Dienst sind), b) die Ausbildung der pflichtmäßig Sport treibenden Studierenden, c) die Ausbildung der Turnphilologen, d) die Übernahme des sportlichen Teils der Lagerausbildung der Studenten während der Semesterferien auf Anforderung des zuständigen Hochschulamtes und e) die wissenschaftliche Forschung auf dem Gebiet der körperlichen Erziehung 55 . Auch Zimmermann selbst blieb weiterhin unbestritten in seiner Leitungsposition, obwohl er keiner nationalsozialistischen Organisation angehörte 56 . Jedenfalls ließ die durch das Reichserziehungsministerium vollzogene Überleitung vom Studienrat in das Amt des Regierungsrates am 31.8. 1935 eher auf eine Anerkennung als auf Schwierigkeiten in seiner dienstlichen Stellung schließen57. Auch die Tatsache, daß seine Frau Eva jüdischer Abstammung war, hatte bisher keine Auswirkungen auf seine Situation gehabt. Von nun ab konnte wieder sachbezogener gearbeitet werden, was auch aus einer Übersicht über die Vorlesungen am Institut im Zeitraum vom Sommersemester 1933 bis zum Sommersemester 1937 deutlich wird. In den· Universitäts-Vorlesungsverzeichnissen für das IfL sind nur drei Vorlesungen zu finden, die den spezifischen ideologischen Charakter der Leibesübungen der NS-Zeit tangieren: Im Wintersemester 1933/34 erscheint Zimmermann mit dem Thema „Die körperliche Erziehung der Jugend mit besonderer Berücksichtigung der geländesportlichen Ausbildung", im Wintersemester 1934/35 ein Dr. Salier mit dem Thema „Rassekunde und Rassenhygiene des deutschen Volkes" und im Sommersemester
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1935 nochmals Zimmermann mit dem Thema „Der nationale Gedanke und die Leibesübungen". Für Zimmermann rückte jetzt wieder der weitere Ausbau der Institutsanlagen in den Vordergrund. Inzwischen war der zweite Bauabschnitt für die zentrale Hochschulsportanlage begonnen worden und er engagierte sich wiederum in besonderem Maße für die Fertigstellung dieses großen Projektes. Zur bevorstehenden 200-Jahr-Feier der Universität im Jahre 1937 sollte die Einweihung der Gesamtanlage erfolgen. Immer wieder intervenierte er im Reichserziehungsministerium wegen zögernder Mittelzuweisung für die jetzt im Bau befindlichen Institutsanlagen, und zwar die Erweiterung des sog. „Groenewold-Baus" zu einer Turnhalle, die Schaffung eines Universitätssportplatzes sowie die Errichtung eines Kleinkaliberstandes58. Hierbei erfuhr er weiterhin nachhaltige Unterstützung durch den Kurator Valentiner, so daß die Arbeiten schließlich auch deutliche Fortschritte machten.
2.3.2 Erste Schwierigkeiten für den Institutsdirektor Zimmermann
Auf die Dauer blieb aber auch Zimmermann von den allgemeinen politischen Entwicklungen und dem immer enger werdenden ideologischen und rassischen Netzwerk des nationalsozialistischen Staates nicht unberührt. Hatte er bis dahin verstanden, auch ohne öffentliche Bekenntnisse zur NS-Bewegung, z.B. durch die Mitgliedschaft in einer NS-Organisation, seine berufliche und persönliche Unabhängigkeit zu wahren, so kündigte der sich ab 1935 deutlich verstärkende Antisemitismus jetzt auch für ihn und seine Familie Gefahren an. Ein erster Hinweis hierauf war die am 8. April 1935 in Form eines Schnellbriefes an den Universitätskurator erfolgte Anfrage, „ob die arische Abstammung der Ehefrau des akademischen Turn- und Sportlehrers Dr. Zimmermann nachgewiesen ist, ob er der NSDAP, der SS oder der SA angehört und seit wann" 5 '. Die Antwort, handschriftlich auf dem gleichen Schnellbrief vermerkt, konnte natürlich nur heißen, daß seine Ehefrau Eva Jüdin war und er weder der NSDAP, der SS oder der SA angehörte. Dies wurde auch noch einmal in der Antwort auf eine weitere Nachfrage des Reichserziehungsministeriums vom 25. 8. 1935 bestätigt, mit der anscheinend im Vorfeld der „Nürnberger Rassegesetze" vom 15. 9. 1935 alle Beamten und Lehrer überprüft wurden. Hierin wurde Zimmermann befragt, ob er der NSDAP angehöre und ob er selbst arischer Abstammung sei.60 Während er nochmals ersteres verneinte, konnte er seine arische Abstammung ohne Zweifel glaubhaft machen.61 Dies alles mögen noch Routineakionen gewesen sein, da trotz der positiven Angaben über seine sog. „jüdische Versippung" hierauf keine offizielle Reaktion erfolgte. Seine Familie blieb weiterhin unbehelligt und er selbst konnte ohne Einschränkungen als Institutsdirektor weiterarbeiten. Immerhin waren aber gegenüber seiner bisherigen Situation Veränderungen eingetreten, die ihn beunruhigen mußten. Er war jetzt einschlägig erfaßt und als „belastet" registriert. Dies führte auch schon sehr bald zu ersten Konsequenzen in seinem persönlichen Umfeld. In der Akademischen Turnverbindung (ATV), der er mehr als 30 Jahre als Aktiver und jetzt als hochgeachteter „Alter Herr" angehörte, hatte man ihm mehrfach angedeutet, sich von seiner Frau zu trennen. Als Zimmermanns Antwort hierauf selbstverständlich ablehnend ausfiel, wurde ihm der Austritt aus „seiner" Verbindung nahegelegt. Dieses vollzog er dann auch umgehend, denn natürlich stand er zu seiner Frau und empfand ein solches Ansinnen als Unmöglichkeit.62
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2.3.3 Die erzwungene „Zurruhesetzung'" Zimmermanns anläßlich der Einweihung der neuen Institutsanlagen Außer den Vorgängen des Jahres 1935 blieb Zimmermann in der folgenden Zeit aber von weiteren Aktionen verschont und die Gefahren und Probleme wegen der jüdischen Abstammung seiner Frau schienen schon nicht mehr existent zu sein. Im Mai 1937 kam dann plötzlich und unerwartet wieder Bewegung in den „Fall" Zimmermann. Am 28. 5. 1937 ersuchte das Reichserziehungsministerium den Kurator in einem Schreiben mit dem Vermerk : „Zum Bericht vom 14. 5. 1937 . . . betr. jüdische versippte Beamte ( . . . ) um sofortige Herausreichung der Personalakten des Direktors des Hochschulinstitutes für Leibesübungen, Regierungsrat Dr. Zimmermann". 63 Dies war ein deutlicher Hinweis, daß Maßnahmen gegen Zimmermann eingeleitet wurden. Diese Tatsache und der Zeitpunkt waren für ihn und alle in der Universität hieran beteiligten überraschend. Zimmermann und das ganze Institut standen in diesen Wochen mitten in den Vorbereitungen auf die Deutschen Hochschulmeisterschaften (DHM), die wenige Wochen später in Göttingen stattfinden sollten. Die DHM waren in das Gesamtprogramm der 200-Jahr-Feier der Universität eingefügt und sie sollten u.a. den Hintergrund für die Einweihungsfeierlichkeiten der zentralen Hochschulsportanlage, dem Lebenswerk Zimmermanns, bilden. In der Universität war also keinerlei aktueller Anlaß für diese plötzliche Entwicklung zu erkennen. Zimmermann standen große Tage bevor, die nur in einer besonderen öffentlichen Anerkennung seiner bisherigen Leistungen gipfeln konnten. Die Hintergründe für diesen Vorgang waren jedoch übergeordneter Art und kamen nicht aus dem Göttinger Umfeld. Zum einen stand die Aktion im Zusammenhang mit dem am 26. 1.1937 erlassenen „Deutschen Beamtengesetz" und zum anderen war es die Folge eines vom Amt „K" des REM ausgehenden allgemeinen Personalrevirements im Bereich der Führungskräfte an den Instituten für Leibesübungen.64 Das Beamtengesetz bot anscheinend den entsprechenden Anlaß, um den bisher fachlich und persönlich unbestrittenen Institutsdirektor Zimmermann aus dem Amt entfernen zu können. Der Hebel für die Intentionen des REM waren dabei die im Absatz II unter „Beendigung des Beamtenverhältnisses" festgelegten Bestimmungen. Im einzelnen hieß es zum Punkt 2 „Entlassung des Beamten" unter c) (§ 59) „Abstammung des Beamten oder seines Ehegatten": „ Der Beamte ist zu entlassen, wenn sich nach seiner Ernennung herausstellt, daß er oder sein Ehegatte nicht deutsch oder artverwandten Blutes ist, oder wenn er nach seiner Ernennung die Ehe mit einer Person nicht deutschen oder artverwandten Blutes ohne die nach § 25 Abs. 2 oder Satz 2 oder Abs. 3 erforderliche Genehmigung geschlossen hat.. ,"65 Da dieses Gesetz am 1. Juli 1937 in Kraft trat, mußte also vor diesem Termin noch festgestellt werden, ob seine Bestimmungen auf Zimmermann angewandt werden konnten. Bis zu den Meisterschaften vom 24. bis 27. Juni 1937 tat sich aber noch nichts; dann überschlugen sich jedoch die Ereignisse. Der Einweihungsakt der neuen Institutsanlagen war als Höhepunkt der sportlichen Festtage am Abschluß der D H M vorgesehen. Die Anlage stellte zu diesem Zeitpunkt den modernsten Stand der baulichen Gestaltung von Sportanlagen dar.66 Gleichzeitig war es die erste Anlage dieser Art, die in der Zeit seit der Machtübernahme der Nationalsozialisten fertiggestellt worden war und daher für die Machthaber natürlich auch ein Prestigeobjekt; hiermit sollte die Leistungsfähigkeit und die Bedeutung des Sports im neuen Staat dokumentiert werden. Entsprechend groß war auch die Zahl der NS-Prominenz, die zu diesem Ereignis nach Göttingen gekommen war: Von Reichserziehungsminister Rust über Reichsstudentenführer Dr. Scheel, dem für den Hochschulsport verantwortlichen Ministerialdirektor und Leiter des Amtes „K" (Körperliche 672
Erziehung) im Reichserziehungsministerium Prof. Dr. Krümmel, dem Staatsminister Wacker bis zum Ministerialrat Dr. Becker aus dem Finanzministerium.67 Die gesamte Organisation und Leitung lag natürlich in den Händen des Direktors des IfL Dr. Bernhard Zimmermann, für den dieser Tag eigentlich zum Höhepunkt seiner beruflichen Entwicklung und Tätigkeit werden sollte. Für ihn ganz persönlich schien ein glücklicher Traum in Erfüllung zu gehen, den er durch Jahre unermüdlicher Aufbauarbeit und persönlicher Opfer entscheidend mit beeinflußt hatte. Umso schockierter war er, als er am Vortag der Einweihungsfeierlichkeiten, am 26. Juni, vom zuständigen Ministerialdirektor Dr. Krümmel in einer dienstlichen Unterredung nahegelegt bekam, sofort seine Pensionierung zu beantragen, „anderenfalls (seine) Versetzung in den Ruhestand behördlicherseits verfügt werden müsse"68. Der von Krümmel hierfür angeführte Grund war die Tatsache, daß sich Zimmermann bisher nicht von seiner Frau getrennt hatte. Die gesamte Unterredung sowie die speziellen Forderungen hatten natürlich keinen offiziellen Charakter; vielmehr wurde von Zimmermann erwartet, daß er den ihm im Zusammenhang mit den Deutschen Hochschulmeisterschaften und der Institutseinweihung noch zufallenden Aufgaben und Pflichten ohne Einschränkung nachkam. Plötzlich war Zimmermann also in eine Situation gestellt, die eigentlich Unvorstellbares von ihm verlangte. In seiner tiefen Betroffenheit hätte er eigentlich zu jeglicher weiteren offiziellen Handlung unfähig sein müssen. Aber er wurde sich selbst in dieser Lage nicht untreu: geprägt von tiefem Pflichtbewußtsein und Engagement für die Sache, für „sein" Institut, bewahrte er nach außen hin die Fassung. Er berichtete jedoch am nächsten Vormittag, dem Tag der Einweihungsfeierlichkeit, seinem ihm nahestehenden Oberassistenten, Wilhelm Henze, von dem Vorgang und der jetzt eingetretenen Lage. Henze, der natürlich ebenfalls hochgradig betroffen war, wollte spontan mit öffentlichem Protest hierauf reagieren, wurde aber von Zimmermann sofort daran gehindert.69 Dieser hatte nämlich inzwischen erkannt, daß ihm keinerlei andere Wahl blieb, als auf das Verlangen Krümmels einzugehen. Noch mit Schreiben vom selbigen Tage, dem 26. Juni 1937, bat er den Reichserziehungsminister um seine Versetzung in den Ruhestand.70 Er mußte einfach befürchten, daß öffentliches Widersetzen oder Nichtbefolgen seine und vielleicht auch die Lage all derer, die sich evtl. für ihn einsetzten, nur noch verschlimmerte. Er leitete also — wissend, daß gleichzeitig die letzten Tage an seinem Institut begonnen hatten — die weiteren Veranstaltungen dieses Tages und hielt auch im Rahmen des Einweihungsfestaktes die ihm, dem „Hausherrn", zustehende Rede, ohne daß irgendein Außenstehender bemerkte, in welch verzweifeltem inneren Zustand er sich befand. Insgesamt wurden diese Meisterschaften das große Ereignis im Deutschen Hochschulsport 1937, das sich die Veranstalter und die verantwortlichen Machthaber im Reichserziehungsministerium auch davon erhofft hatten. Die Organisation lief vorbildlich, die sportlichen Ergebnisse der über 1.500 studentischen Aktiven waren überaus gut und die neue zentrale Hochschulsportanlage der Universität Göttingen fand bei allen Besuchern und Experten größte Anerkennung und Bewunderung.71 Insgesamt zeigte sich in diesen Göttinger Tagen der „neue Deutsche Hochschulsport" eindrucksvoller denn je. Und so hieß es dann auch in einem Bericht über diese DHM: „Die in Göttingen ausgetragenen Studentenmeisterschaften werden zu den glänzendsten gehören, die der deutsche Studentensport jemals zur Durchführung brachte" 72 . In den Festreden wurde dabei natürlich auch die Leistung der Initiatoren und Träger dieser Anlage allseits gewürdigt und anerkennend hervorgehoben, insbesondere die Bernhard Zimmermanns, ohne den diese Tage und das in Göttingen neu geschaffene Institut nicht vorstellbar waren. Quasi als Dank und natürlich 673
auch in symbolischer Anerkennung seiner Tätigkeit als Hausherr erhielt er nun auch noch im Rahmen des Einweihungsaktes vor der Öffentlichkeit den neuen Institutsschlüssel vom Architekten überreicht. Dieser Vorgang vollzog sich zu einem Zeitpunkt, als sein „Rausschmiß" schon beschlossene Sache war und er gehen mußte, weil politische und ideologische Aspekte jegliche Sachkompetenz dominierten. Die von Zimmermann zu wählende Begründung für den Antrag auf Versetzung in den „dauernden Ruhestand" bildete dann den Höhepunkt, der ihm in diesen Tagen aufgezwungenen Heuchelei. E r schrieb hierzu in seinem Versetzungsgesuch: „Begründung: Ein schweres rheumatisches Leiden, das ich mir als Frontkämpfer im Kriege zugezogen habe, hat sich in den letzten Jahren so verschlimmert, daß ich jetzt nicht mehr meinen dienstlichen Verpflichtungen in dem Maße nachkommen kann, wie es mein Beamtenpflichtbewußtsein von mir fordert. Schon im Winter 1935/36 habe ich aufgrund einer vorgelegten ärztlichen Bescheinigung zur Durchführung einer Kur einen 6-wöchigen Urlaub erbeten und erhalten. Die dadurch erzielte Besserung war nur von kurzer Dauer, das Leiden hat sich weiter verschlimmert. Lediglich die Sorge um den Aufbau der von mir erstrebten und nunmehr vollendeten Gesamtanlage der Universität hat mich bis jetzt durchhalten lassen."73 Daß Zimmermann ein Rheumaleiden hatte, stand außer Zweifel; sicher war aber auch, daß ihn dies zumindest zu diesem Zeitpunkt niemals zu einem Ausscheiden aus dem Dienst veranlaßt hätte. Mit damals 51 Jahren schien er vielmehr auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft und genoß in seinem engeren Tätigkeitsbereich der Universität Göttingen wie auch über Göttingen hinaus in Fachkreisen Ansehen und Anerkennung. So fiel das Zeugnis, das ihm der Göttinger Universitätskurator Valentiner am 18. August 1937 ausstellte, auch überaus positiv aus. Valentiner nannte ihn einen „besonders tüchtigen und sehr geachteten Beamten" 7 4 . Gleichzeitig nannte er hierin aber auch Gründe für die „Zurruhesetzung" Zimmermanns, wie dieser offizielle Akt genannt wurde:„Sein Ausscheiden erfolgte, weil ihm wegen der nichtarischen Abstammung seiner Ehefrau ein weiterer Ausbau seiner Berufslaufbahn nicht möglich war" 7 5 . Daß dieser Grund nur einen Teilaspekt des gesamten Vorganges abdeckte und hierbei vor allem auch allgemeine personalpolitische Gründe des Reichserziehungsministeriums eine Rolle spielten, konnte Valentiner nicht wissen. Ein Zugeständnis schien Krümmel in dem Gespräch mit Zimmermann am 26. 6 . 1 9 3 7 jedoch gemacht zu haben. Neben der Zusage einer wohlwollenden Behandlung des Pensionsgesuches stellte er ihm die Erteilung eines im Thema bereits umrissenen Forschungsauftrages in Aussicht, der die weitere Beschäftigung auf dem Fachgebiet des Sports und den Ausgleich zwischen Gehalt und Pensionierung sichern sollte. Dies war auch ein Grund dafür, daß Zimmermann umgehend der Aufforderung Krümmels nachgekommen war. Zimmermann schrieb dazu selbst: „Die bestimmte Zusage eines derartigen Forschungsauftrages hat mich veranlaßt, dem Rate zu folgen und am 26. Juli des Jahres den Antrag auf meine Pensionierung vorzulegen, den ich ohne die genannte Garantie niemals von mir aus gestellt haben würde" 76 . Zum 1. 10. 1937 wurde Zimmermann also in den Ruhestand versetzt und schon zwei Monate später am 1. 12. 1937 pensioniert. Aber auch dieser Vorgang war ungewöhnlich, da zwischen der Versetzung in den Ruhestand und der Pensionierung nach dem Beamtengesetz mindestens drei Monate liegen mußten. Als er daraufhin am 27. 12. 1937 an den Reichserziehungsminister schrieb: „Diese Verfügung . . . bedeutet m. E. nach den Bestimmungen des Deutschen Beamtengesetzes eine vorzeitige Pensionierung und ist in materieller wie ideeller Hinsicht ein Abschluß einer Berufstätigkeit, den ich als peinlich empfinde" 77 ,
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erhielt er selbst keine Antwort mehr. Über den Kurator ließ Krümmel lediglich einige Monate später am 17. 6.1938 in knapper Weise mitteilen, daß er den „Anträgen auf Verschiebung des Zeitpunktes seiner Versetzung in den Ruhestand vom 1. Dez. 1937 auf den 1. Jan. 1938 und auf Erteilung eines Forschungsauftrages aus grundsätzlichen Erwägungen nicht zu entsprechen vermag" 78 . Tief enttäuscht und verbittert, aber sicherlich auch in erhöhter Angst um die Sicherheit seiner Familie, suchte Zimmermann nun nach einem Ausweg aus dieser Situation und fand ihn dank guter Beziehungen zu englischen Freunden in Schottland, wohin er am 20. 9.1938 mit seiner Familie ausreiste. In Gordonstoun wurde er vom dortigen „Northern Regional Committee" des schottischen „Fitness Movement" zunächst für ein Jahr als Mitarbeiter eingestellt79. Der im Sommer 1939 beginnende 2. Weltkrieg bewirkte dann jedoch zunächst seine Internierung in Kanada. Später nahm die Familie die englische Staatsbürgerschaft an, und Zimmermann trat nach dem vorzeitigen Ende der Internierung in den Schuldienst ein. Bei dem ebenfalls emigrierten Gründer der Salem-Schule Kurt Hahn wurde er in Gordonstoun als „Inspector of Physical Education" tätig80. Nach dem Krieg war Zimmermann von der englischen Militärregierung in Deutschland für die Übernahme einer verantwortlichen Tätigkeit bei der Reorganisation des Sports vorgesehen; so sollte er u.a. schon im Jahre 1946 die Leitung der dann von Carl Diem aufgebauten bizonalen Sporthochschule in Köln übernehmen, der späteren Deutschen Sporthochschule81. Gleichzeitig forderte ihn auch die Universität Göttingen durch einen persönlichen Besuch ihres Rektors Prof. Smend in Oxford zur Wiederübernahme der Leitung des IfL Göttingen auf82. Aus persönlichen Gründen war er zu diesem frühen Zeitpunkt nach dem Krieg hierzu jedoch noch nicht in der Lage; seine Familie wollte noch nicht wieder nach Deutschland zurückkehren. Er besuchte in den folgenden Jahren jedoch mehrfach seine deutsche Heimat und folgte im Jahre 1950 auch einer Einladung der Universität Göttingen. Hier wurde er auf Veranlassung des jetzigen IfL-Direktors Dr. Wilhelm Henze wieder voll rehabilitiert. Ihm wurde die goldene Ehrennadel der Universität verliehen. Bevor er jedoch wieder ganz nach Deutschland zurückkehren konnte, verstarb er Anfang 1952 in Oxford an einem plötzlichen Herzleiden. Die Stadt Göttingen ehrte sein Andenken dadurch, daß sie die zum neuen Universitäts-Sportgelände führende Straße nach ihm benannte und im Jahre 1986 an seinem letzten Wohnsitz in Göttingen, in der Wagnerstr. 10, eine Gedenktafel anbrachte.83
2.3.4 Das If.L unter den Nachfolgern Zimmermanns von 1937 bis zum Kriegsende 1945
Nach dem Ausscheiden Zimmermanns aus der Institutsarbeit begannen unruhige Zeiten für das Göttinger IfL. Zum einen lag das natürlich an dem Verlust der kaum zu ersetzenden Führungspersönlichkeit des langjährigen Direktors, zum anderen war dies aber auch durch die allgemeine politische Entwicklung der nächsten Jahre bedingt. Die jetzt beginnenden Kriegsvorbereitungen und dann die Kriegszeit selbst hatten eminente personelle und materielle Auswirkungen auf die Institutsarbeit. Gab es in der Zeit von der Gründung des Instituts 1924 bis zum Jahre 1937 nur einen einzigen Direktor, nämlich Zimmermann, so folgten diesem als vorübergehende Leiter oder Direktoren bis zum Kriegsende 1945 gleich sechs Kollegen im Amt. Zunächst übernahm Wilhelm Henze, Zimmermanns Assistent, die kommissarische Leitung, im Frühjahr 1938 wurde dann Dr. Wilhelm Streib, vom IfL Marburg kommend, neuer Institutsdirektor. Nach seiner Einberufung zu Kriegsbeginn im September 1939 folgten im Herbst kurz hintereinander ein Dr. Geißler und ein Dr. Knübel. Ab 1942 war der an das Institut versetzte Oberstudienrat Fuchs Institutsleiter und als auch 675
er zum Kriegsdienst eingezogen wurde, führte ab November 1944 der aus Bonn nach Göttingen versetzte Studienrat Artur Weber als stellvertretender Leiter das Institut bis zum Kriegsende 1945.84 In diesen letzten Kriegsjahren ging es jedoch nur noch darum, den Institutsbetrieb solange wie möglich aufrecht zu erhalten. Für die jetzt in Trimestern abgewickelte Lehrerausbildung standen ab 1943 nur noch 50% des ordentlichen Institutspersonals zur Verfügung und der allgemeine Hochschulsport sowie die Pflichtsportausbildung wurde mit studentischen Hilfskräften zum Stundenlohn von 2,-RM durchgeführt. Trotz alledem boten Weber und die zuletzt noch verbliebenen Assistentinnen Müller und Dreps auch im letzten Kriegswinter im Wintersemester 1944/45 noch Lehrveranstaltungen an. Dann war aber auch am IfL das Ende der NS-Zeit erreicht; der Institutsbetrieb wurde eingestellt.
3. Der Wiederbeginn am Ifl. im Wintersemester 1945/46 und die ersten Nachkñegsjahre 3.1 Räumliche und personelle Situation in der ersten Nachkriegszeit Da die Stadt Göttingen weitgehend von direkten Kriegseinwirkungen verschont geblieben war, hatten auch die meisten Universitätsgebäude den Krieg unzerstört überstanden, so auch das IfL am Ludendorffring 20 b. Nach einer kurzfristigen Beschlagnahmung durch amerikanische Besatzungstruppen vom 12. — 17. April 1945 wurden die Institutsgebäude zu vorübergehenden Notquartieren für 250 polnische Arbeiter, was dann doch noch zu erheblichen Inventarzerstörungen und -Verlusten führte. Trotzdem gelang es dem im Amt gebliebenen stellvertretenden Institutsleiter Weber schon zur Wiedereröffnung der Universität zum Wintersemester 1945/46 auch ein Lehrangebot des IfL zu machen. Zwar waren 7 Kollegen im Kriegseinsatz oder in der Gefangenschaft zu Tode gekommen85, zusammen mit dem Assistenten Knies, dem Sportarzt Dr. Koch, dem ehemaligen Sportleiter Suhr und den Sportlehrerinnen Kolb und Lockemann konnte Weber jedoch zwei Ausbildungskurse für 37 Studienanfänger und 26 Weiterstudierende anbieten. Diese sofort wieder einsetzende Sportlehrerausbildung fand auch die nachhaltige Unterstützung beim zuständigen Oberpräsidialamt in Hannover sowie bei der jetzt verantwortlichen britischen Militärregierung: „Education Branch Control Commission betrachtet es als bedeutungsvoll, entsprechende Maßnahmen zur Ausbildung von Sportlehrern in kurzer Zeit zu ergreifen. Augenblicklich gibt es so wenig Lehrer von passendem Alter und Eignung, daß dieses Gebiet vernachlässigt wirkt". 86 Das erste Nachkriegssemester war aber zunächst auch das einzige für das neue IfL-Kollegium. Inzwischen waren vom Alliierten Kontrollrat in Berlin allgemeine Entnazifizierungsbestimmungen erlassen worden, denen natürlich auch das Personal am IfL unterworfen war. Diese hatte bis zu einem positiven Abschluß des Verfahrens zunächst einmal die Entlassung aller Lehrkräfte des Institutes zur Folge; im IfL verblieben lediglich der Hausmeister Bernd und die Sekretärin Schmidt. Um jedoch auch im Sommersemester 1946 den gerade wieder angelaufenen Ausbildungsbetrieb fortführen zu können, mußte also Ersatzpersonal eingesetzt werden. Zur Leitung des Institutes wurde deshalb von der inzwischen auch wieder arbeitenden Pädagogischen Akademie der Dozent Moitzfeld abgeordnet. Zu seiner Unterstützung sollte - vor allem für den praktischen Ausbildungsbetrieb - der seit 676
einiger Zeit wieder in Göttingen wohnende und um eine neuerliche fachspezifische Verwendung sich bemühende Dipl. Sportlehrer Dr. Peter Goeldel herangezogen werden; dabei bemühte sich Goeldel, der bei dem Pädagogen Prof. Nohl promoviert hatte, mit dessen Hilfe um die ehemalige Oberassistentenstelle am Institut. Daß gerade er zu einem Zeitpunkt als Lehrkraft ins Gespräch kam, als alle anderen Lehrkräfte wegen laufender Entnazifizierungsverfahren zunächst dienstenthoben waren, war ein bemerkenswerter Vorgang. Eigentlich mußte er doch Zumindestens gleichermaßen belastet erscheinen wie Weber oder andere; darüberhinaus war er aber auch noch dadurch in Erscheinung getreten, daß er sich ζ. B. im Sommersemester 1933 eifrigst als Wehrsportlehrer dem Amt für Wehrsport zur Verfügung gestellt hatte. Hier zeigte sich, daß bei entsprechender Rückendeckung oder besonderer Förderung durch einflußreiche Personen, wie ζ. B. durch die Person des Doktorvaters Nohl, die alliierten Entnazifizierungsbestimmungen kaum ins Gewicht fielen. Schließlich wurden aber alle Lehrkräfte mit Ausnahme von Walter Suhr entnazifiziert. Er, der offensichtlich in dieser Zeit keinen Förderer fand, wurde vor allem wegen seiner ehemaligen Wehrsporttätigkeiten nicht mehr für den öffentlichen Dienst zugelassen. Bis zum Jahresende 1947 gab es dann kaum Veränderungen im Institut. Der Ausbildungsbetrieb war zwar noch in vielen Dingen ein Provisorium, lief aber kontinuierlich weiter und ermöglichte auch den ersten Nachkriegsstudierenden, Examen abzulegen. Ende Dezember 1947 kam dann jedoch wieder Bewegung in die personelle Situation am IfL. Weber entschloß sich, wieder an seine alte Wirkungsstätte, an das IfL in Bonn, zurückzukehren und damit mußte endlich das Amt des IfL-Direktors neu besetzt werden. Hierfür bewarben sich nun der ehemalige Zimmermann-Assistent Dr. Wilhelm Henze und besagter Dr. Peter Goeldel. Nach einigen Wochen der Beratung entschied sich das Kultusministerium für Wilhelm Henze, dem vor allem das positive Gutachten seines ehemaligen Lehrers und Chefs Zimmermann aus England genützt haben dürfte. Mit der Einsetzung Henzes war dann die erste Nachkriegsphase des Instituts für Leibesübungen der Universität Göttingen beendet, und unter seiner dann 30 Jahre dauernden Amtsführung begann wieder ein kontinuierlicher Aufbau des Institutsbetriebes.
3.2 Sachlicher Neuanfang oder nur Verdrängung? Das Ende der nationalsozialistischen Herrschaft im Frühjahr 1945 bedeutete natürlich auch einen Einschnitt in die Entwicklung des Sports und des IfL an der Universität Göttingen. War es gleichzeitig aber auch ein Neuanfang, nicht nur formal, sondern auch inhaltlich? Diese Frage ist sicherlich nur schwer zu beantworten, da die ersten Nachkriegsmonate und Jahre doch zu sehr von personellen und sachlichen Provisorien bestimmt waren. Der erste Lehr- und Ausbildungsplan, der vom amtierenden Leiter Weber für das erste Nachkriegssemester 1945/46 aufgestellt worden war, beinhaltete natürlich eine Stundenverkürzung und die notwendige Anpassung an die jetzt gegebenen politischen Bedingungen. Dies bedeutete vor allem einen Verzicht auf alle vormilitärischen oder auf NS-Ideologie basierenden Inhalte der Ausbildung. In der Praxis wurden danach nur noch die Fächer Turnen, Spiele, Schwimmen, Boxen (?!), Gymnastik und Tanz angeboten und in der Theorie die Bereiche Erziehungs- und Unterrichtslehre, Geschichte, Organisation sowie Anatomie und Physiologie. Hieraus läßt sich natürlich noch keine Abkehr oder sogar eine Aufarbeitung des Ausbildungskonzeptes der NS-Zeit ablesen. Der Wegfall der studentischen Sportpflicht oder die Aufgabe solch fragwürdiger Disziplinen wie Klein-Kaliberschießen oder Gepäckmarsch wa677
ren noch kein Merkmal der Umkehr; dies waren zunächst einmal rein pragmatische Konsequenzen aus der materiellen Notlage und natürlich auch infolge der Verordnungen der alliierten Besatzer. Woher sollten auch die inhaltlichen Veränderungen kommen, wo doch die Lehrkräfte die gleichen geblieben waren? So war es nicht mehr als eine Verdrängung und Vermeidung der offensichtlichsten Merkmale des nationalsozialistischen Sports und damit eine Anpassung an die neuen Verhältnisse auf dem niedrigsten Veränderungsniveau. Dies gilt auch für die nach außen deutlichste Veränderung des IfL, seine Namensänderung in „Institut für Sport und Sporterziehung". Der Erlaß des Niedersächsischen Kultusministers Grimme vom 17.12. 194687, der die Ersetzung der Begriffe „Leibesübungen" und „körperliche Erziehung" wegen ihrer zu starken Betonung „nur der körperlichen Seite" durch den Betriff „Sport" vorschrieb, leitete noch keine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Sport ein. Dies war zunächst lediglich eine technische Maßnahme zur Vereinheitlichung der Begriffsvielfalt. Verantwortlich für die fehlende grundsätzliche inhaltliche Umorientierung waren aber vor allem auch die englischen Besatzer. Sie machten zwar zahlreiche Vorgaben zur Neuorientierung und erließen Verbote, kümmerten sich jedoch recht wenig oder — wie bei zahlreichen Entnazifizierungsverfahren - je nach Opportunität im Bezug auf die eigene Interessenlage um deren Durchführung. Wenn dann in den folgenden Jahren im universitären Sport doch eine Reihe grundsätzlicher Veränderungen Platz griffen, so war dies weniger eine Folge der verarbeiteten Erfahrungen der NS-Zeit, als vielmehr das Ergebnis von Notwendigkeiten aufgrund sich verändernder politischer Rahmen- und Umweltbedingungen. 88
4. Fazit Die Entwicklung der Leibesübungen und des Sports an der Göttinger Universität in zwölf Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft wurde — genau wie in anderen universitären Bereichen und Disziplinen - bestimmt durch die zentral vom Reichserziehungsministerium vorgegebenen Gesetze, Erlasse und Maßnahmen, die aus der Bildungsinstitution Universität der Weimarer Zeit eine staatliche Erziehungsanstalt zur Ausrichtung der Führungselite im nationalsozialistischen Staat machen sollten. Hierbei spielte die körperliche Erziehung eine wichtige Rolle. Uber sie wurden Verhaltensweisen wie Unterordnung, Gehorsam und Disziplin anerzogen, Kenntnisse auf vormilitärischen Sachgebieten vermittelt und schließlich die für deren Umsetzung notwendige physische Belastungsfähigkeit erreicht. Die Göttinger Entwicklung war darüberhinaus von spezifischen lokalen Gegebenheiten bestimmt. Einerseits war hier — bedingt durch eine vor allem in Verbindungswesen sehr stark nationalistisch ausgerichtete Studentenschaft — einer der Ausgangspunkte für die massive Funktionalisierung der Leibesübungen zu wehrsportlichen Zwecken. Andererseits wurde die zentrale Einrichtung für die Leibesübungen, das Institut für Leibesübungen, durch die besondere Persönlichkeit seines Gründers und ersten Direktors, Dr. Zimmermann, geprägt, der als äußerst fachkompetenter Pragmatiker stets darum bemüht war, die Leibesübungen in möglichst ideologiefreiem Sinn zu fördern und weiterzuentwickeln. Allerdings bewahrte ihn auch noch so viel Anpassung und Opportunität nicht davor, in der Auseinandersetzung zwischen Fachkompetenz und Rassenideologie das Opfer der letzteren zu werden.
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Anmerkungen 1
Siehe hierzu auch den Beitrag von Wilhelm (1986) Die Gründung der Universität Göttingen und die erste Inskription der Studenten erfolgte im Jahre 1734, die Einweihung erst 1737 3 Zimmermann (1930), S. 12 4 Vgl. Henze (1942), S. 32 ff. 5 Vgl. Henze (1942), S. 256/257 6 Vgl. Buss (1975), S. 33 - 54 7 Vgl. HBfL 1923, Nr. 2/3, S. 1 8 Vgl. Buss (1975), S. 5 5 - 7 2 9 Vgl. Buss (1975), S. 7 2 - 7 7 10 Vgl. Buss (1975), S. 7 7 - 8 4 11 In Göttingen hatte der NSDStB schon seit 1931 die Mehrheit im Studentenparlament ebenso wie in der DST seit dem Studententag in Königsberg 12 Vgl. Buss (1975), S. 8 5 - 1 0 9 13 Vgl. Düning (1936), S. 68 14 Vgl. Wreden (1958), S. 122 15 Vgl. Archiv Würzburg - 105C4 »« Vgl. BA-R 129/Pak. 192 17 BA-R 129/Pak. 89 18 BA-R 129/Pak 87 " UAG, K, X D / D L XIV 20 UAG, K, XD/566 (1) UAG, K, XD/566 (2) 22 Vgl. Zimmermann (1925), S. 14 23 Vgl. UAG, K, XD/564 (2) 24 UAG, K, XD/564 (3) 25 Vgl. UAG, K, XD/564 (3) 26 UAG, K, XD/564 (3) 27 Ein im Besitz des Verfassers befindliches Ankündigungsplakat des ersten IfL-Semesters 1924/25 weist folgende Veranstaltungen aus: Praktische Übungen: „Turnen", „Leichtathletisches Wintertraining", „Spiele" (Handball, Fußball), „Waldlauf", „Schwimmen", „Rudern (Kastenrudern in der Universitätsschwimmhalle)", „Sportfechten", „Reiten", „Skilauf (Trocken- und Geländekurs)" und „Gymnastik". Darüber hinaus gab es „Besondere Veranstaltungen und Einrichtungen" wie einerseits „Vorlesungen und Vorträge" ζ. B. über die „Biologie und Anatomie des Menschen" oder „Geschichte und Organisation der körperlichen Übungen" sowie andererseits „Wettkämpfe", die „Wissenschaftliche Sportbücherei und das Lesezimmer" und die Einrichtung der regelmäßigen Abnahme des „Turn- und Sportabzeichens". 28 An der Universität Marburg wurde zwar auch schon im Jahre 1924 durch den dortigen akad. Turnund Sportlehrer Dr. Peter Jaeck ein Institut für Leibesübungen gegründet; es erhielt seine ministerielle Anerkennung jedoch erst 1925. Vgl. Zhorzel (1977), S. 15 29 Vgl. UAG, K, XD/566 (1) 30 Vgl. UAG, K, Personalakte Zimmermann, Nr. 314, Zeugnis des Kurators Valentiner aus dem Jahre 1937 31 UAG, K, Personalakte Zimmermann, Nr. 314 32 Vgl. UAG, K, XD/566 (1) 33 Vgl. Zimmermann (1937), S. 201 ff. 34 Vgl. Heyden (1934), S. 407 » UAG, K, 2/286 36 ebd. 37 ebd. 2
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Diese Kompetenzstreitigkeiten wurden durch zwei Abkommen beigelegt: a) durch ein Abkommen zwischen dem IfL und dem A WA vom 4. 9. 1933 (in: UAG, K, A.Z: X X X M 9, Nr. 26) und b) durch einen Erlaß des preußischen Kultusministeriums vom 28. 12. 1933 (in: UAG, K, A.Z.: X X X M 9, Nr. 56) UAG, K, X X X M 9, Nr. 89 ebd., Nr. 94 ebd., Nr. 94 UAG, K, X X X M , Nr. 88 Vgl. UAG, Κ, XXM.9, Nr. 2 6 - 2 8 UAG, K, XD/566 (2) ebd.
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Vgl. Six (1941), Bd. 2, S. 301 UAG, Κ, X X X M . 9 , Nr. 76 48 Vgl. Briese (1937) 49 Vgl. Buss/Pfeiffer (1985) 50 UAG, K, 2/286 51 Vgl. Six (1941), Bd. 3, S. 100 52 ebd. 53 Brief an Vogel v. 10. 5. 1933, in: Akten des IfL Göttingen 54 Brief an Vogel v. 16. 11. 1933, in: Akten des IfL Göttingen » Vgl. UAG, K, X X X M . 9 , Nr. 56 56 Dies geht aus dem Antwortformular Zimmermanns auf eine entsprechende Nachfrage des REM vom 30. 8. 1935 hervor (vgl. UAG, K, Personalakte Zimmermann, Nr. 190) 57 Eine Kopie der Ernennungsurkunde ist im Besitz des Verfassers. Vgl. hierzu auch Ueberhorst (1976), S. 114 58 Vgl. UAG, K, X X X M . l . b Π, Nr. 81 ff. 59 UAG, K, Personalakte Zimmermann, Nr. 173 60 ebd., Nr. 190 41 ebd., Nr. 190 und 197 62 Hierüber berichtete sein damaliger Assistent und späterer Amtsnachfolger Prof. Dr. Wilhelm Henze in einem Interview mit dem Verf. am 15. 10. 1979 63 UAG, K, Personalakte Zimmermann, Nr. 225 64 Neuere Untersuchungen von Franz Nitsch (Marburg) machen deutlich, daß es zwischen 1935 und 1937 an zahlreichen Instituten für Leibesübungen Neubesetzungen der Direktorenämter gegeben hat. Hierbei wurden auf Veranlassung des zuständigen Ministerialdirektors im REM Carl Krümmel überall ältere, noch aus der Weimarer Zeit stammende Amtsinhaber durch jüngere Kollegen ersetzt, die das besondere Vertrauen von Krümmel hatten. Dort, wo keine Versetzung in ein anderes Amt möglich war, wurde - wie im Falle Zimmermanns - bei passender Gelegenheit der Weg der „Zurruhesetzung" gewählt. 47
RGBl. I 1937, S. 39 ff. Vgl. Zimmermann 1937, S. 201 ff. 67 Vgl. Cless (1937), S. 306 ff. 68 UAG, K, Personalakte Zimmermann, Nr. 255 69 Interview mit Prof. Dr. Wilhelm Henze am 15. 10. 1979 70 UAG, K, Personalakte Zimmermann, Nr. 228 71 Vgl. Cless (1937), S. 306 ff. 72 Cless (1937), S. 306 73 UAG, K, Personalakte Zimmermann, Nr. 228 74 ebd., Nr. 240 75 ebd., Nr. 241 76 ebd., Nr. 255 77 ebd., Nr. 255 78 ebd., Nr. 265 79 ebd., Nr. 267 65 64
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Hierüber berichtete Zimmermanns Sohn, der jetzt in Cambridge (England) lebende Peter Carpenter, in einem Interview mit dem Verfasser am 27. 6. 1986 Dies geht aus dem Protokoll der mit dieser Angelegenheit beschäftigten 4. Sitzung des Zonal Educational Advisory Committee am 3. 10. 1946 in Bünde/Westf. hervor (in: Public Record Office, London, FO 1005/1576) Vgl. Brief Zimmermanns an Prof. Rein vom 8. 9. 1946; in: UAG, R, 5.S.20.A Anläßlich des 100. Geburtstages von Dr. Bernhard Zimmermann am 10. 7. 1986 wurde von der Universität Göttingen und dem Institut für Sportwissenschaften am 27. 6. 1986 eine Gedenkfeier durchgeführt, bei der sein Wirken und sein besonderes Schicksal gewürdigt wurden. Weber wurde am 26. 10. 1944 zum stellvertretenden Leiter des IfL Göttingen ernannt und trat dort seinen Dienst am 26. 11. 1944 an (vgl. Personalakte Weber, in: UA Bonn) Folgende ehemalige Lehrkräfte des IfL Göttingen sind durch Kriegseinsatz und Gefangenschaft zu Tode gekommen: Dr. Streib, Dr. Klein, Dr. de Vries, Richter, Heubaum, Rackelmann und Fuchs UAG, K, XXXM.1.D, Nr. 60 UAG, K, XXXM.l.d, Nr. 112 Vgl. Buss (1985)
Quellen- und Literaturverzeichnis Ungedruckte Quellen Bundesarchiv Koblenz (BA): Deutsche Studentenschaft R 129 Universitätsarchiv Göttingen (UAG): Akademischer Ausschuß für Leibesübungen; Turnen und Sport 1919-1923 K, XD/564 (2) Akademischer Ausschuß für Leibesübungen; Turnen und Sport — jetzt K, XD/06.XIV Institut für Leibesübungen 1924-1926 K, XD/564, 3 Leibesübungen Heft VI 1927-1929 K, XD/566 (1) Leibesübungen, spezialia 1930-1933 K, XD/566 (2) Ausgestaltung der körperlichen Erziehung der Studentenschaft, I, II, III 2/286 Ausgestaltung der körperlichen Erziehung der Studentenschaft, IV, V (1936-1938) K, XXXMJ.e Wehrsport, Geländesport und SA-Hochschulamt Κ, XXX.M.9 Sportschule Levershausen K, XXX.M.9.a Assistenten 1937-1949 K, XXX.M.l.d Institut für Leibesübungen R, 5520.A Personalakte Dr. Bernhard Zimmermann Archiv des Instituts für Sportwissenschaften der Universität Göttingen: Schriftverkehr Dokumentierte Gespräche mit Prof. Dr. Wilhelm Henze (Göttingen) am 15. 10. 1979 mit Peter Carpenter (Cambridge) am 27. 6. 1986
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Das Kaiser-Wilhelm-Institut für Strömungsforschung verbunden mit der Aerodynamischen Versuchsanstalt* CORDULA TOLLMIEN
Zwischen der Universität Göttingen und dem Kaiser-Wilhelm- (heute Max-Planck-)Institut für Strömungsforschung bestehen bis heute enge persönliche und wissenschaftliche Beziehungen, da seit seiner Gründung dieses Institut mit dem Lehrstuhl für Angewandte Mechanik verbunden ist. Diese enge Verbindung des bis 1945 einzigen Göttinger Kaiser-Wilhelm-Instituts mit der Universität ist Grund genug, ihm in einem Sammelband über die Universität Göttingen während des Nationalsozialismus einen eigenen Aufsatz zu widmen. Es gibt aber auch noch einen anderen Gesichtspunkt, der dies rechtfertigt und der im Gegensatz zum ersten auf die interessanten Unterschiede zwischen beiden Institutionen abzielt. Insbesondere für die mit dem Institut verbundene Aerodynamische Versuchsanstalt bedeutete nämlich das Jahr 1933 den Beginn einer bemerkenswerten Aufwärtsentwicklung, während die Universität im allgemeinen wissenschaftsfeindlichen Klima der Zeit eher um ihr Überleben zu kämpfen hatte. Nach einem kurzen Rückblick auf die Entwicklung des Instituts von der Gründung der ersten Modellversuchsanstalt für Aerodynamik im Jahre 1908 bis 1933 soll deshalb zunächst dieser Aufschwung im Rahmen nationalsozialistischer Luftfahrtpolitik und Luftrüstung dargestellt und interpretiert werden. Der nächste Abschnitt wird sich dann unter einem anderen Blickwinkel mit den Folgen des Jahres 1933, nämlich mit der Anpassung an die veränderten politischen Verhältnisse, befassen. In diesem Zusammenhang wird insbesondere der Versuch unternommen, die Haltung des Institutsdirektors Ludwig Prandtl zu würdigen, soweit sie sich in den vorliegenden Dokumenten und Zeugnissen spiegelt. Bedingt durch Auswahl und Schwerpunktsetzung kann diese Würdigung natürlich nicht der ganzen Person gerecht werden und nimmt dies auch nicht für sich in Anspruch. Unberücksichtigt bleiben insbesondere Prandtls wissenschaftliche Verdienste, wie überhaupt die wissenschaftlichen Arbeiten des Instituts nur mit einigen ausgewählten Beispielen vertreten sind und im übrigen auf andernorts erschienene ausführliche Darstellungen verwiesen wird. Anknüpfend an die Darstellung des Ausbaus des Instituts bis 1939 beschäftigt sich die vorliegende Arbeit auch mit den Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges auf das Institut (wobei hier auf die Notwendigkeit weiterer genauerer Erforschung gerade dieser Zeit hingewiesen werden muß), und gibt dann einen kurzen Ausblick auf die ersten Nachkriegsereignisse und die weitere Entwicklung nach dem Kriege.
* Diese Arbeit ist die überarbeitete und stark gekürzte Fassung einer schon 1983 abgeschlossenen längeren Untersuchung, die ohne die großzügige und hilfreiche Unterstützung von anderen nicht zustandegekommen wäre. Erwähnt seien hier besonders Dipl. phys. Wolfgang Sattler und Dr. Walter Tillmann vom Max-PlanckInstitut für Strömungsforschung, sowie Prof. Dr. Walter Wuest von der AVA; außerdem Dr. Herbert Mehrtens (TU Berlin), der mir einen Teil seines Materials zur Verfügung stellte, Angelika Deese, deren kritische Anmerkungen beim Abfassen dieses Artikels sehr hilfreich waren, und nicht zuletzt Frau Helga Kraemer, die mir Unterlagen ihres Mannes, Dr. Kurt Kraemer, überließ, auf denen meine Arbeit aufbauen konnte. Allen sei an dieser Stelle sehr herzlich gedankt.
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Den Abschluß bildet eine Auseinandersetzung mit Gedanken Ludwig Prandtls zur Entnazifizierung, die den Ausgangspunkt bilden für einige grundsätzliche Betrachtungen über die Rolle, die Naturwissenschaftler im „Dritten Reich" gespielt haben, und über ihr eigenes Verständnis von dieser Rolle.
1. Zur Geschichte des Instituts vor 1933 Die Geschichte des Instituts für Strömungsforschung und der Aerodynamischen Versuchsanstalt ist untrennbar mit der Geschichte der Luftfahrt verbunden. Der 1908 nach den Plänen von Ludwig Prandtl1 fertiggestellte erste Göttinger Windkanal diente explizit der Lösung der vielfältigen technischen Probleme, die in den Anfangsjahren der Luftfahrt aufgetreten waren. Mit einer im Prinzip bis heute unverändert gebliebenen Untersuchungstechnik wurde in diesem Kanal das aerodynamische Verhalten von Luftschiff- und Flugzeugmodellen erstmals systematisch untersucht.2 1911 unterbreitete Prandtl der gerade in Berlin neu gegründeten Kaiser-WilhelmGesellschaft zur Förderung der Wissenschaften (KWG) 3 Pläne für eine Erweiterung dieser ersten kleinen Modellversuchsanstalt zu einem „Forschungsinstitut für Aerodynamik und Hydrodynamik", in dem er „unabhängig von direkter praktischer Zielsetzung mehr grundlegende Fragen" 4 bearbeiten wollte. Obwohl die KWG nach längeren Verhandlungen im März 1913 das Projekt prinzipiell genehmigt hatte, scheiterte Prandtls Vorschlag zunächst an der ablehnenden Haltung des Finanzministeriums. 1915 gelang es Prandtl dann aber, die Militärbehörden für das Projekt zu interessieren. Zusammen mit der K W G einigte man sich darauf, daß das neue Institut Eigentum der KWG werden, die Baukosten jedoch zu gleichen Teilen vom Kriegsministerium und vom Reichsmarineamt getragen werden sollten. Mit allen verfügbaren Kräften widmete man sich dem Ausbau, und 1917 konnte die „Modellversuchsanstalt für Aerodynamik" (später „Aerodynamische Versuchsanstalt", AVA) ihren Betrieb aufnehmen. Die AVA arbeitete bis zum Ende des Krieges ausschließlich für Heer und Marine. Ihr Personalbestand wurde ständig vergößert und erreichte im Sommer 1918 mit fast 50 Mitarbeitern einen vorläufigen Höchststand.5 Nach dem Kriege war es dann als Folge der Beschränkungen, die der Versailler Vertrag auch der deutschen Luftfahrtindustrie auferlegte, zeitweise sogar ungewiß, ob die AVA würde erhalten werden können. Durch Zuschüsse der Länder, des Reiches und der K W G sowie aus Kreisen der Luftfahrtindustrie, die ihre Produktion im übrigen zum größten Teil ins Ausland verlagert hatte, von wo dann später auch wieder Aufträge für die AVA kamen, gelang die Uberwindung der Krise.6 Trotz der angespannten wirtschaftlichen und politischen Lage erhielt Prandtl 1922/23 überraschend von der KWG das Angebot, die AVA um das von ihm gewünschte Institut für Grundlagenforschung zu erweitern. Dies geschah vornehmlich auf Betreiben von Felix Klein, der Prandtls Arbeiten immer wirkungsvoll unterstützt hatte und der ihn nun, da Prandtl geneigt schien, einen Ruf nach München anzunehmen, unbedingt für Göttingen erhalten wollte. Mit der Unterstützung eines privaten Geldgebers gelang es tatsächlich, das Projekt zu verwirklichen.7 Im Juli 1925 wurde das „Kaiser-Wilhelm-Institut für Strömungsforschung verbunden mit der Aerodynamischen Versuchsanstalt" eingeweiht. Allerdings lag der Schwerpunkt in diesem Gesamtinstitut eindeutig bei der AVA. Die Abteilung für Strömungsforschung, die unabhängig von Fremdaufträgen mit festem Etat der KWG arbeitete, blieb dagegen immer klein. Die Leitung des gesamten Instituts lag in den Händen 685
von Prandtl, der sich im Laufe der Jahre immer stärker auf die Abteilung für Strömungsforschung konzentrierte. Leiter der AVA und stellvertretender Direktor wurde Albert Betz, der seit 1911 Assistent von Prandtl war und dem Prandtl seit dem Kriege immer mehr die wirtschaftliche Leitung des Instituts überlassen hatte.8 Mit der Aufhebung der im Versailler Vertrag festgelegten Einschränkungen für die deutsche Luftfahrt im Pariser Luftfahrtabkommen von 1926 begann zum einen die Rückverlegung der deutschen Luftfahrtindustrie auf deutsches Gebiet (und das bedeutete wieder mehr Aufträge für die AVA) und kamen zum anderen nun regelmäßige Zuschüsse für das Institut vom Reichsverkehrsministerium, das 1927/28 auch die Mittel für einen neuen Windkanal zur Verfügung stellte.' Der kurze Aufschwung in den folgenden Jahren, in denen sich das Institut neben der 1912 gegründeten Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt in Berlin (DVL) zu einem Zentrum der aerodynamischen Forschung in Deutschland entwickelte, wurde allerdings schon 1929 wieder durch die Weltwirtschaftskrise unterbrochen. Doch sind anscheinend trotz umfassender staatlicher Sparmaßnahmen und einem erneuten deutlichen Rückgang der Industrieaufträge für die AVA zumindest Entlassungen verhindert worden. Im Personalbereich zeigen die vorhandenen Statistiken für 1929 und später keinen gravierenden Einschnitt. 10
2. 1933 — Der „Beginn der neuen Aufwärtsentwicklung" „Das Jahr 1933 brachte mit einem Besuch von Staatssekretär Milch gelegentlich einer Feier des fünfundzwanzigjährigen Bestehens der AVA den Beginn der neuen Aufwärtsentwicklung." (Prandtl, Dez. 1945)11 Diese von Prandtl auch noch 1945 ganz neutral konstatierte „neue Aufwärtsentwicklung" gründete in der umfassenden militärisch begründeten Förderung der deutschen Luftfahrt, die die Nationalsozialisten seit 1933 systematisch und zielstrebig betrieben. Das sofort nach dem 30. Januar 1933 gegründete Reichskommissariat für Luftfahrt wurde im Mai 1933 in ein Reichsluftfahrtministerium (mit Göring als Minister und Milch als seinem Vertreter) umgewandelt, und die schon vor 1933 begonnene „heimliche" Aufrüstung intensivierten die Nationalsozialisten durch die Einrichtung eines Geheimfonds zum Aufbau der Luftwaffe (der sog. „Kasse L " ) im Juni 1933. Diese Maßnahmen waren begleitet vom Ausbau der Luftfahrtindustrie zu einer gewaltigen Rüstungsindustrie, die ihre Produktion 1933 verglichen mit 1932 verzehnfachen und von 1933 bis 1939 noch einmal um einen Faktor größer als 20 vergrößern konnte. 12 Im offenen Bruch des Versailler Vertrages erfolgte dann 1935 zusammen mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht die offizielle Gründung der deutschen Luftwaffe. Der wirtschaftliche und militärische Ausbau der deutschen Luftfahrt wurde unterstützt durch eine aufwendig betriebene und breit angelegte „ideologische Aufrüstung" der gesamten Bevölkerung, die — wie ein Erlaß des Reichserziehungsministers vom November 1934 zeigt — bis in die Schulen hineinreichte.13 In diesen Rahmen gehören die schon vor 1933 durchgeführten, jetzt aber von den Nationalsozialisten gezielt propagandistisch genutzten Luftfahrtwerbewochen, an denen sich in Göttingen auch die AVA, an der zwei Flugsportgruppen bestanden, immer maßgeblich beteiligte;14 und dazu gehören auch die häufigen Luftschutzübungen, die über den im April 1933 gegründeten Reichsluftschutzbund organisiert wurden und an denen die ganze Bevölkerung teilnehmen mußte. Die 25-Jahr-Feier der AVA, die im Mai 1933 aufwendig begangen wurde,15 zeigt allein schon durch die Tatsache, daß Milch als der zweite Mann im Reichsluftfahrtministerium 686
(RLM) anwesend war, welche Bedeutung der AVA von Anfang an im Ministerium zugemessen wurde. Vor der konkreten Darstellung der „neuen Aufwärtsentwicklung" in der AVA, die, wie sich zeigen wird, sofort 1933 einsetzte und verglichen mit der Entwicklung der Vorjahre nur als explosionsartig bezeichnet werden kann, soll deshalb im folgenden ein kurzer Abriß über die Organisation der Luftfahrtforschung unter Reichsluftfahrtminister Göring gegeben werden. Dabei wird sich zeigen, daß Prandtl an vielen Stellen innerhalb der von Göring neu geschaffenen oder für sich reklamierten bereits bestehenden Luftfahrtforschungseinrichtungen eine wesentliche Rolle spielte und Göring auf seine Mitarbeit großen Wert legte.
Zur Organisation der Luftfahrtforschung unter Göring'6 Von 1933 bis 1936/37 gab es überhaupt keine nennenswerte staatliche Förderung und Planung in den Naturwissenschaften, was auf das Unverständnis der staatlichen Stellen für die Bedürfnisse einer breit angelegten Forschung und insbesondere auf die mangelnde Einsicht in die Notwendigkeit der Grundlagenforschung zurückzuführen war. Doch innerhalb der (so sie überhaupt unternommen wurden) letztendlich mehr oder weniger gescheiterten Organisationsversuche im Bereich der Forschung 17 nahm die Luftfahrtforschung eine gewisse Sonderstellung ein. Da die entscheidende Bedeutung der Luftwaffe in einem möglichen Krieg allgemein anerkannt war, stand die Luftfahrtforschung im Brennpunkt des staatlichen Interesses, was sich in vergleichsweise reichlichen finanziellen Zuwendungen niederschlug. Zudem genoß sie spezielle Förderung durch Göring, der als Person auf die Unabhängigkeit und Stärkung seines Luftfahrtministeriums vor allem gegenüber dem Wissenschaftsministerium von Rust, aber auch gegenüber dem Reichswehrministerium bedacht war. Als eine der ersten Neugründungen im Bereich der Forschung überhaupt entstand 1933 die „Vereinigung für Luftfahrtforschung" (VLF), in der Prandtl den Vorsitz im Ausschuß für Strömungsforschung und in den Fachgruppen für Aerodynamik und Hydrodynamik erhielt und deren Aufgaben im wesentlichen gutachterliche Tätigkeit und Berichterstattung über Forschungsvorhaben umfaßte, die aber auch Vorschläge für neue Forschungsvorhaben und deren Koordinierung unterbreiten sollte.18 Die VLF stand von Anfang an in engem Kontakt mit dem Technischen Amt im RLM, dem alle Luftfahrtforschungseinrichtungen unterstanden und das die Mittelverteilung und alle Bauvorhaben innerhalb der Luftfahrtforschung zentral aufeinander abstimmen sollte. Nach der Wirtschaftskrise 1935/36, die natürlich auch auf die Luftfahrtindustrie Auswirkungen gehabt hatte, wurden im Zusammenhang mit dem Vierjahresplan auch Maßnahmen getroffen, die der Koordinierung und Effektivierung der Forschung dienen sollten. So wurde im Mai 1937 vom Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung unter Rust ein Reichsforschungsrat (RFR) gebildet, dessen erklärtes Ziel es war, im Rahmen des Vierjahresplanes alle Kräfte auf dem Gebiet der Forschung zusammenzufassen und planmäßig einzusetzen.19 Doch blieb dieser RFR politisch bedeutungslos. Insbesondere Göring, der Beauftragte für den Vierjahresplan, ließ im Amt für deutsche Roh- und Werkstoffe (der wichtigsten Einrichtung der neuen Vierjahresplanorganisation) die Abteilung Forschung und Entwicklung unabhängig vom RFR weiterführen. 1936 ordnete Göring den Zusammenschluß der schon 1912 gegründeten renommierten „Wissenschaftlichen Gesellschaft für Luftfahrt" (WGL), der Prandtl seit ihrer Gründung als Vorstandsmitglied ange687
hörte, mit der VLF an. Die neue Gesamtorganisation erhielt den Namen „LilienthalGesellschaft für Luftfahrtforschung" und sollte eine Verbindung zwischen Forschung, Industrie und Wehrmacht schaffen. Präsidenten der Gesellschaft, die Göring persönlich unterstanden, wurden Carl Bosch, Generaldirektor der IG-Farben und nach 1937 auch Präsident der KWG, und Ludwig Prandtl. Geschäftsführer wurde Adolf Baeumker, der Leiter der Abteilung Forschung im RLM war. Wieder gegen Rust gerichtet, eröffnete Göring nur wenige Wochen vor Einsetzung des R F R auch die „Deutsche Akademie der Luftfahrtforschung". Präsident war Göring selbst, mit ihm im Präsidium saßen Milch und Baeumker. Prandtl war zusammen mit anderen führenden Luftfahrtforschern Mitglied des Ausschusses der Akademie. Die Akademie sollte in erster Linie der wissenschaftlichen Arbeit und ihrer Koordination dienen, während der Lilienthal-Gesellschaft, die ab 1939 auch die „Zentrale für wissenschaftliches Berichtwesen über Luftfahrtforschung" verwaltete, die Aufgabe zufiel, weitere Kreise der Luftfahrttechnik und eine begrenzte Öffentlichkeit über die geleistete Arbeit zu informieren. Mit den Reichsforschungsanstalten für Luftfahrt, zu denen auch die AVA gehörte und von denen die Deutsche Versuchsanstalt (DVL) in Berlin die größte und wichtigste war20, bildeten diese Organisationen eine Art Sondergemeinschaft. Sie hatten keine Kontakte zur R F R und auch nur lockere Verbindungen zur Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft (später Deutsche Forschungsgemeinschaft, DFG), die als selbständige Rechtspersönlichkeit ebenfalls ihre Stellung gegen den R F R hatte behaupten können 21 . Sie arbeiteten relativ gesehen wirkungsvoller als die Rustschen Organisationen, obwohl natürlich auch ihre Wirkung im Hinblick auf die für die Ziele von Staat und Partei dringend erforderliche effektive Zusammenarbeit zwischen Wehrmacht und Industrie einerseits und Wissenschaft und Forschung andererseits eher begrenzt war.
Die A VA wird „zu einem der größten deutschen Forschungsinstitute"22 In einer Rede vor der Deutschen Akademie der Luftfahrtforschung behauptete Göring 1938, daß er das Personal der gesamten Luftfahrtforschung gegenüber dem Zeitpunkt der Machtergreifung mehr als verzehnfacht habe.23 Wie die abgebildete Graphik zeigt, traf dies zumindest für die AVA wirklich zu. Hand in Hand mit der Vergrößerung des Personalbestandes ging der Ausbau der Versuchsanlagen und Gebäude24, wovon der Lageplan mit den eingetragenen Baudaten ein anschauliches Bild vermittelt: Die wichtigste neue Anlage war ein großer Windkanal, für den - von Milch auf der 25-Jahr-Feier der AVA angekündigt - 1933 die Mittel bewilligt worden waren und der 1936 fertiggestellt wurde. Er wurde fast ausschließlich für Industrieversuche eingesetzt und mußte zur Bewältigung der steigenden Anforderungen teilweise in mehreren Schichten betrieben werden. In den Jahren von 1938 bis 1940 erhielt die AVA drei Wasserkanäle und einen Hochgeschwindigkeitskanal, mit dem Bau eines Vereisungskanals wurde begonnen. Ein Kompressorprüfstand wurde gebaut und in Reyershausen leerstehende Gebäude erworben, um dort Versuchsanlagen unterzubringen. Die neue Flughalle auf dem Göttinger Flugplatz, für den die Stadt Göttingen ebenfalls zur Jubiläumsfeier 1933 das Gelände zur Verfügung gestellt hatte und der für praktische Erprobungsflüge gebraucht wurde, war schon 1935 eingeweiht worden. Die Werkstätten und Büroräume wurden ausgebaut und erweitert, außerdem wurde ein ehemaliges Werkstattgebäude in ein sog. „Kameradschaftshaus" mit Erholungsmög688
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Personalentwicklung in der AVA a) leitende Angestellte b) Ingenieure und sonstige Angestellte c) Facharbeiter und sonstige Lohnempfänger (nach Aerodynamische Versuchsanstalt,
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lichkeiten für die Betriebsangehörigen umgebaut. Für ihre Bemühungen um das Wohl der Belegschaft, wozu auch der Bau von 140 „Gefolgschaftswohnungen" gehörte, wurde die AVA übrigens 1942 von der Deutschen Arbeitsfront als „nationalsozialistischer Musterbetrieb" ausgezeichnet.25 Insgesamt betraf der geschilderte Ausbau und Aufschwung in erster Linie die AVA, während die Abteilung Strömungsphysik des Instituts davon eher nur am Rande profitierte. Die Mittel für den Ausbau der AVA stammten als sog. Sondermittel zum größten Teil aus dem RLM und stiegen beispielsweise allein von 1934 bis 1936 um das mehr als fünffache. 26 Zum 1. April 1937 vollzog man dann, was dem wirklichen Verhältnis von AVA und Strömungsforschung schon lange entsprach. Auf Veranlassung des Reichtsluftfahrtministeriums wurde die AVA ein selbständiger Verein, der im Namen allerdings noch den Zusatz „in der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft" trug, womit man die weiter gewünschte enge Verbindung zwischen beiden Institutionen zum Ausdruck bringen wollte. Grundstücke und Gebäude der AVA wurden Treuhandeigentum des Reiches. Betz, der gleichzeitig zum „ordentlichen Professor im Reichsdienst" ernannt wurde, wurde Direktor und Prandtl Vorsitzender des Vorstandes des neu geschaffenen Vereins „Aerodynamische Versuchsanstalt e.V.". 27 Die Darstellung der damals offenbar ausschließlich positiv empfundenen Auswirkungen der „jetzigen Neuorientierung der deutschen Luftfahrt" (Prandtl, 1933)28 soll durch einen kurzen Blick auf einige Forschungsgebiete in AVA und Strömungsforschung abgerundet werden (wobei allerdings die wichtigen theoretischen Arbeiten der Grundlagenforschung und die Arbeiten aus dem nicht-flugtechnischen Bereich unerwähnt bleiben): Neben der Ausmessung einer Vielzahl von Flugzeugmodellen beschäftigte man sich mit Untersuchungen von Tragflügel- und von Spaltprofilen (für Flügel mit Klappe und Spalt, die das gefürchtete Trudeln der Flugzeuge verhindern halfen), verschiedene Enteiser wurden entwickelt und Versuche mit Uberschallgeschwindigkeit begonnen. Besonders hervorzuheben sind die Vorarbeiten zur Entwicklung des Turbinenantriebs und des Pfeilflügels, die beide während des Zweiten Weltkrieges noch zur Produktionsreife gelangten.29 An dieser Stelle sei noch erwähnt, daß selbstverständlich alle diese Forschungen strengster Geheimhaltung unterlagen und daß bemerkenswerterweise Prandtl schon 1934 (!), obwohl Deutschland zu diesem Zeitpunkt offiziell noch überhaupt keine Luftwaffe hatte, sich schriftlich verpflichten mußte, über Ergebnisse und Arbeiten in der Luftfahrtforschung ,grundsätzlich keine Mitteilungen zu machen" 30 .
3. 1933 — Bereitschaft zur Mitarbeit „an dem Wiederaufbau des neuen nationalen Staates" Für das Kaiser-Wilhelm-Institut für Strömungsforschung verbunden mit der AVA hatte der „Wiederaufbau des neuen nationalen Staates"31 abgesehen von dem oben geschilderten wirtschaftspolitischen Aufschwung natürlich auch Auswirkungen im engeren politischen Sinne, womit die Versuche direkter staatlicher und parteipolitischer Einflußnahme im Institut gemeint sind. So kam auch hier — wie an der Universität - das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums zur Anwendung; der SS-Geheimdienst versuchte in einem jahrelangen Kampf, der sich schließlich gegen Prandtl persönlich richtete, seine (personalpolitischen) Vorstellungen im Institut durchzusetzen, und Prandtl sah sich außerdem veranlaßt, in die ideologischen Auseinandersetzungen zwischen Partei und Staat auf der einen Seite und den Wissenschaftlern auf der anderen Seite einzugreifen. 690
Der institutionelle Rahmen, in dem sich diese Ereignisse am Institut abspielten, war durch die Politik der KWG gegenüber den neuen Machthabern gegeben: Um einer Gleichschaltung von außen zuvorzukommen, leitete der Generalsekretär der KWG, Friedrich Glum, 1933 eine Politik der freiwilligen Zusammenarbeit ein, die auch von Max Planck (Präsident der KWG von 1930 bis 1936) mitgetragen wurde und die man gewöhnlich als „Selbstgleichschaltung" bezeichnet. Schon am 5. 5.1933 betonte Planck auf einer Sitzung gegenüber den Direktoren der Berliner Institute, „daß die Kaiser-WilhelmGesellschaft sich der nationalen Regierung voll zur Verfügung gestellt habe." 32 Der Darstellung nach, die Glum in seinen Erinnerungen gibt, diente diese deutlich und öffentlich immer wieder bekundete Bereitschaft zur Zusammenarbeit dem Ziel, „die Unabhängigkeit der KWG vor den Einflüssen der NSDAP so weit wie möglich zu sichern", dabei die staatliche Unterstützung zu erhalten und „den rein wissenschaftlichen und neutralen Charakter der KWG zu bewahren". 33 Durch diese Politik, die begleitet war von dem gezielten Bemühen, den Einfluß der (Großindustrie in der KWG weiter zu stärken und die immer schon guten Verbindungen zur Reichswehr bzw. Wehrmacht zu intensivieren, erreichte man, daß zunächst eine radikale („rassische") Säuberung zumindest in den Spitzengremien der KWG unterblieb, daß durch die Wiederwahl von Planck die Bemühungen des „deutschen Physikers" Johannes Stark um den Präsidentenposten erfolglos blieben und daß das Führerprinzip in der KWG offiziell erst 1937 eingeführt wurde. Nach dem Rücktritt Plancks machte die KWG 1937 Carl Bosch zu ihrem neuen Präsidenten, dessen Ansichten über das Regime zwar als etwas kritisch bekannt waren, der aber als Repräsentant der mächtigen IG-Farben natürlich an einer guten Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten interessiert war. Praktisch als Gegenleistung dafür, daß Rust Bosch akzeptierte, mußte Glum dafür sein Amt an Ernst Telschow abtreten, der bis dahin Glums Assistent und im Gegensatz zu diesem auch Parteimitglied war. Nach dem Tode Boschs 1940 wurde Albert Vogler34 (Vereinigte Stahlwerke AG) Präsident der KWG. Wegen seiner vielfältigen anderweitigen Aufgaben wurde die KWG allerdings im wesentlichen von Glums Nachfolger geführt. Telschow genoß offenbar das Vertrauen von Staat und Partei, er blieb bis 1945 (und auch noch danach) im Amt, und die KWG, die seit 1933 staatlicherseits stetig steigende finanzielle Unterstützung erhalten hatte35, war nach seiner Amtsübernahme auch Versuchen politischer Einmischung praktisch nicht mehr ausgesetzt.
Das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums Von den politisch oder „rassisch" begründeten Entlassungen aufgrund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. 4. 1933 waren die Institute der KWG im strengen Wortsinne des Gesetzes zunächst nur insoweit betroffen, als ihre Mitarbeiter (was insbesondere für einige Direktoren zutraf) Beamtenstatus hatten. Doch mit Schreiben vom 25. 4. 1933 verlangte der Reichsminister des Innern von der KWG, ihm - abgesehen von den Beamten - auch die Angestellten und Arbeiter „namhaft zu machen", die aufgrund des Gesetzes aus dem Dienst zu entlassen seien. In diesem Schreiben begründete das Reichsinnenministerium die grundsätzliche Anwendung des Gesetzes auf die KWG mit § 1 (Absatz 2), in dem Beamte von „Körperschaften öffentlichen Rechts sowie diesen gleichgestellten Einrichtungen" als Beamte im Sinne des Gesetzes definiert wurden. Nun war die KWG keine Körperschaft öffentlichen Rechts und auch keine diesen gleichgestellte Einrichtung, sondern eine private Gesellschaft, deren finanzielle Abhängigkeit von staatlichen Stel691
len allerdings von Jahr zu Jahr stärker geworden war und die dem Staat im Laufe der Jahre immer größere Kontrollbefugnisse zugestanden hatte, die dem ursprünglichen Selbstverwaltungskonzept der Gesellschaft eigentlich entgegenstanden. Glum präzisierte dann (ev. nach Rücksprache) den genannten Hinweis auf § 1 in seinem Rundschreiben an die Direktoren (das er nur zwei Tage später am 27. 4.1933 mit dem Vermerk „Sofort!" versehen versandte) in der Weise, daß vom Gesetz alle Institute betroffen seien, die zu mehr als 50 % staatlich finanziert seien. Beim Lesen dieses Schreibens, in dem Glum Auskunft über sämtliche Beamte, Angestellte und Arbeiter verlangte und die Direktoren sogar ermächtigte, Kündigungen oder vorläufige Beurlaubungen sofort auszusprechen, „wenn es die Umstände erfordern", kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, als sei die Generalverwaltung hier dem Regime fast eilfertig entgegengekommen. Dies traf insbesondere die „kleinen" Angestellten und Arbeiter. Die generelle Ausweitung des Gesetzes auf Angestellte und Arbeiter erfolgte nämlich erst mit der 2. Durchführungsverordnung am 4. Mai 1933. Offenbar sah sich niemand in der Generalverwaltung veranlaßt, so weit und so lange wie möglich eine enge, buchstabengetreue Auslegung des Gesetzes zu verlangen.34 Wie Glum in seinen Erinnerungen berichtet, hatte man dagegen für den Verbleib von 3 Juden im Senat der Gesellschaft (erfolgreich) gekämpft und setzte sich auch so weit wie möglich für wichtige Wissenschaftler ein, wie etwa der Fall Haber zeigt.57 Im Juni 1933 meldete Planck dann dem Reichsinnenminister persönlich 19 „auszusprechende Kündigungen", 3 „Zweifelsfälle" und 5 „Härtefälle". Eine vollständige Entlassungsstatistik über das Jahr 1933 hinaus existiert für die KWG nicht. Aus Anlaß der 75-Jahr-Feier der KWG/MPG 1986 stellte der MPG-Spiegel (allerdings ohne Berücksichtigung der Arbeiter und nicht-wissenschaftlichen Angestellten) fest, daß von 1933 bis 1940 fast 30 % der wissenschaftlichen Mitglieder und Direktoren der KWG entlassen oder in den Ruhestand versetzt worden seien.38 Im Institut für Strömungsforschung waren 1933 keine jüdischen Mitarbeiter beschäftigt.39 Doch sei in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß Prandtl neben seiner Tätigkeit am KWI ja auch an der Universität lehrte und bis 1934 das Institut für Angewandte Mechanik leitete. An diesem Institut gab es nun zwei jüdische Dozenten, Kurt Heinrich Hohenemser und Willy Prager, denen aufgrund von § 3 des obengenannten Gesetzes die Lehrbefugnis entzogen wurde. Dabei trat der wahrscheinlich ziemlich einmalige Fall ein, daß Hohenemser - wie schon vor der sog. Machtergreifung geplant - am 1. April 1933 eine Assistentenstelle erhielt und damit 6 Tage vor Inkrafttreten des Gesetzes noch Beamter wurde. Prandtl hat sich für den Verbleib von Hohenemser als auch von Prager nach Kräften, allerdings erfolglos, eingesetzt40 und sich im übrigen auch sonst für seine jüdischen Wissenschaftlerkollegen (wenn auch nur innerhalb des vorgegebenen legalen Rahmens) engagiert. So schrieb er etwa schon am 27. 4. 1933 an Innenminister Frick einen Brief, in dem er die sog. „Halb- und Vierteljuden" (die eben auch „Dreiviertelsdeutsche" seien) von den Entlassungen ausgenommen wissen wollte. 41 Erwähnt sei an dieser Stelle auch die wichtige Rolle, die Prandtl bei dem von Kollegen und Freunden organisierten Protest gegen die Entlassung des Mathematikers Richard Courant (einer der ersten 6 vom Gesetz betroffenen Wissenschaftler in Göttingen) spielte. (S. 529)42 Am Institut für Strömungsforschung hatte das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums in erster Linie Auswirkungen aufgrund der politischen Entlassungsgründe nach § 2 und § 4. So forderte die Generalverwaltung in den Jahren von 1933 bis 1935 von insgesamt 6 Institutsangehörigen, die ehemals der SPD angehört hatten, Erklärungen „wegen Loslösung von der sozialdemokratischen Partei." 43 Außerdem verlangte sie im 692
März 1934 die Entlassung eines Kupferschmieds aus der Werkstatt, der 1926/27 Mitglied der ISK-Jugend (Internationaler Sozialistischer Kampfbund) gewesen war: „Die Organisation war, wie wir festgestellt haben, eine kommunistische." Dieses Ansinnen stieß allerdings auf den entschiedenen Widerstand Prandtls, der nicht bereit war, einen wertvollen Facharbeiter bloß deshalb zu entlassen, „weil er als junger Mensch einmal eine Zeitlang in eine den kommunistischen Ideen nahestehende Jugendorganisation geraten ist". Obwohl sich die K W G mit dieser Erklärung leicht hätte zufrieden geben können, ließ Glum beim Reichsinnenministerium nach möglichen Ausnahmen vom Gesetz fragen. Planck teilte dann persönlich Prandtl die negative Antwort mit. Erst ein endgültiges Nein Prandtls zur Entlassung (da der Erlaß des Reichsinnenministers auf den Kupferschmied gar nicht anwendbar sei) beendete den ausführlichen Briefwechsel. 44 Dieser zeigt zum einen, mit welchem Aufwand hier in einem politisch relativ bedeutungslosen Fall agiert wurde, und zum anderen, mit welcher Entschiedenheit sich Prandtl (anders als die Generalverwaltung) auch für seine Arbeiter einsetzte und sich unausgesprochen, aber deutlich jede Einmischung in seine Institutsangelegenheiten verbat. Zwei Fälle sind mir bekannt, in denen auch am Institut für Strömungsforschung Entlassungen aus „rassischen" Gründen erfolgten. In dem einen Fall handelte es sich um einen Mechanikerlehrling, dessen „nicht-arische" Abstammung allerdings erst nach Beendigung seiner Lehrzeit 1938 ruchbar wurde und dessen Festanstellung (obwohl man dies im Institut wünschte) deshalb von der Generalverwaltung nicht genehmigt wurde, die zudem darauf hinwies, daß der Mechaniker schon als Lehrling (im April 1934) nicht hätte eingestellt werden dürfen. 45 In einem anderen Fall schon im Dezember 1933 wurde an der A V A ein Techniker entlassen, der der „Spionage" verdächtigt wurde, wobei man — erschwerend sozusagen — auch auf seine Eheschließung (im Juli 1933) mit einer Jüdin („trotzdem er das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums kannte") hinwies. 46 An der Entlassung dieses Technikers war maßgeblich auch der im Okt. 1933 neu eingestellte kaufmännische Leiter der A V A , Hans Wrede, beteiligt, der offenbar auch in anderen Fragen eifrig im Sinne des Nationalsozialismus wirkte. Auch ihm gegenüber bewahrte Prandtl immer eine deutlich distanzierte und unabhängige Haltung 47 , die er insbesondere auch in dem folgenden, sehr viel schwerer wiegenden Fall beibehielt.
SS-Geheimdienst am Institut für Strömungsforschung 1933/34 kam es am Institut für Strömungsforschung und der A V A zu heftigen (personal-) politischen Auseinandersetzungen, woraus sich geradezu ein Lehrstück in Sachen in Nazibürokratie entwickelte, in dessen Verlauf ein Verhör auf das andere folgte, gegenseitige Bespitzelung an der Tagesordnung war, die Zahl der beteiligten Stellen und Behörden ständig größer wurde und schließlich die ursprünglich als Zeugen auftretenden Personen zu den eigentlichen Angeklagten wurden. Leider ist es an dieser Stelle nicht möglich, alle Verwicklungen dieses Falles zu schildern; es ist noch nicht einmal möglich, auch nur alle beteiligten Stellen und Personen aufzuzählen. Ausgangspunkt des Konflikts 48 war eine „Anklageschrift" der N S B O - A V A , die dem SS-Standartenführer und Polizeidirektor Albert Gnade zugespielt worden war und in der gegen den am Institut beschäftigten Georgier Johann Nikuradse der Vorwurf der Spionage 693
und des Bücherdiebstahls erhoben wurde. Diese Schrift leitete Gnade an den Leiter des Informationsdienstes der SS, Hauptmann a.D. Johannes Weniger weiter, weil — wie Gnade später aussagte — Weniger schon früher auf seine Veranlassung die politische Zuverlässigkeit der Mitglieder des Instituts überprüft habe und deshalb in die Verhältnisse des Instituts schon bestens eingearbeitet gewesen sei. Weniger gab die Schrift nun seinerseits an Nikuradse weiter, und dieser strengte — obwohl der Polizeibericht ihn von allen Verdächtigungen freigesprochen hatte - Ende Juni 1933 ein Verfahren vor dem Universitätsrichter an, um den „Treibereien" am Institut gegen ihn endgültig ein Ende zu setzen. Dabei muß wohl davon ausgegangen werden, daß Nikuradse nicht besonders beliebt bei seinen Kollegen war und daß er zumindest versucht hat, seine offenbar gute Stellung bei Prandtl gegen diese auszuspielen. In den Akten wird außerdem behauptet, daß er seit 1923 für die N S D A P tätig gewesen sein soll, daß er der Partei viele wertvolle Dienste geleistet und insbesondere eine sehr brauchbare Liste jüdischer Professoren und Assistenten an der Göttinger Universität beigebracht habe. Bei seinen Gegnern (7 seiner Kollegen) handelte es sich um eine ganz inhomogene Gruppe. Selbst bei den die Untersuchung führenden Stellen war man sich nicht einig, ob der größere Teil von ihnen der Partei angehöre oder nicht. Zumindest einer von ihnen war erklärter Gegner des Regimes und hatte deshalb auch schon Schwierigkeiten bekommen. Auf Anfrage ermächtigte die K W G die Universität Göttingen, das Verfahren einzuleiten. Nach tagelangen Verhören entschied dann Universitätsrichter Wolff im Juli 1933, daß alle 7 gegen Nikuradse aufgetretenen Institutsmitglieder zu entlassen seien. Mit dieser Entscheidung Schloß Wolff sich explizit einem Gutachten von Weniger an, dem für dieses Gutachten sämtliche Akten des Verfahrens vorgelegen hatten. Damit entschied völlig unverdeckt der Geheimdienst der SS ein Verfahren vor dem Universitätsrichter. Prandtl, der sich zunächst in Verkennung der wirklichen Lage vor Nikuradse gestellt hatte, protestierte entschieden bei der K W G gegen die untragbare Massenentlassung, die sein Institut arbeitsunfähig mache. Darauf reiste Ende Oktober 1933 Glum persönlich nach Göttingen und erreichte, daß nur 3 der Gegner Nikuradses sozusagen als Rädelsführer entlassen wurden, während die übrigen bei (vorübergehender) Kürzung ihrer Bezüge weiter beschäftigt wurden. D a jedoch damit die innerbetrieblichen Auseinandersetzungen am Institut nicht aufhörten, sah sich Prandtl ein paar Monate später gezwungen, nun seinerseits Nikuradse „aus zwingenden dienstlichen Gründen" zu entlassen. Mit diesem Schritt machte er sich den SSGeheimdienst in der Person von Weniger, dessen Intrigen von Anfang an speziell und in erster Linie gegen Prandtl gerichtet gewesen waren, endgültig zum erbitterten Gegner. Dies blieb nicht ohne Folgen. Weniger hatte nämlich aufgrund seiner offenbar guten Beziehung zum Ministerium Rust Anfang Juli mit deren neuen Präsidenten, Johannes Stark, Einzug in die D F G gehalten. Dort sollte er trotz seiner offensichtlichen Inkompetenz ein neu zu schaffendes Personalamt leiten. Aufgrund von Streitigkeiten mit Stark, dessen nationalsozialistische Gesinnung Weniger offenbar nicht rein und extrem genug war, verlor er diesen Posten zwar schon wieder 1935 4 ', doch vorher erstattete er noch ein ausführliches Gutachten gegen Prandtl: „Ich setze die persönliche und charakterliche Einstellung des Herrn Prof. Prandtl als bekannt voraus, und gehe darauf nicht näher ein, weil Herr Prandtl ja vom Ministerium in seinem Amt belassen und daher entsprechend mit ihm zu rechnen ist. Meine diesbezüglichen Bedenken habe ich daher zurückzustellen." Dies schrieb Weniger am 24. 1. 1935 in einer kurzen zusammenfassenden Einschätzung der 694
Person Prandtls, die er seinem Bericht vom 6. 12.1934 voranstellte. 50 D o n lieferte er u.a. auch wieder eine ausführliche Schilderung des Falles Nikuradse und behauptete, daß dieser damals wegen (!) seiner nationalsozialistischen Gesinnung von Prandtl entlassen worden sei. Schwerwiegender aber war, daß Weniger Prandtl vorwarf, er habe in seinen Anträgen an die D F G sämtliche Abrechnungen und Mittelanforderungen willkürlich mit dem Faktor 2,5 multipliziert und so einen Uberschuß für das Institut gewonnen. Auf diesen Bericht, der allerdings auch nicht widerlegt wurde, erfolgte offenbar nichts Nachteiliges für Prandtl. Obwohl Prandtl im Verlauf des Verfahrens gegen Nikuradse sogar mit Konzentrationslager bedroht worden sein soll 51 , war seine Position offenbar so weit gefestigt und sein wissenschaftliches Ansehen so groß, daß ein SS-Geheimdienstler vom Format eines Weniger Prandtl auch unter den damals herrschenden Bedingungen nicht schaden konnte.
Der Fall Heisenberg „Sehr geehrter Herr Himmler! Als ich gelegentlich der Festsitzung der Deutschen Akademie der Luftfahrtforschung am 1. März ds.Jrs. Ihr Tischnachbar war, brachte ich das Gespräch auf gewisse Schwierigkeiten, in der die deutschen Vertreter des Faches .Theoretische Physik' durch ungerechtfertigte Angriffe seitens einer Gruppe von Experimentalphysikern gebracht worden sind, und erwähnte dabei besonders die persönlichen Nöte des Herrn Heisenberg." (Prandtl, 12. 7. 1938) Ebenso wie Prandtl sich innerhalb seines Instituts einen verhältnismäßig großen Entscheidungsspielraum erhalten konnte, den er sich weder von der K W G , noch von einzelnen Nationalsozialisten, die SS eingeschlossen, einschränken ließ, behielt er auch seine Unabhängigkeit in wissenschaftlichen Fragen. So stand er (natürlich) nie in Gefahr, etwa Anhänger der „Deutschen Physik" (S. 554) zu werden (im obigen Zitat als eine „Gruppe von Experimentalphysikern" genannt) oder diese auch nur stillschweigend zu dulden. Obwohl Prandtl kein theoretischer Physiker war und sich auf seinem wissenschaftlichem Spezialgebiet leicht hätte mit der „Deutschen Physik" arrangieren können, war es für ihn selbstverständlich, sich für das einzusetzen, „was von der überwiegenden Zahl der Physiker als richtig anerkannt" und „bereits fester Bestandteil des Lehrgebäudes der theoretischen Physik geworden" war. 52 Heisenberg war 1937/38, als er die Angriffe der vergangenen Jahre gerade abgewehrt zu haben glaubte, erneut unter starken Beschüß der Vertreter der „Deutschen Physik" geraten. 53 Am 15. 7. 1938 war in der Zeitschrift „Das schwarze Korps", die unter dem Einfluß von Heydrichs Sicherheitsdienst stand, ein Artikel gegen Heisenberg erschienen, an dem auch Stark mitgearbeitet hatte. Mit diesem Artikel wollte man offensichtlich nicht nur die vorgesehene Berufung Heisenbergs als Nachfolger von Arnold Sommerfeld auf den Lehrstuhl für theoretische Physik in München verhindern, sondern es Heisenberg zukünftig ganz unmöglich machen, in Deutschland zu arbeiten. Trotz weitreichender Unterstützung von Freunden und Kollegen geschah lange nichts für Heisenberg. Erst der oben zitierte Brief von Prandtl brachte etwas in Bewegung. Himmler folgte in allen Punkten Prandtls Vorschlägen und wirkte entsprechend auf Heydrich ein (da „wir es uns nicht leisten können, diesen Manñ, der verhältnismäßig jung ist und Nachwuchs heranbringen kann, zu verlieren oder tot zu machen" 5 4 ), so daß Heisenberg eine Publikationsmöglichkeit in der Zeitschrift der Reichsfachgruppe Naturwissenschaft der Reichsstudentenführung erhielt,
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von der besonders heftige Angriffe gegen ihn ausgegangen waren. Dies war als eine Art Rehabilitation anzusehen. Allerdings war damit nicht etwa auch schon die Berufungsfrage für den Sommerfeldlehrstuhl zugunsten Heisenbergs entschieden. Diesen Lehrstuhl erhielt ein gewisser Wilhelm Müller, dessen fehlende Qualifikation Prandtl 1942 zu einer heftigen Polemik in einer Eingabe an Rust veranlaßte.55
„Sie dürfen nicht nur das Schlechte an dem Hitlerregime sehen. "56 Abgesehen davon, daß Prandtls oben zitierter Brief an Himmler deutlich macht, daß Prandtl in allen wissenschaftlichen Fragen auch über sein Fachgebiet hinaus unbestechlich war, zeigt dieser Brief aber noch etwas anderes, vor allem wenn man ihn in Zusammenhang mit seiner anderen ausführlichen Korrespondenz und mit seinen vielfältigen Funktionen bringt. Daraus folgt nämlich, daß Prandtl einen großen Teil der NS-Größen (wie Göring, Milch, Himmler, Frick) persönlich kannte. Prandtl war also sozusagen nationalsozialistisch gesellschaftsfähig und obwohl er seine Beziehungen nutzte und sich unerschrocken und kritisch auch bei höchsten Stellen für Personen oder in kontroversen Sachfragen einsetzte, war er doch ganz und gar loyal gegen diesen Staat und seine Regierung. N u r so ist auch seine Bereitschaft zur Mitarbeit in den wichtigsten wissenschaftlichen Gremien der Luftfahrtforschung und seine Zusammenarbeit mit den staatlichen Stellen beim Ausbau des Instituts und später in allen Wehr- und Kriegsfragen zu verstehen. Prandtl, dessen Uberzeugung wohl am ehesten als nationalkonservativ zu charakterisieren ist57, stand dem Nationalsozialismus sicher zunächst eher distanziert gegenüber. Er wurde auch später niemals Mitglied der NSDAP, doch war er im Laufe der Jahre immer mehr bereit (auch ohne Not), sich zu „seiner" Regierung zu bekennen und nationalsozialistische Glaubens- und Grundsätze zu vertreten und zu verteidigen. Dies konstatiert etwa Prandtls ehemaliger Schüler Theodore von Karman in seinen Erinnerungen. Karman beschreibt dort eine Veränderung in Prandtls Einstellung, die sich auf dem Internationalen Mechanik Kongreß in den USA 1938 gezeigt habe.58 Offenbar hatte Prandtl dort den Nationalsozialismus offen verteidigt, was zu Meinungsverschiedenheiten mit seinen Kollegen geführt hatte. Dies bestätigt auch ein Briefwechsel, den Prandtl 1938/39 mit dem englischen Aerodynamiker G. I. Taylor führte und der aus Anlaß der in den USA geführten Gespräche begonnen worden war. Prandtl verteidigte in einem ersten Brief vom 29. 10. 1938 gegenüber Taylor Hitlers Friedenswillen, hob seine Leistungen bei der Beseitigung der Arbeitslosigkeit hervor und charakterisierte den „Führer" als einen „Mann von ungeheuerer Nervenkraft", der sich wohl „eine Million Menschen in Deutschland zu bittersten Feinden gemacht, aber dafür achtzig Millionen zu treuesten und begeisterten Anhängern." Er beschwor das bekannte Komplott zwischen Juden, Freimaurern und Kommunisten und stellte fest, daß der Kampf, den Deutschland leider gegen die Juden habe führen müssen, zu seiner Selbsterhaltung notwendig gewesen sei. Er bedauerte allerdings, daß darunter auch viele fähige jüdische Wissenschaftler haben leiden müssen. Er Schloß mit der Aufforderung, daß Taylor doch einmal selbst nach Deutschland kommen solle, „um sich davon zu überzeugen, daß wir hier doch sehr gut regiert werden". 59 Karman vermutet, daß die Tatsache, daß Prandtl „von den Nazis alles bekommen (hatte), was er für die Förderung seiner Arbeiten brauchte", der wesentliche Grund für Prandtls „mangelndes Gefühl für die Ungeheuerlichkeit des in Deutschland vor sich gehenden Verbrechens" gewesen sei.60 Dem muß hinzugefügt werden, daß Prandtl auch persönlich in 696
diesen Jahren mit wissenschaftlichen und staatlichen Ehrungen aus dem In- und Ausland überschüttet worden war.61 Dies war natürlich keine Folge des Nationalsozialismus, sondern entsprach Prandtls wissenschaftlicher Bedeutung. Es ist aber vorstellbar, daß diese Auszeichnungen, ebenso wie die ihm zugestandenen Privilegien62 und ebenso wie seine obengenannten Kontakte zur NS-Prominenz, seine Sicht der Verhältnisse entscheidend bestimmt haben. Prandtl schrieb, da er von Taylor offenbar keine Antwort erhalten hatte, ein Jahr später noch einmal von sich aus, diesmal an Frau Taylor, was deutlich zeigt, wie stark Prandtl daran interessiert war, Taylor zu überzeugen. Er stellte insbesondere wieder heraus, daß Deutschland (im Gegensatz zu England) sehr viel für den Frieden getan habe und daß es lediglich „die letzten Reste des Vertrages von Versailles" beseitigen wolle, den man Deutschland „im Jahre 1919 durch Fortsetzung der Hungerblockade aufgezwungen hat." 63 Damit vertrat Prandtl hier das von den Nationalsozialisten weidlich genutzte, durch alle Schichten populäre Argument von der Revision des Versailler Vertrags, von dessen Einschränkungen Prandtl ja auch als Luftfahrtforscher sehr direkt betroffen gewesen war. 64 Prandtl Schloß seinen Brief an Frau Taylor: „Hoffend, daß es auch in diesem Jahr wieder keinen Krieg geben wird" — eine Hoffnung, die zu dem Zeitpunkt, zu dem dieser Brief geschrieben wurde, keinen Monat mehr halten sollte.
4. Der Zweite Weltkrieg Mit Verfügung des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung wurde das Kaiser-Wilhelm-Institut für Strömungsforschung am 25. 8. 1939 zur sog. Bedarfsstelle 1. Ordnung erklärt, was bedeutete, daß es im Falle der Mobilmachung seinen Betrieb in vollem Umfange fortsetzen sollte.65 Dennoch blieb natürlich der Beginn des Krieges auch am Institut für Strömungsforschung nicht ohne Auswirkungen. Zum einen mußten bestimmte Sicherheitsvorkehrungen insb. zur „verstärkten Abwehr von Spionage und Sabotage" getroffen werden 66 , zum anderen wurden auch hier vor allem jüngere Mitarbeiter des Instituts schon im August 1939 zum Kriegsdienst einberufen, wobei in Einzelfällen allerdings nachträglich noch eine (zumindest vorübergehende) UK-Stellung erreicht werden konnte. 67 Insgesamt gibt es bisher keine verlässliche Statistik über Personalverluste durch Einberufungen an der Strömungsforschung und an der AVA. Doch die dort durchgeführten Arbeiten waren zum allergrößten Teil schon vor dem Ausbruch des Krieges eindeutig auf wehrtechnische und kriegswirtschaftliche Bedürfnisse ausgerichtet, und damit waren die Voraussetzungen für die UKStellung der Mitarbeiter gegeben. Zudem wurde zumindest im Facharbeiterbereich, in der Verwaltung und für wissenschaftliche Hilfsarbeiten ein Teil des eingezogenen Personals im Laufe des Krieges durch Kriegsverpflichtete ersetzt. Allgemein ist jedoch festzuhalten, daß während des Krieges der größte Teil der wissenschaftlichen und technischen Fachkräfte berufsfremd in der Truppe diente.68 Der folgende Abschnitt gibt einen kurzen Einblick in den (desolaten) Zustand der übergeordneten Forschungseinrichtungen.
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„Forschung tut not!"69 Auch während des Zweiten Weltkrieges entstanden im Rahmen der Forschungsorganisation eine Vielzahl von neuen Planungsstellen. 70 So wurde im Juni 1942 Göring beauftragt, einen neuen Reichsforschungsrat zu bilden, da der alte R F R unter Rust inzwischen völlig bedeutungslos geworden war. Göring, dessen Entmachtung 1942 mit der Ernennung von Albert Speer zum neuen Reichsminister für Bewaffnung und Munition begonnen hatte, kümmerte sich zwar um die Berufung des Präsidialrates für den neuen R F R , rief aber gleichzeitig in bewährter Weise eine eigene Forschungsorganisation für die Luftwaffe ins Leben: „Um die in der Luftfahrtforschung vorhandenen Kräfte und Erkenntnisse in vollem Masse für die Luftrüstung nutzbar zu machen" 7 1 , installierte er Ende Juni 1942 eine Reichsstelle „Forschungsführung des Reichsministers der Luftfahrt und Oberbefehlshabers der Luftwaffe", auf die die Funktionen der Abteilung Baeumker im Reichsluftfahrtministerium übergingen. Die sog. Fofü wurde von einem Vier-Personen-Ausschuß geleitet, dessen Vorsitzender Prandtl wurde. Dieser „Viererrat" trat einmal im Monat zusammen. Nach Einschätzung eines seiner (wechselnden) Geschäftsführer gelang es ihm allerdings nicht, eine effektive Zusammenarbeit der Forschung mit Industrie und Luftwaffe herbeizuführen. 72 Insgesamt kann man wohl sagen, daß eine übergreifende koordinierende Planung im Bereich der Forschung (wenn überhaupt) lediglich auf dem Papier bestand. Insbesondere langfristige Forschungsvorhaben wurden vernachlässigt oder sogar eingestellt. Schon im Februar 1940 hatte Göring befohlen, nur noch diejenigen Forschungsvorhaben weiter zu verfolgen, die sich noch 1940 oder 1941 auswirken würden. Anfang 1942 war ein entsprechender Befehl auch von Speer gekommen, der dann Mitte 1944 sogar den Abbruch aller Forschungsarbeiten befahl, die nicht direkt und sofort umstürzende Vorteile für die Kriegsführung erwarten ließen. Doch Himmler und Bormann, die sich seit 1944 für die Forschung und speziell gegen Göring stark gemacht hatten (seit 1944 sammelte die SS Belege für „Führungsmängel in der Luftwaffe und Luftfahrtindustrie") erreichten, daß dieser Entwicklungsstop aufgehoben wurde. 73 Unterstützt durch eine schon 1943 von Goebbels selbst inszenierte Pressekampagne („Hut ab vor dem deutschen Forscher und E r f i n d e r , . . ." 7 4 ) führte man in den letzten Kriegsmonaten nun insbesondere auch umfangreiche Rückholund Rückstellungsaktionen von Wissenschaftlern von der Front durch. Dies war zu großen Teilen das Verdienst von Werner Osenberg, der sich seit etwa 1942 selbst zum Kämpfer für eine bessere Ausnutzung des Wissenschaftlerpotentials für kriegswichtige Aufgaben gemacht hatte. 75 Seine zahlreichen Denkschriften zu diesem Thema waren zunächst jedoch auf taube Ohren gestoßen. Erst Ende 1943 konnte Osenberg, der inzwischen zum Leiter eines Planungsamtes im neuen R F R ernannt worden war, als einen ersten bescheidenen Erfolg den Hochschuldirektoren und den Direktoren der Institute der K W G zusichern, daß zumindest weitere Einberufungen im Rahmen der dritten Sondererfassung zum Kriegsdienst unterbleiben würden. Der deutsche Rückstand auf dem wichtigen Gebiet der Hochfrequenztechnik hatte im Sommer 1943 erstmals dazu geführt, daß 1500 Fachleute von der Truppe zurückgerufen wurden, und am 18. Dezember 1943 verfügte dann das Oberkommando der Wehrmacht, daß ganz allgemein unter dem Stich wort „Forschung" 5000 Wissenschaftler der Wehrmacht entzogen werden durften. Der oben genannte Stimmungsumschwung bei der Parteiprominenz am Ende des Krieges zugunsten der Forschung bewirkte auch, daß Bormann am 6. Februar alle „geschützten" Wissenschaftler auch vom Deutschen Volkssturm zurückstellte und sie zu 70 % in das zweite Aufgebot verwies. 698
Sowohl der Volkssturmerlaß als auch die Rückholaktionen über Osenberg sind am Institut für Strömungsforschung und an der AVA zum Tragen gekommen. 76
„Wehrkraft und Wissenschaft" - „Stützen des Staates" „Sie müssen von dem Glauben durchdrungen, ja geradezu davon besessen sein, daß die Ergebnisse ihrer Forschung von heute den Sieg von morgen mitverbürgen." (Weisung des Präsidenten der KWG, Albert Vogler, 1942)77 Auch das Institut für Strömungsforschung wurde während des Krieges zunehmend mit sog. Sonderaufgaben betraut, was schon allein deshalb unumgänglich war, weil nur die als kriegswichtig anerkannte Forschung (wenn überhaupt) genügend finanzielle und personelle Mittel erhielt. So wurde am Institut beispielsweise für das Heer die Wirkungsweise von Artilleriemündungsbremsen untersucht, für das Reichsluftfahrtministerium wurden Turbulenzmeßgeräte entworfen und für die Marine und das RLM Unterwassergeschosse und Wasserlaufkörper (der Henschel-Flugzeug-Werke) im Hinblick auf Stabilitäts- und Kavitationsprobleme untersucht. 78 „Naturgemäß" aber war vor allem die Tätigkeit der AVA „durch den Krieg beeinflußt": „Die Inanspruchnahme der Anstalt durch die Industrie stieg außerordentlich, insbesondere mußten umfangreiche Untersuchungen zur Verbesserung und Weiterentwicklung der Frontflugzeuge durchgeführt werden."79 Gemessen an den ursprünglichen Planungen verzögerte sich zwar zunächst der Ausbau der AVA, doch wurden 1943 immerhin ein weiterer besonders turbulenzarmer Windkanal und zwei Hochgeschwindigkeitskanäle in Betrieb genommen. Ein großer und leistungsstarker Kältewindkanal wurde fertiggestellt, konnte allerdings infolge eines Brandes nicht mehr eingesetzt werden. Ein Kältehochgeschwindigkeitskanal sollte bei Kriegsende angeliefert werden. Die größte Ausweitung ihres Wirkungsbereiches erfuhr die AVA aber durch die anfänglichen Kriegserfolge, da dadurch bestimmte Aufgaben an Außenstellen im Ausland abgegeben werden konnten: So nutzte man Sonderprüfstände im besetzten Norwegen und in Prag. Seit September 1940 vergab man Forschungsaufträge an das Nationale Luftfahrtlaboratorium in Amsterdam. Nach der Besetzung Frankreichs wurde Anfang 1941 eine Außenstelle der AVA in Paris eingerichtet, und auch andere französische Forschungsstellen wurden zur Mitarbeit herangezogen. Zeitweise führte man auch Versuche im angeschlossenen Osterreich, in Kufstein, und in dem 1942 besetzten Riga durch. Für die Forschungsarbeiten an der AVA kann hier im wesentlichen auf den kurzen Uberblick über die Vorkriegsarbeiten verwiesen werden. Natürlich wurde auch gerade die AVA für einzelne neue, sich direkt aus dem Kriegsverlauf ergebende Aufgaben herangezogen, doch im wesentlichen wurden die vor dem Kriege begonnenen großen Arbeiten (Enteiser, Pfeilflügel, Turbinenstrahlwerk) fortgeführt. Nach W. Wuest, der 1982 eine Festschrift zum 75jährigen Jubiläum der AVA veröffentlicht hat, wies Deutschland am Ende des Zweiten Weltkrieges „ein vielseitiges Spektrum moderner Hochgeschwindigkeitsflugzeuge mit Pfeilflügeln und Raketen- oder Turbinenstrahlantrieb auf" (wozu seines Erachtens die AVA maßgeblich beigetragen hatte). Er konstatiert sogar — mit dem auch bei anderen Wissenschaftlern immer wieder anzutreffenden Stolz auf das in Deutschland während des Zweiten Weltkrieges trotz aller Schwierigkeiten Geleistete - einen „bedeutenden Vorsprung auf luftfahrttechnischem Gebiet gegenüber den anderen Industrienationen", der allerdings durch das „unglückliche Kriegsende" zu699
nichte gemacht worden sei.80 Ob diese ungebrochen positive Einschätzung vom Stand der deutschen Luftfahrttechnik am Ende des Zweiten Weltkrieges zutrifft, kann hier nicht beurteilt werden, da eine kritische Untersuchung dazu (insbesondere auch zur Bedeutung der AVA für die deutsche Kriegsforschung) noch aussteht.
Ausblick auf die Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg Für Göttingen endete der Zweite Weltkrieg am 8. April 1945 mit dem Einmarsch der Amerikaner. Am 11. April wurden das Institut für Strömungsforschung und die AVA zunächst vorläufig geschlossen. Anfang Juni 1945 entschied dann die zuständige alliierte Kommission, deren Chef von Karman war, daß die AVA als Rüstungsbetrieb geschlossen bleibe, das Institut für Strömungsforschung aber als Einrichtung der Grundlagenforschung weiterbestehen dürfe. Unter der Aufsicht der Engländer, die inzwischen die Amerikaner abgelöst hatten, wurde ein beschränkter Institutsbetrieb wieder zugelassen. Zunächst war aber ein Teil der Mitarbeiter der AVA und des Instituts für Strömungsforschung damit beauftragt worden, die Ergebnisse der deutschen Luftfahrtforschung von 1939 bis 1945 zusammenzustellen. So entstanden die von Betz redigierten sog. Göttinger Monographien, die auf 7000 Manuskriptseiten Beiträge von 72 Mitarbeitern enthielten. Ende 1946 war diese Arbeit beendet, die AVA wurde stillgelegt, das Personal entlassen und sämtliche Kanäle und ein Großteil der übrigen Versuchsanlagen demontiert oder zerstört. Beendet waren diese Aktionen erst 1950. Das Institut für Strömungsforschung, das nicht von den Demontagen betroffen war, wurde am 1. 8. 1946 wiedereröffent. Am 31. 12. 1946 trat Prandtl, der inzwischen 71 Jahre alt war, als Direktor des Instituts für Strömungsforschung zurück, nachdem er zuvor, was während des Krieges immer wieder verschoben worden war, an der Universität Göttingen emeritiert worden w?r. Sein Nachfolger auf dem Lehrstuhl wurde sein ehemaliger Schüler Walter Tollmien. Das Institut für Strömungsforschung wurde 1947 in drei selbständige Abteilungen (Prandtl, Tollmien, Betz) aufgegliedert. Direktor des Instituts wurde Betz. Die Abteilungen Prandtl und Tollmien, die 1951 zusammengelegt wurden, übernahmen im wesentlichen die Aufgaben des ursprünglichen Instituts für Strömungsforschung, während die Abteilung Betz (da nach der Schließung der AVA sich ein Großteil der ehemaligen Mitarbeiter gezwungen sah, zumindest vorübergehend ins Ausland zu gehen) „wenigstens einige tüchtige Mitarbeiter der AVA mit ihrem großen Erfahrungsschatz für Deutschland erhalten sollte." 81 Am 15. August 1953 starb Ludwig Prandtl. Im gleichen Jahr konstituierte sich die AVA erneut eigenständig neben dem Institut für Strömungsforschung, da nach der Anfang 1953 erfolgten Aufhebung des allgemeinen Luftfahrtverbotes und mit Beginn der politischen Vorbereitungen zur Remilitarisierung der Bundesrepublik Luftfahrtforschung nun wieder systematisch und anwendungsbezogen betrieben werden konnte. Doch erst am 1. Mai 1957 wurde die Trennung vom Max-PlanckInstitut (die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft war 1946 auf Wunsch der Alliierten in MaxPlanck-Gesellschaft umbenannt worden) für Strömungsforschung endgültig vollzogen. 1969 wurde dann auch die bis dahin noch bestehende Einbindung der AVA in die Max-PlanckGesellschaft aufgehoben und die AVA in die „Deutsche Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt" (DFVLR) eingegliedert, in der alle Luftfahrtforschungseinrichtungen der Bundesrepublik zusammengeschlossen sind. 700
5. „Gedanken eines unpolitischen Deutschen" Prandtl hat 1947 sein politisches Credo in einem 7-seitigen Papier, das er mit „Gedanken eines unpolitischen Deutschen zur Entnazifizierung" betitelte, niedergelegt. Aus den Akten geht leider nicht hervor, an wen dieses Papier gerichtet war (vermutlich an die britische Militärregierung) und ob und an wen es abgesandt wurde. Doch unabhängig davon liegt seine Bedeutung darin, daß Prandtl dort sehr genau und ausführlich die Argumente wiedergibt, die die Entnazifizierungsdebatte an den Universitäten kennzeichneten, und außerdem — was besonders wichtig ist - ein Bild vom Selbstverständnis eines deutschen Naturwissenschaftlers zeichnet, das als typisch gelten kann. Prandtl begegnete zunächst möglichen Einwänden gegen seine Person als Verfasser dieser Gedanken, indem er vor allem auf sein hohes Alter hinwies, daß ihn „ebenso wie sein von wissenschaftlicher Arbeit erfülltes Leben" wohl vor dem Verdacht schütze, „daß er in irgendeiner Weise Extremist sein könnte. Vielmehr hat er bisher niemals eine Rolle in der Politik spielen wollen, sondern sich nur an Hand der ihm zugänglichen Quellen ein Urteil zu bilden versucht." Prandtl beschrieb dann die „Lage von 1932" (Arbeitslosigkeit und Parteienzwist) und schilderte anschließend „Die psychologische Situation nach der Machtergreifung der NSDAP" und ihre Folgen für den Mitgliederzuwachs der Partei. Für das „anzustrebende Entnazifizierungsverfahren" folgerte Prandtl, daß jeder Einzelfall gesondert gewürdigt werden müsse, daß zwar jeder, der sich Vorteile als Parteimitglied verschafft habe oder durch Denunziation oder Verleumdung seinen Mitbürgern schweren Schaden zugefügt habe, schwer bestraft werden müsse, daß aber die „deutsche Volksgemeinschaft [...] ein Anrecht darauf [hat], die wertvollen Menschen unter den Parteimitgliedern für die ungestörte Weiterführung ihrer Tätigkeit in ihrer Mitte zu behalten." In genau gleicher Weise hatte Prandtl übrigens 15 Jahre vorher argumentiert, als er sich bei Frick für die „uns höchst wertvollen" Viertel- und Halbjuden einsetzte. Insbesondere die Universitäten müßten nach Prandtls Meinung fordern, „daß alle menschlich wie fachlich wertvollen jungen Forscher und Lehrer, die keine Aktivisten waren, sondern nur dem Staat und ihrer Wissenschaft zu dienen wünschten, jetzt wieder in Gnaden aufgenommen werden, und nicht dadurch zu Schaden kommen, daß sie in den letzten Jahren keinen anderen Weg hatten als den über die Partei, die völlig mit dem Staate verschmolzen worden war."82 In diesem „Dem Staat und der Wissenschaft dienen" liegt der Schlüssel für das Verständnis, das nicht nur Prandtl von seiner gesellschaftspolitischen Rolle hatte. Getreu den Leitbildern deutscher Beamter wilhelminischer Tradition war ihm einerseits Loyalität gegenüber dem Staat selbstverständliche (heilige) Pflicht, und standen für ihn andererseits natürlich Wissenschaft und Wissenschaftler (neutral und unabhängig) ganz außerhalb der jeweiligen aktuellen (sich unter Umständen schnell wandelnden) politischen Situation. So leugneten die meisten (Naturwissenschaftler, daß auch ihre Arbeit in bestimmte politische Zusammenhänge eingebunden war und daß sie selbst durch eben diese Arbeit politische Entscheidungen mittrugen oder beeinflußten. Selbst wenn sie — wie etwa Prandtl sein ganzes Leben lang - wichtige wissenschaftspolitische Funktionen ausübten, hielten sie dennoch ihr unpolitisches Selbstbild aufrecht. So schrieb Prandtl z.B. 1938 über die von Göring neu geschaffene Lilienthalgesellschaft, daß diese keine nationalsozialistische Organisation gewesen sei und sich nie mit politischen Fragen, sondern nur mit fachlichen Fragen der Luftfahrt beschäftigt habe.83 701
Die Gründe dafür, daß die meisten deutschen Naturwissenschaftler nach dem Kriege ihre rein fachliche wissenschaftliche Tätigkeit in der Zeit des Nationalsozialismus herausstellten, liegen auf der Hand und sind verständlich. Genau dasselbe hatten sie ja auch schon 1933 getan, als sie die politische Tragweite ihrer Arbeit leugneten, um sie vor Ubergriffen zu schützen und ihre wissenschaftliche Autonomie zu bewahren. Doch im Widerspruch dazu hatten sie dann im Laufe des Krieges mit immer größerem Nachdruck auf die Bedeutung ihrer Leistungen für den Krieg hingewiesen, um sich einerseits die weitere und intensivere Förderung ihrer Arbeit zu sichern und um andererseits auf das ihrer Meinung nach eindeutige Versagen des Regimes gegenüber Technik- und Naturwissenschaften hinweisen zu können. Obwohl mit dieser sich in Eingaben oder Denkschriften niederschlagenden Kritik auch gegenüber höchsten staatlichen Stellen ideologische Unabhängigkeit und teilweise auch persönlicher Mut dokumentiert wurde, worauf man nach 1945 voller Stolz zurückblickte M, kann man doch nicht umhin festzustellen, daß innerhalb der Naturwissenschaften im Laufe des Krieges eine Art „Selbstmobilisierung" stattfand, in deren Verlauf man sich konsequent darum bemühte, der deutschen Wissenschaft „den ihr gebührenden Platz im staatlichen und militärischen Apparat" zu verschaffen.85 Bei der Bewertung dieser Tatsache ist zu berücksichtigen, daß wie etwa aus der Entwicklung der AVA schon im Ersten Weltkrieg deutlich wird, damit (häufig explizit berufen) an eine schon vor 1933 bestehende Tradition angeknüpft wurde, in der die Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeit selbstverständlich und bewußt industriellen und militärischen Interessenten angeboten wurden. Festzuhalten ist, daß sich viele Naturwissenschaftler trotz der von ihnen geäußerten (partiellen) Kritik am Regime (oder gerade durch diese Kritik) faktisch zu Sachwaltern der (Kriegs-)Interessen und Ziele dieses Regimes machten (und das auch, wenn sie sich etwa persönlich bewußt parteipolitisch abstinent verhielten).86 Diese ihre Funktion und Rolle, wenn sie denn unvermeidlich war, wenigstens nach 1945 kritisch zu erkennen und zu reflektieren 87 , hätte bei den Naturwissenschaftlern ein nicht auf Parteipolitik beschränktes weiter gefaßtes Politikverständnis vorausgesetzt, das es ihnen nicht erlaubt hätte, ihre Arbeit weiterhin als politisch neutral und völlig wertfrei darzustellen. Außerdem wäre ein politischer Standort notwendig gewesen, der es nicht zugelassen hätte, den Nationalsozialismus (wie es etwa auch Prandtl noch nach 1945 in seinen „Gedanken eines Unpolitischen" getan hat) als mögliche Lösung für die vielfältigen Probleme der Weimarer Republik, als willkommenen Bundesgenossen gegen den Kommunismus und vor allem als akzeptablen Bündnispartner zur Durchsetzung fachspezifischer Interessen anzusehen. Wie wir an der Entwicklung der AVA besonders eindrucksvoll gesehen haben, waren diese fachspezifischen Interessen bei den Nationalsozialisten dann ja zumindest in einigen Fällen durchaus gut aufgehoben. Gegen die übliche, auch heute noch immer wieder vertretene Meinung, muß man wohl konstatieren, daß das Jahr 1933 für viele Naturwissenschaftler keinen tiefgehenden politischen Einschnitt darstellte (zumindest nicht, wenn sie das Glück hatten, „arisch" zu sein). Aufgrund ihres auch durch die Ereignisse der letzten Kriegsjahre nicht ins Wanken gekommenen unpolitischen Selbstverständnisses stellte dann das Jahr 1945 für sie als Naturwissenschaftler ebensowenig einen Selbstwert und Selbstbild in Frage stellenden Einbruch dar. 1933 hatte Max Planck die Parole „Durchhalten und weiterarbeiten" ausgegeben88, und genau diese machten die Naturwissenschaftler dann auch 1945 wieder zur Richtschnur ihres Handelns. 1933 wie 1945 „blieb ihr Hauptinteresse, Mittel und Wege zu finden, um an ihre Forschungsarbeit zurückkehren zu können." 89 Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, daß die Frage nach der politischen 702
Rolle der Naturwissenschaft im Nationalsozialismus, die Frage, warum sich wissenschaftliche Organisationen und auch die Wissenschaftler selbst zum größten Teil so reibungslos in das nationalsozialistische System hatten integrieren lassen, von den Naturwissenschaftlern grundsätzlich nicht gestellt, ja sogar als Frage und Problem in der Regel gar nicht gesehen wurde.
Anmerkungen Prandtl (1875-1953), 1901 o. Prof. an der T H Hannover, 1904 a.o. Prof. für technische Physik an der Universität Göttingen, 1907 o. Prof. für angewandte Mechanik in Göttingen. 1909 erhielt Prandtl einen zusätzlichen Lehrauftrag für „Aeronautik", den ersten dieser Art in Deutschland. 2 Vgl. dazu Kraemer (1975), S. 16 ff. und Wuest (1982), S. 7 ff. 3 Vgl. zur Geschichte und insbesondere zur Finanzierung der KWG Haevecker (1951) und Schreiber (1951). Interessante Gesichtspunkte und vor allem einen ausführlichen Dokumentenanhang zu den Anfängen der KWG (auch zu Prandtls Institut) enthält auch Wendel (1975). 4 Ludwig Prandtl „Denkschrift über die Errichtung eines Forschungsinstituts für Aerodynamik und Hydrodynamik in Göttingen" vom 16. 2. 1911, Archiv der MPG, 1A-1466 5 Ergebnisse der AVA (1921), S. 2 und S. 4, vgl. auch Wendel (1975), S. 351 ff und Kraemer (1975), S. 21. « Ergebnisse der AVA (1921), S. 4; Mehne (1929), S. 19 und Wuest (1982), S. 20. 7 Siehe Glum (1964), S.306 f und Kraemer (1975), S. 22. 8 Siehe Kraemer (1975), S. 24 ff. 9 Ergebnisse der AVA (1927) und (1932), Vorwort. 10 Siehe Schreiber (1951), S. 87 und vgl. die Tätigkeitsberichte der KWG, in: Die Naturwissenschaften (1930, 1931 und 1932). Zur Personalentwicklung siehe die im 2. Abschnitt abgedruckte Graphik über die Personalentwicklung in der AVA und Ergebnisse der AVA (1932), Vorwort. 11 Prandtl, Ansprache zum 60. Geburtstag von Albert Betz, 19. 12. 1945, Archiv des MPI, Korrespondenz 1945. 12 Kunstamt Kreuzberg (1976), S. 147. Die Faktoren sind auf die jährliche Gesamtproduktion von Flugzeugen im Deutschen Reich bezogen. 13 Erlaß zur „Pflege der Luftfahrt in der Schule" vom 17. 11. 1934, siehe Brämer/Kremer (1980), S. 169 und S. 205. 14 Zum Göttinger Flugsport finden sich eine Vielzahl von Artikeln in den Göttinger Tageszeitungen, siehe z.B. GT vom 31.12.1934 („Göttingen im Jahre 1934") oder GT vom 1. 7. 1933 („Zukunftsaufgaben des heimatlichen Segelflugs") und GT, Sonderbeilage zum Universitätsjubiläum, vom 25. 6. 1937 („Universität und Fliegerei"). 15 Siehe den Bericht über die Feier im GT vom 31.5.1933 und den Abriß der Geschichte des Instituts vom L. Prandtl, G T vom 27. 5. 1933. 16 Die Darstellung beschränkt sich zunächst auf den Zeitraum bis 1939, die Entwicklung mit Beginn und während des Zweiten Weltkrieges wird an entsprechender Stelle später geschildert. 17 Die Ausführungen dieses Abschnitts folgen in wesentlichen Punkten Ludwig (1974), Kap. 6: „Naturwissenschaftlich-technische Forschung - Stiefkind des Systems", S. 210 - 229 (insb. S. 212 f. und 218 f.). Siehe dort auch die Ausführungen zur Ausnahmesituation in der Chemie und der chemischen Technik, die oben nicht berücksichtigt wurde. 18 Vgl. Erhard Milch an Ludwig Prandtl, Rundschreiben über VLF vom 25. 4. 1933, Korrespondenz 1933, Archiv des MPI. 19 Siehe Zierold (1968), S. 215 f. 20 Vgl. zu den Reichsforschungsanstalten und den oben genannten Luftfahrtforschungseinrichtungen auch die Jahrbücher der Deutschen Luftfahrtforschung, 1937 bis 1941 und ein Rundschreiben Görings über „Gliederung" und „Arbeitsweise der Luftfahrtforschung" vom 24. 7. 1936, Archiv der MPG, Al - 1 4 7 9 . 1
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Siehe Ludwig (1974), S. 218 und S. 223 und allgemein zur Geschichte der D F G Zierold (1968), insb. S. 215 ff. und S. 223. Baeumker an Glum, 4. 7. 1935, Archiv der MPG, A l - 1 5 2 5 . Hermann Göring, Ansprache am 1. 3.1938, in: Jahrbuch der Deutschen Luftfahrtforschung (1938), ohne Seitenzahl. Vgl. zum folgenden Kraemer (1975), S. 28 f.; Wuest (1982), S. 26 ff., und die Tätigkeitsberichte der KWG, in: Die Naturwissenschaften (1934 bis 1939), und ab 1937 auch die Tätigkeitsberichte für die AVA, in: Jahrbuch der Deutschen Luftfahrtforschung (1938 bis 1940). Siehe Bericht im GT vom 9./10. 1942 („Am Nationalfeiertag mit der Goldenen Fahne ausgezeichnet"), siehe auch G T vom 10./12.1938 und vom 12.12. 1938. Vgl. Archiv des MPG A l - 3 6 3 . Siehe Tätigkeitsbericht der KWG, in: Die Naturwissenschaften (1938), S. 322. Prandtl zur 25-Jahr-Feier im G T vom 27. 5. 1933. Vgl. dazu Kraemer (1975), S. 29 ff.; Wuest (1982), S. 26 ff., und die Tätigkeitsberichte wie unter Anm. 24. Prandtl, „Ich verpflichte m i c h , . . . " , Erklärung vom 4. 6. 1934. Archiv des MPI. Mit Telegramm vom 23. 5. 1933 an Hitler bekundete die KWG ihre Bereitschaft, „an dem Wiederaufbau des neuen nationalen Staates [ . . . ] nach besten Kräften mitzuarbeiten." Zitiert nach MüllerHill (1984), S. 29. Aufzeichnung über eine Sitzung der Direktoren der Berliner Kaiser-Wilhelm-Institute am 5. Mai, nachm. 4 Uhr, im Schloß Berlin, zitiert nach: Müller-Hill (1984), S. 28. Glum (1964), S. 438 und S. 440. Vgl. insgesamt zum Folgenden Glum (1964), S. 438 ff. und S. 486 ff., Beyerchen (1980), S. 92 ff., und die Tätigkeitsberichte der KWG, insbesondere für 1933 und für 1937, in: Die Naturwissenschaften (1934 und 1938). Stichworte zur Person Voglers, der als führender deutscher Großindustrieller einer der wichtigsten Wirtschaftsfunktionäre des „Dritten Reiches" war, findet man in Wistrich (1983), S. 283 f. Vgl. Haevecker (1951), S. 46 ff. und Beyerchen (1980), S. 93. Siehe: Der Reichsminister des Innern an den Präsidenten der KWG, 25. 4. 1933, und Rundschreiben Glums vom 27. 4.1933, beide Archiv der MPG, A l - 531. Zum Gesetz und seinen Durchführungsbestimmungen, siehe Friedrichs (1935), S. 172 ff. und Walk (1981), insb. S. 19. Zum Fall Haber siehe z.B. Beyerchen (1980), S. 68 f. und S. 100 ff. und Glum (1964), S. 441 ff. Siehe Bericht von Planck an Reichsminister des Innern, 19. 6. 1933, Archiv der MPG, A l - 5 3 1 und Gerwin (1986), S. 33 (Prozentzahl allerdings ohne Quellenangabe). Siehe Nachweisung über die Abstammung der Angestellten der KWG, Archiv der MPG, A l — 531. Zu den Fragebogenanforderungen im Institut für Strömungsforschung siehe auch A l - 533 und 546/547. Zur Entziehung der Lehrbefugnis von Hohenemser und Prager und zum weiteren Lebenslauf der Genannten siehe: U A G / K Lehraufträge, Beurlaubungen und Vertretungen an der math-nat. Fakultät, 1933 bis 1946, Nr. 19a; UAG, Κ, XVI, IV. A.d. 235 (Hohenemser), UAG, Κ, IX, 83 („Durchführung des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums") und Pini (1971), S. 182. Prandtl an Frick, 27. 4. 1933, Archiv des MPI, Korrespondenz 1933. Siehe dazu Eingabe für Courant, An den Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung (mit 28 Unterschriften), Mai 1933, Archiv des MPI, Korrespondenz 1933; UAG, K, 37. Beurlaubung und Vertretung jüdischer Professoren, 41, Nr. 122; UAG, Κ, XVI, V.A.a. 9 (Prandtl), Blatt 203/204. Vgl. außerdem Beyerchen (1980), S. 45 ff., Reid (1979), S. 167 ff. Tobies (1982), S. 22 und Anm. 58, kann man entnehmen, daß sich Prandtl ebenso für Hans Reißner verwandte, den 2. Vorsitzenden der Gesellschaft für angewandte Mathematik und Mechanik (GAMM), der 1933 als Jude sein Amt selbst niedergelegt hatte. Noch 1937 setzte sich Prandtl beim Wissenschaftsministerium auch für seinen ehemaligen Assistenten Flachsbart ein, der entlassen worden war, weil seine Frau Jüdin war. Siehe dazu den Briefwechsel zwischen Prandtl und Flachsbart, November 1937 bis August 1938, Archiv des MPI, Korrespondenz 1937/38. Prandtl an Glum, 13. 3. 1934, Archiv des MPI, Personalakten 1934. Zu den genannten Fällen siehe am selben Ort auch Glum an Prandtl, 10. 3. 1934, und im Archiv der MPG, A l - 533 und 546/547. Glum an Prandtl, 10. 3. 1934; Prandtl an Glum, 13. 3. 1934; Glum an Reichsminister des Innern,
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19. 3. 1934 (als Abschrift an Prandtl), Planck an Prandtl, 10. 4.1934) und Prandtl an Planck, 12. 3. 1934, alle Archiv des MPI, Personalakten 1934. Institut für Strömungsforschung an die Generalverwaltung, 24. 3.1938 und Generalverwaltung an Prandtl, 31. 3. 1938, Archiv der MPG, A l - 5 3 3 . Betz und Wrede an die Generalverwaltung, 7. 12. 1933, Archiv des MPI, Personalakten 1933. Dazu ist anzumerken, daß erst am 28. 9. 1933 in einer zweiten Änderung zur 2. Durchführungsverordnung des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums erstmals die Ehe mit einer nicht-arischen Person erwähnt wurde und sich hier, wie im entsprechenden Rundschreiben, der Generalverwaltung der KWG vom 21. 11. 1933 nur auf die Neueinstellung von Arbeitern und Angestellten bezog. Siehe Rundschreiben vom 21.11. 1933, Archiv der MPG, A l - 5 3 2 und Walk (1981), S. 53. Siehe z.B. Prandtl an Wrede, 19. 12.1933, Archiv des MPI, Personalakten 1933. Die Unterlagen zum Verfahren (Mappe „Personalstreitigkeiten 1933, KWI und AVA"; Akte „Universitäts-Kuratorium Göttingen, betr. Dr. Nikuradse", ohne Signatur) und Personalakten 1933/34 und 1937) befinden sich im Archiv des MPI. Vgl. Heiber (1966), S. 827 ff. Johannes Weniger, Bericht zu den Anträgen des Professor Prandtl Göttingen, vom 6. Dezember 1934 mit Vorbemerkung vom 14. 1. 1935 (Anforderung des Gutachtens vom 11.1. 1935), in: DFGAkte Prandtl, Bundesarchiv Koblenz, R 73/13700. Siehe Tobies (1982), Anm. 57. Alle Zitate dieses Abschnitts aus Prandtl an Himmler, 12. 7. 1938, Archiv des MPI, Korrespondenz 1938. Vgl. zum folgenden Beyerchen (1980), S. 214 ff. Zur „Deutschen Physik" siehe z.B. Richter (1980). Himmler an Heydrich, 21. 7.1938, zitiert nach Hermann (1976), S. 64; vgl. auch Walker (1989), S. 82 ff. Prandtl hatte diese Denkschrift mit dem Titel „Gefährdung des Physikernachwuchses", in der er Müller's Arbeitsprogramm als „Sabotage eines für die technische Weiterentwicklung unentbehrlichen Faches" bezeichnete, mit gleichem Inhalt (etwas anders formuliert) schon 1941 für Göring verfaßt, den sie aber nicht erreichte. 1942 stellte er sie dann dem Vorsitzenden der „Deutschen Physikalischen Gesellschaft" Ramsauer für eine Eingabe bei Rust zur Verfügung. Siehe Physikalische Blätter (1947), S. 43 ff., und Hermann (1982), S. 185 ff.; vgl. Walker (1989), S. 93 f. Prandtl (1938) von Karman sinngemäß aus dem Gedächtnis zitiert, Karman (1968), S. 48. Prandtl hatte für die Kommunalwahlen am 12. 3. 1933 sogar eine DNVP-Liste mit dem Namen „Kampfbund .Schwarz-Weiß-Rot' " öffentlich unterstützt (siehe G T vom 8. 3., 10. 3. und 11./12. 3. 1933). Karman (1968), S. 47/48. Karman war seit 1929 am California Institute of Technology in Pasadena, Kalifornien. Alle Zitate aus Prandtl an Taylor, 29. 10. 1938, Archiv des MPI, Korrespondenz 1938 (Taylor hatte am 27. 9. 1938 an Prandtl geschrieben, Abschrift im Archiv des MPI). Karman (1968), S. 48. Eine allerdings nicht ganz vollständige Liste der Ehrungen und Preise, die Prandtl im Laufe seines Lebens erhalten hat, findet sich in: Prandtl (1961), S. 1618 ff., für Ergänzungen siehe UAG, Κ XIV, V A.a.9 (Prandtl). Prandtl wurde sogar zweimal für den „Deutschen Nationalpreis" vorgeschlagen (1938 und 1939). Dazu gehören insbesondere die zahlreichen Reisen zu wissenschaftlichen Kongressen ins Ausland (siehe U A G / K XIV, V A.a.9), die Prandtl anders als vielen anderen Wissenschaftlern immer als im „deutschen Interesse liegend" genehmigt wurden. Prandtl an Frau Taylor, 5. 8. 1939, Archiv des MPI, Korrespondenz 1939. 1921 hatte Prandtl in den Ergebnissen der AVA (1921, S. 4) konstatiert, daß die Einnahmen der AVA aus Versuchsaufträgen erst dann wieder größere Beträge aufweisen könnten, „wenn die deutsche Luftfahrt von den Fesseln befreit sein wird, die die Feinde ihr noch immer aufzwingen." Siehe dazu die Bescheinigung von Telschow vom 29. 8. 1933, Archiv des MPI, Mappe „Geheimschreiben der KWG". Vgl. dazu auch die Einleitung zu diesem Band S. 42. Die Universität wurde als Bedarfsstelle 2. Ordnung zu Beginn des Krieges sogar für ein paar Wochen geschlossen. Siehe Telschow an Prandtl, Rundschreiben, 16. 9. 1939, Archiv des MPI, Mappe „Geheimschreiben der KWG". 705
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Siehe Tätigkeitsbericht der AVA für 1939/40, in: Jahrbuch der Deutschen Luftfahrtforschung (1940). Weitere Informationen entstammen Gesprächen mit W. Tillmann (am 2. 12. 1982) und mit W. Wuest (am 16. 11. 1982). Nach Feststellungen von W. Osenberg dienten 1943 80 % des technisch-wissenschaftlichen Personals berufsentfremdet in der Truppe. Siehe Ludwig (1974), S. 253. Titelthema der Physikalischen Blätter (1944), Heft 1/2. Die folgenden allgemeinen Bemerkungen über den Zustand der Forschungsorganisationen während des Zweiten Weltkrieges stellen eine Zusammenfassung der detaillierten Ausführungen von Ludwig (1974), S. 229-271, dar. Reichsminister der Luftfahrt, Rundschreiben über Forschungsführung, 29. 5.1942, Archiv der MPG, A l - 1 4 8 0 . Vgl. Ludwig (1974), S. 237. Vgl. Ludwig (1974), S. 231 f, S. 254 und S. 256 ff. Physikalische Blätter (1944), Heft 1/2, S. 22. Zu Goebbels Pressekampagne („Die Wissenschaft ist bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu loben."); vgl. auch Göttinger Universitätszeitung (1946), Nr. 5, S. 1, und Mehrtens (1980), S. 50 f. Osenberg war Leiter des Instituts für Werkzeugmaschinen an der T H Hannover. Vgl. zur Person und zum folgenden auch Ludwig (1974), S. 243 ff, S. 252 ff, S. 262 ff und S. 268 f. Siehe Osenberg an Prandtl, 1. 2. 1944, Plischke (Prorektor der Universität und örtlicher Vertreter des Osenbergschen Planungsamtes) an Prandtl, 3. 2.1944 (Rückholaktion für 2 Mitarbeiter), und Prandtl an Osenberg, 3. 5. 1944 (Freistellung von 30 Ingenieuren — aus dem ganzen Reichsgebiet - für einen Weiterbildungslehrgang an der Universität Göttingen), Archiv des MPI, Mappe „Der Rektor der Georgia Augusta". Zum Volkssturmerlaß findet sich eine Bemerkung in Prandtl, Betr. Tätigkeit des Prof. Dr. H. Plischke für das Planungsamt des Reichsforschungsrates, 7. 2. 1947, Archiv des MPI, Korrespondenz 1947. Vogler im Tätigkeitsbericht der KWG für 1941/42, in: Die Naturwissenschaften (1942), S. 619. Das Zitat in der Uberschrift zu diesem Abschnitt stammt aus: „Das in der Gründungszeit der Gesellschaft geprägte Wort von der Wehrkraft und der Wissenschaft als den beiden starken Stützen des Staates hat jetzt seine tiefste Bedeutung erfahren." Telschow im Tätigkeitsbericht der KWG für 1942/43, in: Die Naturwissenschaften (1943), S. 524. Vgl. Verzeichnis der beim Kaiser-Wilhelm-Institut für Strömungsforschung, Göttingen, im Jahr 1942 laufenden Arbeiten im Auftrage von Wehrmachtsstellen und Industrie, Archiv des MPI, Mappe „Geheimschreiben der K W G " und Bericht über die Kriegsarbeiten des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Strömungsforschung, Entwurf, Archiv des MPI, Mappe „Berichte für die Alliierten". Tätigkeitsbericht der AVA, in: Jahrbuch der Deutschen Luftfahrtforschung (1940), S. 32. Vgl. zum folgenden Wuest (1982), S. 32 ff. Wuest (1982), S. 36 f. Ausführliche Darstellungen der Arbeiten an der AVA und am Institut für Strömungsforschung findet man in: Göttinger Monographien (Maschinenskript o.J.) und in Betz (1953). Tollmien (1962), S. 733, vgl. zu den Nachkriegsereignissen und zur weiteren Entwicklung Kraemer (1975), S. 31 f, und Wuest, S. 38 ff. Alle Zitate dieses Abschnitts aus: Prandtl, Gedanken eines unpolitischen Deutschen zur Entnazifizierung, Archiv des MPI, Ordner Prandtl Privatbriefe, und aus Prandtl an Frick, 27. 4.1933, Archiv des MPI, Korrespondenz 1933. Prandtl, Bescheinigung über Walter Boje, 9. 7. 1948, Archiv des MPI, Korrespondenz 1948. Prandtl schrieb dort übrigens über sich selbst: „Ich erwähne dabei, daß ich selbst trotz meiner Präsidententätigkeit von keinem Entnazifizierungsausschuß je behelligt worden bin." Vgl. zu diesem Problemfeld auch die Aussagen über die Deutsche Akademie der Luftfahrtforschung in den Physikalischen Blättern (1947), S. 45. Siehe z.B. den Vorspann zu der in den Physikalischen Blättern abgedruckten Eingabe Ramsauers an Rust aus dem Jahre 1942, in der die aus der Vernachlässigung der physikalischen Forschung für Deutschland „in seinem Existenzkampf" entstehenden Folgen beschworen wurden und an der sich ja auch Prandtl beteiligt hatte (vgl. Anm. 55). Zitat aus einer Denkschrift Osenbergs vom 31. 7. 1944 nach Ludwig (1974), S. 256. Vgl. zum Problem der „Selbstmobilisierung" insgesamt Ludwig (1974), S. 241 ff.
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Siehe dazu auch Mehrtens (1980), insb. S. 65 ff und Beyerchen (1980), S. 276 ff. In der Regel reagierten die deutschen Naturwissenschaftler mit Empörung und Unverständnis, wenn ihnen vorgeworfen wurde, daß sie aufgrund ihrer Kriegstätigkeit den Nationalsozialismus unterstützt hätten. Vgl. dazu z.B. die Ausführungen von Max von Laue, der persönlich der politischen Kollaboration ganz unverdächtig war, in: Physikalische Blätter (1947), S. 424 f. Nach Hermann (1973), S. 58. Zitat aus einer Einschätzung (für die Zeit nach 1945) des amerikanischen Wissenschaftlers Roger Adams, Remsen Memorial Letture vom 24. 5. 1946, in Physikalische Blätter (1947), S. 15. Um Mißverständnissen vorzubeugen sei hier ausdrücklich angemerkt, daß sich alle Aussagen dieses Abschnittes auf die Naturwissenschaftler als Gesamtgruppe, als Naturwissenschaftler eben, und nicht auf einzelne Personen beziehen, für die Erfahrung und Erleben des Nationalsozialismus durchaus eine starke persönliche Belastung bedeutet haben können.
Quellen- und Literaturverzeichnis Ungedruckte Quellen Archiv des Archiv der UAG,K ( DFG-Akte
MPI ( = Max-Planck-Institut für Strömungsforschung, Göttingen) M P G ( « Bibliothek und Archiv der Max-Planck-Gesellschaft, Berlin) Universitätsarchiv Göttingen, Kuratoriumsakten), Prandtl, Bundesarchiv Koblenz, R 73/13700.
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Aufstellung der Professoren, PHvatdozenten, Lehrbeauftragten und Nachwuchswissenschaftler, die infolge der nationalsozialistischen Maßnahmen die Universität Göttingen verlassen mußten HEINRICH BECKER
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