Die symbolische Macht der Apokalypse: Eine kritisch-materialistische Kulturgeschichte politischer Endzeit 9783110474336, 9783110470987

How can one address the multiple themes linked to the "apocalypse" – the end days, the last judgment, Armagedd

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German Pages 237 [238] Year 2016

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Table of contents :
Inhaltsübersicht
Ausblick
Erster Teil: Methode und Theorie
I.1 Die Offenbarung nach D. H. Lawrence
Die Textualität der Johannes-Offenbarung
Die Textgrundlagen
Die Macht der Apokalypse
I.2 Genealogische Apokalyptik nach Michel Foucault
Vorbemerkungen zum Sprachverständnis und zur Schreibweise
Der Begriff der Apokalypse
Die Geschichte der Apokalyptik
Neue Archäologen und Archivare
Analytik der Macht
Individuen der Pastoralmacht
Kritisch-materialistische Skizze abendländischer Apokalyptik
I.3 Politische Eschatologie nach Jacob Taubes
Abendländische Eschatologie als Geschichte abendländischer Subjektivierung
Politische Theologie
Die messianische Zeit des Endes
Apokalyptische Repräsentationen des Endes der Zeit
Zweiter Teil: Revolution und Repräsentation
II.1 Progressive Staatsräson
Apokalypse vs. Staatsprognostik
Exoterischer und esoterischer Diskurs der Apokalypse
Bürgerliche Revolution
II.2 Weltanschauung der Biomacht
Horizonte des Erhabenen
Überlebensszenarien
Regulierte Isolation
II.3 Die Grenzen moderner Identität
Das symbolische Universum der Apokalypse
Der Wahnsinn der Welt
Apokalyptischer Massenwahn
Dritter Teil: Eschaton
III.1 Edgar Allan Poes The Conversation of Eiros and Charmion (1839)
Die Ankunft des Kometen
Eiros und Charmion (die Zofen I)
Rückblick auf die Zeit apokalyptischer Repräsentation
Die Macht der Worte
Der große Tod
III.2 Lars von Triers Melancholia (2011)
Das Ende am Anfang
Justine und Claire (die Zofen II)
Engel der Ereignisse
III.3 Die symbolische Macht der Apokalypse
Der Katechon als Figur des Symbolischen
Politische Kulturwissenschaften
Dynamisches Symbolbewusstsein
Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Abbildungen
Personenregister
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Die symbolische Macht der Apokalypse: Eine kritisch-materialistische Kulturgeschichte politischer Endzeit
 9783110474336, 9783110470987

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Christian Zolles Die symbolische Macht der Apokalypse



Cultural History of Apocalyptic Thought Kulturgeschichte der Apokalypse Herausgegeben von Catherine Feik Veronika Wieser Christian Zolles Martin Zolles

Band 2



Christian Zolles

Die symbolische Macht der Apokalypse Eine kritisch-materialistische Kulturgeschichte politischer Endzeit



ISBN 978-3-11-047098-7 e-ISBN [PDF] 978-3-11-047433-6 e-ISBN [EPUB] 978-3-11-047230-1 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2016 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Titelbild: Hans Grundig: Das Tausendjährige Reich (Mitteltafel Triptychon), 1936. © Bildrecht, Wien 2016. Foto © bpk | Staatliche Kunstsammlung Dresden Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com



Vorwort Die vorliegende Arbeit geht auf ein von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) von 2009 bis 2012 gefördertes interdisziplinäres DOC-team-Projekt zum Thema Abendländische Apokalyptik zurück, bei dem ein DoktorandInnenteam aus den Bereichen der Geschichts-, Literatur- und Medienwissenschaften die Rezeptionsformen der biblischen Apokalypsen und insbesondere der Johannes-Offenbarung seit der Spätantike untersuchte. Dabei sollten vor allem auch die Voraussetzungen des gegenwärtigen Blicks auf die Geschichte der europäischen Endzeitvorstellungen nach den aktuellen Prinzipien der Kulturwissenschaften geschichtstheoretisch und methodologisch geprüft werden. Ausgehend von der Annahme, dass die Auseinandersetzung mit apokalyptischen Diskursen über einen derart langen Zeitraum eine Betrachtungsweise erfordert, die sich nicht an traditionellen Begriffskategorien orientieren kann, rückte die historische Kontextualisierung jener Diskurse in den Fokus. Nicht von der Vergangenheit und Gegenwart einer bestimmten Endzeitlichkeit war auszugehen, sondern von den unterschiedlichen Formen ihres Inhalts, ihrer Gestaltung und ihrer Vermittlung. So beschäftigte in erster Linie die Heterogenität und Wandelbarkeit der soziopolitischen, diskursiven und medialen Faktoren, die hinter Untergangsszenarien ausgemacht werden können, und erst auf Detailanalysen aufbauend die Frage, inwieweit diese in ihrer Kontingenz vergleichbar sind. Zieht man als plakative Beispiele die Verkündungen des Untergangs des Imperium Romanum in der Spätantike, der römisch-katholischen Kirche im Zeitalter der Reformation oder des ‚Abendlandes‘ im ‚Dreißigjährigen Weltkrieg‘ des 20. Jahrhunderts heran, so lässt sich an ihnen ganz deutlich der jeweilige historische Index erkennen, der ihnen zugrunde liegt, und man könnte einfach behaupten, dass sich in den Endzeitdeutungen die Krisen oder Veränderungen der kulturellen Landschaft spiegelten. Damit wäre aber noch nicht geklärt, in welcher Tradition diese Deutungen zu verstehen sind, in welchem Glauben oder Wissen, mit welcher Intention und mit welchen Auswirkungen sie auftraten und wer als eigentlicher Akteur hinter den undurchsichtigen Vermittlungen der Offenbarung ausgemacht werden kann. Die Studie soll als kulturwissenschaftliche Rahmenarbeit zu diesen Fragestellungen verstanden werden. Einschlägigen Kulturtheorien des 20. Jahrhunderts folgend, geht sie weniger von diachronen als von synchronen Diskursschnittpunkten aus und operiert mit mehreren Zeitachsen unterschiedlicher Dauer, in der Hoffnung, damit die Komplexität ‚abendländischer Apokalyptik‘ aufzeigen und ihre Historisierung hinterfragen zu können. Es geht also nicht um eine klassische Geschichte europäischer Endzeitwahrnehmung, sondern eher im Gegenteil um ihre alternative Darstellung. Daran orientiert sich auch die geleistete Quellenkritik, wobei das ursprüngliche Vorhaben, eine komplementär zur Apokalyptik zu lesende Genealogie der Astrologie zu entwerfen, aufgegeben bzw. vertagt werden musste. Die Anknüpfungspunkte hierfür sollten aus der vorliegenden Untersuchung aber hervorgehen. Darüber hinaus 

VI 

 Vorwort

seien Leserinnen und Leser, die an weiterem apokalyptischen Material und detaillierteren historischen Epochenschilderungen interessiert sind, auf die Buch-Reihe Cultural History of Apocalyptic Thought hingewiesen, in der fortlaufende Projektergebnisse erscheinen.1 Für die Zeit und die Mittel, das Dissertationsvorhaben am Institut für Germanistik der Universität Wien entwickeln und ausarbeiten zu können, sei an erster Stelle der Vergabekommission der ÖAW und namentlich Moritz Csáky und Gotthart Wunberg gedankt. Roland Innerhofer stand von Anfang an zuversichtlich hinter dem Projektvorhaben und unterstützte es laufend mit wertvollen Hinweisen. Unzählige Impulse bei der Ausarbeitung der Fragestellungen gehen auf die ProjektmitarbeiterInnen Catherine Feik, Leopold Schlöndorff, Veronika Wieser und Martin Zolles zurück. Heiko Hartmann, einstiger Verlagsleiter des Akademie-Verlags, hat die Publikationsreihe zur Abendländischen Apokalyptik initiiert, die derzeit Bettina Neuhoff bei de Gruyter mit viel Einsatz betreut. Auch in diese Richtungen sei herzlich gedankt. Für Anregungen und Hilfestellungen verschiedenster Art bin ich außerdem sehr verbunden: Kurt Appel, über den ich einen beeindruckend offenen, ganz unbedrohlichen katholischen Umgang mit der Apokalypse kennen lernte und dessen jüngstes Buch über den Preis der Sterblichkeit ich nachträglich als komplementär zu meiner Arbeit begriffen habe; Alessandro Barberi, von dessen rastlosen Kampf für die ‚linke‘ Seite der Apokalypse ich einiges gelernt habe und der die theoretischen Ausführungen abschließend noch einmal kritisch überprüfte; Paul Bishop, der mich in Glasgow äußerst freundlich empfing und auf dessen Forschungen zu Ernst Cassirer und C. G. Jung ich an dieser Stelle ausdrücklich hinweisen möchte; Eva Horn, die zeitgleich an der Universität Wien zur Zukunft als Katastrophe forschte und mich in ihr apokalyptisches Seminar einlud; Meta Niederkorn-Bruck, die mich auf den Zusammenhang zwischen dem liber vitae und dem Tagebuch aufmerksam machte und mich jederzeit freundlich unterstützte; Martin Treml, mit dem sich sehr unkomplizierte und inspirierende Gespräche über Kultur- und Religionswissenschaften führen ließen und der dem Manuskript das Imprimatur erteilte; Joseph Vogl, in dessen Seminar ich einen Grundriss der Arbeit zur Diskussion stellen konnte; und Stefan Willer, der die Freundlichkeit hatte, mich an seinem Publikationsprojekt zu den Futurologien zu beteiligen. Die Zeit, die die Apokalypse gekostet hat, können vermutlich nur Veronika und Victor abschätzen, denen vorliegende Arbeit gewidmet ist.

1 Siehe auch weiterhin http://apokalypse.univie.ac.at sowie http://www.degruyter.com/view/serial/​ 235041 (30.04.2016).



Inhaltsübersicht Ausblick 

 1

Erster Teil: Methode und Theorie I.1

Die Offenbarung nach D. H. Lawrence   9 Die Textualität der Johannes-Offenbarung  Die Textgrundlagen   12 Die Macht der Apokalypse   19

I.2

 25 Genealogische Apokalyptik nach Michel Foucault  Vorbemerkungen zum Sprachverständnis und zur Schreibweise    25 Der Begriff der Apokalypse   29 Die Geschichte der Apokalyptik   33 Neue Archäologen und Archivare   39 Analytik der Macht   46 Individuen der Pastoralmacht   52 Kritisch-materialistische Skizze abendländischer Apokalyptik   57

I.3

 62 Politische Eschatologie nach Jacob Taubes   Abendländische Eschatologie als Geschichte abendländischer Subjektivierung   62 Politische Theologie   68 Die messianische Zeit des Endes   76 Apokalyptische Repräsentationen des Endes der Zeit   84

 9

Zweiter Teil: Revolution und Repräsentation II.1

II.2

Progressive Staatsräson   93 Apokalypse vs. Staatsprognostik   93 Exoterischer und esoterischer Diskurs der Apokalypse  Bürgerliche Revolution   103

 96

 113 Weltanschauung der Biomacht  Horizonte des Erhabenen   113 Überlebensszenarien   118 Regulierte Isolation    122



VIII 

 Inhaltsübersicht

II.3

Die Grenzen moderner Identität   126 Das symbolische Universum der Apokalypse  Der Wahnsinn der Welt   129 Apokalyptischer Massenwahn   134

 126

Dritter Teil: Eschaton III.1

Edgar Allan Poes The Conversation of Eiros and Charmion (1839)  Die Ankunft des Kometen   143 Eiros und Charmion (die Zofen I)   147 Rückblick auf die Zeit apokalyptischer Repräsentation   150 Die Macht der Worte   154 Der große Tod   162

III.2

Lars von Triers Melancholia (2011)  Das Ende am Anfang   169 Justine und Claire (die Zofen II)  Engel der Ereignisse   176

III.3

 171

 181 Die symbolische Macht der Apokalypse  Der Katechon als Figur des Symbolischen   181 Politische Kulturwissenschaften   188 Dynamisches Symbolbewusstsein   193

Zusammenfassung  Literaturverzeichnis  Abbildungen 

 199  202

 223

Personenregister 



 169

 225

 143

“Do you remember that piece of footage on the local news, just as the first tower comes down, woman runs in off the street into a store, just gets the door closed behind her, and here comes this terrible black billowing, ash, debris, sweeping through the streets, gale force past the window … that was the moment, Maxi. Not when ‘everything changed.’ When everything was revealed. No grand Zen illumination, but a rush of blackness and death. Showing us exactly what we’ve become, what we’ve been all the time.” “And what we’ve always been is …?” “Is living on borrowed time. Getting away cheap. Never caring about who’s paying for it, who’s starving somewhere else all jammed together so we can have cheap food, a house, a yard in the burbs … planetwide, more every day, the payback keeps gathering. And meantime the only help we get from the media is boo hoo the innocent dead. Boo fuckin hoo. You know what? All the dead are innocent. There’s no uninnocent dead.” After a while, “You’re not going to explain that, or …” “Course not, it’s a koan.” Thomas Pynchon, Bleeding Edge Interessant, diese Überlegung. Verdient es die Gesellschaft, gerettet zu werden? Das ist die Schlüsselfrage. Tiziano Terzani, Das Ende ist mein Anfang Das Schlimmste am Tod ist seine Konzentration. Er bezieht alles auf sich: Verengung. Die Religionen wollen es bei dieser Verengung nicht bewenden lassen. Hinter dem Engpaß malen sie ungeheure Landschaften. Welche Verlockung! Diese Landschaften vor den Engpaß verlegen. Elias Canetti, Das Buch gegen den Tod





Ausblick ‚Die symbolische Macht der Apokalypse‘ lässt sich nicht einfach erschließen. Sie liegt nicht auf der Hand (eher auf der Zunge), lässt sich nicht in einzelnen Begriffen und nicht in einer einzigen Geschichte zusammenfassen. Es ist einiges an Theoriearbeit notwendig, es sind Zeiten und Diskurse schrittweise zu entwirren, um sich ihr methodisch anzunähern, weswegen an dieser Stelle auch keine Einleitung in die Thematik gegeben werden kann (der gesamte erste Teil kann im Grunde als eine solche betrachtet werden), sondern ein kurzer Ausblick auf Aufbau und Inhalt vorliegender Arbeit erfolgt. Deren Intention hingegen ist klar: Sie versucht die losen Enden der gegenwärtigen Apokalyptik-Forschung aufzugreifen und aus der Sicht und mit den Mitteln einer interdisziplinär wirkenden Kulturwissenschaft philologisch (und damit nicht: theologisch)2 zusammenzuführen. Sie orientiert sich dabei an einer materialistischen Geschichtsauffassung im Sinne Walter Benjamins, weswegen sie keiner vereinheitlichenden chronologischen Ordnung, sondern den verschiedenen Zeitsträngen, welche die behandelten Textquellen aufgreifen und weiterführen, den Vorzug in der Darstellung gibt. Diese sollen damit auch in Relation zu anderen zeitgenössischen oder vergangenen Endzeiterwartungen und nicht bloß symptomatisch gelesen werden. Welches andere Thema als jenes der Apokalyptik eignet sich schließlich besser dafür, einer Geschichte des Fortschritts eine Geschichte der Aktualisierung entgegenzuhalten?3 Konzeptuell wird mit drei Zeitsträngen gearbeitet: Im ersten Teil (‚Methode und Theorie‘) werden die Argumente einer kulturkritischen Geschichtsphilosophie vorgestellt, die weit in die Vergangenheit, bis in die Zeit der Spätantike und des Frühchristentums und darüber hinaus führen. Im zweiten Teil (‚Revolution und Repräsentation‘) wird eine diskurs- und begriffsgeschichtliche Untersuchung der europäischen Untergangsnarrative sowie deren politische Kontextualisierung ab Mitte des 18. Jahrhunderts angestrebt. Im dritten Teil (‚Eschaton‘) wird anhand zweier konkreter Beispiele versucht, der Spur abendländischer Eschatologie bis in das 21.  Jahrhundert hinein zu folgen. Umklammert werden diese drei Stränge von dem 1931 posthum

2 Vgl. Benjamin, Walter: Das Passagen-Werk. Erster Band. In: Gesammelte Schriften. Hrsg. von Rolf Tiedemann. Frankfurt a. M. 1983. Bd. 5,1. S. 574 [N 2, 1]: „Sich immer wieder klarmachen, wie der Kommentar zu einer Wirklichkeit (denn hier handelt es sich um den Kommentar, Ausdeutung in den Einzelheiten) eine ganz andere Methode verlangt als der zu einem Text. Im einen Fall ist Theologie, im andern Philologie die Grundwissenschaft.“ 3 Vgl. Benjamin, Passagen-Werk 1 (wie Anm. 2), S. 574 [N. 2, 2]: „Es kann als eines der methodischen Objekte dieser Arbeit angesehen werden, einen historischen Materialismus zu demonstrieren, der die Idee des Fortschritts in sich annihiliert hat. Gerade hier hat der historische Materialismus alle Ursache, sich gegen die bürgerliche Denkgewohnheit scharf abzugrenzen. Sein Grundbegriff ist nicht Fortschritt sondern Aktualisierung.“



2 

 Ausblick

erschienenen Essay Apocalypse des englischen Schriftstellers D. H. Lawrence4 bzw. von einem Kommentar von Gilles Deleuze.5 Das erklärt sich daraus, dass Lawrences Essay nicht nur als Zeugnis des literarischen Expressionismus der europäischen Zwischenkriegszeit aufgefasst werden kann, sondern dass sich fast alle relevanten zeitgenössischen Diskurse in ihm gebündelt wiederfinden, die auch noch im 21.  Jahrhundert einiges an Relevanz besitzen: der philosophisch-psychologische Diskurs in Anschluss an Friedrich Nietzsches fundamentaler Kritik am Christentum und am monumentalen Historismus; jener der ‚religionsgeschichtlichen Schule‘, der die biblischen Schriften in einem neuen Licht orientalischer Quellen erscheinen ließ und zahlreiche neue historische Kontexte offenbarte; jener der Mythosforschung vornehmlich nach Johann Jakob Bachofen, dessen Matriarchatstheorie in Zirkeln der Münchner Bohème um 1900 eifrig rezipiert wurde und damit indirekt (in persona Elsa von Richthofen) auch Lawrence erreichte; damit im Zusammenhang jener der Psychopathologie und frühen Psychoanalyse und ihrer Abwehrhaltung gegenüber radikalen soziopolitischen Rückschlüssen angstneurotischer Erkrankungen (Otto Gross und Wilhelm Reich); oder auch der ‚esoterische‘ bzw. ‚theosophische‘ Diskurs, der nicht nur die spirituelle Einheit der Bibel, sondern aller Glaubenskräfte in Form von Geheimlehren und Sprach- und Körpertechniken in sich zu bergen versprach. Indem Lawrence die Radikalität dieser neuen Wissensformen in einer für ihn typischen rückhaltlosen Weise in seine Kritik der JohannesOffenbarung münden ließ, die gleichzeitig eine umfassende Kultur- und Zeitkritik darstellt, finden sich darin bereits ‚laienhaft‘ formulierte theoretische Grundsätze des ‚Poststrukturalismus‘ avant la lettre. Die Aktualität, die Nietzsches und Sigmund Freuds Analysen nach wie vor besitzen, kann in gleicher Weise auch Lawrences ‚mystischer Pantheismus‘ zuerkannt werden, der im Gemeinschaftswerk von Deleuze und Félix Guattari einen prominenten Platz einnimmt und aus diesem Grund stellenweise auch extensiv zitiert wird.6 Nach dem Aufzeigen der mit der Thematik in Zusammenhang stehenden diskursiven Verknüpfungen und thematischen Verzweigungen7 wird versucht, die eigene Forschungsposition und Schreibweise zu klären. Schließlich ist die Beschäftigung mit der ‚Apokalypse‘ immer mit der Gefahr verbunden, einen unangemessenen Ton

4 Lawrence, David Herbert: Apocalypse. In: ders.: Apocalypse and the Writings on Revelation. Hrsg. von Mara Kalnins. Cambridge 1980. S. 57–149. 5 Deleuze, Gilles: Nietzsche und Paulus. Lawrence und Johannes von Patmos. In: ders.: Kritik und Klinik. Frankfurt a. M. 2000. S. 52–73. 6 Vgl. Schérer, René: Atheismus und Mystik. In: Nancy, Jean-Luc u. René Schérer: Ouvertüren. Texte zu Gilles Deleuze. Zürich/Berlin 2008. S. 51–79, hier insbes. S. 75 f. 7 Eine dem Methoden- und Theorieteil vorangestellte Skizze demonstriert das Scheitern des nordamerikanischen Schriftstellers Henry Miller, den rhizomatischen Kosmos von Lawrence in angemessene Buchform zu bringen.



Ausblick 

 3

anzuschlagen („jede Sprache über die Apokalypse [ist] auch apokalyptisch“),8 was vielleicht weniger dem Inhalt als der unbewussten Übernahme der Rhetorik der zugrundeliegenden Quellen anzulasten ist. Lassen sich aber ‚apokalyptische‘ oder am ‚Messianischen‘ orientierte Texte überhaupt neutralisieren, ohne ihren Impuls zu verkennen? Um Missverständnisse auszuschließen, sei vorab versichert, dass sich die Arbeit auf jeden Fall als Fortsetzung der aufklärerischen Begriffsarbeit für den „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“9 versteht, ist die Frage nach der Freiheit doch das „Urthema der Apokalyptik“.10 Um sich dieser Geschichte des ‚apokalyptischen Freiheitskampfs‘ zuwenden zu können, wird zunächst versucht, Klarheit in die Problematik der Gattungszuordnung und der Begrifflichkeiten innerhalb der Forschung zu bringen. Stellt sich dabei heraus, dass mit herkömmlichen historischen und philologischen Methoden kaum auf eine definitorische Einigkeit zu hoffen ist, wird anschließend über die Wissensund Machtanalytik nach Michel Foucault sowie über die politische Theologie nach Jacob Taubes eine alternative historiografische Zugangsweise erarbeitet, die wohl im Grunde als kritisch-materialistische Methode bezeichnet werden kann. Darin rückt die Frage nach den Produktionsweisen ‚apokalyptischer‘ Vorstellungen ins Zentrum, die Individuen mit einem totalisierenden Horizont konfrontieren und dadurch an gesellschaftliche Normen binden (‚repräsentative Apokalyptik‘); aber auch die Frage nach den aufbegehrenden Bewegungen, die eben jenen Horizont ‚heranzuziehen‘ oder zu ‚zerreißen‘ versuchen (‚revolutionäre Apokalyptik‘). Lassen sich hinter diesen Vorgängen seit dem Frühmittelalter auf einzelne ‚Seelen‘ einwirkende Regulierungsbestrebungen ausmachen, so ist es essenziell, diese vor dem Hintergrund einer ‚Pastoralmacht‘ und eines wirkmächtigen Zeitgefüges zu betrachten, das sich bereits im frühen Christentum als labiles Gleichgewicht herausbildete und institutionalisiert wurde. Zur adäquaten Beschreibung des Zeitgefüges kann in Anlehnung an Giorgio Agamben auf bestimmte Begrifflichkeiten zurückgegriffen werden, die allerdings nicht kategorial, sondern in ihrer chronologischen, ‚weltzeitlichen‘ Funktionalität zu verstehen sind:11 ‚Offenbarung‘ kann in Zusammenhang gesehen werden mit der

8 Derrida, Jacques: Von einem neuerdings erhobenen apokalyptischen Ton in der Philosophie. In: ders.: Apokalypse. Hrsg. von Peter Engelmann. 2. Aufl. Wien 2000. S. 11–79, hier S. 69. 9 Kant, Immanuel: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? In: Werkausgabe. Hrsg. von Wilhelm Weischedel. Frankfurt a. M. 1977. Bd. 11: Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie, Politik und Pädagogik 1. S. 53–61, hier S. 53. Vgl. die Bestimmung aufklärerischer Philosophie als mühevolle intellektuelle Arbeit am Begriff in Abgrenzung zum arbeitsscheuen ‚vornehmen‘ Denken in Kant, Immanuel: Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie. In: Werkausgabe (wie Anm. 9), Bd. 6: Schriften zur Metaphysik und Logik, S. 377–397. 10 Taubes, Jacob: Abendländische Eschatologie. 3. Aufl. München 2007 (Batterien 45). S. 19. 11 In Anlehnung an Agamben, Giorgio: Die Zeit, die bleibt. Ein Kommentar zum Römerbrief. Frankfurt a. M. 2006. S. 75–82.



4 

 Ausblick

individualistischen Dimension der Weltzeit (die jeweils für ein Individuum gegebene soziopolitische Voraussetzung, selbst zum Apokalyptiker zu werden); ‚Eschatologie‘ mit der endlichen Dimension der Weltzeit (die Erwartung des Endes bzw. der Erfüllung der gesamten Weltzeit); das ‚Apokalyptische‘ mit der repräsentativen Dimension der Weltzeit (die bildhafte Vorstellung vom Ende der gesamten Weltzeit, das Ausmalen und Verkünden des Jüngsten Gerichts); ‚Apokalyptik‘ mit der historischen Dimension der Weltzeit (der Bezug auf eine Tradition der Weltendzeiterwartung); und das ‚Messianische‘ mit einer möglichen operativen Dimension in der Weltzeit (das höchst individuelle Erleben der Zeit des Endes, das nicht mit der Vorstellung vom Ende der gesamten Weltzeit zu verwechseln ist). Nach Überlegungen zur christlichen Fixierung dieser Dimensionen der Weltzeit wird in den folgenden beiden Teilen versucht, deren historischen Index in der ‚säkularisierten‘ Moderne aufzuspüren. Aus den geschichtsphilosophischen Vorüberlegungen und der Klärung der methodischen Zeitbegriffe soll schließlich hervorgehen, dass die ‚Apokalypse‘ durchgängig politisch zu lesen ist. Dieser Umstand wird verdeckt durch die nach den europäischen Glaubenskämpfen des 17. Jahrhunderts vorgenommenen Neutralisierungen der Offenbarungsschriften und der Ersetzung alter ‚pastoraler‘ durch neue ‚gouvernementale‘ Staats- und Marktregulierungsweisen. Es wird sich zeigen, dass die Johannes-Offenbarung nach längerer Zeit im rationalistisch-empirischen und pietistischen Untergrund als Referenzschrift der Revolte und im Zusammenhang mit neuartigen Massenerfahrungen wiederentdeckt wird. Die ‚Apokalypse‘, jetzt als historisch verbürgter Begriff, wird zur geheimen Kraft in der Politik und in der Psychiatrie, während an der Oberfläche (der Panorama- und schließlich Kinoleinwände) der naturwissenschaftlich plausibilisierte Weltuntergang biopolitische Züge annimmt, indem darin Überlebensszenarios der Weltbevölkerung und der Wert des ‚letzten Menschen‘ verhandelt werden. Diese Verschiebung endzeitlicher Vorstellungen ins rein Imaginäre sowie die Massenerfahrungen im Realen lassen nicht einfach nur eine ‚kupierte‘,12 sondern eine ‚verdrängte Apokalypse‘ in der Moderne annehmen, was durch Günther Anders’ Diagnose einer vollkommenen ‚Apokalypse-Blindheit‘13 angesichts der nuklearen Bedrohungslage im ‚Kalten Krieg‘ wohl bestätigt wird. Die Grenzfigur des ‚Messianischen‘ soll nicht hermeneutisch überstrapaziert werden, wenn es im letzten Teil der Arbeit darum geht aufzuzeigen, was es tatsächlich bedeuten könnte, nicht das apokalyptische Ende der Zeit, sondern die paulinische Zeit des Endes zu erfahren. Anhand von Edgar Allan Poes Dialog The Conversation of Eiros and Charmion (1839) und Lars von Triers Kinofilm Melancholia (2011) sollen die Grenzen apokalyptischer Repräsentation aufgezeigt und überlegt werden, was

12 Vondung, Klaus: Die Apokalypse in Deutschland. München 1988. S. 12. 13 Anders, Günther: Die Antiquiertheit des Menschen. Bd. 1: Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution. 7. Aufl. München 1987. S. 233–308 (Kap. ‚Über die Bombe und die Wurzeln unserer Apokalypse-Blindheit‘).



Ausblick 

 5

jenseits davon anzutreffen ist. Erweist sich dabei „das Erhabene als apokalyptische Signatur des Zeitalters“,14 so könnte es sich, dies vielleicht die Hauptthese der Arbeit, bei der eigentlichen modernen Figuration des paulinischen ‚Katechon‘ als Aufhalter der endgültigen Entscheidung (das heißt auch: des Todes) nicht um den externalisierten Staat,15 sondern um die internalisierte Sprache handeln.16 Nichts anderes als das Unbewusste steht zur Debatte mitsamt der Frage nach der Möglichkeit, die Verlaufsstrukturen des Symbolischen zu durchbrechen. Es wird daher wieder die Theorie eines dynamischen Symbolbewusstseins (der imaginären Kraft der ‚Apokalypse‘) von D. H. Lawrence aufgegriffen und dessen Rezeption im ‚poststrukturalistischen‘ Entwurf einer Antipsychiatrie dargestellt. Vielleicht lassen sich historische, gar frühchristliche Parallelen ziehen? Wie dem auch sei, es sei jedenfalls mit Slavoj Žižek zu „strengthen ethical activity“17 angeregt. Hat sich vorliegende Arbeit zum Vorhaben gemacht, von einem kritisch-materialistischen Standpunkt aus die in der Forschung oft bemängelte Selbstreflexivität in der Auseinandersetzung mit ‚abendländischer Apokalyptik‘ entgegenzutreten, so hat sie ihr Ziel erreicht, wenn sie den einen oder anderen neuen Dialog mit der Geschichte ‚von unten her‘ eröffnen kann.18

14 Böhme, Hartmut: Vergangenheit und Gegenwart der Apokalypse. In: ders.: Natur und Subjekt. Frankfurt a. M. 1988. S. 380–398, hier S. 393. 15 Vgl. Schmitt, Carl: Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum. 5. Aufl. Berlin 2011. S. 28–32. 16 Vgl. Lacan, Jacques: Funktion und Feld des Sprechens und der Sprache in der Psychoanalyse. In: Schriften. Hrsg. von Norbert Haas. Olten/Freiburg i. Br. 1973 ff. Bd. 1. S. 71–169; in Anlehnung an LéviStrauss, Claude: Die Wirksamkeit der Symbole. In: ders.: Strukturale Anthropologie. Bd. 1. Frankfurt a. M. 1997. S. 204–225. 17 Žižek, Slavoj: The Optimism of Melancholia. http://www.bigthink.com/videos/the-optimism-ofmelancholia (30.04.2016). 18 Vgl. Müller, Heiner: Über die (Un)Schreibbarkeit von Imperien als Literatur. Wortmeldung in der Podiumsdiskussion. In: Die Unschreibbarkeit von Imperien. Theodor Mommsens Römische Kaisergeschichte und Heiner Müllers Echo. Hrsg. von Wolfgang Ernst. Weimar 1995. S. 65–97, hier S. 81: „Ich merke immer, wie schwer es ist, über Geschichte zu schreiben. Es fallen einem keine Dialoge mehr ein. Man denkt nur noch an Zitate, wenn man über Geschichte schreibt.“





Erster Teil: Methode und Theorie

Abb. 1: Henry Miller, The Tree of Life and Death (um 1932)





I.1 Die Offenbarung nach D. H. Lawrence Die Textualität der Johannes-Offenbarung „Don’t let us imagine we see the sun as the old civilisations saw it“,19 schreibt D. H. Lawrence in seinem letzten Buch, der 1931 posthum veröffentlichten Apocalypse, bevor er die Johannes-Offenbarung in einzelne Schichten aufdröselt und aufzeigt, dass die abendländische Kulturgeschichte weniger anhand einzelner Entwicklungs- als Überlagerungsprozessen zu schreiben sei. What we feel about the Apocalypse is that it is not one book, but several, perhaps many. But it is not made up of pieces of several books strung together, like Enoch. It is one book, in several layers: like layers of civilisation as you dig deeper and deeper to excavate an old city. Down at the bottom is a pagan substratum, probably one of the ancient books of the Aegean civilisation: some sort of a book of a pagan Mystery. This has been written over by Jewish apocalyptists, then extended, and then finally written over by the Jewish-Christian apocalyptist John: and then, after his day, expurgated and corrected and pruned down and added to by Christian editors who wanted to make of it a Christian work.20

Das letzte Buch des biblischen Kanons erweist sich nach Lawrence als einmaliges Zeugnis einer Herrschaftsgenealogie, die nicht auf einen eindeutigen traditionellen Ursprung, sondern auf die vielfachen historischen Aneignungsweisen hinweist, die eine ursprüngliche Bildsymbolik im Laufe der Jahrhunderte und Jahrtausende überlagerten und entfremdeten. In seinem Innersten bewahre der Text noch Bruchstücke kraftvoller heidnischer Astralmythen auf, die schrittweise von hellenistischen, jüdischen, judenchristlichen und christlichen Vorstellungen überlagert und abgewandelt wurden. Es sei eine Frage penibler textarchäologischer Arbeit, die einzelnen Einflussbereiche zu bestimmen und freizulegen, um immer tiefer in die Geschichte vorstoßen und womöglich auf eine unterste Ebene gelangen zu können, auf der die Macht der apokalyptischen Bilder für sich selbst spreche, von keinerlei übertragener Bedeutung mehr sei. Es wäre falsch, sich in die unüberschaubare Reihe der apokalyptischen Exegeten einreihen und die Offenbarung in eine bestimmte Richtung auslegen zu wollen, wo sie doch substanziell mehrere widersprechende Bedeutungen in sich trage. Gradually we realize the book has no one meaning. It has meanings. Not meaning within meaning: but rather, meaning against meaning. No doubt the last writer left the Apocalypse as a sort of Christian allegory, a Pilgrim’s Progress to the Judgment Day and the New Jerusalem: and

19 Lawrence, Apocalypse (wie Anm. 4), S. 75. Siehe im Folgenden bereits Zolles, Christian: Die Offenbarung nach D. H. Lawrence und Gilles Deleuze. In: Zeitgemäße Verknüpfungen. Ergebnisse des DoktorandInnenworkshops der Wiener Germanistik, 10.–12. November 2012. Hrsg. von Peter Clar [u. a.]. Wien 2013. S. 62–83. 20 Lawrence, Apocalypse (wie Anm. 4), S. 81.



10 

 I.1 Die Offenbarung nach D. H. Lawrence

the orthodox critics can explain the allegory fairly satisfactorily. But the Apocalypse is a compound work. It is no doubt the work of different men, of different generations and even different centuries. So the ultimate intentional, Christian meaning of the book is, in a sense, only plastered over. The great images incorporated are like the magnificent Greek pillars plastered into the Christian Church in Sicily […].21

Demnach weist die Offenbarung keinen Verfasser auf, sondern eine Liste an Redaktoren, von denen Johannes von Patmos derjenige war, der den letzten entscheidenden Eingriff vornahm und die Relikte älterer kosmischer Bilderwelten komplett in christliche Allegorien verstrickte. In den Jahrhunderten vor ihm hätten bereits die jüdischen Propheten (Ezechiel, Henoch, Daniel) Teile der assyrischen und chaldäischen Sternenkulte übernommen, um damit ihre großen endzeitlichen Visionen auszuschmücken.22 Diese seien durchdrungen von gewaltigen Zahlen- und Himmelssymbolen, wie sie etwa im vorsokratischen Rad des Anaximander zu finden und in der Darstellung der vier Erzengel, des feurigen Wagens oder der beseelten Räder zu erkennen sind. Unter Zuhilfenahme dieser monotheistisch umgedeuteten Bilder habe Johannes schließlich eine idiosynkratische christliche Offenbarung verfasst, die die letzten Spuren astralmythischer Vorstellungen in sich begraben sollte. Dabei kann nicht ausgeschlossen werden, dass Johannes auf eine bereits bestehende Textvorlage zurückgriff und diese bearbeitete.23 Es könnte sich dabei um eine zwei, drei Jahrhunderte alte heidnische Schrift individueller Initiation gehandelt haben, möglicherweise aus Ephesus, die von einem oder mehreren jüdischen Apokalyptikern im Glauben an die messianische Errettung der ganzen Welt umgeschrieben worden war und zu Lebzeiten Christi im östlichen Mittelmeerraum eine weite Verbreitung gefunden hatte. Sie hätte bereits vor Johannes eine weitere, judenchristliche Bearbeitung erfahren haben können, bei der zur Vorhersage des zukünftigen Falls Roms Passagen aus dem Buch Daniel in den Text gekommen waren. Schließlich, gegen Ende des ersten Jahrhunderts n. u. Z., überschrieb Johannes den Text ein weiteres Mal, ohne besonders viele eigene Ideen einfließen zu lassen, dafür aber in einer ungemeinen Leidenschaft, die allerdings ganz anders als diejenige der Aposteln und Evangelisten gewesen sein musste. Die Johannes-Offenbarung sei das Gegenteil einer frohen Botschaft – insofern können der Apokalyptiker und der Evangelist Johannes

21 Lawrence, David Herbert: Introduction to ‚The Dragon of Apocalypse‘ by Frederic Carter. In: ders., Writings on Revelation (wie Anm. 4), S. 45–56, hier S. 48 (Hervorhebung im Original). Lawrence spielt hier u. a. auf das wegweisende Erbauungsbuch The Pilgrim’s Progress from This World to That Which Is to Come von John Bunyan aus dem Jahr 1678 an. 22 Lawrence, Apocalypse (wie Anm. 4), S. 80–89, insbes. S. 82: „When the prophets had to see visions, they had to see Assyrian or Chaldean visions. They borrowed other gods to see their own invisible God by.“ 23 Lawrence, Apocalypse (wie Anm. 4), S. 85 f.



Die Textualität der Johannes-Offenbarung 

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gar nicht ein und dieselbe Person gewesen sein  –,24 was sich gerade in den Textgrundlagen zeige. Während die anderen Frühchristen in Palästina und Kleinasien bestimmt auch von der weiterhin vorhandenen Popularität paganer Sternkulte in weiten Teilen der Bevölkerung wussten, verloren sie wohlweislich kein Wort darüber.25 Johannes aber griff dieses symbolisch-dynamische Material direkt auf, um sein christliches ‚Trost- und Mahnbuch‘ damit zu bebildern, in dem der gesamte Kosmos zu einem gigantischen Kampfplatz und einer ultimativen Richtstätte erklärt wird. In dieser oder in einer zumindest nur mehr leicht redigierten Form (die Drohung am Ende des Buches schien genau dies verhindern zu wollen)26 sollte die Offenbarung trotz zahlreicher Gegenstimmen im vierten Jahrhundert einen kanonischen Status erhalten, womit eine Rezeptionsgeschichte einsetzte, die genauso viel von der Kultur der folgenden Exegeten verrate, wie von jener der ursprünglichen Redaktoren ausgemacht werden konnte. Nach Lawrence ist die Apokalypse (von gr. ἀποκαλύπτειν, ‚entschleiern‘, ‚enthüllen‘) also denkbar fern davon, eine göttliche Vision darzustellen. Sie weist eine komplexe Textgenese auf, was sie bei aller inhaltlicher Kritik gleichzeitig so besonders wertvoll macht: Indem in ihr Astralmythen aufgegriffen und umgewandelt wurden, archivierte sie diese über einen langen Zeitraum. Kurioserweise trage so das letzte Buch der Bibel in sich ein kostbares Zeugnis heidnischer Tier-, Zahl- und Farbsymbole. Es würde zu kurz greifen, die kraftvollen Allegorien wie das Buch mit den sieben Siegeln, die sieben Posaunen, die vier Reiter oder die Hure Babylon auf der siebenköpfigen Bestie nur in Hinblick auf den Konflikt zwischen profaner römischer und spiritueller christlicher Macht zu deuten – sie würden vor allem auf die Komplexität eines symbolischen, vorallegorischen, nicht logozentrischen Denkens hinführen: No explanation of symbols is final. Symbols are not intellectual quantities. They are not to be exhausted by intellect. And an Apocalypse has, must have, is intended to have various levels or layers or stratas of meaning. The fall of World Rule and World Empire before the Word of God is certainly one stratum. And perhaps it would be easier to leave it at that. Only it is not satisfying. […] As a matter of fact, old symbols have many meanings, and we only define one meaning in order to leave another undefined. So with the meaning of the Book of Revelation. Hence the inexhaustibility of its attraction.27

24 Lawrence, Apocalypse (wie Anm. 4), S. 66: „But it cannot be that the same man wrote the two works, they are so alien to one another.“ 25 Lawrence, Apocalypse (wie Anm. 4), S. 84. 26 Siehe Offb 22,18–19 (Einheitsübersetzung): „Ich bezeuge jedem, der die prophetischen Worte dieses Buches hört: Wer etwas hinzufügt, dem wird Gott die Plagen zufügen, von denen in diesem Buch geschrieben steht. / Und wer etwas wegnimmt von den prophetischen Worten dieses Buches, dem wird Gott seinen Anteil am Baum des Lebens und an der heiligen Stadt wegnehmen, von denen in diesem Buch geschrieben steht.“ 27 Lawrence, David Herbert: A Review of ‚The Book of Revelation‘ by Dr. John Oman. In: ders., Writings on Revelation (wie Anm. 4), S. 41 f.



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 I.1 Die Offenbarung nach D. H. Lawrence

Um es noch einmal zu betonen: Diesem Ansatz zufolge erschließt sich die Offenbarung des Johannes nicht auf einer einzelnen Bedeutungsebene, sie kann niemals auf nur einen bestimmten Sinn reduziert werden. Genau genommen ergeben ihre zentralen Passagen nach herkömmlicher Logik überhaupt keinen Sinn.

Die Textgrundlagen Natürlich ist eine derartige Textkritik ohne jene religionsgeschichtlichen, theosophischen, philosophischen und psychologischen Einflüsse undenkbar, die seit Ende des 19. Jahrhunderts die hermeneutische Bibelexegese durchbrachen und von denen Lawrence allesamt beeinflusst war.28 Eine komparatistische Bibelforschung brachte zunehmend stoffliche Zusammenhänge zwischen den kanonischen Schriften und äußeren Textzeugnissen zum Vorschein,29 wofür gerade die Johannes-Offenbarung zahlreiche Ansatzpunkte aufwies. Die Vertreter der Göttinger ‚religionsgeschichtlichen Schule‘ Hermann Gunkel, Wilhelm Bousset und Johannes Weiß und weitere Theologen wie Robert Henry Charles, James Moffat oder Alfred Loisy sind hier ebenso zu nennen wie der Altertumswissenschaftler Franz Boll oder auch der Astronom Nikolai Morosow, die neue historische und philologische Betrachtungsmöglichkeiten des apokalyptischen Materials aufzeigten.30 So offenbart sich für Lawrence in der quellenkritischen Übersetzung des Neuen Testaments durch Moffat eine vollkommen neue Dimension der Bibellektüre:

28 Vgl. zu den Textgrundlagen von Lawrence: Kalnins, Mara: Introduction. In: Lawrence, Writings on Revelation (wie Anm. 4), S. 3–38, hier S. 3–18; Montgomery, Robert E.: The Visionary D. H. Lawrence. Beyond Philosophy and Art. Cambridge 1994. S. 1–42; Wright, Terry: D. H. Lawrence and the Bible. Cambridge 2000. S. 228–244. 29 Vgl. Murrmann-Kahl, Michael: Die entzauberte Heilsgeschichte. Der Historismus erobert die Theologie, 1880–1920. Gütersloh 1992; Lüdemann, Gerd (Hrsg.): Die ‚Religionsgeschichtliche Schule‘. Facetten eines theologischen Umbruchs. Frankfurt a. M. [u. a.] 1996 (Studien und Texte zur Religionsgeschichtlichen Schule 1); Kippenberg, Hans G.: Die Krise der Religion und die Genese der Religionswissenschaft. In: Vom Weltbildwandel zur Weltanschauungsanalyse. Krisenwahrnehmung und Krisenbewältigung um 1900. Hrsg. von Volker Drehsen u. Walter Sparn. Berlin 1996. S. 89–102. 30 Gunkel, Hermann: Schöpfung und Chaos in Urzeit und Endzeit. Eine religionsgeschichtliche Untersuchung über Gen 1 und Ap Joh 12. Göttingen 1895; Bousset, Wilhelm: Der Antichrist in der Ueberlieferung des Judentums, des neuen Testaments und der alten Kirche. Ein Beitrag zur Auslegung der Apocalypse. Göttingen 1895; Weiß, Johannes: Die Offenbarung des Johannes. Ein Beitrag zur Literatur- und Religionsgeschichte. Göttingen 1904 (Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments 3); Charles, Robert Henry: A Critical and Exegetical Commentary on the Revelation of St. John. 2 Bde. Edinburgh 1920; Moffatt, James: The New Testament. A New Translation. New York 1913; Loisy, Alfred: L’Apocalypse de Jean. Paris 1923; Boll, Franz: Aus der Offenbarung Johannis. Hellenistische Studien zum Weltbild der Apokalypse. Leipzig 1914; Morosow, Nikolai: Die Offenbarung Johannis. Eine astronomisch-historische Untersuchung. Stuttgart 1912.



Die Textgrundlagen 

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Modern research has been able to put the Bible back into its living connexions, and it is splendid: no longer the Jewish-moral book and a stick to beat an immoral dog, but a fascinating account of the adventure of the Jewish  – or Hebrew or Israelite nation, among the great old civilized nations of the past, Egypt, Assyria, Babylon, and Persia: then on into the Hellenic world, the Seleucids, and the Romans, Pompey and Anthony. Reading the bible in a new translation, with modern notes and comments, is more fascinating than reading Homer, for the adventure goes even deeper into time and into the soul, and continues through the centuries, and moves from Egypt to Ur, from Sheba to Tarshish and Athens and Rome. It is the very quick of ancient history.31

Das Abenteuer historisch-kritischer Lektüre, das spannender sein kann als Weltliteratur, beginnt für Lawrence dort, wo die historische Kontingenz zum Vorschein kommt, das herkömmliche Verständnis aufgebrochen wird und neue Bedeutungen ins Spiel kommen. Für ihn ist es nicht nur eine Irrfahrt in der Zeit, sondern auch in der ‚Seele‘, und hier stößt man auf einen weiteren literarischen Einfluss, sogar auf die Initialzündung für Lawrences Essay zu jenem biblischen Buch, das ihn schon seit frühester Zeit beschäftigte und sich in gewisser Weise durch sein Gesamtwerk verfolgen lässt.32 In dem Verhältnis, in dem sich die traditionelle Bibelexegese von historisch-kritischen Fragen herausgefordert sah, wurde von ganz anderer, nämlich ‚geheimer‘ esoterischer Seite aus versucht, die spirituelle Relevanz der Heiligen Schrift zu behaupten. Dabei erwies sich die Johannes-Offenbarung auch für diese Auslegungen als äußerst ergiebig, was in Anbetracht der überlieferten Bandbreite an apokalyptischen Deutungsmöglichkeiten auch nicht überrascht. Bereits im 1877 erschienenen theosophischen Schlüsselwerk Isis Unveiled von Helena Petrowna Blavatsky findet sich die gnostische und kabbalistisch-gematrische Qualität der okkulten Bild- und Zahlzeichen gewürdigt, aus denen Rudolf Steiner einige Jahrzehnte später die Erscheinung und Entwicklung des atlantischen Weltgeistes und einen Astralplan ableiten sollte.33

31 Lawrence, Introduction (wie Anm. 21), S. 55. 32 Vgl. Kermode, Frank: D. H. Lawrence and the Apocalyptic Types. In: ders.: Modern Essays. London 1970. S. 153–181; Broich, Ulrich: Untergang des Abendlandes – Untergang der Menschheit. Endzeitvisionen in der englischen Literatur der Zwanziger Jahre. In: Poesie der Apokalypse. Hrsg. von Gerhard R. Kaiser. Würzburg 1991. S. 187–202, hier S. 192–198. 33 Blavatsky, Helena Petrowna: Isis Unveiled. A Master-Key to the Mysteries of Ancient and Modern Science and Theology. Bd. 2: Theology. New York 1877. S. 488; Blavatsky, Helena Petrowna: The Secret Doctrine. The Synthesis of Science, Religion and Philosophy. Bd. 2: Anthropogenesis. London 1888. S. 563 f.; Steiner, Rudolf: Die Apokalypse des Johannes. Ein Zyklus von zwölf Vorträgen. Nürnberg 1908; Steiner, Rudolf: Aus der Bilderschrift der Apokalypse des Johannes. Teilnehmeraufzeichnungen von vier Vorträgen, gehalten in München vom 22. April bis 15. Mai 1907, und von zwölf Vorträgen in Kristiania (Oslo) vom 9. bis 21. Mai 1909. Dornach 1991. Aufgrund der Aussagekraft sei hier aus letztem Werk die Inhaltszusammenfassung des 1. Vortrags in Oslo zitiert (S. 63–69): „Die Apokalypse gehört zu den ältesten Urkunden des Christentums und wurde zu allen Zeiten in der verschiedensten Weise erklärt. Diese verschiedenen Erklärungen trugen immer den Charakter subjektiver Auffassung. Die Theosophie soll ein Instrument werden, die Apokalypse wieder spirituell aufzufassen. Wie Paulus die alttestamentliche Einweihung und das Ereignis von Damaskus erlebte. Was der Impuls des Christus-



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 I.1 Die Offenbarung nach D. H. Lawrence

Der Apokalyptiker wusste demnach als höchster Eingeweihter vom Wesen und von der Potenz der einzelnen Geistesglieder, Planeten, Töne, geographischen Regionen und Kulturepochen, wie sie immer wieder im Zusammenhang mit der korrespondierenden Zahl Sieben beschrieben werden. Die Initiationsphasen zu den spirituellen und psychischen Kräften, welche dem Vorbild makroskopischer Ordnungen entsprechen, wurden konkret von dem englischen Theosophen James Pryse in The Apocalypse Unsealed (1910) entschlüsselt, der in der Offenbarung eine direkte Anleitung zur Öffnung der Hauptnervenzentren (Chakren) entlang der Wirbelsäule im menschlichen Körper erkennt.34 Lawrence hatte sich bereits früher mit den Werken von Blavatsky und Pryse beschäftigt (die Bücher der ersteren seien zwar „not very much good“, aber auch „marvelously illuminating“)35 und die alternativen psychodynamischen Lesarten der Apokalypse geschätzt, bei denen Religion, Philosophie, Psychologie und Naturwissenschaften wieder auf eine gemeinsame Wissensebene gebracht schienen. Erst aber ein Manuskript des grafischen Künstlers und symbolistischen Dichters Frederick Carter, das ihn 1923 in Mexiko erreichte, verleitete ihn zur intensiven Auseinandersetzung mit dem Buch.36 Eine Zusammenarbeit mit Carter sollte sich verzögern und die Angelegenheit erst Jahre später wieder aufgegriffen werden, als ein geplantes Vorwort zu Carters überarbeiteten Text The Dragon of the Apocalypse37 zu einer Studie anwuchs, die Lawrence bis zu seinem Tod 1930 weitgehend abschließen, aber nicht mehr redigieren konnte. In Übereinstimmung mit den theosophischen Deutungen sah auch Carter in den apokalyptischen Symbolen eine Anleitung zur Bewusstseinsentfaltung und erkannte in ihnen astralmythische und astrologische Formen. Lawrence sollte zentrale Elemente seiner Textstelleninterpretation direkt von ihm wie auch von Pryse

Ereignisses für die ganze Menschheit bedeutet. Was der Apokalyptiker in den sieben Briefen oder Sendschreiben, den sieben Siegeln und den sieben Posaunen, darstellt. Die Apokalypse ist die Darstellung dessen, was der christliche Eingeweihte erlebte.“ 34 Pryse, James M.: The Apocalypse Unsealed. London 1910. S. 2: „Yet the Apocalypse is the key to the New Testament; more, it is in very truth the key of the Gnoŝis. Incomprehensible as the book may seem to the exoteric scholar, however great his intellectual attainments, keen his mental acumen, and vast his store of erudition, to the mere tyro in the sacred science the general meaning of the Apocalypse is perfectly clear.“ 35 Zit. n. Kalnins, Introduction (wie Anm. 28), S. 4; Montgomery, Lawrence (wie Anm. 28), S. 169. 36 Lawrence, Introduction (wie Anm. 21). 37 Erschienen war bereits zuvor Carter, Frederick: The Dragon of the Alchemists. London 1926, mit 38 Holzschnitten. Das Manuskript wurde später unter dem Titel The Dragon of Revelation (1931) und in überarbeiteter Form als Symbols of Revelation (1934) veröffentlicht. Als Lawrences Apocalypse erschien, stand ein Plagiatsvorwurf im Raum, was aus einer Anmerkung des Herausgebers in Carter, Frederick: The Dragon of Revelation. London 1931. S. 7–9, hervorgeht. Carter selbst legte sein Verhältnis zu Lawrence sogleich in Carter, Frederick: D. H. Lawrence and the Body Mystical. London 1932, dar.



Die Textgrundlagen 

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übernehmen:38 Demzufolge stehen die Zahlen zwei (Zeugen, Tiere, Hörner eines Tiers, Flügel des Adlers), drei (Zerstörung je eines Drittels), vier (Lebewesen, Reiter, Engel der Winde, Ecken der Erde), sieben (Sterne, Leuchter, Fackeln, Siegel, Hörner des Lamms, Augen des Lamms, Engel, Posaunen, Köpfe des Drachen und eines Tiers, Diademe, letzte Plagen, Schalen des Zorns), zehn (Köpfe, Hörner des Drachen und eines Tiers) und zwölf bzw. vierundzwanzig (Throne, Älteste, Sterne des Kranzes) für alte Vorstellungen von den göttlichen Dingen, für den Raum dynamischer Schöpfung oder elementarer Potenzialität, für die Wanderplaneten mit Sonne und Mond bzw. für die Sternbilder. Allgemein stellen Donner und Blitz den ursprünglichsten Ausdruck kreativer kosmischer Kraft dar; das Pferd sei eines der vergessenen Symbole kraftvoller und stolzer Herrschaft über unbewusste dunkle Weiten; das Weiße, Feuerrote, Schwarze und Fahle entsprechen den sanguinisch-heiteren (Sonne), cholerisch-kämpferischen (Mars), melancholisch-düsteren (Saturn) und phlegmatischlaunenhaften (Merkur) Gemütern, treten aber gleichzeitig in Verbindung mit der individuellen menschlichen Initiationserfahrung auf: mit den sechs Stufen des mystischen Todes (von der einfachen Vorwärtsbewegung über den Kampf, die Auszehrung und den körperlichen ‚kleinen‘ Tod bis zum Entzug der Seele und des Geistes in der Unterwelt) und dem glorreichen Aufflammen des alten Selbst im Moment des endgültigen Vergehens und in der Wiedergeburt in einen neuen Körper auf der siebenten Stufe. Die Posaunenstöße wiederholen diesen Zyklus vierstufiger irdisch-materieller und dreistufiger göttlich-spiritueller Initiation in kosmischen Dimensionen und mit in der Überlieferung wundersamst verstellten Schreckgestalten. Und schließlich die zwei letzten großen Zeichen: der satanische Drache, vom ehemaligen belebenden Smaragdgrünen ins zerstörerische Feuerrote gewechselt (woraus sich eine eigene Farbmythologie ableiten lässt), als jenes mächtige Schlangensymbol emotionaler menschlicher Potenzialität, das einst für die enge Verbindung zwischen Körper und Kosmos stand und in abgeschwächter Form in der chinesischen Mythologie überlebte; und die mit der Sonne bekleidete Frau als große Göttin des Ostens, als Magna Mater und Relikt des minoischen Matriarchats, die in die Fänge des bösartig gewordenen roten Drachen fällt und bezeichnenderweise in die Wüste geschickt

38 Siehe im Folgenden neben Carter, Dragon of the Alchemists (wie Anm. 37), und Carter, Dragon of Revelation (wie Anm. 37), Lawrence, Apocalypse (wie Anm. 4), S. 95–140. Zur Aktualität einer astralmythischen bzw. astrologischen Deutung der Johannes-Offenbarung siehe Malina, Bruce J.: On the Genre and Message of Revelation. Star Visions and Sky Journeys. Peabody, MA 1995; Malina, Bruce J.: Social-Science Commentary on the Book of Revelation. Minneapolis 2000; insbes. auch Chevalier, ­Jacques: A Postmodern Revelation. Signs of Astrology and the Apocalypse. Frankfurt a. M./Madrid 1997 (Theory and Criticism of Culture and Literature 10). Um Missverständnissen vorzubeugen, soll schon hier vorweggenommen werden, dass die vorliegende Arbeit eine rezeptionsgeschichtliche, keine textgenetische Studie darstellt und sich also jeder Deutung der Offenbarung selbst zu enthalten versucht.



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 I.1 Die Offenbarung nach D. H. Lawrence

wird. Nichts wird fortan fester vom Logos umschlossen bleiben als das weibliche Potenzial.39 Trotz dieser direkten Übernahme einschlägiger Interpretationsmuster wäre es vorschnell, die Deutung von Lawrence hauptsächlich im esoterischen Fahrwasser zu verorten. In Carters Manuskript fand Lawrence vor allem Hinweise auf eine alternative pagane Bildwelt, die es ihm ermöglichten, sein Konzept eines freien impulsiven Unbewussten, an dem er sich in seinen Romanen und Erzählungen wie auch in zwei kritischen Texten zu Freuds Psychoanalyse40 immer wieder abarbeitete, in einen makrokosmischen Bezug zu stellen. Die ersten chaotischen Entwürfe Carters führten in ein offenes Feld fantastischer Assoziationen, das sich gänzlich von den herkömmlichen apokalyptischen Interpretationen unterschied, das allerdings auch an Reiz verlieren sollte, je näher es zur Drucklegung kam und das Manuskript als astrologische Deutung der Offenbarung Struktur bekam.41 Es spiele doch keine große

39 Vgl. Lawrence, Apocalypse (wie Anm. 4), S. 125–127. Siehe zum sehr wahrscheinlichen, werkübergreifenden Einfluss von Johann Jakob Bachofens Matriarchatstheorie, die Lawrence in gewisser Weise personifiziert über seine Frau Frieda von Richthofen (nach ihrem Verhältnis mit Otto Gross) kennen lernte, Green, Martin: Elsa und Frieda. Die Richthofen-Schwestern. München 1980. S. 63 f., S. 100–105 u. 152–164. Wie Lawrences politische Ausrichtung, die auch in der Nähe zum Faschismus verortet wurde, wurde auch sein ‚phallozentrisches‘ Geschlechterbild kritisiert; die bekannteste feministische Kritik stammt von Millett, Kate: Sexus und Herrschaft. Die Tyrannei des Mannes in unserer Gesellschaft. München 1971. S. 275–339. Im weiteren Verlauf der Arbeit soll dargelegt werden, inwieweit es nach wie vor lohnend ist, Lawrences politische und psychologische Ansichten komplexer zu betrachten. Zweifellos bleiben Aussagen wie folgende in Lawrence, Apocalypse (wie Anm. 4), S. 126, umstritten und müssen es auch bleiben, man beachte aber die darin steckende apokalyptische Radikalität: „A strange ‘spiritual’ creature is woman today, driven on and on by the evil demon of the old Logos, never for a moment allowed to escape and be herself. The evil Logos says she must be ‘significant’, she must ‘make something worth while’ of her life. So on and on she goes, making something worth while, piling up the evil forms of our civilisation higher and higher, and never for a second escaping to be wrapped in the brilliant fluid folds of the new green dragon. All our present life-forms are evil. But with a persistence that would be angelic if it were not devilish woman insists on the best in life, by which she means the best of our evil life-forms, unable to realise that the best of evil life-forms are the most evil.“ (Hervorhebungen im Original.) Zur allgemeinen Einschätzung von Lawrences Körperund Geschlechterbild vgl. die Beiträge in Poplawski, Paul (Hrsg.): Writing the Body in D. H. Lawrence. Essays on Language, Representation, and Sexuality. Westport, CT 2001 (Contributions to the Study of World Literature 103). 40 Lawrence, David Herbert: Psychoanalysis and the Unconscious [1921] and Fantasia of the Unconscious [1922]. Hrsg. von Bruce Steele. Cambridge 2004. 41 Vgl. Lawrence, Introduction (wie Anm. 21), S. 45: „The book was not then what it is now. Then it was nearly all astrology, and very little argument. It was confused: it was, in a sense, a chaos. And it hadn’t very much to do with St. John’s Revelation. But that didn’t matter to me. I was very often smothered in words. And then would come a page, or a chapter, that would release my imagination and give me a whole great sky to walk in. For the first time I strode forth into the grand fields of the sky.“ Lawrence selbst hatte Carter allerdings nahegelegt, das Manuskript zu überarbeiten, um einen Verlag finden zu können.



Die Textgrundlagen 

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Rolle, welches Schema konkret dem Text zugrunde gelegt werden kann.42 Es gehe nicht darum, traditionelle Allegorien und Gesetzmäßigkeiten durch andere zu ersetzen, sondern vor allem die Impulse aufzunehmen, die man durch die neuen Hinweise auf längst verdeckte Bilderwelten erfahren hat, und freie Bahnen zu schaffen. And one of the chief schemes of symbols which the Apocalypse will suggest to any man who has a feeling for symbols, as contrasted with the orthodox feeling for allegory, is the astrological scheme. Again and again the symbols of the Apocalypse are astrological, the movement is starmovement, and these suggest an astrological scheme. Whether it is worth while to work out the astrological scheme from the impure text of the Apocalypse depends on the man who finds it worth while. Whether the scheme can be worked out remains for us to judge. In all probability there was once an astrological scheme there. But what is certain is that the astrological symbols and suggestions are still there, they give us the lead. And the lead leads us sometimes out into a great imaginative world where we feel free and delighted. At least, that is my experience. So what does it matter whether the astrological scheme can be restored intact or not? Who cares about explaining the Apocalypse, either allegorically or astrologically or historically or any other way. All one cares about is the lead, the lead that the symbolic figures give us, and their dramatic movement: the lead, and where it will lead us to. If it leads to a release of the imagination into some new sort of world, then let us be thankful, for that is what we want.43

Lawrence folgt den neuen theosophischen und religionshistorischen Interpretationen bis zu dem Punkt, an dem wieder eine eindeutige Lesart der Apokalypse angeboten wird. Hier drohe der Rückfall in ein prozessuales Denken, welches das Abendland seit seinen jüdisch-christlichen und antikphilosophischen Ursprüngen im Bann halte. Spätestens hier ist auch der philosophische Einfluss Friedrich Nietzsches unverkennbar, dessen Philosophie in der Dekade vor dem Ersten Weltkrieg auch in Großbritannien eine große Popularität erreichte und, neben der Matriarchatstheorie von Johann Jakob Bachofen, nicht zuletzt in jener ‚Kosmischen Runde‘ von Künstlern und Intellektuellen (Stefan George, Ludwig Klages, Otto Gross) im Münchner Schwabing stark rezipiert worden war, in dem Lawrences Frau Frieda von Richthofen verkehrte.44 Auch wenn aufgrund weniger konkreter Stellenbelege unklar bleibt, in welchem Ausmaß Nietzsches Werk tatsächlich auf Lawrence wirkte oder er sie zu verschleiern versuchte, musste zumindest die Vorstellung der apollinisch-dionysischen Polarität des Menschen und die übereinstimmende Bewunderung der vorsokratischen Philosophie Heraklits einen prägenden Eindruck hinterlassen haben (am ­offensichtlichsten

42 Carter zufolge hatte Lawrence das der Offenbarung zugrunde liegende astrologische Schema schlicht und einfach nicht verstanden: Carter, Lawrence (wie Anm. 37), S. 17. Vgl. Lawrences Brief an Frederick Carter vom 8. März 1923, zit. n. Kalnins, Introduction (wie Anm. 28), S. 3 (Hervorhebung im Original): „Myself I am more interested in the microcosm than in the macrocosm, and in the gates of the psyche rather than the astrological houses. But one gets such rare hints from astrology.“ 43 Lawrence, Introduction (wie Anm. 21), S. 49 f. 44 Vgl. Green, Elsa und Frieda (wie Anm. 39), S. 99 f.; Montgomery, Lawrence (wie Anm. 28), S. 73– 131; Wright, Lawrence (wie Anm. 28), S. 44–56.



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in dem 1914 entstandenen Essay Study of Thomas Hardy).45 Offensichtlich ist der Einfluss in der Beschreibung der reaktiven Kräfte des jüdisch-christlichen Ressentiments allem Übermächtigen gegenüber.46 Dieser zeigt sich nicht zuletzt in der Apocalypse und in der Bewertung der Johannes-Offenbarung, die für Nietzsche den „wüstesten aller geschriebenen Ausbrüche, welche die Rache auf dem Gewissen hat“,47 darstellte. Für Lawrence sollte es im Laufe seiner Beschäftigung mit dem Buch immer weniger die Schrift eines Eingeweihten werden als die Arbeit „of a second-rate mind“,48 „a book of power-lust, written by a man who is a prisoner, denied all power.“49 Now we must free ourselves from the superficial contempt for power which most of us feel and express today. We only know dead power, which is force. Mere force does not command our respect. But power is not mere force. It is divine like love. Love and power are the two divine things in life. This is what Nietzsche meant.50

Wie sich Nietzsches Anklage gegen die christliche Sklavenmoral in Der Antichrist (1888/1894) an Paulus von Tarsus ausrichtet und in das „Gesetz wider das Christenthum“ in sieben Sätzen mündet, findet Lawrence seinen Gegenspieler in Johannes von Patmos und beendet seinen Apokalypse-Kommentar mit sechs Punkten gegen das sozialpolitische Programm des Christentums und der modernen Demokratien. Was bei dem einen die „Geschichte des schrittweise immer gröberen Missverstehens eines ursprünglichen Symbolismus“51 ab dem Kreuzestod Jesu, ist bei dem anderen das weit mehr als zweitausendjährige fundamentale symbolische Missverstehen des gesamten Kosmos. Auf der Suche nach der unverfälschten emotionalen Potenzialität des Menschen versucht Lawrence unterhalb des Konzepts des Übermenschen den Menschen in seiner unnatürlichen Fragmentarität zu fassen und entwickelt aus der dekonst-

45 Lawrence, David Herbert: Study of Thomas Hardy. In: ders.: Study of Thomas Hardy and Other Essays. Hrsg. von Bruce Steele. Cambridge 1985. S. 3–131. 46 Vgl. Nietzsche, Friedrich: Zur Genealogie der Moral. Eine Streitschrift. In: Werke. Kritische Gesamtausgabe. Begr. von Giorgio Colli u. Mazzino Montinari. Berlin 1967 ff. Abt. VI, Bd. 2. S. 259–430, hier S. 284–288. 47 Nietzsche, Genealogie der Moral (wie Anm. 46), S. 300. In Klammern gesetzt lautet es gleich anschließend: „Unterschätze man übrigens die tiefe Folgerichtigkeit des christlichen Instinktes nicht, als er gerade dieses Buch des Hasses mit dem Namen des Jüngers der Liebe überschrieb, desselben, dem er jenes verliebt-schwärmerische Evangelium zu eigen gab –: darin steckt ein Stück Wahrheit, wieviel literarische Falschmünzerei auch zu diesem Zwecke nötig gewesen sein mag.“ 48 Lawrence, Apocalypse (wie Anm. 4), S. 66. 49 Lawrence, David Herbert: Apocalypse. Fragment 1. In: ders., Writings on Revelation (wie Anm. 4), S. 153–176, hier S. 164. 50 Lawrence, Fragment 1 (wie Anm. 49), S. 164 f. Siehe allgemein den für diese Interpretation aufschlussreichen historischen Abriss, S. 157–164. 51 Nietzsche, Friedrich: Der Antichrist. Fluch auf das Christenthum. In: Werke (wie Anm. 46), Abt. VI, Bd. 3. Berlin 1969. S. 163–252, hier S. 207 (Hervorhebung im Original).



Die Macht der Apokalypse 

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ruktivistischen Analyse der Johannes-Offenbarung eine Machtkritik der abendländischen Individuation.

Die Macht der Apokalypse Die Johannes-Offenbarung präsentiert sich für Lawrence als das Buch des letzten Gerichts über eine Welt des sinnlichen Bewusstseins. Sie zeige den Umgang des jüdisch-christlichen Monotheismus mit anderen Kulturen und seine grundsätzlich negative Welteinstellung  – im Rücken der evangelischen Liebe und caritas lauert die apokalyptische Macht. Während die Apostel, Jünger und Missionare und allen voran Paulus ein andächtiges und intellektuelles (‚aristokratisches‘) Christentum der Seele begründeten, das von allen angestrebt, aber de facto von niemanden erreicht werden könne, habe Johannes ein (‚demokratisches‘) Buch für die Allerweltschristen geschrieben, dessen Botschaft wegen der kryptischen, im Volksglauben noch verbreiteten Symbolbilder unmittelbarer und eingängiger war als die Lehren Jesu.52 Dieser habe den Gemeinden keinerlei politisches Programm hinterlassen, das ihnen hätte helfen können, der irdischen Unterdrückung und Verfolgung selbstbewusste gemeinschaftliche Aktionen entgegenzusetzten.53 Diese Lücke sei von Johannes von Patmos in Erwartung der unmittelbaren Wiederkunft Christi mit einer gewaltigen Schrift des ultimativen Abschlusses und Richtens gefüllt worden. In ihr zeige sich der durchgängig feindliche Bezug des Christentums zur weltlichen Herrschaft, der womöglich ganz verdeckt geblieben wäre, wenn die bereits im Frühchristentum umstrittene Offenbarung nicht doch noch in den biblischen Kanon aufgenommen worden wäre. And so there crept into the New Testament the grand Christian enemy, the Power-spirit. At the very last moment, when the devil had been so beautifully shut out, in he slipped, dressed in Apocalyptic disguise, and enthroned himself at the end of the book of Revelation. For Revelation, be it said once and for all, is the revelation of the undying will-to-power in man, and its sanctification, its final triumph. If you have to suffer martyrdom, and if all the universe has to be destroyed

52 Lawrence, Apocalypse (wie Anm. 4), S. 65; um genau zu sein: „There’s no getting away from it, mankind falls forever into the two divisions of aristocrat and democrat. The purest aristocrats during the Christian era have taught democracy. And the purest democrats try to turn themselves into the most absolute aristocracy. Jesus was an aristocrat, so was John the Apostle, and Paul. It takes a great aristocrat to be capable of great tenderness and gentleness and unselfishness: the tenderness and gentleness of strength. From the democrat you may often get the tenderness and gentleness of weakness: that’s another thing. But you usually get a sense of toughness.“ (Hervorhebung im Original.) Siehe auch Lawrence, David Herbert: Democracy [1919], Aristocracy [1925]. In: ders.: Reflections on the Death of a Porcupine and Other Essays. Hrsg. von Michael Herbert. Cambridge 1988. S. 63–83 u. 365–376. Auch hier ist der Einfluss Nietzsches naheliegend, dessen ‚aristokratisches Rebellentum‘ aber an späterer Stelle noch kritisch betrachtet werden soll. 53 Lawrence, Apocalypse (wie Anm. 4), S. 145 f.



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 I.1 Die Offenbarung nach D. H. Lawrence

in the process, still, still, still, O Christian, you shall reign as a king and set your foot on the necks of the old bosses! This is the message of Revelation.54

Wie keine andere Schrift gebe die Offenbarung Aufschluss über den irdischen Machtbezug des Christentums, über die Qualität der Beziehungen, die es zu all dem unterhält, was über den Glauben an die jenseitige individuelle Erfüllung hinausgehe. Sie kanalisiere nicht einfach nur die Wut der Unterdrückten auf die weltliche Herrschaft (die sich aus der Zahl 666 berechnen lässt), sondern zugleich die Feindschaft allem Nicht-Identen, Fremden und Stärkeren gegenüber, das Begehren, geschlossen gegen diesen äußeren Feind aufzustehen, in der Gewissheit, von Anfang an und am Ende der Tage (mit A und Ω) im absoluten Recht gewesen zu sein. Es ist das Buch des gemeinen Christen: The Apocalypse, strange book, makes this clear. It shows us the Christian in his relation to the State: which the Gospels and Epistles avoid doing. It shows us the Christian in relation to the State, to the world, and to the cosmos. It shows him in mad hostility to all of them, having, in the end, to will the destruction of them all. It is the dark side of Christianity, of individualism, and of democracy, the world at large now shows us.55

Seit fast zweitausend Jahren habe der abendländische Mensch als ‚Christ‘, ‚Individualist‘ und ‚Demokrat‘ ein ideales Ich vor Augen, während er laufend mit äußeren Kräften konfrontiert werde, die er nicht kontrollieren kann und abwehren muss.56 Anstatt sich seinen starken emotionalen Bedürfnissen im Vorbewusstsein zu öffnen, verleugne er seine zweite Natur und versuche sie als negative Reaktion bzw. aus einem ohnmächtigen Ressentiment heraus auch im Anderen kleinzuhalten. Die merkwürdigen revolutionären Versuche im Frühchristentum und in der Reformation, die Macht an sich zu reißen, seien hauptsächlich Zerstörungsimpulse gewesen, um eine Macht niederzureißen. Der Impuls individueller Befreiung, den Jesus den christlichen Gemeinschaften hinterlassen hatte, konnte kein sozialeres oder humaneres Leben nach sich ziehen, im Gegenteil. Bis in die Moderne hinein sei die kollektive Seite des Menschen von dem Drang bestimmt, über alles andere zu richten, um immer nur der individuellen Seite zuzuarbeiten.57 Er schaffe es nicht, Beziehungen einzugehen, die über ihn hinausreichen, weil jede emotionale Öffnung mit unerträglichem

54 Lawrence, Apocalypse (wie Anm. 4), S. 67. 55 Lawrence, Apocalypse (wie Anm. 4), S. 148. 56 Lawrence, Apocalypse (wie Anm. 4), S. 69–72, insbes. S. 69: „The Apocalypse has been running for nearly two thousand years: the hidden side of Christianity: and its work is nearly done.“ 57 Vgl. Lawrence, Apocalypse (wie Anm. 4), S. 69: „The great saints are for the individual only, and that means, for one side of our nature only, for in the deep layers of ourselves we are collective, we can’t help it. And the collective self either lives and moves and has its being in a full relationship of power: or it is reversed, and lives a frictional misery of trying to destroy power, and destroy itself.“ (Hervorhebung im Original.)



Die Macht der Apokalypse 

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Identitätsverlust einhergehe – deshalb auch seine Unfähigkeit, tatsächlich zu lieben, ohne das Gegenüber im nächsten Schritt abzuwerten (auch wenn es einst eine verheißungsvolle familiäre Balance gegeben habe); deshalb auch seine Unberechenbarkeit, wenn er mit Stärke konfrontiert werde, und sein Hang, sich mit einem tatkräftigen politischen Führer (falsche ‚Märtyrer‘ und ‚Heilige‘ wie Lenin oder Mussolini, infolge natürlich auch Hitler) zu identifizieren, der die kollektive Veranlagung eines und einer jeden leichtfertig bedienen könne. Lawrence demonstriert dies anhand seiner eigenen Kindheitserfahrungen mit der Apokalypse. Es sei vor allem das Buch der untersten Gesellschaftsschichten gewesen, der Ursprünglichen Methodisten, der Heilsarmee und der patriarchalischen Schwerarbeiterfamilien, unter denen er aufwuchs und miterleben konnte, wie in deren Heim im Gegensatz zur evangelischen Güte durchwegs apokalyptische Härte geherrscht hatte.58 Woche für Woche sei es die Johannes-Offenbarung gewesen, die den Arbeitern wortgewaltig von den Kanzeln gepredigt worden sei und sie mit einer Dringlichkeit, Direktheit und Rohheit gepackt habe, die sie als Schichtarbeiter der Minen der Midlands unvermittelt verstanden. Diese Leute verkörperten ein Christentum, das jenem der frohen Botschaft und der Nächstenliebe diametral gegenüberstand, ein Christentum des Löwen im Lammfell, ohne große Worte, aber mit gewaltiger, unantastbarer Überzeugung: „If it is not Jesus, it is John. If it is not Gospel, it is Revelation. It is popular religion, as distinct from thoughtful religion.“59 In diesem Umfeld habe Lawrence als Kind die in die Knochen fahrende Macht der Apokalypse zu spüren bekommen, die von Pastoren eingehämmert wurde, deren Sprachgewalt sich ins Unbewusste einschrieb und tagelang einen – für die Apokalypse scheinbar so bezeichnenden60  – tönenden Nachhall erzeugte.61 Die Offenbarung wird anders gelesen und vorgelesen als die Evangelien, in einer Härte, die selbst die alttestamentlichen Apokalypsen übertrifft und niemanden unberührt lassen kann. I dislike the “parson” voice through and through my bones. And this voice, I remember, was always at its worst when mouthing out some portion of Revelation. Even the phrases that still fascinate me I cannot recall without shuddering, because I can still hear the portentous declamation of a nonconformist clergyman: “And I saw heaven opened, and behold a white horse; and he that sat upon it was called” – there my memory suddenly stops, deliberately blotting out the next words: “Faithful and True”. I hated, even as a child, allegory: people having the names of

58 Lawrence, Apocalypse (wie Anm. 4), S. 64. 59 Lawrence, Apocalypse (wie Anm. 4), S. 63. 60 Siehe in Hinblick auf Jacques Derridas noch zu besprechenden Essay Von einem neuerdings erhobenen apokalyptischen Ton in der Philosophie (1983) und die apokalyptische Tonalität Lawrence, Apocalypse (wie Anm. 4), S. 63: „If you listen to the Salvation Army you will hear that they are going to be very grand, very grand indeed, once they get to heaven. Then they’ll show you what’s what. Then you’ll be put in your place, you superior person, you Babylon: down in hell and in brimstone. This is entirely the tone of Revelation.“ (Hervorhebungen im Original.) 61 Lawrence, Introduction (wie Anm. 21), S. 54f.; Lawrence, Apocalypse (wie Anm. 4), S. 61 f.



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 I.1 Die Offenbarung nach D. H. Lawrence

mere qualities, like this somebody on a white horse, called “Faithful and True”. In the same way I could never read Pilgrim’s Progress. When as a small boy I learnt from Euclid that: “The whole is greater than the part”, I immediately knew that that solved the problem of allegory for me. A man is more than a Christian, a rider on a white horse must be more than mere Faithfulness and Truth, and when people are merely personifications of qualities they cease to be people for me.62

Mit den paganen Bildern habe die Offenbarung eine zersetzende Macht archiviert. Die Philologie als Kunst, gut zu lesen,63 sollte an jener Stelle ansetzen, an der das herkömmliche, allegorische Verständnis aufgelöst, relativiert und dekonstruiert wird, um es mit neuer Bewegung zu konfrontieren, das Bewusstsein in Gang zu bringen und dem symbolischen Ausdruck in eine noch ungeahnte Tiefe zu folgen. Paradoxerweise habe die Apokalypse mit ihrer kraftvollen Bildsprache eine Ahnung von einem anderen Denken bewahrt, von lebendigen, vibrierenden, musikalischen, lyrischen, künstlerischen, wahrlich religiösen Erfahrungen abseits der sprachlichen Norm.64 Denn es sei die freie abenteuerliche Bewegung, die das Poetische und eigentliche, nicht auf ein höheres Ziel gerichtete Religiöse ausmacht: „[a]ll poetry is religious in its movement“65 – was nichts anderes bedeutet, als dass die Offenbarung tatsächlich nur dann religiös gelesen werden kann, wenn sie heidnisch gelesen wird. Zweifellos dominiere aber nach wie vor die andere, traditionelle Art, dem Buch und dem Universum zu begegnen – es herrsche weiterhin jener den freien Bewusstseinsverbindungen entgegenlaufende Trend, den die exakten Wissenschaften vorgeben, der in rationalen Erkenntnissen immer nur weitere Gesetzmäßigkeiten erkennt, den Menschen immer subtiler an seine Zwänge bindet und damit seine Trennung vom Kosmos immer weiterführt. Was die Theologie mit ihren moralischen Exegesen begonnen hat, führe die moderne Physik mit ihren Formeln weiter: universale Gesetzmäßigkeiten zu finden, die zutiefst unmenschlich, weil rein mental, in keiner Weise emotional seien.66 Was für ein Irrglaube zu denken, dass mit den technischen Horizonterweiterungen auch eine fortschreitende Erweiterung des menschlichen Bewusstseins einhergegangen sei und wir den vergangenen Kulturen überlegen seien, die im primitiven Stadium der angeblichen ‚Urdummheit‘ vor sich hinlebten:67 „Before men had cultivated the Mind, they were not fools.“68 Die Geschichte zeige vielmehr eine sukzessive Verdrängung der sinnlichen Veranlagungen des Menschen

62 Lawrence, Apocalypse (wie Anm. 4), S. 61. 63 Nietzsche, Antichrist (wie Anm. 51), S. 231. 64 Lawrence, Fragment 1 (wie Anm. 49), S. 153–155. 65 Lawrence, David Herbert: Apocalypse. Fragment 2. In: ders., Writings on Revelation (wie Anm. 4), S. 177–200, hier S. 190 (Hervorhebung im Original). 66 Lawrence, Fragment 2 (wie Anm. 65), S. 190–194. 67 Lawrence, Apocalypse (wie Anm. 4), S. 87–94. Der Begriff ‚Urdummheit‘ geht auf den deutschen Ethnologen Konrad Theodor Preuss zurück und wird von Lawrence als Terminus technicus auf- und angegriffen. 68 Lawrence, Fragment 2 (wie Anm. 65), S. 200.



Die Macht der Apokalypse 

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in eine geheime Sphäre unterhalb der durchorganisierten Oberfläche. Was für eine Ahnung sollte ein moderner Mensch, der im Denken eines vollkommen anorganischen Individualismus eingesperrt sei, schon vom Kosmos und von den fundamentalen Verbindungen haben, nach denen die Psyche und die Welt funktionieren?69 Im Werk von Lawrence geht es allerorts um die Durchdringung jener Grenzen, die den Einzelnen von seiner Umwelt trennen, um die Entfaltung der innersten Kräfte, die individuell und kosmisch zugleich sind und in Beziehungen freigesetzt werden. Symbolische, relationale, partikuläre Freisetzung (des Leibes) anstatt einer allegorischen, starren, totalisierten Führung (des Körpers): Das ist der andere Schluss, den jeder Einzelne aus der Offenbarung ziehen kann. Wer sollte Interesse daran haben, die Apokalypse nun nicht endlich hinter sich zu lassen? The Apocalypse shows us that we are resisting, unnaturally. We are unnaturally resisting our connection with the cosmos, with the world, with mankind, with the nation, with the family. All these connections are, in the Apocalypse, anathema, and they are anathema to us. We cannot bear connection. That is our malady. We must break away, and be isolate.70

Die Botschaft von D. H. Lawrence ist eindeutig: die alten verkappten Beziehungen – vor allem auch diejenigen des Kapitals  – zu lösen, um den egozentrischen Fortbezug endlich zu stoppen und die Entfaltung des sinnlichen Bewusstseins einzuleiten. Dann lasse sich eine Welt entdecken, in der kraftvolle Emotionen herrschen, denen in teilnahmsvoller Offenheit, nicht in verzagter und selbstgerechter Beschränktheit begegnet werden kann.71 Was für eine Aussicht, die Apokalypse nicht weiter als Buch der Toten, sondern als Buch der Lebenden zu lesen: Whatever the unborn and the dead may know, they cannot know the beauty, the marvel of being alive in the flesh. The dead may look after the afterwards. But the magnificent here and now of life in the flesh is ours, and ours alone, and ours only for a time. We ought to dance with rapture that we should be alive and in the flesh, and part of the living, incarnate cosmos. I am part of the sun as my eye is part of me. That I am part of the earth my feet know perfectly, and my blood is part of the sea. My soul knows that I am part of the human race, my soul is an organic part of the great human soul, as my spirit is part of my nation. In my own very self, I am part of my family. There is nothing of me that is alone and absolute except my mind, and we shall find that the mind has no existence by itself, it is only the glitter of the sun on the surface of the waters. So that my individualism is really an illusion. I am a part of the great whole, and I can never escape. But I can deny my connections, break them, and become a fragment. Then I am wretched.

69 Lawrence, Apocalypse (wie Anm. 4), S. 145–148. 70 Lawrence, Apocalypse (wie Anm. 4), S. 148 (Hervorhebungen im Original). 71 Lawrence, Fragment 1 (wie Anm. 49), S. 164 f.



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 I.1 Die Offenbarung nach D. H. Lawrence

What we want is to destroy our false, inorganic connections, especially those related to money, and re-establish the living organic connections, with the cosmos, the sun and earth, with mankind and nation and family. Start with the sun, and the rest will slowly, slowly happen.72

Ein letzter Schluss, der aus der Offenbarung nach Lawrence gezogen werden kann: Die Apokalypse hört nicht auf, Utopien zu zeitigen.

72 Lawrence, Apocalypse (wie Anm. 4), S. 149 (Hervorhebung im Original).



I.2 Genealogische Apokalyptik nach Michel Foucault Vorbemerkungen zum Sprachverständnis und zur Schreibweise Hört die Apokalypse nicht auf, Utopien hervorzubringen – genauer: moderne literarische Utopien einer sprachlich nicht mehr entfremdeten Welt –,73 sollte es, folgt man Nietzsche an dieser Stelle weiter, die Aufgabe der Philologie sein, diese aufzugreifen, ohne sie im „Verlangen nach Verständnis“74 durch Interpretationen zu verkürzen. Ist es nicht gleichzeitig moderne Utopie (oder vielmehr Dystopie) der Human- bzw. Geisteswissenschaften, einen objektiven, allgemein vermittelbaren Standpunkt zu erreichen, von dem aus nichts mehr Literatur oder bestimmte Schreibweise ist? In der jede Aussage in einem eindeutigen allgemeinen Verstehen aufgeht und individuelle Erwartungen immer am sprachlichen Horizont gemessen werden können? Jacques Derrida hat diese Konstellation anhand einer Schrift von Immanuel Kant gegen den ‚Mystagogen‘ Johann Georg Schlosser (1796) in einem bekannten ‚Apokalypse‘-Vortrag (1985) programmgemäß weiter umrissen:75 Einerseits herrsche seit der Aufklärung die philosophische Notwendigkeit vor, jede Form von Offenbarung und Obskurität aufzudecken und sich von ihr zu distanzieren. Die reine Vernunft verlange es, den in einem ungebührlich ‚vornehmen Ton‘ vorgebrachten Fehl- und Kurzschlüssen der Pseudo-Philosophen und dem wilden Wuchern der Anschauungen entgegenzutreten. Anderseits erweist sich damit aber auch die Sprache der Vernunft selbst grundlegend affiziert von einem ‚apokalyptischen Ton‘, als sie immer auch gegen und für etwas eintritt und ihre aufklärerische Bestimmung gegebenenfalls mit Sprachgewalt zu erfüllen hat. Vernunft und Unvernunft können also nicht einfach gegenübergestellt werden, sondern sind unvermeidbar aufeinander bezogen. Wir heute können uns dem Erbe dieser Aufklärung nicht entziehen, wir können und dürfen nicht – so lautet unser Gesetz und unser Geschick – auf die Aufklärung verzichten, das heißt anders gesprochen auf das, was sich als das rätselhafte Verlangen nach Wachsamkeit, nach hellsichtiger Aufmerksamkeit, nach Erhellung, nach Kritik und Wahrheit stellt, aber nach einer Wahrheit, die zugleich in sich ein apokalyptisches Verlangen bewahrt, in diesem Sinne ein Verlangen nach Klarheit und Offenbarung, um den apokalyptischen Diskurs selbst zu entmystifizieren oder, wenn sie lieber wollen, zu dekonstruieren, und mit ihm alles, was auf die Vision, das bevorstehende Ende, die Theophanie, die Parusie, das jüngste Gericht spekuliert.76

73 Vgl. Barthes, Roland: Am Nullpunkt der Literatur. In: ders.: Am Nullpunkt der Literatur – Literatur oder Geschichte – Kritik und Wahrheit. Frankfurt a. M. 2006. S. 7–69, hier S. 67–69 (Kap. ‚Utopie der Sprache‘). 74 Nietzsche, Antichrist (wie Anm. 51), S. 231. 75 Kant, Vornehmen Ton (wie Anm. 9); Derrida, Apokalyptischen Ton (wie Anm. 8). 76 Derrida, Apokalyptischen Ton (wie Anm. 8), S. 53. Vgl. auch S. 44–50.



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 I.2 Genealogische Apokalyptik nach Michel Foucault

Ist es allgemeines Ziel der vorliegenden Arbeit, die Bedeutung und die Relevanz der ‚Apokalypse‘ in Bezug auf moderne Wahrheitsformen herauszuarbeiten, kann bereits an dieser Stelle festgehalten werden, dass sie als das großes Abwesende in zweifacher Form hinter fast jedem modernen Diskurs ausgemacht werden kann: einerseits als jenes, das gegen die Sprache der Aufklärung steht, andererseits als etwas, das in ihr liegt. Aus dieser exklusiven Verbindung heraus, die die Sprache in den letzten Jahrhunderten mit der Frage nach der Endlichkeit und den äußersten Dingen (gr. τὰ ἔσχατα) eingegangen ist, erklärt sich auch, wie die Dekonstruktion schließlich als letzter zivilisatorischer Grenzposten und als letzte Eschatologie erscheinen konnte: Ich werde stets eschatologisch gewesen sein, wenn man so sagen kann, in extremis, ich bin der letzte der Eschatologen, ich habe bis zum heutigen Tag vor allem anderen gelebt, genossen, geweint, gebetet, gelitten, als sei jede Sekunde die letzte, im Herannahmen des Endes in flash back, und wie kein anderer das eschaton zu einem Wappen meiner Genealogie, zu den Lippen meiner Wahrheit gemacht, aber es gibt keine Metasprache, und das wird heißen, daß ein Bekenntnis nicht die Wahrheit herstellt, es muss mich affizieren, treffen, versammeln, neu verteilen, zusammenfügen, konstituieren, was aber hier wie stets nicht bedeutet, Schluß zu machen […].77

Wie sich also dem Themenkomplex der abendländischen Apokalyptik annähern, bei dem man sich vor Augen halten muss, dass „jede Sprache über die Apokalypse auch apokalyptisch ist und sich von ihrem Objekt nicht ausschließen lässt“78 und die Beschäftigung immer wieder in Gefahr läuft, einen unangemessenen Ton anzuschlagen? Welche Methode kommt in Betracht, steht doch die Dekonstruktion wie die gesamte Postmoderne selbst in höchstem Verdacht, unwissenschaftlich zu sein, die Regeln der Vernunft zu unterlaufen, sich in literarischer Rhetorik zu verstricken und in fremden Zungen zu reden?79 Für die vorliegende Arbeit erweist sich die Auseinandersetzung mit einem strukturalen Symbolismus in jener dichotomen Form als grundlegend, wie sie Roland Barthes dem literarischen Bedeutungsprozess zuschrieb und anhand der Apocalypse von D. H. Lawrence beispielhaft aufgezeigt werden sollte. Dieser Symbolismus bezieht sich auf die nach linguistischem Vorbild auszulegenden kulturellen Aussagewerte,

77 Derrida, Jacques: Zirkumfession. In: ders. u. Geoffrey Bennington: Jacques Derrida. Ein Portrait. Frankfurt a. M. 1994. S. 11–323, hier S. 86 f. Vgl. Sherwood, Yvonne: ‚Napalm Falling like Prostitutes‘. Occidental Apocalypse as Managed Volatility. In: Abendländische Apokalyptik. Kompendium zur Genealogie der Endzeit. Hrsg. von Veronika Wieser [u. a.]. Berlin 2013 (Kulturgeschichte der Apokalypse 1). S. 39–74, hier S. 39. Siehe zum Verhältnis von Derridas Circonfession zu Augustinus’ Confessiones (um 400) Schumm, Johanna: Confessio, Confessiones, ‚Circonfession‘. Zum literarischen Bekenntnis bei Augustinus und Derrida. München 2013. 78 Derrida, Apokalyptischen Ton (wie Anm. 8), S. 69. 79 Vgl. Böhme, Vergangenheit und Gegenwart (wie Anm. 14), S. 387, mit dem, auch auf folgende Ausführungen zur Literaturkritik zu beziehenden, Verweis auf Habermas, Jürgen: Der philosophische Diskurs der Moderne. Frankfurt a. M. 1988. S. 219–247.



Vorbemerkungen zum Sprachverständnis und zur Schreibweise  

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auf das jeweils Intelligible, auf „die Variationen der in den Werken angelegten und gewissermaßen anlegbaren Bedeutungen“,80 auf „die großen leeren Formen, die es uns gestatten zu sprechen und zu operieren“.81 Dies erfordert eine Analyse, die es mit der Sprache zu tun hat, d. h. eine De- und Rekonstruktionsarbeit der Diskurse, und zwar mit Hilfe der Geschichtswissenschaft.82 Wie für jedes andere Werk auch gilt im Besonderen für die Johannes-Offenbarung (bei der sich die Frage nach der „Neigung der Gesellschaft zum Irrtum“ allerdings sehr wohl radikal stellt): Die Definition des Werkes selbst verändert sich. […] Die Vielfalt der Bedeutungen erklärt sich also nicht durch eine relativistische Betrachtungsweise der menschlichen Sitten, sie bezeichnet nicht etwa eine Neigung der Gesellschaft zum Irrtum, sondern eine Disposition des Werkes: seine Offenheit. Das Werk besitzt gleichzeitig mehrere Bedeutungen, und zwar aufgrund seiner Struktur, nicht infolge eines Unvermögens derer, die es lesen. Darin ist es symbolisch: nicht das Bild ist das Symbol, sondern die Vielfalt der Bedeutungen.83

Die in Werken angelegte Vieldeutigkeit führt auf eine zweite, pragmatische und literarische Ebene des Sprachgebrauchs. Beschäftigt sich die strukturale Wissenschaft von den Symbolen mit der Situation der Schreibweisen, so stößt sie an ihre Grenzen, wenn es darum geht, Literatur als situationslose Kritik der Sprache selbst zu untersuchen.84 Hier setzt für Barthes die Rolle der Literaturkritik an, sich bewusst und mit „Begehren“85 auf eine Redeweise eines Werks einzulassen und seine Richtung weiterzuführen, anstatt es einfach nur zu verdoppeln und in einer anderen Schreibweise zu überlagern. In der Beschäftigung mit Symbolen stößt man also sowohl auf eine offene Aussagekraft als auch auf eine bestimmte subversive Kraft der Sprache,86 und es ist bedeutend, diese zwei qualitativ unterschiedlichen sprachlichen Ebenen nicht durcheinanderzubringen  – gerade nicht in der Beschäftigung mit Fragen nach der Radikalität und Institutionalisierung abendländischer Apokalyptik. Ein halbes Jahrhundert nach dem akademischen Schlüsseljahr 1966 wird in der vorliegenden Untersuchung der Ansatz des Strukturalismus weiterhin als zeitgemäß betrachtet, um aufgeklärte Sprach- und Kulturkritik zu betreiben. Diese Tätigkeit besteht darin, „ein ,Objekt‘ derart zu rekonstituieren, daß in dieser Rekonstitution zutage tritt, nach welchen Regeln es funktioniert (welches seine ,Funktionen‘

80 Barthes, Roland: Kritik und Wahrheit. In: ders., Nullpunkt der Literatur (wie Anm. 73), S. 171–231, hier S. 216. 81 Barthes, Kritik und Wahrheit (wie Anm. 80), S. 218. 82 Barthes, Kritik und Wahrheit (wie Anm. 80), S. 219 f. 83 Barthes, Kritik und Wahrheit (wie Anm. 80), S. 212. 84 Barthes, Kritik und Wahrheit (wie Anm. 80), S. 214 f. 85 Barthes, Kritik und Wahrheit (wie Anm. 80), S. 230 f. Siehe weiterführend Barthes, Roland: Die Lust am Text. Frankfurt a. M. 1974. Insbes. S. 21 f. 86 Barthes, Kritik und Wahrheit (wie Anm. 80), S. 186.



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 I.2 Genealogische Apokalyptik nach Michel Foucault

sind).“87 Das Funktionelle bezieht sich sowohl auf die Regeln als auch auf den Akt, durch die Bedeutungen erzeugt werden. Der Strukturalist greift sie im Wissen seiner eigenen formalen Bedingtheit auf, um in der neuen Anordnung des Gegenstands einen intellektuellen Zusatz mit einem anthropologischen Wert hinzuzufügen, „als er der Mensch selbst ist, seine Geschichte, seine Situation, seine Freiheit und der Widerstand, den die Natur seinem Geist entgegensetzt.“88 So deutlich sich damit das Formalisieren vom Interpretieren methodisch abgrenzt, bleiben die beiden Verfahrensweisen der modernen Sprachwissenschaft unweigerlich in ihrem Objekt verbunden.89 Dies lässt sich mit Michel Foucaults Die Ordnung der Dinge auf jenen epistemischen Wandel um 1800 zurückführen, im Zuge dessen die Sprache ihre allgemeine sinnstiftende Funktion (die klassische Kraft der Repräsentation) einbüßte und zu einem von allen Seiten hinterfragten Forschungsfeld wurde. Von grundlegendem Interesse sollte fortan nicht mehr sein, was sie anordnet und bedeutet, sondern wie sie in sich funktioniert und was sie antreibt. Auf einem von allen Seiten wissenschaftlich reflektierten Gebiet erscheint nun die moderne Literatur in ihrer Radikalität als fundamentale „Infragestellung der Philologie“,90 als rätselhafte verdichtete Sprachform, als Bruch mit allen Gattungszuordnungen und als Rückweisung sämtlicher sprachlich-normativer Einschlüsse. In dieser besonderen Funktion wird sie auch all die Themen an sich ziehen, die aus den verbindlichen Diskursen ausgeschlossen werden: die Erfahrung des Todes, des Undenkbaren, der ständigen Wiederholung und der Endlichkeit bis hin zum Wahnsinn.91 Die Beschäftigung mit diesem Anderen wird zum zentralen Signum moderner Literatur, die alles daran setzt aufzuzeigen, dass sich der ‚Mensch‘ nicht im Zentrum allen Sprechens und Wissens der Humanwissenschaften wiederfindet. Das erklärt, warum der Strukturalismus an einer bestimmten Stelle eine eindeutige Position beziehen muss, die als Irrationalismus ausgelegt werden kann. Tatsächlich weist sein Formalismus eine Tendenz auf, die seinen Grundlagen geschuldet ist – am Ende ist er immer für die Literatur und für jenes Gebiet primitiver Freiheit, für die sie kämpft. In diese Richtung können auch Gilles Deleuzes abschließende Worte zur Charakteristik des Strukturalismus verstanden werden: Denn der Strukturalismus ist nicht nur untrennbar von den Werken, die er schafft, sondern auch von einer Praxis im Verhältnis zu den Erzeugnissen, die er interpretiert. Ob diese Praxis nun therapeutisch oder politisch ist, immer bezeichnet sie einen Punkt permanenter Revolution oder permanenter Übertragung. Diese letzten Kriterien, vom Subjekt zur Praxis, sind die dunkelsten –

87 Barthes, Roland: Die strukturalistische Tätigkeit. In: Kursbuch 5 (1966). S. 190–196, hier S. 191. 88 Barthes, Strukturalistische Tätigkeit (wie Anm. 87), S. 191. 89 Foucault, Michel: Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften. Frankfurt a. M. 1995. S. 359–366. 90 Foucault, Ordnung der Dinge (wie Anm. 89), S. 365. 91 Foucault, Ordnung der Dinge (wie Anm. 89), S. 458 f.



Der Begriff der Apokalypse 

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Kriterien der Zukunft. […] Die Bücher gegen den Strukturalismus (oder jene gegen den Nouveau roman) haben genaugenommen keinerlei Bedeutung; sie können nicht verhindern, daß der Strukturalismus eine Produktivität besitzt, welche die unsere Epoche ist. Kein Buch gegen etwas, was dies auch immer sei, hat jemals Bedeutung; es zählen allein die Bücher „für“ etwas Neues, und die Bücher, die es zu produzieren wissen.92

Der Begriff der Apokalypse Sich mit der ‚Apokalypse‘ zu beschäftigen, bedeutete lange Zeit, die göttlich offenbarte Schrift von Johannes und die Botschaft vom drohenden Ende der Zeit im Zeichen der Wiederkunft Christi auf das aktuelle Zeitgeschehen auszulegen. Mittlerweile hat man es im Zusammenhang mit dem Begriff jedoch mit einem weiten Themenkomplex zu tun, bei dem der Glaube an eine tiefere Offenbarung und die Notwendigkeit der exakten chronologischen Bestimmung des Endes weitgehend zurückgetreten sind. Derartige Auslegungen wichen allgemeinen Vorstellungen vom Weltuntergang, von Krisen und Katastrophen, von rätselhaften Entdeckungen oder von psychischen Ausnahmesituationen, die manchmal mehr, manchmal weniger auf die Bilderwelt der biblischen Offenbarungsschriften in Bezug gesetzt wurden. Dementsprechend zeigt ein fächerübergreifender Blick auf die rezente Forschungsliteratur wesentliche Unklarheiten bei der genauen Bestimmung der ‚Apokalypse‘: Steht bei dem Thema nun die Auseinandersetzung mit den kanonischen und außerkanonischen Schriften, mit Endzeitszenarien, mit einzelnen historischen Schicksalsereignissen, mit individuellen und kollektiven Erfahrungen und Erwartungen, mit avantgardistischen künstlerischen Ausdrucksformen oder mit einem allgemeinen Vorstellungsform des Endes im Zentrum? Eine zufriedenstellende, wie der Begriff selbst impliziert: letztwahrheitliche Bedeutungsform, die alle diese Bereiche einfasst, wurde bislang vergeblich gesucht. Aus diesem Grund war auch gerade in Anbetracht der in den letzten Jahrzehnten zunehmenden geisteswissenschaftlichen Beschäftigung mit der ‚Apokalypse‘ der Zweifel an der Relevanz der eigenen Bezugnahme stets präsent und ein Bemühen in die Richtung festzustellen, sich der Begriffskomplexität entweder in kritischer Abgrenzung zu vorherigen Definitionen oder über ein möglichst weites Material- und Themenspektrum anzunähern.93

92 Deleuze, Gilles: Woran erkennt man den Strukturalismus? Berlin 1992. S. 59 f. 93 Vgl. beispielsweise Holeczek, Bernhard: Vorwort. In: Apokalypse. Ein Prinzip Hoffnung? Ernst Bloch zum 100. Geburtstag. Ausstellungskatalog des Wilhelm-Hack-Museums, Ludwigshafen am Rhein, 8. September bis 17. November 1985. Hrsg. von Richard W. Gassen u. Bernhard Holeczek. Heidelberg 1985. S. 7 f., hier S. 7; Grimm, Gunter E. [u. a.]: Einleitung. In: Apokalypse. Weltuntergangsvisionen in der Literatur des 20. Jahrhunderts. Hrsg. von Gunter E. Grimm [u. a.]. Frankfurt a. M. 1986. S. 7–13, hier S. 10; Pezzoli-Olgiati, Daria: Einführung. In: Zukunft unter Zeitdruck. Auf den Spuren der ‚Apokalypse‘. Hrsg. von Daria Pezzoli-Olgiati. Zürich 1998. S. 7–10, hier S. 9 f.; Brokoff, Jürgen: Die



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 I.2 Genealogische Apokalyptik nach Michel Foucault

Dieser Umstand der Definitionsunmöglichkeit der ‚Apokalypse‘ lässt sich im Grunde auf die allgemeine ‚Profanierung‘ der Bibellektüre im ausgehenden 18. Jahrhundert zurückführen, die sich prominent, wenn auch wenig wirkmächtig in den philologischen Ausgleichsbemühungen Johann Gottfried Herders zeigt.94 Die einsetzende „Trennungsgeschichte von Bibel- und Literaturwissenschaften“95 hatte zur Folge, dass der apokalyptische Kanon nicht nur um apokryphe und orientalische Textzeugnisse erweitert wurde und sich die Kluft zwischen Altem und Neuem Testament schloss, sondern dass die Rezeptionsgeschichte der biblischen Offenbarungen aus neuen humanistischen und ästhetischen Blickwinkeln betrachtet wurde, die sich nur schwer in die traditionelle Dogmatik integrieren ließen. Die ‚Trennungsgeschichte‘ sollte sich im 20. Jahrhundert auch innerhalb der Humanwissenschaften fortsetzen, deren jeweilige Fachinteressen zu einer Umwertung und Erweiterung des Quellenbestands und zu einer Spezialisierung der Methoden führten. Der ‚apokalyptische‘ Inhalt wurde abhängig von den zugrunde gelegten Theorien und Fragestellungen. Dies macht es auch so schwierig, wenn nicht unmöglich, die verschiedensten kunstund kulturhistorischen, literatur-, film- und medienwissenschaftlichen, philosophischen, psychologischen und soziologischen Fallstudien zusammenzufassen.96 Genaugenommen würde das bedeuten, sämtliche methodischen Zugänge zu reflektieren und sie in eine ideale synchrone Darstellung zu bringen, ohne sich auf irgendwelche inhaltlichen Debatten einzulassen. Der in all diesen Bereichen aufzufindende Begriff der ‚Apokalypse‘ erweckt also den Eindruck eines Konsenses über seinen Gebrauch, der keineswegs gegeben ist. Was macht ihn nun dennoch, trotz seiner Polyvalenz, zum zentralen kulturellen Anknüpfungspunkt und zum bezeichnenden ‚Objekt‘? Es kann vermutet werden, dass seine Bedeutung auf jene begriffsgeschichtliche ‚Sattelzeit‘ um 1800 zurückgeht, in der nach Reinhart Koselleck vormals weitgehend sprachlich-repräsentativ verwendete Begriffe (wie ‚Demokratie‘, ‚Revolution‘, ‚Republik‘ oder ‚Geschichte‘) zentral

Apokalypse in der Weimarer Republik. München 2001. S. 9 f.; Becker, Michael u. Markus Öhler: ‚Und die Wahrheit wird offenbar gemacht‘. In: Apokalyptik als Herausforderung neutestamentlicher Theologie. Hrsg. von Michael Becker u. Markus Öhler. Tübingen 2006 (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament II/214). S. 3–20, hier S. 14. 94 Vgl. Weidner, Daniel: Bibel und Literatur um 1800. München 2011 (Trajekte). S. 11–22. 95 Weidner, Bibel und Literatur (wie Anm. 94), S. 18. 96 Vgl. hier vorerst nur zu Letzterem Nagel, Alexander-Kenneth [u. a.] (Hrsg.): Apokalypse. Zur Soziologie und Geschichte religiöser Krisenrhetorik. Frankfurt a. M./New York 2008. So beschreibt Rauer, Valentin: Apokalyptische Verunsicherung. Zur Bedrohlichkeit des Ununterscheidbaren. in: Wieser [u. a.], Abendländische Apokalyptik (wie Anm. 77), S. 157–173, drei soziologisch relevante apokalyptische Phasen im vergangenen Jahrhundert: zunächst eine Bedrohungslage durch die entfremdende moderne Gesellschaftsordnung und den Kampf der Klassen (‚Apokalypse der Subjekte‘), daraufhin eine Bedrohungslage angesichts der technologischen Möglichkeiten der Massenvernichtung im Kalten Krieg (‚Apokalypse der Objekte‘) und neuerdings eine Bedrohungslage durch unbekannte Gefahren in einer Phase theoretischer Ununterscheidbarkeit (‚apokalyptoide‘ Situation).



Der Begriff der Apokalypse 

 31

umgewertet wurden und eine politisch-soziale Tiefe erhielten.97 Für eine weit breitere Öffentlichkeit steckten sie am Ende des Absolutismus einen neuen Erfahrungshorizont ab, in dem sie als ‚Kollektivsingulare‘ demokratisiert, verzeitlicht, ideologisiert, politisiert und in einem höheren Abstraktionsgrad Verwendung fanden. Unter diesen Voraussetzungen sollte auch, wie im zweiten Teil der Arbeit näher auszuführen sein wird, die ‚Apokalypse‘ als Ausdruck einer neuen zeitlichen und räumlichen Grenzerfahrung in den Sprachgebrauch eingehen. Je mehr sie sich dadurch der Exegese entzog und zu einem humanwissenschaftlichen Beschäftigungsfeld wurde, desto mehr sahen sich die Bibelwissenschaften wiederum gefordert, ausgehend von einer gesicherten historisch-kritischen Textbasis auf die ursprüngliche Bedeutung der Schrift zurückzukommen. Es kann somit eine inhaltliche, formale und zeitliche Inkommensurabilität bei dem Thema festgestellt werden, die es als solche auch zu berücksichtigen gilt. Aus diesem Grund kann auch nicht mehr, wie etwa noch der bekannteste literaturwissenschaftliche Vertreter Klaus Vondung, von ‚Apokalypse‘ als einerseits einem Text und andererseits einer „Symbolik der Erfahrungsauslegung“98 ausgegangen werden, was den Vorzug habe, daß ‚Apokalypse‘ nicht suggeriert, ein definierter Begriff zu sein, sondern – abgesehen von der Bezeichnung für ein Textgenre  – primär als Symbol verstanden wird. Dies macht es leichter, ohne Zwang zu „systematischer Konstruktion“ beschreibend und analysierend zu entfalten, wie sich die Apokalypse aus verschiedenen Blickwinkeln darstellt.99

Geht man davon aus, dass es sich in der Moderne um eine um die Jenseitsvorstellung „kupierten Apokalypse“ und ein nur mehr ästhetisches Phänomen handelt,100 das die verzeitlichte Erfahrung der „Existenzspanne zwischen innerweltlicher Defizienz und transzendenter Fülle“101 spiegelt, müssen weitergehende Analysen des historischen Indexes zwangsläufig unterbelichtet bleiben. Dies betrifft Fragen der vorherrschenden diskursiven Kräfteverhältnisse, der politischen Regulierung oder des individuellen und kollektiven Unbewussten, d. h. nicht des Symbols, sondern der symbolischen Ordnungen und ihrer Ein- und Ausschlüsse – und damit aktuelle Fragen nach dem Eschaton. Dies sind aber genau die Themen der Kulturwissenschaften, die es im Folgenden weiterzuführen und -bestimmen gilt.

97 Koselleck, Reinhart: Einleitung. In: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Hrsg. von Otto Brunner [u. a.]. Stuttgart 1979. Bd. 1. S. XIII– XXVII, hier S. XIV–XIX. 98 Vondung, Apokalypse (wie Anm. 12), S. 65 u. 70. 99 Vondung, Apokalypse (wie Anm. 12), S. 48. 100 Vgl. Vondung, Apokalypse (wie Anm. 12), S. 12 u. 47. 101 Vondung, Apokalypse (wie Anm. 12), S. 64.



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 I.2 Genealogische Apokalyptik nach Michel Foucault

Ist „die Gegenwart der Apokalyptik und die Rezeption der Apokalypsen […] eine plurale“,102 so kann im Anschluss an Hans Blumenbergs Säkularisierungsbefund ein Blick auf die frühe begriffliche Aneignung eine erste funktionalistische und darin komparatistische Perspektive eröffnen. Die Annahme einer modernen ‚Säkularisierung‘ sei zu hinterfragen, da sie sich grundlegend auf die Ent- und Aneignung von Kirchengütern stütze, wozu neben dem materiellen vor allem auch das sprachliche Eigentum zu zählen ist. Man sei nicht umhingekommen, die ‚Verweltlichung‘ mit einer christlichen (eschatologischen) Rhetorik zu legitimieren, die auf historische Kategorien des Fortschritts angewandt wurden.103 Doch dürfe man nicht teleologisch (wie noch Reinhart Koselleck oder selbst Karl Löwith, der in Weltgeschichte und Heilsgeschehen, 1949/53, eine chronologisch rückwärtsgewandte Darstellungsweise wählte)104 von einer Umbesetzung der christlichen Zeitvorstellung im 17. und 18. Jahrhundert ausgehen, sondern müsse einen radikaleren Bruch annehmen und die ‚räumlichen‘ Spuren des modernen Erfahrungsgehalts in seinem Selbstverständnis und ohne Annahme von Vorbedingungen genau nachverfolgen. Das Säkularisierungstheorem stelle seinen Untersuchungsgegenstand immer noch in eine Tradition, mache seine Methodologie vom Nachweis einer historischen Konstanz abhängig und bringe „einen theoretischen Prozess ans Ende, wo es unter anderer Vorgabe vielleicht doch noch möglich ist weiterzufragen“.105 Was bleibt aber Inhalt der ‚Apokalypse‘, würde ihr die „Ausdrucksschicht möglicher Säkularisierungen“106 genommen? Was bleibt Gegenstand ‚der Apokalyptik‘, würde ihr die Geschichte abhandenkommen? Diese Fragen stehen im Zentrum der vorliegenden Untersuchung, die im Grunde eine Hoffnung des Germanisten Gerhard Kaiser teilt:

102 Ebertz, Michael N. u. Reinhold Zwick: Enthüllt/Verhüllt. Zur Einführung. In: Jüngste Tage. Die Gegenwart der Apokalyptik. Hrsg. von Michael N. Ebertz u. Reinhold Zwick. Freiburg i.Br. [u. a.] 1999. S. 7–28, hier S. 17. 103 Vgl. Blumenberg, Hans: Die Legitimität der Neuzeit. Erneuerte Ausgabe. Frankfurt a. M. 1996. S. 57–62. 104 Vgl. Löwith, Karl: Weltgeschichte und Heilsgeschehen. Die theologischen Voraussetzungen der Geschichtsphilosophie. In: Sämtliche Schriften. Bd. 2: Weltgeschichte und Heilsgeschehen. Zur Kritik der Geschichtsphilosophie. Stuttgart 1983. S. 7–279, insbes. S. 12: „Die angemessene Erfassung der Geschichte und ihrer historischen Ausdeutungen muß notwendigerweise gerade deshalb rückläufig vorgehen, weil die Geschichte sich vorwärts bewegt und die historischen Voraussetzungen der neueren Entwicklungen hinter sich läßt. […] Der methodische Rückgang von den modernen, profanen Geschichtsinterpretationen auf ihr altes, religiöses Vorbild ist nicht zuletzt durch die sachliche Überlegung gerechtfertigt, daß wir uns mehr oder weniger am Ende des modernen historischen Denkens befinden.“ 105 Blumenberg, Legitimität der Neuzeit (wie Anm. 103), S. 37. 106 Blumenberg, Legitimität der Neuzeit (wie Anm. 103), S. 114.



Die Geschichte der Apokalyptik 

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Erst wenn aktualistische Mißverständnisse ausgeräumt sind, eröffnet sich die Chance, die Besonderheiten zeitgenössischer Apokalyptik auf dem Hintergrund ihrer Voraussetzungen zu verstehen, wie umgekehrt die historischen Zeugnisse im Licht der Gegenwart neu anzuzeigen.107

Die Geschichte der Apokalyptik Die historisch-kritische Auseinandersetzung mit der Johannes-Offenbarung im epistemischen Feld der modernen Sprachordnung setzt mit der Forschung zur ‚Apokalyptik‘ an, die Friedrich Lücke, evangelischer Theologe und ‚Schüler‘ Friedrich Schleiermachers, mit dem Versuch einer vollständigen Einleitung in die Offenbarung Johannis und in die apokalyptische Litteratur 1832 begründete.108 Auch wenn Lücke nicht unbedingt als Hauptimpulsgeber für die weitere Forschung gelten kann, trägt sein Werk doch all jene wesentlichen Merkmale in der Beschäftigung mit den biblischen und apokryphen Apokalypsen (so die literarische Gattungsbezeichnung nach dem ersten Wort der Johannes-Offenbarung), die fortan den theologischen und den religionsund literarhistorischen Diskurs bestimmen sollten.109 War die frühe textkritische Untersuchung der Schrift, wie sie mit dem Pietisten Johann Albrecht Bengel im frühen 18. Jahrhundert eingesetzt hatte, bei Johann Gottfried Herder und Johann Gottfried Eichhorn noch von einem poetisch-ästhetischen Standpunkt geprägt gewesen, so sei es jetzt (seit 1819) an der Zeit, für „den

107 Kaiser, Gerhard R.: Apokalypsedrohung, Apokalypsegerede, Literatur und Apokalypse. Verstreute Bemerkungen zur Einleitung. In: Kaiser, Poesie der Apokalypse (wie Anm. 32), S. 7–31, hier S. 21. 108 Lücke, Friedrich: Versuch einer vollständigen Einleitung in die Offenbarung des Johannes und in die apokalyptische Litteratur oder Allgemeine Untersuchungen über die apokalyptische Litteratur überhaupt und die Apokalypse des Johannes insbesondere. 2. Aufl. Bonn 1852. Wie Lücke bemerkt (S. 14), versuchte zuvor bereits Immanuel Nitzsch den Begriff der Apokalyptik zu bestimmen. 109 Vgl. im Folgenden insbes. Christophersen, Alf: Friedrich Lücke (1791–1855). Bd. 1: Neutestamentliche Hermeneutik und Exegese im Zusammenhang mit seinem Leben und Werk. Berlin/New York 1999 (Theologische Bibliothek Töpelmann 94/1). S. 359–462; Christophersen, Alf: Die Begründung der Apokalyptikforschung durch Friedrich Lücke. Zum Verhältnis von Eschatologie und Apokalyptik. In: Kerygma und Dogma 47 (2001). S. 158–179; und allgemein Koch, Klaus: Ratlos vor der Apokalyptik. Eine Streitschrift über ein vernachlässigtes Gebiet der Bibelwissenschaft und die schädlichen Auswirkungen auf Theologie und Philosophie. Gütersloh 1970; Schmithals, Walter: Die Apokalyptik. Eine Einführung. Göttingen 1973. S. 37–51; Koch, Klaus: Einleitung. In: Apokalyptik. Hrsg. von Klaus Koch u. Johann Michael Schmidt. Darmstadt 1982 (Wege der Forschung 365). S. 1–29; Schmidt, Johann Michael: Die jüdische Apokalyptik. Die Geschichte ihrer Erforschung von den Anfängen bis zu den Textfunden von Qumran. 2. Aufl. Neukirchen-Vluyn 1976; Zager, Werner: Begriff und Wertung der Apokalyptik in der neutestamentlichen Forschung. Frankfurt a. M. [u. a.] 1989 (Europäische Hochschulschriften Reihe 23/Theologie 358); Konrad, Robert [u. a.]: Art. Apokalyptik/Apokalypsen. In: Theologische Realenzyklopädie. Studienausgabe (TRE). Bd. 1. Berlin/New York 1993. S. 189–289; Ebach, Jürgen: Art. Eschatologie/Apokalypse. In: Neues Handbuch theologischer Grundbegriffe. Hrsg. von Peter Eicher. Bd. 1. München 2005. S. 260–272; Tilly, Michael: Apokalyptik. Tübingen 2012.



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 I.2 Genealogische Apokalyptik nach Michel Foucault

l­itterarischen Charakter und die kanonische Geltung der Apokalypse eine spezielle hermeneutische Theorie“110 zu entwickeln und „zu dem Begriff der Apokalyptik“ und damit „zu einer pragmatischen Litterärgeschichte“111 in Verbindung mit einer „pragmatische[n] Geschichte der Auslegung der Apokalypse“112 zu gelangen. Im Sinne der hermeneutischen Methode Schleiermachers solle der persönliche Schreibakt im Lichte der allgemeinen Lebensverhältnisse beleuchtet werden, um aus der Bildungsgeschichte des apokalyptischen Inhalts das „eschatologische Dogma, [das ist] der Jüdische und Christliche Glaube an die Vollendungszukunft des göttlichen Reiches“ zu verstehen: „Somit ist auch jeder Fortschritt in der geschichtlichen Erkenntniss dieses Dogmas eine Förderung in der Lösung unserer Aufgabe.“113 Aus der Geschichte der Offenbarung die Offenbarung der Geschichte abzuleiten entspricht nun genau dem an den Kollektivsingularen orientierten ‚Zeitgeist‘.114 Eine „Religion der Geschichte“115, wie sie die Apokalyptik darstellt, vermag es über die Fortschrittsphilosophie hinaus zum tieferen Bewusstsein christlicher Heilsökonomie beizutragen. Apokalyptiker und Historiker operieren auf gleicher zeitlicher Ebene und können gleichermaßen als Propheten der Welt- bzw. Reichsgeschichte erscheinen: „Man [Friedrich Schlegel, Anm.] hat den Historiker den rückwärts gewendeten Propheten genannt. So kann man auch den Propheten, den Apokalyptiker, den vorwärts gewendeten Historiker nennen.“116 Damit können die Wurzeln der Johannes-Apokalypse, die sich so eklatant von den übrigen neutestamentlichen Schriften unterscheidet, auch aus theologischer Sicht in den jüdischen Offenbarungsschriften verortet und kann eine Nachbarschaft nicht nur zum Buch Daniel, sondern auch zur hellenischen Sibyllenform hergestellt werden. Unabhängig von der religiösen Wertung der diachronischen Dimension, die fortan die Bibelauslegung bestimmt, wird der Text Objekt einer in den Sprachwissenschaften allgemein festzustellenden Analyse des inneren Baus, der inneren Variationen, des Stamms und der Verwandtschaft.117 Die Apokalyptik stellt einen Zweig der jüdischen Literatur dar,118 der zunächst einem Zeitraum von dreihundert, schließlich von ungefähr sechshundert Jahren zwischen

110 Lücke, Versuch (wie Anm. 108), S. 6. 111 Lücke, Versuch (wie Anm. 108), S. 13. 112 Lücke, Versuch (wie Anm. 108), S. 6. 113 Lücke, Versuch (wie Anm. 108), S. 15. 114 Vgl. Koselleck, Reinhart: Historia Magistra Vitae. Über die Auflösung des Topos im Horizont neuzeitlich bewegter Geschichte. In: ders.: Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten. Frankfurt a. M. 1979. S. 38–66, insbes. S. 56 f. und den Verweis auf Thomas Wizenmanns Die ­Geschichte Jesu. Zur Philosophie und Geschichte der Offenbarung (1789). 115 Lücke, Versuch (wie Anm. 108), S. 39. 116 Lücke, Versuch (wie Anm. 108), S. 34. 117 Foucault, Ordnung der Dinge (wie Anm. 89), S. 359 f. 118 Lücke, Versuch (wie Anm. 108), S. 4.



Die Geschichte der Apokalyptik 

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dem 3. vor- und dem 3. nachchristlichen Jahrhundert zugeordnet werden sollte.119 Die Beschäftigung mit den in dieser Zeit entstandenen Apokalypsen wird zu einer Gattungsfrage,120 hinter der das Bemühen auszumachen ist, aus den einzigartigen Prophetien das allgemein Humane abzuleiten. In dieser ersten Phase der Forschung um 1850, in die vor allem auch Adolf Hilgenfelds Die jüdische Apokalyptik in ihrer geschichtlichen Entwicklung (1857) fällt, wurde mit der Apokalyptik eine geschichtliche Brücke zwischen den Testamenten gelegt und der Einfluss des Spätjudentums auf das Urchristentum zentrales Thema.121 Die weitergeführte literarkritische Bibelexegese einerseits sowie der Fund und die Herausgabe zahlreicher weiterer Pseudepigraphen und orientalischer Schriften andererseits führten in den Folgejahrzehnten zur nachhaltigen „konsequente[n] Historisierung und religionsgeschichtliche[n] Situierung von Eschatologie und Apokalyptik“122 und bildeten die Grundlage für die zweite Aufschwungsphase der Apokalyptikforschung ab den 1890er Jahren bis zum Ersten Weltkrieg. Ausgehend von der ‚religionsgeschichtlichen Schule‘ in Göttingen wurde der biblische Kanon und insbesondere die Johannes-Offenbarung auch im Verhältnis zu anderen vorderorientalisch-hellenistischen Religionen betrachtet,123 wobei das Christentum als höchstentwickelte Stufe des Religiösen seine Geltung behielt. Der Schreibakt der Apokalyptiker hingegen konnte rein auf das Textmaterial rückgeführt und historisch bewertet werden, wie bei Wilhelm Bousset, der hier vor allem auch für den Vergleich zur Lektüre von D. H. Lawrence ausführlich zitiert werden soll, die eine ähnliche Tendenz aufweist: Im allgemein wirkten die Apokalyptiker mit den Mitteln geheimer, anonymer Schriftstellerei. Und was sie mitteilten, war meist doch nicht eigenes Gut, es war überkommene und schlecht verarbeitete Überlieferung, von hier und von dort oft planlos zusammengeschlepptes Material, ein Durcheinander oft unvereinbarer Vorstellungen, dem der persönliche Stempel mit einigen Ausnahmen (z. B. Daniel, 4. Esra) fehlte. So haben sie schliesslich bei aller Selbstgewissheit ihrer Hoffnungen nur dazu beigetragen, dass die Apokalyptik ein Labyrinth wurde, in dem die jüdische Hoffnung von Generation zu Generation umherirrte. Und schliesslich hat sich denn auch

119 Es handelt sich dabei um die spätere, mittlerweile von Apokalyptik als einer ‚religiösen Strömung‘ ausgehenden Einschätzung von Koch, Einleitung (wie Anm. 109), S. 13 f., der bereits die Schriftfunde in Nag-Hammadi und Qumran und insbesondere das früh zu datierende Fragment des Ersten Henochbuches miteinbeziehen konnte. 120 Vgl. allgemein zum ‚Gattungswissen‘ Michler, Werner: Kulturen der Gattung. Poetik im Kontext, 1750–1950. Göttingen 2015. S. 19–86. 121 Zu Beginn der zweiten Forschungsphase sollte Eberhard Vischers Die Offenbarung Johannis. Eine jüdische Apokalypse in christlicher Bearbeitung (1886) bedeutend werden. 122 Ebach, Eschatologie/Apokalypse (wie Anm. 109), S. 268. 123 Vgl. insbes. die Untersuchungen zur babylonischen Kosmogonie bei Gunkel, Schöpfung und Chaos (wie Anm. 30).



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 I.2 Genealogische Apokalyptik nach Michel Foucault

die alles umspannende Gelehrsamkeit der Hoffnungen bemächtigt, sie systematisiert und aus ihren Einzelheiten interessante Schulfragen gemacht.124

Diese Form radikaler Textkritik der Apokalypse sollte mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs zu erliegen kommen, allerdings einerseits in der Formgeschichte (einem soziokulturell ausgerichteten Zweig der Gattungsgeschichte) v. a. von Hermann Gunkel systematisch weitergeführt werden, andererseits in den utopischen Konzepten des ‚säkularisierten‘ jüdischen Messianismus, namentlich bei Ernst Bloch, expressionistisch aufgehen. Die Abwertung, die die Apokalyptik in dieser Zeit etwa auch bei Albert Schweitzer oder Rudolf Bultmann allgemein erfuhr, erklärt sich aus der Notwendigkeit, die Gestalt des historischen Jesus von Nazareth zwar in den Kontext der apokalyptischen Tradition und des jüdischen Messianismus zu stellen, ihn allerdings als Überwinder der Mythologeme zu sehen und über sein Wirken auf die genuine Bedeutung christlicher Eschatologie zu kommen.125 Es zeigt sich darin das im Grunde mit den Anfängen der Leben-Jesu-Forschung durch David Friedrich Strauß (Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet, 1835/1836) aufgetretene „angestrengte Bemühen, Jesus von der Apokalyptik [d. h. von der Geschichte, Anm.] zu retten“126 und die Universalität und den Gegenwartsbezug des Glaubens im Abstrahieren eines christlichen Kerns zu sichern.127 Dies ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Apokalyptik mittlerweile nicht nur zu einem jüdisch-christlichen, sondern zu einem allgemeinen Phänomen geworden war. Vergleichbare Endzeitvorstellungen konnten nun auch in entfernten und fremdesten Kulturen ausgemacht werden:128 in parsistischen Texte des Weltgerichts als mögliche Vorläufer frühjüdischer Apokalypsen; in den endzeitlichen Verkündungen Mohammeds; in der indischen Spekulation der vier Weltzeitalter; in der Erzählung von der Sintflut (Kataklysmos) im sumerischen Gilgameschepos; in den Vorstellungen vom Weltenbrand (Ekpyrosis) bei den Stoikern; in der nordischgermanischen Mythologie (Ragnarök); bis hin zu Wanderbewegungen der indigenen Stämme der Tupí-Guaraní in ein vermeintlich verheißenes Land am Ende der Tage.

124 Bousset, Wilhelm: Die Religion des Judentums im neutestamentlichen Zeitalter. 2. Aufl. Berlin 1906. S. 244. Vgl. Schmithals, Apokalyptik (wie Anm. 109), S. 45. 125 Vgl. Frey, Jörg: Die Apokalyptik als Herausforderung der neutestamentlichen Wissenschaft. Zum Problem: Jesus und die Apokalyptik. In: Becker u. Öhler, Apokalyptik (wie Anm. 93), S. 23–94, hier insbes. S. 32–38. 126 Koch, Klaus: Jesus apokalyptisch. In: Zeitschrift für Neues Testament 3 (1999). S. 41–49, hier S. 42. Vgl. Frey, Apokalyptik (wie Anm. 125), S. 26. 127 Vgl. zum Einfluss der Leben-Jesu-Forschung auf den politisch-apokalyptischen Diskurs des 19. Jahrhunderts (Heinrich Heine, Bruno Bauer, Karl Marx), auf den im zweiten Teil der Arbeit näher eingegangen wird, Weidner, Bibel und Literatur (Anm. 94), S. 403–413. 128 Vgl. im Folgenden Lanczkowski, Günter: Art. Apokalyptik/Apokalypsen I. Religionsgeschichtlich. In: TRE (wie Anm. 109), Bd. 1, S. 189–191, worin Literatur von 1901 bis 1972 angeführt wird.



Die Geschichte der Apokalyptik 

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Einer Feststellung Klaus Kochs entsprechend, wonach eine wellenartige Beschäftigung mit der Apokalyptik festzustellen ist, die „überraschenderweise nicht [in] Zeiten politischer oder ökonomischer Krisen […], sondern im Gegenteil [in] Zeiten äußerer Ruhe“129 erfolgt, kam es erst in den 1960er Jahren vor dem Hintergrund der Auswertung der bedeutenden Schriftfunde in Nag-Hammadi (1945) und Qumran (1947) erneut zu regen Debatten um eine historische Neubewertung der Apokalyptik. Ernst Käsemann erklärte sie insofern zur „Mutter aller christlichen Theologie“,130 als er die paulinische Endzeiterwartung als kritische Übernahme einer jüdischen Tradition interpretierte, mit der Jesus zuvor gebrochen habe. Demgegenüber leitete Wolfhart Pannenberg mit dem Statement „Offenbarung als Geschichte“131 einen Rückbezug auf die weltgeschichtliche Dimension der Apokalyptik ein. Die Aufforderung von Koch, auf die religionsgeschichtlichen und geschichtstheoretischen Fragen in ihrer Radikalität zurückzukommen und Mut zu übergreifenden historischen Rekonstruktionen zu entwickeln,132 wurde vor allem in der nordamerikanischen Forschung aufgegriffen, deren formaler Anspruch allerdings mit weiteren universalhistorischen Interpretationen einherging: Paul D. Hanson sah die Wurzeln apokalyptischen Glaubens in den prophetischen Büchern und erkannte in ihm eine visionäre Ausdrucksform sozialer Unterdrückung, während John J. Collins weiterhin die Gattungseigenschaften apokalyptischer Krisenliteratur zu bestimmen versuchte.133 In Anbetracht der unterschiedlichen Deutungen, die immer wieder auch einen zeitgenössischen Bezug zu den jüngsten Kriegen und zur Bedrohungslage im Kalten Krieg herstellten, und des stetigen Anwachsens des Textmaterials wurde der Ruf einerseits nach einer konsequenten Unterscheidung zwischen jüdisch-apokalyptischer und christlich-eschatologischer Endzeitvorstellung bzw. futurischer und präsentischer Eschatologie, andererseits nach einer genauen Kontextualisierung der untersuchten Quellen laut. Die unüberbrückbaren Differenzen in der Begriffsauslegung zeigten sich 1979 in einem prominent besetzten Kolloquium in Uppsala, aus dem Hartmut Stegemann die Lehre zog, dass „eine Einigung über einen einheitlichen Sprachgebrauch für den Begriff ‚Apokalyptik‘ in absehbarer Zeit kaum erreichbar sein

129 Koch, Einleitung (wie Anm. 109), S. 11. 130 Käsemann, Ernst: Die Anfänge christlicher Theologie. In: Zeitschrift für Theologie und Kirche 57 (1960). S. 163–185, hier S. 180. Siehe auch Käsemann, Ernst: Zum Thema der urchristlichen Apokalyptik. In: Zeitschrift für Theologie und Kirche 59 (1962). S. 257–284. 131 Pannenberg, Wolfhart (Hrsg.): Offenbarung als Geschichte. 5. Aufl. Göttingen 1982 (Kerygma und Dogma Beih. 1). 132 Koch, Ratlos (wie Anm. 109), S. 117–119. 133 Hanson, Paul D.: The Dawn of Apocalyptic. The Historical and Sociological Roots of Jewish Apocalyptic Eschatology. Philadelphia 1975; Collins, John J.: The Jewish Apocalypses. In: Semeia 14 (1979): Apocalypse. The Morphology of a Genre. Hrsg. von John J. Collins. S. 1–59. Vgl. Newsom, Carol A.: Spying Out the Land. A Report from Genology. In: Seeking out the Wisdom of the Ancients. Essays Offered to Honor Michael V. Fox on the Occasion of His Sixty-Fifth Birthday. Hrsg. von Ronald L. Troxel [u. a.]. Indiana 2005. S. 437–450.



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 I.2 Genealogische Apokalyptik nach Michel Foucault

dürfte“ und nichts anderes übrig bleibe, „als daß ein jeder, der diesen Begriff verwenden will, zuvor mitteilt, wie er ihn versteht.“134 Denn inhaltlich sei der Begriff nicht mehr zu halten: Zum Streit der Gelehrten kommt es erst, wenn man nach dem Inhalt dieser Schriften fragt und damit beginnt, einzelne der darin behandelten Gegenstände wie z. B. Engellisten oder die Gestalt eines „Menschensohnes“, die Art der Bildersprache, gedankliche Konzepte wie Dualismus und Zwei-Äonen-Lehre oder eine in diesen Schriften feststellbare Daseinshaltung und Geschichtsbetrachtung als für die „Apokalyptik“ charakteristisch zu klassifizieren und alles Vergleichbare in anderweitiger Literatur nun ebenfalls „apokalyptisch“ zu nennen.135

Zeichnete sich schon für den Bereich der biblischen Apokalypsen unter den damaligen Teilnehmern nicht einmal ansatzweise eine Einigung ab,136 so trugen weder präzisere formgeschichtliche Gattungsdefinitionen noch weitere religions- oder literarhistorische Interpretationsansätze zu einer Klärung der Verhältnisse bei.137 Dessen ungeachtet kam es in den folgenden Jahrzehnten und insbesondere rund um das Millennium zu unzähligen Publikationen aus diversen Fachrichtungen, die die inhaltliche Stellung der ‚Apokalyptik‘ als historische Kategorie der Endzeiterwartung untermauerten.138 Exemplarisch sei hier die dreibändige Encyclopedia of

134 Stegemann, Hartmut: Die Bedeutung der Qumrānfunde für die Erforschung der Apokalyptik. In: Apocalypticism in the Mediterranean World and the Near East. Proceedings of the International Colloquium on Apocalypticism, Uppsala, August 12–17, 1979. Hrsg. von David Hellholm. 2. Aufl. Tübingen 1989. S. 495–530, hier S. 498. Vgl. dazu auch Rad, Gerhard von: Theologie des Alten Testaments. Bd. 2: Die Theologie der prophetischen Überlieferungen Israels. 9. Aufl. München 1987. S. 315: „[W]er den Begriff Apokalyptik verwendet, sollte sich der Tatsache bewußt bleiben, daß es bisher noch nicht gelungen ist, ihn auf eine befriedigende Weise zu definieren […].“ 135 Stegemann, Bedeutung der Qumrānfunde (wie Anm. 134), S. 499. 136 Stegemann, Bedeutung der Qumrānfunde (wie Anm. 134), S. 526. 137 Vgl. etwa Hellholm, David: Methodological Reflections on the Problem of Definition of Generic Texts. In: Mysteries and Revelations. Apocalyptic Studies since the Uppsala Colloquium. Hrsg. von John J. Collins u. James H. Charlesworth. Sheffield 1991 (Journal for the Study of the Pseudepigrapha Supplement Series 9). S. 134–163, hier S. 135. 138 Martin, Gerhard Marcel: Weltuntergang. Gefahr und Sinn apokalyptischer Visionen. Stuttgart 1984; Collins, John J.: The Apocalyptic Imagination. An Introduction to Jewish Apocalyptic Literature. 2. Aufl. Grand Rapids/Cambridge 1998; Ebach, Jürgen: Apokalypse. Zum Ursprung einer Stimmung. In: Entwürfe 2 (1985). S. 5–61; Althaus, Heinz (Hrsg.): Apokalyptik und Eschatologie. Sinn und Ziel der Geschichte. Freiburg i.Br. 1987; Körtner, Ulrich H. J.: Weltangst und Weltende. Eine theologische Interpretation der Apokalyptik. Göttingen 1988; Cohn, Norman: Die Erwartung der Endzeit. Vom Ursprung der Apokalypse. Frankfurt a. M./Leipzig 1997; Bull, Malcolm (Hrsg.): Apocalypse Theory and the Ends of the World. Oxford 1995 (Wolfson College Lectures); Ebertz u. Zwick, Jüngste Tage (wie Anm. 102); Holzhey, Helmut u. Georg Kohler (Hrsg.): In Erwartung eines Endes. Apokalyptik und Geschichte. Zürich 2001 (Theophil 7); McGinn, Bernard [u. a.] (Hrsg.): The Continuum History of Apocalypticism. New York 2003; Schipper, Bernd U. u. Georg Plasger (Hrsg.): Apokalyptik und kein Ende? Göttingen 2007 (Biblisch-theologische Schwerpunkte 29); zuletzt Briese, Olaf [u. a.] (Hrsg.): Die Aktualität des Apokalyptischen. Zwischen Kulturkritik und Kulturversprechen. Würzburg 2015.



Neue Archäologen und Archivare 

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Apocalypticism hervorgehoben, welche die konstitutive Rolle von Endzeitdarstellungen in den monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam anhand der genetischen und historischen Verknüpfungen innerhalb einer apokalyptischen Tradition nachzuzeichnen versuchte.139 Damit blieben die klassischen literarischen Apokalypsen, deren Vor- und Rezeptionsformen und ähnliche Offenbarungstexte allgemein einem an sich unbestimmbaren Gattungsbegriff zugeordnet, der auf einen hinter abendländischen Endzeitvisionen allgemein auszumachenden ‚basalen‘ Vorstellungskomplex abzielt.140 Dies hat dazu beigetragen, dass die Forschung weiterhin mit unüberschaubaren Materialbeständen und Spezifikationen operiert und, über die Religionswissenschaften hinaus und sowohl zwischen als auch innerhalb der einzelnen Forschungszweige, „von einem historisch-systematischen Konsens über die Apokalyptik weit entfernt ist“.141

Neue Archäologen und Archivare Wie lassen sich Endzeitvorstellungen und -erwartungen historisch ableiten? Welchen geschichtsphilosophischen Zugang wählen, der sich weder in rhetorischen Beschwichtigungen noch in neuen Teleologien verstrickt? Der von der verlorengegangenen Bedeutung historischer Weltentwürfe weiß und trotzdem nicht in das „Gesamtkonzert“ vom „Ende des Endes (la fin de la fin) [und] des Zwecks (la fin des fins)“142 miteinstimmen möchte, das doch noch immer im Verhältnis zur großen finalen (‚apokalyptischen‘) Narrationsweise zu betrachten ist? Die Human- bzw. Geisteswissenschaften stehen vor dem Dilemma, von der Bedeutung vergangener Entwicklungen für das gegenwärtige Selbstverständnis zu wissen, diese aber in ihrer Verflochtenheit nicht mehr zeitlich einheitlich fassen zu können. Mehr noch ist es nach Koselleck sogar historisch bedingt, dass dem Gegenwärtigen im Begriffsfeld einer abstrakten Geschichte kein gültiger Aussageplatz mehr zuerkannt wird – die Gegenwart kann sich gar nicht selbst erkennen, ohne sich eine historische Vorstellung von sich zu machen.143 In dieser Unmöglichkeit, angesichts

139 Vgl. Collins, John J. [u. a.]: General Introduction. In: The Encyclopedia of Apocalypticism. Hrsg. von John J. Collins [u. a.]. Bd. 1. 2. Aufl. New York/London 2000. S. vii–xi; zuletzt auch Collins, John J. (Hrsg.): The Oxford Handbook of Apocalyptic Literature. New York 2014. 140 Vgl. etwa Moog-Grünewald, Maria u. Verena Olejnizcak Lobsien: Vorbemerkung. In: Apokalypse. Der Anfang im Ende. Hrsg. von Maria Moog-Grünewald u. Verena Olejnizcak Lobsien. Heidelberg 2003 (Neues Forum für allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft 16). S. vii–xiii, hier S. vii. 141 Seebaß, Gottfried: Art. Apokalyptik/Apokalypsen VII. Reformation und Neuzeit. In: TRE (wie Anm. 109), Bd. 1, S. 280–289, hier S. 286. 142 Derrida, Apokalyptischen Ton (wie Anm. 8), S. 50. 143 Koselleck, Reinhart: Art. Geschichte, Historie. In: Brunner [u. a.], Geschichtliche Grundbegriffe (wie Anm. 97), Bd. 2, S. 593–717, hier S. 702–706.



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 I.2 Genealogische Apokalyptik nach Michel Foucault

der chronologischen Verstrickungen eine systematische Analytik der Gegenwart zu betreiben, scheint die zentrale methodologische Problematik in der Moderne zu liegen. Wilhelm Dilthey war einem drohenden Relativismus der Weltanschauungen und einem anarchischen Zerfall des geschichtlichen Denkens noch damit begegnet, einen allgemeinen Lebenszusammenhang der Menschheit vorauszusetzen; Martin Heidegger brachte demgegenüber Zeit und Sein endgültig auf einen Endpunkt, auf eine schicksalshafte ‚Verlorenheit in das Man‘ und ein ‚Sein zum Tod‘.144 Der moderne Historizismus ist also im direkten Zusammenhang mit einer Analytik der Endlichkeit des menschlichen Seins zu sehen, darauf hat Foucault eindrücklich hingewiesen: „[H]inter der Geschichte der Positivitäten [erscheint] die radikalere des Menschen selbst.“145 Der Einfluss von Heideggers seinsgeschichtlichem Denken auf Foucaults Methodologie kann somit nicht verwundern:146 Das Vorhaben, eine andere Geschichte der Bedingungen von Wahrheiten zu schreiben, muss über die Grundfrage nicht allein nur nach der Sprache (wie der Strukturalismus und die Dekonstruktion), sondern auch nach dem Wesen des Subjekts in seiner Zeitlichkeit laufen. Dann erst, wenn das Verhältnis des Seienden zum Sein in den Mittelpunkt rückt, ist es auch möglich, eine Geschichte zu schreiben, die sich mit menschlichen Praktiken beschäftigt, ohne auf Interpretationen angewiesen zu sein. Der Anstoß kann zwangsläufig nur über ein Konzept erfolgen, das vom Ende des Menschen als Erkenntnisobjekt (der inneren Funktionsgesetze seiner Lebensbedingungen, Arbeitsverhältnisse und sprachlichen Kultivierung) ausgeht. Andernfalls bleibt man einem Diskurs verpflichtet, der im Versuch, sich über ein Feld zeitlicher und räumlicher Aussagen zu erheben, perma-

144 Vgl. Taubes, Jacob: Geschichtsphilosophie und Historik. Bemerkungen zu Kosellecks Programm einer neuen Historik. In: Geschichte – Ereignis und Erzählung. Hrsg. von Reinhart Koselleck u. WolfDieter Stempel. München 1973 (Poetik und Hermeneutik 5). S. 490–499, hier S. 494–496. 145 Foucault, Ordnung der Dinge (wie Anm. 89), S. 443. Vgl. auch Foucault, Michel: Die Archäologie des Wissens. Frankfurt a. M. 1981. S. 23: „Die kontinuierliche Geschichte ist das unerläßliche Korrelat für die Stifterfunktion des Subjekts […]. Aus der historischen Analyse den Diskurs des Kontinuierlichen machen und aus dem menschlichen Bewußtsein das ursprüngliche Subjekt allen Werdens und jeder Anwendung machen, das sind die beiden Gesichter ein und desselben Denksystems.“ 146 Vgl. Foucault, Michel: Hermeneutik des Subjekts. Vorlesungen am Collège de France 1981/1982. Frankfurt a. M. 2009. S. 240. „In den letzten Jahren – ich würde sogar sagen: im 20. Jahrhundert – hat es nicht so viele gegeben, welche die Frage nach der Wahrheit gestellt haben. Es gibt gar nicht viele, die gefragt haben: Wie steht es mit dem Subjekt und der Wahrheit? Wie verhält sich das Subjekt zur Wahrheit? Was ist das Subjekt der Wahrheit, was ist das Subjekt, das wahr spricht usw.? Ich sehe in der Tat nur zwei. Ich sehe nur Heidegger und Lacan. Was mich betrifft, das haben sie sicher gespürt, so habe ich eher auf Heideggers Seite und von Heidegger aus über all dies zu reflektieren versucht.“ Ist dies eine späte Aussage Foucaults im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit Fragen der Subjektivierungslinien und Selbstpraktiken, kann durch seine frühe Beschäftigung mit Ludwig Binswanger von einer relativ guten Kenntnis nicht nur von Edmund Husserls Phänomenologie, sondern auch von Heideggers Ontologie bereits im Frühwerk ausgegangen werden. Siehe Foucault, Michel: Einleitung. In: Ludwig Binswanger: Traum und Existenz. Bern/Berlin 1992 [1930]. S. 7–93.



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nent an seine Bedeutungsgrenzen stößt und diese mit Totalitäten abgleichen muss, während in seinem Inneren die Frage nach den Individualitäten ausgespart bleibt. Man denke bei folgendem Zitat vor allem auch an die dargestellte Problematik der Forschung zur Apokalyptik: Je mehr die Geschichte über ihre eigene historische Verwurzelung hinauszukommen versucht, desto mehr Anstrengungen unternimmt sie, um jenseits der historischen Relativität ihres Ursprungs und ihrer Optionen die Sphäre der Universalität zu erreichen; desto klarer trägt sie die Stigmata ihrer historischen Entstehung, desto deutlicher erscheint durch sie hindurch die Geschichte, zu der sie selbst gehört (und nochmals bezeugen das Spengler und alle Geschichtsphilosophen). Je besser sie umgekehrt ihre Relativität akzeptiert, desto mehr dringt sie in die Bewegung ein, die ihr mit dem gemeinsam ist, was sie erzählt, desto mehr neigt sie zur Dünne der Erzählung und löst sich der ganze positive Inhalt auf, den sie sich durch die Humanwissenschaften gab.147

Die Bedeutung von Heideggers Fundamentalontologie für Foucault darf jedenfalls auch nicht überschätzt werden. Das hieße, sich selbst wieder auf eine Nachfolge zu konzentrieren, die den Blick auf andere Relationen einschränkt und ganz andere bedeutende Verwandt- und Nachbarschaften verstellt: die Grundlagen des Strukturalismus, wie sie von Ferdinand de Saussure in der Linguistik und von Claude LéviStrauss in der Ethnologie gelegt wurden; die dadurch angeregte und für den französischen ‚Poststrukturalismus‘ zentrale Erneuerung des historischen Marxismus bei Louis Althusser als eine selbstreflexive „Theorie der epistemologischen Geschichte, welche nichts anderes ist als die marxistische Philosophie selbst“;148 die von Gaston Bachelard und Georges Canguilhem neu fundierte Epistemologie, die im Gegensatz zur Wissenschaftsgeschichte vom Aktuellen ausgehend in synchronen Einschnitten zeitlich rückwärts operiert, anfänglich ausdrücklich im Gegensatz zur Ontologie verstanden wurde und ebenfalls einen nahen Bezug zum Marxismus aufweist;149 eine Metaphorik räumlicher Kräfteverhältnisse, wie sie in der Anatomie Xavier Bichats und

147 Foucault, Ordnung der Dinge (wie Anm. 89), S. 444. 148 Althusser, Louis: Für Marx. Berlin 2011. S. 42. Vgl. auch S. 43 f.: „Die Theorie, welche es gestattet, bei Marx klarzusehen: die Wissenschaft von der Ideologie zu unterscheiden, diese Differenz in ihrem historischen Verhältnis zu denken, die Diskontinuität des epistemologischen Einschnitts innerhalb der Kontinuität eines historischen Prozesses  – diese Theorie also, die es ermöglicht, ein Wort von einem Begriff zu unterscheiden, die Existenz oder Nichtexistenz eines Begriffs hinter einem Wort auszumachen, die Existenz eines Begriffs aufgrund der Funktionsweise eines Wortes innerhalb des theoretischen Diskurses zu ermitteln, die Natur eines Begriffs durch seine Funktionsweise innerhalb der Problematik und dadurch den Ort zu bestimmen, den er im System der ‚Theorie‘ einnimmt, beziehungsweise diese Theorie, die allein eine authentische Lektüre der Texte von Marx erlaubt, als eine zugleich epistemologische und historische Lektüre – sie ist in der Tat nichts anderes als die marxistische Theorie selbst.“ 149 Vgl. Canguilhem, Georges: Die Rolle der Epistemologie in der heutigen Historiographie der Wissenschaften. In: ders.: Wissenschaftsgeschichte und Epistemologie. Gesammelte Aufsätze. Hrsg. von



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 I.2 Genealogische Apokalyptik nach Michel Foucault

in Charles Darwins Evolutionstheorie vorgegeben scheint;150 oder die surrealistischen Sprachspiele eines Raymond Roussel, in denen die Grenzen der Sprache in der Poesie mit den Grenzen der Existenz im Wahnsinn zusammenfallen. Über Letztere werden allerdings die ‚kalten‘ strukturalistischen Untersuchungen um die Dimension eines angsteinjagenden kulturellen Äußeren (hier wiederum die Nähe zur Heideggerschen Angst im Dasein) verschärft.151 Nicht zuletzt kann hinsichtlich einer Differenzierung zu Heidegger die Überkreuzung von Foucaults Diskurstheorie mit Ernst Cassirers Philosophie der symbolischen Formen (1923–1929) hervorgehoben werden. So betonte Cassirer noch unmittelbar vor seinem Tod 1945, dass der linguistische Strukturalismus keine isolierte Erscheinung sei, sondern einer allgemeinen sprachphilosophischen Tendenz folge, die sich unter dem Begriff der ‚Gestalt‘ vielversprechend zusammenfassen lassen könne.152 Die Brücke lässt sich mehr noch über das gleichwertige Verständnis des Symbolbegriffs herstellen, welcher sich nicht mehr auf besondere ästhetische Mittel des Ausdrucks, sondern allgemeiner auf eine Ausdrucksform konzentriert. Ausgehend von der aus der Philosophie der Mathematik abgeleiteten Unterscheidung zwischen Substanzbegriff und Funktionsbegriff (1910) befragte Cassirer nicht mehr die „Anwendung“, sondern die „Struktur“ symbolischer Formen, d. h. „wie weit die Sprache als Ganzes, der Mythos als Ganzes, die Kunst als Ganzes den allgemeinen Charakter symbolischer Gestaltung in sich tragen.“153 Der Frage nach dem Bezug zum Dasein steht jene nach der „Kraft und Geschlossenheit des Ausdrucks selbst“ gegenüber: [Bilder und Zeichen] treten zwischen uns und die Gegenstände; aber sie bezeichnen damit nicht nur negativ die Entfernung, in welche der Gegenstand für uns rückt, sondern sie schaffen die einzig mögliche adäquate Vermittlung und das Medium, durch welches uns irgendwelches geistiges Sein erst faßbar und verständlich wird. […] Aller geistiger Inhalt ist für uns notwendig an die Form des Bewußtseins und somit an die Form der Zeit gebunden. Er ist nur, sofern er sich in der Zeit erzeugt, und er scheint sich nicht anders erzeugen zu können als dadurch, daß er sogleich

Wolf Lepenies. Frankfurt a. M. 1979. S. 38–58, hier Anm. 1 (zu James Frederick Ferrier) und Anm. 45 (zu Michel Serres). 150 Vgl. Sarasin, Philipp: Michel Foucault zur Einführung. Hamburg 2005. S. 68 f.; Sarasin, Philipp: Darwin und Foucault. Genealogie und Geschichte im Zeitalter der Biologie. Frankfurt a. M. 2009. S. 187–221. 151 Vgl. Sarasin, Foucault zur Einführung (wie Anm. 150), S. 40–52. 152 Cassirer, Ernst: Structuralism in Modern Linguistics. In: Gesammelte Werke. Hamburger Ausgabe. Hrsg. von Birgit Recki. Hamburg 1998–2009. Bd. 24: Aufsätze und kleinere Schriften (1941–1946), S. 299–320, hier S. 320. Wie Cassirer, Toni: Mein Leben mit Ernst Cassirer. Hamburg 2003. S. 282 f., schreibt, hatte wiederum Roman Jakobson Cassirers Werk studiert und bewundert. Siehe auch S. 187– 189 zum berühmten, tatsächlich aber wenig spektakulären Disput zwischen Cassirer und Heidegger 1929 in Davos. 153 Cassirer, Ernst: Der Begriff der symbolischen Form im Aufbau der Geisteswissenschaften [1923]. In: Gesammelte Werke (wie Anm. 152), Bd. 16: Aufsätze und kleinere Schriften (1922–1926), S. 75–104, hier S. 78 f. (Hervorhebungen im Original).



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wieder verschwindet, um der Erzeugung eines anderen neuen Raum zu geben. So steht alles Bewußtsein unter dem Heraklitischen Gesetz des Werdens. […] Und in diesem Prozeß kehren niemals wahrhaft identische Bestandteile wieder.154

In jedem in sich geschlossenen (sprachlichen, künstlerischen, intellektuellen wie mythischen) Ausdruckssystem sieht Cassirer in Verweis auf Johann Wolfgang von Goethe eine dreistufige Entwicklung:155 von der konkreten Nachahmung über die individuelle Manier zum allgemeinen Stil. Das Objektivierungsvermögen auf höchster Stufe repräsentiere – wie etwa die Relativitätstheorie die moderne physikalische Erkenntnis156 – das vorherrschende formale Weltbild. Jede Kraft der Erzeugung müsse sich innerhalb dieser bestimmten Gesetzlichkeiten bewegen und Aufgabe einer neuen Philosophie sei es, diese bewusst zu machen. Damit stellt sich aber die Frage, ob die Annahme überall wirkender symbolischer Ausdrucksformen nicht endgültig Subjekt und Objekt voneinander trenne und das menschliche Bewusstsein von der Wirklichkeit absperre.157 Könne man nicht durch den Abbau des bloß Repräsentativen und Symbolischen, dem Abwerfen der formalen Hülle zu einer intuitiven Grundgewissheit und zur Wirklichkeit zurückgelangen? Cassirer verneint dies, indem er darin einen Rückfall in die Beschränktheit des bloßen sinnlichen Bewusstseins sieht. Das ‚Nein, Nein‘ der Mystiker bedeute keine freie Negation des Ausdrucks, sondern sei der Übergang in eine neue, religiöse Form. Man nehme als Gegenbild die höchste Dichtkunst z. B. bei Friedrich Hölderlin, welche die vollendete geistig-sinnliche Vereinigung von Ausdruck und Form der Sprache darstelle. Man könne nicht von einem Entkommen, sondern müsse immer vom geistigen Ergreifen des Symbolischen bzw. des Mediums ausgehen.158 Auch wenn sich Cassirers Philosophie noch weiterhin an ideengeschichtlichen Grundwerten orientierte, so nahm sie die zentralen Anliegen der Diskursanalyse

154 Cassirer, Begriff der symbolischen Form (wie Anm. 153), S. 80 f. (Hervorhebungen im Original). Vgl. bereits hier, gegen die Kommentarform, Foucault, Michel: Die Ordnung des Diskurses. Frankfurt a. M. 2003. S. 20: „Das Neue ist nicht in dem, was gesagt wird, sondern im Ereignis seiner Wiederkehr.“ 155 Vgl. Cassirer, Begriff der symbolischen Form (wie Anm. 153), S. 82–104. Cassirer bezieht sich auf Goethes Aufsatz Einfache Nachahmung der Natur, Manier, Stil (1789). 156 Cassirer, Begriff der symbolischen Form (wie Anm. 153), S. 91. 157 Cassirer, Begriff der symbolischen Form (wie Anm. 153), S. 102–104. 158 Der Aufsatz nach dem 1921 in der Bibliothek Warburg gehaltenen Vortrag schließt mit den Worten: „Für die Philosophie, für die denkende Betrachtung des Seins, kann daher niemals das Leben selbst, vor und außerhalb aller Geformtheit, das Ziel und die Sehnsucht der Betrachtung bilden; sondern für sie bilden Leben und Form eine untrennbare Einheit. Denn erst durch die Form und ihre Vermittlung nimmt die bloße Unmittelbarkeit des Lebens die Gestalt des Geistes an: Die Kraft des Geistes aber ist, nach einem Wort Hegels, ‚nur so groß als ihre [Ä]ußerung, seine Tiefe nur so tief, als er in seiner Auslegung sich auszubreiten und sich zu verlieren getraut‘ [zit. Georg Wilhelm Friedrich Hegel].“ Cassirer, Begriff der symbolischen Form (wie Anm. 153), S. 104 (Hervorhebung im Original).



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vorweg, indem sie Aussagen unabhängig vom Subjektstatus begriff. Diese können so, ohne weitere Annahme universaler Gesetzmäßigkeiten oder individualpsychologischer Deutungen, als Positivitäten der Vermittlung untersucht werden. Damit ist allerdings jener Schritt gemacht, den sowohl Cassirer als auch Foucault vom linguistischen Strukturalismus abheben sollte, in welchem Letzterer noch die fortwirkende Sprach­ tradition des Kommentars und der Hermeneutik erkennen wird:159 Zwar stehen sich Signifikat (Bedeutetes in der Vorstellung) und Signifikant (Bedeutendes der Sprache) arbiträr gegenüber, doch beschäftigt sich eine Analyse der Gestaltungsformen nicht vornehmlich mit der Struktur der Sprache, sondern mit der räumlichen Struktur der Vorstellung, d. h. eben mit der Ordnung der Dinge in einem bestimmten Erkenntnisraum, mit der Ordnung der Diskurse in einem zeitlich gegebenen Feld. Dieses wird Foucault als ‚Episteme‘ bezeichnen: „die Gesamtheit der Beziehungen, die man in einer gegebenen Zeit innerhalb der Wissenschaften entdecken kann, wenn man sie auf der Ebene der diskursiven Regelmäßigkeit analysiert.“160 Es geht bestimmt nicht mehr um Wahrheiten und auch nicht um Sprachkontinuitäten, sondern um sprachliche und institutionelle Praktiken der Beherrschung der Gegenstände.161 ‚Archäologie‘, Archäologie des Wissens (1969) könne diese neue Methode genannt werden, ‚historisches Apriori‘ die „Realitätsbedingung für Aussagen“162 und ‚Archiv‘ „das allgemeine System der Formation und der Transformation der Aussagen“.163 Foucault erkennt in Cassirers systematischem Bemühen, die „Kritik der Vernunft“ um eine selbstreflexive „Kritik der Kultur“164 zu erweitern, jene „Möglichkeit einer neuen Geschichte des Denkens“,165 wie er sie selbst anstrebte. Es wurde bereits hervorgehoben, dass dies aufs Engste im Zusammenhang mit dem Verständnis der Gegenwart zu betrachten ist.166 So werden trotz der Einsicht der prinzipiellen Unmöglichkeit, das eigene Archiv zu beschreiben,167 auch die zukünftigen Werke nicht von dem Versuch ablassen, sich einer kritischen Geschichte, Ethnologie und schließlich

159 Vgl. Dreyfus, Hubert L. u. Paul Rabinow: Michel Foucault. Jenseits von Strukturalismus und Hermeneutik. Frankfurt a. M. 1987. S. 77–83 u. 152–154; Sarasin, Foucault zur Einführung (wie Anm. 150), S. 66–69. 160 Foucault, Archäologie des Wissens (wie Anm. 145), S. 273. 161 Vgl. Foucault, Archäologie des Wissens (wie Anm. 145), S. 74. 162 Foucault, Archäologie des Wissens (wie Anm. 145), S. 184. 163 Foucault, Archäologie des Wissens (wie Anm. 145), S. 188. 164 Cassirer, Ernst: Philosophie der symbolischen Formen. Bd. 1: Die Sprache. Bearb. von Claus Rosenkranz. In: Gesammelte Werke (wie Anm. 152), Bd. 11, S. 9. 165 Foucault, Michel: ‚Eine Geschichte, die stumm geblieben ist‘. In: Schriften in vier Bänden. Dits et Ecrits. Hrsg. von Daniel Defert u. François Ewald. Frankfurt a. M. 2001–2005. Bd. 1. S. 703–708, hier S. 708. Vgl. Sarasin, Foucault zur Einführung (wie Anm. 150), S. 102. 166 Siehe auch Foucault, Michel: Warum ich Macht untersuche. In: Dreyfus u. Rabinow, Foucault (wie Anm. 159), S. 243–250, hier S. 250: „Das zentrale philosophische Problem ist wohl das der Gegenwart und dessen, was wir in eben diesem Moment sind.“ 167 Vgl. Foucault, Archäologie des Wissens (wie Anm. 145), S. 189.



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Ontologie der Gegenwart anzunähern.168 Die Verflochtenheit der Subjekte mit ihrer Historie bringt es mit sich, dass ein derartiger „neuer Archivar“169 selbst danach streben müsse, sich aus der Geschichte zu nehmen – aber nicht als erhabener Asket, sondern im Kampf gegen sich als Erkenntnissubjekt:170 Man könnte sie [meine Forschungsarbeit] als eine Analyse der Zivilisationstatsachen, die unsere Kultur charakterisieren, definieren und insofern würde es sich um etwas wie eine Ethnologie der Kultur, der wir angehören, handeln. Ich versuche tatsächlich, mich außerhalb der Kultur, der wir angehören, zu stellen, um ihre formalen Bedingungen zu analysieren, um gewissermaßen ihre Kritik zu bewerkstelligen: aber nicht um ihre Werte herabzusetzen, sondern um zu sehen, wie sie tatsächlich entstanden sind. Indem ich die Bedingungen unserer Rationalität analysiere, stelle ich auch unsere Sprache, stelle ich meine Sprache, deren Entstehung ich analysiere, in Frage.171

Bei aller Radikalität der aufgeworfenen Fragestellungen und bei allen Forderungen nach einer Revolutionierung und Subversion des Wissens bleibt festzustellen, dass sich die Methodik einer neuen Geschichtsschreibung im Kern durchgehend dem Ethos der Aufklärung und dem Aufzeigen der selbst zu erwerbenden Mündigkeit verpflichtet weiß.172 Letztlich kann eine archäologische Kritik nicht mehr von einer Historie ausgehen, die in allen Dingen und Ereignissen eine homogene Entwicklung mit Ursache oder Zweck erkennt. Sie würde damit der alten Erzählweise folgen, Relationen vereinfachen und Entwicklungen vereinheitlichen, die nicht oder nur über Umwege zusammenführen. Diskurse hingegen stellen komplexe Beziehungsgefüge einer Epoche dar, die „ihren eigenen Typ von Historizität haben und mit einer Menge verschiedener Historizitäten in Beziehung stehen“.173 Sie folgen der Logik jeweiliger Institutionen,

168 Vgl. Foucault, Ordnung der Dinge (wie Anm. 89), S. 454–456; Foucault, Michel: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt a. M. 2008. S. 43; Foucault, Michel: Die Regierung des Selbst und der Anderen. Vorlesung am Collège de France 1982/1983. Frankfurt a. M. 2009. S. 39; Foucault, Michel: Was ist Aufklärung? In: Schriften (wie Anm. 165), Bd. 4, S. 687–707, hier S. 706 f. 169 Vgl. Deleuze, Gilles: Foucault. Frankfurt a. M. 1992. S. 9–36. 170 Foucault, Michel: Nietzsche, die Genealogie, die Historie. In: ders.: Von der Subversion des Wissens. Hrsg. von Walter Seitter. Frankfurt a. M. 1993. S. 69–90, hier S. 82–84. 171 Caruso, Paolo: Gespräch mit Michel Foucault. In: Foucault, Subversion des Wissens (wie Anm. 170), S. 7–27, hier S. 12 (Hervorhebungen im Original). 172 Siehe v. a. Foucault, Aufklärung (wie Anm. 168). Bereits 1966 hatte Foucault zu Cassirers Philosophie bemerkt: „Wir sind in diesem Sinne alle Neukantianer […].“ Foucault, Geschichte (wie Anm. 165), S. 705. 173 Foucault, Archäologie des Wissens (wie Anm. 145), S. 235. Vgl. hierzu auch Koselleck, Geschichte (wie Anm. 143), S. 595: „Es gehört zu den strukturellen Merkmalen dieser neuen Geschichte, daß sie die Gleichzeitigkeit von Ungleichzeitigem bzw. die Ungleichzeitigkeit von Gleichzeitigem auf einen Begriff gebracht hat, auch darin dem Fortschritt verwandt. Das gilt nicht nur in dem selbstverständlichen Sinne, daß jede Erzählung Vergangenes in die Gegenwart einholt und insofern die Zeitunterschiede, die sie thematisiert, aufhebt. Vielmehr setzt sich die Wirklichkeit der modernen Geschichte



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 I.2 Genealogische Apokalyptik nach Michel Foucault

ökonomischer Prozesse und gesellschaftlicher Beziehungen und nicht jener der menschlichen Zeitvorstellung: „So paradox das auch ist, die diskursiven Formationen haben nicht dasselbe Historizitätsmodell wie der Lauf des Bewußtseins oder die Linearität der Sprache.“174 Die Diskursanalyse nimmt das „ursprüngliche Subjekt allen Werdens“175 aus dem Zentrum der Historie und kommt zur Notwendigkeit der peniblen zeitlichen Differenzierung der Ausdrucksformen. Damit ändert sich alles: An die Stelle von Bedeutung, Ursprünglichkeit, Einheit und Schöpfung treten nun Fragen der Regelhaftigkeit, des Zufalls, der Diskontinuität und der Transformation.176 Methodisch arbeitet man nun an der vormals kaum denkbaren Auflösung und Vervielfältigung totalisierender Blickwinkel und an einer neuen Historie, in der „das Werden der Menschheit eine Reihe von Interpretationen“177 darstellt. Nur so, schrittweise, könne man tatsächlich zum „geschichtliche[n] Bewußtsein unserer gegenwärtigen Situation“178 vorstoßen.

Analytik der Macht Nach der bisher umrissenen Weise der ‚Kritik‘ bildet ‚Genealogie‘ den zweiten Hauptbegriff der Diskursanalyse.179 Dieser wird für Foucault zunehmend an Bedeutung gewinnen, je mehr das theoretische Paradoxon offensichtlich wird, synchrone Aussageregelmäßigkeiten als Materialitäten untersuchen zu wollen, die aus diachroner Sicht, ohne konstantes Subjekt, vollkommen grundlos erscheinen.180 Zwar soll die archäologische Methode wesentlich für die Bestimmung von Wahrheitsformen bleiben, doch rückt mit der Feststellung, dass der Diskurs von „Natur aus der Gegenstand eines Kampfes und eines politischen Kampfes“181 ist, das Wissen immer mehr hinsichtlich der dahinter auszumachenden Praktiken ins Blickfeld. Genealogien

aus einer Vielzahl, nach Kalenderrechnung gleichzeitiger, aber nach Herkunft, Ziel und Entwicklungsphasen ungleichzeitiger Abläufe zusammen. Daraus entstehen Spannungen, Perspektiven der Verzögerung und der Beschleunigung, Verzerrungen und Vereinheitlichungen, die zur Thematik unserer Weltgeschichte gehören.“ 174 Foucault, Archäologie des Wissens (wie Anm. 145), S. 241. 175 Foucault, Archäologie des Wissens (wie Anm. 145), S. 23; und daran anschließend: „Die Zeit wird darin in Termini der Totalisierung begriffen, und die Revolutionen sind darin stets nur Bewußtwerdungen.“ 176 Vgl. Foucault, Ordnung des Diskurses (wie Anm. 154), S. 34 f. 177 Foucault, Nietzsche (wie Anm. 170), S. 78. 178 Foucault, Warum Macht (wie Anm. 166), S. 244. 179 Vgl. Foucault, Ordnung des Diskurses (wie Anm. 154), S. 38 f. 180 Vgl. Dreyfus u. Rabinow, Foucault (wie Anm. 159), S. 134; zu den weiterbestehenden methodologischen Schwachstellen Habermas, Diskurs der Moderne (wie Anm. 79), S. 313–343. 181 Foucault, Archäologie des Wissens (wie Anm. 145), S. 175.



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stellen schließlich auch im herkömmlichen Verständnis nicht einfach nur historische Ableitungen, sondern dezidiert Herrschaftslegitimierungen dar. Zweifellos und (mittlerweile) wenig überraschend dient hier Friedrich Nietzsche als Hauptbezugsperson, den Foucault in dem etwa zeitgleich mit seiner 1970 gehaltenen Antrittsvorlesung am Collège de France verfassten Aufsatz Nietzsche, die Genealogie, die Historie paraphrasiert, um seinen zukünftigen Theorieschwerpunkt zu umreißen. In Hinblick auf das vorliegende Thema interessiert die Wortwahl, mit der Foucault die Ansprüche der modernen Historie aburteilt, welche alles hinter ihr Liegende vom Blickpunkt des Weltendes ansieht. Diese Geschichte der Historiker nimmt einen Standpunkt außerhalb der Zeit ein; sie nimmt eine apokalyptische Objektivität in Anspruch, damit hat sie bereits eine ewige Wahrheit, eine unsterbliche Seele, ein immer identisches Bewußtsein vorausgesetzt.182

Demnach  – und vor allem nach Nietzsches zweitem Stück der Unzeitgemässen Betrachtungen: Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben von 1874 – steht der Historismus weiterhin in der Tradition der Metaphysik. Zeitlich und geographisch überblickt er ideale Kontinuitäten, teleologische Bewegungen und natürliche Verkettungen, nähert sich den fernsten und höchsten Menschen an und verwischt seine eigenen Spuren, als wäre sein Blick letzte Instanz. Dabei entgeht seiner erhabenen Bestimmtheit und seinen absoluten Begriffen alles Wesentliche: die permanenten Widersprüche, Diskontinuitäten, Irrtümer, Ungerechtigkeiten und Unterdrückungen der Vergangenheit, die Resultat unzähliger Kämpfe waren, und dass man „[a]m historischen Anfang der Dinge […] nicht die immer noch bewahrte Identität ihres Ursprungs, sondern die Unstimmigkeit des Anderen“ findet, denn: „Der Ursprung liegt immer vor dem Fall, vor dem Körper, vor der Welt und vor der Zeit.“183 Das Europa des 19.  Jahrhunderts habe sich mit historischen Identitäten und Kräften umgeben, weil es außerstande gewesen sei, eigene zu entwickeln, und so seine ‚unsterbliche‘ Seele zu retten versucht. Bei genauerer (für Nietzsche eben ‚unzeitgemäßer‘) Betrachtung der Geschichte erkenne man aber in den ‚vielen sterblichen Seelen‘ „ein komplexes System von vielfältigen, unterschiedenen Elementen, welche von keiner synthetischen Kraft zusammengehalten werden“.184 Aufgabe der Genealogie sei es nun eben, „die Wurzeln unserer Identität […] in alle Winde [zu] zerstreuen“185 und „aus der Historie ein Gegen-Gedächtnis zu machen und in ihr eine ganz andere Form der Zeit zu entfalten“.186

182 Foucault, Nietzsche (wie Anm. 170), S. 79. 183 Foucault, Nietzsche (wie Anm. 170), S. 71. 184 Foucault, Nietzsche (wie Anm. 170), S. 86. 185 Foucault, Nietzsche (wie Anm. 170), S. 86. 186 Foucault, Nietzsche (wie Anm. 170), S. 85 (Hervorhebung C. Z.).



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 I.2 Genealogische Apokalyptik nach Michel Foucault

Mit dieser neuen Geschichte des Denkens setzt sich Foucault klar von Cassirer ab: Die Begriffsformen bzw. Diskurse werden wieder Teil der Geschichte, aber keiner idealistischen, sondern einer lebendigen, gewaltvollen und ‚falschen‘. Sie erscheinen als kontingente Resultate von Auseinandersetzungen, die sich mittels Prozeduren der Kontrolle und des Ausschlusses verfestigten. Wissensfelder bilden mit Machtbeziehungen einen untrennbaren Komplex,187 durch welchen Subjekte erst konstituiert werden. Es liegt nahe, Foucaults erste ‚genealogische‘ Untersuchung über die modernen Disziplinarformen (Überwachen und Strafen, 1975) in Bezug auf Nietzsches große Anklage der abendländischen Wertvorstellungen (Zur Genealogie der Moral, 1887) zu lesen, insbesondere auf die darin zwischen den Abhandlungen über das christliche Ressentiment und das nihilistische asketische Ideal behandelte Herkunft der Strafe. Bei dieser müsse einerseits das ‚Dauerhafte‘ des Brauchs und Prozedere, andererseits das ‚Flüssige‘ des Sinns und Zwecks unterschieden werden. Es sei wohl so, dass der dauerhafte Brauch älter noch als die Strafe und diese erst in ihn hineingelegt worden sei: Was nun jenes andre Element an der Strafe betrifft, das flüssige, ihren „Sinn“, so stellt in einem sehr späten Zustande der Kultur (zum Beispiel im heutigen Europa) der Begriff „Strafe“ in der Tat gar nicht mehr einen Sinn vor, sondern eine ganze Synthesis von „Sinnen“: die bisherige Geschichte der Strafe überhaupt, die Geschichte ihrer Ausnützung zu den verschiedensten Zwecken, kristallisiert sich zuletzt in eine Art von Einheit, welche schwer löslich, schwer zu analysieren und, was man hervorheben muß, ganz und gar undefinierbar ist. (Es ist heute unmöglich, bestimmt zu sagen, warum eigentlich gestraft wird: alle Begriffe, in denen sich ein ganzer Prozeß semiotisch zusammenfaßt, entziehn sich der Definition; definierbar ist nur das, was keine Geschichte hat.)188

In diesem Zitat finden sich die bisherigen methodischen Überlegungen und die Relevanz einer auszuführenden Begriffs- und Wissensgeschichte zusammengefasst: Grundbegriffe der Gegenwart lassen sich nicht von einem Beginn herleiten und entziehen sich einer endgültigen Bestimmung, weil sie Resultat undurchschaubarer historischer Prozesse und Kurzschlüsse sind, denen sich „grundverschiedne Absichten“189 eingeschrieben haben. Jeder neue Definitionsversuch, jede Notwendigkeit, einen Begriff auf den Punkt zu bringen, verkennt dieses Axiom und verschleiert wiederum die eigene Intention. Am Beispiel der Strafe zeige sich, dass den Wissensformen Herrschaftsformen zugrunde liegen und dass diese gemeinsam Individuationsformen nicht nur hervorbringen, sondern sogar grundsätzlich bedingen. So stößt Nietzsche auf einen ganz anderen Ursprung, der hinter aller Unsinnigkeit der Strafe ausgemacht werden kann: jenen der Schuld. In den unterschiedlichen Strafformen erkenne man

187 Vgl. Foucault, Überwachen und Strafen (wie Anm. 168), S. 39. 188 Nietzsche, Genealogie der Moral (wie Anm. 46), S. 333 (Hervorhebungen im Original). 189 Nietzsche, Genealogie der Moral (wie Anm. 46), S. 333.



Analytik der Macht 

 49

das abendländische Bollwerk gegen den natürlichen menschlichen Instinkt der Freiheit – „in meiner Sprache geredet: der Wille zur Macht“,190 der an sich also produktiv und kreativ zu verstehen ist. ‚Die‘ Geschichte zeige keine durchgehende Entwicklung zu einem höheren Sinn oder Zweck, sondern ganz im Gegenteil zu einer immer rationelleren Entstellung und Hemmung der menschlichen Potenzialität. Darauf beruht für Nietzsche schließlich die traditionelle Vorstellung der ‚Seele‘: Alle Instinkte, welche sich nicht nach Aussen entladen, wenden sich nach Innen – dies ist das, was ich die Verinnerlichung des Menschen nenne: damit wächst erst das an den Menschen heran, was man später seine „Seele“ nennt. Die ganze innere Welt, ursprünglich dünn wie zwischen zwei Häute eingespannt, ist in dem Maasse aus einander- und aufgegangen, hat Tiefe, Breite, Höhe bekommen, als die Entladung des Menschen nach Aussen gehemmt worden ist.191

Aus dem Blickwinkel einer radikalen Immanenz des Lebens wird die Historie auf den Kopf gestellt: Die Geschichte des Menschen muss als eine der Entstellung betrachtet und auf deren Techniken hin untersucht werden, und weit entfernt davon, sich in Interpretationen zu erschöpfen, lassen Praktiken des Wissens letztlich auf Praktiken am Körper schließen. An Nietzsche anschließend geht Foucaults Machtanalytik von der Hypothese präsubjektiver Kräftefelder aus, auf denen Subjekte als Akteure mit bestimmten Intentionen und Strategien der Beherrschung des Anderen und des Selbst in Erscheinung treten. Im Studium der Mikrophysik192 wird Foucault nach der Untersuchung der modernen Disziplinarmacht, die ein immer subtileres Netzwerk an (Selbst-)Kontrollinstanzen über die Individuen etablierte, zeitlich immer weiter zurückschreiten und sich anhand der Wahrheitsformen der Sexualität dem Ursprung des abendländischen Moralverhaltens und dessen Teleologie annähern.193 An dieser Stelle, an der es um die methodisch produktive Aufnahme von Nietzsches Philosophie geht, ist es notwendig, zumindest in einigen Worten deren Rezeptionsgeschichte in den Kulturwissenschaften zu reflektieren. Nach einer jahrzehntelangen weitgehend emphatischen Rezeption des französischen ‚Poststrukturalismus‘ wurde mittlerweile bemerkt, dass dieser die nietzscheanische Kultur- und Subjektkritik als Alternative zum phänomenologisch und humanistisch orientierten Diskurs in Frankreich durchaus selektiv gebrauchte (was im Grunde auch der oben vorgestellten strukturalistischen Methode der De- und Rekonstruktion entspricht) und so Nietzsche für die 1968er Generation salonfähig machte. Was es tatsächlich bedeuten würde, ihm durchgehend folgen zu wollen, hat etwa Domenico Losurdo in einer Relektüre und

190 Nietzsche, Genealogie der Moral (wie Anm. 46), S. 342. 191 Nietzsche, Genealogie der Moral (wie Anm. 46), S. 338 (Hervorhebungen im Original). 192 Vgl. Foucault, Überwachen und Strafen (wie Anm. 168), S. 38 f. Siehe allgemein Foucault, Michel: Mikrophysik der Macht. Michel Foucault über Strafjustiz, Psychiatrie und Medizin. Berlin 1976. 193 Vgl. Foucault, Michel: Der Gebrauch der Lüste. Sexualität und Wahrheit 2. Frankfurt a. M. 1989. S. 36–45.



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 I.2 Genealogische Apokalyptik nach Michel Foucault

Kontextualisierung des Gesamtwerks herausgearbeitet.194 Darin wird gezeigt, dass die martialische Sprache, der Anti-Sozialismus, die Judenfeindlichkeit, die Anprangerung der christlichen Sklavenmoral und die geforderte Hygiene des Gesellschaftskörpers sehr wohl wörtlich verstanden werden können und Nietzsche als ‚radikalaristokratischen‘ Reaktionär ausweisen, der gegen die liberalen Werte der Französischen Revolution, der Demokratie und der Menschenrechte anschreibt. Seine radikale Zivilisationskritik knüpft an den zentralen Punkten des zeitgenössischen Bevölkerungs- bzw. Massendiskurses an, was ihn zu dem philosophischen Stichwortgeber der ‚Normalisierungsangst‘ im ausgehenden 19. und gesamten 20. Jahrhundert machen sollte.195 Damit wäre Nietzsche (wie natürlich auch Heidegger) realpolitisch auf der anderen Seite des ‚Poststrukturalismus‘ zu verorten.196 Diese Feststellung scheint umso wichtiger, als der moderne apokalyptische Diskurs im Wesentlichen um diese politischen Gegenpole kreist, wie weiter unten noch an den Positionen von Jacob Taubes und Carl Schmitt erläutert werden soll. Im Rahmen einer Aktualisierungsgeschichte moderner Endzeitlichkeit ist also festzuhalten, dass sich Foucault an Nietzsches Genealogie methodologisch und rezeptionsästhetisch orientiert, dabei aber differente Grundintentionen und -annahmen erkennen lässt.197 Seine subjekttheoretischen Ausführungen setzen noch unterhalb der Repressionshypothese an und versuchen sämtliche psychische Dynamiken als Effekte eines zugrundeliegenden weitflächigen Kräftefeldes (Dispositivs) zu beschreiben. Dieses lässt sich aufgrund unterschiedlicher herrschender Entwicklungs- und Bezugsebenen nur aus einer historischen und historisierenden Perspektive analysieren. So erscheint das Subjekt sozialontologisch immer als deklariertes Produkt einer verflochtenen und sich transformierenden Geschichte von Wissensordnungen, Machttypen und Formen des Selbstbezugs und als eine Geschichte deren Institutionalisierung. Als Konsequenz bleibt über die Bewusstmachung einer kollektiven Selbsttäuschung von Subjekten in Hinblick auf ihre Handlungen hinaus die Notwendigkeit der aktiven Identitätsabwehr gegenüber den Funktionsmechanismen der Macht.198 Das archäologische Archiv des Sagbaren geht damit in dem genealogischen Dispositiv der Macht auf, welches die Art des Zusammenhangs erfassen soll, nach der nicht nur Diskurse, sondern sämtliche Interaktionen, Institutionalisierungen und Manifestationen als Effekte von Regelkräften und Subjekte als deren Träger,

194 Losurdo, Domenico: Nietzsche, der aristokratische Rebell. Intellektuelle Biographie und kritische Bilanz. 2 Bde. Berlin 2009 (Berliner Beiträge zur kritischen Theorie 9). Insbes. Bd. 2, S. 900–1005. 195 Vgl. Gamper, Michael: Masse lesen, Masse schreiben. Eine Diskurs- und Imaginationsgeschichte der Menschenmenge 1765–1930. München 2007. S. 396–402. 196 Siehe etwa auch Rehmann, Jan: Postmoderner Links-Nietzscheanismus: Deleuze & Foucault. Eine Dekonstruktion. Hamburg 2004 (Argument-Sonderband NF 298). 197 Vgl. Saar, Martin: Genealogie als Kritik. Geschichte und Theorie des Subjekts nach Nietzsche und Foucault. Frankfurt a. M./New York 2007. S. 293–309. 198 Vgl. Saar, Genealogie (wie Anm. 197), S. 304.



Analytik der Macht 

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­ erfechter, Innovatoren oder auch Antagonisten erscheinen. Insofern alle AusdrucksV und Handlungsformen, selbst die radikal abwehrenden, als Positivitäten aufgefasst und auf Dispositive zurückgeführt werden können, kann es auch kein Außerhalb, kein Jenseitiges der Machtgefüge geben. Um diese adäquat bestimmen zu können, hat Foucault anhand des Dispositivs der Sexualität folgende vier ‚Vorsichtsregulative‘ aufgestellt:199 Ein Erkenntnisobjekt sei immer ein Produkt von Machtbeziehungen und wird in ‚lokalen Herden‘ affiziert (Regel der Immanenz); ein Wissen-MachtKomplex sei nicht aus Polaritäten zu erschließen, weil er sämtliche mögliche Formen der Auseinandersetzung und Modifikation impliziert (Regel der stetigen Variationen); einzelne ‚mikroskopische‘ Taktiken stehen in wechselseitiger Beziehung zu einer ‚makroskopischen‘ Gesamtstrategie (Regel des zweiseitigen Bedingungsverhältnisses); innerhalb dieses Beziehungsgefüges werden vielfältige Aussagekombinationen und -varianten zu Diskursen verknüpft, die als Instrument, Effekt oder Gegenposition der Macht analysiert werden können (Regel der taktischen Polyvalenz der Diskurse). Eine Analytik der ‚Macht‘ versucht die Verhältnisse zwischen ‚Handlungspartnern‘ zu bestimmen, die von der einfachen Fähigkeit, zielgerichtet auf Dinge einzuwirken, sowie von Kommunikationsbeziehungen zu unterscheiden sind.200 Machtverhältnisse werden zwar interaktiv etabliert, gehen aber über pragmatische Anwendungen hinaus, indem sie komplexeren Wahrheitsregeln folgen, die indirekt vermittelt werden: „Tatsächlich ist das, was ein Machtverhältnis definiert, eine Handlungsweise, die nicht direkt und unmittelbar auf die anderen einwirkt, sondern eben auf deren Handeln. Handeln auf ein Handeln, auf mögliche oder wirkliche, künftige oder gegenwärtige Handlungen.“201 Macht beruht daher immer auch auf der Idee der Freiheit, um auf einem offenen Möglichkeitsfeld strategisch zu wirken und unter einer bestimmten ‚Führung‘ umgesetzt zu werden (so stellt etwa die Sklaverei kein komplexes Macht-, sondern ein einfaches Zwangsverhältnis dar).202 Konkret lässt sie sich nach folgenden Blickpunkten analysieren: nach dem System der Differenzierung, den Typen von Zielen, den instrumentellen Modalitäten, den Formen der Institutionalisierung und den Graden der Rationalisierung.203 Im Zentrum dieser Analytik steht bzw. bleibt die Frage nach der Funktion des Subjekts und den Subjektivierungen, wie sie Foucault seit den Arbeiten zu den Wissens- und Ausgrenzungsformen zu klären versuchte. Dafür hatte er sowohl bei der Geschichtsphilosophie als auch bei der ökonomischen Theorie und dazu analogen Verfahren in der Linguistik und Semiotik Anleihen nehmen können. In der nun

199 Vgl. Foucault, Michel: Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit 1. Frankfurt a. M. 1983. S. 93–102. 200 Vgl. Foucault, Michel: Wie wird Macht ausgeübt? In: Dreyfus u. Rabinow, Foucault (wie Anm. 159), S. 251–261, hier S. 251–254. 201 Foucault, Wie Macht (wie Anm. 200), S. 254. 202 Vgl. Foucault, Wie Macht (wie Anm. 200), S. 255. 203 Vgl. Foucault, Wie Macht (wie Anm. 200), S. 257 f.



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 I.2 Genealogische Apokalyptik nach Michel Foucault

weitgehend eigenständigen Herausarbeitung des machtanalytischen Werkzeugs wird er sein Arbeitsziel noch einmal ganz klar benennen: „Nicht die Macht [und also auch nicht das Wissen oder die soziale Verteilung, Anm.], sondern das Subjekt ist […] das allgemeine Thema meiner Forschung.“204 So bleibt es, die ‚Apokalypse‘, die ‚Offenbarung‘ nach der weitläufigen Klärung ihrer Historie in einem letzten Schritt konkret nach ihren Subjekten zu befragen.

Individuen der Pastoralmacht Hat sich der ‚Mensch‘ in Foucaults Die Ordnung der Dinge als eine Objektform jüngeren Datums herausgestellt, um die sich die moderne Episteme gebildet hat, muss die Frage nach der Subjektform ausholender gestellt werden. Sie reicht bis in die Zeit der Spätantike und des Frühchristentums zurück und sperrt sich dagegen, einfach beantwortet zu werden; tatsächlich können aus herrschaftsanalytischer Sicht stets mehrere gleichzeitig wirkende Subjektivierungsweisen ausgemacht werden, die sich jeweils über unterschiedliche Zeiträume erstrecken. Anhand von Gilles Deleuzes FoucaultBuch sollen noch einmal kurz die Bedingung des bisher umrissenen Immanenzfeldes dargelegt werden, auf dem sich die kulturellen Kräfteverhältnisse kreuzen und Wissens- und Machtformen zu Subjektivierungen führen.205 „Die grundlegende Idee Foucaults ist die einer Dimension der Subjektivität, die sich von der Macht und vom Wissen herleitet, aber nicht von dort abhängig ist“:206 ‚Subjekt‘ zu sein bedeutet in Foucaults Spätwerk nicht nur, in und nach äußeren Verhältnissen zu handeln, sondern eine ethische Beziehung zu sich selbst aufzubauen bzw., in deleuzianischer Terminologie, sich zu falten.207 Subjektivierungen entstehen nicht primär in Opposition zu einem Anderen, sondern in Faltung eines wesensidenten Äußeren, das zum Gedächtnis wird. Jede Subjektivierung und jedes Denken entsteht in einem Dazwischen zweier voneinander getrennter Wissensformen: dem Wissen von einem Sichtbaren und einem Sagbaren. Die Verknüpfung dieser beiden Formen wird von herrschenden Kräfteverhältnissen und (symbolischen bzw.

204 Foucault, Warum Macht (wie Anm. 166), S. 243. 205 Deleuze, Foucault (wie Anm. 169), S. 131–172, insbes. S. 169, und dort die Erläuterungen um die Grafik von ‚Foucaults Diagramm‘. Siehe im Folgenden bereits Zolles, Offenbarung (wie Anm. 19), S. 78–80. 206 Deleuze, Foucault (wie Anm. 169), S. 142. 207 Vgl. Deleuze, Foucault (wie Anm. 169), S. 146 f., wo zwischen vier dynamischen und in sich ganz variablen Falten der Subjektivierung unterschieden wird: die Falte des Leibes und des Begehrens (‚Materialursache‘); die Falte einer selbstbezogenen Kraft (‚Wirkursache‘); die Falte eines wahren Wissens (‚Formalursache‘); die Falte des Außen (‚Finalursache‘). Vgl. hierzu Foucault, Gebrauch der Lüste (wie Anm. 193), S. 36–45, und die Unterscheidung zwischen einer ‚ethischen Substanz‘, einem ‚Unterwerfungsmodus‘, einer ‚ethischen Ausarbeitung‘ und einer ‚Teleologie‘ der Selbstverwirklichung.



Individuen der Pastoralmacht 

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­ edialen) Gesetzmäßigkeiten bestimmt. Diese können als Diagramm oder auch ‚ab‑ m strakte Maschine‘ aufgefasst werden, das heißt als eine der Zeit formal, aber niemals neutral (unpolitisch) zugrundeliegende Potenzialität. Über konkrete Technologien oder Dispositive wird schließlich die Beziehung zu einem Selbst festgelegt.208 Deleuze sieht nach Foucault die Entstehung und permanente Bestätigung der Subjektivität (denkendes Selbst) an der Schnittstelle eines strategischen Feldes (Macht), an dem sich Sichtbarkeiten und Aussagen (Wissen) verschränken.209 Im Reflex auf ein „leeres Zwischen“, in dem sich die Geschichte über Konfrontationen entwickelt,210 entwirft sich auch das Selbst auf mehreren Zeitebenen. Es sind stets mannigfaltige Subjektivierungsprozesse, die gleichzeitig ablaufen, manche mit kürzerer, manche aber  – und hier wird der Angriff Nietzsches auf den Historismus besonders schlagend211 – mit hartnäckigem Bestand und sehr langer Dauer (longue durée).212 Wie einzelne historische Ereignisse, ökonomische Konjunkturen und epistemische Wandel nicht schlagartig und nicht zwingend zu einer Veränderung traditioneller Produktionsweisen führen, steht das Gedächtnis einzelner historischer Schichtungsprozesse bzw. Epochen weiterhin auch im Bezug zu einem ausgedehnten äußeren Gedächtnis, das etwa mit dem ‚Griechentum‘ oder ‚Christentum‘ (als „Serie v ­ erschiedener Realitäten“)213 identifiziert werden kann.214 Bei aller Vorsicht vor ­traditionalistischen

208 Siehe auch Agamben, Giorgio: Was ist ein Dispositiv? Zürich 2008. S. 27: „Kurz, wir haben also zwei große Klassen, die Lebewesen (oder die Substanzen) und die Dispositive. Und zwischen den beiden, als Drittes, die Subjekte. Subjekt nenne ich das, was aus der Beziehung, sozusagen dem Nahkampf zwischen den Lebewesen und den Dispositiven hervorgeht.“ 209 Vgl. Deleuze, Foucault (wie Anm. 169), S. 164. Genau hier setzt die genealogische Arbeit an: „[Foucault] schreibt keine Geschichte der Mentalitäten, sondern der Bedingungen, unter denen sich all das manifestiert, das eine mentale Existenz besitzt, die Aussagen und das System der Sprache. Er schreibt keine Geschichte des Verhaltens, sondern der Bedingungen, unter denen sich all das manifestiert, was innerhalb eines Systems des Lichts eine sichtbare Existenz besitzt. Er schreibt keine Geschichte der Institutionen, sondern der Bedingungen, unter denen sie differentielle Kräfteverhältnisse im Horizont eines sozialen Feldes integrieren. Er schreibt keine Geschichte des Privatlebens, sondern der Bedingungen, unter denen der Bezug zu sich ein Privatleben konstituiert. Er schreibt keine Geschichte der Subjekte, sondern der Subjektivierungsprozesse innerhalb der Faltungen, die in diesem sowohl ontologischen wie sozialen Feld wirksam werden.“ 210 Vgl. Foucault, Nietzsche (wie Anm. 170), S. 77 u. 94. 211 Vgl. Losurdo, Nietzsche (wie Anm. 195), S. 906–908. 212 Den Ausdruck hat Fernand Braudel innerhalb der wirtschaftssoziologischen Geschichtsforschung der Annales Schule in seiner dreibändigen Mittelmeer-Studie entwickelt. Die longue durée bezeichnet im Gegensatz v. a. zur histoire événementielle (‚Ereignisgeschichte‘) die weit dauerhafteren sozialen, politischen und ökonomischen Strukturen und geographischen Grundbedingungen. Siehe Braudel, Fernand: Geschichte und Sozialwissenschaft. Die longue durée. In: Marc Bloch [u. a.]: Schrift und Materie der Geschichte. Vorschläge zur systematischen Aneignung historischer Prozesse. Hrsg. von Claudia Honegger. Frankfurt a. M. 1977. S. 47–85. 213 Foucault, Michel: Sicherheit, Territorium, Bevölkerung. Geschichte der Gouvernementalität 1. Vorlesungen am Collège de France 1977/1978. Frankfurt a. M. 2004. S. 218. 214 Vgl. Deleuze, Foucault (wie Anm. 169), S. 149–152 u. 168 f.



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 I.2 Genealogische Apokalyptik nach Michel Foucault

Rückschlüssen lässt sich vermuten, dass dieses ‚Langzeitgedächtnis‘ eine spezifische Form der Subjektivierung darstellt, die sich nur im Okzident herausgebildet hat – ein Grund, sich trotz aller Infragestellung historischer Identitäten weiterhin dezidiert mit der abendländischen Apokalyptik zu beschäftigen, die Foucault zufolge gemeinsam mit der Frage nach ‚uns‘ als historischen Subjekten weit in die Vergangenheit zurückführt: Auch wenn die Aufklärung eine sehr wichtige Phase unserer Geschichte und der Entwicklung der politischen Technologie war, glaube ich, daß wir auf sehr viel entferntere Vorgänge zurückgehen müssen, wenn wir verstehen wollen, kraft welcher Mechanismen wir zu Gefangenen unserer eigenen Geschichte geworden sind.215

Mit dem neuzeitlichen Staatswesen, das sich vom feudal-territorialen Gerechtigkeitsstaat über den Verwaltungsstaat schließlich zum Regierungsstaat entwickelt hat,216 habe sich gewiss eine neue politische Machtform herausgebildet. Das Wirken gleichzeitig totalisierender und individualisierender Staatsökonomien könne aber noch auf eine frühere abendländische Machttechnik zurückgeführt werden, die im Zuge der neuzeitlichen Glaubensreformen, des Absolutismus und des Liberalismus in gewisser Weise aktualisiert worden sei: die ‚Pastoralmacht‘. Foucault führt deren Entstehung auf Umstände zurück, die sich vor knapp zweitausend Jahren ereigneten, nämlich auf den radikalen Wandel des Herrschaftsverhaltens im Übergang von der antiken Welt zum Christentum, den er eben in seinem Spätwerk anhand der Umcodierung des Sexualitätsdispositivs und des Moralverhaltens nachzuzeichnen versuchte. Das ‚Christentum‘ habe sich als einzige Religion als Kirche formiert und im Inneren mit der Figur des dienenden Pastoren (im Unterschied zum Prinzen, Richter, Propheten, Wahrsager, Wohltäter oder Erzieher) eine vollkommen neue Machtform etabliert.217 Diese sei mit vier Prinzipien aufgetreten: der Sicherung des jenseitigen Seelenheils als Endziel; der Bereitschaft zur Aufopferung; der Sorge um jedes einzelne Individuum; und der Offenlegung des inneren Geheimnisses der Seelen. Diese Form von Macht ist auf das Seelenheil gerichtet (im Gegensatz zur politischen Macht). Sie ist selbstlos (im Gegensatz zum Prinzip der Souveränität) und individualisierend (im Gegensatz zur juridischen Macht). Sie erstreckt sich über das gesamte Leben und begleitet es ununter-

215 Foucault, Warum Macht (wie Anm. 166), S. 245. 216 Vgl. Foucault, Sicherheit (wie Anm. 213), S. 164 f. u., ausführlicher zum hier nur kurz umrissenen Wandel der ‚Pastoralmacht‘ von 1580 bis 1660, 331–368; zum Begriff ‚Staat‘ Foucault, Michel: Die Geburt der Biopolitik. Geschichte der Gouvernementalität 2. Vorlesungen am Collège de France 1978/1979. Frankfurt a. M. 2004. S. 16–23. 217 Vgl. Foucault, Warum Macht (wie Anm. 166), S. 248. Es könne sich genau genommen um einen ‚orientalischen Import‘ des Christentums ins römische Reich gehandelt haben. Vgl. Foucault, Sicherheit (wie Anm. 213), S. 217.



Individuen der Pastoralmacht 

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brochen; sie ist mit einer Produktion von Wahrheit verbunden, der Wahrheit des Individuums selbst.218

Während bei den Griechen vornehmlich die Achtung vor dem Gesetz und die rhetorische Überzeugung lenkend wirkten, stellte das christliche Pastorat eine Ordnungsreligion dar, die ein System an Gehorsamsbeziehungen ausbildete.219 In ihrem Zentrum stand eine „Ökonomie der Seelen“ oder eine „Seelenleitung“220 (oikonomia psychon nach dem hl. Gregor von Nazianz, um 329–390), mit der sich das Individuum identifizierte, der es sich unterwarf und in der es sich wiedererkannte und die nichts mehr mit dem griechischen oikos, der ‚Hauswirtschaft‘, gemein hatte. Diese Führung war nun eine nahezu universale. Analytische Identifikation, Unterwerfung, Subjektivierung, dies kennzeichnet die Prozeduren der Individualisierung, die in der Tat durch das christliche Pastorat und durch die Institutionen des christlichen Pastorats vollzogen werden. Es ist also die gesamte Geschichte der menschlichen Individualisierungsprozeduren im Abendland, die durch die Geschichte des Pastorats in Gang gesetzt wird. Sagen wir weiter, daß es sich um die Geschichte des Subjekts handelt.221

Dabei ist es für noch folgende Überlegungen besonders wichtig herauszustellen, dass im Laufe des Mittelalters fünf bedeutende Gegen-Verhalten festzustellen sind, also Taktiken des Ungehorsams gegenüber dem Pastorat.222 Dies seien an sich durch und durch ‚unchristliche‘ Bewegungen gewesen, die jedoch die Kirchengeschichte wesentlich mitgeprägt hätten und rückwirkend sogar als charakteristisch ‚christlich‘ erscheinen können: die Askese als eine Form des totalen Rückzugs und der Übung an sich selbst; die Gemeinschaft als sozialutopischer Gegenentwurf zur pastoralen Hierarchie; die Mystik als direkte, d. h. nicht-pastoral vermittelte Erkenntnis geheimen Wissens; die Hinwendung zur Heiligen Schrift als weitere Möglichkeit unmittelbarer spiritueller Erkenntnis; und die Eschatologie als Angriff auf das Zeitmonopol des Pastorats durch die Verkündung der unmittelbar bevorstehenden Wiederkehr Christi. Aufgefasst als taktische Kämpfe an den Grenzen der ‚Pastoralmacht‘, erweisen sich diese dissidenten Verhaltensweisen wiederum als deren Effekte, was erneut die Bedingtheit sämtlicher Aussagen und Handlungen von den zugrundeliegenden Machtökonomien (und damit die materialistische Geschichtsauffassung Foucaults) demonstriert. Auch wenn die kirchlichen Institutionen seit dem 18. Jahrhundert an Bedeutung eingebüßt haben, habe sich die Weise der individualisierenden Machtausübung

218 Foucault, Warum Macht (wie Anm. 166), S. 248. 219 Vgl. Foucault, Sicherheit (wie Anm. 213), S. 253–259. 220 Foucault, Sicherheit (wie Anm. 213), S. 279 f. 221 Foucault, Sicherheit (wie Anm. 213), S. 268. 222 Vgl. Foucault, Sicherheit (wie Anm. 213), S. 278–330.



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 I.2 Genealogische Apokalyptik nach Michel Foucault

verlagert und zu einer neuen Form der ‚Pastoralmacht‘ nach regierungsstaatlichen Blickpunkten geführt. Die ‚Gouvernementalität‘ (ein Neologismus aus fr. gouvernement und mentalité), die das archaische Muster des Pastorats mittels diplomatischmilitärischer Technik und dem Polizeiwesen reaktivierte,223 fokussiere nicht mehr das Seelenheil, sondern sorge für die individuelle Sicherheit und Gesundheit in dieser Welt vor; sie verfolge eine ‚Biopolitik‘ der Kontrolle über alles Leben.224 Das Wissen über den ‚Menschen‘ habe sich damit einerseits um globale und quantitative Fragen der Bevölkerung, andererseits um die Analyse des Individuums konzentriert, wie es als Produkt einer flächendeckend (durch Familie, Medizin, Psychiatrie, Erziehung, Arbeitgeber etc.) individualisierenden ‚Taktik‘ auftritt.225 Totalisierung und Individualisierung sind beides gleichzeitige Effekte gouvernementaler Machtstrukturen, weshalb jeder (neo-liberale) Versuch, die Individuen von den staatlichen Institutionen zu lösen, nicht aus der Problematik herausführe – das zeigt wohl die Intensivierung rationaler Regulierungstechniken seit dem ausgehenden 20.  Jahrhundert in den Formen unternehmerischer Selbstsorge und medialer Selbstpraktiken.226 Man müsse sich vom ‚Staat‘ und vom bestimmten Typ der Individualisierung lösen, will man der Logik der Regierungs- und Führungskünste entkommen. Darin liege die Wichtigkeit, sich mit den Kämpfen der Vergangenheit zu beschäftigen: jene gegen Formen der Herrschaft, der Ausbeutung oder, welche am aktuellsten zu sein scheinen, der Subjektivierung selbst.227 Vielleicht lässt sich Foucaults Gesamtwerk, wenn nicht gar das Programm des ‚Poststrukturalismus‘ auch mit einem Satz auf den Punkt bringen: „Wir müssen neue Formen der Subjektivität zustandebringen, indem wir die Art von Individualität, die man uns jahrhundertelang auferlegt hat, zurückweisen.“228 Für die Forschung zur abendländischen Apokalyptik bedeutet dies, sich nicht nur von der Vorstellung universaler Begriffe und historischer Teleologien, sondern auch von jener einer Individualität, einer ‚Seele‘ zu lösen, um zu einer Analyse umfassend produktiver und, wie im Folgenden noch zu vertiefen ist, reproduktiver

223 Vgl. Foucault, Sicherheit (wie Anm. 213), S. 165. 224 Vgl. Foucault, Michel: In Verteidigung der Gesellschaft. Vorlesungen am Collège de France 1975/1976. Frankfurt a. M. 2001. S. 286–311. 225 Vgl. Foucault, Warum Macht (wie Anm. 166), S. 249 f. 226 Siehe weiterführend Rieger, Stefan: Die Individualität der Medien. Eine Geschichte der Wissenschaften vom Menschen. Frankfurt a. M. 2001; Bröckling, Ulrich: Das unternehmerische Selbst. Soziologie einer Subjektivierungsform. Frankfurt a. M. 2007; sowie Deleuze, Gilles: Postskriptum über die Kontrollgesellschaften. In: ders.: Unterhandlungen 1972–1990. Frankfurt a. M. 1990. S. 254–262. Agamben, Dispositiv (wie Anm. 208), S. 35–38, sieht in der Durchdingung gouvernementaler Strategien in alle Bereiche des Lebens ein parodistisches Erbe der theologischen Weltregierung (oikonomia), in dem wechselseitige indifferente Subjektivierungs- und Desubjektivierungsprozesse zu einem virtuellen Selbst führen. 227 Vgl. Foucault, Warum Macht (wie Anm. 166), S. 247; Agamben, Dispositiv (wie Anm. 208), S. 41. 228 Foucault, Warum Macht (wie Anm. 166), S. 250.



Kritisch-materialistische Skizze abendländischer Apokalyptik 

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Kräfteverhältnisse zu gelangen. Formen der Spiritualität sollen dadurch nicht verunglimpft, sondern vom Nimbus des Geheimen befreit:229 den Verschleierungstaktiken der Offenbarung eine kritisch-materialistische Methode der Aufklärung gegenübergestellt werden.

Kritisch-materialistische Skizze abendländischer Apokalyptik Die genealogische Methode bzw. Praxis (Foucault sperrte sich weitgehend gegen das Aufstellen eines festen Theoriegebäudes) kann in gewisser Weise als Weiterführung des auf Hermann Gunkel zurückgehenden religionsgeschichtlichen Versuchs angesehen werden, die biblischen Texte nach ihrem ‚Sitz im Leben‘ zu befragen.230 Wie vor einem Jahrhundert die Loslösung von einer Gattungs- hin zu einer Kulturgeschichte ist damit die Wendung von einer Kultur- zu einer Sozialgeschichte verbunden; wie die Hermeneutik des Texts jener des zeitgenössischen Kontexts wich, wird nun die Textrezeption und die Untersuchung des jeweiligen soziohistorischen Index relevant. Aufschlüsse sollen damit nicht aus dem historisch Identen, sondern aus dem in der Wiederholung Differenten gewonnen werden. Aus diesem Grund tritt in der folgenden Untersuchung eine exakte Analyse der Entstehung der jüdisch-frühchristlichen Offenbarungsschriften bzw. der Johannes-Apokalypse hinter die Auseinandersetzung mit ihren Rezeptionsformen, insbesondere der Entwicklung ab der Mitte des 18. Jahrhunderts zurück. Interessanterweise bedeutet das keineswegs, dass die Beschäftigung mit der ‚abendländischen Apokalyptik‘ dadurch an Konstanz verliert (was allerdings auch wieder als tieferliegende totalisierende, ‚apokalyptische‘ Signatur aufgefasst werden könnte) – abseits der Begriffs- und Definitionsproblematik werden vielmehr soziale Dynamiken und historische Herrschafts- und Regelverhältnisse sichtbar, die diesseits der Hermeneutik andere, symbolische Rückschlüsse auf die Ursprünge und die Genese des ‚Christentums‘ und der ‚Säkularisierung‘ zu geben vermögen. Bevor im letzten Kapitel dieses Abschnitts versucht wird, die in der Forschung bislang noch offen gebliebene und höchstnotwendige „sachgemäße[] Verhältnisbestimmung von Eschatologie und Apokalyptik“231 zumindest für vorliegende Arbeit

229 Vgl. Deleuze, Foucault (wie Anm. 169), S. 85: „Es gibt niemals ein Geheimnis, obgleich nichts unmittelbar sichtbar oder direkt lesbar ist.“ Und auch, um eine Klammer zu schließen, Cassirer, Ernst: Philosophie der symbolischen Formen. Bd. 3: Phänomenologie der Erkenntnis. In: Gesammelte Werke (wie Anm. 152), Bd. 13, S. 232: „Nur im Hin und Her vom ‚Darstellenden‘ zum ‚Dargestellten‘, und von diesem wieder zu jenem zurück, resultiert ein Wissen vom Ich und ein Wissen von ideellen wie reellen Gegenständen. Hier erfassen wir den eigentlichen Pulsschlag des Bewußtseins, dessen Geheimnis eben darin besteht, daß in ihm ein Schlag tausend Verbindungen schlägt.“ 230 Gunkel, Hermann: Die israelitische Literatur. In: Kultur der Gegenwart I/7 (1906). S. 53–112, hier S. 55. 231 Christophersen, Begründung (wie Anm. 109), S. 177.



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 I.2 Genealogische Apokalyptik nach Michel Foucault

vorzunehmen, sollen die bisherigen Erkenntnisse zur abendländischen Apokalyptik anhand eines Kommentars von Gilles Deleuze zur Apokalypse-Interpretation von D. H. Lawrence232 kurz zusammengefasst und zu den (end)zeitlichen Aspekten des Themas hingeführt werden. Es hat sich schließlich herausgestellt, dass sich der Lawrence-Essay komplementär zu Michel Foucaults Konzept der ‚Pastoralmacht‘ lesen lässt: In beiden Fällen geht es um das Aufzeigen einer alten Machtstrategie, die im direkten Zusammenhang mit einer Form abendländischer Individualisierung steht und von der es sich kompromisslos zu lösen gilt. Deleuze führt Lawrences Befreiungsschläge in radikal anti-apokalyptischer, anti-psychiatrischer (und eben nicht anti-aufklärerischer) Manier fort, die am Ende der Arbeit noch genauer zu thematisieren sein wird. Gegenüber dem künstlerischen ‚Schizo‘-Rebellen erscheint Johannes von Patmos jedenfalls als der Paranoiker schlechthin. Jenes von Foucault konstatierte politische double-bind zwischen Individualisierung und Totalisierung,233 diese wirkmächtige ‚pastorale‘ Signatur des Abendlandes findet sich bei Lawrence in einer Münz-Metapher beschrieben: There is Jesus – but there is also John the Divine. There is Christian love – and there is Christian envy. The former would “save” the world – the latter will never be satisfied till it has destroyed the world. They are two sides of the same medal.234

Die Vorstellung evangelischer Güte sei nicht von jener apokalyptischer Allmacht zu trennen, sie seien wechselseitige Bedingung eines Weltbilds. Im frommen und märtyrerischen Kampf gegen die diesseitige und für die jenseitige Herrschaft hätten die frühen Christen das römische Reich, diese ungeheure irdische Gegenmacht des Cäsarenkults, unterwandert und wären Subjekte einer ganz anderen, kosmischen Weltmacht geworden, mit der man sich bis ins Innerste identifizierte. Den Evangelien, die von der größtmöglichen subjektiven Entfaltung in und durch Christus sprechen, sei (in einer begrüßenswerten Kontingenz, weil die zweite Seite der Medaille sonst niemals derart plastisch zum Vorschein gekommen wäre) die Johannes-Apokalypse an die Seite gestellt worden, die eine kollektive subjektive Einfaltung propagiert. Das bedeutet nach Deleuze einerseits: Man wird Christus die schlimmsten Prothesen aufzwingen: Man wird ihn zum Helden der kollektive Seele machen, man wird ihn zwingen, der kollektiven Seele zu geben, was er niemals geben wollte. Oder vielmehr wird das Christentum ihm geben, was er immer gehasst hat, ein kollekti-

232 Deleuze, Nietzsche und Paulus (wie Anm. 5). Der Text erschien im Original als Vorwort zur französischen Übersetzung von Fanny Deleuze, über die Gilles Deleuze wohl auch mit dem Werk von Lawrence näher vertraut wurde. 233 Vgl. Foucault, Warum Macht (wie Anm. 166), S. 250. 234 Lawrence, Apocalypse (wie Anm. 4), S. 144. Auch aus diesem Zitat geht die Nähe zu Nietzsches Ressentiment-These hervor.



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ves Ich, eine kollektive Seele. Die Apokalypse ist ein monströses Ich, das Christus aufgepfropft wird.235

Andererseits habe sich in der gleichzeitigen Sorge um die Individuen und die Gemeinschaft eine gänzlich neue Machtform, „eine schreckliche Urteilsweise“236 über eine geschlossene Welt herausgebildet: Die kollektive Seele will die Herrschaft. Was Lawrence sagt, ist alles andere als einfach, es wäre falsch zu glauben, man habe ihn sofort verstanden. Die kollektive Seele will nicht einfach die Macht an sich reißen oder den Despoten auswechseln. […] Sie will eine kosmopolitische Herrschaft, aber nicht offen wie das Imperium, sondern in allen Ecken und Winkeln, in all den dunklen Nischen, in jeder Falte der kollektiven Seele. Schließlich und vor allem will sie eine letzte Herrschaft, die sich nicht auf die Götter beruft, sondern die Herrschaft eines Gottes in letzter Instanz ist und über alle anderen Mächte richtet. Das Christentum paktiert nicht mit dem römischen Reich, es verwandelt es. Das Christentum wird mit der Apokalypse ein ganz neues Bild der Herrschaft erfinden: das System des Gerichts.237

Die Apokalypse als das Buch des ultimativen Richtens, als das Buch der Macht: Es ist eine Art politisches Zeugnis der gemeinschaftlichen Verwaltung der Nachfolge Christi in Erwartung seiner Wiederkehr (Lawrence weist auf den dagegen, realpolitisch gesehen, vollkommen unpolitischen Charakter Jesu hin, auf die riesige Herrschaftslücke, die er hinterlassen hat bzw. die er selbst war).238 Vor dem drohenden Endgericht für alle, in der Zeit des Wartens als „Gegenstand einer beispiellosen, manischen Programmierung“239 habe sich eine Macht allgemeiner Unterwerfung eingerichtet: ein unterworfener Kosmos unterworfener Individuen, die andere Individuen unterwerfen, ohne weitere Zukunftshoffnung außer der Aussicht auf ein alles bestimmendes, furchtbares Finale. Gleichzeitig birgt die Offenbarung aber auch genügend Schärfe und Material für ‚Gegen-Verhalten‘, ‚Dissidententum‘ bzw. ‚Deterritorialisation‘, was die häretischen und reformatorischen Bewegungen (in gewisser Weise sogar die Kreuzzüge) zeigen werden. Bestimmend bleibt aber immer die ‚Pastoralmacht‘, ‚Religionsordnung‘ bzw. ‚Reterritorialisation‘, welche die Exegese vorschreibt und alle neuen Bewegungen strategisch einzufangen und zum Gegenstand des Regierens zu machen versucht. Gerade hierin kann die Bedeutung der Johannes-Apokalypse als das große ‚Trost- und Mahnbuch‘ gefunden werden, das jedem jederzeit vorgehalten

235 Deleuze, Nietzsche und Paulus (wie Anm. 5), S. 57. 236 Deleuze, Nietzsche und Paulus (wie Anm. 5), S. 53. Vgl. Diese Entwicklung aus medientheoretischer Perspektive dargestellt bei Vogl, Joseph: Apokalypse als Topos der Medienkritik. In: Zerstreute Öffentlichkeiten. Zur Programmierung des Gemeinsinns. Hrsg. von Jürgen Fohrmann u. Arno Orzessek. München 2002. S. 133–141. 237 Deleuze, Nietzsche und Paulus (wie Anm. 5), S. 56 (Hervorhebungen im Original). 238 Vgl. Lawrence, Apocalypse (wie Anm. 4), S. 145 f. 239 Deleuze, Nietzsche und Paulus (wie Anm. 5), S. 58 (Hervorhebung im Original).



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 I.2 Genealogische Apokalyptik nach Michel Foucault

werden kann – es ist das Schicksal jedes Christen, im Buch des Lebens verzeichnet zu sein und auf die letzte Abrechnung zu warten.240 Nach Deleuze kann man den von Foucault analysierten neuzeitlichen Wandel dieses Zugriffs auf das individuelle Heil in Form der ‚Biomacht‘ ebenso gut als Adaption der ‚apokalyptischen‘ Machtverhältnisse deuten. Während die Offenbarungsschrift selbst nach den europäischen Glaubenskämpfen aus politischen Gründen neutralisiert wurde, so setzten administrative Staats- und liberale Markttechniken ein, um Individuen zu Subjekten von extern und intern wirkenden Regulierungshandlungen zu machen.241 Wird dabei das Endzeitbewusstsein weitgehend aus dem öffentlichen Raum verbannt, so wird sich vor allem an den neuen Gegen- bzw. Revolutionsverhalten zeigen, welche Aktualität das ‚Apokalyptische‘ weiterhin besitzt und welche totalisierenden und individualisierenden Mechanismen weiterhin am Werk sind. So einfach lasse sich das ‚christliche‘ Erbe nicht abschütteln, im Gegenteil: „Die Apokalypse hat gewonnen, wir haben das System des Gerichts nie verlassen.“242 Die Offenbarung habe bereits vor fast zweitausend Jahren die Idee des absoluten Moralstaates entworfen: Die Apokalypse […] ist die große militärische, polizeiliche und zivile Sicherheit des neuen Staates (das himmlische Jerusalem). Die Modernität der Apokalypse liegt nicht in den angekündigten Katastrophen, sondern in der programmierten Selbstverherrlichung, der ruhmvollen Errichtung des Neuen Jerusalem, der wahnsinnigen Errichtung einer letzten juridischen und moralischen Herrschaft. Ein architektonischer Terror des neuen Jerusalem mit seiner Festungsmauer, seiner gläsernen Prachtstraße, „und die Stadt bedarf weder der Sonne, noch des Mondes, um zu leuchten …, und nichts Besudeltes wird dort eintreten, sondern allein diejenigen, die im Buch des

240 Siehe Offb 20,12 (Einheitsübersetzung): „Ich sah die Toten vor dem Thron stehen, die Großen und die Kleinen. Und Bücher wurden aufgeschlagen; auch das Buch des Lebens wurde aufgeschlagen. Die Toten wurden nach ihren Werken gerichtet, nach dem, was in den Büchern aufgeschrieben war.“ Vgl. zur Buch- und Büchermetapher Blumenberg, Hans: Die Lesbarkeit der Welt. Frankfurt a. M. 4 1999. S. 22–35, hinsichtl. der kosmischen Dimension insbes. S. 24 f.: „Die Metapher [der Himmel rollt sich zusammen wie ein Buch] geht nicht auf Zeichen am Himmel, auf das an ihm Ablesbare, sondern ausschließlich auf den Vorgang des Aufrollens, des Weltentzuges. Weil der Himmel als plane Folie zwischen dem Reich Gottes und dem der Erde gedacht wird, die jede Berührung zwischen beiden verhindert, kann das apokalyptische Ereignis darin bestehen, daß der Prospekt mit seiner der Erde zugewandten Gestirnseite eingerollt wird. Dabei mag ein Moment orientalischen Sternglaubens hineingewirkt haben, doch gerade in der Weise, daß mit dem Aufrollen des Himmels astrale Vorzeichen nicht mehr gelten konnten. Erst die Umkehrung der Metapher in der Apokalypse des Johannes zeigt deterministischen Einschlag: Wenn das Buch aufgeschlagen wird, treten die Ereignisse ein, die es voraussagt. […] Die himmlische Schriftrolle läßt im geöffneten Zustand die Welt bestehen und ihre Geschichte ablaufen; die eschatologische Umkehrung besteht im Einrollen, nachdem zuvor die Sterne herabgefallen sind und es auf der Schreibfläche nichts Lesbares mehr gibt.“ Es folgt ein bedeutender Verweis auf das Kapitel ‚Das Buch als Symbol‘ in Ernst Robert Curtius’ Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter (1948). 241 Vgl. Foucault, Warum Macht (wie Anm. 166), S. 246 f. 242 Deleuze, Nietzsche und Paulus (wie Anm. 5), S. 57.



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Lebens des Lamms verzeichnet sind.“ [Offb 21,23–27] Unfreiwillig überredet uns die Apokalypse, dass das Schreckliche nicht der Antichrist sei, sondern jene neue Stadt, die dem Himmel entstiegen ist, die heilige Stadt, „bereit, wie eine Braut, die für ihren Gatten geschmückt ist.“ [Offb 21,2] Jeder halbwegs vernünftige Leser der Apokalypse fühlt sich schon im Schwefelsee.243

Das Thema der ‚Apokalypse‘ und der ‚abendländischen Apokalyptik‘, das sollte im bisherigen Verlauf der Arbeit herausgearbeitet werden, ist nicht primär eine Frage des Weltuntergangs, der Katastrophe, der Vernichtung usf. Es genügt auch nicht, es im Lichte christlicher oder säkularer Eschatologie („a pet word of the scientists“)244 oder eines modernen ‚Endes der Geschichte‘ (von Georg Wilhelm Friedrich Hegel bis Francis Fukuyama)245 zu betrachten. Will man ihm tatsächlich auf den Grund gehen, dann hat man sich grundlegend mit den historischen Produktionsverhältnissen auseinanderzusetzen (um eine historisch-materialistische Terminologie zu verwenden, die wohl auf Foucaults Arbeitsweise anzuwenden ist und bereits auf den ‚messianischen Materialismus‘ bei Ernst Bloch und Walter Benjamin hinweist). Mit der ‚Apokalypse‘ ist durchgängig die Frage der Macht und ihrer Geschichte verbunden. Nachdem umrissen wurde, welche Macht ihr zugeschrieben werden kann, gilt es jetzt noch einmal auf ihre Geschichte zurückzukommen: nicht auf jene des Historismus, sondern auf jene der Kritik, des Widerstands und des Freiheitskampfes.

243 Deleuze, Nietzsche und Paulus (wie Anm. 5), S. 64. Siehe Offb 20,15 (Einheitsübersetzung): „Wer nicht im Buch des Lebens verzeichnet war, wurde in den Feuersee geworfen.“ Ein Bezug auf die Figur des (herkömmlichen) Archivars mit Verweis auf Blumenberg findet sich bei Dubbels, Elke: Der Apokalyptiker. In: Figuren der Gewalt. Hrsg. von Lars Friedrich [u. a.]. Berlin 2014. S. 19–26, hier S. 23 f. 244 Lawrence, Apocalypse (wie Anm. 4), S. 96. 245 Vgl. hierzu zuletzt Huhnholz, Sebastian: Abschied vom Wandel? Zum postdemokratischen Status des Topos ‚Ende der Geschichte‘. In: Briese [u. a.], Aktualität des Apokalyptischen (wie Anm. 138), S. 79–96.



I.3 Politische Eschatologie nach Jacob Taubes Abendländische Eschatologie als Geschichte abendländischer Subjektivierung Es wurde bemerkt, dass im Mittelalter an den Grenzen des ‚pastoralen‘ Machtgefüges ‚Gegen-Verhalten‘ (der Askese, Gemeinschaft, Mystik, Heiligen Schrift oder Eschatologie) entwickelt wurden, welche sich, meist auch in gegenseitigen Bezug tretend, der ‚Seelenleitung‘ zu entziehen oder diese zu revoltieren trachteten und die Kirchengeschichte maßgeblich mitprägten. Aus der Sicht eines Historikers, der sich für das ‚Gegen-Gedächtnis‘ der Historie interessiert,246 ist es in erster Linie die dissidente ‚Eschatologie‘, die es auf ihren Stellenwert zu befragen gilt: Welche andere Zeit versuchte sie dem Pastorat entgegenhalten? Woraus resultierte ihre Dringlichkeit? Worauf konnte sie sich stützen? Konnte bzw. wie konnte sie das bestehende Machtgefüge beeinflussen und wie wurde es erneut Teil davon? Wird die ‚Apokalyptik‘ dem institutionalisierten Geschichtsbild zugeordnet, kann man diese Bewegungen als ‚apokalyptische‘ Gegen-Verhalten begreifen, die immer wieder aufs Neue versuchten, die herrschende Zeitvorstellung zu reformieren. Genau diese Bewegungen waren es auch, anhand deren der Judaist Jacob Taubes in seiner Dissertationsschrift Abendländische Eschatologie (1947), die, mit 23 Jahren verfasst, die einzige Monografie zu seinem ‚Lebensthema‘ bleiben sollte, die abendländische Geschichte nachzeichnete.247 Das Christentum sei durchgängig von geistig-revolutionären Schüben herausgefordert worden, die eine Erneuerung und einen Abschluss der Zeit herbeizuführen trachteten. Dies sei das jüdische Erbe geblieben: das Bewusstsein, in einer entfremdenden Welt und in befristeter Zeit zu leben, und habe zu einem fortwährenden Widerstreit zwischen aristotelischer und dialektischer Logik, zwischen rationalistischen und apokalyptisch-gnostischen Welterklärungen geführt. Unter den bei Taubes nahezu synonym verwendeten Begriffen ‚apokalyptisch‘ und ‚gnostisch‘ ist der Impuls zu verstehen, das Schicksal der Selbstentfremdung aufzuheben, der nach dem Tod der messianischen Erlöserfigur Jesus

246 Vgl. Foucault, Nietzsche (wie Anm. 170), S. 85. 247 Taubes, Abendländische Eschatologie (wie Anm. 10). Vgl. zu Taubes’ Gesamtwerk allgemein Assmann, Aleida [u. a.]: Einleitung. In: Jacob Taubes: Vom Kult zur Kultur. Bausteine zu einer Kritik der historischen Vernunft. Gesammelte Aufsätze zur Religions- und Geistesgeschichte. Hrsg. von Aleida Assmann [u. a.]. 2. Aufl. München 2007. S. 7–41; Goodman-Thau, Eveline: Auf der Kreuzung von Geschichte und Freiheit – Abendländische Eschatologie an der Jahrtausendwende. In: Abendländische Eschatologie. Ad Jacob Taubes. Hrsg. von Richard Faber [u. a.]. 2. Aufl. Würzburg 2007. S. 27–39; Gold, Joshua Robert: Jacob Taubes. ‚Apocalypse from below‘. In: Telos 134 (Frühling 2006). S. 140–156; Treml, Martin: Nachwort: ‚Just als Erzjude …‘. In: Taubes, Abendländische Eschatologie (wie Anm. 10), S. 273–287; sowie zuletzt Kopp-Oberstebrink, Herbert u. Martin Treml (Hrsg.): Jacob Taubes – Apokalypse und Politik. Aufsätze, Kritiken und kleinere Schriften. München 2016.



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eine ­ungeheure Aktualisierung erfahren habe.248 Die Kämpfe der gnostischen Strömungen im 2. und 3. Jahrhundert gegen die unvollständige materielle Schöpfung des Demiurgen und für die vollkommene Gottheit, dessen pneuma es aus dem Innersten des Menschen, von der psyche, zu befreien galt, seien eine Fortführung jüdischer ‚Apokalyptik‘ gewesen und hätten die zukünftigen Bestrebungen, ‚zu sich selbst‘ zu kommen, bis hin zu Hegels Phänomenologie des Geistes (1807) strukturell vorweggenommen. Für Taubes ist diese „Struktur der Apokalyptik und Gnosis […] wesentlich geschichtlich“ und „wesentlich von der Eschatologie her geprägt“,249 das heißt von der Vorstellung von Schöpfung, Welt und Erlösung. Ursprung und Endzeit erweisen sich als kategoriale Funktionen, denn nur im verzeitlichten, befristeten Sein würde sich ein Bewusstsein einstellen für die Welt, wie sie im Argen liegt, und der Drang, die Geschichte zu relativieren. So finde man „in den Urworten und Symbolen der Apokalyptik und Gnosis, welche sich im fundamentalen Symbol der Selbstentfremdung verdichten, […] das Wesen der Geschichte mit einbeschlossen.“250 Aus diesem Grund konnte sich auch jede folgende ‚Weltrevolution der Seele‘, wie Peter Sloterdijk und Thomas Macho ihr ‚Lese- und Arbeitsbuch der Gnosis‘ betitelten,251 in den biblischen Apokalypsen wiederfinden.252 Taubes zeichnet in seinem Buch den (christlichen) Instanzenweg der (jüdischen) Eschatologie nach. Paulus, dessen wesentliche Bedeutung für Taubes’ zukünftige Geschichtshermeneutik in der Abendländischen Eschatologie noch nicht ausgeprägt ist und hinter jener der Johannes-Offenbarung liegt, aber bereits hier als ‚Figur des Dazwischen‘ erscheint,253 sei der Erste gewesen, der den endzeitlichen Enthusiasmus der Urgemeinde beschwichtigte.254 Mit der ausbleibenden Parusie Christi sei es ihm um die Festigung des Bewusstseins gegangen, bereits in der fortschreitenden Zeit der Erlösung (kairos) zu leben. Schließlich habe das christliche, messianische Ereignis dem Menschen der Spätantike ein bisher unbekanntes Selbstbewusstsein eröffnet: „Das christliche Symbol ist der Inbegriff der Ängste der Menschen vor der Größe

248 Vgl. Taubes, Abendländische Eschatologie (wie Anm. 10), S. 47–58. Wie bereits dargelegt und im Laufe dieses Abschnitts noch näher erklärt, soll in vorliegender Arbeit ‚Apokalyptik‘ nicht als Universalbegriff verwendet werden, sondern auf die historische Dimension und den spezifischen historischen Index verweisen. Insofern wird auch Abstand davor genommen, in der ‚Apokalyptik‘ eine allgemeine kulturkritische Struktur zu sehen und sie mit der ‚Gnosis‘ (einem ähnlich umstrittenen Begriff) gleichzusetzen. Vgl. zur Problematik dieser Gleichsetzung Colpe, Carsten: ‚Das eschatologische Widerlager der Politik‘. Zu Jacob Taubes’ Gnosisbild. In: Faber [u. a.], Abendländische Eschatologie (wie Anm. 247), S. 105–130. 249 Taubes, Abendländische Eschatologie (wie Anm. 10), S. 53 f. 250 Taubes, Abendländische Eschatologie (wie Anm. 10), S. 53. 251 Sloterdijk, Peter u. Thomas Macho (Hrsg.): Weltrevolution der Seele. Ein Lese- und Arbeitsbuch der Gnosis von der Spätantike bis zur Gegenwart. 2 Bde. 2. Aufl. Zürich 1993. 252 Aus dieser Sicht ist also auch der Apokalypse-Essay von D. H. Lawrence klassisch ‚gnostisch‘. 253 Vgl. Treml, Nachwort (wie Anm. 247), S. 278 f. 254 Vgl. Taubes, Abendländische Eschatologie (wie Anm. 10), S. 90–98.



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 I.3 Politische Eschatologie nach Jacob Taubes

dieses Geschehens.“255 Diese Eröffnung in der Erwartung des zweiten Kommens Christi (diese zeitliche Komponente wird im übernächsten Abschnitt noch näher beschäftigen) habe bei Paulus zu einer „mystisch-symbolischen Einung der Menschheit als Leib Christi“256 geführt. Somit erkennt auch Taubes, in Bezug zu den bisherigen geschichtstheoretischen Überlegungen höchst interessant, im Frühchristentum eine gänzlich neue Form der Subjektivierung: Im Gegensatz zu den alten, gewachsenen Gebundenheiten ist die christliche Gemeinde ein unorganisches, nachträgliches, „pneumatisches“ Zusammensein [zit. 1 Kor 12, 13] lauter Einzelner. In der christlichen Gemeinde löscht der spätantike Mensch sein Ich zu Gunsten jenes Über-Ich aus, das vom Jenseits kommend sich auf den Menschen herabsenkt. In allen Gliedern der Gemeinde ist jenes Über-Ich ein und dasselbe, so daß die Gemeinde das pneumatische Wir darstellt. Der geistige Mittelpunkt des Menschen ist das jenseitige Über-Ich: „Nicht ich lebe, sondern Christus in mir.“ [zit. Gal 2, (2)0]. Von den Massen wird das Über-Ich des Christus als Anti-Cäsar gestaltet. Das Über-Ich des Christus überstrahlt und entwertet das cäsarische Über-Ich [zit. Otto Petras]. Indem sich das spätantike Menschentum zu einem farblosen Massendasein entleert, beginnt es vorerst im Gott-Kaiser sein eigenes verloren gegangenes Selbst zu verehren [zit. Bruno Bauer].257

Die Urgemeinde habe Christus im Selbstbewusstsein bewahrt, was der Erfahrungsbeginn der ‚individuellen Eschatologie‘ gewesen sei.258 Auf dieser Grundlage habe sich schließlich die Alte Kirche gegenüber der Gnosis – der nun höchst individuellrevolutionären Ausprägung der ‚Apokalyptik‘, die in Marcion (um 85–160) einen ‚Erzketzer‘ hervorbrachte – durch die Festlegung eines Kanons, eines Glaubensbekenntnisses und einer Liturgie behauptet und durch die Ausbildung eines Episkopats das Selbstbewusstsein vergemeinschaftlicht (d. h. ‚pastoralisiert‘).259 Das apokalyptische Schrifttum sei aufgrund seiner Radikalität zunehmend abgewertet und seit Origenes (184–um 254) in eine Art ‚ontologische Metaphysik‘ eingebettet worden. Mit der Förderung des Christentums im römischen Imperium durch Konstantin (ab 312), dem

255 Taubes, Abendländische Eschatologie (wie Anm. 10), S. 80. 256 Taubes, Abendländische Eschatologie (wie Anm. 10), S. 93. 257 Taubes, Abendländische Eschatologie (wie Anm. 10), S. 88 f. (Hervorhebung im Original). 258 Das ‚Zerwürfnis‘ zwischen Jacob Taubes und Gershom Scholem resultierte v. a. aus der gegenteiligen Bewertung dieser Entwicklung: Während für Taubes das messianische Erbe des Judentums im Christentum verinnerlicht weitergetragen wurde und sich immer wieder radikal äußerte, sieht Scholem im Erlösungsgedanken des Judentums einen sich öffentlich, sichtbar in der Gemeinschaft vollziehenden Vorgang, der nicht mit dem wartenden ‚geheimen‘ Glauben an den Messias Jesu vereinbar sei. Vgl. Macho, Thomas: Der intellektuelle Bruch zwischen Gershom Scholem und Jacob Taubes. Zur Frage nach dem Preis des Messianismus. In: Faber [u. a.], Abendländische Eschatologie (wie Anm. 247), S. 531–544. Siehe auch Taubes, Jacob: Der Messianismus und sein Preis. In: ders., Kult (wie Anm. 247), S. 43–49. 259 Vgl. Taubes, Abendländische Eschatologie (wie Anm. 10), S. 98–102, zur Johannes-Offenbarung S. 95–98.



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ersten ökumenischen Konzil in Nicäa (325) und der Ernennung zur östlichen Reichsreligion unter Theodosius I. (ab 380) wurde der Glaube an die unmittelbare Parusie Jesu endgültig aufgehoben und der Reichsgedanke, gerade in Zeiten seiner Krise in der ‚Völkerwanderungszeit‘, umfassender Bestandteil der Weltkirche. Vor diesem Hintergrund – dessen Komplexität hier bei Weitem nicht dargestellt und entsprochen werden kann und soll (schließlich soll eine universalhistorische Sicht auf die Dinge unbedingt vermieden werden, auch wenn Taubes’ Ausführungen sehr dazu verleiten) – wurde die Endzeit bei Augustinus von Hippo (354–430), aber auch Ambrosius von Mailand (339–397), Hieronymus (347–420) oder Paulinus von Nola (354–431) zur Frage der chronologischen Berechnung und kirchlichen Reichsvision.260 Nach einer Phase der „Historisierung der Apokalypse“,261 als sich die politischen und religiösen Ereignisse rund um die Kreuzzüge zunehmend im „chiliastische[n] Endreichstraum“262 spiegelten, wurde die Johannes-Offenbarung durch den kalabrischen Abt Joachim von Fiore (um 1135–1202) radikal und wegweisend neu interpretiert.263 Auf das Zeitalter des Vaters (Altes Testament) und des Sohnes (Neues Testament und Errichtung der Kirche) stehe jenes des Geistes unmittelbar, nämlich 1260, bevor. Dieses Dritte Reich sei die Zeit asketischer Spiritualität, in der sich der Papst als Antichrist erweisen und eine freie Bibelauslegung herrschen würde. Für Taubes

260 An dieser Stelle kann nur ein Hinweis auf die rezente Forschung zur Endzeitwahrnehmung in der Spätantike und im Frühmittelalter gegeben werden: Landes, Richard: Lest the Millennium Be Fulfilled. Apocalyptic Expectations and the Pattern of Western Chronography, 100–800 CE. In: The Use and Abuse of Eschatology in the Middle Ages. Hrsg. von Werner Verbeke [u. a.]. Leuven 1988 (Mediaevalia Lovaniensia I/15). S. 137–211; Fredriksen, Paula: Apocalypse and Redemption in Early Christianity. From John of Patmos to Augustine of Hippo. In: Vigiliae Christianae 45 (1991). S. 151–183; Bynum, Caroline Walker u. Paul Freedman (Hrsg.): Last Things. Death and the Apocalypse in the Middle Ages. Philadelphia 2000; Brown, Peter: Through the Eye of a Needle. Wealth, the Fall of Rome, and the Making of Christianity in the West, 350–550 AD. Princeton 2012; Brown, Peter: Ransom of the Soul. Cambridge, MA 2015; Palmer, James: The Apocalypse in the Early Middle Ages. Cambridge 2014; Wieser, Veronika: Im Schatten der Endzeit. Zur Konstruktion des Apokalypse-Diskurses im 4. bis 6. Jahrhundert. Dissertation. Wien 2015. 261 Mégier, Elisabeth: Die Historisierung der Apokalypse oder von der globalen zur geschichtlichen Zeit der Kirche in lateinischen Apokalypsekommentaren, von Tyconius bis Rupert von Deutz. In: Wieser [u. a.], Abendländische Apokalyptik (wie Anm. 77), S. 579–604. 262 Taubes, Abendländische Eschatologie (wie Anm. 10), S. 111. Unter ‚Chiliasmus‘ oder ‚Millenarismus‘ (in der historischen Forschung ebenfalls unterschiedlich bewertete Begriffe) wird der Glaube an ein Tausendjähriges Reich nach der Parusie Christi oder an das unmittelbar bevorstehende Ende dieses Reichs verstanden (Offb 20,1–7). 263 Vgl. zur Apokalypse-Rezeption Joachims von Fiore grundlegend Kamlah, Wilhelm: Apokalypse und Geschichtstheologie. Die mittelalterliche Auslegung der Apokalypse vor Joachim von Fiore. Vaduz 1965 [1935] (Historische Studien 285); Lerner, Robert E.: Antichrists and Antichrist in Joachim von Fiore. In: Speculum 60 (1985). S. 553–570; Potestà, Gian Luca: Il tempo di Apocalisse. Vita di Gioachhino da Fiore. Rom/Bari 2004.



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 I.3 Politische Eschatologie nach Jacob Taubes

nimmt Joachim eine Schlüsselrolle ein:264 Indem er die Entscheidung von der Kirche auf den Geist übertragen habe, sei der Weg in die Neuzeit mit den folgenden spiritualistischen Reformbewegungen der Franziskaner oder der Theologie Thomas Müntzers (1489–1525) geebnet worden; Martin Luther (1483–1546) habe demgegenüber an eine Erneuerung der Kirche gedacht: Reformation anstatt Revolution.265 Der Ausdruck ‚Revolution‘ sei im Zuge der kopernikanischen Wende, des Verlusts des direkten ptolemäischen Himmelsbezugs, vom Umlauf der Himmelskörper auf das historische Geschehen übertragen worden und veranschauliche im gleichberechtigten Anspruch aller Menschen (also auch des dritten Standes) auf geistige Erhebung die Schwächung der Kirche: Ist die Geschichte der europäischen Eschatologie das innerste Geschehen der Geschichte, so wird sie instrumentiert durch die Geschichte der europäischen Revolutionen, welche das Außen dieses Innen ist. Eine Geschichte der europäischen Revolutionen aber ist identisch mit der Geschichte des Verlusts der christlich-katholischen Substanz Europas.266

Diese ‚Substanz‘ habe durch die aufklärerische Rationalisierung ein neues Gleichgewicht bekommen, sei aber vor allem nach dem Erdbeben von Lissabon (1755, das wegweisende Katastrophenereignis) erneut von Überlegungen zu den Zukunftserwartungen des Geistes unterwandert worden. Mit Gotthold Ephraim Lessings Die Erziehung des Menschengeschlechts (1780) habe eine Rehabilitierung von Joachims Lehre und ein „philosophische[r] Chiliasmus“267 eingesetzt, der den deutschen Idealismus

264 Vgl. Treml, Nachwort (wie Anm. 247), S. 284 f. 265 Vgl. Taubes, Abendländische Eschatologie (wie Anm. 10), S. 144–153. Siehe zu den Hintergründen dieser komplexen Entwicklung auch hier nur exemplarisch: Seifert, Arno: Der Rückzug der biblischen Prophetie von der neueren Geschichte. Studien zur Geschichte der Reichstheologie des frühneuzeitlichen deutschen Protestantismus. Köln 1990 (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte 31); Leppin, Volker: Antichrist und Jüngster Tag. Das Profil apokalyptischer Flugschriftenpublizistik im deutschen Luthertum 1548–1618. Gütersloh 1999 (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 69); Sandl, Marcus: Medialität und Ereignis. Eine Zeitgeschichte der Reformation. Zürich 2011 (Medienwandel – Medienwechsel – Medienwissen 18); Feik, Catherine: In Erwartung des Endes. Offenbarung und Weissagung bei Martin Luther und in seinem Umkreis. In: Wieser [u. a.], Abendländische Apokalyptik (wie Anm. 77), S. 411–430; Schmieder, Felicitas: Eschatologische Prophetie im Mittelalter: ein Mittel ‚politischer‘ Kommunikation? In: Politische Bewegung und symbolische Ordnung. Hagener Studien zur Politischen Kulturgeschichte. Festschrift für Peter Brandt. Hrsg. von Werner Daum [u.a]. Bonn 2014 (Politik und Gesellschaftsgeschichte 96). S. 17–31. 266 Taubes, Abendländische Eschatologie (wie Anm. 10), S. 118. 267 Taubes, Abendländische Eschatologie (wie Anm. 10), S. 117. Die Bezeichnung findet sich bei Kant, Immanuel: Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft [1793]. In: Werkausgabe (wie Anm. 9), Bd. 8: Die Metaphysik der Sitten, S. 645–879, hier S. 682. Siehe v. a. auch S. 802: „Die Erscheinung des Antichrists, des Chiliasm, die Ankündigung der Nahheit des Weltendes können vor der Vernunft ihre gute symbolische Bedeutung annehmen, und die letztere, als ein (so wie das Lebensende, ob nahe oder fern) nicht vorher zu sehendes Ereignis vorgestellt, drückt sehr gut die Notwendigkeit



Abendländische Eschatologie als Geschichte abendländischer Subjektivierung 

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von Kant bis Hegel prägen sollte. Und hier, in Hegels Phänomenologie des Geistes, sei die Spannweite des antik-christlichen Geistes der vergangenen zweieinhalb Jahrtausende zu ihrem Ende gekommen.268 Das joachimitische transire (von der Zeit des Alten Testaments über die Papstkirche zur Geisteskirche) finde in Hegels dialektischer Aufhebung (von der These über die Antithese zur Synthese) ihre Entsprechung; im Fortschreiten der Weltgeschichte zum ‚absoluten Wissen‘, in dem alles vergangene Wissen im doppeldeutigen Sinne aufgehoben ist, zeige sich die eschatologische Vollendung des Geistes. Hegels Philosophie sei nur scheinbar bürgerlich-konservativ gewesen, tatsächlich war sie in der Überwindung alles Negativen ‚apokalyptischgnostisch‘ radikal und öffnete die Tür zum Linkshegelianismus. Auf Hegels Abschluss der christlichen Weltgeschichte in der Darstellung des geistigen Maximums der Existenz (Oben) folge der „Zerfall von Gott und Welt“269 und der Rückbezug auf die urtümliche Selbstentfremdung des Menschen im Minimum der Existenz (Unten):270 Hier setzen die ‚religiöse Märtyrer-Revolution‘ bei Kierkegaard (Innen) und die ‚proletarische Welt-Revolution‘ bei Marx (Außen) an.271 Diese Gegensätze aber zu vereinen gelinge nur, wenn das Subjekt aus der Mitte gerückt und zu einer neuen, an der messianischen Zeit ausgerichteten Ent-Scheidung geführt werde. Werden die neuzeitlichen bzw. modernen Aspekte von Taubes’ Geschichte der abendländischen Subjektivierung im zweiten der Teil der vorliegenden Arbeit noch aus einer anderen Perspektive beleuchtet und müssen hier zahlreiche Bezüge, die tief in den deutschen geisteswissenschaftlichen Diskurs des 20. Jahrhunderts führen, ausgespart bleiben, sollen die wesentlichen Aspekte der Abendländischen Eschatologie noch einmal kurz festgehalten werden. Zunächst erkennt man geradezu typisch, wie universale Begriffe (‚Apokalypse‘, ‚Apokalyptik‘, ‚Chiliasmus‘, ‚Eschatologie‘ oder ‚Gnosis‘) eingesetzt werden, um die Geschichte aus einem totalisierenden Blickwinkel zu fassen – auf diese Problematik wurde hinlänglich hingewiesen. Was das Werk aber auszeichnet, ist die Geschichte nicht in ihrer Entwicklung, sondern in ihrer Entfremdung darzustellen.272 Taubes folgt einer „Tradition des Traditionsbruchs“,273 die die ‚Apokalyptik‘ nicht positiv von einem Ursprung her nachzeichnet, sondern

aus, jederzeit darauf in Bereitschaft zu stehen, in der Tat aber (wenn man diesem Symbol den intellektuellen Sinn unterlegt) uns jederzeit wirklich als berufene Bürger eines göttlichen (ethischen) Staats anzusehen.“ 268 Vgl. Taubes, Abendländische Eschatologie (wie Anm. 10), S. 122–132, 198–224 u. 255–258. 269 Taubes, Abendländische Eschatologie (wie Anm. 10), S. 18. 270 Vgl. Taubes, Abendländische Eschatologie (wie Anm. 10), S. 235. 271 Vgl. Taubes, Abendländische Eschatologie (wie Anm. 10), S. 254. 272 Vgl. hierzu auch Lauermann, Manfred: Materialistische oder apokalyptische Geschichtsphilosophie? Jacob Taubes’ Tractata ad Karl Marx. In: Faber [u. a.], Abendländische Eschatologie (wie Anm. 247), S. 221–238, hier insbes. S. 237 f., mit dem Verweis auf Taubes’ einzige Bemerkung zu Foucault, wonach dieser die Techniken der religiösen Exegese nicht berücksichtigt habe und die Interpretation des 19. Jahrhunderts mit Hegel beginne. 273 A. Assmann [u. a.], Einleitung (wie Anm. 247), S. 13.



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 I.3 Politische Eschatologie nach Jacob Taubes

von ihrem Äußeren, von jenen ‚apokalyptischen‘ Gegenkräften, die sich immer wieder gegen die christlichen Instanzen der Zeitdarstellung gewandt haben, um auf eine andere, entscheidendere Zeit zurückzukommen. Diese Sichtweise sei immanent jüdisch-eschatologisch. Die antike Gnosis stellt die Folie dieser radikalen Tendenzen innerhalb der abendländischen Theologie und Philosophie dar, durch herrschende Mythologeme hindurch auf ein ‚Jetzt‘ der Vollendung zu kommen; Joachims antihierarchische Geisteskirche und Hegels Geist der Freiheit hätten dies weltgeschichtlich weitergeführt und zum Abschluss gebracht. In der Darstellung der Negativität der abendländischen Geschichte und Subjektivierung kreuzen sich die Kulturkritik nach Nietzsche und jene des ‚säkularisierten‘ jüdischen Messianismus.274 In diesem Spannungsfeld liegen seitdem die Kulturwissenschaften und die Frage, sich (politisch, gemeinschaftlich) angemessen zu positionieren.275 Unerlässlich ist es deshalb, auf die beiden Extreme Jacob Taubes (,links‘) und Carl Schmitt (‚rechts‘) einzugehen, ehe nach der bisher versuchten ‚Dekonstruktion des Christentums‘ im Sinne Jean-Luc Nancys276 und der Öffnung des diskursiven Raums noch eingehender die Frage nach dem ‚Messianischen‘ gestellt wird.

Politische Theologie Die Beschäftigung mit der eigentümlich verklärten Beziehung zwischen den beiden höchst umstrittenen Persönlichkeiten Jacob Taubes und Carl Schmitt lässt sich kaum umgehen, setzt man sich mit der ‚Apokalyptik‘ aus kulturwissenschaftlicher Perspektive auseinander. Dies liegt vor allem an der Prägnanz, mit der Taubes die ‚gegenstrebige Fügung‘ beschreiben konnte: „Carl Schmitt denkt apokalyptisch, aber von oben her, ich denke von unten her.“277 Taubes als ‚Apokalyptiker der Revolution‘, Schmitt als ‚Apokalyptiker der Gegen-Revolution‘: Der eine betrachtet die abendländische Geschichte vor der Folie eines jüdischen oder ‚apokalyptisch-gnostischen‘

274 Es wurde bereits der verwandte methodische Ansatz bei Ernst Cassirer und Michel Foucault aufgezeigt‚ sich als Forscher aus der Geschichte zu nehmen, um auf die Symbol- bzw. Strukturprinzipien der Gegenwart zu kommen. 275 In diesem Spannungsfeld liegen seitdem auch die Künste: im vorliegenden Fall von D. H. Lawrences radikal antidemokratischer Haltung bis hin zu Lars von Triers öffentlichem Kokettieren mit dem Nazismus. 276 Nancy, Jean-Luc: Dekonstruktion des Christentums. Zürich/Berlin 2008. 277 Taubes, Jacob: Carl Schmitt – Ein Apokalyptiker der Gegenrevolution. In: ders.: Ad Carl Schmitt. Gegenstrebige Fügung. Hrsg. von Peter Gente. Berlin 1987. S. 7–30, hier S. 22. Vgl. im Folgenden Reipen, Johannes: ‚Gegenstrebige Fügung‘!? – Jacob Taubes ad Carl Schmitt. In: Faber [u. a.], Abendländische Eschatologie (wie Anm. 247), S. 509–530; Treml, Martin: Paulinische Feindschaft. Korrespondenz von Jacob Taubes und Carl Schmitt. In: Jacob Taubes – Carl Schmitt. Briefwechsel mit Materialien. Hrsg. von Herbert Kopp-Oberstebrink [u. a.]. München 2012. S. 273–304.



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Anarchismus,278 der andere mit einer „katholischen Angst“.279 Beide bleiben also ihrer Tradition verpflichtet und kreuzen sich darin in der alles entscheidenden Frage nach der religiösen Ursprungsdynamik: „Uns beiden gemeinsam aber ist jene Erfahrung von Zeit und Geschichte als Frist, als Galgenfrist. Das ist ursprünglich auch eine christliche Erfahrung von Geschichte.“280 Damit steht weiterhin die Fragilität der gesamten christlich geprägten Weltgeschichte zur Debatte und wird der apokalyptische Diskurs der Moderne in seiner historischen Totalität auf ein politisches Feld übertragen, das im Grunde von einem Thema beherrscht wird: von der „Kraft zur Repräsentation“281 der katholischen Kirche, die in juridischen Formen über die Jahrhunderte hinweg das Symbol Christi und die civitas humana hatte aufrechterhalten können. Für Schmitt das Um und Auf der politischen Ordnung Europas, für Taubes der Ansatzpunkt revolutionärer Umorientierung. Bekanntlich nimmt die Figur des ‚Katechon‘ in Schmitts Verfassungslehre der späteren Jahre einen zentralen Stellenwert ein.282 In Hinblick auf die bisherigen und noch folgenden geschichtstheoretischen Überlegungen zur ‚Apokalyptik‘ und zum ‚Messianischen‘ soll ein längeres Zitat aus Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europeum (1950) wiedergegeben werden, einem Werk, in dem Schmitt seine wegweisenden Ansichten zum geopolitischen Paradigma völkerrechtlicher Ordnung darlegte. Der Begriff des ‚Nomos‘ (altgr. ‚Bezirk‘, danach erst ‚Gesetz‘) deute auf die immanente räumliche Komponente jeder Rechtskonstituierung hin und weise Gesetze als Gründungs- und Neugründungsakte der Raumteilung auf.283 Das Mittelalter habe erstmals eine völkerrechtliche Gesamtordnung über ein klar ‚christlich‘ charakterisiertes Gebiet geschaffen (es war Aufgabe der Missionierung und des Außenkampfes, dieses zu erweitern), innerhalb dem Kriege und Auseinandersetzungen juridisch ‚umhegte‘ waren.284 Die durch die ‚Translatio imperii‘ mit dem Zentrum Rom

278 Vgl. Dreßen, Wolfgang: Die Krise ist permanent geworden: ‚Arena oder freier Himmel‘. Über Jacob Taubes’ Anarchismus. In: Faber [u. a.], Abendländische Eschatologie (wie Anm. 247), S. 301–310. 279 Meyer, Martin: Ende der Geschichte? München 1993. S. 134. 280 Taubes, Schmitt (wie Anm. 277), S. 22. 281 Schmitt, Carl: Römischer Katholizismus und politische Form. 5. Aufl. Stuttgart 2008 [1923/25]. S. 32. 282 Sie kann hier daher auch bei weitem nicht in allen Facetten dargestellt werden. Vgl. weiterführend Meuter, Günter: Der Katechon. Zu Carl Schmitts fundamentalistischer Kritik der Zeit. Berlin 1994; Schüller, Wolfgang: Dennoch die Schwerter halten. Der Κατέχον Carl Schmitts. In: Geschichte – Tradition – Reflexion. Festschrift für Martin Hengel zum 70. Geburtstag. Hrsg. von Hubert Cancik. Tübingen 1996. S. 389–408; Grossheutschi, Felix: Carl Schmitt und die Lehre vom Katechon. Berlin 1996 (Beiträge zur Politischen Wissenschaft 91); Laska, Bernd A.: ‚Katechon‘ und ‚Anarch‘. Carl Schmitts und Ernst Jüngers Reaktionen auf Max Stirner. Nürnberg 1997 (Stirner-Studien 3); Motschenbacher, Alfons: Katechon oder Großinquisitor? Eine Studie zu Inhalt und Struktur der Politischen Theologie Carl Schmitts. Marburg 2000. 283 Vgl. Schmitt, Nomos der Erde (wie Anm. 15), S. 36–48. 284 Vgl. Schmitt, Nomos der Erde (wie Anm. 15), S. 28.



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und durch das Kaisertum und Papsttum gesicherte Vorstellung räumlicher Einheit ist demnach Grundlage europäischer Rechtsprechung und Friedenssicherung und somit auch der zukünftigen internationalen Staatspolitik, habe doch das christliche Mittelalter „den einzigen Rechtstitel für den Übergang zu einer globalen Ordnung des Völkerrecht geliefert“.285 Dieser könne rechtsgeschichtlich sogar bis ins Urchristentum, bis zu Paulus’ politischer Mission der Erhaltung des christlichen Endzeitgedankens rückverfolgt werden. Diesem [auf Rom georteten] christlichen Reich ist es wesentlich, daß es kein ewiges Reich ist, sondern sein eigenes Ende und das Ende des gegenwärtigen Äon im Auge behält und trotzdem einer geschichtlichen Macht fähig ist. Der entscheidende geschichtsmächtige Begriff seiner Kontinuität ist der des Aufhalters, des Kat-echon. „Reich“ bedeutet hier die geschichtliche Macht, die das Erscheinen des Antichrist und das Ende des gegenwärtigen Äon aufzuhalten vermag […]. Das Reich des christlichen Mittelalters dauert solange, wie der Gedanke des Kat-echon lebendig ist. Ich glaube nicht, daß für einen ursprünglich christlichen Glauben ein anderes Geschichtsbild als das des Kat-echon überhaupt möglich ist. Der Glaube, daß ein Aufhalter das Ende der Welt zurückhält, schlägt die einzige Brücke, die von der eschatologischen Lähmung alles menschlichen Geschehens zu einer so großartigen Geschichtsmächtigkeit wie der des christlichen Kaisertums der germanischen Könige führt. Die Autorität von Kirchenvätern und Schriftstellern wie Tertullian, Hieronymus und Lactantius Firmianus, und die christliche Fortführung sybillinischer Weissagungen vereinigen sich in der Überzeugung, daß nur das Imperium Romanum und seine christliche Fortsetzung den Bestand des Äon erklären und ihn gegen die überwältigende Macht des Bösen erhalten. […] Die politischen oder juristischen Konstruktionen der Weiterführung des Imperium Romanum sind im Vergleich zu der Lehre vom Kat-echon nicht das Wesentliche; sie sind schon Abfall und Entartung von der Frömmigkeit zum gelehrten Mythos.286

Um den Glauben ans zeitliche Ende in ihrem Inneren bewahren zu können, musste die Kirche vor ihrem räumlichen Ende vom äußeren ‚Feind‘, wie eine klassische Kategorie Schmitts lautet, bewahrt werden. Diese Funktion der Bewahrung der christlichen Einheit und damit einer Grundform des Völkerrechts sei lange Zeit dem römischen

285 Schmitt, Nomos der Erde (wie Anm. 15), S. 25. 286 Schmitt, Nomos der Erde (wie Anm. 15), S. 29 f. Vgl. auch Schmitt, Carl: Glossarium. Aufzeichnungen der Jahre 1947–1951. Hrsg. von Eberhard Fh. v. Medem. Berlin 1991. S. 63 (19. Dezember 1947): „[I]ch glaube an den Katechon: er ist für mich die einzige Möglichkeit, als Christ Geschichte zu verstehen und sinnvoll zu finden.“ Siehe 2 Thess 2,3–8 (Einheitsübersetzung): „Lasst euch durch niemand und auf keine Weise täuschen! Denn zuerst muss der Abfall von Gott kommen und der Mensch der Gesetzwidrigkeit erscheinen, der Sohn des Verderbens, / der Widersacher, der sich über alles, was Gott oder Heiligtum heißt, so sehr erhebt, dass er sich sogar in den Tempel Gottes setzt und sich als Gott ausgibt. / Erinnert ihr euch nicht, dass ich euch dies schon gesagt habe, als ich bei euch war? / Ihr wisst auch, was ihn jetzt noch zurückhält, damit er erst zur festgesetzten Zeit offenbar wird.  / Denn die geheime Macht der Gesetzwidrigkeit ist schon am Werk; nur muss erst der beseitigt werden, der sie bis jetzt noch zurückhält. / Dann wird der gesetzwidrige Mensch allen sichtbar werden. Jesus, der Herr, wird ihn durch den Hauch seines Mundes töten und durch seine Ankunft und Erscheinung vernichten.“



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Imperium zugefallen, bis nach den konfessionellen Auseinandersetzungen im Dreißigjährigen Krieg und in Abgrenzung zu den neu entdeckten unbeschränkten Meeresflächen sowie der kosmischen Leere (Giordano Bruno) das europäische öffentliche Recht (‚Jus Publicum Europaeum‘) für einen inneren, moralischen Ausgleich zwischen den Staaten und den einzelnen Bürgern gesorgt habe. Diese Globalordnung, dieser einheitliche ‚Nomos‘ sei im 19.  Jahrhunderts erneut an ihr Ende gekommen, habe aber 1848 noch einmal restauriert werden können, bevor es im 20. Jahrhundert, im Übergang zu einer neuen Luftraumordnung, erneut zu einem entfesselten ‚Bürgerkrieg‘ – „die überwältigende Macht des Bösen“287 – gekommen sei, der unweigerlich immer dann eintrete, wenn die Zukunft nicht mehr als verfassungsrechtliche Einheit bewahrt werden könne.288 Schmitts Verfassungslehre stellt insofern eine ‚Politische Theologie‘ dar (und ist weniger einer philosophischen Richtung zuzuordnen), als sie von einem transzendenten irdischen (erdbezogenen) ‚Ortungs‘- als gesetzlichem Ordnungszentrum ausgeht, das sich bereits im Frühmittelalter institutionalisiert habe und in der paulinischen Figur des ‚Katechon‘ angelegt sei. Es dürfe nicht übersehen werden, dass „[a]lle Begriffe der modernen Staatslehre […] säkularisierte theologische Begriffe“289 darstellen, mit welchen nach der konfessionellen Krise die imperiale Souveränität aufrechterhalten und der ständig drohende ‚Ausnahmezustand‘ aufgehoben werden konnte („Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet“).290 Jede völkerrechtliche Verfassung gehe so grundsätzlich von ihrem Negativen, dem vollkommenen Zusammenbruch aller räumlich-juridischen Ordnung aus, was jede Frage nach dem Gesetz zur Frage nach der Autorität mache, die sich bei seinem Aussetzen immer noch behauptet. Diese Rechtsträgerfunktion nahmen jahrhundertelang der König und der Papst ein; mit dem Verlust der repräsentativen Staatsmacht in der ökonomisch-technischen Moderne habe hingegen ein orientierungsloser, illusorischer politischer Nihilismus eingesetzt, der die Notwendigkeit einer einheitlichen ideologischen Außengrenze zur Bewahrung des inneren Friedens fundamental verkenne und schließlich in die Katastrophe des Ersten Weltkriegs geführt habe:291 Die allgemeine Bewegung zur Freiheit, eine Aufhebung traditioneller Ortungen und in diesem Sinne eine totale Mobilmachung intensivster Art, eine allgemeine Entortung, hob die eurozentrische Welt aus den Angeln und stürzte sie in andere [international-wirtschaftliche] Kraftströme,

287 Schmitt, Nomos der Erde (wie Anm. 15), S. 30. 288 Vgl. in diesem Zusammenhang auch den Begriff des ‚Zweiten Dreißigjährigen Krieges‘ für den Zeitraum 1914–1945. 289 Schmitt, Carl: Poltische Theologie. Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität. 9. Aufl. Berlin 2009. S. 49. 290 Schmitt, Politische Theologie (wie Anm. 289), S. 11. Und weiter S. 49: „Der Ausnahmezustand hat für die Jurisprudenz eine analoge Bedeutung wie das Wunder für die Theologie.“ 291 Vgl. Schmitt, Römischer Katholizismus (wie Anm. 281), S. 34 f.; Schmitt, Nomos der Erde (wie Anm. 15), S. 36.



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in denen sich der staatsbezogene Gesetzespositivismus innerstaatlich ganz hilflos zeigte. Außenstaatlich aber fehlte dem Positivismus der internationalen Verträge jedes geschichtliche Bewußtsein seiner eigenen Situation.292

Die letzte christliche Entscheidung, die dem wahrlich Apokalyptischen vorgelagert ist, liegt für Schmitt im Politischen in seiner Totalität. Nach dem Vorbild des spanischen Reaktionärs Juan Donoso Cortés heißt es, „immer den extremen Fall anzunehmen, das jüngste Gericht zu erwarten“ und dem „atheistischen-anarchistischen Sozialismus als seinem Todfeind […] eine diabolische Größe“293 zu geben. Schmitts Theologie folgt also definitiv keiner zeitlich ausgerichteten Eschatologie mehr, die immer noch die Aussicht auf Veränderung impliziert, sondern wird als säkularisiertes Bollwerk gegen die allgemeine politische Bedrohungslage und ‚Neutralisierung‘ durch Technik allein räumlich aufgestellt.294 Die apokalyptischen Völker ‚Gog‘ und ‚Magog‘,295 die im Mittelalter noch mit fernen Volksstämmen identifiziert werden konnten, haben sich gewissermaßen als proletarische Massenkräfte in die Gesellschaft verlagert und fordern die christlichen Individuationskräfte im Ursprünglichsten. Nachdem man erst von der Religion und der Theologie, dann von der Metaphysik und dem Staat abstrahiert hatte, schien jetzt von allem Kulturellen überhaupt abstrahiert zu werden und die Neutralität des kulturellen Todes erreicht. Während eine vulgäre Massenreligion von der scheinbaren Neutralität der Technik das menschliche Paradies erwartete, fühlten jene großen Soziologen, daß die Tendenz, die alle Stufenfolgen des modernen europäischen Geistes beherrscht hat, nunmehr die Kultur selbst bedrohte. Dazu kam die Angst vor den neuen Klassen und Massen, die auf der durch restlose Technisierung geschaffenen tabula rasa entstanden. Aus dem Abgrund eines kulturellen und sozialen Nichts wurden immer neue, der überlieferten Bildung und dem überlieferten Geschmack fremde oder sogar feindliche Massen herausgeworfen.296

Damit ist der politische Schnittpunkt der modernen apokalyptischen Kulturdebatte aufgezeigt. Hier stehen sich Schmitts katholischer Reaktionismus und Taubes’

292 Schmitt, Nomos der Erde (wie Anm. 15), S. 210 (Hervorhebung im Original). 293 Schmitt, Carl: Donoso Cortés in gesamteuropäischer Perspektive. Vier Aufsätze. Köln 1950. S. 36. Vgl. auch S. 7, die ersten Sätze: „Drei harte Schläge haben die Wurzel Europas getroffen: der europäische Bürgerkrieg von 1848, der Ausgang des ersten Weltkrieges von 1918 und der globale Weltbürgerkrieg der Gegenwart. Jedes dieser weltgeschichtlichen Ereignisse hat dazu geführt, daß plötzlich in ganz Europa von Donoso Cortés gesprochen wurde. Jedesmal gehörte sein Name zum Echo der Katastrophe. Aber jedesmal nur für einen Augenblick, nur für die Schrecksekunde der Gefahr, wenn das Siegel sich löste und der Sinn dem Geheimnis sich öffnete.“ 294 Vgl. Reipen, Gegenstrebige Fügung (wie Anm. 277), S. 520–522. 295 Siehe Offb 20,7–8: „Wenn die tausend Jahre vollendet sind, wird der Satan aus seinem Gefängnis freigelassen werden. / Er wird ausziehen, um die Völker an den vier Ecken der Erde, den Gog und den Magog, zu verführen und sie zusammenzuholen für den Kampf; sie sind so zahlreich wie die Sandkörner am Meer.“ 296 Schmitt, Carl: Der Begriff des Politischen. Text von 1932 mit einem Vorwort und drei Corollarien. 8. Aufl. Berlin 2009. S. 85.



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­messianischer Anarchismus diametral, über einem schier unüberbrückbaren ‚apokalyptischen‘ Abgrund der Zeitgeschichte, gegenüber:297 Wo jener sich in die Tradition eines abendländischen Aufbegehrens stellt, das institutionalisierte „Über-Ich des Christus“298 zu stürzen, sieht dieser in dessen Bewahrung durch den Staat die einzige Möglichkeit, den abendländischen Menschen vor sich selbst zu bewahren und sein moralisches Erbe weiterzutragen – was 1933 bedeutete, Partei für das diktatorische „cäsarische Über-Ich“299 Hitler zu ergreifen, um die christliche Zivilisation im Dritten Reich gegen den (kapitalistischen, kommunistischen, traditionell jedenfalls: jüdischen) ‚Feind‘ juridisch zu verteidigen.300 Man war schließlich seit dem 19. Jahrhundert, so ein gängiger politischer Diskurs auch bei Anarchisten wie Pierre-Joseph Proudhon oder Bruno Bauer (und in Folge auch Jacob Taubes), mit urchristlichen Machtfragen konfrontiert.301 Es zeigt sich, dass in der religions- und rechtstheoretischen Auseinandersetzung zwischen Taubes und Schmitt nichts anders als der Fortbestand jenes Gefüges abendländischer Totalisierung und Individualisierung verhandelt wird, das bereits anhand von Michel Foucaults genealogischem Ansatz skizziert und als dessen historische Leitfrage herausgestellt wurde. Auch Foucault wird schließlich den machtanalytischen Fokus auf die radikalen soziopolitischen Umbrüche in der Spätantike und im Frühmittelalter richten, um die Grundbedingungen ‚pastoralen‘ Regierens über einzelne Individuen freilegen zu können. Die Schwierigkeit, sich Schmitts totalisierendem Geschichtsbild zu entziehen, das natürlich auch jenem des ‚Poststrukturalismus‘ gänzlich entgegengesetzt ist, ist darauf zurückzuführen, dass darin in gleicher Radikalität die Frage nach der Intention und der Notwendigkeit ‚pastoraler‘ Legitimierung gestellt wird; dass Schmitt diese mit katholischer Vehemenz in streng dualistischen Prämissen wie ‚gut‘ und ‚böse‘ oder ‚Freund‘ und ‚Feind‘ juridisch durchdekliniert und klipp und klar beantwortet; und dass er in Verachtung alles individuell Rebellischen, Utopischen und Schwärmerischen eine realpolitische Scharfsinnigkeit an den Tag legte, die ihm bereits in der Weimarer Republik die Anerkennung oder zumindest eingehende Rezeption von bedeutenden Links-Intellektuellen einbrachte.

297 Vgl. Taubes, Jacob: Vorwort. In: Religionstheorie und Politische Theologie. Bd. 1: Der Fürst dieser Welt. Carl Schmitt und die Folgen. Hrsg. von Jacob Taubes. 2. Aufl. München [u. a.] 1985. S. 5: „Aus diesen Abgründen kroch das ‚große Tier‘, von dem Platon und die Offenbarung Johannis schon sprechen und das vor einem halben Jahrhundert Gestalt gewonnen hat.“ Vgl. Reipen, Gegenstrebige Fügung (wie Anm. 277), S. 510. 298 Taubes, Abendländische Eschatologie (wie Anm. 10), S. 89. 299 Taubes, Abendländische Eschatologie (wie Anm. 10), S. 89. 300 An dieser Stelle wird keine Hermeneutik in Bezug auf Carl Schmitts eindeutig belegten Antisemitismus betrieben, sondern den Ausführungen der Sekundärliteratur gefolgt. 301 Vgl. etwa nur Schmitt, Nomos der Erde (wie Anm. 15), S. 32 f.; Brief Jacob Taubes an Jürgen Busche vom 27. November 1980, zit.n. Kopp-Oberstebrink [u. a.], Taubes – Schmitt (wie Anm. 277), S. 109: „Wir […] haben uns geschichtsphilosophisch darauf geeinigt, daß ein Vergleich unserer Epoche mit dem der Spätantike zutrifft […].“



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 I.3 Politische Eschatologie nach Jacob Taubes

Eine berühmte „Mine, die unsere Vorstellung von der Geistesgeschichte der Weimarer Periode schlechthin explodieren läßt“,302 ist ein Brief Walter Benjamins an Schmitt, in dem er den Einfluss von dessen staatsphilosophischen Schriften für seine eigenen kunstphilosophischen Forschungsweisen betont. Taubes selbst, auf den auch eine einschlägige Anekdote zu Alexandre Kojèves Plettenberg-Reise zurückgeht,303 sollte bis zuletzt die „paulinische Feindschaft“304 zu Schmitt pflegen und zum Seminar- und Vortragsthema machen (seine letzte Vortragsreihe lief dementsprechend unter dem Titel Die Politische Theologe des Paulus).305 In jüngerer Zeit hat Giorgio Agamben in seiner Genealogie der Rechtsfigur des Homo sacer Foucault und Schmitt, Biopolitik und Dezisionismus zusammengedacht und im ‚nackten‘ oder ‚bloßen Leben‘ der Entrechteten und also Entorteten die Dimensionen moderner ‚Biomacht‘ aufgezeigt, die de jure die Grenze zwischen politischer und natürlicher Existenz, Staatsbürgerschaft und Vogelfreiheit, wertem und unwertem Leben festlegt.306 Dabei ist es essenziell, dass Agamben den Begriff von Schmitt in eine Richtung lenkt, die Walter Benjamin als faschistisch Verfolgter vorgegeben hat und der auch Taubes gefolgt ist: Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der ‚Ausnahmezustand‘, in dem wir leben, die Regel ist. Wir müssen zu einem Begriff der Geschichte kommen, der dem entspricht. Dann wird uns als unsere Aufgabe die Herbeiführung des wirklichen Ausnahmezustandes vor Augen stehen; und dadurch wird unsere Position im Kampf gegen den Faschismus sich verbessern. Dessen Chance besteht nicht zuletzt darin, daß die Gegner ihm im Namen des Fortschritts als einer historischen Norm begegnen.307

302 Taubes, Ad Schmitt (wie Anm. 277), S. 27. Vgl. weiterführend Bolz, Norbert: Charisma und Souveränität. In: Taubes, Religionstheorie und Politische Theologie, Bd. 1 (wie Anm. 297), S. 249–262; Bolz, Norbert: Auszug aus der entzauberten Welt. Philosophischer Extremismus zwischen den Weltkriegen. München 1989. S. 47–84; Heil, Susanne: ‚Gefährliche Beziehungen‘. Walter Benjamin und Carl Schmitt. Stuttgart 1996; Weigel, Sigrid: Souverän, Märtyrer und ‚gerechte Kriege‘ jenseits des Jus Publicum Europaeum. Zum Dilemma Politischer Theologie, diskutiert mit Carl Schmitt und Walter Benjamin. In: Figuren des Europäischen. Kulturgeschichtliche Perspektiven. Hrsg. von Daniel Weidner. München 2006. S. 101–128; Lethen, Helmut: Über das Spiel von Infamien. In: ders.: Gefährliche Nachbarschaften. Essays zum Kälte-Kult und der Schlaflosigkeit der Philosophischen Anthropologie im 20. Jahrhundert. Freiburg i.Br. [u. a.] 2009 (Edition Parabasen 10). S. 135–149. 303 Vgl. Taubes, Ad Schmitt (wie Anm. 277), S. 24. 304 Treml, Paulinische Feindschaft (wie Anm. 277). 305 Vgl. Taubes, Jacob: Die politische Theologie des Paulus. Vorträge, gehalten an der Forschungsstätte der evangelischen Studiengemeinschaft in Heidelberg, 23.–27. Februar 1987. Hrsg. von Aleida Assmann [u. a.]. München 1993. Insbes. S. 86–97. 306 Siehe Agamben, Girorgio: Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben. Frankfurt a. M. 2002. S. 24–78; Agamben, Giorgio: Ausnahmezustand. Homo sacer 2,1. Frankfurt a. M. 2004. Vgl. Menke, Bettine: Die Zonen der Ausnahme. Giorgio Agambens Umschrift ‚Politischer Theologie‘. In: Politische Theologie. Formen und Funktionen im 20. Jahrhundert. Hrsg. von Jürgen Brokoff u. Jürgen Fohrmann. Paderborn 2003. S. 131–152. 307 Benjamin, Walter: Über den Begriff der Geschichte. In: Gesammelte Schriften (wie Anm. 2), Bd. 1,2, S. 691–704, hier S. 697.



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Die Geschichte der Ausgegrenzten zeigt, dass wir immer schon im ‚Ausnahmezustand‘ gelebt haben, den es für Benjamin nicht aufzuheben, sondern herbeizuführen gilt, um den Fortschrittsglauben als leere Geschichte der Souveränität zu entlarven. Wird das rechtskonservative Paradigma so ‚messianisch‘ umgepolt, erweist sich Schmitts Verfassungslehre als das reaktionäre Feld, an dem es sich intellektuell abzuarbeiten gilt308  – zumindest solange der totalisierende apokalyptische Diskurs des 20.  Jahrhunderts und damit auch die Dialektik der ‚politischen Theologie‘ fortgeführt wird. Als Bruch mit diesem Diskurs sind Hans Blumenbergs Bemühungen zu verstehen, über eine Metaphorologie den „radikalen Begrifflichkeiten“ und der Vorstellung einer „‚Omnipotenz‘ des modernen Gesetzgebers“309 den Boden zu entziehen und auf eine epochenimmanente Rhetorik der Verweltlichung zurückzuführen.310 In die gleiche Richtung zielt auch das Programm der Begriffsgeschichte in Anschluss an Reinhart Koselleck, das sich bezeichnenderweise ohne Impulse von Carl Schmitt sowie dessen österreichischen Pendants Otto Brunner (Land und Herrschaft, 1939) kaum denken lässt.311 Beide hatten die rechtshistorische Notwendigkeit gesehen, die unangemessene Vereinnahmung der Vergangenheit durch moderne soziopolitische Ordnungsbegriffe bzw. die anachronistische Verwendung von älteren Begrifflichkeiten aufzuzeigen, die in den ersten Jahrzehnten des 20.  Jahrhunderts sowohl von rechts- als auch von geisteswissenschaftlicher Seite aus erfolgten. So lässt sich Kosellecks Dissertationsschrift Kritik und Krise von 1954, in der die Theoreme der Aufklärung auf ein Missverstehen der staatsfunktionellen Sicherheitsmaßnahmen nach dem ‚Bürgerkrieg‘ des 17. Jahrhunderts rückgeführt werden, ganz im Geiste des ‚Lehrers‘ Schmitt lesen und veranlasste Jürgen Habermas zu der lapidaren Bemer-

308 Vgl. Agamben, Homo sacer (wie Anm. 306), S. 22: „Der Kampf gegen einen Feind, dessen Struktur einem unbekannt bleibt, endet früher oder später damit, daß man sich mit ihm identifiziert. Und die Theorie des Staates (und besonders des Ausnahmezustandes, das heißt die Diktatur des Proletariats als Übergangsphase zu einer staatslosen Gesellschaft) ist gerade die Klippe, an der die Revolutionen unseres Jahrhunderts gescheitert sind.“ 309 Schmitt, Politische Theologie (wie Anm. 289), S. 50 f. 310 Vgl. Blumenberg, Legitimität der Neuzeit (wie Anm. 103), S. 99–114. 311 Vgl. insbes. Mehring, Reinhard: Begriffssoziologie, Begriffsgeschichte, Begriffspolitik. Zur Form der Ideengeschichtsschreibung nach Carl Schmitt und Reinhart Koselleck. In: Politische Ideengeschichte im 20. Jahrhundert. Konzepte und Kritik. Hrsg. von Harald Bluhm u. Jürgen Gebhardt. Baden-Baden 2006. S. 31–50; Mehring, Reinhard: Begriffsgeschichte mit Carl Schmitt. In: Begriffene Geschichte. Beiträge zum Werk Reinhart Kosellecks. Hrsg. von Hans Joas u. Peter Vogt. Frankfurt a. M. 2011. S. 138–168; Melton, James Van Horn: Otto Brunner und die ideologischen Ursprünge der Begriffsgeschichte. In: Joas u. Vogt, Begriffene Geschichte (wie Anm. 311), S. 123–137; Blänkner, Reinhard: Begriffsgeschichte in der Geschichtswissenschaft. Otto Brunner und die Geschichtlichen Grundbegriffe. In: Forum Interdisziplinäre Begriffsgeschichte 1/2 (2012). http://www.zfl-berlin.org/tl_files/zfl/ downloads/publikationen/forum_begriffsgeschichte/ZfL_FIB_1_2012_2_Blaenkner.pdf (30.04.2016); zukünftig Müller, Ernst u. Falko Schmieder: Begriffsgeschichte und historische Semantik. Ein kritisches Kompendium. Frankfurt a. M. 2016.



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 I.3 Politische Eschatologie nach Jacob Taubes

kung, dass man nun wenigstens wisse, wie dieser die allgemeine Lage einschätzt.312 Zeigt sich Kosellecks ‚Begriffspolitik‘ alles in allem doch weitgehend von Schmitts antiliberalen Grundsätzen emanzipiert, wie sich nicht zuletzt an den Überlegungen zu den föderalistischen Strukturen der deutschen Bundesrepublik erkennen lässt,313 finden sich in der gerade auch für vorliegende Arbeit relevanten geschichtstheoretischen Bewertung der ‚Sattelzeit‘ doch eindeutige Reminiszenzen, wie folgenden Sätzen zu entnehmen ist. Die Geschichte der Christenheit ist bis in das 16 Jh. weithin eine Geschichte der Erwartung, oder besser eine ständige Erwartung der Letztzeit einerseits und der dauernden Verzögerung des Weltendes andererseits. […] Wie immer die Endzeitbilder variiert wurden, ein fester Bestandteil blieb darin die Rolle des Römischen Reiches: solange es Bestand hatte, wurde der endgültige Untergang aufgehalten. Der Kaiser war der ‚katechon‘ des Antichrist. Erst im Sog der Beschleunigung [des 18.  Jahrhunderts] entsteht eine Verzögerung, die die geschichtliche Zeit im Wechselspiel von Revolution und Reaktion vorantreiben hilft. Was vor der Revolution als katechon begriffen werden mochte, wird selbst zum Stimulans der Revolution. 314

Natürlich baut auch die vorliegende Arbeit auf derartigen Erkenntnissen auf und kann sich bei aller kritischen Beleuchtung dem Diskurs der ‚Politischen Theologie‘ nicht gänzlich entziehen. Die methodische Hauptbezugnahme auf Foucaults Theorie der Genealogie sollte jedenfalls eine andere Perspektive eröffnen, um, wie Derrida meinte, der „besseren apokalyptischen Tradition“315 zu folgen, die im gegebenen Fall als die ‚messianische‘ betrachtet wird.

Die messianische Zeit des Endes Auch in Taubes’ Abendländischer Eschatologie finden sich die zentralen geisteswissenschaftliche Diskurse der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gebündelt und fremde Textpassagen stellenweise sogar extensiv übernommen. Die Bibliografie weist einerseits die bereits im Zusammenhang mit D. H. Lawrences Essay genannten religionsgeschichtlich orientierten Untersuchungen zur Offenbarung von Franz Boll, Wilhelm Bousset, Robert Charles, Hermann Gunkel und Alfred Loisy aus. Andererseits werden

312 Vgl. Missfelder, Jan-Friedrich: Die Gegenkraft und ihre Geschichte. Carl Schmitt, Reinhart Koselleck und der Bürgerkrieg. In: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 58/4 (2006). S. 310–336, hier S. 313f. u. 334–336. 313 Vgl. etwa Koselleck, Reinhart: Zeitschichten. Studien zur Historik. Frankfurt a. M. 2000. S. 359– 379 (Kap. ‚Deutschland – eine verspätete Nation?‘). 314 Koselleck, Reinhart: Vergangene Zukunft der frühen Neuzeit. In: ders., Vergangene Zukunft (wie Anm. 114), S. 17–37, hier S. 20 u. 34. 315 Derrida, Apokalyptischen Ton (wie Anm. 8), S. 66.



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kulturtheoretische, soziologische und theologische Standardwerke genannt, auf die hier nur verwiesen werden kann: Darunter fallen vor allem Oswald Spenglers Der Untergang des Abendlandes (1918/1922), Max Webers Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie (1921),316 Hans Jonas’ Gnosis und spätantiker Geist (1934), Hans Urs von Balthasars Apokalypse der deutschen Seele (1937–1939) und Karl Löwiths Von Hegel bis Nietzsche (1941)317 sowie Werke von Karl Barth, Bruno Bauer, Martin Buber, Ludwig Feuerbach, Albert Schweitzer, Paul Tillich und Ernst Troeltsch. Ein gewichtiger marxistischer Philosoph soll jedoch hervorgehoben werden, der bei Taubes mit Thomas Müntzer als Theologe der Revolution (1921) aufgeführt wird, aber hauptsächlich mit seinem wenige Jahre zuvor veröffentlichten Geist der Utopie (1918) in Erscheinung getreten war. Ernst Bloch zählt wie Walter Benjamin, Gershom Scholem, Martin Buber, Gustav Landauer, Franz Rosenzweig und Hermann Cohen (dem ‚Lehrer‘ Ernst Cassirers)318 zu jenen deutsch-jüdischen Intellektuellen, die in den ersten Jahrzehnten des 20.  Jahrhunderts aus einer ‚säkularisierten‘ Position heraus Aspekte des jüdischen Messianismus aufgriffen und nach modernen Prinzipien des Universalismus, Sozialismus und Zionismus neu interpretierten.319 Es ist dies einerseits als Auseinandersetzung mit einer aktuellen jüdischen Identitätsproblematik zu verstehen, die sowohl innerjüdische Fragen der Gemeinschaft als auch der Verhältnisbestimmung zum Christentum betrafen. Andererseits wurde das ‚Messianische‘ als wirkmächtige Denkfigur aus dem traditionellen Zusammenhang genommen und in die Diskursformationen der Sprachtheorie, politischen Theorie und Geschichtstheorie überführt. Angesichts der Auswüchse propagandistischer Geschichtsideologien und -teleologien rund um den Ersten Weltkrieg geschah dies durchaus im machtkri-

316 Siehe hingegen zur für vorliegende Arbeit äußerst aufschlussreichen Gegenüberstellung der Biografien von D. H. Lawrence und Max Weber: Green, Elsa und Frieda (wie Anm. 39). 317 Vgl. die Anekdote von Hans Jonas über Karl Löwith, zit.n. Treml, Nachwort (wie Anm. 247), S. 280: „‚Ja, ja‘, sagte er, ‚ich kenne das Buch.‘ ‚Sagen Sie, ist es gut? Taugt das etwas?‘ Da sagt er lächelnd: ‚Das ist ein recht gutes Buch. Und das ist nicht verwunderlich, die eine Hälfte ist von Ihnen und die andere Hälfte ist von mir.“ 318 Diese Konstellation führt zu weitgreifenden Fragen nach dem Verhältnis von säkularisiertem Messianismus und neokantianischer Kulturkritik, das in vorliegender Arbeit nur stellenweise aufgezeigt werden kann. Siehe hierzu weiterführend Deuser, Hermann u. Michael Moxter (Hrsg.): Rationalität der Religion und Kritik der Kultur. Hermann Cohen und Ernst Cassirer. Würzburg 2002; Meyer, Thomas: Kulturphilosophie in gefährlichen Zeiten. Zum Werk Ernst Cassirers. Hamburg 2007 (Philosophie im Kontext 3). S. 19–58; Höfner, Markus: Sinn, Symbol, Religion. Theorie des Zeichens und Phänomenologie der Religion. Tübingen 2008 (Religion in Philosophy and Theology 36). S. 108–169; Bongardt, Michael: Wider die Sprachlosigkeit. Zur Bedeutung der Religion in Ernst Cassirers Kulturphilosophie. In: Philosophie der Kultur – Kultur des Philosophierens. Ernst Cassirer im 20. und 21. Jahrhundert. Hrsg. von Birgit Recki. Hamburg 2012. S. 457–484. 319 Vgl. Dubbels, Elke: Figuren des Messianischen in Schriften deutsch-jüdischer Intellektueller 1900–1933. Berlin/Boston 2011 (Conditio Judaica 79). S. 1–19, das entgegen einer Substanz- eine umfassende Funktionsgeschichte des Messianischen nach 1900 darlegt.



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 I.3 Politische Eschatologie nach Jacob Taubes

tischen Sinne und sollte zu einem individuellen  – radikalen, anarchistischen oder revolutionären – Handlungsimpuls (zurück)führen. Blochs Rezeption des Messianismus ist aus zwei Gründen höchst interessant: Zum einen tritt er über Jahrzehnte hinweg in einem vor allem die späteren Literaturwissenschaften prägenden Bezug zur ‚Apokalypse‘ auf, die sich dadurch als kategorialer Substanzbegriff für das utopische Ende der Geistesgeschichte festigte.320 Nach dem augenscheinlichen Ende des Christentums und dem Verblassen der Bedeutung Jesu könne das kraftvolle Symbol des Judentums, die grundjüdische Erfahrung des Messianismus wiederentdeckt werden. Denn wie die Geschichte lehrt, sei der Messias noch nicht gekommen:321 „Der Hauptschlag steht noch aus“, der „Weltuntergangsakt der Apokalypse“322 ist noch offen geblieben. Bis dahin müsse das allgemeine Warten im Zusammenschluss rebellischer Individuen aufgehoben werden, die sich gegen die geistige, intellektuelle Einkapslung stellen und, von einem inneren religiösen bzw. musikalischen Antrieb geleitet, auf die Gemeinschaftsutopie einer absoluten Zeit hinstreben. So scheint es dieser Orts nötig, Kant durch Hegel hindurchbrennen zu lassen: das Ich muß in allem übrig bleiben; mag es sich auch zunächst zu allem entäußern, durch alles nochmals begreifend, vollendend sich hindurchbewegen, um die Welt aufzuschichten und gesammelt vor Gott zu bringen, so ist doch das wünschende, fordernde Ich, die uneingesenkte Postulatswelt seines Apriori die beste Frucht, der einzige Zweck des Systems […]. Das Ziel wäre dann erreicht, wenn es gelänge, was bisher nie ganz zusammenkam: das Zungenreden und das Weissagen, das Seelenhafte und das kosmisch Totale, zu vereinen; […] [um] das Innerliche, die Seele als echten Kosmos, die Selbstbegegnung als den Inhalt aller Kulturwerte, die Feinde und Genien der universalen, absoluten Selbstbegegnung in der Apokalypse zu systematisieren, als welche allein den völligen Mechanismus des Erwachens und der mystischen Selbsterfüllung in Totalität vorstellt.323

Zum anderen folgt Blochs ‚konkrete Utopie‘ einer expressionistischen Ästhetik des Symbols, die nicht von ungefähr an D. H. Lawrences apokalyptischen Essay denken lässt (aber letztlich in seiner idealistischen Prägung nicht mit ihm übereinstimmt):324

320 Vgl. Gassen u. Holeczek, Apokalypse (wie Anm. 93); außerdem etwa Vondung, Apokalypse (wie Anm. 12), S. 451–458; Braungart, Wolfgang: Apokalypse und Utopie. In: Kaiser, Poesie der Apokalypse (wie Anm. 32), S. 63–102; Pauen, Michael: Apokalyptiker, Utopisten und die Propheten des Pessimismus – Geschichtsphilosophie und Ästhetizismus. In: Moog-Grünewald u. Lobsien, Apokalypse (wie Anm. 140), S. 181–202. 321 Vgl. Bloch, Ernst: Geist der Utopie. Erste Fassung. Faksimile der Ausgabe von 1918. In: Gesamtausgabe. Frankfurt a. M. 1985. Bd. 16. S. 319–342 (Kap. ‚Symbol: die Juden‘), insbes. S. 330 f. Vgl. hier und im Folgenden Münster, Arno: Utopie, Messianismus und Apokalypse im Frühwerk von Ernst Bloch. Frankfurt a. M. 1982; Dubbels, Figuren des Messianischen (wie Anm. 319), S. 151–164 u. 375–381. 322 Bloch, Geist der Utopie (wie Anm. 321), S. 438. 323 Bloch, Geist der Utopie (wie Anm. 321), S. 294. 324 Lawrences Kenntnisse des apokalyptischen Diskurses in Deutschland insbes. über die Münchner ‚Kosmiker Runde‘ wurden bereits erwähnt. Auf die Ähnlichkeiten und Unterschiede von Blochs und



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Ausgangspunkt der ‚messianischen‘ Erfahrung sei die semantische Öffnung des Subjekts einem beliebigen vom Menschen geschaffenen Objekt gegenüber, das Teil einer neuen Selbsterkenntnis wird und die eigene Möglichkeitsfülle aufzeigt. Kleine ästhetische „Symbolintentionen eines Überhaupt“, „Erfahrungen eines utopischen Endzustandes“325 durch Gegenstände und in Wechselbeziehung zu den Mitmenschen sorgen für Staunen und offene Fragen, die das traditionell rückwärtsgerichtete Denken zur Aussicht auf die potenzielle zukünftige Entfaltung verhilft, von der Erinnerung zur Antizipation führt. Weil bisher dieser Affekt des Hoffens auf Selbstauferstehung durch die Fremdbestimmung der Individuen und ihre Gewohnheit, sich nur über das Außen wahrzunehmen, verstellt gewesen war, sei „bis zur Stunde des Prozesses, des Weltprozesses, des Drehungs- und Objektivierungsprozesses katexochen noch kein sich vor sich selbst Stellen, sich über sich selbst hinaus Drehen, sich selbst Begegnen und Reflektieren gelungen“.326 Die paulinische Figur des Aufhalters (den Schmitt totalisierend der unbeherrschbaren Masse entgegenstellt), müsse (im Gegenteil) über den symbolischen Bewusstwerdungsprozess in jedem Menschen selbst, aus der so lange verborgenen Mitte heraus überwunden werden: „Denken heißt Überschreiten“, „Überschreiten aktiviert die in der Geschichte angelegte, dialektisch verlaufende Tendenz“.327 In der aktiven Überwindung der Repräsentation offenbare sich die präsentistische gemeinschaftliche Fülle. Bilden für Bloch „die Seele, der Messias, die Apokalypse, als welche den Akt des Erwachens in Totalität darstellt, […] das Apriori aller Politik und Kultur“,328 so ist damit die Differenz zu Walter Benjamin aufgezeigt, der sich in seinen geschichtstheoretischen Arbeiten grundsätzlich gegen jede kategorische Einbringung der Theologie in die Politik verwehrte.329 „[D]as Reich Gottes [kann] nicht Telos der historischen

Lawrences Symbolkonzepten und allgemein zur Symboltheorie aus literatur- und kulturwissenschaftlicher Perspektive wird im dritten Teil der Untersuchung näher eingegangen. Vgl. aber bereits hier Bloch, Ernst: Das Prinzip Hoffnung. Erster Teil. In: Gesamtausgabe, Bd. 5, S. 65 f.: „Aber weit mehr als mit Bergsons ‚Elan vital‘ berührt sich der Faschist [C. G.] Jung mit den romantisch-reaktionären Ausbiegungen, die Bergsons Vitalismus gefunden hat; so bei sentimentalen Penis-Dichtern wie D. H. Lawrence, bei kompletten Tarzan-Philosophen wie Ludwig Klages. […] D. H. Lawrence […], und Jung mit ihm, singt die Wildnisse der urtümlichen Liebeszeit, aus der der Mensch zu seinem Unglück ausgetreten ist; er sucht den nächtlichen Mond im Fleisch, die bewußtlose Sonne im Blut.“ 325 Bloch, Prinzip Hoffnung 1 (wie Anm. 324), S. 337. Vgl. auch Bloch, Geist der Utopie (wie Anm. 321), S. 363–373. 326 Bloch, Geist der Utopie (wie Anm. 321), S. 371 (Hervorhebung C. Z.). 327 Bloch, Prinzip Hoffnung 1 (wie Anm. 324), S. 2. 328 Bloch, Geist der Utopie (wie Anm. 321), S. 432. 329 Vgl. Wunder, Bernhard: Konstruktion und Rezeption der Theologie Walter Benjamins. These I und das ‚Theologisch-politische Fragment‘. Würzburg 1997 (Epistemata, Reihe Philosophie 223). S. 83–112; Dubbels, Figuren des Messianischen (wie Anm. 319), S. 277–302, insbes. S. 293 f.; im Folgenden auch Hartung, Günter: Jacob Taubes und Walter Benjamin. In: Faber, Abendländische Eschatologie (wie Anm. 247), S. 413–429; Lebovic, Nitzan: Benjamins ‚Sumpflogik‘. Ein Kommentar zu



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Dynamis [sein]; es kann nicht zum Ziel gesetzt werden“, heißt es im ersten, schwer zu deutenden Absatz des Theologisch-politischen Fragments (ca. 1920/1921), und weiter: Historisch gesehen ist es [das Reich Gottes] nicht Ziel, sondern Ende. Darum kann die Ordnung des Profanen nicht am Gedanken des Gottesreiches aufgebaut werden, darum hat die Theokratie keinen politischen sondern allein einen religiösen Sinn. Die politische Bedeutung der Theokratie mit aller Intensität geleugnet zu haben ist das größte Verdienst von Blochs „Geist der Utopie“.330

Auch wenn Benjamin angesichts der nationalsozialistischen Bedrohung von einem mystischen zu einem marxistischen Messianismus finden wird (was auch nicht verwundern kann),331 so legt er diesen der Geschichte nicht einfach zugrunde. Das ‚Messianische‘332 könne nun aber der Geschichte von ‚unten‘ zustoßen: „Nicht mystische vs. politische, sondern Theokratie von oben vs. Theokratie von unten heißt nun die entscheidende Antithese.“333 Auf Benjamins Geschichtstheorie wie auf seine Dialektik des Bildes wird gleich näher einzugehen sein; zuvor noch ist aber eine ungefähre Bestimmung der ‚messianischen‘ Endzeitvorstellung über die Spur von Jacob Taubes vorzunehmen. Diese wurde von Giorgio Agamben aufgenommen, der mit seinem unter dem Titel Il tempo che resta (2000, dt. Die Zeit, die bleibt)334 erschienenen Kommentar

Agambens Kafka- und Benjamin-Lektüre. In: Profanes Leben. Walter Benjamins Dialektik der Säkularisierung. Hrsg. von Daniel Weidner. Frankfurt a. M. 2010. S. 191–212; Liska, Vivian: Zur Aktualität von Benjamins messianischem Erbe. Giorgio Agamben und andere Anwärter. In: Weidner, Profanes Leben (wie Anm. 329), S. 213–228; Borsò, Vittorio [u. a.] (Hrsg.): Benjamin – Agamben. Politics, Messianism, Kabbalah. Würzburg 2010 (Benjamin-Blätter 4); Greiert, Andreas: Erlösung der Geschichte vom Darstellenden. Grundlagen des Geschichtsdenkens bei Walter Benjamin 1915–1925. Paderborn 2011. S. 174–183. 330 Benjamin, Walter: Theologisch-politisches Fragment. In: Gesammelte Schriften (wie Anm. 2), Bd. 2,1, S. 203 f., hier S. 203. 331 Vgl. Dubbels, Figuren des Messianischen (wie Anm. 319), S. 302: „So nähert sich Benjamin der Bloch’schen Vereinnahmung der Theologie für die Politik immer weiter an, je verzweifelter die Lage und dringender die politische Aktion wird. Anders gesagt: Die profane Mystik schlägt in politische Apokalyptik um.“ Damit ist bereits viel über die Dynamik von Repräsentation und Revolution im Zusammenhang mit dem ‚Apokalyptischen‘ ausgesagt, die im Weiteren beschäftigen wird. 332 Vgl. Dubbels, Figuren des Messianischen (wie Anm. 319), S. 278, Anm. 8, wo auf die unterschiedlichen Spezifikationen von Benjamins ‚Messianismus‘ in der Forschung verwiesen wird. Die Interpretationen reichen von einem ‚nihilistischen Messianismus‘ (Irving Wohlfahrt) über einen ‚negativen oder inversen Messianismus‘ (Sigrid Weigel) und einen ‚Messianismus der Ironie‘ (Werner Hamacher) bis hin zu einem ‚messianischen Anarchismus‘ (Anson Rabinbach) und einem ‚apokalyptischen Messianismus‘ (Christoph Schulte). 333 Taubes, Jacob u. Norbert Bolz: Vorwort. In: Religionstheorie und Politische Theologie. Bd. 3: Theokratie. Hrsg. von Jacob Taubes. München 1987. S. 5–7. Vgl. Taubes, Politische Theologie (wie Anm. 305), S. 98 f., Anm. 57. 334 Agamben, Zeit (wie Anm. 11). Zum zeitgenössischen philosophischen Interesse an Paulus, das sich nicht mehr von der vehementen (parodistischen?) Paulus-Kritik Nietzsches beeinflusst zeigt,



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zum Römerbrief thematisch an die letzten Vorträge anschloss, die Taubes noch kurz vor seinem Tod an der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft in Heidelberg abhielt.335 Nach der Abendländischen Eschatologie war Paulus für Taubes immer mehr zur historischen Schlüssel- und Identifikationsfigur geworden. Er sei der ‚politische Theologe‘ der Zwischenzeit des zweifachen Kommens Jesu Christi gewesen, der für die und zwischen den jüdischen, judenchristlichen und heidenchristlichen Gemeinden einen zeitlichen Ausgleich zur „Gründung und Legitimierung eines neuen Gottesvolkes“336 angestrebt habe, eine Zeit des immanenten Endes im Gehorsam des Glaubens. Wie Benjamin noch in der Moderne erkannt hat, sei dies – neben dem politischen Gewaltstück an sich – insofern ein paradoxes Vorhaben gewesen, als die ‚messianische Zeit‘ vollkommen unvereinbar mit einer chronologischen Ordnung des Profanen sei. Dieser zeitliche Aspekt wird im Folgenden anhand von Agambens Lektüre kurz dargestellt. Mit der Auferstehung des Messias (christós) Jesus ist für den Gläubigen die Zeit des Endes eingetreten. Damit wandelt sich seine Erwartungshaltung: Das Warten auf die Erfüllung der alttestamentlichen Prophetien weicht dem Warten auf die baldige vollständige Anwesenheit (parousía) des Messias. Diese nun eintretende ‚messianische Zeit‘ liegt im Übergang zwischen ‚schon‘ und ‚noch nicht‘ und unterscheidet sich qualitativ von der herkömmlichen chronologischen Zeitrechnung, ergreift von dieser in Erwartung ihres baldigen Endes vielmehr Besitz und führt zu einer verdichteten Zeitwahrnehmung.337 Agamben sieht in ihr im Rückgriff auf einen vom französischen Linguisten Gustave Guillaume geprägten Term eine ‚operative Zeit‘.338 Demnach sei die Vorstellung eines zeitlichen Verlaufs als fortschreitender Prozess, der unablässig von der Vergangenheit in die Zukunft führt, um eine Dimension der menschlichen Realisierung zu erweitern. Auch das Denken benötige schließlich eine gewisse Zeit, um sich der äußerlichen Bild-Zeit bewusst zu werden. Und hier sei der Schlüssel zu dem zu finden, was es heißt, am Anfang des Endes zu stehen und in der ‚messianischen Endzeit‘ zu leben:

vgl. Finkelde, Dominik: Politische Eschatologie nach Paulus. Badiou, Agamben, Žižek, Santner. Wien 2007; Blanton, Ward u. Hent de Vries (Hrsg.): Paul and the Philosophers. New York 2013. 335 Taubes, Politische Theologie (wie Anm. 305). Siehe im Folgenden auch Zolles, Christian: Die Zeit apokalyptischer Repräsentation und ihre Aufhebung in Lars von Triers Film ‚Melancholia‘. In: Das Testament der Zeit. Die Apokalyptik und ihre gegenwärtige Rezeption. Hrsg. von Kurt Appel u. Erwin Dirscherl. Freiburg i.Br. 2016. S. 282–304, hier S. 285–290. 336 Taubes, Politische Theologie (wie Anm. 305), S. 42. Vgl. auch S. 33 f.: „[D]as Wort ‚Christ‘, das bitte ich Sie sich einzuhämmern, gibt es bei Paulus noch gar nicht. Diese Modernisierung, diese Anachronismen sind der Ruin jeden Beginns eines vernünftigen Textstudiums.“ 337 Vgl. Agamben, Zeit (wie Anm. 11), S. 83. 338 Vgl. Agamben, Zeit (wie Anm. 11), S. 78–82. Agamben bezieht sich neben Gustave Guillaumes Temps et verbe. Theorie des aspects, des modes et des temps (1929) auch auf die Theorie des Aussageaktes des strukturalistischen Linguisten Émile Benveniste.



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 I.3 Politische Eschatologie nach Jacob Taubes

[Die messianische Zeit] ist die Zeit, die die Zeit benötigt, um zu Ende zu gehen – oder, genauer, die Zeit, die wir benötigen, um unsere Zeitdarstellung zu beenden, zu vollenden. Sie ist weder die – darstellbare aber undenkbare – Linie der chronologischen Zeit noch der – ebenso undenkbare – Zeitpunkt ihres Endes. Sie ist aber auch nicht einfach ein von der chronologischen Zeit herausgehobenes Segment, das von der Auferstehung bis zum Ende der Zeit dauert: Sie ist vielmehr die operative Zeit, die in der chronologischen Zeit drängt, die dieses im Innern bearbeitet und verwandelt, die Zeit, die wir benötigen, um die Zeit zu beenden – in diesem Sinne: die Zeit, die uns bleibt. Während unsere Darstellung der chronologischen Zeit als derjenigen Zeit, in der wir sind, uns von uns trennt und uns sozusagen in ohnmächtige Zuschauer unserer selbst verwandelt, die ohne Zeit die flüchtige Zeit betrachten, ist die messianische Zeit als operative Zeit, in der wir unsere Zeitdarstellung ergreifen und vollenden, die Zeit, die wir selbst sind  – und daher die einzig reale Zeit, die einzige Zeit, die wir haben.339

Im Rahmen ihrer herkömmlichen Darstellung (chronos) sei das Ende der Zeit nicht zu denken, sondern lediglich zu visualisieren. Erst durch eine persönliche operative Aneignung (kairós) könne es innerhalb der allgemeinen Zeit zu einer Erfahrung ihres Endes und zu einer sukzessiven Aufhebung der Trennung zwischen innerer und äußerer Zeitwahrnehmung kommen.340 In dieser ‚messianischen Zeit‘, die der jüdischen Utopie einer Wendung aller Dinge um einen kleinen Moment entspricht, wäre die Kluft zur ansonsten allgemein verstellten Welt überwunden und würde das zeitlich Reale Einzug halten. Wie bereits Benjamin bemerkte, sei eine „schwache messianische Kraft“341 in der Geschichte selbst, nicht mehr in einer ihrer Offenbarungen oder in einem überdauernden messianischen Symbol (wie bei Bloch) aufgehoben. Die Vollendung oder Fülle (plḗrōma) ist demnach keine Frage des Endergebnisses eines Prozesses oder der Einlösung einer traditionellen Verheißung, sondern des Kurzschlusses eines Augenblicks. Das „messianische Jetzt [ist] die Gegenwart als Forderung nach Vollendung, als das, was ‚im Namen des Endes‘ steht […].“342 Es ist nicht im Modell der vorwärtsgewandten Dialektik des Geistes, sondern der rückwärtsgewandten Dialektik des Bildes aufgehoben: Nicht so ist es, daß das Vergangene sein Licht auf das Gegenwärtige oder das Gegenwärtige sein Licht auf das Vergangene wirft, sondern Bild ist dasjenige, worin das Gewesene mit dem Jetzt blitzhaft zu einer Konstellation zusammentritt. Mit andern Worten: Bild ist die Dialektik im Stillstand. Denn während die Beziehung der Gegenwart zur Vergangenheit eine rein zeitliche, kontinuierliche ist, ist die des Gewesnen zum Jetzt dialektisch: ist nicht Verlauf sondern Bild, sprunghaft. – Nur dialektische Bilder sind echte (d. h.: nicht archaische) Bilder; und der Ort, an dem man sie antrifft, ist die Sprache.343

339 Agamben, Zeit (wie Anm. 11), S. 81 (Hervorhebungen im Original). 340 Vgl. Agamben, Zeit (wie Anm. 11), S. 82 f. 341 Benjamin, Begriff der Geschichte (wie Anm. 307), S. 693 (Hervorhebung im Original). 342 Agamben, Zeit (wie Anm. 11), S. 90 f. 343 Benjamin, Passagen-Werk 1 (wie Anm. 2), S. 576 f. [N 2 a, 3]. Siehe auch Benjamin, Walter: Paralipomena zu ‚Über den Begriff der Geschichte‘. In: Gesammelte Schriften (wie Anm. 2), Bd. 1,3,



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Das dialektische Bild erscheint im „Stillstellen der Gedanken“,344 das der „messianische[n] Stillstellung des Geschehens“345 entspricht, dann, wenn die Spannung zwischen den vorwärts- und rückwärtsgewandten Kräften am größten ist, das Kontinuum der Geschichte durch einen „Chock“ aufgesprengt wird und das Zeichen einer „revolutionären Chance im Kampfe für die unterdrückte Vergangenheit“346 erkennbar wird. Geschichtstheoretisch bedeutet das, dass die ‚messianische‘ Potenz niemals über die ewig vergangenen Bilder und die epischen Darstellungen im Historismus, sondern nur über die im historischen Materialismus untersuchte „monadenhaften Struktur“347 festzustellen ist. Demnach ist der in der materialistischen Geschichtsdarstellung konstruierte Gegenstand selber das dialektische Bild. Es ist identisch mit dem historischen Gegenstand; es rechtfertigt seine Absprengung aus dem Kontinuum des Geschichtsverlaufs.348

Gegen „die Idee der Universalgeschichte […] [als] Ausflucht der bloßen Denkfaulheit“ muss eine „Liquidierung des epischen Elements“ in Anschluss an Marx erfolgen, um das „Inventar [der] Kultur“ zu mustern: „Was der historische Materialist an Kulturgütern überblickt, das ist samt und sonders von einer Abkunft, die er nicht ohne Grauen betrachten kann.“349 Der Kreis zu den vorherigen methodischen Überlegungen schließt sich, wenn man bedenkt, dass Benjamin sein Theologisch-politisches Fragment in der Auseinandersetzung mit den Schriften Kants und der neokantianischen Geschichts- und Kulturkritik entwarf.350 Auf das ‚messianische‘ Ende der Geschichte ist nur über das Ende der herkömmlichen Geschichtsdarstellung, d. h. nur über das Ende der Voraussetzungen jeder ‚Apokalyptik‘ zu kommen.

S. 1242 f. Vgl. Agamben, Zeit (wie Anm. 11), S. 158 f.; Dubbels, Figuren des Messianischen (wie Anm. 319), S. 393–404. 344 Benjamin, Passagen-Werk 1 (wie Anm. 2), S. 595 [N 10 a, 3]. 345 Benjamin, Begriff der Geschichte (wie Anm. 307), S. 703. 346 Benjamin, Begriff der Geschichte (wie Anm. 307), S. 703. 347 Benjamin, Begriff der Geschichte (wie Anm. 307), S. 703. 348 Benjamin, Passagen-Werk 1 (wie Anm. 2), S. 595 [N 10 a, 3]. 349 Benjamin, Paralipomena (wie Anm. 343), S. 1240 f. 350 Vgl. Hamacher, Werner: Das Theologisch-politische Fragment. In: Benjamin-Handbuch. Leben –Werk – Wirkung. Hrsg. von Burkhardt Lindner. Stuttgart 2006. S. 175–192, insbes. S. 175–179; Weidner, Daniel: Einleitung. Walter Benjamin, die Religion und die Gegenwart. In: ders., Profanes Leben (wie Anm. 329), S. 7–35, hier S. 16 f.



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 I.3 Politische Eschatologie nach Jacob Taubes

Apokalyptische Repräsentationen des Endes der Zeit Nach Agamben befindet sich die Derridasche Dekonstruktion in dem Dilemma, einerseits das metaphysische Primat der Präsenz und des Ursprungs durchbrochen zu haben:351 Die Sprache oder Repräsentation ist immer schon nicht-präsent und Effekt einer Spur von Bedeutungsprozessen.352 Indem jedes Zeichen (Signifikant) ausschließlich auf andere rekurriert, ist jede Bedeutung (Signifikat) immer schon unerreichbar in den Verlauf der Zeichenkette einbezogen. Andererseits folgt diese Spur damit nichts anderem als der dialektischen Figur der Aufhebung, mit dem Unterschied, dass sie ohne Idee der Vollendung oder Fülle des Zeichens auskommt: Das Sich-Bedeuten der Bedeutung ergreift sich selbst nie, erreicht nie eine Repräsentationsleere, läßt nie eine Nichtbedeutung sein, sondern ist auf die eigene Geste verwiesen und aufgeschoben. Die Spur ist in diesem Sinne eine Aufhebung in der Schwebe, die nie ihr plḗrōma erreicht. Die Dekonstruktion ist ein blockierter Messianismus, eine Suspendierung des messianischen Themas.353

Der historische Materialismus hat demgegenüber die ‚messianische‘ Vorstellung der möglichen Vollendung oder Fülle niemals aufgegeben. Er geht nicht von einem endlos aufgehobenen Nullpunkt in der Geschichte aus, sondern versucht mit dem Ursprung der aufgeschobenen Bestimmung abzurechnen, um von der Basis her auf ein Neues zu kommen; sein Messianismus ist ein politisch-antagonistischer. Dies hebt Derrida in Marx’ Gespenster schließlich noch einmal klar hervor, indem er die Dekonstruktion ausdrücklich von Heideggers Ontologie (und wohl auch von Schmitts ‚Begriff des Politischen‘)354 abgrenzt und sich zum ‚messianischen‘ Erbe des historischen Materialismus bekennt: Dieses Messianische bleibt, so glauben wir, ein unauslöschliches Kennzeichen des Marxschen Erbes – ein Kennzeichen, das weder ausgelöscht werden kann noch darf – und zweifellos auch ein Kennzeichen des Erbens, der Erfahrung des Erbes im allgemeinen. Ohne es beschnitte man die Ereignishaftigkeit der Ereignisse, die Singularität und die Alterität des anderen. Ohne es läuft die Gerechtigkeit Gefahr, sich erneut auf Regeln, Normen oder juristisch-moralische Vorstellungen zu beschränken, in einem unvermeidlichen totalisierenden Horizont […]. Dieses Risiko geht Heidegger trotz vieler notwendiger Vorsichtsmaßnahmen ein, sobald er, wie er es immer tut, der Versammlung und dem Selben […] den Vorrang gibt vor dem Bruch, den meine Hinwendung

351 Vgl. im Folgenden Agamben, Zeit (wie Anm. 11), S. 115–118. 352 Vgl. Derrida, Jacques: Die Schrift und die Differenz. Frankfurt a. M. 1976. Insbes. S. 9–52 (Kap. ‚Kraft und Bedeutung‘) u. 380–421 (Kap. ‚Von der beschränkten zur allgemeinen Ökonomie. Ein rückhaltloser Hegelianismus‘). 353 Agamben, Zeit (wie Anm. 11), S. 117. 354 Eine Abgrenzung erfolgt damit wohl auch zu Niklas Luhmanns Systemtheorie sowie, trotz seiner für den deutschsprachigen Raum wegweisende Rezeption Derridas, zu Friedrich Kittlers Medientheorie, die schließlich stark von Heidegger und Schmitt geprägt ist.



Apokalyptische Repräsentationen des Endes der Zeit 

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zum anderen impliziert, vor der Unterbrechung, die der Respekt befiehlt und dem wiederum sie befiehlt, vor einer Differenz, deren Einzigartiges, disseminiert in die unzählbaren Funken des Absoluten, das sich unter die Asche mischt, sich niemals im Einen (dans l’Un) beruhigen wird. Welches übrigens niemals verfehlt auch einzutreffen, welches aber nur in der Spur dessen eintrifft, was anders eintreffen würde, und also auch, wie ein Gespenst, in dem eintrifft, was nicht eintrifft.355

Auf die Geschichte der ‚Apokalyptik‘ umgelegt bedeutet das mit Jacob Taubes so viel wie: Die Geschichtsschreibung will kein „Sein zum Tode“ beschreiben, sondern dem Tod seinen Stachel nehmen. Vom Ahnenkultus, der den mythischen Boden unter den Füßen der Lebendigen bildet, bis zur apokalyptischen Auferstehung der Toten im letzten Gericht spannt sich der Horizont, in dem Geschichte als Form sich entfaltet. In allen Geschichten (im Plural) steckt ein Stück dieses Wozu von Geschichte schlechthin. Deshalb ist die Richtung, die R. Koselleck anzeigt, der im Durchgang durch „die Geschichte“ (Kollektivsingular) zu den Geschichten (Plural) – den früheren und denen von heute – gelangen will, umzukehren: im Durchgang durch die Geschichten  – den früheren und denen von heute  – wird „die Geschichte“ (im Kollektivsingular), der geschichtsphilosophische Index aller Geschichten neu entdeckt.356

Konsequenterweise sollte dann aber auch die Annahme einer aus der historischen Konstellation der Spätantike abzuleitenden „gnostische[n] Struktur“357 aufgegeben werden, wie sie Taubes als dissidente Kraft stets in der Geschichte aufzufinden versuchte. Auch wenn es sich dabei nicht „um eine zeitlos ewige, archetypische Idee [handelt], die ohne bestimmte historische Zündung je immer zur Sprache kommt“,358 interessiert aus kritisch-materialistischer Sicht ausschließlich der geschichtsphilosophische Index bzw. die historische Zündung. Schließlich sollte keiner Tradition, auch nicht der eines bestimmten dialektischen Bildes, gefolgt werden. Aus den bisherigen geschichtstheoretischen Überlegungen sollte hervorgehen, dass es einer historischen Struktur- oder Symbolanalyse der ‚Apokalyptik‘ bedarf, um dadurch womöglich auf eine ‚schwache messianische Kraft‘ zurückzukommen.359 Ihr Ziel kann es sein, die „Spannung zwischen den dialektischen Gegensätzen“360 aufzuzeigen: die chronologische Darstellungsform zu bestimmen, die ‚messianisch‘ ange-

355 Derrida, Jacques: Marx’ Gespenster. Der Staat der Schuld, die Trauerarbeit und die neue Internationale. Frankfurt a. M. 2004, S. 48 (Hervorhebungen im Original). Vgl. auch S. 82–84 u. 127 f. und den auf S. 25 nur angespielten Vorschlag, bei Fragen der Eschatologie und Teleologie ‚Hantologie‘ anstatt Ontologie zu betreiben. 356 Taubes, Geschichtsphilosophie (wie Anm. 144), S. 497. 357 Jacob Taubes: Noten zum Surrealismus. In: ders., Kult (wie Anm. 247), S. 135–159, hier S. 145. 358 Taubes, Noten (wie Anm. 357), S. 145. 359 Siehe im Folgenden auch Zolles, Christian: Apokalypse. In: Futurologien. Ordnungen des Zukunftswissens. Hrsg. von Benjamin Bühler u. Stefan Willer. München 2016 (Trajekte). S. 275–284, hier S. 276 f. 360 Benjamin, Passagen-Werk 1 (wie Anm. 2), S. 595 [N 10 a, 3].



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 I.3 Politische Eschatologie nach Jacob Taubes

eignet werden könnte; der individualistischen geistigen Erfahrung der Zeit des Endes die missverständlich dafür gehaltene allgemeine Vorstellung des Endes der Zeit in ihrer historischen Wandelbarkeit entgegenzuhalten; in der apokalyptischen Repräsentation der Zeit die Aufhebung des ‚messianischen‘ Erlebens der Zeit zu erkennen.361 Bezieht sich nämlich das ‚Messianische‘ auf die individuelle ‚operative‘ Aneignung der profanen Chronologie, so steht dem das ‚Apokalyptische‘ als eine starr darum angesiedelte Vorstellung der Endzeit gegenüber. Nicht die Prophezeiung, die sich auf die Zukunft richtet, sondern die Apokalypse, die das Ende der Zeit betrachtet, ist das gefährlichste Mißverständnis der messianischen Verkündigung. Das Apokalyptische hat seinen Ort am letzten Tag, am Tag des Zorns: Es sieht die Vollendung des Endes und beschreibt, was es sieht. Die Zeit hingegen, die der Apostel erlebt, ist nicht das éschaton, ist nicht das Ende der Zeit. […] Den Apostel interessiert nicht der letzte Tag, nicht der Augenblick, in dem die Zeit aufhört, sondern die Zeit, die zusammengedrängt ist und zu enden beginnt […] – oder, wenn man will, die Zeit, die zwischen der Zeit und ihrem Ende bleibt.362

Der Apokalyptiker möchte vielleicht Apostel sein, verfehlt dieses Vorhaben aber bereits im Ansatz, weil er die Gegenwart vom Ende der chronologischen Zeit her betrachtet, wie er es sich vorstellt bzw. es ihm in einer Offenbarung vor Augen geführt wurde. Er versucht in plastischen Bildern etwas vollkommen darzustellen, was grundsätzlich undenkbar ist. „Wenn wir umgekehrt über eine reale Zeiterfahrung nachdenken, erhalten wir etwas Denkbares, aber strikt Nicht-Darstellbares“.363 Um konkret zu werden: Die ausbleibende Wiederkunft des Messias Jesus erfordert, den Zwischenzustand und die Gewissheit, dass die Zeit der Vollendung unwiederbringlich angebrochen ist, weiterhin zu vergegenwärtigen, zu repräsentieren. Ob nun aufgrund einer politischen Notwendigkeit oder einer fundamentalen Missdeutung der zeitgenössischen Textquellen, verfestigt sich nach dem ‚messianischen‘ Ereignis an der Seite der Erfahrung einer fragilen apostolischen Zeit des Endes die Vorstellung eines herrschaftlichen apokalyptischen Endes der Zeit.364 Die JohannesOffenbarung markiert den endgültigen Wendepunkt von der jüdischen zur christlichen Zukunftserfahrung: Während das Judentum auf eine prophetische Tradition zurückblickt, in der mit der Ankunft des Messias der Anbruch einer unbestimmten

361 Vgl. Agamben, Zeit (wie Anm. 11), S. 75. 362 Agamben, Zeit (wie Anm. 11), S. 75. Vgl. auch S. 76, wonach noch bei Karl Löwith und Hans Blumenberg ein Missverständnis festzustellen sei, was die zeitliche Zuordnung der Eschatologie betrifft: Sie sei keine Frage der ‚messianischen‘ Zeit des Endes, sondern des ‚apokalyptischen‘ Endes der Zeit. Die Debatte um den historischen Fortbestand der christlichen Endzeitvorstellung in der ‚säkularisierten‘ Moderne habe nichts mit dem paulinischen Thema der Zeit zu tun. Es soll nicht der Tradition gefolgt werden, die ‚eschatologische Apokalyptik‘ mit dem ‚Messianismus‘ zusammenzulegen. 363 Agamben, Zeit (wie Anm. 11), S. 78 (Hervorhebungen im Original). 364 Vgl. auch Blumenberg, Legitimität der Neuzeit (wie Anm. 103), S. 46–62 (Kap. ‚Verweltlichung durch Eschatologie statt Verweltlichung der Eschatologie‘).



Apokalyptische Repräsentationen des Endes der Zeit 

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neuen Zeit verkündet wird, sieht das aufkommende Christentum das Ende aller Tage voraus, an dem sich mit der Wiederkehr Christi und im gigantischen Kampf zwischen Gut und Böse die Heilsgeschichte erfüllt und über die auferstandenen Toten das Jüngste Gericht gehalten wird. Anders als in der prophetischen Rede findet sich in der apokalyptischen Vision alles Bestehende in einen geschlossenen Verlauf eingebettet und richtet sich auf dessen ultimatives Ende aus.365 Das Ende ist nicht an den Anfang, sondern zu einem Abschluss gebracht, der seinen Schatten als zukünftige Drohung vorauswirft und dessen Präsenz sich von der Zukunft her aufdrängt. Die chronologische Zeit, eigentlich Ansatz der Veränderung, ist nunmehr festgelegt und die Gegenwart wird von den Zeichen der Endzeit besetzt. Die Frage, die sich fortan stellt, ist, wie die Zeichen der Zeit in Hinblick auf den Endzeitverlauf zu deuten sind, wann dessen Eintritt zu erwarten ist und wie er sich ausmalen lässt. So entscheidet sich nach christlichem Verständnis in der Apokalypse die Frage nach der Bewahrung des unausweichlichen Zukünftigen und dem Zeitpunkt seines Anbeginns. Ihre Zeit schwankt zwischen progressiver Endzeitvorstellung (distanzierter Erwartung) und radikalem Ende („Das Warten hat ein Ende!“). Wenn man die Apokalypse an einem konkreten Punkt fassen kann, dann an dieser ihrer Ambiguität: Wie Yvonne Sherwood feststellt, bewegt sie sich zeitlich zwischen Stillstand und Fortbestand, räumlich zwischen Lokalem und Universalem und konzeptuell zwischen Inhalt und Form.366 Die zeitliche Kollision lässt sich dabei folgendermaßen beschreiben: The time of the apocalypse is divided between full stop (or, better, full stop with exclamation mark) and present continuous. It is ending and continuity at one and the same time. Apocalyptic indicates the end of time – the ultimate rupture. But this co-exists in an awkward, disjunctive tension with another time, the present continuous, the time of survival and bathos; the time of (not least) continuing to produce, dust down and curate the apocalyptic archive. “The end approaches, but the apocalypse is long-lived” [zit. Jacques Derrida]. The world, the film and the rolling corpus of apocalyptic all go on turning long after the gods call time.367

Gleichzeitig das Ende unmittelbar vor Augen zu haben und es bewahren und verwalten zu müssen, macht das Apokalyptische zum Angelpunkt der Vermittlung. Womöglich betrifft die Apokalypse in dieser wiederkehrenden Herausforderung den neuralgischen Punkt in der abendländischen Zeitwahrnehmung: In ihr konzentrieren sich alle Schicksale und sind Lebenszeit und Weltzeit, das Lokale und das Universale, das

365 Vgl. Deleuze, Nietzsche und Paulus (wie Anm. 5), S. 59: „Die aufgeschobene Bestimmung ändert mit dem Christentum ihren Sinn, denn sie ist nicht mehr nur aufgeschoben, sondern nachgeschoben, auf nach den Tod verlegt, nach den Tod Christi und den Tod aller. […] Die apokalyptische Vision ersetzt die prophetische Rede, die Programmierung ersetzt das Projekt und das Handeln, ein ganzes phantasmatisches Theater folgt auf das Handeln der Propheten wie auf das Leiden Christi.“ (Hervorhebungen im Original). 366 Vgl. Sherwood, Napalm (wie Anm. 77), S. 39 f. 367 Sherwood, Napalm (wie Anm. 77), S. 39 f.



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 I.3 Politische Eschatologie nach Jacob Taubes

Immanente und das Transzendente, das Diesseits und das Jenseits, die Lebenden und die Toten, das rechtmäßige und das unrechtmäßige Leben unauflösbar ineinander verstrickt. Alles steht mit ihr auf dem Spiel, weshalb hier das Verhältnis von Wissen und Macht vielleicht auch am plastischsten zu Tage tritt: Gerade weil in der Apokalypse die Zukunft derart prekär auf das Gegenwärtige einwirkt, wird jede gesetzeswidrige Handlung die gesamte Welt(zeit) herausfordern. Hier liegt die eindeutige Grenze zwischen Konformem und Nonkonformem, Legitimem und Illegitimem und dem, was Zukunft hat oder keine. Die Apokalypse selbst oder ihre Lesart infrage zu stellen (was verbindet sie überhaupt mit der frohen Botschaft [evangelion], warum nicht im Papst den Antimessias [antíchristos] erkennen?), bedeutet alle entscheidenden christlichen Themen auf einmal herauszufordern und zu den grundlegenden ‚messianischen‘ Fragen zurückzukommen. Wenn zurück zur Entscheidung, dann kompromisslos, revolutionär, um die tatsächliche chronologische Veränderung herbeizuführen. Mit dem Aufhalter (katéchōn) ist eben jene Figur benannt, die denjenigen ohne Gesetz bzw. Gebiet (ánomos) verhindert und permanent auf Abstand hält und die Vorstellung der Apokalypse bewahrt.368 (Es soll schon hier betont werden, dass Agamben Schmitts katechontischer Verfassungstheorie gegenüber zu bedenken gibt, dass es sich bei ‚Katechon‘ und ‚Anomos‘ um eine Macht im unterschiedlichen Zeitstadium handeln könnte und der Zweite Brief an die Thessalonicher „definitiv nicht als Grundlage einer ‚christlichen Doktrin‘ der Macht dienen“369 kann.) Die Kirche jedenfalls wird sich in permanenter Endzeiterwartung als organisierte politische Gemeinschaft aufrichten. Die Johannes-Offenbarung hält dabei als kanonische Schrift ebenso die Erinnerung an den Jüngsten Tag aufrecht (Universalgericht), wie sie den Glauben an das Buch des Lebens fundiert, in dem alle Taten verzeichnet sind (Partikulargericht). Die langfristige kirchliche Institutionalisierung stützt sich allerdings wesentlich auf die spezifische Aktivierung und Aktualisierung des apokalyptischen Narrativs je nach Anlass und Bedrohungslage,370 worin sich auch das hohe politische Potenzial der Apokalypse zeigt: im Gedanken an das Jüngste Gericht oder im tatsächlichen Glauben an den einsetzenden Endzeitverlauf und den kairos alle christlichen Kräfte mobilisieren zu können. Es ist das Buch der herrschenden Krise – ob beim Einfall anderer Ethnien in Zeiten der ‚Völkerwanderung‘ oder des Mongolensturms oder beim Kriegszug gegen andere bzw. häretische Glaubensrichtungen. Die Apokalypse fungiert als Schrittmacher abendländischer Zeitwahrnehmung, der dafür sorgt, dass die drohende Zukunft laufend aufgeschoben wird, sofern er nicht

368 Vgl. Agamben, Zeit (wie Anm. 11), S. 123–125. 369 Agamben, Zeit (wie Anm. 11), S. 125. 370 Vgl. zur Apokalypse als kulturelles Narrativ Müller-Funk, Wolfgang: Die Kultur und ihre Narrative. Eine Einführung. 2. Aufl. Wien/New York 2008. S. 287–308 (Kap. ‚Dramatische Kehre, absolutes Finale: Zur narrativen Struktur der Apokalypse‘); zur rhetorischen Kontextualität aus theologischer Sicht Schüssler Fiorenza, Elisabeth: Das Buch der Offenbarung. Vision einer gerechten Welt. Stuttgart 1994.



Apokalyptische Repräsentationen des Endes der Zeit 

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in radikalen Brüchen zum Aussetzen gebracht wird: „[D]as Ende ist nah, doch die Apokalypse ist von langer Dauer“.371 Anders ausgedrückt: Sofern die Apokalypse repräsentiert wird, findet sie nicht statt. Es handelt sich um ein wirkmächtiges Zeitgefüge einer longue durée, das nach den frühneuzeitlichen europäischen Glaubenskämpfen entpolitisiert und von Verfahren der Zukunftsabschätzung überlagert wird, dessen Fortbestand aber nach wie vor in Frage steht.

371 Derrida, Apokalyptischen Ton (wie Anm. 8), S. 66.





Zweiter Teil: Revolution und Repräsentation

Abb. 2: Francis Danby, The Opening of the Sixth Seal (1828)





II.1 Progressive Staatsräson Apokalypse vs. Staatsprognostik Mit der Beendigung der jahrzehntelangen europäischen Hegemonial- und Glaubenskämpfe im Westfälischen Frieden 1648 war vor allem eines klar geworden: dass mit dem Apokalyptischen keine ausgleichende Politik zu machen ist.372 War die eschatologische Erwartung in den Jahrhunderten zuvor der wesentliche Legitimationsfaktor für die Kirche und für das Heilige Römische Reich gewesen, die beide in ihren unterschiedlichen Funktionen das christliche Endzeitbewusstsein sowohl bewahrt als auch gegen innere und äußere Gefahren verteidigt hatten, so folgte das apokalyptische Narrativ seit der Reformationszeit keinem einheitlichen und verbindlichen Interpretationsmuster mehr. Im Gegenteil, es hatte sich, um das Bild von Reinhart Koselleck erneut aufzugreifen, gegen die Grundstruktur der römisch-katholischen Kirche selbst gewandt, welche sich nun von aktualisierten Zukunftsvisionen bedroht sah, die sie vormals – etwa die joachimitische Lehre vom Dritten Reich, die Eingebungen Jeanne d’Arcs oder die Predigten Girolamo Savonarolas – scharf sanktioniert hatte. Der gemeinsame Horizont der Endzeit wurde nun sukzessive zugunsten eines allgemeinen Bekenntnisses zum gemeinsamen Fortschritt abgelöst, das seine Absicherung nicht mehr aus der Heiligen Schrift, sondern aus den Verfassungen und den völkerrechtlichen Bindungen gleichberechtigter souveräner Staaten erhielt. Die ‚Politik‘ als überreligiöser und staatenübergreifender Handlungs- und Planungsbereich hatte jetzt dafür zu sorgen, die verschiedenen sozialen Dynamiken in Balance zu halten, während die Apokalypse mit ihrer Unbestimmbarkeit, ihrem Schwanken zwischen Aufbegehren und Verzögerung, ihrer immanenten Herrschaftskritik und ihrem Anspruch auf Exklusivität zu extrem war, um darauf eine Staatengemeinschaft errichten zu können (die letzte breitenwirksame Prophetie in Deutschland stammte von Bartholomäus Holzhauser, Interpretatio Apocalypsis, aus den 1630er Jahren). Angesichts der nun fehlenden konfessionellen Basis setzte in Europa ein politischer

372 Vgl. hier und im Folgenden insbes. Koselleck, Vergangene Zukunft der frühen Neuzeit (wie Anm. 314); Koselleck, Reinhart: ‚Erfahrungsraum‘ und ‚Erwartungshorizont‘ – zwei historische Kategorien. In: Koselleck, Vergangene Zukunft (wie Anm. 114), S. 349–375; zudem Seifert, Rückzug der biblischen Prophetie (wie Anm. 265); Leppin, Antichrist (wie Anm. 265), insbes. S. 285–289; Pohlig, Matthias: Konfessionskulturelle Deutungsmuster internationaler Konflikte um 1600  – Kreuzzug, Antichrist, Tausendjähriges Reich. In: Archiv für Reformgeschichte 93 (2002). S. 278–316; Meumann, Markus: Von der Endzeit zum Säkulum. Zur Neuordnung von Zeithorizonten und Zukunftserwartungen ausgangs des 17. Jahrhunderts. In: Kulturelle Orientierung um 1700. Traditionen, Programme, konzeptionelle Vielfalt. Hrsg. von Sylvia Heudecker [u. a.]. Tübingen 2004 (Frühe Neuzeit 93). S. 100–121; Sandl, Medialität (wie Anm. 265), S. 243–298; Landwehr, Achim: Geburt der Gegenwart. Eine Geschichte der Zeit im 17. Jahrhundert. Frankfurt a. M. 2014. S. 58–72. Siehe im Folgenden bereits Zolles, Apokalypse (wie Anm. 359), S. 278–281; Zolles, Zeit apokalyptischer Repräsentation (wie Anm. 335), S. 291–299.



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 II.1 Progressive Staatsräson

Vorgang ein, der als sukzessive Verdrängung des apokalyptischen Moments aus dem öffentlichen Raum aufgefasst werden kann. Im Verlauf dieser Entwicklung wurde die Vorstellung vom Weltende von den soziopolitischen Zukunftserwartungen getrennt und auf ein chronologisches Maß gebracht. Die Untergangsmetaphorik fand zwar weiterhin noch Anwendung auf einzelne Ereignisse und Feindbilder wie auf diejenigen der Osmanen oder der Jesuiten, wirkte jedoch nicht mehr integrativ in ein geschlossenes Weltbild. Wegweisend sollten Schriften wie jene von Jean Bodin oder Baruch de Spinoza werden, die den Heilsteleologien die Fundamente abgruben. Ersterer trennt in Les six livres de la République von 1576, der ersten absolutistischen Staatstheorie, die Sakralgeschichte, die menschliche und die Naturgeschichte voneinander [und verwandelt] die Frage nach der Endzeit in ein Problem astronomischer und mathematischer Berechnung. Der Weltuntergang wird zu einem Datum des Kosmos, die Eschatologie in eine eigens dafür bereitgestellt Naturgeschichte abgedrängt. […] Die menschliche Geschichte, als solche betrachtet, habe kein Ziel, sondern sei das Feld der Wahrscheinlichkeit und menschlicher Klugheit.373

Bei Spinoza wendet sich die menschliche Klugheit rund hundert Jahre später direkt gegen die traditionelle Bibelexegetik und die irrationalen Grundsätze der Offenbarungsreligionen. Indem er die gemeinsame Göttlichkeit des Menschen aus der Substanz und den Naturgesetzen und nicht mehr aus der Schrift ableitet, annulliert er die Frage nach der konfessionellen Vormachtstellung zugunsten jener nach der Möglichkeit politischer Freiheit. Im 1670 erschienenen, kurz darauf verbotenen und indizierten Tractatus Theologico-Politicus finden sich die Ursachen zeitgenössischen Aberglaubens nicht nur in allgemeiner Furcht verortet,374 sondern überhaupt die biblischen Offenbarungen von den Erscheinungen und Meinungen der Propheten abgeleitet, die in ihrer Historizität und nach ihrem beispielhaften Charakter zu betrachten seien. Hieraus ergibt sich zur Genüge, was ich mir zu zeigen vorgenommen hatte, daß nämlich Gott seine Offenbarungen der Fassungskraft und den Anschauungen der Propheten angepaßt hat und daß die Propheten von Dingen, die sich bloß auf die Spekulation, aber nicht auf die Liebe und die Lebensführung beziehen, nichts zu wissen brauchten und auch tatsächlich nichts gewußt haben und von entgegengesetzten Anschauungen beherrscht waren. Kein Gedanke also, daß man bei ihnen Erkenntnis der natürlichen und geistigen Dinge suchen darf. Ich schließe also, daß wir den Propheten nur das zu glauben verpflichtet sind, was den Zweck und den Kern der Offenbarung ausmacht; in allem übrigen steht es uns frei, zu glauben, was einem jeden beliebt.375

373 Koselleck, Vergangene Zukunft der frühen Neuzeit (wie Anm. 314), S. 25. 374 Vgl. Spinoza, Baruch de: Theologisch-politischer Traktat. Hrsg. von Günter Gawlick. 3.  Aufl. Hamburg 1994 (Philosophische Bibliothek 93). S. 4. 375 Spinoza, Theologisch-politischer Traktat (wie Anm. 374), S. 46.



Apokalypse vs. Staatsprognostik 

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Eine vergleichbare Historisierung und Entpolitisierung erfuhr die Johannes-Offenbarung, wenn auch bei weitem nicht in dieser Schärfe, von jesuitischer Seite (Luis del Alcázar, Vestigatio arcani sensus in Apocalypsi, 1614) und vor allem über die pietistische Theologie, die im Folgekapitel noch näher beschäftigen wird. Für den Verlauf des 17. Jahrhunderts ist demgemäß eine allgemeine Entschärfung des apokalyptischen Zeitgefüges festzustellen, bei der die eschatologische Erwartungshaltung vom visionären Endzeitbewusstsein gelöst und in eine naturgeschichtliche, kalendarisch datierbare Zeit überführt wurde. Gegenüber der Prophetie stand nun die Prognostik als „gewußtes Moment politischer Aktion“ und „Integrationsfaktor des Staates“376 für eine grundsätzlich kontingente, aber kalkulierbare Zukunft ein. Es kam zur folgenreichen „Wende vom Ursprungsmythos zum Zukunftsmythos“,377 an der das Gegenwärtige von den Zeichen des gewaltigen Endes befreit wurde und das Potenzial des Zukünftigen und die Vorausschau auf das Verwirklichbare und Vermeidbare ins Zentrum des politischen Handelns rückten. Diese Wende lässt sich auch begriffsgeschichtlich nachweisen, insofern die ‚Apokalypse‘ als ‚Offenbarung‘ jetzt auf das geheime Wirken nicht allein Gottes, sondern auch der Staatspolitik Anwendung fand: „The Revelation or rather the Apocalypse of all State-arcana“,378 wie es bei Jonathan Swift (1667–1745) lautet  – mit arcanum als einem jener Begriffe, in denen sich für Foucault die Formen frühneuzeitlicher Gouvernementalität spiegeln.379 Diese Entwicklung ging einher mit dem in Die Ordnung der Dinge analysierten Übergang von der Wissensfigur einer Ordnung göttlicher Ähnlichkeit hin zu einer Ordnung sprachlicher Repräsentation;380 von dem Eingebundensein in eine durch das Gottesgnadentum legitimierte Hierarchie, die kontinuierlich auf das Gemeinwohl und die Transzendenz der einzelnen Individuen abzielt, zu reflektierten Praktiken im Sinne einer grenzenlosen Staatsräson.381 So kam es im 17. Jahrhundert zu einer Aufsplitterung und Transformation der Themengebiete, die vormals den Horizont des Apokalyptischen gebildet hatten: der Weltuntergang verlor seinen Bezug zu den menschlichen Handlungen und wurde zu einer Frage naturwissenschaftlicher Determinanten und staatlich geförderter Zukunftspro-

376 Koselleck, Vergangene Zukunft der frühen Neuzeit (wie Anm. 314), S. 29 f. Vgl. weiterführend Weidner, Daniel u. Stefan Willer (Hrsg.): Prophetie und Prognostik. Verfügungen über Zukunft in Wissenschaften, Religionen und Künsten. München 2013. 377 Koselleck, Reinhart: Wortmeldung in der Diskussion zu ‚Neuer Mythos und Ideologie‘. In: Terror und Spiel. Probleme der Mythenrezeption. Hrsg. von Manfred Fuhrmann. München 1971. S. 669–672, hier S. 671. 378 Aus Jonathan Swifts A Tale of a Tub (1704), zit.n.: A New English Dictionary on Historical Principles. Oxford 1888. S. 386. Vgl. darin auch den Verweis auf Claude du Bosc de Montandrés L’Apocalypse de l’Estat, faisant voir (1652). 379 Foucault, Sicherheit (wie Anm. 213), S. 397 f. 380 Vgl. Foucault, Ordnung der Dinge (wie Anm. 89), S. 46–113. 381 Vgl. Foucault, Sicherheit (wie Anm. 213), S. 371–402.



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 II.1 Progressive Staatsräson

gnostik; die Zukunft wurde damit kalkulierbar und öffnete sich Projektideen382 und nicht räumlich, sondern zeitlich orientierten Gesellschaftsutopien (mit Louis-Sébastien Merciers Markstein L’an deux mille quatre cent quarante. Rêve s’il en fût jamais von 1770);383 der gemeinschaftliche Glaube an die biblischen Offenbarungen sank auf das Niveau volkstümlichen Aberglaubens oder wurde zur Angelegenheit pietistischer und puritanischer Randgruppen (Ana-Baptisten, Methodisten oder Quäker), die nicht Teil eines Gesellschaftsvertrags im Sinne von Thomas Hobbes werden, aber vor allem in Nordamerika verheißenes Land finden konnten;384 der Tod entfernte sich von der Vorankündigung der hora mortis und den artes moriendi und wurde in ein Narrativ der Sterblichkeit und in ‚Alltagsfrömmigkeit‘ eingebettet;385 und die Offenbarungsrezeption eines ‚philosophischen Chiliasmus‘ historisierte den Glauben an die Endzeiterwartung bzw. projizierte ihn auf historische Ebene. Mit dieser letzten Entwicklung gelangte die ‚Apokalypse‘, vor allem die seit Joachim von Fiore immer wieder aufgegriffene Erwartung vom Kommen eines neuen diesseitigen Dritten Reiches, in die philosophische und politische Moderne.

Exoterischer und esoterischer Diskurs der Apokalypse Aus rezeptionsphilologischer Sicht verfestigt sich die neue Zeitökonomie im Bogen von Johann Albrecht Bengels Erklärte Offenbarung Johannis (1740) – das die Erdentstehung noch auf Sonntag, den 10. Oktober 3943 v. Chr. datiert, allerdings nach Koselleck bereits eine frühe ‚Phänomenologie des Geistes‘ darstellt –386 über Gotthold Ephraim Lessings Die Erziehung des Menschengeschlechts (1777/1780) und Johann Gottfried Herders Nachdichtungen der Johannes-Offenbarung (die Manuskripte Brouillons zur

382 Vgl. Krajewski, Markus (Hrsg.): Projektemacher. Zur Produktion von Wissen in der Vorform des Scheiterns. Berlin 2004 (copyrights 15). 383 Vgl. Braungart, Apokalypse und Utopie (wie Anm. 320), S. 71–73; Michler, Werner: Träume der Vernunft. Utopien und Apokalypsen von der Spätaufklärung bis zum Ersten Weltkrieg. In: Wieser [u. a.], Abendländische Apokalyptik (wie Anm. 77), S. 339–367, hier 339–350. Erinnert sei hier auch an Doren, Alfred: Wunschräume und Wunschzeiten. In: Vorträge der Bibliothek Warburg 1924–1925 (1927). S. 158 –205. Vgl. hierzu Vondung, Klaus: ‚Wunschräume und Wunschzeiten‘. Einige wissenschaftsgeschichtliche Erinnerungen. In: Vom Zweck des Systems. Beiträge zur Geschichte der literarischen Utopien. Hrsg. von Árpád Bernáth [u. a.]. Tübingen 2006. S. 183–190. 384 Vgl. Reller, Horst [u. a.] (Hrsg.): Handbuch religiöse Gemeinschaften und Weltanschauungen. 5. Aufl. Gütersloh 2000. S. 40–59, 78–95 u. 121–133; sowie Goertz, Hans-Jürgen: Die Täufer. Geschichte und Deutung. München 1980; Juterczenka, Sünne: Über Gott und die Welt. Endzeitvisionen, Reformdebatten und die europäische Quäkermission in der Frühen Neuzeit. Göttingen 2008. 385 Vgl. Ariès, Philippe: Geschichte des Todes. München 1980. S. 381–403. 386 Vgl. Koselleck, Reinhart: Standortbindung und Zeitlichkeit. Ein Beitrag zur historiographischen Erschließung der geschichtlichen Welt. In: ders., Vergangene Zukunft (wie Anm. 114), S. 176–207, hier S. 192 f.



Exoterischer und esoterischer Diskurs der Apokalypse 

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metrischen Offenbarung Johannes und Johannes Offenbarung, 1774, und die Buchpublikation Μaran Atha, 1779) bis hin zu Friedrich Schleiermachers Bibelhermeneutik.387 Dessen Schüler Friedrich Lücke begründet schließlich bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts den Forschungszweig der ‚Apokalyptik‘, der fortan vor der Aufgabe steht, den besonderen literarischen Charakter der biblischen Offenbarungsschriften historisch zu bestimmen und auszudeuten. Bereits Herders Beschäftigung mit der Offenbarung kann aber als wichtiges Zeugnis der Herausbildung der philologischen Positivität im ausgehenden 18. Jahrhundert herangezogen werden, die im Zusammenhang mit einer sich verändernden Sprachauffassung steht, bei der die Sprache von der systematischen Kenntnis der Dinge gelöst, zum Ausdruck menschlicher Freiheit und an geschichtsphilosophische Ideale gebunden wird.388 Herder sieht sich nun mit der Aufgabe konfrontiert, die Apokalypse in einem neuen literarischen Diskurssystem vermittelbar zu machen, ihre bisher vor allem in der Rede- oder Predigtform ausgelegten allegorischen Bedeutungen für ein neues Lesepublikum zu übersetzen und in angemessene Laut- und Schriftform zu bringen. Werkgenetisch lässt sich dabei gut nachverfolgen, wie er von einer lyrischen über eine prosaische schließlich zu einer kommentierten Übersetzungsvariante kommt, je weiter er aus seinem empfindsamen Lesezirkel herausgeht und sich der theologisch-gelehrten Öffentlichkeit zuwendet.389 Das Buch Maran Atha wird schließlich in einer überbordenden Kommentarform publiziert, an der sich die bereits in früheren Briefen bemerkbar gemachte Unmöglichkeit zeigt, die Apokalypse schriftsprachlich angemessen abbilden zu können: Sie wird von historisch-kritischen Anmerkungen überdeckt, weil sie für sich semantisch nicht repräsentierbar ist. Es zeigt sich paradigmatisch nicht zufällig gerade an der Apokalypse, dieser rätselhaften, bildgewaltigen Schrift, dass die Kluft zwischen einem bildlich-affektiven und einem schriftlich-intellektuellen Verstehen nicht mehr überbrückbar ist und ihr einheitlicher Sinn nur mehr durch die Überschreitung der Erwartungshaltung des Publikums und auf die Gefahr des vollständigen Bedeutungsverlustes herausgestellt werden kann. Eben dieser Umstand wird sie schließlich auch zur Hauptreferenzschrift für die desintegrativen Wahrnehmungen in der Moderne machen. Herders dennoch intensiv betriebenen Vermittlungsversuche zeugen von der Notwendigkeit, die theologische und philosophische Diskurshoheit über die Schrift zu

387 Siehe zu Schleiermachers Hermeneutik Weidner, Bibel und Literatur (wie Anm. 94), S. 317–337, insbes. S. 336, mit interessanten aufgezeigten Perspektiven für die literatur- und kulturwissenschaftliche Forschung. 388 Vgl. Foucault, Ordnung der Dinge (wie Anm. 89), S. 342–366. 389 Vgl. Renner, Kaspar: Schreibweisen der Apokalypse. Die Johannesoffenbarung in Herders handschriftlichem Nachlass. In: Herders Rhetoriken im Kontext des 18.  Jahrhunderts. Beiträge zur Konferenz der Internationalen Herder-Gesellschaft, Schloss Beuggen nahe Basel 2012. Hrsg. von Ralf Simon. Heidelberg 2014. S. 253–274.



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 II.1 Progressive Staatsräson

wahren und sie pädagogisch einzusetzen. Bei aller Toleranz einer freien Bibelauslegung gegenüber, wie sie Spinoza in beeindruckender Weise vertreten hatte, stellt sich nun doch die Frage, wie an der Öffentlichkeit der tiefere humane, gemeinschaftliche ‚Zweck und Kern‘ der Offenbarung gehalten werden könne. Einerseits droht sie den unkontrollierten, unstandesgemäßen und schwärmerischen Deutungen, andererseits dem nüchternen Urteil rationaler Bibelkritik zum Opfer zu fallen. So wird gerade das kryptischste Buch der Bibel für Herder zum Maßstab der biblischen Werte schlechthin, als sich an ihm demonstrieren lässt, wie schnell man – „Ihr, Ausleger, Räthsler, Deuter, historische Pflasterschmierer der Offenbarung, Ihr – mit all’ euren hundert Spinneweben vor der offenbahren Sonne“390  – in die Irre laufen und die Gemeinschaft des Glaubens zerstören könne, wenn man keine Ahnung von der Sprache und von Poesie hat: So lange man an einem symbolischen Buch deutet, es eigensüchtig, willkührlich, enge und grundlos erkläret: so lange wird nie Eintracht der Meinungen zu hoffen seyn: denn des Irrthums, der Grübelei, der Partheilichkeit und des Wahnsinns giebts unendlich viele Wege.391

Herder sieht sich vor der Aufgabe, über das symbolischste Buch der Bibel diese selbst in ihrer einheitlichen Tiefe zu fassen und darzustellen, um sie vor den profanen Diskursen, von den unendlich vielen Deutungsmöglichkeiten ihrer Bilderwelt und von den abwegigsten Meinungen zu schützen. Wenn die Bibel „das menschlichste von allen Büchern“392 darstellt und zur Universalpoesie wird, die nicht einfach nur verstanden werden kann, sondern gefühlt werden muss, so wird Herder gerade im verschlossenen Charakter der Johannes-Apokalypse eine idealtypische Darstellung des Göttlichsten sehen, das jedem unvoreingenommenen Leser wie einem Kind offenbar werden kann. Dieses „Buch für alle Herzen und alle Zeiten“393 braucht weder Kommentar noch Kritik, sondern ein ursprüngliches poetisches Empfinden, das in jedem Bild, in jedem Symbol die göttliche Allmacht erkennt. Es heißt, sich über das „Theilbare, Vielfache, Zerstreuende der Zeit“394 hinwegzusetzen und „Zug für Zug J­ ohannes

390 Herder, Johann Gottfried: Johannes Offenbarung. Ein heiliges Gesicht [Gedicht?], ohn’ einzelne Zeitendeutung [Zeichendeutung?] verständlich. In: Sämtliche Werke. Hrsg. von Bernhard Suphan u. Reinhold Steig. ND Hildesheim 1967. Bd. 9. S. 1–100, hier S. 32. 391 Herder, Johann Gottfried: Μaran Αtha. Das Buch von der Zukunft des Herrn, des Neuen Testaments Siegel. In: Sämtliche Werke (wie Anm. 390), Bd. 9, S. 101–288, hier S. 233. 392 Herder, Johann Gottfried: Briefe, das Studium der Theologie betreffend. Vierter Theil. In: Sämtliche Werke (wie Anm. 390), Bd. 11, S. 1–153, hier S. 3. Vgl. Weidner, Bibel und Literatur (wie Anm. 94), S. 110–122; Weidner, Daniel: ‚Das menschlichste aller Bücher‘. Herders Übersetzungen der Bibel im Spannungsfeld von Säkularisierung und Sakralisierung. In: Übersetzen bei Johann Gottfried Herder. Theorie und Praxis. Hrsg. von Clémence Couturier-Heinrich. Heidelberg 2012. S. 85–98. 393 Herder, Maran Atha (wie Anm. 391), S. 241. 394 Herder, Johannes Offenbarung (wie Anm. 390), S. 7.



Exoterischer und esoterischer Diskurs der Apokalypse 

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Geist und Herz“395 zu spüren, und dieser „Geist, der im Ganzen, insonderheit in unvermerkt kleinen Zügen herrscht, entscheidet Alles“.396 In Herders apokalyptischer Hermeneutik geht es also zentral um die Ausschaltung der Vielheit und die Überschreibung aller divergierenden Textstimmen (innerhalb und außerhalb der Offenbarung) durch eine letztbegründende Sinneinheit.397 Jedes einzelne Symbol spricht für sich selbst und lässt die alles durchwaltende, alles verbindende Kraft empfinden. Damit ist auch das Programm vorgezeichnet, dem die romantische ‚Apokalypse‘ im Ausgleich zwischen Natürlichem und Erhabenem zukünftig folgen wird – während sich aus der Sicht Immanuel Kants die Verbindlichkeit des Erhabenen aus der Differenz zum Natürlichen über den Verstand ableitet, also keinerlei natürliche verbindende Kraft der ‚Apokalypse‘ mehr vorausgesetzt werden kann, die innerhalb des Menschen und seiner Sprache waltet.398 So sehr aber die Positionen Herders und Kants in entgegengesetzte Richtungen weisen, in die sich Poesie und Philosophie um 1800 bewegen, teilen beide doch das eine zentrale Anliegen: Wie sich von den vornehm tuenden „Philosophen der Anschauung“ oder „Mystagogen“399 abgrenzen, die von sich behaupten, die Wahrheit gefunden zu haben, sich in einem Schritt  – nicht „schulmäßig“, sondern „geniemäßig“400 – über alle Differenzen hinwegsetzen und von einer abstrakten Vorempfindung und Vorerwartung ausgehend zur Erkenntnis gelangen, was doch nur Resultat schwerster intellektueller Arbeit bzw. eine Frage sympathetischer Humanität sein kann? Wo die Trennlinie zwischen religiösem, ‚exoterisch‘ rationalem und ‚esoterisch‘ intuitivem Denken ziehen? Wie individualistische Arkanlehren wie jene des ‚Geistersehers‘ Emanuel Swedenborg entlarven, welche wenig überraschend auch zwei Kommentare zur Johannes-Offenbarung umfasste (Apocalypsis explicata, 1761, Apocalypsis revelata, 1766)? Diese Fragen können hinter jener Schrift – Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie (1796) – gegen Johann Georg Schlosser und Friedrich Heinrich Jacobi ausgemacht werden, die aufgrund der Lektüre Derridas zu Kants apokalyptischem Referenztext geworden ist (und nicht Das Ende aller Dinge von 1794).401

395 Herder, Μaran Αtha (wie Anm. 391), S. 278. 396 Herder, Μaran Αtha (wie Anm. 391), S. 239. 397 Vgl. Fohrmann, Jürgen: Apokalyptische Hermeneutik (nach Herder). In: Apokalyptik in Antike und Aufklärung. Hrsg. von Jürgen Brokoff u. Bernd U. Schipper. Paderborn [u. a.] 2004. S. 133–145, hier S. 139 f. u. 145. 398 Vgl. Schulte-Sasse, Jochen: Herder’s Concept of the Sublime. In: Herder Today. Contribution from the International Herder Conference, Stanford 5.–8. November 1987. Hrsg. von Kurt Mueller-Vollmer. Berlin/New York 1990. S. 268–291, insbes. S. 279–281. 399 Kant, Vornehmen Ton (wie Anm. 9), S. 379 u. 388. 400 Kant, Vornehmen Ton (wie Anm. 9), S. 378. 401 Kant, Immanuel: Das Ende aller Dinge. In: Werkausgabe (wie Anm. 9), Bd. 11, S. 175–190. Vgl. im Folgenden auch Sherwood, Napalm (wie Anm. 77), S. 64–74.



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 II.1 Progressive Staatsräson

Kant kritisiert neuplatonische Denker wie Schlosser, einem Gegner der Französischen Revolution, aufgrund ihres ‚monarchistischen‘ und ‚aristokratischen‘ Habitus, mit dem sie sich, anstatt die von ihnen geringgeschätzte mühsame Arbeit ‚von unten hinauf‘ zu verrichten, ihre Gedankenkurzschlüsse ‚von oben herab‘ in einem eitlen „Ton eines Gebieters“402 vortragen. Diese ‚esoterischen‘ Philosophen seien nicht an einer Verdeutlichung, sondern an einer Verschleierung der Begriffe interessiert und könnten nicht einsehen, dass der Philosophie lediglich die Möglichkeit gegeben sei, Begriffe innerhalb ihrer symbolischen Form zu unterscheiden und zu einem Urteil über sie zu kommen, ohne jemals tatsächlich zum Ende des Diskurses und zu einer objektiven Wahrheit gelangen zu können.403 Der „Philosoph der Vision“404 gebart sich als Überwinder des Intellekts, führt den „Tod aller Philosophie“405 herbei, und richtet sich dabei nicht an die Allgemeinheit, sondern an einen Kreis eingeweihter Adepten, dessen Anwachsen „die Polizei im Reiche der Wissenschaft nicht dulden kann“.406 Anstatt im Aufzeigen der Heterogenität der individuellen Erfahrungshorizonte jene Erkenntnis zu fördern, die zum ‚moralischen Gefühl‘ und zur Idee der Freiheit führt, gelangt er umgekehrt vom ‚mystischen Gefühl‘ zur Erkenntnis407 und befördert so einen von einem absoluten Horizont ausgehenden Automatismus im Denken. Den Übergang aber zum Übersinnlichen, wozu uns die Vernunft unwiderstehlich treibt, und den sie nur in moralisch-praktischer Rücksicht tun kann, bewirkt sie auch allein durch solche (praktische) Gesetze, welche nicht die Materie der freien Handlungen (ihren Zweck) sondern nur ihre Form, die Tauglichkeit ihrer Maximen zur Allgemeinheit einer Gesetzgebung überhaupt, zum Prinzip machen. In beiden Feldern (des Theoretischen, und Praktischen) ist es nicht eine planoder gar fabrikenmäßig (zum Behuf des Staats) eingerichtete willkürliche Formgebung, sondern eine vor aller das gegebene Objekt handhabenden Manufaktur, ja ohne einen Gedanken daran, vorhergehende fleißige und sorgsame Arbeit des Subjekts, sein eigenes (der Vernunft) Vermögen aufzunehmen und zu würdigen; hingegen wird der Ehrenmann, der für die Vision des Übersinnlichen ein Orakel eröffnet, nicht von sich ablehnen können, es auf eine mechanische Behandlung der Köpfe angelegt, und ihr den Namen der Philosophie nur ehrenhalber beigegeben zu haben.408

402 Kant, Vornehmen Ton (wie Anm. 9), S. 384. 403 Vgl. Simon, Josef: Vornehme und apokalyptische Töne in der Philosophie. In: Zeitschrift für philosophische Forschung 40 (1986). S. 489–519, hier S. 490–500. Zwei prägnante Sätze sollen außerdem herausgestellt werden: „Der Begriff der Apokalypse ist [mit Derrida, Anm.] in die Philosophie eingedrungen.“ (S. 489) „Die Philosophie macht nach Kant keine Begriffe. Sie macht nur ‚gegebene Begriffe deutlich‘“ (S. 490). Dies – den Begriff der Apokalypse zu verdeutlichen – kann auch als historischkritische Aufgabe vorliegender Untersuchung betrachtet werden. 404 Kant, Vornehmen Ton (wie Anm. 9), S. 394. 405 Kant, Vornehmen Ton (wie Anm. 9), S. 396. 406 Kant, Vornehmen Ton (wie Anm. 9), S. 394. 407 Vgl. Kant, Vornehmen Ton (wie Anm. 9), S. 393. 408 Kant, Vornehmen Ton (wie Anm. 9), S. 395 (Hervorhebungen im Original).



Exoterischer und esoterischer Diskurs der Apokalypse 

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Sich im Inneren gegen die „mechanische Behandlung der Köpfe“ gewehrt und das „Gefühl der Freiheit in der Wahl des Endzwecks“ 409 bewahrt zu haben, mache, so Kant bereits in Das Ende aller Dinge, bei allen äußerlichen Zwängen den Reiz und die „moralische Liebenswürdigkeit“410 des Christentums aus. In dem Moment, in dem es mit „gebieterischer Auktorität bewaffnet würde“ und es „aufhörte liebenswürdig zu sein“,411 würde sich der ‚vornehme Ton‘ eindeutig als zum Apokalyptischen gehörig herausstellen: […] und der Antichrist, der ohnehin für den Vorläufer des jüngsten Tages gehalten wird, würde sein (vermutlich auf Furcht und Eigennutz gegründetes) obzwar kurzes Regiment anfangen: alsdann aber, weil das Christentum allgemeine Weltreligion zu sein zwar bestimmt, aber es zu werden von dem Schicksal nicht begünstigt sein würde, das (verkehrte) Ende aller Dinge in moralischer Rücksicht eintreten.412

Für den demokratischen Zweck dürfe also ein ‚esoterisches‘ Denken niemals das ‚exoterische‘ Denken aus seiner öffentlichen (und im Endzweck offenen) Mittlerfunktion verdrängen (wenn jemand im Privaten „durchaus an die Orakel glauben will: so kann es ihm niemand wehren“).413 Und diese Frage nach der allgemeinen Sicherung des Diskurses schwingt Derrida zufolge, der den ‚vornehmen‘ folgerichtig in den ‚apokalyptischen Ton‘ übersetzt, in allen modernen Diskursen mit. Es mache sich darin die Suche nach dem neutralen Terrain demokratischer Egalität bemerkbar, die vermutlich jeden in gewisser Weise zum „Mystagoge[n] und Aufklärer eines anderen“414 mache und auch zu einer „Überbietung an eschatologischer Eloquenz“415 führe. „Kants Replik ist die eines entschiedenen Fortschrittsdenkers, der an die endlich offene und entschleierte Zukunft der Philosophie glaubt“:416 Die letzte Entscheidung ist gleichsam im Diskurs, in der Sprache der Zukunft aufgehoben, womit Kant zwar keinen Endzweck, aber ein Endziel postuliert und damit wiederum „eine andere Welle eschatologischer Diskurse in der Philosophie entfesselt“417 habe. Auf dem Verhandlungsfeld zwischen ‚Exoterik‘ und ‚Esoterik‘ setzt nun auch Friedrich Lückes Begründung des Forschungszweigs der ‚Apokalyptik‘ an. Aus theologischer Sicht musste sich eine poetische Bibelhermeneutik, wie sie Herder und

409 Kant, Ende aller Dinge (wie Anm. 401), S. 188. Vgl. Simon, Apokalyptische Töne (wie Anm. 403), S. 519. 410 Kant, Ende aller Dinge (wie Anm. 401), S. 189. 411 Kant, Ende aller Dinge (wie Anm. 401), S. 190. 412 Kant, Ende aller Dinge (wie Anm. 401), S. 190 (Hervorhebungen im Original). Vgl. Simon, Apokalyptische Töne (wie Anm. 403), S. 519. 413 Kant, Vornehmen Ton (wie Anm. 9), S. 396. 414 Derrida, Apokalyptischen Ton (wie Anm. 8), S. 45. 415 Derrida, Apokalyptischen Ton (wie Anm. 8), S. 49. 416 Derrida, Apokalyptischen Ton (wie Anm. 8), S. 44. 417 Derrida, Apokalyptischen Ton (wie Anm. 8), S. 48.



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 II.1 Progressive Staatsräson

Eichhorn und in eigener Manier die Romantiker betrieben, als unhaltbar erweisen: Lücke begründet seine literarhistorische Methode vor dem Hintergrund einer allerorts auszumachenden „Orakeltheologie“, die „von Extrem zu Extrem, von Partheyung zu Partheyung“418 fortstürmt. Mit der ‚Apokalyptik‘ steht die Johannes-Offenbarung nun zwar im „Schutz und Maass der wissenschaftlichen Kritik“, ist aber auch „in ein Fegefeuer gebracht“.419 In der gattungsgeschichtlichen Beschäftigung mit der Johannes-Offenbarung zeichnet sich somit ein symptomatischer Prozess des 19. Jahrhunderts ab, nämlich der „sprachlich dokumentierbare Zerfall von Welt und Natur“,420 vielleicht lässt sich sagen: von Verstand und Herz, Wort und Bedeutung, symbolischem Begriff und metaphorischem Bild, Kant und Herder. Als Missachter dieser Dualität wären einerseits, im ‚moralisch-privaten‘ Bereich, Dichter wie Hölderlin zu finden, die nicht von der gemeinschaftlichen Sprache ablassen und ‚als letzte Menschen‘ weiter an der Schrift arbeiten (man denke an die letzten Zeilen des PatmosGedichts),421 und andererseits, im ‚politisch-öffentlichen Bereich‘, jene ‚Mystagogen‘, ‚Demagogen‘ oder ‚Analogisten‘, die von einer gefühlten, nicht begründbaren ‚Wahrheit‘ ausgehend argumentieren, den demokratischen Diskurs in Gefahr bringen und die Polizei (im Reich der Wissenschaft) auf den Plan rufen. ‚Orakeltheologie‘ eines anschauenden und ‚Fegefeuer‘ eines intellektuellen Verstandes bilden dann die beiden Pole um 1900, als sich Herders Befürchtungen bewahrheitet haben und die korrespondierende Deutung von Offenbarung und Welt „hundert Spinneweben vor der offenbahren Sonne“422 bilden. Nach dem um 1800 stattgefundenen „Umschlag von der Welt, die ein metaphorisches Buch ist, zu dem Buch, das eine metaphorische Welt sein wird“,423 wie Blumenberg feststellte, werden Buch und Welt dann gleichermaßen Träger einzelner inkommensurabler Anschauungen geworden sein. Demgegenüber gibt es jene Bestrebungen, den laufenden Betrachtungen zu entgehen, ihnen ihr Geheimnis zu nehmen, und im Ausschalten der divergierenden Stimm(ung)en eine Vereinigung der Individuen herbeizuführen: Das Christentum ergriff die Massen genauso, wie es der moderne Sozialismus tut, in Gestalt mannigfaltiger Sekten und noch mehr durch widersprechende individuelle Meinungen  – manche klarer, manche verwirrter, wobei die letzteren die große Mehrheit bildeten –, aber alle sind dem

418 Lücke, Versuch (wie Anm. 108), S. XIIf. Siehe neben der Widmung an einen Freund, aus der hier zitiert wird, auch die anschließende Vorrede. 419 Lücke, Versuch (wie Anm. 108), S. 1 f. 420 Braun, Hermann: Art. Welt. In: Brunner [u. a.], Geschichtliche Grundbegriffe (wie Anm. 97), Bd. 7, S. 433–510, hier S. 488. 421 Vgl. Derrida, Apokalyptischen Ton (wie Anm. 8), S. 50 f. 422 Herder, Johannes Offenbarung (wie Anm. 390), S. 32. Vgl. zur ‚Technisierung und Mediatisierung des apokalyptischen Diskurses‘ im 19. Jahrhundert Gerhards, Claudia: Apokalypse und Moderne. Alfred Kubins ‚Die andere Seite‘ und Ernst Jüngers Frühwerk. Würzburg 1999 (Epistemata, Reihe Literaturwissenschaft 281). S. 7–25. 423 Blumenberg, Lesbarkeit der Welt (wie Anm. 240), S. 223.



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herrschenden System, „den bestehenden Mächten“, feindlich gesinnt. Nehmen wir z. B. unser Buch der Offenbarung, von dem wir sehen werden, daß es, statt das dunkelste und geheimnisvollste zu sein, das einfachste und klarste Buch des ganzen Neuen Testaments ist.424

Die einzige Möglichkeit, zum gemeinschaftlichen Horizont der Welt (und der Apokalypse) zurückzukommen, ist das leere Sprechen (und den deutschen apokalyptischen Fachdiskurs)425 aufzugeben und alle Interessen auf einen Punkt zu fokussieren: auf den Kampf gegen die „bestehenden Mächte“. Die apokalyptische Symbolik ist hierbei inhaltlich von keinerlei Relevanz mehr. All dies hat jetzt jegliche Bedeutung verloren, ausgenommen für einfältige Personen, die noch immer versuchen mögen, den Tag des letzten Gerichts auszurechnen. Jedoch als authentisches Bild eines beinah primitiven Christentums, von einem der ihren gezeichnet, ist das Buch mehr wert als alle übrigen Bücher des Neuen Testaments zusammengenommen.426

So Friedrich Engels in seinem Kommentar zum Buch der Offenbarung im Jahr 1883.

Bürgerliche Revolution Ausschlaggebender Faktor dafür, dass die ‚Apokalypse‘ abseits des Fachdiskurses zur Johannes-Offenbarung im ausgehenden 18. Jahrhundert eine Popularisierung erfährt und erneut eine immanent politische Bedeutung erhält, sind das Ereignis und die

424 Engels, Friedrich: Das Buch der Offenbarung. In: Karl Marx u. Friedrich Engels: Werke. 5. Aufl. Berlin 1975. Bd. 21. S. 9–15, hier S. 9 f. 425 Vgl. Engels, Buch der Offenbarung (wie Anm. 424), S. 9 f.: „Die historische und sprachliche Kritik der Bibel, die Untersuchung des Alters, des Ursprungs und des historischen Werts der verschiedenen Schriften, aus denen sich das Alte und das Neue Testament zusammensetzt, ist eine Wissenschaft, welche in diesem Lande fast niemandem, außer einigen freisinnigen Theologen, bekannt ist, die sich bemühen, sie so geheim wie möglich zu halten. Diese Wissenschaft ist fast ausschließlich deutsch. Überdies hat sich das wenige, das über die Grenzen Deutschlands gedrungen ist, nicht gerade als ihr bester Teil erwiesen; es ist jene freisinnige Kritik, die sich brüstet, unvoreingenommen, gründlich und gleichzeitig christlich zu sein. Die Bücher sind nicht gerade Offenbarungen des heiligen Geistes, sondern sind Offenbarungen des Göttlichen durch den heiligen Geist der Menschlichkeit etc. So sind die Vertreter der Tübinger Schule ([Ferdinand Christian] Baur, [August Friedrich] Gfrörer etc.) in Holland und der Schweiz ebensosehr beliebt wie in England; will man jedoch ein wenig darüber hinausgehen, so folgt man [David Friedrich] Strauß. Derselbe nachsichtige, aber vollkommen unhistorische Geist beherrscht den berühmten Ernest Renan, der nur ein armseliger Plagiator der deutschen Kritiker ist. Von all seinen Werken gehört ihm nichts als die ästhetische Sentimentalität des durchdringenden Gedankens und die seichte Sprache, in die das Ganze gekleidet ist. Etwas Gutes hat Ernest Renan allerdings gesagt: ‚Wenn Sie einen genauen Begriff davon haben wollen, was die ersten christlichen Gemeinden waren, dann vergleichen Sie sie nicht mit den Kirchengemeinden unserer Tage; sie glichen eher lokalen Sektionen der Internationalen Arbeiterassoziation.‘“ 426 Engels, Buch der Offenbarung (wie Anm. 424), S. 15.



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 II.1 Progressive Staatsräson

Erfahrung der Französischen Revolution und ihrer Folgejahre.427 Das auf progressive Entwicklung bedachte klassische „Zeitalter der Transparenz und der Neutralität“428 wird von einem neuen, hoch politischen Fortschrittsglauben durchkreuzt, der mit der Vorstellung von beschleunigten Bewegungen auf eine greifbare bessere Zukunft hin verbunden ist. Während nun die philosophische „Neutralität des Tons“429 keineswegs mehr selbstverständlich ist, stecken die zentralen politisch-sozialen Begriffe einen neuen Erfahrungshorizont ab, der mit dem Ende absolutistischer Herrschaftsvorstellungen durchgehend demokratisiert, verzeitlicht, ideologisiert und politisiert erscheint.430 Das Denken radikalisiert sich – nach Koselleck in Verkennung der einst notwendigen, den konfessionellen Frieden sichernden Staatsfunktion  – in einem Wechselspiel von Revolution und Reaktion auf einer Entwicklungslinie mit nunmehr abstrakten Ideen (‚Geist‘, ‚Nation‘, ‚Natur‘) und Kollektivsingularen (‚Geschichte‘, ‚Freiheit‘, ‚Fortschritt‘) in seinem Zentrum.431 In diesem Kontext wird die JohannesOffenbarung als jenes bildgewaltige Buch wiederentdeckt, das seit jeher die Referenz zur Darstellung der alles entscheidenden Wende, des Aufstands der Unterdrückten und der Herbeiführung des neuen himmlischen Reichs war. Sowohl auf revolutionärer als auch auf reaktionärer Seite wird die ‚Apokalypse‘ zum Inbegriff der ‚Revolution‘ in der Geschichte und als solche zur verborgenen Kraft aller weiteren politischen Auseinandersetzungen. Ein kurzer Blick auf die Geschichte des Revolutionsbegriffs soll noch einmal die Bedingungen verdeutlichen, unter welchen die ‚Apokalypse‘ politisch oder vielmehr ‚physikopolitisch‘ adaptiert wurde.432 War das Wort revolutio bis 1600 fast ausschließlich im astronomischen und astrologischen Zusammenhang in Verwendung gewesen und für die Rückkehr eines Himmelskörpers in eine bestimmte Konstellation gestanden, so wurde der Begriff im 17. Jahrhundert auch auf politische Vorgänge übertragen, ohne allerdings noch die Konnotation des Zyklischen zu verlieren. Hierfür kann die

427 Vgl. zum Folgenden Garrett, Clarke: Respectable Folly. Millenarians and the French Revolution in France and England. Baltimore [u. a.] 1975; Schlobach, Jochen: Fortschritt oder Erlösung. Zu aufklärerischen und millenaristischen Begründungen der Revolution. In: Archiv für Kulturgeschichte 72 (1990). S. 202–222; Burdon, Christopher: The Apocalypse in England. Revelation Unravelling, 1700–1834. London [u. a.] 1997. S. 90–133; Meumann, Markus: Zurück in die Endzeit, oder: Ist die Moderne das Tausendjährige Reich Christi? Beobachtungen zum Verhältnis von heilsgeschichtlicher und säkularer Zukunftserwartung in der Neuzeit. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 52 (2004). S. 407–425. 428 Foucault, Ordnung der Dinge (wie Anm. 89), S. 89. 429 Derrida, Apokalyptischen Ton (wie Anm. 8), S. 19. 430 Vgl. Koselleck, Einleitung (wie Anm. 97), S. XV–XIX. 431 Vgl. Koselleck, Vergangene Zukunft der frühen Neuzeit (wie Anm. 314), S. 33–37; Koselleck, Historia Magistra Vitae (wie Anm. 114), S. 63–66. 432 Vgl. Koselleck, Reinhart: Historische Kriterien des neuzeitlichen Revolutionsbegriffs. In: ders., Vergangene Zukunft (wie Anm. 114), S. 67–88, insbes. S. 71; sowie Marramao, Giacomo: Macht und Säkularisierung. Die Kategorie der Zeit. Frankfurt a. M. 1989. S. 57–128.



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Erfahrung des Englischen Bürgerkriegs als maßgebend gelten, durch die sich, signifikant bei Thomas Hobbes, die Vorstellung eines Staates etablierte, der als räumlicher Garant für die Rückkehr zu einer früheren zeitlichen Ordnung und für die Absicherung eines ‚spiralförmigen‘ Fortschritts in Erscheinung trat. Der aufkommende Fortschrittsoptimismus ist damit als Idee der schrittweisen Kultivierung eines unbändigen soziopolitischen Naturzustands zu begreifen. Aus dieser Konstellation heraus entstand eine zunehmend wahrnehmbare Kluft zwischen ‚äußerer‘ staatlicher Rationalisierung und ‚innerem‘ anthropozentrischen Bewusstsein, zwischen dem Feld der ‚Politik‘ und dem Feld der ‚Moral‘.433 In Opposition zur Vorstellung der ‚politisch‘ geleiteten Einheit, die der absolutistische Staat unter den Bürgern anstrebte, wurde der Ruf der Aufklärung nach einer ‚moralisch‘ geleiteten Einheit der Bürger laut. Über die kollektive öffentliche Kritik sollte sich im Laufe des 18. Jahrhunderts ein Revolutionsbegriff artikulieren, der den eingefahren Dualismus von ‚kalter‘ Staatlichkeit und ‚wildem‘ Naturzustand zu durchbrechen suchte (‚Glorious Revolution‘ anstatt Bürgerkrieg) und einen utopischen Zustand der unumkehrbaren Erneuerung anstrebte. Für Koselleck findet sich gerade bei einem der prominentesten Vordenker der Französischen Revolution, bei Jean-Jacques Rousseau, der zukünftige Zustand der politischen Krise bzw. der permanenten Revolutionen prognostiziert. Ohne  – an dieser Stelle – näher auf die pauschale Abwertung von Rousseaus vermeintlich ‚einfältigen‘ Schriften genauer eingehen zu können,434 soll doch jene Schlussfolgerung aufgegriffen werden, die aus der Entthronung eines greifbaren Souveräns durch einen unsichtbaren ‚Gesamtwillen‘ gezogen wird:

433 Vgl. Koselleck, Reinhart: Kritik und Krise. Eine Studie zur Pathogenese der bürgerlichen Welt. Frankfurt a. M. 1973. S. 18–39, insbes. S. 38 f.: „Es ist also die Grundkonstellation des achtzehnten Jahrhunderts, daß die Entfaltung der moralischen Welt gerade auf der vorgängig gesicherten politischen Stabilität beruhte. Erst mit der politischen Neutralisierung der religiösen Auseinandersetzungen und mit der Einschränkung der Kriege auf reine Staatenkriege wurde der gesellschaftliche Raum freigelegt, in dem sich die neue Elite entfalten konnte. […] Der moralische Fortschritt ist also, in den geschichtlichen Zusammenhang gestellt, ein Produkt der politischen Stabilität. Die Stabilität beruhte aber ihrerseits auf einer politischen Verfassung, der zwangsläufig die Moral unterzuordnen sei. Im Zuge ihrer Entfaltung mußte daher die moralische Welt ebenso zwangsläufig, wie sie in der politischen Ordnung gründete, dieser Ordnung entwachsen. Der Weg, den sie dabei einschlagen sollte, war vorgezeichnet durch die einmal vollzogene Trennung des Naturrechts vom freien fürstlichen Entscheidungsbereich. Den Vertretern eines einheitlichen und vereinheitlichenden Naturrechts konnte diese Trennung nunmehr als eine doppelte Moral erscheinen, die es zu entlarven galt. Im Zuge der Entlarvung, d. h. der Aufklärung, verflüchtigte sich in gleicher Weise der ursprüngliche geschichtliche Sinn dieser Trennung: einen rationalen Bereich abzustecken für die politische Verantwortung. Die Politik wurde nur noch unter dem Blickwinkel des aufgeklärten Gewissens betrachtet.“ 434 Vgl. Koselleck, Kritik und Krise (wie Anm. 433), S. 135. Siehe demgegenüber, neben den entsprechenden Abschnitten im ersten und dritten Teil der vorliegenden Arbeit, Habermas, Jürgen: Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. Frankfurt a. M. 1990. Insbes. S. 178–195 (Kap. ‚Publizität als Prinzip der Vermittlung von Politik und Moral [Kant]‘) u. 195–209 (Kap. ‚Zur Dialektik der Öffentlichkeit [Hegel und Marx]‘).



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 II.1 Progressive Staatsräson

Undelegierbar, unrepräsentierbar verschwindet der Wille als Souverän im Unsichtbaren. Die Identität von Staat und Gesellschaft, von souveräner Entscheidungsinstanz und Gesamtheit der Bürger ist von Anbeginn dazu verurteilt, ein Mysterium zu bleiben. Der reine Wille als solcher, der sich selbst Ziel seiner Erfüllung ist, ist der wahre Souverän. Die Metaphysik der permanenten Revolution ist damit vorweggenommen. Das Ergebnis ist der totale Staat. Er beruht auf der fingierten Identität von bürgerlicher Moral und souveräner Entscheidung. […] Der absolute Gemeinwille, der keine Ausnahme kennt, ist die Ausnahme schlechthin. Die Souveränität von Rousseau enthüllt sich damit als eine permanente Diktatur [zit. Carl Schmitt]. Sie ist gleichursprünglich mit der permanenten Revolution, in die sich sein Staat verwandelt hat. Die Funktionen der Diktatur erfüllt der, dem es gelingt, den hypostasierten Gemeinwillen zu vollstrecken.435

Entscheidend ist die Feststellung einer politischen Unrepräsentierbarkeit des ‚Gemeinwillens‘, der faktisch nur durch eine Führerpersönlichkeit zu vollziehen sei. Diese Latenz der Diktatur wird nun gerade von einer ‚Repräsentationskultur‘ überlagert, die den demokratischen Willen laufend zur Darstellung zu bringen versucht. Vor diesem Hintergrund lässt sich die Aktualisierung und Popularisierung der ‚Apokalypse‘ als Ausdruck postrevolutionärer Erfahrungen begreifen, die noch über einen weiteren zentralen Aspekt des ‚Revolutionären‘ erschlossen werden soll. Nach 1789 kam es zu einer semantischen Ausweitung des Revolutionsbegriffs, der nun allgemein im Zusammenhang mit der Erschütterung von Oberflächenordnungen durch Tiefenphänomene angewendet wurde. Es erfolgte eine Rückübersetzung des Begriffs, der zuvor innerhalb der Wahrnehmung einer zyklisch-kosmischen Naturgesetzmäßigkeit in Verwendung gewesen war, danach auf soziopolitische Kreisläufe angelegt wurde und nun erneut, diesmal allerdings mit Kräften der Eruption und Störung konnotiert, in einem naturgeschichtlichen Kontext Verwendung fand.436 Bei Herder etwa lässt sich die Adaption des von Voltaire politisch gebrauchten Begriffs auch in den Natur- und Sprachwissenschaften feststellen, um gewaltsame Umbrüche innerhalb einer Entwicklung zu bezeichnen und die Vorstellung von einzelnen gesonderten Epochen zu unterstreichen. Vor allem auch in der Geognosie, der frühen Erdkunde, bezeichnete er Vorgänge der Diskontinuität in der planetarisch-terrestrischen Entwicklung und ließ ihn als Gegenbegriff zur ‚Evolution‘ erscheinen (für die sich Herder politisch entscheiden sollte). Um 1800 lässt sich demnach eine begriffliche Kongruenz in der Wahrnehmung von soziopolitischen und naturgeschichtlichen Ereignissen feststellen, die als Revolution einer Grundordnung gedeutet werden konnten. Sie ist essenziell für das Verständnis der demokratischen Repräsentationskraft, die der ‚Apokalypse‘ zugrunde liegt und die sie zu weit mehr als zur Ausstatterin von säkularen Weltuntergangserwartungen macht.

435 Koselleck, Kritik und Krise (wie Anm. 433), S. 136 f. 436 Vgl. Rahden, Walter von: Revolution und Evolution. In: Forum Interdisziplinäre Begriffsgeschichte 1/1 (2012). http://www.zfl-berlin.org/tl_files/zfl/downloads/publikationen/forum_begriffsgeschichte/ZfL_FIB_1_2012_1_Rahden_Revolution.pdf (30.04.2016).



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Die Umwertung des Apokalyptischen im revolutionären Kontext lässt sich in Anschluss an Till R. Kuhnle anhand des 1793 uraufgeführten Revolutionsdramas Le Jugement dernier des rois. Prophétie en un acte, en prose von Sylvain Maréchal veranschaulichen.437 Es zeigt sich darin, inwieweit die zeitgenössischen Darstellungen der Naturkatastrophe und des Weltuntergangs explizit als Allegorien der Volkserhebung zu lesen sind, die auf der Bühne und schließlich auf den Panoramaleinwänden breitenwirksam in Szene gesetzt wurden und die politische Stellung des Bürgertums reflektierten. Bei Maréchal finden sich nach der erfolgreichen Revolution alle europäischen Monarchen (bis auf den enthaupteten französischen) und der Papst von etwa einem Dutzend sans-culottes, die die europäischen Nationen vertreten, auf einer Vulkaninsel ausgesetzt. Nachdem die einstigen Souveräne durch interne Querelen über die zugeteilte Essensration ihre politische und vor allem auch sittliche Unzulänglichkeit unter Beweis gestellt haben, bekennen sie sich schließlich zur bürgerlichen Verfassung. Bevor es jedoch so weit kommt, dass sie zu den Jakobinern überlaufern und selbst der Papst Familiensinn entwickelt und in den Ehestand tritt, werden sie beim Ausbruch des Vulkans, der bereits die ganze Zeit über im Hintergrund geschwelt hat, von Flammen umringt und von der Erde verschlungen. Die Naturgewalten vollziehen damit am Ende als Letztes Gericht jenes Urteil, das das Volksgericht aufgeschoben hat. In dieser „konsequente[n] Übertragung des apokalyptischen Schemas“438 vermitteln die hereinbrechenden Naturgewalten vor allem eines: dass die Könige keine absolute Macht mehr besitzen und alle Menschen grundsätzlich gleich und frei sind. Wie Kuhnle weiter ausführt, „versinnbildlicht der ausbrechende Vulkan im modernen Bewusstsein sowohl die unbändige Kraft der Natur als auch das revolutionäre Potenzial einer Gesellschaft oder Klasse – man denke nur an die Internationale: ‚Das Recht wie Glut im Kraterherde […]‘.“439 Ab 1800 wird die visualisierte Apokalypse zur Allegorie des Bürgertums und Repräsentation seiner revolutionären Kraft und latenten Macht, sie wird zur ultimativen Verhandlung globaler bürgerlicher Autonomie über mediale Inszenierung – und also Distanzierung: […] zur Allegorie geronnen, hat Geschichte jeden prozessualen Charakter verloren – und damit auch die Apokalypse ihre eschatologische Gewalt. […] Ergänzend sei hinzugefügt, dass die symbolische Wiederholung eigentlich schon nicht mehr der Tat selbst gilt, sondern bereits einer Repräsentation derselben, die sie ihrer Historizität enthebt. Maréchals Revolutionsdrama ist eine akute Uchronie, eine säkulare apokryphe Umschrift der biblischen Apokalypse; und ihre antizipatorische Botschaft kann auf eine einfache Formel gebracht werden: Viel wird nicht mehr kommen!440

437 Vgl. Kuhnle, Till R.: Das Fortschrittstrauma. Vier Studien zur Pathogenese literarischer Diskurse. Tübingen 2005. S. 240–249. 438 Kuhnle, Fortschrittstrauma (wie Anm. 437), S. 240. 439 Kuhnle, Fortschrittstrauma (wie Anm. 437), S. 245. 440 Kuhnle, Fortschrittstrauma (wie Anm. 437), S. 246 f. (Hervorhebung im Original). Vgl. insbes. auch Schlobach, Fortschritt (wie Anm. 427).



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 II.1 Progressive Staatsräson

Die Behauptung: Wo die Apokalypse repräsentiert wird, findet keine revolutionäre Bewegung statt, findet sich den politischen Parametern der Moderne entsprechend, d. h. in einem Bevölkerungsdiskurs aktualisiert und macht strenggenommen erst aus dieser Konstellation heraus historisch Sinn. Die Zukunft ist nun zwar nach wie vor offen, aber das Ende immer auch schon mit folgender Ernüchterung eingetreten. Darüber hinaus hat der Weltuntergang mit der eschatologischen Gewalt seinen zwingend gemeinschaftlichen Charakter eingebüßt. Er findet seinen Platz auf der Bühne, in Hymnen und im Panorama, das den Horizont der möglichen gewaltigen Kräfte umreißt und Inbegriff des erhabenen Vollzugs in der Moderne wird.441 Ausgestattet mit einer neuen massiven Bedeutung, mit der etwa auch der Begriff ‚Armageddon‘ (erstmals bei Mary Shelley)442 belegt wird, umreißt der Begriff ‚Apokalypse‘ die kollektive Grenze, jene äußerste Linie, die die Welt und den Menschen in seiner Anschauung im gleichen Maße betrifft. Der Mensch steht und fällt mit der ganzen ‚Welt‘, die nun nicht mehr im Hinblick auf den Souverän und seine allgemeinen Organisationen, sondern als eine Oberfläche von tieferen Organisationsformen verstanden wird.443 Dieselben entscheidenden politischen Verhandlungselemente, die Maréchals Revolutionsdrama aufweisen, lassen sich anhand des Gemäldes An Attempt to Illustrate the Opening of the Sixth Seal (1828) des irischen Malers Francis Danby unterstreichen. Danby gilt in Sachen viktorianischer Untergangspanoramen als direkter Konkurrent des populäreren und bis vor kurzem weitgehend in Vergessenheit geratenen Malers und Grafikers John Martin, der unter anderem ein Triptychon der Endzeit hinterließ (The Last Judgment, The Great Day of His Wrath, The Plains of Heaven, 1851–1854).444 Die Werke beider Maler gaben aber nicht nur aus ästhetischen Gründen Anlass für Schlagzeilen: John Martins Bruder Jonathan sorgte mit einer Brandstiftung im York Minster dafür, dass die apokalyptischen Szenen Johns eine reale Entspre-

441 Vgl. Koschorke, Albrecht: Die Geschichte des Horizonts. Grenze und Grenzüberschreitung in literarischen Landschaftsbildern. Frankfurt a. M. 1990. S. 157: „Der Panoramablick ist der visuelle Vollzug der bürgerlichen Emanzipation von der Vorherrschaft der alten gesellschaftlichen Mächte. Er fügt sich in den Kontext der zahlreichen subjektiven Bemächtigungsphantasien ein, die mit der Erhebung über die fesselnden Kräfte der Natur zugleich den Ausbruch aus der Enge der überkommenen sozialen Restriktionen antizipieren.“ Vgl. zum Panorama allgemein Oettermann, Stephan: Das Panorama. Die Geschichte eines Massenmediums. Frankfurt a. M. 1980. 442 Vgl. Warner, Marina: Engel & Maschinen: Die Kultur der Apokalypse. In: Sinn und Form. Beiträge zur Literatur 1 (2007). S. 5–31, hier S. 16: „Es ist von Bedeutung, daß gerade das Wort Armageddon mit seinen seltsamen phonetischen Assoziationen zu Armeen und Monstern erst seit dem 19. Jahrhundert einen historischen Kataklysmus, einen echten ‚Endkampf‘ abbildet.“ 443 Vgl. Braun, Welt (wie Anm. 420), S. 471–500, insbes. S. 476: „Gerade die Entwicklung zur Organisation des menschlichen Zusammenlebens in einer Vernunftwelt führt zur kollektiven Erfahrung der Grenze, an der die Abhängigkeit von einer anderen Grundordnung sich aufdrängt.“ 444 Einem großen Publikum wurde John Martin 2011/2012 durch die Ausstellung Apocalypse in der London Tate Gallery in Erinnerung gerufen.



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chung bekamen, und The Opening of the Sixth Seal fiel einem Vandalenakt mit noch eindeutigerer politischer Aussagekraft zum Opfer. In Danbys Gemälde, das auf die vorletzte Siegelöffnung in der Johannes-Offenbarung vor den verheerenden Posaunenstößen der Engel Bezug nimmt,445 finden sich in einer typisch panoramatischen oder dioramatischen Darstellung etwa zwei Drittel der Bildfläche von tobenden Naturgewalten im blutroten Schein der Lava und des Mondes eingenommen. Die Dunkelheit wird von einer gewaltigen Blitzdiagonale durchzogen, die aus dem hellerleuchteten oberen Bildteil mit einem Kreuzsymbol in dessen Mitte hervorkommt. Die Menschen scheinen machtlos und schamvoll auf die Felsen geworfen, deren Deckung sie suchen, deren Herabfallen sie laut JohannesOffenbarung vielmehr noch wünschen, um dem letzten Gericht zu entgehen. Jetzt, um 1800, geht es hingegen weniger mehr um den göttlichen Blick, auf den die ‚Pastoralmacht‘ einst rekurrieren konnte, um das Gericht bis in die tiefsten Winkeln der Erde und des Menschen zu bringen und in ein Jenseits zu verschieben. Der Weltuntergang selbst gibt den äußersten Horizont vor, von dem aus die diesseitigen Hierarchien reflektiert werden. Vor dem Hintergrund höchster Gewalten, über die der Souverän seine repräsentative Macht verloren hat und die alle Menschen, und also alle Stände, in gleicher Weise betreffen, werden die Bilder der Johannes-Offenbarung zum demokratischen Szenario menschlicher Egalität. Erneut zeigt sich, dass der Weltuntergang auf Seiten des Individuums und für das Potenzial und die autonome Größe der Volksmasse steht. Links unterhalb der Bildmitte ist ein Sklave dargestellt, dessen Ketten gesprengt wurden und, während alle anderen Menschen um ihn herum zu Boden sinken oder in den Abgrund stürzen, nun im letzten Moment sozialer Freiheit die Arme in die Höhe reißt. Der König, dessen Krone vom Kopf gefallen ist, liegt ihm zu Füßen. Die Frage der Offenbarung nach der möglichen Kraft, gegen die Gewalten bestehen zu können, wird mit einer Darstellung des Befreiungsaktes des geringsten Individuums beantwortet. Im Jahre 1843 wurde eben diese zentrale Stelle des Gemäldes von zwei Besuchern einer Gemäldeausstellung im nordwestenglischen Rochdale herausgeschnitten.446

445 Siehe Offb. 6,12–17 (Einheitsübersetzung): „Und ich sah: Das Lamm öffnete das sechste Siegel. Da entstand ein gewaltiges Beben. Die Sonne wurde schwarz wie ein Trauergewand und der ganze Mond wurde wie Blut. / Die Sterne des Himmels fielen herab auf die Erde, wie wenn ein Feigenbaum seine Früchte abwirft, wenn ein heftiger Sturm ihn schüttelt.  / Der Himmel verschwand wie eine Buchrolle, die man zusammenrollt, und alle Berge und Inseln wurden von ihrer Stelle weggerückt. / Und die Könige der Erde, die Großen und die Heerführer, die Reichen und die Mächtigen, alle Sklaven und alle Freien verbargen sich in den Höhlen und Felsen der Berge. / Sie sagten zu den Bergen und Felsen: Fallt auf uns und verbergt uns vor dem Blick dessen, der auf dem Thron sitzt, und vor dem Zorn des Lammes; / denn der große Tag ihres Zorns ist gekommen. Wer kann da bestehen?“ 446 Vgl. Adams, Eric: Francis Danby. Varieties of Poetic Landscape. New Haven/London 1973. S. 78– 82. Die noch heute sichtbaren Schnittlinien sind im Auszug des Gemäldes näher zu erkennen, das dem vorliegenden zweiten Teil der Arbeit vorangestellt ist.



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Mag es sich dabei um Gegner der Abolition gehandelt haben, die mit dem Akt ein öffentliches Zeichen gegen die Aufhebung der Sklaverei im britischen Kolonialreich setzen wollten, so weisen sie mit dem Vandalenakt auf das wesentliche Strukturmerkmal moderner apokalyptischer Darstellungen hin: Das Individuum im Zentrum des Gemäldes repräsentiert in seiner gewonnen Freiheit den bürgerlichen Betrachter, dessen Erhabenheit in dieser Welt unantastbar ist. In apokalyptischen Szenarien wird er sich fortan immer wieder – utopisch – von seiner Handlungsvollmacht oder – dystopisch – von seiner Handlungsohnmacht überzeugen können. Jenseits der realapokalyptischen Massenerfahrungen des 19. und 20. Jahrhunderts und abseits der sich um 1900 restituierenden realpolitischen Gesellschaftsentwürfe447 wird sich das Bürgertum in ‚apokalyptischen‘ Szenarien existenziell auf dieses Imago sui (im Gegensatz zum Imago dei)448 demokratischer Selbstbestimmung zurückgeworfen sehen. Der Vandalenakt an Danbys Gemälde weist darauf hin, dass die Frage nach der repräsentativen Besetzung des Zentrums im politischen Diskurs um die Mitte des 19. Jahrhunderts virulent geworden war. Die Repräsentation der bürgerlichen Revolution schien sich überholt zu haben. Hier lässt sich mit der Repräsentationskritik von Karl Marx in Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte (1851) anschließen, die nach der ‚Farce‘ der politischen Ereignisse nach der französischen Februarrevolution 1848 die Notwendigkeit herausstreicht, der vergangenheitsbezogenen bürgerlichen nun eine zukunftsbezogene proletarische Revolution entgegenzustellen: Die Tradition aller toten Geschlechter lastet wie ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden. Und wenn sie eben damit beschäftigt scheinen, sich und die Dinge umzuwälzen, noch nicht Dagewesenes zu schaffen, gerade in solchen Epochen revolutionärer Krise beschwören sie ängstlich die Geister der Vergangenheit zu ihrem Dienste herauf, entlehnen ihnen Namen, Schlachtparole, Kostüm, um in dieser altehrwürdigen Verkleidung und mit dieser erborgten Sprache die neuen Weltgeschichtsszene aufzuführen. So maskierte sich Luther als Apostel Paulus, die Revolution von 1789–1814 drapierte sich abwechselnd als römische Republik und als römisches Kaisertum, und die Revolution von 1848 wußte nichts besseres zu tun, als hier 1789, dort die revolutionäre Überlieferung von 1793–1795 zu parodieren. So übersetzt der Anfänger, der eine neue Sprache erlernt hat, sie immer zurück in seine Muttersprache, aber den Geist der neuen Sprache hat er sich nur angeeignet, und frei in ihr zu produzieren vermag er nur, sobald er sich ohne Rückerinnerung in ihr bewegt und die ihm angestammte Sprache in ihr vergißt.449

Die soziale Revolution müsse „die Toten ihre Toten begraben lassen, um bei ihrem eigenen Inhalt anzukommen“,450 wollte sie nicht zur Karikatur der Vergangenheit,

447 Vgl. Michler, Träume der Vernunft (wie Anm. 383), S. 357–367. 448 Vgl. Zirfas, Jörg u. Benjamin Jörissen: Phänomenologien der Identität. Human-, sozial- und kulturwissenschaftliche Perspektiven. Wiesbaden 2007. S. 243–252. 449 Marx, Karl: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. In: Marx u. Engels, Werke (wie Anm. 424), Bd. 8, S. 111–207, hier S. 115. Vgl. insbes. auch Gamper, Masse (wie Anm. 195), S. 293–297. 450 Marx, Achtzehnte Brumaire (wie Anm. 449), S. 117.



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sondern eine Bewegung der Zukunft werden. Der ‚Geist‘ der Revolution sei nur über den Bruch mit dem ‚Gespenst‘ der Repräsentation aufrechtzuerhalten. Ein kurzer Blick auf die Nationengründung Deutschlands kann abschließend noch einmal den immanent politischen Charakter und die eruptive Tendenz der ‚Apokalypse‘ veranschaulichen.451 Wie Klaus Vondung aufgezeigt hat, lässt sich für Deutschland die „Geburt des Nationalismus aus dem Geist der Apokalypse“452 ableiten. Demnach trat der bildungsbürgerliche ‚Volksgeist‘ erstmals in der französischen Besatzungszeit, insbesondere in den ‚apokalyptischen‘ Interpretationen von Johann Gottlieb Fichte, Ernst Moritz Arndt, Friedrich Schleiermacher und Friedrich Ludwig Jahn, als „Protagonist des deutschen Nationalismus“453 in Erscheinung. Nach den enttäuschten Hoffnungen einer nationalen Einheitsbildung in der Restaurationszeit sollte die ‚Apokalypse‘ weiter im Untergrund schwelen und das gesamte 19. Jahrhundert über nur in kürzeren Kriegs- und Krisenzeiten aktualisiert werden. Der Wiener Kongreß und die anschließende Restauration in Deutschland machten nicht nur den ‚Ideen von 1789‘ ein Ende, sondern enttäuschten auch die Hoffnungen, die in den Volksgeist gesetzt worden waren. […] Für die etablierten Mächte war selbst der nationalistische Volksgeist revolutionärer Umtriebe verdächtig, obwohl er sie nicht mit republikanischen und demokratischen Ideen bedrohte. So erlosch das apokalyptische Feuer für lange Zeit fast völlig. Dennoch blieb der Volksgeist in den Köpfen der Gebildeten lebendig; er gewann im Laufe des 19. Jahrhunderts wieder an Bedeutung, und zwar umso mehr, je nachdrücklicher das Drängen des Bürgertums nach politischer Emanzipation abgewiesen wurde. Die apokalyptische Potenz des Nationalismus äußerte sich allerdings nur gelegentlich in schwachen Protuberanzen. Während der Rheinkrise 1840, der Krise um Schleswig-Holstein 1848 und des deutsch-französischen Kriegs 1870/71 schmückten manche Autoren ihre patriotischen Gedichte mit apokalyptischen Bildern, aber im Vergleich zur Lyrik der Befreiungskriege waren dies kraftlose Nachklänge. 1914 jedoch zeigte sich der Volksgeist wieder voll und ganz in seiner apokalyptischen Gestalt.454

Letztlich lässt sich auch die von Hermann Broch festgestellte ‚fröhliche Apokalypse Wiens‘ darin definieren, dass Österreich „im 19. Jahrhundert nicht nur im Geistigen,

451 Der französische, englische und nordamerikanische ,apokalyptische‘ Nationaldiskurs wurde bereits oder wird noch an anderer Stelle thematisiert. Dieser sollte für alle Staaten spezifisch nachvollzogen werden können; zu Russland etwa vgl. Bethea, David M.: The Shape of Apocalypse in Modern Russion Fiction. Princeton 1989; sowie Hansen-Löve, Aage A.: Diskursapokalypsen: Endtexte und Textenden. Russische Beispiele. In: Das Ende. Figuren einer Denkform. Hrsg. von Karlheinz Stierle u. Rainer Warning. München 1996 (Poetik und Hermeneutik 16). S. 183–250, insbes. S. 184: „Bei allen Zweifeln am apokalyptischen Wesen der russischen Kultur und Literatur – gibt es dergleichen nicht auch im Mythos Amerika, ja will nicht ein jedes Land gottunmittelbar, also Unterpfand eines Dritten Reiches der Freiheit sein? – läßt sich eines mit Sicherheit behaupten: Die russische Kultur hatte ein besonderes Verhältnis zur Apokalyptik; schon von ihren frühesten Anfängen an war sie vom Ende und Endzeitlichen fasziniert.“ 452 Vondung, Apokalypse (wie Anm. 12), S. 152–161. 453 Vondung, Apokalypse (wie Anm. 12), S. 176. 454 Vondung, Apokalypse (wie Anm. 12), S. 189 f.



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 II.1 Progressive Staatsräson

sondern auch im Politischen […] museal geworden“455 war. Im Gegensatz zur ‚Weltstadt‘ Paris, mit der sie an sich die im Barock ausgebildeten höfisch-kulturellen Voraussetzungen gemein hatte, sollte Wien zu einem dekorativen Vakuum werden, je offensichtlicher die Stadt den weltwirkenden, d. h. vor allem auch weltrevolutionären Auftrag versäumte. Nach 1848 geriet die Stadt, selbst ihre Proletarierviertel nicht ausgenommen, immer tiefer ins Unrevolutionäre, ins Hedonistische, ins Skeptisch-Freundliche, Freundlich-Skeptische; Wien wurde zur Un-Weltstadt […].456 Es war Politisierungs-Angst, tiefeingewurzelte Abneigung gegen die durch Glaubensfragen  – andere Ursachen kamen damals [in der Frühen Neuzeit] kaum in Betracht – politisierte Masse, und an der bittern Erfahrung des Dreißigjährigen Krieges erhärtete sich diese Angst so gründlich, daß dem gegenüber den Massen ähnlich eingestellten Jesuitismus nicht nur die Leitung der Gegenreformation, sondern auch ein entscheidender Einfluß auf die Art der Staatsgebarung eingeräumt wurde. […] Das waren die Waffen, mit denen Habsburg der in der Periode 1789 bis 1848 heraufziehenden Demokratisierung begegnete.457

Die Entpolitisierung der Bevölkerung habe in einer latenten Untergangsstimmung resultiert, die sich in einer „nörgelnden Aufsässigkeit“ und „Unernsthaftigkeit“ bemerkbar machte, gewissermaßen als „unpolitisch gewordene[r] Rest eines einstens unzweifelhaft vorhanden gewesenen Revolutionärismus“.458 Künstlerisch lässt sich diese umfassende reaktionäre Tendenz nicht nur in der Operettenform bei Johann Strauß, sondern etwa auch in den ab 1848 vermehrt auftauchenden statischen Elementen in der Literatur Adalbert Stifters nachvollziehen.459

455 Broch, Hermann: Hofmannsthal und seine Zeit [1947/48]. In: Kommentierte Werkausgabe. Hrsg. von Paul Michael Lützeler. Frankfurt a. M. 1974–1981. Bd. 9/1: Schriften zur Literatur 1. Kritik. S. 111– 284, insbes. S. 145–175 (Kap. ‚Die fröhliche Apokalypse Wiens um 1880‘), hier S. 151. 456 Broch, Hofmannsthal (wie Anm. 455), S. 152. 457 Broch, Hofmannsthal (wie Anm. 455), S. 156 f. 458 Broch, Hofmannsthal (wie Anm. 455), S. 174. 459 Vgl. Michler, Träume der Vernunft (wie Anm. 383), S. 355 f.: „Jenes Gewitter [in Stifters Roman Nachsommer (1857)], das ‚nicht stattfindet‘, wurde als verdrängte Präsenz der Revolution von 1848 gerade in einem Text gelesen, der in beispielloser Konsequenz auf evolutionäre, gradualistische Prozesse abhebt; denn die ‚Naturkatastrophe‘ des Gewitters ist Bestandteil der Kollektivsymbolik der Epoche für politische Katastrophen. Stifter, der als bürgerlicher Liberaler anfangs mit der Märzrevolution sympathisierte, hatte sich ja, erschreckt von dem zunehmend gewaltförmigen und proletarischen Charakter der revolutionären Ereignisse, von der Politik abgewandt, verfasste politische Pamphlete gegen die in seinen Augen unheilvolle und standeswidrige Beteiligung von Schriftstellern an den Ereignissen und zog sich nach Linz zurück; in seiner Literatur verstärkten sich hinfort die statischen Elemente, die als Abdichtungen gegen Einbrüche der Leidenschaften wirken sollten, sei es der politischen oder der sinnlichen, und jener als Chiffre für diese. Stifter wurde mit den politisch-pädagogischen Schriften der Revolutionszeit zum politischen Intellektuellen, der die Sphäre der Kunst durch die Revolution bedroht glaubte, das Proletariat als ‚neuen Hunnenzug‘ fürchtete und überhaupt die



II.2 Weltanschauung der Biomacht Horizonte des Erhabenen Während es Jacques Derrida zukommt, den von Immanuel Kant 1796 angeklagten vornehmen Ton in der Philosophie als apokalyptischen Ton erkannt und weiter- bzw. uminterpretiert zu haben, hat Hartmut Böhme wiederum im Anschluss daran das „Erhabene als die apokalyptische Signatur“460 des modernen Zeitalters aufgefasst, insofern als es sich dabei gerade um „radikale Anti-Apokalypse“461 handelt. Die kritische Vernunft ziehe sämtliche Gewalten, die sie potenziell übersteigen können, repräsentativ auf ihre Seite. In dieser konsequenten Selbstbehauptung überspiele es in letzter Konsequenz all jene Themen, die vormals in direktem Bezug zum Jüngsten Gericht gelesen wurden. Das bedeutet zweierlei: Einerseits schließt die Moderne weiterhin all jene dunklen, explosiven, Besitz ergreifenden Stimmen aus, die sich der öffentlichen Vernunft entziehen und eine latente politische Gefahr darstellen; andererseits werden alle Katastrophenereignisse in gleichermaßen kollektiver wie individueller Selbstaffirmation überwunden und für den bürgerlichen Horizont kommensurabel gemacht. Seit 1800 zielt nach Böhme alles auf eine ungestörte „Überschreibung der gesamten menschlichen Energie ins Imaginäre“462 ab. Wie bereits erwähnt hatte Kant schon 1794 die Frage nach dem Ende aller Dinge direkt aufgegriffen, was auch als Antwort auf die postrevolutionären Ereignisse in Frankreich aufgefasst werden kann.463 Im Glauben an das Letzte Gericht nimmt er den moralischen Stellenwert in der individuellen und allgemeinen Lebensbetrachtung wahr und folgert, dass „jene Vernunftideen schlechterdings nur auf die Bedingungen des praktischen Gebrauchs einzuschränken“464 seien. Schließlich habe man es dabei nur mit Ideen zu tun, „die die Vernunft sich selbst schafft, wovon die Gegenstände […] ganz über unsern Gesichtskreis hinausliegen“, weshalb nichts überbleibe, als nach „auf den Endzweck aller Dinge gerichteten Grundsätze[n] zu denken“.465 Da die weit-

Eroberung Europas durch die wilden Völkerschaften des Ostens herannahen sah. Die Revolution firmiert im gesamten bürgerlichen 19. Jahrhundert als das apokalyptische Schreckbild schlechthin.“ 460 Böhme, Vergangenheit und Gegenwart (wie Anm. 14), S. 393. 461 Böhme, Vergangenheit und Gegenwart (wie Anm. 14), S. 392. 462 Böhme, Vergangenheit und Gegenwart (wie Anm. 14), S. 394; ästhetikgeschichtlich kann diese Entwicklung im „Übergang vom Körper-Heroismus des herkulischen Helden (dem vormodernen Dummkopf) zum Abstraktions-Heroismus der entkörperten Vernunft“ nachvollzogen werden. 463 Kant, Ende aller Dinge (wie Anm. 401). Vgl. Lesch, Walter: Verlorenes Paradies und befristete Zeit. Variationen über Geschichtsphilosophie und Apokalyptik. In: Pezzoli-Olgiati, Zukunft unter Zeitdruck (wie Anm. 93), S. 33–65, hier S. 49–52; Fœssel, Michaël: Après la fin du monde. Critique de la raison apocalyptique. Paris 2012. S. 57–71. 464 Kant, Ende aller Dinge (wie Anm. 401), S. 330. 465 Kant, Ende aller Dinge (wie Anm. 401), S. 332 f.



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 II.2 Weltanschauung der Biomacht

gehend ausgewogenen Zustände des 18. Jahrhunderts früher oder später von Umwälzungen betroffen seien, könne der liberale Kern des Christentums die gewünschten pflichtbewussten Effekte im Menschen zeitigen. Dem gegenüber aber übe der Gedanke an das Ende aller zeitlichen Dinge und an einen zeitlichen Stillstand, der kein fortschreitendes Selbstbewusstsein mehr zuließe, eine dunkle Faszination aus: Dieser Gedanke hat etwas Grausendes in sich: weil er gleichsam an den Rand eines Abgrunds führt, aus welchem für den, der darin versinkt, keine Wiederkehr möglich ist […]; und doch auch etwas Anziehendes: denn man kann nicht aufhören, sein zurückgeschrecktes Auge immer wiederum darauf zu wenden. […] Er ist furchtbar-erhaben: zum Theil wegen seiner Dunkelheit, in der die Einbildungskraft mächtiger als beim hellen Licht zu wirken pflegt.466

Die Vorstellung vom Ende aller Zeiten erweist sich als undenkbar, in ihrem Ausmaß als „bloß negative[r] Begriff“,467 und wird in ein Bild übersetzt, das von der spekulativen Vernunft umrahmt wird.468 Jeder ‚Weltanschauung‘, die begriffsgeschichtlich konsequenterweise erstmals in Kants Analytik des Erhabenen belegt ist,469 muss eine Idee der Unendlichkeit als unfassbares Substrat (Noumenon) zugrunde liegen, von dem sie sich abheben kann. Der Verstand hat sich bedingungslos über das Übermaß und die Mannigfaltigkeit der natürlichen Erscheinungen hinwegzusetzen, was bedeutet, dass „die Erhabenheit in keinem Dinge der Natur, sondern nur in unserm Gemüte enthalten [ist], sofern wir der Natur in uns, und dadurch auch der Natur (sofern sie auf uns einfließt) außer uns, überlegen zu sein uns bewußt werden können.“470 Es geht in Anbetracht der unermesslichen Naturkräfte und -gewalten um den jeweiligen Standpunkt, von dem ausgehend erst die „Stimmung des Gemüts zum Gefühl des Erhabenen“471 möglich wird. Stellt Jean Pauls Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, daß kein Gott sei (1796) einen der apokalyptisch-existenzialistischen Urtexte der Moderne dar, in dem in einem Gedankenexperiment die Nichtigkeit allen Seins vorstellbar gemacht wird,472 soll an dieser Stelle ein anderer Text Jean Pauls die frühe Auseinandersetzung mit dem Endzeitgedanken als ‚negativem Begriff‘ demonstrieren. In Die ­wunderbare

466 Kant, Ende aller Dinge (wie Anm. 401), S. 327. 467 Kant, Ende aller Dinge (wie Anm. 401), S. 327. 468 Vgl. Fœssel, Fin du monde (wie Anm. 463), S. 57–71. 469 Kant, Immanuel: Kritik der Urteilskraft. In: Werkausgabe (wie Anm. 9), Bd. 10, S. 189. Vgl. Braun, Welt (wie Anm. 420), S. 472. 470 Kant, Kritik der Urteilskraft (wie Anm. 469), S. 189. 471 Kant, Kritik der Urteilskraft (wie Anm. 469), S. 189. 472 Vgl. Becker, Claudia: Der Traum der Apokalypse – die Apokalypse ein Traum? Eschatologie und/ oder Ästhetik im Ausgang von Jean Pauls ‚Rede des toten Christus‘. In: Kaiser, Poesie der Apokalypse (wie Anm. 32), S. 129–144; Horn, Eva: Die romantische Verdunklung. Weltuntergänge und die Geburt des letzten Menschen um 1800. In: Wieser [u. a.], Abendländische Apokalyptik (wie Anm. 77), S. 101– 124, hier S. 104–107; Horn, Eva: Zukunft als Katastrophe. Fiktion und Prävention. Frankfurt a. M. 2014. S. 45–53; Michler, Träume der Vernunft (wie Anm. 383), S. 364 f.



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Gesellschaft in der Neujahrsnacht (1801) wird der Ich-Erzähler am Silvesterabend zum 19. Jahrhundert (also am 31. Dezember 1800) von Phantasiegestalten, den „drei Propheten der Zeit“,473 heimgesucht, die ihm die Zukunft der Menschheit weissagen. Nachdem er bereits den Nachmittag über von Gedanken an den „über den unabsehlich-langen, um die Erde kriechenden Storm der künftigen Zeit“474 und den zukünftig vergehenden Generationen bedrückt worden war, erfährt er nun die Vergänglichkeit allen Seins und allen Handelns, und mit dem Ende aller Autorschaft das Ende der apokalyptischen Buch-Metapher. „Ich werde also so gut verschwinden“, fuhr ich fort, „wie mein Jahrhundert – die Sanduhr der Zeit wird ihren Hügel so gut über mich gießen wie über den Hesperus am Himmel, wahrlich ich werde und muß einen letzten Leser haben …. Letzter Leser – – eine wehmütige und sanfte Idee!“475

Die Idee zeitlicher Unendlichkeit, die nicht mehr von der Zukunft begrenzt oder als Fortschritt gedacht wird, wirft existenziell neue Fragen nach dem individuellen Überleben und dessen Zeugenschaft auf. Der Gedanke an eine unbegreifliche Zeit führt nicht nur zur Vorstellung vom letzten Leser, mit dem der Autor in absolute Vergessenheit fällt, sondern auch zur Vorstellung vom letzten Menschen, der anschauender Zeuge des naturgeschichtlichen Weltuntergangs wird. „Es gibt einmal einen letzten Menschen – er wird auf einem Berg unter dem Äquator stehen und herabschauen auf die Wasser, welche die weite Erde überziehen […]  – Bald flattert das noch von dir bewohnte Sonnenstäubchen hinauf, und die größern blinkenden Staubkörner auch; aber die Sonne trägt den Kindersarg der Menschheit leicht im Arm und hüpfet, von deiner Flugerde schwach betäubt, jugendlich, obwohl kinderlos, mit andern Schwestern um die Muttersonne weiter … Schwacher Sterblicher! der du vor allem zitterst, was älter wird als du, höre weiter! Auch die Sonnen der Milchstraße ergreifen endlich einander feindlich und umschlingen sich kämpfend zu einer Riesenschlange, und eine chaotische Welt aus Welten arbeitet brennend und flutend […]. Letzter Mensch, denke nicht nach über die lange Welt vor und nach dir; im Universum gibt’s kein Alter – die Ewigkeit ist jung – sinke in die Welle, wenn sie kommt, sie versiegt, und nicht du!“476

Die Figur des ‚letzten Menschen‘ soll zum existenzialistischen Topos werden, der im Folgekapitel noch näher beschäftigen wird. An ihm zeigt sich vor allem die intellektuelle Grundaufstellung, die den ‚Tod Gottes‘ und die ‚Geburt des Menschen‘ in der Moderne begleiten. Das idealistische Selbstbewusstsein ist immer auch davon

473 Richter, Johann Paul Friedrich: Die wunderbare Gesellschaft in der Neujahrsnacht. In: Werke. Hrsg. von Norbert Miller. München/Wien 1975. Bd. 8: Kleinere erzählende Schriften (II). Anhang zu den Bänden 7 und 8. S. 1121–1138, hier S. 1125. 474 Richter, Wunderbare Gesellschaft (wie Anm. 473), S. 1123. 475 Richter, Wunderbare Gesellschaft (wie Anm. 473), S. 1129 (Hervorhebungen im Original). 476 Richter, Wunderbare Gesellschaft (wie Anm. 473), S. 1133 f. (Hervorhebungen im Original).



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 II.2 Weltanschauung der Biomacht

bedroht, sich der Einsamkeit „in der weiten Leichengruft des All“477 ausgesetzt zu sehen und eine ‚Subjektapokalypse‘ zu erfahren.478 Rund hundert Jahre später wird Alfred Kubin diesen literarischen Nihilismus in Die andere Seite (1909) mit direkten Bezügen zu Jean Paul ins Extrem führen und eine phantastische Raumdystopie entwerfen, die jede Vorstellung von einer erhabenen Affizierung mit dem Objekt der Anschauung ad absurdum führt.479 Nachvollzogen kann die moderne Stellung allgemeiner „panoramatischer Apperzeption“480 auch anhand Heinrich von Kleists ‚Empfindungen‘ vor Caspar David Friedrichs Gemälde Der Mönch am Meer (1809) werden. Hier zeigt sich die ‚Apokalypse‘, indem sie als neue Begriffsvariante gegenüber der früheren Textversion von Clemens Brentano und Achim von Arnim eingeführt wird,481 in ihrer ‚reinen‘ Aufstellung und Materialität. Nichts kann trauriger und unbehaglicher sein, als diese Stellung in der Welt: der einzige Lebensfunke im weiten Reiche des Todes, der einsame Mittelpunkt im einsamen Kreis. Das Bild liegt, mit seinen zwei oder drei geheimnisvollen Gegenständen, wie die Apokalypse da, als ob es Youngs Nachtgedanken hätte, und da es, in seiner Einförmigkeit und Uferlosigkeit, nichts, als den Rahm, zum Vordergrund hat, so ist es, wenn man es betrachtet, als ob einem die Augenlider weggeschnitten wären […].482

Indem bei Kleist die ‚Apokalypse‘, die bei Brentano und Arnim eigentlich dem ‚Meer‘ und also einer Idee von Natur zugeschrieben war, zu einer des Bildes und der unreflektierten Anschauung wird, beschreibt er die Situation des Individuums in einem unermesslichen Umfeld vor jedem vereinheitlichenden Regress in der vernünftigen Anschauung und ohne moralisches Gefühl für praktische Ideen.483 Eben dies kann als ‚apokalyptische‘ Basisaufstellung angesehen werden, von der ausgehend sich entscheidet, welche Stellung der Mensch zu den Elementen einnimmt und wie er sie an und um sich bindet. In dieser Konstellation offenbaren sich idealerweise (nicht

477 Richter, Johann Paul Friedrich: Siebenkäs. In: Werke (wie Anm. 473), Bd. 3: Siebenkäs. Flegeljahre (I). S. 3–576, hier S. 274. 478 Vgl. Michler, Träume der Vernunft (wie Anm. 383), S. 365. 479 Kubin, Alfred: Die andere Seite. Ein phantastischer Roman. Frankfurt a. M. 2009. 480 Vgl. Bolz, Norbert: Das Ende der Gutenberg-Galaxis. Die neuen Kommunikationsverhältnisse. 2. Aufl. München 1995. S. 101–111. 481 Vgl. Brentano, Clemens u. Achim von Arnim: Verschiedene Empfindungen vor einer Seelandschaft von Friedrich, worauf ein Kapuziner [1810]. In: Clemens Brentano: Werke. Hrsg. von Friedhelm Kemp. Bd. 2. 4. Aufl. München 2008. S. 1034–1038, hier S. 1037: „Oh, wenn ich wollte, ich wäre der Kapuziner, der so ewig einsam hinüber schaut in das dunkle, verheißende Meer, das wie die Apokalypse vor ihm liegt, so wollte ich mich ewig sehnen nach Ihnen, liebe Julie, und Sie ewig vermissen, denn diese Sehnsucht ist doch die einzige herrliche Empfindung in der Liebe.“ 482 Kleist, Heinrich von: Empfindungen vor Friedrichs Seelandschaft [1810]. In: Sämtliche Werke und Briefe. Hrsg. von Helmut Sembdner. Bd. 2. 9. Aufl. München 1993. S. 327 f., hier S. 327. 483 Vgl. Kant, Kritik der Urteilskraft (wie Anm. 469), S. 182–191.



Horizonte des Erhabenen 

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nach Kleist), in einem Zustand „des Enthülltseins, der alle Fassung übersteigt und insofern geheimnisvoll bleibt“,484 mitsamt dem Menschen als neuer Größe die neuen gefühlten Abstrakta, die tiefere Bestimmung des Menschen in der Welt. Wie es in der späteren romantischen Parodie Sartor Resartus von Thomas Carlyle lautet (welcher die postrevolutionäre Terreur in Frankreich ebenfalls als Weltuntergang wahrgenommen hatte):485 Who am I; what is this ME? A Voice, a Motion, an Appearance; – some embodied, visualised Idea in the Eternal Mind? Cogito ergo sum. Alas, poor Cogitator, this takes us but a little way. Sure enough, I am; and lately was not: but Whence? How? Whereto? The answer lies around, written in all colours and motions, uttered in all tones of jubilee and wail, in thousand-figured, thousand-voiced, harmonious Nature: but where is the cunning eye and ear to whom that Godwritten Apocalypse will yield articulate meaning?486

Von der Bibelschrift über den Staat zur Anschauung, von der Ähnlichkeit über die Repräsentation zum Abstrakten, vom Ausschluss der Zeichenlosigkeit über jenen des Irrtums zu jenem der Leere und des ‚letzten Menschen‘: so ließe sich die Genealogie der Offenbarungsrepräsentation seit dem 16. Jahrhundert in etwa umreißen. Ab 1800 markiert die ‚Apokalypse‘ einen neuen kollektiven und individuellen Horizont, der räumlich nicht mehr zu überschreiten ist, bezeichnet das Ausgeschlossene als Grenzbereich des Eingeschlossenen und analog dazu den äußersten und innersten Bereich des ‚Menschen‘. Alles außerhalb dieses Gesichtskreises wird in ein Feld übersetzt, dem alle Objekte seit jeher unterworfen und ausgeglichen erscheinen.487 Lässt sich das Erhabene als allgemein verbindliche Kommunikationsform begreifen,488 muss jede Vernunft als ‚schwärmerisch‘ gelten, die „sich selbst, und was sie will, nicht versteht“: Alles lediglich darum, damit die Menschen sich endlich doch einer ewigen Ruhe zu erfreuen haben möchten, welche denn ihr vermeintes seliges Ende aller Dinge ausmacht; eigentlich ein Begriff, mit dem ihnen zugleich der Verstand ausgeht und alles Denken selbst ein Ende hat.489

Michaël Fœssel weist darauf hin, dass dieser Entwicklung ein gänzlich neuer ‚Welt‘Begriff zugrunde liegt, der mit dem Gedanken verbunden ist, das Ende der Welt und

484 Bennholdt-Thomsen, Anke u. Alfredo Guzzoni: Analecta Hölderliana III: Hesperische Verheißungen. Würzburg 2007. S. 91. 485 Vgl. Fœssel, Fin du monde (wie Anm. 463), S. 57–71. 486 Carlyle, Thomas: Sartor Resartus [1836]. Hrsg. von Kerry McSweeney u. Peter Sabor. Oxford 2008. S. 42. Vgl. auch bereits Stewart, John: The Apocalypse of Nature. London 1790. S. xii: „The Apocalypse of Nature, which testifies and exposes the intimate connection and relation of all matter […].“ 487 Vgl. Koschorke, Geschichte des Horizonts (wie Anm. 441), S. 129 f. 488 Vgl. Bolz, Ende der Gutenberg-Galaxis (wie Anm. 480), S. 11–31. 489 Kant, Ende aller Dinge (wie Anm. 401), S. 335 f.



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 II.2 Weltanschauung der Biomacht

der Zeit bereits überwunden zu haben. Kant habe den Gedanken an das Ende und die irdische Katastrophe neutralisiert, was eben auch als Reaktion auf die postrevolutionären Ereignisse in Frankreich zu interpretieren sei.490 Wenn bereits die sukzessive Universalisierung des modernen ‚Apokalypse‘-Begriffs und der ‚Apokalyptik‘ festgestellt wurde, so findet sich diese Entwicklung in gewisser Weise auch in Kants Transzendentalphilosophie begründet. Der Gedanke an das Ende aller Zeit musste „doch auch mit der allgemeinen Menschenvernunft auf wundersame Weise verwebt sein: weil er unter allen vernunftelnden Völkern, zu allen Zeiten, auf eine oder andre Art eingekleidet, angetroffen wird.“491 Im Zentrum der ‚apokalyptischen Vernunft‘ stehe damit jedoch, so Fœssel, ein Verlust der Welt, der den Menschen seit zweihundert Jahren in den Schatten der eigenen (technischen) Errungenschaften stellt.492 Darauf weist auch die Genese des Katastrophenbegriffs hin, der im 19.  Jahrhundert „aus der Scheidung von Mensch und Natur“493 hervorging und zur Bezeichnung einer neuen dramatischen Fallhöhe wurde, die von unbeherrschbaren Kräften verursacht wird und keine moralische Wende mehr verspricht. Untergangsszenarien der Zukunft könnten derart starke Handlungsimperative darstellen, weil man den Zugriff auf die Gegenwart verloren habe, aus diesem Grund nur noch ‚Katastrophen‘ erwarten könne und sich also an Vermeidungsstrategien orientieren müsse. In Hinblick auf ihren latenten Charakter ist die moderne ‚Apokalypse‘ eigentlich immer schon ‚Postapokalypse‘ gewesen.

Überlebensszenarien Vor diesem Hintergrund gehen es die Romantiker an, die Zukunft der neuen Gesellschaft radikal zu Ende zu denken und in literarischen Visionen, die sich weiterhin am Repertoire der Johannes-Offenbarung bedienen, dem modernen Endzeitbewusstsein, d. h. dem postrevolutionären Geschichtsbild Ausdruck zu verleihen. Anstelle des Gottesgerichts und im Rücken der neu entworfenen Sozialutopien kann am Ende der Tage ohne Aussicht auf Veränderung nichts weiter herrschen als der (post)apokalyptische Überlebenskampf, in dem sich herausstellt, welchen Wert das Individuum unter extremsten Bedingungen eigentlich besitzt. Ausgehend von Werken, die

490 Vgl. Fœssel, Fin du monde (wie Anm. 463), S. 57–71. 491 Kant, Ende aller Dinge (wie Anm. 401), S. 327. 492 Fœssel rekurriert auf den prominenten Aufsatz von Heidegger, Martin: Die Zeit des Weltbilds [1938]. In: ders.: Holzwege. Frankfurt a. M. 1994. S. 75–113, sowie auf Anders, Antiquiertheit des Menschen (wie Anm. 13). 493 Vgl. Walter, François: Katastrophen. Eine Kulturgeschichte vom 16. bis ins 21. Jahrhundert. Stuttgart 2010. S. 16. Vgl. Zolles, Martin: Medialität als Weltgericht. Zur Visualität inszenierter Katastrophenhaftigkeit und technischer Offenbarung. In: Wieser [u. a.], Abendländische Apokalyptik (wie Anm. 77), S. 197–208, hier S. 199 f.



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bezeichnende Titel wie Le dernier homme (Jean-Baptiste Cousin de Grainville, 1805) bzw. The Last Man (Thomas Campbell, 1823; Mary Shelley, 1825) tragen, hat Eva Horn herausgearbeitet, was für ein umfassendes Kalkül hinter den säkularen Weltuntergangsentwürfen ausgemacht werden kann, das noch bis ins 21. Jahrhundert hinein Gültigkeit besitzen wird.494 Demnach stellen die modernen ‚Apokalypsen‘ Visionen vom Ende oder Letzten der Zivilisation und der Menschheit dar und gehen vorrangig auf globale Überlegungen zur Bevölkerungsentwicklung und Ressourcenverteilung zurück. Im Endzeitverlauf spiegelt sich in der Folge nicht mehr vorrangig die Nationalpolitik, sondern eine Biopolitik: Am Jüngsten Tag wird sich herausstellen, was der Mensch in seiner Grundbedingung ist, welche Veranlagungen er besitzt und was er zum Überleben der Menschheit beitragen kann; es geht ums ‚nackte‘ Überleben. Dabei zeigt sich in der Extremsituation Zukunft, was es in der Gegenwart an regulierenden Handlungen bedarf, um die menschliche Zivilisation vor ihrem Anderen zu bewahren: „Ein Blick in die Zukunft ist nicht mehr die unabänderliche Vision kommender Dinge, sondern gerade ein Mittel ihrer Verhinderung. Die  – hypothetische  – Zukunft zu schauen, ermöglicht es, Schlimmeres zu verhindern.“495 ‚Apokalyptische‘ Repräsentationen erweisen sich als Gedankenexperimente ‚apokalyptischer‘ Prävention. Das von Campbells Gedicht inspirierte Gemälde The Last Man (1849) von John Martin, dem bereits erwähnten Konkurrenten des irischen Malers Francis Danby, kann so mit ganz anderer politischer Korrespondenz zu den zahlreichen naturgewaltigen Weltuntergangsdarstellungen der ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts gelesen werden. Ein alter Mann steht neben den leblosen Körpern einer Frau und eines an sie geschmiegten Kleinkindes vor einem weiten und öden Panorama einer zerstörten Küstenstadt. Er hat, scheinbar in verzweifelter Anklage, die Arme seitlich über das Szenario und gegen den dunklen Himmel gestreckt, zwischen dessen Wolken die Sonne rötlich hervorstrahlt (man vergleiche demgegenüber die hochgerissenen Arme von Danbys Sklaven). Doch weist die Düsternis des gesamten Hintergrunds, die Abwesenheit der Sonne, eines Blitzes oder einer Lavaglut als höhere Lichtquelle, darauf hin, dass die Anklage keine Referenz mehr aufweist – der Mensch ist in seiner Existenz trostlos auf sich alleine zurückgeworfen. Diese Dunkelheit als Ausdruck der existenziellen Bedrohung wird zum Signum der ‚Schwarzen Romantik‘.496 Ausgehend von derartigen romantischen Untergangshypothesen veranschaulicht Horn, dass die ‚apokalyptischen‘ Szenarien seit 1800 – sofern sie repräsentiert

494 Vgl. Horn, Zukunft als Katastrophe (wie Anm. 472), S. 53–63. 495 Horn, Zukunft als Katastrophe (wie Anm. 472), S. 57 (Hervorhebung im Original). 496 Vgl. Horn, Zukunft als Katastrophe (wie Anm. 472), S. 49 f. Dass dem Beginn der ‚Schwarzen Romantik‘ in Europa vor allem eine verkürzte Übersetzung von Jean Pauls Rede des toten Christus durch Anne Louise Germaine de Staël zugrunde liegt, belegt Becker, Traum der Apokalypse (wie Anm. 472), S. 134–140.



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und also nicht in irgendeiner Form revolutionär erlebt werden  – den Grenzbereich des erhabenen Individuums und seine sozialökonomische Stellung reflektieren und darin einer biopolitischen Logik folgen. So können Grainvilles Le dernier homme oder auch George Gordon Byrons Gedicht Darkness (1816) als Kommentare zu den dystopischen Zukunftsentwürfen der zeitgenössischen Nationalökonomien gelesen werden. Besonderen Einfluss nahmen dabei die Prognosen des britischen Ökonomen Thomas Robert Malthus (1766–1834), der in seinem berühmten Essay on the Principle of Population (1798) eine zukünftige Überbevölkerung auf der Erde (‚Bevölkerungsfalle‘) vorhersagte, die früher oder später zu einer erhöhten Säuglingssterblichkeit, Hungersnöten und unkontrollierbaren Infektionskrankheiten führen würde. Der Mensch wird in diesen Thesen nun nicht mehr als Bürger eines prosperierenden Staates, sondern als Naturwesen einer Population betrachtet, dessen Leben und Überleben von ganz rationalistischen Determinanten abhängt: den Rohstoff- und Arbeitsressourcen, der Infrastruktur und Raumplanung, dem Technologisierungsgrad u. ä. Die literarischen Endzeitdarstellungen extrapolieren nun die zeitgenössischen Bedrohungen (postrevolutionäre Terreur, Napoleonische Kriege, Hungerrevolten, Klimaereignisse) in totale Szenarien vom Untergang der gesamten Zivilisation und vom unerbittlichen Überlebenskampf einzelner Individuen, der bis hin zum Kannibalismus führen kann. Der Blick fokussiert sich auf die Schnittstelle zwischen kollektivem Wohlergehen und ‚nacktem‘ Einzelschicksal und wird in Zukunft zu folgenden Fragen Anlass geben: Was muss in Zukunft getan werden, um den Menschen vor sich selbst zu bewahren? Welchen Wert besitzt das Individuum abseits der Kultur (vermeintlich ohne mehr Subjekt zu sein)? Was kann er andererseits noch im Äußersten leisten, um die Kultur aufrechtzuerhalten, wie wichtig ist es für die Erhaltung der Gesellschaft? Wer muss in Anbetracht der größten Not ‚sterben gelassen‘ werden und wer wird ‚(über)lebend gemacht‘?497 Auch wenn der Topos des Überlebenskampfes in den folgenden zwei Jahrhunderten zahlreiche Abwandlungen erfahren und je nach Bedrohungslage und vorherrschendem Feindbild unterschiedliche suggestive Kraft entfalten sollte, so weist die Vorstellung eines auf sich gestellten Individuums oder einer kleinen Überlebensgemeinschaft eindeutig Konstanz auf.498 In ihr wird die Figur des Erhabenen – mitsamt der Kernfamilie als letztem identitätsstiftenden Rückhalt  – zentral unter biopolitischen Gesichtspunkten verhandelt. Dabei erweist sich vor allem der darin gespiegelte selbstaffirmierende Freiheitscharakter der nordamerikanischen ‚Apokalypsen‘ als richtungsweisend, dessen Ursprung bereits im ausgehenden 18. Jahrhundert und in der Folge bei so unterschiedlichen Autoren wie Ralph Waldo Emerson und Edgar

497 Vgl. Foucault, Verteidigung der Gesellschaft (wie Anm. 224), S. 282–291. 498 Vgl. Horn, Zukunft als Katastrophe (wie Anm. 472), S. 193.



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Allan Poe über Herman Melville, Mark Twain und William Faulkner bis hin zu Ralph Ellison und John Barth gefunden werden kann.499 Inhaltlich können noch die jüngsten ‚Desaster‘-Filme auf diese genuin literarische Tradition rückbezogen werden. So demonstrieren die Protagonisten in Filmen wie Deep Impact (1998), The Day after Tomorrow (2004), I am Legend (2007) oder 2012 (2009) im Ausnahmezustand ihr wahres Potenzial zum Erhalt der nationalen Werteeinheiten oder blicken dem Untergang in tiefer partnerschaftlicher (Seeking a Friend for the End of the World, 2012) oder prophetischer (Take Shelter, 2011) Verbundenheit entgegen. Diese Szenarien bestätigen nicht nur den Blick des Erhabenen, sondern reflektieren Horn zufolge gleichzeitig die Logik der modernen Global-Regel. Im Zuge der Entfaltung ungeahnter individueller und kollektiver Kräfte zur Abwehr des Untergangs sind gewichtige biopolitische Entscheidungen zu treffen, welche Individuen und Bevölkerungsgruppen geopfert werden müssen, um das ‚Rettungsboot Erde‘500 mit seinen begrenzten Ressourcen halten und das kulturelle Weiterleben der gesamten Menschheit sichern zu können. Gegenüber diesen gängigen Phantasmen des ‚ewigen Überlebens‘ wird in den Dystopien der Überlebenskampf selbst in all seiner Gewalt dargestellt. Als Negativfolie zu den positiv konnotierten Weltuntergängen kann hier der Bogen von Byrons Darkness zu Cormac McCarthys Roman The Road (2006) gespannt werden.501 In diesen Werken geht es um den – in den anderen Darstellungen und v. a. in Zombie-Streifen stets nur spielerisch in die Haupthandlung integrierten – Aspekt des ‚nackten‘ Lebens in ständiger Gefahr und erweist sich das von Thomas Hobbes reaktivierte Sprichwort homo homini lupus als nur allzu wahr. In The Road versuchen Vater und Sohn nach einem unbestimmten Katastrophenereignis, durch das die gesamte nordamerikanische Landfläche so gut wie unbewohnbar wurde und ein scheinbar ewiger Winter Einzug gehalten hat, in hoffnungsloser Aussicht auf ein besseres Leben an die Küste zu gelangen. Sie sind auf der permanenten Suche nach Lebensmitteln und brauchbaren Gegenständen und in größter Angst, von marodierenden Gruppen nicht bloß ausgeraubt, verwundet oder getötet, sondern geschändet oder unter grausamsten Bedingungen als Nahrungsreserve gehalten zu werden.502 Hier zeigt sich die biopolitische Vision in aller Radikalität, wird ein postapokalyptisches (postrevolutionäres) Szenario gezeichnet, in dem die Bevölkerung ohne politische Ordnung und identitätsstiftenden Horizont jeden humanitären Zusammenhalt verloren hat und ein herzloses biologisches Recht des Stärksten und Skrupellosesten

499 Vgl. Robinson, Douglas: American Apocalypses. The Image of the End of the World in American Literature. Baltimore/London 1985. S. 2 f.; weiterführend Rozario, Kevin: The Culture of Calamity. Disaster and the Making of Modern America. Chicago 2007. 500 Horn, Zukunft als Katastrophe (wie Anm. 472), S. 205–214. 501 McCarthy, Cormac: The Road. London 2006. 502 McCarthy, Road (wie Anm. 501), S. 116–118. Vgl. Horn, Zukunft als Katastrophe (wie Anm. 472), S. 232–240.



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 II.2 Weltanschauung der Biomacht

vorherrscht. In dieser radikalen biopolitischen Interpretation des Ausnahmezustandes stellt sich als allerletzte Frage, was den Menschen noch davon abhalten kann, zum wildesten Tier zu werden und sich selbst zu konsumieren. Beantwortet wird sie mit der denkbar fragilsten Ethik eines ‚Neins‘, eines Paktes zwischen Vater und Sohn und, am Ende des Romans, zwischen Sohn und einer der letzten noch existierenden Kernfamilien. Die ‚kleine Flamme‘ der Humanität kann nur mehr im Allerprivatesten weitergegeben werden,503 während der anarchistische Naturzustand jenseits staatlicher Repräsentationskraft an Erbarmungslosigkeit nicht zu überbieten ist.

Regulierte Isolation In einer radikalen Umwertung des Weltuntergangs, der vormals direkt mit der Weltrevolution assoziiert wurde, verdeutlichen die dargestellten Szenarien, dass sich seit dem 18. Jahrhundert abseits der Regierungspolitik eine viel umfassendere und stabilere Logik der Regulierungspolitik entwickelte, anhand deren das Individuum nach normativen, auf die Bevölkerung abgestimmten Maßstäben bewertet wurde. Aus dieser Perspektive erscheint ‚Anarchie‘ nicht mehr als politischer Entscheidungskampf, sondern als biopolitischer Überlebenskampf. Steht in diesen Untergangsszenarien die Frage nach der Verteilung der Ressourcen handlungstragend im Zentrum (man denke etwa auch an die fixe Idee privater Schutzbunker im Kalten Krieg), so lässt sich daran erkennen, dass der politische Ordnungsdiskurs in hohem Maß in Abhängigkeit von ökonomischen Freiheitsprinzipien gedacht werden muss. Schließlich ist es auch die Hauptfunktion des modernen Staates, liberale Regulierungskunst zu betreiben, um die Freiheit des Individuums in jedem Augenblick zu gewährleisten.504 War es einst die Pflicht eines Souveräns, die ihm unterstellten Individuen vor allen äußeren und inneren Gefahren zu schützen, setzt sich nun ein staatliches Sicherheitsprinzip durch, das darauf ausgerichtet ist, alle möglichen Gefahren zu minimieren. Tatsächlich erscheint im 19. Jahrhundert eine ganze Erziehung, eine ganze Kultur der Gefahr, die sich sehr von den großen Träumen oder den großen Bedrohungen der Apokalypse wie Pest, Tod, Krieg usw. unterscheidet, aus denen sich die politische und kosmologische Vorstellungswelt des Mittelalters und noch des 17.  Jahrhunderts speiste. Die apokalyptischen Reiter verschwanden, und stattdessen vollzog sich das Erscheinen, das Auftauchen, die Invasion alltäglicher Gefahr, die ständig von dem belebt, aktualisiert und in Umlauf gesetzt wurden, was man die politische Kultur der Gefahr des 19. Jahrhunderts nennen könnte […].505

503 McCarthy, Road (wie Anm. 501), S. 303. 504 Vgl. Foucault, Geburt der Biopolitik (wie Anm. 216), S. 98 f. 505 Foucault, Geburt der Biopolitik (wie Anm. 216), S. 101.



Regulierte Isolation  

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Man könne diese neue Gefahrenkultur anhand so unterschiedlicher Zeiterscheinungen wie der Sparkassenkampagnen, des Auftauchens der Kriminalromane oder der aufkommenden Angstform vor Entartung erkennen. Dies lässt darauf schließen, dass das Vertrauen auf eine beschützende höhere Macht dem Vertrauen auf die staatlichen Regulierungskünste und auf Vorsorgehandlungen weicht.506 Hier kann bereits ganz allgemein auf die Bedeutung hingewiesen werden, die der Sprache selbst als Instrument der Antizipation und Sicherheitsregulation zukünftiger Ereignisse beigemessen wird, sobald die Figur des schützenden und rettenden Souveräns wegfällt. Im frühen Erhabenheitsdiskurs wird gerade auch  – bei Jean Paul, Heinrich von Kleist oder Lord Byron  – die Form deregulierter Erfahrung nach dem Wegfall des souveränen Blickpunktes verhandelt und der Horizont als unüberschreitbarer Grenzbereich markiert. Nach Albrecht Koschorke lässt sich dementsprechend, als Zeichen für den Verlust der Welt als Aktiv- und Erfahrungsraum, im Laufe des 19. Jahrhunderts ein Rückzug vom Horizont feststellen, je illusionärer seine frühere utopische Überschreitung geworden ist: „Der Raum hört auf, ein affektives Kontinuum zu sein, in dem sich die Grenzen der menschlichen Individuation auflösen, er tritt dem inselhaft isolierten Ich abweisend entgegen.“507 Die weitere Geschichte des Horizontverlustes lässt sich auch als Geschichte des Eises und der Kälte beschreiben, die als Topoi der Obdachlosigkeit, sozialen Entfremdung und blanken Rationalisierung populär werden.508 Vor dem Hintergrund einer allgemeinen Resignation vor dem Weltverlust – wobei erneut die konstitutionelle Bedeutung des ‚Welt‘-Begriffs für die modernen apokalyptischen Vorstellungen unterstrichen werden soll – erweisen sich besonders jene literarischen Gedankenexperimente des 20. Jahrhunderts als interessant, die das Leben der Protagonisten in einer völlig menschenleeren Umgebung zum Inhalt haben.509 Texte wie Arno Schmidts Schwarze Spiegel (1951), Marlen Haushofers Die Wand (1963) oder Thomas Glavinics Die Arbeit der Nacht (2006) eröffnen mit der Darstellung menschenleerer Welten einen ungeahnten Möglichkeitsraum der individuellen Entfaltung, der sich in erster Linie aber als intellektuelle Auseinandersetzung mit der eigenen Identität herausstellt.510 In den Szenarien sind es weder die Trauer um die

506 Vgl. hierzu allgemein Uerz, Gereon: Übermorgen. Zukunftsvorstellungen als Elemente der gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit. München 2006. 507 Koschorke, Geschichte des Horizonts (wie Anm. 441), S. 228. 508 Vgl. insbes. Lethen, Helmut: Verhaltenslehren der Kälte. Lebensversuche zwischen den Kriegen. Frankfurt a. M. 1994. 509 Vgl. weiterführend Grimm [u. a.], Apokalypse (wie Anm. 93); Krah, Hans: Weltuntergangsszenarien und Zukunftsentwürfe. Narrationen vom ‚Ende‘ in Literatur und Film 1945–1990. Kiel 2004; Engélibert, Jean-Paul: Apocalypses sans royaume. Politique des fictions de la fin du monde, XXe–XXIe siècles. Paris 2013 (Littérature, histoire, politique 7). 510 Schmidt, Arno: Schwarze Spiegel. In: ders.: Leviathan und Schwarze Spiegel. Frankfurt a. M. 1974. S. 41–141; Haushofer, Marlen: Die Wand. München 2004; Glavinic, Thomas: Die Arbeit der Nacht.



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 II.2 Weltanschauung der Biomacht

Verlorengegangenen noch eine existenzielle Verzweiflung, die die Handlungsmacht der Überlebenden nach dem unbestimmten Ereignis, das alle anderen Menschen beseitigte, einschränken, sondern das Phantasma eines Anderen. Der anhaltende Zustand völliger Referenzlosigkeit führt nicht nur zur Personifikation von Tieren, Gegenständen oder Gewächsen, sondern lässt häufig das Imago eines mächtigen Antagonisten entstehen, der sich tatsächlich entweder als Feind (Die Wand) oder als das Alter Ego (Die Arbeit der Nacht) des Protagonisten erweist. Reflektieren die ‚postapokalyptischen‘ (‚postrevolutionären‘) Dystopien oder Utopien die Stellung des modernen Individuums an seinen Grenzen, so stellt sich heraus, dass sich im Aufbrechen der kulturellen Schranken das Gemeinschaftliche selbst als das Katastrophische erweist und in die Isolation führt – sei es im anarchistischen Überlebenskampf oder in der reflektierten Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, deren Kommunikations- und Konfliktmuster wiederholt werden. Der ‚letzte Mensch‘ mag biopolitische Züge tragen, an sich aber erweist er sich als ein vollkommen unpolitischer. Gerade nach den beiden Real-Apokalypsen des 20. Jahrhunderts zeigen sich die Untergangsszenarien als eine Imagination der menschlichen Grenzen, die ganz genau die Beziehung zur ‚Welt‘ bzw. zum ‚System‘511 definiert und über die das Individuum mit seinen Protagonisten den eigenen Handlungsspielraum auf das Genaueste abschätzen kann, während in Anbetracht der Kriegs-, Atom- und Naturmächte realpolitische Ohnmacht herrscht. Als Referenzautor kann diesbezüglich wohl Michel Houellebecq gelten, der als einer der wenigen Autoren und Autorinnen die Zukunft nicht präventiv, sondern prozessual weiterentwirft und in allen seinen Romanen, vielleicht aber in La carte et le territoire (2011) am bezeichnendsten, das aktuelle dystopische Bild des postapokalyptischen Individuums entworfen hat: jenes des in der Isolation seines ländlichen Refugiums dahinvegetierenden Künstlers, der über viele Jahre hinweg den Zerfallsprozess von Gegenständen dokumentiert und von dem niemand mehr wissen wird, ob er überhaupt noch am Leben ist. Mitsamt seinen Werken erweist er sich als Relikt eines industriellen Zeitalters, das, wie jede Kultur, einmal seinem Ende entgegensehen muss: „Die Vegetation trägt den endgültigen Sieg davon.“512

München 2006. Vgl. zum ‚paranoischen‘ Aspekt der Figur des ‚letzten Menschen‘ u. a. anhand dieser Werke Schneider, Manfred: Das Attentat. Kritik der paranoischen Vernunft. Berlin 2010. S. 561–589; sowie auch Schossböck, Judith: Das bin doch (nicht) ich. Identität und personale Einzigartigkeit in postapokalyptischen Szenarien. In: Wieser [u. a.], Abendländische Apokalyptik (wie Anm. 77), S. 299– 311; Schlöndorff, Leopold: Die mögliche Welt des ‚Anderen‘. Das Ende und der ‚Andere‘ in (post-)apokalyptischen Narrativen bei Arno Schmidt und Ferdinand Grautoff. In: Wieser [u. a.], Abendländische Apokalyptik (wie Anm. 77), S. 313–325. 511 Vgl. Braun, Welt (wie Anm. 420), S. 505–507. 512 Houellebecq, Michel: Karte und Gebiet. Köln 2011. S. 414.



Regulierte Isolation  

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Eine Auseinandersetzung mit Houellebecqs Soumission (2015) und dem Verhältnis christlicher bzw. säkularisierter und muslimischer Endzeiterwartung würde freilich eine weitere, gänzlich anders angelegte zeit-geschichtliche Analyse erfordern.



II.3 Die Grenzen moderner Identität Das symbolische Universum der Apokalypse Hans Blumenberg hat anhand der Transformation der bibelbezogenen Rhetorik aufgezeigt, wie sich seit 1800 die Idee vom Letzten Gericht literarisch auf ein persönliches Blickfeld zurückzog.513 Ausgehend von Jean Pauls metaphorischem, vorbegrifflichem Umgang mit dem Bibelvokabular und mit Georg Christoph Lichtenberg, der die Notwendigkeit sieht, das Innerste des Menschen vor der Vernunft geheim zu halten, stellt Blumenberg fest: Vom Gericht der Vernunft über die Vernunftprozesse führen zwei radikal verschiedene Wege weiter: der eine zur Geschichte und zur Kunst als den neuen Tribunalen, der andere in die Verwandlung der Reflexion zum Selbstgericht. […] Ikonologisch ist bezeichnend, daß das Buch in der Gerichtsszene seinen Platz gewechselt hat: Während es in der ganzen apokalyptischen Literatur als das am Throne Gottes geführte Schuldbuch der Menschheit vorgestellt ist, das vor der versammelten Menschenwelt aufgeschlagen wird, schreibt Rousseau für seinen Fall dieses Buch selbst […]. Die sprachliche Säkularisierung ist zum Instrument der literarischen Sensation der unverhüllten Selbstdarbietung und der in ihr beanspruchten Rechtfertigung geworden. Zwischen moralischer und ästhetischer Urteilsqualität ist die Vorrangentscheidung noch nicht gefallen. Ein halbes Jahrhundert später, bei Ludwig Feuerbach, entscheidet das produktive Subjekt nur noch über die schriftliche Unsterblichkeit seiner Gedanken, nicht über die eigene: „In der Schrift hält der Mensch das jüngste Gericht über sich selbst, seine Gedanken und Empfindungen; er sondert hier die Schafe von den Böcken, übergibt die einen der ewigen Vergessenheit und Nichtigkeit, die anderen dem ewigen Leben“ [zit. Ludwig Feuerbach].514

Zu einem ähnlichen Urteil kommt, wie noch an anderer Stelle aufgezeigt wird, Walter Benjamin in Bezug auf das Tagebuchschreiben. Und auch Ernst Cassirer bemerkt in seinem letzten Buch An Essay of Man (1945), in dem er den Menschen als ‚animal symbolicum‘515 definiert und seine Philosophie der symbolischen Formen prägnant für das englischsprachige Publikum zusammenfasst: Yet there is no remedy against this reversal of the natural order. Man cannot escape from his own achievement. He cannot but adopt the conditions of his own life. No longer in a merely physical universe, man lives in a symbolic universe. […] No longer can man confront reality immediately; he cannot see it, as it were, face to face. Physical reality seems to recede in proportion as man’s

513 Die Kapitelüberschrift weist thematisch bereits auf den dritten Teil der Arbeit hin und kann in Anlehnung verstanden werden an Lacan, Jacques: Das symbolische Universum. In: Das Seminar. Hrsg. von Jacques Alain-Miller. Weinheim/Berlin 1986 ff. Buch 2: Das Ich in der Theorie Freuds und in der Technik der Psychoanalyse. S. 39–55. 514 Blumenberg, Legitimität der Neuzeit (wie Anm. 103), S. 122 f. 515 Cassirer, Ernst: An Essay on Man. An Introduction to a Philosophy of Human Culture. Bearb. von Maureen Lukay. In: Gesammelte Werke (wie Anm. 152), Bd. 23, S. 31.



Das symbolische Universum der Apokalypse 

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symbolic activity advances. Instead of dealing with the things themselves man is in a sense constantly conversing with himself.516

Die Fundamentalität, mit der sich moderne Individualität über laufende Kommunikationsprozesse absicherte, die den Menschen über die Sprache bzw. das Symbolische mit der ganzen Welt in Beziehung setzte und gleichzeitig über sie hinweghob, hat nicht zuletzt Foucault (mit Nietzsche) unterstrichen: Die Philologie als Analyse dessen, was in der Tiefe des Diskurses gesagt wird, ist zur modernen Form der Kritik geworden. Wenn es sich am Ende des achtzehnten Jahrhunderts um die Fixierung der Grenzen der Erkenntnis handelte, wird man die Syntaxen jetzt zu entknüpfen, die zwingenden Weisen, zu sprechen, zu durchbrechen, die Wörter in alldem umzukehren versuchen, was trotz ihrer und durch sie hindurch gesagt wird. Gott ist vielleicht weniger ein Jenseits des Denkens als ein bestimmtes Diesseits unserer Sätze. Und wenn der abendländische Mensch von ihm untrennbar ist, so liegt das nicht an einer unüberwindlichen Neigung zur Durchbrechung der Grenzen der Erfahrung, sondern daran, daß seine Sprache ihn unaufhörlich im Schatten ihrer Gesetze hegt: „Ich fürchte, wir werden Gott nicht los, weil wir noch an die Grammatik glauben …“ [zit. Nietzsche]. Die Interpretation verlief im sechzehnten Jahrhundert von der Welt (Dinge und Texte zugleich) zum göttlichen Wort, das sich in ihr entzifferte. Unsere Interpretation, auf jeden Fall die, die sich im neunzehnten Jahrhundert gebildet hat, geht von den Menschen, von Gott, von den Erkenntnissen oder Gespinsten zu den Wörtern, die dies möglich machen. Und was sie entdeckt, ist nicht die Souveränität eines ersten Diskurses, sondern die Tatsache, daß wir vor dem geringsten gesprochenen Wort bereits durch die Sprache beherrscht und von ihr durchdrungen sind. Ein eigenartiger Kommentar, dem sich die moderne Kritik widmet, denn er gelangt nicht von der Feststellung, daß es Sprache gibt, zur Entdeckung dessen, was sie bedeutet, sondern von der Entfaltung des manifesten Diskurses zur Offenlegung der Sprache in ihrem rohen Sein.517

Die ‚Apokalypse‘ als Begriff, der ohne alle Vorkenntnis der biblischen Offenbarungen verstanden werden kann und vielmehr als solcher die Vorstellung von diesen wesentlich mitbestimmte, umreißt die kollektiven und individuellen Grenzen des Menschen und also die Grenze seines Sprach- und Vernunftbereichs. Die ‚Apokalypse‘ kann als Bezeichnung eines Außerhalb innerhalb eines Gesichtskreises aufgefasst werden, in dem die Wahrheit eines „individuellen Allgemeinen“518 herrscht. Seit 1800 bestimmt dieser Erfahrungshorizont bis in die rezenten Untergangsdarstellungen hinein ein Szenario, das den Bürger aus der politischen Emanzipationsbewegung hinaus direkt in die Mitte von Gewalten stellt, auf die er zwar keinen Einfluss hat, über die er sich aber dennoch erhebt. Während sich in den apokalyptischen Darstellungen fortan der

516 Cassirer, Essay on Man (wie Anm. 515), S. 30. 517 Foucault, Ordnung der Dinge (wie Anm. 89), S. 363 f. 518 Frank, Martin: Das individuelle Allgemeine. Textstrukturierung und -interpretation nach Schleiermacher. Frankfurt a. M. 1977. Vgl. Wetzel, Michael: Nachwort des Übersetzers: ‚Apocalypse now‘. Der Wahrheitsbegriff der Postmoderne? In: Derrida, Apokalypse (wie Anm. 8), S. 119–125, hier S. 123.



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 II.3. Die Grenzen moderner Identität

zeitgenössische, nicht mehr nur an der staatlichen Disziplin, sondern an der globalen Regulation orientierte sozioökonomische Diskurs spiegeln wird, bleibt in ihrem Zentrum ein autonomes Subjekt mit einer dunklen, geheimen Subjektivität, wie sie sich im Laufe des 19. Jahrhunderts herausgebildet hat.519 Nicht ‚Weltende‘, sondern ‚Weltanschauung‘ kann somit als das grundlegende Prinzip angesehen werden, das der modernen Bedeutung der ‚Apokalypse‘ zugrunde liegt. Wenn das Wort ‚Subjekt‘ nach Foucault einen zweifachen Sinn hat – „vermittels Kontrolle und Abhängigkeit jemandem unterworfen sein und durch Bewusstsein und Selbsterkenntnis seiner eigenen Identität verhaftet sein“520  –, so finden beide Seiten ihre moderne Entsprechung in den optischen Technologien von Panopticon und Pano­rama. Steht erstere für die Struktur moderner Überwachung, die nach dem Fall des Souveräns jeden Produktionsprozess in räumlicher Beziehung regelt,521 ist das Panorama das Freizeitmedium der Weltbetrachtung: „Panopticon und Panorama markieren die Pole, zwischen denen Leben sich in bürgerlichen Zeiten allein abzuspielen beginnt: Arbeit und Vergnügen.“522 Stephan Oettermann erkennt in den beiden voneinander nun strikt getrennten Sphären einen korrespondierenden Blickvollzug: Um die physische Reproduktion nicht zu gefährden, wird unterdessen der Körper stillgelegt und die psychische Erholung allein dem Blick, unter Beschneidung aller Sinne, übertragen. Für diese gewaltige Aufgabe geschult wurde das Auge zuerst im Panorama, während in seinem Gegenstück, dem Panopticon, unterdessen die Psyche präpariert wurde, die Tyrannei der Uhr zu ertragen.523

Indem Panopticon und Panorama die beiden Pole moderner Wahrnehmung markieren, umreißen sie auch den äußersten kollektiven Bereich, die Struktur oder das System, dem alles unterworfen wird. So hat die ‚Apokalypse‘ ihren Platz außerhalb des ökonomischen Alltags und auf einem Massenhorizont gefunden, der jede Bewegung einem allgemeinen, passiven Blick kommensurabel macht, was im Grunde bedeutet: „Leben in einer Welt, die keinen Horizont hat.“524 Mit anderen, radikal antikapitalistischen Worten von Gilles Deleuze und Félix Guattari: Die Sprache als Gesetz reterritorialisiert unaufhörlich jene Bewegungen, die sich nach dem Ende bzw. der Privatisierung des despotischen Signifikanten befreit haben, in Bezug auf die ganze Welt.525

519 Vgl. Hagenbüchle, Roland: Subjektivität: Eine historisch-systematische Hinführung. In: Geschichte und Vorgeschichte der modernen Subjektivität. Hrsg. von Reto Luzius Fetz [u. a.]. Bd. 1. Berlin/New York 1998 (European Cultures 11, Berlin/New York 1998). S. 1–88, hier S. 4 f. 520 Foucault, Warum Macht (wie Anm. 166), S. 246 f. 521 Vgl. Foucault, Überwachen und Strafen (wie Anm. 168), S. 251–292. 522 Vgl. Oetterman, Panorama (wie Anm. 441), S. 37. 523 Oetterman, Panorama (wie Anm. 441), S. 37 f. 524 Koschorke, Geschichte des Horizonts (wie Anm. 441), S. 326. 525 Vgl. Deleuze, Gilles u. Félix Guattari: Anti-Ödipus. Kapitalismus und Schizophrenie 1. Frankfurt a. M. 1977. S. 338–351.



Der Wahnsinn der Welt 

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Dieser These zufolge müsste sich auch aus begriffsgeschichtlicher Sicht das Jenseits moderner Identität überall dort festmachen lassen, wo die symbolischen, medialen, strukturbildenden Grenzen durchbrochen werden, Einheiten verlorengehen und kollektive Begeisterung oder individueller Wahn von einem Beziehungsvermögen zeugen, das das Individuum übersteigt  – wo zum Vorschein kommt, dass das Chaotische und Katastrophale zunehmend zum unfassbaren Trauma in Bezug auf das Reale werden konnte, je kompromissloser sich der Mensch im Imaginären über die Welt behauptete, als ob es am Ende nur auf das Symbolische ankäme. Eine derartige Quellenanalyse soll in den abschließenden beiden Abschnitten dieses Kapitels versucht werden.

Der Wahnsinn der Welt Die Genese einer öffentlichen Haltung „radikale[r] Anti-Apokalypse“526 lässt sich nicht zuletzt anhand von Michel Foucaults Aufarbeitung des abendländischen Ausund Einschlusses des Wahnsinns nachvollziehen, wonach in der Renaissance das Aufbrechen eines Spalts zwischen tragischer kosmischer Vision und kritischer moralischer Reflexion zu beobachten ist, „der sich nie mehr schließen soll“.527 Um 1500 habe das Thema des spöttischen Wahnsinns das Thema des feierlichen Todes abgelöst und die Endzeit gewissermaßen als politischen Ist-Zustand proklamiert: Und während einst der Wahn des Menschen darin bestanden hat, daß sie nicht sahen, daß der Zeitpunkt des Todes sich näherte, während man sie durch das Schauspiel des Todes an die Weisheit hat erinnern müssen, besteht jetzt die Weisheit darin, den Wahnsinn überall aufzuzeigen, die Menschen zu lehren, daß sie bereits nichts als Tote seien, und daß, wenn das Ende nahe sei, es dies in dem Maße sei, in dem der Wahnsinn durch seine Ausbreitung über die ganze Welt nur noch ein und dieselbe Sache wie der Tod selbst sei. […] Die Elemente sind verkehrt worden. Nicht länger ist das Ende der Zeiten und der Welt, das im Nachhinein beweist, daß die Menschen wahnsinnig sind, wenn sie sich nicht darum kümmern. Das Ansteigen des Wahnsinns, seine stumme Invasion zeigt, daß die Welt ihrer letzten Katastrophe nahe ist. Der Irrsinn der Menschen verlangt nach ihr und macht sie notwendig.528

Der spätmittelalterliche Wahnsinn, das apokalyptische Ende aus den Augen verloren zu haben, wich also unmittelbar vor Anbruch der Reformation dem Wahnsinn des allgemeinen apokalyptischen Weltzustandes; der bedrohliche visionäre Bezug zum Jenseits und zum Tod machte einem moralischen Urteil über das menschliche Tollhaus Platz, das seinem unausweichlichen Untergang entgegensah. Das Verständnis von

526 Böhme, Vergangenheit und Gegenwart (wie Anm. 14), S. 392. 527 Foucault, Michel: Wahnsinn und Gesellschaft. Eine Geschichte des Wahns im Zeitalter der Vernunft. Frankfurt a. M. 1973. S. 47. 528 Foucault, Wahnsinn und Gesellschaft (wie Anm. 527), S. 34 f.



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 II.3. Die Grenzen moderner Identität

Wahnsinn als der äußersten Grenzerfahrung trat mit dieser Entwicklung zunächst in eine reziproke Beziehung zu einer sich ständig hinterfragenden Gelehrsamkeit, die ihn, durchwegs aus politischer Notwendigkeit heraus, zunehmend als Irrtum auffasste und zum Schweigen brachte. Diese große Trennung lernte er [der Mensch] zu beherrschen und auf sein eigenes Niveau zu reduzieren. Er lernte, in ihr Tag und Nacht herzustellen, die Sonne der Wahrheit dem schwachen Licht seiner Wahrheit unterzuordnen. Dadurch, daß er seinen Wahnsinn gemeistert hat, ihn in den Kerkern seines Blicks und seiner Moral gefangen hat, indem er ihn befreite, dadurch, daß er ihn entwaffnet hat, indem er ihn in eine Ecke seiner selbst zurückdrängte, war es dem Menschen möglich, schließlich jene Beziehung von sich selbst zu sich selbst herzustellen, die man ‚Psychologie‘ nennt. Dazu war es notwendig, daß der Wahnsinn aufhörte, Nacht zu sein, und flüchtiger Schatten im Bewußtsein wurde, damit der Mensch behaupten konnte, seine Wahrheit zu besitzen und sie in der Erkenntnis zu entschlüsseln.529

Die Kongruenz von Staatspolitik und Rationalität sorgte dafür, dass die Erfahrung der Revelation nicht nur mit dem Verbot und dem Geheimnis, sondern auch mit der massiven Gefahr einer Revolution belegt wurde. Enthusiastische Individuen, die „aus Mangel der Beurtheilungskraft allerley der Christlichen Religion und bisweilen der Vernunft selbst, widersprechende Meynungen hegen, und dadurch öffentliche Unruhen richten“, galten seit der Reformation als Schwärmer: „Es kann demnach widerdergleichen Leute, nicht so ferne sie irren, sondern so ferne sie die äusserliche Ruhe der Kirche und der Republick stöhren, die obrigkeitliche Gewalt gebraucht werden.“530 Diese Form politischer Unruhestiftung konnte wiederum auch auf die an sich apolitischste zurückgeführt werden, nämlich eine übermäßige pietistische Frömmigkeit.531 Im Gegensatz zur Schwärmerei könne ‚Melancholia‘, Tiefsinnigkeit, nach Kants Spätwerk Anthropologie in pragmatischer Hinsicht (1798) zu jenen hypochondrischen und phantastischen Gemütskrankheiten führen, bei denen das intellektuelle Erkenntnisvermögen: richtiger Verstand, geübte Urteilskraft und gründliche, handlungsweisende Vernunft nebst Angemessenheit der Begriffe,532 abgelenkt sei. Sie wird als „bloßer Wahn von Elend“ aufgefasst, „den sich der trübsinnige (zum Grämen geneigte) Selbstquäler schafft“.533

529 Foucault, Wahnsinn und Gesellschaft (wie Anm. 527), S. 15 (Hervorhebungen im Original). 530 Art. Schwärmer. In: Zedlers Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste. Bd. 35. Halle/Leipzig 1743. Sp. 1795 f. 531 Vgl. auch Schings, Hans-Jürgen: Melancholie und Aufklärung. Melancholiker und Kritiker in Erfahrungsseelenkunde und Literatur des 18. Jahrhunderts. Stuttgart 1977. S. 143 f. 532 Vgl. Kant, Immanuel: Anthropologie in pragmatischer Hinsicht. In: Werkausgabe (wie Anm. 9), Bd. 12: Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie, Politik und Pädagogik 2, S. 395–690, hier S. 505 f. 533 Kant, Anthropologie (wie Anm. 532), S. 528.



Der Wahnsinn der Welt 

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Die auf kindische Art ängstliche Furcht vor dem Gedanken des Todes nährt diese Krankheit [i. e. Hypochondrie]. Wer aber über diesen Gedanken nicht mit männlichem Muthe wegsieht, wird des Lebens nicht Recht froh werden.534

Es handelt sich dabei um eine Krankheit, deren Wahrnehmung schon lange von einer intensiven Bildlichkeit geprägt worden ist535 und die nun zunehmend zur Projektionsfläche einer neuen Angst, einer neurotischen Angst „vor der Apokalypse des Wahnsinns“536 wird: „Der Wahnsinn wird also zur anderen Seite des Fortschritts.“537 Der Melancholiker scheint „vor dem Gedanken des Todes“ gelähmt, weil er ihn „ohne männlichem Muthe“ nicht verdrängen kann. Schließlich geht man dazu über, diese „kindische“ Verfehlung jener Institution zuzuschreiben, die die bürgerlichen Werte zweifach – als verfehltes und als anzustrebendes Ideal – repräsentieren wird: der patriarchalen Familie.538 Es ist bekanntlich ein schmaler Grat, der die moderne Dichtung vom Wahnsinn trennt, da sie es stets mit der ganzen Welt und ihren Anschauungen aufnimmt und im Extrem an einer ‚nackten‘ Sprache ohne Bedeutungsinhalt entlangschrammt, als wäre jeder Diskurs nur ein leeres System. Direkt verbunden mit der unerhörten sprachlichen Grenzüberschreitung stehen die Themen des zügellosen Begehrens und des allgegenwärtigen Todes.539 Dazu liefern literarische Werke wie Georg Büchners Lenz (1839) die genauesten Beschreibungen jener manisch-depressiven Affektstörung, die im Laufe des 19. Jahrhunderts die Gegenpole ‚Melancholie‘ und ‚Schwärmerei‘ unter dem neuen Krankheitsbild der ‚Dementia praecox‘ bzw. ‚Schizophrenie‘ vereinigen sollte. Dieses steht im direkten Zusammenhang mit jenem Diskurs um den ‚persönlichen Weltuntergang‘, der seit Sigmund Freuds Psychoanalytische Bemerkungen über einen autobiographisch beschriebenen Fall von Paranoia (1911) die Psychopathologie beschäftigt und aufgrund des visionären (fremdoffenbarten und bildgewaltigen) Charakters der Krankheit rasch mit der ‚Apokalyptik‘ assoziiert wurde.540

534 Kant, Anthropologie (wie Anm. 532), S. 527. 535 Vgl. Foucault, Wahnsinn und Gesellschaft (wie Anm. 527), S. 268–285. 536 Böhme, Hartmut: Kritik der Melancholie und Melancholie der Kritik. In: ders., Natur und Subjekt (wie Anm. 14), S. 256–273, hier S. 263. 537 Foucault, Wahnsinn und Gesellschaft (wie Anm. 527), S. 383. 538 Vgl. Foucault, Wahnsinn und Gesellschaft (wie Anm. 527), S. 512 f. 539 Vgl. Foucault, Ordnung der Dinge (wie Anm. 89), S. 449 f.; sowie allgemein neben den einschlägigen Werken von Winfried Kudszus und Leo Navratil: Schütte, Uwe: Die Poetik des Extremen. Ausschreitungen einer Sprache des Radikalen. Göttingen 2006; Schlicht, Corinna u. Heinz Schumacher (Hrsg.): Feder, Katheder und Stethoskop. Von der Literatur zur Psychiatrie. Festschrift für Gerhard Köpf zum 60. Geburtstag. Frankfurt a. M. [u. a.] 2008. 540 Vgl. Metzner, Joachim: Der Beitrag der Psychoanalyse zum Verständnis der Apokalyptik. In: Wege zum Menschen 23 (1971). S. 424–438; Metzner, Joachim: Persönlichkeitszerstörung und Weltuntergang. Berlin 1976. S. 150–241; Körtner, Weltangst und Weltende (wie Anm. 138), S. 74–81; Kobbé, Ulrich: Die vertikale Richtung der narzißtischen Apokalypse. Psychoanalytisch-philosophischer Essay



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 II.3. Die Grenzen moderner Identität

Symptomatisch für schizo-paranoide Wahnzustände galten von Beginn an die einhergehenden Veränderungen in der Subjekt-Objekt-Beziehung und des Bezugs des Individuums zur ganzen Welt und Weltgeschichte. Somit spielten phänomenologische und gestalttheoretische Aspekte bei der Einordnung der Krankheit eine grundlegende Rolle.541 Der Heidelberger Psychiater August Wetzel unterschied in den 1920er Jahren in einer rein phänomenologischen Studie grob zwischen zwei Verlaufstypen der Krankheit: dem „Weltuntergang als Übergang zu Neuem, Größerem“ und dem „Weltuntergang als grauenvolle Vernichtung“.542 Während dieser sich in Angst- und Unheimlichkeitsphasen zwischen Katatonie und Wahn entwickle, die von einem ‚Als ob‘-Gefühl begleitet werden, führe ersterer zu ekstatischen Erlebnissen etwa eines ‚Tausendjährigen Reiches‘:543 Es ist das der Weltuntergang, der die „neue Welt“, die „Weltwende“, und wie die Ausdrücke der Kranken alle heißen, begleitet und einleitet. Es ist der Weltuntergang, dem man in der Form des Jüngsten Gerichts mit allen möglichen apokalyptischen Einschlägen so oft begegnet, daß damit zweifellos die bekannteste, der klinischen Psychiatrie geläufigste Erscheinungsform getroffen ist.544

Insofern lässt sich auch die literarische Inventarisierung apokalyptischer Invasionsbilder auf die Transformation eines psychischen Kollisionsmodells zurückführen, das zwischen Einbruchs- und Nivellierungskatastrophen,545 zwischen „Weltverlust und Weltaufbau“546 schwankt, und lässt sich in der Apokalyptik (nach Eugen Drewermann im Gegensatz zur Eschatologie) „der Innenraum des Psychischen zur Welt selbst“547 erweitert denken. Geht man von diesen phänomenologischen Modellen aus, so kann es tatsächlich nicht mehr überraschen, dass in der Moderne bei den unzähligen verschiedensten Weltentwürfen gleichzeitig überall auch ‚Apokalypsen‘ zu erkennen sind, die vom Niedergang der alten oder einer neuen Welt handeln. Berechtigt also die Frage von Joachim Metzner, was die ‚Apokalypse‘ eigentlich bedeuten solle, ist sie

zur Sozialpsychologie des Verbrechens. In: Forensische Psychiatrie und Psychotherapie 2/1 (1995). S. 117–148. 541 Vgl. nicht zuletzt Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen, Bd. 3 (wie Anm. 164), S. 234– 322 (Kap. ‚Zur Pathologie des Symbolbewusstseins‘); dazu insbes. Andersch, Norbert: Symbolische Form und psychische Erkrankung. Argumente für eine ‚Neue Psychopathologie‘. Klinische und philosophische Überlegungen. Würzburg 2014. 542 Wetzel, August: Das Weltuntergangserlebnis in der Schizophrenie. In: Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie 78 (1922). S. 403–428, hier S. 406 f. 543 Vgl. Wetzel, Weltuntergangserlebnis (wie Anm. 542), S. 408–410. 544 Wetzel, Weltuntergangserlebnis (wie Anm. 542), S. 406. 545 Vgl. Metzner, Persönlichkeitszerstörung (wie Anm. 540), S. 251. 546 Metzner, Beitrag der Psychoanalyse (wie Anm. 540), S. 428. 547 Drewermann, Eugen: Tiefenpsychologie und Exegese. Bd. 2: Die Wahrheit der Werke und der Worte. Wunder, Vision, Weissagung, Apokalypse, Geschichte, Gleichnis. Olten 1985. S. 482.



Der Wahnsinn der Welt 

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doch gewissermaßen in jedem literarischen Werk (wenn nicht gar in jeder Anschauung) gegenwärtig.548 Klaus Conrad jedenfalls, Neurologe und Psychiater in Göttingen, definierte 1958 jene Phase der paranoiden Schizophrenie, die zwischen Stadien der Apophänie (dem Unvermögen, mittels ‚Vogelperspektive‘ Bezugssysteme zu wechseln und nicht alles schrankenlos auf sich zu beziehen) einsetzt, folgendermaßen als ‚apokalyptische Phase‘: Der Wahnkranke verhält sich wie der Mensch in der Offenbarung. Die Bedeutung des Gegebenen ist ihm ‚offenbar‘ und deshalb kann er den Zweifel seiner Umwelt überhaupt nicht verstehen. […] Für diese [nach der Apophänie] weitere Phase […] führen wir gleichfalls eine neue Bezeichnung ein, die jene Form geoffenbarter Bilder, die in keinem realen Sinnzusammenhang mehr stehen, ausdrücken soll. Wir sprechen von der apokalyptischen Phase oder dem Stadium der Apokalyptik.549

Conrad schließt denn auch mit der Feststellung: „Bedenken wir schließlich, daß die Erkrankung offenbar den zentralsten Kern des Erlebens selbst angreift, der den Menschen vom Tier unterscheidet: das Ich und die reflektierende Fähigkeit des ‚Überstiegs‘ […].“550 Diese Ausführungen können einerseits als Zeugnis für jene moderne Entdeckung im Wahnsinn gelten, „daß im Menschen das Innere ebenso äußerlich ist, daß die Subjektivität im Extrem sich mit der unmittelbaren Faszination des Objekts identifiziert“.551 Andererseits lässt sich an der Integrationsstörung (wie die ‚Schizophrenie‘ im 21.  Jahrhundert nach japanischem Vorbild anders benannt werden könnte)552 die Gegenposition eines revolutionären Künstlertums in der Moderne messen, dem es ganz wesentlich um eine „Subversion der Sehweisen“553 ‚von oben‘ in ‚von unten‘ ging, um jene Subjekt-Objekt-Beziehungen zu desavouieren, die sich nur allzu leicht in verheerenden Massenphänomenen verlieren konnten.

548 Vgl. Metzner, Persönlichkeitszerstörung (wie Anm. 540), S. 1 f. 549 Conrad, Klaus: Die beginnende Schizophrenie. Versuch einer Gestaltanalyse des Wahns. Sammlung psychiatrischer und neurologischer Einzeldarstellungen. Stuttgart 1958. S. 21 f. (Hervorhebungen im Original). 550 Conrad, Beginnende Schizophrenie (wie Anm. 549), S. 161 f. (Hervorhebung im Original). 551 Foucault, Wahnsinn und Gesellschaft (wie Anm. 527), S. 545. Vgl. auch S. 544: „Was der Wahnsinn über sich selbst sagt, ist für das Denken und die Poesie am Anfang des neunzehnten Jahrhunderts das, was der Traum in der Unordnung seiner Bilder ebenfalls ausspricht: eine Wahrheit über den Menschen, die sehr archaisch und sehr nahe, sehr schweigend und sehr bedrohlich ist; eine Wahrheit unterhalb jeder Wahrheit, der Entstehung der Subjektivität äußerst benachbart und auf der Ebene der Dinge sehr verbreitet; eine Wahrheit, die der völlige Rückzug der Individualität der Menschen und die inchoative Form des Kosmos ist.“ 552 Vgl. Andersch, Symbolische Form (wie Anm. 541), S. 160–174. 553 Kobbé, Vertikale Richtung (wie Anm. 540), S. 140 f.



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 II.3. Die Grenzen moderner Identität

Apokalyptischer Massenwahn Thomas Hobbes war in seiner Staatsschrift Leviathan (1651) – wohlgemerkt unmittelbar nach den europäischen Glaubenskriegen – von einem feindlichen menschlichen Naturzustand ausgegangen, der den Menschen mehr aus Furcht und Notwendigkeit denn aus Anlage und Wunsch in die Gemeinschaft zwang. Insofern fasste seine wegweisende Theorie der Politik das Wohlergehen der Gesellschaft als solche nach funktionellen Grundlagen der Naturwissenschaften ins Auge. Der absolutistische Staat sollte sich zu einem abgehobenen nationalen Planungs- und Interaktionsbereich entwickeln, für den der Mensch als Zivilisierungsobjekt nach den Regeln der Vernunft einen Gesellschaftsvertrag einging. Während sich so die Kriegspraxis an die Grenzen staatlicher Ordnung verlagerte und bald auch von einem Rassendiskurs belegt wurde,554 setzte im Inneren eine disziplinierende Verwaltung des Raumes ein, die Foucault zufolge im Laufe des 18.  Jahrhunderts von den neuen biopolitischen Regulierungsdiskursen abgesichert wurde.555 Dabei blieb ein Bild vom Menschen vorherrschend, dessen kriegerische, dunkle und verworrene Leidenschaften eine latente Gefahr ausstrahlten, gleichzeitig aber auch Ansatzpunkt für den Idealismus der Aufklärer waren. Mit der Französischen Revolution war erstmals die Frage nach dem politischen Potenzial einer Bevölkerungsmenge gestellt worden, die in ‚wilder‘ und auch ‚weiblicher‘ Leidenschaftlichkeit schlagartig die traditionelle Ordnung zerstören konnte.556 Diese Umsturzkraft stellte dem Vorstellungsideal einer frühchristlichen Gemeinschaftlichkeit das Bedrohungsszenario einer barbarischen ‚Völkerwanderungszeit‘ gegenüber. Sollte die Wahrnehmung dieser Gefahr ab der Jahrhundertmitte mit dem Einsetzen eines bevölkerungspolitischen Dispositivs der ‚Normalisierung‘ gemäßigt werden, so lag sie selbst den frühen sozialistischen Ansätzen zugrunde, wie sich gut an einem Korrespondenzbericht von Heinrich Heine aus Paris vom Sommer 1842 zeigen lässt. Darin sieht Heine einen politischen Antagonisten aufziehen, „welcher der schrecklichste sein dürfte von allen, die bisher mit dem Bestehenden in die Schranken getreten“, und „in jenen Katakomben [residiert], wo unter Tod und Verwesung das neue Leben keimt und knospet“ – nämlich den Kommunismus, „der sich zu einem Debüt vorbereitet“.557 Es sei aber höchst zweifelhaft, ob sich die Massenzu einer Gemeinschaftsbewegung entwickeln könne, deutete doch vieles darauf hin, dass sie nur in einer egalitären Diktatur enden könne.

554 Vgl. Foucault, Verteidigung der Gesellschaft (wie Anm. 224), S. 82–104. 555 Vgl. Foucault, Sicherheit (wie Anm. 213), S. 13–172. 556 Vgl. Gamper, Masse (wie Anm. 195), S. 143–169. 557 Heine, Heinrich: Lutetia. Berichte über Politik, Kunst und Volksleben. In: Sämtliche Schriften. Hrsg. von Klaus Briegleb. Bd. 5. Hrsg. von Karl Heinz Stahl. München 1974. S. 217–570, hier S. 431 (20. Juni 1842). Vgl. Gamper, Masse (wie Anm. 195), S. 297–303.



Apokalyptischer Massenwahn 

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Ich fürchte mich immer im ersten Anfang, wenn ich die Dämonen der Umwälzung entzügelt sehe; späterhin bin ich sehr gefaßt, und die tollsten Erscheinungen können mich weder beunruhigen noch überraschen, eben weil ich sie vorausgesehen. Was wäre das Ende dieser Bewegung, wozu Paris wieder, wie immer, das Signal gegeben? Es wäre der Krieg, der gräßlichste Zerstörungskrieg, der leider die beiden edelsten Völker der Zivilisation in die Arena riefe zu beider Verderben; ich meine Deutschland und Frankreich. […] Doch das wäre nur der erste Akt des großen Spektakelstücks, gleichsam das Vorspiel. Der zweite Akt ist die europäische, die Weltrevolution, der große Zweikampf der Besitzlosen mit der Aristokratie des Besitzes, und da wird weder von Nationalität nach von Religion die Rede sein: nur ein Vaterland wird es geben, nämlich die Erde, und nur einen Glauben, nämlich das Glück auf Erden. […] Es wird vielleicht alsdann nur einen Hirten und eine Herde geben, ein freier Hirt mit einem eisernen Hirtenstabe und eine gleichgeschorene, gleichblökende Menschenherde! Wilde, düstere Zeiten dröhnen heran, und der Prophet, der eine neue Apokalypse schreiben wollte, müßte ganz neue Bestien erfinden, und zwar so erschreckliche, daß die älteren Johanneischen Tiersymbole dagegen nur sanfte Täubchen und Amoretten wären.558

In der zweiten Jahrhunderthälfte setzte ein kulturpolitischer und -kritischer Diskurs um die ‚Masse‘ ein, die zunehmend als Extrem der inneren Ordnungsmodalitäten begriffen wurde und als solches auch in die Konzepte der Humanwissenschaften einfloss.559 Im Zuge der fortschreitenden Industrialisierung, der Urbanisierung und des Bevölkerungswachstums war man mit neuen intensiven Erfahrungen von Menschenansammlungen und individuellem Kontrollverlust konfrontiert, sodass um 1900 offensichtlich geworden war, dass die bürgerliche Oberschicht nicht mehr unabhängig von ihren proletarischen Produktivkräften gedacht werden konnte. Die gewichtigen Beschäftigungen mit der Verhältnisbestimmung von Individualität und Kollektivität ausgehend von Gustave Le Bons Psychologie des foules (1895) über Sigmund Freuds Massenpsychologie und Ich-Analyse (1921) und Hermann Brochs Massenwahntheorie (1941) bis hin zu Elias Canettis Masse und Macht (1960) sollten, zwei Massenkriege schlechthin umschließend, die unbedingte Notwendigkeit zeigen, sich mit dem dunkelsten, psychotischen Phänomen der kollektiven Begeisterung und Triebkraft auseinanderzusetzen.560

558 Heine, Lutetia (wie Anm. 557), S. 432 (12. Juli 1842) (Hervorhebungen im Original). 559 Vgl. weiterführend Günzel, Stephan: Der Begriff der ‚Masse‘ in Philosophie und Kulturtheorie (I–III). In: Dialektik. Zeitschrift für Kulturphilosophie (2004/2–2005/2). S. 117–135, 123–140 u. 113–130; Gamper, Masse (wie Anm. 195), S. 407–434; Middendorf, Stefanie: Massenwissenschaften in Frankreich und Deutschland um 1900. Erfahrungsgeschichtliche Perspektiven. In: Europäische Wissenschaftskulturen und politische Ordnungen in der Moderne, 1890–1970. Hrsg. von Gangolf Hübinger. München 2013 (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 87). S. 51–78; Dubbels, Elke: Apokalypse der Massen im wissenschaftlichen Diskurs, Drama und Film im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. In: Briese [u. a.], Aktualität des Apokalyptischen (wie Anm. 138), S. 39–59. 560 Le Bon, Gustave: Psychologie der Massen. 15.  Aufl. Stuttgart 1982; Broch, Hermann: Massenwahntheorie. Beiträge zu einer Psychologie der Politik. In: Kommentierte Werkausgabe. Bd. 12. Frankfurt a. M. 1979; Canetti, Elias: Masse und Macht. 29. Aufl. Frankfurt a. M. 2003. Zur literarischen



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 II.3. Die Grenzen moderner Identität

In allen genannten Studien wird auf die Ähnlichkeit von individuellen und kollektiven Wahnzuständen und auf deren mögliche Verschränkung im Unbewussten hingewiesen, wonach es sich um die Ausformung eines verdrängten kollektiven Wunsches handeln musste.561 Ohne mehr den Stachel der Befehle zu spüren, findet die Masse bei Elias Canetti im Bild vom Jüngsten Gericht schließlich ihre wahre Bestimmung. Es braucht nichts anderes als die Zusammenführung, nichts außerhalb des Kollektivs hat Bedeutung mehr: „Es ist nichts dazwischen; als Masse liegen sie da, als Masse stehen sie wieder auf.“562 Das genaue Gegenteil also jeder Form von Individuation, die in ‚apokalyptischer‘ Hinsicht, anders als Canetti vermutet, eine genuin moderne Erfahrung darstellen dürfte. Bevor Canetti zur Analyse von ‚Herrschaft und Paranoia‘ übergeht, beschreibt er die ‚Größenideen der Paralytiker‘ und hebt hervor, dass „dieses Wort ‚Größe‘ etwas aus[drückt], ohne das die Menschen nicht mehr leben können.“563 In den Wahnideen des Paralytikers findet es seine Verwirklichung in der Form, in der die ‚Masse‘ in welcher Form auch immer (vornehmlich Geld) auf seiner Seite steht. Hier findet sich ein Anklang an jene „Größe, von der die Menschen träumen“,564 die, so eine These vorliegender Arbeit, bereits im Aufstand des Sklaven in Francis Danbys Gemälde repräsentiert wird, im ursprünglichen demokratischen Freiheitsimpuls seine Entsprechung findet und also einen immanent politischen Charakter aufweist. Unter den im wahrsten Sinne des Wortes kapitalen Entfremdungsbedingungen der Moderne tritt der Mensch in Masse auf als „[z]ur individualitätslosen Maschine geworden“ oder „apokalyptisch dem Nichts verhaftet“: Die apokalyptische Stimme ist stärker als die eines jeden unmittelbaren irdischen Anlasses, und möge dieser noch so sehr, noch so erschütternd von Blut und Mord und Brand geschwängert sein, die Stimme, die zur Stimme zwingt, ist es, die mit ihrer Vision vom Ende des Menschlichen als solchem alle Prophetie erfüllt.565

Broch zufolge ist es nicht direkt ein Ereignis oder eine Stimme, die hinter dem Apokalyptischen ausgemacht werden kann, sondern „die Stimme, die zur Stimme zwingt“, also die mediale Disposition als solche – die apokalyptische Stimme hinter den im August 1914 im Durchschnitt 50 Tausend verfassten Kriegsliedern pro Tag, mit denen

­ epräsentation des apokalyptischen Massendiskurses siehe etwa Kubin, Andere Seite (wie Anm. 479), R insbes. S. 257–260; Jelinek, Elfriede: Die Kinder der Toten. Reinbek b. H. 1995. Insbes. S. 403–408. 561 Vgl. schließlich auch Deleuze, Gilles u. Félix Guattari: Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie 2. 6. Aufl. Berlin 2005. S. 44–58. 562 Canetti, Masse und Macht (wie Anm. 562), S. 42. 563 Canetti, Masse und Macht (wie Anm. 560), S. 477. 564 Canetti, Masse und Macht (wie Anm. 560), S. 483 (Hervorhebung im Original). 565 Broch, Massenwahntheorie (wie Anm. 560), S. 163 f.



Apokalyptischer Massenwahn 

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das deutsche Bildungsbürgertum euphorisch in den Krieg marschierte;566 hinter der Effekthascherei der Publizistik, gegen die Karl Kraus mit unvergleichlicher Schärfe ins Feld zog, nicht ohne selbst Anleihen an der Offenbarungs-Schrift zu nehmen;567 hinter den angstlustvollen Verkündigungen des Niedergangs und der Endzeit, die von verschiedensten apokalyptischen Kriegs- und Revolutionsdeutungen568 über literarische Visionen bis hin zu einflussreichen geschichtsphilosophischen Spekulationen vom ‚Untergang des Abendlandes‘ oder vom ‚Dritten Reich‘ reichten; und natürlich hinter den immer raffinierter konzipierten politischen Propagandatiraden und Werbeversprechen über die Leitmedien. In einer ausgereiften ‚Kritik des kollektiven Wahns‘ von 1924 führte der deutsche Schriftsteller Carl Christian Bry (eigtl. Carl Decke) die Wirkkraft dieser apokalyptischen Stimme in der Bevölkerung auf ‚verkappte Religionen‘ zurück, über die sich jeder und jede zum Zentrum der eigenen Anschauung machen könne. Anders als der vorhergehende religiöse Glaube, der individuelle Defizienz in Bezug auf ein Jenseits vermittelte, durchdringen die Anschauungen „den Kern der Seele“ und lassen das Individuum „in den lebhaftesten wirklichen Beziehungen“569 mit der Welt stehen und sich zum Aufklärer der hinter der Welt liegenden Wahrheit machen: „An Stelle des Gedankens, mit dem es bisher die Philosophie zu tun hatte, tritt die Stimmung.“570 Der Wahn des ‚Hinterweltlers‘, der „in allem und jedem Ding nur noch die Bestäti-

566 Vgl. Vondung, Apokalypse in Deutschland (wie Anm. 12), S. 189–207, insbes. S. 193 f.; Anz, Thomas u. Joseph Vogl (Hrsg.): Die Dichter und der Krieg. Deutsche Lyrik 1914–1918. 2.  Aufl. Stuttgart 2014. S. 44–48 u. 82–99. 567 Kraus datiert den Beginn der ‚Apokalypse‘ auf die Zeit um 1800, als mit dem Beginn der Luftschifffahrt die absolute Zentralperspektive fiel und aus seiner Sicht die Zeit der ‚Parvenus‘ anbrach. Siehe Kraus, Karl: Apokalypse (Offener Brief an das Publikum) [1908]. In: ders.: Untergang der Welt durch schwarze Magie. München 1960. S. 11–22, hier S. 12 f. Vgl. Michler, Träume der Vernunft (wie Anm. 383), S. 366 f. 568 Um einige Beispiele anzuführen: Gustav Entz: Unsere Hoffnung auf Frieden. Predigt über Offenbarung 21,1–7 (1914); Frederick Lawrence Rawson: How the War Will End. As Shown in the Bible Prophecies of the Final War, Known as the Battle of Armageddon (1914); Johann Hermann: Unsere Zeitverhältnisse im Licht göttlicher Offenbarung (1915); Léon Bloy: Au seuil de l’Apocalypse, 1913–1915 (1915); Robert Wiesendanger: Weltkrieg und Gottesglauben im Lichte der Apokalypse (Offenbarung Johannes) (1916); Wassili Wassiljewitsch Rosanow: Apokalypse unserer Zeit (1918); Johann[es] Ude: Die weiße Pest. Der vierte apokalyptische Reiter (1919); Franz Dietl [Pseud. Noe Secundus]: Die apokalyptische Weltrevolution. Ein Blick in die nächste Zukunft (1919); Serge de Chessin: L’Apocalypse russe. La Révolution bolchevique 1918–1921 (1921); David Koigen: Apokalyptische Reiter. Aufzeichnungen aus der jüngsten Geschichte (1925). 569 Decke, Carl [Carl Christian Bry]: Verkappte Religionen. Kritik des kollektiven Wahns. Hrsg. von Martin Gregor-Dellin. München 1979. S. 37. 570 Decke, Verkappte Religionen (wie Anm. 569), S. 31.



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 II.3. Die Grenzen moderner Identität

gung seiner eigenen Meinung“571 findet, habe sich in der Zwischenkriegszeit endgültig vom Jenseits ins Diesseits verlagert.572 Dieser appellativen Stimme, von der sich die expressionistischen, symbolistischen oder messianischen Entwürfe dieser Zeit abwandten, stellte Robert Musil in einzigartiger Weise seinen Mann ohne Eigenschaften (1930–1943) und ein „Denken in Möglichkeiten entgegen, in deren Gestrüpp sich jede Art von Teleologie verheddert“.573 Musil erkannte, dass der diskursiven Totalisierung  – dem Strukturprinzip der modernen apokalyptischen Tonalität nach Derrida – nicht zu entkommen sei, dass jede Meinungsäußerung unweigerlich dem Schema der Verknappung und Verschärfung folgen musste und dass die Öffentlichkeit zu einem unüberschaubaren Neben- und Gegeneinander inkommensurabler Anschauungen geworden war. Sein Protagonist Ulrich weiß am Vorabend des Ersten Weltkriegs, dass es utopisch geworden ist, den fortschreitenden bzw. fortschrittlichen „Zerfall von Welt und Natur“574 rückgängig zu machen, und dass der private Rückfall in eine identitätslose Mystik in furchtbarer Korrespondenz zu den Massenerscheinungen der Zeit steht, die sich nicht mehr auf die patriotische Idee einer ‚Parallelaktion‘ fixieren lassen. Selbst der Möglichkeit eines mystischen postapokalyptischen Zustands nach der überwältigenden Katastrophe wird schließlich eine Absage erteilt. Dennoch bleibt am Ende zwar keine Hoffnung, aber eine Öffnung, die sich aus dem Konzept des ‚Möglichkeitssinns‘ und seiner ironischen Distanz ergibt: Obwohl alle Vorzeichen darauf hindeuten, kann der Untergang auch nicht eintreffen oder nicht so, wie man ihn sich vorgestellt hat.575 Für Musil ist er wohl in Gestalt des Nationalsozialismus eingetroffen, der, in großem Maß der deutschen philosophischen und philologischen Tradition geschuldet, der ‚Apokalypse‘ realpolitisch am genauesten entsprach (und den Rundfunk als totalen symbolischen Mittler einsetzte).576 Als einzelnes Beispiel soll an dieser Stelle ein Zitat aus Joseph Goebbels Rede anlässlich der Bücherverbrennung in Berlin 1933 angeführt werden:

571 Decke, Verkappte Religionen (wie Anm. 569), S. 39. 572 Vgl. Decke, Verkappte Religionen (wie Anm. 569), S. 33–38 (Kap. ‚Die Hinterweltler‘); und auch die in gleiche Richtung abzielende, radikal antikapitalistische Zeitkritik des Ernst Bloch-Schülers Schumacher, Joachim: Die Angst vor dem Chaos. Über die falsche Apokalypse des Bürgertums [1937]. Frankfurt a. M. 1978. 573 Innerhofer, Roland: Mögliche Enden, endlose Möglichkeiten. Kritik und Krise des apokalyptischen Denkens bei Robert Musil. In: Wieser [u. a.], Abendländische Apokalyptik (wie Anm. 77), S. 327– 337, hier S. 327. 574 Braun, Welt (wie Anm. 420), S. 488. 575 Vgl. Innerhofer, Mögliche Enden (wie Anm. 573), S. 337. 576 Vgl. allgemein Vondung, Apokalypse (wie Anm. 12), S. 207–225; Vondung, Klaus: Apokalypse des Nationalsozialismus. In: Der Nationalsozialismus als politische Religion. Hrsg. von Michael Ley u. Julius H. Schoeps. Bodenheim b. M. 1997. S. 33–52.



Apokalyptischer Massenwahn 

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Revolutionen sind Durchbrüche neuer Weltanschauungen. […] So, wie sie [die Weltanschauung] die Menschen revolutioniert, so revolutioniert sie die Dinge! Und am Ende wird dann Masse, Volk, Staat und Nation ein- und dasselbe geworden sein. Darüber aber sind wir geistigen Menschen uns klar: Machtpolitische Revolutionen müssen geistig vorbereitet werden. An ihrem Anfang steht die Idee, und erst wenn die Idee sich mit der Macht vermählt, dann wird daraus das historische Wunder der Umwälzung emporsteigen.577

Die Singularität des Nazismus sieht Saul Friedländer im „bislang einzigartige[n] Ausdruck eines Zusammenströmens von Ideen, Emotionen und Phantasmen, die in allen anderen modernen Gesellschaften des Westens auseinandergehalten werden.“578 Der Reiz des Nazismus, der auch im neueren ästhetischen Umgang mit dem Thema zu finden sei, steht dabei im engen Zusammenhang mit einer fundamentalen Umwertung des Todes579 – und der ‚Apokalypse‘: Doch ihre volle Intensität gewinnt diese Faszination des Todes erst, wenn er als Offenbarung erscheint. Die religiösen Wurzeln dieser Todesvorstellung sind evident, allerdings hat sie im Nazismus eine Besonderheit: Nach der christlichen Tradition bedeutet der Tod die Offenbarung eines geheimnisvollen und doch konkreten, unbestimmten und doch gesicherten Anderswo. Nichts davon im nazistischen Bild des Todes […]: symbolische Überfrachtung, barock inszeniertes Arrangement und Evokation einer Atmosphäre voller Mysterien, Mythen und Religiosität als Hülle um eine Vision des Todes, die als Offenbarung verkündet wird, als ‚Apokalypse‘ im ursprünglichen Sinne des Wortes, aber als eine Offenbarung, die zu nichts führt, die nichts offenbart außer Finsternis und Entsetzen … Es sei denn, sie wäre die Offenbarung einer geheimen Kraft, die den Menschen zu einer unabwendbaren Selbst- und Weltvernichtung hinführt.580

Friedländer zufolge sei es aufgrund der vorherrschenden Satz- und Argumentationsstrukturen auch nach 1945 unmöglich gewesen, sich den Vorkommnissen des Zweiten Weltkriegs und der Shoa zu stellen. Wenn er darüber hinaus konstatiert, dass selbst die quellenkritischen Historiker, die alle zeitgenössischen Zusammenhänge systematisch aufzudecken versuchen, „uns letzten Endes vor der Vergangenheit, dank der unvermeidlichen Auflösung der Sprache“581 schützen, so weist er auf die allgemeine Unvermittelbarkeit ‚apokalyptischer‘ Ereignisse und insbesondere auch auf jene direkt davon beeinflussten methodologischen Fragestellungen der ‚poststrukturalistischen‘ Geschichtsschreibung hin, die im ersten Abschnitt behandelt wurden. Wie nun in diesem Abschnitt begriffs- und diskursgeschichtlich versucht wurde darzustellen, kann der ‚apokalyptische‘ Diskurs der Moderne auf ein soziopolitisches

577 Goebbels, Joseph: Rede vom 10. Mai 1933. In: Reden. Hrsg. von Helmut Heiber. Bd 1: 1932–1939. Düsseldorf 1971. S. 110. Vgl. Braun, Welt (wie Anm. 420), S. 503. 578 Friedländer, Saul: Kitsch und Tod. Der Widerschein des Nazismus. Frankfurt a. M. 1999. S. 134. 579 Vgl. insbes. auch Berghoff, Peter: Der Tod des politischen Kollektivs. Berlin 1997 (Politische Ideen 7). S. 163–188. 580 Friedländer, Kitsch und Tod (wie Anm. 578), S. 50 f. (Hervorhebungen im Original). 581 Friedländer, Kitsch und Tod (wie Anm. 578), S. 90.



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 II.3. Die Grenzen moderner Identität

Dispositiv zurückgeführt werden. Nachdem sich der vereinigende Horizont des Endzeitglaubens in der frühen Neuzeit als haltlos erwiesen hatte  – mit dem Jüngsten Gericht als laufende, ‚breitflächige‘ Regulierungsanweisung und -androhung, sich die Zeit zwischen Erinnerung und Erwartung Christi bewusst machen zu müssen –, wurden staatliche, am Horizont sprachlicher Vernunft ausgerichtete Regulative eingesetzt, um die verfassungsrechtliche Ordnung im großen Maßstab aufrechtzuerhalten. Mit der damit einhergehenden Transformation des Todes- in ein Lebensprinzip wurde die alte ‚Pastoralmacht‘ in eine neue ‚Biomacht‘ überführt, die Foucault zufolge aber weiterhin jener einen ‚abendländischen‘ Signatur eines Machtverständnisses folgt, die gleichermaßen totalisierend und individualisierend wirkt. Die ‚Apokalypse‘ schließlich wurde mit der dunklen, unkontrollierbaren Kraft des Menschen assoziiert, die ihre Entsprechung in den ereignishaften Naturphänomenen fand. Abgetrennt von den bewussten menschlichen Handlungen entwickelte sie sich zum „geheimen Horror im Rücken der Rationalität“:582 Apocalyptic is the bête-noire of the kinds of polities and epistemologies that we call (and call into being) as ‘Western’ and ‘modern’. […] Apocalyptic contains all that the Enlightenments hate: secrecy, whispers, sectarianism, fanaticism, fundamentalism, human and divine vengeance, sulphurous vengeful streams of apocalyptic hate.583

Für all jene Zustände, von denen man sich keinen Begriff machen kann, wird in der ‚Moderne‘ auf die Bildsymbolik der Johannes-Offenbarung rekurriert. Im dritten Teil der Arbeit gilt es nun, der Zeitstruktur der ‚westlichen‘ Begriffsstruktur genauer nachzuspüren.

582 Böhme, Vergangenheit und Gegenwart (wie Anm. 14), S. 391. 583 Sherwood, Napalm (wie Anm. 77), S. 53 f.



Dritter Teil: Eschaton

Abb. 3: Lars von Trier, Melancholia (2011)





III.1 Edgar Allan Poes The Conversation of Eiros and Charmion (1839) Die Ankunft des Kometen Edgar Allan Poes The Conversation of Eiros and Charmion (1839) ist der erste seiner drei ‚platonischen Dialoge‘ (neben The Colloquy of Monos and Unas, 1841, und The Power of Words, 1845), in denen mystische Himmelsgestalten den eingetretenen Weltuntergang und ihr geistiges Nachleben als ehemalige Menschen reflektieren.584 Er kann als frühes und hervorragendes Beispiel für jene grundlegend affirmierende Besetzung eines Katastrophenszenarios angesehen werden, die, wie Douglas Robinson feststellte, die moderne nordamerikanische, aber in weiterer Konsequenz ebenso die europäische Literatur- und Filmgeschichte durchzieht. Wenn Poe „at the exact center of the American apocalypse“ steht und seine Texte „the definitive American forms of the American apocalypse inherited from the Puritans through [Jonathan] Edwards“585 darstellen, so ist dies tatsächlich in einem analytischen Sinne zu verstehen: In ihnen lassen sich die Formen erkennen, von denen religiöse Endzeiterwartungen ab dem ausgehenden 18. Jahrhundert von naturwissenschaftlich geprägten Weltuntergangsvorstellungen überlagert wurden und das Individuum ins Handlungszentrum rückte, die erhabenen Strukturen im Bild, Imago bzw. Imaginären des Endes. Die Anlässe, die hinter der Kurzgeschichte ausgemacht werden können, sind aussagekräftig genug: In dem Jahrzehnt ihrer Entstehung kam es zu einem spektakulären Meteoritenschauer (der Leoniden 1833) und zu einigen Kometensichtungen (des Halleyschen Kometen 1835 oder des Enckeschen Kometen 1835 und 1838), die Auslöser zahlreicher endzeitlicher Spekulationen wurden und die neu aufkommende Welle an Erweckungsbewegungen in den USA beförderten. Am wirkmächtigsten wurden die Zeichen der Zeit (The Signs of Time ist eine auf diese Zeit zurückgehende adventistische Zeitschrift) von dem baptistischen Prediger William Miller gedeutet, der bereits

584 Poe, Edgar Allan: The Conversation of Eiros and Charmion. In: Collected Works of Edgar Allan Poe. Hrsg. von Thomas Ollive Mabbott. Cambridge [u. a.] 1969/1978. Bd. 2,1: Tales and Sketches (1831– 1842). S. 451–462. Vgl. zum Werk im Folgenden Levine, Stuart u. Susan Levine: Notes. In: Edgar Allan Poe: The Short Fiction. An Annotated Edition. Hrsg. von Stuart Levine u. Susan Levine. 2. Aufl. Urbana 1990. S. 145–147; Quinn, Arthur Hobson: Edgar Allan Poe. A Critical Biography. 2. Aufl. Baltimore 1998. S. 187; Carlson, Eric W.: A Companion to Poe Studies. Westport, CT 1996. S. 152–157; Robinson, Douglas: Poe’s Mini-Apocalypse. ‚The Conversation of Eiros and Charmion‘. In: Studies in Short Fiction 19 (1982). S. 329–337; Kock, Christian: The Irony of Oxygen in Poes’s ‚Eiros and Charmion‘. In: Studies in Short Fiction 22 (1985). S. 317–321; Levine, Robert S.: American Studies in an Age of Extinction. In: States of Emergency. The Object of American Studies. Hrsg. von Russ Castronovo u. Susan Gillman. Chapel Hill 2009. S. 267–309. Siehe im Folgenden auch bereits Zolles, Apokalypse (wie Anm. 359). 585 Robinson, American Apocalypses (wie Anm. 499), S. xivf.



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 III.1 Edgar Allan Poes The Conversation of Eiros and Charmion (1839)

zuvor die Wiederkunft Christi, ausgehend von Dan 8,14 und Mat 24, auf das Jahr 1843 berechnet hatte.586 Durch zahlreiche Vorträge, vor allem aber auch über ein eigenes Publikationsnetzwerk und die Sensationsberichterstattung der aufkommenden ‚Penny Press‘587 schaffte er es, eine immer größer werdende Anhängerschaft (‚Milleriten‘ bzw. ‚Adventisten‘) in den Großstädten der Ostküste zu erreichen, die dem unmittelbar bevorstehenden Jüngsten Gericht entgegenfieberten. Die Endzeiterwartung sollte weiter an Schärfe gewinnen, als im Frühjahr 1843 mit dem ‚Großen Märzkometen‘ tatsächlich der hellste Komet des 19.  Jahrhunderts auftauchte. Als schließlich die mehrmals revidierte und neu angesetzte Parusie Christi ausblieb und das ‚Great Disappointment‘ einsetzte, spalteten sich die Gläubigen in zum Teil noch heute bestehende adventistische Gruppierungen auf, von denen manche bis ins 20. Jahrhundert hinein das Weltende in jener Zeit erwarteten, in der die letzten Zeugen des Meteoritenschauers von 1833 lebten. Besonders zu erwähnen ist die 1863 auf Initiative von Joseph Bates, Ellen G. und James White gegründete protestantische Freikirche der ‚Seventh-Day-Adventists‘, die weiterhin von der unmittelbar bevorstehenden, aber unbestimmbaren Wiederkehr Christi ausgingen und in Anlehnung an die ‚Seventh-Day-Baptists‘ den Samstag als Sabbat und Ruhetag befolgten.588 Ausgehend von den Lehren einer weiteren adventistischen Splittergruppe (der ‚Second Adventists‘) und deren radikalen Rückbesinnung auf die Schrift gründete Charles Teaze Russell in Pittsburgh eine erste ‚Bibelforschergruppe‘, bevor er um 1900 die ‚Wachturm-Gesellschaft‘ und die Vereinigung der ‚Internationalen‘ bzw. ‚Ernsten Bibelforscher‘ ins Leben rief, deren Mitglieder an die bereits erfolgte ‚unsichtbare‘ Parusie Christi seit 1874 und den Abschluss der Gerichtszeit im Jahr 1914

586 Vgl. Scharnhorst, Gary: Images of the Millerites in American Literature. In: American Quarterly 32 (1980). S. 19–36; Knight, George R.: Millennial Fever and the End of the World. Boise 1993; Numbers, Ronald L. u. Jonathan M. Butler: The Disappointed. Millerism and Milleniarism in the Nineteenth Century. Knoxville 1993; Dick, Everett N.: William Miller and the Advent Crisis, 1831–1844. Berrien Springs, MI 1994; Rowe, David L.: God’s Strange Work. William Miller and the End of the World. Grand Rapids, MI 2008; sowie Sandeen, Ernest R.: The Roots of Fundamentalism. British and American Millenarianism, 1800–1930. Chicago 1970. S. 50–57; Moore, R. Laurence: Religious Outsiders and the Making of America. New York 1986. S. 131–136; Reller [u. a.], Handbuch (wie Anm. 384), S. 188–190; Obst, Helmut: Apostel und Propheten der Neuzeit. Gründer christlicher Religionsgemeinschaften des 19. und 20. Jahrhunderts. 4. Aufl. Göttingen 2000. S. 353–359; Bloom, Harold: The American Religion. The Emergence of a Post-Christian Nation. 2. Aufl. New York 2006. S. 147–158. 587 Gerade in jener Zeit kam es in den USA zur gleichzeitigen Herausbildung eines literarischen wie religiösen Presse- und Verlagswesens, welche an der nationalen Identitätsstiftung natürlich maßgeblichen Einfluss hatten. Vgl. zur diesbzgl. Kontextualisierung von Poes Werk McGill, Meredith: American Literature and the Culture of Reprinting, 1834–1853. Philadelphia 2003. S. 141–217; Whalen, Terence: Edgar Allan Poe and the Masses. The Political Economy of Literature in Antebellum America. Princeton 1999; Telly Jr., Robert T.: Poe and the Subversion of American Culture. Satire, Fantasy, Critique. New York 2014. 588 Vgl. Reller [u. a.], Handbuch (wie Anm. 384), S. 190–204; Obst, Apostel und Propheten (wie Anm. 586), S. 359–408.



Die Ankunft des Kometen 

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glaubten. In den Folgejahren kam es zu Nachfolgekämpfen um Russells Erbe, die in den 1930er Jahren in die Gründung einer von einer Weltzentrale in Brooklyn (‚Bethel‘) aus straff geführten Organisation, die ‚Zeugen Jehovas‘, mündeten.589 Zu einer der weiteren in den USA an die Öffentlichkeit tretenden und nach Europa (re)exportierten Erweckungsbewegungen, wenngleich zunächst nur im ländlichen Mittleren Westen aktiv, ist die ‚Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage‘ zu zählen.590 Im Zentrum der 1830 durch Joseph Smith gegründeten Glaubensgemeinschaft stehen dessen Visionen um das Buch Mormon des Propheten Moroni, das als Zeugnis einer vermeintlich vorchristlichen Besiedlung Nordamerikas durch jüdische Stämme angesehen wird. Die ‚Mormonen‘ sehen sich in der Nachfolge der urchristlichen Gemeinschaft vor dem Konzil von Nizäa und deren immanenter Erwartung des Weltendes, das bislang für die Jahre 1890 und 1966 berechnet wurde. Dass darüber hinaus auch vordergründig mehr an den Evangelien orientierte Freikirchen wie die ‚Disciples of Christ‘ oder die britische ‚Salvation Army‘ aufgrund ihres Exklusivitätsanspruchs und Missionarscharakters lange Zeit einen stark apokalyptischen Charakter aufwiesen, wurde bereits anhand der Kindheitserinnerungen von D. H. Lawrence aufgezeigt. Poe verfasste seinen ersten Himmelsdialog also in jener Zeit, in der in Nordamerika (wie auch mit geringerer Dynamik in Europa) intensive endzeitlich-religiöse Gründungskonflikte ausgetragen wurden und die frühe Boulevardpresse in den Großstädten dafür sorgte, dass die zahlreichen Himmelserscheinungen zumindest an einen bevorstehenden Weltuntergang denken ließen. Den entscheidenden Anstoß dürfte er – neben den selbst in Boston miterlebten Reaktionen auf den Meteoritenschauer von 1833591  – durch die kurz zuvor erschienene, beachtlich pessimistische

589 Vgl. Reller [u. a.], Handbuch (wie Anm. 384), S. 370–386; Obst, Apostel und Propheten (wie Anm. 586), S. 409–453; weiterführend Gebhard, Manfred: Geschichte der Zeugen Jehovas mit Schwerpunkt der deutschen Geschichte. Berlin 1999; Penton, M. James: Apocalypse Delayed. The Story of Jehovah’s Wittnesses. 3. Aufl. Toronto [u. a.] 2015. 590 Vgl. Reller [u. a.], Handbuch (wie Anm. 384), S. 411–425; Obst, Apostel und Propheten (wie Anm. 586), S. 266–315; weiterführend Mössmer, Albert: Die Mormonen. Die Heiligen der letzten Tage. Düsseldorf 2004; Givens, Terryl L.: The Viper on the Hearth. Mormons, Myths, and the Costruction of Heresy Religion in America. 2. Aufl. New York 2013. 591 Vgl. Quinn, Poe (wie Anm. 584), S. 187: „Even more probable as a local source, this time for his story ‚Eiros and Charmion,‘ was the rain of meteors visible in Baltimore in the early morning of November 13, 1833. The intense light which gave the sky the appearance of sunrise, the dread on the part of some of the beholders that the end of the world was at hand, the calmness of others, might easily have suggested to Poe the description by Eiros of the comet which brings destruction to the world. [See the vivid account from the newspapers of November 13th …] […] It is probable, also, that the ‚aspect of ill‘ in the heavens and the terror of the skies in ‚Shadow‘ may come from Poe’s observation of Baltimore’s reaction to celestial wonders.“



146 

 III.1 Edgar Allan Poes The Conversation of Eiros and Charmion (1839)

Erzählung The Comet von S. Austin Jr. erhalten haben,592 die von der Entdeckung eines auf die Erde zuhaltenden Kometen und den darauffolgenden Reaktionen der Menschen handelt: Die Nachrichten überschlagen sich, es werden astronomische Debatten geführt und philosophische Überlegungen zum Entwicklungsstadium der Menschheit und zur Wahrscheinlichkeit einer Gottesstrafe angestellt, bis der Komet letztlich alles zum Verstummen bringt, als er die Erde erreicht und gewaltige Flutwellen auslöst, die die gesamte Menschheit vernichten. Poe entwirft ein ähnliches Untergansszenario, legt allerdings größten Wert auf eine akkurate wissenschaftliche Darstellung der Ereignisse. Sein Komet wird gemäß dem damals geläufigen Wissensstand aus Gas bestehen und bei weitem nicht genug Dichte aufbringen können, um auf die Meere einzuwirken. Er wird aber der Erdatmosphäre zunehmend Stickstoff entziehen und nur leicht entzündlichen reinen Sauerstoff hinterlassen, wodurch die ganze Erdoberfläche schlagartig in Brand gesetzt werden könne. Das würde auch den biblischen (und Millerschen) Prophezeiungen entsprechen, wonach Kometen die Erde entflammen werden (Offb. 8,6–13, aber auch 2 Petr 2,10).593 Dementsprechend steht der Dialog unter dem Motto von Euripides: „Ich werde Feuer in dich bringen.“594 In einer sehr wahrscheinlich Poe zuzuschreibenden Bemerkung zu einem Wiederabdruck der Erzählung, der gerade auf den 1. April des Kometenjahrs 1843 fiel und unter dem alternativen Titel The Destruction of the World. A Conversation of Two Departed Spirits erfolgte, lautet es: The views embodied in this conversation are in strict accordance with philosophical speculation. […] [T]he purport of the article in question seems to be the suggestion of a mode in which, through the cometary influence, the destruction of the earth might be brought about, and brought about in accordance with Prophecy. From the celestial visitant now present [dem ‚Großen Märzkometen‘ von 1843, Anm.], we have, of course, nothing to fear. It is now receding from the earth with a rapidity absolutely inconceivable, and, in a very short period, will be lost, and perhaps forever, to human eyes. But it came unheralded, and to-morrow its counterpart, or some wonder even more startling, may make its appearance. A firm reliance upon the wisdom and goodness of the Deity is by no means inconsistent with a due sense of the manifold and multiform perils by which we are so fearfully environed.595

Ist es Poes Anliegen, den allerorts sprießenden Neuoffenbarungen ein naturwissenschaftlich plausibilisiertes Ende der Welt entgegenzuhalten, so stellt er sich nicht in direkte Opposition zu ihnen, sondern betont vielmehr die Gemeinsamkeit beider Zeiterfahrungen. Wie die prophetische gehe auch die rationale Zukunftserwartung von einer permanenten Bedrohungslage aus und trage die Möglichkeit eines

592 Austin Jr., S. [Pseud.?]: The Comet. In: The End of the World. Classic Tales of Apocalyptic Science Fiction. Hrsg. von Michael Kelahan. New York 2010. S. 10–29. 593 Vgl. Poe, Conversation (wie Anm. 584), S. 462, Anm. 4. 594 Poe, Conversation (wie Anm. 584), S. 455. 595 Poe, Conversation (wie Anm. 584), S. 454 (Hervorhebungen im Original).



Eiros und Charmion (die Zofen I) 

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­vergleichbaren Endzeitbewusstseins in sich. Dieses aber gelte es, in seiner Positivität darzustellen, in der Weise, wie genau der Weltuntergang stattfinden und die Menschheit darauf reagieren würde, umrahmt von der Frage, was vom Menschen nach seinem Verschwinden bleibt. Gibt es auch in Poes Erzählung ein Weiterbestehen nach dem Kataklysmus in Geistesform, so ist es essenziell, wie er die Stelle des Jüngsten Gerichts umbesetzt und sie als Erzählperspektive einsetzt. Indem der Dialog als himmlischer Rückblick auf die irdischen Ereignisse rund um den Kometeneinschlag gestaltet ist, wendet sich die Zukunfts- in eine Vergangenheitsschau und das Prophetische ins Erhabene. Indem Poe aber diese Perspektive als Zwischenzeit darstellt, schafft er es auf die für ihn charakteristische Weise, jede Form von Idealismus zu untergraben und die im zweiten Teil der Arbeit analysierte erhabene, ‚anti-apokalyptische‘ Signatur der Moderne selbst (end)zeitlich zu reflektieren.

Eiros und Charmion (die Zofen I) Zwei Zofen aus William Shakespeares Antony and Cleopatra (um 1606) und deren Rezeption in John Drydens All for Love (1677) dienen Poe als Vorbild für die zwei Himmelsgestalten in The Conversation of Eiros and Charmion. Es handelt sich dabei um zwei bereits bei Plutarch überlieferte Dienerinnen Cleopatras, die dieser nach dem Fall des Geliebten Marcus Antonius und dem Triumph Octavians, des folgenden römischen Kaisers Augustus, in den Freitod folgen. Bei Shakespeare sind sie durchwegs als bemerkenswert lebenslustige und kecke Frauencharaktere angelegt, wie ihr erster Auftritt mit einem Wahrsager zeigt: SOOTHSAYER. You shall out-live the lady whom you serve. CHARMIAN. Oh excellent! I love long life better then figs. SOOTHSAYER. You have seen and proved a fairer former fortune, then that which is to approach. CHARMIAN. Then belike my children shall have no names. Prithee, how many boys and wenches must I have? SOOTHSAYER. If every of your wishes had a womb, and fertile every wish, a million. CHARMIAN. Out fool! I forgive thee for a witch. […] SOOTHSAYER. Your fortunes are alike. IRAS. But how, but how? Give me particulars. SOOTHSAYER. I have said. IRAS. Am I not an inch of fortune better then she? CHARMIAN. Well, if you were but an inch of fortune better than I, where would you choose it? IRAS. Not in my husbands nose. CHARMIAN. Our worser thoughts heavens mend.596

596 Shakespeare, William: Antony and Cleopatra. Hrsg. von Richard Madelaine Watts. Cambridge 1998 (Shakespeare in Production). S. 152–154 (I. Akt 2. Szene).



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 III.1 Edgar Allan Poes The Conversation of Eiros and Charmion (1839)

Diese Szene steht im starken Kontrast zum Ende des Stücks, in dem mit dem Freitod Kleopatras die mystische und exotische (feminine) Lebenswelt Ägyptens der ökonomischen und militärischen (maskulinen) Macht des römischen Imperiums zufällt:597 „And golden Phoebus never be beheld / of eyes again so royal!“ (Charmian)598 – „The bright day is done, / and we are for the dark“ (Iras).599 In der Darstellung der antiken Mythologie durch Jacob Bryant (1715–1804), auf die Poe in seinem Werk einige Male verweist, werden die Dienerinnen mit den biblischen Symbolen der Taube und des Regenbogens, den Überlebenszeichen nach der Sintflut, in Verbindung gebracht. Ohne allzu viel in diese Richtung interpretieren zu wollen, sei hier schon einmal aufgezeigt, dass Charmian und Iras um das Zentrum Cleopatra aufgestellt sind und sich die Frage stellt, wie sich die Abwesenheit der Königin auf ihre Konversation auswirkt, d. h. wie sie den freien Platz signifikant besetzen. Mit der Frage „Why do you call me Eiros?“600 beginnt Poes Dialog, und sie lässt sich philologisch tatsächlich nicht erschöpfend beantworten: Aus Shake­speares und Drydens ‚Iras‘ sowie Bryants ‚Eiras‘ wurde ‚Eiros‘; es wird eine Verschmelzung mit Antonius’ Diener ‚Eros‘ in Antony and Cleopatra vermutet. „So henceforward will you always be called. You must forget, too, my earthly name, and speak to me as Charmion.“601 Wie sich herausstellt, handelt es sich um ein Gespräch zweier verstorbener Seelen im Himmelreich Aidenn,602 in das die eine, Charmion, bereits zehn Erdenjahre zuvor gekommen ist und nun die andere, Eiros, eintritt, welche wie alle Menschen einem kataklysmischen Ereignis zum Opfer fiel. Charmion hat die Aufgabe, Eiros durch Aidenn zu begleiten, das eine Art Zwischenreich darstellt, in dem die ehemals irdische in eine neue kosmische Existenz überführt wird. Es kommt hier zu einer Reinigung des Bewusstseins, das bei Eiros von der Erfahrung des schrecklichen Ereignisses anfangs vollkommen zerrüttet wurde, sich aber zunehmend festigt. EIROS. This is indeed no dream! CHARMION. Dreams are with us no more;  – but of these mysteries anon. I rejoice to see you looking life-like and rational. The film of the shadow has already passed from off your eyes. Be of heart, and fear nothing. Your allotted days of stupor have expired; and, tomorrow, I will myself induct you into the full joys and wonders of your novel existence. EIROS. True – I feel no stupor – none at all. The wild sickness and the terrible darkness have left me, and I hear no longer that mad, rushing, horrible sound, like the “voice of many waters” [zit. Offb 14,2].603

597 Vgl. zu den unterschiedlichen Deutungsmöglichkeiten die Beiträge in Shake­speare, William: Antony and Cleopatra. A Norton Critical Edition. Hrsg. von Ania Loomba. New York 2011. 598 Shakespeare, Antony and Cleopatra (wie Anm. 596), S. 322 (V. Akt 2. Szene). 599 Shakespeare, Antony and Cleopatra (wie Anm. 596), S. 310 (V. Akt 2. Szene). 600 Poe, Conversation (wie Anm. 584), S. 455. 601 Poe, Conversation (wie Anm. 584), S. 455 (Hervorhebung im Original). 602 Diese Bezeichnung findet sich später auch in Poes Gedicht The Raven (1845) und im dritten, noch zu behandelnden ‚platonischen Dialog‘ The Power of Words (1845). 603 Poe, Conversation (wie Anm. 584), S. 455 f.



Eiros und Charmion (die Zofen I) 

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Eiros ist durch die Katastrophe biblischen Ausmaßes hindurchgegangen und findet sich in einer Zeit wieder, in der die Zukunft mit der Gegenwart eins geworden ist: „the speculative Future merged in the august and certain Present“.604 Es gibt fortan keinen Fortschritt und also keinen Aufschub mehr. Um sich zu sammeln, soll Eiros nun noch einmal in der herkömmlichen Sprache von den Geschehnissen berichten, die dem Weltuntergang vorausgingen, um die schmerzhafte Erinnerung abzuschütteln und ins Neue übertreten zu können. Die Träume der Zukunft waren von der alten Welt, hier gehe es nun darum, sich der Erinnerung der Vergangenheit zu stellen. CHARMION. Your mind wavers, and its agitation will find relief in the exercise of simple memories. Look not around, nor forward  – but back. I am burning with anxiety to hear the details of that stupendous event which threw you among us. Tell me of it. Let us converse of familiar things, in the old familiar language of the world which has so fearfully perished. EIROS. Most fearfully, fearfully! – this is indeed no dream. CHARMION. Dreams are no more.605

In einem Monolog, der etwa drei Viertel der Erzählung einnimmt und bis an das Ende führt, erzählt nun Eiros von den letzten Tagen der Menschheit: Ein Komet mit Kurs auf die Erde war entdeckt worden, der daraufhin Anlass zu zahlreichen Spekulationen gab und schließlich von niemandem mehr ignoriert und weggeredet werden konnte. Die Theologen begannen das Ereignis in jenen endzeitlichen Bildern zu erklären, in denen sie seit jeher geübt waren, „with a directness and simplicity of which no previous instance had been known“.606 Demgegenüber ergriffen die Astronomen das Wort und wiesen nach, dass Kometen nicht Auslöser für den in der Bibel prophezeiten Feueruntergang sein konnten, da sie eine zu geringe Dichte besaßen. Doch die Wissenschaftler hörten nicht auf, nach der wissenschaftlichen Wahrheit zu suchen, nach der schlagartig jedermann und selbst die Abergläubigsten verlangten. The learned now gave their intellect – their soul – to no such points as the allaying of fear, or to the sustenance of loved theory. They sought – they panted for right views. They groaned for perfected knowledge. Truth arose in the purity of her strength and exceeding majesty, and the wise bowed down and adored. That material injury to our globe or to its inhabitants would result from the apprehended contact, was an opinion which hourly lost ground among the wise; and the wise were now freely permitted to rule the reason and the fancy of the crowd.607

Als aber der Komet zu einer neuen Größe am Himmel geworden war, änderte sich die Erwartungshaltung der Menschen:

604 Poe, Conversation (wie Anm. 584), S. 456. 605 Poe, Conversation (wie Anm. 584), S. 456. 606 Poe, Conversation (wie Anm. 584), S. 459. 607 Poe, Conversation (wie Anm. 584), S. 458 (Hervorhebungen im Original).



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 III.1 Edgar Allan Poes The Conversation of Eiros and Charmion (1839)

The people now, dismissing any lingering hope that the astronomers were wrong, experienced all the certainty of evil. The chimerical aspect of their terror was gone. The hearts of the stoutest of our race beat violently within their bosoms. A very few days sufficed, however, to merge even such feelings in sentiments more endurable. We could no longer apply to the strange orb any accustomed thoughts. Its historical attributes had disappeared. It oppressed us with a hideous novelty of emotion. We saw it not as an astronomical phenomenon in the heavens, but as an incubus upon our hearts, and a shadow upon our brains.608

Dann kam es zu einem Anwachsen aller Lebenskräfte auf Erden, das dem Menschen bisher ungeahnte Leichtigkeit verlieh („We even felt an unusual elasticity of frame and vivacity of mind“)609 und auch den Pflanzen ein reiches Wachstum bescherte („A wild luxuriance of foliage, utterly unknown before, burst out upon every vegetable thing“).610 Doch die aufflackernde Hoffnung verschwand mit der Erkenntnis, dass der Komet die chemische Zusammensetzung der Atemluft veränderte  – die neue Kraft resultierte aus einem Übermaß an zur Verfügung stehenden Sauerstoff. Das bedeutete allerdings, dass der damit im Zusammenhang stehende stetige Entzug des Stickstoffs früher oder später zum Entzünden der gesamten Atmosphäre führen und in jenen furchtbaren Weltenbrand münden musste, den die Bibel verkündete: „the entire fulfillment, in all their minute and terrible details, of the fiery and horror-inspiring denunciations of the prophecies of the Holy Book.“611 Und so trat es auch ein, alles endete in einem Feuer unbeschreiblichen Ausmaßes. Why need I paint, Charmion, the now disenchained frenzy of mankind? […] A furious delirium possessed all men; and, with arms rigidly outstretched towards the threatening heavens, they trembled and shrieked aloud. But the nucleus of the destroyer was now upon us; – even here in Aidenn, I shudder while I speak. Let me be brief – brief as the ruin that overwhelmed. For a moment there was a wild lurid light alone, visiting and penetrating all things. Then – let us bow down, Charmion, before the excessive majesty of the great God! – then, there came a shouting and pervading sound, as if from the mouth itself of HIM; while the whole incumbent mass of ether in which we existed, burst at once into a species of intense flame, for whose surpassing brilliancy and all-fervid heat even the angels in the high Heaven of pure knowledge have no name. Thus ended all.612

Rückblick auf die Zeit apokalyptischer Repräsentation Aidenn stellt weder ein prophetisches noch ein idealistisches Himmelreich dar, es ist weder einer ‚klassischen‘ noch einer ‚kupierten Apokalypse‘ zuzurechnen. Es ist ein

608 Poe, Conversation (wie Anm. 584), S. 459 (Hervorhebungen im Original). 609 Poe, Conversation (wie Anm. 584), S. 460. 610 Poe, Conversation (wie Anm. 584), S. 460. 611 Poe, Conversation (wie Anm. 584), S. 461. 612 Poe, Conversation (wie Anm. 584), S. 461.



Rückblick auf die Zeit apokalyptischer Repräsentation 

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eingeschobener Erzählbereich, ein nicht lokalisierbares Zwischenreich zwischen Erde und Kosmos, Vergangenem und Zukünftigem, Ende und Neuanfang, Tod und Nachleben, das zugleich Poes poetischen Ausgleichsversuch zwischen religiösem und naturwissenschaftlichem Weltbild erkennen lässt. Um zu klären, wie es ihm in der Umkehrung der eschatologischen Perspektive durch die simple Form des Rückblicks gelingt, die Zeitstruktur apokalyptischer Repräsentation aufzuheben, ihre Verdrängungskraft zu thematisieren und die an sich nicht darstellbare Zeit des Endes im Sinne Agambens zu vermitteln, hilft zunächst ein Blick auf seine später in Eureka (1848) dargestellte poetische Kosmogonietheorie, die allgemein als ein zentraler Ansatzpunkt für die Auseinandersetzung mit seinem Gesamtwerk aufgefasst werden kann.613 Dabei interessiert weniger die Frage nach der Faktizität oder Fiktionalität der darin dargestellten Thesen,614 auch nicht, inwieweit sie als Satire auf den Imperialismus der USA zu verstehen sind,615 sondern Poes Bemühen, die ursprüngliche Einheit des materiellen und spirituellen Universums (so auch der alternative Untertitel) über physikalische und astronomische Kräfteverhältnisse zu erklären. Über zwei skurrile Beispiele, eine panoramatische Rauscherfahrung auf dem ‚Gipfel‘ des Ätnas („to comprehend the panorama in the sublimity of its oneness“)616 und einen Brief aus der Zukunft, in dem die gesamte vermeintlich auf falschen geometrischen Axiomen beruhende abendländische Wissenschaft verworfen wird, breitet der Essay eine Sicht auf das Universum aus, die nicht nur, wie in Alexander von Humboldts höchstgeschätztem Kosmos (nach zahlreichen Vorlesungen erschienen 1845– 1862, engl. Übersetzung des ersten Bandes ab 1846; Eureka ist Humboldt gewidmet), die materiellen Beziehungen der Erde erfassen möchte, sondern „whatever inferences

613 Poe, Edgar Allan: Eureka. A Prose Poem. Hrsg. von Stuart u. Susan F. Levine. Chicago 2004. Vgl. zur Einschätzung des ‚prose poem‘ in Bezug auf das Gesamtwerk Dayan, Joan: Fables of Mind. An Inquiry into Poe’s Fiction. New York 1987; Quinn, Poe (wie Anm. 584), S. 535–571. 614 Vgl. hierzu Benton, Richard P. (Hrsg.): Poe as Literary Cosmologer. Studies on ‚Eureka‘. A Symposium. Hartford 1975; Swirski, Peter: Between Literature and Science. Poe, Lem, and Explorations in Aesthetics, Cognitive Science, and Literary Knowledge. Montreal [u. a.] 2000; Fugate, Courtney: The German Cosmological Tradition and Poe’s ‚Eureka‘. In: The Edgar Allan Poe Review 13/2 (2012). S. 109–134; Molaro, Paolo u. Alberto Cappi: Edgar Allan Poe. The First Man to Conceive a Newtonian Evolving Universe. In: Culture and Cosmos 16/1–2 (2012). S. 225–239; Gelfert, Axel: Observation, Inference, and Imagination. Elements of Edgar Allan Poe’s Philosophy of Science. In: Science & Education 23 (2014). S. 589–607. 615 Vgl. hierzu Rowe, John Carlos: Space, the Final Frontier. Poe’s ‚Eureka‘ as Imperial Fantasy. In: Poe Studys 39/40 (2006). S. 19–27; Gresson, Jennifer Rae: Poe’s 1848. ‚Eureka‘, the Southern Margin, and the Expanding U[niverse] of [S]tars. In: Poe and the Remapping of Antebellum Print Culture. Hrsg. von J. Gerald Kennedy u. Jerome McGann. Baton Rouge 2012. S. 123–142. 616 Poe, Eureka (wie Anm. 613), S. 7 (hier und im Folgenden alle Hervorhebungen im Original). Vgl. auch S. 81 f., wo das panoramatische Sehen als zu beschränkt erachtet wird, um sich eine Vorstellung von den kosmischen Dimensionen machen zu können.



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have hitherto lain hidden behind this universality“.617 Um zu dieser Erkenntnis zu kommen sei es notwendig, nicht, wie Humboldt, generalisierend, sondern individualisierend an die Sache heranzugehen und sich das Universum nicht in Segmente zerteilt, sondern in seinen astronomischen Maßstäben vorzustellen. „In the Original Unity of The First Thing lies the Secondary Cause of All Things, with the Germ of their Inevitable Annihiliation“618  – wie die eingangs formulierte Hypothese besagt, geht alles Bestehende auf einen Kern ursprünglicher Einheit bzw. göttlicher Kraft zurück, der aus einem unerfindlichen Grund aufgesprengt wurde und sich kreisförmig bis in die weitest mögliche Ausdehnung zerstreute. Je nach ihrer räumlichen Lage und Verteilung gingen die unermesslich zahlreichen und kleinen Atome unbegreiflich komplexe Kräfteverhältnisse zueinander ein. Dadurch wurde die Einheit zur Vielheit, die Gleichheit zur Unterschiedlichkeit, die Homogenität zur Heterogenität und die Einfachheit zur Komplexität: „in a word, the utmost possible multiplicity of relation out of the emphatically irrelative One.“619 Die Materie sei als Manifestation dieser ‚elektrischen‘ Kraftverhältnisse entstanden. In ihrer Anlage weisen die einzelnen Atome aber eine mit der Gravitationskraft zu vergleichende Tendenz auf, aus diesem Zustand auszubrechen und zur ursprünglichen Einheit zurückzustreben. Letztlich müsse auch die grundlegende Unterscheidung zwischen Geist und Seele über diese beiden Kraftprinzipien vorgenommen werden: Der Geist sei reiner Zweck der heterogenen Materie, individualisierte Form der homogenen göttlichen Seele, welche im Gegenverhältnis die Rückkehr zur Einheit als Ziel habe. Through the aid – by the means – through the agency of Matter, and by dint of its heterogeneity – is this Ether manifested – is Spirit individualized. It is merely in the development of this Ether, through heterogeneity, that particular masses of Matter become animate – sensitive – and in the ratio of their heterogeneity; – some reaching a degree of sensitiveness involving what we call Thought and thus attaining Conscious Intelligence.620

Die Dimension der repulsiven göttlichen Kraft könne nur in astronomischen Größen gemessen werden, speziell an der Masse der Sonne und der Planeten. Poe erklärt dies anhand des Jupiters, dessen hypothetischer Anblick unweigerlich jeden Betrachter schockieren, also aller Erhabenheit berauben müsse; und doch gilt es sich ein Wesen vorzustellen, das sich dieser Größe stellen könnte, will man den Menschen als Bestandteil des Kosmos und der überall gleich herrschenden Kräfte annehmen. Wenn Poe dabei von einem ‚Engel‘ spricht, sei bereits bedachtsam auf die für Walter

617 Poe, Eureka (wie Anm. 613), S. 8. 618 Poe, Eureka (wie Anm. 613), S. 7. 619 Poe, Eureka (wie Anm. 613), S. 24. 620 Poe, Eureka (wie Anm. 613), S. 101. Vgl. zur Funktion des Äthers in den modernen Naturwissenschaften, von der sich Poe auch zu distanzieren versucht, die Beiträge in Kümmel-Schnur, Albert u. Jens Schröter (Hrsg.): Äther. Ein Medium der Moderne. Bielefeld 2008 (Medienumbrüche 19).



Rückblick auf die Zeit apokalyptischer Repräsentation 

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Benjamin zentrale Figur des Angelus Novus verwiesen, die hier nicht als Betrachter der katastrophalen historischen Zeit, sondern des katastrophalen astronomischen Raums seine Entsprechung finden könnte. The thought of such a phænomenon cannot well be said to startle the mind:  – it palsies and appals it. Not unfrequently we task our imagination in picturing the capacities of an angel. Let us fancy such a being at a distance of some hundred miles from Jupiter – a close eye-witness of this planet as it speeds on its annual revolution. Now can we, I demand, fashion for ourselves any conception so distinct of this ideal being’s spiritual exaltation, as that involved in the supposition that, even by this immeasurable mass of matter, whirled immediately before his eyes, with a velocity so unutterable, he – an angel – angelic though he be – is not at once struck into nothingness and overwhelmed?621

Durch den Terror hindurch gelange man zur Einsicht der sympathetisch wirkenden spirituellen Kraft im Universum, einer Kraft, die danach strebt, die materielle Diversität zu durchbrechen und zur Einheit zurück zu gelangen, und sich niemals und keinem, keiner anderen ‚Seele‘ gegenüber, unterordnen möchte: „a species of proof far surpassing what Man terms demonstration, that no one soul is inferior to another – that nothing is, or can be, superior to any one soul – that each soul is, in part, its own God“.622 Jede existenzielle Rebellion kann demnach auf ein herrschendes hierarchisches Ungleichgewicht zurückgeführt werden, und so kann auch ein Leben vorgestellt werden, das im Gleichgewicht von Freude und Schmerz stattfindet („but the general sum of their sensations is precisely that amount of Happiness which appertains by right to the Divine Being when concentrated within Himself“)623 und eine Menschheit, die im Ablegen ihrer materiellen Diversität aufgehört hat, ‚Mensch‘ zu sein: Think that the sense of individual identity will be gradually merged in the general consciousness – that Man, for example, ceasing imperceptibly to feel himself Man, will at length attain that awfully triumphant epoch when he shall recognize his existence as that of Jehovah. In the meantime bear in mind that all is Life – Life – Life within Life – the less within the greater, and all within the Spirit Divine.624

Es soll an dieser Stelle Poes ‚poetischer‘ Versuch, die moderne Kluft zwischen Religions- und Naturwissenschaften zu überbrücken, nicht inhaltlich beurteilt, sondern sollen Rückschlüsse darauf gezogen werden, wie in The Conversation of Eiros and Charmion die erhabene Sicht auf den Weltuntergang reflektiert wird. Legt man dem Dialog die in Eureka entwickelte Kosmogonie zugrunde, so erscheint Aidenn nun als jener Bereich, in dem sich nach dem Tod die spirituelle Kraft des letzten Materiellen, der geistigen Identität, entledigen muss, um in die ursprüngliche Einheit eingehen

621 Poe, Eureka (wie Anm. 613), S. 82. 622 Poe, Eureka (wie Anm. 613), S. 116. 623 Poe, Eureka (wie Anm. 613), S. 117. 624 Poe, Eureka (wie Anm. 613), S. 117.



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zu können. Die Seele muss jede Spur des Selben und Identen aufgeben: Nach kosmischen Blickpunkten gibt es bei Poe keinen absoluten, sondern nur einen kulturellen Nullpunkt des Todes.625 Wenn es in dem posthum veröffentlichten Essay The Poetic Principle (1850) lautet: „Inspired by an ecstatic prescience of the glories beyond the grave, we struggle by multiform combinations among the things and thoughts of Time“,626 so stellt Aidenn den Eingangsbereich zu den „glories beyond the grave“ dar, in dem „things and thoughts of Time“ radikal abgewertet werden. Sind die Dinge und Gedanken aber vorwiegend in der auf eine offene Zukunft ausgerichteten Kommunikation bzw. im Symbolischen oder Medialen aufgehoben, kann die ‚Conversion‘ erst durch eine abschließende ‚Conversation‘ erfolgen.627 So ist Aidenn als eingeschobener Bereich zu verstehen, in dem es noch möglich ist, sich in altvertrauter Sprache dem traumatischen Ereignis wieder­ anzunähern. Es bleibt auch keine andere Wahl, denn die Erinnerung daran, die die Gedanken umtreibt, kann nicht länger aufgeschoben werden – das absolut Andere wartet, das kein Angstgefühl mehr duldet und reinstes Herz verlangt. Das Vergangene drängt im Jetzt, weil es bald keinen sprachlichen Aufschub mehr geben wird. Zur Bewältigung des Ereignisses steht eine ideale Mentorin zur Verfügung, die das Gespräch anstößt, die Übertragung der solipsistischen Kräfte auf sich nimmt und am Ende, nachdem das unfassbare Ereignis prozessual in die Erinnerung integriert ist, vergessen wird. Kurz, im Dialog zwischen Eiros und Charmion lässt sich eine Urform psychoanalytischer Methode erkennen.

Die Macht der Worte Jacob Taubes stellte seinen letzten Vortrag zur Politischen Theologie nach Paulus unter den Titel „Exodus aus der biblischen Religion: Friedrich Nietzsche und Sigmund Freud“.628 War Nietzsche als psychologischer Philosoph „vielleicht der einzige, der

625 Worin natürlich auch ein Umgang mit der eigenen Todesangst erkannt werden kann. Vgl. Kennedy, Gerald J.: Poe, Death, and the Life of Writing. Yale 1987. S. 209. 626 Poe, Edgar Allan: The Poetic Principle. In: ders.: Critical Theory. The Major Documents. Hrsg. von Stuart Levine u. Susan F. Levine. Chicago 2009. S. 178–199, hier S. 184: „We have still a thirst unquenchable, to allay which he has not shown us the crystal springs. This thirst belongs to the immortality of Man. It is at once a consequence and an indication of his perennial existence. It is the desire of the moth for the star. It is no mere appreciation of the Beauty before us, but a wild effort to reach the Beauty above. Inspired by an ecstatic prescience of the glories beyond the grave, we struggle by multiform combinations among the things and thoughts of Time to attain a portion of that Loveliness whose very elements perhaps appertain to eternity alone.“ Vgl. Williams, Michael J. S.: A World of Words. Language and Displacement in the Fiction of Edgar Allan Poe. London 1988. S. 11. 627 Vgl. Williams, World of Words (wie Anm. 626), S. 11 f. 628 Taubes, Politische Theologie (wie Anm. 305), S. 106–131. Vgl. auch Treml, Nachwort (wie Anm. 247), S. 279 f.



Die Macht der Worte 

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verstanden hat, worum es zwischen dem Christentum und dem Jetzt geht“,629 so war Freud der Erste, der die „radikalste historische Psychologie“630 in Form der psychoanalytischen Methode in die Praxis überführte. Es sei noch einmal an die Verwendung des Über-Ich-Begriffs bereits in der Abendländischen Eschatologie erinnert, den Taubes ohne direkt auf Freud Bezug zu nehmen zur Beschreibung der Differenz zwischen der christlichen gegenüber der cäsarischen Herrschaftsvorstellung in der Spätantike gebrauchte. Der letzte Vortrag nun endete mit einer Exegese des für Freud selbst äußerst heiklen Alterswerks Der Mann Moses und die monotheistische Religion (1939). Darin hatte Freud die Entstehung des Judentums und den Übergang zum Christentum aus dem Blickwinkel des verdrängten ‚Vatermordes‘ zu erklären versucht, und das – in Anbetracht der bisherigen Überlegungen zum ‚apokalyptischen‘ Diskurs und dem durchgehenden ‚poststrukturalistischen‘ Bekenntnis für die Literatur von nicht geringer Bedeutung – in einem „herrlichen Stil“ und einer „innere[n] Freiheit“,631 die man etwa bei Heidegger oder Schmitt niemals finden könne. Bei Freud wird Moses als Anhänger des Pharaos Echnaton geschildert, welcher den ägyptischen Jenseits- in Richtung eines diesseitigen Moralglaubens fundamental reformiert und mit der Verehrung Atons als einzigen Gott der Sonne den Monotheismus begründet hatte.632 Nach dem Tod Echnatons seien die Reformen von der mächtigen alten Priesterkaste rückgängig gemacht worden, Moses hingegen habe weiterhin an dem Eingottglauben festgehalten und ihn den hebräischen Stämmen gelehrt, mit denen er ins Exil flüchten musste. Nach dem Exodus sei es auf der Halbinsel Sinai zu einer Glaubensauseinandersetzung zwischen einzelnen Stämmen gekommen, bei denen Moses getötet wurde. Doch sei die Erinnerung an ihn, diesen den einen Gott vermittelnden ‚Urvater‘, hochgehalten worden, und zwar als Schuld an dem traumatischen ‚Vatermord‘, der schließlich die Grundlage des mosaischen Monotheismus bilden sollte.633 Diese ‚Vaterreligion‘ verfestigte sich als intimster Besitz der vermeintlich Auserwählten in Form immer rigiderer Gesetzmäßigkeiten und einer die anderen Völker überstrahlenden intellektuellen Vergeistigung. Es brauchte die Aufopferung eines Messias, eines ‚Sohnes‘, um das jüdische Volk sowie mittlerweile auch schon den gesamten antiken Mittelmeerraum von der ‚Reaktionsbildung‘ zu erlösen.634 Im Wissen um diese gewaltige Verdrängung habe Paulus, womöglich auch für Freud eine (psychoanalytische) Identifikationsfigur, ein Christentum der ‚Erlösung‘ und der ‚Erbschuld‘ begründet, die sich allerdings zu einer ‚Sohnesreligion‘ entwickeln sollte,

629 Taubes, Politische Theologie (wie Anm. 305), S. 116. 630 Taubes, Jacob: Psychoanalyse und Philosophie. Noten zu einer philosophischen Interpretation der psychoanalytischen Methode. In: ders., Kult (wie Anm. 247), S. 352–370, hier S. 360. 631 Taubes, Politische Theologie (wie Anm. 305), S. 128. 632 Freud, Sigmund: Der Mann Moses und die monotheistische Religion. In: Gesammelte Werke. Frankfurt a. M. 1999. Bd. 16: Werke aus den Jahren 1932–1939. S. 103–246, hier S. 161–163. 633 Freud, Mann Moses (wie Anm. 632), S. 174. 634 Freud, Mann Moses (wie Anm. 632), S. 192 f.



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die sich nicht nur mit anderen heidnischen Riten vermengte, sondern auch Anleihen an der alten Vaterfigur nahm. Diese sei daher nicht verschwunden, sondern in eine neue Konstellation gebracht worden; der infantile Wunsch nach einem allmächtigen Vater sei erhalten geblieben, wie sich an den zeitgenössischen Führerideologien für Freud allzu deutlich ablesen ließ.635 Nur vor diesem Hintergrund kann für Taubes eine neue Paulus-Interpretation erfolgen, die an dieser Stelle natürlich keineswegs angestrebt wird;636 vielmehr rückt die psychoanalytische Methode als „das letzte großkonzipierte Theorem der Kritik der bürgerlichen Gesellschaft“637 ins Blickfeld. Gemeint ist hier als letztes Theorem nach jenem Hegels, denn im Grunde könne die psychoanalytische mit der dialektischen Methode verglichen werden, ist doch bei beiden das hermeneutische Verständnis essenziell. Ich wähle als Leitfaden den Hegelschen Begriff der Wahrheit als progressive Enthüllung, die sich durch die Kommunikation eines Selbstbewußtseins mit einem anderen Selbstbewußtsein vollzieht. Die Kommunikation vollzieht sich eben durch die gegenseitige ‚Anerkennung‘ oder durch die Sprache.638

Die Freud’sche Heilung der neurotischen Symptome durch die Herstellung der Erinnerung findet in Hegels historischem Werden des Selbstbewusstseins seine Entsprechung: „Der Geist, der seine Geschichte erinnert, ist befreit von der Last der Vergangenheit.“639 Doch muss für Freud über Hegel und Marx hinaus, die sich immer nur auf die welthistorische Dimension der Entwicklung bezogen, am Ende der erfüllten Geschichte noch das Individuellste zur Erfahrung kommen, nämlich all jene libidinösen Regungen des Individuums, die bislang uneingestanden unterdrückt wurden. In Zur Dynamik der Übertragung (1912) erkennt Freud in der Übertragung, die der neurotische Patient in der Praxis, wenn er ins Stocken gerät und an den Analytiker denkt, unbewusst vollzieht, ein „Mittel des Widerstandes“640 gegen das uneingestandene Begehren, das sich ambivalent äußere: einerseits positiv in Form freundlicher oder zärtlicher Gefühle, andererseits negativ durch Feindseligkeit. Beim äußersten Festhalten am Widerstand, wenn die Affekte nach außen gänzlich von der Sprache

635 Freud, Mann Moses (wie Anm. 632), S. 192–198. 636 Taubes, Politische Theologie (wie Anm. 305), S. 130 f. Vgl. weiterführend Benyamini, Itzhak: Narzisstischer Universalismus. Eine psychoanalytische Untersuchung der Paulus-Briefe mit Freud und Lacan. Berlin 2013. 637 Taubes, Psychoanalyse und Philosophie (wie Anm. 630), S. 368. 638 Taubes, Psychoanalyse und Philosophie (wie Anm. 630), S. 361. 639 Taubes, Psychoanalyse und Philosophie (wie Anm. 630), S. 364. Vgl. auch Fischer, Gottfried: Dialektik der Veränderung in Psychoanalyse und Psychotherapie. Modell, Theorie und systematische Fallstudie. Heidelberg 1989. Insbes. S. 20–30. 640 Freud, Sigmund: Zur Dynamik der Übertragung. In: Gesammelte Werke (wie Anm. 632), Bd. 8: Werke aus den Jahren 1909–1913, S. 364–374, hier S. 367.



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blockiert sind, sei die „Übertragungsfähigkeit im wesentlichen negativ geworden […], wie bei den Paranoiden, da hört die Möglichkeit der Beeinflussung und der Heilung auf.“641 Im erfolgreichen Fall aber werde die Übertragung durch Bewusstmachung ‚aufgehoben‘642 und die bewusstseinsfähige Komponente erinnert anstatt unbewusst reproduziert. In der Aufspürung der dem Bewußten abhanden gekommenen Libido ist man in den Bereich des Unbewußten eingedrungen. Die Reaktionen, die man erzielt, bringen nun manches von den Charakteren unbewußter Vorgänge mit ans Licht, wie wir sie durch das Studium der Träume kennengelernt haben. Die unbewußten Regungen wollen nicht erinnert werden, wie die Kur es wünscht, sondern sie streben danach, sich zu reproduzieren, entsprechend der Zeitlosigkeit und der Halluzinationsfähigkeit des Unbewußten. Der Kranke spricht ähnlich wie im Traume den Ergebnissen der Erweckung seiner unbewußten Regungen Gegenwärtigkeit und Realität zu; er will seine Leidenschaften agieren, ohne auf die reale Situation Rücksicht zu nehmen. Der Arzt will ihn dazu nötigen, diese Gefühlsregungen in den Zusammenhang der Behandlung und in den seiner Lebensgeschichte einzureihen, sie der denkenden Betrachtung unterzuordnen und nach ihrem psychischen Werte zu erkennen. Dieser Kampf zwischen Arzt und Patienten, zwischen Intellekt und Triebleben, zwischen Erkennen und Agierenwollen spielt sich fast ausschließlich an den Übertragungsphänomenen ab.643

Das bedeutet, dass zwischen Arzt und Patienten ein intellektueller Austausch stattfindet, der sich um das „Verneinungssymbol“644 (Die Verneinung, 1925) dreht, mit dem dieser das Verdrängte belegt hat, um es unbewusst und ungestört laufend zu reproduzieren. Das ‚Real-Ich‘ urteilt über die verinnerlichten Wahrnehmungen des narzisstischen ‚Lust-Ich‘, unterzieht sie einer ‚Realitätsprüfung‘ und bejaht sie (als Ersatz der Vereinigung, zum ‚Eros‘ gehörig) oder verneint sie (als Nachfolge der Ausstoßung, zum Destruktionstrieb, später ‚Thanatos‘ gehörig),645 wenn nicht gerade geträumt wird und sich das Unbewusste in seiner Positivität äußern kann. Zu dieser Auffassung der Verneinung stimmt es sehr gut, daß man in der Analyse kein „Nein“ aus dem Unbewußten auffindet und daß die Anerkennung des Unbewußten von Seiten des Ichs sich in einer negativen Formel ausdrückt. Kein stärkerer Beweis für die gelungene Aufdeckung des Unbewußten, als wenn der Analysierte mit dem Satze: „Das habe ich nicht gedacht“, oder: „Daran habe ich nicht (nie) gedacht“, darauf reagiert.646

641 Freud, Dynamik der Übertragung (wie Anm. 640), S. 373. 642 Vgl. Freud, Dynamik der Übertragung (wie Anm. 640), S. 371. 643 Freud, Dynamik der Übertragung (wie Anm. 640), S. 374. 644 Freud, Sigmund: Die Verneinung. In: Gesammelte Werke (wie Anm. 632), Bd. 14: Werke aus den Jahren 1925–1931, S. 11–15, hier S. 13. Vgl. Taubes, Psychoanalyse und Philosophie (wie Anm. 630), S. 364. 645 Vgl. Freud, Verneinung (wie Anm. 644), S. 15. 646 Freud, Verneinung (wie Anm. 644), S. 15.



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Das Freud’sche Strukturmodell des psychischen ‚Apparats‘ vervollständigt sich, wenn die Entstehung des ‚Real-Ich‘ (Ich) nicht nur als intellektuelle Fortentwicklung des ‚Lust-Ich‘ (Es), sondern auch als dessen soziale bzw. elterliche Prägung in Richtung eines ‚Ideal-Ich‘ (Über-Ich) betrachtet wird. Das Ich ist die Vermittlerinstanz zwischen Libido des Es, Außenwelt und Strenge des Über-Ich und ist gleichzeitig von diesen drei Seiten auch in seinen Grenzen bedroht (was Anlaß für dreierlei Ängste eröffnet: neurotische Libidoangst, Realangst und Gewissensangst). Es ist auf Vertuschung von Konflikten bedacht und den Trieben gegenüber „liebedienerisch, opportunistisch und lügnerisch […] wie ein Staatsmann, der bei guter Einsicht sich doch in der Gunst der öffentlichen Meinung behaupten will.“647 Diese Funktion versucht das Ich auch im Widerstand der Übertragung aufrechtzuerhalten, versucht dadurch jene Dynamik des Unbewussten bzw. Verdrängten zu bewahren, die Freud in Jenseits des Lustprinzips (1920) als ‚Wiederholungszwang‘ des Kranken beschrieb: „Er ist vielmehr genötigt, das Verdrängte als gegenwärtiges Erlebnis zu wiederholen, anstatt es, wie der Arzt es lieber sähe, als Stück der Vergangenheit zu erinnern.“648 Solange die Neurose übertragen wird, bleibt die Wiederholung aufrecht, der Arzt muss diese möglichst in die Erinnerung abdrängen und den Patienten „ein gewisses Stück seines vergessenen Lebens wiedererleben lassen“ und dafür sorgen, „daß ein Maß von Überlegenheit erhalten bleibt, kraft dessen die anscheinende Realität doch immer wieder als Spiegelung einer vergessenen Vergangenheit erkannt wird.“649 Bevor im Folgekapitel auf die möglichen traumatischen Hintergründe für den ‚Wiederholungszwang‘ eingegangen wird, kann an dieser Stelle nicht anders als die Adaption des Freud’schen Modells der Psyche durch Jacques Lacan aufgegriffen werden, die er in seinem berühmten Seminar anhand von Poes Kurzgeschichte The Purloined Letter (1844) allegorisch deutete.650 Bekanntlich führte Freuds Diagnose der „Wiederkehr des Gleichen“651 auch bei nicht neurotischen Patienten Lacan zu der Feststellung, dass das menschliche Unbewusste wie eine Sprache, also symbolisch strukturiert sei. Das Ich nehme lediglich eine repräsentative Funktion auf einem intersubjektiven Feld ein, das sich um ein abwesendes und unerreichbares Objekt

647 Freud, Sigmund: Das Ich und das Es. In: Gesammelte Werke (wie Anm. 632), Bd. 14, S. 237–289, hier S. 286. 648 Freud, Sigmund: Jenseits des Lustprinzips. In: Gesammelte Werke (wie Anm. 632), Bd. 13, S. 1–69, hier S. 30 (Hervorhebungen im Original). 649 Freud, Jenseits des Lustprinzips (wie Anm. 648), S. 31. 650 Lacan, Jacques: Das Seminar über E. A. Poes ‚Der entwendete Brief‘. In: Schriften, Bd. 1 (wie Anm. 16), S. 7–60; Lacan, Jacques: Der entwendete Brief. In: Seminar (Anm. 513), Buch 2, S. 243–261. Vgl. im Folgenden auch Lang, Hermann: Die Sprache und das Unbewußte. Jacques Lacans Grundlegung der Psychoanalyse. 4. Aufl. Frankfurt a. M. 1998. S. 166–203; Langlitz, Nicolas: Die Zeit der Psychoanalyse. Lacan und das Problem der Sitzungsdauer. Frankfurt a. M. 2007. S. 128–199; Fink, Bruce: Das Lacan’sche Subjekt. Zwischen Sprache und Jouissance. 2. Aufl. Wien/Berlin 2011; Nemitz, Rolf: Lacan entziffern. http://lacan-entziffern.de (30.04.2016). 651 Freud, Jenseits des Lustprinzips (wie Anm. 648), S. 35.



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(klein a, ‚der kleine andere‘), also aus einem grundlegenden Mangel heraus gebildet hat. Dieses Objekt des Begehrens (am Beispiel Poes der entwendete Brief) stellt den eigentlichen Signifikanten dar, der niemals erreicht wird, aber als „Symbol einer Abwesenheit“652 alles auf sich beziehe: „es scheint, wenn man Freud heute versteht, daß es die Kluft einer Leere ist, die den ersten Schritt ihrer ganzen dialektischen Bewegung ausmacht.“653 Das Handeln und insbesondere auch das Sprechen des Ich folgt, selbstbezüglich wie die Sprache im dekonstruktivistischen Sinne, die auf kein Signifikat stößt, durchgehend einer Ordnung des Symbolischen, die sich über der zwanghaften Wiederholung eines Objektbegehrens errichtet hat, welches immer nur ein Aufgeschobenes ist. Mit dem Spracherwerb tritt jedes Kind unweigerlich in diese Ordnung der konventionellen, d. h. fiktiven ‚Wahrheit‘ der Sprache654 ein (groß A, ‚der große Andere‘), nachdem es sich im Frühkindesalter im Imaginären bildhaft mit einem ‚ganzen‘ Ich identifizierte (‚Spiegelstadium‘), um sich in der Vorstellung von der Symbiose mit der Mutter bzw. der begehrten Objekte dualistisch zu lösen. Phantasmatisch wird sich das Ich als Gestalt fortan über sein Begehren erheben und seine Befriedigung an einem vorgestellten Bild suchen (aber tatsächlich niemals finden, weil das begehrte Objekt klein a sich immer an anderer Stelle befindet). Der grundlegende Mangel des Subjekts wird also in der Vorstellung des Ich permanent objektiviert. Das kommt daher, dass man nur von dem, was von seinem Ort wechseln kann, das heißt vom Symbolischen buchstäblich (à la lettre) sagen kann, dass es an seinem Platz fehle. Denn für das Reale, in welcher Unordnung man es auch immer bringt, befindet es sich immer und in jedem Fall an seinem Platz, es trägt ihn an seiner Sohle mit sich fort, ohne dass es etwas gibt, das es aus ihm verbannen könnte. 655

Der letzte Begriff Lacans, das Reale, bezieht sich nun auf jenen Bereich, der vor der Sprache liegt und somit niemals direkt zu fassen ist. Mit dem Spracherwerb wird er zu einem Vorzeitigen und Jenseitigen, das sich nur mehr als irritierende oder gewaltsame Störung der symbolischen Ordnung zu erkennen gibt und als traumatisches Ereignis und unfassbare Angst in Erscheinung tritt. Es gibt also ein ‚einheitliches‘ Reales vor und ein ‚seriell zerteiltes‘ Reales nach der Sozialisation, das der Vorstellung von Identität entgegengesetzt ist und insofern nicht Teil der ‚Wirklichkeit‘ ist, als es ja nur ausgehend vom Symbolischen gedacht, bewertet und gefürchtet werden kann.

652 Lacan, Poes ‚Der entwendete Brief‘ (wie Anm. 650), S. 23. 653 Lacan, Jacques: Vom Signifikanten und vom Signifikat. In: Seminar (wie Anm. 513), Buch 3: Die Psychosen, S. 191–292, hier S. 212. 654 Vgl. Lacan, Poes ‚Der entwendete Brief‘ (wie Anm. 650), S. 16. 655 Lacan, Poes ‚Der entwendete Brief‘ (wie Anm. 650), S. 23.



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Das Reale ist die „Zeit vor dem Wort“,656 während das Symbolische einer auf die offene Zukunft ausgerichteten Zeit folgt, in der die Vergangenheit in Form des Unbewussten stets präsent ist.657 Konkreter ausgedrückt ist das Symbolische wie die Sprache immer antizipierte Zukunft, es ist aufgeschobene Bedeutung; ebenso ist das Unbewusste als ‚reine‘ Vergangenheit auf zukünftige Erfüllung ausgerichtet und kann als eine Art ‚Vorzukunft‘ begriffen werden.658 Es bleibt so lange unbewusst, bis es zum Aussetzen bzw. zur Adaption der sprachlichen Ordnung in der Kur kommt. Der Analytiker solle in einer „dritte[n] Dimension der Zeit“ zugreifen, an der „eigentliche[n] Bindung des menschlichen Wesens an die Zeit“659 durch das Sprechen. Es ist die Zeit des Begreifens im Imaginären, im „symbolische[n] Moment der Sprache, das heißt [im] Moment der Affirmation“,660 in dem das Ich die Möglichkeit hat, durch Anerkennung das Verdrängte fiktiv in die Sprache zu integrieren und sich seinem Begehren gegenüber zufriedenstellend zu positionieren. Anders als Freud, der in der Unterbrechung des ‚Wiederholungszwangs‘ und in Überführung in Narration die Heilung sah, steht diese bei Lacan mit der erfolgreichen sprachlichen Wiedereingliederung im Zusammenhang: „Die Kur gerät so zu einer Art Zeitreise. Was wie ein Trip in die ­Vergangenheit erscheint, ist tatsächlich ein Weg nach vorne.“661 In beiden Fällen aber, bei Freud rückwärtsgewandt (Unbewusstes der Vergangenheit), bei Lacan vorwärtsgewandt (Unbewusstes der Zukunft), ist die Erinnerung an das Verdrängte wesentlich, um es im Anschluss daran vergessen zu können. Es ist anzunehmen, dass Poe keineswegs nur aufgrund seines biografischen Falls für die Psychoanalyse von Interesse sein kann, sondern weil er ihr Medium, das Wesen der Sprache selbst, genau reflektierte.662 Seine Texte spüren durchweg den Bedingungen ihrer eigenen Bedeutung nach und folgen einer Dialektik von Interpretation und Reinterpretation, die den ‚leeren Signifikanten‘ des Symbolischen freilegt.663 Poe bringt die Sprache an ihr Ende, um die in ihr gebundenen Affekte poetisch, d. h. im

656 Fink, Lacan’sche Subjekt (wie Anm. 650), S. 46. 657 Vgl. auch die Unterscheidung von ‚Realreihe‘ und ‚virtueller Reihe‘ bei Deleuze, Gilles: Differenz und Wiederholung. 3. Aufl. München 2007. S. 110–154 , insbes. S. 137: „Das virtuelle Objekt ist nie im Verhältnis zu einer neuen Gegenwart vergangen; ebensowenig ist es im Verhältnis zu einer Gegenwart vergangen, die es gewesen ist. […] Gleichzeitig mit sich selbst als Gegenwart, als seine eigene Vergangenheit, jeder in der Realreihe vorübergehenden Gegenwart präexistent, ist das virtuelle Objekt reine Vergangenheit.“ 658 Vgl. Langlitz, Zeit der Psychoanalyse (wie Anm. 650), S. 200–212. Vgl. für einen Überblick psychoanalytischer Zeitkonzepte Kupke, Christian (Hrsg.): Zeit und Zeitlichkeit. Würzburg 2000 (Beiträge der Gesellschaft für Philosophie und Wissenschaften der Psyche 2). 659 Lacan, Jacques: Wo ist das Sprechen? Wo ist die Sprache? In: Seminar (wie Anm. 513), Buch 2, S. 351–372, hier S. 369. Vgl. Langlitz, Zeit der Psychoanalyse (wie Anm. 650), S. 201. 660 Lacan, Sprechen (wie Anm. 659), S. 369. 661 Langlitz, Zeit der Psychoanalyse (wie Anm. 650), S. 210. 662 Vgl. Williams, World of Words (wie Anm. 626), S. xv, mit weiteren Literaturhinweisen in Anm. 10. 663 Vgl. Williams, World of Words (wie Anm. 626), S. 16.



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Imaginären die Kluft der Leere überschreiten zu lassen. Genau das entspricht auch der in Eureka dargestellten ‚poetischen Essenz des Universums‘: It is the poetical essence of the Universe – of the Universe which, in the supremeness of its symmetry, is but the most sublime of poems. Now symmetry and consistency are convertible terms: – thus Poetry and Truth are one. A thing is consistent in the ratio of its truth – true in the ratio of its consistency. A perfect consistency, I repeat, can be nothing but a absolute truth.664

Wird in The Conversation of Eiros and Charmion das Gespräch, das auf einen Erinnerungsmonolog hinausläuft, bis zur repräsentativen Leere hingeführt, die mit dem Weltuntergang zusammenfällt, so stellt der dritte ‚platonische Dialog‘ mit dem bezeichnenden Titel The Power of Words die Überschreitung dar. Kann das Reale immer nur vor oder jenseits der Sprache sein, werden die zwei Himmels- bzw. Engelsgestalten erneut in alter irdischer Sprache (im Symbolischen) konversieren. Auch sie befinden sich im Bereich Aidenn, wo diese Sprache keine absolute Gültigkeit mehr besitzt – was bedeutet, dass die Gesprächspartner von der Dialogebene aus auf den Zustand des Realen rückschließen können, in dem bildhaftes Denken identitätslos mit dem narzisstischen Begehren zusammenfällt. Vielmehr noch müssen sie den Zusammenhang zwischen der Macht der Sprache (des konventionellen Gesetzes) und der Macht des Sprechens (des individuellen Ausdrucks) erkannt haben.665 Oinos (‚One‘) heißt diesmal das erfahrene Himmelswesen, das sich nach dem Weltuntergang mit dem jüngst verstorbenen Agathos über die Schöpfung des Universums und die belebte Existenz unterhält. Es gebe hier in Aidenn keine Träume mehr und es herrsche kein absolutes Wissen, sondern nur der Wunsch nach Erkenntnis, der niemals gestillt werden könne, andernfalls wäre die Seele wie ausgelöscht. Die Ausführungen über das Wesen und den Aufbau des Kosmos, wonach alles Materielle im komplexen Verhältnis zueinander indirekt auf einen anfänglichen göttlichen Impuls zurückgeführt werden könne, stimmen im Grunde mit jenen in Eureka überein. Entscheidend ist die Feststellung, dass nichts inexistent sein könne, auch jeder Gedanke und alle Regung einst auf der Erde physikalische Impulse aussendete, die in perfekter Beherrschung der Algebra sämtlich nachzuverfolgen sein müssten. Alle Impulse wirkten (vergleichbar mit dem ‚Schmetterlingseffekt‘) ineinander und auch, da alles mit dem Äther als Medium der Schöpfung verbunden sei, durch das ganze Universum, in dem sie sich ihrer schöpferischen Kraft entsprechend in modifizierter Form wiederfinden würden. So könne beispielsweise jeder beliebige Komet mit absoluter, allein dem Göttlichen vorbehaltener Algebra auf den ihn geformten schöpferischen Hauptimpuls zurückverfolgt werden. Aber auch die Gemeinschaft aller Engel komme an diese Fähigkeit heran und könne nachvollziehen, welcher Hauptimpuls hinter

664 Poe, Eureka (wie Anm. 613), S. 96. 665 Vgl. Williams, World of Words (wie Anm. 626), S. 105–121.



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einer kosmischen Materialisation ausgemacht werden könne. So geht der Dialog seinem Ende zu. AGATHOS. I have spoken to you, Oinos, as to a child of the fair Earth which lately perished – of impulses upon the atmosphere of the Earth. OINOS. You did. AGATHOS. And while I thus spoke, did there not cross your mind some thought of the physical power of words? Is not every word an impulse on the air? OINOS. But why, Agathos, do you weep – and why, oh why do your wings droop as we hover above this fair star – which is the greenest and yet most terrible of all we have encountered in our flight? Its brilliant flowers look like a fairy dream – but its fierce volcanoes like the passions of a turbulent heart. AGATHOS. They are!  – they are! This wild star  – it is now three centuries since, with clasped hands, and with streaming eyes, at the feet of my beloved – I spoke it – with a few passionate sentences – into birth. Its brilliant flowers are the dearest of all unfulfilled dreams, and its raging volcanoes are the passions of the most turbulent and unhallowed of hearts.666

Der große Tod Warum, wenn alle Wahrheit symbolisch und fiktiv sei, dem gesprochenen SeminarWort mehr Wahrheit als der literarischen Erzählung zuerkennen?, hinterfragt Derrida die Poe-Lektüre Lacans und konstatiert, dass dieser den Text psychoanalytisch-hermeneutisch interpretiert habe, ohne dessen Erzählstruktur zu beachten.667 Wie vor ihm bereits Marie Bonaparte habe er Poes Biografie ins Werk hineinverschoben und sei wenig überraschend auf das ödipale Theater gestoßen, das man, wenn man wolle, allerorts finden kann. Dabei seien Lacan selbst Zweifel gekommen, ob Poe seinen analytischen Blick nicht bereits antizipiert hatte, er sei aber nicht von dem Vorsatz abgerückt, dass Narrationen nur unbewusste Effekte eines Autors wiedergeben können und diese erst rücküberführt werden müssen. Man komme nicht im Schreiben, sondern im Sprechen („in the power of the word [parole]“)668 auf die fiktionale Struktur der Wahrheit. Im Grunde folge Lacans Formalismus damit Heideggers binärem Wahrheitsdiskurs, nach dem nur in der Offenbarung der sprachlichen Mittelbarkeit die in ihr verstellte unmittelbare Leere oder das Dasein selbst zum Vorschein kommen kann. So lautet es bei Lacan:

666 Poe, Edgar Allan: The Power of Words. In: Collected Works (wie Anm. 584), Bd. 3: Tales and Sketches (1843–1849), S. 1210–1217, hier S. 1215 (Hervorhebungen im Original). 667 Vgl. Derrida, Jacques: The Purveyor of Truth. In: Yale French Studies 52 (1975). S. 31–113. Siehe auch Muller, John P. u. William J. Richardson (Hrsg.): The Purloined Poe. Lacan, Derrida, and Psychoanalytic Reading. Baltimore 1988. 668 Derrida, Purveyor of Truth (wie Anm. 667), S. 90. Vgl. in Anlehnung an Claude Lévi-Strauss: Lacan, Funktion und Feld (wie Anm. 16), S. 120.



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Die Zweideutigkeit der hysterischen Offenbarung der Vergangenheit rührt inhaltlich nicht her aus ihrem Schwanken zwischen Imaginärem und Realem, denn ihr Inhalt kommt aus diesem sowohl als aus jenem. Das soll nicht heißen, daß sie einfach lügt. Vielmehr stellt sie uns die Geburt der Wahrheit im Sprechen dar, und deshalb stoßen wir uns an der Realität von etwas, das weder wahr noch falsch ist. Darin liegt jedenfalls der beunruhigendste Moment ihrer Problematik. Denn von der Wahrheit dieser Offenbarung zeugt das gegenwärtige Sprechen (parole présente) in der aktuellen Wirklichkeit, und es begründet jene Wahrheit im Namen dieser Wirklichkeit. […] Kategorisch gesagt: es handelt sich in der psychoanalytischen Anamnese nicht um Realität, sondern um Wahrheit; denn es ist die Wirkung des vollen Sprechens, die Kontingenz des Vergangenen neu zu ordnen, indem es ihr den Sinn einer zukünftigen Notwendigkeit gibt, wie sie konstituiert wird durch das bißchen Freiheit, mit dem das Subjekt sie vergegenwärtigt.669

Die Realität des Sprachlichen zeigt sich in dem Moment, wo Wahres und Falsches ununterscheidbar werden, in der Präsenz, Authentizität und ‚Eigentlichkeit‘ des phonemischen Akts. Damit erweist sich niemals der sprachliche Bezug des Subjekts zu einem bestimmten Objekt, sondern die Verifikation der grammatikalischen Form des Ich in der Kommunikation letztbegründend670 – was auch durch Lacans maßgebliche Bezugnahme auf zeitgenössische kybernetische Medienmodelle und ihre Rückkopplungsschleifen unterstrichen wird, die er zur Erklärung der Funktionsweise des ­Unbewussten heranzog.671 Wer aber behauptet, in der Autorepräsentation der „apokalyptischen Struktur der Sprache“672 oder der Medien die Wahrheit zu finden, steht nach Derrida mitten in der abendländischen Tradition (der Apokalypse). Trotz aller gegenläufigen Anzeichen habe Lacans „phallogozentrischer Transzendentalismus“673 nicht mit der Dialektik gebrochen, sondern mit der ontologischen Idealisierung des transzendentalen Signifikanten die Aufhebung ins Sprachliche selbst und in die therapeutische Kur eingebracht.

669 Lacan, Funktion und Feld (wie Anm. 16), S. 94 f. 670 Vgl. Lacan, Funktion und Feld (wie Anm. 16), S. 89 f.: „Selbst wenn mit ihm nichts mehr kommuniziert wird, repräsentiert der Diskurs das Vorhandensein von Kommunikation; selbst wenn er das Offensichtliche verleugnet, bejaht er, daß das Sprechen Wahrheit konstituiert; selbst wenn er darauf abzielt zu täuschen, spekuliert er mit dem Vertrauen auf das Zeugnis, das er ablegt.“ 671 Vgl. Dupy, Jean-Pierre: The Mechanization of the Mind. On the Origins of Cognitive Science. Princeton 2000; Bitsch, Annette: Diskrete Gespenster. Die Genealogie des Unbewussten aus der Medientheorie und Philosophie der Zeit. Bielefeld 2009. 672 Vgl. Derrida, Apokalyptischen Ton (wie Anm. 8), S. 64: „Ist das Apokalyptische nicht eine transzendentale Bedingung eines jeden Diskurses, selbst jeder Erfahrung, jeder Markierung oder jeder Spur? Und die Gattung der im strengen Sinne ‚apokalyptisch‘ genannten Schriften wäre als nur ein Beispiel, eine exemplarische Offenbarung dieser transzendentalen Struktur. In diesem Fall, wenn die Apokalypse offenbart, dann ist sie zuvor Offenbarung der Apokalypse, das heißt Selbst-Darstellung [autoprésentation] der apokalyptischen Struktur der Sprache, der Sprache, der Schrift, der Erfahrung der Präsenz, sei es des Textes oder der Markierung im allgemeinen: das heißt der teilbaren Sendung, für die es weder gesicherte Selbst-Darstellung noch Bestimmung gibt.“ (Hervorhebungen im Original). 673 Derrida, Purveyor of Truth (wie Anm. 667), S. 95.



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Als Zeuge aufgerufen für die Ehrlichkeit des Subjekts, als Verwahrer der Prozeßakten seines Diskurses, als Referenz für seine Genauigkeit, als Garant seiner Aufrichtigkeit, als Hüter seines Testaments, als Gerichtsschreiber seines jeweils letzten Willens hat der Analytiker etwas von einem Kopisten. Doch er bleibt Herr der Wahrheit, deren Fortschritt dieser Diskurs ist. Vor allem er ist es, der, wie wir gesagt haben, dessen Dialektik interpunktiert. Hier nun wird er als Preisrichter dieses Diskurses aufgefaßt.674

In letzter Konsequenz sei es Derrida zufolge natürlich der Analytiker, der das Wort in seiner Präsenz bestimmt und den Diskurs in dessen Bedeutung als solchen determiniert. Damit setze er auch den ‚Herrendiskurs‘ der väterlichen oder göttlichen Anklage fort, der hinter dem Gesetz steht, ein Gesetz auch, welches das Weibliche immer schon als das Andere implementiert.675 So wird Lacan bei aller expliziten Kritik am (Wissenschafts-)Diskurs, die er immer wieder äußert, selbst zum Bürgen jenes Konzepts, das er neben dem ‚kleinen anderen‘, dem aufgeschobenen Objekt des Begehrens, einführte, nämlich des ‚großen Anderen‘. Groß A verweist auf die Alterität des Subjekts, das Nicht-Ich, das ihn aber immer schon in die sprachliche Ordnung gedrängt hat und insofern immer auch als Abwesendes anwesend ist, wenn gedacht und gesprochen wird. Darunter sind alle Sozialisationsformen zu verstehen, die das Kind sukzessive an der Konformität ausrichten. Als Hauptbezugspersonen verkörpern zunächst die Mutter, im Weiteren vor allem aber der Vater den Anderen, der dem Kind die Absolutheit der symbolischen Ordnung vermittelt, an der es unweigerlich partizipieren muss. Insofern spricht Lacan auch vom ‚Namen-des-Vaters‘,676 den aber auch alle weiteren familiären, staatlichen oder ökonomischen Regulatoren besetzen können. ‚Der große Andere‘ stellt die nicht zu hintergehende und identitätsstiftende, absolute symbolische Macht dar. Mit diesem Konzept rücken Freuds Überlegungen zum ‚Vatermord‘ zusammen mit seinen seit Jenseits des Lustprinzips angestellten Spekulationen zum ‚Todestrieb‘ in ein neues Licht. Freud war zunehmend von einem ‚Konstanz-‘ bzw. ‚Nirwanaprinzip‘ im menschlichen Energiehaushalt ausgegangen, von einer Ausgleichsspannung zwischen einem ‚Lebenstrieb‘ (‚Eros‘) und einem ‚Todesstrieb‘ (‚Thanatos‘). Letzterer, der allen Organismen angeboren sei, trachte danach, das Lebende in seinen leblosen Urzustand zurückzubringen („Das Ziel alles Lebens ist der Tod“).677 Das energetische Gleichgewicht beider Triebe, die dem symptomatischen Wiederholungszwang unterworfen seien, gründe sich auf die Ausbildung des Sexualtriebs. So können Todestriebe mit erotischen Komponenten entschärft oder als Aggression nach außen hin

674 Lacan, Funktion und Feld (wie Anm. 16), S. 159. 675 Vgl. Derrida, Purveyor of Truth (wie Anm. 667), S. 60–64 u. S. 98 f.; auch Langlitz, Zeit der Psychoanalyse (wie Anm. 650), S. 146–156. 676 Vgl. Lacan, Funktion und Feld (wie Anm. 16), S. 119. 677 Freud, Jenseits des Lustprinzips (wie Anm. 648), S. 40.



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abgegeben werden, andernfalls, wie es nur allzu häufig vorkomme, breiten sie sich im Inneren der Psyche aus. Entwickelt sich das Ich von der „Triebwahrnehmung zur Triebbeherrschung, vom Triebgehorsam zur Triebhemmung“678 unter wesentlicher Mitwirkung des Ideal-Über-Ich, das aus der Identifizierung mit dem Vatervorbild entstanden sei, so deute ein unverhältnismäßiger Aggressions- und Destruktionsdrang auf eine gewaltige kritische Strenge des Über-Ich gegenüber dem eigenen Ich hin. Während dieses „die eigentliche Angststätte“679 sei, werde im extremen Fall der Melancholie „das Über-Ich zu einer Art Sammelstätte der Todestriebe“.680 Die Todesangst resultiere also aus einer gegen sich gewendeten Ich-Vorstellung in Ermangelung eines anderen höheren Ideals. Sie [die Todesangst] gibt der Psychoanalyse ein schweres Problem auf, denn Tod ist ein abstrakter Begriff von negativem Inhalt, für den eine unbewußte Entsprechung nicht zu finden ist. Der Mechanismus der Todesangst könnte nur sein, daß das Ich seine narzißtische Libidobesetzung in reichlichem Ausmaß entläßt, also sich selbst aufgibt wie sonst im Angstfalle ein anderes Objekt. Ich meine, daß die Todesangst sich zwischen Ich und Über-Ich abspielt. […] Die Todesangst der Melancholie läßt nur die eine Erklärung zu, daß das Ich sich aufgibt, weil es sich vom Über-Ich gehaßt und verfolgt anstatt geliebt fühlt. Leben ist also für das Ich gleichbedeutend mit Geliebtwerden, vom Über-Ich geliebt werden, das auch hier als Vertreter des Es auftritt. Das Über-Ich vertritt dieselbe schützende und rettende Funktion wie früher der Vater, später die Vorsehung oder das Schicksal. Denselben Schluß muß das Ich aber auch ziehen, wenn es sich in einer übergroßen realen Gefahr befindet, die es aus eigenen Kräften nicht glaubt überwinden zu können. Es sieht sich von allen schützenden Mächten verlassen und läßt sich sterben. Es ist übrigens immer noch dieselbe Situation, die dem ersten großen Angstzustand der Geburt und der infantilen Sehnsucht-Angst zugrunde lag, die der Trennung von der schützenden Mutter.681

Seiner strukturalistischen Signifikantentheorie entsprechend wird Lacan dem ‚Todestrieb‘ die Natürlichkeit nehmen und ihn zum reinen Kulturfall machen.682 Der Antrieb, sich auszulöschen, wird zum Willen zur Auslöschung des väterlichen Signifikantenregimes und zur Annäherung an einen absoluten Nullpunkt und einen ‚symbolischen Tod‘, an dem man, da nichts mehr verfolgt und verfehlt wird, sich selbst und seinen Mangel aufgibt. Doch muss dieser Urzustand nicht nur mit traumatischen

678 Freud, Ich und Es (wie Anm. 647), S. 286. Vgl. auch S. 284: „Vom Standpunkt der Triebeinschränkung, der Moralität, kann man sagen: Das Es ist ganz amoralisch, das Ich ist bemüht, moralisch zu sein, das Über-Ich kann hypermoralisch und dann so grausam werden wie nur das Es. Es ist merkwürdig, daß der Mensch, je mehr er seine Aggression nach außen einschränkt, desto strenger, also aggressiver in seinem Ichideal wird.“ 679 Freud, Ich und Es (wie Anm. 647), S. 286. 680 Freud, Ich und Es (wie Anm. 647), S. 286. 681 Freud, Ich und Es (wie Anm. 647), S. 288. 682 Vgl. Lacan, Jacques: Der Todestrieb. In: Seminar (wie Anm. 513), Buch 7: Die Ethik der Psychoanalyse, S. 248–263. Siehe insbes. auch Marchi, Luigi de: Der Urschock. Unsere Psyche, die Kultur und der Tod. Darmstadt 1988.



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 III.1 Edgar Allan Poes The Conversation of Eiros and Charmion (1839)

Erfahrungen in Zusammenhang gedacht werden, er ist vielmehr auch Anziehungspunkt einer phantasmatischen Grenzüberschreitung. Der Ordnung der Sprache und dem Lebenden diametral entgegengesetzt liegt als hypothetischer Erfüllungszustand dieses absolute ‚Ding‘, ein „Loch im Realen“683 oder auch der ‚zweite Tod‘,684 in dem keinerlei oder allerlei (an sich einerlei) Bedeutung liegt. Im topologisch gedachten Zwischenbereich (‚Zwischen-zwei-Toden‘ [morts] bzw. ‚-Müttern‘ [mères]: im Grunde der Übergang vom Leben zum Tod) können sich Personen, Handlungen und Ereignisse zu einem glanzvollen Überlebenssymbol (der Schönheit, der Kreuzigung etc.) verdichten.685 Der Tod ist demnach grundsätzlich nur als kultureller, als Suspendierung der symbolischen Ordnung zu begreifen. Der ‚große Andere‘ ist, nachdem er in einer creatio ex nihilo die subjektive Identität schuf, die er auch wieder nehmen kann, sein permanenter Aufhalter,686 was sich anhand der bekannten Signorelli-Episode aus Freuds Zur Psychopathologie des Alltagslebens (1904) veranschaulichen lässt.687 Auf einer Reise in die Herzegowina war Freud im Gespräch mit einem Fremden über die imposanten Weltgerichts-Fresken im Dom zu Orvieto der Name des florentinischen Renaissance-Malers Luca Signorelli (um 1450–1523) entfallen. Er führt diese Störung auf das vorangegangene Gesprächsthema zurück, das im Zusammenhang mit der gewöhnlichen Anrede ‚Herr‘ (‚Signor‘) stand und die Themen Tod und Sexualität implizierte, die allerdings nicht ausgesprochen wurden. Aus dieser Verdrängung leitet Freud die Fehlleistung im darauffolgenden Gespräch ab. Hermann Lang, bemerkt dazu: Signorelli, dessen Namen zu erinnern er [Freud] sich vergebens mühte, schuf jene großartigen Fresken von den letzten Dingen. Es war das Erscheinen des absoluten Herrn, es war der Tod, der das Gespräch scheitern ließ. Das Unbewußte, die Sprache, wird zur Rede über dieses Andere schlechthin, zum Logos der Endlichkeit.688

683 Lacan, Jacques: Von der Schöpfung ‚ex nihilo‘. In: Seminar, (wie Anm. 513), Buch 7, S. 143–158, hier S. 151. 684 Vgl. mit dem Verweis auf Offb. 20,6, 20,14 u. 21,8 Nemitz, Rolf: ‚Zweiter Tod‘ und ‚Zwischen-zweiToden‘ in Jacques Lacans Seminar über die Ethik der Psychoanalyse. In: ders., Lacan (wie Anm. 650), Blogeintrag vom 31. Juli 2013 (30.04.2016). 685 Lacan, Jacques: Antigone, zwischen-zwei-Toden. In: Seminar (wie Anm. 513), Buch 7, S. 324–346. 686 Vgl. Nemitz, Zweiter Tod (wie Anm. 684). 687 Vgl. Freud, Sigmund: Zur Psychopathologie des Alltagslebens. Über Versprechen, Vergessen, Vergreifen, Aberglaube und Irrtum. In: Gesammelte Werke (wie Anm. 632), Bd. 4, S. 7. Vgl. Lang, Sprache (wie Anm. 650), S. 121–124. 688 Lang, Sprache (wie Anm. 650), S. 304. Vgl. in Hinblick auf Folgendes auch Deleuze, Differenz und Wiederholung (wie Anm. 657), S. 151 f.: „Nach Freud kennt das Unbewußte drei entscheidende Dinge nicht: das Nein, den Tod und die Zeit. Und dennoch geht es im Unbewußten nur um die Zeit, den Tod und das Nein. Mehr noch; das Unbewußte kennt das Nein nicht, weil es vom (Nicht-)Sein der Probleme und Fragen lebt, nicht aber vom Nicht-Sein des Negativen, das nur das Bewußtsein und seine Vorstellungen (représentations) affiziert. Es kennt den Tod nicht, weil sich jede Vorstellung des Todes auf den inadäquaten Aspekt bezieht, während das Unbewußte die Rückseite erfaßt, das andere



Der große Tod 

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Bereits in der vorhergehend zitierten Textpassage wurde bemerkt, dass das Über-Ich (Freud) bzw. die symbolische Ordnung (Lacan) „dieselbe schützende und rettende Funktion wie früher der Vater, später die Vorsehung oder das Schicksal“689 vertritt. Die Konfrontation mit einem gewaltigen endzeitlichen Szenario, das auf die Zeit um 1500 zurückgeht, lässt die Sprache nicht einfach verschlagen, sondern führt zu einer Reihe von Verwerfungen des Verdrängten in der Sprache („Ich wollte also etwas vergessen, ich hatte etwas verdrängt.“).690 Die Renaissance-Kultur mit ihrer phantastischen Kraft der Jenseitsvorstellung trifft also auf eine moderne ‚Diskurs-Kultur‘ ohne öffentlich verbindliche, vermittelte Vorstellungen von der individuellen wie kollektiven Endlichkeit. Der Tod findet sich in der Sprache des Anderen aufgehoben: „Das Ich (moi) des modernen Menschen hat […] in der schönen Seele als einer dialektischen Sackgasse seine Form angenommen.“691 Diese Entwicklung, so sollte aus allen bisherigen Überlegungen hervorgehen, kann auf eine umfassende politische Regulierungsstrategie zurückgeführt werden, die Foucault folgendermaßen auf den Punkt brachte: Er [der Tod] ist zur allerprivatesten und verschämtesten Sache der Welt geworden (vielleicht ist heute der Sex weniger Gegenstand eines Tabus als der Tod). Der Grund, warum der Tod tatsächlich zu etwas geworden ist, was man verbirgt, liegt meines Erachtens nicht in einer Art Verschiebung der Angst oder in einer Veränderung der Repressionsmechanismen. Er liegt in einer Veränderung der Machttechnologien. Was seinerzeit (und bis zum Ende des 18. Jahrhunderts) dem Tod seine Pracht verlieh und ihm diese hohe Ritualisierung aufzwang, war die Tatsache, daß er den Übergang von einer Macht zu einer anderen anzeigte. Der Tod war jener Moment, in dem man von der Macht des Souveräns hier auf Erden in jene andere Macht des Souveräns im Jenseits überging. […] Jetzt, da die Macht weniger und weniger in dem Recht, sterben zu machen, und immer mehr in dem Recht liegt, zugunsten des Lebens zu intervenieren und auf die Art des Lebens und das „Wie“ des Lebens einzuwirken, jetzt, da die Macht vor allem eingreift, um das Leben zu verbessern, seine Unfälle, Zufälle, Mangelerscheinungen zu kontrollieren, wird der Tod als Endpunkt des Lebens mit einem Schlag natürlich zum Schlußstein, zur Grenze, zum Ende der Macht.692

Gesicht aufdeckt. Es kennt die Zeit nicht, weil es niemals den empirischen Inhalten einer Gegenwart unterliegt, die in der Vorstellung vorübergeht, sondern die passiven Synthesen einer ursprünglichen Zeit vollzieht. Man muß wieder auf diese drei Synthesen als die konstitutiven Synthesen des Unbewußten zurückkommen.“ (Hervorhebung im Original). 689 Vgl. erneut Freud, Ich und Es (wie Anm. 647), S. 288. 690 Freud, Psychopathologie des Alltagslebens (wie Anm. 687), S. 10 (Hervorhebungen im Original). 691 Lacan, Funktion und Feld (wie Anm. 16), S. 123. 692 Foucault, Verteidigung der Gesellschaft (wie Anm. 224), S. 291 f. Vgl. die Ansätze einer kulturkritischen ‚Thanatologie‘ bei Kremp, Werner: Politik und Tod. Von der Endlichkeit und vom politischen Handeln. Opladen 2001; Feldmann, Klaus: Tod und Gesellschaft. Sozialwissenschaftliche Thanatologie im Überblick. 2.  Aufl. Wiesbaden 2010; Feldmann, Klaus: Sterben, Sterbehilfe, Töten, Suizid. Bausteine für eine kritische Thanatologie und für eine Kultivierungstheorie. http://www.feldmannk.de/tl_files/kfeldmann/pdf/thantosoziologie/feldmann_sterben_sterbehilfe_toeten_suizid.pdf (30.04.2016), mit einer Zusammenstellung der rezenten Forschungsliteratur.



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 III.1 Edgar Allan Poes The Conversation of Eiros and Charmion (1839)

‚Che vuoi, was willst du Anderer in mir?‘:693 Entspricht der ‚Todestrieb‘ vielleicht nichts anderem als dem Wunsch, nicht am immer auch politischen Diskurs des Anderen teilhaben zu müssen? Wenn Poe in The Conversation of Eiros and Charmion eine umgekehrte Vision entwirft: nicht mehr des Zukünftigen, sondern des Vergangenen, thematisiert er den Schauer des Fortschritts- und Geschichtsdenkens, das in radikaler ‚Apokalypse‘Abwehr kein öffentliches Bewusstsein vom Letzten mehr besitzt. Während die christliche Eschatologie immer schon vom endgültigen Ende gewusst, permanent damit gerechnet und den ganzen Glauben darauf ausgerichtet hat, hat sich die technische Moderne auf den offenen Aufschub und die Überwindung der Katastrophen fixiert und den Endzeitglauben zur Angelegenheit hermetischer Glaubensgruppierungen gemacht. An dieser Kluft, so kann vermutet werden, setzt Poes Dialog an. Der darin geschilderte Abbau der Zukunftserwartung in der Bevölkerung verdient besonderes Augenmerk: Nach der Beobachtung des Phänomens, den Diskussionen um dieses herum und der Wissbegierde darüber kommt es schließlich zu einer Realisierung des Ereignisses. Die Wahrheiten, die man sich davon gemacht hat, stellen sich als Trugbilder heraus und die vertrauten Diskurse erweisen sich mitsamt den historischen Zuschreibungen als haltlos. Ungeahnte unterdrückte Emotionen kommen an die Oberfläche. Vielleicht offenbart die ‚Apokalypse‘ gerade darin das, was sie selbst auch immer schon gewesen ist: Die gewaltige Macht eines Anderen, in deren Namen und Schutz der Mensch insgeheim gelebt hat. The chimerical aspect of their terror was gone. […] We could no longer apply to the strange orb any accustomed thoughts. Its historical attributes had disappeared. It oppressed us with a hideous novelty of emotion. We saw it not as an astronomical phenomenon in the heavens, but as an incubus upon our hearts, and a shadow upon our brains.694

693 Vgl. Lacan, Jacques: Subversion des Subjekts und Dialektik des Begehrens im Freudschen Unbewussten. In: Schriften (wie Anm. 16), Bd. 2, S. 165–204, hier S. 191. 694 Poe, Conversation (wie Anm. 584), S. 459 (Hervorhebungen im Original).



III.2 Lars von Triers Melancholia (2011) Das Ende am Anfang Um auch den letzten Kinobesucher davon zu überzeugen, dass er es ernst meint, hat Lars von Trier den Weltuntergang an den Anfang seiner Melancholia (2011) gestellt.695 In einem achtminütigen, von Richard Wagners Tristan und Isolde geleiteten Prélude der folgenden zwei Akte (betitelt mit Justine und Claire) wird in einer Abfolge von einzelnen hochglänzenden Slow-Motion-Szenen ein Zeitabschnitt visualisiert, der im Zeichen des unmittelbar bevorstehenden Endes steht. Tote Vögel fallen um die von Depressionen gezeichnete Protagonistin Justine (dargestellt von Kirstin Dunst) vom Himmel herab, das Gemälde Die Jäger im Schnee (1565) von Pieter Bruegel dem Älteren verglost zu Asche, Justines Schwester Claire (dargestellt von Charlotte Gainsbourg) watet mit ihrem Sohn in den Armen über Loch 19 eines Golfparcours, der auch als Limbus zu verstehen ist,696 Justine steht in Erlöserpose inmitten eines Heuschrecken- und Nachtfalterschwarms, betrachtet, wie sich ihre Fingerspitzen elektrisch aufladen, und geht als Braut gegen Fesseln aus Schlingpflanzen an. Als Schlusspunkt der zuvor mitverfolgten Annäherung eines interstellaren Gasplaneten an die Erde wird diese von dem zehnmal größeren Himmelskörper verschlungen (‚devoured‘)697. Ausschlaggebend für die Entscheidung, den Film mit diesem kompakten endzeitlichen Szenario beginnen zu lassen, war die Überlegung, das Publikum durch „fundamental suspense“698 in Bann zu halten: Es erhält einen kalkulierten Informations- und Wissensvorsprung zur folgenden Handlung und wird diese fortan als Zwischenzeit zum erwarteten zukünftigen Ereignis wahrnehmen.699 Die Protagonisten sind damit von vornherein rund um eine Erwartungshaltung aufgestellt, von der sie ausgeschlossen sind. Im Gegensatz zum Betrachter wissen sie nicht, was auf sie zukommt, es wird ihre Überraschung sein, die den Film in Spannung hält. Und dennoch liegt der

695 Trier, Lars von: Melancholia. DVD. Concorde Home Entertainment 2012 (DK/S/F/D 2011). Siehe zum Folgenden bereits Zolles, Zeit apokalyptischer Repräsentation (wie Anm. 335). 696 Vgl. Sinnerbrink, Robert: Anatomy of Melancholy. Vortrag gehalten am Sydney Seminar for the Arts and Philosophy, Seminar 20: Melancholia non grata. Lars von Trier and the Infinite Sadness. Audiodatei. http://sydneyseminar.org/wp/2012/09/seminar-20-melancholia-non-grata-lars-von-trierand-the-infinite-sadness (30.04.2016). 697 Vgl. Thorsen, Nils: Longing for the End of All. Interview mit Lars von Trier. http://www.melancholiathemovie.com/#_interview (30.04.2016): „And it was very poignant that it should not just be a collision between two planets, but that Melancholia should devour the Earth.“ 698 Vgl. Thorsen, Longing (wie Anm. 697): „The approaching planet does provide some fundamental suspense, at least. The suspense can hardly be greater than when we know that a planet ten times the size of Earth is drawing closer and that it will crash into us. I suppose that keeps the audience from leaving halfway through.“ 699 Vgl. Haas, Claude: Suspense. In: Bühler u. Willer, Futurologien (wie Anm. 359), S. 63–72.



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 III.2 Lars von Triers Melancholia (2011)

entrückten Sicht des Publikums eine grundlegende Identifikation zugrunde: Die Perspektive und Zeitwahrnehmung korrespondiert mit jener Justines. Das Wissen vom Ende der Welt ist untrennbar mit dem Wissen um ihre psychische Verfassung verbunden. So hat das Prélude auch den Sinn, die Innenansicht der Hauptfigur ausdrücklich in Szene zu setzen, was bei der Variante, die einzelnen Slow-Motion-Szenen streckenweise in den Film hineinzumontieren, womöglich weniger gelungen wäre.700 Damit teilt der Betrachter von Anfang an Justines Isolation von allen anderen Figuren, wird Zeuge ihres unstillbaren Sehnens und Begehrens701 und von einem kompromisslosen Endzeitbewusstsein eingenommen, das alles Weitere dominiert. Stilistisch lässt sich die Diskrepanz zwischen Außen- und Innenansicht in Melancholia an den dogmatisch-realistischen Szenen (im Bezug zum dänischen Dogma 95-Maifest) und den individualistisch-romantischen Aspekten festmachen. Diesen beiden Sphären wird die Bedeutung des Weltendes – und das heißt gleichzeitig: des Zeitenendes – abgerungen. Während der dogmatische Realismus die fortschreitende Wiederholung der sozialen und insbesondere familiären Ordnung und der rationalen Weltanschauungen (das Symbolische) auf ein offenes Ende hin thematisiert, wird über den depressiven Romantizismus die subjektive und narzisstische Vorstellungswelt (das Imaginäre) vom absoluten Ende her verhandelt. Beiden Sphären – symbolischer Fortbezug auf der einen ‚äußerlichen‘, imaginärer Rückbezug auf der anderen ‚innerlichen‘ Seite – liegen also zeitlich heterogene Verlaufsstrukturen zugrunde, die bis zum Schluss des Films, bis zur allgemeinen Gewissheit des unausweichlichen Kataklysmos, immer enger (im Realen) zusammenrücken. Im Folgenden wird versucht, diese zeitlichen Strukturen als jenes tragende Element unter der Oberfläche, „beyond the polish“702 von Melancholia auszumachen, das den Film etwa von dem expliziteren Vorgänger Antichrist (DK/S/F/D/I/P 2009) unterscheidet. Darüber hinaus soll aufgezeigt werden, wie es Lars von Trier rund 170 Jahre nach Poes erstem ‚platonischen Dialog‘, in einer gänzlich anderen Mediendisposition und doch mit ähnlicher Intention, mit letzter Konsequenz schafft, die Mittel und die Vermittlung säkularer apokalyptischer Repräsentation an ihre Grenzen zu bringen. Denn auch wenn die Voraussetzungen gänzlich andere sind: da die Schrift, wie Friedrich Kittler hinlänglich feststellte, seit 1900 ihr Monopol auf sinnliche Datenvermittlung an die neuen technischen Medienverbundsysteme verloren hat und sich die Lacan’schen Strukturen des ‚Symbolischen‘, ‚Imaginären‘ und ‚Realen‘

700 Trier, Lars von: Audiokommentar zu: ders., Melancholia (wie Anm. 695), 01:28.30. Die Stelle des Audiokommentars zeichnet sich dadurch aus, dass Lars von Trier, ansonsten durchaus redselig, mehrmals um Worte ringt. 701 Vgl. Thorsen, Longing (wie Anm. 697): „Longing is true. It may be that there’s no truth at all to long for, but the longing itself is true. Just like pain is true. We feel it inside. It’s part of reality. […] Justine has nothing to lose. She’s a melancholiac, and we are ever longing, you know. And when you’re longing, you can’t lose anything. You have nothing.“ 702 Thorsen, Longing (wie Anm. 697).



Justine und Claire (die Zofen II) 

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in den medientechnischen Apriori Schreibmaschine, Film und Tonaufzeichnung ihre vermeintlich angestammten Speicherungs-, Übertragungs- und Prozessmittel gefunden haben703 – handelt es sich tatsächlich nur um einen scheinbaren Anachronismus dieses Vergleichs: Beide, Edgar Allan Poe wie Lars von Trier, zeigen mit ihrer gegen die Logik der Individuation gekehrten ‚imaginären‘ Kraft die Grenzen der ‚symbolischen‘ Macht auf und führen auf ein unaussprechlich ‚Reales‘ hin. Sie zeigen auf, dass die Auseinandersetzung mit dem, was am Ende der Entwicklung steht, nur mehr in einem fiktiven Rahmen des gängigen Massenmediums möglich ist,704 den es rückwirkend abzubauen gilt. Darin geben sie der Repräsentation, der Vergegenwärtigung der ‚Apokalypse‘ keine Zeit mehr, weil sie ihr die Zukunft nehmen.

Justine und Claire (die Zofen II) Nicht Werke wie Albrecht Dürers berühmter Kupferstich Melencolia I (1514), der eine weibliche Engelsgestalt in Betrachtung eines Kometen zeigt, bilden die Handlungsvorlage für Triers Melancholia, sondern Jean Genets Drama Les bonnes (1947, dt. Die Zofen).705 Das Endzeitszenario sollte sich um die Beziehung zweier Schwestern und das phantastisch-perverse Rollenspiel entwickeln, das sie im Schwanken zwischen den Milieus, Erniedrigung und Dominanz, Verehrung und Hass um die Besetzung einer souveränen Mitte führen. Genets Stück, das vermutlich von einem Doppelmord zweier Zofen, der Geschwister Papin, an ihrer Vorgesetzten und deren Tochter inspiriert wurde, dreht sich um ein Ritual der Schwestern Claire und Justine, bei dem sie in Abwesenheit ihrer Hausherrin vertauschte Rollen einnehmen: Die Jüngere Claire gibt sich als strenge Madame und Justine als unterwürfige Claire. Die Konversation dreht sich um den Status der Schwestern als Dienerinnen, der sich nur von der Souveränität her denken lässt. CLAIRE. Was für eine Sprache, mein Kind! Claire! Du rächst dich, nicht wahr? Du spürst, daß der Augenblick näher rückt, an dem du deine Rolle aufgeben wirst … SOLANGE. Die gnädige Frau versteht ganz vorzüglich, die gnädige Frau errät, was ich sagen will. CLAIRE. Du spürst, daß du bald nicht mehr das Dienstmädchen sein wirst. Du wirst Dich rächen. Du bereitest Dich vor. Du schärfst deine Krallen. Der Haß weckt dich auf. Aber Claire, vergiß nicht. Hörst du mich, Claire? Claire, hörst du mir nicht zu? SOLANGE. (Zerstreut.) Ich höre.

703 Vgl. Kittler, Friedrich: Aufschreibesysteme 1800/1900. 4. Aufl. München 2003. Insbes. S. 297–329; Kittler, Friedrich: Grammophon – Film – Typewriter. Berlin 1986. Insbes. S. 7–33. 704 Es sei noch einmal daran erinnert, dass Poes Werk in der Zeit der Herausbildung des öffentlichen Diskurses in den USA entstand; Trier inszeniert natürlich auf dem Massenhorizont, den die erleuchtete Kinoleinwand darstellt. 705 Vgl. Trier, Audiokommentar (wie Anm. 700), 01:39.30.



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 III.2 Lars von Triers Melancholia (2011)

CLAIRE. Durch mich, nur durch mich existiert das Dienstmädchen. Durch mein Geschrei und meine Gesten.706

Die Schwestern haben aus Eifersucht bereits ihren hoch verehrten Hausherren bei der Polizei fälschlich denunziert und gehen nun den Plan durch, die Hausherrin zu vergiften. Doch hinter dem Wunsch nach Freiheit steht die Leere der eigenen Identität, die jedes Mal aufblitzt, wenn die Schwestern aus der Rolle fallen und Aggressionen und Ängste überhand nehmen. So können sich die Schwestern auch nur in der Beziehung zueinander wahrnehmen („Claire oder Solange, denn sie verwechselte uns ständig“),707 kann sich Claire selbst nur über Solange erkennen, die im Spiel ihre Identität übernommen hat. SOLANGE. Du konntest dich selbst nicht sehen. CLAIRE. Oh, doch! Ich kann mich in deinem Gesicht betrachten und ich kann die Verwüstungen sehen, die unser Opfer darin angerichtet hat.708

Schließlich überzeugt Solange Claire von der Notwendigkeit, die Hausdame zu ermorden, um endlich die Fenster zur Freiheit öffnen und die geheimen Wünsche erfüllen zu können, die sie sich ansonsten nur gegenseitig spiegeln. SOLANGE. Ich möchte dir helfen. Ich möchte dich trösten, aber ich weiß, ich ekle dich an. Ich stoße dich ab. Ich weiß es, weil du mich anekelst. Liebe in Knechtschaft ist keine Liebe. CLAIRE. Man liebt sich zu sehr. Ich habe genug von diesen [sic] schrecklichen Spiegel, der mein Ebenbild wie widerlichen Gestank zurückwirft. Du bist mein „widerlicher Gestank“. Also gut, ich bin bereit. Ich bekäme meine Krone. Ich könnte durch die Wohnung spazieren.[…] SOLANGE. Schließ’ die Augen. CLAIRE. (Seufzend.) Ich schäme mich, Solange.709

Das Rollenspiel wird unterbrochen, als die Hausherrin nachhause kommt, ihnen ihre Zuneigung versichert („Ihr seid so etwas wie Töchter für mich“)710 und die Wohnung wieder verlässt, ohne den vergifteten Tee angerührt zu haben. So ist es an den Schwestern, den Mord im Ritual zu Ende zu führen, an Claire, als Herrin den Tee zu trinken, und an Solange, die Zuchthausstrafe für beide auf sich zu nehmen. CLAIRE. Widersprich nicht. Über diese letzten Minuten verfüge ich. Solange, du wirst mich in dir bewahren.

706 Genet, Jean: Die Zofen. Hamburg 1962. S. 11 f. Vgl. auch hier Millett, Sexus und Herrschaft (wie Anm. 39), S. 439–470. 707 Genet, Zofen (wie Anm. 706), S. 34 u. 38. 708 Genet, Zofen (wie Anm. 706), S. 18. 709 Genet, Zofen (wie Anm. 706), S. 23. 710 Genet, Zofen (wie Anm. 706), S. 29.



Justine und Claire (die Zofen II) 

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SOLANGE. Aber nein, aber nein! Du bist verrückt! Wir reisen ab! Schnell Claire. Wir wollen keinen Augenblick mehr hier bleiben! Die Wohnung ist vergiftet. […] CLAIRE. Feige bist du. Höre auf mich. Wir sind jetzt am Ufer, Solange. Diesmal werden wir das Spiel zu Ende spielen. Du wirst allein unser beider Leben auf dich nehmen. Du wirst viel Kraft brauchen. Niemand im Zuchthaus wird wissen, daß ich dich heimlich begleite. Und vor allem, wenn du verurteilt worden bist, vergiß nicht, daß du mich in dir trägst. Wie etwas Kostbares. Ausgelassen, frei und schön werden wir sein.711

Solange wird also die ‚Seele‘ von Claire im Imaginären weitertragen, nachdem diese als Herrin gestorben ist. Mit Lacan lässt sich behaupten, dass Clarie nur den ‚ersten‘, aber nicht den ‚zweiten Tod‘ stirbt, als ein glanzvolles Symbol des Überlebens außerhalb des Symbolischen und ohne Anderen. Dies ist nur möglich, indem Solange das Weiterleben erträgt und bei aller äußeren Qual die Vorstellung der inneren Freiheit und Schönheit bewahrt. In Melancholia werden die Geschwister Justine und Claire eine vergleichbare Beziehung gegenüber einnehmen, wenn auch unter ganz anderen Voraussetzungen. Der mit Justine betitelte erste der beiden Akte handelt von Justines Hochzeitsfest, das mit der ausgelassenen und verspäteten Anreise des frischvermählten Ehepaars zum prächtigen Landsitz Claires und ihres Mannes John beginnt. Justines Sichtung des rot leuchtenden Sterns Antares im Zeichen des Skorpion kann als Vorahnung auf die kommenden Ereignisse verstanden werden. Das Fest im großen Kreis der Familie und Freunde wird sich nämlich, je stärker sich Justine mit familiären und beruflichen Konflikten konfrontiert sieht und ihrer depressiven Veranlagung hingibt, zu einem Desaster entwickeln. Am Ende der Nacht wird es Justine nicht nur nicht geschafft haben, sich, wie von ihrer Familie immer wieder gefordert, gesellschaftsfähig zu zeigen: Vielmehr sind die Beziehungen zu den Eltern, zur Schwester Claire und zu Schwager John eskaliert, der Beruf als Werbefachfrau verloren und der Bräutigam sexuell abgewiesen und betrogen. Der Übergangsritus der Hochzeit ist kolossal gescheitert. Dementsprechend sieht man im zweiten, mit Claire betitelten Akt die schwer depressive und unter katatonischen Zuständen leidende Justine in der Obhut von Claire, John und deren Sohn Leo auf dem Anwesen. Inzwischen wurde Antares von dem interstellaren Gasplaneten ‚Melancholia‘ verdeckt, der sich der Erde nähert und zunehmend Justines Faszination auf sich zieht. Gegen alle Befürchtungen, der Planet könne mit der Erde kollidieren, setzt sich zunächst die Prognose des Rationalisten und Amateurastronomen John durch und ‚Melancholia‘ zieht spektakulär an der Erde vorbei. Doch die Erleichterung ist nur von kurzer Dauer: Es kommt zu einem ‚Totentanz‘ zwischen den Planeten und ‚Melancholia‘ wird zurück Richtung Erde gelenkt. Als klar wird, dass diesmal der Zusammenstoß unausweichlich ist, wählt John den Freitod und Claire versucht verzweifelt mit Leo den Landsitz zu verlassen, bevor sie die Sinnlosigkeit des Unterfangens einsieht. Ihre Idee, bei Wein und Musik dem Ende

711 Genet, Zofen (wie Anm. 706), S. 44.



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 III.2 Lars von Triers Melancholia (2011)

entgegenzugehen, wird von der Schwester höhnisch quittiert. Es ist nun an Justine, die letzten Handlungsentscheidungen zu treffen, gemeinsam mit Leo einen ‚magic cave‘ aus Stöcken zu errichten, die anderen hineinzusetzen und ihnen die Hände zu reichen, bevor, wie der Kinozuschauer aus irdischer Zentralperspektive Zeuge und Opfer wird, ‚Melancholia‘ auf ihrer kosmischen Bahn die Erde trifft und in sich aufnimmt. Justines Prophezeiung zufolge wird damit alles Leben im Universum ausgelöscht. Je mehr sich zwischen den beiden Akten der Fokus von Justines Dysfunktionalität auf den dominanten Fixpunkt am Himmel verschiebt, desto merklicher ändert sich auch die Beziehungsdynamik zwischen den beiden Schwestern. Nachdem der erste Akt Justines endgültigen psychischen Zerfall gezeigt hat, setzt im zweiten mit dem Erscheinen des Planeten ‚Melancholia‘ in gewisser Weise eine Umkehr der Verhältnisse ein: „Claire […] falls apart while Justine collects herself more and more“.712 Justine wird durch das erwachte Interesse an ‚Melancholia‘ von ihrer intellektuellen Selbstbezüglichkeit entlastet und schafft es zunehmend, wenn auch weiterhin nonkonform, aus einer Fragmentierung der Persönlichkeit heraus zu handeln. Das ursprünglich erhabene Paar hingegen, Claire und John, findet sich zum ersten Mal mit einem umfassenden Kontrollverlust konfrontiert, der sich für sie als unerträglich herausstellt. John tötet sich beim ersten Anzeichen des endgültigen Weltuntergangs ohne Rücksicht auf seine Familie und Claire wird vor allem auch ihrem Sohn Leo gegenüber immer hilfloser und versucht sich nach dem Fluchtversuch an die letzten romantischen Illusionen zu klammern. In den letzten Sekunden vor dem Einschlag des Planeten wird in ihr die Panik durchbrechen, als sie entgegen Justines Anweisungen die Augen öffnet, während diese Haltung bewahrt und Leos Hand gedrückt hält.713 So wird am Ende das rational-prognostische Fortschrittsbewusstsein, das angesichts des unaufhaltsamen Endes kollabiert und jeglichen (männlichen) Mut verliert, von einem melancholisch-visionären Endzeitbewusstsein übertrumpft. Dieses sehnt sich eine Katastrophe zur Bestätigung der herrschenden symbolischen Korruptheit geradezu herbei, wie man einer Einstellung entnehmen kann, die Justines ‚Genießen‘ (jouissance) des Planeten zeigt.714 Claire wird schließlich nur mehr über ihre melancholische Schwester ihre Identität bewahren können. Auf eigentümliche Weise findet sich in diesem Wechsel der Dominanz die Vorstellung des von Foucault

712 Thorsen, Longing (wie Anm. 697). Vgl. hier auch die Bemerkung Lars von Triers: „I think that Justine is very much me. She is based a lot on my person and my experiences with doomsday prophecies and depression. Whereas Claire is meant to be a … normal person.“ 713 Vgl. Trier, Audiokommentar (wie Anm. 700), 02:04.00. Siehe auch das diesem Teil der Arbeit vorangestellte Film-Still. 714 Vgl. die Darstellung des Lacan’schen Begriffs in Nemitz, Rolf: Das Genießen des ausgestrichenen Anderen im Knoten  – JȺ. In: ders., Lacan (wie Anm. 650), Blogeintrag vom 22. Februar 2014 (30.04.2016).



Justine und Claire (die Zofen II) 

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­beschriebenen mittelalterlichen Wahnsinns aktualisiert, das Ende der Zeiten aus den Augen verloren zu haben.715 Von Trier berichtet von einem weiteren Impuls für Melancholia, der auf seinen Analytiker zurückzuführen ist.716 Dieser meinte, dass depressive Menschen in Krisensituationen ausgeglichener als ihr Umfeld reagieren würden, da sie schließlich ohnehin immer mit dem Schlimmsten rechneten. Für sie sei das im Grunde weniger eine böse Überraschung als eine willkommene Bestätigung. Ein Dialog zwischen Claire und Justine nach der ersten Annäherung des Planeten lautet: Claire: Be happy, please. If I dare, you can do it. Justine: I’m happy you’re happy. Claire: You have it easy, don’t you? I imagined the worst thing possible. Justine: That’s right, Claire. Sometimes it’s easy being me.717

Justine kann die Erleichterung von Claire, die sich für kurze Zeit das Allerschlimmste ausgedacht hat, nicht teilen und wird auch rechtbehalten. Und doch, trotz aller entgegenweisenden Anzeichen kann in ihrer radikal zerstörerischen Sehnsucht eine geheime Hoffnung gefunden werden, die einen zusätzlichen Impuls des Regisseurs erkennen lässt. It’s a hope, a hope … my anxieties had been so bad in my life, that when they occur, they won’t be so bad. Which I think is of course, you know, when you have time to imagine, how an illness or how an catastrophe could be, than you will never be able of course to imagine exactly how it will be.718

Indem man sich das Allerschlimmste ausmale, bereite man sich insgeheim nicht nur darauf vor, sondern schaffe die Möglichkeit, dass sich die Befürchtung in nur abgeschwächter Form bewahrheitet. Schließlich zeigt sich die Vorstellung einer zukünftigen Katastrophe immer als vom gegenwärtigen Erfahrung- und Wissensstand abhängig. Umgelegt auf das Apokalyptische bedeutet dies: Das Ende wird niemals

715 Vgl. zur ‚melancholischen‘ Zeitwahrnehmung auch Kobayashi, Toshiaki: Melancholie und Zeit. Basel/Frankfurt a. M. 1998; Kupke, Christian: Die andere Zeit des melancholischen Leidens. Ein philosophischer Beitrag zur Psychopathologie. In: Das Maß des Leidens. Klinische und theoretische Aspekte seelischen Krankseins. Hrsg. von Martin Heinze [u. a.]. Würzburg 2003. S. 79–112; sowie Doyle, Briohny: Prognosis End-Times. Madness and Prophecy in ‚Melancholia‘ and ‚Take Shelter‘. In: Altre Modernità 9 (Mai 2013). S. 19–37, hier S. 19–21. Siehe zu weiteren psychoanalytischen Aspekten des Films Zwiebel, Ralf u. Dirk Blothner (Hrsg.): ‚Melancholia‘. Wege zur psychoanalytischen Interpretation des Films. In: Psychoanalytische Blätter 34 (2014). 716 Thorsen, Longing (wie Anm. 697). 717 Trier, Melancholia (wie Anm. 695), 1:41:00. 718 Trier, Audiokommentar (wie Anm. 700), 01:29.00.



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 III.2 Lars von Triers Melancholia (2011)

so eintreffen, wie man es sich vorstellt, auch im Äußersten und Letzten, noch in den dunkelsten prophetischen Bildern bleibt das Reale vom Phantasma strukturiert. Der Melancholiker von Trier weiß wohl, dass das Imaginäre eine Frage der herrschenden Zeit ist („when you have time to imagine …“) und dass er sich einer fortschrittlichen Methode wie jener des Films bedienen muss, um etwas vorstellbar zu machen.719 Er weiß aber auch, dass, wenn er die Darstellung des herrschenden Zeit-Bildes selbst an ihr Ende bringt, im Aufbruch der imaginären Einheiten etwas anderes zum Thema wird, das ‚realer‘ ist als die Katastrophe selbst. Es zeigt sich dann gerade in der Grenzfigur des Wahnsinns, dass die Vorstellung und auch die Pracht vom Jüngsten Gericht mehr beinhaltet als die Aktualisierung bestimmter Narrationsund Darstellungsformen. Von Trier hat auf das Sehnen und Begehren des Melancholikers hingewiesen, das nichts in Besitz nimmt und daher auch nichts zu verlieren hat. Insofern treten, je mehr die konventionelle Vorstellungswelt abgebaut wird und die individualistischen Anschauungen zum Vorschein kommen, die tiefsten symbolischen Bindungen zutage. Diesseits des Apokalyptischen und in der immanenten Zeit des Endes drängt sich, ohne Aufschub zu dulden und im höchst individuellen bzw. partikulären Bereich, die Frage nach dem richtigen Leben auf, das bedeutet: nach dem im Medium seiner Sprache familiär, sozial und politisch gerichteten, also symbolisch geformten Menschen, seinen Widerständen und Freiheiten.

Engel der Ereignisse Natürlich folgen auf das allerletzte Bild und auf die darauffolgende Finsternis mit Nachklang des Weltuntergangs (als mediale Spur des Realen) ein Filmabspann und eine Entzauberung des Kinos als ‚magic cave‘ für sich. In diesem modernen Anschauungsraum hat die Repräsentationsform der Apokalypse, jenes Verfahren, das immer wieder dafür sorgt, dass das Ende im Imaginären aufgehoben bleibt, seine erhabenste Ausprägung gefunden. Genaugenommen handelt es sich dabei kaum mehr um Repräsentation, vielmehr zeigt sich darin nach Gilles Deleuze deren Scheitern und ein allgemeiner Verlust der Identitäten: „Die moderne Welt ist die der Trugbilder [simulacres].“720 Darunter lauert ein undifferenzierter Abgrund,721 dessen Ausmaße, wie versucht wurde aufzuzeigen, im Verhältnis zu jenen politischen Entwicklungen zunahmen, die das Endzeitbewusstsein aus dem öffentlichen Raum verdrängten. Von der zeitlichen Wahrnehmung her gesehen macht es dabei keinen Unterschied, ob die

719 Vgl. etwa auch Binotto, Johannes: Jump Cut. Zur Chrono-Logik von Film und Psychoanalyse. In: Wiederkehr und Verheißung. Dynamiken und Medialität in der Zeitlichkeit. Hrsg. von Christian Kiening [u. a.]. Zürich 2011. S. 253–268. 720 Deleuze, Differenz und Wiederholung (wie Anm. 657), S. 11. 721 Vgl. Deleuze, Differenz und Wiederholung (wie Anm. 657), S. 345.



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Katastrophe auf natürliche oder menschliche Ursachen zurückgeführt werden kann. In beiden Fällen sind die Konsequenzen des Fortschritts nicht mehr vermittelbar. Er [Immanuel Kant] weiß, daß man in der Moderne weder, wie Johannes, der Apokalypse visionär ansichtig werden, noch sie durch andere ästhetische Darstellungsformen vorstellen kann. Die Moderne besteht darin, daß sie eine geschichtliche Situation herstellt, die man sich strukturell nicht mehr vorstellen und die darum auch niemand mehr darstellen kann, und die man darum in dem Augenblick, wo man sie sieht, schon nicht mehr sieht, weil sie instantiell blendet: – im Atomblitz. Apokalypse also ist nur noch zu denken.722

Kunstwerke wie Melancholia zeigen, dass in der Auseinandersetzung mit dem repräsentativen Abgrund und in der Angst vor der tiefsten Sinnlosigkeit menschlicher Existenz auch eine schwache Hoffnung liegt: nicht in der Zukunft, sondern für die Gegenwart. Im Ablegen der biopolitischen Vorstellung vom Fortleben und in der Akzeptanz der ausweglosen Katastrophe kann man eben auch zu jenem Schluss gelangen, den bereits Walter Benjamin im Konzept des ‚dialektischen Bilds‘ darlegte: Durch das Aufzeigen einer Konstellation größter Spannung zwischen vorwärts- und rückwärtsgewandten Kräften, einer ‚Dialektik im Stillstand‘, wird das Fortschrittsdenken desavouiert und die revolutionäre ‚schwache messianische Kraft‘ freigelegt. Das Imaginäre fällt auf das Symbolische, auf die sprachliche und politische Ordnung zurück, in der allein die Veränderung ihren Platz haben kann. Daran schließen auch die ‚postmodernen‘ Interpretationen der christlich-messianischen Eschatologie an, die sich um die Utopie eines ‚profanen Lebens‘ drehen, wie sie etwa Benjamin im Sinn hatte als eine gemeinschaftliche Welt „allseitiger und integraler Aktualität“, deren Sprache „integrale Prosa [ist], die die Fesseln der Schrift gesprengt hat und von allen Menschen verstanden wird“.723 Die Aktualität jener nach Giorgio Agamben ‚operativen‘ bzw. ‚realen Zeiterfahrung‘ und das entsprechende „Jetzt der Lesbarkeit“724 der paulinischen Briefe darf keinesfalls als naiver Romantizismus oder Kosmologismus aufgefasst werden, von dem Benjamin wie auch Poe und Trier denkbar weit entfernt sind. Der Rückfall auf die Zeit als solche steht bei allen unmittelbar mit der Endlichkeit des Ich im Zusammenhang, von dem das – mittlerweile wohl in Neue Medien übertragene – Tagebuch modernes Zeugnis ablege: Der neue Sturm erbraust im bewegten Ich. Ausgesandt ist es als Zeit, in ihm selbst stürmen die Dinge dahin, ihm entgegnend in ihrer fernenden, demütigen Richtung, dahin zur Mitte des Abstandes, zum Schoße der Zeit hin, von da das Ich erstrahlte. Und Schicksal ist: diese Gegenbewegung der Dinge in der Zeit des Ich. Und jene Zeit des Ich, in der die Dinge uns widerfahren, das ist die Größe. Ihr ist alle Zukunft vergangen. Der Dinge Vergangenheit ist die Zukunft der

722 Böhme, Vergangenheit und Gegenwart (wie Anm. 14), S. 395. 723 Benjamin, Paralipomena (wie Anm. 343), S. 1238. 724 Agamben, Zeit (wie Anm. 11), S. 162.



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 III.2 Lars von Triers Melancholia (2011)

Ich-Zeit. Aber die Vergangenen werden zukünftig. Von neuem entsenden sie die Zeit des Ich, wenn sie eingegangen sind in den Abstand. Mit den Geschehnissen schreibt das Tagebuch die Geschichte unseres zukünftigen Seins. Und prophezeit uns also unser vergangenes Schicksal. Das Tagebuch schreibt die Geschichte unserer Größe vom Tode an. […] Im Tode widerfahren wir uns selbst, es löst sich unser Tod-sein aus den Dingen. Und die Zeit des Todes ist unsere eigene. Erlöst gewahren wir die Erfüllung des Spiels, die Zeit des Todes war die Zeit unseres Tagebuches, der Tod der letzte Abstand, der Tod der erste liebende Feind, der Tod, der uns mit aller Größe und den Schicksalen unserer breiten Fläche in die unnennbare Mitte der Zeiten trägt. Der für einen einzigen Augenblick uns Unsterblichkeit gibt. […] Mit uns versinken die Dinge zur Mitte, mit uns erwarten sie uns gleich die neue Erstrahlung. Denn Unsterblichkeit ist nur im Sterben und Zeit erhebt sich am Ende der Zeiten.725

Erneut zeigt sich, dass sich die ‚Größe‘, die sich in der ‚Zeit des Ich‘ auftut, nicht am überlegenen Horizont des Dynamisch-Erhabenen, sondern an der Grenze der symbolischen Ordnung offenbart. Sie steht im unmittelbaren Zusammenhang mit der Aufgabe der Identität und der Entdeckung unterdrückter Kräfte. Als ihr Ideal kann daher weder ein despotisches noch ein symbolisches Über-Ich fungieren, sondern die ästhetische Gestalt bzw. das ‚Denkbild‘ eines wartenden zersausten Engels, der den Blick auf die irdischen Gewalten ohne Verwerfung erträgt. Solange in Die Zofen, Justine in Melancholia, Poes Engel in den Dialogen sowie in Eureka oder Benjamins Angelus Novus: Alle stehen auf ihre Weise wie „ein Unmensch; ein neuer Engel als das andere im Menschen“726 als Bewahrer jenseits des Symbolischen und erhalten dadurch einen fremden Glanz. Benjamins Engel wird bekanntlich vom Fortschritt rückwärts in die Zukunft getragen, während er mit aufgerissenen Augen und offen stehendem Mund auf die Vergangenheit starrt, wo „er eine einzige Katastrophe“ sieht, „die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert“. Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, daß der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm.727

Die Figur verweist auf ein an sich verstelltes Äußeres, von dem aus die symbolischen Dimensionen fassbar werden. In diesem Konzept des stillstehenden Bildes scheint auch die Medialität jedes sprachlichen Bedeutens auf, mit dem an das Benjamin’sche Schema der Allegorie angeknüpft werden kann, das sich ausgehend vom ‚melancholischen‘ Blick und aus dem ‚Ursprung der Trauer‘ heraus zu einem ­revolutionären

725 Benjamin, Walter: Tagebuch. In: Gesammelte Schriften (wie Anm. 2), Bd. 2,1, S. 96–103, hier S. 102 f. 726 Benjamin, Walter: Karl Kraus. In: Gesammelte Schriften (wie Anm. 2), Bd. 2,1, S. 334–367, hier S. 367. 727 Benjamin, Begriff der Geschichte (wie Anm. 307), S. 697.



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Bedeuten entwickelt.728 Liegt dem ein kreativer Akt, ein ‚ursprungsloses Werden‘ zugrunde, so kann die Verbindung zu jener Form des Deleuz’schen ‚Ereignisses‘ hergestellt werden, das nur unterschwellig, jenseits des Anschauungsraums wirken kann.729 Es handelt sich dabei um ein selbst referenzloses, „ästhetisches, poetisches Ding“730 vor der Kant’schen Synthesis der Wahrnehmung; als über den Begriff aktualisierbare „interne Beziehung von inkompossiblen [sprachlich an sich unvereinbaren, Anm.] Elementen“;731 existent „in einer spezifischen Zwischen-Zeit, in einem spezifischen Zwischen-Raum“;732 sowie mit dem „Charakter einer drängenden Frage, die über die Lösungen hinweg insistiert und in der Aktualisierung ihre kritische Wendung erfährt.“733 Umschließt das Ereignis „das Verhältnis von Werden und Geschichte und vollzieht sich damit im Modus einer Wiederholung“,734 so liegt ihr Potenzial in eben jener Leere des ‚Zwischen‘, in der sich symbolische oder virtuelle Ordnungen laufend (als Ich) aktualisieren und ideale Ereignisse zu einer „revolutionären Situation“735 sammeln können. Wie in der bisherigen Arbeit versucht wurde dazustellen, ist diese Situation traditionell mit dem Apokalyptischen und seiner totalisierenden Repräsentationsstruktur verbunden – und an dieser Stelle eröffnen sich Anknüpfungspunkte (dialektische Bilder?), die über Ludwig Wittgensteins Sprachphilosophie bis hin zur Deutung des ‚Eschaton‘ durch Augustinus in De civitate Dei (413–426) reichen.736 Das Leben in der Endzeit der Verwirklichung und in utopischer Gemeinschaft auf Erden ist schließlich das Urthema christlich-apokalyptischer Exegese. Und natürlich sind die EngelsGestalten mit einer Form des Weiblichen konnotiert, die in fast allen aufgezeigten Fällen nicht nur über den transzendentalen Raum, sondern auch über jene Zeit der Spätantike hinausweist, in der sich die Machtkonstellationen rund um das römische Kaisertum und die christliche Pastoral ausbildeten. Sie öffnen den Blick auf eine immanente menschliche Handlungsmacht jenseits despotischer und symbolischer Allmacht.

728 Vgl. Menke, Bettine: Sprachfiguren. Name; Allegorie; Bild nach Benjamin. München 1991 (Theorie und Geschichte der Literatur und der schönen Künste 81/A5). S. 165–197. 729 Vgl. Forrer, Thomas: ‚Urgeschichte des Bedeutens‘. Ausdruck, Allegorie und Ereignis (Deleuze, Benjamin). In: Kiening [u. a.], Wiederkehr und Verheißung (wie Anm. 719), S. 65–90. 730 Vogl, Joseph: Was ist ein Ereignis? In: Deleuze und die Künste. Hrsg. von Peter Gente u. Peter Weibel. Frankfurt a. M. 2007. S. 67–83, hier S. 69. 731 Vogl, Ereignis (wie Anm. 730), S. 72. 732 Vogl, Ereignis (wie Anm. 730), S. 75. 733 Vogl, Ereignis (wie Anm. 730), S. 79. 734 Vogl, Ereignis (wie Anm. 730), S. 81. 735 Deleuze, Differenz und Wiederholung (wie Anm. 657), S. 81. 736 Vgl. an dieser Stelle aufgrund der Uferlosigkeit dieses Verweises nur Corradini, Richard: Augustine’s ‚eschaton‘. Back to the Future. In: Wieser [u. a.], Abendländische Apokalyptik (wie Anm. 77), S. 693–713, und die dort angeführte Literatur.



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 III.2 Lars von Triers Melancholia (2011)

Es muss also nicht unbedingt Sarkasmus im Spiel sein, wenn Lars von Trier davon spricht, dass Melancholia in gewisser Weise „a happy ending“737 aufweist. Wie auch Slavoj Žižek in seinem Kommentar zum Film bemerkt: I claim that we should not read this as kind of a pessimism. “Oh, we all die. Who cares?” No, if you really want to do something good for society, if you want to avoid all totalitarian threats and so on, you basically should go … we should all go to this, let me call it – although I’m a total materialist – fundamentally spiritual experience of accepting that at some day everything will finish, that at any point the end may be near. I think that, quite on the contrary of what may appear, this can be a deep experience which pushes you to strengthen ethical activity.738

737 Thorsen, Longing (wie Anm. 697). 738 Žižek, Optimism of Melancholia (wie Anm. 17).



III.3 Die symbolische Macht der Apokalypse Der Katechon als Figur des Symbolischen Es ist der Punkt erreicht, an dem sich materialistische und messianische Anschauungen überschneiden und Eschatologie ihre moderne Entsprechung in der Geschichtsphilosophie findet. Diese setzt nicht am Moment ‚gnostischer‘ Erfahrung, sondern an den Produktionsbedingungen kollektiver historischer Vorstellungen an und führt diese sukzessive an ihre Grenzen. Mithilfe von Lars von Triers Melancholia kann ‚unzeitgemäß‘ die Aufhebung jener apokalyptischen Darstellungsform gezeigt werden, die das Ende der herkömmlichen Chronologie zum Inhalt hat und die für Giorgio Agamben als Missverständnis der messianischen Zeit gilt – jener verdichteten operativen Zeit, die bis zum Ende der Zeit bleibt. Diese Endzeit ist nicht in den laufenden Bildern aufgehoben, sondern in der gegenläufigen Bewusstwerdung und Aneignung der individuellen Zeit, die man hat oder vielmehr ist. Die vorwärtsgerichtete Bewegung kann dem ‚Symbolischen‘ zugerechnet werden, unter dem, in enger Nähe zum Sprachlichen, jene formgebende Kraft verstanden wird, die die individuelle Bindung an konventionelle Vorstellungen strukturiert und in regelmäßiger Wiederholung aktualisiert. Aus diesem ‚Wiederholungszwang‘ gewinnt und festigt das Individuum seine Identität, die gleichzeitig ein Spiegel der kulturellen Normen darstellt. Das ‚Zwischen‘ oder die ‚Leere‘ der Aktualisierung vergangener Muster stellt jenen höchst individualistischen Bereich dar, in dem auch das Potenzial der Abweichung und der Veränderung liegt und in dem sich die ganze Dimension der symbolischen bzw., wie gleich noch einmal auszuführen ist, ‚apokalyptischen‘ Macht zeigt. Hier kommt auch jener verdichtete Symbolbegriff zutage, dessen Bedeutung für D. H. Lawrence (und bei aller Differenz auch für Ernst Bloch) im ersten Teil der Arbeit aufgezeigt wurde und der auf eine sich gegen die Linearität der Sprache wendende andere Denk- und damit auch Verhaltensweise hinweist. Es wäre falsch, diesen Begriff allein anhand ästhetischer Kategorien oder einer empirischen Referenz auf Gegenstände oder Handlungen bestimmen zu wollen:739 Er weist, wie etwa die Bemerkungen zur hämmernden Pastorenstimme (bei Lawrence: ‚despotisch-apokalyptisch‘) oder zur apokalyptischen Tonalität (bei Derrida: ‚symbolisch-erhaben‘) zeigen, auf eine ‚physikalische‘ Wirkkraft hin, die es in den Folgekapiteln als politische weiter zu bestimmen gilt. Mit dem Symbol ist im Grunde jene Stelle bezeichnet, an der sich das Individuum am totalisierenden Horizont ausrichtet und die Form der Subjektivierung bestätigt wird, an der aber noch auf die Entfaltung einer ‚schwachen

739 Vgl. Blumenberg, Legitimität der Neuzeit (wie Anm. 103), S. 123–125; Kurz, Gerhard: Metapher, Allegorie, Symbol. 4. Aufl. Göttingen 1997. S. 73; Dubbels, Figuren des Messianischen (wie Anm. 319), S. 359.



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 III.3 Die symbolische Macht der Apokalypse

messianischen Kraft‘ des zeitlichen Widerstandes gehofft werden kann, um die alltägliche Verwandlung von ‚uns‘ als „ohnmächtige Zuschauer unserer selbst“ aufzuheben und „die einzig reale Zeit“740 herbeizuführen. Die kulturwissenschaftlichen Symbol- und Medientheorien versuchen nun, indem sie diese Stelle entweder als Leerstelle oder, in verhängnisvoller HeideggerNachfolge, als ‚eigentliches Sein‘ (zum Tode) annehmen, die totalisierenden Strukturen und Bindungen aufzuzeigen, die auf das Individuum einwirken bzw. in ihm wirken.741 Ihr erstes Aufkommen nach 1900 ist gewiss auf ein neues Bildverständnis im Zuge der Sprachkrise sowie auf die Aufsprengung des eindimensionalen euklidischen Raums durch die Relativitätstheorie zurückzuführen, wodurch das Symbolische als formgebende Makrostruktur unterhalb von Aussagen und Handlungen entdeckt und nach topologischen Kriterien entworfen werden konnte.742 Fast noch bedeutender aber scheint der Umstand, dass, wie Foucault anmerkte, dieses ‚Zeitalter des Raumes‘ jenem ‚der Zeit‘ im 19. Jahrhundert nachfolgte, also aus dem Ende der großen teleologischen oder eschatologischen Geschichtsentwürfe hervorging.743 Die Analyse einer räumlich-relationalen ‚Jetzt-Zeit‘, in die jedes Individuum gleichermaßen (durch den Uhrgebrauch) eingebunden ist,744 konnte erst in der Erkenntnis (und in der Bewahrheitung) der soziopolitischen Zukunftslosigkeit bzw. Gefährlichkeit allgemeiner Zeithorizonte von Bedeutung werden. Im Sinne eines kulturellen bzw. historischen Apriori wurde so das Symbolische im Laufe des 20. Jahrhunderts als vorlogische Strukturierung oder als Wahrnehmungs-

740 Agamben, Zeit (wie Anm. 11), S. 81. 741 Vgl. für eine Zusammenfassung der nur schwer einzufangenden und zu differenzierenden gängigen Symboltheorien Schlögl, Rudolf: Symbole in der Kommunikation. Zur Einführung. In: Die Wirklichkeit der Symbole. Grundlagen der Kommunikation in historischen und gegenwärtigen Gesellschaften. Hrsg. von Bernd Giesen [u. a.]. Konstanz 2004 (Historische Kulturwissenschaft 1). S. 9–38; Bernhard, Frauke: Symbol/Theorie. In: Aktualität des Symbols. Hrsg. von Frauke Berndt u. Christoph Brecht. Freiburg i.Br. 2005. S. 7–30; und allgemein die Beiträge in Rolf, Eckard (Hrsg.): Symboltheorien. Der Symbolbegriff im Theoriekontext. Berlin 2006; Berndt, Frauke u. Heinz J. Drügh (Hrsg.): Symbol. Grundlagentexte aus Ästhetik, Poetik und Kulturwissenschaft. Frankfurt a. M. 2009. 742 Vgl. Simons, Oliver: Raumgeschichten. Topographien der Moderne in Philosophie, Wissenschaft und Literatur. München 2007; Döring, Jörg u. Tristan Thielmann (Hrsg.): Spatial turn. Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften. Bielefeld 2008. 743 Foucault, Michel: Andere Räume. In: Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik. Hrsg. von Karlheinz Barck [u. a.]. Leipzig 1992. S. 34–46, insbes. S. 34: „Der Strukturalismus, oder was man unter diesem ein bißchen allgemeinen Namen gruppiert, ist der Versuch, zwischen den Elementen, die in der Zeit verteilt worden sein mögen, ein Ensemble von Relationen zu etablieren, das sie als nebeneinandergestellte, einander entgegengesetzte, ineinander enthaltene erscheinen läßt: also als eine Art Konfiguration; dabei geht es überhaupt nicht darum, die Zeit zu leugnen; es handelt sich um eine bestimmte Weise, das zu behandeln, was man die Zeit und was man die Geschichte nennt.“ 744 Vgl. Agamben, Zeit (wie Anm. 11), S. 159 f.



Der Katechon als Figur des Symbolischen 

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prägnanz und -differenzial (Cassirer),745 als diskursive Formierung und Referenzial (Foucault),746 als organisierende und legitimierende Matrix aller sozial objektivierten und subjektiv wirklichen Sinnhaftigkeit (Berger, Luckmann)747 oder als gesetzliches System von Präferenzen, als fundamentale Beziehung des Sprechens und der Sprache im Subjekt (Lacan)748 aufgefasst – stets als grundlegendes funktionales Prinzip, das den sich konstant wiederholenden Subjektivierungen und Objektivierungen vorangeht. Alle Bedeutung entsteht demnach auf einer vermittelnden Ebene, einem formgebenden symbolischen Kraftfeld an Beziehungen, in dem alle Erscheinungen, Aussagen, Handlungen und Identitäten definiert werden. Der mediale Symbolbegriff lässt sich des Weiteren auch über die für das Werk von Deleuze maßgeblichen Wahrnehmungstheorien Henri Bergsons und Gilbert Simondons ableiten, in denen sich die Vorstellung einer Innen-Außen-Dichotomie von einem Konzept abgelöst findet, nach dem sich individuelle Wahrnehmung aus einer Virtualisierung und Aktualisierung äußerlicher Bilder ergibt.749 In diesen Vorformen einer allgemeinen Medientheorie liegt der bedeutungsstiftende Moment in einem Punkt, an dem sich äußere Kräfte mit verdichteten inneren Zuständen verschalten. Damit deckt sich der Begriff des Mediums mit demjenigen des Symbols als ein Dazwischen, in dem die Bedeutung des Einzelnen im aktiven Verhältnis zu formbildenden äußeren Bedingungsgefügen (die nicht allein aus technischen Medien bestehen) bestimmbar wird.750 Damit ist ein Feld eröffnet, das sich in epistemologische, psychologische und soziologische Richtung gleichermaßen auftut und noch einiger weiterer Erklärungen bedarf. Denn inwiefern ist es zulässig, Prozesse der Kognition und Wahrnehmung mit jenen zu vergleichen, die ein soziales Handeln vorgeben? Wie lassen sich ­ähnliche

745 Cassirer, Ernst: Zur Logik der Kulturwissenschaften. Fünf Studien. In: Gesammelte Werke (wie Anm. 152), Bd. 24, S. 357–486, hier S. 374; Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen, Bd. 3 (wie Anm. 229), S. 231. 746 Foucault, Archäologie des Wissens (wie Anm. 145), S. 133. 747 Berger, Peter L. u. Thomas Luckmann: Die gesellschaftliche Konstruktion von Wirklichkeit. Frankfurt a. M. 1991. S. 103, ausgehend vom Modell des symbolischen Interaktionismus nach George Herbert Mead. 748 Lacan, Funktion und Feld (wie Anm. 16), S. 117 u. 121. Vgl., um den Bogen weiterzuspannen, Cassirer, Logik der Kulturwissenschaften (wie Anm. 745), S. 370 f.; zur Nähe Lacans und Cassirers auch Lang, Sprache (wie Anm. 650), S. 180–194; zu den allerdings wesentlichen Grenzen dieses Vergleichs, die im anhaltenden ‚subjektivistischen‘ Ansatz Cassirers und in dessen Sprachverständnis zu finden sind, S. 190–192. 749 Vgl. Mersch, Dieter: Monstrosität und Bruch. Zur Temporalisation des Medialen. In: Kiening [u. a.], Wiederkehr und Verheißung (wie Anm. 719), S. 21–42. 750 Vgl. zur Definition des Mediums als ein ‚Dazwischen‘ Tholen, Georg Christoph: Medium, Medien. In: Grundbegriffe der Medientheorie. Hrsg. von Alexander Roesler u. Bernd Stiegler. Stuttgart 2005. S. 150–172; Tholen, Georg Christoph: Dazwischen – die Medialität der Medien. In: Medienbewegungen. Praktiken der Bezugnahme. Hrsg. von Ludwig Jäger [u. a.]. Paderborn 2012. S. 43–62; und auch Margreiter, Reinhard: Zur Konvergenz von Symboltheorie und Medientheorie. In: Die Zukunft des Wissens. Hrsg. von Jörg Mittelstrass. Konstanz 1999. S. 1115–1121.



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 III.3 Die symbolische Macht der Apokalypse

sowohl das Wissen als auch das Verhalten umfassende symbolische Prinzipien herausarbeiten? Mit Jacob Taubes kann darauf folgende Antwort gegeben werden: „Bourdieu ist wohl der erste, der Ernst Cassirers ‚Philosophie der symbolischen Formen‘ vom theoretischen Himmel auf die sozialwissenschaftliche Erde herunter geholt hat.“751 Pierre Bourdieu umriss sein weitreichendes Konzept des ‚Habitus‘ erstmals in einem Nachwort zur französischen Ausgabe von Ernst Panofskys Gothic Architecture and Scholasticism im Jahr 1967.752 Darin führt Panofsky das aus, was er im engen Kontakt zu Ernst Cassirer in Hamburg konzipiert und in der Bibliothek Warburg vorgestellt hatte: die Perspektive der Scholastik auf ihre symbolische Form hin zu untersuchen. Nicht nur spezifische Ausdrucksformen und künstlerische Programme sollten dabei kontextbezogen untersucht werden, sondern vor allem auch diejenigen sozialen Faktoren Berücksichtigung finden, über die sich Handlungsweisen bis hinein in schriftliche oder auch architektonische Werke ableiten lassen. So ist es, folgert nun Bourdieu weiter, wesentliche Funktion der Institutionen der Wissensvermittlung (im Mittelalter vorrangig der neuen Universitäten), eine vereinheitlichende historische Prägnanz zu vermitteln und „das kollektive Erbe in ein sowohl individuell als kollektiv Unbewußtes zu verwandeln“.753 Die Prägnanz lässt sich jedoch nicht nur an einzelnen Aussagen und Darstellungen erkennen, sondern auch am sozialen Habitus der beteiligten Personen als soziale Verkörperung der verinnerlichten diskursiven Muster. Er bezieht sich also auf die von Stand und Zugehörigkeit geprägten historischen Verhaltensmuster: „Als Produkt der Geschichte produziert der Habitus individuelle und kollektive Praktiken, also Geschichte, nach den von der Geschichte erzeugten Schemata […].“754 Der Mensch verinnerlicht und (re)produziert unausweichlich historischspezifische Muster – „das kulturell Sakrale“755 – im sozialen Feld. Genauer lässt sich das Soziale als Gefüge ‚symbolischer Felder‘ auffassen, ein weiterer Hauptbegriff Bourdieus, der in Anlehnung an Cassirer zu verstehen ist.756

751 Zit.n. Magerski, Christine: Die Wirkungsmacht des Symbolischen. Von Cassirers Philosophie der symbolischen Formen zu Bourdieus Soziologie. In: Zeitschrift für Soziologie 34/2 (2005). S. 112–127, hier S. 122. 752 Bourdieu, Pierre: Der Habitus als Vermittlung zwischen Struktur und Praxis. In: ders.: Zur Soziologie der symbolischen Formen. Frankfurt a. M. 1970. S. 125–158. 753 Bourdieu, Habitus (wie Anm. 752), S. 139 (Hervorhebungen im Original). 754 Bourdieu, Pierre: Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft. Frankfurt a. M. 1993. S. 101. 755 Bourdieu, Pierre: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes. Frankfurt a. M. 2001. S. 298. 756 Vgl. zum Verhältnis der Kulturtheorien Cassirers und Bourdieus, das durch eine für diese Zeitspanne wohl typische Bewegung von einer Universalisierung hin zu einer Historisierung der symbolischen und sozialen Formen gekennzeichnet ist und sich über die Position Georg Simmels bestimmen lässt, Magerski, Wirkungsmacht des Symbolischen (wie Anm. 751); auch Fuchs, Max: Die Macht der Symbole. Ein Versuch über Kultur, Medien und Subjektivität. München 2011 (Pädagogik 24). S. 97–114.



Der Katechon als Figur des Symbolischen 

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Über die strukturale Methode hinaus lässt sich so ein „Denken in Relationen“757 gewinnen, wodurch die Beziehungen und Interessen der jeweiligen Akteure in einem sozialen Netzwerk nachvollzogen werden können. Aussageregelmäßigkeiten sind damit nicht bloß auf abstrakte Diskursformationen, sondern auf konkrete soziale Beziehungen und habituelle Handlungen zurückzuführen. Unterschiedliche Institutionen im Privaten wie in der Arbeitswelt, in der Wissenschaft wie in der Religion oder Kunst etablieren Diskurs- und Herrschaftsfelder, auf denen über ‚symbolische Kapitalien‘ verhandelt wird. Auch von soziologischer Seite her kann somit das Symbolische als Hinweis auf formgebende Kräfteverhältnisse verstanden werden, die sich bis in die letzten Winkel einer Gesellschaft hinein verfolgen lassen. Den Wahrnehmungs- und Erkenntnisformen geht das Soziale in Form von primären Identitätsbildungen voraus, die sich in kollektiven und individuellen Praktiken bestätigen; das Soziale folgt einer norm- und strukturbildenden Wahrheitsform, die alle sozialen und diskursiven Felder durchzieht. Aus den im ersten Teil der Arbeit angestellten Ausführungen zur genealogischen Methode ging hervor, dass es sich nicht um neutrale Kräfte, sondern um Machtverhältnisse handelt, die hier unermüdlich am Werk sind, dass es, vom Kleinsten ins Größte reichend, unzählige Kämpfe sind, in denen sich symbolische Prinzipien zu behaupten suchen. Ebenso wurde dargestellt, dass es die Aufgabe einer kulturkritischen Analyse des Symbolischen sein muss, die Totalisierungen hinter den Aussagen, Wahrnehmungen und Identitäten einer Epoche zu entdecken und historische Gefüge zu beschreiben, die weniger von bewussten Handlungen, direkten Entwicklungen und verlässlichen Wahrheiten handeln als von Besetzungen, Überwerfungen und Irrtümern. In einer derartig reflektierenden Analyse (die zweifellos selbst von den ökonomischen Bedingungen zeugt, von denen sie handelt; nur eine ‚apokalyptische‘ Intensität entfalten kann, die ihr potenziell zugrunde liegt) werden die Differenzziehungen und Ausschlussmechanismen sichtbar, die für alle Formen kultureller Bedeutung konstitutiv sind – die unerbittlichen Bemühungen, ein Äußeres abzuwehren oder zu verdrängen, welches soziale, diskursive und mentale Einrichtungen aufzubrechen und die systematischen Funktionalitäten zu gefährden droht. Das moderne Begriffsfeld der ‚Apokalypse‘ hat sich zur Bezeichnung jenes undefinierbaren Äußeren gebildet, das sich in keiner Weise positiv, sondern nur im Bezug auf die Gefährdung der symbolischen Ordnungen beschreiben lässt. Das macht die ‚Apokalypse‘ zu einem ‚leeren Signifikanten‘, der nicht ‚real‘ wird, solange die Diskurse und deren Praktiken weiterzirkulieren. Er zeigt die Grenzen sprachlicher Identität auf, die gleichsam ‚staatliche‘ sind, insofern der ‚Staat‘ „die logische und die

757 Bourdieu, Regeln der Kunst (wie Anm. 755), S. 289.



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 III.3 Die symbolische Macht der Apokalypse

moralische Integration der sozialen Welt“758 begründet, das „Monopol der physischen und symbolischen Gewalt […], der legitimen symbolischen Gewalt“759 übernommen und damit auch die allgemeinverbindlichen Strukturen der (Arbeits-)Zeit eingerichtet hat.760 Im Gegensatz zur ‚Eschatologie‘, die sich fortan mit (und in Distanz zu) den zeitlichen Aspekten von Enderfahrungen und -erwartungen auseinandersetzt, konzentriert dich die ‚Apokalyptik‘ auf die Beschäftigung mit den neuen räumlichen Repräsentationsformen, die sinnstiftend in die Geschichte projiziert werden. So kann man auch auf die ‚apokalyptischen‘ Ursprünge zurückblicken, zum historisch Äußersten der ‚christlichen‘ oder ,abendländischen‘ Kultur, und stößt auf eine ‚apokalyptische‘ Matrix, an der sich die Anfänge einer gleichzeitig totalisierenden und individualisierenden Herrschaftsbildung bzw. Regulierungsform zeigen lassen. So wurde das ‚Apokalyptische‘ zum negativen Maßstab des Symbolischen bzw. Sprachlichen schlechthin. Versucht man noch wie Carl Schmitt aus christlicher oder vielmehr ‚esoterischer‘ Sicht, „die Einheit der Weltgeschichte in der Einheit seiner Sprache“761 politisch zu fassen, ist es vielleicht sogar naheliegend, die paulinische Figur des ‚Katechon‘ als den letzten Aufhalter ‚christlicher‘ oder ‚abendländischer‘, also: symbolischer oder sprachlicher Identität zu interpretieren. Im Horizont demokratischer Diskursivität, an der, wie auch Claude Lefort bemerkt hat, der Ort der Macht unbesetzt ist und weder auf ein Außen noch auf ein Innen verweist, um so (ganz im Lacan’schen Sinne) „den Abstand zwischen Symbolischem und Realem“762 zu bewahren, kann über den ‚Katechon‘ noch auf die äußerste traditionelle Differenz Bezug genommen und können hermetische Oppositionen aufgestellt werden wie ‚Weiterleben‘ vs. ‚Untergang‘ ‚gut‘ vs. ‚böse‘ oder ‚Freund‘ vs. ‚Feind‘. Doch gerade diese Totalisierungen gilt es aus sprach- und kulturkritischer Sicht zu vermeiden: Wie an den Beispielen von Edgar Allan Poe und Lars von Trier versucht wurde aufzuzeigen, deutet alles darauf hin, dass in den Zeiten des technischen Fortschritts das Andere des Sprachlichen als der ‚Katechon‘ einer Individuation zu begreifen ist, die es im aufgeklärten Sinne nicht zu bewahren, sondern zu überwinden gilt. Insofern ist auch jede System- und Medientheorie zu hinterfragen, insoweit sie das Symbolische einzig als ‚Medium zur Einheitsbildung‘ über selbstreferenzielle Prozesse annimmt763 und von einem „apokalyptischen Nullpunkt“ ausgehend auf

758 Bourdieu, Pierre: Über den Staat. Vorlesungen am Collège de France, 1989–1992. Frankfurt a. M. 2014. S. 20. Vgl. insbes. auch die auf S. 17 erläuterte Schwierigkeit, den ‚Staat‘ als Objekt zu konstruieren, zumal das Denken über ihn selbst von einer ‚staatlichen‘ Logik bestimmt ist. 759 Bourdieu, Staat (wie Anm. 758), S. 19 (Hervorhebung im Original). 760 Vgl. Bourdieu, Staat (wie Anm. 758), S. 24–29. 761 Mehring, Reinhard: Carl Schmitt. Aufstieg und Fall. München 2009. S. 478. 762 Lefort, Claude: Fortdauer des Politisch-Theologischen? Wien 1999. S. 50. 763 Vgl. Luhmann, Niklas: Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Frankfurt a. M. 2002. S. 135–140.



Der Katechon als Figur des Symbolischen 

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eine „apokalyptische[] Teleologie“764 hinausläuft. Im Ersatz der Sprach- durch eine Apparaten-Logik wird nur ein anderes, technizistisches historisches und hermeneutisches Subjekt geschaffen, das eben von jenen techno-logischen Voraussetzungen der Humanwissenschaften zeugt, die vermeintlich durch eine ‚reine‘ Theorie überwunden werden.765 Dass damit, wie auch mit einem absoluten Präsenz-Begriff,766 die große Gefahr verbunden ist, das ‚messianische‘ Momentum ungebührlich zu suspendieren, wurde bereits anhand von Derridas Dekonstruktion erläutert, welche sich jedoch eindeutig dem historischen Materialismus verpflichtet weiß. Michel Foucault bemerkte 1976 in einem Interview mit dem bezeichnenden Titel Ich bin ein Sprengmeister: Man müsste den allumfassenden Kampf in der Vermeidung apokalyptischer Perspektiven überdenken. Tatsächlich haben wir seit dem 19. Jahrhundert eine Wissensökonomie erlebt, die eine apokalyptische war. Hegel, Marx oder Nietzsche, oder Heidegger in einer anderen Weise, haben uns die Zeit danach versprochen, die Morgendämmerung, das Erwachen, den Tag der Entscheidung, den Abend, die Nacht etc. Diese Temporalität, zyklisch und binär zugleich, hat unser politisches Denken beherrscht und lässt uns unbewaffnet, wenn es darum geht, anders zu denken.767

Ein anderes politisches Denken hat sich also an einem ganz anderen Zeit- und Raumverständnis zu orientieren, das alle apokalyptischen, totalisierenden Ansprüche an die Welt und an die Individuen aufgibt. Die neuen philosophischen Waffen müssen aus einem Symbolischen gewonnen werden, das von althergebrachten Imperativen befreit ist. Führt man die paulinischen Analogien weiter und bezieht man nicht nur den ‚Katechon‘-, sondern auch den ‚Nomos‘-Begriff rein auf das Symbolische, lässt sich bei Agamben ein Hinweis darauf finden, wie ein derartiges Denken verstanden werden könnte. Das Gesetz (der Sprache) weist demnach zwei oppositionelle Elemente auf:

764 Gumbrecht, Hans Ulrich: Nachwort: Mediengeschichte als Wahrheitsereignis. Zur Singularität von Friedrich A. Kittlers Werk. In: Friedrich Kittler: Die Wahrheit der technischen Welt. Essays zur Genealogie der Gegenwart. Hrsg. von Hans Ulrich Gumbrecht. Frankfurt a. M. 2013. S. 396–422, hier S. 409. 765 Vgl. Sebastian, Thomas: Technology Romanticized. Friedrich Kittler’s Discourse Networks 1800/1900. In: Modern Language Notes 105/3 (1990). S. 583–595, hier S. 594; Hartmann, Frank: Materialitäten der Kommunikation. Zur medientheoretischen Position Friedrich Kittlers. In: Information Philosophie 2 (1997). S. 40–44. Siehe auch Foucault, Ordnung der Dinge (wie Anm. 89), S. 342–366 u. 447–461. 766 Gumbrecht, Hans Ulrich: Diesseits der Hermeneutik. Die Produktion von Präsenz. Frankfurt a. M. 2004. 767 Foucault, Michel: ‚Ich bin ein Sprengmeister‘. Ein Gespräch über die Macht, die Wissenschaften, die Genealogie und den Krieg. In: Nach Feierabend. Zürcher Jahrbuch für Wissensgeschichte 1: Bilder der Natur – Sprachen der Technik. Hrsg. von David Gugerli [u. a.]. Zürich 2005. S. 187–203. Siehe auch die bedeutende Feststellung auf S. 199: „Im Grunde habe ich nur einen einzigen historischen Untersuchungsgegenstand: die Schwelle der Modernität.“



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 III.3 Die symbolische Macht der Apokalypse

ein normatives (vorschreibendes) und ein promissorisches (versprechendes).768 Es gehe nun im ‚Messianischen‘ nicht darum, die herrschenden Vorschriften zu negieren, sondern ihr Versprechen einzulösen, „der normativen Vorstellung vom Gesetz mit einer nichtnormativen Vorstellung zu begegnen.“769 Der katéchōn ist also die Kraft  – das Römische Reich, aber auch jede weitere konstituierte Macht  –, die die katárgēsis  – also jenen Zustand tendenzieller Anomie, der das Messianische kennzeichnet – verhindert und verdeckt und die die Enthüllung des „Geheimnisses der anomía“ verzögert. Die Enthüllung dieses Geheimnisses bedeutet, daß in der messianischen Zeit die Unwirksamkeit des Gesetzes und die substantielle Illegitimität jeder Macht ans Licht treten. Es ist also möglich, daß der katéchōn und der ánomos (Paulus spricht nie wie Johannes von einem antíchristos) nicht zwei unterschiedliche Figuren darstellen, sondern eine einzige Macht bezeichnen – einmal vor und einmal nach der letzten Enthüllung. Die profane Macht – das Römische Reich z. B. – ist der Schleier, der die grundlegende Anomie der messianischen Zeit verdeckt. Mit der Auflösung dieses „Geheimnisses“ wird dieser Schleier aus dem Weg geräumt, und die Macht nimmt das Gesicht des ánomos an, des absolut Gesetzlosen.770

Was diese Feststellung umgelegt auf die profane Macht des Symbolischen bedeuten könnte, gilt es nun in den abschließenden beiden Abschnitten der Arbeit von sozialwie von individualpolitischer Seite aus aufzuzeigen.

Politische Kulturwissenschaften Die bisherigen Ausführungen sollten veranschaulicht haben, dass die eigentliche Beschäftigung mit der ‚Apokalypse‘ weniger bei der Aufklärung ‚eschatologischen‘ oder ‚chiliastischen‘ Gedankenguts als bei der institutionalisierten „ApokalypseBlindheit“771 und dem bloßen Überleben als „Rückzugsgebiet der Utopie“772 anzusetzen hat. Hinter den Repräsentationen der Endzeit sind durchwegs offene soziopolitologische Fragen auszumachen, die mit den Mitteln kulturwissenschaftlicher Forschung weitgehend zu beantworten sind, liest man deren Grundintentionen in erster Linie

768 Vgl. Agamben, Zeit (wie Anm. 11), S. 108. 769 Agamben, Zeit (wie Anm. 11), S. 108 f. 770 Agamben, Zeit (wie Anm. 11), S. 125. 771 Anders, Antiquiertheit des Menschen (wie Anm. 13). 772 Vogl, Joseph: Einleitung. In: Gemeinschaften. Positionen zu einer Philosophie des Politischen. Hrsg. von Joseph Vogl. Frankfurt a. M. 1994. S. 7–27, hier S. 7: „Das bloße Überleben ist das Rückzugsgebiet der Utopie. Dieser Rückzug hat sich als paradoxe Bewegung ins Innere dessen, was eine Politik der Moderne antreibt, möglich und unmöglich gemacht. Das wahre Überleben beginnt dort, wo die Intrigen der Politik schon zu Ende gekommen sind und ihre Verwalter kapituliert haben, und umgekehrt bestimmt sich das Politische selbst immer wieder von diesem äußersten Ende, von diesem äußersten Anfang her.“



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nicht gegeneinander, sondern zusammen.773 Als strenge aufklärerische Kulturkritik muss diese einen Platz innerhalb der Gesellschaft und an der Öffentlichkeit finden, will man Konsequenzen aus bisher tabuisierten totalisierenden Handlungsweisen ziehen und der apokalyptischen Tonalität und den symbolischen Ängsten entgegen sowie der Mündigkeit und den imaginären Freiheiten des Menschen zuarbeiten. Regelmäßig ist im Zusammenhang mit der ‚Apokalypse‘ auf deren bipolare Struktur hingewiesen worden, und zwar stets in Bezug auf eine menschliche Grundkondition: Der irdischen Mangelhaftigkeit steht eine Vorstellung von Größe gegenüber, die als seelische Erreichung des ewigen, letzten Schicksals (Balthasar),774 potenzielle mystische Selbsterfüllung in Totalität (Bloch)775 oder transzendente Fülle (Vondung)776 aufgefasst wurde. Tiefgreifende Analysen des Symbolischen lassen nun ohne eine Idee vom Menschen (und nicht postapokalyptisch ohne Menschen) darauf schließen, dass es durchwegs soziale Faktoren sind, die zumindest für die in der Moderne auftretenden Mangel- und Wahnzustände verantwortlich gemacht werden können. Damit steht, vermutlich als das „Urthema der Apokalyptik“,777 der Wert der ‚kulturellen Symbolisierung‘ als solcher zur Debatte, den es radikal zu hinterfragen gilt. In diese Richtung sind auch die Ausführungen des Mathematikers und Wissenschaftstheoretikers Alfred North Whitehead von 1927 zu verstehen: Der erste Schritt zur soziologischen Weisheit besteht darin, anzuerkennen, daß die wichtigsten Fortschritte in der Zivilisation Prozesse sind, die die Gesellschaften, in denen sie stattfinden, beinahe zerstören: ganz so wie ein Pfeil in den Händen eines Kindes. Die Kunst der freien Gesellschaft besteht erstens im Aufrechterhalten des symbolischen Kodes und zweitens in der Furchtlosigkeit ihrer Revision, um sicherzustellen, daß der Kode denjenigen Zielen dient, welche eine aufgeklärte Vernunft zufriedenstellt.778

Die Infragestellung der Sozialordnungen, genauer: des politischen In-Form-Setzens des Symbolischen,779 sollte also Grundbedingung einer Gesellschaft sein, die sich auf die Werte menschlicher Freiheit stützt – prinzipiell: Genau dies ist nämlich der Punkt, um den die moderne Vernunft ‚apokalyptisch‘ zu skandieren beginnt. Im zweiten Teil der Untersuchung wurde aufgezeigt, inwieweit die Entwicklung der modernen Diskursivität im direkten Zusammenhang mit der Genese der ‚Staatsmacht‘ zu begreifen ist. In Einführung einer verfassungsgemäßen Übereinkunft als

773 Vgl. zum gegenwärtigen Stand der Forschung Moebius, Stephan u. Dirk Quadflieg (Hrsg.): Kulturen. Theorien der Gegenwart. 2. Aufl. Wiesbaden 2011. 774 Vgl. Balthasar, Hans Urs von: Die Apokalypse der deutschen Seele. Studien zu einer Lehre von letzten Haltungen. Bd. 1: Der deutsche Idealismus. Salzburg/Leipzig 1937. S. 4 f. 775 Vgl. Bloch, Geist der Utopie (wie Anm. 321), S. 294. 776 Vgl. Vondung, Apokalypse (wie Anm. 12), S. 65 f. 777 Taubes, Abendländische Eschatologie (wie Anm. 10), S. 19. 778 Whitehead, Alfred North: Kulturelle Symbolisierung. Frankfurt a. M. 2000. S. 146 f. 779 Vgl. Lefort, Fortdauer des Politisch-Theologischen (wie Anm. 762), S. 37–42.



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tertium erscheint Politik nun „als Resultat und Bewältigung eines Spiegelstadiums“,780 das die bürgerlichen Handlungen über den rohen Naturzustand erhebt und in eine endlose Reflexion überführt. Die eigentliche Ausdrucksform der ‚Apokalypse‘ liegt, dies sei hier noch einmal unterstrichen, in der Gefährdung dieses Funktionalismus. Diese These wird von einer Bemerkung von Bourdieu in seinen Vorlesungen über den Staat hervorragend ergänzt: Symbolische Revolutionen entfesseln entsetzliche Gewalt, weil sie die Integrität der Gehirne angreifen, weil sie die Personen in dem verunsichern, was ihnen das Wesentlichste ist: Es geht um Leben und Tod. Scheinbar belanglose symbolische Revolutionen wie diejenige, die Manet in der Malerei vollzogen hat […], können dazu führen, daß man sich fragt, warum sie mit solcher Vehemenz geführt werden, denn es ist ja nur eine Revolution in der Malerei. In der Tat habe ich mir die Aufgabe gestellt, zu verstehen, warum eine vermeintlich symbolische Revolution […], warum eine scheinbar so belanglose Revolution eine verbale Gewalt entfesseln kann, die mindestens ebenso groß war wie gegen sämtliche Diskurse von Marx: Ich glaube, daß all diese Fälle Revolutionen sind, die an mentale Strukturen rühren, das heißt an die Grundkategorien der Wahrnehmung, an die Wahrnehmungs- und Einteilungsprinzipien, an den nomos […].781

Dieses Zitat soll auch auf die Möglichkeiten der Kultur- und Literaturwissenschaften hinweisen, sich in soziologische Richtung zu öffnen, um die beklagte ‚maschinelle‘ Referenzlosigkeit ihrer Diskurse zu durchbrechen. Über die Symbolphilosophie Ernst Cassirers etwa wäre eine methodologische Konvergenz gegeben. Über einen Bericht Sigmund Freuds soll nun die (mit einem Tabu belegte) Frage näher betrachtet werden, was es hieße, welche makropolitische Ausdrucksform und dispositive Ausrichtung es hypothetisch (utopisch) erforderte, ein Leben ohne ‚Apokalypse‘ zu führen, jenseits der Technologien von Panopticon und Panorama, die für jenen Anspruch auf allmächtige Erhabenheit stehen, der die bürgerliche Gesellschaft seit über zwei Jahrhunderten begleitet und dabei individuelle wie kollektive Emotionalität und Größe zu einem Ausgeschlossenen, Dunklen, Geheimen und Gewaltigen gemacht hat. Was würde es bedeuten, soziale und individuelle Schranken (die apokalyptischen Siegel) zu lösen und das Gesetz des Symbolischen zu wenden? In der zweiten Auflage der Traumdeutung von 1909 nimmt Freud auf das Buch Phantasien eines Realisten des österreichischen Sozialphilosophen Josef PopperLynkeus Bezug.782 In dieser Sammlung an reformerischen Erzählungen, Gleichnissen und Notizen findet sich die Geschichte Träumen wie Wachen, die Freuds besonderes Interesse wecken musste, zumal darin ein Mann mit der Fähigkeit geschildert wird,

780 Vogl, Einleitung (wie Anm. 772), S. 12. 781 Bourdieu, Staat (wie Anm. 758), S. 637 f. 782 Popper-Lynkeus, Josef: Phantasien eines Realisten. Dresden 1899. Vgl. Freud, Sigmund: Die Traumdeutung. In: Gesammelte Werke (wie Anm. 632), Bd. 2/3, S. 99 und S. 314, Anm. 1; Freud, Sigmund: Josef Popper-Lynkeus und die Theorie des Traumes. In: Gesammelte Werke (wie Anm. 648), Bd. 13, S. 357–359.



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ohne Entstellung (luzide) zu träumen, was darauf schließen lässt, dass sein psychischer Apparat ohne Verdrängungsleistung auskommt und in keinerlei Widerspruch zur Welt steht. Freud schildert 1932 seine (bewusst nur in der Lektüre stattgefundene) Begegnung mit Popper-Lynkeus, indem er allgemein beginnt: Unsere Seele, jenes kostbare Instrument, mittels dessen wir uns im Leben behaupten, ist nämlich keine in sich friedlich geschlossene Einheit, sondern eher einem modernen Staat vergleichbar, in dem eine genuß- und zerstörungssüchtige Masse durch die Gewalt einer besonnenen Oberschicht niedergehalten werden muß. […] Das Aufrechthalten der notwendig gewordenen Hemmungen und Verdrängungen kostet unser Seelenleben einen großen Kräfteaufwand, von dem es sich gerne ausruht. Der nächtliche Schlafzustand scheint dafür eine gute Gelegenheit zu sein, weil er ja die Einstellung unserer motorischen Leistungen mit sich bringt. Die Situation erscheint ungefährlich, also ermäßigen wir die Strenge unserer inneren Polizeigewalten.783

Nach diesen Ausführungen zur eigenen Arbeit geht Freud auf die Geschichte von Popper-Lynkeus ein und zeigt die Widersinnigkeit verstellter Träume gegenüber luziden Träumen auf: Die Entstellung war ein Kompromiß, etwas seiner Natur nach Unaufrichtiges, das Ergebnis eines Konflikts zwischen Denken und Fühlen, oder, wie ich gesagt hatte, zwischen Bewußtem und Verdrängtem. Wo ein solcher Konflikt nicht bestand, nicht zu verdrängt werden brauchte, konnten die Träume auch nicht fremdartig und unsinnig werden. In dem Mann, der nicht anders träumte als er im Wachen dachte, hatte Popper jene innere Harmonie walten lassen, die in einem Staatskörper herzustellen sein Ziel als Sozialreformer war.784

Die Psychoanalyse greift also nicht nur auf Medienregulierungs-, sondern dezidiert auch auf Staatsregulierungs-Metaphern zurück. Das Es findet sein entsprechendes Bild in der ungezügelt getriebenen Volksmasse, die von einem besonnenen Ich niedergehalten werden muss, um dem öffentlichen Über-Ich zu entsprechen. Die Wünsche und das Bewusstsein führen einen erbitterten Krieg gegeneinander. Hypothetisch, wenn auch „weder das Verhalten der Natur noch die Zielsetzungen der menschlichen Gesellschaft“785 dafür sprechen, sei ein ‚Staatskörper‘ denkbar, dessen Kulturideal auf die Bedürfnisse der Individuen abgestimmt sei, die keine Verdrängungsleistungen aufbringen müssten, um Wünsche vor den anderen und vor sich zu verbergen. In diesem kompletten Gegenentwurf eines totalitären Staats herrsche eine friedliche gegenseitige Anerkennung sämtlicher Wünsche innerhalb der Bevölkerung, die niemals verkehrt sein können, ein ursprüngliches kindliches Glücksgefühl und eine verspielte Arbeitseinstellung vor. Derartige Überlegungen hat schließlich bereits Herbert Marcuse im Rahmen der ‚Kritischen Theorie‘ weitergeführt, indem er

783 Freud, Sigmund: Meine Berührung mit Josef Popper-Lynkeus. In: Gesammelte Werke (wie Anm. 632), Bd. 16, S. 261–266, hier S. 261 f. 784 Freud, Berührung (wie Anm. 783), S. 264. 785 Freud, Berührung (wie Anm. 783), S. 264.



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 III.3 Die symbolische Macht der Apokalypse

Freuds ewigen Kampf zwischen ‚Lust‘- und ‚Realitätsprinzip‘ als historisch-kontingent deutete und die Befreiung des ‚Eros‘ von den Zerstörungstendenzen des ‚Thanatos‘ und die Aufhebung der dem ‚Leistungsprinzip‘ geschuldeten Reproduktion des Mangels einforderte.786 Kommt die ‚messianisch‘, ‚nicht-katechontisch‘ orientierte Kritik der symbolischen Macht zu ähnlichen Schlussfolgerungen, so versucht sie das Potenzial einer Gesellschaft vom bedrohlichen Äußersten her (und nicht gegenüber einem konstanten bedrohlichen Außen) zu erkennen, die Individuen in ihrer fragmentarischen Identität zu erfassen und die politischen Funktionsweisen ihrer unweigerlichen Vermitteltheit aufzuzeigen. Das Politische ist daher mit Agamben in Anschluss an den frühen Walter Benjamin so zu verstehen: Das, worum es in der politischen Erfahrung geht, ist nicht ein höherer Zweck, sondern das Inder-Sprache-Sein selbst als reine Mittelbarkeit, das In-einem-Mittel-Sein als irreduzible Bedingung des Menschen. Politik ist die Darbietung einer Mittelbarkeit, das Sichtbarmachen eines Mittels als solchen.787

Das Jüngste Gericht ließe sich als Gesetzesbruch und eine Individualisierung der symbolischen bzw. medialen Macht, als Etablierung eines allgemeinen Individuellen (im Gegensatz zum individuellen Allgemeinen)788 über eine literarische Erscheinung wie Franz Kafka in etwa so verstehen: Der Messias wird kommen, bis der zügelloseste Individualismus des Glaubens möglich ist, niemand diese Möglichkeit vernichtet, niemand die Vernichtung duldet, also die Gräber sich öffnen. Das ist vielleicht auch die christliche Lehre, sowohl in der tatsächlichen Aufzeigung des Beispieles, dem nachgefolgt werden soll, eines individualistischen Beispieles, als auch in der symbolischen Aufzeigung der Auferstehung des Mittlers im einzelnen Menschen. Glauben heißt: das Unzerstörbare in sich befreien, oder richtiger: sich befreien, oder richtiger: unzerstörbar sein, oder richtiger: sein.789

786 Marcuse, Herbert: Triebstruktur und Gesellschaft. Ein philosophischer Beitrag zu Sigmund Freud. Frankfurt a. M. 1995 [1955]. Vgl. auch Taubes, Psychoanalyse und Philosophie (wie Anm. 630), S. 358 f. u. 369 f. 787 Agamben, Giorgio: Noten zur Politik. In: ders.: Mittel ohne Zweck. Noten zur Politik. 2.  Aufl. Zürich/Berlin 2006. S. 95–102, hier S. 101. Vgl. Dubbels, Figuren des Messianischen (wie Anm. 319), S. 301. Siehe insbes. zuletzt auch Agamben, Giorgio: Das Geheimnis des Bösen. Benedikt XVI. und das Ende der Zeiten. Berlin 2015 (Fröhliche Wissenschaft). 788 Vgl. Frank, Individuelle Allgemeine (wie Anm. 518); Wetzel, Nachwort des Übersetzers (wie Anm. 518), S. 123 f.: „Solange Wahrheit auf dem Anspruch beharrt, individuelles Allgemeines zu sein, unterliegt sie der Dialektik der Apokalypse, und darin ist die Moderne nicht wesentlich vom Mittelalter unterschieden.“ 789 Kafka, Franz: Aufzeichnung vom (vermutl.) 1. Dezember 1917 (‚Oktavheft G‘). In: Nachgelassene Schriften und Fragmente. Hrsg. von Jost Schillemeit. Bd. 2. Frankfurt a. M. 1992. S. 55.



Dynamisches Symbolbewusstsein 

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In der Kritik des Symbolischen wird nicht eine letzte Frage gestellt, sondern was danach kommt. Wie die Geschichte zeigt, können politische Erwartungen nicht revolutionär übersprungen werden. Es kann aber in weiteren praktischen Schritten versucht werden, das Gesetz der Sprache von seiner Eindeutigkeit und Dringlichkeit zu befreien und auf jene mächtige abendländische Narrationsweise, die programmatisch auf ein großes Finale hinausläuft, ein Geschichtsbewusstsein des vielfachen Nebeneinanders folgen zu lassen, in der das Wissen um singuläre Handlungs- und Identitätsmöglichkeiten den Ton angibt.

Dynamisches Symbolbewusstsein Um am Ende an den Anfang zurückzukommen. Die Umbenennung des Manuskripts The Last Book in Tropic of Cancer (dt. Im Wendekreis des Krebses) erfolgte im Zuge von Henry Millers intensiver Auseinandersetzung mit den Werken von D. H. Lawrence ab dem Jahr 1932.790 Den Anstoß hatte sein Verleger mit dem Vorschlag gegeben, sich zuerst als Literaturkritiker zu beweisen, bevor jener skandalöse Roman über das Leben als Pariser Bohèmien an die Öffentlichkeit käme, der „a new cosmogony of literature“, „a new Bible  – the Last Book“, „a vessel in which to pour the vital fluid“, „a bomb which, when we throw it, will set off the world“791 abgeben sollte. Zudem lernte er zeitgleich Anaїs Nin kennen, mit der er eine jahrelange, in die Literatur- und Filmgeschichte eingegangene Liebesbeziehung unterhalten sollte und die gerade an der Fertigstellung ihres ersten Buches, einer begeisterten Studie über den zwei Jahre zuvor verstorbenen Lawrence arbeitete (D. H. Lawrence. An Unprofessional Study, 1932). Während sie nur knapp drei Wochen für die Darstellung von dessen „transcending of ordinary values“ und „system of mobility“792 benötigte, womit er es als erster Mann geschafft habe, die weiblichen Bedürfnissen in ihrer ganzen Komplexität darzustellen,793 sollte Millers Arbeit über die kommenden Monate und Jahre hoffnungslos ausufern und erst Jahrzehnte später in kompilierter Form publiziert

790 Vgl. Kimura, Koichi: Miller’s Lifelong Road to The World of Lawrence. In: Bulletin of Universities and Institutes 19 (2001). S. 35–57. dspace.wul.waseda.ac.jp/dspace/bitstream/2065/6058/1/19_P35-55. pdf (30.04.2016); Chase, Randy: Cosmodemonic Telegraph Company. A Henry Miller Blog. Eintrag vom 25. August 2008. http://cosmotc.blogspot.co.at/2008_08_25_archive.html (30.04.2016); allgemein zur Lawrence-Rezeption nach dessen Tod: Preston, Peter: The Afterlives of an Author. Lawrence and British Culture in the 1930s. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen 158/243 (2006). S. 293–308. Siehe insbes. auch Corke, Helen: Lawrence and Apocalypse. London 1933; Gregory, Horace: Pilgrim of the Apocalypse. A Critical Study on D. H. Lawrence. New York 1933. 791 Miller, Henry: Tropic of Cancer. New York 2005. S. 26. 792 Nin, Anaїs: D. H. Lawrence. An Unprofessional Study. London 1985. S. 2 f. 793 Vgl. Nin, Lawrence (wie Anm. 792), S. 69 f.; demgegenüber die feministische Kritik bei Millett, Sexus und Herrschaft (wie Anm. 39), S. 384–410.



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 III.3 Die symbolische Macht der Apokalypse

werden (The World of Lawrence, 1980). Eine 1933 angefertigte graphische Skizze, Tree of Life and Death, die dem ersten Teil der Arbeit vorangestellt ist, veranschaulicht die Verzweigungen, denen er mit Lawrence gefolgt war.794 Auch in Millers anderen Schriften dieser Zeit wird Lawrence euphorisch als apokalyptischer Künstler, als messianischer Revolutionär gefeiert, der der ‚stumpfen‘, ‚blinden‘ und ‚toten‘ Gesellschaft (der 1930er und 1940er Jahre) den erlösenden, lebensbejahenden Ausweg gezeigt habe, der sich am Ende aller Tage als der einzig richtige erweisen würde. More and more I believe that it was a revelation Lawrence made through his works. In this sense he will remain an apocalyptic writer, a writer outside all time, to be fully understood only when time is brought to a stop. It is not the obscurity of his language which hinders our understanding of him, but our own obtuseness, our own blindness, our own deadness. The obscurity of Joyce serves to incite men’s curiosity and appetite: he appealed to the mind. Lawrence addressed himself to the heart of the world, that heart which seemingly has ceased to beat. But the Day of Judgement approaches …795

Als wahrer Künstler habe Lawrence von der sinnlichen Korrumpierung der bestehenden Welt gewusst, ihr unausweichliches Ende antizipiert und dadurch die Vorstellung vom Ich revolutioniert: „The moment between the realization of the end and the end there is vertigo, pure vertigo!“796 Es komme zu einer ‚schizophrenen‘ Umwertung aller Dinge und die äußeren Verhältnisse würden sich als Spiegel der inneren erweisen: „The desolution of the macrocosm goes hand in hand with the desolution of the soul“797 Genauer sind es die kulturellen Ideale, deren symbolische Ausdrucksformen von den revolutionären Künsten aufgegriffen und durchstoßen werden und ungeahnte neue Verhältnisse zum Vorschein bringen: „The conflict of personality which enabled him to expand and express himself is symbolic of the greater conflict which gives this age its character and form.“798 So zählt auch Gilles Deleuze, der Philosoph all jener Dichter und Künstler, die ein Loch in den Schutzschirm der Gesellschaft reißen und einen Blick auf das dahinter

794 Faksimile dieser Skizze finden sich in Miller, Henry: My Life and Times. London 1972. S. 156, und auf der Frontispiz-Seite in Miller, Henry: The World of Lawrence. A Passionate Appreciation. Hrsg. von Evelyn J. Hinz u. John J. Teunissen. London 1985. Während Miller 1972, mit einem distanzierteren Blick auf Lawrence, die Entstehung der graphischen Skizze hauptsächlich auf die Lektüre von Otto Ranks Art and Artist (1932) zurückführte, lautet es in Miller, Henry: The Tree of Life and Death. In: T’ien Hsia Monthly V/4 (1937). S. 377–381, hier S. 377: „One day, when I had been more than usually perplexed as to the shape my book, The World of Lawrence, would assume, I picked up a pencil and, almost instinctively, began drawing a tree.“ 795 Miller, Henry: The Apocalyptic Lawrence. In: Southwest Review 31 (1946). S. 254–256, hier S. 255 f. 796 Miller, The World of Lawrence (wie Anm. 794), S. 78 (Hervorhebung C. Z.). 797 Miller, World of Lawrence (wie Anm. 794), S. 109. 798 Miller, World of Lawrence (wie Anm. 794), S. 44.



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liegende Chaos freilegen,799 Lawrence zu einem der vier modernen „Symbolisten“,800 die mit dem modernen Erkenntnis- oder Erfahrungsurteil und ihrer Nachfolge der Vorstellung vom letzten Gericht abgeschlossen hätten. Neben Friedrich Nietzsche, Franz Kafka und Antonin Artaud könne er insofern als ein Schüler Baruch de Spinozas gelten, als er im Kampf mit den Instanzen, vor allem aber auch mit sich selbst gegen das permanente Aufschieben und Urteilen aufgetreten sei und auf ganz eigene Weise das System des Richtens verlassen habe. Als Herausforderer der zeitgenössischen Sittenmoral war Lawrence zu einem der Hauptangeklagten moderner Urteilskraft geworden, deren Macht er im Detail kennengelernt habe, ohne irgendwelche Zugeständnisse zu machen. So wirkte sein Werk im Untergrund fort und begleitete schließlich in den 1960er Jahren, nach Aufhebung des Publikationsverbots von Lady Chatterley’s Lover (1928) in Großbritannien und Nordamerika, auch die sexuellen Emanzipationsbewegungen. Wie Foucault erkennt, nimmt Lawrence damit eine zentrale Position in der Verhandlung um den modernen „Begehrens-Wert“801 des Sexes ein, der einen eklatanten Bezug zu den biopolitischen Regulierungsweisen erkennen lässt. Und doch kann seinem Werk eine Pseudo-Philosophie unterlegt werden,802 die über den Gebrauch der Sexualität als Ausdruck eines individuellen Geheimnisses und eines ambivalenten Vertraulichkeitsanstiegs803 hinausweist und in dieser Form von Deleuze in seiner Zusammenarbeit mit dem Psychoanalytiker Félix Guattari aufgegriffen wurde. Mit den zwei Essays Psychoanalysis and the Unconscious (1921) und Fantasia of the Unconscious (1922) hatte sich Lawrence vor der ersten näheren Beschäftigung mit der Apokalypse auch gegen die Psychoanalyse zu Wort gemeldet. Darin setzt er dem Konzept des Inzestbegehrens und der Verdrängungslehre einen eigenen Entwurf eines dynamischen Unbewussten entgegen, der sich gegen die ideelle Gleichsetzung

799 Vgl. in direktem Verweis auf Lawrence: Deleuze, Gilles u. Félix Guattari: Was ist Philosophie? Frankfurt a. M. 2000. S. 238–260, insbes. S. 241; auf Nietzsche, Lawrence und Miller: Deleuze u. Guattari, Anti-Ödipus (wie Anm. 525), S. 347. Vgl. zur Lawrence-Rezeption von Deleuze (und Guattari) Bryden, Mary: Nietzsche’s Arrow. Deleuze on D. H. Lawrence’s Apocalypse. In: Deleuze and Religion. Hrsg. von Mary Bryden. London 2001. S. 101–114; Clément, Michèle: Deleuze et l’Apocalypse. Peut-on en finir avec le judgement? In: Deleuze et les écrivains. Littérature et philosophie. Hrsg. von Bruno Gelas u. Hervé Micolet. Nantes 2007. S. 259–265; Masschelein, Anneleen: Rip the Veil of the Old Vision Across, and Walk Through the Rent. Thinking Through Affect in D. H. Lawrence and Deleuze and Guattari. In: Modernism and Theory. A Critical Debate. Hrsg. von Stephen Ross. London 2009. S. 23–39; Buchanan, Ian: Deleuze and His Sources. Response to Anneleen Masschelein. In: Ross, Modernism and Theory (wie Anm. 799), S. 40–48; Clancy, Rockwell F.: Towards a Political Anthropology in the Work of Gilles Deleuze. Psychoanalysis and Anglo-American Literature. Leuven 2015. 800 Deleuze, Gilles: Schluss mit dem Gericht. In: ders., Kritik und Klinik (wie Anm. 5), S. 171–183, hier S. 182. 801 Foucault, Wille zum Wissen (wie Anm. 199), S. 151. 802 Vgl. Lawrence, Fantasia (wie Anm. 40), S. 65. 803 Vgl. Foucault, Wille zum Wissen (wie Anm. 199), S. 65 f.



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 III.3 Die symbolische Macht der Apokalypse

von Liebe und Sexualität richtet804 und das Unbewusste vielmehr als impulsiven Ausgangspunkt (oder einfach: Leben)805 begreift, das sich über innere Beziehungsebenen und -pole und äußere Beziehungskreisläufe entfaltet.806 Von außen herangetragene abstrakte Ideen würden von Kindheit an die vitale Entwicklung unterbinden. So diskussionswürdig die Ausführungen von Lawrence gerade in diesen Essays an vielen Stellen sind, so deutlich zeigt sich in ihnen die Übereinstimmung mit den Konzepten von Deleuze und Guattari, wie sie in ihren beiden Bänden zu Kapitalismus und Schizophrenie und in Was ist Philosophie? ausgearbeitet wurden:807 in den Prinzipien der De- und Reterritorialisierung und der Fluchtlinie; im Vokabular (Polaritäten, Ebenen, Intensitäten, Vibrationen, Singularität); in den modernistischen Bildern (Maschinen, drahtlose Kommunikation, in Verbindung mit naturbezogenen und kosmologischen Metaphern); auch im Konzept des von Artaud entlehnten Begriffs des „organlosen Körpers“808  – eine Übereinstimmung lässt sich kurz um alle Punkte der bedeutsamen Aussage feststellen: „Es gibt nur den Wunsch und das Gesellschaftliche, nichts sonst“.809 Demgegenüber ist die „Geschichte der Repräsentation, die Geschichte der Ebenbilder […] die Geschichte des langewährenden Irrtums.“810 Voraussetzung für eine andere Art zu denken sei also die Aufgabe des Identitätsglaubens, wie Deleuze auch anhand von Foucaults Genealogie bemerkte: „Individuell ist die Beziehung, die Seele, nicht das Ich.“811 Die Entwürfe des Unbewussten in der Antipsychiatrie, der Fluchtlinie in der anglo-amerikanischen Literatur und des allem zugrunde liegenden Chaos weisen allesamt einen direkten Bezug zu Lawrence auf. Im Vordergrund steht dabei die Frage nach dem persönlichen Beziehungsvermögen, nach der sozialen Besetzung und dem extremen Kraftaufwand, den es erfordert, diese zu gestalten oder ihr zu entkommen. Dies sei Deleuze zufolge jedenfalls keine Frage des Krieges, der immer die eigene Überhöhung über einen Anderen impliziert, sondern eine Frage des Kampfes gegen die geballte Macht, die sich den Selbstbestimmungsversuchen aus Gewohnheit (tra-

804 Vgl. Lawrence, Psychoanalysis (wie Anm. 40), S. 14 f.; zur Klärung, was unter ‚Liebe‘ (nicht) zu verstehen ist: Lawrence, Fantasia (wie Anm. 40), S. 193–200; Deleuze, Nietzsche und Paulus (wie Anm. 5), S. 71. 805 Vgl. zum Konzept ‚Leben‘, auf das auch Deleuze und Foucault in ihren letzten Texten zurückkommen, Agamben, Giorgio: Die absolute Immanenz. In: ders.: Bartleby oder die Kontingenz, gefolgt von: Die absolute Immanenz. Berlin 1998. S. 77–127. 806 Vgl. Lawrence, Psychoanalysis (wie Anm. 40), S. 38–43; Lawrence, Fantasia (wie Anm. 40), S. 79–111. 807 Vgl. Masschelein, Veil (wie Anm. 799), S. 23 u. 25 f. 808 Vgl. Deleuze u. Guattari, Anti-Ödipus (wie Anm. 525), S. 7–15; Deleuze, Schluss (wie Anm. 800), S. 178; Buchanan, Deleuze (wie Anm. 799). 809 Deleuze u. Guattari, Anti-Ödipus (wie Anm. 525), S. 39. 810 Deleuze, Differenz und Wiederholung (wie Anm. 657), S. 373. 811 Deleuze, Foucault (wie Anm. 169), S. 71.



Dynamisches Symbolbewusstsein 

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ditionell) innerhalb der Gesellschaft und vor allem auch innerhalb eines und einer jeden selbst entgegenstellt. Kampf, Kampf allerorten – der Kampf ist es, der das Gericht ersetzt. Und sicher tritt der Kampf gegen das Gericht auf, gegen seine Instanzen und Personen. Im Grunde aber ist der Kämpfende selbst Kampf, ein Kampf zwischen seinen eigenen Teilen, zwischen den Kräften, die unterwerfen oder unterworfen werden, zwischen den Mächten, die diese Kräfteverhältnisse ausdrücken. […] Man muss den Kampf gegen den Anderen vom Kampf zwischen sich und sich selbst unterscheiden. Der Kampf gegen will eine Kraft zerstören oder zurückdrängen (gegen die „teuflischen Mächte der Zukunft“ kämpfen), aber der Kampf zwischen will demgegenüber sich einer Kraft bemächtigen, um seine eigene daraus zu machen. Der Kampf zwischen ist der Prozess, durch den sich eine Kraft bereichert, indem sie sich anderer Kräfte bemächtigt und indem sie sich in einen neuen Zusammenhang einfügt, in ein Werden.812

So sieht also nach Deleuze der Kampf gegen die ‚Apokalypse‘ und die totalisierenden und individualisierenden (paranoischen) Mächte aus, die das  – sowohl persönlich als auch gemeinschaftlich zu verstehende  – Zwischenmenschliche, Zwischenweltliche und Zwischenkosmische mit Informationen besetzen, die das Individuum permanent auf ein Ich zurückwerfen. Die wirkenden Kräfte gelte es umzukehren und in die entgegengesetzte Richtung zu lenken. Lawrence setzte dem alles durchwaltenden Feld an Meinungen813 ein Konzept entgegen, das er an anderer Stelle als „individual meaning“ im Gegensatz zu „mob-meaning“814 bezeichnete – ein Denken, das sich autonom entfaltet und der Durchregulierung von individuellen und kollektiven Emotionen entgegensteht; das das Imaginäre nicht von einem massenmedialen Horizont und darin gespiegelten Doubles, sondern aus sich selbst und seinen vielfältigen Beziehungen bezieht; das es über dieses Imaginäre schafft, die symbolische Macht der gesetzlichen Zwanghaftigkeiten und Mängel zu hintergehen, sich zu eigen zu machen und in neue Richtungen zu lenken. Das einzelne Symbol könne die sprachlich strukturierten Ordnungen durchbrechen und sei untrennbar mit dem veranlagten, aber durchgehend verdrängten und negativ behafteten Vermögen verbunden, von sich aus qualitative Verknüpfungen eingehen zu können, die über die Vorstellungen vom Ich hinausreichten. Symbols are organic units of consciousness with a life of their own, and you can never explain them away, because their value is dynamic, emotional, belonging to the sense-consciousness of the body and soul, and not simply mental. An allegorical image has a meaning. […] And the images of myth are symbols. They don’t ʻmean somethingʼ. They stand for units of human feeling,

812 Deleuze, Schluss (wie Anm. 800), S. 179. 813 Vgl. Deleuze u. Guattari, Philosophie (wie Anm. 799), S. 241. 814 Lawrence, David Herbert: Pornography and Obscenity [1930]. In: ders.: Late Essays and Articles. Hrsg. von James T. Boulton. Cambridge 2004. S. 236–253, hier S. 237 f.



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 III.3 Die symbolische Macht der Apokalypse

human experience. A complex of emotional experience is a symbol. And the power of the symbol is to arouse the deep emotional self, and the dynamic self, beyond comprehension.815

Paradox also die Schlussfolgerung, die sich aus der Auseinandersetzung mit den Rezeptionsformen der Johannes-Offenbarung ergeben hat: dass gerade jene Schrift, die für die ganze verhindernde Macht des Ich und der Gesellschaft stehen kann, in ihrer Tiefe eine Erinnerung daran oder eine Hoffnung darauf bewahrt hat, wie es ganz anders sein könnte. In seiner Lesart der apokalyptischen Symbolik hat Lawrence gezeigt, dass die individuelle Seite des Menschen in Verbindung zu einer kollektiven Seite gedacht werden kann, deren Potenzial es noch zu entdecken gilt. Auch wenn es eine mentale vor einer körperlichen Angelegenheit ist, Verbindungen (nicht) herstellen zu können, geht es dabei grundlegend nicht um eine „Logik“, sondern um eine „Physik der Beziehungen“: Das kollektive Problem besteht also darin, ein Maximum an Verknüpfungen herzustellen. […] Wann immer aber eine physische Beziehung in logische Verhältnisse, das Symbol in Bilder und der Strom in Segmente übersetzt wird, wann immer der Austausch in Subjekte und Objekte – und zwar im Verhältnis zueinander – zerschnitten ist, wird man sagen müssen, die Welt sei tot und die kollektive Seele ihrerseits in einem Ich eingeschlossen, in einem Ich des Volkes oder des Despoten. […] Es gibt kein Zurück zur Natur, es gibt nur ein politisches Problem der kollektiven Seele, die Verbindungen, zu denen eine Gesellschaft fähig ist, die Ströme, die sie unterhält, erfindet, zirkulieren macht oder lässt.816

Die Offenbarung nach Lawrence und Deleuze hat weniger mit dem Geheimnis und dem Geheimen zu tun817 als mit dem Offenen und der Öffnung eines verdrängten Vermögens, Verknüpfungen einzugehen, die das Individuum übersteigen. In dem zum Schlagwort gewordenen Begriff der ‚Apokalypse‘ ist noch der Anklang an eine utopische, revolutionäre Kraft zu vernehmen, die nicht mit Ängsten und Katastrophen, sondern mit lebendigen politischen Abenteuern zu tun hat.

815 Lawrence, Introduction (wie Anm. 21), S. 48 f. (Hervorhebungen im Original.) Vgl. Deleuze, Nietzsche und Paulus (wie Anm. 5), S. 67: „Lawrence skizziert gewisse Züge des Symbols Stück für Stück. Es ist ein dynamisches Verfahren zur Erweiterung, Vertiefung, Ausdehnung des sinnlichen Bewusstseins, es ist ein immer bewusster werdendes Werden, im Gegensatz zur Abgeschlossenheit des moralischen Bewusstseins über die fixe, allegorische Idee. Es ist eine intensive Methode des Affekts, eine kumulative Intensität, die einzigartig die Schwelle einer Empfindung, das Erwachen eines Bewusstseinszustandes kennzeichnet: das Symbol bedeutet nichts, es ist im Gegensatz zum intellektuellen Bewusstsein der Allegorie weder zu erklären, noch zu interpretieren. Es ist ein rotierendes Denken, wo eine Gruppe von Bildern sich immer schneller um ein mysteriösen Punkt dreht, im Gegensatz zur linearen, allegorischen Kette.“ (Hervorhebung im Original). 816 Deleuze, Nietzsche und Paulus (wie Anm. 5), S. 72 f. 817 Vgl. Deleuze, Schluss (wie Anm. 800), S. 183: „Das ist vielleicht das Geheimnis: existieren machen und nicht richten.“



Zusammenfassung „Vor dem Gedanken der Apokalypse aber streikt die Seele. Der Gedanke bleibt ein Wort“:818 Diese Feststellung von Günther Anders aus dem Jahr 1956 besagt bereits vieles über die strukturellen Bedingungen, die dem modernen Verständnis der ‚Apokalypse‘ zugrunde liegen. Als Begriff allgegenwärtig, bezeichnet er eine symbolische Leerstelle, in der die Masse jener dunklen Bedrohungen aufgehoben ist, die nicht eintreten bzw. ‚real‘ werden, solange noch darüber gesprochen und gedacht werden kann. Damit sind nicht jene Gefahren gemeint, die seit dem 19. Jahrhundert für eine steigende Nachfrage nach Zukunftsvorsorge oder für abschätzbaren Thrill sorgen, sondern das Andere des kulturellen Fortschritts, in dem sich der Mensch der Konsequenzen seiner (technischen) Handlungen nicht mehr bewusst sein kann. Die Moderne besteht darin, daß sie eine geschichtliche Situation herstellt, die man sich strukturell nicht mehr vorstellen und die darum auch niemand mehr darstellen kann, und die man darum in dem Augenblick, wo man sie sieht, schon nicht mehr sieht, weil sie instantiell blendet: – im Atomblitz. Apokalypse also ist nur noch zu denken.819

Es wäre demnach verkürzt zu behaupten, die ‚Säkularisierung‘ sei eine Weiterführung früherer apokalyptischer Erwartungshaltungen und Hoffnungen unter Aufgabe des Glaubens an ein Jenseits oder Jüngstes Gericht. Die Aufwertung des ‚Apokalypse‘Begriffs korrespondiert vielmehr mit dem Aufkommen eines ‚anti-apokalyptischen‘ Zeitverständnisses im Zusammenhang mit einem neuen Bevölkerungsdiskurs. Er kann viel eher im Verhältnis zu staatlichen Regulierungsmaßnahmen und zu neuen gewaltigen Revolutions- und Repräsentationserfahrungen des Bürgertums verstanden werden. Diese verweisen auf ein auf das 17. Jahrhundert zurückgehendes politisches, auf naturwissenschaftliche Prognostik vertrauendes Fortschrittsbewusstsein, das mit allen Formen radikaler Endzeitverheißungen abzuschließen versuchte: Es kam zur Wende vom „Ursprungsmythos zum Zukunftsmythos“,820 vom ‚gemeinschaftlichen‘ Todes- in ein ‚gesellschaftliches‘ Lebensprinzip, vom Glauben an ein Nachleben zu jenem des Überlebens. Das bedeutet aber nicht, dass die Neuzeit das apokalyptische Erbe einfach von sich weisen konnte, es wurde lediglich umgemünzt. Die dahinter auszumachende Logik einer Herrschaft, die gleichermaßen totalisierend und individualisierend wirkt und das Schicksal der Subjekte in Bezug zur gesamten Welt stellt, führte von einer ‚Pastoralmacht‘ zu einer ‚Biomacht‘.821 Ein durchgehend ‚akosmischer‘ Weltbezug blieb nicht nur erhalten, sondern wurde forciert, insofern als die fixe Vorstellung von der

818 Anders, Antiquiertheit des Menschen (wie Anm. 13), S. 269. 819 Böhme, Vergangenheit und Gegenwart (wie Anm. 14), S. 395 (Hervorhebungen im Original). 820 Koselleck, Wortmeldung (wie Anm. 377), S. 671. 821 Vgl. Foucault, Sicherheit (wie Anm. 213), S. 331–368.



200 

 Zusammenfassung

Endzeit von einem Bewusstsein abgelöst wurde, das Ende der Welt bereits hinter sich zu wissen.822 Seit das „spirituelle[ ] Atomkraftwerk der Vernunft“ aktiviert wurde und der Körper nur mehr „ausgebrannter Brennstab der Geschichte“823 ist, herrscht eine symbolische Urteilsmacht vor, die die Handlungsmacht endgültig suspendiert hat: „Die Apokalypse hat gewonnen. Wir haben das System des Gerichts nie verlassen.“824 Dass dieses Gericht sprachlich-symbolische Züge angenommen hat, konnte anhand zweier Werke von Edgar Allan Poe und Lars von Trier unterstrichen werden, die als frühes sowie spätes Zeugnis dieser Entwicklung näher untersucht wurden. Darin wird die moderne Vorstellung vom Weltuntergang durch ein Katastrophenereignis an die medialen Grenzen geführt und die hypothetische Frage verhandelt, welche individuellen Kräfte am Ende des allgemeinen Fortschritts zum Vorschein kommen könnten. Es zeigte sich, dass, wird das Ende nicht aus ‚biopolitischer‘, sondern ‚melancholischer‘ Perspektive betrachtet, neue Impulse für Handlungs- und Identitätsentwürfe entdeckt und wohl am ehesten Bezüge zu vergangenen oder gar gegenwärtigen (radikal-)eschatologischen Erfahrungen hergestellt werden können. Es besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen einer pessimistischen und einer kritischen Analyse der eigenen ‚Kultur‘: Während die eine in den Diskurs des herrschenden Mangels einstimmt, versucht die andere ihn bis zum Letzten zu bestimmen.825 In diesem Sinn ist auch die vorliegende Arbeit als eine Begriffs-, Diskurs- und Herrschaftsanalyse zu verstehen, die die kulturtheoretischen Debatten des 20. Jahrhunderts weiterzuverfolgen und auf ihre Anwendbarkeit zu prüfen versuchte. Die Gültigkeit der dabei gewonnenen Ergebnisse steht und fällt mit dem daraus abgeleiteten Instrumentarium. Um sie abzusichern und die Gefahr einer den Kulturwissenschaften oft unterstellten eklektizistischen Beliebigkeit zu vermeiden, konnte in einem der einflussreichsten ‚abendländischen‘ Texte ein konkreter Maßstab gefunden werden: Begreift man die Johannes-Offenbarung als idiosynkratische Schrift, deren Bildsymbolik nicht auf eine konkrete Bedeutungsebene gebracht werden kann, so lassen sich all jene Versuche zeitlich und fachlich kontextualisieren, die dies anstreben. Es werden jene Parameter erkennbar, die einer Zeit den vereinheitlichenden Sinn vorschreiben. So kann die ‚Apokalypse‘ bis in die Gegenwart hinein als Messinstrument für alle Theorien gelesen werden, die sich an einer eindeutigen Bestimmung der Schrift versuchen. Das Nachverfolgen der Rezeptionsgeschichte der Offenbarung erwies sich somit als methodologische Leitlinie der vorliegenden Arbeit. Sie beginnt und endet mit

822 Vgl. Fœssel, Fin du monde (wie Anm. 463). 823 Böhme, Vergangenheit und Gegenwart (wie Anm. 14), S. 394. 824 Deleuze, Nietzsche und Paulus (wie Anm. 5), S. 57. 825 Vgl. etwa auch Eco, Umberto: Apokalyptiker und Integrierte. Zur kritischen Kultur der Massenkultur. Frankfurt a. M. 1984. S. 21, wo eine kulturkritische Analyse abseits einer „pessimistische[n] Einschätzung des Menschen“ versucht wird. Erinnert sei hier auch an die Figur des Bibliothekars Jorge in Der Name der Rose (1980) und seinen apokalyptischen Kampf gegen eine Poetik der Komödie.



Zusammenfassung 

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einem Apokalypse-Kommentar, in dem eben die Polyvalenz der apokalyptischen Bilderwelt und die Vergeblichkeit aller totalisierenden Interpretationsversuche aufgezeigt werden. Kann damit der direkte Bezug zu den zentralen philosophischen Konzepten von Gilles Deleuze hergestellt werden, scheint der aktuellste Stand einer selbstreflexiven kulturwissenschaftlichen Forschung zur Apokalyptik erreicht und abgebildet. Da man natürlich weiterhin auf bestimmte Begrifflichkeiten angewiesen ist, um sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, wird die Unterscheidung in folgende Funktionsbegriffe nahegelegt, die nicht im Zusammenhang mit einer bestimmten ‚abendländischen‘ Kategorie, sondern einem bestimmten ‚abendländischen‘ Zeitgefüge zu betrachten sind: Demnach verweist die ‚Offenbarung‘ auf die individualistische Dimension der Weltzeit, auf die soziopolitischen Voraussetzungen für ein Individuum, durch eine Eingebung die Sprache oder Kultur selbst zu entbergen und einem vermeintlich sinnstiftenden Absoluten (in der Neuzeit etwa ‚Nation‘ oder ‚Natur‘) gegenüberzustellen. Die ‚Eschatologie‘ ist im Zusammenhang mit der endlichen Dimension der Weltzeit zu betrachten, der gemeinschaftlichen Erwartung des Endes oder der Erfüllung der Weltzeit je nach Vorstellung, die man sich davon macht. Das ‚Apokalyptische‘ gibt als repräsentative Dimension der Weltzeit den gewaltigen Inhalt dieser Endzeitvorstellungen vor und umfasst das jeweilige Bilderreservoir zum Jüngsten Gericht, bedrohlichen Anderen oder Weltuntergang. Unter ‚Apokalyptik‘ kann die historische Dimension der Weltzeit und der traditionelle Bezug zu bisherigen Untergangsszenarien verstanden werden, die nach Archivlogiken aufgehoben und gegebenenfalls aktualisiert werden. Das ‚Messianische‘ verweist schließlich auf eine operative Dimension in der Weltzeit, ein höchst individuelles Erleben der Zeit des Endes, das sich nicht herkömmlich vermitteln lässt, sondern vielmehr die herkömmliche Vermittlung beendet, um ausgehend vom ‚Rest‘ und von der ‚Zeit, die bleibt‘,826 auf einen anderen, nicht von totalisierenden und individualisierenden Mächten geleiteten gemeinschaftlichen Nenner zu kommen.

826 Vgl. Agamben, Zeit (wie Anm. 11), S. 81.



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Personenregister Agamben, Giorgio 3, 53, 56, 74 f., 80–89,151, 177, 181 f., 187 f., 192, 196, 201 Alcázar, Luis del 95 Althusser, Louis 41 Ambrosius (von Mailand) 65 Arndt, Ernst Moritz 111 Arnim, Achim von 116 Artaud, Antonin 195 f. Augustinus (von Hippo) 26, 65, 179 Augustus 147 Austin Jr., S. 146 Bachelard, Gaston 41 Bachofen, Johann Jakob 2, 16 f. Balthasar, Hans Urs von 77, 189 Barth, John 121 Barth, Karl 77 Barthes, Roland 26–28, 73 Bates, Joseph 144 Bauer, Bruno 36, 64, 73, 77 Baur, Ferdinand Christian 103 Bengel, Johann Albrecht 33, 96 Benjamin, Walter 1, 61, 74 f., 77, 79–83, 85, 126, 152 f., 177–179, 192 Benveniste, Émile 81 Berger, Peter L. 183 Bergson, Henri 79, 183 Bichat, Xavier 41 f. Blavatsky, Helena Petrowna 13 f. Bloch, Ernst 36, 61, 77–80, 82, 138, 189 Blumenberg, Hans 32, 60 f., 75, 86, 102, 126, 181 Bodin, Jean 94 Böhme, Hartmut 5, 26, 113, 129, 131, 140, 177, 199 f. Boll, Franz 12, 76 Bonaparte, Marie 162 Bourdieu, Pierre 184–186, 190 Bousset, Wilhelm 12, 35 f., 76 Braudel, Fernand 53 Brentano, Clemens 116 Broch, Hermann 111 f., 135 f. Bruegel d. Ä., Pieter 169 Brunner, Otto 75 Bryant, Jacob 148 Buber, Martin 77

Büchner, Georg 131 Bultmann, Rudolf 36 Bunyan, John 10 Byron, George Gordon 120 f. Campbell, Thomas 119 Canetti, Elias 135 f. Canguilhem, Georges 41 f. Carlyle, Thomas 117 Carter, Frederick 14–17 Cassirer, Ernst 42–45, 48, 57, 68, 77, 126 f., 132, 182–184, 190 Cassirer, Toni 42 Charles, Robert Henry 12, 76 Cohen, Hermann 77 Collins, John J. 37–39 Conrad, Klaus 133 Cousin de Grainville, Jean-Baptiste 119 Curtius, Ernst Robert 60 Danby, Francis 91, 108–110, 119, 136 Darwin, Charles 41 f. Decke, Carl (Carl Christian Bry) 137 f. Deleuze, Gilles 2, 28 f., 45, 50, 52–54, 56–61, 87, 128, 136, 160, 166 f., 176, 179, 183, 194–198, 200 f. Derrida, Jacques 3, 21, 25 f., 39, 76, 84 f., 87, 89, 99–102, 104, 113, 138, 162–164, 181, 187 Dilthey, Wilhelm 40 Dryden, John 147 f. Du Bosc de Montandré, Claude 95 Dunst, Kirstin 169 Echnaton (Amenophis IV.) 155 Eco, Umberto 200 Edwards, Jonathan 143 Eichhorn, Johann Gottfried 33, 102 f. Ellison, Ralph 121 Emerson, Ralph Waldo 120 Engels, Friedrich 103 Euripides 146 Faulkner, William 121 Ferrier, James Frederick 42 Feuerbach, Ludwig 77



226 

 Personenregister

Fichte, Johann Gottlieb 126 Fœssel, Michaël 113 f., 117 f., 200 Foucault, Michel 3, 28, 34, 40–62, 67 f., 73 f., 76, 95, 97, 104, 120, 122, 127–131, 133 f., 140, 167, 174 f., 182 f., 187, 195 f., 199 Freud, Sigmund 2, 16, 131, 135, 154–160, 164–167, 190–192 Friedländer, Saul 139 Friedrich, Caspar David 116 Fukuyama, Francis 61 Gainsbourg, Charlotte 169 Genet, Jean 171–173 George, Stefan 17 Gfrörer, August Friedrich 103 Glavinic, Thomas 123 f. Goebbels, Joseph 138 f. Goethe, Johann Wolfgang von 43 Gregor (von Nazianz) 55 Gross, Otto 2, 16 f. Guattari, Félix 2, 128, 136, 195–197 Guillaume, Gustave 81 Gumbrecht, Hans Ulrich 187 Gunkel, Hermann 12, 35 f., 57, 76 Habermas, Jürgen 26, 46, 75 f., 105 Hanson, Paul D. 37 Haushofer, Marlen 123 f. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 43, 61, 63, 67 f., 78, 156, 187 Heidegger, Martin 40–42, 50, 84 f., 118, 155, 162 f., 182, 187 Heine, Heinrich 36, 134 f. Heraklit 17, 43 Herder, Johann Gottfried 30, 33, 96–99, 101 f., 106 Hieronymus 65, 70 Hilgenfeld, Adolf 35 Hitler, Adolf 21, 73 Hobbes, Thomas 96, 105, 121, 134 Hölderlin, Friedrich 43, 102 Holzhauser, Bartholomäus 93 Horn, Eva 114, 119–121 Houellebecq, Michel 124 f. Humboldt, Alexander von 151 f. Jacobi, Friedrich Heinrich 99 Jahn, Friedrich Ludwig 111 Jakobson, Roman 42 Jeanne d’Arc 93 

Jelinek, Elfriede 136 Jesus (von Nazareth) 19–21, 36 f., 58 f., 62–64, 73, 81, 86 Joachim (von Fiore) 65–68, 93, 96 Johannes (Evangelist) 10 f. Johannes (von Patmos) 10–12, 18, 29, 58 f., 98 f., 177, 188 Jonas, Hans 77 Kafka, Franz 192, 195 Kaiser, Gerhard 32 f. Kant, Immanuel 3, 25, 66 f., 78, 83, 99–102, 113 f., 116–118, 130 f., 177, 179 Käsemann, Ernst 37 Kierkegaard, Søren 67 Kittler, Friedrich 84, 170 f., 186 f. Klages, Ludwig 17, 79 Kleist, Heinrich von 116 f., 123 Kleopatra VII. 147 f. Koch, Klaus 33, 35–37 Konstantin (d. Große) 64 Koschorke, Albrecht 108, 117, 123, 128 Koselleck, Reinhart 30–32, 34, 39 f., 45, 75 f., 85, 93–96, 104–106, 199 Kraus, Karl 137 Kubin, Alfred 116, 136 Kudszus, Winfried 131 Kuhnle, Till R. 107 Lacan, Jacques 5, 40, 126, 158–168, 170 f., 173 f., 183, 186 Lactantius 70 Landauer, Gustav 77 Lang, Hermann 158, 166 Lawrence, David Herbert 2, 5, 9–24, 26, 35, 58 f., 61, 63, 76–79, 145, 181, 193–198 Le Bon, Gustave 135 Lefort, Claude 186, 189 Lenin, Wladimir Iljitsch 21 Lessing, Gotthold Ephraim 66 f., 96 Lévi-Strauss, Claude 5, 41, 162 Lichtenberg, Georg Christoph 126 Loisy, Alfred 12, 76 Losurdo, Domenico 49 f., 53 Löwith, Karl 32, 77, 86 Lücke, Friedrich 33 f., 97, 101 f. Luckmann, Thomas 183 Luhmann, Niklas 84, 186 Luther, Martin 66, 110

Personenregister 

Macho, Thomas 63 f. Malthus, Robert 120 Marcion 64 Marcus Antonius 147 Marcuse, Herbert 191 f. Maréchal, Sylvain 107 f. Martin, John 108 f., 119 Martin, Jonathan 108 f. Marx, Karl 36, 41, 67, 83 f., 110, 156, 187, 190 McCarthy, Cormac 121 f. Mead, George Herbert 183 Melville, Herman 121 Menke, Bettine 74, 179 Mercier, Louis-Sébastien 96 Metzner, Joachim 131–133 Miller, Henry 2, 7, 193 f. Miller, William 143 f., 146 Millett, Kate 16, 172, 193 Moffat, James 12 Morosow, Nikolai 12 Müller, Heiner 5 Müntzer, Thomas 66, 77 Musil, Robert 138 Mussolini, Benito 21 Nancy, Jean-Luc 68 Navratil, Leo 131 Nietzsche, Friedrich 2, 17–19, 22, 25, 47–50, 53, 58, 68, 80, 127, 154 f., 187, 195 Nin, Anaïs 193 Nitzsch, Karl Immanuel 33 Oettermann, Stephan 108, 128 Origenes 64 Pannenberg, Wolfhart 37 Panofsky, Ernst 184 Papin, Christine 171 Papin, Léa 171 Paulinus (von Nola) 65 Paulus (von Tarsus) 4 f., 18 f., 37, 63 f., 70 f., 74, 79–81, 86, 110, 155 f., 177, 186–188 Petras, Otto 64 Plutarch 147 Poe, Edgar Allan 4, 120 f., 143–154, 158–162, 168, 170 f., 177 f., 186, 200 Popper-Lynkeus, Josef 190 f. Pryse, James 14

 227

Rank, Otto 194 Reich, Wilhelm 2 Renan, Ernest 103 Richter, Johann Paul Friedrich (Jean Paul) 114–116, 123, 126 Richthofen, Elsa von 2, 16 f. Robinson, Douglas 121, 134 Rosenzweig, Franz 77 Rousseau, Jean-Jacques 105 f., 126 Roussel, Raymond 42 Russell, Charles Teaze 144 f. Saussure, Ferdinand de 41 Savonarola, Girolamo 93 Schlegel, Friedrich 34 Schleiermacher, Friedrich 33 f., 97, 111 Schlosser, Johann Georg 25, 99 f. Schmidt, Arno 123 Schmitt, Carl 5, 50, 68–76, 79, 84, 88, 106, 155, 186 Scholem, Gershom 64, 77 Schweitzer, Albert 36, 77 Serres, Michel 42 Shakespeare, William 147 f. Shelley, Mary 108, 119 Sherwood, Yvonne 26, 87, 99, 140 Signorelli, Luca 166 Simondon, Gilbert 183 Sloterdijk, Peter 63 Smith, Joseph 145 Spengler, Oswald 41, 77 Spinoza, Baruch de 94, 98, 195 Stegemann, Hartmut 37 f. Steiner, Rudolf 13 f. Stifter, Adalbert 112 f. Strauß, David Friedrich 36, 103 Strauß d. Ä., Johann 112 Swedenborg, Emanuel 99 Swift, Jonathan 95 Taubes, Jacob 3, 40, 50, 62–69, 72–74, 76 f., 80 f., 85, 154–157, 184, 189, 192 Tertullian 70 Theodosius I. 65 Tillich, Paul 77 Trier, Lars von 4, 68, 141, 169–171, 173–177, 180 f., 200 Troeltsch, Ernst 77 Twain, Mark 121



228 

 Personenregister

Vischer, Eberhard 35 Vogl, Joseph 59, 137, 179, 188–190 Voltaire 106 Vondung, Klaus 4, 31, 78, 96, 111, 137 f., 189 Weber, Max 77 Weiß, Johannes 12 Wetzel, August 132



White, Ellen Gould Harmon 144 White, James 144 Whitehead, Alfred North 189 Wittgenstein, Ludwig 179 Wizenmann, Thomas 34 Ẑiẑek, Slavoj 5, 180