Die Steuerpolitik in der Bundesrepublik Deutschland 1949 - 1982 [1 ed.] 9783428460045, 9783428060047


135 40 26MB

German Pages 213 Year 1986

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Recommend Papers

Die Steuerpolitik in der Bundesrepublik Deutschland 1949 - 1982 [1 ed.]
 9783428460045, 9783428060047

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

JUTTA MUSCHEID

Die Steuerpolitik in der Bundesrepublik Deutsmland 1949-1982

Volkswirtschaftliche Schriften Begründet von Prof. Dr. Dr. b. c. J, Broermann

Heft 365

Die Steuerpolitik in der Bundesrepublik Deutschland

1949-1982

Von

Dr. Jutta Muscheid

DUNCKER & HUMBLOT I BERLIN

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Musrheld, Jutta: Die Steuerpolitik in der Bundesrepublik Deutschland: 1949 - 1982 I von Jutta Muscheid. Berlin: Duncker und Humblot, 1986. (Volkswirtschaftliche Schriften; H. 3ß5) ISBN 3-428-06004-0

NE:GT

Alle Rechte vorbehalten & Humblot GmbH, Berlin 41 Gedruckt 1986 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed in Germany

© 1986 Dunelter

ISBN 3-428-06004-0

Inhaltsverzeichnis

A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11

I. Steuern als Instrument der Wirtschaftspolitik in der wissenschaftlichen Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11

II. Aufbau der Untersuchung.................... . . ........... ... ....

13

B. Die Steuerpolitik 1949-1982 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15

I. Die verschiedenen Phasen des untersuchten Zeitraums ... . . . . . . . . . . . . .

15

II. Die Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

16

1. Zur Bedeutung früherer Zeiträume für die Steuergesetzgebung der Bundesrepublik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Entwicklung im Kaiserreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Steuerpolitische Weichenstellungen in der Weimarer Zeit 1919-1933 . 4. Die Steuerpolitik im "Dritten Reich" 1933-1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die steuerlichen Maßnahmen in der Besatzungszeit bis zur Währungsreform 1948 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die wirtschaftliche und politische Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die "Februargesetze" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Währungsreform und das Leitsätzegesetz... . ... . ...... ... .

24 24 27 28

III. Die "Nachkriegsperiode" 1948/49 bis 1958 .. . .. ... . . . ... . ...... .. . . .

32

1. Rahmenbedingungen für die Steuerpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die wirtschaftliche Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die wirtschaftspolitische Zielsetzung: Wachstum und Währungsstabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Neuordnung der Finanzverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zur "Verfassungsmäßigkeit" eines wirtschaftspolitischen Einsatzes der Steuerpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Steuerpolitik im Zeichen der Förderung von Investitionen und Wachstum.. . ... .. . . . .. .... . ........ ... . ................ . ..... . .. . . a) Steuervergünstigungen bei hohem Tarif . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Steuervergünstigungen zur Förderung der Selbstfinanzierung . bb) Steuervergünstigungen zur Belebung des Kapitalmarktes . . . . cc) Negative "Nebenwirkungen" der Sonderbegünstigungen . . . . . b) Die Steuerreformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die "kleine Steuerreform" 1953 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Steuerreform von 1954/55 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Steuerpolitik bei anhaltenden Kassenüberschüssen... . . . . . . . . . . . d) Zusammenfassende Wertung der Steuerpolitik in den Jahren 1948 bis 1957 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32 32

16 17 18 20

38 40 42 44 44 44 51 53 57 57 58 63 65

Inhaltsverzeichnis

6

IV. Steuerpolitik im Zeichen von Verteilungs-und Strukturpolitik 1957-1965

67

1. Rahmenbedingungen für die Steuerpolitik in den Jahren 1957-1965 ..

67 67

a) Die wirtschaftliche Entwicklung 1957-1965. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die wirtschaftspolitische Zielsetzung: Verteilungs- und Strukturpolitik 2. Die verteilungspolitischen Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Lastenausgleich . ...................................... . b) Die Neuregelung der Ehegattenbesteuerung und die Tarifreform von 1958 c) Die Förderung der Vermögensbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Kapitalmarktpolitische Ziele der Vermögenspolitik . . . . . . . . . bb) Die Förderung der Geldvermögensbildung . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Förderung des Aktiensparens...................... .. dd) Die Förderung des Wohnungsbaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Die Kosten der vermögenspolitischen Maßnahmen . . . . . . . . . d) Die Tarifanderungen durch die Steueränderungsgesetze 1964/65 . . 3. Struktur- und wettbewerbspolitische Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Förderung des "Mittelstandes" .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Förderung strukturschwacher Gebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Berlinförderung . . ... . .. .. . ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Zonenrandgebiete............................... ... c) Die Förderung bestimmter Wirtschaftszweige.................. aa) Der Kohlebergbau.................................... . bb) Der Agrarsektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Wertung der steuerlichen Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

70 73 73 78 82 82 84 87 89 90 92 96 96 104 104 107 108 108 111 113

V. Steuerpolitik als Konjunkturpolitik 1967/68............ . .. .......... 115 1. Rahmenbedingungen für die Steuerpolitik.. . .... . ................ 115

a) Die Reaktion auf konjunkturelle Schwankungen vor 1966 . . . . . . . b) Die wirtschaftliche Situation 1966/67 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die steuerlichen Konjunkturmaßnahmen 1967 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erste Reaktionen auf die Rezession . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Neue Ziele der Steuerpolitik? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

115 118 121 121

124 129

VI. Steuerpolitik unter pluralistischer Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 1. Rahmenbedingungen für die Steuerpolitik . ...................... . 131

a) Die wirtschaftliche Entwicklung 1968-1982 .................... b) Die wirtschaftspolitischen Zielsetzungen der sozialliberalen Koalition.......... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Reform der Gemeindefinanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die verteilungspolitischen Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Förderung der Vermögensbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Steuerreform von 1974/75....... . ... .................... aa) Die Zielsetzungen der Steuerreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Das Außensteuergesetz von 1972. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Reform der einheitswertabhängigen Steuern: Grundsteuer, Vermögensteuer, Erbschaftsteuer und Gewerbesteuer . . . . . . . dd) Die Reform der Einkommensteuer und des Familienlastenausgleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Beurteilung der Steuerreform... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

131

134 137 141 141 142 142 144 145 150 156

Inhaltsverzeichnis 4. Konjunkturpolitischer Einsatz der Steuerpolitik a) Kontraktive Maßnahmen bis 1973 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Konjunkturstimulierung 1974 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Wachstumspolitik ab 1976 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Verlustrücktrag..... . ........ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Körperschaftsteuerreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Steuerpolitik im Zielkonflikt- die "Steuerpakete" 1977, 1979, 1980 und 1981 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Steuerpolitik als Mittel zur Haushaltskonsolidierung.... . . . . . . . . . . . 8. Die strukturpolitischen Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die "Mittelstandspolitik" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Förderung strukturschwacher Gebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Berlinförderung......... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Zonenrandgebiete......... . . . ... ............. . . . . . . c) Die Förderung des Agrarsektors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Zusammenfassende Wertung der Steuerpolitik in den Jahren 1968-1982

7 158 158 163 164 164 166 168 186 190 190 192 192 194 195 197

C. Scblußbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203

Verzeichnis der Graphiken 1: Einkommensteuertarifverlauf für Ehepaare mit einem Kind nach den Tarifen 1946, 1951, 1953, 1957 und 1958.................. . .. ........... . .. ....

81

2: Entwicklung des Bruttosozialproduktes in den Jahren 1951-1970...... . . . . . 116 3: Beschäftigungswachstum und Investitionsquote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 4: Arbeitsmarktentwicklung in der Krise 1967 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 5: Bruttosozialprodukt und Industrieproduktion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 6: Steuerbelastung nach den ESt-Tarifen 1965 und 1975 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 7: Auswirkung der Tarifänderung des StÄndG 1979 für Ledige........ .. ... . . 177 8: Tarifverlauf EStG 1979 und 1981 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182

A. Einleitung I. Steuern als Instrument der Wirtschaftspolitik in der wissenschaftlichen Diskussion Die Berechtigung des Staates, Steuern von seinen Bürgern zu erheben, um damit öffentliche Leistungen zu finanzieren, ist seit langem allgemein anerkannt. Spätestens seit dem 17ten Jahrhundert sind dauerhaft erhobene Steuern in allen entwickelten Ländern eingeführt 1 . Die Vorstellung, daß der Staat durch die Gestaltung solcher Abgaben Einfluß auf das Verhalten der Besteuerten nehmen, also Steuerpolitik betreiben könne, setzte sich demgegenüber erst sehr viel später durch. Auch die wissenschaftliche Diskussion zum Thema Steuern befaßte sich zunächst vor allem mit der Frage, wie die Steuerlast möglichst "gerecht" auf die Bevölkerung zu verteilen sei; insbesondere seit der Mitte des 18ten Jahrhunderts entstand auf diesem Gebiet eine Vielzahl von Vorschlägen 2 • In diese verschiedenen Steuerverteilungstheorien flossen dabei natürlich als Grundlage die vorherrschenden Ansichten über die Stellung des Staates in Gesellschaft und Wirtschaft ein. Entsprechend der das späte 18te und 19te Jahrhundert prägenden liberalen Wirtschaftstheorie gingen die in dieser Zeit entstandenen Steuerverteilungstheorien von einer inneren Stabilität des Wirtschaftsablaufes aus, die durch staatliche Eingriffe nicht gestört werden dürfe und von sich aus zur richtigen Verteilung von Einkommen und Vermögen führe. Dementsprechend verstand man unter "gerecht" eine Besteuerung, die- gemäß dem Prinzip "leave-themas-you-find-them"- die relativen Positionen der Besteuerten im Wirtschaftssystem unangetastet ließ. Eine bewußte Beeinflussung des Wirtschaftsgeschehens durch den Staat, etwa im Sinne einer Bevorzugung bestimmter Bevölkerungsgruppen, - so diese Ansicht - konnte nur unproduktiv sein und war daher abzulehnen.

Vgl. Mann, Fritz Kar!, Steuerpolitische Ideale, Jena 1937, S. 50f. Vgl. ebenda, S. 115 ff. Überlegungen zur Verteilung der Steuerlast hatte es natürlich auch schon vorher gegeben. Vor allem bei den Merkantilisten ist auch durchaus die Argumentation zu finden, Steuern sollten ein bestimmtes, vom Staat gewünschtes Verhalten auslösen (vgl. hierzu Neumark, Fritz, Interventionistische und dirigistische Steuerpolitik, in: Beckerath, Erwin v. u.a. (Hrsg.), Wirtschaftsfragen der freien Welt, Frankfurt 1957, S. 450f.). Da sich diese Theorien ge~enüber der liberalen Wirtschaftsauffassung jedoch nicht durchsetzen konnten, soll h1er nicht näher auf sie eingegangen werden. 1

2

A. Einleitung

12

Erst als der "Glaube an das harmonische Kräftespiel", wie er dem klassischen System zugrunde lag, "erschüttert" 3 war, gewann allmählich die Vorstellung Raum, staatliche Eingriffe in den Wirtschaftsablaufkönnten nicht nur unschädlich, sondern sogar notwendig für dessen Funktionieren sein. Zwar dominierten hier zunächst die Überlegungen zu einer wirtschaftspolitischen Gestaltung der Staatsausgaben, doch besann man sich auch auf die Einnahmenerzielung als möglichen Ansatzpunkt staatlicher Einflußnahme auf die Wirtschaft. Zu nennen ist hier vor allem Adolf Wagner, dessen Postulat von der "sozialen Funktion der Besteuerung" 4 - obwohl zunächst allgemein abgelehnt 5 - einen wesentlichen Anstoß zur Diskussion um die nicht-fiskalischen Steuerzwecke darstellt. Neben der veränderten Beurteilung des Wirtschaftsablaufs war jedoch noch ein weiterer Punkt Ursache dafür, daß man sich nun von wissenschaftlicher Seite in stärkerem Maße mit den wirtschaftspolitischen Wirkungen der Besteuerung beschäftigte. Es hatte sich erwiesen, daß das Postulat einer "neutralen" Besteuerung, die keinen Einfluß auf die Privatwirtschaft ausübt, an sich schon eine "Utopie" 6 war. Angesichts des gestiegenen staatlichen Finanzbedarfs, der sich aus der Übernahme immer neuer Aufgaben ergab 7 , hatte die Steuerlast längst ein Volumen erreicht, das eine Neutralität vollends zur Unmöglichkeit machte. Wenn demnach die Besteuerung ohnedies Effekte auf das Verhalten der Besteuerten ausübte, lag der Versuch nahe, die Steuern nun so auszugestalten, daß von ihnen wirtschaftspolitisch erwünschte Wirkungen ausgingen. Der~rtige Überlegungen waren jedoch nicht unumstritten. So lehnte Gerloff noch 19268 Steuern mit "Nebenzwecken" als "Scheinsteuern", die den "Finanzzweck" gefahrdeten, strikt ab. Trotz dieser zum Teil noch ablehnenden Haltung gewann die Lehre von den nicht-fiskalischen Steuerzwecken immer mehr Anhänger. Zu nennen sind hier vor allem Adolf Lampe und Kar! Bräuer9 , die versuchten, eine saubere Abgrenzung dieser neuen Steuerziele vom fiskalischen Steuerzweck vorzunehmen 10 • Mann, Fritz Kar!, Steuerpolitische Ideale, S. 317. Wagner, Adolf, Finanzwissenschaft, Bd. 1, 3. Aufl. Leipzig 1883, S. 40ff. 5 Mann, Fritz Kar!, Steuerpolitische Ideale, S. 322. 6 Ebenda, S. 343. 7 Hierzu ausführlicher vgl. Ehrlicher, Werner, Die öffentliche Finanzwirtschaft, in: Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaft, Stuttgart u. a. 1980, S. 164 IT. 8 Gerloff, Wilhelm, Handbuch der Finanzwissenschaft, Bd. 1, Tübingen 1926, S. 441, ähnlich bei Ritschl, Hans, Theorie der Staatswirtschaft und Besteuerung, Bonn 1925, S. 84fT. 9 Lampe, Adolf, Die wirtschaftlichen Voraussetzungen der nicht-fiskalischen Steuergestaltung, insbesondere der Steuerbegünstigung, Festgabe für Georg von Schanz, Bd. 1, Tübingen 1928, S. 172fT., Bräuer, Karl, Finanzsteuern, Zwecksteuern und Zweckzuwendung von Steuererträgen, Schriften des Vereins für Socialpolitik, Bd. 128, Berlin 1928. 10 Dabei war jedoch die von Bräuer (ebenda, S. 6) vorgenommene Unterteilung in Finanzsteuern - zur Einnahmeerzielung- und Zwecksteuern - zur Verfolgung wirtschaftspolitischer Ziele - nicht sehr hilfreich. Gerade finanziell ertragreiche Steuern boten sich ja vom Volumen her geradezu an, um durch entsprechende Ausgestaltungsvariationen wirtschaftspolitische Wirkungen zu erzielen. 3

4

II. Aufbau der Untersuchung

13

Zu der von Adolf Wagner betonten sozialpolitischen Aufgabe der Besteuerung traten nun neue Ziele hinzu. So nennt Vogel 11 neben einer Nivellierung der Einkommens- und Vermögensverteilung insbesondere struktur- und wettbewerbspolitische Ziele, Exportförderung, Gesundheitspolitik, aber auch gezielte Förderung von Investitionen und Kapitalbildung. In den 30er Jahren kommt dann, unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise und später der Lehre von J. M. Keynes, das Ziel der Konjunkturstabilisierung hinzu, wobei man sichjedoch vor allem mit Ausgabeprogrammen bzw. der öffentlichen Kreditnahme beschäftigte und steuerpolitische Maßnahmen bestenfalls als Ergänzung ansah 12 • Ihren Höhepunkt erreichte die Theorie von der Besteuerung als Mittel zur Wirtschaftspolitik in der Ende der 40er Jahre entwickelten These von der "functional finance" insbesondere bei Lerner 13 , der einen fiskalischen Zweck der Besteuerung gänzlich leugnet und nur noch wirtschaftspolitisch bestimmte Steuern zulassen will. Wie gezeigt hatte sich die Vorstellung von einer staatlichen Einflußnahme auf die Wirtschaft mit dem Mittel Steuer zu Beginn des hier betrachteten Zeitraums in der Finanzwissenschaft allgemein durchgesetzt. Praktische Anwendung hatten diese Erkenntnisse zum Teil bereits in der Weimarer Republik gefunden und auchim-diktatorisch bestimmten- System des Nationalsozialismus hatte man diese Vorstellungen schon in großem Rahmen für die eigenen wirtschaftspolitischen und weltanschaulichen Ziele genutzt. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es nun, aufzuzeigen, wie Steuerpolitik verstanden als bewußter Einsatz der Einnahmengestaltung zur Verfolgung unterschiedlicher wirtschaftspolitischer Ziele - auch in der Bundesrepublik Deutschland eingesetzt wurde und welchen Zielen sie diente.

II. Aufbau der Untersuchung Für die Untersuchung wurde der betrachtete Zeitraum von 1949 bis 1982 in Perioden unterschiedlicher wirtschaftspolitischer Hauptziele eingeteilt. Um zu verdeutlichen, aus welcher wirtschaftlichen Situation sich diese Ziele ergeben und vor welchem Hintergrund demnach die Steuerpolitik zu sehen ist, wird zu Beginn jedes Kapitels jeweils ein kurzer Überblick über die wesentlichen Aspekte der wirtschaftlichen Entwicklung in den betreffenden Jahren gegeben. Aus Regierungserklärungen, Gesetzesbegründungen, Jahreswirtschaftsberichten und anderen Regierungsäußerungen werden in einem zweiten Schritt die wirtschaftspolitischen Hauptziele für die jeweilige Periode ermittelt. 11 Vogel, Emanuel, Grundsätzliches zur theoretischen Frage "nichtfiskalischer Zwecksetzung" in der Besteuerung, in: Finanzarchiv, 46. Jahrgang, 1929, S. 5 ff. 12 Stellvertretend seien hier genannt: Fick, H., Finanzwissenschaft und Konjunktur, o. 0., 1932, sowie Zachmann, Reinhold, Volkswirtschaftliche Theorie des Staatskredits, Würzburg 1938. 13 Lerner, Abba P., The Economics of Control, New York 1947.

14

A. Einleitung

Nachdem so die "Rahmenbedingungen" für die Steuerpolitik umrissen sind, sollen jeweils die wesentlichen Steueränderungen des entsprechenden Zeitraums dargelegt werden. Angesichts der Fülle von Einzelgesetzen ist dabei eine Beschränkung auf die wesentlichen Maßnahmen unumgänglich und auch inhaltlich angebracht, da es sich bei der Mehrzahl der verabschiedeten Gesetze um "Routinemaßnahmen" ohne steuerpolitische Bedeutung handelt. Die Untersuchung umfaßt demnach nur solche Änderungen des Steuerrechts, die vom Volumen her bedeutsam und/oder in ihrer Ausgestaltung und Zielsetzung besonders auf wirtschaftspolitische Wirkung hin ausgerichtet sind. Entsprechend der gewählten Definition des Begriffes "Steuerpolitik" sind automatische Änderungen in Aufkommen und Struktur der Steuern nicht Gegenstand dieser Arbeit, sie werden daher nur insoweit behandelt, als sie den Anlaß für diskretionäre staatliche Eingriffe darstellen. Die Untersuchung endet mit dem Regierungswechsel vom Oktober 1982 und versucht in einem abschließenden Kapitel, Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten in der Steuerpolitik der behandelten Zeitabschnitte zusammenzufassen.

B. Die Steuerpolitik 1949-1982 I. Die verschiedenen Phasen des untersuchten Zeitraums Zur Untersuchung eines so langen Zeitraums, wie ihn die deutsche Nachkriegszeit bis 1982 darstellt, ist es unumgänglich, die betrachtete Periode in einzelne Phasen zu zerlegen. Hierfür kämen einmal rein historische Unterteilungen in Frage, wie z. B. die nach Regierungen ("Ära Adenauer", "Große Koalition"), nach Legislaturperioden oder- noch schematischer- nach 10-Jahresabschnitten. Zum anderen wäre aber unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Aspekte auch eine Einteilung nach Wachstumsentwicklungen - wie etwa Kondratieffzyklen- oder dem Konjunkturverlauf möglich. Für die gegebene Fragestellung bietet sich jedoch unseresErachtenseine Wahl der Phasen an, die sich an den vorrangigen wirtschaftspolitischen Zielen der jeweils Regierenden orientiert, d. h. daß dann eine neue Phase beginnt, wenn die Wirtschaftspolitik eine andere Richtung einschlägt. Es ist offensichtlich, daß diese Einteilung in engem Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Entwicklung steht, ergeben sich doch die wirtschaftlichen Ziele z. T. unmittelbar aus dieser oder gehen wirtschaftliche Parameter zumindest als Rahmenbedingungen in die Zielentscheidungen der Politik ein. Wirtschaftliche Aspekte sind jedoch immer nur ein Teil der Faktoren, welche die Wirtschaftspolitik bestimmen, und können durchaus auch zeitweise von als vorrangig empfundenen politischen Zielen überlagert werden. Immer dann jedoch, wenn die wirtschaftliche Lage schwieriger wird, finden -wie die Erfahrungen zeigen - ökonomische Überlegungen wieder vorrangig Eingang in die Entscheidungen. Betrachtet man die Entwicklung in der Bundesrepublik unter dem Aspekt der wirtschaftspolitischen Zielsetzungen, so fällt es oftmals schwer, einzelne Perioden mit unterschiedlichen Zielen voneinander eindeutig abzugrenzen. Politische Vorstellungen wandeln sich nur allmählich, häufig überlagern sich wirtschaftspolitische Ziele eine Zeit lang. Trotz dieser Einschränkungen zeichnen sich jedoch vier - unterschiedlich lange - Perioden ab 1 • 1 Diese Einteilung stimmt im ersten Teil mit der von Ehrlicher (Ehrlicher, Werner, Deutsche Finanzpolitik 1949-1974, in: Wirtschaftsdienst 1974, S. 239fT.) überein, weicht jedoch dann von ihr ab, da Ehrlicher auf die Analyse der Ursachen der wirtschaftlichen Entwicklung abstellt, während hier die - erst etwas später einsetzende - Reaktion der Politik auf diese Entwicklung untersucht wird.

16

B. Die Steuerpolitik 1949-1982

Die erste Periode ist die unmittelbare Nachkriegszeit bis etwa 1957/58. Hier ergeben sich bei der Ermittlung der wirtschaftspolitischen Zielsetzung kaum Probleme. Das Primat des Wachstums vor allen anderen wirtschaftspolitischen Größen ist klar zu erkennen, es wird fast in jeder wirtschaftlichen Debatte im Bundestag hervorgehoben. Die darauffolgende Periode bis 1966 ist gekennzeichnet durch Vollbeschäftigung und geringe gesamtwirtschaftliche Probleme. Vor diesem Hintergrund war es möglich, sich vermehrt struktur- und verteilungspolitischen Zielen zuzuwenden. Der Schock der ersten schweren Nachkriegsrezession der Jahre 1966/67ließ vor allem konjunkturpolitische Erwägungen in den Vordergrund treten. Welche Dominanz der kurzfristigen Ablaufpolitik plötzlich zukam, zeigt sich eindrucksvoll darin, daß mit der Verabschiedung des "Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes" im Juni 1967 erstmals -auch international -eine umfassende konjunkturpolitische Konzeption ihren gesetzlichen Niederschlag fand. Der rasche und kräftige wirtschaftliche Wiederaufstieg in den beiden Folgejahren ließ zunächst konjunkturpolitische Überlegungen wieder in den Hintergrund treten, so daß es gerechtfertigt erscheint, das Jahr 1967 als eigenständige, dritte Phase zu bezeichnen, eine Phase, in der sich die Steuerpolitik als Konjunkturpolitik darstellte. Für die vierte Phase, die von 1968 bis zum Ende der Referenzperiode (1982) reicht, ist schließlich die Zielsetzung nicht mehr so eindeutig festzustellen wie für die vorangegangenen Abschnitte. Unterschiedliche Ziele wie gleichmäßigere Einkommens- und Vermögensverteilung, Konjunkturstabilisierung, gegen Ende der Periode vor allem auch Wachstumsstimulierung überlappen einander und werden mit wechselnden wirtschaftspolitischen Mitteln verfolgt. So ist auch die Steuerpolitik in dieser Zeit nicht eindeutig, sondern von wechselnden Zielsetzungen bestimmt.

II. Die Ausgangslage 1. Zur Bedeutung früherer Zeiträume für die Steuergesetzgebung der Bundesrepublik Der Beginn des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg wurde vielfach als "Stunde Null" empfunden. Diese Kennzeichnung eines völligen Neubeginns ist sicher richtig für den Bereich der Politik, hier bedeutete die Gründung der Bundesrepublik in der Tat einen Neuanfang. Auf wirtschaftlichem Gebiet empfand man vor allem die Währungsreform und die Abkehr von der Bewirtschaftung als Neubeginn, wenn man diese Vorstellung auch dahingehend einschränken muß, daß die Wiederaufbaubemühungen der vorausgegangenen Jahre nach 1945 wichtige Voraussetzung für den schnellen Aufschwung nach 1948 waren.

II. Die Ausgangslage

17

Insbesondere für den Bereich der Politik, bedingt auch für die Wirtschaft, war jedoch bestimmend, daß man- nachdem Altes weitgehend zerstört oder außer Kraft war- Neues gestalten konnte und mußte, mit der Einschränkung, daß es nicht immer die deutschen Instanzen allein waren, die diese Neugestaltung vornahmen. Auf steuerpolitischem Gebiet Jagen die Dinge anders. Hier gab es kein "freies Feld", das auf Neuregelungen wartete, vielmehr sah sich der erste Steuergesetzgeber der Bundesrepublik im Jahre 1949 vor einer unsystematischen Ansammlung gültiger steuerlicher Vorschriften der vergangeneo Epochen, bei denen darüber hinaus ideologische Einflüsse und/oder Finanznot die ursprünglichen Gesetze verändert hatten. Um eine Vorstellung davon zu geben, welch unterschiedliche Einflüsse die "Steuersituation" 1949 geprägt haben, seien hier kurz die wichtigsten Entwicklungen der vorangegangenen Perioden auf steuerlichem Gebiet skizziert.

2. Die Entwicklung im "Kaiserreich" Das Steuersystem, wie wir es heute kennen, geht auf die Weimarer Republik, genauerauf die Erzbergersehe Finanzreform, zurück. Bis gegen Ende des letzten Jahrhunderts hatten noch weitgehend die Ertragsteuern - Grundsteuer, Vermögensteuer und Gewerbesteuer - überwogen. Im Zuge des allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwungs der letzten Jahrzehnte des vergangeneo Jahrhunderts löste dann die direkte Besteuerung des Einkommens die Ertragsteuer als Haupteinnahmequelle ab. Ursache für diese Entwicklung war vor allem der vermehrte Einnahmebedarf des Fiskus aufgrund wachsender Staatsaufgaben, der sich mit den aufkommensunelastischen Ertragsteuern in einer wachsenden Wirtschaft nicht befriedigen ließ. Eine derartige direkte Besteuerung wurde jedoch überhaupt erst dadurch möglich, daß zum einen die mit der Industrialisierung zunehmende Kontrollmöglichkeit des Einkommens gegeben war - in einer vorwiegend agrarischen Wirtschaft mit vielen Kleinbetrieben stieß eine allgemeine Einkommenserfassung auf Schwierigkeiten 1 • Zum anderen erlaubten jedoch erst die grundlegenden Veränderungen, die im Verhältnis Staat- Bürger stattgefunden hatten, es dem Staat überhaupt, in die Privatsphäre des einzelnen vorzudringen, um verläßliche Daten für die Erhebung zu bekommen - eine zuvor völlig undenkbare Vorstellung angesichts z. B. einer Gebäudesteuer, die sich ausschließlich an äußeren Merkmalen wie Stockwerken und Fensterzahlen orientierte. 2 Nach der Einführung der ersten allgemeinen Einkommensteuer in Hessen 1869 folgten bald darauf Sachsen (1874) und Baden (1884). Als auch Preußen 1 Vgl. Ehrlicher, Werner, Wandlung der Steuerordnungen, in: Finanzarchiv, NF Bd. 27, 1968, s. 61. 2 Neurnark, Fritz, Theorie und Praxis der modernen Einkommensbesteuerung, Bern 1947, S. 22.

2 Muscheid

18

B. Die Steuerpolitik 1949-1982

diese Steuer unter Miquel1891 eingeführt hatte, war ihr Siegeszug durch die anderen deutschen Länder nicht mehr aufzuhalten. Wie diese Beispiele zeigen, betraf die neue Steuerart zunächst nur die Länder, wies doch die extrem föderalistische Finanzverfassung den Ländern die direkten Steuern und dem Reich Zölle und indirekte Steuern zu 3 • In dieser Verteilung der Steuern kam die politische Struktur des Reiches, ein freiwilliger Zusammenschluß souveräner Staaten zu einem föderativen Bundesstaat mit geringen Machtbefugnissen der Zentralgewalt, deutlich zum Ausdruck. Das steuerliche Trennsystem wurde in größerem Umfang4 erst im Laufe des 1. Weltkrieges infolge zunehmender Finanzprobleme des Reiches durch die Einführung von Mehrgewinn- und Vermögenszuwachssteuern als Reichssteuern aufgeweicht, eine endgültige Lösung stand jedoch noch aus. 3. Steuerpolitische WeichensteUungen in der Weimarer Zeit 1919-1933

Die junge Weimarer Republik sah sich bei Kriegsende vor eine große Zahl drängender Probleme gestellt, so z. B. Demobilisierung, Kriegsopferversorgung, Reparationen und eine drückende Verschuldung des Reiches 1 , um nur die finanzwirtschaftlich bedeutendsten zu nennen. Die Regelung dieser Fragen war eine Aufgabe, die nur einheitlich durch den Zentralstaat, das Reich, bewältigt werden konnte 2 • Die bisherige Regelung der finanzwirtschaftliehen Beziehungen zwischen Reich und Ländern, in der das Reich "Kostgänger der Länder" war, konnte dieser Aufgabe nicht gerecht werden; eine Änderung tat not, insbesondere auch, um den Ausgleich des Reichshaushaltes zu gewährleisten, dessen Defizite die Inflation weiter anheizten. Erforderlich war sowohl eine Erhöhung des Gesamtsteueraufkommens als auch eine Verbesserung der finanziellen Ausstattung des Reiches - beides sollte die Erzberger'sche Finanzreform3 bringen. 3 Auf die Finanzierungseinzelheiten, wie Matrikularbeiträge, Franckenstein'sche Klausel u. dgl. soll hier nicht weiter eingegangen werden. 4 Schon zuvor hatte es einige Durchbrechungen gegeben, zuletzt durch die Heeresabgaben von 1913. 1 Trotz einiger Bemühungen, die Steuereinnahmen zu erhöhen vor allem durch Neueinführung und Erhöhung spezieller Verbrauchsteuern, da dem Reich keine direkte Steuer zufloß - war die Kriegsfinanzierung zum überwiegenden Teil aus Krediten erfolgt. Ende 1918 betrugen die Reichsschulden ca. 150 Mrd. RM. Vgl. Zorn, Wolfgang, Staatliche Wirtschafts- und Sozialpolitik und öffentliche Finanzen 1800 -1970,in: Handbuch der deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Bd. 2, Stuttgart 1976. 2 Nicht nur auf finanzwirtschaftlichem Gebiet gewann das Reich als Zentralgewalt an Bedeutung, die Verfassung von Weimar ist insgesamt in starkem Maße von unitaristischen Staatsvorstellungen geprägt. 3 Einen umfassenden Überblick über die Haushaltssituation nach dem 1. Weltkrieg und die Erzberger'sche Finanzreform gibt: Respondek, Erwin, Die Reichsfinanzen auf Grund der Reform von 1919/20, Berlin und Leipzig 1921.

II. Die Ausgangslage

19

Kernpunkte dieser Reform waren: die Verwaltungsreform, die Steuerreform und die Reform des Finanzausgleichs, wobei im Rahmen dieser Untersuchung nur die zwei letztgenannten von Interesse sind. Bei der Steuerreform dominierte der Gedanke der Vereinheitlichung des zersplitterten Steuerrechts; so lösten die neuen Regelungen zur Einkommensteuer am 29. 03. 1920 26 verschiedene Ländergesetze zur Einkommensbesteuerung ab4 . Neben der Einkommensteuer wurden auch die Körperschaftsteuer, die Kapitalertragsteuer, die Erbschaftsteuer und die Grunderwerbsteuer sowie 1922 die Vermögensteuer reichseinheitlich geregelt. Zur Idee der Vereinheitlichung trat die der Gleichmäßigkeit und sozialen Gerechtigkeit: die Aufbringung der benötigten hohen Finanzmasse sollte vor allem auch durch eine stärkere Belastung der oberen Einkommensschichten erreicht werden 5 • Das ganze Reformwerk läßt ein verschärftes Bewußtsein des Zusammenhanges zwischen Steuersystem und wirtschaftlicher Entwicklung erkennen. Erzherger sah in einem rationalen Steuersystem und der Gesundung der Staatsfinanzen die Grundvoraussetzung für die Wiederbelebung der darniederliegenden Wirtschaft 6 . Die Vereinheitlichung der wichtigsten Steuern ging einher mit einer Neuzuordnung von Steuerhoheit und Aufkommen. Im Landessteuergesetz vom 30. 03. 19207 wurde dem Reich die Steuerhoheit bezüglich der wichtigsten Steuern übertragen, die Steuerhoheit der Länder und Gemeinden wurde vor allem dadurch eingeschränkt, daß keine konkurrierende Steuererhebung zugelassen wurde. Hierdurch sollte eine eventuelle Aufkommensminderung bei den Reichssteuern verhindert, daneben aber auch die erstrebte Einheitlichkeit der Besteuerung im ganzen Reich garantiert werden 8 . Neben den "eigenen" Steuereinnahmen aus Ertragsteuern, wie Grundsteuer und Gewerbesteuer, erhielten die Länder und Gemeinden nun große Teile ihrer Finanzmasse durch Beteiligungen an Einkommensteuer, Körperschaftsteuer und Umsatzsteuer, das heißt in dem neuen Zuweisungssystem, das das alte Trennsystem ablöste, wurden die Länder nun faktisch zu "Kostgängern des Reiches" 9 • Die Erzberger'sche Finanzreform von 1919/1920 blieb zwar durch den raschen Fortgang der Inflation zunächst- insbesondere was die Steuereinnahmen bzw. deren reale Steigerung betraf- scheinbar wirkungslos 10 , nach der W ährungsre4 Vgl. Möller, Alex, Reichsfinanzminister Mattbias Erzherger und sein Reformwerk, Bonn 1971, S. 40. 5 Vgl. EStG vom 29. 03. 1920 mit Erweiterung des Existenzminimums und der Kindervorteile unter starker Anhehung des Spitzensteuersatzes von 4% (1913) auf 60%. 6 Vgl. Möller, Alex, Reichsfinanzminister Mattbias Erzherger und sein Reformwerk, S. 42. 7 RGBI. 1920, S. 402. 8 Vgl. Leide!, Herhert, Die Begründung der Reichsfinanzverwaltung, Erfurt 1964, S. 140. 9 Vgl. ehenda, S. 140. 10 Im Sept./Okt. 1923 wurden nuretwa 2% der Reichsausgaben mit Steuern finanziert. Vgl. Zorn, Wolfg., Staatliche Wirtschafts- und Sozialpolitik und öffentliche Finanzen, S. 187.

2*

B. Die Steuerpolitik 1949-1982

20

form vom 15. Nov. 1923 führte sie jedoch im Rahmen des wirtschaftlichen Aufstiegs schon im.Jahr 1924 zum Haushaltsausgleich. Wichtig ist an der Erzberger'schen Finanzreform im Rahmen dieser Betrachtung vor allem, daß die Steuerhoheit des Reiches über die wichtigsten Steuern eingeführt und im neuen Finanzausgleich schon zu diesem Zeitpunkt eine relativ starke Abhängigkeit der Länder von Zahlungen des Reiches begründet wurde. Die Steuerreform 1925 brachte noch einige Korrekturen an den neuen Steuergesetzen, ließ diese jedoch im Grundsatz unangetastet. Die weiteren steuerlichen Maßnahmen der Weimarer Zeit, insbesondere das prozyklische Verhalten mit Steuersenkungen bei Aufkommenssteigerungen im Aufschwung und Krisensteuern vor allem im Rahmen der vier "finanzgesetzvertretenden" Notverordnungen von 1930 und 1931, sind hier nur insoweit von Bedeutung, als sie das weitgehende Fehlen einer wirtschaftspolitischen Orientierung der gesamten Finanzpolitik offenbaren und insgesamt eindeutig ·zur Verschärfung der Wirtschaftskrise im Deutschen Reich beitrugen 11 . 4. Die Steuerpolitik im "Dritten Reich" 1933-1945

Die Steuerpolitik von 1933 bis 1945läßt sich in drei Phasen mit unterschiedlicher Zielsetzung unterteilen, die sichjedoch zum Teil überlappen: Eine Phase der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, dann eine Phase, in der die Machthaber das Steuersystem im Sinne ihrer Ideologie veränderten und schließlich die Phase der Aufrüstungs- und Kriegsfinanzierung. Nach der "Machtübernahme" durch die NSDAP im Januar 1933 war das drängendste Problem zunächst die Beseitigung der hohen Arbeitslosigkeit. Die vor allem ausgabenpolitischen Maßnahmen zur "Ankurbelung der Wirtschaft" im Frühjahr und Sommer 1933 - die zusätzlichen öffentlichen Ausgaben 1933/34 betrugen etwa 4 Mrd RM 1 - wurden auf der Steuerseite im wesentlichen durch die Aufhebung der Kraftfahrzeugsteuer für nach dem 31. März 1933 zugelassene Personenwagen2 , und der Mineralwasser- und Schaumweinsteuer3 gestützt. Dazu kamen Steuererleichterungen im Bereich der Ersatzbeschaffung für Maschinen4 und der Instandsetzung von Betriebsgebäuden 5 sowie eine Senkung der Umsatzsteuer und der Grundsteuer für die LandwirtVgl. Ehrlicher, Wemer, Die deutsche Finanzpolitik seit 1924, Bonn 1961, S. 8. Vgl. Terhalle, Fritz, Geschichte der deutschen öffentlichen Finanzwirtschaft vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zum Schlusse des 2. Weltkrieges, in: Handbuch der Finanzwissenschaft Bd. 1, 2. Auflage 1952, S. 273. 2 Vgl. RGBI. 1933, S. 192. 3 Die Aufhebung von Kfz- und Schaumweinsteuer hatte offensichtlich eine starke Belebung des Konsums in diesen Bereichen zur Folge. Vgl. Schwerin von Krosigk, Lutz, Staatsbankrott, Göttingen 1974, S. 254f. 4 RGBI. 1933, S. 324. 5 RGBI. 1933, S. 491. 11 1

II. Die Ausgangslage

21

schaft6 . Im Vergleich zu den Maßnahmen auf der Ausgabenseite war das Volumen der Steuererleichterungen mit etwa 440 Mill. RM jedoch gering 7 und ihr Beitrag zur Unterstützung des sich anbahnenden wirtschaftlichen Aufschwungs dürfte nicht allzu groß gewesen sein 8 . An diese Phase der Wirtschaftsankurbelung schließt sich die Phase der "Ideologisierung" der Steuerpolitik an. Die Steuergesetzgebung sollte nun den Grundgedanken nationalsozialistischer Weltanschauung angepaßt werden. Der Anspruch der nationalsozialistischen Regierung war es, aus dem als vorwiegend fiskalisch bezeichneten Steuersystem der Zeit vor 1933 ein "einheitliches wirtschaftspolitisches Instrument" zu machen 9 • Die Grundsätze nationalsozialistischer Steuerpolitik faßt der Steuerexperte der NSDAP und Staatssekretär im Reichsfinanzministerium Fritz Reinhardt in 4 Postulaten zusammen: -

Die oberste Richtschnur der Steuerpolitik muß die nationalsozialistische Weltanschauung sein.

-

Die Steuerpolitik hat dem Kampf um die Verminderung der Arbeitslosigkeit zu dienen.

-

Die Steuerpolitik hat die Familie zu fördern, sie soll im Zusammenhang damit den volkspolitischen Gedanken verwirklichen.

-

Die Steuerpolitik soll den Wert der Persönlichkeit und der persönlichen Verantwortung in der Wirtschaft betonen 10 .

Zur Verwirklichung dieser Ziele diente in erster Linie die Steuerreform vom Oktober 1934; es kann hier jedoch nicht von einer völligen Umstrukturierung des Steuersystems gesprochen werden 11 • Im Bereich der Einkommensbesteuerung läßt sich eine wesentliche Ermäßigung und sozialere Ausgestaltung feststellen, insbesondere was den Familienlastenausgleich betrifft; auch die Umsatzsteuer und die Erbschaftsteuer wurden "bevölkerungspolitisch umgestaltet", d. h. die Freibeträge für Familien wurden erhöht. Die von Reinhardt als letztes angesprochene "Förderung der persönlichen Verantwortung" fand ihren Ausdruck in einer steuerlichen Bevorzugung von Personengesellschaften gegenüber Aktiengesellschaften im Rahmen der Körperschaftsteuer. So wurde eine 6 Die steuerliche Begünstigung der Landwirtschaft diente nicht nur der Konjunkturbelebung, sondern vor allem auch dem Streben nach wirtschaftlicher Autarkie auf dem Ernährungssektor. Die massiven Steuersenkungen (1934-1938 Steuersenkungen von 60 Mi!!. RM und Zinssubventionen von 280 Mill. RM) hatten jedoch nicht die gewünschte Wirkung. Vgl. Häuser, Kar!, Das dritte Reich und der zweite Weltkrieg, in: Stolper, Gustav u. a., Deutsche Wirtschaft seit 1870, 2. Aufl., Tübingen 1966, S. 162. 7 Vgl. Terhalle, Fritz, Geschichte der öffentlichen Finanzwirtschaft, S. 315. 8 Vgl. u. a. Blaich, Fritz, Die "Grundsätze nationalsozialistischer Steuerpolitik" und ihre Verwirklichung, in: Henning, T. W. (Hrsg.), Probleme der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik, Berlin 1976, S. 100. 9 Blaich, Fritz, Grundsätze nationalsozialistischer Steuerpolitik, S. 101. 10 Reinhardt, Fritz, Die neuen Steuergesetze, Berlin, o.J., S. 3f. 11 Terhalle geht sogar so weit, von einer "steuerpolitische(n) Normalisierung" zu sprechen. Vgl. Terhalle, Fritz, Geschichte der deutschen Finanzwirtschaft, S.316.

22

B. Die Steuerpolitik 1949-1982

Mindestbesteuerung für Kapitalgesellschaften und Steuererleichterungen als Anreize zur Umwandlung von Kapitalgesellschaften in Personengesellschaften eingeführt 12 . Die Verankerung der nationalsozialistischen Weltanschauung kam vor allem im Steueranpassungsgesetz vom 16. 10. 1934 13 zum Tragen. Hier ging es darum, sicherzustellen, daß die Auslegung der Gesetze im Sinne der neuen Machthaber erfolgte, was in erster Linie auf eine Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung hinauslief14 . Das Ziel, mit dem Steuersystem ein einheitliches wirtschaftspolitisches Instrument zu schaffen, wurde - falls es sich tatsächlich um ein solches handelte- jedoch nicht erreicht. Häuser kommt zu dem Ergebnis, daß die NSFinanzpolitik sich "nicht nach einem vorgefaßten Plan, sondern aus dem Stegreif je nach den auftauchenden Bedürfnissen" entwickelte 15 , und Schmölders sieht in einem Durcheinander von fiskalischen und nichtfiskalischen Zielsetzungen doch den Fiskalismus als vorherrschendes Prinzip, wenn es sich auch zum Teil hinter "weltanschaulich" begründeten Steuerzwecken verbarg 16 . Im Rahmen des Finanzausgleichs kamen die zentralistischen Tendenzen der NS-Regierung besonders stark zum Tragen. War die Stellung der Länder schon in der Erzberger'schen Reform geschwächt und ihre Rechte abgebaut worden, so wurden die Länder nun immer mehr zu reinen Verwaltungsbezirken degradiert. Durch die Realsteuerreform vom 1. 12. 1936 waren 98% des deutschen Steueraufkommens unter Reichsrecht gestellt 17 • Der Einfluß der Länder wurde zugunsten einer verstärkten Stellung der Gemeinden verringert, insgesamt waren aber Gemeinden wie Länder immer mehr von Finanzzuweisungen des Reiches abhängig, eine Entwicklung, die einherging mit einer zunehmenden Aufgabenverlagerung zur Zentralgewalt. Ab 1935 wurden die Aufrüstungs- und Autarkieanstrengungen forciert. Da die vorhandenen Kapazitäten ab 1936 weitgehend ausgelastet waren, mußte eine weitere kreditfinanzierte staatliche Ausgabenpolitik, wie man sie bisher betrieben hatte, von nun an inflationär wirken 18 • Die Körperschaftsteuererhöhungen von 1936 (auf25%) und 1937 (auf30%) und die Mehreinnahmen durch den Anstieg des Sozialproduktes reichten bei 12 Blaich sieht die Ursache für die Diskriminierung von vor allem Aktiengesellschaften darin, daß sich bei diesen das "Führungsprinzip" schlechter einführen ließe (vgl. Blaich, Fritz, Grundsätze nationalsozialistischer Steuerpolitik, S. 105) - es ist jedoch auch denkbar, daß die neuen Machthaber bezüglich ihrer Wahlversprechen, was die Mitleistandsförderung betraf, nicht unglaubwürdig werden wollten. 13 RGBI. 1934, S. 925f. 14 Vgl. Blaich, Fritz, Grundsätze nationalsozialistischer Steuerpolitik, S. 110. In erster Linie handelte es sich dabei um Benachteiligungen beim Steuerverfahren und in Steuerstrafsachen. 15 Vgl. Häuser, Kar!, Das dritte Reich und der zweite Weltkrieg, S. 170. 16 Vgl. Schmölders, Gustav, Um ein rationales Steuersystem, in: Finanzarchiv, NF Bd. 11, 1949, s. 485f. 17 Vgl. Terhalle, Fritz, Geschichte der deutschen Finanzwirtschaft, S. 318. 18 Vgl. Schwerin von Krosigk, Lutz, Staatsbankrott, S. 255.

II. Die Ausgangslage

23

weitem nicht aus, den steigenden Finanzbedarf zu decken 19 • Massiven Steuererhöhungen zur Finanzierung der Aufrüstung wollte man jedoch wegen ihrer schlechten psychologischen Wirkung auf die Bevölkerung zunächst nicht zustimmen 20 . So wurde das von Schacht entwickelte System der Mefo-Wechsel -Bezahlung öffentlicher Aufträge mit rediskontfähigen verlängerbaren Wechseln - ausgebaut, um eine "geräuschlose" staatliche Kreditaufnahme zu gewährleisten, die in der Bevölkerung keine Inflationsangst auslösen sollte 21 • Das Gesetz über die deutsche Reichsbank vom 15. Juni 1938 ermöglichte dann kurz vor Kriegsbeginn eine direkte Finanzierung der Staatsausgaben durch die Reichsbank und machte "Hilfskonstruktionen" wie Mefo-Wechsel überflüssig22. Zwar wurden durch die Kriegswirtschaftsverordnung vom 9. 8. 193923 Kriegszuschläge zur Einkommen-, Tabak-, Bier-, Branntwein- und zur inzwischen wieder eingeführten Schaumweinsteuer erhoben 24 , deren Sätze man im Verlauf des Krieges mehrfach erhöhte, doch war die deutsche Bevölkerung insgesamt in wesentlich geringerem Maße durch Steuern belastet als z. B. die Engländer oder Amerikaner 25 . Auch der damalige Reichsfinanzminister Schwerin von Krosigk beklagt die unzureichende Kaufkraftabschöpfung durch Steuern, wodurch die Inflation angeheizt wurde. Die Preissteigerungen wurden jedoch durch den seit 1936 bestehenden Lohn- und Preisstop verdeckt 26 . Trotz stetigen Anstiegs der Steuereinnahmen reichten diese zur Deckung der Kriegskosten bei weitem nicht aus, die Kreditaufnahme nahm laufend zu 27 , blieb aber weiterhin "geräuschlos", Vgl. Terhalle, Fritz, Geschichte der deutschen Finanzwirtschaft, S. 318. Vgl. Häuser, Kar!, Das dritte Reich, S. 170. 2 1 Vgl. eben da, S. 171 f. 22 Der 11. Jahresbericht der Bank für ..Internationalen Zahlungsausgleich in Basel konstatierte dann auch den reibungslosen Ubergang zur Kriegsfinanzierung in Deutschland im Unterschied zu anderen Kriegsteilnehmern, vgl. BIZ, 11. Jahresbericht 1940/41, Basel1941 , S. 119. 23 RGBI. 1939, S. 1609ff. 24 Kriegsgewinne glaubte man durch die sogenannte Mehreinkommensteuer, die sich auf Einkommenszuwächse gegenüber dem Vorjahr bezog, ausreichend belasten zu können. Vgl. Albrecht, G., Bericht über die deutsche Kriegsfinanzierung, in: Finanzarchiv, NF Bd. 7 1940, S. 523. 25 Vgl. Häuser, Kar!, Das dritte Reich, S. 189. 26 Vgl. Schwerin von Krosigk, Lutz, Staatsbankrott, S. 295. 27 Einnahmen des Reiches aus Steuern u. Krediten (in Mill. RM) 19

20

Steuern Kredite Sonstige Gesamteinnahmen Steueranteil an den Gesamteinnahmen

1938/39

1940/41

1942/43

17,6 10,8 38,4

27,2 37,8 9,8 74,8

42,2 55,8 26,0 124,2

45,8%

36,4 %

-

33,9 %

unter "sonstige" sind z. B. die Kriegsbeiträge der besetzten Gebiete sowie der seit Herbst 1939 erhobene Kriegsbeitrag der Länder und Gemeinden zusammengefaßt. Vgl. BIZ, Basel, diverse Jahresberichte.

24

B. Die Steuerpolitik 1949-1982

das heißt, man nahm die Kredite größtenteils direkt bei den Instituten auf, ohne daß Kriegsanleihen ausgegeben wurden. Die Ersparnisse hatten sich infolge geringer Konsumgüterproduktion bei den Banken angesammelt und wurden von diesen - auf staatlichen Druck und auch aus Mangel an anderen Anlagemöglichkeiten -in Staatskrediten angelegt 28 • Der so, für die Bevölkerung weitgehend unbemerkt, entstandene riesige Schuldenberg- bei Kriegsende etwa 378 Mrd RM, d. h. rd. 95% des gesamten Geldvermögens 29 - war eine der Ursachen dafür, daß bei Kriegsende zusammen mit dem politischen System auch die Geld- und Wirtschaftsordnung zusammenbrach. 5. Die steuerlichen Maßnahmen in der Besatzungszeit bis zur Währungsreform 1948 a) Die wirtschaftliche und politische Ausgangslage

Als am 8. Mai 1945 die bedingungslose Kapitulation des deutschen Reiches unterzeichnet wurde, dokumentierte dies nicht nur die militärische Niederlage und das Ende des politischen Herrschaftssystems der Nationalsozialisten, auch auf wirtschaftlichem Gebiet stellte sich das Ende des Krieges als der völlige Zusammenbruch der wirtschaftlichen Ordnung dar. Schon in den letzten Kriegsmonaten hatte vor allem der Luftkrieg die Produktionsbedingungen stark verschlechtert. Transportwege waren unbenutzbar, die Fabrikation in Schlüsselindustrien, insbesondere der Kugellagerproduktion, lahmgelegt, und die Energieversorgung konnte nicht einmal mehr für die kriegswichtige Produktion als ausreichend bezeichnet werden 1 . Die bis Kriegsende weitergehenden Zerstörungen - darunter auch Hitlers teilweise realisierte Politik der verbrannten Erde - verschlechterten die Situation noch weiter. Über das Ausmaß der tatsächlichen Kapazitätsverluste herrscht Uneinigkeit. Mit Sicherheit waren sie jedoch nicht so groß wie man unmittelbar nach Kriegsende annahm und wie es die Finanzminister der britischen Zone mit ihrem Urteil ausdrückten, der Produktionsapparat sei "auf die Anfangszeiten der Industrialisierung Deutschlands zurückgeworfen" 2 • Schwerpunkt der alliierten Luftangriffe waren ja weniger Industrieanlagen, sondern Wohngebiete 28 Vgl. Ehrlicher, Werner, Die öffentliche Finanzwirtschaft, in: Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaft, Stuttgart u. a. 1980, S. 172. 29 Vgl. ebenda, S. 172. Eine noch 1944/45 geplante große Steuerreform mit drastischen Steuererhöhungen kam nicht mehr zur Ausführung, würde jedoch nach Ansicht des damaligen Finanzministers die sich in den letzten Kriegsmonaten abzeichnende Hochinflation nicht auch mehr aufgehalten haben. Vgl. Schwerin von Krosigk, Lutz, Staatsbankrott, S. 302. 1 Vgl. u.a. Speer, Albert, Erinnerungen, Frankfurt 1969, insbes. S. 410ff. 2 Detmolder Memoratorium der Finanzminister der Länder und Provinzen der britischen Besatzungszone, in: Möller, Hans (Hrsg.), Zur Vorgeschichte der deutschen Mark. Die Währungsreformpläne 1945-1948, Tübingen 1961, S. 117.

II. Die Ausgangslage

25

und vor allem Transportwege, insbesondere der Kohletransport aus dem Ruhrgebiet, gewesen 3 . So sagen denn auch die Ergebnisse der DIW-Untersuchungen über die Verluste des deutschen Anlagevermögens in Höhe von ca. 30% 4 nicht viel aus. Zwar ist richtig, daß in den Jahren 1939 bis 1944 stark investiert worden war, so daß der Kapitalstock als recht hoch und auch modern bezeichnet werden muß 5 , diese Anlagen waren jedoch zum einen nur bedingt für die Friedensproduktion tauglich, zum anderen entschieden nicht die durchschnittlichen Kapazitäten über Produktions- und Wiederaufbaumöglichkeiten, sondern die Engpässe. Hierbei waren die schon erwähnten Zerstörungen der Transportwege von Bedeutung, die insbesondere im Winter 1946/47 - als zusätzlich die Binnenwasserstraßen zufroren - zum "schlimmsten Engpaß der deutschen Wirtschaft 6 wurden; hinzu kam nun eine völlig unzureichende Energieversorgung- die Steinkohleförderung betrug 1946 mit 65,6 Millionen Tonnen nur knapp die Hälfte der Produktion von 19367 • Zu den kriegsbedingten Zerstörungen traten ab 1945 Demontagen und Produktionsbegrenzungen durch die Siegermächte 8 . Die hierdurch verschärfte Lähmung insbesondere der Kohleund Stahlindustrie verursachte nicht nur einen "anhaltenden Tiefstand des Wirtschaftslebens in Deutschland" 9 , sondern beeinträchtigte auch den Wiederaufbau bei den früheren ausländischen Abnehmern dieser Produkte ganz entscheidend 10 • Aufgrund des Devisenmangels - die verringerte Produktion erlaubte nur wenig Exporte, die Leistungen insbesondere an Frankreich wurden häufig gar nicht oder unter Wert bezahlt- verschärfte sich die Rohstoffknappheit, die schon die Kriegswirtschaft geprägt hatte; häufig konnten nicht einmal die verminderten Kapazitäten voll genutzt werden. So gravierend diese realwirtschaftlichen Probleme gewesen sind, entscheidender für die anhaltende Stagnation der deutschen Wirtschaft nach dem 2. Weltkrieg 11 dürften die politischen und monetären Rahmenbedingungen gewesen sein. Die politische Situation war zunächst völlig unklar: nach der Kapitulation vom 8. Mai herrschte erst einmal Ungewißheit darüber, wer im besiegten Deutschland die oberste Regierungsgewalt innehatte und damit auch 3 Vgl. The United States Bornhing Survey, The EfTects of Strategie Bornhingon the German War Econorny, o.O., S. 4f. 4 Vgl. Krengel, Rolf, Anlagevermögen, Produktion und Beschäftigung der Industrie im Gebiet der Bundesrepublik von 1924 bis 1956, DIW-Sonderheft Nr. 42, Berlin 1958, S. 76. 5 Vgl. Huster, Ernst-Ulrich u. a., Determinanten der westdeutschen Restauration 1945-1949, Frankfurt 1972, S. 96. 6 Benz, Wolfgang, Wirtschaftspolitik zwischen Dernontage und Währungsreform, in: Westdeutschlands Weg zur Bundesrepublik 1945-1949, München 1976, S. 75. 7 Vgl. Overesch, Manfred, Deutschland 1945-1949, Düsseldorf 1979, S. 208ff. 8 Zum Problernkreis Dernontagen und Industrieplan, vgl. Borchardt, Knut, Die Bundesrepublik Deutschland, in: Stolper, Gustav u.a. Deutsche Wirtschaft seit 1870, 2. Auflage, Tübingen 1966, S. 208 ff. 9 BIZ, 18. Jahresbericht, Basel1947, S. 21. 10 Ebenda, S. 27. 11 Vgl. Abelshauser, Werner, Wirtschaft in Westdeutschland 1945-1948, Stuttgart 1975, s. 26.

26

B. Die Steuerpolitik 1949-1982

in der Frage, ob bestehende Gesetzesregelungen aus der NS-Zeit weiterhin in Kraft blieben. Am 5. Juni 1945 verkündeten schließlich die vier Siegermächte, daß sie die oberste Gewalt im Land übernommen hatten und schufen mit dem Alliierten Kontrollrat ein zentrales Regierungsgremium 12 • Zunächst erschienen den Alliierten die Fragen der Entnazifizierung sowie der Reparationen und der Demontage der Rüstungsindustrie vordringlich. Es zeigte sich jedoch schnell, daß die Übereinstimmung der vier Siegermächte sich in diesen allgemeinen Fragen der Entnazifizierung und Demilitarisierung erschöpfte. Bei der konkreten Durchführung klafften die Ansichten bald auseinander, was den Kontrollrat, der nur einstimmige Beschlüsse fassen konnte und zudem nicht weisungsberechtigt war, bald handlungsunfähig machte. Die tatsächliche Macht lag bei den Gouverneuren der einzelnen Besatzungszonen, so daß die Zonen sich auseinanderzuentwickeln drohten 13 • Auch die Interessenlagen der Alliierten erwiesen sich als höchst unterschiedlich. So waren die Sowjets vor allem an Reparationen interessiert, ebenso wie Frankreich, das zudem eine Schwächung Deutschlands im Hinblick auf sein eigenes Sicherheitsbedürfnis befürwortete. Bei den Engländern und Amerikanern folgte auf eine anfängliche Phase der Vergeltung mit dem Ziel der politischen wie wirtschaftlichen Lähmung Deutschlands - unter anderem durch eine Reduzierung der Industriekapazität im Industrieplan, der noch stark im Zeichen des Morgenthauplans stand- ab Mitte 1947 die Einsicht, daß ein Wiederaufbau Europas ohne die deutsche Industrie kaum möglich sein würde. Beschleunigt wurde dieser Umschwung zu einer gemäßigteren Politik auch durch sich häufende Divergenzen mit der Sowjetunion - die Westzonen bekamen hier zunehmend die Funktion eines "Bollwerks" - sowie die Notwendigkeit teurer Lebensmittellieferungen für das wirtschaftlich darniederliegende Deutschland 14 • Angesichts dieser grundlegenden Divergenzen wurden steuerrechtliche Probleme zunächst als zweitrangig angesehen, so daß die Steuern nach den bestehenden Gesetzen erhoben wurden, wobei die örtlichen Finanzbehörden nun Exekutivorgane der Besatzungsmächte waren 15 : zumindest auf der untersten Stufe scheint die Finanzverwaltung fast ohne jede Unterbrechung ihre Aufgaben wahrgenommen zu haben 16 • 12 Vgl. Häuser, Kar!, Die Teilung Deutschlands, in: Stolper, Gustav, u.a., Die deutsche Wirtschaft seit 1870, S. 204. 13 Vgl. The Department ofState, United States of America, Occupation ofGermany, Policy and Progress 1945-46, Publication 2783, o.J., S. 28ff. 14 Vgl. Balfour, Michael, Vier-Mächte-Kontrolle in Deutschland 1945-1946, Düsseldorf 1959, S. 28-68, sowie Schwarz, Hans-Peter, Vom Reich zur Bundesrepublik. Deutschland im Widerstreit der außenpolitischen Konzeptionen in den Jahren der Besatzungsherrschaft 1945-1949, Neuwied 1966, passim, insbes. S. 89ff. 15 Die Steuern wurden zum Teil von der Zone erhoben, die Länder erhielten dann Zuweisungen (britische Zone), zum Teil durften die Länder die Steuern auch selbst erheben (US-Zone). Vgl. Schmiedeberg, o. V. Geschichte und Entwicklung der Haushaltspolitik des VWG und der Bundesrepublik Deutschland von 1945 bis 1954, Schriftenreihe des Bundesministeriums der Finanzen, Heft 4, Bonn, o.J., S. 36.

li. Die Ausgangslage

27

b) Die "Februargesetze"

In der zweiten Hälfte des Jahres 1945 sanken die staatlichen Einnahmeninsbesondere aus Umsatzsteuer, Einkommen- und Körperschaftsteuer -, bedingt durch den Produktionseinbruch und die hohe Arbeitslosigkeit, drastisch, was hohe Haushaltsdefizite zur Folge hatte 17 • Desweiteren entwickelte sich der Geldüberhang immer mehr zum Problem: Zu den Folgen der NSKriegsfinanzierung trat nun eine weitere Geldexpansion durch die Ausgabe von Besatzungsgeld- insbesondere durch die Sowjets 18 • Die Alliierten hatten zwar den Lohn- und Preisstop aus der NS-Zeit übernommen, dieser wurde jedoch zunehmend durch Geschäfte auf dem Schwarzmarkt unterlaufen, der sich nun mit Zigarettenwährung und Kompensationsgeschäften ausbildete 19 . Um dieser Entwicklung mit einer Kaufkraftabschöpfung zu begegnen und gleichzeitig die Budgetdefizite zu verringern, erließ der Kontrollrat in der Zeit vom 11 . bis 28. Februar 1946 rückwirkend zum 1. Januar 1946 die Kontrollratsgesetze Nr. 12 bis Nr. 17, die sogenannten "Februargesetze" 20 • Sie sahen eine drastische Erhöhung von Einkommen-, Körperschaft-, Umsatz- und Vermögensteuer sowie einiger kleinerer Steuern vor 21 • Insbesondere aus der Kombination von Einkommens- und Vermögensbesteuerung ergaben sich zum Teil substanzgefahrdende Steuerbelastungen, zumal eine Vermögensbesteuerung auch dann vorgenommen wurde, wenn Unternehmen infolge von Kriegsschäden oder weil mit Produktionsverbot belegt, ganz still lagen. Substanzgefährdend wirkte sich ferner aus, daß Abschreibungen aufgrund von Kriegszerstörungen und Kriegsverlusten nur bedingt möglich waren 22 • Die hohe steuerliche Belastung durch die Februargesetze wird einhellig heftig kritisiert23 • Durch die "fast konfiskatorische" 24 Besteuerung sei der Arbeitswille 16 Vgl. Schweigert, Eberhard: Die Finanzverwaltung Westdeutschlands in der Zeit vom Ende des 2. Weltkriegs bis zu ihrer Neuordnung durch das Grundgesetz, Schriftenreihe des Bundesministeriums der Finanzen, Heft 12, Bonn 1970, S. 29. 17 Vgl. Schneider, Ulrich, Britische Besatzungspolitik 1945, Diss. 1980, S. 102ff. 18 Vgl. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Die Deutsche Wirtschaft 2 Jahre nach dem Zusammenbruch, Berlin 1947, S. 212ff. 19 Vgl. Wallich, Henry, Triebkräfte des deutschen Wiederaufstiegs, Frankfurt 1955, S. 63f. 20 Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Die Deutsche Wirtschaft 2 Jahre nach dem Zusammenbruch, S. 215. 21 So wurde zum Beispiel die Umsatzsteuer um 50% auf 3% erhöht, der Einkommensteuerspitzensatz stieg auf 95% . Die Maßnahmen beschränkten sich jedoch auf eine Erhöhung der Steuersätze, das Steuersystem blieb im wesentlichen unverändert. Vgl. Zink, H., The United States in Germany 1944-1945, Princeton, New York u.a. 1957, S. 270ff. 22 Vgl. Zischka, Anton, War es ein Wunder?, Harnburg 1966, S. 528f. 23 Der Zonenbeirat der britischen Zone spricht in seinem Rückblick von einer "Überdrehung der Steuerschraube" (Der Zonenbeirat der britisch besetzten Zone, Ein Rückblick aufseine Tätigkeit, Göttingen 1953, S. 53), und das Institut für Wirtschaftsforschung hielt die Februargesetze wegen der Steigerung des Anteils der Massensteuern am Steueraufkommen für sozialpolitisch bedenklich. Vgl. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Die Deutsche Wirtschaft 2 Jahre nach dem Zusammenbruch, S. 225.

28

8. Die Steuerpolitik 1949-1982

der Bevölkerung gelähmt und die Steuermoral erschüttert worden, die Initiative und Investitionsbereitschaft der Unternehmen weiter zurückgegangen 25 , zumal diese - da auf der Absatzseite durch den Preisstop gebunden - die Kosten nicht weitergeben konnten und somit vom Bankrott bedroht gewesen seien26 • Die tatsächliche Belastung dürfte jedoch nicht so hoch gewesen sein, da die Bevölkerung und insbesondere die Betriebe vielfach nicht auf das Nominaleinkommen angewiesen waren, sondern sich am Schwarzmarkt weitere Einkünfte verschafften 27 • Ebenso scheint es fraglich, ob die hohen Steuernangesichts der allgemeinen wirtschaftlichen Unsicherheit und der Verdienstmöglichkeiten am - bereits vor der Steuererhöhung florierenden - Schwarzmarkt tatsächlich weitere wesentliche disincentives auslösen konnten 28 • Trotz dieser Einschränkungen waren die "Februargesetze" nicht nur- vor allem als Hemmnis der Investitionstätigkeit- schädlich für den Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft, sie waren auch, was ihr vorrangiges Ziel, die Kaufkraftabschöpfung, anbelangte, völlig wirkungslos 29 • Ungeachtet der allgemeinen vehementen Kritik wurden sie erst im Rahmen der Währungsreform "entschärft" 30 , und ihre völlige Abschaffung scheiterte weiterhin am Widerstand der Alliierten. c) Die Währungsreform und das Leitsätzegesetz

Die Währungsreform, die der steigenden Inflation und dem immer üppiger wuchernden Schwarzmarkt ein Ende machen sollte, wäre eigentlich schon viel früher nötig gewesen, sie wurde jedoch durch die zunehmenden Differenzen zwischen den Westalliierten und der Sowjetunion, die eine einheitliche Lösung für ganz Deutschland immer unwahrscheinlicher machten, bis Juni 1948 hinausgezögert 31 • 24 Müller-Armack, A., Das Grundproblem unserer Wirtschaftspolitik, in: Finanzarchiv, NF Bd. 11, 1949, S. 73. 25 Vgl. (o. Verf.) Betriebsberater 1947, S. 180. 26 Vgl. Balfour, M., Vier-Mächte-Kontrolle in Deutschland 1945-1946, S. 225. Um dem Bankrott zu entgehen, produzierte man vermehrt für den Schwarzmarkt, was dazu führte, daß dieser gerade durch die Gesetze ausgeweitet wurde, die ihn eigentlich eindämmen sollten. Vgl. ebenda, S. 225f. 27 Vgl. Wallich, H., Triebkräfte des deutschen Wiederaufstiegs, S. 65. 28 Vgl. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Die Deutsche Wirtschaft 2 Jahre nach dem Zusammenbruch, S. 225. 29 Vgl. ebenda, S. 225. Bezüglich des Haushaltsausgleichs war man erfolgreicher: Wallich spricht von einem "Wunder ausgeglichener Budgets in einer ruinierten Wirtschaft". Wallich, H., Triebkräfte des deutschen Wiederaufstiegs, S. 65. 30 Gesetz Nr. 64 der drei westlichen Militärregierungen vom 20. Juni 1948. Es scheint jedoch nicht gerechtfertigt, so weit zu gehen wie Zischka, der in der alliierten Steuergesetzgebung ein "Instrument des Morgenthau-Pianes" sieht, mit dem Ziel der "Liquidation" der Wirtschaft im besetzten Deutschland. Zischka, A., War es ein Wunder?, S. 527ff. 31 Vgl. Zorn, Wolfgang, Staatliche Wirtschafts- und Sozialpolitik, S. 168. Diese Verzögerungen bzw. die Unsicherheit über Zeitpunkt und Modalitäten der ausstehenden

ll. Die Ausgangslage

29

Am 20. Juni 1948 erfolgte dann separat in den drei Westzonen der Währungsschnitt Die Reichsmark wurde als gesetzliches Zahlungsmittel durch die neue Deutsche Mark (DM) abgelöst. Von der neuen Währung erhieltjeder Bürger zunächst ein "Kopfgeld" von 40 DM sowie im September noch einmal20 DM; Betriebe bekamen pro Angestellten 60 DM als "Erstausstattung". Für Bankguthaben sah die neue Regelung am Ende 32 ein Umtauschverhältnis von 100:6,5 vor, wobei für kleinere Beträge gewisse Zugeständnisse eingeräumt wurden. Die Schulden wurden im Verhältnis 10:1 abgewertet, Reichsschulden wurden annulliert - der neue Start auf finanzwirtschaftlichem Gebiet konnte also zumindest was diesen Bereich anging (bis auf die Übernahme von Ausgleichsforderungen zum Ausgleich der Bankenbilanzen durch die Länder) unbelastet vonstatten gehen 33 •

Die Unternehmen wurden durch diese Umstellung weitgehend entschuldet, ihr Vermögen bestand in der Regel aus Sachwerten und war daher nicht durch die Reform reduziert worden. Dagegen war die Maßnahme gerade für Sparer, die nicht die Voraussicht besessen hatten, rechtzeitig in Sachwerte auszuweichen, überaus hart, wie man auch von alliierter Seite zugab 34 • Schon hier zeigt sich die für die nächsten Jahre charakteristische Tendenz, potentielle Investoren zu begünstigen, um das Wachstum anzuregen, und sei es auf Kosten sozial schlechter Gestellter. Trotz dieser Einwände was die soziale Härte betrifft, war die Währungsreform für die Gesundung der deutschen Wirtschaft und den Wiederaufbau unerläßliche Grundvoraussetzung. Welche Bedeutung man ihr auch seitens der Bevölkerung beimaß, wird daran deutlich, daß die Währungsreform und nicht die Gründung der Bundesrepublik häufig als der eigentliche Einschnitt und Beginn des neuen Staates angesehen wurde 35 • Von nunan-so das Gefühl der Bevölkerung- ging es "bergaur·, die Wirtschaft kam wieder in Schwung, es wurde produziert, und vor allem konnte man wieder Dinge kaufen, die es lange Zeit nicht, oder nur zu hohen Schwarzmarktpreisen gegeben hatte 36 • Währungsreform hat wohl viel zum schleppenden Wiederaufbau der unmittelbaren Nachkriegszeit beigetragen. Für die - auch nicht ganz problemlosen - Verhandlungen der drei Westalliierten untereinander, insbesondere bzgl. der Einbeziehung der französischen Zone, vgl. Clay, Lucius D., Entscheidung in Deutschland, Frankfurt, o. J ., S. 240 ff. 32 Für die Einzelheiten der Umstellung vgl. Möller, Hans, Die westdeutsche Währungsreform von 1948, in: Deutsche Bundesbank (Hrsg.), Währung und Wirtschaft in Deutschland 1876-1975, Frankfurt 1976, S. 459fT. 33 Vgl. ebenda, S. 466fT. 34 Clay, Lucius D., Entscheidung in Deutschland, S. 239. 35 Vgl. Häuser, Kar!, Die Teilung Deutschlands, S. 241. Dies trifftjedoch auch in dem Sinne zu, daß hier nun ein augenscheinlicher Beleg für die inzwischen faktisch schon weitgehend vollzogene Trennung der drei Westzonen von der sowjetischen Zone vorlag, w9 am 23. 6. 1948 die Ostmark eingeführt wurde. Der zunächst recht stark vertretenen These, die Währungsreform habe die Spaltung bewirkt, kann nicht zugestimmt werden. Die wesentlichen Unterschiede in den Auffassungen der Alliierten bezogen sich auf die Wirtschaftsordnung als Ganzes und nicht auf die Einführung und Ausgestaltung einer neuen Währung. Andererseits hatte die Entwicklung im Kontrollrat deutlich gemacht, daß eine Einigung der Alliierten nahezu ausgeschlossen war. Vgl. Möller, Hans, Die westdeutsche Währungsreform, S. 439.

30

B. Die Steuerpolitik 1949-1982

Entscheidend für den Erfolg der Währungsreform war jedoch der gleichzeitige Übergang zur freien Marktwirtschaft, die Aufhebung von Bewirtschaftung und Preisbindung für zahlreiche Produkte vor allem im Bereich industrieller Konsumgüter. Diese "selektive" Freigabe wurde vor allem dort vorgenommen, wo Produktanreize am größten, Preissteigerungen sozial unproblematisch oder Kontrollen schwer durchzuführen waren 37 . Erst die Aufhebung der Bewirtschaftung und die Aussicht auf entsprechende Gewinne, aber auch die Verbesserung der Rohstoffiieferungen, veranlaßte die Unternehmen zu den für den Wiederaufbau dringend nötigen Investitionen. Die Durchsetzung der Wirtschaftsform der "sozialen Marktwirtschaft" ging in hohem Maße auf die Bemühungen des späteren Wirtschaftsministers Ludwig Erhard zurück 38 , der wissenschaftliche Unterstützung für seine Pläne vor allem beim Wissenschaftlichen Beirat bei der Verwaltung für Wirtschaft des Vereinigten Wirtschaftsgebietes fand 39 • Wenn auch die Entscheidung für eine marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung zum damaligen Zeitpunkt- selbst innerhalb der CDU- durchaus nicht unumstritten war, so entsprach eine Rückkehr zu Prinzipien des wirtschaftlichen wie politischen Individualismus durchaus dem Zeitgeist40 . Waren mit Währungsreform und Übergang zur sozialen Marktwirtschaft auch die wichtigsten Voraussetzungen für den wirtschaftlichen Wiederaufbau geschaffen, so waren damit jedoch noch längst nicht alle Probleme beseitigt. Schon seit Kriegsende hatte es Überlegungen gegeben, wie die durch Krieg und Kriegsfolgen (insbesondere Vertreibung aus den Ostgebieten) entstandenen 36 Vgl. Stucken, Rudolf, Deutsche Geld- und Kreditpolitik 1914 bis 1963, Tübingen 1964, S. 210f. Man muß jedoch einschränkend festhalten, daß in der Zeit vor der Währungsreform durchaus auch produziert worden war, jedoch - vor allem in Erwartung einer derartigen Maßnahme- überwiegend auf Lager. Nur diese bereits vorhandenen und verkaufsbereiten Waren machten es überhaupt möglich, daß nach der Währungsreform "von einem Tag zu anderen" die Läden gefüllt waren. Insgesamt dürfte die Produktion bis Mitte 1948 höher gewesen sein als die amtliche Statistik sie ausweist. Vgl. Abelshauser, Werner, Wirtschaft in Westdeutschland 1945-1948, Rekonstruktion und Wirtschaftsbedingungen in der amerikanischen und britischen Zone, Stuttgart 1975, insbesondere S. 51-62. 37 Gesetz über Leitsätze für die Bewirtschaftung und Preispolitik nach der Währungsreform vom 24. 6. 1948, WGBI48, S. 59f. 38 Vgl. Wallich, Henry, Triebkräfte des deutschen Wiederaufstiegs, S. 117. 39 Der Wissenschaftliche Beirat bei der Verwaltung für Wirtschaft des Vereinigten Wirtschaftsgebietes, Gutachten vom 18. 4. 1948, Göttingen 1948. 40 Vgl. Ortlieb, Heinz-Dietrich, Glanz und Elend des deutschen Wirtschaftswunders, München 1974, S. 167 f. Das Konzept der "sozialen Marktwirtschaft" hatte seine Wurzeln in Uberlegungen, die die "Freiburger Schule" schon während des Dritten Reiches ausgearbeitet hatte. Die Forderung der neoliberalen Wirtschaftstheorie, der Staat solle nur für die Aufrechterhaltung des ordnungspolitischen Rahmens sorgen, in dem die Wirtschaftssubjekte dann frei miteinander konkurrierten, wurde jedoch in dieser Form von der sozialen Marktwirtschaft nicht aufgenommen. Dafür waren zunächst vor allem die Auflagen der Alliierten verantwortlich, die den Vorstellungen Erhards mit Mißtrauen begegneten. Angesichts der vielfachen kriegsbedingten sozialen Probleme (Flüchtlinge, Wohnungsbau) glaubte man jedoch auch später, deren Lösung nicht dem Marktprozeß überlassen zu können, sondern von staatlicher Seite lenkend eingreifen zu müssen.

II. Die Ausgangslage

31

Schäden auf die Bevölkerung "umgelegt" werden sollten41 • Auf deutscher Seite hatte man sich dafür ausgesprochen, diesen Ausgleich der Kriegslasten mit der Währungsreform zu verbinden. Die Alliierten waren jedoch für diesen Plan nicht zu gewinnen gewesen, sie fürchteten, die Verknüpfung mit Umverteilungsmaßnahmen könne die neue Währung gefährden, und überließen die Regelung des Lastenausgleichs den deutschen Gesetzgebern im ersten Bundestag42 • Auch auf steuerlichem Gebiet wurde die Notwendigkeit einer umfassenden Neuregelung immer deutlicher43 • Die alliierten Steuergesetze, die vor allem unter fiskalischen Gesichtspunkten erlassen worden waren und vielfach die alten Regelungen aus der Weimarer Republik und der NS-Zeit übernommen hatten, erschienen für die nun zu bewältigenden Aufgaben völlig unzureichend, zumal sie von Zone zu Zone differierten. Man befürchtete daher seitens der deutschen Verwaltung, unterschiedliche steuerliche Regelungen in den einzelnen Zonen und Ländern könnten die Einheitlichkeit der Besteuerung gefährden und zu unerwünschten Ausweichreaktionen der Betroffenen führen. Diese Angst erwies sichjedoch als unbegründet: die Unterschiede44 wurden durch die Finanzverfassung der Bundesrepublik beseitigt und hatten nicht lange genug bestanden, um gravierende Folgen zu haben45 •

41 So zum Beispiel im "Homburger Plan"- Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Geldwesens. Vorgelegt von der Verwaltung für Finanzen des VWG, Heidelberg u.a. 1948. 42 Vgl. ausführlicher bei Müller, Georg, Grundlegung der westdeutschen Wirtschaftsordnung, S. 130 ff. Eine erste Hilfe brachte das "Soforthilfegesetz" vom 8. 8. 1949 (WiG BI. 1949, S. 205 ff. ), dessen Regelungen jedoch der tatsächlichen Handhabung des Lastenausgleichs auf Weisung der Alliierten nicht vorgriffen. 43 Vgl. Diskussion um eine "organische Steuerreform" z. B. im Finanzarchiv u. a. bzw. Bonner Steuertagungen vom 9.-11. 6. 1949, Bericht in STuW 1949, S. 738ff. 44 Zum Beispiel die Regelung von Doppelbesteuerungen, unterschiedliche Vorschriften zur Einkommensteuerermittlung u. a. "Gefährlich" wäre vor allem auch das II. Gesetz zur vorläufigen Neuordnung von Steuern vom 20. 4. 1949 (Rahmengesetz Nr. 64 zur Währungsreform) gewesen, da es den Ländern zusätzliche Steuern und Zuschlagsmöglichkeiten zu Steuern einräumte. 45 Vgl. Schweigert, Eberhard, Die Finanzverwaltung Westdeutschlands, S. 120.

32

B. Die Steuerpolitik 1949-1982

111. Die "Nachkriegsperiode" 1948/491 bis 1958 1. Rahmenbedingungen für die Steuerpolitik

a) Die wirtschaftliche Entwicklung

Der im Anschluß an die Währungsreform beschleunigt fortgesetzte Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft 2 wird in der Literatur in unterschiedliche Perioden eingeteilt. Gemeinsam ist diesen Unterteilungen jedoch, daß sie den Wiederaufbau im engeren Sinne, d. h. bis zum Erreichen der Vorkriegskapazität, bis 1951/52 von der weiteren Entwicklung abgrenzen 3 . Diese Periode stellte auch die Bewährungsprobe für das neu eingeführte System der sozialen Marktwirtschaft dar4 • Die Zeit von 1948/49 bis 1951/52 istjedoch nicht- wie oftmals behauptetals mehrjähriger Wirtschaftsboom ohne größere Probleme verlaufen. Vielmehr blieb der Erfolg der getroffenen Maßnahmen bis Mitte 1950 ungewiß, und die wirtschaftliche Entwicklung bis zu diesem Zeitpunkt löste heftige Kritik am neuen Wirtschaftssystem vor allem seitens der Gewerkschaften und der SPD aus. Rufe nach Wiedereinführung von Planung und Kontrolle wurden laut 5 . Im Anschluß an die Währungsreform im Juni 1948 stieg zwar die Produktion stark an, es war aber dennoch nicht möglich, die aufgestaute Nachfrage zu befriedigen, so daß Preissteigerungen die Folge waren 6 . Ein Teil dieses Inflationsschubes kann sicher als Anpassung an veränderte Kostenstrukturen oder als Nachholeffekt interpretiert werden; die hohen Gewinne der Unternehmen in dieser Zeit beweisen jedoch, daß die Steigerung 1 Da, wie schon ausgeführt, für die wirtschaftliche Entwicklung nicht die Gründung der Bundesrepublik, sondern Währungsreform und Ubergang zu sozialer Marktwirtschaft den wesentlichen Einschnitt darstellten, beginnt die Untersuchung im Sommer 1948 direkt im Anschluß an die bereits skizzierte Währungsreform. 2 Auch unter Berücksichtigung der Ausführungen von Abelshauser zu Produktionssteigerungen bereits vor der Währungsreform scheint es gerechtfertigt, einen dauerhaften wirtschaftlichen Aufschwung erst ab Mitte 1948 anzusetzen. 3 Vgl. u. a. Wallich, Henry, Triebkräfte des deutschen Wiederaufstiegs, S. 35. Borchardt, Knut, Die Bundesrepublik Deutschland, in: Stolper, Gustav u.a., Deutsche Wirtschaft seit 1870, Tübingen 1966, S. 253-333. Hardach, Kar!, Wirtschaftsgeschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, Göttingen 1976, S. 95fT. 4 Es soll hier darauf verzichtet werden, im einzelnen auf die Faktoren einzugehen, die für den wirtschaftlichen Wiederaufbau verantwortlich waren, wie Auslandshilfe, insbesondere Marshall-Plan u. a., vgl. zu diesem Problem Wallich, Henry, Triebkräfte des deutschen Wiederaufstiegs, passim, Abelshauser, Werner, Wirtschaft in Deutschland, passim, sowie Huster u. a., Determinanten der westdeutschen Restauration, passim. 5 Vgl. Abelshauser, Werner, Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland, 65. 6 Bis Mitte Dezember 1948 stiegen die Lebenshaltungskosten um 14% an. Hierbei muß zusätzlich in Rechnung gestellt werden, daß u. a. Mieten weiter bewirtschaftet wurden, die Preissteigerungen in einigen Bereichen (z. B. Lebensmittel) also noch über diesem Betrag lagen. (Vgl. Wallich, Henry, Triebkräfte, S. 72, sowie Stucken, Rudolf, Geldpolitik und Bankenliquidität in Westdeutschland seit der Währungsreform, in: FA, NF Bd. 13, 1951/52, s. 204).

s.

s;

~

a:::

98,1 120,0 137,0 147,7 158,6 181,4 200,5

10,4 8,9 8,2 7,4 12,0 7,3

-

Zuwachs nom. real•J Mrd. DM

21,1 20,1 20,1 21,7 22,7 24,5 24,8

real

lnvestitionsquote

-

7,7 6,9 5,7 4,9 8,0 4,4

Produktivitätszuwachs

11,0 10,4 9,5 8,4 7,6 5,6 4,4

Arbeitslosenquote

Quelle: Statistisches Bundesamt, Vo/kswirischaftliche Gesamtrechnungen, Wirtschqft und Statistik Vorbemerkungen zum Bundeshaushaltsplan Finanzbericht.

-6,1 1,6 2,2 - 1,8 0,2 1,6 2,6

Preisindex fürdie Lebenshaltung Veränderungsrate

a) in Preisen von 1962. b) Basis 1960. c) keine verläßlichen Zahlen vorhanden.

1950 1951 1952 1953 1954 1955 1956

Jahr

Bruttosozialprodukt

Tabelle I

Die wirtschaftliche Entwicklung 1950-1956

65,6 64,4 62,5 63,1 63,3 61,7 61,6

bereinigtbl

Lohnquote

21,8 9,9 4,8 10,5 11,0

c) c)

Zuwachs der Steuereinnahmen

c)

22,7 24,3 24,7 24,1 23,3 23,4

Steuerquote

g..

w w

1.0 V. 00

'I>

.....

g:

1.0

~

00

'e

1\.....

0

:::1.

'"g

'I>

OCI

0

:::!.

;.;-



ö"

z

~ 0

34

B. Die Steuerpolitik 1949-1982

der Preise weit über das zur Anpassung nötige Maß hinausgegangen sind 7 • Ermöglicht wurden diese Preissteigerungen durch eine zu hohe Geldmenge. Bei der relativ reichhaltigen Bemessung der Neugeldbeträge und der zweiten "Kopfgeldrate" im Jahr 1949 hatte man ganz offensichtlich die benötigte Menge neuen Geldes überschätzt 8 • Die Bundesbank bemühte sich, unter anderem durch die Erhöhung der Mindestreserve und eine Kreditplafondierung auf dem Stand von Ende Oktober 1948, dieser Entwicklung entgegenzuwirken, doch mußten ihre Bemühungen aufgrund der hohen Liquiditätsreserven der Banken, bei denen sich das ausgegebene Bargeld angesammelt hatte, zunächst wirkungslos bleiben 9 • Erst Ende 1948 gelang es, durch weitere kreditpolitische Bemühungen in Verbindung mit anderen Faktoren 10 , den Inflationsschub zu bremsen. Den Unternehmen hatte die inflationäre Entwicklung hohe Gewinne gebracht, da zum einen die Spanne zwischen Kosten und Erlösen bei steigenden Preisen wuchs, zum anderen, da nun vor der Währungsreform "billig" angelegte Lager verkauft wurden. Die Selbstfinanzierungsmöglichkeiten waren insgesamt entscheidend verbessert worden 11 • Dagegen hatten die Arbeitnehmer deutliche Reallohneinbußen hinnehmen müssen, waren doch die Löhne im Gegensatz zu den Preisen noch bis Anfang November 1948 eingefroren und stellten die Gewerkschaften angesichts recht hoher Arbeitslosigkeit auch danach nur sehr zurückhaltende Lohnforderungen 12 • Der soziale Zündstoffl3 aus dieser Konstellation nahm weiter zu als die Arbeitslosigkeit Ende 1948 anstieg. Für diese Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt waren verschiedene Gründe ausschlaggebend. Zum einen sorgte der anhaltende Flüchtlingsstrom aus den Ostgebieten für ständigen "Nachschub" an Arbeitskräften, daneben wurde aber auch der zunächst steile Anstieg der Produktion zunehmend schwächer 14 . Diese wuchs zwar weiterhin leicht, die Zunahme reichte jedoch nicht aus, um die neuankommenden Flüchtlinge am Arbeitsmarkt zu absorbieren, die Beschäftigungszahlen sanken sogar leicht 15 • Vgl. Wallich, Henry, Triebkräfte des deutschen Wiederaufstiegs, S. 72f. Vgl. Möller, Hans, Die westdeutsche Währungsreform, S. 464. Hinzu kamen andere Faktoren, etwa die .recht hohe Umlaufgeschwindigkeit des Geldes, "vagabundierende" illegale Hartungsgewinne u. a. Ausführlicher bei: Müller, Georg, Die Grundlegung der westdeutschen Wirtschaftsordnung im Frankfurter Wirtschaftsrat 1947-1949, Frankfurt 1982, S. 148. 9 Vgl. Möller, Hans, Die westdeutsche Währungsreform, S. 465ff. 10 Zu nennen sind hier neben psychologischen Gründen (vgl. ebendaS. 468) vor allem ein Abflauen des Zustroms von Altguthaben, Budgetüberschüsse aus wachsenden Steuereinnahmen und nicht zuletzt die konstanten Lohnkosten und die dadurch bedingt sinkende Konsumentenkaufkraft (vgl. BIZ, 20. Jahresbericht, Basel1950, S. 61). 11 Vgl. Borchardt, Knut, Die Bundesrepublik Deutschland, S. 261 f. 12 Vgl. ebenda, S. 261 f. 13 Vgl. Stucken, Rudolf, Deutsche Geld- und Kreditpolitik 1944-1963, Tübingen, 1964, S. 204. 14 So kam es Mitte November 1948 zu einem eintägigen Generalstreik gegen die Wirtschaftspolitik der Regierung. 7

8

III. Die ,.Nachkriegsperiode" 1948/49 bis 1958

35

Trotz dieser Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt bei gleichzeitig deutlich nachgebenden Preisen (vgl. Tabelle 1) hielt die Bank deutscher Länder ihren restriktiven Kurs weitgehend aufrecht. Auf Seiten der Regierung sah man sich jedoch unter Druck: Die Opposition forderte energisch ein Eingreifen, vor allem aber sprach sich die Alliierte Hochkommission für eine aktive Bekämpfung der Arbeitslosigkeit aus 16 . Das Arbeitsbeschaffungs- und Wohnungsbauprogramm, das dann Anfang 1950 geplant wurde, hatte jedoch nur ein recht geringes Volumen 17 • Dies vor allem wohl auch deshalb, weil Wirtschaftsminister Erhard in der Arbeitslosigkeit mehr ein strukturelles als ein konjunkturelles 18 Problem sah und die Maßnahmen gegen seine eigene Überzeugung durchführte19. Die Verzögerung dieses und eines weiteren Programms vom März 1950 führte jedoch dazu, daß beide zeitlich mit dem ab Mitte 1950 einsetzenden Korea-Boom zusammenfielen und zu einer unerwünschten Überhitzung der Konjunktur beitrugen. Eine leichte Wiederbelebung der wirtschaftlichen Entwicklung hatte schon zuvor ab dem Frühjahr 1950 eingesetzt 20 • Die starre Haltung der Bank Deutscher Länder, ihre entschiedene Weigerung, expansive Maßnahmen zu ergreifen 21 , um die rezessiven Tendenzen zu bekämpfen, läßt sich - angesichts der vorerst gebannten Inflationsgefahr - nur unter Berücksichtigung währungspolitischer Argumente erklären. Im Rahmen des Eintritts in die "Organisation für Europäische Wirtschaftliche Zusammenarbeit" (OEEC) 1949 war die Lockerung der Einfuhrbeschränkungen vereinbart worden, ein Anstieg der Importe war die Folge. Da diese Mehreinfuhr nicht aus Exporterlösen bezahlt werden konnte, sondern man Marshall-Plan-Mittel zur Hilfe nehmen mußte, geriet die neue Währung zunehmend unter Abwertungsdruck. Als die D-Mark Mitte September 1949 zusammen mit einigen anderen Währungen gegenüber dem Dollar abgewertet wurde, verbesserte dies zwar die 15 Ursache dafUr waren vor allem außenwirtschaftliche Gründe: Eine leichte Rezession in den USA wurde von einem allgemeinen Konjunkturabschwung auf den Weltmärkten begleitet; vgl. Wallich, Henry, Triebkräfte des deutschen Wiederaufstiegs, S.80. 16 Ebenda, S. 80. 17 Abelshauser berechnet einen "Kern" von etwa 0,6 Mrd. DM, vgl. Abelshauser, Wemer, Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik, S. 67. 18 Die höchsten Arbeitslosenzahlen gab es in den agrarischen Ländern mit hohem Anteil an Flüchtlingen (Schieswig-Holstein, Niedersachsen, Bayern) vgl. Hardach, Kar!, Wirtschaftsgeschichte Deutschlands, S. 219. Es dürften sich jedoch zu diesem Zeitpunkt strukturelle Probleme mit konjunkturellen vermischt haben. 19 Vgl. Erhard, Ludwig, Wohlstand für alle, S. 44 f. Die Zentralbank unterstützte dieses Programm durch Refinanzierungszusagen. Vgl. Möller, Hans, Die westdeutsche Währungsreform, S. 473 f. 20 Vgl. Wallich, Henry, Triebkräfte des deutschen Wiederaufstiegs, S. 84, sowie Hardach, Karl, Wirtschaftsgeschichte Deutschlands, S. 220f. 21 Die teilweise Aufhebung der vorherigen Restriktionen im Laufe des Jahres 1949 (vgl. ausführlich bei Müller, Georg, Wirtschaftsordnung, S. 342 bzw. Stucken, Rudolf, Deutsche Geld- und Kreditpolitik, S. 206ft) kann schwerlich als expansive Maßnahme gewertet werden.

3*

36

B. Die Steuerpolitik 1949-1982

Situation im Handel mit den USA, die Abwertung einiger anderer europäischer Staaten war jedoch stärker gewesen, was den Zustrom von Waren aus diesen Ländern wachsen ließ. Folge davon war ein rascher Anstieg des deutschen Außenhandelsdefizits, der sich noch verschärfte, als im zweiten Halbjahr 1950 infolge der Koreanachfrage die Rohstoffimporte stark zunahmen 22 . Ende 1950 waren die Zahlungsbilanzprobleme so dringend geworden, daß die Einfuhren wieder stärker reglementiert wurden. Der nicht durch die Marshall-Hilfe gedeckte Teil des Defizits wurde durch einen Kredit der Europäischen Zahlungsunion23 finanziert, der an kreditpolitische Restriktionen der Zentralbank gebunden war 24 • Die Exportsteigerungen im folgenden Jahr führten dann jedoch bald zu einer Entspannung der Zahlungsbilanzsituation. Die Bedeutung des Korea-Booms für die deutsche Wirtschaft wird unterschiedlich beurteilt. Wallich 25 sieht in ihm eine Art "Glücksfall" 26 , der es der deutschen Wirtschaft ermöglichte, einen Platz auf dem Weltmarkt zu erobern. Ihre Kapazitätsreserven ermöglichten ihr, ohne allzugroße Preissteigerungen von der gesteigerten Nachfrage am Weltmarkt zu profitieren, während die Produktionskapazitäten der ausländischen Konkurrenz weitgehend ausgelastet waren und das Ausland mithin nicht so schnellliefern konnte. Produktion und vor allem Export stiegen erheblich2\ die Preissteigerungen blieben relativ gering. Insgesamt sei Deutschland - trotz vorübergehender ZahlungsbilanzProbleme - "sehr gut davongekommen" 28 und habe vom Korea-Boom profitiert, nicht zuletzt aufgrund der klugen, vor allem außenwirtschaftlich orientierten Geldpolitik 29 . Ähnlich positiv urteilt Hardach 30 , der darüber hinaus betont, daß im Zusammenhang mit dem Korea-Krieg die Produktionsbeschränkungen seitens der Alliierten weitgehend aufgehoben wurden, eine Entwicklung, die andernfalls wohl noch länger hätte auf sich warten lassen. Wichtig waren hier vor allem der Stahlbereich, der Maschinenbau und die Chemieindustrie. 22 Vgl. Hardach, Kar!, Wirtschaftsgeschichte, S. 221 . Hierzu kamen Hamsterkäufe der Verbraucher. 23 Die Europäische Zahlungsunion (EZU) war eine mit Marshall-Plan-Mitteln ausgestattete Verrechnungs- und Kreditstelle für den europäischen Außenhandel, zu dessen Liberalisierung sie beitragen sollte. Vgl. Recktenwald, Horst, Wörterbuch der Wirtschaft, 7. Auflage, Stuttgart 1975, S. 129. 24 Vgl. BIZ, 21. Jahresbericht, Basel, 1951, S. SOff. Die zum Teil schon zuvor vorgenommenen - Kreditrestriktionen der Notenbank erwiesen sich jedoch als relativ unwirksam (vgl. Wallich, Henry, Triebkräfte des deutschen Wiederaufstiegs, S. 87f.). Zeitweilig wurden wieder Einfuhrbeschränkungen nötig, um die Zahlungsbilanz zu stabilisieren (vgl. Abelshauser, Wemer, Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland, S. 151 f.). 25 Vgl. Wallich, Henry, Triebkräfte des deutschen Wiederaufstiegs, S. 83ff. 26 Vgl. ebenda, S. 84. 27 Vgl. Tabelle 1. 28 Wallich, Henry, Triebkräfte des deutschen Wiederaufstiegs, S. 90. 29 Vgl. ebenda, S. 102. 30 Vgl. Hardach, Kar!, Wirtschaftsgeschichte, S. 220f.

III. Die "Nachkriegsperiode" 1948/49 bis 1958

37

Anders der damalige Wirtschaftsminister Erhard, der nicht nur meint, "es hätte nicht des Korea-Konflikts bedurft, um den deutschen Wirtschaftsanstieg fortzusetzen", sondern der in der Korea-Krise "weit mehr Schwierigkeiten, als ... heilsame lmpulse" 31 für die deutsche Wirtschaft sah. Er betont hier die Zahlungsbilanzprobleme und die Produktionsengpässe, die sich- insbesondere bei den Grundstoffindustrien (Kohle) und im Infrastrukturbereich- durch die "stürmische Entwicklung" der Produktion auftaten 32 • Angesichts der zuvor eher schleppenden Entwicklung scheint jedoch die Annahme durchaus gerechtfertigt, daß die Korea-Krise den Impuls für einen sich selbst tragenden und länger anhaltenden Wachstumsprozeß gegeben hat. Nach dieser recht stürmischen Anfangsepoche setzte eine Phase der Konsolidierung ein. Die Jahre bis 1957 sind gekennzeichnet durch eine stetige-jedoch langsamere- Steigerung des Sozialproduktes 33 • Getragen war dies Wachstum, neben einer florierenden Binnenkonjunktur, vor allem auch von einer ständigen Zunahme der Exporte. Deutschlands Industriestruktur entsprach in hohem Maße der Nachfrage auf dem Weltmarkt34 , und die deutsche Industrie drängte auf die Auslandsmärkte 35 • Hinzu kam, daß die Unterbewertung der DM den Export begünstigte und die Bundesregierung gezielte Förderung der Exporte betrieb36 • Das Preisniveau blieb relativ stabil, war sogar bis 1953 tendenziell rückläufig. Auch in den darauf folgenden Jahren war der Preisanstieg gering und blieb damit deutlich hinter den Inflationsraten der großen europäischen HandelsnaErhard, Ludwig, Wohlstand für alle, S. 48. Vgl. ebenda, S. 54fT. 33 Vgl. Tabelle 1. 34 Insbesondere die Bereiche Maschinen, chemische Erzeugnisse, Elektroerzeugnisse und Fahrzeuge, vgl. Borchardt, Knut, Deutsche Wirtschaft, S. 226. 35 Vgl. Hardach, Kar!, Wirtschaftsgeschichte, 226. 36 Die außenwirtschaftliehen Erfolge der Bundesrepublik gingen einher mit einer zunehmenden politischen Anerkennung des westdeutschen Staates. Vor allem der "Kalte Krieg" war es, der diese Entwicklung beschleunigte und aus dem ehemaligen Feind für die Westalliierten einen wünschenswerten Bündnispartner machte. Im Zusammenhang mit dem Koreakrieg tauchte "erstmals die Idee einer deutschen Wiederbewaffnung" auf. (Erhard, Ludwig, Wohlstand für alle, S. 59). 1955 trat dann die Bundesrepublik der NATO bei. Zunächst waren es jedoch vor allem wirtschaftliche Zusammenschlüsse, in die man die Bundesrepublik aufnahm. (Erwähnt sei hier neben der schon angesprochenen OEEC insbesondere die Montanunion). Die Gründung der EWG zum 1. 1. 1958 war wohl der wichtigste Vertrag innerhalb der wirtschaftlichen Integration der Bundesrepublik. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie ihre innenpolitische Souveränität weitgehend wiedererlangt; die diesbezüglichen Verträge traten erst 1955 in Kraft, wiewohl sie de facto ab 1952 realisiert war. Die erheblichen Erfolge im Außenhandel ermöglichten es der Bundesrepublik auch, ihren zahlreichen Auslandsverpflichtungen nachzukommen. Neben Wiedergutmachungsleistungen handelte es sich hierbei vor allem um Vorkriegsschulden aus Dawes- und YoungAnleihe, sowie die Rückzahlung der alliierten Wirtschaftshilfe. Im Londoner Schuldenabkommen vom Februar 1953 wurde zwar ein Teil der Schulden erlassen, ohne ausreichende Zahlungsbilanzüberschüsse wäre aber auch eine Rückzahlung der verminderten Schuldenlast nicht möglich gewesen (vgl. ausführlicher Borchardt, Knut, Deutsche Wirtschaft, s. 286f.). 31

32

B. Die Steuerpolitik 1949-1982

38

tionen 37 • Grund dafür waren die-angesichtseiner immer noch recht hohen Arbeitslosigkeit - gemäßigten Lohnforderungen und die Tatsache, daß die Notenbank es ablehnte, eine Geldmengenausweitung über das Wachstum hinaus vorzunehmen, insbesondere bei Abflauen der Nachfrage spezielle Ausgabenprogramme zu finanzieren. Die Arbeitslosenzahlen sanken langsam, blieben jedoch bis 1958/59 noch recht hoch- vor allem wegen der Flüchtlinge und Spätheimkehrer. Man muß Erhard daher eine etwas vereinfachende Sichtweise vorwerfen, wenn er diese Periode als einen "idealen Dreiklang" 38 charakterisiert; bei dem angesichts wachsender Produktion und Produktivität "alle" vom steigenden Wohlstand profitierten. In der Tat stiegen die Reallöhne von 1952 bis 1958 von 112 (Index 1950 = 100) auf 145, die bereinigte Lohnquote sankjedoch von 65,6 (1950) auf 60,4 (1960). Diese Werte sind aufgrundvon Gebietsveränderungen nur bedingt aussagefähig, sie machen aber deutlich, daß sich die Wohlstands- und Einkommenssteigerung recht ungleichmäßig auf die Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital verteilte. Auch wenn man davon ausgeht, daß diese Entwicklung Voraussetzung für das hohe Investitionsvolumen und daher nötig war, kann eine derartige Einkommenskonzentration gewiß nicht als "ideal" bezeichnet werden. b )Die wirtschaftspolitische Zielsetzung: Wachstum und Währungsstabilität

In keiner anderen Phase des Untersuchungszeitraums lassen sich die Ziele der Wirtscha'ftspolitik allgemein und speziell der Steuerpolitik so unmittelbar aus der wirtschaftlichen Situation ableiten. Die Notwendigkeit zum Wiederaufbau war unübersehbar, die Regierung sah daher ihr primäres Ziel in der Förderung wirtschaftlichen Wachstums, von dem sie sich die Lösung der vorrangigen wirtschaftlichen Probleme versprach. Für die Zielsetzung der Wirtschaftspolitik hieß dies: Geldwertstabilität und Wachstum vor Verteilungsgerechtigkeit Schon die Währungsreform war durch ihre soziale Härte gekennzeichnet gewesen. Nutznießer waren vor allem Unternehmer und Schuldner, belastet wurden "unproduktive Bevölkerungsschichten", vor allem Rentner und kleine Sparer39 • Die Reform war zwar von den Alliierten durchgeführt worden, und man kann wohl Borchardt recht geben, wenn er meint, daß eine deutsche Behörde keinen "derartig harten Eingriff" 40 hätte vornehmen können wie die Militärbehörde. Die Reform lag jedoch durchaus auf der Linie der späteren Bundesregierung41 • Vgl. Borchard, Knut, Deutsche Wirtschaft, S. 285. Erhard, Ludwig, Wohlstand für alle, S. 67. 39 Vgl. Wallich, Henry, Triebkräfte des deutschen Wiederaufstiegs, S. 69f. 40 Vgl. Borchardt, Knut, Deutsche Wirtschaft, S. 261. 41 Wallich spricht in diesem Zusammenhang von einem "Geist der Erfolgsmentalität", der charakteristisch für die deutsche Wirtschaft der Nachkriegszeit sei, vgl. Wallich, Henry, Triebkräfte des deutschen Wiederaufstiegs, S. 70. 37

38

III. Die "Nachkriegsperiode" 1948/49 bis 1958

39

In der ersten Regierungserklärung Adenauers am 20. 9. 1949 heißt es: "Der Wiederaufbau unserer Wirtschaft ist die vornehmste, ja die einzige Grundlage für jede Sozialpolitik und für die Eingliederung der Ausgewiesenen. Nur eine blühende Wirtschaft kann die Belastung aus dem Lastenausgleich tragen" 42 • Dementsprechend erschien es "ungleich sinnvoller ( . . . ), alle einer Volkswirtschaft zur Verfügung stehenden Energien auf die Mehrung des Ertrages der Volkswirtschaft zu richten als sich in Kämpfen um die Distribution des Ertrages zu zermürben" 43 • Man nahm dementsprechend steigende Unternehmergewinne - z. B. Hortungsgewinne nach der Währungsreform - bewußt hin, um den Unternehmen Investitionskapital zu verschaffen, auch wenn dies eine "unerfreuliche soziale Optik" 44 zur Folge hatte. Gerade der Förderung der Finanzierungsmöglichkeiten von Investitionen galt das Hauptaugenmerk der verantwortlichen Politiker. Neben dem wirtschaftlichen Wachstum war vor allem die Preisstabilität erklärtes Ziel der Bundesregierung, da sie als Voraussetzung für das Funktionieren des marktwirtschaftliehen Systems angesehen wurde45 und man davon ausging, daß gerade die deutsche Bevölkerung nach zwei von Inflationen ausgelösten Währungsumstellungen in diesem Punkt besonders empfindlich sei. In dieser Einstellung sah sich die Bundesregierung durch die Notenbank unterstützt, die neben Währungsstabilität vor allem dem Zahlungsbilanzausgleich große Bedeutung beimaß 46 • Nicht zuletzt der beschriebenen außenwirtschaftliehen Orientierung der Notenbank war es zu verdanken, daß die Bundesrepublik ab 1952 Zahlungsbilanzüberschüsse erwirtschaftete. Dies ermöglichte ihr zum einen, ihren Auslandsverpflichtungen nachzukommen, zum anderen wurde hier der Grundstein für eine Entwicklung gelegt, die die Bundesrepublik in den 60er Jahren nach den USA zur zweitstärksten Handelsnation werden ließ. In dieser sehr schnellen und gründlichen außenwirtschaftliehen Erholung nach jahrelanger Abschottung und Protektionismus sieht Wallich das eigentliche "Wunder" beim deutschen Wiederaufbau47 •

BT-Drucksache 1/317, S. 11f. Erhard, Ludwig, Wohlstand für alle, S. 10. 44 Ebenda, S. 29. 45 Dazu Ludwig Erhard: "Die soziale Marktwirtschaft ist ohne eine konsequente Politik der Währungsstabilität nicht denkbar." (Erhard, Ludwig, Wohlstand für alle, S. 15) Er hielt es sogar für angebracht, ,.die Währungsstabilität in die Reihe der menschlichen Grundrechte aufzunehmen". (Ebenda, S. 16) Dabei läßt sich jedoch feststellen, daß die Erhaltung der Preisstabilität vor allem als Aufgabe der Notenbank angesehen wird. Die Regierung versuchte nur selten, selbst stabilisierend auf das Preisniveau einzuwirken. 46 Vgl. Wallich, Henry, Triebkräfte des deutschen Wiederaufstiegs, S. 102. 47 Vgl. ebenda, S. 102. Vgl. hierzu auch Müller, Georg, Grundlegung der westdeutschen Wirtschaftsordnung, S. 139f. 42

43

40

B. Die Steuerpolitik 1949-1982

c) Die Neuordnung der Finanzverfassung

Neben der wirtschaftlichen Entwicklung war eine weitere wichtige Rahmenbedingung für die Steuerpolitik in der Bundesrepublik die Verteilung der Steuern- respektive der Steuergesetzgebungshoheit- auf die Gebietskörperschaften. Die Frage war auch einer der strittigsten Punkte bei den Beratungen zum Grundgesetz- wurde doch die Verteilung von Einnahmen und Gesetzgebungsbefugnis mit Recht als "Kernfrage der politischen Gliederung" 48 im neuen Staat angesehen. Trotz der recht einhelligen Ansicht, daß nach dem Zentralismus des dritten Reiches nun wieder der Gedanke eines föderativen Staatsaufbaus Gewicht gewinnen sollte, hatte es schon während des Herrenchiemseekonvents49 sehr unterschiedliche Ansichten in der Frage gegeben, wie weit man zum Föderalismus zurückkehren sollte 5°. Der Idee von der stärkeren finanziellen Selbständigkeit der Länder, die ihren Ausdruck meist im Rückgriff auf die Regelung der Finanzverfassung des Kaiserreichs fand, stand dabei entgegen, daß die Bewältigung der Kriegsfolgen ähnlich wie zu Beginn der Weimarer Republik 51 eine ausreichende Finanzausstattung der Zentralgewalt erforderte, und daß andererseits die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im neuen Staat garantiert werden sollte. Im Parlamentarischen Rat 52 wurden demzufolge Lösungen diskutiert, die dem Bund größeren Einfluß auf die Steuergesetzgebung einräumten und sich eher an der einheitlichen Finanzverwaltung der Weimarer Republik orientierten 53. Die Alliierten legtenjedoch ihr Veto gegen derartige Überlegungen ein 54, so daß das Grundgesetz schließlich nur eine vorläufige Regelung der Steuerverteilung enthielt. Danach standen dem Bund an Aufkommen Zölle, Finanzmonopole und die meisten speziellen Verbrauchsteuern zu, die Länder erhielten Maunz, Theodor, Deutsches Staatsrecht, München und Berlin 1954, S. 191. Der Verfassungskonvent, der vom 10. bis zum 23. August 1948 auf der Insel Herrenchiemsee tagte, sollte im Auftrag der Ministerpräsidenten der Länder in den 3 Westzonen eine Grundlage für die Verfassungsberatungen des Parlamentarischen Rates erstellen. 50 Eine ausführliche Schilderung der Debatten gibt der dort als Vertreter des Landes Württemberg-Hohenzollern anwesende Schmidt, Carlo, Erinnerungen, München, 1981, s. 359ff. st Vgl. Teil B, Kapitel 113. 52 Der Parlamentarische Rat, die verfassungsgebende Versammlung der Bundesrepublik, war von den Ministerpräsidenten der 11 westdeutschen Länder aufgrund der Londoner Empfehlungen der West-Alliierten vom 1. Juni 1948 einberufen worden und beriet in der Zeit vom 1. 9. 48 bis zum 8. 5. 49 über die Ausgestaltung des Grundgesetzes. Für die Neuordnung der Finanzverfassung war der "Ausschuß für Finanzfragen" unter Vorsitz von Dr. Paul Binder bzw. Edmund Kaufman zuständig. Vgl. ausführlich Schweigert, Eberhard, Die Finanzverwaltung Westdeutschlands, S. 165 ff. 53 Vgl. Institut Finanzen und Steuern (Hrsg.), Heft 33, Die Finanzreform, Bonn, o.J., S. 57. 54 Vgl. Clay. Lucius, Entscheidung in Deutschland, S. 458ff. sowie Schweigert, Eberhard, Die Finanzverwaltung Westdeutschlands, S. 174ff. Umgerechnet mit Hilfe des Index der Lebenshaltungskosten 1949 bis 1982; die Umrechnung kann vor allem wegen der ganz erheblichen Veränderung der Verbrauchsstruktur nur einen ungefähren Anhalt darüber vermitteln, wie hoch die Kaufkraft der damaligen Einkommen (in heutigen Preisen gerechnet) gewesen sein dürfte. Quelle : Dreißig, Wilhelmine, Die Steuerpolitik im Zusammenhang mit der Währungsreform, in: Koch, Walter u. a. (Hrsg.), Staat, Steuern und Finanzausgleich, Berlin 1984, S. 184.

•>

in Kaufkraft von 1982e)

RM/DM

Jahreseinkommen•>

Tabelle 2

Einkommensteuer in % des Einkommens 1948

~

V>

~

00

V>

v;,

"'......

g:

~

'e 00

n.

O-

0

:::!.

]



I' am Gesamtsteueraufkommen in%

Anteil "direkter" Steuernbl (Td 1) am Gesamtsteueraufkommen in%

Anteil "direkter" Steuern (Td2) am Gesamtsteueraufkommen in %

2

3

4

61,03 58,81 57,95 57,95 57,83 58,96 58,24 59,31 57,16 58,22 56,59 55,93 54,63 52,70 51,02 52,36 51,59

46,53 48,22 48,88 49,83 49,71 48,68 49,23 47,85 49,28 49,58 47,97 49,01 51,07 53,79 55,62 54,69 55,56

50,52 52,22 53,07 53,81 53,66 52,46 52,99 52,03 53,16 53,06 51,57 52,44 54,11 56,65 58,52 57,78 58,81

a) "Produktionssteuem" und Einfuhrabgaben, Abgrenzung lt. volkswirtschaftl. Gesamrechnung, vgl. Jahresgutachten des Sachverständigenrats zur Beurteilung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, 1977, a. a. 0., S. 242. - b) Td1 enthält Lohnsteuer, veranlagte E.steuer, Kapitalertragsteuer, KörPerschaftsteuer, Gewerbesteuer einschl. Lohnsummensteuer. - c) Td2 enthält Td1 plus Vermögensteuer und Grundsteuer Quelle: Hansmeyer, Kari-Heinrich, Umbau des Steuersystems, Berlin 1979, S. 35.

Bei näherer Betrachtung läßt sich der Rückgang des Anteils der indirekten Steuern allerdings nicht auf die Einnahmeentwicklung bei der Umsatzbesteuerung zurückführen 38 , er war vielmehr das Ergebnis eines relativen- und z. T. sogar absoluten - Rückgangs der speziellen Verbrauchsteuern, bzw. der überproportionalen Zunahme der Lohnsteuer, deren hohe Aufkommenselastizität durch die "kalte Progression" noch verstärkt wurde. Obwohl demnach nicht ein relativer Einnahmeschwund bei der Umsatzsteuer Ursache dieser Entwicklung war, sah man in der Mehrwertsteuer den wesentlichen Ansatzpunkt für eine Erhöhung des Anteils der indirekten Steuern, schien doch eine verstärkte Anpassung - oder gar Umgestaltung - der Bagatellsteuern weder finanziell besonders aussichtsreich noch politisch durchsetzbar 39 • 38 Der Umsatzsteueranteil am Gesamtaufkommen hatte sich zwar von 1970 auf 1977 von knapp 25% auf 21% reduziert, lag damit jedoch nicht wesentlich unter dem Schnitt der 60er Jahre von ca. 22%. 39 Zwar gab es auch einige Steuersatzanhebungen bei speziellen Verbrauchsteuern: so die Branntwein- und Tabaksteuererhöhung vom 5. 7. 1976 (BGBI. I, S. 1770) mit

VI. Steuerpolitik unter pluralistischer Zielsetzung

181

Tabelle 32

Der Anteil einiger wichtiger Steuerarten am Gesamtaufkommen in % Jahr

ust•>

1960 1970 1978 1980

23 25 23 26

spez. Verbrstbl

Mineralölsteuer

Lohnsteuer

13

4 8 6 6

12 23 29 31

10 7 7

Einkommensteuer 13

10 12

10

•>

1960 UmsatzSteuer und Umsatzausgleichsteuer, ab 1968 Mehrwertsteuer und Einfuhrumsatzsteuer. ohne Mineralölsteuer. Quelle : Finanzbericht 1985, S. 174 ff.

b)

Ob jedoch eine einprozentige Anhebung der Umsatzsteuer- auch in Verbindung mit der USt-Erhöhung von 1978 in gleicher Höhe- auch nur annähernd ausreichen konnte, eine längerfristige Umstrukturierung der Einnahmen zu gewährleisten, muß bezweifelt werden, zumal die Änderungen bei den direkten Steuern das Problem des überproportionalen Wachstums des Lohnsteueraufkommens nicht dauerhaft lösten, sondern nur - einmal mehr - durch entsprechende Tarifvariationen kurzfristige Entlastung brachten40 • Die Entlastung war in der Tat so kurzfristig, daß schon 2 Jahre später41 eine erneute Tarifkorrektur nötig wurde, um ,jene rund 10% der Lohnsteuerpflichtigen die seit den letzten Tarifkorrekturen in die Anfangszone der direkten Steuerprogression hineingewachsen sind, wieder in die niedrigere Proportionalbesteuerung zurückzuführen" 42 • Die Gesetzesbegründung macht dabei deutlich, daß man sich mit diesem Problem dahingehend abgefunden hatte, daß derartige Anpassungen eben "von Zeit zu Zeit" nötig werden43 • So wurde nun einmal mehr die Proportionalzone ausgedehnt (von 16000/32000 DM auf 18000/36000 DM), ferner wurden- auch dies bereits ein bekanntes Verfahren - die Freibeträge und Sonderausgabenhöchstbeträge angehoben 44 • Mehreinnahmen von 1,6 Mrd. DM (letztere wurdejedoch durch das Gesetz vom 13. 12. 1979- BG BI. I, S. 2118 - durch Senkungen bei der Besteuerung von Zigarren z. T. wieder zurückgenommen, gleichzeitig nahm man eine Umstrukturierung zugunsten der Wertkomponente vor), die Mineralölsteuererhöhungen vorn 4. 8. 1980 (BG BI. I, S. 1157) und vom 20. 3. 1981 (BGBI. I; S. 301 ), die Branntweinsteuererq~hung vom 20. 3. 1981 (ebenda) mit Mehreinnahmen von knapp 4 Mrd. DM, sowie die Anderun~ der Tabak-, Schaumwein- und Branntweinsteuer vorn 22. 12. 1981 (BGBI. I, S. 1562) rntt Mehreinnahmen von ca. 3,2 Mrd. DM. Diese Erhöhungen glichenjedoch-mit Ausnahme der Mineralölsteuer - nicht einmal den relativen Rückgang dieser Steuern am Gesamtaufkommen aus. 40 Folkers bezeichnet die sich ständig erneuernde Notwendigkeit zur Reform des Einkommensteuer-Tarifs als "Reformakzelerator" vgl. Folkers, Cay, Der Reformakzelerator, in: Wirtschaftsdienst 1978, S. 343. 41 Steuerentlastungsgesetz 1981 vom 16. 8. 1980, BG BI. I, S. 1381. 42 Finanzbericht 1981, S. 148. 43 BT-Drs. VIII/2150, S. 7. 44 Der Tariffreibetrag wurde in den Grundfreibetrag eingearbeitet, der Haushaltsfreibetrag für Alleinstehende mit Kindern von 3 000 auf 4212 DM und der Weihnachtsfreibetrag von 400 auf 600 DM erhöht. Vgl. ausführlicher Finanzbericht 1981, S. 148f.

Tanf 1979

-

40 80

30

60

LO

40

16

32

10

20

4 ,7

----·

4 212

'H

9 .8

--

8 .424

- - Tarof 198 1

-

Grenzbeld,lung

S t euerheiadung 10 v H

V

H

60

H

120

V

50

12

100

-

-

80

160

tl

1000 DM

zu ve• \teue • , .rle s E

70

o8,H

----

140

-----

Tar•f 1979 - - Tar1f 1981

-

Durchschn• ttsbelastung

Einkommensschichtung der Lohnsteuerpflichtigen nach der Höhe des zu versteuernden Einkommens 1981 in%

Quelle: Finanzbericht 1981, S. 149.

0

10

20

30

40

50

60

70

D

Graphik 8

Tarifverlauf EStG 1979 und 1981

180 Verhelriltete

90 UnYerhe• ratete

k. omme r I UI

N

\0 00

\0

-"" ' ......

\0

......

~

c. ~

0

(1>

.a"'

rn

0 ;:;·

!J:I

00 N

......

VI. Steuerpolitik unter pluralistischer Zielsetzung

183

Als "familienpolitische Komponente" enthielt das "Steuerpaket 1981" eine Erhöhung des Kindergeldes (20 DM mehr für das zweite und 40 DM mehr ab dem dritten Kind) sowie die bundeseinheitliche Regelung des Abzugs von Kinderbetreuungskosten, die nun bis zu 1200 DM im Jahr absetzbar waren 45 . Die Verteilung der Entlastungswirkungen bei der Lohnsteuer auf Einkommensklassen (vgl. Tabelle 33) zeigt, daß sich die relativen Entlastungen im mittleren Bereich schwächer auswirkten als bei oberen und unteren Einkommensgruppen. Ferner ergaben sich für Verheiratete mit Kindern bei unteren Einkommen gar keine Erleichterungen. Da die absoluten Entlastungen - als Kehrseite der Progression - zu etwa 70% bei den oberen 20% der Lohnsteuerpflichtigen (über 50000 DM) anfielen, waren von diesem Gesetz weder expansive Wirkungen in größerem Umfang zu erwarten, noch schien es von seiner Ausgestaltung her besonders geeignet zur Stimulierung wirtschaftlichen Wachstums. Man muß daher fragen, ob die verwendeten Mittel- alles in allem etwa 15 Mrd. DM- in der damaligen, von Unterauslastung gekennzeichneten, Lage nicht sinnvoller hätten verwendet werden können. Auch mit diesem Steuerentlastungsgesetz kurierte man jedoch nur an den Symptomen. Eine dauerhafte Lösung - etwa in Form einer Indexierung oder "inflationsneutralerer" Tarifgestaltung46 - wurde gar nicht in Erwägung gezogen. Trotz der Steuerentlastung seit 1977 nahm daher der Anteil der Steuern vom Einkommen nicht wesentlich ab, es läßt sich lediglich bei der Gewerbesteuer ein anteilsmäßiger Rückgang erkennen. Ganz offensichtlich sind die 1979 vorgebrachten Argumente bezüglich einer Umstrukturierung demnach nicht als ernstzunehmender Versuch einer Neuordnung der Belastung des Steuersystems zu werten; es handelte sich wohl in erster Linie um die Absicht, eine unpopuläre Erhöhung der Mehrwertsteuer zu "verkaufen". Das wenig beherzte Vorgehen der Regierung ist jedoch auch vor dem Hintergrund der Haushaltslage zu sehen. Ein energischer Abbau der "heimlichen Steuererhöhungen" aus der kalten Progression hätte den Verzicht auf liebgewonnene "automatische" Steuereinnahmen, ohne die Notwendigkeit diskretionärer Steuererhöhungen, bedeutet. Ein Einnahmenausfall, den man angesichtsder zunehmenden Staatsverschuldung und der daraus resultierenden Notwendigkeit zur Konsolidierung nur schwerlich hätte verkraften können.

Ausführlicher vgl. Finanzbericht 1981, S. 149. Ausführlicher zu diesem Problem vgl. Neumark, Fritz, Indexbindungen und Besteuerung, in: Ehrlicher, Werner (Hrsg.), Probleme der Indexbindung, Berlin 1974, S. 75fT., Stützet, Wolfgang, Das Mark-gleich-Mark-Prinzip und unsere Wirtschaftsordnung, Baden-Baden 1979, S. 41 ff. sowie Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft, Indexierung wirtschaftlich relevanter Größen, in: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Bulletin Nr. 101 vom 13. August 1975, S. 952 ff. 45

%

4353 10836 14052 18040 22522 30474 42928 62253 87126 142 515 34356

17,4 3,6 6,8 7,7 10,0 18,8 15,5 12,3 4,9 3,0 100

9600 9600 12000 12000 16000 16000 20000 20000 25000 25000 36000 36000 50000 50000 75000 75000 100000 100 000 und mehr Insgesamt

in DM

in v.H.

von ... DM bis . . . unter ... DM Tarif79b)

I Tarif 81c)

Lohnsteuer in DM

38 444 916 1580 2307 3917 6854 12382 22327 49335 6348

30 413 863 1527 2240 3762 6573 11710 20976 47256 6047

Lohnsteuerpflichtige insgesamt

Jahresbruttolöhne und -gehälter•l pro Kopf

Steuerpflichtige

Jahresbruttolöhneund -gehälter

8 31 - 53 53 67 - 155 - 281 - 672 -1351 -2079 - 301

-

in DM

I -21,1 - 7,0 - 5,8 - 3,4 - 2,9 - 4,0 - 4,3 - 5,7 - 6,4 - 4,2 - 4,7

in v. H.

Steuerentlastung 1981 pro Kopf

Tabelle 33 Die Steuerentlastung der Lohnsteuerpflichtigen für das Jahr 1981 nach dem Steuerentlastungsgesetz 1981

28,9 23,5 75,3 84,8 138,7 604,0 903,4 I 714,8 1367,2 1317,1 6257,7

in Mi!!. DM

0,5 0,4 1,2 1,4 2,2 9,7 14,4 27,4 21,8 21,0 100

in v. H.ct)

Steuermindereinnahmen 1981 insgesamt

00 N

10

'

~

-

10

~

~

-

.a

~ (1)

s:: (1)

~

0 ;;;·

00 .j:>.

-

4,4 1,7 4,4 6,8 11,2 24,6 20,9 16,0 6,1 3,9 100

9600 12000 9600 12000 16000 20000 16000 20000 25000 36000 25000 36000 50000 50000 75000 100000 75000 100 000 und mehr Insgesamt

46 646 1273 2072 2982 5349 10411 19583 32449 58927 4000

35 606 1224 2020 2923 5007 9589 18527 31430 57848 3 788

59

11 40 49 52

342 822 -1058 -1019 -1079 - 212

-

-

-

5580 11022 14274 18178 22572 30500 42956 62280 87139 146598 42296

0 0 302 1002 1794 3 232 5736 11320 21602 51241 7399

0 0 238 950 I 734 3184 5678 10628 19996 49251 7076 64 52 60 48 58 - 692 -1606 -2170 - 323

-

-

-

Lohnsteuerklasse III mit Kindem