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German Pages 330 [331] Year 2020
Strafrechtliche Abhandlungen Neue Folge · Band 291
Die Sozialadäquanz im Strafrecht Rechtsfigur oder Mythos?
Von
Felix Ruppert
Duncker & Humblot · Berlin
FELIX RUPPERT
Die Sozialadäquanz im Strafrecht
Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge Begründet von Dr. Eberhard Schmidhäuser (†) em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Hamburg
Herausgegeben von Dr. Dres. h. c. Friedrich-Christian Schroeder em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Regensburg
und Dr. Andreas Hoyer ord. Prof. der Rechte an der Universität Kiel
in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten
Band 291
Die Sozialadäquanz im Strafrecht Rechtsfigur oder Mythos?
Von
Felix Ruppert
Duncker & Humblot · Berlin
Gedruckt mit Unterstützung des Förderungsfonds Wissenschaft der VG WORT. Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Brian Valerius, Bayreuth Die Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Bayreuth hat diese Arbeit im Jahre 2019 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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© 2020 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 978-3-428-15844-7 (Print) ISBN 978-3-428-55844-5 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Meinen Eltern
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2018 von der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth als Dissertation angenommen und behandelt mit der Sozialadäquanz im Strafrecht einen oft erwähnten Begriff, dessen zugrundeliegendes Konstrukt jedoch zuhauf im Ganzen abgelehnt, auf anderer Seite indes mindestens ebenso häufig als Heilsbringer betrachtet wird. Aufgrund der zahlreichen proklamierten Anwendungsfälle in etlichen Bereichen des täglichen Lebens erschien es notwendig, die Hintergründe dieser Figur eingehend zu beleuchten sowie zu erörtern, wie ein Institut der Sozialadäquanz sich in das bestehende Verbrechenssystem einfügen kann, ohne dessen Grenzen zu sprengen. Für die Druckfassung der Arbeit konnten Rechtsprechung und Literatur bis einschließlich Juli 2019 berücksichtigt werden. Die Ausarbeitung entstand während meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und Medizinstrafrecht von Herrn Prof. Dr. Brian Valerius an der Universität Bayreuth, die mir für immer in bester Erinnerung bleiben wird. Herrn Valerius gilt auch zuvorderst mein besonderer Dank für diese inspirierende sowie lehrreiche Zeit, in der ich nicht nur stets neue strafrechtliche Herausforderungen kennen lernen durfte, sondern daneben auch die Freiheit zugesprochen bekam, ebenso eigenständig wie unter hervorragender Betreuung Begeisterung für die Wissenschaft zu entfachen. Auf dem Wege der Promotion und der Reise in die unbekannten Gefilde der Sozialadäquanz unterstützte er mich von Anfang an und stets ermutigend. Ferner danke ich Herrn Prof. Dr. Nikolaus Bosch nicht nur für die Anfertigung des detaillierten sowie konstruktiven Zweitgutachtens, sondern auch für eine eben solche Diskussion. Eine besondere Erwähnung gebührt darüber hinaus Herrn Dr. Bernd Galneder und Herrn Dr. Thomas Himmer, welche nicht nur in wissenschaftlicher Hinsicht einen Blick über den Tellerrand hinaus, sondern auch in hitzigen Phasen kühlen Kopf schufen und deren Freundschaft die Abfassung einer Dissertation bedeutend erleichterte sowie belebte. Gleiches gilt in besonderem Maße für meinen Kollegen Herrn PD Dr. Christoph Zehetgruber, der mich vom ersten Tag am Lehrstuhl an wie einen Bruder aufnahm sowie zu eigenen Projekten ermutigte, immerwährende Diskussionsbereitschaft aufbrachte und dessen Rolle als Mentor und Vorbild nicht besser hätte ausgefüllt werden können. Zu guter Letzt danke ich von ganzem Herzen meinen Eltern Andrea und Karl Ruppert, die nicht nur meinen gesamten Lebensweg aufopferungsvoll begleitet und mir eine wundervolle Kindheit geschenkt, sondern auch mein Studium unter jed-
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Vorwort
weden Bedingungen ermöglicht haben. Der Grad meiner Dankbarkeit dafür ist ebenso schwer in Worte zu fassen wie für die liebevolle Unterstützung von Frau Lisa Poisel, die mein Leben in jedweder Hinsicht bereichert. Bayreuth, im Juli 2019
Felix Ruppert
Inhaltsübersicht A. Vom Mythos der Sozialadäquanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 B. Entwicklung und Bedeutung der Sozialadäquanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Anfänge der Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Weitere Rezeption in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rezeption in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rezeption in der Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Bisherige Lösungsansätze zur Dogmatik der Sozialadäquanz . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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D. Eigener Lösungsansatz zur Dogmatik der Sozialadäquanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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E. Ausgewählte Anwendungsfälle der Sozialadäquanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Infektion mit Krankheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Teilnahme an Sportwettbewerben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Moderner Massenverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Beleidigungsfreie Sphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Alltägliche Handlungen und Strafvereitelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Bestechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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F. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Dogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vom Mythos zur Rechtsfigur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329
Inhaltsverzeichnis A. Vom Mythos der Sozialadäquanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 B. Entwicklung und Bedeutung der Sozialadäquanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Anfänge der Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Fahrt mit der Eisenbahn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Betrieb riskanter Unternehmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Drohungen mit verkehrsmäßigen Übeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Tötungen im Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Weitere Rezeption in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sozialadäquanz im Besonderen Teil des StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Straftaten gegen die Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Straftaten gegen das (werdende) Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Folgen des Geschlechtsverkehrs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Medizinisch indizierter Schwangerschaftsabbruch . . . . . . . . . . . . . (3) Passive Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Ärztlicher Heileingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Knabenbeschneidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Infektion mit Krankheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Teilnahme an Sportwettbewerben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Züchtigungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (6) Unerhebliche und unangemessene Körperverletzungen . . . . . . . . . (7) Verletzungen der Psyche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Straftaten gegen die persönliche Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Freiheitsberaubung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Moderner Massenverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Unerhebliche Freiheitsbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Akte der Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Nötigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Verwerflichkeitsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Sozialadäquate Drohungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Sittlichkeitsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Straftaten gegen die Ehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Beleidigungsfreie Sphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25 27 27 28 28 30 30 32 32 32 32 32 33 35 37 37 39 40 41 43 46 48 49 49 49 51 52 53 53 54 56 57 57
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Inhaltsverzeichnis (2) Beleidigungen an Karneval . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Straftaten gegen den persönlichen Geheimbereich . . . . . . . . . . . . . . . . b) Straftaten gegen die Allgemeinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen . . . . . . . bb) Verstrickungsbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Falsche Verdächtigung und Verfolgung Unschuldiger . . . . . . . . . . . . . dd) Strafvereitelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Alltägliche Handlungen ohne ausschließliche Vereitelungstendenz (2) Schenkungen an den zu einer Geldstrafe Verurteilten . . . . . . . . . . (3) Handlungen des Strafverteidigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Geldwäsche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Alltägliche Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Entgegennahme durch Strafverteidiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Unerlaubte Veranstaltung eines Glücksspiels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Bestechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Straftaten gegen das Vermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Diebstahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Diebstahl geringwertiger Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Maibaumdiebstahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Diebstahl mit einem gefährlichen Werkzeug . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Unterschlagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Erpressung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Betrug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Anpreisungen und Reklame . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Verbergen eines Liebhaberinteresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Handeln im Rahmen beruflicher Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Untreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Sachbeschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sozialadäquanz im Allgemeinen Teil des StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) „Neutrale Beihilfe“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Sozialadäquanz und andere Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Konkretisierung der Sozialadäquanz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wahrnehmung einzelner Aufgaben des Betriebsinhabers . . . . . . . . . . . . . . c) Garantenpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sozialadäquanz im Strafprozessrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rezeption in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zurückhaltende Anwendung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Tatsächliche Relevanz in der strafgerichtlichen Rechtsprechung . . . . . . . . . . 3. Synthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rezeption in der Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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V. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Relevanz der Sozialadäquanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Originäre Sozialadäquanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) „Surrogate“ der Sozialadäquanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Funktionen der Sozialadäquanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausscheidung sozial üblicher Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) „Zwischenlager“ der Strafrechtsdogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Inhaltliche Begründung anderer Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Antonym zur Strafbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Implementierung einer Bagatellgrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Resultierendes Forschungsziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Bisherige Lösungsansätze zur Dogmatik der Sozialadäquanz . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begründungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sozialadäquanz als mangelnde Unrechtskomponente . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ausgangspunkt des Ansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Konzeption des Ansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Kontext des Ansatzes – Verständnis des Unrechtsgefüges . . . . . . . . . . dd) Abschließende Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sozialadäquanz als „scheinbare strafrechtliche Relevanz der Handlung“ aa) Konzeption des Ansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Dogmatische Grundlage des Ansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Abschließende Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sozialadäquanz als überpositives Strafbarkeitskorrektiv . . . . . . . . . . . . . . . aa) Konzeption des Ansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Dogmatische Grundlage des Ansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Abschließende Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Sozialadäquanz als historisch-soziologische Reduktion . . . . . . . . . . . . . . . aa) Konzeption des Ansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Dogmatische Grundlage des Ansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Abschließende Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kritik der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sozialadäquanz als Tatbestandsausschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zugrundeliegendes Verständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sozialadäquanz als Auslegungsaspekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zugrundeliegendes Verständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis 3. Sozialadäquanz als Element der objektiven Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zugrundeliegendes Verständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Sozialadäquanz als Rechtfertigungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zugrundeliegendes Verständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Sozialadäquanz als Schuldausschlussgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zugrundeliegendes Verständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Konturen der Sozialadäquanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Welzels Hypothese: gesellschaftliche Akzeptanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Präzisierung durch die Rechtsprechung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Rahmen sozialer Handlungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Soziale Unverdächtigkeit in strafrechtlicher Hinsicht . . . . . . . . . . . . . cc) Billigung der Allgemeinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Üblichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zwischenfazit: Symbiose oder Antagonismus der Ansätze? . . . . . . . . . . . 2. Resultierende Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Alternative Konkretisierungsversuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Auslegung des Begriffes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Werthaltigkeit der Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Einfluss des Rechtsgutes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Erfüllung rechtlich anerkannter Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Soziales Mindestmaß und gesetzliche Verbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Hinzunahme subjektiver Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Konkretisierung in Form professioneller Adäquanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
139 139 140 141 141 142 143 143 144 145 147 147 147 150 150 151 152 152 153 153 156 156 158 160 161 162 163 164 167
D. Eigener Lösungsansatz zur Dogmatik der Sozialadäquanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Handlungslehre als Ausgangspunkt der Sozialadäquanz? . . . . . . . . . . . . a) Die Handlungslehre und deren Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Handlung im Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Klassische Handlungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Finale Handlungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Soziale Handlungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Tragfähigkeit der Handlungslehre für ein Konzept der Sozialadäquanz . . . 2. Sozialadäquanz als Ausfluss des rechtsfreien Raums? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sozialadäquanz als entgegenstehende Rechtsausprägung? . . . . . . . . . . . . . . . a) § 242 BGB und § 240 StGB als Belege der Sozialadäquanz? . . . . . . . . . .
168 168 168 169 169 171 172 175 178 179 181 182
Inhaltsverzeichnis
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b) Sozialadäquanz als Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Lücken im Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Sozialadäquanz als Lückenfüllung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sozialadäquanz als Naturrecht oder Gewohnheitsrecht? . . . . . . . . . . . . . . . aa) Sozialadäquanz als Naturrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Sozialadäquanz als Gewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Eigener Ansatz zur Begründung der Sozialadäquanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Abstraktes und bestimmtes Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Abstrakt-generelle Regelungstechnik des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bestimmtheit des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Bestimmtheitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Theoretisches Maß der Bestimmtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Praktisches Maß der Bestimmtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fragmentarisches und bestimmtes Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Fragmentarietät und ultima ratio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verhältnis zur Regelungstechnik und Bestimmtheit der Gesetze . . . . . c) Zweckerfüllendes Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Erfordernis eines Korrektivs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zweck der Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Vergeltung oder Prävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Vereinigungstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Sozialadäquanz als Zweckerfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Sozialadäquanz zwischen Sein und Sollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Sozialadäquanz als Metateleologische Reduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Sozialadäquanz als Angleichung des strafrechtlichen Systems an die Funktionsweise des gesamten Rechtssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Folgen des Wesens der Sozialadäquanz für deren Verortung . . . . . . . . . . . . . 2. Metateleologische Reduktion als Auslegung oder Rechtsfigur sui generis . . . III. Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sozialadäquanz als unbestimmte Figur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Konkretisierung des Unbestimmten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Metateleologische Reduktion als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gesichtspunkte für eine metateleologische Reduktion . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Straftheorien als Konkretisierungshilfe? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Geschichtlich bedingte Ordnung des Gemeinschaftslebens . . . . . . . . . cc) Rahmen sozialer Handlungsfreiheit, Werthaltigkeit und Funktionserfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Soziale Unverdächtigkeit (in strafrechtlicher Hinsicht) . . . . . . . . . . . . ee) Üblichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Einfluss des Rechtsgutes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
183 184 185 187 188 192 195 195 195 197 197 199 201 204 206 206 207 209 209 209 211 216 218 220 222 226 229 229 230 232 232 233 233 234 234 235 236 237 238 238
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Inhaltsverzeichnis gg) Fazit: Metatelos als Leitlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Relativität der Sozialadäquanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Subjektivität der Sozialadäquanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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E. Ausgewählte Anwendungsfälle der Sozialadäquanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Infektion mit Krankheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Meinungsbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Soziale Adäquanz der Übertragung von Krankheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Teilnahme an Sportwettbewerben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Meinungsbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Soziale Adäquanz der Teilnahme an Sportwettbewerben . . . . . . . . . . . . . . . . III. Moderner Massenverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Meinungsbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Soziale Adäquanz des modernen Massenverkehrs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Beleidigungsfreie Sphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Meinungsbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Soziale Adäquanz der Beleidigungen innerhalb der sog. beleidigungsfreien Sphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Alltägliche Handlungen und Strafvereitelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Meinungsbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Soziale Adäquanz alltäglicher Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Bestechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Meinungsbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Soziale Adäquanz der Bestechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
251 251 251 252 255 255 258 262 262 265 268 268
F. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Dogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vom Mythos zur Rechtsfigur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
286 286 287 289
271 274 274 276 277 277 282
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329
Abkürzungsverzeichnis a.A. Abs. AcP a.F. AG AIFO Anm. AnwBl ARSP Art. AT Az. BayObLG BB BeckRS BGB BGBl. I, II BGH BGHSt BGHZ BR-Drucks. BT BT-Drucks. BVerfG BVerfGE bzw. ca. CCZ CR ders. etc. EUR f./ff. FamRZ Fn. GA GG h.A. h.M. HRRS Hrsg.
anderer Ansicht Absatz Archiv für die civilistische Praxis alte Fassung Amtsgericht Aids-Forschung Anmerkung Anwaltsblatt Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Artikel Allgemeiner Teil Aktenzeichen Bayerisches Oberstes Landesgericht Betriebs-Berater Beck-Rechtsprechung Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Teil I, II Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Bundesratsdrucksache Besonderer Teil Bundestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts beziehungsweise circa Corporate Compliance Zeitschrift Computer und Recht derselbe et cetera Euro folgende/fortfolgende Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Fußnote Goltdammer’s Archiv für Strafrecht Grundgesetz herrschende Ansicht herrschende Meinung Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht Herausgeber/in
18 JA JR Jura JuS JW JZ KG K&R LG MDR MedR medstra MMR m.w.N. m.z.N. NJW NJW-RR Nr. NStZ NStZ-RR NZV OLG OWiG PharmR RG RGBl. RGSt Rn. RStGB RW S. s. SJZ sog. SpuRt StGB StPO StraFo StV StVollzG u. a. Var. vgl. wistra z. B. ZfPW ZgS ZIS
Abkürzungsverzeichnis Juristische Arbeitsblätter Juristische Rundschau Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Kammergericht Kommunikation & Recht Landgericht Monatsschrift für deutsches Recht Medizinrecht Zeitschrift für Medizinstrafrecht Multimedia und Recht mit weiteren Nachweisen mit zahlreichen Nachweisen Neue Juristische Wochenschrift NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht Nummer Neue Zeitschrift für Strafrecht NStZ-Rechtsprechungs-Report Strafrecht Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht Oberlandesgericht Gesetz über Ordnungswidrigkeiten Pharma Recht Reichsgericht Reichsgesetzblatt Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Randnummer Reichsstrafgesetzbuch Rechtswissenschaft Seite siehe Süddeutsche Juristen-Zeitung sogenannt Zeitschrift für Sport und Recht Strafgesetzbuch Strafprozessordnung Strafverteidiger-Forum Strafverteidiger Strafvollzugsgesetz unter anderem Variante vergleiche Zeitschrift für Wirtschafts-und Steuerstrafrecht zum Beispiel Zeitschrift für die gesamte Privatrechtswissenschaft Zeitschrift für das gesamte Schuldrecht Zeitschrift für internationale Strafrechtsdogmatik
Abkürzungsverzeichnis ZJS ZRP ZStW ZWH
Zeitschrift für das Juristische Studium Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Haftung im Unternehmen
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A. Vom Mythos der Sozialadäquanz Ihre Umschreibungen sind mitunter hochtrabend. Ihr Naturell ist lebhaft umstritten. Ihre dogmatische Berechtigung scheint ungeklärt. Der Sozialadäquanz im Strafrecht eilt nicht umsonst der Ruf voraus, eine der kontroversesten sowie ungeklärtesten Rechtsfiguren des Rechtsgebiets darzustellen, die weiterhin um ihren Standort innerhalb des strafrechtlichen Systems ringe.1 Darüber hinaus soll die mit der sozialen Adäquanz verwobene Unsicherheit gar ein Seismograph sein, der die verborgenen dogmatischen Unruheherde in unserem Strafrechtssystem aufzeige.2 Am ehesten lässt sich aus diesem strittigen Gefilde das Ziel der Sozialadäquanz darlegen. In Anlehnung an die Ausführungen Welzels, der als Vater der Rechtsfigur gilt,3 sollen per se tatbestandsmäßige Handlungen, die sich „funktionell innerhalb der geschichtlich gewordenen Ordnung des Gemeinschaftslebens eines Volkes bewegen“,4 straffrei belassen werden.5 Demzufolge solle beispielsweise der Neffe nicht zu bestrafen sein, der seinen Onkel in der Hoffnung, dieser möge bei einem Unglück versterben, zu einer Eisenbahnfahrt überredet.6 Ferner dürfe der im Krieg tötende Soldat aufgrund der sozialen Adäquanz seines Verhaltens nicht bestraft werden.7 Die 1 Besonders deutlich Roxin, Festschrift Klug, S. 303 (303): „Der Gedanke hat bis heute viel Interesse gefunden, aber seine Geschichte ist so wechselvoll, daß das Prinzip der sozialen Adäquanz zu den umstrittensten und schillerndsten Rechtsfiguren des Strafrechts gezählt werden muß“; ferner Cancio Meliá, GA 1995, 179 (182); Frisch, Verhalten und Zurechnung, S. 113. Eine „geradezu atemberaubende akademische Karriere“ bescheinigt Kindhäuser, Festschrift Rengier, 49 (49). 2 So Lange, ZStW 71 (1961), 86 (89 f.) und Roeder, Sozialadäquates Risiko, S. 13. 3 Das Fundament der wissenschafltlichen Erörterung bietet insofern Welzel, ZStW 58 (1939), 491; vgl. Eser, Festschrift Claus Roxin, S. 199 (203); Klug, Festschrift Eb.Schmidt, S. 249 (254); Otto, Festschrift Amelung, S. 225 (226); Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (79); Schaffstein, ZStW 72 (1960), 369 (369 f.). 4 Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (516); erste Erwägungen, sozial übliche Handlungen von der Strafbarkeit auszunehmen, zeigen sich bereits im Jahre 1871 bei von Bar, der alles, was der Regel des Lebens entspricht, als rechtlich irrelevant aus der strafrechtlichen Betrachtung ausscheiden möchte, vgl. von Bar, Kausalzusammenhang, S. 11 ff. 5 Vgl. nur Heinrich, AT, Rn. 519; Jescheck/Weigend, AT, S. 251; Gracia Martín, Festschrift Tiedemann, S. 205 (207 f.); Merges, Strafausschließungsgründe der Bestechungsdelikte, S. 130 f.; ferner Altermann, Festschrift Eisenberg, S. 233 (234) m.w.N. 6 Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (517); später u. a. auch Jescheck/Weigend, AT, S. 252; Klug, Festschrift Eb. Schmidt, S. 249 (263 f.); zustimmend unter dem Hinweis auf eine sozialadäquate Gefahr Otto, Festschrift Amelung, S. 225 (237); a.A.: Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (100 f.); Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (634). 7 So Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (527); zustimmend Ohlshausen/Niethammer, Vor § 51 Anm. 4; von Weber, Festschrift Mezger, S. 183 (187 f.); Schaffstein, ZStW 72 (1960), 369
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A. Vom Mythos der Sozialadäquanz
soziale Ordnung stehe demnach einer Bestrafung sozialadäquater Handlungen entgegen. Die Rechtsfigur ersucht also, den Bereich des Strafbaren mittels gesellschaftlicher Erwägungen einzuschränken. Dieser Vorstoß in die Woge des Seins bot den Anlass zum Beginn der als wechselvoll geltenden Geschichte der Sozialadäquanz.8 Während diesem Versuch einerseits eine anregende Wirkung auf das Schrifttum attestiert wird,9 welche die Rechtsfigur zumindest zu einem ungeschliffenen Diamanten erhebe,10 sieht sich die soziale Adäquanz andererseits massiver Kritik ausgesetzt. Schließlich sei sie lediglich ein Schlagwort, welches ohne klaren Inhalt residiere.11 Dementsprechend könne sie lediglich das Problem artikulieren, jedoch keine Lösungen offerieren,12 sei sie doch eine Vokabel, die nicht mehr als das verrate, was zuvor an wünschenswertem Ergebnis in sie hineingelegt werde.13 Zudem ließe sie die Grenzen der Strafbarkeit verschwimmen und sei somit mit dem Rechtsstaatsgedanken unvereinbar.14 Daher könne ihr auch keine tragende, dogmatische Rolle zukommen.15 Die Rechtsfigur der Sozialadäquanz scheint demzufolge nicht mehr als ein Mythos zu sein, der die dogmatischen Betrachtungen stetig wiederkehrend heimsucht. In der Zusammenschau zeigt sich ein heterogenes Bild,16 welches obendrein von Stimmen ergänzt wird, die das Prinzip der Sozialadäquanz für unverzichtbar erklären, insbesondere weil ohne sie lediglich nicht minder unsichere Generalklauseln bemüht werden müssten.17
(379); Hoppe, Soziale Adäquanz, S. 87 f.; vgl. ferner Engisch, ZStW 70 (1958), 566 (592 f.); a.A.: Würtenberger, Festschrift Mezger, S. 193 (194); Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (107 ff.). 8 Zu dieser Geschichte etwa Roxin, AT I, § 10 Rn. 34 und F. Knauer, ZStW 126 (2014), 844 (844 f.). 9 So K. Peters, Festschrift Welzel, S. 415 (420). 10 Hassemer, wistra 1995, 41 (46) sowie Gracia Martín, Festschrift Tiedemann, S. 205 (209), der die Lehre daher aus ihrem unterentwickelten Zustand herauszuholen gedenkt. 11 Roxin, Festschrift Klug, S. 303 (304); Rackow, Neutrale Handlungen, S. 205 erklärt die Sozialadäquanz in Übereinstimmung mit Maiwald, Festschrift Jescheck, S. 405 (409 Fn. 18) zu einer bloßen Formalkategorie. 12 Weigend, Festschrift Nishihara, S. 197 (200); Otto, Festschrift Amelung, S. 225 (227) hält fest, dass die Figur keinen logisch zwingenden Schluss beinhalte, sondern lediglich eine begriffliche Selbstverständlichkeit darstelle; ähnlich LK11/Jescheck, Vor § 13 Rn. 49. 13 So entschieden Wiethölter, Verkehrsrichtiges Verhalten, S. 57. 14 LK11/Hirsch, Vor § 32 Rn. 29; Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (93); Kienapfel, Züchtigung, S. 98. 15 Statt vieler MK-StGB/Freund, Vor § 13 Rn. 160; Roxin, AT I, § 10 Rn. 42; Otto, Festschrift Amelung, S. 225 (227). Kienapfel, Züchtigung, S. 91 f. spricht insofern von einem „Kampf gegen die verborgenen Auswüchse dieser Lehre“. 16 Ein buntscheckiges Sammelsurium unterschiedlicher Auffassungen stellt bereits Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (78) fest. 17 Jescheck/Weigend, AT, S. 252; Schaffstein, ZStW 72 (1960), 369 (377); Eser, Festschrift Roxin, S. 199 (209, 211) erachtet die Sozialadäquanz anderen Konzepten gegenüber überlegen.
A. Vom Mythos der Sozialadäquanz
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Die Kontroverse um die vermeintliche Rechtsfigur betrifft darüber hinaus nicht einzig deren Existenz, sondern zeigt sich bereits bezüglich des Meinunsgbildes im Schrifttum. Während einerseits die Sozialadäquanz als anerkannt gilt,18 sei andererseits klar, dass in ihr nur die Wenigsten eine Rechtsfigur erblicken dürften bzw. ihr kein eigenständiger dogmatischer Status mehr zuzusprechen sei.19 Sie habe ihre Aufgabe bereits erfüllt.20 Entgegengesetzt dazu wird mitunter die Wiederkehr der Rechtsfigur festgestellt.21 Auch diese Zwiespältigkeit hinsichtlich der Beurteilung des Meinungsstands verdeutlicht die weitgehend ungeklärte Kontroverse um die soziale Adäquanz. Zur „lebhaften und stürmischen Jugend“22 der Rechtsfigur trug ferner der Umstand bei, dass sie durch ihre Anhänger stetig adaptiert wurde. Sollte sie zunächst als Tatbestandsausschluss fungieren, so wurde sie sodann der Rechtswidrigkeitsebene überantwortet, bevor sie wieder zurück wanderte, insofern sie nicht ein Element der Schuld darstellen sollte.23 Damit zeigt sich nicht lediglich die grundsätzliche Berechtigung der Sozialadäquanz umstritten, sondern auch deren Verortung innerhalb des Verbrechensaufbaus. Begreift man die Figur als Seismographen der dogmatischen Unsicherheit,24 so dürfte der entsprechende Ausschlag munter auf und ab wandern. Überdies ruft die beanspruchte, derogierende Wirkung des Seins auf das strafrechtliche Sollen zwangsläufig Kritik hinsichtlich des Rekurses auf außerrechtliche Kriterien hervor.25 Die damit einhergehende mangelnde Handhabbarkeit der Figur zeichnet seinerseits dafür verantwortlich, dass ihre Existenz zur Gänze abgelehnt wird.26 In der Gesamtschau zeigt sich, dass die Sozialadäquanz schwerlich als anerkannte Rechtsfigur bezeichnet zu werden vermag. Vielmehr erweist sie sich tatsächlich in vielerlei Hinsicht als schillernd. So ist nicht nur ihre dogmatische Berechtigung sowie Begründung ungeklärt, gesellt sich zu diesem Disput doch die irisierend 18
Baumann/Weber/Mitsch/Eisele/Mitsch, AT, § 6 Rn. 35; Altermann, Festschrift Eisenberg, S. 233 (236); Fahl, GA 2018, 418 (423). 19 Die allgemeine Ablehnung der Sozialadäquanz hält etwa Kienapfel, Züchtigung, S. 89 f. fest; dazu sogleich Kapitel B. 20 Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (133); ähnlich Roxin, AT I, § 10 Rn. 42. 21 So etwa F. Knauer, ZStW 126 (2014), 844 (844): „Die Sozialadäquanz ist wieder da!“. 22 Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (633) und zustimmend Knauer, ZStW 126 (2014), 844 (847). 23 Vgl. die Übersichten bei K. Peters, Festschrift Welzel, S. 415 (419 f.) und Wolski, Soziale Adäquanz, S. 11 ff.; dazu eingehend Kapitel C. II. 24 Dazu bereits S. 21. 25 Siehe nur Baumann/Weber/Mitsch/Mitsch, AT, § 16 Rn. 35; Jescheck/Weigend, AT, S. 252; Otto, Festschrift Lenckner, S. 193 (201); Roxin, Festschrift Klug, S. 303 (304); Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (93); Jakobs, ZStW 89 (1977), 1 (5); Küpper, GA 1987, 385 (388 f.); Valerius, JA 2014, 561 (562); Bannenberg, Korruption in Deutschland, S. 398 ff.; Frisch, Verhalten und Zurechnung, S. 296; eingehend dazu Kapitel C. III. 2. 26 Statt vieler Würtenberger, Festschrift Rittler, S. 125 (129); Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (93).
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A. Vom Mythos der Sozialadäquanz
diskutierte Frage, wie eine Figur der Sozialadäquanz in den Verbrechensaufbau zu implementieren bleibe. Um dem strittigen Wesen noch mehr Tiefe und Konfliktpotenzial zu verleihen, ist darüber hinaus umstritten, welche Kriterien an die soziale Adäquanz einer Handlung anzulegen sein sollen, insofern dies überhaupt möglich erscheint. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es daher, diese strittigen Felder zu bestellen und einen Weg aus dem schillernden Bilde zu offerieren, der schlussendlich aufzuzeigen vermag, ob es sich bei der Sozialadäquanz um eine Rechtsfigur handelt, oder diese lediglich einen Mythos verkörpert, welcher innerhalb des aktuellen Strafrechtssystems keinen Platz finden kann. Dazu soll zunächst erörtert werden, inwiefern die potenzielle Rechtsfigur Eingang in strafrechtliche Erörterungen gehalten hat. Davon ausgehend sind verschiedene Begründungsansätze zu verfolgen, sodass eruiert werden kann, ob diese eine entsprechende Rechtsfigur zu tragen vermögen. Insofern diese nicht verfangen, ist dem Wesen der Sozialadäquanz auf den Grund zu gehen, um festzustellen, ob diese in ihrer schillernden Fasson eine Rechtsfigur oder einen bloßen Mythos darstellt.
B. Entwicklung und Bedeutung der Sozialadäquanz Um eine gleichermaßen fundierte sowie umfassende Diskussion der Sozialadäquanz zu ermöglichen, soll zunächst deren tatsächliche Relevanz dargelegt werden. Diese scheint in der überwiegenden aktuellen Literatur auf den ersten Blick gering eingeschätzt zu werden.1 Nachdem die Lehre in den fünfziger und sechziger Jahren eine „lebhafte und stürmische Jugend“2 durchlebte, wird sie nunmehr in Werken zum Allgemeinen Teil des Strafrechts kaum noch als eigenständige dogmatische Kategorie begriffen.3 Wo sich einst zahllose namhafte Strafrechtler um die dogmatische Verortung und Berechtigung stritten,4 wird der Sozialadäquanz heute die Bedeutung weitestgehend abgesprochen.5 Darüber hinaus werden die Verdienste der Lehre von der sozialen Adäquanz vereinzelt gar in historisierender Manier gewürdigt,6 sodass befürwortende Stimmen einem Appell nach „Wiederbelebung“7 gleichkämen. Es entsteht
1 Vgl. nur Lackner/Kühl/Kühl, vor §§ 32 ff. Rn. 29; LK/Rönnau, Vor §§ 32 ff. Rn. 51 f.; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, vor §§ 32 ff. Rn. 107a; Heinrich, AT, Rn. 245; Roxin, AT I, § 10 Rn. 42; dazu F. Knauer, ZStW 126 (2014), 844 (845). 2 Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (633); ähnlich Roxin, AT I, § 10 Rn. 34, der von einer „wechselvoll[en]“ Geschichte spricht. 3 Heinrich, AT, Rn. 245, 519 sieht sie als Unterfall des erlaubten Risikos der objektiven Zurechnung an; Krey/Esser, AT, Rn. 1083 sprechen die Sozialadäquanz lediglich knapp im Rahmen der neutralen Beihilfe an; Otto, Grundkurs I, § 6 Rn. 67 ff. nennt sie zumindest als Sonderproblem; Rengier, AT, § 13 Rn. 51 und Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 258 verweisen darauf knapp als Unterfall des erlaubten Risikos; Roxin, AT I, § 10 Rn. 33 ff. greift die Lehre zwar auf, spricht ihr aber die dogmatische Bedeutung ab. 4 U. a. Klug, Festschrift Eb. Schmidt, S. 249 (249 ff.); Otto, Festschrift Amelung, S. 225 (225 ff.); Roxin, Festschrift Klug, S. 303 (303 ff.); Gallas, ZStW 67 (1955), 1 (22 ff.); Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (78 ff.); Schaffstein, ZStW 72 (1960), 369 (369 ff.); Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (633 ff.); später etwa Putzke, Festschrift Herzberg, S. 679 (679 ff.) oder Valerius, JA 2014, 561 (561 ff.). 5 F. Knauer, ZStW 126 (2014), 844 (845) wird durch die Darstellung in der Literatur etwa der Eindruck vermittelt, die Sozialadäquanz sei eine veraltete Rechtsfigur. Otto, Festschrift Amelung, S. 225 (228) spricht der Lehre übereinstimmend mit Roxin, AT I, § 10 Rn. 42 die dogmatische Bedeutung ab; Rönnau, JuS 2011, 311 (313) stellt zum einen den Verlust selbstständiger Bedeutung fest und sieht die Lehre an anderer Stelle (LK/Rönnau, vor §§ 32 ff. Rn. 52) als überholt an; Valerius, JA 2014, 561 (566) versteht in der Sozialadäquanz eines Verhaltens lediglich den Hinweis auf eine besonders sorgfältige Prüfung der einzelnen Strafbarkeitsvoraussetzungen. 6 Roxin, AT I, § 10 Rn. 36 ff.; Cancio Meliá, GA 1995, 179 (180). 7 LK/Rönnau, vor §§ 32 ff. Rn. 52 Fn. 146.
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B. Entwicklung und Bedeutung der Sozialadäquanz
somit vordergründig der Eindruck, man hätte sich von dem Gedanken eines Prinzips der Sozialadäquanz losgesagt. Während man sich also auf der einen Seite sukzessive von der Sozialadäquanz zu verabschieden scheint, findet sie – paradox anmutend – zeitgleich auf der anderen Seite doch vermehrt Eingang in juristische Diskussionen. Insbesondere in den letzten Jahren ist der Rückgriff auf die Sozialadäquanz bei problematischen Fallkonstellationen beliebt.8 Gedacht sei hier nicht nur an die Knabenbeschneidung,9 deren Tatbestandslosigkeit aufgrund der sozialadäquaten Handlung lange als herrschende Meinung galt.10 Zu nennen sind hier vielmehr auch die Besonderheiten der Abgrenzung strafwürdigen Handelns von sozialadäquatem Verhalten bezüglich Verletzungen der Psyche,11 wie beispielsweise im Rahmen des Stalkings.12 Ferner soll auch Mobbing am Arbeitsplatz in gewissem Rahmen sozialadäquat sein und somit keine Strafbarkeit nach sich ziehen.13 Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob eine Strafbarkeit wegen Körperverletzung an der sozialen Adäquanz des Handelns scheitert, wenn Eltern ihre Kinder zum Zwecke der Immunisierung zu sogenannten Masernpartys verbringen14 oder wenn Lehrer gegenüber Schülern zur Durchsetzung eines Raumverweises einfachen körperlichen Zwang anwenden.15 Überdies hat sich nunmehr auch der Gesetzgeber im Rahmen der neuen §§ 299a, 299b StGB explizit gegen eine Geringwertigkeitsgrenze und für eine Begrenzung des Vorteilbegriffes durch den Gedanken der sozialadäquaten Zuwendung entschieden.16 Damit lässt der vermehrte Rekurs auf sozialadäquates Handeln allein in diesen Beispielen eine Abkehr vom Gedanken der Sozialadäquanz auf den zweiten Blick fernliegend erscheinen. Angesichts der sich damit abzeichnenden Divergenz zwischen theoretisch proklamiertem Abschied und faktischer Bedeutung der sozialen Adäquanz soll daher 8 Dazu F. Knauer, ZStW 126 (2014), 844 (844 f.) und Altermann, Festschrift Eisenberg, S. 233 (236 ff.). Gut zu beobachten ist dies bei Fahl, JR 2017, 405 (406 ff.), der gleich mehrere Straftatbestände mittels des Aspekts der Sozialadäquanz lösen möchte, wenn dem Schüler während des Unterrichts der Gang zur Toilette verboten wird – obwohl er andernorts die Durchsetzungskraft der Figur bestreitet, siehe Fahl, GA 2018, 418 (423). 9 Jüngst als sozialadäquat bezeichnet von Exner, Knabenbeschneidung, S. 168 ff.; ablehnend dagegen Putzke, Festschrift Herzberg, S. 669 (679 ff.). 10 So bezeichnet jedenfalls bis einschließlich Fischer55, § 223 Rn. 6b. 11 Bublitz, RW 2011, 28 (51); Steinberg, JZ 2009, 1053 (1060); F. Knauer, Schutz der Psyche, S. 94 f., 173 ff. 12 BT-Drucks. 16/575, S. 1, 7 f.; BGHSt 54, 189 (194 f.); Meyer, ZStW 115 (2003), 249 (284). 13 Däubler, BB 1995, 1347 (1348); Dieball, BB 1996, 483 (484); Gralka, BB 1995, 2651 (2653); auch das ArbG Köln (Urteil vom 09. 07. 2002, Az.: 6 Ca 3274/02) bezeichnet Mobbing als „sozial adäquat“; anderer Ansicht sind dagegen Fehr, Mobbing, S. 181 ff. und Mühe, Mobbing, S. 116 ff. 14 Wedlich, ZJS 2013, 559 (562); Roth, Masernpartys, S. 53 ff. 15 So LG Berlin, BeckRS 2010. 02070, m Anm. Jahn, JuS 2010, 458. 16 BT-Drucks. 18/6446, S. 17 f.; BR-Drucks. 360/15, S. 14.
I. Anfänge der Lehre
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zunächst die Relevanz der Lehre von der Sozialadäquanz beleuchtet werden. Dabei soll ausgehend von den klassischen Beispielen der tatsächliche Anwendungsbereich dargelegt werden, um ein Urteil über die Relevanz der vermeintlichen Rechtsfigur fällen zu können.
I. Anfänge der Lehre Die Lehre der Sozialadäquanz wird gemeinhin auf Welzel zurückgeführt.17 Demnach bieten sich dessen ursprünglich angeführte Beispiele als Ausgangspunkt der Überlegungen an. Diesen liegt die Auffassung zugrunde, dass an sich tatbestandsmäßige Handlungen, die sich aber „funktionell innerhalb der geschichtlich gewordenen Ordnung des Gemeinschaftslebens eines Volkes bewegen“18, vom Unrechtstatbestand auszuschließen sind. Sozialadäquat und straffrei sind somit Betätigungen, „in denen sich das Gemeinschaftsleben nach seiner geschichtlich bedingten Ordnung jeweilig vollzieht“19. 1. Die Fahrt mit der Eisenbahn Einen solchen Vollzug des Gemeinschaftslebens sah Welzel sodann zuerst sowohl in der Fahrt mit der Eisenbahn, als auch in dem Rat hierzu.20 Demnach soll eine Strafbarkeit für den Neffen, der seinen Erbonkel in der Absicht, dieser möge bei einem Unglück zu Tode kommen, zu einer Eisenbahnfahrt überredet, aufgrund der Sozialadäquanz der Tätigkeit ausscheiden.21 Maßgeblich hierfür sei einzig und allein die soziale Bedeutung der Handlung. Im Sinne des Rechts seien die für das Gemeinschaftsleben unverträglichen Rechtsgutbeeinträchtigungen auszuwählen und zu verbieten. Anhand dieses Maßstabs übersteige die Beeinträchtigung des Gemein17 Insbesondere auf Welzel, ZStW 58 (1939), 491; vgl. Eser, Festschrift Claus Roxin, S. 199 (203); Klug, Festschrift Eb. Schmidt, S. 249 (254); Otto, Festschrift Amelung, S. 225 (226); Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (79); Schaffstein, ZStW 72 (1960), 369 (369 f.). Das zugrundeliegende Ansinnen, sozial übliche Handlungen von der Strafbarkeit auszunehmen, lässt sich dagegen schon im Jahre 1871 bei von Bar erkennen, der alles, was der Regel des Lebens entspricht, als rechtlich irrelevant aus der strafrechtlichen Betrachtung herausnehmen wollte, vgl. von Bar, Kausalzusammenhang, S. 11 ff. 18 Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (516). 19 Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (517); später wurde auf eine Handlung im Rahmen der „geschichtlich gewordenen sozialethischen Ordnungen des Gemeinschaftslebens“ (Welzel, Allgemeiner Teil, S. 33; ders., Grundzüge, S. 35) bzw. „im Rahmen der ,normalen‘ geschichtlich gewordenen sozialen Ordnung des Lebens“ (Welzel, Grundzüge11, S. 56) rekurriert. 20 Grundlegend Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (517); ferner ders., Allgemeiner Teil, S. 32; ders., Grundzüge, S. 35 f. 21 Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (517); später u. a. auch Klug, Festschrift Eb. Schmidt, S. 249 (263 f.); Jescheck/Weigend, AT, S. 252; zustimmend unter dem Hinweis auf eine sozialadäquate Gefahr Otto, Festschrift Amelung, S. 225 (237); anderer Ansicht Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (100 f.); Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (634).
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B. Entwicklung und Bedeutung der Sozialadäquanz
schaftslebens indes das notwendige Maß nicht.22 Die Kriterien der Kausalität, des Vorsatzes oder der Rechtswidrigkeit seien daher irrelevant.23 Gleiches soll für das Pflanzen einer Tollkirsche im Walde, in der Hoffnung, dass einmal ein Mensch daran ums Leben komme, gelten.24 2. Der Betrieb riskanter Unternehmungen Darauf aufbauend wurde schnell nicht nur der Rat zu einer Eisenbahnfahrt, sondern spiegelbildlich dazu auch der Betrieb von Eisenbahnen selbst als sozialadäquat begriffen.25 Dem korrespondierend sollte auch derjenige, der seinen Arbeitnehmer in einem Bergwerk arbeiten lasse, keine tatbestandsmäßige Tötung begehen, wenn dieser zu Tode komme.26 Auch die Strafbarkeit der Frau, die ihren Mann zur Arbeit in einem Steinbruch veranlasst, weil sie dessen Tod herbeisehnt, sollte scheitern. Das entscheidende Kriterium für die Straflosigkeit läge wiederum in der Sozialadäquanz des Betriebs eines solchen Steinbruchs.27 In der Zusammenschau wurde so der Weg geebnet, Verletzungen und Tötungen bei ordnungsgemäßem Betrieb riskanter Unternehmungen (wie Bergwerken, Eisenbahnen, Fabriken oder Steinbrüchen) im Allgemeinen als sozialadäquat zu kennzeichnen.28 3. Drohungen mit verkehrsmäßigen Übeln Als weiterer originärer Fall von sozialadäquatem Tatbestandsausschluss wurde die Drohung mit verkehrsmäßigen Übeln beim Erpressungstatbestand begriffen, die gar allgemein anerkannt sein sollte.29 22
So Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (516) und sodann ders., Allgemeiner Teil, S. 33. Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (517); ebenso ders., Grundzüge, S. 35 f. 24 Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (517 Fn. 37). 25 Die diesbezügliche Tendenz lässt sich bereits bei Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (515, 558) erkennen, wobei hier noch die bloße Fahrt mit der Eisenbahn im Zentrum der Überlegungen steht. Der dieser korrelierende Betrieb von Eisenbahnen wird sodann in Welzel, Allgemeiner Teil, S. 33 f. als sozialadäquat begriffen und dient auch in Welzel, Grundzüge11, S. 56 noch als Beispiel. 26 Welzel, Allgemeiner Teil, S. 34, vgl. auch ders., Grundzüge, S. 36. 27 Welzel, Grundzüge1, S. 36; vgl. ders., Allgemeiner Teil, S. 33 f. Dieser Gedanke findet sich dem Grunde nach bereits bei Binding, AT, § 81 C I, der auf die Bedeutung der Handlung für die Rechtswelt trotz gewisser Gefährlichkeit eingeht. 28 Vgl. Welzel, Allgemeiner Teil, S. 33; ders., Grundzüge, S. 36; später in Welzel, Grundzüge11 ist diese Kategorisierung nicht mehr zu finden, sondern lediglich die Teilnahme am modernen Verkehr umfasst. 29 So bereits Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (517) und sodann ders., Allgemeiner Teil, S. 34, jeweils mit Verweis auf die herrschende Lehre. Später in Welzel, Grundzüge11 ist auch dieses Beispiel nicht mehr zu finden, was auf die zwischenzeitlich anderweitig beurteilte Interpretation des § 240 zurückzuführen ist, vgl. Welzel, Grundzüge11, S. 57, dazu mehr unter Kapitel C. II. 4. 23
I. Anfänge der Lehre
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Tatsächlich stand zu dieser Zeit die Ausscheidung der Fälle, in denen die Drohung mit dem Übel als verkehrsüblich empfunden wird, im Vordergrund der juristischen Betrachtung der Erpressung.30 Ein verkehrsmäßiges Übel sollte nach herrschender Ansicht vorliegen, wenn mit diesem ohnehin nach den „Regeln des normalen Verkehrs“ zu rechnen sei.31 Die Frage nach der Verkehrsmäßigkeit konnte daher immer nur konkret für den Einzelfall und unter Einbeziehung unsicherer Regeln des Verkehrs beantwortet werden.32 Als Beispiele für verkehrsmäßige Übel wurden so etwa zivilrechtliche Vergleichsangebote unter Darlegung der aus der Ablehnung resultierenden Nachteile, Lohnforderungen oder Kündigungen angeführt.33 Allerdings schwelte auch hier Streit über das Ob und Wie der Verkehrsmäßigkeit, sodass für diese Beispiele keine einheitliche Linie gefunden wurde.34 Insbesondere der Verweis auf das nicht tatbestandsmäßige Drohen mit einem Übel innerhalb der verkehrsüblichen Schranken lässt hier aber eine der Sozialadäquanz jedenfalls ähnliche Restriktion des Tatbestandes durch gesellschaftliche Wertungen erkennen. Die seitens der herrschenden Ansicht aufgestellte Prämisse der Verkehrsunüblichkeit sollte daher Ausdruck zumindest der funktionalen Seite der Sozialadäquanz sein.35 Durch sie sollte klargestellt werden, dass das normierte Recht hier in eine geschichtlich bereits gestaltete Welt eintritt, auf die es sich folglich zu beziehen hat.36 Die Interpretation der herrschenden Ansicht und deren Rückgriff auf nicht normierte Regeln des Verkehrs boten somit den Ausgangspunkt, in Drohungen mit verkehrsmäßigen Übeln einen Fall der Sozialadäquanz zu sehen.
30 von Hippel, Strafrecht, § 71 III 2; vgl. Frank, § 253 II 2; Liszt/Schmidt, Strafrecht, S. 678 f.; die Grundlage der Diskussion bildet hierbei ein Erpressungstatbestand, der hinsichtlich der Drohung mit empfindlichem Übel dem heutigen § 253 StGB entspricht; zur Geschichte des § 253 StGB: MK-StGB/Sinn, § 253 Rn. 5. 31 Vgl. Frank, § 253 II 2; Gerland, Reichsstrafrecht, S. 534; Heinemann, ZStW 32 (1911), 192 (220); Munk, Widerrechtliche Drohung, S. 29 ff.; Peschke, Schutz geschlechtlicher Freiheit, S. 28 ff.; besonders betont auch von Liszt/Schmidt, Strafrecht, S. 679; ähnlich auch Binding, BT I, S. 379, der die mögliche Abwendung des angedrohten Übels durch rechtliche Mittel für maßgeblich erachtet. 32 Vgl. Frank, § 253 II 2; vgl. RGSt 21, 114 (118 f.); ferner von Hippel, Strafrecht, § 71 III 2. 33 Frank, § 253 III 2; von Hippel, Strafrecht, § 71 III 2; ferner Binding, BT I, S. 379, der keine Erpressung darin sieht, dass ein Gläubiger mit der ihm freistehenden Kündigung von Kapital droht, wenn nicht fortan höhere Zinsen bezahlt werden. 34 Für eine Tatbestandsmäßigkeit der angedrohten, den Arbeitnehmern jederzeit zustehenden Niederlegung der Arbeit, um die Rücknahme belastender Maßregeln zu erwirken, etwa RGSt 21, 114 (118 f.) – von Frank, § 253 III 2 als „unhaltbar“ eingestuft; zur Beurteilung der Verkehrsmäßigkeit ferner RGSt 64, 379 (381); auch Binding, BT I, S. 379 nimmt im Gegensatz zu obigem Beispiel (Fn. 33) eine Erpressung an, wenn die Drohung dazu dient, eine Nachzahlung höherer Zinsen zu erwirken. 35 Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (517 Fn. 38). 36 Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (517 f. Fn. 38).
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4. Tötungen im Krieg Ein weiterer Anwendungsbereich wurde der Lehre von der Sozialadäquanz im Rahmen der Beurteilung von Tötungen im Kriege zugeschrieben. Die Vorstellung, ein Soldat verwirkliche im Krieg zuhauf mehrere strafrechtliche Tatbestände, erschien zu absurd, um der Wahrheit entsprechen zu können.37 Daher sollten auch derartige Handlungen innerhalb der Kampfsituationen des Krieges sozial- oder vielmehr „kriegsadäquat“ sein.38 Das Fundament dieses Standpunktes war ebenfalls zuvor innerhalb der strafrechtlichen Literatur bereitet worden. So wurde bisweilen die Auffassung vertreten, kriegsmäßige Tötungen, Verletzungen oder Zerstörungen seien keine Tötungen im Sinne der §§ 211 ff., 223 ff., 303 ff. StGB.39 Eine genauere Erklärung blieb man indes schuldig. Auffällig ist jedoch der Verweis auf die üblichen bzw. normalen Handlungen des Krieges, die den Tatbestand nicht verwirklichen sollten.40 Dem liegt die Unterscheidung von Kriegs- und Friedenssituationen zugrunde. Im Rahmen derer werden unterschiedliche Anforderungen an das sogenannte übliche bzw. normale Handeln gestellt. Dieses wird somit situativ im Hinblick auf gewisse Wertungen der Gesellschaft beurteilt. Wird nun aber eine todbringende Handlung zu Kriegszeiten anders beurteilt als zu Friedenszeiten, so werden die Tathandlungen der Straftatbestände nicht als rein kausale, sondern als soziale Beziehungsbegriffe verstanden.41 So ward der Lehre von der Sozialadäquanz auch hier das Tor geöffnet, einen Erklärungsansatz für die unterschiedliche rechtliche Würdigung zu offerieren. 5. Fazit Der originäre Anwendungsbereich der Sozialadäquanz zeigt sich somit durchaus facettenreich. Zunächst betrifft die Kasuistik um die Eisenbahn sowie die Kriegshandlungen in erster Linie den Bereich der Rechtsgüter Leben bzw. körperlicher Unversehrtheit.42 Demgegenüber tangiert das Beispiel der Drohung mit verkehrs37 Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (527); ähnlich zuvor auch H. Mayer, DStrR 1938, 73 (103), der eine „ordentliche“ Kriegshandlung nicht als Tötungshandlung im Sinne der §§ 211 f. StGB begreift. 38 So Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (527); zustimmend Ohlshausen/Niethammer, Vor § 51 Anm. 4; von Weber, Festschrift Mezger, S. 183 (187 f.); Schaffstein, ZStW 72 (1960), 369 (379); Hoppe, Soziale Adäquanz, S. 87 f.; vgl. ferner Engisch, ZStW 70 (1958), 566 (592 f.); a.A.: Würtenberger, Festschrift Mezger, S. 193 (194); Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (107 ff.). Auch dieser Anwendungsbereich ist später in Welzel, Grundzüge11 nicht mehr zu finden. 39 Dahm, ZStW 57 (1938), 225 (244 f.); H. Mayer, DStrR 1938, 97 (103); Dahm, Verbrechen und Tatbestand, S. 8 ff.; Schmidt, Militärische Straftat, S. 26 ff. 40 Dahm, ZStW 57 (1938), 225 (244 f.); Meyer, DStrR 1938, 97 (103); ferner Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (527 f.). 41 Wie dies Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (528) auch explizit wünscht. 42 So für Tötungsdelikte bzw. Körperverletzungen freilich auch schon damals die allgemeine Ansicht, vgl. nur Frank, vor § 211 I; Binding, BT I, S. 25, 41 f., Liszt/Schmidt, Strafrecht,
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mäßigen Übeln im Kontext der Erpressung jedoch den Vermögensschutz, wobei hinter diesem primär das Rechtsgut in Form der persönlichen Freiheit aufscheint.43 Es sind also anfangs divergierende Individualrechtsgüter, die durch den Gedanken der Sozialadäquanz scheinbare Beeinträchtigungen hinnehmen müssen. Überraschend ist dabei, dass nicht etwa nur intrasozial geprägte Rechtsgüter,44 sondern zudem gerade das absolut geschützte45 Leben betroffen ist. Auch der Hintergrund der Anwendungsfälle differiert. Die Fahrt mit der Eisenbahn bzw. deren Betrieb betreffen einerseits einen neuartigen Regelungskomplex, sodass ein erster Versuch der strafrechtlichen Bewertung unternommen wird. Dagegen wird bei den Beispielen der Drohungen und Kriegstötungen einer schon zuvor vertretenen Auffassung eine Begründung zu verleihen gesucht. Die schon bestehenden Ausführungen werden daher analysiert und auf den Gedanken der Sozialadäquanz zurückgeführt. Somit fungiert die neue Lehre nicht nur dazu, neu aufgeworfene strafrechtliche Herausforderungen fassen zu können, sondern dient vielmehr auch der Erörterung bekannter, schwer handhabbarer Problematiken. Kennzeichnend für die ersten Beispiele der Sozialadäquanz ist somit die Suche nach Lösungen, deren zugrundeliegende Konstellationen entweder neuartig sind oder aber über deren Ergebnis weitgehend Einigkeit herrscht, wenngleich es an einer tragfähigen Begründung mangelt.
S. 458 f. Aktuell zu § 211 f. StGB: MK-StGB/Schneider, § 211 Rn. 1; NK-StGB/Neumann/ Saliger, § 212 Rn. 1; Schönke/Schröder/Eser/Sternberg-Lieben, § 212 Rn. 2; zu §§ 223 ff. StGB: MK-StGB/Joecks, § 223 Rn. 1; NK-StGB/Paeffgen/Böse, § 223 Rn. 2; Schönke/ Schröder/Sternberg-Lieben, § 223 Rn. 1. 43 Statt vieler früher bereits Frank, § 253 I f; Liszt/Schmidt, Strafrecht, S. 678 ff.; H. Schröder, ZStW 60 (1941), 33 (93 ff.); so auch später BGHSt 1, 13 (20); 7, 197 (198); NKStGB/Kindhäuser, § 253 Rn. 2. 44 Zur Offenheit intrasozialer Rechtsgüter, deren Schutz stark sozialkonstitutiv bedingt ist und demgegenüber der Verschlossenheit transsozialer Rechtsgüter wie dem Leben, deren Schutz kaum sozialgeprägt ist, hinsichtlich des Gedankens der Sozialadäquanz Eser, Festschrift Roxin, S. 199 (211 f.); allgemein dazu Eser, Wahrnehmung berechtigter Interessen, S. 45 ff. 45 MK-StGB/Schneider, Vor §§ 211 ff. Rn. 27; NK-StGB/Neumann, Vor §§ 211 ff. Rn. 3; Wessels/Hettinger/Engländer, BT 1, Rn. 2; kritisch zum absoluten Lebensschutz dagegen etwa Fischer, Festschrift Roxin II, S. 557 (559 ff.); R. Merkel, ZStW 107 (1995), 545 (571 ff.). Wer dem absoluten Lebensschutz kritisch gegenübersteht, verweist zumindest auf die nicht mögliche qualitative oder quantitative Abstufung des Lebens, die dann thematisch naheliegt, vgl. Schönke/Schröder/Eser/Sternberg-Lieben, Vor §§ 211 ff. Rn. 14; Rengier, BT II, § 7 Rn. 1.
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II. Weitere Rezeption in der Literatur 1. Sozialadäquanz im Besonderen Teil des StGB Damit ist die Versuchung freilich groß, zur Lösung neuer Problematiken46 oder aber zur Festigung eines (mitunter allgemeinen) Rechtsempfindens auf die Lehre von der Sozialadäquanz zurückzugreifen.47 Dazu tragen auch die unklaren, schwer fassbaren Kriterien bei. Logische Konsequenz dieser Aussicht auf argumentationsarme Begründung48 eines für straflos erachteten Falles, ist die stetige, expansive Rezeption der Sozialadäquanz in der strafrechtlichen Literatur. a) Straftaten gegen die Person aa) Straftaten gegen das (werdende) Leben (1) Folgen des Geschlechtsverkehrs Im Hinblick auf die Straftaten gegen das Leben wurden im Laufe der Zeit nicht nur obige Beispiele von der Fahrt mit der Eisenbahn,49 dem Betrieb gefährlicher Unternehmungen50 und den Tötungen im Kriege51 als sozialadäquat begriffen. Vielmehr wurden zunehmend auch Folgen des Geschlechtsverkehrs beleuchtet. So wurde etwa die Strafbarkeit des Mannes thematisiert, der eine lungenkranke Frau zwar einverständlich, aber in der Absicht schwängert, diese werde an den Folgen der Schwangerschaft versterben. Während Welzel dies zunächst als raffiniertes Verbrechen unter dem Deckmantel bloß scheinbarer sozialer Adäquanz verstand,52 re-
46 Zur Funktion als „Zwischenlager“ bei der Bewertung neuartiger Konstellationen F. Knauer, ZStW 126 (2014), 844 (855 f.). 47 In der Folge wird nicht einzig im deutschen Strafrecht auf die Wurzeln der Sozialadäquanz rekurriert, sondern etwa auch in der spanischen Rechtsprechung, vgl. Gracia Martín, Festschrift Tiedemann, S. 205 (208) m.w.N. Zur Vielfalt ausländischer Lösungsansätze für einen Teilbereich der Sozialadäquanz, denen womöglich allesamt der gleiche Gedanke zugrunde liege, auch Eser, Festschrift Roxin, S. 199 (200 f.). 48 Daher als „Schlagwort ohne Inhalt“ bezeichnet von Roxin, Festschrift Klug, S. 303 (304); Weigend, Festschrift Nishihara, S. 197 (200) proklamiert, die Sozialadäquanz formuliere nur das Problem, nicht aber dessen Lösung; Wiethölter, Verkehrsrichtiges Verhalten, S. 57 kritisiert, dass die Sozialadäquanz zu jenen verführerischen Vokabeln gehöre, die im Zuge der Auslegung nur das offenbaren, was an gewünschtem Ergebnis in sie hineingelegt werde. 49 Kapitel B. I. 1. 50 Kapitel B. I. 2. 51 Kapitel B. I. 4. 52 Und sich damit entschieden gegen die Sozialadäquanz dieses Verhalten aussprach, vgl. Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (519 f.); ebenso K. Peters, Festschrift Welzel, S. 415 (427 f.); Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (634).
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vidierte er diese Auffassung später und begriff diese Handlung als sozialadäquate Tätigkeit.53 Ursächlich hierfür war, dass Welzel die zuerst proklamierte Strafbarkeit einzig auf das Kriterium der finalen Tatherrschaft zurückführte.54 Damit brach er jedoch mit seinem zuvor aufgestellten Credo, dass die Handlung als solche für einen Tatbestand ausscheide, wenn sie sich wie der Geschlechtsakt innerhalb der geschichtlich gewordenen Ordnung des Gemeinschaftslebens bewege55 – unabhängig von der Tatherrschaft. Ein abermaliger Fall des Tatbestandsausschlusses aufgrund der Lehre von der Sozialadäquanz wurde in der Zeugung des späteren Mörders gesehen.56 Auch hier verbleibe der Zeugungsakt gänzlich im Rahmen des sozial Akzeptierten. Einzig deshalb sei eine Strafbarkeit zu verneinen. Das Kriterium der Tatherrschaft bemühte Welzel hier bezüglich der später begangenen Morde nicht, da der Zeugungsakt des Mörders ohne weitere Begründung entgegen dem Beischlaf mit einer Lungenkranken stets sozialadäquat sei.57 (2) Medizinisch indizierter Schwangerschaftsabbruch Eine weitere Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Lehre von der Sozialadäquanz wurde im Rahmen der Straftaten gegen das werdende Leben erörtert. So wurde diskutiert, ob der medizinisch indizierte Schwangerschaftsabbruch durch einen Arzt sozialadäquat und damit nicht strafbar sei. Während dies für einige Autoren selbstverständlich schien,58 sahen andere darin schwerwiegend sozialinadäquate Verhaltensweisen,59 was nicht zuletzt mit der ablehnenden Haltung der Kirche begründet wurde. Maßgeblich für die soziale Inadäquanz sei aber vornehmlich, dass die Abtötung des Fötus aufgrund der Verletzung des Rechtsguts des 53 Welzel, Grundzüge11, S. 55 f.; ebenso dem Grunde nach H. Mayer, DStrR 1938, 73 (103); ders., Strafrecht, S. 169 ff. Roxin, Festschrift Klug, S. 303 (311) verweist auf die fehlende rechtliche Relevanz der Gefahrschaffung. Dem nach H. Mayer ähnlich gelagerten Fall des den Beischlaf vollziehenden, an einer Geschlechtskrankheit Leidenden, der den Sexualpartner anzustecken beabsichtigt, wurde durch § 6 Abs. 1 des Gesetzes zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten vom 23. Juli 1953 (außer Kraft getreten am 1. Januar 2001 und ersetzt durch die Abschnitte 4 und 5 des Infektionsschutzgesetzes) der Wind aus den Segeln genommen. 54 Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (519). 55 So Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (516 f.). Erkannt bei Welzel, Grundzüge11, S. 55 f.; dazu auch Schaffstein, ZStW 72 (1960), 369 (381 f.). 56 Welzel, Grundzüge11, S. 55 f. Dagegen sieht Roxin, Festschrift Klug, S. 303 (311) darin keine rechtlich relevante Gefahrschaffung. 57 Welzel, Grundzüge11, S. 55 f. 58 So Lange, JZ 1953, 9 (10 ff.); ders., ZStW 73 (1961), 86 (91 f.); Schaffstein, ZStW 72 (1960), 369 (383); zuvor erachtete bereits Dahm, ZStW 53 (1934), 225 (273) dies als tatbestandslos. 59 Ausdrücklich Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (110); dazu ferner Wolski, Soziale Adäquanz, S. 69 f.
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werdenden Lebens schwerwiegend aus der sozialen Ordnung herausfalle, wodurch nur eine ausnahmsweise Gestattung in Frage komme.60 Die soziale Inadäquanz wird insofern mit der Rechtsgutsverletzung begründet, was aber dem eigentlichen Ansatz der Sozialadäquanzlehre, gesellschaftlich übliche Handlungen trotz eingetretener Verletzungserfolge aus dem Tatbestand herauszufiltern, nicht gerecht zu werden vermag. An diesem Einwand, der den Rang des geschützten Rechtsguts betont, zeigt sich aber bereits früh eine gewisse thematische Nähe zur Interessenabwägung. Auf diesem Meinungsdisput fußte später auch die in den 1970er Jahren diskutierte Frage, ob der Tatbestand des Schwangerschaftsabbruchs in den „rechtsfreien Raum“ entlassen werden sollte. Als rechtsfreier Raum wurde dabei von dessen Befürwortern ein Bereich begriffen, der einer rechtlichen Regelung unzugänglich ist und auch nicht bedarf, sodass die Rechtsordnung diesen ungeregelt belässt.61 Der originäre, rechtsfreie Bereich sollte rein innerseelische Vorgänge, Gefühle, Meinungen, Sympathien oder Ausflüsse der Sitte und des Anstands wie Begrüßungen und Anreden umfassen.62 Die Adaption dieser Lehre im Strafrecht wurde zunächst im Rahmen der Notstandsproblematik versucht, bei der sodann Notstandshandlungen nicht nur entschuldigt, sondern vielmehr unverboten sein sollten.63 Später sollten einzelne Bereiche, in denen die strafrechtliche Ordnung ihre Normen zurücknehme und damit eine Wertung unterlasse, erkannt und als Fälle des rechtsfreien Raumes begriffen werden.64 Ziel war es, durch bewussten Verzicht auf rechtliche Regelung mündige Bürger heranzuziehen und zur freien Gewissensentscheidung aufzurufen. Zudem sollten so Streitfragen und Auseinandersetzungen entschärft und auf den sachlichen Gehalt zurückgeführt werden. Der indizierte Schwangerschaftsabbruch wurde hierbei als Musterexemplar des rechtsfreien Raums proklamiert,65 wobei freilich die Gegenstimmen66 nicht ausblieben. An dem Übergang der Diskussion von der Sozialadäquanz hin zum rechtsfreien Raum zeigt sich, dass mitsamt der Lehre von der Sozialadäquanz schon früh ein 60
Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (110). Allgemein zum rechtsfreien Raum Engisch, Festschrift Sauer, S. 85 (99 ff.); ders., ZgS 108, 385 (390 ff.); Bergbohm, Jurisprudenz und Rechtsphilosophie, S. 375 ff.; Canaris, Lücken im Gesetz, S. 40 ff.; Comes, Rechtsfreier Raum, S. 107 ff. 62 Canaris, Lücken im Gesetz, S. 40; Zitelmann, Lücken im Recht, S. 43 f.; vgl. auch Hirsch, Festschrift Bockelmann, S. 89 (90 f.). 63 Binding, Handbuch, S. 765 f.; zustimmend etwa A. Köhler, AT, S. 363 f.; Allfeld, Strafrecht, S. 131; Hold von Ferneck, Rechtswidrigkeit, S. 121, 144 ff.; Maurach, Kritik der Notstandslehre, S. 85. 64 Vgl. Beling, Strafrecht, S. 37; Engelhard/Radbruch, S. 23 f.; Siegert, Notstand, S. 33; näher und sich mit geäußerter Kritik auseinandersetzend Art. Kaufmann, Festschrift Maurach, S. 328 (331 ff.). 65 Art. Kaufmann, Festschrift Maurach, S. 328 (339 ff.). 66 Ausgiebig Hirsch, Festschrift Bockelmann, S. 89 (97 ff.); Schild, JA 1978, 449 (454 f.); dem Grunde nach auch Lenckner, Notstand, S. 19 ff. 61
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strafrechtlich schwer fassbares Problem zu lösen versucht wurde. Als der erwünschte Anklang im Rahmen des Schwangerschaftsabbruchs ausblieb, beschritt man über den rechtsfreien Raum einen ähnlichen Weg. Dieser war allerdings insofern vorsichtiger, als dass hier das Ergebnis nicht positiv (im Sinne von Straffreiheit) umschrieben, sondern letztlich offengelassen wurde. Beide Ansätze teilen aber mit dem Wunsch nach einer ausgiebigen, den gesellschaftlichen Wertungen entsprechenden Würdigung des jeweiligen Problems, einen identischen Kern. Damit scheint zumindest ein Bedürfnis für die Berücksichtigung gesellschaftlicher Wertungen zu bestehen, welches jedoch schwer handhabbar scheint. (3) Passive Sterbehilfe Auch im Rahmen der Diskussion um die passive Sterbehilfe67 wurde bisweilen auf den Grundgedanken der Sozialadäquanz zurückgegriffen. Zwar bestand schon früh weitgehend Einigkeit über die Straflosigkeit von Fällen, in denen bei infauster Prognose bezüglich eines irreversibel tödlichen Krankheitsverlaufs die ärztliche Behandlung abgebrochen oder nicht begonnen wird.68 Die Begründungsansätze waren jedoch vielgestaltig. So wurde von mangelndem objektiven69 bzw. subjektiven70 Tatbestand über die rechtfertigende Pflichtenkollision71 bis hin zur ausbleibenden Verletzung des Rechtsguts Leben72 ein buntscheckiges Bild an Begründungsversuchen73 offeriert. Die Collage an Lösungen wurde von der schon damals schwelenden Diskussion um die Bewertung des Behandlungsabbruchs als Tun oder Unterlassen74 gekrönt. 67
Kritisch zu diesem Begriff Kutzer, FPR 2004, 683 (685). Vgl. Dreher/Tröndle44, Vor § 211 Rn. 16 f.; Lackner17, Vor § 211 Rn. 2d; Eser, JZ 1986, 786 (792 f.); G. Hirsch, ZRP 1986, 239 (240); Schreiber, NStZ 1986, 337 (340); Tröndle, ZStW 99 (1987), 25 (30); vgl. ferner den Beschluss des 56. Deutschen Juristentags, Sitzungsbericht M 191; grundsätzlich auch BGHSt 32, 367 (378 ff.). 69 Hirsch, Festschrift Lackner, S. 597 (605 f.); Küpper, Grenzen der Strafrechtsdogmatik, S. 82. 70 Engisch, Festschrift Bockelmann, S. 519 (532). 71 Dölling, MedR 1987, 6 (9); Gössel, BT 1, S. 35 ff.; vgl. auch Leonardy, DRiZ 1986, 281 (289 f.). 72 LK10/Jähnke, Vor § 211 Rn. 17; Laufs, Arztrecht4, Rn. 217 f.; Sax, JZ 1975, 137 (149); ders., JZ 1976, 429 (429); neben der durch den Schutzzweck der Norm begründeten fehlenden Rechtsgutsverletzung werden vereinzelt auch das Tötungsverbot einzuschränken erwägt (Samson, Festschrift Welzel, S. 579 (601 ff.)) oder auf die dahinterstehenden Interessen zurückgeführt (Möllering, Euthanasie, S. 66 f.); von der mangelnden Verletzung eines normativen Schutzbereichs spricht auch G. Hirsch, ZRP 1986, 239 (240). 73 Dazu auch Lackner/Kühl/Kühl, Vor § 211 Rn. 6; MK-StGB/Schneider, Vor §§ 211 ff. Rn. 94 ff. 74 Mit der herrschenden Ansicht als Unterlassen bewertet etwa von BGHSt 40, 257 (265 f.); Roxin, Festschrift Engisch, S. 380 (395 ff.); Geilen, FamRZ 1986, 121 (126); dagegen als aktives Tun begriffen von Bockelmann, Strafrecht des Arztes, S. 125 Fn. 45; Jescheck, AT3, § 58 II 1. Übersichten zum Streitstand finden sich bei Schönke/Schröder/Eser/Sternberg-Lieben, Vor §§ 211 ff. Rn. 28a; Stoffers, MDR 1992, 621 (623 ff.) und C. Schneider, Abbruch le68
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Inmitten dieses Sammelsuriums unterschiedlicher Ansätze wurde, wenn auch nicht explizit, vermehrt das Leitmotiv der Sozialadäquanz in das Zentrum der Argumentation gestellt: so wurde etwa das entscheidende Kriterium für die Straflosigkeit in dem sozialen Sinn- und Bedeutungsgehalt des Verhaltens im Gesamten gesehen.75 Eine Strafbarkeit sollte demnach einzig aufgrund einer sozialen Gesamtbetrachtung (und ohne weitere Erklärung) ausscheiden können. Auch die lange herrschende Beurteilung des Behandlungsabbruchs als Unterlassen stützt sich in besonderer Weise auf den sozialen Sinngehalt, um die Beendigung der Behandlung (etwa durch Abschalten der Herz-Kreislauf-Maschine) als bloßes Unterlassen der Weiterbehandlung begreifen zu können.76 In diesem Rahmen sollen nicht etwa gewohnte Abgrenzungskriterien, sondern vielmehr soziale Deutungen und Überlegungen die Einstufung als Unterlassen begründen. Schließlich ermöglicht dies über das Kriterium der Garantenpflicht die Negation der Strafbarkeit. Tatsächlich erfolgt somit eine auf den sozialen Sinngehalt des Handelns zurückgehende Restriktion des Straftatbestandes. Damit wird zwar vordergründig der dogmatische Weg über die Garantenpflicht beschritten. Der zu entrichtende Zoll ist aber bezüglich der vorangehenden Entscheidung zwischen Tun und Unterlassen ein unausgesprochener Rückgriff auf den Gedanken der Sozialadäquanz. Im Rahmen dieser Diskussion wird die Figur der Sozialadäquanz daher nicht angeführt, um eine eigenständige dogmatische Begründung zu liefern. Sie dient vielmehr dazu, einen anderweitigen Weg zu eröffnen und diesen argumentativ zu legitimieren. Die sozialadäquate Restriktion erfolgt lediglich auf anderer, vorgelagerter Ebene unter dem Deckmantel der Abgrenzung von Tun und Unterlassen. Damit präsentiert sich die Figur der Sozialadäquanz bereits im Rahmen der Straftaten gegen das (werdende) Leben facettenreich. So wird sie zum einen als eigenständiger Lösungsansatz, zum anderen aber als Begründung für andere dogmatische Konstruktionen herangezogen. Zudem zeigt sich, dass zuvor für wün-
benserhaltender Behandlung, S. 164 ff. Zu dem diesen Disput mittels der Figur des gerechtfertigten Behandlungsabbruchs entschärfenden Urteil des Bundesgerichtshofes (BGHSt 55, 191) Gaede, NJW 2010, 2925 (2925 ff.) und Verrel, NStZ 2010, 671 (671 ff.). 75 Dreher/Tröndle44, Vor § 211 Rn. 17 und Wessels11, BT 1, § 1 III 2. 76 Lackner/Kühl/Kühl, Vor § 211 Rn. 8a; MK-StGB/Schneider, Vor §§ 211 ff. Rn. 119; Volk, Festschrift Tröndle, S. 219 (225); Geilen, JZ 1986, 145 (151); Kruse/Wagner/Langer, S. 136 ff.; R. Merkel, Früheuthanasie, S. 243 ff.; Philipps, Norm und Handlung, S. 140 ff. Engisch, Festschrift Gallas, S. 163 (178) beantwortet etwa die Frage des Energieeinsatzes anhand der sozialen „Bedeutung“ des vermeintlichen Handelns; kritisch hierzu bereits Samson, Festschrift Welzel, S. 579 (587). Jäger, ZStW 115 (2003), 765 (769) legt das Augenmerk auf normative Gesichtspunkte; nach sozial-normativen Kriterien abgrenzend auch NK-StGB/ Neumann, Vor § 211 Rn. 126; vgl. dazu ferner Roxin, Festschrift Engisch, S. 380 (400); Herzberg, JZ 1988, 182 (186 f.); Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 10. Kritisch zu einer Beurteilung nach dem sozialen Sinngehalt Czerner, JR 2005, 94 (98); auch BGHSt 55, 191 (202) versteht die zuvor in BGHSt 40, 257(265 f.) getroffene Beurteilung des Geschehens als Unterlassen als „dogmatisch unzulässige[n] Kunstgriff“, der das aktive Verhalten normativ umdeute.
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schenswert erachtete Ergebnisse vermehrt anhand der Lehre der Sozialadäquanz zu begründen versucht werden. bb) Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit (1) Ärztlicher Heileingriff Die Lehre von der sozialen Adäquanz beansprucht ihre Bedeutung auch im Rahmen der Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit. So fand sie Eingang in die ausgiebige Diskussion um den ärztlichen Heileingriff. Während die Rechtsprechung seit dem Jahre 1894 jede in die körperliche Unversehrtheit eingreifende, ärztliche Behandlungsmaßnahme als tatbestandliche Körperverletzung begreift,77 spricht die überwiegende Lehre dem Heileingriff die Tatbestandsmäßigkeit ab.78 Aufgrund dieser lange währenden, „unüberwindbaren Kluft zwischen Rechtsprechung und Lehre“79 hat sich in der Literatur ein breites Feld unterschiedlicher Lösungsansätze entwickelt.80 Dabei begriffen einige Stimmen den lege artis durchgeführten ärztlichen Heileingriff explizit als Beispiel sozialer Adäquanz.81 Dies sollte vereinzelt selbst für eine Behandlung gegen den Willen des Betroffenen gelten.82 In der Folge wäre diese lediglich als Freiheitsdelikt zu ahnden, da sich die Sozialadäquanz zwar auf die Körperverletzung, nicht aber auf das im Raum stehende Freiheitsdelikt bezöge.83 Diese Auffassung erfuhr in der jüngeren Literatur allerdings keinen Anklang. Andere Stimmen zogen die Sozialadäquanz zwar nicht explizit heran, verwiesen aber wiederum auf das dieser zugrundeliegende Motiv und beurteilten die Be-
77 Seit RGSt 25, 275 (377 f.); vgl. nur BGHSt 11, 111 (112); 43, 306 (308); 45, 219 (221); BGH NJW 2011, 1088 (1089). So auch für das Zivilrecht BGHZ 29, 46 (49); 29, 176 (179 f.); BGH NJW 1971, 1887. 78 Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 223 Rn. 30; Laufs/Kern/Ulsenheimer, § 138 Rn. 5; Spickhoff/Knauer/Brose, StGB § 223 Rn. 17; Bockelmann, NJW 1961, 945 (947); Engisch, ZStW 58 (1939), 1 (5); Gallas, ZStW 67 (1955), 1 (21 f.); Grünwald, ZStW 73 (1961), 5 (29); vgl. auch die Darstellungen des Streitstands bei LK11/Lilie, Vor § 223 Rn. 3 ff und Tag, Patientenautonomie und Lex artis, S. 19 ff. 79 Laufs/Kern/Ulsenheimer, § 138 Rn. 1; Niese, Festschrift Eb. Schmidt, S. 364 (364). 80 Von einem „ausgeuferten“ Meinungsstreit und „kaum noch übersehbare[r] Literatur“ spricht etwa Laufs/Kern/Ulsenheimer, § 138 Rn. 1. 81 Ohlshausen/Niethammer, Vor § 51 Anm. 4; Nipperdey, NJW 1957, 1777 (1778); Schaffstein, ZStW 72 (1960), 369 (378 f.); Geerds, Einwilligung, S. 30; Hoppe, Soziale Adäquanz, S. 89 f.; Welzel, Grundzüge1, S. 36; inhaltlich auch Klug, Festschrift Eb. Schmidt, S. 249 (262), wenn auch unter seiner entsprechenden Bezeichnung als sozialer Kongruenz; a.A.: Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (101 ff.). 82 Kohlrausch/Lange, § 223 III; Welzel, Grundzüge1, S. 36; wohl auch Klug, Festschrift Eb. Schmidt, S. 249 (262). 83 Kohlrausch/Lange, § 223 III; Welzel, Grundzüge1, S. 36.
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handlung nach deren sozialem Sinn.84 Die demnach maßgebliche soziale Sinnbedeutung des Verhaltens sollte zumindest den erfolgreichen Heileingriff aus dem Tatbestand der Körperverletzung fallen lassen.85 Schließlich sei eine auf Heilung gerichtete Behandlung ihrem „sozialen Sinngehalt nach das Gegenteil einer Körperverletzung“86. Entgegen anderweitiger Lösungsvorschläge wird so das gewünschte Ergebnis weniger über eine Restriktion des Tatbestandes oder dogmatische Erwägungen, als vielmehr über eine Beurteilung nach gesellschaftlichen Werterwägungen erzielt. Tatsächlich nährt diese Herangehensweise noch immer die Argumentation um die ärztliche Heilbehandlung, welche folglich von sozialen Betrachtungen geprägt bleibt.87 So nimmt etwa das Argument, der Arzt könne wertungsmäßig nicht mit dem Messerstecher auf einer Stufe stehen, weiterhin einen nicht unbeachtlichen Raum ein und steht im Zentrum vieler Lösungsansätze.88 Die soziale Bewertung ist damit nach wie vor von Bedeutung. Insofern bleibt die Diskussion also argumentativ stark an das jeweilige Rechtsempfinden geknüpft.89 Somit besteht im Ergebnis weitgehend Konsens über die Straffreiheit des ärztlichen Heileingriffs. Faktisch verbirgt sich jedoch hinter der vielerorts geführten Argumentation oftmals nicht weit mehr als die Suche nach dem sozialen Sinn oder einer wertmäßigen Beurteilung. Auch wenn das Gros der Literatur die Lösung nunmehr zutreffend im Tatbestand verortet90 und zum Teil entschieden von der 84
Ausgiebig Laufs/Kern/Ulsenheimer, § 138 Rn. 5; Bockelmann, NJW 1961, 945 (946); Schmidt, Arzt im Strafrecht, S. 72 ff.; ferner Dahm, Verbrechen und Tatbestand, S. 40. 85 Dreher/Tröndle44, § 223 Rn. 9b; Kohlrausch/Lange, § 223 III; Niese, Festschrift Eb. Schmidt, S. 364 (366 ff.); Schmidt, Arzt im Strafrecht, S. 77 ff.; vgl. Kraatz, Arztstrafrecht, Rn. 34. Binding, BT I, S. 56 sprach insofern bereits früh von einer Gesamtbetrachtung der ärztlichen Tätigkeit, in deren Rahmen die Heilbehandlung den „fatalen Teil“ konsumiere. 86 Niese, Festschrift Eb. Schmidt, S. 364 (364 f.); ebenso Dreher/Tröndle44, § 223 Rn. 9b; ferner MAH-MedR/Sommer/Tsambikakis, § 2 Rn. 20. 87 Nach der sozialen Sinnhaftigkeit fragen etwa noch Laufs/Kern/Ulsenheimer, § 138 Rn. 5 und Spickhoff/Knauer/Brose, StGB § 223 Rn. 20. 88 So auch Kraatz, Arztstrafrecht, Rn. 34 m.w.N.; der metaphorische Vergleich des Arztes mit einem Messerstecher geht auf Bockelmann, NJW 1961, 945 (946) zurück und drückt ebenfalls eine von sozialen Wertvorstellungen behaftete Empfindung aus. Diese Metapher findet sich u. a. bei Laufs/Kern/Ulsenheimer, § 138 Rn. 5; Spickhoff2/Knauer/Brose, StGB § 223 Rn. 20; Schaffstein, ZStW 72 (1960), 369 (378) und dient bei Tag, Patientenautonomie und Lex artis, S. 439 als „schlagendes Argument“. Entschieden gegen den Verweis auf dieses Argument aber MK-StGB/Joecks, § 223 Rn. 47; kritisch dazu auch Frister/Lindemann/ K. Peters, Rn. 3 f. 89 Als Beispiel dafür vermag Schaffstein, ZStW 72 (1960), 369 (379) zu dienen, der explizit und maßgeblich darauf verweist, dass die aufgefundene Lösung dem Rechtsgefühl „mehr“ entspreche. Aus der jüngeren Literatur sei diesbezüglich etwa auf Laufs/Kern/Ulsenheimer, § 138 Rn. 5 oder MAH-MedR/Sommer/Tsambikakis, § 2 Rn. 20 verwiesen, bei denen das Rechtsempfinden besonders betont wird. 90 Vgl. statt vieler die Übersichten bei LK11/Lilie, Vor § 223 Rn. 3 ff.; MK-StGB/Joecks, § 223 Rn. 46 ff.
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wertmäßigen Betrachtung Abstand nimmt,91 verbleiben doch einige Stimmen und Ansätze, die dem Prinzip der Sozialadäquanz zumindest erstaunlich komparabel scheinen.92 Festzuhalten bleibt aber jedenfalls, dass der heutige Diskussionsstand sich zunehmend aus einer von gesellschaftlichen Erwägungen getragenen Betrachtung entwickelt hat. (2) Knabenbeschneidung Neben dem ärztlichen Heileingriff wurde die Lehre von der Sozialadäquanz auch im Bereich der Knabenbeschneidung herangezogen. So wurde die Zirkumzision von Knaben bestimmter Glaubensbekenntnisse lange von einer nicht ohne Anklang gebliebenen Ansicht als sozialadäquat und daher straflos begriffen.93 Maßgeblich sei auch hier, dass die Beschneidung sich gänzlich im Rahmen der normalen, geschichtlich gewordenen sozialen Ordnung halte.94 Schließlich stelle die Zirkumzision einen gesicherten Bestandteil der Deutschland prägenden Symbiose aus christlichem sowie jüdischem Glauben dar.95 Ferner seien die Auswirkungen des Eingriffs lediglich geringfügig.96 In den Fokus der Öffentlichkeit geriet diese Diskussion durch ein Urteil der kleinen Strafkammer des Landgerichts Köln, welches den Tatbestand der Körperverletzung durch die Beschneidung eines Kleinkinds als verwirklicht ansah.97 Der dadurch auf den Plan gerufene Gesetzgeber hat der Debatte jedoch mit Erlass der
91 Etwa LK11/Lilie, Vor § 223 Rn. 5; MK-StGB/Joecks, § 223 Rn. 47; Frister/Lindemann/ K. Peters, Rn. 3 f. 92 Daher überrascht es nur vordergründig, wenn etwa Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 223 Rn. 37 noch immer explizit den strafbaren von dem als sozialadäquat angesehenen Eingriff abgrenzen. 93 Bis Tröndle/Fischer50, § 223 Rn. 16a; Rohe, JZ 2007, 801 (805); Zähle, AÖR 134, 434 (446 f.); Exner, Knabenbeschneidung, S. 187 f.; Rohe, Der Islam, S. 208; dem Grunde nach auch Schwarz, JZ 2008, 1125 (1127 f.); von einer kaum angezweifelten Meinung spricht LK11/ Lilie, § 223 Rn. 16a; als wohl herrschende Meinung bezeichnet bis Tröndle/Fischer52, § 223 Rn. 6; a.A.: ab Fischer56, § 223 Rn. 6b; Putzke, Festschrift Herzberg, S. 669 (678 ff.); Jerouschek, NStZ 2008, 313 (317); Steiner, Knabenbeschneidung, S. 80; Valerius, Kultur und Strafrecht, S. 151 f. Dazu auch Fahl, Festschrift Beulke, S. 81 ff. 94 Tröndle/Fischer50, § 223 Rn. 16a; Exner, Knabenbeschneidung, S. 182 ff.; Rohe, Der Islam, S. 208. 95 Exner, Knabenbeschneidung, S. 183; Gollaher, Beschneidung, S. 66; auch Jerouschek, NStZ 2008, 313 (313), der sich gegen eine Sozialadäquanz der Beschneidung ausspricht, betont die Bekanntheit dieses Brauchs. 96 Rohe, JZ 2007, 801 (805); kritisch Steiner, Knabenbeschneidung, S. 67 f.; die Komplikationsrate betrachtend Valerius, JA 2010, 481 (485) m.w.N. 97 LG Köln, StV 2012, 603 (604); zustimmend Putzke, MedR 2012, 621 (625); ablehnend Bartsch, StV 2012, 604 (608 f.); Beulke/Dießner, ZIS 2012, 338 (343 ff.) m.w.N.; Brocke/ Weidling, StraFo 2012, 450 (452 ff.); Rox, JZ 2012, 806 (808). Das Gericht nahm allerdings bezüglich des zu entscheidenden Falles einen unvermeidbaren Verbotsirrtum an, sodass eine höhergerichtliche Klärung der Frage unterblieb.
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Vorschrift des § 1631d BGB98 zum 28. Dezember 2012 ein Ende gesetzt. Die Norm stellt klar, unter welchen Voraussetzungen eine Beschneidung nicht als Körperverletzung zu bestrafen ist.99 Der Diskussion um die sozialadäquate Knabenbeschneidung wurde so der Nährboden genommen. Die schnelle Reaktion des Gesetzgebers (erst) auf das Urteil des Landgerichts Köln legt jedoch nahe, dass dieser einer Lösung über den Weg des sozialadäquaten Verhaltens – im Gegensatz zur Annahme einer Strafbarkeit – nicht abgeneigt war. (3) Infektion mit Krankheiten Die Lehre von der Sozialadäquanz wird ferner im Rahmen der Übertragung ansteckender Krankheiten bemüht. Diesbezüglich besteht Einigkeit, dass die Infektion einer anderen Person mit einer übertragbaren Krankheit grundsätzlich eine Gesundheitsschädigung im Sinne des § 223 StGB darstellt.100 Die früher vertretene Auffassung, eine Ansteckung mit dem HI-Virus im Zuge des Geschlechtsverkehrs sei ebenso wie dieser sozialadäquat101, wird heute einhellig abgelehnt102. Als sozialadäquat gilt aber, neben dem kondomgeschützten Geschlechtsverkehr103, weiterhin die Übertragung leichter Ansteckungskrankheiten104. Hier ist etwa an die Infizierung fremder Personen in öffentlichen Verkehrsmitteln oder Großraumbüros zu denken, in denen die Verbreitung der Krankheiten unvermeidbar
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Zu deren Auslegung Hörnle/Huster, JZ 2013, 328 (338 f.). Dazu auch SK-StGB/Wolters, § 223 Rn. 16; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 223 Rn. 12a; kritisch zu dem eiligen Gesetzgebungsvorhaben Antomo, Jura 2013, 425 (436); kritisch bezüglich des Ergebnisses Isensee, JZ 2013, 317 (324 ff.). 100 BGH NStZ 2009, 34 (34 f.); BeckOK-StGB/Eschelbach, § 223 Rn. 29; Fischer, § 223 Rn. 13; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 223 Rn. 7. 101 Prittwitz, JA 1988, 427 (436 ff.) verweist auf die Figur des erlaubten Risikos, da die Gefahr einer Ansteckung gering und das Verhalten demnach sozialadäquat sei. Ähnlich auch Herzog, Aids-Desperados, S. 329 ff., der eine Bestrafung u. a. deswegen ablehnt, weil im Zeitalter von Aids bei jedem sexuellen Kontakt mit Gefahren für Leben und Gesundheit zu rechnen sei; entschieden hiergegen indes Herzberg, JZ 1989, 470 ff. Geppert, Jura 1987, 668 (671) und auch Herzberg, NJW 1987, 1461 (1462) selbst sehen die Grenze zur Sozialadäquanz vielmehr erst dann überschritten, wenn der Infizierende einen besonderen Grund habe, bei sich eine Aids-Infizierung zu vermuten. 102 BGHSt 36, 1 (6 f.); BGH NStZ 2009, 34 (34 f.); BeckOK-StGB/Eschelbach, § 223 Rn. 29 f.; LK11/Lilie, Vor § 223 Rn. 12; Fischer, § 223 Rn. 14 f.; MK-StGB/Joecks, § 223 Rn. 34; NK-StGB/Paeffgen/Böse, § 223 Rn. 18 f.; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 223 Rn. 7; Helgerth, NStZ 1988, 261 (262 f.); Herzberg, NJW 1987, 2283 (2283 f.); Meier, GA 1989, 215 (216 f.). 103 Herzberg, JZ 1989, 470 (474 f.); C. Knauer, AIFO 1994, 463 (466); Meier, GA 1989, 207 (230). 104 BGHSt 36, 1 (16 f.); LG München, MedR 1987, 288 (291); BeckOK-StGB/Eschelbach, § 223 Rn. 29; LK11/Lilie, Vor § 223 Rn. 12; Roxin/Schünemann/Haffke, Klausurenlehre, S. 137; Putzke, Festschrift Herzberg, S. 669 (679 f.); Herzberg, NJW 1987, 1461 (1462). Von einem „Kernbeispiel“ der Sozialadäquanz spricht ferner Roth, Masernpartys, S. 57. 99
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scheinen.105 Ferner wird die Übertragung alltäglicher Infekte genannt, die kaum abschirmbar sind und keine erhebliche Gefahr nach sich ziehen.106 Es besteht jedoch Uneinigkeit darüber, ob die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung bei der Frage nach der Sozialadäquanz zu berücksichtigen ist.107 An dem Vergleich mit der Übertragung des HI-Virus zeigt sich aber, dass die Schwere der Krankheit sowie die Vermeidbarkeit der Übertragung in das Adäquanzurteil einbezogen werden. Jüngst wird im Zuge dieser Thematik auch die Strafbarkeit der Erziehungsberechtigten diskutiert, die ihre Sprösslinge zielgerichtet an sogenannten Masernpartys teilnehmen lassen, um die Kinder mittels einer Ansteckung künftig zu immunisieren.108 Dabei kommt ein Strafbarkeitsausschluss aufgrund der Sozialadäquanz insbesondere angesichts des Umstands in Betracht, dass diese Masernpartys seit Jahrzehnten auf der gesamten Welt praktiziert werden und sich nach wie vor großer Beliebtheit erfreuen.109 Jedoch wird auch hier, parallel zur Übertragung des HI-Virus, die soziale Adäquanz der Handlung unter Hinweis auf die Schwere der Krankheit sowie die Vermeidbarkeit der Übertragung letztlich abgelehnt.110 (4) Teilnahme an Sportwettbewerben Ein weiteres Feld, in welchem die Sozialadäquanz vermehrt zu Rate gezogen wird, ist die Teilnahme an Sportwettbewerben. Dabei sollen nach vielfach vertretener Ansicht über die Lehre von der Sozialadäquanz strafrechtliche Freiräume für erlittene Körperverletzungen geschaffen werden.111 Im Gegensatz zu einer Einwilligungslösung könne einzig durch die Ausklammerung sozialadäquater Verhaltensweisen vermieden werden, dass sich jede Woche auf deutschen Fußballplätzen ein „Abgrund der Kriminalität“112 öffne.113 105
BeckOK-StGB/Eschelbach, § 223 Rn. 29; Putzke, Festschrift Herzberg, S. 669 (679 f.). BGHSt 36, 1 (16); LK11/Lilie, Vor § 223 Rn. 12; Roxin/Schünemann/Haffke, Klausurenlehre, S. 137; Herzberg, NJW 1987, 1461 (1462). 107 Befürwortend Herzberg, NJW 1987, 1461 (1462); Meier, GA 1989, 215 (217); negierend BGHSt 36, 1 (16). 108 Grundlegend zur Masernerkrankung, deren Übertragung und Auswirkungen Wedlich, ZJS 2013, 559 (559 ff.). 109 Landeszentrale für Gesundheit in Bayern e.V., Gesund in Bayern 01/2001, S. 4; Roth, Masernpartys, S. 60 f. 110 Wedlich, ZJS 2013, 559 (562); Roth, Masernpartys, S. 61 f. 111 So schon Welzel, Allgemeiner Teil, S. 34; zudem MK-StGB/Hardtung, § 228 Rn. 44; Dölling, ZStW 96 (1984), 36 (49 f.); Kubink, JA 2003, 257 (259 f.); Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (650 f.); Berr, Sport und Strafrecht, S. 212 ff.; Geerds, Einwilligung, S. 30; Hoppe, Soziale Adäquanz, S. 93 f.; Kühn, Sportstrafrecht und Notwehr, S. 39 ff.; Roeder, Sozialadäquates Risiko, S. 41; Schild, Sportstrafrecht, S. 116 ff.; Zipf, Einwilligung und Risikoübernahme, S. 84 ff., 93 ff.; vgl. ferner Kaspar, JuS 2004, 409 (410); so auch unter dem Aspekt der Rechtswidrigkeit im Zivilrecht Nipperdey, NJW 1957, 1777 (1778 f.) und Fritzweiler, Haftung bei Sportunfällen, S. 57 ff.; a.A.: Fritzweiler/Pfister/Summerer/Reinhart, Sportrecht, 8. Teil Rn. 70. 112 Dölling, ZStW 96 (1984), 36 (55). 106
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Sozialadäquat soll demnach jedes Verhalten sein, das zur Ermöglichung bestimmter Sportarten unvermeidbar scheint.114 Entscheidend sei daher eine konkrete Betrachtung der jeweiligen Sportart und deren Gepflogenheiten.115 Ob der Intention des Verletzenden dabei entscheidende Natur zukommt, ist umstritten.116 Wurde zunächst die Einhaltung der Regeln für maßgeblich erachtet117, so wurden später leichte Regelwidrigkeiten als sozialadäquat begriffen, um der Natur der Sportarten Rechnung zu tragen und deren Dynamik sowie Funktionsfähigkeit zu erhalten.118 Dabei sollte jedes die Sportart prägende Verhalten ungeachtet der Regelkonformität der sozialen Ordnung entsprechen. Damit würden auch Notbremsen oder Stöße im Rahmen des Fußballs keine strafrechtlichen Sanktionen nach sich ziehen, selbst wenn diese regelwidrig sind und als unfair gelten.119 Voraussetzung dafür sollte freilich sein, dass sie sich im Zuge des Spielgeschehens, also nicht hinter dem Rücken des Schiedsrichters oder fernab des Geschehens, ereignen.120 Demgegenüber greift die Rechtsprechung auf eine rechtfertigende Einwilligung bezüglich des in Kauf genommenen Risikos einer auf Fahrlässigkeit des Gegenübers beruhenden Verletzung zurück.121 So nimmt sie eine ähnliche Differenzierung, allerdings anhand der Vorsätzlichkeit der Regelwidrigkeit des verletzenden Verhaltens, vor. In diesem Kontext wurde also erneut von einigen Stimmen versucht, sozial Vorgegebenes mittels der Sozialadäquanz dem strafrechtlichen Rahmen zu entziehen. Interessant ist zudem, dass auch hier der Verlockung, im Fortgang der Diskussion um die Sozialadäquanz eine Entlassung in den rechtsfreien Raum zu propagieren122, nicht widerstanden werden konnte. Aufgrund der mitunter detaillierten
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Eine ausführliche Darstellung des aktuellen Streitstandes findet sich bei Fritzweiler/ Pfister/Summerer/Reinhart, Sportrecht, 8. Teil Rn. 64 ff. 114 Dölling, ZStW 96 (1984), 36 (49); Zipf, Einwilligung und Risikoübernahme, S. 95 f.; vgl auch Eser, JZ 1978, 368 (370). 115 Dölling, ZStW 96 (1984), 36 (50); Berr, Sport und Strafrecht, S. 214 f.; Zipf, Einwilligung und Risikoübernahme, S. 95. 116 Befürwortend Zipf, Einwilligung und Risikoübernahme, S. 95 f., der bei Vorsatztaten die Sozialadäquanz verneint; ablehnend Dölling, ZStW 96 (1984), 36 (50). 117 Welzel, Allgemeiner Teil, S. 34; Eser, JZ 1978, 368 (370); Schild, Sportstrafrecht, S. 121. 118 Dölling, ZStW 96 (1984), 36 (59 f.); Berr, Sport und Strafrecht, S. 219; vgl. auch Schild, Sportstrafrecht, S. 119 f. 119 Dölling, ZStW 96 (1984), 36 (61 f.); Berr, Sport und Strafrecht, S. 219; ebenso bezüglich zivilrechtlicher Haftung Grunsky, Haftung, S. 29. 120 Dölling, ZStW 90 (1978), 36 (63); H. Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, S. 350. 121 BGHSt 4, 24 (33); 4, 88 (92); BGH NJW 2013, 1379 (1381); BayObLGSt 1960, 266 (270); eingehend dazu Fritzweiler/Pfister/Summerer/Reinhart, Sportrecht, 8. Teil Rn. 72 ff. mit weiteren Nachweisen aus der Literatur und im Ergebnis selbst die mutmaßliche Einwilligung wählend. 122 So Schild, Jura 1982, 585 (585 ff.).
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Regelwerke der Verbände fand diese Auffassung jedoch keinen Anklang.123 Der Einwand, eine Entlassung in den rechtsfreien Raum nach dem Verhalten eines ordentlichen Sportlers sei zu allgemein-abstrakt,124 lässt aber auf einen höheren Konkretisierungsgrad der Lehre von der Sozialadäquanz schließen. Dieser resultiert letztlich aus der konkreten Betrachtung der jeweiligen Sportart. Damit sollte unausgesprochen nicht die allgemeine Sozialadäquanz der Teilnahme an Sportwettbewerben ersucht werden. Vielmehr sollte so die konkrete, jeweilige sportartspezifische Sozialadäquanz des Verhaltens erarbeitet werden, sodass letztlich gleich mehrere „Sozialadäquanzen“ zu etablieren versucht wurden. (5) Züchtigungsrecht Lange Zeit wurden auch Körperverletzungen (zumindest durch die Erziehungsberechtigten) aus erzieherischen Motiven von der Rechtsprechung125 und dem Gros der Literatur126 gleichermaßen als straflos angesehen, soweit die Züchtigung maßvoll und angemessen ausgeübt wurde. Unter diversen Begründungsmodellen der Straflosigkeit sticht auch hier der Gedanke der Sozialadäquanz der Züchtigung mit einer beachtlichen Zahl an Anhängern hervor.127 So sollte sich das züchtigende Verhalten bisweilen ebenfalls vollkommen im Rahmen der geschichtlich gewordenen Ordnung des Gemeinschaftslebens bewegen, insofern es angemessen ausfalle.128 Teilweise sollte die Züchtigung dabei aufgrund derer „allgemein anerkannten Wertigkeit“129 sozialadäquat oder gar sozialethisch geboten130 sein. 123 Dölling, ZStW 96 (1984), 36 (53); Eser, JZ 1978, 368 (368); vgl. ferner das Eingeständnis bei Schild, Sportstrafrecht, S. 119. 124 Dölling, ZStW 96 (1984), 36 (53); Eser, JZ 1978, 368 (368). 125 Ausschlaggebend für die Rechtsprechung war eine Rechtfertigung durch das Züchtigungsrecht: vgl. RGSt 35, 182 (183); 40, 432 (433), wonach die Züchtigungsbefugnis „ganz von selbst“ dem Recht und der Pflicht zur Erziehung entstamme; BGHSt 11, 241 (248 ff.): „Gewohnheitsrecht“; ferner BGHSt 12, 62 (67 ff.) zur Übertragung der Erziehungsgewalt; vgl. zudem BGH NStZ 1987, 173 (174), wonach auch die diesbezügliche Verwendung von Schlaggegenständen dem Züchtigungsrecht unterfallen kann und nicht per se eine entwürdigende sowie strafbare Behandlung darstelle. 126 Dreher/Tröndle47, § 223 Rn. 11 ff.; LK10/Hirsch, § 223 Rn. 21, 24 ff.; Blei, BT, S. 56 f.; Beulke, Festschrift Schreiber, S. 29 (39); Hoppe, Soziale Adäquanz, S. 91 ff.; Kienapfel, Züchtigung, S. 101 ff.; dahingehend noch immer Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 593 f.; vgl. ferner LK11/Lilie, § 223 Rn. 10 und NK-StGB/Paeffgen/Böse, § 223 Rn. 28 m.w.N. 127 Für die Sozialadäquanz der elterlichen Züchtigung Klug, Festschrift Eb. Schmidt, S. 249 (262 f.), freilich unter dessen Bezeichnung als sozialkongruent; Fahl, JR 2017, 405 (407 f.); Schaffstein, ZStW 72 (1960), 369 (383). Für eine sozialadäquate Züchtigung durch den Lehrer LG Berlin, BeckRS 2010, 02070; K. Peters, Festschrift Welzel, S. 415 (426 ff.); Schaffstein, ZStW 72 (1960), 369 (383); Würtenberger, DRZ 1948, 291 (292). Vgl. ferner Fischer, § 223 Rn. 38, der die proklamierte Tatbestandslosigkeit ablehnt, diese aber auf den Gedanken der Sozialadäquanz zurückführt. 128 K. Peters, Festschrift Welzel, S. 415 (426); Schaffstein, ZStW 72 (1960), 369 (383). 129 K. Peters, Festschrift Welzel, S. 415 (426). 130 Klug, Festschrift Eb. Schmidt, S. 249 (262).
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Demgegenüber nahm die Rechtsprechung zwar die Tatbestandsmäßigkeit der Züchtigung an, negierte jedoch deren Rechtswidrigkeit über das rechtfertigende Züchtigungsrecht.131 Dessen Grenzen wären aber gewohnheitsrechtlich nach Anlass, Zweck und Maß der züchtigenden Handlung determiniert.132 Damit kam der Angemessenheit der Züchtigung eine dezisive Rolle zu. Diese sei gewahrt, wenn ein anderthalb Zentimeter starker Wasserschlauch zur Verstärkung des Schlags benutzt werde.133 Ferner sei auch das Festbinden der 16-jährigen, „sittlich verdorbenen“ Tochter und das unregelmäßige Kurzschneiden derer Haare zur Züchtigung angemessen.134 Überschritten sei die Grenze der Rechtfertigung jedoch dort, wo eine „quälerische“, gesundheitsschädliche oder willkürliche Behandlung im Raum steht.135 Die Frage der Strafbarkeit war demnach also an die wertungsbedürftige, kaum konturierte Frage der Angemessenheit geknüpft. Daher wurde dieser Lösungsweg vereinzelt als vom dogmatischen Instrumentarium losgelöste, strafrechtsfreie Sphäre bezeichnet, die sich bewusst von der Gesetzesauslegung entferne und somit ein Surrogat der Sozialadäquanz sei.136 Dem ist zuzugeben, dass die notwendig vorzunehmende Wertung zur Bestimmung der Angemessenheit dem Grundgedanken der Sozialadäquanz tatsächlich vergleichbar scheint. Die von der Rechtsprechung praktizierte Einzelfallabwägung entspricht jedoch gerade dem der Rechtfertigung immanenten Prinzip des überwiegenden Interesses auf der Grundlage einer konkreten Betrachtung,137 welche die soziale Adäquanz nicht unmittelbar vor Augen haben soll. Eng mit der Sozialadäquanz verwoben ist allerdings zumindest die vorgelagerte Frage nach der Herkunft des Züchtigungsrechts, die mit dem Hinweis auf Gewohnheitsrecht unter Rekurs auf gesellschaftliche Wertvorstellungen beantwortet wird. Das Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung138 sollte jedoch mit Änderung des § 1631 Abs. 2 BGB im Jahre 2000 klarstellen, dass Kinder ein Recht auf 131
Vgl. RGSt 35, 182 (183); 40, 432 (433); BGHSt 6, 263 (266 ff.); 11, 241 (248 ff.); BGH NStZ 1987, 173 (174), hilfsweise auch LG Berlin, BeckRS 2010, 2070. 132 BGHSt 11, 241 (257 f.); BGH NJW 1953, 1440 (1440 f.); NStZ 1987, 173 (174); OLG Köln NJW 1952, 479. 133 BGH NStZ 1987, 173 (173 f.). 134 BGH NJW 1953, 1440 (1440 f.). 135 BGHSt 6, 263 (269 ff.); 11, 241 (257 f.); 12, 62 (73 ff.); BGH NJW 1953, 1440; NStZ 1987, 173 (174). 136 Wolski, Soziale Adäquanz, S. 67 ff. 137 Vgl. Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, Vor §§ 32 ff. Rn. 7; Mezger, Strafrecht3, S. 204 ff.; Roxin, AT I, § 14 Rn. 41 ff.; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 388, 400. Die primäre Berücksichtigung des Zwecks entspricht der sog. Zwecktheorie, wonach ein Verhalten gerechtfertigt ist, wenn es das angemessene Mittel zur Erfüllung eines berechtigten Zweckes darstellt (zurückgehend auf Liszt, Strafrecht21, § 32 II 2, 9). 138 Das Gesetz stammt vom 2. November 2000, vgl. BGBl I, S. 1479. Aus den Gesetzgebungsmaterialien lässt sich indes entnehmen, dass der Gesetzgeber davon ausging, das
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gewaltfreie Erziehung haben und körperliche Bestrafungen sowie andere entwürdigende Maßnahmen unzulässig sind. Die Formulierung der Norm lege aber ein Verständnis der körperlichen Bestrafung als Unterfall der entwürdigenden Maßnahme nahe.139 Folglich sei der maßvollen, im konkreten Fall angemessenen Züchtigung der entwürdigende Charakter abzusprechen, sodass das Verbot insofern nicht greife und die Züchtigung keine üble, unangemessene Behandlung darstelle.140 Daher ist nach herrschender Ansicht auch durch diese Gesetzesänderung züchtigendes Verhalten durch die Eltern nicht stets strafbar, sondern die Strafbarkeit weiterhin an Anlass, Zweck und Ausmaß der Züchtigung geknüpft.141 Im Ergebnis nähert sich die Interpretation der Literatur damit der Rechtsprechung an. Insbesondere die für das Strafbarkeitsverdikt entscheidenden Kriterien sind mit Anlass, Zweck und Maß der Züchtigung ident. Diese werden auf Seiten der jüngeren Literatur allerdings vermehrt von der Rechtswidrigkeits- auf die Tatbestandsebene gezogen. So soll bereits der Tatbestand negiert werden, wie dies auch die Figur der Sozialadäquanz ersuchte. Die Grundlage hierfür bildet jedoch nicht das Prinzip sozialadäquaten Verhaltens, sondern eine restriktive Tatbestandsauslegung. Den Anknüpfungspunkt bietet der wertungsbedürftige Begriff der üblen, unangemessenen Behandlung, wobei die zur Beurteilung der Sozialadäquanz herangezogenen Kriterien in der Bewertung des Verhaltens aufgehen. In der Folge wird auch die subjektive Zwecksetzung der Züchtigung bereits im objektiven Tatbestand abgewogen. Der gemeinsame Kern der Ansichten kommt in einem Urteil des Landgerichts Berlin zum Vorschein, in welchem die Strafkammer den seitens des Lehrers angewendeten Zwang aus den gleichen Gründen als sozialadäquat (und somit tatbestandslos) sowie hilfsweise auch als gerechtfertigt begreift.142 Dieses Urteil bestätigt den simultanen Weg, der die differenten Lösungswege eint. Damit ist diesbezüglich der Vorwurf der inhaltlichen Unbestimmtheit der Figur der Sozialadäquanz kaum tragfähig. Deren Grad an Bestimmtheit ist gegenüber dem der anderen Lösungen aufgrund der kongruenten Kriterien jedenfalls im Rahmen des Züchtigungsrechts nicht defizitär. Vielmehr entsteht der Anschein, das zuvor im Wege der Sozialadäquanz oder des Gewohnheitsrechts begründete Ergebnis wurde durch restriktive Auslegung mit den Neuerungen des Gesetzgebers in Einklang Züchtigungsrecht schon zuvor abgeschafft zu haben, BT-Drucks. 14/3781, Anlage 14/1247, S. 6. 139 Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 223 Rn. 19; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 593; Beulke, Festschrift Schreiber, S. 29 (37 ff.). 140 MK-StGB/Joecks, § 223 Rn. 71; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 223 Rn. 19; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 593; Beulke, Festschrift Schreiber, S. 29 (37 ff.). 141 Auf Tatbestandsebene verortet von Lackner/Kühl/Kühl, § 223 Rn. 11; MK-StGB/ Joecks, § 223 Rn. 71; Kühl, AT, § 9 Rn. 82; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 592 ff.; Beulke, Festschrift Schreiber, S. 29 (37 ff.). Unter dem Aspekt der Rechtswidrigkeit dagegen Hilgendorf/Valerius, AT, § 5 Rn. 107; Kindhäuser, AT, § 20 Rn. 18; M. Heinrich, ZIS 2011, 431 (441 f.). Jäger, AT, Rn. 165 sucht eine Lösung auf Ebene der Schuld. 142 LG Berlin BeckRS 2010, 2070; kritisch hinsichtlich der Rechtfertigung Jahn, JuS 2010, 458 (459).
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gebracht. Die Verortung auf Tatbestandsebene nimmt der Kritik einer dogmatisch gänzlich freischwebenden Lösung143 insofern zwar den Wind aus den Segeln, vermag inhaltlich aber keine Änderung mit sich zu bringen. (6) Unerhebliche und unangemessene Körperverletzungen Ein ähnliches Muster zeigt sich an Fällen der unerheblichen körperlichen Verletzungen. Auch diese sollten einst als sozialadäquat und damit straffrei gelten.144 Das Ziel dieser Auffassung lag in der Limitierung des Straftatbestandes. Vereinzelt wird die Sozialadäquanz gar heute noch als Auslegungsbehelf zur Ausscheidung unerheblicher Beeinträchtigungen aus den Körperverletzungsdelikten herangezogen.145 Aufgrund der heute allgemein anerkannten Definition der körperlichen Misshandlung als üble, unangemessene Behandlung, durch die das körperliche Wohlbefinden nicht nur unerheblich beeinträchtigt wird,146 besteht für den Rekurs auf die Sozialadäquanz aber kein Bedürfnis mehr. Die Ausscheidung unerheblicher Beeinträchtigungen wurde vielmehr zum Bestandteil der Definition. Die Frage der Erheblichkeit soll objektiv zu bestimmen sein,147 erschöpft sich aber weitestgehend in fließenden Übergängen und Kasuistik.148 Das mittels der Sozialadäquanz verfolgte Ziel, unerhebliche Auswirkungen aus dem Tatbestand auszunehmen, wurde somit zwar definitorisch niedergelegt. Ein erhöhter Grad an Bestimmtheit ist damit jedoch aufgrund des schwer fassbaren Terminus der Erheblichkeit nicht zu gewinnen. Vielmehr wird auch hier einer möglichen Kritik dogmatischer Losgelöstheit durch die Verortung in die Definition entgangen. Ähnlich steht es um die Interpretation als üble, unangemessene Behandlung. Zwar ist dieses ebenfalls von der herrschenden Ansicht anerkannt.149 Über die inhaltliche Ausgestaltung herrscht jedoch Unstimmigkeit.150 Unter den zahlreichen Vorschlägen finden sich auch diesbezüglich Stimmen, die das Kriterium der üblen, unange143
Wolski, Soziale Adäquanz, S. 69. Welzel, Grundzüge11, S. 56; Altermann, Festschrift Eisenberg, S. 233 (241); Nipperdey, NJW 1957, 1777 (1778). 145 So explizit Schönke/Schröder/Eisele, Vor § 13 Rn. 69 f. 146 BGHSt 14, 269 (271); 53, 145 (158); Fischer, § 223 Rn. 4; Lackner/Kühl/Kühl, § 223 Rn. 4; LK11/Lilie, § 223 Rn. 6; MK-StGB/Joecks, § 223 Rn. 4; NK-StGB/Paeffgen/Böse, § 223 Rn. 8; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 223 Rn. 3; Nestler, JA 2014, 262 (263). 147 BGHSt 53, 145 (158); BeckOK-StGB/Eschelbach, § 223 Rn. 22; Fischer, § 223 Rn. 4; MK-StGB/Joecks, § 223 Rn. 21; NK-StGB/Paeffgen/Böse, § 223 Rn. 8; Schönke/Schröder/ Sternberg-Lieben, § 223 Rn. 4a; SK-StGB/Wolters, § 223 Rn. 7. 148 BeckOK-StGB/Eschelbach, § 223 Rn. 22; MK-StGB/Joecks, § 223 Rn. 21 f.; NKStGB/Paeffgen/Böse, § 223 Rn. 9 f.; vgl. Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 223 Rn. 4a. 149 Vgl. Fn. 146; kritisch aber SK-StGB/Wolters, § 223 Rn. 8; Murmann, Jura 2004, 102 (104 f.). 150 Zu verschiedenen Lösungsansätzen etwa MK-StGB/Joecks, § 223 Rn. 25 ff. 144
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messenen Behandlung mit Hilfe der Sozialadäquanz zu erfassen versuchen.151 Dahingehend dürfte auch der Vorschlag zu verstehen sein, an diesem Merkmal einzig sozialadäquate Handlungen von der Strafbarkeit auszunehmen.152 Zudem nimmt auch der Versuch, dieses Kriterium (und das der Erheblichkeit) fallen zu lassen und durch eine notwendige Gesinnung zu ersetzen, die das Verhalten als „üble, unangemessene (sozialwidrige) Behandlung“153 klassifiziert, mittels des Merkmals der Sozialwidrigkeit Rekurs auf die Wertvorstellungen der Gesellschaft. Insofern trägt das Element des sozialwidrigen Verhaltens mit dem Bezug auf die Wertanschauungen der Gesellschaft eine deutliche Parallele zur Sozialadäquanz in sich. Auch die Rechtsprechung betont die gesellschaftliche Beurteilung, indem sie die üble, unangemessene Behandlung mit einer sozialwidrigen gleichstellt.154 Daher wird das Erfordernis der üblen, unangemessenen Behandlung auch weitgehend als Umschreibung eines besonderen Handlungsunwertes verstanden.155 Dessen Ausfüllung obliegt sodann den gesellschaftlichen, sozialen Wertanschauungen und schränkt den Straftatbestand ein. Bemerkenswert ist dabei allerdings, dass das Reichsgericht mit der erstmaligen Einbeziehung der üblen, unangemessenen Behandlung in die Definition der Misshandlung156 einen anderen Zweck ersuchte. Es erstrebte, entgegen der bis dato gängigen Definition als Störung des körperlichen Wohlbefindens,157 keine Einschränkung, sondern vielmehr eine Ausweitung der Strafbarkeit: die Störung des körperlichen Wohlbefindens impliziert ein Schmerzempfinden, das dem Opfer des in Rede stehenden Falles zu fehlen schien.158 Durch die Heranziehung der üblen, unangemessenen Behandlung vermochte der Körperverletzungserfolg aber auch ohne subjektive Schmerzempfindung begründet zu werden.159 Die Intention des Reichs151 Fahl, JR 2017, 405 (408); dahingehend zudem Geerds, Einwilligung, S. 29 ff., der die Misshandlung bezüglich des Heileingriffes und der Sportverletzungen über die Sozialadäquanz ausscheidet; vgl. ferner MK-StGB/Joecks, § 223 Rn. 25. 152 So explizit unter Hinweis auf „den freundschaftlichen Klaps“ BeckOK-StGB/Eschelbach, § 223 Rn. 23. 153 SK-StGB8/Wolters, § 223 Rn. 8; auch Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 223 Rn. 4a beziehen sich auf die Sozialwidrigkeit. A.A., da ansonsten § 223 zu einem Ehrdelikt würde LK11/Lilie, § 223 Rn. 6; und MK-StGB/Joecks, § 223 Rn. 26. 154 So schon BGHSt 14, 269 (271); ferner explizit BGHSt 53, 145 (159). 155 Wie sich besonders an BGHSt 14, 269 (271) zeigt, worin der BGH eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens zwar bejaht, die Strafbarkeit aber mangels übler, unangemessener Behandlung negiert; BeckOK-StGB/Eschelbach, § 223 Rn. 23; NK-StGB/Paeffgen/Böse, § 223 Rn. 8. Anderer Ansicht aber MK-StGB/Joecks, § 223 Rn. 27; Murmann, Jura 2004, 102 (104). Vgl. dazu die Ausführungen bei Schroeder, Festschrift Hirsch, S. 725 (730 ff.). 156 Die es auf den allgemeinen Sprachgebrauch zurückführte, RGSt 19, 136 (139). 157 RGSt 5, 129 (132); RGSt 19, 136 (138); dazu auch BGH NJW 1953, 1440. 158 RGSt 19, 136 (136 f.); zur Empfindung von Schmerzen ferner BGH NJW 1953, 1440. 159 RGSt 19, 136 (139 f.); BGHSt 25, 277 (279 f.); dazu Schroeder, Festschrift Hirsch, S. 725 (730 f.); Murmann, Jura 2004, 102 (104).
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gerichts war also keineswegs die Restriktion des Straftatbestandes durch das Erfordernis eines speziellen Handlungsunwertes. Der Bundesgerichtshof hat das Kriterium indes übernommen und derart gegensätzlich interpretiert.160 Damit war der Grundstein für eine normative Abwägung auf Grundlage gesellschaftlicher Betrachtung geschaffen, die den Straftatbestand restringiert. Dementsprechend bedarf es im Rahmen der Körperverletzung nunmehr keines direkten Rekurses auf die soziale Adäquanz mehr, finden sich doch vergleichbare Filter innerhalb deren Definitionen wieder, die diese Aufgabe entsprechend übernehmen können. (7) Verletzungen der Psyche Darüber hinaus wird die Sozialadäquanz jüngst vermehrt zu Rate gezogen, wenn Verletzungen der Psyche zur Debatte stehen. Die Voraussetzungen, um derartige psychische Einwirkungen als Körperverletzung begreifen zu können, sind zwar im Einzelnen strittig.161 Grundsätzlich ist jedoch anerkannt, dass psychische Verletzungen den Tatbestand der Körperverletzung zu begründen vermögen, insofern sie sich körperlich auswirken.162 In diesem Rahmen zeigt sich indes der Trend, strafbare Einwirkungen vermehrt von sozialadäquaten abgrenzen zu wollen.163 Allerdings werden hier, entgegen bisher genannter Anwendungsbereiche, keine Fallgruppen gebildet oder Kriterien genannt. Vielmehr wird die sozialadäquate Handlung hier verwandt, um ein straffreies Verhalten zu bezeichnen. Die Sozialadäquanz geht damit diesbezüglich über ihre bisherigen Funktionen hinaus und soll als Gegenbegriff zur Strafbarkeit dienen. Dieses Verständnis ist zurückzuführen auf die Bereiche des Stalkings sowie Mobbings.164 Dort bestand schließlich das besondere Bedürfnis, alltägliche Verhaltensweisen von durch spezifischen Unwert geprägten abzugrenzen.165 So war fraglich, ob ein Verhalten bei isolierter Betrachtung zwar sozial unverdächtig erscheinen, angesichts kontinuierlicher sowie kumulativer Begehung indes in seiner 160
BGHSt 14, 269 (271); 25, 277 (279 f.); dazu auch MK-StGB/Joecks, § 223 Rn. 24; NKStGB/Paeffgen/Böse, § 223 Rn. 8; Schroeder, Festschrift Hirsch, S. 725 (730 ff.); Murmann, Jura 2004, 102 (104). 161 Dazu Ruppert, JR 2016, 686 (689 ff.). 162 Wobei insbesondere die Rechtsprechung schon im Falle geringer körperlicher Auswirkungen eine Körperverletzung annimmt, vgl. etwa BGH NJW 1996, 1068 (1069) bei Zittern und Angst, BGH NStZ-RR 2000, 106 bezüglich der Angst nach einem Überfall, BGH NStZ 2007, 218 für Angstzustände nach sexuellen Übergriffen oder allgemeiner BGH NStZ 1997, 123. Jüngst zudem BGH JR 2016, 708, wonach auch vager Brechreiz infolge Anspuckens eine Körperverletzung begründet. 163 So ausdrücklich Bublitz, RW 2011, 28 (51 ff.); Steinberg, JZ 2009, 1053 (1060); F. Knauer, Schutz der Psyche, S. 94 f., 173 ff.; allgemeiner auch F. Knauer, ZStW 126 (2014), 844 (859 ff.). 164 Insbesondere auf deren Handhabung vor dem am 31. März 2007 in Kraft getretenen § 238 StGB. 165 Dazu auch Valerius, JuS 2007, 319 (320).
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Gesamtheit einen unzulässigen Eingriff darzustellen vermag.166 Damit divergierten nach herrschender Ansicht Einzel- sowie Gesamtbetrachtung des Verhaltens zuhauf. In der Folge wurde zunächst zumeist der Terminus der sozialadäquaten Handlung verwandt, um die isolierte Rechtmäßigkeit der konkreten Handlung zu umschreiben. Darauf basierend wurde dies schnell auf die Frage reflektiert, ob das Verhalten in dessen Gesamtheit ebenfalls sozialadäquat oder etwa strafbar sei. Letztlich ward die sozialadäquate Handlung somit zum Gegenbegriff der Strafbarkeit aufgewertet. Daher sind dementsprechende, jüngere Untersuchungen allesamt von der Frage geprägt, inwiefern das Verhalten als sozialadäquat begriffen werden kann.167 Demnach kommt der Lehre der Sozialadäquanz im Rahmen der Verletzungen der Psyche eine Stellung zu, die in diametralem Widerspruch zur proklamierten Abkehr von der Sozialadäquanz steht: sie steht sinnbildlich einer Strafbarkeit gegenüber und wird damit in das Zentrum der Beurteilung gestellt. cc) Straftaten gegen die persönliche Freiheit (1) Freiheitsberaubung (a) Moderner Massenverkehr Zudem wurde der Sozialadäquanz auch im Rahmen der Delikte gegen die persönliche Freiheit schon früh eine dezisive Rolle zugeschrieben. Im Rahmen der Freiheitsberaubung sollten Freiheitsbeschränkungen als übliche Begleiterscheinungen des normalen Verkehrs ebenfalls sozialadäquat sein.168 Schließlich sei gerade bei modernen Massenverkehrsmitteln deren Funktionieren ohne die Bindung der
166 So Meyer, ZStW 126 (2014), 250 (284 f.); A. Esser/Wolmerath, Mobbing, S. 196; Frisch, Verhalten und Zurechnung, S. 90 ff.; Mühe, Mobbing am Arbeitsplatz, S. 118 ff.; a.A.: Däubler, BB 1995, 1347 (1348), wonach die Sozialadäquanz eines mobbingverdächtigen Verhaltens eine Strafbarkeit stets ausschließt; offen gelassen von Gralka, BB 1995, 2651 (2653). Die Häufigkeit und Kontinuität belästigender Verhaltensweisen (die einzig in der Gesamtschau nicht mehr sozialadäquat sind) als Anknüpfungspunkt einer Strafbarkeit ablehnend dagegen Valerius, JuS 2007, 319 (320). 167 Vgl. Bublitz, RW 2011, 28 (51 ff.); Däubler, BB 1995, 1347 (1348); Dieball, BB 1996, 483 (484); Gralka, BB 1995, 2651 (2653); Meyer, ZStW 126 (2014), 250 (284 f.); Steinberg, JZ 2009, 1053 (1060); Fehr, Mobbing, S. 181 ff.; Mühe, Mobbing, S. 116 ff. 168 Welzel, Allgemeiner Teil, S. 33; ders., Grundzüge, S. 36; zustimmend u. a. Schmidhäuser, AT, Kapitel 6 Rn. 105; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 8 Rn. 31 f.; Klug, Festschrift Eb. Schmidt, S. 249 (264); Ebert/Kühl, Jura 1981, 225 (226); Nipperdey, NJW 1957, 1777 (1778); Schaffstein, ZStW 72 (1960), 369 (373, insbes. Fn. 12); Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (650 f.); Hoppe, Soziale Adäquanz, S. 51 f.; Wolski, Soziale Adäquanz, S. 62 f.; dazu jüngst Mitsch, NZV 2013, 417 (417), der Sonderfälle untersucht, den Normalfall der Beförderung aber ebenfalls als sozialadäquat begreift; auf die soziale Tragweite stellt auch Keller, Gewaltbegriff und Staatsgewalt, S. 249 f. ab.
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Fahrgäste an den Fahrplan und die jeweiligen Haltestellen nicht möglich.169 Daher trete lediglich eine formale Rechtsgutsverletzung ein, die aber sozialadäquat sei.170 Andere Stimmen empfinden die resultierende Einschränkung schlicht als selbstverständlich171 oder harmlos172 und ersuchen keine weitere Begründung für deren Sozialadäquanz. In der Folge soll jedenfalls die Strafbarkeit für den Busfahrer, Zugführer oder gar Piloten, der nur an bestimmten Haltestellen oder Flughäfen und nicht auf Zuruf zwischen den Destinationen hält, ausscheiden. Besondere Schwierigkeiten bei der rechtlichen Würdigung bereitet dabei die unterschiedliche Dimension der in Rede stehenden Fälle. Diese erstreckt sich von dem Haltewunsch eines Busfahrgasts, der die 50 Meter persönlichen Umweg bis zur Haltestelle nicht in Kauf nehmen möchte, über den des alleinigen Taxifahrgasts bis hin zu dem Verlangen nach einer Zwischenlandung des Flugpassagiers.173 Während der Taxifahrer dem Haltewunsch grundsätzlich zu entsprechen hat,174 soll in den anderen Konstellationen regelmäßig kein strafbewehrtes Haltegebot entstehen. Daran zeigt sich die Dependenz der Beurteilung von den jeweiligen, konkret betroffenen Interessen. Deshalb wird die Problematik vielfach auch auf Ebene der Rechtswidrigkeit erörtert.175 Ferner führt das breite Spektrum an Fallkonstellationen dort zum Versagen einer Lösung über das tatbestandsausschließende Einverständnis176, wo dieses widerrufen wird oder nie bestand.177 Gleiches gilt für eine Lösung über die rechtfertigende Wirkung des zivilrechtlichen Beförderungsvertrages.178
169 Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (116); ebenso Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (635 f.), der darüber hinaus betont, dass die soziale Funktion und Erlaubtheit der Massenverkehrsmittel von den Vorstellungen Einzelner unabhängig bleiben müsse. 170 Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (635 f.). 171 Nipperdey, NJW 1957, 1777 (1778); Schaffstein, ZStW 72 (1960), 369 (373); wohl auch Welzel, Grundzüge1, S. 36, der die Freiheitsbeschränkungen als normal begreift. 172 Nipperdey, NJW 1957, 1777 (1778); Engisch, Idee der Konkretisierung, S. 140; dahingehend dürften auch Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 8 Rn. 31 zu verstehen sein, die darauf hinweisen, dass dieser Fall wohl noch kein Gericht beschäftigt haben dürfte. 173 Worauf Valerius, JA 2014, 561 (565) hinweist. 174 Schaffstein, ZStW 72 (1960), 369 (373 Fn. 12); Valerius, JA 2014, 561 (565). 175 Unter dem Stichwort der Sozialadäquanz als Rechtfertigungsgrund Klug, Festschrift Eb. Schmidt, S. 249 (264); als generelle Frage der Rechtfertigung Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (116 f.). Valerius, JA 2014, 561 (565 f.) hingegen zieht zur umfassenden Würdigung der betroffenen Interessen und Pflichten abseits drohender Gefahr die rechtfertigende Pflichtenkollision heran. 176 Wie sie etwa Fahl, JR 2009, 100 (103) und Kudlich, JuS 2005, 850 (851) vorschlagen. Diese Überlegung wird zudem genährt durch BGH NStZ 2005, 507 (508), worin thematisch explizit der Widerruf des Einverständnisses (allerdings lediglich bezüglich der Mitfahrt in einem Pkw) behandelt wird. 177 Dazu Mitsch, NZV 2013, 417 (419); Schaffstein, ZStW 72 (1960), 369 (373 Fn. 12); Valerius, JA 2014, 561 (565); Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (650 f.); Hoppe, Soziale Adäquanz, S. 52; H. Weber, Zivilrechtlicher Vertrag als Rechtfertigung, S. 76.
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Es zeigt sich, dass auch bezüglich der Freiheitsberaubung durch moderne Massenverkehrsmittel noch keine Einigkeit erzielt werden konnte.179 Zwar offeriert die jüngere Literatur zunehmend innovative Lösungen fernab der Sozialadäquanz. Eine durch großen Zuspruch gefestigte Ansicht, die das Problem gänzlich zu lösen verspricht, konnte sich dabei jedoch noch nicht herauskristallisieren. Zeitlich war die Umschreibung als sozialadäquat den meisten anderweitigen Lösungsversuchen indes vorgelagert. Damit wird der Eindruck genährt, die Figur der Sozialadäquanz verleihe zunächst dem Rechtsgefühl Ausdruck und gebe sodann Anlass zur genaueren, dogmatischen Analyse.180 (b) Unerhebliche Freiheitsbeschränkungen Vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit erfuhr demgegenüber die Bestrebung, auch „unerhebliche“ Freiheitsbeschränkungen als sozialadäquat aus dem Tatbestand der Freiheitsberaubung herauszufiltern.181 Hierfür besteht angesichts der herrschenden Interpretation von Rechtsprechung und Lehre allerdings auch kein Bedürfnis: Das Reichsgericht erachtete schon früh den vielzitierten Zeitraum eines „Vaterunsers“ jedenfalls für ausreichend, um eine Freiheitsberaubung anzunehmen.182 Dabei ging indes etwas unter, dass es zudem konstatierte, die Dauer des Zustandes (also des Eingesperrt-Seins) sei unbeachtlich.183 Vielmehr wurde sich darauf fokussiert, dass das Gericht die Frage aufwarf, ob bei einem minimalen Zeitraum bereits der Zustand der Unfreiheit und somit die Tatbestandsverwirklichung anzunehmen sei.184 In der Folge wurde diese Ausführung stets dahingehend ausgelegt, dass eine unerhebliche Beeinträchtigung nicht zur Annahme der Freiheitsberaubung genüge.185 Die Annahme, dass jedenfalls die Länge eines Vaterunsers ausreiche, wurde schließlich dahingehend verstanden, dass die Länge eines Vaterunsers nötig
178
Wie sie H. Weber, Zivilrechtlicher Vertrag als Rechtfertigung, S. 77 ff. allgemein und Mitsch, NZV 2013, 417 (420 f.) konkret erwägen; dagegen Fahl, JR 2009, 100 (103) und Valerius, JA 2014, 561 (565). 179 Vgl. nur die Darstellung über diverse Lösungsansätze bei Fahl, JR 2009, 100 (102 ff.). 180 So F. Knauer, ZStW 126 (2014), 844 (856) mit seiner Umschreibung als „Zwischenlager der Strafrechtsdogmatik“, welches als Indiz der beginnenden Verrechtlichung diene. 181 So aber Altermann, Festschrift Eisenberg, S. 233 (241); Welzel, Grundzüge11, S. 56. 182 Erstmalig RGSt 7, 259 (260 f.); vgl. auch RGSt 33, 234 (235 f.). 183 RGSt 7, 259 (260): „[…] und es kann weder darauf ankommen, wie lange der Zustand der Unfreiheit, des Eingesperrtseins, gedauert hat […].“; ähnlich auch BGHSt 14, 314 (315): „Daß die Einschließung nicht sehr lange dauerte, ist unerheblich“. 184 RGSt 7, 259 (260 f.). 185 BGH NStZ 2003, 371; NStZ-RR 2003, 168; NStZ 2010, 515 (516); Jäger, BT, Rn. 112; Rengier, BT II, § 22 Rn. 13; BeckOK-StGB/Valerius, § 239 Rn. 13; LK/Schluckebier, § 239 Rn. 20; MK-StGB/Wieck-Noodt, § 239 Rn. 17; NK-StGB/Sonnen, § 239 Rn. 19; Schönke/ Schröder/Eisele, § 239 Rn. 4; SK-StGB/Horn/Wolters, § 239 Rn. 4.
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sei.186 Somit wurde dem Tatbestand letztlich, ohne tiefere, dogmatische Verortung, eine Erheblichkeitsschwelle187 implementiert. Das Ansinnen der Anhänger der Lehre von der Sozialadäquanz wurde somit in den Tatbestand überführt und in den Rahmen dessen Auslegung verfrachtet. Die Nähe zu der für die Beurteilung als sozialadäquat nötigen, wertenden Betrachtung zeigt sich darüber hinaus an Stimmen, die in das Urteil über die Erheblichkeit nicht nur die Dauer, sondern auch die Intensität des Eingriffs in die Fortbewegungsfreiheit mit einbeziehen.188 Eine Beurteilung der Intensität verlangt wiederum nach einem wertenden Maßstab, der auf den Vorstellungen der Gesellschaft fußt. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass das Kriterium der Intensität neben dem der Dauer, welches seinerseits jedenfalls im Rahmen von § 239 Abs. 3 Nr. 1 StGB gesetzlichen Niederschlag gefunden hat, herangezogen werden soll und damit einen eigenen Aussagegehalt neben der rein temporären Betrachtung erlangt. Faktisch wird somit bereits im Tatbestand ein gewisses Unrechtsurteil vorweggenommen, dass sich aus Zeit und Intensität der Einwirkung zusammensetzt. Unerhebliche Beeinträchtigungen werden demnach, wie einst von den Anhängern der Sozialadäquanz gefordert, bereits im Tatbestand ausgeschieden. (c) Akte der Strafverfolgung Darüber hinaus wurden bisweilen auch die Folgen staatlichen Handelns, wie etwa Freiheitsentziehungen durch Akte der Strafvollstreckung, als sozialadäquat zu begreifen versucht.189 Zum Teil beruht diese Auffassung auf dem Verständnis, die Rechtfertigungsgründe würden alltägliche, sozialadäquate Handlungen, die nicht erheblich aus der Ordnung des sozialen Lebens herausfallen, umschreiben.190 Andernorts liegt dieser Ansicht eine Abwägung zugunsten der höherwertigen Interessen des Staates unter anderem an Aufklärung und Aburteilung von Straftaten zugrunde.191 Damit wird kein allgemeiner Erlaubnissatz für Beschränkungen infolge von Freiheitsberaubungen oder Hausfriedensbrüchen angeführt, sondern eine Rechtfer186
Mit diesem Verständnis explizit Jäger, BT, Rn. 112; Rengier, BT II, § 22 Rn. 14; vgl. ferner MK-StGB/Wieck-Noodt, § 239 Rn. 17. 187 Unter dem Aspekt der Bagatellgrenze aufgeführt von LK11/Träger/Schluckebier, § 239 Rn. 18; Kindhäuser, BT I, § 15 Rn. 17. Von einer Erheblichkeitsschwelle sprechen NK-StGB/ Sonnen, § 239 Rn. 19 (der freilich an dieser Erheblichkeitsschwelle explizit Bagatellen auszuscheiden versucht) und Rengier, BT II, § 22 Rn. 13 f. Dagegen verlangt Arzt/Weber/Heinrich/ Hilgendorf/Hilgendorf, § 9 Rn. 24 f. einen „relativ empfindlichen Eingriff“, der etwa im Falle der „Balgerei“ nicht vorliege. 188 BGH NStZ 2005, 507 (508); NK-StGB/Sonnen, § 239 Rn. 19; Schönke/Schröder/Eisele, § 239 Rn. 4; Rengier, BT II, § 22 Rn. 14. 189 Schaffstein, Festschrift OLG Celle, S. 175 (184); Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (114 f.); Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (529 Fn. 55). 190 So Schaffstein, Festschrift OLG Celle, S. 175 (184), der insofern von Weber, Festschrift Mezger, S. 183 (187 ff.), der alle Rechtfertigungsgründe als Fälle sozialadäquaten Verhaltens begreift, präzisiert. 191 Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (114 f.).
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tigung über das Prinzip der Sozialadäquanz ersucht. Die Figur der sozialen Adäquanz fungiert demnach diesbezüglich interessenabwägend als Rechtfertigungsgrund. (2) Nötigung (a) Verwerflichkeitsklausel Besondere Beachtung erfuhr die Lehre von der Sozialadäquanz im Rahmen der Nötigung. Deren dortiger Einfluss führte mitunter dazu, die in § 240 Abs. 2 StGB normierte, sogenannte Verwerflichkeitsklausel als positivrechtlichen Anwendungsfall der Lehre der Sozialadäquanz zu begreifen.192 Diese Auffassung korrelierte mit der der Verwerflichkeitsklausel zugeschriebenen Funktion, sozialadäquate Verhaltensweisen auszuscheiden und nur sozialinadäquates Verhalten der Strafhaftung zu unterstellen.193 Auch heute spiegelt sich diese Intention in der Interpretation der Klausel wider: bisweilen wird die Ausscheidung sozialadäquater Verhaltensweisen noch immer explizit als Funktion der Verwerflichkeitsklausel genannt.194 Andernorts steht seit jeher die Beurteilung des Täterverhaltens als sozialwidrig oder sozial unerträglich im Fokus.195 Mit dem Rekurs auf die Sozialwidrigkeit des Verhaltens liegt die Nähe zur Sozialadäquanz zum Greifen nahe: die Umschreibung der Sozialwidrigkeit kommt ohne den der Sozialadäquanz immanenten Rückgriff auf die Wertanschauungen der Gesellschaft kaum aus. Maßgeblich für die Beurteilung der Sozialwidrigkeit soll für den Richter zudem das Rechtsempfinden des Volkes sein.196 Dieser Verweis konstatiert die Bedeutung, die der für die Sozialadäquanz typischen Bewertung nach der sozialen Ordnung und gesellschaftlichen Beurteilung zukommt. Damit fehlen zwangsläufig begriffliche Konturen der Verwerflichkeit, was sich nicht zuletzt an
192 Maurach/Zipf, AT, § 24 Rn. 9; Würtenberger, Festschrift Rittler, S. 125 (134 f.); Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (652 f.); Hoppe, Soziale Adäquanz, S. 101. Umfassend und letztlich anderer Ansicht Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (117 ff.). 193 Maurach/Zipf, AT, § 24 Rn. 9; Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (652 f.). Fahl, JR 2017, 405 (410) hält insofern fest, dass sozialadäquates Verhalten niemals verwerflich sei. 194 BGHSt 35, 270 (275 f.); BeckOK-StGB/Valerius, § 240 Rn. 44, 48; Fischer, § 240 Rn. 38. 195 BGHSt 17, 328 (331 f.); 18, 389 (391); 35, 270 (275 f.); jüngst BGH NJW 2014, 401 (403); OLG Köln NJW 1986, 2443 (2443 f.); OLG Stuttgart NStZ 1988, 129; MK-StGB/Sinn, § 240 Rn. 123 ff. m.w.N.; Schönke/Schröder/Eisele, § 240 Rn. 18; Eisele, BT I, Rn. 489; Jakobs, JZ 1986, 1063 (1064 f.); Küper, JZ 2013, 449 (450); Roxin, JuS 1964, 373 (374 f.); vgl. ferner NK-StGB/Toepel, § 240 Rn. 147. 196 BGHSt 1, 84 (86 f.), wonach nach altem Grundsatz rechtsstaatlicher Strafrechtspflege das Rechtsempfinden des Volkes (nicht gleichzusetzen mit dem bis 1953 geltenden Wortlaut der Norm, dem Maßstab des gesunden Volksempfindens) den Maßstab der Abgrenzung bildet; dieser Verweis auf das Rechtsempfinden des Volkes wurde auch nach der Gesetzesänderung bemüht, so etwa BGHSt 5, 254 (256); 17, 328 (331); kritisch aber LK/Altvater, § 240 Rn. 95.
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den zahlreichen Fallgruppen zeigt, mit denen versucht wird, ihr Fassung zu verleihen.197 Ungeachtet der systematischen Einordnung der Verwerflichkeitsklausel198 besteht jedenfalls Einigkeit, dass sie als Korrektiv des (zu) weit gefassten Tatbestands dient.199 In der Folge bildet die Kompensation der defizitären tatbestandlichen Unrechtsbeschreibung über subjektive, richterliche Auslegung im Zusammenspiel mit der Berücksichtigung kasuistischer, außerrechtlicher Kriterien, Anlass für Kritik.200 Auch diese ähnelt stark den Vorwürfen gegenüber der Sozialadäquanz. Insbesondere der Rekurs auf außerrechtliche Kriterien gilt ebenfalls als Hauptkritikpunkt der sozialadäquaten Betrachtung.201 Die Beurteilung der Verwerflichkeit bedient sich somit nicht nur den der Sozialadäquanz identen Kriterien, sondern sieht sich dementsprechend auch der kongruenten Kritik ausgesetzt. Den Stimmen, die die Verwerflichkeitsklausel als positivrechtlichen Anwendungsfall der Sozialadäquanz bezeichnen, ist daher zumindest zuzugeben, dass die Klausel mit den Wertungen der Sozialadäquanz ausgefüllt wird. Dementsprechend kommt auch außerrechtlichen Gesichtspunkten, namentlich solchen, die der sozialen Ordnung entstammen, ein hoher Stellenwert zu. Die begriffliche Unklarheit wird dabei mit zahlreichen Fallgruppen zu korrigieren versucht. Eine enge inhaltliche Nähe zur Sozialadäquanz ist damit schwerlich zu leugnen. (b) Sozialadäquate Drohungen Die Lehre von der Sozialadäquanz wird nicht nur im Rahmen der Verwerflichkeitsklausel,202 sondern vielmehr auch bezüglich der Drohung mit einem empfindlichen Übel erörtert. So soll das Androhen einer Bagatelle, wozu reine Unannehmlichkeiten gerechnet werden, „nach allgemeinen Grundsätzen als noch sozialadäquat“203 keine Strafbarkeit nach sich ziehen.204 Als Beispiele werden etwa die
197 Die mangelnden Konturen kritisieren etwa Lackner/Kühl/Heger, § 240 Rn. 18; LK/ Altvater, § 240 Rn. 113 ff.; MK-StGB/Sinn, § 240 Rn. 116; Art. Kaufmann, Über Gerechtigkeit, S. 187. Vgl. die Fallgruppen bei LK/Altvater, § 240 Rn. 117 ff.; MK-StGB/Sinn, § 240 Rn. 135 ff. 198 Dazu etwa NK-StGB/Toepel, § 240 Rn. 137 ff.; Sinn, Die Nötigung, S. 314 ff. m.w.N. 199 BVerfGE 73, 206 (238 ff.); BGH NJW 1991, 971; 1992, 2688 (2689); Fischer, § 240 Rn. 40; LK/Altvater, § 240 Rn. 93; MK-StGB/Sinn, § 240 Rn. 115 f.; NK-StGB/Toepel, § 240 Rn. 137 f.; Schönke/Schröder/Eisele, § 240 Rn. 15; Eisele, BT I, Rn. 488. 200 AG Hagen MDR 1985, 601 f.; MK-StGB/Sinn, § 240 Rn. 116 f.; Eisele, BT I, Rn. 488; Amelung, NJW 1995, 2584 (2589); Calliess, NJW 1985, 1506 (1506 ff.). Nährboden erhält diese Kritik durch die Formulierung des Großen Senates für Strafsachen, wonach der Richter „an Stelle des Gesetzgebers“ durch unmittelbare Wertung zu entscheiden habe, ob die konkrete Nötigung strafbar sei, BGHSt 2, 194 (195 f.). 201 Eingehend dazu Kapitel C. III. 2. 202 Siehe soeben, Kapitel B. II. 1. a) cc) (2) (a). 203 NK-StGB/Toepel, § 240 Rn. 103.
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angedrohte Exkommunizierung durch die katholische Kirche für den Falle der unterbleibenden katholischen Taufe der Kinder oder der Abbruch einer Freundschaft genannt.205 Während dies zum Teil auf die Sozialadäquanz zurückgeführt wird, besteht dafür nach herrschender Ansicht indes kein Bedürfnis, da dem Kriterium der Empfindlichkeit des Übels diese Filterfunktion obliege.206 Jüngst wurde darüber hinaus mit einer bereichsspezifischen Sozialadäquanz für anwaltliche Drohungen ein neuartiger Anwendungsbereich vorgeschlagen.207 Demnach sollen Androhungen eines Anwalts, etwa um der Durchsetzung eines Anspruchs mehr Nachdruck zu verleihen, als sozialadäquat kein Übel darstellen, sodass die Strafbarkeit bereits in objektiver Hinsicht einzuschränken sei.208 Maßgeblich hierfür sei, dass das Inaussichtstellen derartiger Nachteile das alltägliche, elementare Handwerkszeug des Anwalts darstelle.209 Die proklamierte Abkehr von der Lehre der Sozialadäquanz erfolgt also auch bezüglich dieses Anwendungsbereiches nicht. Vielmehr scheint der Verweis auf sozialadäquates Verhalten hier selbsterklärend begriffen zu werden. So wird in diesem Fall wiederum die Lösung eines neu aufgeworfenen, strafrechtlichen Problems mittels des Rekurses auf die Sozialadäquanz versucht. Dies erscheint indes umso verwunderlicher, da zum einen mit dem Merkmal der Empfindlichkeit, zum anderen aber mit der Verwerflichkeitsklausel, zwei normierte Strafbarkeitsfilter bereitstehen. Dabei arbeitet das Kriterium der Verwerflichkeit zudem mit der Sozialadäquanz vergleichbaren Erwägungen.210 Den Grund für den Ruf nach Sozialadäquanz bildet jedoch die den entsprechenden Stimmen zugrundeliegende Einordnung dieses Prinzips als objektives Tatbestandskorrektiv, sodass – entgegen einer Verortung der Frage innerhalb des Rahmens der Verwerflichkeit – eine Strafbarkeit unabhängig von subjektiven Kriterien ausscheiden müsste.211 204 Hoppe, Soziale Adäquanz, S. 102 f., der dazu jedoch auf das der Verwerflichkeitsprüfung immanente Kriterium der Konnexität zurückgreift, darüber hinaus aber konstatiert, der Gesetzgeber greife zur Tatbestandsbildung sachlich auf das Prinzip der Sozialadäquanz zurück; Welzel, Grundzüge1, S. 36; vgl. ferner Pelke, Übel und Vorteil, S. 133 ff., der zur Klassifizierung als Übel nach dem sozialen Sinngehalt fragt. Vgl. zudem zu § 253 StGB RGSt 72, 75 (76), wonach „die verkehrsübliche Abkehr von geschäftlichen Beziehungen“ kein Übel darstelle. 205 Hoppe, Soziale Adäquanz, S. 104. 206 BGHSt 44, 251 (252); BGH NJW 1976, 760; NStZ 1982, 287; BeckOK-StGB/Valerius, § 240 Rn. 37; Fischer, § 240 Rn. 32 f.; MK-StGB/Sinn, § 240 Rn. 71, 76 f. 207 Becker, NStZ 2014, 149 (155); Eidam, HRRS 2014, 129 (130 f.); der Ursprung dieser Auffassung findet sich indes bereits bei Hoppe, Soziale Adäquanz, S. 104, der jedoch selbst auf Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zur Verwerflichkeit verweist. 208 Becker, NStZ 2014, 149 (155); Eidam, HRRS 2014, 129 (130 f.). 209 Becker, NStZ 2014, 149 (155); Donath/Mehle, NJW 2009, 2363 (2363); Eidam, HRRS 2014, 129 (130 f.); Tsambikakis, NJW 2014, 406 (407). 210 Vgl. Kapitel B. II. 1. a) cc) (2) (a). 211 Dazu Becker, NStZ 2014, 149 (155), der unangemessene Geschäftspraktiken in der Folge zivil- oder berufsrechtlich ahnden möchte; Eidam, HRRS 2014, 129 (131), der festhält,
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B. Entwicklung und Bedeutung der Sozialadäquanz
(3) Sittlichkeitsdelikte Im Bereich der früheren Sittlichkeitsdelikte212 wurde die Sozialadäquanz herangezogen, um Zudringlichkeiten innerhalb des verkehrsmäßig Zulässigen von der Strafbarkeit auszunehmen.213 Damit sollten Handlungen, die zwar „auf Sinneslust beruhen“, die Grenzen des gesellschaftlich Anerkannten aber nicht verlassen, unbestraft bleiben.214 Beispiele wurden nicht gereicht. Es ist aber davon auszugehen, dass auch diesbezüglich dem jeweiligen Tatbestand eine Erheblichkeitsschwelle über die Figur der Sozialadäquanz zu etablieren versucht wurde. Angesichts des Bewusstseins der Gesellschaft im Umgang mit der sexuellen Selbstbestimmung215 scheint die Idee des sozialadäquaten Verhaltens in diesem Bereich allerdings kaum Zustimmung216 erfahren zu haben. Umso bemerkenswerter ist demgegenüber, dass die Sozialadäquanz sexuellen „Anbahnungsverhaltens“ sodann Eingang in den Gesetzentwurf zur Verbesserung des Schutzes vor sexueller Misshandlung und Vergewaltigung fand.217 Dort fungiert sie wie selbstverständlich zur Umschreibung straflosen Verhaltens, also als Gegenbegriff zur Strafbarkeit. Dieses Verständnis teilt auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme218, hält er doch fest, dass „vollkommen sozialadäquate Verhaltensweisen“ zu keiner strafrechtlichen Verurteilung führen würden. Tatsächlich bereitet der weit gezogene Anwendungsbereich des neuen Sexualstrafrechts Sorgen hinsichtlich der Grenzziehung des strafwürdigen Verhaltens,219 in der Literatur wird aber auf den Begriff der sozialadäquaten Verhaltensweisen (noch) verzichtet. Damit bleibt fraglich, ob die Ausklammerung sozialadäquater Handlungen im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens einer begrifflichen Ungenauigkeit geschuldet, oder aber als klares Bekenntnis zur Selbstverständlichkeit der Sozialadäquanz als Gegenbegriff zur Strafbarkeit zu werten ist.
dass so den subjektiven Erwägungen des Angeklagten keinerlei argumentatives Gewicht mehr zukäme. 212 Im grundlegenden Sinne des 13. Abschnitts des Strafgesetzbuchs des Deutschen Reichs von 1871. Zur Geschichte des Sexualstrafrechts NK-StGB/Frommel, § 177 Rn. 1 ff. 213 Schaffstein, ZStW 72 (1960), 369 (374); Welzel, Grundzüge11, S. 431. 214 Zunächst sollten diese nicht rechtswidrig (Welzel, Grundzüge5, S. 338), später (Welzel, Grundzüge11, S. 431) nicht vom Tatbestand erfasst sein. 215 Zum gestiegenen Opferschutzbedürfnis MK-StGB/Renzikowski, Vor §§ 174 ff. Rn. 2 ff.; NK-StGB/Frommel, Vor §§ 174 ff. Rn. 9 f. 216 Ablehnend etwa Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (90). 217 Vgl. BT-Drucks. 18/5384, S. 2, wonach „sozialadäquates sexuelles Anbahnungsverhalten“ nicht kriminalisiert werden solle. 218 BT-Drucks. 18/8626, S. 4. 219 Insbesondere sozial üblicher Handlungen, siehe Hörnle, NStZ 2017, 13 (15 ff.) und Renzikowski, NJW 2016, 3553 (3554 ff.).
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dd) Straftaten gegen die Ehre (1) Beleidigungsfreie Sphäre Auch im Rahmen der Straftaten gegen die Ehre hielt die Sozialadäquanz Einzug. So wurden – vorrangig am Beispiel der Beleidigung nach § 185 StGB – Äußerungen im engsten Familienkreis als sozialadäquat und damit nicht strafbar begriffen.220 Demnach entspreche es unserer sozialethischen Ordnung, sich im Kreise der Familie durch ungezwungenes Aussprechen der alltäglichen Ärgernisse seiner Sorgen zu entledigen.221 Die Ursprünge des Gedankens der Straffreiheit von Beleidigungen im engen Familienkreise reichen weit zurück. So wurde bereits im 19. Jahrhundert testiert, dass der Gesetzgeber nicht in diese intime Sphäre eingreifen wolle.222 Maßgeblich hierfür war zuvorderst die Wahrung des Familienfriedens. Das Reichsgericht nahm demgegenüber eine Strafbarkeit an, schließlich lasse sich auch bei Beleidigungen innerhalb der Familie entgegen der gebotenen Selbstzucht eine Kundgabe der Schmach nicht leugnen.223 Heute herrscht entgegen der damaligen Judikatur Einigkeit, dass ehrenrührige Äußerungen über Dritte im engsten Kreise der Familie grundsätzlich keine Strafbarkeit nach sich ziehen.224 Während das Ergebnis der beleidigungsfreien Sphäre damit weitgehend anerkannt ist, herrscht um dessen dogmatische Grundlage noch immer Unklarheit.225 So werden von mangelnder Kundgabe226 über fehlenden Kundgabevorsatz227 und einer teleologischen Reduktion des Kundgabebegriffs228
220 LK11/Jescheck, Vor § 13 Rn. 49; Schaffstein, ZStW 72 (1960), 369 (375 f.); Hoppe, Soziale Adäquanz, S. 99 f.; Welzel, Grundzüge1, S. 36; ferner Roxin, Festschrift Klug, S. 303 (312) unter dem Stichpunkt der sozial allgemein tolerierten Handlung, die durch teleologische Auslegung gewonnen wird; ähnlich auch Kohler, GA 1900, 1 (20), der auf das Sittengebot verweist. Den Gedanken, auch hier den rechtsfreien Raum heranzuziehen, greift Engisch auf, verwirft ihn aber sogleich selbst, vgl. Engisch, GA 1957, 326 (328 ff.). 221 Kohler, GA 1900, 1 (20 f.); Hoppe, Soziale Adäquanz, S. 100. 222 Berner, Lehrbuch, S. 487; Köstlin, Abhandlungen, S. 37. 223 RGSt 71, 159 (163 ff.); RG GA 1913, 440 (440 f.). 224 BVerfGE 90, 255 (259 ff.) mit zustimmender Anmerkung Wasmuth, NStZ 1995, 100 (101); BVerfG NJW 2007, 1194 (1195); BeckOK-StGB/Valerius, § 185 Rn. 34; Lackner/Kühl/ Kühl, § 185 Rn. 9; LK/Hilgendorf, § 185 Rn. 11 f.; NK-StGB/Zaczyk, Vor § 185 Rn. 37; Jäger, BT, Rn. 147; Kindhäuser, BT I, § 22 Rn. 15 ff.; Wessels/Hettinger/Engländer, BT 1, Rn. 537 ff.; Hillenkamp, Festschrift Hirsch, S. 555 (571 ff.). 225 BVerfGE 90, 255 (261); BVerfG NJW 2007, 1194 (1195); BeckOK-StGB/Valerius, § 185 Rn. 34; Wolff-Reske, Jura 1996, 184 (184). 226 OLG Oldenburg, GA 1954, 284; NK-StGB/Zaczyk, Vor § 185 Rn. 38; Jäger, BT, Rn. 147; U. Hansen, JuS 1974, 104 (106); Tenckhoff, JuS 1998, 787 (788). 227 Leppin, JW 1937, 2886 (2887); Vahle, DVP 2009, 137 (138). 228 Eisele, BT I, Rn. 598; Rengier, BT II, § 28 Rn. 23 f.; Engisch, GA 1957, 326 (331 f.).
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oder des Tatbestands229 bis hin zur Rechtfertigung nach § 193 StGB230 zahlreiche Lösungsmöglichkeiten offeriert. Die Figur der Sozialadäquanz findet sich unter den jüngeren Vorschlägen indes nicht mehr. Sie scheint somit auch hier eine erste Annäherung an ein gegebenes Problem gewesen zu sein, die den Startschuss für weitere dogmatische Untersuchungen darstellte. Darüber hinaus zeigt sich aber auch an den jüngeren Lösungsmodellen, dass die die Sozialadäquanz prägende Beziehung zum sozialen Bereich auch weiterhin oftmals im Zentrum der Überlegungen steht. So wird dem Argument des menschlichen Bedürfnisses nach freier Mitteilung und Kommunikation im sozialen Nahbereich zum Zwecke der Selbstentfaltung große Aufmerksamkeit zuteil.231 Andernorts rückt eine normative Bestimmung des Rechtsguts aufgrund dessen sozialer Komponente in den Fokus.232 Ferner wird die ausbleibende Verletzung des sozialen Achtungsanspruchs bemüht.233 Damit ist der Einfluss der sozialadäquaten Betrachtung weiterhin spürbar. (2) Beleidigungen an Karneval Vereinzelt wird die Figur der Sozialadäquanz darüber hinaus rund um den Karneval aufgegriffen. Demnach sollen etwa in Karnevalszeiten übliche Beleidigungen zu dieser Zeit sozialadäquat und damit straffrei sein.234 Eine weitere Begründung wird indes nicht genannt. Eine Parallele zur heutigen Anerkennung der straffreien Sphäre wird indes bereits daran scheitern, dass die Mitteilung den sozialen Nahbereich verlässt. Auch scheint eine diesbezügliche, normativ begründete anderweitige Rechtsgutsbestimmung oder gar die ausbleibende Verletzung des sozialen Achtungsanspruchs schwerlich zu begründen zu sein. Schließlich erfährt die karnevalstypische Beleidigung ihren Wert gerade durch den Bezug auf und das Spiel mit fremden Achtungsansprüchen. Anderweitige, pauschale Lösungsvorschläge dieser Problematik finden sich bisweilen nicht. Daher scheint der überwiegende Part der Literatur für übliche Beleidigungen an Karneval keine generelle Ausnahme der Strafbarkeit zu befürworten, sondern die konkreten Fälle dem üblichen Zusam-
229 Fischer, § 185 Rn. 12b; Schönke/Schröder/Eisele/Schittenhelm, Vor §§ 185 ff. Rn. 9a.; Hillenkamp, Festschrift Hirsch, S. 555 (571 f.); ders., JuS 1997, 821 (825 f.). 230 LK/Hilgendorf, § 185 Rn. 14; Schmidhäuser, BT, S. 63 f.; vgl. Fischer, § 185 Rn. 12b, der dies als wohl herrschende Meinung betrachtet. 231 Vgl. BVerfGE 90, 255 (260); MK-StGB/Regge/Pegel, Vor §§ 185 ff. Rn. 60; Schönke/ Schröder/Eisele/Schittenhelm, Vor §§ 185 ff. Rn. 9a; Eisele, BT I, Rn. 598; Rengier, BT II, § 28 Rn. 24; Wessels/Hettinger/Engländer, BT 1, Rn. 541 f.; Hillenkamp, Festschrift Hirsch, S. 555 (571 f.). 232 NK-StGB/Zaczyk, Vor § 185 Rn. 38. 233 OLG Oldenburg, GA 1954, 284; MK-StGB/Regge/Pegel, Vor §§ 185 ff. Rn. 62; Engisch, GA 1957, 326 (331 f.); Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (129). 234 Klug, Festschrift Eb. Schmidt, S. 249 (264); Wolski, Soziale Adäquanz, S. 61.
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menspiel aus Kunst- und Meinungsfreiheit einerseits sowie dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen andererseits zu überantworten.235 ee) Straftaten gegen den persönlichen Geheimbereich Im Rahmen der Straftaten gegen den persönlichen Geheimbereich erfuhr die Sozialadäquanz im Zuge des Streits um IT-Outsourcing für Berufsgeheimnisträger Erwähnung. In diesem Kontext war lange Zeit umstritten, ob das Outsourcen von ITLeistungen bzw. das Verbringen von Daten auf externe Server Dritter durch Berufsgeheimnisträger der Strafbarkeit gemäß § 203 StGB a.F. unterfällt.236 Während zahlreiche Autoren für eine Strafbarkeit plädierten,237 lehnte eine etwa ebenso große Anzahl eine solche unter Einhaltung gewisser Prämissen ab.238 Der Negation der Strafbarkeit lag zumeist eine systematisch begründete Lösung des Problems zugrunde, im Rahmen derer externe Dienstleister als Gehilfen im Sinne des § 203 Abs. 3 StGB a.F. begriffen und somit dem geschützten Geheimnisbereich zugeordnet wurden. Eine Mitteilung etwaiger Geheimnisse an den Dienstleister sollte damit als Weitergabe im Kreise der zum Wissen Berufenen gelten und folglich keine Strafbarkeit nach sich ziehen.239 Im Zuge der Neuregelung des Geheimnisschutzes bei der Mitwirkung Dritter an der Berufsausübung schweigepflichtiger Personen wurde nunmehr in § 203 Abs. 3 S. 2 StGB eine Norm geformt, die darauf abzielt, dem Disput ein Ende zu setzen und Berufsgeheimisträgern die Nutzung von IT-Outsourcing künftig eindeutig zu ermöglichen.240 Insofern dürfte daher kein Bedürfnis mehr bestehen, zur Begründung der Straffreiheit die Figur der Sozialadäquanz heranzuziehen. Noch vor der Neugestaltung des § 203 StGB und der Lösung über den Kreise der zum Wissen Berufenen wurde versucht, den Weg zur Straffreiheit nicht über die Gesetzessystematik, sondern die Sozialadäquanz zu beschreiten.241 Demnach wäre 235
Vgl. hierzu BVerfGE 93, 266 (295 f.); BayObLG JR 1998, 384 (386); OLG München NJOZ 2010, 1577 (1581); BeckOK-StGB/Valerius, § 185 Rn. 31 ff.; MK-StGB/Regge/Pegel, § 185 Rn. 9, 18; Gounalakis, NJW 1995, 809 (812 ff.); Grimm, NJW 1995, 1697 (1700 f.). 236 Dazu Ruppert, StraFo 2016, 329 (331 ff.) und Schuster, medstra 2015, 280 (282). 237 Fischer, § 203 Rn. 21; SK-StGB8/Hoyer, § 203 Rn. 48; Trüg/Mansdörfer, in: Hilber: Handbuch Cloud-Computing, Teil 7 Rn. 74; Kroschwald/Wicker, CR 2012, 758 (763); Schelzke, HRRS 2013, 86 (87 ff.); differenzierend Satzger/Schluckebier/Widmaier/Bosch, § 203 Rn. 28. 238 Cornelius, StV 2016, 380 (387); Heghmanns/Niehaus, NStZ 2008, 57 (58); Lensdorf/ Mayer-Wegelin/Mantz, CR 2009, 62 (63); Ruppert, StraFo 2016, 329 (333 ff.); Schuster, medstra 2015, 280 (283 f.). 239 So Heghmanns/Niehaus, NStZ 2008, 57 (59); Jahn/Palm, AnwBl 2011, 613 (621); Kort, NStZ 2011, 193 (194); Otto, wistra 1999, 201 (205); Ruppert, StraFo 2016, 329 (333 ff.); Schuster, medstra 2015, 280 (283 f.). 240 BT-Drucks. 18/11936, S. 28; dazu Hoeren, MMR 2018, 12 (13 ff.) und Ruppert, K&R 2017, 609 (611 f.). 241 Meier, Gesundheitsdaten, S. 158 f.
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B. Entwicklung und Bedeutung der Sozialadäquanz
der Wortlaut der Norm, der ein Offenbaren vorsah, auch bei der Weitergabe an Personen innerhalb der Organisationshoheit etwa des Arztes erfüllt gewesen. Nach dem Sinn des § 203 StGB bestünde jedoch kein Strafbedürfnis und das Verhalten sei nicht vom Gesetz zu missbilligen, sodass derartige Offenbarungen innerhalb des Kreises der zum Wissen Berufenen sozialadäquat seien.242 Auch unbesehen dieses Versuchs wurde die soziale Adäquanz innerhalb dieses Problemkreises vereinzelt bemüht, wenngleich lediglich, um klarzustellen, dass externes Cloud Computing bei Rechtsanwälten auch angesichts der Änderung des § 2 Abs. 3c BORA „noch nicht sozialadäquat“243 sei. In diesem Hinweis liegen indes doch zweierlei Erkenntnisse. Zum einen zeigt sich daran, dass der Sozialadäquanz durchaus die Funktion zugestanden wird, Einfluss auf die rechtliche Beurteilung eines Verhaltens auszuüben. Insbesondere der Hinweis auf die noch nicht gegebene Sozialadäquanz verdeutlicht, dass mit der Anerkennung als sozialadäquat eine andere strafrechtliche Beurteilung geboten wäre. Zum anderen ergibt sich aus dem Gesamtkontext das Bild, dass der Terminus sozialadäquat als Antonym zu strafbar begriffen wird. Die originäre Funktion der Figur der Sozialadäquanz scheint damit um eine deskriptive Komponente ergänzt zu werden, die als Antithese zum Begriff der Strafbarkeit fungieren soll. Bisweilen soll die in Rede stehende Rechtsfigur darüber hinaus auch im Rahmen der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes im Sinne des § 201 StGB einen entscheidenden Faktor des Strafbarkeitsurteils darstellen. So sei in Fällen der Sozialadäquanz, wie etwa beim Abhören kleiner Kinder zu Obhutszwecken, der Tatbestand auszuschließen.244 Ferner sei im Rahmen üblich gewordener Aufnahmen, beispielsweise bei telefonischen Durchsagen oder Börsennachrichten, eine Strafbarkeit ausgeschlossen.245 Eine weitere Begründung wird indes nicht angeführt. Dies ist zum einen darauf zurückzuführen, dass die Schreie kleiner Kinder in der Regel nicht als gesprochenes Wort im Sinne von § 201 StGB aufzufassen sind.246 Zum anderen beruht die ausbleibende Rezeption dieser Meinung auf der allgemeinen Lösung dieser Frage mittels der Grundsätze der Einwilligung.247 Nicht zuletzt daran lässt sich auch die praktisch geringe Relevanz der diesbezüglichen Beispiele erkennen. Die Bedeutung der Figur der Sozialadäquanz, die die Mehrheit an Stimmen in der Literatur allgemein abzusprechen versucht,248 lässt sich somit auch im Bereich der Straftaten gegen den persönlichen Geheimbereich schwerlich gänzlich leugnen. Eine 242
Meier, Gesundheitsdaten, S. 158 f. So explizit Cornelius, StV 2016, 380 (390). 244 Fischer, § 201 Rn. 11; vgl. OLG Karlsruhe NJW 1979, 1513 (1514), wenngleich eine dogmatische Einordnung hier nicht erfolgt; vgl. ferner Altermann, Festschrift Eisenberg, S. 233 (240). 245 OLG Karlsruhe NJW 1979, 1513 (1514). 246 Vgl. BeckOK-StGB/Heuchemer, § 201 Rn. 3; Schönke/Schröder/Eisele, § 201 Rn. 5. 247 Zu der zunehmenden Annahme einer mutmaßlichen Einwilligung etwa MK-StGB/Graf, § 201 Rn. 41 f. und Schönke/Schröder/Eisele, § 201 Rn. 30. 248 Vgl. insbesondere Fn. 5. 243
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Aufwertung erfährt sie hier zudem durch das Verständnis als begrifflicher Antagonist der Strafbarkeit. b) Straftaten gegen die Allgemeinheit aa) Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen Auch in die Erwägungen bezüglich der Straftaten gegen die Allgemeinheit findet die Sozialadäquanz Eingang. So soll etwa das Tragen von Uniformen oder Führen von Titeln bei Theateraufführungen, Filmaufnahmen, Umzügen und Maskeraden aufgrund dessen sozialer Adäquanz keine Strafbarkeit nach § 132a StGB nach sich ziehen.249 Vielmehr seien die Wertvorstellungen der Gesellschaft als Befugnis zu begreifen,250 wobei eine weitergehende Begründung unterbleibt. Demgegenüber lehnt die herrschende Ansicht eine Strafbarkeit in derart gelagerten Fällen ab, wenn erkennbar ist, dass das Tragen der bloßen Maskerade dient bzw. die Interessen der Allgemeinheit erkenntlich nicht gefährdet sind.251 Schließlich fehle es dann an der Eignung, die Allgemeinheit irrezuführen. Die Negation der Strafbarkeit wird damit auf das geschützte Rechtsgut und eine an diesem orientierte Tatbestandsauslegung zurückgeführt. bb) Verstrickungsbruch Im Rahmen des Verstrickungsbruchs wird die Sozialadäquanz bisweilen herangezogen, um dem Gerichtsvollzieher nur ganz unerheblich erschwerte Zugriffe auf gepfändete Sachen von der Strafbarkeit auszunehmen.252 Andernorts werden rechtmäßige Aufhebungen der Pfändung durch den Gerichtsvollzieher als sozialadäquat verstanden.253 Weitere Begründungen werden indes nicht dargebracht. Damit soll die Sozialadäquanz nach diesen Stimmen zum einen als Erlaubnissatz für den Gerichtsvollzieher fungieren, zum anderen aber wiederum eine Erheblichkeitsschwelle implementieren. Auch hier hilft sich die Mehrheit der Literatur da249 Hoppe, Soziale Adäquanz, S. 120; vgl. F. Knauer, ZStW 126 (2014), 844 (850). Dagegen greift Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (131 f.) den Gedanken der Sozialadäquanz zwar auf, negiert aber bereits zuvor den Tatbestand. Auch Ebert/Kühl, Jura 1981, 225 (227), die oftmals für diese Ansicht angeführt werden, lehnen den Tatbestand wegen des Mangels einer strafwürdigen Rechtsgutsverletzung ab, die sie aber als eigenständigen Grund neben der Sozialadäquanz begreifen. 250 Hoppe, Soziale Adäquanz, S. 120. 251 Vgl. BGH GA 1974, 151 (152); BayOBlG NStZ-RR 1997, 135; OLG Köln BHW 2000, 1053 (1054); OLG Saarbrücken NStZ 1992, 236; AG Berlin-Tiergarten ZUM-RD 2006, 82 (87); BeckOK-StGB/Heuchemer, § 132a Rn. 22 f.; MK-StGB/Hohmann, § 132a Rn. 30; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 132a Rn. 17 f.; Rengier, BT II, § 56 Rn. 5. 252 So Schönke/Schröder/Eisele, Vor §§ 13 ff. Rn. 69; Altermann, Festschrift Eisenberg, S. 233 (240); offen gelassen von OLG Hamm, NJW 1980, 2537. 253 NK-StGB/Ostendorf, § 136 Rn. 13.
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gegen damit, die Erheblichkeit der Entziehung in deren Definition zu verfrachten oder schlicht vorauszusetzen.254 Die Funktion, die der Sozialadäquanz hier zugeschrieben wird, ist mithin wiederum die Ausscheidung unerheblicher Beeinträchtigungen aus dem Tatbestand. Derart soll auch im Rahmen des Verstrickungsbruchs mit Hilfe der sozialadäquaten Handlung eine Erheblichkeitsschwelle begründet werden. cc) Falsche Verdächtigung und Verfolgung Unschuldiger Ferner wird die Figur der Sozialadäquanz im Rahmen der falschen Verdächtigung nach § 164 StGB und der Verfolgung Unschuldiger gemäß § 344 StGB bemüht. Demnach soll eine durch einen Polizeibeamten pflichtgemäß aus eigener Wahrnehmung erstattete, sogenannte Amtsanzeige den genannten Tatbeständen nicht unterfallen.255 Schließlich gehöre es zur Amtspflicht im Lichte des Legalitätsprinzips, erlangte Kenntnisse über eine mögliche Straftat zu verwerten und etwaigen Verdachtsmomenten nachzugehen. Angesichts der ansonsten drohenden Erlahmung der Strafverfolgung durch das Spannungsverhältnis zwischen der Strafvereitelung im Amt einerseits und der Verfolgung Unschuldiger bzw. der falschen Verdächtigung andererseits sei eine Restriktion des Tatbestandes mittels der Sozialadäquanz zwingend geboten.256 Nach der Gegenansicht bedarf eine Beschränkung der Strafbarkeit indes nicht der Sozialadäquanz, sondern ergibt sich aus der prozessualen Zulässigkeit der Maßnahmen und somit den Verfahrensvorschriften257 oder einer bewussten Besinnung auf die subjektive Voraussetzung der Absicht oder Wissentlichkeit258. Auch in diesem Bereich ward die zugrundeliegende, erstmalig auftretende Problematik somit mittels der Sozialadäquanz zu handhaben versucht und zog später weitere Lösungsversuche nach sich.
254
BeckOK-StGB/Heuchemer, § 136 Rn. 7; Fischer, § 136 Rn. 7; MK-StGB/Hohmann, § 136 Rn. 16; NK-StGB/Ostendorf, § 136 Rn. 15; Geppert, Jura 1987, 35 (40). 255 OLG München NStZ 1985, 549 (550); Schönke/Schröder/Eisele, Vor §§ 13 ff. Rn. 69; Schönke/Schröder/Hecker, § 344 Rn. 10; dazu auch Wagner, JZ 1987, 658 (662 f.); ferner Herzberg, JR 1986, 6 (7 ff.), allerdings vorwiegend unter dem Aspekt des erlaubten Risikos; aufgegriffen auch von OLG Düsseldorf NJW 1987, 2453 mit Anmerkung Langer, JR 1989, 95 ff.; a.A.: MK-StGB/Voßen, § 344 Rn. 24. 256 OLG München NStZ 1985, 549 (550); Herzberg, JR 1986, 6 (6 f.); kritisch Langer, JR 1989, 95 (97); Wagner, JZ 1987, 658 (663). 257 Ausführlich Geerds, Festschrift Spendel, S. 503 (510 ff.); zudem Lackner/Kühl/Heger, § 344 Rn. 7; MK-StGB/Voßen, § 344 Rn. 24; Erb, Festschrift Küper, S. 29 (40 f.); Wagner, JZ 1987, 658 (663). Auf die Amtspflicht abstellend auch BeckOK-StGB/Valerius, § 164 Rn. 11 und Fischer, § 344 Rn. 3. 258 MK-StGB/Voßen, § 344 Rn. 24; Langer, JR 1989, 95 (97); eingehend dazu auch Geerds, Festschrift Spendel, S. 503 (513 ff.).
II. Weitere Rezeption in der Literatur
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dd) Strafvereitelung (1) Alltägliche Handlungen ohne ausschließliche Vereitelungstendenz Eine besondere Rolle kommt der Sozialadäquanz in den Ausführungen um die Strafvereitelung nach § 258 StGB zu. So wird sie seitens der heute herrschenden Meinung auch hier herangezogen, um verschiedene Handlungen aus dem Bereich des Strafbaren auszuklammern.259 Demnach sollen normale Handlungen wie das Beherbergen260 oder die Versorgung261 eines Straftäters, die Auszahlung seines Bankguthabens durch einen Bankangestellten262 oder der Verkauf von Benzin an den Täter,263 sofern sie nicht von ausschließlicher Vereitelungstendenz getragen sind, aufgrund derer sozialen Üblichkeit schon nicht den Tatbestand der Strafvereitelung erfüllen. Da viele dieser Leistungen üblicherweise nur gegen Entgelt gewährt werden, sind die Übergänge zur neutralen Beihilfe fließend.264 Dort wird die Frage nach alternativen Lösungswegen indes weitaus ausführlicher diskutiert. Im Zuge der Strafvereitelung wird zwar die Sozialadäquanz zum Teil als Gradmesser der objektiven Zurechnung265 oder des Schutzzwecks der Norm266 begriffen. Die Abkehr von dem zugrundeliegenden Gedanken fordern indes nur wenige.267 Damit tritt auch im Rahmen des § 258 StGB die tatsächliche Relevanz der Figur der Sozialadäquanz deutlich zu Tage.
259 BeckOK-StGB/Ruhmannseder, § 258 Rn. 12; Lackner/Kühl/Kühl, § 258 Rn. 3; MKStGB/Cramer/Pascal, § 258 Rn. 28; Schönke/Schröder/Hecker, § 258 Rn. 22; Eisele, BT II, Rn. 1118; Otto, Grundkurs Strafrecht II, § 96 Rn. 8; Schubarth, Festgabe Schultz, S. 158 (161 ff.); Satzger, Jura 2007, 754 (758 f.); Beulke/Ruhmannseder, Strafbarkeit des Verteidigers, Rn. 79 f.; Zeifang, Strafbarkeit des Strafverteidigers, S. 36; Philipowski, Bankgeschäfte, S. 15 ff.; vgl. auch Küpper, GA 1987, 385 (388); differenzierend dagegen Maurach/Schroeder/ Maiwald, BT 2, § 100 Rn. 19. 260 Und zwar unabhängig der Verbundenheit und Profession – eingehend Schubarth, Festgabe Schultz, S. 158 (161 ff.); grds. auch Schönke/Schröder/Hecker, § 258 Rn. 22. 261 Sowohl mit Nahrungsmitteln als auch medizinisch; BeckOK-StGB/Ruhmannseder, § 258 Rn. 12; Lackner/Kühl/Kühl, § 258 Rn. 3; Schönke/Schröder/Hecker, § 258 Rn. 22; Frisch, JuS 1983, 915 (923); vgl. ferner NK-StGB/Altenhain, § 258 Rn. 26. 262 BeckOK-StGB/Ruhmannseder, § 258 Rn. 12; Schönke/Schröder/Hecker, § 258 Rn. 22; Frisch, JuS 1983, 915 (923); Satzger, Jura 2007, 754 (758 f.); vgl. NK-StGB/Altenhain, § 258 Rn. 26. 263 Frisch, NJW 1983, 2471 (2473); ders., JuS 1983, 915 (923); Satzger, Jura 2007, 754 (758 f.); vgl. BeckOK-StGB/Ruhmannseder, § 258 Rn. 12; ausführlich zu sozialadäquaten Handlungen Bankangestellter Philipowski, Bankgeschäfte, S. 15 ff. 264 Dazu genauer unter Kapitel B. II. 2. a). 265 BeckOK-StGB/Ruhmannseder, § 258 Rn. 12; MK-StGB/Cramer/Pascal, § 258 Rn. 28 für Verhalten innerhalb der üblichen und anerkannten Sozialkontakte. 266 Schönke/Schröder/Hecker, § 258 Rn. 22; Satzger, Jura 2007, 754 (758 f.); für normales Verhalten ohne Vereitelungstendenz MK-StGB/Cramer/Pascal, § 258 Rn. 28. 267 Eingehend NK-StGB/Altenhain, § 258 Rn. 28 f.; ferner G. Wolf, Strafverteidigung, S. 296 f.
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Auffällig ist allerdings, dass die sozialadäquate Handlung hier oftmals an eine subjektive Komponente geknüpft wird. So soll vielerorts eine subjektive Vereitelungstendenz seitens des Täters die Sozialadäquanz entfallen lassen und dementsprechend eine Strafbarkeit aufleben lassen.268 Dadurch wird indes die proklamierte Einordnung als objektives Tatbestandskorrektiv, sei es auch im Rahmen der objektiven Zurechnung oder des Schutzzwecks der Norm, in Frage gestellt. Wenn ein Verhalten schon nicht den objektiven Tatbestand erfüllt, bleibt für die Prüfung des subjektiven kein Raum mehr. Wo ein Verhalten das geschützte Rechtsgut nicht tangiert, scheint fraglich, wie die ausbleibende Beeinträchtigung über ein subjektives Element kompensiert werden soll.269 Damit scheint das im Rahmen des § 258 Abs. 1 StGB nahezu einhellig als objektiv einschränkend wirkend begriffene Korrektiv der Sozialadäquanz einem logischen Bruch zu unterliegen, der den spezifischen Voraussetzungen sozialadäquaten Handelns geschuldet ist. (2) Schenkungen an den zu einer Geldstrafe Verurteilten Ein weiteres Anwendungsfeld der Sozialadäquanz im Bereich der Strafvereitelung stellen zudem Schenkungen an den zu einer Geldstrafe Verurteilten dar. Diese Zuwendungen zur mittelbaren oder auch unmittelbaren Bezahlung einer Geldstrafe sollen als sozialadäquat nicht dem Tatbestand des § 258 Abs. 2 StGB unterfallen.270 Schließlich erscheine es unvertretbar, jede Schenkung an einen zur Zahlung einer Geldstrafe Verurteilten zu untersagen.271 Demgegenüber führt ein Teil der Literatur zur Negation der Strafbarkeit die zahlreichen Umgehungsmöglichkeiten an, wie etwa ein zinsloses Darlehen, den Erlass eines zuvor gewährten Darlehens oder eine nachträgliche Schenkung, die allesamt straflos stehen und ein „Komödienspiel“ der Bestrafung einzig ungeschickter Gönner nach sich zögen.272 Andere berufen sich auf das Analogieverbot und den Umstand, dass die Norm einzig die Vereitelung der Vollstreckung unter Strafe stellt. Die Strafvollstreckung bei der Geldstrafe bestehe indes aus der Zahlungsaufforderung und – bei Nichtbegleichung der Strafe – der Beitreibung. Dieser 268 Eingehend Beulke/Ruhmannseder, Strafbarkeit des Verteidigers, Rn. 79 f.; ferner Lackner/Kühl/Kühl, § 258 Rn. 3; MK-StGB/Cramer/Pascal, § 258 Rn. 29; Schönke/Schröder/ Hecker, § 258 Rn. 22; Rudolphi, JuS 1979, 859 (861 f.); Satzger, Jura 2007, 754 (758); auch Küpper, GA 1987, 385 (399 ff.) sieht in der Manifestation des Vereitelungswillens das entscheidende Kriterium; kritisch aber NK-StGB/Altenhain, § 258 Rn. 29. 269 Vgl. dazu auch NK-StGB/Altenhain, § 258 Rn. 29. 270 BGHSt 37, 226 (231) m.w.N.; Schönke/Schröder/Eisele, Vor §§ 13 ff. Rn. 69; bezüglich Schenkungen, also keiner direkten Bezahlung der Geldstrafe, auch Müller-Christmann, JuS 1992, 379 (381); anders noch RGSt 30, 232 (235); a.A. auch Hillenkamp, JR 1992, 74 (75); Wodicka, NStZ 1991, 486 (487 f.). Eine Übersicht über den Streitstand findet sich bei Scholl, NStZ 1999, 599 (600 ff.). 271 Vgl. BGHSt 37, 226 (229); ferner Scholl, NStZ 1999, 599 (601). 272 BeckOK-StGB/Ruhmannseder, § 258 Rn. 36; Rengier, BT I, § 21 Rn. 20; Satzger, Jura 2007, 754 (760).
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äußere Ablauf des Vollstreckungsvorgangs werde aber nicht durch eine fremde Begleichung der Geldstrafe gestört, da es damit bereits an den Voraussetzungen einer zulässigen Vollstreckung fehle.273 In diesem Feld scheint die Sozialadäquanz einmal mehr eine erste, rechtliche Problembestimmung versucht und damit den Grundstein für weitergehende Lösungsansätze gelegt zu haben. (3) Handlungen des Strafverteidigers Im Rahmen der Strafvereitelung wird die Sozialadäquanz ferner hinsichtlich Strafverteidigern bemüht, die ihren Mandanten helfen und diese verteidigen.274 Schließlich ist die Strafverteidigung naturgemäß auf den Schutz des Beschuldigten vor Anklage, Verurteilung oder Inhaftierung ausgerichtet.275 Dabei soll der Verteidiger jedenfalls aufgrund der Sozialadäquanz kein Strafbarkeitsrisiko eingehen, wenn er den Mandanten zu einem Gespräch in die Kanzleiräume lädt oder diesen bewirtet, selbst wenn diesem die Polizei auf den Fersen sei.276 Auch der Rat, die Aussage zu verweigern, sei sozialadäquat.277 Die konkrete Bewertung des Verhaltens sei allerdings stark einzelfallabhängig, sodass der Strafverteidiger sich auf höchst unsicherem Terrain bewege, von dem einzig der Verweis auf die Sozialadäquanz einen Ausweg biete.278 Die herrschende Ansicht sieht demgegenüber die Grenzen des zulässigen Verteidigungsverhaltens in den Regelungen des Prozessrechts gezogen und orientiert sich dementsprechend inhaltlich an diesen.279 Schließlich sei die Strafverteidigung, sofern sie sich im Rahmen der am Gedanken des Rechtsstaats orientierten Strafrechtspflege verhält, in ihrer prozessualen Funktion ein fester Bestandteil des 273
Jäger, BT, Rn. 574; Hillenkamp, JR 1992, 74 (75); Horrer/Patzschke, CCZ 2013, 94; Krey, JZ 1991, 889 (889 f.); Scholl, NStZ 1999, 599 (603). 274 Eisele, BT II, Rn. 1119; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 2, § 100 Rn. 20; Hassemer, wistra 1995, 81 (83 ff.); Beulke/Ruhmannseder, Strafbarkeit des Verteidigers, Rn. 81; unter dieser Überschrift auch von Fischer, § 258 Rn. 15 ff. diskutiert, der sich aber inhaltlich nicht zur Sozialadäquanz bekennt. 275 Vgl. BGHSt 29, 88 (102); 38, 345 (347 f.); BGH NStZ 1999, 188 (189). 276 Erlaubt sei auch der Transport in die Wohnung oder zu Freunden des Mandanten; wenn die Polizei den Mandanten nicht verfolgt, sei auch ein Gespräch in einem beliebigen anderen Raum möglich, in dem die Polizei den Beschuldigten nicht vermutet, vgl. Beulke/Ruhmannseder, Strafbarkeit des Verteidigers, Rn. 81. 277 Hassemer, wistra 1995, 81 (83); Beulke/Ruhmannseder, Strafbarkeit des Verteidigers, Rn. 81. 278 So Beulke/Ruhmannseder, Strafbarkeit des Verteidigers, Rn. 81. 279 BGH NJW 2006, 2421; Fischer, § 258 Rn. 16 f.; MK-StGB/Cramer/Pascal, § 258 Rn. 10; NK-StGB/Altenhain, § 258 Rn. 32 ff.; Schönke/Schröder/Hecker, § 258 Rn. 19 f.; Beulke, Festschrift Roxin, S. 1173 (1178 f.); überraschenderweise auch BeckOK-StGB/Ruhmannseder, § 258 Rn. 22 f., der andernorts (Beulke/Ruhmannseder, Strafbarkeit des Verteidigers, Rn. 81) auf die Sozialadäquanz verweist. Bosch, Jura 2012, 938 (941) warnt allerdings, dass mangels ausdrücklicher Grenzen des Prozessrechts und aufgrund der nötigen, nach herrschender Ansicht vorzunehmenden Gesamtschau das Risiko besteht, anhand des bloßen Rechtsgefühls zu entscheiden.
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rechtsstaatlich geordneten Verfahrens.280 Demnach sei der Gebrauch prozessualer Rechte lediglich untersagt, wenn damit prozessrechtlich missbilligte Ziele verfolgt würden.281 Die Sozialadäquanz versucht auch hier, sozial unverdächtige Handlungen des Strafverteidigers von der Strafbarkeit auszunehmen. Sie umschreibt damit faktisch das Zusammenspiel verschiedener Normsysteme. Insofern ist die Parallele zu Tötungshandlungen im Kriege greifbar, in deren Rahmen auch die Sozialadäquanz bemüht wurde, bevor das Zusammenspiel der betroffenen Normen anvisiert wurde.282 Der einzelne Erlaubnissatz wird damit von den Vertretern der Sozialadäquanz nicht explizit genannt, sondern vielmehr ein Oberbegriff gesucht, der Allgemeingültigkeit besitzen soll und damit das Zusammenspiel der Normen vernachlässigbar erscheinen lässt. ee) Geldwäsche (1) Alltägliche Handlungen Die Rolle der Sozialadäquanz im Rahmen der Geldwäsche gemäß § 261 StGB erinnert stark an die Ausführungen zur Strafvereitelung. So sollen auch im Rahmen der Geldwäsche „normale“ Handlungen, also sozial übliche Geschäftstätigkeiten, aufgrund derer sozialen Adäquanz dem Tatbestand nicht unterfallen.283 Andernfalls verbleibe eine uferlose tatbestandliche Weite, die auf die extensive Auslegung des „Herrührens“, die Ausdehnung des Anwendungsbereichs nicht nur auf Sachen, sondern auch auf Forderungen und die Ahndung leichtfertiger Unkenntnis zurückzuführen sei. In der Folge wären Personen, die einer entsprechenden Katalogtat im Sinne des § 261 StGB verdächtigt werden, gänzlich von der Teilnahme am gesell280
BVerfGE 34, 293 (299); 38, 105 (119); BGHSt 38, 111 (114). BGHSt 38, 111 (112 f.); 51, 88 (92) m. Anm. Gaede, StraFo 2007, 29; NK-StGB/Altenhain, § 258 Rn. 33; Schönke/Schröder/Hecker, § 258 Rn. 19 f.; Kühne, JZ 2010, 821 (826 f.). Übersichten über dementsprechend missbilligte und gestatte Handlungen finden sich bei MKStGB/Cramer/Pascal, § 258 Rn. 12 ff. und Beulke, Festschrift Roxin, S. 1173 (1182 f.). 282 So sieht die wohl herrschende Ansicht Tötungen im Kriege als primär durch das Völkerrecht, sekundär auch durch Rechtfertigungsgründe des nationalen Rechts, zu rechtfertigen an, vgl. NK-StGB/Neumann, Vor § 211 Rn. 5; Eser, Festschrift Wahl, S. 665 (667); Frister/ Korte/Kreß, JZ 2010, 10 (11 ff.). 283 Maurach/Schroeder/Maiwald, BT II, § 101 Rn. 37; Wessels/Hillenkamp/Schuhr, BT 2, Rn. 900; für die Sozialadäquanz von Geschäften zur Deckung des existenziellen notwendigen Lebensbedarfs und erforderlicher, ärztlicher Behandlungen Eisele, BT II, Rn. 1197 und Rengier, BT I, § 23 Rn. 21 f.; so auch Hassemer, wistra 1995, 81 (84 ff.) unter der Umschreibung der professionellen Adäquanz banktypischen Handelns; ferner Barton, StV 1993, 156 (159 ff.), der zwar die Figur der Sozialadäquanz entschieden ablehnt, zur teleologischen Reduktion des Tatbestandes jedoch auf die soziale Üblichkeit von Handlungen und deren typischer Üblichkeit in der Gesellschaft zurückgreift. Interessant sind auch die Ausführungen bei Salditt, StraFo 1992, 121 (122), der darauf hinweist, dass eine Strafbarkeit derlei Fälle in dem Bundesratsentwurf (BR-Drucks. 74/90) vorgesehen war, dann aber aus unbekannten Gründen gestrichen wurde. 281
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schaftlichen Leben ausgeschlossen.284 Demnach wird hier ebenfalls versucht, mittels der Sozialadäquanz den Tatbestand auf ein Maß zu limitieren, welches sozial unverdächtige Alltagstätigkeiten straffrei belässt. Demgegenüber verzichtet die wohl herrschende Ansicht auf eine entsprechende Einschränkung des Tatbestands gänzlich.285 (2) Entgegennahme durch Strafverteidiger Darüber hinaus soll der Strafverteidiger auch im Rahmen des § 261 Abs. 2 Nr. 1 StGB einen gewissen Sonderstatus genießen. Zwar vermag die Entgegennahme des Honorars, das aus einer Katalogvortat stammt, formell dem objektiven Tatbestand des § 261 Abs. 2 Nr. 1 StGB zu unterfallen, wobei aufgrund der Norm des § 261 Abs. 5 StGB und der damit einhergehenden, ausreichenden leichtfertigen Verkennung der bemakelten Herkunft des Geldes ein gesteigertes Strafbarkeitsrisiko droht.286 Allerdings besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass das Strafbarkeitsrisiko insbesondere für den Strafverteidiger hier einzuschränken ist, um diesem nicht das Recht zu nehmen, seine berufliche Leistung vergütet zu sehen und darüber hinaus der spezifischen Vertrauensstellung sowie besonderen Funktion des Strafverteidigers in einem rechtsstaatlichen Verfahren gerecht zu werden.287 Daher wird auch diesbezüglich die Annahme einer Honorarzahlung als sozialadäquat begriffen, sodass eine Strafbarkeit auszuscheiden habe.288 Schließlich sei die Annahme eines Honorars ebenso wie dessen Vereinbarung schlichtweg üblich und eine etwaige Rechtspflicht für den Wahlverteidiger289, die Herkunft des Geldes zu
284
Maurach/Schroeder/Maiwald, BT II, § 101 Rn. 37; Barton, StV 1993, 156 (156 f.). So BGHSt 47, 68 (74); BeckOK-StGB/Ruhmannseder, § 261 Rn. 39 ff.; MK-StGB/ Neuheuser, § 261 Rn. 76; NK-StGB/Altenhain, § 261 Rn. 120 ff.; Bottke, wistra 1995, 121 (122); Brüning, wistra 2006, 241 (243); Fahl, Jura 2004, 160 (162); Kraatz, Jura 2015, 699 (707). 286 Dazu Bernsmann, StV 2000, 40 (41 f.); Beulke/Ruhmannseder, Strafbarkeit des Verteidigers, Rn. 186. 287 So BeckOK-StGB/Ruhmannseder, § 261 Rn. 41 f.; Lackner/Kühl/Kühl, § 261 Rn. 5a; MK-StGB/Neuheuser, § 261 Rn. 78; Schönke/Schröder/Hecker, § 261 Rn. 24; Beulke, Festschrift Rudolphi, S. 391 (400 ff.); Ambos, JZ 2002, 70 (71 f.); Bernsmann, StV 2000, 40 (41); Hamm, NJW 2000, 636 (637 ff.); Nestler, StV 2001, 641 (647 f.); Beulke/Ruhmannseder, Strafbarkeit des Verteidigers, Rn. 186. 288 Schubarth, Festgabe Schultz, S. 158 (162); Zeifang, Strafbarkeit des Strafverteidigers, S. 364 ff., 392; Bottermann, Problematiken des Geldwäschetatbestandes, S. 72 ff.; Salditt, StraFo 1992, 121 (132); Kulisch, StraFo 1999, 337 (339) für den Rahmen der „üblichen“ Strafverteidigung; Barton, StV 1993, 156 (162 f.) weist insofern auf die Grenzen der „üblichen Gepflogenheiten“ und die generelle Üblichkeit der Honorarvereinbarungen hin. Anderer Ansicht dagegen Fahl, JA 2004, 624 (625) und Randerath, Strafvereitelung als Erfolgsdelikt, S. 20 ff. 289 Im Rahmen der Pflichtverteidigung stellt sich dieses Problem indes nicht, da der Verteidiger sein Honorar vom Staate erhält. 285
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klären, realitätsfremd.290 Zudem sei das Institut der Wahlverteidigung nur derart zu wahren.291 Demgegenüber finden sich in der Literatur zahlreiche anderweitige Lösungsvorschläge zur Restriktion der Strafbarkeit.292 Daneben zeichnet dieser Disput sich auch innerhalb der Rechtsprechung ab. So gedachte etwa das Oberlandesgericht Hamburg, die Entgegennahme des Honorars durch den Strafverteidiger dem Tatbestand durch verfassungskonforme Auslegung zu entziehen, um die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in die Berufsfreiheit des Strafverteidigers zu wahren.293 Der Bundesgerichtshof trat dem jedoch dergestalt entgegen, als dass er dem Wortlaut entsprechend den Tatbestand nicht einschränkte, was unter anderem nach dem Normzweck der Isolierung des Vortäters geboten wäre.294 Diesem Disput um die generelle Tatbestandsmäßigkeit der Entgegennahme von Honorarzahlungen setzte faktisch jedoch das Bundesverfassungsgericht einen Schlussstrich, indem es judizierte, dass Strafverteidigern nur dann eine Strafbarkeit drohe, wenn sie im Zeitpunkt der Annahme ihres Honorars sichere Kenntnis von dessen Herkunft haben.295 Eine Einschränkung des objektiven Tatbestands sei damit nicht geboten, vielmehr sei die Norm indes auf Vorsatzebene restriktiver auszulegen, um die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in das Grundrecht auf freie Berufsausübung zu wahren. Fernab der Figur der Sozialadäquanz wurde somit eine Lösung gefunden, deren zentralen Anknüpfungspunkt die subjektive Komponente bietet.296 ff) Unerlaubte Veranstaltung eines Glücksspiels Ferner soll auch das Spielen um unerhebliche Vermögenswerte sozialadäquat und damit nicht gemäß § 284 StGB strafbewehrt sein.297 Entscheidend sei hierfür wie-
290 291 292 293
(323).
Kulisch, StraFo 1999, 337 (339). Zeifang, Strafbarkeit des Strafverteidigers, S. 366 f. Eine Übersicht findet sich etwa bei Beulke, Festschrift Rudolphi, S. 391 (394 ff.). OLG Hamburg, NStZ 2000, 311 (312 f.); zustimmend etwa Müther, Jura 2001, 318
294 BGHSt 47, 68 (72 f.); zustimmend Katholnigg, NJW 2001, 2041 (2042 ff.); Neuheuser, NStZ 2001, 647 (648 f.); Schaefer/Wittig, NJW 2000, 1387 (1388 f.). 295 BVerfGE 110, 226 (246 f.); mit zustimmender Anmerkung Dahs/Krause/Widmaier, NStZ 2004, 261; zustimmend ferner Barton, JuS 2004, 1033 (1037); Matt, JR 2004, 321 (326); dahingehend bereits zuvor Beulke, Festschrift Rudolphi, S. 391 (402 ff.). Selbiges soll auch für den Vereitelungs- und Gefährdungstatbestand des § 261 Abs. 1 StGB gelten, vgl. BVerfG NJW 2015, 2949 (2950 ff.). 296 Wie auch andere Ansätze zuvor, vgl. etwa Ambos, JZ 2002, 70 (80 ff.) – subjektivierte Rechtfertigungslösung. 297 Welzel, Grundzüge11, S. 56; Klug, Festschrift Eb. Schmidt, S. 249 (263); ferner Roxin, Festschrift Klug, S. 303 (312), der im Glücksspiel mit geringfügigen Einsätzen keine deliktstypischen, sondern vielmehr sozial allgemein tolerierte Handlungen erblickt, die das geschützte Rechtsgut nicht tangieren und daher keine Strafbarkeit nach sich ziehen würden. Von
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derum die soziale Harmlosigkeit des Verhaltens, welches demzufolge dem Tatbestand entfalle.298 Die Sozialadäquanz soll damit in diesem Kontext wiederum eine Bagatellgrenze etablieren bzw. eine Erheblichkeitsschwelle begründen. Auch im Rahmen der unerlaubten Veranstaltung eines Glücksspiels wurde diese Erheblichkeitsschwelle jedoch im Laufe der Zeit der Tatbestandsauslegung überantwortet. Dafür verantwortlich zeichnete schon früh die Rechtsprechung, die Glücksspiele um Objekte, denen nach gesellschaftlicher Anschauung kein Vermögenswert zukommt, nicht als dem Glücksspielbegriff des § 284 StGB unterfallend betrachtete.299 Besonders deutlich zeigt sich die inhaltliche Nähe zur Sozialadäquanz in dem wiederkehrenden Rekurs auf die maßgebende, gesellschaftliche Anschauung, die hier über die Einstufung als Vermögenswert und damit die Strafbarkeit entscheiden soll.300 Die gewünschte Restriktion des Tatbestandes konnte so mit einem engen Verständnis des Glücksspielbegriffs erreicht werden. Dieses Vorgehen prägt zudem die heutige Literatur, die das Spiel um unbeträchtliche Vermögenswerte als bloßes Unterhaltungsspiel begreift, welches vom Glücksspiel abzugrenzen sei.301 So werden an dieser Stelle, nach herrschender Ansicht noch immer nach den allgemeinen gesellschaftlichen Anschauungen,302 die jeweiligen Vermögenswerte nach ihrer Werthaftigkeit beurteilt und im Falle deren Unerheblichkeit aus dem Straftatbestand ausgenommen.303 Damit bedient sich die herrschende Auffassung mit einer Beurteilung anhand des gesellschaftlichen Verdikts einmal mehr des die Sozialadäquanz prägenden Kriteriums. Damit ist auch im Felde der unerlaubten Veranstaltung eines Glücksspiels festzustellen, dass das mit der Sozialadäquanz verfolgte Ansinnen der Implementierung einer Erheblichkeitsschwelle in den Rahmen der Tatbestandsauslegung verschoben der Sozialadäquanz bloßer Spielberechtigungsbeiträge spricht auch MK-StGB/Hohmann, § 284 Rn. 12. 298 Klug, Festschrift Eb. Schmidt, S. 249 (263). 299 So bereits RGSt 6, 70 (74); 18, 342 (344); 40, 21 (33); vgl. später BGHSt 34, 171 (175 ff.); BayObLG GA 1956, 385. 300 So RGSt 6, 70 (74); in besonderem Maße die Anschauung der Allgemeinheit betonend RGSt 18, 342 (344); ferner BGHSt 34, 171 (176 f.). 301 BeckOK-StGB/Hollering, § 284 Rn. 9 ff.; Fischer, § 284 Rn. 3 f.; Lackner/Kühl/Heger, § 284 Rn. 7; MK-StGB/Hohmann, § 284 Rn. 10 f.; NK-StGB/Gaede, § 284 Rn. 12 f.; Schönke/Schröder/Heine/Hecker, § 284 Rn. 8. 302 LK/Krehl, § 284 Rn. 12; MK-StGB/Hohmann, § 284 Rn. 11; Rotsch/Heissler, ZIS 2010, 403 (411); Brandl, Spielleidenschaft, S. 48; B. Hansen, Legitimation und Reichweite des § 284 StGB, S. 10 ff.; Mintas, Glücksspiele im Internet, S. 56 ff. Dagegen Lackner/Kühl/Heger, § 284 Rn. 7: nach der Verkehrsanschauung und den Verhältnissen der Spieler. Demgegenüber nach der Zugänglichkeit des Spiels differenzierend NK-StGB/Gaede, § 284 Rn. 13 und Schönke/ Schröder/Heine/Hecker, § 284 Rn. 8. 303 Wo allerdings die Schwelle der Erheblichkeit zu ziehen sein soll, bleibt unklar. So werden etwa anknüpfend an das OLG Hamm (JMBlNRW 1957, 250 – 1 DM sei ausreichend) Beträge zwischen 1,89 EUR (Kleinschmidt, MMR 2004, 654 (657)) oder 2,50 EUR (Eichmann/ Sörup, MMR 2002, 142 (144 f.)) sowie 5 EUR (Brandl, Spielleidenschaft, S. 46) genannt.
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B. Entwicklung und Bedeutung der Sozialadäquanz
wurde. So besteht vordergründig kein Bedarf mehr für das Prinzip sozialadäquater Handlungen. Tatsächlich ist das Kriterium der gesellschaftlichen Anschauung allerdings nicht von der Hand zu weisen und dient als maßgebliches Abgrenzungskriterium für die Einordnung als Glücksspiel. gg) Bestechung Den wohl prominentesten Anwendungsbereich304 der Lehre der Sozialadäquanz stellen die Bestechungsdelikte der §§ 299, 331 ff. StGB dar. In deren Rahmen gilt die Annahme von Vorteilen gemeinhin als sozialadäquat und damit straflos, soweit sie sich im Rahmen des sozial Üblichen und seitens der Allgemeinheit Gebilligten halten.305 Besonders häufig wird in diesem Zuge das Neujahrsgeschenk an den Postboten von der Strafbarkeit ausgenommen.306 Darüber hinaus sollen aber auch kleine, anlassbezogene Aufmerksamkeiten und Geschenke sowie Werbegeschenke307 oder Trinkgelder in angemessener Höhe308 sozialadäquat sein. Oftmals soll für derlei Präsente eine Adäquanzgrenze von bis zu 50 EUR gelten.309 Auch Zuwendungen oberhalb dieser Wertgrenzen sollen jedoch dem Tatbestand entfallen, wenn sie aus Höflichkeit oder Rücksicht auf soziale Regeln nicht zurückgewiesen werden können.310 Zudem sollen auch die Bezahlung der Unterkunft bei einer Tagung oder 304
Dazu Merges, Strafausschließungsgründe der Bestechungsdelikte, S. 129 ff. BeckOK-StGB/Momsen/Laudien, § 299 Rn. 33; Fischer, § 331 Rn. 25; LK/Sowada, § 331 Rn. 72; MK-StGB/Krick, § 299 Rn. 29; MK-StGB/Korte, § 331 Rn. 110; NK-StGB/ Dannecker, § 299 Rn. 58; NK-StGB/Kuhlen, § 331 Rn. 63; Schönke/Schröder/Heine/Eisele, § 331 Rn. 40; SK-StGB/Stein/Deiters, § 331 Rn. 46; Eisele, BT I, Rn. 1628; Kindhäuser, BT I, § 76 Rn. 33; Rengier, BT II, § 60 Rn. 13; Wessels/Hettinger/Engländer, BT 1, Rn. 1182; Welzel, Grundzüge11, S. 56; Eser, Festschrift Roxin, S. 199 (205); C. Knauer/Kaspar, GA 2005, 385 (397 ff.); Adamski, Konzeption der Bestechungsdelikte, S. 123 ff.; Friedhoff, Straflose Vorteilsannahme, Rn. 150 ff.; Kalin, Verhaltensnorm, S. 73 f.; so auch BGH NStZ 2005, 334 (335). 306 Wobei dieses Beispiel freilich unter der heute nicht mehr gewahrten Prämisse steht, dass der Postbote überhaupt (wie früher üblich) Amtsträger ist; Fischer, § 331 Rn. 25; MK-StGB/ Korte, § 331 Rn. 112; NK-StGB/Dannecker, § 331 Rn. 63; SK-StGB8/Stein/Rudolphi, § 331 Rn. 23; Welzel, Grundzüge11, S. 56; Eser, Festschrift Roxin, S. 199 (205); Adamski, Konzeption der Bestechungsdelikte, S. 124 f.; Hoppe, Soziale Adäquanz, S. 122. 307 MK-StGB/Krick, § 299 Rn. 29; MK-StGB/Korte, § 331 Rn. 112; NK-StGB/Dannecker, § 299 Rn. 39; Schönke/Schröder/Heine/Eisele, § 331 Rn. 40; Rengier, BT II, § 60 Rn. 13; C. Knauer/Kaspar, GA 2005, 385 (400); Merges, Strafausschließungsgründe der Bestechungsdelikte, S. 166 ff. 308 Fischer, § 331 Rn. 25; LK/Sowada, § 331 Rn. 73; NK-StGB/Dannecker, § 299 Rn. 39; Schönke/Schröder/Heine/Eisele, § 331 Rn. 40; C. Knauer/Kaspar, GA 2005, 385 (397). 309 Eisele, BT I, Rn. 1628; Greeve, Korruptionsdelikte, Rn. 271; vgl. Schönke/Schröder/ Heine/Eisele, § 331 Rn. 40; dazu auch Merges, Strafausschließungsgründe der Bestechungsdelikte, S. 165. 310 Fischer, § 331 Rn. 26; MK-StGB/Korte, § 331 Rn. 112; Schönke/Schröder/Heine/Eisele, § 331 Rn. 40; Kindhäuser, BT I, § 76 Rn. 33; Eser, Festschrift Roxin, S. 199 (205); Maiwald, JuS 1977, 353 (355 f.). 305
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die Einladung zu einem Abendessen sozialadäquat sein,311 wobei in diesem Rahmen sowohl der Anlass als auch der jeweilige Status der Beteiligten bzw. der gewöhnliche Lebenszuschnitt des Bevorzugten über die Sozialadäquanz entscheiden sollen.312 Insofern wird also der Betrachtung der individuellen Verhältnisse eine bedeutende Rolle bei der Adäquanzbeurteilung zugeschrieben. Dabei ist der Ansatzpunkt der Lehre der Sozialadäquanz allerdings umstritten. Zuweilen wird bei sozialadäquaten Präsenten bereits das Tatbestandsmerkmal des Vorteils verneint.313 Andernorts wird bei der Annahme sozial adäquater Vorteile die nötige Unrechtsvereinbarung abgelehnt.314 Demgegenüber findet sich jedoch auch im Zuge der Bestechungsdelikte oftmals lediglich der dogmatisch nicht begründete Hinweis auf ein Herausfallen sozialadäquater Zuwendungen aus dem Tatbestand.315 Dennoch zeigt sich jedenfalls, dass im Zuge dieser Fallgruppe vielerorts eine genauere Verortung der Sozialadäquanz im Rahmen des Tatbestands versucht wird, indem einzelne Tatbestandsmerkmale unter Rückgriff auf die Sozialadäquanz ausgefüllt werden. Bei genauerer Betrachtung treten darüber hinaus zwei Zielrichtungen der Sozialadäquanz im Rahmen der Bestechungsdelikte zum Vorschein: zum einen sollen wiederum geringwertige Vorteile dem Tatbestand entnommen und damit straffrei gestellt werden. Diese Bestrebung kulminiert in der anvisierten Etablierung einer fixen Wertgrenze. Zum anderen soll aber eine nach individuellen Verhältnissen differenzierende Betrachtung vorgenommen werden, die im Einzelfall den Weg zur Straflosigkeit eröffnet. Zu berücksichtigen sei diesbezüglich gerade nicht einzig der Wert des Geschenks, sondern vielmehr dessen Anlass sowie die soziale Stellung des Beschenkten vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Bewertung der konkreten Schenkung. Über die Figur der Sozialadäquanz soll so eine flexiblere Tatbestandsrestriktion geschaffen werden, die konkret zu beurteilen vermag, ob und inwiefern das Rechtsgut tangiert wird. Neben die wertmäßige Schwelle tritt damit ein variables Korrektiv, das umfassend die gesellschaftliche Akzeptanz des konkreten Präsents zur Entscheidung über die Strafbarkeit heranzieht. 311 LK/Sowada, § 331 Rn. 73; NK-StGB/Kuhlen, § 331 Rn. 99; Eisele, BT I, Rn. 1628; Rengier, BT II, § 60 Rn. 13. 312 Fischer, § 331 Rn. 26; LK/Sowada, § 331 Rn. 73; NK-StGB/Kuhlen, § 331 Rn. 99; Schönke/Schröder/Heine/Eisele, § 331 Rn. 40; SK-StGB/Stein/Deiters, § 331 Rn. 46; Adamski, Konzeption der Bestechungsdelikte, S. 124 f. 313 So BGHSt 33, 336 (339); SK-StGB/Stein/Deiters, § 331 Rn. 46; Kaiser, NJW 1981, 321 (322); Schaffstein, ZStW 72 (1960), 369 (375); dagegen Friedhoff, Straflose Vorteilsannahme, Rn. 122 ff. 314 BeckOK-StGB/von Heintschel-Heinegg, § 331 Rn. 33; Fischer, § 331 Rn. 25; LK/ Sowada, § 331 Rn. 72; NK-StGB/Kuhlen, § 331 Rn. 63, 98 f.; Schönke/Schröder/Heine/Eisele, § 331 Rn. 40. 315 MK-StGB/Krick, § 299 Rn. 29; NK-StGB/Dannecker, § 331 Rn. 39; Rengier, BT II, § 60 Rn. 13; Wessels/Hettinger/Engländer, BT 1, Rn. 1182; Eser, Festschrift Roxin, S. 199 (203 ff.); Hoppe, Soziale Adäquanz, S. 122; Kalin, Verhaltensnorm, S. 73 ff.
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B. Entwicklung und Bedeutung der Sozialadäquanz
c) Straftaten gegen das Vermögen aa) Diebstahl (1) Diebstahl geringwertiger Sachen Die Sozialadäquanz findet sich ferner im Bereich der Vermögensdelikte wieder. So soll vereinzelt der Diebstahl geringwertiger Sachen, wie etwa eines Bierfilzes aus einer Gastwirtschaft, als sozialadäquat begriffen werden können.316 Die Bezugnahme auf die Geringwertigkeit der Sache lädt auch hier zu dem Schluss ein, es solle dem Tatbestand eine Bagatellgrenze317 implementiert werden. Angesichts des Strafantragserfordernisses des § 248a StGB, welches gerade den Diebstahl geringwertiger Sachen zum Inhalt hat, vermag die These dessen Sozialadäquanz jedoch keine Allgemeingültigkeit für sich zu beanspruchen. Dies scheint indes auch nicht impliziert: so wird durch das Beispiel des Bierfilzes deutlich, dass zur Geringwertigkeit der Sache noch weitere Umstände, wie vorliegend eine gewisse Üblichkeit der Handlung, zu treten haben. Damit steht nicht die Geringwertigkeit per se, sondern erneut die gesellschaftliche Akzeptanz der Handlung im Vordergrund der Betrachtung. Disktuabel wäre auf dieser Grundlage etwa die Mitnahme kleinerer Hygiene-Artikel aus einem Hotel. (2) Maibaumdiebstahl Daneben soll auch im Falle des tradierten Maibaumdiebstahls eine Strafbarkeit aufgrund der Sozialadäquanz des Handelns ausscheiden.318 Der Diebstahl eines Maibaums stellt, insbesondere in ländlichen Gegenden, ein seit langer Zeit praktiziertes Brauchtum dar.319 Dabei entwenden Bewohner einer Gemeinde den zur Aufstellung vorbereiteten Maibaum der Nachbargemeinde. In einzelnen Orten ist darüber hinaus auch das sogenannte Umschneiden eines bereits aufgestellten Maibaums umfasst, was freilich isoliert unter dem Punkt der Sachbeschädigung zu erörtern wäre.320 Soweit das Entwenden des Maibaums nun mit dem jeweiligen, örtlichen Brauchtum übereinstimmt, soll es sozialadäquat sein und damit keine Strafbarkeit nach sich ziehen.321 Damit erscheint die Sozialadäquanz diesbezüglich in ihrer 316
Hoppe, Soziale Adäquanz, S. 111 f. Worauf auch die Formulierung bei Hoppe, Soziale Adäquanz, S. 111 – „Bagatellsachen“ – hindeutet. 318 Dickert, JuS 1994, 631 (635 f.); Franzmann, JZ 1956, 241 (242 f.); F. Knauer, ZStW 126 (2014), 844 (848); Lorenz, MDR 1992, 630 (630); als nicht rechtswidrig begriffen von Piegler, JZ 1955, 721 (722). 319 Siehe schon Franzmann, JZ 1956, 241 (242); Klein-Bruckschwaiger, AcP 154, 426 (427). 320 Dazu Piegler, JZ 1955, 721 (722); als nicht rechtswidrig begriffen von Bezirksgericht Neumarkt bei Salzburg, Entscheidung vom 3. 7. 1951, C 133/50. 321 Eingehend Dickert, JuS 1994, 631 (635 f.) und Franzmann, JZ 1956, 241 (242 f.). 317
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originären Funktion und dient dazu, ein gesellschaftlich anerkanntes Verhalten, das dem Grunde nach dem gesetzlichen Tatbestand unterfällt, straflos zu stellen. Dementsprechend wird nach anderer Ansicht diesbezüglich auf eine gewohnheitsrechtliche Gestattung verwiesen.322 (3) Diebstahl mit einem gefährlichen Werkzeug Der zunehmende Einzug der Sozialadäquanz in den Bereich der Vermögensdelikte lässt sich auch im Rahmen des Diebstahls mit einem gefährlichen Werkzeug im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 1 lit. a Var. 2 StGB erahnen. Dort ist schon seit längerem strittig, wie das bei sich geführte, andere gefährliche Werkzeug zu definieren sein soll.323 Die zahlreichen Konkretisierungsversuche der Literatur werden nunmehr, genährt von der Rechtsprechung,324 um die Figur der Sozialadäquanz ergänzt.325 Demnach soll maßgeblich sein, inwiefern das Beisichführen gefährlicher Werkzeuge sozialadäquat und damit straflos sein kann.326 Die Sozialadäquanz nimmt damit auch hier hauptsächlich die Rolle eines Gegenbegriffs zur Strafbarkeit ein. Indes kann dies auch auf einer anderweitigen begrifflichen Gleichsetzung beruhen: schließlich lag das besondere Augenmerk in dieser Diskussion schon früh darauf, Gegenstände, deren Mitnahme sozial üblich erscheint, aus dem Tatbestand herauszunehmen.327 Daher könnte die soziale Adäquanz der Handlung auch schlichtweg mit der sozialen Üblichkeit synonym gesetzt worden sein. Allerdings scheint mit dem Schluss von der Üblichkeit auf die Adäquanz der Handlung diese sogleich um eine gewisse Argumentationskraft im Hinblick auf die Strafbarkeit aufgewertet zu werden wollen: während im Rahmen der sozialen Üblichkeit einer Handlung noch ein tiefergreifender, dogmatischer Untergrund der letztlichen Straffreiheit zu suchen ist, begnügt sich die Feststellung der Sozialadäquanz mit diesem Ergebnis an sich, welches unmittelbar für die Straflosigkeit des Handelns streiten soll. Die Verlegenheit, das gewünschte Ergebnis argumentativ zu stützen, könnte demnach dazu geführt haben, von der Üblichkeit eines Handelns auf dessen Adäquanz und damit schließlich Straffreiheit zu schließen. Jedenfalls lässt sich anhand des Diebstahls mit einem gefährlichen Werkzeug im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 1 lit. a Var. 2 StGB die Leichtigkeit zeigen, mit der 322
So Klein-Bruckschwaiger, AcP 154, 426 (427 f.). Zu den einzelnen Ansichten etwa Fischer, § 244 Rn. 13 ff., der die Ausgestaltung der Norm ausdrücklich als Fehler begreift und den Gesetzgeber zur Korrektur aufruft; ebenso ders., Festschrift Frisch, S. 31 (38 f.); ferner NK-StGB/Kindhäuser, § 244 Rn. 8 ff. 324 Maßgeblich OLG Braunschweig, NJW 2002, 1735 (1736); OLG Schleswig NStZ 2004, 212 (214); auch in BGHSt 52, 257 (261) wird die Sozialadäquanz thematisiert, allerdings lediglich in Anführungszeichen gesetzt. 325 NK-StGB/Kindhäuser, § 244 Rn. 15; vgl. auch Eisele, BT II, Rn. 192; Wessels/Hillenkamp/Schuhr, BT 2, Rn. 282; kritisch Jahn, JuS 2008, 835 (835). 326 NK-StGB/Kindhäuser, § 244 Rn. 15; Eisele, BT II, Rn. 192. 327 Vgl. etwa MK-StGB/Schmitz, § 244 Rn. 16 ff.; Eisele, BT II, Rn. 193; Jäger, JuS 2000, 651 (654). 323
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mitunter von der sozialen Üblichkeit eines Handelns auf dessen soziale Adäquanz geschlossen wird. Ferner lässt sich auch in diesem Rahmen erkennen, dass die Feststellung der Sozialadäquanz oftmals der der Straflosigkeit gleichgestellt wird. bb) Unterschlagung Ähnlich wie für den Diebstahl geringwertiger Sachen soll auch die Unterschlagung geringwertiger Sachen im Einzelfall sozialadäquat sein. Dabei sei etwa die Unterschlagung geringwertiger, gefundener Gegenstände wie Münzen etc. gesellschaftlich akzeptiert.328 In diesem Zuge soll, ähnlich wie im Rahmen des Diebstahls geringwertiger Sachen,329 durch das Zusammenspiel des geringen Sachwerts und der sozialen Harmlosigkeit des Verhaltens über die Sozialadäquanz ein Ausweg aus der Strafbarkeit gefunden werden. cc) Erpressung Auch der Straftatbestand der Erpressung ist mitunter eng mit dem Gedanken der Sozialadäquanz verwoben. Aufgrund der wie im Rahmen der Nötigung zu bestimmenden Drohung mit einem empfindlichen Übel330 sowie der ebenso ausgefüllten Verwerflichkeitsklausel331 ist daher zuvorderst auf die im Zuge der Nötigung dargelegte Rolle332 der Sozialadäquanz zu verweisen. Daneben wurde zudem ein ganzer Katalog an sozialadäquater Kasuistik entwickelt.333 So soll die Drohung mit einer Strafanzeige, um eine angemessene Bußzahlung an eine Wohlfahrtseinrichtung oder den Verletzten zu erwirken, in Folge ihrer Sozialadäquanz straflos sein.334 Überdies bewege sich die Einforderung eines Lieferantenrabatts unter Androhung des Abbruchs der geschäftlichen Beziehungen ebenfalls im Rahmen des gesellschaftlich Akzeptierten.335 Damit fußen diese Fälle, ebenso wie im Zuge der Nötigung, auf der Grundüberlegung, dass im sozialen Leben gewisse Einschränkungen und Nachteile hinzunehmen seien.336 Die Sozialadäquanz soll daher auch hier dazu dienen, gesellschaftlich anerkanntes Verhalten straffrei zu 328 F. Knauer, ZStW 126 (2014), 844 (850); Hoppe, Soziale Adäquanz, S. 111 f.; kritisch Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (91 ff.). 329 Dazu Kapitel B. II. 1. c) aa) (1). 330 Vgl. BeckOK-StGB/Wittig, § 253 Rn. 3; Schönke/Schröder/Bosch, § 253 Rn. 4. 331 Vgl. BeckOK-StGB/Wittig, § 253 Rn. 13; MK-StGB/Sander, § 253 Rn. 35. 332 Siehe Kapitel B. II. 1. a) cc) (2). 333 Zahlreiche Beispiele finden sich bei Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (121 f.). 334 Welzel, Grundzüge6, S. 310; Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (121); Hoppe, Soziale Adäquanz, S. 113. 335 Ebenso soll der Fall zu werten sein, dass ein Mieter dem Vermieter mit Kündigung droht, wenn die ihm zu hohe Mietsumme nicht herabgesetzt wird, vgl. Hoppe, Soziale Adäquanz, S. 113. 336 So begründet auch Welzel, Grundzüge6, S. 310 die Anwendung der Sozialadäquanz.
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belassen und den Tatbestand nicht zu weit zu fassen. Damit kommt ihr gerade im Angesicht der die Erpressung prägenden Abgrenzung verwerflicher von straflosen Handlungen ein naturgemäß weitgehender Anwendungsbereich zu. dd) Betrug (1) Anpreisungen und Reklame Ferner schimmert die Sozialadäquanz immer wieder im Rahmen des Betrugs auf. So soll zuweilen die soziale Adäquanz die Rechtswidrigkeit ausschließen, sofern im Rahmen des Verkehrsüblichen von der Wahrheit abgewichen werde.337 Dies sei insbesondere im Zuge marktschreierischer Reklame oder übertriebener Anpreisungen der Fall.338 Demzufolge sollen derartige, den Boden der Realität verlassende Äußerungen keine Strafbarkeit nach sich ziehen können. In der Tat ist die strafrechtliche Behandlung reklamehafter Anpreisungen bis heute umstritten. So herrscht zwar grundlegend Einigkeit, dass diese weitgehend keine Bestrafung wegen Betrugs nach sich ziehen.339 Über den Weg dorthin besteht indes Uneinigkeit. Während derartige Reklame einerseits gänzlich mangels Tatsachenbehauptung dem Betrugstatbestand entzogen wird,340 obwohl zugleich eingestanden wird, dass sie doch zumindest in Einzelfällen eigentlich dem Tatbestand unterfiele,341 wird die Ursache für den weitgehenden Schutz andernorts in der Viktimodogmatik342 ersucht: im Rahmen übertriebener Anpreisungen bestehe schließlich Anlass für den vermeintlich Betrogenen, die Aussage zu bezweifeln, sodass es ihm selbst obliege, sein Vermögen dementsprechend zu schützen.343 Daher sei er in diesen Fällen nicht schutzbedürftig, weshalb der ultima ratio-Schutz des Strafrechts nicht notwendig sei. Als strenger Verfechter der Viktimodogmatik ist demzufolge ein weitergehender Ansatz zu begreifen, welcher derart leicht ent-
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Welzel, Grundzüge6, S. 306; grundsätzlich auch Hoppe, Soziale Adäquanz, S. 112. So die Konkretisierung bei Welzel, Grundzüge7, S. 319; ebenso Seier, Kündigungsbetrug, S. 247 f.; vgl. ferner Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (89, 130). 339 BeckOK-StGB/Beukelmann, § 263 Rn. 7; Fischer, § 263 Rn. 10; Lackner/Kühl/Kühl, § 263 Rn. 5; LK/Tiedemann, § 263 Rn. 13 f.; MK-StGB/Hefendehl, § 263 Rn. 79 ff.; NKStGB/Kindhäuser, § 263 Rn. 88; Schönke/Schröder/Perron, § 263 Rn. 9; kritisch dagegen Kuhli, ZIS 2014, 504 (507 ff.). 340 Fischer, § 263 Rn. 10; Hilgendorf, Tatsachenaussagen und Werturteile, S. 193 f.; vgl. dazu auch Kuhli, ZIS 2014, 504 (507); kritisch MK-StGB/Hefendehl, § 263 Rn. 82. 341 Hilgendorf, Tatsachenaussagen und Werturteile, S. 195; vgl. LK/Tiedemann, § 263 Rn. 14. 342 Dazu allgemein: Amelung, GA 1977, 1 (6); Schünemann, ZStW 90 (1978), 11 (54 ff.); kritisch etwa Schönke/Schröder/Eisele, Vor §§ 13 ff. Rn. 70b; Roxin, AT I, § 14 Rn. 20; H. Günther, Festschrift Lenckner, S. 69 (76 ff.). 343 BeckOK-StGB/Beukelmann, § 263 Rn. 7. 338
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deckbare Täuschungen per se dem Betrugstatbestand entnimmt.344 Dagegen wird andererseits nicht einzig an der Empfängerperspektive angeknüpft, sondern demgegenüber die Intention des Erklärenden in den Vordergrund gerückt: demnach entfalle reißerische Reklame in der Regel deshalb dem Tatbestand, da es dem Erklärenden an der zur Vertrauensbildung notwendigen Ernsthaftigkeit der Aussage fehle.345 Daneben wird wiederum von einer anderen Auffassung versucht, auch die übertriebene Anpreisung hinsichtlich ihrer Natur als Werturteil oder Tatsachenbehauptung zu untersuchen und danach zu entscheiden.346 Damit besteht ein breites Sammelsurium unterschiedlicher Ansätze, um marktschreierische Reklame und übertriebene Anpreisungen straffrei zu stellen. Die Nennung der Sozialadäquanz überrascht daher in diesem Kontext wenig. Allerdings zeigt sich auch hier bei genauerer Betrachtung, dass viele der einzelnen Lösungsansätze auf dem Eckpfeiler der Sozialadäquanz stehen. So wird etwa im Zuge der Abgrenzung von Werturteil und Tatsache auf die sich wandelnde Verkehrsauffassung im jeweiligen Verkehrskreis rekurriert.347 Diese wird ihrerseits nicht weiter konkretisiert und bietet damit den Ansatzpunkt einer gesellschaftlichen Bewertung und somit des zentralen Elementes der Sozialadäquanz. Daneben wird die Frage, ob eine Äußerung besonderen Geltungsanspruch besitzt und folglich doch betrugsrelevant sei, ebenfalls an die nicht näher bestimmte Verkehrsauffassung geknüpft.348 Zur Konkretisierung des Verkehrskreises wird einzig die soziale Rolle des Täters hervorgehoben,349 die ihrerseits die soziale Betrachtung in den Vordergrund stellt. Auch im Zuge des Ansatzes, der die Ernsthaftigkeit der Aussage als maßgeblich erachtet, wird diese vielmals nach der nicht durch Kriterien präzisierten Verkehrsanschauung bemessen.350 Demnach eint der Rekurs auf die Verkehrsanschauung die unterschiedlichen Ansichten. Eine Beurteilung der Frage nach der Tatbestandsmäßigkeit der übertriebenen Reklame scheint somit ohne Rückgriff auf Kriterien der sozialen Adäquanz kaum möglich. Insofern stoßen auch die gegebenen Ansichten bisweilen an ihre Grenzen und begnügen sich mit der originär seitens der Sozialadäquanz aufgestellten These, dass im Rahmen des Verkehrsüblichen von der Wahrheit abgewichen werden
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Naucke, Festschrift K. Peters, S. 109 (117). Kurth, Mitverschulden des Opfers, S. 168 ff. verneint jedenfalls die objektive Zurechnung im Falle des Unterlassens einfacher sowie zumutbarer Aufklärungstätigkeit seitens des Opfers. 345 MK-StGB/Hefendehl, § 263 Rn. 79 ff.; NK-StGB/Kindhäuser, § 263 Rn. 88; Schönke/ Schröder/Perron, § 263 Rn. 9; Wessels/Hillenkamp/Schuhr, BT 2, Rn. 495. 346 Lackner/Kühl/Kühl, § 263 Rn. 5; MK-StGB/Hefendehl, § 263 Rn. 79; Hilgendorf/Valerius, BT II, § 7 Rn. 17 ff. 347 MK-StGB/Hefendehl, § 263 Rn. 80; Hecker, Produktwerbung, S. 217 ff. 348 MK-StGB/Hefendehl, § 263 Rn. 81; vgl. Hilgendorf, Tatsachenaussagen und Werturteile, S. 192 ff. 349 So C. Schröder, Handbuch Kapitalmarktstrafrecht, Rn. 625. 350 So NK-StGB/Kindhäuser, § 263 Rn. 88; Schönke/Schröder/Perron, § 263 Rn. 9.
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dürfe. Dies verfestigt den Eindruck, dass die soziale Adäquanz oder zumindest deren Kriterien gegenwärtiger ist bzw. sind, als bisweilen proklamiert. (2) Verbergen eines Liebhaberinteresses Die Sozialadäquanz wird ferner angeführt, wenn sich die Täuschung darin erschöpft, ein bestehendes Liebhaberinteresse an dem konkreten Kaufgegenstand zu verbergen. Auch dann soll dieses Verbergen sozialadäquat sein und damit keine Strafbarkeit nach sich ziehen.351 Dass dieses Beispiel in der weiteren Literatur kaum erörtert wird, dürfte indes bereits an der mangelnden Garantenpflicht liegen. Daher scheint die thematisierte, potenzielle Rechtsfigur insofern deskriptiv eingesetzt zu werden, was angesichts der Natur der Garantenpflicht als rechtlicher Pflicht jedenfalls auf die inflationäre Handhabung des Begriffs der sozialadäquaten Handlung hindeutet. (3) Handeln im Rahmen beruflicher Ordnung Darüber hinaus wird die Sozialadäquanz angeführt, um einen Rechtfertigungsgrund des Handelns im Rahmen der beruflichen Ordnung zu begründen.352 Dabei stehen insbesondere Rechtsanwälte353, aber auch Notare354 im Fokus der Betrachtung. Deren Tätigkeit im Zuge ihrer Berufsausübung soll sozialadäquat sein und damit keine Strafbarkeit wegen Betrugs nach sich ziehen. So soll etwa der durch einen Rechtsanwalt begangene Prozessbetrug durch von Eventualvorsatz getragener Behauptung unwahrer Tatsachen dem Betrugstatbestand entzogen sein.355 Weite Teile des Schrifttums sowie die Rechtsprechung lösen diesen Konflikt indes über den Vorsatz und stellen seitens des Anwalts jedenfalls strengere subjektive Anforderungen.356 Insofern bestehen beachtliche Parallelen zur Strafvereitelung durch den 351 Als sozial allgemein toleriert umschrieben von Roxin, Festschrift Klug, S. 303 (312); vgl. ferner F. Knauer, ZStW 126 (2014), 844 (850). 352 Vgl. Silva Sánchez, Festschrift Tiedemann, S. 237 (238); Krekeler, AnwBl 1993, 69 (72); Volk, BB 1987, 139 (144 f.); dazu auch LK/Tiedemann, § 263 Rn. 290. NK-StGB/ Kindhäuser, § 263 Rn. 351 lehnt die Täuschung aufgrund erlaubten Risikos ab. 353 Altermann, Festschrift Eisenberg, S. 233 (241); Volk, BB 1987, 139 (144 f.); vgl. ferner LK/Tiedemann, § 263 Rn. 290. 354 Silva Sánchez, Festschrift Tiedemann, S. 237 (238); Krekeler, AnwBl 1993, 69 (72). 355 Altermann, Festschrift Eisenberg, S. 233 (241); Volk, BB 1987, 139 (144 f.). 356 So soll nach LK/Tiedemann, § 263 Rn. 240 und ders., Festgabe K. Peters (1984), S. 131 (145) dolus eventualis für den Anwalt nicht zur Strafbarkeit gereichen; ebenso das ältere Schrifttum wie Arens, Zivilprozessrecht, Rn. 23; Rosenberg/Schwab, Zivilprozessrecht, § 65 VIII 4. LK10/Lackner, § 263 Rn. 309 und Lenckner, Prozessbetrug, S. 132 lassen Eventualvorsatz zwar grundsätzlich genügen, fordern aber, dass der Anwalt die Behauptung „auch für den Fall ihrer Unwahrheit“ wolle. Die Rechtsprechung verfährt dagegen sehr großzügig betreffend die Negation des Vorsatzes und reichert die Diskussion nunmehr um den objektiven Sinngehalt des Geschehens an, vgl. RGSt 37, 321 (322 f.), BGHSt 3, 160 (162) einerseits und BGH NStZ-RR 2001, 241 (242) andererseits.
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Strafverteidiger,357 bei welcher der Konflikt zwischen Berufsausübung und Strafandrohung ebenfalls derartige Lösungsansätze hervorrief. ee) Untreue Sozialadäquat soll ferner die Zufügung von Vermögensnachteilen im Sinne des Untreuetatbestands des § 266 StGB358 sein, sofern diese auf Handlungen im Rahmen ordnungsgemäßer Geschäftsführung zurückzuführen sind.359 Daher sollen etwa hohe Akquisitionskosten zur Erweiterung des Kundenstammes, die Stilllegung einzelner Betriebszweige, hohe Forschungskosten oder Investitionen auch dann keine Strafbarkeit nach sich ziehen, wenn sie dem Unternehmen faktisch einen Nachteil zufügen.360 Diese Überlegung fußt auf der Erkenntnis, dass das Geschäftsleben grundsätzlich zum Risiko zwingt und sich daher einzelne Verlustgeschäfte innerhalb der sozialethischen Ordnung des Gemeinschaftslebens bewegen.361 Zudem trägt jede Investition die Gefahr in sich, dass die anvisierten Ziele verfehlt und Fehlerträge erwirtschaftet werden.362 Die daraus resultierende Diskussion der Strafbarkeit kommt heute oftmals ohne den Begriff der Sozialadäquanz aus und behandelt diesen Aspekt entsprechend des dem Unternehmertum immanenten Risikos unter dem Terminus der Risikogeschäfte.363 In diesem Lichte wird um die Grenzen der Strafbarkeit gerungen, namentlich ob der zugestandene, weite unternehmerische Spielraum364 sein Ende in der Heranziehung zivil- und gesellschaftsrechtlicher Normen365, einer gra357
Siehe Kapitel B. II. 1. b) dd) (3). Früher auch im Hinblick auf § 294 AktG a.F. und § 81a GmbHG a.F. 359 So NK-StGB/Kindhäuser, § 266 Rn. 73; Ohlshausen/Niethammer, Vor § 51 Anm. 4; Schönke/Schröder28/Lenckner/Eisele, Vor §§ 13 ff. Rn. 69; Welzel, Grundzüge11, S. 56; Altermann, Festschrift Eisenberg, S. 233 (241); Hoppe, Soziale Adäquanz, S. 114 f.; eingehend auch Klug, Festschrift Eb. Schmidt, S. 249 (257 ff.); vgl. ferner Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (89, 130); F. Knauer, ZStW 126 (2014), 844 (850). 360 Klug, Festschrift Eb. Schmidt, S. 249 (261); vgl. auch Hoppe, Soziale Adäquanz, S. 114. 361 Vgl. Klug, Festschrift Eb. Schmidt, S. 249 (260 f.); Hoppe, Soziale Adäquanz, S. 114. 362 MK-StGB/Dierlamm, § 266 Rn. 228 f.; Thomas, Festschrift Rieß, S. 795 (800); Rose, wistra 2005, 281 (282). 363 Dazu Hellmann, ZIS 2007, 433 f.; Hillenkamp, NStZ 1981, 161 (161 ff.); Rose, wistra 2005, 281 (282 ff.); kritisch zur gegenwärtigen Handhabung Saliger, HRRS 2006, 10 (14 ff.). Mit einer von der Sozialadäquanz losgelösten Betrachtung bricht hingegen NK-StGB/Kindhäuser, § 266 Rn. 73, der die Risikogeschäfte als „sozial adäquat“ bezeichnet. 364 BGHSt 47, 187 (192 f.); BGHZ 135, 244 (253); BGH NJW 2016, 2585 (2591 ff.); MKStGB/Dierlamm, § 266 Rn. 232; Schönke/Schröder/Perron, § 266 Rn. 20. 365 NK-StGB/Kindhäuser, § 266 Rn. 75a; Tiedemann, Festschrift Weber, S. 319 (322 f.); Rönnau/Hohn, NStZ 2004, 113 (114). Wobei hier wiederum nach einigen Vertretern das nichtstrafrechtliche Verbot zwar notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung eines strafrechtlichen Verbots sein soll, vgl. Lüderssen, Festschrift Lampe, S. 727 (729); Brammsen, wistra 2009, 85 (87 ff.); insofern zustimmend auch Beulke, Festschrift Eisenberg, S. 245 (253). 358
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vierenden Pflichtverletzung366 oder der evidenten Unvertretbarkeit der wirtschaftlichen Maßnahme367 findet. Allerdings ist das Bild der zahlreichen vertretenen Ansichten geprägt von einem die Ansätze inhaltlich verknüpfenden Verweis auf die branchenübliche, kaufmännische Sorgfalt, die jeweils den strafrechtsfreien Raum begrenzen soll.368 Maßgeblich für die Beurteilung der Strafbarkeit soll somit der gesellschaftlich gelebte Habitus sein. Zur Bestimmung der jeweiligen Konturen soll also die Üblichkeit der jeweiligen Maßnahme im konkreten gesellschaftlichen Umfeld beleuchtet werden, um darauf basierend das Unwerturteil fällen zu können. Demnach bildet die Üblichkeit oder Akzeptanz des Verhaltens im jeweiligen Verkehrskreis das prägende Element der Strafbarkeitsbeurteilung. Damit gelingt die beabsichtigte Implementierung von Konturen aber jedenfalls nicht ohne Rückgriff auf den der Sozialadäquanz zugrundeliegenden Gedanken und erhebt diesen zudem zum Gradmesser der eigenen Lösung. Die strafrechtliche Bewertung des Risikogeschäfts ist dessen Natur nach eng an den jeweiligen Verkehrskreis geknüpft. Demgemäß stellt dieser das zentrale Element im Rahmen der Strafbarkeitsbeurteilung dar. Somit lässt sich eine gänzliche Abkehr von dem Leitgedanken der Sozialadäquanz schwerlich leugnen. Während die Lehre von der Sozialadäquanz dies explizit auf ihren Aussagegehalt zurückführt, versuchen die neueren Lehren die Üblichkeit des Verhaltens als Auslegungsmaßstab einer dogmatisch anders konstruierten Lösung heranzuziehen. Damit bleibt freilich fraglich, ob die Sozialadäquanz hier wiederum den Anstoß für andere Lösungsansätze gab oder aber als schwerlich zu leugnendes Element in andere Lösungsansätze überführt wurde. ff) Sachbeschädigung Im Zuge der Sachbeschädigung sollte vereinzelt der Reisende sozialadäquat handeln, der sich auf einer Bahnfahrt mit dem dort zur Verfügung gestellten Papierhandtuch die Hände abtrocknet und das Tuch anschließend zerknüllt oder zer366 BVerfGE 126, 170 (211); BGHSt 47, 148 (150); 47, 187 (197); OLG Hamm, NStZ-RR 2012, 374 (374 f.); Beulke, Festschrift Eisenberg, S. 245 (252 ff.); Bittmann, wistra 2013, 1 (6 ff.); Kubiciel, NStZ 2005, 353 (357 ff.); Saliger, NJW 2010, 3195 (3197); C. Schröder, NJW 2010, 1169 (1171); eingehend auch Schünemann, NStZ 2005, 473 (475 f.). Zum Streit der Strafsenate über das Erfordernis der gravierenden Pflichtverletzung etwa Beulke, Festschrift Eisenberg, S. 245 (253 ff.). 367 MK-StGB/Dierlamm, § 266 Rn. 232; Schönke/Schröder/Perron, § 266 Rn. 20; Waßmer, Untreue bei Risikogeschäften, S. 73 ff.; Poseck, Strafrechtliche Haftung des Aufsichtsrats, S. 88. 368 So etwa BGHSt 47, 148 (150); BGH NStZ 2002, 262 (264); LK/Schünemann, § 266 Rn. 93 ff.; MK-StGB/Dierlamm, § 266 Rn. 232 f.; Schönke/Schröder/Perron, § 266 Rn. 20; Hillenkamp, NStZ 1981, 161 (167 f.); Kubiciel, NStZ 2005, 353 (359); Rose, wistra 2005, 281 (288 f.); Rönnau/Hohn, NStZ 2004, 113 (118); kritisch dagegen Hellmann, ZIS 2007, 433 (437).
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reißt.369 Ebenso sollte der Holzfäller nicht strafrechtlich belangt werden können, der auf Geheiß des Zuständigen den Staatsforst rodet.370 Gleichwohl erfuhren diese Beispiele kaum Aufmerksamkeit in der Literatur, wohl weil mit der Einwilligung eine dogmatisch gefestigtere Figur zur Lösung bereitstand. Der Verweis auf die Sozialadäquanz deutet aber auf die mitunter inflationäre Handhabung dieses Begriffes hin. Insofern interessanter erweist sich oben erwähntes Beispiel des Umschneidens eines Maibaums,371 wobei in diesem Kontext keine Begründung mitgeliefert wird und die Argumentation sich somit in einem Verweis auf die Sozialadäquanz erschöpft. 2. Sozialadäquanz im Allgemeinen Teil des StGB a) „Neutrale Beihilfe“ aa) Sozialadäquanz und andere Ansätze Die Lehre der Sozialadäquanz hielt nicht nur Einzug in den Besonderen Teil des Strafgesetzbuchs, sondern findet sich darüber hinaus auch im Rahmen des Allgemeinen Teils wieder. Den diesbezüglich prominentesten Anwendungsfall stellen die sogenannten äußerlich neutralen Handlungen dar. So soll nach vielfach vertretener Ansicht372 eine allgemein übliche Alltagshandlung, die der Ausführende vornimmt, weil er mit dieser (auch) eigene, rechtlich nicht missbilligte Zwecke verfolgt373, sozialadäquat sein und damit trotz faktischer Beihilfe zu einer fremden Haupttat keine Beihilfestrafbarkeit begründen. Besonders im Fokus stehen dabei zumeist berufsbedingte Handlungen, also Verhaltensweisen im Rahmen des beruflich gegebenen Spielraums.374
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So Ohlshausen/Niethammer, Vor § 51 Anm. 4. Schaffstein, ZStW 72 (1960), 369 (379). Ferner schneidet Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (130 f.) den Gedanken an, ob die Zerstörung von Sachen im Auftrag des Eigentümers sozialadäquat sein könne, lehnt dies dann aber ab. 371 Piegler, JZ 1955, 721 (722); als nicht rechtswidrig begriffen von Bezirksgericht Neumarkt bei Salzburg, Entscheidung vom 3. 7. 1951, C 133/50. 372 Philipowski, in: Kohlmann (Hrsg.), Strafverfolgung, S. 142 ff.; Schmoller, Festschrift Triffterer, S. 223 (246 ff.); Kretschmer, JR 2014, 39 (40 f.); Jakobs, GA 1996, 253 (260 f.); Loos, JR 2002, 75 (78); Rudolphi, Gleichstellungsproblematik echter Unterlassungsdelikte, S. 137 f.; Weitergehend noch Dannecker, ZStW 117 (2005), 697 (716 f.) und Jura 2006, 173 (178), der auch die Strafbarkeit nach deutschem Recht eines im Ausland berufstätigen Deutschen verneint, wenn dieser die dortigen Berufsregeln einhält. 373 Zur Definition der neutralen Handlung etwa NK-StGB/Schild, § 27 Rn. 11 oder Roxin, AT II, § 26 Rn. 220. 374 Vgl. etwa H. Schneider, NStZ 2004, 312 (312 f.); Kudlich, Unterstützung fremder Straftaten, S. 20 f.; Wolff-Reske, Berufsbedingtes Verhalten, S. 23 ff. Eine ausgiebige Aufzählung entsprechender Verhaltensweisen findet sich bei Kudlich, Unterstützung fremder Straftaten, S. 42 ff. 370
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Die Wurzeln dieser Problematik reichen ihrerseits bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurück, als Kitka erstmalig den in diesem Kontext oft erwähnten TerzerolFall darbrachte, in dem ein Händler dem späteren Mörder in Kenntnis dessen Absicht ein Terzerol, eine kleine Vorladerpistole, verkaufte.375 Das Motiv des Handelsmannes, dem ein etwaiger Mord gleichgültig war, lag indessen in reiner Gewinnerzielung und nicht in der Darreichung der Tatwaffe. Während Kitka das Problem skizzierte und eine Strafbarkeit annahm,376 ward die ausgiebigere Diskussion derer spätestens mit von Bars Ausführungen377 zu diesem Fall geboren. In deren Fortgang war es sodann Jakobs378, der mit dem Falle des Gebäck an einen Kunden verkaufenden Bäckers, welcher erkennt, dass der Kunde damit einen Giftmord begehen wird, ein weiteres viel diskutiertes Beispiel379 schuf. Nachdem sich dieser Problematik zunächst eher punktuell durch auf spezielle Branchen zugeschnittene Beiträge genähert wurde,380 geriet sie in den Neunziger Jahren381 in den Fokus der juristischen Betrachtung.382 Diese ist nicht nur von einer Vielzahl unterschiedlichster Ansichten383 geprägt, sondern darüber hinaus auch oftmals von der Erkenntnis, dass das Problem der Beihilfestrafbarkeit bei äußerlich neutralen Handlungen noch nicht abschließend geklärt sei.384
375 Kitka, Zusammentreffen mehrerer Schuldiger, S. 62; aufgegriffen etwa bei Kudlich, Unterstützung fremder Straftaten, S. 42. 376 Kitka, Zusammentreffen mehrerer Schuldiger, S. 66 f. 377 von Bar, Gesetz und Schuld Band 2, S. 693 Fn. 176a, der die Frage aufwarf, wohin es führen würde, jeden Waffenhändler zur Prüfung der Zuverlässigkeit seiner Kunden zu verpflichten. 378 Jakobs, ZStW 89 (1977), 1 (4). Jakobs selbst lehnte in diesem Zuge die Strafbarkeit des Bäckers ab, da dessen Verhalten keiner gemeinsamen deliktischen Planung entstamme und damit den Giftmord nicht in seine Verantwortungssphäre überführe, Jakobs, ZStW 89 (1977), 1 (22 ff.). 379 Etwa bei Frisch, Verhalten und Zurechnung, S. 280 ff., Kudlich, Unterstützung fremder Straftaten, S. 43 und inhaltlich auch bei H. Schumann, Selbstverantwortung, S. 63 380 Statt vieler Hassemer, wistra 1995, 41 (41 ff.), 81 (81 ff.).; Otto, StV 1994, 409 (409 f.). 381 Wozu wohl Roxin, Festschrift Stree/Wessels, S. 365 (378) beitrug, der noch im Jahre 1993 die Beihilfestrafbarkeit für äußerlich neutrales Verhalten als „wenig geklärtes, aber in zunehmendem Maße wenigstens erkanntes Problem“ umschrieb und damit zu einer umfassenden Untersuchung der Problematik einlud. 382 Nach Rengier, AT, § 45 Rn. 101 gehört dies zu den „meistdiskutierten Fragen der letzten Zeit“; vgl. nur Amelung, Festschrift Grünwald, S. 9 passim; Frisch, Festschrift Lüderssen, S. 539 passim; Moos, Festschrift Trechsel, S. 477 passim; Otto, Festschrift Lenckner, S. 193 passim; Niedermair, ZStW 107 (1995), 507 passim; Kudlich, Unterstützung fremder Straftaten, passim; Rackow, Neutrale Handlungen, passim; Wohlleben, Neutrale Handlungen, passim; Wolff-Reske, Berufsbedingtes Verhalten, passim. 383 Von einer kaum übersehbaren Fülle spricht etwa Rengier, AT, § 45 Rn. 105, während MK-StGB/Joecks, § 27 Rn. 66 ebenso ein kaum überblickbares Meinungsspektrum attestiert. 384 Kudlich, Unterstützung fremder Straftaten, S. 20; vgl. Amelung, Festschrift Grünwald, S. 9 (9 f.); Wohlers, NStZ 2000, 169 (169, 173).
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Im Zuge der breit geführten Diskussion entstand ein bunt gefächertes Bild zahlloser Lösungsansätze, die zuweilen unterschiedliche dogmatische Ansatzpunkte heranziehen.385 Während einerseits die objektive Zurechnung ausgeschlossen sein soll,386 sei nach anderen Stimmen die Rechtswidrigkeit im Zuge der Rechtsgüterabwägung abzulehnen.387 Andernorts wird eine Orientierung am Katalog des § 138 StGB sowie den §§ 13, 323c StGB zur Konkretisierung strafbarer Beihilfe vorgeschlagen.388 Nach anderer Ansicht sei die strafbare Handlung dagegen von einem Zusammenspiel subjektiver sowie objektiver Elemente geprägt, sodass eine Strafbarkeit nur anzunehmen sei, wenn der Helfende zumindest auch bedingt vorsätzlich bezüglich der deliktischen Verwendung der beruflichen Leistung handele und die Verknüpfung von Tat und Berufsleistung nicht lediglich willkürlich erfolge.389 Demgegenüber wird andererseits die subjektive Komponente in den Mittelpunkt der Betrachtung gestellt und eine Gehilfenstrafbarkeit abgelehnt, wenn hinsichtlich der Haupttat lediglich Eventualvorsatz390 vorliegt oder kein Tatförderungswille391 hervortritt. Ähnlich verhält es sich mit den Stimmen, die zur Annahme einer Strafbarkeit einen deliktischen Sinnbezug fordern,392 also das Wissen des vermeintlichen Gehilfen um den ausschließlich deliktischen Sinn seiner Handlung für den Täter. Dieses Sammelsurium an Meinungen wird von Beiträgen komplettiert, die sich die dogmatische Verortung bewusst offenhalten393 oder eine Abweichung von den üblichen
385 Ausführlich bezüglich berufsbedingter Handlungen die kritischen Darstellungen von Kudlich, Unterstützung fremder Straftaten, S. 78 ff. 386 Unter dem Aspekt des erlaubten Risikos: Wohlers, NStZ 2000, 169 (173 f.) und Rabe von Kühlewein, JZ 2002, 1139 (1143 ff.). Auf die Pflichtgemäßheit der Handlung abstellend Rackow, Neutrale Handlungen, S. 508 ff. Ferner Gaede, JA 2007, 757 (760), der die objektive Zurechnung um den Aspekt des subjektiven Sonderwissens bereichert. Behr, wistra 1999, 245 (249) verneint die Zurechnung aufgrund eines zulässigen Verhaltens. Kritisch zur Verortung im Rahmen der objektiven Zurechnung dagegen Maiwald, Festschrift Miyazawa, S. 465 (480). 387 Amelung, Festschrift Grünwald, S. 9 (27); Frisch, Festschrift Lüderssen, S. 539 (554 ff.); Mallison, Rechtsauskunft als strafbare Teilnahme, S. 134; dahingehend auch Arzt, NStZ 1990, 1 (4). 388 SK-StGB/Hoyer, § 27 Rn. 33; ablehnend etwa Beckemper, Jura 2001, 163 (166) und Niedermair, ZStW 107 (1995), 507 (519 ff.). 389 Kudlich, Unterstützung fremder Straftaten, S. 466; ders., JA 2013, 791 (792 f.); zustimmend Lackner/Kühl/Kühl, § 27 Rn. 2a; eine ähnliche Verknüpfung des Subjektiven mit dem Objektiven ersucht Cannawurf, Beteiligung, 2007, S. 194, 198 ff. 390 Otto, Festschrift Lenckner, S. 193 (214 f.); Ladiges, JuS 2012, 50 (55); Otto, JZ 2001, 436 (443 f.). 391 RGSt 37, 321 (323 f.); 39, 44 (48); 75, 112 (113); BGHSt 29, 99 (105 f.). 392 LK/Schünemann, § 27 Rn. 18 ff.; Jäger, AT, Rn. 271; Rengier, AT, § 45 Rn. 109 ff.; Roxin, AT II, § 26 Rn. 221 ff.; Roxin, Festschrift Stree/Wessels, S. 365 (378 ff.); Lesch, JA 2001, 986 (991); Samson, ZStW 99 (1987), 617 (633). Nunmehr auch BGHSt 46, 107 (112 f.); BGH wistra 2014, 176 (178). 393 So etwa Weigend, Festschrift Nishihara, S. 197 (211 f.); Barton, StV 1993, 156 (162 f.); Rabe von Kühlewein, JZ 2002, 1139 (1139); dahingehend auch der Hinweis von Rengier, AT, § 45 Rn. 113.
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Grundsätzen der Beihilfe ablehnen und damit ohne Einschränkung eine Strafbarkeit annehmen.394 So stehen zahllose Wege zur Lösung der Thematik ohne inhaltlichen Verweis auf die Sozialadäquanz bereit. Dennoch zeigt sich die enge thematische Verwobenheit mit deren Idee an dem häufigen Rekurs auf das Schlagwort Sozialadäquanz, der sich durch die diversen Meinungen zieht und diese insofern eint.395 Damit scheint fraglich, ob die Sozialadäquanz hier zufälligerweise insofern lediglich als Synonym für die Straflosigkeit verwendet wird, oder ob ihr eine weitere, argumentative Bedeutung zur Etablierung des eigenen Ansatzes zukommen soll. bb) Konkretisierung der Sozialadäquanz? Jedenfalls rief die in diesem Kontext zuhauf geäußerte Kritik396 an der Sozialadäquanz eine Reaktion dergestalt hervor, als dass diese Lehre weiterentwickelt und in Form der professionellen Adäquanz präzisiert wurde.397 Dabei liegt das Ziel dieser Modifikation darin, dem Hauptkritikpunkt der Unbestimmtheit der Sozialadäquanz zu begegnen. Erreicht werden soll dies, getragen von der Erkenntnis, dass der eine Bereich des Sozialen normativ nicht existiere, mittels einer Fokussierung auf den jeweiligen regionalen Bereich der Adäquanz.398 Damit seien die Überlegungen auf einen sozial vorstrukturierten Bereich, etwa ein Berufsfeld, zu beziehen, welches wiederum durch normative Komponenten wie leges artis, Anforderungen an den ordentlichen Geschäftsmann oder professionelle Handlungsregeln gezeichnet sei.399 Durch die Heranziehung derartiger, segmentärer zumeist sozialer Normen sei zudem mit deren präzisierender sowie einschränkender Wirkung auf das Strafrecht zugleich ein Grund für die strafrechtliche Privilegierung entsprechenden Verhaltens dargebracht.400 Doch scheint fraglich, ob durch den Rekurs auf das konkrete soziale Normenkorsett der Vorwand der Unbestimmtheit pariert werden kann.401 Schließlich birgt der
394 Fischer, § 27 Rn. 19c; Heinrich, AT, Rn. 1331; Beckemper, Jura 2001, 163 (169); MeyerArndt, wistra 1989, 281 (285); dahinzielend auch Niedermair, ZStW 107 (1995), 508 (543 f.). 395 So etwa zu beobachten bei BGHSt 46, 107 (112); MK-StGB/Joecks, § 27 Rn. 93; Rengier, AT, § 45 Rn. 111; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 830; Moos, Festschrift Trechsel, S. 477 (482 ff.); Behr, wistra 1999, 245 (249). 396 Vgl. statt vieler Roxin, AT I2, § 10 Rn. 41, dessen Kritik in besonderer Weise Anlass zu den Ausführungen zur professionellen Adäquanz gegeben zu haben scheint, vgl. Hassemer, wistra 1995, 41 (46). 397 Grundlegend Hassemer, wistra 1995, 41 ff. und 81 ff. 398 Hassemer, wistra 1995, 81 (81 f.). 399 Hassemer, wistra 1995, 81 (82), insofern auch Lohmar, Bankgeschäfte, S. 255 ff. 400 Vgl. Hassemer, wistra 1995, 81 (83). 401 So aber Amelung, Festschrift Grünwald, S. 9 (10); Rackow, Neutrale Handlungen, S. 206 f.; kritisch Weigend, Festschrift Nishihara, S. 197 (201 f.). Kudlich, Unterstützung
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Verweis auf soziale Normen wiederum den Hinweis auf Normen mit potenzieller eigener Unschärfe, wie etwa die Sorgfalt des ordentlichen Geschäftsmannes. Darüber hinaus sei auch die professionelle Adäquanz eine zu grobmaschige Abstraktion im Hinblick auf den konkreten Einzelfall, sodass darin keine überzeugende Begründung für die Straffreistellung der Unterstützungshandlung in Kenntnis deliktischer Absichten liege.402 Ferner sei nicht ersichtlich, weshalb das Übliche zum Maßstab des Richtigen erhoben werden könne.403 Ferner führe die maßgebliche Berücksichtigung beruflicher Regeln zu einer ungerechtfertigten Benachteiligung privat handelnder Personen.404 Demgemäß sieht sich auch die Lehre der professionellen Adäquanz erheblicher Kritik ausgesetzt. Nichtsdestotrotz scheint diese Vertiefung der Sozialadäquanz ein interessanter Ansatz, der die Nachvollziehbarkeit sowie Überprüfbarkeit der Ergebnisse vereinfacht.405 Zudem scheint in der schärferen Konturierung aufgrund sozialer Regelungen eine tiefergehende Verrechtlichung der Debatte zu liegen, die zur Akzeptanz der Lösung beitragen könnte. b) Wahrnehmung einzelner Aufgaben des Betriebsinhabers Ein weiterer Anwendungsbereich der Sozialadäquanz wird im Rahmen der Wahrnehmung einzelner Aufgaben für den Betriebsinhaber im Sinne des § 14 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StGB diskutiert. So erachtet die vermeintlich herrschende Ansicht die Übertragung der Aufgaben des Betriebsinhabers als unzulässig, insofern sich diese außerhalb des sozial Adäquaten abspielt.406 Als Beispiel fungiert etwa das Lehr-
fremder Straftaten, S. 85 (Fn. 83) erkennt das Problem, würdigt Hassemers Lösung aber für deren Gewinn an Nachvollziehbarkeit und Begründbarkeit der gefundenen Ergebnisse. 402 Vgl. Otto, Festschrift Lenckner, S. 193 (202 f.); Weigend, Festschrift Nishihara, S. 197 (201 f.); Löwe-Krahl, Steuerhinterziehung, S. 34 f.; Rengier, AT, § 8 Rn. 107 sieht in einer derartigen Straffreistellung zudem einen Widerspruch zur objektiven Zurechnung, deren Basis schließlich durch ein etwaiges Sonderwissen verändert werde. 403 Roxin, AT II, § 26 Rn. 233; Rackow, Neutrale Handlungen, S. 207; ferner Amelung, Festschrift Grünwald, S. 9 (11), der darauf aufbauend der professionellen Adäquanz allenfalls lediglich prozessuale Bedeutung beimisst und diese sodann als Indiz der Rechtmäßigkeit gewichten möchte. 404 Tag, JR 1997, 49 (52); Löwe-Krahl, Steuerhinterziehung, S. 34 f. 405 Wie Kudlich, Unterstützung fremder Straftaten, S. 85, der insofern auch von einer verfeinerten Struktur der Sozialadäquanz spricht, feststellt. 406 Als herrschend bezeichnet bei NK-StGB/Böse, § 14 Rn. 48, der diese Ansicht selbst ablehnt. Für eine Sozialadäquanz streiten neben dem Regierungsentwurf zum EGOWiG (BTDrucks. V/1319, S. 65) und der Rechtsprechung (BGH NStZ 2013, 408) etwa Göhler/Gürtler, § 9 Rn. 32; KK-OWiG/Rogall, § 9 Rn. 94 f.; Lackner/Kühl/Kühl, § 14 Rn. 4; Rebmann/Roth/ Herrmann, OWiG § 9 Rn. 48; Demuth/Schneider, BB 1970, 642 (645 f.); Marxen, JZ 1988, 286 (288); vorsichtiger auch Fischer, § 14 Rn. 13. Dagegen indes LK/Schünemann, § 14 Rn. 64; MK-StGB/Radtke, § 14 Rn. 104; Satzger/Schluckebier/Widmaier/Bosch, § 14 Rn. 16.
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mädchen, welches vom Inhaber der Verkaufsstelle damit beauftragt wird, in eigener Verantwortung für die Einhaltung der Ladenschlusszeiten zu sorgen.407 Insofern scheint die Figur der Sozialadäquanz nicht unmittelbar die Strafbarkeit entfallen zu lassen, sondern vielmehr die Pflichtenüberbürdung zu verhindern. Rogall führt dies auf den Schutz des öffentlichen Interesses an der Pflicht- und Aufgabenerfüllung zurück, weswegen er diesbezüglich den Terminus der Sozialadäquanz nicht im klassischen Sinne als Strafbarkeitsausschluss verstanden wissen möchte.408 Angesichts der Aufgabe des § 14 StGB, den Kreis der Normadressaten der Straftatbestände auf bestimmte Vertreter zu erweitern409, fungiert die Sozialadäquanz hier jedoch jedenfalls dazu, die ansonsten üblicherweise erfolgende Ausweitung der Strafbarkeit zu verhindern und wirkt damit faktisch ebenfalls strafbarkeitsausschließend. Zwar wird nicht – wie zumeist – unmittelbar eine Strafbarkeit nach dem Besonderen Teil eingeschränkt, sondern vielmehr die Tätereigenschaft korrigiert. Dies ist allerdings der Verortung des § 14 StGB im Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuchs geschuldet. Dementsprechend erfolgt die Einschränkung der Strafbarkeit dogmatisch unter dem Aspekt der fehlenden Pflichtenübertragung. Die Gegenansicht berücksichtigt die individuelle Befähigung des Beauftragten demgegenüber erst auf der Ebene der Schuld, indem sie diese entfallen lässt.410 Schließlich sei die Sozialadäquanz einmal mehr zu vage und unbestimmt.411 Zudem biete der Gesetzeswortlaut keinen Anlass zur Einschränkung der Strafbarkeit.412 Damit steht die Sozialadäquanz auf diesem Felde den Gegnern einer Strafbarkeitseinschränkung gegenüber, die ihrerseits im Einzelfall einen Ausweg über den Pfad der Schuld suchen. Doch bringt auch diese Auffassung Raum für Härtefälle und mitunter schwierige Abgrenzungsfragen mit sich, sodass ein Ende des diesbezüglichen Meinungsstreits ebenfalls noch nicht in Sicht scheint.
407 So BT-Drucks. V/1319, S. 65; KK-OWiG/Rogall, § 9 Rn. 94; Demuth/Schneider, BB 1970, 642 (645 f.). 408 KK-OWiG/Rogall, § 9 Rn. 95. Kritisch diesbezüglich MK-StGB/Radtke, § 14 Rn. 104, der eine Trennung des angeführten Gebots materieller Äquivalenz der Aufgabenerfüllung von den individuellen Fähigkeiten des Beauftragten fordert, da diese erst auf Ebene der Schuld zu berücksichtigen seien. 409 MK-StGB/Radtke, § 14 Rn. 5; NK-StGB/Böse, § 14 Rn. 2; Schönke/Schröder/Perron/ Eisele, § 14 Rn. 1. 410 So etwa MK-StGB/Radtke, § 14 Rn. 104; NK-StGB/Böse, § 14 Rn. 49; Schönke/ Schröder/Perron/Eisele, § 14 Rn. 36; Ceffinato, Strafrechtliche Vertreterhaftung, S. 297. 411 MK-StGB/Radtke, § 14 Rn. 104; NK-StGB/Böse, § 14 Rn. 49. 412 Daher sieht MK-StGB/Radtke, § 14 Rn. 104 auch bei subjektiv-historischer Auslegungszielbestimmung keinen Niederschlag der seitens der Gesetzgebungsorgane angeführten Sozialadäquanz im Gesetz.
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B. Entwicklung und Bedeutung der Sozialadäquanz
c) Garantenpflicht Die Sozialadäquanz wird zudem im Zuge der unechten Unterlassungsdelikte bemüht. Dort ist weitgehend anerkannt, dass in den Fällen des pflichtwidrigen Vorverhaltens, welches eine nahe Gefahr des Schadenseintritts bewirkt, eine Garantenpflicht aus Ingerenz erwächst.413 Vereinzelt soll eine solche jedoch nicht zur Entstehung gelangen, wenn sich das Vorverhalten des Täters in sozialadäquatem Rahmen bewege.414 Allerdings legt der Verweis dieser Ansicht auf ein Judikat des Bundesgerichtshofs415, in welchem sich dieser mit sozial üblichen Handlungen befasst, den Schluss nahe, dass auch in diesem Rahmen der Begriff der sozialadäquaten Handlung der sozial üblichen gleichgestellt wurde. Dies drängt sich umso mehr vor dem Hintergrund auf, dass der Bundesgerichtshof gerade nicht judiziert, dass ein sozial übliches Verhalten niemals eine Garantenpflicht auslösen könne, sondern ausführt, dass nicht jedes sozial übliche, gefahrschaffende Verhalten eine Garantenpflicht auslöse. 3. Sozialadäquanz im Strafprozessrecht Während die Sozialadäquanz im materiellen Strafrecht eine breite Rolle spielt, wird ihr in strafprozessualen Betrachtungen kaum Aufmerksamkeit gewidmet. Lediglich vereinzelt wird ihr dennoch eine strafprozessuale Bedeutung zugemessen. So schreibt Peters der Sozialadäquanz den prozessrechtlichen Wert zu, prozessuale Verhaltensweisen zu verdeutlichen und somit weltferne Vorstellungen aus dem Strafprozess fernzuhalten.416 Dieser Wert fußt auf der Grundüberlegung, dass die Staatsanwaltschaft zwar nach dem Legalitätsprinzip zur Strafverfolgung verpflichtet sei, vielfach jedoch aufgrund gesellschaftlicher Wirkungen sowie Umstände untätig bleibe.417 Die Ursache dieser Untätigkeit läge oftmalig in der Sozialadäquanz, namentlich dann, wenn die Verfolgung der eigentlich unter einen Straftatbestand fallenden Norm „Verwunderung und Kopfschütteln“ in der Bevölkerung hervorrufen
413
Etwa BGHSt 34, 82 (84); 37, 106 (115 f.); MK-StGB/Freund, § 13 Rn. 118 f. m.w.N. BeckOK-StGB/Heuchemer, § 13 Rn. 56 deutlich: „Sozialadäquates Verhalten führt nie zur Garantenhaftung“; ferner Schönke/Schröder29/Stree/Bosch, § 13 Rn. 35. 415 BGHSt 19, 152. 416 So K. Peters, Festschrift Welzel, S. 415 (429), inspiriert von Stratenwerths Bemerkung, dass der Fall des den falschen Zug besteigenden und bis zur Endstation mitfahren müssenden Reisenden noch kein Gericht beschäftigt haben dürfte (Stratenwerth, AT1, Rn. 359). Eine prozessuale Bedeutung der Sozialadäquanz stellen auch Amelung, Festschrift Grünwald, S. 9 (11) und Fahl, JR 2017, 413 (419) in den Raum. 417 K. Peters, Festschrift Welzel, S. 415 (423 f.) mit den Beispielen, dass kein Staatsanwalt jemals einen erfolgreichen Umsturz als Hochverrat und keine Justizbehörde eines im Kriege befindlichen Staates die Strafbarkeit des siegreichen, aber ungerecht geführten Krieges verfolgt habe. 414
II. Weitere Rezeption in der Literatur
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würde.418 Aufgrund der darauf beruhenden, bewussten Untätigkeit der Strafverfolgungsbehörde werde der Fall schließlich einer rechtlichen Prüfung vorenthalten.419 Demnach fungiere der Begriff der Sozialadäquanz deskriptiv zur Umschreibung regelmäßig unterbleibender Strafverfolgung. Doch vermögen die Beispiele, die Peters für den vermeintlichen prozessualen Wert der Sozialadäquanz darbringt, vor dem heutigen Stande der Judikatur nicht zu überzeugen: so sei die kunstgerechte Vornahme von Operationen ebenso wie der zur Ermahnung gegebene Klaps durch den Lehrer sozialadäquat und damit nach Peters’ Auffassung letztlich nicht Gegenstand eines Strafprozesses. Dagegen streiten indes bereits die diesbezüglichen Judikate.420 Ferner scheint fraglich, wie die im Einzelfall unterbleibende Strafverfolgung rein prozessual zu betrachten sein kann, beruht diese ja gerade auf der materiellen Unverdächtigkeit der Tätigkeit. Schließlich ist, wie Peters zuvor selbst anmerkt,421 die Einleitung der Strafverfolgung an die vorherige Überprüfung des Sachverhalts hinsichtlich in Betracht kommender Delikte geknüpft. In den als prozessual sozialadäquat bezeichneten Fällen beruht daher die unterbleibende Verfolgung der Tat auf dem Ergebnis der materiellen Prüfung. Der „prozessuale Wert“ der Sozialadäquanz leitet sich daher von deren materieller Auswirkung ab und hat darüber hinaus keine eigenständige Bedeutung. Wenn der Sozialadäquanz ein prozessualer Wert zugesprochen werden soll, vermag sich dieser somit in einer rein deskriptiven Funktion zu erschöpfen. Insbesondere kann aber nicht, wie vorgeschlagen,422 die materielle Wirkung der Sozialadäquanz ausgeblendet und ihr einzig prozessualer Charakter beigemessen werden. Zu dessen Beurteilung müsste schließlich sodann in widersprüchlicher Manier auf die materielle Bewertung der Handlung rekurriert werden. Für eine demnach rein deskriptive Wirkweise sozialadäquater Handlungen besteht darüber hinaus weder eine tiefergehende Begründung, noch eine Notwendigkeit. Der Begriff der Sozialadäquanz sollte somit der materiellen Prüfung vorbehalten bleiben und nicht zudem noch in prozessual deskriptiver Funktion gebraucht werden.
418
(419). 419
K. Peters, Festschrift Welzel, S. 415 (425); dahingehend wohl auch Fahl, JR 2017, 413
K. Peters, Festschrift Welzel, S. 415 (425 f.). So beschäftigt der ärztliche Heileingriff schon lange die Strafgerichte, vgl. RGSt 25, 275 (377 f.); BGHSt 11, 111 (112); 43, 306 (308); 45, 219 (221); BGH NJW 2011, 1088 (1089). Auch das Züchtigungsrecht ist seit langem Gegenstand strafgerichtlicher Urteile, vgl. RGSt 35, 182 (183); 40, 432 (433), BGHSt 11, 241 (248 ff.); 12, 62 (67 ff.). 421 K. Peters, Festschrift Welzel, S. 415 (422 f.). 422 Amelung, Festschrift Grünwald, S. 9 (11). Ferner Fahl, JR 2017, 413 (419), der den Kritikern einer materiellen Wirkung die prozessuale Berücksichtigung nahelegt. 420
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B. Entwicklung und Bedeutung der Sozialadäquanz
III. Rezeption in der Rechtsprechung 1. Zurückhaltende Anwendung? In der strafrechtlichen Judikatur soll sich die Sozialadäquanz „nicht prinzipiell durchgesetzt“423 haben. So ist bisweilen von einer bestenfalls zurückhaltenden Anwendung der Sozialadäquanz die Rede.424 Dieser Eindruck verfestigt sich zunächst durch die Betrachtung einer der wenigen in diesem Kontext als die Sozialadäquanz aufgreifend beschriebenen Quellen425. So soll der Bundesgerichtshof zur Beurteilung des pflichtwidrigen Vorverhaltens im Rahmen der Ingerenz auf die Sozialadäquanz zu sprechen gekommen sein.426 Tatsächlich vermeidet der erkennende Senat jedoch jede Stellungnahme zu sozialadäquaten Handlungen und spricht stattdessen von sozial üblich anerkannten Verhaltensweisen.427 Darüber hinaus führt er seine Lösung nicht auf die Sozialadäquanz zurück, sondern integriert die gesellschaftliche Üblichkeit der Handlung in die vielschichtigere Subsumtion unter die Garantenpflicht, die konkret um Inhalte des GaststG sowie Überlegungen der Selbstverantwortung angereichert wird.428 Wird zwar mit dem Verweis auf die Üblichkeit der Handlung auf die die Sozialadäquanz prägende Idee zurückgegriffen, so scheint doch eine der vermeintlich wenigen die Sozialadäquanz aufgreifenden Quellen sich damit nicht explizit auf diese zu berufen. Dennoch nähert sich der Bundesgerichtshof in einer weiteren Entscheidung429, die ebenfalls die Verantwortlichkeit des Gastwirts gegenüber erkennbar volltrunkenen Gästen zum Gegenstand hat, auch dem Begriff Sozialadäquanz insofern an, als dass er das Verhalten auf dessen Sozialadäquanz hin untersucht, auch wenn er den Begriff in Anführungszeichen darreicht.430 Mehr als ein zurückhaltender Verweis kann darin indes tatsächlich schwerlich erblickt werden. Zudem nährte auch die Rechtsprechung zur neutralen Beihilfe431 lange die These, dass sich die Sozialadäquanz in der Judikatur nicht durchsetzen konnte. Schließlich ließ der Bundesgerichtshof diesbezüglich viele sich bietende Gelegenheiten aus, um die Sozialadäquanz in diesem Bereich zu etablieren. Exemplarisch sei hierfür etwa 423
LK/Rönnau, Vor § 32 Rn. 49; zudem F. Knauer, ZStW 126 (2014), 844 (850). So besonders Roxin, Festschrift Klug, S. 303 (304). 425 BGHSt 19, 152. 426 So LK/Rönnau, Vor § 32 Rn. 49 und F. Knauer, ZStW 126 (2014), 844 (851); differenzierter ferner K. Peters, Festschrift Welzel, S. 415 (429 Fn. 45). Nach Roxin, Festschrift Klug, S. 303 (304) verwende der BGH in Strafsachen den Begriff der Sozialadäquanz dagegen ohnehin nur einmal in anderem Kontext. 427 Vgl. BGHSt 19, 152 (154). 428 Vgl. BGHSt 19, 152 (154); zum Eingang des gesellschaftlichen Vorgangs in die Rechtsbildung auch K. Peters, Festschrift Welzel, S. 415 (429 Fn. 45). 429 BGHSt 26, 35. 430 Vgl. BGHSt 26, 35 (38 f.). 431 Siehe oben, Kapitel B. II. 2. a) aa). 424
III. Rezeption in der Rechtsprechung
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das Urteil432 zur Mitwirkung bei der Erstellung der Befehle zur Grenzsicherung der früheren DDR genannt. Zwar negierte der Senat die Strafbarkeit, vermied jedoch jedwedes Bekenntnis zu sozialadäquaten Handlungen.433 Ähnlich verfuhr er im Rahmen der Beihilfe zur Steuerhinterziehung durch Bankmitarbeiter, wo er die Lehre der Sozialadäquanz ablehnte434 oder diese unerwähnt435 ließ. Dagegen könnte das Mannesmann/Vodafone-Verfahren den vorsichtigen Beginn einer gewissen Offenheit gegenüber der Sozialadäquanz in diesem Bereich darstellen, wenn der Bundesgerichtshof hier zum einen das Vorliegen einer sozialadäquaten Handlung prüft und negiert, darüber hinaus aber auch die Berechtigung dieser Lehre zumindest offenlässt.436 Dieser Eindruck wird von einem jüngeren Urteil437 bekräftigt, in dessen Kontext der Bundesgerichtshof die Lösung begrifflich damit festigt, dass das Verhalten nicht mehr im Rahmen des Sozialadäquaten liege. Eine deutliche Absage erteilt die Rechtsprechung der Sozialadäquanz dagegen im Zuge der Geldwäsche durch Strafverteidiger. Dort wird diese zwar ausgiebiger diskutiert, deren Berechtigung letztlich jedoch entschieden abgelehnt.438 Allerdings wird dies maßgeblich mit den Gesetzesmaterialien begründet, habe der Gesetzgeber doch im Angesicht der geführten Diskussion um eine Einschränkung des Tatbestandes bewusst auf eine solche verzichtet.439 Daher vermag die tatbestandsspezifische Negation der Sozialadäquanz hier nicht verallgemeinert zu werden. Allgemein gegen die Lehre der Sozialadäquanz spricht sich demgegenüber jedoch das Landgericht Köln aus, welches anlässlich der Knabenbeschneidung judizierte, dass der Sozialadäquanz keine selbstständige Bedeutung zukomme und sie demnach auch kein Mittel zur Aufhebung eines Missbilligungsurteils darstellen könne.440 In diesem Verdikt liegt die deutlichste Absage, die der Sozialadäquanz seitens der 432
BGH NJW 2001, 2409. Vgl. insbesondere die Ausführungen zu den neutralen Handlungen, BGH NJW 2001, 2409 (2410). 434 BGHSt 46, 107 (113), was indes insofern inkonsequent geschieht, als dass zuvor dennoch das Verhalten auf dessen Sozialadäquanz hin überprüft wird, vgl. BGHSt 46, 107 (112). 435 BGH NJW 2003, 2996. 436 Zumal auch leichte Kritik an der bisherigen Rechtsprechung mitschwingt, vgl. BGH NJW 2006, 522 (528). 437 BGH NStZ 2017, 337 (338), wobei der BGH insofern zunächst den Weg über das Wissen des Hilfeleistenden wählt, weswegen der Handlung sodann der Alltagscharakter abgesprochen wird und sie auch nicht als sozialadäquat anzusehen sei. 438 BGHSt 47, 68 (71 ff.); OLG Hamburg NJW 2000, 673 (675 f.). 439 Insbesondere bringt OLG Hamburg, NJW 2000, 673 (675) den Verzicht auf eine Sozialadäquanzklausel vor, während BGHSt 47, 68 (72 f.) die in dem ursprünglich angeführten Entwurf vorgesehene Ausnahmeregelung (BT-Drucks. 11/7663, S. 7) und die diesbezüglich ablehnende Stellungnahme der Bundesregierung (BT-Drucks. 11/7663, S. 50) ins Feld führt. Kennt eine Norm dagegen eine solche Ausnahme in Form einer sogenannten Sozialadäquanzklausel, so hegt der BGH keine Bedenken gegen deren Anwendung, wie sich an BGHSt 31, 383 zeigt. 440 LG Köln, StV 2012, 603 (603 f.). 433
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B. Entwicklung und Bedeutung der Sozialadäquanz
Rechtsprechung erteilt wurde. Allerdings ist diese Stellungnahme nicht mit Argumenten versehen, sodass unklar bleibt, worauf sich dieses Urteil argumentativ stützt. In Anbetracht der angeführten Judikate scheint daher die These der mangelnden prinzipiellen Durchsetzung der Sozialadäquanz in der strafgerichtlichen Rechtsprechung zuzutreffen. Indessen geht aus ihnen – mit Ausnahme des Urteils des Landgerichts Köln – auch keine Abneigung gegenüber dieser Lehre hervor. Daher sollte der vordergründige Eindruck nicht den Blick dafür verstellen, weitere Judikate heranzuziehen, um der Beurteilung mehr Tiefe verleihen zu können. 2. Tatsächliche Relevanz in der strafgerichtlichen Rechtsprechung Bei genauerer Betrachtung der Rechtsprechung finden sich schließlich zahlreiche Judikate, die unter dem Lichte der Sozialadäquanz stehen. So scheint etwa ein Urteil des Bundesgerichtshofs zur Wählerbestechung der Lehre der Sozialadäquanz zunächst eine Absage zu erteilen, wenn eine Korrektur des Straftatbestands alleine durch den Gesichtspunkt der Sozialadäquanz als zu unbestimmt abgelehnt wird.441 Im Fortgang der Entscheidung wird allerdings betont, dass die Sozialadäquanz dazu diene, das Merkmal des Vorteils einzugrenzen.442 Damit wird sie konkret auf den Vorteil bezogen, sodass ihr innerhalb der Tatbestandsauslegung eine dezisive Rolle zur Beurteilung der Strafbarkeit zugeschrieben wird. Der (nicht) sozialadäquate Vorteil wird damit zum Maßstab der Prüfung erhoben. Ferner billigt ein Urteil des zweiten Strafsenats im Kontext der Strafvereitelung443 die Figur der Sozialadäquanz. Schließlich führt der Senat zur Negation des Tatbestandes bei der Bezahlung einer Geldstrafe durch Dritte neben dem Wortlaut der Norm444 auch die Sozialadäquanz der finanziellen Unterstützung eines Verurteilten an.445 Darüber hinaus schließt er argumentativ mit der Befürchtung, dass die Gegenmeinung in nicht mehr tragbarer Weise sozialadäquates Verhalten unter Strafe stellen könnte.446 Demnach wurzeln auch die Ausführungen des Bundesgerichtshofs in der Grundüberlegung der Sozialadäquanz.
441 Vgl. BGHSt 33, 336 (338 f.), entschieden durch den 1. Strafsenat. Eine derartige Einordnung würde inhaltlich von BGHSt 15, 239 (251 f.) abrücken, wo eine Einschränkung der Strafbarkeit explizit auf die „Regeln des sozialen Verkehrs“ gestützt wird, denen sich ein Beamter kaum entziehen könne. 442 BGHSt 33, 336 (338 f.); so dem Grunde nach bereits zuvor BGHSt 31, 264 (279), wo bezugnehmend auf BGHSt 15, 239 (vgl. Fn. 441) von sozialadäquaten Tätigkeiten die Rede ist. Der Eingrenzung des Vorteilsbegriffs durch die Sozialadäquanz grundsätzlich nachfolgend ferner BGH NJW 2003, 763 (765) und NStZ 2005, 334 (335). 443 BGHSt 37, 226. 444 BGHSt 37, 226 (230). 445 BGHSt 37, 226 (229). 446 BGHSt 37, 226 (231).
III. Rezeption in der Rechtsprechung
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Dass der Bundesgerichtshof einen straffreien Raum für sozialadäquate Verhaltensweisen anerkennt, zeigt sich zudem an einem weiteren Urteil.447 Der erste Strafsenat judiziert dort, dass zwar nicht die HIV-Übertragung, wohl aber die Übertragung alltäglicher Infekte sozialadäquat sei.448 Damit nimmt er die Ansteckung mit Krankheiten, die „regelmäßig keine erhebliche Gefahr“449 für die Gesundheit mit sich bringen, aus dem Bereich des strafbaren Verhaltens heraus. Demnach kommt der Sozialadäquanz auch hier entscheidende Bedeutung zu. Eine dementsprechend bedeutende Rolle wird der Sozialadäquanz überdies seitens der obergerichtlichen Rechtsprechung zugeschrieben. So weist etwa das Oberlandesgericht Celle explizit darauf hin, dass die Sozialadäquanz als Rechtfertigungsgrund in Frage komme und nach Annahme des Tatbestandes zu beachten bleibe.450 Noch deutlicher agiert das Oberlandesgericht München, welches im Kontext der §§ 164, 344 StGB den Tatbestand aufgrund sozialadäquaten Verhaltens entfallen lässt, wenn ein Polizeibeamter unter pflichtgemäßem Handeln eine sogenannte Amtsanzeige erstellt.451 Darüber hinaus bekennt das Gericht auch dahingehend Farbe, als dass es die Sozialadäquanz dogmatisch als den Tatbestand reduzierend begreift.452 Vergleichbar agieren weitere Oberlandesgerichte, die im Rahmen des § 244 Abs. 1 Nr. 1 lit. a StGB das Beisichführen eines gefährlichen Werkzeuges negieren, wenn der Gegenstand (wie z. B. ein Taschenmesser) in sozialadäquater Weise mit sich geführt wird.453 Zwar liegen die Oberlandesgerichte dogmatisch nicht auf einer Linie, das Bekenntnis zur Figur der Sozialadäquanz geht indes deutlich aus den genannten Judikaten hervor. Ein solches findet sich auch zuvor bereits in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wieder. So erkennt der Gerichtshof bereits im Jahre 1970 die Sozialadäquanz als „allgemeines Prinzip“ an, das die gesamte Rechtsordnung erfasse und im sozialen Leben gänzlich unverdächtige Handlungen aus der Strafbarkeit ausnehme.454 Rückblickend drängt sich anhand der zeitlich nachfolgenden, dargestellten Judikate somit der Gedanke auf, dass der erkennende dritte Strafsenat damit das Tor für den Einzug der Sozialadäquanz in die strafgerichtliche Rechtsprechung öffnete. Im Laufe der Zeit übertrug er sodann den Gedanken sozialadäquater Handlungen auf 447
BGHSt 36, 1. Vgl. BGHSt 36, 1 (16 f.). 449 BGHSt 36, 1 (16). 450 So OLG Celle, NStZ 1993, 291 (292) hinsichtlich des Angelns als Tierquälerei i.S.d. § 17 Nr. 2b TierSchG. 451 OLG München, NStZ 1985, 549 (550). 452 OLG München, NStZ 1985, 549 (550). 453 OLG Braunschweig, NJW 2002, 1735 (1736); OLG Schleswig, NStZ 2004, 212 (214). 454 So BGHSt 23, 226 (228) anlässlich der Verteilung von Schriften zu Propagandazwecken, wobei in dogmatischer Hinsicht die Verortung des allgemeinen Prinzips in Tatbestand oder Rechtswidrigkeit offenbleibt. Dieses Judikat sieht freilich auch Roxin, Festschrift Klug, S. 303 (304), der darin aber noch keine grundlegende Weichenstellung oder Aussage mit richtungsweisender Tendenz erblickt. 448
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B. Entwicklung und Bedeutung der Sozialadäquanz
eine zunehmende Anzahl von Straftatbeständen. Die grundsätzliche Offenheit des Bundesgerichtshofs gegenüber der Sozialadäquanz tritt in einem jüngeren Beschluss besonders deutlich zu Tage, in dessen Rahmen der erste Strafsenat abschließend Stellung zum Problem der Drohungen durch einen Anwalt nimmt und in diesem Kontext selbst die Etablierung einer bereichsspezifischen Sozialadäquanz vorschlägt.455 3. Synthese In Anbetracht der zahlreichen Verweise auf die Sozialadäquanz in der strafgerichtlichen Judikatur findet die These der zurückhaltenden Anwendung keine Stütze. Ferner lässt sich schwerlich bestätigen, dass sich die in Rede stehende Lehre nicht durchsetzen konnte. Vielmehr zeigt sich, insbesondere im Rahmen der Strafvereitelung sowie der Übertragung ansteckender Krankheiten, dass der Bundesgerichtshof einen grundlegenden, straffreien Bereich sozialadäquater Handlungen anerkennt. Damit bestätigt er die im Jahre 1970 begonnene Linie, die Sozialadäquanz als allgemeines, einschränkendes Prinzip aufzufassen, die sodann auch senatsübergreifend aufgegriffen wurde. Dieser folgt zudem die obergerichtliche Rechtsprechung nach, die etwa im Rahmen des Diebstahls mit einem gefährlichen Werkzeug, der Tierquälerei oder der sogenannten Amtsanzeige einen Strafbarkeitsausschluss auf die soziale Adäquanz zurückführt. Darüber hinaus wird die Sozialadäquanz im Kontext der Bestechungsdelikte herangezogen, um gesellschaftlich anerkannte Vorteile aus dem Tatbestand auszunehmen. Dass der Bundesgerichtshof der Rechtsfigur grundsätzlich offen gegenübersteht, zeigt sich besonders deutlich an seinem Vorschlag, im Rahmen der Nötigung eine bereichsspezifische Sozialadäquanz zu etablieren. Demnach hält die soziale Adäquanz zunehmend Einzug in die strafgerichtliche Rechtsprechung. Dabei entsteht der Eindruck, sich von der vormals zurückhaltenden Anwendung sukzessive zu verabschieden, werden schließlich immer mehr Tatbestände mit einer Lösung über die sozialadäquate Handlung versehen. Insbesondere durch die Offerte des Bundesgerichtshofs, mit der Nötigung einen weiteren Tatbestand über die Sozialadäquanz zu korrigieren, scheint vielmehr eine weitere Zunahme der Relevanz der Sozialadäquanz bevorzustehen.
IV. Rezeption in der Gesetzgebung Neben vorstehend dargelegter, expansiver Entwicklung in Literatur und Rechtsprechung verweist auch die Gesetzgebung zunehmend auf die Sozialadäquanz. So wird insbesondere die Vorschrift des § 86 Abs. 3 StGB, die einen Strafbarkeitsausschluss bei Verfolgung bestimmter Zwecke anordnet, entsprechend den Aus455
BGH NStZ 2014, 149 (155).
IV. Rezeption in der Gesetzgebung
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führungen in den Gesetzesmaterialien456 einhellig als „Sozialadäquanz-Klausel“ bezeichnet.457 Die Klärung der Frage, ob diese tatbestandsausschließend oder rechtfertigend wirke, überließ der Gesetzgeber dabei explizit der Rechtsprechung.458 Damit findet sich bereits im Jahre 1968 ein erster expliziter Hinweis auf die Sozialadäquanz seitens des Gesetzgebers. Ein weiterer Verweis auf die Sozialadäquanz als strafbarkeitseinschränkendes Prinzip findet sich später im seitens der Bundesregierung beschlossenen Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten. Diesbezüglich ende die strafbarkeitsbegründende Übertragung von Aufgaben des Betriebsinhabers459 an den Grenzen sozialadäquaten Verhaltens.460 Dieses wurde wiederum nicht weiter definiert, sondern als selbstverständlich vorausgesetzt. Der steigende Kurs der Sozialadäquanz in der Legislative lässt sich insbesondere anhand der zunehmend erhöhten Taktfrequenz ablesen, mit welcher die jüngere Gesetzgebung auf sozialadäquates Handeln rekurriert. So sieht sich der Gesetzgeber etwa im Kontext der Einführung des Nachstellungstatbestands des § 238 StGB im Jahre 2006 gleich mehrfach gezwungen festzuhalten, dass Handlungen, die jeweils für sich genommen sozialadäquat seien, in ihrer Gesamtheit doch dem Tatbestand unterfallen können.461 Diese ausgiebigen Bemühungen, im Einzelfall sozialadäquates Verhalten in einer Gesamtschau dem Tatbestand zu unterstellen, zeigen jedenfalls, dass der Gesetzgeber um einen gewissen straffreien Raum des Sozialadäquaten weiß. Diesen stellt er auch nicht in Frage, sondern hebt lediglich die durch die Gesamtheit verbundenen, einzelnen Handlungen heraus. Damit erkennt auch der Gesetzgeber einen durch die Sozialadäquanz geprägten, strafrechtsfreien Bereich an. Dieses Verständnis teilen auch Gesetzentwürfe aus dem Jahre 2015 bzw. 2016 zur Änderung des Strafgesetzbuches zur Verbesserung des Schutzes vor sexueller Misshandlung und Vergewaltigung, in dessen Rahmen die Vermeidung der unerwünschten Kriminalisierung sozialadäquaten, sexuellen Anbahnungsverhaltens explizit zu einem der Ziele erhoben wurde.462 Auch der Ausschuss für Recht und
456 BT-Drucks. V/2860, S. 9: „Durch Absatz 3 wird sichergestellt, daß die Vorschrift nicht bei sozialadäquater Benutzung der betreffenden Publikationen, z. B. zu wissenschaftlichen oder künstlerischen Zwecken, Anwendung findet.“ 457 So schon Greiser, NJW 1969, 1155 (1156) m.w.N.; vgl. nur NK-StGB/Paeffgen, § 86 Rn. 38; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 86 Rn. 17; Rahe, Sozialadäquanzklausel, S. 4 ff. 458 Vgl. BT-Drucks. V/2860, S. 9. 459 Dazu oben, Kapitel B. II. 2. b). 460 So BT-Drucks. V/1319, S. 65. 461 Vgl. BT-Drucks. 16/575, S. 1, 7 und 8. 462 So der Vorschlag einzelner Abgeordneter und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, vgl. BT-Drucks. 18/5384, S. 2. Ebenso der Vorschlag einzelner Abgeordneter und der Fraktion Die Linke, vgl. BT-Drucks. 18/7719, S. 2.
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B. Entwicklung und Bedeutung der Sozialadäquanz
Verbraucherschutz greift dieses Anliegen sodann in seiner Beschlussempfehlung auf und erklärt es zu einem Ansinnen des Gesetzesvorhabens.463 Darüber hinaus bestätigen die Gesetzesmaterialien zur Korruption im Gesundheitswesen aus dem Jahre 2015, dass der Gesetzgeber die Sozialadäquanz als etablierte Figur zur Einschränkung strafrechtlicher Tatbestände ansieht. Schließlich verzichtet er in Ansehung einer als notwendig erachteten Einschränkung der §§ 299a, 299b StGB bewusst auf eine Geringwertigkeits- oder Bagatellgrenze und überantwortet die Ausscheidung geringfügiger oder allgemein üblicher Präsente in Anlehnung an die in der Literatur zu §§ 299, 331 StGB gelebte Korrektur464 dem Kriterium der Sozialadäquanz.465 Er schreibt diesem demnach anstelle eines gesetzlich normierten Korrektivs die Aufgabe zu, den Tatbestand im Einzelfall einzuschränken und der Strafbarkeit damit eine Grenze zu ziehen. Damit erkennt der Gesetzgeber nunmehr zunehmend einen sozialadäquaten Bereich außerhalb des strafrechtlich Relevanten an. Zudem bekennt er sich zur Restriktionswirkung der Sozialadäquanz und verzichtet zu deren Gunsten auf die Normierung einer Bagatellgrenze. Somit zeigt sich auch der Gesetzgeber, insbesondere in den letzten Jahren, wohlwollend gegenüber der Sozialadäquanz als die Strafbarkeit einschränkendes Instrumentarium. Der Grund dafür dürfte allerdings nicht zuletzt darin liegen, dass der Verweis auf die soziale Adäquanz zur Strafbarkeitsrestriktion mitunter leichter fällt, als die präzisere Ausgestaltung des Gesetzes.
V. Fazit 1. Relevanz der Sozialadäquanz a) Originäre Sozialadäquanz Der Anwendungsbereich der Sozialadäquanz ist damit, ausgehend von Welzels Beispielen, kontinuierlich erweitert worden. Die besagte Lehre infiltriert insbesondere die Ausführungen der Literatur zunehmend. Zudem bindet die Rechtsprechung deren Erkenntnisse in steigendem Maße in ihre Tätigkeit ein, während sich auch der Gesetzgeber gerade in jüngerer Zeit vermehrt auf die Sozialadäquanz beruft. Dabei zieht sich der Rekurs auf sozialadäquates Handeln gleichermaßen durch Vermögens- sowie Nichtvermögensdelikte und findet darüber hinaus Eingang in den allgemeinen Teil des Strafgesetzbuchs. Der Gedanke der Sozialadäquanz erfasst die 463
BT-Drucks. 18/9097, S. 2. Die Befürchtung der Kriminalisierung sozialadäquaten Verhaltens spielt auch in der Stellungnahme des Bundesrates eine tragende Rolle, vgl. BTDrucks. 18/8626, S. 4. 464 Dazu oben, Kapitel B. II. 1. b) gg). 465 Vgl. BT-Drucks. 18/6446, S. 17 f.
V. Fazit
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Straftaten gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit ebenso wie die Straftaten gegen die Allgemeinheit. Damit soll sowohl die Strafbarkeit wegen der Verletzung intrasozialer, als auch eine solche wegen der Verletzung transsozialer Rechtsgüter eingeschränkt werden. Wird der Sozialadäquanz in der Literatur die Bedeutung abgesprochen,466 so vermag darin ein ablehnendes Urteil zum Ausdruck zu kommen; eine deskriptive Würdigung der aktuellen Relevanz ist darin jedoch nicht zu erblicken. Schließlich hält die Lehre in steigender Anzahl Einzug in diverse Streitstände. So findet sie sich etwa in von zahlreichen, gegenläufigen Ansichten geprägten Meinungsbildern wie dem der passiven Sterbehilfe, der reklamehaften Anpreisungen im Rahmen des Betrugs oder der allgemeineren Diskussion der neutralen Beihilfe. Daneben wird auf sie in gleich mehreren, aktuellen Debatten verwiesen. Insbesondere im Zuge der Verletzungen der Psyche, der Neugestaltung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung oder des strafrechtlichen Geheimnisschutzes wird die Sozialadäquanz ins Feld geführt. Darüber hinaus gilt die Einschränkung der Strafbarkeit durch die Sozialadäquanz im Rahmen der Strafvereitelung durch „normale“ Handlungen ebenso als Lösung der herrschenden Meinung wie im Zuge der Übertragung einzelner Aufgaben des Betriebsinhabers. Die schiere Vielfalt an Delikten, in deren Rahmen die Sozialadäquanz angeführt wird, verdeutlicht aber jedenfalls den besonderen Eifer, mit dem diese Lehre auf die verschiedensten Tatbestände übertragen ward und der allein ihr bereits eine besondere Relevanz attestiert. In der Zusammenschau lässt sich damit die mangelnde Bedeutung der Sozialadäquanz nicht bestätigen, sondern vielmehr deren zunehmende Anwendung feststellen. Zu dieser dürfte künftig neben der Entscheidung des Gesetzgebers, der Sozialadäquanz eine notwendig erachtete Tatbestandseinschränkung zu überantworten,467 nicht zuletzt der Vorschlag der Rechtsprechung, eine bereichsspezifische Sozialadäquanz für anwaltliche Drohungen zu implementieren, beitragen. b) „Surrogate“ der Sozialadäquanz Neben der zunehmenden Anzahl expliziter Hinweise auf die Sozialadäquanz vermag deren Relevanz auch durch die festgestellten „Surrogate“ der Lehre erahnt zu werden. So fußen zahlreiche Tatbestandseinschränkungen auf den der Sozialadäquanz zugrundeliegenden Aspekten der gesellschaftlichen bzw. sozialen Bewertung eines Verhaltens. Zu beobachten ist dies etwa im Rahmen der passiven Sterbehilfe oder des ärztlichen Heileingriffes. Die lange herrschende Ansicht bezüglich der passiven Ster466 So exemplarisch LK/Rönnau, vor §§ 32 ff. Rn. 52; Roxin, AT I, § 10 Rn. 42; Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (87 ff.); Otto, Festschrift Amelung, S. 225 (228); Rönnau, JuS 2011, 311 (313). 467 Im Rahmen der Bestechlichkeit und Bestechung im Gesundheitswesen gemäß §§ 299a, b StGB.
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B. Entwicklung und Bedeutung der Sozialadäquanz
behilfe deutete den Abbruch der Behandlung mittels des sozialen Sinngehalts in ein Unterlassen der Weiterbehandlung um.468 Geprägt wurde diese Umdeutung von Überlegungen, die die soziale Beurteilung des Handelns in das Zentrum rückten. Mit der Betrachtung des sozialen Sinngehalts der Handlung ward die strafrechtliche Betrachtung um eine gesellschaftliche Bewertung des Verhaltens ergänzt, die gerade Gegenstand der Lehre der Sozialadäquanz ist. Demgegenüber ward die Straflosigkeit des ärztlichen Heileingriffs von einigen Stimmen als explizites Beispiel sozialer Adäquanz begriffen.469 Andernorts wurde jedoch auch hier die Handlung auf ihren sozialen Sinngehalt untersucht, um den Strafbarkeitsausschluss auf die soziale Sinnbedeutung zu stützen, sei sie demnach doch das Gegenteil einer Körperverletzung. Neben der betonten Bedeutung des Rechtsempfindens verdeutlicht die Untersuchung des Verhaltens ob dessen sozialen Sinngehalts auch in diesem Kontext die Prägung der Lösung durch gesellschaftliche Betrachtungen. Damit werden diese Lösungsmöglichkeiten zwar unabhängig der Sozialadäquanz präsentiert, deren Argumentation und Auslegung basieren indes auf der identen, gesellschaftlichen Bewertung des Handelns. Ähnliches lässt sich im Hinblick auf Züchtigungen durch Erziehungsbeauftragte oder Lehrer feststellen, wenn die soziale Adäquanz der Züchtigung zwar abgelehnt wird und stattdessen ein Züchtigungsrecht ins Feld geführt wird, dieses aber mit dem schlichten Hinweis auf gesellschaftliche Wertvorstellungen begründet wird.470 Ferner scheint die Sozialadäquanz auch hinter marktschreierischer Reklame und übertriebenen Anpreisungen im Rahmen des Betrugstatbestandes auf, wenn dort die Abgrenzung von Werturteil und Tatsache anhand der Verkehrsauffassung im jeweiligen Verkehrskreis beurteilt wird.471 Gleiches gilt für die Frage des Geltungsanspruchs einer Äußerung. Auch die nach anderer Auffassung zu klärende Frage der Ernsthaftigkeit der Aussage soll nach der Verkehrsanschauung zu beantworten sein. Das einzig zur Konkretisierung des Verkehrskreises angebotene Kriterium – die soziale Rolle des Täters – erfordert seinerseits einen Rückgriff auf die gesellschaftliche Bewertung der Situation sowie Beteiligten. Damit ist die gesellschaftliche Beurteilung im konkreten Verkehrskreis auch hier nach sämtlichen Ansätzen geboten, sodass eine gänzliche Abkehr von den Kriterien der Sozialadäquanz nicht erfolgt ist. Besonders deutlich ist die Nähe zur Sozialadäquanz auch an den Stimmen zu erkennen, die im Kontext der Nötigung das Täterverhalten auf dessen Sozialwidrigkeit hin prüfen.472 Zum Maßstab werden hier ebenfalls die Wertanschauungen der Gesellschaft erhoben, die durch das Rechtsempfinden des Volkes bestimmt werden 468 469 470 471 472
Dazu im Gesamten oben, Kapitel B. II. 1. a) aa) (3). Dazu im Gesamten oben, Kapitel B. II. 1. a) bb) (1). Dazu genauer oben, Kapitel B. II. 1. a) bb) (5). Dazu im Gesamten oben, Kapitel B. II. 1. c) dd) (1). Dazu genauer oben, Kapitel B. II. 1. a) cc) (2) (a).
V. Fazit
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sollen. Die soziale Ordnung und gesellschaftliche Bewertung steht damit zumindest ebenso im Fokus wie im Rahmen der Sozialadäquanz. Darüber hinaus fußt auch die Beschränkung des Untreuetatbestandes zuweilen auf einer gesellschaftlichen Bewertung, soll schließlich die Wahrung der branchenüblichen, kaufmännischen Sorgfalt vor einer Strafbarkeit bewahren. Insbesondere in diesem Bereich ist der Schluss von der Üblichkeit der Maßnahme im konkreten gesellschaftlichen Umfeld maßgeblich für das Strafbarkeitsverdikt.473 Letztlich zeigt sich der Einfluss der Sozialadäquanz auch an der Frage nach einer üblen, unangemessenen Behandlung im Kontext der Körperverletzung.474 Zur Bestimmung dieser wird einerseits die Sozialwidrigkeit des Verhaltens betont, andererseits die üble, unangemessene Behandlung direkt mit einer sozialwidrigen gleichgesetzt. Eine solche ist wiederum denknotwendig an die gesellschaftliche Bewertung des Verhaltens gebunden und kommt auch nicht ohne die Betrachtung dessen sozialer Üblichkeit aus. Die allgemein anerkannte Definition der körperlichen Misshandlung fordert demnach zu einer Berücksichtigung gesellschaftlicher Wertvorstellungen auf, welche ansonsten der Lehre der Sozialadäquanz zugeschrieben wird. Bereits angesichts dieser Beispiele, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben wollen, scheint daher die Frage berechtigt, ob es sich vorliegend um Surrogate oder Ausprägungen der Sozialadäquanz handelt. Zudem drängt sich die Frage auf, in welchem Verhältnis die Sozialadäquanz zum Strafrecht im Gesamten steht und ob eine Auslegung der Tatbestände mit oder ohne Rückgriff auf gesellschaftliche Wertungen möglich oder geboten scheint. 2. Funktionen der Sozialadäquanz a) Ausscheidung sozial üblicher Handlungen Des Weiteren lassen oben dargereichte, mannigfaltige Beispiele Rückschlüsse über die der Sozialadäquanz jeweils zugeschriebenen Funktionen zu. Nach Welzel liegt die Funktion der Sozialadäquanz darin, an sich tatbestandsmäßige Handlungen, die sich innerhalb der gesellschaftlichen Ordnung bewegen, aus dem Unrechtstatbestand auszuscheiden.475 Im Laufe der Zeit ward die Sozialadäquanz auch zahlreich in diesem Sinne herangezogen. Insbesondere Fallkonstellationen, an deren Ende die Straflosigkeit stehen sollte, deren Weg dorthin allerdings umstritten war oder ohne Begründung stand, wurden mittels der Lehre der Sozialadäquanz zu lösen versucht. Zu denken sei hier neben den Tötungen im Kriege476 an den Schwangerschaftsab473
Dazu genauer oben, Kapitel B. II. 1. c) ee). Dazu im Gesamten oben, Kapitel B. II. 1. a) bb) (6). 475 Welzel, Allgemeiner Teil, S. 33; ders., Grundzüge11, S. 56; ders., ZStW 58 (1939), 491 (516 f.). 476 Kapitel B. I. 4. 474
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B. Entwicklung und Bedeutung der Sozialadäquanz
bruch,477 den ärztlichen Heileingriff,478 die Knabenbeschneidung479 oder Verletzungen im Zuge sportlicher Aktivitäten480. Dazu gesellen sich ferner die Strafbarkeit in Folge von Amtsanzeigen481 oder Beleidigungen im Familienkreise482. Der Kreis der Beispiele ließe sich beliebig erweitern, stellt die Ausscheidung sozial üblicher Handlungen aus dem Bereich des Strafbaren doch weiterhin die Quintessenz der Sozialadäquanz dar und beruhen andere Funktionen denknotwendig ihrerseits auf dem Aspekt der Ausscheidung sozial üblicher Handlungen. Insofern könnte man die Ausscheidung sozialüblicher Handlungen paraphrasiert als Stammfunktion begreifen. b) „Zwischenlager“ der Strafrechtsdogmatik Daneben weist Knauer483 darauf hin, dass der Sozialadäquanz eine Durchgangsfunktion im Prozess der Dogmatisierung neuer strafrechtlicher Probleme zukomme. Diese sei daran zu erkennen, dass neuere Problemkreise erstmalig unter dem Aspekt der Sozialadäquanz in die strafrechtliche Betrachtung überführt worden und erst danach anderen dogmatischen Kategorien zugeordnet worden seien.484 Als Beispiel verweist er etwa auf das zunächst im Lichte der Sozialadäquanz begutachtete Züchtigungsrecht485 oder die Tötungen im Kriege486. Dem potenziellen Einwand, die diesbezüglich zunehmende Abkehr von der Sozialadäquanz zugunsten einschränkender Auslegung oder Rechtfertigung belege lediglich den Bedeutungsverlust der Lehre der Sozialadäquanz, begegnet Knauer mit dem Verweis auf aktuelle Problemfelder wie der Knabenbeschneidung, die gerade den identischen Weg durchliefen.487 Geht man der aufgeworfenen Durchgangsfunktion im Rahmen der Dogmatisierung nach, so finden sich tatsächlich mehrere Beispiele, die sich in zwei Gruppen untergliedern lassen und diese These nähren. So zeigt sich auf der einen Seite, dass die Sozialadäquanz des Öfteren verwendet wird, um das Zusammenspiel zwischen Straftatbestand und kollidierenden Normen 477
Kapitel B. II. 1. a) aa) (2). Kapitel B. II. 1. a) bb) (1). 479 Kapitel B. II. 1. a) bb) (2). 480 Kapitel B. II. 1. a) bb) (4). 481 Vgl. dazu insbesondere die Ausführungen des OLG München NStZ 1985, 549 (550), siehe bereits Fn. 255. 482 Kapitel B. II. 1. a) dd) (1). 483 F. Knauer, ZStW 126 (2014), 844 (855 f.), der diese Funktion als „Zwischenlager“ umschreibt. 484 F. Knauer, ZStW 126 (2014), 844 (855). 485 Dazu oben, Kapitel B. II. 1. a) bb) (5). 486 Dazu oben, Kapitel B. I. 4. 487 Vgl. F. Knauer, ZStW 126 (2014), 844 (855), der auch auf die Verletzungen der Psyche hinweist. Die Entwicklung des Meinungsstandes um die Knabenbeschneidung findet sich oben, vgl. Kapitel B. II. 1. a) bb) (2). 478
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(oder Normsystemen) zu umschreiben. Dementsprechend wird ein Verhalten vermehrt als sozialadäquat bezeichnet, wo seitens der herrschenden Ansicht die Begründung der Straflosigkeit auf eine Rechtfertigung gestützt wird. Exemplarisch greift das Beispiel der Tötungen im Kriege schon früh eine Problematik auf, deren Lösung die gegenwärtig herrschende Ansicht488 auf das Völkerrecht zurückführt. Ähnliches gilt für den ärztlichen Heileingriff,489 dessen Straffreistellung nach nunmehr herrschender Meinung der Rechtfertigung überantwortet ist. Zudem ward auch die Strafvereitelung durch Handlungen des Strafverteidigers, deren Grenzen die heute herrschende Ansicht an den Regeln des Prozessrechts bemisst, als sozialadäquat begriffen.490 Insofern dient die Umschreibung als sozialadäquat damit faktisch als Feststellung des Ergebnisses des Zusammenspiels der kollidierenden Normen. Der Vorteil der Umschreibung als sozialadäquat liegt dementsprechend in dem Verzicht auf die dogmatische Ergründung des Ergebnisses oder die ausgiebige Prüfung der Rechtfertigung. Gleichwohl liegt darin ein methodischer Verlust begriffen, der aus Sicht der Strafrechtsdogmatik nicht gutzuheißen ist. Aufgrund der zeitlich vorgelagerten Dimension der Proklamation der Sozialadäquanz gegenüber der nunmehr jeweils herrschenden Ansicht vermag die These des Zwischenlagers indes durchaus berechtigt zu erscheinen. Eine weitere Bestätigung erfährt die besagte These auch durch eine zweite Gruppierung an Beispielen. So dient die Sozialadäquanz oftmals der erstmaligen strafrechtlichen Erfassung eines neuartigen Problemkomplexes. Dies zeigt sich bereits früh an den von Welzel entwickelten Beispielen, der zunächst die Fahrt mit der Eisenbahn,491 im Fortgang jedoch auch deren Betrieb492 als sozialadäquat begriff. Dementsprechend sollte auch die Teilnahme am modernen Massenverkehr keine Freiheitsberaubung durch den erst an den Haltestellen haltenden Fahrer darstellen.493 Ein ähnliches Bild zeichnet sich bei der zunehmenden Verrechtlichung eines Lebensbereiches. Ward etwa die Knabenbeschneidung lange Zeit für selbstverständlich hingenommen, so war die beginnende Ver(straf)rechtlichung geprägt von dem Begriff der Sozialadäquanz.494 Gleiches gilt für die Nötigung durch ein anwaltliches Mahnschreiben495 oder den Maibaumdiebstahl496. Demnach erfolgt die strafrechtliche Würdigung neuartiger Problemkomplexe oftmals zunächst unter dem Aspekt der Sozialadäquanz. 488 So bezeichnet und anschließend kritisch hinterfragt bei Eser, in: Krieg und Recht, S. 239 (248 f.); vgl. ferner Eser, Festschrift Schöch, S. 461 (475 ff.); Schwenck, Festschrift Lange, S. 97 (98 f., 110 ff.). 489 Dazu oben, Kapitel B. II. 1. a) bb) (1). 490 Dazu oben, Kapitel B. II. 1. b) dd) (3). 491 Kapitel B. I. 1. 492 Kapitel B. I. 2. 493 Kapitel B. II. 1. a) cc) (1) (a). 494 Dazu oben, Kapitel B. II. 1. a) bb) (2). 495 Aufgeworfen seitens des Bundesgerichtshofs, vgl. oben, Kapitel B. III. 2. 496 Kapitel B. II. 1. c) aa) (2).
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B. Entwicklung und Bedeutung der Sozialadäquanz
Ob darauf eine Funktion der Sozialadäquanz gegründet werden kann, scheint allerdings fraglich. Zwar fungiert diese faktisch bisweilen als Anstoß dogmatischer Diskussionen; eine dogmatische Funktion hat dies jedoch nicht zwangsläufig zu begründen, insbesondere da der mitunter frühe Hinweis auf die soziale Adäquanz nicht per se zutreffend sein muss. Daher gilt es zu klären, ob der Startschuss zu dogmatischen Untersuchungen eine originäre Funktion der Figur darzustellen vermag oder aber der bloßen Versuchung geschuldet ist, argumentationsarm das gewünschte Ergebnis zu präsentieren. c) Inhaltliche Begründung anderer Lösungsansätze Eine weitere, zunehmend häufiger zu beobachtende Funktion, in der die Lehre der Sozialadäquanz zumindest benutzt wird, ist die der Begründung anderweitiger Lösungsansätze. So sollen oftmals Lösungen fernab der Sozialadäquanz angeboten werden, in Rahmen derer Begründung die Sozialadäquanz indes herangezogen wird, um das gewünschte Ergebnis zu fundieren. Die Lehre der Sozialadäquanz fungiert insofern nicht als dogmatisch eigenständiges Instrument, sondern vielmehr als bloßes Argument. Als Paradebeispiel vermag hier die passive Sterbehilfe497 genannt zu werden, in deren Rahmen die Untersuchung der Handlung auf deren sozialen Sinngehalt den Mittelpunkt unterschiedlicher Lösungsansätze darstellte. Gleiches gilt für die Ausführungen zum ärztlichen Heileingriff498 oder das Züchtigungsrecht499. In diesen Fällen wird sich vermehrt des Grundgedankens der Sozialadäquanz bedient, um einen anderweitigen Lösungsweg argumentativ zu stützen. Vor diesem Hintergrund scheint fraglich, ob der Lehre der Sozialadäquanz (einzig) argumentatives Gewicht zuzuschreiben ist, ob sie eine eigene Rechtsfigur darstellt oder ob der Rekurs auf die Sozialwidrigkeit des Verhaltens gänzlich zu untersagen ist. d) Antonym zur Strafbarkeit Daneben scheint der Begriff der sozialadäquaten Handlung im derzeitigen Sprachgebraucht inflationär und als Antonym zu einem strafbaren Verhalten gebraucht zu werden.500 Eine solche Verwendung findet sich insbesondere seitens des Gesetzgebers, der etwa im Rahmen des § 238 StGB auf einzelne, für sich genommen sozialadäquate Handlungen verweist, oder aber im Zuge der Verbesserung des Schutzes vor sexueller Misshandlung und Vergewaltigung explizit die Beibehaltung der Straffreistellung sozialadäquaten Verhaltens fordert.501 Zu beachten ist der diesbezügliche Gebrauch der Sozialadäquanz zudem im Kontext der Verletzungen 497
Dazu im Gesamten oben, Kapitel B. II. 1. a) aa) (3). Kapitel B. II. 1. a) bb) (1). 499 Kapitel B. II. 1. a) bb) (5). 500 So bereits Otto, Festschrift Amelung, S. 225 (225): „Das aber führte dazu, dass der Verweis auf die ,soziale Adäquanz‘ beliebig wurde“. 501 Dazu im Gesamten oben, Kapitel B. III. 2. 498
V. Fazit
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der Psyche, in welchem zahlreiche Stimmen die Abgrenzung strafwürdiger Handlungen von sozialadäquatem Verlangen fordern.502 Der Schluss von Sozialadäquanz auf Straffreiheit scheint dabei angesichts des wahllosen Verweises auf die soziale Adäquanz eines Verhaltens nicht nur nahe, sondern selbstverständlich. Schließlich scheint der Hinweis auf die soziale Adäquanz eine weitere Argumentation bezüglich der resultierenden Straffreiheit obsolet werden zu lassen. Dabei spricht schon die Entwicklung der Sozialadäquanz als eigenständige dogmatische Kategorie gegen ein derart ausuferndes Verständnis. Ferner besteht kein Bedürfnis zur Schaffung eines derartigen Antonyms. Die damit verbundene Gleichsetzung von straflosem mit sozialadäquatem Verhalten schafft die Gefahr einer dogmatischen Verflachung dahingehend, als dass ohne Nennung konkreter Argumente von der proklamierten Sozialadäquanz eines Verhaltens auf dessen Straflosigkeit geschlossen wird. e) Implementierung einer Bagatellgrenze Darüber hinaus wird die Sozialadäquanz des Öfteren herangezogen, um bestimmten Tatbeständen eine Bagatellgrenze bzw. eine Erheblichkeitsschwelle zu implementieren. Das beste Beispiel findet sich diesbezüglich in den Ausführungen des Gesetzgebers, der im Rahmen der neu geschaffenen §§ 299a, 299b StGB bewusst auf eine Normierung der Bagatellgrenze verzichtete und die Restriktion des Tatbestandes explizit der Sozialadäquanz überantwortete.503 Eine der Sozialadäquanz unterstellte Tatbestandsrestriktion wird schon des längeren im Rahmen der Bestechungsdelikte praktiziert.504 Daneben finden Forderungen nach einer durch die Sozialadäquanz bedingten Erheblichkeitsschwelle etwa im Rahmen der Körperverletzung,505 des Diebstahls,506 der Sittlichkeitsdelikte507 oder seitens der herrschenden Meinung hinsichtlich unerlaubter Glücksspiele508 ihren Platz. Insofern bleibt also die Frage zu klären, inwieweit die Lehre der Sozialadäquanz zur Implementierung von spezifischen Bagatellgrenzen in der Lage ist, oder ob sie vielmehr als allgemeines Korrektiv nur bestimmte Handlungen, nicht aber konkrete Werte oder Verletzungen von der Strafbarkeit auszunehmen vermag. 3. Resultierendes Forschungsziel Damit gilt es, die Sozialadäquanz grundlegend ob der mit ihr handhabbaren Funktionen zu untersuchen. Ferner ist darzulegen, ob, inwieweit und warum die 502 503 504 505 506 507 508
Dazu oben, Kapitel B. II. 1. a) bb) (7). Vgl. Fn. 465. Dazu oben, Kapitel B. II. 1. b) gg). Dazu Kapitel B. II. 1. a) bb) (6). Kapitel B. II. 1. c) aa) (1). Vgl. dazu die Ausführungen des Gesetzgebers in Fn. 463. Dazu oben, Kapitel B. II. 1. b) ff).
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B. Entwicklung und Bedeutung der Sozialadäquanz
Lehre der Sozialadäquanz restriktive Wirkung auf die Strafbarkeit auszuüben vermag. Zudem ist zu ergründen, ob die Lehre der Sozialadäquanz eine dogmatisch eigenständige Figur, bloße Argumentationshilfe oder generell abzulehnen ist. Schließlich ist damit die Frage verknüpft, inwiefern die Lehre einen konkreten Blickwinkel anzulegen hat oder verallgemeinernd agieren kann.
C. Bisherige Lösungsansätze zur Dogmatik der Sozialadäquanz I. Begründung 1. Begründungsansätze Eine grundlegende Untersuchung der Lehre der Sozialadäquanz sollte zunächst auf dem Boden deren dogmatischen Ursprungs bzw. deren Berechtigung fußen. Während sich der Verweis auf sozialadäquate Handlungen wie dargelegt hoher Beliebtheit erfreut, wird die eigentliche Begründung dieser Rechtsfigur indes weitaus weniger versucht. Schließlich erschöpfen sich viele Darstellungen in der Diskussion deren Verortung oder der Kritik der mit dieser verbundenen Risiken, ohne die dem jeweiligen Disput vorgelagerte Frage der dogmatischen Existenz-Berechtigung der Sozialadäquanz aufzugreifen.1 Diese scheint vielmehr schlicht stillschweigend vorausgesetzt zu werden.2 Dabei birgt die Erörterung des dogmatischen Ursprungs der Lehre doch das Potenzial, Aufschluss über deren Interpretation und letztliche Anwendung zu geben.
1
Etwa LK/Rönnau, Vor § 32 Rn. 48 ff.; Otto, Grundkurs I, § 6 Rn. 67 ff.; Altermann, Festschrift Eisenberg, S. 233 (234 ff.); Dölling, Festschrift Otto, S. 219 (220 ff.); Gracia Martín, Festschrift Tiedemann, S. 205 (209 ff.); Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (79 ff.); Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (633 ff.); Löwe-Krahl, Steuerhinterziehung, S. 33 ff.; Wolski, Soziale Adäquanz, S. 10 ff. 2 Wie sich etwa bei F. Knauer, ZStW 126 (2014), 844 (852 ff.), Schaffstein, ZStW 72 (1960), 369 (370 ff.) und Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (633 ff.) zeigt. Ferner erkennen Otto, Grundkurs I, § 6 Rn. 67 ff., Altermann, Festschrift Eisenberg, S. 233 (234 ff.) und Dölling, Festschrift Otto, S. 219 (220 ff.) die Sozialadäquanz als solche ohne Erörterung an und diskutieren einzig deren Verortung sowie Beispiele. Daneben greift K. Peters, Festschrift Welzel, S. 415 (417 ff.) die prozessuale Seite der Sozialadäquanz auf, ohne deren grundlegende Berechtigung zuvor zu diskutieren. Auch Roxin, Festschrift Klug, S. 303 (304) erkennt eine grundlegende Existenz der Sozialadäquanz an, wenn er sie als „tendenziell richtiges Prinzip“ umschreibt, welche „heute durch präzisere hermeneutische Instrumente ersetzt“ werden könne.
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C. Bisherige Lösungsansätze zur Dogmatik der Sozialadäquanz
a) Sozialadäquanz als mangelnde Unrechtskomponente aa) Ausgangspunkt des Ansatzes Um das Fundament der Sozialadäquanz von seinem Ursprung aus zu erfassen, scheint eingangs ein Blick auf Welzel3 angezeigt, der die Sozialadäquanz erstmalig als solche formulierte und als eigenständiges Prinzip begriff. Die Erarbeitung der Lehre der Sozialadäquanz steht dabei in engem Kontext zur geübten Kritik an dem Fehlen einer einheitlichen Handlungslehre4 und der Hypertrophie des Kausaldogmas5. Schließlich habe eine extreme naturalistisch-kausale Denkweise den „Zugang zur wirklichen Handlung versperrt“6 und sich somit in den Mittelpunkt des Strafrechtssystems gedrängt. Dadurch sei die objektive Seinsseite der deliktischen Handlung aufgesogen und durch wenig tragfähige Kausalstränge ersetzt worden.7 Als Resultat verbleibe eine verfehlte Seinsgrundlage, auf der wiederum eine verschobene Strafrechtsdogmatik fuße, die nach zivilrechtlichem Vorbilde das Unrecht einzig in der Verursachung eines tatbestandlichen Erfolges begreife.8 Das Verständnis eines Verhaltens als Unrecht setze demgegenüber jedoch über die bloße Verursachung des Erfolgs hinaus noch ein Mehr voraus.9 Damit wendet sich Welzel nicht nur gegen die Handlungslehre per se, sondern vielmehr auch gegen eine objektivistische Rechtswidrigkeitsauffassung.10
3 Insbesondere auf dessen originäre Ausführungen. Zwar änderte Welzel vielfach seine Meinung zum Standpunkt der Sozialadäquanz innerhalb des Verbrechensaufbaus (vgl. etwa die Ausführungen bei Cancio Meliá, GA 1995, 179 (181 ff.) oder Schaffstein, ZStW 72 (1960), 369 (371 ff.)), davon unberührt blieb jedoch die eigentliche Herleitung der Rechtsfigur, vgl. Welzel, Allgemeiner Teil, S. 33 f.; ders., Allgemeiner Teil3, S. 21, 50 f.; ders., Grundzüge2, S. 86 f.; ders., Grundzüge3, S. 61; ders., Grundzüge4, S. 62; ders., Grundzüge5, S. 68 f.; ders., Grundzüge9, S. 51 ff.; ders., Grundzüge11, S. 55 ff.; vgl. ferner Bernert, Soziale Adäquanz, S. 5 ff. 4 Wobei Welzel den Mangel einer einheitlichen Handlungslehre dann zu tolerieren bereit gewesen wäre, wenn denn wenigstens die einst aus der Handlung gespaltenen Teile zusammengesetzt auch die wirkliche Handlung ergäben, was indes nicht der Fall sei, vgl. Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (491 f.). 5 Vgl. Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (492 ff.); zu dessen Ausführungen ferner Otto, Festschrift Amelung, S. 225 (226 f.) und Schaffstein, ZStW 72 (1960), 369 (369 f.). 6 Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (491 f.); dahingehend bereits Welzel, ZStW 51 (1931), 703 (704 ff.); zur Bedeutung dieser Erkenntnis Hirsch, ZStW 116 (2004), 1 (2 ff.). 7 Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (491 f.); dazu auch Cancio Meliá, GA 1995, 179 (181 f.). 8 Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (492 f., 506 f.); dazu auch Kudlich, Unterstützung fremder Straftaten, S. 78. 9 Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (507 f.). 10 Vgl. Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (507): „Von hier aus ist es verständlich, daß die Rechtswidrigkeit primär vom Erfolgssachverhalt gesehen wurde: Rechtswidrigkeit ist die Herbeiführung (Verursachung) eines mißbilligten Erfolges. In dieser Form fand die Rechtswidrigkeit allgemeine Anerkennung auch im Strafrecht und wurde hier in ihrer objektivistischen Tendenz noch legitimiert und bestärkt durch die auf dem Kausaldogma aufgebaute Rechtsgüterverletzungstheorie.“
I. Begründung
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Deren Grundfehler liege darin, Rechtsgüter als Schutzobjekte zu begreifen, wobei der Betrachtung eine starre, leblose Welt zugrunde gelegt werde.11 Daher würden Rechtsgüter als bloße „Museumsstücke, die sorgfältig vor schädlichen Einflüssen in Vitrinen verwahrt“12 würden, betrachtet. Nach diesem Verständnis verletze der Straftäter die unangetastete Sphäre der Vitrine und greife mit roher Faust darin ein.13 Somit setze die objektivistische Rechtswidrigkeitsauffassung einen Zustand der Freiheit und Sicherheit der Rechtsgüter voraus, welcher allerdings der sozialen Wirklichkeit des Rechts nicht entspreche.14 Tatsächlich gäbe es Rechtsgüter nur, wenn und soweit sie in Funktion seien, also im sozialen Leben Wirkungen ausüben und erfahren.15 Nachdem das soziale Leben im Einsatz und Verbrauch von Rechtsgütern bestehe, sei ein soziales Zusammenleben nur möglich, wenn die Rechtsgüter des Einzelnen permanent gewissen Einschränkungen unterlägen.16 Bestünde der Sinn des Rechts in der Abwehr aller Einwirkungen auf museumsartige Rechtsgüter, so müsse das soziale Leben augenblicklich still stehen und einer der bloßen Beschauung gewidmeten Museumswelt den Vorrang gewähren.17 Daher verkenne eine Definition des Verbrechens als reine Rechtsgutsverletzung den eigentlichen Sinn des Rechts, aus den unzähligen Situationen, in denen das Rechtsgut wirke oder leide, die für ein sittlich-geordnetes Gemeinschaftsleben unverträglichen Einwirkungen herauszufiltern und zu verbieten.18 Demnach sei strafrechtlicher Schutz einzig dort geboten, wo das Maß der Beeinträchtigung die Grenzen des sozialen Lebens übersteige. Folglich existiere Rechtsgüterschutz nur im Hinblick auf bestimmt geartete Rechtsgutsbeeinträchtigungen.19 11 Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (514); dazu auch Schaffstein, ZStW 72 (1960), 360 (370 f.) und Kudlich, Unterstützung fremder Straftaten, S. 78. 12 Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (514), wobei er sich ob dieses bekannten Zitats an H. Mayer, Strafrecht, S. 205 orientierte, der ausführte, dass die soziale Wertwelt wie ein großer Lehrsaal der Physik erscheine, in welchem alle Gegenstände „hübsch an ihrem Platze bleiben“, wobei der Verbrecher ein unerwünschter Experimentator sei, der sich an diversen Rechtsgütern zu schaffen mache. 13 Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (514). 14 Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (514 f.). 15 Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (515). 16 Dazu Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (515): „So ist ein soziales Zusammenleben doch nur denkbar, wenn z. B. die Bewegungsfreiheit des einzelnen immerfort eingeschränkt ist, – jede anstrengende Arbeit verlangt Einsatz körperlicher Kräfte, bedeutet Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens, ganz zu schweigen vom modernen Massenverkehr, der sich ja nur auf dem Grunde von gegenseitigen Freiheitsbeschränkungen und körperlichen Beeinträchtigungen abzuspielen vermag. Man überlege nur ernsthaft, wieviel Beeinträchtigungen, Gefährdungen, Verletzungen von Rechtsgütern man im Laufe eines Tages ausübt und gleichzeitig erleidet.“ 17 Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (516). 18 Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (516). 19 Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (516): „Rechtsgüterschutz gibt es nur im Hinblick auf bestimmt geartete Rechtsgüterbeeinträchtigungen! Daher ist Rechtsgüterschutz nur unter Hinzunahme einer bestimmt gearteten Beeinträchtigung rechtlich denkbar.“
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C. Bisherige Lösungsansätze zur Dogmatik der Sozialadäquanz
bb) Konzeption des Ansatzes Zur Konkretisierung dieser bestimmt gearteten Beeinträchtigungen schlägt Welzel wiederum den Bogen zur eigentlichen Handlung, soll sich doch das Strafrecht von vornherein einzig auf die menschliche Zwecktätigkeit beschränken.20 In der Konsequenz fordert er daher, dass die finale Handlung als „Mehr“ zur objektiven Rechtsgutsverletzung hinzutreten müsse, um das Unrecht gänzlich zu erfassen.21 Um nun die finale Handlung ihrerseits zu präzisieren und nicht zur Abstraktion verkommen zu lassen, sei sie als sozial bedeutsames Phänomen, also als Handlung im sozialen Lebensraum, zu interpretieren.22 In der Folge fielen all jene Handlungen aus dem Unrechtsbegriff heraus, die sich funktionell innerhalb der geschichtlich gewordenen Ordnung des Gemeinschaftslebens eines Volkes bewegen.23 Demnach läge also trotz einer eingetretenen Verletzung kein strafrechtlich relevantes Unrecht vor, wenn die verursachende Handlung sozialadäquat sei. Damit schreibt Welzel der Sozialadäquanz auch die Aufgabe zu, einen formal und sprachlich zu weit gefassten Tatbestandswortlaut generell zu restringieren.24 Schließlich stelle der Tatbestand das nach typischen Merkmalen umschriebene Unrecht dar, wobei dieses einzig jene Handlungen umfasse, die aus den sittlichen Ordnungen des Gemeinschaftslebens herausfielen.25 Daher seien der Tatbestand und dessen Begriffe (wie töten, verletzen oder beschädigen) nicht in einem äußerlichkausalen Sinne, sondern durch Bezugnahme auf die soziale Ordnung zu deuten.26 Die Lehre der Sozialadäquanz beruht demnach auf der Deutung des Tatbestandes sowie der Interpretation der Handlung in deren sozialem Sinngefüge, wobei letztere zur Rechtsgutsverletzung hinzutreten muss, um das Unrecht vollständig zu erfassen. Die Sozialadäquanz steht somit in besonderem Maße im Lichte der Interpretation der Handlung im Unrechtsgefüge. Interessant scheint jedoch, dass das zugrundeliegende Handlungsverständnis seinerseits durch Überlegungen zum Rechtsgüterschutze beeinflusst wird. Insbesondere sei sozialadäquates Verhalten bereits aus dem Unrechtsgefüge auszuklammern, um letztlich keine Welt zu schaffen, in der 20
Vgl. Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (516); diese Auffassung fußt auf Welzels früheren Ausführungen, vgl. Welzel, ZStW 51 (1931), 703 (717 ff.), wonach eine „sinnhafte Setzung“ der Handlung notwendig sei. 21 Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (516); dazu auch Schaffstein, ZStW 72 (1960), 369 (370). 22 Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (516); zu diesem Schluss auch Roxin, ZStW 74 (1962), 515 (534 f.). 23 Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (516 f.); vgl. ferner Otto, Festschrift Amelung, S. 225 (226 f.). 24 Vgl. Welzel, Grundzüge1, S. 35 f.; ders., Grundzüge2, S. 36 ff. Oder wie Schaffstein, ZStW 72 (1960), 369 (371) treffend resümiert: „Darin bestehe die methodische Funktion der sozialen Adäquanz, daß sie aus dem formalen Wortlaut der Tatbestände diejenigen Lebensvorgänge herausscheide, die sachlich überhaupt nicht unter sie gehören, und es daher erst ermögliche, daß der Tatbestand Vertypung strafwürdigen Unrechts sei“. 25 Welzel, Grundzüge1, S. 35 f.; ders., Grundzüge2, S. 36 ff. 26 Welzel, Grundzüge1, S. 36 f.; ders., Grundzüge2, S. 37 f.
I. Begründung
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Rechtsgüter Museumsstücken gleichkämen. Die anvisierte Restriktion der Strafbarkeit wurzelt damit in einer Gesamtbetrachtung des Handlung sowie Rechtsgutsverletzung umfassenden Unrechts, wobei dessen Elemente sich wechselseitig zu bedingen scheinen. Schließlich sollen, um gewisse Rechtsgutsbeeinträchtigungen zu tolerieren, bestimmte Handlungen herausgefiltert werden. Warum nun aber gesellschaftlich akzeptiertes Verhalten aus dem Tatbestand auszunehmen sein soll, um gewisse Beeinträchtigungen des Rechtsguts straffrei zu stellen, wird in dogmatischer oder rechtstheoretischer Hinsicht nicht weiter dargelegt. Daher bleibt die proklamierte Ausscheidung sozialadäquater Verhaltensweisen über den Handlungsbegriff ihrerseits eine These. Der Ursprung der Sozialadäquanz erscheint demnach in dieser Hinsicht unvollkommen. cc) Kontext des Ansatzes – Verständnis des Unrechtsgefüges Ein Beleg dieser These könnte sich hingegen in dem Welzelschen Gesamtverständnis der strafrechtlichen Handlung finden lassen, bildet diese doch den Anknüpfungspunkt zur Restriktion der Strafbarkeit. Die Geburt der Sozialadäquanz steht historisch betrachtet in den Übergängen des klassischen Verbrechenssystems Liszts und Belings über das neoklassische System hin zum finalistischen Verbrechensbegriff.27 Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch Welzels Kritik an einer rein objektiven Unrechtsnatur, sei diese doch einzig über eine Deklaration der Handlung als ausschließlich kausale Wirkungsbeziehung erreicht worden.28 Die oben genannte enge Verbindung von Handlung und Rechtsgutsverletzung lässt sich daher auch insofern beobachten. Demnach weist die Handlung nicht nur einerseits der Rechtsgutsbestimmung den Weg, sondern verschmilzt andererseits mit dem Rechtsgut zum strafrechtlich typisierten Unrecht. Das Welzelsche Unrechtsgefüge ist somit in dessen Gesamtheit in besonderem Maße von dem Verständnis der Handlung geprägt.29 Die Handlung per se wird von Welzel zur Zeit der erstmaligen Nennung der Sozialadäquanz als Ausübung menschlicher Zwecktätigkeit begriffen.30 Dabei liege die Besonderheit menschlichen Handelns darin, Ziele gedanklich zu antizipieren, die zur Zielerreichung erforderlichen Mittel auszuwählen und diese sodann planmäßig 27
Vgl. etwa NK-StGB/Puppe, Vor §§ 13 ff. Rn. 41 ff.; Schönke/Schröder/Eisele, Vor §§ 13 ff. Rn. 23 ff.; Roxin, AT I, § 7 Rn. 13 ff.; Ebert/Kühl, Jura 1981, 225 (228 f.); Gallas, ZStW 67 (1955), 1 (1 ff.); ferner ders., Festschrift Bockelmann, S. 155 (155, 161 ff.). 28 So Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (508). 29 Dies unterstreicht auch Welzel selbst, sei die Verbrechenslehre doch einerseits eine „Weiterführung“ der Handlungslehre, die Handlungslehre aber andererseits zugleich die „Verbrechenslehre selbst“, vgl. Welzel ZStW 58 (1939), 491 (497). 30 So Welzel, Allgemeiner Teil, S. 22; ders., Allgemeiner Teil3, S. 32; ders., ZStW 58 (1939), 491 (502); beruhend auf Welzel, ZStW 51 (1931), 703 (717 ff.). Zur Bedeutung dieser Definition und der darauf basierenden Neugestaltung des Strafrechtssystems Hirsch, ZStW 116 (2004), 1 (2 ff.).
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C. Bisherige Lösungsansätze zur Dogmatik der Sozialadäquanz
zur Erlangung des Zieles einzusetzen.31 Damit könne die Handlung nicht als bloße Kausalität begriffen werden, sei bei derer das „Ziel“ doch eine bloße Wirkung als „blindes“ Resultat der Tätigkeit. Demnach sei die Kausalität die reine Wirkung eines „zweckindifferenten Vorwärtsstoßens“32 in der Außenwelt, während die Handlung als Finalität „sehend“, also ein auf den Ziel gelenktes Wirken, sei.33 Den Unterschied bilde der menschliche Wille, der die Ursächlichkeit diverser Kausalfaktoren sehend auf ein gewisses Ziel hin zu regulieren vermöge.34 Von diesem Standpunkt aus wird die hinsichtlich der Sozialadäquanz argumentativ enge Verknüpfung Welzels zwischen Handlung und Rechtsgutsverletzung verständlich. Wird ein Verhalten erst durch menschliche Zwecktätigkeit zur Handlung im strafrechtlichen Sinne erhoben, so ist die Verknüpfung zwischen anvisiertem Ziel und schlichter Tätigkeit naheliegend, der Schluss von Ziel auf Handlung gleichsam verführerisch. Allerdings ergibt sich auch aus dem dargelegten Handlungsverständnis kein Anknüpfungspunkt für die Restriktion des Handlungsbegriffes um sozialadäquate Verhaltensweisen. Ein zweckgerichtetes Verhalten, etwa der Rat zu einer Eisenbahnfahrt, bleibt zweckgerichtet und somit vom Handlungsbegriff umfasst, auch wenn er an sich sozialadäquat ist. Die menschliche Zwecktätigkeit steuert ein Verhalten subjektiv, also von innen heraus, während die gesellschaftliche Bewertung dem Verhalten von außen aufgezwungen wird. So vermag die äußerliche Beurteilung zwar eine andere rechtliche Bewertung der Handlung nach sich ziehen, diese aber über den Handlungsbegriff aus dem Unrechtstatbestand auszuscheiden ist aufgrund der sie dennoch prägenden Zwecktätigkeit indes nicht möglich. dd) Abschließende Stellungnahme Vielmehr zeigt sich, dass Welzel in seinen Darstellungen zur Sozialadäquanz das sich aus Handlung und Rechtsgutsverletzung zusammensetzende Unrecht mit der Handlung als solcher verquickt: so sei das Mehr, das zur Rechtsgutsverletzung hinzutreten müsse, um ein Verhalten als Unrecht zu klassifizieren, primär die finale Handlung.35 Um diese von der kausalen Handlung zu distinguieren, sei sie als sozial 31
Welzel, Allgemeiner Teil3, S. 32; ders., ZStW 58 (1939), 491 (502). Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (502). 33 Welzel, Allgemeiner Teil, S. 22; ders., Allgemeiner Teil3, S. 32 f.; ders., Grundzüge, S. 21. Als Beispiel führt Welzel einen Blitz an, der einen auf dem Felde arbeitenden Menschen erschlägt. So sei es zwar ursächlich bedingt, dass sich die elektrische Spannung zu Lasten des Mannes und nicht etwa eines Gebäudes entlud; eine Zielgerichtetheit des Geschehens könne hingegen nicht erblickt werden. Diese präge dagegen gerade menschliche Handlungen, wählt ein Mörder doch die Ursachfaktoren bewusst so aus, dass sie das vorbestimmte Ziel erreichen. Dabei seien alle der Zielerreichung untergeordnete Akte wie das Einkaufen der Waffe, das Auskundschaften der Gegebenheiten, das Abwarten, Zielen oder Abdrücken zielgerichtet. 34 Welzel, Allgemeiner Teil3, S. 33; ders., ZStW 58 (1939), 491 (502). 35 Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (516): „das ,Mehr‘, das zum Erfolgssachverhalt (zur Rechtsgutsverletzung) hinzukommen muß, um das spezifische strafrechtliche Unrecht aus32
I. Begründung
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bedeutsames Phänomen und damit als Handlung im sozialen Lebensraum zu begreifen.36 Dann sollen aber alle sozialadäquaten Handlungen für den Unrechtsbegriff ausscheiden.37 Die Begründung weist somit einen argumentativen Sprung von der Handlung in das Unrecht auf. Nach diesen Ausführungen bieten sich zwei Ansatzpunkte zur Verortung der Sozialadäquanz nach Welzel. Einerseits könnte sie, wie die Herleitung nahelegt, Verhalten aus dem Handlungsbegriff herausnehmen. Andererseits könnte sie, wie die Schlussthese vermuten lässt, als Korrektiv den Unrechtstatbestand als Ganzen restringieren.38 Während die erstere Interpretationsweise die stringente Fortsetzung Welzels eigener Herleitung darstellt, entspricht letzteres Verständnis dem zuvor vorgenommenen Schluss von den Ausführungen bezüglich des Rechtsguts auf die Handlung und somit einer Unrechtsbetrachtung. Unbesehen der letztlichen Lesart zeigt dieser Sprung von Handlung zu Unrecht in der Herleitung der Sozialadäquanz jedenfalls auf, dass diese Deduktion ihrerseits nicht zwingend ist und eine bloße These verkörpert. Zwar vermag eine Einschränkung der Handlung als sozial bedeutsames Phänomen gefordert zu werden. Die Ausscheidung sozial adäquaten Verhaltens aus dem Unrechtstatbestand geht damit indes nicht einher, gleichwohl ob diese über die Handlung oder das Unrecht per se erfolgen soll. Weitere Argumente für die dogmatische Verortung oder Daseinsberechtigung der Sozialadäquanz werden nicht dargereicht. Darüber hinaus findet sich keine Begründung, weshalb die Handlung oder der Unrechtstatbestand nunmehr eine gesellschaftliche Beurteilung des Verhaltens erfordern sollen. Daher gerät die anvisierte Inkorporation der Sozialadäquanz dogmatisch wenig begründet und geht über eine Aneinanderreihung von Thesen nur schwerlich hinaus.
zumachen, ist primär die finale Handlung, ausnahmsweise auch die vermeidbare Verursachung“. 36 Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (516): „Dies Ergebnis ist jedoch näher zu präzisieren: ,Handlung‘ (auch als finale Handlung) ist immer noch eine Abstraktion wie ,Verursachung‘, wenn sie nicht als sozial bedeutsames Phänomen, als Handlung im sozialen Lebensraum erfaßt wird“. 37 Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (516): „Dann scheiden aber weiter […] alle Handlungen für den Unrechtsbegriff aus, die sich funktionell innerhalb der geschichtlich gewordenen Ordnung des Gemeinschaftslebens eines Volkes bewegen.“ Bernert, Soziale Adäquanz, S. 14 f. sieht in der Verwendung der Formulierung für den Unrechtsbegriff einen Hinweis darauf, dass das Verhalten lediglich dem Welzelschen Begriff des Unrechts als unsittliches Verhalten nicht unterfalle und daher keinerlei dogmatische Rückschlüsse zulasse. Würde man dem folgen, so würde sich gleichwohl die Frage aufdrängen, weshalb kein unsittliches Verhalten vorliegen und wie dies zu begründen sein solle. 38 In der Tat lassen unmittelbar nachfolgende Ausführungen Welzels auf eine derartige Interpretation schließen, unterstellt er die soziale Adäquanz dort doch dem Tatbestand, nicht der Handlung, vgl. etwa Welzel, Allgemeiner Teil, S. 33; ders., Allgemeiner Teil3, S. 50 f. Auch die überwiegende Literatur deutet Welzels Ausführungen dergestalt, vgl. nur Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (79) oder Schaffstein, ZStW 72 (1960), 369 (370 f.).
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C. Bisherige Lösungsansätze zur Dogmatik der Sozialadäquanz
b) Sozialadäquanz als „scheinbare strafrechtliche Relevanz der Handlung“ aa) Konzeption des Ansatzes Einen weiteren Versuch der dogmatischen sowie systematischen Erfassung unternahm Gracia Martín, der die Sozialadäquanz zu einer dogmatisch eigenständigen Kategorie zu erheben gedachte.39 Nach dessen Auffassung sollen einzig die Handlungen sozialadäquat sein, „deren Verwirklichung das materielle Substrat eines Rechtsguts immer und notwendig beeinträchtigt, wenn und nur wenn diese Handlungen auch vom Wortsinn der das einschlägige Rechtsgut schützenden Tatbestände erfasst werden, obwohl diese Handlungen von vornherein vom Unrechtstatbestand auszuschließen sind, weil es um von der Sozialgemeinschaft allgemein gebilligte, d. h. sich im Rahmen des normalen Ablaufes der geschichtlichen Ordnung einer Gesellschaft ereignende Handlungen geht“40. In dieser Definition kommt der zentrale Aspekt der Bestrebungen Gracia Martíns zum Vorschein: so solle eine Kategorie von Handlungen bestimmt werden, deren Beurteilung als sozialadäquat einen eigenständigen dogmatischen Sinn besitze.41 Zwar biete sich diesbezüglich nach einem weiten, nicht streng dogmatischen Verständnis die Klassifizierung aller rechtmäßigen Handlungen als sozialadäquat an,42 wonach rechtlich irrelevante sowie gerechtfertigte Handlungen gleichermaßen sozialadäquat seien.43 Allerdings stünde eine derartige Klassifizierung einer eigenen dogmatischen Kategorie im Wege, würde so doch lediglich ein rechtlich folgenloser Sammelbegriff für diverse Sachverhalte geschaffen.44 Daher bestehe das Ziel der Bemühungen darin, aus dieser Klasse der rechtmäßigen Handlungen einen engeren
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Gracia Martín, Festschrift Tiedemann, S. 205 (209, 212, 214). Gracia Martín, Festschrift Tiedemann, S. 205 (214). Die später kurz angedeutete These, dass die Sozialadäquanz auf Interessenabwägungen beruhe (Gracia Martín, Festschrift Tiedemann, S. 205 [218]) wird ihrerseits nicht versucht, mit dem Ansatz der allgemeinen Billigung der Handlung in Einklang zu bringen und in der Folge nicht weiter vertieft oder dargelegt. 41 Gracia Martín, Festschrift Tiedemann, S. 205 (212), was nach Welzels Definition nicht möglich sei, habe dieser doch die einst selbst geforderte, konstitutiven Voraussetzungen der Sozialadäquanz nicht beachtet. 42 Wobei dieser Ansatzpunkt auf die zu jener Zeit aktuellen Ausführungen bei NK-StGB2/ Paeffgen, Vor §§ 32 ff. Rn. 29 zurückgeht, nach denen strafrechtlich jedenfalls sozial adäquat sei, was unverboten sei. 43 Gracia Martín, Festschrift Tiedemann, S. 205 (212), wobei zu den rechtlich irrelevanten Handlungen etwa das Benutzen eines Verkehrsmittels, Spaziergänge oder Unterhaltungen gezählt werden, während für Fälle der Rechtfertigung die Festnahme eines Verbrechers oder die Verletzung eines Angreifers in Notwehr angeführt werden. 44 Gracia Martín, Festschrift Tiedemann, S. 205 (212 f.); die Diversität der Sachverhalte erkennt auch NK-StGB2/Paeffgen, Vor §§ 32 ff. Rn. 29, der insbesondere auf den formalen Unterschied zwischen Nicht-Positivierung und Erlaubnissatz hinweist. 40
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Bereich zu definieren, der in einem strengen dogmatischen Sinne einzig die sozialadäquaten Handlungen umfasse und diesen vorbehalten bleibe.45 Zur Konkretisierung dieses Bereiches seien zunächst tatbestandsmäßige, aber gerechtfertigte Handlungen von der dogmatischen Kategorie der Sozialadäquanz zu unterscheiden, werden solche doch von der Sozialgemeinschaft generell missbilligt und nur ausnahmsweise akzeptiert, während demgegenüber die Sozialadäquanz gerade sozial gebilligtes Verhalten umfasse.46 Damit sei der systematische Bereich sozialadäquater Handlungen indes noch nicht umschrieben, gebe es doch unzählige Verhaltensweisen innerhalb einer Gesellschaft, die keinen Anlass zu einem strafrechtlichen Verdacht bieten. Zu denken sei etwa an Unterhaltungen über ein Fußballspiel, Tanzen, Kochen, das Schreiben literarischer Texte oder das Referieren über die Sozialadäquanz selbst.47 Es sei aber sinnlos, die Sozialadäquanz zur Begründung der strafrechtlichen Irrelevanz dieser Handlungen heranzuziehen.48 Um einer eigenen dogmatischen Kategorie der Sozialadäquanz Inhalt zu verleihen, soll diese daher nur solche Handlungen umfassen, die den Kern der tatbestandlich geschützten Rechtsgüter materiell beeinträchtigen.49 In der Zusammenschau sei eine Definition gewonnen, welche die Sozialadäquanz zu einer eigenen dogmatischen Klasse konstituiere, die als „neutralisierende und negative Kategorie der scheinbaren strafrechtlichen (tatbestandsmäßigen) Relevanz der Handlung“50 umschrieben wird. Die Funktion dieser Kategorie bestehe nun darin, die scheinbare strafrechtliche Relevanz der Handlung ob deren tatsächlicher strafrechtlicher Relevanz hin zu untersuchen und diesbezüglich eine sichere Aussage zu treffen.51
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Gracia Martín, Festschrift Tiedemann, S. 205 (213). Dass der bisherige Bereich zu weit verstanden werde und daher wenig tauglich sei, stellten bereits zuvor etwa Cancio Meliá, GA 1995, 179 (182) und Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (80 ff.) fest, die die Sozialadäquanz jedoch nicht weiter zu konkretisieren versuchten. 46 Gracia Martín, Festschrift Tiedemann, S. 205 (211, 213), wobei insofern explizit die Ausführungen bei NK-StGB2/Paeffgen, Vor §§ 32 ff. Rn. 30 fruchtbar gemacht werden sollen, nach denen keine spezielle Erlaubnis erforderlich sei, die ein an sich verbotenes Verhalten für ausnahmsweise rechtmäßig erkläre, wenn dieses doch ohnehin keinem Tatbestand unterfalle. Gleichwohl führt NK-StGB2/Paeffgen, Vor §§ 32 ff. Rn. 30 die angegebene Passage lediglich im Konjunktiv an, da insofern Welzel, Grundzüge11, S. 55 f. skizziert werden soll. Tatsächlich verweist Welzel, Grundzüge11, S. 57 auf diese Erkenntnis, die ihrerseits bei Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (81 ff.) ausgiebig herausgearbeitet wurde. 47 Gracia Martín, Festschrift Tiedemann, S. 205 (213). 48 Gracia Martín, Festschrift Tiedemann, S. 205 (213) umschreibt eine derartige Wirkweise gar als absurd. 49 Gracia Martín, Festschrift Tiedemann, S. 205 (213 f.). Wobei diese Voraussetzung bereits in Welzels ursprünglicher Begründung der Sozialadäquanz angelegt zu sein scheint, führt er diese doch auch auf die stete Beeinträchtigung der Rechtsgüter im sozialen Leben zurück, vgl. Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (514 f.). 50 Gracia Martín, Festschrift Tiedemann, S. 205 (214). 51 Gracia Martín, Festschrift Tiedemann, S. 205 (214): „[…] denn die Funktion dieser Kategorie besteht sowohl kriminalpolitisch als auch dogmatisch darin, das ,Scheinbare‘ in
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C. Bisherige Lösungsansätze zur Dogmatik der Sozialadäquanz
Es erscheint indes fraglich, ob die diesem Ansatz entspringende Definition der sozialadäquaten Handlungen ihren Beitrag zur Konturierung der Kategorie der Sozialadäquanz zu leisten vermag. Zwar scheint der Versuch löblich, eine isolierte, sozialadäquaten Handlungen vorbehaltene, dogmatische Klasse zu entwickeln. Angesichts der Vielzahl angeführter Beispiele vermeintlicher Sozialadäquanz in Tatbestand und Rechtswidrigkeit bringt auch die Ausscheidung gerechtfertigten Verhaltens einen gewissen Grad an Konkretisierung mit sich. Allerdings reicht der Ansatz insofern über Welzels Ausgangspunkt der Tatbestandsrestriktion nicht hinaus, sondern teilt diesen allenfalls. Ähnliches gilt für das zweite Element der Definition, die materielle Beeinträchtigung des Rechtsgutes. Diese führt Welzel freilich nicht explizit in seiner Umschreibung der Sozialadäquanz an. Aus seinem Unrechtsverständnis, das neben der Handlung eine Rechtsgutsverletzung fordert, ergibt sich diese jedoch ohnehin.52 Demnach beschränkt sich die dargelegte Definition der sozialadäquaten Handlung in zuvor Dargebrachtem und ergänzt diese lediglich um eine negative Abgrenzung der Figur zu anderen Kategorien. Dass damit nur wenig positiver Erkenntnisgewinn einhergeht, liegt auf der Hand. Ferner überzeugt auch die gewählte Umschreibung als negative Kategorie der bloß scheinbaren strafrechtlichen Relevanz, die zur besonderen Prüfung aufrufe, vor dem Hintergrund nicht, dass sozialadäquate Handlungen per definitionem53 bereits von vornherein dem Unrechtstatbestand entfallen sollen. bb) Dogmatische Grundlage des Ansatzes Als materielles Grundgerüst dieses Ansatzes deklariert Gracia Martín ebenfalls die Welzelsche Rechtsgutskonzeption, die Rechtsgüterschutz nur gegen bestimmt geartete Beeinträchtigungen für notwendig erachtet.54 Schließlich gebiete die Dynamik des Gebrauchs sowie Verbrauchs der Rechtsgüter, sozialadäquate Handlungen von sozialinadäquaten zu unterscheiden.55 Damit steht auch dieser Ansatz im Lichte der Rechtsgutsbetrachtung, die eine Selektion der Handlungen nach dem Gesichtspunkt der Sozialadäquanz begründen soll. Dabei soll einerseits die Handlung als solche in den Mittelpunkt der Betrachtung rücken und den Gegenstand der vorzunehmenden Beurteilung bilden.56 Nur so lasse sich das Sozialadäquanzurteil fällen, erschöpfe sich dieses doch in der Bewertung etwas ,Sicheres‘ zu verwandeln, nämlich in die Sicherheit, dass die Tat strafrechtlich irrelevant und deshalb tatbestandslos ist“. 52 Dazu oben, Kapitel C. I. 1. a) bb). 53 Gracia Martín, Festschrift Tiedemann, S. 205 (214). 54 Vgl. Gracia Martín, Festschrift Tiedemann, S. 205 (216 f.); vgl. zu Welzels diesbezüglichen Ausführungen oben, Kapitel C. I. 1. a) aa). 55 Gracia Martín, Festschrift Tiedemann, S. 205 (217). 56 Gracia Martín, Festschrift Tiedemann, S. 205 (218), wobei diese Äußerung an die argumentative Herleitung Welzels erinnert, die stark auf die Handlung abzielt, vgl. dazu oben Kapitel C. I. 1. a).
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einer Handlung als im Rahmen einer positiv gebilligten sozialen Tätigkeit stattfindend.57 Andererseits sei jedoch die Bewertung als sozialadäquat einzig auf Grundlage einer ganzheitlichen Betrachtung der Handlung als final-kausaler Einheit möglich, sodass sich die Beurteilung weder auf objektive Aspekte, noch auf den objektiven Tatbestand beschränken lasse.58 Daher könne eine Handlung erst dann für sozialadäquat erklärt werden, wenn sich der zugrundeliegende Verwirklichungswille des Ausführenden, der nicht zum Vorsatz erhoben werden könne, einzig auf typische Folgen dieser Handlung richte.59 Beziehe sich der Verwirklichungswille dagegen auf eine atypische Folge des Verhaltens, wie etwa absichtliche Verletzungen, die das übliche Maß eines Boxkampfes überschreiten, so zeichne dies das Verhalten als sozialinadäquat.60 Somit wird die Sozialadäquanz einer Handlung in entscheidendem Maße an den inneren Zweckverwirklichungswillen des Täters geknüpft. Darüber hinaus begrenze nicht nur der Verwirklichungswille den Bereich sozialadäquater Handlungen, sondern vielmehr auch die eingetretenen Folgen der Tätigkeit. Schließlich markiere sozialadäquates Handeln die Grenze zu einer fahrlässigen Straftat dergestalt, als dass das Ende sozialadäquaten Tuns zugleich den Beginn der objektiven Sorgfaltspflichtverletzung kennzeichne.61 Demnach sollen für den Handelnden Sorgfaltspflichten zur Vermeidung untypischer Folgen sozialadäquater Handlungen bestehen.62 Eine Missachtung der objektiv erforderlichen Sorgfalt soll aufgrund der damit verbundenen fehlerhaften und daher inadäquaten Ausübung des Verwirklichungswillens sowie der vorhersehbaren, wenn auch atypischen Folge die sozialadäquate Handlung in eine inadäquate umwandeln, wobei die Finalität der Handlung jedoch sozialadäquat bleibe.63
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Gracia Martín, Festschrift Tiedemann, S. 205 (219). Gracia Martín, Festschrift Tiedemann, S. 205 (218): „Das Urteil der Sozialadäquanz ist – wie das der Sozialinadäquanz – nur auf Grundlage einer ganzheitlichen synthetischen Bewertung der final-kausalen Einheit der einschlägigen Handlung formulierbar, und lässt sich deshalb weder auf eine Bewertung ihres objektiven Aspekts, noch auf ein allein auf den objektiven Tatbestand beschränktes Kriterium reduzieren.“ 59 Gracia Martín, Festschrift Tiedemann, S. 205 (219). Bei genauerer Betrachtung findet sich eine dahingehende – gleichwohl unausgesprochene – Tendenz bereits bei Welzel selbst, der denjenigen, der ein lungenkrankes Mädchen in der Absicht schwängere, dass die Schwangerschaft ihr den Tod bringe, als Mörder bestraft wissen will, vgl. Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (519 f.). Insbesondere der Hinweis auf dieses Verhalten als bloß scheinbar sozialadäquates Verhalten deutet an, dass auch nach Welzels Verständnis das vorherrschende subjektive Element eine andernfalls bestehende Sozialadäquanz zu beseitigen können scheint. 60 Gracia Martín, Festschrift Tiedemann, S. 205 (219); auch diesbezüglich erinnern die Ausführungen an die Schwängerung des lungenkranken Mädchens. 61 Gracia Martín, Festschrift Tiedemann, S. 205 (220). Dieses Verständnis stellt damit einen Gegenentwurf zu den Ausführungen Cancio Meliás dar, welcher die soziale Adäquanz nicht als Gegenspieler, sondern als Inhaltselement der Sorgfaltspflicht begreift, vgl. Cancio Meliá, GA 1995, 179 (190 f.). 62 Gracia Martín, Festschrift Tiedemann, S. 205 (220). 63 Gracia Martín, Festschrift Tiedemann, S. 205 (220). 58
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C. Bisherige Lösungsansätze zur Dogmatik der Sozialadäquanz
Beleuchtet man die dogmatische Grundlage dieses Ansatzes, so tritt besonders die These hervor, dass sich eine Beurteilung der Handlung hinsichtlich deren Sozialadäquanz nicht auf objektive Aspekte limitieren lasse, sondern um subjektive Komponenten ergänzt werden müsse. Durch die derartige Erweiterung der Betrachtung vermag so etwa der Fall des das lungenkranke Mädchen in der Absicht, die Schwangerschaft möge ihr den Tod bringen, Schwängernden gelöst zu werden, dessen Strafbarkeit Welzel bereits früh andeutete, jedoch nicht konkret zu begründen versuchte.64 Zudem wird so ein Filter geschaffen, der den Missbrauch der Sozialadäquanz als Deckmantel beabsichtigter Rechtsgutsverletzungen zu verhindern vermag. Allerdings besteht der Zoll zur Erlangung dieses Filters in einer Friktion mit der Interpretation des zugrunde gelegten finalen Handlungsverständnisses.65 So hält zwar die beabsichtigte Einbindung der subjektiven Komponente über das Merkmal der Finalität der Handlung Einzug in die Bewertung des Verhaltens. Schließlich wird durch die Erhebung des der Finalität entspringenden Zweckverwirklichungswillens zu einem maßgeblichen Aspekt der Prüfung die Brücke zur Berücksichtigung des Subjektiven geschlagen. Jedoch geschieht dies auf Kosten einer Interpretation der Finalität, die in Widerspruch zu dem gedanklichen Grundkonstrukt deren Väter steht: so besteht nach deren Verständnis66 sowie nach dessen allgemeiner Interpretation67 ein Charakteristikum der finalen Handlungslehre in der Gleichsetzung des Vorsatzes mit der finalen Steuerung, also dem Zweckverwirklichungswillen. Der Ansatz Gracia Martíns möchte den Zweckverwirklichungswillen dagegen streng von dem vorliegenden Vorsatz getrennt verstanden wissen,68 womit er mit diesem Charakteristikum bricht. Auf dieser Forderung beruht das zugrunde gelegte dog64 Die Ausführungen stehen zwar im Kontext der Diskussion, ob der Totschlag und die fahrlässige Tötung sich hinsichtlich der Typizität oder der finalen Tatherrschaft unterscheiden, werden aber nicht darauf zurückgeführt, sondern auf den bloßen Hinweis, dass Welzel nicht einsehe, weshalb eine Bestrafung als Mörder im konkreten Falle ausscheiden solle, vgl. Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (519 f.). 65 Der vorliegend diskutierte Ansatz beruht zentral auf dem finalen Handlungsbegriff, erhebt er doch die ganzheitliche Betrachtung der Handlung als final-kausale Einheit zum Bezugspunkt der Prüfung und verteidigt zuvor ausgiebig den Finalismus per se, vgl. Gracia Martín, Festschrift Tiedemann, S. 205 (206 f., 215 f., 218). 66 Vgl. etwa Maurach, AT4, S. 224 ff.; Stratenwerth, AT3, Rn. 147 ff.; Welzel, ZStW 51 (1931), 703 (711 ff.); Arm. Kaufmann, Normentheorie, S. 102 ff.; Hirsch, Negative Tatbestandsmerkmale, S. 329. 67 Vgl. nur Jescheck/Weigend, AT, S. 211; Roxin, ZStW 74 (1962), 515 (522 ff.); vgl. ferner das Resümee bei Hirsch, ZStW 93 (1981), 831 (836 f.) und die Darstellung unter Heranziehung verschiedenster Strömungen innerhalb der finalen Handlungslehre bei Gallas, Festschrift Bockelmann, S. 155 (155 ff.). Zur zwingenden Gleichsetzung von Verwirklichungswillen und Vorsatz im Finalismus, ohne die sich der Finalismus selbst seiner wichtigsten verbrechenssystematischen Ableitung beraube auch Walter, Kern des Strafrechts, S. 34. 68 So explizit Gracia Martín, Festschrift Tiedemann, S. 205 (219): „Bei sozialadäquaten Handlungen ist der Verwirklichungswille nicht mehr als die Finalität, die nie zum Vorsatz erhoben werden kann.“
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matische Grundverständnis letztlich in entscheidendem Maße, soll eine Handlung schließlich nur sozialadäquat sein, wenn sich der Verwirklichungswille auf die Erreichung des normalen Zwecks richte, dagegen jedoch sozialinadäquat, wenn der Verwirklichungswille zum Vorsatz mutiere, da er darüber hinaus atypische Folgen der Handlung umschließe.69 Zwar verweist Gracia Martín insofern auf spätere Ausführungen Welzels,70 in denen dieser Roxins Kritik71 zu parieren versucht und in der Folge den Vorsatz insofern von dem Verwirklichungswillen unterscheiden möchte, als dass jeder Vorsatz ein finaler Handlungswille, der finale Handlungswille aber einzig, wenn er auf objektive Merkmale eines Tatbestandes gerichtet ist, auch ein Vorsatz sei.72 Allerdings hält der Ansatz Gracia Martins auch diese Unterscheidung nicht aufrecht, sondern nimmt die typischen Folgen der Handlung ohne weitere Erklärung dem Tatbestand aus, sodass ein Vorsatz zu leugnen und lediglich ein Zweckverwirklichungswille anzunehmen sei, welcher vielmehr erst durch die Vorstellung atypischer Folgen dem Tatbestand unterfalle und damit zum Vorsatz werde. Somit begründet der dargelegte Ansatz die Straflosigkeit typischer Folgen nicht, sondern setzt deren Tatbestandslosigkeit bereits voraus. Daher vermag so zwar zumindest der Bruch mit der finalen Handlungslehre vermieden, argumentativ jedoch nichts hinzugewonnen zu werden. Ferner bleibt fraglich, wie die subjektive Komponente eine Handlung in den Unrechtstatbestand überführen soll, die nach gleichem Ansatz von vornherein dem Unrechtstatbestand entfalle.73 Vor diesem Lichte vermögen auch die Ausführungen zum Bereich der Sorgfaltspflichtverletzungen wenig zu überzeugen. Daneben gerät das Konstrukt einer Verpflichtung zur Abwendung atypischer Folgen sozialadäquaten Verhaltens in Widerspruch mit der Idee der Sozialadäquanz als straffreier Bereich gesellschaftlich akzeptierten Verhaltens. Schließlich wird so an ein per se gebilligtes Verhalten angeknüpft, um bei (zufälligem) Eintritt einer atypischen Folge doch eine Strafbarkeit aufleben zu lassen. Die Handlung wird damit ambivalent beurteilt, von einem Erfolgsunrecht auf ein Handlungsunrecht geschlossen, das anderenfalls zu negieren sein soll. Zudem erklärt sich nicht, weshalb im Falle des Eintritts einer solchen Folge der Zweckverwirklichungswille fehlerhaft ausgeübt werden soll, wenn dieser gerade nicht auf ein derartiges Resultat gerichtet war. Dies mag zwar dem allgemeinen Beschwernis der finalen Handlungslehre geschuldet sein, die Fahrlässigkeit als vorwerfbare Nachlässigkeit nicht als bewusste Erfolgsverursachung begreifen zu können.74 Nichtsdestotrotz unterstreicht auch dieser Umstand den unzureichenden dogmatischen Unterbau des dargelegten Ansatzes. 69
Gracia Martín, Festschrift Tiedemann, S. 205 (219). Welzel, Bleibendes und Vergängliches, Abhandlungen, S. 345 (348 ff.). 71 Roxin, ZStW 74 (1962), 515 (515 ff.). 72 Welzel, Bleibendes und Vergängliches, Abhandlungen, S. 345 (348 ff., insbes. S. 349 Fn. 20). 73 Vgl. Gracia Martín, Festschrift Tiedemann, S. 205 (214). 74 Dazu etwa Heinrich, AT, Rn. 105; Roxin, AT I, § 8 Rn. 20 f.; ders., ZStW 74 (1962), 515 (521). 70
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C. Bisherige Lösungsansätze zur Dogmatik der Sozialadäquanz
cc) Abschließende Stellungnahme Der Ansatz zeichnet das Bild einer Handlung, die von vornherein dem Unrechtstatbestand entfallen soll, diesem aber bei überschießender subjektiver Tendenz oder dem Eintritt einer atypischen Folge doch wieder unterstellt werden können soll. So wird die angedachte Konzeption als negative Kategorie konterkariert, die ihrerseits eine von Welzel differente Herangehensweise mit sich gebracht hätte. Damit verfolgt dieser Ansatz die eigens gesteckten Ziele kaum, sodass er an innerer Stimmigkeit einbüßt. Daneben wird die weitere aufgeworfene These, dass die Sozialadäquanz auf Interessenabwägungen beruhe,75 nicht weiter verfolgt. Dies ist umso bedauerlicher, als dass mit der Hinzunahme eines subjektiven Elementes zumindest eine systematische Nähe zu den Rechtfertigungsgründen in der Luft liegt, die sich in dem Hinweis auf das Element der Abwägung widerspiegelt. Auf diesen Aspekt wird indes nicht eingegangen, sondern sich vielmehr dem Aufbau der Handlung verschrieben. Für die Existenz der sozialen Adäquanz per se findet sich jedoch auch innerhalb des dargelegten Ansatzes keine weitere Begründung. Vielmehr wird deren Akzeptanz bereits in der Definition vorausgesetzt, sodass diesbezüglich kein Erkenntnisgewinn mit der Auffassung einhergeht. Daher vermag dieser Ansatz letztendlich wenig zur dogmatischen Konkretisierung der Rechtsfigur beizutragen. c) Sozialadäquanz als überpositives Strafbarkeitskorrektiv aa) Konzeption des Ansatzes Demgegenüber entfernt sich ein weiterer Ansatz zur Erfassung der Sozialadäquanz gedanklich weiter von deren ursprünglichem Modell. So soll das in Rede stehende Strafbarkeitskorrektiv nach Klug aus zwei Komponenten bestehen: einerseits sei sozialethisch gebotenes oder sozial irrelevantes Verhalten sozialethisch erlaubt und daher bereits nicht dem Tatbestand unterfallend.76 Diese Einschränkung des formellen Tatbestandes sei unter dem Stichwort der Sozialkongruenz zu begreifen.77 Dagegen unterfalle dem Konstrukt der rechtfertigenden Sozialadäquanz ein Verhalten, das sozialethisch erlaubt sei, ohne hingegen sozialethisch geboten zu sein.78 Während die Sozialadäquanz ein allgemeines Rechtfertigungsprinzip sei, 75
Gracia Martín, Festschrift Tiedemann, S. 205 (218). Klug, Festschrift Eb. Schmidt, S. 249 (261), wobei die sozialethische Gebotenheit das prägende Element darstellt, während die soziale Irrelevanz der Handlung dagegen ein ergänzendes Merkmal zur Komplettierung der Kategorie verkörpert. Das Kriterium der sozialen Irrelevanz wird seinerseits bei Engisch, Festschrift Deutscher Juristentag, S. 401 (417 Fn. 42) angedeutet, wenn dort auch „harmlose“ Handlungen als sozialadäquat beschrieben werden. 77 Klug, Festschrift Eb. Schmidt, S. 249 (262). 78 Klug, Festschrift Eb. Schmidt, S. 249 (262); an die sozialethische Gebotenheit erinnert später auch die die Sozialadäquanz begründen sollende „allgemein anerkannte Wertigkeit“ nach K. Peters, Festschrift Welzel, S. 415 (426 f.). 76
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stelle die Sozialkongruenz ein allgemeines Tatbestandsausschließungsprinzip dar.79 Dementsprechend fungiert die sozialethische Gebotenheit eines Verhaltens als ausschlaggebendes Moment der Differenzierung beider Kategorien.80 Da jedoch die Straftatbestände der gesetzliche Niederschlag sozialethischer Prinzipien seien, sei im Zweifel lediglich rechtfertigende Sozialadäquanz anzunehmen. Schließlich spreche doch stets eine Vermutung gegen die Sozialkongruenz, wenn ein Verhalten sich als tatbestandsmäßig erweise.81 Nach diesem Verständnis seien etwa der ärztliche Heileingriff, die pädagogisch bedingte Züchtigungshandlung oder die Aufklärungsanzeige als sozialethisch gebotene Verhaltensweisen sozialkongruent und damit dem Tatbestand auszunehmen.82 Dagegen unterfielen unter anderem Freiheitsbeschränkungen des modernen Verkehrs oder Verletzungen im Rahmen sportlicher Wettkämpfe der Rechtfertigung durch Sozialadäquanz, seien diese doch nicht geboten, sondern lediglich erlaubt.83 Der Vorteil dieses Ansatzes liege darin, dass der Rekurs auf die Sozialkongruenz keines Rückgriffs auf das bloße Rechtsgefühl bedürfe, da die zugrunde liegenden Kriterien objektiv feststellbar seien und sinnvollerweise durch Sachverständigengutachten geklärt werden könnten.84 Allerdings drängt sich der Schluss auf, der Verweis auf die angesprochenen Kriterien, die namentlich nicht benannt werden, erschöpfe sich in einem Hinweis auf die bloße Beurteilung der Faktenlage. Diese lässt ihrerseits jedoch keinen zwingenden Rückschluss auf die Beurteilung der sozialethischen Gebotenheit zu. Vielmehr wird der Disput um ein weiteres, im Dunkeln liegendes normatives Kriterium ergänzt, das eine Wertung bezüglich der schwerlich objektiv feststellbaren Gebotenheit eines Verhaltens einfordert. Die naheliegenden Zweifel an der Bestimmbarkeit des zentralen Merkmals sozialethischer Gebotenheit vermögen so nicht ausgeräumt zu werden, wird hierfür doch letztlich keinerlei Maßstab an die Hand gegeben. 79 Klug, Festschrift Eb. Schmidt, S. 249 (262). Die Idee der Sozialadäquanz als Rechtfertigungsgrund ist an die zivilrechtlichen Ausführungen bei Nipperdey, NJW 1957, 1777 (1779 f.) angelehnt. 80 Auch Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (633 ff.) und Maurach/Zipf, AT 1, § 17 Rn. 14 begreifen lediglich sozial anerkennenswertes und damit gebotenes Verhalten als sozialadäquat. Ferner bezeichnet K. Peters, Festschrift Welzel, S. 415 (425 ff.) lediglich sozialethisch wertvolles Verhalten als sozialadäquat. 81 Klug, Festschrift Eb. Schmidt, S. 249 (261). 82 Klug, Festschrift Eb. Schmidt, S. 249 (262 f.). Von der Bindung der Entscheidung an das Kriterium der Gebotenheit verspricht sich Klug zudem, einen rein kosmetischen ärztlichen Eingriff nicht wegen fehlender Tatbestandsmäßigkeit von der Strafbarkeit ausnehmen zu müssen, ihn aber gleichwohl im Wege der rechtfertigenden Sozialadäquanz straffrei stellen zu können. 83 Klug, Festschrift Eb. Schmidt, S. 249 (264.). 84 Klug, Festschrift Eb. Schmidt, S. 249 (264), wobei insbesondere die Heilbehandlung und das gefährliche Geschäftsgebaren als Musterexemplare eindeutiger Kriterien hervorgehoben werden, wobei insbesondere letzes Beispiel schwerlich objektiv leicht feststellbar erscheint. Auch der auf die allgemein anerkannte Wertigkeit abzielende K. Peters spricht insofern von generell und offensichtlich anerkannten Werten, vgl. K. Peters, Festschrift Welzel, S. 415 (427).
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C. Bisherige Lösungsansätze zur Dogmatik der Sozialadäquanz
Das grundlegende Konzept dieses Ansatzes entspringt einer Betrachtung der gesellschaftsrechtlichen Untreuetatbestände der § 294 AktG a.F. bzw. § 81a GmbHG a.F.85, in deren Rahmen umstritten war, inwiefern Entscheidungsträger ergebnisoffene, aber riskante Geschäfte tätigen dürfen, die dann in einen Verlust der Gesellschaft münden. Zahlreiche Stimmen mühten sich um eine allgemeine Restriktion der Untreuetatbestände. Von besonderer Bedeutung sind insofern das dem Tatbestand implementierte Merkmal der Pflichtwidrigkeit86 sowie eine einschränkende Auslegung unter Heranziehung der Sorgfalt des ordentlichen Geschäftsmannes87, wobei letztere zunehmend in der Interpretation der Pflichtwidrigkeit aufging.88 Klug bediente sich des Kriteriums der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns ebenfalls zur Präzisierung der Pflichtwidrigkeit und versuchte, die Konkretisierung weiter voranzutreiben. Am Beispiel eines auf Lagerhaltung angewiesenen Unternehmens legte er dar, dass Einkäufe, die nach Maßgabe verschiedener wirtschaftlicher Faktoren angebracht sind, nicht nur strafrechtlich erlaubt, sondern darüber hinaus gar wirtschaftlich geboten seien.89 Eine Vergrößerung des Lagers über das gebotene Maß hinaus sei hingegen lediglich erlaubt, sofern eine vernünftige Grenze nicht überschritten sei, die ihrerseits den Bereich des Verbotenen kennzeichne.90 Da die Grenzen zwischen wirtschaftlich Gebotenem, (noch) Erlaubtem sowie andererseits Verbotenem nach volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten deutlich bestimmt werden können, biete sich eine derartige Unterscheidung auch für die Abgrenzung von Tatbestandsausschluss und Rechtfertigung an.91 Daher handle ein Unternehmensleiter nicht tatbestandsmäßig, wenn er tut, was geboten sei.92 Vielmehr aber schließe auch allgemein die Eingehung eines gebotenen Risikos den Tatbestand aus und sei demnach sozialkongruent, während die Eingehung eines erlaubten Risikos rechtfertigend wirke.93 85 Maßgeblich sind die Gesetze in der im Jahre 1961 gültigen Fassung, wobei die Ursprünge der zugrundeliegenden Diskussion des § 294 AktG a.F. bereits dem vor dem Jahre 1937 geltenden § 312 HGB entstammen, vgl. etwa Staub/Eb. Schmidt, HGB, § 312. 86 Vgl. etwa RGSt 69, 203 (206 ff.) m.w.N.; BGHSt 3, 23 (24); Schwinge/Siebert, Das neue Untreuestrafrecht, S. 38 ff. 87 Erstmalig formuliert bei Staub/Eb. Schmidt, HGB, § 312. 88 Zur heutigen Handhabung sogenannter Risikogeschäfte etwa Bosch/Lange, JZ 2009, 225 (227 ff.). 89 Klug, Festschrift Eb. Schmidt, S. 249 (260); als grundlegender Faktor soll insofern die Üblichkeit in der betreffenden Branche dienen, die durch einen Vergleich strukturähnlicher Unternehmen und unter Hinzuziehung der Auftragslage, Produktionsdauer oder der konjunkturellen Tendenzen ermittelt werden könne, vgl. Klug, Festschrift Eb. Schmidt, S. 249 (257 f.). 90 Klug, Festschrift Eb. Schmidt, S. 249 (260). 91 Zwar sollen die Grenzen „deutlich“ bestimmt werden können, gleichwohl wird zur Verteidigung angefügt, dass jedenfalls eine weniger exakte Bestimmung als die der durch Notwehr gebotenen Handlungen ausgeschlossen sei, vgl. Klug, Festschrift Eb. Schmidt, S. 249 (260 f.). 92 Klug, Festschrift Eb. Schmidt, S. 249 (260). 93 Klug, Festschrift Eb. Schmidt, S. 249 (260 f.).
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Damit liegt der Konzeption ein induktives Vorgehen zugrunde. Die Trennung zwischen Gebotenem, Erlaubtem und Verbotenem stützt sich auf eine These, die wiederum auf einem Ansatz zur Einschränkung eines konkreten Tatbestandes fußt. Schon bezüglich der dortigen Gültigkeit fehlt es indes an Argumenten. Daher vermag der Schluss vom Besonderen auf das Allgemeine umso weniger zu überzeugen. Ferner erscheint auch die Prämisse wenig einleuchtend, nach der die Abgrenzung des Gebotenen vom Erlaubten bzw. Verbotenen deutlicher zu bestimmen sein soll, als die bloße Pflichtwidrigkeit. Damit wird die Diskussion vielmehr um eine weitere, normative Komponente erweitert, die ihrerseits als weiterer Unsicherheitsquell fungiert. Zudem scheint der Ansatz nahezu beliebig von einer wirtschaftlichen Gebotenheit auf eine sozialethische zu schließen, die dann in die Tatbestandslosigkeit mündet. Insofern erscheint das zugrundeliegende System wirtschaftlicher Ordnung mit jenem der sozialethischen gleichgesetzt zu werden, was derart pauschal nicht zu überzeugen vermag und weitere Unsicherheit in die Prüfung überführt. bb) Dogmatische Grundlage des Ansatzes Der dargelegten Begründung dieses Ansatzes vorgelagert wird indes der eigentliche dogmatische Nährboden ergründet. Jedoch wird dieser im Verlauf der Herleitung der Konzeption durch Klug nicht weiter aufgegriffen, sodass es an einer belastbaren Verknüpfung des dogmatischen Grundkonzepts mit der argumentativen Basis des Ansatzes fehlt. Dennoch trägt er das gedankliche Grundkonstrukt, auf dem Klugs Überlegungen basieren, in sich und soll daher kurz nachgezeichnet werden. Inspiriert von der zunehmenden Inflation übergesetzlicher Strafbarkeitsausschlüsse nimmt Klug an, dass sich die Heranziehung übergesetzlicher Grundsätze zur Entscheidung über die Strafbarkeit nahezu von selbst verstehe.94 Daher wirft er die Frage auf, ob neben übergesetzlichen Rechtfertigungs- oder Schuldausschließungsgründen auch überpositive Tatbestandsausschließungsgründe denkbar seien.95 Da übergesetzliche Korrektive nicht weniger exakt als zahlreiche strafrechtliche Begriffe seien, liege in solchen zum einen kein Verlust terminologischer Exaktheit.96 Zum anderen enthalte die Annahme überpositiver Grundsätze auch keine Selbst-
94 Klug, Festschrift Eb. Schmidt, S. 249 (249 f.); als Beispiele werden u. a. die vielbeachtete Entscheidung RGSt 61, 242 (247, 254 ff.), wonach ein übergesetzlicher Unrechtsausschließungsgrund anzuerkennen sei oder die zunehmend etablierte Pflichtenkollision genannt, vgl. dazu etwa RGSt 20, 190 (191); 36, 78 (80 f.); 56, 168 (170 f.). Ferner lasse auch die aufkommende Diskussion um einen übergesetzlichen Schuldausschließungsgrund der Unzumutbarkeit rechtmäßigen Verhaltens auf diese Annahme schließen, vgl. dazu Freudenthal, Schuld und Vorwurf, S. 23 ff.; Goldschmidt, Festschrift von Frank I, S. 428 (452 ff.). Zur Geschichte des übergesetzlichen Notstands auch Wachinger, Festschrift von Frank I, S. 469 (469 ff.). 95 Klug, Festschrift Eb. Schmidt, S. 249 (250). 96 Klug, Festschrift Eb. Schmidt, S. 249 (251).
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C. Bisherige Lösungsansätze zur Dogmatik der Sozialadäquanz
widersprüche, sofern die gegebene Relation beider Stufen beachtet werde.97 Daher sei der Weg für die Diskussion übergesetzlicher Tatbestandsausschließungsgründe auch grundsätzlich eröffnet. Im Hinblick auf den konkreten Strafbarkeitsausschluss der Sozialadäquanz unterbleibt diese Diskussion in der Folge jedoch. Vielmehr wird dessen Existenz, neben dem ärztlichen Heileingriff und der aktienrechtlichen Untreue, vorausgesetzt und zum Beleg der These überpositiver Tatbestandsausschlüsse herangezogen.98 Folglich wird der Ansatz der Sozialadäquanz lediglich um die Abgrenzung zwischen Tatbestandsausschluss und Rechtfertigung ergänzt, dessen Berechtigung jedoch nicht erörtert.99 Somit bleibt der bereitete dogmatische Boden weitgehend unbestellt. Vielmehr ist auch diesbezüglich ein induktives Vorgehen erkennbar. Dieses missfällt umso mehr vor dem Hintergrund, dass der ursprüngliche Ansatz der Sozialadäquanz als Beleg für überpositive Tatbestandsausschlüsse dienen soll, seinerseits aber nachfolgend modifiziert wird und zudem das eigentlich erstrebte Argumentationsziel verkörpert. cc) Abschließende Stellungnahme Damit ist der Ansatz Klugs nicht nur durch induktives Vorgehen geformt, sondern verknüpft das dogmatische Grundgerüst darüber hinaus nicht ergiebig mit der Argumentation an sich. So bleibt etwaiges Potenzial, welches die Ausgangshypothesen mit der Blickrichtung auf die Begründung der Sozialadäquanz im übergesetzlichen Bereich andeuten, freilich ungenutzt. Schließlich wird die Existenz der Sozialadäquanz nicht in Frage gestellt, sondern vorausgesetzt, um darauf aufbauend den Ansatz lediglich zu konkretisieren. Demnach wird hinsichtlich der eigentlichen Begründung der Sozialadäquanz kein Erkenntnisgewinn geschaffen. Die angestrebte Konkretisierung anhand des Merkmals der sozialethischen Gebotenheit vermag zudem ihrerseits nicht erreicht zu werden: zwar soll die Gebotenheit der Handlung leicht zu bestimmen sein, etwaige Kriterien oder Maßstäbe werden indes nicht gereicht. Folglich bleibt fraglich, weshalb in der Addition des normativen Merkmals der Gebotenheit eines Verhaltens zur ohnehin schwer fassbaren Beurteilung einer 97 Insbesondere gelte es, die Trennung zwischen Tatbestand und Überpositivem strikt einzuhalten und die einen Direktiven an den anderen zu messen. Schließlich handele es sich, vergleichbar den Kategorien des Bundes- und Landesrechts, um zwei Systeme von Direktiven, die miteinander verglichen und denen ein Über-/Unterordnungsverhältnis zugeschrieben werde. Den entscheidenden Schlüssel zu dieser logischen Struktur habe die Semantik in der Unterscheidung von Metatheorie und Objekttheorie geschaffen, erlaube diese doch fortlaufende Meta-Ebenen, vgl. Klug, Festschrift Eb. Schmidt, S. 249 (251 ff.). 98 Klug, Festschrift Eb. Schmidt, S. 249 (253 ff.), insbesondere das Fazit auf S. 255: „Die Fälle der ärztlichen Heilbehandlung, des erlaubten Risikos [am Beispiel der aktienrechtlichen Untreue] und der sozialen Adäquanz im ursprünglichen Sinne zeigen deutlich, daß die gesetzlichen Tatbestände unter bestimmten Voraussetzungen nach überpositiven Prinzipien einschränkend – im wörtlichen Sinne berichtigend – ausgelegt werden müssen“. 99 Klug, Festschrift Eb. Schmidt, S. 249 (255 ff.).
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Handlung nach gesellschaftlichen Aspekten ein Gewinn an Konkretisierung zu sehen sein soll. d) Sozialadäquanz als historisch-soziologische Reduktion aa) Konzeption des Ansatzes Andernorts werden sozialadäquate Handlungen als Expression eines tief in den historisch verfestigten Überzeugungen der Gemeinschaft wurzelnden Handlungsmusters begriffen.100 Die Ausübung derartiger kultureller Selbstverständlichkeiten könne indes keine Strafbarkeit nach sich ziehen.101 Allerdings sei dies nicht auf das klassische Instrumentarium rechtlicher Auslegungsmethodik zurückzuführen, sondern vielmehr der gebotenen Lesart der in den Straftatbeständen formulierten Merkmale im Lichte des ihnen zugrunde liegenden kulturellen Selbstverständnisses geschuldet.102 Die Sozialadäquanz fungiere insofern als Instrument zur negativen Korrektur des Tatbestandes, welches Zugeständnis und Absage an die beiden Extrempositionen (der Kreation eines neuen Tatbestandsmerkmals einerseits und der Aberkennung jeglicher Bedeutung als Tatbestandskorrektiv andererseits) zugleich sei.103 Das Werkzeug der Sozialadäquanz bilde dabei eine eigenständige, dem Tatbestand zugeschriebene Rechtsfigur, die weder ein Tatbestandsmerkmal darstelle, noch der Wesensverschiebung des Wirklichkeitshorizontes tatbestandlich fixierter Rechtsgüter diene.104 Daher könne die Figur der Sozialadäquanz als historisch-soziologische Reduktion strafrechtlicher Tatbestände benannt werden.105 Diese Sichtweise basiert strikt auf der der Sozialadäquanz ursprünglich durch Welzel zugeschriebenen Aufgabe, dass sie „aus dem formalen Wortlaut der Tatbestände diejenigen Lebensvorgänge herausschneidet, die sachlich überhaupt nicht 100 Insbesondere sei elementar, dass derartige Verhaltensweisen ein integraler Bestandteil der kulturellen Geistesverfassung seien, vgl. Exner, Knabenbeschneidung, S. 142 ff., 167 f. 101 Exner, Knabenbeschneidung, S. 167 f. 102 „Dogmatisch-strukturell unterfallen Verhaltensweisen, welche den Anforderungen der Sozialadäquanzlehre genügen, schon nicht dem tatbestandlichen Unrechtsvorwurf, eben weil die in den Straftatbeständen verwendeten Begriffe vor dem Hintergrund des ihnen zugrunde bzw. voraus liegenden kulturellen Selbstverständnisses gelesen werden müssen.“, Exner, Knabenbeschneidung, S. 168 (Hervorhebungen des Verfassers). 103 Exner, Knabenbeschneidung, S. 101. Dagegen soll Putzke, MedR 2008, 268 (268) die soziale Adäquanz als Tatbestandsmerkmal verstehen, was allerdings vor dem Hintergrund dessen entschiedener Ausführungen in Festschrift Herzberg, S. 669 (679 ff.) nicht zu überzeugen vermag. 104 Exner, Knabenbeschneidung, S. 110; insofern erinnert die Konzeption des Ansatzes an die Ausführungen bei Kienapfel, Züchtigung, S. 100 f., der die Sozialadäquanz auf einen sozialen Typus zurückführen möchte, welcher die Mittlerrolle zwischen Tatbestand und sozialer Adäquanz einnehme. 105 Exner, Knabenbeschneidung, S. 111; auch diese Umschreibung wird mit dem Hinweis garniert, dass eine derartige Restriktion der Strafbarkeit nicht den klassischen Mitteln methodischer Rechtsanwendung entstamme.
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C. Bisherige Lösungsansätze zur Dogmatik der Sozialadäquanz
unter sie gehören“106. Bereits aus dieser frühen Formulierung tritt das anvisierte Instrument der Tatbestandskorrektur deutlich hervor. In Fortführung dieses Verständnisses soll die Sozialadäquanz auch nach Exners Ansatz keinen konstituierenden Tat-Umstand, sondern vielmehr einen Seismographen der rechtlichen Relevanz darstellen.107 Der Vorteil dieser Kategorisierung liege in der Vermeidung der Irrtumsproblematik, der Welzels ursprüngliches Konzept letztlich selbst erlegen sei: schließlich zöge eine Klassifikation als Tatbestandsmerkmal die Frage nach sich, ob wegen der Fehlvorstellung über die soziale Wirklichkeit ein vorsatzausschließender Tatumstandsirrtum oder aufgrund der fehlerhaften rechtlichen Wertung allenfalls ein schuldausschließender Verbotsirrtum anzunehmen sei.108 Die dargebrachte Konzeption des Ansatzes orientiert sich dem Grunde nach an den ursprünglichen Ausführungen Welzels und präsentiert diese in bewusster Deutlichkeit. Daneben wird die als scheinbar paradoxal umschriebene Aufgabe einer rechtsdogmatischen Figur, gesellschaftliche Auffassungen zu berücksichtigen, herausgestellt.109 Demnach stelle die Sozialadäquanz eine gemischt empirischnormative Kategorie dar, die in empirischer Hinsicht die Zugehörigkeit der konkreten Handlung zu einem geschichtlich verfestigten Handlungsmuster untersuche und deren rechtliche Billigung solange voraussetze, bis eine empirisch eindeutige Ablehnung festzustellen sei.110 Dementsprechend wird nach der festgestellten Typizität eines geschichtlich bedingten Handlungsmusters so lange von dem Normalfall rechtlicher Billigung ausgegangen, bis eine gesellschaftliche Negation des Verhaltens eindeutig festgestellt werden kann, sodass im Ergebnis die Bewertungsebenen ohne jede Begründung wechseln und die gesetzliche Intention mitunter verkehren. Die Verknüpfung mit einer erkennbaren Ablehnung ist dabei an die Beurteilung der guten Sitten im Sinne des § 228 StGB angelehnt, in deren Rahmen der Sittenverstoß eine beweisbedürftige Ausnahme darstelle, die stets abzulehnen sei, insofern sie nicht eindeutig empirisch nachzuweisen sei.111 Aufgrund des strukturell identischen 106
Welzel, Grundzüge1, S. 47. Exner, Knabenbeschneidung, S. 100. 108 Exner, Knabenbeschneidung, S. 99; dazu bereits Lang-Hinrichsen, JR 1952, 302 (303 ff.), der schon früh auf diesbezügliche Defizite in Welzels Lehre hinweist; ferner Hirsch, Negative Tatbestandsmerkmale, S. 285 f., der diese Gedanken weiterführt und im Falle der fehlerhaften Annahme der sozialen Inadäquanz einen untauglichen Versuch annimmt. Nach diesem Verständnis wäre die Sozialadäquanz letztlich ihres rein strafbefreienden Charakters beraubt und einer strafbegründenden Analogie vergleichbar. Gleichwohl versuchte Welzel, zu der Irrtumsproblematik Stellung zu nehmen, was seinerseits die Einordnung als Tatbestandsmerkmal nahelegt, vgl. Welzel, MDR 1952, 584 (590). Allgemeiner zu der zugrundeliegenden Irrtumsproblematik etwa BGHSt 7, 261 (265); BGH NJW 2006, 522 (529). 109 Exner, Knabenbeschneidung, S. 160. 110 Exner, Knabenbeschneidung, S. 162 f. 111 Exner, Knabenbeschneidung, S. 160 ff. Die derartige Interpretation der Sittenwidrigkeit geht zurück auf BGHSt 4, 24 (32) und ist Ergebnis des Versuchs, die Verfassungskonformität der Norm zu wahren; in diesem Sinne auch BGHSt 49, 34 (41); 49, 166 (169 f.); BeckOK-StGB/ Eschelbach, § 228 Rn. 22; MK-StGB/Hardtung, § 228 Rn. 16; U. Weber, Festschrift Baumann, 107
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Anspruchs, als rechtliches Instrument außerrechtlichen Aspekten zur Geltung zu verhelfen, sollen die Erkenntnisse um § 228 StGB auf die Sozialadäquanz übertragen werden können.112 Allerdings sei im Rahmen des § 228 StGB einer grundsätzlich rechtfertigenden Einwirkung lediglich im Sonderfalle die rechtfertigende Wirkung abzusprechen, während umgekehrt die Sozialadäquanz die Ausnahme von dem grundsätzlich bestehenden Unrechtsurteil markiere, wodurch bereits bei empirischen Zweifeln an der allgemeinen Billigung des Verhaltens das Unrechtsurteil aufrechtzuerhalten sei.113 Damit wird jeweils der Grundfall zugrunde gelegt und eine Abweichung von diesem bei aufkommenden Zweifeln negiert. Dieser Betrachtungsweise liegt zwar die soweit vergleichbare Situation von Grundsatz und Ausnahme zugrunde. Ferner ist die Konsequenz der grundsätzlichen Vergleichbarkeit der Struktur eines rechtlichen Instruments zur Einbeziehung außerrechtlicher Aspekte vor dem Hintergrund des Ansatzes schlüssig. Allerdings beachtet die proklamierte Übertragung der Handhabung des Regel-AusnahmeVerhältnisses die letztliche strukturelle Diversität der Situation nicht ausreichend: schließlich handelt es sich bei § 228 StGB um eine Norm, die die unrechtsausschließende Wirkung der Einwilligung grundsätzlich voraussetzt und nur im Sonderfall eine täterbelastende Ausnahme anordnet.114 Demgegenüber soll durch die Sozialadäquanz nach vorliegendem Konzept ja gerade eine tätergünstige Abweichung von dem grundsätzlich feststehenden Unrechtsurteil getroffen werden.115 In diesem Lichte scheint indes bereits fraglich, weshalb die Kriterien zur Strafbegründung mit denen der Straffreistellung vergleichbar, vielmehr noch weshalb überhaupt der Ansatz zur Strafbegründung durch vermeintlich außerrechtliche Kriterien zum Interpretationswerkzeug des Konzepts zur ausnahmsweisen Straffreistellung erhoben werden soll. Dessen unbesehen liegt in dieser Herangehensweise auch ein logischer Bruch innerhalb des Ansatzes begründet, der einerseits die rechtliche Billigung eines Handlungsmusters bis zur Feststellung empirischer Zweifel vorausgesetzt sehen möchte, andererseits in der Sozialadäquanz gerade die Ausnahme des Unrechtsurteils erblickt. Die Verhältnisse zueinander scheinen insofern unstimmig. Dies wäre lediglich vermeidbar, wenn man die Feststellung empirischer Zweifel durch die grundsätzliche Subsumierbarkeit der Handlung unter eine strafrechtliche Norm erblicken würde. Dann würde aber nicht nur erneut die S. 43 (47). Auch die nunmehr herrschend propagierte Bestimmung der Sittenwidrigkeit nach Art und Gewicht des Erfolgs bzw. der Gefahr der Körperverletzung lässt ihrerseits das RegelAusnahme-Verhältnis unberührt und dient lediglich der Bestimmung der Ausnahmen, vgl. dazu Fischer, § 228 Rn. 9a f. 112 Exner, Knabenbeschneidung, S. 161 f. 113 Exner, Knabenbeschneidung, S. 162 f. 114 Vgl. BeckOK-StGB/Eschelbach, § 228 Rn. 2; MK-StGB/Hardtung, § 228 Rn. 1 f.; den Stand der Dinge in diesem Sinne zusammenfassend, inhaltlich aber für die Verfassungswidrigkeit der Norm plädierend auch NK-StGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 53 f. 115 So explizit Exner, Knabenbeschneidung, S. 162: „bei der Sozialadäquanzlehre ist hingegen die soziale Adäquanz die Ausnahme vom grundsätzlichen Unrechtsurteil […]“.
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C. Bisherige Lösungsansätze zur Dogmatik der Sozialadäquanz
gesellschaftliche mit der rechtlichen Dimension vermengt, sondern darüber hinaus die originäre Aussage wiederum ihres Sinnes entleert, was wohl kaum intendiert gewesen sein dürfte. bb) Dogmatische Grundlage des Ansatzes Wie dargelegt, ersucht der Ansatz der historisch-soziologischen Reduktion eine eigenständige dogmatische Rechtsfigur zur Korrektur des Tatbestandes. Die Tatbestandsrestriktion soll über eine Ermittlung des konkreten Bedeutungsinhalts der Tatbestandsmerkmale erfolgen, indem es das diesen zugrunde sowie voraus liegende kulturelle Selbstverständnis der Rechtsgemeinschaft einbeziehe.116 Dieser Vorgang sei indes kein Akt der Auslegung, endet diese doch am Wortlaut der auszulegenden Vorschrift,117 sondern vielmehr eine Restriktion des Tatbestandes.118 Dabei ist es weniger das Ergebnis, als vielmehr der Weg dorthin, der eine weitere dogmatische Ebene beschreitet. So erörtert Exner explizit die der Anerkennung der Sozialadäquanz vorgelagerte dogmatische Frage, weshalb ein gesellschaftlich gebilligtes Verhalten, das den Voraussetzungen einer Strafnorm unterfällt, nicht zu bestrafen sein soll.119 Er ergründet, warum die gesellschaftliche Akzeptanz einer Handlung eine Strafvorschrift zu restringieren vermögen soll. Damit wird die derogierende Wirkung der gesellschaftlichen Bewertung nicht vorausgesetzt, sondern erstmalig nicht nur auf etwaiger Rechtsfolgenseite, sondern vielmehr bereits ob deren rechtsdogmatischen Hintergrund hin untersucht. Die Schwierigkeit des Ausgangspunktes der konstituierenden Überlegungen bildet dabei die Dichotomie von Sein und Sollen.120 Diese besagt, dass es keinen 116 Wobei die Rechtsfigur nicht mit der bloßen Auslegung gleichgesetzt werden dürfe, Exner, Knabenbeschneidung, S. 167 f. 117 Etwa BVerfGE 71, 108 (115); 87, 209 (224); Engisch, Juristisches Denken, S. 130 ff.; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 166; Zippelius, Methodenlehre, S. 47. 118 Exner, Knabenbeschneidung, S. 102. 119 Vgl. Exner, Knabenbeschneidung, S. 118 ff. 120 Vgl. Exner, Knabenbeschneidung, S. 119, wobei diese Kelsen zugeschrieben wird. Die Betrachtung Kelsens ist ihrerseits einer Auseinandersetzung mit Ehrlichs These geschuldet, dass das Recht stets mit der sozialen Wirklichkeit identisch sei, bilde die innere faktische Ordnung der Gesellschaft doch die grundlegende Form des Rechts, vgl. Ehrlich, Soziologie des Rechts, S. 43 ff. und sodann Kelsen, ArchSozWiss 1915, 839 (841), der das Recht als gesetztes Recht betrachtet, sodass es zwar das Sollen vorschreibt, jedoch nicht das Sein abbildet. Die zugrundeliegende Dichotomie des Seins und Sollens formulierte indes Hume weit vorher, vgl. Hume, ATreatise of Human Nature, Buch III Teil 1 Kapitel I; sie bildet ferner die Grundlage des Kantischen Systems, vgl. Röhl/Röhl, Rechtslehre, S. 129. Die Zuordnung besagter Dichotomie zu Kelsen legt jedoch den Verdacht nahe, auch dessen rechtspositivistische reine Rechtslehre mitsamt deren Ideal von Objektivität, Exaktheit, Klarheit und Eindeutigkeit in die Überlegungen mit einzubeziehen, dazu Kelsen, Reine Rechtslehre, S. III; zum Verhältnis der reinen Rechtslehre zur Dichotomie von Sein und Sollen auch Jestaedt, JZ 2013, 1009 (1010 ff.).
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logischen (unmittelbaren, direkten) Übergang von deskriptiven zu normativen Aussagen gebe, also nicht von einem Sein auf ein Sollen geschlossen werden könne.121 Darüber hinaus soll die Differenz des Seins vom Sollen gar dem staatlich gesetzten Recht dessen essentiellen Sinn verleihen, wäre doch die Errichtung einer dem Sein identischen Sollensordnung weder nötig, noch sinnvoll.122 Allerdings sei diese Divergenz nicht derart kategorial zu begreifen, müsse doch anerkannt werden, dass eine gesetzliche Vorschrift nicht ohne die Vergegenwärtigung deren Sinnbezuges auf die soziale Wirklichkeit auskommen könne.123 Damit loziert Exner das Einfallstor der gesellschaftlichen Betrachtungsweise in den Sinnbezug, den die Gesellschaft einer Norm im Rahmen der Anwendung verleiht. Schließlich gebe erst der Bezug auf die soziale Wirklichkeit der Norm die notwendige Verständlichkeit und ermögliche eine Subsumtion unter sie.124 Auf dieser Grundlage steht letztlich jede Strafnorm auf einem zu deutenden Gerüst, welches einzig durch den Rückgriff auf gesellschaftlich vorgezeichnete Verständlichkeiten begehbar wird. Insofern ähnelt das Konzept stark Welzels Wunsch, den Sinngehalt einer Strafnorm unter Berücksichtigung des sozialen Ganzen zu bestimmen.125 Jedoch reiche das Anliegen der Sozialadäquanz über eine bloße Berücksichtigung sozialer Betrachtungsweisen hinaus: so sollen außerrechtliche Aspekte nicht lediglich berücksichtigt werden, sondern darüber hinaus ein Handeln dem Bereich des Strafbaren entziehen können.126 Daher sei nicht danach zu fragen, welches Sein einer Rechtsvorschrift zugrunde liege, sondern vielmehr, welches Sein normative Kraft auf die Rechtsnorm ausüben könne.127 Den Ausgangspunkt der derogierenden Wirkung bilde dabei die abstrakt-generelle Regelungstechnik des Gesetzes, die eine Divergenz zwischen tatsächlichen Verhaltensweisen und begrifflichen Tatbestandsmerkmalen hervorrufe.128 In der Konsequenz könne niemals von etwas Tatsächlichem auf
121 Eingehend dazu etwa Bydlinski, Methodenlehre, S. 44 ff.; Röhl/Röhl, Rechtslehre, S. 129 ff. 122 Jakobs, HHRS 2004, 88 (91) hält Verbrechen lediglich innerhalb des geordneten Gemeinwesens des Staates für möglich, könne das Negative doch einzig vor der Folie des Positiven bestimmt werden; insofern zustimmend Exner, Knabenbeschneidung, S. 120. 123 Exner, Knabenbeschneidung, S. 120 f.; insofern ferner Gröschner, Dialogik und Jurisprudenz, S. 104 ff.; Hruschka, Verstehen von Rechtstexten, S. 10 ff.; die Anwendung durch den Richter betreffend Jellinek, Staatslehre, S. 353 f. 124 Exner, Knabenbeschneidung, S. 121. 125 Vgl. dazu oben, Kapitel C. I. 1. a). 126 Eine bloße Berücksichtigung laufe demnach zu kurz. Es bedürfe demgegenüber einer Beeinflussung des Rechts durch das faktische Sein, vgl. Exner, Knabenbeschneidung, S. 124 f. 127 Exner, Knabenbeschneidung, S. 125. Insofern reichen die Ausführungen über die ursprünglichen Überlegungen Welzels hinaus, der schlicht voraussetzt, dass sozialadäquate Handlungen dem Unrechtsgebilde durch dessen Bindung an die Handlung als sozial bedeutsames Phänomen entfallen. 128 Exner, Knabenbeschneidung, S. 125.
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C. Bisherige Lösungsansätze zur Dogmatik der Sozialadäquanz
die Einschlägigkeit eines Begriffes geschlossen werden.129 Demnach könne einzig von Begriffen auf Begriffe gefolgert werden, wodurch auch das Urteil, ob ein faktischer Sachverhalt dem Begriffsmerkmal einer Norm entspreche, nicht begriffsanalytisch gewonnen werden könne, ohne den Begriffsbereich der Norm zu verlassen.130 So sei zwar deduktiv zu erschließen, dass eine üble unangemessene Behandlung unter den Begriff der körperlichen Misshandlung des § 223 StGB falle; nicht jedoch, welche konkrete Handlung bzw. welcher Erfolg dieses Merkmal erfülle.131 Da somit der Lebenssachverhalt die ihm zukommende, begriffliche Beschreibung im Sinne der Tatbestandsmerkmale vorzeichne, präformiere er zwangsläufig auch die von dieser Begrifflichkeit abhängige Gesetzesanwendung per se.132 Darin liege zugleich der die Sozialadäquanz von der klassischen Auslegung abhebende Umstand: schließlich gelte es auch nach einer eindeutigen Auslegung zu fragen, inwiefern die zu subsumierende Handlung eine angemessene begriffliche Würdigung im Sinne des Tatbestandes darstelle.133 Demnach liegt der Ausgangspunkt der derogierenden Wirkung in einem Umkehrschluss der Abhängigkeit der einem Lebenssachverhalt angemessenen Umschreibung von diesem. Allerdings wirft dies seinerseits Zweifel auf. So erscheint zwar die Dependenz der letztlichen Subsumtion eines Verhaltens sowie dessen Folgen unter ein Tatbestandsmerkmal von deren voriger Erfassung selbstverständlich, stellen sie doch den eigentlichen Ausgangspunkt der Subsumtion dar. Dagegen lässt sich daraus nicht zwingend folgern, dass auch das Tatbestandsmerkmal selbst von derartigen Lebenssachverhalten vorgebildet wird. Die zwingende Folge wären leblose tatbestandliche Begriffe, die erst von konkreten Handlungen aufgefüllt würden, was wiederum der abstrakt-generellen Regelungsweise die Kompetenz absprechen würde. Zudem wird gerade unter die Tatbestandsmerkmale subsumiert, weshalb das Verhältnis der Merkmale zu den Handlungen ein umgekehrtes ist. Auf dieser Auffassung aufbauend führt Exner sodann indes fort, dass die Anreicherung des Tatbestandsverständnisses mit Einflüssen des Seins darüber noch 129 Schließlich sei der logische Schluss der Deduktion doch lediglich innerhalb von Begriffsverhältnissen möglich, Exner, Knabenbeschneidung, S. 125; dazu ferner Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 63 f.; Hassemer, Tatbestand und Typus, S. 39 ff.; Zippelius, Methodenlehre10, S. 97 f. 130 Exner, Knabenbeschneidung, S. 125 f. 131 Insbesondere sei ohne einen Rückgriff auf die tatsächlichen Folgen eines leichten Schlags vor die Brust nicht zu beurteilen, inwiefern dies das Tatbestandsmerkmal erfüllen könne, vgl. Exner, Knabenbeschneidung, S. 126. 132 Exner, Knabenbeschneidung, S. 126; insofern scheinen die Ausführungen auf Hassemer, Tatbestand und Typus, S. 112 ff. zu basieren, der bereits früh die konstituierende Wirkung des tatsächlichen Sachverhalts für eine rechtliche Norm proklamierte. 133 „Denn auch wenn der Inhalt gesetzlicher Begriffe mittels Auslegung klar und deutlich bestimmt worden ist, stellt sich gleichwohl die Frage, inwiefern die zu subsumierende Sachverhaltsumschreibung eine angemessene (begriffliche) Erfassung der Wirklichkeit darstellt; und die Antwort eben hierauf wird nicht fernab der gesellschaftlichen Wertungen und Selbstverständnisse verlaufen können.“, Exner, Knabenbeschneidung, S. 127.
I. Begründung
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hinausgehe: so sei die Anwendung abstrakt-genereller Begriffe im Rahmen der rechtlichen Einzelfallprüfung zwingend von situativen Faktoren geprägt.134 Dies äußere sich in Form eines zumindest unbewussten Vergleichs des konkret zu subsumierenden Verhaltens mit Fällen, deren Subsumtion unter das fragliche Tatbestandsmerkmal bereits präjudiziert sei.135 Daraus ergebe sich sodann die derogierende Wirkung des Seins: durch die Heranziehung diverser Lebenssachverhalte bediene sich das Recht außerrechtlicher Kriterien, die fortan die Anwendung der Norm mitbestimmten.136 Daher sei der zumindest gedanklich vorgenommene Fallvergleich ein Beleg des bestimmenden Einflusses des Seins auf das formelle Sollen.137 Allerdings vermag die angeführte vergleichende Betrachtung zwar ihrerseits womöglich ein Mittel des Vorantastens zur Erkenntnis von Recht und Gerechtigkeit darzustellen,138 trägt sie doch zu einer fortlaufenden Entwicklung normativer Begriffe bei. Doch scheint auch diesbezüglich die Zielsetzung eine andere: während der Fallvergleich seinerseits Merkmale nuanciert präzisiert139, ersucht die Figur der Sozialadäquanz ein Verhalten der Strafbarkeit gänzlich zu entziehen, welches typischerweise dem Tatbestand begrifflich unterfällt. Die vergleichende Betrachtung dient damit der Konkretisierung von Begriffen innerhalb deren gegebener Grenzen,140 während die Sozialadäquanz diese begrifflichen Grenzen gerade bewusst zu überschreiten sucht. Es soll somit von einer innertatbestandlich präzisierenden Funktion auf eine tatbestandsderogierende Wirkung geschlossen werden, was insofern nicht zu überzeugen vermag.
134 Zur Begründung verweist er auf Kant, Anthropologie, § 41, der darauf hinweist, dass die Anwendung genereller Normen auf konkrete Erscheinungen der Wirklichkeit des Urteilsvermögens einer in der Beurteilung tatsächlicher Geschehnisse erfahrenen Person bedarf; eingehend dazu Wieland, Urteil und Gefühl, S. 142 ff. 135 Insbesondere Richter sollen demnach vergleichend agieren, vgl. Exner, Knabenbeschneidung, S. 127 f. Zum typisierenden Fallvergleich als Mittel der Auslegung Zippelius, Methodenlehre, S. 71 ff. Zum Unvermögen deutscher Juristen in der Kunst des Fallvergleichs dagegen Röhl/Röhl, Rechtstheorie, S. 567. 136 Exner, Knabenbeschneidung, S. 128. 137 Insofern auch Hassemer, Tatbestand und Typus, S. 112 f., der in jeder Sachverhaltsentscheidung ein neues und damit anderes Verständnis des angewandten Tatbestandes erblickt; vgl. ferner F. Müller, Normstruktur und Normativität, S. 98, der dieses Phänomen als Katalysator bezeichnet, welcher jedem Akt der Gesetzgebung oder Rechtsfindung die Rechtsidee verleihe, indem es die Gesetzesnorm und den Lebenssachverhalt in Entsprechung bringe. 138 So Zippelius, Methodenlehre, S. 76, der jedoch ein Bekenntnis zu einer Beeinflussung des Sollens durch das Sein vermeidet. Ebenso Bydlinski, Methodenlehre, S. 548 f. 139 Zippelius, Methodenlehre, S. 76. Auch Hassemer, Tatbestand und Typus, S. 112 ff. scheint dies so zu sehen, spricht er doch ebenfalls von einem Prozess der Auslegung innerhalb der begrifflich vorgezeichneten Grenzen. 140 Bydlinski, Methodenlehre, S. 548 f.; Hassemer, Tatbestand und Typus, S. 114; Larenz, Methodenlehre, S. 281 f.; Zippelius, Methodenlehre, S. 76.
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C. Bisherige Lösungsansätze zur Dogmatik der Sozialadäquanz
cc) Abschließende Stellungnahme Exner bewegt sich zur Begründung der Lehre der Sozialadäquanz auf rechtstheoretischem Terrain. Dabei widmet er sich insbesondere dem grundlegenden Problem der Frage nach dem Warum der Sozialadäquanz. Diese versucht er mit einer Durchbrechung der Dichotomie von Sein und Sollen zu beantworten. Deren Ursprung liege in der bestimmenden Wirkung, die ein konkreter Lebenssachverhalt auf die Gesetzesanwendung ausübe.141 Allerdings gelingt es nicht, diesen präformierenden Einfluss in Ansehung des umgekehrten Ordnungsverhältnisses beider Elemente nachzuzeichnen. Entsprechend wird auch ein zweiter Begründungsansatz nachgeschoben. So soll die Frage zu stellen sein, ob das Ergebnis einer konkreten Auslegung eine angemessene (begriffliche) Erfassung der Wirklichkeit darstelle, wozu gesellschaftliche Wertungen heranzuziehen seien.142 Durch eine derartige Betrachtungsweise wird das Auslegungsergebnis per se in Frage gestellt und der gesellschaftlichen Beurteilung überantwortet. Mit dem offerierten Filter der Angemessenheit des Subsumtionsergebnisses wird gesellschaftlichen Bewertungen das Tor derart aufgestoßen, dass ihnen das endgültige Urteil über die rechtliche Subsumtion obliegt. Dies ist umso bedenklicher vor dem Hintergrund, dass gesellschaftlichen Bewertungen gar zugestanden werden soll, das eindeutige Auslegungsergebnis zu überzeichnen. Eine weiterführende Begründung des angedachten Filters wird indes nicht gereicht. Dieser würde seinerseits jedoch der Gesetzesauslegung (und damit der klassisch-juristischen Hermeneutik143) den Sinn rauben und vermag bereits aus diesem Grunde nicht zu überzeugen. Doch auch ungeachtet dessen bleibt das Konzept fraglich. Insbesondere soll sich die Sozialadäquanz nach Exners Ausführungen ja gerade dadurch von der Auslegung unterscheiden, dass letztere am Wortlaut der Vorschrift ende.144 Soll nun die Lehre der sozialen Adäquanz ihrerseits von einem Begriffsverständnis zehren, das die Wertvorstellungen der Sozialgemeinschaft einem Tatbestandsmerkmal zuschreiben,145 bleibt zum einen fraglich, inwiefern dieses nicht bereits im Wege der grammatikalischen Auslegung zu berücksichtigen ist; zum anderen drängt sich die Frage auf, inwiefern dann überhaupt noch von einem Wortlaut der Norm gesprochen werden kann, wenn der Wortsinn durch die Wertvorstellungen der Gemeinschaft überschritten werden können soll. Zudem wird der seitens Exner gewünschte Unterschied zur Auslegung verwischt, wenn die Wertvorstellungen ebenfalls auf ein 141
Exner, Knabenbeschneidung, S. 126; ferner Hassemer, Tatbestand und Typus, S. 112 f. „Denn auch wenn der Inhalt gesetzlicher Begriffe mittels Auslegung klar und deutlich bestimmt worden ist, stellt sich gleichwohl die Frage, inwiefern die zu subsumierende Sachverhaltsumschreibung eine angemessene (begriffliche) Erfassung der Wirklichkeit darstellt; und die Antwort eben hierauf wird nicht fernab der gesellschaftlichen Wertungen und Selbstverständnisse verlaufen können.“, Exner, Knabenbeschneidung, S. 127. 143 Dazu statt vieler Röhl/Röhl, Rechtstheorie, S. 611 ff. 144 Exner, Knabenbeschneidung, S. 102, wohingegen keine Zweifel daran bestehen sollen, dass sozialadäquates Verhalten dem Wortlaut eines Tatbestandes unterfalle. 145 So explizit Exner, Knabenbeschneidung, S. 167 f. 142
I. Begründung
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Begriffsverständnis in der Gesellschaft zielen und diesem konkrete Tätigkeiten zu entziehen suchen. Die aufgestellte Prämisse des Unterschieds zur Auslegung wird damit allenfalls formell gewahrt. 2. Kritik der Literatur Während sich der Großteil der an der Sozialadäquanz geäußerten Kritik auf deren Handhabung bezieht,146 wird die dogmatische Begründung der Rechtsfigur per se kaum argumentativ in Frage gestellt. Dies ist sicherlich darauf zurückzuführen, dass auch die Darlegung eines dogmatischen Grundgerüsts nur selten versucht wird. Entsprechend beschränkt sich die Negation der Sozialadäquanz in dogmatischer Hinsicht oft in dem Hinweis darauf, dass ihr keine eigenständige dogmatische Qualität zukomme. So sei sie schlicht nicht mehr als eine Sammelbezeichnung, die gewisse Problemkreise erfassen, aber nicht lösen könne.147 Jedenfalls soll sie in einer am Tatbestand orientierten teleologischen Reduktion aufgehen.148 Demgegenüber wird ihr die dogmatische Bedeutung von einem starken Part der Literatur gänzlich abgesprochen,149 seien doch präzisere dogmatische Instrumente vorhanden.150 Wird die dogmatische Daseinsberechtigung dagegen argumentativ hinterfragt, so wird der Schluss von sozialer Üblichkeit auf normative Richtigkeit kritisiert.151 Insbesondere könne die Etablierung gewisser strafwürdiger Handlungen nicht ausgeschlossen werden.152 Dabei dürfte es sich tatsächlich jedoch mehr um ein Problem der anzulegenden Kriterien als um ein solches der dogmatischen Berechtigung 146
Dazu Kapitel C. III. 2. Roxin, Festschrift Klug, S. 303 (312 f.); Putzke, MedR 2012, 229 (230); Rönnau, JuS 2011, 311 (313); Schünemann, GA 1985, 341 (346); ähnlich auch F. Knauer, ZStW 126 (2014), 844 (864 f.), wonach die Sozialadäquanz verschiedene Problembereiche in sich aufnehme, die durch voranschreitende Verrechtlichung anderen dogmatischen Kategorien zugeordnet würden. Im Ergebnis ebenso Kindhäuser, Festschrift Rengier, 49 (57 f.). 148 Kühl, AT, § 4 Rn. 47 Fn. 119; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 79; Roxin, Festschrift Klug, S. 303 (312 f.); Dölling, ZStW 96 (1984), 36 (57); Adamski, Konzeption der Bestechungsdelikte, S. 126; Höltkemeier, Sponsoring als Straftat, S. 127 ff. 149 Jescheck/Weigend, AT, S. 252; Otto, Festschrift Amelung, S. 225 (228); Roxin, AT I, § 10 Rn. 42; Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (133 ff.). 150 Roxin, AT I, § 10 Rn. 42; Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (133 ff.); Putzke, MedR 2012, 229 (230). 151 Amelung, Festschrift Grünwald, S. 9 (11); Otto, Festschrift Amelung, S. 225 (228); Wolff-Reske, Berufsbedingtes Verhalten, S. 65; Rackow, Neutrale Handlungen, S. 205; ebenfalls angedeutet bei Rönnau, JuS 2011, 311 (313). In oben verwandten Worten wird gerade die Dichotomie von Sein und Sollen betont. 152 Otto, Festschrift Amelung, S. 225 (228), wobei besonders betont wird, dass ein sozial übliches Verhalten niemals allgemein akzeptiert sein könne, wenn es nicht seinerseits auf einer akzeptierten Zwecksetzung beruhe (daher sei der Verkauf eines Messers nur dann akzeptiert, wenn er in Unkenntnis damit beabsichtigter Straftaten erfolge). Die mögliche Differenz des etablierten Verhaltens von den normativen Maßstäben zeigen etwa Carl/Klos, wistra 1994, 211 (212), die Werbesprüche deutscher Banken für Finanztransfers nach Luxemburg auflisten. 147
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C. Bisherige Lösungsansätze zur Dogmatik der Sozialadäquanz
handeln. Dennoch geht damit die Befürchtung einher, mittels einer Betrachtung des Seins auch die normativen Grenzen einzureißen, die für zwingend notwendig erachtet werden.153 Zudem sei es das oberste Ziel des Strafrichters, Maßstäbe und Wertungen einzig aus der Rechtsordnung zu entnehmen.154 Darüber hinaus sei es unzulässig, die Unrechtsbetrachtung an eine gesellschaftliche Bewertung zu knüpfen und so die Soziologie zum Richter über das Recht zu erheben.155 Diese Kritik entstammt zwar dem strengen Rechtspositivismus, zeigt jedoch deutlich auf, woran es einer eigenständigen dogmatischen Figur der Sozialadäquanz mangelt: einer Begründung der Durchbrechung der Dichotomie von Sein und Sollen. Auch wenn die Kritik in dogmatischer Hinsicht weitgehend ohne anderweitige Argumente präsentiert wird, ist die derogierende Wirkung des Seins vor diesem Hintergrund zu begründen, möchte man der vielfach angewandten Sozialadäquanz156 eine dogmatische Berechtigung zusprechen. Auffällig ist indes, dass viele der Gegner einer eigenständigen Kategorie der Sozialadäquanz diese nicht unter dem Gesichtspunkt der dogmatischen Berechtigung angreifen, sondern schlicht eine eigenständige Bedeutung negieren157 oder die Unbestimmtheit deren Anwendung monieren158. Wird nun die Eigenständigkeit der Sozialadäquanz – nicht aber deren schiere Existenz – abgelehnt, so könnte darin eine gewisse Akzeptanz der zugrundeliegenden Denkweise zu erblicken sein. Dies gilt zumindest für die Vertreter, die der Sozialadäquanz im Rahmen der Auslegung eine Bedeutung zusprechen und deren Existenz damit jedenfalls anerkennen.159 Ferner lässt auch die zuhauf geführte Diskussion um die Verortung der Sozialadäquanz innerhalb des Deliktsaufbaus160 die Vermutung zu, deren Dasein jedenfalls vorauszusetzen, wäre die Verortung etwas nicht Existenten doch sinnentleert. Damit scheint sich die hauptsächliche sachliche Kritik nicht um die dogmatische Berechtigung als
153 Wenngleich diese ihrerseits nicht genannt werden und angesichts der zahllosen betroffenen Rechtsgüter, unter denen sich mit dem Leben auch das höchste derer befindet, ebenfalls schwer zu bestimmen sein dürften. 154 Die Rechtsordnung bilde damit einerseits die Ober- sowie Untergrenze eines Strafurteils und biete andererseits die Grundlage für die Füllung etwaig aufgefundener Lücken innerhalb einer Norm, vgl. Würtenberger, Festschrift Rittler, S. 125 (136 f.). 155 Würtenberger, Festschrift Rittler, S. 125 (137 f.) sieht in der Berücksichtigung sozialer Fakten oder Naturrechts den Untergang der Rechtssicherheit. 156 Zu deren Relevanz bereits Kapitel A. 157 Jescheck/Weigend, AT, S. 252; Otto, Festschrift Amelung, S. 225 (228); Roxin, Festschrift Klug, S. 303 (312 f.); Dölling, ZStW 96 (1984), 36 (57); Adamski, Konzeption der Bestechungsdelikte, S. 126; Höltkemeier, Sponsoring als Straftat, S. 127 ff. 158 Vgl. nur Würtenberger, Festschrift Rittler, S. 125 (129); Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (93); Rackow, Neutrale Handlungen, S. 205. 159 Wie etwa Kühl, AT, § 4 Rn. 47 Fn. 119; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 79; Dölling, ZStW 96 (1984), 36 (57); Adamski, Konzeption der Bestechungsdelikte, S. 126; Höltkemeier, Sponsoring als Straftat, S. 127 ff. 160 Dazu eingehend sogleich, Kapitel C. II.
II. Verortung
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generelle, von einzelnen Tatbestandsmerkmalen losgelöste Figur, sondern vielmehr um die eigentliche Anwendung der potenziellen Rechtsfigur zu ranken. 3. Fazit Es zeigt sich, dass es der Lehre von der sozialen Adäquanz an einem tragfähigen dogmatischen Fundament mangelt. Die Versuche dessen Konstruktion reichen über die Betrachtung der strafrechtlichen Handlung über die Berücksichtigung überpositiver Aspekte bis hin zur Durchbrechung der Dichotomie von Sein und Sollen. Dabei wird indes oftmals die eigentliche Begründung vernachlässigt, weshalb die einem Verhalten zugeschriebene gesellschaftliche Beurteilung den formell einschlägigen Tatbestand verdrängen können soll. Insbesondere ist kaum schlüssig belegt, warum eine derartige Notwendigkeit der Korrektur bestehen soll und worauf diese fußt. Der fehlende dogmatische Unterbau der Lehre der Sozialadäquanz könnte seinerseits den Ursprung der zahlreich geäußerten Kritik hinsichtlich der Existenz einer derartigen, eigenständigen Rechtsfigur verkörpern. Damit ist die Darlegung einer potenziellen Lehre von der sozialen Adäquanz zuvorderst auf eine Begründung angewiesen, die als rechtsdogmatischer Beleg deren Daseins zu dienen vermag.
II. Verortung Wie bereits angeklungen, stellt den Hauptunruheherd im Rahmen der Sozialadäquanz nicht primär deren Existenz, sondern deren rechtsdogmatische Verortung innerhalb des strafrechtlichen Deliktsaufbaus dar.161 Der diesbezüglich ausgefochtene Disput trug seinerseits essentiell zu der vielfachen Umschreibung der Sozialadäquanz als eine der schillerndsten Rechtsfiguren des Strafrechts bei.162 Dabei verwundert die Mannigfaltigkeit der geführten Kontroverse nur bedingt, initiierte diese doch nicht zuletzt der Vater der Sozialadäquanz, Hans Welzel, selbst, indem er im Laufe der Jahre mehrfach seine Meinung über die Verortung der Rechtsfigur änderte.163 Der Streit um die dogmatische Verankerung wurde der Sozialadäquanz damit nahezu in die Wiege gelegt. Weiter entfacht wurde diese Debatte zudem seitens
161 Wobei die rechtsdogmatische Verortung der Sozialadäquanz Problemkreise aufzeigen soll, die darüber hinausgehen, dazu Lange, ZStW 73 (1961), 86 (89 f.): „Die Unsicherheit in der Behandlung der Sozialadäquanz […] ist ein Seismograph, der die verborgenen Unruheherde in unserer Dogmatik anzeigt“. 162 So Roxin, Festschrift Klug, S. 303 (303 f.); die Sozialadäquanz als schillernde Rechtsfigur begreifend etwa Cancio Meliá, GA 1995, 179 (182); Frisch, Verhalten und Zurechnung, S. 113; Roeder, Sozialadäquates Risiko, S. 13. 163 Deskriptive Überblicke über die veränderten Standpunkte finden sich etwa bei K. Peters, Festschrift Welzel, S. 415 (419 f.) und Wolski, Soziale Adäquanz, S. 11 ff.
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C. Bisherige Lösungsansätze zur Dogmatik der Sozialadäquanz
der Rechtsprechung, die die Frage der systematischen Stellung der sozialen Adäquanz weitgehend unbeantwortet ließ.164 Welzel selbst begriff die Sozialadäquanz zunächst als Tatbestandsausschluss.165 Demnach stelle die soziale Adäquanz ein immanentes Prinzip der Tatbestandsbildung dar, beziehe sie doch die Tatbestandselemente auf das gesellschaftlich zu bestimmende, soziale Ganze und ermögliche so die Ermittlung des Sinns der Tatbestandsmerkmale.166 Einzig durch diese methodische Funktion sei das Verständnis eines Tatbestands als Vertypung strafwürdigen Unrechts zu wahren.167 Entsprechend falle sozialadäquates Verhalten aus dem Wortlaut der Tatbestände heraus, auch wenn es eigentlich unter diese zu subsumieren wäre.168 Innerhalb der dieser Auffassung nachfolgenden Phase sah Welzel in der Sozialadäquanz dagegen einen in der sozialethischen Ordnung des Gemeinschaftslebens wurzelnden, gewohnheitsrechtlichen Rechtfertigungsgrund.169 Maßgeblich für die164 BGHSt 23, 226 (228): „Nach der Lehre von der ,Sozialadäquanz‘ können übliche, von der Allgemeinheit gebilligte und daher in strafrechtlicher Hinsicht im sozialen Leben gänzlich unverdächtige, weil im Rahmen der sozialen Handlungsfreiheit liegende Handlungen nicht tatbestandsmäßig oder zumindest nicht rechtswidrig sein“. Auch der Große Zivilsenat des BGH ließ im Rahmen der Anerkennung des Rechtfertigungsgrunds des verkehrsrichtigen Verhaltens dessen Relation zur Sozialadäquanz bewusst offen, BGHZ 24, 21 (26): „Dahingestellt mag bleiben, ob es sich bei diesem Ergebnis um einen Sonderfall der Anwendung des Rechtsgedankens der sozialen Adäquanz handelt“. Dagegen positioniert sich das OLG München (NStZ 1985, 549 [550]) deutlich und nimmt einen Tatbestandsausschluss an: „Zur Frage, ob sozialadäquates Handeln den objektiven Tatbestand entfallen läßt oder einen Rechtfertigungsgrund darstellt, wie der BGH ausdrücklich offengelassen hat (BGHSt 23, 226 [228]), entscheidet sich der Senat mit den gleichen Argumenten wie die in der Literatur überwiegend vertretende Auffassung für Restriktionswirkung beim Tatbestand. Hinzuzufügen ist noch ein Gesichtspunkt der Praktikabilität.“ 165 Zu den verschiedenen Phasen Welzels Auffassungen auch K. Peters, Festschrift Welzel, S. 415 (419 f.) und Cancio Meliá, GA 1995, 179 (182 f.). 166 Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (529 f.); Welzel, Allgemeiner Teil, S. 34 f. Dass der Ausdruck „immanent“ klarstelle, dass der Gesetzgeber das Prinzip bei der Setzung rechtlicher Normen zu berücksichtigen habe (so Bernert, Soziale Adäquanz, S. 6 ohne weitere Argumente), darf indes angesichts des Welzelschen Verständnisses bezweifelt werden: vielmehr dürfte ein Verständnis dergestalt naheliegen, als dass die Wendung „immanent“ darauf hindeutet, dass die gesellschaftliche Wertung ohnehin jedem Tatbestand innewohnt, unabhängig von den Vorstellungen des Gesetzgebers. Auf die Umschreibung als immanentes Prinzip wird später gleichwohl verzichtet, vgl. etwa Welzel, Allgemeiner Teil3, S. 118 f.; ders., Grundzüge1, S. 35 ff. 167 Welzel, Allgemeiner Teil, S. 34 f.; ders., Allgemeiner Teil2, S. 42; ders., Grundzüge1, S. 35. 168 Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (516 f.); ders., Allgemeiner Teil, S. 34 f.; ders., Allgemeiner Teil2, S. 42; ders., Allgemeiner Teil3, S. 51; ders., Grundzüge1, S. 35; ders., Grundzüge2, S. 36. 169 Diese wird gemeinhin auf die Auflagen vier bis acht des Welzelschen deutschen Strafrechts zurückgeführt, also die Jahre zwischen 1954 und 1963, in denen diese Auffassung auch explizit vertreten wird, vgl. Welzel, Grundzüge4, S. 62; ders., Grundzüge5, S. 68 f.; ders., Grundzüge6, S. 73 f.; ders., Grundzüge7, S. 76; ders., Grundzüge8, S. 76. Tatsächlich legte
II. Verortung
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sen Meinungswechsel dürfte die Interpretation des damals neuen § 240 Abs. 2 StGB gewesen sein, in dessen Rahmen die sogenannte Verwerflichkeitsklausel als die Tatbestandsmäßigkeit unberührt lassendes Element der Rechtswidrigkeit verstanden wurde. Da die Verwerflichkeitsklausel ihrerseits als positivrechtlicher Anwendungsfall der Sozialadäquanz verstanden wurde,170 lag der Schluss von diesem positivrechtlich normiert verstandenen Anwendungsfall auf die Sozialadäquanz im Allgemeinen nahe.171 In der Sache verlässt Welzel damit nicht nur seinen eigenen Argumentationsboden, nach dem die Sozialadäquanz die Vertypung strafwürdigen Unrechts darstellt, sondern nähert sich auch dem objektiven sowie wertfreien Tatbestandsverständnis Belings an,172 das in diametralem Widerspruch zur eigentlichen Herleitung der Sozialadäquanz steht. Wenngleich Welzels Auffassung in dieser Phase zumeist auf die Einordnung als Rechtfertigungsgrund beschränkt wird,173 so weist doch Schaffstein zutreffend darauf hin, dass einige zuvor über die Sozialadäquanz gelöste Beispiele nunmehr in der Tatbestandsauslegung des Besonderen Teils aufgehen, hinter welcher die Quintessenz der Sozialadäquanz aufscheint. So werden etwa verkehrsmäßige Zudringlichkeiten nicht als unzüchtige Handlung begriffen oder der Verkehrssitte entsprechende Zuwendungen aus dem Kreise der Bestechungsdelikte ausgenommen.174 Eine vollkommene Loslösung von jedweden zuvor als sozialadäquat verstandenen Strafbarkeitsrestriktionen auf Ebene des Tatbestands erfolgt somit jedenfalls nicht in Gänze, auch wenn im Rahmen der einzelnen Straftatbestände nicht mehr explizit auf die Sozialadäquanz verwiesen wird. Die Vermutung Schaffsteins, dass Aspekte der Sozialadäquanz bereits in der Auslegung diverser Tatbestandsmerkmale aufgegangen sind, wird zudem von der nächsten und letzten Verortung der Sozialadäquanz durch Welzel bekräftigt: So sieht er nunmehr in ihr ein allgemeines Auslegungsprinzip, dessen Bedeutung sich nicht nur auf das Strafrecht beschränke, sondern auf die gesamte Rechtsordnung erstre-
Welzel den Grundstein hierzu in seiner Schrift Das neue Bild des Strafrechtssystems2, S. 19 f., in welcher er anhand der Nötigung aufzuzeigen versucht, dass es offene Tatbestände gebe, deren Verwirklichung die Rechtswidrigkeit einer Handlung nicht indiziere, sondern eine gesonderte, positive Feststellung der Rechtswidrigkeit gebiete. 170 Siehe bereits oben, Kapitel B. II. 1. a) cc) (2) (a). Den Einfluss dieser Interpretation auf die eigenen Ausführungen stellt Welzel etwa in Welzel, Grundzüge11, S. 57 klar. 171 Dazu Hirsch, ZStW 74 (1962), 74, 78 (79 f.) und im Ansatz auch Wolski, Soziale Adäquanz, S. 13. 172 Zu diesem Tatbestandsverständnis Beling, Strafrecht, S. 20 f.; ferner Heinrich, AT, Rn. 96 ff.; Roxin, AT I, § 7 Rn. 15, 20. 173 Exemplarisch Roxin, AT I, § 10 Rn. 34; Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (79 f.); Cancio Meliá, GA 1995, 179 (182); Bernert, Soziale Adäquanz, S. 38 ff.; Wolski, Soziale Adäquanz, S. 13 174 Schaffstein, ZStW 72 (1960), 369 (374 ff.); die zugrundeliegenden Beispiele finden sich bei Welzel, Grundzüge7, S. 367, 460. Später versucht Klug, Festschrift Eb. Schmidt, S. 249 (262 ff.) eine ähnliche Aufspaltung der Sozialadäquanz in Tatbestandsausschließungsgrund einerseits sowie Rechtfertigungsgrund andererseits.
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C. Bisherige Lösungsansätze zur Dogmatik der Sozialadäquanz
cke.175 Demzufolge haben sozialadäquate Verhaltensweisen bereits aus den strafrechtlichen Tatbeständen auszuscheiden.176 Schließlich bilde die Sozialadäquanz „die Folie zu den strafrechtlichen Tatbeständen“ und sei so der von ihnen vorausgesetzte Normal-Zustand sozialer Handlungsfreiheit.177 Entsprechend biete die Sozialadäquanz keine einem Rechtfertigungsgrund vergleichbare, besondere Erlaubnis, sondern schließe bereits das tatbestandsmäßige Unrecht aus.178 Darin ist insofern eine Rückkehr zu Welzels vorherigem Tatbestandsverständnis zu erblicken, als dass nunmehr dem strafrechtlichen Unrecht wiederum ein soziales Substrat vorbzw. eingelagert wird. Damit einher geht freilich die Rückkehr zu einem Strafbarkeitskorrektiv auf Tatbestandsebene. Allerdings erfolgt diese insofern in konkreterer Gestalt, als dass die Sozialadäquanz nunmehr in der Auslegung aufgehen soll. Somit soll kein genereller Strafbarkeitsausschluss mehr erfolgen, sondern die Restriktion der Strafbarkeit letztlich auf die Auslegung der konkreten Tatbestände zurückgeführt werden. Die unterschiedlichen Auffassungen Welzels dienen insofern als Vorbild der Diskussion um die dogmatische Verortung der Sozialadäquanz, spiegeln sie schließlich bereits die zumeist vertretenen Ansichten wider oder zeichnen diese vor. Sie dienten nicht nur als Orientierungspunkt für weitere Ausführungen der Literatur, sondern zogen jeweils ein Echo nach sich, das die Debatte um den systematischen Standort vertiefte. Schließlich offerierte der Vater der Sozialadäquanz selbst bereits eine Verortungsmöglichkeit als Tatbestandsausschluss, als Auslegungshilfe des Tatbestandes oder als Rechtfertigungsgrund und bereitete der Diskussion um die dogmatische Verortung den Weg. 1. Sozialadäquanz als Tatbestandsausschluss a) Zugrundeliegendes Verständnis Entsprechend Welzels originärer Auffassung wird die Sozialadäquanz in der Literatur vielfach als Tatbestandsausschluss interpretiert.179 Dahinter steht der Gedanke, dass sozialadäquate Handlungen allgemein sozial gebilligt seien, sodass 175
Welzel, Grundzüge9, S. 52; ders., Grundzüge11, S. 57. Welzel, Grundzüge9, S. 51; ders., Grundzüge11, S. 55 f. 177 Welzel, Grundzüge9, S. 51; ders., Grundzüge11, S. 57. 178 Exemplarisch Welzel, Grundzüge11, S. 57. 179 Heinrich, AT, Rn. 519; Altermann, Festschrift Eisenberg, S. 233 (235); Dölling, Festschrift Otto, S. 219 (220); Eser, Festschrift Roxin, S. 199 (210 ff.); Gracia Martín, Festschrift Tiedemann, S. 205 (214 ff.); Kalin, Verhaltensnorm, S. 73 f.; Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (649 f.); so grundsätzlich auch Schönke/Schröder/Eisele, Vor §§ 13 ff. Rn. 69, der allerdings darauf hinweist, dass es der Sozialadäquanz oftmals nicht bedürfe, da jedenfalls zumeist allgemeine Auslegungsregeln zu identischen Ergebnissen führen. Für einen Tatbestandsausschluss sozialethisch gebotenen Verhaltens plädiert auch Klug, Festschrift Eb. Schmidt, S. 249 (262 ff.), der die Sozialadäquanz nach sozialethischer Gebotenheit des Verhaltens in Tatbestandsausschluss und Rechtfertigungsgrund aufspaltet. 176
II. Verortung
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die zugrundeliegende gesellschaftliche Bewertung sich ebenfalls allgemein auf ein Verhalten beziehen müsse.180 Daher könne die Sozialadäquanz gerade keinen Rechtfertigungsgrund darstellen, schließe ein solcher doch lediglich in konkreten Ausnahmesituationen die Rechtswidrigkeit allgemein missbilligter Handlungen aus.181 Soll die Sozialadäquanz dagegen die allgemeine Billigung eines Verhaltens ausdrücken, so müsse sie gerade zuvor auf Tatbestandsebene ihre Wirkung entfalten. So könne auch vermieden werden, den sozialadäquat Handelnden mit dem Messerstecher auf eine Stufe zu stellen.182 Ferner liege das Anliegen der Sozialadäquanz darin, durch typisierende Regelungen die Strafbarkeit auszuschließen, anstatt im Einzelfall die Erforderlichkeit eines Eingriffs in ein Rechtsgut zu ermitteln und eine Güterabwägung durchzuführen.183 Darüber hinaus wird vereinzelt an der sozialethischen Gebotenheit sozialadäquaten Handelns angeknüpft: so soll die Sozialadäquanz gar eine generelle Handlungspflicht bezüglich des sozialethisch gebotenen Verhaltens schaffen, sodass die Frage dessen Rechtfertigung widersinnig sei.184 Ferner sei die Sozialadäquanz der notwendige Ausgleich unzureichender Tatbestandstypisierung. Schließlich begründe sich die unrechtsindizierende Wirkung der Tatbestände aus der dort kodifizierten Erfahrung um die Sozialschädlichkeit eines Verhaltens.185 Da die durch die abstrakte Regelungstechnik notwendige Unrechtstypisierung ihrerseits aber lediglich fehlerhaft bzw. ungenau erfolgen könne und obendrein die dynamische Gesellschaftsstruktur die sozialerheblichen Wertbegriffe sukzessive verändere, sei ein Tatbestandskorrektiv nötig: die Sozialadäquanz.186 Deren Hauptaufgabe bestehe dementsprechend darin, eine Harmonie
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Dölling, Festschrift Otto, S. 219 (220); Gracia Martín, Festschrift Tiedemann, S. 205 (210); Ebert/Kühl, Jura 1981, 225 (226); Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (646); dahingehend auch Altermann, Festschrift Eisenberg, S. 233 (235). 181 Dölling, Festschrift Otto, S. 219 (220); Gracia Martín, Festschrift Tiedemann, S. 205 (210); Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (645 f.); so auch Schaffstein, ZStW 72 (1960), 369 (386), bevor er die Frage anschließend aufgrund seiner Betrachtungsweise eines Tatbestand sowie Rechtfertigung umfassenden Unrechtstatbestandes für gegenstandslos erklärt (393). 182 Worauf Schaffstein, ZStW 72 (1960), 369 (378) hinweist. 183 Dölling, Festschrift Otto, S. 219 (220); Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (646 f.); in diesem Sinne auch Roxin, Festschrift Klug, S. 303 (305). 184 Insbesondere könne ein rechtlich vorgeschriebenes Verhalten niemals strafbegründend sein, so Klug, Festschrift Eb. Schmidt, S. 249 (262 f.) und insbesondere Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (646 f.). 185 Schaffstein, ZStW72 (1960), 369 (376 f.); Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (648); so auch Roxin, Festschrift Klug, S. 303 (306). 186 Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (648): „Die Sozialadäquanz ist das Korrektiv für die notwendigerweise unzulängliche Tatbestandstypisierung. Sie ist das Bindeglied zwischen der abstrakten Regelung und der konkreten Gestaltungsbedürftigkeit.“ Dagegen führt Schaffstein, ZStW72 (1960), 369 (377) die Geschichte der Rechtsprechung an, die deutlich zeige, dass kaum ein Tatbestand des StGB ohne ungeschriebene Einschränkungen auskomme.
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zwischen Strafnorm und sozialer Wirklichkeit zu schaffen.187 Als solcher Filter schließe sie trotz eigentlicher Subsumierbarkeit einer Handlung unter einen Tatbestand dessen unrechtsindizierende Wirkung aus.188 Entsprechend scheitere die Prüfung auf Tatbestandsebene, sodass die Rechtswidrigkeit nicht mehr zu untersuchen sei.189 b) Kritik Besonders Bernert sieht einen Tatbestandsausschluss durch Sozialadäquanz kritisch: so werde, wenn Welzel die Sozialadäquanz in diesem Zuge als immanentes Prinzip der Tatbestandsbildung bezeichne, deren gesamte Verortung ihres Bodens beraubt. Schließlich läge der Rechtsfigur nicht nur eine geschichtliche, sondern vielmehr auch eine rechtliche Ordnung zugrunde, sodass der Gesetzgeber selbst keine Normen mehr schaffen könne, eine Tatbestandsbildung damit schlicht nicht mehr möglich sei.190 In der Folge sei die Sozialadäquanz auch als Tatbestandskorrektiv unnötig. Dabei wird jedoch nicht nur die der Sozialadäquanz unterstellte, zugrundeliegende rechtliche Ordnung fingiert, sondern vielmehr auch die Umschreibung als immanentes Prinzip der Tatbestandsbildung überstrapaziert. So stellte bereits Welzel insofern klar, dass er dieses Prinzip (lediglich) derart verstehe, dass es den rechtlich normierten Begriffen ihren gesellschaftlichen Bedeutungsgehalt vermittle.191 Eine damit einhergehende Limitierung des Handlungsspielraums des Gesetzgebers war demnach ebenso wenig intendiert wie die Ergründung einer zugrundeliegenden rechtlichen Ordnung. Die Vermengung der gesellschaftlichen Bewertung mit dem propagierten Fundament einer rechtlichen Ordnung begrenzt somit den Gehalt dieser Kritik für die Verortung der Sozialadäquanz erheblich. Dies 187 Schaffstein, ZStW72 (1960), 369 (377); Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (648 f.); dem Grunde nach auch Klug, Festschrift Eb. Schmidt, S. 249 (260 ff.), der den anvisierten Gleichlauf gebotenen Verhaltens und sozialer Akzeptanz betont. 188 Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (649 f.); insofern erinnern die Ausführungen stark an Welzel, Grundzüge11, S. 57, der zwar nicht von einem Filter, jedoch von einer „Folie zu den strafrechtlichen Tatbeständen“ spricht, die den Bereich des Strafbaren von der sozialen Handlungsfreiheit trenne. Insbesondere der Schluss auf die fehlende, unrechtsindizierende Wirkung entspricht Welzels Vorstellung von offenen Tatbeständen, vgl. Welzel, Das neue Bild des Strafrechtssystems2, S. 19 f. 189 So Klug, Festschrift Eb. Schmidt, S. 249 (263 f.); Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (650). 190 Der Schluss auf eine zugrundeliegende rechtliche Ordnung soll sich daraus ableiten lassen, dass Welzel (ZStW 58 [1939], 491 [517 Fn. 38]) die soziale Adäquanz nicht nur als Ausdruck der geschichtlichen Ordnung ansieht, sondern sie um die Wertvorstellungen der Gesellschaft ergänzt, was er im Fortgang als „normativ-werthaft“ umschreibt, woraus Bernert, Soziale Adäquanz, S. 6 f. die Konsequenz der zugrundeliegenden rechtlichen Ordnung zieht. Dies entspricht aber weder den Ausführungen Welzels, noch der Intention der Sozialadäquanz, die gerade soziale (und nicht rechtliche) Wertungen heranzuziehen versucht. Bernert unterstellt den Ausführungen zur Sozialadäquanz somit einen Verweis auf eine rechtliche Ordnung, sodass dessen Auffassung nicht zu überzeugen vermag. 191 So insbesondere auch die bei Bernert, Soziale Adäquanz, S. 6 zitierte Quelle Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (517 f. Fn. 38).
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gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass die potenzielle Rechtsfigur einen Ausweg aus dem gesetzlich vorgezeichneten Tatbestand sucht und sich dementsprechend nicht an den Gesetzgeber richtet. Wenig aufschlussreich erscheint ferner, der Sozialadäquanz als eigenständigem Tatbestandsausschluss einerseits die Existenz aufgrund der ihr innewohnenden Unbestimmtheit abzusprechen, sie aber gleichsam ohne Konkretisierung als Auslegungsgesichtspunkt anzuerkennen,192 vermag doch so die eigens monierte Unsicherheit der Figur nicht pariert zu werden. Auch endet die Begründung, die Sozialadäquanz könne keinen Tatbestandsausschluss darstellen, da sie bereits zuvor als Aspekt der Auslegung die Tatbestandsmerkmale entfallen lasse, in einem argumentativ nicht weiterführenden Kreis.193 Schließlich gilt es gerade zu belegen, weshalb die soziale Adäquanz als Auslegungsaspekt fungieren soll, sodass ohne diesbezügliche Argumente weitergehende Schlüsse aus der These nur schwerlich zu überzeugen vermögen. 2. Sozialadäquanz als Auslegungsaspekt a) Zugrundeliegendes Verständnis Ein weiterer Ansatz verortet die Sozialadäquanz zwar ebenfalls auf Tatbestandsebene, spricht ihr jedoch die dogmatische Eigenständigkeit als Tatbestandsausschluss ab und erblickt in ihr vielmehr einen Auslegungsgesichtspunkt für einzelne Tatbestandsmerkmale.194 So könne dem generell nicht greifbaren Prinzip als Instrument der Auslegung doch ein dogmatischer Wert zugesprochen werden, der eine interpretative Konkretisierung der Tatbestände ermögliche.195 Bisweilen wird diese Auffassung darauf gestützt, dass der Gesetzgeber bewusst auf scharfe tatbestandliche Grenzen verzichte, um die Diversität der Lebensvorgänge und der mitschwingenden, gesellschaftlich zugeschriebenen Werte berücksichtigen 192
So aber Baumann/Weber/Mitsch/Mitsch, AT, § 16 Rn. 35 und nunmehr unter abgeschwächter Kritik Baumann/Weber/Mitsch/Eisele/Mitsch, AT, § 6 Rn. 36. 193 So Otto, Festschrift Amelung, S. 225 (230 f.): „Die Annahme eines ,Tatbestandsausschließungsgrunds‘ erscheint hingegen begrifflich weniger passend. Das Nichtvorliegen eines Tatbestandsmerkmals bedeutet im Hinblick auf diesen Tatbestand keinen Tatbestandsausschließungsgrund […]“. 194 So etwa Baumann/Weber/Mitsch/Eisele/Mitsch, AT, § 6 Rn. 36; Otto, Festschrift Amelung, S. 225 (230); Ebert/Kühl, Jura 1981, 225 (226); Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (132); Ostendorf, GA 1982, 333 (344); Kienapfel, Züchtigung, S. 98 f.; Kudlich, Unterstützung fremder Straftaten, S. 79 f.; ebenso einerseits Wolski, Soziale Adäquanz, S. 14, die aber andererseits in der Sozialadäquanz zugleich eine soziale Sinndeutung vor dem Tatbestand erblickt; grundsätzlich auch Roxin, Festschrift Klug, S. 303 (310), der die Bedeutung der Sozialadäquanz allerdings durch zur Verfügung stehende, exaktere Methoden der Tatbestandsbegrenzung relativiert sieht. Dahingehend bereits Eb. Schmidt, JZ 1959, 518 (519). 195 Kienapfel, Züchtigung, S. 98; so auch Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (132), der dafür letztlich (133 f.) jedoch keine Notwendigkeit sieht.
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zu können.196 Diese Berücksichtigung erfolge sodann mittels der Sozialadäquanz, die die reale Lebenswelt in die Gesetzesauslegung implementiere. Andernorts wird die sozialadäquate Auslegung als Kompensation der abstrakt-generellen Regelungstechnik des Gesetzgebers betrachtet: erst die restriktive Auslegung unter dem Aspekt der Sozialadäquanz begrenze den Tatbestand auf deliktstypisches, generell verbotenes Verhalten.197 Darüber hinaus sollen auch Gründe einer einheitlichen Systematik für eine derartige Wirkungsweise der Sozialadäquanz streiten: so sei der Gedanke der Sozialadäquanz schließlich im Rahmen der §§ 331 ff. StGB bei der Auslegung des Begriffs des Vorteils zu berücksichtigen.198 Wenn sie dort aber als Aspekt der Auslegung fungiere, so sei dies auch in anderen Fällen der Strafbarkeitsrestriktion geboten.199 b) Kritik Bernert sieht aufgrund der bereits genannten, vermeintlichen logischen Widersprüche auch keinen Anwendungsbereich der Sozialadäquanz als Auslegungshilfe bestimmter Merkmale.200 Fraglich ist ferner, ob in den seitens dieser Auffassung angeführten Fällen stets von Auslegung gesprochen werden kann: so begreift Rönnau zur Verdeutlichung der Auslegungslösung etwa das Neujahrsgeschenk für den Postboten als gesellschaftlich akzeptiert und daher tatbestandslos, könne so schließlich das Vertrauen der Allgemeinheit in die Lauterkeit der Amtsführung nicht tangiert werden.201 Damit wird die Sozialadäquanz indes faktisch lediglich dazu herangezogen, eine teleologische Reduktion zu stützen und voranzutreiben: von der gesellschaftlichen Akzeptanz des Verhaltens wird auf die Relevanz für das Rechtsgut geschlossen. Ein Charakter der Sozialadäquanz als Auslegungsbehelf lässt sich so schwerlich festigen. Vielmehr wird der feststehende, sprachliche Bedeutungskern eines Begriffes für bestimmte Fälle schlicht abgelehnt.202 Dementsprechend hält
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So Henkel, Recht und Individualität, S. 38 und Kienapfel, Züchtigung, S. 99. Daher dürften auch fest umrissene Grenzen des Tatbestandes nicht eingeebnet werden – womit die Sozialadäquanz freilich in vielen genannten Anwendungsfällen ausscheiden dürfte. 197 Baumann/Weber/Mitsch/Eisele/Mitsch, AT, § 6 Rn. 33; Roxin, Festschrift Klug, S. 303 (310); Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (132); in diesem Sinne auch Wolski, Soziale Adäquanz, S. 14. 198 Dazu bereits oben, vgl. Kapitel B. II. 1. b) gg). 199 Kudlich, Unterstützung fremder Straftaten, S. 80. 200 Bernert, Soziale Adäquanz, S. 8 f., dazu inhaltlich bereits Kapitel C. II. 1. b). 201 Rönnau, JuS 2011, 311 (313). 202 Krey, Studien zum Gesetzesvorbehalt, S. 167 hält insofern fest, dass eine derartige Ablehnung allenfalls als teleologische Reduktion, nicht jedoch als Auslegungsergebnis begriffen werden könne. Krey geht sogar noch weiter, indem er konstatiert, es gebe keine Ausnahmen (auch nicht bei Druckfehlern oder Redaktionsversehen) von der Bindung der Auslegung an den Wortsinn, ebenda, S. 171 f.
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Schaffstein auch am Beispiel der Beleidigung203 fest, dass die Verortung der Sozialadäquanz im Rahmen der Auslegung nicht auf einzelne Tatbestandsmerkmale zurückgeführt werden könne, sondern vielmehr die Grenzen eigentlicher Auslegung überschreite und damit ein allgemeines Prinzip sei.204 Jedenfalls ginge mit einer Verortung als Auslegungsaspekt die Möglichkeit einer Strafbarkeitsrestriktion in den Fällen verloren, in denen die Tatbestandsmerkmale eindeutig vorliegen und die Strafbarkeit einzig aufgrund einer gesellschaftlichen Bewertung der entsprechenden Handlung ausscheiden soll. Schließlich würde dann mittels einer vermeintlichen Auslegung der formell einschlägige Wortlaut der Norm für einen konkreten Fall zu reduzieren versucht, wenngleich das entsprechende Merkmal in anders gelagerten Fällen als offenkundig gegeben angesehen würde.205 Die Auslegung des spezifischen Merkmals würde mit Aspekten zur dieses verursachenden Handlung verknüpft, die eine Auslegung (lediglich) des Erfolgsmerkmals so nicht tragen. Schließlich würde derart versucht, einen gegebenen tatbestandlichen Erfolg durch eine Auslegung einzig unter Berücksichtigung des spezifischen Verhaltens zu negieren. In der Folge würden die Grenzen der einzelnen Tatbestandsmerkmale verschwimmen, sich gegenseitig überlagern und so eine methodisch saubere Auslegung verfehlen. Berücksichtigt man dies und fokussiert sich hingegen auf die exakte Auslegung spezifischer Merkmale, ginge die Sozialadäquanz jedenfalls ihrer Kernfunktion verlustig. 3. Sozialadäquanz als Element der objektiven Zurechnung a) Zugrundeliegendes Verständnis Nach einer weiteren Auffassung bleibt der Tatbestand zwar ebenfalls das Feld der Sozialadäquanz, diese sei jedoch als Element der objektiven Zurechnung zu begreifen.206 Diese Lösung sei vorzugswürdig, da die soziale Üblichkeit eines Ver203 Zu beleidigenden Äußerungen im engsten Familienkreis bereits oben, Kapitel B. II. 1. a) dd) (1). 204 Schaffstein, ZStW72 (1960), 369 (375 f.), zustimmend Kalin, Verhaltensnorm, S. 73. 205 Insofern ist das Sammelsurium an vermeintlichen Beispielsfällen sicherlich zu groß. Zu denken sei jedoch exemplarisch an einen durch Fremdeinwirkung gebrochenen Fuß, welcher zwar dem Tatbestand der Körperverletzung unterfällt, erlitten im Rahmen eines sportlichen Wettkampfes jedoch durch Auslegung ausgeschieden werden solle. Ferner mutet es seltsam an, das 30-minütige Einsperren in einem stehenden Bus als Freiheitsberaubung zu begreifen, das Weiterbefördern gegen den Willen des Betroffenen in einem Fernbus bis zur 30 Minuten entfernten Haltestelle jedoch durch Auslegung dem Tatbestand entfallen zu lassen. 206 Rengier, AT, § 13 Rn. 51; Preuß, Untersuchungen zum erlaubten Risiko, S. 22 f., 215; Murmann, JuS 1999, 548 (552); vgl. ferner Goeckenjan, Objektive Zurechnung, S. 132 und Seher, Zurechnung, S. 408 f.; Rönnau, JuS 2011, 311 (312) ergänzt diesen Aspekt um eine Lösung im Rahmen der Auslegung; die Sozialadäquanz als ersten Ansatz zur Entwicklung einer Lehre von der objektiven Zurechnung begreifend Cancio Meliá, GA 1995, 179 (180 ff.) und Jakobs, Strafrechtlicher Handlungsbegriff, S. 29, der im Fortgang beide Aspekte gleichsetzt. Auch Roxin, AT I, § 10 Rn. 38 erblickt in der Sozialadäquanz einen Vorläufer der objektiven
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haltens so nicht mehr freischwebend stehe, sondern vielmehr durch den seitens der Zurechnung gewahrten Bezug zur Gefahr für das geschützte Rechtsgut gebunden werde.207 Dementsprechend schaffe ein sozialadäquates Verhalten bereits keine rechtlich relevante Gefahr, sodass die objektive Zurechnung bereits an ihrem ersten Merkmal scheitere.208 Die gesellschaftliche Üblichkeit eines Verhaltens wird demnach dazu herangezogen, einem geschaffenen Risiko die rechtliche Relevanz abzusprechen. b) Kritik Die gegen diese Ansicht angeführte Kritik beschränkt sich zumeist auf die generelle Verortung im Tatbestand als solche.209 Unbesehen dessen wird moniert, weshalb die Einbettung der für zu unbestimmt erachteten Sozialadäquanz in die objektive Zurechnung zu klareren Konturen ersterer Figur führen soll, sei doch die objektive Zurechnung ihrerseits gleichermaßen unbestimmt.210 Diese Frage lässt auch Roxin offen, wenn er festhält, dass die Sozialadäquanz einerseits ein Vorläufer der objektiven Zurechnung sei, sie aber andererseits nicht mehr benötigt werde, da die Zurechnung präzisere und sehr viel genauere Instrumente bereit halte.211 Schließlich bietet er als solch präziseres Kriterium die Frage des rechtlich irrelevanten Risikos an, welches seinerseits auf Abwägungen über die soziale Tragbarkeit des Verhaltens beruhen solle.212 Inwiefern die Tragbarkeit eines Verhaltens aber deutlicher zu bestimmen sein soll als das Merkmal sozialer Adäquanz, bleibt unbeantwortet. Darüber hinaus scheint problematisch, wie einem Verhalten die rechtliche Relevanz abgesprochen werden soll, wenn es faktisch ein Rechtsgut verletzt. So erscheint es etwa in den Fällen des Todes des Steinbrucharbeiters oder des gestohlenen Maibaumes fragwürdig, der Tötung des Arbeiters oder der Entwendung des Baumes
Zurechnung, wobei letztgenannte allerdings bedeutend genauer sei, sodass es des Kriteriums der Sozialadäquanz nicht mehr bedürfe. Eine Funktionsäquivalenz hält Schünemann, GA 1999, 207 (211) fest. 207 Rönnau, JuS 2011, 311 (312); in diesem Sinne auch Roxin, AT I, § 10 Rn. 38. 208 Rengier, AT, § 13 Rn. 51; vgl. ferner Roxin, AT I, § 10 Rn. 38. 209 Vgl. etwa Gössel, Festschrift Bengl, S. 23 (38 f.); Bernert, Soziale Adäquanz, S. 6 f.; Engisch, Vorsatz und Fahrlässigkeit, S. 288 f. 210 So besonders deutlich Gracia Martín, Festschrift Tiedemann, S. 205 (214 ff.). 211 Roxin, AT I, § 10 Rn. 38, 42. 212 Roxin, AT I, § 10 Rn. 38 f.: „Freilich bedarf es bei der Bestimmung des erlaubten Risikos sorgfältiger Abwägungen über die soziale Tragbarkeit eines Verhaltens, die sich oft in detaillierten Sicherheitsvorschriften niederschlagen. Aber diese sozialen Bewertungen gehen von vornherein in die Erfolgszurechnung ein und brauchen nicht erst durch das nachträgliche Korrektiv eines meist unbestimmten und umstreitbaren sozialen Adäquanzurteils wieder ausgeschieden zu werden.“.
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schlicht die rechtliche Relevanz abzusprechen.213 Schließlich beruht die Sozialadäquanz ihrem Grundgedanken nach nicht auf einer allein rechtlichen Wertung, sondern vielmehr auf gesellschaftlicher Akzeptanz. Von der gesellschaftlichen Billigung einer Handlung indes auf die rechtliche Relevanz einer Gefahr zu schließen, lässt beide Ebenen verschwimmen und vermag bereits daher kein präziseres Element als die soziale Adäquanz darzustellen. Zudem zeigt sich nicht zuletzt an dem Rekurs auf die soziale Tragbarkeit eines Verhaltens, dass die Überführung der Sozialadäquanz in die objektive Zurechnung keine genaueren Instrumente an die Hand gibt. Damit zielt das Hauptargument dieser Auffassung ins Leere. 4. Sozialadäquanz als Rechtfertigungsgrund a) Zugrundeliegendes Verständnis Entgegen den genannten Tatbestandslösungen verorten andere Stimmen die Sozialadäquanz als eigenständigen Rechtfertigungsgrund.214 Maßgeblich hinter dieser Auffassung steht der Gedanke einer der Sozialadäquanz immanenten Abwägung kollidierender Rechtsgüter bzw. Interessen.215 Dabei verspricht die damit einhergehende Beurteilung der konkreten Situation eine größere Flexibilität im Vergleich zu einer generellen Tatbestandslösung. Insbesondere sollen gerade nicht alle sozial wertvollen Handlungen gerechtfertigt sein, sondern lediglich solche, die im Rahmen eines sozial nützlichen, rechtlichen Interesses konkret erforderlich seien.216 Zudem liegt in dem für eine Rechtfertigung notwendigen subjektiven Element eine Antwort auf die Frage zielgesteuerten Handelns unter dem bloßen Mantel der Sozialadäquanz.217 Der weitergehende Versuch, die Verortung auf Ebene der Rechtswidrigkeit einzig von der Frage der sozialethischen Erlaubtheit der Handlung abhängig zu machen, erscheint dagegen bereits aufgrund des mangelnden Grundkonstrukts der Überlegung wenig zielführend.218 213
Zumal der Tod eines Menschen stets mit rechtlichen Folgen einhergeht, sodass zumindest konkret von strafrechtlicher Relevanz die Rede sein sollte. 214 H. Mayer, Strafrecht AT, S. 186 ff.; Schmidhäuser, AT, § 9 Rn. 26 ff.; Gössel, Festschrift Bengl, S. 23 (38 f.); Dohna, ZStW 32 (1911), 323 (327 Fn. 10); Nipperdey, NJW 1957, 1777 (1778); vgl. auch Engisch, Vorsatz und Fahrlässigkeit, S. 266 ff., 288 f.; bezüglich sozialethisch erlaubten, aber nicht gebotenen Verhaltens auch Klug, Festschrift Eb. Schmidt, S. 249 (261 f., 264). 215 Vgl. H. Mayer, Strafrecht AT, S. 186 ff.; Gössel, Festschrift Bengl, S. 23 (38 f.); Engisch, Vorsatz und Fahrlässigkeit, S. 288 f. Daher zieht Valerius, JA 2014, 561 (564 f.) zur Lösung der Problematik der Freiheitsberaubung durch einen Busfahrer fernab der Sozialadäquanz den Rechtfertigungsgrund der Pflichtenkollision heran. 216 So Gössel, Festschrift Bengl, S. 23 (38 f.). 217 Wie sie bereits bei Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (519 f.) anklingt und ferner etwa von Eser, JZ 1978, 368 (384), Looschelders, JR 2000, 265 (271), Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (635) und Kühn, Sportstrafrecht, S. 83 diskutiert wird. 218 Dazu bereits oben, Kapitel C. I. 1. c) aa) ff.
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b) Kritik Gegen die Verortung der Sozialadäquanz als Rechtfertigungsgrund wird angeführt, die Sozialadäquanz sei ein rein objektives Prinzip und scheide daher als Rechtfertigungsgrund aus. Schließlich sei ein solcher doch zumindest auch an ein subjektives Element geknüpft.219 Diesem Einwand fehlt indes die belastbare Grundlage für das Verständnis der Sozialadäquanz als rein objektives Prinzip. Ferner wird angeführt, es bedürfe ohnehin keines speziellen Rechtfertigungsgrundes der sozialen Adäquanz, da § 34 StGB allen Bedürfnissen nach Interessenabwägung unter Einbeziehung sozialethischer Regeln gerecht zu werden vermöge.220 Allerdings wird nicht aufgezeigt, wie sozialethische Regeln im Rahmen des rechtfertigenden Notstandes berücksichtigt werden sollen und wie eine Interessenabwägung stattfinden soll, wenn dem sozialadäquat Handelnden keine Gefahr droht. Darüber hinaus wird moniert, die Sozialadäquanz werde der Funktion der Rechtfertigung – der Legitimation tatbestandsmäßiger Rechtsgutsbeeinträchtigungen als erforderliches Mittel zur Wahrung höherwertiger Interessen – nicht gerecht.221 Letztlich versucht Zipf, ohne nähere Begründung der Sozialadäquanz eine Handlungspflicht nachfolgen zu lassen, die ihrerseits sozialadäquates Verhalten durch die Rechts- sowie die Sozialordnung gebiete, weshalb es keiner Rechtfertigung des rechtlich gebotenen Verhaltens bedürfe.222 Das maßgeblich vorgebrachte Argument gegen eine Verortung im Rahmen der Rechtswidrigkeit dürfte dementsprechend das mit dieser Verortung einhergehende Unrechtsurteil darstellen: so würde eine Rechtfertigung nur die ausnahmsweise Gestattung des Verhaltens darstellen, wenngleich es sich bei sozialadäquatem Handeln doch gerade um allgemein akzeptiertes Verhalten handle, welches somit bereits kein Unrecht verkörpern könne.223 Dem werde aber eine einzelfallbezogene, ausnahmsweise Erlaubnis nicht gerecht. Es könne nicht im Einzelfall gestattet werden, was nach gesellschaftlicher Bewertung ohnehin gebilligt sei, sodass es
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Krauß, ZStW 76 (1964), 19 (48 Fn. 131); diesbezüglich kritisch Kudlich, Unterstützung fremder Straftaten, S. 80. 220 So Roxin, Festschrift Klug, S. 303 (308). 221 Schließlich wahre sie keine höherwertigen Interessen, sondern schließe bereits eine Gefährdung des geschützten Rechtsgutes aus und trenne somit „Scheingefahren“ von tatsächlichen Gefahren, so Otto, Festschrift Amelung, S. 225 (231). 222 Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (646 f.): „Die Sozialadäquanz (und noch ausgeprägter die Rechtskonformität) schafft eine generelle Handlungspflicht, der jedermann unterworfen ist. Einen Rechtfertigungsgrund kann man in Anspruch nehmen, von der Rechts- oder Sozialordnung gegebenen Verhaltensbefehlen muß man nachkommen“. 223 Dölling, Festschrift Otto, S. 219 (220); Gracia Martín, Festschrift Tiedemann, S. 205 (210); Rönnau, JuS 2011, 311 (312); Valerius, JA 2014, 561 (561 f.); Kudlich, Unterstützung fremder Straftaten, S. 80. Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (637 f.) erblickt in sozialadäquatem Verhalten sogar die Vorstufe zum Gewohnheitsrecht, die ihrerseits ein generell gebilligtes Verhaltensmodell begründe (646).
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bereits am tatbestandlichen Unrecht fehle.224 Soll die Sozialadäquanz ein Abwägungsergebnis sein, dann jedenfalls ein solches im Rahmen einer im Tatbestand verorteten Globalabwägung unabhängig des Einzelfalles.225 Ansonsten würde schließlich einer subjektivistischen Willkür Tür und Tor geöffnet.226 5. Sozialadäquanz als Schuldausschlussgrund a) Zugrundeliegendes Verständnis Vereinzelt steht demgegenüber der Versuch, die Sozialadäquanz als Schuldausschlussgrund zu klassifizieren und nur bei Fahrlässigkeitsdelikten zur Anwendung gelangen zu lassen.227 Die Beschränkung auf fahrlässiges Verhalten gründet auf der Annahme, dass das vorsätzliche Erfolgsdelikt unter Einfluss einer eigenständigen Kategorie der Sozialadäquanz nicht mehr handhabbar wäre und entsprechend fließende Grenzen die Rechtsstaatlichkeit aufzehren würden.228 Daher könne die Sozialadäquanz einzig in Form der Wahrung sozialadäquater Risiken im Rahmen des Fahrlässigkeitsdelikts eine Rolle spielen.229 Dabei wird nach Annahme der Tatbestandsmäßigkeit sowie Rechtswidrigkeit sozialadäquaten Verhaltens die Schuld nicht argumentativ als Verortungspunkt der Rechtsfigur zu ergründen versucht, sondern vielmehr als verbliebene Prüfungsebene schlichtweg dazu erklärt.230 Die 224 Dölling, Festschrift Otto, S. 219 (220); Gracia Martín, Festschrift Tiedemann, S. 205 (210); Rönnau, JuS 2011, 311 (312); Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (645); Kudlich, Unterstützung fremder Straftaten, S. 80. In anderen Worten schließe die Sozialadäquanz damit bereits die Indizfunktion des Tatbestandes aus, während ein Rechtfertigungsgrund diese lediglich für den Einzelfall entkräfte, so Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (649). 225 Kudlich, Unterstützung fremder Straftaten, S. 80; Jakobs, AT, § 7 Rn. 36 weist darauf hin, dass eine solche Abwägung kein rationales Produkt sei, da kein konkretes sowie verbindliches Gesellschaftsmodell existieren könne, sodass es sich eher um Fälle einer historischen Legitimation handeln dürfte. 226 Kienapfel, Züchtigung, S. 100, der besonders betont, dass eine derartige Individualisierung der Unrechtsbetrachtung zu vermeiden sei, da ansonsten die Grenzen der Rechtsstaatlichkeit eingerissen würden. 227 So explizit Roeder, Sozialadäquates Risiko, S. 94: „Im Verbrechensaufbau ist der systematische Standort des nur bei fahrlässigen Delikten in Betracht kommenden Strafausschlusses der Einhaltung des sozialadäquaten Risikos nicht, wie die heute herrschende Lehre behauptet, die Rechtswidrigkeit (geschweige die Tatbestandsmäßigkeit), sondern die Schuld.“ 228 Roeder, Sozialadäquates Risiko, S. 25 f., der insofern auf H. Mayer, Strafrecht AT, S. 108 verweist, der entsprechende Bedenken hinsichtlich einer Verortung im Tatbestand äußert. 229 Roeder, Sozialadäquates Risiko, S. 27, 94. 230 Vgl. Roeder, Sozialadäquates Risiko, S. 92: „Widerspricht es daher rein ontologischen Erwägungen, ein ,per se‘ verkehrsrichtiges Verhalten trotz Eintrittes eines rechtswidrigen Erfolges als rechtmäßig zu klassifizieren, so kann der vermittelnde Ausgleich nur im Bereiche der Schuld als der Nahtstelle von individueller Voraussehbarkeit und Nichtvoraussehbarkeit des Erfolges geschehen, ohne daß wir aber ,die Allwissenheit Gottes zum Maßstab der Fahrlässigkeit machen‘ müßten oder auch nur könnten“.
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C. Bisherige Lösungsansätze zur Dogmatik der Sozialadäquanz
eigentliche Prüfung erfolgt sodann mittels einer – der herrschenden Ansicht widerstreitenden231 – Verortung der objektiven Sorgfaltspflichtverletzung auf Ebene der Schuld.232 b) Kritik Die Schuld wird als Standpunkt der Sozialadäquanz gemeinhin abgelehnt.233 Dies wird darauf zurückgeführt, dass gesellschaftlich gebilligtes Verhalten gerade kein Problem individueller Vorwerfbarkeit sein könne.234 Schließlich sei der persönlichen Vorwerfbarkeit jede generalisierende Betrachtung fremd, richte sie sich doch nur auf das individuelle Können des Täters und somit gerade nicht nach der allgemeinen Vorstellung, wie er sich hätte verhalten sollen.235 Zudem führe eine Verortung im Rahmen der Schuld dazu, dass sozialadäquates Handeln als rechtswidrig zu begreifen sei und in der Folge ein Notwehrrecht gegenüber dem sozialadäquat Handelnden einzugestehen wäre.236 Gegenüber einem sozialadäquaten Verhalten könne es jedoch keine Notwehr geben, da diese auf dem Gedanken der Rechtsbewährung beruhe, der aber gegenüber angemessenem Verhalten nicht zu tragen kommen könne.237 In derartigen Fällen greife indes die Interessenabwägung des § 34 StGB.238 Unbesehen dessen soll eine Einordnung sozial akzeptierten Verhaltens als tatbe-
231 Zur herrschenden Verortung der objektiven Sorgfaltspflichtverletzung im Tatbestand statt vieler BeckOK-StGB/Kudlich, § 15 Rn. 35 ff. und Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/ Schuster, § 15 Rn. 133 ff. 232 Roeder, Sozialadäquates Risiko, S. 65 ff. 233 Gracia Martín, Festschrift Tiedemann, S. 205 (210); Otto, Festschrift Amelung, S. 225 (231); Roxin, Festschrift Klug, S. 303 (309 f.); Rönnau, JuS 2011, 311 (312); Valerius, JA 2014, 561 (561); Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (639 f.); Hähle, Sportverletzungen, S. 92; M. Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung, S. 180; Mölders, Bestechung und Bestechlichkeit, S. 231. 234 Rönnau, JuS 2011, 311 (312); Valerius, JA 2014, 561 (561); Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (639 f.); Hähle, Sportverletzungen, S. 92. 235 So wird auch von keiner Seite das als gesellschaftlich anerkannt zugestanden, was der Täter als sozialadäquat erachtet oder erachten kann, sondern lediglich das, was die Gesellschaft allgemein billigt, vgl. nur Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (640). 236 Gracia Martín, Festschrift Tiedemann, S. 205 (210); Roxin, Festschrift Klug, S. 303 (309 f.); Rönnau, JuS 2011, 311 (312); Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (641); Hähle, Sportverletzungen, S. 92; die sogenannte Notwehrprobe sei damit wie das Notwehrrecht selbst ein „unbestechlicher Richter“ über die Einordnung in den Deliktsaufbau, so Maurach, AT3, S. 467. 237 Roxin, Festschrift Klug, S. 303 (309); Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (641); näher dazu Roxin, ZStW 93 (1981), 68 (84 f.). 238 Roxin, Festschrift Klug, S. 303 (309); ferner Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (639 ff.), nach dem es gegenüber sozialadäquatem Verhalten keine Rechtfertigung durch Notwehr, sondern lediglich durch Notstand geben könne, wobei dies der eigenen Konzeption als Tatbestandsausschluss zuwiderläuft.
II. Verortung
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standsmäßig sowie rechtswidrig und somit als sozialschädlich schlicht an der Realität vorbeigehen.239 Zwar sind die gegen Roeders Verortung der Sozialadäquanz auf die Ebene der Schuld vorgebrachten Argumente beständig. Insbesondere vermag dessen Weg über die individuelle Vorwerfbarkeit nicht zu überzeugen. Allerdings lässt die geäußerte Kritik zumeist außen vor, dass Roeder die Sozialadäquanz nicht eigenständig begreift, sondern der Prüfung der objektiven Sorgfaltspflichtwidrigkeit implementiert, welche er wiederum als Element der Schuld versteht.240 Somit ist das dieser Verortung zugrundeliegende Fahrlässigkeitsverständnis jenes der klassisch kausalen Lehre vom Erfolgsunwert, welches die Sorgfaltspflichtwidrigkeit als Schuldmerkmal einstuft.241 So vermag auch die Ausgangsthese der Tatbestandsmäßigkeit sowie Rechtswidrigkeit sozialadäquater Handlungen erklärt zu werden, unterscheiden sich nach dieser Lehre Fahrlässigkeit und Vorsatz doch einzig im Rahmen der Schuld. Wollte man die konkrete Überlegung Roeders auf die heute geläufige Fahrlässigkeitsdogmatik übertragen, so müsste man die objektive Sorgfaltspflichtwidrigkeit mit der herrschenden Lehre als Tatbestandsmerkmal begreifen und den Anwendungsbereich der Sozialadäquanz auf fahrlässige Taten restringieren. Dies würde zwar seinerseits die Frage nach sich ziehen, weshalb die Figur der Sozialadäquanz auf fahrlässiges Handeln beschränkt werden sollte, müsste aber dazu führen, die konkrete inhaltliche These Roeders auf Ebene der Tatbestandsmäßigkeit anzusiedeln. 6. Fazit Es zeigt sich, dass der Streit um die der Sozialadäquanz gebührende Verortung innerhalb des Deliktsaufbaus primär deren ungeklärtem Wesen sowie Funktion geschuldet zu sein scheint. So steht hinter einer propagierten, tatbestandsausschließenden Wirkung hauptsächlich die Auffassung, die Gesellschaft billige ein Verhalten im Allgemeinen, sodass es diesbezüglich keiner Strafe bedürfe. Diese Ansicht ist in besonderem Maße von dem Wunsch getragen, durch typisierende Regelungen eine Einzelfallbetrachtung weitgehend entbehrlich werden zu lassen. Die Berücksichtigung regionaler oder sektoraler, gesellschaftlicher Wertungen dürfte so kaum möglich sein. Insofern ist die Verortung bedeutend durch die gewünschte Funktionsweise sowie Rechtsfolge der Sozialadäquanz geprägt. Bemerkenswert ist ferner das Bestreben, eine eigenständige Rechtsfigur mangels deren Handhabbarkeit abzulehnen, deren Intentionen jedoch in die Auslegung zu überführen. Die vermisste Bestimmbarkeit deren Parameter könnte so zwar durch einen engeren Tatbestandsbezug geschaffen werden. Die Kehrseite dieser engeren Beziehung bildete sodann jedoch deren eigene Schranke, soll doch der Wortlaut der 239 240 241
So ohne weitere Argumente Otto, Festschrift Amelung, S. 225 (231). Roeder, Sozialadäquates Risiko, S. 65 ff. Zur klassisch kausalen Lehre der Fahrlässigkeit etwa Heinrich, AT, Rn. 978 f.
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C. Bisherige Lösungsansätze zur Dogmatik der Sozialadäquanz
Normen als Grenze der Auslegung fungieren, sodass eine Negation der Strafbarkeit entgegen dem Wortlaut des Straftatbestandes nicht möglich wäre, womit ein zentrales Anliegen der Sozialadäquanz verlustig ginge. Raum verbliebe demnach einzig zu einer teleologisch motivierten Konturierung des Tatbestandes, der jedoch gleichsam definitorische Grenzen der Auslegung entgegenstehen könnten. Hinter diesem Versuch scheint der Wunsch auf, sozialadäquate Verhaltensweisen schärfer zu konturieren und ihnen zugleich Grenzen aufzuzeigen, sodass am Ende kein freischwebender Strafbarkeitsfilter verbliebe. Demgegenüber tendieren die Stimmen, welche die große Flexibilität der Sozialadäquanz betonen sowie schätzen, zu einer Verortung auf der Rechtswidrigkeitsebene. Schließlich wird so eine einzelfallbezogene Abwägung ermöglicht. Ferner vermag auf diese Weise die subjektive Komponente Einzug in die Prüfung zu halten. Die maßgebliche Kritik an dieser Auffassung betont wiederum, dass die gesellschaftliche Bewertung eines Verhaltens dieses als allgemein akzeptiert, nicht lediglich ausnahmsweise gerechtfertigt zeichne. Die dogmatische Verortung der Sozialadäquanz steht damit unter ausschlaggebendem Einfluss der dieser attestierten Wirkungsweise, welche ihrerseits indes kaum begründet wird. Um der Sozialadäquanz – wenn möglich – einen Standpunkt im strafrechtlichen Deliktsaufbau zuzuschreiben, ist daher zunächst zu klären, weshalb und wie eine gesellschaftliche Bewertung das Strafrecht überhaupt zu beeinflussen vermag. Steht das dogmatische Grundgerüst der Sozialadäquanz fest, so erscheint naheliegend, dass dieses auch Aufschluss über die gebotene Verortung der potenziellen Rechtsfigur gibt. Einzig so vermag auch der zu beobachtenden Tendenz, die Diskussion von der gewünschten Rechtsfolge her zu führen, entgegnet zu werden. Schließlich bestimmen nicht nur das Gerechtigkeitsempfinden hinsichtlich etwaiger Irrtümer des (vermeintlich) sozialadäquat Handelnden242, sondern zudem auch Überlegungen zur sogenannten Notwehrprobe243 das Streitbild. Eng damit verwoben ist die Präferenz, andere als die eigens gewünschten Rechtsfolgen mit Hinweis auf die eigenen Vorstellungen abzulehnen, wobei der positiven Darlegung der Richtigkeit der eigenen Ausführungen lediglich wenig Aufmerksamkeit gewidmet wird. So wird bisweilen weitaus mehr Platz dafür verwandt, die dem eigenen Gusto widersprechende Ansicht abzulehnen, als dafür, die selbst vertretene Auffassung zu begründen.244 Damit einher geht freilich eine geminderte Aussagekraft. Schließlich führt die Fehlerhaftigkeit der anderen Verortungsweise nicht zur Richtigkeit der eigenen Auffassung. Die Er-
242 So etwa bei Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (82 ff.); Schaffstein, ZStW 72 (1960), 369 (381 ff.). 243 So bei Maurach, AT3, S. 467 f.; Roeder, Sozialadäquates Risiko, S. 77 ff.; zur mangelnden Validität der Notwehrprobe Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (641 ff.). 244 Vgl. hierzu etwa die Ausführungen bei Kienapfel, Züchtigung, S. 92 ff.; Roeder, Sozialadäquates Risiko, S. 77 ff.; Altermann, Festschrift Eisenberg, S. 233 (234 ff.); Dölling, Festschrift Otto, S. 219 (220 f.); Gracia Martín, Festschrift Tiedemann, S. 205 (210 f.); Otto, Festschrift Amelung, S. 225 (229 ff.).
III. Kriterien
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gründung des dogmatischen Quells der Sozialadäquanz könnte helfen, diesem argumentativen Dilemma zu entfliehen.
III. Kriterien 1. Konturen der Sozialadäquanz Besondere Probleme bergen die an eine sozialadäquate Handlung anzulegenden Kriterien. Diese sehen sich dem Spagat gegenüber, einerseits offen für gesellschaftliche Wertungen zu sein, ohne andererseits der Rechtsunsicherheit Tür und Tor zu öffnen. Vielfach wird nicht nur die Unbestimmtheit der Voraussetzungen der Sozialadäquanz moniert,245 sondern darüber hinaus auch das gänzliche Fehlen valider Kriterien angeprangert.246 Der Vorwurf, die Sozialadäquanz stelle lediglich das Problem, nicht hingegen die Lösung dar und lasse nur jenes Ergebnis erzielen, welches zuvor in sie hineingelegt werde, hält sich beständig.247 Daher scheint es erstrebenswert, der Kritik mit konkreteren Kriterien zu begegnen.248 Erforderlich ist in Anbetracht der Kritik nicht nur, den formalen Unbestimmtheitsvorwurf zu parieren, sondern vielmehr auch, die propagierte materielle Leere mit handhabbaren Inhalten zu füllen. Unter der Prämisse weiterer Präzisierung wird die potenzielle Rechtsfigur schließlich gar als Diamant verstanden, den es zu schleifen gelte.249 a) Welzels Hypothese: gesellschaftliche Akzeptanz Den ersten Versuch der Umschreibung sozialadäquaten Verhaltens unternahm freilich Welzel selbst. Nach dessen Ausführungen seien all jene Betätigungen so245
Dazu Kapitel C. III. 2. Exemplarisch Beckemper, Jura 2001, 163 (166): „Eine Umschreibung dessen, was sozialadäquates Verhalten ist, sind die Vertreter der Ansicht von der Straflosigkeit sozialadäquater Handlungsweisen bislang schuldig geblieben“; ähnlich auch Jakobs, ZStW 89 (1977), 1 (5): „[…] fehlt in den nicht stereotypen und damit nicht über das erlaubte Risiko zu erledigenden Fällen eine auch nur einigermaßen deutliche Verfestigung der Ordnung […]“. 247 Als „Schlagwort ohne Inhalt“ bezeichnet die Sozialadäquanz daher Roxin, Festschrift Klug, S. 303 (304); Weigend, Festschrift Nishihara, S. 197 (200) moniert, die Sozialadäquanz formuliere lediglich das Problem, nicht aber dessen Lösung; Rackow, Neutrale Handlungen, S. 205 erklärt die Sozialadäquanz in Übereinstimmung mit Maiwald, Festschrift Jescheck, S. 405 (409 Fn. 18) zu einer bloßen Formalkategorie; Wiethölter, Verkehrsrichtiges Verhalten, S. 57 hält fest, dass die Sozialadäquanz zu jenen verführerischen Vokabeln gehöre, die im Zuge der Auslegung nur das offenbaren, was an gewünschtem Ergebnis zuvor in sie hineingelegt werde. Jüngst bekräftigt von Kindhäuser, Festschrift Rengier, 49 (57 f.). 248 Diesen Weg zeichnet etwa Otto, Festschrift Lenckner, S. 193 (201) auf: „Nicht in der Straffreiheit sozialadäquater Verhaltensweisen liegt die grundsätzliche Problematik […], sondern in der Bestimmung dessen, was als sozialadäquat anzusehen ist“. 249 Hassemer, wistra 1995, 41 (46); ähnlich Eser, Festschrift Roxin, S. 199 (211): „Dies wäre das Feld, auf dem zu arbeiten und sich notfalls auch zu streiten wirklich lohnen würde“. 246
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C. Bisherige Lösungsansätze zur Dogmatik der Sozialadäquanz
zialadäquat, in denen sich das Gemeinschaftsleben nach seiner geschichtlich bedingten Ordnung jeweilig vollziehe.250 Wenig später wurde die umschriebene Ordnung des Gemeinschaftslebens durch den Rahmen „der geschichtlich gewordenen sozialethischen Ordnungen des Gemeinschaftslebens“ präzisiert.251 Eine Handlung habe aus dem Unrechtsbegriff auszuscheiden, wenn sie sich funktionell innerhalb der geschichtlich gewordenen Ordnung des Gemeinschaftslebens eines Volkes bewege.252 Wie diese Ordnung zu begreifen sein soll, wird nicht erörtert. Als Beispiele sozialadäquaten Verhaltens werden etwa die Eisenbahnfahrt, der Rat hierzu oder das Pflanzen einer Tollkirsche im Walde angeführt.253 Später wurde der Bereich des Sozialadäquaten noch weiter gezogen, indem schlicht Handlungen im Rahmen der sozialen Handlungsfreiheit (und somit der sozialen Ordnungen) darunter begriffen wurden.254 Die Konturen gingen umso mehr verloren, als dass keine Definition dieser sozialen Handlungsfreiheit offeriert, sondern diese selbst als nicht immer leicht zu bestimmen umschrieben wurde.255 Dass eine weiterführende Präzisierung der Kategorie der Sozialadäquanz nicht versucht wird, überrascht im Lichte Welzels Prämissen indes wenig: so sei die sozialadäquate Handlung ja gerade Teil der geschichtlichen Ordnung und stelle somit kein Unrecht dar, weshalb eine positive Definition nicht darzureichen sei.256 Allerdings entfernen sich Welzels Ausführungen darüber hinaus noch zunehmend von einer fassbaren Kontur, lässt er diese doch mit dem Rekurs auf die soziale Handlungsfreiheit ohne jedwede Kriterien verblassen. Interessant an den ersten Umschreibungsversuchen erscheint dabei dennoch insbesondere die kurzzeitige Substitution der Ordnung des Gemeinschaftslebens durch den Rahmen der geschichtlich gewordenen sozialethischen Ordnungen. Schließlich bedient sich letztere Umschreibung des Plurals und deutet somit an, dass es nicht zwangsläufig lediglich eine Ordnung des Gemeinschaftslebens zu geben hat, sondern die Ordnungen mitunter zu divergieren vermögen. Die anschließende Charakterisierung als Part sozialer Handlungsfreiheit verfestigt diesen Eindruck noch, indem sie die einst betonte gesellschaftliche Ordnung weitgehend in das Abseits rückt. So verliert die Sozialadäquanz auf der einen Seite an Fassbarkeit, gewinnt demgegenüber jedoch an Anwendungsbereich und Offenheit gegenüber differierenden Tendenzen. Maßstäbe, die einen sachlichen Anknüpfungspunkt für die Bewertung eines Verhaltens als sozial adäquat anbieten, werden hingegen nicht dargelegt. Eine Beurteilung gestaltet sich daher bereits auf gesellschaftlicher Ebene schwierig.
250 251 252 253 254 255 256
Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (517); vgl. auch Welzel, Grundzüge11, S. 56. Welzel, Grundzüge1, S. 35. Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (516); vgl. auch Welzel, Grundzüge11, S. 56. Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (517 mit Fn. 37). Welzel, Grundzüge9, S. 51; Welzel, Grundzüge11, S. 55. Welzel, Grundzüge9, S. 51. Vgl. Welzel, Grundzüge4, S. 22; ders., Grundzüge11, S. 55.
III. Kriterien
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Jedenfalls bewegt sich der Konkretisierungsversuch Welzels ausschließlich auf rein gesellschaftlichem Terrain: die soziale Adäquanz wird einzig an die geschichtlich gewachsene Ordnung des Soziallebens geknüpft, sodass keine Brücke zur daraus folgenden strafrechtlichen Akzeptanz zu schlagen versucht wird. Die Frage, aus welchem sachlichen Grund das gesellschaftlich gebilligte Verhalten auch strafrechtlich akzeptiert sein soll, wird nicht thematisiert oder gar in den Voraussetzungen der Sozialadäquanz niedergelegt. Die Umschreibung verbleibt somit auf die soziale Beurteilung des Verhaltens beschränkt und richtet den Fokus auf rein außerrechtliche Aspekte. Damit droht der Schluss von der gesellschaftlichen Üblichkeit auf die normative Akzeptanz des Verhaltens, welcher den Hauptkritikpunkt an der Lehre der sozialen Adäquanz darstellt.257 Insbesondere besteht so die Gefahr, ohne konkrete Analyse des Straftatbestandes sozialübliche Missbräuche nach sozialethischen Vorstellungen von der Strafbarkeit auszunehmen.258 Tatsächlich vermag die bloße gesellschaftliche Billigung für sich genommen noch nicht die normative Akzeptanz einer Handlung nach sich zu ziehen, sodass Welzel insofern eine Antwort schuldig bleibt. Der unternommene Konkretisierungsversuch bewegt sich somit ausschließlich auf gesellschaftlicher Ebene, ohne Kriterien für den Übertritt auf rechtliches Terrain an die Hand zu geben: die sozial geprägte Bewertung einer Handlung verdrängt die konkrete Tatbestandssubsumtion. Dementsprechend wird die Gesellschaftsordnung über die strafrechtliche erhoben. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch die sprachliche Abfassung Welzels, die zuvorderst auf gesellschaftlicher Ordnungsebene agiert und die Einbettung der in Rede stehenden Handlung in die soziale Ordnung betont. Der Verweis auf die strafrechtliche Ebene erfolgt lediglich in dem Hinweis darauf, dass sozialadäquates Verhalten für den Unrechtsbegriff ausscheide.259 Dem Versuch, Welzels Lehre nach dessen Ausführungen Verhaltensweisen aus konkreten Tatbeständen herausfiltern zu lassen, da sie deren speziellen Unrechtstypen nicht entsprächen,260 vermag daher vor diesem Hintergrund nur bedingt zugestimmt zu werden: so ist es freilich Aufgabe der Sozialadäquanz, eine faktisch gegebene, konkrete Strafbarkeit einzuschränken. Allerdings geht Welzel nicht von speziellen Unrechtstatbeständen und -typen aus, sondern fokussiert die gesellschaftliche Ordnung. Aufgrund der Harmonie derer mit dem zu betrachtenden Verhalten soll letzteres per se keinem Unrechtstatbestand entsprechen können. Die Grundprämisse Welzels ist nach deren Formulierung somit nicht an spezielle Tatbestände gebunden, sondern agiert auf gesellschaftlicher Ebene, der gesamtunrechtsderogierende Wirkung zugestanden wird.
257 Eingehend dazu etwa Eser, Festschrift Roxin, S. 199 (211); Roxin, Festschrift Klug, S. 303 (313); Rackow, Neutrale Handlungen, S. 205. 258 Roxin, Festschrift Klug, S: 303 (313). 259 Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (516). 260 So Roxin, AT I, § 10 Rn. 42: „Zusammenfassend lässt sich daher sagen, dass die Lehre von der sozialen Adäquanz zwar das richtige Ziel verfolgt, nicht dem speziellen Unrechtstyp entsprechende Verhaltensweisen aus dem Tatbestand zu eliminieren […]“.
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C. Bisherige Lösungsansätze zur Dogmatik der Sozialadäquanz
b) Präzisierung durch die Rechtsprechung? Ein weiterer Ansatz zur Konkretisierung der Kriterien könnte sich der strafrechtlichen Rechtsprechung entnehmen lassen. Zwar soll diese die Sozialadäquanz „niemals allgemein anerkannt“261 haben. Die strafgerichtlichen Judikate,262 die sich mit der Lehre der Sozialadäquanz befassen, vermögen unbesehen dessen jedoch jedenfalls das inhaltliche Verständnis der Judikatur von der potenziellen Rechtsfigur zu skizzieren. Dieses weicht mitunter von der klassischen Umschreibung Welzels ab.263 Zwar wird die inhaltliche Beschreibung der Rechtsfigur auch seitens der Rechtsprechung des Öfteren offen gelassen.264 Wird sie hingegen inhaltlich zu umschreiben versucht, so sollen nach der Rechtsprechung durch sie „übliche, von der Allgemeinheit gebilligte und daher in strafrechtlicher Hinsicht im sozialen Leben gänzlich unverdächtige, weil im Rahmen der sozialen Handlungsfreiheit liegende Handlungen“265 nicht strafbar sein. Damit wird zum einen die von Welzel vorausgesetzte allgemeine Billigung der Handlung expressis verbis in den Konkretisierungsversuch überführt. Zum anderen wird dessen Ansatz jedoch um die Unverdächtigkeit in strafrechtlicher Hinsicht im sozialen Leben ergänzt. Darin könnte der Versuch liegen, die rein gesellschaftliche Ebene zu verlassen und die Unverdächtigkeit auch in rechtlicher Hinsicht zu beleuchten. aa) Rahmen sozialer Handlungsfreiheit Den Hinweis auf eine im Rahmen sozialer Handlungsfreiheit liegende Handlung übernimmt die Judikatur aus Welzels zu dieser Zeit aktuellen Ausführungen. Insofern wird dementsprechend dessen weiter Umschreibungsversuch geteilt. Eine inhaltliche Konkretisierung dieses Rahmens wird hingegen nicht versucht. Vielmehr wird die soziale Handlungsfreiheit der Umschreibung sozialadäquater Handlungen als Begründungsansatz nachgeschoben.266 Sie dient als Legitimationsgrund der allgemeinen Billigung sowie sozialen Unverdächtigkeit. Ein konkretisierender Eigenwert 261 So bereits im Jahre 1988 Hirsch, Festschrift Universität Köln, S. 399 (421). Von der nicht prinzipiellen Durchsetzung der Sozialadäquanz sprechen in jüngerer Zeit LK/Rönnau, Vor § 32 Rn. 49 und F. Knauer, ZStW 126 (2014), 844 (850); vgl. zudem Roxin, Festschrift Klug, S. 303 (304). 262 Dazu insbesondere Kapitel B. III. 2. 263 Exner, Knabenbeschneidung, S. 133 ff. kombiniert Welzels Ansatz hingegen mit dem Verständnis der Rechtsprechung. 264 So etwa in BGHSt 36, 1; 37, 226; BGH, NStZ 2014, 149; OLG Braunschweig, NJW 2002, 1735; OLG Celle, NStZ 1993, 291; OLG Schleswig, NStZ 2004, 212. 265 BGHSt 23, 226 (228); wortwörtlich zustimmend OLG München, NStZ 1985, 549 (550). 266 BGHSt 23, 226 (228): „Nach der Lehre von der ,Sozialadäquanz‘ können übliche, von der Allgemeinheit gebilligte und daher in strafrechtlicher Hinsicht im sozialen Leben gänzlich unverdächtige, weil im Rahmen der sozialen Handlungsfreiheit liegende Handlungen nicht tatbestandsmäßig oder zumindest nicht rechtswidrig sein“ (Hervorhebungen des Verfassers).
III. Kriterien
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ist ihr somit schwerlich zuzuschreiben. Die Rechtsprechung scheint insofern Welzels Auffassung zu teilen, wonach ein im Rahmen sozialer Handlungsfreiheit liegendes Verhalten üblich und damit nicht positiv zu definieren sei. bb) Soziale Unverdächtigkeit in strafrechtlicher Hinsicht Eine Ergänzung erfährt Welzels Ausgangshypothese dagegen durch das Kriterium der sozialen Unverdächtigkeit in strafrechtlicher Hinsicht. Besonderes Augenmerk weckt dabei die Voraussetzung der sozialen Unverdächtigkeit. Der Rekurs auf diese legt dabei den Fokus zuvorderst auf einen gesellschaftlichen Maßstab. Offen bleibt indes, ob der sozialen Unverdächtigkeit ein wertendes Element immanent ist. Dafür spricht zunächst, dass auch die Unverdächtigkeit Gegenstand eines Abwägungsprozesses zu sein vermag, an dessen Ende der Befund sozialer Irrelevanz steht. Allerdings legt die Formulierung der Rechtsprechung nahe, dass die soziale Unverdächtigkeit aus der Üblichkeit sowie allgemeinen Billigung der Handlung folgt und daher lediglich deskriptiver Natur ist.267 Schließlich sei die Handlung gerade aufgrund deren Üblichkeit sowie Billigung sozial unverdächtig. Diese Lesart wird ferner dadurch gestützt, dass, würde man hinsichtlich der Unverdächtigkeit eine positive Stellungnahme der Sozialgemeinschaft fordern, das Erfordernis der allgemeinen Billigung überflüssig oder jedenfalls redundant würde.268 Diese Redundanz bestünde hingegen nicht, wenn der Bezugspunkt der Wertungen differieren würde. Anlass für derartige Überlegungen bietet zunächst die Judikatur selbst, spricht sie doch nicht von bloßer sozialer Unverdächtigkeit, sondern von einer solchen in strafrechtlicher Hinsicht. Darin könnte die bei Welzel fehlende und seitens der Literatur geforderte, rechtliche Wertungskomponente zu sehen sein. Allerdings schweigt sich die Rechtsprechung zu dem gebotenen Verständnis aus. Vielmehr scheint der Rekurs auf die strafrechtliche Sichtweise lediglich vordergründig zu geschehen: so soll die Unverdächtigkeit in strafrechtlicher Hinsicht aus der Üblichkeit sowie allgemeinen Billigung folgen.269 Auch insofern fordert die Judikatur 267 Vgl. BGHSt 23, 226 (228): „Nach der Lehre von der ,Sozialadäquanz‘ können übliche, von der Allgemeinheit gebilligte und daher in strafrechtlicher Hinsicht im sozialen Leben gänzlich unverdächtige, weil im Rahmen der sozialen Handlungsfreiheit liegende Handlungen nicht tatbestandsmäßig oder zumindest nicht rechtswidrig sein“ (Hervorhebungen des Verfassers). 268 Worauf Exner, Knabenbeschneidung, S. 134 zunächst treffend hinweist. 269 Vgl. BGHSt 23, 226 (228): „Nach der Lehre von der ,Sozialadäquanz‘ können übliche, von der Allgemeinheit gebilligte und daher in strafrechtlicher Hinsicht im sozialen Leben gänzlich unverdächtige, weil im Rahmen der sozialen Handlungsfreiheit liegende Handlungen nicht tatbestandsmäßig oder zumindest nicht rechtswidrig sein“ (Hervorhebungen des Verfassers). Exner, Knabenbeschneidung, S. 137 f., 142 f. geht auf dieses Verhältnis dagegen nicht ein und fordert (entgegen der Formulierung der Rechtsprechung) das kumulative Vorliegen der Unverdächtigkeit sowie der Billigung, wobei er diese weitestgehend unabhängig voneinander beurteilt. Entsprechend fordert er für die soziale Unverdächtigkeit eine Wahrnehmbarkeit ein, die nicht geeignet ist, über den Rechtsbruch hinaus Aufmerksamkeit zu erregen (insbes. S. 143), wobei freilich offen bleibt, wie über den Rechtsbruch hinaus Aufmerksamkeit erregt werden
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C. Bisherige Lösungsansätze zur Dogmatik der Sozialadäquanz
somit keine eigene rechtliche Bewertung, sondern schließt diese aus Üblichkeit und Billigung des Verhaltens. Damit wird gleichsam die strafrechtliche Betrachtungsweise aus der gesellschaftlichen Beurteilung eines Verhaltens gefolgert. Die gesellschaftliche Ebene prägt dementsprechend nach der Judikatur in gleichem Maße die rechtliche Ebene, wie im Zuge Welzels Ansatzes. Eine eigene, rechtliche Wertungsstufe wird demnach nicht etabliert. Demzufolge wird Welzels Ansatz zwar formell um die soziale Unverdächtigkeit der Handlung in strafrechtlicher Hinsicht ergänzt, eine materielle Präzisierung geht damit indes nicht einher. cc) Billigung der Allgemeinheit Der Hinweis auf die Billigung der Handlungen durch die Allgemeinheit folgt der Welzelschen Konzeption, die gesellschaftliche Ebene an die Spitze der Prüfung zu erheben. Jedoch wird auch diese Voraussetzung nicht näher konkretisiert. Entsprechend scheint bereits fraglich, ob sich die Billigung der Allgemeinheit auf ein Handlungsmuster, oder aber auf die konkrete Einzelhandlung zu beziehen hat. So lässt der nachfolgende Verweis auf den Rahmen der sozialen Handlungsfreiheit zwar naheliegend erscheinen, dass ein wenig konkretisierter, allgemeiner Verhaltensbereich gebilligt wird.270 Aufgrund der notwendigen Kongruenz der zu prüfenden Handlung mit diesem Bereich vermag jedoch einzig aufgrund dessen noch keine belastbare Aussage über den letztlichen Bezugspunkt und -umfang der Prüfung getätigt werden. Schließlich soll mittels der Sozialadäquanz letztlich ein konkretes Verhalten straffrei gestellt werden. Einzig der Bezugspunkt271 der Billigung wird klar herausgearbeitet: so fordert die Judikatur die Billigung von Handlungen. Die daraus resultierenden Rechtsgutsverletzungen scheinen ihrerseits für das Strafbarkeitsverdikt dementsprechend irrelevant zu sein. dd) Üblichkeit Daneben hat das in Rede stehende Verhalten auch üblich zu sein. Diesbezüglich liegt ein Verständnis dergestalt nahe, als dass das Kriterium der Üblichkeit die geschichtlich gewordene Ordnung des Gemeinschaftslebens hinsichtlich einer gewissen Häufigkeit der betreffenden Handlung reflektiert. Insofern scheint die Üblichkeit die Billigung durch die Allgemeinheit zu ergänzen: Während letztere ein positives, momentanes Werturteil der Gesellschaft widerspiegelt, rückt die Üblichkeit eine faktische, gesellschaftliche Verfestigung des Verhaltens in den Fokus. soll und wann dies gerade nicht der Fall ist. Zudem folgert er die proklamierte soziale Wertung aus dem rechtlichen Merkmal des Rechtsbruchs. Die Aussagekraft dieses Kriteriums dürfte demzufolge eine geringe bleiben. 270 So entschieden Exner, Knabenbeschneidung, S. 144 f.; ebenso Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (652). 271 Zur Notwendigkeit eines eindeutigen Bezugspunkts des Werturteils K. Peters, Festschrift Welzel, S. 415 (427).
III. Kriterien
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Kurzzeitige Urteilsschwankungen werden dadurch relativiert und dem Anwendungsbereich der Sozialadäquanz entzogen. Das Urteil über die Sozialadäquanz wird somit auf ein geschichtliches Fundament gestellt.272 Freilich gibt das Kriterium jedoch keinen Aufschluss darüber, ab wann etwas als üblich begriffen werden kann. Der Ansatz der Rechtsprechung vermag die Welzelsche Ausgangshypothese somit lediglich wenig zu präzisieren oder deren Konturen zu schärfen. Zwar vermögen hinsichtlich der Kernthese der Berücksichtigung faktischer Verfestigungen Vermutungen über deren Verständnis angestellt zu werden;273 Anspruch auf Richtigkeit können diese jedoch mangels weiterführender Äußerungen der Judikatur nur schwerlich erheben. c) Zwischenfazit: Symbiose oder Antagonismus der Ansätze? Demzufolge zeichnet sich kein gegenläufiges Bild der beiden Ansätze zur Etablierung praktikabler Kriterien. Vielmehr scheint die Rechtsprechung Welzels Hypothese inhaltlich aufzugreifen und deren Kritikern durch einen Hinweis auf die rechtliche Ebene entgegnen zu wollen. Dies gelingt jedoch kaum, wird die rechtliche Wertung schließlich aus der gesellschaftlichen gefolgert. So fungieren die Ansätze zwar nicht als antagonistische Konzepte; eine materielle Symbiose findet aufgrund der mangelnden Konkretisierung durch die Rechtsprechung allerdings ebenfalls nicht statt. Faktisch erweisen sich die Ausführungen der Judikatur als vorsichtiger Präzisierungsversuch der Ausgangsthese, was jedoch aufgrund der mangelnden Schärfung des materiellen Gehalts nicht viel zur Handhabbarkeit der Rechtsfigur beiträgt. Dies liegt mitunter an der Tendenz, die Ausgangsthese nahezu zu übernehmen und deren Ergebnis inhaltlich mit zwei Begründungsversuchen zu hinterlegen, anstatt deren inhaltliche Tiefen zu ergründen. 2. Resultierende Kritik Die Kriterien der Sozialadäquanz riefen in der strafrechtlichen Literatur zahlreiche Kritik hervor.274 In erster Linie wird eine mit der diesen immanenten begrifflichen Unschärfe einhergehende Unbestimmtheit der Rechtsfigur befürchtet.275 272
Nach K. Peters, Festschrift Welzel, S. 415 (426) ist die Sozialadäquanz schließlich geschichtlich gebunden. 273 Insbesondere zu beobachten bei Exner, Knabenbeschneidung, S. 133 ff. 274 Die auch nicht mit Altermann, Festschrift Eisenberg, S. 233 (236) als „inzwischen weitestgehend ausgeräumt“ bezeichnet werden können, vgl. nur die jüngeren Ausführungen bei F. Knauer, ZStW 126 (2014), 844 (852 ff.), die mit gegenteiligem Befund schließen: „[…] scheinen die Kritiker des Prinzips der Sozialadäquanz heute in der Mehrzahl zu sein“. 275 LK/Rönnau, Vor § 32 Rn. 51; Baumann/Weber/Mitsch/Mitsch, AT, § 16 Rn. 35; Jescheck/Weigend, AT, S. 252; Otto, Festschrift Lenckner, S. 193 (201); Roxin, Festschrift Klug, S. 303 (304); Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (93); Jakobs, ZStW 89 (1977), 1 (5); Küpper, GA 1987, 385 (388 f.); Valerius, JA 2014, 561 (562); Bannenberg, Korruption in Deutschland,
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C. Bisherige Lösungsansätze zur Dogmatik der Sozialadäquanz
Dadurch bestehe die Gefahr, dem Richter eine Prüfung des Gesetzes ob dessen sozialadäquater Ergebnisse und somit die Entscheidungen des Gesetzgebers zuzugestehen.276 Entsprechend drohten die Grenzen im unteren Bereich der Strafbarkeit zu verschwimmen und durch das bloße Rechtsgefühl ersetzt zu werden.277 Dieses könnte auch herangezogen werden, um allgemein übliche Missbräuche entgegen der Intention des Gesetzgebers für straflos zu erklären.278 Die soziale Adäquanz käme demnach dem Verlust der gesetzlichen Bestimmtheit der Tatbestände gleich.279 Schließlich offenbare sie lediglich, was an wünschenswertem Ergebnis zuvor in sie hineingelegt werde.280 Die so hervorgerufene Unsicherheit sei im Lichte der Garantiefunktion des Tatbestandes untragbar und könne im Hinblick auf die Rechtsstaatlichkeit nicht gerechtfertigt werden.281 Unbesehen dessen bedürfe es der Sozialadäquanz ohnehin nicht, stünden in den Worten Roxins doch präzisere hermeneutische Instrumente bereit.282 Neben der bereits im Rahmen der Verortung skizzierten teleologischen Auslegung283 wird als solches auch die objektive Zurechnung284 angeboten. Auf Ebene der Kriterien zur Beurteilung eines Verhaltens als sozialadäquat müssen sich diese Ansätze indes den Vorwurf gefallen lassen, inhaltlich gleichsam keine gesteigerte Präzision oder Kontur darbringen zu können.285 Die Sozialadäquanz im Hinblick auf deren UnbeS. 398 ff.; Frisch, Verhalten und Zurechnung, S. 296; besonders deutlich mit Blick auf die Knabenbeschneidung Putzke, MedR 2012, 229 (229 f.). 276 H. Mayer, Strafrecht AT2, S. 65; die Konsequenz sei große Unsicherheit und dogmatische Verwirrung, so Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (122). Selbst Schaffstein, ZStW 72 (1960), 369 (376 f.) als Befürworter der Sozialadäquanz mahnt an, dass der Gesetzgeber sich nicht im Hinblick auf die derogierende Wirkung der Rechtsfigur zu allzu weiten Fassungen der gesetzlichen Tatbestände verleiten lassen darf. 277 LK11/Hirsch, Vor § 32 Rn. 29; ders., ZStW 74 (1962), 78 (93), wobei insofern zudem eine dogmatische Verflachung befürchtet wird, die zuvor bereits Gallas, ZStW 67 (1955), 1 (22) in Aussicht stellte. 278 Roxin, AT I, § 10 Rn. 36 f.; ferner Baumann/Weber/Mitsch/Mitsch, AT, § 16 Rn. 35; Jescheck/Weigend, AT, S. 252 f.; Wolff-Reske, Berufsbedingtes Verhalten, S. 65. 279 H. Mayer, Strafrecht AT, S. 108; kritisch zu diesem Vorwurf hingegen Schaffstein, ZStW 72 (1960), 369 (376), der die lediglich strafbarkeitseinschränkende Funktion betont. 280 So insbesondere Wiethölter, Verkehrsrichtiges Verhalten, S. 57; ähnlich Roxin, Festschrift Klug, S. 303 (304) und Weigend, Festschrift Nishihara, S. 197 (200). 281 Würtenberger, Festschrift Rittler, S. 125 (129); ferner Barton, StV 1993, 156 (158). 282 Roxin, Festschrift Klug, S. 303 (304); Altermann, Festschrift Eisenberg, S. 233 (236) erklärt diesen Einwand vor dem Hintergrund für wenig gewichtig, dass neue Rechtsfiguren stets weniger präzise seien und erst der Konkretisierung durch Rechtsprechung und Literatur bedürften. 283 Siehe Kapitel C. II. 2. 284 Siehe Kapitel C. II. 3. 285 Treffend dazu Schaffstein, ZStW 72 (1960), 369 (377): „Wer den Gesichtspunkt der Sozialadäquanz als zu unsicher ablehnt, wird in solchen und ähnlichen Fällen zwangsläufig zu nicht minder unsicheren und unbestimmten Generalklauseln wie der ,Zwecktheorie‘ oder mangelnder Sozialschädlichkeit greifen müssen, wenn er nicht gar auf jede positivrechtliche
III. Kriterien
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stimmtheit abzulehnen und sie durch vorgeblich präzisere Instrumente zu ersetzen, die indes ihrerseits weder präzisiert werden noch zur Konturierung der Sozialadäquanz oder des dieser zugrunde liegenden Problems beitragen,286 vermag die Rüge der Bestimmtheit gleichsam nicht zu entkräften. Ferner sieht sich die Sozialadäquanz dem Vorwurf gegenüber, durch die Gleichsetzung sozial üblichen Verhaltens mit straflosem Verhalten Fehlschlüsse zu evozieren. Insbesondere der Schluss von einem empirischen Verständnis auf die strafrechtliche Zulässigkeit des Handelns sieht sich Kritik ausgesetzt. Schließlich werde so das gesellschaftlich Übliche zum normativ Richtigen erklärt. Entsprechend werde die gesellschaftliche Ebene der strafrechtlichen ohne weitere Begründung übergeordnet.287 Es fehlt demnach an einem Element, welches die gesellschaftliche Wertung dem strafrechtlichen Urteil implementiert. Ohne ein solches vermag der Schluss von der Üblichkeit eines Verhaltens auf dessen Straffreiheit freilich nicht zu überzeugen. Nicht zuletzt wird in praktischer Hinsicht moniert, dass der Figur der Sozialadäquanz unabhängig deren Existenzberechtigung zu viele unterschiedliche Fallgruppen zugemutet würden.288 So würden nicht nur die Kriterien der Sozialadäquanz verschleiert, sondern darüber hinaus ein diffuses sowie verwirrendes Bild geschaffen.289 Zwar betrifft dies die eigentlichen Konturen nur mittelbar; allerdings ist im Rahmen der Bestimmung valider Konturen darauf zu achten, diese nicht aus einem bloßen Sammelsurium an (möglicherweise zu vielen oder zu unterschiedlichen) Beispielen zu schöpfen, sondern sie vielmehr eigenständig theoretisch zu begründen.
Begründung verzichten und sich statt dessen auf noch unverbindlichere naturrechtliche Gedankengänge einlassen will“; zustimmend Dölling, Festschrift Otto, S. 219 (220); Eser, Festschrift Roxin, S. 199 (207); Gracia Martín, Festschrift Tiedemann, S. 205 (211). 286 Insbesondere könne die objektive Zurechnung den Kathederfall des Neffen, der seinen Onkel in der Hoffnung, dieser möge vom Blitz getroffen werden, zu einem Spaziergang überredet, viel genauer erklären. Dementsprechend habe der Neffe kein rechtlich erhebliches Risiko für das Leben des Onkels geschaffen, vgl. Roxin, AT I, § 10 Rn. 38. Anhand welcher Kriterien die rechtliche Irrelevanz der Gefahrbegründung zu ergründen sein soll, wird nicht dargelegt. Daher schreibt Maiwald, Festschrift Jescheck, S. 405 (409 Fn. 18) der Sozialadäquanz einen höheren sachlichen Gehalt als der Frage rechtlich relevanter Gefahrschaffung zu. 287 Jakobs, AT, S. 200; Amelung, Festschrift Grünwald, S. 9 (11); Rönnau, JuS 2011, 311 (312 f.); Rackow, Neutrale Handlungen, S. 205; vgl. ferner Otto, Festschrift Amelung, S. 225 (227 f., 245); Valerius, JA 2014, 561 (562, 566). 288 Otto, Festschrift Amelung, S. 225 (229). 289 Otto, Festschrift Amelung, S. 225 (229).
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C. Bisherige Lösungsansätze zur Dogmatik der Sozialadäquanz
3. Alternative Konkretisierungsversuche a) Auslegung des Begriffes Einen Weg, der geäußerten Kritik zu entgegnen und die Sozialadäquanz zu präzisieren, versucht Eser aufzuzeigen, indem er deren Konzept anhand des Begriffes erschließt. Schließlich biete dieser zwei präzisierende Elemente, die wesentliche materielle Beurteilungskriterien offerieren würden.290 So gebe einerseits die Komponente der Sozialadäquanz eine faktische Grundlage vor. Diese sei wiederum von zwei Faktoren geprägt, namentlich der Üblichkeit einer Handlung sowie deren Charakter als Observanz.291 Nach diesem Verständnis wird der sozialen Komponente somit die Funktion zugeschrieben, Verhaltensweisen Einzelner aus dem Anwendungsbereich auszunehmen und darüber hinaus eine faktische Entscheidungsgrundlage für die Üblichkeit in die Bewertung zu integrieren. Andererseits stelle das Erfordernis der Sozialadäquanz sicher, dass aus der faktischen Observanz nicht ohne Weiteres auf die soziale Angemessenheit geschlossen werden darf, sondern dass vielmehr ein weiterer, normativer Filter notwendig sei, der dies explizit festhalte.292 Unbesehen der Frage, ob eine Auslegung der nicht normierten, bloßen Begrifflichkeit sinnvoll sowie zielführend sein kann,293 erkennt Eser das Defizit dieses Ansatzes selbst und hält fest, dass es weiterer Entwicklung der Methodik zur Bestimmung der genannten Komponenten bedarf.294 Schließlich hält diese Darstellung im Ergebnis lediglich gleichsam fest, dass über die faktische Üblichkeit hinaus eine normative Bewertung zu fordern ist. Damit bestätigt sie die herrschende Linie, ohne dieser indes inhaltliche Tiefe oder äußere Konturen zu verleihen. Ein Zugewinn an Konkretisierung geht mit diesem Ansatz dementsprechend noch nicht einher, wenngleich er den Mangel der Konkretisierungsversuche offenlegt. Einen solchen Zugewinn versucht F. Knauer unter Aufrechterhaltung der Eserschen Unterscheidung der Teilmerkmale Sozial und Adäquanz zu schaffen. Dessen Präzisierungsversuch liegt die Erkenntnis zugrunde, dass der Sozialadäquanz eine 290 Eser, Festschrift Roxin, S. 199 (211); zustimmend F. Knauer, ZStW 126 (2014), 844 (860 f.). Dem Grunde nach ähnlich Hassemer, wistra 1995, 81 (81 ff.), wenngleich dieser den Bereich des Sozialen als zu grobmaschig erachtet. 291 Eser, Festschrift Roxin, S. 199 (211); inhaltlich erinnern diese Ausführungen damit stark an die der Rechtsprechung, vgl. dazu Kapitel C. III. 1. b) . 292 Eser, Festschrift Roxin, S. 199 (211); Hassemer, wistra 1995, 81 (82); dazu etwa Amelung, Festschrift Grünwald, S. 9 (28) und Gracia Martín, Festschrift Tiedemann, S. 205 (214). 293 Was etwa Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 205 zu Recht ablehnen. 294 Eser, Festschrift Roxin, S. 199 (211): „Woran indes weiterer Entwicklungsbedarf besteht, ist die Methodik, nach der die Üblichkeit und Angemessenheit des fraglichen Verhaltens zu ermitteln und zu bemessen ist. […] Bislang scheint mir diese Fragestellung noch gar nicht ernstlich in Angriff genommen worden zu sein, weil man teils in terminologischen, teils verbrechenssystematischen Vorfeldgefechten verfangen blieb.“
III. Kriterien
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Vielzahl unterschiedlicher Lebensbereiche zugeschrieben werden, deren jeweilige soziale Normen entsprechend unterschiedlich festzustellen seien.295 So sei zuvorderst die Systemrationalität des betroffenen Lebensbereichs maßgeblich für die sozialen Normen, würden die gesellschaftlichen Teilsysteme doch über differente Zielsetzungen und damit zwangsläufig über differierende soziale Handlungsnormen verfügen.296 Die konkreten Normen würden je nach Lebensbereich anders von unterschiedlichen Akteuren in eigenen Verfahren festgelegt: während im Wirtschaftsleben oder religiösen Bereich die Normen oftmalig außerrechtlich verschriftlicht seien, würde etwa die elterliche Erziehung oder die familiäre Beziehung kaum kodifizierte Regelungen hervorbringen.297 Innerhalb der größeren Bereiche müsse sodann genauer differenziert werden, um beispielsweise die Regelwerke diverser Sportarten zu berücksichtigen.298 Im Rahmen des Adäquanzurteils seien die Wertungen des Grundgesetzes zu berücksichtigen und die kollidierenden Rechtsgüter in die Bewertung einzustellen.299 Freilich ist auch dieser Ansatz von dem Odium der Auslegung eines bloßen, nicht normierten Begriffes getrübt. Zudem trägt der Hinweis auf die Wertungen des Grundgesetzes lediglich wenig zur Konkretisierung der Adäquanz-Beurteilung dar. Dies zeigt sich insbesondere an den Beispielen, in denen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit eines Menschen tangiert und so einer Abwägung preisgegeben werden. Ferner erklärt sich vor diesem Hintergrund die Einbeziehung subjektiver Umstände wie der persönlichen Beziehungen oder des konkreten Umfelds des Täters nicht. Die Adäquanz wird gleichsam grundrechtlichen, einfachgesetzlichen sowie gesellschaftlichen Erwägungen überantwortet, ohne diesbezüglich ein Rangverhältnis zu etablieren. Unbesehen dessen erscheint fraglich, ob von privaten Akteuren festgelegte soziale Normen die Wirkung des Strafgesetzes zurückzudrängen vermögen. Daneben hilft die Erkenntnis, dass soziale Normen unterschiedlicher Lebensbereiche unterschiedlich festzustellen sind, nicht dabei, die Feststellung auch faktisch zu ermöglichen. Knauer selbst beansprucht daher für seine Leitlinien auch keine Vollständigkeit, sondern hält 295
Zu diesen Lebensbereichen würden Verhaltensweisen im Verhältnis zwischen Bürger und Staat (etwa Freiheitsentziehungen oder Geschenke an Amtsträger), im Rahmen kriegerischer Auseinandersetzungen, im Gesundheitswesen, religiösen oder beruflichen Leben, in der Ausübung von Brauchtümern, der Kindeserziehung, im Familienleben und einigen anderen Bereichen gehören, F. Knauer, ZStW 126 (2014), 844 (860 f.). 296 Während beispielsweise das Wirtschaftsleben von ökonomischen Interessen geprägt werde, stehe die Kindeserziehung zumeist im Lichte der Abwendung von Schädigungen sowie der Förderung persönlicher Reife, F. Knauer, ZStW 126 (2014), 844 (861). 297 F. Knauer, ZStW 126 (2014), 844 (861 f.). 298 F. Knauer, ZStW 126 (2014), 844 (862); so auch Hassemer, wistra 1995, 81 (81 f.). 299 So stehe bei Angriffen auf die Psyche häufig die Meinungs- und Handlungsfreiheit des Täters der körperlichen Unversehrtheit des Opfers gegenüber, wobei auch die persönlichen Beziehungen zwischen Täter und Opfer, das Umfeld des Geschehens sowie die Art, Intensität und Dauer der Angriffshandlung in die Beurteilung einzubeziehen seien, vgl. F. Knauer, ZStW 126 (2014), 844 (862 f.) und ders., Schutz der Psyche, S. 176 ff.
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C. Bisherige Lösungsansätze zur Dogmatik der Sozialadäquanz
fest, dass es noch weiterer Vertiefung bedürfe.300 Einen wertvollen Ansatzpunkt zu dieser offeriert er selbst301 mit der Erkenntnis, dass sich die Sozialadäquanz aus unterschiedlichen Lebensbereichen speist und nur schwerlich auf die eine gesellschaftliche Ordnung zu stützen sein wird. b) Werthaltigkeit der Handlungen Die Sozialadäquanz wird zudem bisweilen unter dem Gesichtspunkt der Werthaltigkeit des in Rede stehenden Verhaltens einzuschränken erwogen. So soll lediglich eine Handlung sozialadäquat sein können, die aufgrund ihrer politischen, zwischenmenschlichen oder wirtschaftlichen Bedeutung offenkundig positiv bewertet wird.302 Die Beurteilung als sozialadäquat könne lediglich aus einer allgemein anerkannten Wertigkeit hervorgehen303 oder deren sozialer Gebotenheit entspringen.304 Entsprechend sei die Sozialadäquanz einer nicht offensichtlich werthaltigen oder gar wertwidrigen Handlung ausgeschlossen.305 Somit wird die einem Verhalten zugeschriebene Wertigkeit bzw. deren sozialethische Gebotenheit zum zentralen Kriterium der Sozialadäquanz erhoben. Zugleich wird die Üblichkeit einer Handlung als Voraussetzung für die Sozialadäquanz entwertet.306 So scheint dem Schluss von der faktischen Häufigkeit eines Verhaltens auf dessen normative Richtigkeit entgegengetreten zu werden. Allerdings bleibt die Frage nach dem konkreten Bezugspunkt des Werturteils ungeklärt: fraglich erscheint insbesondere, ob das Verhalten per se einen Wert besitzen, einen solchen in Form eines Erfolges schaffen oder einen bestehenden Wert lediglich wahren muss bzw. nicht gefährden darf. Zudem ergibt sich nicht, wem die Einstufung als werthaltige Handlung zusteht und wonach sich diese zu richten hat. Dies ist umso klärungsbedürftiger vor dem Hintergrund der insofern vorgebrachten Beispiele: So soll der leichte, mahnende Klaps durch den Lehrer allgemein anerkannt werthaltig sein,307 wenngleich kurz darauf sozial umstrittenen Fällen wie der Züchtigung durch den Lehrer die offensichtliche Werthaltigkeit explizit abgespro-
300
So mit Bedacht F. Knauer, ZStW 126 (2014), 844 (865). Inspiriert durch die Ausführungen bei Hassemer, wistra 1995, 41 (43 f.) und ders., wistra 1995, 81 (81 ff.). 302 K. Peters, Festschrift Welzel, S. 415 (426); ähnlich Klug, Festschrift Eb. Schmidt, S. 249 (260 ff.) unter dessen Nomenklatur als sozial kongruent. 303 So K. Peters, Festschrift Welzel, S. 415 (426). 304 So Klug, Festschrift Eb. Schmidt, S. 249 (260 ff.); dazu bereits Kapitel C. I. 1. c) aa). 305 Sozial umstrittene Fälle seien demnach der Sozialadäquanz nicht zugänglich, K. Peters, Festschrift Welzel, S. 415 (428); ferner Klug, Festschrift Eb. Schmidt, S. 249 (261 f.). 306 K. Peters, Festschrift Welzel, S. 415 (427) untersagt vielmehr die Berücksichtigung einer sozialen Üblichkeit des Verhaltens. 307 Ebenso wie die Verurteilung des Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe oder die kunstgerechte Operation, K. Peters, Festschrift Welzel, S. 415 (426). 301
III. Kriterien
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chen wird.308 Es mangelt der vorgeschlagenen Differenzierung somit an tauglichen Kriterien, zumal die Zuschreibung eines politischen, zwischenmenschlichen oder wirtschaftlichen Wertes facettenreich auf vielen Ebenen möglich ist. Überdies sind die angeführten Werte bisweilen subjektiv bedingt und unterscheiden sich insbesondere auf wirtschaftlichem Terrain stark nach der Sichtweise des Betroffenen bzw. Durchführenden. Mit der Differenzierung nach der Werthaltigkeit wird ohne weiterführende Präzisierung demgemäß keine Konkretisierung erzielt. Durch die Hinzunahme der offenkundigen Werthaltigkeit, welche etwa von der Stärke des züchtigenden Hiebes abhängen soll, wird demgegenüber vielmehr weitere Unsicherheit in die Diskussion überführt. Gleiches gilt für eine Bewertung des Verhaltens anhand dessen sozialethischer Gebotenheit. Diese wird zwar anhand der vormaligen gesellschaftsrechtlichen Untreuetatbestände § 294 AktG a.F. bzw. § 81a GmbHG a.F.309 zu erörtern versucht310. Die Ausführungen beschränken sich jedoch auf das Beispiel der Lagerhaltung durch einen ordentlichen Kaufmann, die nach Maßgabe diverser wirtschaftlicher Faktoren angebracht und dementsprechend geboten sein soll, während eine Vergrößerung des Lagers über dieses Maß hinaus lediglich erlaubt sei.311 Selbst wenn man dieser Grenze in besagtem Einzelfall eine deutliche Bestimmbarkeit attestieren wollte,312 vermag die Forderung nach einer Bewertung der sozialethischen Gebotenheit eines Verhaltens ohne generell anzuwendende Kriterien darüber hinaus die Voraussetzungen der Sozialadäquanz jedenfalls nicht zu konkretisieren. Der Beurteilung wird lediglich ein weiteres normatives Merkmal implementiert, welches seinerseits mit großer Unsicherheit behaftet ist. Die Kritik der Unbestimmtheit mit Addition eines seinerseits unbestimmten Kriteriums zu parieren, erscheint wenig erfolgversprechend.
308
So K. Peters, Festschrift Welzel, S. 415 (428), der jedoch nur für nicht unerhebliche Schläge die offensichtliche Werthaltigkeit negiert, die er dem „leichten Klaps“ noch als „offensichtlich“ zuschreibt. Vermag der Wert eines Verhaltens aber in praktisch feinen Nuancen zu liegen, so zeigt dies zum einen bereits die Schwierigkeiten des vorgebrachten Werturteils, zum anderen die Untauglichkeit der Differenzierung nach dessen Offenkundigkeit auf. 309 Maßgeblich sind die Gesetze in der im Jahre 1961 gültigen Fassung, wobei die Ursprünge der zugrundeliegenden Diskussion des § 294 AktG a.F. bereits dem vor dem Jahre 1937 geltenden § 312 HGB entstammen, vgl. etwa Staub/Eb. Schmidt, HGB, § 312. 310 Ausführlich dazu Kapitel C. I. 1. c) aa). 311 Klug, Festschrift Eb. Schmidt, S. 249 (257 ff.), der allerdings zur Bestimmung dieses Maßes neben der Auftragslage, Produktionsdauer und Konjunktur wiederum auf die Üblichkeit in der konkreten Branche zurückgreifen muss. 312 So Klug, Festschrift Eb. Schmidt, S. 249 (260 f.), der jedoch wenig später relativierend anfügt, die Bestimmbarkeit sei jedenfalls exakter als die der Gebotenheitsprüfung im Rahmen der Notwehr.
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C. Bisherige Lösungsansätze zur Dogmatik der Sozialadäquanz
c) Einfluss des Rechtsgutes Ferner wird der Art des Rechtsgutes determinierende Wirkung über den Anwendungsbereich der Sozialadäquanz zugesprochen. Demzufolge sollen intrasozial geprägte Rechtsgüter schützende Tatbestände einer Korrektur durch die Sozialadäquanz in hohem Maße zugänglich sein, sei deren letztlicher Schutz doch ohnehin stark sozialkonstitutiv bedingt.313 Dafür verantwortlich zeichne die entsprechend tiefe Verflechtung derartiger Rechtsgüter mit dem gesellschaftlichen Leben sowie die Abhängigkeit deren Schutzumfangs von sozialen Bedingungen. Exemplarisch hierfür stünden etwa die Meinungsfreiheit, die Ehre oder das Vertrauen in die Integrität der Beamtenschaft.314 Demgegenüber blieben transsoziale Rechtsgüter wie das Leben oder die körperliche Unversehrtheit, deren Umfang jedenfalls kaum sozialkonstitutiv bedingt sei, dem Anwendungsbereich der Sozialadäquanz weitgehend verschlossen.315 Dem bleibt zuzugeben, dass die Tatbestände zum Schutze der intrasozialen Rechtsgüter oftmals nur geringe Konturen aufweisen. Insbesondere die Delikte zum Schutze der Ehre sehen sich häufig dem Vorwurf unzureichender Bestimmtheit ausgesetzt.316 So ist etwa die Feststellung einer Beleidigung als Angriff auf die Ehre eines anderen durch vorsätzliche Kundgabe der Missachtung oder Nichtachtung317 an die gesellschaftliche Interpretation der Aussage sowie deren Kategorisierung als Nichtachtung bzw. Missachtung geknüpft. Innerhalb dieses weiten interpretativen Rahmens vermögen Aspekte der Sozialadäquanz somit unmittelbar berücksichtigt zu werden, indem einem Verhalten aufgrund dessen Üblichkeit der diffamierende Charakter abgesprochen wird. Allerdings sind auch transsozial geprägte Delikte nicht per se jedweder Relativierung verschlossen, wie sich insbesondere an dem obigen Beispiel der Körperverletzung318 zeigt, in deren Rahmen entsprechende Elemente der Sozialadäquanz in die Beurteilung des Verhaltens als übel oder unangemessen Einzug halten können. Vor diesem Hintergrund erscheint es daher nicht 313 Eser, Festschrift Roxin, S. 199 (211); zur Differenzierung der Rechtsgüter nach deren sozialem Gepräge bereits Eser, Wahrnehmung berechtigter Interessen, S. 45 ff. Nach Art und Qualität der rechtlichen Gefahr für das Rechtsgut differenzierend auch Otto, Festschrift Amelung, S. 225 (231 ff.). 314 Eser, Festschrift Roxin, S. 199 (211); ders., Wahrnehmung berechtigter Interessen, S. 45 ff. Ferner Roxin, Festschrift Klug, S. 303 (306 f.), der betont, dass Rechtsgüter strafrechtlich nicht von vornherein absolut, sondern in einer auf das gesellschaftliche Zusammenleben bezogenen sozialen Gebundenheit geschützt würden. 315 Eser, Festschrift Roxin, S. 199 (211). Ähnlich Dölling, Festschrift Otto, S. 219 (220), der auf gesellschaftliche Teilbereiche hinweist, in denen Rechtsgüter sich stärkeren Beeinträchtigungen gegenübersehen, als im üblichen Sozialleben. 316 Exemplarisch Husmann, MDR 1988, 727 (727, 729); Ritze, JZ 1980, 91 (92); Tenckhoff, Die Bedeutung des Ehrbegriffs, S. 19; vgl. dazu BVerfG NJW 1995, 3303 (3304); MK-StGB/ Regge/Pegel, Vor § 185 Rn. 10 ff.; Schönke/Schröder/Eisele/Schittenhelm, Vor §§ 185 ff. Rn. 1. 317 So die herrschende Auffassung, siehe nur BGHSt 1, 288 (289); 7, 129 (131); Fischer, § 185 Rn. 2; LK/Hilgendorf, § 185 Rn. 3; Schönke/Schröder/Eisele/Schittenhelm, § 185 Rn. 1. 318 Dazu Kapitel B. II. 1. a) bb) (6).
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zwingend, die soziale Verwobenheit des Rechtsguts als zentrales Kriterium zur Beurteilung der dieses tangierenden Handlung zu erheben. Dieser veränderte Bezugspunkt erweist sich dennoch als Besonderheit dieses Ansatzes: während die Kriterien der Sozialadäquanz nach Welzel oder der Rechtsprechung lediglich das Verhalten betreffen, rückt der in Rede stehende Ansatz das Rechtsgut in das Zentrum der Überlegungen. Die gesellschaftliche Billigung der Handlung soll so entscheidend an die mit ihr einhergehende Rechtsgutsverletzung zu knüpfen sein. Dies erscheint umso bemerkenswerter, als dass der Entwicklung dieses Ansatzes ein ausschließlicher Blick auf das Verhalten als solches vorangestellt wird.319 Eine rein handlungsorientierte Betrachtungsweise, wie sie der Sozialadäquanz nach Welzel zugrunde liegt, wird durch die Hinzunahme der Auswirkungen auf das Rechtsgut überwunden. Daher bleibt für eine weitere Präzisierung der Sozialadäquanz zu klären, ob diese rein auf die Handlung bezogen ist, oder zudem von Rechtsgutserwägungen getragen werden kann.320 d) Erfüllung rechtlich anerkannter Funktionen Mitunter wird eine Strafbarkeitsrestriktion unter dem Aspekt der Sozialadäquanz an die Erfüllung rechtlich anerkannter, gesellschaftlicher Funktionen geknüpft. Ist zu deren Wahrnehmung typischerweise ein Verhalten notwendig, das einem Straftatbestand unterfällt, so seien die widerstreitenden Interessen im Einzelfall auszutarieren.321 Dem möglichst reibungslosen Ablauf des sozialen Lebensbereichs stehe dann insbesondere das in den Strafvorschriften niedergelegte Strafbedürfnis gegenüber.322 Entsprechend scheide die Sozialadäquanz im Rahmen des Boxsports aus, da dort gravierende Verletzungen zu befürchten seien.323 Durch die Beschränkung des Anwendungsbereichs der Sozialadäquanz auf Handlungen zur Erfüllung rechtlich anerkannter, gesellschaftlicher Funktionen sowie die Prämisse der Interessenabwägung soll das Strafrecht nicht unangemessen zurückgedrängt werden und zudem eine soziale Gemeinsamkeit ermöglicht werden.324 Dementsprechend wird der Einstufung als rechtlich anerkannte, gesellschaftliche Funktion weichenstellende Bedeutung zugesprochen. Allerdings trägt diese Umschreibung weitere Unsicherheiten in die Bestimmung hinein. So ist bereits unklar, 319
Vgl. Eser, Festschrift Roxin, S. 199 (210 f.). Dazu Kapitel D. III. 2. b) ff). 321 Dölling, Festschrift Otto, S. 219 (225 f.). 322 Dölling, Festschrift Otto, S. 219 (226). 323 Dölling, Festschrift Otto, S. 219 (226), wobei dies insofern auf einer Linie mit Tröndle/ Fischer53, § 86 Rn. 17 liegt. 324 Womit versucht wird, Ottos Idealbild der rational nachvollziehbaren Begründung einer rechtlichen Entscheidung zu folgen, welche eine Kontrollmöglichkeit daraufhin eröffne, ob die Entscheidung einen Interessenausgleich zwischen der Gesellschaft und ihren Mitgliedern anstrebe, der seinerseits eine soziale Gemeinsamkeit ermögliche, vgl. Otto, Grundkurs I, § 2 Rn. 69; explizit Dölling, Festschrift Otto, S. 219 (226). 320
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C. Bisherige Lösungsansätze zur Dogmatik der Sozialadäquanz
welche gesellschaftlichen Funktionen rechtlich anerkannt sein sollen und wie dem genüge getan werden kann. Das angeführte Beispiel des Boxsports, der erst auf Ebene der Interessenabwägung dem Anwendungsbereich der Sozialadäquanz entfalle, lässt jedenfalls vermuten, dass die rechtliche Anerkennung nicht explizit ausgedrückt zu werden braucht.325 Ob die rechtliche Anerkennung insofern über eine gesellschaftliche hinausreicht, erscheint daher fraglich. Die Wertungsfrage wird dementsprechend lediglich auf eine andere Ebene verlagert. Eine inhaltliche Konkretisierung der Sozialadäquanz erfolgt somit nicht. e) Soziales Mindestmaß und gesetzliche Verbote Jakobs versucht hingegen, eine Ober- sowie einer Untergrenze zu formulieren und damit einen Rahmen zu schaffen, in welchem bestimmte historisch überkommene Betätigungen als sozialadäquat begriffen werden können.326 Innerhalb dieses Rahmens könne ein Verhalten zwar Rechtsgüter schädigen, insgesamt aufgrund dessen Akzeptanz jedoch nicht enttäuschen.327 Als Mindestgrenze sei sodann das übliche soziale Verhalten zu begreifen, wenngleich dieses die Gefahr einer Ansteckung oder diesem typischerweise anhaftende Risiken mitbringe.328 Dagegen könne nicht per se straffrei, sondern allenfalls gerechtfertigt werden, was einer Verbotsnorm unterfalle, welche Verletzungen oder Gefährdungen zu vermeiden suche.329 Demnach würden solche Verbotsnormen das Ende sozial akzeptierter Handlungen markieren. Damit würde sich die Untergrenze nach gesellschaftlichen Kriterien bestimmen, wohingegen die Obergrenze anhand rechtlicher Verbotsnormen zu bemessen wäre. Die Sozialadäquanz hätte demzufolge dort keinen Anwendungsspielraum, wo Normen das Verhalten der Bürger determinieren sollen. Allerdings wird der skizzierte, aufgrund differierender Ebenen ohnehin fragwürdige Rahmen potenzieller sozialer Adäquanz nicht argumentativ verfestigt. Zudem erscheint fraglich, was nach diesem Ansatz überhaupt als sozial übliches 325 Etwaige Regelungen im Rahmen einer bestehenden Verbandsautonomie als rechtliche Anerkennung einzustufen, dürfte jedenfalls aufgrund der Loslösung von der Legislative keine ausreichende Grundlage für diese Auffassung darstellen. 326 Unter Hinweis auf das Ziel der Strafnormen, soziales Leben zu ermöglichen, sodass das Strafrecht kein Arsenal ruhender Güter schütze, Jakobs, AT, S. 200 f. in Anlehnung an Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (514), der sich wiederum an H. Mayer, Strafrecht, S. 205 orientierte. 327 Jakobs, AT, S. 201, wobei sich diese Aussagen innerhalb eines allgemeineren Kapitels zum erlaubten Risiko konkret auf die Sozialadäquanz beziehen, die er lediglich als Unterfall begreift. 328 Jakobs, AT, S. 204; die Ausführungen beziehen sich zwar insofern auf das Mindestmaß des erlaubten Risikos, werden aber aus der Umschreibung sozialadäquaten Verhaltens gewonnen, sodass der Kern der Aussage über dieses gleichwohl Geltung beansprucht. 329 Jakobs, AT, S. 204: „[…] denn durch das Verbot eines bestimmten Verhaltens, das der Vermeidung von Verletzungen oder auch nur abstrakten Gefährdungen dient, wird dieses Verhalten aus dem Kreis dessen ausgeschieden, was möglicherweise trotz eines Folgenrisikos als sozial unauffällig toleriert wird“.
III. Kriterien
163
Verhalten zu klassifizieren und inwiefern dessen Gefahren stets aus dem Bereich des Strafbaren auszuscheiden sein sollen. Insbesondere trägt das Verbot bestimmten Verhaltens als Obergrenze nicht zur Konkretisierung bei, liegt es ja gerade in der Natur der Sozialadäquanz, das von einem Straftatbestand grundsätzlich umschriebene Verhalten diesem wieder zu entnehmen. Fungierte die formelle Subsumierbarkeit der Handlung unter den Tatbestand dagegen als Obergrenze, so würde diese die Korrektivfunktion der Sozialadäquanz obsolet werden lassen, wenn die Rechtsfigur gerade in diesen Fällen ohnehin nicht zur Anwendung gelangen könnte. Die proklamierte Obergrenze verkommt so zu einem weitläufigen Ausschluss einer Strafbarkeitskorrektur unter dem Aspekt sozialer Adäquanz. f) Hinzunahme subjektiver Kriterien Unklar ist ferner, ob die Beurteilung eines Verhaltens als sozialadäquat subjektive Kriterien einzubeziehen hat. Erstmals wirf Welzel diese Frage auf, der die einverständliche Schwängerung einer lungenkranken Frau nicht als sozialadäquat ansieht, wenn dies in der Absicht erfolgt, dass die Betroffene an den Folgen der Schwangerschaft sterbe. Insofern handle es sich um den „raffiniertesten Verbrecher, der seine Tat unter dem Anschein harmlosen, scheinbar sozial-adäquaten Handelns verbirgt“330. Der Verletzungsabsicht des Täters kommt somit dezisive Stellung im Rahmen der Beurteilung des Verhaltens zu, vermag sie demnach jedenfalls ein objektives Adäquanzurteil aufzuheben. Dementsprechend soll bereits eine wertwidrige Einstellung die Handlung als sozialinadäquat zeichnen können.331 Eine Begrenzung der ganzheitlich synthetischen Bewertung auf objektive Aspekte sei nicht möglich.332 Später revidierte Welzel indes diese Auffassung und begriff diesen Fall als Beispiel der Sozialadäquanz,333 was die Abkehr von der Hinzunahme subjektiver Kriterien nahelegt bzw. deren dezisive Wirkung relativiert. Dies deckt sich mit der vielfach vertretenen Meinung, die Sozialadäquanz rein objektiv abzufassen und
330 Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (519 f.); zustimmend K. Peters, Festschrift Welzel, S. 415 (427 f.); vgl. ferner Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (633 f.): „Ein sozialadäquates Verhalten muß nun zwar kein sozial vorbildliches Verhalten sein, weil die Verhaltensnormen keinem Idealbild entsprechen müssen, aber der Rahmen der sozialen Handlungsfreiheit ist überschritten, wenn eine Rechtsgutsverletzung gewollt ist. Zwar liegt der Vollzug des Beischlafes unter Eheleuten vollkommen in der anerkannten Sexualordnung. Diese Beurteilung ändert sich aber, wenn der Täter durch sein an sich erlaubtes Verhalten einen mißbilligten Zweck erstrebt.“ entgegen seiner späteren Ausführung ebenda, (653): „Allein die objektive Wertung des Verhaltens ist entscheidend“. 331 K. Peters, Festschrift Welzel, S. 415 (427). 332 Gracia Martín, Festschrift Tiedemann, S. 205 (218 f.). 333 Welzel, Grundzüge11, S. 55 f.; ebenso dem Grunde nach H. Mayer, DStrR 1938, 73 (103); ders., Strafrecht, S. 169 ff.; zustimmend Jescheck/Weigend, AT, S. 252.
164
C. Bisherige Lösungsansätze zur Dogmatik der Sozialadäquanz
einen Rückgriff auf subjektive Kriterien zu untersagen.334 Demzufolge werde eine objektiv sozialadäquate Handlung nicht durch die Absicht des Täters, ein wertwidriges Ergebnis zu erreichen, zu einer sozialinadäquaten und damit strafbaren.335 Aufgrund der diametralen Resultate, welche die bisweilen geforderte Berücksichtigung der subjektiven Seite gegenüber einem rein objektiven Prinzip mit sich bringt, bleibt bezüglich einer Rechtsfigur der Sozialadäquanz der Einfluss des Subjektiven zu klären.336 g) Konkretisierung in Form professioneller Adäquanz Die von ihm als Rohdiamant begriffene Lehre der Sozialadäquanz in Form einer Lehre der professionellen Adäquanz zu präzisieren, versucht hingegen Hassemer am Beispiel der (Beihilfe-)Strafbarkeit von Bankmitarbeitern.337 Dabei gilt sein Augenmerk der begrifflichen Schärfung sowie systematischen Abgrenzung der Kriterien.338 Insbesondere erscheint ihm der Verweis auf das Soziale als zu allgemein und unbestimmt, sodass er sich von diesem zu lösen versucht.339 Da strafrechtliche Normen für alle in gleichem Maße, soziale Normen dagegen für jede Bezugsperson in dem jeweiligen Bezugsbereich unterschiedlich gelten würden, dürfe die Sozialadäquanz nicht auf allgemeine, sondern müsse auf spezifische Maßstäbe rekurrieren.340 Daher gelte es, die bestimmten Konstellationen der Sozialadäquanz zu ergründen und systematisch zu entschlüsseln. Dazu seien segmentäre soziale Normen einzelner Bereiche heranzuziehen und ob deren sozialer Vorstrukturierung zu untersuchen.341 Diese sozialen Vorstrukturen seien ihrerseits bestimmter als das Terrain des Sozialen, wobei ihnen zudem bisweilen eine normative Komponente anhafte, die mit den
334 So ausdrücklich Jakobs, AT, S. 206; Jescheck/Weigend, AT, S. 252; Hassemer, wistra 1995, 41 (43); Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (97 f.); die überwiegende Zahl der Quellen, die eine Konkretisierung der Kriterien versuchen, schweigt zur subjektiven Seite gänzlich, was zeigt, dass diese nicht als ausschlaggebend betrachtet wird, vgl. statt vieler Heinrich, AT, Rn. 519. 335 Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (97 f.) am Beispiel des ordnungsgemäß geführten Bergwerkunternehmens, dessen Betriebsleiter trotz aller erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen auf den tödlichen Unfall eines bestimmten Arbeiters hofft. 336 Dazu Kapitel D. III. 2. d). 337 Hassemer, wistra 1995, 41; ders., wistra 1995, 81. 338 Zur diesbezüglich zuhauf geäußerten Forderung Kapitel C. III. 2. 339 Hassemer, wistra 1995, 81 (81 f.). Darin dürfte formell der prägendste Unterschied zu Eser, Festschrift Roxin, S. 199 (211) liegen, welcher den Bereich des Sozialen analysiert und seine Ausführungen auf das gesamte Kollektiv richtet. 340 So gelte für Kinder und Erwachsene, Gymnasiasten und Auszubildende, Bankangestellte oder Professoren in Straßenbahnen, Kneipen sowie Operations- oder Konzertsälen jeweils ein anderes soziales Normenkonstrukt, welches den Bezugspunkt des Strafbarkeitsverdikts darstellen müsse, Hassemer, wistra 1995, 81 (81). 341 Hassemer, wistra 1995, 81 (82); zustimmend F. Knauer, ZStW 126 (2014), 844 (860).
III. Kriterien
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strafgesetzlichen Verboten in Konkurrenz treten könne.342 Die sich daraus ergebende normative Vorstrukturierung des konkreten Bereichs könne präzisierende sowie einschränkende Funktion auf die strafrechtliche Unrechtsbestimmung ausüben.343 Jedenfalls könnten solche sozialen Regelungen aufgrund deren größeren Inhaltsreichtums privilegiert werden und die Bestimmungen des strafrechtlichen Unrechts methodisch anleiten sowie informativ anreichern.344 Die Ausführungen Hassemers beziehen sich zuvorderst auf professionell vorstrukturierte Bereiche,345 in denen ein nicht notwendigerweise kodifiziertes soziales Regelwerk bestehe, welches sozial erwünscht sei. Eine Straffreistellung für illegale Subkulturen sei demnach nicht zu befürchten. Schließlich beschreibe professionelle Adäquanz „normales, neutrales, sozial akzeptiertes und regelgeleitetes berufliches Handeln, welches sich vor strafrechtlicher Analyse und Beurteilung nicht zu verstecken braucht, weil es Strafrechtsnormen nicht neutralisiert, sondern ergänzt, konturiert, konkretisiert und auf bestimmte Handlungsfelder bezieht, ohne dabei strafrechtlichen Verboten zu widersprechen“.346 Zwar gibt diese Umschreibung keinen Aufschluss darüber, was unter normalem sowie neutralem beruflichen Handeln zu verstehen sein soll.347 Ferner wird auch die soziale Akzeptanz oder die praktische Ergründung der jeweiligen Regeln nicht präzisiert. Allerdings wird die professionelle Adäquanz insofern konkretisiert, als dass festgehalten wird, dass ein entsprechendes Verhalten sich nicht zu verstecken brauche. Handlungen, die Anlass zu Verschleierung bieten, dürften so dem Anwendungsbereich entfallen.348 Zudem vermögen die beruflichen Regeln durch eine komparative Betrachtung des Umfeldes erkannt und so die Begrenzung des Sozialen auf den konkreten professionellen Bereich fruchtbar gemacht zu werden. 342
Die normative Komponente sei typischerweise nicht rechtlicher, zumindest nicht strafrechtlicher Natur, stelle aber Handlungsanforderungen oder professionelle Handlungsregelungen mit Sanktionsbewehrung auf, Hassemer, wistra 1995, 81 (82). Diese Erkenntnis zeigt sich freilich bereits bei Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (516 f.), bei dem der werthafte Ordnungsbegriff der Sozialadäquanz der geschichtlichen Ordnung des Gemeinschaftslebens entspringt. 343 Hassemer, wistra 1995, 81 (83): „Wenn man weiß, was professionell adäquat ist, hat man die Einschränkung des strafrechtlichen Unrechts“. 344 Hassemer, wistra 1995, 81 (83). 345 Besonders angeführt werden insofern die leges professionis, die besonders differenziert und fassbar sein sollen, wie sich etwa an den ärztlichen leges artis zeige, so Hassemer, wistra 1995, 81 (83). Dabei erscheint das Beispiel insofern unglücklich gewählt, als dass exemplarisch im Rahmen des ärztlichen Heileingriffs dessen Durchführung lege artis die Tatbestandsmäßigkeit der Körperverletzung nach ständiger Rechtsprechung und verbreiteter Ansicht in der Literatur nicht entfallen lässt, vgl. statt vieler BGH NJW 2011, 1088 (1089) und Fischer, § 223 Rn. 16 ff. 346 Hassemer, wistra 1995, 81 (85). 347 Es findet sich lediglich der Hinweis, dass weder soziale Normen noch konkretes Verhalten gut oder richtig sein müssten. 348 Hassemer, wistra 1995, 81 (86); F. Knauer, ZStW 126 (2014), 844 (863).
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C. Bisherige Lösungsansätze zur Dogmatik der Sozialadäquanz
Jedoch sind die Handlungsregeln innerhalb der speziellen Sektoren oftmals weder eindeutig noch unumstritten. Dies verdeutlicht etwa ein Blick auf die schwer zu konturierenden, thematisch naheliegenden Risikogeschäfte im Rahmen der Untreuestrafbarkeit349 oder auf die schwierige Feststellung der von Hassemer angeführten Regeln der ärztlichen Kunst350. Die sozialen sowie gleichsam normativen Normen dürften daher kaum einfacher festzustellen sein als der Bereich des Sozialen, der mit der Untersuchung des konkreten Verhaltens dessen spezifische Umgebung ohnehin gleichermaßen berücksichtigen könnte. Deshalb wird auch bezüglich der professionellen Adäquanz deren Unbestimmtheit moniert.351 Vielmehr würden die angeführten Kriterien der Sozialadäquanz nicht mehr Bestimmtheit verleihen, sondern deren Probleme lediglich unter großem terminologischem Aufwand vertuschen, wenngleich sie zumindest die Prüfung strukturieren und nachvollziehbarer gestalten würden.352 Angriffsfläche für Kritik bietet ferner der Umstand, dass der Schluss von sozialen Normen auf deren normativen, das Strafrecht derogierenden Charakter nicht begründet, sondern schlicht angenommen wird. Schließlich müssen soziale, sektorale Normen für sich genommen nicht zur Rechtmäßigkeit beitragen.353 Dementsprechend erhebt die professionelle Adäquanz das sektoral Übliche zum normativ Richtigen.354 Dies scheine nebst der allgemeinen Kritik an der Sozialadäquanz auch vor dem Aspekt fragwürdig, dass strafrechtliche Verbote nicht generell akzessorischer Natur seien.355 Darüber hinaus führe die der Unbestimmtheit entgegengehaltene Sektoralität zu einer ungerechtfertigten Besserstellung beruflich Handelnder.356 Im Lichte dieses Tadels scheint es jedoch zumindest angezeigt, zu eruieren, ob sich
349 Dazu etwa MK-StGB/Dierlamm, § 266 Rn. 228 ff.; NK-StGB/Kindhäuser, § 266 Rn. 73 ff.; Bosch/Lange, JZ 2009, 225 (226 ff.); charakteristisch Schönke/Schröder/Perron, § 266 Rn. 20: „Eine allgemeine, für jeden Einzelfall gültige Bewertungsregel lässt sich hier nicht aufstellen“. 350 Vgl. nur BGH NJW 1995, 776 (777); 2007, 2767 (2768 f.); NJW-RR 2014, 1053 (1054 f.). 351 Otto, Festschrift Amelung, S. 225 (227 f.); ders., Festschrift Lenckner, S. 193 (203); Weigend, Festschrift Nishihara, S. 197 (201); Löwe-Krahl, Steuerhinterziehung, S. 34 f.; aA: Rackow, Neutrale Handlungen, S. 206 f. 352 So Kudlich, Unterstützung fremder Straftaten, S. 85 Fn. 83. 353 Rackow, Neutrale Handlungen, S. 205 f., der zudem zutreffend festhält, dass die professionelle Adäquanz keine eigenen Kriterien offeriert, um eine Berufsregel ob deren strafrechtlicher Akzeptanz zu untersuchen. 354 Otto, Festschrift Amelung, S. 225 (227 f.); Amelung, Festschrift Grünwald, S. 9 (11); Rackow, Neutrale Handlungen, S. 207; Wolff-Reske, Berufsbedingtes Verhalten, S. 65. 355 Tag, JR 1997, 49 (52); ähnlich Wohlleben, Neutrale Handlungen, S. 158; relativierend im Hinblick darauf, dass dies Hassemers These verzerre Kudlich, Unterstützung fremder Straftaten, S. 85 f. Fn. 86. 356 Tag, JR 1997, 49 (52); Löwe-Krahl, Steuerhinterziehung, S. 34.
III. Kriterien
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die soziale Adäquanz eines Verhaltens nach der Perspektive einzelner Personengruppen oder der Gesamtbevölkerung zu bestimmen hat.357 4. Fazit Soll den zahlreichen kritischen Stimmen zur Sozialadäquanz entgegnet werden, so bedarf es der weiteren Präzisierung der potenziellen Rechtsfigur. Insofern gilt es jedoch, die Waage zwischen Bestimmbarkeit und Flexibilität – soweit möglich – ausgeglichen zu halten und kein Instrument zu etablieren, das der Rechtsunsicherheit Tür und Tor öffnet. Insbesondere ist die begriffliche Unschärfe anzugehen, um die Figur zu konturieren und einer Missbrauchsgefahr vorzubeugen. Sollten dabei weitere Werturteile notwendig sein, so ist der Verlockung zu widerstehen, Unklarheiten und Probleme auf diese abzuwälzen und die Sozialadäquanz dementsprechend lediglich vorgeblich zu konkretisieren. Von besonderer Bedeutung ist zudem, den Schluss von der gesellschaftlichen Üblichkeit auf die Straffreiheit in strukturierte Gefilde zu lenken sowie diesen zu begründen. Diesbezüglich vermag die bloße Auslegung eines frei gewählten, nicht normierten Begriffes nur wenig beizutragen. Vielmehr gilt es, das dogmatische Wesen der Sozialadäquanz zu ergründen und von dieser Erkenntnis aus die Konturierung voranzutreiben. Dazu bleibt auch zu erörtern, inwiefern subjektive Kriterien die soziale Adäquanz eines Verhaltens beeinflussen. Darüber hinaus ist zu klären, ob sich die potenzielle Rechtsfigur nach einem allgemeinen, oder einem spezifischen Maßstab bemisst.
357
Dazu Kapitel D. III. 2. c).
D. Eigener Lösungsansatz zur Dogmatik der Sozialadäquanz I. Begründung 1. Die Handlungslehre als Ausgangspunkt der Sozialadäquanz? Die eigentliche dogmatische Begründung der Sozialadäquanz geriet bislang zu knapp.1 Ausgehend von einer ihr zugeschriebenen Rolle im Rahmen der finalen Handlungslehre wurde sie über einen Aspekt der das Recht beeinflussenden sozialethischen Gebotenheit bis hin zu einer eigenständigen historisch-soziologischen Reduktion der Strafnorm begriffen. Ansatzpunkte zum dogmatischen Ursprung der vermeintlichen Rechtsfigur bestehen damit einige, wenngleich deren zugrundeliegendes Fundament wenig hervorgehoben wurde. Dabei sieht sich insbesondere die scheinbare Durchbrechung des Dualismus von Sein und Sollen Kritik ausgesetzt. Aufgrund der vielfachen Anwendung der Figur erscheint es unumgänglich, deren Ursprung und Wirkungsweise zunächst – auch im Hinblick auf die bisherigen Kritikpunkte – zu ergründen. Folgt man Welzels Vorgehen, welches eng mit dessen Verständnis von der finalen Handlungslehre verwoben ist, scheint zunächst ratsam, dessen eigentlichen Ausgangspunkt zu wählen und sich dementsprechend mit der Handlungslehre sowie dem zugehörigen Verbrechenssystem2 auseinanderzusetzen. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass zahlreiche Stimmen gerade auf das Phänomen des gesellschaftlich geübten Verhaltens abzielen, sodass zunächst nicht die Rechtsgutverletzung, sondern das eigentliche Handeln und dessen Akzeptanz im Vordergrund stehen dürften. Schließlich soll nicht die Verletzung, sondern vielmehr das gesellschaftlich gebilligte Verhalten den Ansatzpunkt der Straffreiheit darstellen.
1
Siehe dazu Kapitel C. I. 3. Schließlich sei die Handlungslehre der Verbrechenslehre gleichzusetzen („Die entwickelte Handlungslehre ist die Verbrechenslehre selbst“, Welzel, ZStW 58 [1939], 491 [497]). 2
I. Begründung
169
a) Die Handlungslehre und deren Aufgaben aa) Handlung im Strafrecht Um dem Gedankengang Welzels gerecht zu werden, soll hier in gebotener Kürze3 die Entwicklung des Handlungsverständnisses nachgezeichnet werden. Dabei wird der Handlungsbegriff in dessen weitem, also sowohl Tun als auch Unterlassen umfassenden Sinne verstanden.4 Daraus ergibt sich bereits, dass er einen Oberbegriff für sämtliche Erscheinungsformen strafbaren Verhaltens zu offerieren hat, der somit als Grundelement des Strafrechts zu dienen vermag.5 Um dem Vorwurf zu entgehen, einer zwangsläufig zu allgemeinen Definition der Handlung einen zu hohen systematischen Wert beizumessen,6 soll der Blick indes nicht einzig auf die Handlung als solche gerichtet, sondern darüber hinaus auf die ihr zugeschriebenen Aufgaben im System des Strafrechts gelegt werden. Bei aller Diskussion um die Frage, welche Voraussetzungen an die Handlung als Ausgangspunkt der Strafbarkeitserörterung zu stellen sind, besteht jedenfalls Einigkeit hinsichtlich der Notwendigkeit eines Handlungsbegriffes als Bezugspunkt für die Prädikate der Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld.7 Schließlich stellt die menschliche Handlung den Anknüpfungspunkt des Straf3 Eine detailreichere Darstellung eines „der meistdiskutierten strafrechtsdogmatischen Grundlagenprobleme der letzten 100 Jahre“ (so Satzger/Schluckebier/Widmaier/Kudlich, Vor §§ 13 ff. Rn. 11), welches „ein wenig an die Suche der Alchimisten nach dem Stein der Weisen“ erinnere (NK-StGB/Puppe, Vor §§ 13 ff. Rn. 40), würde ihrerseits den Rahmen dieser Darstellung sprengen und den eigentlichen Blick für das Problem der Sozialadäquanz verstellen. 4 Wie dies auch in der Literatur überwiegend gehandhabt wird, wenngleich ein solch gemeinsames Grundelement bzw. ein Oberbegriff für Begehung und Unterlassen von einigen Stimmen für unmöglich erachtet wird, so etwa NK-StGB/Puppe, Vor §§ 13 ff. Rn. 54. Eingehend zu den verschiedenen Konzepten Schmidhäuser, Gedächtnisschrift A. Kaufmann, S. 131 (131 ff.). Dieser Disput ist für die Frage der Sozialadäquanz indes freilich wenig relevant. 5 Eingehend dazu Maihofer, Der Handlungsbegriff, S. 6 ff.; ferner Jescheck/Weigend, S. 218 f. und Roxin, AT I, § 8 Rn. 1. Zur generell mangelnden Tauglichkeit des Handlungsbegriffs als Grundpfeiler des Strafrechts jedoch Arm. Kaufmann, Strafrechtsdogmatik zwischen Sein und Wert, S. 21 (23 ff.); zustimmend Baumann, Gedächtnisschrift Armin Kaufmann, S. 181 (184). Gleichwohl ist aufgrund der positivrechtlichen Normierung der Strafbarkeit wegen eines unechten Unterlassens der Wunsch, einen Handlungsbegriff zu formen, der diese Strafbarkeit selbstständig trägt, weit weniger präsent, wie Satzger/Schluckebier/Widmaier/ Kudlich, Vor §§ 13 ff. Rn. 11 treffend festhält. 6 Diese Auffassung wurde schon früh von Radbruch, Der Handlungsbegriff, S. 143 geäußert und hat seither vielfach Anklang gefunden. Anlässlich der noch heute bestehenden Schwierigkeiten um die Bestimmung des Handlungsbegriffs erfreut sich diese These auch in jüngerer Zeit wieder steigender Beliebtheit, vgl. nur Schönke/Schröder/Eisele, Vor §§ 13 ff. Rn. 37 m.w.N. 7 Dazu statt vieler Schmidhäuser, Gedächtnisschrift A. Kaufmann, S. 131 (136 ff.); LK/ Walter, Vor §§ 13 ff. Rn. 28; Schönke/Schröder/Eisele, Vor §§ 13 ff. Rn. 23/24; Heinrich, AT, Rn. 194; Krey/Esser, AT, Rn. 287 ff.; Kühl, AT, § 2 Rn. 3; Baumann, Gedächtnisschrift Armin Kaufmann, S. 181 (184); Gallas, ZStW 67 (1955), 1 (1 ff., 15); Jescheck, ZStW 98 (1986), 1 (9); kritisch jedoch insbesondere Herzberg, GA 1996, 1 (5 ff.).
170
D. Eigener Lösungsansatz zur Dogmatik der Sozialadäquanz
rechtssystems dar.8 Ob dem Handlungsbegriff darüber hinaus die Aufgaben obliegen, die einzelnen Verbrechenskategorien miteinander zu verbinden und so als Rückgrat der strafrechtlichen Prüfung zu fungieren, während er sogleich als Oberbegriff über sämtlichen Erscheinungsformen strafrechtlich relevanten Verhaltens thront und alles ausschließt, was von vornherein der strafrechtlichen Beurteilung entfällt,9 ist umstritten10. Als gesichert gilt jedoch, dass dem Handlungsbegriff zumindest eine negative Filterfunktion dahingehend zukommt, als dass er jene Geschehensabläufe dem strafrechtlichen Anwendungsbereich entzieht, die ohnehin nicht im Blickfeld des Rechts als menschlicher Verhaltensordnung stehen.11 Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch die Umschreibung, das Strafrecht solle von vornherein auf menschliche Zwecktätigkeit beschränkt sein. Diese Formulierung steht ihrerseits in engem Kontext mit der Geburtsstunde der Sozialadäquanz.12 Von der Prämisse des begrenzten strafrechtlichen Anwendungsbereichs wird ohne konkrete Zwischenschritte auf die mangelnde Strafbarkeit sozialadäquaten Verhaltens geschlossen. Darin liegt der Versuch begründet, über die noch heute anerkannte, negative Funktion des Handlungsbegriffes eine Handlung für strafrechtlich irrelevant zu erklären. Dennoch reicht ein derart pauschal auf der Handlungsfunktion fußender Ansatz weit über den dem Handlungsbegriff zugeschriebenen Sinn als negative Kategorie hinaus, basiert er doch wiederum auf gesellschaftlichen Überlegungen, die ein durch Menschen bewusst und vielfach ausgeübtes Verhalten (und damit eine Handlung) dem Strafrecht zu entziehen suchen. Dabei wird nicht der übliche Filter des geistig kontrollierbaren Gestaltens der Wirklichkeit13 bemüht, sondern dem
8 Wobei dies nicht gleichbedeutend damit ist, die Handlung in das Zentrum des Systems zu stellen, Schönke/Schröder/Eisele, Vor §§ 13 ff. Rn. 37. 9 So etwa Satzger/Schluckebier/Widmaier/Kudlich, Vor §§ 13 ff. Rn. 12; Roxin, AT I, § 8 Rn. 1 ff. Weiterreichend NK-StGB/Puppe, Vor §§ 13 ff. Rn. 35 ff., die dem Handlungsbegriff noch mehr Funktionen zuschreibt, jedoch selbst anmerkt, dass diese schwerlich in gleichem Maße durch einen Begriff erfüllt werden könnten (Rn. 39). 10 Ablehnend Schönke/Schröder/Eisele, Vor §§ 13 ff. Rn. 37; Krey/Esser, AT, Rn. 287 ff.; Kühl, AT, § 2 Rn. 3; Jescheck ZStW 98 (1986), 1 (9); Heinrich, AT, Rn. 194 konstatiert weitgehende Einigkeit dahingehend, dass diese Funktionen dem Handlungsbegriff nicht allesamt obliegen. 11 Schönke/Schröder/Eisele, Vor §§ 13 ff. Rn. 37; Krey/Esser, AT, Rn. 287 ff.; Kühl, AT, § 2 Rn. 3; Heinrich, AT, Rn. 194 ff.; Rengier, AT, § 7 Rn. 7; Jescheck, ZStW 98 (1986), 1 (9); Walter, Kern des Strafrechts, S. 27. 12 Exemplarisch Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (516): „Das Strafrecht beschränkt sich von vornherein auf die menschliche Zwecktätigkeit […] ,Handlung‘ (auch als finale Handlung) ist immer noch eine Abstraktion wie ,Verursachung‘, wenn sie nicht als sozial bedeutsames Phänomen, als Handlung im sozialen Lebensraum erfaßt wird. Dann scheiden aber weiter, wie wir oben sahen, alle Handlungen für den Unrechtsbegriff aus, die sich funktionell innerhalb der geschichtlich gewordenen Ordnung des Gemeinschaftslebens eines Volkes bewegen“. 13 Wie im Wesentlichen schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts erkannt wurde, dazu LK/ Walter, Vor §§ 13 ff. Rn. 29; Satzger/Schluckebier/Widmaier/Kudlich, Vor §§ 13 ff. Rn. 13; eingehend Radbruch, Der Handlungsbegriff, S. 68 ff. und Walter, Kern des Strafrechts, S. 25 ff.
I. Begründung
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Handlungsbegriff vielmehr eine weitere Ausschlusskategorie implementiert. In der Folge wird die Negativfunktion der Handlung überinterpretiert. Die Verlockung, eine Lehre der Sozialadäquanz auf die grundlegende Negativfunktion des Handlungsbegriffes zu stützen, brächte zwar den Vorteil mit sich, unabhängig von dem konkreten Inhalt des Begriffes bestehen zu können, vermag derart pauschal jedoch nicht zu überzeugen. Letztlich ließe ein derartiger Ausschluss aus dem Handlungsfeld Friktionen mit dem üblichen Verständnis der Handlung selbst zurück, fehlt es doch weder an der geistigen Kontrolle, noch an der geistigen Kontrollierbarkeit der vermeintlich sozialadäquaten Tätigkeit. Damit verbliebe als Ansatzpunkt der Sozialadäquanz insofern lediglich der materielle Gehalt der jeweiligen Handlungslehre. bb) Klassische Handlungslehre Die Ausformung des Handlungsbegriffes ist seit Jahrzehnten der Gegenstand eines nicht enden wollenden Disputs. An dessen Beginn stand die natürliche bzw. kausale14 Handlungslehre. Diese versteht die Handlung als ein vom Willen getragenes, menschliches Verhalten.15 Das Verhalten bildet dabei den Oberbegriff für äußeres Tun in Form des Einsatzes von Körperkraft (wobei auch ein Knopfdruck genügen soll) sowie Unterlassen durch Menschen. Ein willensgetragenes Verhalten liege vor, wenn jedenfalls eine Mindestbeteiligung des Geistes vorhanden sei.16 Entscheidend für das Vorliegen einer Handlung sei entsprechend, dass sie gewollt sei – nicht jedoch, was im Einzelnen gewollt sei.17 So vermag der kausale Hand14 Wobei LK/Walter, Vor §§ 13 ff. Rn. 29 und ders., Kern des Strafrechts, S. 27 auf die inhaltliche Irreführung durch die weit verbreitete, jedoch grammatikalisch falsche Bezeichnung als kausale Handlungslehre hinweist; a.A. NK-StGB/Puppe, Vor §§ 13 ff. Rn. 41, die auf das damit angegebene Element abstellt, welches geeignet sei, als Ursache in den Kausalzusammenhang eingefügt zu werden, der dem Betroffenen zugerechnet werden soll. Die erste selbstständige Erörterung des strafrechtlichen Handlungsbegriffes wird Hegel, Philosophie des Rechts, § 117 zugeschrieben, welcher ohne Differenzierung verschiedener Systemkategorien die Handlung mit der Zurechnung der Gesamttat gleichsetzt und dementsprechend auch lediglich die vorsätzliche Handlung als strafrechtliche Handlung begreift, dazu auch Roxin, AT I, § 8 Rn. 7. 15 So bereits Beling, Lehre vom Verbrechen, S. 17; von Liszt, S. 116, Deutsches Strafrecht, S. 116 („Verursachung oder Nichthinderung einer Veränderung [eines Erfolges] der Außenwelt durch willkürliches Verhalten“); Radbruch, Der Handlungsbegriff, S. 127 ff.; heute noch LK/ Walter, Vor §§ 13 ff. Rn. 30 ff. und ders., Kern des Strafrechts, S. 27 ff.; ferner Heinrich, Festschrift Weber, S. 91 (108). Kritisch hinsichtlich der oftmals damit verwobenen Kausalwirkung, die dem natürlichen Handlungsverständnis nach Ansicht Schilds bewusst ideologisch von Welzel zugesprochen wurde, um die klassische Strafrechtslehre sodann „gründlicher vernichten zu können“ Schild, GA 1995, 101 (102 ff.). 16 Statt vieler LK/Walter, Vor §§ 13 ff. Rn. 29 ff.; Roxin, AT I, § 8 Rn. 10 ff. 17 So schon Beling, Strafrecht, S. 20 f.: „Für die Feststellung, daß eine ,Handlung‘ vorliegt, genügt die Gewißheit, daß der Thäter willentlich thätig geworden ist bzw. unthätig geblieben ist. Was er gewollt hat, ist hierfür gleichgültig“; kritisch Jescheck, Festschrift Eb. Schmidt, S. 129 (144 ff.).
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D. Eigener Lösungsansatz zur Dogmatik der Sozialadäquanz
lungsbegriff die Abgrenzungsfunktion zu Nicht-Handlungen über das Element der Willkürlichkeit zu bedienen, indem nicht steuerbares Verhalten ausgenommen wird.18 Einen Ansatzpunkt für den Ausschluss sozialadäquaten Verhaltens bietet die klassische Handlungslehre damit hingegen nicht. Bei der Ausübung gesellschaftlich gebilligten Verhaltens handelt es sich schließlich um willensgetragenes Verhalten. Weitere Möglichkeiten zu einem Ausschluss konkreter Verhaltensweisen aus dem Bereich des Handlungsverständnisses kennt die klassische Handlungslehre nicht. Die Anreicherung dieses Handlungsbegriffes mit Aspekten der Sozialadäquanz kann dementsprechend nicht auf dessen grundlegendem Verständnis fußen, sondern könnte allenfalls über weitere, zu diesem Verständnis hinzutretende oder dieses überzeichnende Aspekte erfolgen. Ansonsten würde nicht nur die gebotene Neutralität des Handlungsbegriffes gegenüber Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Schuld preisgegeben werden,19 sondern vielmehr auch das zugrunde liegende Handlungsverständnis für den Einzelfall der Sozialadäquanz systemwidrig modifiziert. cc) Finale Handlungslehre Nach der Welzel zugeschriebenen finalen Handlungslehre ist menschliche Handlung das Ausüben einer Zwecktätigkeit.20 Entscheidend sei demnach, dass der Mensch die möglichen Folgen seines Tätigwerdens in gewissem Umfang voraussehen und sich daher gewisse Ziele setzen könne, auf welche er sein Tätigwerden planvoll lenke. So könne er das äußere Kausalgeschehen auf einen Zweck hin steuern, sodass es final überdeterminiert werde.21 Allerdings erschöpfe sich die Handlung nicht in der bloßen subjektiven Steuerung, sondern erfordere ein finales Geschehen und damit einen äußeren Handlungsablauf, sodass sich eine Einheit von äußeren und inneren Merkmalen ergebe, welche insgesamt die bewusste äußere
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NK-StGB/Puppe, Vor §§ 13 ff. Rn. 43. Dazu Roxin, AT I, § 8 Rn. 3; Maihofer, Der Handlungsbegriff, S. 7 f.; kritischer Herzberg, GA 1996, 1 (5 f.), im Ergebnis diesbezüglich jedoch zustimmend (8 f.). 20 Welzel, Grundzüge11; Hirsch, ZStW 93 (1981), 831 (838); zurückgehend auf Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (502 ff.); ferner Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 6 Rn. 8 f., die die Möglichkeit zweckgerichteten Handelns genügen lassen; weitere, darauf aufbauende Werke samt deren inhaltlicher Unterschiede sind bei Schmidhäuser, JZ 1986, 109 (110 ff.) und Gössel, Finale Handlung, S. 103 ff. dargestellt. Das zentrale Element des konkreten Willensinhalts betonte zuvor bereits Luden, Tatbestand des Verbrechens, S. 114 f., jedoch ohne diesbezüglich später von Welzel aufgegriffen zu werden. Wenngleich die finale Handlungslehre umstritten bleibt, ist deren Errungenschaft für den strafrechtlichen Verbrechensaufbau – die Überführung des Vorsatzes in den Tatbestand – unbestritten. 21 Welzel, Grundzüge11, S. 33; dahingehend bereits ders., ZStW 58 (1939), 491 (502 ff.). Darin liegt zugleich der entscheidende Schritt der Subjektivierung der Handlung sowie gleichsam des Tatbestandes, der sich bereits bei Luden, Tatbestand des Verbrechens, S. 114 f. abzeichnet, jedoch noch nicht konsequent ausgeformt wurde. 19
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Herbeiführung des Erfolges sei.22 Vor diesem Hintergrund ergibt sich der markanteste Unterschied zur kausalen Handlungslehre daraus, dass nach letzterer der Naturvorgang blind abläuft, während die Finalität zweckgesteuert und somit sehend sei.23 Diese Darlegung des finalen Handlungsverständnisses legt indes ebenfalls nicht ohne Weiteres eine Verwobenheit mit der Sozialadäquanz nahe, erfolgt ein vermeintlich sozialadäquates Verhalten doch ebenso zweckgerichtet und müsste dementsprechend dem finalen Handlungsbegriff unterfallen. Insofern ist die Differenz zur klassischen Handlungslehre also marginal. Allerdings scheint hinter der Welzelschen Herleitung der Sozialadäquanz dessen Verständnis der engen Verknüpfung von Handlungs- und Verbrechenslehre auf,24 welche gleichermaßen auf dem zeitgeschichtlichen Hintergrund des Finalismus gründet, der sich nach dem Ende des Nationalsozialismus etablierte und dementsprechend ersuchte, unabhängiger gegenüber dem politischen Regime zu agieren. So stand auch bei Welzel die Überlegung im Mittelpunkt, jedenfalls die Hegelsche Lehre der Ontologie zur rechtsphilosophischen Grundlage zu erheben und mit der Handlung ein vorrechtliches Substrat zu ergründen, an das die Rechtsordnung anzuknüpfen vermag.25 Schließlich habe die kausale Handlungslehre „die ganze (objektive) Seinsseite der deliktischen Handlung in sich aufgesogen und durch dürre Kausalstränge ersetzt, was eine ausgebildete Handlungslehre hätte bieten sollen. Diese verfehlte Seinsgrundlage hat das ganze auf ihr errichtete Gefüge der Strafrechtsdogmatik verschoben und verkehrt.“26 Um dem zu entgegnen, erhebt er die Seins-Grundlage zum Zentrum der Erarbeitung einer Handlungslehre.27 Demzufolge gelte es, vor jeder juristischen Wertung die Strukturen der Wirklichkeit vorzufinden und zu analysieren, bestimme der Gegenstand schließlich die Methode.28 Die ontologische Struktur soll also dem Handlungsverständnis wieder ein seinsgesetzliches Fundament verleihen.29 22 Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (502); eingehend dazu Schild, GA 1995, 101 (105 ff.). Zu den vielen im Grunde darauf basierenden Ansichten Schmidhäuser, JZ 1986, 109 (110 ff.). 23 Statt vieler Ern. Wolf, AcP 170 (1970), 181 (187 f.) zurückgehend auf Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (502). 24 Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (497): „Die entwickelte Handlungslehre ist die ,Verbrechenslehre‘ selbst“; dazu auch Schild, GA 1995, 101 (106 f.). Dazu eingehend oben, Kapitel C. I. 1. a) aa) ff. 25 Vgl. bereits vor dem Ende des Nationalsozialismus Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (492 ff., 502 f.); dazu nach dem Ende des Nationalsozialismus auch MK-StGB/Freund, Vor § 13 Rn. 10; Roxin, AT I, § 8 Rn. 17; Hirsch, ZStW 93 (1981), 831 (842; 849 f.); Schild, GA 1995, 101 (106 f.); Ern. Wolf, AcP 170 (1970), 181 (187 f.). 26 Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (492). 27 „Die Krisis der überlieferten Strafrechtsdogmatik weist eindeutig an die Aufgabe, zunächst einmal die Handlungslehre in Ordnung zu bringen. Hierbei kommt es, wie wir schon sahen, entscheidend auf den richtigen Seins-Ansatz an.“, Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (494); ferner Hirsch, ZStW 93 (1981), 831 (849 f.), der die daher rührende, gewisse Emotionalisierung des Streits um den Handlungsbegriff betont (842). 28 Vgl. Welzel, Bleibendes und Vergängliches, Abhandlungen, S. 345 (365); ferner ders, Strafrecht und Philosophie, Abhandlungen, S. 1 (1 f.).
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Fußt die strafrechtliche Handlung demnach auf dem Sein, so liegt der Schluss auf dessen Auswirkungen auf das Sollen nahe. Diesen vollzieht Welzel letztlich mit einem Sprung von der Handlung auf das Gesamtunrecht, zu welchem er das Rechtsgutsverständnis heranzieht, wobei er dieses mit Aspekten des Seins überlagert.30 Um nun der Sozialadäquanz einen festen Platz in diesem System zuzuweisen, bedient er sich einer diesbezüglich wenig beachteten These: zur Präzisierung der finalen Handlung sei diese als sozial bedeutsames Phänomen zu interpretieren.31 Diese Prämisse bietet nunmehr den Ansatzpunkt, sich funktional innerhalb der geschichtlich gewordenen Ordnung des Gemeinschaftslebens eines Volkes bewegende Handlungen der strafrechtlichen Beurteilung zu entziehen.32 Das Sein wird somit nicht mehr nur als Substrat, sondern als dezisives Moment begriffen. Getragen wird dieses Ziel dabei mitunter auch von Welzels Wunsch, die finale Handlung auch als soziale verstanden zu wissen.33 Damit schießt die Begründung der Sozialadäquanz (ganz unabhängig des gedanklichen Sprungs von Handlung auf Unrecht) indes über das Ziel einer final begriffenen Handlung hinaus. Zwar ersucht diese mit dem Sein der Handlung ein Substrat der Prüfung zu liefern; dieses soll jedoch keine Fragen der strafrechtlichen Prüfung antizipieren oder substituieren. Vielmehr obliegt ihm die Aufgabe, die vorrechtliche Wirklichkeit abzubilden und die Verbrechensprüfung auf diese zu lenken.34 Unbesehen dessen dient die Zwecktätigkeit ihrerseits lediglich der Begründung einer strafrechtlichen Handlung. Eine qualitative Bewertung des Verhaltens aufgrund der damit verknüpften gesellschaftlichen Billigung des Zwecks oder der gewählten Mittel ist dagegen gerade nicht vorgesehen.35 Der Fokus auf im sozialen Leben alltägliche Rechtsgutsverletzungen sowie der Wunsch nach deren Straffreiheit36 verstellen insofern den Blick auf die der finalen Handlung zuge29
Dazu auch Roxin, AT I, § 8 Rn. 17; Gössel, Finale Handlung, S. 20 ff. Weshalb dem nicht zugestimmt werden kann, dazu bereits oben, Kapitel C. I. 1. a) dd). 31 Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (516). Roxin, ZStW 74 (1962), 515 (534 f.) greift diese These jedoch auf und folgert aus ihr eine gewisse Zwangsläufigkeit, mit der sich daraufhin die Sozialadäquanz aufdrängen musste. 32 Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (516 f.). 33 Dies zeigt sich etwa an der Überschrift des ersten Parts seiner zentralen Abhandlung zur finalen Handlung sowie zur Sozialadäquanz, Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (491): „I. Teil: Das Grundgefüge der sozialen Handlung“; ferner etwa ebenda, (503, 517). 34 Roxin, AT I, § 8 Rn. 17; Welzel, Bleibendes und Vergängliches, Abhandlungen, S. 345 (365); Herzberg, GA 1996, 1 (4 ff.); Hirsch, ZStW 93 (1981), 831 (849 f.); Schild, GA 1995, 101 (106 f.); Ern. Wolf, AcP 170 (1970), 181 (188); Gössel, Finale Handlung, S. 92 f.; Maihofer, Der Handlungsbegriff, S. 7. 35 Wie Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (516) kurz zuvor selbst festhält: „Das Strafrecht beschränkt sich von vornherein auf die menschliche Zwecktätigkeit“. Einen gleichwie gearteten Filter hinsichtlich der Billigung des Zwecks kennt der Handlungsbegriff nicht. 36 Deutlich zu erkennen bei Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (514 f.). Noch deutlicher wird er diesbezüglich später bei Welzel, Grundzüge11, S. 42: Die Handlungslehre „hat nicht den Ehrgeiz, einen für alle Lebensbereiche gültigen und erschöpfenden Handlungsbegriff zu definieren; ihr genügt es, das (vorrechtliche) sachliche Substrat zu finden, an das die Rechtsordnung 30
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schriebene Funktion. Die soziale Bedeutsamkeit der Handlung vermag lediglich relevant zu werden, wenn sie im Gesamtkontext der Straftat und somit der Verbrechensprüfung selbst betrachtet wird.37 Darüber hinaus besteht die Grundlage des Finalismus in der subjektiven Zwecksetzung, dem subjektiven Sinn der Handlung, und fußt damit gerade nicht auf einer objektiven Wertung, die das Verhalten von außen charakterisiert. Die Berücksichtigung der äußeren Billigung einer Handlung in Form der Sozialadäquanz unter dem Mantel der individuellen, inneren Zwecktätigkeit würde diese Grenzen einebnen und den Finalismus letztlich seines Kerns berauben. Die Implementierung der Sozialadäquanz in die finale Handlungslehre vermag dementsprechend nicht zu überzeugen. Sie würde eine Friktion mit den eigens gewählten Funktionen bedeuten und die unterschiedlichen Betrachtungsrichtungen verlustig gehen lassen. Darüber hinaus käme sie auch im Rahmen des Finalismus einem nicht existenten, antizipierten Filter der Strafbarkeit gleich, der mit der Handlungslehre weder intendiert war, noch in Einklang zu bringen ist. Die enge Verbindung der Sozialadäquanz und des finalen Handlungsbegriffes basiert somit einzig aus der engen Verwobenheit der Handlungslehre und des Verbrechensaufbaus, die ihrerseits vermengt und durch soziale Wertungen entwertet wurden. Eine isoliert betrachtete finale Handlungslehre stellt allein kein geeignetes Fundament einer Lehre der Sozialadäquanz dar. dd) Soziale Handlungslehre Betrachtet man das Sammelsurium unterschiedlichster Handlungslehren38 im Hinblick auf deren potenzielle Eignung als Ansatzpunkt der Sozialadäquanz, so fällt der Blick zwangsläufig auf die soziale Handlungslehre.39 Der Grund hierfür erihre Wertprädikate anknüpft. Dabei hat sie ,von der rechtlichen Wertung zunächst abzusehen, aber zugleich zu dieser hinzuleiten‘ (wie es v. Liszt seit der 18. Aufl. seines Lehrbuchs § 28 Anm. 1 ausgedrückt hat)“ (Klammerzusätze im Original). In dieser Formulierung kommt deutlich zum Ausdruck, dass die Handlungslehre frei von eigenen Wertungen sein und lediglich das Substrat der Prüfung ermitteln und darlegen soll, um darauffolgende Wertungen anknüpfen lassen zu können. 37 Insofern zustimmend Schild, GA 1995, 101 (107); dahingehend auch Roxin, ZStW 74 (1962), 515 (516 f.), der die verschiedenen Handlungslehren für das Strafrecht als nichtssagend begreift, könnten diese doch keinen Erkenntnisgewinn schaffen und nie über das zugrundeliegende Substrat hinausreichen. Vgl. ferner Herzberg, GA 1996, 1 (4 ff.). 38 Dazu etwa Jescheck/Weigend, AT, S. 218 ff.; Roxin, AT I, § 8 Rn. 7 ff. und Walter, Kern des Strafrechts, S. 25 ff. Ferner, im Strafrecht beginnend sowie anschließend mit Blick auf das Zivilrecht, Ern. Wolf, AcP 170 (1970), 181 (181 ff.). 39 Exner, Knabenbeschneidung, S. 107 ff. diskutiert daher das Aufgehen der Sozialadäquanz in der sozialen Handlungslehre, lehnt dies indes maßgeblich mit der Welzelschen (und somit auf der anders strukturierten finalen Handlungslehre basierenden) Prämisse ab, dass letztlich tatbestandsmäßige Verhaltensweisen dem Unrechtsverdikt entzogen werden sollen, S. 110. Zu einzelnen Nuancen der sozialen Handlungslehren Voßgätter gen. Niermann, Die sozialen Handlungslehren, S. 53 ff.
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schöpft sich nicht lediglich in der ähnlichen Nomenklatur, sondern besteht zudem darin, dass diese Lehre die Handlung als das vom menschlichen Willen beherrschte oder beherrschbare sozialerhebliche Verhalten begreift.40 Der Wille des natürlichen Handlungsbegriffes wird somit um die Sozialerheblichkeit ergänzt. So wird die Bedeutung des Sozialen bzw. Gesellschaftlichen in den Fokus der Betrachtung gerückt, welche mittels des sozialen Sinngehalts der Handlung überantwortet wird. Im Gegensatz zur finalen Handlung steht nicht die subjektive Zwecktätigkeit, sondern eine objektiv-soziale Interpretation im Zentrum der Beurteilung.41 Begriffe man nun sozialadäquate Handlungen als nicht sozialerheblich, so stünde mit diesem Kriterium ein Filter bereit, der entsprechendes Verhalten der Strafbarkeitsprüfung bereits im Rahmen des Handlungsbegriffes entziehen könnte. Zwar legte Welzel seiner Ergründung der Sozialadäquanz ein finales Handlungsverständnis zugrunde; inhaltlich weisen seine Ausführungen jedoch (vermutlich unbewusst42) jedenfalls hinsichtlich der sozialen Adäquanz den Weg gen sozialer Erheblichkeit des Verhaltens. So erweist sich insbesondere die Forderung, die Handlung sei als sozial bedeutsames Phänomen zu begreifen,43 als Fingerzeig in Richtung Sozialerheblichkeit. Verdeutlicht wird dieser darüber hinaus durch die Ausführungen bezüglich des Erbonkelfalles, dessen Straflosigkeit mit der sozialen Bedeutung des Verhaltens begründet wird.44 Insofern öffnet die Figur der Sozial40 Die soziale Handlungslehre wird gemeinhin Eb. Schmidt zugeschrieben, wenngleich umstritten ist, ob das exakte Geburtsdatum auf Eb. Schmidt, Arzt im Strafrecht, S. 75 f. Fn. 29 zu taxieren ist, oder ob die wesentlichen Ansätze bereits in Eb. Schmidts Lehrbuch aus dem Jahre 1922 enthalten waren, dazu Bloy, ZStW 90 (1978), 609 (611) und Hohmann, Personalität und Zurechnung, S. 271. Zum Inhalt Jescheck/Weigend, AT, S. 223 f.; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 136 f.; Jescheck, Festschrift Eb. Schmidt, S. 139 (140 f.); Maihofer, Festschrift Eb. Schmidt, S. 156 (156 ff.). 41 Vgl. Roxin, AT I, § 8 Rn. 28; Engisch, Festschrift Kohlrausch, S. 141 (161); Eb. Schmidt, Arzt im Strafrecht, S. 75 f. Fn. 29; Maihofer, Der Handlungsbegriff, S. 72; Würtenberger, Die geistige Situation, S. 53 ff.; eingehend Voßgätter gen. Niermann, Die sozialen Handlungslehren, S. 54 ff. 42 Dafür streitet nicht lediglich der Umstand, dass Welzel die finale Handlungslehre zu etablieren versuchte. Vielmehr reichen zwar die Wurzeln der sozialen Handlungslehre in die Zeit vor dem Finalismus zurück, die heutige Bedeutung erreichte diese jedoch erst nach der Blütezeit des finalistischen Handlungsverständnisses, sodass das soziale Handlungsverständnis zur Zeit Welzels‘ Erwägungen zur Sozialadäquanz kaum auf das Tapet gebracht war, vgl. Roxin, AT I, § 8 Rn. 27 m.w.N. 43 Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (516): „,Handlung‘ (auch als finale Handlung) ist immer noch eine Abstraktion wie ,Verursachung‘, wenn sie nicht als sozial bedeutsames Phänomen, als Handlung im sozialen Lebensraum erfaßt wird.“. 44 „[…] auch der Rat, eine Eisenbahnreise zu machen, ist eine sozial-adäquate Handlung. Damit beantwortet sich das ziemlich abgeschmackte Beispiel, ob der Neffe ein Verbrechen begeht, wenn er den Erbonkel zu einer Eisenbahnfahrt überredet in der Absicht, daß dieser bei einem Eisenbahnunglück ums Leben kommen möge, und dies tatsächlich geschieht. Dieses Beispiel hat weder mit der Kausalität, noch mit dem Vorsatz etwas zu tun, sondern mit der sozialen Bedeutung der Handlung, die wir als soziale Adäquanz bezeichnen.“, Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (517).
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adäquanz das Tor zu eben jener Berücksichtigung gesellschaftlicher Faktoren, die seitens der sozialen Handlungslehre45 durch die soziale Erheblichkeit dargeboten werden und mit dem maßgeblichen subjektiven Zweck der finalen Handlungslehre nicht in Einklang zu bringen sind. Vor diesem Hintergrund scheint die Sozialadäquanz geradezu mit dem sozialen Handlungsverständnis einherzugehen. Dies gilt umso mehr angesichts des Umstands, dass die soziale Handlungslehre nicht auf personalen Aspekten, sondern einem sozialen Deutungsschema (zum Teil gar einem Rückbezug auf die Natur der Sache46) fußt. Allerdings wird das Merkmal der Sozialerheblichkeit zur Implementierung der Sozialadäquanz bislang wenig bemüht, obwohl Engisch bereits früh darauf hingewiesen hat, dass dieses ein geeignetes Fundament der Lehre der Sozialadäquanz darstellen könne.47 Dies liegt zum einen an dem allgemeinen Streit um dessen Wert,48 welcher oftmals in Frage gestellt wird. Zum anderen ist dies jedoch auf dessen zugeschriebene Funktion zurückzuführen: so wird diesem Kriterium seitens der sozialen Handlungslehre die Aufgabe überantwortet, einen wertenden Begriff auf höherer Ebene für Tun und Unterlassen zu schaffen, welche auf deskriptiver Ebene nicht zusammenzufassen seien.49 Entsprechend fokussiert sich die Umschreibung dieses Merkmals darauf, festzuhalten, dass eine Handlung das Verhältnis des Einzelnen zu dessen Umwelt betreffe und letztere durch dessen Auswirkungen tangiere.50 Demnach sind die Auswirkungen zwar objektiv und durch eine objektivsoziale Sinndeutung zu bestimmen, inhaltlich jedoch nicht nach Art oder Qualität zu bewerten. Würde man die Sozialadäquanz nunmehr in die Sozialerheblichkeit hin45 Zu Parallelen und Unterschieden der Handlungsbegriffe eingehend Bloy, ZStW 90 (1978), 609 (625 ff.), der die soziale Bedeutung der Handlung nach Welzel jedoch nicht auf Ebene der Handlung, sondern des Unrechts verortet, stelle sie doch ein Bewertungskriterium dar, das den Inhalt des Handlungsbegriffes nicht bestimme, sondern voraussetze. Auf eine Berücksichtigung von externen Bewertungen zielten bereits zuvor Mittasch, Auswirkungen des wertbeziehenden Denkens, S. 138, 142 und Thierfelder, Normativ und Wert, S. 78 f., welche die finale Handlungslehre um eine von außen an diese herangetragene Wertung zu ergänzen suchten. 46 Eb. Schmidt, Festschrift Engisch, S. 339 (351 ff.); Engisch, Vom Weltbild des Juristen, S. 10 ff. 47 Engisch, Festschrift Kohlrausch, S. 141 (161, 169); ablehnend Roxin, AT I, § 8 Rn. 31. 48 Deutlich etwa NK-StGB/Puppe, Vor §§ 13 ff. Rn. 59: „Das Prädikat sozialerheblich ist in seiner Bedeutung so unklar und in seiner Aussagekraft so schwach, dass es in keiner dieser beiden Funktionen etwas wirklich Nützliches zu leisten vermag.“ In Rede stehen insofern die Grenzfunktion sowie die Erklärungsfunktion des Handlungsbegriffes. Ähnlich Walter, Kern des Strafrechts, S. 35: „Gibt es umgekehrt etwas, das die (mangelnde) Sozialerheblichkeit zutreffend ausfiltert, das der natürliche Handlungsbegriff aber einbezieht? Eigentlich nicht.“. 49 So bereits Eb. Schmidt, Arzt im Strafrecht, S. 75 f. Fn. 29; Jescheck, Festschrift Eb. Schmidt, S. 139 (140 f.); Maihofer, Festschrift Eb. Schmidt, S. 156 (156 ff.); analytisch Bloy, ZStW 90 (1978), 609 (615 ff.). 50 Jescheck/Weigend, AT, S. 224 f.; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 136; von Weber, Festschrift Engisch, S. 331; Jakobs, Strafrechtlicher Handlungsbegriff, S. 28; vgl. ferner Roxin, AT I, § 8 Rn. 29 f.; Walter, Kern des Strafrechts, S. 35.
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einlegen, würde letzterer weit mehr zugemutet, als selbst von Vertretern dieser Lehre intendiert. In der Konsequenz würde der Oberbegriff zu einer Wertungsstufe umfunktioniert, welche ihrerseits auf einer Verbindung des Sozialen mit dem Rechtlichen fußen würde, die wiederum eine Trennung von Sein und Sollen vermissen lassen und darüber hinaus der Unrechtslehre bereits vortatbestandlich die Materie entziehen würde.51 Die selbst zum Ziel gesetzte Freiheit von Wertungen sowie Feststellungen des Unrechtstatbestandes52 ginge damit verloren. Die soziale Handlungslehre stellt gerade nicht auf ein qualitatives Maß der sozialen Wirkung ab, sondern speist sich aus der schlichten sozialen Handlungsrichtung. Die generelle soziale Erheblichkeit vermeintlich sozialadäquater Verhaltensweisen lässt sich demnach nicht absprechen. Diese Erkenntnis deckt sich mit der der Sozialerheblichkeit zugeschriebenen Funktion, lediglich Verhaltensweisen herauszufiltern, welche das Verhältnis des Einzelnen zu dessen Umwelt nicht betreffen und letztere damit nicht tangieren.53 b) Tragfähigkeit der Handlungslehre für ein Konzept der Sozialadäquanz So sehr Welzel auch mit dem Handlungsbegriff agiert und dessen Ausführungen auf ihn stützt, so wenig ist gleichwohl das Korsett des Handlungsbegriffs geeignet, eine Lehre der sozialen Adäquanz zu stützen. Selbst die soziale Handlungslehre, die in einer objektiv-sozialen Sinndeutung wurzelt, ersucht keinen derart weitreichenden Filter zu etablieren. Insofern spiegelt die Interpretation der einzelnen Handlungslehren54 das Bild hinsichtlich der dem Handlungsbegriff allgemein zugeschriebenen negativen Filterfunktion55 wider, nach welcher der Anknüpfungspunkt der strafrechtlichen Prüfung gefunden, nicht hingegen bewertet werden soll. Auch die sonst angeführten, umstritteneren Funktionen des Handlungsbegriffes56 weisen keinen derartigen Weg, sondern bestätigen vielmehr das Bild von einem darzulegenden Anknüpfungspunkt, nicht jedoch einer Antizipation der Verbrechensprüfung. 51
Eine Konsequenz, die der sozialen Handlungslehre ohnehin auch im Generellen vorgeworfen wird, siehe etwa NK-StGB/Puppe, Vor §§ 13 ff. Rn. 59; Roxin, AT I, § 8 Rn. 30 f.; Walter, Kern des Strafrechts, S. 36. 52 Deutlich etwa Maihofer, Der Handlungsbegriff, S. 72; vgl. ferner Jescheck, Festschrift Eb. Schmidt, S. 139 (140 f.). 53 Jescheck/Weigend, AT, S. 224 f.; von Weber, Festschrift Engisch, S. 331; Jakobs, Strafrechtlicher Handlungsbegriff, S. 28; vgl. ferner Roxin, AT I, § 8 Rn. 29 f.; Walter, Kern des Strafrechts, S. 35. 54 Die Ergründung weiterer Handlungslehren erscheint diesbezüglich freilich wenig zielführend, bietet doch insbesondere der soziale Handlungsbegriff jedenfalls sprachlich einen Anknüpfungspunkt für einen Strafbarkeitsausschluss aufgrund der sozialen Adäquanz und reicht von der Betrachtungsweise im Lichte des sozialen Geflechts inhaltlich am ehesten an die potenzielle Rechtsfigur heran. 55 Dazu oben, Kapitel D. I. 1. a). 56 Dazu Satzger/Schluckebier/Widmaier/Kudlich, Vor §§ 13 ff. Rn. 12; Roxin, AT I, § 8 Rn. 1 ff. und sehr vielgestaltig NK-StGB/Puppe, Vor §§ 13 ff. Rn. 35 ff.
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Eine Lehre der Sozialadäquanz einzig auf die Pfeiler des Handlungsverständnisses zu stellen, würde der eigentlichen Unrechtsprüfung den Anknüpfungspunkt entziehen und zu einer vortatbestandlichen Bewertung führen, die dem Handlungsbegriff selbst nach dessen unterschiedlichen Interpretationen nicht implementiert werden sollte. Ferner würde dem Handlungsbegriff weit mehr aufgegeben, als er zu leisten imstande ist.57 Möglich wäre dies einzig mittels einer Überzeichnung der zugrundeliegenden Handlungslehre durch die gesellschaftliche Bewertung, die den eigentlichen Handlungsbefund künstlich korrigieren würde. Die Handlungslehre kann somit, gleichwohl in welcher Fasson, nicht den dogmatischen Ursprung der Sozialadäquanz darstellen. 2. Sozialadäquanz als Ausfluss des rechtsfreien Raums? Die sich in Welzels Begründungsversuchen mittels der Handlungslehre bereits abzeichnende Tendenz, die Lehre der Sozialadäquanz der unmittelbaren Tatbestandsprüfung vorzustellen, wird sodann seitens der Überlegungen zum rechtsfreien Raum weiter betont. Demnach könnte die Sozialadäquanz ihrer Natur nach bereits vor der eigentlichen Unrechtsprüfung ansetzen und somit als vortatbestandlicher Strafbarkeitsausschluss fungieren oder jedenfalls dem rechtsfreien Raum vor dem eigentlichen Tatbestande entspringen.58 Die potenzielle thematische Verstrickung beider Kategorien zeigt sich etwa am Verlauf der Diskussion um den indizierten Schwangerschaftsabbruch59, welcher von einem Übergang der die Sozialadäquanz befürwortenden Stimmen hin zu einer Diskussion um einen rechtsfreien Raum geprägt ist. Ähnliches gilt für einen entsprechenden Versuch im Rahmen der Teilnahme an Sportwettbewerben60.
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Kritisch zur Vermengung von Zurechnungsgesichtspunkten und der sozialen Handlungslehre, die insoweit zur ähnlichen Verlagerung des Horizontes führt, Roxin, AT I, § 8 Rn. 30 ff. 58 Vgl. die in diese Richtung tendierenden Ausführungen bei Schild, Jura 1982, 585 (585 ff.). Auch Wolter, GA 1991, 531 (550 f.) betont insofern die bei entsprechendem Verhalten unangetastete Handlungsfreiheit des Täters, die der Tatbestandsprüfung vorgelagert sei und diese demnach nicht eröffne, wenngleich er insofern weniger auf den rechtsfreien Raum rekurriert als auf eine vortatbestandliche Negation. Später zieht er jedoch die soziale (In-)Adäquanz des Verhaltens heran, um den rechtsfreien Raum zu bestimmen und konstatiert somit eine wechselseitige Beziehung von Sozialadäquanz und rechtsfreiem Raum, Wolter, NStZ 1993, 1 (8): „Andererseits gibt es im Strafrechtssystem einen ,Rechtsraum vor dem Unrechtstatbestand‘. Dieser ist an anderer Stelle für die sozialadäquaten Verhaltensweisen (Beleidigung im Familienkreis; Herbeiführen von Schockschäden; Unfallverursachung trotz Einhaltung der Verkehrsvorschriften) entwickelt worden.“ (Klammerzusätze im Original). Ferner präzisiert er seine vorgenannten Ausführungen dahingehend, als dass der Wesensgehalt der Handlungsfreiheit die Strafbarkeit objektiv sozialadäquater Verhaltensweisen verbiete, Wolter, NStZ 1993, 1 (9). 59 Kapitel B. II. 1. a) aa) (2). 60 Dazu Kapitel B. II. 1. a) bb) (4).
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Die von der herrschenden Ansicht abgelehnte Auffassung von einem rechtsfreien Raum geht davon aus, dass es neben den Kategorien rechtmäßig und rechtswidrig eine dritte Klasse gebe: den rechtsfreien Raum, in welchem der Gesetzgeber das Verhalten des Einzelnen dessen subjektiver Gewissensentscheidung überlasse und sich daher einer eigenen Bewertung enthalte.61 Ausgehend von den entsprechend als unverboten verstandenen Notstandshandlungen62 wurde versucht, einzelne Bereiche zu formulieren, in welchen die Strafrechtsordnung ihre Wertungen zurückfahre, um dem Individuum eine eigene Entscheidung im rechtsfreien Raum zu ermöglichen.63 Daraus ergibt sich bereits die unterschiedliche Dimension, welche die Lehre der Sozialadäquanz und jene des rechtsfreien Raumes verfolgen. Zwar ließen sich die unterschiedlichen Ziele – die Straffreiheit aufgrund ersterer Lehre sowie die Unverbotenheit des Handelns aufgrund der letzteren – noch auf das Ergebnis mangelnder Strafbarkeit vereinen. Während der rechtsfreie Raum den mündigen Bürger in den Vordergrund stellt und dessen eigenständige Entscheidungen frei von fremder Wertbeurteilung zu ermöglichen gedenkt, orientiert sich die Sozialadäquanz hingegen gerade an der gesellschaftlichen Billigung und hebt somit das Kollektiv in den Vordergrund der Betrachtung. Dem Betroffenen soll im Sinne der Sozialadäquanz demnach lediglich die Ausübung des gesellschaftlich akzeptierten Verhaltens zugestanden, nicht hingegen seine eigene Wertentscheidung überlassen werden. Mittels dieser gesellschaftlichen Wertung soll so das positive Urteil der Straffreiheit trotz (jedenfalls formeller) Tatbestandsmäßigkeit errungen werden. Damit wird die Forderung einer Reduktion der gesetzlichen Wertung64 konterkariert und in ihr Gegenteil, eine ausdrückliche Wertentscheidung entgegen des Gesetzeswortlauts verkehrt. Dementsprechend divergieren bereits die Blickwinkel sowie Ansätze der Lehren. Die Sozialadäquanz und der rechtsfreie Raum können folglich, selbst bei grundsätzlicher Akzeptanz des letzteren, nicht miteinander einhergehen oder aufeinander gründen.
61 Binding, Handbuch, S. 765 f.; A. Köhler, AT, S. 363 f.; Allfeld, Strafrecht, S. 131; Art. Kaufmann, Festschrift Maurach, S. 328 (339 ff.); Comes, Rechtsfreier Raum, S. 107 ff.; Hold von Ferneck, Rechtswidrigkeit, S. 121, 144 ff.; Maurach, Kritik der Notstandslehre, S. 85; zur herrschenden Ansicht Jescheck/Weigend, S. 333; Roxin, AT I, § 14 Rn. 26, 29; Hirsch, Festschrift Bockelmann, S. 89 (92 ff.); Lenckner, Notstand, S. 15 ff. 62 Binding, Handbuch, S. 765 f.; A. Köhler, AT, S. 363 f.; Allfeld, Strafrecht, S. 131; Hold von Ferneck, Rechtswidrigkeit, S. 121, 144 ff.; Maurach, Kritik der Notstandslehre, S. 85. 63 Vgl. Beling, Strafrecht, S. 37; Engelhard/Radbruch, S. 23 f.; Siegert, Notstand, S. 33; eingehend Art. Kaufmann, Festschrift Maurach, S. 328 (331 ff.). 64 Die Lehre des rechtsfreien Raumes ersucht eine solche üblicherweise dergestalt, dass der Gesetzgeber eine normierte Wertung gänzlich unterlässt, während die Sozialadäquanz eine bereits getroffene sowie normierte Wertentscheidung einzuschränken versucht.
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Darüber hinaus könnte die Idee rechtsfreier Räume nicht erklären, weshalb ein als tatbestandmäßig zu bewertendes Handeln durch einen Rückzug der normierten Wertung in einen rechtsfreien Raum entlassen werden könnte.65 Die Fälle der Sozialadäquanz sind schließlich dadurch gekennzeichnet, dass das in Rede stehende Verhalten gerade einem strafrechtlichen Tatbestand unterfällt und sich somit außerhalb eines wertungsfreien Bereichs bewegt. Insofern könnte die Lehre des rechtsfreien Raumes auch die Notwendigkeit einer dogmatischen Begründung des strafrechtlichen Rückzuges nicht entbehrlich werden lassen, handelt es sich doch nicht mehr um einen vortatbestandlichen Bereich, sondern um eine Derogation innerhalb des normierten Unrechtsrahmens. Die Lehre des rechtsfreien Raums erweist sich mithin als nicht aufschlussreich für die dogmatische Verankerung der Sozialadäquanz. Ein Entscheid über die Existenz eines rechtsfreien Raumes ist daher obsolet. 3. Sozialadäquanz als entgegenstehende Rechtsausprägung? Kann die Sozialadäquanz somit nicht einem der Unrechtsprüfung vorgelagerten Handlungsverständnis implementiert werden oder dem vorrechtlichen, mitunter gar rechtsfreien Raum entspringen, müsste sie dementsprechend im Rahmen der Verbrechensprüfung zutage treten. Eine Antwort auf die Frage, ob sie als gesellschaftliche Wertung das Recht überlagert oder sich aber als eigenständige Rechtsfigur diesem zugehörig zeigt, ist damit allerdings noch nicht gefunden. Insbesondere nach den Stimmen, die die Sozialadäquanz als Rechtfertigungsgrund begreifen,66 liegt jedoch eine, gleichwie geartete, rechtliche Natur der potenziellen Figur nahe. Als rechtlicher Anker der Sozialadäquanz werden etwa §§ 242, 276 BGB67 oder § 240 StGB in die Waagschale geworfen. Daneben könnte sich die rechtliche Natur daraus ergeben, dass das bestehende Recht schlichtweg fortgebildet wird. Ferner könnte die gesellschaftliche Üblichkeit bzw. Akzeptanz der betreffenden Handlung einen Hinweis auf den natur- oder gewohnheitsrechtlichen Ursprung der 65 Dazu Roxin, AT I, § 14 Rn. 29 f., der dementsprechend lediglich einen vortatbestandlichen rechtsfreien Raum akzeptiert; eingehend ferner Hirsch, Festschrift Bockelmann, S. 89 (92 ff.); Lenckner, Notstand, S. 15 ff. 66 Zu den Vertretern dieser Auffassung bereits Kapitel C. II. 4.; entscheidend ist hier jedoch nicht die rechtliche Verortung, sondern vielmehr das zugrundeliegende Verständnis hinsichtlich der Herkunft der potenziellen Rechtsfigur aus (jeweils rein) rechtlicher und bzw. oder gesellschaftlicher Dimension. 67 Auch dies war bereits bei Welzel, ZStW 58 (1939), 516 (517 f. Fn. 38) angelegt, der in § 242 BGB einen ausdrücklichen Verweis des Gesetzes auf die Sozialadäquanz erblickte. Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (94) weist zumindest auf die seiner Auffassung nach naheliegende Möglichkeit hin, dass § 276 BGB einen positivrechtlichen Anwendungsfall der Sozialadäquanz darstellt, indem dort die im Verkehr erforderliche Sorgfalt als Anknüpfungspunkt gewählt wird. Diese setzt auch Nipperdey, NJW 1957, 1777 (1779) mit der sozialen Adäquanz gleich.
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D. Eigener Lösungsansatz zur Dogmatik der Sozialadäquanz
resultierenden Straffreiheit darstellen68 und die Sozialadäquanz demnach als rechtliche Figur klassifizieren, welche insofern mit dem normierten Straftatbestand kollidieren würde und im Sinne einer rechtlichen Konkordanz zur Straffreiheit führen könnte. a) § 242 BGB und § 240 StGB als Belege der Sozialadäquanz? Nachdem die sozialadäquaten Fallgestaltungen dort eine derogierende Wirkung ersuchen, wo ein Verhalten einem Straftatbestand unterfällt und dieser keine Ausnahmeregelung kennt, handelt es sich diesbezüglich jedenfalls nicht um geschriebenes Recht. Versuche, die Rechtsfigur als strafrechtliches Pendant des § 242 BGB bzw. § 276 BGB zu begreifen,69 scheitern hinsichtlich der Grundlage70 bereits an der mangelnden Normierung dieser Strafbarkeitsrestriktion. Schließlich bietet das Zivilrecht insofern rechtlich kodifizierte Anknüpfungspunkte an, die dem Strafrecht als solchem diesbezüglich fremd sind. Es fehlt also gerade an der hier in Rede stehenden gesetzlichen Fundierung der Sozialadäquanz. Der Schluss von einem möglicherweise normierten Spezialfall auf eine allgemeine Rechtsnatur scheitert bereits an dessen zwangsläufig induktiver Natur. Unbesehen dessen stünde der Überzeugungskraft eines solchen die Frage im Wege, weshalb es dann einer Normierung der spezielleren Ausprägung bedurft habe. Rückschlüsse hinsichtlich des Ursprungs der Sozialadäquanz lassen sich dementsprechend unbesehen der zu bezweifelnden Frage ihres tatsächlichen Zusammenhangs mit § 242 BGB bzw. § 276 BGB keine ziehen. Ähnliches gilt für die bisweilen als Spezialfall der Sozialadäquanz verstandene71 Verwerflichkeitsklausel des § 240 StGB. Diese soll als positivrechtlicher Anwendungsfall der Rechtsfigur aufzufassen sein und dementsprechend sozialadäquates Verhalten stets straffrei belassen.72 Die vermeintliche Verwobenheit der Verwerflichkeitsklausel und der Sozialadäquanz strahlte bereits früh auf die Auslegung letzterer aus, veranlasste sie doch Welzel zur zwischenzeitlichen Verschiebung der Rechtsfigur auf die Rechtswidrigkeitsebene.73 Inhaltlich wird die Klausel (auch) mit 68 Exemplarisch Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (637 f.), der die Sozialadäquanz zumindest als Entwicklungsstufe zum Gewohnheitsrecht verstanden wissen will. 69 Wie schon Welzel, ZStW 58 (1939), 516 (517 f. Fn. 38) andeutete, der in § 242 BGB einen ausdrücklichen Verweis des Gesetzes auf die Sozialadäquanz erblickte; ferner bzgl. § 276 BGB Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (94) und Nipperdey, NJW 1957, 1777 (1779). 70 In Form einer normierten Ausnahmeregelung, wenngleich dies noch keinen Rückschluss hinsichtlich der letztlichen Funktionsweise zulässt. 71 Dazu eingehend Kapitel B. II. 1. a) cc) (2) (a). 72 Maurach/Zipf, AT, § 24 Rn. 9; Würtenberger, Festschrift Rittler, S. 125 (134 f.); Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (652 f.); Hoppe, Soziale Adäquanz, S. 101; vgl. ferner F. Knauer, ZStW 126 (2014), 844 (852). Nach Fahl, JR 2017, 405 (410) könne sozialadäquates Verhalten niemals verwerflich sein. 73 Kapitel C. II.
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gesellschaftlichen Wertungen gefüllt und mittels derer interpretiert, sodass sich in der Handhabung deutliche Parallelen zur Sozialadäquanz widerspiegeln.74 Gleichwohl beansprucht die Verwerflichkeitsklausel ihre Gültigkeit lediglich für die tatbestandlich sehr weit gefasste Nötigung.75 Diese Weite wird über das Merkmal der Verwerflichkeit seitens der Judikatur auch mittels außerrechtlicher Wertungen korrigiert. Gleichsam fragwürdig wie symbolisch äußerte sich insofern der große Senat, der festhielt, der Richter müsse „an Stelle des Gesetzgebers durch unmittelbare Wertung“ entscheiden, ob die betreffende Nötigung rechtswidrig sei.76 Dem Richter wird insofern nicht nur ein weiter Auslegungsspielraum, sondern ein Surrogat der gesetzgeberischen Wertung zugestanden. Gleichwohl fußt dieser judikative Wertungsraum auf der rechtlich normierten Entscheidung des Gesetzgebers und somit unmittelbar auf dem Gesetz, freilich ganz entgegen einer nach Welzel interpretierten Figur der Sozialadäquanz. Bereits daher fallen belastbare Schlüsse von der Verwerflichkeitsklausel auf die allgemeine Figur schwer. Eher drängt sich die Frage auf, weshalb es der Normierung eines Spezialfalls bedarf, wenn dieser lediglich Ausdruck eines allgemeinen Prinzips sein soll. Weitaus entscheidender trägt indes die beabsichtigte Übertragung des Speziellen auf das Allgemeine zu der mangelnden Überzeugungskraft dieses Ansatzes bei. Zwar erweist sich die Struktur der Nötigung insofern interessant, als dass die tatbestandliche Weite auf Ebene der Rechtswidrigkeit durch den Richter korrigiert werden soll; Aussagekraft bezüglich einer generellen Lehre der Sozialadäquanz kommt diesem Umstand allerdings nicht zu. Noch weniger vermag eine Einzelfallregelung wie die des § 240 Abs. 2 StGB der gesamten Figur der Sozialadäquanz ein rechtliches Fundament zu geben. b) Sozialadäquanz als Rechtsfortbildung Angesichts der unsicheren rechtlichen Grundlage stellt sich die Frage, ob die Sozialadäquanz einer eigenen solchen entspringt, oder ob sie sich vielmehr als Figur versteht, die das bestehende Recht fortbildet77 und so dessen entsprechender Basis entstammt. Dahin könnte auch die an einer Verortung der Sozialadäquanz auf Auslegungsebene geäußerte Kritik weisen, die festhält, dass es sich weniger um Auslegung, als mehr um eine Bereichsausnahme handele, die den gegebenen Wortlaut schlicht unterschreite und so die Norm modifiziere.78 Schließlich gehen die Grenzen zwischen Gesetzesanwendung und richterlicher Normfortbildung bzw. 74
Dazu mit zahlreichen Belegen oben, Kapitel B. II. 1. a) cc) (2) (a). Vgl. BVerfGE 73, 206 (238 ff.); BGH NJW 1991, 971 (971); 1992, 2688 (2689); Fischer, § 240 Rn. 40; LK/Altvater, § 240 Rn. 93; MK-StGB/Sinn, § 240 Rn. 115 f.; NK-StGB/Toepel, § 240 Rn. 137 f.; Schönke/Schröder/Eisele, § 240 Rn. 15; Eisele, BT I, Rn. 488. 76 BGHSt 2, 194 (195 f.). 77 Insofern sei auf die von Jestaedt, in: Richterrecht zwischen Gesetzesrecht und Rechtsgestaltung, S. 49 (49 f.) propagierte Unterscheidung von Richterrecht und richterlicher Rechtsfortbildung hingewiesen. 78 Dazu bereits Kapitel C. II. 2. b). 75
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D. Eigener Lösungsansatz zur Dogmatik der Sozialadäquanz
-setzung fließend ineinander über.79 Das den Wortlaut überzeichnende Ziel der Strafbarkeitsrestriktion könnte dementsprechend ein Ergebnis der Rechtsfortbildung sein. Getragen wird ein derartiges Verständnis zunächst von unserem durch große Kodifikationen geprägten Rechtsdenken, welches den Eindruck allumfassender Regelungen erweckt und so den Reiz schafft, bei fehlender, klarer Normierung eines Problems eine Lücke anzunehmen.80 Eben jene Schließung derartiger Lücken wird als Rechtsfortbildung begriffen.81 aa) Lücken im Gesetz Bei den der Sozialadäquanz zugänglichen Fällen müsste es sich demnach um Lücken im Gesetz handeln. Solche werden gemeinhin als planwidrige Unvollständigkeit des Rechts begriffen.82 Demnach gereicht das bloße Schweigen des Gesetzes noch nicht für die Annahme einer Gesetzeslücke.83 Die vorgenommene Differenzierung zwischen anfänglichen bzw. primären Lücken, die dem Gesetz bereits zu dessen Erlass anhaften, sowie nachträglichen bzw. sekundären Lücken, die durch veränderte Verhältnisse nach Erlass des Gesetzes entstehen, ist hinsichtlich der Zulässigkeit der entsprechenden Rechtsfortbildung ohne Belang.84 Allerdings wird bisweilen die generelle Existenz jedweder Rechtslücken geleugnet, würden solche doch lediglich behauptet, um sie anschließend mit eigener Wertung schließen zu können.85 So sei eine Lücke nicht mehr als ein Zirkelschluss, da etwas vorgegeben werde, was noch zu beweisen sei.86 In der Folge könne an Stelle des Gesetzgebers
79 Kramer, Methodenlehre, S. 191 f.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 828 f. Larenz, Methodenlehre, S. 351 begreift sie daher als „verschiedene Stufen desselben gedanklichen Verfahrens“. 80 Eingehend dazu Röhl/Röhl, Rechtslehre, S. 634 f.; Kriele, ZRP 2008, 51 (53) hält ferner fest, dass derartige Lücken der Regelfall sein dürften. 81 Kramer, Methodenlehre, S. 191 ff.; Larenz, Methodenlehre, S. 351; Röhl/Röhl, Rechtslehre, S. 634 f. 82 So bereits Elze, Lücken im Gesetz, S. 3; ferner BGH NJW 1988, 2109 (2110); Kramer, Methodenlehre, S. 199; Möllers, Methodenlehre, § 6 Rn. 82 m.w.N.; Canaris, Lücken im Gesetz, S. 39. 83 So verweist etwa Larenz, Methodenlehre, S. 355 darauf, dass die mangelnden Bestimmungen zum Wohnungseigentum im ursprünglichen BGB nicht planwidrig waren, sondern der Gesetzgeber ein solches dingliches Sonderrecht aus Gründen der Übersichtlichkeit der Rechtverhältnisse an einem Grundstück zum damaligen Zeitpunkt nicht regeln wollte. 84 Vgl. Möllers, Methodenlehre, § 6 Rn. 82; zur Nomenklatur auch Röhl/Röhl, Rechtslehre, S. 634. Das wohl prominenteste Beispiel einer anfänglichen Rechtslücke dürfte § 904 S. 2 BGB darstellen, welcher den Anspruchsgegner nicht bestimmt. Im Rahmen der Sozialadäquanz kämen – vorausgesetzt, es handle sich um Lücken – aufgrund des technischen und gesellschaftlichen Fortschritts eher nachträgliche Lücken in Betracht. 85 Röhl/Röhl, Rechtslehre, S. 635; darauf eingehend, jedoch nicht zustimmend Rüthers/ Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 830. 86 Esser, Vorverständnis und Methodenwahl, S. 175.
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agiert werden und dessen originäre Aufgabe der Gesetzesausgestaltung an sich gezogen werden. Dem ist freilich zuzugeben, dass die Grenzen zwischen einer solchen Rechtslücke und einem (jedenfalls so empfundenen) Fehler des Gesetzes in rechtspolitischer Sicht eng sein können.87 Schließlich handelt es sich bei beiden Erkenntnissen um Wertungsfragen und keine Tatsachenurteile, steht doch das Ergebnis im Vordergrund, dass es dem Gesetz an einer Norm fehle, die es enthalten sollte.88 Die beiden Kategorien lassen sich jedoch an deren zugrundeliegendem Wertungsmaßstab unterscheiden: während eine Lücke einzig anhand des Regelungszwecks und der immanenten Teleologie des Gesetzes bestimmt werden kann, beruht das Fehlerverdikt auf rechtspolitischer Kritik.89 Eine Gesetzeslücke kann demnach nicht in freiem Raum und aus Belieben heraus angenommen, sondern lediglich aus dem Vergleich mit dessen eigener Teleologie sowie den dieser zugrundeliegenden Rechtsprinzipien gewonnen werden. Unter dieser Voraussetzung kann sie sodann auch nicht behauptet werden, um die Wertungen des Gesetzgebers an sich zu ziehen, sondern ist in teleologischem Zusammenhang zu begründen. Entsprechend liegt auch in der Annahme einer Lücke kein Zirkelschluss begründet. Vielmehr stellt sie zu Recht die Grundlage zulässiger Rechtsfortbildung dar.90 Lediglich ihre Planwidrigkeit sollte gesondert am Ende der Prüfung beurteilt werden, um vorschnelle Entscheidungen zu vermeiden und die Eigenständigkeit dieses Kriteriums zu betonen.91 bb) Sozialadäquanz als Lückenfüllung? Um die Sozialadäquanz als Rechtsfortbildung begreifen zu können, müsste sie also der Schließung planwidriger Unvollständigkeiten des Rechts dienen. Zu klären ist demnach, ob eine solche Lücke vorliegt. Aus gesellschaftlicher Warte vermag dies stimmig sowie verlockend erscheinen, deckt sich hier doch die eigene Wertvorstellung nicht mit der des Gesetzes. Doch kommt in dieser Sichtweise gerade die soeben angeschnittene rechtspolitische Kritik zum Tragen, ohne dass der notwendige Bezug zur Teleologie der Norm hergestellt wird. Die Fälle der Sozialadäquanz werden schließlich zumeist von der gesellschaftlichen Akzeptanz einer Handlung 87 Zu den Schwierigkeiten der Feststellung Möllers, Methodenlehre, § 6 Rn. 84; zur „fadendünnen“ Grenze Jestaedt, in: Richterrecht zwischen Gesetzesrecht und Rechtsgestaltung, S. 49 (58 ff.). 88 Larenz, Methodenlehre, S. 359; kritisch daher Jestaedt, in: Richterrecht zwischen Gesetzesrecht und Rechtsgestaltung, S. 49 (60 f.). 89 Eingehend Larenz, Methodenlehre, S. 358 ff.; Möllers, Methodenlehre, § 6 Rn. 84 ff.; ferner Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 832 ff. 90 Bydlinski, Methodenlehre, S. 473; Larenz, Methodenlehre, S. 358 ff.; Möllers, Methodenlehre, § 6 Rn. 84 f. G. Hirsch, ZRP 2006, 161 (161) zeichnet das Verhältnis des Richters zum Gesetzgeber daher mit dem Bild des Pianisten und Komponisten, der die gegebenen Spielräume interpretiere, ohne die bestehenden Vorgaben zu verfälschen. 91 Besonders deutlich zum Ausdruck gebracht bei Larenz, Methodenlehre, S. 357 ff.; ebenso Möllers, Methodenlehre, § 6 Rn. 86.
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getragen, ohne die diesbezügliche Wertung des Gesetzes überhaupt aufzugreifen. Eine Lücke im klassischen Sinne liegt daher bereits aus diesem Grund nicht vor. Zudem erscheint fraglich, inwiefern im Strafrecht eine Rechtslücke angenommen werden kann, wenn dieses gerade nicht allumfassend zu regeln versucht, sondern durch dessen fragmentarischen Charakter geprägt wird.92 Ferner steht das Schließen von Gesetzeslücken im Strafrecht stets unter der Prämisse der Wahrung des in Art. 103 Abs. 2 GG und § 1 StGB normierten Analogieverbotes.93 Eine festgestellte Lücke vermag somit nicht zulasten des Angeklagten geschlossen zu werden. Nun liegt es im Wesen der Sozialadäquanz begründet, eine Strafbarkeitsrestriktion zu ersuchen und somit zugunsten des Betroffenen zu wirken. Das Analogieverbot steht dieser Wirkrichtung demnach nicht entgegen. Allerdings zeigt sich daran, dass es nicht um den Bereich klassischer Gesetzeslücken gehen kann, wenn die potenzielle Rechtsfigur gesellschaftlich gebilligtes Verhalten einem Straftatbestand zu entziehen sucht: in diesen Fällen fällt die in Rede stehende Handlung unter den durch den Tatbestand strafbewehrten Handlungsraum. Das Recht regelt die an das Verhalten anknüpfenden Rechtsfolgen damit bereits und – woraus sich die Problemsetzung ergibt – gerade ohne die gegebenenfalls für notwendig erachtete Lücke. Damit verbliebe als Anknüpfungspunkt für die Annahme einer Rechtslücke lediglich die zum Zwecke der weiteren Präzisierung des Lückenbegriffs vorgeschlagene Kategorie der Ausnahmelücke.94 Eine solche soll vorliegen, wenn seitens des Gesetzgebers bei der Formulierung einer Vorschrift Sachverhalte unberücksichtigt geblieben sind, die eine Ausnahmeklausel erfordern würden, an der es dem Gesetz jedoch mangelt. Der Wortsinn erweist sich also als zu weit und erfasst Fälle, die positiv geregelt zu sein scheinen, entgegen der Gesetzesteleologie.95 Als Lücke kann dies nur dann verstanden werden, wenn man den teleologischen Plan zugrunde legt und die fehlende Ausnahmeregelung als Lücke des teleologischen Bauplans begreift.96 Dies erinnert zunächst an das durch die Sozialadäquanz umschriebene Problem der fehlenden Ausnahmeregelung einer Norm für gesellschaftlich akzep92
Es ist demnach gerade bezeichnend für das Strafrecht, als ultima ratio nur dort fragmentarisch einzugreifen, wo das schärfste Schwert des Staates erforderlich scheint, vgl. dazu MK-StGB/Freund, Vor § 13 Rn. 59; Jescheck/Weigend, AT, S. 52 f.; Hefendehl, JA 2011, 401 (401 ff.). 93 Dazu MK-StGB/Schmitz, § 1 Rn. 2 f.; NK-StGB/Hassemer/Kargl, § 1 Rn. 70 ff. 94 Dazu Kramer, Methodenlehre, S. 207 ff. unter Verweis auf Meier-Hayoz, Richter als Gesetzgeber, S. 65; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 848. Bydlinski, Methodenlehre, S. 472 ff. nennt diese Kategorie hingegen nicht. 95 Kramer, Methodenlehre, S. 207 ff.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 848; zur vergleichbaren „overinclusiveness“ in der amerikanischen Gerichtspraxis Sunstein, Harvard Law Review 103 (1989), 405 (419 f.), bei welcher der Wortsinn einer Norm mit deren Telos überzeichnet wird, etwa wenn eine Norm Fahrzeuge in einem Park verbietet und dementsprechend ein aus Panzern gebildetes Monument verboten werden müsste, wenn man dieses Ergebnis nicht mittels des Telos korrigieren würde. 96 Kramer, Methodenlehre, S. 209 spricht insofern von einem negativen Verständnis.
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tiertes Verhalten: Der Wortlaut scheint zu weit zu reichen und damit einen nicht strafwürdigen Fall zu erfassen. Allerdings fehlt es einem allgemeinen Prinzip der Sozialadäquanz bereits an der Berücksichtigung des teleologischen Gesamtsystems der zugrundeliegenden Normen. So beruht die Erwägung, gesellschaftlich gebilligtes Verhalten von der Strafbarkeit auszunehmen, nicht wie für eine Lücke notwendig auf dem konkreten Regelungszweck der Norm,97 sondern auf allgemeineren Wertungserwägungen. Ohne Bezug zum konkreten Regelungsgefüge und der diesem zugrundeliegenden Teleologie vermag so keine Lücke begründet zu werden. Die Lückenbildung ist demnach strikt an die einzelne gesetzliche Normierung gekoppelt und vermag kein allgemeines Fundament einer generellen Figur darzustellen. Der Schluss, dass sozialadäquates Verhalten aus dem Strafrechtssystem zu entnehmen und mit der mangelnden Ausnahmeregelung eine Lücke gegeben sei, bliebe seinerseits zu abstrakt für die Darreichung einer Lücke und könnte damit allenfalls rechtspolitisches Terrain betreten. Schließlich vermag ein allgemeines Prinzip sich nicht auf das Telos einzelner, konkreter Normen zu stützen, soll es doch gerade über diese hinausreichen. Ferner steht gerade im Strafrecht das Telos der Gesetze der Notwendigkeit einer Ausnahmeregelung zumeist entgegen, soll doch auf Normebene der Schutz der Rechtsgüter (jedenfalls bei Erfolgsdelikten) garantiert und nicht von einer konkreten Handlungsweise abhängig gemacht werden.98 Unbesehen dessen bliebe im Falle des lediglich fragmentarisch und somit selektiv eingreifenden Strafrechts die Proklamation einer bestehenden Ausnahmelücke innerhalb des bewusst aufgegriffenen Regelungsgegenstands positiv anhand der konkreten Teleologie nachzuweisen, um sich nicht insofern dem Verdacht auszusetzen, ein gewünschtes Resultat zu behaupten, um die eigenen Wertvorstellungen anzubringen.99 Im Ergebnis erweist sich die Rechtslücke damit nicht als tragfähig für ein Prinzip der Sozialadäquanz. Dieses stellt demnach auch keinen Fall der Rechtsfortbildung dar. c) Sozialadäquanz als Naturrecht oder Gewohnheitsrecht? Nach dem sich bisher abzeichnenden Bild scheint die Sozialadäquanz schwer greifbar zu sein. Zudem erscheint sie als Rechtsfigur zu allgemein, um sie auf konkrete Normen zurückzuführen oder diesen nachzubilden. Nicht zuletzt daher 97
Dazu gerade eben, Kapitel D. I. 3. b) aa). Was sich bereits daran zeigt, dass die geschützten Rechtsgüter konkret ohne Einschränkung ob deren Verletzung angegeben werden. 99 Diese generall an dem Begriff der Gesetzeslücke geäußerte Kritik [Kapitel D. I. 3. b) aa)] wird für die Ausnahmelücke umso relevanter, als dass diese lediglich negativ innerhalb der gesetzlichen Regelung begriffen werden kann und sich dementsprechend anfälliger gegenüber rechtspolitischer Kritik zeigt, wird die Darlegung des Widerspruchs zu dem Telos der Norm doch oftmals nur schwerlich gelingen. Dies zeigt sich bereits daran, dass in den Fällen der Sozialadäquanz bisweilen sehr häufig von dem gewünschten Ergebnis der Strafbarkeitsrestriktion ausgehend gedacht wird, was das zugrundeliegende Telos indes unbeachtet lässt. 98
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D. Eigener Lösungsansatz zur Dogmatik der Sozialadäquanz
scheint es verlockend, die Fälle der Sozialadäquanz als Ausprägung des Natur- oder Gewohnheitsrechts zu begreifen.100 In diese Richtung könnte auch die Entwicklung einiger unter dem Aspekt der Sozialadäquanz diskutierter Fälle deuten: so wurde die sozialadäquate Züchtigung durch den Lehrer oftmals als Gewohnheitsrecht umschrieben,101 der sozialadäquate Volksbrauch andernorts als Gewohnheitsrecht begriffen102 und auch der übliche Karnevalsscherz als Gewohnheitsrecht verstanden103. Sollte die Sozialadäquanz einer der beiden Rechtskategorien zuzuordnen sein, so zöge dies die Frage nach deren Stufenverhältnis zum Strafrecht, jedenfalls die Frage wie eine Kollision des Rechts aufzulösen bleibt, nach sich. aa) Sozialadäquanz als Naturrecht Unter dem Naturrecht wird ein höheres Recht verstanden, das dem positivistischen Recht den Spiegel vorhält und durch dessen Richtigkeit unser Rechtsbewusstsein erfüllt wird. Es sei gleichermaßen Richtmaß und Gewissen des positiven Rechts, sozusagen der König der Gesetze oder die Norm der Normen.104 Es gelte unabhängig von Gesetz und Gesetzgeber, unbesehen des konkreten menschlichen Willens.105 Als Funktionen des Naturrechts werden von dessen Befürwortern zum einen die Rechtfertigung des bestehenden Rechts, zum anderen jedoch auch die 100 Diesen Gedanken aufgreifend Würtenberger, Festschrift Rittler, S. 125 (135 ff.), der das Naturrecht als zu unbestimmt und wenig objektiv ablehnt, das Gewohnheitsrecht demgegenüber jedoch als aussagekräftiger anerkennt (138); Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (637 f.), möchte die Sozialadäquanz zumindest als Entwicklungsstufe zum Gewohnheitsrecht verstanden wissen. Schaffstein, ZStW 72 (1960), 369 (370) betont die Nähe der als unbestimmt kritisierten Sozialadäquanz zu den gleichsam unverbindlichen Gedanken des Naturrechts, bevor er vorgebrachte Einwände gegen eine Strafbarkeitseinschränkung mittels Gewohnheitsrechts entkräftet (376). NK-StGB/Hassemer/Kargl, § 1 Rn. 66 begreifen die Sozialadäquanz unumwunden als weniger anstößigen Begriff für das Gewohnheitsrecht. 101 Unter dem Gesichtspunkt der Sozialadäquanz Klug, Festschrift Eb. Schmidt, S. 249 (262 f.); K. Peters, Festschrift Welzel, S. 415 (426 ff.); Fahl, JR 2017, 405 (407 f.); Schaffstein, ZStW 72 (1960), 369 (383); Würtenberger, DRZ 1948, 291 (292). Das Züchtigungsrecht als Gewohnheitsrecht begreifend BGHSt 11, 241 (257 f.); BGH NJW 1953, 1440 (1440 f.); NStZ 1987, 173 (174); OLG Köln NJW 1952, 479 (479); vgl. auch Jescheck/Weigend, AT, S. 112. Zu den kongruenten Kriterien bereits Kapitel B. II. 1. a) bb) (5). 102 Unter dem Aspekt der Sozialadäquanz etwa Franzmann, JZ 1956, 241 (241); als gewohnheitsrechtlich anerkannt umschrieben dagegen von Klein-Bruckschwaiger, AcP 154, 426 (427 f.); Piegler, JZ 1955, 721 (721). 103 Dazu Jescheck, AT, S. 112 m.w.N. 104 Mitteis, Über das Naturrecht, S. 7; ferner Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 415; Zacher, Natur und Naturrecht, S. 13; zu den verschiedenen Epochen des Naturrechts Welzel, Naturrecht, S. 9 ff. Naturrecht soll im Folgenden also nicht als Recht der Natur, sondern als vor aller Gesetzgebung existentes Recht, das von Natur aus gilt, begriffen werden, dazu auch Braun, JZ 2013, 265 (267). 105 Röhl/Röhl, Rechtslehre, S. 291 f.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 415; Zacher, Natur und Naturrecht, S. 13; kritisch dazu Amelung, NStZ 1995, 29 (30); dementsprechend sei der Inhalt des Naturrechts unverfügbar vorgegeben, Ilting, Naturrecht und Sittlichkeit, S. 35 f.; Wittreck, in: Die Begründung der Menschenrechte, S. 43 (43 f.).
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Rechtfertigung des Widerstandes gegen geltendes Unrecht genannt.106 Zwar existieren diverse Auffassungen über das exakte Verständnis des Naturrechts; diese eint jedoch die von positiven Normen unabhängige Existenz, die sie dem vorrechtlichen und damit richtigen Recht zusprechen.107 Freilich ruft ein solch übergesetzliches Recht Kritik sowie Ablehnung hervor. Insbesondere die Rechtspositivisten lehnen Naturrecht entschieden ab und beharren darauf, dass einzig der Gesetzgeber Recht setzen könne. Schließlich sei die Rechtsqualität der Normen strikt von deren moralischem Status oder Inhalt zu trennen, sodass ein irgendwie geartetes Sein in der Natur niemals das normierte Sollen beeinflussen könne.108 Dennoch lässt sich der Naturrechtsgedanke mehr als 2.500 Jahre zurückverfolgen.109 So war es bereits Platon, der objektive Werte zu erkennen glaubte, die unabhängig der tatsächlichen Zustände in der Welt Gültigkeit beanspruchen.110 Ferner stellte er erstmals genauere Gedanken zum Inhalt des Naturrechts an. Aristoteles baute diese Naturrechtslehre aus und verstand unter dieser Kategorie überall und unbesehen der normierten Gesetze Geltung beanspruchendes Recht, an dessen Spitze insbesondere die Gleichheit der Menschen sowie die Idee der Gerechtigkeit thronen.111 Mit der Erhebung des Christentums zur römischen Staatsreligion durch Kaiser Konstantin im 4. Jahrhundert traten sodann neuere, theologische Argumente in den Vordergrund der Naturrechtsdiskussion, welche sich mit philosophischen Ansätzen vermengten. Das letztlich durch Augustinus geformte christlich-theologische Naturrecht gründet auf einer von Gott vorgebebenen Ordnung, die etwa die Gleichheit der Menschen oder das Vorrecht der Menschen gegenüber Tieren vorgebe.112 Besondere Bedeutung kam dem Naturrecht als solchen im 17. und 18. Jahrhundert zu, jenem Abschnitt der europäischen Rechtskultur, in dem die Rechts- sowie Gesellschaftsphilosophie der abendländischen Kultur direkten Einfluss auf die Gesetzgebung, Judikatur sowie die Rechtswissenschaft ausübten.113 106
Vgl. Möllers, Methodenlehre, § 2 Rn. 109 ff.; Röhl/Röhl, Rechtslehre, S. 291 f.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 416. 107 Vgl. nur Braun, JZ 2013, 265 (267); zu den diversen Interpretationen des Naturrechts schon früh Eri. Wolf, Problem der Naturrechtslehre, S. 21 ff. 108 Zuvorderst Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 409; erläuternd dazu Röhl/Röhl, Rechtslehre, S. 294 ff. mit zahlreichen Nachweisen und unter Differenzierung verschiedener positivistischer Ansätze. 109 Zu den drei diesbezüglich hauptsächlichen Epochen des Naturrechts Rüthers/Fischer/ Birk, Rechtstheorie, Rn. 417 ff.; allgemein zur Entwicklung Lipp, Bedeutung des Naturrechts, S. 62 ff.; Schlosser, Grundzüge der neueren Privatrechtsgeschichte, § 4 passim. 110 Dargestellt mittels des sog. Höhlengleichnisses bei Platon, Der Staat, 514a ff. 111 Aristoteles, Nikomachische Ethik, 5. Buch, 1131b ff.; 1134b ff. 112 Dazu im Gesamten Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 422 ff. Lipp, Bedeutung des Naturrechts, S. 65 erkennt darin die fundamentale Grundlegung des christlichen Naturrechts. 113 Lipp, Bedeutung des Naturrechts, S. 62; Braun, JZ 2013, 265 (267 f.).
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Eine weitere Blütezeit erfuhr das Naturrecht in der oft als Naturrechtsrenaissance umschriebenen Phase nach den negativen Erfahrungen des Nationalsozialismus, der oftmals dem Rechtspositivismus angelastet wurde und den Wunsch nach übergesetzlicher Richtigkeit des Rechts wieder entfachte.114 Schon längst hatten zu diesem Zeitpunkt Locke und Rousseau die bestehenden Ideen weiterentwickelt und aus ihnen die Grundlage der späteren Grundrechte geschaffen,115 die Einzug in die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika sowie die französische Menschenrechtserklärung hielten und so „ihren Siegeszug um die ganze Welt antraten“116. Gleichwohl erscheint es problematisch, einzelnen Rechtssätzen eine naturrechtliche Zeitlosigkeit zuzusprechen. Dies zeigt sich etwa an der Rechtfertigung des Sklaventums oder des Ausschlusses der weiblichen Mitspracherechte in der Politik über den Weg des Naturrechts.117 Vielmehr scheinen derartige Wertvorstellungen zeit- und kulturgebunden.118 Um sich nicht dem Vorwurf der Verwechslung von Moral und Recht ausgesetzt zu sehen, wird vorgeschlagen, den Bereich des Naturrechts zurückzudrängen und lediglich übergesetzliches Recht bzw. Rechtsprinzipien heranzuziehen, die zudem dynamisch seien und daher an den Lauf der Zeit angepasst werden könnten.119 Einen ähnlichen Mittelweg, der seinerseits großen Einfluss auf die Rechtsprechung und Literatur ausübte, schlägt Radbruch mit seinen Überlegungen zum Naturrecht ein, deren Kern heute gemeinhin als Radbruchsche Formel bekannt ist: „Der Konflikt zwischen der Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit dürfte dahin zu lösen sein, daß das positive, durch Satzung und Macht gesicherte Recht auch dann den Vorrang hat, wenn es inhaltlich ungerecht und unzweckmäßig ist, es sei denn, daß der Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Maß 114 Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 430 f.; Foljanty, Recht oder Gesetz, S. 3 ff.; dazu eingehend Rüthers, JZ 2013, 822 (822 ff.), der eindrucksvoll darlegt, dass auch die Rechtsperversion des Nationalsozialismus von Naturrechtselementen geprägt wurde. Art. Kaufmann, Rechtsphilosophie in der Nach-Neuzeit, S. 8 heißt die Naturrechtsrenaissance nicht gut, führt sie jedoch ebenfalls auf die Rechtsnot der damaligen Zeit zurück. 115 Dazu Dreier/Dreier, GG Vor Art. 1 Rn. 1 ff.; Wittreck, in: Die Begründung der Menschenrechte, S. 43 (48 ff.); Oestreich, Geschichte der Menschenrechte, S. 15 ff. 116 Möllers, Methodenlehre, § 2 Rn. 110. 117 Dreier, JZ 1997, 421 (429); im Jahre 1954 entschied auch der Große Senat des BGH, dass der außereheliche Geschlechtsverkehr gegen das Sittengesetz verstoße, das unabhängig von persönlichen Vorstellungen und individueller Akzeptanz gelte, BGHSt 6, 46 (53 f.); dazu und zu weiteren gewandelten, als Naturrecht verkündeten Inhalten Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 435 ff. 118 Dreier, JZ 1997, 421 (429). Topitsch, Festschrift Kraft, S. 233 (233 ff.) wirft aufgrund der Wechselhaftigkeit vermeintlicher Naturrechtsinhalte die Frage auf, ob das Naturrecht lediglich eine Leerformel sei. 119 Möllers, Methodenlehre, § 2 Rn. 112; Hruschka, JZ 1992, 429 (436); Starck, ARSP Beiheft 37 (1990), 47 (51 f.); Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, S. 201 ff.; kritisch gegenüber dem Naturrecht auch Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 441.
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erreicht, daß das Gesetz als ,unrichtiges Recht‘ der Gerechtigkeit zu weichen hat. […] Wo Gerechtigkeit nicht einmal erstrebt wird, wo die Gleichheit, die den Kern der Gerechtigkeit ausmacht, bei der Setzung positiven Rechts bewußt verleugnet wurde, da ist das Gesetz nicht etwa nur ,unrichtiges Recht‘, vielmehr entbehrt es überhaupt der Rechtsnatur.“120 Diese Formel relativiert den lange Zeit herrschenden Rechtspositivismusgedanken. Wenngleich ihr keine trennscharfe Präzisierung innewohnt, ist sie als Grenze für die Ablehnung offensichtlich ungerechten Rechts doch allgemein anerkannt.121 Ferner besteht Einigkeit dahingehend, die Anwendbarkeit der Radbruchschen Formel auf Fälle extrem schwerer Rechtsverletzungen zu beschränken und so auch inhaltlich ungerechtem und unzweckmäßigem Gesetzesrecht im Sinne der Rechtssicherheit im Zweifel den Vorrang einzuräumen.122 In der Regel soll daher das geschriebene Recht obsiegen, sofern nicht das Maß der Unerträglichkeit der Rechtsverletzungen erreicht ist.123 Dabei verfolgt die Formel eine punktuelle Falsifikationsprüfung und Delegitimierung von Einzelnormen sowie Normenkomplexen unter strengen Voraussetzungen.124 Anhand der anzulegenden Maßstäbe zeigt sich indes, dass die Sozialadäquanz als Korrektiv nicht unmittelbar dem Naturrecht zu entnehmen sein kann. Schließlich ersucht sie keine Derogation des gesamten Gesetzes oder der gesamten Norm, sondern lediglich eine Einschränkung deren Anwendungsbereichs für konkrete 120 Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 216 ff. und ders., SJZ 1946, 105 (107); dahingehend zuvor bereits Reichel, Gesetz und Richterspruch, S. 142; eingehend dazu Dreier, Festschrift Winkler, S. 193 (196 ff.) und Art. Kaufmann, NJW 1995, 81 (82 ff.) unter Betonung des auch nach Radbruch gegebenen hohen Stellenwertes der Rechtssicherheit, der eine extrem schwere Rechtsverletzung zur Voraussetzung der Ungültigkeit eines Gesetzes erhebt. Die Umschreibung als Radbruchsche Formel wird für gewöhnlich auf Evers, Richter und unsittliches Gesetz, S. 79 zurückgeführt. 121 So Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 970; vgl. BVerfGE 23, 98 (106); 54, 53 (67 f.); 95, 96 (134); BGH NJW 1993, 141 (144 f.); Bydlinski, Methodenlehre, S. 350 ff.; Möllers, Methodenlehre, § 2 Rn. 114 ff.; Art. Kaufmann, NJW 1995, 81 (86); Herbert, Radbruch’sche Formel, S. 51 ff.; besonders deutlich Röhl/Röhl, Rechtslehre, S. 332 f.: „Etwas Besseres ist zur Sache nicht mehr gesagt worden“ und Dreier, Festschrift Winkler, S. 193 (196): „Sein Aufsatz ,Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht‘ wurde von den deutschen Gerichten bei der Aufarbeitung des NS- und später des SED-Unrechts rezipiert und dürfte der praktisch einflußreichste rechtsphilosophische Aufsatz dieses Jahrhunderts sein“. Vgl. dazu insbesondere auch die Darstellungen zur Rezeption durch die Rechtsprechung bei Vassalli, Radbruchsche Formel, S. 51 ff. 122 Insofern wird auch von einer widerlegbaren Geltungsvermutung des positiven Rechts gesprochen, siehe B. Hoffmann, Gesetz und Recht, S. 36; dahinter steht der Grundgedanke der Abwägung der beiden Gerechtigkeitsgesichtspunkte Rechtssicherheit sowie materiale Gerechtigkeit, dazu Herbert, Radbruch’sche Formel, S. 55 ff. 123 Eingehend Adachi, Radbruchsche Formel, S. 80 ff.; Saliger, Radbruchsche Formel, S. 16 ff.; Vassalli, Radbruchsche Formel, S. 266 ff.; ferner B. Hoffmann, Gesetz und Recht, S. 36. 124 B. Hoffmann, Gesetz und Recht, S. 36; Saliger, Radbruchsche Formel, S. 18; Vassalli, Radbruchsche Formel, S. 267 f.
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D. Eigener Lösungsansatz zur Dogmatik der Sozialadäquanz
Fälle. Die Norm selbst wird jedoch keineswegs in Frage gestellt; vielmehr soll deren Anwendungsbereich für den Einzelfall zurückgedrängt werden. Zudem kommt der grundsätzlich akzeptierten Strafnorm ohnehin kein derartiger Unrechtscharakter zu, welcher eine Unerträglichkeit der Rechtsverletzungen begründen könnte. Die Sozialadäquanz zielt weder auf eine Delegitimierung von Einzelnormen, noch begründet sie eine Strafbarkeitsrestriktion anhand des unerträglichen Charakters eines Straftatbestandes. Demnach handelt es sich nicht um ein dem Naturrecht entspringendes Phänomen. bb) Sozialadäquanz als Gewohnheitsrecht Der Begriff des Gewohnheitsrechts fällt häufig im Rahmen der Diskussion um die Existenz bzw. Natur der Sozialadäquanz.125 Nach vorherrschender Ansicht soll solches durch Billigung sowie entsprechendes Verhalten eines Volkes grundsätzlich als allgemein verbindliches Recht entstehen können.126 Vereinzelt wird die Sozialadäquanz ohne große Umschweife als harmlosere Umschreibung für den justiziellen Gebrauch von solch gewohnheitsrechtlich begründetem Recht begriffen und so diesem zugeordnet.127 Daher gilt es zu klären, ob die Sozialadäquanz mit dem Gewohnheitsrecht gleichgesetzt werden oder diesem entstammen kann. Die Negation dieser These aufgrund des Umstands, dass die Sozialadäquanzlehre formell tatbestandsmäßiges Verhalten dem materiellen Unrecht entziehe und somit kein Gewohnheitsrecht darstellen könne, welches doch bereits diesem formellen Urteil entgegenstünde,128 überzeugt für sich genommen noch nicht, setzt diese Argumentation ihrerseits die Wirkrichtung sowie den Ansatzpunkt der Sozialadäquanz unergründet voraus und verkommt so letztlich zu Wortklauberei. Unbesehen dessen 125 Vgl. nur Würtenberger, Festschrift Rittler, S. 125 (135 ff.); Schaffstein, ZStW 72 (1960), 369 (376); Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (637 f.); Exner, Knabenbeschneidung, S. 113 ff. 126 BVerfGE 9, 109 (117); 15, 226 (232); 22, 114 (121); 34, 293 (297); MK-StGB/Schmitz, § 1 Rn. 28; Jescheck/Weigend, AT, S. 111 f.; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 176 f.; Möllers, Methodenlehre, § 3 Rn. 23; Bringewat, ZStW 84 (1972), 585 (593 ff.); Krebs/Becker, JuS 2013, 97 (98 f.); Exner, Knabenbeschneidung, S. 113 m.w.N. 127 So NK-StGB/Hassemer/Kargl, § 1 Rn. 66 mit Verweis auf Roxin, Festschrift Kargl, S. 459 (461), der sich dort jedoch auf sein Sozialadäquanz-Verständnis als teleologische Auslegung beruft und keinen Bezug zum Gewohnheitsrecht herstellt, sich davon vielmehr deutlich unterscheidet. Der weitrere Verweis auf Schild, Fetschrift Kargl, S. 153 (153) trägt dagegen schon eher, umschreibt Schild zu Beginn des Beitrags doch, die Sportadäquanz heranzuziehen, um ein für notwendig erachtetes, auf anderen Wegen nicht begründbares Ergebnis zu erzielen. 128 So Exner, Knabenbeschneidung, S. 114 ohne treffenden Beleg für die Frage, weshalb eine gewohnheitsrechtlich interpretierte Sozialadäquanzlehre das formelle Unrechtsverdikt bereits neutralisieren solle, wenn auf die Konkurrenzen von Gewohnheitsrecht und Strafrecht nicht eingegangen wird und sich letztlich beide Bereiche schneiden würden. Auch der weitere Vorwurf Exners, die Sozialadäquanz beziehe sich rein auf außerrechtliche Aspekte und könne damit nicht dem Gewohnheitsrecht angehören, vermag angesichts der Voraussetzungen des Gewohnheitsrechts nicht zu überzeugen, dazu sogleich.
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bedürfte ein derartiger Ansatz einer vorgelagerten Stellungnahme zu der Frage, wie die Kollision einer Strafnorm mit Gewohnheitsrecht aufzulösen sein soll. Unter Gewohnheitsrecht wird das Recht verstanden, das nicht durch förmliche Setzung, sondern durch längere tatsächliche Übung (longus iuris oder recta consuetudo) entsteht, welche eine dauernde, ständige und gleichmäßige sein sowie allgemein als verbindliche Rechtsnorm (opinio iuris ac necessitatis) anerkannt werden muss.129 Erforderlich ist also neben dem objektiven Element der langen Übung mit der allgemein verbreiteten Überzeugung deren Gültigkeit auch ein subjektives Element.130 Gewohnheitsrecht kann demnach nicht entstehen, wenn es an der allgemeinen, verbindlichen Rechtsüberzeugung fehlt, die Ausübung des Verhaltens also nicht mit der Überzeugung einhergeht, eine bindende Regelung des Rechts zu verfolgen.131 Dem wird die typische, sozialadäquate Handlung jedoch bereits nicht gerecht: so sollen jene Betätigungen sozialadäquat sein, in denen sich das Gemeinschaftsleben nach seiner geschichtlich bedingten Ordnung jeweilig vollziehte132 bzw. die sich innerhalb des Rahmens „der geschichtlich gewordenen sozialethischen Ordnungen des Gemeinschaftslebens“ befinden.133 Es handelt sich demnach um ein Verhalten, das zwar ausgeübt wird, dem aber nicht zwangsläufig eine positive Geltungskraft zugeschrieben wird. Vielmehr muss der Ausübende sich keinerlei Gedanken um dessen Geltungswert oder Richtigkeitsanspruch machen, sondern folgt lediglich den gesellschaftlichen Gepflogenheiten, ohne daran ein Werturteil zu knüpfen. Insbesondere hat ein sozialadäquates Verhalten nicht werthaltig zu sein,134 sodass eine darauf aufbauende verbindliche Rechtsüberzeugung ohnehin ins Leere liefe bzw. sich aus dem Leeren speiste. Zwar ist die Sozialadäquanz vorliegend noch nicht konkretisiert, die mit Bezug auf sie vorgebrachten Fälle umschreiben jedoch solches Verhalten, welches gerade nicht durch den Glauben an dessen positive Geltungskraft gezeichnet ist.
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BVerfGE 9, 109 (117); 15, 226 (232); 22, 114 (121); 34, 293 (297); Fischer, § 1 Rn. 20; MK-StGB/Schmitz, § 1 Rn. 28; Jescheck/Weigend, AT, S. 111 f.; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 176 f. 130 BVerfGE 9, 109 (117); 22, 114 (121); 34, 293 (303 f.); Möllers, Methodenlehre, § 3 Rn. 23; Röhl/Röhl, Rechtslehre, S. 554 f.; Krebs/Becker, JuS 2013, 97 (98). 131 BVerfGE 9, 213 (221); 22, 114 (121); Möllers, Methodenlehre, § 3 Rn. 23; Rüthers/ Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 232; Meder, Ius non scriptum, S. 108; Rümelin, Kraft des Gewohnheitsrechts, S. 36 ff.; Krebs/Becker, JuS 2013, 97 (98); Exner, Knabenbeschneidung, S. 117 f. 132 Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (517); vgl. auch Welzel, Grundzüge11, S. 56. 133 Welzel, Grundzüge1, S. 35. 134 Dazu bereits Kapitel C. III. 3. b); a.A. lediglich K. Peters, Festschrift Welzel, S. 415 (426 ff.) und differenzierend ferner Klug, Festschrift Eb. Schmidt, S. 249 (261 f.); zurecht ablehnend auch Exner, Knabenbeschneidung, S. 117 f., der den mangelnden Bedarf an Richtigkeitsüberlegungen in das Zentrum der Diskussion stellt, da bei sozialadäquaten Handlungen kein Anlass zu gesellschaftlicher Auseinandersetzung bestehe.
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Darüber hinaus teilt die Sozialadäquanz auch das objektive Element des Gewohnheitsrechts nicht zwangsläufig. Dieses setzt eine dauernde, ständige und gleichmäßige Übung der Allgemeinheit voraus.135 Damit hat neben die Dauer der Verhaltensausübung unter anderem deren Verbreitung zu treten: so muss die Verhaltensweise gesamtgesellschaftlich verbreitet sein, sodass Gewohnheitsrecht nur dort entstehen kann, wo das entsprechende Verhalten von der Gesamtheit der Gesellschaft ausgeübt wird.136 Für das Strafrecht dürfte dieser Grundsatz umso mehr Geltung beanspruchen, müsste doch sonst ein lediglich partikular geltendes Recht dem allgemein gesetzten Rechtssatz sektoral entgegenstehen.137 Möchte man die Sozialadäquanz einzig auf Gewohnheitsrecht stützen, so bedeutete dies, ihr jedwede Relativität abzusprechen und nur solche Handlungen als sozialadäquat zu begreifen, die in der gesamten Gesellschaft ausgeübt werden. Dies stünde freilich im Gegensatz zu oben dargelegter Entwicklung, die Sozialadäquanz zunehmend nicht auf die eine Ordnung, sondern die gesellschaftlichen Ordnungen zu stützen.138 Zudem könne dann lediglich sozialadäquat sein, was seit langem gesellschaftlich gehandhabt werde, wodurch der Rechtsfigur im Rahmen technischer Neuerungen wie einst der Bahnfahrt die Türe verschlossen bliebe. Ferner bedürfte es unter diesem Aspekt kaum einer eigenständigen Rechtsfigur der Sozialadäquanz. Zwar vermögen sich die objektiven Elemente von Sozialadäquanz und Gewohnheitsrecht zu überschneiden; letzteres scheint jedoch gegenüber ersterem ein Mehr zu fordern, welches insbesondere in der Verwurzelung der gesamten Rechtsgemeinschaft liegt. Die mitunter strittige Frage, inwiefern dem Gewohnheitsrecht im Strafrecht dezisive Wirkung zukommen kann, braucht folglich nicht beantwortet zu werden. Diese schiene zwar auf den ersten Blick unproblematisch, greift die Sozialadäquanz doch zugunsten des Täters, sodass das Analogieverbot nicht entgegenstünde.139 Allerdings könnte sie über das damit einhergehende Verdikt über die jedenfalls mangelnde Rechtswidrigkeit eines Angriffs auch dem Opfer das Notwehrrecht nehmen und so mittelbar strafbegründend wirken.140 Verschärft würde die resultierende Diskussion dadurch, dass § 32 StGB (im Gegensatz zum Institut 135 BVerfGE 9, 109 (117); 15, 226 (232); 22, 114 (121); 34, 293 (297); Fischer, § 1 Rn. 20; MK-StGB/Schmitz, § 1 Rn. 28; Jescheck/Weigend, AT, S. 111 f.; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 176 f. 136 BVerfGE 9, 109 (117); 22, 114 (121); 34, 293 (303 f.); Möllers, Methodenlehre, § 3 Rn. 23; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 232; Esser, Grundsatz und Norm, S. 138; Meder, Ius non scriptum, S. 108; Rümelin, Kraft des Gewohnheitsrechts, S. 36 ff.; Krebs/Becker, JuS 2013, 97 (98 f.); Larenz, NJW 1951, 497 (497 f.). 137 Diesbezüglich kritisch bereits Scheyhing, JZ 1959, 239 (240). 138 So auch Exner, Knabenbeschneidung, S. 115 ff.; zu den gesellschaftlichen Ordnungen als Grundlage der Sozialadäquanz bereits Kapitel C. III. 1. a). 139 Zur Bedeutung des Analogieverbots Maunz/Dürig/Remmert, GG Art. 1 Rn. 82 f.; MKStGB/Schmitz, § 1 Rn. 28 f.; ferner NK-StGB/Hassemer/Kargl, § 1 Rn. 64 ff.; eingehend Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, Rn. 35 ff. 140 Dazu LK/Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 228; NK-StGB/Hassemer/Kargl, § 1 Rn. 67a; Schönke/Schröder/Hecker, § 1 Rn. 13; ferner Hirsch, Gedächtnisschrift Tjong, S. 50 (53 ff.).
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der Einwilligung) gesetzlich fixiert ist und so dem Analogieverbot unterstehen müsste.141 4. Eigener Ansatz zur Begründung der Sozialadäquanz Es zeigt sich, dass die Sozialadäquanz nicht unbesehen auf die vorgebrachten Ansätze gestützt werden kann. Vielmehr scheint sie sich nicht in die vorgeschlagenen Modelle zwingen zu lassen, sondern einen eigenständigen, dogmatischen Ursprung zu besetzen. Schließlich kann der bloße Verweis auf die Handlungslehre ebenso wenig überzeugen wie die Berufung auf natur- oder gewohnheitsrechtliche Grundsätze. Auch die Wirkrichtung deckt sich nicht mit der eines vermeintlichen rechtsfreien Raumes. Daher gilt es, den eigenen dogmatischen Kern der Sozialadäquanz herauszuarbeiten. Dieser besteht wie dargelegt nicht aus einem altbekannten Prinzip, sondern speist sich aus mehreren Säulen, die sich gegenseitig bedingen und kumuliert betrachtet das Fundament sozialadäquater Strafbarkeitsrestriktionen bilden. a) Abstraktes und bestimmtes Gesetz aa) Abstrakt-generelle Regelungstechnik des Gesetzes Zur Ergründung der ersten Säule der Sozialadäquanz sei zunächst kurz auf die Norm als Grundbegriff der Allgemeinen Rechtslehre verwiesen. Während im 19. Jahrhundert die einzelnen Rechtsbegriffe als Grundbausteine des Rechts zu etablieren versucht wurden,142 besteht nunmehr weitgehend Einigkeit darüber, die Rechtsnorm als Elementarteilchen des Rechts zu begreifen.143 Dementsprechend wird dem Verständnis der Rechtsnormen eine Schlüsselstellung in der Rechtslehre zuteil. Dabei unterscheidet die klassische Rechtstheorie zwischen den das Recht formenden Rechtsnormen als solchen und den Rechtssätzen, in denen erstere nie-
141 Danach differenzierend etwa NK-StGB/Hassemer/Kargl, § 1 Rn. 67a; Schönke/ Schröder/Hecker, § 1 Rn. 13; eingehend zu den verschiedenen Ansichten Hirsch, Gedächtnisschrift Tjong, S. 50 (55 ff.); Krey, Studien zum Gesetzesvorbehalt, S. 233 ff.; aA Roxin, AT I, § 5 Rn. 42. 142 Jhering, Geist des römischen Rechts, war etwa in seiner jüngeren Schaffenszeit der (bildhaft umschriebenen) Ansicht, ein Rechtsalphabet, welches die einzelnen Rechtsbegriffe definiere, wäre in der Lage, durch wiederkehrende Zerlegung und Zusammenbau das gesamte Recht hinreichend scharf zu umschreiben. 143 Mahlmann, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, § 23 Rn. 1; Röhl/Röhl, Rechtslehre, S. 189; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 92; dahingehend bereits Nawiasky, Rechtslehre, S. 8: „Alles Recht besteht aus Normen […]“. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 25 f. erhebt die Rechtsnorm zum Deutungsschema des normativen, positiven Rechts; dazu auch Winkler, Recht und Rechtswissenschaft, S. 15 ff.
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dergelegt bzw. sprachlich ausgedrückt werden.144 Die Rechtssätze fungieren demnach als Träger der Rechtsnormen, welche bedeutend von deren Allgemeinheit geprägt sind:145 sie gelten bei unbegrenzt häufigem Auftreten der von ihnen beschriebenen Situation. Eine Rechtsnorm hat dementsprechend abstrakt-generelle Regelungen zu enthalten, sodass sie für eine Vielzahl an Fällen sowie für einen unbestimmt großen Kreis an Personen Geltung beansprucht. Daraus ergibt sich bereits, dass auch der die Norm tragende Rechtssatz nicht konkret-individuell auf einen Einzelfall gerichtet sein kann, sondern vielmehr abstrakt-generell abgefasst sein muss. Die Bindung der Gesetzgebung an den Grundsatz der Allgemeinheit ist zudem in Art. 19 Abs. 1 GG kodifiziert, wonach ein ein Grundrecht einschränkendes Gesetz allgemein zu sein hat. Die allgemeine Rechtsnorm ist dementsprechend in einem allgemein gefassten Rechtssatz niederzulegen.146 Dabei sind die Rechtsfolgen einer Normierung nicht auf einen Einzelfall zu richten, wenngleich dieser mitunter den Anlass zur gesetzlichen Regelung bieten kann.147 Als Resultat steht die abstraktgenerelle Regelungstechnik des Gesetzes, welche der Allgemeinheit der Gesetze Rechnung trägt und dieser geschuldet ist. Diese zeichnet sich demnach dadurch aus, nicht auf einer erschöpfenden Kasuistik zu fußen, sondern vielmehr Oberbegriffe zur abstrakten Benennung wesensmäßig gleichgelagerter, strafwürdiger Verhaltensweisen zu bilden, um das Recht anpassungsfähig zu gestalten.148 Dergestalt prägt sie den niederzulegenden 144 In der in § 223 StGB normierten Formulierung „Wer eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft“ kommt somit dieselbe Norm zum Ausdruck wie in der Umschreibung „Es ist verboten, einen anderen Menschen körperlich zu misshandeln oder an der Gesundheit zu schädigen. Wer dagegen verstößt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“; es handelt sich um unterschiedliche Rechtssätze, die jedoch die identische Rechtsnorm teilen, s. Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 92 und Rödig, Analytische Rechtslehre, S. 45. Freilich weisen Röhl/Röhl, Rechtslehre, S. 189 zutreffend darauf hin, dass jeder Satz innerhalb eines autoritativen Normtextes als Rechtsnorm im weiteren Sinne verstanden wird. 145 Durch die sich Normen von Imperativen unterscheiden, welche lediglich eingeschränkte Geltung für eine genauer bestimmte Situation beanspruchen (etwa „Schließen Sie die Tür!“), Mahlmann, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, § 23 Rn. 1; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 113, 219: „Grundmerkmal aller Rechtsquellen ist die Allgemeinheit der Normen“. Dagegen verstehen Röhl/Röhl, Rechtslehre, S. 189 ff. unter der rechtstheoretischen Rechtsnorm sowohl generelle, als auch individuelle Normen. 146 Dazu BVerfGE 13, 225 (229); 25, 371 (396); BeckOK-GG/Enders, Art. 19 Rn. 8; Maunz/Dürig/Remmert, GG Art. 19 Abs. 1 Rn. 35 ff.; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 71 f.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 219. Daher führt auch die Ansicht von Röhl/Röhl (Fn. 145) hinsichtlich des Inhalts der Normen bei Gesetzen zu keinem Unterschied, hat das Gesetz doch ohnehin allgemein zu sein und unterscheidet sich daher von den ebenfalls als Normen begriffenen Verwaltungsakten oder Verträgen jedenfalls durch die Allgemeinheit des Rechtssatzes. 147 BVerfGE 25, 371 (396); vgl. BVerfGE 7, 129 (151); 13, 225 (229); 99, 367 (400). 148 Jescheck/Weigend, AT, S. 128 f.; Larenz, Methodenlehre, S. 155; Möllers, Methodenlehre, § 4 Rn. 78; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 219, 756 ff.; Rüthers, Zeitgeist und
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Rechtssatz in erheblichem Maße.149 Idealiter wahrt sie den schmalen Grat zwischen Konkretheit sowie Abstraktheit des Rechtssatzes und schafft so letztlich eine Übereinstimmung von richterlicher Entscheidung und Gesetzessinn. Durch den Verzicht auf starre Kasuistik150 zugunsten des Allgemein-Abstrakten bedarf es jedoch der Auslegung des Rechtssatzes, um dessen spezifischen Regelungsgehalt herauszuarbeiten.151 Aufgrund der abstrakten Oberbegriffsbildung kann diese indes dazu führen, den faktischen Anwendungsbereich einer (Straf-)Norm über deren intendierten Gehalt hinaus zu bestimmen oder mangels Ausschlussgrundes seitens des Gesetzgebers nicht intendierte Fälle unter das abstrakte Merkmal zu subsumieren. Die Entscheidung für eine Flexibilität des Strafgesetzes durch dessen abstrakt-generelle Ausgestaltung erkauft somit die Möglichkeit, neuartige Fallgestaltungen in das Korsett der Strafnorm zu zwängen, mit dem Preis der Erfassung nicht vorhergesehener Verhaltensweisen: je abstrakt-allgemeiner die Formulierung der Merkmale, desto weiter ist der Anwendungsbereich eines Gesetzes potenziell zu ziehen und umso mehr droht die Gefahr, unbeabsichtigt bzw. unbemerkt zu viele Fallkonstellationen einer Norm unterzuordnen.152 bb) Bestimmtheit des Gesetzes (1) Bestimmtheitsgrundsatz Freilich beansprucht der grundgesetzlich verankerte Grundsatz der Allgemeinheit der Gesetze auch im Strafrecht Geltung. Der Verlockung, über eine allzu allgemein gefasste strafrechtliche Generalklausel153 sämtliches als strafbar erachtetes Verhalten Recht, S. 10, 20 ff. Eingehend zur zugrundeliegenden Methode der Begriffsbildung Bydlinski, Methodenlehre, S. 300 ff. 149 Dazu Jescheck/Weigend, AT, S. 128 f.; Tiedemann, Tatbestandsfunktionen, S. 74 ff.; zum gebotenen Zusammenspiel von Generalisierung und Differenzierung etwa Engisch, Idee der Konkretisierung, S. 266 ff. und Art. Kaufmann, Analogie, S. 52. 150 Welche dem Richter die Entscheidung zwar eindeutig vorgeben, in einem abschließenden System unter Wahrung eines Analogieverbotes jedoch zwangsläufig Lücken hinterlassen würde. 151 Allgemein Kramer, Methodenlehre, S. 78 ff.; Möllers, Methodenlehre, § 4 Rn. 18 ff.; aus strafrechtlicher Warte Heinrich, AT, Rn. 135 ff.; Roxin, AT, § 5 Rn. 26 ff.; Kuhlen, in: Das Gesetzlichkeitsprinzip im Strafrecht, S. 45 (55 ff.); Krey, Studien zum Gesetzesvorbehalt, S. 113 ff.; zur historischen Entwicklung der Auslegung der Gesetze (auch) als Einflusstor außergesetzlicher Einflüsse T. Vogel, Richterliche Bindung an das Gesetz, S. 15 ff.; zur Bedeutung der Wortlautgrenze für die notwendige Auslegung Klatt, Theorie der Wortlautgrenze, S. 19 ff. 152 Dazu etwa Röhl/Röhl, Rechtstheorie, S. 606, 611 ff.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, § 5 Rn. 166 ff.; Raiser, Rechtssoziologie, S. 256 kritisiert vor diesem Hintergrund die mangelnde Verständlichkeit der Gesetze. Potenziert wird diese Gefahr freilich durch die Übergeneralisierung des Rechts in Form unbestimmter Generalklauseln, vgl. dazu Jescheck, AT, S. 129 f., der vor diesem Risiko und der damit einhergehenden Verlagerung der Abgrenzung strafbaren Verhaltens auf den Richter warnt; kritisch ferner Roxin, AT I, § 7 Rn. 51 f. 153 Ein prominentes Negativbeispiel stellt § 2 Abs. 1 RStGB dar, der durch Gesetz vom 28. 6. 1935 wie folgt gefasst wurde: „Bestraft wird, wer eine Tat begeht, die das Gesetz für strafbar erklärt oder die nach dem Grundgedanken eines Strafgesetzes und nach gesundem
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sanktioniert zu sehen, wird allerdings mittels des in Art. 103 Abs. 2 GG sowie einfachgesetzlich in § 1 StGB normierten Bestimmtheitsgrundsatzes entgegengetreten. Nach diesem müssen Bestrafungen auf abstrakt-generelle Gesetze gestützt werden, die ihrerseits jedoch hinreichend bestimmt zu sein haben.154 Der Gesetzgeber hat die Straftatbestände mithin so auszugestalten, dass der Normadressat eindeutig voraussehen kann, ob ein Verhalten strafbar ist und welche Strafandrohung ihm nachfolgt.155 Dazu sind die Voraussetzungen von Strafbarkeit und Strafe in der Norm so konkret zu umschreiben, dass die Entscheidung über die Bedingungen der Strafe bei der Legislative verbleibt.156 Der Bestimmtheitsgrundsatz verfolgt somit sowohl den Zweck, den Normadressaten zu schützen, als auch das Ziel, die Entscheidungszuständigkeit des Gesetzgebers über die Strafbarkeit zu sichern.157 Vermag jedoch der Bürger die Voraussetzungen der Strafbarkeit sowie die Strafe aus dem förmlichen Gesetz hinreichend klar zu erkennen, so ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber die Norm auch gegenüber der Judikative mit hinreichender Deutlichkeit bestimmt hat, sodass die Bestimmtheitsanforderungen sich insofern kongruent verhalten.158 Gleichsam ist Volksempfinden Strafe verdient. Findet auf die Tat kein bestimmtes Gesetz unmittelbar Anwendung, so wird die Tat nach dem Gesetz bestraft, dessen Grundgedanke auf sie am besten zutrifft.“, vgl. RGBl. I, 839; zum dadurch hervorgerufenen, erheblichen Gebrauch der Möglichkeit einer Strafbegründung durch Analogie J. Vogel, ZStW 115 (2003), 638 (652 Fn. 71) und Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, S. 32 f. Eine noch weiterreichende Formulierung zeigt Roxin, AT I, § 5 Rn. 11 auf: „Wer in unerträglicher Weise gegen das allgemeine Wohl verstößt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft“. 154 So explizit Maunz/Dürig/Remmert, GG Art. 103 Abs. 2 Rn. 87; ferner Sachs/Degenhart, GG Art. 103 Rn. 63; Cornelius, GA 2015, 101 (115). 155 BVerfGE 71, 108 (114); 73, 206 (234 ff.); 92, 1 (12); 105, 135 (152 f.); 109, 133 (172); BGHSt 18, 136 (140); BeckOK-GG/Radtke/Hagemeier, Art. 103 Rn. 24; Jarass/Pieroth/Pieroth, GG Art. 103 Rn. 72; Maunz/Dürig/Remmert, GG Art. 103 Abs. 2 Rn. 87; MK-StGB/ Schmitz, § 1 Rn. 43; Zippelius/Würtenberger, Staatsrecht, § 48 Rn. 29 f. Eingängig BVerfGE 126, 170 (195): „Jedermann soll vorhersehen können, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist“ und in Anlehnung daran BGHSt 23, 167 (171): „Jedermann soll vorhersehen können, welches Handeln mit welcher Strafe bedroht ist, um sein Verhalten entsprechend einrichten zu können“. 156 BVerfGE 130, 1 (43); Maunz/Dürig/Remmert, GG Art. 103 Abs. 2 Rn. 87; SK-StGB/ Jäger, § 1 Rn. 6; vgl. ferner BVerfGE 14, 245 (251); BVerfG NJW 2016, 3648 (3649); deutlich BVerfGE 126, 170 (194): Es soll „sichergestellt werden, dass der Gesetzgeber selbst abstraktgenerell über die Strafbarkeit entscheidet“ und BVerfGE 130, 1 (43): „Der Gesetzgeber und nicht der Richter ist zur Entscheidung über die Strafbarkeit berufen“. NK-StGB/Hassemer/ Kargl, § 1 Rn. 14 weisen darauf hin, dass ein zu unbestimmtes Strafgesetz seine eigene Anwendung nicht beherrschen könne. 157 BVerfGE 127, 170 (194 f.); BeckOK-StGB/von Heintschel-Heinegg, § 1 Rn. 10; Maunz/Dürig/Remmert, Art. 103 Abs. 2 Rn. 33; MK-StGB/Schmitz, § 1 Rn. 43; Sachs/Degenhart, GG Art. 103 Rn. 63; Schönke/Schröder/Hecker, § 1 Rn. 16; Zippelius/Würtenberger, Staatsrecht, § 48 Rn. 31; ferner Calliess, NJW 1985, 1506 (1512); Ransiek, Gesetz und Lebenswirklichkeit, S. 31 ff.; vgl. ferner BVerfGE 47, 109 (120); 105, 135 (152 f.). 158 BVerfGE 14, 245 (251); 126, 170 (194); 130, 1 (43); Maunz/Dürig/Remmert, GG Art. 103 Abs. 2 Rn. 102.
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sodann gewährt, dass die Regelung überhaupt verhaltensdeterminierende Wirkung entfalten kann.159 Dementsprechend wird das Bestimmtheitsgebot vielfach als essentielle Grundlage für die generalpräventive Wirkung von Strafnormen begriffen.160 (2) Theoretisches Maß der Bestimmtheit Sicherlich würde ein ausschließlich aus eindeutigen Begriffen bestehender Tatbestand einer Norm Bestimmtheit verleihen.161 Das Bestimmtheitsgebot steht allerdings in einem Spannungsverhältnis zur Notwendigkeit flexibler Regelungen, welches bereits durch die Regelungstechnik des Gesetzes vorgezeichnet ist.162 Zudem ist ein gewisses Maß an Unbestimmtheit ohnehin unvermeidbar, lassen doch alle seitens des Gesetzgebers verwendbaren Begriffe (gleichwohl ob umgangssprachlicher oder fachsprachlicher Natur) mehrere Interpretationen zu.163 Ein nicht mehr auslegbarer, eindeutiger Tatbestand kann daher weder geleistet, noch gefordert werden.164 Umstritten ist jedoch, mit welcher Präzision der Gesetzgeber ein Strafgesetz in diesem Spannungsfeld auszugestalten hat. Dem vorgelagert steht oftmals die Frage, ob Art. 103 Abs. 2 GG als speziellere Ausformung des Bestimmtheitsgrundsatzes höhere Anforderungen an den Gesetzgeber stellt als der allgemeine Bestimmt159 BVerfGE 25, 269 (285 ff.); 37, 201 (207); 57, 250 (261 f.); 78, 374 (381 f.); LK/Dannecker, § 1 Rn. 179; Schönke/Schröder/Hecker, § 1 Rn. 16; SK-StGB/Jäger, § 1 Rn. 11; Roxin, AT I, § 5 Rn. 67; Erne, Bestimmtheitsgebot, S. 36 ff. m.w.N. 160 BVerfGE 37, 201 (207); LK/Dannecker, § 1 Rn. 179; SK-StGB/Jäger, § 1 Rn. 11; Jescheck/Weigend, AT, S. 128; Eser, Festschrift Lenckner, S. 25 (26 ff.); Ernst, Blankettstrafgesetze, S. 74. Vice versa wird das Gesetzlichkeitsprinzip in dessen Gesamtheit seit Feuerbach, Lehrbuch, § 20 („nulla poena sine lege“) oftmals aus dem Gedanken der Generalprävention hergeleitet, zustimmend Schönke/Schröder/Hecker, § 1 Rn. 2; Roxin, AT I, § 5 Rn. 22 f.; Schünemann, Nulla poena sine lege, S. 11 ff. 161 Käme der Richter so doch der Montesquieuschen Forderung nach, der bloße Mund des Gesetzes zu sein, Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, 11. Buch Kapitel 6, dazu sowie zur romanischen Aufklärungsphilosophie Schreiber, Gesetz und Richter, S. 53 ff. 162 Schönke/Schröder/Hecker, § 1 Rn. 20 schließen bereits aus diesem Spannungsverhältnis, dass die Frage, wann ein Tatbestand ausreichend bestimmt im Sinne des § 1 StGB ist, nicht allgemein und eindeutig beantwortet werden könne. Zur eine gewisse Unschärfe bedingenden abstrakt-generellen Regelungstechnik zudem Kirsch, Gesetzlichkeitsprinzip, S. 22 und Ransiek, Gesetz und Lebenswirklichkeit, S. 4 ff. 163 Sind doch auch überwiegend deskriptive Begriffe wie der „Mensch“ in § 212 StGB mehrdeutig, wie sich an der Frage des Hirntods ohne Herz-Kreislauf-Stillstand oder des Einsetzens der Wehen zeigt, dazu Roxin, AT I, § 5 Rn. 27, 69; ferner MK-StGB/Schmitz, § 1 Rn. 44; Schönke/Schröder/Hecker, § 1 Rn. 17; Ransiek, Festschrift Tiedemann, S. 171 (182 ff.); Arnauld, Rechtssicherheit, S. 246. 164 MK-StGB/Schmitz, § 1 Rn. 44; NK-StGB/Hassemer/Kargl, § 1 Rn. 30 f.; Larenz, Methodenlehre, S. 305; Zippelius, Methodenlehre, S. 78; Müller-Dietz, Festschrift Lenckner, S. 179 (191); Ransiek, Festschrift Tiedemann, S. 171 (182 ff.); Schmidhäuser, Gedächtnisschrift Martens, S. 231 (241 ff.); Kudlich/Christensen, JR 2011, 146 (147 ff.); Arnauld, Rechtssicherheit, S. 246 ff.; Gruschke, Vagheit im Recht, S. 14; Hassemer, Tatbestand und Typus, S. 66 f.; Kirsch, Gesetzlichkeitsprinzip, S. 140; J. Vogel, Norm und Pflicht, S. 328 f.
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heitsgrundsatz.165 Dem folgend wird seitens mehrerer Autoren eine größtmögliche Bestimmtheit der Tatbestände gefordert. Diese müssten zwar nicht ohne wertausfüllungsbedürftige Begriffe auskommen, seien jedoch verfassungswidrig, wenn eine bestimmtere Gesetzesfassung möglich gewesen wäre.166 Freilich könnte dann bereits eine wenig geglückte Normierung ein Gesetz verfassungswidrig zeichnen.167 Zudem verleite dies dazu, die straftatbestandlichen Grenzen sehr weit zu ziehen, um sie sodann mittels zulässiger, wertausfüllungsbedürftiger Begriffe wieder zu korrigieren.168 Daher ersucht eine andere Auffassung die Lösung der Frage der Zulässigkeit unbestimmter Begriffe in einer Abwägung zwischen den Belangen gerechter Einzelfallentscheidungen sowie des Rechtssicherheitsinteresses.169 Gleichwohl würde so der Bestimmtheitsgrundsatz relativiert und richterlichen Gerechtigkeitsentscheidungen geopfert, zumal die Prämissen der Abwägung unklar bleiben.170 Um dem zu entgehen, legt eine weitere Meinung den Fokus auf den Schutzzweck des Bestimmtheitsgebots: sei aus dem Normtext eindeutig vorhersehbar, welches Verhalten verboten sei, so lasse sich nicht begründen, weshalb eine über den Zweck des Art. 103 Abs. 2 GG hinausschießende Präzision zu fordern sein soll.171 Noch 165 Was nach einigen Aussagen des Bundesverfassungsgerichts naheliegen dürfte, so etwa BVerfGE 49, 168 (181), wonach der Grad der gebotenen Bestimmtheit bei Strafgesetzen höher als bei gewissen Verwaltungsgesetzen sein müsse; ferner BVerfGE 105, 135 (160), wonach Art. 103 Abs. 2 GG besondere Anforderungen bei hohen und komplexen Strafandrohungen mit sich bringe; zustimmend LK/Dannecker, § 1 Rn. 181; dahingehend wohl auch BeckOK-GG/ Radtke/Hagemeier, Art. 103 Rn. 18; Jarass/Pieroth/Pieroth, GG Art. 103 Rn. 72; ob diese Prämisse seitens des Bundesverfassungsgerichts indes auch inhaltlich gelebt wird, hinterfragt Maunz/Dürig/Remmert, GG Art. 103 Abs. 2 Rn. 93 ff. m.w.N., während Arnauld, Rechtssicherheit, S. 246 f. und Payandeh, Judikative Rechtserzeugung, S. 338 dies bestreiten. 166 MK-StGB/Schmitz, § 1 Rn. 45; Jakobs, AT, § 4 Rn. 25; Lenckner, JuS 1968, 304 (305); Kohlmann, Staatsgeheimnis und Bestimmtheitsgebot, S. 247 ff.; Naucke, Generalklauseln und Rechtsanwendung, S. 3 ff. 167 Weshalb diese Auffassung zu weit gehe, Roxin, AT I, § 5 Rn. 71; dahingehend wohl auch Heinrich, AT, Rn. 29. 168 Lemmel, Unbestimmte Strafbarkeitsvoraussetzungen, S. 100 ff.; Schünemann, Nulla poena sine lege, S. 33 f.; ähnlich bereits zuvor Arzt, Schutz der Intimsphäre, S. 248. 169 Lenckner, JuS 1968, 304 (305 f.); ferner Seel, nullum crimen sine lege, S. 114, 124 f. Demgegenüber möchte Schünemann, Nulla poena sine lege, S. 35 ff. eine Norm bereits als bestimmt ansehen, wenn zumindest 50 % ihrer Tatbestandsmerkmale hinreichend bestimmbar sind. 170 Dazu Jakobs, AT, § 4 Rn. 32; Jescheck/Weigend, AT, S. 136 f.; Roxin, AT I, § 5 Rn. 72; Lemmel, Unbestimmte Strafbarkeitsvoraussetzungen, S. 100 ff.; Schünemann, Nulla poena sine lege, S. 33 f. 171 BeckOK-GG/Radtke/Hagemeier, Art. 103 Rn. 24 f.; Maunz/Dürig/Remmert, GG Art. 103 Abs. 2 Rn. 94; dahingehend dürften sich auch viele Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes interpretieren lassen, vgl. statt vieler BVerfGE 64, 389 (393 f.); 85, 69 (72 f.), wonach entscheidend sei, dass der Einzelne sein Verhalten eigenverantwortlich auf die Rechtslage einstellen kann, wozu er die Strafbarkeit einer Handlung voraussehen können müsse. Exemplarisch BVerfGE 126, 170 (196): „Für den Gesetzgeber enthält Art. 103 II GG in seiner Funktion als Bestimmtheitsgebot dementsprechend die Verpflichtung, wesentliche Fragen der Strafwürdigkeit oder Straffreiheit im demokratisch-parlamentarischen Willens-
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großzügiger wird bisweilen auch ein sich aus der Norm zu entnehmender, klarer Schutzzweck der Regelung, dem durch den Wortlaut jedenfalls gewisse Grenzen gesetzt werden, als ausreichend erachtet.172 (3) Praktisches Maß der Bestimmtheit Zwar wird der Streit um die gebotene Präzision des Gesetzestextes breit gefächert geführt. In der für den Gesetzgeber maßgeblichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zeigt sich indes die klare Tendenz, das Bestimmtheitsgebot nicht überzustrapazieren.173 Dahinter scheint mitunter der Aspekt auf, die aufgrund des abstrakt-generellen Charakters der Strafgesetze begrenzte sprachliche Leistungsfähigkeit des Gesetzes zu berücksichtigen.174 So sah sich das Gericht nicht veranlasst, die Regelung des § 13 StGB zur Strafbarkeit unechter Unterlassungsdelikte zu beanstanden.175 Selbiges gilt für die Voraussetzungen einer Beleidigung nach § 185 StGB,176 die innerhalb des Normtextes nicht näher zu definieren versucht wurden sowie für den von „relativer“ begrifflicher Unschärfe gezeichneten Untreuetatbestand.177 Aufgrund der Zurückhaltung des Bundesverfassungsgerichts wurden Stimmen laut, die darin die Aufgabe des Bestimmtheitsgebots erblickten oder dieses als bildungsprozess zu klären und die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen (vgl. BVerfGE 75, 329 [340 f.])“. 172 Mangoldt/Klein/Starck/Nolte/Aust, Art. 103 Abs. 2 Rn. 142; SK-StGB8/Rudolphi/ Jäger, § 1 Rn. 13a; Roxin, AT, § 5 Rn. 75 ff.; jedenfalls den Schutzzweck fokussierend MüllerDietz, Festschrift Lenckner, S. 179 (191); sehr weit auch Schroth, in: Rechtskultur als Sprachkultur, S. 93 (107 f.), für den es genügt, wenn bei einer noch unbestimmten Norm aus dem Kontext des Regelungszusammenhangs oder der gesetzgeberischen Entscheidung Bewertungskriterien entnommen werden können, die die einzelnen Merkmale konkretisieren können. 173 BVerfGE 45, 363 (372), wonach das Gebot der Bestimmtheit „nicht übersteigert werden darf“; so resümierend auch BeckOK-GG/Radtke/Hagemeier, Art. 103 Rn. 24; Dreier/SchulzeFielitz, Art. 103 Abs. 2 Rn. 35; LK/Dannecker, § 1 Rn. 183 ff. mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung in Rn. 191; MK-StGB/Schmitz, § 1 Rn. 51; Sachs/Degenhart, GG Art. 103 Rn. 63; Möllers, Methodenlehre, § 4 Rn. 79; Payandeh, Judikative Rechtserzeugung, S. 336 ff.; vgl. BVerfGE 14, 245 (251); 41, 314 (320); 87, 209 (222 ff.); 96, 68 (97 f.); 126, 170 (195 f.). 174 BeckOK-GG/Radtke/Hagemeier, Art. 103 Rn. 24; LK/Dannecker, § 1 Rn. 183; Maunz/ Dürig/Remmert, GG Art. 103 Rn. 96 ff.; Cornelius, GA 2015, 101 (115 f.); vgl. BVerfGE 75, 329 (342); 126, 170 (195 f.). 175 BVerfGE 96, 68 (98); BVerfG NJW 2003, 1030 (1030) mit. kritischer Besprechung Seebode, JZ 2004, 3005; dazu Schönke/Schröder/Bosch, § 13 Rn. 5/6 m.w.N. auch zu Alternativvorschlägen hinsichtlich der Strafbarkeit durch Unterlassen. 176 BVerfGE 93, 266 (291 f.); ebenso BGHSt 36, 145 (148); dazu Ignor, Beleidigung, S. 149 ff. und kritisch Findeisen/Hoepner/Zünkler, ZRP 1991, 245 (246) sowie Rühl, Tatsachen Interpretationen Wertungen, S. 299. 177 BVerfGE 126, 170 (200 ff.); dazu Kraatz, JR 2011, 434 (435 ff.); Kuhlen, JR 2011, 246 (248 ff.); von einer „Rahmenvorschrift“ sprach bereits RGSt 69, 58 (62). Zahlreiche weitere Beispiele finden sich bei LK/Dannecker, § 266 Rn. 191 f.
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rechtsstaatliche Utopie bezeichneten.178 Bestärkt werden derartige Meinungen ferner durch den großzügigen Maßstab des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich unbestimmter Tatbestandsmerkmale. Nur selten wird insofern gefordert, dass dem Einzelnen durch die verwendeten Begriffe die Grenzen des straffreien Raums deutlich vor Augen geführt werden.179 Vielmehr soll nach der überwiegenden Anzahl der Judikate bereits genügen, dass der Betroffene jedenfalls das Risiko einer Bestrafung erkennen könne, sei es auch lediglich nach Auslegung der Norm.180 Der so eröffnete gesetzgeberische Freiraum trägt dem Umstand Rechnung, dass zu starre und kasuistische Gesetze der Vielgestaltigkeit des Lebens bzw. des Einzelfalles sowie dem Wandel der Verhältnisse nicht gerecht werden könnten.181 Demnach dürfe, könne und müsse im Strafrecht auf allgemeine, unbestimmtere und wertausfüllungsbedürftige Begriffe zurückgegriffen werden, wenn die zugrundeliegende Norm jedenfalls Anhaltspunkte für deren Auslegung biete.182 Selbst die Kumulation unbestimmter Rechtsbegriffe soll so mit Art. 103 Abs. 2 GG vereinbar sein.183 Neben diesem generösen Maßstab relativiert das Bundesverfassungsgericht das Bestimmtheitsgebot durch weitere Erwägungen. Zunächst sollen die Anforderungen an die Bestimmtheit von der Schwere der Strafe abhängen und sich direkt proportional zu dieser verhalten: je schwerer die angedrohte Strafe ist, desto bestimmter soll 178 So insbesondere Schmidhäuser, Gedächtnisschrift Martens, S. 231 (238 ff.); Ru. Schmitt, Festschrift Jescheck, S. 223 (226 ff.) und Schünemann, Nulla poena sine lege, S. 8. Daran dürfte auch eine jüngere Entscheidung (BVerfGE 143, 88) nichts ändern, betrifft diese doch lediglich Bestimmtheitsanforderungen an Blankettstrafnormen, die EU-Recht im Rahmen des den Mitgliedstaaten verbliebenen Umsetzungsspielraums umsetzt und dürften von ihr keine weitreichenden Folgerungen ausgehen, dazu Brand/Kratzer, JR 2018, 422 (431, 433). 179 Dahingehend BVerfGE 25, 269 (285); 32, 346 (352); 109, 133 (172). 180 BVerfGE 47, 109 (121); 71, 108 (115); 87, 209 (224); 87, 363 (391 f.); 92, 1 (12); 126, 170 (196); inhaltlich zustimmend Erne, Bestimmtheitsgebot, S. 9; ähnlich auch BVerfGE 105, 135 (153), wonach das Erkennen des durch die Strafnorm geschützten Werts und des Verbots diesen tangierender Verhaltensweisen genügen soll. Exemplarisch gereiche nach BVerfGE 75, 329 (345) die Erkennbarkeit des Strafbarkeitsrisikos des Verbrennens von Gurtabfällen (zur Erlangung der darin enthaltenen Kupfernadeln) durch die breite „Ökologiediskussion in der Öffentlichkeit“, welche den Wert der Emissionen für die Menschen verdeutliche, zur Annahme der Bestimmtheit einer Strafnorm. Dazu BeckOK-StGB/Heintschel-Heinegg, § 1 Rn. 11 m.w.N. Kritisch statt vieler Schünemann, Nulla poena sine lege, S. 29 ff.; Tiedemann, Verfassungsrecht und Strafrecht, S. 44 f. 181 BVerfGE 37, 201 (208); 45, 363 (371); 47, 109 (120 f.); 48, 48 (56); 75, 329 (341 f.); BVerfG NJW 2010, 3209 (3211); NVwZ 2012, 504 (505); Roxin, AT I, § 5 Rn. 69; befürwortend auch Müller-Dietz, Festschrift Lenckner, S. 179 (183 f.). 182 BVerfGE 96, 68 (97 f.); 126, 170 (198 f.); BVerfG NStZ 2000, 595 (596); NJW 2009, 2370 Rn. 21; wistra 2016, 21 Rn. 64; BGHSt 37, 266 (273); ebenso BGH NJW 2003, 1030 m.w.N. aus der Rechtsprechung; insofern zustimmend BeckOK-GG/Radtke/Hagemeier, Art. 103 Rn. 24 ff.; BeckOK-StGB/Heintschel-Heinegg, § 1 Rn. 11; NK-StGB/Hassemer/ Kargl, § 1 Rn. 19 f.; Möllers, Methodenlehre, § 4 Rn. 78; Ransiek, Festschrift Tiedemann, S. 171 (182 ff.); Cornelius, GA 2015, 101 (118). 183 BVerfGE 45, 363 (371 f.); 87, 209 (225); 92, 1 (12); 96, 68 (97 ff.); BGHSt 28, 312 (313); Sachs/Degenhart, GG Art. 103 Rn. 64; kritisch MK-StGB/Schmitz, § 1 Rn. 46 ff.
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die Norm abzufassen sein und vice versa.184 Demnach führt die geringe Strafandrohung für ein Verhalten zu lediglich geringen Voraussetzungen hinsichtlich der Bestimmtheit dessen Umschreibung. Ferner berücksichtigt das Gericht das besondere Fachwissen der Normadressaten, sodass die Erforderlichkeit besonderer Kenntnisse dem Gebot der Bestimmtheit nicht entgegenstünde.185 Darüber hinaus nimmt das Bundesverfassungsgericht eine hinreichende Bestimmtheit des Gesetzes selbst dann an, wenn dessen Merkmale unbestimmt erscheinen, sich jedoch auf Grundlage einer gefestigten Rechtsprechung auslegen und somit konkretisieren lassen.186 Daraus ergebe sich ein aus Art. 103 Abs. 2 GG stammendes Präzisierungsgebot, nach welchem die Rechtsprechung verpflichtet sei, verbleibende Unklarheiten einer Norm im Wege der Auslegung durch die damit einhergehende Präzisierung und Konkretisierung zu beseitigen.187 Das überwiegende Schrifttum erblickt darin die Gefahr der Substitution des Bestimmtheitsgrundsatzes durch einen Grundsatz der Bestimmbarkeit188 und eine nachträgliche Heilungsmöglichkeit189 der
184 BVerfGE 14, 245 (251 f.); 26, 41 (43); 41, 314 (320); 75, 329 (342); 86, 288 (311); 105, 135 (155 f.); BVerfG NJW 1993, 1909 (1910); ebenso BGHSt 32, 162 (163); Fischer, § 1 Rn. 7. Diese Relativierung stößt in der Literatur überwiegend auf Kritik, vgl. etwa M. Köhler, AT, S. 89 f.; Roxin, AT I, § 5 Rn. 70; Appel, Verfassung und Strafe, S. 120; Erne, Bestimmtheitsgebot, S. 47; Krahl, Rechtsprechung zum Bestimmtheitsgrundsatz, S. 319 f.; Schünemann, Nulla poena sine lege, S. 32 f. 185 BVerfGE 14, 245 (252); 48, 48 (57); 75, 329 (342 f.); 78, 374 (382 f.); ferner BGHSt 37, 266 (272); BeckOK-GG/Radtke/Hagemeier, Art. 103 Rn. 25; Sachs/Degenhart, GG Art. 103 Rn. 64; Schönke/Schröder/Hecker, § 1 Rn. 20; eingehend und kritisch LK/Dannecker, § 1 Rn. 211. Eingehend zum Adressatenproblem im Strafrecht auch Röhl/Röhl, Rechtslehre, S. 224 ff. 186 BVerfGE 45, 363 (371 f.); 48, 48 (56 f.); 85, 69 (73); 93, 266 (292); 94, 372 (394); 96, 68 (98 f.); dazu und zum wiederum unbestimmten Maßstab der gefestigten Rechtsprechung LK/ Dannecker, § 1 Rn. 201. 187 BVerfGE 126, 170 (198 f.); BVerfG wistra 2016, 21 Rn. 64; zustimmend Neumann, Festschrift Beulke, S. 197 (205 ff.); Cornelius, GA 2015, 101 (115); Kuhlen, JR 2011, 246 (249 f.); dahingehend bereits zuvor Kuhlen, Festschrift Otto, S. 89 (102 ff.). 188 LK/Dannecker, § 1 Rn. 201; Schönke/Schröder/Hecker, § 1 Rn. 20; Kempf/Schilling, NJW 2012, 1849 (1851); Rotsch, ZJS 2008, 132 (138 f.); Süß, in: Vom unmöglichen Zustand des Strafrechts, S. 207 (214); Erne, Bestimmtheitsgebot, S. 48 f.; Kirsch, Gesetzlichkeitsprinzip, S. 140 f.; kritisch gegenüber der festzustellenden Tendenz ferner Greco, GA 2012, 452 (458 ff.). Schmidhäuser, Gedächtnisschrift Martens, S. 231 (241 ff.) hält jedoch fest, dass die Bestimmbarkeit der Norm dem Verfassungsrechtssatz des Art. 103 Abs. 2 GG genüge. J. Heinrich, Strafschärfungen, S. 59 misst der Aussage des Bundesverfassungsgerichts hingegen nur wenig Bedeutung bei. 189 Jarass/Pieroth/Jarass, GG Art. 103 Rn. 48; LK/Dannecker, § 1 Rn. 201; MK-StGB/ Schmitz, § 1 Rn. 53; T. Schröder, Gesetzesumgehung im materiellen Strafrecht, S. 374; Kirsch, Gesetzlichkeitsprinzip, S. 140 ff. Kuhlen, Festschrift Otto, S. 89 (104) begrüßte die mit zunehmender Auslegung einhergehende, zunehmende Bestimmtheit zwar schon früh, unterschied diese jedoch von einer nachträglichen Heilungsmöglichkeit, die auch er ablehnte.
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verfassungswidrigen Verwendung unbestimmter Begriffe. Ferner werde so die Bindung des Gesetzgebers an den Bestimmtheitsgrundsatz preisgegeben.190 In der Zusammenschau zeigt sich, dass die Handhabung des Gebots der Bestimmtheit in Schrifttum und Judikatur bedeutend divergiert. Die Tendenz des Bundesverfassungsgerichts, weniger Bestimmtheit als mehr Bestimmbarkeit der Normen zu fordern und diese zudem in Grenzfällen der Rechtsprechung zu überlassen, ist mit der Forderung nach bestmöglicher Gesetzes-Präzision nicht in Einklang zu bringen. Für die Praxis bedeutet dies, insbesondere in Zusammenschau mit der geübten Zurückhaltung hinsichtlich der Annahme der Verfassungswidrigkeit eines Tatbestandes, einen weiten Handlungsspielraum des Gesetzgebers ohne das darüber schwebende Damokles-Schwert eines Verstoßes gegen das Bestimmtheitsgebot. cc) Konsequenzen Der durch die Handhabung des Bestimmtheitsgrundsatzes gegebene, große Handlungsspielraum des Gesetzgebers zeichnet eine mitunter zu wenig bestimmte Umsetzung eines Gesetzes nicht per se verfassungswidrig, sondern ermöglicht der Rechtsprechung, das Gesetz kompensatorisch in geordnete Bahnen zu lenken. Die präzisierende Funktion der Judikative entbindet die Legislative somit faktisch von einer strikten Bindung an das Bestimmtheitsgebot. Insofern besteht für den Gesetzgeber somit kaum ein Grund, eine Norm bewusst bestimmt zu fassen. Nicht nur anbetrachts des in jüngerer Zeit befürchteten Trends zur symbolischen Gesetzgebung191 begründet dies die Gefahr, den Strafbarkeitsrahmen möglichst weit zu ziehen, um die Präzisierung (und ggf. Zurückdrängung) der Voraussetzungen der Rechtsprechung zu überantworten.192 Der allgemein-abstrakten Regelungstechnik ist ohnehin immanent, den strafbaren Bereich recht weit abzufassen, kann sie doch gerade keine Einzelfallgerechtigkeit vor Augen haben. Wird durch die Handhabung des Bestimmtheitsgebotes nunmehr jedoch der normierte Gegenpol des AbstraktAllgemeinen für die Praxis weitestgehend zurückgedrängt, fehlt es an einem Antagonisten der Gesetzestechnik, sodass der Bereich des Strafbaren sehr allgemein sowie wenig konkret umschrieben werden kann. Die zurückhaltende Handhabung 190 MK-StGB/Schmitz, § 1 Rn. 53; Grünwald, Festschrift Art. Kaufmann, 433 (437 f.); Greco, GA 2012, 452 (458 f.); Erne, Bestimmtheitsgebot, S. 49 f.; Rotsch, ZJS 2008, 132 (138) bestätigt daher den Niedergang des Bestimmtheitsgebots und dessen Mutation in einen Möglichkeitsgrundsatz; LK/Dannecker, § 1 Rn. 201 spricht insofern von einer unvollkommenen Zielerreichung des Bestimmtheitsgebots. Zur Flucht des nachlässigen Gesetzgebers in die Generalklauseltechnik Hedemann, Flucht in Generalklauseln, S. 58 ff. 191 Zur Begrifflichkeit Hassemer, NStZ 1989, 553 (555 f.) und Streng, Strafrechtliche Sanktionen, Rn. 9; in Bezug auf die jüngere Gesetzgebung etwa Frommel, vorgänge 54 (2015), 107 (109 ff.) und Künast, vorgänge 54 (2015), 29 (29 ff.). 192 Welzel, Grundzüge11, S. 23 warnte bereits früh vor einer Zurückdrängung der Bestimmtheit, die gegenüber dem Analogieverbot die eigentliche Gefahr für den Grundsatz nulla poena sine lege darstelle.
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des Bestimmtheitsgebots durch das Bundesverfassungsgericht sorgt so für ein Mehr an Interpretationsnotwendigkeit sowie Auslegungsbedarf der nicht allzu präzise zu fassenden Gesetze. Dabei erscheint jedenfalls problematisch, dass mit einem Absenken der Anforderungen an die Bestimmtheit einer Norm jedenfalls deren potenzieller Anwendungsbereich zunimmt. Je allgemeiner und weniger bestimmt eine Norm, umso weiter ist der Raum des strafbewehrten Handelns. Je abstrakter die Tatbestandsmerkmale als Oberbegriffe gleichgelagerter, strafwürdiger Verhaltensweisen formuliert werden, desto anpassungsfähiger erweist sich das gesetzte Recht hinsichtlich neuer Konfliktlagen.193 In der Konsequenz sorgt das Defizit an Bestimmtheit dafür, dass der Bereich des Strafbaren Verhaltensweisen erfasst, die seitens des Gesetzgebers nicht bedacht oder zu erfassen versucht wurden, sodass die Strafbewährung über jenes Maß hinausreicht, welches er für erforderlich erachtet. Ein Eingeständnis dieser These stellt das Präzisierungsgebot dar, welches der Rechtsprechung eine Konkretisierung sowie Einschränkung des strafbaren Bereichs überantwortet und damit ein Korrektiv des weiten Strafbarkeitsbereichs etabliert. Bereits unbesehen der generösen Handhabung des Bestimmtheitsgebotes birgt die abstrakt-allgemeine Gesetzestechnik bisweilen die Gefahr, den anvisierten Strafbarkeitsraum nicht präzise abstecken zu können und so unbeabsichtigt weitere Fallkonstellationen zu erfassen. Wo Anpassungsfähigkeit und Zukunftsoffenheit als Stärken der Regelungstechnik stehen,194 öffnet sich mit jeder Erweiterung des Strafbarkeitsbereichs ein Raum, der unbeabsichtigte Fälle umschließen kann.195 Besteht zudem von vornherein nur wenig Restriktionsbedarf hinsichtlich der Ausgestaltung eines Tatbestandes, so erhöht sich auch das Risiko einer unbeabsichtigten Ausdehnung dessen Anwendungsbereichs. Dementsprechend hoch ist das Bedürfnis nach einem Strafbarkeitskorrektiv, welches eben jene unbeabsichtigt erfassten Fälle 193 Allgemein zur Zukunftsoffenheit strafrechtlicher Oberbegriffe Larenz, Methodenlehre, S. 155; Möllers, Methodenlehre, § 4 Rn. 78; Rüthers, Zeitgeist und Recht, S. 10, 20 ff.; kritisch hinsichtlich zu abstrakter Begriffe Roxin, AT, § 7 Rn. 43 ff., 51 ff. 194 Dazu etwa NK-StGB/Hassemer/Kargl, § 1 Rn. 18; Kuhlen, in: Das Gesetzlichkeitsprinzip im Strafrecht, S. 45 (55 ff.); Süß, in: Vom unmöglichen Zustand des Strafrechts, S. 207 (219); Ernst, Blankettstrafgesetze, S. 74 f.; Raabe, Bestimmtheitsgrundsatz, S. 20 ff.; in diesem Sinne auch BVerfGE 45, 363 (371), 48, 48 (56 f.); 86, 288 (311). 195 Zur Divergenz von Gewolltem und Normiertem Roxin, Festschrift Klug, S. 303 (305): „Wohl erweist es sich vielfach als notwendig, Verhaltensweisen, die nach dem Wortlaut des Gesetzes unter einen Tatbestand subsumiert werden könnten, aus ihm auszuscheiden, weil sie dem vom Gesetzgeber gemeinten Deliktstyp nicht entsprechen“; ähnlich Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (648): „Diese Unrechtstypisierung ist aber von vornherein mit Fehlerquellen bzw. Ungenauigkeiten behaftet: Sie ist (als Folge der allgemeinen menschlichen Unzulänglichkeit) nicht so exakt möglich, daß sie nicht auch atypische Fälle erfassen würde, d. h. Fälle die zwar unter den Wortlaut der Norm subsumierbar sind, ohne aber materiell an der der Unrechtstypisierung zugrundeliegenden Sozialschädlichkeit teilzuhaben.“ (Klammerzusatz im Original); ferner allgemein zu einer als bestimmt gedachten Textfassung Röhl/Röhl, Rechtslehre, S. 614: „Der Wortlaut eines verselbstständigten Textes deckt regelmäßig mehr an Sinn, als der Autor ihm beilegen wollte.“
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wieder herausfiltert. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, eine solche Korrektivfunktion (oder in dessen Worten die notwendige Präzisierung der Norm) der Judikative zu überantworten, dient zuvorderst der Wahrung der Bestimmbarkeit einer Norm, unterstellt die als notwendig erachteten Korrekturen des Anwendungsbereichs eines Gesetzes jedoch dem Richter und lässt sich so als erster Hinweis auf die Berechtigung der Sozialadäquanz begreifen, die eben diesen Sinn teilt. Einer Rechtsfigur der Sozialadäquanz käme sodann die Aufgabe zu, die (mitunter zu) abstrakt gefasste Regelung des Gesetzes hinsichtlich ihres konkreten Anwendungsbereichs zu präzisieren.196 Gleichwohl vermag diese Erkenntnis isoliert betrachtet keinen dogmatischen Quell der Sozialadäquanz darzustellen, sondern bedarf der Ergänzung, um ein stabiles Fundament begründen zu können. b) Fragmentarisches und bestimmtes Strafrecht aa) Fragmentarietät und ultima ratio Ein weiterer Aspekt, der in Verbindung mit dem geschilderten Zwiespalt zwischen Gesetzestechnik und praktischer Handhabung der Normenbestimmtheit die Notwendigkeit eines Korrektivs aufzeigt, ist der fragmentarische Charakter des Strafrechts.197 Dieser beschreibt das abschließende System der normierten Strafgesetze, aufgrund dessen nicht pönalisierte Verhaltensweisen straflos bleiben.198 Das Strafrecht schützt dementsprechend lediglich bruchstückhaft vor besonders sozialschädlichen Angriffen auf Rechtsgüter. Demzufolge wurden die Strafgesetze bereits früh als „magna charta des Verbrechers“ umschrieben.199 Eine aufgedeckte, vermeintliche Strafbarkeitslücke stellt nicht per se Grund und Legitimation einer Lückenschließung dar.200 Die resultierende Selbstbeschränkung des Gesetzgebers 196 Ähnlich Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (648), der die Sozialadäquanz schon früh als Bindeglied zwischen unzureichender, abstrakter Unrechtstypisierung und konkreter Gestaltungsbedürftigkeit der Gesetze bezeichnet. 197 Die Umschreibung als fragmentarisch wird gemeinhin auf Binding, BT I, S. 20 ff. zurückgeführt, wobei dieser den fragmentarischen Charakter zu kritisieren gedachte, das aufgeworfene Schlagwort jedoch danach als Qualitätsmerkmal interpretiert wurde, dazu Maiwald, Festschrift Maurach, S. 9 (9 f.) und Zaczyk, ZStW 123 (2011), 691 (691 f.); instruktiv zur Fragmentarietät des Strafrechts auch der Tagungsbericht über die 34. Strafrechtslehrertagung, Beck/Valerius, RW 2011, 472 (472 ff.). 198 Heinrich, AT, Rn. 11; Jescheck/Weigend, AT, S. 2 f., 53; Möllers, Methodenlehre, § 4 Rn. 73; Rengier, AT, § 3 Rn. 5 ff.; Roxin, AT I, § 2 Rn. 97 f.; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 15; Kindhäuser, in: Modernes Strafrecht und ultima-ratio-Prinzip, S. 29 (29 f.); Hillenkamp, Festschrift Beulke, S. 449 (458 f.); Trendelenburg, Ultima ratio, S. 47 f. 199 Die Bezeichnung als „magna charta“ stammt von Liszt, Strafrechtliche Vorträge und Aufsätze 2, S. 75 (80); begrüßend MK-StGB/Schmitz, § 1 Rn. 8; NK-StGB/Hassemer/Kargl, § 1 Rn. 9; kritisch Schünemann, Nulla poena sine lege, S. 1. 200 Krey/Esser, AT, Rn. 17; Kühl, Festschrift Maiwald, S: 433 (448); Maiwald, Festschrift Maurach, S. 9 (9 f.); Hillenkamp, Festschrift Beulke, S. 449 (458); Ambos/Steiner, JuS 2001, 9 (9 f.); Trendelenburg, Ultima ratio, S. 47 f.; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, Rn. 8.
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hinsichtlich der Pönalisierung gewisser Handlungen wird im Sinne des freiheitlichen Rechtsstaates weithin begrüßt.201 In engem Zusammenhang mit dem fragmentarischen Charakter des Strafrechts wird zumeist das Prinzip des Strafrechts als ultima ratio genannt. Dieses besagt, dass staatliche Strafgewalt lediglich als äußerstes Mittel eingesetzt zu werden vermag.202 Die vorherrschende Ansicht sieht darin einen an den Gesetzgeber gerichteten Auftrag, nur besonders sozialschädliche Verhaltensweisen zu ahnden.203 Verfügt der Staat über mildere Mittel, um den Rechtsgüterschutz zu wahren, bedarf es nicht des schärfsten staatlichen Schwertes.204 Dies tritt insbesondere am Beispiel gewöhnlicher Vertragsverletzungen zu Tage, die typischerweise durch zivilrechtliche Klagen ausgeglichen werden können, wobei der Einsatz des Strafrechts unangemessen erschiene.205 Erst wenn das Vermögen durch eine Täuschung zum Zwecke rechtswidriger Bereicherung verletzt wird, greift der strafrechtliche Schutz des § 263 StGB. Der Gebrauch des strafrechtlichen Schwertes hat demnach angemessen zu erfolgen, sodass Straftaten letztlich auch strafwürdige Taten sein müssen.206 bb) Verhältnis zur Regelungstechnik und Bestimmtheit der Gesetze Soll das Strafrecht fragmentarischer Natur und zugleich lediglich das äußerste Mittel des Staates sein, so steht dies in einem Spannungsverhältnis zur abstraktgenerellen Regelungstechnik. Schließlich setzt jene auf eine gewisse Anpassungsfähigkeit und Zukunftsoffenheit der Normen. Diese Parameter, die dem Anwen-
201 Siehe nur Jescheck/Weigend, AT, S. 53; Roxin, AT, § 2 Rn. 97; Hillenkamp, Festschrift Beulke, S. 449 (458); Maiwald, Festschrift Maurach, S. 9 (22 f.); Vormbaum, ZStW 123 (2011), 660 (686 ff.); Zaczyk, ZStW 123 (2011), 691 (707 f.); vgl. ferner Trendelenburg, Ultima ratio, S. 47 f.; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, Rn. 8 f. 202 Heinrich, AT, Rn. 11; Jakobs, AT, § 2 Rn. 26 ff.; Möllers, Methodenlehre, § 4 Rn. 73; Rengier, AT, § 3 Rn. 5.; Roxin, AT I, § 2 Rn. 97 ff.; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 15; Kindhäuser, in: Modernes Strafrecht und ultima-ratio-Prinzip, S. 29 (29 f.); Jescheck, Festschrift Miyazawa, S. 363 (375 f.); Trendelenburg, Ultima ratio, S. 47 f.; eingehend Art. Kaufmann, Festschrift Henkel, S. 89, passim; Vormbaum, ZStW 107 (1995), 734 (746 f.) stellt hingegen ein Modell vor, das darüber noch hinausgeht, indem die Strafrechtswissenschaft den Kriminalisierungswünschen der Politik als Strafbegrenzungswissenschaft entgegentreten soll. 203 Roxin, AT I, § 2 Rn. 98 ff.; Kubiciel, ZStW 129 (2017), 473 (488 ff.); Landau, NStZ 2015, 665 (668); Hamm, NJW 2016, 1537 (1541 f.) zieht daraus direkte Grenzen für die Gesetzgebung; zu weiteren Ansichten, die letztlich das Gestaltungsermessen des Gesetzgebers einzuschränken versuchen und inhaltlich einer Begrenzung unter dem Rekurs auf das Strafrecht als ultima ratio zustimmend Brand/Kratzer, JR 2018, 422 (427 f.). 204 Vgl. BVerfGE 32, 98 (109); 39, 1 (45); 90, 145 (172 f.); Hilgendorf/Valerius, AT, § 1 Rn. 6. 205 Dieses Beispiel greift Roxin, AT I, § 2 Rn. 98 auf; insofern auch Bosch, Jura 2011, 71 (71). 206 BVerfGE 39, 1 (45 ff.); 90, 145 (201); Jescheck/Weigend, AT, S. 50 f.; Krey/Esser, AT, Rn. 17 f.
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dungsbereich des Strafgesetzes letztlich eine Ausdehnung vorbehalten,207 stehen der Idee der Fragmentarietät entgegen. Soll jedes Strafgesetz selbst fragmentarisch sein, sodass es seinen Anwendungsbereich hinreichend umschreibt,208 büßt es ebendiese Qualität mit zunehmender Anpassungsfähigkeit des Regelungsrahmens sukzessive ein. Dies gilt gleichermaßen für den fragmentarischen Charakter des Strafrechts, wird dieser durch eine Erweiterung des strafbaren Verhaltens doch ebenso im Gesamten zurückgedrängt. Die unvollständige Natur des Strafrechts vermag so verwischt zu werden. Die Aufgabe, den fragmentarischen Charakter des Strafrechts zu wahren, kommt wiederum dem Gesetzlichkeitsprinzip zu.209 Dieses schützt zum einen vor unbestimmten Normtexten des Gesetzgebers, zum anderen vor Analogiekonstruktionen der Judikative.210 Erlaubt dessen praktische Handhabung nunmehr, anstelle eines bestimmten Gesetzes ein lediglich bestimmbares zu normieren,211 so liegt darin nicht nur eine erhöhte Variabilität dessen Anwendungsbereichs begründet, sondern jedenfalls mittelbar auch eine spiegelbildliche Gefährdung der Fragmentarietät des Strafrechts. Soll das Strafrecht einerseits fragmentarisch und andererseits das letzte Mittel des Staates bleiben, ist einer Ausdehnung des Strafbarkeitsbereichs aufgrund zunehmend unbestimmter Gesetze zu entgegnen. Indem das Bundesverfassungsgericht diese Aufgabe dem Gesetzgeber durch die Handhabung des Bestimmtheitsgebots nicht auferlegt, verlagert es diesen Aspekt unter dem Mantel der Präzisierung auf den Richter, der jedenfalls im Einzelfall den Anwendungsbereich konkretisieren und so die Fragmentarietät und das Prinzip des Strafrechts als ultima ratio hüten soll. Damit begründet auch der fragmentarische Charakter des Strafrechts den Bedarf nach einem Strafbarkeitskorrektiv.
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Dazu soeben, Kapitel D. I. 4. a) cc). Vormbaum, ZStW 123 (2011), 660 (664 f.) spricht insofern von der äußeren Fragmentarietät; in diesem Sinne auch Maiwald, Festschrift Maurach, S. 9 (10). Zaczyk, ZStW 123 (2011), 691 (707 f.) hält fest, dass das gut gearbeitete Strafgesetz konkretes Strafunrecht nenne und in diesem Sinne zwangsläufig fragmentarisch sei. 209 Worauf Vormbaum, ZStW 123 (2011), 660 (665 f.) explizit hinweist. Insofern handelt es sich also nicht um eine deskripitve Feststellung, sondern um die präskriptive Forderung „Strafrecht soll fragmentarisch sein“, die auch Lackner/Kühl/Heger, Vor § 13 Rn. 3 formuliert; ebenso Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 15 f.; Eschelbach/Krehl, Festschrift Kargl, S. 81 (83); Hillenkamp, Festschrift Kirchhof, S. 1349 (1358); Kulhanek, ZIS 2014, 674 (674 f.); ders., StV 2015, 725 (727); dazu ferner Kühl, Festschrift Tiedemann, S. 29 (36 ff.) und ders., Festschrift Schöch, S. 419, (423 f.); die deskpritive Seite betonend dagegen Walter, JA 2013, 727 (728 f.). 210 Vgl. zum jedenfalls primär an den Gesetzgeber gerichteten Bestimmtheitsgebot Kapitel D. I. 4. a) bb); zum an den Interpreten gerichteten Analogieverbot statt vieler MK-StGB/ Schmitz, § 1 Rn. 67 ff.; NK-StGB/Hassemer/Kargl, § 1 Rn. 70 ff.; zur Entwicklung des Analogieverbots im 20. Jahrhundert Fitting, Analogie und Kontinuität, S. 69 ff. 211 Siehe bereits oben, Kapitel D. I. 4. a) bb) (3). 208
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c) Zweckerfüllendes Strafrecht aa) Erfordernis eines Korrektivs Doch worauf soll sich das benötigte Strafbarkeitskorrektiv, welches als Kompensation der zunehmenden Verwässerung der Gesetzes-Bestimmtheit dienen soll, in dogmatischer Hinsicht stützen? Dass es eines solchen Korrektivs bedarf, um die Strafbarkeit im Einzelfall zu restringieren, ergibt sich nicht nur aus dem Zusammenspiel der Regelungstechnik mit dem Bestimmtheitsgrundsatz sowie dem fragmentarischen Charakter des Strafrechts, könnten doch ansonsten präziser formulierte Gesetze die Sozialadäquanz vielfach obsolet werden lassen. Als Beleg für das Erfordernis der Rechtsfigur der Sozialadäquanz dienen vielmehr die zahlreichen Beispiele, welche mittels der Sozialadäquanz zu lösen versucht werden.212 Diese bestärken den Befund, dass jedenfalls im Einzelfall der durch die Auslegung eines Strafgesetzes gezogene Rahmen zu weit geraten und einer Restriktion bedürfen kann, welche nicht stets auf altbekanntem dogmatischem Wege erzielt werden kann. Doch das bloße Bedürfnis nach einem Strafbarkeitskorrektiv vermag noch nicht dessen dogmatischen Ursprung zu begründen. Insbesondere der Einwand, die Sozialadäquanz durchbreche die Dichotomie von Sein und Sollen und erhebe so die Strafwürdigkeit über die bestimmte Strafbarkeit, hat sich insofern als von einigem Gewicht erwiesen. bb) Zweck der Strafe Um zur dogmatischen Grundlage einer eigenständigen Rechtsfigur der Sozialadäquanz voranzuschreiten, ist zunächst ein Blick auf den Sinn und Zweck der Strafe zu werfen. Freilich wird zurecht festgehalten, dass der Zweck der im konkreten Fall zu verhängenden Strafe von der Aufgabe des Strafrechts zu unterscheiden bleibe.213 Strafe und Strafrecht sind indes insofern untrennbar miteinander verwoben, als dass der Strafzweck auf den dahinter stehenden Zweck des Strafrechts zu beziehen ist und im Strafrechtssystem eine rechtliche Grundlage findet.214 Ferner bemisst sich eine 212
Insofern sei auf die Darstellungen in Kapitel A. verwiesen. Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 15; ebenso Roxin, AT I, § 3 Rn. 1, der aber gleichsam festhält, dass die Wirkung der Strafe elementar dafür sei, dass das Strafrecht seinen Aufgaben nachkommen könne; auch NK-StGB/Hassemer/Kargl, Vor § 1 Rn. 108 weisen auf diese Differenzierung hin, um im darauffolgenden Satz den gleichwohl gegebenen, engen Zusammenhang beider Elemente zu betonen. 214 NK-StGB/Hassemer/Kargl, Vor § 1 Rn. 108; Roxin, AT I, § 3 Rn. 1; Frisch, Festschrift Stree/Wessels, S. 69 (85); Kühl, Festschrift Maiwald, S. 433 (433 ff.); Martins, ZIS 2014, 514 (514 ff., 520); vgl. auch Jescheck/Weigend, AT, S. 4, welche die Funktionen der Strafe als Funktionen des Strafrechts benennen. Hörnle, Straftheorien, S. 9 ff. scheint den Zweck strafgesetzlicher Normen auf den Zweck der Strafe zurückzuführen. Bisweilen werden die Rechtfertigung der Existenz und die Ausgestaltung des Strafrechts auch mit dem Zweck der Strafe begründet, so etwa Ambos/Steiner, JuS 2001, 9 (11); Hörnle/von Hirsch, GA 1995, S. 261 (261); Bock, JuS 1994, 89 (89). 213
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Strafe anhand der begangenen und strafgesetzlich normierten Straftat.215 Darüber hinaus schafft das Strafrecht die staatliche Strafe als Institution, sodass die Frage nach dem Sinn des Strafrechts zugleich die Frage nach dem Sinn staatlicher Strafe darstellt.216 Letztere wird mittels der geläufigen Straftheorien nicht im transzendenten, sondern gesellschaftlichen Bereich zu beantworten versucht.217 Zudem richtet sich die Frage der soziologischen Geltung einer Norm danach, inwieweit diese zum Bestimmungsgrund menschlicher Verhaltensweisen und sozialer Verhaltensmuster wird.218 Aus soziologischer Sicht hat der Geltung beanspruchende Straftatbestand demnach gesellschaftliche Wirkung zu entfalten, sodass sich die letztlichen Strafzwecke bereits in ihr wiederspiegeln.219 In dieser verhaltensdeterminierenden Bedeutung der Norm wird überdies eines ihrer zentralen Anliegen erblickt.220 Jedenfalls herrscht Einigkeit hinsichtlich des schwerlich von der Hand zu weisenden zentralen Berührungspunkts von Strafe und Strafrecht im Sinne eines kleinsten gemeinsamen Nenners, namentlich dass letzteres seine gesellschaftliche Wirkung über die Strafe entfaltet.221 Schließlich wäre der anvisierte Rechtsgüterschutz kaum zu verwirklichen, wenn die dazu eingesetzten Strafgesetze keine Sanktion zuließen. Daher ist nach einer starken Strömung im Schrifttum die Verbrechenslehre funk215
Jäger, AT, Rn. 7; Kühl, Festschrift Maiwald, S. 433 (433); Hassemer, JuS 1987, 257 (260); dazu insgesamt NK-StGB/Streng, § 46 Rn. 51 ff.; Schönke/Schröder/Kinzig, § 46 Rn. 13 ff.; dazu ebenso wie zu weiteren Auswirkungen der Strafzweckbestimmung Andrissek, Vergeltung als Strafzweck, S. 2 f. 216 NK-StGB/Hassemer/Kargl, Vor § 1 Rn. 101; Jescheck/Weigend, AT, S. 4; M. Köhler, AT, S. 37; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, Rn. 6. Dementsprechend gilt die Rechtsfolge der Strafe als Charakteristikum des Strafrechts, siehe LK/Weigend, Einl. Rn. 57. In der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich der Gesetzgebungskompetenz des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG speist sich die Definition des Strafrechts als Regelung aller repressiver oder präventiver staatlicher Reaktion auf Straftaten, die an die Straftat anknüpfen, lediglich für den Täter gelten und ihre sachliche Rechtfertigung aus der Anlasstat beziehen, daher bedeutend aus dem Verhältnis von Strafe und zugrundeliegender Tat, die hiernach zwingend miteinander verknüpft zu sein scheinen, vgl. BVerfGE 109, 190 (212); 134, 33 (55). Das Strafrecht wird somit von seiner Rechtsfolge her bestimmt als Gesamtheit der Normen, die für eine rechtswidrige und schuldhafte Tat als Rechtsfolge eine Strafsanktion vorsehen, siehe Dreier/Wittreck, GG Art. 74 Rn. 19; Mangoldt/Klein/Starck/Oeter, GG Art. 74 Rn. 14. 217 Dazu generell NK-StGB/Hassemer/Kargl, Vor § 1 Rn. 105; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, Rn. 7 f. 218 Baer, Rechtssoziologie, § 9 Rn. 12 ff.; Raiser, Lebendes Recht, S. 259 f.; ders., Rechtssoziologie, S. 185 f. m.w.N.; Röhl, Rechtssoziologie, S. 243 ff., 252 f.; ferner Rehbinder, Rechtssoziologie, Rn. 113 ff. 219 Dazu sogleich, insbesondere Kapitel D. I. 4. c) bb) (2). 220 BVerfGE 37, 201 (207); LK/Dannecker, § 1 Rn. 179; SK-StGB8/Rudolphi/Jäger, § 1 Rn. 11; Jescheck/Weigend, AT, S. 128; Eser, Festschrift Lenckner, S. 25 (26 ff.); Ernst, Blankettstrafgesetze, S. 74; vgl. ferner BVerfGE 25, 269 (285 ff.); 57, 250 (261 f.); 78, 374 (381 f.). 221 LK/Weigend, Einl. Rn. 57 f.; NK-StGB/Hassemer/Kargl, Vor § 1 Rn. 105; Jakobs, AT, § 1 Rn. 3; Jescheck/Weigend, AT, S. 4; M. Köhler, AT, S. 37 ff.; Roxin, AT I, § 3 Rn. 1; Frisch, Festschrift Stree/Wessels, S. 69 (85); Ambos/Steiner, JuS 2001, 9 (11); Dölling, ZStW 102 (1990), 1 (1); Hassemer, JuS 1987, 257 (260); Hörnle/von Hirsch, GA 1995, 261 (261 f.); Bock, JuS 1994, 89 (89) Streng, Strafrechtliche Sanktionen, Rn. 10 ff.
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tional zu gestalten, sodass sie sich an den Strafzwecken auszurichten habe.222 Im Gefilde zwischen normiertem Strafrecht und Strafwürdigkeit vermag demzufolge ein Blick auf die Straftheorien, die jedenfalls die Wirkung des Strafrechts umschreiben, möglicherweise Auskunft über den Quell der Sozialadäquanz zu geben, welche schließlich ihrerseits gleichsam zwischen Strafgesetz und Strafwürdigkeit zu vermitteln scheint. Der seit dem Altertum geführte Streit um den Zweck der Strafe wird primär von drei Grundauffassungen geprägt, die zunehmend kombiniert nebeneinander treten und dem Disput so ein neues, wenngleich inhaltlich altbekanntes Gewand verleihen.223 (1) Vergeltung oder Prävention Schon früh wurde die Vergeltung als Sinn der Strafe begriffen.224 Nach der Vergeltungstheorie soll die Strafe durch Auferlegung eines Übels die mit der Straftat auf sich geladene Schuld des Täters vergelten bzw. sühnen.225 Die Strafe wirkt demnach also rein repressiv in die Vergangenheit gerichtet. Bestraft wird, weil eine Straftat begangen wurde und lediglich durch die Bestrafung des Täters wieder Gerechtigkeit hergestellt werden könne.226 Nachdem diese Theorie den Sinn der Strafe unabhängig von gesellschaftlichen Wirkungen bestimmt, wird sie vielfach als absolute Straftheorie bezeichnet (lat. absolutus = losgelöst).227 Oftmals wird die 222 Schünemann, in: Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 1 (45 ff.); Roxin, AT I, § 7 Rn. 26 ff.; Kuhlen, Unterscheidung von Irrtümern, S. 320 f.; Andrissek, Vergeltung als Strafzweck, S. 3; Kubiciel, Besonderer Teil des Strafrechts, S. 121 ff.; von der Linde, Rechtfertigung und Entschuldigung, S. 159 ff.; Wolter, Funktionales Straftatsystem, S. 21 f.; Schöneborn, ZStW 92 (1980), 688 (688 ff.); besonders weitgehend Schmidhäuser, Gedächtnisschrift Radbruch, S. 268 (276 f.), wobei Lackner, JZ 1978, 210 (211) in seiner Rezension zu Schmidhäusers Ansatz darin übereinstimmt, dass ein strafrechtlicher Systementwurf funktionell ausgerichtet zu sein habe; dazu Kalous, Generalprävention durch Vergeltung, S. 52 f.; kritisch hingegen LK/Walter, Vor § 13 Rn. 7; Mantovani, ZStW 109 (1997), 17 (27). 223 Eingehend dazu Jakobs, AT, § 1 Rn. 4 ff.; Roxin, AT I, § 3 Rn. 1 ff.; eine knapp gehaltene Übersicht findet sich bei Rengier, AT, § 3 Rn. 9 ff.; zur jüngeren Strafzweckdiskussion Hörnle, in: Strafe – warum?, S. 11 (12 ff.); Roxin, GA 2015, 185 (185 ff.). 224 Dabei ist umstritten, ob die Vergeltung sogleich als Zweck der Strafe bezeichnet werden darf, oder ob sie selbst als zweckfrei anzusehen ist. Entscheidend dafür ist, ob sich ein Zweck auf soziale, empirische Ziele zu beziehen hat. Verneint man dies und wendet den Zweckbegriff auch auf die Verwirklichung einer Gerechtigkeitsidee an, so kann insofern auch von der Vergeltung als Zweck der Strafe gesprochen werden, Roxin, AT I, § 3 Rn. 2. 225 Zurückgeführt wird diese zumeist auf Kant, Metaphysik der Sitten, § 49 E I und Hegel, Philosophie des Rechts, § 101; vgl. Heinrich, AT, Rn. 14 und Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 19; inhaltlich dahingehend Lesch, JA 1994, 590 (596 ff.); Walter, ZIS 2011, 636 (642 f.). 226 Binding, AT, § 92; Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 18 f. Zum hinter der Vergeltungstheorie aufscheinenden Talionsprinzip Ebert, in: Recht und Moral, S. 249 (250 ff.) sowie zur Rolle des Talionsprinzips für die Gesellschaft Koriath, Jura 1995, 625 (632 f.). 227 Vgl. nur Rengier, AT, § 3 Rn. 10; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 22; Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 18; kritisch bezüglich der Nomenklatur jedoch Hörnle, Straftheorien, S. 17, die anschließend (S. 17 ff.) verschiedene in der Literatur als absolut bezeichnete Straftheorien vorstellt.
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Reinform einer derart absoluten Theorie auf Kant zurückgeführt, der im Falle einer Auflösung der Gesellschaft forderte, zuvor den letzten im Gefängnis befindlichen Mörder hinzurichten, „damit jedermann das widerfahre, was seine Taten wert sind“.228 Aber auch die Ausführungen Hegels gelten als die absolute Straftheorie begründend, hält er doch fest, dass die Strafe allein deshalb gerechtfertigt sei, weil die mit der Tat einhergehende Verletzung des Rechts durch die Zufügung eines Übels wieder aufgehoben werden müsse.229 In der heutigen Wissenschaft wird die Vergeltungstheorie kaum noch vertreten. Dies wird häufig auf die Aufgabe des Strafrechts zurückgeführt,230 subsidiären Rechtsgüterschutz zu schaffen. Vor diesem Ziel darf sich das Strafrecht jedoch keiner ausdrücklich von sozialen Zwecken absehenden Strafe bedienen, verlangt das Prinzip der Vergeltung doch selbst dort nach Strafe, wo diese im Hinblick auf den Rechtsgüterschutz nicht notwendig ist. Ansonsten würde die Strafe schließlich nicht mehr den Aufgaben des Strafrechts dienen und so ihre gesellschaftliche Legitimation preisgeben.231 Spiegelbildlich kann eine absolute Straftheorie nicht erklären, weshalb im Einzelfall trotz einer Straftat von einer Strafe abgesehen wird.232 Darüber hinaus beansprucht eine Theorie der Vergeltung, Gleiches mit Gleichem zu vergelten und die Negation des Rechts mit seiner Negation zu beantworten.233 Weshalb ein Übel durch ein zweites Übel in Gestalt der Strafe kompensiert werden könne und eine auf ein Verbrechen folgende Strafe demnach gerecht sowie legitim sein soll, erklärt sich damit allerdings nicht.234 Daher hat der Staat mit der Strafe bestimmte soziale Zwecke zu verfolgen.235 Im Angesicht dieser Kritikpunkte waren die absoluten 228 Kant, Metaphysik der Sitten, § 49 E I. Ob dies tatsächlich mit der Auffassung von einer ausschließlich absoluten Theorie zu vereinbaren ist, wird indes aufgrund anderer Zitate mitunter bezweifelt, siehe etwa Hörnle, in: Strafe – warum?, S. 11 (17 f.). 229 Hegel, Philosophie des Rechts, § 101; kritisch diesbezüglich jedoch Zaczyk, Festschrift Eser, S. 207 (209 ff.). Roxin, AT I, § 3 Rn. 4 merkt insofern an, dass die berühmte Hegelsche Formel von der Strafe als Negation der Negation des Rechts nicht in dieser Quelle enthalten ist, sondern sich lediglich im Zusatz zu § 97 findet, den Hegels Schüler Gans aus einer Vorlesungsnachschrift entnommen und dem Text später angefügt hat. 230 Insofern spiegelt sich in der Argumentation der Zusammenhang zwischen der Aufgabe des Strafrechts und dem Zweck der Strafe wieder, der bereits oben festgehalten wurde, siehe Kapitel D. I. 4. c) bb). 231 MK-StGB/Radtke, Vor § 38 Rn. 33; NK-StGB/Hassemer/Kargl, § 1 Rn. 104 f.; Heinrich, AT, Rn. 14; Roxin, AT I, § 3 Rn. 8; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, Rn. 10; Kindhäuser, ZStW 107 (1995), 701 (729 f.). 232 Jescheck/Weigend, AT, S. 71; Roxin, GA 2015, 185 (188); Lampe, Strafphilosophie, S. 14 f.; Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 20. 233 Dieser Einwand findet sich bereits bei Hegel, Philosophie des Rechts, § 99 selbst, der bekanntlich als Verfechter einer absoluten Straftheorie angesehen wird, dazu auch Pawlik, GA 2006, 345 (347). 234 Heinrich, AT, Rn. 14; Jäger, AT, Rn. 6; Pawlik, GA 2006, 345 (347 f.); Roxin, GA 2015, 185 (188 f.); Lampe, Strafphilosophie, S. 13 f. 235 Fischer, § 46 Rn. 4; Heinrich, AT, Rn. 14; Jescheck/Weigend, AT, S. 71; Jäger, AT, Rn. 6; Rengier, AT, § 4 Rn. 21; Roxin, AT I, § 3 Rn. 9 f.; Haffke, Festschrift Roxin, S. 955 (956);
I. Begründung
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Straftheorien spätestens seit den 1970er und 1980er Jahren in Deutschland nicht mehr salonfähig.236 Nachdem der Gedanke der Vergeltung demzufolge in den Hintergrund rückte, drängte sich der Präventionsgedanke in den Vordergrund der Diskussion. Auffassungen, welche den Zweck der Strafe in der Vorbeugung und weiteren Verbrechensverhütung sehen, werden als relative Theorien begriffen, da sie die Strafe auf die Aufgabe der Prävention beziehen (lat. referre = beziehen auf).237 Der Grundgedanke der Präventionstheorien reicht dabei in die Zeit der Aufklärung zurück, in der auch bereits die beiden Wirkungsebenen der Strafe mit der Einwirkung auf den Täter sowie der Einwirkung auf die Allgemeinheit beschrieben wurden.238 Während unter der erstgenannten Wirkrichtung heute die Spezialprävention verstanden wird, stellt die letztgenannte den Kern der Generalprävention dar. Die spezialpräventiven Theorien legitimieren die Strafe durch deren Wirkung auf den Täter, der durch die erfahrene Strafe von weiteren Straftaten abgehalten werden soll.239 Dabei sieht die positive Spezialprävention den Zweck der Strafe in einer Besserung des Täters begründet, dessen legale Gesinnung durch die erfahrene Sanktion gestärkt werden solle.240 Dagegen zeichnet die negative Spezialprävention aus, die Legitimation der Strafe auf deren Abschreckungswirkung auf den Täter bzw. den Schutz der Gesellschaft vor diesem zu stützen.241 Damit vermag ein spezialpräventives Verständnis allerdings keinen Maßstab für die Strafe zu liefern. Im Lichte der Spezialprävention wäre es nur konsequent, einen Verurteilten bis zu dessen Resozialisierung festzuhalten. Entsprechend wäre eine
Kindhäuser, ZStW 107 (1995), 701 (729 f.); Hörnle, Straftheorien, S. 21 f.; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, Rn. 10. 236 So das Resümee bei Andrissek, Vergeltung als Strafzweck, S. 45; ferner Walter, ZIS 2011, 636 (636). 237 Dazu Roxin, AT I, § 3 Rn. 11; Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 21. 238 Beccaria, Über Verbrechen und Strafe, S. 74: „Der Zweck der Strafe kann somit kein anderer als der sein, den Schuldigen daran zu hindern, seinen Mitbürgern abermals Schaden zuzufügen, und die anderen davon abzuhalten, das gleiche zu tun“. Die theoretisch eindeutige Unterscheidung zwischen Spezial- und Generalprävention wird jedoch auf Feuerbach zurückgeführt, vgl. Jescheck/Weigend, AT, S. 72; Kipper, Feuerbach, S. 26 ff. 239 Bedeutend Liszt, ZStW 3 (1883), 1 (31 ff.); vgl. ferner Hörnle, Straftheorien, S. 22 ff. und MK-StGB/Radtke, Vor § 38 Rn. 41, der die Spezialprävention als einflussreichste Strafzwecklehre des 20. Jahrhunderts begreift. Diesen Aspekt betonend etwa BVerfGE 35, 202 (235 f.). 240 Dazu statt vieler Schönke/Schröder/Kinzig, Vor §§ 38 ff. Rn. 7; Heinrich, AT, Rn. 18; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, Rn. 30 ff.; Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 25 f. verweist zudem auf terminologische Unterschiede hinsichtlich der spezialpräventiven Ansätze. Dahingehend auch § 2 StVollzG. 241 Dazu statt vieler Roxin, AT I, § 3 Rn. 12; Hörnle, Straftheorien, S. 22 ff.; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, Rn. 30 ff.; eingehend und zur geschichtlichen Entwicklung zudem Jescheck/Weigend, AT, S. 71 ff.
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D. Eigener Lösungsansatz zur Dogmatik der Sozialadäquanz
Verurteilung mit unbestimmter Strafdauer242 einzuführen oder eine mehrjährige Freiheitsstrafe auch bei zuvor nicht straffälligen Tätern eines geringfügigen Deliktes zu verhängen.243 Die Freiheit des Täters würde so durch den Aspekt der Spezialprävention in einem für einen liberalen Rechtsstaat unverhältnismäßigen Maße beschnitten. Darüber hinaus versagt eine rein spezialpräventive Strafe bei nicht resozialisierungsbedürftigen Tätern. So könnte sie weder die Bestrafung eines Fahrlässigkeitstäters, noch eines Menschen, der zwar in einer einmaligen Konfliktsituation eine schwere Gewalttat begangen hat, von dem jedoch keine Widerholungsgefahr ausgeht, legitimieren. Demnach bereitet selbst die Ahndung der Taten mittlerweile unauffällig lebender NS-Verbrecher Schwierigkeiten.244 Dazu gesellt sich der Umstand, dass ein erfolgreiches Konzept für die Sozialisierung Straffälliger bisher nicht entwickelt werden konnte.245 Die dauernde Erfolglosigkeit einer zweckgebundenen Strafe führe gleichsam zu deren Sinnlosigkeit.246 Zwar werden in jüngerer Zeit diesbezüglich wieder optimistischere Erwartungen geäußert.247 Die viel betonte Kritik an der Spezialprävention führte dennoch zu einem Rückgang deren Popularität. Demgegenüber stellt die Theorie der Generalprävention die Strafwirkung auf die Allgemeinheit in den Fokus der Betrachtung. So sei nicht das Empfinden der Strafe durch den Täter, sondern vielmehr deren Auswirkungen auf die Gesellschaft maßgeblich.248 Dabei umschreibt der Gedanke negativer Generalprävention die mit der 242 Wie sie auch § 19 JGG vorsah, bevor dieser 1990 aufgrund zahlreicher Bedenken aufgehoben wurde (vgl. BT-Drucks. 11/5829) und wie sie auch lange Zeit im US-amerikanischen Strafrecht galt, das lediglich die Festsetzung einer Unter- sowie Obergrenze verlangte, vgl. Weigend, ZStW 90 (1978), 1083 (1114 f.). 243 Kunz, Kriminologie, § 27 Rn. 1; Roxin, AT I, § 3 Rn. 16; Grasberger, ZStW 110 (1998), 796 (799); Roxin, GA 2015, 185 (191 f.); Andrissek, Vergeltung als Strafzweck, S. 51; Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 26; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 24 sehen darin gar die Gefahr begründet, den Täter zum Zwecke gesellschaftlicher Bedürfnisse zu instrumentalisieren und als Sündenbock abzustempeln. Dem Maßstab mit Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 26 unter Berufung auf die Ausführungen zu Liszt von Naucke, ZStW 94 (1982); 525 (547 f., 553) indes auch keine Grenze der physischen Vernichtung des Täters zuzuschreiben, reicht jedoch jedenfalls über den Aspekt der positiven Spezialprävention hinaus. 244 Baumann/Weber/Mitsch/Eisele/Eisele, AT, § 2 Rn. 41; Heinrich, AT, Rn. 28; Rengier, AT, § 4 Rn. 20; Walter, NStZ 2014, 368 (371); Andrissek, Vergeltung als Strafzweck, S. 52; Hoerster, Strafe, S. 56; Spycher, Retributive Kriminalstrafe, S. 135. 245 Baumann/Weber/Mitsch/Eisele/Eisele, AT, § 2 Rn. 38; Roxin, AT I, § 3 Rn. 20; Lesch, JA 1994, 590 (593); Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 27; dagegen jedoch Dölling, Festschrift Lampe, S. 597 (605 f.). 246 Die damit einhergehende Resignation wird oftmals unter der Bezeichnung „nothing works“ zusammengefasst, was auf die Thesen bei Martinson, What works? Questions and Answers about Prison Reform zurückgeführt wird. 247 Weigend, in: Muß Strafe sein?, S. 181 (183) sieht unter Verweis auf andere Autoren den tiefsten Punkt der Enttäuschung als überwunden an, während Dölling, Festschrift Lampe, S. 597 (609) die Spezialprävention zu stärken gedenkt. 248 Dazu etwa Hoerster, GA 1970, 272 (273); eingehend P. Hoffmann, Vergeltung und Generalprävention, S. 6 ff. und Streng, Strafrechtliche Sanktionen, Rn. 22 ff.
I. Begründung
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Bestrafung des Täters einhergehende abschreckende Wirkung auf die Allgemeinheit. Denn lediglich die Bestrafung des Einzelnen könne die Gesellschaft vor der Begehung von Straftaten abhalten.249 Der Spielart der positiven Generalprävention liegt hingegen ein Bild der Gesellschaft zugrunde, welches sich nicht aus deren Angst vor einer Strafe speist, sondern vielmehr auf deren Überzeugung berechtigter Normgeltung basiert. Schließlich werde durch die Strafe sowohl das Rechtsbewusstsein als auch das Normvertrauen der Bevölkerung derart gestärkt, dass sie auf die Rechtsordnung baue.250 Die Bestrafung des Täters zeige der Gesellschaft dabei auf, dass sich einzig rechtstreues Verhalten lohne.251 Die Rolle positiver generalpräventiver Strafaspekte im wissenschaftlichen Diskurs ist, auch anbetrachts der Defizite anderer Modelle, im Steigen begriffen.252 Maßgeblich dafür verantwortlich zeichnet jedoch der Umstand, dass die Aufgabe der Strafe so den mittels des Strafrechts anvisierten Rechtsgüterschutz aufgreift und bewahrt, wofür der Lern-, Vertrauens- und Befriedungseffekt in der Gesellschaft verantwortlich zeichnen.253 Allerdings birgt auch ein Konzept der Generalprävention keinen Maßstab zur Begrenzung der Strafdauer. Unbesehen der Frage, ob eine härtere Strafe tatsächlich einen größeren Abschreckungseffekt auslöst,254 verkörpert diese Vorstellung historisch betrachtet zumindest die häufigste Ursache maßloser Strafe.255 Zudem löst sich 249 Der Gedanke negativer Generalprävention ist auf Feuerbach (siehe etwa ders., Lehrbuch, § 13) zurückzuführen, der mit seiner Theorie vom psychologischen Zwang beabsichtigte, dem Begehren des Menschen als sinnlicher Triebfeder zur Begehung von Straftaten mit der Androhung und Durchsetzung einer Strafe eine weitere Triebfeder entgegenzuhalten; eingehend dazu Greco, Feuerbachs Straftheorie, S. 34 ff. 250 Dazu Heinrich, AT, Rn. 17; Roxin, AT I, § 3 Rn. 26 ff.; ferner Hörnle, Straftheorien, S. 27 f.; eingehend zu den einzelnen Aspekten positiver Generalprävention Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, S. 39 ff. 251 Einzelne Modelle finden sich etwa bei NK-StGB/Hassemer/Neumnann, Vor § 1 Rn. 288 ff.; Baumann/Weber/Mitsch/Eisele/Eisele, AT, § 2 Rn. 26, 56; Jakobs, AT, § 1 Rn. 4 ff.; Hassemer, Festschrift Lüderssen, 221 (222 ff.); Müller-Dietz, Festschrift Jescheck, S. 813 (824 f.); Jakobs, ZStW 107 (1995), 843 (844 f.). 252 So exemplarisch Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 23 f. und Streng, Strafrechtliche Sanktionen, Rn. 24 jeweils m.w.N.; zuvor schon Lesch, JA 1994, 510 (518); einzelne Nachweise bereits in Fn. 251. 253 NK-StGB/Hassemer/Neumann, Vor § 1 Rn. 288 ff.; Roxin, AT I, § 3 Rn. 27; Jäger, AT, Rn. 6; Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 23 f. 254 Was vielfach angezweifelt wird, siehe nur MK-StGB/Radtke, Vor § 38 Rn. 39 und Andrissek, Vergeltung als Strafzweck, S. 48 jeweils m.w.N.; K. Schumann, Positive Generalprävention, S. 160 weist darauf hin, dass vielmehr das seitens des Täters angenommene Verdeckungsrisiko entscheidend sei. Ebenfalls kritisch Dölling, ZStW 102 (1990), 1 (9 ff.). 255 Schließlich wird einer härteren Strafe eine größere Abschreckungswirkung auf die Gesellschaft zugeschrieben, sodass die Generalprävention hinsichtlich der Strafhöhe keine Grenzen kennt, Roxin, AT I, § 3 Rn. 32; Ambos/Steiner, JuS 2001, 9 (12); Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 24; vgl. ferner MK-StGB/Radtke, Vor § 38 Rn. 36; Jescheck/Weigend, AT, S. 75; Hassemer, Grundlagen des Strafrechts, S. 310. Lampe, Strafphilosophie, S. 12 f. rügt den Maßstab zudem bezüglich dessen gänzlicher Unbestimmtheit; dagegen jedoch Hoerster, GA 1970, 272 (278 f.).
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D. Eigener Lösungsansatz zur Dogmatik der Sozialadäquanz
ein rein generalpräventiver Blick von der Wirkung auf den Einzelnen zugunsten einer gesellschaftlichen Wirkung und degradiert den Täter somit zum reinen Objekt staatlicher Strafe.256 Daneben krankt die Theorie der negativen Generalprävention an dem Umstand, dass empirische Untersuchungen der Abschreckungswirkung kaum Erfolge belegen.257 Aufgrund dieser Kritik hat sich trotz der gestiegenen Bedeutung auch die Lehre der (positiven) Generalprävention nicht vollends als einzig wahrer Zweck der Strafe durchsetzen können. (2) Vereinigungstheorien Angesichts der Defizite der einzelnen Straftheorien erscheint es verständig, dass die nunmehr herrschende Ansicht den Strafzweck nicht in einem einzigen Aspekt ersucht, sondern die geläufigen Theorien miteinander verbindet.258 Schließlich vermag so die Komplexität der Strafbegründung gewahrt zu werden. Während die absolute Theorie die Strafe lediglich als Ausgleich versteht und so gesellschaftliche Zwecke sowie Legitimation der Bestrafung ausklammert, übersehen relative Theorien den gerechten Ausgleich für begangenes Unrecht und degradieren bisweilen den Täter zum Sündenbock vor der Gesellschaft.259 Um dem entgegenzuwirken, bestimmten zunächst die vergeltenden Vereinigungstheorien, denen auch die Rechtsprechung zugeneigt schien, das Bild.260 Deren Kern war es, Vergeltung, Spezial- und Generalprävention jedenfalls als nebeneinander zu verfolgende Strafzwecke anzuerkennen. Nach klassischem Verständnis sollten jedoch die präventiven Ziele den vergeltenden Charakter der Strafe unberührt lassen und in dem durch die Vergeltung gezeichneten Rahmen (mit)berücksichtigt 256 MK-StGB/Joecks, Einl. Rn. 74; Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 3 Rn. 35; Wessels/ Beulke/Satzger, AT, Rn. 24; Ambos/Steiner, JuS 2001, 9 (12); Calliess, NJW 1989, 1338 (1340); Lesch, JA 1994, 510 (518); Jakobs, AT, § 1 Rn. 20 ff. warnt vor resultierenden, krassen Missverhältnissen zwischen Sozialschädlichkeit der Tat und Strafmaß. 257 Eingehend Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 27 ff.; ferner NK-StGB/Hassemer/ Neumann, Vor § 1 Rn. 282; Hörnle/von Hirsch, GA 1995, 261 (262); Wolff, ZStW 97 (1985), 786 (796 f.); Lampe, Strafphilosophie, S. 11 f.; besonders eindringlich Andrissek, Vergeltung als Strafzweck, S. 48. 258 Die einzelnen Spielarten der letztlichen Kombination sind dabei mannigfaltig, siehe nur LK/Weigend, Einl. Rn. 60; MK-StGB/Joecks, Einl. Rn. 75 ff.; Jescheck/Weigend, AT, S. 75 ff.; Heinrich, AT, Rn. 19 f.; Maurach/Zipf, AT I, § 6 I D; Rengier, AT, § 4 Rn. 21; Roxin, AT I, § 3 Rn. 37 ff.; Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 35; vgl. ferner BVerfGE 21, 391 (404); 45, 187 (253 f.); RGSt 58, 106 (109); BGHSt 7, 214 (216); 24, 40 (42); zur geschichtlichen Entwicklung verschiedener Vereinigungslehren Koriath, Jura 1995, 625 (626 ff.); kritisch hingegen NKStGB/Hassemer/Neumann, Vor § 1 Rn. 287. 259 Zusammenfassend Lampe, Strafphilosophie, S. 16 f., welcher der Straftheorie gerechten Ausgleich, gerechte Austeilung und gerechte Vorsorge überantwortet. 260 Bereits früh A. Merkel, Deutsches Strafrecht, §§ 64 – 72; zur Frage, ob dies den Ursprung der Vereinigungstheorien darstellte und zu weiteren Ansätzen Koriath, Jura 1995, 625 (625 ff.); zur Rechtsprechung vgl. etwa BVerfGE 39, 1 (57); 45, 187 (253 f.); BGHSt 20, 263 (265 f.); 28, 318 (326); 34, 150 (151).
I. Begründung
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werden.261 Nach einer moderneren Variante sollen Vergeltung sowie präventive Aspekte nicht nur nebeneinander zu verfolgen, sondern gleichrangige Strafzwecke sein.262 Bedenklich erscheint dies jedoch, sobald die verschiedenen Zwecke beliebig ausgetauscht werden und so eine einheitliche Idee schwerlich auszumachen ist. Schließlich sollte das Ansinnen einer Straftheorie darin bestehen, die zutreffenden Aspekte in einer einheitlichen Konzeption zu verbinden und durch gegenseitiges Zusammenwirken deren individuelle Schwächen zu meiden.263 Daher wird mitunter der Schwerpunkt der Vereinigungstheorie auf die Spezialprävention verlagert, dieser also im Falle einer Antinomie der Strafzwecke der Vorrang eingeräumt.264 Ähnliche Modelle existieren freilich hinsichtlich generalpräventiver Aspekte, wobei der bedeutende Standpunkt der positiven Generalprävention auch diesbezüglich die Ansichten prägt.265 Vielfach wird sich zwar zu einer Vereinigungstheorie bekannt, deren genaue Spielart jedoch offengelassen.266 Die überwiegende Zustimmung zu einer vereinigenden Lösung deckt sich mit der Gestaltung des Strafgesetzbuchs, welches nicht explizit auf einen Strafzweck festgelegt ist, sondern selbst Aspekte verschiedener Zwecke berücksichtigt: so stellt nach § 46 Abs. 1 Satz 1 StGB die Schuld die Grundlage der Strafzumessung dar, womit ein vergeltender Charakter der Strafe naheliegt, ist die Schuld doch ein eher retributiver Gesichtspunkt fernab jeglicher Präventionsgedanken. Dagegen stellt § 46 Abs. 1 Satz 2 StGB mit der gebotenen Berücksichtigung der Strafwirkungen für 261
RGSt 58, 106 (109) hält fest, dass Vergeltung und Sühne in erster Linie maßgeblich seien, während sonstige Strafzwecke in den Hintergrund treten würden; ähnlich BGHSt 20, 263 (265 f.); 28, 318 (326); 34, 150 (151); Maurach, AT4, § 6 I D.; dahingehend noch immer Krey/ Esser, AT, Rn. 157 f. 262 BVerfGE 39, 1 (57); 45, 187 (253 f.); 109, 133 (167 f.); zur Entwicklung auch MK-StGB/ Joecks, Einl. Rn. 75 und Jescheck/Weigend, AT, S. 76 ff.; ferner Bock, JuS 1994, 89 (93); Roxin, GA 1015 (185 (187 ff.); zu jüngeren Ansätzen ferner Streng, Strafrechtliche Sanktionen, Rn. 36 ff. 263 MK-StGB/Joecks, Einl. Rn. 75; NK-StGB/Hassemer/Neumann, Vor § 1 Rn. 287; Roxin, AT I, § 3 Rn. 35; Lesch, JA 1994, 590 (594); dieses Zusammentreffen und Divergieren einzelner Strafzwecke dürfte wohl den Grund dafür darstellen, weshalb die Diskussion der Straftheorie so breit geführt wird, so jedenfalls Lackner/Kühl/Lackner, § 46 Rn. 3 und Gallas, ZStW 80 (1968), 1 (2 ff.). 264 Etwa Eb. Schmidt, ZStW 69 (1957), 394; kritisch dazu Jescheck/Weigend, AT, S. 79. 265 MK-StGB/Joecks, Einl. Rn. 78 f.; auch Hörnle, Straftheorien, S. 62 f. legt den Fokus auf generalpräventive Aspekte, möchte diese jedoch zudem durch einen Blick auf berechtigte Interessen des Opfers ergänzen; einen Überblick über die vielen Nuancen der Vereinigungstheorie gibt Lackner/Kühl/Lackner, § 46 Rn. 2. Roxin, AT I, § 3 Rn. 37 ff. erhebt gleichermaßen Spezial- sowie Generalprävention zum Kern seiner Straftheorie und hält fest: „Der Ausgangspunkt jeder heute vertretbaren Straftheorie muss in der Einsicht liegen, dass der Zweck der Strafe nur präventiver Art sein kann“. 266 So etwa Baumann/Weber/Mitsch/Eisele/Eisele, AT, § 2 Rn. 53 ff.; Heinrich, AT, Rn. 19; Jäger, AT, Rn. 7; Rengier, AT, § 3 Rn. 21 ff.; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 26; LK/Weigend, Einl. Rn. 62 ff. plädiert für eine differenzierendere Betrachtung, gelangt im Ergebnis aber ebenfalls zu einer doppelspurigen Straflegitimation, die auf retributiven sowie präventiven Grundpositionen fußt (Rn. 66 f.).
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D. Eigener Lösungsansatz zur Dogmatik der Sozialadäquanz
das künftige Leben des Täters auf spezialpräventive Aspekte ab. Elemente der Generalprävention finden beispielsweise in § 47 Abs. 1 a.E. StGB („zur Verteidigung der Rechtsordnung“) ihren gesetzlichen Niederschlag.267 Die herrschende Auffassung vermag sich somit auf das Strafgesetzbuch zu stützen, um ihre Vereinigungstheorie bestätigt zu sehen.268 cc) Sozialadäquanz als Zweckerfüllung Vor dem Hintergrund des herrschenden Strafzweckverständnisses wird die Rolle der Sozialadäquanz verständlich. In einer funktional interpretierten Verbrechenslehre,269 welche in dezisiver Weise von den Zwecken der Strafe geprägt wird, vermag die soziale Adäquanz als funktionales Mittel verstanden zu werden, um den Strafzweck ausreichend zu berücksichtigen. Doch auch ohne eine derart funktionale Interpretation vermittelt sie zwischen dem Strafzweck als solchem und dem diesen erst ermöglichenden Strafrecht. Sie entspringt letztlich dem Zweck der Strafe und hält dessen materielle Grundlage im Einklang mit diesem. Ersucht die Bestrafung eines Täters in bedeutendem Maße gesellschaftliche Zwecke, so scheidet die Sozialadäquanz Fälle aus dem Unrechtsbereich aus, in denen eine nachfolgende Strafe jene Zwecke verfehlen würde. Dergestalt schafft sie es, den Sinn der Strafe mit dem Sinn des Strafrechts zu harmonisieren270 und letzteres nicht zu einer formell gegebenen, letztlich aber zweckentleerten Hülle verkommen zu lassen. In der Folge kommt bereits dem die Strafandrohung beinhaltenden Straftatbestand eine präventive Wirkung auf die Gesellschaft zu.271 Dadurch kann die Norm als faktisch taugliches Orientierungsmuster hinsichtlich der angedrohten Strafe dienen, sodass sich
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Baumann/Weber/Mitsch/Eisele/Eisele, AT, § 2 Rn. 55; Heinrich, AT, Rn. 20; Wessels/ Beulke/Satzger, AT, Rn. 26; ferner LK/Weigend, Einl. Rn. 60; das Bundesverfassungsgericht betont insofern, der Gesetzgeber habe sich bewusst dazu entschieden, die Regelungen offen zu gestalten und sie weiterer Entwicklung zugängig zu machen, BVerfGE 45, 187 (253). 268 Für den weiteren Fortgang dieser Arbeit soll daher eine Vereinigungstheorie zu Grunde gelegt werden, die sich mit der herrschenden Ansicht deckt, hingegen gleichsam nicht näher nach einzelnen Strafaspekten zu gewichten sucht, um das Fundament der Sozialadäquanz auf einer breiten Grundlage und dem überwiegenden Konsens zu errichten. 269 Dazu bereits zu Beginn von Kapitel D. I. 4. c); zudem Kubiciel, Besonderer Teil des Strafrechts, S. 121 ff.; Roxin, AT I, § 7 Rn. 26 ff.; Schünemann, in: Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 1 (45 ff.); Andrissek, Vergeltung als Strafzweck, S. 3. 270 Zu diesem Gleichlauf LK/Weigend, Einl. Rn. 57; NK-StGB/Hassemer/Kargl, Vor § 1 Rn. 101; Jescheck/Weigend, AT, S. 4; M. Köhler, AT, S. 37; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, Rn. 6; zudem bereits oben, zu Beginn von Kapitel D. I. 4. c) bb). Kudlich, ZStW 115 (2003), 1 (16) hält fest, dass jede rechtliche Regelung ihre Zweckhaftigkeit aus den von ihr „gesollten“ Folgen ziehe; dahingehend bereits zuvor Freund, JZ 1992, 993 (995). 271 Die verhaltensdeterminierende Wirkung einer Norm auf die Gesellschaft betonend etwa BVerfGE 37, 201 (207); LK/Dannecker, § 1 Rn. 179; SK-StGB8/Rudolphi/Jäger, § 1 Rn. 11; Jescheck/Weigend, AT, S. 128; Eser, Festschrift Lenckner, S. 25 (26 ff.); Ernst, Blankettstrafgesetze, S. 74; vgl. ferner BVerfGE 25, 269 (285 ff.); 57, 250 (261 f.); 78, 374 (381 f.).
I. Begründung
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die Mitglieder der Gesellschaft ohne Irrungen auf die Norm verlassen können.272 Damit ist zugleich sichergestellt, dass das Strafrecht gesellschaftliche Wirkung entfalten kann und insofern nicht inhaltslos fernab der Straflegitimation rangiert, sondern diese trägt und selbst stärkt. Dies kann freilich für den in den Vereinigungstheorien enthaltenen Vergeltungsgedanken schwerlich zutreffen, vermag die Norm zwar präventive Wirkung auszustrahlen, jedoch über keinerlei retributiven Charakter zu verfügen, rührt ein solcher doch allenfalls aus der letztlichen Strafe. Der Straftatbestand steht also für sich als negativ-präventive Warnung beziehungsweise als Norm, auf welche in positiv-präventivem Sinne vertraut werden darf. Sie entfaltet ihre gesellschaftliche Wirkung in besonderem Maße durch den gleichsam in den Vereinigungstheorien enthaltenen, mitunter gar prägenden Aspekt der positiven Generalprävention. Schließlich legt dieser das Augenmerk auf die mögliche Orientierung der Gesellschaft an einem für das soziale Leben elementaren Normenkatalog, welchen das Strafrecht abbildet und die Strafe zu festigen versucht. Dergestalt partizipiert der positiv-generalpräventive Strafzweck an der Legitimation des Strafrechts und vice versa, sichern doch beide Hand in Hand den gesellschaftsschützenden Normenbestand.273 Die Frage der sozialen Adäquanz eines Verhaltens ist demnach eng an die Straftheorie geknüpft, die den Ausgangspunkt der Untersuchung bildet. Dabei vermag der Aspekt der Spezialprävention274 mitunter erste Erkenntnisse zu liefern: zöge ein Verhalten eine Strafe nach sich, dessen Ausübung die Gesellschaft nicht als schutzbedürftig vor dem Täter kennzeichnen würde und welchem aufgrund dessen sozialer Üblichkeit kein Unrechtsurteil zugeschrieben wird, so verfingen Aspekte negativer Spezialprävention ohnehin nicht. Freilich ist ein derartiger Schluss zum einen nicht zwingend, vermag doch jede als Übel empfundene Strafe grundsätzlich abzuschrecken, zum anderen jedoch eng an ein gesellschaftliches Unwerturteil geknüpft. Deutlicher werden die Hinweise auf die Notwendigkeit eines Korrektivs im Hinblick auf die positive Spezialprävention, die die Besserung des Täters ersucht. Agiert dieser im Rahmen des gesellschaftlich akzeptierten Verhaltensbildes, so ist kein Anlass für eine beabsichtigte Besserung des Täters gegeben. Schließlich er-
272 Vgl. dazu Jakobs, AT, § 2 Rn. 2; Kalous, Generalprävention durch Vergeltung, S. 52 f.; zur Orientierungsfunktion des Strafrechts bereits früh H. Mayer, AT, S. 26; vgl. auch BVerfGE 25, 269 (285 ff.); 78, 374 (381 f.). 273 Kalous, Generalprävention durch Vergeltung, S. 52 ff. sieht in der umschriebenen Synchronität eine Besonderheit der positiv-generalpräventiven Straftheorie; Müller-Dietz, in: Kriminalprävention und Strafjustiz, S. 241 (242) betont ebenfalls das Zusammenwirken von Strafe und Norm; Schöch, in: Der Sachverständige im Strafrecht Kriminalitätsverhütung, S. 95 (96) hält fest, dass die positive Generalprävention eine Brücke zu einer allgemeinen Strafrechtstheorie schlägt, welche die Funktion der Strafe und jene des Strafrechts in der Gesellschaft vereint; auch BVerfGE 45, 187 (254) merkt an, dass die Strafe „die elementaren Werte des Gemeinschaftslebens“ schütze und nimmt somit die Wirkungen des Strafrechts auf die Gesellschaft in den Blick; ferner Jakobs, AT, § 2 Rn. 2. 274 Dazu Kapitel D. I. 4. c) bb) (1).
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D. Eigener Lösungsansatz zur Dogmatik der Sozialadäquanz
scheint dieser in den Augen der Gesellschaft nicht als besserungsbedürftig. Eine Strafe ist demzufolge nicht notwendig. Die Notwendigkeit eines Korrektivs ist darüber hinaus unter dem Aspekt der Generalprävention erkennbar, welche die Auswirkungen einer Strafe auf die Gesellschaft fokussiert.275 Von der Bestrafung müsste demnach zu ihrer Legitimation eine abschreckende Wirkung auf die Allgemeinheit ausgehen oder ein Vertrauenszuwachs in der Bevölkerung hervorgerufen werden, welcher der Bestands- und Durchsetzungskraft des Rechts gilt. Soll eine sozialadäquate Handlung, die also auf der Billigung der Gesellschaft beruht, mit Strafe vergolten werden, so fehlt es hingegen an einem solchen Vertrauensgewinn, sieht die Gesellschaft doch ohnehin kein Strafbedürfnis bezüglich des von ihr selbst gebilligten Handelns. Vielmehr würde eine Sanktion mit Kopfschütteln aufgenommen werden und ließe so das Vertrauen in die Rechtsordnung schwinden. Der Aspekt positiver Generalprävention würde so letztlich untergraben. Ähnlich verhält es sich mit dem Aspekt der negativen Generalprävention. Zwar vermag von der Bestrafung eines Verhaltens stets eine abschreckende Wirkung für die Gesellschaft auszugehen. Allerdings liegt der Zweck der Generalprävention nicht in einer Abschreckung um der Abschreckung willen, sondern in einer Abschreckung vor gesellschaftlich missbilligtem und zudem strafbewehrten Verhalten. Einem gesellschaftlich gebilligten Verhalten fehlt es damit an jenem gesellschaftlichen Unwerturteil, welches eine Strafe im Sinne der Vereinigungstheorie legitimiert. dd) Sozialadäquanz zwischen Sein und Sollen Rekurriert eine derart verstandene Sozialadäquanz auf die Wirkung einer Strafe in der Gesellschaft, sieht sie sich zwangsläufig dem seit jeher entgegengebrachten Einwand der Durchbrechung der Dichotomie von Sein und Sollen ausgesetzt.276 Schließlich könne nach dem Dualismus von Sein und Sollen niemals von sozialer Üblichkeit auf normative Richtigkeit geschlossen werden.277 Weder dürfe der Richter Maßstäbe und Wertungen einfließen lassen, die nicht in der Rechtsordnung verbürgt sind, noch könne die Unrechtsbewertung aus einer gesellschaftlichen Wertung fließen. Anderenfalls werde die Soziologie zum Richter über das Recht erhoben.
275
Dazu Kapitel D. I. 4. c) bb) (1). Dazu bereits Kapitel C. I. 1. d) und Kapitel C. I. 2. 277 Dazu Kelsen, ArchSozWiss 1915, 839 (841); Bydlinski, Methodenlehre, S. 44 f.; Mahlmann, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, § 4 Rn. 12 ff.; Möllers, Methodenlehre, § 3 Rn. 20 f.; Röhl/Röhl, Rechtslehre, S. 129 ff.; Hassemer, Tatbestand und Typus, S. 114; speziell zur Sozialadäquanz Amelung, Festschrift Grünwald, S. 9 (11); Otto, Festschrift Amelung, S. 225 (228); Würtenberger, Festschrift Rittler, S. 125 (136 f.); Gallas, ZStW 67 (1955), 1 (23); Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (93); Rönnau, JuS 2011, 311 (312 f.); Valerius, JA 2014, 561 (562, 566). 276
I. Begründung
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Überdies würde der Judikatur so das Werkzeug an die Hand gegeben, die Grenzen des Strafrechts einzureißen.278 So treffend dieser Einwand mitunter gegenüber einer dogmatisch wenig an das Gesetz geknüpften Rechtsfigur auch sein mag, so wenig überzeugt er vorliegend, zielt er doch an einer am Strafzweck orientierten, funktionalen Sozialadäquanz vorbei. Schließlich verlässt diese das Feld des Rechtlichen nicht. Sie hält sich innerhalb des durch das Strafrecht und den Strafzweck geformten, rechtlichen Rahmens. Indem der Richter die Norm nicht nur hinsichtlich deren Telos, sondern auch hinsichtlich des dahinterstehenden Sinn und Zwecks von Strafrecht und Strafe eruiert, folgt er einzig seinem verfassungsrechtlichen Auftrag, das Gesetz möglichst genau auszulegen und diesem zur Geltung zu verhelfen.279 Freilich ist er dazu angehalten, die gesellschaftliche Akzeptanz des Verhaltens in die Strafbarkeitsprüfung zu überführen. Dabei handelt es sich allerdings um keine beliebige Durchbrechung der Trennung von Sein und Sollen. Vielmehr ergibt sich die Notwendigkeit, gesellschaftliche Auswirkungen einer Strafe zu beachten, aus dem Zweck der Strafe und somit dem rechtlichen Bereich selbst. Der Richter, der daraufhin die zugrundeliegende Strafnorm auf die gesellschaftliche Bewertung der Sanktion eines Verstoßes gegen diese im Einzelfall überprüft, ergründet lediglich die rechtlich zu beachtenden Wirkungen und harmonisiert die Zwecke von Strafrecht sowie Strafzweck. Damit trifft er keine eigene gesetzgeberische Entscheidung, sondern setzt die in der Norm sowie im Strafgesetz angelegte Wertentscheidung des Gesetzgebers um.280 Der Schluss von einem faktischen Sein auf ein normatives Sollen ist damit nur ein scheinbarer. Schließlich ist es das Recht selbst, das die Einbindung des Faktischen in seinen Zweck aufnimmt und somit fordert. Verlangt die rechtliche Zielsetzung nach einer Berücksichtigung des Seins, so handelt es sich um eine rechtlich aufgegebene Bewertung, möge diese auch auf ein gesellschaftliches Urteil rekurrieren. Schließ278 H. Mayer, AT2, S. 65; Otto, Festschrift Amelung, S. 225 (227 f.); Würtenberger, Festschrift Rittler, S. 125 (136 f.); Gallas, ZStW 67 (1955), 1 (23); Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (93); Rackow, Neutrale Handlungen, S. 205; zur Problematik ferner Eser, Festschrift Roxin, S. 199 (206) m.w.N.; Exner, Knabenbeschneidung, S. 118 ff. 279 Zur Notwendigkeit sowie den Grenzen der Gesetzesauslegung durch den Richter Maunz/Dürig/Remmert, GG Art. 103 Abs. 2 Rn. 83 f.; MK-StGB/Schmitz, § 1 Rn. 71 ff., 78 f.; NK-StGB/Hassemer/Kargl, § 1 Rn. 71, 104 ff.; Schönke/Schröder/Hecker, § 1 Rn. 25, 36; SKStGB8/Rudolphi/Jäger, § 1 Rn. 28; instruktiv Kudlich, ZStW 115 (2003), 1 (3 ff.), der u. a. auf die strafrahmenorientierte Auslegung als Auslegungskriterium zweiter Stufe hinweist; zur grundsätzlichen Frage nach dem Telos der Vorschrift selbst BVerfGE 105, 135 (158 f.); BGHSt 10, 157 (159 f.). Eine Erhebung des Richters vom Diener des Gesetzes zu dessen Gestalter, wie Foerste, JZ 2007, 122 (129 f.) sie befürchtet, ist damit dementsprechend nicht verbunden. 280 Somit ist insofern unerheblich, ob nach dem objektiven Sinn der Gesetze oder der subjektiven Wertentscheidung des Gesetzgebers zu fragen bleibt, dazu MK-StGB/Schmitz, § 1 Rn. 85 ff.; Roxin, AT I, § 5 Rn. 32; zur subjektiven Auslegung etwa Naucke, Festschrift Engisch, 274, passim und Schroth, Subjektive Auslegung im Strafrecht, S. 37 ff.; zur objektiven Auslegung dagegen BVerfGE 105, 135 (158 f.); BGHSt 10, 157 (159 f.); Fischer, § 1 Rn. 25; kritisch Rüthers, NJW 2005, 2759 (2760 f.).
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D. Eigener Lösungsansatz zur Dogmatik der Sozialadäquanz
lich gilt es, die gesellschaftliche Wertung in das Recht zu überführen. Der Richter hat diese folglich zu beachten, um die Auslegung der konkreten Strafnorm anhand deren Telos sowie dem dahinterstehenden Telos von Strafrecht und Strafe vorzunehmen. Damit handelt es sich nicht um einen Vorgang, bei dem das faktische Verhalten eine strafrechtliche Entscheidung per se derogiert,281 sondern um die Frage, wann das Recht wirkungslos oder wirkungstechnisch nicht notwendig ist, sodass es sein Unrechtsurteil nicht auf den konkreten Fall zu erstrecken braucht und nach seiner Zielsetzung zurücknimmt. Diese Beschränkung erlegt sich das Strafrecht selbst auf, indem es keinen bloßen Selbstzweck verfolgt, sondern den beabsichtigten Rechtsgüterschutz durch eine gesellschaftliche Wirkung zu erreichen versucht. Dementsprechend basiert die Sozialadäquanz auf einer rechtlichen Bewertung, sodass die Soziologie das Strafrecht nicht übertrumpft und der Judikative keine Möglichkeit verbleibt, das Strafrecht einzureißen, wird schließlich jede Entscheidung anhand dessen Vorgaben bemessen.282 d) Sozialadäquanz als Metateleologische Reduktion Möchte man die Wirkungsweise der Sozialadäquanz konkret umschreiben, so dürfte sich der Begriff der metateleologischen Reduktion anbieten. Dieser soll verdeutlichen, dass die Strafbarkeitsreduktion nicht alleine durch Sinn und Zweck der in Rede stehenden Strafnorm begründet wird,283 sondern sich aus dem ihr übergeordneten Telos von Strafrecht und Strafe ergibt.284 Schließlich existiert die Norm nicht um deren formeller Existenz Willen. Vielmehr verfolgt sie ihr übergeordnete Zwecke als Teil des Strafrechts und fügt sich so als Baustein in den strafrechtssystematischen Kontext ein. Die Rolle der Sozialadäquanz liegt gerade darin, den Straftatbestand als solchen Baustein zu behandeln und mit dessen übergeordnetem Zweck in Einklang zu bringen. Durch eine bloße teleologische Reduktion kann dies jedoch nicht gelingen. Eine solche ist dadurch gekennzeichnet, dass der Wortlaut des Gesetzes weiter reicht, als es der Gesetzeszweck gebietet.285 Der Anwendungsbereich der formell einschlägi281
So hingegen Exner, Knabenbeschneidung, S. 118 ff. Die besonders von Würtenberger, Festschrift Rittler, S. 125 (136 f.) geäußerte Kritik der unzulässigen gesellschaftlichen Wertung, die über das Recht erhoben werde, trifft die Sozialadäquanz damit nicht. 283 Dahingehend die Stimmen, die die Sozialadäquanz in einer teleologischen Reduktion aufgehen lassen wollen, siehe Kühl, AT, § 4 Rn. 47 Fn. 119; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 79; Roxin, Festschrift Klug, S. 303 (312 f.); Dölling, ZStW 96 (1984), 36 (57); Adamski, Konzeption der Bestechungsdelikte, S. 126; Höltkemeier, Sponsoring als Straftat, S. 127 ff. 284 Siehe Kapitel D. I. 4. c) bb) ff. 285 Kramer, Methodenlehre, S. 233 f.; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 209 ff.; Möllers, Methodenlehre, § 6 Rn. 115; Röhl/Röhl, Rechtslehre, S. 621; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 902; zusammenfassend Danwerth, ZfPW 2017, 230 (231 ff.); sie soll nach dem Bundesverfassungsgericht zu den Auslegungsgrundsätzen gehören, BVerfGE 88, 145 (167); BVerfG NJW 2005, 352 (353). 282
I. Begründung
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gen, materiell jedoch zu weit gefassten Normierung wird daher eingeschränkt, um ein normzweckgemäßes Ergebnis zu erzielen. Maßgeblich ist insofern das Telos der konkreten Vorschrift.286 Auch das Strafrecht kennt die teleologische Reduktion, die den vom Wortlaut eines Tatbestandes umfassten Fall dem Anwendungsbereich der Norm aufgrund deren Telos entzieht und so den Strafbarkeitsbereich zurücknimmt.287 Exemplarisch dafür sei etwa die einschränkende Interpretation der §§ 239a, 239b StGB im Rahmen von Zwei-Personen-Verhältnissen genannt.288 Ferner prägt die Frage der Notwendigkeit einer teleologischen Reduktion die Diskussion des § 306a StGB im Speziellen,289 sowie jene abstrakter Gefährdungsdelikte im Allgemeinen.290 Auch die Einschränkung der Bestechungsdelikte bezüglich geringfügiger Zuwendungen wird bisweilen unter dem Telos der Norm verortet.291 Die Figur der Sozialadäquanz unterscheidet sich hingegen von diesem, auch strafrechtlichen Erwägungen zugrundeliegenden, Verständnis der teleologischen Reduktion, welches eng an den Zweck der konkreten Vorschrift geknüpft ist. Schließlich ergeben sich die Grenzen einer derartigen Reduktion gleichsam aus deren Ziel und Legitimation, dem Telos der betreffenden Norm. Schützen beispielsweise die Tötungsdelikte das menschliche Leben,292 so hat sich eine teleologische Reduktion an diesem Schutzzweck zu orientieren und vermag daher den Tod eines Menschen im Zuge des Betriebs eines Steinbruchs nicht im Hinblick auf den
286 Vgl. BVerfGE 2, 266 (282); 8, 28 (33 f.); 18, 97 (111); Heinrich, AT, Rn. 147; Larenz/ Canaris, Methodenlehre, S. 211 ff.; Möllers, Methodenlehre, § 6 Rn. 115, 118; Röhl/Röhl, Rechtslehre, S. 621; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 902 f.; Nestler, Jura 2018, 568 (575 f.); Brandenburg, Teleologische Reduktion, S. 35 ff.; Larenz, Methodenlehre, S. 392 fordert die teleologische Reduktion auch im Hinblick auf den Zweck einer anderen Norm, die Natur der Sache oder ein rechtsethisches Prinzip. 287 Dazu generell Heinrich, AT, Rn. 147; Krey/Esser, AT, Rn. 89 f.; Rengier, AT, § 5 Rn. 27 f.; Seebode, JZ 1998, 781 (781 f.); Hennings, Teleologische Reduktion des Betrugstatbestandes, S. 192; Krey, Studien zum Gesetzesvorbehalt, S. 25 ff., 233 ff.; vgl. ferner BGHSt 42, 158 (161), wonach lediglich eine strafbegründende teleologische Reduktion unzulässig ist. 288 Eingehend BeckOK-StGB/Valerius, § 239a Rn. 12 ff. m.w.N.; ebenda, § 239b Rn. 2; Rengier, BT II, § 24 Rn. 16 ff.; vgl. dazu die Einschränkungsversuche bei BGHSt 39, 36 (44); 39, 330 (332); 40, 90 (93); 40, 350 (358). 289 Zu verschiedenen Modellen einer teleologischen Reduktion statt vieler MK-StGB/ Radtke, § 306a Rn. 45 m.w.N.; befürwortend etwa Schönke/Schröder/Heine/Bosch, § 306a Rn. 2. 290 MK-StGB/Radtke, § 306a Rn. 43 bezeichnet diese Frage als eine der meist diskutierten Fragen des Strafrechts in den letzten 20 Jahren; vgl. statt vieler Radtke, Brandstiftungsdelikte, S. 15 ff., 215 ff.; Wohlers, Präventionsstrafrecht, S. 281 ff.; Zieschang, Die Gefährdungsdelikte, S. 384 ff.; zur Differenzierung von abstrakter und konkreter Gefährdung ferner Koriath, GA 2001, 51 (53 f.). 291 So etwa Adamski, Konzeption der Bestechungsdelikte, S. 126; Merges, Strafausschließungsgründe der Bestechungsdelikte, S. 157 f.; dahingehend auch Greeve, Korruptionsdelikte, Rn. 270; wohl auch MK-StGB/Krick, § 299 Rn. 29 und MK-StGB/Korte, § 331 Rn. 114; dazu eingehend Kapitel E. VI. 292 Statt aller MK-StGB/Schneider, Vor § 211 Rn. 5.
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D. Eigener Lösungsansatz zur Dogmatik der Sozialadäquanz
gebotenen Schutz dem Tatbestand des Totschlags zu entnehmen.293 Auch eine erwogene teleologische Reduktion des Kundgabebegriffs oder des Tatbestands des § 185 StGB bezüglich Äußerungen im engsten Familienkreis294 krankt daran, dass die Ehre295 des Betroffenen auch von einer Beleidigung in einem engen Kreise verletzt werden kann.296 Der teleologischen Reduktion sind damit enge Grenzen gesetzt, der Zugriff auf gesellschaftliche Erwägungen bleibt ihr grundsätzlich verwehrt. Es bedarf daher der Ergänzung des zu betrachtenden Telos um das Telos des Gesamtsystems, in welchem sich die Strafnorm als einzelner Baustein befindet. Auf diese Weise wird der rein auf den Normzweck fokussierten, teleologischen Reduktion der über der Norm als Baustein schwebende Gesamtzweck hinzugefügt, sodass von einer metateleologischen Reduktion gesprochen werden kann. So vermag zudem ein Element in die Restriktion überführt zu werden, das der Rechtsgüterschutz isoliert nicht zu leisten vermag, welches sich hingegen mit dem weitgehend anerkannten Wunsch deckt, Strafrecht auf sozialschädliches Verhalten zu begrenzen.297 Die Sozialadäquanz als metateleologische Reduktion und harmonisierendes Prinzip zwischen Strafrecht und Strafzweck wahrt demnach die fragmentarische Natur des Strafrechts.298 Schließlich bewahrt sie das Strafrechtssystem davor, die Strafbarkeit zu weit zu erstrecken und so seitens des Gesetzgebers nicht angedachte Verhaltensweisen entgegen dessen Vorstellungen zu pönalisieren. Indem die Strafnorm auch in deren gesamtteleologischem Gefüge gesehen wird, wird eine der Fragmentarietät entgegenstehende, zu weitreichende Strafbarkeit zurückgedrängt. Damit einher geht die Sicherung des Charakters des Strafrechts als ultima ratio.299 Wo kein Bedürfnis nach der gesellschaftlichen Wirkung von Strafe sowie deren Androhung besteht und der Einsatz des schärfsten Schwertes daher nicht nötig ist, wird jenes zurückgenommen. So wird durch den mit der Pönalisierung verfolgten Zweck sichergestellt, dass lediglich bestraft wird, was auch strafwürdig erscheint. 293
Zu Fällen, in denen die Sozialadäquanz bei Straftaten gegen das Leben erwogen wird Kapitel B. I. 2., Kapitel B. I. 4. und Kapitel B. II. 1. a). Daher vermag auch der Vorschlag bei LK/Rönnau, Vor § 32 Rn. 53 nicht zu überzeugen, als sozialadäquat nur Verhaltensweisen zu bezeichnen, die ein Rechtsgut erst gar nicht gefährden, verbliebe es dann doch bei einer schlichten teleologischen Reduktion, für die keine eigene Kategorie benannt werden müsste. 294 Siehe Kapitel B. II. 1. a) dd) (1). 295 Eine Kategorisierung der Ehrbegriffe findet sich jeweils mit ausgiebigen Nachweisen bei BeckOK-StGB/Valerius, § 185 Rn. 2 f. 296 Wie LK/Hilgendorf, § 185 Rn. 12 darlegt, wobei er das Beispiel des Nachbarn anführt, der von herabsetzenden Äußerungen innerhalb des Kreises der benachbarten Familie mitunter besonders empfindlich getroffen werden kann; ebenso diesbezüglich Schönke/Schröder/Eisele, Vor §§ 185 ff. Rn. 9a; dazu eingehend Kapitel E. IV. 1. 297 Vgl. MK-StGB/Joecks, Einl. Rn. 35 ff.; NK-StGB/Hassemer/Neumann, Vor § 1 Rn. 108 ff.; Heinrich, AT, Rn. 2 ff.; Rengier, AT, § 3 Rn. 5 ff.; Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (648); dazu Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 16 ff., 393 ff. 298 Dazu Kapitel D. I. 4. b) aa). 299 Dazu Kapitel D. I. 4. b) aa).
I. Begründung
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Darüber hinaus vermag eine derart verstandene Sozialadäquanz den Schwierigkeiten Paroli zu bieten, welche die Handhabung des Bestimmtheitsgrundsatzes mit sich bringt.300 Der durch das Bundesverfassungsgericht gebilligten Tendenz, die Bestimmtheit durch eine Bestimmbarkeit zu ersetzen und so die Normbestimmtheit zu relativieren, vermag insofern ein Antagonist gegenübergestellt zu werden. Werden Tatbestände im Hinblick auf den Maßstab der Rechtsprechung zunehmend unbestimmter ausgestaltet, so ist es die Sozialadäquanz, die mittels eines Rekurses auf die hinter der Norm aufscheinende Straftheorie eine allzu weite Ausdehnung des strafbaren Bereiches verhindern kann. Was in dem Bestreben, Gesetze allgemeinabstrakt abzufassen, an Präzision verloren geht, wird durch die Sozialadäquanz ausgeglichen301 und in Bahnen zurückgeführt, die von dem übergeordneten Telos getragen werden. So wird eine mangelnde Bestimmtheit der Abfassung eines Tatbestandes in concreto ausgeglichen und deren Anwendungsbereich restringiert. Eine so interpretierte Figur der Sozialadäquanz deckt sich nicht nur mit dem letztlichen Strafzweck, sondern folgt auch der Direktion des Bundesverfassungsgerichts, welches der Rechtsprechung aufgibt, verbleibende Unklarheiten einer Norm im Wege der Auslegung zu präzisieren sowie konkretisieren302. Zwar wird die teleologische Reduktion ihrerseits vielfach nicht als Auslegungsmethode angesehen, soll eine solche doch am Wortlaut der Norm enden, welchen die Reduktion gerade überschreitet;303 allerdings begreift das Bundesverfassungsgericht die teleologische Reduktion als anerkannten Auslegungsgrundsatz,304 sodass der bundesverfassungsgerichtliche Auftrag, die Unbestimmtheit einer Norm zu beseitigen, nach dessen Verständnis auch die teleologische Reduktion umfasst. Die Bestimmung (insbesondere die aufgetragene Präzisierung) des konkreten Anwendungsbereichs eines Straftatbestandes durch die Judikatur hat demnach unter Einbeziehung dessen übergeordneten Telos zu erfolgen. Verfolgt der Richter diesen übergeordneten Zweck, so bewegt er sich im Rahmen des Rechts, welchen ihm der Strafzweck vorgibt. Die Figur der Sozialadäquanz ist indes keine beliebige, sondern vielmehr in Fällen, in denen das Strafrecht keine gesellschaftliche Wirkung zu entfalten ersucht, obligatorisch. Nur derart vermag der Richter, Recht und Telos anzugleichen und so ein harmonisches Strafsystem zu bewahren. Auf diese Weise präzisiert er die Norm nach den Vorgaben des Bun300
Dazu Kapitel D. I. 4. a) cc). Ähnlich bereits Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (648): „Die Sozialadäquanz ist das Korrektiv für die notwendigerweise unzulängliche Tatbestandstypisierung. Sie ist das Bindeglied zwischen der abstrakten Regelung und der konkreten Gestaltungsbedürftigkeit“; dahingehend unter dem Aspekt der Auslegung ferner Baumann/Weber/Mitsch/Eisele/Mitsch, AT, § 6 Rn. 34; Otto, Festschrift Amelung, S. 225 (230); Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (132). 302 Zur gesamten Linie des Gerichts Kapitel D. I. 4. a) bb) (3); zum Präzisierungsgebot im Speziellen BVerfGE 126, 170 (198 f.); BVerfG wistra 2016, 21 Rn. 64; Neumann, Festschrift Beulke, S. 197 (205 ff.); Cornelius, GA 2015, 101 (115); Kuhlen, JR 2011, 246 (249 f.). 303 Etwa Möllers, Methodenlehre, § 6 Rn. 115; Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 902 f. 304 BVerfGE 88, 145 (167); BVerfG NJW 2005, 352 (353). 301
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D. Eigener Lösungsansatz zur Dogmatik der Sozialadäquanz
desverfassungsgerichts und stellt sich einer zunehmenden Unbestimmtheit sowie Omnipräsenz des Strafrechts im Einklang mit den seitens der Straftheorie geforderten gesellschaftlichen Wirkungen entgegen. Zu beachten ist jedoch, dass die soziale Adäquanz nicht dahin zielt, den Gesetzgeber von den Anforderungen des Bestimmtheitsgrundsatzes zu entlasten, sondern den Defiziten dessen Handhabung entspringt. Sie richtet sich daher primär an den Richter, der der Ohnmacht des Gesetzgebers so entgegenzutreten vermag. Die Sozialadäquanz ist somit der Gegenpart, den die abstrakt-generelle Regelungstechnik im Zusammenspiel mit der zunehmenden Unbestimmtheit der Rechtssätze erfordert.305 Zugleich wahrt sie die Fragmentarietät des Strafrechts und trägt dafür Sorge, dass das Strafrecht als solches legitimiert bleibt und dessen Zweck des Rechtsgüterschutzes über entsprechende gesellschaftliche Bewertungen einfordern kann. e) Sozialadäquanz als Angleichung des strafrechtlichen Systems an die Funktionsweise des gesamten Rechtssystems Als derartige Figur verstanden, gleicht die Sozialadäquanz die Funktionsweise des strafrechtlichen Systems an die des gesamten Rechtssystems an. Dieses arbeitet von einer abstrakt-generellen Grundlage aus, die im Hinblick auf den Einzelfall gegebenenfalls zu korrigieren ist.306 Besonders tritt diese Funktionsweise im Zivilrecht hervor, welches bereits früh auf die notwendig allgemeinen Sätze objektiven Rechts reagierte, um ihnen gegenüber die Einzelfallgerechtigkeit zu ermöglichen und zu betonen. Eine Norm, der im Zivilrecht die Funktion zugeschrieben wird, den individuellen Besonderheiten des Einzelfalles Geltung zu verleihen, ist die des § 242 BGB.307
305 Daher zielt auch der Einwand ins Leere, die Sozialadäquanz stehe der Setzung rechtlicher Regelungen entgegen, so Bernert, Soziale Adäquanz. S. 6 ff. Dieser beruht auf der fehlerhaften Gleichsetzung gesellschaftlicher und rechtlicher Ordnung, die auf eine Überinterpretation Welzels Vorschlag, die Sozialadäquzanz sei ein immanentes Prinzip der Tatbestandsbildung, zurückzuführen ist, dazu bereits Kapitel C. II. 306 Vgl. Schütrumpf, Methodik der Einzelfallabwägung, S. 1 ff. Der Gedanke, dass insbesondere Generalklauseln die Rechtsordnung der Einzelfallgerechtigkeit zugänglich machen, hält sich dabei beständig, vgl. etwa (in chronologischer Reihenfolge) Vierhaus, Methode der Rechtsprechung, S. 55 ff.; Reichel, Gesetz und Richterspruch, S. 49; Hedemann, Flucht in Generalklauseln, S. 60 ff.; Henkel, Rechtsphilosophie, S. 426; Bydlinksi, Methodenlehre, S. 366 f. 307 Dahingehend bereits Siebert, Verwirkung und Unzulässigkeit, S. 129; zustimmend MKBGB/Schubert, § 242 Rn. 26; eingehend Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, S. 61 ff. BeckOK-BGB/Sutschet, § 242 Rn. 3 führt die wachsende praktische Bedeutung des § 242 BGB auf die zunehmende Komplexität des Rechtslebens zurück, die mit den üblichen Mitteln der Rechtsanwendung (auch aufgrund unzureichender handwerklicher Vorgaben des Gesetzgebers) kaum noch zu bewältigen sei; Erman/Böttcher, BGB § 242 Rn. 5 bezeichnet Generalklauseln als für die gesamte Rechtsordnung unverzichtbar.
I. Begründung
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Intendiert war diese als subsidiäre Auslegungsregel für den Inhalt einer vertraglichen Einzelpflicht sowie deren Entstehens.308 Aufgrund des Bedürfnisses, als ungerecht empfundene Ergebnisse formalen Privatrechtsdenkens durch materiale Wertungen zu korrigieren, wurde die Vorschrift jedoch entgegen ihres engen Wortlauts, der noch heute ein bestehendes Schuldverhältnis sowie eine damit begründete, zu bewirkende Leistungserbringung umschreibt, zu einer Generalklausel umfunktioniert.309 Der Siegeszug des § 242 BGB als Generalklausel wird auf die Unbestimmtheit der Formulierung „Treu und Glauben“ zurückgeführt.310 Als interessant erweist sich der Versuch, mittels der mit Hilfe der Norm geschaffenen Kasuistik verallgemeinerungsfähige Rechtsgrundsätze herauszuarbeiten, die der künftigen Rechtsanwendung als System angeboten werden.311 Die Entwicklung von allgemeinen Sätzen führt also über die konkreten Einzelfälle dahin, letztere zu systematisieren sowie kategorisieren und so wiederum deren Quintessenz zu verallgemeinern und abstrahieren. Daher soll die den einzelnen Entscheidungen zugrundeliegende, allgemeine Wertung für eine Vielzahl identer Fälle Geltung beanspruchen können.312 Die Rolle, die dem Grundsatz von Treu und Glauben insbesondere durch die Judikatur im Zivilrecht überantwortet wurde, kommt im Strafrecht der Figur der Sozialadäquanz zu. Freilich bietet das Strafrecht dafür keine (wenn auch anders 308 Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, S. 43 ff.; Rüthers, Unbegrenzte Auslegung, S. 50 f.; eingehend zur Geschichte der Norm BeckOGK-BGB/Kähler, § 242 Rn. 5 ff., 22 ff. 309 Vgl. MK-BGB/Schubert, § 242 Rn. 1 ff.; Palandt/Grüneberg, § 242 Rn. 1 f.; Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, S. 43 f.; Rüthers, Unbegrenzte Auslegung, S. 49 ff.; bedeutend war insofern die Entwicklung der Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage, die seitens des Reichsgerichts im Bereich des § 242 BGB verortet wurde, RGZ 103, 328 (332 ff.). Bereits RGZ 100, 129 (131 f.) begründet die Anpassung des Vertrags an die veränderten Verhältnisse mit einem Verweis auf die §§ 242 (157), 325 BGB, wenngleich das Augenmerk auf der allgemeinen wirtschaftlichen Unzumutbarkeit liegt. Diese Entwicklung spiegelt die Worte Luhmanns wider: „Das Recht lernt aus Anlaß von Konflikten. Es würde ohne Konflikt nicht entstehen bzw. nicht erneuert und vergessen werden. […] Jedenfalls aber folgt das Recht nicht aus der Natur der Sache oder der Natur des Menschen, wie man früher annahm, sondern es entsteht und entwickelt sich auf der Suche nach Lösungen für Konflikte […]“, Luhmann, Recht der Gesellschaft, S. 567. 310 Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, S. 62 f.; Rüthers, Unbegrenzte Auslegung, S. 51; zum Versuch deren inhaltlicher Umschreibung BeckOK-BGB/Sutschet, § 242 Rn. 13 ff.; NK-BGB/Schulze, § 242 Rn. 11 ff. 311 Dazu BeckOK-BGB/Sutschet, § 242 Rn. 29; BeckOGK-BGB/Kähler, § 242 Rn. 36 ff.; MK-BGB/Schubert, § 242 Rn. 7; als solche wurden etwa die AGB-Kontrolle (BGHZ 22, 90; 65, 364; BeckOGK-BGB/Lehmann-Richter, BGBl. 1976 I, S. 3317), Aspekte des Verbraucherschutzrechts (zu diversen verbraucherschützenden Novellierungen MK-BGB/Micklitz/ Purnhagen, Vor §§ 13 f. Rn. 6 ff.) oder der Wegfall der Geschäftsgrundlage (BT-Drucks. 14/ 6040, S. 374 f.; BeckOK-BGB/Lorenz, § 313 Rn. 1) im Nachgang zu entsprechenden Entscheidungen in das Gesetz überführt. 312 Eingehend MK-BGB/Schubert, § 242 Rn. 26 ff.; zur generellen Fallgruppenbildung nach Einzelfallentscheidungen auch Schütrumpf, Methodik der Einzelfallabwägung, S. 123 ff.
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D. Eigener Lösungsansatz zur Dogmatik der Sozialadäquanz
intendierte) Generalklausel an. Die parallele Arbeitsweise der Rechtssysteme (vom Grundsatz des Abstrakten zur Gerechtigkeit im Einzelfalle) ergibt sich für das strafrechtliche System hingegen bereits aus dessen übergeordnetem Telos, welches zugleich eine Ausdehnung der Funktionen der Sozialadäquanz verhindert. Es handelt sich dabei um eine durch den Strafzweck begründete sowie limitierte Restriktion313 zu weit geratener Gesetzesfassungen, die im konkreten Fall seitens der Gesellschaft keine die Strafe legitimierende Wirkung entfalten könnten. Diese hebt die freiheitsbeschränkende Strafandrohung des Straftatbestandes auf und erweist sich demnach nicht als Eingriff in die Rechte des Betroffenen. Während der zivilrechtliche Grundsatz von Treu und Glauben jedoch von dessen Unbestimmtheit profitiert, ist es die Sozialadäquanz, die ihrerseits die gesellschaftliche Bewertung eines Verhaltens herausarbeiten und so der Unbestimmtheit oder Ungenauigkeit einer zwangsläufig allgemeinen Norm entgegentreten soll. Der Vergleich mit dem Zivilrecht verdeutlicht, dass die Regelungstechnik des Gesetzes zwangsläufig Anlass zu einer Korrektur im Einzelfalle bietet.314 Während das Zivilrecht diese mitunter über zu Generalklauseln umfunktionierte Normen vornimmt,315 obliegt die Überprüfung des formellen Tatbestandswortlauts ob dessen Übereinstimmung mit dem materiell Strafwürdigen im Strafrecht dem Richter, der dies anhand des mit dem Gesetz verfolgten Zwecks ergründet. Ein Blick auf die Handhabung zivilrechtlicher Generalklauseln, die vom Einzelfall ausgehend versuchen, mehrere solcher Fallkonstellationen zu abstrahieren und ihnen eine allgemeine Aussage zuzuschreiben, zeigt auf, wie die Sozialadäquanz angewandt werden könnte: in einem ersten Schritt hat diese die konkrete Fallsituation zu analysieren und ob dem übergeordneten Telos zu ergründen. Erst in einem zweiten Schritt vermögen dann mitunter ähnlich gelagerte Fälle kategorisiert und so wiederum verallgemeinerungsfähigere Leitlinien herausgestellt zu werden – dies ist hingegen nicht mehr Aufgabe der Sozialadäquanz, sondern derer, die deren Wirkung zu analysieren gedenken. Der bisweilen gegen die Sozialadäquanz vorgebrachte Einwand, sie sei kaum mehr als eine Sammelbezeichnung, die gewisse Problemkreise erfassen, aber nicht lösen könne,316 setzt somit allenfalls an dem zweiten Schritt an, der nicht mehr der Sozialadäquanz, sondern vielmehr dem die deutsche 313 Die Funktion der Sozialadäquanz beschränkt sich schon angesichts des Art. 103 Abs. 2 GG auf die Restriktion einer formell gegebenen Strafbarkeit; eine dem Zivilrecht, welches entgegen dem Strafrecht lediglich zwischen Bürgern zu vermitteln versucht, vergleichbare Ergänzungsfunktion oder Korrekturfunktion zu Lasten des Täters oder zu vermeintlichen Gunsten des Opfers kommt daher nicht in Betracht. 314 Dies betont etwa Schaffstein, ZStW 72 (1960), 369 (377), der unter Verweis auf die Geschichte der Rechtsprechung festhält, dass es kaum einen Tatbestand des Strafgesetzbuchs gebe, der ohne ungeschriebene Einschränkungen auskomme. 315 Interessant ist, dass, wo solche Generalklauseln noch nicht existieren, auch im Zivilrecht mitunter die Sozialadäquanz herangezogen wird, etwa im Haftungsrecht (OLG München, NJW 1966, 2406 [2407]) oder im Arbeitsrecht (BAG NJW 2006, 540 [542]; 2007, 2653 [2654]). 316 Roxin, Festschrift Klug, S. 303 (312 f.); Putzke, MedR 2012, 229 (230); Rönnau, JuS 2011, 311 (313); Schünemann, GA 1985, 341 (346).
II. Verortung
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Juristerei prägenden Verlangen nach Abstraktion geschuldet ist. Aufgrund der mit der Sozialadäquanz umschriebenen Lösung des konkreten Einzelfalles vermag die angeführte Kritik nicht zu überzeugen: die Sozialadäquanz löst den Einzelfall und ist somit gerade kein Sammelbecken. Versucht man dagegen, ähnlich gelagerte Fälle sozialadäquater Handlungen in einem Becken zu sammeln, so ist dies lediglich die Folge der konkreten, vorhergehenden Einzelfalllösungen.
II. Verortung 1. Folgen des Wesens der Sozialadäquanz für deren Verortung Nach der dogmatischen Begründung der Sozialadäquanz bestätigt sich die zuvor geäußerte Hoffnung, ihr dogmatisches Wesen könne Rückschlüsse auf ihre Verortung zulassen. Die Einordnung in den Verbrechensaufbau erschließt sich ausgehend von dem soeben erörterten dogmatischen Grundgerüst. Dabei soll vorliegend nicht näher auf oben angeführte, destruktive Punkte gegen eine anderweitige Verortungsmöglichkeit eingegangen werden oder die Rechtsfigur von der gewünschten Rechtsfolge her eingeordnet werden.317 Vielmehr soll positiv dargelegt werden, weshalb der Sozialadäquanz nur ein bestimmter Platz im Verbrechensaufbau zugewiesen werden kann. Die soziale Adäquanz beruht auf dem Bedürfnis, das Strafrecht nicht um seiner selbst willen stehen zu lassen, sondern es zu legitimieren und mit dessen letztlich verfolgten Zwecken in Einklang zu bringen. Dazu harmonisiert sie den Bereich des Strafbaren mit der gesellschaftlichen Legitimation der angedrohten Bestrafung.318 Sie restringiert zu weit geratene Wortlaute von Straftatbeständen, die im Einzelfall über die damit verfolgten (Gesamt-)Zwecke hinausreichen. So wirkt sie nicht zuletzt der zunehmenden Unbestimmtheit entgegen und wahrt die Fragmentarietät des Strafrechts.319 Als im Sinn und Zweck des Straftatbestandes und dessen Gesamtsystems wurzelnde Restriktion nimmt die Sozialadäquanz konkrete Verhaltensweisen materiell aus dem formell umschriebenen Unrechtsbereich heraus. Sie drückt den Rückzug strafrechtlicher Pönalisierung aus, der aufgrund der mangelnden gesellschaftlichen Wirkung einer etwaigen Bestrafung in Ansehung der Strafzwecke erforderlich scheint. Dem zugrunde liegt die enge Bindung jener Zwecke an die gesellschaftlichen Auswirkungen einer Strafe. Wo eine Pönalisierung schwerlich negativ- oder positiv-präventive Wirkung entfalten zu vermag, wird bereits der mitunter zu unbestimmte formelle Rahmen des Unrechts präzisiert und konkretisiert. Demnach vermag die soziale Adäquanz eines Verhaltens einzig auf Tatbestandsebene verortet 317 318 319
Zur Kritik an der derartigen Herangehensweise Kapitel C. II. 6. Eingehend Kapitel D. I. 4. c) cc) ff. Insofern bereits eingehend oben, Kapitel D. I. 4. d).
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D. Eigener Lösungsansatz zur Dogmatik der Sozialadäquanz
zu werden, handelt es sich doch bei den von ihr gezeichneten Sachverhalten um Verhaltensweisen, die nicht als materielles Unrecht klassifiziert werden. Die Sozialadäquanz nimmt somit konkretes Handeln aus dem tatbestandlichen Bereich, welches nach den Wertungen des Gesetzes rein formell unter dessen Wortlaut subsumiert werden kann, in materieller Hinsicht aber nicht darunterfällt. Als Gegenspieler der abstrakt-generellen Regelungstechnik320 und Hüter der Fragmentarietät des Strafrechts drängt sie die Unrechtstypisierung zurück und präzisiert letztlich den Anwendungsbereich des Straftatbestandes, sodass ihre dogmatische Verortung auf eben dieser tatbestandlichen Ebene zu erfolgen hat. Freilich verführt die der Sozialadäquanz immanente Einzelfallbetrachtung zu einer Verortung auf Rechtswidrigkeitsebene, auf welcher die ausnahmsweise Gestattung eines Verhaltens erfolgt. Allerdings vermag dieser Umstand nur vordergründig darüber hinwegzutäuschen, dass die Sozialadäquanz keine primäre Abwägungsfrage widerstreitender Interessen darstellt, sondern letztlich bereits in der Legitimation des Strafrechts angelegt ist. Ferner fasst sie zwar den Einzelfall ins Auge, ergründet jedoch die allgemeine Frage, ob die Pönalisierung eines dem konkreten Verhalten gleichen Handelns gesellschaftlich legitimiert wäre. Insofern bietet zwar der Einzelfall den Anlass, den Bereich des Strafbaren mit dessen übergeordnetem Zwecke in Einklang zu bringen; die Untersuchung ist hingegen auf die Frage gerichtet, welcher Bereich dem Gesetze nach mit Strafe zu bedrohen ist, sodass es sich nicht um die ausnahmsweise Gestattung eines Verhaltens handelt, sondern um die allgemeinen Grenzen der Strafbarkeit, die sich in der konkreten Fallgestaltung aufzeigen. 2. Metateleologische Reduktion als Auslegung oder Rechtsfigur sui generis Ist die Verortung auf Tatbestandsebene per se aufgrund des Wesens der Sozialadäquanz naheliegend, so stellt sich doch die Frage, inwiefern die Sozialadäquanz ihre Wirkung konkret zu entfalten vermag. Die gewählte Bezeichnung als metateleologische Reduktion und der Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, welche die teleologische Reduktion zu den anerkannten Auslegungsgrundsätzen zählt,321 könnten eine Heranziehung der sozialen Adäquanz als Aspekt der Auslegung nahelegen. Dies läge auf einer Linie mit einer starken Ansicht im Schrifttum, welche die Sozialadäquanz als Auslegungsgesichtspunkt einzelner Tatbestandsmerkmale anführt.322 320 Insofern bereits Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (648), der die Sozialadäquanz als Bindeglied zwischen abstrakter Regelung und konkreter Gestaltungsbedürftigkeit begreift. 321 BVerfGE 88, 145 (167); BVerfG NJW 2005, 352 (353); dazu Kapitel D. I. 4. d). 322 So Baumann/Weber/Mitsch/Eisele/Mitsch, AT, § 6 Rn. 36; Otto, Festschrift Amelung, S. 225 (230); Ebert/Kühl, Jura 1981, 225 (226); Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (132); Ostendorf, GA 1982, 333 (344); Kienapfel, Züchtigung, S. 98 f.; Kudlich, Unterstützung fremder Straftaten, S. 79 f.
II. Verortung
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Allerdings würde dies weder dem Wesen noch der Wirkungsweise der Rechtsfigur gerecht. Zum einen liegt das Ansinnen der Sozialadäquanz gerade darin, formell einschlägige Tatbestände einzuschränken, während die Auslegung einer Norm an dessen Wortlaut enden müsste. Zum anderen jedoch würde eine sozialadäquate Auslegung tatbestandlicher Merkmale ein diffuses Bild kreieren und einzelne Tatbestandsmerkmale, deren Annahme im konkreten Fall keine Schwierigkeiten bereitet, entgegen deren eigentlicher Handhabung dem Tatbestand entreißen.323 Darin läge eine Negation des einzelnen Merkmales, die mit dessen üblicher Definition schwerlich in Einklang zu bringen wäre. Damit einher ginge kein Zugewinn an Auslegungsmethodik, sondern vielmehr deren Verlust. Zudem betrachtet die Figur der Sozialadäquanz keine einzelnen Tatbestandsmerkmale, sondern die diese hervorrufende Handlung sowie deren gesellschaftliche Bewertung. Von der fehlenden Auswirkung einer Pönalisierung auf den Mangel eines beliebigen Tatbestandsmerkmals zu schließen, würde den Gegenstand der Bewertung verkehren. Eine Negation des Erfolgsmerkmales aufgrund der bloßen Handlungsmodalität wäre keiner Auslegung, sondern schlussendlich dem Zufall geschuldet. Darüber hinaus ergibt sich bereits aus dem Wesen der Sozialadäquanz, dass sie nicht als Auslegungsaspekt berücksichtigt werden kann. Schließlich setzt deren dogmatischer Ursprung nicht an einem einzelnen Kriterium an, sondern speist sich aus dem dem Tatbestand zukommenden Zweck im Strafrechtssystem. Die restringierende Wirkung kann daher nur an dem Tatbestand als solchen ansetzen. Einzig so vermag der Strafzweck in den Straftatbestand überführt zu werden, ohne willkürlich Tatbestandsmerkmale in Frage zu stellen und diese wahllos zu korrigieren. Das Wesen der Sozialadäquanz liegt darin, den Unrechtsbereich zurückzudrängen. Dies gelingt einzig mittels einer Bewertung des formell erfassten Falles ob dessen strafrechtlicher Legitimation. Soll der allgemein-abstrakten Regelungstechnik mit einem Einzelfallgerechtigkeit verwirklichenden Institut begegnet werden, welches sich aus der gesellschaftlichen Strafwirkung speist, so muss dieses ausgehend von dieser Wirkung den Unrechtstatbestand als solchen fokussieren. Die Sozialadäquanz stellt damit eine Strafbarkeitsrestriktion sui generis dar, die den gesamten Tatbestand als solchen reduziert. Auch das Verhältnis der Sozialadäquanz zur üblichen Tatbestandsprüfung ergibt sich aus dem erörterten, dogmatischen Wesen: die Sozialadäquanz erscheint als Prinzip der Präzisierung sowie Konkretisierung des Tatbestandes. Als solches hat sie dessen formelle Einschlägigkeit zur Bedingung. Voraussetzung für die strafbar323
Diesbezüglich sei erneut auf das Beispiel des durch Fremdeinwirkung gebrochenen Fußes verwiesen, der dem Straftatbestand der Körperverletzung unterfällt, erlitten im Rahmen eines sportlichen Wettkampfes indes ausgeschieden werden soll. Ferner verdeutlicht auch hier die durch Subsumtion zweifelsfrei gewonnene Freiheitsberaubung durch das 30-minütige Einsperren in einem stehenden Bus, während die identische Tat in einem fahrenden Fernbus durch Auslegung dem Tatbestand entfallen soll, dass eine Handhabung als Auslegungsaspekt unbegründete Definitionsausnahmen schaffen würde, dazu bereits Kapitel C. II. 2. b) und sodann eingehend Kapitel E. II. sowie Kapitel E. III.
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D. Eigener Lösungsansatz zur Dogmatik der Sozialadäquanz
keitsderogierende Wirkung der Sozialadäquanz ist somit die Subsumierbarkeit des konkreten Falles unter den betreffenden Straftatbestand. Daraus ergibt sich bereits, dass die soziale Adäquanz grundsätzlich subsidiär zu einer genauen Prüfung der Tatbestandsmerkmale ist. Erst, wenn die Subsumtion die Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens ergibt, vermag die Strafbarkeitsrestriktion einzugreifen, gäbe es ansonsten doch ohnehin keinen Straftatbestand zu präzisieren bzw. konkretisieren.
III. Kriterien 1. Sozialadäquanz als unbestimmte Figur Das Verdikt hinsichtlich der Bestimmtheit der Sozialadäquanz ist ein eindeutiges.324 Der Vorwurf, die Rechtsfigur sei zu unbestimmt, hält sich beständig.325 Mitunter wird nicht nur die Unbestimmtheit, sondern das Fehlen belastbarer Kriterien betont.326 Damit einher geht die Befürchtung, mittels der als vage empfundenen Sozialadäquanz die Grenzen des Strafrechts einzureißen.327 Die Anerkennung der Rechtsfigur käme dem Verlust der Tatbestandsbestimmtheit gleich und erhebe das Rechtsgefühl über die dem Gesetzgeber vorbehaltenen Entscheidungen.328 Schließlich sei sie keine Lösung strafrechtlicher Probleme, sondern offenbare lediglich, was zuvor an wünschenswertem Ergebnis in sie hineingelegt werde.329 Dementsprechend verwundert es nicht, dass vielfach die monierte Unbestimmtheit der Handhabung dazu bewegt, der Sozialadäquanz die Berechtigung gänzlich abzusprechen. 324
Dazu bereits Kapitel C. III. 2. und Kapitel C. III. 4. LK/Rönnau, Vor § 32 Rn. 51; Baumann/Weber/Mitsch/Mitsch, Strafrecht AT, § 16 Rn. 35; Jescheck/Weigend, AT, S. 252; Otto, Festschrift Lenckner, S. 193 (201); Roxin, Festschrift Klug, S. 303 (304); Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (93); Jakobs, ZStW 89 (1977), 1 (5); Küpper, GA 1987, 385 (388 f.); Putzke, MedR 2012, 229 (229 f.); Valerius, JA 2014, 561 (562); Frisch, Verhalten und Zurechnung, S. 296. 326 Exemplarisch Beckemper, Jura 2001, 163 (166): „Eine Umschreibung dessen, was sozialadäquates Verhalten ist, sind die Vertreter der Ansicht von der Straflosigkeit sozialadäquater Handlungsweisen bislang schuldig geblieben“; ähnlich auch Jakobs, ZStW 89 (1977), 1 (5): „[…] fehlt in den nicht stereotypen und damit nicht über das erlaubte Risiko zu erledigenden Fällen eine auch nur einigermaßen deutliche Verfestigung der Ordnung […]“. Zu angebotenen Kriterien und deren mangelnder Konkretisierung bereits Kapitel C. III. 1. und Kapitel C. III. 3. 327 LK11/Hirsch, Vor § 32 Rn. 29; ders., ZStW 74 (1962), 78 (93); die damit einhergehende, befürchtete dogmatische Verflachung stellt bereits Gallas, ZStW 67 (1955), 1 (22) in Aussicht; F. Knauer, ZStW 126 (2014), 844 855 f.) betont diese nunmehr als potenzielle Stärke in Form eines dogmatischen Zwischenlagers, dazu bereits Kapitel B. V. 2. b). 328 Baumann/Weber/Mitsch/Mitsch, Strafrecht AT, § 16 Rn. 35; Jescheck/Weigend, AT, S. 252 f.; H. Mayer, Strafrecht AT2, S. 65; Roxin, AT I, § 10 Rn. 36 f.; Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (122); ferner Wolff-Reske, Berufsbedingtes Verhalten, S. 65. 329 So insbesondere Wiethölter, Verkehrsrichtiges Verhalten, S. 57; ähnlich Maiwald, Festschrift Jescheck, S. 405 (409 Fn. 18); Roxin, Festschrift Klug, S. 303 (304); Weigend, Festschrift Nishihara, S. 197 (200); Rackow, Neutrale Handlungen, S. 205. 325
III. Kriterien
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Dabei liegt auf der Hand, dass die befürchtete Missbrauchsgefahr proportional zur Unbestimmtheit der Rechtsfigur ansteigt. Ein höherer Grad an Unbestimmtheit bringt hingegen auch einen solchen an Flexibilität mit sich, der letztlich einer Strafbarkeitsrestriktion zugutekommen könnte. Daher stehen die an die Rechtsfigur anzulegenden Kriterien vor dem Spagat, bestimmt genug zu sein, um Rechtsunsicherheit auszuschließen, gleichwohl jedoch flexibel genug zu sein, um der Rechtsfigur überhaupt einen Anwendungsbereich zu belassen. Allerdings sind es nicht die verfolgten Ziele, die den Konkretisierungsgrad der Kriterien vorgeben. Vielmehr ist es das dogmatische Wesen der Sozialadäquanz selbst, das den Weg der Handhabung aufzeigt. 2. Konkretisierung des Unbestimmten a) Metateleologische Reduktion als Ausgangspunkt Wird die Sozialadäquanz als metateleologische Reduktion interpretiert, so liegt es nahe, sich hinsichtlich der Kriterien zunächst jenen einer üblichen teleologischen Reduktion zuzuwenden. Zu deren Begründung werden folgende vier Prüfungsschritte angeführt:330 1. Der Sachverhalt wird von der Norm erfasst, kann also unter deren Anwendungsbereich subsumiert werden. 2. Sodann wird der Zweck der anzuwendenden Norm ergründet. 3. Anschließend ist argumentativ zu begründen, weshalb der Sachverhalt nicht von dem Normzweck gedeckt wird. Es ist darzulegen, weshalb der konkrete Fall von dem Normalfall abweicht und diese nicht vergleichbar sind. Dazu lassen sich etwa der Umkehrschluss oder folgenorientierte Argumente heranziehen.331 4. Im Ergebnis wird der Anwendungsbereich der Norm reduziert. Nach der (erfolgreichen) Subsumtion des Sachverhalts unter eine Norm ist demnach der mit ihr verfolgte Zweck zu analysieren und sodann zu belegen, weshalb dieser den konkreten Fall nicht trägt. Übertragen auf die Sozialadäquanz als metateleologische Reduktion heißt dies zunächst ebenso, dass der Sachverhalt unter den entsprechenden Straftatbestand zu subsumieren ist. Gelingt dies, ist jedoch nicht lediglich zu ergründen, worin der Zweck der betreffenden Strafnorm liegt. Vielmehr ist sich der Zweck von Strafrecht und Strafe in Erinnerung zu rufen und zu erörtern, weshalb der konkrete Fall sich nicht mit diesem übergeordneten Telos deckt und dementsprechend eine präventive Wirkung in der Gesellschaft verfehlt. Abschlie330 Möllers, Methodenlehre, § 6 Rn. 118; dazu auch Larenz, Methodenlehre, S. 385 ff. Freilich stellen die Schritte eins und zwei bloße Vorfragen dar, während Schritt vier lediglich das Ergebnis umschreibt. Damit liegt das Augenmerk der Betrachtung auf dem dritten Schritt, der argumentativen Begründung der mangelnden Kongruenz von Sachverhalt und Normtelos. 331 Hier zeigt sich die zivilrechtliche Prägung von Möllers, Methodenlehre.
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D. Eigener Lösungsansatz zur Dogmatik der Sozialadäquanz
ßend bleibt gleichsam der Anwendungsbereich des Straftatbestandes zu reduzieren. Soll die Handhabung der Sozialadäquanz präzisiert werden, so ist demnach der dritte Schritt, die argumentative Begründung der (meta)teleologischen Reduktion zu fokussieren und zu ergründen, ob Kriterien in der Lage sind, die mangelnde gesellschaftliche Wirkung einer Pönalisierung festzustellen. b) Gesichtspunkte für eine metateleologische Reduktion aa) Straftheorien als Konkretisierungshilfe? Im Zentrum der Überlegungen zu einer Strafbarkeitsrestriktion mittels der Figur der Sozialadäquanz steht somit die Frage, ob die Unrechtskategorisierung des konkreten Falles geeignet sein kann, die ihr nachfolgenden, gesellschaftlichen Zwecke zu erfüllen. Damit richtet sich der Blick zunächst nicht auf eine bloße gesellschaftliche Wahrnehmung einer Handlung, sondern auf die Auswirkungen einer fiktiven Pönalisierung des Handelnden auf diesen sowie die Gesellschaft.332 Unter dem Gesichtspunkt der Spezialprävention ist maßgeblich, inwiefern abschreckende Wirkung auf den Täter auszuüben ist, um die Gesellschaft vor diesem zu schützen333 bzw. inwiefern der Täter eine Besserung zu erfahren hat.334 Liefert das Verhalten somit keinen Anhaltspunkt, der die Gesellschaft schutzbedürftig und den Täter verbesserungsbedürftig erscheinen lässt, so ist nach dem derart bemessenen Sinn der Strafe keine Pönalisierung geboten. Direkte Rückschlüsse lassen sich daraus nur schwerlich ziehen. Insbesondere könnte fraglich erscheinen, ob spezialpräventive Aspekte geeignet sein können, mehr als einen bloßen Anhaltspunkt zu liefern, fokussieren sie schließlich die Wirkung auf das Individuum, während der Sozialadäquanz ein gesamtgesellschaftliches Urteil zugrundeliegt. Ein solches spiegelt sich jedoch in dem Verdikt der Schutzwürdigkeit sowie Verbesserungsbedürftigkeit wider, welches seitens der Gesellschaft jedenfalls bei einem Verhalten negiert werden dürfte, welches von ihr selbst vielfach ausgeübt und in seinem konkreten Ablauf akzeptiert wird. Zu einer Präzisierung der Rechtsfigur trägt diese Erkenntnis hingegen nur wenig bei. Nachdem sich der abstrakt-generelle Straftatbestand, der die gesellschaftliche Wirkung des Strafzwecks bereits teilen soll, an die Allgemeinheit als Ganzes richtet, ist er in besonderem Maße von generalpräventiven Aspekten geprägt. Schließlich 332 Dazu bereits Kapitel D. I. 4. c) cc); die folgenden, mitunter erneuten und zusammenfassenden Ausführungen dienen lediglich dem Versuch, aus dem Grunde der Sozialadäquanz auf ihre Kriterien zu schließen. 333 Vgl. zur negativen Spezialprävention Jescheck/Weigend, AT, S. 71 ff.; Roxin, AT I, § 3 Rn. 12; Hörnle, Straftheorien, S. 22 ff.; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, Rn. 30 ff.; Kapitel D. I. 4. c) bb) (1). 334 Vgl. zur positiven Spezialprävention Schönke/Schröder/Kinzig, Vor §§ 38 ff. Rn. 7; Heinrich, AT, Rn. 18; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, Rn. 30 ff.; Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 25 f.; Kapitel D. I. 4. c) bb) (1).
III. Kriterien
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widmen sich diese den Auswirkungen auf die Gesellschaft,335 die auch dem Straftatbestand als solchem immanent sind. Das Ziel negativer Generalprävention besteht in einer Abschreckung vor gesellschaftlich missbilligtem, strafwürdigen Verhalten.336 Ist das zugrundeliegende Handeln in der Gesellschaft akzeptiert (und somit nicht missbilligt), so fehlt es hingegen an dem Bedürfnis nach einer abschreckenden Wirkung als Reaktion auf dieses. Die positive Generalprävention ersucht dagegen, das Rechtsbewusstsein sowie das Vertrauen der Bevölkerung auf die Rechtsordnung zu stärken.337 Insofern wurde bereits festgehalten, dass eine auf der Billigung der Gesellschaft beruhende Handlung, die dennoch mit einer Strafe vergolten würde, das Vertrauen auf die Rechtsordnung konterkarieren würde.338 Der Ausgestaltung der Sozialadäquanz als metateleologische Reduktion lässt sich somit zumindest positiv entnehmen, dass ein sozialadäquates Handeln als solches von der Gesellschaft gebilligt werden muss. Dabei ist billigen nicht im Sinne von gutheißen zu verstehen, was gleichwohl aufgrund der unterschiedlichen Bezugspunkte nicht das Denken in der Kategorie des Vorsatzes eröffnen dürfte. Schließlich stehen die von Strafe und Straftatbestand ausgehenden Wirkungen auf die Gesellschaft im Fokus. Diesen liegt bisweilen ein Abschreckungsbedürfnis oder der Wunsch, Vertrauen in die Rechtsordnung aufzubauen, zugrunde. Damit es an jenem Bedürfnis fehlt oder das Vertrauen in die Rechtsordnung gemindert werden kann, genügt bereits das Unter-Strafe-Stellen gesellschaftlich akzeptierten Verhaltens. Die oft vorgebrachte Formulierung gesellschaftlich gebilligten Verhaltens ist daher im Sinne von gesellschaftlich akzeptierten Verhaltens zu verstehen. Darin kann freilich lediglich eine Klarstellung mit wenig Präzisierungsgehalt gesehen werden. Allerdings vermag der Bezug auf die maßgebliche gesellschaftliche Billigung in Form einer Akzeptanz der Handlung in der Gegenüberschau mit den bisher bemühten Kriterien immerhin ein wenig Licht in das bunte Feld vorgeschlagener Kriterien zu bringen. Zudem ist es eben jene Akzeptanz, die dafür verantwortlich zeichnet, dass die mit einem Straftatbestand beabsichtigte gesellschaftliche Wirkung verfehlt und so die Strafnorm ihres übergeordneten Sinnes enthoben würde. bb) Geschichtlich bedingte Ordnung des Gemeinschaftslebens Besonders häufig anzutreffen ist die Definition sozialadäquater Handlungen als jene Betätigungen, in denen sich das Gemeinschaftsleben nach seiner geschichtlich
335 Hoerster, GA 1970, 272 (273); P. Hoffmann, Vergeltung und Generalprävention, S. 6 ff.; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, Rn. 22 ff.; Kapitel D. I. 4. c) bb) (1). 336 Siehe Kapitel D. I. 4. c) cc). 337 Dazu NK-StGB/Hassemer/Neumann, Vor § 1 Rn. 288 ff.; Baumann/Weber/Mitsch/Eisele/Eisele, AT, § 2 Rn. 26, 56; Jakobs, AT, § 1 Rn. 4 ff.; Roxin, AT I, § 3 Rn. 26 ff.; Hörnle, Straftheorien, S. 27 f.; Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, S. 39 ff.; Kapitel D. I. 4. c) bb) (1). 338 Kapitel D. I. 4. c) cc).
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D. Eigener Lösungsansatz zur Dogmatik der Sozialadäquanz
bedingten Ordnung jeweilig vollziehe.339 Nach dem hiesigen Verständnis ist damit jedoch lediglich ein Part der sozialadäquaten Verhaltensweisen umschrieben, namentlich jene, die in der Gesellschaft aufgrund deren geschichtlich bedingter Ordnung gebilligt werden. Schließlich ist die maßgebliche, gesellschaftliche Billigung des Handelns an die Gesellschaft der Gegenwart geknüpft und hat somit nicht zwangsläufig aus einem geschichtlich bedingten Muster zu erwachsen, wenngleich sie dies im Einzelfall natürlich kann. Die Zugehörigkeit eines Verhaltens zur geschichtlich bedingten Gesellschaftsordnung ist somit nicht konstitutiv für dessen gesellschaftliche Akzeptanz. Damit ist die Figur der Sozialadäquanz insofern entwicklungsoffen und vermag auch neuartige Fallkonstellationen, deren zugrundeliegende Handlungen die Gesellschaft gleichwohl billigt, zu erfassen.340 cc) Rahmen sozialer Handlungsfreiheit, Werthaltigkeit und Funktionserfüllung Keinen Zugewinn an Präzisierung oder Erkenntnis liefert zunächst der offerierte Rahmen sozialer Handlungsfreiheit341, dem sozialadäquates Verhalten entstammen soll. Unbesehen dessen mangelnder Konkretisierungsfähigkeit342 ist es nicht die allenfalls verschleiernde Zugehörigkeit eines Verhaltens zum Bereich sozialer Handlungsfreiheit, die eine gesellschaftliche Billigung der Handlung begründet, sodass der übergeordnete Zweck eines Straftatbestandes verfehlt würde. Dieser vermag nicht dadurch entkräftet zu werden, dass ein Verhalten im Rahmen einer gleichwie gearteten sozialen Handlungsfreiheit liegt. Auch die andernorts geforderte Werthaltigkeit der zu beurteilenden Handlung vermag als Kriterium nicht zu überzeugen.343 Dieser die Diskussion um ein Werturteil ergänzende Vorschlag vermag nichts über den Metazweck des Straftatbestandes auszusagen, soll doch das Verhalten um einen gewissen Wert angereichert werden, der nicht auf präventive, gesellschaftliche Zwecke gerichtet ist. Die Richtung beider Elemente ist damit different. Gleiches gilt für ein konstitutives Merkmal der Erfüllung rechtlich anerkannter Funktionen mittels der sozialadäquaten Handlung.344 Die Bedienung anerkannter, 339 So bereits Welzel, ZStW 58 /1939, 491 (517); Welzel, Grundzüge11, S. 56; ebenso Heinrich, AT, Rn. 519; Jescheck/Weigend, AT, S. 251; Gracia Martín, Festschrift Tiedemann, S. 205 (207 f.); Merges, Strafausschließungsgründe der Bestechungsdelikte, S. 130 f.; vgl. ferner Altermann, Festschrift Eisenberg, S. 233 (234) m.w.N.; eingehend Kapitel C. III. 1. a). 340 Zu denken sei dabei vor vielen Jahren an die Etablierung von Straßenbahnen sowie Flugzeugen oder in kommenden Jahren an die Ergebnisse der Automatisierung diverser Lebensbereiche; a.A. hingegen K. Peters, Festschrift Welzel, S. 415 (426), nach welchem die Sozialadäquanz geschichtlich gebunden sei. 341 Welzel, Grundzüge9, S. 51; ders., Grundzüge11, S. 55; BGHSt 23, 226 (228); dagegen bereits Roxin, Festschrift Klug, S. 303 (304 f.). 342 Siehe Kapitel C. III. 1. b) aa). 343 Anders hingegen K. Peters, Festschrift Welzel, S. 415 (426) und Klug, Festschrift Eb. Schmidt, S. 249 (260 ff.), dazu bereits Kapitel C. III. 3. b). 344 Dahingehend Dölling, Festschrift Otto, S. 219 (225 f.); siehe Kapitel C. III. 3. d).
III. Kriterien
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wenngleich auch gesellschaftlicher Funktionen lässt keinen Schluss auf die mit einer Strafe in der Gesellschaft hervorgerufene Wirkung zu und ist damit kein taugliches Element, das Vorliegen sozialadäquater Handlungen zu beurteilen. Der Fokus auf das Metatelos des Straftatbestandes vermag damit insofern untaugliche Kriterien auszuscheiden. dd) Soziale Unverdächtigkeit (in strafrechtlicher Hinsicht) Als weiteres Kriterium zur Beurteilung eines Verhaltens hinsichtlich dessen Sozialadäquanz wird bisweilen die soziale Unverdächtigkeit (in strafrechtlicher Hinsicht) angeführt.345 Die eingeschränkte Tauglichkeit dieses Merkmals ohne konkrete Einbindung in eine dogmatische Figur wurde bereits erörtert.346 Lediglich aus dem Zusammenspiel mit der dogmatischen Struktur einer metateleologischen Reduktion könnte sich eine Bedeutung ergeben. Das Wesen der Sozialadäquanz richtet den Blick für die Begründung der gebotenen, rechtlichen Bewertung auf die gesellschaftliche Wirkung der Pönalisierung eines Verhaltens. Zu fragen ist also, ob die Unverdächtigkeit einer Handlung einen Rückschluss auf die Auswirkungen einer dem Verhalten nachfolgenden Unrechtskategorisierung oder gar Bestrafung auf die Gesellschaft zulässt. Insofern begründet die Unverdächtigkeit oder Unauffälligkeit eines Verhaltens jedoch noch keine belastbare Konklusion bezüglich dessen Akzeptanz.347 Ein Indiz für ein sozialadäquates Verhalten könnte jedoch durch einen Wechsel der Blickrichtung entstehen:348 zwar ist die Bewertung der Gesellschaft als solcher maßgeblich; zeigt sich auf Seiten des Täters hingegen die Tendenz, die zu prüfende Handlung entgegen ihrer üblichen Gepflogenheit heimlich vorzunehmen, so kann darin jedenfalls der Hinweis zu sehen sein, dass er selbst nicht von deren Akzeptanz innerhalb der Gesellschaft überzeugt scheint. Zwar bleibt die individuelle Einschätzung des Täters insofern ohne Auswirkung auf eine Strafbarkeitsrestriktion.349
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BGHSt 23, 226 (228); auch Exner, Knabenbeschneidung, S. 134 ff. besteht auf dieses Kriterium, blendet jedoch den Zusatz „in strafrechtlicher Hinsicht“ aus. 346 Kapitel C. III. 1. b) bb). 347 Insbesondere, wenn man mit Exner, Knabenbeschneidung, S. 137 f. in rechtliche und soziale Auffälligkeit zu differenzieren versucht, ist doch die rechtliche Auffälligkeit eines formell tatbestandsmäßigen Verhaltens stets gegeben, während die soziale Auffälligkeit den Bezugspunkt gänzlich auf die soziale Ebene verlagert und die Auswirkungen auf die Gesellschaft außer Betracht lässt. 348 Wie F. Knauer, ZStW 126, (2014), 844 (864) es unternimmt, der den Schluss von Vertuschungsbemühungen des Täters auf die mangelnde Sozialadäquanz des Verhaltens nahelegt. 349 Die Akzeptanz in der Gesellschaft ist ein Parameter, welcher nicht von Fehlvorstellungen des Täters hinsichtlich des gesellschaftlichen Verdikts beeinflusst wird. Soll die Sozialadäquanz eine metateleologische Reduktion sein, so hat sie sich einzig an dem übergeordneten Strafzweck zu orientieren, der das Bild objektiv prägt und von der täterseitigen,
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Verschleiert ein Teil der Gesellschaft allerdings sein Verhalten, so kann dies jedenfalls ein Hinweis auf die mangelnde soziale Adäquanz dieses Verhaltens sein.350 Ein aussagekräftiges Kriterium für das Vorliegen sozialadäquater Handlungen stellt die soziale Unverdächtigkeit eines Tuns jedoch auch im Hinblick auf eine metateleologische Reduktion nicht dar. ee) Üblichkeit Die bisweilen vorgebrachte Üblichkeit eines Verhaltens351 vermag mitunter als Indiz zur Identifizierung einer sozialadäquaten Handlung herangezogen zu werden. Entscheidend ist diesbezüglich allerdings, den Fokus auf der gesellschaftlichen Akzeptanz und somit dem Metazweck des Straftatbestandes zu belassen. Daher ist die faktisch vielfache Ausübung eines Verhaltens isoliert betrachtet kein hinreichender Grund für die Annahme einer sozialadäquaten Handlung. Schließlich vermag der bloße Einzug einer Verhaltensweise in eine Gesellschaft als Faktum noch nichts über das Urteil ihrer Akzeptanz auszusagen.352 In dieser Unterscheidung zwischen Faktizität und Werturteil ist der Grund zu sehen, weshalb es der Sozialadäquanz entgegen einiger kritischer Stimmen353 nicht vorbehalten ist, Rechtsbrüche dem Anwendungsbereich eines Tatbestandes aufgrund deren schlichter Häufung und einer damit einhergehenden fingierten Billigung der Gesellschaft zu entziehen. Gleichwohl wird gesellschaftlich akzeptiertes Verhalten in der Regel vielfach ausgeübt, sodass in einer gehäuften Ausübung zumindest ein Indiz auf dessen gesellschaftliche Akzeptanz zu sehen sein kann. ff) Einfluss des Rechtsgutes Aus dem dogmatischen Hintergrund der Sozialadäquanz ergibt sich auch der Einfluss des Rechtsgutes auf die Beurteilung eines Verhalten als sozialadäquat: der Vorschlag, intrasozial geprägte Rechtsgüter seien einer Korrektur durch die Sozifalschen Vorstellung gesellschaftlich fehlender Akzeptanz nicht tangiert wird, dazu Kapitel D. III. 2. d). 350 Wenngleich auch dies keinen belastbaren Schluss zulässt, was sich etwa an den unterschiedlich ausgeprägten Schamgefühlen zeigt; auch F. Knauer, ZStW 126 (2014), 844 (864) relativiert insofern, als dass der Täter zu sozialadäquatem Verhalten lediglich „in der Regel“ stehen könne. 351 Heinrich, AT, Rn. 519; Welzel, Grundzüge11, S. 56; Eser, Festschrift Roxin, S. 199 (201); Schaffstein, ZStW 72 (1960), 369 (377 f.); a.A. jedoch Otto, Festschrift Amelung, S. 225 (229) und K. Peters, Festschrift Welzel, S. 415 (427). 352 Sollte die Üblichkeit einer Handlung als alleiniges Kriterium herangezogen werden, so bliebe die jährliche polizeiliche Kriminalstatistik wohl mit Schrecken zu erwarten, belegt diese doch mitunter eine gewisse Regelmäßigkeit und damit Üblichkeit eines strafbewehrten Verhaltens. 353 Bernert, Soziale Adäquanz, S. 6 ff.; dazu etwa Park, wistra 2010, 321 (325); Walter, wistra 2001, 321 (327).
III. Kriterien
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aladäquanz im Gegensatz zu transsozialen Rechtsgütern zugänglich,354 kann nicht überzeugen. Zwar verliehe eine derartige Kategorisierung dem Anwendungsbereich der Rechtsfigur klare Grenzen gegenüber einzelnen Tatbeständen, indem das Rechtsgut eine Restriktion bestimmter Normen verwehren würde. Allerdings bezieht sich die gesellschaftliche Akzeptanz gerade auf das Verhalten als solches. Der einer metateleologischen Reduktion zugrundeliegende Zweck, präventive Wirkungen in der Gesellschaft zu wahren, ist losgelöst von dem Rechtsgut zu verfolgen und auf die konkrete Handlung zu beziehen, hat er doch eben diese zur Grundlage und befindet sich zudem über dem konkreten durch den Tatbestand geschützten Rechtsgut. Eine Berücksichtigung des mit einem Straftatbestand beabsichtigten Rechtsgüterschutzes hält bereits über die („gewöhnliche“) teleologische Reduktion eines Tatbestandes Einzug in die Klaviatur der Strafbarkeitsrestriktionen.355 Auswirkungen auf die Sozialadäquanz entfaltet das Rechtsgut jedoch keine. gg) Fazit: Metatelos als Leitlinie Es zeigt sich, dass die Darreichung präziser, konkret benennbarer Kriterien zur Eruierung sozialadäquaten Verhaltens schwerlich möglich ist. Dies ist nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass die Sozialadäquanz darauf ausgerichtet ist, das Metatelos der strafrechtlichen Regelung zum Ausdruck zu bringen, welches letztlich anhand der Akzeptanz eines Verhaltens in der Gesellschaft zu beurteilen ist. Damit sind es die Triebfedern gesellschaftlicher Akzeptanz, die ihrerseits vielfältig sind, die zugleich einer weiteren Präzisierung der Akzeptanzgründe entgegenstehen. Immerhin bedarf es zur Feststellung der Sozialadäquanz eines Verhaltens keiner Kriterien wie der geschichtlich bedingten Ordnung, des Rahmens sozialer Handlungsfreiheit oder Ähnlichem. Auch bedarf es keiner Feststellung sozialer Normen, um die Übereinstimmung einer Handlung mit dem Metatelos des Straftatbestandes zu beurteilen.356 Bei genauerer Betrachtung fällt auf, dass das einzige Kriterium, welches die Rechtsfigur der sozialen Adäquanz anlegt, klar bestimmt ist: die gesellschaftliche Akzeptanz eines Verhaltens. Lediglich die sozialen Gründe, die eine Handlung inmitten der Gesellschaft als derart akzeptiert gelten lassen, liegen im Dunklen. Für die strafrechtliche Beurteilung sind diese jedoch nicht maßgeblich. Entscheidend ist einzig das Ergebnis des Akzeptanzurteils, dessen Feststellung auch unbesehen dessen letztlichen sozialen Ursprungs möglich ist und welches sich sodann im Mittelpunkt der metateleologischen Reduktion wiederfindet: als Anhalts354 So Eser, Festschrift Roxin, S. 199 (211); ähnlich Dölling, Festschrift Otto, S. 219 (220); dazu eingehend bereits Kapitel C. III. 3. c); Otto, Festschrift Amelung, S. 225 (229) erhebt die Gefahr für das Rechtsgut zum maßgeblichen Kriterium, ohne jedoch nach Rechtsgütern zu differenzieren; ebenso Friedhoff, Straflose Vorteilsannahme, Rn. 147. 355 Vgl. Kramer, Methodenlehre, S. 233 f.; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 209 ff.; Möllers, Methodenlehre, § 6 Rn. 115; Röhl/Röhl, Rechtslehre, S. 621; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 902; Danwerth, ZfPW 2017, 230 (231 ff.). 356 Dahingehend jedoch F. Knauer, ZStW 126 (2014), 844 (861 f.), nach welchem den sozialen Normen größere Aufmerksamkeit zu widmen sein soll.
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D. Eigener Lösungsansatz zur Dogmatik der Sozialadäquanz
punkt der entscheidenden Frage, inwiefern dessen Inkriminierung gesellschaftliche Wirkungen hervorzurufen vermag. c) Relativität der Sozialadäquanz Als besonderes Problem der sozialen Adäquanz hat sich die Frage erwiesen, inwiefern die Rechtsfigur durch den Einfluss diverser Parameter relative Ergebnisse liefern kann oder muss. Darunter ist eine Problematik zu verstehen, die sich insbesondere im Lichte der Bestechungsdelikte zeigt.357 Dort werden sozialadäquate Handlungen nicht nur angesichts des Wertes der Zuwendung, sondern auch in Abhängigkeit von dem betroffenen Geschäftsbereich, der sozialen Stellung und den Lebensumständen der Beteiligten sowie sonstigen Begleitumständen der Zuwendung beurteilt.358 Je nachdem sollen im Einzelfalle Werbegeschenke, Einladungen zum Essen oder in die Oper bzw. sogar zu lokalen Golfturnieren sozialadäquat sein – maßgeblich sei die soziale Stellung und finanzielle Lage des Beschenkten.359 Aber auch im Zuge der Strafvereitelung oder Geldwäsche wird erwogen, die Strafbarkeit lediglich für Strafverteidiger zurückzudrängen, sodass diesen mehr Freiräume zustehen als dem Normalbürger.360 Ähnliche Schwierigkeiten zeigen sich darüber hinaus im Rahmen des Untreuetatbestandes, der je nach Üblichkeit des Verhaltens in der spezifischen Branche reduziert werden soll – das Resultat wäre letztlich eine branchenabhängige Strafbarkeit.361 Eine insofern relative Strafbarkeitsrestriktion wird also tatbestandsübergreifend gefordert. Zu fragen ist jedoch, ob die Rechtsfigur 357 Die angeführten Beispiele dienen lediglich der Verdeutlichung der Problematik der Relativität, ohne damit unbesehen ein Urteil über deren Sozialadäquanz fällen zu wollen. 358 So jedenfalls eine starke Auffassung über diverse Begründungsmodelle der sozialadäquaten Strafbarkeitsrestriktion hinweg, siehe Fischer, § 299 Rn. 29; NK-StGB/Dannecker, § 299 Rn. 59; MK-StGB/Krick, § 299 Rn. 29; Schönke/Schröder/Heine/Eisele, § 299 Rn. 20; Thomas, Festschrift Jung, S. 973 (978); S. Peters, ZWH 2012, 262 (262 f.); Merges, Strafausschließungsgründe der Bestechungsdelikte, S. 159 ff., 178; Sievers, Bestechung von Angestellten, S. 60. Auch die Rechtsprechung, die zuvor einer starren Wertgrenze zugeneigt schien (so etwa OLG Frankfurt a.M. NJW 1990, 2074 [2075] und OLG Hamburg StV 2001, 277 [282] bzgl. 100 DM), scheint ihren Maßstab zu relativieren, indem vorsichtiger auf „relativ geringwertige Aufmerksamkeiten“ (BGH NJW 2003, 763 [765]) oder deutlicher auf den persönlichen Lebenszuschnitt (BGH NStZ 2005, 334 [335]) sowie die soziale Stellung des Angeklagten (BGH NStZ-RR 2002, 272 [273]) abgestellt wird. 359 NK-StGB/Dannecker, § 299 Rn. 59; Thomas, Festschrift Jung, S. 973 (978); Lesch, AnwBL 2003, 261 (262 f.). 360 Dazu Kapitel B. II. 1. b) dd) (3) und Kapitel B. II. 1. b) ee) 82). 361 Vgl. unter der Figur der Sozialadäquanz NK-StGB/Kindhäuser, § 266 Rn. 73 ff.; Schönke/Schröder28/Lenckner/Eisele, Vor §§ 13 ff. Rn. 69; Welzel, Grundzüge11, S. 56; Altermann, Festschrift Eisenberg, S. 233 (241); Klug, Festschrift Eb. Schmidt, S. 249 (257 ff.); Hoppe, Soziale Adäquanz, S. 114 f.; dazu Kapitel B. II. 1. c) ee); gleichermaßen differenzierend, ohne auf die Sozialadäquanz zu verweisen auch BGHSt 47, 148 (150); BGH NStZ 2002, 262 (264); LK/Schünemann, § 266 Rn. 93 ff.; MK-StGB/Dierlamm, § 266 Rn. 232 f.; Schönke/ Schröder/Perron, § 266 Rn. 20; Hillenkamp, NStZ 1981, 161 (167 f.); Kubiciel, NStZ 2005, 353 (359); Rose, wistra 2005, 281 (288 f.); Rönnau/Hohn, NStZ 2004, 113 (118).
III. Kriterien
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der Sozialadäquanz eine solche Relativität der Strafbarkeitsrestriktion zu leisten vermag. Den Ausgangspunkt zur Beantwortung dieser Frage stellt wiederum das dogmatische Wesen der Rechtsfigur dar. Verstünde man die Sozialadäquanz lediglich als Korrektiv für die Differenz zwischen Gesetzesfassung und dem damit einhergehenden Willen,362 so ließe ein relatives Verständnis der Strafbarkeitsrestriktion Zweifel an dem gebotenen abstrakt-generellen Charakter der Regelungen sowie den Vorwurf der Ungleichbehandlung aufkommen. Betrachtet man den Quell der Sozialadäquanz allerdings im Gesamten, so richtet sich der Blick auf den Grund der metateleologischen Reduktion: die Auswirkungen auf die Gesellschaft im konkreten Fall. Diese gesellschaftlichen Wirkungen differieren zwangsläufig mit den Parametern des Einzelfalles. So wird die Gesellschaft schwerlich die Grundschullehrerin, die zu ihrem Geburtstag ein geringwertiges Geschenk ihres Schülers annimmt, mit Strafe bedenken wollen – wobei sich dies freilich ändern dürfte, wenn das Präsent nicht anlässlich eines Geburtstags, sondern vor einer bevorstehenden Klassenarbeit übergeben wird. Allerdings beschränkt sich die seitens der Gesellschaft gegebene Differenzierung nicht lediglich auf gewisse Wertgrenzen, sondern berücksichtigt all jene Faktoren, die dem gesellschaftlichen Bild zugrunde liegen.363 Als bedeutender gesellschaftlicher Umstand ist auch die soziale Stellung bzw. Rolle des Betroffenen zu verstehen, welche die Bewertung einer Handlung in der Gesellschaft unmittelbar beeinflussen kann.364 Einem Football-Spieler werden mitunter rüdere Tacklings zugestanden als einem Fußballspieler, der Mittellose lässt sich wohl mehr von einem Fünf-Euro-Schein beeindrucken als der vermögende Chefarzt365 und dem Strafverteidiger wird aufgrund dessen Stellung 362
So wohl unter verschiedener dogmatischer Einordnung Baumann/Weber/Mitsch/Eisele/ Mitsch, AT, § 6 Rn. 36; Otto, Festschrift Amelung, S. 225 (230); Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (132); Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (648). 363 Zur Vielschichtigkeit allgemeiner Wertvorstellungen der Gesellschaft Raiser, Rechtssoziologie, S. 258 ff.; Hassemer, Grundlagen des Strafrechts, S. 316 ff.; Becker, Verderbnis und Entartung, S. 177 ff.; Smaus, Strafrecht und gesellschaftliche Differenzierung, S. 169 ff.; ferner Rehbinder, Rechtssoziologie, Rn. 66 ff.; Baer, Rechtssoziologie, § 9 Rn. 36 f. weist zudem darauf hin, dass das gesellschaftliche Bild auch wie im 19. und 20. Jahrhundert auf rassistischen oder sexistischen Annahmen beruhen kann, exemplarisch Uhl, Verbrecherisches Weib, S, 91 ff. 364 Auch das Recht selbst differenziert mitunter nach sozialer Stellung bzw. beruflichem Aufgabenfeld des Betroffenen, wie sich etwa an der langjährigen Rechtsprechung zur Beweislastumkehr bei einem groben Behandlungsfehler des Arztes (nunmehr § 630 h Abs. 5 BGB) zeigt, vgl. RGZ 171, 168 (171); BGHZ 159, 48 (54 f.). Wird die Übertragung der Rechtsprechung auf andere Tätigkeitsbereiche versucht, so stehen deren soziale Aufgaben im Vordergrund, etwa hinsichtlich des Bademeisters (BGH NJW 1962, 959 [960]), der Hebamme (BGHZ 144, 296 [302 ff.]) oder des Veterinärmediziners (BGHZ 210, 197), kritisch dazu Katzenmeier, MedR 2018, 93 (93 f.); Laumen, MedR 2018, 484 (485). 365 Der Gesetzgeber weist für die jüngeren §§ 299a, 299b StGB lediglich ohne weitergehende Präzisierung darauf hin, dass sozialadäquate Zuwendungen den Tatbestand nicht erfüllen sollen, BT-Drucks. 18/6446, S. 17 f. Dieser Hinweis dürfte die Erkenntnis um das Restriktionsbedürfnis ebenso zum Ausdruck bringen, wie die fehlende Möglichkeit, die gewünschte
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D. Eigener Lösungsansatz zur Dogmatik der Sozialadäquanz
eine besondere Rolle im Strafprozess zugeschrieben. Es sind derartige Wertungen, die dem gesellschaftlichen Bilde immanent sind und die zwangsläufig dazu führen, dass die Akzeptanz diverser Handlungen in der Gesellschaft eine relative ist. Nachdem die Sozialadäquanz auf dieser Akzeptanz fußt, ist sie gleichsam von dieser Relativität gekennzeichnet. Nur so vermag sie ihrer Aufgabe gerecht zu werden, durch Wahrung der intendierten, gesellschaftlichen Wirkungen von Strafe dem Straftatbestand präventive Wirkung zu verleihen sowie das allgemeine Gesetz zur Einzelfallgerechtigkeit zu führen. Die Figur der Sozialadäquanz hängt demnach dezisiv von den Charakteristika des konkreten Falles ab. Fraglich ist lediglich, wie der Maßstab gesellschaftlicher Akzeptanz zu bestimmen bleibt. So wurde etwa versucht, mittels der Figur der Sozialadäquanz auf verschiedene Ordnungen zu rekurrieren,366 sodass letztlich mehrere Sozialadäquanzen nebeneinander etabliert würden.367 Maßgeblich seien demnach die sozialen Normen der verschiedenen Felder, die im Zuge des Wirtschaftslebens oder religiöser Betätigungen oftmals bereits verschriftlicht seien.368 Doch sind es nicht die sozialen Normen und Regelwerke privater Akteure, die das Metatelos des Straftatbestandes einer Überprüfung zuzuführen vermögen. Ausschlaggebend kann auch insofern lediglich dessen Ziel sein, präventiv auf die Gesellschaft einzuwirken, sodass sich die Strafbarkeitsrestriktion aus der gesellschaftlichen Auswirkung ergibt. Erforderlich ist somit eine gesamtgesellschaftliche Betrachtung. Die gesellschaftliche Akzeptanz gründet demnach nicht auf sektoralen sozialen Normen, unbesehen der Frage, ob diese ihrerseits kodifiziert wurden oder nicht.369 Entscheidend ist lediglich, ob die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit das Verhalten akzeptiert. Freilich können soziale Normen hierfür ein Indiz sein; unabdingbar ist jedoch, dass deren Inhalt seitens der Gesellschaft gebilligt wird. Die gesellschaftliche Akzeptanz bemisst sich, wie eben dargestellt, anhand diverser Umstände, sodass im Ergebnis die Beurteilung der Restriktion allgemein-abstrakt abzufassen. Zur voraussichtlichen Ausbildung gewisser Wertgrenzen durch die Rechtsprechung Heil/Oeben, PharmR 2016, 217 (219). Dem bleibt jedoch hinzuzufügen, dass die Aufgabe der Judikative nicht in der Etablierung einer Wertgrenze, sondern in der Beurteilung des konkreten Einzelfalles liegt. Möchte man ähnlich gelagerte Fälle sodann systematisieren, kategorisieren oder abstrahieren, so ist das wiederum eine lediglich mittelbare Folge mehrerer Judikate, vgl. insofern bereits Kapitel D. I. 4. e). 366 So bereits Welzel, Grundzüge1, S. 35, dazu Kapitel C. III. 1. a). 367 Dahingehend im Grunde genommen schon Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (516, 527), der neben der vielbeachteten Sozialadäquanz auch die Kriegsadäquanz von Tötungen im Kriege betont; explizit mehrere Adäquanzen fordernd sodann Hassemer, wistra 1995, 41 (46) und F. Knauer, ZStW 126 (2014), 844 (862), der Hassemers Ansatz der professionellen Adäquanzen zu sektoralen Adäquanzen korrigiert. 368 F. Knauer, ZStW 126 (2014), 844 (861 f.) fordert daher auf, der Feststellung dieser Normen mehr Aufmerksamkeit zu widmen als bislang. 369 Wäre die Kodifizierung Privater mit der gesellschaftlichen Akzeptanz gleichzustellen, würde dies anhand des Beispiels bei F. Knauer, ZStW 126 (2014), 844 (862) zudem bedeuten, dass die Regelwerke der Sportarten die Grenze der gesellschaftlichen Akzeptanz markieren würden, sodass jedes regelwidrige Foul (gleichwohl, ob die Sportart unterschiedliche Sanktionen diverser Fouls kennt) diese Grenze überschreiten würde.
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Sozialadäquanz eines Verhaltens etwa nach der ausgeübten Sportart differiert. Ferner schreibt die Gesellschaft dem Bankier weitergehende Befugnisse als dem Privaten zu. Darin liegen jedoch keine verschiedenen Sozialadäquanzen begründet. Vielmehr entspringen sämtliche Restriktionen dem Kern der Sozialadäquanz, die ihrem Wesen nach darauf ausgelegt ist, die Parameter des Einzelfalles ob deren gesellschaftlicher Akzeptanz zu beleuchten und somit selbst den Grund darstellt, weshalb die Ergebnisse differieren, bzw. in oben verwandten Worten relativ sind. Demzufolge stellt die Gesellschaft als solche den Bewertungsmaßstab dar, wobei die konkreten Umstände des Einzelfalles als Bewertungsfaktoren Einzug in die Betrachtung halten.370 Die Relativität der Rechtsfigur ist somit keine Folge verschiedener Adäquanzen, sondern Folge der konkreten, gesellschaftlichen Akzeptanz im Einzelfalle. d) Subjektivität der Sozialadäquanz Eine weitere Frage, die im Zuge der Diskussion der Sozialadäquanz mitunter thematisiert wird, ist, inwiefern der Rechtsfigur subjektiver Charakter zukommen kann. Schließlich ist umstritten, ob die soziale Adäquanz eines Verhaltens von dem jeweiligen Vorsatz des Täters abhängt.371 Damit zusammen hängt ferner die Frage, ob sich die Sozialadäquanz auf Fahrlässigkeitsdelikte beschränkt oder darüber hinaus auf Vorsatzdelikte erstreckt.372 Die Problematik des Einflusses eines etwaigen Vorsatzes findet sich bereits in den Anfängen der Rechtsfigur wieder: Welzel griff sie knapp auf und nahm zunächst eine Strafbarkeit des Mannes an, der eine lungenkranke Frau einvernehmlich, aber in der Absicht, diese möge an der Schwangerschaft versterben, schwängert.373 Darin läge lediglich ein raffiniertes Vorgehen, welches das Verbrechen unter dem Anschein sozialadäquaten Handelns verberge. Demzufolge ließe ein auf Tatbestandsverwirklichung gerichteter Vorsatz die soziale Adäquanz des Verhaltens entfallen.374 Später revidierte Welzel diese Auffassung indes und nahm auch bei Vorliegen einer Tötungsabsicht des Täters einen Strafbarkeitsausschluss 370 Derart differenziert Valerius, JA 2010, 481 (483) hinsichtlich der Berücksichtigung kultureller Wertvorstellungen im Strafrecht, legt er doch als Bewertungsmaßstab die inländische Rechtsgemeinschaft an, die ihr Urteil unter Beachtung der kulturellen Besonderheiten des Einzelfalles trifft. 371 Thematisiert bei Jescheck/Weigend, AT, S. 252; Cancio Meliá, GA 1995, 179 (185 ff.); Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (635 f.); Kudlich, Berufsbedingtes Verhalten, S. 80; dazu bereits Kapitel C. III. 3. f). 372 Für eine Beschränkung auf Fahrlässigkeitstaten Roeder, Sozialadäquates Risiko, S. 34 ff.; explizit dagegen Jescheck/Weigend, AT, S. 252; Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (635 f.); die überwiegende Anzahl an Autoren äußert sich dazu zwar nicht ausdrücklich, wendet die Rechtsfigur der Sozialadäquanz allerdings auf vorsätzlich begangene Delikte an, vgl. dazu nur die Beispiele oben, Kapitel B. II. 373 Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (519 f.); zustimmend K. Peters, Festschrift Welzel, S. 415 (427 f.), nach dem es sich um einen „besonders heimtückisch begangenen Mord“ handle; Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (634 f.). 374 Dahingehend auch Zipf, Einwilligung und Risikoübernahme, S. 95 f.
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D. Eigener Lösungsansatz zur Dogmatik der Sozialadäquanz
aufgrund der Sozialadäquanz dessen Handelns an.375 Die subjektiven Ziele des Täters könnten dementsprechend die soziale Adäquanz eines Verhaltens nicht tangieren, bewege sich dieses doch völlig im Rahmen der geschichtlich gewordenen Ordnung des Gemeinschaftslebens.376 Demzufolge sei die Sozialadäquanz eine rein objektive Figur, die dem Rückgriff auf subjektive Kriterien verschlossen bleibe.377 Der Disput um die Bedeutung des Vorsatzes für die Sozialadäquanz verwundert wenig. Schließlich wird die Rechtsfigur überwiegend als objektives Element interpretiert.378 Wer sie als reines Auslegungsinstrument versteht oder dem objektiven Tatbestand zuordnet,379 dürfte zwangsläufig zu dem Ergebnis gelangen, dass dem subjektiven Moment des Vorsatzes keinerlei Relevanz für die Strafbarkeitsprüfung zukommen könne. Dies dürfte üblicherweise bereits daraus folgen, dass die Prüfung des subjektiven Tatbestandes nach Negation des objektiven Pendants überhaupt nicht mehr erreicht würde. Die Versagung des Einflusses subjektiver Tätervorstellungen erscheint vor dem Hintergrund dieses Verständnisses nur konsequent. Daher mutet auch Welzels Sinneswandel nachvollziehbar an, zumal er, ließe er den Vorsatz auf die soziale Adäquanz durchschlagen, seine Grundlage der finalen Handlungslehre verließe. Diese beruht auf der Handlung als menschlicher Zwecktätigkeit.380 Demnach sei erforderlich, dass ein Verhalten von einem menschlichen Willen getragen werde.381 Legt diese Umschreibung prima facie noch eine maßgebliche Rolle des Vorsatzes nahe, so zeigt sich bei genauerer Betrachtung, dass das Welzelsche Verständnis dem entgegenstünde, begreift er doch unter der Zwecktä375 Welzel, Grundzüge11, S. 55 f.; ebenso dem Grunde nach H. Mayer, DStrR 1938, 73 (103); demgegenüber verweist Roxin, Festschrift Klug, S. 303 (311) auf die fehlende rechtliche Relevanz der Gefahrschaffung. 376 Welzel, Grundzüge11, S. 55 f.; ebenso Jescheck/Weigend, AT, S. 252. 377 So ausdrücklich Jakobs, AT, § 7 Rn. 47 (jedoch in Zusammenschau mit dem erlaubten Risiko); Jescheck/Weigend, AT, S. 252; Dölling, ZStW 96 (1984), 36 (50); Hassemer, wistra 1995, 41 (43). 378 So etwa Baumann/Weber/Mitsch/Eisele/Mitsch, AT, § 6 Rn. 36; Rengier, AT, § 13 Rn. 51; Otto, Festschrift Amelung, S. 225 (230); Ebert/Kühl, Jura 1981, 225 (226); Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (132); Ostendorf, GA 1982, 333 (344); Goeckenjan, Objektive Zurechnung, S. 132; Kienapfel, Züchtigung, S. 98 f.; Kudlich, Unterstützung fremder Straftaten, S. 79 f.; Preuß, Untersuchungen zum erlaubten Risiko, S. 22 f., 215; Seher, Zurechnung, S. 408 f. 379 Für eine Berücksichtigung im Rahmen der Tatbestandsauslegung etwa Baumann/ Weber/Mitsch/Eisele/Mitsch, AT, § 6 Rn. 36; Otto, Festschrift Amelung, S. 225 (230); Ebert/ Kühl, Jura 1981, 225 (226); Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (132); Ostendorf, GA 1982, 333 (344); Kienapfel, Züchtigung, S. 98 f.; Kudlich, Unterstützung fremder Straftaten, S. 79 f.; dazu eingehend Kapitel C. II. 1.; für eine Verortung innerhalb der objektiven Tatbestandsprüfung dagegen Rengier, AT, § 13 Rn. 51; Schaffstein, ZStW 72 (1960), 369 (378); Preuß, Untersuchungen zum erlaubten Risiko, S. 22 f., 215; Goeckenjan, Objektive Zurechnung, S. 132; Seher, Zurechnung, S. 408 f.; dazu Kapitel C. II. 3. 380 Welzel, Allgemeiner Teil3, S. 32; Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (502 f.); dazu Kapitel D. I. 1. a) cc); ferner Hirsch, ZStW 116 (2004), 1 (2 ff.). 381 Welzel, Allgemeiner Teil3, S. 33; ders., ZStW 58 (1939), 491 (502).
III. Kriterien
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tigkeit die individuelle Sinngebung des Handelns.382 Dem Verhalten liegt somit die Zielsetzung des Täters zwar konstitutiv zugrunde, diese richtet sich jedoch einzig nach den Vorstellungen des Handelnden und ist nicht an das Werturteil der Gesellschaft geknüpft. Die individuelle Sinngebung des Täters vermag demnach nicht, die in der Sozialadäquanz umschriebene gesellschaftliche Bewertung eines Handelns aufzuheben.383 Die mangelnde Sinngebung eines Verhaltens fungiert lediglich dazu, diesem den Handlungscharakter abzusprechen – und somit freilich das Bedürfnis nach der Sozialadäquanz entfallen zu lassen.384 Die Negation des Einflusses subjektiver Faktoren auf das Adäquanzurteil ist demnach aus Welzels Warte notwendig, um der Sozialadäquanz nicht bereits den Boden zu entziehen. Zwar eignet sich die finale Handlungslehre ohnehin nicht dazu, der Sozialadäquanz ein Fundament zu bereiten.385 Doch auch unbesehen dessen verbleibt der Vorstellung einer gänzlichen Objektivität der Rechtsfigur nicht zuzustimmen. Den Ausgangspunkt bildet auch insofern die Wirkungsweise der sozialen Adäquanz. Als metateleologische Reduktion speist sich diese aus der gesellschaftlichen Akzeptanz eines Verhaltens.386 Diese entspringt zwar den subjektiven Vorstellungen der Individuen, bildet quasi deren Summe, lässt sich jedoch in ihrer Gesamtheit lediglich als objektiver Faktor bemessen: sie ist entweder gegeben oder nicht gegeben. Durch ihre objektive (Nicht-)Existenz eignet sich die gesellschaftliche Akzeptanz als Maßstab des übergeordneten, mit dem Strafrecht verfolgten Zwecks. Wird der über dem Straftatbestand schwebende Zweck in der Gesellschaft erzielt, so ändert sich dies auch nicht durch etwaige Fehlvorstellungen des Täters, ist das Telos doch objektiv zu wahren.387 Dementsprechend kommt der Akzeptanz eines Verhaltens in der Gesellschaft objektiver Charakter zu, sodass auch daher die Annahme eines rein objektiv geprägten Korrektivs naheliegt. Dies dürfte umso zutreffender sein, bedenkt man, dass die Sozialadäquanz letztlich auch insgesamt eine Strafbarkeit ausschließt und sich nicht lediglich auf das Erfolgsunrecht bezieht. 382 Welzel, Kausalität und Handlung, Abhandlungen, S. 7 (19); ders., ZStW 58 (1939), 491 (502); dazu Cancio Meliá, GA 1995, 179 (186 f.): „In Welzels Konzeption ist also von Anfang an die Verwendung des Begriffs ,Sinn‘ als ontologische Grundlage der Intentionalität der Handlung anzutreffen, als individuelle Sinngebung. Auf diese Art wird festgestellt, dass die Handlung einem Subjekt zugehört, eine menschliche Handlung ist“. 383 Womit wiederum der nicht argumentativ begründete Sprung von der finalen Handlung über das sozial bedeutsame Phänomen in den Unrechtsbegriff erreicht wäre, der bereits oben kritisiert wurde, Kapitel C. I. 1. a) dd). 384 Umso verwunderlicher ist in diesem Lichte das Beispiel im Kleindruck bei Welzel, Grundzüge11, S. 56, wonach die eifrige Ermunterung zur Nutzung der Verkehrsmittel sozialadäquat, das Ausnutzen eines durch Dritte geplanten Eisenbahnattentats dagegen sozialinadäquat sei. 385 Siehe bereits Kapitel D. I. 1. 386 Kapitel D. I. 4. d). 387 Weshalb insofern auch die vorgebrachten Wirrungen mit der Irrtumsproblematik nicht zuzutreffen vermögen; zu diesen etwa Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (82 ff.); Lang-Hinrichsen, JR 1952, 302 (303 ff.); Exner, Knabenbeschneidung, S. 99 f.; Hirsch, Negative Tatbestandsmerkmale, S. 285 f.; vgl. insofern auch die Ausführungen bei Fn. 349.
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D. Eigener Lösungsansatz zur Dogmatik der Sozialadäquanz
Allerdings würde ein derartiges Verständnis die Wirkungsweise der Sozialadäquanz und deren Bedingung, die gesellschaftliche Akzeptanz, nur streifen. So ist letztere freilich objektiv dem Metatelos gegenüberzustellen. Dennoch stellt sie den Anknüpfungspunkt des Einflusses subjektiver Ziele des Täters dar: die Akzeptanz des Verhaltens erstarkt zwar zu einem objektiv in die Prüfung einzustellenden Faktor, divergiert jedoch selbst mit der subjektiven Vorstellung des Täters.388 Schließlich fußt das Verdikt der gesellschaftlichen Akzeptanz einer Handlung auf deren gesamtheitlicher Betrachtung.389 Maßgeblich hierfür zeichnet der Umstand, dass die Gesellschaft einer Pervertierung390 des von ihr grundsätzlich akzeptierten Verhaltens ablehnend gegenübersteht. Dies zeigt sich nicht zuletzt an den Formulierungen, die ohne weitergehende Begründung die Sozialadäquanz nicht als Deckmantel für lediglich scheinbar sozialadäquates Verhalten verstanden wissen wollen.391 Zielt der Täter mittels einer an sich akzeptierten Handlung im konkreten Fall auf eine Pervertierung des gesellschaftlichen Systems zur Ausnutzung seiner Zwecke, so steht dies der objektiven Akzeptanz seines Verhaltens in der Gesellschaft entgegen. Dementsprechend vermag eine gewisse Absicht des Täters die Sozialadäquanz seines Verhaltens aufgrund der damit einhergehenden gewandelten gesellschaftlichen Akzeptanz entfallen zu lassen. Dabei ist jedoch fraglich, welcher Ausprägung die subjektive Vorstellung des Täters zu sein hat, um dezisiven Einfluss auf die Sozialadäquanz auszuüben. Das strafkategoriale Denken in der Charakteristik des Vorsatzes392 hilft insofern nur 388
Eingehend zur diesbezüglich ähnlich gelagerten Frage, inwiefern das Subjektive die objektive Zurechnung zu beeinflussen vermag Greco, ZStW 117 (2005), 519 (521 ff.). 389 Insofern zutreffend Gracia Martín, Festschrift Tiedemann, S. 205 (218): „Das Urteil der Sozialadäquanz ist – wie das der Sozialinadäquanz – nur auf Grundlage einer ganzheitlichen synthetischen Bewertung der final-kausalen Einheit der einschlägigen Handlung formulierbar, und lässt sich deshalb weder auf eine Bewertung ihres objektiven Aspekts, noch auf ein allein auf den objektiven Tatbestand beschränktes Kriterium reduzieren.“ 390 Der Begriff der Pervertierung ist der Problematik eines verkehrsfremden Inneneingriffs im Rahmen des § 315b StGB entlehnt, für welchen nach der Rechtsprechung ein von bedingtem Schädigungsvorsatz getragener, bewusst zweckwidriger Einsatz in verkehrsfeindlicher Absicht des Beförderungsmittels erforderlich sei, siehe BGHSt 41, 231 (233 f.); BGH NJW 2003, 1613 (1614); NStZ 2010, 391 (392); BeckRS 2013, 11866; BeckOK-StGB/Kudlich, § 315b Rn. 17 ff. 391 Eben diese Formulierungen sind schließlich nicht juristisch-argumentativ begründet, sondern entspringen dem sozialen Wunsch, siehe etwa Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (519 f.): „Wollte man eine besondere Typizität verlangen, so würde man grade den raffiniertesten Verbrecher, der seine Tat unter dem Anschein harmlosen, scheinbar sozial-adäquaten Handelns verbirgt, straflos ausgehen lassen müssen. So sehe ich nicht ein, weshalb man in den Beispielen Mayers nicht denjenigen als Mörder bestrafen wollte, der ein lungenkrankes Mädchen, dem eine Schwangerschaft den Tod bringen muß, mit dieser Absicht schwängert.“; Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (635): „All diese Beispiele machen deutlich, daß die Sozialadäquanz nie ein Deckmantel für absichtliche Rechtsverletzungen sein kann.“; ferner K. Peters, Festschrift Welzel, S. 415 (427): „Mögen die äußeren Handlungen an sich ihre Wertbedeutung haben, im Gesamtzusammenhang kehren sie sich ins Gegenteil“. 392 Zum allgemeinen Vorsatz-Erfordernis und dessen Ausprägungen statt vieler Kühl, AT, § 5 passim.
III. Kriterien
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wenig weiter. Zum einen sind viele der als sozialadäquat angeführten Beispiele durch vorsätzliches Handeln gezeichnet.393 Den Vorsatz des Täters zu einer Negation der sozialen Adäquanz eines Verhaltens gereichen zu lassen, würde demnach in vielen Bereichen den Anwendungsbereich der Rechtsfigur schwinden lassen.394 Zum anderen beruht die soziale Adäquanz auf dem gesellschaftlichen Urteil und ist somit nicht im unmittelbaren Bereich des Tatbestandes angesiedelt. Auch die in der Gesellschaft zu erzielenden Wirkungen reichen über die tatbestandliche Dimension des Vorsatzes hinaus, sodass sich dieser schwerlich eignet, als zentrales Kriterium der subjektiven Komponente zu fungieren. Eine bloße Übertragung des Pervertierungsverständnisses im Rahmen des § 315b StGB395 würde demnach aufgrund dessen tatbestandlichen Bezugspunkts das Ziel nicht treffen. Vielmehr ist in den Kategorien der metateleologischen Reduktion zu denken. Zu fragen ist demnach, wann ein gesellschaftlich akzeptiertes Handeln aufgrund dessen subjektiver Zielsetzung an Akzeptanz verliert. Der subjektiv verfolgte Zweck hat demnach entscheidenden Einfluss auf die gesellschaftliche Bewertung des Handelns auszuüben. Insofern könnten die Grundsätze zur Pervertierung des Straßenverkehrs – freilich projiziert auf die gesellschaftliche Ebene – fruchtbar gemacht werden, greifen diese doch in der ähnlichen Situation, in der ein (mitunter an sich akzeptierter) Verkehrsvorgang zur Verwirklichung schädlicher Ziele missbraucht wird. Eben jener bewusst zweckwidrige Einsatz in Form des Missbrauchs des Fahrzeugs ist es, der eine bloße verkehrstechnische Fehlleistung auf die strafrechtsrelevante Ebene hebt. Übertragen auf die für die Sozialadäquanz relevante, gesellschaftliche Dimension hat dies zur Folge, dass es dem Verhalten an gesellschaftlicher Akzeptanz fehlt, wenn es bewusst zweckentfremdet wird, um missbilligte Ziele zu erreichen. Ein an und für sich sozialadäquates Handeln geht damit der zugrundeliegenden, gesellschaftlichen Akzeptanz verlustig, wenn es einzig in Schädigungsabsicht ausgeübt wird, mithin zur Erreichung sozialschädlicher Zwecke pervertiert wird. Die Billigung eines Verhaltens endet demnach dort, wo dieses von anderen als den üblichen Zielen getragen wird und subjektiv auf Schädigung des Einzelnen als Teil der das Handeln üblicherweise billigenden Gesellschaft gerichtet ist. Dies deckt sich im Ergebnis mit der aus gesellschaftlichen Überlegungen stammenden Forderung, die Sozialadäquanz nicht zu einem Deckmantel bewusst schädigenden Verhaltens verkommen zu lassen.396 393
Wenngleich darauf hinzuweisen bleibt, dass die in Kapitel B. II. aufgeführten Beispiele sicherlich zu weitreichend sind, sodass es sich insofern um nicht mehr als einen Hinweis handeln kann. 394 Gleiches gilt für eine bei Gracia Martín, Festschrift Tiedemann, S. 205 (219) vorgeschlagene, schwer umsetzbare Differenzierung des Vorsatzes hinsichtlich typischer und atypischer Folgen des Verhaltens, wonach die in Kauf genommene Verursachung atypischer Folgen sozialinadäquat sei. 395 Dazu BGHSt 41, 231 (233 f.); BGH NJW 2003, 1613 (1614); NStZ 2010, 391 (392); BeckRS 2013, 11866; BeckOK-StGB/Kudlich, § 315b Rn. 17 ff.; Fischer, § 315b Rn. 9 f. 396 K. Peters, Festschrift Welzel, S. 415 (427); Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (519 f.); Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (635); zum Wortlaut Fn. 391.
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D. Eigener Lösungsansatz zur Dogmatik der Sozialadäquanz
Die Etablierung dieser Grenze sozialadäquaten Verhaltens ist vor dem Hintergrund der Sozialadäquanz eine zwingende. Mag die Rechtsfigur aufgrund der gesellschaftlichen Auswirkungen von Strafe und Straftatbestand das zu weit gezogene Strafrecht zurückdrängen, so findet sie ihre Grenzen zwangsläufig in der sozialen Akzeptanz eines Handelns. Sie kann damit nicht weiter reichen als diese gesellschaftliche Billigung eines Verhaltens. Die Rechtsfigur der Sozialadäquanz fungiert so als Strafbarkeitskorrektiv, das eine Strafbarkeit reduziert, jedoch den Blick für die subjektiven Ziele des Täters nicht verschließen kann. Als derartige Figur beansprucht sie zwangsläufig Geltung auch für Vorsatztaten und kann nicht auf einen Aspekt der Fahrlässigkeit beschränkt werden. Schließlich umfasst das einer Strafbarkeitsreduktion zugrundeliegende Metatelos das Strafrecht im Gesamten und somit sowohl Vorsatz- als auch Fahrlässigkeitsdelikte. 3. Fazit Die Benennung strikter Kriterien der Sozialadäquanz eines Verhaltens erweist sich aufgrund des vielgestaltigen Ursprungs der gesellschaftlichen Akzeptanz eines Handelns als schwerlich möglich. Maßgeblich bleibt insofern, dass die Gesellschaft ein konkretes Verhalten billigt (im Sinne von akzeptiert). Daher greift etwa die Forderung der Kongruenz eines Handelns mit der geschichtlich bedingten Ordnung zu weit und restringiert den Anwendungsbereich der Rechtsfigur, hat die Akzeptanz doch nicht aus der Geschichte zu erwachsen, sondern vermag auch bei technischen Neuerungen gegeben zu sein. Der ebenfalls oft bemühten Üblichkeit einer Handlung kommt dementsprechend gleichsam lediglich indizielle Wirkung zu. Das Verdikt gesellschaftlicher Akzeptanz ist hingegen an die spezifischen Parameter des Einzelfalles geknüpft und divergiert mit diesen. Ferner findet es sein Ende in der Pervertierung eines per se akzeptierten Verhaltens zur Erreichung schädigender, von der Gesellschaft nicht akzeptierter Zwecke. Insofern vermag die subjektive Einstellung des Täters dazu führen, dass es an der notwendigen gesellschaftlichen Akzeptanz des Verhaltens fehlt, sodass der Grund einer metateleologischen Reduktion entfällt und die Strafbarkeit nicht zu restringieren bleibt. Wird das Fehlen belastbarer Kriterien angeprangert,397 so ist dem jedoch entgegenzuhalten, dass sich das einzig maßgebliche Kriterium – die gesellschaftliche Akzeptanz des konkreten Handelns – aus dem dem Tatbestand übergeordneten Telos ergibt. Ein Indiz für die Akzeptanz eines Verhaltens in der Gesellschaft kann dabei mitunter auch der Umstand sein, dass im Ergebnis der Straffreiheit Einigkeit besteht (welche der gesellschaftlichen Akzeptanz eines Handelns entspricht oder gar entstammt), wenngleich ob des dorthin zu beschreitenden Weges ein Disput herrscht, 397
LK/Rönnau, Vor § 32 Rn. 51; Baumann/Weber/Mitsch/Mitsch, AT, § 16 Rn. 35; Jescheck/Weigend, AT, S. 252; Otto, Festschrift Lenckner, S. 193 (201); Roxin, Festschrift Klug, S. 303 (304); Beckemper, Jura 2001, 163 (166); Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (93); Jakobs, ZStW 89 (1977), 1 (5); Küpper, GA 1987, 385 (388 f.); Putzke, MedR 2012, 229 (229 f.); Valerius, JA 2014, 561 (562); Frisch, Verhalten und Zurechnung, S. 296.
IV. Fazit
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der an den Grenzen des tatbestandlichen Wortlauts oder Telos scheitern müsste.398 Als metateleologische Reduktion verstanden, stellt die Sozialadäquanz damit keinen Verlust der Tatbestandsbestimmtheit dar.399 Vielmehr festigt sie diese, wenn sie dafür sorgt, dass ein Tatbestandsmerkmal nicht aufgrund unterschiedlicher Parameter eine andere, der üblichen Auslegung diametral entgegengesetzte Interpretation erfährt.400 Die Entscheidung über eine Reduktion der Strafbarkeit wird darüber hinaus nicht dem Rechtsgefühl überantwortet,401 sondern dem durch die Legitimation der Strafe vorgesehenen Rahmen unterstellt und so die Wertentscheidung des Gesetzgebers vollendet. Demnach ist die Rechtsfigur der Sozialadäquanz in ihrer Anwendung nicht zu unbestimmt und wider die Gesetzgebung, sondern gesetzlich vorgezeichnet und der entscheidende Ausgleich einer zwangsläufig zu allgemeinen Regelung. Daher trägt sie keine Unsicherheit in die existente Norm hinein, sondern restringiert deren Anwendungsbereich dort, wo es an der gesellschaftlichen Legitimation deren Bestands fehlt und stärkt so nicht zuletzt deren soziologische Geltung.
IV. Fazit Die Rechtsfigur der Sozialadäquanz lässt sich als metateleologische Reduktion begreifen, die eine Harmonie zwischen Strafrecht und Strafzweck schafft. Indem sie den Straftatbestand in dessen gesamtteleologisches Gefüge einordnet, drängt sie mitunter zu weit geratene Strafanwendungsbereiche zurück und wahrt so die fragmentarische Natur des Strafrechts. Gleichsam sichert sie den Charakter des Strafrechts als ultima ratio. Sie restringiert den Anwendungsbereich des schärfsten staatlichen Schwertes des Strafrechts, wo kein Bedürfnis nach der gesellschaftlichen Wirkung von Strafe sowie deren Androhung besteht. Derart steht sie der bundesverfassungsgerichtlichen Tendenz entgegen, die Bestimmtheit des Straftatbestandes durch eine Bestimmbarkeit zu ersetzen. Die soziale Adäquanz fungiert demnach als 398
Wie etwa ihm Rahmen der Beleidigungsdelikte, dazu eingehend Kapitel E. IV. So befürchtet von Baumann/Weber/Mitsch/Mitsch, AT, § 16 Rn. 35; Jescheck/Weigend, AT, S. 252 f.; H. Mayer, Strafrecht AT2, S. 65; Roxin, AT I, § 10 Rn. 36 f.; Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (122); Wolff-Reske, Berufsbedingtes Verhalten, S. 65. 400 Insofern sei exemplarisch erneut an einen durch Fremdeinwirkung gebrochenen Fuß, welcher zwar dem Tatbestand der Körperverletzung unterfällt, erlitten im Rahmen eines sportlichen Wettkampfes jedoch durch Auslegung ausgeschieden werden solle, erinnert. Auch das 30-minütige Einsperren in einem stehenden Bus als Freiheitsberaubung, während das Weiterbefördern gegen den Willen des Betroffenen in einem Fernbus bis zur 30 Minuten entfernten Haltestelle durch Auslegung dem Tatbestand entfallen soll, sei noch einmal erwähnt; dazu bereits Kapitel C. II. 2. b) und eingehend unten, Kapitel E. III.; vgl. ferner Schaffstein, ZStW72 (1960), 369 (375 f.) am Beispiel der Beleidigung und Krey, Studien zum Gesetzesvorbehalt, S. 167. 401 So jedoch Baumann/Weber/Mitsch/Mitsch, AT, § 16 Rn. 35; Jescheck/Weigend, AT, S. 252 f.; H. Mayer, Strafrecht AT2, S. 65; Roxin, AT I, § 10 Rn. 36 f.; Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (122); Rackow, Neutrale Handlungen, S. 205; Wiethölter, Verkehrsrichtiges Verhalten, S. 57. 399
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D. Eigener Lösungsansatz zur Dogmatik der Sozialadäquanz
Ausgleich der der abstrakt-allgemeinen Abfassung von Gesetzen geschuldeten mangelnden Präzision des Strafgesetzes. Als Angleichung von Recht und Telos ist sie dem Strafrecht in dessen Zweckbestimmung bereits vorgegeben und seitens des Richters zwingend zu prüfen. Die Sozialadäquanz nimmt im Einzelfalle den formellen Tatbestand in materieller Hinsicht im Einklang mit dem übergeordneten Telos zurück. Es handelt sich dabei um eine auf Tatbestandsebene zu prüfende Strafbarkeitsrestriktion. Nachdem ihr Anliegen darin besteht, die Harmonie der Unrechtscharakterisierung mit deren Zwecken zu schaffen, ist sie nach der formellen Subsumtion eines Verhaltens unter die entsprechende Strafnorm zu prüfen. Das maßgebliche Kriterium für eine Reduktion der Strafbarkeit stellt dabei die gesellschaftliche Akzeptanz des konkreten Handelns dar. Diese ist an die Umstände des Einzelfalles geknüpft und kann mit einer Pervertierungsabsicht des Täters entfallen. Auf diese Weise liegen Grund und Grenzen der sozialen Adäquanz in der gesellschaftlichen Akzeptanz eines Verhaltens. Die soziale Adäquanz, die das Telos nicht im Tatbestand sucht, sondern die konkrete Inkriminierung eines Verhaltens ob dessen gesellschaftlicher Auswirkung eruiert, stellt so eine eigene Rechtsfigur dar.
E. Ausgewählte Anwendungsfälle der Sozialadäquanz Nachdem das Wesen und die Wirkungsweise der Sozialadäquanz erörtert wurden, soll der Frage nachgegangen werden, inwiefern die Rechtsfigur sich als praktikabel erweist oder die ihr nachgesagte Unbestimmtheit einer einzelfallorientierten Anwendung im Wege steht. Das theoretisch erarbeitete Konzept soll also praktisch in Anschlag gebracht werden. Dabei bleibt darauf hinzuweisen, dass die soziale Adäquanz für den Einzelfall zu beurteilen bleibt. Demnach verkörpern folgende, offerierte Fallgruppen lediglich die der Sozialadäquanz nachfolgende Abstraktion der gelieferten Ergebnisse und beanspruchen als solche keine Allgemeingültigkeit, ersetzen mithin die erforderliche, einzelfallspezifische Prüfung nicht.
I. Infektion mit Krankheiten 1. Meinungsbild Als Anwendungsbereich der Sozialadäquanz wird oftmals die Übertragung ansteckender Krankheiten ins Feld geführt.1 So verwirklicht zwar die Infektion eines anderen Menschen mit einer übertragbaren Erkrankung grundsätzlich den Tatbestand der Körperverletzung nach § 223 StGB im Sinne einer Gesundheitsschädigung.2 Allerdings wird die Übertragung leichter Ansteckungskrankheiten weithin als sozialadäquat begriffen.3 Dies gilt insbesondere für die Infizierung Dritter in Räumen wie Verkehrsmitteln oder Großraumbüros, in denen eine Verbreitung der Krankheit schwerlich zu vermeiden scheint.4 Zu derartigen leichten Krankheiten werden vornehmlich alltägliche Infekte wie Erkältungskrankheiten aufgrund deren mangelnder Abschirmbarkeit und geringer Gesundheitsgefahr gezählt.5 Ähnliches gilt für eine 1 Dazu bereits Kapitel B. II. 1. a) bb) (3); Roth, Masernpartys, S. 57 spricht diesbezüglich von einem „Kernbeispiel“ der Sozialadäquanz. 2 BGH NStZ 2009, 34 (34 f.); BeckOK-StGB/Eschelbach, § 223 Rn. 29; Fischer, § 223 Rn. 13; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 223 Rn. 7. 3 BGHSt 36, 1 (16 f.); LG München, MedR 1987, 288 (291); BeckOK-StGB/Eschelbach, § 223 Rn. 29; LK11/Lilie, Vor § 223 Rn. 12; Roxin/Schünemann/Haffke, Klausurenlehre, S. 137; Roth, Masernpartys, S. 57. 4 BeckOK-StGB/Eschelbach, § 223 Rn. 29; Putzke, Festschrift Herzberg, S. 669 (679 f.); Wedlich, ZJS 2013, 559 (562) begrenzt die Sozialadäquanz auf derartige „Alltagssituationen“. 5 So deutlich BGHSt 36, 1 (16 f.); ferner Roxin/Schünemann/Haffke, Klausurenlehre, S. 137; Putzke, Festschrift Herzberg, S. 669 (679 f.); nach Wedlich, ZJS 2013, 559 (562) be-
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E. Ausgewählte Anwendungsfälle der Sozialadäquanz
Infektion infolge kondomgeschützten Geschlechtsverkehrs.6 Dagegen stößt die früher mitunter auffindbare Meinung, eine Ansteckung mit dem HI-Virus im Rahmen des ungeschützten Geschlechtsverkehrs sei gleichsam sozialadäquat,7 heute auf Ablehnung.8 Ebenfalls abgelehnt wird eine Straffreistellung aufgrund sozialer Adäquanz bei sogenannten Masernpartys, zu denen Eltern ihre Kinder in Infizierungsabsicht und mit dem Ziel künftiger Immunisierung verbringen.9 Umstritten ist jedoch, inwiefern die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung10 oder die Schwere der in Rede stehenden Krankheit11 bei der Beurteilung als sozialadäquat zu berücksichtigen bleiben. 2. Soziale Adäquanz der Übertragung von Krankheiten Um zu ergründen, ob und inwieweit die Infektion anderer Menschen mit Krankheiten sozialadäquat sein kann, ist zunächst der Blick auf den Tatbestand der Körperverletzung zu richten. Wie erwähnt, unterfällt diesem die Übertragung einer Krankheit auf eine andere Person dem Grunde nach. Die formelle Subsumierbarkeit der Infizierung unter den Tatbestand ist demnach gegeben. Ein Blick auf das dadurch tangierte, von der Norm geschützte Rechtsgut, das körperliche Wohl des Menschen in Form dessen körperlicher Integrität und Gesundheit,12 verdeutlicht ferner, dass für eine teleologische Reduktion des Tatbestandes kein Raum verbleibt. Bei der Infektion eines Anderen mit einer übertragbaren Krankheit handelt es sich somit um Verhalten, das dem Tatbestand formell unterfällt.
seitigt ein ärztlicher Hinweis auf erhöhte Ansteckungsgefahr die Sozialadäquanz jedoch auch in diesen Fällen. 6 Herzberg, JZ 1989, 470 (474 f.); C. Knauer, AIFO 1994, 463 (466); Meier, GA 1989, 207 (230). 7 So Prittwitz, JA 1988, 427 (436 ff.); ähnlich Herzog, Aids-Desperados, S. 329 ff.; Geppert, Jura 1987, 668 (671) und Herzberg, NJW 1987, 1461 (1462) sehen die Grenze zur Sozialadäquanz überschritten, wenn der Infizierende einen besonderen Grund habe, bei sich eine Aids-Infizierung zu vermuten. 8 BGHSt 36, 1 (6 f.); BGH NStZ 2009, 34 (34 f.); BeckOK-StGB/Eschelbach, § 223 Rn. 29 f.; LK11/Lilie, Vor § 223 Rn. 12; Fischer, § 223 Rn. 14 f.; MK-StGB/Joecks, § 223 Rn. 34; NK-StGB/Paeffgen/Böse, § 223 Rn. 18 f.; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 223 Rn. 7; Helgerth, NStZ 1988, 261 (262 f.); Herzberg, NJW 1987, 2283 (2283 f.); Meier, GA 1989, 215 (216 f.). 9 Wedlich, ZJS 2013, 559 (562); Roth, Masernpartys, S. 61 f. 10 Befürwortend Herzberg, NJW 1987, 1461 (1462); Meier, GA 1989, 215 (217); wohl auch Wedlich, ZJS 2013, 559 (562); negierend BGHSt 36, 1 (16). 11 Dahingehend etwa LK11/Lilie, Vor § 223 Rn. 12; Roxin/Schünemann/Haffke, Klausurenlehre, S. 137; Putzke, Festschrift Herzberg, S. 669 (679 f.); Herzberg, NJW 1987, 1461 (1462). 12 BeckOK-StGB/Eschelbach, § 223 Rn. 1; Fischer, § 223 Rn. 2; NK-StGB/Paeffgen/Böse, § 223 Rn. 2; Spickhoff/Knauer/Brose, StGB § 223 Rn. 1; Eser, ZStW 97 (1985), 1 (3).
I. Infektion mit Krankheiten
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Es erscheint jedoch möglich, dass dieser in materieller Hinsicht metateleologisch zu reduzieren bleibt. Dazu wäre erforderlich, dass eine Pönalisierung des Verhaltens den damit einhergehenden, präventiven gesellschaftlichen Zwecken nicht gerecht werden würde. Der formell gegebene Strafbarkeitsrahmen müsste also im Hinblick auf dessen materielle Berechtigung zu weit gezogen worden sein und einen Fall umfassen, hinsichtlich dessen Bestrafung in der Gesellschaft kein Bedürfnis besteht, weil jene dessen zugrundeliegendes Handeln akzeptiert und mit diesem keine Erschütterung der Rechtsordnung verknüpft. Insofern sind freilich die Spezifika des Einzelfalles maßgeblich. Bezüglich leichterer Infektionskrankheiten vermag jedoch festgehalten zu werden, dass das Verlangen nach deren völliger Abschirmung durch den Betroffenen dessen soziale Isolation bedeuten würde.13 Eine solche wird seitens der Gesellschaft allerdings nicht gefordert, wie sich unter anderem an der mangelnden Forderung erweiterter Meldepflichten zeigt. Vielmehr entspricht die weitere Teilnahme am sozialen Leben den gesellschaftlichen Gepflogenheiten. Dies belegt nicht zuletzt der vielfach geäußerte Wunsch nach entsprechender Straffreistellung, dem wenig juristische Argumente beigefügt werden.14 Ferner dürfte jeder Kranke als Part der Gesellschaft sich schon einmal offen15 in seiner Umwelt bewegt haben, obwohl er ansteckend war. Zwar darf nicht unbesehen von einer gewissen Üblichkeit eines Verhaltens auf dessen Akzeptanz geschlossen werden.16 Allerdings handelt es sich bei der Teilnahme am gewöhnlichen sozialen Austausch um ein Handeln, das in der Gesellschaft verwurzelt scheint und das keinen Wunsch nach Pönalisierung hervorruft, vielmehr in deren Falle gar die Rechtsordnung in Frage stellen würde, müsste ansonsten doch das soziale Leben oftmals weitgehend still stehen. Die Gesellschaft akzeptiert das entsprechende Verhalten demnach, sodass es an den gesellschaftlichen Wirkungen einer Inkriminierung fehlen würde. Demnach ist der Straftatbestand zu reduzieren.
13 Schließlich ist eine anderweitige Abschirmung kaum möglich, vgl. BGHSt 36, 1 (16 f.); Roxin/Schünemann/Haffke, Klausurenlehre, S. 137. 14 BGHSt 36, 1 (16 f.); LG München, MedR 1987, 288 (291); BeckOK-StGB/Eschelbach, § 223 Rn. 29; LK11/Lilie, Vor § 223 Rn. 12; Roxin/Schünemann/Haffke, Klausurenlehre, S. 137; Roth, Masernpartys, S. 57; exemplarisch bringt dies Herzberg, NJW 1987, 1461 (1466) zum Ausdruck, der am Vergleich einer Infektion durch Injektionsspritze einerseits und Geschlechtsverkehr andererseits eine Beantwortung der Frage offenlässt, dazu aber ausführt „Wird beides gleichermaßen zu einem Vehikel verschwiegener Weitergabe von lebensbedrohenden Viren, so muß freilich das rechtliche Verbot beides treffen und den Unterschied in der sozialen Bewertung zunächst einmal vernachlässigen. Ganz aus der rechtlichen Sicht verbannen kann es ihn aber anscheinend nicht. Denn es läßt sich kaum anders als mit einem Rest an Sozialadäquanz erklären, daß wir im Fall des Geschlechtsverkehrs eher dagegen sind, wegen der möglichen oder wirklichen letalen Folge ein Tötungsdelikt anzunehmen.“ 15 In dem Sinne, dass er nicht glaubt, seine Krankheit verschleiern zu müssen, weil er damit gegen die Akzeptanz der Gesellschaft verstoßen würde. 16 Weshalb auch die zunehmende Üblichkeit der Masernpartys deren soziale Adäquanz nicht zu begründen vermag, hat diese doch einer gesamtgesellschaftlichen Akzeptanz, nicht hingegen einer bloßen Übung zu entspringen, dazu sogleich.
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E. Ausgewählte Anwendungsfälle der Sozialadäquanz
Die Grenzen des gesellschaftlich gebilligten Handelns ergeben sich dabei primär aus dem gesellschaftlichen Bild über die Schwere der Krankheit. Je schwerer diese begriffen wird, desto ferner liegt die soziale Adäquanz einer Infektion. Ferner endet die gesellschaftliche Akzeptanz einer Ansteckung dort, wo dem Betroffenen etwa seitens des Gesundheitsamtes ein das Bedürfnis der Gesellschaft verkörperndes Kontaktverbot auferlegt wird, dient ein solches doch dem Schutze der Gesellschaft. Maßgeblich bleibt insofern nicht die rechtliche Kategorisierung des Kontaktverbotes, sondern dessen gesellschaftliche Befürwortung, welche der Akzeptanz eines Verstoßes entgegensteht. Darüber hinaus endet die soziale Adäquanz eines Handelns mit einer Pervertierung des an und für sich akzeptierten Verhaltens. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die absichtliche Infizierung einer anderen Person keinen Rückhalt in der Gesellschaft findet.17 Die Akzeptanz eines Verhaltens in der Gesellschaft endet schließlich dort, wo dieses missbraucht wird, um der Gesellschaft unter dem Deckmantel der sozialen Adäquanz Schaden hinzuzufügen, das Handeln demnach pervertiert wird. Damit kann die Ansteckung eines Anderen mit einer übertragbaren Krankheit aufgrund der sozialen Adäquanz der Teilnahme am sozialen Leben dem Straftatbestand der Körperverletzung entfallen. Entscheidend ist insofern, dass sich das konkrete Verhalten mit dem Bild der gesellschaftlichen Akzeptanz deckt. Aufgrund einer im Einzelfall verfehlten präventiven Wirkung von Strafe sowie vorgelagerter Strafnorm ist der zu weit geratene Straftatbestand einzuschränken, um in derartigen Fällen den fragmentarischen Charakter des Strafrechts zu wahren sowie dessen Wirkung im Einklang mit dessen Zielen zu halten. Anders verhält es sich dagegen bezüglich Masernpartys, in deren Zuge die Kinder zum Zwecke der Immunisierung infiziert werden sollen. Mögen solche Veranstaltungen auch vermehrt durchgeführt werden, so handelt es sich dabei dennoch nicht um ein Verhaltensmuster, welches in dessen konkreter Gestalt seitens der gesamten Gesellschaft gebilligt wird. Demnach stehen der sozialen Adäquanz von Masernpartys (noch) zu viele Gegenstimmen entgegen, die eine gewollten Infizierung von Kindern nicht akzeptieren.18 Klare Grenzen sind der sozialen Adäquanz im Falle der Infektion mit Krankheiten ferner dort gesetzt, wo der Täter sich bewusst in die Nähe des Opfers begibt, um dieses gezielt anzustecken. Nachdem sich die gesellschaftliche Akzeptanz lediglich auf Handlungen erstreckt, die nicht zum Ziele der Schädigung der Gesellschaft (oder des Einzelnen als deren Part) getätigt werden, schließt die Sozialadäquanz eine Strafbarkeit in derartigen Fällen nicht aus. Je nach Art und Ausmaß der Krankheit sowie deren Übertragungswahrscheinlichkeit vermag ein Strafbarkeitsausschluss in derart gelagerten Fällen lediglich über das allgemeine Lebensrisiko oder die man17 Eine soziale Adäquanz der absichtlichen Ansteckung wird insofern auch nicht erwogen, wie sich insbesondere an den Stimmen zeigt, die bereits bei einem Hinweis auf die erhöhte Ansteckungsgefahr die Sozialadäquanz des Handelns negieren, so etwa Geppert, Jura 1987, 668 (671) und Herzberg, NJW 1987, 1461 (1462). 18 Zur mangelnden Toleranz der Gesellschaft Roth, Masernpartys, S. 61 f.
II. Teilnahme an Sportwettbewerben
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gelnde Beherrschbarkeit der Gefahr im Rahmen der objektiven Zurechnung erwogen zu werden.19
II. Teilnahme an Sportwettbewerben 1. Meinungsbild Die Problematik, wie das Strafrecht sachgerecht mit Sportverletzungen zu verfahren hat, die auf Einwirkungen des Gegners zurückzuführen sind, entspringt dem klassischen Feld des Sportstrafrechts.20 Im Ergebnis dieses Disputs besteht zwar Einigkeit, durch sportartspezifisches Verhalten verursachte Körperverletzungen weitgehend straffrei zu belassen.21 Der Weg, auf dem die Straffreiheit letztlich erlangt werden soll, ist jedoch weiterhin umstritten. Vielfach wird versucht, bereits den Tatbestand des § 223 StGB zu negieren. So soll das erwünschte Ergebnis etwa durch eine sportartspezifische oder situationsadäquat restriktive Auslegung der objektiven Tatbestandsmerkmale erzielt werden können.22 In diesem Sinne sei eine körperliche Misshandlung des Verletzten abzulehnen, wenn der Täter nicht in unfairer Absicht und somit unangemessen handle.23 Alternativ erfordere der Straftatbestand eine sportartspezifische Erheblichkeitsschwelle der Verletzung, unterhalb derer ein Verhalten nicht zu bestrafen sei.24 Während ersterer Restriktionsversuch vor der Schwierigkeit steht, durch eine subjektive Absicht ein objektives, an und für sich gegebenes Merkmal zu überzeichnen, gibt letzterer die übliche Definition dieses Merkmals preis und etabliert ein Sonderstrafrecht für Sportler,25 zumal der Schwere der Verletzung oftmals nur wenig 19 Dazu etwa Krey/Esser, AT, Rn. 332 ff.; Kühl, AT, § 4 Rn. 43 ff.; Rengier, AT, § 13 Rn. 51 ff.; Roxin, AT I, § 11 Rn. 65 ff.; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 257 ff. 20 Zur seit Jahrzehnten andauernden Diskussion Fritzweiler/Pfister/Summerer/Reinhart, Sportrecht, 8. Teil Rn. 48. 21 Vgl. Fischer, § 228 Rn. 22; MK-StGB/Hardtung, § 228 Rn. 44; NK-StGB/Paeffgen/ Zabel, § 228 Rn. 109; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 228 Rn. 27; Dölling, ZStW 96 (1984), 36 (49 f.); Kubink, JA 2003, 257 (259 f.); Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (650 f.); Berr, Sport und Strafrecht, S. 212 ff.; Geerds, Einwilligung, S. 30; Hoppe, Soziale Adäquanz, S. 93 f.; Korff, Sportrecht, Rn. 346 ff.; Kühn, Sportstrafrecht und Notwehr, S. 39 ff., 49 ff.; Roeder, Sozialadäquates Risiko, S. 41; Schild, Sportstrafrecht, S. 116 ff.; Zipf, Einwilligung und Risikoübernahme, S. 84 ff., 93 ff. 22 Eser, JZ 1978, 368 (371). 23 Eser, JZ 1978, 368 (371); kritisch ob der mangelnden Diskussion der Gesundheitsschädigung Fritzweiler/Pfister/Summerer/Reinhart, Sportrecht, 8. Teil Rn. 70. 24 Schiffer, Sportverletzung, S. 78 f.; ähnlich Faller, Sport und Strafrecht, S. 58; dagegen Hähle, Sportverletzungen, S. 26 f.; Berr, Sport und Strafrecht, S. 47; vgl. auch Kubink, JA 2003, 257 (259 f.). 25 Kühn, Sportstrafrecht und Notwehr, S. 45 f. spricht insofern zutreffend von einer resultierenden, definitorischen „Verbiegung“ anstelle einer Auslegung.
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E. Ausgewählte Anwendungsfälle der Sozialadäquanz
Aussagekraft bezüglich der sie verursachenden Handlung zukommt.26 Eine Restriktion des Tatbestands ersuchen auch jene Stimmen, die sportartspezifische Verletzungen als sozialadäquat begreifen.27 Oftmals liegt dem die Vorstellung zugrunde, dass der Bereich des Sports von Seiten des Rechts als eigenes gesellschaftliches Teilsystem anerkannt und wertgeschätzt werde, sodass auch dessen Verhaltensweisen gebilligt werden müssten.28 Bisweilen wird die soziale Adäquanz sportartspezifischen Verhaltens auch unter dem Begriff der Sportadäquanz begrüßt.29 Strittig bleibt insofern allerdings, ob der Intention des Verletzenden dabei dezisive Wirkung zukommt.30 Die vorgebrachte Kritik, eine Lösung über den Wege der Sozialadäquanz verkenne den Regelfall bedingt vorsätzlicher Körperverletzungen im Sport,31 indem sie die Straffreiheit an ein fahrlässiges Verhalten knüpfe, greift damit bereits vielfach ins Leere. Auch der Einwand, die soziale Adäquanz löse sich gänzlich vom individuellen Willen des Verletzten, mutet jedenfalls seltsam an, wenn die damit propagierte Stärkung der Entscheidungsfreiheit des Opfers zugleich auf Rechtswidrigkeitsebene durch die Fiktion einer mutmaßlichen Einwilligung des Verletzten konterkariert wird.32
26 Berr, Sport und Strafrecht, S. 212 ff. sieht den Erfolg hingegen als entscheidendes Kriterium der Beurteilung an. 27 Siehe bereits die Darstellung bei Kapitel B. II. 1. a) bb) (4); so schon Welzel, Allgemeiner Teil, S. 34; zudem Dölling, ZStW 96 (1984), 36 (49 f.); Kubink, JA 2003, 257 (259 f.); Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (650 f.); Berr, Sport und Strafrecht, S. 212 ff.; Geerds, Einwilligung, S. 30; Hoppe, Soziale Adäquanz, S. 93 f.; Kühn, Sportstrafrecht und Notwehr, S. 39 ff.; Zipf, Einwilligung und Risikoübernahme, S. 84 ff., 93 ff.; vgl. Kaspar, JuS 2004, 409 (410); so auch unter dem Aspekt der Rechtswidrigkeit im Zivilrecht Nipperdey, NJW 1957, 1777 (1778 f.) und Fritzweiler, Haftung bei Sportunfällen, S. 57 ff.; a.A.: Fritzweiler/Pfister/Summerer/Reinhart, Sportrecht, 8. Teil Rn. 70. 28 So etwa Dölling, ZStW 96 (1984), 36 (49 f.; 60); Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (636); ders., Einwilligung und Risikoübernahme, S. 93 ff.; ferner im Hinblick auf die zivilrechtliche Haftung Looschelders, JR 2000, 265 (271). 29 Eingehend Schild, Sportstrafrecht, S. 118 ff., der die Sportadäquanz als monistischen Rechtsbegriff begreift, der einheitlich für den Bereich der Sportverletzungen gelten soll und der Sozialadäquanz gegenüber spezifischer sein soll. Im Lichte des hiesigen Verständnisses der Sozialadäquanz als gesellschaftliche Akzeptanz des konkreten Handelns erübrigt sich hingegen die proklamierte Spezifität einer Figur der Sportadäquanz. 30 Befürwortend Eser, JZ 1987, 368 (374); Kühn, Sportstrafrecht, S. 83; Zipf, Einwilligung und Risikoübernahme, S. 95 f.; ablehnend Dölling, ZStW 96 (1984), 36 (50). 31 Fischer, § 228 Rn. 22; Fritzweiler/Pfister/Summerer/Reinhart, Sportrecht, 8. Teil Rn. 60 ff., 70; so auch Schild, Sportstrafrecht, S. 69, 74 f., der darauf aufbauend seinen Ansatz um vorsätzliche Verletzungen erweitert. 32 So jedoch Fritzweiler/Pfister/Summerer/Reinhart, Sportrecht, 8. Teil Rn. 70, 79 f., der das Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte (entsprechend der Diskussion um den ärztlichen Heileingriff, vgl. MK-StGB/Joecks (Hardtung), § 223 Rn. 45 ff.) um das Selbstbestimmungsrecht anreichern will, welches er sodann durch das Institut der mutmaßlichen Einwilligung in die Gefährdung als gewahrt ansieht.
II. Teilnahme an Sportwettbewerben
257
Demgegenüber verortet die Rechtsprechung mitsamt einer starken Literaturansicht die Problematik auf der Rechtswidrigkeitsebene und knüpft sie an die Einwilligung des Opfers, welche üblicherweise konkludent erklärt werde.33 Nach der insofern herrschenden Auffassung liegt der Bezugspunkt der Zustimmung in dem Risiko einer Verletzung, welches der jeweiligen Sportsituation immanent sei und welches der Sportler sehenden Auges in Kauf nehme.34 Gerechtfertigt seien demnach jedenfalls fahrlässige Verletzungen, sofern sie auf regelkonformem oder leicht fahrlässig regelwidrigem Verhalten beruhen,35 mögen sie auch erheblich ausfallen.36 Damit sieht sich die Rechtfertigungslösung dem Dilemma gegenüber, gerade für den Regelfall des bedingt vorsätzlich regelwidrigen Verhaltens keine Straffreistellung erwirken zu können.37 Daneben ist bereits fraglich, ob eine Einwilligung in Handlung und Gefahr ausreicht, oder ob der Betroffene darüber hinaus nicht den unmittelbaren Erfolg billigen müsste.38 Unbesehen dessen scheitert eine Lösung über die Einwilligung, sobald der Sportler erklärt, er wolle zwar an dem sportlichen Wettkampf teilnehmen, erkläre allerdings keine Einwilligung in dessen Gefahren, insbesondere nicht in Regelwidrigkeiten jedweder Art.39 Dem wird zwar entgegnet, die Teilnahme am Sport unter Ablehnung der Risiken sei lebensfremd, sodass in 33 Fritzweiler/Pfister/Summerer/Reinhart, Sportrecht, 8. Teil Rn. 79 ff. stellt dagegen auf die mutmaßliche Einwilligung unter dem Gesichtspunkt des mangelnden Interesses ab, welche sich aus der in der Vergangenheit liegenden Duldung in Angriffsrichtung und Intensität gleichgelagerter Rechtsgutsverletzungen ergeben soll. Unbesehen der Frage, was dann für den Boxer in dessen erstem Kampf zu gelten habe, dürfte diese Lösung jedoch den Rechtsgüterschutz zu weit ins Abseits rücken, indem sie dem Sportler das Interesse an dessen körperlicher Integrität abspricht (welche indes gerade durch den Sport ertüchtigt werden soll) und die Einwilligungsgrenze mit zunehmend härteren Fouls stetig nach oben korrigiert. 34 BGHSt 4, 24 (33); 4, 88 (92); BayObLGSt 1960, 266 (269); NK-StGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 109; SK/Wolters, § 228 Rn. 27 f.; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 228 Rn. 27; Schaffstein, Festschrift Welzel, S. 557 (564); Gawron, Körperverletzungen beim Sport, S. 110 ff.; Geerds, Einwilligung, S. 30; Mehl, Körperverletzungen beim Sport, S. 90; Kellner, Einwilligung in Lebensgefährdung, S. 129; Popp, Sittenwidrigkeit der Tat, S. 84. 35 BayObLG NJW 1961, 2072 (2073); OLG Hamm JR 1998, 465 (465); Schönke/Schröder/ Sternberg-Lieben, § 228 Rn. 27. NK-StGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 109 verzichtet auf die Einschränkung der leicht fahrlässigen Regelwidrigkeit und lässt die Einwilligung je nach Typizität des Sportes auch gröbere Regelverstöße umfassen. 36 NK-StGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 109; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 228 Rn. 27. 37 Fischer, § 228 Rn. 22 und Fritzweiler/Pfister/Summerer/Reinhart, Sportrecht, 8. Teil Rn. 78 erachten dies als lebensfremd, insbesondere da nicht nur die bedingt vorsätzliche Regelwidrigkeit des Verhaltens, sondern auch der Körperverletzung die Regel sei, worauf die herrschende Auffassung keine Antwort habe (wenngleich deren primäres Kriterium tatsächlich nicht der Grad der Fahrlässigkeit der Verletzung, sondern jener des Regelverstoßes darstellen dürfte, so jedenfalls BayObLG NJW 1961, 2072 [2072 f.]). 38 Für die Notwendigkeit der Einwilligung in den Erfolg Dölling, ZStW 96 (1984), 36 (43); Berr, Sport und Strafrecht, S. 111 ff.; allgemein zu der insofern herrschenden Ansicht LK/ Rönnau, Vor §§ 32 ff. Rn. 164 f. m.w.N.; dazu auch Geppert, ZStW 83 (1971), 947 (977 ff.). 39 Fischer, § 228 Rn. 22; Kubink, JA 2003, 257 (262).
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E. Ausgewählte Anwendungsfälle der Sozialadäquanz
paralleler Begründung des Eventualvorsatzes eine Einwilligung anzunehmen sei.40 Damit wäre allerdings dem Wesen der Einwilligung als freier Disposition des Befugten über das Rechtsgut41 Abbruch getan, würde die freie Disponibilität doch der Prüfung durch fremde Plausibilitätserwägungen Dritter preisgegeben. Damit zeigt sich an diesem Einwand, dass die Diskussion gedanklich eher kollektivistisch denn individuell geprägt ist, was dem Prinzip der Einwilligung nicht entspricht.42 Soll die dem Betroffenen bewusste Möglichkeit regelwidrigen Verhaltens Dritter einen Verzicht auf den Schutz der eigenen körperlichen Integrität begründen, so würde der Wille des späteren Opfers aufgrund gesellschaftlicher Umstände fingiert. Daher mangelt es an dem konstitutiven Erfordernis der Einwilligung, der Übereinstimmung von Tat und Willen des Verletzten.43 Die Lösung der Problematik über das Institut der Einwilligung vermag daher, unbesehen des Umstands, dass sich damit allwöchentlich ein „Abgrund von Kriminalität“44 auf Deutschlands Sportplätzen öffnen dürfte, nicht zu überzeugen.
2. Soziale Adäquanz der Teilnahme an Sportwettbewerben Aus der mangelnden Überzeugungskraft der Einwilligungslösung folgt jedoch nicht per se, dass es sich bei den im Zuge von Sportwettbewerben erlittenen Körperverletzungen um Fälle der Sozialadäquanz handelt. Allerdings zeigt ein Blick auf das Ergebnis des Disputs, dass bezüglich der Straffreistellung über die unter40
So Kubink, JA 2003, 257 (262): „Es wäre lebensfremd, sich des üblichen Geschehensablaufs bewusst zu sein, sich den betreffenden Risiken zu stellen und gleichwohl nahe liegende Folgen auszuklammern bzw. nicht akzeptieren zu wollen. Die Argumentation liegt insoweit parallel zur Begründung des Eventualvorsatzes“. Dagegen bereits zuvor BGHZ 63, 140 (144), wonach eine Einwilligung in Verletzungen beim Fußballspiel lediglich eine künstliche Unterstellung sei. 41 Dazu Baumann/Weber/Mitsch/Eisele/Mitsch, AT, § 15 Rn. 124; Roxin, AT I, § 13 Rn. 12 ff.; anhand des konkreten Bereichs Zipf, Einwilligung und Risikoübernahme, S. 97 ff. 42 Solch kollektivistische Tendenzen zeigen sich etwa bei Mehl, Körperverletzungen beim Sport, S. 77 f., der ohne Blick auf die Belange des Individuums festhält, dass die Einwilligung des Sportlers in allen Fällen so umfangreich gestaltet sein müsse, dass sie eine reibungslose Abwicklung des Sports ermögliche; Gawron, Körperverletzungen beim Sport, S. 148 f. geht ähnlich vor, indem er im Sinne des Sports den Bereich der Einwilligung auf regelgerechtes Verhalten festlegt, während H. Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, S. 350 noch darüber hinausgeht und den individuellen Willen vollends beiseite drängt, indem er auch absichtliche Fouls als von der Einwilligung gedeckt begreift. 43 So auch Hähle, Sportverletzungen, S. 86; Dölling, ZStW 96 (1984), 36 (44) betont die Divergenz von Vorsatz und Einwilligung am Beispiel des Liebhabers, der sich trotz des Wissens, dass er von dem Ehemann seiner Herzensdame verprügelt werden könnte, zu dieser begibt, gleichwohl aber nicht in die mögliche Misshandlung einwilligt. 44 Diesen attestiert Dölling, ZStW 96 (1984), 36 (55) zwar einer Lösung, die sich statt auf materielle Einschränkungen auf den prozessualen Aspekt mangelnder Strafverfolgung stützt, sodass das Strafrecht seinen Zweck, durch Heraushebung schwerster Normverstöße die Grundwerte der Gesellschaft zu verdeutlichen, nicht mehr erreichen könne (insofern drängt sich die Parallele zum hiesigen Verständnis der Sozialadäquanz deutlich auf).
II. Teilnahme an Sportwettbewerben
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schiedlichen Ansichten hinweg Einigkeit besteht.45 Dieser Konsens entstammt nicht etwa einer dogmatischen Struktur oder rechtsanalytischen Überlegung, sondern dem gesellschaftlichen Bilde derartiger Sportwettbewerbe. Schließlich eint die Ansätze, dass sie im Ergebnis die Funktionsfähigkeit des Sports ohne tiefgreifende Einschnitte durch das Strafrecht aufrechterhalten zu versuchen und ihre Lösungen vor dem Hintergrund dieses Zieles entwickeln.46 Den Ausgangspunkt der Überlegungen zur Straffreiheit stellt somit die Akzeptanz der Sportwettkämpfe in der Gesellschaft dar. Aufgrund dieser gesellschaftlichen Billigung würde eine Bestrafung des sportspezifischen Verhaltens das Vertrauen in die Rechtsordnung mindern, würde diese sodann doch einen willkürlich anmutenden Strafrahmen ziehen. Die Strafe und das Strafrecht gingen demnach ihrer präventiven Wirkung verlustig und würden vielmehr Konfusion in der Gesellschaft stiften. Um diese der Zielsetzung gegenläufige Auswirkung zu vermeiden, ist der materielle Anwendungsbereich des Straftatbestandes der Körperverletzung im Einzelfall zu restringieren. Dabei dürfte sich aufgrund der Argumentation, die ihren Ursprung in der gesellschaftlichen Akzeptanz findet, mitunter die Fragen aufdrängen, ob die Sozialadäquanz doch nicht mehr beinhalte, als zuvor an wünschenswertem Ergebnis in sie hineingelegt werde47 bzw. ob sie letztlich das Ergebnis dogmatischer Verflachung48 sei.49 Doch bleibt der ersten Frage zunächst zu entgegnen, dass es nicht das wünschenswerte Ergebnis ist, das in die Sozialadäquanz hineingelegt wird; vielmehr ist es die soziale Adäquanz, die der gesellschaftlichen Akzeptanz Ausdruck zu verleihen vermag. Damit deckt sich die Rechtsfigur lediglich dort mit dem wünschenswerten Ergebnis, wo dieses sich kongruent zur gesellschaftlichen Akzeptanz eines Verhaltens verhält. Darüber hinaus vermag die Sozialadäquanz jedoch die Diskussion mittels der gesellschaftlichen Akzeptanz weiter zu konturieren. Zunächst gibt sie durch ihr grundlegendes Verständnis mit dem Verhalten den Bezugspunkt des Akzeptanzurteils vor.50 Damit ist dem Versuch, die soziale Adäquanz aus dem letztlichen Erfolg der Körperverletzung abzuleiten,51 bereits unbesehen der resultierenden Verquickung von zufälligem Ergebnis und gesteuerter Handlung eine Absage zu erteilen. Ferner hält die Figur der sozialen Adäquanz eine Antwort für die umstrittene 45 Vgl. sämtliche in Kapitel E. II. 1. aufgeführten Meinungen; zu zahlreichen früheren Ansätzen, die ebenfalls zu dem Ergebnis der Straffreiheit gelangen Berr, Sport und Strafrecht, S. 42 ff. m.w.N. 46 Vgl. dazu etwa die Belege in Fn. 42, die aufbauend auf dem gesellschaftlichen Ziel den Inhalt der Einwilligung konstruieren. Ferner etwa vom Ergebnis her argumentierend Fischer, § 228 Rn. 22; MK-StGB/Hardtung, § 228 Rn. 44; NK-StGB/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 109. 47 So allgemein Wiethölter, Verkehrsrichtiges Verhalten, S. 57. 48 Wie sie insbesondere Gallas, ZStW 67 (1955), 1 (22) und Hirsch., ZStW 74 (1962), 78 (93) befürchten. 49 Zu dieser allgemeinen Kritik bereits oben, Kapitel C. III. 2. 50 Dazu oben Kapitel D. III. 2. 51 So Berr, Sport und Strafrecht, S. 212 ff., der den sportadäquaten Erfolg etablieren möchte und so wenig überzeugend der Rechtsgutsverletzung ein Angemessenheitsurteil implementiert.
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E. Ausgewählte Anwendungsfälle der Sozialadäquanz
Frage der Auswirkungen subjektiver Tendenzen des Verletzten bereit,52 wie sich auch am Beispiel der Teilnahme an Sportwettbewerben zeigt. Schließlich endet die gesellschaftliche Akzeptanz und somit die soziale Adäquanz dort, wo der Täter ein per se gebilligtes Verhalten pervertiert, um damit schädliche Zwecke zu erreichen. Die Akzeptanz der Gesellschaft setzt somit ein sportorientiertes Handeln voraus und endet dort, wo der Sport lediglich als Deckmantel der wahren Absicht dient.53 Die Billigung des Verhaltens bemisst sich – auch darin liegt eine Erkenntnis der Sozialadäquanz54 – relativ nach der jeweiligen Sportart: so umfasst die Akzeptanz im Zuge des Eishockey-Spiels weitaus mehr Körpereinsatz als im Rahmen des Badminton-Wettkampfs.55 Maßgeblich dafür kann indes nicht einzig das jeweilige Regelwerk sein, auch wenn dieses einem Konsens der Beteiligten entspringen dürfte.56 Vielmehr verdeutlichen die Regeln und deren sportinterne Sanktionen, dass auch Handlungsweisen zu erwarten sind, die den Bereich des Regelkonformen verlassen. Auch dieser Bereich der Regelverstöße, die in einem spezifischen Zusammenhang mit der Sportart stehen, wird von der Gesellschaft vorausgesetzt und akzeptiert.57 Die Grenzen der Sozialadäquanz liegen also in einer Pervertierung des sportlichen Handelns sowie in einem Ausbruch aus dem jeweiligen Regelwerk über den Rahmen sportartspezifischer Regelverstöße hinaus. Hinsichtlich dieser Überschreitung der sportartspezifischen Regelwidrigkeiten ist entgegen der Rechtsprechung jedoch nicht der Grad der Fahrlässigkeit des Verstoßes, sondern die gesellschaftliche Akzeptanz des konkreten Regelverstoßes und somit das Gesamtbild maßgeblich.
52 Zur Handhabung subjektiver Tendenzen im Rahmen der Sozialadäquanz Kapitel D. III. 2. d). Zur Frage des Einflusses solcher auf die im Rahmen des Sports erlittene Körperverletzung Dölling, ZStW 96 (1984), 36 (50); Eser, JZ 1987, 368 (374); Kühn, Sportstrafrecht, S. 83; Zipf, Einwilligung und Risikoübernahme, S. 95 f. 53 Dies belegen konkret auch die unterschiedlichen, teils rechtsgebietsübergreifenden Formulierungen, die unter verschiedenen dogmatischen Wegen fordern, der Handelnde dürfe sich nicht aus dem unmittelbaren Sportbetrieb herausbegeben (Krähe, Verletzungen beim Fußballspiel, S. 291 ff.; Rössner, Festschrift Hirsch, S. 312 [325]), nicht unfair gegen den Geist des Sports handeln (Faller, Sport und Strafrecht, S. 21) oder den Sport nicht als Deckmantel missbrauchen (Eser, JZ 1978, 368 [384]; Looschelders, JR 2000, 265 [271]; Kühn, Sportstrafrecht, S. 83; Zipf, Einwilligung und Risikoübernahme, S. 86, 91). 54 Dazu Kapitel D. III. 2. c). 55 Dahingehend unter dem Aspekt der Einwilligung bereits BayObLG NJW 1961, 2072 (2072), wonach der Umfang der Einwilligung mit der Art des sportlichen Wettkampfs variiere. 56 Zu den Regeln als Produkt allgemeiner Akzeptanz etwa Schild, Sportstrafrecht, S. 120 ff. und Zipf, Einwilligung und Risikoübernahme, S. 93 ff. 57 Auch dieses Ergebnis lässt sich mit diversen Formulierungen bezeugen, die auf verschiedenem Wege gewisse Grenzen etablieren wollen, die über jene des Regelwerks hinausgehen; so etwa die Umschreibung, die Scheidelinie liege dort, wo der Sport aufhöre, Sport zu sein und eine sportartunspezifische Verhaltensweise gegeben ist (in diesem Sinne Derksen, SpuRt 2000, 141 [142]; Faller, Sport und Strafrecht, S. 21; Niedermair, Körperverletzung, S. 133; Vollrath, Sportkampfverletzungen, S. 59 ff.), oder der Ruf nach Wahrung der Sportimmanenz (Lorenzen, SchlHA 1985, 65 [67]) bzw. die Versagung spielablauffremder Brutalität und nackter Gewalt (Kühn, Sportstrafrecht, S. 83).
II. Teilnahme an Sportwettbewerben
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Um auf die zweite Frage zu antworten, ist zunächst festzuhalten, dass diese dogmatische Verflachung in dem Sinne versteht, als dass der Rekurs auf die Sozialadäquanz die weitere, dogmatische Prüfung des Problems überflüssig mache. Mag man die Anwendung einer Rechtsfigur, die den Einklang von Strafrecht und Strafzweck ersucht, als dogmatische Verflachung titulieren, weil sie eine Rechtswidrigkeitsprüfung erübrigt, so müsste dies auch für die Prüfung der Kausalität oder des Vorsatzes gelten. Vielmehr sollte ein Ausschluss der weiteren Prüfung nicht die Augen dafür verschließen, den dogmatischen Gewinn zu erkennen, den die Figur der Sozialadäquanz begründet: schließlich eint ihre Anerkennung nicht nur das Strafrecht und dessen Metatelos, sondern beugt auch der virulenten Prüfung vor, die bei ihrer Negation droht: es lässt sich beobachten, dass ohne eine Figur, die die gesellschaftliche Akzeptanz einer Handlung zum Gegenstand hat, vielfach versucht wird, mittels der gesellschaftlichen Betrachtung per Auslegung definitorische Grenzen zu sprengen oder andere Rechtsinstitute verknappt anzunehmen.58 Auch die Konstruktion einer durch das gesellschaftliche Bild bedingten Einwilligung des Verletzten aufgrund der bloßen Kenntnis der Verletzungsmöglichkeit dürfte dem eigentlichen Wesen der rechtfertigenden Einwilligung zuwiderlaufen. Daher beugt die Rechtsfigur der Sozialadäquanz tatsächlich der dogmatischen Verflachung vor, indem sie mitunter davor bewahrt, der teleologischen Reduktion eine gesellschaftliche Betrachtung zu implementieren, die dem eigentlich zu wahrenden Telos entgegenstünde bzw. indem sie die Fiktion einer schlussendlichen Zustimmung zur Verletzung obsolet werden lässt. Freilich fällt die Anwendung der sozialen Adäquanz oftmals leichter, als die Konstruktion einer teleologischen Reduktion, die faktisch mit dem Telos des Straftatbestandes bricht. Auch darin ist jedoch ein Gewinn zu sehen, hängt die Berechtigung einer Rechtsfigur doch nicht von der Schwierigkeit deren Handhabung ab. Besieht man sich das Ergebnis, die Möglichkeit der metateleologischen Reduktion bei Körperverletzungen im Rahmen sportlicher Wettkämpfe, fällt zudem erfreulich ins Auge, dass es der Rechtsfigur der Sozialadäquanz gelingt, den oben59 festgestellten Wunsch, nicht allgemein-abstrakt eine Strafbarkeit aufzuheben, sondern konkretisierender die Spezifika des Einzelfalles aufzugreifen und so letztlich mehrere Sportadäquanzen zu etablieren, umzusetzen. Zwar tituliert sie diese diversen Adäquanzen nicht als solche; diese ergeben sich jedoch aus der zugrundeliegenden, mit den Spezifika der Sportart differierenden gesellschaftlichen Akzeptanz der Handlung. Die soziale Adäquanz ist demnach geeignet, den praktischen
58 Dazu Kapitel D. I. 4. d); zu erinnern sei hier exemplarisch an das Beispiel der Beleidigung im Familienkreise, in dem einerseits die Kundgabe der Äußerung negiert werden solle, wenngleich diese an die Familienmitglieder kommuniziert wurde, andererseits der Tatbestand teleologisch reduziert werden soll, wenngleich die Ehre des Betroffenen tangiert ist, dazu sogleich bei Kapitel E. IV. 59 Kapitel B. II. 1. a) bb) (4); dazu die Äußerungen bei Dölling, ZStW 96 (1984), 36 (53); Eser, JZ 1978, 368 (368).
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E. Ausgewählte Anwendungsfälle der Sozialadäquanz
Bedarf nach einem Strafbarkeitskorrektiv zu decken, ohne diesbezüglich ihr Wesen aufzugeben.
III. Moderner Massenverkehr 1. Meinungsbild Einen weiteren Anwendungsbereich der Sozialadäquanz soll der moderne Massenverkehr mit sich bringen. So seien Freiheitsbeschränkungen als übliche Begleiterscheinungen des normalen Verkehrs ebenfalls sozialadäquat und damit straflos.60 Der die Fahrt fortsetzende Führer des Verkehrsmittels habe daher keine Strafbarkeit zu befürchten, wenn er dem während der Fahrt seinen Aussteigewunsch äußernden Passagier dessen Bitte verwehre. Dem zugrunde liegt bisweilen die Vorstellung, insbesondere bei modernen Massenverkehrsmitteln sei ein funktionsgemäßer Ablauf ohne eine Bindung der Fahrgäste an den Fahrplan und die vorgesehenen Haltestellen nicht zu erreichen.61 Problematisch wirkt diese Auffassung jedoch vor dem Hintergrund, dass zumindest eine vorübergehende, zeitlich nicht unerhebliche Einschränkung der persönlichen Fortbewegungsfreiheit üblicherweise den Straftatbestand der Freiheitsberaubung verwirklicht.62 Um auch ohne die als zu unbestimmt empfundene Rechtsfigur der Sozialadäquanz zur Straffreiheit zu gelangen, wird bisweilen auf das Einverständnis des Passagiers hingewiesen, welches dieser mit dem Einstieg in das Verkehrsmittel zum Ausdruck bringe und welches tatbestandsausschließend wirke.63 Diese Zustimmung soll dabei in den Fällen des modernen Massenverkehrs ausnahmsweise nicht frei widerruflich sein.64 Wird demgegenüber an dem Grundsatz der jederzeit möglichen 60 Kapitel B. II. 1. a) cc) (1) (a); Schmidhäuser, AT, Kapitel 6 Rn. 105; Stratenwerth/ Kuhlen, AT, § 8 Rn. 31 f.; Welzel, Allgemeiner Teil, S. 33; Klug, Festschrift Eb. Schmidt, S. 249 (264); Ebert/Kühl, Jura 1981, 225 (226); Nipperdey, NJW 1957, 1777 (1778); Schaffstein, ZStW 72 (1960), 369 (373, insbes. Fn. 12); Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (650 f.); Hoppe, Soziale Adäquanz, S. 51 f.; Wolski, Soziale Adäquanz, S. 62 f. 61 Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (116); Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (635 f.), der darüber hinaus betont, dass die soziale Funktion und Erlaubtheit der Massenverkehrsmittel von den Vorstellungen Einzelner unabhängig bleiben müsse. 62 Mitsch, NZV 2013, 417 (418); Valerius, JA 2014, 561 (564); das Reichsgericht erachtete etwa die Dauer eines Vaterunsers für ausreichend, RGSt 7, 259 (260), dazu NK-StGB/Sonnen, § 239 Rn. 18 und Bosch, Jura 2012, 604 (606). 63 Mitsch, NZV 2013, 417 (418 f.); zum Verständnis der Zustimmung als Tatbestandsausschluss im Rahmen des § 239 StGB Fischer, § 239 Rn. 3a; NK-StGB/Sonnen, § 239 Rn. 20; Lenckner, ZStW 72 (1960), 446 (448). 64 Fahl, JR 2009, 100 (103); wird zudem diesbezüglich Jakobs, AT, § 7 Rn. 110 bemüht, deckt sich dies nicht mit dem Inhalt des Lehrbuchs, welcher lediglich allgemein die bloße Möglichkeit des Ausschlusses eines freien Widerrufs erwähnt. Die freie Widerruflichkeit des Einverständnisses betonend dagegen Schönke/Schröder/Eisele, § 239 Rn. 3 und Rengier, BT II, § 22 Rn. 17, der als Beispiel die Autofahrt heranzieht; ebenso BGH NStZ 2005, 507 (508).
III. Moderner Massenverkehr
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Rücknahme des Einverständnisses festgehalten, so soll der Beförderungsvertrag als Rechtfertigungsgrund der fortgesetzten Beförderung fungieren.65 Der erste Ansatz vermag insofern freilich wenig zu überzeugen, stemmt er sich doch ohne Argumente gegen den Grundsatz der freien Widerruflichkeit und bindet so den Passagier strafrechtsfremd an dessen einst erteilte Zustimmung in eine Rechtsgutverletzung. Zudem fußt seine Grundlage ebenso wie die des zweiten Ansatzes in der Prämisse, dass überhaupt eine Zustimmung bzw. ein Beförderungsvertrag zustande gekommen ist. Fehlt eine entsprechende Erklärung des Betroffenen aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen, so finden beide Lösungsansätze schwerlich einen Anknüpfungspunkt.66 Darüber hinaus würde die Bindung der strafrechtlichen Wertung an das fragile zivilrechtliche Konstrukt zwar den Gleichlauf beider Rechtssysteme herbeiführen,67 damit jedoch das Strafrecht von der ultima ratio zur Ahndung bloßer Willensmängel degradieren. Schließlich würde die im Vergleich großzügigere strafrechtliche Sichtweise auf die Einsichtsfähigkeit des Betroffenen durch die zivilrechtliche Geschäftsfähigkeit überzeichnet und so ein strengerer Maßstab angelegt, der die strafrechtliche Relevanz erhöhen dürfte. Eine gleichermaßen auf Rechtswidrigkeitsebene angesiedelte Lösung über den rechtfertigenden Notstand wird der Problematik ebenfalls nicht gerecht.68 Schließlich mangelt es bereits an einer Gefahr, die durch die fortgesetzte Fahrt abgewendet werden würde. Bezieht man die Belange der übrigen Passagiere oder das Interesse an der Funktionsfähigkeit des öffentlichen Verkehrs in die Betrachtung ein, so würde allenfalls das Anhalten selbst eine Gefahr dieser Güter begründen können.69 Auf die divergierenden Interessen in der konkreten Situation aufbauend wird ferner erwogen, dem Fahrzeugführer im Einzelfall den Rechtfertigungsgrund der Dabei hat der Widerruf nicht ausdrücklich zu erfolgen, sodass nach herrschender Auffassung der bloße, der Beförderung nunmehr entgegenstehende Wille des Betroffenen genügt, um das Einverständnis entfallen zu lassen, siehe Geerds, ZStW 72 (1960), 42 (44) und Mitsch, NZV 2013, 417 (419); ferner Heinrich, AT, Rn. 448. 65 Mitsch, NZV 2013, 407 (419 ff.); bereits H. Weber, Zivilrechtlicher Vertrag als Rechtfertigung, S. 77 ff. versuchte, einen zivilrechtlichen Vertrag wie den Beförderungsvertrag als strafrechtlichen Rechtfertigungsgrund heranzuziehen. 66 Valerius, JA 2014, 561 (565) weist insofern exemplarisch auf den künftigen Bräutigam hin, der im Verlauf einer Junggesellenparty aufgrund seiner Berauschung einschläft und von seinen Freunden in den Zug verbracht wird, wo er schließlich aufwacht. Fahl, JR 2009, 100 (102) hält selbst fest, dass etwa der unerkannt geisteskranke Fluggast keinen Vertrag zu schließen vermag, wenngleich er dem Fluggast wohl die notwendige Einsichtsfähigkeit für die Erteilung des Einverständnisses zuspricht. 67 Allgemein zu dem diesbezüglichen Verhältnis von Zivil- und Strafrecht Stief, Einwilligungsfähigkeit, S. 21 ff. 68 Angedacht von Fahl, JR 2009, 100 (102), der dieser Lösung jedoch nicht weiter nachgeht. 69 Valerius, JA 2014, 561 (565) hält daher fest, dass sich die Notstandshandlung, eine Gefahr abzuwenden, demzufolge darauf beschränken würde, ein bestimmtes eigenes Verhalten zu unterlassen.
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E. Ausgewählte Anwendungsfälle der Sozialadäquanz
Pflichtenkollision anheimzustellen.70 Dessen Vorteil läge in der situationsspezifischen Gegenüberstellung betroffener Interessen. Nach herrschender Auffassung ist die Pflichtenkollision auf Rechtswidrigkeitsebene zu verorten,71 womit der Berufsbusfahrer freilich den Tatbestand der Freiheitsberaubung erfüllen würde und sich somit zwangsläufig in den Bereich des Unrechts bewegen müsste. Problematisch erscheint jedoch vielmehr, dass die Pflichtenkollision nach herrschender Auffassung auf die Rechtfertigung von Unterlassungen beschränkt ist.72 Zudem greift der Rechtfertigungsgrund lediglich, wenn zwei Handlungspflichten miteinander kollidieren.73 So liegt es zwar nahe, das Haltegebot für den Fahrzeugführer als solche Handlungspflicht anzusehen, da dieser jedenfalls das Fahrzeug noch steuern und führen muss, um einen sicheren Ausstieg zu ermöglichen, für den in der Regel darüber hinaus aktiv die Türen zu öffnen sind.74 Demnach wäre auch die Einstufung des Verstoßes gegen die Handlungspflicht des Haltegebots als Unterlassen konsequent, unterlässt es der Fahrzeugführer doch, das Fahrzeug zu stoppen, sodass der Anwendungsbereich der rechtfertigenden Pflichtenkollision eröffnet wäre. Allerdings gründet diese Auffassung auf der mitunter schwierigen sowie manipulierbaren Abgrenzung von Handlungs- und Unterlassungspflicht. Zudem würde eine Klassifizierung als Unterlassen den Charakter der Freiheitsberaubung als Dauerdelikt75 in Frage stellen, zeichnet sich ein solches doch dadurch aus, dass die tatbestandsmäßige Qualität als Freiheitsberaubung auch dann gewahrt bleibt, wenn es zur Aufrechterhaltung des geschaffenen Dauerzustandes keines aktiven Tuns bedarf.76 Die Nichtbefolgung des Haltegebots als eigenständige Freiheitsberaubung durch Unterlassen einzuordnen, könnte demnach zu Friktionen mit dem Naturell der Freiheitsberaubung als Dauerdelikt führen. Ferner müsste dann aufgrund § 13 StGB 70 So Valerius, JA 2014, 561 (565 f.), der neben der im Raum stehenden Strafbarkeit nicht nur die Beförderungspflicht gegenüber den anderen Passagieren ins Feld führt, sondern unter Verweis auf BGH NStZ 1992, 33 (34) darauf hinweist, dass im Falle der Notwendigkeit einer Änderung der Fahrtroute auch bezüglich der übrigen Fahrgäste eine Strafbarkeit wegen Freiheitsberaubung in Betracht kommt. 71 BGHSt 48, 307 (311); Lackner/Kühl/Heger, § 34 Rn. 15; LK/Rönnau, Vor § 32 Rn. 116; MK-StGB/Erb, § 34 Rn. 38 ff.; NK-StGB/Neumann, § 34 Rn. 124; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, Vor §§ 32 ff. Rn. 71/72; Baumann/Weber/Mitsch/Eisele/Mitsch, AT, § 21 Rn. 94. 72 LK/Rönnau, Vor § 32 Rn. 171; MK-StGB/Erb, § 34 Rn. 41; NK-StGB/Neumann, § 34 Rn. 126; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, Vor §§ 32 ff. Rn. 71/72; Baumann/Weber/ Mitsch/Eisele/Mitsch, AT, § 21 Rn. 95; Hilgendorf/Valerius, AT, § 11 Rn. 81; Kühl, AT, § 18 Rn. 134; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 1035. 73 MK-StGB/Erb, § 34 Rn. 41; NK-StGB/Neumann, § 34 Rn. 126; Schönke/Schröder/ Sternberg-Lieben, Vor §§ 32 ff. Rn. 71/72; Baumann/Weber/Mitsch/Eisele/Mitsch, AT, § 21 Rn. 96; Hilgendorf/Valerius, AT, § 11 Rn. 88; Krey/Esser, AT, Rn. 631; Kühl, AT, § 18 Rn. 134; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 1035 f. 74 Dahingehend Valerius, JA 2014, 561 (565). 75 Statt vieler BeckOK-StGB/Valerius, § 239 Rn. 18; MK-StGB/Wieck-Noodt, § 239 Rn. 8. 76 Krey/Esser, AT, Rn. 225; Rengier, AT, § 10 Rn. 20; Roxin, AT I, § 10 Rn. 105; Wessels/ Beulke/Satzger, AT, Rn. 46; vgl. auch Baumann/Weber/Mitsch/Eisele/Eisele, AT, § 7 Rn. 48; für den konkreten Fall Mitsch, NZV 2013, 417 (418).
III. Moderner Massenverkehr
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zunächst eine Garantenstellung des Fahrzeugführers begründet werden, was sich aufgrund des (jedenfalls noch) pflichtgemäßen Startens des Fahrzeugs als schwierig erweisen dürfte.77 Damit dürfte vorliegend der Anwendungsbereich der rechtfertigenden Pflichtenkollision verschlossen bleiben. 2. Soziale Adäquanz des modernen Massenverkehrs Zu fragen bleibt demnach, ob die Freiheitsberaubung im Rahmen des modernen Massenverkehrs sozialadäquat sein kann. Maßgeblich ist, ob es der gesellschaftlichen Akzeptanz im Einzelfall entspricht, den Wunsch des Aussteigewilligen zu versagen und die Fahrt fortzusetzen. Ist dies der Fall, so riefe die Bestrafung des dem formellen Tatbestand unterfallenden Verhaltens seitens der Gesellschaft Konfusion hervor und erschiene als Abschreckung um der Abschreckung Willen. Zu erörtern ist somit das gesellschaftliche Bild des spezifischen Kontexts. Insofern bleibt zunächst festzuhalten, dass sich moderne Massenverkehrsmittel ihren Platz im Zentrum der Gesellschaft gesichert haben;78 ihre Nutzung ist nicht nur allgemein akzeptiert, sondern gilt als umweltfreundlich und empfehlenswert. Werden sie in juristischem Rahmen diskutiert, so werden ihre Existenz und ihr Gebrauch als selbstverständlich vorausgesetzt und der Blick auf anderweitige konkrete Probleme gelenkt.79 Diese grundlegende gesellschaftliche Billigung spiegelt sich auch konkret in der (straf)rechtlichen Literatur wider, indem die mit der Nutzung des Verkehrsmittels einhergehende Einschränkung der Fortbewegungsfreiheit schlicht als selbstverständlich80 oder harmlos81 begriffen und daher keine Strafbarkeit des 77
Folgert man diese mit Fahl, JR 2009, 100 (100) „unproblematisch aus dem Beförderungsvertrag“, dürfte sich die Anbindung des Fahrzeugführers an den Beförderungsvertrag zwar nicht als unüberwindbar schwierig erweisen (so hingegen Mitsch, NZV 2013, 417 [419 Fn. 6] unter Verweis auf den fehlenden, unmittelbaren Vertragsschluss), wenn man an den ähnlich gelagerten Fall des Bademeisters denkt (vgl. MK-StGB/Freund, § 13 Rn. 173); allerdings sähe man sich wiederum den Schwierigkeiten hinsichtlich der Wirksamkeit des Vertrages gegenüber. 78 Dies dürfte mindestens seit dem Jahre 1940 gelten, in dem etwa Welzel, Allgemeiner Teil, S. 33 festhält, dass sowohl Eisenbahnfahren als auch die damit einhergehenden Begleiterscheinungen wie Freiheitsbeschränkungen normal seien. 79 Vgl. nur zu Fahrgastrechten bei Zugverspätungen etwa Faulenbach, NZV 2005, 398 passim; zur aktuellen Judikatur bei Flugverspätungen Wienbracke, NZV 2018, 364 passim; zum Haftungsschutz von Bahn- und Busfahrgästen Filthaut, NZV 2001, 238 passim; zu Kündigungsschutz-Klauseln bei der Personenbeförderung im Massenverkehr BGH NJW 2018, 2039 passim; zur Strafe für das sog. Schwarzfahren Mosbacher, NJW 2018, 1069 passim; so findet die Existenz sowie Anerkennung öffentlicher Verkehrsmittel ihren gesetzlichen Niederschlag etwa in § 20 StVO. 80 Nipperdey, NJW 1957, 1777 (1778); Schaffstein, ZStW 72 (1960), 369 (373); wohl auch Welzel, Grundzüge1, S. 36, der die Freiheitsbeschränkungen als normal begreift. 81 Nipperdey, NJW 1957, 1777 (1778); Engisch, Idee der Konkretisierung, S. 140; ähnlich Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 8 Rn. 31, die darauf hinweisen, dass ein solcher Fall wohl noch kein Gericht beschäftigt haben dürfte.
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E. Ausgewählte Anwendungsfälle der Sozialadäquanz
Fahrzeugführers eingefordert wird. Diese Umschreibungen lassen darauf schließen, dass der Gebrauch moderner Massenverkehrsmittel sowie die damit typischerweise einhergehenden Einschränkungen dem gesellschaftlichen Bilde entsprechen. Als Beleg dieser Übereinstimmung von faktischem Ablauf und gesellschaftlicher Akzeptanz vermag auch die strafrechtliche Diskussion über die Freiheitsberaubung als solche herangezogen zu werden, ob deren Ergebnis doch Einigkeit herrscht, wenngleich dessen dogmatische Verortung umstritten bleibt.82 Schließlich agieren zahlreiche der vertretenen Ansätze ausgehend von der gesellschaftlichen Vorstellung der Straffreiheit und versuchen so, ergebnisorientiert ein taugliches Lösungsmodell zu entwerfen.83 Dabei wird lediglich versucht, das gewünschte Ergebnis in ein dogmatisches Korsett zu pressen, anstatt es als das gesellschaftliche Phänomen der Akzeptanz zu behandeln, als welches es erscheint und ansatzübergreifend unbestritten bleibt. Soll diese Akzeptanz nunmehr in die strafrechtliche Prüfung überführt werden, so ist sie im Kontext des Metatelos des Strafrechts zu betrachten. Sie ist es, die dafür verantwortlich zeichnet, dass es dem gesellschaftlichen Bilde entspricht, Massenverkehrsmittel samt zugehöriger Vor- und Nachteile zu nutzen, wobei die Funktionsfähigkeit des Verkehrs insofern als gesellschaftliches Ziel einzuordnen sein dürfte, besteht darin doch der spezifische soziale Nutzen. Dem zugrunde liegt freilich der Ablauf, der sich für das konkret betroffene Verkehrsmittel etabliert hat und der daher die gesellschaftliche Vorstellung über das Verkehrsmittel prägt.84 Die gesellschaftliche Akzeptanz umfasst somit nicht den irgendwie gearteten Gebrauch des 82
Vgl. dazu die zahlreichen Nachweise bei Kapitel E. III. 2. Exemplarisch Fahl, JR 2009, 100 (101): „Auf der anderen Seite ist klar, dass das oben zu § 240 StGB gefundene Ergebnis konterkariert würde, wenn der Linienbusfahrer statt nach § 240 StGB eben nach § 239 StGB wegen Freiheitsberaubung strafbar wäre, wenn er den Fahrgast nicht außerhalb einer Haltestelle vor seinem Haus herauslässt. Dass das Ergebnis kaum richtig sein kann, liegt auf der Hand“; ferner Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (650 f.), der festhält, dass der moderne Massenverkehr zu dessen rechtlicher Zulässigkeit keiner Einwilligung des Fahrgasts bedürfe, da er unmöglich von deren Mängeln abhängen könne; Valerius, JA 2014, 561 (564) bedient sich der gesellschaftlichen Beurteilung dagegen zur Beschreibung des von Dritten vertretenen Rückgriffs auf die Sozialadäquanz: „Obwohl die Tatbestandsmerkmale des § 239 I StGB in den vorstehenden Konstellationen verwirklicht sind, liegt es fern, z. B. den Fahrer eines Linienbusses wegen Freiheitsberaubung zu bestrafen, wenn er nicht jeden außerplanmäßigen Haltewunsch seiner Fahrgäste erfüllt, sondern jeweils bis zur nächsten Haltestelle weiterfährt. Erst recht erscheint es absurd, den Lokführer eines Fernzuges oder den Piloten eines Linienflugzeugs zu bestrafen, wenn er trotz eines aussteigewilligen Passagiers nicht sogleich einen außerplanmäßigen Stopp oder eine Zwischenlandung vornimmt.“ 84 So hält etwa Schulz, NZV 2017, 548 (550 f.) fest: „In Bezug auf den automobilen Straßenverkehr ist zu berücksichtigen, dass dieser, obwohl er für weite Teile der Bevölkerung das größte Risiko für Leben und körperliche Unversehrtheit birgt, in der Gesellschaft eine hohe Akzeptanz erfährt. Diese zeigt sich vor allem in der überragenden Bedeutung des Verkehrs und der Mobilität in der modernen Gesellschaft. Zugleich dürfte die hohe Akzeptanz gerade auch darauf zurückzuführen sein, dass das Leben jedes Einzelnen sehr stark durch den Straßenverkehr und seine Risiken geprägt wird, so dass diese Normalität sind und der Straßenverkehr dementsprechend nicht als besonders riskant empfunden wird.“ 83
III. Moderner Massenverkehr
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Gefährts, sondern lediglich jenen, der sich inmitten der betreffenden Gesellschaft etabliert hat und damit das charakteristische Bild des Verkehrsmittels bestimmt. Dazu gehört insbesondere die kollektivistische Funktion des Beförderungsmittels, namentlich, dass es der Beförderung Vieler auf vorgegebenen Routen mit vorgegebenen Haltestellen dient.85 Elementarer Bestandteil dieser Funktion ist es, sich als Individuum dem gesellschaftlich anerkannten Ablauf unterzuordnen und an diesem zu partizipieren. Der Fahrer, der auf individuellen Wunsch ohne weitere Gründe keinen Zwischenstopp einlegt, entspricht dem Idealbild, das die Gesellschaft von dem Verkehrsmittelführer hat. Eine Strafbewehrung dieses gesellschaftlich akzeptierten, vielmehr noch vorausgesetzten Verhaltens würde Konfusion ob der Rechtsordnung hervorrufen, indem diese sich in Konflikt zu dem geformten Bild des kollektivistischen Verkehrsmittelverständnisses setzen würde. Das Rechtssystem würde als widersprüchlich zu dem gesellschaftlichen bewertet, das Vertrauen in ersteres folglich gemindert. Der Sinn und Zweck der positiven Generalprävention wäre in dessen Gegenteil verkehrt. Ferner besteht kein Bedürfnis seitens der Gesellschaft, die Befolgung des etablierten Handlungsbildes bestraft oder unter Strafe gestellt zu sehen. Um Derartigem zu entgehen, hält die Sozialadäquanz den materiellen Unrechtsbereich im Einklang mit der gesellschaftlichen Wirkung und scheidet eine Strafbarkeit des Verkehrsmittelführers im Einzelfalle aus. Der Blick ist insofern nicht darauf zu richten, inwiefern der individuelle Haltewunsch sinnvoll erscheint, sondern darauf, ob er an der gesellschaftlichen Akzeptanz der Handlung zu rütteln vermag, was etwa im Flugverkehr in der Regel nicht der Fall sein dürfte. Damit kommt der sozialen Adäquanz eine tragende Rolle hinsichtlich der Unrechtsbeurteilung derartiger Verhaltensweisen zu. So kann sie auch den Weg ebnen, kommende, modernere Massenverkehrsmittel86 zu etablieren, ohne dazu jeden Nutzer mit einem individuellen Halteknopf auszustatten. Schließlich speist sich das gesellschaftliche Bild des verkehrsmittelspezifischen Ablaufs aus dem der Gesellschaft bekannten Prozess: im Falle der autonom fahrenden Straßenbahn akzeptiert die Allgemeinheit dementsprechend den bekannten Ablauf des Verkehrsmittels Straßenbahn, sodass Programmierer und Betreiber auf die Akzeptanz der bewährten Prozesse vertrauen dürfen und diese sozialadäquat umsetzen können, insofern keine zusätzlichen Gefahren an das gesellschaftliche Bild herangetragen werden. Insofern vermag die gesellschaftliche Akzeptanz eines Verhaltens also abstrahiert und auf ein technisches Verhaltenssurrogat projiziert zu werden. Die soziale Adäquanz kann so als Wegbereiter technischer Neuerungen fungieren. Die diesbezügliche Grenze liegt allerdings dort, wo dem gesellschaftlichen Bild nicht unerhebliche Änderungen angefügt werden, die das Akzeptanzurteil der Gesellschaft aufheben, etwa da sich 85
Dass dies als Grundbedingung für ein funktionierendes Verkehrsmittelsystem angesehen wird, betonen etwa Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (116) und Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (635 f.). 86 Zu denken sei etwa an die autonom fahrende Straßenbahn oder den entsprechenden Nahverkehrsbus; generell zum autonomen Fahren und damit verbundenen Gefahren Schulz, NZV 2017, 548 passim; zu zivilrechtlichen Haftungsfragen Borges, NZV 2018, 977 (980 ff.); zu strafrechtlichen Konsequenzen P. Weber, NZV 2016, 249 (251 ff.).
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E. Ausgewählte Anwendungsfälle der Sozialadäquanz
eine gesellschaftliche Billigung des konkreten, als neuartiger Prozess erscheinenden Ablaufs noch nicht formen konnte. Demzufolge vermag die Figur der Sozialadäquanz, eine Freiheitsbeschränkung im Zuge des modernen Massenverkehrs als straffrei zu zeichnen, ohne diesbezüglich den Grundsatz der Widerruflichkeit eines Einverständnisses in Frage zu stellen. Zudem behandelt sie die kollektivistisch geprägte Auffassung von der Nutzung des jeweiligen Verkehrsmittels als solchen gesamtgesellschaftlichen Aspekt, ohne ihn dazu heranzuziehen, die Entscheidung des Einzelnen normativ zu korrigieren bzw. fingieren. Die Straffreiheit ist demnach dort möglich, wo sie nach alternativen Ansichten an der fehlenden oder unwirksamen Zustimmung des Betroffenen scheitern müsste. Aufgrund dieser kollektivistischen Prägung der Verkehrsmittelnutzung ist in der Regel der Zugführer, der den schlafenden künftigen Bräutigam nach dessen Junggesellenabschied transportiert, nicht strafbewehrt gezwungen, den Zug zu stoppen.
IV. Beleidigungsfreie Sphäre 1. Meinungsbild Ein weiterer dogmatischer Unruheherd des Strafrechts findet sich im Rahmen der Beleidigungsdelikte. Zwar besteht dort im Ergebnis Einigkeit über die Straffreiheit von Äußerungen über Außenstehende, die im engsten Kreise der Familie in der Erwartung, sie mögen diesen nicht verlassen, getätigt werden.87 Dahinter steht bisweilen der Gedanke, dass der Mensch einer Rückzugsmöglichkeit bedarf, in der er offen und frei kommunizieren kann, ohne dafür Sanktionen fürchten zu müssen.88 Dieses Refugium ist im Resultat derart weitgehend anerkannt, dass es als Vorlage zur weiteren Ausdehnung eines sanktionsfreien Kommunikationsbereichs auf Lebenspartner oder Freunde herangezogen wird.89 Allerdings ist umstritten, auf welchem dogmatischen Wege dieses Resultat überhaupt zu erzielen ist.90 87 So resümierend LK/Hilgendorf, § 185 Rn. 11 und BeckOK-StGB/Valerius, § 185 Rn. 34, jeweils m.z.N.; NK-StGB/Zaczyk, Vor §§ 185 ff. Rn. 37 spricht insofern von einer einmütigen Annahme; vgl. BVerfGE 90, 255 (260); BVerfG NJW 2007, 1194 (1195); 2010, 2937 (2939); OLG Koblenz, NJW-RR 2008, 1316 (1316 f.); OLG München NJW 1993, 2998 (2999); Schönke/Schröder/Eisele, Vor §§ 185 ff. Rn. 9; SK-StGB/Rogall, Vor § 185 Rn. 47 ff.; Jäger, BT, Rn. 147; Kindhäuser, BT I, § 22 Rn. 15 ff.; Wessels/Hettinger/Engländer, BT 1, Rn. 537 ff.; Hillenkamp, Festschrift Hirsch, S. 555 (571 ff.); Engisch, GA 1957, 326 (331); Geppert, Jura 1983, 530 (534); Hellmer, GA 1963, 129 (135 ff.); Kretschmer, JR 2008, 51 (53 f.); Küpper, JA 1985, 453 (456). 88 SK-StGB8/Rudolphi/Rogall, Vor § 185 Rn. 47 bzw. SK-StGB/Rogall, Vor § 185 Rn. 47 sprechen insofern von einem letzten Refugium. 89 So etwa BVerfG NJW 2007, 1194 (1195); 2010, 2937 (2939); LK/Hilgendorf, § 185 Rn. 13; Kretschmer, JR 2008, 51 (54); Gillen, Ehrenschutz, S. 142 ff.; auch darüber hinaus wird eine Ausdehnung auf schweigepflichtige Berufsangehörige wie Rechtsanwälte erwogen, so
IV. Beleidigungsfreie Sphäre
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Erste Versuche zur Umschreibung der beleidigungsfreien Sphäre lassen sich bereits in das 19. Jahrhundert zurückverfolgen, als festgehalten wurde, dass der Gesetzgeber diese intime Sphäre und damit die Wahrung des Familienfriedens nicht habe antasten wollen.91 Eine vertiefte Begründung dieser These wurde später mittels der sozialen Adäquanz des Verhaltens bemüht, sollten sich derartige Beleidigungen doch innerhalb der geschichtlich bedingten Ordnung des Gemeinschaftslebens bewegen.92 Demnach sei es Part unserer sozialethischen Ordnung, sich im Kreise der Familie ungezwungen äußern zu können, sodass man sich seiner Sorgen entledigen könne.93 Nach herrschender Auffassung mangele es bezüglich ehrverletzender Äußerungen im engsten Kreise bereits am objektiven Tatbestand der Beleidigung. Begründet wird dies von einigen Stimmen unter dem Aspekt der fehlenden Kundgabe.94 Demnach verlasse eine ehrverletzende Äußerung in familiären Rahmen diesen als Internum nicht, sodass die notwendige Beziehung zum sozialen Bereich fehle, die Beleidigung mithin nicht kundgegeben werde.95 Wertungsmäßig komme eine derartige Aussage einem Selbstgespräch gleich.96 Allerdings hat sich die Kundgabe nicht zwangsläufig gegen den Beleidigten selbst zu richten, sodass jede wahrgenommene sowie verstandene Äußerung gegenüber einem anderen genügt.97 Ferner ist der Kundgabebegriff ein deskriptiver und damit einer normativen Korrektur verschlossen.98 Nachdem die entsprechenden Familienmitglieder die Äußerung als solche wahrnehmen, kann das Vorliegen einer Kundgabe somit schwerlich geleugnet OLG Dresden, BeckRS 2011, 28415; insofern offen gelassen von BVerfG NJW 2010, 2937 (2939). Eine vermeintliche Übertragbarkeit auf private Chatrooms deutet gar Kett-Straub, ZStW 120 (2008), 759 (763 f.) vorsichtig an. 90 Treffend MK-StGB/Regge/Pegel, Vor § 185 Rn. 62: „So sehr man sich im Ziel und im Grund der Straflosigkeit einig ist, so uneinig ist man sich darin, wie dieses Ziel dogmatisch erreicht werden soll“. 91 So Berner, Lehrbuch, S. 487 und Köstlin, Abhandlungen, S. 37; der Sache nach liefe dies auf einen von Wolff-Reske umschriebenen beleidigungsfreien Raum hinaus, dies., Jura 1996, 184 (184). 92 LK11/Jescheck, Vor § 13 Rn. 49; Schaffstein, ZStW 72 (1960), 369 (375 f.); Hoppe, Soziale Adäquanz, S. 99 f.; Welzel, Grundzüge1, S. 36; dahingehend bereits Kohler, GA 1900, 1 (20), der auf das Sittengebot verweist. 93 Kohler, GA 1900, 1 (20 f.); Hoppe, Soziale Adäquanz, S. 100. 94 OLG Oldenburg, GA 1954, 284; NK-StGB/Zaczyk, Vor § 185 Rn. 38; U. Hansen, JuS 1974, 104 (106); Tenckhoff, JuS 1998, 787 (788); ebenso Jäger, BT, Rn. 147, der darin zugleich die herrschende Ansicht sieht. 95 NK-StGB/Zaczyk, Vor § 185 Rn. 38: „keine Kundgabe der Missachtung in einem v. Rechtsgut her bestimmten normativen Sinn“; Jäger, BT, Rn. 147; Gallas, ZStW 60 (1941), 353, 374 (396 Fn. 31); U. Hansen, JuS 1974, 104 (106). 96 Mezger/Blei, BT II, S. 110; U. Hansen, JuS 1974, 104 (106); eingehend dazu Engisch, GA 1957, 326 (329 ff.). 97 Allgemeine Ansicht, statt vieler BGHSt 9, 17 (19); BeckOK-StGB/Valerius, § 185 Rn. 18; LK/Hilgendorf, § 185 Rn. 26. 98 LK/Hilgendorf, § 185 Rn. 12; Wolff-Reske, Jura 1996, 184 (184).
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E. Ausgewählte Anwendungsfälle der Sozialadäquanz
werden.99 Vor dem Hintergrund, dass der Äußernde die Beleidigung auch bewusst innerhalb des Familienkreises äußert, vermag darüber hinaus eine Negation des subjektiven Tatbestandes im Hinblick auf den Kundgabevorsatz nicht zu überzeugen.100 Daher wird seitens einer starken Auffassung versucht, den Kundgabebegriff101 oder den Tatbestand insgesamt102 teleologisch zu reduzieren. Schließlich richte sich eine Beleidigung im Familienkreise nicht gegen den Achtungsanspruch des Betroffenen in der Gesellschaft, sodass die notwendige Beziehung zum sozialen Bereich fehle.103 Dabei wird jedoch übersehen, dass eine teleologische Reduktion einzig im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut erfolgen kann,104 welches im Rahmen der Beleidigungsdelikte die Ehre des Betroffenen darstellt.105 Diese Ehre vermag hingegen durch Äußerungen im Familienkreis gleichwohl empfindlich tangiert zu werden, eignen sich diese doch etwa im Falle eines Nachbarschaftsverhältnisses dazu, die Wertgeltung im unmittelbaren Umfeld des Betroffenen dort zu mindern, „wo er es am stärksten verspürt“.106 Eine Strafbarkeitsreduktion im Hinblick auf das Telos der Norm bleibt demnach versperrt. Andernorts wird die Frage der Strafbarkeit der Rechtswidrigkeitsebene überantwortet und eine Rechtfertigung nach § 193 StGB angeführt.107 Demzufolge hätte sich die grundsätzlich als Unrecht zu klassifizierende Beleidigung einer Interessenabwägung zu stellen, im Rahmen derer das Interesse des Beleidigenden an der Aussage dem Achtungsanspruch des Betroffenen gegenüberzustellen wäre.108 Damit 99 LK/Hilgendorf, § 185 Rn. 12; Schönke/Schröder/Eisele, Vor §§ 185 ff. Rn. 9a; SKStGB/Rogall, Vor § 185 Rn. 47; Wessels/Hettinger/Engländer, BT 1, Rn. 539; Wolff-Reske, Jura 1996, 184 (184); Gillen, Ehrenschutz, S. 61 ff. 100 So jedoch Leppin, JW 1937, 2886 (2887); Vahle, DVP 2009, 137 (138); wie hier LK/ Hilgendorf, § 185 Rn. 12; Wessels/Hettinger/Engländer, BT 1, Rn. 539. 101 Eisele, BT I, Rn. 598; Rengier, BT II, § 28 Rn. 23 f.; Engisch, GA 1957, 326 (331 f.). 102 Fischer, § 185 Rn. 12b; Lackner/Kühl/Kühl, § 185 Rn. 9; Hillenkamp, Festschrift Hirsch, S. 555 (571 f.); Hellmer, GA 1963, 129 (139); Hillenkamp, JuS 1997, 821 (825 f.); Küpper, JA 1985, 453 (456); Wolff-Reske, Jura 1996, 184 (186 f.). 103 Engisch, GA 1957, 326 (331); Hellmer, GA 1963, 129 (135 ff.); Wolff-Reske, Jura 1996, 184 (186 f.). 104 Vgl. BVerfGE 2, 266 (282); 8, 28 (33 f.); 18, 97 (111); Heinrich, AT, Rn. 147; Larenz/ Canaris, Methodenlehre, S. 211 ff.; Möllers, Methodenlehre, § 6 Rn. 115, 118; Röhl/Röhl, Rechtslehre, S. 621; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 902 f.; Brandenburg, Teleologische Reduktion, S. 35 ff. 105 Statt vieler Lackner/Kühl/Kühl, Vor § 185 Rn. 1; MK-StGB/Regge/Pegel, Vor § 185 Rn. 7. 106 LK/Hilgendorf, § 185 Rn. 12; ebenso Schönke/Schröder/Eisele, Vor §§ 185 ff. Rn. 9a und SK-StGB/Rogall, Vor § 185 Rn. 47. 107 LK/Hilgendorf, § 185 Rn. 14; Schmidhäuser, BT, S. 63 f.; vgl. Fischer, § 185 Rn. 12b, der dies als wohl herrschende Meinung betrachtet. Eine Rechtfertigung aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG fordert dagegen SK-StGB/Rogall, Vor § 185 Rn. 47. 108 Zur Notwendigkeit der Güter-und Interessenabwägung BayObLG NJW 1995, 2501 (2503); BeckOK-StGB/Valerius, § 193 Rn. 1; Lackner/Kühl/Kühl, § 193 Rn. 1; LK/Hilgendorf, § 185 Rn. 2.
IV. Beleidigungsfreie Sphäre
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wäre die Strafbarkeit jedoch einer Abwägung preisgegeben, sodass die Intensität und das Ausmaß der Beleidigung nicht wie gefordert frei von Sanktionsgefahr wären, sondern das Strafbarkeitsverdikt in entscheidendem Maße beeinflussten. Zudem scheinen die weiteren Voraussetzungen des § 193 StGB wie etwa eine Informationspflicht109 des Äußernden kaum in ein stimmiges Verhältnis zu dem Bedürfnis, sich freiweg zu äußern, gebracht werden zu können.110 Der Versuch, die Konstellation über einen Strafausschließungsgrund zu lösen, fand kaum Anklang und wurde zuweilen wieder aufgegeben.111 Verantwortlich dafür zeichnete primär der Umstand, dass derart die rechtliche Missbilligung entsprechender Äußerungen unangetastet bliebe und somit auch zivilrechtliche Konsequenzen drohten.112 Die anvisierte Anerkennung einer strafrechtsfreien Sphäre wäre so nicht möglich. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich die Figur der Sozialadäquanz unter den jüngeren Vorschlägen kaum mehr wiederfindet. Vielmehr drängen sich andere Ansätze in den Vordergrund und verzeichnen großen Zuspruch, wenngleich sie inhaltlich lediglich schwerlich zu überzeugen vermögen. Insbesondere die herrschende Ansicht korrigiert den Tatbestand oder dessen Merkmale in einer dem Telos bzw. der entsprechenden Definition widerstreitenden Manier. Darin dürfte auch der Grund zu sehen sein, weshalb der Streit zwar im Ergebnis, nicht jedoch hinsichtlich der dogmatischen Handhabung als geklärt gilt. 2. Soziale Adäquanz der Beleidigungen innerhalb der sog. beleidigungsfreien Sphäre Vor dem Hintergrund des Disputs um die dogmatische Handhabung der sog. beleidigungsfreien Sphäre stellt sich die Frage, ob die Rechtsfigur der Sozialadäquanz entgegen den jüngeren Tendenzen doch geeignet erscheint, einen dogmatischen Weg zur Lösung aufzuzeigen. Diesbezüglich gilt es jedoch zunächst zu beachten, dass die Figur der Sozialadäquanz letztlich einer Strafbarkeitsrestriktion im konkreten Falle dient. Demnach kann schwerlich ein abstrakt beleidigungsfreier Bereich konstruiert werden, vielmehr vermögen lediglich konkrete Situationen abstrahiert zu werden, um einen solchen nachfolgend zu schematisieren. 109 BVerfG NJW 2006, 207 (210); BGHSt 14, 48 (51); BGH NJW 1993, 525 (527); BeckOK-StGB/Valerius, § 193 Rn. 17; Fischer, § 193 Rn. 9. 110 Wolff-Reske, Jura 1996, 184 (186) hält zudem fest, dass der Inhalt der Äußerung im Vordergrund stehen müsse, was bei dem Bedürfnis nach psychischer Entlastung nicht der Fall sei. 111 So zunächst Schönke/Schröder27/Lenckner, Vor §§ 185 ff. Rn. 9a; Grosse, Beleidigungsfreie Sphäre, S. 70; aufgegeben bei Schönke/Schröder28/Lenckner/Eisele, Vor § 185 Rn. 9a. 112 Schönke/Schröder28/Lenckner/Eisele, Vor § 185 Rn. 9a; ebenso SK-StGB/Rogall, Vor § 185 Rn. 47.
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E. Ausgewählte Anwendungsfälle der Sozialadäquanz
Den Ausgangspunkt der Frage, ob eine Beleidigung im engsten familiären Kreise als sozialadäquat zu beurteilen ist, stellt einmal mehr deren gesellschaftliche Akzeptanz dar. Diese ergibt sich nicht aus der beleidigenden Äußerung per se, sondern kann sich allenfalls aus den Umständen ergeben. Insofern ist an den sämtliche Ausführungen einigenden Grund der gewünschten Strafbarkeitsrestriktion zu erinnern: es entspricht dem sozialen, die Gesellschaft prägenden Bedürfnis, dem Individuum einen Rückzugsraum zu schaffen, in welchem es frei und offen reden kann und sich seiner Sorgen und Emotionen entledigen kann.113 Wird in dieser Erkenntnis der Ursprung des Restriktionsbedürfnisses gesehen, so sollte sie auch als solcher behandelt werden. Dazu bedarf es keiner Transformation des gesellschaftlichen Bedürfnisses auf eine juristisch-teleologische Ebene, der es aufgrund der gegenläufigen Rechtsgutsintention lediglich zuwiderlaufen kann. Vielmehr bleibt der Blick auf die Auswirkungen einer entsprechenden Pönalisierung in der Gesellschaft zu richten. Die Beleidigung innerhalb der Familiensphäre entspricht dem gesellschaftlichen Bedürfnis, sich in seinem engsten Bereich frei äußern zu können. Die Allgemeinheit erkennt dies zum einen an und macht zum anderen von dieser Möglichkeit selbst Gebrauch. Ein rechtlicher Eingriff in diese intime Sphäre der Freiheit würde aufgrund deren gesellschaftlicher Akzeptanz somit für Unverständnis in der Bevölkerung sorgen und das Strafrecht dort walten lassen, wo es kein dementsprechendes gesellschaftliches Bedürfnis gäbe. Demnach würde eine Strafbewehrung des gesellschaftlich gebilligten Handelns vielmehr das Vertrauen auf die Rechtsordnung, die sich damit in strikten Gegensatz zum allgemeinen Bilde setzte, in Frage stellen. Wird eine beleidigende Äußerung im engsten familiären Kreise getätigt, so vermag sie demzufolge als sozialadäquat begriffen zu werden. Der Rahmen der Sozialadäquanz reicht dabei ebenso weit wie der des gesellschaftlich akzeptierten Rückzugraums für den Einzelnen. Damit einher gehen Grenzen in sowohl personeller, als auch sachlicher Hinsicht. So ersucht der prägende, gesellschaftliche Wunsch keinen umfassenden Freiraum, sondern lediglich ein letztes Refugium.114 Dieses vermögen enge Familienbande ebenso wie das enge freundschaftliche Band zu zeichnen, insofern die Beziehung von tiefem Vertrauen geprägt und intakt ist – entscheidend ist, dass es sich um den gesellschaftlich als 113
Dieser Grund der Strafbarkeitsrestriktion findet sich über sämtliche Ansätze hinweg, siehe nur BVerfGE 90, 255 (260); BeckOK-StGB/Valerius, § 185 Rn. 34; LK/Hilgendorf, § 185 Rn. 13; NK-StGB/Zaczyk, Vor §§ 185 ff. Rn. 37; SK-StGB/Rogall, Vor § 185 Rn. 47; Jäger, BT, Rn. 147; Wessels/Hettinger/Engländer, BT 1, Rn. 541; Hillenkamp, Festschrift Hirsch, S. 555 (571 ff.); Engisch, GA 1957, 326 (331); Geppert, Jura 1983, 530 (534); Kretschmer, JR 2008, 51 (53 f.); Vahle, DVP 2009, 137 (138); Wolff-Reske, Jura 1996, 184 (186 f.). Berner, Lehrbuch, S. 487 und Köstlin, Abhandlungen, S. 37 betonten dagegen früh das gesellschaftliche Interesse an der Wahrung des Familienfriedens. 114 Symptomatisch Kretschmer, JR 2008, 51 (54): „In einem rechtsstaatlichen System muss das Individuum einen Raum der Privatheit haben, in dem er sich unbefangen und frei äußern kann und darf, ohne ein strafrechtliches Risiko zu tragen. Dabei geht es in dieser Privatheit nicht allein um Gespräche mit sich selbst, sondern es geht auch um den Schutz intimer und privater Kommunikation mit anderen Personen über andere Personen. Der Einzelne muss die Möglichkeit haben, auch einmal verbal ,in die Luft zu gehen‘“.
IV. Beleidigungsfreie Sphäre
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letzten Rückzugsbereich verstandenen Personenkreis handelt. Dementsprechend überschreitet der Versuch, Berufsgeheimnisträger o.Ä. in das Refugium einzubeziehen, den gesellschaftlichen Wunsch nach einer auf persönlicher Verbundenheit und Beziehung beruhenden Möglichkeit, frei und offen über seine Gefühle zu reden.115 Die soziale Adäquanz einer Beleidigung ist demnach auf den Kreis enger Vertrauter begrenzt. Ausgehend von dem gesellschaftlichen Bedürfnis der engen, freien Sphäre ist auch in sachlicher Hinsicht irrelevant, ob es sich bei den getätigten Äußerungen um Aussagen innerhalb eines Gesprächs oder in konservierter Form (zu denken sei etwa an eine Nachricht über das Smartphone) handelt.116 Eine weitere sachliche Grenze stellt zudem § 187 StGB dar, fordert die Gesellschaft doch einen Freiraum zur mitunter diffamierenden Meinungsäußerung, nicht jedoch einen solchen für die Verbreitung bewusst unwahrer Tatsachen.117 Damit vermag der Ursprung des Restriktionsbedürfnisses in Zusammenschau mit der sozialen Adäquanz Konturen zu ziehen, jenseits derer die Sozialadäquanz einer Beleidigung ausgeschlossen ist. Dennoch drängt die verfehlte gesellschaftliche Wirkung einer Inkriminierung der Beleidigungen im engsten Kreise des Vertrauens den formellen Straftatbestand im Einzelfall zurück, sodass es sich dabei um einen Anwendungsbereich der Sozialadäquanz handelt. Der Schlüssel zu dieser Betrachtungsweise liegt darin, den Grund des Restriktionsbedürfnisses nach dessen gesellschaftlichem Charakter zu behandeln und davon ausgehend die mangelnde präventive Wirkung auf die Gesellschaft festzuhalten.
115 So im Ergebnis zutreffend für die Annahme einer Sphäre bei engen Vertrauensverhältnissen BVerfG NJW 2007, 1194 (1195) sowie eine solche ablehnend bezüglich des Verhältnisses zwischen Mandanten und Anwalt BVerfG NJW 2010, 2937 (2939); zutreffend auch LK/Hilgendorf, § 185 Rn. 13 bezüglich enger Freundschaft oder Lebenspartnerschaft, wohingegen die Einbeziehung von Äußerungen einer Ärztin in deren Verschwiegenheitsbereich zu weit gerät; auch Kretschmer, JR 2008, 51 (54) dehnt die beleidigungsfreie Sphäre insofern berechtigterweise auf Lebenspartner aus; ebenso Gillen, Ehrenschutz, S. 142 ff.; die etwa seitens des OLG Dresden, BeckRS 2011, 28415 erwogene Ausdehnung auf schweigepflichtige Berufsangehörige wie Rechtsanwälte gerät demgegenüber zu weit; selbiges gilt für die vermeintliche Übertragbarkeit auf private Chatrooms, vgl. Kett-Straub, ZStW 120 (2008), 759 (763 f.); a.A.: Schönke/Schröder/Eisele, Vor §§ 185 ff. Rn. 9a. 116 In diesem Sinne BVerfGE 90, 255 (260) bezüglich Gefangenenpost und allgemein NKStGB/Zaczyk, Vor §§ 185 ff. Rn. 41; a.A. Hellmer, GA 1963, 129 (139), der die Spontaneität zum entscheidenden Kriterium erhebt, womit er sich von dem zugrundeliegenden gesellschaftlichen Wunsch entfernt, zielt dieser doch auf freie Kommunikation, nicht auf den Schutz rein spontaner Äußerungen. 117 Im Ergebnis ebenso BeckOK-StGB/Valerius, § 185 Rn. 34; NK-StGB/Zaczyk, Vor §§ 185 ff. Rn. 42.
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E. Ausgewählte Anwendungsfälle der Sozialadäquanz
V. Alltägliche Handlungen und Strafvereitelung 1. Meinungsbild Die Sozialadäquanz wird seitens der herrschenden Auffassung auch bemüht, um den als zu weit empfundenen Anwendungsbereich der Strafvereitelung i.S.d. § 258 StGB einzuschränken.118 Mittels der Rechtsfigur sollen Handlungen aus dem Unrechtsbereich ausgeschieden werden, die zwar den tatbestandlichen Erfolg herbeiführen, äußerlich jedoch neutral, alltäglich oder normal erscheinen.119 So sollen etwa das Beherbergen120 oder die Versorgung121 eines Straftäters, die Auszahlung seines Bankguthabens durch einen Bankangestellten122 oder der Verkauf von Benzin an den Täter123 aufgrund derer sozialer Üblichkeit dem tatbestandlichen Bereich entfallen. Zumeist handelt es sich um Leistungen, die berufsmäßig erbracht werden und isoliert betrachtet harmlos erscheinen.124 Der Tatbestandsausschluss soll allerdings lediglich greifen, wenn die Handlungen nicht überwiegend von einer entsprechenden Vereitelungstendenz getragen werden.125 So übereinstimmend sich auch auf die Sozialadäquanz als Grund der Restriktion besonnen wird, so uneinig erweist sich das Stimmungsbild ob deren genauer Verortung. Wo eine solche überhaupt versucht wird, sei die soziale Adäquanz ein 118 Als unangemessen weit bezeichnen den Tatbestand etwa BeckOK-StGB/Ruhmannseder, § 258 Rn. 12 und Lackner/Kühl/Kühl, § 258 Rn. 3. 119 BeckOK-StGB/Ruhmannseder, § 258 Rn. 12; Fischer, § 258 Rn. 15; Lackner/Kühl/ Kühl, § 258 Rn. 3; MK-StGB/Cramer/Pascal, § 258 Rn. 28; Schönke/Schröder/Hecker, § 258 Rn. 22; Eisele, BT II, Rn. 1118; Otto, Grundkurs Strafrecht II, § 96 Rn. 8; Schubarth, Festgabe Schultz, S. 158 (161 ff.); Satzger, Jura 2007, 754 (758 f.); Beulke/Ruhmannseder, Strafbarkeit des Verteidigers, Rn. 79 f.; Zeifang, Strafbarkeit des Strafverteidigers, S. 36; Philipowski, Bankgeschäfte, S. 15 ff.; vgl. auch Küpper, GA 1987, 385 (388); differenzierend dagegen Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 2, § 100 Rn. 19. 120 Fischer, § 258 Rn. 15a; MK-StGB/Cramer/Pascal, § 258 Rn. 28 f.; Schönke/Schröder/ Hecker, § 258 Rn. 22; Schubarth, Festgabe Schultz, S. 158 (161 ff.); dazu und die Beherbergung von der Gewährung eines Verstecks abgrenzend OLG Stuttgart NJW 1981, 1569 (1569 f.) und OLG Koblenz NJW 1982, 2785 (2786). 121 Sowohl mit Nahrungsmitteln als auch medizinisch, BeckOK-StGB/Ruhmannseder, § 258 Rn. 12; Lackner/Kühl/Kühl, § 258 Rn. 3; Schönke/Schröder/Hecker, § 258 Rn. 22; Frisch, JuS 1983, 915 (923); wohl auch Satzger, Jura 2007, 754 (758). 122 BeckOK-StGB/Ruhmannseder, § 258 Rn. 12; Schönke/Schröder/Hecker, § 258 Rn. 22; Frisch, JuS 1983, 915 (923); Satzger, Jura 2007, 754 (758 f.); vgl. NK-StGB/Altenhain, § 258 Rn. 26. 123 Frisch, NJW 1983, 2471 (2473); ders., JuS 1983, 915 (923); Satzger, Jura 2007, 754 (758 f.); vgl. BeckOK-StGB/Ruhmannseder, § 258 Rn. 12. 124 Verschiedene Beispiele berufstypischen Verhaltens katalogisiert Ernst, ZStW 125 (2013), 299 (301). 125 Lackner/Kühl/Kühl, § 258 Rn. 3; LK/Walter, § 258 Rn. 61, 64; MK-StGB/Cramer, § 258 Rn. 28 f.; Schönke/Schröder/Hecker, § 258 Rn. 22; Eisele, BT II, Rn. 1118; Schubarth, Festgabe Schultz, S. 158 (162); Küpper, GA 1987, 385 (399 ff.); Rudolphi, JuS 1979, 859 (861 f.); Satzger, Jura 2007, 754 (758 f.); Beulke/Ruhmannseder, Strafbarkeit des Verteidigers, Rn. 79 f.; Randerath, Strafvereitelung, S. 59 ff.; a.A.: Frisch, JuS 1983, 915 (923).
V. Alltägliche Handlungen und Strafvereitelung
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Gradmesser der objektiven Zurechnung126 oder eine Ausprägung des Schutzzwecks der Norm127. Allerdings führen diese Ansätze keine Argumente an, um die willkürlich anmutende dogmatische Einkleidung zu belegen und vermögen bereits daher nicht zu überzeugen. Nimmt man mit der herrschenden Auffassung die objektive Zurechenbarkeit eines Erfolges an, wenn der Täter mit seinem Handeln eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen hat, die sich im konkreten Eintritt des entsprechenden Erfolges realisiert,128 so dürfte die soziale Adäquanz jedoch zur Annahme der mangelnden rechtlichen Relevanz einer Gefahr herangezogen werden.129 Damit würde ihr allerdings im Hinblick auf den Rechtsgutsbezug der Gefahrschaffung zu viel zugemutet, agiert die Sozialadäquanz doch nicht lediglich im Hinblick auf das Telos der konkreten Norm.130 Daher geht auch eine Verortung unter dem Aspekt des Schutzzwecks der Norm fehl. Schließlich schützt die Strafvereitelung die innerstaatliche Strafrechtspflege und möchte so verhindern, dass dem Vortäter von außen Hilfe geleistet wird, sodass er letztlich isoliert wird.131 Erfüllt eine an sich neutrale Handlung den Tatbestand, so wird die innerstaatliche Strafrechtspflege gleichwohl tangiert, das Rechtsgut also verletzt. Eine Einschränkung, die einzig das Rechtsgut im Blick hat, vermag demnach hier nicht zur Entfaltung zu gelangen.132 Ferner halten die Ansätze keine Antwort auf die Frage parat, weshalb eine subjektive Vereitelungstendenz die objektiv begriffene soziale Adäquanz einer Handlung entfallen lassen sollte. Insofern scheint die subjektive Komponente doch eine relevante Rechtsgutsverletzung begründen zu können, welche in rein objektiver Hinsicht nicht zu ahnden wäre. Auch vor diesem Hintergrund scheinen die Verortungsversuche fraglich. Ebenso überzeugt es schwerlich, eine Tatbestandsrestriktion über die Figur der sozialen Adäquanz demgegenüber abzulehnen, jedoch das Handeln als straflose Teilnahme an einer tatbestandslosen Selbstbegünstigung zu begreifen133 und so die Strafvereitelung ihres Charakters zu entkleiden.
126 BeckOK-StGB/Ruhmannseder, § 258 Rn. 12; MK-StGB/Cramer/Pascal, § 258 Rn. 28; Eisele, BT II, Rn. 1118. 127 Schönke/Schröder/Hecker, § 258 Rn. 22; Satzger, Jura 2007, 754 (758 f.); für normales Verhalten ohne Vereitelungstendenz MK-StGB/Cramer/Pascal, § 258 Rn. 28. 128 So Heinrich, AT, Rn. 243; Kühl, AT, § 4 Rn. 43; Rengier, AT, § 13 Rn. 46 jeweils m.w.N. 129 So auch Eisele, BT II, Rn. 1118 und die allgemeinen Vorschläge von Rengier, AT, § 13 Rn. 51 und Rönnau, JuS 2011, 311 (312). 130 Dazu bereits Kapitel C. III. 3. c). 131 So die ganz herrschende Ansicht, siehe BGHSt 43, 82 (84); 45, 97 (101); BeckOK-StGB/ Ruhmannseder, § 258 Rn. 2; MK-StGB/Cramer, § 258 Rn. 3; Schönke/Schröder/Hecker, § 258 Rn. 1; U. Günther, Strafvereitelung, S. 25. 132 Dahingehend insofern auch Frisch, JuS 1983, 915 (918 f. Fn. 24); Küpper, GA 1987, 385 (389 f.). 133 So hingegen NK-StGB/Altenhain, § 258 Rn. 29 f.
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E. Ausgewählte Anwendungsfälle der Sozialadäquanz
2. Soziale Adäquanz alltäglicher Handlungen Den Schlüssel zur Handhabung der alltäglichen Handlungen im Rahmen der Strafvereitelung reicht die als metateleologische Reduktion interpretierte Figur der Sozialadäquanz. Wie sich aus vorangehenden Ausführungen ergibt, sieht sich die strafrechtliche Dogmatik vorliegend dem Spagat gegenüber, einerseits einen Freiraum normaler Handlungen zu schaffen, diese jedoch andererseits im Falle einer zugrundeliegenden Vereitelungstendenz im Rahmen des Strafbaren zu belassen. Eine Implementierung der subjektiven Problematik in die objektive Zurechnung überzeugt insofern ebenso wenig wie der Versuch der Berücksichtigung im Lichte des Schutzzwecks der Norm. Entscheidend bleibt, die Sozialadäquanz einzig auf die gesellschaftliche Akzeptanz des Verhaltens zurückzuführen. Die zahlreichen Stimmen, die zwar ohne dogmatischen Ausweg grundsätzlich eine Strafbarkeit negieren, diese jedoch im Falle ausreichender subjektiver Elemente wieder aufleben lassen,134 belegen, dass die gesellschaftliche Billigung einer an sich neutralen Handlung an deren subjektive Motivation geknüpft ist. Wird dieser Wunsch ohne dogmatische Einkleidung propagiert, so handelt es sich dabei schlicht um ein gesellschaftlichen Erwägungen entspringendes Bedürfnis. Bewegt sich der Handelnde objektiv im Rahmen des allgemein Akzeptierten, so endet diese Akzeptanz dennoch dort, wo er subjektiv nicht die dem Verhalten üblicherweise zugeschriebenen Ziele verfolgt, sondern vielmehr die grundsätzliche Billigung der Gesellschaft zur Verfolgung missbilligter Ziele pervertiert.135 Bei der Strafvereitelung handelt es sich um einen Straftatbestand, dessen Anwendungsbereich weit gezogen ist und in alltägliche Gefilde hineinreicht. Um dessen präventive Wirkung und den Charakter des Strafrechts als ultima ratio zu wahren, restringiert die Sozialadäquanz den Tatbestand dort, wo dieser aufgrund der allgemeinen Akzeptanz des Handelns dessen gesellschaftliche Wirkung verfehlen würde. Formell betrachtet sind auch normale Handlungen von der tatbestandlichen Reichweite umfasst. Erst die Sozialadäquanz nimmt das konkrete Verhalten aus dem Tatbestand heraus, wozu das Nicht-Vorliegen des Pervertierungswillens in der Regel zur Voraussetzung zu erheben ist, endet die gesellschaftliche Akzeptanz doch an diesem. Derart wird nicht zuletzt dem vielfach geäußerten Wunsch entsprochen, die subjektive Motivation des Täters über die Strafbarkeit entscheiden zu lassen. Freilich täuscht dies nicht darüber hinweg, dass die Restriktion sich sodann weiterhin auf das gesamtgesellschaftliche Akzeptanzurteil der Handlung stützt, die jedoch ihrerseits von der subjektiven Motivation beeinflusst wird.
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Lackner/Kühl/Kühl, § 258 Rn. 3; LK/Walter, § 258 Rn. 61, 64; MK-StGB/Cramer, § 258 Rn. 28 f.; Schönke/Schröder/Hecker, § 258 Rn. 22; Eisele, BT II, Rn. 1118; Schubarth, Festgabe Schultz, S. 158 (162); Küpper, GA 1987, 385 (399 ff.); Rudolphi, JuS 1979, 859 (861 f.); Satzger, Jura 2007, 754 (758 f.); Beulke/Ruhmannseder, Strafbarkeit des Verteidigers, Rn. 79 f.; Randerath, Strafvereitelung, S. 59 ff. 135 Dazu bereits Kapitel D. III. 2. d).
VI. Bestechung
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VI. Bestechung 1. Meinungsbild Besonders häufig werden die Bestechungsdelikte zum Anwendungsbereich der Sozialadäquanz gezählt. Im Ergebnis herrscht diesbezüglich weitgehend Einigkeit, dass per se tatbestandsmäßige Zuwendungen sozialadäquat und somit straflos seien, soweit sie sich im Rahmen des sozial Üblichen sowie seitens der Allgemeinheit Gebilligten halten.136 Dementsprechend sei nicht nur das Neujahrsgeschenk an den (im Beispiel noch verbeamteten) Postboten,137 sondern auch die Übergabe kleinerer, anlassbezogener Aufmerksamkeiten und Geschenke straffrei.138 Entsprechendes soll für übliche Trinkgelder139 oder auch Weihnachtspräsente gegenüber Lehrern140 gelten. Der Gesetzgeber nahm das Einvernehmen ob des Resultats der Straffreiheit zum Anlass, anstelle einer Bagatellgrenze die Erkenntnisse um die Sozialadäquanz auf die neuen §§ 299a, 299b StGB zu übertragen und so den vermeintlichen Anwendungsbereich der Rechtsfigur noch zu erweitern. Umstritten ist jedoch, ob die Figur eine fixe Adäquanzgrenze zu etablieren vermag. Während einige Stimmen eine solche bei 30 EUR141 ansiedeln wollen, wird andernorts eine Grenze bei 50 EUR angenommen.142 Demgegenüber wird zuneh136 BeckOK-StGB/Momsen/Laudien, § 299 Rn. 33; Fischer, § 331 Rn. 25; LK/Sowada, § 331 Rn. 72; MK-StGB/Krick, § 299 Rn. 29; MK-StGB/Korte, § 331 Rn. 110; NK-StGB/ Dannecker, § 299 Rn. 58; NK-StGB/Kuhlen, § 331 Rn. 63; Schönke/Schröder/Heine/Eisele, § 331 Rn. 40; SK-StGB/Stein/Deiters, § 331 Rn. 45; Eisele, BT I, Rn. 1628; Kindhäuser, BT I, § 76 Rn. 33; Rengier, BT II, § 60 Rn. 13; Wessels/Hettinger/Engländer, BT 1, Rn. 538; Welzel, Grundzüge11, S. 56; Eser, Festschrift Roxin, S. 199 (205); C. Knauer/Kaspar, GA 2005, 385 (397 ff.); Adamski, Konzeption der Bestechungsdelikte, S. 123 ff.; Friedhoff, Straflose Vorteilsannahme, Rn. 150 ff.; Kalin, Verhaltensnorm, S. 73 f.; so auch BGH NStZ 2005, 334 (335). 137 Fischer, § 331 Rn. 25; MK-StGB/Korte, § 331 Rn. 112; NK-StGB/Dannecker, § 331 Rn. 63; SK-StGB8/Stein/Rudolphi, § 331 Rn. 23; Welzel, Grundzüge11, S. 56; Eser, Festschrift Roxin, S. 199 (205); Adamski, Konzeption der Bestechungsdelikte, S. 124 f.; Hoppe, Soziale Adäquanz, S. 122. 138 MK-StGB/Krick, § 299 Rn. 29; MK-StGB/Korte, § 331 Rn. 112; NK-StGB/Dannecker, § 299 Rn. 39; Schönke/Schröder/Heine/Eisele, § 331 Rn. 40; Rengier, BT II, § 60 Rn. 13; C. Knauer/Kaspar, GA 2005, 385 (400); Merges, Strafausschließungsgründe der Bestechungsdelikte, S. 166 ff. 139 Fischer, § 331 Rn. 25; LK/Sowada, § 331 Rn. 73; NK-StGB/Dannecker, § 299 Rn. 39; Schönke/Schröder/Heine/Eisele, § 331 Rn. 40; C. Knauer/Kaspar, GA 2005, 385 (397). 140 MK-StGB/Korte, § 331 Rn. 112; Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 27 Rn. 34; kritisch hingegen Valerius, JA 2014, 561 (563), der die Frage aufwirft, wie aus einem außerrechtlichen sowie unbestimmten Merkmal eine konkrete Strafbarkeitsschwelle erarbeitet werden können soll. 141 Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 27 Rn. 34; ferner Fischer, § 331 Rn. 26a bzgl. Werbegeschenken, wenngleich er festhält, dass oberhalb dieser Grenze Geschenke dennoch sozialadäquat sein können, insofern sie aus Höflichkeit oder Rücksicht auf soziale Regeln nicht zurückgewiesen werden könnten. 142 OLG Frankfurt a.M. NJW 1990, 2074 (2075); OLG Hamburg StV 2001, 277 (282); Eisele, BT I, Rn. 1628; Rengier, BT II, § 60 Rn. 14a; Greeve, Korruptionsdelikte, Rn. 271;
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mend nicht einzig der Wert der Zuwendung für maßgeblich erachtet, sondern darüber hinaus die Gepflogenheiten des jeweiligen Geschäftsbereichs sowie die soziale Stellung und Lebensumstände der Beteiligten mitsamt sonstiger Begleitumstände in die Beurteilung einbezogen.143 Dazu soll auch die an den Regeln der Höflichkeit und des sozialen Verkehrs zu messende soziale Üblichkeit der Handlung zu zählen sein.144 Allerdings soll die branchenspezifische Üblichkeit von Schmiergeldzahlungen nicht genügen, um diese als sozialadäquat begreifen zu können.145 Insofern gilt es also zu eruieren, inwiefern den individuellen Lebensumständen der Beteiligten eine Rolle innerhalb der Adäquanzbeurteilung zukommen und inwieweit die Üblichkeit einer Handlung tatsächlich als taugliches Kriterium fungieren kann. Unbesehen dessen ist ferner ungeklärt, auf welchem dogmatischen Wege die Sozialadäquanz ihre Wirkung im Rahmen der Bestechungsdelikte entfaltet. So wird mitunter bei sozialadäquaten Präsenten das Tatbestandsmerkmal des Vorteils negiert.146 Nach einer starken Auffassung steht die Sozialadäquanz eines Geschenks indes der notwendigen Unrechtsvereinbarung entgegen.147 Demgegenüber wird bisweilen die objektive Zurechnung des Erfolgs abgelehnt148 oder schlicht das Ergebnis mangelnder Tatbestandsmäßigkeit149 betont. Eine weitere Ansicht reduziert
dazu Merges, Strafausschließungsgründe der Bestechungsdelikte, S. 165. Mehrere hundert Euro seien jedenfalls zu hoch, so BGH NJW-Spezial 2011, 537 (537). 143 So etwa MK-StGB/Krick, § 299 Rn. 29; NK-StGB/Dannecker, § 299 Rn. 59; Schönke/ Schröder/Heine/Eisele, § 299 Rn. 20; Thomas, Festschrift Jung, S. 973 (978 f.); Merges, Strafausschließungsgründe der Bestechungsdelikte, S. 159 ff., 178; Sievers, Bestechung von Angestellten, S. 60. Auch die jüngere Rechtsprechung scheint einem insofern relativen Maßstab zugeneigt, spricht sie doch von einer relativen Geringwertigkeit der Aufmerksamkeiten (BGH NJW 2003, 763 [765]), oder hebt den persönlichen Lebenszuschnitt (BGH NStZ 2005, 334 [335] bezüglich einer Reise) sowie die soziale Stellung des Angeklagten hervor (BGH NStZ-RR 2002, 272 [273] im Hinblick auf fünf Glas Bier an der Hotelbar, die einem leitenden städtischen Verwaltungsdirektor ausgegeben werden). 144 LK/Sowada, § 331 Rn. 72; vgl. BGHSt 15, 239 (251 f.); BGH NStZ-RR 2002, 272 (273); C. Knauer/Kaspar, GA 2005, 385 (396 f.); Friedhoff, Straflose Vorteilsannahme, Rn. 152. 145 BeckOK-StGB/Momsen/Laudien, § 299 Rn. 33; NK-StGB/Dannecker, § 299 Rn. 58; Lesch, AnwBl 2003, 261 (265); Park, wistra 2010, 321 (325); Walter, wistra 2001, 321 (327); vgl. auch BGH NJW 2003, 763 (765). 146 So BGHSt 33, 336 (339); SK-StGB/Stein/Deiters, § 331 Rn. 46; Kaiser, NJW 1981, 321 (322); Schaffstein, ZStW 72 (1960), 369 (375); wohl auch LK/Tiedemann, § 299 Rn. 28 und NK-StGB/Dannecker, § 331 Rn. 39 („im Wege der Auslegung“); dagegen Friedhoff, Straflose Vorteilsannahme, Rn. 122 ff. 147 BeckOK-StGB/von Heintschel-Heinegg, § 331 Rn. 31; Fischer, § 331 Rn. 25; LK/ Sowada, § 331 Rn. 72; NK-StGB/Kuhlen, § 331 Rn. 63, 98 f.; Schönke/Schröder/Heine/Eisele, § 331 Rn. 40. 148 Eisele, BT I, Rn 1629; Rengier, BT II, § 60 Rn. 14; Lesch, AnwBl 2003, 261 (262); wohl auch C. Knauer/Kaspar, GA 2005, 385 (396 f.). 149 Rengier, BT II, § 60 Rn. 13; Wessels/Hettinger/Engländer, BT 1, Rn. 1182; Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 27 Rn. 33; Eser, Festschrift Roxin, S. 199 (203 ff.); Hoppe, Soziale
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dagegen den Tatbestand teleologisch.150 In der Zusammenschau ergibt sich zwar ein homogenes Bild hinsichtlich der Berechtigung der Sozialadäquanz, welches jedoch von einem bunten Sammelsurium potenzieller dogmatischer Einfallstore verschleiert wird. Besieht man sich den Versuch, aufgrund der Sozialadäquanz den Vorteil entfallen zu lassen,151 so steht man freilich erneut vor der Grenze der üblichen Definition. Schließlich soll als Vorteil bereits jede Zuwendung zu begreifen sein, die den Begünstigten materiell oder immateriell in wirtschaftlicher, rechtlicher oder persönlicher Hinsicht objektiv besser stellt und der kein rechtlich begründeter Anspruch gegenübersteht.152 Damit besteht kein Raum, den als sozialadäquat empfundenen Vorteil, der den Beschenkten objektiv besser stellt, dem Tatbestand zu entziehen.153 Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass üblicherweise bereits eine immaterielle Zuwendung den Tatbestand erfüllt, eine Abstufung nach der Werthaftigkeit des Präsents demnach nicht möglich ist. Schließlich verzichtet der Gesetzgeber im Rahmen der Bestechungsdelikte auf die Beschränkung des Anwendungsbereichs auf nicht geringfügige Vorteile, wenngleich er etwa im Rahmen der Regelbeispiele des Diebstahls in § 243 Abs. 2 StGB derart verfährt.154 Wollte man in Fällen der Sozialadäquanz den Vorteil entfallen lassen, so müsste man das deskriptive Merkmal zwangsläufig in normativer Hinsicht aufladen.155 Eine Negation des Kriteriums des Vorteils ist demzufolge nicht möglich.
Adäquanz, S. 122; Kalin, Verhaltensnorm, S. 73 ff.; Wentzell, Tatbestandsproblematik der Vorteilsannahme und Bestechlichkeit, S. 89 ff. 150 Adamski, Konzeption der Bestechungsdelikte, S. 126; Merges, Strafausschließungsgründe der Bestechungsdelikte, S. 157 f.; dahingehend auch Greeve, Korruptionsdelikte, Rn. 270; wohl auch MK-StGB/Krick, § 299 Rn. 29 und MK-StGB/Korte, § 331 Rn. 114. 151 So BGHSt 33, 336 (339); SK-StGB/Stein/Deiters, § 331 Rn. 46; Kaiser, NJW 1981, 321 (322); Schaffstein, ZStW 72 (1960), 369 (375); so wohl auch LK/Tiedemann, § 299 Rn. 28 und NK-StGB/Dannecker, § 331 Rn. 39 („im Wege der Auslegung“); dagegen Friedhoff, Straflose Vorteilsannahme, Rn. 122 ff. 152 BGHSt 35, 128 (133); BGH NJW 2001, 2558 (2559); NStZ 2005, 334 (335); 2008, 216 (217); NStZ-RR 2015, 278 (279); MK-StGB/Krick, § 299 Rn. 18; NK-StGB/Dannecker, § 299 Rn. 54. 153 Ebenso Friedhoff, Straflose Vorteilsannahme, Rn. 122 ff. und Merges, Strafausschließungsgründe der Bestechungsdelikte, S. 149 ff. unter zutreffendem Hinweis darauf, dass auch das Ziel sozialadäquater Geschenke in einer Bereicherung des Amtsträgers liegt, auch wenn diese unter Umständen aus Höflichkeit oder in schlichter Anerkennung dessen Dienste übergeben werden. Darin ist auch der Grund zu sehen, weshalb eine teleologische Reduktion des Vorteilsbegriffs nicht möglich ist. 154 Dies lehnte der Gesetzgeber im Rahmen der §§ 299a, 299b StGB bewusst ab, vgl. BTDrucks. 18/6446, S. 17 f. 155 Kritisch daher Merges, Strafausschließungsgründe der Bestechungsdelikte, S. 150 f.
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Soll die Sozialadäquanz demgegenüber der Annahme einer Unrechtsvereinbarung entgegenstehen,156 so würde sich der Bezugspunkt der Unlauterkeit von der seitens des Wortlauts der Bestimmung intendierten Bevorzugung auf den konkreten Vorteil als solchen verlagern.157 Zudem würde dem Schenkenden in pauschalisierender Weise der Wille abgesprochen werden, durch kleinere Geschenke die Gunst des Beschenkten zu gewinnen, selbst wenn die einzige Motivation der etwaige eigene Vorteil aus dem Präsent darstellt.158 So wurde bereits früh darauf hingewiesen, dass sich per se unbedeutende Aufmerksamkeiten in der Summe zu Bergen wertvoller Geschenke anhäufen könnten.159 Es überzeugt daher wenig, die mitunter anzunehmende Unrechtsvereinbarung im Wege pauschalisierender Auslegung zurückzudrängen, um so die soziale Adäquanz eines Verhaltens zur Geltung zu bringen, welche sich gerade nicht aus der subjektiven Tendenz der Betroffenen, sondern dem gesellschaftlichen Bilde speist. Erfolgsversprechender erscheint demgegenüber der Versuch, die objektive Zurechnung des Erfolgs abzulehnen160 oder den Tatbestand teleologisch zu reduzieren.161 Schließlich steht dahinter jeweils die Überlegung, ein sozialadäquates Verhalten könne das geschützte Rechtsgut der Lauterkeit des Wettbewerbs bzw. öffentlichen Dienstes und das diesbezügliche Vertrauen der Allgemeinheit nicht gefährden.162 Entsprechend wird mitunter als Prämisse der Sozialadäquanz formuliert, diese komme lediglich in Betracht, wenn der entsprechenden Zuwendung objektiv die Eignung fehle, Entscheidungen sachwidrig und in einer den Wettbewerb ge-
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BeckOK-StGB/von Heintschel-Heinegg, § 331 Rn. 33; Fischer, § 331 Rn. 25; LK/ Sowada, § 331 Rn. 72; NK-StGB/Kuhlen, § 331 Rn. 63, 98 f.; Schönke/Schröder/Heine/Eisele, § 331 Rn. 40. 157 Graf/Jäger/Wittig/Sahan, § 299 Rn. 43; MK-StGB/Krick, § 299 Rn. 29. 158 Merges, Strafausschließungsgründe der Bestechungsdelikte, S. 154 f. betont insofern, dass häufig die Absicht des Zuwendenden bestehe, die Gunst des Amtsträgers auch durch kleine Geschenke zu gewinnen. 159 Thiele, ZBR 1958, 33 (35), der zudem anmerkt, dass ihm gegenüber des Öfteren kommuniziert wurde, einen Beamten lediglich deshalb zu beschenken, weil dieser sich später als nützlich erweisen könnte. 160 Eisele, BT I, Rn 1629; Rengier, BT II, § 60 Rn. 14; Lesch, AnwBl 2003, 261 (262); wohl auch C. Knauer/Kaspar, GA 2005, 385 (396 f.). 161 Adamski, Konzeption der Bestechungsdelikte, S. 126; Merges, Strafausschließungsgründe der Bestechungsdelikte, S. 157 f.; dahingehend auch Greeve, Korruptionsdelikte, Rn. 270; wohl auch MK-StGB/Krick, § 299 Rn. 29 und MK-StGB/Korte, § 331 Rn. 114. 162 Zu den geschützten Rechtsgütern RGSt 48, 291 (296); BGHSt 47, 22 (25); 295 (303); BGH NStZ 2000, 589 (590); NJW 2006, 3290 (3298); Fischer, § 299 Rn. 2; Lackner/Kühl/ Heger, § 299 Rn. 1; Schönke/Schröder/Heine/Eisele, § 299 Rn. 2; Bürger, wistra 2003, 130 (133); Dölling, ZStW 112 (2000), 334 (351); Rönnau/Golombek, ZRP 2007, 193 (194); gleichwohl, ob der Vertrauensschutz mit der Rechtsprechung als primäres Rechtsgut anzusehen sein soll oder nach der Literatur neben den Schutz der Funktionsfähigkeit und Lauterkeit tritt, dazu MK-StGB/Korte, § 331 Rn. 7 m.z.N.
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fährdenden Weise zu beeinflussen.163 Würde ein solch strenger Rechtsgutsbezug gewahrt, so wäre insofern zutreffend von einer teleologischen Reduktion zu sprechen. Allerdings erscheint es verwunderlich, dass zur Gefährdung des Rechtsguts auf die soziale Üblichkeit und allgemeine Billigung des Handelns abzustellen sein soll, handelt es sich dabei doch nicht um die konkrete Verletzung des Gutes, sondern um das verletzende Verhalten.164 Soll der Strafbarkeitsrestriktion eine teleologische Reduktion zugrunde liegen, so hat diese einen Aspekt des letztlichen Erfolgs, nicht eine Frage der Art und Weise dessen Verursachung zum Kern zu haben. Exemplarisch sei diesbezüglich auf § 306a StGB verwiesen, in dessen Zuge eine teleologische Reduktion lediglich dann erwogen wird, wenn eine Gefahr für Menschenleben sicher ausgeschlossen ist und der Brandstifter entsprechende Vorsorge getroffen hat.165 Der Strafbarkeitsausschluss erfolgt somit einzig im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut bzw. dessen mangelnde Gefährdung, nicht unter Einbeziehung der Handlungsmanier. Eine „Gesamtbetrachtung des Verhaltens“166 als Gradmesser der teleologischen Reduktion zu begreifen, vermengt demgegenüber Handlung und Erfolg und vermag folglich nur scheinbar den Rechtsgutsbezug zu wahren. Auch die Verbindung zwischen Telos und Üblichkeit der Handlung steht einer rein rechtsgutsbezogenen Betrachtung entgegen.167 Ferner stehen schwerlich objektive Auswirkungen auf das Rechtsgut im Fokus der Betrachtung, wenn die Sozialadäquanz durch die Art und Weise der Wertverschaffung entfallen soll, wie dies etwa pauschal für Bargeldzahlungen angeführt wird.168 Die Rechtsgutsverletzung wird nach alledem anhand der dieser zugrundeliegenden Handlung zugeschriebenen Wertung beurteilt. Damit dürfte es sich weniger um eine teleologische Reduktion handeln, als vielmehr um eine Beurteilung der Umstände und des Handelns hinsichtlich deren gesellschaftlicher Bewertung. 163 Lackner/Kühl/Heger, § 299 Rn. 5; MK-StGB/Krick, § 299 Rn. 29; MK-StGB/Korte, § 331 Rn. 114; NK-StGB/Dannecker, § 299 Rn. 58; Bach, wistra 2008, 47 (49). NK-StGB/ Kuhlen, § 331 Rn. 98 hält insofern jedoch fest, eine rechtsgutsorientierte Begründung treffe den entscheidenden Aspekt kaum. 164 Noch weitreichender MK-StGB/Korte, § 331 Rn. 114 und Graf/Jäger/Wittig/Gorf, § 331 Rn. 105, die daneben auch das rechtliche Kriterium des Verbots durch Verwaltungsvorschriften einführen. 165 BGHSt 26, 121 (124 f.); Schönke/Schröder/Heine/Bosch, § 306a Rn. 2; H. Schröder, ZStW 81 (1969), 7 (16 f.); eingehend MK-StGB/Radtke, § 306a Rn. 43 ff. m.w.N.; zur Gegenansicht etwa Radtke, ZStW 110 (1998), 848 (863 f.). 166 So Merges, Strafausschließungsgründe der Bestechungsdelikte, S. 157; ähnlich Schönke/Schröder/Heine/Eisele, § 331 Rn 40; dahingehend auch Friedhoff, Straflose Vorteilsannahme, Rn. 147: „Man würde dann im Ergebnis sagen, dass ein Tatbestandsmerkmal nicht vorliegt, weil aufgrund eines sozialadäquaten Verhaltens das Rechtsgut nicht beeinträchtigt wird […]“. 167 Die allgemeine Üblichkeit betonend etwa MK-StGB/Krick, § 299 Rn. 29; MK-StGB/ Korte, § 331 Rn. 110 f.; Lesch, AnwBl 2003, 261 (262); Adamski, Konzeption der Bestechungsdelikte, S. 125 f.; Schönke/Schröder/Heine/Eisele, § 299 Rn. 20 stellen auf die Handhabung innerhalb des Verkehrskreises ab. 168 MK-StGB/Korte, § 331 Rn. 113; Greve, Korruptionsdelikte, Rn. 271.
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Unbesehen dessen vermögen die offerierten Ansätze ihre eigene These, dass sich eine isoliert betrachtet sozialadäquate Zuwendung bei wiederholter Gewährung doch als strafrechtlich relevant erweist,169 nicht mittels des strafrechtlichen Repertoires zu belegen. Schließlich müsste dann der Rahmen der vermeintlichen Bestechungshandlung auf Tatbestandsebene verlassen werden, um die Annahme eines Vorteils oder der Relevanz für das Rechtsgut unter Hinweis auf andere Handlungen ausnahmsweise zu begründen. Der eigentlich gebotene Ausschluss des Tatbestandes würde also durch den Umstand vermehrter Begehung entfallen, sodass letztlich ein anderes Verhalten die Strafbarkeit der konkret betrachteten, per se sozialadäquaten Zuwendung begründen würde. Darüber hinaus können die angeführten Auffassungen nicht erklären, weshalb die Üblichkeit zwar das maßgebliche Kriterium der Beurteilung als sozialadäquat darstellen, im Falle der branchenüblichen Schmiergeldzahlungen jedoch ausnahmsweise nicht greifen soll.170 Insofern scheint das Kriterium durch Umstände überzeichnet zu werden, die sich schwerlich aus der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung der Umstände ergeben, sondern vielmehr einer Wertung entspringen dürften. Diese wird zwar vorausgesetzt, inhaltlich aber nicht dargelegt, sodass fraglich erscheint, inwiefern eine gesellschaftliche Wertung anstelle der Üblichkeit die Beurteilung trägt und so die dargereichten Bemessungsfaktoren lediglich vorgebliche sind. So weit der Konsens hinsichtlich der Sozialadäquanz dem Grunde nach reicht, so wenig vermag er in der Gesamtschau auf eine befriedigende Grundlage zurückgeführt zu werden. Das Meinungsbild ist insofern von unterschiedlichen Ansätzen geprägt, die ihren jeweiligen dogmatischen Weg mit gesellschaftlichen Wertungen garnieren und so mitunter verlassen. Dadurch wird freilich ein stimmiges Gesamtbild der letztlichen Strafbarkeitsrestriktion vermieden. 2. Soziale Adäquanz der Bestechung Die seitens der bisherigen Auffassungen angeführten Kriterien zur Feststellung sozialadäquaten Verhaltens zeigen – auch wenn ihnen im Einzelnen inhaltlich nicht entsprochen wird – jedenfalls auf, dass das Bedürfnis einer Strafbarkeitsrestriktion im Rahmen der Bestechungsdelikte durch eine äußere Wertung an den Tatbestand 169 Friedhoff, Straflose Vorteilsannahme, Rn. 125; Greeve, Korruptionsdelikte, Rn. 271; wohl auch BeckOK-StGB/Momsen/Laudien, § 299 Rn. 27; dahingehend auch BGH NStZ 2000, 596 (596, 599), wonach die Weiterleitung persönlicher Daten von Schuldnern oder Prozessgegnern für jeweils ungefähr 5 DM in 16 Fällen strafbar sei; ferner BGH NJW 2011, 1374 (1374 f.), wonach die Einladung eines leitenden Angestellten zu 14 Mittagessen im Wert von zwischen 66 und 147 DM eine Strafbarkeit begründe. Besonders fraglich erweist sich die These vor Stimmen, die konstatieren, bei einer sozialadäquaten Schenkung handle es sich „von vornherein um ein strafrechtlich irrelevantes Verhalten“, so Hirsch, Negative Tatbestandsmerkmale, S. 284 f. 170 So BeckOK-StGB/Momsen/Laudien, § 299 Rn. 33; NK-StGB/Dannecker, § 299 Rn. 58; Lesch, AnwBl 2003, 261 (265); Park, wistra 2010, 321 (325); Walter, wistra 2001, 321 (327); vgl. auch BGH NJW 2003, 763 (765).
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herangetragen wird. Das Festhalten an einer Gesamtbetrachtung des Verhaltens oder der Schluss von dessen sozialer Üblichkeit auf das vermeintliche Telos verdeutlichen, dass der Blick nicht isoliert auf das Rechtsgut, sondern zumindest auch auf eine Bewertung des zugrundeliegenden Handelns gerichtet ist.171 Eine solche ermöglicht die als metateleologische Reduktion interpretierte Sozialadäquanz. Indem sie sich einzig der gesellschaftlichen Akzeptanz eines Verhaltens als Kriterium bedient, stellt sie dem Strafrecht das notwendige gesellschaftliche Verdikt zur Verfügung, um dessen Metatelos zu wahren. Dies bedeutet gleichsam die Abkehr von der vielbetonten Üblichkeit eines Verhaltens als Gradmesser der Sozialadäquanz, deckt sich diese doch nicht stets mit der allgemeinen Billigung des Verhaltens. Darin ist zugleich die Antwort auf die Frage zu erblicken, weshalb die branchenspezifische Üblichkeit von Schmiergeldzahlungen die soziale Adäquanz derartiger Zuwendungen (nach herrschender Auffassung ausnahmsweise) nicht zu begründen vermag.172 Schließlich bleibt der Bewertungsmaßstab die gesamte Gesellschaft, sodass die sektorale Üblichkeit von Schmiergeldzahlungen in einer Branche das Gesamtbild in der Gesellschaft nicht zu verzerren vermag, selbst wenn die der Branche Zugehörigen derartige Zuwendungen akzeptieren oder gar gutheißen.173 Entscheidend für die Beurteilung als sozialadäquat erweist sich somit einzig die gesamtgesellschaftliche Akzeptanz, nicht hingegen eine gleichwie geartete Üblichkeit.174 Als Indiz der mangelnden gesellschaftlichen Billigung vermag insofern der Umstand zu dienen, dass Schmiergeldzahlungen in der Regel in dem Bestreben erfolgen, verdeckt geleistet zu werden.175 Maßgeblich für die Frage der sozialen Adäquanz von Geschenken bleibt, entsprechend des Vorgehens der hier vertretenen Rechtsfigur, stets die Gesamtschau der Umstände. Damit entspricht die Sozialadäquanz hinsichtlich deren Bewertungsfaktoren den bisher unterbreiteten Vorschlägen im Schrifttum und deckt sich daher in 171 Für eine Gesamtbetrachtung plädierend etwa BeckOK-StGB/Momsen/Laudien, § 299 Rn. 27; MK-StGB/Krick, § 299 Rn. 29; NK-StGB/Dannecker, § 299 Rn. 59; Schönke/ Schröder/Heine/Eisele, § 331 Rn 40; Friedhoff, Straflose Vorteilsannahme, Rn. 147; Merges, Strafausschließungsgründe der Bestechungsdelikte, S. 157; die Üblichkeit der Handlung besonders betonend etwa MK-StGB/Krick, § 299 Rn. 29; MK-StGB/Korte, § 331 Rn. 110 f.; Schönke/Schröder/Heine/Eisele, § 299 Rn. 20; Lesch, AnwBl 2003, 261 (262); Adamski, Konzeption der Bestechungsdelikte, S. 125 f. 172 Dieses Ergebnis unter anderer Handhabung der Figur fordernd bzw. schlicht feststellend BeckOK-StGB/Momsen/Laudien, § 299 Rn. 33; NK-StGB/Dannecker, § 299 Rn. 58; Lesch, AnwBl 2003, 261 (265); Park, wistra 2010, 321 (325); Walter, wistra 2001, 321 (327); vgl. auch BGH NJW 2003, 763 (765). 173 Allgemein zur Relativität der Sozialadäquanz Kapitel D. III. 2. c). 174 Die Üblichkeit des Verhaltens kann ihrerseits zwar einen Grund darstellen, weshalb eine Handlung in der Gesellschaft akzeptiert ist, darf jedoch nicht mit der Akzeptanz gleichgesetzt werden, entspricht schließlich nicht jede übliche Unsitte dem Akzeptanzurteil der Gesellschaft, wie bereits der Begriff Unsitte nahelegt; allgemein dazu Kapitel D. III. 2. b) bb). 175 Zur (beschränkten) Aussagekraft der Verschleierung einer Handlung Kapitel D. III. 2. b) dd).
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E. Ausgewählte Anwendungsfälle der Sozialadäquanz
vielerlei Hinsicht mit deren Ergebnissen. Sie vermag ihnen gegenüber lediglich, die einzelnen Faktoren in das Adäquanzurteil einfließen zu lassen und so die gesellschaftliche Akzeptanz zu eruieren, ohne damit einem Bruch der gewählten Perspektive zu unterliegen. Derart ermöglicht sie es, das herrschende Ergebnis der Sozialadäquanz kleinerer, anlassbezogener Geschenke oder von Trinkgeld aufrechtzuerhalten, entspringt dieses doch bisweilen sozialer Regeln oder Höflichkeit und genießt dementsprechend gesellschaftliche Billigung.176 Demgegenüber ergibt sich aus der Relativität und Einzelfallbetrachtung der Rechtsfigur, dass sie keine starre Grenze zu ziehen vermag, sondern jeweils den konkreten Fall zu betrachten hat. Die Etablierung einer pauschalen Wertgrenze ist demnach nicht möglich. Ebenso wenig vermag damit die Gegenposition begründet zu werden, nach der im Falle von Bargeldzahlungen die soziale Adäquanz per se ausgeschlossen sei.177 Schließlich bewegt sich die Gewährung eines Trinkgeldes oftmals innerhalb des gesellschaftlich akzeptierten Rahmens. Die Grenze sozialadäquater Zuwendungen bemisst sich jeweils an den Parametern des konkreten Falles und ist diesbezüglich übereinstimmend mit der herrschenden Auffassung eine relative. Maßgeblich dafür zeichnet der Umstand, dass es der Gesellschaft grundsätzlich immanent ist, mit steigendem Einkommen auch einen höheren Lebensstandard anzulegen und demzufolge „standesgemäße“ Einladungen zu akzeptieren, die sich mitunter an der finanziellen Stärke der Beteiligten bemessen. Auch bleibt anerkannt, dass ein Geschäftsessen typischerweise in angemessenem Rahmen erfolgen darf und nicht an die Imbissbude zu verlegen ist, um eine vermeintliche starre Wertgrenze, die sich inmitten der Gesellschaft nicht herausgebildet hat, zu wahren. Indem die Sozialadäquanz auf die Akzeptanz der Gesellschaft rekurriert, kann sie zudem dem gesellschaftlichen Bedürfnis entsprechen, den Blick über die Einzelhandlung hinausschweifen zu lassen. So wird zahlreich der Wunsch geäußert, die Strafbarkeit bezüglich eines per se sozialadäquaten Geschenks nicht entfallen zu lassen, wenn es eines mehrerer an sich sozialadäquater Zuwendungen darstellt.178 Eine strafrechtlich logische Handhabung dieses bislang in dogmatischer Hinsicht unbegründeten Wunsches konnte jedoch noch nicht angeboten werden, erübrigt sich allerdings ohnehin im Rahmen des hiesigen Verständnisses der Sozialadäquanz: die Rechtsfigur fußt auf der gesellschaftlichen Akzeptanz, die sich nach allen Umständen des Einzelfalles bemisst. Ereignet sich eine an und für sich akzeptierte Handlung in einer Häufigkeit, die eine Pervertierung nahelegt und somit die Billigung der Gesellschaft in Frage stellt, so fällt damit auch das Adäquanzurteil negativ 176 Insofern auf die gesellschaftliche Ordnung abstellend auch MK-StGB/Korte, § 331 Rn. 111 ff.; NK-StGB/Dannecker, § 299 Rn. 58 f.; Schönke/Schröder/Heine/Eisele, § 331 Rn. 40; Friedhoff, Straflose Vorteilsannahme, Rn. 115 f.; Merges, Strafausschließungsgründe der Bestechungsdelikte, S. 158 ff. 177 So hingegen MK-StGB/Korte, § 331 Rn. 113; Greeve, Korruptionsdelikte, Rn. 271. 178 Friedhoff, Straflose Vorteilsannahme, Rn. 125; Greeve, Korruptionsdelikte, Rn. 271; dahingehend bereits Thiele, ZBR 1958, 33 (35); wohl auch BeckOK-StGB/Momsen/Laudien, § 299 Rn. 27 sowie BGH NStZ 2000, 596 (596, 599) und BGH NJW 2011, 1374 (1374 f.).
VI. Bestechung
285
aus. Entsprechend vermag zwar nicht bereits die erste Zuwendung, jedoch aufgrund des Gesamtkontextes vorangegangener Schenkungen eventuelle Folgepräsente der Sozialadäquanz enthoben zu werden. Darin liegt auch kein Bruch zur beurteilenden Handlung begründet, richtet sich das Verdikt doch konkret auf diese und bezieht lediglich deren gesellschaftliches Gesamtbild in die Wertung ein. Derart interpretiert leistet die Figur der Sozialadäquanz auch im Felde der Bestechungshandlungen präzisierende Arbeit, indem sie eine Lösung für wiederkehrende Geschenke anbietet und darüber hinaus den Grund dafür aufzeigt, weshalb die bloße Üblichkeit etwaiger Präsente (zu denken sei erneut an die Schmiergeldzahlungen) diese noch nicht straffrei stellt. Auf diese Weise wird der weit gefasste tatbestandliche Anwendungsbereich des jeweiligen Delikts präzisiert und in Bahnen gelenkt, die geeignet sind, seitens der Gesellschaft eine präventive Wirkung hervorzurufen. Damit vermögen auch die Gefilde der Bestechungsdelikte als Anwendungsbereich der Sozialadäquanz angeführt zu werden.
F. Zusammenfassung I. Dogmatik Die Sozialadäquanz fußt maßgeblich auf dem der Strafnorm übergeordneten Zweck, welcher sich nicht allein aus deren Telos speist. Vielmehr erwächst dieser Metazweck dem Umstand, dass der Strafzweck seine rechtliche Grundlage in einem Straftatbestand findet, wird doch die Institution der Strafe erst durch das Strafrecht selbst ermöglicht. Demzufolge kommt nicht nur der Strafe als solcher, sondern bereits dem Straftatbestand eine Wirkung in der Gesellschaft zu, die jedoch rein präventiver Natur ist. Die Aufgabe der Sozialadäquanz ist es nunmehr, eine Harmonie zwischen Strafrecht und übergeordnetem Strafzweck dergestalt zu schaffen, als dass sie den Straftatbestand in dessen gesamtteleologischem Gefüge betrachtet und eine im Einzelfall bestehende Strafbarkeit dort zurückdrängt, wo diese keine präventive gesellschaftliche Wirkung entfalten würde. Der zu weit geratene Straftatbestand wird demzufolge im Hinblick auf den ihm übergeordneten Strafzweck reduziert, sodass es sich in diesem Sinne um eine metateleologische Reduktion handelt. Als derartige metateleologische Reduktion verstanden stellt die Sozialadäquanz eine eigene Rechtsfigur dar. Diese dient dem verfassungsrechtlichen Auftrag des Richters, das Gesetz möglichst genau auszulegen und diesem zur Geltung zu verhelfen, indem die Norm nicht nur hinsichtlich deren Telos, sondern auch bezüglich des hinter ihr stehenden Sinn und Zwecks von Strafrecht sowie Strafe eruiert wird. Demnach handelt es sich bei der sozialen Adäquanz um keine Durchbrechung der Trennung von Sein und Sollen, ergibt sich die Notwendigkeit der Beachtung gesellschaftlicher Auswirkungen doch aus dem Metatelos und somit dem rechtlichen Bereich selbst. So wird der rechtlichen Zielsetzung nachgegangen, die Strafnorm in Übereinstimmung mit deren Telos und Gesamttelos zu halten. Das maßgebliche Kriterium dieser Rechtsfigur stellt die Akzeptanz eines konkreten Verhaltens in der Gesellschaft dar. Ist eine Handlung von einer solchen gesellschaftlichen Billigung getragen, so vermag dessen Pönalisierung keine präventive Wirkung in der Allgemeinheit hervorzurufen, sodass es zur Ahndung des Verhaltens nicht des schärfsten staatlichen Schwerts des Strafrechts bedarf. Um die Auswirkungen des Strafrechts nicht zu konterkarieren und durch die Inkriminierung eines allgemein akzeptierten Verhaltens das Vertrauen in die Rechtsordnung zu mindern, wird die Strafbarkeit im Einzelfalle restringiert. In dem Bestreben, die Unrechtstypisierung des Tatbestandes aufzuheben, ist die metateleologische Reduktion auf Ebene des Tatbestands und nach dessen formeller Einschlägigkeit zu prüfen.
II. Funktionen
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Den Maßstab des Akzeptanzurteils bildet dabei die Gesamtgesellschaft, wobei sämtliche Parameter des Einzelfalles in das Verdikt einzubeziehen sind. Insofern erweist sich die Sozialadäquanz als relative Rechtsfigur, vermag sie doch mit variierenden Parametern je nach gesellschaftlicher Akzeptanz des konkreten Verhaltens zu differieren. Ihre Grenze findet sie jedenfalls dort, wo der Täter ein objektiv sozialadäquates Verhalten derart pervertiert, dass er es als Deckmantel zur Erlangung einer Schädigung der Gesellschaft (oder des Einzelnen als Part der Gesellschaft) einsetzt. Insofern beeinflusst die subjektive Tendenz des Täters schließlich das gesellschaftliche Bild, endet deren Akzeptanz doch dort, wo ein gebilligtes Verhalten zur Schädigung missbraucht wird.
II. Funktionen In Anlehnung an die aus der tatsächlichen Relevanz der sozialen Adäquanz geschlossenen Funktionen gilt es nunmehr darzulegen, inwiefern die Sozialadäquanz als metateleologische Reduktion diese Funktionen zu bedienen vermag.1 Zunächst ist dem Versuch, die Sozialadäquanz als Zwischenlager der Strafrechtsdogmatik zu begreifen,2 eine Absage zu erteilen. Die in Rede stehende Rechtsfigur vermag freilich oftmals herangezogen worden sein, um eine neuartige Problematik erstmalig strafrechtlich zu erfassen.3 Mitunter dürfte sie somit faktisch den Anstoß gegeben haben, ein Problem vertieft ob dessen dogmatischer Verortung zu untersuchen und so als Wegbereiter mancher heute herrschenden Ansicht zu begreifen sein. Allerdings liegt darin keine originäre Funktion der Rechtsfigur. Vielmehr liegt dem bisweilen ein verfrühter oder verfehlter Rekurs auf die Sozialadäquanz zugrunde. Wird ein neuartiges Problem fälschlicherweise im Lichte der Rechtsfigur behandelt, so kann dies nicht als Funktion der Rechtsfigur begriffen werden, sondern allenfalls einen faktischen Ablauf umschreiben, dem die Sozialadäquanz aufgrund ihrer gesellschaftlichen Nähe Anknüpfungspunkte bietet. Hinter diesem faktischen Ablauf steht bisweilen eine zweite Funktion, der die Sozialadäquanz gleichsam nicht gerecht wird. So dient die Rechtsfigur nicht als Antonym zur Strafbarkeit eines Verhaltens.4 Der bedenkliche Trend, straflose Handlungen zunehmend mit dem Prädikat sozialadäquat zu versehen und diesen Begriff dementsprechend inflationär zu handhaben,5 sorgt nicht zuletzt dafür, dass 1
V. 2. 2
Zu den der Sozialadäquanz zugeschriebenen Funktionen im Einzelnen oben, Kapitel B.
So aufgrund der Analyse diverser Fallbeispiele F. Knauer, ZStW 126 (2014), 844 (855 f.). So etwa das Züchtigungsrecht [Kapitel B. II. 1. a) bb) (5)] oder Tötungen im Kriege (Kapitel B. I. 4.). 4 Dazu Kapitel B. V. 2. d). 5 So statt vieler etwa der Gesetzgeber im Rahmen des § 238 StGB [Kapitel B. IV. oder das Schrifttum hinsichtlich Verletzungen der Psyche, siehe Kapitel B. II. 1. a) bb) (7)]. 3
288
F. Zusammenfassung
die Rechtsfigur faktisch in ein Durchgangsstadium gedrängt wird. Wo schließlich die erste Umschreibung einer Problematik fehlgeht und nachfolgend korrigiert wird, handelt es sich um eine durch die erste Fehleinschätzung bedingte Entwicklung. Je inflationärer die Sozialadäquanz als Antonym einer für selbstverständlichen erachteten Straffreiheit dient, desto öfter kann deskriptiv von einem Zwischenlager gesprochen werden. Daher ist einer Gleichstellung von Straffreiheit und Sozialadäquanz einer Handlung entschieden entgegenzutreten. Im Umkehrschluss ist auch das sozialinadäquate Verhalten nicht mit einem strafbaren gleichzusetzen. Alternativ könnte dieser Tendenz begegnet werden, indem die Rechtsfigur nicht mehr als Sozialadäquanz, sondern als metateleologische Reduktion umschrieben würde. So verbliebe ein neuer Begriff, der in der Lage wäre, eine Verwendung als Antonym zur Straffreiheit von dem tatsächlichen Anwendungsbereich der Rechtsfigur zu distinguieren. Die damit einhergehende Konturierung der Figur erscheint angesichts des vielfachen, mitunter verfehlten Rückgriffs auf die Sozialadäquanz wünschenswert. Vor diesem Hintergrund ergibt sich auch, dass der Sozialadäquanz keine dienende Funktion zur Begründung anderweitiger Lösungsansätze zukommen kann.6 Sie fungiert als eigenständige Strafbarkeitsreduktion und ist als solche zu behandeln. Die argumentative Begründung anderer Lösungsansätze kann nicht mittels der Sozialadäquanz erfolgen, ist diese doch kein beliebiger Hinweis auf das gewünschte Ergebnis, sondern einzig eine Strafbarkeitsrestriktion im Hinblick auf das Metatelos der Strafnorm. Auch insofern ist eine Abkehr von dem inflationär verwandten Hinweis auf die Sozialadäquanz eines Verhaltens zu fordern. Hingegen bleibt die Implementierung einer Bagatellgrenze der Sozialadäquanz nicht gänzlich verschlossen.7 Es gilt jedoch, deren Wesen als Korrektiv im Einzelfalle zu beachten. Sie vermag somit keine pauschale Wertgrenze zu ziehen. Allerdings erscheint es als möglich, durch Abstraktion einer zunehmenden Kasuistik in Zukunft gewisse Größen für vergleichbare Fälle an die Hand zu geben. Darin ist jedoch insofern keine Funktion der Sozialadäquanz zu erblicken, handelt es sich insoweit doch lediglich um eine ihr nachfolgende Abstraktion derer Ergebnisse. Auch dem Wunsch, sozial übliche Handlungen mittels der Sozialadäquanz aus dem Unrecht auszuscheiden,8 kann nur teilweise zugestimmt werden. Maßgeblich für die Rechtsfigur ist schließlich nicht die Üblichkeit einer Handlung9, sondern deren gesellschaftliche Akzeptanz.10 Demnach liegt die originäre Funktion der sozialen Adäquanz darin, gesellschaftlich akzeptiertes Verhalten dem Unrechtstatbestand zu entziehen. Freilich kann die soziale Üblichkeit einer Handlung deren Akzeptanz zugrunde liegen, sodass sich beide Parameter insofern kongruent verhalten 6
Zu derartigen Versuchen bereits Kapitel B. V. 2. c). Zu diesem Bestreben Kapitel B. V. 2. e). 8 Zu dieser als Stammfunktion der Sozialadäquanz begriffenen Aufgabe Kapitel B. V. 2. a). 9 Erinnert sei insofern an branchenspezifische Schmiergeldzahlungen, dazu Kapitel E. VI. 2. 10 Siehe Kapitel D. III. 2. b) ee). 7
III. Vom Mythos zur Rechtsfigur
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können. Dann – aber nur dann – gilt die sozial übliche Handlung auch als sozialadäquat. Korrekterweise bleibt die Grundthese der Sozialadäquanz jedoch zu präzisieren: die Rechtsfigur scheidet nicht sozial übliches Verhalten, sondern einzig gesellschaftlich akzeptierte Handlungen aus dem Unrechtstatbestand aus. Derart interpretiert liegt die Funktion der Rechtsfigur in der Wahrung des strafrechtlichen Metatelos begründet. Zudem fungiert sie so als Gegenpol zur abstraktgenerellen Regelungstechnik, die Gesetze zwangsläufig zu weit geraten lässt. Ferner übernimmt sie die Funktion, der Unbestimmtheit eines Gesetzes und somit den Unzulänglichkeiten der Handhabung des Bestimmtheitsgebots entgegenzutreten. Demzufolge führt sie das allgemein-abstrakte Gesetz der Einzelfallgerechtigkeit zu, welche auf den gesellschaftlichen Auswirkungen einer Inkriminierung des Verhaltens basiert. Damit hütet sie nicht zuletzt den fragmentarischen Charakter des Strafrechts und belässt dieses als ultima ratio.
III. Vom Mythos zur Rechtsfigur In der Gesamtschau zeigt sich, dass die schillernde Figur der Sozialadäquanz mehr als nur einen Mythos darzustellen vermag. Als metateleologische Reduktion begriffen ist sie in der Lage, über das Telos der Norm hinaus den übergeordneten Zweck des Strafgesetzes zu wahren und so dem Strafrecht einen Spiegel ob dessen gesellschaftlicher Wirkung vorzuhalten. Derart interpretiert ist sie kein leeres Schlagwort, das mit beliebigen Inhalten angereichert werden kann, sondern eine Rechtsfigur, welche die Effekte einer Norm auf die Gesellschaft würdigt. Beschränkt man die soziale Adäquanz auf die damit einhergehende Funktion, konkrete Fälle aus dem Bereich des Strafbaren herauszuhalten, deren Inkriminierung die erwünschte gesellschaftliche Wirkung verfehlen oder konterkarieren würde, so bleibt zu hoffen, dass der wechselvollen Geschichte der Figur nicht lediglich ein weiteres Kapitel hinzugefügt wird, sondern ihr schlussendlich ein fester Platz im Verbrechensaufbau zugewiesen werden kann. Insofern dürfte sie sodann nicht mehr als Seismograph verborgener dogmatischer Unruheherde fungieren. Vielmehr nimmt sie diese Rolle eines Seismographen einzig ein, um anzuzeigen, dass das Strafrecht nach dessen Metatelos zu beschränken ist. Somit erweist sich die schillernde Sozialadäquanz als eigenständige Rechtsfigur, die in der Lage ist, das Strafgesetz metateleologisch zu reduzieren, ohne dabei mythisch anzumuten.
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Stichwortverzeichnis Abstraktes Gesetz 125, 195 – abstrakt-generelle Regelungstechnik 125, 135, 195 Allgemeine Billigung 122, 142, 152, 234 Allgemeines Rechtsempfinden 32, 38, 53, 96, 154 Ärztlicher Heileingriff 37, 95, 117 Auslegung 47, 128, 133, 137, 230 – des Begriffes 156 Bagatellgrenze 52, 69, 72, 94, 101, 277, 288 Beleidigungsfreie Sphäre 57, 268 Bestechung 70, 95, 223, 277 Bestimmtheit 45, 83, 130, 197, 201, 207, 225 Betrug 75 Billigung der Allgemeinheit siehe Allgemeine Billigung Deckmantel scheinbarer Sozialadäquanz 32, 114, 163, 246 siehe auch Subjektive Kriterien Dichotomie von Sein und Sollen 124, 220 Diebstahl 72 Dogmatik 103, 168, 286 – Historisch-Soziologische Reduktion 121, 168 – Scheinbare Relevanz 110 – Überpositives Korrektiv 116 – Unrecht siehe Unrecht Drohung mit verkehrsmäßigen Übeln 28, 54 Einfluss des Rechtsgutes
31, 160, 238
Fragmentarietät 206, 224 Freiheitsberaubung 49, 262 – unerhebliche 51 Funktionen 97, 161, 287
Geldwäsche 66, 89, 240 – alltägliche Handlungen 66 – Strafverteidiger 67, 89, 240 Generalklausel 22, 197, 227 Geschichtlich bedingte Ordnung des Gemeinschaftslebens 21, 27, 106, 121, 235 Gesellschaftliche Akzeptanz 71, 116, 124, 147, 162, 181, 221, 235 Gesetzeslücken 184 Gesetzgebung 92, 189, 196, 249 Gewohnheitsrecht 44, 132, 192 Handlung 104, 106, 112, 168 – Finale Handlungslehre 107, 114, 172, 244 – Klassische Handlungslehre 145, 171 – Soziale Handlungslehre 175 – Tragfähigkeit der Handlungslehre 178 Infektion mit Krankheiten 40, 251 – Masernparty 41, 252 Interessenabwägung 34, 110, 116, 142, 162, 270 Kausaldogma 104 Knabenbeschneidung 39, 89 Körperverletzung 37, 46, 160, 251 Metateleologische Reduktion 222, 230, 233, 234, 247 Moderner Massenverkehr 49, 262 Naturrecht 188 Neutrale Beihilfe 80 Nötigung 53, 74, 92, 183 Objektive Zurechnung
63, 82, 139
Persönlicher Geheimbereich 59 Professionelle Adäquanz 83, 164, 242
330
Stichwortverzeichnis
Rechtfertigungsgrund 53, 132, 141, 263 Rechtsfortbildung 183 Rechtsfreier Raum 34, 42, 179 Rechtsgut, Einfluss des ~ siehe Rechtsgutseinfluss Rechtsgüterschutz 105, 112, 207, 212, 239 Relativität der Sozialadäquanz 240, 284 Risikogeschäfte 78, 166
Subjektive Kriterien 113 f., 142, 163, 243 Subjektivität siehe Subjektive Kriterien Surrogate der Sozialadäquanz 95
Schuldausschließungsgrund 143 Schwangerschaftsabbruch 33 Soziale Handlungsfreiheit 134, 150, 236 Soziale Kongruenz 116 Soziale Normen 83, 157 Soziale Unverdächtigkeit 87, 151, 238 Sozialer Bedeutungsgehalt 36, 38, 236 Soziales Mindestmaß 162 Sozialethische Gebotenheit 117, 135, 158 Sozialübliche Handlungen 97, 238 Sportwettbewerbe 41, 179, 255 – Teilnahme an ~ 41, 179, 255 Sterbehilfe 35, 95 Strafprozessrecht 86 Strafvereitelung 63 – alltägliche Handlungen 63, 95, 274 – Schenkungen an Verurteilte 64 – Strafverteidiger 65, 240 Strafzweck 209, 211, 216, 234, 286 – Prävention 213, 234, 242 – Vergeltung 211 – Zweckerfüllung 218, 225, 249
Überpositives Korrektiv 116 Üblichkeit der Handlung 152, 156, 238 ultima ratio 75, 206, 249, 263, 276, 289 Unrecht 27, 52, 104, 108 f., 110, 123, 165, 174, 192, 229, 234 Unrechtstypisierung 135, 230, 286 Unrechtsurteil 52, 123, 142, 219
Tatbestandsausschluss 23, 132, 134, 231 Teleologische Reduktion 57, 129, 138, 223 Tötungen im Krieg 30, 97 Treu und Glauben 182, 226
Verbrechenssystem 23, 107, 168, 210, 218, 229 – Finalistisches 107 – Klassisches 107 Verletzungen der Psyche 48, 95, 157 Verortung 23, 46, 71, 82, 109, 130, 143, 183, 229, 266, 275 Verwerflichkeitsklausel 53, 133, 182 Werthaltigkeit der Handlungen Züchtigungsrecht 43, 96, 117 Zwischenlager 32, 98, 287
158, 236