Die Schule Johann Sturms und die Kirche Straßburgs in ihrem gegenseitigen Verhältnis 1530–1581: Ein Beitrag zur Geschichte deutscher Renaissance [Reprint 2019 ed.] 9783486741407, 9783486741391


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German Pages 331 [336] Year 1912

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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Verzeichnis der Abkürzungen
Einleitung
1. Buch. Der Begriff und die Schule der sapiens et eloquens pietas
2. Buch. Ausbau und Entwicklung von Kirche und Schule 1530—1560
3. Buch. Der Kampf zwischen Kirche und Schule. 1561—1581
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Die Schule Johann Sturms und die Kirche Straßburgs in ihrem gegenseitigen Verhältnis 1530–1581: Ein Beitrag zur Geschichte deutscher Renaissance [Reprint 2019 ed.]
 9783486741407, 9783486741391

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Historisch© Bibliothek Herausgegeben von der

Redaktion der Historischen Zeitschrift

27. Band:

Die Schule Johann Sturms und die Kirche Straßburgs Von

WALTER SOHM

München und Berlin Druck und Verlag von B. Oldenbourg 1912

Die Schule Johann Sturms und die Kirche Straßburgs in ihrem gegenseitigen Verhältnis

1580-1581

Ein Beitrag zur

Geschichte deutscher Renaissance Von

WALTER SOHM D r . phil.

München und Berlin Druck und Verlag von R. Oldenbourg 1912

Meinem Yater.

Vorwort. Die Einleitung und das erste Buch vorliegender Abhandlung erscheinen gleichzeitig als Dissertation der philosophischen Fakultät zu Freiburg (Baden) unter dem Titel: Der Begriff und die Schule der sapiens et eloquens pietas. An ungedrucktem Material wurden die Akten des Straßburger Stadtarchivs, zumal das dort aufbewahrte Archiv des Straßburger Thomasstifts, herangezogen. Meinen aufrichtigsten Dank bin ich den beiden Herren Stadt-Archivaren, Herrn Dr. Winckelmann und Herrn Dr. Bernays schuldig. Den mündlichen Mitteilungen des Herrn Dr. Bernays verdanke ich reiche Anregung. Zu Dank bin ich auch Herrn Professor Reuß, Directeur adjoint an der École pratique des Hautes Études à la Sorbonne, und Herrn Pfarrer Schmidt in Paris verpflichtet. Die Bemühungen beider Herren haben mir drei Manuskriptbände Karl Schmidts zugänglich gemacht, in denen dieser verdienstvolle Sturmforscher die ausgedehnte Korrespondenz des Straßburger Rektors in eigenhändigen Abschriften gesammelt hat. Ich darf auch an dieser Stelle Herrn Professor Meinecke für alles danken, was er mir in den Jahren der Arbeit und als Lehrer geweisen ist. M a r b u r g a . L . , 8. März 1912.

Inhaltsverzeichnis. . .

S«1M VII

Abkürzungen.

1

Vorwort

Einleitung. 1. Abschnitt. Die Aufgabe Prinzipielle und lokale Begrenzung. — Fragen der Schule (vir bonus et doctus — Orator — rerum cognitio — Gesinnung). — Rolle der Obrigkeit. — Fragen der Kirche (Grundsätze — Straßburger Entwicklung). — Glaube und Liebe. 2. Abschnitt. Die Kirche Straßburgs vom Beginn der Reformation bis 1580 Bewegung der Bürgerschaft. — Übernahme der Führung durch die Obrigkeit. — Charakter der Theologie. — Abschaffung der Messe. — Tetrapolitana. 3. Abschnitt. Das Schulwesen Straßburgs bis 1680 und die Entwicklung Johannes Sturms Säkularisation. — Interesse der Prediger. — Obrigkeitliche Leitung. — Der niederländische Humanismus der Lateinschulen des Elsaß. — Entwicklung Sturms in Löwen und Paris. — Der eloquente Kirchendienst.

7

16

23

1. Bach. Der Begriff and die Schale der sapiens et eloqaens pietas. 1. Kapitel. Die G r u n d f r a g e n d e s Begriffs. 1. Abschnitt. Die Kombination des Begriffs Betonung der pietas. — Betonung der Eloquenz. Gegenseitige Abhängigkeit beider Begriffe.

31

X

Inhaltsverzeichnis. Seit«

2. Abschnitt. Die Eloquenz. (Aristoteles, Cieero, Hermogenes) Verhältnis des Philosophen Aristoteles zum Neosophisten Cicero. — Das dissidium cordis et linguae. — Orator und idealer Ornatus. — Ornatus und universales Wissen. — Ornatus und usus (Bürgerbildung). — Ornatus und (republikanische) Gesinnung. — Quintilian. — Der rhetorische Ornatus. — Hermogenes.

35

3. Abschnitt. Meianchthon und die Eloquenz Renaissance des Orators in der Reformationskirche. — Nüchternheit Melanchthons. — Die Philosophie im Gefolge der Eloquenz. — Die Rhetorik als Hermeneutik. — Zersetzung lutherischer und ciceronianischer Gedanken durch gegenseitige Einwirkung. — Der vir bonus et doctus.

46

4. Abschnitt. Fragen des Orators und des XSyos Die Eloquenz: ethisierende Philologie. — Absterben des Orators. — Reine Philologie. — Das Luthertum und das Wort Gottes. — Das menschgewordene Wort. — Problem des Mittlers und der Gnadenmittel. — Prädestination und Ubiquität. — Orator und Freistaat. — Freiheit eines Christenmenschen.

55

2. Kapitel. Das Bildungsideal und die Schula Sturms. Einleitung. Die Frage. — Die Schriften Sturms

61

1. Abschnitt. Oratorische Gedanken bei Sturm Ideale Verknüpfung von sapientia, eloquentia, virtus, usus. — Ornatus. — Ornatus und sapientia. — Sapientia und usus. — Ornatus und virtus. — Virtus und usus. — Ornatus und usus. — Weltbild des Orators: ars und natura. — Ornatus und sapiens et eloquens pietas.

63

2. Abschnitt. Eloquentia und Sapientia im Unterrichtsgang Gesamtanlage des Unterrichts. D i e S c h u l e (classes): — rerum cognitio und Ephemeriden. — ars und natura. — Parteilichkeit der Ephemeriden. — Dialektik und Rhetorik. — Auch hier Ansätze zur rerum cognitio. — Der Ornatus in Secunda und Prima. — Bruch des Systems. — Sturms Vorliebe für die formal-sachliche Verschwommenheit seiner Schule und seine Neigung zum Formalismus. — Tendenz

78

I nhaltsverzeichnis.

XI 8elte

zum usus in Dialektik, Rhetorik und exercitationes bis zur Prima. — Die A k a d e m i e (publicaelectiones): — Berufswahl. — Sieg des universalen Orators. — Benutzung der Fachwissenschaften zum Sprachunterricht. (Theologie I) — Der usus (exercitationes). — Ideal des Orators und Wirklichkeit. — ßios

noaxtacds-

3. Abschnitt. Verhältnis der Pietas zur Eloquentla and Saplentia 100 Umfang der Pietas. — Die Schuldisziplin. — ylonovia und Genuß (Ephemeriden 1). — Harmonie und concordia.— Sittigender Einfluß menschlicher Verhältnisse. — Die Religiosität. — Religion und Sprache. — Religion und sapientia. — Religion und usus. — Laie und Predigtamt. — Kirche, Bildung und Obrigkeit. — vir bonus et doctus und die christiana societas. — ßios nqaxitxis. — Sturms Kirchenbegriff.

2. Bach.

Ausb&a and Entwicklang von Kirche and Schale. 1530—1560.

3. Kapitel.

Organisation von Kirche und S c h u l e . I530—1540. Einleitung 124 1. Abschnitt. Theoretische Grundlage der Klrchenorganlsatlon. 1530—1583 126 Gnadenmittel, Prädestination und Allwirksamkeit Gottes. — Verhältnis dieser Begriffe bei Butzer. — Widerspruch des Helfers zu Alt-St. Peter: Soteriologie und Gnadenmittel. — Ersatz der religiösen kirchenbildenden Momente durch ethische. — Zuchtgedanke und Zuchtämter (Obrigkeit und Schule). — Widerspruch Engelbrechts gegen eine kirchliche Obrigkeit. — Der Liebesgedanke. — Berufserfüllung und Liebeskirche. — Stellung der Schule. 2. Abschnitt. Die Wittenberger Konkordie. 1686 . . . 137 Inhalt und Schwäche der Konkordie. — Wirkung auf Butzers Lehre von den Gnadenmitteln und der Kirche. — Gefahr der Theokratie. — Gefahr für Butzers Ruf. — Butzers Charakter. — Johann Sturms Verständnis für Butzer und sein Urteil nach den Kategorien der sapiens et eloquens pietas.

XII

Inhal tsverzeichnis.

3. Abschnitt. Die Kirchen- und Schnlorgmahation. U M bis 15S9 Momente der Trennung. — Jakob Sturm und die Magistratskirche. — Die Kirchspielpfleger. — Die Verhörer. — Der Kirchenkonvent. — Die Schule im Kirchenkonvent. — Ideelle und praktische Gründe für die Aufnahme der Lehrer im Kirchenkonvent. — Trennung 1538 und deren Gefahr. — Ungezwungene Entwicklung der Schulorganisation. — Conventus scholasticus. — Der gemeine Konvent. — Der Rektor. — Die Visitatoren. — Zunahme des humanistischen Charakters. — Frage der Säkularisation. (Die »christliche« Obrigkeit als Schul- und Kirchenherr. — Aufnahme der Lehrer ins Thomasstift als »Kleriker«.)

seit« 143

4. Kapitel. D e r U b e r g a n g zur lutherischen Klrohenv e r f a s s u n g 1540—1560. 1. Abschnitt. Superintendentur und Magtstratsklrehe . . Ankunft Marbachs. — Die Kirchenzucht (Gemeinschaftsbewegung. Älteste und Kirchspielpfleger.) — Kalvinische Momente. — Teilnahme Marbachs. — Die Superintendentur. (Obrigkeitliche und theologische Motive.) — Spannung Butzers mit Hedio, Freundschaft mit Marbach. — Konservative Stellung der Obrigkeit. — Butzers Abzug; Hedios und Jakob Sturms Tod. — Interim und Magistratskirche. — Marbach und die schweizerisch-sächsische Kirchenverfassung. — Marbach als Superintendent (Stadtvisitation). — Die Obrigkeit als Superintendent. — Sieg Marbachs.

161

2. Abschnitt. Snperlntendentar and Schule Günstige Stellung Marbachs. — Mißklänge zwischen Butzer, Lehrern und Stift. — Marbach als »Nachfolger«. — Marbach und die Internate. — Der Schulkonvent und die Internate. — Der Schulkonvent und die Berufungen. — Marbach und die Berufungen (Zanchi, Peter Martyr). — Marbach und die Schulherrn. — Marbach und das Thomasstift. (Gegnerschaft und Vereinigung.) — Marbach und Johannes Sturm. — Scheinbarer Friede. — Religiöse und wissenschaftliche Gegensätze. (Prädestination; sapiens et eloquens pietas).

179

Inhaltsverzeichnis. 3. Bach.

XIII

Der Kampf zwischen Kirche und Schale. 1561—1581.

5. Kapitel. Der Streit zwischen Marbach und Zanchi. 1561 - 1 5 6 3 .

1. Abschnitt. Die konservativen Parteien. (Obrigkeit und Schule) Überblick. — Das Heßhusensche Buch. — Kirchendienst und Prädestination. — Stellung der butzerischen Partei und der sapiens et eloquens pietas {Thomasstift, Kirchenkonvent). — Stellung der Obrigkeit. — Verwicklung der Lehr Verhältnisse. — Kampf um die Lehre. — Angriff Marbachs (Juni 1562). 2. Abschnitt. Marbachs Luthertum Abendmahl und Prädestination. — Das Verdienst Christi. — Theoretische Wertung der lutherischen Auffassung. — Folgen dieser Auffassung für Wertung und Gestaltung des Kirchendienstes. — Folgen für die Parteipolitik (Stellung zur Obrigkeit und zur Schule). 3. Abschnitt. Verwicklungen im Stift. Konkordle (1668) Die Kistenrechnung. — Munizipalexamen. — Schulfragen. — Protest des Thomasstifts. — Gutachten der XIII. — Unfähigkeit der Obrigkeit zur Superintendentur. — Die Konkordie. — Ihre Schwäche. — Zanchis Abzug. — Fall der Tetrapolitana. — Marbach und Jakob Andreä.

Seite

195

211

226

6. Kapitel. Verfeindung Marbachs und Sturms. 1565—1575. 1. Abschnitt. Entwicklung der Gegens&tse. 1662—1670 Schulkonvent und Theologen (1562). — Die sapiens et eloquens pietas und die Gutachten zur Akademie (1567). — Zersetzung der sapiens et eloquens pietas. — Mißglückte Schulreformation (1565). — Schwäche des Schulkonvents in der Akademie und Mängel des Unterrichts. — Karl Müg (Scholarch) und Marbachs Schulregiment. — Sturms Entlassungsgesuch (1569). — Sein humanistisches und kirchliches Programm. — Stellung der Obrigkeit.

236

2. Abschnitt. Streit und Entscheidung. 1671—1676 . . 256 Weitere Mißstände. — Sturms Brief (1571). — Ver-

XIV

Inhaltsverzeichnis. mittlungsversuche. — Mißerfolge Marbachs (Frühjahr 1572). — Karl Lorcher, Schulherr. — Die Streitschriften. — Bildung und Kirchenkonvent. — Eingreifen der Obrigkeit (Herbst 1573). — Schul- und Kollegienreformation. — Lutherische Superintendentur der Obrigkeit. — Kampf um den Kirchenkonvent. — Niederlage der Schule.

Sei»

7. Kapitel. Der Sieg der Orthodoxie und Sturms christlicher Humanismus. 1. Abschnitt. Der Kampf swisehen Sturm und Pappus (1578—1681) 271 Die Konkordienformel. — Ubiquität. — Marbach und Pappus als Lehramtstr&ger. — Prediger, Obrigkeit und Schule über die Konkordienformel. — Glaube und Liebe. — Des Pappus Disputation. — Pappus und Sturm. — Ereignisse der Kampfjähre (Kirchenkonvent, Reformation der Pfalz, Neudruck der Tetrapolitana). — Zuspitzung der Lage. (Michel Lichtensteiger, Ammeister.) — Der Sommer 1581. — Sturms Absetzung. — Die Superintendentur. — Resultat. 2. Abschnitt. Sturms christlicher Humanismus . . . . 29> Charakteristik. — Rechtfertigung und Prädestination. — Sakrament des Abendmahls und Kirche. — Predigtamt und vir bonus et doctus. — Synode. — Liebeskirche. — Sturm als Politiker. — Sturm als Künstler. — Sturms Lebensabend.

Berlehttgnng. Da der erste Teil des vorliegenden Bandes als Doktor-Dlssertatlon diente stimmen die Normen der Bogen 1—7 nicht mit dem Titel flberein.

Verzeichnis der Abkürzungen. ( N a c h den S t i c h w o r t e n alphabetisch geordnet.)

1. Gedruckte Quellen. ( W o der Autor nicht g e n a n n t ist, ist es Sturm.)

A c a d . epp. : Acaderniiae epistolae urbanae. 1569. Vormb a u m , pag. 709 ff. — Durch ein Versehen scheint diese Schrift Sturms nicht von S c h m i d t , l a v i e , (p. 314 ff.) in den Katalog der Sturmschen Werke aufgenommen zu sein. Ambrosia: Joan. Sturmii . . . epistolarum eucharisticarum libri secundi: epistola secunda. Ambrosia, ad J o a n n e m Pappum. Neustadt 1581. de a m i s s a : De amissa dicendi ratione libri duo. S t r a ß b u r g 1538. Ep. apol. contr. Jacob. A n d r : Jo. Sturmii epistola apologetica Jac. Andreae alterum flagrum Aegyptium, suae Theologiae doctorem Tubingensem. N e u s t a d t 1581. nobil. a n g l . : Epistolae duae R. Ashami et J . Sturmii de nobilitate anglicana. S t r a ß b u r g 1551. H a 11 b. pag. 289 ff. A n t s t . I, I I ; Luc. Osiandri Antisturmius unus Tübingen 1579. — Luc. Osiandri Antisturmius alter. Tübingen 1580. A p . I, II, III, IV, 1, 2, 3, 4: Jo. Sturmii Antipappi tres . . . (Genevae) 1579. Jo. Sturmii quarti Antipappi tres partes priores. Neustadt 1580. Jo. Sturmii Pappus elenchomenus primus, Antipappi quarti pars quarta. Neustadt 1581. A r . 1570: Aristoteles Rhetoricorum libri III. S t r a ß b u r g 1570. Mit Scholien von Sturm. C a r d . : Epistola de emendanda ecclesia, ad cardinales caeterosque viros ad eam consultationem delectos. S t r a ß b u r g 1538. C l a s s , epp. : Classicarum epistolarum libri I I I , sive scholae Argentinensisrestitutae. S t r a ß b u r g 1565. V o r m b a u m , pag. 678 ff. S o h m , Begriff u. Schule der sapiens et e l o q u e n s pietas.

1

2

Verzeichnis der Abkürzungen.

C o r a m o n i t i o : Jo. Sturmii commonitio oder Erinnerungsschrift. Einer christlichen Bürgerschaft zu gutem in teutsche Sprache gegeben . . . . Neustadt 1581. C. R. = Corpus Reformatorum. Ph. Melanchthonis Opera, ed. C. G. Bretschneider et H. E. Bindseil. Hai. Brunsv. 1854—60. C. R. Calv. = Corpus Reformatorum. J. Calvini Opera ed. G. Baum, E. Cunitz, E. Reuß. Brunsv. 1863 ff. D e f. I, II, IV, 2: Jo. Pappus Defensiones duae . . . Tübingen 1580. — Jo. Pappi Defensiones quartae partes tres priores. Tübingen 1581. Part, d i a 1 e c t. : Partitiones dialecticae. Libri IV. Straßburg 1560. univ. rat. e 1 o c u t. : de universa ratione elocutionis rhetoricae libri IV. Straßburg 1576. E r a s m u s : De morte reverendissimi principis domini Erasmi Argentinensis episcopi, aliquot epistolae. Straßburg 1569. F e c h t Joa. : Historiae ecclesiasticae saeculi decimi sexti supplementum, constans epistolis theologorum ad Marbachios. Francof. et Spirae 1684. F o u r n i e r - E n g e l (zitiert F. - E.) : L'université de Straßbourg et les académies protestantes françaises. Paris 1894. ( QuellenSammlung.) H a 11 b. : Johannis Sturmii de institutione scholastica opuscula omnia. Jena 1730. — Die in diesem Sammelwerk abgedruckten Schriften St.'s sind, soweit sie nicht V o r m b a u m bringt, unter H a 11 b. zitiert. H a u e n r e u t e r : Jo. Lud. Hauenreuter, Adagia classica, scholiB Argentinensibus digesta. Straßburg 1573. Vorrede von Sturm. de i m i t. : De iinitatione oratoria libri tres cum scholis eiusdem autoris, antea nunquam in lucem editi. Straßburg 1574. (Unpaginiert.) Schol. L a u . : Scholae Lavinganae. Straßburg 1565. V o r m b a u m , pag. 723 ff. L i b e r a c a d . : Ad Philippum comitem Lippianum, de esercita tionibus rhetoricis, liber academicus. Straßburg 1565, 1575. (Unpaginiert.) de 1 i 11. lud. : de litterarum ludis recte aperiendis über. Straßburg 1538. V o r m b a u m , pag. 653 ff. n o b i 1. litt.: Nobilitas litterata ad Werteros fratres 1549. Straßburg. H a 11 b. pag. 27 ff. O n o m a s t i c o n : Onomasticon latino-germanicum, in usum scholae argentin, collectum a Theophilo Golio. Straßburg 1579. Vorrede von Sturm.

Verzeichnis der Abkürzungen.

3

Part, o r a t.: In partitiones oratorias Ciceronis dialogi IV. 1539. 1545. Straßburg. p o e t. vol.: Poética volumina sex cum lemmatibus J . Sturmii. Straßburg 1565. Mit Vorrede von Sturm. P r o I e g g.: Joh. Sturmii Prolegomena . . . . Zürich 1556. — Hier auch: de educatione principis ad Guil. ducem Juliacensem. H a 11 b. pag. 1 ff. Ling. lat. r e s o 1 v.: Linguae latinae resolvendae ratio, tradita in celebri Reipublicae Argentoratensis academia anno 1573, et nunc primum in lucem edita per Joh. Lobartum. Straßburg 1581. R i c h e l : Sturm an Josias Richel: Strasburg, 24. August 1567. Gedruckt bei H a 11 b.: Dissertatio de meritis Johannis Sturmii, pag. 20. Ep. an S a d o l e t : Epistolae de dissidiis religionis, Jacobi Sadoleti, Jacobi Omphalii, Jo. Sturmii. Straßburg 1539. de s t a t i b u s : De statibus causarum civilium universa doctrina Hermogenis. . . explicata a J. Sturmio. Straßburg 1575. adv. T u r c a s : De bello adversus Turcas perpetuo administrando, ad Rudolphum II. Imp., commentarii sive sermones tres. — edd. Reusner. Jena 1598. — Ebenda zwei Prologe Sturms [Sagatus (1577) und Loricatus (1578)]. — De bello adversus Turcas libellus epitomicus. — Epistolae J . Sturmii de turcico bello perpetuo administrando. — Beides: Jena 1598. V o r m b a u m : Reinh. V.: Evangelische Schulordnungen. Bd. I : Die evangelischen Schulordnungen des 16. Jahrhunderts. Gütersloh 1860. — Hier Sturms wichtigste pädagogische Schriften in der Beilage, pag. 653 ff. V o r t r a b : Jo. Sturmii Vortrab. Wahrh. und bestendiger Gegenbericht wider J. Andree Schmidlins ungründtl. Lesterbericht. Neustadt 1581. Z. E p p = Zanchi (Hieron.). Epistolarum libri duo. Hanoviae 1609. Eine vollständige B i b l i o g r a p h i e des theologischen Kampfes Sturms 1578—1581 gibt: Jac. Wilh. Feuerlin. Bibliotheca symbolica evangelica Lutherana. Nürnberg 1768. pag. 199 ff. 2. Ungedruckte Quellen. C h r y s o s t o m u s . Sturms Vorlesung über Chrysostomus. V. E. XIV. — Auch Th. A. 32. Marbachs Antwort 1572, pag. 100 f. (gekürzt). D e c o e n a 1561. Sturms Abendmahlsbekenntnis. V. E. XIV. — Auch Th. A. 32. Marbachs Antwort 1572, pag. 93 ff. 1*

4

Verzeichnis der Abkürzungen.

D. M. = Diarium Marbachii Th. A., das sehr inhaltreiche Tagebuch des Kirchenkonventspräsidenten. Mit Unterbrechungen von Ende 1552—1556 reichend. I n t e r i m . = Auszug aus dem Protokollbuch von Rh. X X I . , das Interim betreffend. Th. A. K. St. = Korrespondenz Sturms. Th. A. Abschriften aus Ms. Paris. M. O. = Mandate und Ordnungen. St. A. M s . P a r i s . = Die im Vorwort erwähnten, im Besitz des Herrn Pfarrer Schmidt zu Paris befindlichen Abschriftenbände Karl Schmidts. R h. X X I = Protokollbuch von R ä t und Einundzwanzig. St. A. Über diese Behörde vgl: pag. 22. Anm. 1. St. A. = Stadtarchiv Straßburg. Th. A. = Thomasarchiv, zurzeit im St. A. Die einzelnen Nummern (Th. A. 32) beziehen sich auf die einzelnen Faszikel. Th. B. = Thesaurus Baumianus. Briefabschriften aus der ersten Straßburger Reformationszeit, gefertigt von Joh. Wilh. Baum. Strasburg, Landes- und Universitätsbibliothek. V. E. = Varia ecclesiastica. 16 Bände. Th. A. 8. Allgemeine Literatur. A n r i e h : Die Straßburger Reformation nach ihrer religiösen Eigenart und ihrer Bedeutung für den Gesamtprotestantismus. Christliche Welt. Jahrgang 1905. Spalte 583, 602, 630. B a r t h : Die Geschichte der Erziehung in soziologischer Beleuchtung VIII. Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie und Soziologie. X X X I I I . Jahrgang. N. F. VIII. Leipzig 1909, pag. 66 ff. B a u m Joh. Wilh. (zitiert B a u m ) : Capito und Butzer, Straßburgs Reformatoren. Elberfeld 1860. 3. Teil von: Leben und ausgewählte Schriften der Väter und Begründer der reformierten Kirche. B a u m Adolf (zitiert A. B a u m ) : Magistrat und Reformation in Straßburg bis 1529. Straßburg 1887. B u s s i e r r e , vicomte M. Th. de: Histoire de développement du protestantisme à Strasbourg et en Alsace. Strasbourg 1859. B o ß l e r : In K. A. Schmids Enzyklopädie des gesamten Erziehungs- und Unterrichtswesens, Bd. IX, pag. 311 ff. E n g e l Charles: L'école latine et l'ancienne académie de Strasbourg 1538—1621. Strasbourg 1900. (Zitiert: E n g e l , l'académie.)

Verzeichnis der Abkürzungen.

5

E n g e l Charles: Das Schulwesen in Straßburg vor der Gründung des protestantischen Gymnasiums 1538. Programm des protestantischen Gymnasiums 1886. (Zitiert: E n g e l 1886.) Derselbe: Das Gründungsjahr des Straßburger Gymnasiums 1538 bis 1539. Festschrift des protestantischen Gymnasiums zu Straßburg. Straßburg 1888. Vgl. Fournier-Engel unter Nr. 1. E c k s t e i n : Vortrag über Joh. Sturm auf der 24. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner zu Heidelberg 1865. I n : Neue Jahrb. für Philologie und Pädagogik, 2. Abtig., 1866, pag. 6 ff. Handschriftenproben des 16. Jahrhunderts. Herausgegeben von Dr. Joh. Ficker und Dr. Otto Winckelmann. Straßburg 1905. (Zitiert: H a n d s c h r i f t e n p r o b e n . ) H o r n i n g Willi.: Dr. Johann Marbach. Straßburg 1887. (Zitiert: H o r n i n g, M a r b a c h . ) Derselbe: Dr. Johann Pappus. Straßburg 1891. (Zitiert: H o r n i i i g , P a p p u s.) Derselbe: Handbuch der Geschichte der evangel.-luther. Kirche in Straßburg unter Marbach und Pappus. Straßburg 1903. (Zitiert: H o r n i n g , H a n d b u c h . ) K ü c k e l h a h n L.: Joh. Sturm. Straßburgs erster Schulrektor. Leipzig 1872. L a a s E.: Die Pädagogik des Joh. Sturm, historisch und kritisch beleuchtet. Berlin 1872. L a n g A . : Der Evangelienkommentar Martin Butzers und die Grundzüge seiner Theologie. Leipzig 1900. In : Studien zur Geschichte der Theologie und der Kirche; edd. N. Bonwetsch und R. Seeberg. 2. Bd., Heft 2. (Zitiert: L a n g . ) P a u 1 s e n : Geschichte des gelehrten Unterrichts. 2. Aufl. Leipzig 1896, 1897. R a t h g e b e r Jul.: Straßburg im 16. Jahrhundert. Stuttgart 1871. R a u m e r K. v.: Geschichte der Pädagogik, vom Wiederaufblühen klassischer Studien bis auf unsere Zeit. 4 Bände. 1. Aufl. Stuttgart 1842-45. R ö h r i c h Tim. Wilh.: Geschichte der Reformation im Elsaß und besonders in Straßburg. Straßburg 1830. 3 Teile. (Zitiert: Röhr., Gesch.) Derselbe: Mitteilungen aus der Geschichte der evangelischen Kirche des Elsasses. Paris-Straßburg 1855. 3 Bände. (Zitiert: R ö h r . M 111 g.) S c h m i d t Charles: La vie et les travaux de Jean Sturm. Strasbourg 1855. (Zitiert: S c h m i d t , la v i e . )

6

Verzeichnis der Abkürzungen.

S t r o b e 1: Histoire du gymnase Protestant de Strasbourg. Strasbourg 1838. T r e n ß (und Ihme): Die luth. Kirche unter Dr. Marbach. In Delitzsch und Guerikes Zeitschrift für die gesamte lutherische Theologie und Kirche, 1872, pag. 302 (f. Derselbe: Zur Geschichte der Straßburger Kirche unter Dr. Marbach. In W. Hornings Beitr. z. Kirchengesch, des Elsaß. Jahrg. 1886. V e i l : Zum Gedächtnis Johannes Sturms. Festschrift des protestantischen Gymnasiums zu Straßburg. Straßburg 1888. pag. 1 ff. W i n c k e l m a n n O.: Straßburgs Verfassung und Verwaltung im 16. Jahrhundert. Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins. N. F. Bd. XVIII, pag. 493 ff. (Zitiert: W i n c k e l m a n n , Z. f. G.) Z i e g l e r Th.: Geschichte der Pädagogik. 1. Bd., 1. Abt. des Handbuchs der Erziehungs- und Unterrichtslehre für höhere Schulen. Herausg. von Baumeister. 3. Aufl. München 1909. Weitere Literatur über Sturm bei: F i c k e r Joh.: Artikel Sturm in Haucks Real-Enzyklopädie. S c h m i d t : la v i e , pag. 332.

Einleitung. 1. Abschnitt. Die Aufgabe. Im Kampf zwischen Erasmus und Luther gestehen H u m a n i s m u s und R e f o r m a t i o n einander, daß sie nicht Geist von einem Geiste sind. Der kummervolle Lebensabend Melanchthons, das Schicksal seiner Anhänger reden erschütternd dieselbe Sprache. Und doch ist es das immer wiederkehrende Doppelwort von »Kirche u n d S c h u l e « , das die Kirchenreformation begleitet 1 ). Wurde hier nicht eine der reifsten Früchte des deutschen H u m a n i s m u s : sein neuorganisiertes, neudurchdachtes Schulwesen von der Kirche mit Freuden aufgenommen ? — Konnte diese Frucht, wenn sie vom H u m a n i s m u s angeboten wurde, der R e f o r m a t i o n unschädlich sein ? Es gilt, um diese Frage beantworten zu können, das humanistische Schulwesen daraufhin zu prüfen, wieweit in ihm kirchenfreundliche, kirchenfeindliche Mächte lebendig sind, und es gilt anderseits, um dieser Frage der der S c h u l e willen, eine klare Anschauung von dem zu geben, was die neue K i r c h e der Reformation ihren 1 ) Die niederen (deutschen) Schulen fallen aus dem Rahmen unserer Betrachtung. Für uns handelt es sich nur darum, wie weit der H u m a n i s t sich in oder neben der Kirche zu behaupten weiß.

8

Einleitung.

Grundsätzen nach von der B i l d u n g verlangen konnte. Die Lösung dieser Aufgaben wird erstes Bedürfnis für eine Arbeit, die das Verhältnis von Kirche und Schule im 16. Jahrhundert darstellen will. In engem Rahmen möchten wir dieser Fragestellung gerecht werden. W i r wählen die Reichsstadt S t r a ß b u r g als Feld der Untersuchung. J e mehr wir versuchen, die I d e e n von Kirche und Schule zu erkennen und zueinander in Beziehung zu setzen, um so gespannter möchten wir auch die ungezwungene W i r k l i c h k e i t , beobachten, in der Kirche und Schule ihr gemeinsames Dasein führen. Erst wenn man den Gedankenflug von Humanismus und Reformation wieder einfängt in die enge Alltäglichkeit des 16. Jahrhunderts — wenn man sieht, wie ihre prinzipiellen Möglichkeiten und Unmöglichkeiten, sich in ein ideelles Verhältnis zu setzen, einmal lebendige Fülle waren, von Menschen geglaubt, erhofft oder bekämpft mit aller Wandelbarkeit des Herzens — dann erst steht das Verhältnis von Kirche und Schule in geschichtlicher Treue vor uns. So treten wir hinter die vieltürmigen Mauern Straßburgs, um hier die internationalen Fragen des Evangeliums und der Renaissance in ihrer lokalen Erscheinung und durch die Umständlichkeit der Wochentage, der Schulbücher, der Konvente und Ratssitzungen hindurch zu verfolgen. Alle theologische und pädagogische Systematik darf uns nur noch zu einem Lichtschein werden, der die schöne undogmatische Wirklichkeit durchdringt, ohne ihr die geheimnisvollen Schatten des Unerklärlichen zu nehmen 1 ). ') Wenn unsere Darstellung das prinzipielle Verhältnis von »Prediger« und »Orator« herauszuarbeiten versucht und schon hierbei das Spiel dieser Begriffe nicht zu der Notwendigkeit der Straßburger Ereignisse werden lassen will, so werden für die Gesamtgeschichte von Humanismus und Reformation unsere Ausführungen um so mehr von nur heuristischem Wert. W a s in Straßburg aus

1. Abschnitt.

Die Aufgabe.

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Wenn wir uns damit die Frage nach dem ideellen und dem praktischen Verhältnis zwischen Kirche und Schule Straßburgs gestellt haben, so treten für uns beide Institute sich gegenüber wie zwei elektrische Pole, zwischen denen Funken hin und her fliegen. Nur dort, wo diese Zeichen der Feindschaft oder der Freundschaft einander auslösen, und nur dort, wohin diese Funken ihr Licht werfen, beschäftigt uns das pädagogische und das religiöse Problem. Da blitzen in Kirche und Schule neue Fragen auf und zeigen uns zugleich, welch wertvoller Schauplatz gerade Straßburg für unsere Untersuchung ist. Die Schule Johannes Sturms, die in Straßburg uns entgegentritt, darf als eine klassische Schöpfung deutschh u m a n i s t i s c h e r Pädagogik angesprochen werden. Je mehr sie aber zugleich innerlich verwandt ist mit den großen Schulschöpfungen M e l a n c h t h o n s , um so wertvoller wird auch ihr Charakter für die allgemeine R e f o r m a t i o n s geschichte. Sturm, einseitiger begabt als der praeceptor Germaniae, läßt die Entwicklung und die Bedeutung eines humanistischen Begriffes, der auch für Melanchthon von hervorragender kirchlicher Bedeutung ist, besser erkennen als dieser: den Begriff des vir b o n u s et d o c t u s . Vom vir bonus et doctus erwarten beide die Beilegung religiösen Zankes. Nach diesem v i r b o n u s e t d o c t u s , d. h. nach ihrem s i t t l i c h e n und w i s s e n s c h a f t l i c h e n I d e a l haben wir die Straßburger Schule vor allem zu fragen. Diesen, ihren Kern und Stern haben wir zu finden, denn von hier aus ergibt sich der Übergang von der Schule zur Kirche. mannigfachsten I r s a c h e n sich grundsätzlich sonderte, klärte und b e k ä m p f t e , das verwob und versöhnte sich im Leben unzählig vieler Humanisten-Theologen zu einer bald mehr bald weniger fruchtbaren Einheit. Zur Erkenntnis dieser Einheit möchte eine Darstellung der Straßburger Trennung Beiträge sammeln.

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Einleitung.

Es liegt damit nicht in unserer Absicht, die Schule Sturms als Schule und p ä d a g o g i s c h bewerten zu wollen. Wir wollen sie auch nicht betrachten innerhalb der Schul g e s c h i e h t e 1 ). Aber trotzdem müssen wir pädagogische und historische Fragen berühren. Die historische Frage führt uns weniger in die Umgebung und zu den Vorgängern Sturms als in das A l t e r t u m . Der Humanismus predigt die Nachahmung, die Wiedergeburt der Antike. In der Antike, im O r a t o r liegt das sittliche und wissenschaftliche Ideal Sturms. Diesen O r a t o r gilt es zu zeichnen und in Beziehung zu setzen mit der Straßburger Schule — und Kirche. Was l

) Von beiden Gesichtspunkten aus, bald mehr von der systematisch-pädagogischen, bald mehr von der schulgeschichtlichen Seite aus, ist Sturms Pädagogik bisher geschildert. K. v . R a u m e r (hier und bei den folgenden Namen vgl. das Abkürzungsverzeichnis Nr. 3) greift als erster den Formalismus und die (römische) Gesinnung der Straßburger Schule an. E c k s t e i n und K ü c k e l h a h n verteidigen Sturm. L a a s bekämpft Kückelhahn und Sturm als Historiker und moderner Schulmann. Vortrefflich sind die sachlichen Ausführungen B o ß l e r s . P a u l s e n und Z i e g1 e r müssen vom Standpunkt des Pädagogen Sturms Erziehungsideal in seiner formalistischen Tendenz skeptisch betrachten. — Indem wir versuchen, dies Ideal aus antiken Gedanken zu verstehen und es in seiner Verwirklichung bis in den Kirchenkampf (über die Hörsäle hinaus) zu verfolgen, hoffen wir, ihm mehr Inhalt geben zu können. In verwandtem Sinne, doch ohne längeres Verweilen, reiht schon B a r t h Sturms Pädagogik in die deutsche Reformation ein. — Das Straßburger Schulleben mehr in seiner anschaulichen Lebendigkeit schildern S t r o b e l , V e i l und E n g e l , doch macht es sich bei letzterem spürbar, wie unmöglich es ist, die Straßburger Schulgeschichte von der Kirchengeschichte abzusondern. — F o u r n i e r - E n g e l gibt eine inhaltsreiche, aber nicht ganz glücklich ausgewählte Aktensammlung für das erste Jahrhundert der Sturmschen Schule und Akademie. — Eine Biographie Sturms bringt Karl S c h m i d t , die, fast durchweg zuverlässig, ein lebendiges Bild des Rektors zeichnet. Sie ist die unentbehrliche Grundlage jeder Sturmforschung. Dazu der Artikel »Sturm« von Joh. F i c k e r in Haucks Realenzyklopädie.

1. Abschnitt.

Die Aufgabe.

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wurde »wiedergeboren« vom Altertum, um der Reformation zu helfen ? Nur anzudeuten haben wir neben dieser wichtigsten Frage, in welcher humanistischen Tradition Sturm durch Entwicklung und Erziehung steht. Es ist diese Tradition, als Ganzes gesehen, für unsere Untersuchung zu einförmig und in der für uns wesentlichen Frage nach dem kirchlichen Wert des oratorischen Humanismus zu wenig differenziert, Sturm auch ihr gegenüber zu wenig originell, als daß wir hier uns tiefer einlassen dürften. Nur mit einem Manne, und wieder mit Melanchthon, haben wir den Straßburger Rektor zu vergleichen. Arbeiten sie doch beide an dem Problem, den Humanismus für die n e u e Kirche der Reformation fruchtbar zu machen. Bei aller Ähnlichkeit beider Geister weicht Sturm hier aber in e i n e m Punkte von dem Wittenberger a b : Er faßt das Ideal des Orators antiker auf als Melanchthon. Dies führt uns zur p ä d a g o g i s c h e n Seite unserer Aufgabe. Es handelt sich um die Frage, wie weit bei Sturm der oratorische Gedanke des U n i v e r s a l m e n s c h e n bestehen bleibt neben der pädagogischen Forderung einer klaren, sachlichen, fachwissenschaftlichen Erziehung. Für die K i r c h e heißt dies: Wie weit bezieht die Schule die Lehre vom Gotteswort, die Theologie ein in die a l l g e m e i n e B i l d u n g , — um damit dem Gedanken des a l l g e m e i n e n P r i e s t e r t u m s sich zu nähern? Für die Schule bedeutet es: Wie weit wird S a c h Unterricht getrieben ? Wir werden erkennen, wie gerade Sturms Tendenz, auf f o r m a l i s t i s c h e Weise S a c h Unterricht zu geben, dem Versuch, den Schülern u n i v e r s a l e Bildung beizubringen, entspringt und zugleich in der Welt des Redners heimisch ist. Neben dies pädagogische Problem der r e r u m c o g n i t i o tritt die gleichfalls pädagogisch wertvolle Frage nach dor G e s i n n u n g , zu der Sturms Schüler erzogen wird.

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Einleitung.

Sie zeigt uns den Weg zum religiösen Leben, zugleich aber auch den Weg zum Staat. Es ist s o z i a l e Gesinnung, die Sturms Humanismus pflegt. Offen darf deshalb der Staat ihm entgegenkommen. Skeptisch aber muß er sich dem Problem des Universalmenschen gegenüber verhalten. An der Fachausbildung des einzelnen hat nicht nur die Kirche, hat auch er, der Staat, ein Interesse. Die Reformation steigert seine kulturellen Aufgaben ungemein. Er nimmt die Pflicht auf sich, das geistige Leben zu regeln. Da bedarf er der kompetenten Fachmänner, der Ordnungen gerade auf geistigem Gebiet. Die O b r i g k e i t Straßburgs wird uns über Kirche und Schule als die ordnende Macht erscheinen 1 ). Wir müssen sie unmittelbar in unsere Untersuchung einbeziehen. Die Ideen von Kirche und Schule erhalten durch ihre Hand die praktische Ausgestaltung. Der Machtkampf um die Gedanken des Evangeliums, der Antike, wird oft ein Machtkampf um die Organisation. Hier finden wir den unmittelbaren Übergang in die lebendige Wirklichkeit. Hier tritt politisches Geschick, Gevatternschaft, finanzielles Interesse, Charakter und Zufall auf den Plan. Kirche und Schule setzen sich aber auch durch ihre Prinzipien in ein ganz bestimmtes Verhältnis zur Obrigkeit. Doch während hier die Schule sich stets gleichbleibt, ändern sich die Gedanken der K i r c h e . Wir haben hier eine Ideenentwicklung von bedeutsamem Interesse zu schildern, aber wir haben, wie bei der Schule, so auch jetzt b e i d e r K i r c h e auszugehen von einer mehr systematischen Schilderung ihrer G r u n d s ä t z e , d . h . von einer Darstellung des C h r i s t e n t u m s , auf dem sie zu Beginn der ReformationsFür die Straßburger Verfassung im 16. Jahrhundert maßgebend 0 . W i n r , k e l m a n n , Z. f. G.

1. Abschnitt.

Die Aufgabe.

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zeit sich aufbauen, mit dem sie der Schule entgegenkommen kann. So zart sind diese Grundsätze, daß für Straßburg erst ein Jahrzehnt vergehen muß, eh sie die Kraft entwickeln, sich in einem geordneten Kirchenwesen auszuprägen. Und erst dann, d. h. bei geklärten Organisationsformen, kann man sicher über das Verhältnis von Kirche und Schule sprechen, findet die Schule ein Recht oder Unrecht für ihre Stellung in den späteren Kampfjahren. Erst in das Jahr 1534 fällt die Organisation der Straßburger Kirche. Es ist B u t z e r s praktischer biegsamer Sinn, und J a k o b S t u r m s , des Stettmeisters, politischer Geist, die hier vor allem einflußreich werden — zuerst sich fördernd — dann sich befehdend. Für die Kirchengeschichtsschreibung Straßburgs ist diese Entfremdung beider Männer und die immer stärker werdende Neigung Butzers zur Ausbildung einer korrekt organisierten Kirche von Einfluß gewesen. Für die liberalen Historiker erlahmt hier das Interesse, für die orthodox lutherischen ist diese Epoche als die des Zwinglianismus und Kalvinismus minderwertig. Ungleich wichtiger muß sie für uns werden, denn gerade in dieser Zeit (1538) findet die Schule durch Johannes Sturm ihre klassische Gestalt 1 ). M Grundlegend für die Straßburger Kirchengeschichte bleibt H ö h r i c h , in seiner »Geschichte« und seinen »Mitteilungen«. Die beiden Führer unter den Theologen (Kapito und Butzer) schildert J. YV. B a u m , allerdings ausführlich nur bis 1530. Seine persönliche liberale Gesinnung ist die Stärke und Schwäche seiner Arbeit. Bei weitem unwissenschaftlicher verfährt die lutherische Richtung: T r e n ß , H o r n i n g , die polemisch für die Lutheraner Straßburgs (Marbach und Pappus) eintritt, doch bringt vor allen Dingen Horning wertvolles Material. — Unbrauchbar, soweit er selbständig vorgeht, ist der katholische B u s s i e r r e . So urteilt auch Ad. B a u m in seiner Untersuchung über das Verhältnis der Obrigkeit zur Straßburger Reformation. — Sehr spürbar

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Einleitung.

So muß unsere Darstellung versuchen, die Lücke der Literatur, wenn auch nicht auszufüllen, so doch zu überbrücken, und es gesellt sich zu der Aufgabe, Grundsätze, Organisationen und anschauliche Wirklichkeit zu schildern, die neue und über das engere Thema scheinbar hinausgehende, der k i r c h l i c h e n Entwicklung von 1534 an ein besonderes Interesse zuzuwenden. Schon in dem Augenblick, da Sturm 1538 seine Schule organisiert, sind in der Straßburger Geistlichkeit Gedanken lebendig, die das Kirchengebäude von 1534 stürzen sollen. Das Gymnasium fügt sich in einen Rahmen ein, der der Vergangenheit preisgegeben ist. Es vollzieht sich in der Kirche allmählich ein Umschwung, der schließlich zu einer veränderten Reaktion zwischen Kirche und Schule führen muß. Die Schule tritt der Kirche feindlich gegenüber. Von 1561 bis 1581 wogt der Kampf hin und her, um mit der Niederlage Sturms zu enden. Die Schilderung dieses Kampfes würde in der Luft schweben, die Stärke des theologischen Gegners wäre unverständlich, wenn man nicht die lückenlose kirchliche Entwicklung verfolgen wollte, welche die Prediger schließlich zum Siege führt: zum Siege über die Schule — und über die Obrigkeit. So müssen wir von den Organisationsjahren der Kirche an ( 1 5 3 0 - 1534) die Trias: Kirche, Schule und Obrigkeit in ihren gegenseitigen Beziehungen verfolgen und dabei der Kirche als der sich verändernden Größe die Führung überlassen. Sie bietet uns ein überaus buntes ist nach wie vor der empfindliche Mangel einer Butzermonographie, die jedoch, was die Theologie des Reformators anbetrifft, durch L a n g vorzüglich vorbereitet ist. — A n r i e h setzt die StraBburger Reformation in Zusammenhang mit der allgemeinen E n t wicklung ihres Zeitalters. — Wertvolles Material (und Literaturnachweise) bieten die H a n d s c h r i f t e n p r o b e n . — Unberücksichtigt bleibt das einseitige Hausbuch Rathgebers.

1. Abschnitt.

Die Aufgabe.

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Bild. Denn, wenn schon oft darauf hingewiesen ist, welche Bedeutung die Butzersche Theologie für die Entwicklung von Zwingiis Lehre zum Kalvinismus gewonnen hat, so muß es von doppeltem Interesse sein, an der Quelle Butzerscher Kirchenarbeit (in Straßburg selbst) zu beobachten, wie hier ein anfangs zwinglisch gedachtes Kirchenwesen hinüberstrebt zu kalvinischen Formen, indem es gleichzeitig lutherische Elemente aufnimmt. Man gewinnt eine Anschauung von der Biegsamkeit der kirchlichen Ideale in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Das Luthertum siegt in Straßburg. Aber auch dies Luthertum ist noch Wandlungen unterworfen. Philippistische Gedanken treten auf (Konkordie 1563), und erst nach einem Umweg über den Flacianismus erscheint die strenge Orthodoxie mit der Lehre von der Ubiquität. Sturm stellt sich mit seiner Schule dieser Entwicklung konservativ gegenüber. Doch auch bei ihm läßt sich ein Wechsel in der Schattierung seiner Religiosität wahrnehmen. Er folgt, von Butzer ausgehend, der deutschreformierten föderalistischen Theologie, zu der ihm sein Humanismus die unmittelbarsten Anregungen gibt. Wie mannigfaltig wird damit das religiöse Leben, in das die Straßburger Schule sich einfügt — bald um es zu befruchten, bald um eine kühle Ablehnung zu finden! Sie, das klassisch-humanistische Gymnasium, wird vor die bedeutsamsten Probleme der neukirchlichen Bewegung der Reformation geführt, um ihre Fähigkeit und Neigung zur Mitarbeit zu beweisen. Es erscheint gerechtfertigt, gerade Straßburg zu wählen, um Kirche und Schule des Reformationszeitalters in ihrem gegenseitigen Verhältnis zu erkennen. Wenn aber die in bedeutsamen Zügen kalvinistische Theologie Butzers in Straßburg vom Luthertum überwunden und damit zumal die Lehre von der P r ä d e s t i n a t i o n zurückgewiesen wird, — wenn anderseits

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Einleitung.

die Schule unterliegt mit ihrem melanchthonischen Ideal des v i r b o n u s e t d o c t u s , so deuten sich hier von fern die letzten Fragen an, über denen unsere Erzählung sich aufbaut. Der Gedanke der P r ä d e s t i n a t i o n , der Gedanke einer weltfrohen B i l d u n g müssen in dem Rektor Johannes Sturm vor einer Kirche zurückweichen, in deren Dogmen, wie verknöchert auch immer, durch christozentrische Mystik Gott vor der Spekulation geschützt werden soll. Wir werden erkennen, wie es das Gebiet der E t h i k ist, auf dem die Lehre von der Prädestination und humanistische Bildung einander begegnen, — wie es der prinzipiell unspekulative und so oft quietistische G l a u b e des Luthertums ist, der diese Ethik in ihre Schranken weisen will — und mit ihr die L i e b e. Kirche und Schule Straßburgs stehen sich im letzten Kampfe gegenüber mit dem Ruf: hier Glaube, hier Liebe! Diese beiden Mächte sind es, die von Anfang an im Straßburger Kirchenleben miteinander um den Ausgleich ringen. Wer ist der größeste unter ihnen ? Je nach der Antwort, die gegeben wird, gestaltet sich das Verhältnis zwischen Kirche und Schule. 2. Abschnitt. Die Kirche Straßburgs vom Beginn der Reformation bis 1530. x ) Zwei Männer haben wir schon als die ersten unter den Straßburger Reformatoren genannt: Jakob Sturm und Martin Butzer: jener das geistige Haupt der Obrigkeit, dieser der Führer unter den Predigern. Bezeichnend ist die Zweizahl: die senatorische Weisheit des Rates, die Glaubensglut der Geistlichen haben in wundersamem Verein dem neuen Evangelium Leben und Bestand in l

) Die in diesem Abschnitt gegebenen Daten beruhen zumal auf den Werken B a u m s und A. B a u m s .

2. Abschnitt.

Die Kirche Straßburgs bis 1530.

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der Reichsstadt gegeben. Wurde doch auch der Kampf um die Religion unmittelbar ein Kampf um politische Macht gegen die geistliche Obrigkeit des Bischofs und die exempten Enklaven des Klerus im städtischen Territorium. Beide Männer aber, Sturm wie Butzer, sind keineswegs Schöpfer der reformatorischen Bewegung in der Stadt gewesen. Erst 1523 wird der Prediger als Flüchtling in ihren Mauern aufgenommen, erst 1524 tritt Jakob Sturm in den Rat ein 1 ). Matthäus Zell ist es, der Pfarrer zu St. Lorenz am Münster, der schon 1521 als erster das reine Evangelium predigt und 1522 verkündet: »alle Menschen seind Pfaffen, selbst die Weiber.« Im gleichen Jahre erscheint des Laien Matthäus Wurm Schrift vom Bann »und daß aller geistlicher Stand schuldig ist der weltlichen Obrigkeit zu gehorsamen, ob sie Christen wollen seyn.« Die Straßburger Obrigkeit selbst aber läßt Prediger und Bürgerschaft gewähren, wenn sie auch das Edikt des Wormser Reichstags in der Stadt publiciert. Matthäus Zell ist es wieder, durch den der Magistrat zuerst zu einem entscheidenden Schritt getrieben wird. Als der Bischof gegen den Prediger vorgehen will, nimmt der Rat diesen in Schutz. Er läßt ihm und allen Leutpriestern ansagen: »ein jeder solle in seiner Kirche das Evangelium predigen mit der Wahrheit und niemand darum fürchten; der Rat wolle solchen beschützen und schirmen.« Zell aber erklärt in seiner Verantwortung an den Rat »daß er seine gnädigen Herren zu Richtern seiner Lehre bestimmt habe.« Der Erfolg ist ein obrigkeitliches Mandat vom 1. Dezember 1523 »daß auf allen t) Jakob Sturm hat bis dahin dem katholischen Klerus angehört I Vgl. J. Bernays Z. f. Gesch. d. Oberrheins N. F. XX, 1905, pag. 348 ff.: Jakob Sturm als Geistlicher, pag. 355: St. verzichtet erst mit dem Übergang zur städtischen Verwaltung auf kirchliche Beförderung. S o h m , Begriff u. Schule der sapiens et eloquens pietas.

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Einleitung.

Kanzeln nur das heilige Evangelium und die Lehre Gottes gepredigt . . . werden solle.« Im gleichen Jahre (1523) beginnt der Kampf des Rates mit den Stiftern der Stadt 1 ), die Geistlichen zur Annahme des Bürgerrechts zu zwingen. Und mag er hierbei auch aus rein politischem Interesse handeln — die oben genannte Schrift Wurms zeigt, daß ein solches Vorgehen zugleich auf dem r e l i g i ö s e n Programm der Bürgerschaft stand. Als Sieger geht der R a t hervor. Abgesehen von Propst, Dekan und Kapitel des hohen Stifts müssen bis Lichtmeß (2. Februar) 1525 a l l e G e i s t l i c h e n der Stadt d a s B ü r g e r r e c h t annehmen. 1524 und in den folgenden Jahren schreitet man ganz im gleichen Sinne, zum Teil gebeten von den Mönchen selbst,' zu einer S ä k u l a r i s a t i o n der K l ö s t e r . Hier, wie in den Stiftern, inventarisiert man den vorhandenen Besitz. Die Klostergefälle verwendet man zu Pensionen für die ausgetretenen Mitglieder, oder — sobald sie zu freier Verfügung stehen — für Almosen, Krankenpflege oder Schulzwecke. Ebenso müssen die S t i f t e r ihre Almosengelder in eine gemeinsame, vom R a t verwaltete Kasse abliefern. In späteren Zeiten nimmt der R a t sich das Recht, die in den Papstmonaten fälligen Pfründen mit seinen Kandidaten zu besetzen. — Der Rat anerkannt als Herr der Lehre! Der Rat anerkannt als weltlicher Herr auch über die Geistlichen! Der R a t auf dem Wege Herr über die finanziellen Kräfte kirchlicher Institute zu werden! — Das sind die Kennzeichen der Bewegung, in der die Bürgerschaft und mit ihr die Prediger stehen, als Jakob Sturm und Martin Butzer 1524 dienend in das Gemeinwesen eintreten. Wir sehr beide Männer geeignet waren, durch ihre Persönlichkeit die Herren der Ereignisse zu werden, wird l ) Es gab vier Stifter: das hohe Stift (Dom), St. Thomas, Alt St. Peter, Jung St. Peter.

2. Abschnitt.

Die Kirche Straßburgs bis 1530.

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im Laufe unserer Untersuchung hervortreten. Jetzt soll uns vorerst der Name Butzers den Weg in die religiöse Entwicklung der Stadt weisen. Zwei Namen unter der Geistlichkeit klingen bedeutungsvoll neben dem seinen: der K a p i t o s und der H e d i o s , beides .Männer, die auch erst im Jahre 1523 die Stadt betreten. Mit ihnen hat Butzer in großzügiger Gemeinschaft des Geistes der Straßburger religiösen Eigenart ihren Stempel aufgeprägt, allerdings nicht ohne auch in ihnen Züge eigenen Geistes in schmerzhaft-fremder Gestaltung wiederfinden zu müssen: Hedio, ruhig und klar, sollte ihm nicht folgen, als er, sich selbst vertiefend, das kirchliche Recht der Obrigkeit korrigieren wollte. Kapito, der feingebildete Philologe, der Freund des Erasmus, einst Domprediger zu Mainz, — zum Schwermut neigend, — sollte dem Spiritualismus des Täufertums gegenüber sich allzu schwach und nachgiebig zeigen. Aber über allen drei Männern liegt der feine Hauch, den weitherzige Gesinnung dem Menschen gibt, mag sie auch an manchem Punkte seine Schwäche werden. Es ist der Weg von Luther nach Z w i n g 1 i , den sie die Stadt gehen heißen. Von hier aus werden sie schon im Jahre 1524 zu einer Auseinandersetzung mit dem Wittenberger Reformator gezwungen. Neben den schweizerischen Einfluß aber gesellt sich ein zweiter: der Einfluß der Mystik und der W i e d e r t ä u f e r 1 ). Deutlich faßbar wird die Annäherung der Straßburger an Zwingli in der Sakramentslehre. Während Butzer hier ausgeht von Luthers Standpunkt, setzt mit dem Jahre 1524 die Schwenkung ein, nach der auch ihm und seinen Freunden schließlich das Wasser der Taufe, Brot und Wein des Abendmahls zu einfachen signa werden. Der Zusammenhang aber, in den für Butzer diese Wandlung tritt, erhält seine eigentümliche BeV) Das Folgende nach L a n g .

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Einleitung.

leuchtung durch die Auffassung des P r e d i g t a m t e s , des zweiten Gnadenmittels der Kirche neben den Sakramenten: Auch hier faßt Butzer den Akt der Predigt als solcher als etwas Ä u ß e r l i c h e s auf — damit er dem allwirksamen Walten des G e i s t e s Gottes keine Fesseln anlege. Diese Lehre von der A l l w i r k s a m k e i t des Geistes Gottes und eng mit ihr verbunden die E r w ä h l u n g s l e h r e sind die Zentren der Straßburger Theologie im ersten Jahrzehnt der Reformation. Beide rücken in dieser prinzipiellen Bedeutung das Glaubensleben der Stadt dicht unter den Einfluß des großen Züricher Reformators. Aber indem sie sich für Butzer weniger aus philosophischer Spekulation nähren, sondern ihn vielmehr die mystische »Theologie des Geistes« treibt und geradezu zaghaft macht gegenüber jedem M e n s c h e n werk (Sakrament, Predigtamt) im religiösen Leben, werden doch in dem scheinbar zwinglischen Rahmen Werte festgehalten, die einer rationalistischen Auffassung des Glaubensstoffes entgegenarbeiten. So ist es auch, wenn mit der ganzen späteren reformierten Kirche das S c h r i f t p r i n z i p energisch festgehalten wird und doch in der Auslegung der Schrift, wie im gesamten Glaubensleben dem Individuum im Namen des Geistes die größte Freiheit gelassen wird. Der letzte Spruch in Sachen des Glaubens »ist des heyligen geistes inn eins yeden gläubigen hertzen.« »Es ist gar viel kräftiger, w a s du s e l b e r von den Worten des Geistes fassest. Wer weiß auch was d i r G o t t wolle offenbaren.« »Wie kein Mensch für mich glauben kann, also kann auch nyemant für mich erkennen, was ich glauben soll1).« In diesem Sinne protestiert die Straßburger Kirche gegen Luther, als er unduldsam im Sakramentstreit l ) B u t z e r : Ein kurtzer warhafftiger Bericht von Disputationen usw. (mit dem Augustiner-Provinzial Träger). StraQburg 1524, Bogen G I l l b und Ob. — B a u m , pag. 365 ff.

2. Abschnitt.

Die Kirche Straßburgs bis 1530.

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seinen Glauben als den alleinig wahren hinstellen will, — als er sie warnt, ne lucem rationis pro spiritus luce habeant, und ihr mit seinem gewaltigen: »Nos enim fidei nostrae c e r t i s u m u s « begegnet. Für die Straßburger ist alle Lehre, alle Erkenntnis nur Stückwerk. Um des G e i s t e s , nicht um der r a t i o willen, mißachten sie alles Irdische, — auch die »fleischliche« Auffassung des Sakraments 1 ). Kein Wunder, daß solche Lehre, in der sich schweizerische Herbheit mit der Wärme und dem Enthusiasmus des Schwärmertums mischt, Widerhall findet in einer Stadt, deren ganzem Gehaben Züricher Gebaren aufs nächste steht, und deren freiheitlicher Sinn sie zu einem Hort flüchtender Sektirer aller Lande werden läßt. Jeden einzelnen in der Bürgerschaft ergreift die religiöse Bewegung, und die Schar der gläubigen Laien treibt die Laienobrigkeit weiter auf dem Wege der Reformation. Schon im Jahre 1524 handelt der Rat unter dem Einfluß bürgerlicher Unruhen, als er das Aufstellen von Reliquien verbietet, Altäre durch Tische ersetzt, die »ärgerlichsten« Bilder entfernt. Ja, schon in diesem Jahre hebt man die fünf »Kriegsmessen« auf. Der Kampf um die völlige A b s c h a f f u n g d e r M e s s e ist es, der schließlich die Reformation in Straßburg zum vollen Siege führt. Aber bezeichnend für die außerordentliche Behutsamkeit des Magistrats ist es, d a ß und w i e diese Abschaffung erst am 20. Februar i 5 2 9 stattfindet. Nach dem jahrelangen Drängen der Bürgerschaft wird hier in männlicher Reife und Besonnenheit das Für und Wider den versammelten 300 Schöffen durch das ganze Stadtregiment vorgelegt. Das »Mehr« erkannte g e g e n die Messe. »Da griff der Ammeister, der noch einzig nach alter Sitte bedeckt geblieben war, an sein Barett, lüftete es >) Luther an Kasel: 29. XI. 1528 bei: Th. K o l d e . Lutherana, Gotha 1883, pag. 70. — B a u m , pag. 399.

Analecta

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Einleitung.

und sprach: ,Bei Schöffen und Ammann einer löblichen Freien und Reichsstadt Straßburg, die Messe ist aberkannt' 1 ).« Die Republik hatte sich evangelisch erklärt. Die »Gemeinde« Straßburgs, Prediger, Bürgerschaft, Magistrat, hatte durch ihr »Regiment« über ihren religiösen Willen beschlossen. Sie konnte jetzt daran gehen, sich zu einer evangelischen »Kirche« zu konstituieren — soweit ihre freiheitliche Grundstimmung und der individualistische Zug ihrer Glaubenslehre dies zuließ. Schon im folgenden J a h r e (1530) wird ihr durch äußerliche Umstände ein Schritt aufgezwungen, der in ihren Mauern kirchenbildenden Tendenzen entgegenkommen muß: Auf dem Reichstag zu Augsburg überreicht sie neben den niederdeutschen Protestanten ein eigenes Bekenntnis, zugleich im Namen von Memmingen, Lindau und Konstanz, öffentlich wird an offizieller Stelle erklärt, was in Straßburg christlicher Glaube sei 2 ). Von diesem Bekenntnis, der sog. Vierstädtekonfession oder T e t r a p o l i t a n a , haben wir auszugehen, wenn wir den Ausbau der Straßburger Kirche schildern wollen. ') B a u m , pag. 449. — Der »Ammeister« jährlich gewählt aus den zünftigen Ratsherrn ist »Oberhaupt des Gemeinwesens«. E r führt den Vorsitz bei »Rat und X X I « (Rh. X X I . ) und bei den » X I I I « . Rh. X X I sind die »eigentlichen Träger der Staatsgewalt«. — Neben dem Ammeister stehen vier adelige *Städtmeister«, gewählt auf zwei Jahre, aber nur je zwei Vierteljahre im Amt. — Von den 20 Zünften der Stadt hat jede 15 ( = 300) Schöffen. W i n c k e 1 m a n n , Z. f. G. pag. 603 f., 516, 525. *) Schon 1528 fertigt Kapito im Namen der Geistlichen ein Bekenntnis für eine Vermittlungskomniission des Bischofs. B a u m , pag. 428 ff., 582.

3. Abschnitt.

Das Schulwesen Straßburgs bis 1530 etc.

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3. Abschnitt. Das Schulwesen Straßburgs bis 1630 und die Entwicklung Johannes Sturms. Auf dem gleichen Reichstage zu Augsburg, auf dem die Tetrapolitana den Glauben Straßburgs bekennt, rechtfertigt sich die Stadt auch über die vorgenommenen Veränderungen in den K i r c h e n gebräuchen und schildert in d i e s e m Zusammenhang den Zustand ihres S c h u l w e s e n s 1 ). Hand in Hand mit der Kirchenreformation geht die Schulreformation! In dem Augenblick, in dein die Obrigkeit die Leitung der Kirche übernimmt, widmet sie sich auch der Regelung der Schulangelegonheiten! Vor der Reformation war das Unterrichtswesen Sache der Geistlichkeit. Sie war es, die in den Stifts- und Klosterschulen die Erziehung der Jugend leitete. Wir sahen, wie mit der Reformation die Obrigkeit sich nach Möglichkeit zum Herrn über die Finanzkraft der geistlichen Güter macht. Alsbald versucht sie auch, diese für das Schulwesen zu verwenden 2 ). Wir werden für Sturms Schule darzulegen haben, wie weit dem gesamten Unterricht durch solche Maßregeln der kirchliche Charakter gewahrt bleibt. Zunächst genügen uns kurze Daten. Seit 1523 hören wir nichts mehr von den vier alten Stiftsschulen der Stadt. Schon 1524 petitionieren die Prediger im engsten Anschluß an religiöse Fragen um ») F. E., pag. 9, 1530, April. - N a c h F. E. und E n g e l 1888 die folgenden Daten. *) Es handelt sich hier zumal uin die Verwendung der im P a p s t m o n a t fälligen Stiftspfründen. Eine Untersuchung über die Magistratspolitik in dieser Hinsicht fehlt. Th. A. Univ. 2 \ r . I e n t h ä l t Akten dazu, von 1530 an. Nach K n o d (vgl. Buch II, Kap. 3, Abschn. 3) ist Kapito der letzte durch päpstliches Breve ernannte Stiftsherr (1521). Unter Widerstand setzt 1529 der Rat Bedrotus in einem Papstmonat ein.

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Einleitung.

fromme, gelehrte Schulmeister. Dieser Bitte vom August folgt eine zweite im September. Am 8. Februar 1525 tritt eine Erläuterung hinzu, die in großzügigster Weise die Grundsätze ausführt, nach denen das Schulwesen fortan durch die Obrigkeit geregelt, durch Kirchengüter erhalten werden soll. Diese Erläuterung der Prediger wird einer Viermännerkommission des Magistrats eingeliefert, in deren Mitte wir Jakob Sturm finden. Schon in ihr wird die Einsetzung einer ständigen obrigkeitlichen Behörde, der » S c h u l h e r r n « vorgeschlagen, deren Leitung der gesamte Unterricht in jeder Beziehung unterstehen soll. 1526 tritt diese Behörde zusammen, um 1528 endgültig organisiert zu werden. Auch ihr gehört Jakob Sturm an 1 ). D a m i t h a t die O b r i g k e i t die Regel u n g d e r S c h u l e in i h r e f e s t e H a n d g e n o m m e n . Die günstigen Folgen bleiben nicht aus, nachdem allerdings die großen Pläne von 1524/25 gescheitert sind. Die »bescheidenen Anfänge der theologischen Fakultät« wie sie seit 1523 aus Privatvorlesungen Butzers sich entwickelt hatte und durch Lektionen Kapitos (Altes und Neues Testament), Hedios (Geschichte und Dogmatik) und anderer allmählich gewachsen waren, werden durch Berufung gelehrter Männer für lateinische, griechische, hebräische Vorlesungen ausgebaut. Gleichzeitig sorgt man auch für den niederen Unterricht, indem man zwei Lateinschulen eröffnet. So kann jene Verantwortung von 1530 über die Änderung der Kirchengebräuche stolz auf diese beiden Schulen, auf Lektionen über Griechisch, Hebräisch, Mathematik, Poetik, Rhetorik und Jurisprudenz (im alten Klostergebäude der Predigermönche) und auf theologische Vorlesungen im Thomasstift verweisen. 1

) O. W i n c k e l m a n n , Z. f. G., pag. 609.

3. Abschnitt.

Das Schulwesen Straßburgs bis 1530 etc.

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Uns muß zunächst der Charakter beider L a t e i n s c h u l e n fesseln. In ihnen ist der Humanismus vertreten, um dessen Stellung in der Kirche Sturms Schule in kommenden Zeiten fechten sollte. Die Namen ihrer beiden Rektoren : Otto B r u n f e 1 s und Johann S a p i d u s kennzeichnen ihre wissenschaftliche Richtung 1 ). Beide Männer sind Söhne des elsässischen Humanismus, wie Dringenberg, Wimpheling, Gebweiler ihn vertreten. Beide haben, der Zeit und dem Einfluß des einzigen Erasmus folgend, die engen und biederen Grenzen, die der Rektor von Schlettstadt (Dringenberg 1441 bis 1477 Rektor) seiner Wissenschaft gezogen hatte, überschritten. Aber doch gerade in d e m Punkte, der für uns vor allem andern wichtig ist, da in ihm die Richtung der Schule auf die Kirche ihren Ausgang findet, — gerade in dem Punkte stehen sie fest in einer Tradition, die durch des Erasmus Einfluß nur im gleichen Sinne befruchtet werden kann, in dem schon Dringenberg seinen Humanismus erfaßte. Es handelt sich hier um das Verhältnis der humanistischen Schule zum moralischen und religiösen Leben ihrer Zöglinge. Und hier ist es von Wichtigkeit, daß sowohl Dringenberg wie Erasmus in der Entwicklungslinie des n i e d e r l ä n d i s c h e n Humanismus stehen. Beide sind Schüler der Hieronymiten zu Deventer 2 ). Hier, unter den Händen der »Brüder vom gemeinsamen Leben« wurde seit der Mitte des 14. Jahrhunderts jene vita devota gelehrt, deren schlichte Frömmigkeit die »Nachfolge Christi« des Thomas a Kempis schildert. ') Zum folgenden: J. K n e p p e r : Das Schul- und Unterrichtswesen im Elsaß von den Anfängen bis gegen das Jahr 1530. Straßburg 1905. *) Vgl. den Artikel von H i r s c h e (Karl) in Herzogs Realenzyklopädie, 2. Auflage, Brüder des gemeinsamen Lebens. (Bd. II, pag. 678 —760). — Über den niederländischen Humanismus: A l p h o n s e R o e r s c h . L'humanisme belge à l'époque de la renaissance, Bruxelles 1910; hier für unsere Stelle: pag. 9, 34.

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Einleitung.

Und hat auch diese religiös-sittliche Jugenderziehung der fratres bonae voluntatis keinen unmittelbaren Zusammenhang mit dem erwachenden Humanismus des 15. Jahrhunderts, so sollte sich doch alsbald die moralische G e s i n n u n g der Hieronymiten aufs engste mit dem humanistischen Studium verbinden. Ja, es wird geradezu zum Problem niederländischer Renaissance, die vom Mittelalter ererbte Glaubensinnigkeit der Brüder vom gemeinsamen Leben mit den klassischen Gedanken des Altertums zu verbinden. Diese Problemstellung bringt Dringenberg mit nach Schlettstadt. Diese Problemstellung führt in den Niederlanden selbst zu immer reiferen Lösungen. Und wie im Elsaß Wimpheling und Gebweiler an ihr arbeiten, so tuen es im Norden der ungleich genialere Agricola, Rudolph von Langen und vor allem Erasmus. Unter dem Einfluß dieser Richtung stehen Sapidus und Brunfels in Straßburg, steht Johannes Sturm, als er in die Reichsstadt einzieht. Mit dieser Problemstellung werden wir selbst seine Schule prüfen müssen, um daran ihren religiösen und kirchlichen Gehalt zu erkennen. Wir dürfen, dank dieser einheitlichen Tradition, davon absehen, neben Sturms Schule die des Sapidus und Brunfels eingehend zu schildern. Indem wir den Entwicklungsgang unseres Sturms zeichnen, tritt uns das für unsere Aufgabe w e s e n t l i c h e Moment: die m o r a l i s c h e Färbung des Humanismus, so wie er auch in den beiden Straßburger Lateinschulen von 1528 lebendig war, klar vor Augen. Als Sohn Wilhelm Sturms, Rentmeisters der Grafen von Manderscheid, wurde Johannes am 1. Oktober 1507 zu Schleiden in der Eifel geboren. Schon nach kurzem Unterricht in der Heimat tritt er in der Schule zu L ü 11 i c h unter den Einfluß der Hieronymianer. Findet er hier bereits nahe Berührung mit dem Humanismus, so daß ihm später das Lütticher

3. Abschnitt.

Das Schulwesen Straßburgs bis 1530 etc.

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Gymnasium als Vorbild für den Ausbau des seinen dienen kann, so wird doch erst mit seiner Übersiedlung nach L ö w e n (1524) und seinem Eintritt in das dortige c o 1 l e g i u m t r i l i n g u e der völlige Übergang in den Kreis der erasmitischen Schule vollzogen 1 ). Dieses Collegium, von Erasmus selbst ins Leben gerufen (1518), von ihm gehegt und gepflegt, und selbst vom fernen Basel her noch mit Liebe verfolgt, will bei aller Pflege des Lateinischen, Griechischen und Hebräischen sich fernhalten von der Obszönität antiker Dichterund Rhetorenkunst : Die S p r a c h s t u d i e n sollen an ihm in einer Weise betrieben werden, daß die Zöglinge nicht minder zungenfertig als f r o m m und g e s i t t e t werden. Marius Marvillanus ist Präsident des Kollegiums zu Sturms Zeiten (1526—1529). Gerade ihn lobt Erasmus wegen einer Übersetzung des Chrysostomus, der zu jenen Autoren gehöre: quorum oratio non minus C h r i s t u m spirat quam D e m o s t h e n e m : C h r i s t u s und die E l o q u e n z sind die beiden Ideale, unter denen sieh Sturm entwickelt 2 ). Die gleiche Luft wie im collegium trilingue zu Löwen weht auch durch die Lateinschulen der Stadt Straßburg. Daß Sturm in e i n e r Weise (durch außergewöhnliche Betonung d e r E l o q u e n z ) sowohl die Grundsätze seiner alten Lehranstalt, des Collegiums, wie auch die seiner Straßburger Vorgänger schärfer ausarbeitet, mag durch seine persönliche Eigenart wie durch die Einflüsse bedingt sein, die ihn nach seinem Wegzug von Löwen erwarteten. Er wendet sich nach P a r i s (1529) und lernt damit den französischen Humanismus kennen. Stärker als in den Niederlanden sind hier Kräfte italienischer Renaissance lebendig. Aus dem formgewandten Volke der l ) \ è v e , Mémoire historique et littéraire sur le collège des trois langues à l'université de Louvain, Bruxelles 1856. ») N é v e , 1. c. pag. 295, 309 f.

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Einleitung.

Franzosen ersteht der große Meister formalistischer Redekunst: Wilhelm Budäus. Unter seinen Augen setzt Sturms neue Wirksamkeit ein: Im collège royal besteigt er das Katheder, um die Dialektik der Aristoteles vorzutragen. Nicht minder als das collegium trilingue in Löwen ist auch das (1530 gegründete) collège de France eine Pflegestätte der S p r a c h e und zugleich der G e sinnung. Ein Gedicht dieser Zeit, entstanden in diesen Kreisen, mag solche Gesinnung ausdrücken, wenn es zugleich die Wiederkehr der T u g e n d und C h r i s t i feiert, mit der Gründung des Collegiums1). Sturm aber tritt hier in Paris einer Bewegung näher, der zu dienen die Lateinschulen in Straßburg schon seit 1528 berufen waren, und die er in dem gleichen Jahre selbst in der Münsterstadt auf einer Durchreise hatte kennen lernen: der Bewegung der R e f o r mation. Im Beginn der 30 er Jahre begeistert zu Paris der Hofprediger Margaretens von Navarra: Gerhard Roussel, die gebildete Gesellschaft der Hauptstadt mit seiner schlichten Predigt von Christus2). Es ist die Zeit, da Franz I., des Papstes gewiß, beginnt, sich den Protestanten Deutschlands zu nähern, und unter dieser Konstellation die französische Reformation von neuem ihr Haupt erhebt. Auch Sturm gibt sich dieser Strömung hin, ja er scheint berufen zu sein, bald eine bedeutsame Rolle in ihr zu spielen8). ') B ou rill y im Bulletin de la société del 'histoire du protestantisme français, 1903: Jean du Bellay, les protestants et la Sorbonne 1529—1535. pag. 123. — Das Gedicht von Nicolas Bourbon 1533. *) C h a r l e s S c h m i d t : Gérard Roussel: predicateur delà reine Marguerite de Navarre. Strasbourg 1845. s ) K a r l S c h m i d t , Die Unionsversuche Franz' I. In Niedners Zeitschrift für historische Theologie, Leipzig 1850, I. Bd. — B o u -

3. Abschnitt.

Das Schulwesen Straßburgs bis 1530 etc.

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Der französische Hof sucht, offiziell Fühlung mit der geistigen Bewegung des Nachbarlandes zu gewinnen. Er bedarf eines Vermittlers und bedient sich hier zunächst des Arztes Ulrich Chelius, eines Freundes von Sturm. Die Unruhen der placards (1534) scheinen zwar alle Aussichten auf eine Versöhnung wieder zu nehmen, aber als der König 1536 von neuem an eine Anknüpfung denkt, wird jetzt Johann Sturm sein Vermittler. Welch eine Stellung! Trotz seiner Jugend als Lehrer gefeiert und gesucht, begünstigt von der Schwester des Königs, geschätzt von den Brüdern du Beilay, scheint er einen Augenblick in seiner Überredungskunst das Mittel zu besitzen, Butzer, mit dem er seit 1533 im' Briefwechsel steht, und Melanchthon für den Pariser Hof zu gewinnen. Wie gut paßt die pathetische Eindringlichkeit und der ideale Schwung dieser Briefe Sturms zu der geringen Einsicht, die er in die politischen Motive des französischen Königs und der deutschen Fürsten besitzt! Das Unternehmen verläuft im Sande. Eine p o l i t i s c h e Rolle, in Sachen des C h r i s t e n t u m s gespielt von einem g e b i l d e t e n Manne, — eine solche Rolle wie Sturm in Paris sie spielt — das ist ein Ideal wie es die Grundsätze seiner E l o q u e n z ihm vor Augen malen mußten. Eine Nachzeichnung der Schule Sturms wird uns dies verständlich machen. Von hier aus wird sich uns zeigen, ob er vielleicht eine solche Rolle auch als K i r c h e n d i e n s t auffassen konnte, und wiederum werden wir fragen müssen, ob die Kirche Straßburgs geneigt war, einen e l o q u e n t e n Kirc h e n d i e n s t anzunehmen. Brennend werden diese Fragen, als im Jahre 1536 Sturm einen Ruf des Straßburger Magistrats erhält, dem er im Beginn des Jahres 1537 folgt. Jetzt wird es sich r i l l y , François 1) R . S o h r a , Kirchenrecht. Bd. I, Leipzig 1892, pag. 527. ') R. 8 o h m , 1. c. pag. 641. s) L a n g , 1. c. pag. 194.

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3. Kap.

Organisation von Kirche u. Schule 1530—1540.

Die reine Gemeinde der Heiligen darzustellen, das war der heiße, begeisterte Wunsch des Schwärmertums. Sie, wie Butzer strebten nach einer Gewißheit der Erwählung — nach einer Reinigung des eigenen Wesens und der Kirche durch Zucht. Es ist aber für Butzer nicht nur die Zucht von kirchenbildendem Wert. Ein neuer Gedanke tritt hinzu, ihm zu helfen in der Auffassung der Kirche, — ein Gedanke nicht minder, ja noch mehr heimisch in schönster Sittlichkeit: der Gedanke der L i e b e 1 ) . Die Tetrapolitana weist uns den rechten Weg dort, wo sie über die g u t e n W e r k e spricht 2 ). Sie führt aus, wie die wahrhaft Gläubigen gütig und Kinder Gottes werden, indem sie »durch die l i e b e eines jeden nutz und frommen zu fürdern, keynen möglichen vleyß ymmer mer sparen«. Und hoch bedeutsam ist nun der Gedanke, daß der Gläubige d i e Werke der Liebe werde verrichten können, »zu welchen ihn gott beschaffen hat, denn seitemal wir durcheinander sind als glieder eins leibs, h a b e n wir nit alle e i n e r l e i thun«. Hier zeigt sich das Hinstreben auf eine Berufsethik 3 ). Die große Auffassung der Christenheit als einer Liebesgemeinschaft, in der es jedes Christenmenschen eigen Amt ist, a l l e s nach dem Gesetz und zu Ehren Gottes anzurichten, klärt sich dahin, daß von jedem Liebe und Treue zumal d o r t zu fordern sei, wohin ihn Gott gestellt hat. Und wieder leuchtet uns dieser Gedanke entgegen dort, wo Butzer ausdrücklich von der K i r c h e spricht J ) R. S o h m , 1. c. pag. 494 ff. zeigt, wie stark diese (paulinischen) Gedanken der Liebe auch bei Luther lebendig sind. Doch tritt durch Butzers geringe Einschätzung der Gnadenmittel diese Gedankenwelt ungleich stärker in den Vordergrund, um zugleich einen schönen Zug seines Wesens hervorzuheben. *) 4. und 5. Artikel. *) Berufsethik gefaßt im weitesten Sinne: z. B. Ehemann, Bürger (Artikel 6, Ende). Das Folgende: Artikel 4.

1. Abschnitt.

Theoret. Grundlage der Kirchenorganisation.

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— eine w i c h t i g e S t e l l e i n u n s e r e m Z u s a m m e n h a n g . E r redet hier v o n der c h r i s t l i c h e n G e m e i n , »so vil« sie u n s u n t e r e i n a n d e r zu h a l t e n n ö t i g ist, u n d führt a u s : »dieweil diß g e m e i n e i n R e i c h g o t t e s ist, u n d sol d e s h a l b i n ir alles auff die b e s t e Ordnung a n g e s t e l l e t sein, h a t sie allerlei ä m p t e r u n d d i e n s t , w i e sie d e n n e y n 1 e i b Christi ist, a u ß v i l e n Glidern z u s a m m e n g e s e t z t , d e r e n jegl i c h s s e i n e i g e n w e r k hati1). Der G e d a n k e treuer W e r k t ä t i g k e i t f ü h r t für B u t z e r l e t z t e n E n d e s d a h i n , a u f z u r u f e n zur P f l i c h t e r f ü l l u n g i m »Reich G o t t e s « , i n der G e m e i n d e . U n d w e n n er n u n für die e i n z e l n e n B e r u f e W e r t s t u f e n k e n n t , so w e i s t er u n s hier u n m i t t e l b a r zurück zu s e i n e n G e d a n k e n über die Seelsorge. N a c h d e m der 6. Artikel der T e t r a p o l i t a n a ganz a l l g e m e i n gelehrt h a t , es sei C h r i s t e n a m t , alles d a s zu t u n , »dadurch des n ä c h s t e n f r o m m e n g e s c h a f f e t und g e f ü r d e r t w ü r d t « , f ü g t er steigernd h i n z u »f ü r n e m lieh a b e r zum e w i g e n leben«. ') Artikel 15. — Wenn L a n g I. c. pag. 176 sagt: »Kirche und Reich Gottes ist nach Butzer so ziemlich identisch« und hierbei von der Kirche im g e i s t i g e n Sinne spricht, — wenn anderseits die Tetrapolitana (Art. 15) von der ä u ß e r l i c h geordneten Christengemeinde als einem Reich Gottes redet, — so zeigt sich, wie sehr der p r a k t i s c h e Kirchenmann Butzer geneigt ist, seine Gemeinde nach den i d e e l l e n Grundsätzen der ecclesia invisibilis zu ordnen. Damit muß aber in der Kirchenorgani$ation die »Geistes- und Liebesgemeinschaft der Erwählten« ( L a n g pag. 177) zu einer E r z i e h u n g s a n s t a l t im Namen der Liebe werden, die den idealen Zustand herstellen möchte. Um so wichtiger wird das Zuchtamt der (gläubigen) Obrigkeit. Man darf darum einerseits mit Lang (pag. 187) sagen, daß (theologisch gesehen, durch die Lehre von der Allwirksamkeit und Erwählung) »wenig . . . in der Kirche Butzers von ihrer bedeutsamen erziehlichen Aufgabe übrig geblieben ist,« — muß aber anderseits betonen, daß p r a k t i s c h , durch die Anrufung des Liebesdienstes der Obrigkeit (Bann!) die Kirche geradezu einen pädagogischen Charakter erhielt.

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3. Kap.

Organisation von Kirche u. Schule 1530—1540.

Diese Ä m t e r der »Förderung« lernten wir k e n n e n als die L e h r - u n d d i e Z u c h t ä m t e r . I h r e L i e b e ist die schönste r e l i g i ö s e G a b e , die sie spenden k ö n n e n , die sie aber zugleich a u c h vereint mit j e d e m a n d e r e n Beruf. E s war f ü r B u t z e r möglich, da erst der G l ä u b i g e seinen Beruf treu erfüllen k a n n , die Berufsarbeit als religiöse Leistung, als Kirchendienst, zu w e r t e n . U n d u m g e k e h r t : die Gläubigen als solche sind nicht n u r Gläubige, sondern b e h a l t e n ihren Beruf auch als Gläubige bei. Obrigkeit u n d Lehrer h a b e n als Obrigkeit u n d Lehrer ihre religiöse Pflicht. W u r d e es für B u t z e r in den Fragen der Z u c h t m a ß g e b e n d , d a ß er den religiösen G e d a n k e n der P r ä d e s t i n a t i o n ethisch w e r t e n k o n n t e , so w u r d e durch seine A u f f a s s u n g der Liebe ethisches G u t religiös eingeschätzt. Es ist ein großer I d e a l i s m u s d e r Liebe, der aus diesen G e d a n k e n spricht. Wie die Liebe aus d e m G l a u b e n entspringt, so wird auch d a s W i r k u n g s feld der Liebe, die E r d e u n d ihre irdischen Berufe, übers t r a h l t von religiösem Schimmer. Es wird zu einem Reich Christi, zu einem Volk Gottes, zu einem Himmelreich — t r o t z der Ungläubigen, die sich zu den Gläubigen gesellen. Ein ganz a n d e r s gearteter I d e a l i s m u s des G l a u b e n s sollte in späterer Zeit diese butzersche Liebeswelt in S t r a ß b u r g zerstören. E r h a t es schwer, sich v o r . i h r zu rechtfertigen, je gröber seine Helden sind. Noch aber b a u t e die Kirche Butzers in seinem Sinn sich aus, u m den S t a a t s m a n n J a k o b S t u r m , den Schulm a n n J o h a n n e s S t u r m a u f z u n e h m e n u n t e r ihre Helfer. W a r doch das l e b h a f t e D r ä n g e n eines oratorischen Schulwesens zum ßiog 7rp«xrtxog nichts anderes als eine Erziehung der Schüler zum L i e b e s d i e n s t . Die Schule e r s c h e i n t nur als ein Teil einer großen Bürgerpädagogik auf Gott im Namen der Liebe. Hier b e r ü h r t e n sich J a k o b

2. Abschnitt.

Die Wittenberger Konkordie 1536.

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Sturms Regiment, Butzers Seelsorge und unseres Sturms sapiens et eloquens pietas am tiefsten, um vereint für die Zucht- und Liebeskirche Straßburgs zu arbeiten. 2. Abschnitt. Die Wittenberger Konkordie 1536. Bevor wir die Ausgestaltung der Straßburger Kirche betrachten, wie sie Lehrer, Prediger und Obrigkeit in sich vereinigte, und wie sie während eines Jahrzehnts (1530—40) vor sich gegangen ist, müssen wir ein Ereignis erzählen, dessen Folgen einst alle kirchliche Harmonie Straßburgs stören sollten, und das mitten in das Jahrzehnt der Organisation eingebettet ist: das Ereignis der W i t t e n b e r g e r K o n k o r d i e (1536). Es erscheint wie Tragik, daß in diesem Werke Butzers Wesen seine feinsten Blüten trieb und zugleich der Todeskeim in die edelsten Gedanken erster Straßburger Reformation — in ihre Liebeskirche getragen wurde. In der Lehre Butzers lernten wir Strömungen kennen, die nicht aus zwinglischem Geiste, nicht aus der ratio sich nährten, sondern aus dem innigen Glaubensleben deutscher Mystik. Dieser Gehalt machte es den Straßburger Reformatoren möglich, die Auffassung der Sakramente als leerer signa zu überwinden, zwischen Zwingli und Luther eine Versöhnung zu versuchen und sie nach langer mühevoller Arbeit endlich für sich selbst 1536 in der Wittenberger Konkordie zu finden 1 ). Im Mittelpunkt steht die Einigung über das A b e n d m a h l . Ist es hier zu einem völligen Ausgleich gekommen ? Kaum zu spüren ist es, daß der Riß trotz allem — u n ') Über die Konkordie: Th. K o 1 d e. Haucks Real-Enzyklopädie. X X I , pag. 388, 11. Wittenberger Konkordie. — W i e n e b e n der Zwinglischen Sakramentsauffassung sich bei den Straßburgern doch beständig und widerspruchsvoll immer eine spiritualistische Lehre vom Abendmahl hält, zeigt L a n g pag. 245ff.

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3. Kap.

Organisation von Kirche u. Schule 1530—1540.

heilbar geblieben war. Die Straßburger kamen Luther soweit entgegen, daß sie einen Genuß des L e i b e s Christi auch durch die i n d i g n i zugaben. Luther glaubte darüber hinwegsehen zu dürfen, daß die Oberländer nach wie vor die i m p i i vom Genuß des Leibes ausschlössen. Das heißt aber, daß im tiefsten Grunde, so wenig frei sie es auch bekannten, für die Straßburger immer noch der s u b j e k t i v e Glaube des Genießenden das Abendmahl zum Sakrament machte — daß sie bei ihrer s p i r i t u a l i s t i s c h e n Auffassung beharrten und die m a n d u c a t i o o r a l i s , die »mündliche« Nießung im Gegensatz zur »geistigen« ablehnten. Ein Gegensatz zu Luther bestand fort, aber jetzt ganz deutlich nicht mehr im Namen der r a t i o , sondern im Namen des » G e i s t e s « . Und in dem Maße, wie die Straßburger sich hierbei von Zwingli entfernt hatten, in dem Maße waren sie nun auch imstande, stärker den r e l i g i ö s e n Wert des Kirchendienstes hervorzuheben. Mußte sich damit aber nicht das Verhältnis der »Kirchendiener« zu Obrigkeit und Lehrern verschieben? War nicht der Anstoß gegeben, den Gedanken der L i e b e s k i r c h e zu verlassen ? Scharf und klar, wie heranziehende Gewitterwolken, zeichnen sich diese Gefahren in den theologischen Schriften Butzers nach der Konkordie, die noch lutherischer sich zeigen, als seine Praxis es werden sollte. Die Lehre von der Prädestination und der Allwirksamkeit Gottes tritt neben eine neue Lehre von den G n a d e n m i t t e l n . In das großartige Gegensatzpaar Gott und Mensch hat sich das friedliche Mittel einer o b j e k t i v i e r e n d e n K i r c h e eingeschoben. Die einzelnen electi, die bisher für Butzer die wahre Kirche bildeten, sehen sich nun vereinigt in einen überindividuellen Organismus, der nicht nur rein geistige Idee ist, sondern auch in seinen spürbaren, hörbaren, Gnadenmitteln über die Summe seiner Angehörigen hinaus Mächte aus einer andern

2. Abschnitt.

Die Wittenberger Konkordie 1536.

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Welt auf dieser Erde als wesentliches Gut besitzt. Dies kennzeichnet sich in der Erkenntnis der S a k r a m e n t e als göttliche Heilsgabe und in den Schwierigkeiten, in die sich jetzt Butzers Theologie gegenüber dem ursprünglichen Gedanken der Allwirksamkeit Gottes und der Abgeschlossenheit des Erwähltenstandes verwickelt 1 ). Hiermit geht parallel die Auffassung auch des W o r t e s Gottes als Gnadenmittel, und von dieser wieder hängt ab die hohe Bewertung, die jetzt das P r e d i g t a m t gewinnt. Mit solchen Gedanken tritt Bucer zurück von seiner ursprünglichen Geringschätzung des »äußerlichen Wortes«. Das ministerium ecclesiae der Pfarrer ist keine res externa nec necessaria mehr 2 ). Was ändert sich durch diese neue Auffassung der Kirche und des Predigtamtes in deren Verhältnis zu Obrigkeit und Schule ? Die Stellung der beiden letzteren bleibt nach wie vor die gleiche. Auch jetzt noch werden alle Gläubigen nach .Maß ihres Amtes zur Seelsorge herangezogen: In primis autem id operae dare debent, qui aliquam in reliquos potestatem habent: ut sunt patres familias, p r a e c e p t o r e s et maxime m a g i s t r a t u s 3 ). Aber das Amt der Prediger schnellt empor und nimmt durch seine mystischen Gaben eine Stellung ein ü b e r allen anderen Berufen. Es ist nicht nur L i e b e s d i e n s t — es erhält gesteigerten H e i 1 s w e r t im religiösen Sinne. Lag schon in dem Gedanken, daß alle Ämter, als Liebesdienst gefaßt, zu Gott fördern sollen, die Gefahr einer Theokratie — so muß sich diese Befürchtung jetzt steigern. Durch ihr Amt stehen die Prediger in Versuchung, in ganz einzigartiger Weise Beamte Gottes ») Vgl. L a n g , pag. 298ff., pag. 315. *) L a n g , l. c. pag. 310. 3 ) L a n g , pag. 307, nach B u t l e r : de cura. Scripta Anglicana pag. 340.

vera

animarum

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3. Kap.

Organisation von Kirche u. Schule 1530—1540.

zu werden. Die Liebesordnung der Ämter steht in Gefahr, einer Hierarchie weichen zu müssen 1 ). Dies sind die bedeutenden, neuen Richtlinien, die sich fast unsichtbar durch die Zeilen der Wittenberger Konkordie ziehen. Man sieht, wie solche Gedanken alles gefährden konnten, was man im Namen einer Liebeskirche gesonnen und gebaut hatte. Wie bedenklich aber, wenn sie selbst nicht bis zur letzten Auseinandersetzung mit den Fragen der Allwirksamkeit und Prädestination gelangt waren — wenn sie ausgingen von einem Konkordienwerk, das die Gegensätze mehr verschleierte als überbrückte. Mußte hier doch Butzer selbst in Gefahr kommen, an seinem makellosen Ruf zu leiden. Die tiefen, sachlichen Unterschiede zwischen Protestanten und Schweizern waren den Zeitgenossen nur allzu bewußt, daß ihnen nicht jede Vermittlung als Unehrlichkeit, jede Neigung von der einen zur andern Partei als Widerruf erscheinen mußte. Und gerade hier weigerte sich Butzer, ein klares Ja oder Nein zu sprechen. Seine Retractatio zwar nahm alles zurück, was er je gegen die Augustana oder deren Apologie geschrieben habe, aber zugleich gestand er doch in der Vorrede und in seinem Rechtfertigungsschreiben an Bonifazius Wolfhart nicht zu, daß seine Sakramentslehre zuvor sich wesentlich von der lutherischen unterschieden hätte. Er vergaß die Jahre, da er Zwingli nahe stand 2 ). Merkwürdig, wie an diesem kritischen Punkt in Butzers Leben sein Charakter sich offenbart, und wie auch an diesem die Gedanken der Majestät Gottes und der Liebe ') L a n g , pag. 312, 315. *) L a n g , pag. 272, pag. 274: Nach dem Wortlaut der Konkordie sei »Butzer vollkommen in das Lager der Lutheraner übergegangen.« pag. 279: Unhaltbarkeit der Konkordie. — Der Brief an Bonifazius Wolfhardt mehrfach abschriftlich in den Akten des Zanchischen Streites. So in der Supplikation der Schulpartei vom November 1562. (Th. A. 28.) — Über Bonif. Wolfhardt vgl. Handschriftenproben.

2. Abschnitt.

Die Wittenberger Konkordie 1536.

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sich zu streiten scheinen. Ihm stand das Bild seines Gottes so unendlich groß und ruhend vor Augen, d a ß er nach den Begriffen anderer widersprechend, wenn nicht unwahr von religiösen Dingen reden und unmännlich in ihnen handeln konnte, ohne d a ß das Bewußtsein der Schuld seinen gläubigen Blick zu Boden gezwungen h ä t t e . Er konnte in seinen religiösen Anschauungen sich selbst verleugnen, ohne nach seinem Gefühl Gott zu verleugnen. Und so k a m es, d a ß seine innere Festigkeit in Gott nach außen den Anschein der Unzuverlässigkeit erweckte. Der absolute Gott und die relative Welt lagen für ihn so weit auseinander, daß sie sich k a u m berührten. Ihm blieb der Blick offen für die Mannigfaltigkeit religiöser Ausdrucksweisen im Rahmen des Christentums. Die Absolutheit Gottes verpflichtete ihn nicht zu einer absolut wahren, in sich abgeschlossenen Theologie. Und indem er sich in seinen theologischen Formulierungen scheinbar selbst verriet und unlauter zu handeln schien, blieb ihm dadurch eine ungemeine Möglichkeit, praktisch im Namen der Liebe, und damit sittlich im höchsten Sinne zu handeln. Sein Konkordienwerk war ihm vielmehr Liebesdienst als theologische Leistung. Sein Herz ward verwundet, wenn er Luther und die Schweizer im Bruderkriege sah, denn er konnte nicht nachempfinden, daß hier zwei Systeme gegeneinander stießen, deren herbe Begierde nach Wahrheit nicht vor dem Gebot der Liebe verstummen sollte. Danach erscheint in Butzer Glaube und Sitte dergestalt aus- und durchgebildet zu sein, daß sie an sich in Widerspruch geraten, aber dennoch in seiner glückhaften Seele harmonisch lebendig waren 1 ). — Immer wieder erinnerte sich Johannes S t u r m in seinen späteren Schriften der Konkordie. Er selbst traf Anfang J a n u a r 1537 in der Stadt ein und wurde *) A n r i e h (Art. »Bucer« in »Die Religion in Geschichte und Gegenwart«) findet in den Einigungsbestrebungen vor allem Butzers politischen Sinne wieder.

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3. Kap.

Organisation von Kirche u. Schule 1530—1540.

aufgenommen in eine Stimmung der wärmsten Liebe und des herzlichsten Friedens. Und gerade er, der gutmütige, leicht erregbare Mann, der den Glanz der Worte und die concordia unter den Streitern als das Ziel seiner Wissenschaft ansah — gerade er mußte sich auch berufen fühlen, in kommenden Jahren die theologische Handlungsweise des Reformators zu deuten und zu entschuldigen. Aber wie charakteristisch, daß er Butzer beurteilte nach den Kategorien der sapiens et eloquens pietasl Die bedeutenden Menschen, die ihn umgaben, begriff er in dem Idealbild seiner Schule, und der bedeutendste: Butzer, fügte sich leicht ihren Begriffen. Der Humanismus seines Gymnasiums zeigte sich den Schwierigkeiten der Straßburger Unionstheologie in eigentümlicher Art gewachsen. Die scheinbare Unsicherheit der Butzerschen Seele bezeugte sich für Sturm im gleißenden Schimmer seiner Rede. Er gestand 1 ): Diese Veranlagung habe den Reformator manchem entfremdet — habe manchen zum Zweifeln gebracht, und sei damit dem Evangelium sehr hinderlich gewesen. Der Rektor erzählt uns, daß Bullinger und manche andere nicht ernstes Zutrauen zu Butzer hätten fassen können, denn, so heißt es: Butzer war so scharfsichtig, so b e r e d t , so reich in seiner Rede an Worten, Sentenzen und längeren Perioden, und so durch und durch angelegt, daß alles dies mehr den Schein der Tugend, der Gelehrsamkeit und der Wahrheit, als diese Dinge selbst zu haben schien. Und da er mehr von Natur, als durch rhetorische Erziehung beredt war, so konnte er nur von den feinhörigen rasch verstanden werden. — Sturm selbst legt seinen Finger auf die gefährlichste Stelle in Butzers theologischer Entwicklung: Wenn Butzer an sich schon leicht dunkel sein konnte: er war es: praecipue in Sacramentaria controversia. Hätte ich hier seine Gründe nicht gewußt, meint Sturm, *) A p . IV, 4, pag. 106 f.

3. Abschn. Die Kirchen- u. Schulorganisation (1530—1539)

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auch ich wäre beleidigt gewesen. Wenige Monate nach seiner Ankunft (14. Januar 1537) ermahnte der Humanist den Theologen: de his periodorum et peribolarum ambagibus, die seine Rede verdunkelte. Stolz heißt es: et secutus est consilium meum, Sturm, nicht gewohnt an die Straßburger Luft, war in jener ersten Zeit krank. Butzer pflegte ihn und redete mit ihm viel über seine eigenen Pläne. Sturm dankte durch Unterweisung des Freundes in der Rhetorik. So durfte er sich einen der wenigen nennen, die de illius m o r i b u s e t o r a t i o n e ein Urteil haben könnten. Hier im Krankenzimmer mag das Wort von der sapiens et eloquens pietas geprägt sein. Es trat über die Lippen der Freunde, als durch die Wittenberger Konkordie schon der Same künftigen Zwiespalts zwischen Kirche und Schule gestreut war. 3. Abschnitt. Die Kirchen- und Schulorganisation (1530—1539). Butzers Theorie über den Kirchendienst kennzeichnete sich uns durch die Weitherzigkeit, mit der sie alle Ämter der Zucht neben dem Amt des Predigers zur Mitarbeit am kirchlichen Leben herbeirufen konnte. Die Entwicklung, die sie unter lutherischem Einfluß nahm, lief hinaus auf eine gesteigerte Wertschätzung des geistlichen Amtes. Wenn die Kirchenordnung von 1534 ihre Gestalt v o r der endgültigen Einwirkung dieser lutherischen Gedanken (1536) gewann, so mußte sie seit 1536 für den religiöser gefaßten Kirchenbegriff zu weltlich, zu flach sein. Die theologische Entwicklung Butzers bereitete eine Sprengung der Ordnung von 1534 vor. Sprengstoff auf theologischem Gebiet! Sprengstoff aber auch im Wesen jener beiden Zuchtgewalten, die ihre Kräfte der Bürgerpädagogik auf Gott widmen sollten: Im Wesen der Obrigkeit, im Wesen der Schule. Diese

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3. Kap.

Organisation von Kirche u. Schule 1530—1540.

unterirdischen Minen gilt es zu sehen im gleichen Augenblick, in dem wir die Kirchenorganisation der dreißiger Jahre selbst schildern wollen. Obrigkeit und Schule fanden in ihr eine Stellung den Predigern gegenüber, die eine der Kirche unerwünschte Selbständigkeit begründen konnte. Verschieden allerdings waren die beiden Wege, die zu dieser Selbständigkeit führten. Es war bei der Obrigkeit bewußter Wille, der sich dem Mißbrauch ihrer Gewalt zu theologischen Zwecken entgegenstemmte. Es war bei der Schule die selbstverständliche Entwicklung des Instituts, die ganz unbemerkt dem Unterrichtswesen eigenen Halt verlieh. Der bewußte Wille der O b r i g k e i t wendete sich sachlich gegen jede Maßregel, die einer Einführung des B a n n s glich. Gerade für den Bann wünschte Butzer die obrigkeitliche Unterstützung. In den Fragen des Banns sollten die Schwierigkeiten der vierziger Jahre ihren Mittelpunkt finden 1 ). Und wenn es hier in den dreißiger Jahren nur zu einem drohenden Anzeichen kam, so blieb es zu dieser Zeit auch in formalen Fragen, in den Fragen der Kompetenzordnung, der K i r c h e n o r g a n i s a t i o n , bei geringfügigen, aber doch warnenden Differenzen zwischen Obrigkeit und Predigern. Sie mußten in dem Augenblick von Bedeutung werden, in dem die Geistlichen die lutherischen Anregungen in die Tat umsetzen wollten, und dabei begannen, der von Anfang an skeptischen Obrigkeit eigenmächtig entgegenzutreten. Bericht über den Synodus, — der Verordneten Bedenken über die Kirchenordnung. 4. III. u. 20. V. 1533. Unter dem Ratsherrn Jakob Sturm. (Th. A. 45, 1). Es handelt sich um den Kirchgang: »welche aber aus bösem verstörten fürsatz ja nit zur predig wölten, dieselben nit für Christen oder ein glid der Kirchen zu erkhennen, were ein zimblicher sanffter b a n n . « S . o . p a g . 130. Anm.2.

3. Absehn.

Die Kirchen- u. Schulorganisation (1530—1539).

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Wie mannigfache Gründe persönlicher Gesinnung, persönlicher Schwäche, persönlicher Kraft auch den vielköpfigen Magistrat der stolzen Stadtrepublik schon zur Zeit der Kirchenorganisation bewogen haben werden, einen allzu starken Einfluß der Prediger von sich und seinen Untertanen fern zu halten — einen Namen wird man hier vor allem nennen dürfen, um mit ihm die Seele der klaren, obrigkeitlichen Kirchenpolitik zu treffen: J a k o b Sturm. Er, der willensstarke, der ruhig und unentwegt arbeitende geniale Politiker — der edle Christ — er durfte wahrlich für sich die Autorität einer »christlichen Obrigkeit« in Anspruch nehmen. Vor seinem schlichten aber unangreifbaren Wort mußten auch die Prediger sehweigen. Was der eine Zwingli für Zürich war, das spiegelte sich in Straßburg in den beiden Charakteren Butzers und Jakob Sturms wider. Der christliche Staatsmann, der in dem Züricher Reformator lebendig war, nahm in Jakob Sturm so frei und sicher den Umfang des ganzen Menschen ein, daß der zartere, einseitiger kirchliche Butzer vor dieser kräftigen Frische zurückstehen mußte. Wir werden sehen, wie Jakob Sturm zum Hüter der Kirchenordnung von 1534 und damit des schweizerischen Geistes wurde. Seinem Wirken begegnen wir dieser Ordnung, deren Analyse wir Von drei Organen spricht sie, in ihre kirchliche Rolle zugewiesen K i r c h s p i e l p f l e g e r — die

auch in dem Werden uns jetzt zuwenden 1 ). denen der Obrigkeit wird. Sie nennt die Verhörer gött-

') Die K. O. ist gedruckt in: Äm. Ludw. R i c h t e r : Die evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts. 1. Bd., Weimar 1846, pag. 231 ff., und in R ö h r . M i t t ig. I, pag. 214ff. — Besprochen ist sie kirchenrechtlich zuerst durch Äm. Ludw. R i c h t e r : Geschichte der evang. Kirchenverfassung in Deutschland. Leipzig 1851, pag. 158. — Was F. W. H a s s e n k a m p i n seinem Buch: Hessische Kirchengeschichte im Zeitalter der Ref. (Marburg 1852, 55) über die Straßb. K. O. sagt, ist in bezug auf die S o h r a , Schule und Kirche Straßburgs.

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l i c h e r L e h r e — und den K i r c h e n k o n v e n t . Der letztere wird uns zugleich hinüberführen zur kirchlichen Stellung der Schule und der Organisation des Unterrichtswesens. Das Institut der K i r c h s p i e l p f l e g e r verdankte seine Entstehung schon dem Jahre 15311). Es gab 21 Pfleger, je drei für die sieben Kirchspiele der Stadt. Sie sollten stehen an Stelle der Ältesten der christlichen Gemeinde und waren doch zugleich auch Ordnungsorgane im Sinne der Polizeigemeinde. Es ist unmöglich, diese Funktionen bei ihnen zu scheiden. War die Obrigkeit wirklich gläubig, so war die Zucht, die sie durch die Pfleger übte, christliche Zucht und geschah im religiösen Sinne der Kirchenzucht. Wer sich ihnen nicht fügte, der war zugleich ein schlechter Christ und ein Zerstörer christlicher Polizei. Die Wahlweise und das Amt der Kirchspielpfleger als obrigkeitliche Aufsichtsbehörde über die Pfarrer und zugleich als deren Gehilfen zeigt diese Verquickung 2 ). Jakob Sturm selbst, Laie und Obrigkeit zugleich, hatte den Bedacht für dies kirchliche Institut gefertigt, ein Bedacht, der noch zugunsten der Obrigkeit Korrekturen erfahren sollte: den Kirchspielpflegern wurde an der Wahl des Sigristen ein gesteigerter Anteil zugeschrieben, und der Rat erhielt in gesteigertem Maße Gelegenheit, bei wichtigen Fragen die Arbeit der Kirchspielpfleger zu Selbständigkeil der Kirche, auf den Kirchenkonvent, die Synoden und das Superintendentenamt (Bd. II, pag. 356f., pag. 413) gänzlich unzuverlässig. H. übertragt hessische Verhältnisse auf Straßburg und übersieht jede Entwicklung Butzers und der Straßburger Kirche. — Die beste Darstellung bei W i n c k e l m a n n , Z. f. G. ') Das Mandat gedruckt: R ö h r . ') Es wurden gewählt: der andere von den Schöfflen, Kirchspils.« Der Rat wählte Gemeinde als Gemeinde trat

M i t 11 g. I, pag. 257if.

»einer von dem ewigen Regiment, der dritte von der gemein desselben die im Rat Vorgeschlagenen. Die nur in den Ratspersonen auf.

3. Abschn.

Die Kirchen-u. Schulorganisfition (1530—1539).

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überwachen. Diese letztere Korrektur ist von J a k o b S t u r m s eigener H a n d nachgetragen 1 ). W a r d damit schon der Obrigkeit reichlich Gelegenheit geboten, in das Glaubensleben der S t a d t regierend einzugreifen, so wurde ihr durch die Kirchenordnung von 1534 in der Behörde der » v e r h ö r e r göttlicher l e r e « noch eine ungleich stärkere religiöse Machtfülle zugesprochen. Hier handelt es sich um das A m t der S u p e r i n t e n d e n t u r im frühlutherischen Sinne 2 ). Wer h a t t e das Bischofsamt, die Lehrentscheidung in der S t a d t ? Wie verhielt sich hier die Obrigkeit zur Kirche ? Zu den Verhörern gehörten zwei Regimentspersonen und drei Kirchspielpfleger »welche fünff zween von den predigern zu inen beruffen sollen« — eine Behörde auf den ersten Blick von überwiegend obrigkeitlichem Char a k t e r ! Wro blieb die christliche Gemeinde ? Merkwürdig, wie die Prediger sich zu einer theologischen Begründung dieses Amtes verstehen konnten, in der aufs naivste theoretische und praktische Erwägungen durcheinander laufen! Aus der Schrift sollten die Verhörer als der Kirchen Älteste fleißig die W a h r h e i t suchen. F ü r ihre Gewalt wurde der urchristliche Satz herangezogen, d a ß m a n den verbannen dürfe, der dem v o n d e n G l ä u b i g e n erkannten Evangelium widerspreche. Ihnen, so glaubte man, werde keiner sich widersetzen, » d e r d e n g e i s t c h r i s t i hat«. Und doch sah man in ihnen zugleich Männer, »die ein O b e r k e y t u n n a l s o g a n t z e g e m e i n , die auch nach unserm Herren Jesu Christo fragen, darzu verDer Bedacht und die Ergänzungen: Th. A. 46, 2. Eine Abschrift: M. O. 4, 118. ») Vgl. R. S o h m , Kirchenrecht. Leipzig 1892, Bd. 1, pag. 603. — H. N o b b e , Das Superintendentenamt, seine Stellung nach den evangel. Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts. Zeitschrift für Kirchengeschichte. Bd. 14, pag. 416. — Uber das Straßburger Superintendentenamt maßgebend W i n c k e l m a n n , Z. f. G. 10*

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ordnet«. Die politische Repräsentation vertrat die kirchliche ! Man möchte sich fragen, wie weit solche Gedanken der Kirchenordnung nicht nur ein dürftiges Kleid waren, mit denen man das praktische Bedürfnis: die Macht der Obrigkeit für das Evangelium zu gewinnen, übermäntelte 1 ). Die innere Unwahrheit des Gedankengangs mußte sich an den Geistlichen selbst in dem Augenblick rächen, da die Obrigkeit den kirchlichen Tendenzen ihrer Prediger nicht mehr folgen wollte. Zeigte sich doch auch in diesem Punkte nicht anders als bei dem Amt der Kirchspielpfleger der deutliche Wille des Magistrats, das ihm zugeschriebene Recht energisch in Anspruch zu nehmen. Der butzerische Bedacht zur Kirchenordnung erfuhr Korrekturen durch den Synodus zugunsten der Obrigkeit. Unter die Präsidenten dieses Synodus zählte Jakob Sturm. Butzer hatte in seinem Bedacht 2 ) nicht ausgeführt, daß die zwei Prediger zu den Verhörern durch die obrigkeitlichen Personen nur jeweils berufen werden sollten. Wenn die endgültige Kirchenordnung dies verlangt, so konnten die assistierenden Pfarrer von Fall zu Fall wechseln. Ihre Stellung als Sachverständige trat hervor. Keiner von ihnen gehörte förmlich zur Behörde. Und wie schon dadurch es vermieden werden konnte, daß etwa zwei der Prediger unter ihren Mitbrüdern eine bevorzugte Stellung gewannen, so setzt ganz in gleichem Sinne die Kirchenordnung stets das Wort »fromm«, wo der Bedacht von einem »fürnehmen« Prediger sprach. ') Immerhin läßt sich der Grundsatz, daß die Obrigkeit nur das »eusserlich nach gottes gefallen anrichten« soll (Bericht vom Synodus. Th. A. 45, 1) auch auf eine Lehrverwaltung durch die Obrigkeit anwenden, wenn die Lehre durch die Allwirksamkeit Gottes äußerliches Menschenwerk wurde. ') Bedacht des außschusses, von ordinantzen usw. 1533. (Th. A. 45, 1.)

3. Abschn.

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So trat die Obrigkeit, die doch ihrem Wesen nach der Kirche vor allem die Liebesgabe der Zucht bieten konnte, ein auch mitten in das Bekenntnisleben der Stadt, eine Tatsache, die um so auffälliger ist, wenn man das Schicksal der anderen Zuchtgewalt: der Schule in der Geschichte der Kirchenordnung verfolgt. Erstreckte deren Liebesdienst sich doch nicht nur auf die disciplina, sondern auch auf die eloquentia, unter der der Humanist auch das Wissen vom Gotteswort verstehen konnte, und die deshalb ihrem Wesen nach mitsprechen durfte über das Bekenntnis. Und gerade die Zuchtgewalt der Schule wurde durch die Obrigkeit dort zurückgedrängt, wo beide Gewalten gemeinsam im kirchlichen Leben arbeiten konnten: im Kirchenkonvent. Hier im Kirchenkonvent sollten nach Straßburger Praxis und nach Butzers Bedacht zur Kirchenordnung Obrigkeit, Prediger und Schule zusammentreffen in ihrer Bürgerpädagogik auf Gott. Unmittelbar entstanden aus dem Amtsleben der Geistlichen als eine Zusammenkunft der Prediger »mit jren verwandten« zur Besprechung kirchlicher Angelegenheiten sollte dieser Konvent nach Butzers Absicht neben den Kirchspielpflegern regelmäßig auch die »gemeinen leser«, d. h. die höheren Schullehrer, in seiner Mitte sehen. Diesen Wunsch erfüllte die endgültige Kirchenordnung nicht. Sie vermehrte vielmehr die Zahl der ordnungsmäßig anwesenden Kirchspielpfleger von zwei auf drei und bestimmt dafür, daß die Lehrer nur nach Notdurft erfordert werden sollten. So gewann auch im Kirchenkonvent, nicht anders als beim Amt der Kirchspielpfleger und Verhörer, die Obrigkeit festeren Fuß in der kirchlichen Organisation, als ihr anfangs zugedacht war. Wenn ihre Vertreter es verstanden, diese Stellung zu halten, so war ein eigenmächtiges Vorgehen der Geistlichen fast unmöglich. Die Folgezeit lehrte, was ein einziger Mann hier durchsetzen konnte: Jakob Sturm. Sein politischer Macht-

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wille trotzte aller Vertiefung, die Butzers kirchliche Begriffe durch die schweren Kämpfe um die Konkordie und Luthers Freundschaft erfuhren. Lassen wir uns aber nun durch die Geschichte des Kirchenkonvents anregen, die Stellung der S c h u l e in Straßhurgs Kirchenleben zu betrachten, so werden wir auch hier bei aller Verschlingung von Schule und Kirche Momente der Trennung finden. Für den Kirchenkonvent wünschte Butzer die Teilnahme der Lehrer, da daran »das das wort Gottes recht gefieret, und die gemeyn Gottes recht geweydet werde, das höchste gelegen, und auch solichem niemand weiß oder fromm genug sein mag «. Mitten hinein in das Glaubensleben und in den Hirtendienst sollte die sapientia greifen dürfen! Die Kirche bedurfte der Bildung! Ganz in diesem Sinne verlangte Butzer auch die Teilnahme der Lehrer am Synodus, »denn diese alle z u r k i r c h e n hie gehören«. Sprach man auf diesem Synodus doch auch vom S c h u l wesen, wenn man die »mengel der k i r c h e n « bessern wollte, wie man ebenso zu Augsburg unter dem Stichwort der »Kirchengebräuche« über Schulreformation berichtet hatte 1 ). Mit welcher Freudigkeit kam doch auch die Butzersche Liebeskirche der Schule entgegen! Wie bereit war die humanistische Bildung, sich dem Dienst im Reiche Gottes zu weihen! Es war nur selbstverständlich, daß den Lehrern Teilnahme am Kirchenkonvent gewährt wurde. Es gelang den Geistlichen nicht, die Synode zu einem regelmäßig arbeitenden Organ der Straßburger Kirche zu machen. Nur zwei Synoden fanden statt: 1533, 1539, die letztere, so weit wir sehen, ohne Teilnahme der Lehrer. Jakob Sturm unterstützte hier die Wünsche der Prediger (Kirchspielpflegerbedacht s. o.Anra. 1, pag. 147). Zweck war ihm hierbei die K o n t r o l l e der Pfarrer. — F.-E. pag. 9, 1530, April. — Mttlg. der Ges. für Erh. der gesch. Denkmäler des Elsaß, II. Folge, X I X . Bd., 1899, pag. 211. — W i n c k e l m a n n , Z. f. G., pag. 624 f.

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Die Kirchen- u. Schulorganisation (1530—15 39).

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Die Entwicklung der Dinge m u ß t e diese Praxis begünstigen. Von den Geistlichen waren die ersten Anregungen zur Neuordnung des Schulwesens ausgegangen. Wo sie zusammenkamen, da war der Ort, an dem m a n über pädagogische Fragen sprach. Bald (1526) h a t t e sich zu Butzer, Kapito und Hedio J a k o b Bedrot gesellt, ein magister artium et presbyter, der nicht nur griechische Vorlesungen hielt, sondern auch 1541 Butzer im Kirchendienst zu St. Thomas vertreten sollte. — Bonifazius Wolfhart las 1528 Hebräisch und war zugleich Helfer zu St. Aurelien. — Otto Brunfels, der uns bekannte Leiter einer Lateinschule, war Mönch zu Straßburg, dann Prediger im Breisgau gewesen 1 ). W a r es nicht endlich der gegebene Ort auch für die Laien unter den Lehrern im Kirchenkonvent zusammenzukommen, solange das Schulwesen nicht einheitlich organisiert w a r ? Zu den zwei Lateinschulen (Brunfel* wurde nach seinem Abgang, 1533, durch Peter Dasypodius ersetzt), gesellte sich 1535 eine dritte, der seit 1536 J o h a n n Schwebel vorstand. Zerstreut lagen sie über das Gebiet der S t a d t . Sie standen in keinem Zus a m m e n h a n g mit dem höheren Unterrichtswesen (Predigerkloster, Thomasstift). Selbständig wiederum war 1534 ein Predigerseminar (collegium praedicatorum), 1535 ein Pädagogium für Bürgerskinder eröffnet worden 2 ). Nichts war natürlicher, als daß man bei dieser Zerrissenheit allein im Kirchenkonvent gemeinschaftlich allgemeine und laufende Fragen der Erziehung besprechen konnte. Kein gleichzeitiges Zeugnis dieses Brauchs ist uns allerdings erhalten 3 ), aber doch bemerkte Butzer in seinem ') Vgl. H a n d s c h r i f t e n p r o b e n . *) E n g e l 1886, pag. 52ff. — über das Predigerseminar F.-E. pag. 12. *) Der später über die Teilnahme der Lehrer am Kirchenkonvent entbrennende Kampf sollte verzerrte Darstellungen der in den dreißiger Jahren üblichen Gewohnheit bringen. Doch geben

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Organisation von Kirche u. Schule 1530—1540.

Bedacht zur Kirchenordnung ausdrücklich, daß die »gemeinen leser« »on das uff die donnerstag, uf welche dise (Kirchen-)conuent gehalten werden, nit lesen«. Schwebeis Beschreibung seiner Lateinschule zeigt, wie schon der Donnerstag-Vormittag für den Schüler durch Kirchgang einen sonntäglichen Charakter trug. Unter diesen Umständen mag es auf die P r a x i s des Kirchenkonvents nicht von Einfluß gewesen sein, daß die Kirchenordnung jenen Satz von der Teilnahme der Lehrer am Kirchenkonvent unterdrückte. Die Gesinnung von Predigern und Lehrern, und das Bedürfnis drängte zur Beibehaltung des Brauchs. Aber für die Zukunft sollte es von folgenschwerster Bedeutung sein, daß dieser Satz, getragen von schönster butzerischer Gesinnung, der Nachwelt nicht als »Ordnung« vor Augen stand. Johannes Sturms eigenste Schöpfung mußte dazu führen, die Lehrer aus dem Kirchenkonvent zu entfernen! Schon ein Jahr nach seiner Ankunft (1538) konzentrierte er das gesamte Straßburger Unterrichtswesen in seiner berühmten Schule und verschmolz hierbei zumal die drei Lateinschulen zu einem einzigen Gymnasium im Predigerkloster. Schon im Jahre 1540 wird von einem b e s o n d e r e n S c h u l k o n v e n t der Lehrer gesprochen 1 ). Von nun an brauchten die Lehrer nicht mehr von Schul-wegen am Kirchenkonvent teilzunehmen. Und diese Trennung geschah n a c h der Wittenberger Konkordie, n a c h der Aufnahme theologischer Momente in die Kirche, die deren rein religiösem Charakter und dem Predigtamt zugute kamen! Die Entwicklung dieser auch die Prediger, manchmal allerdings unter wunderlichen Motiven die Teilnahme der Lehrer zu. Z. B. M a r b a c h , Antwort auf Sturms Deklarationsschrift (1572). Th. A. 32. *) Im Bedacht zu einem »Chorgericht« 1540. (Th. A. 46, 1.) Vgl. den Abdruck und die Besprechung dieses Bedachts in der Festschrift für Briegers 70. Geburtstag. 1912.

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Die Kirchen- u. Schulorganisation 1530—1539.

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Momente im Kreise der Geistlichen entzog sich von jetzt an der unmerklichen Kontrolle und Mitarbeit der Schule — und die Kirchenordnung kannte keinen Satz, der den Predigern b e f a h l , die Lehrer zum Kirchenkonvent herbeizuziehen! Ein derartiges, fast selbstverständliches, und doch für das Verhältnis zwischen Kirche und Schule so inhaltsschweres Herausziehen der Schule aus dem Einfluß der Geistlichkeit gilt es nun bei der Entwicklung der gesamten S c h u l o r g a n i s a t i o n zu verfolgen. Oft wird sich die gleiche Begleiterscheinung zeigen: So ungezwungen sich die Schulorgane durch praktisches Bedürfnis entwickelten, so wenig dachte man daran, klare Vorstellungen über ihre Kompetenzen zu gewinnen. Eine neue Gefährdung für ein gesundes Verhältnis in Zeiten der Spannung zwischen Schule und Kirche! Es handelt sich um den S c h u l k o n v e n t , das Amt des R e k t o r s und dem der V i s i t a t o r e n . Im neuen S c h u l k o n v e n t sollten die Professoren und »fürnemen schulmeister« alle 14 Tage zusammenkommen, um über das zu beraten, »was in der leer und in gemeiner zucht der jugheit und irer selbs zu bessern täglich fürfält«. Diese Kompetenz wurde aber durch keines der Schulgesetze festgelegt. Erst das zweite Schulstatut von 1545 sprach überhaupt von dem Konvent, ohne seine Aufgabe zu bestimmen. Ja, es scheint nach ihm, als sei schon damals der 14 tägige Turnus nicht mehr üblich gewesen und als habe die Berufung des Konvents nach Belieben in der Hand des Rektors und der Visitatoren gelegen 1 ). Wie allgemein und selbstverständlich sind auch jene Worte über die Zuständigkeit gehalten! Man hatte sich um die Erziehung zu kümmern — welche Rechte standen damit dem Konvent über die Internate zu P1) Völlig rechtlos blieb der Konvent bei der Berufung l

) Bedacht zum Chorgericht. Th. A. 46,1. — F.-E. pag. 48 ff.

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neuer Lehrer oder Professoren, oder bei der Versetzung alter. Die w i c h t i g e n Schulentscheidungen fielen nicht im Konvent der Lehrer — der natürlichste Grund, seine Abhaltung zu vernachlässigen — sondern vor den S c h u l herrn. Schon seit 1535 hören wir von dem vierteljährlichen » g e m e i n e n K o n v e n t « , zu dem Scholarchen und Visitatoren die Schul- und Lehrmeister beriefen 2 ). Die Obrigkeit regierte die Schule wie die Kirche! H i e r wurden auch nach 1538 ü b e r dem conventus scholasticus die Berufung, Versetzung und Absetzung der Lehrer und Professoren gehandhabt, wurden die Besoldungsfragen geregelt, die Satzungen gegeben. Von hier aus leiteten Schulherrn und Visitatoren die Internate. Hier verfügten die Schulherrn über die Stipendien. Wer von den führenden Professoren oder den Visitatoren eigener Geschäfte halber anwesend war, wird auch in anderen Dingen befragt worden sein. Kaum wird man darauf geachtet haben, ob etwa der Rektor aus eigenem Ermessen oder im Auftrag des conventus scholasticus sprach. Man vertraute einander und war deshalb der Kompetenzfragen überhoben. Wie aber dem Schulkonvent durch Bedeutungslosigkeit die rechte Lebenskraft genommen war, so litt der »gemeine Konvent« an der Überbürdnung der Schulherrn in anderweitigen Regimentsfragen. Das Scholarchenprotokoll zeigt in gefährlichen politischen Zeitläuften große Lücken 3 ). *) Die Internate: Collegium Praedicatorum, Pädagogium und das erst 1544 begründete Collegium Wilhelmitanum. Vgl. E r i c h s o n (Alf.): Das theologische Studienstift Collegium Wilhelmitanum zu Straßburg 1544—1894. Straßburg 1894. l ) Das Scholarchenprotokollbuch. Th. A. — Vgl. F.-E., pag. 11, und E n g e l 1886, pag. 52. s ) Valentin Erythräus erzählt in seinem Gutachten zur Akademie (s. a. (1567) Th. A. Univ. 3), daß der vierteljährliche

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Die Kirchen- u. Schulorganisation (1530—1539).

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Höchst schädlich m u ß t e n diese Schwächen und Unklarheiten beider Schulkonvente werden in Zeiten, die das Machtverhältnis zwischen Kirche und Schule auf die Probe stellten. Kein sicherer Organismus schützte das Schulwesen, ließ sich doch auch nicht genau bestimmen, welche Stellung sein R e k t o r gegenüber den Theologen einnahm. Auch dies Amt des R e k t o r s oder »Superintendenten« fand seine Verwirklichung erst durch die Organisation der Sturmschen Schule 1 ). S t u r m als Rektor n a h m zunächst keine andere Stellung ein als die Leiter der bisherigen Lateinschulen, Dasypodius, Sapidus und Schwebel. Aber schon der erste Entwurf Sturms zur Organisation des Schulwesens zeigte, wie er seinen Blick auf die g e s a m t e n Unterrichtsfächer richtete — und damit auch auf die T h e o l o g i e . Er brachtc hier Vorschläge über die Vorlesungen Kapitos, Butzers und Hedios. Kein Buchstabe des Schulgesetzes unterstützte ihn hier — aber niemand war auch, der ihm wehrte 2 ). Sein Verhältnis zu den Professoren, und also auch zu den Theologen (publicae lectiones), regelte sich nicht nach Paragraphen, sondern nach großzügiger Einsicht in die gegebenen Verhältnisse zwischen dem jungen Rektor und dem gütigen Butzer und seinen geistlichen Mitbrüdern. Es galt der schöne S a t z : Praeceptores morum (Theologen!) Konvent o h n e die m a g i s t r i classium gehalten worden sei, daß diese aber vor der Tür hätten »wartten müssen«, um nach dem Konvent befragt werden zu können. Von einem conventus scholasticus weiß er überhaupt nichts mehr. Es geschieht vielmehr: »wenig mit gemeinem rathsbeschluß, sonder zwen oder einer setzt, bevilcht und mandirt«. — Lücken zeigt das Protokoll der Scholarchen zumal während des Schmalkaldischen Krieges. ') »Superattendent« wird der Rektor schon 1533 genannt, als man den Juristen Gerbel zu diesem Amt gewinnen will. (Mttlg. der Ges. für Erh. d. geschichtl. Denkmäler im Elsaß. II. Folge, X I X . Bd., Straßb. 1899, pag. 211.) *) F.-E. pag. 25 u. pag. 31. — Sturms Entwurf: 1. c. pag. 18.

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et magistri litterarum ipsi sibi pro legibus esse debent, etiamsi nullas haberent. Die zweiten Schulgesetze (1545) nennen den Rektor als den ersten unter den Professoren — und Butzer, der Professor der Theologie, ist es, der diesen Satz geschrieben hat 1 ). W e n n Sturm auf diese Weise die Stellung der Leiter einer Lateinschule weit überschritt und seine persönliche Bedeutung ihn unter die leitenden Männer des städtischen Gemeinwesens einführte, so erhielt damit unmittelbar der h u m a n i s t i s c h e Charakter des g e s a m t e n Unterrichtswesens eine stärkere Betonung, so sehr auch Sturms Humanismus selbst wieder kirchlichen Tendenzen huldigte. Die Art, wie das Verhältnis des Rektors zu den Visitatoren sich entwickelte, spiegelt diese leise Nuancierung wieder. Das V i s i t a t o r e n a m t , schon 1528 ins Leben gerufen, wurde zunächst von zwei T h e o l o g e n eingenommen, wie j a von den Theologen die Anregung zur Reformation des Schulwesens vor allem ausging. Mit den Schulherrn teilten sich diese Visitatoren die Oberaufsicht über jeglichen Unterricht, auch über die Lateinschulen 2 ). Sturm selbst sollte nach dem ersten Schulgesetz (1538) noch den Visitatoren u n t e r geordnet sein. Aber schon zu dieser Zeit war einer der Visitatoren, Bedrotus, ein halber Philologe. Ihm folgte 1541 Christian Herlin, der in Mathematik, Rhetorik und Geschichte unterrichtete, und diesem wieder gesellte sich 1545 als dritter Visitator Peter Dasypodius, einst Vorstand einer der Lateinschulen, zu. Von drei Visitatoren war jetzt nur noch einer Theologe. Diese Visitatoren aber wurden von dem gleichzeitigen Schulgesetz hinter oder mindestens neben den Rektor geordnet. ') F . - E . pag. 26. — B u t z e r s Manuskript zum Schulgesetz von 1545: Th. A. Univ. 2. l) E n g e l , 1886, pag. 46.

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Die Kirchen- u. Schulorganisation (1530—1539).

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Auf diese Weise entzog sich leise, fast unbemerkt, die Schule durch die Entwicklung ihrer Organe (Schulkonvent, Rektor, Visitatoren) dem ausschließlichen Einfluß der Geistlichen, ohne allerdings ihre neue Stellung durch ausdrückliche Satzungen zu sichern. Vor allem: diese Entwicklung bedeutete kaum eine Säkularisation! Sie bot nur Ansätze dazu. Die Schule blieb kirchlich. Es war nicht nur die eigene christlich-humanistische Gesinnung, die sie zum Liebesdienst in der Christenheit und damit zum Kirchendienst aufrief. Die Straßburger Kirchenorganisation selbst kannte in keiner Weise eine weltliche Schule. Die Stellung der O b r i g k e i t und Butzers Gedanken über die R e f o r m a t i o n der S t i f t e wird hier maßgebend. Aus »christlichen« Ursachen gründete die christliche Obrigkeit Straßburgs ihre Schulen. Weil die Religion das Ziel der Studien ist, hatte der Magistrat die Pflicht, Schulen aufzurichten! 1 ) Der Straßburger Rat war nach der Kirchenordnung Kirchenherr. Als Kirchenherr ordnete er das Schulwesen. Die Schule war nur ebensoweit säkularisiert wie die Obrigkeit. Nicht von der Kirche, nur von den Geistlichen hatte die geschilderte Entwicklung der Schule eine gewisse Emanzipation gebracht. Gewiß! Diese Obrigkeit war gewillt, sich jeder Theokratie zu widersetzen, und diese Schule kannte kein Recht der Hierarchie 2 ), aber solange die Prediger selbst nicht ihre Ansprüche überspannten, dachten Schule wie Obrigkeit nicht daran, sich auf ihre Weltlichkeit zu besinnen. Wieweit beide bereit waren, den kirchlichen Charakter der Schule anzuerkennen, ja den Lehrer wieder zurückzuführen in den Stand der Geistlichkeit, bewies die Straßburger S t i f t s r e f o r m a t i o n , das letzte Werk der ersten Straßburger Kirchenorganisation. M F.-E. pag. 22 u. pag. 26. ) Vgl. oben: pag. 120.

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1 5 8 3. Kap.

Organisation von Kirche u. Schule 1530—1540.

1539 erschien das entscheidende M u n i z i p a l S t a t u t , in dem der Rat Bestimmungen über die Verleihung der Stiftspfründen traf, und dessen Gedanken am reinsten im T h o m a s s t i f t der Stadt zum Ausdruck kamen 1 ). Hier bekannten sich die Kapitelherrn unter Führung ihres Propstes Kapito schon seit 1529 in der Mehrzahl zur neuen Lehre. Der Rat aber konnte diese Entwicklung um so kraftvoller unterstützen, da es ihm in den Folgejahren gelang, das Kollationsrecht in den Papstmonaten an sich zu ziehen. Das Munizipalstatut schrieb vor, daß hinfort keiner in den Besitz einer Pfründe komme, der nicht zuvor examiniert sei. Der Examinant sollte sich als tauglich zum K i r c h e n d i e n s t erweisen, und in diesem Sinne sollte der Eingriff des Rates in die Stiftsangelegenheiten nicht anders erscheinen als eine Reformation dieser Stifte zu ihrer ursprünglichen Bestimmung und nicht als eine Säkularisation. Dem Laster der Simonie sollte gesteuert werden. Wenn aber nun tatsächlich die Pfründen zum großen Teil für den S c h u l d i e n s t als Besoldung der Lehrer verwendet wurden, so mußte, wollte man nicht den »klerikalen« Charakter des Stifts stören, der Schuldienst als Kirchendienst gefaßt werden. Wie ungemein günstig für diese politisch-praktische Auslegung der obrigkeitlichen Reform war die Butzersche Auffassung vom Kirchendienst — war die christliche Färbung des Sturmschen Humanismus! ') Vgl. (auch für das folgende): Gustav C. K n o d : Die Stiftsherrn von St. Thomas zu Straßburg 1518—1548. Beilage zum Programm des Lyzeums zu Straßburg. Straßburg 1892. — B u t z e r De reformatione collegii canonici (1542—1543 nach K n o d 1. c., pag. 11.); Ratio examinationis canonicae. Lex municipalis senatus Argentinensis de conferendis sacerdotiis. Alle drei Schriften in dem Sammelbande der Werke Butzers, den sog. Scripta Anglicana (Martini Buceri . . . Basel 1577). — Stücke, das Examen betreffend: Th. A. 16.

3. Abschn.

Die Kirchen- u. Schulorganisation (1530—1539). 159

Butzer verstand es im Hinblick auf die Stiftsreformation, die facultas sacri ministerii, die der Kanoniker besitzen m u ß , zu deuten als die Begabung mit der cognitio Christi u n d mit den dona, quibus haec Christi cognitio ad alios quoque p r o f e r a t u r . In diesen Z u s a m m e n h a n g stellte er die Logik, die Rhetorik, die facundia oris, humanit a s et elegantia m o r u m . Wer sich im Munizipalexamen b e w ä h r t e war sapiens et eloquens et pius — und d a m i t geeignet zum Kirchendienst! Der Lehrer wurde eingereiht in die alten evangelischen Ämter, an die Stelle des Diakonen oder Subdiakonen. Drei Kirchenämter sollte man im Munizipalexamen n e n n e n : Ministerium muneris pastoralis, procurationes p a u p e r u m , et s c h o 1 a e ad instituendam adolescentiam 1 ). So m ü h t e man sich, den Lehrer wieder einzureihen in die mittelalterliche Priesterkirche, ja man wagte auch Schritte, die scheinbar an der neuen Kirchenhoheit des Rates v o r ü b e r f ü h r t e n . Im G l a u b e n s b e k e n n t n i s wurde der P f r ü n d ner n i c h t auf die städtische Konfession verpflichtet, obgleich m a n in S t r a ß b u r g zu dieser Zeit schon darauf drang, »unserer Konfession« das Recht zu wahren (Synodus 1539). H ä t t e man den Neueintretenden auf eine vom Katholizismus verworfene Formel, Tetrapolitana oder Augustana, aufgenommen, so wäre der katholische Charakt e r des Stifts verloren gegangen. Man sprach nur vom »heiligen christlichen Glauben«. Im Kampf zwischen Kirche und Schule sollte m a n einst uneinig werden, auf welche Konfession das E x a m e n verpflichtete. Auf keine! Der R a t — seiner selbst sicher, tolerant und klug zugleich — h a t t e auf eine konfessionelle Bindung verzichtet. J

) Scripta Angl. pag. 221, 224, 232. — Die Verwandtschaft dieser Gedanken mit den kalvinischen Grundsätzen der Ordonances ecclesiastiques de Genève (1541) liegt auf der Hand.

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4. Kap. Der Übergang zur lutherischen Kirchen Verfassung.

Ganz ähnlich verhielt es sich bei dem G e h o r s a m s e i d der neuen Stiftsherren. Nicht der Obrigkeit, sondern nur den Kirchen- und Stiftsgesetzen wurde hier geschworen 1 ). Ja, es liegt eine Eidesformel vor, die Gehorsam dem Papste und dem apostolischen Stuhl versprach. Johannes Sturm selbst hat diesen Eid geschworen, als er am 24. Mai 1540 Kanonikus zu St. Thomas wurde. Mit gutem Recht durfte er sich von nun an für einen Kirchendiener Straßburgs halten. Mit gutem Recht durfte auch Butzer von einem solchen Stifte, in dem Lehrer und Geistliche sich vereinigten, sagen: Nihil aliud est huiusmodi collegium, quam parva et praestantior e c c 1 e s i a sacra m i n i s t e r i o peculiariter consecrata. Die sapiens et eloquens pietas diente der Kirche 2 ). Ruhig sah die Obrigkeit dieser kirchlichen Selbstherrlichkeit des Stiftes zu. Im Bürgereid, den die Kapitelherrn neben dem Stiftseid leisten mußten, besaß sie eine Handhabe, mit der sie jeder katholisierenden Exemption entgegentreten konnte. Doch bezeichnend für die gesamte Straßburger Kirchen- und Schulorganisation ist die geschilderte Sachlage. Die Obrigkeit war Herr über Kirche und Schule, aber unter diesem Vorbehalt zugleich bereit — in der Mehrzahl ihrer Mitglieder auch nicht zum Widerspruch fähig —, den Gedankengängen der Reformation und des Humanismus freie Bahn zu lassen. So ergab sich das bunte Bild, das wir zu zeichnen versuchten: Die Sorglichkeit des Magistrats, seine kirchlichen Ämter zu sichern — das ungezwungene Wachsen des Schulwesens — die fast bedeutungslose Säkularisation desselben —, und seine Aufnahme in den Kirchendienst durch die Stiftsreformation. ») Vgl. die Stücke Th. A. 16. ») Sturms Eid: F.-E. pag. 39. — Butzers Worte: Scripta Angl. pag. 192.

1. Abschnitt.

Superintendentur und Magistratskirche.

161

Aber mit der Wittenberger Konkordie war von der Obrigkeit den Predigern eine Bewegung zum L u t h e r t u m zugelassen worden, die all diese bunten Verhältnisse in ihrem natürlichen Wachstum stören sollte — gegen die die Kirchenordnung sich machtlos erwies — und in deren Bekämpfung erst sich die Schulordnung ausgestaltete. Gegen die sächsische Lehre vom Gotteswort erhob sich zu spät die Obrigkeit und die sapiens et eloquens pietas. Schon die erste Organisation von Kirche und Schule zeigte uns, wo hier die Geister aufeinanderstoßen konnten und mußten.

4. Kapitel. Der Übergang zur lutherischen Kirchenverfassung. 1540—1560. 1. Abschnitt. Superintendentur und Magistratskirche. Noch bis zum Todesjahre Melanchthons (1560) sollte der Friede in der Straßburger Kirche, trotz vorübergehender Zusammenstöße, gewahrt werden. Erst 1561 brach der entscheidende Streit aus. Aber daß 1561 so schroff und plötzlich sich die Parteien einander gegenüberstanden, das konnte nur die Folge sein von unmerklichen, oder immer wieder unterdrückten, doch unabwendbaren Bewegungen im Straßburger Gemeinleben, deren Geschichte die vierziger und fünfziger Jahre füllen. Gedanken und Männer wandelten sich — alte verschwanden, neue tauchten auf, bis endlich die Spannung der Lösung bedurfte. Schon im Beginn dieser Zeit geheimen Leidens traf der Mann in Straßburg ein, der 1561 den Kampf i m Namen der Kirche eröffnen sollte: Johannes M a r S o h m , Schule und Kirche Straßburgs.

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4. Kap. Der Übergang zur lutherischen Kirchen Verfassung.

b a c h. 1545 betrat er die Stadt, um noch im gleichen Jahre von Butzer zum Pfarrer der Nikolaikirche ordiniert zu werden 1 ). Welcher Butzer, welche kirchliche Stimmung begrüßte ihn, der zu Wittenberg seine Theologie unter L u t h e r s gewaltigem Einfluß gelernt hatte ? Ein Butzer trat ihm entgegen, der durch lutherische Gedanken mehr und mehr in einen Gegensatz zur Obrigkeit, dem Kirchenherrn der Magistratskirche, geführt wurde, und der auch dort, wo diese Obrigkeit ihm entgegen kam, ihre Gabe noch religiös veredeln wollte. Die Geschichte der K i r c h e n z u c h t und der S u p e r i n t e n d e n t u r zeigen diese Entwicklung an. Durch die Kirchenordnung von 1534 war das Ältestenund das Bischofsamt im Institut der Kirchspielpfleger und der Verhörer der Obrigkeit übertragen worden. In beiden Punkten lernte Butzer kirchlicher denken, in beiden Punkten halfen ihm die Ereignisse, neue Bahnen zu gehen. 1530 hatte er um des Regiments der Obrigkeit willen die Exkommunikation gemißbilligt. 1538 schon wollte er den magistratus christianus von der Bußzucht ausschließen — wollte er scheiden zwischen dem regimen magistratus und der cura animarum presbyterorum in Ecclesia Christiana. Zwischen beiden Jahren lag die Konkordie. Jetzt lernte er die institutio pietatis schätzen als eine Gewalt, die zu gottseligem Leben führen kann. Jetzt beanspruchte er auch für die Diener dieser Gewalt einen besonderen timor spiritualis und forderte wieder und wieder die Einführung des B a n n s . Das Recht der obrigkeitlichen Gewalt in der Kirche — und der Gedanke J

) Johann Marbach, geboren 1521 zu Lindau, 1536—39 auf der Straßburger Schule, 1539 Magister in Wittenberg, 1541 Diakon in Jena. Darauf nach Isny, wo er nach erneutem Studium in Wittenberg (Anfang 1543 Doktorpromotion) Prediger wird. (Handschriftenproben.)

I.Abschnitt.

Superintendentur und Magistratskirche.

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der Allwirksamkeit Gottes mußten unter diesen Anschauungen leiden 1 ). Bittre Unzufriedenheit mit den obrigkeitlichen Kirchspielpflegern trat hinzu. Butzer kam zu dem harten Urteil, daß gegenüber einer rechten christlichen Kirchenordnung »unser ding mehr für ein sudlerey und confusion« zu halten seien. Und nun fand er den Ausweg: »das neben die kirchenpfleger a u ß s o l c h e r g e m e i n ettlich erwählett werden 2 )«. Diese Ältesten, gewählt von der Gemeinde als »die eiffrigsten und verfreudigsten in dieser sachen« hätten ihre Gewalt n u r von der kirchlichen Gemeinde gehabt. Sie wären in keiner Weise Organe der Obrigkeit gewesen. Sie hätten für sich ganz jenen timor spiritualis beanspruchen dürfen. Nicht die Obrigkeit, Butzer selbst rief ein solches christliches Ältestenamt ins Leben. Es kam in Straßburg zur Gründung von »Bruderschaften«, Konventikeln, deren freiwillige Glieder aus ihrer Mitte Älteste wählten, um J

) Uber Butzers Bemühungen um die Kirchenzucht vgl. R ö h r . G e s c h. II, pag. 34ff., pag. 47ff. — C. G e r b e r t : Geschichte der Straßburger Sektenbewegung 1524—30. Straßburg 1889, pag. 156 ff. — Abrh. H ü 1 s h o f : Geschiedenis van de Doopsgezinden te Straatsburg. Amsterdam 1905, pag. 139 ff. — F. W. H a s s e n k a m p : Die Anfange der ev. Kirchenzucht. Deutsche Zeitschrift für christl. Wissenschaft und christl. Leben. 1856, 7. Jahrgang. — L a n g : siehe Register »Bann«. Hier pag. 295, 297 über das Zurücktreten des Banns in Butzers Theologie, das sich aber in seiner Kirchenpraxis durchaus nicht wiederspiegelt s. o. pag. 138. — Butzers Urteil von 1530: An ökolampad (Zwingli, Opera, V I I I , pag. 536.) vgl. H a s s e n k a m p 1. c. pag. 268. — Seine Ansicht von 1538: De vera animarum cura. Scripta Anglicana. pag. 324. *) »Von der Kirchen menge! und fähl und wie dieselbigen zu verbessern.« Th. A. 48, 1. Ohne Name und Datum, doch wohl auf 1544 zu legen. (Berufung auf die Schriften, die »inerthalb vier und zwentzig Jahren außgangen.« Vgl. den R ö h r . G e s c h . II, pag. 46, Anmkg. 26 gegebenen Titel von 1548: Berufung auf 28 Jahre reformatorischer Lehre.) 11*

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2. Kap.

Der Übergang zur lutherischen Kirchenverfassung.

unter sich die brüderliche Zucht und das geistliche Regiment in schriftgemäßem Sinne zu üben. Erst eine solche Gemeinde schien Predigtamt, Sakrament, Absolution, B a n n und äußerliche Zeremonien in dem reineren religiösen Sinn handhaben zu dürfen, wie Butzer ihn durch die Annäherung an Rüther gewonnen hatte. Noch konnte Butzer, wie 1533, sagen, daß das Zwingen der Herzen Gott des heiligen Geistes Werk sei — doch er fügte hinzu: »in d e r k i r c h e n u n n d g e i s t l i c h e m Regim e n t« 1 ). Wort und Handlung aber zeigen hier, daß Butzer sich in seiner Kirchen p r a x i s nicht weiter hatte von Luther gewinnen lassen als auch K a 1 v i n. Auch Butzer ließ das religiöse Kirchenregiment nicht im Lehramt aufgehen wie Luther es tat, sondern wies es der Gemeinderepräsentation durch die Ältesten zu, in Kalvins Sinn 2 ). Gerade hier sollte Butzer in dem jungen Marbach den eifrigsten Mitarbeiter finden. Gemeinsam vertraten beide diese Angelegenheit vor dem Rat, gemeinsam unterstützten sie die Bruderschaften. Als Butzer mit seinem treuen Genossen und Mitprediger Fagius später in England weilte, füllten sich deren Briefe und die Antworten Marbachs mit Fragen der Kirchenzucht 3 ). ') Von der Kirchen mengel und fahl. ) In den beiden Schriften: »Kurtzer Underricht und gründe, christliche gemeinschafft und zucht anzurichtenn und zu haltten allen charisten (!)« 1547 (Ms. Th. A. 48, 1) und: Scriptum ad senatores quosdam. St. Andreas ( = 30. X I . ) 1547 (V. E. III, f. 91 b ff.) wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß der Bann in der Hand der g a n z e n Gemeinschaft und nicht in der Macht weniger (d. h. der Prediger) liegen solle. — Vgl. H a s s e n k a m p 1. c. pag. 412ff. und K. R i e k e r : Grundsätze reformierter Kirchenverfassung. Leipzig 1899, pag. 65ff. Auch für Butzer galt die Disziplinargewalt der Gemeinde als wesentliches Attribut. 2

*) Marbach hatte aus Isny gerade deswegen weichen müssen, weil er württembergische Zeremonien hatte einführen wollen und

1. Abschnitt.

Superintendentur und Magistratskirche.

165

Aber eine gefährliche Doppelheit war damit in das Straßburger kirchliche Leben hineingetragen. Neben die politische Gemeinde waren die religiösen Gemeinschaften, neben die obrigkeitlichen Kirchspielpfleger die von der Gemeinde gewählten Ältesten getreten. Und nicht genug mit diesem einen Gegensatz! Ein zweiter trat hinzu, noch bedeutsamer für die Folgezeit — ein Gegensatz in Fragen der S u p e r i n t e n d e n t u r . Die Obrigkeit selbst tat hier Schritte, die — ohne daß sie es ahnen konnte — spätere Kämpfe vorbereitete, und die zugleich Butzers gesteigertes kirchliches Empfinden begünstigten. Trotz ihrer früheren Abneigung, einen »fürnehmen« Prediger anzuerkennen, entschloß sie sich im Jahre 1541 dazu, einen »superattendenten« in Butzers Person über alle Pfarrer zu setzen »der in Versammlung der pfarrer, synoden und sunst die preeminentz und gemein sorge trage«. Wohl möglich — nach dem ausdrücklichen Hinweis auf Sachsen, Hessen und Augsburg —, daß Straßburg unter den übrigen protestantischen Ständen nicht mit seinem theologischen Vertreter an Amtswürde zurückstehen wollte. Auch war es erst jetzt, nach Kapitos Tode (1541), möglich, den wahrhaft führenden .Mann: Butzer zu der bedeutungsvollen Würde zu eine Predigt d e p o t e s t a t e c l a v i u m gehalten hatte ( F e c h t pag. 26 und H a n d s c h r i f t e n p r o b e n ) . Was wünschte Butzer zu dieser Zeit anderes, als die Aufrichtung der Schlüsselgewalt? — Marbach neben Butzer: V. E. VIII, pag. 154 b ff. (vgl. III, pag. 85ff. Th. A. 48, 2). — Immer wieder tritt er auf in dem bedeutsamen Protokoll einer christlichen Gemeinschaft. 1549. Th. A. 48,1. — Vgl. ebenda das Bedenken vom 11. IV. 1547. — Marbach vor der Obrigkeit: Rh. X X I , 1547; 11. IV., f. 178 b ff. — 9. XI. 1547, f. 600ff. — Über den Briefwechsel: H o r n i n g , M a r b a c h pag. 58f., 66ff. Hier pag. 59 die bezeichnende Klage Marbachs über die Verquickung obrigkeitlicher und kirchlicher Regierung in Straßburg. — Hinfällig wird durch diese Tatsachen jede spätere Version, daß Butzer in Marbach eine Gefahr lür seine Kirche gesehen habe.

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4. Kap. Der Übergang zur lutherischen Kirchen Verfassung.

erheben, die zuvor dem bürgerlich höher stehend en Kapito hätte zufallen müssen 1 ). Aber was mußte für Butzer jetzt diese Stellung bedeuten! Für die Obrigkeit sagte der neue Titel nicht mehr als: »Aufseher«, wie man ja auch den Rektor der Schule Superintendent genannt hatte. Die Verhörer wurden durch das neue Amt ebensowenig überflüssig, wie durch den Rektor die Scholarchen. Für Butzer dagegen mußte auch hier der neue kirchliche Ton seinen Nachhall finden. Bei aller evangelischen Auffassung, daß jeder Presbyter auch Bischof sei, kannte er jetzt doch eine hohe Wertschätzung des ministerium episcopale 2 ). Die Hochachtung, die er der Kirche und dem kirchlichen Amt seit den Tagen der Konkordie entgegenbrachte, ließ ihm auch die Superintendentur wichtig erscheinen. So konnte deren beamtenmäßiges Regiment für ihn neben das Gemeindeprinzip der reformierten Kirche treten und ein sächsisches Element in schweizerische Gedanken tragen 3 ). Die Art, wie Butzer selbst sein neues Amt handhabte, gibt die besten Anzeichen dafür 4 ). ») W i n c k e l m a n n , Z. f. G., pag. 623. — K n o d 1. c. (s. o. pag. 158. Anm. 1) pag. 53. — Rh. X X I , 1541, 21. XII., f. 522. *) B u t z e r : De vera animarum cura. Scripta Angl. pag. 280 und die Zitate in H a s s e n k a m p , Hessische Kirchengeschichte (s. o. pag. 154. Anm. 1), Bd. II, pag. 412—13 aus Butzers Werk: de regno Christi. 3 ) Vgl. Hermann E d l e r v o n H o f f m a n n : Das Kirchenverfassungsrecht der niederländischen Reformierten. Tübingen 1907, der für J. v. Lascos Gestaltung des Superintendentenamtes auf Züricher, Straßburger und Kölner Vorbilder hinweist, (pag. 8ff., pag. 12—13.) — Für Hessen: H a s s e n k a m p , Kirchengeschichte, pag. 412ff., 542ff., und berichtigend: W. D i e h l : Butzers Bedeutung für das kirchliche Leben in Hessen. Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte. Halle 1904. — Über die kalvinische Auffassung: K. R i e k e r 1. c. pag. 119ff. 4

) »Beschreibung des Straßburger Kirchenkonvents« (von Marbach), 27. X. 1576. (Th. A. 46, 1.) — Wohl möglich, daß Butzer

1. Abschnitt.

Superintendentur und Magistratskirche.

167

Wenige Tage nach seiner Ernennung, bei seiner Abreise nach Köln, schlug er den Predigern vor, Hedio zu seinem Nachfolger zu wählen und dann diese Wahl dem Rat zur Bestätigung vorzulegen. Schon hier ward in der Anordnung der Wahl ein Schritt zur Verselbständigung kirchlicher Verwaltung getan, der über den Standpunkt der Obrigkeit hinausging. Wenige Jahre später sollte er eine merkwürdige Wiederholung finden. Butzer selbst ließ sich am 23. Januar 1544 vom Kirchenkonvent noch einmal zum Superintendenten wählen, und zwar auf Lebenszeiten! Ein Stellvertreter (Hedio) und ein Viererausschuß des Konvents — gleichfalls von den Geistlichen gewählt — trat hinzu. Man gab sich selbst ein Regiment, unter den Predigern die c h r i s t i a n a d i s c i p 1 i n a und alles das zu fördern: quod ad nostrum omnium et ecclesiae utilitatem spectet. I n d e n Dienst der K i r c h e n z u c h t wurde damit auch die neue Würde der Superintendentur gestellt. Und wie die von Gemeinde wegen gewählten Ältesten eine rein kirchliche Stellung einnahmen, so gab auch hier dies freiwillige Sich-in-Zuchtgeben der Prediger dem neu durch sie gewählten Superintendenten eine Gewalt, die nicht von der Obrigkeit, sondern von der Kirche ihre Machtfülle erhielt. Spätere erzählen, Butzer habe bei seinem Abschiede von der Stadt (1549) die Kirche sogleich an Marbach empfohlen 1 ). Wohl möglich, daß er diesen zum Nachfolger in der Superintendentur wünschte und nicht den alten Freund Hedio, der dabei blieb, daß auch die Obrigkeit noch mit im Schiff fahre, und der Butzers strenge Auffassung der Kirchenzucht nicht teilte 2 ). hier durch hessisches Vorbild beeinflußt ist. Vgl. H a s s e n k a m p , Kirchengesch. II, pag. 537. ') H o r n i n g , M a r b a c h , pag. 56. — Ebenda Marbachs Einführung ins Thomasstift durch Butzer, pag. 50ff. ») Hedios Bedenken (11. November) 1547. V. E. Ia f. 146 b ff. u. Th. A. 48, 1, 2.

1 6 8 4. Kap. Der Übergang zur lutherischen Kirchenverfassung.

Mit Herzleid sah Butzer seine eigenen Wege sich scheiden von denen des sonst so getreuen Amtsbruders. Um so wärmer begegnete er dem neuen Genossen: Marbach. Aufs dringlichste und wärmste bemühte er sich, ihn in den Besitz eines Kanonikats zu St. Thomas zu bringen. Ausdrücklich sprach er davon, wie das Stift solcher Männer, solcher Gesinnungen bedürfe. Konnte die O b r i g k e i t dieser Entwicklung ruhig zuschauen ? Mußte nicht gerade ein Superintendentenamt, so wie Butzer es erfaßte, ihrer Stellung als »Verhörerin der Lehre« gefährlich werden? Gab es von nun an nicht zwei »Bischöfe« in Straßburg, wie es zweierlei Älteste gab ? Ruhig und gewährend, weitherzig und selbstbewußt hielt sie sich über den Parteien. Wo aber Ernst geboten war, scheute sie selbst vor Butzer im Tadel nicht zurück. Waren doch auch in ihrer eigenen Mitte Anhänger der strengeren kirchlichen Partei! 1 ) Über die Ältesten der Gemeinschaftsbewegung verlor man kein Wort. Nur warnte man die Pfarrer, nicht nach dem Schwert zu greifen, und gebot, daß man in den Bruderschaften nicht über fürwitzige Fragen disputiere, »als vom kindertauff, vom Sakrament«, sondern von dem, »was zur Besserung des Lebens dient« 2 ). Die praktische Liebestätigkeit in Haus und Beruf, die ethische Tüchtigkeit, — das war es, was der Rat von M Vgl. den Bedacht zum 4. II. 1545. (Th. A. 48, 1) und Rh. X X I , 6 ,1. 1546. (Vol. 1545, f. 529 c f.). — In der nachgiebigen Kommission n i c Ii t Jakob Sturm. Tadel und Kränkung Butzers: Rh. X X I , 1547, 24. X I I . , f. 675 c und 28. X I I . , f. 685 b. 2 ) Rh. X X I , 6. I. 1546, I. c. — 7. X I . u. 9. X I . 1547, f. 596 b ff. u. 600ff. — 25. V., f. 267 b wird der B a n n versuchsweise als ein »Zusehen« aber nicht als Satzung gestattet. (Die Kommissionsherren, o h n e Jakob Sturm, wollen ihn als ein »fruntlich ansprechen« zulassen. [Th. A. 48, 1, 2]; 22. IV. 1547ff.) — Rh. X X I , 7. X I . 1548, f. 552ff.

1. Abschnitt.

Superintendentur und Magistratskirche.

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seinen christlichen Bürgern erwartete. Die mystischreligiösen Fragen ließ er an ihrem Ort. Sie sollten einst seine Liebeskirche stürzen. Jakob Sturm war es, der in diesen Zeiten das Recht der alten Kirchenordnung wahrte, Sturm, dessen Christentum so schlicht und groß in politischer Sittlichkeit sichtbar ward. Schon jene Antwort an die Bruderschaften trägt den Stempel seines Geistes. Für das Amt der alten, obrigkeitlichen »superattendenten« sollte er persönlich im Rat eintreten. Dies geschah, als die Prediger wieder und wieder mahnten, »doch einmal« zu beschließen über Besserung des Lebens und dabei aufs angelegentlichste Schutz und Wahrung »unserer« Konfession forderten. Man sprach darauf im Rat nicht etwa von einem kirchlichen Superintendenten, sondern erinnerte an die alten Verhörer, deren einer Sturm war. Er selbst gab Auskunft über die Geschichte dieser Behörde, so daß man beschloß, bei der alten Ordnung zu bleiben. So hielt die Obrigkeit trotz der Brüderschaften, trotz Butzers Superintendentur, an den Gedanken von 1534 fest. Nur Butzer, nicht Jakob Sturm, hatte sich gewandelt. Man folgte dem Reformator dort nicht, wo er selbst seinen Gott tiefer zu verstehen glaubte. Aber was Jakob Sturm vor Rhät und XXI über die Verhörer erzählte, zeigt, wie dieses Amt nicht anders als das der Kirchspielpfleger unter praktischen Mißständen gelitten hatte. Es war nicht »für und für in gang pliben«. Der Politiker Sturm hatte den Superintendenten Sturm zurücktreten lassen. Krankheit hatte ein anderes Mitglied der Behörde (Andreas Müg) verhindert 1 ). >) Rh. X X I , 14. II. 1547, f. 52 b — 30. V. 1547, f. 274. — Bedacht der Prediger: Th. A. 48, 1, 2. Auch die Prediger erwähnen nicht ihren geistlichen Superintendenten, sondern nur die Disziplinarordnung von 1535, in welcher der »Verhörer« gedacht wird.

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4. Kap. Der Übergang zur lutherischen Kirchenverfassung.

So zeigte sich eine Gebrechlichkeit der obrigkeitlichen Organe und doch der Wille des Magistrats, nicht aus seiner kirchlichen Stellung zu weichen. Es zeigte sich tieferdringendes religiöses Leben unter den Predigern und zugleich die Unmöglichkeit, dies Leben frei zu entfalten. Schwere Ereignisse um die Wende der vierziger Jahre sollten die Gegensätze steigern und zugleich vergröbern. In die Tragik begann sich Bitterkeit zu mischen. 1549 mußte Butzer infolge des Interims die Stadt verlassen. 1552 ist das Todesjahr Hedios. Am 30. September 1553 »hat der Herr Ameister mit bekumerten gemuet ein traurige unnd diser Stadt hochschedliche botschaft verkünt, nemblich dz Herr Jacob Sturm, Pater patrie et ornamentum huius Reipublicae, im dem Herrn entschlaffen sei«1). Nun war die Stadt verwaist. Es fehlten die Führer, die in einer großen gemeinsamen Tradition gestanden hatten und so trotz aller Entfremdung sich nicht verwunden konnten, ohne zugleich sich selbst zu treffen. Sie waren erst Partei geworden — der Mann der Folgejahre, Johann Marbach, war von Anfang an Partei gewesen. Jene hatten den Weg aus dem katholischen Kirchendienst zum evangelischen in Kirche und Staat erst erkämpfen müssen. Johann Marbach hatte die neue Lehre schon in den Hörsälen gelernt. Dies alles war Marbachs Geschick, nicht Marbachs Schuld. Aber es mußte aufs entscheidenste eingreifen in seine kirchliche Politik, für die er als Mann die Verantwortung trug. Es war ein Verhängnis für die Magistratskirche Straßburgs, daß diese Kirchenpolitik von Anfang an unter dem Unstern des I n t e r i m s stand. Unmittelbar knüpfte hier Marbach an seine Vorgänger an. Butzer und Hedio, in dieser Frage sich wieder findend, hatten lebRh. XXI, 1553, 30. X., f. 378 b.

1. Abschnitt.

Superintendentur und Magistratskirche.

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haften Widerstand gegen die Rückkehr des Papsttums geleistet. Marbach setzte diesen Widerstand fort mit einer Energie, die für sein Dreinfahren bezeichnend ist. Wenige Tage nach Jakob Sturms Tode erschien er vor dem führerlosen Rat und drängte, das Interim abzuschaffen. Er wies auf das frische Grab. »Wir sind alle übernächtig. Auch die Regimentspersonen.« Wer will — so klang es zwischen den Worten — vor Gottes Angesicht treten, beladen mit der Schuld des Interims 1 ) ? Zum »Trutz« aber wurde sein Verhalten im kommenden Jahre (1554): Er zeigte dem Rat an, daß die Prediger entschlossen seien, ihre Amtsführung niederzulegen, falls binnen vier Tagen dem Interim nicht ein Ende gemacht sei. Mit gutem Recht empfand der Magistrat »ein beschwerd und befremden»« über diesen Schritt des Dreiunddreißigjährigen. Der ehrwürdige Ratsherr Matthis Pfarrer forderte den jungen Mann in sein Haus und expostulierte ihn gravissime. Selbst die Prediger aus Basel machten sich auf, diesen Streit zu schlichten. Aber hier zeigte sich Marbachs unvergleichlich günstige Stellung. Matthis Pfarrer wie die Basier warfen ihm nur die ungeschickte F o r m seiner Handlungsweise vor. In der S a c h e gaben sie ihm recht 2 ). Die christliche Obrigkeit verfing sich in ihrer eigenen Christlichkeit! Nur als rein weltliche Macht konnte sie tolerant sein 3 ). Konnte sie protestantisch und katholisch l ) Rh. X X I , 1. XI., f. 382ff. — D. M. f. 103. *) Rh. X X I , 1554, 15. VIII., f. 281. — D. M. f. 193, 197, 198 b. Die Basler schlugen als besseres Mittel die Exkommunikation des Rates vor! — Th. A. 50, 1, 9. — Zu Matthis Pfarrer vgl. V. E. I b, f. 58 b und D. M. f. 198 b. 3 ) Der Rat beruft sich auf den der Klerisei am 23. XI. 1549 gewährten zehnjährigen Schirm ( R ö h r . G e s c h . II, pag. 199): »wie denn ein jede c h r i s t l i c h e oberkeit schuldig, nyemandt, e r s e v g l e i c h w e l c h e r r e l i g i o n e r w o l l , wider recht vergewaltigen oder beschädigen zu lassen.« E. E's Rat . . . reso-

1 7 2 4. Kap. Der Übergang zur lutherischen Kirchenverfassung.

und zugleich Kirchenherr sein ? Man begann die jährlich wiederkehrenden Mahnungen der Prediger zu fürchten und verbarg sich hinter dem Vorwand, daß die Theologen selbst sich nicht einig seien in der Wertung des Interims. Die Geistlichen aber — je länger, je hartnäckiger — waren durch kein Entgegenkommen zu gewinnen 1 ). Erst in dem Augenblick, da die letzten Reste des Interims in der Stadt beseitigt wurden, fand der Rat den Predigern gegenüber seine alte Sprache wieder. Aber zu spät! Der Druck des Interims löste sich in Straßburg nur, um dem ersten Kampfe Platz zu machen, in den Johannes Sturm verwickelt war. ü b e r die Kirche war ein neuer Geist gekommen. Hier gilt es wieder anzuknüpfen an jene kirchlichen Bemühungen Butzers, die sich um Kirchenzucht und Superintendentur konzentrierten, und die während der schwülen Interimsjahre durch Marbach ihre eigentümliche Wendung erhielten. Die Obrigkeit, in ihrer Stellung als Kirchenherr moralisch erschüttert durch die Wiederaufrichtung des Papsttums, sollte energielos das Verhöreramt fallen lassen. W:elche Gestalt gewann das Kirchenregiment ? Kalvinische und lutherische Elemente, Elemente der Presbyterial- und der Episkopalverfassung, standen dem Nachfolger Butzers und Hedios zur Verfügung. Die Elemente beider Art trugen auf ihre Weise Widersprüche gegen die zwinglische Ordnung von 1534 in sich. Beide wieder standen gegeneinander im Widerspruch. Aber ebensosehr, wie die Genfer und Wittenberger Prinzipien lution, 16. VIII. 1554. (Th. A. 50, 1, 9.) — Dagegen z. B. Anerkennung des Prinzips, die Obrigkeit sei bei Verlust der Seelen Seligkeit verpachtet, Abgötterei abzuschaffen: (Th. A. 50, 1.) 8. V. 1556. Protokoll über Kommissionsverhandlungen. ») Rh. X X I , 1557, 3. V., f. 147 b. — Ebenda 30. VII. f. 287 ff. — Vgl. Bedacht zum 9. III. 1558. (Th. A. 50, 1, Nr. 13.)

1. Abschnitt.

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gegenüber denen von Zürich religiös wertvoller sind, ebensowenig wurden sie noch untereinander als sich widersprechend empfunden. Marbach m u ß t e seiner ganzen Erziehung nach den Weg zum L u t h e r t u m wählen. Ihm folgte fast die ganze Geistlichkeit, und unter dieser Konrad Hubert 1 ), der ihn später mit kalvinischen Ideen bek ä m p f e n sollte. H a t t e doch auch Marbach selbst Butzer in der kalvinistischen Gemeinschaftsbewegung unters t ü t z t ! Nur ein Prediger (Bat Gerung) und ein Helfer (Georg Mornhinweg), beide zu St. Thomas, leisteten mit den Gedanken der alten Kirchenordnung Widerstand — und fielen mit diesen, trotz der Unterstützung, die ihnen die Obrigkeit gewährte. Schon zu J a k o b Sturms Zeiten zeigte sich der erste Gegensatz, erwachsen noch ganz aus der Straßburger Gemeinschaftsbewegung. Bat Gerung erklärte sich gegen die »Neuerung« (Anzeige vor dem Abendmahl), gegen die »Brüderschaft« und machte sich damit zum Freund der Obrigkeit, in deren Namen J a k o b Sturm die Prediger zur Rede stellte. Bittere Klagen sandte Marbach nach England an Fagius und Butzer: Bat, der Wolf, zerstört die Gemeinschaften! Es k a m zu ernsth a f t e m Streit zwischen Gerung und seinem Helfer Konrad Hubert 2 ). Aber schon nach kurzer Zeit schlief die Konventikelbewegung ein und machte anderen inneren Unruhen Platz, die ihren Mittelpunkt jetzt in der Frage nach der S u p e r i n t e n d e n t u r fanden. Hier errang Marbach seine Stellung, die ihn der Schule gefährlich machte. *) Konrad Hubert. Geboren 1507 in Bergzabern. »Studierte von 1526 an Theologie in Basel und ist vom Sommer 1531 ab Butzers Helfer.« — Macht sich zumal verdient durch Abschreiben der schwer lesbaren Manuskripte Butzers. (Handschriftenproben.) *) Der allhiesigen Prediger Erklärung (Protokoll von Jakob Sturm). 5. III. (1550). Th. A. 48, 1. — H o r n i n g , M a r b a c h , pag. 63, 66ff. — Rh. X X I , 1550, 3. III., f. 99.

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War Marbach Superintendent ? Er selbst — sein Tagebuch verkündet es auf den ersten Blättern — hielt sich sogleich nach Hedios Tod (17. Oktober 1552) für den »Superattendenten der kirchen allhie zu Straßburg«, zu dem ihn ein ersamer Rat erwählt, hätte. Nach dem Ratsprotokoll wurde ihm nur das Ordnungsamt der P r ä s i d e n t u r im Kirchenkonvent übertragen. Noch im Jahre 1555 suchte die Obrigkeit einen Mann, »der der kirchen hie fürgesetzt und s u p e r a t t e n d e n s werden möchte«, wie man ihn seit Hedios Tod begehrt habe 1 ). Aber entsann sich hier die Obrigkeit ihrer eigenen Superintendentur nicht mehr ? In zufälligem Durcheinander mengten sich zu dieser Zeit die Begriffe: Marbachs Stellung als Präsident — das Suchen nach einem theologischen Superintendenten — das alte Verhöreramt, wie wir es sogleich wiederfinden werden — dies alles gibt ein Zeichen, daß wir mitten im Ubergang stehen, und daß es auf die Politik des Augenblicks ankam, wer sich der Leitung der Kirche bemächtigte. Unter allem aber drängten und schoben die Ideen der Wittenberger Konkordie weiter — und machten Marbach zum Sieger in den Tagen des Interims. Die Jahre sogleich nach Jakob Sturms Tode brachten die Entscheidung, die sich in der Geschichte der S t a d t v i s i t a t i o n und ihrer Folgen entwickeln sollte. *) D. M. f. 1. »Es hat mich ein Ersamer Rath auch an sein (Hedios) Rat erwelet und geben zum S u p p e r a t t e n d e n t e n der kirchen allhie zu Straßburg.« — Rh. XXI, 1552, 23. XI., f. 448 b: »die prediger begeren einen an D. Hedio statt z u r p r e s i d e n t z zu ordnen, der sie zu beruffen hab . . . Do. marpachen d i e p r e s i d e n t z beuolhen.« — Noch 1562 scheidet Marbach selbst deutlich, indem er von sich selber spricht als von dem: »dem des kirchen Conuents präsidentz u n d das uffsehen uff die gantze Straßburgischen kirchenn vertrauwt und befolhen ist.« Th. A. Einzelband. Januar 1562, pag. 68 b.

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Bisher kannte Straßburg noch keine Visitation in der Stadt 1 ). Marbach setzte sie ins Werk, nicht ohne zuvor die vornehmsten Herrn der Ratskommission zu Gast geladen zu haben. Aber wenn auch die Obrigkeit ihm hier zu Willen war: sie las in den alten Ordnungen nach — und entdeckte das Amt der obrigkeitlichen » S u p e r attendenten«. Als solche ordnete sie zwei ihrer Mitglieder dem Präsidenten zu, der für sie nur den Namen »V i s i t a t o r« fand 2 ). Das Werk begann in den kalten Januartagen des Jahres 1554, ohne daß von dem eigenmächtigen Marbach der Kirchenkonvent zuvor amtlich zu Rate gezogen war 3 ). War er sich seiner Prediger nicht sicher ? Bat Gerung, der Wolf, sollte ihm auch hier zu schaffen machen. Er wollte es nicht dulden, daß Marbach, der Jüngere, in seiner, Bats, Kirche visitiere. Heftig wettert er mit seiner »mannlichen stimm«, mit seiner »gab der sprachen« l

) Die Visitation der L a n d k i r c h e n wurde auch zur Zeit, als Butzer noch »Superintendent« war, nicht von diesem, sondern von Hedio gehalten — erklärlich durch Butzers Inanspruchnahme in auswärtiger Kirchenpolitik — und ein Zeichen für die Kompetenzfreiheit in der Stadt, trotz des Superintendentenamts. Am gleichen Tage, da Butzer sich von seinen Amtsbrüdern neu zum Superintendenten wählen läßt (s. o.), wird auch Hedio zum Landvisitator gewählt. Während dessen Präsidentschaft 1549 bis 1552 fand keine Landvisitation s t a t t (Rh. X X I , 1549, 11. V., f. 192; — 1551, 22. IV., f. 144. — 1552, 27. VIII., f. 312 b. — D. M. 1553, 17. IV., f. 40). Marbach konnte sich also nicht darauf berufen, daß Präsidentschaft und Visitatorenamt zusammenfiele. *) D. M. 1553, 29. X., f. 99 b. — Rh. XXI, 1553, 6. XI., f. 392. — D. M. 1554, 13. I., (f. 132); 20. I. (f. 133); 28. I. (f. 135); 31. I. (f. 136). — Rh. X X I , 1554, 29. I., f. 25, 26; 23. VI., f. 232. ») D. M. 1554, 13. I., f. 132. — 25. I., f. 134 b — Rh. X X I , 1554, 17. I., f. 8. Der Rat zeigt sich hier ebenso zurückhaltend wie gegen Butzers Kirchenzucht: Es soll Marbach gesagt werden: »dz es nit die meynung, wie e r s angesetzt, sonder wie es v o n m e i n H e r n erkant und zugelassen und dz sye nyemand beschicken oder rechtfertigen sollen« (Bannl). Marbach erwähnt von dieser Einschränkung seinen Geistlichen gegenüber nichts.

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in seiner Predigt. »Ein anderer stamle, statzle usw. auf der Rantzel das sein so gut heraus, als er wolle. Ich wurd mir darin nichts lassen fürschreiben, glatt nit«. — Marbach hatte nur ein »klein gesprech« 1 ). Beide Prediger bemühen sich um die Gunst Heinrich von Müllenheims, eines der obrigkeitlichen Superattendenten. Hier, in früher Morgenstunde, begründet Marbach sein Visitationsrecht mit seinem Präsidentenamt. Die Nachfolge Hedios gäbe ihm das Recht zum Visitieren. — Bat Gerung antwortet drei Tage später im Kirchenkonvent: er scheide »inter praesidentem conventus und der Visitation. Wen einer preses Konuentus sey, volge darumb nit daz er gleich noch visitator seye« 2 ). Aber Marbach setzte seine Absicht durch. Seine getreuen Prediger sprechen in seinem Sinne vor der Obrigkeit. In allen Kirchen, nur nicht in der Bats, tut Marbach bei der Visitation selbst die Vermahnung 3). Bat benutzte seine Visitationspredigt, um Marbach arg mit Stichworten auszurichten. Seufzend schrieb der Präsident über Gerung in sein Tagebuch: »ein unrübigter mensch, durch den der Sathan sich understatt großen unrath und Spaltung in der kirchen antzurichten und die ») D. M. 1554, 29. I., f. 135 b. — Th. A. 41, No. 18, pag. 53ff., £8ff. — Rh. X X I , 1557, 7. VI., f. 220 b. *) D. M. 1554, 29. I. f. 135 b; 1. II., f. 138 b. 3 ) Man beachte, daß die dem Superintendenten folgenden Prediger noch nicht seine »Kreaturen« sind, sondern zum großen Teil noch neben ihm unter Butzer gearbeitet haben. — Rh. XXI, 1554, 3. II., f. 31. Der Rat erkennt: »dz ein jeder prediger inn seiner pfarr diser prediger (!) s e l b s thun soll . . . woll einer aber gern ein andern uffstellen, lost mans geschehen.« Wie anders liest sich Marbach!: D. M. 1554, 3. II. (f. 140): E r , M., solle in a l l e n Pfarren die Vermahnung thun, nur nicht bei Bat, da dieser alt, und es so hoch her nähme, »friedens halber«. — Der praktische Erfolg ist nach beiden Lesarten der gleiche. Nur erscheint durch «ine Vergleichung die Bereitwilligkeit der Pfarrer und Marbachs anspruchsvoller Standpunkt im schärfsten Licht.

1. Abschnitt.

Superintendentur und Magistratskirche.

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Oberkeit wider uns und den kirchendienst unlustig zu machen« 1 ). Man kann es der Obrigkeit nicht verdenken, wenn sie nach solchen Erfahrungen es nicht wieder zur Stadtvisitation kommen ließ: so häufig auch Marbach um Wiederholung bat 2 ). Wichtig aber ist, daß ihr wiedererwachtes Superintendentenamt auch nach der Visitation noch auf kurze Zeit lebendig blieb. Ja, während in der Visitation selbst dem visitierenden Pfarrer und nicht den Supperattendenten die Lehraufsicht übertragen war, wurde im März 1554 von ihnen ein Gutachten über die Blasphemien eines Schwärmers gefordert und beanspruchten sie im August das »uffsechen uff die gantze kirchen«. Noch im Jahre 1555 wurden vor ihnen Wiedertäufer verhört. Von da an aber finden wir sie nur noch tätig in der Präsidenz bei der Pfarrwahl. Es ist dasselbe Jahr, in dem im Rat der Wunsch nach einem theologischen Superintendenten laut wurde 3 ). Im nächsten oder übernächsten Jahre redete Bat Gerung vor der Obrigkeit den alten Verhörern zum letzten Male das Wort: Er wolle keinen andern Kirchen») D. M. 11. III., f. 146. ») Rh. X X I , 1555, 10. VI. (f. 229 b) — 1556, 20. VI., f. 266. — Das Bedenken der verordneten Herrn (Th. A. 48, 1) vom 20. XI. 1556 ist zwar für eine Wiederaufnahme — doch wird die Visitation wegen des Wetters verschoben (für immer!). — Rh. X X I , 1559, 26. VII. (f. 326 b): Ausführliches Gutachten gegen eine Stadtvisitation. Sie möchte eine Präparation sein: »dz sye die prediger weiter nach dem schwert griffen.« Es ist die Zeit kurz vor Aufhebung des Interims I ') Uber die obrigkeitlichen Superintendenten vgl.: Rh. X X I , 1554, 17. III. (f. 89ff.); 23. VI. (f. 232); — 1555; 20. III. (f. 112); 29. V. (f. 214); 7. VIII. (f. 313 b); — 1557, 8. V. (f. 160 b), 21. VI. (f. 232); — 1 5 6 0 , 22. IV. (f. 157, cfr. f. 160); —1561, 26. II. (f. 68 b), Müllenheim und Leymer ohne Amtstitel. — Th. A. No. 18, pag. 83 (praelectum 31. VIII. 1554). — D. M. 1554, 13. I. (f. 132): Die Visitatoren sollen alle die beschicken, »die der augspurgischen Konfeßion zu wider lehren.« 13. III. (f. 146 b) und 3. VIII. (f. 192). S o h m , Schule und Kirche Straöburgs.

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herrn anerkennen als den Rat und dessen obrigkeitliche Superintendenten, keinen andern Seelenhirten als Christum. »Ein nüw B a p s t u m b aber nennen wir einen nuwen gewallt, den ihnen die kyrchendiener selbs zumessen wollen.« Vergebens war diese Warnung. Die Obrigkeit, von der Bat bisher freundlich behandelt war, ließ ihn im Jahre 1557 fallen 1 ). Sie, einst Herrin der Kirche, gab einer Partei den Sieg, die ihr erklärt hatte, — daß der Bürgereid den Kirchendienst nichts angehe 2 ). Marbach wird nun (1557) auch im Ratsbuch Superintendent genannt. Noch 1556 hatte man ihm gedroht, man wolle das Amt umgehen lassen, wenn er nicht sein Bestes tue. Von jetzt an war seine Stellung gesichert8). So löste sich in Straßburg jener Zwiespalt schweizerischer und lutherischer Verfassungsgedanken, der durch Butzers Entwicklung in die Stadt getragen war, dahin, daß das lutherische Amt des Superintendenten dem lutherisch erzogenen Marbach zufiel. Die kalvinisch gestimmte Bruderschaftsbewegung war still zu Ende gegangen. Marbach war nicht produktiv und originell genug, die gegebene Doppelheit der Verhältnisse zu einem eigenartigen Ganzen weiterzubilden. Er griff nach der lutherischen Schablone4). ') Bat: Undatierte Supplikation (1556 oder 1557) an die XIII. Th. A. 41, No. 18, pag. 73ff. — Noch Neujahr 1556 (Rh. XXI, 1555, f. 511 b) hält Bat die Ratspredigt, — eine Auszeichnung, die Marbach lange und aufs tiefste krankt. l ) Antwurt der Prediger (Th. A. 50, 1, 9), 8. IX. 1554. Es wird hier protestiert gegen die Pfarrer (Batl) »die fein freundlich und sanft faren und den kautzen ( = die Obrigkeit), wie man spricht, wol streichen können«. 3 ) Th. A. 48, 1; 20. XI. 1556. Bedenken der verordneten Herren. — Rh. XXI, 1557, 27. I. (f. 19 b); — 1559, 26. VII. (f. 326 b). 4 ) Gedanken Butzers über die Ältesten verrät noch die (vom Rat nicht angenommene) Agende Marbachs (Th. A. 1553) und da» Gutachten der Prediger über dieselbe (Th. A. 47, 1; 26. VIII. 1557): Die Kirchenpfleger sollen von der G e m e i n d e gewählt, vom Rat nur bestätigt werden. Die Prediger wünschen, daß »ein under-

2. Abschnitt.

Superintendentur und Schule.

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In Butzers großherziger Gesinnung hatten sich jeweils die Gedanken aus allen Lagern der Reformation gekreuzt, hatten ihn in Widersprüche und Unklarheiten verwickelt. In seine eigene Seele trug sich der religiöse Zwiespalt seiner Zeit. Wir hatten dem Sinnen und Fühlen eines großen Mannes zu folgen, solange wir die inneren Konflikte der Straßburger Kirche zu seiner Zeit betrachteten. Sobald uns Marbach als kirchlicher Führer entgegentrat, stand anschaulich und grobzügig Kirchenpartei gegen Kirchenpartei, Marbach gegen Bat. Indem die Gegensätze sich sonderten, verloren sie an Feinheit und edler Gesinnung und gewannen sie an Kraft, um in gegenseitigem Kampf eine geklärte kirchliche Lage zu schaffen. Die Straßburger Schule sollte am schwersten unter dieser Klärung und ihrer ersten Frucht, der selbstbewußten Superintendentur des Episcopus ad sanctum Nicolaum 1 ), leiden. 2. Abschnitt. Superintendentur und Schule. So schwierig der Weg war, auf dem Marbach seine Stellung als Superintendent unter den Geistlichen der Obrigkeit gegenüber erkämpfen mußte, so sehr kam scheid under der Zucht Christi und seiner kirchen und der oberkeit straff, vermöge göttlichs worts, erkennt und gehalten werde«. — Eine glückliche und originelle Vereinigung presbyterialer und episkopaler Elemente zeigt die hessische Kirche. Vgl. Paul D r e w s : Die Entstehung der protestantischen Kirchenverfassungen, insbesondere der hessischen. In: Grundfragen der evangelischen Kirchen Verfassung. Drei Vorträge (Drews, Kurtius, Friedrich) gehalten in Darmstadt auf Veranlassung der freien landeskirchlichen Vereinigung für das Großherzogtum Hessen. Darmstadt 1911. 1 ) So, oder »den neuen Bischof« nennt der Stadtschreiber Empfinger den Superintendenten. Rh. XXI, 1555, 7. XI. (f. 405). — 1557. 3. III. (f. 64 b). 12*

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4. Kap. Der Übergang zur lutherischen Kirchenverfassung.

ihm diese gleiche Obrigkeit entgegen, als es galt, seine Stellung in der Schule zu befestigen — oder besser, so selbstverständlich war es, daß er als der erste unter den Predigern ein entscheidendes Wort in der Schule zu sprechen hatte. Der kirchliche Charakter der Schule wies ihm unmittelbar diese Rolle zu. W i e er diese Rolle spielte — das war weniger empfindlich für die Obrigkeit als für die betroffenen Lehrer. Und was es bedeutete, daß gerade ein L u t h e r a n e r an dieser Stelle stand — das empfand zu jener Zeit ein wissenschaftlich gebildetes Professorenkollegium stärker als die Laienobrigkeit. So stoßen wir hier auf eine Geschichte kleiner und unschöner Reibungen zwischen dem Superintendenten und den Professoren, zugleich aber auch auf die tiefen dogmatischen Gegensätze zwischen Luthertum und Kalvinismus. Und doch wieder — ein Zeichen der Übergangszeit — kommt es zu keinem offenen Kampf. Die Gegensätze versöhnen sich nocheinmal zu trügerischer Ruhe. Gefahren der Spannung lagen in der engen Einbeziehung der Schale in die Kirche genug. Butzer selbst hatte dies schon erfahren. In einer Zeit, da man die Schule »eine Art Kirche der studierenden Jugend «nannte 1 ), mußte er doppelt empfindlich sein, wenn humanistischer Freigeist sich regte, oder etwa im Thomasstift, jener parva ecclesia von Predigern und Lehrern, die Strenge der Gesinnung zu wünschen übrig ließ. Auf dem Synodus von 1533 war es die Laientheologie eines Sapidus gewesen, die ihm Mühe bereitet hatte. In den vierziger Jahren suchte er wieder und wieder Mittel, unter den Stiftsherrn christliche Zucht aufzurichten 2 ). Die Straßburger Prediger an die Züricher. 4. XII. 1546. H o r n i n g , M a r b a c h , pag. 45. ! ) Die Spannung zwischen Butzer und dem Stift zeigt die Einführung Marbachs ins Kapitel (s. o. pag. 167 f.) und die dort zitierten Stellen bei H o r n i n g , M a r b a c h . — Anfang 1542 trübt sich sogar

2. Abschnitt.

Superintendentur und Schule.

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Wenn Marbach hier unmittelbar an ihn anknüpfte, so mußte unter ihm, als dem »Nachfolger«, doch sogleich auch ein anderer Ton laut werden, und mußte sich auch hier die Frage nach der Kompetenz aufrollen. Wir kennen die Schwächen und Lücken der Straßburger Schulorganisation. Gab es Satzungen, die das Verhältnis von Superintendent und Rektor, Superintendent und Schulkonvent, Kapitel und Obrigkeit klarlegten ? Unter Männern, die in vertrauensvollster Hochachtung einander schätzten — die im Glauben an die Macht der Liebe sich gleichgesinnt fühlten, hatte die Ordnung der Ämter stattgefunden. Jakob Sturm, Butzer, Johannes Sturm standen in einem gegenseitigen Verhältnis, das schon durch die Entwicklung der Dinge gegeben war: der überragende, selbstsichere Politiker — der gütige Prediger, der als hospes Christi seinen Einfluß nicht einem Amt, sondern seiner Größe dankte — der Rektor, der, in späteren Jahren zugewandert, in der Stellung des jüngeren hochgeschätzten Freundes seinen reichen Lohn fand. Dieser Rektor, Johannes Sturm, ward bald der einzige Überlebende. Um ihn her waren Nachfolger, die der Satzungen bedurften — unter denen es zu »Übergriffen« kam, die erst zu spät als solche erkannt wurden. Am leichtesten gewann Marbach dort festen Fuß, wo später der Kampf mit der Schule am heftigsten toben sollte: in den Internaten der Stadt. Nach Hedios Tod übertrugen die Schulherrn (unter ihnen Jakob Sturm) die Sorge für ihre Stipendiaten im das Verhältnis zwischen Johannes Sturm und Butzer, da dieser die Pfründenverleihung ausschließlich dem Magistrat zuweisen will. Sturm an Bonifazius Amerbach. 18. III. u. 3. V. 1542. Archiv v. Basel. — Eine starke Besorgnis um den evangelischen Geist des Stiftes zeigen die Straßburger Geistlichen in ihrem Bedacht zu einem »Chorgericht« (Frühjahr 1540). Th. A. 46, 1. — Vgl. den Abdruck und die Besprechung dieses Bedachts in der Festschrift für Briegers siebzigsten Geburtstag 1912.

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Collegio (praedicatorum) auf Marbach. Etwa ein Jahr später — der große Stettmeister war indessen gestorben — nahm es die Scholarchen in keiner Weise wunder, daß Marbach ihnen ein ausführliches Gutachten über das g e s a m t e Alumnatswesen der Stadt einreichte 1 ). Nach dem Buchstaben der Statuten hätte Marbach weder über das Collegium praedicatorum noch über des Wilhelmitanum etwas zu sagen gehabt. Vorgesetzte der Internate waren nur die Schulherrn, die Schulvisitatoren, der Pädagog und der Ökonom 2 ). Der theologische Schulvisitator und Inspektor des Wilhelmerkollegs war in diesen Jahren nicht Marbach, sondern sein Amtsbruder Ludwig Rabus. Marbach sprach über die Kollegien n u r als Superintendent — und wurde als solcher gern von den Scholarchen gehört. Verstand er es doch vortrefflich, das Alumnenwesen zum besten der Kirche in seinem Sinne zu ordnen 1 Das W i l h e l m e r k o l l e g —• Marbach wurde 1554 als Nachfolger des Rabus -Inspektor der Anßtalt—ward die Sammelstätte der jungen ingenia. Hier wählte der Superintendent die Geeignetsten aus, um sie in vorgerückterem Alter ins C o l l e g i u m p r a e d i c a t o r u m aufzunehmen, und wer hier sich bewährte, durfte als Stipendiat der Schulherrn in M a r b a c h s H a u s übertreten, um dort die erste praktische Ausbildung für die Seelsorge zu erfahren. Denn ausschließlich sollte dieser ganze Studiengang der Erziehung zum Kirchendienst nützen und ei nem erheblichen Predigermangel l

) M a r b a c h : 26. IV. 1572, pag. 51 ff. Th. A. 33. — Sein Gutachten vom 30. XI. 1553. Th. A. Univ. 2. — D. M. 24. XI. 1553, f. 113 b. Vgl. ein ähnliches Verhalten Sturms: oben pag. 155. ') Die Statuten des Collegium Praedicatorum F.-E. pag. 28, 57, — des Wilhelmitanums: Alfred E r i c h s o n : Das theologische Studienstift Wilhelmitanum zu Straßburg, 1554—1894, Straßburg 1894, pag. 13 ff. — Die Statuten beider Kollegien oft wörtlich übereinstimmend.

2. Abschnitt.

Superindententur und Schule.

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abhelfen. Aufgenommen ward nur, wer sich verpflichtete, Theologie zu studieren 1 ). Ganz im Anfang dieser Entwicklung, die auf eine ebenso glänzende Organisation hinauslief, wie sie Marbach zum Herrn derselben machte, kam es zum Zusammenstoß mit dem Institut, das bestimmt war, die Interessen der Schule zu wahren: mit dem S c h u l k o n v e n t oder wenigstens mit dessen Vertretern, den Schulvisitatoren: Peter Dasypodius, Christian Herlin und Rabus. Ohne deren Vorwissen hatte Marbach in den ersten Augusttagen 1553 den Schulherrn eine Neuordnung des Früh- und Abendgebets für das Predigerkloster vorgelegt. Jetzt tadelten sie ihn, daß er diese Angelegenheit, als eine S c h u l angelegenheit, nicht zuvor dem conventus scholasticus vorgetragen hätte. Marbach dagegen hielt ihnen vor, daß es sich um eine K i r c h e n sache handle, da die Stipendiaten künftige Prediger seien, und berief sich auf sein Recht als Superintendent. Nur seinem guten Willen hätten es Rektor und Visitatoren zu danken, wenn ihnen (gegen die Absicht der Schulherrn, unter ihnen Jakob Sturm) die Angelegenheit vorgetragen sei. Er erklärte sich bereit, auch fernerhin mit ihnen über diese Dinge zu handeln —wenn häufiger S c h u l k o n v e n t gehalten werde 2 ). So erhob sich zum ersten Male die Frage, was Kirchen-, was Schulsachen seien, eine Frage, die unter Butzer aus theoretischen und praktischen Gründen nicht h ä t t e gestellt werden können. Und zugleich trat die Schwäche ') Die Angelegenheit eines Pädagogiums für Nicht-TheologieStudierende wird von Marbach im Gutachten vom 30. XI. 1553 nur ganz flüchtig berührt. Unter Butzer und Hedio hat ein besonderes Pädagogium für andere Fakultäten bestanden ( E n g e l 1886). Marbach erzählt nur, daß Hedio das Predigerkloster auch für andere Schüler geöffnet habe, und tadelt dies. *) D. M. f. 66 ff. — f. 62b erklärt M. des Rabus Mißstimmung als »frucht seines newen Doctorats«! (vgl. H a n d s c h r i f t e n p r b . )

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4. Kap. Der Übergang zur lutherischen Kirchen Verfassung.

der Schule, die Schwäche ihres K o n v e n t s vor Augen. Ein säumig gehaltener Schulkonvent konnte nicht das für die Kollegien leisten, was der eine Marbach tat, und mußte doch zugleich in seiner eigenen Kraftlosigkeit erbittert werden, wenn er sah, daß der Superintendent auf neuen theologischen Bahnen wandelte. Marbach war es, der auf Ordnung drängte 1 ). Aber spätere Jahre zeigen, welche untergeordnete Rolle im Verhältnis zur Kirche er dem Konvent zuweisen wollte. Die Schulprofessoren und der Rektor ließen es beim alten Brauch, der das Schwergewicht der Schulregierung in die Hände der Scholarchen legte, oder in die Hände dessen, der das Ohr der Schulherrn besaß. Konnten sie, die Männer der alten Tradition, ahnen, daß der junge lutherische und organisatorisch so praktische Marbach ihnen hier in kurzer Zeit den Rang ablaufen würde? In Fragen der Berufung zeigten sich bald die Schwierigkeiten der Lage. Als Nachfolger Hedios in der theologischen Professur war ein »Kalvinist«, war H i e r o n y m u s Zanchi aus Bergamo am 15. März 1553 in Straßburg eingetroffen. Die Schulherren hatten in dieser Berufung den Rektor und die Visitatoren zu Rate gezogen. Weder der Superintendent noch der Schulkonvent war gefragt worden. Es herrschte noch die zwanglose Selbstverständlichkeit und Freiheit Butzerscher Zeit 2 ). *) Vgl. weiter unten. — Auch bei der übernähme des Dekanats im Thomasstift (!) 1559 stellt Marbach die Forderung, daß der Schulkonvent häufiger gehalten werde. Nach T r e n ß : Kirche und Schule unter Marbach. In Hornings »Beitragen zur Kirchengeschichte des Elsaß«. Jahrgang 1886. Hier wird das Ereignis fälschlich auf 1557 gelegt. *) Z a n c h i , »einer der scharfsinnigsten Systematiker der Zeit«, »einer der Vater der reformierten Orthodoxie«, geb. 1516 in Alzano (b. Bergamo). Chorherr in Lucca. 1551 Flucht nach Graubünden. ( H a n d s c h r i f t e n p r o b e n . ) — Uber seine Berufung: »Antwort D. Zanchi«, 28. III. 1561. (Th. A. 27, 1.)

2. Abschnitt.

Superintend entur und Schule.

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Mit Entsetzen hörte Marbach in Zanchis Antrittsvorlesung, wie frei dieser der Autorität Luthers gegenüber stand. Bald kam es zwischen beiden Theologen zu Meinungsverschiedenheiten über die P r ä d e s t i n a t i o n , deren Lehre Zanchi im alten Straßburger Sinn vertrat 1 ). Im August des gleichen Jahres handelte es sich um eine neue Berufung. Diesmal ging der Antrag von Marbach aus, dem hierzu wiederum kein anderes Recht zur Verfügung stand, als das ungeschriebene der Superintendentur. Nach einer Unterhaltung mit Johannes Sturm, dem Rektor, befürwortete er die Berufung des Heidelberger Kisners, eines guten Lutheraners, vor den Schulherrn, um ihm die Stelle eines Ethikus zu verschaffen. »Ich wollte« (man hört, wie er auf den Kalvinisten Zanchi abspielt) »lieber Deutsche als Welsche in der Schule haben, den die Welschen haben seltzame Köpff« 2 ). Am nächsten Tage schon (3. August) stellten die Visitatoren den Superintendenten zur Rede: Er hätte diese Angelegenheit zuvor dem S c h u l k o n v e n t unterbreiten sollen. Es war der gleiche Tag, an dem sie das Einspruchsrecht des Schulkonvents in Angelegenheiten der Internate forderten! Man begann zu reflektieren über die Zuständigkeit des Konvents, um ihn als Gegengewicht gegen den anders gesinnten Superintendenten zu verwerten — und suchte zugleich, ihm in Sachen der Berufung ein Recht zuzuschreiben, das man bei der Berufung Zanchis selbst nicht berücksichtigt hatte. Darüber, daß Marbach nur als Superintendent sprach und nicht ein Schulamt trug, verlor man dagegen kein Wort. Marbach antwortete: der R e k t o r hätte den Fall vor den Schulkonvent bringen sollen. Man sieht: Sturm hatte selbst nicht an das Recht gedacht, das nun für den Konvent beansprucht wurde. M D . M. 1 5 5 3 , 3. I V . (f. 3 6 ) . 2

) D . M. 1 5 5 3 , 2. V I I I . (f. 6 0 b) u. 4. V I I I . (f. 63).

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4. Kap. Der Übergang zur lutherischen Kirchen Verfassung.

Neue Reibungen brachte der Beginn des Jahres 1554. P e t e r M a r t y r 1 ), auch dieser ein »kalvinischer« Theologe, war aus England wieder nach Straßburg zurückgekommen. Die Schulmänner verhandelten über seine Vorlesungen mit den Scholarchen, ohne die Geistlichen herbeizuziehen, und verweigerten hierüber im Schulkonvent die Auskunft. Jetzt war es Marbach, der für den Konvent eine Lanze brach und von neuem auf seine regelmäßige Haltung drang 2 ). Es kam zu einer lebhaften Szene (4. Januar 1554). Die Theologen (Marbach und Rabus) rügen allerlei Mißstände der Schule. Die alten Professoren brausen auf und wollen sich von ihren »discipuli« nicht maßregeln lassen. Sie versagen den Pfarrern das Recht, in Schulsachen vor ihnen und vor den Schulherrn gehört zu werden 1 Marbach vergab sich kein Wort. Aber schon am nächsten Tag finden wir ihn bei den Scholarchen, die ihm freundlich begegneten und ein Gutachten 3 ) forderten. Bitter beklagte er sich hier, daß man ihm, dem S u p e r i n t e n d e n t e n , in der Schule einen »biß ins maul« legen wollte. Als S u p e r i n t e n d e n t beanspruchte er das Recht, den theologischen Charakter der Schule zu überwachen. So griff an dieser Stelle unmittelbar die Geschichte des Superintendentenamtes und die des Schulkonvents l

) Petrus Martyr Vermigli, Sohn einer Florentiner Patrizierfamilie, geb. 1500. Tritt als Prior der Augustinerchorherren zu Neapel unter Valdes' Einfluß. Flucht vor der Inquisition. 1542 bis etwa zum Interim in Straßburg. Dann nach England. Rückkehr nach Straßburg am Todestage Jakob Sturms. ( H a n d s c h r i f t e n p r o b e n . ) ') Daß Professoren und Schulherren über Martyrs Vorlesungen verhandelten, läßt sich nur vermuten aus den Vorlesungszänkereien, die im Anfang Februar folgten. Vgl. D. M. 1554, 3. II., f. 140 b ff., und Marbachs Gutachten vom 9. II. 1554. Th. A. Univ. 2. — Uber die Szene im Schulkonvent: D. M. 1554, 4. I. f. 129 b ff. ») Th. A. Univ. 2.

2. Abschnitt.

Superintendentur und Schule.

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ineinander ein. Beide Institute schraubten sich gegenseitig vorwärts und zeigten schon jetzt die verborgenen Gegensätze, an denen einst Kirche und Schule ihre Kräfte erproben sollten. Der Schulkonvent lehnte Ansprüche der Geistlichkeit ab. Der Superintendent forderte das Inspektionsrecht in der Schule. E s k a m zu k e i n e r R e g e l u n g des S c h u l k o n v e n t s . Um so bedeutsamer war es, daß Marbach die Schulherrn völlig gewann. Zwar gelang es ihm nicht, die Berufung Kisners durchzusetzen — aber den beiden Welschen gegenüber erreichte er unerhörte Maßregeln: Martvr mußte, bevor er in der Schule lehren durfte, die A u g u s t a n a unterschreiben. Von Zanchi forderte man, ehe er Stiftsherr zu St. Thomas wurde, ein schriftliches Bekenntnis zum l u t h e r i s c h e n Abendmahlsartikel. Ausdrücklich durfte Marbach sich in beiden Fällen auf die Unterstützung der Schulherrn berufen. Kaum, daß sie, die Laien, sich der prinzipiellen Tragweite ihres Schrittes bewußt gewesen sind. Sie gewährten gern das Recht eines Vorbehalts 1 ). Zanchis Verpflichtung zeigte, daß Marbach über der Schule auch nicht das T h o m a s s t i f t vergaß. In jenem gleichen Gutachten, das er nach den Schulvorgängen im Januar 1554 den Scholarchen einreichte, forderte er auch: »das dem Kapitel und personis capituli ir ius nominandi in mense capitulari so wol als in dem pontificio adimirt werde und allein d e n S c h u l h e r r n zustende zu conferieren«. Unmittelbar knüpfte er hier an Bestrebungen Butzers an 2 ). Aber der Zusammenhang mit der Schulgeschichte zeigt, wie es sich für Marbach um eine engherzige Lutheranisierung des Stifts handelte, ») D. M. 1553, 4. XII., f. 144ff. — 1554, 16. IV., f. 164 b. — Zanchi verspiach nur, zu lehren: secundum orthodoxam doctrinam in Augustana confessione contentam et o r t h o d o x e etiam intellectam. ') s. o. pag. 180. Anm. 2.

188 4. Kap. Der Übergang zur lutherischen Kirchen Verfassung. die ihm, sobald er die Schulherrn beherrschte, auf diesem Wege möglich war, und die ihre unmittelbare Rückwirkung auf die Schule haben mußte. Er verlangte weiter, auch dies in Butzers Sinn, daß eine b e s t i m m t e Anzahl von Pfründen für Geistliche, eine b e s t i m m t e für Lehrer festgesetzt würde. Aber wie in der Angelegenheit der Internate die Frage nach dem Unterschiede von K i r c h e n - und S c h u l sachen in unbutzerischer Schärfe aufgetaucht war, so ist es auch für alte Straßburger Tradition befremdend, wie peinlich Marbach darauf drang, daß »ein jeder nach seinem s t a n d und b e r u f f in dem Kapitel, Kirchen unnd Schulen demjenigen fleißig geleb . . ., das ihm aufferlegt und befolchen worden ist«. Wie gewann bei solchen Anschauungen er als Superintendent, wenn diesem seinem Amt nach die Aufsicht über Kirche u n d Schule zustand — wie verlor die Schule, wenn sie sich nicht um Kirchensachen zu kümmern hatte — und wenn ihr aus eigener Nachlässigkeit ein regelmäßiger Schulkonvent versagt blieb! Die drohende Gefahr ging am Stift vorüber. Marbach in seiner vorsichtigen Art hatte schon die Schulherrn gebeten, in diesen Dingen nach außen hin ohne sein, des Superintendenten, Zutun zu handeln. Es blieb bei seinem Gutachten. Ja, zwei Jahre später finden wir ihn in dem günstigsten Verhältnis mit den Stiftsherren — um so wichtiger, da unterdessen der Rektor, Johannes Sturm, Propst des Kapitels geworden war. Marbach verstand es, im Sommer 1556, das Stift in seiner Eigenschaft als parva ecclesia gegen Bat Gerung ins Feld zu führen, um so den Gegner auch von dieser Seite anzugreifen. Klage führte das Kapitel gegen Bata L e h r e , Leben und Haushaltung, und forderte Gehorsam für seine Statuten. Sturm selbst, der Propst, mahnte ihn: »sye hetten Statuta im capittel, die solt er halten, weren Statuta Christi und Pauli«. Daß Bat

2. Abschnitt.

Superintendentur und Schule.

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eine Stiftsperson war — daß er selbst in jenem Streit um die Kirchenzucht mit Hubert sich 1551 vor dem Stift verglichen hatte — das waren die Gründe, durch die das Stift sich berechtigt glaubte, gegen ihn vorzugehen 1 ). Vergebens verteidigte sich B a t wie gegen den Superintendenten, so hier gegen das Kapitel: Er hätte genug Herrn auf der Pfalz. Das Stift erkannte wohl die Jurisdiktion des Rates an, aber nahm sich auch das Recht, geistig mit seinen Statuten Christi und Pauli eine Kirche in der Kirche zu bilden und über ihre Mitglieder ein geistliches Schwert zu führen neben der Obrigkeit. Stolz riefen die Lehrer gerade Bat zu: Nemo nostrum nihil praestat (E c c 1 e s i a e), sed singula certa munera habemus 2 ). So verhalf hier die parva ecclesia Butzers dem lutherischen Superintendenten zum Siege. Die Zwistigkeiten der Jahre 1554 schienen vergessen zu sein. Marbach ließ die Lehrer als Kirchendiener handeln. Deutlich zeigten hier die beiden späteren Gegner, der Superintendent und der Rektor, ihre Charaktere. Marbach war unter beiden der politisch weitaus gewandtere. Er verstand es, den jeweils gefährlichsten Gegner zu packen und zu einem solchen Schlage alle verfügbaren Kräfte zusammenzufassen. Es kamen Zeiten, da er nichts von einer parva ecclesia wissen wollte — weil ihr Spruch zu seiner Niederlage geführt hätte. Zu diesem politischen Geschick gesellte sich neben der guten Anlage zu einem vortrefflichen Beamten eine wohlgemeinte Friedensliebe, die, wenn auch hier und da in unangenehmer ») Th. A. 41, No. 18, pag. 63ff. — Das Stift renoviert in den fünfziger Jahren seine Statuten, zum Teil, um seine katholische Färbung zu verlieren. Über die nova statuta vgl.: D. M. 1554, 22. I., 27. X., 5. XI. — Marbachs Bedenken vom 10. I. 1534. Th. A. Univ. 2. — Th. A. 41, No. 18, pag. 62. — Protokoll des Thomaskapitels (Th. A.), 5. X I . 1554, f. 140. — D. M. 1556, 7. II. — Die Rechtfertigung des Stifts: Th. A. 41, No. 18, pag. 53ff. *) Th. A. 41, No. 18, pag. 52.

190 4. Kap. Der Übergang zur lutherischen Kirchen Verfassung.

Sanftheit, ihr Bestes tat, Gegensätze zu tragen. Aber das war Marbachs doppelte Schwäche, daß eine Enge und Unselbständigkeit des Geistes allzu rasch und allzu bitter die Gegensätze empfand, und daß die Sache, die er vertrat, das lutherische Christentum, viel zu groß war, um nicht auch jede Kleinlichkeit ihres Vertreters in größeren Dimensionen zu zeigen. Marbach war von untersetzter Gestalt. Die Unsicherheit, die dieser körperliche Umstand leicht dem ganzen Auftreten und Empfinden gibt, zitterte auch durch seine oft gehässige und grobe Polemik, wenn er einmal es für gut gehalten hatte, loszubrechen. Dann konnte jene Sanftheit und Klugheit in unschöner Weise sich hinzugesellen. Bat Gerung, nicht minder grob, doch weniger demütig in seinen Worten und seiner Meinung, sollte es als erster erfahren. Ganz ähnlich mischte sich bei Johannes Sturm Stärke und Schwäche. Sein heiterer Gelehrtensinn, so wie seine Schule ihn uns zeigte, hieß ihn nach Versöhnung aller Gegensätze zu einer glückseligen Konkordie streben. Aber seine vorwiegend ästhetische Anlage und sein lebhaftes Temperament gaben ihm oft nur allzu rasch den Glauben, daß die Versöhnung erreicht sei, ließen ihn auch gern (etwa als Propst) eine Rolle spielen und liebenswürdige Gefälligkeiten üben. Harmonisch gedacht war seine pädagogische Theorie. Nachlässig, fast leichtfertig, werden wir ihn in seiner Schul p r a x i s finden. Gerade über die Schule hatte Bat abfällig geurteilt — nicht minder wie auch Marbach zuvor 1 ). Hier, in Fragen der pünktlichen Organisation und Politik (Schulkonvent!), war Sturm ebenso unpraktisch wie Marbach geschickt. Dort, in der Empfindlichkeit für Gegensätze, konnte er ebenso gleichgültig sein wie Marbach reizbar. Es waren beides Männer, die ihrem Wesen und ihren Interessen nach auf eine gewisse Zeit Frieden halten konnten, die aber, M s. o. pag. 186.

2. Abschnitt.

Superintendentur und Schule.

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einmal zu Feinden geworden, sich gegenseitig immer heftiger verärgern und verbittern mußten. Um so schlimmer, wenn diese Naturen in den dunklen Fragen des religiösen Lebens aufeinanderstießen. Im Kampf gegen Bat sahen wir den Superintendenten und den Rektor in bester Gemeinschaft. Aber es war doch bedeutsam, daß der alte Peter Dasypodius, einst, noch vor Sturms Zeiten, Leiter einer der Straßburger Lateinschulen, Bat zu verstehen gab, daß die Gesamtheit des Kapitels durchaus nicht von Herzen auf seiten Marbachs stand 1 ). Das gemeinsame Zusammengehen war ein Augenblickserfolg. Kaum mehr war auch die Ruhe der Folgejahre. Zwar Peter Martyr entzog sich 1556 der Straßburger Schule. Doch Zanchi fand ein leidliches Verhältnis zu Marbach und schlug sogar 1559 einen Ruf nach Lausanne aus. Schon 1556 übernahm Sturm gemeinsam mit Marbach die Leitung des Collegiums Praedicatorum. Im gleichen Jahre ward Marbach Schulvisitator. 1559 trat er als Dekan des Thomasstiftes neben den Propst Sturm. So mehrte sich seine Macht — mehrten sich die Reibungsmöglichkeiten zwischen ihm und dem Rektor. Nur einmal allerdings spüren wir in diesen Jahren, wie die Selbständigkeit der Schule von willkürlichen Maßregeln der Prediger bedroht war. Lobend sprach Sulzer von dem »erwünschten gegenseitigen consens« zwischen Pastoren und Professoren 2 ). ') Th. A. 41, No. 18, pag. 66: »wz die prediger im sinn haben, dz mog er nit (wissen ?), sye (sc. die Stiftsherren) haben es nit boß gemeint.« Über Dasypodius s. o. pag. 183, 156, 151. *) Sulzer, der bekannte Basler Professor und Antistes, F e c h t II, pag. 76. — In jenem Zwischenfall zwischen Kirche und Schule handelt es sich um den K a t e c h i s m u s u n t e r r i c h t . Schulherren und Rat beschließen auf Marbachs Anzeige hin (Rh. XXI, 1558, 26. I. f. 45 b — 23. IV., f. 212), daß die Schüler den Katechismus in der Kirche durch die Prediger und nicht in der Schule durch die Lehrer lernen sollen. Es stellt sich heraus, daß Marbach

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4. Kap. Der Übergang zur lutherischen Kirchenverfassung.

Aber es waren dennoch in der Stadt Gedanken lebendig, die dieser scheinbaren Ruhe eine schwüle Stimmung gaben und die Grundfragen von Kirche und Schule in gefährlichster Weise berührten. Es rächte sich, daß Kirchenund Schulkonvent auseinandergetreten waren, und die Verbindung zwischen Lehrerschaft und Geistlichkeit durch Unlust und schwache Friedensliebe litt. Seit der Wittenberger Konkordie kannte Straßburg eine Lehre vom Predigtamt und von den Sakramenten, eine Lehre von den Gnadenmitteln und von der Kirche, die den Rahmen der Liebeskirche und die innige Vereinigung der Zucht- und Lehrämter sprengen mußte. Die mystische Einzigartigkeit des Kirchendienstes war erkannt worden. Ganz im Verfolg dieser Gedanken wies Marbach 1553 die Lehre des welschen Predigers Garnier zurück 1 ). Aber er traf damit den K a l v i n i s m u s — einen Gegner, den Butzer trotz seiner Wandlung nicht gekannt hatte. Wie war dies möglich ? Stets, ja in gesteigertem Grade hatte Butzer an der zentralen Bedeutung der P r ä d e s t i n a t i o n festgehalten und damit ebenso die Brücke zu Kalvin, wie ein Gegengewicht gegen eine Überschätzung des Kirchendienstes gefunden. Hier folgte Marbach und die Straßburger Geistlichkeit ihm n i c h t , und trotz der warnenden Stimme gerade des ohne Wissen des S c h u l k o n v e n t s gehandelt hat, der Ratsbeschluß wird deshalb für die vier Oberklassen rückgängig gemacht. Auch erkennt m a n : »dz hinfurr im K i r c h e n c o n u e n t nichtsolte fürgenommen oder geschlossen werden, die s c h u 1 belangendt, one der Visitatoren unnd präzeptoren vorwissen.« ( = ohne Vorwissen des Schulkonvents.) Man erkennt dessen gefährdete Stellung. *) Marbach kommt zu dem Schluß: v e r b u m vocale (das äußerliche Wort, vgl. hierüber Butzer vor und nach der Konkordie oben pag. 128 und pag. 139) seu ministerium externi verbi esse sie necessarium, ut nulli aliter detur fides a u t pateat salus sine externo ministerio et administratione sacramentorum. D. M. 31. V I I I . 1553, f. 75. — 1556 erregt Zanchi mit einem Angriff auf die Ubiquitätslehre und die Kirchenbilder den Unwillen der Straßburger Geistlichkeit.

2. Abschnitt.

Superintendentur und Schule.

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Rektors gab die Obrigkeit hier ihrem Superintendenten nach 1 )! Damit aber fiel der letzte Grundgedanke der Kirche von 1534, nachdem schon unter Butzer der erste, der Gedanke der Allwirksamkeit Gottes, erschüttert war 2 ). Vielleicht, daß die Schule rettete! Weilte doch in ihrer Mitte der überzeugte Prädestinatianer Zanchi und sein Gesinnungsgenosse Johannes Sturm. Vielleicht, daß sie in scharf geschliffener Rede die Wahrheit der ersten Butzerschen Lehre mit aller Kraft der eloquenten Frömmigkeit verteidigen konnte! Aber gerade hiervor warnte Marbach seine Freunde: dringend riet er ab von einer D i s p u t a t i o n mit den Kalvinisten. Mit einem c o n s t a t versagte er der Wortkunst ihren bedeutsamsten Kirchendienst: den Sinn des göttlichen Wortes zu erforsche^ im weiterbildenden R e d e kämpfe 3 ). Fragen des Seelenheils und Fragen der Wissenschaft fanden bei Marbach eine andere Antwort als bei Butzer, Jakob und Johannes Sturm. Noch irrten die ») Rh. XXI, 1558, 16. II., f. 83 b. — H o r n i n g , H a n d b u c h , pag. 109. — Sturm an Beza. 16. II. 1558. K. St. — Sturm an die Schulprofessoren (undatiert, gleichzeitig) Th. B. X X I , pag. 149 ff. — Uber den Zusammenstoß Zanchis mit Marbach in der Prädestinationsfrage, s. o. pag. 185. J ) L a n g , pag. 340. Weil durch die lutherisch beeinflußte Lehre von den Gnadenmitteln (Predigt, Sakrament) Butzers Anschauungen von Gottes Allwirksamkeit zurückgedrängt wurden, so ist es nach der Konkordie: »als wollte er, da der eine Pfeiler seines Lehrgebäudes (Allwirksamkeit) ins Wanken gerät, den anderen (Erwählung) um so kräftiger stützen, um so das Ganze im Gleichgewicht zu erhalten.« ') Marbach an Hartmann Beyer: 18. IX. 1555. Gedruckt C. R. C a 1 v. Epp. XV., Spalte 767—769 und S i 11 e m : Briefwechsel des Joachim Westphal. Hamburg 1903, I, pag. 202ff. D i s p u t a t i o n e m vero de articulis religionis nostrae cum ipsis (d. h. den Kalvinisten) instituere omnibus modis vobis dissuademus. Quae sit nostra de sacramentis confessio et quae errori Zwinglianoadversemur, c o n s t a t ex scriptis D. Lutheri, D. Brentii e t aliorum. S o b m , Scbule und Kirche S t r a s b u r g s .

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4. Kap. Der Übergang zur lutherischen Kirchenverfassung.

Gegensätze aneinander vorüber und warteten auf den Moment der Bindung und der Entladung. Aber die Schutzwehr der alten Gedanken, die Kirchenordnung von 1534, die Kirche der Laienobrigkeit und der kirchenfreundlichen Professorenschaft war zermürbt. Sicher und selbstbewußt ward nur e i n kirchliches A m t g e h a n d h a b t : das unbegrenzte A m t des Superintendenten. Und dessen oft kleinlicher Träger kannte noch etwas Größeres als die Liebeskirche und die glänzende Sittlichkeit des Orators.

3. Buch.

Der Kampf zwischen Kirche und Schule. 1561—1581.

5. Kapitel.

Der Streit zwischen Marbach und Zanchi. 1561—1563. 1. Abschnitt.

Die konservativen Parteien.

(Obrigkeit und Schule.)

Wir dürfen jetzt eintreten in den Kampf, den die Schule Straßburgs gegen die Kirche Marbachs aufnahm, denn wir kennen die Waffen, mit denen sie streiten konnte, und kennen das Feld, auf dem die Entscheidung fallen sollte. Es galt zuvor nicht nur die Wissenschaft Sturms darzustellen, sondern auch zu erzählen, wie eng sie sich berühren durfte mit der Gläubigkeit eines Butzer und mit dem Regiment eines Jakob Sturm. Dann aber mußten wir auch von jenen Jahren sprechen, in denen diese innige Berührung ihre Kraft verlor — in denen ideale Gedanken und große Menschen ihre Hinfälligkeit zeigten — und in denen das tieferdringende religiöse Leben Butzers und eine — wie wir sehen werden — tiefer gedachte, aber doch erst gelernte Theologie Marbachs Abgründe öffnete. Nicht nur die Ideen seiner Wissenschaft standen dem Rektor im Kampf zur Verfügung, nicht nur seine eigene Glaubensüberzeugung, sondern auch jene unsichtbare Macht der Erinnerung, 13*

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5. Kap. Der Streit zwischen Marbach und Zanchi.

die ihm und seinen Altersgenossen die vergangenen Jahre Bntzers immer leuchtender vor Augen stellte, und die den peinlich-langsamen Übergang der letzten Zeit in seinem verbitternden Druck nicht verwinden ließ. Diese Erinnerung gab ihm und den Kampfgefährten den Schwung und die Verbissenheit. Aber auch Marbachs günstige Stellung ist uns bekannt — wie sie sich stützen konnte auf Butzersche Handlungen und Butzersche Gedanken und wie sie verfochten wurde von einem energischen, geschickten Mann. Nur die Geschlossenheit der Prinzipien, die der Superintendent verfocht, und die Wucht ihrer Grundgedanken, vor denen jene Welt der Erinnerung, der heiteren Humanität und der Liebe versinken sollte —, nur sie ist uns noch unbekannt. Doch sogleich die ersten Kampfjahre zeigen klar Marbachs religiösen Standpunkt und zugleich jene Altstraßburger Tradition im Streit mit dem neuen Glauben. Das Ringen zwischen Marbach und Zanchi, durch das der Krieg zwischen Kirche und Schule eröffnet wurde, spannte alle Kräfte an, die wir bisher im Werden und Vergehen beobachteten. Kirche, Schule und Obrigkeit traten in ein neues lebendiges Verhältnis. Die Obrigkeit sollte am schwersten unter der Straßburger Vergangenheit zu tragen haben. Heimlichkeiten, Kränkungen und beste Absichten brachten den Kampf zum Ausbruch 1 ). Zanchi, allzu wenig jenen Trieb des Luthertums zu einer fast prüden Bekenntnistreue und Bekenntnisehrlichkeit respektierend, *) Ausführliche Darstellung des ganzen Streites bei Karl S c h m i d t : Girolamo Zanchi, Theologische Studien und Kritiken 1859, pag. 639ff. — Deutlich treten hier die von b e i d e n Seiten gemachten fruchtlosen Bemühungen hervor, in Eintracht miteinander auszukommen. Man kann nicht sagen, daß Marbach in blindem Eifer den Streit vom Zaun gebrochen hat. Die endliche Auseinandersetzung hat fast etwas Wohltuendes.

l.Abschn. Die konservativen Parteien. (Obrigkeitu. Schule.)

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selbst auch überzeugt, daß er und Marbach im wesentlichen sich einig seien, hatte über die Straßburger Zustände einen Bericht nach Heidelberg eingeschickt, der dem Superintendenten die Anfrage einbrachte, ob Straßburg kalvinisch geworden wäre. Da galt es zu bekennen! Und zu einem unschönen, wenn auch jener Zeit nicht ungewohnten Mittel greifend, versuchte Marbach unter falschem Druckort (Magdeburg) in Straßburg Ende 1560 ein Buch des streng lutherischen Tilmann Heßhusen herauszugeben. Dies Buch: de praesentia corporis Christi in coena Domini hätte den nun schon fast ein Jahrzehnt flammenden erneuten Abendmahlsstreit in die Stadt Jakob Sturms getragen. Die lutherische Lehre vom Gnadenmittel des Sakraments wäre in rücksichtslosester Weise dort verkündet worden, wo man einst den Gegensatz zwischen Zwingli und Luther einen Wortstreit genannt und alles der Allwirksamkeit Gottes anheimgestellt hatte. Die Vorrede aber, die Marbach dem Buche mitgeben wollte, brachte Ausfälle gegen den Kurfürsten Friedrich von der Pfalz, der Heßhusen in Heidelberg abgesetzt und dessen Buch in seinen Territorien verboten hatte. Der Kurfürst erfuhr von dem Unternehmen. In seinem Interesse setzten Zanchi und Johannes Sturm es durch, daß der Druck des Buches in Straßburg untersagt wurde. Aber die Absicht beider Freunde ging mehr darauf hinaus, eine Sache des Anstandes und der städtischen Politik (Pfalz 1) zu vertreten, als daß sie einen Glaubensartikel unterdrücken wollten — von dem weder die ganze Religion noch die Seligkeit abhinge 1 ). Wieder zeigte sich auf Seiten des Kalvinismus ein Mißverständnis gegenüber der lutherischen Bewertung des Sakraments. Der Gedanke der Prädestination begründet dieses Mißverständnis. ») Sturm an Kalvin, 9. I. 1561. C. R. C a l v . Epp. XVIII pag. 309, und Zanchis Oration vom 8. III. 1561. Th. A. 2 7 , 1 .

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5. Kap. Der Streit zwischen Marbach und Zanchi.

Marbach aber war jetzt ebensosehr gekränkt wie er wenig verstehen konnte, daß man um des Sakraments willen sanft mit der Pfalz verfahren sollte. Er warnte die Obrigkeit, daß die Lehre der Stadt gefährdet sei. Die X I I I er legten beiden Parteien Schweigen auf und mahnten Zanchi, gemäß der Augsburger Konfession über das S a k r a m e n t zu lehren 1 ). Als der Italiener nun kurz darauf seine stets bekannte P r ä d e s t i n a t i o n s l e h r e vortrug, m u ß t e er den wörtlich verstandenen Ratsbefehl überschreiten: Die lutherische Auffassung des S a k r a m e n t s , zugleich aber auch die lutherische Auffassung des gesamten K i r c h e n d i e n s t e s — und die reformierte der P r ä d e s t i n a t i o n schließen einander aus! Die Angelegenheit des Heßhusischen Buches hatte dazu geführt, in Straßburg die Unversöhnlichkeit des lutherischen Dogmas vom Sakrament und der Lehre von der Prädestination in dieser, bisher der Stadt unerhörten Weise zu betonen. Wie einst in Marbach und Bat, so standen sich nun in Marbach und Zanchi Gedanken und Ideen gegenüber, die in Butzers Seele bei allem prinzipiellen Gegensatz sich zu einem lebendigen Ganzen hatten vereinen müssen und die jetzt in leibhaftigen Gegnern auseinandergetreten waren und sich mit deren eigenrichtigem Schicksal verbunden hatten. War noch eine Versöhnung möglich ? Eine Versöhnung war möglich in den Augen d e r Partei, die eine Meinungsverschiedenheit im Artikel des Abendmahls (als eines äußerlichen Faktors gegenüber der Allwirksamkeit Gottes) nicht allzu schwer empfand und hier in der lutherischen Peinlichkeit und Kampfesweise eine wissenschaftliche Ungezogenheit sah — in den Augen Die »Dreizehner« sind die vornehmste Behörde der Stadt. Ihnen untersteht das Kriegswesen wie die auswärtige Politik. W i n c k e l m a n n , Z. f. G. pag. 530. Wir finden sie hier in der Entscheidung von Kultfragen.

1. Abschn. Die konservativen Parteien. (Obrigkeit und Schule.) 199

Zanchis und Sturms. Eine Versöhnung schien notwendig nach der Meinung d e r Gewalt, die in jedem religiösen Zwist eine Störung bürgerlichen Friedens und gesunder Politik sehen mußte — nach der Meinung der Obrigkeit. Beide Parteien der Versöhnung gingen gemeinsam vor, um den Geist Butzers und der sapiens et eloquens pietas zu retten. Aber der Partei der Obrigkeit fehlte die Entschlossenheit eines Jakob Sturm. Sie blieb bei äußeren Fragen der O r d n u n g stehen und versagte in der Frage der L e h r e , so daß am wichtigsten Punkte die Schule sich vom Magistrat verlassen sah. Durch zwei Maßregeln glaubte der Rat den unheilvollen Geist des Zankes unterdrücken zu können: Als trotz privater Vermittlungsversuche im Februar 1561 Zanchi und Marbach immer schärfer aneinander gerieten (Zanchi in übersprudelndem Temperament, Marbach nach außen kalt und schweigsam, aber innerlich unversöhnlich), überwies der Magistrat im März die Beilegung des Streites dem T h o m a s s t i f t . Und wenige Monate später (17. Mai) erließ er ein Dekret, das den Schulprofessoren wieder einen rechtmäßigen Sitz im K i r c h e n k o n v e n t verschaffen sollte. Welch eine Rolle ward damit der Lehrerschaft, der Schule im kirchlichen Leben der Stadt zugewiesen! Jetzt sollte das Thomasstift als parva ecclesia der Gebildeten Frieden stiften zwischen Kalvinismus und Luthertum! Wenn auch die Gesamtheit des Rats kaum diesen Gedankengang gefunden haben mag — unter den Stiftsherrn selber mußte diese Verordnung den Geist des Munizipalstatutes in aller Frische lebendig machen! Und wie dieser Geist erwachte, traten sogleich die Ideen der sapiens et eloquens pietas in die Erscheinung, um sich zu wehren gegen die Entwicklung, die die Straßburger Kirche eingeschlagen hatte, und um das Recht der B i l d u n g im religiösen Leben und in der Entscheidung von Lehrfragen zu vertreten.

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5. Kap. Der Streit zwischen Marbach und Zanchi.

Vom März bis in den Juni 1561 hatte das Stift diese Ideen und dieses Recht gegen Marbach zu vertreten, der sich weigerte, einen L e h r streit vor dem Kapitel auszufechten. Wenn nicht der K i r c h e n k o n v e n t , so durfte nach des Superintendenten Meinung nur die O b r i g k e i t entscheiden 1 ). Wie anders dachten die Glieder der parva ecclesia! In der S c h u l e hatte durch Zanchis Vortrag über die Prädestination sich zum ersten Male der Lehrgegensatz gezeigt. Vor die S c h u l e wollten deshalb die Kapitelherren den Fall gewiesen haben — oder vor das S t i f t . Und in beiden Fällen glaubten sie der K i r c h e nichts zu entziehen: »denn wir bekennen, daß diße try Collegia der Kirchen, Stifft und Schulen underschieden, aber doch also v e r w a n t und einander zugethan sind, das keins under denen one des andern schaden und verderben beschedigt mag werden, wen wir unserm ampt treulich wollen nachsetzen« 2 ). Wo fanden Stift, Schule und Kirche ihre Einheit ? Im Gedanken des Kirchendienstes geübt durch den v i r b o n u s e t d o c t u s , im Gedanken des gebildeten Laienchristentums und dessen Amt in der Zuchtund Liebeskirche. Die Professoren verwahrten sich, die Lehrentscheidung allein den Geistlichen anheimzustellen, d. h. denen, »so mit dem namen Theologi seind«. »Denn auch ein j e d e r C h r i s t seines namens halben billig sollte ein T h e o l o g u s sein*).« *) Da Zanchi der von Marbach Angeklagte war, ging der Streit um seine Lehre von der Prädestination und nicht um die Marbachs vom Sakrament. Die Frage nach der perseverantia sanctorum, nach dem Weltende und nach dem Antichrist trat hinzu. Die enge Verknüpfung des Falls mit der Sakramentsfrage zeigt sich erst in Marbachs Schriften (siehe Abschnitt 2). 2 ) »Die erste Antwort des Kapitels« 2. V. 1561. Th. A. 27, 2. a ) »Antwortt des Kapitels auff die letste Oration des h. Dechans.« Undatiert. Th. A. 27, 2. — Nach dem einleitenden Brief (wohl an die XIII) etwa im Juli 1561.

l.Abschn. Die konservativen Parteien. (Obrigkeit und Schule.) 201

Der Christ — und der Orator als Philosoph durfte über die als pietas gewertete Theologie sprechen. Es ist die unmittelbare Anwendung Sturmscher Theorie auf die Praxis, wenn das Kapitel die Administration und Ordnung der Kirchen als »ampt« der Pfarrer definierte, aber in diesem Falle, »der die l e h r e belanget«, das Einspruchsrecht der S c h u l e , der viri boni et docti, beanspruchte 1 ). Hier mußte die Humanität sich weigern, auf der Pfarrer Begehren »Amen« zu sagen und mußte sich wehren gegen das Titelrecht eines »Superintendenten« wie gegen eine »papistische Tyranney«. Ein abgeschlossener Stand des »Lehramts« fand ebensowenig vor der »allgemeinen Bildung« eine Berechtigung, wie er vor dem Gedanken der Prädestination und Allwirksamkeit Gottes sein »äußerliches Wort« nicht allzu hoch schätzen durfte. Die Kapitelherrn verwahrten sich dagegen, daß man sie wollte »für dolle und unuerständige grobe leuth achten, das wir nit kondten urtheilen, welche lehren stracks wieder einander und der w a r h e i t ähnlich oder nit weren« 2 ). Der Orator vertraute auf die bonitas naturae, die Wahrheit zu finden. Seine ars versprach ihm die Erkenntnis des Universums. Seine Redekunst gab in richtiger Wortform die richtige Tatsache wieder und erstritt sie im Redekampf. So forderte das Stift, um Luthertum und Kalvinismus zu versöhnen, immer von neuem vor seinem Forum eine D i s p u t a t i o n von »gelerten und verständigen Leuten«. Und es forderte diese Disputation in der festen Voraussicht, daß sie zur E i n t r a c h t führen würde. Denn nach gehaltenem Wortwechsel sollten beide Gegner wieder »als frommen und gelehrten leuthen wol ansteht« als gute Freunde und Kollegen voneinander gehen. Der Orator versöhnt sich mit seinem Gegner — das war der 1 2

) S. o. pag. 115 ff. ) Dies und das Vorige 1. c. (pag. 200, Anm. 3).

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5. Kap. Der Streit zwischen Marbach und Zanchi.

ciceronianische Gedanke, mit dem Sturm schon 1538 sein Werk de litterarum ludis recte apperiendis beschlossen hatte 1 ). Der so oft belächelte Formalismus der Eloquenz und der Sturmschen Schule steht hier in seiner ganzen Aktivität und Lebenskraft uns gegenüber, wie er nach des Rektors Herzensmeinung gedeutet werden will. Hand in Hand ging mit ihm eine Ablehnung der normativen Geltung der Bekenntnisschriften, um sogleich wieder aufs innigste reformierte und humanistische Vorstellungen miteinander zu verbinden. Diskutabel war die w i s s e n s c h a f t l i c h e Leistung einer Augustana, die Marbach allein gelten lassen wollte. H i s t o r i s c h war sie zu verstehen. Unberührbar blieb allein das S c h r i f t p r i n z i p , das W o r t G o t t e s . Bekenntnisse fesselten den Gebildeten nicht und waren für den, der das schweigsam-gewaltige, das unaussprechliche Wirken Gottes in der einzelnen Seele kannte, ein äußerliches Werk. Neben den starren, ewigen Ratschluß Gottes (Prädestination) stellte sich eine gewisse Beweglichkeit des Bekenntnisses. — Marbach wäre verloren gewesen, hätte er seine religiöse Überzeugung von einem solchen Kapitel aburteilen lassen, das ebensosehr von der objektiven Wahrheit seiner durch Eloquenz gewonnenen Resultate überzeugt war 2 ), wie es tatsächlich als Partei auf der Seite Zanchis und alter Butzerscher Traditionen stand. Andererseits mußte die Obrigkeit verlockt werden, die Entscheidung einem Kollegium anzuvertrauen, dessen Geist Frieden und althergebrachte Gesinnung versprach. So ging sie denn, um des Friedens willen, noch einen Schritt weiter und befahl — wie wir schon hörten — im Mai des Jahres 1561 die Wiederaufnahme der Professoren in den K i r c h e n k o n v e n t . Sie handelte hier nicht minder als bei der Unterdrückung des Heßhusischen x) 1. c. — s. o. pag. 107 und pag. 117. •) S. o. pag. 84.

1. Abschn. Die konservativen Parteien. (Obrigkeit und Schule.) 203

Buches auf Antrieb Johann Sturms, des Rektors und des Propstes von St. Thomas 1 ). Am gleichen Tage (17. Mai), da sie nach dem I n t e r i m die Jung-St. Peterskirche und das Münster dem evangelischen Gottesdienste wieder öffnete, dachte sie auch darauf, zum alten Brauch des Kirchenkonvents zurückzukehren. Säumig genug waren seit den ersten begeisterten Tagen der Reformation die Kirchspielpfleger geworden — ganz verschwunden waren die Lehrer aus dem Konvent 2 ). Das Ratsdekret griff zurück auf die P r a x i s , nicht auf den Wortlaut der Kirchenordnung von 1534: » A l l e m a l « sollten in den Konvent »von den publicis professoribus . . vociert berufen und also die fürfallenden sachen mit g e m e i n e m R h a t gemeinlich tractiert und beratschlagt werden«. Die Ordnung von 1534 hatte diese Berufung nur »nach Notturft« verlangt zu einer Zeit, da Kirchen- und Schulkonvent noch nicht getrennt waren. Deutlich mußte Marbach die Strafe empfinden, die in der Maßregel des Rates lag. Deutlich mußte er ') Über das Ratsdekret: Rh. XXI, 1561, 17. V., f. 1 7 9 b und die verschiedenen Bedenken usw. Th. A. 50, 1 und 48, 17b. — Diese Bedenken zum Teil noch mehr im Sinn der Schule. — Sturm an Kalvin, 29. V. 1561; C. R. C a l v . Epp. XVIII, pag. 480ff. Effeci tarnen usw. übereinstimmend mit dem Ratsdekret. 2

) Beide Parteien klagen über die Säumigkeit der Kirchspielpfleger (vgl. oben pag. 103, Butzer). Auch die Ratsprotokolle 1550 bis 1560 stimmen ein (z. B. Rh. X X I , 1557, 24. XI., f. 466 b). Marbach spricht seinen Kummer über diese Verhältnisse aus; die Gegner sehen darin nur die Folge seiner episkopalen Selbstherrlichkeit. Beides läßt sich miteinander vereinen, da Marbach sich selbst als Superintendent nicht unsympathisch gewesen sein wird, und er darum das Fernbleiben der Pfleger nicht versteht. — Das Ermatten des ersten religiösen Enthusiasmus der Reformationszeit unter der Bürgerschaft tritt hinzu. — Die Klage des Ratsprotokolls (Rh. XXI, 1561, 14. IV., f. 139) über die »Kreaturen« Marbachs im Kirchenkonvent klingt wieder an an Sturms Schilderung, 29. V. 1561, an Kalvin (C. R. C a 1 v. Epp. X V I I I , pag. 480ff.). Der Rektor steht in enger Beziehung mit der Obrigkeit!

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5. Kap. Der Streit zwischen Marbach und Zanchi.

auch aus dem Dekret jenen Ton humanistischer Gesinnung heraushören, der ihm schon im Urbanen Thomasstift begegnet war, und der Sturms Einfluß auf den Rat verriet: Ehrerbietung wurde gefordert vor den hohen, g e l e h r t e n Personen, »qui doctissimi et acutissimi theologi seind« 1 ). — Nichts war verständlicher, als daß der Superintendent sich mit aller Kraft gegen den »Kalvinismus«, gegen die sapiens et eloquens pietas, gegen eine solche Obrigkeit wehrte — daß er von einer so gearteten Versöhnung nichts wissen wollte. Die Höflichkeit des Humanisten, die Zaghaftigkeit der Obrigkeit kam ihm entgegen. Im Stift setzte er seinen Willen durch, daß n i c h t disputiert wurde, sondern in Abwesenheit des Gegners jede Partei lange Orationen verlas, bis durch fruchtloses Hin und Her das Kapitel im Juni 1561 der Sache überdrüssig wurde und sie der Obrigkeit, den XIII ern, wiederum zur Entscheidung zustellte. Im Kirchenkonvent aber durfte er es wagen, in keiner Weise dem Ratsbefehl nachzukommen: Das Dekret verhallte völlig wirkungslos. So lag die schwere Verantwortung, über das Verhältnis von Sakrament und Prädestination zu urteilen, seit der Mitte des Jahres 1561 wieder bei dem .Magistrat allein. Schule und Kirche standen sich nach wie vor getrennt gegenüber, ja Marbach konnte Anzeichen wahrnehmen, daß die Obrigkeit um der Neutralität willen ihre eigenen Freunde, die Professoren, nicht energisch zu unterstützen wagte. Dies geschah dort, wo es sich um eine ernsthafte Erneuerung Butzerscher Lehre handelte. Schwierig genug allerdings war hier die Lage einer Laienobrigkeit. Die großen Gedanken der dreißiger Jahre, die den Rat zur Vertretung der Gläubigen Straßburgs machten, sollten sich jetzt in einer Zeit der gewandelten, l ) Bezieht sich zumal auf die schroffe Stellungnahme der Lutheraner gegen den kürzlich (19. IV. 1560) verstorbenen Melanchthon.

1. Abschn. Die konservativen Parteien. (Obrigkeit und Schule.) 2 0 5

schulgemäß gewordenen Theologie rächen. Beherrscht konnten die Geistlichen nur noch werden durch den Gebildeten und durch den genialen Politiker. Wer wußte sich in der Masse des R a t s zurechtzufinden in der neuen Dogmatik — wer besaß den Mut, sich über sie hinwegzusetzen ? Und doch gab das A m t die Verpflichtung, Kirchenherr zu seinl Wenn das Thomasstift sich wieder und wieder für Zanchi auf die T e t r a p o l i t a n a berief, dann fand es damit nicht ein Schlagwort, das für die Bürger der Name eines köstlichen, wohlbekannten Kleinods geworden war. Schon 1534 durfte Butzer nicht voraussetzen, daß die Vierstädtekonfession dem gesamten Magistrat auch nur bekannt sei. Lag es doch in des Reformators Wesen selber nicht, sich mit seiner eigenen Konfession verstricken zu lassen. Vor einer Buchstabengerechtigkeit konnte, von der Tetrapolitana aus gesehen, weder sein späteres Verhältnis zu den Wittenbergern, noch sein Bekenntnis vom J a h r e 1548 bestehen. Und doch gab er dies heraus unter dem ausdrücklichen Vermerk, daß in ihm nur das bekannt werde, was seit 28 Jahren Lehre der Stadt sei 1 ). Stand der eigene Schöpfer so freiherzig zur Tetrapolitana, so mußte der Obrigkeit es um so leichter sein, dort, wo ihre und die evangelische Politik es verlangte, sich zur fürstlich-augsburgischen Konfession zu bekennen. Empfing doch diese selbst unter Melanchthons Gelehrtenhand langsam eine Gestalt, die merkliche Züge Kalvinschen und Butzerschen Geistes trug. Ohne ein Gefühl dafür, daß man vor einem theologischen Problem stünde, ») Butzer: »Bericht vom Synodus«, 2. II. 1534. Th. A. 4 5 , 1 . — »Ein summarischer Vergriff der christlichen Lere und Religion, die man zu Straßburg hat nun in die X X V I I I Jahr gelehrt.« Straßburg 1548. Dieser Vergriff unterscheidet sich von der Tetrapolitana durch seine ausgesprochene christozentrische Heilslehre.

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5. Kap. Der Streit zwischen Marbach und Zanchi.

vernahm der R a t 1551, daß Butzers und der Wittenberger Lehre übereinstimmten — hatte doch die Konkordie äußerlich das gleiche behauptet 1 Nur ein einziges Mal wurde im ersten Jahrzehnte Marbachs vor dem R a t e der Tetrapolitana gedacht 1 ). Nun plötzlich ward die Vierstädtekonfession das Feldzeichen der Zanchischen Partei. Man gab ihr eine prinzipielle Bedeutung, die sie wohl zur Zeit ihrer Entstehung gehabt hatte, die ihr aber durch Butzers eigene E n t wicklung genommen war. Die Obrigkeit wurde dadurch vor die Aufgabe gestellt, mit einem offenen J a die Straßburger Lehre von 1530 aus dem herrschenden verwirrten Konfessionsstande herauszulösen, d. h . : eine Schulfrage zu beantworten. Wieviele aber saßen in ihrer Mitte, die erst n a c h der Konkordie ihre kirchliche Erziehung genossen hatten, und die selbst getragen wurden von der lutherischen Entwicklung der Stadt unter Marbachs Führung! War es nicht auch ungleich besser für die Bürgerschaft, wenn man diese Entwicklung nicht durch ein rücksichtsloses Zurückgreifen auf alte Zeiten beunruhigte ? Eine solche Unruhe aber war zu befürchten, als der Sturm-Zanchische Kreis daranging, im Frühjahr 1561 drei Schriften Butzers herauszugeben, die dessen Lehre über Rechtfertigung, Abendmahl und Prädestination von neuem in der Stadt lebendig machen sollten 2 ). Die Grundfragen der Reformation, der lutherischen und der reformierten Kirche wären damit von neuem der großen Laienschar vorgelegt worden. Und dazu versagte sich die Obrigkeit! Sie verbot den Verkauf der Bücher. Zanchi und Sturm erhielten den Befehl, in dieser Sarhe ») Rh. X X I , 1551, 12. I X . f. 298. - E . - E . Rhats resolution, 16. VIII. 1554. (Th. A. 50, 1, 9.) 2 ) »Die reine wahre lehre vonn der gerechtfertigung usw. Doktor M. Butzers.« — Doctrina M. Buceri de praedestinatione.

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nichts »schreiben noch ausgehen zu lassen« 1 ). Es widerfuhr ihnen das gleiche wie dem Superintendenten, als dieser Heßhusens Buch herausgeben wollte. Die X I H e r setzten eine Kommission von fünf Ratsherren, zwei Doktoren und dem Stadtschreiber ein, die eines jeden Lehre prüfen und auf einen Vergleich sinnen sollten. Hier in der Stille, ohne Erregung der Bürgerschaft, sollte die große Frage entschieden werden 2 ). Aber es zeigte sich, wie wenig durch solche Behutsamkeit der Streit sich dämpfen ließ. Die Prediger rechtfertigten von der Kanzel sich und ihre Lehre und verriefen die Gegner als Ketzer. Sturm gebrauchte eine Vorlesung über Chrysostomus, um in der Schule sein Bekenntnis vom Abendmahl abzulegen, und b e k a n n t e kurz darauf (15. Oktober) vor dem Thomaskapitel den gleichen S t a n d p u n k t . Er, der Orator und Laie, warf der lutherischen Partei den Fehdehandschuh hin. J a , beide Freunde, S t u r m und Zanchi, trugen die Streitfrage über die Mauern der S t a d t hinaus in deutsche Theologenkreise, um Gutachten zu gewinnen 3 ). — Nova vetera quatuor eucharistica scripta (Buceri). Diese letztere Schrift ist von einer flammenden Vorrede des Urbanen Sturm gegen die inhumane Lieblosigkeit der neuen Theologen und ihre fiiao(fiXinnin bvgleitet. ') Sturm an Kalvin 1. c., s. o. pag. 203, Anm. 1 und »Verzeichnuß, waß ungeferlich . . . Zancho . . . fürgehalten.« 24. I. 1562. (Th. A. 29.) >| Z. E p p. II, pag. 29. Zanchi an Bullinger, 1561, 8. XI. J ) Chrysostomus (s. o. pag. 3). — V. E. XIV wird C h r y s o s t o m u s und D e c o e n a 1561 (s. ebenda) verwechselt. — Das Datum des Abendmahlbekenntnisses bei S c h m i d t : 1 a v i e , pag. 124 ohne Quellenangabe. — Zanchi begibt sich nach Marburg und Heidelberg (August 1561), nach Stuttgart, Tübingen, Schaffhausen, Zürich, Basel (Dez. 1561, Jan. 1562) und legt Thesen über die Streitpunkte für die immer wieder geforderte Disputation vor. Diese Thesen gedruckt: Z. E p p. I, pag. 465. Auf Deutsch bei S c h m i d t , Zanchi (s. o. pag. 196, Anm. 1), pag. 651. — Sturm reist nach Zweibrücken und Heidelberg (Januar 1562).

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5. Kap.

Der Streit zwischen Marbach und Zanchi.

Die Obrigkeit ließ es an Tadel nicht fehlen und zeigte doch zugleich wieder (wie anfangs durch die Begünstigung des Thomasstifts und das Dekret über den Kirchenkonvent), daß sie der Schulpartei nicht abhold gegenüberstand. Zanchi reichte ihr am 22. März 1562 eine Supplikation, seine Thesen und die deutsch-schweizerischen Gutachten ein. Durchaus im Sinne des Thomasstifts sprachen sich die Bedenken aus, die die verordneten Herren von einigen achtbaren Männern der Stadt einforderten und Ende Februar erhielten. Ja, Sturm selbst wurde um ein Gutachten gebeten, das er am 26. Mai 1562 einlieferte. Dringend wurde die Obrigkeit hier vor die Frage gestellt, ob man Zanchis Lehre von der Prädestination für eine Ketzerei halten oder ob man bei der alten Konfession bleiben wolle. Bis zur Übertreibung forderte der Rektor für die Professoren das Recht, die Lehre der Stadt zu überwachen1). Aber die Verhandlungen der Kommission rückten nicht voran. Die Obrigkeit fand keinen Ausweg aus der schwierigen Lage. Es war unmöglich, in den religiösen Verhältnissen der Stadt, wie Butzer und Marbach sie geschaffen hatten, zu einem in jedem Sinne gerechten Urteil zu kommen. Es war noch schwerer für den naivgläubigen Laien, ein sachliches Wort über Prädestination und Gnadenmittel zu sprechen. Der Überreichtum Straßburger Reformationsgeschichte fesselte den Magistrat, in dessen Mitte der große und ruhige Stettmeister fehlte, und alle Kräfte des Kalvinismus und der eloquenten l

) Zanchis Supplikation Th. A. 28.— Die Bedenken Botzheimere (Dr. iur.), Herlins (Schulvisitator) und Hermans (Stadtsyndikus) Th. A. 29. — Sturms Gutachten Th. A. 28. Sturm verlangt hier: »Es sollen auch in der theologorum lectionibus täglichen einer oder mehr von den professoribus oder magistris primae et secundae classis sich der lehre, so von ihnen gefüret, zu erkundigen, erscheinen.«

1. Abschn. Die konservativen Parteien. (Obrigkeit und Schule). 209

Wissenschaft vermochten es nicht, den Rat mit sich fortzureißen oder den Superintendenten zu fangen. Man verspürt eine eigene Beklemmung, wenn man die Krisis dieses Augenblickes nacherlebt, in dem die alte Weisheit des Rates, friedfertig und tolerant zu sein — die alte Fülle sächsischer und schweizerischer Gedanken — und die alten Ideen des Humanismus lebendig sind, ohne zu einer entschlossenen Klärung kommen zu können. Marbach war es, der mit entschiedenen Schritten die Spannung löste. Den Winter (1561—-1562) über hatte er krank gelegen. Noch im Juni 1562 erschien er der Schulpartei »milder« als zuvor. Er gab sich Mühe, die Thesen Zanchis für »tolerabel« zu halten 1 ). Doch plötzlich am Johannistage 1562 ging er zu einem Angriff vor, der den Streit in jeder Beziehung vergrößerte und verschärfte. Nicht an die X I H e r , nicht an die still arbeitende Kommission der verordneten Herren, sondern an den großen Rat, an Rhät und X X I , wendeten sich unter seiner Führung die Geistlichen und übergaben eine Relation ihrer Beschwerden im Amt, sowie eine dickbändige Apologie ihrer Lehre 2 ). Diese Apologie sollte eine Antwort sein auf die Gutachten Zanchis und die Identität des Marbachschen Luthertums mit dem Standpunkte Butzers nach 1536 darlegen. W o war der einzige Punkt, in dem Butzer t r o t z der Konkordie sich nicht völlig an Luther anschloß ? Dort wo die Lehre vom Abendmahl die letzte Entscheidung über die Subjektivität oder Objektivität des Mysteriums forderte — in der Frage nach der manducatio impiorum und indignorum. Gerade gegenüber diesem Vorbehalt bedeutete für Straßburg der von Marbach gewünschte Anschluß an die orthodoxl ) Marbachs Krankheit: Marbachs Supplikation, Januar 1562. Th. A. Einzelband. Holbrach an Kalvin, 6. V I I . 1562. C. R. C a 1 v. Epp. X I X , pag. 480. — S c h m i d t , Zanchi 1. c. pag. 658. f ) Relation und Apologie Th. A.

Sohm,

Schule u n d

Kirche Straßburgs.

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5. Kap.

Der Streit zwischen Marbach und Zanchi.

lutherische Sakramentslehre und an den Wortlaut der fürstlich-augsburgischen Konfession einen Bruch, eine Fälschung der Tradition. Diesen Bruch zu legitimieren, indem sie ihn l e u g n e t e , bezweckte die Apologie der Prediger. Wieviel Ratsherren waren imstande, sie zu durchschauen ? Wievielmehr Laien waren beunruhigt, wenn der g r o ß e Rat für die Lehre verantwortlich gemacht wurde I Schon am nächsten Tage ging Marbach einen Schritt weiter. Nicht nur gegen Zanchi, auch gegen die »Kalvinisten« unter den Geistlichen selbst richtete er jetzt seinen Angriff. Der Prediger der welschen Gemeinde, Wilhelm Holbrach, und Konrad Hubert, einst im Kampf mit Bat Marbachs Schützling, wurden am 25. Juni vom Kirchenkonvent ausgeschlossen, weil sie häretisch seien in duobus praecipuis fidei articulis de c o e n a nimirum et de p r a e d e s t i n a t i o n e . Sie wurden ausgeschlossen für die Zeit des Streites zwischen Marbach und Zanchi. In der welschen Gemeinde konnte der Italiener stets Rückhalt finden. Sie, die gesamte Rotte der Gegner sollte jetzt niedergeschlagen werden1). Da eilen Sturm und die Stiftsverwandten mit einer langen Supplikation nun auch vor Rhät und XXI (11. Juli 1562)2). Und die Obrigkeit rafft sich auf! Sie befiehlt Wiederaufnahme der ausgeschlossenen Geistlichen in den Kirchenkonvent, denn ohne Wissen der Obrigkeit und darum unrechtmäßig sei die Absonderung geschehen. 1 ) Über die französische Gemeinde in Straßburg vgl. Rodolphe R e u s s , Notes pour servir a l'histoire de l'égli6e française de Straßbourg, 1538—1794. Straßbourg 1880. Ihr erster Prediger ist Kalvin. Am 19. VIII. 1563 wird im Verfolg des zanchischen Streites die welsche Kirche (St. Andreas) geschlossen. — Holbrach an Kalvin 6. VII. 1562. C. R. Calv. Epistolae XIX, pag. 480. - Die Relation der Pfarrer an den Rat (Johannistag 1562) spricht schon am 34. VI. vom Ausschluß beider Prediger als einer vollendeten Tatsache. Th. A. einzelner Band. (Relation der Beschwerden usw.) 2 ) Th. A. 28. Dazu Rh. XXI, 11. VII. 1562, f. 212b.

2. Abschnitt.

Marbachs Luthertum.

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Sie dekretiert von neuem Aufnahme der Schulprofessoren in den Kirchenkonvent und verbietet das Disputieren auf der Kanzel. Der Streit mit Zanchi gehöre »fürnemblich in die schul« 1 )! Aber keiner dieser Befehle wird ausgeführt 1 Neun Mitglieder des Kirchenkonvents, so geht ein Gerücht durch die Stadt, verbünden sich, eher ihr Amt zu lassen, als nachzugeben 2 ). Marbach aber eilt, in langen Schriften sich und die Prediger vor dem Rat zu verteidigen; diese Schriften sind es, die den Schlüssel zu seiner Kirchenpolitik und zu seinem ganzen Wesen bieten 3 ). Es wird unsere Aufgabe, das Luthertum und den Lutheraner, die Kirche und den Kirchenmann zu zeichnen, die sich die Schule unterwarfen und sie, wie die Obrigkeit, unter das Kirchenvolk verweisen sollten. 2. Abschnitt. Marbachs Luthertum. Um ihrer Lehre von A b e n d m a h l und P r ä d e s t i n a t i o n willen werden Hubert und Holbrach vom Kirchenkonvent ausgewiesen, um der Lehre vom Abendmahl willen soll Heßhusens Buch in Straßburg gedruckt, ») Th. A. 45, 1. Gedruckt: Sturm, V o r t r a b pag. 17 ff. ») Holbrach an Kalvin, 28. VII. 1562. C. R. C a 1 v. Epistolae X I X , pag. 490. *) Außer der (oben pag. 209, Anm. 2) zitierten A p o l o g i e , sind von Marbach folgende hierhergehörige Schriften erhalten: 1) S u p p l i k a t i o n mein doctor Johann Marbachs. J a n u a r 1562. Einzelner Band. Th. A. Nicht übergeben. 2) A n t w o r t eines erbarn Kirchenconuents . . . usw. Th. A. 28 u. 45,1. Zwischen dem 15. u. 20. VII. 1562. 3) U ß z u g und kurtzer sumarischer b e r i c h t . . usw. 27. VII. 1562. Übergeben 1. VIII. Th. A. 28 4) Brevis e x p o s i t i o totius controversiae. Th. A. 29 und V. E. V I I I . f. 292 ff. Gleiches Datum. Ist eine Übersetzung von 3. Beide (3 und 4) sind eine gedrängte Inhaltsangabe der Apologie. 2, 3 und 4 werden von Marbach der am 22. VII. eingesetzten Ratskommission 14*

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5. Kap.

Der Streit zwischen Marbach und Zanchi.

soll die Konkordie von 1536 im Sinne der fürstlichaugsburgischen Konfession überschritten werden. Um seiner Vorlesungen über die Prädestination willen stößt Zanchi mit Marbach zusammen. Butzers Auffassung von Abendmahl und Prädestination sucht die Schulpartei wieder in der Bürgerschaft lebendig zu machen. Butzers Lehre von der Allwirksamkeit und ewigen Vorsehung Gottes bestimmte seine Wertschätzung der Gnadenmittel, seinen Ausbau der Kirche. In welches Verhältnis setzt Marbach Abendmahl und Prädestination ? Hier müssen wir den Ausgangspunkt zu seinem Verständnis finden, um zugleich seinen prinzipiellen Gegensatz gegen Butzer zu erkennen. Die schroffe Lehre der Prädestination hebt für den Superintendenten den Wert des K i r c h e n d i e n s t e s , d. h. den Wert des P r e d i g t a m t e s und der S a k r a m e n t e auf. Wir sahen die Schwierigkeiten, die sich für Butzer ergaben, t r o t z der Lehre von der A 1 1 W i r k s a m k e i t Gottes zu einer Bewertung des Kirchendienstes zu kommen, und wie gerade hierdurch seine Kirche den ethischen Charakter einer Liebes- und Zuchtkirche erhielt. Marbach und mit ihm das Luthertum geht genau den umgekehrten W e g : »Wir aber fahen hinwieder inn der k i r c h e n , von dem ußerlichen wortt und kirchendienst an« 1 ). übergeben. (Rh. u. X X I , f. 224. — Kurtzer bericht der gantzen controversia [nach dem 26. X. 1562, da das »Urlaub nehmen« erwähnt wird. — Vgl. Schriften des dritten »Status«], Th. A. 29. — Bedenken der verordneten Herrn. 10. X I I . 1562. Th. A. 29.) Sie bilden das Gegenstück zu der Eingabe Zanchis: Opera VII, 1. Spalte 278 ff. — Wir ziehen die Äußerungen Marbachs während der Kapitelverhandlungen, 3. III. bis 16. VII. 1561, hinzu, wie sie in »I n n h a l t w a s i n n s a c h e n zwischen D. Marbachio unnd D. Zancho vor dem Kapitel gehandlet worden« (Th. A. 28) aufbewahrt sind, um aus allem vereint ein geschlossenes Bild seiner Überzeugung zu gewinnen. — Auf » I n n h a l t w a s inn S a c h e n . . . « beziehen sich die durch Datum zitierten Stellen. ») Dies und das folgende: 2. u. 3. IV. 1561.

2. Abschnitt.

Marbachs Luthertum.

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In strenger Konsequenz des Prädestinationsglaubens lehrt Zanchi, daß »die bekandtnus der l e e r und der bruch der S a c r a m e n t e n nicht wesentliche, sunder allein u ß e r l i c h e b a n d seyen«. Er scheidet von ihnen die i n n e r l i c h e n Banden: die ewige W a h l , den G l a u b e n , den h e i l i g e n G e i s t . Verneinen muß das Luthertum, wenn es von der Kirche, nicht von der Prädestination ausgeht, diese Trennung. Es lehrt dagegen: »das das w o r t des Euangelij und die S a c r a m e n t von Christo uffgericht nicht zufällige, sonder w e s e n t l i c h e b a n d seyen als Instrument und Kanal, durch welche nicht durch menschliche, sonder durch g o t t l i c h e Ordnung der heilig g e i s t entpfangen, der g l a u b angezündt und ein mensch seines h e i l s gewisser wurdt.« Der Gedanke der Prädestination reizt das Individuum auf zur beständigen Kritik an sich selbst: Bin ich erwählt ? Bin ich ein Kind Gottes ? Verstoßen oder aufgenommen ? Und er reizt es weiter zu gewaltiger e t h i s c h e r Leistung, in i h r sich seiner Erwählung gewiß zu werden. Er führt zur Liebeskirche. Wieder muß das Luthertum den umgekehrten Weg gehen: Wer an Jesum Christum g l a u b t , der ist vorgesehen und erwählt. Dieser Glaube aber kann n i c h t mitgeteilt werden »on und usserthalb des ordenlichen k i r c h e n d i e n s t e s « (an Wort und Sakrament). Die Kirche erhält einen r e i n r e l i g i ö s e n Wert. Zanchi lehrt: Der Gläubige »empfindet« den Glauben »von im selbs, das ist, er erkennet gewiß und e m p f i n d s i c h r e c h t g l ä u b i g « . Marbach antwortet: Es »ist der Glaub nit ein leiblich und befindtlich ding, daruß iemandt b e y s i c h s e l b e r könde abnehmen und schliessen, das er den glauben gewiß habe oder gläubig sev «1). ») U ß z u g.

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5. Kap. Der Streit zwischen Marbach und Zanchi.

Die Ablehnung des Prädestinationsgedankens als des Ausgangspunktes der Heilslehre bedeutet für das Luthertum die Ablehnung einer subjektivistischen, ethisierenden religiösen Selbstgewißheit und zugleich eine Verteidigung d e s V e r d i e n s t e s C h r i s t i . Denn die Lehre von der ewigen Wahl bewirkt: »daß C h r i s t u s und sein verdienst, als die h a u p t u r s a c h und die Materie u n s e r e r w ä h l zum ewigen leben ußgeschlossen und verleugnet würt.« Allen betrübten Seelen nimmt sie den Trost, daß Christus auch sie erwählt habe. Durch sie »wird zunicht gemacht der gantze k i r c h e n d i e n s t sampt d e r g e w a l t d e r S c h l ü s s e l « 1 ) . Ohne Kirchendienst, Predigt und Sakrament kein Glaube! Im Mittelpunkt dieses Glaubens das Verdienst Christi I Das ist die Antwort, die der Superintendent und Münsterprediger Marbach auf die Lehre von der Prädestination gibt. Werten wir theoretisch diese Antwort mit dem, was Butzer über die Kirche zu sagen wußte, so zeigt sie sich von einer Wärme getragen, die zwinglischen und kalvinistischen Gedanken fernbleiben mußte. Sie ist bedingt durch unmittelbare, rein religiöse Anschauungen, die als einzige Bedingung den G l a u b e n an Gottes Wort, von Christus gepredigt und dargestellt, fordert. Sie bewegt sich in einer Sphäre, die durch die absolute Hinwendung auf das christologische Mysterium sich fernhält von jeder Verquickung mit irdischen, und sei es den bedeutsamsten Werten. Und trotz dieser Abwendung von der Welt wird es dem Luthertum möglich, den einzelnen in ungleich innigerer Weise hier auf Erden mit seinem Nächsten zu verbinden, als die Prädestinationslehre es vermag. Die Welt der Erscheinung und Anschauung, des Ich und Du, M 1. c.

2. Abschnitt.

Marbachs Luthertum.

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weiß es einzufügen ins religiöse Leben. Hier liegt der schönste Wert seiner Kirchenlehre — und zugleich, sobald diese das Kreatürliche prinzipiell einbezieht, deren größte Gefahr. So sehr Butzer seine Auffassung von Predigtamt und Sakrament seit seiner Annäherung an die Wittenberger vertieft hatte, soviel wertvoller ihm damit der Kirchenbegriff geworden war als zuvor — so nährte sich aus dieser Wandlung tatsächlich doch vor allem der Gedanke der K i r c h e n z u c h t , d. h. das Interesse am Wandel der Gemeindeglieder, das Interesse an der Erziehung nach der m o r a l i s c h e n Seite hin. Wie anders, wenn das Luthertum in kühner Rücksichtslosigkeit den Gedanken der Prädestination zurückschiebt, um mit seiner Lehre vom Kirchendienst zu verkünden, daß in der Gemeinschaft der Gläubigen das Wort, das Sakrament dem Nächsten r e l i g i ö s helfen kann! Prinzipiell wird die Isolierung des religiösen Einzellebens geleugnet! Wir bedürfen des Kreises, um fromm zu sein. Über den einzelnen hinweg besitzt die G e m e i n s c h a f t das religiöse Gut. In der Gemeinschaft e m p f a n g e n wir religiöse Kraft als ein Geschenk, das uns in dem isolierten ethischen Ringen um den Beweis der eigenen Erwählung für immer versagt bleibt. Notwendig wird der Kirchendienst von hier aus unentbehrlich, und müssen seine Gaben zugleich als objektive gewertet und als unabhängig vom einzelnen Spender, vom einzelnen Empfänger dargestellt werden. Sie walten in der Gemeinschaft, geglaubt von der Gemeinschaft, so wie sie Gott verheißen hat. Dem Glauben wird das Recht genommen, sich subjektiv zu fühlen. W o r t und S a k r a m e n t sind die Gaben des Kirchendienstes. Beide sind Mitteilung des Evangeliums, von Christus seiner Kirche eingesetzt. Welche Stellung gewinnt damit der W o r t v e r w a l t e r in der Gemeinde! Sein Beruf hat teil an der göttlichen Ordnung, durch die der heilige Geist empfangen,

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5. Kap.

Der Streit zwischen Marbach und Zanchi.

der Glaube angezündet, der Mensch seines Heils vergewissert wird! Sein Beruf ist Gottesdienst — nicht formal als Beruf (wie in der Liebeskirche), sondern material als Wortverkündigung. Wie bedeutungsvoll wird gleichzeitig das S a k r a m e n t des Altars! Wie nimmt es zugleich eine Gestalt an, die allen vorhergehenden Gedanken entspricht! Wenn in der Kirche der Gläubige dem Ungläubigen aufhelfen kann, wenn hier der schwache Mensch Gottes Wort predigen und in ihm wirken darf — sind dies nicht alles Zeugnisse einer tiefreligiösen Einbeziehung aller göttlichen Gewalt mitten in das kirchliche Gemeinschaftsleben der Menschen ? Zeugnisse, die sich über eine philosophierende Prädestinationslehre hinwegsetzen ? — Hier in der Abendmahlslehre wagt die glaubensstarke lutherische Mystik die letzte Konsequenz: Christus der Mensch, Christus der Gott sind beide ganz im Brote, so wie einst in Jesus beide Naturen über die Erde wandelten. Vor dieser Lehre, wie er sie in der Bibel zu finden glaubt, begibt sich der lutherische Christ in des Glaubens Gehorsam. Und dieser G l a u b e ist es auch, der alles, was Christus, Kirche und Kirchendienst betrifft, zu tragen hat. Es wird verzichtet auf eine Buchführung und Anrechnung auch der besten Werke: o h n e Verdienst ergreift der G l a u b e das höchste Gut. Es wird verzichtet auf den Mechanismus der apostolischen Sukzession: und dennoch g l a u b t die Gemeinde dem Predigtwort als Gotteswort. Es wird verzichtet auf das sinnliche Wunder der Transsubstantiation: und dennoch g l a u b t die Gemeinde, daß Christus ganz im Brote sei. Die ungreifbaren Mächte des Glaubens sind es, auf die das Luthertum beim Aufbau seiner Kirche vertraut. Die objektiven Gaben der sicher arbeitenden katholischen Kirche werden beibehalten, aber nur festgehalten im unergründlichen Glauben.

2. Abschnitt.

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Man muß dies zarte, rein religiöse Gefüge mit warmem Herzen betrachten, um die ganze Wucht der lutherischen Orthodoxie in ihrer historischen Erscheinung zu ergreifen. Ein bekanntes Bild liegt nahe, diese Erscheinung zu verdeutlichen: Wort und Sakrament sind für das Luthertum wie die Fenster seiner Kirche, durch die ihm Gottes Licht zuströmt. Wer i n der Kirche, d. h. wer g l ä u b i g ist, wird ergriffen durch den wunderbaren Glanz der bunten Scheiben. Wer außerhalb der Kirche steht, der Ungläubige, lobt und preist Gottes Sonnenlicht, die Fenster der Kirche aber scheinen ihm blindes Glas, umfaßt von verrenkten, verschnörkelten Bleiadern. Der lutherische Predigerstand, die lutherische Sakramentslehre reizen ihn zu Spott und Haß, und doch werden beide getragen vom größten — und rücksichtslosesten Idealismus des Glaubens. Diese Rücksichtslosigkeit und Härte in der G l a u b e n s k i r c h e müssen wir in ihrem ganzen Kontrast zu ihrer religiösen Absicht darstellen, um sie doch zugleich wieder als notwendig aus der Zartheit dieser Absicht zu verstehen. Nur sie ermöglichte es p r a k t i s c h , daß man das gefundene große Gut echter Religiosität erhalten konnte in einem Zeitalter, das i d e e l l gerade durch seine humanistische Bildung nicht imstande war, das gewaltige Prinzip des Luthertums (die alleinige Hinwendung auf den Glauben) theologisch entsprechend zu verarbeiten. Je stärker vom Luthertum das »Wort«, sei es nun als Predigt oder als Äoyot,-, einbezogen wurde in das Glaubenssystem und man damit der Irrationalität des Erlebens und der Mystik die Wege bahnte, je mehr andererseits der Humanismus das verbum als signum rerum betrachten und res und verbum in e i n s setzen konnte, da er überzeugt war von der rationalen Natürlichkeit der Sprache, um so mehr mußte man sich dem Glauben hingeben, daß ein formal geniales Lehrgebäude

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die Sache selbst, daß Theologie, daß eine Wissenschaft Religion sei. Hier wurde die Glaubenskirche zur Lehrkirche. Und hier konnte sich auch unter einer äußerlich erstarrten Orthodoxie eine ungewöhnliche religiöse Kraft bewahren. Jene Zeit glaubte die Atemzüge des Christentums in einem Netz von Begriffen fangen zu können und dem Problem des Mittlers durch eine bis auf die körperliche Allenthalbenheit ausgedehnte Zweinaturenlehre gerecht zu werden. Von neuem gewinnen dadurch die Gnadenmittel von Predigtamt und Sakrament ihre harten und grottesken Züge, die wir nun aufweisen müssen. Je wesentlicher die W o r t v e r k ü n d u n g als Heilsgabe anerkannt wird, desto e i n deutiger, unabhängig von subjektiver Auslegung, muß sie dem Luthertum sein. Man darf sich nicht wie Martyr und Zanchi auf das c o m m o d e intellegere, d. h. auf das Erfassen des G e i s t e s einer Lehre berufen. Das ist Unehrlichkeit gegenüber der K i r c h e , dieser trostvollen Gemeinschaft gegen den Schrecken der Prädestination: »Was ist das anders, denn mit schönen glatten worten die leuth hinders licht füeren, daß man wehnen und glauben soll, sie haltens mit uns, seien unsere gute freunde und g l a u b e n s g e n o s s e n , so sie doch im Grunde viel anders halten und gesinnet sein.« Es ist der Pfarrer Losung: »by der lehr unbeweglich stehn pliben«1). Hier ist der Weg, auf dem Luther und seine Kirche als erste der Intoleranz um der reinen Lehre willen zugetrieben wurden. Forderungen der Humanität haben auf religiösem Gebiet der K i r c h e zu schweigen. Inhuman zeigt sich das lutherische P r e d i g t a m t . Von hier aus ist auch die Sorge um die reine Lehre über das A b e n d m a h l zu verstehen. Liegt doch in ihm nicht minder als im Wort die ganze Fülle göttlicher Gnade, wenn es so verwaltet wird, wie der Glaube es verwalten m u ß ! Hier, am unbegreiflichsten Punkte des 13. VI. 1561.

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Kirchenlebens, gilt es die schärfste Wacht zu halten — sei es auch um den Preis der Paradoxie —, um nichts einzulassen in die r e l i g i ö s e Sphäre der gläubigen Gemeinschaft, was ihr Wesen durch Subjektivität oder rationale Kritik stören könne. Für das Luthertum ist der Gedanke unvollziehbar, daß der Abendmahlsstreit ein Wortstreit, eine Logomachie, sei — er ist ihm Streit um das Wesen seiner Glaubenskirche, seines Christentums. Für die Prädestinatianer ist der Artikel vom Abendmahl ein Punkt, an dem n i c h t der Seelen Seligkeit hanget! So theozentrisch dabei (durch die Lehre von der Allwirksamkeit Gottes) ihre Religion wird, so sehr ist sie zugleich in Gefahr, sich auf spekulierende und ethisierende Gedankengänge zu begeben. Entsprechend steht sich die P a r t e i p o l i t i k der Lutheraner und der Reformierten in Straßburg gegenüber. Die Unbildung, nicht die Irreligiosität ist es, die die Schulpartei den Gegnern vorwirft. Ein i n h u m a n e s Betragen gegen den guten Melanchthon, gegen die n u r im Abendmahl Andersgläubigen, ein unredliches Verhalten gegenüber einer hochgesinnten Straßburger Tradition, das ist es, was die Stiftsherrn an den Predigern tadeln. Aus p o l i t i s c h e n Gründen fordern sie Nachsicht gegenüber den französischen Kalvinisten! An e t h i s c h e n Werten mißt man das Vorgehen der Pfarrer und muß damit notwendig ihrer r e l i g i ö s e n Schlagkraft unterliegen. Wo aber Sturm und Zanchi selbst theologisch arbeiten, da geschieht es auf geziemende akademische Art: Gutachten der Wissenschaft werden eingefordert. Der Kampf beider Freunde greift von ihrem t h e o l o g i s c h e n Standpunkt aus nicht unmittelbar ins praktische Kirchenleben. In diese Praxis einzugreifen, ist rein religiös jedem Prädestinatianer schwer — wo es ihm gelingt, da geschieht es vor allem im ethisierenden Gedanken der Z u c h t — und gerade dieser Gedanke

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liegt dem liberalen Humanismus, dessen Anhänger Zanchis Freunde ausmachten, fern 1 ). Ganz anders Marbach. E r k ä m p f t für ein religiöses Gut, das ihm unmittelbar wertvoll wird für das p r a k t i s c h e Kirchenleben. Er k ä m p f t für den Kirchendienst im Namen des Glaubens. Er k ä m p f t als Seelsorger nicht minder denn als Theologe. Und diesen Kampf k ä m p f t er mit einer Rücksichtslosigkeit gegenüber h u m a n e n Werten und Bedenken, die für die Orthodoxie so bezeichnend ist. Er wendet sich g e g e n die O b r i g k e i t , g e g e n die S c h u l e , denn beide haben nichts mit dem Kirchendienst der Glaubenskirche, dem Dienst an Wort und Sakrament, zu schaffen. Was antwortet er auf die Ratsdekrete vom 17. Mai 1561, vom 15. Juli 1562? Die Prediger werden n i c h t aufhören, auf der Kanzel zu schelten und zu kondemnieren. Der Zwinglianismus (er hebt den Kirchendienst auf!) ist eine ebenso gefährliche Sekte wie die des Papsttums, Schwenkfelds und der Wiedertäufer! D a r u m : »künden die prediger ires tragenden a m p t s halber E. G. beuelch in dissem fall nit s t a t t thun«, da sie sonst »an c h r i s t o irem oberstenn Ertzhirten, und disser Straßburgischen kirchen treuwlos und meineydig werdenn.« Vielmehr fordert das »A m t« der Pfarrer »das wir als getreuwe s e e l h i r t e n und wechter bey verlurst unser seelenheyl und Seligkeit unsere stimme wie eine posaune erheben« 2 ). ') Soviel über den Charakter des oben (pag. 210, Anm. 2) erwähnten Gutachtens der Schulpartei vom 11. VII. 1562. — Der Ausschluß Holbrachs und Huberts vom Kirchenkonvent wird verglichen mit dem, «das sie (sc. die Prediger) erstlichen durch den vermeinten seinen (Marbachs [und doch auch Butzersl]) b a n n , nachmalen durch die V i s i t a t i o n , auch in abtreibung des I n t e r i m s . . . gesucht han«. 2 ) Aus »Supplikation« pag. 43 und »Antwort«. — In »Antwort« das folgende.

2. Abschnitt.

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Die Prediger erkennen n i c h t an, daß ihnen der Rat die Wiederaufnahme Huberts und Holbrachs in den Kirchenkonvent zu gebieten habe. Daß sie die Sache am 24. Juni vor den Rat brachten, ist »keineswegs« geschehen: »der meinung, das wir allererst von E. G. in dissem geschefft entscheid oder bejstandt begerten«, sondern nur, damit sie, die Prediger, nicht praecipitanter und temere zu handeln schienen. Sie haben »dahin geschlossen : das wir unsers gewissens und a m p t s halber, sie von uns abzusundern und ußzuschließen schuldig seyen«. Die Prediger können Rector und Professores n i c h t in den Kirchenkonvent aufnehmen, ehe nicht die Ehre der Pfarrer (des Ministeriums!) wiederhergestellt wäre und sie (die Schulmänner) »sich der kalvinischen und zwinglischen irrigen sekten abgetan und entschlagen haben«. Abschließen müsse man sich von aller falschen Lehre, denn G o t t s e i m e h r z u g e h o r c h e n a l s den Menschen. Wie kann sich danach überhaupt noch ein Verhältnis der Kirche zur Obrigkeit gestalten ? War es zu Beginn der Reformation ein Hauptinteresse des Magistrats gewesen, den katholischen Klerus zur Annahme des Bürgerrechts zu zwingen — fordert hier nicht der evangelische Klerus geistige Exemption ? Aber diese Forderung, ideell wohl genug begründet, ist in der Praxis zu Konzessionen, sobald sie vorteilhaft sind, rasch bereit. Der Wortverwalter des Kirchendienstes greift mit allen Mitteln der Politik bald für, bald gegen die Obrigkeit Partei. Wo sie ihm ihren Zwang zur Verfügung stellt, da treibt er mit ihm die unsaubern Geister aus, wo sie ihn selber zwingen will, pocht er auf das unantastbare Recht seines göttlichen Amtes. Wie hat Marbach zu Beginn des Streites gedrängt, die Lehrfrage zwischen ihm und Zanchi als solche vor die Obrigkeit zu bringen! Er hoffte bei ihr sicherer zu

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sein als im humanistischen Stift. Nun spricht diese Obrigkeit, — und er fügt sich nicht — im Namen des Glaubens. Was die Obrigkeit über das religiöse Leben der Stadt zu sagen hat, schwindet ihm in diesen gefährlichen Monaten des Jahres 1562 auf wenig genug zusammen. Nachdem sie sich einmal zwischen Zwinglianismus oder augsburgischer Konfession entschieden hat, liegt die Lehrverwaltung in der Hand des K i r c h e n k o n v e n t s . Und hier heißt es, daß die Prediger zwar: »der Straßburgischen kirchen ordenliche diener sind, a b e r a l s o daß wir hieneben u f f C h r i s t u m J h e s u m unsern Obersten Ertzhirten und Herren sechen sollen und müssen, als dem wir künfftig unsers geübten und verrichten p r e d i g a m t s und k i r c h e n d i e n s t werden müßen rechenschafft geben, wie und weichermaßen wir s e i n e r lieben k i r c h e n . . . . sein seligmachendes wort, daß h. Euangelium verkündiget haben, welcher ursach halber wir uns w e d e r E. G. noch k e i n e n m e n s c h e n werden laßen maß geben . ., wie oder waß wir von der Kantzel p r e d i g e n , d i e s a c r a m e n t administrieren und in der kirchen haußhalten sollen« 1 ). Obrigkeit und Kirchendienst sollen »unvermengt bleiben« — aber doch auch sich »die Hände bieten«. Wenig genug allerdings, was für diesen Handschlag übrig bleibt. Es ist nicht mehr, als daß »die O b e r k e i t uß p f l i c h t ihres ampts den k i r c h e n d i e n s t schütze, die p r e d i g e r aber in ihrem dienst der Oberkeit ansehenn und reputation bey den underthonen groß machen, damit ihren gesetzen und Ordnungen, gebotten und verbotten gelebt und nachkommen werde« 2 ). Mit aller Kraft hebt sich in solchen Ausführungen der Prediger am Wort über die irdischen Gewalten hinaus. Es wird eine Selbständigkeit der Kirche gefordert, l

) »Supplikation« pag. 41 b f. und »Antwort«. *) »Supplikation« pag. 53.

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ähnlich wie Butzer es in seinen letzten Jahren tat. Aber von neuem begegnet uns der bekannte Unterschied. B u t z e r wollte der reinen kirchlichen Z u c h t wegen die Obrigkeit ausschalten. In M a r b a c h spricht das Predigtamt für die reine L e h r e gegen den Magistrat. In ihm redet der Kirchenmann im Namen des Kirchendienstes zum Kirchenvolk, zu dem auch die Obrigkeit zählt. Das Predigtamt des Kirchendienstes ist es aber auch, in dessen Namen sich Marbach gegen S t i f t und S c h u l e wendet, ihre Rechte, so wie Butzer sie zugestanden, beschneidet. Noch allerdings wagt der Superintendent nicht zu 6agen, daß die Schule nicht zur Kirche gehöre. Die Professoren sollen vom Kirchenkonvent ausgeschlossen sein, weil sie wie Holbrach und Hubert falschen Glaubens eind, nicht weil sie als Lehrer kein Amt in der Kirche hätten. Ausdrücklich beruft sich Marbach auf Butzer 1 ). Dieser habe oft behauptet: Es gehöre »die Jugendt nit weniger alß die eitern i n d i e k i r c h e n « , »dieweil die herwachsendt Jugendt under der professoren undt präzeptoren disciziplin gehaltenn würden, die sie der k i r c h e n n C h r i s t i i n guter Zucht unnd forcht uffziehenn sollten«. Mit diesem Gedankengang: Wegen der Zucht der Jugend sollen die Professoren auch am Kirchenkonvent teilnehmen, ist aber nur e i n e Seite Butzerscher Auffassung wiedergegeben. Es fehlt die bei weitem wertvollere, daß die »gemeinen leser« mit den Predigern handeln sollen, da daran »das das wort Gottes recht gefieret, und die gemeyn Gottes wol und fruchtbar geweydet werde, das höchst gelegen, und auch solchem niemand w e i ß oder f r o m m genug sein mag« 2 ). Nach *) »Supplikation« pag. 57b. *) Vgl. oben pag. 150.

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diesen Worten haben die Professoren durch ihre B i l d u n g ein Recht auf Teilnahme am Kirchenkonvent. Sie arbeiten nicht nur an der Zucht der Jugend (wie die Prediger), sondern werden auch gehört, wenn es sich um das W o r t G o t t e s , um die Gemeinde Gottes handelt. Marbach aber, der Prediger der G l a u b e n s kirche, muß gegen ein Recht weltlicher W e i s h e i t in dieser Kirche sein! Was er vom Sakrament des Abendmahls lehrt, das gilt es zu g l a u b e n »unangesehen das es unser v e r n u n f f t unbegreiflich ist, und sich mit der p h i l o s o p h e n lehr de corpore physico gar nit einet«. Es ist der Philosophie Urteil »in den Dingen, so die w ä r e R e l i g i o n anbelanget, ganz ungewiß unnd betrüglich«. Ist doch auf der anderen Seite gerade dies die Gefahr der Prädestinationslehre, daß sie die Menschen f ü h r t : »mehr uff ire e i g n e S p e c u l a t i o n , . . . . a l s uff gottes wort unnd beuelch« 1 ). So bleiben für Marbach die Professoren nur Schulmänner im engeren Sinn des Worts. Ausdrücklich scheidet er bei Petrus Martyr (dessen Teilnahme am Kirchenkonvent er zugibt) seine Stellung als ein Schulprofessor und als ein Theologe. Der Schulprofessor wird Diener der Pfarrer, er muß ihnen »zur Hand sein« und wird »dadurch eingezogen«. Denn im Kirchenkonvent soll »nit allein von der Jugent, sondern auch von i h r e m der präzeptoren ampt und beuelch, ihrem guten und bösen Exempell disputiert und geredt werden« 2 ). l

) »Ußzug«. — Apologie pag. 175 b. *) »Supplikation« pag. 57. Wenn Marbach hier, wie an anderen Stellen die Trennung von Schul- und Kirchenkonvent (1538) davon ableitet, daß die Professoren und Prediger »umb mehr friedens willen« sich geschieden hatten, so widerspricht dies den satsächlichen Verhältnissen von 1538. Allerdings lassen sich Gegentätze zwischen Butzer und den Lehren beobachten (s. o. pag. 180). Es ist möglich, daß zu Marbachs Zeiten (seit 1545), als Butzer

2. Abschnitt.

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Marbachs Luthertum.

Scharf und deutlich hebt sich der Kirchendienst der VVortverwaltung damit vom Lehrerstand ab. Ganz entsprechend ist es, wenn Marbach auch dem T h o m a s s t i f t in Lehrfragen den Mund verbietet. Er betont in wörtlichem Widerspruch zu der Meinung der Kapitelherrn: »das wie dreyerley geschefft sind, Kirchengeschefft, schulgeschefft, Stiftgeschefft, also sind auch dreyerley Konvent, der Kirchen, der schulen und des Stifts von sollichs underscheids wegen achten sie die Pfarher, das sie mit nichten schuldig sein . . . dise sach (den Fall Zanchi) . . vor dem Kapitel auszutragen« 1 ). Wie wenig entspricht solche Scheidung Butzerschen Gedanken I Wie zählten ihm die Gebildeten zur parva ecclesia der Stadt, zu Dienern seiner Liebeskirche! Die Glaubenskirche weist Schule, Stift — und Obrigkeit aus der Lehrverwaltung. Aber wie die Stellung dieser Kirche zur Obrigkeit oft genug durch kluge, praktische Politik bedingt ist, so ist es auch mit ihrem Angriff auf Schule und Stift bestellt. Schule und Stift stecken im Irrtum des »Kalvinismus«. So sondert das Luthertum sich ab von ihnen. Prinzipien, die in ihm verborgen sind und den Schulmännern Teilnahme am Kirchenregiment versagen, treten in aller Schärfe hervor, da die zufälligen Umstände der städtischen Verhältnisse sie zu brauchbaren Waffen machen. Wäre das Stift lutherisch gewesen — kaum hätte sich Marbach geweigert, vor ihm eine Lehrfrage entscheiden zu lassen. Die Idee der Glaubenskirche, die ganze Kreatürlichkeit ihrer Träger und ihrer Feinde, die Spannung, in die ein so religiöses Gebilde wie der lutherische Kirchenimmer stärker auf Kirchenzucht drängt, die Spannung zwischen Lehrern und Predigern zugenommen hat. Diesen Zustand liest Marbach in die Vergangenheit^ hinein. ») 12. IV. 1561. S o h m , Schule und Kirche Straßburgs.

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dienst mit der grobzügigen Wirklichkeit des 16. Jahrhunderts tritt — dies gilt es darzustellen, wenn man die Niederwerfung der humanen sapiens et eloquens pietas durch das Luthertum schildern will, so wie sie in Straßburg sich vollzog. 3. Abschnitt. Verwicklungen im Stift. Konkordie (1563). Wie trat die Obrigkeit dem »Prediger am Wort« entgegen ? Wenig genug ist es, was wir erfahren. Am Tage, nachdem die Theologen auf das Ratsdekret geantwortet hatten (22. Juli 1562), wurden drei Herren geordnet (Wolfgang Sigismund Wurmser, Jakob Meier, Kaspar Romler), die Schriften der Geistlichen zu lesen, ein Bedenken anzufertigen und dann den Fall von neuem an einen Rat zu bringen. Wir hören von dieser Kommission nichts mehr, finden vielmehr erst am 5. Oktober die Nachricht, daß man »inn dem stand« wäre, die Prediger zu vergleichen, und erfahren einige Tage später (21. Oktober), daß die Angelegenheit nicht mehr durch Rath und XXI, sondern durch die XIIler verhandelt werde1). Marbach war indessen Politiker genug, die Stadt trotz des Zögerns der Obrigkeit in Bewegung zu halten. Ging seine Sache auf der P f a l z nicht voran, so wußte er die Spannung der Parteien im T h o m a s s t i f t bis zur Unerträglichkeit zu steigern. In der Enge der Verhältnisse verzerrte sich hier die Größe der religiösen Forderungen des Kirchenmannes. Schlauheit kleinstädtischer Winkelpolitik führte ihn zum Siege. Marbach zählte unter die drei »Kistenherrn« des Stifts. Drei Jahre lang war die Kistenrechnung nicht ») Rh. X X I , 1562, i. 224, 329*b ff., 352.

3. Abschnitt.

Verwicklungen im Stift. Konkordie (1563).

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mehr gehalten. Jetzt auf einmal am 19. September 1562 begehrte der Superintendent »diserte« Aufklärung über die Verwaltung und erklärte selbst, er werde sich, bis diese geschehen, vom Kapitel fernhalten 1 ). Der Dekan entzog sich dem Stift! Und wen trafen seine Beschuldigungen ? Seine t h e o l o g i s c h e n Gegner! Denn die beiden anderen Kistenherrn, die nun lässig und inkorrekt erschienen, waren Konrad Hubert, den die Geistlichen vom Kirchenkonvent ausgeschlossen, und Christian Herlin, der alte Schulvisitator, gegen den Marbach schon 1554 agierte und der mit Sturm am 11. Juli 1562 die Klageschrift der Schulpartei beim Rat einreichte. Der am meisten Betroffene aber, der Schaffner des Stifts, war Theobald Dietrich, dessen Frau Schmähungen der Prediger an Sturm hinterbracht hatte 2 ). Durch Monate erregte der Streit das Kapitel. Alsbald aber verbitterte und vertiefte ihn ein neuer Zwischenfall. Wiederum trugen die P r e d i g e r die Schuld: Während eines M u n i z i p a l e x a m e n s am 17. Oktober 1562 erhoben die Pfarrer Specker und Glocker Einrede, als die Examinatoren ihren Fragen die T e t r a p o l i t a 11 a zugrunde legten. Wer waren die Examinatoren ? Sturm — und die drei an der Kistenrechnung beteiligten Stiftsherrn: Hubert, Herlin, Dietrich 8 ). Wir wissen, welche Rolle die Einführung des Examens in der Reformation des Thomasstiftes spielte. Gerade durch das Examen sollten die Stiftsherrn ihre Fähigkeit bezeugen, dem Reiche Christi zu dienen. Durch das Examen blieb das Stift ein Glied der Kirche. Jetzt ») Protokoll des Stifts. Th. A. 19. IX. 1562. ) Über Herlin s. o. pag. 183. — über Dietrichs Frau: »Supplikation« pag. 21. Pag. 20b werden Dietrich, Herlin, Hubert u.a. als die angegeben, die Sturm zu seinem Abendmahlsbekenntnis mit Vaterstellen ausgestattet hatten. •) Hierüber und zum folgenden: Protestation der Examinatoren (ohne Datum, Ende 1562). Th. A. 28 und 45, 2. 15* J

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trat an dieser wichtigen Stelle die Frage nach der Lehre auf — in einem Augenblick, da der D e k a n sich schon »abgesondert« hatte und damit glaubte, alle Kapitelhandlungen u n g ü l t i g machen zu können 1 )! Die Spannungen häuften sich noch. Wenige Tage nach dem Examen (20. Oktober) starb Christian Herlin. Marbach hatte seinen Nachfolger im Kapitel zu nominieren. Auch hier weigerte er sich, seine Pflicht zu tun. Mit Herlins Tod aber war zugleich das Amt eines S c h u l v i s i t a t o r s erledigt. Marbach zauderte keinen Augenblick, einen strengen Lutheraner — und Lindauer (Marbach war Lindauerl) als Nachfolger vorzuschlagen. Der Schulkonvent sah sich später (3. Dezember) veranlaßt, dagegen zu protestieren 2 ). Da finden wir am 26. Oktober Marbach vor den XIII bereit, sein »ampt in den Straßburger k i r c h e n u n d S c h u l e n « zu übergeben, wenn anders nicht seine (M.s) Forderungen erfüllt würden 8 ). Endlich sollte sich die Obrigkeit über ihre Konfession entscheiden, kein Mißtrauen mehr sollte sie gegen ihre Kirchendiener hegen und den Pfarrern gestatten, ihre Apologie zu veröffentlichen. K i r c h e n - , S c h u l - u n d S t i f t s s a c h e n s o l l t e n g e t r e n n t w e r d e n ! — Und doch zeigte sich sogleich wieder, wie Marbach die Vereinigung dieser dreierlei Geschäfte in seiner Person durchaus beibehalten wollte. Er, der Superintendent u n d Schulvisitator, forderte: daß der Rektor monatlich einen S c h u l k o n v e n t halten sollte (die alte Unsicherheit und Fahrlässigkeit!), daß zum Nachfolger Herlins (als Schulvisitator) kein Schwärmer erwählt werde, sondern einer » m e i n e r Religion, das ist der augspurgischen KonProtestatio Marbachs, 31. XII. 1562. Punkt 5. Th. A. 28. *) »Doktor Johann Marbachs urlaub nemmen.« 26. X. 1562. Am Ende: 6. Punkt. — Die Beschwerden des Schulkonvents: 3. XII. 1562. Th. A. Universität 2. s ) Die Schrift s. vorige Anmerkung.

3. Abschnitt.

Verwicklungen im Stift. Konkordie (1563).

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fession«, und schließlich: »das den p r a e c e p t o r i b u s in E. G. namen mit ernst undersagt und befohlen werde, sich fürterhin solcher der R e l i g i o n s s a c h e n , d i e s i e n i c h t s a n g e h e n zu entschlagen und mitt besserem Fleiß« der Schulpflichten zu warten. Der Schule wurde die Mitarbeit an der Lehre versagt! Wieviel spielte hier persönlicher Haß, kirchliche Politik, theologische Überzeugung vom »Lehramte« mit ? Noch rücksichtsloser ging Marbach hier vor als im Juli bei seiner Ablehnung des Ratsdekrets. Gegen Ende des Jahres 1562 endlich erhob er und sein Anhang 1 ) feierlichen Protest gegen die Partei der Tetrapolitana. Doch auch diese war nicht säumig gewesen. Schon hatten auch Sturm und die Examinatoren gegen Marbach protestiert. Nach wie vor verteidigte das Stift die Tetrapolitana 2 ). Es war durchaus im Recht, wenn es d i e s e Konfession dem Munizipalexamen zugrunde legte. Ihre Gedanken waren gemeint, wenn man sich 1539 in Straßburg auf den »christlichen Glauben« berief. Nach wie vorzeigte sich aber auch, daß das Stift sich nicht an den Wortlaut einer Konfession, sei es nun der Augustana oder der Tetrapolitana binden lassen wollte. Es erkannte die sächsiche Konfession a n : »so sie recht und christlichen verstanden und nichts hinzugethan.« Es erkannte ebenso die Konfession der vier Städte an und glaubte, bis zu einer endgültigen Ratserkenntnis examinieren zu können »nach diser Statt Straßburg be*) Die Prediger Flinner und Glocker, die Lehrer Val. Erythräus und Laurentius Engler. S. u. pag. 237, Anm. l. Die Protestatio Th. A. 28. Über die ganze Angelegenheit vgl. weiter: »Fürtrag Doktor Johannis Marbachs im Kapitel«, 28. XI. 1562. Th. A. 28 und das Stiftsprotokoll (Th. A.) 5. XII. und 26. XII. 1562. *) Die Schrift s. pag. 227, Anm. 3. — Es mag die gleiche sein, von der Marbach an den Ammeister Matthis Pfarrer schreibt (26. II. 1563, Th. A. 22, 2), daß ihre Übergabe verhindert sei: »weil ich nicht underschreiben wollen«.

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5. Kap.

Der Streit zwischen Marbach und Zanchi.

kandtnus neben u n d mit gemelter Augspurgischen Konfession«. Und ganz entsprechend forderten die Stiftsherrn Lehrfreiheit in der S c h u l e . »Begern derhalben das, d a ß m a n u n s und unser gewissen a n k e i n e g e w i s s e u n d b e s t i m p t e w e i ß z u r e d e n , so doch der Allmechtige selbs in den heiligen schrifften frei gestellet, b i n d e , damit den menschen nicht das so Gott für recht erkennet für unrecht zu ertheilen und ußzuschreien gestattet werde.« Entsprechend wurden mit der Bekenntnisfreiheit auch die Gedanken der Prädestination und der Allwirksamkeit Gottes gewahrt. Das Stift trat für sie ein mit den Worten: Man wolle es mit Augustin, Luther und den Vorfahren halten: »wider die gleußner und werkheiligen, die Astrologos und Stoische philosophos und andere, welche mehr uff die secundas causas und die n a t ü r l i c h e n U r s a c h e n sehen denn uff G o t t e s G e w a l t und allmechtige Wirkung achtung haben.« Ähnliche Gedanken mag Sturm vorgetragen haben, als er am 4. Januar 1563 vor Rät und X X I erschien — am gleichen 4. Januar, da auch Marbach seine Protestation vor den Rat brachte 1 ). Es fiel damit die Entscheidung im Streite wieder der höchsten Behörde zu. Das Ende des Kampfes nahte! Blieb die Obrigkeit ihrem alten Bekenntnis treu ? Wagte sie endlich einen entscheidenden Schlag, den gordischen Knoten ihrer Bekenntnislage kühn zu zerschneiden ? l

) Zum 4. I. 1563 bringt das Ratsprotokoll (Rh. XXI, Vol. 1562, f. 446) nur die Notiz: »Johannes Sturmius Rector und Probst zu Sanct Thoman«, worauf bis zum Schluß des Buches leere Seiten folgen. — Marbachs Protest ist datiert: productum 4. I. — Zanchi Opp. VII, pag. 26.

3. Abschnitt.

Verwicklungen im Stift.

Konkordie 1563.

231

Wir haben die Schritte des Rats bis zum 21. Oktober 1562 verfolgt. Zu diesem Zeitpunkt lag die Entscheidung des Falles Zanchi bei den XHIern. Vor den XHIern kam Marbach um seinen »Urlaub« ein. An die XIIIer-Kommission wurden auch die Schriften der Prediger abgeliefert, ebenso wie Zanchi an sie im Oktober eine theologische Rechtfertigung eingab 1 ). Zwei Gutachten sind uns aus ihrer Mitte erhalten: beide behutsam genug. Beide geben einen klaren Einblick in die unsichere Stimmung, die schon im Frühjahr 1562 die obrigkeitliche Entscheidung verzögerte. Alle postulata Marbach», die auf eine »Sicherstellung« der Kirche vor der Schule hinausliefen, blieben unbeantwortet, da sie vor Rät und X X I gehörten. Was dagegen die theologischen Streitfragen betraf, so suchte man diese möglichst in der Stille hinzulegen. Zwar stand das betreffende Gutachten deutlich auf Zanchis Seite. Unzufrieden war es mit den Schriften, mit der Engherzigkeit der Prediger. Ja, es spottete fast über Marbachs Urlaubnehmen und meinte, es würden sich schon »vernünftige« Prediger finden, die der Stadt treu blieben. Ängstlich war es darauf bedacht, die Einhelligkeit der Lehre mit Butzer zu wahren. Aber — in der entscheidenden Sitzung der X H I e r am 14. Dezember 1562 scheinen alle diese Sätze auf Widerstand gestoßen zu sein. Sie sind sämtlich durchstrichen 2 ). ') Vgl. oben pag. 211, Anm. 3, das über 2, 3 und 4 Gesagte. Die Prediger geben am 22. VII. die Schriften an eine Kommission v. Rh. X X I ein. Am 14. XII. (s. nächste Anm.), verhandeln aber die X H I e r darüber. *) »Bedencken über d. Marpachs fürtrag« (vom 26. X., s. pag. 228, Anm. 2), lectum vor mein Herrn XIII. Mittwoch, 11. November Herr Pfarrer, Herr Hamerer, Herr Romler. Th. A. 29. — Bedenken der verordneten Herren, die die beiderseits eingereichten theol. Schriften gelesen haben. 10. X I I . 1562, lectum 14. XII. (Th. A. 29.) Zu diesem Tage das Ratsprotokoll (f. 417): »meine Herrn 13«: leere Seite. — Ein merkwürdiges Schwanken des Rats

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5. Kap. Der Streit zwischen Marbach und Zanchi.

Was geschah nun, als am 4. Januar 1563 die Angelegenheit des Stifts und Zanchis wieder vor die vielköpfige Behörde der Rät und XXI getragen wurde? Zwar berichtet Zanchi von einer günstigen Antwort, aber der endgültige Erfolg war doch der, daß die Obrigkeit sich für unfähig erklärte, Verhörer der Lehre zu sein. Sie kapitulierte vor den Erfahrungen der letzten Jahre. Man folgte einem Rat, den Sturm schon früher gegeben hatte: Auswärtige Theologen wurden berufen, den Streit zu schlichten. Gefährlich allerdings für Sturm und gegen seinen Wunsch wurde die Auswahl getroffen. Württemberg, Zweibrücken, Basel: lutherische oder halblutherische Territorien bat man um ihre Gottesgelehrten. Es half Sturm und dem Kapitel nichts, noch einmal den Rat an sein altes Bekenntnis zu mahnen (20. Februar 1563), noch einmal zu hoffen auf das ersehnte Kolloquium über die Lehre unter den eloquenten Gebildeten. Die »K o n k o r d i e « wurde über ihren Kopf hinweg durch die auswärtigen Geistlichen beschlossen1). Was brachte dieser consensus für eine »Eintracht« in das religiöse Leben Straßburgs 2 ) ? In der Frage des A b e n d m a h l s , in der Frage der P r ä d e s t i n a t i o n wollte er Frieden stiften, so verkündet es der Eingang. Er traf damit den zentralen Gegensatz zwischen Marbach und Zanchi. Wenig allerin Sachen des Konfessionszwangs seiner Geistlichen zeigt ein Vergleich seines Verhaltens gegen den welschen P r e d i g e r und gegen einen welschen H e l f e r am 5. X. 1562. Rh. XXI, f. 329b, 330b. — Als man am i6. XII. (f. 422) einem welschen Prediger befiehlt, sich nach der Augsburgischen Konfession zu halten, fügt der Stadtschreiberhinzu: »hocest: das ers mach wie es D. Marbachen gefallt.« ») Zanchi, Opp. VII, Spalte 25 u. 26. — Die Verantwortung Sturms und seiner Kollegen vom 20. II. 1563: Th. A. 29. s ) Die Konkordie gedruckt: C. R. C a 1 v. Epistolae XIX, pag. 671 ff.

3. Abschnitt.

Verwicklungen im Stift. Konkordie (1563).

238

dings war der Inhalt geeignet, diesen Gegensatz endgültig zu beseitigen. Beide Punkte: Abendmahl und Prädestination, wurden g e t r e n n t behandelt — und gerade in ihrer gegenseitigen B e z i e h u n g lag die theologische Schwierigkeit. Dazu kam, daß die Entscheidung über das Abendmahl unklar genug blieb. Zwar wurde die fürstlichaugsburgische Konfession zugrunde gelegt, aber zugleich die Wittenberger Konkordie als ihre authentische Interpretation angesehen, d. h. es b 1 i e b e n die alten Unklarheiten, der alte verborgene Gegensatz zum Luthertum. Durchaus im p r a k t i s c h e n Interesse des Seelsorgers ward ausführlich von der Prädestination gesprochen. Man erkannte sie in vollem Maße an, warnte aber davor, sie zum A u s g a n g s p u n k t der religiösen Empfindung zu machen. Wenn hiermit auch Zanchi einen Tadel erfuhr, so vertrat doch die Konkordie durchaus nicht den einseitigen lutherischen Standpunkt, den Marbach in den drei Kampfjahren behauptet hatte. Wohl stimmte alles, was über die Prädestination gesagt wurde, mit dem überein, was er gegen den Italiener vorgetragen hatte. Aber in dem völligen Außerachtlassen der Gnadenmittel dort, wo man von der Mitteilung der Gnade sprach — in der Berufung auf die unklare Konkordie von 1536, deren Schwäche im Abendmahlsartikel dem Theologen bekannt sein m u ß t e — , in all diesem sprach sich doch eine merkliche Korrektur seines Standpunktes aus. Trotzdem weigerte sich nur Zanchi und nicht auch Marbach, die Konkordie vorbehaltlos zu unterschreiben. Ihm blieb t r o t z der Formel die Möglichkeit, seinen alten Standpunkt zu vertreten, Zanchi hingegen wurde durch den Wortlaut verhindert, synthetisch die Prädestination zum Ausgangspunkt seiner Theologie zu machen. Doch auch diese Niederlage ward imaginär. Man gestattete Zanchi, mit dem Vorbehalt zu unterschreiben:

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5. Kap.

Der Streit zwischen Marbach und Zanchi.

Hanc doctrinae formulam u t p i a m a g n o s c o ita eam recipio. Am 18. März 1563 wurde diese zweifelhafte Konkordie abgeschlossen. Es lag in ihr selbst begründet, daß sie für Straßburg nicht von langer Dauer sein konnte. Freunde wie Feinde waren mit Zanchis Unterschrift unzufrieden. Kalvin vor allen drängte den Glaubensgenossen zum offenen Bekenntnis. Zanchi ergriff die Gelegenheit eines Munizipalexamens, sich am 14. Juni 1563 offen über seinen Glauben zu erklären. Ein neuer Streit drohte auszubrechen. Da traf zur rechten Zeit ein Ruf aus Chiavenna ein, und Zanchi verließ Ende November 1563 Straßburg, um das ihm angebotene Predigtamt zu übernehmen. Nun war in Straßburg kein bedeutender Theologe mehr, der sich ganz zu den Grundgedanken bekannte, auf denen Butzer 1534 seine Kirche errichtet hatte. Ein Humanist, Johannes Sturm, war fortan ihr erster Fürsprecher: Es ist bezeichnend, mit wie leidenschaftlichen, fast harten Worten dieser Humanist am 17. März 1563 den zögernden Zanchi drängte, die Konkordie auf j e d e n F a l l zu unterschreiben. Er wollte Frieden und Einigkeit, war sie auch noch so sehr mit Vorbehalten erkauft 1 ). In dieser kirchenpolitischen Lage bestand der eine große Erfolg, den Marbach seinem zähen Kampfe verdankte. Einen anderen, nicht minder wichtigen, hatte er schon zuvor bei Rhät und X X I errungen. Hier erkannte man kurz vor der Konkordie (10. März 1563): Es wolle fortan die Stadt: »meiner Herren oder der vier stett (Konfession) wie mans nent nit gedencken. Dieselben weder loben noch schelten« 2 ). 1

) Sturm gebraucht später (A p. IV, 3, pag. 170) die Ausflucht: Et e g o tametsi simpliciter subscripserim tarnen ita subscripsi: ut eam subscriptionem velim orthodoxe intelligi. — Sturm an Zanchi 1563, 17. III. C. R. C a l v. Epp. X I X , pag. 670. «) Rh. X X I , f. 75 (1563).

3. Abschnitt.

Verwicklungen im Stift. Konkordie (1563).

235

Die T e t r a p o l i t a n a war g e f a l l e n . Sie h a t t e aufgehört, Bekenntnis Straßburgs zu sein. Die fürstlichaugsburgische Konfession (allerdings interpretiert nach der Konkordie von 1536) t r i u m p h i e r t e ! Die Obrigkeit h a t t e das politisch Klügste und Richtigste gewählt, aber damit endgültig die Gedanken von 1534 aufgegeben. Seit der gemeinsamen Politik mit den Niederdeutschen war es der Tetrapolitana p r a k t i s c h versagt gewesen, ihre Eigenart zu b e h a u p t e n . Die Ratserkenntnis vom 10. März 1563 besiegelte diese Tatsache. Der Beschluß s t i m m t e aber auch überein mit der Unsicherheit, welche die Obrigkeit in diesen Jahren den theologischen Fragen gegenüber gezeigt h a t t e . Ihre Hauptsorge war stets, Unruhe zu verhüten, nicht etwa dem L u t h e r t u m oder dem Kalvinismus kraftvoll entgegenzutreten. Damit wurde sie abhängig von der e n e r g i s c h s t e n Partei, obwohl sie ihrer eigenen Überzeugung nach wohl mehr zu Zanchi neigte. Ihr fehlte ein J a k o b S t u r m . Ihre Mitglieder waren nicht mehr imstande, selbst Superintendenten zu sein 1 ). So ging Marbach und mit ihm die Kirche des Predigtamts, der Theologen und Pastoren als Sieger über Obrigkeit und Schule aus dem Streit hervor. In den Tagen der Konkordie, da der S u p e r i n t e n d e n t sich geschmeidig den Vermittlern fügte, k n ü p f t e er von neuem ein festes ') In seinem A p. IV, 2, pag. 101 erwähnt Sturm, daß Matthis Pfarrer während der actio Zanchiana die manducatio impiorum nicht erwähnt wissen wollte. Matthis Pfarrer zeigt aber schon in den Sachen des Interims nicht die souveräne Stellung eines Jakob Sturm gegenüber den Predigern (s. o. pag. 171). Man wird nicht in ihm, sondern in den Theologen die entscheidenden Vermittler sehen müssen. — Bezeichnend für die Handlungsweise des Magistrats in der mehr und mehr lutheranisierten Stadt ist aber auch das Urteil, das Languet über die Straßburger Regierung abgibt (an Kurfürst August 1569, 14. X I . ) : nam in hac República (Straßburg) quae est plane popularis, magistratus regit populum obsequendo potius quamimperando. (LanguetEpp.secretae. H a l l e l 6 9 9 , p a g . l 2 5 . )

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6. Kap. Verfeindung Marbachs und Sturms.

Band der Freundschaft mit den lutherischen Nachbarkirchen. Von Jakob Andreä, dem bedeutenden württembergischen Theologen und dem ersten unter den Unterhändlern, sollte er später dem großen, allgemeinen Konkordienwerk des Luthertums zugeführt werden, und Andreä selbst lernte wieder in den Tagen der Straßburger Vermittlung die Richtlinie für seine große Einigungsaufgabe finden. An die Straßburger Konkordie knüpfte die Konkordienformel von 1577 an 1 ). Aber ehe wir für Straßburgs Kirche und Schule die Folgen dieses Werkes deutscher Superintendenten beobachten können, finden wir Marbach noch einmal im Kampfe gegen die Schule begriffen. Welche Rolle und welches Ansehen gab er hier dem ministerium ecclesiae, dem Predigtamt der Glaubenskirche ?

6. Kapitel. Verfeindung Marbachs und Sturms. 1565—1575. 1. Abschnitt. Entwicklung der Gegensätze.

1562—1570.

Auf den Zanchischen Streit folgte für Straßburgs Geistesgeschichte ein Jahrzehnt, das man die Sterbejahre des hieronymitanischen Humanismus in der Reichsstadt nennen darf. Denn wenn auch erst das Jahr 1581 mit dem Sturze Sturms sein endgültiges Ende brachte, so war doch für das Wesen der Straßburger Schule die Zeit von 1562—1575 maßgebend. In ihr prägte sich eine oratorische Erziehungsanstalt der Renaissance um in eine Über die dogmengeschichtliche Stellung der Konkordienformel vgl. S c h w e i z e r ( A l e x . ) : Die protestantischen Centraidogmen in ihrer Entwicklung innerhalb der reformierten Kirche. Zürich 1854, pag. 470, 484, 486.

1. Abschnitt.

Entwicklung der Gegensätze.

237

nüchterne Akademie des Barockzeitalters. Wie in der Kunst des 16. Jahrhunderts eine verworrene oder hingehauchte Feinheit des Ornaments den tiefen Schlagschatten und der akademischen Gezogenheit eines Palladio Platz machte, so trat an die Stelle liebenswürdiger, oratorischer Heiterkeit der ernste und einseitige Sinn für Fachwissenschaften. Der Umwandlung der Liebeskirche in die Glaubenskirche ging eine Wandlung des Schulwesens parallel, und beide Änderungen wieder griffen bei der innigen Verbundenheit von Schule und Kirche nicht ohne Wechselwirkung aufs engste ineinander. Aber indem das Ideal der sapiens et eloquens pietas, wie Sturm es verstand, seiner .Mitwelt immer weniger verständlich wurde, trat es am so schärfer in des Rektors Handlungsweise hervor. So kommt es, daß das Ziel und das Wesen seiner Pädagogik in den Jahren am deutlichsten faßbar wird, in denen es sich bescheiden mußte, unterzugehen. Es war im Schulkonvent, als der Kirchenkonvent die Professoren nicht wieder in seine Reihen aufnehmen wollte, gleichfalls zu einer Sonderung gekommen. Man hatte 1561 die drei Pastoren Marbach, Jakob Glocker und Melchior Specker, ebenso wie den lutherisch gesinnten Philologen Valentin Erythräus »on alle Ursach« vom Schulkonvent ausgeschlossen. Und die vier gleichen Namen nebst dem des Lehrers Engler finden wir in einer Beschwerdeschrift, die der Schulkonvent am 3. Dezember 1562 durch Konrad Dasypodius, dem Sohne Peters, Wilfesheim und Hertel den Scholarchen überreichen ließ 1 ). l

) Die Beschwerdeschrift: Th. A. Universität 2. Sie tritt auf als Bericht des Schulkonvents vom 19. XI. 1562. Zu beachten ist, daß die beschuldigten Prediger und Lehrer die gleichen sind, wie die Mitprotestanten Marbachs am 31. XII. 1562. Nur an Glockers Stelle steht Specker. (Vgl. oben pag. 229, Anm. 1.) — Peter Dasypodius stirbt 1559. Marbach wurde für ihn Dekan des Thomasstifts. — Über die Aussperrung der Professoren vom Schulkonvent vgl. Marbach: »Antwort eines erbarn Kirchenconuents« (zwischen 15. und 20. VII. 1562) und sein »Urlaub

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6. Kapitel. Verfeindung Marbachs und Sturms.

Damit zeichnen sich schon die späteren Parteien: Konrad Dasypodius war der erste Führer der Schulopposition, der erbittertste Feind Marbachs. Es zeichnen sich aber auch in der Beschwerdeschrift die Fragen, die im Mittelpunkte des praktischen Kampfes zwischen Kirche und Schule stehen sollten. Hier handelte es sich um die Verwendung der Stipendien. Sollten sie n u r künftigen Theologen zur Verfügung stehen ? Und es handelte sich um die theologischen Stipendiaten selbst. Es war ein Angriff auf das Stipendienwesen, wie der Superintendent es in den fünfziger Jahren geordnet hatte. Es war eine offene Anklage, daß Schulherrn, Rektor, Visitatoren und Präzeptoren durch diese Ordnung machtlos geworden waren. Es war endlich eine bittere Beschwerde über die Bildung der vom Superintendenten erzogenen Stipendiaten, die ohne Wissen Rektors und der Präzeptoren in die Stipendien aufgenommen wären und von Marbach nach Gutdünken als Pfarrer auf das Land geschickt würden 1 ). nemen«, 26. X. 1562. Beides Th. A. 28. — Valentin Erythräus, ein geborener Lindauer, besucht als Schüler das Straßburger Gymnasium, studiert in Wittenberg unter Melanchthon, ist überzeugter Lutheraner und teilt sein Interesse zwischen Rhetorik und Theologie. Lehrer in Straßburg seit etwa 1547. — Lorenz Engler, geb. in Nürnberg 1518. Seit 1541 in Straßburg. Seit 1545 Lehrer des Lateinischen am Gymnasium. ( H a n d s c h r i f t e n p r o b e n . ) Den Anlaß zur Beschwerdeschrift des Schulkonvents bietet ein Streit zwischen schweizerischen und lutherischen Studenten. Letztere, Kostgänger Marbachs, Speckers, Glockers, Englers, Erythräus, sind auffallend milde bestraft worden. Es wird Klage über ihr rohes und patziges Benehmen geführt. Ein Kostgänger Marbachs hat eine geladene F a u s t b ü c h s e in der Klasse gehabt. Er wird »der elter P a p p u s « genannt, ist also entweder der spatere Gegner Sturms, oder dessen Bruder. Beide studieren seit Frühjahr 1562 in Straßburg ( H o r n i n g , P a p p u s , pag. 6): Ein Zeichen, daß die jungen Geistlichen nicht weniger als die adligen Herren von rauhen Sitten waren. Ist doch der Studentenstreit der Theologen auch mit Worten und D o l c h e n geführt I ') Es handelt sich außerdem noch um die Änderung des K a t e c h i s m u s Unterrichts vom Jahre 1558 (s. o. pag. 191,

1. Abschnitt.

Entwicklung der Gegensätze.

239

Die Schule sah sich in der religiösen Erziehung zurückgesetzt! Das aufwachsende Pfarrergeschlecht war ihrer Leitung entzogen 1 Der Pädagogik einer sapiens et eloquens pietas war ihr wertvollstes Objekt: der künftige Prediger genommen! Man kann nicht nachprüfen, wie weit des Konvents Klagen berechtigt waren. Aber allzunahe lag es ja für Marbach, einer Schule, die im Zanchischen Streite sich kalvinisch gezeigt hatte, den jungen Geistlichen nicht zu überlassen. Allzusehr paßt es auch zu seiner energischen und selbstbewußten Art, das Regiment über die Stipendiaten, wie es ihm durch die eigene Organisation zugefallen war, auszunutzen als Kampf- und Machtmittel gegen die Lehrerschaft. Bedurfte doch auch seine Glaubenskirche der Weltweisheit nicht, sondern nur einer Kenntnis der »reinen Lehre«, und die besaß e r , nicht das Lehrerkollegium. Dies Lehrerkollegium aber verlangte jetzt, daß ihm, und vor allem den Schulherrn und dem Rektor, wieder die Aufsicht über die Aufnahme der Stipendiaten zugestellt werde; daß über a l l e Schulen und alle Schulangelegenheiten, auch über die theologischen, die Schule zu sprechen habe. Protestiert wurde gegen den von Marbach vorgeschlagenen lutherischen Visitator Erythräus 1 ). Der religiöse Gegensatz zeigte sich. Verlangt wurde ein Recht des S c h u l k o n v e n t s , mitzuAnm. 2). Die Lehrer wünschen auch den d e u t s c h e n Katechismusunterricht (der unteren Klasse), wie den lateinischen selbst zu geben. — Schließlich wird für die M u s i k der alte Brauch aus Butzers und Hedios Zeiten gefordert, da »in allen classibus etwas außgericht. Inn der obern hatt man die präzepta Musica gelesen, inn den under die Jungen die gemeinen gebrüchliche (!) psalmen lernen singen.« Marbach gibt jetzt für jung und alt gemeinsam Gesangunterricht auf dem Lettner der Predigerkirche: So ißt von ihm der deutsche Katechismus- und der Musikunterricht von der Schule i n d i e K i r c h e verlegt worden. ») S. o. pag. 228.

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6. Kapitel. Verleindung Marbachs und Sturms.

sprechen in der Verteilung der Lektionen. Die Forderung des Jahres 1553 tauchte wieder auf, die auf eine brauchbare Organisation der Lehrerschaft (Schulkonvent) hinauslief. Wir finden Sturms Namen nicht im Zusammenhang mit dieser Petition. Er selbst führte zu dieser Zeit noch mit Marbach vereint die Verwaltung des Predigerkollegs. Und so sehr es im Gedanken seines Bildungsideales lag, auch den jungen Prediger unter seinen Schülern zu sehen — mußte nicht ebensosehr durch eine geschärfte Kompetenzregulierung zwischen Kirche und Schule jenes groß-1 zügige gemeinsame Leben von Lehrerschaft und Geistlichkeit gefährdet werden, aus dem allein die sapiens et eloquens pietas im Sturmschen Sinne ihre Nahrung ziehen konnte ? Wie aber stand es in der Stadt um dies Ideal der weisen und beredten Frömmigkeit, um die Gedanken jener Bildung, unter deren Einfluß die aufwachsende Geistlichkeit gestellt werden sollte ? Wir können durch die wissenschaftliche Stimmung des Straßburger Gymnasiums kurz vor dem Ausbruch des Streites mit Marbach geradezu einen Durchschnitt legen. Nachdem im Jahre 1566 die Schule Sturms das kaiserliche Privileg erhalten hatte, Bakkalaureen und Magister zu kreieren, forderte der Magistrat von sämtlichen Lehrern Gutachten über die Einrichtung der neuen Akademie. Sie sind uns alle erhalten und führen ein in die ideellen wissenschaftlichen Gegensätze, die sich bald zwischen Sturm und Marbach zeigen sollten1). Stellen wir das Bedenken des Rektors voran, um uns noch einmal seines Schulideals deutlich zu erinnern 2 )! Es liest sich wie eine Vorstudie zu den Epistolae academicae und bringt gleich zu Anfang einen Satz, der aus de litM Die Bedenken: Th. A. Universität 3. — Vgl. F.-E. pag. 109, Anm. 1. *) Gedruckt: F.-E. pag. 109ff.

1. Abschnitt.

Entwicklung der Gegensätze.

241

terarum ludis recte apperiendis entlehnt ist 1 ). Alles aber wird betrachtet unter der einen Hauptfrage: Wie kann Zucht und Disziplin in der Akademie erreicht werden ? d. h.: Wie erziehen wir viri boni ? Unter diesen m o r a l i s c h e n Gesichtspunkt fällt alles, was Sturm im folgenden über die Wissenschaften und die einzelnen Ämter sagt. Wir hören die Schilderung einer Akademie der pietas litterata! Was aber wird von den Wissenschaften gesagt ? Es wird gefordert, daß die Gesamtheit der Lehrer in regelmäßigen »Gesprächen« die u n i v e r s a l e Bildung repräsentiere. Das Ideal des Orators taucht vor uns auf 2 ). Und nun, kurz vor dem Streit der Schule mit der Kirche, haben wir dies Ideal, so wie es sich in Sturms Gutachten zeigt, auf die Stellung hin zu prüfen, die es gegenüber der Theologie findet. Da tritt uns zunächst das echt urbane Bild des Rektors entgegen. Er soll ein Mann sein: »der mit ußbündiger fürtrefflicher lehr und erfarung der s p r a c h e n , auch mit ernst und g r a v i t e t , doch mit f r e u n d 1 i g k e i t . . . . nicht zugebe, das einige B a r b a r i e s . . . in die schull einreisse«. Er ist verantwortlich für die Bildung seiner Schule und hat darum auch, um jene Universalität des Wissens unter seinen Lehrern zu erreichen, die Aufgabe, diesen die richtigen und besten Quellen ihrer Wissenschaft zum Lernen aufzuzeigen. Er selbst muß alle Wissensgebiete beherrschen, wenn er die »philosophische Arbeit« austeilen will. Und ausdrücklich wird hier die T h e o l o g i e erwähnt. Auch sie gehört zur Philosophie 3 )! Auch hier trägt der Rektor die Verantwortung! Wie kann er als Humanist anders, als daß *) allen aber in allein ») *)

F.-E. pag. 110.: »Dieweil aber Erbarlich und fromm leben Biederleuten, so wol den gelerten, als ungelerten zusteht, der lehr und gueten künsten geübet unnd erfahren sein, den gelerten zustehet . . .« usw. S. o. pag. 32, Anm. 2. Vgl. oben pag. 98. Vgl. oben pag. 115ff.

S o h m , Schule und Kirche Strasburgs.

16

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6. Kapitel. Verfeindung Marbachs und Sturms.

er hier ebenso wie bei den philologischen Fächern auf die klassischen Q u e l l e n verweist ? Unmittelbar muß aber damit der Orator ins Lager des Kalvinismus treten. E r ' muß das Schriftprinzip betonen und darf nur die griechischen Väter gelten lassen. Kein Wort fällt über Luther, Melanchthon oder Kalvin 1 ). Es zeigt sich uns, wie selbstverständlich Sturms praktische Stellung zur Theologie und damit zur Geistlichkeit sich ergibt aus seinem wissenschaftlichen, oratorischen Ideal, wie fern ihm der Gedanke liegen mußte, daß es Anmaßung sei, wenn er von Kirchensachen als vir bonus et doctus redete. Aber wo blieb bei solchen Ausführungen ein selbstherrlicher Kirchenkonvent, der auf die »moderne« Augustana schwor und die Schule von der Lehrausbildung fernhielt ? So sehr Sturms Gedanken der Zeit der Schulgründung entsprachen, so sehr traten sie in Widerspruch zu den Ideen Marbachs. Und auch diesem wiederum mußte es von seiner Auffassung des rein religiösen Wesens der L e h r e aus unverständlich sein, wenn ein Humanist hier im Namen der Bildung ihn meistern wollte. Wir erkennen die Unversöhnlichkeit des gegenseitigen Standpunkts. J ) Geregelte Vorlesungen über Dogmatik scheint es bis 1567 nicht gegeben zu haben. Erythräus klagt in seinem Gutachten, daß die, die ex classicis publici werden, nur den kleinen Katechismus könnten, und schlagt deshalb vor, es sollten die locos communes nach der Augsburger Konfession (Augustana) und deren Apologie publice gelesen werden. Es sei dieser Mangel zu Butzers Zeiten sehr empfindlich gewesen. — Danach muß wirkungslos geblieben sein, was Marbach unter dem 28. VII. 1554 (D. M. f. 190b) meldet, nämlich: daß den Theologen befohlen worden sei, auf dogmatische Lektionen zu denken. — Je weniger exakte Dogmatik getrieben wurde, desto leichter konnte man von dem »Geist« einer Konfession und der Bibel sprechen. Das widerspricht dem Luthertum und kommt den Reformierten und allen freier Denkenden (Humanismus) zu Hilfe. Vgl. Zanchis Handlungsweise 1563, s. o. pag. 233 f.

1. Abschnitt.

Entwicklung der Gegensätze.

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Doch von einer Unversöhnlichkeit durfte am wenigsten Sturms Ideal selbst wissen. Dies wird deutlich dort, wo des Rektors Gutachten vom Katholizismus spricht. Er erzählt, wie Jakob Sturm schon daran gedacht habe, päpstliche Gelehrte zu berufen, und meint: leicht wäre es gefallen, einen Bembo, Sadolet u. a. zu gewinnen, wenn ihnen nur »ehrliche und stattliche besoldungen und pensionen fürgeschlagen weren worden« (I). In solchen Worten vereinigt sich die ästhetische Freude an der universitas litterarum mit einer echt eloquenten, naiven Oberflächlichkeit, die man nur schwerlich Toleranz nennen darf. Wenn Sturm aber von einem Kolloquium eloquenter Lehrer träumte, das doch nach dem Vorbild der maximi patroni stets in Eintracht enden sollte, durfte er dann allzu rücksichtslose Überzeugungen anerkennen ? Es ist charakteristisch, daß Sturm jetzt auch um der c o n c o r d i a willen eine rechte Ordnung des S c h u l k o n v e n t s forderte: »Uff solchen Konvent besthet die nutzbarkeit und existimation der schulen, auch die einigkeit und c o n c o r d i e n der professoren.« Friede und Harmonie war und blieb das Ziel des Humanisten. Es ist ein warnendes Anzeichen, daß Sturms Gutachten fast das einzige ist, das sein wissenschaftliches Ideal vertritt. Der Kampf stand vor der Tür! Alles trieb hin auf einen G e g e n s a t z zwischen Geistlichen und Lehrern. Nur das Bedenken Kybers 1 ) spricht noch im Butzerschen Sinne davon, daß die Schule eingerichtet sei »zur pflanzung der Kirchen Christi in wahrer G o t t s e l i g k e i t und g u t t e n k ü n s t e n « , und daß ihr vornehmster Zweck die Erziehung zum ministerio ecclesiae sei. Den gefährlichsten Gegensatz gegen Sturm zeigt dagegen das Gutachten seines Fachkollegen, des Orators Valentin Erythräus. Hier spricht ein Mann von der *) Elias Kyber war Professor des Hebräischen am Gymnasium. Vgl. F.-E. Index. 16*

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6. Kapitel.

Verfeindung Marbachs und Sturms.

wissenschaftlichen Gesinnung des Rektors — und zugleich ein überzeugter Lutheraner. Neben der Bildung will er die r e i n e L e h r e i n der Schule gepflegt wissen. Er, der Philologe und Laie, kritisiert den theologischen Lehrgang zu Zeiten Butzers. Er bespricht den Katechismusunterricht und schließt mit einer langen Ausführung über das Abendmahl. So redet auch dieser Orator von der Theologie, aber als Gegner Sturms. Um so verlassener muß uns der Rektor erscheinen, wenn hier die Eloquenz selbst ihm gegenübertritt, und andererseits alle übrigen Gutachten in einem Sinn gehalten sind, der seiner Schule gefährlich werden mußte. Hierhin gehören auch die Bedenken seiner Freunde, die im Sinne der Oppositionspartei von 1562 eine klare Grenze zwischen Schule und Kirche verlangen. Wieder steht Konrad Dasypodius an ihrer Spitze. Gollius und Malleolus schließen sich ihm an. Die Rechte des Schulkonvents bilden den Mittelpunkt ihrer Forderungen. Krieg wird der Kirche erklärt. Die sapiens et eloquens pietas verlangte den Frieden. Viel nachteiliger aber mußte es noch für Sturmsche Gedanken sein, wenn jene Selbstbesinnung der Schule, die wir schon seit 1538 beobachten konnten, zunahm und sich zu ihr eine Neigung der Lehrer zu nüchterner Fachwissenschaft gesellte. Wo blieb dann der Glanz des Ornatus ? Konnte er vielleicht nur bestehen in jenen naiven Ordnungsverhältnissen, wie die erste Organisation der Schule neben der Liebeskirche sie gebracht hatte ? Wir sahen, wie schon 1538 die Bildung eines gesonderten Schulkonvents eine Gefahr für das Verhältnis zwischen Schule und Kirche bedeutete, und hörten soeben Sturm selbst den Wunsch nach einer geregelten Ordnung dieses Konvents aussprechen. Sie wird zu einem Programmpunkt fast sämtlicher Gutachten der Lehrerschaft, auch wenn die polemische Richtung gegen die Kirche

1. Abschnitt.

Entwicklung der Gegensatze.

245

fehlt 1 ). Deutlich zeigte sich, daß man (zumal in Berufungs- und Absetzungssachen) keinem einzelnen mehr eine bevorzugte Stellung bei der Obrigkeit einräumen wollte. Damit war für die Praxis einem allzu selbstherrlichen Einfluß des Superintendenten — und des Rektors der Riegel vorgeschoben, zugleich aber auch das Bekenntnis abgelegt, daß das gegenseitige VertrauenButzerscher Zeit geschwunden war. Das Privileg von 1566 kam der Selbstbesinnung der Schule in anderer Weise entgegen. Die publicae lectiones und die beiden Oberklassen wurden, da man in ihnen jetzt zum Magister werden konnte, zu einer p h i l o sophischen Fakultät. Eine Fakultät verlangte ihren Dekan. Dies wichtigste Amt neben dem des Rektors mußte seinem Wesen nach von einem Professor der Philosophie bekleidet werden 2 ). Das Gesamtbild der Schule erhielt durch das Privileg das einseitige Aussehen einer F a k u l t ä t ! Allerdings: der Philosoph war j a für Sturm gleichbedeutend mit dem universal gebildeten Orator. Aber gerade dies ist das Verhängnisvollste für den Rektor, daß hier die Mehrzahl der Lehrer versagte. Soweit deren Gutachten überhaupt wissenschaftliche Fragen berührten, kümmerten sie sich um ordnungsmäßige Besetzung der Lehrstühle und um den geregelten Schulbetrieb, wie das Privileg ihn verlangte. Unter diese Gutachten gehört das Bedenken Marbachs 3 )! Nichts läßt sich davon spüren, daß er etwa ') Über die mangelhafte Haltung des Schulkonvents klagt das Gutachten des Dasypodius und Marbach in seinem »Urlaubnehmen« (s. o. pag. 228, Anm. 2). — Von dem Schulherrnkonvent berichtet das Gutachten des Erythräus, daß in ihm »eine grosse heilossigkheit gespürt worden«. Zur Zeit geschehe »wenig mit gemeinen raths bcschluß, sonder zwen oder einer setzt, bevilcht unnd mandirt«. *) Darauf verweisen die Gutachten Beuther. Letzteres bei F . - E. pag. 118. 3 ) F . - E . pag. 114 ff.

von

Wilfesheim

und

246

6. Kapitel.

Verfeindung Marbachs und Sturms.

die Schule auffaßte als Glied der Kirche und von diesem Standpunkt aus sein Urteil gäbe. Er zeichnete das Bild einer Akademie, die sich um weiter nichts zu kümmern hat als um das, was formal ihre Aufgabe ist: Magister vorzubereiten und zu kreieren. Wir wissen, wie wohl er sich fühlte, wenn jedem Amte sein Feld gewiesen war, wie sehr er damit auch seiner eigenen kirchlichen Stellung diente. Die Entwicklung der Wissenschaft kam dieser seiner Neigung entgegen. Die sachliche Nüchternheit war der Feind, der in Sturms Schule selbst gegen ihr Ideal a u f t r a t ! Und was für ihre kirchliche Stellung am gefährlichsten war: wenn man lernte die Philologie als solche zu treiben und das bonus und peritus dicendi voneinander zu scheiden, so mußte dies zum Vorteil der Kirche, der großen religiösen Erziehungsanstalt ausschlagen, dann mußte eine rein wissenschaftliche Schule sich ihrem sittlichen Wert nach dem Superintendenten unterordnen. Es blieb ihr nur ein Trost für die Zukunft: durch die moralische Entlastung des Lehrstoffes wurde die moderne Säkularisation der Bildung vorbereitet. Nicht minder wie die Entwicklung der Kirche zur Heilsanstalt und Glaubenskirche führte auch die Entwicklung des pathetischen Humanismus zu klaren begrenzten Fachwissenschaften in Straßburg zu einer Verschiebung des Verhältnisses zwischen Kirche und Schule und zu einer Herabsetzung der letzteren in ihrem kirchlichen Wert. In solcher Umgebung war Sturm der ehrwürdige Vertreter einer vergehenden Zeit, der in Paris doziert hatte, als die Mehrzahl seiner Lehrer »noch in den windlen gelegen, ein theil auch ungeboren gewesen« 1 ). Sturms wissenschaftliches Ideal war im Verblassen. Und es ist, als ob nun, da die Gemüter sich nicht mehr ') F.-E. pag. 118.

Aus Beuthers Gutachten.

1. Abschnitt.

Entwicklung der Gegensätze.

247

hinreißen ließen zu der Begeisterung, deren der Orator bedurfte, auch dessen Schwächen sich um so schärfer zeigen müßten. Die Gefahr der Phrase barg sich hinter dem schimmernden Idol der Eloquenz. Zur Phrase mußte Sturms bestechende pädagogische Theorie werden, wenn es ihm nicht gelang, ihr in der P r a x i s gerecht zu werden. Bedenklich genug sind die Zustände, die wir hier im Straßburger Schulwesen vorfinden. Schon im Jahre vor der Privilegierung, schon 1565, sah sich der Rektor genötigt, eine Reformation seines Gymnasiums vorzunehmen. Er mußte zugeben — deutlich genug zeigten uns schon die Gutachten des nächsten Jahres diesen Mißstand —, daß seine 1538 ausgesprochenen Prinzipien nicht verstanden seien! Nun wollte er die Zahl der Vokabeln mehren, den Unterricht in Grammatik, Dialektik und Rhetorik bessern und die Lektion der Schriftsteller, den Umfang der exercitationes steigern. Am günstigsten verlief die Reform der exercitationes. Aber von den anderen drei Punkten geschah nichts, als daß Sturm in der 10. und 9. Klasse Vokabeln austeilte. Was brachte ihn zum Stocken ? Er merkte, daß seine Tragödien und Komödien (die exercitationes) und daß seine neue Ordnung »verlachet« wurde. Da ward er »unlustig« und unterließ das nützliche Werk 1 )! Dem Humanisten fehlte die durchgreifende Energie. Und wer verlachte ihn? Gerade an Marbach schrieb er: Si r i d e s patiaris me sperare. Gerade von Marbach wissen wir, daß er gegen das Komödienspiel moralische Bedenken äußerte. Die Kritik der Theologen kühlte den Enthusiasmus des Orators ab 2 )! *) E n g e l , l ' a c a d e m i e , pag. 109. Hier pag. 114ff. über die Komödien. — Dieser Schulreform von 1565 verdanken wir die Entstehung der E p p. c 1 a s s. *) Über Marbach: G p p . c I a s s. an Marbach; S c h m i d t , l a v i e , pag. 145. — Uber Sturm: F.-E. pag. 164 ff.; Antwort Marbachs auf Sturms Deklarationsschrift Th. A. 32, pag. 244.

248

6. K a p i t e l .

Verfeindung Marbachs und Sturms.

Auf dieser gefährlichen Grundlage einer halbreformierten Schule, einer gereizten Stimmung errichtete man 1566 das Prunkgebäude der Akademie, nicht ohne in gutmütigem Optimismus sich zuvor schwer über die Kosten des Privilegs zu täuschen. Der Praktiker Marbach sollte dies später oft genug rügen. Und brachten die neuen Statuten von 1568 am wesentlichsten Punkte, hinsichtlich des S c h u l k o n v e n t s , eine durchgreifende Besserung ? Ausdrücklich allerdings wurde die Haltung des Konvents geregelt, aber die wichtigsten Forderungen der Oppositionspartei wurden übergangen. Weder erhielt das Plenum der Lehrer einen Einfluß auf die Besetzung der Lehrstühle, noch auf die Erziehung der Stipendiaten und Kollegiaten. Hier blieb dem Superintendenten, wenn er die Schulherrn in seiner Hand hatte, völlige Freiheit — blieb die Schule machtlos. Es ist charakteristisch, wie trocken gerade Marbachs Gutachten vom Schulkonvent spricht. Das Protokoll des neuen Schulkonvents aber füllte sich mit Anzeichen, daß die bedeutsamsten Forderungen einer Pädagogik der sapiens et eloquens pietas mangelhaft erfüllt waren. Immer und immer wieder mußte gemeldet werden, daß in den Disputationen und Deklamationen, diesen Pflanzstätten des jungen Orators, die größte Unordnung herrschte. Nur die Theologen zeigten sich eifrig! Sturm aber glaubte auch hier Spott und Hohn fürchten zu müssen. — Über die Disziplin liefen immer erneut Klagen ein. Lehrer und Schüler waren säumig. Und wie wichtig war doch das bonus für den eloquenten Menschen! — Von der resolutio verborum aber, diesem Brennpunkt Sturmscher Erziehung, schrieb Erythräus, daß sie völlig in Verfall geraten sei 1 )! ') Uber

die

Disputationen:

Scholarchenprotokoll

(Th. A.

Karl Mügs H a n d ) : f. 11, 14, 1 4 b , 1 9 , 1 9 b . — S t u r m s Klage A c a d . e p p.

pag. 2 8 6 .



pag. 237, A n m . 1. —

Klage Vgl.

des

Schulkonvents

3. X I I . 1 5 6 2 ,

D. M. 2 8 . V I I . 1 5 5 4 . —

Über die

s. o. Dis-

1. Abschnitt.

Entwicklung der Gegensätze.

249

Zu einer tatsächlichen Reform schritt man nur in der Frage der Disziplin. Zu ihrer Regelung wurde ein wöchentlicher Konvent errichtet. Aber — als dieser einmal über die Kollegiaten sprach, ohne Marbach zu fragen, erhielt er darüber von dem Schulherrn Karl Müg »eine Sau«. Hier bei der Disziplin, und zwar bei der Disziplin der Kollegiaten, stehen wir unmittelbar auf dem Kampfplatz Marbachs und Sturms. Sogleich tritt neben den Superintendenten der ihm gewogene Schulherr 1 ). Müg (Scholarch seit 1563) und Marbach waren verwandte Naturen: Beide überzeugte Lutheraner, beide begabt mit einem ausgesprochenen Sinn für normale haltbare Verwaltung, beide emsige Protokollisten ihrer Amtstätigkeit. Ihnen gegenüber stand ein Rektor, der ein verschwindendes wissenschaftliches Ideal vertrat und dessen geniale humanistische Geste erlahmte, wenn sie widerstandsvolle Alltagsarbeit leisten sollte — ein Rektor, der die Harmonie liebte, aber am spöttischen Lächeln des Gegners und dessen verletzenden praktischen Erfolgen auch in den Jahren des Friedens die ständige Spannung erfahren mußte. Schon 1564 war es Marbach unter Mügs Scholarchat gelungen, den Katechismus Butzers aus den sechs Oberklassen zu verdrängen und an seine Stelle den des lutheziplin: Protokoll 11, 16, 19. — Des Erythräus mißliche Schilderung muß jedoch vorsichtig aufgenommen werden. Er erzählt, daß er selbst eine große Phrasensammlung habe anlegen wollen, und daß dieses Konkurrenzunternehmen den Rektor so verstimmt zu haben scheine, daß er sich der resolutio gänzlich begeben habel *) Über den wöchentlichen Konvent: Protokoll f. 13, 15, 19. — Schon vor seiner endgültigen Ausgestaltung (20. IV. 1569) ist er ab und zu zusammengetreten. Protokoll f. 1 b, 2 b. Wenn er schon damals sich aus Rektor, Dekan und Visitatoren zusammensetzte, so bestand er (für 1568) aus: Sturm, Beuther, Erythräus, Spekker, Reinhard. Marbach ist also von ihm ausgeschlossen, so daß er es bitter empfindet, wenn d i e s e r Konvent über die Kollegiaten bestimmt. — Der erzählte Fall spielt zu dieser Zeit: Protokoll f. 14 b, 15 b; dazu Marbach, 26. IV. 1572, pag. 23 u. 99.

250

6. Kapitel.

Verfeindung Marbachs und Sturms.

rischen Chyträus zu setzen 1 ). Am empfindlichsten aber wurde sein Einfluß in den ersten Jahren der neuen Akademie spürbar, und zwar spürbar gerade dort, wo dem Schulkonvent keine Rechte zugestanden waren: in den Angelegenheiten der Stipendiaten und der Lehrstühle. Bis zum Jahre 1568 hatte Sturm noch gemeinsam mit Marbach die Verwaltung des Predigerkollegs geführt. Aber Marbach erzählt, daß Sturm die letzten Jahre nur noch wie ein Junker nebenher gegangen wäre. Die Arbeitslust war ihm auch hier genommen. 1568 verzichtete er 2 ). Damit mußte er den radikaleren Lehrern (Konrad Dasypodius) näher treten, denn tatsächlich war ihm jetzt als Rektor jeder Einfluß auf Kollegiaten und Stipendiaten genommen. Wie ein versteckter, höhnender Triumph erschien es, als im nächsten Jahre Marbach (er, der Theologe, war Dekan geworden 1) 33 Kandidaten — fast durchweg Kollegiaten und Stipendiaten — das Bakkalaureatsexamen bestehen ließ. Im Vorjahre hatte der erste Dekan (Beuther, Sturms Freund) keinen einzigen Schüler zum Examen zugelassen! Jetzt glänzten unter dem Superintendenten die jungen Geistlichen, deren Bildung die Lehrer stark bezweifelten. Ostentativ blieb Sturm vom entscheidenden Konvent und vom feierlichen Aktus fern. ') E n g e l , l ' a c a d é m i e , pag. 105. *) Marbach : Beständige Verantwortung. 1573 (3. VI. übergeben an Rh. u. XXI), und: Antwort auf Sturms Deklarationsschrift (1572) pag. 271 ff. — Beides Th. A. 32. — In der »Antwort« wird ausgeführt, daß Sturm seit dem Zanchischen Streit sich nicht mehr um die Kollegiaten gekümmert habe. — Das Protokoll über die Beratungen zwecks Neuregelung der Statuten (24. I., 27. I., 29. I., 1568) und das Bedenken der verordneten Herrn (16. III. 1568) — beide Th. A. Univ. 3 — zeigen, daß man bei der Gründung der Akademie geschwankt hat, ob man Sturm und Marbach bei der Verwaltung des Predigerkollegs lassen solle. Daß Sturm aber offiziell entfernt sei, ist unwahrscheinlich. Marbach würde sich diesen Angriffspunkt in seiner Polemik nicht habe entgehen lassen.

1. A b s c h n i t t .

E n t w i c k l u n g der Gegensätze.

251

Hatten doch auch er und Beuther allein gegen die Wahl Marbachs als Dekan gestimmt 1 ). Dauernder noch waren Marbachs Erfolge im zweiten fraglichen Punkte, in der Berufung der Professoren. 1564, 1568 setzte er seinen Willen gegen den des Rektors durch 2 ). In der theologischen Fakultät aber behielt er völlig die Oberhand. Seit Zanchis Wegzug vacierte die Stelle eines Theologen. Marbach schlug Chyträus vor. Doch dieser, wie auch alle später Vorgeschlagenen, strenge Lutheraner, wurden nicht gewonnen. Straßburger Pfarrer übernahmen die Lektion. Die Führung blieb beim Superintendenten, der die bedeutsame Professur seinen Söhnen vorbehalten wollte. So mußte Sturm sich in beständigem Gegensatz zur theologischen Fakultät empfinden, mußte er gerade dort, wo die Kirche in seine Akademie hinüberragte, ihr fremd und machtlos gegenüberstehen. Wurde ihm selbst doch sein Vorschlag abgewiesen, als er einen Theologieprofessor nach seinem Wunsch empfehlen konnte — einen Theologen, der zugleich in lingua graeca, hebraica und in philosophia dozieren konnte. Und wo er sonst für Professoren eintrat, zeigte er eine unglückliche Hand: Theoph'lus Dasypodius, der Bruder Konrads, ließ in seinem Charakter manches zu wünschen übrig. Marbach gab ihn als Zwinglianer an. Sturms Vetter, Svphanus, entpuppte sich als Papist, so daß der Rektor selbst seine Beurlaubung wünschen mußte 3 ). Wo blieben die Papisten, die schon durch eine anständige Besoldung hätten gewonnen werden können ? ») S c h o l a r c h e n p r o t o k o l l f. 29, 3 0 ; f. 20 b . — Ü b e r d u n g s s t a n d d e r S t i p e n d i a t e n vgl. o b e n p a g . 237 f.

den

Bil-

*) E n g e l , l ' a c a d ö m i e , p a g . 104 u. 186. — M a r b a c h , 26. I V . 1572. T h . A. 33, p a g . 112 ff. 3 ) S c h o l a r c h e n p r o t o k o l l f. 29 b. — Ü b e r T h e o p h i l u s D a s y p o d i u s : 1. c. f. 9, 15 b. — Ü b e r S v p h a n u s : 1. c. f. 13 b, 15 b, 22, 2 4 ; u n d M a r b a c h , 26. IV. 1572. T h . A. 33, p a g . 119.

252

6. Kapitel. Verfeindung Marbachs und Sturms.

Wo blieben die Heroen des Altertums, die in der neugeordneten Schule erstehen sollten ? Es ist, als ob in diesen Jahren der gute Geist von Sturm gewichen sei. Drückend schlichen sie dahin, erfüllt von einer feindseligen, aber kaum faßbaren Politik des Kirchenmanns der Glaubenskirche. Äußerlich wußte der Superintendent das beste Verhältnis zu wahren. Er selbst fühlte sich befriedigt in seiner Rolle (die Folgejahre zeigen seine Eitelkeit) und in seiner guten Absicht um die reine Lehre. Durch solchen Gegner wurde Sturm noch untauglicher zur praktischen Arbeit, als er von Natur es schon war. Butzer weckte alles Gute in ihm. Marbach und Sturm waren zwei Menschen, die durch ihre Existenz gegenseitig die Schwächen ihres Wesens steigerten. Für die E r m a t t u n g Sturms wie für seinen Charakter war die Art bezeichnend, wie er einem Konflikt aus dem Wege zu gehen suchte. Am 19. Dezember 1569 überreichte er dem Schulkonvent und den Scholarchen eine Bittschrift 1 ). Er wünschte, von seinen regelmäßigen Vorlesungen dispensiert zu werden, um zu Hause in Muße schreiben zu können »was der schulen nützlich und ehrlich sein möchte«. Er räumte das Feld — und erfüllte zugleich ein echt humanistisches Ideal 2 ). Es war ein schöner Zug, daß er in keinem Worte Bitterkeit spüren ließ und Beschwerden oder Klagen vorbrachte — nur auf sein ehrenvolles Alter wies er hin. Zugleich mit der Bittschrift übergab der Rektor den Schulherrn die Epistolae academicae. Diese Epistolae academicae zeichnen mit den Epistolae classicae, deren Absicht durch die unterbrochene Schulreform vereitelt worden war, in frischen Farben das Ideal der sapiens et eloquens pietas, so wie wir es kennen lernten. Ihre Gedanken trotz allem durchzusetzen, das ward in den folgenden Jahren Sturms pädagogisches Ehrenziel, — sie ') Schol.-Protokoll f. 32ff. *) S. o. pag. 121 f.

1. Abschnitt. Entwicklung der Gegensätze.

253

zu befehden und zu verkleinern wurde Marbachs Hauptabsicht, soweit er gegen Sturms Schule als solche vorging. In diesen Briefen ist das h u m a n i s t i s c h e Programm der Kontroverse zwischen Rektor und Superintendent gegeben. Wir finden noch ein zweites, das unmittelbar zu k i r c h l i c h e n Fragen hinüberführt. Es steht in dem Bericht, den Sturm auf sein Abschiedsgesuch hin den Scholarchen am 25. Januar 1570 einliefern mußte 1 ). Jetzt hatte sich Sturm die Wünsche der Opposition von 1562 gänzlich zu eigen gemacht. Er forderte, daß die K o l l e g i a t e n ebensogut wie alle andern Schüler »dem Rectori, Decano, Visitatoribus ja einem gantzen Schulconvent ihres ampts, studierens und angewandten fleiß rechensehaft zu geben schuldig seyen«. Er verlangte, daß, unter allem Vorbehalt der Rechte der Scholarchen, ohne Gutachten des S c h u l k o n v e n t s kein Lehrer berufen werden sollte. Aber der Rektor verteidigte nicht nur die Schule gegen Übergriffe der Kirche. Er beanspruchte auch ein R e c h t der Schule in der Kirche. Er wünschte ein Statutum, daraus man entnehmen könne, welche Verwandtschaft »zwischen den T h e o 1 o g i c i s professoribus und den anderen magistris in dem s c h u l c o n v e n t sein solle«. Gelänge aber solche Regelung nicht, so bat Sturm um die Erlaubnis, öffentlich im Namen der Lehrer erklären zu dürfen, daß alles, was die Straßburger Theologen in den letzten Kirchenstreitigkeiten geschrieben hätten, o h n e W i s s e n d e r P r o f e s s o r e n verfaßt sei. Hätte man diese doch vom K i r c h e n k o n v e n t ausgeschlossen, als wären sie zu »u n v e r s t ä n d i g . . . . ja auch nit g u 11 und f r o m m genug, das wir uns solcher Sachen auch annemen solten«. F.-E. 1. c. pag. 163ff., 167 ff.

254

6. Kapitel. Verfeindung Marbachs und Sturms.

Die Schule fühlte sich verantwortlich für die Lehre der Stadt! Dies waren die gleichen Gedanken, die zu Beginn des Streites mit Zanchi das Thomaskapitel bewegten — es waren Gedanken, die an Butzers Entwurf zum Kirchenkonvent und Sturms Gutachten zur Akademie erinnerten, Gedanken, die das Recht der Bildung auf Mitarbeit am kirchlichen Leben betonten und ebenso der aufkommenden Orthodoxie spotteten, wie sie fest im humanistischen Ideale Sturms wurzelten. Unmittelbar hingen diese Gedanken zusammen mit der Klage Sturms, daß die Theologen in ihren D i s p u t a t i o n e n solche Theses wählten, die das unglückliche Gedächtnis des Zanchischen Streites wieder aufrührten und mitverwandte Akademien beleidigten. Wie eifrig zeigten sich gerade die Theologen darin, Disputationen anzurichten! Nun forderte Sturm, daß die Themen derselben zuvor dem Schulkonvent oder den Visitatoren angezeigt würden. Auch hier: Kontrolle der kirchlichen Entwicklung durch die Schule, die humanistische Bildung, den vir bonus et doctus! So reizte der Gegensatz zwischen Marbach und Sturm zu einem Kampf auf, in dem beide Parteien abwehrten und angriffen. Die Ideen der epistolae academicae und classicae — die Rechte des Schulkonvents —, das Verhältnis der Schule zum Kirchenkonvent, standen im Mittelpunkt des Streites. An einem Punkte aber wurden auch die Rechte der O b r i g k e i t berührt: in der Frage der Berufungen. Hier verlangte die Schule eine Steigerung — und mochte sie auch noch so gering sein — ihres bisherigen Einflusses zuungunsten des Magistrats. Und dieser Magistrat war weit davon entfernt, sich etwas vorschreiben zu lassen. Mit auffälliger Gereiztheit empfand er des Rektors Urlaubsgesuch und seine Forderungen. Heinrich von Müllenheim, Scholarch neben Karl Müg, einst einer der Superintendenten bei der Stadtvisitation, ließ es in der Ratssitzung, da Sturms Schrift

1. Abschnitt.

Entwicklung der Gegensätze.

255

verlesen wurde, zu einer Szene kommen und legte sein Amt nieder, weil er nicht »Sturmii Knecht syn wolle« 1 ). In zwei Berufungssachen, die zu gleicher Zeit spielten, hielt Müg ostentativ den Rektor von der Mitwirkung fern 2 ). Die Herren der eingesetzten Kommission erklärten kühl, daß nichts zu verbessern sei. Wenn aber Mängel wären an Marbach oder Sturm, so könnten »myne Herrn als der O b e r R e c t o r auff der Pfaltz by Inen sollichs abschaffen« 3 ). Nur geringe Vergünstigungen wurden Sturm bewilligt. Er mußte im Amt bleiben. Ausdrücklich erklärten die verordneten Herren, daß der Rektor wie andere Schulpersonen den Scholarchen zu »parieren« habe. Entsprechend fiel der endgültige Bescheid an den Schulkonvent aus 4 ). So führte Sturms Urlaubsgesuch nur dazu, ihm die Trostlosigkeit seiner Lage zu zeigen. Die Obrigkeit verstand es nicht mehr, wenn der Humanist in guter Absicht zum Besten von Kirche und Schule redete. Sie folgte dem Superintendenten, der nach seiner religiösen Überzeugung, seinem wissenschaftlichen Standpunkt, seinem persönlichen Vorteil den eloquenten Rektor schweigen hieß. Und dieser Rektor selbst stand an der Spitze eines Schulwesens, das seinen eigenen ciceronianischen Idealen theoretisch und praktisch untreu geworden war. Der Februar und März des Jahres 1570 muß für Sturm voll schwerer Stunden gewesen sein. Alles um ihn her h a t t e sich geändert. Nichts erinnerte mehr an die Zeiten Jakob Sturms und Butzers. ») F.-E. 1. c. pag. 167f. — Rh. X X I , 22. II. 15*0, f. 130. *) Rh. X X I , 22.11.1570, f. 130 und 2. II. 1570, f. 72 bff. Hier schließt Müg Sturm von der Berufung eines Theologen aus, da er »caluinisch« sei. ») Rh. X X I , 4. II. 1570, f. 76 b ff. 4 ) Schol.-Protokoll f. 33 b, 34.

256

6. Kapitel.

Verfeindung Marbachs und Sturms.

2. Abschnitt. Streit und Entscheidung.

1571—1575.

Unmittelbar, wie Kirche und Schule selbst, verwoben sich in Straßburg die Geschichte der Reformation und des Humanismus. Wir haben durch die sechziger Jahre hindurch beide Geistesströmungen verfolgen müssen, wie sie in oft armseligen Rinnsalen sich durch den Sand der Tage arbeiteten und doch, in beständiger Bewegung begriffen, sich neuen Idealen näherten, oft unter Widerstand und Verwundung gerade derer, die sie zu leiten meinten. Nun hatte im Frühjahr 1570 auch die Obrigkeit gesprochen und geglaubt, durch einen Befehl Frieden stiften zu können zwischen ihrem Superintendenten und ihrem Rektor. Der Friede war unmöglich. Nichts Sachliches war gebessert, nichts Ideelles hatte sich ausgeglichen. In Berufungen, in Pfründenfragen, in der Haltung des Schulkonvents blieb es bei dem alten dominatus Marbachii oder bei der alten Lässigkeit. Marbach trug drei Jahre lang die Würde des Dekanats, der Schulherr Müg war im Jahre 1570 Ammeister, so daß die Schulregierung leiden mußte. Die epistolae classicae et academicae blieben — verfolgt von der Kritik der Theologen — auf dem Papier 1 ). l

) Über die Professuren: Schol.-Protokoll f. 37 b und Marbach: 26. IV. 1572, pag. 120ff. Th. A. 33. Über die Stiftspfründen: Marbach 1. c. pag. 144 ff. Schol.-Prot. f. 38—39. — Über die Kollegien: E n g e l , l ' a c a d é m i e , pag. 194. — Der schreiendste Fall ist die Angelegenheit des jungen P i s c a t o r. Er, ein Stipendiat Marbachs, hatte auf dessen Geheiß zu lesen begonnen und sich unerwarteter Weise dabei zur reformierten Lehre bekannt (de accensione und de praedestinatione). Seine Anstellung, wie seine sofortige Absetzung wird durch den K i r c h e n k o n v e n t und die Schulherren betrieben, — ohne daß dem Rektor und seinen Getreuen auch nur der geringste Einfluß möglich ist; doppelt verletzend für diese, da sie sich religiös zu Piscator bekennen. Sturm

2. Abschnitt.

Streit und Entscheidung.

257

N u r kurz e r z ä h l e n wir das, w a s k o m m e n m u ß t e : d e n a u s b r e c h e n d e n S t r e i t , u m d a n n v o r a l l e m seine prinzipiellen G e d a n k e n h e r a u s z u h e b e n . D e n n m i t t e n in d e m e n t s e t z l i c h s p i e ß b ü r g e r l i c h e n K a m p f der g e i s t i g e n S t a d t h o n o r a t i o r e n ( S u p e r i n t e n d e n t und Rektor) streiten, w e n n a u c h v e r s t a u b t u n d g e h e m m t , Obrigkeit, Kirche u n d S c h u l e u m g r u n d s ä t z l i c h e F r a g e n g e i s t i g e n Lebens. Der R e k t o r l i e ß n a c h e i n e m q u a l v o l l e n Jahre a m 26. März 1571 i n e i n e m Brief an d e n treuen B e u t h e r seinen" K l a g e n freien L a u f 1 ) . G e w o l l t e oder u n g e w o l l t e Indiskretion m a c h t e dies S c h r e i b e n z u m S t a d t k l a t s c h . Marbach d u r f t e sich für d e n B e l e i d i g t e n h a l t e n . Die E h r e des m i n i s t e r i u m e c c l e s i a e war g e f ä h r d e t ! Auf seine B e s c h w e r d e n t r a t eine K o m m i s s i o n , bes t e h e n d aus d e n drei s t ä d t i s c h e n Juristen u n d d e m S t a d t verschafft dem jungen Mann eine Erzieherstelle bei den Freiherrn von Hofkirchen, was Marbach wieder bitter beleidigt. V. E. I, f. 352 und IV, Nr. 50. — Marbach: 26. IV. 1572, pag. 41 ff. Th. A. 33. — Vgl. dazu den wütenden undatierten (Mitte 1572: seit drei Jahren läge der Schulkonvent brach) Brief des Dasvpodius (an W. S. Wurmser?), Th. A. 22, 2. — Uber die Epistolae: Sturm an Beuther, 26. III. 1571. — F.-E. pag. 169. — Sturm, 17. VII. 1572, fol. 39ff. Th. A. 33. — F e c h t , pag. 361 ff.: docendi via et ratio Sturmiana nusquam apparet. Das Stocken des Schulkonvents zeigt das Scholarchenprotokoll und wird besprochen: Sturm, 17. VII. 1572, f. 12ff; Marbach, 26. IV. 1572, pag. 8; Th. A. 33. Im wöchentlichen Konvent läßt der unwillige Sturm sich leicht aus dem Feld schlagen. Marbach wenigstens berichtet, daß der Rektor »allerwegen jemands an sein statt (zum wöchentl. K.) verordnet habe«. Antwort auf die Deklarationsschrift 1572, pag. 178 bff. Th. A. 32. — Am 30. VI. 1570 (Scholarchenprotokoll f. 34 bff.) findet eine DekanNeuwahl statt, ohne daß sie aber einen praktischen Erfolg hat. Marbach bleibt im Amt — zu seinem Leidwesen, wie er später beh a u p t e t : Antwort auf die Deklarationsschrift pag. 198 bff. Nach seinen eigenen Aussagen kann er nie das geringste dafür, daß er über die Schule einen ihm so durchaus vorteilhaften und selbstherrlichen Einfluß gewonnen hat. Nach Sturm handelt der Superintendent aus eitler Bosheit. ') 26. III. 1571.

F.-E. pag. 169.

S o h m , Schule und Kirche Straßburgs.

17

258

6. Kapitel.

Verfeindung Marbachs und Sturms.

Schreiber zusammen. Aber ihre Vermittlungsvorschläge (Konvent, Berufungen, Kollegien) wies der Superintendent zurück, da solche Dinge der Obrigkeit zu reformieren zuständen. Gewiß! Wenn nur er nicht der einzige gewesen wäre, der die Schulherrn zu einem Eingehen auf eine Reformation hätte bewegen können. Er schützte eine Unzuständigkeit vor, die den Tatsachen Hohn sprach, aber ebenso korrekt wie vorteilhaft für ihn gedacht war. Jede Vermittlung hätte für ihn einen Verlust bedeutet, so vortrefflich war er gestellt. Auch nützte Sturm es nichts, eine ausführliche Deklarationsschrift einzureichen. Mischten sich doch die Schulherrn immer von neuem in die Verhandlungen der Kommission — wir dürfen vermuten, zugunsten Marbachs. Da entschlossen sich die Vermittler nach einem Jahre (10. März 1572), das Werk dem Rate anheimzustellen 1 ). Jetzt schien das Glück Marbachs sich zu wenden. Vier Tage später starb Karl Müg. Als dann am 30. März Ratsherren dem Rektor und dem Superintendenten befahlen, sich fortan in den Grenzen ihres Amts zu halten, nutzte es Marbach nichts mehr, »seinem Brauch nach eyn lang oration« zu halten und die verordneten Herren zunächst nicht ganz zu verstehen (»das ist zu teutsch verstehn wollen«)2). Mochte der Herr Dekan es auch noch einmal wenige Tage darauf (2. April) mit einem eigenmächtigen Privatkonvent versuchen unter dem Vorwande, die Visitatoren zu befragen, wie er es diesmal mit seiner Rede in progressionibus (Osterversetzung) halten solle — im Rat erhob man Klage: »das es Marbachio mehr umb das ") Sturm, 17. VII. 1572, f. 12ff.; Marbach, 26. IV. 1572, pag. 7ff. — Rh. X X I , 10. III. 1572 bei F.-E. pag. 172. 2 ) Mügs Tod nach: Bürgerbuch I. (Stadtarchiv) entgegen E n g e l , l ' a c a d é m i e , pag. 204. — 29. III. 1572. Rh. X X I . F.-E. pag. 172. — Die Bemerkungen des Stadtschreibers Gerbel: Rh. X X I , 2. IV. 1572, f. 300 bff.

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Streit und Entscheidung.

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M a g i s t e r i u m , denn umb das M i n i s t e r i u m zu thun«. Man verbot ihm die Rede und beschloß, auf einen neuen Dekan zu denken und endlich die Schulreformation zu beginnen. »Mit seuffzen« hörte Marbach diesen Bescheid und den Befehl, »das der Herr Rector sein Ambt verrichten, die philosophicas und classicas lectiones secundum leges ßcholae et A c a d é m i c a s et C l a s s i c a s epístolas solle bestellen«, ungehindert von Marbach. Er meinte, er hätte nicht gewußt, daß des Rektors Amt so weit reiche (!). Am nächsten Tage schon (9. April) wählte der Rat zwei aus seiner Mitte, die fortan am Schulkonvent teilnehmen sollten, und eine Woche später (16. April) fand der entscheidende Konvent statt, in dem Marbach seines Dekanats entsetzt wurde. Er empfand es als bittere Kränkung, nicht minder als die Entziehung der feierlichen Aktusrede zur Osterversetzung. Hatte man doch auch von der Konventssitzung die letzten von ihm begünstigten Professoren ausgeschlossen, »dieweil sie leges scholae noch nicht geschworen« 1 ). Aber trotz dieser Erfolge Sturms kam es weder in den Kollegien noch in der Schule zu einer Besserung des Zustandes. Dem ermüdeten Rektor fehlte die freudige Arbeitskraft, und der Superintendent besaß in Heinrich von Müllenheim noch einen allzu festen Rückhalt. Er durfte die Behauptung wagen, daß dem Rektor n i c h t befohlen sei, die Schule secundum classicas et académicas epístolas anzurichten 2 ). In den Kollegien schadete Sturm sich selbst durch ein temperamentvolles, aber zweck») Rh. X X I , 1572 5. IV. (f. 31"ff.), 8. IV. (f. 322ff.), 9. IV. (f. 329ff.), 16. IV. (f. 352 b ff.). *) Pappus (s. u. pag. 278, Anm. 1) an die beiden Brüder Marbach, 21. V. 1572, in: F e c h t , pag. 363. Hier fälschlich unter 1571. — Sturm an Gerbel, 20. IV. 1572. F.-E. pag. 178. — Rh. X X I , 6. II. 1573 (f. 83 b). — F.-E. pag. 183, 3. X. 1573. 17*

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6. Kapitel.

Verfeindung Marbachs und Sturms.

loses Dreinfahren zwischen die vom Superintendenten beschirmten Stipendiaten 1 ). Ein Mißerfolg Marbachs allerdings war es, daß am 20. Oktober 1572 ein Verwandter Sturms: Karl Lorcher, an Stelle Karl Mügs zum Schulherrn gewählt wurde 2 ). Aber es währte doch noch ein Jahr, bis unter Lorchers, des derzeitigen Ammeisters, Führung endgültig des Rektors Sache die Unterstützung der Obrigkeit gewann (3. Oktober 1573). So quälte sich der erbitterte Gegensatz, in den Luthertum und Humanistenschule geraten waren, durch Jahre hindurch ohne eine gesunde Lösung — abhängig von den Fragen persönlichster Beziehungen zu Ratsherrn oder Lehrern, und abhängig von einer schwerfällig arbeitenden, fast interesselos scheinenden Obrigkeit. Und dem äußeren umständlichen Verlauf des Kampfes entsprachen langatmige, wortreiche Schriften, in deren unerquicklichem Hin und Her die Gegner sich erschöpften. Aber diese Schriften sind es doch auch, die uns wieder hinführen zu dem wertvollen Kern der Streitigkeiten und ihre Kleinlichkeiten anknüpfen an die großen Namen eines Erasmus und Luther. Haschen wir hier den Hauch der überragenden Geister auch nur in entlegenen Winkeln, so ist doch gerade die Aufspürung einer solchen Fernwirkung von eigentümlichem Reiz und zeigt uns den Grad, in dem die G e s a m t h e i t eines Zeitalters von bestimmten Ideen durchtränkt war 8 ). x ) Vgl. Marbachs Supplikation vom 29. VII. 1572 an die Schulherrn. Th. A. 32. — Sturm. 17. VII. 1572. f. 66 b 69. Th. A. 33. Marbach, Wahrhafte Verantwortung. 1573. f. 103 b. Th. A. 32. *) Rh. XXI. 21. VII. 20. X. s. p. ") Die Angaben bei S c h m i d t (la vie pag. 175 ff.) über die gewechselten Streitschriften sind unrichtig. Ihre Folge, Veranlassung und Titel sind vielmehr diese: 1. S t u r m s D e k l a r a t i o n s s c h r i f t an die verordneten Herren. Ende 1571. Nicht mehr erhalten. Doch zu rekonstruieren aus Marbachs Antwort. S. u. Nr. 8. — 2. Dr. Johann M a r p a c h s schrifft warumb

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Streit und Entscheidung.

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F r a g l i c h g e n u g a l l e r d i n g s w a r der A n g r i f f , d e n Marbach g e g e n S t u r m e r ö f f n e t e , i n d e m er d e n R a t ü b e r zeugen w o l l t e , d a ß des R e k t o r s A b s i c h t e n auf eine S c h u l reform z u m V e r d e r b e n der S t r a ß b u r g e r K i r c h e , S c h u l e und O b r i g k e i t gareiche 1 ). E s w a r nur M a r b a c h s K i r c h e und n i c h t die K i r c h e J a k o b S t u r m s u n d B u t z e r s , der ein E n d e bereitet w o r d e n wäre, w e n n der h u m a n i s t i s c h Herrn Johann Sturmii Rectoris furhaben zu Zerrüttung der Schulen usw dienen werde. Th. A. 33. Übergeben an den R a t 26. IV. 1572 (Rh. X X I , f. 382ff., ebenda 12. V., 14. V. s. p.). Am 14. V. Verlesung. Vgl. die gleichzeitigen Briefe des Pappus bei F e c h t. — Entstanden ist die Schrift auf Befehl der Ratsherrn. (Rh. X X I , 8. IV. 1572, f. 322ff. am Ende.) Eine Einforderung von Gutachten, wie Schmidt 1. c. sie schildert, hat nicht stattgefunden. Die Unrichtigkeit der Daten bei Schmidt ergibt sich aus obigem. — 3. Warhaffte bestendige V e r a n d w o r t u n g . . . . R e k t o r i s und Konsorten. Gegen Nr. 2. Th. A. 33. Übergeben bei Rh. X X I , 6. IX. (s. p.). Verlesen 8. X. (s. p.). Sturm bittet um Übergabe von Nr. 2 am 21. V. (Rh. X X I . s. p.), erhält sie 11. VI. (1. c. s. p.). Entstehungszeit?: pag. 66 b wird der 16. VII. als »gestern« erwähnt. Danach zitiert als: Sturm, 17. VII. 1572. — 4. S t u r m übergibt gleichzeitig (6. IX.) eine lateinische Schrift gleichen Inhalts wie Nr. 3, die jedoch nicht erhalten ist. — 5. S t u r m übergibt schon am 22. VII. 1572 den Schulherrn eine Verantwortung. Nicht erhalten. Erwähnt in Marbachs Supplikation vom 10. X I I . 1572. Th. A. 32. — 6. M a r b a c h : Supplikation an die Schulherrn. Übergeben: 29. VII. 1572. Th. A. 32. — 7. M a r b a c h : Supplikation, am 10. X I I . 1572 vor dem Rat verlesen. Th. A. 32. Entwurf und Reinschrift. — 8. M a r b a c h : Antwort auf Sturms Deklarationsschrift (s. o. Nr. 1). Undatiert. Aber um das Ende 1572 verfaßt; p. 289: Sturm könne nun schon ein % Jahr lang reformieren. Th. A. 32. — 9. M a r b a c h : Kurtze . . . . Antwurt usw. Th. A. 32. — 10. M a r b a c h : W a r h a f f t e . . . Verantwortung. Th. A. 32. — Nr. 8, 9 und 10 werden am 3. VI. 1573 vor Rh. X X I übergeben (Rh. XXI, f. 381), am 13. VI. an Sturm und Konsorten überliefert. (Rh. X X I , f. 405 b.) — 11. In Nr. 10, f. 84 wird erwähnt eine Epistel des Schulkonvents an Dasypodius »von den inengeln und fehlen in den classibus«. — 12. Schmidt, pag. 177, Anm. 1 und pag. 56, 2 zitiert eine nicht auffindbare Schrift: »Fehl und mängel der straßburger Schulen«. 1

) In seiner Schift: oben pag. 260, Anm. 3, Nr. 2.

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6. Kapitel. Verfeindung Marbachs und Sturms.

kalvinische Geist der Schule ungehindert auf die Stipendiaten und Kollegiaten hätte wirken und sich im Kirchenkonvent einen Platz hätte verschaffen können. Die ehrwürdigere Tradition stand auf Seiten Sturms. Auf Seiten Marbachs standen die Prinzipien der Glaubenskirche, die sich nicht scheuten, gegen diese Tradition der Humanität und Liebe zu kämpfen und deren Vertreter es auf sich nahm, den Gegner als den schuldigen Teil, als Zerstörer hinzustellen. Marbach hatte die Energie lutherisch zu sein, zugleich aber die Stirn, sich in verschlagener, salbungsvoller Polemik als die leidende Unschuld hinzustellen. Er war der Neuerer. Darum war auch er der Schuldige. Nicht viel besser stand es um seinen Vorwurf, daß Sturms Absicht, die Rechte des Schulkonvents zu steigern, der Obrigkeit Abbruch täte. Als Sturms Forderungen später erfüllt wurden, zeigte sich keine von den schlimmen Folgen, die Marbach dem Magistrat vor Augen gemalt hatte. Er, der die Schulherrn beherrschte, durfte sich selber sagen, daß es hier auf die Männer, nicht auf Paragraphen ankam. Er wußte aber auch, daß ein ehrsamer Rat für nichts empfänglicher war als für dergleichen Warnungen. Heinrich von Müllenheim war- ein Opfer seiner Verhetzung 1 ). Am wertvollsten muß uns werden, was Marbach gegen die Schule und ihren Geist zu sagen wußte, denn indem hier letzten Endes seine Gedanken über die Teilnahme der Lehrer am K i r c h e n k o n v e n t sich begründeten, treten wir an dieser Stelle unmittelbar auf den Kampfplatz zwischen Kirche und Schule. Hier traf der doppelseitige Angriff beider Institute am heftigsten aufeinander. Hier auch, im Lager des Humanismus, findet manches seine Entschuldigung, was wir eben in Marbachs Polemik als in der Polemik eines Kirchenmannes bitter empfinden mußten. ') S. o. pag. 254 f.

2. Abschnitt.

Streit und Entscheidung.

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Die dialektisch-rhetorische Schulung der sapiens et eloquens pietas muß uns bewußt bleiben, wenn wir den literarischen Kampf zwischen Marbach und Sturm verstehen wollen. Keiner Partei darf man trauen, denn die Verdrehung der Tatsachen galt als K u n s t und nur beim Gegner als Gemeinheit. Die K u n s t f o r m der Invektive verlangte persönliche Eitelkeit, schrankenlosen Haß. Das Luthertum bekämpfte in Marbach den eloquenten Humanismus mit den Waffen der Eloquenz. Man merkt, daß der K i r c h e n mann in die S c h u l e gegangen war. Wie er aber diese Schule angriff und diese Schule sich verteidigte, so wie das Altertum es lehrte: bald in plumper, bald in feiner Satyre, suchte man die W e r t e des Feindes zu treffen. Der Spott der einen Partei wird uns zum besten Quellennachweis für die Kulturideale der andern. In bizarrer Verschnörkelung zeigen uns die Streitschriften die Probleme deutscher Renaissance, deutscher Reformation. In grotesker Weise treten uns P r e d i g t a m t und 0 r a t o r entgegen und führen uns in den Kampf um den Straßburger Kirchenkonvent. Marbachs Schulkritik 1 ) erklärte, daß die epistolae classicae wohl ein schönes Muster wären, aber nicht zu verwirklichen seien, denn sie setzten S c h ü l e r voraus: »dergleichen allweg under 1000 kaum ein knab zu finden«, und L e h r e r , die »Sturmii sein müßten, das ist, in der R e d e k u n s t , der P h i l o s o p h e i und a l l e n andern fürnembsten authoribus zum besten erübet. — Aber *) Vgl. E n g e l , l ' a c a d é m i e , pag. 201. — Uber sachliche Mängel: Marbach, 26. IV. 1572, pag. 177f; pag. 181: 4. Punkt: Läßt wie des Erythräus Gutachten eine Vernachlässigung der Resolutionsmethode erkennen. — Sturm, 17. VII. 1572, pag. 60 b, 65 b gibt diese Mängel zu. —• Marbach unterwirft auch die vier Professoren: Tuppius (Jurist), Beuther (Historiker, Jurist, Mathematiker, Physiker), Wilfesheim (Jurist und Philologe) und Dasypodius (Konrad, Mathematiker) einer bitteren Kritik, der Sturm nichts schuldig bleibt. Die vier Genannten bilden Sturms »Konsorten«.

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6. Kapitel.

Verfeindung Marbachs und Sturms.

Sturmius ist wohl mit hochen dingen und großem fürgeben, wenn ihm aber der classen uffgang recht und mit ernst angelegen, so mußte ers an andern orten angreifen« 1 ). Der Idealismus Sturms, der auf u n i v e r s a l e Bildung drängte, wurde abgelehnt und in seinem Schwung und in seiner Weltfremdheit getadelt. Und wenn trotz allem Sturm zwischen den Zeilen doch immer wieder ein Lob seiner Vielseitigkeit erhielt, so verletzte ihn Marbach wiederum dadurch, daß er immer wieder hervorhob, wie der Rektor doch n u r ein Orator, nur ein philosophus sei, der von den »andern faculteten« nichts verstand. Ist es ein Zufall, daß Marbach sich rühmte, kein »Orator« zu sein, und es betonte, daß es ihm auf ein ciceronianisch Latein nicht allzusehr ankäme 2 ) ? Und mit dem engherzigen Fakultätsbegriff trieb der Superintendent die Lehrer aus dem Kirchenkonvent! »Sind sie doch k e i n e T h e o l o g i und Ihres beruffs halben in k e i n e m k i r c h e n a m p t e ! « »Oder meinen sie . . . . weil sie gutte Ciceroniani, Aristotelici, Euclidisten und Juristen sind . . . . das sie darumb auch gutte Theologi seyen ?« Der K i r c h e n k o n v e n t der G e i s t l i c h e n habe vielmehr das Recht, auch die studia und exercitia Theologica in der S c h u l e zu leiten 3 )! — Wie ging Sturms Kritik und Absicht genau den entgegengesetzten Weg! Der eloquente Schwärmer verspottete den nüchternen Gegner, der »alles so genaue protokolliert und inn seine schrifften noch gefallen bringen kann«, — »der kaum drev wort Latin recht und ungefehlt reden oder schreiben kann«, — der ebenso wie seine Stipendiaten (dank ihrer deutschen Predigten) es in den (klassischen) Sprachen und guten Künsten fehlen ») 26. IV. 1572, f. 175ff. ) Antwort auf Sturms

2

Dekl. - Schrift,

pag. 239 b,

300,

300 b. 8

) Marbach, 3. VI. 1573, Warhaffte . . . Verantwortung, f. 78b. — Marbach, Kurtze Antwort, 3. VI. 1573.

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Streit und Entscheidung.

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ließ 1 ). Gegen diesen Gegner setzte Sturm das Bild des universalgebildeten Rektors, der verantwortlich war auch für die Leistungen der t h e o l o g i s c h e n Fakultät — ein Bild, wie es schon 1567 sein Gutachten gezeichnet hatte. In solchen Gedanken mußte er sich fühlen als der Hüter der Bildung in der Stadt und die Aufnahme der Lehrer in den Kirchenkonvent fordern 2 ). Wenn dem vir bonus et doctus kein Recht in der Kirche gegeben wurde, dann fehlte der Sturmschen Eloquenz und seiner Schule, so wie sie 1538 gedacht war, das edelste Ziel. Wenn die Glaubenskirche in dem Dienst an Wort und Sakrament den Humanisten berücksichtigt hätte, wäre ein unwesentlicher Wert in ihr heiligstes Gebiet eingedrungen. Das sind die beiden Gegensätze, die letzten Endes auch die Schriften Sturms und Marbachs aus den Jahren 1571—1573 scheiden. — Zwischen den Gegnern selbst schien eine sachliche Versöhnung kaum möglich. Wie entschied die Obrigkeit, als sie mit ihren Machtsprüchen endlich im Oktober 1573 in den Streit eingriff? Das Ideal des Laienpriestertums, wie es der vir bonus et doctus vertrat, mußte ihr entgegenkommen; das Ideal der Glaubenskirche hatte ihr schon 1563 das Heft aus der Hand gerissen. Ihre Entscheidung stellt einen Kompromiß dar, der so weit wie möglich zurückgreifen wollte auf gute alte Straßburger Zeiten, der Erfolge brachte für Schule, Obrigkeit und Kirche, und doch nur wieder zeigte, daß die großzügige Gemeinschaft der Vergangenheit überwunden war durch ») Sturm, 17. VII. 1572, f. 6 b, 11, 29 b, 71, 61b, 32 b. ') Sturm 1. c. f. 59, 68 b. — Sturm an Nervius, 16. III. 1572. K. St. — In der Auffassung des Rektoramts zeigen sich jetzt die schon 1538 angedeuteten Schwierigkeiten. Sturm an Nervius, 16. III. 1572. K. St.: Solida autem erit concordia, si senatus consultum locum habeat de ecclesiastico conventu. — Ebenso: Sturms Deklarationsschrift (vgl. Marbachs Antwort), Punkt 11 und 17. VII. 1572, f. 53.

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6. Kapitel. Verfeindung Marbachs und Sturms.

einen neuen, in sich berechtigten Stil des geistigen Lebens. Wie ein voller Sieg des Humanismus erscheint das, was der Rat über die Schule verordnete. Am 4. November 1573 wurde Marbach vollständig aus der Verwaltung der Kollegien entfernt. In der Haushaltung traten Schulherrn und obrigkeitliche Pfleger an seine Stelle. In der Aufnahme der Stipendiaten und in der Aufsicht über deren mores, disciplina und studia erhielt neben den Schulherrn endlich der S c h u l k o n v e n t sein ersehntes Recht. Die Schule wurde fortan durch Schulorgane regiert. Von der Kirche als solcher, geschweige von einem Superintendenten war nicht die Rede 1 ). Aber nicht nur in Verfassungsfragen, auch in seinen wissenschaftlichen Absichten kam man dem Rektor zu Hilfe. Die Kollegien wie die Schule sollten jetzt reformiert werden ex praescripta methodo legum, item epistolarum classicarum et academicarum 2 ). Es entzieht sich unserer Beobachtung, wieweit im einzelnen die Reorganisation durchgeführt wurde. Aber ein frischerer Zug läßt sich im Schulleben deutlich spüren. Ja, es gelang Sturm in Henning Oldendorp einen Professor des Hebräischen zu gewinnen trotz Marbachs Warnung vor dem Kalvinisten. Des Superintendenten Einfluß hier wie in den Kollegien war gebrochen, ein unerträgliches Eindrängen der 1

) F.-E. pag. 184(f. — E n g e l , l ' a c a d é m i e , pag. 208. — Bei der Untersuchung der finanziellen Verwaltung der Kollegien werden für Marbach höchst peinliche Umstände ans Licht gebracht. E n g e l 1. c. pag. 210. *) In diesen Zusammenhang gehört das bei F.-E. undatiert wiedergegebene Programm für die Kollegien, das S c h m i d t (la v i e , pag. 176, Anm. 1) unrichtig in eine Parallele zu Marbachs Schrift vom 26. IV. stellt und auf den 30. III. 1572 legt. Die Datierung n a c h dem 4. XI. 1573 (s. o.) ergibt sich aus dem Abschnitt: De personis . . ., doch bringt der Ausdruck: revocato maiorum instituto das Schriftstück unmittelbar in diese Zeit.

2. Abschnitt.

Streit und Entscheidung.

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Kirche in die Schule zurückgeschlagen 1 ). Es gab jetzt Statuten, die die Kirche formell in Erziehungsfragen rechtloser machten, als sie es tatsächlich zu Zeiten Butzers und Hedios gewesen war. Dieser Verlust ist Marbachs Schuld. Durch ihn wurde die kirchliche Färbung, die in den ersten Jahrzehnten die Schule der sapiens et eloquens pietas mit Stolz trug, in geschickter aber kleinlicher Weise gebraucht, das Schulwesen der Kirche weit unterzuordnen. Indem er den Kampf aufnahm und geschlagen wurde, trug er bei zu einer bewußten Scheidung beider Gebiete. Von hier aus aber wird Sturms Sieg ein Pyrrhussieg. Stahl eine solche Trennung nicht insgeheim der »weisen und beredten Frömmigkeit« die Lebenskräfte? Wurde Marbach klagt in seinen Schriften 1574 und 1575 (s. u.) sehr über die »neuen Schulstatuten«, die nach ihm (Th. A. 33, s. d. e. a. [1575] s . u . ) nicht nur die Kollegiaten der theologischen Aufsicht entziehen, sondern auch die theologischen Disputationen (!) »nicht dem Kirchenkonvent (!) sondern dem urteil der mer Stimmen deß Schulkonvents« unterstellen. Ebenso spricht er am 20. I. 1575 davon, daß die B e r u f u n g der Theologieprofessoren »dem Schulkonvent heimgewiesen«. (Th. A. 33.) Da er jedoch e b e n d a auch von einem Befehl der Obrigkeit, die Schulprofessoren in den Kirchenkonvent a u f z u n e h m e n , als von einer vollzogenen T a t sache redet, — dieser Befehl aber nur bis zu einem E n t w u r f , nicht zur A u s f ü h r u n g gekommen ist (s. u.), so m u ß man auch gegen die Mitteilung über die Berufungsfrage skeptisch sein. J e d o c h erw ä h n e n auch die gleichzeitigen Schriften S t u r m s und der Obrigkeit (Th. A. 33) eine R e f o r m a t i o n der Schulstatuten, die dem Schulk o n v e n t die gewünschten R e c h t e zugesteht. — Die S t a t u t e n von 1604 (F.-E. pag. 294, P u n k t 9) geben dem Schulkonvent Anteil an den Berufungen. — Über die Schulreformation: E n g e l , l'a c a d e m i e pag. 212, 221. — Die Angabe F.-E. pag. 214, A n m . 1 über die Scholarchen ist zu korrigieren nach O. VV i n c k e l m a n n , Z. f. G. pag. 609. — S t u r m , zu dieser Zeit voll frischen Mutes, d e n k t j e t z t d a r a n , den E p p . class. und acad. zwei weitere p r o g r a m m a t i s c h e Schriften folgen zu lassen: 1. I I I . 1574 a n die Scholarchen: Vorrede zu: Oratio de honoribus academicis etc. r e c i t a t a a Val. E r v t h r a e o etc. S t r a ß b . Nik. Wvriot 1574, 4°.

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6. Kapitel. Verfeindung Marbachs und Sturms.

der vir bonus et doctus nicht durch die gleichen Statuten, die ihn von der Kirche befreiten, auch von der Kirche ausgeschlossen ? Zwei Möglichkeiten aber waren ihm ideell 1 ) gegeben und in Straßburg praktisch durch die Kirchenordnung von 1534 zugestanden worden, das Recht des Laien in der Kirche zu wahren. Die Regierung der Kirche durch die O b r i g k e i t als Kirchenherr und die Teilnahme der Bildung am Kirchenkonvent konnten ihm Ersatz bieten für eine Entfernung der Kirche aus der Schule. In beiden Fragen brachten die Jahre 1574 und 1575 die Entscheidung. Am 9. Dezember 1573 traten vor Rhät und X X I Abgeordnete des Kirchenkonvents für ihren gemaßregelten Superintendenten und die Würde des ministerium ecclesiasticum ein. Einen Monat später (6. Januar 1574) erteilte der Rat eine Antwort, in der er völlig unerwartet die Superintendentur Marbachs verneinte und dieses Amt für sich beanspruchte 2 ). Bedeutete dies eine Rückkehr zu den Zeiten Jakob Sturms ? Formal gewiß, aber sachlich zeigte sich deutlich, daß für ein humanistisches Schulwesen trotz dieser Wendung in Straßburg kein günstiger Umschlag der Entwicklung zu hoffen war. Nur »nach guttem, vilem, sc hönem leben auch aller gemüttlin genugsamer erküelung« war der Ratsbeschluß gefaßt worden. Es hatte Kampf gekostet, ihn durchzusetzen. Und war hier auch die Partei Marbachs unterlegen — es gelang ihr doch wenigstens, eine Antwort zu S. o. pag. 119ff. ) Die Supplikation der Prediger bei: F.-E. pag. 18"ff. — O. W i n c k e l m a n n , Z. f. G. macht pag. 640 ff. zuerst auf die wichtige Ratserkenntnis aufmerksam und bringt ihren Hauptteil im Abdruck. Der pag. 640, Anm. 2 betonte Widerspruch hebt sich nach unserer Darstellung, s. o. pag. 174. — Die Ratserkenntnis vom 6. I. 1574 in Rh. X X I , Vol. 1573, f. 878ff. — Der im folgenden besprochene Bedacht: Th. A. 46, 2. 2

2. Abschnitt.

Streit und Entscheidung.

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geben, die gerade zwinglisch gehaltene Stellen unterdrückte, wie sie ein Bedacht zu dieser Antwort vorgeschlagen hatte 1 ). Die Betonung obrigkeitlicher Kirchenherrlichkeit war kein Zeichen für eine entschiedene Rückkehr des Rats zur alten schweizerischen Überzeugung. Diese Kirchenherrlichkeit gestand ihr auch das orthodoxe Luthertum in dem ius utriusque tabulae zu. Daß Marbach seiner Superintendentenwürde für verlustig erklärt wurde, bedeutete nur eine Reaktion gegen die Selbstherrlichkeit der Kirche, wie sie der spätere Butzer und Marbach 1562 prinzipiell gefordert hatten. Ja, gerade die Geschichte des Ratsbeschlusses — der Widerstand, auf den er stieß, und die Ausmerzung zwinglischer Gedanken — zeigt uns, welch starken Rückhalt Marbachs Glaubensrichtung unter den Ratsverwandten mit den Jahren gefunden hatte. In dieser Glaubensrichtung aber war kein Grund gegeben, aus dem die Obrigkeit i h r Recht auf das Kirchenregiment ableiten konnte, wie der Humanist es tat, von der Verpflichtung der Ratsperson zur u n i v e r s a l e n B i l d u n g und aus dem Wesen des Staatsmannes, des Orators, des vir bonus et doctus. Ja, es blieb in ihr, ganz anders als bei Zwingli, auch auf religiösem Gebiet An die Kirchenordnung von 1534 (dort wo diese über die V e r h ö r e r spricht!) erinnert der Passus des Bedachts: Es sei »garnicht« meiner Herren Meinung, daß sie (die Prediger) nach oder neben »ihnen (der Obrigkeit) in dieser S t a t t , d a r i n n auch die Kirch und gemeind G o t t e s b e g r i f f e n ein ander Haupt oder superintendens wüßten oder erkenneten ausserhalb Christo der daz einig haubt seiner allgemeinen Christlichen Kirchen«. — Weiter wird gesagt: Die Superintendenturen in den Nachbarstaaten seien durch die Obrigkeit nur aufgerichtet, »aus solcher gefaßter D e m u t , das sie die Oberkeit, denen solche superintendents und auffsehen a l l e i n gebürt, sich zu gering geachtet, inn Kirchendienst Ordnung zu haben«. Hiernach müßte man geradezu von einem Notepiskopat — bei den Predigern sprechen.

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6. Kapitel.

Verfeindung Marbachs und Sturms.

stets ein sachlicher Widerspruch zwischen Magistrats- und Kirchenregierung. Als Diener am Wort waren die P a s t o r e n nach ihrer Theologie »Kirchenherren« und exempt von der Obrigkeit und sahen auch in dieser nichts als nur Kirchenvolk. Die zwinglische Auffassung vom äußerlichen Wort hatte 1534 der Obrigkeit Raum gestattet in der Straßburger Kirche. Die lutherische Lehre vom Predigtamt wurde dadurch, daß der Rat sich am 6. Januar 1574 wieder zum Superintendenten erklärte, in der Stadt nicht beseitigt und ideell nicht überwunden. Es war nichts geschehen, als daß der Normalzustand lutherischer Territorien des ausgehenden 16. Jahrhunderts sich auch in Straßburg gezeigt hatte 1 ). Sturms innere Welt aber stand noch unter dem unmittelbaren Einfluß Erasmischer Renaissancekultur. Aus dem Ratsbeschluß durfte weder seine religiöse Überzeugung noch sein huma*) Marbach erhält (vgl. O. W i n c k e l m a n n , Z. f. G.) 1576 wieder das Recht, sich Superintendent zu nennen. Doch zeigen sich hier charakteristische Gegensätze. Marbach wünscht (Rh. X X I , 27. X. 1576, f. 634 b) »daß ein person verordnet, so die P r ä s i d e n t i a m hatt, u f f s e h e n s hatt dz der K i r c h e n d i e n s t recht bestellet, die S a c r a m e n t e administriert, undt a l l e s in Christlicher Ordnung erhalten werdt«. Der R a t gibt nach, — aber unter dem endlichen Vorbehalt: (Rh. X X I , 1576, f. 669): »dz Presidenten Ampt versteth sich a l l e i n dz er im Konuent die frag hab und Preses seyn soll, ä n d e r s t i s t i n n n i c h t s e i n g e w i l l i g t unnd dz biß uff weythern bescheidt.« — 1565 (Rh. X X I , 24. III, f. 53 bff.) läßt der R a t sich Marbachs Buch (»Christlicher und warhaffter Unterricht« vom Abendmahl) zur Kontrolle vorlegen. Nachdem schon während der Verhandlung sich der Ratsschreiber (Gerbel) über den episcopus (f. 53 b) und »uberbischoff« (f. 56) weidlich geärgert hat, ist der Erfolg (f. 59 b), daß Marbach Vorrede und Titel des Buches ändert »und den Superintendenten haußen gelassen« hat. — Allerdings besteht Marbach in seiner Schrift vom 20. I. 1575 (Th. A. 33) ganz ausdrücklich darauf, daß er »wie bisanherr« Präsident des Kirchenkonvents sei. Dadurch wird um so deutlicher, wie ihm in seiner Petition vom 27. X. 1576 (s. o.) gerade die zweite Hälfte (»uffsehens« usw.) wichtig sein muß, über die aber der R a t hinweg geht.

2. Abschnitt.

Streit und Entscheidung.

271

nistisches kirchliches Ideal Hoffnung auf kräftige Unterstützung schöpfen. Es war unter solchen Umständen nur selbstverständlich, daß des Rektors Auffassung vom Laienchristentum auch in den Fragen des K i r c h e n k o n v e n t s sich nicht gegen das Predigtamt durchsetzen konnte. Vom Dezember 1574 bis Dezember 1575 mühten sich hier die Unterhandlungen hin, um zu einem ganz schwächlichen Resultat zu kommen. Die Parteien stellten gegenseitige Gravamina und Postulata auf 1 ). Rasch einigte man sich in der Vergebung der Beleidigungen (Gravamina; 20. Januar 1575), um so unversöhnlicher blieb man in den Postulata. Denn hier stellte Sturm seine alten Forderungen auf, daß Kirchenkonvent, Kapitel und Schulkonvent aufs neue »freundtlich verschürzet« würden, und verlangte Marbach wie früher eine strenge Scheidung der Kompetenzen »an den vier orten, an denen wir einander antreffen«. Dem K i r c h e n k o n v e n t gebühre die Erziehung der jungen Theologen, da die Gegenpartei »die studia Theologica nichts angehen« und in der Kirche die Lehrer »keinen ordenlichen Stand« hätten. Hier wollte Marbach sie nur »für unsere lieben zuhörer, pfarrkinder und Schäfflein« halten. Das Predigtamt fühlte sich dem Orator völlig überlegen. Welche Stimmung herrschte unter den von beiden Parteien gewählten Schiedsrichtern ? Zwei Vorschläge wurden laut 2 ). Der eine ging ein auf die Wünsche der Schulpartei und forderte, daß j e d e r z e i t drei Mitglieder des Schulkonvents im Kirchenkonvent sitzen sollten. Der andere sprach nur davon, daß der Präsident Sturms Gravamina und Postulata 18. XII. 1574 vor den Schiedsrichtern verlesen. — Beschwerden und Bedenken Marbachs, 18. X I I . 1574. — Beide Th. A. 33. ») Beide Th. A. 33. Der letztere eingeheftet in das Protokoll der Verhandlungen.

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6. Kapitel.

Verfeindung Marbachs und Sturms.

des Kirchenkonvents jährlich zweimal den Rektor und etliche Professoren zur Erledigung p ä d a g o g i s c h e r Fragen in den Kirchenkonvent berufen solle. Dieser zweite Bedacht — er bezeichnete zugleich die fürstlichaugsburgische Konfession als Richtschnur für die Schule — wurde von den Verordneten am 30. Dezember 1574 angenommen. Und nicht einmal dieser zweite Bedacht ließ sich durchsetzen! Marbach zwar erklärte sich unter Protest bereit, ihm zuzustimmen, wenn dafür ihm und dem Kirchenkonvent von neuem Einfluß auf die Besetzung der theologischen Lehrstühle und die Erziehung der jungen Geistlichen gewährt würde. Aber unmöglich durften hier die Schulmänner den in der Schule errungenen Sieg um eine zweifelhafte Stellung im Kirchenkonvent hingeben. Sie wollten im Kirchenkonvent wirkliche membra und »keineswegs als die stummen Personen in Comoediis« sein und wollten dort von ihren discipulis sich nicht meistern lassen 1 ). Da entschloß man sich, als die Kollegiatenfrage, durch Marbach angeregt, von neuem bedenklich in den Vordergrund trat 2 ), die unvereinbaren Postulata aus dem Vertrag zu tun (13. August 1575) und es den Parteien frei Sturmii. . . et consortium resolution. 31. V. 1575. (Th. A. 33.) Hier auch: »Das die s c h u l e mit irer Jugend und trewen Lehren d e r f ü r n e m b s t e t h e i l d e r K i r c h e n ist, dadurch das Ministerium von den gnaden Gottes erhalten würd.« E s scheint nach dieser Schrift, daß den Schulprofessoren im Frühj a h r 1575 ein Konzept ganz in Marbachs Sinne zur Annahme unterbreitet sei. Das Protokoll erwähnt nichts davon. ») Vgl. Rh. X X I , 2. V. 1575 (f. 254) und die eben (Anm. 1) zitierte Schrift. — Dazu Marbach: V. E . X I I I , Nr. 5 s. d. e. a. ( 1 5 7 5 : Vor zwei Jahren seien ihm, M., die Kollegien abgestrickt) und Marbach: Th. A. 33, Konzept, desgl. Th. A. 46, 2 Reinschrift: »Bericht, daß die Theologi und Kirchendiener alhie den Philosophis in schola nicht underworffen«. Hier fälschlich 1574. 1575 ergibt sich aus dem Eingang: Man ist in den Privatsachen (Injurien) schon verglichen.

2. Abschnitt.

Streit und Entscheidung.

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zu stellen, diese vor den Rat zu bringen. Nur betreffs der Injurien versöhnten sich Schule und Kirche am 28. Dezember 1575. Von den Postulata hörte man nicht mehr, als das Sturm murrte: sie seien gesetzt gewesen: ne Marbachius imposturam (BetrugI) faciat, quam hactenus fecit 1 ). Ein völliges Ermatten humanistischer und Alt-Straßburger Ideen zeigte sich in diesem resignierten Ende des Streites zwischen Sturm und Marbach. Wie in die Akademie der Fakultätsgeist eingedrungen war, so trennte man jetzt auch Schule und Kirche. Der Lehrer zählte von nun an wie jeder andere Laie unter das Kirchenvolk. Und die Entscheidungen der Obrigkeit und der Vermittler bewiesen, daß der städtischen Stimmung diese Entwicklung selbstverständlich geworden war. Was hätte auch geschehen können ? Wäre es wirklich noch ein Glück für Straßburg gewesen, wenn der Humanismus in den Kirchenkonvent zurückgekehrt wäre ? Wenn er überhaupt wirken wollte, so mußte er die ersehnte Konkordie erst in erbittertem Kampf mit dem Luthertum erringen. War die Eloquenz zu diesem Ernst bereit ? Und durfte die Obrigkeit diese Unruhen wagen in der Hoffnung, daß der Humanist nicht nur die Orthodoxie niederzwang, sondern auch eine gleichwertige, geklärte religiöse Überzeugung an ihre Stelle setzte ? 1561 war in der Mitte der Professoren ein bedeutender Theologe, ') Der Vertrag bei F . - E . pag. 198. Er hat die Form vom 31. X I I . 1574, wodurch sich die Nennung Gerbeis (f 26. VIII. 1575, Rh. X X I , f. 502) erklärt. Nur die Postulate sind ausgelassen. Nach der Versöhnung wird es den Parteien frei gestellt (Protokoll): »Da sie waß ferner den statum s c h o 1 a e betreffen (!) von p o s t u 1 a t i s vorzupringen«, daß sie dies am nächsten Samstag tun sollten, wenn der Vertrag dem Rat vorgelegt werden würde. Im Ratsprotokoll finden sich an der entsprechenden Stelle (Rh. X X I , 1575, f. 789ff.) nur zwei und eine halbe leere Seite. Der Vertrag Th. A 33 trägt den Vermerk: Verlesen, versprochen und cautioniert by Rheten und X X I . S o h m , Schule und Kirche Strasburg.

18

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7. Kapitel.

Sieg der Orthodoxie etc.

Zanchi, gewesen. Jetzt handelte es sich um Juristen, Mathematiker, Philologen. Sturm allein, sein Gutachten zur Akademie zeigte es, trug noch die starke humanistische Laienfrömmigkeit in sich, die in den ersten Jahrzehnten der Reformation ihre Nahrung gefunden hatte. Sturm aber war alt, und sein Pathos hatte sich nicht in die neue Zeit vererbt. Es wurde nicht mehr verstanden und nicht mehr gebilligt. Der Rektor stand auf einem verlorenen Posten.

7. Kapitel. Der Sieg der Orthodoxie und Sturms christlicher Humanismus. 1. Abschnitt. Der Kampf zwischen Sturm und Pappus. (1578—1581). Im letzten Kampfe Sturms mit der lutherischen Geistlichkeit Straßburgs fanden zwei Aufgaben ihre Lösung, die sich unmittelbar aus unserer Erzählung ergeben und zugleich in ihrer Bewältigung unsere Darstellung zu einem inneren Abschluß bringen. Die Glaubenskirche mit ihren Gnadenmitteln an Wort und Sakrament, so wie sie seit Butzers Tagen entstanden war, hatte sich endgültig mit der Stadt Straßburg, mit ihrer Obrigkeit und ihrer Schule auseinanderzusetzen, um nach den Wirren der letzten Jahrzehnte endlich ein in siel; nach Möglichkeit klares und für Jahrhunderte dauerhaftes Verhältnis des geistigen Lebens zu konstituieren. Andererseits aber stand, je dringender und notwendiger ein solches Bedürfnis uns nach allem Vergangenen erscheinen muß, der Humanist Sturm vor der ungleich schwereren Aufgabe, diese unumgängliche Entwicklung, innerlich verpflichtet, wie er war, zu bekämpfen und die unvermeidliche Niederlage geistig mit den Kräften seines christlichen Humanismus zu überwinden. Er hatte die

1. Abschnitt.

Der Kampf zwischen Sturm und Pappus.

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sittlich-religiösen Kräfte seiner Eloquenz im Dulden seines Schicksals zu bewähren. Den Anstoß zum Kampf, der solche Aufgaben mit sich brachte, gab die Frage, ob die Reichsstadt Straßburg die Konkordienformel unterschreiben wolle oder nicht. Es war die letzte Lehrentscheidung, vor die die Obrigkeit im Reformationszeitalter gestellt wurde. W i e setzte sich hier der M a g i s t r a t , der auf sein ius utriusque tabulae pochen durfte, auseinander mit dem Predigtamt, das religiös sich durch keine weltliche Macht binden lassen konnte ? Wie fand hier die B i l d u n g der S t a d t sich ab mit der Sakramentslehre der Ubiquität, die jedem natürlichen Verstände Hohn spricht ? Und wenn es schon in diesen Fragen die mannigfachsten Bündnismöglichkeiten zwischen Obrigkeit und Bildung (Humanisten-Schule) gab — war doch der Orator geneigt, dem gebildeten Staatsmann die Kirche anzuvertrauen, und lebten doch in der Mitte der Ratsverwandten Gesinnungsgenossen Sturms — , so mußten endlich Magistrat und Schule gemeinsam sich entscheiden, ob sie einer abschließenden und intoleranten G l a u b e n s kirche nicht widerstehen wollten im Namen der L i e b e , die zu Butzers Zeiten Obrigkeit und Lehrer ins Kirchenregiment aufgenommen und ihre schönen Früchte der Duldung getragen hatte. Die Unterschrift unter die Konkordienformel, so wie sie auf Ansuchen Württembergs am 2. September 1577 zum ersten Male vor dem Straßburger Rat gewünscht wurde 1 ), bedeutete den Anschluß an die Lehre von der Ubiquität und zugleich an ein Verdammungsurteil über alle nicht streng lutherischen Glaubensrichtungen. Das Ubiquitätsdogma war der letzte Schritt, den das Luthertum wagte, die irrationale Objektivität seines seligmachenden Kirchendienstes vor aller Welt ohne Rh. X X I . 1577 f . 535 ff. 18*

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7. Kap. Sieg der Orthodoxie etc.

Zaudern und Möglichkeit einer Ausflucht zu bekennen. Es bedeutete nichts anderes, als daß man nicht davor zurückscheute, auch die letzten Konsequenzen aller Voraussetzungen der Glaubenskirche wissenschaftlich in einem grotesken und unästhetischen Paradoxon auszusprechen. Grundlegend blieb die tiefe Absicht, jede rationalisierende Subjektivität aus dem Glaubensleben auszuschalten. Und es schritten Männer ans Werk, diese Lehre vom Gnadenmittel zu verteidigen, die selbst als Prediger sich als Instrument der Gnade empfinden mußten und hier mit gleicher kühner Rücksichtslosigkeit nicht davor scheuten, den süßen Kern innigster religiöser Gedanken mit einer abschreckend harten Schale zu umgeben. Das lutherische Predigtamt — wie köstlich ist die Lehre, daß durch eigenes Glaubensbekenntnis (was anders soll die Predigt sein ?) dem Bruder Gott gegeben werden kann — das lutherische Predigtamt zeugte Gestalten und Männer, unter deren groben Händen jede Zartheit der Religion zu schwinden scheint. Und doch zwingen diese Männer uns selbst immer wieder, ihr Wesen zu messen an der Tiefe lutherischen Glaubenslebens, und das ministerium verbi für sie zu einer Folie werden zu lassen, die in ihrer Feinheit jeder kalvinischen Orthodoxie fehlen muß. Wir haben Marbach kennen gelernt in seinen Überzeugungen (auch vom Predigtamt) und in seinen Taten. Wie mischten sich hier wertvollste, religiöse Gedanken mit den verletzendsten Charakterzügen, organisatorische Tüchtigkeit mit verschlagener Politik, ein großes Prinzip und ein kleiner Mensch. Nun stand er seit dem Ausgang des Zanchischen Streites in Verbindung mit dem Manne, der das Werk der Konkordie sich zur Lebensaufgabe gemacht hatte: Jakob Andreä. Was anders besagte diese Konkordie, als daß es eine objektiv feststehende L e h r e gäbe, die sich für alle Zeiten formulieren ließ ? Und dabei lebten die Propheten der Starrheit in einer Zeit, die selbst noch

1. Abschnitt.

Der Kampf zwischen Sturm und Pappus.

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voller Bewegung, voller Ubergangstheologie war. Ja, Marbach selbst machte Wandlungen und Irrungen durch. Unter Butzers Einfluß fügte er sich ein in ein kalvinisch und tolerant gestimmtes Kirchenwesen. 1561 war ihm die Ubiquität noch ein »Irrtum« 1 ). In der Konkordie von 1563 gab er manches von seinem entschiedenen Standpunkt auf. Und erst nach einer Zwischenzeit, da der in Straßburg weilende Flacius lllyrikus ihn beherrschte, fand er wieder zurück zur Anschauung Andreas. Trotz allem aber wollte er sich »zerreißen lassen«, wenn er anders lehre als Butzer. Gewiß, auch dieser Butzer hatte seine Überzeugung mit den Jahren gewandelt. Aber seine Unsicherheit in Lehrfragen war begründet in der Tiefe seiner Religiosität. Marbach dagegen w o l l t e sicher sein und war unduldsam, als wäre er es. Er, dem wie seiner ganzen Zeit Religion und Theologie gleichwertig war, zeigte eine bedenkliche wissenschaftliche Unselbständigkeit. Schon diese Rezeptivität machte ihn intolerant und empfindlich, wieviel mehr erst das Prinzip des lutherischen Predigtamtes 2 )! Doch sollte nicht er allein der »reinen Lehre« der Konkordienformel in der Stadt zum endgültigen Siege verhelfen, sondern zumal sein jüngerer Amtsbruder und ') Oration von 2. u. 3. IV. 1561. (Th. A. 27. 1.) Marbach über sein Verhältnis zu Butzer: Conventus theologici absurda quaedam. V. E. X I I f. 76. — Sehr bebedenklich ist Marbachs Bemühen, die Tetrapolitana als lutherisch darzustellen, um damit seine eigenen Tendenzen zu legitimieren: »Antwort und gründliche Widerlegung der vermeinten Trostschrift M. D. Tossani«, pag. 352 ( H o r n i n g , H a n d b u c h pag. 108). Andererseits leugnet er hartnäckig einen Einfluß des lllyrikus: »Der Pfarrer und Kirchendiener antwurtt«. 1. X I . 1572. pag. 43 b (Th. A. 48. 1). Dagegen vergl. F i c k e r s Artikel »lllyrikus« in den H a n d s c h r i f t e n p r o b e n . Dort auch das Urteil über Marbachs theologische Unselbständigkeit. — Neben dem Tadel der Rezeptivität bleibt die von Horning und Villmar ausgesprochene Anerkennung Marbachscher Klarheit der wissenschaftlichen Darstellung bestehen. ( H o r n i n g , H a n d b u c h , pag. 1 0 9 . 2)

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7. Kapitel.

Der Sieg der Orthodoxie etc.

späterer Nachfolger Johann Pappus 1 ). Bei diesem gewann das Predigtamt nicht minder einen bizarren Zug als bei Marbach, doch in anderer Weise. Pappus war kein Ubergangstheologe mehr, theoretisch auch schulsicherer und fruchtbarer als Marbach. Aber mit welch abstoßender und doch wieder in der Objektivität der »Lehre« begründeter Selbstgewißheit der noch nicht Dreißigjährige den erbitterten Kampf gegen den ehrwürdigen Sturm durchfocht, das gab ihm als Träger des Lehramts das verletzende Wesen. Diesen Kampf gilt es jetzt zu schildern. Kirche, Schule und Obrigkeit wußten wohl, worum es sich handelte. Zwischen Rat und Predigern, Predigern und Schule erhob sich im Winter 1577 auf 1578 und bis ins Frühjahr 1578 ein Hin und Her über die Konkordienformel, in dem die Parteien durch programmatische Sätze sich zeichneten. Da sprachen die Anhänger der Glaubenskirche im Rate selbst. Herr Lichtensteiger ließ sich hören (und der Ammeister Jakob von Molsheim nebst sechs Herren fiel ihm bei), daß nicht der Magistrat sondern die Prediger entscheiden sollten »als s e e l e n ä r t z t und f ü r g e s e t z t e s e e l s o r g e r . . . i n den sachen, die über unserm beruff und verstand«. Dem L e h r a m t ward die Herrschaft anvertraut, trotz der Superintendentur der Obrigkeit. Und Molsheim war es auch, an den Marbach schrieb, daß die Prediger durch »schrifftgelärte und Kanzleischreiber« sich nicht Vorurteilen lassen würden, es hätten diese denn ihren Beruf zum P r e d i g t a m t Pappus wie Marbach geboren in Lindau, 1549. 1562 — 63 in Straßburg in der Schule und den öffentlichen Vorlesungen (vgl. oben pag. 237, Anm. 1.). Studiert in Tübingen. 1567 wieder in Straßburg. Zwei Jahre im geistlichen Amt in Reichenweier. Danach (1570) Freiprediger in Straßburg. 1571 Magister. 1573 Doktor in Tübingen. 1578 Münsterpfarrer und ordentlicher Professor der Theologie. Gest. 1610. (H a n d s c h r i f t e n p r o b e n . )

1. Abschnitt.

Der Kampf zwischen Sturm und Pappus.

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nachgewiesen. M u ß t e nicht ein Amtsträger der Glaubenskirche so sprechen ? Erklärten seine Amtsbrüder doch bald darauf: »E. G. sollen billich die Herren bleiben, allein« (hier lag das große und unlösbare Aber!), »weil wir unsere Kirchenämpter nit allein von E. G. sondern zuforderst von Gott haben, sollen wir billich a n G o t e s ( ! ) s t a t E. G. manen und warnen« 1 ). Wie anders klang das, was die konservative Partei gegen die Konkordienformel zu sagen hatte! Zwei Verwandte Sturms, der uns bekannte Karl Lorcher und der Stadtschreiber Paul Hochfelder, ergriffen hier das Wort. In die S c h u l e , nicht vor den gemeinen Mann (auf die Kanzel!) wollten sie die Frage gewiesen haben. Hochfelder tadelte, daß man die »wichtigsten disputationes und gezänck seit der Apostel Zeiten« abschließend beurteilen wollte. Protestiert wurde damit gegen eine bis aufs Tüpfelchen reine Lehre. Protestiert wurde auch gegen jede Verdammung, die man »dem allein gerechten urthl Gottes« überließ. Und im gleichen Augenblick, da man so vom Menschenwerk auf Gott verwies, protestierte man auch im Namen der Duldung — der L i e b e 2 ). Vom Gedanken der L i e b e und dem Rechte der Obrigkeit hören wir aber auch die S c h u l e in einer flammenden lateinischen Protestschrift sprechen 8 ). Da 1

) Lichtensteiger: Rh. XXI. 1577. 30. XI. (f. 732) — Marbach an Molsheim: 12. XII. 1577. (St.-A. VI. 5.) - Die Prediger: Fürtrag für Herrn Rhät und XXI. 5. II. 1578. Original: St.-A. VI. 5; Kopie: V. E. XIII f. 155 ff. und XV. f. 1 ff. *) Rh. XXI. 1577. 27. XI. (f. 722 b ff.) u. 30. XI. (f. 725 b ff.) 3 ) Responsio Senatus ministris ecclesiae data de Libro Koncordiae subscribendo. V. E. XVIII. Nr. 13. f. 181 ff. u. V. E. I. f. 372 ff. — Anonym. Die Schlußausführungen über den Kirchenkonvent (Teilnahme der Lehrer) und das fließende Latein verweisen auf einen Autor aus den Schulkreisen. War es vielleicht Sturm selbst? Alt-Straßburger Gedanken und Ideen der sapiens et eloquens pietas sind in seltener Frische in dieser

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7. Kapitel.

Der Sieg der Orthodoxie etc.

tauchten die Ideen von 1534 auf, wenn der Humanist dem Rat allein das Lehrurteil zuschrieb. Da wurde gefragt, ob dort, wo das Licht der C a r i t a s fehle, Klarheit der Lehre sein könne — ob eine Verneinung der Ubiquität die Caritas verletzte. An die Caritas der Vorfahren wurde erinnert. Vom Sakrament des Altars ward gesagt, daß es um der Caritas willen eingesetzt sei. Und als den Willen des Rates stellte man es schließlich dar, daß die Lehrer in den K i r c h e n k o n v e n t zurückkehren sollten, um solchen Gedanken im Straßburger Kirchenleben wieder Bahn zu brechen. In pathetischem Latein forderte man hier die Liebes- und Zuchtkirche Butzers und das Recht vernünftiger Bildung im religiösen Leben. In solchen Worten rang die Schule mit ihren besten Gedanken um ihre alte kirchliche Bedeutung. Und sie hatte recht, besorgt zu sein. Denn um des G l a u b e n s , nicht um der Liebe willen forderten die Prediger, daß der Rat die Konkordienformel unterschreibe und durch den Zwang zur Unterschrift zugleich Schule und Kirche auf immer versöhne 1 ). Das bedeutete — wir sahen es — eine Entwertung der Schule in kirchlicher Hinsicht, denn sie hatte keinen Teil am Dienst in der Glaubenskirche. Die Glaubenskirche aber und nicht die Liebeskirche verlangten die Lehramtsträger: Ubi dedenda est c o n Schrift lebendig. Sie ist nach dem 5. II. 1578 geschrieben, s. f. 189b ff.: Irrtümliche Verlegung des Naumburger Tages auf 1562, wie es der Vortrag der Prediger vom 5. II. 1578 tut. M Cum R e l i g i o (nicht die Liebel) unicum vinculum sit verae Concordiae: ita alligabitis (sc. der Rat) duo Civitatis vestrae clenodia: Ecclesiam et Scholam, ut nunquam separari possint. In: Pappus: Schrift vom Frühjahr 1578. (St.-A. VI. 5.) Undatiert. Doch vor der Responsio (s. vorige Anm.), wie das dort f. 197 b angezogene Zitat zeigt. Auch diese Schrift gehört wie die Responsio durch ihre lateinische Sprache in die akademischen Kreise. Man sieht, wie unmittelbar die Schule an der kirchlichen Angelegenheit beteiligt war.

1. Abschnitt.

Der Kampf zwischen Sturm und Pappus.

f e s s i o , non est dicendum anteponenda c h a r i t a t i 1 ) .

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Mum, mum, sed f i d e s

Wie mußte es wirken, wenn bei solcher Stimmung Pappus am 8. März 1578 in der Schule zu disputieren begann: de caritate christianal Geht Liebe vor Glaube? Oder darf man trotz der Liebe um des Glaubens willen Irrlehren verdammen ? Das waren die Grundfragen seiner Thesen, Fragen, die in Straßburg das religiöse Leben der Gebildeten im Zentrum treffen mußten — deren Antwort entschied über die Stellung für oder wider Butzers Liebeskirche, — Fragen, die gestellt unter dem Rektorate Sturms in seiner Akademie in unerhörter Weise die Gegner des lutherischen Kirchendienstes an Wort und Sakrament im eigenen Lager angriffen und die, gestellt mitten in der Aufregung der Stadt, nichts anders sein konnten als eine Herausforderung zum Streit 2 ). Es sollte sich jetzt rächen, daß Sturm in humanistischer Lässigkeit seit Jahren sich nicht mehr um die theologischen Disputationen gekümmert hatte 3 ). Sorglos und ohne von den Thesen etwas zu wissen weilte er an dem verhängnisvollen 8. März auf seinem Tuskulum, dem Landgut Northeim in den Vorhügeln der Vogesen. Aber schon am nächsten Tage kehrte er zurück. Ver1)

Pappus in der soeben zitierten Schrift. Die Thesen gedruckt vor Ap. I. — Über die Ankündigung der Thesen (3. III.) beim Dekan (Melchior Junius) vgl. D e f. II. pag. 16. — Ap. I. pag. 18. A p. II. pag. 92. — Am 31. III. (F.-E. pag. 205 ff.) gehen die Scholarchen vor, als habe Pappus die Thesen n i c h t der akademischen Behörde angemeldet (pag. 206). s ) Man erkennt, wie wenig das Aufsichtsrecht des Schulkonvents über die theol. Disputationen (s. o. pag. 267 Anm. 1) praktisch durchgeführt ist. — Interessant für die sapiens et eloquens pietas ist des Pappus Hohn, daß der Rektor aus pädagogischen Gründen ja selbst akute theologische Fragen für seine Schuldisputationen wünsche. D e f. I, pag. 55 f. Hinweis auf E p p . c l a s s . II, an Tuppius, s. o. pag. 96 f. 2)

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7. Kapitel.

Der Sieg der Orthodoxie etc.

ständliche Erregung trieb ihn in die zweite Disputation (15. März). Ernsthaft stellte er dem Prediger auf dem Heimwege vor, daß seine Argumente »bleiern« seien. Doch erhielt er die selbstbewußte Antwort: Bessere könnten nicht gefunden werden. Was hatte ein Pappus auf Sturms Mahnung zu hören, wenn ihn nicht einmal ein Marbach von seinem Vorhaben hatte abhalten können ? Wie falsch war es, wenn Sturm einem solchen Manne vermittelnd antwortete: V e r u m e s t , theses verae sunt, sed multi eas aliter atque tu interpretabuntur et contra scribunt 1 ). Am dritten Disputationstage (22. März) kam es zum entscheidenden Zusammenstoß. Ein lebhafter Pole, Mirisch, griff den Professor an: Wenn er die L e h r e des Kalvinismus verdamme, so müsse er auch die K a 1 v i n i s t e n verdammen. Pappus weigerte sich, so zu schließen ( = a d hypothesin descendere). Es kam zu einer Szene, die der Rektor beendete, aber doch so, daß er dem gekränkten Professor nicht genug tat, ja sogar gegen ihn Partei ergriff. Jetzt tadelte er, daß er die Thesen nicht zuvor gesehen! In 14 Tagen versprach er, seine eigene Meinung vorzutragen 2 ). Es sollte nichts helfen, daß der Rektor noch einmal um der humanitas willen den Theologen zu sich zu Tisch lud, daß die Scholarchen verboten, ferner zu disputieren. Pappus war es, der aus verletztem Ehrgefühl und um der Sache willen den Streit nicht ruhen lassen wollte3). l

) D e f. I. pag. 74. A p . II pag. 95. ) Sturm an die Scholarchen. 26. III. 1578. A p . I. A p . IV, 2 pag. 56. — S c h m i d t , l a v i e pag. 190 zieht fälschlich den Studenten Harmar in die Disputation. Nach A p. IV, 2 pag. 56 disputiert Harmar erst 1580 mit Pappus. 3 ) F.-E. pag. 205 ff. Beide Parteien erbieten sich am 31. III. 1578 weiter zu disputieren, Sturm mit den Worten: »Allein das Doktor Pappus auch nicht zornig werde.« Pappus: sein Thesenanschlag: »seye opportuno tempore geschehen, diewevl eben diser Streit diser zeit vonnötten«. !

1. Abschnitt.

Der Kampf zwischen Sturm und Pappus.

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Am 5. April trafen sich die Gegner, wenn auch nicht mehr in der Schule, so doch im Thomasstift. Sturm entwickelte seine Ansicht, indem er seinen Antipappus primus diktierte und mit Oratorenklugheit den Gegner nicht zu Worte kommen ließ 1 ). Damit war die lange Reihe der Schriften eröffnet, die, bald im Druck verbreitet, bis nach Genf und Stuttgart hin Widerhall erwecken sollten 2 ). Wie Luthertum, Humanismus und Kalvinismus sich in ihnen auseinandersetzten — das wird uns später beschäftigen. J e t z t haben wir nur die Art des Kampfes und seinen Verlauf zu schildern. Die Polemik trägt jenen literarischen Charakter, den wir schon zu erklären versuchten 3 ). Aber ist es ein Wunder, daß diesmal des Rektors Temperament sich zu außerordentlicher Heftigkeit hinreißen ließ ? Ihm gegenüber stand ein Jüngling, den allein die Schuld am Streite traf, der das J a und Nein Gottes kannte, den sein Glaube an die »Ausschließlichkeit der Heilsvermittlung durch W o r t « (Pappus!) »und S a k r a m e n t « (Ubiquität!) ermächtigte, die Weisheit eines Einundsiebzigjährigen abzulehnen und den Lebensabend eines ungleich bedeutenderen Geistes zu zerstören 4 ). Wohl liegt eine fabelhafte Kraft in der Art Weise, wie hier der einzelne, den Blick nur auf die S a geheftet und unempfänglich für den Gedanken, wie er zugleich sich selber schmeichelt, sich tragen läßt

und che sehr von

Vgl. hierüber den libellus nullitatis Sturms und des Pappus Gegenbericht gegen dessen 21. Artikel. Th. A. Universität 6. ' ) Sturm ist später ehrlich genug, seine Freude über die Veröffentlichung seines A p. I. nicht zu unterdrücken. A p. IV, 2 pag. 54. ») S. o. pag. 263. *) Das Zitat ohne die Klammern bei W. H o r n i n g : D. Pappus Bedeutung für die Straßburger Kirche. Theol. Blätter zur Beleuchtung der Gegenwart. Straßb. 1910. X V I I . Jahrg. pag. 184.

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7. Kapitel. Der Sieg der Orthodoxie etc.

dem Gott, an den er glaubt. Aber gerade diese Energie des Wortverkündigers, innerlichst verbunden mit den wesentlichsten Werten unphilosophischer lutherischer Religiosität, mußte den Gegner aufs äußerste reizen, denn er leugnete ja die Quelle dieser K r a f t : die Überzeugung, den einzig wahren Glauben zu besitzen. Für seinen Blick fehlte der Spannkraft, die dem Gegenüber trotz aller Kreatürlichkeit die rücksichtslose Gottbegeisterung gab, die innere Muskulatur, so daß ihm jede ihrer Äußerungen zur Anmaßung, zur Arroganz werden mußte. Wie bitter war es für Sturm, wenn ihm von solcher Seite die Lehre der Ubiquität vorgehalten wurde, gegen die sein religiöses, sein wissenschaftliches und sein ästhetisches Gewissen sich sträubte. Er durfte sich an die Zeit Butzers erinnern, da der Prediger bescheiden zurückgetreten war im Gefühl der Unzulänglichkeit des äußeren Wortes und aus diesem Gedanken Gott allein die Ehre geben mußte — an Zeiten, da das Wunder des Sakraments verhüllt und doch zugleich verständlich gemacht war durch feinsinnigen Spiritualismus. Er hatte erfahren dürfen, daß solch edle Gesinnung bereitwillig seiner Wissenschaft einen Dienst in der Kirche zuwies. Und sollte er nun nicht sprechen im Namen dieser köstlichen Vergangenheit — im Namen des Amtes, das er in jenen Tagen erhalten — und im Namen der Wissenschaft, die so, wie er sie verstand, gerade der Kirche helfen wollte ? Gerade hier wieder mußte aber der Theologe des Philologen Absicht als Anmaßung empfinden. Keine Partei konnte die andere verstehen: der Rektor drang in die Kirche — der Jüngling redete unfehlbar. Gegensätze waren lebendig auf einem Gebiet, dessen absolute Irrationalität den einen zum blinden Gehorsam des Glaubens, den andern zur Ablehnung jeder Orthodoxie führte. — Uber drei Jahre sollte es währen, bis die Entscheidung fiel. Noch im Herbst 1579 glaubte der Rat, nicht in

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den Federkrieg eingreifen zu müssen: »Man solls treiben lassen, wie es goth und sye wider eynander schreiben lassen, biß sie müd worden, und m. h. sich der Sachen nicht annemen« 1 ). Weder das akademische Für und Wider der Gegner noch auch warnende Tatsachen brachten der Obrigkeit zum Bewußtsein, daß Sturm auch in ihrem Sinne Gedanken Jakob Sturms vertrat. Fast gelangweilt stand sie, die Herrin der Gemeinde, abseits. Ihr wurde die Lage nicht dadurch anschaulich gemacht, daß schon im September 1578 Kirchen- und Schulkonvent wieder in alter Weise aneinandergeraten waren und man von neuem Kanzel und Katheder notdürftig hatte vor einander schützen müssen 2 ). Auch Marbachs ausführlicher Bericht, als er im Jahre 1579 die Pfalz im Sinne des Konkordienwerkes lutheranisiert hatte, erschreckte den Magistrat nicht und mahnte ihn nicht, wie es praktisch um jenes »Verdammen« des Kalvinismus bestellt sei 3 ). Vielmehr mußte der Partei Sturms es zur bedenklichen Lehre dienen, wie heftig die Obrigkeit in der Person Jakob von Molsheims wider sie ein») Rh. X X I , 1579, 21. IX. (f. 439 b). ) Der Streit (Quellen: Th. A. 33 und Universität 6) war entstanden durch eine Predigt (31. VIII. 1578) Elias Schades, des Pfarrers zu Alt-St. Peter, der die Schule der Ketzerei beschuldigte. Der alte Gegner Marbachs, Konrad Dasypodius, bringt den Fall vor den Schulkonvent (4. IX). Es kommt durch Marbachs Vermittlung zur Versöhnung (18. IX.) und zu dem Entscheid, daß der Kirchenkonvent Schulgeschäfte nicht intempestive auf die Pfalz und auf die Kanzel bringen, sondern sie zuvor mit dem Schulkonvent besprechen soll. War die Disputation des Pappus ein Schul- oder ein Kirchengeschäft? — Der Entscheid soll nicht veröffentlicht werden. Sturm bricht dies Schweigeverbot und behauptet (Postskriptum zur Vorrede der C o m m o n i t i o), daß in diesem Urteil der Kirchenkonvent zu einem Teil des Schulkonvents erklärt worden seil In dieser phantastischen Gestalt taucht Butzers schöner Gedanke, daß Kirche und Schule gemeinsam im Kirchenkonvent am Wort Gottes arbeiten sollten, zum letztenmal in Straßburg auf. J

') Rh. X X I , 1580, 14. V. (f. 244ff.).

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schritt, als man 1580 einen Neudruck der T e t r a p o l i t a n a gewagt hatte. Die Prediger wurden vom R a t aufgefordert, ein Gutachten über die Vierstädtekonfession abzugeben, und fanden so im J a h r e vor S t u r m s Sturz Gelegenheit, sich noch einmal mit den Grundgedanken von 1534 auseinanderzusetzen 1 ). Hier tadelten die Theologen vor allem, wie wenig von der Sünde, vom Mittler Christus, wie äußerlich vom Gnadenmittel der S a k r a m e n t e gesprochen werde. V o n der Erlösung des Verdorbenen durch den Glauben, der die von Gott gewährten (und im Kirchendienst dargebotenen) Mittel ergreift, davon wollten sie vor allem hören. Hier gewann die Kirche Marbachs ihre Aufgaben, ihr Existenzrecht. Hier sprach man erst zu zweit von der L i e b e , die rastlos für den Mitbruder tätig ist, die für Butzer zum bewegenden Geist seiner Kirche geworden war. Das nächste J a h r (1581) sollte den Sieg der Glaubenskirche bringen. E s war erfüllt von einer schmählichen und kleinlichen Politik der Kirchenmänner und der ihr ergebenen Obrigkeit. Schon Ende 1580 zeigte sich eine gefährliche Gärung in der S t a d t im gleichen Augenblick, da im R a t die Frage des Konkordienbuches von neuem auftauchte. E s kam zu Unruhen in der Thomaskirche, erregt durch Studenten. Der Pfarrer F a b e r klagte »weinend« ( S t u r m meinte: Omnes Roscii, omnes comoedi et tragoedi quoties voluerunt lachrymari potuerunt), wie man seinen Hausfrieden gebrochen habe. S t u r m aber beschwerte sich, wie von der Kanzel das ganze Volk gegen ihn verhetzt sei. Entrüstet verwahrten sich die Prediger. Sie schützten den T e x t vor. Wie Pappus in seinen Thesen wollten >) Uber diese Episode: Rh. X X I , 1580, 5. III. (f. 98b), 7. III. (f. 105 b). — Einzelne Stücke: Th. A. 45, 1. Hier auch die Kritik der Prediger (ebenso: V. E. XVII, f. 172). Sie ist gedruckt bei: P a p p u s : Widerlegung des Zweibrückenschen Berichts, pag. 456 (f.

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auch sie nicht ad hypothesin descendere, nicht specialiter angreifen. Sie predigten nur Gottes Wort. Und doch wußte jeder in der Gemeinde, wo hinaus sie wollten: Bindung der Ketzer 1 )! Die sorglichen Stadtväter verordneten ihren nächtlichen Wachtrotten einen »verborgenen hauptharnisch, darmit sie vor den spitzen Studenten wehren gesichert sein mögen«. Mandate gingen aus an die Bürgerschaft und die Studenten 2 ). Zwei Momente verschärften für 1581 die Lage. Von der Schweiz und der Rheinpfalz (Johann Kasimir) liefen Warnungen ein, das Konkordienbuch nicht zu unterschreiben. Und konnte man sich auch immer noch nicht in einem Sinne entschließen, der für Sturm vorteilhaft oder nachteilig war, so mußte den Rektor doch die Persönlichkeit des neuen Ammeisters mit Sorge erfüllen: M i c h e l L i c h t e n s t e i g e r erhielt dies maßgebende Amt, derselbe, der von Anfang an in religiösen Fragen sich den Seelenärzten fügen wollte 3 ). Bald spürte es Sturm, wie der lutherische Ammeister ihn in die Grenzen eines engen Rektorats verwies und sich selbst und den Rat als den Rektor darstellte. Der Prediger Mißgunst vermochte den Humanisten nicht so zu erschüttern wie diese, des Konsuls Erbitterung 4 ). ') Über die Studentenunruhen: Rh. X X I , 1580, 8. VIII. (f. 398, f. 399: Konkordienbuch) und 4. I. 1581 (Vol. 1580, f. 645b). Dazu Sturms Brief an die Scholarchen 19. XII. 1580, V. E. XIV. Bei F.-E. pag. 215ff. in gleichzeitiger deutscher Übersetzung, der der humanistische Reiz fehlt. — Eine Probe verkappter Hetzpredigten: Pappus, 16. IV. 1581 (Th. A. 57). Vgl. die Charakteristik der Predigt Fabers: Rh. X X I , 1580, 8. VIII., f. 398. *) Rh. X X I , 17. XII. 1580, f. 612 b, Vol. 1580: f. 645 b, f. 651 (für 4. und 7. I. 1581). — F.-E. pag. 214 und 219. s ) Rh. X X I , 28. I. 1581 (f. 25bff.). — 1. III. (f. 89). *) Sturm an die Scholarchen: 1. III. 1581, V. E. XIV. Vgl. seine Entschuldigungsschrift vom 17. IV. 1581 in den Acta priora (Th. A. Universität 6). — Diese Acta priora, vom Rat zusammen-

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In solch gespanntem Augenblick — die Prediger, die aufgereizten Bürger und die Obrigkeit gegen Sturm! — setzte das Unternehmen ein, das endgültig zu seinem Sturz führte. Kurfürst Ludwig von der Pfalz beschwerte sich am 13. März, daß Sturm in seinem Antipappus quartus (später auch im elenchomenos) die unter Marbachs Leitung vollzogene »Reformation der Heidelberger Universität« mit Schimpf und Spott bedenke. Kaum kann man zweifeln, daß Ludwig auf Antreiben der Straßburger Prediger handelte 1 ). Nun begann ein schmachvoller Sommer für Straßburg. Wieder und wieder drängte der fremde Fürst auf die Maßregelung Sturms, der die wissenschaftliche Zierde der Reichsstadt durch Jahrzehnte gewesen war. Wieder und wieder war er unzufrieden mit den ihm erteilten Antworten. In gehässigster Weise mißbrauchte der Ammeister seine Macht gegen Sturm. Und während so die Obrigkeit und die immer mehr erregte Bürgerschaft die Sache der Glaubenskirche zum Siege brachte, hüllten die Theologen sich in scheinheilige Friedfertigkeit und Sachlichkeit. Sie standen an Gottes Statt. Am 13. März, am Tage, da der Brief des Kurfürsten eintraf, sah auch der Rat ein, daß der Streit zwischen Pappus und Sturm »zur Zerrüttung Kirchen, Schulen und Bürgerschaft gereicht«. Damals sind in der Umfrage »allerhandt rheden und reißwortt widereinander ergangen (Gott wöll mit Gnaden drein sehen und gemeiner Statt, Oberkeyt und bürgerschafft im Rechten frieden erhalten)«. Noch verzog sich die Entscheidung. Aber durch den Tod Marbachs (18. März) ward ein neuer Ton im Konzert angeschlagen. Wer wurde an seiner Statt Superintendent ? Gab es in Straßburg einen Superintendenten ? Es hangestellt für das Reichskammergericht, sind die beste Quelle für die Vorgänge von 1581. ») Rh. XXI, 1581, 13. III. (f. 108). — Der Brief bei F.-E. pag. 219 und Acta priora.

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«leite sich in diesem J a h r um Rektoramt und Superintendentur, um die höchsten Stellen in Schule und Kirche. — Schmachzettel durchschwirrten die Stadt 1 ). Der Ammeister drängte auf Erklärung, ob meine Herrn »theutsch oder rothwelsch« (Lutheraner oder Kalvinisten) seien. Die Theologen — so h a t t e Lichtensteiger es schon 1577 verlangt — wurden zu Rat gezogen, wie man sich mit dem Konkordienbuch verhalten solle. Lichtensteiger war es auch, der für Marbachs Nachfolge einen »Superintendenten« suchte. Aber nur in der Fürsorge für die Amanuensen fand man sogleich in Pappus einen Ersatz. Über die Münsterpredigt und die theologische Professur sollten die Schulherren bedenken. Nichts stand im Entscheid von der Superintendentur 2 ). Und neue Schmachzettel! Aufs neue fühlten sich die Prediger verletzt. Beschuldigten die Pamphlete sie doch des Aufruhrs. »Es sei von keim lutherischen nie gehört worden« — so rechtfertigten sie sich —, »das er uffruhr begert, aber der Kaluinischen begern sey allein blutt zu vergiessen«. Sturm aber schmunzelte: »Das sey ein recht Carmen und glaub er nit dz einer so gelehrt hie sey, der dz gemacht.« Es kam zu einer gefährlichen Aufregung in der Bürgerschaft 3 ). ») Rh. XXI, 1. IV. 1581 (f. 128ff.). Der Ammeister (Gegner Sturms) ist so wenig eleganter eruditus, daß der Stadtschreiber (Paul Hochfelder, ein Verwandter Sturms) ihm die lateinischen Pamphlete übersetzen muß »und hat er es gleich wol, so bald er den Inhalt vermerkt, ungern vernomen«. •) Rh. XXI, 1581, 5. IV. (f. 144) — 12. IV. (f. 155ff., f. 165 b). ») Rh. XXI, 1581, 17. IV. (f. 169ff.). — Die zitierte Rechtfertigung der Prediger wird dadurch drastisch, daß Pappus am Tage zuvor (16. IV.) gegen die Lästerer der reinen Lehre gedonnert und die Obrigkeit aufgefordert hat, nicht zu hinken. — Wie »aufruhrerisch« solche Predigt wirkte, zeigen die Warnbriefe (Rh. XXI, 1581, 21. IV., f. 182), die für die Prediger eintreten, also lutherisch .sind, und mit Revolution drohen: »haben sie den Adell vor diser S o h m . Schule und Kirche Straßburgs.

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Eine Ratskommission, zu der auch der lutherische Molsheim zählte, entschied, daß das Verhalten der Prediger Grund der Unruhen wäre und erklärte sich zum Schutz eines jeden bereit »ohngeachtet wes religion er sey«. Die Geistlichen sollten zur L i e b e gemahnt werden. Aber in der Ratssitzung ließ man den Verweis fallen und befahl den Predigern nur den »gehorsam gegen die Obrigkeit« zu verkündigen. Die lutherische Partei hatte die Oberhand gewonnen (22. April)1). Ein Mandat an die Bürger, ein Mandat an die Pfarrer ging aus und am 29. April endlich ward das Übel an seiner Wurzel gepackt: Es wurde Sturm und Pappus verboten, fernerhin wider einander zu schreiben. Und an diesem Tage erschien auch ein fürstlicher Helfer Sturms. Landgraf Wilhelm zu Hessen, der in Straßburg studiert hatte, trat brieflich gegen das Konkordienbuch, gegen die Prediger ein2). Am nächsten Tage sollte die Erregung unter der Bürgerschaft ihren äußeren Höhepunkt finden. Der Münsterknecht Matthis war bei einer Predigt des Pappus eingeschlafen, plötzlich fuhr er empor und begann Sturm zu läuten. Die Weiber stürzten aus der Kirche. Bewaffnete Bürger, die Schmiede mit der Fahne eilten herbei. Kaum gelang es dem Ammeister Lichtensteiger, Ruhe zu schaffen 3 ). Im Mai (29.) traf ein dritter dringlicher Brief Ludwigs von der Pfalz ein. Im Juni (10.) wurden von neuem Zeytt können zwingen . . . . so wollens auch die Kauffleuth zwingen«. An 1600 Handwerker seien bereit. >) Rh. XXI, 1581, 22. IV., f. 183 und 24. IV., f. 187. F.-E. pag. 220. ») F.-E. pag. 220. — Der Brief Wilhelms von Hessen: Acta priora. 3 ) Rh. XXI, 1581, 1. V. (f. 202ff.). Dazu eod. die f. 201, 203f., die Ratsherren sollen beim Kirchgang Wehr tragen. Abgelehnt wird der Antrag, daß sie auch von bewaffneten Bürgern begleitet werden sollten.

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die Schweizer Städte in Sachen des Konkordienwerkes vorstellig. Und wieder schreckten die Theologen (diesmal Andreä) mit dem kalvinistischen Geist des Aufruhrs, warnten vor dem Polypragmon Sturm, beriefen sich auf ihren »ordenlichen göttlichen beruff« und meinten, auf Sturms Kopf »gehört kein ander laugen«. Des Rektors Gast Danäus aber mußte vom Ammeister Lichtensteiger schmähliche Behandlung erfahren 1 ). Am 29. Juli drängten die Geistlichen wiederum auf Ernennung eines »Präsidenten«. Es war der gleiche Tag (die Prediger hatten auch bitter über den Streit mit Sturm geklagt), an dem der Rat dem kampflustigen Humanisten die Feder völlig — auch wider die auswärtigen Theologen — verbot. Ja, er beschloß zu bedenken: »ob ihme . . . seines Rektorats halben zu erlauben« urlauben) 2 ). In verletzender Form ward dem Greise durch Molsheim das Schreibverbot mitgeteilt; von Lichtensteiger ward ihm die Audienz versagt, die noch soeben den Württemberger Theologen gestattet worden war. Es kam das Gerücht zu ihm, man wolle ihn »zwüschen vier mauren« ins Gefängnis setzen 8 ). Da ergriff er am Dienstag, den 1. August, die Flucht — und wenige Tage darauf (5. August) beschloß der Rat seine Absetzung. Er sollte sein Amt resignieren, andernfalls die Schulherrn einen neuen Rektor wählen würden. Für Lebenszeit hatte man ihn einst an die ») Rh. XXI, 29. V. 1581, f. 252 bff. — Acta priora das Schreiben. — Dazu Rh. 1. c. f. 265. — 1. c. 10. IV., f. 273 b. — Sturms Antwort an den Pfalzgrafen Acta priora 14. VI. Dazu Rh. X X I , f. 281 f. — Über Andreä Rh. 1. c. 17. VI., f. 285ff. — Lambert Danäus: Apologia ad versus Doct. Jacobum Andreae. 1581. ») Die Bittschrift der Theologen: Th. A. 46, 2; V. E. XVII, f. 189. Acta priora. Entwurf: St.-A. VI. 5 und V. E. IV, Nr. 70. — Gedruckt zum Teil bei F.-E. pag. 220ff. — Rh. XXI, 29. VII. (f. 353ff.). — Acta priora f. 42. *) Acta priora, f. 47, 48. 19*

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Spitze der Akademie gestellt. Jetzt handelte man unmittelbar unter dem Eindruck eines vierten Schreibens des pfälzischen Kurfürsten 1 ). Sturms Stellung war aufs tiefste erschüttert. Aber in männlichem Brief und mit humanistischem Schwung ergriff er für sich, für seinen Glauben und für sein Recht auf Gegenwehr das Wort: Von Neustadt aus sandte er dem Rat ein protestierendes Schreiben. Und wenn ihm die Tür des Ammeisters und der Ratsstube (über deren Eingang geschrieben stand: audiatur et altera pars) verschlossen war, so wandte er sich jetzt an die XVer 2 ). Hier fand er im September Gehör. Doch war auch hier die Majorität des Kollegiums lutherisch. Man meinte: »wen es Sturmius dahin kondt pringen, das alle die nit kalfinisch seind, müßten abdretten, so würde die stub weit werden«. Zwei Supplikationen ließ Sturm durch seinen Anwalt einbringen. In der einen verlangte er eine Kopie der Klagen, welche die Prediger am 29. Juli vorgebracht hatten, und Aufhebung des Verbots, gegen die auswärtigen Theologen zu schweigen. In der andern wandte er sich gegen Molsheims Beleidigungen und sprach die Absicht aus, Herrn Jakob vor Gericht zu zitieren. Die XVer aber bat er »als der loblichen Justitiae patronen« zu bewirken, daß Molsheim und Lichtensteiger fortan als parteiisch in seinem Handel nicht mehr mitsprechen sollten 3 ). Es gelang ihm nur, mit zwei ähnlichen Supplikationen am 7. Oktober vor Rhät und XXI gehört zu werden. Aber der Ammeister war weit entfernt, nachzugeben. F.-E. pag. 224. — Das Schreiben des Kurfürsten: Acta priora. *) Die Körperschaft der »Fünfzehner« hatte zumal die Aufgabe, die Aufrechterhaltung der Gesetze zu überwachen und die Regierenden zu kontrollieren. O. W i n c k e 1 m a n n , Z. f. G. pag. 526. Das Schreiben Sturms: Neustadt. 15. VIII. 1581. K. St. >) Protokoll der XVer 1581, f. 66bff., f. 72. — Acta priora, pag. 87b.

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Er führte zu seiner »Entschuldigung« die Worte an, mit denen er Sturms Bitte um Audienz abgewiesen: »es were besser, er gieng deß dings müssig, e r s e y n i c h t i n n d i e K i r c h b e s t e l l t , sonnder inn die schul, wenn er deß dings nicht müssig gehn will, so möcht er hinaus gehn Northeim ziehen, und weil er daselbsten einen hübschen gartten, da möcht er daselbsten seynen grassblumen wasser geben« — und er fügte die Nachricht hinzu, Sturm habe seine Dienste in Nürnberg angeboten 1 ). In sorgender Hast bemühte sich Sturm, diesen Verdacht zu entkräften. Doch sobald er von seiner Flucht aus Neustadt zurückgekehrt war, scheute er sich auch nicht, offen, ja provozierend, in einem außerordentlichen Schulprogramm seine Stellung als Rektor zu betonen. Er war nicht gewillt zu resignieren2). Und mit Pathos, auch nicht ohne sich selbst der Szene bewußt zu sein, in der er sich leidend und stolz befand, setzte er einen Brief an die Schulherrn auf, in dem er zeigte, wie ungerecht, wie undankbar man gegen ihn verfahre, und in dem er selbst dem künftigen Historiker in die Feder diktierte: oro, ut . . . . cogitetis, quid futurum esset, si . . . huiusmodi tandem meum in historiis extaret epitaphium: Johannes Sturmius, anno 1538 Schola tum ab ipso nova constituta, Scholarchis Jacobo Sturmio, Nie. Kniebsio, Jac. Meiero rector nominatus, et toti Scholae praefectus, anno 1581 perpetuo rectoratu bonis testibus multis administrato, tandem post 45 annorum labores, Scholarchis D. Joh. Philippo Kettenhemio, Joh. Carolo Lorchero, Nicoiao Hugone Kniebsio Nie. Kniebsii Scholarchae ») Rh. XXI, 7. X. (f. 472 bff.)*) Sturm an Dasypodius 10. X. 1581, an die Scholarchen zu Nürnberg und an Herdesianus ebenda 17. X. 1581. K. St. Schmidt, Ms. Paris. An letzteren: Tres libros iam confectos habeo contra Jacobum Smidelinum usw. Sturms Energie ist ungebrochen. — Ulrich Marbach an Jak. v. Molsheim 31. X. 1581. Th. A. 33.

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filio, eodem rectoratu spoliatus, aut Londinii in Anglia, aut Lugduni in Batavia, aut Antverpiae in Brabantia aut Neustadii ad Haartam aut Tiguri, vel Basileae in Helvetia sepultus iaect 1 ). Doch das Schicksal war nicht mehr aufzuhalten. Wenn auch mitleidige Stimmen laut wurden, so fiel doch der Entscheid über die beiden Supplikationen durchaus ungünstig aus. Nur in Württemberg wollte man vorstellig werden, daß auch dort den Theologen Schweigen geboten werde. Sonst gab man in keiner Weise nach. Von neuem sollte der Rektor aufgefordert werden, sein Amt niederzulegen (25. Oktober) 2 ). Nichts half auch die Supplikation, die vier Verwandte Sturms (unter ihnen Karl Lorcher und Paul Hochfelder) am 20. November 1581 einbrachten. Sie, die nach Stadtgesetzen »abtreten« mußten, wenn über Anverwandte im Rat verhandelt wurde — und vor allem Karl Lorcher, der als Scholarch und ältester Ammeister sich mißachtet sah —, sie alle konnten nicht helfen 3 ). Am 27. November protestierte Sturm vor dem Rat gegen seine Absetzung und zeigte seine Klage vor dem Reichskammergericht an. — Am 6. Dezember drängte Lichtensteiger, Ernst mit der Absetzung zu machen. Es sei periculum in mora. Am 7. Dezember kam es im Schulkonvent zur Neuwahl eines Rektors4). Lebendige Bilder zeigt uns das erhaltene Protokoll der Wahl. Elf treue Lehrer, an ihrer Spitze Tuppius, Dasypodius, Wilfesheim wollten nichts von solch ungel

) 23. X. 1581, F.-E. pag. 226. *) F.-E. pag. 227, pag. 229 Anm. 1. Hier fälschlich 28. statt 25. X. Im Ratsprotokoll sind die entsprechenden Seiten falsch geheftet. ») F.-E. pag. 229 ff. «) Rh. XXI, 27. XI., f. 541 ff. — Nach O. W i n c k e l m a n n , Z. f. G. pag. 629 Anm., hofft Sturm auf den nächsten Ammeister. — Uber die Neuwahl: F.-E. pag. 233ff. — Über den Prozeß Sturms: Ebenda pag. 237.

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setzmäßigem Vorgehen wissen. Die Ratsherrn verschärften die Lage. Eigenmächtig fügte Herr Held zum Ratsdekret hinzu »der convent solle einn erwohlen, der der Fürstlichen Augsburgischen Confession zugethan«. Der Schulherr Kniebs drohte: »meine Herren wöllen keinen Calvinisten haben«. Tuppius protestierte: Er sei kein Kalvinist. Er habe seine Theologie in Wittenberg gelernt, er »sey kein Rohr, das er heut kalvinisch, morgen Iiiirisch, darnach Ubiquitistisch sein wölle«. — Während der Verhandlungen klopft es an die Tür. Sturms Anwalt will eine Protestation einbringen. Held antwortet: »man solle im umbfragen forttfahren. Der Teuffei wollt gern Stuel und Bänck darzwischen werffen, darmitt solch guett werck verhindertt würde«. Sturm ist abgesetzt. — Melchior Junius folgt ihm im Rektorat, mit warmen Worten seines unglücklichen Vorgängers gedenkend. — Wenige Tage zuvor war die Entscheidung über die Superintendentur gefallen. Am 29. November hatte man Pappus das Präsidentenamt im Konvent übertragen »dieweil man von auswärts keinen bekommen und obwohl er der jüngsten einer. Dz doch sein gradus (als Doktor) anzusehen«. Sein Examen half ihm, sonst nichts! Er wie Marbach wurden nur aus Notbehelf Nachfolger Butzers. Doch es sollte dem Konvent »mit ußgedruckten wortten angetzeigt werden, dz er nuhr präses oder Präsident, u n n d n i c h t S u p e r i n t e n d e n t seyn s o l t t , u n n d d z m. h. k e y n e n a n d e r n S u p e r i n t e n d e n t e n den sich s e l b s t e n w ü ß t e n , wollen auch fürther die superintendentz behaltten« 1 ). Was aber hatte dieser Satz zu bedeuten, der einst in Straßburg so guten Klang gehabt, wenn mehr und mehr die Ratsmitglieder sich religiös abhängig fühlten von der Lehre ihrer Prediger ? Es sollte nicht mehr ») Zur Nachfolge Marbachs: Rh. X X I , 27. IX. (f. 4 5 3 f U 22. XI. (f. 533bff.), 29. XI. (f. 544 b).

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lange dauern, daß jeder Lehrer der Schule gezwungen wurde, das vielumstrittene Konkordienbuch zu unterschreiben. Von dem Augenblicke an war Butzerschem und Sturmschem Geist der Riegel auf der Hochschule vorgeschoben. Obrigkeit und Schule waren der Kirche unterlegen, waren von ihr entmündigt 1 ). Das landesherrliche Kirchenregiment hatte sich als tatsächlich abhängig vom Lehramt der Glaubenskirche gezeigt. Aber diese unausgeglichene Doppelherrschaft in der Kirche von Predigern und Magistrat brachte doch den Frieden für Jahrhunderte. Es fehlte in der Stadt eine tiefgreifende religiöse Problematik, die ihn hätte stören können. Man war angelangt bei den im Luthertum allgemein anerkannten Zuständen einer Landeskirche der Barockzeit. - 2. Abschnitt.

Sturms christlicher Humanismus. Mit welcher Religiosität überwand der Humanist, der Zögling der Renaissance, seinen Sturz ? Er hatte 1589 stellt der Rat auf Vorstellung der Prediger den Lizentiaten Beuther nicht als Freiprediger an, da er dem Begehren der Theologen, die Konkordienformel zu unterschreiben, nicht nachkommt. Die Annahme der Kirchenordnung von 1598 ist der endgültige Schritt zur Herrschaft der Konkordienformel über Kirche und Schule. Vgl. R ö h r . G e s c h . III, pag. 172ff. und H o r n i n g , P a p p u s , pag. 188ff. — In der Schule besteht von jetzt an ein jährlich wechselndes Rektorat, so daß der Präsident Pappus uns auch als Rektor begegnet. Eine solche Verbindung von Kirche und Schule vertritt jedoch keinen wertvollen kulturellen Gedanken, da der Präsident hier nur in seiner Eigenschaft als Professor auftritt. 1621 wird die Straßburger Hochschule eine völlig ausgebaute Akademie (F.-E. pag. 382f.), die nun in keiner Weise mehr den eigentümlichen Reiz einer ästhetisierenden und etwas engen Universitas der Eloquenz trägt, wie sie Sturms Ergötzen war (s. o. pag. 88 und pag. 96). Auch hier ist die Zeit der Renaissance vorüber. Die Privilegisierung 1621 ist eine Gegengabe für den Austritt Straßburgs aus der Union 1

2. Abschnitt.

Sturms christlicher Humanismus.

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erfahren müssen, daß eine ihm unverständliche Macht über die Ideale seiner reifen Mannesjahre triumphierte, und daß Straßburg lernte, die Schätze des Evangeliums in einer ihm (dem Rektor) widerwärtigen Form zu verwalten. Die Liebeskirche Butzers und die sittliche Politik Jakob Sturms war vor seinen Augen einer Glaubenshärte und einer ungerechten Obrigkeit gewichen. Welcher Glaube gab ihm in diesem unerklärlichen Schicksal Kraft ? Wir können hier nicht präzis antworten, sondern müssen die Schilderung Sturmscher Religiosität unmittelbar einbeziehen in eine Darstellung seiner gesamten Gesinnungsart. An seine wissenschaftlichen, sozialen, ästhetischen und moralischen Anschauungen und Betätigungen haben wir zugleich zu erinnern, denn erst tief eingebettet in diese Umgebung offenbart sich uns sein Glaubensleben. Es ist gleichsam gleichgeordnet mit allen Kräften seiner Persönlichkeit und seiner Lebensauffassung. Ja, es verbirgt sich manchmal scheu hinter ethischen Gedanken, und statt des Glaubens fassen wir die Liebe. So dürfen wir alles, was wir bisher von Sturms humanistischen Theorien und von seinen praktischen Kämpfen erzählt haben, all das, was seine Schule anfangs zur Kirche führte und dann von dieser hinwegwies, nun am Ende noch einmal in seinem gesamten Umfang in der Brust ihres ersten Rektors lebendig sehen und spüren, wie es seine ganze Persönlichkeit ausfüllte und kräftigend trug. — Der entscheidende religiöse Streit Straßburgs h a t t e seinen Mittelpunkt gefunden in den Lehren von der Prädestination und den Gnadenmitteln. Hier finden wir Sturm auch am eifrigsten bemüht, seine Anschauungen klarzulegen. Und mußten wir selbst der prinzipiellen Erkenntnis wegen die theoretischen Überzeugungen von Luthertum und Kalvinismus scharf einander gegenüberstellen, so dürfen wir jetzt an Sturms Religiosität zeigen,

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wie in einem gläubigen Gemüt jener Zeit die systematischen Gegensätze sich wieder zu vereinigen suchten. Die lutherischen Gegner der zentralen Bedeutung von Prädestination und Allwirksamkeit Gottes hatten in Straßburg jeweils eine Zurücksetzung der Soteriologie gefürchtet 1 ). Sturm zeigte ihnen, welch innige Christusfrömmigkeit ein Herz bewegen konnte, das sich zugleich ganz dem Gedanken der Prädestination und Allwirksamkeit hingab, er zeigte aber auch, wie diese seine Christusfrömmigkeit damit geneigt war zu einer spiritualisierenden, subjektiven Mystik. Und er zeigte ferner, wie diese Mystik in dem Maße, in dem sie sich von der lutherischen Konzentration auf den historischen Christus entfernte, wohl in ihrer Lehre verschwommen werden konnte, aber andererseits auch Raum gab, die Gefahr eines Glaubensquietismus durch praktisch-ethische Gedanken zu überwinden und der lutherischen Geringschätzung der Vernunft in Glaubensfragen die rationale Kritik des Humanismus entgegenzusetzen. Hier war die Stelle, an der der Orator und seine Welt lebendig werden und den Glauben meistern konnte. Wie wußte Sturm, als Butzer ihn, den Philologen, aufforderte, wider die römischen Kardinäle zu schreiben, das Evangelium der Rechtfertigung allein aus dem Glauben zu verkündigen 1 Die gloria Christi, die doctrina Christi, das regnum Christi waren es, wovon er immer wieder zu den Papisten sprach 2 ). In diesen Gedanken fand er die religiöse Begeisterung, die er schon zu seiner Pariser Zeit in seinen Briefen an Butzer ausgedrückt hatte. Als nun das Jahrhundert der Reformation voranrückte und die neuen Kirchen sich schieden an der Frage *) Vgl. oben pag. 128ff. und (Marbach) pag. 214. über Butzers Auffassung Christi vgl. L a n g , pag. 110—113, 291—293, 339. *) C a r d , und Ep. an S a d o 1 e t. Hier, pag. 75b, nennt Sturm das fide beatum fieri das caput religionis nostrae.

2. Abschnitt.

Sturm christlicher Humanismus.

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nach der Prädestination und den Gnadenmitteln, da galt es auch für Sturm sich zu erklären. Wir hörten, wie er mit Zanchi offen für die Erwählungslehre eintrat. Ja^ er selbst machte sich daran, einen T r a k t a t über diesen Glaubenssatz zu verfassen. Aber was hatte er hier zu sagen, er, der es selbst kaum wagte, an dies dunkle Geheimnis zu rühren oder sich darüber zu entscheiden 1 ) ? In wortreichem Latein begründete er seine Ansicht nicht etwa aus überwältigender Glaubenserfahrung, sondern aus dem philosophischen Satze: unum omnium est rerum principium: Der allwirksame Gott hat auch die Begnadeten und die Verworfenen geschaffen 2 ). So finden wir schon hier den charakteristischen Widerspruch in Sturms Religiosität: Ungern nur sprach er entschlossen sich aus in der tiefen Empfindung, wie unformulierbar das Glaubensleben sei — wenn er aber sprach, so mischte sich alsbald seine eloquente und rationalisierende Bildung in sein Bekenntnis, um es oberflächlich und schimmernd zu machen. Wie ergänzten sich diese widersprechenden Eigenschaften! Ein Bekenntnis solcher Art war bereit zu Kompromissen und zur Toleranz. Nicht minder bereit zur Duldung war ein Glaubensgefühl, das den Ausdruck scheute. Und in dieser eng verbundenen Doppeltheit läßt sich auch alles fassen, was Sturm über die Gnadenmittel, ') Sturm an Beza, 20. II. (1558.) K. St. (Hier fälschlich 1556. Vgl. Rh. XXI, 1558, f. 83 b.) — Gleichzeitig: Sturm (an die Schulprofessoren und Theologen?) Th. B. XXI, pag. 149ff. s ) Sturm spricht über die Absicht, eine Schrift über die Prädestination herauszugeben: 21. I. 1562 an Theobald Dietrich. Z. E p p. II, pag. 220. — Kaum mag damit der kleine Traktat gemeint sein, der sich auf dem Züricher Staatsarchiv (E. II, 371) befindet: Summa doctrinae praedistinationis (!) a D. Joanne Sturmio conscripta, zitiert bei AI. S c h w e i z e r : Die protestantischen Zentraldogmen in ihrer Entwicklung usw. (Zürich 1854, I, pag. 452 Anm. 2). Aus dem Züricher Traktat unser Zitat. — Dem Züricher Staatsarchiv sage ich für die Übersendung einer Kopie ergebenen Dank.

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7. Kapitel.

Der Sieg der Orthodoxie etc.

über die Kirche zu sagen wußte. Mystik und Rationalismus standen sich ergänzend gegenüber. Gehen wir aus vom Gnadenmittel des Abendmahls. Unmittelbar wird es uns hinüberführen zur Kirche, in der wir dann den Platz für das Predigtamt zu suchen haben. F ü r die natürlichen Sinne forderte Sturm ein Recht auch in der Auffassung des Mysteriums. Nichts allerdings sollte über das Abendmahl gelehrt werden, was den Worten Christi entgegen sei, nichts aber auch: quod naturae sensibus horribile sit 1 ). Doch nur dem lutherischen Dogma der manducatio oralis und der Ubiquität hielt der Humanist die Vernunftwidrigkeit (und unästhetische Konsequenzen) entgegen. Nur hier griff er zu den gleichen Worten, mit denen er auch die Methode seiner Ephemeriden begründete: An non philosophia donum Dei est ? An non maximum Dei munus est Dialecticorum doctrina ? An non o m n i s a r s naturae imitatioest? Quid aliud est tyrannidem exercere ? Si istuc non est, prohibere ut ne ratione utamur, cum tibi respondere molestum sit. Die Lehre von der Ubiquität kann sich auf keine via artis berufen. Quasi fides non ratione stabiliaturl Quasi non oporteat vowt%iug credere! 2 ) Aber dicht nebeneinander stellte Sturm die beiden Sätze: Mysteria non sunt mysteria, si mystericam nullam habent sententiam in se reconditam. — Mysteria an non oportet vowexiög, hoc est mente et intelligentia adhibita recte cognoscere et interpretari ?3) Für Sturm lag die Mystik des Sakraments nicht in einer so konkreten Tatsache, wie sie die lutherische Lehre Sturm an Friedrich III. von der Pfalz. C. R. C a 1 v. Epp. XVIII, pag. 320 (19. I. 1561). »> A p. IV, 3 pag. 184 vgl. oben pag. 76f., 80f. — A p. IV, 2 pag. 86. A m b r o s i a , pag. 5. ») A p . IV, 2 pag. 128.

2. Abschnitt.

Sturms christlicher Humanismus.

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von der manducatio oralis voraussetzte, sondern in dem geistigen Einswerden des Gläubigen mit Christus. Hier konnte sein Rationalismus gewissermaßen mit dem Unbegreiflichen kompromittieren, indem er das Wunder subjektivisierte und psychologisierte. Das Wort »der G e i s t ist's, der da lebendig macht« war mystisch und verständlich zu gleicher Zeit. Man konnte in ihm duldsam und selber unverbunden sein. So ließ Sturm eine Allenthalbenheit auch nur gelten für die vis, potentia, efficacia, glorificatio carnis et sanguinis Christi. Er kannte keinen anderen modus praesentiae, quam fidei modum, spiritus sancti modum, potentiam verbi. Eine esca spiritualis war ihm das Sakrament des Nachtmahls 1 ). In all diesen Anschauungen war Sturm für sein ganzes Leben ein getreuer Schüler Butzers. Aber es war doch auch nicht ohne Einfluß für ihn, daß er in nächster Nähe Boquins und Zanchis lebte. Sie lehrten ihn, Butzersche Gedanken wenn auch nicht weiter zu bauen, so doch schärfer in den Vordergrund zu rücken und dadurch an seinem Teil mitzuarbeiten an der Entwicklung der Föderaltheologie. Dies geschah, indem Butzers Lehre vom Abendmahl und regnum Christi aufs engste miteinander verbunden wurden, und damit die Auffassungen von Abendmahl und Kirche ineinander überzugehen begannen 2 ). Die Mitteilung von Leib und Blut Christi im Abendmahl ward zu einer v ö l l i g e n incorporatio in Christus und zugleich zum Symbol der communicatio aller Gläubigen untereinander als des Leibes Christi. Hier ließ für die Lehre vom Sakrament der vom Spiritualismus schon gefügig gemachte Rationalist sich unbemerkt völlig hinüberlocken in das Gebiet der Mystik. A p . III, pag. 261. — V o r t r a b : pag. 58. — C h r y s o s t o m u s (Th. A. 32), pag. 105. — A p. IV, 2 pag. 117. *) Uber die Föderaltheologie vgl. H e p p e: Dogmatik des deutschen Protestantismus. 1857, I, pag. 139ff. und die Literatur in Haucks Real-Enzyklopädie unter »Coccejus«.

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7. Kapitel. Der Sieg der Orthodoxie etc.

Grundlegend ward für Sturm der paulinische Begriff der Mirawia

TOV au'picaog

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die

er

auslegte

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die coalitio cum Christo, non t a n t u m spiritualiter, s e d e t i a m naturaliter in hac mystica benedictione et sacramento panis benedictionis. In dieser societas corporis et sanguinis doinini waren ihm alle Wohltaten und Verdienste Christi begriffen 1 ). Wo aber ward solch Gnadenmittel in seiner letzten Vollendung gespendet ? Erst in der ewigen Seligkeit — erst im Himmel. Erst dort geschah für Sturm jene innigste Vereinigung mit dem Herrn, die alles und jedes an uns zu Christi Gliedmaßen macht. Dies selige Schauen und Einswerden mit Christus war ihm ein wertvoller Besitz seines Glaubenslebens. Hier streifte er jeden Rationalismus ab. Hier spielte zugleich auch der ästhetische Genuß am gewaltigen Schauspiel mit, und wiederum begründete sich hier sein Haß gegen die Ubiquität. Wenn dort im Jenseits unsere Körper die Sterblichkeit hinter sich gelassen haben und Christus dort sich uns enthüllt in seinem geistigen (spiritualis) Fleisch und Blut, so wird dort kein Glaube mehr vonnöten sein, denn wir werden sehen. In Ewigkeit werden wir dort die Weisheit und Schönheit Christi kosten. Welche Wonne, welche Liebe wird dann in aller Herzen sein! Wir werden die Wohnungen der Seligen schauen, »das kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz kommen ist, das Gott bereitet hat denen, die ihn lieben« (1. Kor. 2, 9). — Dort werden unsere Glieder betaut sein (rorare) von den tauenden (rorantibus) Gliedern Christi. Kein Kelch wird mehr vonnöten sein, sondern ausgegossen ist die Gnade per totam collectam Ecclesiam ex cprpore Christi: ut hic (im Abendmahl) illi concorpores et consanguines efficiamur, illic existamus >) Sturm an Friedr. III. v. d. Pfalz. C. R. C a 1 v. Epp. XVIII, pag. 320 (19.1.1561). — A p. IV, 2 pag. 119. — D e c o e n a 1561.

2. Abschnitt.

Sturms christlicher Humanismus.

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in aevum sempiternum in seculum seculi in secula seculorum. Sela 1 ). Die Ubiquität aber •— so meinte Sturm — nimmt uns die Hoffnung, daß wir auch Christus, den Menschen, im Himmel zur Rechten Gottes sehen, daß wir die ganze Dreieinigkeit erblicken werden 2 ). Dies überwältigende Schauspiel, dies spectaculum, dies theatrum zu kosten, war des Humanisten himmlischste Sehnsucht. — Wir stehen hier an der Stelle, da Sturms religiöses Gefühl sich am stärksten offenbarte, da es sich am weitesten entfernte von aller Reflexion. Wie gewann es zugleich einen pathetischen, echt eloquenten Ausdruck und für die Vorstellung ein schimmerndes, leuchtendes Bild! Der Rationalist schwieg, aber der Ästhet fand sein Genüge. Die Darstellung von Sturms Sakramentslehre führte uns auf diesen Höhepunkt. Aber schon fanden wir Anzeichen, wie die hier lebendige Auffassung des Nachtmahls unmittelbar überging auch in die Vorstellungen des Humanisten von der K i r c h e . Diese wie das Sakrament des Altars waren ihm die consociatio corporis Christi 8 ). Und wenn wir diesen Gedanken nun aufnehmen, so werden wir an seiner Hand langsam wieder zurückwandeln können vom Gipfel der Mystik in das flache Land der »Bildung«, deren ratio wir anfangs im Kampf gegen die Ubiquität sahen. Nur im theatrum der Ewigkeit ist uns bisher der konkrete Christus begegnet. Seine sinnliche und historische Erscheinung ward durch die »geistige Niessung« des Sakraments im Akt des Abendmahls nicht so an») A p . IV, 2 pag. 121; IV, 4 pag. 168. Vgl. IV, 1 pag. 35 und A m b r o s i a , pag. 27. ») A p . IV, 4 pag. 16; IV, 3 pag. 215. ') Im Vorwort zu: Joh. Ponetus (Poynet), Diallacticon de veritate, natura atque substantia corporis et sanguinis Christi in eucharistia. s. 1. 1576, vgl. A p. IV, 2 pag. 176.

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7. Kapitel. Der Sieg der Orthodoxie etc.

schaulich und objektiv erfaßt, wie die lutherische Lehre der manducatio oralis sie ausnutzte und schlicht-tatsächlich, wie sie einst gesehen worden war, und wunderbar zugleich wirken ließ. In gleicher Weise fiel nun auch in der Lehre von der Kirche auf jene Spanne Zeit, da der Herr Knechtsgestalt annahm, nicht derselbe entscheidende Ton wie beim Luthertum. Soviel Sturm auch von Christus beim Abendmahl und bei der Kirche sprach, beide Male ward gleichsam die historische Begebenheit nur der Anknüpfungspunkt, um in enthistorisierender Vergeistigung Ausdrucksformen für den Verkehr des Menschen mit dem Unendlichen, mit Gott zu geben. Es waren Schritte, die, einmal getan, zu einer Überwindung der historischen Religion führen konnten und die religiösen Probleme — zu deren Verderben — einer systematischen abstrakten Behandlung zugänglich machten. Zwar sprach Sturm noch nicht, wie die Föderaltheologie es tat, von einem foedus Gottes mit Adam, aber doch schied er nicht zwischen dem alten und neuen Bunde. Die Kirche, die consociatio corporis Christi, erstreckte sich ihm über das Alte und Neue Testament. Christi Fleisch nannte er nostra et patrum ( = Patriarchen) caro, Christi Blut noster et patrum sanguis. Nach ihm haben die Patriarchen mit uns eandem escam genossen, und die benedictio domini im Abendmahl war ihm ebenso ewig wie die benedictio im Paradies: Seid fruchtbar und mehret euch. Das Leben, das Adam empfangen hat, das Christus bei Geburt und Auferstehung annahm, dessen wir im Abendmahl teilhaftig werden, all dies Leben, so bekannte Sturm, entspringt aus dem gleichen spiraculum vitae Gottes 1 ). l

) A p. IV, 1 pag. 32 ff. — D e c o e n a 1561. — Sturm an Wilhelm von Hessen. 5. VII. 1574. Marburg, Staatsarchiv, Korrespondenz Straßburgs.

2. Abschnitt. Sturms christlicher Humanismus.

305

Diese ewige Kirche mußte den Widerspruch der Glaubenskirche finden, denn gerade in deren Wesen lag es ja, den Glauben an die Sündenvergebung in die Mitte ihrer Lehre zu stellen und ihn festzuknüpfen an die einmalige Tatsache von Christi Erdenwandel. Aus diesem Wirken des Mittlers leitete sie die Kraft und das Wesen ihrer Gnadenmittel her. Und so finden wir denn hier die lebhafteste Polemik der Gegner Sturms, von der wir uns jetzt auf Augenblicke weiter leiten lassen möchten, um an ihr des Humanisten Auffassung von der Kirche und ihrer Lehrverwaltung besser zu erkennen. Falsch war für den Lutheraner die Gleichsetzung des alttestamentlichen Mannas mit dem Brote des Herrn und die Auffassung Sturms von der Stellung der Patriarchen zu Christus. Falsch war ihnen die Vermischung der xoiviovia corporis et sanguinis Christi mit der necessitudo, quae est inter Christum et ecclesiam. Tadeln mußten sie vor allem seine Lehre von den Gnadenmitteln. Wie hätten sie von einem Sakrament in der Ewigkeit sprechen können, die doch für Sturm erst die Vollendung des Abendmahls in dem Einswerden mit Christus brachte! Und mußten nicht gerade sie es tadeln, daß Sturm das Gnadenmittel des Predigtamtes — ganz vergaß 1 ) ? Das Amt am Wort besaß die einzige Gewalt, die Luther unter den Gläubigen gekannt hatte. Dies Amt am Wort verkündigte das Evangelium, das mit dem historischen Christus neu und gewaltig in die Welt gekommen war, und herrschte durch dieses Wort. Ü b e r den Geistlichen aber wollte Sturm noch den vir bonus et doctus ordnen, in dessen Bildung Christentum und Antike ihre Kompromisse schlössen! Eine Synode der Gelehrten, nicht das Amt am Wort und seine Wirkung auf die Gläubigen sollte ihm Zeugnis geben von der rechten Lehre. 1

) D e f. IV, 2 pag. 85ff.

So h m Schule und Kirch« StraBburgs.

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7. Kapitel. Der Sieg der Orthodoxie etc.

Gegen Sturm als den vir bonus et doctus, der sich der Theologie annahm, gegen seine Idee von der Synode als eines congressus virorum bonorum et doctorum, der über Lehrfragen entscheiden sollte, wandten die Prediger ihre Angriffe. Es hieß für Marbach, den Zwinglischen Irrtum so grob und unartig verteidigen, daß verständige Zwinglianer sich selber schämen sollten, wenn Sturm die Vergeistigung des Kirchenkörpers durch Vereinigung mit Christus predigte. »Überzwinglisch « war ihm Sturm, der »seine sondern gedancken«hatte. Da glaubte der Superintendent, Sturm »weder zwinglisch noch lutherisch, auch kein Papisten sein, aber wol einen p h i l o s o p h u m unnd hominem socraticum« schelten zu müssen 1 ). Und der »promovierte Doktor der h. Schrifft«, der wohl wußte, was »zu einem erfarnen und rechtschaffnen Theologen gehörig«, verwies nun den Orator in die philosophische Fakultät 2 ). Wie'der und wieder ward Sturm belehrt, daß Wohlredenheit und Theologie nichts miteinander zu schaffen hätten, daß, wer die ars dicendi beherrsche, deshalb in negotio religionis nicht wohl zu bestehen brauche. Traf der Tübinger Osiander, der Sturm für einen Papisten, Synergisten, Schwenkfeldianer und Epikuräer ausrief, nicht eine Schwäche der Eloquenz, wenn er Sturm schließlich vorwarf, die Principia disciplinarum zu vermengen und ihn darum einen Philosophaster nannte ? Wie Plato den eloquenten Sophisten, so warnte jetzt das Predigtamt den Humanisten vor der 7iolv7CQay/.ioOLvij.s) ') Marbachs Antwort auf Sturms Deklarationsschrift. 1572. (Th.A. 32), pag. 107,109 b und pag. 72ff. — Marbach, 10. XII. 1572. Konzept (Th. A. 32). ») Marbach: Warhaffte Verantwortung. 3. VI. 1573 (Th. A. 32), pag. 43 b. *) Osiander: A n t i s t. II, pag. 102. A n t i s t. I, pag. 4. Dazu pag. 7, pag. 31. — Epistola Musarum ad Dom. J. Sturmium. s. 1. 1580.

2. Abschnitt. Sturms christlicher Humanismus.

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Wie tief ward Sturm durch diese Angriffe getroffen, der er Wohlredenheit und Rechtgläubigkeit aufs engste verbunden glaubte, dem die Ubiquität ein falsches Dogma, ubiquitas ein barbare vocabulum warl Und wie wies er diesen Angriff zurück mit Waffen, die ihm seine oratorische Überzeugung bot! Als Orator forderte er Freiheit in der inventio und collocatio seiner Reden. Als Orator beanspruchte er Freiheit für jeglichen Stoff, auch für die Religion1). Und die Bildung des Orators war es auch, die die Gegner herausspürten aus der Bildung jener viri boni et docti, die für Sturm den Synodus ausmachen sollten. Den Apostel Paulus selbst, so spotteten sie, hätte er zu diesem congressus nicht zugelassen, quia non per omnes classes tuae scholae ad perfectam et absolutam artium scientiam progressus est, atque adeo neque Demosthenicam, neque Ciceronianam e l o q u e n t i a m est secutus 2 ). Von der Synode der gebildeten Biedermänner erwartete Sturm die Lösung der religiösen Konflikte seines Jahrhunderts. Sie sollte der großen Gemeinde der Gläubigen den Frieden in der Lehre bringen. Kein anderer kirchenpolitischer Wunsch drückte sich hier aus als der, den Sturms Schule jeweils im Straßburger Gemeindeleben vertreten hatte, nur daß er hier übertragen war auf das Gebiet der gesamten Christenheit. Die gebildete Laienwelt und die Obrigkeit wurden zum Synodus aufgerufen, um n e b e n den Trägern des Lehramts eine hervorragende kirchliche Aufgabe zu erhalten. Und a l l e wurden sie gefaßt unter den Begriff des vir bonus et doctus. Aber einem Lehrregiment, ausgeübt durch die Bildung, mußte die Glaubenskirche widersprechen, denn in ihm ward zugleich der V e r n u n f t und jener duld») Ap. IV. 4. pag. 177. ») A n t i s t II. pag. 15. 20*

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7. KapiteL Der Sieg der Orthodoxie etc.

samen U n b e s t i m m t h e i t der Lehre das Wort gesprochen, die wiederum eine exakte Dogmatik verhinderte. Verlangte Sturm doch nicht nur das doctus im weitesten Umfang, sondern definierte auch die virtus des vir bonus als pietas et religio ea, quae est utitTiiox-iurp spiritus sancti et fidei aya&oj nitens 1 ). Für den Humanisten fanden im Biedermann der Prediger, Laie und Ratsherr, der Katholik, Protestant und Kalvinist ihre Versöhnung. Die religiösen Gegensätze traten zurück, denn die g l e i c h e Konfession galt nach Sturm unter den viris bonis et fidelibus et eruditis et e l e g a n t e r d o c t i s , sive Lutherani nominis illi sint, sive Zwingliani, sive Pontificii2). Als Begründung aber ließ er den Satz folgen: ubique terrarum Deus suos e l e c t o s habet. Hier verband sich die Lehre von der Prädestination von neuem mit einer Gleichgültigkeit gegen das Bekenntnis, die die Glaubenskirche nie dulden durfte und die dem Predigtamt der Orthodoxie unannehmbar sein mußte 3 ). Für eine Kirche, die die Gnadenmittel im lutherischen Sinne verwaltete, waren und blieben Sturms Gedanken unbrauchbar. Das Sakrament wie das Wort wurden ihm verschleiert durch eine vergeistigende Auffassung oder durch eine Scheu vor allzu verbindlicher Formulierung. Bekannte Sturm doch selbst noch im Jahre 1576: Ego neutram partem (Luthertum, Kalvinismus) reprehendo, faveo utrisque, utramque amo. Peinlich war ihm die Leidenschaft auf beiden Parteien: peccatur utrimque nimi patientia. Jede Störung suchte er zu vermeiden: cum natura abhorream ab omni perturbatione ecclesiarum4). A p . IV, 4 pag. 161. *) A p . IV, 2 pag. 125. Dazu: Ap. IV, 4 pag. 173: U n a enim fides, una doctrina, unum Evangelium, una Caritas est et esse debet, non solum sacerdotum, sed etiam Magistratuum, principum, regum, imperatorum in populo ecclesiae. *) S. o. pag. 202 und pag. 230. 4 ) Vgl. das pag. 303 Anm. 3 zitierte Vorwort. — Sturm an Christian III. von Dänemark 3. XI. 1555, 27. VII. 1554, in S c h u -

2. Abschnitt.

Sturms christlicher Humanismus.

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Solche Auffassungen konnten ihn nicht zu einer Glaubenskirche führen, sondern mußten auch ihn sich zur L i e b e s k i r c h e bekennen heißen. Hier herrschte Duldung und oratorische Versöhnlichkeit. Hier ward man nicht so sehr gerichtet nach dem Bekenntnis, wie nach seiner sittlichen Betätigung. Wie das Abendmahl für Sturm das Mahl der Liebe war, so wurde ihm auch die Kirche ganz im Sinne des früheren Butzers eine Kirche des Liebesdienstes. Ich weiß, so rief er aus, ecclesiam totam unum corpus esse, sed unius corporis plura sunt membra . . . unusquisque donum suum habet ad aedificationem ecclesiae Dei1). Ein Liebesdienst der Bildung sollte auch der Synodus sein, der über die Lehre entschied 1 Und dieser L i e b e s dienst, geleistet durch Männer, deren n a t ü r l i c h e S i n n e aufs beste gepflegt waren, ward einbezogen mitten in jene m y s t i s c h e Auffassung der Kirche, die selbst wie auch ihr Sakrament des Abendmahls gefaßt wurde als eine innige Einleibung in den Körper Christi. So mischte sich in dem, was Sturm über die Kirche und die Gnadenmittel zu sagen wußte, Rationalismus, Mystik und Ethik. Eine Stellung der E t h i k , wie die Liebeskirche sie ihr zuwies, ermöglichte es, jede sittliche Leistung religiös zu werten, ja als Kirchendienst anzusehen. Von hier aus eröffnet sich uns der erste Blick über die engeren Grenzen der Sturmschen Religiosität hinaus. Er fällt auf das Gebiet der P o l i t i k . Unmittelbar mußte sich die reinste sittliche Betätigung, der Dienst am Vaterland, am Staat, einbeziehen lassen in den Gedanken des Gottesdienstes. Und um so leichter wurde dieser Übergang aus dem religiösen ins ethische Leben, je näher die Auffassungen von Staat und Kirche aneinander rückm a c h e r : Gelehrter Männer Briefe an die Könige von Dänemark. Kopenhagen 1758, Teil II, pag. 469, pag. 315. ') A p. II, pag. 199f.

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7. Kapitel. Der Sieg der Orthodoxie etc.

ten. Die harmonische societas, die consociatio waren für Sturm das Wertvollste an Kirche und Sakrament. Wie klein war der Schritt für ein so gefaßtes kirchliches Interesse zur politischen Betätigung, vom regnum Christi zur societaB Christiana der abendländischen Weltl Für den Humanisten ließ sich das sozialistische und christliche Interesse nicht trennen 1 ). Deutlich zeigte Sturm diese Gesinnung in seinen Büchern über den Türkenkrieg. Da sprach er von dem vielgliedrigen Körper der christlichen Republik, ebenso wie er von der Kirche und ihren mannigfachen Gliedern gesprochen hatte, und rief zur Einheit auf mit Worten, die ihm seine Überzeugung vom Abendmahl eingab, denn alle christlichen Stände, so meinte er, sollen trotz ihrer Verschiedenheit bilden u n a m Ecclesiam, Christi carne et sanguine eiusque spiritu ita c o n s o c i a t a m: ut in sempiternum divelli non possit. Und als das Haupt dieser politischen Kirche redete er den Kaiser an! 2 ) Welch ein reizvolles Bild der Renaissance! Wie der klassische Orator stellte Sturm sich hier mitten ins politische Leben und begriff doch zugleich seine Handlungsweise als Dienst an der Christenheit und der christlichen Kirche. Gleichzeitig sprach er, als ob er auf der antiken Agora und als ob er auf der Kanzel stünde. Das Bild des wiedergeborenen Redners, wie es uns Melanchthons Declamatio de utilitate eloquentiae zeichnete, geriet hier gleichsam in Bewegung und Handlung 3 ). Betätigung in der christlichen Politik war der eloquenteste Kirchendienst! Wie wußte Sturm doch auch in diese Politik seine Gedanken über den Synodus einzubeziehen! Der Synodus sollte das Abendland einen, bevor es gegen den Türken sich rüstete. Und wie wurde dem Humanisten die sapiens et eloquens pietas zum belebenden Geist des l

) S. o. pag. 119ff. •) Adv. T u r c a s. Prologus sagatus pag. 13. ») S. o. pag. 50.

2. Abschnitt. Sturms christlicher Humanismus.

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christlichen Heeres, wenn er in der cohors litterata dessen geistigen Mittelpunkt schaffen wollte, um dadurch eine der türkischen Glaubenswut überlegene Gesinnung ins Leben zu rufen l1) Die Idee eines solchen eloquenten Kirchendienstes müssen wir hinter Sturms gesamter politischer Betätigung suchen, auch dort, wo sie im Interesse der Evangelischen in Frankreich oder England praktisch wurde 2 ). Sie war getragen von echtestem christlichen Humanismus und hatte dessen Kraft — und dessen Schwäche zu eigen. In ihr paarte sich Idealismus und Phantastik, ehrliche Uberzeugung und gefährliche Unzuverlässigkeit. Wieviel ist ernste Absicht, wieviel ist theoretische Spielerei und Pose in Sturms Büchern vom Türkenkrieg ? Unsicher und wenig tief begründet war sein praktisches politisches Urteil. In wenig Jahren konnte er aus einem erklärten Gegner des Hauses Habsburg dessen treuer Anhänger werden, der 1555 von Karl V. einen Adelsbrief erhielt. Und wenn er auf der einen Seite in enthusiastischem Schwung und richtiger politischer Einsicht sein ganzes Vermögen der Sache der französischen Hugenotten opfern konnte — lockte ihn nicht auch hier wieder die politische Rolle, die Freundschaft der Fürsten und Großen3) ? *) Prologus loricatus pag. 31. — Sermo II, pag. 31, 109ff., 135bff., 144bff. — Epitome, pag. 22ff., 29. *) S. o. pag. 29. — Im Interesse des schmalkaldischen Bundes ließ Sturm sich wiederholt zu Sendungen nach Frankreich gebrauchen (1545, 1546). Er nahm teil an der Gesandtschaft, die England für den Bund gewinnen wollte (1546), und trat 1551 ff. von neuem in Beziehungen mit dem französischen Hof. (Vgl. S c h m i d t , l a v i e pag. 57ff., pag. 69, 86.) *) H. B a u m g a r t e n s Urteil über Sturms politische Betätigung in Frankreich: Sleidans Briefwechsel, Straßburg 1881, pag. 85. — Uber die Schwenkung zu Habsburg: S c h m i d t , l a v i e pag. 86, 91. Dazu: Sturm an Granvella 22. I. (1554). K. St. Der Adelsbrief in adv. T u r c a s. Sturm begeistert für Habsburg ebenda in dem ersten Prolog und pag. 32b, 44, 53ff., 57. — Über Sturm und die Hugenotten: S c h m i d t , l a v i e pag. 170. —

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7. Kapitel.

Der Sieg der Orthodoxie etc.

Der schöne Gedanke der Toleranz und der Liebe, ein Schmuckstück Sturmscher Religiosität, konnte schon in seinen kirchlichen Ansichten wunderliche Früchte zeitigen 1 ). In der Politik, wenn der Humanist es weder mit der katholischen noch mit der evangelischen Partei verderben wollte, mußte aus der Duldsamkeit Schmiegsamkeit und Charakterschwäche werden. Aber wenn den Orator hier das Pathos mit sich fortriß, so deutet sich uns doch zugleich auch wieder ein positiver Zug seines Wesens an, der uns gleichfalls schon in seinem Glaubensleben begegnete: das künstlerische Temperament und der Sinn für die Szene, die ästhetische Lust an der Anschauung und der Harmonie. In eine neue Umgebung fügte Sturms Glaubensleben sich damit ein: in die Welt der Ästhetik. Sturms Mystik war kontemplativ. Sie fand ihren Höhepunkt in der Anschauung eines großen himmlischen Schauspiels. Ist es ein Wunder, wenn wir in Sturms Schriften Stellen von dichterischer Kunst der Darstellung finden ? Seine Erzählungen von der Verfolgung der Reformierten in Frankreich, vom schrecklichen Pestjahr 1541, von der großen Zeit Straßburgs unter Jakob Sturm machen uns bewegte Szenen aufs lebhafteste und bis auf die kleinsten Züge gegenwärtig 2 ). Das künstlerisch Vollendetste, was uns Sturms Feder hinterlassen hat, sind seine Gedenkbriefe beim Tode des Bischofs Erasmus von Straßburg*). Es sind Briefe wehmütiger Erinnerung. Aber während die Saiten stets auf diese elegische Tonart gestimmt bleiben, wechseln doch die Melodien und das Sturms Verkehr mit den Großen im Reich und in Europa, mit den jungen Adligen und hohen Standespersonen unter den Schillern ist dauernd ein Gegenstand Marbachschen Spottes. >) S. o. pag. 243. *) A p . I, pag. 43 ff. — A p. IV, 1 pag. 5. — Joh. Sturmii et Gymnasii Argent. luctus ad Camerarium. Straßburg 1542. a ) E r a s m u s , s. Abkürzungen 1.

2. Abschnitt. Sturms christlicher Humanismus.

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Thema in kunstvollster Abwägung. Bald sind es die untergegangenen Jahre der Freundschaft, bald die vergangenen Zeiten eines Erasmus Rotterodamus und eines Jakob Sturm, über die sich die Klage erhebt. Dann folgen die ansprechendsten Schilderungen aus des Rektors Kinderzeit: ein Begräbnis, der Hund Satinus, eine Krankheit. Endlich aber ersteht die Vaterstadt Schleiden mit Bergen und Burgen, mit Winkeln und auf- und niedersteigenden Gassen, mit dem Fluß und dem Elternhaus vor unsern Blicken. Mochte Sturm auch oft allzufrüh satt werden am schöngedachten Ganzen und am Spiel, an der Form sich weiden — in seinen Erzählungen zeigte sein ästhetischer Sinn eine Begabung, die über manche Schwäche seiner formalistischen Neigungen hinwegtrösten kann. Noch schöner aber und wertvoller war es doch für diesen Ästheticismus, daß er seinem Prinzip nach nicht getrennt werden wollte von moralischer Kraft und sich bemühte, über dem peritus dicendi das bonus nicht zu vergessen. Dies bonus führte uns von der Schule in die Kirche, von der Kirche in die Politik. Oft sahen wir, wie gerade der eng verbundene Ästheticismus es gefährdete. Aber nun am Ende unserer Darstellung, da wir Sturms Leben und seine Überzeugungen kennen gelernt haben, dürfen wir noch einmal und ohne Zaudern von dem Rektor als einem echten vir bonus reden. Denn folgen wir ihm hinaus nach seinem Landgut Northeim, auf dem er die letzten Jahre seines Lebens zum größten Teile verbrachte, so finden wir hier eine religiös und sittlich gefestigte Persönlichkeit, über die jene Schwächen nur den liebenswürdigen Glanz einer heiteren Gelassenheit breiteten. Hier bewährte sich Sturms sapiens et eloquens pietas und zeigte sich in ihrer Mischung von Religiosität, Moral, Genuß und Philosophie kräftig genug, Unglück zu überwinden.

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7. KapiteL Der Sieg der Orthodoxie etc.

Lieblich bettet sich der Flecken Northeim in die sanften Vorhügel der Vogesen ein (etwa zwischen Zabern und Molsheim). Der Mann, der in so warmen Tönen von seiner Vaterstadt erzählen konnte, wird auch hier ein genießendes Auge für die Landschaft gehabt haben. Tuskulum nannte der Humanist sein Gut. Wie sich ihm so oft lateinische Phrase mit einer Herzensmeinung vereinte, so mochte sich ihm auch hier in den römischen Namen ein Klang bukolischer Poesie und stoischer Philosophie einmischen. Und stoisch wie christlich zugleich schrieb er wenige Monate nach seiner Absetzung an einen Freund: Bereit bin ich zu Glück und zu Leiden. Kommt Glück, so danke ich Gott. Kommt Leid, so lobe ich ihn, daß er für uns alle gekreuzigt ist. Wir müssen beten, daß wir geduldig und tapfer unsere Kreuzesschule durchlaufen. Heilsam ist die Trauer, in der wir Gottes Zorn kennen lernen. Allzusehr lieben wir uns selbst 1 ). So wie er seine Gefährten mahnte 2 ), so verstand er es auch selbst, Zorn und Seelenruhe in sich zu vereinen. Mit männlicher Kraft behauptete er der schnöden Absetzung zu Trotz sein Recht auf das Rektorat und bereitete er rastlos seine Verteidigung vor dem Reichskammergericht vor. Und wenn er sich auch mitten in den kritischen Novembertagen 1581 anhielt, nicht traurig darüber zu sein, daß dem Christen die Rache verboten sei, so sehnte er sich doch danach, dem Gegner wenigstens einen Nasenstüber geben zu dürfen. Dem scherzenden Philosophen raubte aller Streit keine Stunde des Schlafes. Sein Gott, sein Gewissen tröstete ihn und seine Arbeit für das gemeine Wohl. Von Straßburg das Konkordienbuch und die krasse manducatio oralis fernzu>) Aus Northeim 14. und 27. I I I . 1582 an Gamauth. K. St. •) An Theodosius Rihel 9. V. 1 5 8 3 (Northeim): non solum decet, sed etiam utile est, christianum ita irasci, ut non peccet, secundum illud: irascere et noli peccare. V. E . I und K. St.

2. Abschnitt. Sturms christlicher Humanismus.

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halten, für das Abendland über den Türkenkrieg nachzusinnen, das waren die kirchlichen und politischen Aufgaben, von denen der greise Orator nicht ließ 1 ). Rund um ihn her spielte währenddessen das ländliche Leben. Philisterhaft und rührend konnte er sich an Kräutern und Gewässern freuen, quibus et alimur et valetudinem conservamus. Wie lebhaft hatten ihn schon in den Vorjahren die Sorgen seines Gärtchens beschäftigt! Da sollte ihm der Gärtner französischen und deutschen Rettigsamen von der besten Art schicken. Da bat er dringend um Nachricht, wie man in Frankreich Obstwein zubereite. Oder er erzählte, wie sein Berg voller Krammetsvögel sei und schrieb um Netze. Rotkohl, Mandelkerne und Weißbrot — so bat er ein andermal — möchte der Gärtnerknabe ihm herausbringen 2 ). Hielt Sturm es doch für der frommen Menschen Pflicht, Gott zu lieben und zu fürchten und Leiden mit Freuden aufzuheben. Gut Essen und gut Trinken sollte nicht vergessen werden: bene bibere cum virtute coniunctum est. So kamen denn gute, gesellige Freunde, Tuppius und der alte Kampfgeselle Konrad Dasypodius voran, um dem Greise die Zeit zu verkürzen. Um so willkommener mußten sie sein, da des Rektors Augenlicht von Jahr zu Jahr sich trübte. Aus der Ferne aber grüßte eine begeisterte Schülerschar. Sturms Briefe wollte man herausgeben, und zu Thorn ließ man seine wichtigsten pädagogischen Schriften drucken 3 ). ') Sturm an Beza 19. IX. 1584 (Northeim), Th. A. Univ. 5; an L. Tuppius 17. XI. 1581, F e c h t , pag. 888; an Beza 22. IV., 30. VI. 1583 (Northeim), Th. A. Univ. 5; an Thomas Erastus, Arzt zu Basel, 24. II. 1582 (Northeim), Bibl. v. Zofingen, Schmidt: Ms. P a r i s . *) Sturm an K. Lorcher 17. IX. 1580 (Noitheim). K. St.; an Hugo Baur (aus Northeim) Mai 1579 (K. St.), August 1576 (Ms. P a r i s ) , 25. II. 1572 (K. St.); an Theophil. Gollius September 1577 (Northeim?) Ms. P a r i s . ») Sturm an Hugo Baur 26. V. 1579 (Northeim) K. St.; an Bernhard Botzheim 11. III. 1577 (Straßburg). Im Anhang

316

7. Kapitel.

Der Sieg der Orthodoxie etc.

Diese Schulschriften waren es, die das Ideal der sapiens et eloquens pietas mit alter Frische verkündigten. Aber griffen sie, als sie im Jahre 1586 zu Thorn erschienen» noch so unmittelbar ein ins Leben, wie ihr ehrwürdiger Autor es einst bei der Niederschrift gewünscht hatte ? Ihr schönstes Ziel drückte sich aus in dem Wort vom vir bonus et doctus. Und schon 1550 hatte Sturm klagen müssen: magna nunc raritas est bonorum et prudentium et doctorumvirorum, p r a e s e r t i m t h e o l o g o r u m I 1 ) Er selbst hatte stets geglaubt, und sein Ideal des gebildeten Biedermannes sprach es aus, daß reine Sprache, reine Religion, reines Leben unzertrennbar miteinander verbunden seien. Nun mußte er am Ende seines Lebens sich unverstanden sehen. Dort, wo er gegen Pappus vom Synodus gesprochen hatte, war seine Phantasie klagend zurückgeeilt zu jenen Tagen, da man noch die enge Verbindung von Humanismus und Reformation verstand, da ein Petrarcha, Savonarola (1), Erasmus, Bembo, Sadolet und Contarini lebten: qui l i t e r i s profligatis succurrebant et qui v e r a e d o c t r i n a e inceperant patrocinium. Worte wie lingua latina, religionis tractatio, urbanitas umklangen ihm den Namen des Erasmus. Ja, er glaubte, daß Luther mehr durch Erasmus als durch das eigene Genie erweckt worden sei. Jetzt sagte man von ihm selbst im Jahre seines Sturzes (1581): S o l u s h i c v i r s u p e r e s t ex aurei illius aevi heroibus Reipublicae et Ecclesiae efflorescentis, qui quidem clari fuerunt Erasmi, Oecolampadii, Lutheri Melanchthonis, Vivis, Budaei tempore 2 ). der Epistola consolatoria ad B. Botzhemium, Straßburg 1577. —S c h m i d t , l a v i e pag. 216, 218. ') Sturm an Christian III. von Dänemark 9. III. 1550. In S c h u m a c h e r 1. c. s. o. pag. 308 Anm. 4. ») A p. II, pag. 126ff. — A p. IV, 4 pag. 80. Hier tritt der humanistische Glaube, Luther sei von Erasmus maßgebend beeinflußt worden, ganz besonders scharf hervor. — S c h m i d t , 1 a v i e pag. 219 Anm. 2.

2. Abschnitt.

Sturms christlicher Humanismus.

317

Als Sturm am 3. März 1589 zu Straßburg starb, schloß ein vir bonus et doctus die Augen, dessen sittliche, kirchliche und philologische Ideale in ihrer Einheit nicht mehr verstanden wurden. Man glaubte den alten Mann zu Northeim als Schulmann schätzen und zugleich als Gläubigen verurteilen zu können 1 ). Ihm war dies unverständlich. Seine Moral, seine Religion, sein reines Latein waren ihm eines für das andere Unterpfand der Wahrheit. Von hier aus hatte sein christlicher, vielgeschäftiger Humanismus den Kampf gegen eine einseitige Orthodoxie aufgenommen, und von dieser wechselseitigen Bedingtheit aus hatte er auch für seine Schule einen bedeutsamen Platz in der Kirche gefordert. Die Kirche wies ihn im Namen des Glaubens ab, und die Wissenschaft selbst schritt, sich sachlich zu vertiefen, über seine Eloquenz hinweg. Diese Niederlage des Humanismus bedeutete für Straßburg den Tod eines Renaissanceideals, wie es im Namen des prädestinatianischen Christentums und antiker Kultur der erste Ausbau von Kirche und Schule hatte verwirklichen wollen. Es mußte schwinden. Aber sein Träger, der Humanist, hatte bis zu seinem Ende darum gekämpft, ihm gerecht zu werden, einem Ideale, dessen schimmerndes Wortgewand wohl spätere Jahrhunderte verwarfen, das aber in sich die unvergängliche Frage barg, wie Religion und Sittlichkeit, Glaube und Liebe sich finden möchten zum wahren und unermüdeten Gottesdienste am Nächsten. 1

) P a p p u s : Warhafte und wolgegründete Widerlegung des unwahrhafften und falschen Berichts, so wider die Straßburgisch Anno 1598 ausgegangene Kirchen-Ordnung zu Zweybrucken Anno 1603 gedruckt worden. Straßburg 1611. (Nach: H o r n i n g , H a n d b u c h pag. 121 ff.)

Druckfehler-Berichtigung. S. 1 Z. 13 T. o. lira : apologetica eoo tra. S. 22 Z. 9 v..u. 11« »Bit and XXI«. 8. 76 Z. 1 and 2 v. o. Ilei : Worte. Nlhll. S. 89 Z. 4 •. o. liei : wle wenn man. 8.140 Z. 10 V. u. Ilei in atatt an. 6.144 Z. 6 v. u. llea: Unter den. S. 168 Z. 2 T. U. die Notenxiifor strelchen nnd datili 8.164 Z. 5 y. o. ietoen : Herrni)8.170 Z. 14 o. liei : ino dem. 8. 238 Z. 4 v. n. llee : BtraBborger Konkordle itatt KonkordienformeL.

Verlag von R. Oldenbourg, München NW. 2 u. Berlin W. 10.

Historische Bibliothek Herausgegeben von der Redaktion der Historischen Zeitschrift. Bd. 1: Heinrich vonTrdtachkes Lehr- und Wanderjahre 1834—1867. Erzählt VOD T h e o d o r S c h l e m a n n . XII u. 291 S.8°. 2. Aufl. In Lein«, geb. M. 5.—. Bd. 2: Bride Samuel Pufendorfs an Christian Tbomaatua (1(87—1691). Herausgegeben und erkllrt von E m i l G i g a s . 78 S. 8». In Lein«, geb. M. 2.—. Bd. 3: Heinrich von Sybcl, Vortrige und Abhandlungen. Mit einer biographischen Einleitung von Prof. Dr. Va r r e n t r a p p. 378 S. 8°. In Lein«, geb. M. 7.—. Bd. 4: DI« Fortachritt« dar Diplom« Hk Mit MablUon vornehmlich in D*utschlaad-Öst«rr«lch. Von R i e h . R o s e n m u n d . X u. 125 S. 8*. In Lein«, geb. M. J . - . Bd. 5: Margarete von Parma, Stattlpltcrin der Niederlande (1559-1567). Von F e l i x R a c h l a b l . VIII u. 27t S. In Lein«, geb. M. I —. Bd. 6: Studien zur Entwicklung und theoretischen Begründung der Monarchie Im Altertum. Von J u l i u s K a e r a t . 109 S. 8*. In Lein«, geb. M . 3 . - . Bd.7: DI«BerlinerMlrztag« von 1848. VonProl.Dr.W.Busch. 74S.8*. Lein«.geb.M.2.—. Bd. 8: Sokrates und sein Volk. Ein Beitrag zur Geschichte der Lehrtreibeit Von Dr. Rot>. P O b l m a n n . VI u. 133 S.8». In Lein«, geb. M. 3.50. Bd. 9: Hans Karl von Wlnterieldt Ein General Friedrichs des GroBen. Von L u d w i g M o l l w o . XI u. 263 S. 8». In Lein«, geb. M. 5.—. Bd. 10: DI« Kolonlaipolitik Napoleons I. Von O u s t . R o l o l l . XIVu.258S.8*. Lein«, gb. M.J.—. Bd. 11: Territorium und Stadt Aufsitze zur deutschen Verfassungs-, Verwaltungs- u. Wirtschaltsgeschiclite. Von G e o r g v. B e l o « . XXI u. 342 S 8°. In Lein«, geb. M. 7.—. Bd. 12: Zauberwahn, Inquisition und Hexenprozesse Im Mittelalter und die Entstehung der groSen Hexcnvcrfolgung. Von J o s . H a n s e n . XVI u. 538 S. 8». Lein«, geb. M. 10.—. Bd. 13: DI« Anfing« des Humanismus In Ingolstadt Eine literar. Studie z. deutschen Univ.Geschichte. Von Prol. O u s t . B a u c h . XIII u. 115 S. 8«. In Lein«, geb. M. 3.50. Bd. 14: Studien zur Vorgrachlcht« der Reformation. Aus scblesischen Quellen. Von Dr. A r n o l d O. M e y e r XIV u. 170 S. 8*. In Lein«, geb. M. 4.50. Bd. 15: Die Caplta agendonim. Ein krit. Beitrag z. Geschichte der Relormverbandlungen in Konstanz. Von Priv.-Doz. Dr. K e h r m a n n . 67 S. 8°. In Lein«, geb. M. 2.—. Bd. 16: Vcrfassungsgcachlcht« der australischen Kolonien und des „Common wcalth ol Australla". Von Dr. D o e r k e s - B o p p a r d . XI u. 340S. 8°. In Lein«, geb. M. 8.—. Bd. 17: Gardiner, Oliver Cromw«ll. Autoris. Übersetz, aus dem Engl, von E. K i r c h n e r . Mit einem Vorwort von Prol. A. S t e r n . VII u.228 S. In Lein«, geb. M. 5.50. Bd. 18: Innozenz III. und England. Eine Darstellung seiner Beziehungen zu Staat und Kirche. Von Dr. E l s e G U t s c h o « . VIII u. 197 S. In Lein«, geb. M. 4.50. Bd. 19: DI« Ursachen der Rezeption des RBmischen Rechts In Deutachland. Von G e o r g v. B e l o « . XII u. 166 S. 8». In Lein«, geb. M. 4.50. Bd. 20: Bayern Im Jahre 1866 und die Berufung des Fürsten Hohenlohe. Eine Studie von Dr. K a r l A l e x a n d e r v. M ü l l e r . XVI u. 292 S. In Lein«, geb. M. 6.75. Bd. 21: Der Bericht des Herzogs Ernst II. von Koburg Ober den Frankfurter Fürstentag 1863. EinBeitr.z.Kritiksein.Memoiren v.Dr. K u r t D o r i e n . XVIu. 170S. 8*. Kart. M.4.— Bd. 22: Die Spanier In Nordamerika von 1513-1824. Von E r n s t D a e n e l l . XV u. 247 S. 8». Kartoniert M. 6.—. Bd. 23: Die Oberleitung Preußens In das konstitutionell« System durch den zweiten Vereinigten Landtag. Von H a n s M i h i . XII u. 268 S. 8°. Kartoniert M. 6.—. Bd. 24: Die Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der modernen Welt. Von E r n s t T r o e l t s c h . 2. vermehrte AulL 104 S. 8». Kartoniert M. 3.M. Bd. 25: Liselotte u. LudwigXIV. Von Dr. M. S t r i c h . VIII u. 154 S. 8»m. 1 Taf. Kart M.«.—. Bd. 26: Staat und Kirch« In den arianlschen Königreichen und Im Reiche Chlodwigs. Von Dr. H s n s v o n S c h u b e r t XIV u. 199 S. 8*. Kartoniert M. 6.—. Bd. 27: Die Schule Johann Sturms und die Kirche StraOburgs. Von W. S o h m . XIV u . 317 S. 8*. Kartoniert M. « . - . Bd. 28: Frankreich und die deutschen Protestanten In den Jahren 1570/73. Von W. P l a t z h o l l . XVIII u. 215 S. 8«. Kartoniert M. 6 . - . Mit Band 21 beginnt eine neue Serie der Historischen Bibliothek. Wir liefern d i e komplette erste Serie (Band I —20) zu dem s r m l s s l g t s n P r e i s v o n M . SO.—• Die Preise fUr einzelne Binde dagegen bleiben besteben.

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