Die Rheinlandkrise 1936: Das Auswärtige Amt und der Locarnopakt 1933-1936 9783486858488, 9783486755411

The reoccupation of the demilitarized zone in the Rhineland on 7 March 1936 has been long regarded as a turning point in

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German Pages 528 Year 2014

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Table of contents :
Vorwort
1. Einleitung und Problemstellung
2. Die Ausgangslage (1925–1933)
2.1 Der Locarnopakt: Funktionsweise undWandel bis 1930
2.2 Der Zerfall des Locarnokompromisses in Deutschland ab 1930
2.3 Locarno in den außenpolitischen Konzeptionen Frankreichs und Englands
2.4 Die deutsche Diskussion um eine mögliche Revision der entmilitarisierten Zone um 1932/33
3. Die Haltung Hitlers und der Reichswehr zum Rheinpakt von Locarno und zur entmilitarisierten Zone (1933–1936)
4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)
4.1 Das Bekenntnis der Diplomaten zum Locarnopakt (1933–1935)
4.2 Die Rückwirkungen des deutschen Völkerbundsaustritts auf den Rheinpakt (1933–1935)
4.3 Die Locarnokonzeptionen in England und Frankreich: Entwicklung und Rezeption durch die Deutschen (1933–1936)
4.4 Ostlocarno und französisch-sowjetischer Beistandspakt (1934/35)
4.5 Die deutschen Vorstöße zu einer verhandelten Locarno-Lösung (1935/36)
4.5.1 Bülows Konzeption eines „vertraglichen Zustandes“ (Februar–August 1935)
4.5.2 Neuraths Programm der „schrittweisen Evolution“ (September 1935. Januar 1936)
5. Entscheidung und Aktion (Februar–März 1936)
5.1 Die deutschen Planungen zur „Kündigung“ Locarnos (Februar 1936)
5.2 Hitlers Entschluss zur militärischen Besetzung der entmilitarisierten Zone (März 1936)
5.3 Die Durchführung der Rheinlandbesetzung und das deutsche „Krisenmanagement“ (März 1936)
5.4 Präventive Planungen und Reaktion auf das deutsche Fait accompli in England und Frankreich (Januar–März 1936)
6. Zusammenfassung der Ergebnisse
Quellen- und Literaturverzeichnis
Ungedruckte Quellen
Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Berlin
Bundesarchiv, Koblenz
Bundesarchiv, Berlin-Lichterfelde
Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg i. Br
Institut für Zeitgeschichte, München
Hessisches Staatsarchiv Darmstadt
Niedersächsisches Landesarchiv – Hauptstaatsarchiv Hannover
Otto-von-Bismarck-Stiftung, Friedrichsruh
Les Archives du Ministère des Affaires étrangères et européennes,
Paris-La Courneuve
Service Historique de la Défense, Paris-Vincennes
The National Archives, London-Kew
Gedruckte Quellen
Periodika
Briefe, Tagebücher, Augenzeugenberichte, Memoiren und zeitgenössisches Schrifttum
Literatur
Abkürzungsverzeichnis
Personenregister
Recommend Papers

Die Rheinlandkrise 1936: Das Auswärtige Amt und der Locarnopakt  1933-1936
 9783486858488, 9783486755411

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Alexander Wolz Die Rheinlandkrise 1936

Alexander Wolz

Die Rheinlandkrise 1936 Das Auswärtige Amt und der Locarnopakt 1933–1936

Oldenbourg Verlag München 2014

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress.

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Inhaltsverzeichnis Vorwort

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1. Einleitung und Problemstellung

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2. Die Ausgangslage (1925–1933) 2.1 Der Locarnopakt: Funktionsweise und Wandel bis 1930 . . . 2.2 Der Zerfall des Locarnokompromisses in Deutschland ab 1930 2.3 Locarno in den außenpolitischen Konzeptionen Frankreichs und Englands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Die deutsche Diskussion um eine mögliche Revision der entmilitarisierten Zone um 1932/33 . . . . . . . . . . . . 3. Die Haltung Hitlers und der Reichswehr zum Rheinpakt von Locarno und zur entmilitarisierten Zone (1933–1936) 4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936) 4.1 Das Bekenntnis der Diplomaten zum Locarnopakt (1933–1935) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Die Rückwirkungen des deutschen Völkerbundsaustritts auf den Rheinpakt (1933–1935) . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Die Locarnokonzeptionen in England und Frankreich: Entwicklung und Rezeption durch die Deutschen (1933–1936) 4.4 Ostlocarno und französisch-sowjetischer Beistandspakt (1934/35) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5 Die deutschen Vorstöße zu einer verhandelten LocarnoLösung (1935/36) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.1 Bülows Konzeption eines „vertraglichen Zustandes“ (Februar–August 1935) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.2 Neuraths Programm der „schrittweisen Evolution“ (September 1935. Januar 1936) . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Entscheidung und Aktion (Februar–März 1936) 5.1 Die deutschen Planungen zur „Kündigung“ Locarnos (Februar 1936) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Hitlers Entschluss zur militärischen Besetzung der entmilitarisierten Zone (März 1936) . . . . . . . . . . . 5.3 Die Durchführung der Rheinlandbesetzung und das deutsche „Krisenmanagement“ (März 1936) . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Präventive Planungen und Reaktion auf das deutsche Fait accompli in England und Frankreich (Januar–März 1936) . . 6. Zusammenfassung der Ergebnisse

35 35 62 76 84 89 145 145 188 209 249 275 275 338 369 369 409 427 434 461

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Inhaltsverzeichnis

Quellen- und Literaturverzeichnis Ungedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Berlin . . . . . . . . . Bundesarchiv, Koblenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bundesarchiv, Berlin-Lichterfelde . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg i. Br. . . . . . . . . . . . . . Institut für Zeitgeschichte, München . . . . . . . . . . . . . . . . Hessisches Staatsarchiv Darmstadt . . . . . . . . . . . . . . . . . Niedersächsisches Landesarchiv – Hauptstaatsarchiv Hannover . . Otto-von-Bismarck-Stiftung, Friedrichsruh . . . . . . . . . . . . . Les Archives du Ministère des Affaires étrangères et européennes, Paris-La Courneuve . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Service Historique de la Défense, Paris-Vincennes . . . . . . . . . The National Archives, London-Kew . . . . . . . . . . . . . . . . Gedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Periodika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Briefe, Tagebücher, Augenzeugenberichte, Memoiren und zeitgenössisches Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungsverzeichnis Personenregister

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Vorwort Diese Studie ist die leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Sommersemester 2012 von der Philosophischen Fakultät I der Universität Würzburg angenommen wurde. Den vielen Menschen, die zum Erfolg dieser Arbeit beigetragen haben, möchte ich an dieser Stelle meinen tiefempfundenen Dank aussprechen. Zuallererst möchte ich meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Rainer F. Schmidt, danken, dass er die Arbeit so sorgsam betreut hat. Er hat den Fortgang der Arbeit stets mit großem Interesse verfolgt und konnte mir immer die richtigen Ratschläge geben, wenn ich nicht weiter wusste. Des Weiteren möchte ich Herrn Professor Dr. Matthias Stickler danken, dass er die Mühen des Zweitgutachtens auf sich genommen hat. Vielen Dank auch an Herrn Professor Dr. Hans-Wolfgang Bergerhausen für vielerlei Anregung und die Bereitschaft, als Prüfer am Kolloquium teilzunehmen. Dann geht mein Dank an die vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Archive, in denen ich das Material für meine Studie fand. Jeder noch so große Aktenstapel wurde mir immer ohne Murren an meinen Arbeitsplatz gebracht. Dank gebührt ferner dem Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort, der die Veröffentlichung des Werkes in großzügiger Weise unterstützte. Ein letzter warmer Dank geht an meine Familie, die nie aufgehört hat, mich zu unterstützen. An meinen Großvater Wilhelm Sauer und meinen Vater Erwin Wolz, die mir mit Rat und Tat zur Seite standen, Kirsten und Rainer Kopmann in Berlin, die mich immer mit offenen Armen empfingen, Andrea und Rainer Lucas, die immer dann einsprangen, wenn ich Zeit zum Arbeiten brauchte, und schließlich an meine Frau Julia Lucas, die in den letzten Jahren manche Entbehrungen auf sich nehmen musste. Ihr möchte ich diese Arbeit widmen. Würzburg, im Oktober 2013

Alexander Wolz

1. Einleitung und Problemstellung Am 8. März 1936 begegneten sich nach der Feier zum Heldengedenktag der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes Bernhard Wilhelm von Bülow und der General der Artillerie Ludwig Beck, Chef des deutschen Generalstabes, auf der Treppe der Berliner Staatsoper1 . Bülow war groß gewachsen und lief leicht vorn übergebeugt. Er war ein schweigsamer und zurückhaltender Junggeselle, aber ein brillanter Denker und leidenschaftlicher Kämpfer, wenn er von einer Sache überzeugt war2 . Bülow war 1911 in das Auswärtige Amt eingetreten, hatte den Dienst aber 1919 aus Protest gegen den Versailler Vertrag quittiert. Erst nach seiner Rückkehr im Jahr 1923 begann der Aufstieg Bülows, der ihn im Juni 1930 in das Amt des Staatssekretärs führte. Im März 1933 verfasste er, betroffen vom Terror der nationalsozialistischen „Revolution“, ein Rücktrittsgesuch, das er jedoch niemals abschickte3 . Er verblieb im Amt in der Hoffnung, Hitler lenken und von unüberlegten Handlungen abhalten zu können. Er diente als Staatssekretär bis zu seinem plötzlichen Tod im Juni 1936 und gilt vielen Beobachtern als der eigentliche Lenker der deutschen Außenpolitik dieser Zeit4 . Auch Beck kam leicht gebeugt die Operntreppe herunter. Mit seinem schmalen und gefurchten Gesicht glich er dem älteren Moltke, dessen Bewunderer er 1

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L. Graf Schwerin v. Krosigk: Es geschah in Deutschland. Menschenbilder unseres Jahrhunderts, Tübingen u. Stuttgart 1951, S. 310. Die Begegnung der beiden Männer ist im Rahmen dieser Arbeit deshalb so interessant, weil Beck und Bülow schon seit einiger Zeit in Kontakt standen, um außen- und sicherheitspolitische Fragen zu besprechen, vgl. K.-J. Müller: Revision, Aufrüstung und nationale Sicherheit. Der Grundsatzkonflikt zwischen Militär und Diplomatie in Deutschland 1933–1935, in: K. D. Bracher/M. Funke/ H.-P. Schwarz (Hg.): Deutschland zwischen Krieg und Frieden. Beiträge zur Politik und Kultur im 20. Jahrhundert (Studien zur Geschichte und Politik, Bd. 295), Bonn 1990, S. 19– 30. A. François-Poncet: Als Botschafter in Berlin 1931–1938, Mainz 1947, S. 215; P. Krüger: Gedenkfeier für Staatssekretär Dr. Bernhard Wilhelm von Bülow (19. Juni 1889–21. Juni 1936), Bonn 1985, S. 10. Vgl. R. F. Schmidt: Die Außenpolitik des Dritten Reiches 1933–1939, Stuttgart 2002, S. 61– 63; P. Krüger/E. J. C. Hahn: Der Loyalitätskonflikt des Staatssekretärs Bernhard Wilhelm von Bülow im Frühjahr 1933, in: VfZ 20 (1972), S. 376–410, hier besonders S. 397ff. Vgl. H. Graml: Zwischen Stresemann und Hitler. Die Außenpolitik der Präsidialkabinette Brüning, Papen und Schleicher (Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Bd. 83), München 2001; A. Baumann: „Man lässt sein Land nicht in Stich. . . “ Vor 70 Jahren legte Staatssekretär Bernhard Wilhelm von Bülow die Leitlinien der deutschen Außenpolitik fest, in: HMRG 15 (2002), S. 148–174; Th. Schieder: Außenpolitik von Weimar bis Hitler. Das Dokumentenwerk „Akten zur deutschen Auswärtigen Politik 1918–1945“, in: HZ 238 (1984), S. 633–643, hier S. 637. Vgl. jetzt auch H. Graml: Bernhard von Bülow und die deutsche Außenpolitik. Hybris und Augenmaß im Auswärtigen Amt, München 2012.

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1. Einleitung und Problemstellung

war5 . Wie Bülow war Beck ein Mensch, der wenig von sich preisgab. Er war bekannt für seinen Fleiß und seine Selbstdisziplin ebenso wie für seine überragenden Kenntnisse, die ihm den Ruf eines soldat-philosophe eingebracht hatten. Beck war 1898 in die preußische Armee eingetreten. Schnell stieg er auf, auch nicht gebremst von den begrenzten Karrierechancen des 100 000 Mann-Heeres der Weimarer Republik. Anders als Bülow hatte er keine Schwierigkeiten mit der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten. Hitlers Bekenntnis zur schnellen und umfassenden „Wiederwehrhaftmachung“ des Deutschen Reiches schuf Beck erst seine Lebensaufgabe. Im Oktober 1933 wurde er zum Chef des Generalstabes (damals als Truppenamt bezeichnet) ernannt und bestimmte in dieser Funktion fortan Ziel, Methode und Tempo der deutschen Aufrüstung6 . Als Beck im Sommer 1938, entsetzt von den kriegerischen Absichten der deutschen Führung, seinen Dienst quittierte, hinterließ er Hitler die schlagkräftige Armee, die dieser für seinen Lebensraumkrieg gegen die Sowjetunion brauchte7 . Das Treffen der beiden Männer vor der Berliner Oper ereignete sich im Augenblick einer schweren außenpolitischen Krise. Am Tag zuvor, dem 7. März 1936, waren deutsche Truppen in die entmilitarisierte Zone am Rhein einmarschiert. Hitler hatte in einer Rede vor dem Reichstag die Wiederherstellung der vollen Souveränität des Deutschen Reiches proklamiert und den Vertrag von Locarno, den Stresemann im Jahr 1925 mit England und Frankreich vereinbart hatte, für null und nichtig erklärt8 . Der Ernst der Lage war dem Gespräch nicht anzumerken. Im Scherz schoben sie sich gegenseitig die Verantwortung für die Krise zu. Beck fragte Bülow: „Was macht Ihr für Sachen?“, woraufhin der entgegnete: „Sind wir ins Rheinland einmarschiert oder Ihr?“ Hinter dem Lächeln der Männer – bemerkt Schwerin v. Krosigk, damals Reichsfinanzminister, der diese Episode überliefert hat – verbarg sich das Bewusstsein, dass Reichswehr und Auswärtiges Amt nicht an der Entscheidung zur Wiederbesetzung der Rheinzone beteiligt worden waren9 . Die Remilitarisierung des Rheinlandes war nicht der erste außenpolitische Gewaltcoup seit der NS-Machtübernahme im Jahr 1933. Der Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund und die Einführung der Wehrpflicht waren ebenfalls eklatante Vertragsbrüche gewesen. Aber das Wagnis und die Gefahr einer mili5 6

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Schwerin v. Krosigk: Deutschland, S. 273. Vgl. K.-J. Müller: Generaloberst Ludwig Beck. Eine Biographie, Paderborn 2008; R. F. Schmidt: Generaloberst Ludwig Beck – Wehrhaftmachung und Widerstand, in: M. Stickler (Hg.): Portraits zur Geschichte des deutschen Widerstandes, Rahden/Westfalen 2005, S. 175–188. Tagebuch Hassell, Dezember 1938, U. v. Hassell: Vom andern Deutschland. Aus den nachgelassenen Tagebüchern 1938–1944, Zürich u. Freiburg 1946, S. 40. M. Domarus (Hg.): Hitler. Reden und Proklamationen 1932–1945. Kommentiert von einem deutschen Zeitgenossen, Teil I: Triumph, Bd. 2: 1935–1938, Leonberg 4 1988, S. 583–597. Schwerin v. Krosigk: Deutschland, S. 310. Die Hervorhebungen sind im Original.

1. Einleitung und Problemstellung

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tärischen Reaktion der Locarnomächte waren diesmal viel größer10 . „Ich muss sagen, dass uns etwa so unheimlich zumute war, wie einem Spieler, der sein ganzes Vermögen im Roulette auf Rot oder Schwarz setzt“11 , beschrieb Alfred Jodl, damals Oberst, das Gefühl der Militärs während der Rheinlandbesetzung. Zum ersten Mal hatte sich die Wehrmacht aktiv an der Exekution eines politischen Beschlusses beteiligt. Zum ersten Mal richtete sich der Schlag nicht nur gegen das „Diktat von Versailles“, sondern auch gegen einen frei ausgehandelten Vertrag, dessen Einhaltung Hitler noch vor Kurzem zugesichert hatte. Zum ersten Mal kündigte Deutschland nicht nur eine völkerrechtliche Vereinbarung, sondern vollzog eine territoriale Revision in Form einer tatsächlichen Veränderung der Versailler Nachkriegsordnung. Zum ersten Mal – so schien es den Zeitgenossen – handelte der „Führer“ selbstherrlich und gegen den Willen seiner Berater, die einen Konflikt mit den Westmächten für verfrüht hielten, weil die Aufrüstung der Wehrmacht noch nicht beendet war; traf also Hitler die Entscheidung zur überraschenden Besetzung der Zone aus eigenem „außenpolitischen Genie“12 und behielt Recht mit seinen Einschätzungen: Die Westmächte und der Völkerbund in Genf waren düpiert worden, lehnten aber eine militärische Antwort ab. Hitlers Fazit aus der Rheinlandkrise lautete: „Weder Drohungen noch Warnungen werden mich von meinem Weg abbringen. Ich gehe mit traumwandlerischer Sicherheit den Weg, den mich die Vorsehung gehen heißt.“13 Der Führermythos war geboren14 . Die außenpolitischen Folgen der Aktion waren immens15 . Einmal verbesser10

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Das zeigt auch die Bezeichnung der einzelnen Schritte. Während die Remilitarisierung des Rheinlandes gerade im angelsächsischen Sprachraum üblicherweise als „Rheinlandkrise“ („The Rhineland Crisis“) bezeichnet wird, haben sich Begriffe wie „Austrittskrise“ oder „Wehrpflichtkrise“ nicht gebildet. International Military Tribunal (künftig: IMT), Nürnberg, 14. November 1945–1. Oktober 1946, Nürnberg 1947–1949, Bd. XV, S. 386. Vgl. Das Urteil im Wilhelmstraßen-Prozess. Der amtliche Wortlaut der Entscheidung im Fall Nr. 11 des Nürnberger Militärtribunals gegen Weizsäcker und andere, mit abweichender Urteilsbegründung, Berichtigungsbeschlüsse, den grundlegenden Gesetzesbestimmungen, einem Verzeichnis der Gerichtspersonen und Zeugen, und Einführungen von R. M. W. Kempner und C. Haensel (künftig: Wilhelmstraßenprozess), München 1950, S. 17. Domarus: Hitler, Bd. I, 2, S. 606. Vgl. I. Kershaw: Der Hitler-Mythos. Führerkult und Volksmeinung, Stuttgart  1999; Schmidt: Außenpolitik, S. 202f. Der französische Luftattaché in Berlin beobachtete: „Von dieser Zeit an [nach dem 7. März 1936] mussten wir in Berlin feststellen, dass nun Menschen, deren Abneigung gegen das Regime bekannt war, ihre Haltung zu ändern begannen. Sie begründeten ihren Gesinnungswandel mit der Überzeugung, dass Hitler zum Vorteil Deutschlands und im Interesse des Weltfriedens gehandelt habe.“ P. Stehlin: Auftrag in Berlin, Berlin 1965, S. 38. Zu den folgenden Ausführungen vgl. Ch. Bloch: Das Dritte Reich und die Welt. Die deutsche Außenpolitik 1933–1945, Paderborn 1993, S. 129–134; H. Graml: Europas Weg in den

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1. Einleitung und Problemstellung

te die Besetzung des Rheinlandes die strategische Lage des Deutschen Reiches. Dies betraf den Schutz des industriellen Potenzials im Ruhrgebiet genauso wie die Errichtung einer sicheren Barriere gegen französische Einfälle. Die Sicherung der Grenze im Westen war die unabdingbare Voraussetzung, um deutsche Revisionsansprüche im Osten aktiv angehen zu können. Umgekehrt hinderte die Befestigung der deutschen Westgrenze das französische Heer, seinen östlichen Verbündeten Polen, der Tschechoslowakei und Russland durch einen schnellen Vorstoß nach Deutschland zu Hilfe zu eilen; das Fundament des französischen Bündnissystems war mit einem Schlag zerstört16 . Die Untätigkeit Frankreichs in der Rheinlandkrise und die fehlende Bereitschaft, den Status quo notfalls mit Gewaltanwendung zu verteidigen, beendeten die französische Hegemonie auf dem Kontinent. Frankreich war alleine nicht handlungsfähig, seine militärische Planung beschränkte sich auf die Verteidigung des Mutterlandes und die französische Armee war nicht Willens, an der Seite der Verbündeten zu marschieren. Viele Staaten Ostmitteleuropas orientierten sich daher weg von Frankreich und hin zu Deutschland. Jugoslawien, Rumänien und Ungarn gerieten vor allem wirtschaftlich in zunehmende Abhängigkeit vom Reich17 . Italien verließ die Stresafront, und Mussolini begann, der deutschen Braut schöne Augen zu machen. Um dem Reich die Liaison zu versüßen, brachte er Österreich als Geschenk mit. „Wenn Österreich (. . . ) praktisch ein Satellit Deutschlands würde, so hätte er dagegen nichts einzuwenden“, so ließ er sich gegenüber dem deutschen Botschafter vernehmen18 . Während so Italien seine Rolle als Schutzmacht der Alpenrepublik aufgab, schlossen Deutschland und Österreich am 11. Juli 1936 ein Abkommen, in dem die Wiener Regierung zusicherte, eine Außenpolitik zu führen, die dem deutschen Charakter des Landes entsprach19 – ein wichtiger Schritt in der Vorgeschich-

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Krieg. Hitler und die Mächte 1939 (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, Bd. 29), München 1990, S. 91f.; A. Hillgruber: Grundzüge der nationalsozialistischen Außenpolitik 1933–1945, in: Saeculum 24 (1973), S. 328–345; Schmidt: Außenpolitik, S. 201–204. Bericht Osusky, Paris, 8. 3. 1936, F. Berber (Hg.): Europäische Politik 1933–1938 im Spiegel der Prager Akten, Essen  1942, Nr. 54, S. 55. Der damalige französische Botschafter in Warschau sagte: „Der Locarno-Pakt mit Deutschland, die Verträge mit unseren Alliierten West-, Zentral- und Osteuropas bildeten für Frankreich ein unteilbares Ganzes, das zur juristischen, politischen und militärischen Grundlage die Demilitarisierung des Rheinlandes hatte.“ L. Noël: Der deutsche Angriff auf Polen, Paris 1948, S. 119. Vgl. M. Broszat: Deutschland – Ungarn – Rumänien, in: M. Funke (Hg.): Hitler, Deutschland und die Mächte. Materialien zur Außenpolitik des Dritten Reiches, Düsseldorf 1977, S. 524–564; H.-J. Schröder: Der Aufbau der deutschen Hegemonialstellung in Südosteuropa 1933–1936, in: Funke: Hitler, S. 757–773. Hassell an das Auswärtige Amt, Rom, 7. 1. 1936, Akten zur deutschen Auswärtigen Politik 1918–1945 (künftig: ADAP), Serie C: 1933–1937. Das Dritte Reich: Die ersten Jahre, Bd. IV, 2: 16. September 1935 bis 4. März 1936, Göttingen 1975, Nr. 485, S. 954ff. Der damalige Außenminister Österreichs bezeichnete den Einmarsch ins Rheinland als die

1. Einleitung und Problemstellung

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te des „Anschlusses“ vom März 193820 . Belgien21 und die skandinavischen Länder kehrten zur Neutralitätspolitik der Vorkriegszeit zurück. Schließlich wurde bei der Wiederbesetzung des Rheinlandes die letzte Gelegenheit vertan, das NS-Regime ohne einen großen Krieg aufzuhalten22 . Mit der „Kündigung“ Locarnos durchschnitt Hitler die letzten Bindungen zu Europa. Die Befestigung der Grenzen und die rasante Aufrüstung verschafften dem Deutschen Reich die Macht, erst Europa seine politische Dynamik aufzuzwingen und dann die ganze Welt in den Untergang zu stürzen23 . „Der 7. März 1936“, so lautete das Urteil der Historiker, „war das Relais, an dem die Schicksalsreiter die Pferde wechselten“24 . Die Deutung der Rheinlandkrise im Urteil der Zeitgenossen hielt sich an das Bild Krosigks, wonach Armee und Diplomatie nicht am Entschluss zur Rheinlandbesetzung beteiligt gewesen seien. Man kann darin die klassische, auf die Person Hitlers zentrierte Erklärung des Geschehens erkennen (das lange Zeit für die Erklärung der NS-Außenpolitik generell Geltung besaß25 ). Demnach habe sich der Reichskanzler Anfang Februar 1936 in Bayern zur „überraschenden Besetzung“ des entmilitarisierten Rheinlandes entschlossen, ohne seine professionellen Berater zu konsultieren26 . Nur der Reichswehrminister,

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Geburtsstunde des deutsch-österreichischen Juli-Abkommens, vgl. Der Hochverratsprozess gegen Dr. Guido Schmidt vor dem Wiener Volksgericht. Die gerichtlichen Protokolle mit den Zeugenaussagen, unveröffentlichten Dokumenten, sämtlichen Geheimbriefen und Geheimakten, Wien 1947, S. 30. Vgl. E. A. Schmidl: März 1938. Der deutsche Einmarsch in Österreich, Wien 1987; H. Dosedla: Von Habsburg zu Hitler. Österreich vor dem Anschluss, Wien u. a. 2008. Vgl. D. O. Kieft: Belgium’s Return to Neutrality. An Essay in the Frustrations of Small Power Diplomacy, Oxford 1972; P. H. Laurent: The Reversal of Belgian Foreign Policy 1936–1937, in: Review of Politics 31 (1969), S. 370–384. F. Seydoux: Beiderseits des Rheins. Erinnerungen eines französischen Diplomaten, Frankfurt/M. 1975, S. 53. Vgl. das scharfsinnige Urteil des amerikanischen Militärattachés in Berlin: „Come what may, the present crisis represents the end of an historic era. The ,world war‘ is coming to its closing chapters. Versailles is dead. There may be possibly a German catastrophe and a new Versailles, but it will not be the Versailles which has hung like a dark cloud over Europe since 1920. March 7th 1936 is already a historic date in the history of the world.“ Foreign Relations of the United States (künftig: FRUS). Diplomatic Papers, 1936, Bd. I, Washington 1953 (Nachdruck New York 1972), S. 260. Zit. bei M. Braubach: Der Einmarsch deutscher Truppen in die entmilitarisierte Zone am Rhein im März 1936. Ein Beitrag zur Vorgeschichte des zweiten Weltkrieges (Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, Bd. 54), Köln u. Opladen 1956, S. 5. Bei Namier lautet das Zitat: „(. . . ) le relais où les destins changèrent de chevaux.“ L. B. Namier: Europe in Decay. A Study in Disintegration 1936–1940, Gloucester/Massachusetts 1963, S. 10. Vgl. H.-J. Jacobsen: Nationalsozialistische Außenpolitik 1933–1938, Frankfurt/M. 1968. Vgl. O. Dietrich: Zwölf Jahre mit Hitler, Köln o. J. [1955], S. 45; H. Guderian: Erinnerungen eines Soldaten, Heidelberg 1951, S. 31: „Im Frühjahr 1936 wurden wir durch den Ent-

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1. Einleitung und Problemstellung

der Oberbefehlshaber des Heeres, der Außenminister und einige Diplomaten waren eingeweiht, während die Mitglieder des Reichskabinetts erst am 6. März 1936 verständigt wurden27 . Den Fachleuten aus Diplomatie und Reichswehr verblieb die Umsetzung eines Beschlusses, den sie für verfrüht und zu riskant hielten. Der Coup gelang spektakulär, und Hitler triumphierte über das matt protestierende Ausland und die warnenden Stimmen im Innern28 . Die Geschichtswissenschaft griff diese Deutung bereitwillig auf. Die ersten Arbeiten zur Wiederbesetzung des Rheinlandes, die nach dem Zweiten Weltkrieg erschienen, bewegten sich im Rahmen der auf die Person Hitlers fixierten Deutung. Die erste umfassende Studie zur Rheinlandkrise stammte von dem Amerikaner Aaron L. Goldman, der in seiner im Jahr 1967 abgeschlossenen Dissertation „the events which led up to the crisis, the action itself, and its repercussions in Europe“29 untersuchte. In den 1970er Jahren folgten die Arbeiten von Hill30 und Emmerson31 . Die Monographie eines deutschen Historikers erschien erstmals im Jahr 2006. Die Arbeit Giros beschränkt sich jedoch – was der

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schluss Hitlers zur militärischen Besetzung des Rheinlandes überrascht.“ Ähnliches gaben die Militärs bei den Nürnberger Prozessen zu Protokoll: IMT, Bd. XIV, S. 22; IMT, Bd. XV, S. 386. Außenminister Neurath gab an, erst eine Woche vor der Aktion von Hitlers Entscheidung erfahren zu haben: IMT, Bd. XVII, S. 50f. Akten der Reichskanzlei. Regierung Hitler 1933–1945 (künftig: AdR Hitler). Die Regierung Hitler, Bd. III: 1936, bearbeitet von F. Hartmannsgruber, München 2002, Nr. 93, S. 164f.; F. Hoßbach: Zwischen Wehrmacht und Hitler 1934–1938, Göttingen, 2., durchges. Aufl., 1965, S. 83. So bei M. Braubach: Politisch-diplomatische Vorgeschichte des zweiten Weltkrieges, in: Bundesministerium für Verteidigung (Hg.): Schicksalsfragen der Gegenwart. Handbuch politisch-historischer Bildung, Bd. 1, Tübingen 1957, S. 112–144, hier S. 119; H. Graml: Wer bestimmte die Außenpolitik des Dritten Reiches? Ein Beitrag zur Kontroverse um Polykratie und Monokratie im NS-Herrschaftssystem, in: M. Funke/H. A. Jacobsen/ H.H. Knütter/H.-P. Schwarz (Hg.): Demokratie und Diktatur. Geist und Gestalt politischer Herrschaft in Deutschland und Europa. Festschrift für Karl Dietrich Bracher, Düsseldorf 1987, S. 223–236, hier S. 232f.: „Im übrigen hat Hitler, gemäß den nun auch für das Deutsche Reich geltenden Gesetzen der NS-Bewegung, sogar über alle wichtigen taktischen Einzelzüge der Außenpolitik des nationalsozialistischen Deutschland selbst und selbstherrlich entschieden (. . . ) und als er sich Anfang 1936 zur Wiederbesetzung der entmilitarisierten Zone des Rheinlandes und damit zum Bruch des Vertrages von Locarno entschloss, ignorierte er die Ängste des Auswärtigen Amtes und der Armeeführung.“ Gerade die ältere Literatur betonte das Moment des „Triumphes“ Hitlers über die alten Eliten stark, vgl. R. Fiedler: Hitlers „aufregendste“ Stunden. Vor 25 Jahren: Einmarsch in die entmilitarisierte Zone, in: PS 12 (1961), S. 168–174, hier S. 174. A. L. Goldman: Crisis in the Rhineland. Britain, France and the Rhineland Crisis 1936, Diss. phil. Indiana 1967, S. III. L. W. Hill: British Official Reaction to the Rhineland Crisis, November, 1935–May, 1936, Diss. phil. Texas 1972. J. Th. Emmerson: The Rhineland Crisis. 7 March 1936. A Study in Multilateral Diplomacy, with an Introduction by D. C. Watt, London 1977.

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Titel nicht sofort vermuten lässt – auf den Einfluss der öffentlichen Meinung auf die französische Politik in der Rheinlandkrise und liefert keine neuen Ergebnisse32 . Im Rahmen von Aufsätzen beschäftigten sich Braubach33 , Fiedler34 und Bolen35 mit der Remilitarisierung des Rheinlandes. Erst im Zuge der Diskussion um Monokratie oder Polykratie des NS-Regimes36 , also der Debatte um die Stellung Hitlers im NS-Herrschaftssystem, differenzierten sich die Forschungsergebnisse. Nun spaltete sich die auf Hitler zentrierte Deutung, die zwar weiterhin den Reichskanzler als Movens der Ereignisse betrachtete, aber bei der Suche nach den Gründen seiner Entscheidung zu unterschiedlichen Ansichten gelangte. Eine Gruppe von Historikern, wie Dülffer37 , Funke38 , Haraszti39 , Jacobsen40 , Weinberg41 (die so genannte programmatische Richtung), zu denen auch Emmerson42 zu zählen ist, vertritt die Meinung, Hitler habe im Frühjahr 1936 von sich aus die Besetzung des Rheinlandes beschlossen, weil er den „psychologischen Augenblick“ zum Handeln gekommen sah. Nach Hitlers Ansicht war Russland bemüht, einen Krieg im Westen zu vermeiden, England durch die Abessinienkrise abgelenkt und militärisch im Mittelmeer gebunden und Frankreich innerpolitisch zerfahren. Dagegen würde bei weiterem Zuwarten die entmilitarisierte Zone zu einer Art unantastbarer Einrichtung werden43 . Die widerstrebenden Diplomaten 32

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H.-D. Giro: Die Remilitarisierung des Rheinlands 1936. Hitlers Weg in den Krieg? (Düsseldorfer Schriften zur Neueren Landesgeschichte und zur Geschichte Westfalens, Bd. 76), Essen 2006 (Diss. phil. Düsseldorf 2005). Giro kommt in seiner Dissertation vollständig ohne die Benützung archivalischer Quellen aus. Braubach: Einmarsch; ders.: Vorgeschichte. Vgl. dazu G. Ziebura: Die Krise des internationalen Systems 1936, in: HZ 203 (1966), S. 90–98. Fiedler: Stunden. C. W. Bolen: Hitler Remilitarizes the Rhineland, in: L. Parker Wallace/W. C. Askew (Hg.): Power, Public Opinion, and Diplomacy. Essays in Honor of E. M. Carroll by his former Students, Durham 1959, S. 244–266. Vgl. Graml: Kontroverse; P. Hüttenberger: Nationalsozialistische Polykratie, in: GG 2 (1976), S. 417–442. J. Dülffer: Zum „decision-making process“ in der deutschen Außenpolitik 1933–1939, in: Funke: Hitler, S. 186–204, hier besonders S. 194ff. M. Funke: 7. März 1936. Fallstudie zum außenpolitischen Führungsstil Hitlers, in: W. Michalka (Hg.): Nationalsozialistische Außenpolitik, Darmstadt 1978, S. 277–324. É. Haraszti: The Invaders. Hitler Occupies the Rhineland, Budapest 1983. Jacobsen: Außenpolitik, S. 416ff. G. L. Weinberg: The Foreign Policy of Hitler’s Germany. Diplomatic Revolution in Europe 1933–1936, London u. Chicago 1970. Emmerson: Rhineland, S. 72–103. Sein Fazit lautet: „Looking back over the events of March 1936, it is hard to escape the conclusion that there was only one winner: Germany, or, more specifically, Hitler.“ Ebenda, S. 236. Aufzeichnung Hassell, Rom, 14. 2. 1936, E. M. Robertson: Zur Wiederbesetzung des Rheinlandes 1936, in: VfZ 10 (1962), S. 178–205, Nr. 3, S. 192; Aufzeichnung Hassell, Rom, 21. 2. 1936, ebenda, Nr. 4, S. 195.

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und Militärs waren nicht in der Lage, Hitler von seinem Willen abzubringen. Mit der Besetzung der entmilitarisierten Zone vollzog Hitler – so argumentiert diese Richtung weiter – einen wichtigen Schritt in der Umsetzung seines außenpolitischen „Programms“, wie er es in den zwanziger Jahren in seinem Buch „Mein Kampf “ dargelegt hatte44 . Im Hinblick auf die dort angepeilte Bündniskonfiguration mit Großbritannien45 , erhält die Rheinlandaktion eine weitere Komponente, die besonders von Henke46 , Hildebrand47 und Hillgruber48 betont wird. Demnach war der Einmarsch ins Rheinland ein Test für das Verhalten Englands, aus dem Hitler Rückschlüsse auf deutsch-englische Bündnismöglichkeiten ziehen wollte. In der Tat enttäuschte ihn die „schlappe Führung“ Englands49 , sodass er an der „Notwendigkeit und der Realisierbarkeit der angestrebten Allianz“ mit der Insel zu zweifeln begann50 . Dagegen bezieht eine andere Gruppe Stellung, zu welcher Wehler51 , Kershaw52 und auch Evans53 zu rechnen sind (die so genannte strukturalistische Richtung). Auch sie bekräftigen, Hitler habe die abschließende Entscheidung 44

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So A. Kuhn: Hitlers außenpolitisches Programm. Entstehung und Entwicklung 1919–1939 (Stuttgarter Beiträge zur Geschichte und Politik, Bd. 5), Stuttgart 1970, S. 182: „Die Annullierung der Artikel 42 und 43 des Versailler Vertrags und des Artikel 2 des Locarnovertrags von 1925, denen zufolge das Rheinland entmilitarisiert bleiben sollte, war in Hitlers Programm vorgesehen.“ A. Hitler: Mein Kampf, Bd. 2: Die nationalsozialistische Bewegung, München 341 1938, S. 697. J. Henke: England in Hitlers politischem Kalkül 1935–1939. Vom Scheitern der Bündniskonzeption bis zum Kriegsbeginn (1935/37–1939) (Schriften des Bundesarchivs, Bd. 20), Boppard a. Rh. 1972 (Diss. phil. Freiburg 1972). K. Hildebrand: Deutsche Außenpolitik 1933–1945. Kalkül oder Dogma?, Stuttgart u. Berlin 5 1990; ders.: Das vergangene Reich. Deutsche Außenpolitik von Bismarck bis Hitler 1871–1945, Darmstadt 2 1996. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam Hildebrand bereits in seiner Mannheimer Dissertation, damals noch unter Betonung der Kolonialfrage für die Englandpolitik Hitlers, ders.: Vom Reich zum Weltreich. Hitler, NSDAP und koloniale Frage 1919–1945 (Veröffentlichungen des Historischen Instituts der Universität Mannheim, Bd. 1), München 1969 (Diss. phil. Mannheim 1967). A. Hillgruber: Die weltpolitische Lage 1936–1939: Deutschland, in: Ders.: Deutsche Großmacht- und Weltpolitik im 19. und 20. Jahrhundert, Düsseldorf  1979, S. 148–168, hier S. 154f. Tagebuch Goebbels, 18. 4. 1936, J. Goebbels: Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Sämtliche Fragmente, hg. v. E. Fröhlich, im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte und in Verbindung mit dem Bundesarchiv, Teil I: Aufzeichnungen 1924–1941, Bd. 2: 1. Januar 1931–31. Dezember 1936, München u. a. 1987, S. 601. Henke: England, S. 40. H.-U. Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4: Vom Beginn des Ersten Weltkrieges bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten 1914–1949, München 2003, S. 649: „Die Rheinlandbesetzung zeigt drastisch, wie Hitler die zugespitzte Situation im Innern mit einem riskanten Coup überdeckte.“ I. Kershaw: Hitler-Mythos, S. 157ff.; ders.: Hitler, Bd. 1: 1889–1936, Stuttgart 1998. R. J. Evans: Das Dritte Reich, Bd. II/2: Diktatur, München 2006.

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getroffen, das Rheinland mit Truppen zu belegen. Er habe aber nicht aus freien Stücken, sondern aus einem innenpolitischen Motiv heraus gehandelt, einem Zwang des NS-Systems, das zu seiner Integration immer wiederkehrende Erfolge und die Akklamation durch Plebiszite brauchte. Hitler habe einen spektakulären außenpolitischen Coup in einem Moment benötigt, als die Aufbruchsstimmung der Machtergreifung abgeklungen war, die Umfragewerte für das Regime nach unten wiesen und die Stimmung unter der katholischen Bevölkerung des Rheinlandes schlecht war54 . Das Bild vom Überraschungsmanöver Hitlers ist in den letzten Jahrzehnten von der Militärgeschichtsschreibung korrigiert worden. Sie konnte durch die Auswertung neuer Quellen die besorgten Äußerungen der Militärs im Umfeld der Märzkrise, die bis dahin als Unwille gedeutet wurden55 , in ein anderes Licht rücken. Die Militärhistoriker wie Deist56 , Geyer57 , Klaus-Jürgen Müller58 und jüngst Lemay59 entlarven den „Alleingang Hitlers“ als Teil einer apologetischen Legendenbildung, die die Rolle der Wehrmacht im „Dritten Reich“ vertuschen sollte60 . Sie erkennen zwei Ursachen für die Remilitarisierung der Rheinlandzo54

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Kershaw: Hitler, Bd. 1, S. 730f. Eine gute Quelle zur sinkenden Volksstimmung im zweiten Halbjahr 1935 ist B. Vollmer (Hg.): Volksopposition im Polizeistaat. Gestapo- und Regierungsberichte 1934–1936 (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, Bd. 2), Stuttgart 1957. IMT, Bd. XX, S. 657. Blomberg soll, als er von Hitlers Entscheidung erfuhr, gesagt haben: „Ich wäre beinahe vor Schreck in den Schnee gefallen.“ Zit. bei R. Cartier: Vom Ersten zum Zweiten Weltkrieg 1918–1939, München 1982, S. 382. W. Deist: Zum Problem der deutschen Aufrüstung 1933–1936, in: Francia 5 (1977), S. 538– 565; ders.: Die Aufrüstung der Wehrmacht, in: Ders./M. Messerschmidt/H.-E. Volkmann/ W. Wette: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. I: Ursachen und Voraussetzungen der deutschen Kriegspolitik, Stuttgart 1979, S. 369–532; ders.: The Wehrmacht and German Rearmament, Hampshire u. London 1986; ders.: Heeresrüstung und Aggression 1936–1939, in: Ders.: Militär, Staat und Gesellschaft. Studien zur preußisch-deutschen Militärgeschichte (Beiträge zur Militärgeschichte, Bd. 34), München 1991, S. 317–338. M. Geyer: Aufrüstung oder Sicherheit. Die Reichswehr in der Krise der Machtpolitik 1924– 1936 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Bd. 91), Wiesbaden 1980 (Diss. phil. Freiburg 1980); ders.: Militär, Rüstung und Außenpolitik – Aspekte militärischer Revisionspolitik in der Zwischenkriegszeit, in: Funke: Hitler, S. 239–268. K.-J. Müller: General Ludwig Beck. Studien und Dokumente zur politisch-militärischen Vorstellungswelt und Tätigkeit des Generalstabschefs des deutschen Heeres 1933–1938 (Schriften des Bundesarchivs, Bd. 30), Boppard a. Rh. 1980; ders.: Armee und Drittes Reich 1933–1939. Darstellung und Dokumentation, Paderborn 2 1987; ders.: Deutsche MilitärElite in der Vorgeschichte des Zweiten Weltkrieges, in: M. Broszat/K. Schwabe (Hg.): Die deutschen Eliten und der Weg in den Zweiten Weltkrieg, München 1989, S. 226–290; Müller: Biographie. B. Lemay: La Remilitarisation de la Rhénanie en 1936: Une Réévaluation du Rôle des Généraux Allemands (1933–1936), in: GMCC 56 (2006), S. 35–46. Vgl. S. Westphal: Der Deutsche Generalstab auf der Anklagebank. Nürnberg 1945–1948 mit einer Denkschrift von Walther von Brauchitsch, Erich von Manstein, Franz Halder, Walter Warlimont, Siegfried Westphal, Mainz 1978, S. 40f. In der im Jahr 1947 verbreiteten

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ne. Erstens die pausenlosen Forderungen der Spitzenmilitärs nach Abschaffung der Zone61 . Der im Dezember 1933 ins Werk gesetzte und um die Jahreswende 1935/36 noch einmal verschärfte Aufbau eines Angriffsheeres war ohne die Kontrolle der Kapazitäten an Rhein und Ruhr nicht zu realisieren. Dies betraf das industrielle Vermögen genauso wie das Reservoir an Menschen für die allgemeine Wehrpflicht. Auf dieser Schiene lag es, dass Anfang 1936 die Belegung der entmilitarisierten Zone in den Denkschriften des Generalstabs für die Planung des weiteren Heeresaufbaus bereits berücksichtigt war62 . Zweitens war das Reich ohne die militärische Kontrolle des Rheinlandes nicht in der Lage, einen erfolgreichen Krieg zu führen63 . Daher begannen schon im Jahr 1933, in enger Kooperation mit Polizei und der SA, die Vorbereitungen für die Sicherung der westlichen Grenzen im Kriegsfall. Sie umfassten Maßnahmen zur personellen Erfassung und zur Bereitstellung von Pferden und Kraftfahrzeugen, Vorbereitungen zur Freimachung des Rheins, Sperrmaßnahmen sowie Planungen für den Grenz- und Ortsschutz. Die Entscheidung der Armeeführung, die Rheinzone in die Vorbereitungen zur Landesverteidigung einzubeziehen, lief auf eine „kalte Militarisierung“64 hinaus, die um die Jahreswende 1935/36 nicht länger geheim zu halten war. Der Grundsatz „Deckung geht vor Wirkung“65 wurde zu Gunsten einer offenen Remilitarisierung aufgegeben. Die militärhistorische Deutung findet somit den Auslöser für den Ein-

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„Generalsdenkschrift“ hieß es zur Remilitarisierung des Rheinlandes: „Von der Besetzung des Rheinlands wurden der Kriegsminister und der Oberbefehlshaber des Heeres kurz von Hitler unterrichtet. Der Kriegsminister brachte Bedenken gegen diese einseitige Lösung zum Ausdruck und besonders gegen die Absicht, Truppen auf das linke Rheinufer vorzuschieben. Auf seinen Vorschlag wurden sie auf drei Bataillone begrenzt, die im Falle eines drohenden Konflikts ohne Schwierigkeiten zurückgenommen werden konnten. Der Generalstab wurde durch Hitlers Entschluss völlig überrascht. Es standen ihm weniger als 24 Stunden zur Verfügung, um die Befehle an die Truppen zu entwerfen und auszugeben.“ Vgl. ausführlich M. Messerschmidt: Vorwärtsverteidigung. Die „Denkschrift der Generäle“ für den Nürnberger Gerichtshof, in: H. Heer/K. Naumann (Hg.): Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941–1944, Hamburg 1995, S. 531–550; W. Wette: Die Wehrmacht. Feindbilder, Vernichtungskrieg, Legenden, Frankfurt/M. 2002. Vorschlag des Truppenamtes für deutsche Forderungen auf der Abrüstungskonferenz, Berlin, 6. 3. 1935, Müller: Beck, Nr. 24, S. 418: „Anzustreben ist ferner der Wegfall der entmilit[arisierten] Zone beiderseits des Rheins, mindestens der Wegfall der 50 km Zone auf dem Ostufer.“ „Bemerkungen des Oberbefehlshaber des Heeres zum Heeresaufbau“, Berlin, 22. 1. 1936, Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg i. Br. (künftig: BA-MA), RH 2/1015; Beck an Fritsch, Berlin, 22. 1. 1936, ebenda. Aufzeichnung Beck, Berlin, 11. 12. 1933, BA-MA, RH 2/25: „Ohne Grenzschutz kann Deutschland keinen Krieg führen.“ Geyer: Aufrüstung, S. 381. Bericht über die zehnte Sitzung des Arbeitsausschusses des Reichsverteidigungsrates, Berlin, 26. 6. 1935, IMT, Bd. XXXVI, S. 435. Dort findet sich auch der Bericht Jodls über die geplanten Vorarbeiten in der entmilitarisierten Zone.

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marsch in die entmilitarisierte Zone allein im Primat der Rüstungsplanung. Sie liegt damit ganz auf der Linie einer Gesamtinterpretation einer funktional an die Wehrpolitik gebundenen deutschen Außenpolitik in den Jahren nach 193366 . Diese Betrachtungsweise beinhaltet zwei grundsätzliche Feststellungen: Die Wochenendcoups des „Dritten Reiches“ waren weder sprunghafte Entscheidungen Hitlers noch entsprachen sie dem politischen Kalkül des Auswärtigen Amtes, sondern waren ausschließlich das Ergebnis der militärischen Grundsatzentscheidungen aus dem Jahr 1933. Und: Dem Auswärtigen Amt war die Aufgabe zugedacht, diese Operationen vorzubereiten, abzuschirmen und die Reaktionen im Ausland abzufedern67 . Auf die Rheinlandkrise angewendet bedeutet das, dass der deutsche Coup vom 7. März 1936 nicht nur ein zwingender Schritt im strategischen Kalkül des beschleunigten Aufbaus eines deutschen Angriffsheeres war, sondern darüber hinaus zu einem Zeitpunkt erfolgte, als die im Jahr 1933 postulierte Planung wegen des Fortbestehens der entmilitarisierten Zone zu scheitern drohte, oder – ins Aktive gewendet – ihre Besetzung immer dringlicher wurde68 . Die auf Hitler zentrierte Deutung und die militärhistorische Deutung sind heute die tonangebenden Interpretationsmuster bei der Erklärung der Rheinlandkrise. Demgegenüber hat die Diplomatiegeschichte bislang keinen Anlass gesehen, dieses Bild zu korrigieren. Das hat Wurzeln, die bis auf die Nürnberger Prozesse zurückgehen. Obwohl die Rheinlandbesetzung einer der Anklagepunkte gegen Neurath war, spielte sie im Vergleich zu den Annexionen der Jahre 1938/39 nur eine untergeordnete Rolle. Den Vorwurf der Nürnberger Richter, die Remilitarisierung des Rheinlandes sei die Vorbereitung zu einem Angriffskrieg gewesen, versuchte Neurath mit einer widersprüchlichen Taktik zu entkräften. Einerseits behauptete er, Hitler habe die Besetzung binnen einer Woche beschlossen und ausgeführt, ohne die Minister zu konsultieren; andererseits bemühte sich der ehemalige Außenminister, das Bild vom Gewaltstreich zu mildern, indem er betonte, die entmilitarisierte Zone sei schon 1932 rechtlich hinfällig geworden, und er habe die juristische Begründung zur „Kündigung“ Locarnos ausführlich mit Hitler besprochen69 . Im „Wilhelmstra-

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Vgl. Müller: Beck, S. 167. Ebenda, S. 175f. u. S. 183f. Beck formulierte den zweiten Aspekt in einer Denkschrift vom Mai 1934 folgendermaßen: „Außenpolitik muss Aufbauphase sicherstellen und entsprechende Bündnispolitik betreiben.“ Ebenda, S. 183 Anm. 170. Vgl. Deist: Wehrmacht, S. 403–415 u. S. 424f.; Geyer: Revisionspolitik, S. 252–254. Beweisvortrag gegen den Angeklagten v. Neurath, Nürnberg, 23. 1. 1946, IMT, Bd. VI, S. 119ff.; die Aussagen Neuraths in: IMT, Bd. XVI, S. 679ff.; IMT, Bd. XVII, S. 50f. Vgl. auch T. Taylor: Die Nürnberger Prozesse. Hintergründe, Analysen und Erkenntnisse aus heutiger Sicht, München 1994, S. 527f.

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ßenprozess“ gegen Weizsäcker und andere hohe Funktionäre des Auswärtigen Amtes spielte die Rheinlandkrise überhaupt keine Rolle mehr70 . Der faktische „Freispruch“ hatte Folgen für die Forschung zur Rheinlandkrise. Er erübrigte die Herausbildung einer apologetischen Geschichtsschreibung, die sich bemüht hätte, das Auswärtige Amt zu entlasten, und verhinderte, dass die auf der Grundlage der Quellen arbeitende Historiographie sich kritisch mit diesen Ergebnissen auseinandersetzen musste71 . Es galt als erwiesen, dass Hitler, und nicht das Auswärtige Amt, die treibende Kraft hinter der Rheinlandbesetzung gewesen war; die Ergebnisse der Militärgeschichtsschreibung schienen diesen Befund zu bestätigen. Somit verwundert es nicht, dass die wenigen wissenschaftlichen Arbeiten, die die Rolle des Auswärtigen Amtes im Fokus haben, zu unterschiedlichen und sich teilweise widersprechenden Deutungen gelangen. In einem im Jahr 1977 publizierten Aufsatz untersuchte Knipping die Haltung des deutschen Außenamtes zum Locarnopakt und zur entmilitarisierten Zone72 . Er kam zu dem Ergebnis, die Diplomaten hätten aus Angst vor einer französischen Militärintervention sowohl am Rheinpakt als wesentlichem Pfeiler der deutschen Westpolitik als auch am Status der Rheinlandzone festgehalten, weil eine Verletzung der Entmilitarisierungsbestimmungen die Gegnerschaft Frankreichs und Belgiens bedeutet hätte. Diese Lagebeurteilung des Auswärtigen Amtes, so Knipping, habe sich bis 1936 nicht geändert. In seiner Biographie Konstantin v. Neuraths beschäftigte sich Heineman73 auch mit der Frage der Rheinlandbesetzung. Ihm zufolge war es der deutsche Außenminister, der den Stein ins Rollen brachte, als er im Gespräch mit dem englischen Botschafter im Dezember 1935 das Szenario einer einseitigen Aufhebung der entmilitarisierten Zone durch Deutschland entwarf. Sein Kalkül war, durch den Aufbau einer Drohkulisse die Westmächte zu einer „Anpassung 70

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Trials of War Criminals before the Nuernberg Military Tribunals under Control Council Law No. 10, Nuernberg, October 1946. April 1949 (künftig: Military Tribunals), Bd. XII, München 1979, S. 13ff.; Military Tribunals, Bd. XIV, S. 340ff.; Wilhelmstraßenprozess, S. 6. An dieser Stelle ist noch anzumerken, dass auch die marxistisch-leninistische Geschichtsschreibung sich kaum mit der Rheinlandkrise beschäftigt hat. Dort galt der Locarnopakt von 1925 als Kriegsbündnis gegen den Bolschewismus. Der Zerfall dieses „Bündnisses“ im Jahre 1936 passte nicht in dieses Bild und wurde infolgedessen ignoriert, vgl. W. Ruge: Der Locarno-Pakt. Passstraße zwischen zwei Weltkriegen, in: Ders.: Beharren, kapitulieren oder umdenken. Gesammelte Schriften 1989–1999, hg. v. F.-M. Balzer, Berlin 2007, S. 133– 146. F. Knipping: Die deutsche Diplomatie und Frankreich 1933–1936, in: Francia 5 (1977), S. 491–512. J. L. Heineman: Hitler’s First Foreign Minister. Constantin Freiherr von Neurath, Diplomat and Statesman, London 1979. Vgl. auch ders.: Constantin Freiherr von Neurath as Foreign Minister, 1932–1935. A Study of a Conservative Civil Servant and Germany’s Foreign Policy, Diss. phil. Cornell 1962.

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des Vertragswerks von Locarno“74 an die veränderte internationale Lage zu bewegen. Der im Prinzip verhandlungsbereite Neurath, so die These Heinemans, sei jedoch von Hitler ausgebremst worden, der sich auf eine gewaltsame Lösung festgelegt hatte. Im Jahr 1999 griff Shore die Deutung Heinemans auf und zeigte auf der Grundlage neuer Quellen, dass Neurath seit Januar 1936 vor dem Hintergrund der innenpolitischen und militärischen Schwäche Frankreich dazu geraten hat, die „Kündigung“ Locarnos mit einer militärischen Geste zu verbinden75 . Die Rolle der deutschen Diplomaten im Vorfeld der Märzaktion hat auch Robertson im Blick. In mehreren zwischen 1962 und 1978 veröffentlichten Beiträgen konnte er nachweisen, dass dem Überraschungscoup Hitlers diplomatische Sondierungen in Paris, Rom und Warschau unter maßgeblicher Beteiligung von Mitarbeitern des Außenamtes vorausgegangen waren76 . Dann sind es die Forschungen Stubys, die sich der Rolle des Auswärtigen Amtes im Vorfeld der Rheinlandkrise widmen. Stuby beschäftigte sich intensiv mit der Person von Friedrich Wilhelm Gaus, dem langjährigen Leiter der Rechtsabteilung im Auswärtigen Amt, und dessen politischen Konzeptionen77 . Stuby beschuldigt die Diplomaten der Wilhelmstraße, sie hätten von langer Hand auf ein Ende Locarnos hingearbeitet. Daran war auch Gaus beteiligt. Schon bei der Ausarbeitung im Jahr 1925 verstand Gaus den Locarnopakt als revisionspolitisches Werkzeug, das man bei veränderten Umständen wieder wegwerfen könne. So sei der Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund auch als Schlag gegen die Wirkungsweise des Rheinpaktes gedacht gewesen78 , doch Gaus habe aus politischen Gründen zunächst an Locarno festgehalten. Erst 74 75

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Neurath an die deutsche Botschaft in Paris, Berlin, 3. 12. 1935, ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 440, S. 856f. Z. Shore: Hitler, Intelligence and the Decision to Remilitarize the Rhine, in: JCH 34 (1999), S. 5–18. Shores Beschäftigung mit der Rheinlandkrise entsprang der Frage der Beschaffung und Verwertung von Informationen unter den Bedingungen eines totalitären Regimes, vgl. ders.: What Hitler knew. The Battle for Information in Nazi Foreign Policy, Oxford 2003. Robertson: Wiederbesetzung; ders.: Hitler’s Pre-War Policy and Military Plans 1933–1939, London 1963; ders.: Hitler und die Sanktionen des Völkerbundes – Mussolini und die Besetzung des Rheinlandes, in: VfZ 26 (1978), S. 237–264. G. Stuby: Friedrich Gaus: Graue Eminenz oder Notar des Auswärtigen Amtes? Eine biographische Skizze, in: B. Marschang/Ders. (Hg.): No habrà olvido. Ein Leben in Diplomatie und Wissenschaft. Festschrift für Luis Quinteros-Yá˜ulz zum 70. Geburtstag, Hamburg 1996, S. 123–152; ders.: Friedrich W. Gaus. Vom Kronjuristen des Deutschen Reiches zum Kronzeugen der Anklage, in: 1999. Hamburger Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts 15 (2000), S. 78–99; ders.: Friedrich W. Gaus, das Auswärtige Amt und die Konzeption eines „Groß-Germanischen Reiches“, in: E. Schöck-Quinteros/H. Kloft/ F. Kopitzsch/H.-J. Steinberg (Hg.): Idee und Wirklichkeit. Festschrift für Manfred Hahn, Berlin 2004, S. 451–464; G. Stuby: Vom „Kronjuristen“ zum „Kronzeugen“. Friedrich Wilhelm Gaus: ein Leben im Auswärtigen Amt der Wilhelmstraße, Hamburg 2008. Ders.: Gaus, S. 180 u. S. 332.

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1. Einleitung und Problemstellung

mit der Unterzeichnung des französisch-sowjetischen Beistandspaktes vom Mai 1935, so lautet das Verdikt Stubys, habe Gaus den Augenblick gekommen gesehen, „Locarno argumentativ endgültig aus dem Weg zu räumen“79 . Schließlich ist der Abschlussbericht der „Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Auswärtigen Amts in der Zeit des Nationalsozialismus und in der Bundesrepublik“ zu nennen, der im Jahr 2010 unter dem Titel „Das Amt und die Vergangenheit“ erschienen ist80 . Obwohl der Schwerpunkt des Berichts auf die Kriegsjahre gelegt ist, nimmt er für sich in Anspruch, auch für die Jahre 1933 bis 1939 den aktuellen Forschungsstand abzubilden. Die Besetzung der entmilitarisierten Rheinlandzone, so urteilte die Kommission, war das Ergebnis einer gut funktionierenden Zusammenarbeit zwischen dem Auswärtigen Amt und Hitler. Der Reichskanzler wollte in der Umsetzung seiner Revisionspolitik nicht auf die Unterstützung der Wilhelmstraße verzichten, während umgekehrt die „meinungsbildenden Spitzendiplomaten“ mit dem außenpolitischen Kurs Hitlers übereinstimmten81 . Zum Abschluss ist noch auf zwei weitere Forschungsfelder hinzuweisen, die von der deutschen Geschichtsschreibung lange Zeit nur in unzureichendem Maße berücksichtigt wurden. Das sind die Arbeiten britischer und französischer Historiker sowie Darstellungen, die die Rheinlandkrise von 1936 unter einem politikwissenschaftlichen Ansatz betrachten. Zunächst zu den fremdsprachigen Beiträgen. Baumont82 , Brown83 , Davis84 , Miller85 , Peters86 , Post87 , Watt88 und Yeuell89 79 80 81 82 83 84

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Ebenda, S. 334. E. Conze/N. Frei/P. Hayes/M. Zimmermann: Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik, München  2010. Ebenda, S. 89. M. Baumont: The Rhineland Crisis: 7 March 1936, in: N. Waites (Hg.): Troubled Neighbors. Franco-British Relations in the Twentieth Century, London u. Reading 1971, S. 158–169. S. W. Brown: Great Britain and the Rhineland Crisis of 1936, in: North Dakota Quarterly 44 (1976), S. 31–43. R. Davis: Mesentente Cordiale: The Failure of the Anglo-French Alliance. Anglo-French Relations during the Ethiopian and Rhineland Crisis, 1934–36, in: EHQ 23 (1993), S. 513– 528. R. Miller: Britain and the Rhineland Crisis, 7 March 1936: Retreat from Responsibility or Accepting the Inevitable?, in: The Australian Journal of Politics and History 33 (1987), S. 60–77. A. R. Peters: British Foreign Policy and the Rhineland Crisis of 1936 (March–April), Sheffield o. J. [1979]. G. Post jr.: Dilemmas of Appeasement. British Deterrence and Defense, 1934–1937, Ithaca u. London 1993. D. C. Watt: The Reoccupation of the Rhineland, 1936, in: History Today 6 (1956), S. 244– 251. D. P. Yeuell: The German Occupation of the Rhineland, in: US Naval Institute Proceedings (1955), S. 1105–1215.

1. Einleitung und Problemstellung

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beleuchten die Krise aus britischer Sicht. Ihr Hauptaugenmerk liegt auf den militärischen Aspekten und auf den Auswirkungen der Rheinlandkrise auf die englisch-französischen Beziehungen. Cairns90 , Callahan91 , Defrasne92 , Duroselle93 , Keserich94 , Parker95 und Schuker96 behandeln die Seite Frankreichs und fragen, ob es Anzeichen für den deutschen Schritt gegeben habe, welche Vorbereitungen getroffen wurden, wie das Pariser Krisenmanagement in den Tagen nach dem 7. März 1936 funktionierte, und sie fragen, warum die französische Regierung sich nicht zu einer energischen Reaktion entschließen konnte. Die Aufsätze von Christienne/Buffotot97 , Masson98 und Michalon/Vernet99 richten ihren Fokus auf die militärischen Implikationen der Krise. Debicki100 und Sakwa101 untersuchen die französisch-polnische Allianz aus dem Jahre 1921 und ihre „Feuerprobe“ im März 1936. Auch die Arbeiten der Politikwissenschaftler wurden von der deutschen Historiographie kaum rezipiert. Goodman untersucht die Rückwirkungen der Rheinlandkrise auf Bürokratie und gouvernementale Führung am Beispiel Frankreichs102 . Handel erarbeitet aus dem deutschen Rheinlandcoup gleichsam 90

J. C. Cairns: March 7, 1936 again: The View from Paris, in: International Journal 20 (1964/65), S. 230–246. 91 J. E. Callahan: Anatomy of a Crisis: France and the German Reoccupation of the Rhineland, March 1936, Washington D. C. 1977. 92 J. Defrasne: L’Événement du 7 Mars 1936. La Réalité et la Portée de l’Opération Allemande; la Réaction de la France dans le Cadre des ses Alliances, in: F.-G. Dreyfus (Hg.): Les Relations Franco-allemandes 1933–1939. Strasbourg 7–10 Octobre 1975, Paris 1976, S. 247– 276. 93 J.-B. Duroselle: France and the Crisis of March 1936, in: E. M. Acomb/ M. L. Brown jr. (Hg.): French Society and Culture since the Old Regime. The Eleutherian Mills Colloquium, 1964, of the Society for French Historical Studies and the Société d’Histoire modern, New York u. a. 1966, S. 244–268. 94 Ch. Keserich: The Popular Front and the Rhineland Crisis of March 1936, in: International Review of History and Political Science 7 (1970), S. 87–102. 95 R. A. C. Parker: The First Capitulation: France and the Rhineland Crisis of 1936, in: World Politics 8 (1955/56), S. 355–373. Vgl. dazu Ziebura: Krise, S. 92 Anm. 3. 96 S. A. Schuker: France and the Remilitarization of the Rhineland 1936, in: FHS 14 (1986), S. 299–338. 97 Ch. Christienne/P. Buffotot: L’Armée de l’Air Française et la Crise du 7 Mars 1936, in: H. Michel (Hg.): La France et l’Allemagne 1932–1936. Communications présentées au Colloque Franco-allemand tenu à Paris du 10 au 12 Mars 1977, Paris 1980, S. 315–331. 98 Ph. Masson: La Marine Française et la Crise de Mars 1936, in: Michel: France, S. 333–337. 99 R. Michalon/J. Vernet: L’Armée Française et la Crise du 7 Mars 1936, in: Michel: France, S. 289–313. 100 R. Debicki: The Remilitarization of the Rhineland and its Impact on the French-Polish Alliance, in: Polish Review 14 (1969), S. 45–55. 101 G. Sakwa: The Franco-Polish Alliance and the Remilitarization of the Rhineland, in: HJ 16 (1973), S. 125–146. 102 R. E. M. Goodman: The Rhineland Crisis and the Politics of Dependence: A Case Study in Bureaucratic Government and Irresponsible Leadership, Diss. phil. Princeton 1976,

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1. Einleitung und Problemstellung

eine politische „Theorie des Fait accompli“103 . Die Beschäftigung Meyers’ mit der Rheinlandbesetzung erwuchs aus seiner systemtheoretisch angelegten Untersuchung der britischen Außen- und Sicherheitspolitik der dreißiger Jahre104 . In mehreren Aufsätzen entwickelte er das Bild einer am Gleichgewichtsprinzip orientierten Politik Großbritanniens während der Rheinlandkrise105 . Einen Schritt weiter ging Meyers mit seiner 1980 formulierten „Hebelthese“106 . Ihr zu Folge benutzten sowohl England als auch Frankreich das entmilitarisierte Rheinland als diplomatischen Hebel. Die britische Regierung erblickte in der Zone ein Tauschobjekt, um Deutschland in das System kollektiver Sicherheit zu locken, während die französische Führung versuchte, England im Spiel über die rheinische Bande zu einem antideutschen Defensivbündnis zu bewegen. Das Fehlen diplomatiegeschichtlicher Analysen zum Hergang der Rheinlandkrise lässt sich noch auf zwei weitere Umstände zurückführen. Erstens hat es sich eingebürgert, die Bedeutung des 7. März 1936 in der Tatsache der militärischen Besetzung des Rheinlandes zu sehen. Dabei geriet aus dem Blick, dass Deutschland am 7. März 1936 einen völkerrechtlich verbindlichen Vertrag kündigte. Der Rheinpakt von Locarno bildete den wichtigsten Baustein in der sicherheitspolitischen Architektur des Reiches, indem er den Krieg als Mittel der französisch-deutschen Auseinandersetzungen eliminierte; er stellte das Reich und seine Westgrenze gewissermaßen unter britisch-italienischen Schutz. Das so entstandene „System von Locarno“, dem der Rheinpakt zu Grunde lag, regelte die zwischenstaatlichen Beziehungen in Westeuropa, was nach dem deutschen Austritt aus dem Völkerbund immer wichtiger wurde107 . Der Rheinpakt war eingebettet in ein ganz Europa umspannendes Netz aus

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S. VIII: „This dissertation is, on a very basic level, a study of foreign policy leadership in a situation of enormous internal and external constraints.“ M. I. Handel: The Diplomacy of Surprise. Hitler, Nixon, Sadat (Harvard Studies in International Affairs, Bd. 44), Cambridge/Massachusetts 1981, S. 4: „A major diplomatic surprise is an unexpected move which has considerable impact on the real or expected division of power in the international system or a major subsystem.“ R. Meyers: Britische Sicherheitspolitik 1934–1938. Studien zum außen- und sicherheitspolitischen Entscheidungsprozess, Düsseldorf 1976. Ders.: Sicherheit und Gleichgewicht. Das britische Kabinett und die Remilitarisierung des Rheinlandes 1936, in: RhVjBll. 38 (1974), S. 406–449; ders.: Das Ende des Systems von Locarno. Die Remilitarisierung des Rheinlandes in britischer Sicht, in: Dreyfus: Les Relations, S. 299–334. R. Meyers: Das Rheinland in der Politik der europäischen Mächte der Zwischenkriegszeit. Anmerkungen zur neueren Literatur, in: RhVjBll. 44 (1980), S. 303–314; ders.: Rhein und Ruhr als Objekte der Politik der europäischen Großmächte in den dreißiger Jahren, in: K. Düwell/W. Köllmann (Hg.): Rheinland-Westfalen im Industriezeitalter, Bd. 3: Vom Ende der Weimarer Republik bis zum Land Nordrhein-Westfalen, Wuppertal 1984, S. 7– 20. Vgl. A. J. P. Taylor: Die Ursprünge des Zweiten Weltkrieges, Gütersloh 2 1962, S. 117: „Versailles war tot (. . . ). Seinen Platz nahm das System von Locarno ein (. . . ).“

1. Einleitung und Problemstellung

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Schiedsgerichts-, Nichtangriffs- und Konsultationsverträgen. Die Bewertung und Handhabung dieser Verträge war Sache der Diplomaten im Auswärtigen Amt und unterlag ebenso wie die Frage der „Kündigung“ Locarnos ihrer Beurteilung. Die vermeintliche Ohnmacht der Diplomaten108 wurde von den Zeitgenossen so nicht wahrgenommen. Die diplomatischen Vertretungen des Auslandes betrachteten das Auswärtige Amt in allen Locarnofragen als Verhandlungspartner und stimmten ihre Reaktion zunächst mit den Diplomaten ab und nicht mit den Militärs, sodass sich hier Chancen zu einer eigenständigen Politik ergaben109 . Der zweite Umstand liegt in der Quellenarmut. Die zentralen Quellen, die geeignet sind, das Geschehen um die Rheinlandkrise zu erhellen, sind die Akten der Reichskanzlei, des Auswärtigen Amtes und des Reichswehrministeriums, die im Bundesarchiv in Berlin-Lichterfelde (BArch), im Politischen Archivs des Auswärtigen Amtes in Berlin (PA AA) und im Militärarchiv in Freiburg (BAMA) lagern. Hier tun sich jedoch zwei spezifische Probleme auf. Zum einen ist die entmilitarisierte Zone wegen ihrer sensiblen außenpolitischen Stellung, die sie in der Zwischenkriegszeit hatte, ein von Grund auf quellenarmes Terrain. Maßnahmen für den Grenzschutz und fortifikatorische Vorbereitungen waren nach dem Willen des Auswärtigen Amtes und des Reichswehrministeriums zu tarnen und geheim zu halten. Folglich ordnete die Heeresleitung bereits 1933 an, den Schriftverkehr zu beschränken oder mit Behörden außerhalb der Wehrmacht ganz einzustellen; alle Weisungen sollten mündlich erteilt werden110 . Diese Bestimmungen wurden in der Folgezeit immer wieder verschärft111 . Auch der Einmarsch am 7. März 1936 unterlag äußerster Geheimhaltung. Hitler war überzeugt, dass das Überraschungsmoment wichtig für das Gelingen des Coups sei112 . So waren nur wenige Minister und Militärs in die

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Insbesondere nach dem deutschen Weggang aus Genf sei dem Auswärtigen Amt der Einfluss auf die Außenpolitik entglitten, vgl. Müller: Elite, S. 263. Vgl. die Ausführungen bei François-Poncet: Botschafter, S. 242–256, der meinte, Gaus und Bülow hätten die deutsche Politik konzipiert, um Hitler die größtmögliche Bewegungsfreiheit zu sichern; dagegen lautete das Urteil Weizsäckers im August 1936: „In den fünf Jahren, während derer ich von Berlin weg war, ist das Amt aus einem Motor bestenfalls ein Getriebe geworden.“ Tagebuch Weizsäcker, 19. 8. 1936, L. E. Hill (Hg.): Die WeizsäckerPapiere, Bd. 2: 1933–1950, Frankfurt/M. u. Berlin 1974, S. 99. Erlass Hammerstein, 3. 11. 1933, BA-MA, RW 19/1760. Rundschreiben Blomberg, Berlin, 12. 11. 1934, Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Berlin (künftig: PA AA), R 34016. Dort hieß es, in der entmilitarisierten Zone „ist der Schriftverkehr (. . . ) möglichst unverfänglich zu gestalten und nur auf dem Kurierwege zu befördern.“ Und ein halbes Jahr später wurde erlassen, das Niederlegen schriftlicher Anweisungen sei nur erlaubt, wenn dies unbedingt erforderlich sei, Rundschreiben Reichenau, Berlin, 29. 4. 1935, ebenda. Vgl. Handel: Surprise, S. 46.

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1. Einleitung und Problemstellung

Vorbereitungen zu „Winterübung“ eingeweiht, der Schriftverkehr war entsprechend eingeschränkt. Zum anderen sind die Bestände beider Ministerien von starken Kriegsverlusten gezeichnet. Betrifft dies im Falle des Reichswehrministeriums besonders die Akten der obersten Leitungsebene, sind im Fall des Auswärtigen Amtes vor allem die Akten der Rechtsabteilung zerstört worden. Bereits im November 1944 hatte man mit der Vernichtung von Geheimakten begonnen, der uneingeschränkte Vernichtungsbefehl erging am 10. April 1945113 . In den letzten Jahren ist eine Reihe von Quellen greifbar geworden, die eine Neubearbeitung der Rheinlandkrise ermöglichen. Erstens konnten im Archiv des Auswärtigen Amtes Akten eingesehen werden, die bis heute nicht zu den Problemkreisen „Locarnopakt“ und „entmilitarisierte Zone“ ausgewertet wurden. Das sind vor allem die Akten der Rechtsabteilung, die Überlieferung der deutschen Botschaften in Paris und Moskau sowie der Bestand der Handakten Neuraths, der bis zur Wiedervereinigung im „Deutschen Zentralarchiv“ in Potsdam lagerte. Zweitens sind das die Akten der französischen und britischen Außenministerien, die von deutschen Historikern weitgehend ignoriert wurden. Die Überlieferung der britischen Ministerien wird zentral in den National Archives (TNA) in London gesammelt und verwahrt. Die vorliegende Arbeit stützt sich auf die Korrespondenzen des Foreign Office betreffend Deutschland (Serie FO 371) sowie auf die Akten der Regierungen MacDonald und Baldwin (Serie CAB). Die Beobachtung illegalen Vorgehens der deutschen Stellen in der entmilitarisierten Zone oblag dem Directorate of Military Operations and Intelligence im britischen War Office; die von ihm erstellten Berichte sind im Bestand WO 190 erhalten. Die Akten des französischen Außenministeriums befinden sich heute im Archivzentrum in La Courneuve im Norden von Paris114 . Die Archives diplomatiques du Ministère des Affaires étrangères et européennes (AMAEE) verwahren die 113

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Vgl. Geyer: Aufrüstung, S. 17; Stuby: Gaus, S. 317. Betroffen waren insbesondere die Geheimakten der Rechtsabteilung (23 Bündel) sowie diejenigen Akten der Rechtsabteilung, die zum französisch-sowjetischen Hilfeleistungsvertrag angelegt wurden. Weitere empfindliche Verluste in den Akten des Auswärtigen Amtes betreffen die Bestände Büro Reichsminister, Presseabteilung und die Geheimakten der Botschaft in London; hier fehlen praktisch alle Akten zur Wiederbesetzung des Rheinlandes 1936, vgl. G. O. Kent (Hg.): A Catalogue of Files and Microfilms of the German Foreign Ministry Archives 1920–1945, Bd. I–IV, Stanford/California 1962–1972; H. Philippi: Das Politische Archiv des Auswärtigen Amtes. Rückführung und Übersicht über die Bestände, in: Der Archivar 13 (1960), Sp. 199–218. Dagegen befinden sich die Akten der französischen Botschaft in Berlin im Centre des Archives Diplomatiques in Nantes; diese Akten wurden für die vorliegende Arbeit nicht herangezogen. Zu den Beständen in Nantes vgl. E. Pascal: Deux siècles de Relations franco-allemandes. Les papiers des représentations diplomatiques et consulaires françaises en

1. Einleitung und Problemstellung

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das Deutsche Reich betreffenden Akten unter der Serie Z für Europa, während die Akten über das Rheinland im Bestand La rive gauche du Rhin zusammengefasst sind. Für die Auslegung Locarnos durch die französische Regierung wurde zudem der Fonds Service français de la Société des Nations, der innerhalb der Serie Relations multilatérales angesiedelt ist, herangezogen. Weitere wertvolle Ergänzungen finden sich in den Akten des französischen Generalstabes, die heute im Heeresarchiv Vincennes verwahrt werden115 . Drittens stehen seit einigen Jahren wichtige Nachlässe und Erinnerungen beteiligter Akteure zur Verfügung, die bislang von der Forschung nicht rezipiert wurden. Die wichtigsten Bestände sind der Nachlass des Reichsaußenministers Konstantin v. Neurath im Bundesarchiv Koblenz (BAK), der Nachlass des damaligen Militärattachés in London, Leo Geyr v. Schweppenburg, im Institut für Zeitgeschichte in München (IfZ) sowie die Hinterlassenschaft des deutschen Diplomaten und Politikers Otto (II.) v. Bismarck, damals Botschaftsrat in London, der von der Otto-von-Bismarck-Stiftung in Friedrichsruh (OBS) verwahrt wird. Zur Verbesserung der Quellenlage trägt außerdem bei, dass seit einigen Jahren die Tagebücher von Joseph Goebbels vollständig ediert vorliegen116 . Diese Quellen sollen helfen, die Kenntnisse über die entscheidenden Konferenzen bei Hitler im Februar und März 1936, die sich bislang aus den Erinnerungen von Friedrich Hoßbach, damals Wehrmachtsadjutant bei Hitler117 , Dirk Forster, Botschaftsrat in Paris118 sowie den Aufzeichnungen Ulrich v. Hassells, zu jener Zeit deutscher Botschafter in Rom119 speisten, zu vertiefen120 .

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Allemagne conserves au Centre des Archives Diplomatiques de Nantes, in: Francia 16 (1989), S. 83–97. Vgl. dazu F. Wittendorfer: Waffenstillstand, Versailler Vertrag und Ruhreinbruch. Nachlässe französischer Offiziere im Heeresarchiv Vincennes, in: MGM 48 (1990), S. 143–146. J. Goebbels: Die Tagebücher von Joseph Goebbels, im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte und mit Unterstützung des Staatlichen Archivdienstes Russland hg. v. E. Fröhlich, Teil I: Aufzeichnungen 1923–1941, Bd. 2/III: Oktober 1932. März 1934, bearbeitet von A. Hermann; Bd. 3/I: April 1934. Februar 1936, bearbeitet von A. Hermann/H. Mehringer/A. Munding/J. Richter; Bd. 3/II: März 1936. Februar 1937, bearbeitet von J. Richter; Bd. 4: März–November 1937, bearbeitet von E. Fröhlich, München 2000–2006. Hoßbach: Wehrmacht. PA AA, NL Forster, Bd. 1; vgl. D. Forster: The Rhineland Occupation in 1936. Hitherto Unknown Details, in: The Wiener Library Bulletin 10 (1956), Nr. 5–6, S. 48. Robertson: Wiederbesetzung; U. Schlie (Hg.): Ulrich von Hassell. Römische Tagebücher und Briefe 1932–1938, München 2004. Andere Beteiligte starben entweder früh (Bülow, Hoesch) oder verfassten keine Memoiren (Neurath, Göring). Dagegen enthalten die im Zusammenhang mit der Rheinlandkrise oft genannten Erlebnisberichte von Sigismund-Sizzo Fitz-Randolph, damals deutscher Presseattaché in London, sowie von Leo Frh. Geyr v. Schweppenburg, dem damaligen Militärattaché in London, keine Aufschlüsse über die deutsche Entscheidungsfindung, S.S. Fitz-Randolph: Der Frühstücksattaché aus London, Stuttgart 1954; L. Geyr v. Schweppenburg: Erinnerungen eines Militärattachés. London 1933–1937, Stuttgart 1949.

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Viertens ist noch die Völkerrechtsliteratur der zwanziger und dreißiger Jahre zu nennen, der bei der Beantwortung der aufgeworfenen Fragen eminente Bedeutung zukommt, wenn es darum geht, den zeitgenössischen Horizont bei der rechtlichen Auslegung des Locarnopaktes zu beurteilen. An dieser Stelle ist es nicht beabsichtigt, eine erschöpfende Darstellung der völkerrechtlichen Literatur der Zwischenkriegszeit vorzunehmen. Es sollen nur beispielhaft diejenigen Studien, entlang der vorherrschenden geistigen Strömungen, vorgestellt werden, die Erkenntniswert für die vorliegende Analyse besitzen. Nach dem Ersten Weltkrieg beschäftigte sich die deutsche Völkerrechtswissenschaft sehr ausführlich mit den Pariser Vorortverträgen und dem Genfer Völkerbund121 . Die Abkehr von der alten Geheimdiplomatie122 und die neuen Formen von Sicherheits- und Bündnispolitik erregten in den frühen zwanziger Jahren das Interesse der deutschen Juristen123 . Bei aller Kritik am Völkerbund als „Werkzeug imperialistischer Bestrebungen der Entente“124 bekannten sich die deutschen Rechtsgelehrten mehrheitlich zu einer Politik des Rechts und zum Prinzip der friedlichen Verhandlungen und erklärten ihre Bereitschaft, am Neubau des völkerrechtlichen Gewölbes mitzuarbeiten. Mit dem Abschluss der Locarnoverträge im Jahr 1925, deren juristischer Gehalt im Allgemeinen als sehr komplex eingestuft wurde, eröffnete sich den Rechtsexperten ein weites Feld an Forschungsobjekten. So analysierten die Arbeiten von Strupp125 , Nellen126 und Rolland127 den Rheinpakt und die in Locarno geschlossenen Schiedsverträge in ihrem juristischen Inhalt und ihrer politischen Bedeutung und lagen dabei gedanklich ganz auf der Linie der Ausgleichspolitik 121

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Vgl. beispielsweise B. W. v. Bülow: Der Versailler Völkerbund. Eine vorläufige Bilanz, Berlin 1923; P. Barandon: Das Kriegsverhütungsrecht des Völkerbundes, Berlin 1933. Einzelne Artikel der Völkerbundssatzung untersuchen R. Dettweiler: Die Machtmittel des Völkerbundsrats aus Artikel 16 der Satzung, Diss. jur. Erlangen 1937; R. W. Fasold: Die Wandlung der Auffassungen über Artikel 16 der Völkerbundsatzung, Bleicherode a. H. 1939. Punkt 1 von Wilsons Friedensprogramm lautete: „Offene, öffentlich abgeschlossene Friedensverträge. Danach sollen keinerlei geheime internationale Abmachungen mehr bestehen; sondern die Diplomatie soll immer aufrichtig und vor aller Welt getrieben werden.“ Wilsons Weltfriedensprogramm (Die „14 Punkte“), 8. 1. 1918, Schulthess’ Europäischer Geschichtskalender, NF, 34 (1918), Teil II, hg. v. W. Stahl, München 1922, S. 556– 560. Vgl. besonders J. Stresemann: Die Sicherheitsfrage in der Nachkriegszeit, Diss. jur. Göttingen 1933. W. Schücking: Das Weltparlament, in: Ders.: Die nationalen Aufgaben unserer auswärtigen Politik, Berlin 1926, S. 41–43, hier S. 41. K. Strupp: Das Werk von Locarno. Eine völkerrechtlich-politische Studie, Berlin u. Leipzig 1926. E. Nellen: Inhalt und juristische Bedeutung des Paktes von Locarno, Diss. jur. Göttingen o. J. [1927]. H. Rolland: Die Schiedsverträge in dem Werke von Locarno, Diss. jur. Würzburg 1930.

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Stresemanns. Mit dem Ende der Locarnoära und der „Agonie der Verständigungspolitik“128 verschärfte sich auch der Ton der Völkerrechtler. Die Kritik an Locarno wurde lauter. Der Gegensatz einer „wahren“ Staatengemeinschaft zu dem real existierenden Völkerbund, dessen Bedeutung auf ein Instrument der Siegermächte zur Niederhaltung Deutschlands eingeengt wurde129 , verbunden mit der Kritik am französischen Bündnisblock in Osteuropa, bildete den Gegenstand vieler Veröffentlichungen, die nichts Geringeres als eine „neue diplomatische Ordnung“ im Sinn hatten130 . Anfang der dreißiger Jahre wandelten sich die internationale Politik und die deutschen Auffassungen von der Gestalt des Völkerrechts. Die Ankündigung der Nationalsozialisten, mit allen Staaten Nichtangriffspakte abschließen zu wollen131 , die Abkehr Deutschlands vom System kollektiver Sicherheit im Herbst 1933 sowie das Ostpaktprojekt des französischen Außenministers Barthou im Jahr 1934132 gaben der deutschen Völkerrechtswissenschaft neue Stichworte. Die Völkerrechtler beschäftigten sich fortan mit der „Krise des Völkerbundes“133 und mit den verschiedenen Bündnisarten und Pakttypen, insbesondere mit Nichtangriffsverträgen, wie die Studien von Huber134 und Wasmund135 . Kam hier schon gelegentlich die Frage der Vereinbarkeit der unterschiedlichen Vertragsformen zur Sprache136 , wurde es nach der deutschen „Kündigung“ Locarnos am 7. März 1936 geradezu 128 129

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P. Krüger: Versailles. Deutsche Außenpolitik zwischen Revisionismus und Friedenssicherung, München 1986, S. 156. W. Schücking: Der Völkerbundsrat und seine Reform, in: Ders.: Die nationalen Aufgaben unserer auswärtigen Politik, Berlin 1926, S. 66–71, hier S. 66: „Eine gewisse Unpopularität des Völkerbundes in weiten Kreisen Deutschlands ist gewiss begreiflich, und die Pariser Väter des Völkerbundes, die aus seinem Statut einen formellen Bestandteil des Versailler Friedens gemacht und Deutschland dann zunächst ausgesperrt haben, tragen für diese leidige Tatsache in erster Linie die Verantwortung.“ Vgl. R. B. Dockhorn: The Wilhelmstraße and the Search for a New Diplomatic Order, 1926–1930, Diss. phil. Wisconsin 1972 mit weiteren Hinweisen zu zeitgenössischer Literatur. Rede Hitler, 17. 5. 1933, Domarus: Hitler, Bd. I, 1, S. 277. Vgl. L. Radice: Prelude to Appeasement: East Central European Diplomacy in the Early 1930’s, New York 1981; Schmidt: Außenpolitik, S. 158–165. Vgl. H. Jahrreiß: Der Revisionskampf um Europa. Die Krise des Völkerbundes, Leipzig 1934; O. Kriegk: Das Ende von Versailles. Die Außenpolitik des Dritten Reiches, Oldenburg u. Berlin 1934; W. Ruppel: Genfer Götterdämmerung. Werden, Wirken und Versagen des Völkerbundes, Stuttgart 1940. H. Huber: Die Nichtangriffs- und Neutralitätsverträge, Diss. jur. Tübingen 1936. G. Wasmund: Die Nichtangriffspakte. Zugleich ein Beitrag zu dem Problem des Angriffsbegriffes (Abhandlungen des Instituts für Politik und ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht an der Universität Leipzig, Bd. 41), Leipzig 1935. Frühe Arbeiten zu diesem Komplex sind: F. Kraemer: Das Verhältnis der französischen Bündnisverträge zum Völkerbundspakt und zum Pakt von Locarno. Eine juristisch-politische Studie (Frankfurter Abhandlungen zum modernen Völkerrecht, Bd. 30), Leipzig 1932; J. L. Kunz: Die Staatenverbindungen, Stuttgart 1929.

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zur Regel, die juristische Unvereinbarkeit der französischen Ostallianzen mit der Völkerbundssatzung, dem Briand-Kelloggpakt und dem Vertragswerk von Locarno nachzuweisen. Praktisch alle deutschen Völkerrechtsgelehrten beteiligten sich an dieser „Diskussion“, wie Berber137 , Freytagh-Loringhoven138 , Carl Schmitt139 , Wehberg140 und Rogge141 . Monographisch bearbeitet wurde das Thema durch Ebert142 und Poli143 . Dagegen spielte die entmilitarisierte Zone, das Objekt des deutschen Gewaltakts im März 1936, in den angesprochenen Studien nur eine marginale Rolle. Immerhin war die staats- und völkerrechtliche Situation der Zone Gegenstand einiger Monographien144 . Mitte der dreißiger Jahre verschob sich der Akzent der deutschen Völkerrechtswissenschaft. Unterschieden sich die Studien bislang kaum von der revisionistischen Argumentation und der Völkerbundskritik der Weimarer Jahre, absorbierte jetzt die deutsche Völkerrechtslehre schrittweise das Gedankengut völkischer Theorien, Konzepte einer europäischen Großraumordnung unter deutscher Führung145 und Konstruktionen zur rechtlichen Legitimierung von Gewaltanwendung146 , und stellte sich damit zunehmend in den Dienst der aggressiven deutschen Außenpolitik nach 1938147 . Vor diesem 137 138

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F. Berber: Das Ende von Locarno, in: Hamburger Monatshefte für Auswärtige Politik 14 (1936), S. 103–105. A. Frh. v. Freytagh-Loringhoven: Die Regionalverträge. Fünf Vorlesungen an der Haager Akademie für Deutsches Recht, München u. Leipzig 1937; ders.: Deutschlands Außenpolitik 1933–1939, Berlin 1939. C. Schmitt: Sprengung der Locarno-Gemeinschaft durch Einschaltung der Sowjets, in: DJZ 41 (1936), Sp. 337–341. H. Wehberg: Entmilitarisierung der Rheinlande und Locarno-Pakt, in: Die Friedens-Warte 36 (1936), S. 49–61. H. Rogge: Zerfall des Locarnopaktes, in: Europäische Revue 12 (1936), S. 230–238. K. H. Ebert: Unvereinbarkeit von Bündnisverträgen mit Bündnissen, Neutralitätsabkommen, Nichtangriffspakten und Völkerbundsverpflichtungen. Eine politisch-völkerrechtliche Untersuchung, Diss. jur. Gießen 1937. F. Poli: Die juristische Unvereinbarkeit des französisch-russischen Beistandspaktes vom 2. Mai 1935 mit dem Vertrag von Locarno (Eine juristisch-historische Frage), Diss. jur. Bonn 1940. K. Linnebach: Die Entmilitarisierung der Rheinlande und der Vertrag von Locarno. Eine völkerrechtliche Untersuchung (Rheinische Schicksalsfragen, Bd. 18/20), Berlin 1927; R. Erich: La Question des Zones démilitarisées, in: Recueil des Cours 26 (1929), S. 587– 668. Vgl. W. Best: Grundfragen einer deutschen Großraum-Verwaltung, in: Ders. et al. (Hg.): Festgabe für Heinrich Himmler, Darmstadt 1941, S. 33–60. Vgl. E. Bristler (Pseudonym für J. L. Herz): Die Völkerrechtslehre des Nationalsozialismus, mit einem Vorwort von G. Scelle, Zürich 1938; G. A. Walz: Völkerrechtsordnung und Nationalsozialismus. Untersuchungen zur Erneuerung des Völkerrechts, München 1942. Zur Entwicklung der deutschen Völkerrechtswissenschaft im „Dritten Reich“ vgl. M. Messerschmidt: Revision, Neue Ordnung, Krieg. Akzente der Völkerrechtswissenschaft in Deutschland 1933–1945, in: MGM 9 (1971), S. 61–95; N. Paech/G. Stuby: Machtpolitik

1. Einleitung und Problemstellung

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Hintergrund versuchten Autoren wie Hahn die deutsche Argumentation für ein Erlöschen Locarnos im Frühjahr 1936 im Nachhinein unter völkischen Vorzeichen zu interpretieren und in einen Zusammenhang mit der rassischen Neuordnung Europas zu stellen148 . Die frühe Völkerrechtslehre der Bundesrepublik griff gelegentlich auf Fallbeispiele der Völkerbundsära zurück. So behandelte Berber in seinem Lehrbuch zum Völkerrecht die Probleme der entmilitarisierten Zone und der „Kündigung“ Locarnos im Jahr 1936149 und Rechberg promovierte bei Erich Kaufmann in München mit einer Untersuchung zum Verhältnis der Völkerbundssatzung zu den Defensivallianzen der Zwischenkriegszeit150 . An dieser Stelle setzt die vorliegende Analyse an. Unter Fokussierung auf das vertragliche Instrument des Rheinpaktes und auf möglichst breiter Quellenbasis soll die Politik des Auswärtigen Amtes gegenüber dem Vertrag von Locarno mit besonderer Berücksichtigung der Jahre 1933 bis 1936 herausgearbeitet werden. Die Arbeit möchte klären, welche Ziele und Planungen sich im Auswärtigen Amt mit dem Locarnopakt verbanden und inwieweit sich das Amt gegenüber dem Reichskanzler und der Wehrmacht mit seinen Wünschen durchsetzen konnte. Gleichzeitig ist zu untersuchen, welchen sicherheitspolitischen Stellenwert die entmilitarisierte Zone am Rhein in diesem eher politisch gepolten Kräftefeld besaß – im Gegensatz zur rein militärstrategischen Sicht des Generalstabes. Diese Standortbestimmung verweist auf vier Fragen, die von der historischen Forschung noch nicht beantwortet wurden. Erstens: Wie standen die Diplomaten des Auswärtigen Amtes zum Rheinpakt von Locarno? Gab es eine klare Linie oder interne Differenzen? Wie unterschied sich die Haltung zu Locarno, die die Diplomaten nach 1933 einnahmen, von der ursprünglichen Locarnokonzeption? Den Ausgangspunkt der Frage bilden die Vorstellungen von Reichsaußenminister Gustav Stresemann, seines Staatssekretärs Carl v. Schubert und von Friedrich W. Gaus151 , dem Leiter der Rechtsabteilung im Auswärtigen Amt, die im Herbst 1925 zur Unterzeichnung des Vertragswerks von Locarno geführt haben. Die Auslegung des Locarno-

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und Völkerrecht in den internationalen Beziehungen, Baden-Baden 1994, S. 176–189. Vgl. ferner L. Gruchmann: Nationalsozialistische Großraumordnung. Die Konstruktion einer deutschen „Monroe-Doktrin“, Stuttgart 1962. G. Hahn: Grundfragen Europäischer Ordnung. Ein Beitrag zur Neugestaltung der Völkerrechtslehre (Schriften des Instituts für Politik und Internationales Recht an der Universität Kiel, NF, Bd. 5), Berlin u. Wien 1939. F. Berber: Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. I: Allgemeines Friedensrecht; Bd. II: Kriegsrecht; Bd. III: Streiterledigung, Kriegsverhütung, Integration, München u. Berlin 1960– 1964. Graf A. v. Rechberg und Rothloewen: Wie sind die Politischen Verträge in die Völkerbundssatzung eingebaut, Diss. jur. München 1950. Zur Bedeutung Gaus’ im Auswärtigen Amt vgl. Stuby: Gaus; E. v. Weizsäcker: Erinnerungen, München u. a. 1950, S. 386.

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1. Einleitung und Problemstellung

paktes oblag fortan einer kleinen Gruppe von Diplomaten. Nach 1932 waren dies Außenminister Neurath, sein Staatssekretär Bülow, Friedrich Gaus, der auf seinem Posten als Rechtsexperte verblieben war, Ministerialdirektor Gerhard Köpke, der Leiter der Abteilung II (Westeuropa und Südosteuropa), sowie der dortige Referatsleiter für Abrüstungs-, Militär- und Luftfragen, Hans Frohwein. Welche Rolle spielte demgegenüber der Locarnopakt im außenpolitischen Denken Hitlers und Ribbentrops? Zweitens: Wie gestaltete sich die Balance zwischen dem internationalen Status Deutschlands nach dem Verlassen der Abrüstungskonferenz und dem Austritt aus dem Völkerbund im Herbst 1933 einerseits und dem Fortbestehen der Locarnoverpflichtungen andererseits? Der Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund bildete nicht nur eine Zäsur in der deutschen Außenpolitik, sondern auch in der Geschichte der internationalen Beziehungen überhaupt. War der Austritt aus dem Völkerbund der erste Schritt in einer Ereigniskette, die zwangsläufig in der „Kündigung“152 Locarno enden musste, oder gab es noch andere Sicherheitsoptionen? Wie beeinflusste die Frage der Rückwirkungen des deutschen Völkerbundsaustritts auf den Locarnopakt, die im Winter 1933/34 in allen europäischen Hauptstädten diskutiert wurde, die späteren Positionen in der zweiten Hälfte des Jahres 1935 und während der Märzkrise 1936? Drittens: Wie lange und unter welchen Konditionen hielt man am Locarnopakt fest? Wann entschloss man sich zur „Kündigung“ und warum? Warum war das Auswärtige Amt im Frühjahr 1936 bereit, den halsbrecherischen Kurs Hitlers mitzugehen? Hier soll der Ort des Rheinpaktes im Koordinatensystem der europäischen Bündniswelt der Zwischenkriegszeit beleuchtet werden153 . Es ist zu fragen, welchen Stellenwert der Locarnopakt und die darin festgeschriebene Entmilitarisierung der Rheinlande in der sicherheitspolitischen Architektur des Reiches besaßen. Dabei ist insbesondere auf die bündnispolitische, mit den Instrumenten des Völkerrechts operierende Sicherheitskonzeption des Auswärtigen Amtes – im Gegensatz zur militärischen Sicherheitsdefinition des Reichswehrministeriums – einzugehen. Vor diesem Hintergrund stellt sich auch die Frage, ob die deutsche Argumentation gegen ein Fortbestehen Locarnos unter Verweis auf das Völkerrecht taktisch-machtpolitischer Natur war oder ob der französisch-sowjetische Beistandspakt vom Mai 1935 tatsächlich gegen Geist und Buchstaben Locarnos verstieß, sodass die deutsche Argumentation einer Unvereinbarkeit mit dem Vertragswerk von Locarno stichhaltig war. Viertens: Wie gestaltete sich der Beziehungsrahmen zwischen den Konzeptionen im Auswärtigen Amt mit den Planungen der Militärs und dem „Programm“ Hitlers? Wer war die ausschlaggebende Potenz bei der „Kündigung“ 152 153

Eine Kündigungsklausel im eigentlichen Sinne enthielt der Locarnopakt nicht. Sehr anschaulich: W. Wache: Das System der Pakte. Die politischen Verträge der Nachkriegszeit, Berlin 1938.

1. Einleitung und Problemstellung

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des Locarnopaktes? In diesem Abschnitt sollen der Locarnopakt und die entmilitarisierte Zone aus Sicht des Auswärtigen Amtes betrachtet werden. Welche Alternativen zum Kurs Hitlers und den Rüstungsplänen der Reichswehr entwarfen die Diplomaten in der Wilhelmstraße und wie tragfähig waren diese Konzeptionen, um dem Reich Sicherheit vor Interventionen zu bieten? Um diese Fragen zu beantworten, werden die nachfolgenden Komplexe behandelt: In den ersten Kapiteln dieser Arbeit soll die Ausgangslage, die die Regierung Hitler im Januar 1933 für ihre Locarnopolitik vorfand, umrissen werden. Es geht um die Grundzüge der Locarnoverträge (Kapitel 2.1) sowie um die Auflockerung der Locarnostrukturen in den Jahren nach 1930 in Deutschland (Kapitel 2.2), England und Frankreich (Kapitel 2.3), die sich schon um die Jahreswende 1932/33 in einer Diskussion über eine mögliche Revision der Locarnoverträge niederschlugen (Kapitel 2.4). Hierauf basiert der Schwerpunkt der Arbeit, der mit der Zäsur von 1933 einsetzt. Zunächst werden die Locarnokonzeptionen Hitlers und der Reichswehr (Kapitel 3), die bislang im Verdacht standen, für die Rheinlandkrise vom März 1936 verantwortlich gewesen zu sein, untersucht. In den folgenden Kapiteln wird die Rolle Locarnos in den Sicherheitskonzeptionen des Auswärtigen Amtes beleuchtet. Unter der Ägide von Staatssekretär Bülow war man dort zunächst entschlossen, am Rheinpakt von Locarno festzuhalten (Kapitel 4.1). Mit der Zeit mehrten sich indes die Zweifel am Locarnopakt. Erstens wuchs in der Wilhelmstraße die Überzeugung heran, dass der Rheinpakt nach dem endgültigen Ausscheiden Deutschlands aus dem Völkerbund rechtlich hinfällig und nicht mehr anwendbar sei (Kapitel 4.2). Zweitens gilt es einen Blick auf die Bestrebungen in Frankreich und England zu richten, die auf eine Modifizierung Locarnos abzielten. Während das Jahr 1934 das Ende des Rheinpaktes einzuläuten schien, starteten die Außenministerien in London und Paris im Jahr 1935 eine Serie von außenpolitischen Initiativen, die auf eine Reaktivierung Locarnos für das europäische Sicherheitssystem abzielten. Aus Sicht der Deutschen hatten diese Vorstöße den Zweck, ein französisch-britisches Bündnis „über Locarno hinaus“154 zu schließen (Kapitel 4.3). Drittens wurde der Locarnopakt aus Sicht der Wilhelmstraße durch die französischen Bestrebungen zu einem Ostpakt in den Jahren 1934/35 bedroht (Kapitel 4.4). Im nächsten Kapitel geht der Blick auf die diplomatischen Manöver, mit denen das Auswärtige Amt diese dreifache Bedrohungslage kontern wollte. In einer ersten Phase versuchte Bülow, den Locarnopakt durch ein alternatives Vertragssystem zu ersetzen. Dem von ihm betriebenen Protest gegen den französisch-sowjetischen Beistandspakt war dabei die Rolle zugedacht, die britische Haltung zu Locarno abzuklopfen und in Verhandlungen über einen neuen 154

So Aufzeichnung Geyr v. Schweppenburg, [Irschenhausen], o. D., Institut für Zeitgeschichte, München (künftig: IfZ), ED 91, Bd. 7/2.

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1. Einleitung und Problemstellung

Pakt zu drängen (Kapitel 4.5.1). In einer zweiten Phase ergriff Reichsaußenminister Neurath die Initiative, um mit Hilfe einer Pressionsstrategie England zu einer Modifizierung des Locarnopaktes zu bewegen. Bei einer Weigerung Londons beabsichtigte er, den französisch-sowjetischen Pakt als Vorwand zu nehmen, um den Rheinpakt in einer diplomatischen Aktion zu „kündigen“ (Kapitel 4.5.2). Schließlich werden im letzten Kapitel die Fäden der vorangegangenen Analyse aufgegriffen, um die unmittelbare Vorgeschichte des 7. März 1936 zu beleuchten. Die deutschen Planungen, die Vorbereitungen und die Durchführung der Aktion werden eingehend und unter besonderer Berücksichtigung des Auswärtigen Amtes dargestellt (Kapitel 5.1, 5.2 und 5.3). Ein letzter Blick geht nach England und Frankreich und soll klären, warum sich die Westmächte zu keiner energischen Antwort auf das deutsche Fait accompli entschließen konnten (Kapitel 5.4).

2. Die Ausgangslage (1925–1933) 2.1 Der Locarnopakt: Funktionsweise und Wandel bis 1930 Als der Locarnovertrag im März 1936 „gekündigt“ war, war das Urteil der Zeitgenossen schnell gefällt. Durch die Klauseln zur einseitigen Entmilitarisierung, schrieb ein nationalsozialistischer Völkerrechtler im Jahr 1939, sei der Locarnopakt von vornherein „ungültig“ gewesen. Der Vertrag sei ein Verstoß gegen den Vorvertrag vom 5. November 19181 und sei „unsittlich“, weil er sich am „Grundrecht der Wehrhoheit“ verging. Dazu komme noch die Clausula rebus sic stantibus, die immer dann anzuwenden sei, wenn die „völkischen Lebensinteressen“ eines Landes gefährdet seien2 . Auch Heinrich Rogge, der in den vierziger Jahren in Freiburg und Graz Völkerrecht lehrte, meinte, Locarno habe dem Reich keine Sicherheit gegeben. Deutschland habe die einseitige Entmilitarisierung und den Fortbestand der französischen Bündnisse nur gebilligt, um im Gegenzug die internationale Abrüstung und die europäische Verständigung anzuschieben; diese „vertraglichen Pflichten“ hätte die Gegenseite verletzt3 . Auf dieser Linie lag es, Locarno als Ergebnis einer „Erfüllungspolitik“ zu brandmarken, die Frankreich das Tor zum Rhein geöffnet habe4 . Aber war der Rheinpakt wirklich jener „Irrweg“, weil sich dort das deutsche Streben nach Sicherheit als „Wunschdenken“ herausgestellt habe5 ? Die ursprüngliche Konzeption, die den Locarno-Sicherheitspakt prägte, war lange vor der Unterzeichnung des Paktes im Oktober 1925 entstanden. Im Auswärtigen Amt waren Schubert und Gaus, unter Führung Stresemanns, die treibenden Kräfte. Sie waren für die Formulierung der deutschen Sicherheitsvorschläge verantwortlich. Dazu kam noch Reichskanzler Hans Luther, dessen Beitrag zum Abschluss der Locarnoverträge oft vergessen wird6 . Wie war die Systematik des Locarnopaktes, den diese Männer so entscheidend 1

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In der sog. „Lansing-Note“ vom November 1918 hatte die US-amerikanische Regierung den Deutschen bestätigt, dass die 14 Punkte Wilsons als Basis für einen künftigen Friedensvertrag gelten sollten, vgl. E. Kolb: Der Frieden von Versailles, München 2005, S. 72; Krüger: Versailles, S. 53. Hahn: Grundfragen, S. 124 u. S. 139; Freytagh-Loringhoven: Außenpolitik, S. 92f. H. Rogge: Kollektivsicherheit, Bündnispolitik, Völkerbund. Theorie der nationalen und internationalen Sicherheit, Berlin 1937, S. 96, S. 99, S. 115 u. S. 232. Aufzeichnung Osten-Warnitz, o. O., o. D. [1931], PA AA, R 28035; [E. W. Meyer:] Der Kampf um die deutsche Außenpolitik, Leipzig 1931, S. 15. Aufzeichnung, o. V., Paris, 5. 9. 1928, IfZ, ED 93, Bd. 28. Schwerin v. Krosigk: Deutschland, S. 126.

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2. Die Ausgangslage (1925–1933)

anschoben, in ihrem Kern konzipiert? Dazu ist es notwendig, die einzelnen Teile des Vertragswerks genau zu untersuchen. Den ersten Komplex bildete der Rheinpakt (oder Westpakt) von Locarno. Offiziell als Anlage A zum Schlussprotokoll von Locarno bezeichnet, war dieser Pakt zweifellos das Herzstück des Werkes7 . Seiner rechtlichen Natur nach war der Rheinpakt zunächst ein klassischer Nichtangriffspakt zwischen Deutschland einerseits und Frankreich und Belgien andererseits. In Artikel 2 Absatz 1 des Rheinpaktes verpflichteten sich die Parteien, nicht zu Angriff, Einfall oder Krieg gegeneinander zu schreiten. Dies lag genau auf der politischen Linie, die die deutschen Regierungen seit Cuno verfolgten und die darauf abzielte, alle am Rhein interessierten Mächte zu einem allgemeinen Angriffsverzicht zu bewegen8 . Das Auswärtige Amt hatte hier eine weite Auslegung im Sinn, um die französische Handlungsfreiheit gegenüber Deutschland einzuschränken9 . Doch der Rheinpakt griff, anders als die früheren deutschen Vorschläge, über die Nichtangriffsbestimmung hinaus. Ausgehend von dem Gedanken, dass ein Kriegsverzicht notwendigerweise immer durch ein Verfahren für die friedliche Streiterledigung ergänzt werden müsse10 , traten dem Nichtangriffsversprechen noch Schiedsgerichts- und Vergleichsverträge zur Seite. Aber noch ein weiterer Grundgedanke durchzog den Pakt. Ein Staat, der sein Nichtangriffsversprechen brach, sollte Sanktionen der anderen Mächte auf sich ziehen. Der Rheinpakt vereinte beide Gedanken und schuf so für den Fall, in welchem ein Signatar den Pakt verletzte, ein mehrstufiges Verfahren, das in den Artikeln 3 bis 5 des Rheinpaktes niedergelegt war11 . Grundlage des Verfahrens bildete der Artikel 1 des Rheinpaktes12 , denn er enthielt die Garantie der vertragschließenden Teile, „jeder für sich und insge7

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Abgedruckt bei F. Berber (Hg.): Locarno. Eine Dokumentensammlung, mit einer Einleitung von J. v. Ribbentrop, Berlin 1936, Nr. 12, S. 49ff.; H. Michaelis/E. Schraepler (Hg.): Ursachen und Folgen. Vom deutschen Zusammenbruch 1918 und 1945 bis zur staatlichen Neuordnung Deutschlands in der Gegenwart. Eine Urkunden- und Dokumentensammlung zur Zeitgeschichte (künftig: Ursachen und Folgen), Bd. VI: Die Weimarer Republik. Die Wende der Nachkriegspolitik 1924 bis 1928. Rapallo – Dawesplan – Genf, Berlin o. J. [1961], Nr. 1344 b, S. 381–384. Vgl. ADAP, A, Bd. VI, Nr. 271, S. 559f.; Entwurf eines „Rheinpakts“, [31. 8. 1923], Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik. Die Kabinette Stresemann I und II. 13. August bis 6. Oktober 1923. 6. Oktober bis 30. November 1923, Bd. 1: 13. August bis 6. Oktober 1923, bearbeitet von K.-D. Erdmann u. M. Vogt, Boppard a. Rh. 1978, Nr. 34, S. 169. ADAP, A, Bd. XIII, Nr. 80, S. 208. Vgl. H. v. Mangoldt: Die Schiedsgerichtsbarkeit als Mittel internationaler Streitschlichtung. Zur Beilegung von Rechtsstreitigkeiten auf der Grundlage der Achtung vor dem Rechte (Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht, Bd. 63), Berlin u. a. 1974, S. 83f. Vgl. K. Hildebrand: Locarno 1925. Chance und Scheitern einer europäischen Staatenordnung, in: Die politische Meinung 30 (1985), S. 38–44. K. Kaeuffer: Europawende?, Berlin 1926, S. 24.

2.1 Der Locarnopakt: Funktionsweise und Wandel bis 1930

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samt“ (individuellement et collectivement), den territorialen Status quo, wie er sich aus dem Versailler Vertrag ergab, sowie die Bestimmungen der entmilitarisierten Zone zu erhalten13 . Erst durch diese Garantie verpflichteten sich die Signatarstaaten, den in Artikel 2 des Rheinpaktes stipulierten Kriegsverzicht durch Schiedsgerichte und militärischen Beistand zu sanktionieren. Einen Weg dieses Verfahrens gab der Artikel 3 des Rheinpaktes vor. Nach ihm waren Konflikte zwischen den Vertragsstaaten, bei denen sie „über ein Recht im Streite“ waren, einem Schiedsgericht vorzulegen, alle übrigen Fragen einer Vergleichskommission. Verweigerte eine Partei die schiedsrichterliche Lösung eines Konflikts, ohne allerdings zum Krieg zu schreiten, sollten die anderen Signatare die Sache vor den Völkerbundsrat bringen (Artikel 5 des Rheinpaktes). Dagegen zog der Staat, der eine Lösung durch Schiedsinstrumente ablehnte und kriegerische Handlungen eröffnete, die Beistandsleistungen gemäß Artikel 4 des Rheinpaktes auf sich (Artikel 5 des Rheinpaktes14 ). Dort fand sich das Sanktionsverfahren des Rheinpaktes. Wie gehört, trat es nach einem gescheiterten Schiedsversuch, nach welchem ein Staat Feindseligkeiten eröffnete, in Aktion. Dazu kamen noch die in Artikel 4 des Rheinpaktes genannten Fälle, die, gemäß den Rechtsfolgen, die sie zeitigten, in zwei Kategorien eingeteilt waren. Einmal waren Verstöße gegen den Artikel 2 des Rheinpaktes oder gegen die Artikel 42 und 43 des Versailler Vertrages vor den Völkerbundsrat zu bringen, der daraufhin die Signatare anwies, dem angegriffenen Staat Beistand zu leisten. Darüber hinaus enthielt der Artikel 4 Ziffer 3 des Rheinpaktes den Begriff der „flagranten Verletzung“. Danach war eine Verletzung im Sinne des Rheinpaktes flagrant, wenn ein solcher Verstoß eine nicht provozierte Angriffshandlung darstellte und ein Land in der entmilitarisierten Zone Streitkräfte mit der Absicht zusammenzog, die Grenze zu überschreiten und Feindseligkeiten zu eröffnen. Bei einer solchen Verletzung des Artikels 2 des Rheinpaktes oder der Artikel 42 und 43 des Versailler Vertrages verpflichteten sich die Locarnostaaten, dem angegriffenen Land sofort, ohne Weisung des Völkerbundsrates, militärische Hilfe zu gewähren. Damit entwickelte der Rheinpakt im Grundsatz ein dreistufiges (Schiedsgericht – Völkerbund – Beistand) bzw. zweistufiges (Völkerbund – militärischer Beistand) Verfahren. Nur im Fall der „flagranten Verletzung“ sah der Rheinpakt ein einstufiges Verfahren vor, nach welchem die Kontrahenten unverzüglich,

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C.-E. Laenge: Der Garantievertrag des modernen Völkerrechts, Diss. jur. Würzburg 1928, S. 56f. Vgl. dazu H. W. Thieme: Die Fortbildung der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit seit dem Weltkrieg (Frankfurter Abhandlungen zum Kriegsverhütungsrecht, Bd. 1), Leipzig 1927, S. 79f.

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2. Die Ausgangslage (1925–1933)

ohne eine überstaatliche Instanz anzurufen, zur militärischen Beistandsleistung schreiten mussten15 . Neben den Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen den Kriegsverzicht (Artikel 3 bis 5 des Rheinpaktes) erwähnte der Rheinpakt von Locarno noch eine weitere Gruppe von Fällen, nämlich die Ausnahmen vom Nichtangriffsgebot, die in Artikel 2 Absatz 2 des Rheinpaktes niedergelegt waren. Demnach fand die Verpflichtung der Kontrahenten, gegeneinander nicht zu Krieg, Einfall oder Angriff zu schreiten, keine Anwendung, wenn es erstens darum ging, sein Recht auf Selbstverteidigung auszuüben. Im Sinne Locarnos lag dies vor, wenn ein Staat sich gegen Angriff, Einfall oder Krieg, wie es in Artikel 2 Absatz 1 des Rheinpaktes niedergelegt war, wehrte oder wenn ein flagranter Verstoß gegen die Artikel 42 und 43 des Versailler Vertrages ein sofortiges Handeln notwendig erscheinen ließ (Artikel 2 Absatz 2 Ziffer 1 des Rheinpaktes). Zweitens verstieß ein Krieg, der gemäß Artikel 16 der Völkerbundssatzung unternommen wurde, nicht gegen das Nichtangriffsversprechen des Rheinpaktes (Artikel 2 Absatz 2 Ziffer 2 des Rheinpaktes). Gleiches galt drittens für einen Krieg, der unter Artikel 15 Absatz 7 der Völkerbundssatzung vorgetragen wurde, vorausgesetzt, dass sich diese Aktion gegen einen Staat richtete, der zuerst zum Angriff geschritten war. All diese Bestimmungen gingen auf Forderungen der französischen Politiker zurück, die fürchteten, dass ein umfassend gestalteter Angriffsverzicht das Rheinland zur Barriere werden ließ16 . Paris hätte dann keine Möglichkeit mehr gehabt, seinen Ostalliierten militärischen Beistand zu leisten, ohne sich gemäß den Vereinbarungen von Locarno ins Unrecht zu setzen17 . 15

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Damit ähnelte der Locarnopakt dem im Genfer Protokoll von 1924 vorgesehenen Verfahren, wonach der Staat als Aggressor zu gelten hätte, der entweder die schiedsrichterliche Austragung eines Konflikts verweigerte oder aber die Bestimmungen einer entmilitarisierten Zone verletzte. Zum Zusammenhang zwischen Genfer Protokoll und Locarnovertrag vgl. Rolland: Schiedsverträge, S. 31; K. Schwendemann: Abrüstung und Sicherheit. Handbuch der Sicherheitsfrage und der Abrüstungskonferenz. Mit einer Sammlung der wichtigsten Dokumente, Bd. 1, Leipzig  1933, S. 37ff. u. S. 46ff.; Thieme: Fortbildung. Ursprünglich planten die Franzosen, dieses Problem durch eine Garantie für die deutschpolnisch-tschechischen Schiedsgerichtsverträge zu lösen; dies scheiterte am deutschen Widerstand, Documents on British Foreign Policy 1919–1939 (künftig: DBFP), 1. Serie, Bd. XXVII: Central Europe, the Balkans, and Germany, January–October 1925. The Conference of Locarno, October 1925, London 1986, Nr. 363, S. 583f., Nr. 467, S. 760–762 u. Nr. 509, S. 811. ADAP, A, Bd. XIII, Nr. 75, S. 190f. u. Nr. 80, S. 207–210; Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik. Die Kabinette Luther I und II. 15. Januar 1925 bis 20. Januar 1926. 20. Januar 1926 bis 17. Mai 1926 (künftig: AdR Luther), Bd. 2: Oktober 1925 bis Mai 1926, bearbeitet von K.-H. Minuth, Boppard a. Rh. 1977, Nr. 187, S. 735ff.; DBFP, 1. Serie, Bd. XXVII, Nr. 291, S. 452–454, Nr. 352, S. 558, Nr. 383, S. 610ff. u. Nr. 385, S. 618–624; British Documents on Foreign Affairs. Papers and Reports from the Foreign Office Confidential Print (künftig: BDFA), Teil II: From the First to the Second World War, Serie F: Europe, 1919–1939, Bd. 36: Germany, 1925, o. O. [Frederick/Md.] 1993, Nr. 194, S. 176ff.

2.1 Der Locarnopakt: Funktionsweise und Wandel bis 1930

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Die Anlagen B, C, D und E zum Schlussprotokoll von Locarno18 bestanden aus zweiseitigen Schiedsgerichts- und Vergleichsverträgen Deutschlands mit Frankreich, Belgien, Polen und der Tschechoslowakei19 . Sie bildeten – neben der britisch-italienischen Garantie – die eigentliche Weiterentwicklung zum ursprünglichen Rheinpaktvorschlag Cunos und waren somit integraler Bestandteil des Vertragswerks. Mit ihrem Abschluss verfolgte die Reichsregierung eine Reihe von Zielen. Die Verträge mit Frankreich und Belgien schufen, wie gezeigt, ein mehrstufiges Verfahren für den Fall einer Vertragsverletzung und minderten so das Gewicht der militärischen Beistandsleistung, die auf den Charakter eines Sonderfalles herabgedrückt wurde. Die Verträge mit Polen und der Tschechoslowakei dienten als Sicherheit im Osten, ohne die Paris niemals einem Pakt mit Berlin zugestimmt hätte. Gleichzeitig bewies das Reich seinen Willen, eine Politik des Rechts und der europäischen Friedenssicherung zu führen. Die Voraussetzung war, Schiedsverträge nach deutschem Muster, dem so genannten „System Gaus“, abzuschließen. Diese Verträge zeichneten sich dadurch aus, dass sie die rechtlichen, also schiedsgerichtsfähigen, Streitfälle von den politischen Konfliktfragen trennten, für die das Verfahren vor einer Vergleichskommission vorgesehen war, dessen Urteil, im Gegensatz zum Spruch eines Gerichts, für die Parteien nicht bindend war. Damit wollte die deutsche Seite verhindern, wie Schubert schon im März 1925 als Marschroute ausgab20 , dass die aus Versailles resultierenden Territorialfragen der politischen Sphäre entzogen und zum Gegenstand eines Prozesses gemacht würden, den das Reich nur verlieren konnte, weil die juristische Geltung der Pariser Vorortverträge nicht anfechtbar war21 . Für die Taktik des Auswärtigen Amtes in den Sicherheitsverhandlungen 18 19

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Abgedruckt bei Berber: Locarno, Nr. 13, S. 55ff. u. Nr. 14, S. 61f.; Ursachen und Folgen, Bd. VI, Nr. 1344 c, S. 384–387. Vgl. W. Gerhard: Die Vermittlung nach den friedensrechtlichen Abkommen der 1. Haager Friedenskonferenz und nach den Locarno-Verträgen, Diss. jur. Würzburg 1934; Rolland: Schiedsverträge; Thieme: Fortbildung; H. Will: Das Vergleichsverfahren nach dem von Deutschland neuestens abgeschlossenen Schiedsgerichts- und Vergleichsverträgen, Diss. jur. Würzburg 1930. Zur Literatur vgl. M. Alexander: Der deutsch-tschechoslowakische Schiedsvertrag von 1925 im Rahmen der Locarno-Verträge (Veröffentlichungen des Collegium Carolinum, Bd. 24), München u. Wien 1970 (Diss. phil. Köln 1968); R. Břach: Die Tschechoslowakei und Locarno. Europäische Variationen, mit einem Vorwort von M. Alexander (Veröffentlichungen des Collegium Carolinum, Bd. 81), München 2011; P. Krüger: Der deutschpolnische Schiedsvertrag im Rahmen der deutschen Sicherheitsinitiative von 1925, in: HZ 230 (1980), S. 577–612. Besprechung in der Reichskanzlei, Berlin, 17. 3. 1925, AdR Luther, Bd. 1, Nr. 49, S. 178–180. Zu diesem Zeitpunkt erwog das Auswärtige Amt noch die Einführung einer „negativen Territorialklausel“, nach der Grenzfragen einer schiedsrichterlichen Behandlung entzogen wären. Aufzeichnung Bülow, Berlin, 8. 11. 1927, ADAP, B, Bd. VII, Nr. 84, S. 197.

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2. Die Ausgangslage (1925–1933)

1925 bedeutete dies, die französischen Bestrebungen nach einem Schiedsgerichtsobligatorium, wonach Streitigkeiten, egal welcher Natur sie waren, einem Schiedsgericht zu unterwerfen waren, zu bekämpfen. Hier gelang es Gaus in zähen Verhandlungen, die Franzosen vom Obligatorium abzubringen, indem er als contre-partie die Aufgabe der „Interessenklausel“ anbot, wonach keine Streitfragen vor ein Schiedsgericht kamen, die die Ehre oder die vitalen Interessen eines Staates berühren könnten22 . Auf der Ministerkonferenz in Locarno wurde die Regelung übernommen. Schließlich folgte die Anlage F zum Schlussprotokoll von Locarno. Zeitgenossen sahen im Abschluss der Anlage F, und nicht etwa im deutschfranzösischen Nichtangriffsversprechen, den eigentlichen Gewinn der Locarnokonferenz, der die Sicherheit Deutschlands entscheidend verbesserte23 . Der Form nach war die Anlage F eine gemeinsame Note Frankreichs, Großbritanniens, Belgiens, Italiens, Polens und der Tschechoslowakei an das Deutsche Reich. Zum Inhalt hatte sie „gewisse Klarstellungen hinsichtlich des Artikels 16 der Völkerbundssatzung“24 . Es wurde der Grundsatz aufgestellt, dass die Mitarbeit am Artikel 16 der Völkerbundssatzung vom militärischen Potenzial und den Gegebenheiten der geographischen Lage der Mitgliedsstaaten abhängig sei. Deutschland konnte daher seine Beteiligung an Sanktionen des Völkerbundes unter Verweis auf diese Bedingungen untersagen. Das deutsche Drängen, eine solche Ausnahmeregelung zu erhalten, hatte von Beginn an eine Rolle gespielt in der Debatte, ob und unter welchen Bedingungen das Reich dem Genfer Bund beitreten sollte25 . Im Septembermemorandum von 1924, in welchem die deutsche Führung sich grundsätzlich bereit erklärte, ein Mitglied des Völkerbundes zu werden, forderte Deutschland eine Ausnahme im Hinblick auf Artikel 16 der Völkerbundssatzung, um nicht an Bundesexekutionen teilnehmen zu müssen. Der deutsche Außenminister unterstrich diesen Sachverhalt in einem weiteren Memorandum, das am 12. Dezember 1924 dem Generalsekretär übergeben wurde26 . Die Antwort des Völkerbundes war negativ. Eine Ausnahmeregelung für den Artikel 16 der Völ22 23

24 25 26

Vgl. Krüger: Schiedsvertrag, S. 604. Tagebuch Weizsäcker, 16. 3. 1933, Hill: Weizsäcker, Bd. 2, S. 63. Ähnlich auch W. v. Rheinbaben: Viermal Deutschland. Aus dem Erlebten eines Seemanns, Diplomaten, Politikers 1895–1954, Berlin 1954, S. 216. Eine andere Meinung vertrat z. B. Albrecht Haushofer, der Ende Oktober 1925 an seine Eltern schrieb, der Wert Locarnos werde überschätzt, denn Frankreich werde ohnehin durch Deutschland marschieren, wenn es dies für nötig erachte, U. Laack-Michel: Albrecht Haushofer und der Nationalsozialismus. Ein Beitrag zur Zeitgeschichte (Kieler Historische Studien, Bd. 15), Stuttgart 1974, Nr. 4, S. 281. Abgedruckt bei Berber: Locarno, Nr. 15, S. 62; Ursachen und Folgen, Bd. VI, Nr. 1344 d, S. 387. M. v. Stockhausen: Sechs Jahre Reichskanzlei. Von Rapallo bis Locarno. Erinnerungen und Tagebuchnotizen 1922–1927, hg. v. W. Görlitz, Bonn 1954, S. 129. Vgl. J. Spenz: Die diplomatische Vorgeschichte des Beitritts Deutschlands zum Völkerbund

2.1 Der Locarnopakt: Funktionsweise und Wandel bis 1930

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kerbundssatzung, der von „grundlegender Bedeutung“ war, weil er „zu einem wesentlichen Teile die Sicherungen [bestimmte], die allen Bundesmitgliedern zugutekommen“, sei ausgeschlossen27 . Als die Alliierten im Frühsommer 1925 den Beitritt Deutschlands in den Völkerbund als Voraussetzung für den Abschluss eines rheinischen Sicherheitspaktes forderten, kam die deutsche Seite in der Note vom 20. Juli 1925 auf ihre Wünsche bezüglich Artikel 16 der Völkerbundssatzung zurück. Der Imperativ, an einer Ausnahmeregelung festzuhalten, erwuchs aus drei Gründen. Zunächst ging es den Deutschen darum, die Position Polens, die durch den deutschen Völkerbundsbeitritt erheblich aufgewertet würde, nicht zu stark werden zu lassen. Unter den Bedingungen der Anlage F war französischer Militärbeistand an Polen praktisch von der Zustimmung Deutschlands abhängig. Dann geboten die Beziehungen zur Sowjetunion eine Sonderstellung zum Artikel 16 der Völkerbundssatzung. Im Dezember 1924 hatte die sowjetische Seite den Deutschen erklärt, ein deutscher Beitritt zum Völkerbund würde die Rapallopolitik vernichten. Die verbindliche Zusage Stresemanns an die Russen vom Oktober 1925, die Vorbehalte gegen Artikel 16 der Völkerbundssatzung aufrecht zu erhalten, wurde so zum Kernstück der Locarnopolitik. Der wichtigste Grund, eine Ausnahmeregelung für den Sanktionsartikel zu fordern, bestand in den Rückwirkungen auf die Rüstungsfrage. Indem die Anlage F gewissermaßen anerkannte, dass zwischen Deutschland und den Westmächten eine „Rüstungsdisparität“ herrschte, ließ sich diese Bestimmung entweder als Hebel ansetzen, um die eigene Aufrüstung durchzusetzen, oder als Granitblock nehmen, an dem alle Versuche Frankreichs, die auf einen Ausbau des europäischen Kollektivsystems abzielten, zerschellen mussten28 . Nach langen Verhandlungen gelang es den deutschen Unterhändlern auf der Konferenz von Locarno während einer Bootsfahrt auf dem Lago Maggiore, Briand und Chamberlain von der Ausnahmeregel für den Artikel 16 der Völkerbundssatzung zu überzeugen29 . Die Franzosen stimmten der Anlage F, durch die sich Deutschland im Falle eines polnisch-russischen Konflikts einem französischen Durchmarsch ver-

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1924–1926. Ein Beitrag zur Außenpolitik der Weimarer Republik, Göttingen u. a. 1966, S. 33ff. u. S. 51ff. Memorandum des Völkerbundsrats, 14. 3. 1925, F. Berber: Das Diktat von Versailles. Entstehung, Inhalt, Zerfall, Bd. 1, Essen 1939, Nr. 46, S. 140–143. Tagebuch Bredow, 12. 10. 1925, I. Strenge (Hg.): Ferdinand von Bredow. Notizen vom 20. 2. 1933 bis 31. 12. 1933. Tägliche Aufzeichnungen vom 1. 1. 1934 bis 28. 6. 1934 (Zeitgeschichtliche Forschungen, Bd. 39), Berlin 2009, S. 177 Anm. 1; vgl. P. Krüger: Die Außenpolitik der Republik von Weimar, Darmstadt 1985, S. 294 u. S. 300. Vgl. H. Luther: Politiker ohne Partei. Erinnerungen, Stuttgart 1960, S. 379; P. J. Yearwood: Guarantee of Peace. The League of Nations in British Policy 1914–1925, Oxford 2009, S. 357f.

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2. Die Ausgangslage (1925–1933)

weigern konnte, schließlich zu, weil sie den französischen Beistand an Polen im Fall eines deutsch-polnischen Konflikts nicht gefährdete. Dem diente eine Auslegung der Anlage F, „dass jeder der Mitgliedsstaaten des Bundes gehalten ist, loyal und wirksam mitzuarbeiten, um der Satzung Achtung zu verschaffen und jeder Angriffshandlung entgegenzutreten“30 . Damit, so die französischen Kronjuristen, verbriefte sie allen Mitgliedsstaaten das Recht, Sanktionen nach eigenem Ermessen ins Werk zu setzen, ohne einen diesbezüglichen Völkerbundsbeschluss abwarten zu müssen31 . Eine solche Auslegung des Artikels 16 der Völkerbundssatzung – in Verbindung mit dem französischen Allianzsystem – gab der französischen Politik die Freiheit, eigenmächtig gegen potenzielle Aggressoren in Europa vorzugehen. Nur wenige Tage nach der Unterzeichnung des Rheinpaktes urteilte der Staatssekretär im Auswärtigen Amt, der Sicherheitspakt sei „etwas zu kompliziert“ geworden. Man brauche eine „Geheimwissenschaft“, um alle Verbindungen richtig auszudeuten32 . Andere Beobachter vermuteten, Stresemann sei in der entscheidenden Verhandlungsphase völlig unter den Einfluss der Juristen geraten33 , die in Locarno nur „fiktive Rechtsakrobatik“34 betrieben hätten. Diese Vorwürfe waren nicht unberechtigt. Der Rheinpakt von Locarno enthielt neben seinen tatsächlichen Bestimmungen, die ohnehin juristisch sehr fein ausgearbeitet waren, noch eine tiefere Ebene im Sinne einer tragenden Idee, eines Bündels gemeinsamer Vorstellungen, die einige Politiker für wichtiger hielten als die Paragrafen35 . Der Ausdruck, den man bald dafür fand, war der „Geist von Locarno“. Geprägt von Austen Chamberlain im Dezember 192536 meinte dieser Begriff meist das Klima der Verständigung, das nun zwischen den drei Großmächten England, Frankreich und Deutschland ange30 31

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Berber: Diktat, Bd. 1, Nr. 47, S. 143. Vgl. G.-H. Soutou: L’Alliance Franco-polonaise (1925–1933) ou comment s’en débarrasser?, in: Revue d’histoire diplomatique 95 (1981), S. 295–348, hier S. 314; ders.: La France et la Problématique de la Sécurité Collective à partir de Locarno: Dialectique juridique et Impasse géostratégique, in: G. Clemens (Hg.): Nation und Europa. Studien zum internationalen Staatensystem im 19. und 20. Jahrhundert. Festschrift für Peter Krüger zum 65. Geburtstag, Stuttgart 2001, S. 133–152. Aufzeichnung Schubert, Berlin, 19. 10. 1925, ADAP, A, Bd. XIV, Nr. 156, S. 417f. So dachte man auch in England und Frankreich, vgl. Emmerson: Rhineland, S. 23; G. A. Grün: Locarno. Idea and Reality, in: International Affairs 31 (1955), S. 477–485. W. v. Rheinbaben: Kaiser, Kanzler, Präsidenten. Erinnerungen, Mainz 1968, S. 235. Ders.: Deutschland, S. 216; vgl. auch H. v. Dirksen: Moskau, Tokio, London. Erinnerungen und Betrachtungen zu 20 Jahren deutscher Außenpolitik 1919–1939, Stuttgart o. J. [1949], S. 71. So etwa Stresemann vor der ausländischen Presse am 28. Juni 1926, G. Stresemann: Vermächtnis. Der Nachlass in drei Bänden, hg. v. H. Bernhard, Bd. II: Locarno und Genf, Berlin 1932, S. 449–451; Aufzeichnung, o. V. [Stresemann]: „Die Vertrauenskrise der Locarno-Politik“, Berlin, o. D. [Dezember 1928], ADAP, B, Bd. X, Anhang II, S. 609–614. Ursachen und Folgen, Bd. VI, Nr. 1349, S. 403f.

2.1 Der Locarnopakt: Funktionsweise und Wandel bis 1930

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brochen war. Gleichzeitig umschrieb der Begriff die Tatsache, dass die künftige „Locarnopolitik“ weniger auf dem Vertragstext basierte, als vielmehr aus einer bestimmten Auslegung des Locarnovertrages resultierte. Genau auf diesem Gebiet kam es in den folgenden Jahren zu unterschiedlichen Ansichten. Die deutsche Auslegung konzentrierte sich auf mehrere Kernaspekte. Das waren die Beziehungen des Rheinpaktes zu anderen Vertragsverhältnissen, die die Signatare eingingen; die Verbindung Locarnos zum Genfer Völkerbund; die Rolle der entmilitarisierten Zone innerhalb der Locarnosystematik; und schließlich die Frage der „Kündigung“ Locarnos. Der erste Punkt der deutschen Auslegung Locarnos war die Gleichberechtigung Deutschlands im Verkehr mit den anderen Großmächten. Sie ergab sich implizit aus Artikel 1 des Rheinpaktes, der jedem Staat die gleichen Verpflichtungen auflud, die zudem gegenseitig wirkten37 . Aus der Gegenseitigkeit der Garantiewirkung folgerte man in einem weiteren Schritt die „Allseitigkeit der Konsultationen“ in einem Konfliktfalle38 . Wenn aber ein Staat im Konfliktfall sich mit jedem Signatar zu besprechen habe, so konnte dies im Umkehrschluss nur bedeuten, dass Sonderabmachungen zwischen einzelnen Vertragsstaaten untersagt waren. Die „Hauptfolge“ Locarnos sei, so erklärte Schubert in einem Rundschreiben vom 28. Oktober 1925, dass England und Italien aus ihrem Allianzverhältnis zu Frankreich gelöst würden. Überhaupt seien Sonderbündnisse zwischen den Westmächten unter den Bedingungen des Locarnopaktes ausgeschlossen. Alle beteiligten Mächte, so Schubert, seien eine „Sonderfriedensgemeinschaft“, bei der alle Länder im gleichen Verhältnis zueinander stünden39 . Jede zusätzliche Abmachung würde das Gleichgewicht stören. Genauso beurteilte Stresemann die Folgen der Locarnopolitik im Hinblick auf die britisch-französischen Beziehungen. Wenn zwei Mächte, die nach der Konstruktion des Rheinpaktes eine „wesentlich verschiedene Rolle erfüllen“, militärische Abreden träfen, so ließ er sich im November 1928 vernehmen, „so würde das an den Grundlagen Locarnos rühren“40 , denn dies würde „Sinn, Grundlage und Bestehen“ eines derartigen Paktes widersprechen.

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Köpke an die deutsche Gesandtschaft in Brüssel, Berlin, 6. 5. 1931, PA AA, R 70102. A. Graf v. Mandelsloh: Politische Pakte und völkerrechtliche Ordnung, Berlin 1937, S. 34. Schubert an die deutschen Gesandtschaften in Bern, Den Haag und Stockholm, Berlin, 28. 10. 1925, ADAP, A, Bd. XIV, Nr. 192, S. 498–501. Rede Stresemann, 19. 11. 1928, G. Stresemann: Reichstagsreden, mit einem Vorwort von W. Scheel, hg. v. G. Zwoch, Bonn 1972, S. 275; ders.: Vermächtnis. Der Nachlass in drei Bänden, hg. v. H. Bernhard, Bd. III: Von Thoiry bis zum Ausklang, Berlin 1932, S. 355.Deutschland, so hieß in einer Vorlage des Auswärtigen Amtes vom Sommer 1931, habe gegenüber England und Italien keinen Zweifel gelassen, dass Sonderabmachungen zwischen Völkerbundsmächten „nicht glücklich“ seien, Aufzeichnung Martius, Berlin, 3. 8. 1931, PA AA, R 53906.

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2. Die Ausgangslage (1925–1933)

Dass diese Auslegung von den anderen Mächten akzeptiert wurde41 , zeigt der Fall der so genannten „Utrechter Dokumente“ im Frühjahr 1929. In mehreren Ausgaben berichtete das „Utrechter Tagblatt“ im Februar von einem britisch-belgischen Pakt, der im Jahr 1927 geschlossen worden sei, und veröffentlichte am 28. Februar 1929 sogar die Protokolle von französisch-belgischen Generalstabsbesprechungen, die im September 1927 stattgefunden haben sollten42 . Es entstand der Eindruck, die Westmächte hätten zwei Jahre nach der Unterzeichnung des Rheinpaktes einen Defensivpakt mit Belgien geschlossen. Dies veranlasste Gaus, eine grundsätzliche Stellungnahme zur Struktur des Rheinpaktes zu verfassen. In einer Denkschrift vom Februar 192943 urteilte er, militärische Abmachungen einiger Locarnomächte, die sich gegen einen weiteren Signatar richteten, verstießen nicht gegen den Wortlaut des Rheinpaktes, ständen jedoch im Widerspruch zum Sinn des Vertrages. Dies gelte auch für Absprachen, die abgeschlossen wurden, um einen unter Locarno zulässigen Krieg umzusetzen. Damit wandte sich Gaus gegen die französische These, wonach Generalstabsbesprechungen zur technischen Umsetzung des Locarnofalls erlaubt seien. Wenn England Teil solcher Abmachungen wäre, so argumentierte Gaus dagegen, wäre die Rolle des Unparteiischen, die London unter Locarno eingenommen habe, beeinträchtigt. In diesem Sinne bemühte sich der deutsche Botschafter in London, Sthamer, sofort, London auf seine Rolle als honest broker44 festzulegen. Die Besprechungen, die Sthamer zu diesem Zweck im Foreign Office führte, wurden zu einem vollen Erfolg. Beide Seiten stimmten darin überein, dass einseitige Abmachungen Englands mit Paris oder Brüssel, die eine Spitze gegen das Deutsche Reich enthielten, unvereinbar mit dem Rheinpakt von Locarno seien45 . Dies entsprach durchaus der im Foreign Office geübten Praxis. Bereits zwei Jahre zuvor hatte man in London belgische Fühler zur Aufnahme von Generalstabsbesprechungen mit der Bemerkung abgewiesen, diese seien mit der besonderen Rolle Großbritanniens unter Locarno nicht zu vereinen46 . Durch die deutsch-britische Übereinkunft von 1929 wurde diese Auffassung zur gültigen Interpretation. 41 42

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Vgl. etwa A. Fabre-Luce: Locarno ohne Illusionen, Berlin 1928, S. 58. PA AA, R 35598; Documents Diplomatiques Belges 1920–1940. La Politique de Sécurité extérieure (künftig: DDB), Bd. II: Période 1925–1931, hg. v. Ch. de Visscher u. F. Vanlangenhove, Brüssel 1964, Nr. 190, S. 560–562; P. v. Zuylen: Les Mains libres. Politique extérieure de la Belgique 1914–1940, Paris u. Brüssel 1950, S. 252ff. Aufzeichnung Gaus, Berlin, o. D. [Februar 1929], PA AA, R 35598. Bruce an Amery, [London], 6. 5. 1925, The National Archives, London-Kew (künftig: TNA), FO 800/258. Sthamer an das Auswärtige Amt, London, 28. 2. 1929, PA AA, R 35809; Runderlass Schubert, Berlin, 1. 3. 1929, PA AA, R 35598. Gleichlautende Demarchen unternahmen auch die deutschen Vertreter in Brüssel und Paris, Aufzeichnung Stresemann, Berlin, 2. 3. 1929, Bundesarchiv, Berlin-Lichterfelde (künftig: BArch), R 43 I/53. Chamberlain an Grahame, London, 24. 5. 1927, DBFP, 1a. Serie, Bd. III, Nr. 211, S. 330f.

2.1 Der Locarnopakt: Funktionsweise und Wandel bis 1930

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Auch Briand schlug in seinem Kommentar zu den Utrechter Dokumenten moderate Töne an. In einer Unterredung mit dem deutschen Botschafter bestand Briand darauf, dass die Enthüllungen eine Fälschung seien, musste aber zugeben, dass sie, wenn sie wahr wären, einen Widerspruch zu Locarno bilden würden. Die Bedenken Hoeschs zerstreute Briand, indem er erklärte, Frankreich werde keine Verpflichtungen übernehmen, die im Widerspruch zum Wortlaut oder zum Geist Locarnos stünden. Für die deutsch-französischen Beziehungen, so Briand, sei nur der Rheinpakt von Locarno maßgebend47 . Dies lag ganz auf der Linie, die man auch im belgischen Außenministerium einnahm. Belgiens internationaler Status definierte sich zum einen über die Völkerbundssatzung und den Locarnopakt und zum anderen über den französisch-belgischen Militärakkord von 1920. Standen sich diese Instrumente zunächst gleichwertig gegenüber, regten sich an dieser Auslegung, die vor allem auf französische Gedankengänge zurückging, bald Zweifel in Brüssel. Auf britischen Druck, der in gewissem Gegensatz zu den Ausführungen gegenüber den Deutschen stand, löste sich Brüssel Stück für Stück von der bisherigen Interpretation. Lord Tyrrell redete auf den belgischen Botschafter in Paris ein, die Belgier sollten nicht die französische Auslegung bezüglich des französischbelgischen Militärabkommens übernehmen. Der Pakt sei überholt, so Tyrrell, Locarno erlaube es aber den Partnern, Generalstabsbesprechungen zur Umsetzung des Casus foederis des Rheinpaktes abzuhalten; dies sei auch die britische Haltung48 . Beide Instrumente verschmolzen so zu einer Sicherheitsstrategie, indem man eine besondere Rechtsfigur anwendete. Demnach bestimmte der Militärpakt, auf welche Weise der Beistand unter Locarno zu leisten war, und bildete damit gewissermaßen die Ausführungsbestimmungen zum Rheinpakt49 . Den offiziellen Schwenk der belgischen Politik verkündete Hymans wenige Monate später in einer viel beachteten Rede am 4. März 1931. Darin erklärte er, die belgische Sicherheit definiere sich über den Völkerbund, den Locarno- und den Kelloggpakt. Das französisch-belgische Militärabkommen hingegen sei veraltet und trage nur mehr den Charakter einer technischen Absprache zwischen Generalstäben, die nach belgischer Auffassung unter Locarno zulässig seien50 . Der belgische Gesandte in Berlin, der im Auswärtigen Amt die Gedanken der Rede Hymans übermittelte, erntete Verständnis und Wohlwollen bei Köpke, der es aber nicht unterließ, Everts nochmals den 47

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Hoesch an das Auswärtige Amt, Paris, 28. 2. 1929, ADAP, B, Bd. XI, Nr. 99, S. 218f. Freilich waren die Versicherungen Briands mit Vorsicht zu genießen, denn sie bedeuteten mitnichten ein Einlenken auf die deutsch-britische Linie, sondern bekräftigten die Auffassung Frankreichs, Generalstabsgespräche seien kein Verstoß gegen Geist und Sinn Locarnos. Gaiffier an Hymans, Paris, 12. 11. 1930, DDB, Bd. II, Nr. 218, S. 623–625. Ebenda, Nr. 113, S. 339. Everts an Hymans, Berlin, 10. 3. 1931, ebenda, Nr. 239, S. 699–701; P. Hymans: Mémoires, Bd. II, hg. v. F. v. Kalken u. J. Bartier, Brügge 1958, S. 633ff.

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2. Die Ausgangslage (1925–1933)

Standpunkt der deutschen Regierung, wie ihn Gaus 1929 formuliert hatte, zu erläutern. Militärische Sonderabmachungen widersprächen dem paritätischen Geist des Locarnovertrages, erklärte Köpke dem Belgier, „streng genommen“ müssten solche Besprechungen auf alle Locarno-Partner ausgedehnt werden oder aber sie seien aufzuheben51 . Ganz ähnlich argumentierte das Auswärtige Amt mit Blick auf die Bündnisse, die Frankreich mit Osteuropa verbanden. Sowohl das französisch-polnische als auch das französisch-tschechische Bündnis, so die deutsche Argumentation, seien mit dem Rheinpakt von Locarno, in dem Paris versprochen hatte, keinen Angriff auf Deutschland zu unternehmen, nicht vereinbar52 . Es sei der deutschen Seite gelungen, so erläuterte Schubert in seinem erwähnten Erlass vom 28. Oktober 1925, diese Bündnisse in den Rahmen der Artikel 15 Absatz 7 und Artikel 16 der Völkerbundssatzung zu zwingen53 . Diese Worte bezogen sich auf die am 16. Oktober 1925 in Locarno zwischen Frankreich, Polen und der Tschechoslowakei unterzeichneten Beistandspakte54 , deren Casus foederis auf eben jene Artikel abgestellt waren, während die Klauseln über automatischen Beistand annulliert wurden55 . Demnach war es Frankreich nur möglich, seinen östlichen Partnern zu Hilfe zu kommen, ohne dabei die Bestimmungen des Rheinpaktes zu verletzen, wenn die Voraussetzungen zur Anwendung dieser Artikel vom Völkerbund festgestellt wurden. Damit war Frankreich die „Freiheit seiner Beurteilung“ genommen, denn das französische Vorgehen stand künftig unter britisch-italienischer Beobachtung56 . Nicht ganz zu Unrecht hofften daher auch die Briten, die französischen Allianzen würden sich nach der Unterzeichnung Locarnos auflösen57 . Umso erstaunter war man in London, als Paris in den Jahren 1926 und 1927 Bündnisse 51 52

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Aufzeichnung Köpke, Berlin, 7. 3. 1931, ADAP, B, Bd. XVII, Nr. 4, S. 19. E. Kaufmann: Die Bedeutung Locarnos für die deutsche Ostpolitik, in: Th. Niemeyer et al. (Hg.): Deutsche Völkerrechtslehrer über Locarno, Berlin 1925, S. 14–22. Zum Wandel der französisch-polnischen Allianz zwischen 1921 und 1925 vgl. P. S. Wandycz: France and her Eastern Allies 1919–1925. French-Czechoslovak-Polish Relations from the Paris Peace Conference to Locarno, Minneapolis 1963, S. 216ff. u. S. 363ff. ADAP, A, Bd. XIV, Nr. 192, S. 500; P. Barandon: Das System der politischen Staatsverträge seit 1918, Stuttgart 1937, S. 228f.; Mandelsloh: Pakte, S. 41ff.; vgl. Sakwa: Remilitarization, S. 125f. Während Frankreich diese Verträge als integralen Bestandteil des Locarnovertragswerks ansah, nahmen Luther und Stresemann demonstrativ keine Notiz davon, Stresemann: Vermächtnis, Bd. II, S. 235. Vgl. M. Thomas: Britain, France and Appeasement. Anglo-French Relations in the Popular Front Era, Oxford u. New York 1996, S. 12. So eine undatierte Aufzeichnung des Auswärtigen Amtes mit dem Titel „Locarno und der deutsche Osten“, in: PA AA, R 53006. Tagebuch D’Abernon, 3. 10. 1925, Viscount D’Abernon: Ein Botschafter der Zeitenwende. Memoiren, Bd. III: Locarno (1924–1926), Leipzig o. J. [1930], S. 226f.; AdR Luther, Bd. 2, Nr. 174, S. 684.

2.1 Der Locarnopakt: Funktionsweise und Wandel bis 1930

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mit Rumänien und Jugoslawien einging. Zwar waren diese ebenfalls auf die Artikel 15 und 16 der Völkerbundssatzung abgestellt, aber man empfand ihren Abschluss dennoch als „retrograde step“, wie Tyrrell sich ausdrückte, als er den französisch-jugoslawischen Pakt zum Anlass nahm, um dem französischen Botschafter Fleuriau ordentlich die Meinung zu sagen. Dieser Schritt, so Tyrrell, sei Wasser auf den Mühlen aller Kritiker, die sagten, die Locarnopolitik funktioniere nur, wenn Paris bereit sei, seine „old fashioned policy of reinsurance treaties“ aufzugeben. Die französische Allianzpolitik, so der Botschafter, mindere die Rheinlandgarantie, die England in Locarno abgegeben hatte58 . Auch in Deutschland verfehlten die Verträge mit Bukarest und Belgrad ihre Wirkung nicht. Im Auswärtigen Amt hatte man schon längere Zeit die These vertreten, Gruppenallianzen und Sonderabmachungen seien mit dem universellen Geist des Völkerbundes nicht vereinbar59 . Er betrachte die Regionalpakte mit Skepsis, notierte sich Stresemann im März 1928, diese seien eine Maske für Defensivallianzen, in denen sich Staaten gegen Dritte verbündeten60 . Im Frühjahr 1926 wendete Stresemann diese Formel erstmals auf Locarno an. Der Abschluss von Bündnissen zwischen Frankreich, Serbien, Italien, den baltischen Ländern und Polen, so ließ sich der deutsche Außenminister vernehmen, sei eine Verletzung des Geistes von Locarno61 . Nachdem das Reich in den Völkerbund eingetreten war, verdichteten sich diese Vorstellungen zu einer übergreifenden Konzeption. Eine Denkschrift des Auswärtigen Amtes vom September 1926 formulierte die deutsche Haltung dahin, man betrachte bestimmte Sonderverträge als nicht mit dem Völkerbundsgeist im Einklang stehend, weil sie gegen dritte Staaten gerichtet seien, auch wenn diese Verträge formal mit der Genfer Satzung übereinstimmten; nach Lage der Dinge konnte sich dies nur auf die Beistandspakte Frankreichs beziehen, denn der Rheinpakt von Locarno war von dieser Argumentation ausdrücklich ausgenommen, weil der Pakt wirklich paritätisch und gegen keinen außerhalb des Vertrages stehenden Staat gerichtet sei62 . Die Aufzeichnung bekundete die deutsche Absicht, 58 59

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Aufzeichnung Tyrrell, Paris, 23. 11. 1927, DBFP, 1a. Serie, Bd. IV, Nr. 57, S. 119–121. Vgl. auch Aufzeichnung Leeper, London, 24. 2. 1930, TNA, FO 371/14365. Deutsche Note, 24. 7. 1924, V. Bruns (Hg.): Politische Verträge. Eine Sammlung von Urkunden Bd. 2: Materialien zur Entwicklung der Sicherheitsfrage im Rahmen des Völkerbundes, Teil I: 1920–1927, bearbeitet von G. v. Gretschaninow, Berlin 1936, Nr. IV, M, a, S. 375f.; vgl. P. Krüger: Locarno und die Frage eines europäischen Sicherheitssystems unter besonderer Berücksichtigung Ostmitteleuropas, in: R. Schattkowsky (Hg.): Locarno und Osteuropa. Fragen eines europäischen Sicherheitssystems in den 20er Jahren (Marburger Studien zur Neueren Geschichte, Bd. 5), Marburg 1994, S. 9–27. Aufzeichnung Stresemann, Berlin, 17. 3. 1928, Stresemann: Vermächtnis, Bd. III, S. 342. Tagebuch D’Abernon, 27. 3. 1926, D’Abernon: Botschafter, Bd. III, S. 282; vgl. M.-O. Maxelon: Stresemann und Frankreich 1914–1929 (Geschichtliche Studien zur Politik und Gesellschaft, Bd. 5), Düsseldorf 1972 (Diss. phil. Freiburg 1972), S. 211. Aufzeichnung, o. V., Berlin, September 1926, PA AA, R 96631.

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2. Die Ausgangslage (1925–1933)

die Genfer Arena als Bühne zu nehmen, um das französische Allianzsystem zu bekämpfen, indem man verhinderte, dass Paris durch die Einführung von Regionalverträgen „seine Bündnisse legalisierte“63 . In einer ausführlichen Denkschrift vom 28. November 1927 erklärte Schubert die deutsche Strategie64 . Deutschland könne die systematische Bündnispolitik Frankreichs nicht billigen, so führte Schubert aus, auch wenn die Pakte formal der Völkerbundssatzung angepasst seien. Die Pakte Frankreichs, so schrieb er weiter, seien den deutschen Interessen entgegengesetzt, weil sie Änderungen am territorialen Status quo verhindern sollten. Ihr Charakter als echte Defensivbündnisse trete trotz ihrer Form klar zu Tage. Ihr einziger Effekt sei, Europa in zwei Lager zu spalten wie vor dem Weltkrieg, statt im Rahmen einer europäischen Kooperation zu versuchen, einen Ausgleich widerstreitender Interessen zu schaffen, wie dies in Locarno gelungen sei. Einen direkten Angriff auf die Bündnisse lehnte Schubert aber ab, weil das Reich durchaus ein Interesse am Frieden auf dem Balkan habe. Dagegen richtete sich Schuberts Augenmerk auf den Völkerbund. Die französischen Bündnisse seien eine ernste Gefahr für Deutschland und müssten um jeden Preis „diskreditiert“ werden. Da an eine Beseitigung aber nicht gedacht werden könne (schon im Mai 1925 hatte Bülow resümiert, Frankreich werde kein östliches Bündnis für Deutschland opfern65 ), liege die einzige Möglichkeit der deutschen Politik darin, die französischen Handlungsoptionen aus den Artikeln 10 und 16 der Völkerbundssatzung zu verbauen66 ; dies, so Schubert, sei nur in Genf möglich67 . Greifbarer Erfolg dieser Konzeption waren die sechs Modellverträge, die das Sicherheitskomitee des Völkerbundes im Jahr 1928 verabschiedete. Darin sprach sich der Völkerbund gegen einen weiteren Ausbau des Garantiesystems nach französischem Vorbild aus und verwarf das Muster der Defensivallianzen, bei denen die Beistandspflicht durch einen Angriff eines außerhalb des Paktes stehenden Staates 63

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Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik. Die Kabinette Marx III und IV. 17. Mai 1926 bis 29. Januar 1927. 29. Januar 1927 bis 29. Juni 1928 (künftig: AdR Marx III/IV), Bd. 2: Juni 1927 bis Juni 1928, bearbeitet von G. Abramowski, Boppard a. Rh. 1988, Nr. 437, S. 1341. Vgl. auch ADAP, B, Bd. I, 1, Nr. 22, S. 64–76. Runderlass Schubert, Berlin, 28. 11. 1927, ADAP, B, Bd. VII, Nr. 153, S. 373–375. Vgl. auch Schubert an Stresemann, Berlin, 31. 12. 1927, ebenda, Nr. 246, S. 596–607. Vgl. Krüger: Sicherheitssystem, S. 19. Bülow an Hoesch, Berlin, 4. 5. 1925, ADAP, A, Bd. XIII, Nr. 21, S. 57. Schubert an Hoesch, Berlin, 19. 1. 1928, ADAP, B, Bd. VIII, Nr. 32, S. 64. Zu den Instrumenten dieser Politik zählte Schubert die Trennung von Abrüstung und Sicherheit, die Förderung von Kriegsverhütung und Schiedsgerichtsbarkeit sowie die allgemeine Abrüstung, Schubert an Bernstorff, Berlin, 26. 11. 1927, ADAP, B, Bd. VII, Nr. 148, S. 360. Darin stimmte Bülow mit seinem Staatssekretär überein. Auch er sah damals nur den Umweg über Genf, um die französischen Bündnisse zu schwächen. Wie Schubert empfahl er als Hebel, die Vereinbarkeit der Defensivallianzen mit der Satzung des Völkerbundes zu bezweifeln, ADAP, B, Bd. VII, Nr. 84, S. 197f.

2.1 Der Locarnopakt: Funktionsweise und Wandel bis 1930

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ausgelöst wird. Schließlich wurde bestimmt, dass der Völkerbundsrat – und nicht der einzelne Staat – darüber befinden sollte, ob eine Aggression vorlag68 . Den argumentativen Schlussstein setzte Gaus in seiner Denkschrift vom Februar 1929. Militärische Abmachungen einer Sondergruppe gegen einen Locarnosignatar, so Gaus, widersprächen dem Sinn des Rheinpaktes. Dies gelte auch dann, wenn diese Verträge so konstruiert seien, dass sie auf den Fall eines nach dem Rheinpakt an sich zulässigen Krieges abgestellt waren. Nach Lage der Dinge konnten sich diese Ausführungen nur auf die Ostverträge Frankreichs beziehen, in denen der Bündnisfall auf die Artikel 15 und 16 der Völkerbundssatzung beschränkt war, damit sie unter die Ausnahmen des Artikels 2 Absatz 2 des Rheinpaktes fallen konnten. Dieses Verfahren war aus der Sicht des deutschen Rechtsexperten nicht vereinbar mit Locarno. Locarno schaffe eine „neue Geschäftsgrundlage“, erklärte Stresemann im Oktober 1925 seinen Ministerkollegen die Tragweite der eben unterzeichneten Verträge, da Frankreich die Entscheidung darüber entzogen wurde, wer in einem Konflikt der Angreifer sei. Wenn Frankreich militärisch gegen Deutschland vorginge, ohne dass dies der Völkerbund empfohlen hatte, läge es an England darüber zu befinden, wer der Aggressor sei. Damit, so Stresemann, sei der Mechanismus der französischen Bündnisverträge praktisch ausgeschaltet69 . Da man den französisch-polnischen bzw. französisch-tschechischen Pakt in Locarno anerkannt habe70 , so schrieb Gaus im Jahr 1929, sei ein förmlicher Protest aber kaum denkbar71 – dies sollte sich erst im Jahr 1935 ändern. Der zweite Kernaspekt des Locarnovertrages, auf den sich Deutschen konzentrierten und der zu Recht von der Forschung immer wieder thematisiert wurde, war die enge Verbindung des Rheinpaktes mit den Mechanismen des Völkerbundes72 . Tatsächlich war ein „Locarnoverfahren“ nahezu identisch mit einem Völkerbundsverfahren. Der Artikel 4 des Rheinpaktes bestimmte praktisch für alle Fälle, in denen ein Signatar eine Verletzung des Rheinpaktes vermutete, die Sache vor den Völkerbundsrat zu tragen, der zu entscheiden hatte, ob ein Verstoß vorlag und wer der Angreifer war73 ; der britisch-italienische 68

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Runderlass Schubert, Berlin, 15. 3. 1928, PA AA, R 70093; ADAP, B, Bd. VIII, Nr. 164, S. 341–348; Aufzeichnung Stresemann, Berlin, 17. 3. 1928, Stresemann: Vermächtnis, Bd. III, S. 342. Kabinettsrat beim Reichspräsidenten, 19. 10. 1925, AdR Luther, Bd. 2, Nr. 201, S. 781; Kabinettssitzung, 9. 7. 1928, Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik. Das Kabinett Müller II. 28. Juni 1928 bis 27. März 1930 (künftig: AdR Müller II), Bd. 1: Juni 1928 bis Juli 1929, bearbeitet von M. Vogt, Boppard a. Rh. 1970, Nr. 7, S. 10. Vgl. die Ausführungen Köpkes im Oktober 1925, AdR Luther, Bd. 2, Nr. 190, S. 743. Aufzeichnung Gaus, Berlin, o. D. [Februar 1929], PA AA, R 35598. Vgl. Krüger: Außenpolitik, S. 300. Der Locarnopakt macht keine Vorgaben für dieses Verfahren. Zweifellos dachten die Delegierten bei den Verhandlungen an ein Verfahren gemäß Artikel 12–16 der Völkerbundssatzung.

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2. Die Ausgangslage (1925–1933)

Beistand war dagegen nur für den Ausnahmefall der „flagranten Verletzung“ vorgesehen. Während das deutsche Sicherheitsmemorandum vom Frühjahr 1925 keine Erwähnung des Bundes enthielt74 , wurde schnell klar, dass Engländer und Franzosen die Frage anschneiden würden. In ihren Besprechungen über die Antwort auf das deutsche Memorandum verständigten sie sich darauf, Deutschlands Eintritt in den Völkerbund zur Bedingung für den Abschluss eines Sicherheitspaktes zu machen75 . London war vor allem daran interessiert, Deutschland unter das Dach des Artikels 10 der Völkerbundssatzung zu bringen. Denn dann wäre Deutschland als Völkerbundsmitglied verpflichtet, die Unabhängigkeit und die territoriale Unversehrtheit der anderen Mitglieder zu achten, also auch Polens und Tschechiens. Deutschlands Beitritt zum System kollektiver Sicherheit, so das Kalkül, würde ein britisches Commitment in Osteuropa überflüssig machen76 . Auch Paris hatte bei seiner Forderung nach einem deutschen Völkerbundsbeitritt die osteuropäischen Staaten im Hinterkopf. Ein Sicherheitspakt mit Deutschland, so lässt sich die politische Linie Frankreichs umschreiben, dürfe aus dem Rheinland keine Barriere machen, die die französische Armee daran hinderte, Polen und der Tschechoslowakei militärischen Beistand zu leisten77 . Es war sicherzustellen, dass ein militärisches Eingreifen auf Grund des französisch-polnischen bzw. französischtschechischen Vertrages keinen Bruch des Sicherheitspaktes darstellte. Dafür gab es nach Lage der Dinge nur die Möglichkeit, den Casus foederis dieser Pakte zu einem Sanktionskrieg gemäß Artikel 16 der Völkerbundssatzung zu erklären, der auch unter einem deutsch-französischen Rheinpakt, sofern er mit der Genfer Satzung vereinbar sein sollte, möglich war. Damit aber der Artikel 16 der Völkerbundssatzung voll auf Deutschland anwendbar war, musste das Reich dem Bund beitreten78 . In Deutschland war man mit der Verbindung von Paktfrage und Völkerbundsbeitritt zunächst überhaupt nicht einverstanden. So erklärte Luther auf einer Ministerbesprechung am 21. März 1925, ein deutscher Beitritt komme nicht in Frage79 . Exakt auf dieser Linie lag die erste Reaktion Stresemanns 74 75 76

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Ursachen und Folgen, Bd. VI, Nr. 1322, S. 334f. Vgl. D. Johnson: The Locarno Treaties, in: Waites: Neighbors, S. 100–124. DBFP, 1. Serie, Bd. XXVII, Nr. 229, S. 356f.; Chamberlain an D’Abernon, London, 18. 3. 1925, ebenda, Nr. 255, S. 398–400; Bruce an Amery, [London], 6. 5. 1925, TNA, FO 800/258; vgl. Yearwood: Guarantee, S. 361. Foreign Office Memorandum, London, 18. 6. 1925, BDFA, II, F, Bd. 36, Nr. 194, S. 176–180. Schubert an die deutsche Botschaft in Paris, Berlin, 2. 6. 1925, ADAP, A, Bd. XIII, Nr. 80, S. 208. Andernfalls wäre in einem Konflikt Deutschland als Nichtmitglied gemäß Artikel 17 der Völkerbundssatzung vor den Rat zu laden gewesen; eine solche Ladung kam jedoch nur nach einstimmiger Entscheidung zu Stande, ADAP, A, Bd. XII, Nr. 268, Anlage, S. 706. AdR Luther, Bd. 1, Nr. 54, S. 202.

2.1 Der Locarnopakt: Funktionsweise und Wandel bis 1930

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auf die französische Note vom 16. Juni 1925, in welcher er die Völkerbundsforderung der Alliierten unter Verweis auf die von den Deutschen offerierten Schiedsgerichtsverträge mit Polen und der Tschechoslowakei abbiegen wollte80 . Indes wurde bald deutlich, dass diese Linie nicht zu halten war. In ihrer Antwortnote vom 20. Juli bekundete die deutsche Regierung, „keinen grundsätzlichen Widerspruch“ zu einem Beitritt zu erheben, wies aber erneut auf die Notwendigkeit hin, Änderungen beim Artikel 16 der Völkerbundssatzung herbeizuführen81 . Unterdessen musste man sich im Auswärtigen Amt die Frage stellen, ob es nicht sinnvoll wäre, in den Völkerbund einzutreten. Der Verlauf der Sicherheitspaktverhandlungen zeigte, dass die britisch-italienische Garantie (Artikel 1 des Rheinpaktes) sich nicht nur darauf beschränkte, die friedliche Beilegung von Streitfällen zu gewährleisten, sondern sich zunehmend auf die Umsetzung militärischer Sanktionen gegen einen paktbrüchigen Staat ausdehnte. Es konnte daher nur im deutschen Interesse liegen, dem Völkerbund ein großes Maß an Kompetenzen zu überantworten – dies bezog sich nach Lage der Dinge insbesondere auf die Entscheidung darüber, welcher Staat im Fall eines Konflikts als Angreifer anzusehen sei82 –, um damit die französische Handlungsfreiheit einzuschränken83 . Der Trumpf, den Völkerbund als Bremse gegen französische Invasionsgelüste einzusetzen, stach indes nur, wenn Deutschland als Ratsmacht mit am Genfer Tisch saß, um ein einstimmiges Abstimmungsergebnis zu verhindern. So war es keine Frage mehr, dass Deutschland nach der Unterzeichnung der Locarnoverträge dem Genfer Völkerbund beitreten würde. Artikel 10 des Rheinpaktes bestimmte, dass der Locarnovertrag erst dann völkerrechtlich in Kraft treten solle, wenn das Deutsche Reich seinen Platz in der Genfer Runde eingenommen hatte. Als im März 1926 der erste Anlauf, Deutschland in den Völkerbund aufzunehmen, scheiterte, kursierten sogleich Planungen, den Locarnopakt ohne Bezugnahme auf den Völkerbund neu abzufassen84 . Daran bestand nirgends ein Interesse. In einem gemeinsamen Kommuniqué erklärten die Locarnomäch-

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Runderlass Stresemann, Berlin, 20. 6. 1925, ADAP, A, Bd. XIII, Nr. 136, S. 362. Note der Deutschen Regierung, 20. 7. 1925, Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR (Hg.): Locarno-Konferenz 1925. Eine Dokumentensammlung, Berlin 1962, Nr. 16, S. 109–113. Vgl. den Bericht Luthers und Stresemanns beim Reichspräsidenten am 19. Oktober 1925, AdR Luther, Bd. 2, Nr. 201, S. 780–789. H. Rauchberg: Die vermeintliche Hauptlücke der Locarno-Verträge, in: Die Friedens-Warte 28 (1928), S. 70–73, hier S. 73. Tagebuch D’Abernon, 19. 3. 1926, D’Abernon: Botschafter, Bd. III, S. 275f.

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2. Die Ausgangslage (1925–1933)

te, dass der Rheinpakt die politische Grundlage ihrer Zusammenarbeit bilden würde, auch wenn er juristisch noch nicht in Kraft getreten sei85 . Der dritte Kernaspekt, auf den sich die deutsche Auslegung konzentrierte, war die Bestimmung über die einseitig entmilitarisierte Zone, die gemäß den Artikeln 42 und 43 des Versailler Vertrages das linksrheinische Gebiet sowie einen Streifen von 50 Kilometer östlich des Rheins umfasste. Tatsächlich bildeten die Nichträumung der Kölner Zone im Januar 1925 und der Status der entmilitarisierten Rheinlandzone den Anlass für Stresemann, mit einem deutschen Sicherheitsvorschlag aus der Kulisse zu treten86 , nachdem sich die französisch-britischen Absichten, ein Sonderregime für das Rheinland zu errichten, im Laufe des Winters 1924/25 aus der Sicht des Auswärtigen Amtes gefährlich zugespitzt hatten87 . Solche Pläne schwebten bereits seit Jahren wie eine Gewitterwolke über dem Rheinland88 . Nach dem Scheitern des britisch-amerikanischen Garantiepaktes von 1919, der die entmilitarisierte Zone unter einen besonderen Schutz gestellt hätte, suchte die französische Diplomatie fieberhaft nach Ersatz. Die Idee, auf die die Franzosen verfielen, war, aus der entmilitarisierten Zone eine neutralisierte Zone zu machen und diese dann mit Kontrollposten zu überwachen. Im Auswärtigen Amt lehnte man solche Vorhaben rundweg ab, weil man dort fürchtete, die Neutralisierung könnte die staatsrechtliche Stellung des Rheinlandes tangieren89 . Anders die Briten. Ihnen bot sich die Möglichkeit, französischen Sicherheitswünschen am Rhein entgegenzukommen, ohne eigene Verpflichtungen einzugehen. In einem Briefwechsel vom Februar 1924 einigten sich MacDonald und Herriot grundsätzlich darauf, die Pläne zur Neutralisierung des Rheinlandes weiter voranzutreiben90 . Erste Resultate lagen im Herbst 1924 vor, als 85 86

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Erklärung Stresemann, 17. 3. 1926, Stresemann: Vermächtnis, Bd. II, S. 563–565; ADAP, B, Bd. I, 1, Nr. 175, S. 424–427. So Stresemann im März 1925, AdR Luther, Bd. 1, Nr. 50, S. 182f. Vgl. Krüger: Außenpolitik, S. 269; J. Jacobson: Locarno Diplomacy. Germany and the West 1925–1929, Princeton/New Jersey 1972, S. 6. Sthamer an das Auswärtige Amt, London, 8. 12. 1924, IfZ, MA 155. Haniel v. Haimhausen an die deutschen Botschaften in London und Paris, Berlin, 25. 1. 1922, ADAP, A, Bd. V, Nr. 254, S. 526f. Auch Stresemann äußerte im Sommer 1922 die Befürchtung, England könne „in der Frage (. . . ) der staats- und völkerrechtlichen Gestaltung im Rheinland“ einen Schwenk hin zu Frankreich machen, PA AA, R 95598. Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik. Die Kabinette Marx I und II. 30. November 1923 bis 3. Juni 1924. 3. Juni 1924 bis 15. Januar 1925, Bd. 1: November 1923 bis 15. Januar 1925, bearbeitet von G. Abramowski, Boppard a. Rh. 1973, Nr. 39, S. 164f., Nr. 151, S. 481f. u. Nr. 167, S. 534–536. DBFP, 1. Serie, Bd. XXVI, Nr. 398, S. 594–597; Tagebuch D’Abernon, 8. 6. 1924, D’Abernon: Botschafter, Bd. III, S. 92. Vgl. L. H. Farnbacher: Deutschland – Russland und die Sicherheitsfrage, Diss. jur. Würzburg 1927, S. 45; K. Mehrmann: Locarno-Thoiry-Genf – in Wirklichkeit. Eine Bilanz der Rheinlandräumung, Berlin o. J. [1927], S. 90ff. Das Konzept zu einer Weiterentwicklung der Arbeit mit dem Titel: „Versailles-Locarno-Moskau.

2.1 Der Locarnopakt: Funktionsweise und Wandel bis 1930

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gleich zwei Projekte, die den Umgang mit entmilitarisierten Zonen zum Gegenstand hatten, in Genf zur Entscheidung anstanden91 . Der erste Vorschlag war das „Protokoll zur friedlichen Regelung internationaler Streitigkeiten“, später einfach „Genfer Protokoll“ genannt. Sein Ziel war, ein lückenloses Netz von Schiedsverträgen über Europa auszubreiten, flankiert von einem System von Sanktionen; dazu enthielt das „Genfer Protokoll“ besondere Bestimmungen über entmilitarisierte Zonen92 . Das zweite Vorhaben war das so genannte Investigationsprotokoll, das die Anwendung des Artikels 213 des Versailler Vertrages auf entmilitarisierte Zonen sicherstellen sollte; gleichzeitig sah es dort die Bildung von Überwachungsorganen, so genannten éléments stables vor93 . Während die Protokolle in Paris begrüßt wurden, bekamen die Briten kalte Füße94 . Die Protokolle schienen ihnen zu sehr entlang der französischen Sicherheitsinteressen formuliert und hätten die britischen Verpflichtungen eher vergrößert denn verringert. In dieser Situation sondierte der britische Botschafter in Berlin, Lord D’Abernon, bei Schubert, ob nicht das Reich mit einem eigenen Sicherheitsvorschlag hervortreten könne95 . In zwei Unterredungen mit dem Staatssekretär um die Jahreswende 1924/25 forderte er die Deutschen auf, noch einmal den Vorschlag Cunos von 1922 in die Debatte zu werfen. Freilich müsste der Nichtangriffspakt diesmal durch Schiedsverträge ergänzt werden und die Möglichkeit einer Volksabstimmung sei zu streichen96 . Die Deutschen, die erkannten, dass London einen Weg suchte, von den beiden Genfer Protokollen loszukommen97 , ließen sich nicht zweimal bitten, schließlich suchte man in Die entmilitarisierte Zone. Wandlungen des Locarno-Gedankens“ findet sich in PA AA, R 53011. 91 Vgl. ausführlich K. Megerle: Deutsche Außenpolitik 1925. Ansatz zu aktivem Revisionismus (Europäische Hochschulschriften, III, Bd. 28), Frankfurt/M. 1974, S. 55ff.; L. Zimmermann: Studien zur Geschichte der Weimarer Republik (Erlanger Forschungen, A, Bd. 6), Erlangen 1956, S. 52ff. 92 Gaus urteilte im März 1925, das Genfer Protokoll öffne die Tür zu einer Neutralisierung des Rheinlandes, AdR Luther, Bd. 1, Nr. 50, S. 182 Anm. 5. 93 Ebenda; Mehrmann: Rheinlandräumung, S. 153ff. 94 Aufzeichnung Chamberlain, London, 4. 1. 1925, DBFP, 1. Serie, Bd. XXVII, Nr. 180, S. 255– 258. 95 Zur Rolle D’Abernons in der Frühphase der Locarnoverhandlungen vgl. G. Johnson: Lord D’Abernon, Austen Chamberlain and the Origin of the Treaty of Locarno, in: EJIH 11 (2000) (http://www.history.ac.uk/resources/e-journal-international-history, letzter Zugriff am 3. Oktober 2013); F. G. Stambrook: „Das Kind“. Lord D’Abernon and the Origins of Locarno, in: CEH 1 (1968), S. 233–263. 96 Aufzeichnung Schubert, Berlin, 29. 12. 1924, ADAP, A, Bd. XI, Nr. 259, S. 643; Aufzeichnung Schubert, Berlin, 14. 1. 1925, ADAP, A, Bd. XII, Nr. 22, S. 50–54; Tagebuch D’Abernon, 14. 1. 1925, D’Abernon: Botschafter, Bd. III, S. 144f.; vgl. Jacobson: Locarno, S. 10. 97 Aufzeichnung Schubert, Berlin, 17. 1. 1925, ADAP, A, Bd. XII, Nr. 17, S. 38 Anm. 9; Stre-

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2. Die Ausgangslage (1925–1933)

Berlin selbst nach einem Weg, allen Neutralisierungsplänen die Spitze abzubrechen. Die Demilitarisierung des linken Rheinufers sei durchgeführt, hatte der damalige Außenminister Rosenberg bereits im Frühjahr 1923 die Marschroute festgelegt, weitere Sicherheiten „in dieser Richtung“ seien nicht möglich98 . Jetzt ergab sich die Gelegenheit, alle Pläne, das Rheinland zu neutralisieren, mit einem Schlag vom Tisch zu fegen. Der Trick war, die Bestimmungen der entmilitarisierten Zone noch einmal, und diesmal freiwillig, zu bekräftigen, um den jetzigen Status festzuzurren99 . Dieses Vorgehen lag ganz auf der Linie des Auswärtigen Amtes, die Gaus und Schubert seit 1923 verfolgten. Der Ausgangspunkt ihrer Strategie war die Erkenntnis, dass man Frankreich etwas bieten musste, wenn man im Gegenzug ein französisches Sicherheitsversprechen an Berlin erhalten möchte; Gaus und Schubert waren bereit, dies zu tun100 . Wolle man Frankreich Sicherheiten geben, so schrieben die beiden Diplomaten, so stünde die deutsche Politik vor der Alternative, entweder tatsächliche Garantien in Form einer Neutralisierung und Kontrolle des Rheinlandes, möglicherweise gestützt durch eine internationale Polizei, zu offerieren oder aber vertragliche Garantien anzubieten, die sich um die Pole Kriegsverzicht, Schlichtungsverträge und einen Garantiepakt drehten101 . Gaus und Schubert ließen keinen Zweifel daran, dass Deutschland nur den Weg vertraglicher Garantien gehen konnte, wenn es tatsächliche Garantien, auf die die französischen Planspiele hinausliefen, vermeiden wollte102 . So bemessen war das deutsche Memorandum, das den Engländern am 20. Januar103

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semann an die deutsche Botschaft in Paris, Berlin, 15. 1. 1925, ebenda, Nr. 24, S. 57–60; Aufzeichnung Schubert, Berlin, 28. 1. 1925, ebenda, Nr. 56, S. 136–139. Rosenberg an die deutsche Botschaft in London, Berlin, 20. 3. 1923, ADAP, A, Bd. VII, Nr. 153, S. 362. Ein wichtiger Teil dieser Taktik war die Behauptung, der Artikel 213 des Versailler Vertrages sei nicht auf die entmilitarisierte Zone anzuwenden; diese Interpretation, so behaupteten die Deutschen, sei durch Locarno von den anderen Mächten anerkannt worden, AdR Marx III/IV, Bd. 1, Nr. 136, S. 395f. Die erste Skizze zur Sicherheitsfrage von Gaus und Schubert stammte vom April 1923, Aufzeichnung Schubert, Berlin, 25. 4. 1923, ADAP, A, Bd. VII, Nr. 203, S. 501f. Aufzeichnung Schubert, Berlin, 14. 1. 1925, ADAP, A, Bd. XII, Nr. 22, S. 53f. Gaus an Bülow, Berlin, 12. 1. 1925, ebenda, Nr. 17, S. 38. Weizsäcker brachte diesen Zusammenhang in seinem Tagebuch auf den Punkt: „In Berlin Sorgen, dass Rheinland internationalisiert wird, wenn der Garantiegedanke verknallt.“ Tagebuch Weizsäcker, 8. 7. 1925, Hill: Weizsäcker, Bd. 1, S. 371. Vgl. auch die Denkschrift Kempners vom 15. April 1923, in der es hieß, man wolle politische Sicherheiten anbieten, denn neue Maßnahmen zur Entmilitarisierung seien überflüssig, weil diese bereits durch den Friedensvertrag und dessen Ausführung durch Deutschland erfolgt seien, Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik. Das Kabinett Cuno 22. November 1922 bis 12. August 1923, bearbeitet von K.-H. Harbeck, Boppard a. Rh. 1968, Nr. 122, S. 390. Abgedruckt bei Locarno-Konferenz, Nr. 2, S. 52f.; ADAP, A, Bd. XII, Nr. 37, S. 84–89.

2.1 Der Locarnopakt: Funktionsweise und Wandel bis 1930

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und den Franzosen am 9. Februar 1925104 übermittelt wurde. Von der Idee eines „Eisernen Vorhanges“, die D’Abernon ins Spiel gebracht hatte105 , oder anderen Plänen, die auf eine Neutralisierung des Rheinlandes abzielten, war keine Rede mehr. Stattdessen bot das Auswärtige Amt einen großzügigen Angriffsverzicht, ergänzt durch zweiseitige Schiedsverträge aller Kontrahenten sowie einen Garantiepakt am Rhein, der auch die Bestimmungen der entmilitarisierten Zone umfasste. Bei den Verhandlungen über das deutsche Sicherheitsangebot im Laufe des Sommers 1925 offenbarte sich ein weiterer Hintergedanke, der das Auswärtige Amt bewogen hatte, die Rheinlandzone in den Garantiepakt aufzunehmen. Bislang besaß Frankreich das Recht, so umschrieb Gaus diesen Gedanken in einer Denkschrift vom September 1925106 , auf der Grundlage des Artikels 44 des Versailler Vertrages, wonach jeder Verstoß der entmilitarisierten Zone als feindselige Handlung sowie als Störung des Weltfriedens galt, bei einer geringfügigen Verletzung der Rheinzone (oder die Behauptung einer solchen) deutsches Gebiet zu besetzen. Bei einer Nichterwähnung der Zone im Sicherheitspakt, so Gaus, hätte dieses Recht, ganz unabhängig von den Regelungen eines deutsch-französischen Rheinpaktes, weiter Bestand gehabt. Erst die Aufnahme der Rheinlandzone in den Vertrag beseitigte diese Gefahr. Die „Provokationsklausel“107 des Artikels 4 des Rheinpaktes gab den Franzosen nur im Falle eines „flagranten Verstoßes“ das Recht zum unmittelbaren Handeln, wie es der Artikel 44 des Versailler Vertrages anpeilte108 ; über alle anderen Verstöße hatte der Völkerbundsrat in Genf zu entscheiden109 . Die Ausführungen Gaus‘ konnten natürlich nicht darüber hinweg täuschen, dass die Formel der „flagranten Verletzung“ ein diplomatischer Sieg der Franzosen war. Eine Verletzung der entmilitarisierten Zone, so interpretierte Massigli das Verfahren des Locarnovertrages, sei immer ein Casus belli und könne daher kein Fall für das Schiedsgericht von Locarno sein110 . 104 105

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Abgedruckt bei Ursachen und Folgen, Bd. VI, Nr. 1322, S. 334f. Tagebuch D’Abernon, 20. 7. 1925, D’Abernon: Botschafter, Bd. III, S. 208; Tagebuch D’Abernon, 22. 7. 1925, ebenda, S. 209; vgl. ausführlich A. Kaiser: Lord D’Abernon und die Entstehungsgeschichte der Locarno-Verträge, in: VfZ 34 (1986), S. 85–104. Aufzeichnung Gaus, Berlin, 18. 9. 1925, PA AA, R 53019. Rogge: Zerfall, S. 235. Aber auch in diesem Fall erreichte die deutsche Seite, dass jeder Staat selbst darüber entschied, ob der Bündnisfall vorlag, AdR Luther, Bd. 2, Nr. 172, S. 673; vgl. W. Gramsch: Deutschlands Verträge gegen den Krieg. System des für Deutschland geltenden Kriegsverhütungsrechts, Berlin 1932, S. 107. In diesem Sinne kritisierten die Franzosen bereits kurz nach der Unterzeichnung Locarnos das „doctoring“ am Artikel 44 des Versailler Vertrages, DBFP, 1a. Serie, Bd. I, Nr. 281, S. 452. Aufzeichnung Massigli, Paris, 2. 4. 1935, Les Archives du Ministère des Affaires étrangères et européennes, Paris-La Courneuve (künftig: AMAEE), PAAP 217, Bd. 7.

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2. Die Ausgangslage (1925–1933)

Entsprechend verärgert reagierten die Deutschen. Die Ausschaltung des Schiedsverfahrens für die entmilitarisierte Zone, so urteilte Stresemann, verkehre die deutsche Anregung in ihr Gegenteil111 . Die französische Politik hatte sich das theoretische Recht vorbehalten, in gewissen Fällen eigenständig gegen Deutschland vorzugehen. Hier lag aus Sicht der Deutschen die Achillesferse des ganzen Vertragswerks, denn nur hier bestand die Möglichkeit, dass deutsche Militärmaßnahmen, auch wenn sie gar keinen Krieg im Sinn hatten, eine militärische Reaktion Frankreichs provozierten112 . Zweifel an der Rheinzone würden demnach dem Rheinpakt die Grundlage entziehen, während umgekehrt die Geltung des Rheinpaktes einzig und allein an die Einhaltung der Entmilitarisierungsbestimmungen gebunden war113 . Die Rheinzone schwächte die deutsche Position innerhalb der Locarnosystematik114 und blieb somit das Ziel deutscher Revisionswünsche. Es waren aber gar nicht die Deutschen, wie man hätte meinen können, sondern die Franzosen, die nach der Unterzeichnung Locarnos hervortraten und Änderungen am Rheinpakt verlangten. In Paris störte man sich daran, dass der Rheinpakt von Locarno die Entmilitarisierung des Rheinlandes festschrieb, ohne ein Wort darüber zu verlieren, wie dieser Zustand in der Praxis kontrolliert werden sollte. Bereits vor Locarno hatten französische Diplomaten angemahnt, man brauche ein Instrumentarium, um die Einhaltung der Artikel 42 und 43 des Versailler Vertrages beweisen zu können115 , waren in London aber abgeblitzt. Dies wurde in Frankreich nach der Unterzeichnung Locarnos als schmerzliches Versäumnis, als „Lücke“ des Vertrages116 , wie man bald sagte, empfunden117 . Fieberhaft arbeiteten die französischen Diplomaten daran, diese Lücke zu schließen. Sie griffen dabei Überlegungen auf, die im 111

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Stresemann an die deutsche Botschaft in Paris, Berlin, 18. 7. 1925, ADAP, A, Bd. XIII, Nr. 211, S. 585ff.; Aufzeichnung Stresemann, Berlin, 9. 7. 1925, Stresemann: Vermächtnis, Bd. II, S. 111–126. Wie ernst die Bedrohung für Deutschland war, hat die Analyse des Rheinpaktes gezeigt. So bestand die Rechtsfolge einer flagranten Verletzung nicht allein in der Bestimmung, dass die Garanten dem angegriffenen Staat unverzüglich Hilfe zu leisten hatten (Artikel 4 des Rheinpaktes), sondern auch im Vorbehalt des Artikels 2 Absatz 2 Ziffer 1 des Rheinpaktes, der praktisch einen Dispens der Locarnoverpflichtungen für die betroffenen Staaten (Frankreich und Belgien) bedeutete. Aufzeichnung Frohwein, Berlin, Dezember 1934, PA AA, R 32257: Zweifel an der entmilitarisierten Zone, schrieb Frohwein da, würden dem Rheinpakt die Grundlage entziehen, „da dieser großteils auf der Entmilitarisierung beruht“; vgl. Rogge: Zerfall, S. 230. Vgl. Linnebach: Entmilitarisierung, S. 146; E. Mayer: Die entmilitarisierte Zone am Rhein, einst, jetzt und in Zukunft. Eine historisch-politische Skizze, Berlin 1928, S. 12. Aufzeichnung, o. V., Paris, 17. 4. 1925, AMAEE, PAAP 217, Bd. 7. Aufzeichnung Stresemann, Berlin, 24. 7. 1927, Stresemann: Vermächtnis, Bd. III, S. 167f.; vgl. Jacobson: Locarno, S. 145. Aufzeichnung Feine, Bad Wildungen, 25. 7. 1927, ADAP, B, Bd. VI, Nr. 62, S. 131f.; AdR Müller II, Bd. 1, Nr. 23, S. 97ff. u. Nr. 28, S. 113ff.

2.1 Der Locarnopakt: Funktionsweise und Wandel bis 1930

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Zusammenhang mit der Überwachung der deutschen Abrüstungsfortschritte angestellt wurden118 . Schon damals hatte die deutsche Führung die französischen Bestrebungen nach einer Sonderkontrolle für das Rheinland mit dem Hinweis abwehren können, der Artikel 213 des Versailler Vertrages, der die Investigationen regelte, finde keine Anwendung auf die entmilitarisierte Zone, deren Rechtscharakter allein durch die Artikel 42 bis 44 des Versailler Vertrages umrissen wurde119 . Die französischen Vorstellungen kreisten aber weiter um den Gedanken, in der Rheinlandzone so genannte éléments stables zu errichten, feste Überwachungsorgane, die den entmilitarisierten Status des Rheinlandes sichern sollten. Die Franzosen richteten ihre Hoffnungen zunächst auf den Völkerbund, doch das dort verabschiedete Investigationsprotokoll vom November 1926 geriet zum totalen Fehlschlag. Demnach sollten Investigationen in Deutschland zur Überprüfung der Entwaffnungsmaßnahmen nur mit Zustimmung der deutschen Regierung zulässig sein; ständige Kontrolleinrichtungen für die entmilitarisierte Zone waren gar nicht vorgesehen120 . Im Herbst 1928 richtete Paris sein Augenmerk auf das Regelwerk Locarnos. Anknüpfend an Artikel 4 des Rheinpaktes, wonach jeder Verstoß gegen die entmilitarisierte Zone vor den Völkerbundsrat zu bringen sei, entwickelten die französischen Juristen ein mehrstufiges Verfahren zur Feststellung solcher Vergehen. So sollten nur die als flagrant bezeichneten sowie die normalen Verstöße gegen die entmilitarisierte Zone vor den Rat des Völkerbundes kommen, während alle kleineren Verletzungen vor eine gemischte Kommission zu tragen seien, die eigens für solche Fälle gebildet werden sollte. Diese Commission de conciliation et constatation, wie sie Briand nannte, könne einfacher und schneller arbeiten, als es der Völkerbund tat121 . Darüber hinaus habe die Kommission den Vorteil, so das französische Kalkül, den Widerspruch zwischen Artikel 213 des Versailler Vertrages und Artikel 4 des Rheinpaktes aufzuheben. Beide Bestimmungen seien auf die entmilitarisierte Zone anwendbar, zeitigten aber verschiedene Rechtsfolgen. Diese könnten unter dem Dach der Feststellungskommission aufgehoben werden122 . Unterstützung erhielt die französische Initiative ausgerechnet aus London. Auch dort hatte man sich seit einiger Zeit Gedanken darüber gemacht, ob es sinnvoll wäre, eine „Maschinerie“ zur Feststellung von Verstößen gegen die

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Aufzeichnung Schubert, Berlin, 14. 2. 1927, ADAP, B, Bd. IV, Nr. 144, S. 314–316. Aufzeichnung Nord, Berlin, o. D. [Februar 1925], PA AA, R 33053; Aufzeichnung Wehberg, Berlin, 9. 2. 1925, ebenda. Vgl. Krüger: Außenpolitik, S. 362. Aufzeichnung Schubert, Berlin, 1. 3. 1929, ADAP, B, Bd. XI, Nr. 102, S. 223–226; AdR Müller II, Bd. 1, Nr. 201, S. 653–655; BDFA, II, F, Bd. 40, Nr. 23, S. 75; DBFP, 1a. Serie, Bd. VI, Nr. 90, S. 164–166; DDB, Bd. II, Nr. 188, S. 543ff. ADAP, B, Bd. XI, Nr. 102, S. 224f.

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2. Die Ausgangslage (1925–1933)

Entmilitarisierungsbestimmungen zu entwerfen123 , verband damit aber eine gänzlich andere Zielsetzung als in Paris. Den Briten ging es nicht darum, die Bestimmungen der entmilitarisierten Zone genauer zu kontrollieren, sondern sie wollten das rheinische Pulverfass ein für allemal entschärfen. Aus ihrer Sicht gefährdete die Rheinlandzone die britische Politik auf zweifache Weise. Erstens könnte ein Streit über Verletzungen der entmilitarisierten Zone den deutschfranzösischen Graben vertiefen und damit den Erfolg der Locarnopolitik gefährden. Zweitens könnte England aufgefordert werden, für den Bestand der Rheinzone zu kämpfen, wofür der Generalstab aber keine militärischen Pläne besaß. Diese Gedanken aufgreifend gingen Chamberlain und Hurst daran, ein geräuschloses Verfahren für „technische Verletzungen“ zu entwickeln; der Gang vor den Völkerbundsrat sollte schweren Verstößen vorbehalten sein124 . In Deutschland stießen die britisch-französischen Planspiele auf entschiedene Ablehnung. Als Briand im September 1928 sein Projekt vorstellte, ging der deutsche Reichskanzler sofort in Deckung. Deutschland achte darauf, so Müller, dass dem Artikel 43 des Versailler Vertrages keine zu weitgehende Auslegung gegeben werde125 . Auch Gaus, der Anfang April 1929 eine Denkschrift über das französische Projekt anfertigte, ließ kein gutes Haar an der geplanten Kommission. Frankreich, so sein Urteil, wolle mit dem Entwurf das bei einem Verstoß gegen die entmilitarisierte Zone vorgesehene Völkerbundsverfahren umgehen, weil dies langsam und unbequem sei und nicht immer das erwünschte Ergebnis liefere. Dagegen, so Gaus, wolle Paris, „dass ein Spezialorgan für das Rheinland geschaffen würde, das praktisch in der überwiegenden Mehrheit der Fälle einseitig zuungunsten Deutschlands funktionieren würde“126 . Zur Abwehr der französischen Pläne verwies Gaus auf die Möglichkeiten des Vergleichsverfahrens, wie es im Locarnopakt niedergelegt war. Dies war die Marschroute, die die deutsche Delegation auf der Haager Konferenz im August 1929 verfolgte. Dort gelang es der deutschen Seite, die Einrichtung einer Kontrollinstanz für die entmilitarisierte Zone zu verhindern. In der so genannten Haager Vereinbarung vom 30. August 1929 wurde festgelegt, Schwierigkeiten „hinsichtlich der Beobachtung der Artikel 42 und 43 des Vertrages von Versailles“ den deutsch-französischen bzw. deutschbelgischen Vergleichskommissionen, wie sie Artikel 3 des Rheinpaktes vorsah, zu unterbreiten127 . Dieses Übereinkommen hatte weit reichende Folgen. Die 123 124

125 126 127

Tyrrell an Crewe, Paris, 11. 3. 1927, DBFP, 1a. Serie, Bd. III, Nr. 41, S. 82–86. DBFP, 1a. Serie, Bd. II, Nr. 163, S. 287f. u. Nr. 224, S. 400–402; DBFP, 1a. Serie, Bd. III, Nr. 237, S. 367f.; DBFP, 1a. Serie, Bd. V, Nr. 18, S. 30–32 u. Nr. 152, S. 303–307; DBFP, 1a. Serie, Bd. VI, Nr. 54, S. 88f., Nr. 60, S. 100–102 u. Nr. 108, S. 219–222; DBFP, 1a. Serie, Bd. VII, Nr. 65, S. 123f. ADAP, B, Bd. X, Nr. 28, S. 74; DDB, Bd. II, Nr. 188, S. 543–551. Aufzeichnung Gaus, Berlin, 5. 4. 1929, ADAP, B, Bd. XI, Nr. 153, S. 339–342. Haager Vereinbarung, 30. 8. 1929, Berber: Diktat, Bd. 2, Nr. 554, S. 1526f.

2.1 Der Locarnopakt: Funktionsweise und Wandel bis 1930

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Entscheidung, Fragen der Entmilitarisierung unter das arbiträre Verfahren zu stellen, bedeutete die Erfüllung deutscher Forderungen aus den Tagen der Locarnokonferenz128 . Damit wurde die Verfahrenstrennung, welche der Locarnopakt dem Genfer Protokoll entlehnt hatte, aufgehoben, auch wenn das Auswärtige Amt behauptete, die Haager Vereinbarung schaffe kein neues Recht, sondern bestätige lediglich die geltenden Normen129 . Damit bedeutete die Haager Vereinbarung einen weiteren schweren Schlag gegen den Artikel 44 des Versailler Vertrages, wonach jeder Verstoß gegen die entmilitarisierte Zone als Angriff gegen alle Völkerbundsmitglieder zu gelten habe. Hatte hier schon der Rheinpakt von Locarno einschränkend gewirkt, indem er diese Rechtsfolge auf die flagranten Verstöße beschränkte, so bestimmte das neue Abkommen von 1929, Verletzungen gegen die entmilitarisierte Zone zunächst einem schiedlichen Verfahren zu überweisen. Damit waren die Gefahren, die aus einer Verletzung der entmilitarisierten Zone herrühren konnten, praktisch auf ein Minimum gesunken130 . Schließlich muss noch auf die Auswirkungen eingegangen werden, die der Kelloggpakt vom August 1928 auf den Locarnopakt hatte. Die zentrale Bestimmung des Kelloggpaktes legte fest, Krieg als Mittel der nationalen Politik vollständig zu untersagen131 . Die Franzosen fürchteten, diese Bestimmung nehme ihnen das Recht, im Falle einer gewöhnlichen Verletzung der entmilitarisierten Zone militärisch gegen das Reich vorzugehen, wenn nämlich die Deutschen gegen die Artikel 42 und 43 des Versailler Vertrages verstießen, nicht jedoch gegen den Kelloggpakt, und wünschten die Unterzeichnung eines Protokolls, wonach die Bestimmungen des Locarnopaktes unberührt blieben132 . Die Deutschen sahen dieses Problem nicht. Jeder Verstoß gegen Locarno sei gleichzeitig ein Verstoß gegen den Kelloggpakt, urteilten sowohl Schubert als auch Sthamer133 . Auf einer eigens für diese Frage einberufenen Juristenkonferenz gelang es Gaus, seine Kollegen Hurst und Fromageot vom deutschen Standpunkt zu überzeugen134 . Kelloggpakt und Rheinpakt stünden nicht im Widerspruch miteinander, so lautete die Formel der Juristen, weil 128

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Der Generalreichskommissar für Rhein und Ruhr an Hoesch, Berlin, 24. 10. 1925; PA AA, Botschaft Paris 659 a; Der Reichsminister für die besetzten Gebiete an das Auswärtige Amt, Berlin, 11. 7. 1925, AdR Luther, Bd. 1, Nr. 120, S. 419; Kabinettssitzung, 2. 10. 1925, ebenda, Nr. 170, S. 658. Gaus an Graf, Berlin, 10. 9. 1929, BArch, R 43 I/448; AdR Müller II, Bd. 2, Nr. 311, S. 1002ff. Ebenda, S. 1006. Vgl. A. Reinhard: Die Zuständigkeit der Vergleichskommissionen nach dem Accord vom 30. August 1929, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 2 (1931), S. 561–580. Bruns: Verträge, Bd. 1, Nr. 86 c, S. 251. AdR Müller II, Bd. 1, Nr. 7, S. 18; Telegramm Schubert, Berlin, 30. 6. 1928, ADAP, B, Bd. IX, Nr. 111, S. 258 Anm. 2; DDB, Bd. II, Nr. 178, S. 505ff. ADAP, B, Bd. IX, Nr. 75, S. 166–168, Nr. 111, S. 258–260 u. Nr. 115, S. 271f. Pünder an Meissner, Berlin, 15. 8. 1929, AdR Müller II, Bd. 2, Nr. 269, S. 870–873.

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2. Die Ausgangslage (1925–1933)

nach Locarno eine französische Aktion gegen Deutschland nur möglich sei, wenn es sich um einen „acte d’agression non provoqué“ handelte, der auch immer ein Bruch des Kelloggpaktes wäre135 . Mit dieser Auslegung, die bislang für die Artikel 42 bis 44 des Versailler Vertrages keine Rolle gespielt hatte, verlor die entmilitarisierte Zone wieder ein Stück ihrer exzeptionellen Stellung. Man kann daher, wie dies Geyer tut, von einer „Neudefinition deutscher Sicherheit auf der Basis von Locarno“136 sprechen, weil die vertragliche Sicherheit, die Deutschland im Westen besaß, noch einmal ausdrücklich festgeschrieben und bekräftigt wurde. Der vierte und letzte Punkt der deutschen Auslegung war die Frage der „Kündigung“ Locarnos. Bekanntlich enthielt der Rheinpakt von Locarno keine Kündigungsklausel oder ein anderes vertraglich verbrieftes Recht, unter welchen Umständen die Kontrahenten vom Vertrag zurücktreten konnten. Artikel 8 des Rheinpaktes, der das Auslaufen des Paktes behandelte, gab einen anderen Weg vor. Demnach sollte der Völkerbundsrat auf Antrag eines Locarnosignatars die Beendigung des Paktes beschließen, der daraufhin mit Ablauf eines Jahres außer Kraft treten sollte. Die Voraussetzungen, die der Artikel 8 des Rheinpaktes dafür nannte, waren eine Zweidrittelmehrheit von Ratsmächten, die für ein Außerkrafttreten votierten und die Feststellung, dass der Völkerbund den Vertragsmächten ausreichende Sicherheitsgarantien bot, die ein Ende des Rheinpaktes ermöglichen würden. Mit Recht behaupteten zeitgenössische Juristen, dass es in der Praxis sehr unwahrscheinlich sei, beide Anforderungen zu erfüllen, und dem Rheinpakt somit ein dauerhafter Charakter zukäme137 . Die deutsche Seite, die in den Verhandlungen darauf gepocht hatte, ein eindeutig formuliertes Kündigungsrecht in den Sicherheitspakt einzufügen138 , musste in diesem Punkt nachgeben139 . Umso deutlicher betonten die deutschen 135

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Schubert an die deutsche Botschaft in Washington, Berlin, 8. 7. 1928, ADAP, B, Bd. IX, Nr. 126, S. 296; Aufzeichnung Schubert, Berlin, 15. 7. 1928, ebenda, Nr. 151, S. 360–362; vgl. Dockhorn: Wilhelmstraße, S. 185–187. Geyer: Aufrüstung, S. 211. Vgl. B. Roscher: Der Briand-Kellogg-Pakt von 1928. Der „Verzicht auf den Krieg als Mittel nationaler Politik“ im völkerrechtlichen Denken der Zwischenkriegszeit (Studien zur Geschichte des Völkerrechts, Bd. 8), Baden-Baden 2004 (Diss. jur. Erlangen 2004), S. 53. So forderte die deutsche Note vom 20. Juli 1925, ein vertragliches Kündigungsrecht einzubauen, und noch am 24. September formulierte das Kabinett die Richtlinie, die Verhandlungen seien so zu führen, dass der Sicherheitspakt allein auf deutsche Initiative hin zu kündigen sei. Einen entsprechenden Vorschlag präsentierte Stresemann in der ersten Sitzung der Locarnokonferenz, der jedoch keine Mehrheit fand. Vgl. auch die Haltung Hindenburgs in: AdR Luther, Bd. 1, Nr. 161, S. 567ff. Die Zweidrittelregelung ging auf einen belgischen Kompromissvorschlag zurück. Der Plan Frankreichs sah vor, den Sicherheitspakt auf Antrag von zwei oder mehr Signatarstaaten zu kündigen.

2.1 Der Locarnopakt: Funktionsweise und Wandel bis 1930

61

Politiker die Wirksamkeit der Clausula rebus sic stantibus, deren Auswirkungen ihrer Ansicht nach jeder völkerrechtliche Vertrag unterliege. Bereits im März 1925 wies Reichskanzler Luther in einer Unterredung mit dem englischen Botschafter darauf hin, dass jede völkerrechtliche Vereinbarung, auch eine Grenzgarantie am Rhein, überprüft werden müsse, wenn neue Tatsachen und Bedingungen in Betracht kämen. Lord D’Abernon stimmte dem zu, meinte aber, es sei besser, dies nicht auszusprechen, um die Paktverhandlungen nicht zu gefährden140 . Noch deutlicher wurde Luther am 16. November 1925, als die Ergebnisse der Locarnokonferenz in Anwesenheit des Reichspräsidenten besprochen wurden. Alle völkerrechtlichen Verträge seien zwar auf ewige Dauer geschlossen, führte der Reichskanzler aus, aber die Clausula rebus sic stantibus sei immer stillschweigend vorbehalten. Hätte Deutschland in Locarno auf ein Kündigungsrecht bestanden, wären die Alliierten wohl kaum bereit gewesen, Rückwirkungen einzuräumen. Im Übrigen, erklärte Luther den anwesenden Ministern, sei die Kündigung Locarnos keine Frage des Rechts, sondern hänge „de facto von der Machtfrage ab“141 . Ganz auf dieser Linie lag das Szenario, das eine Vorlage des Auswärtigen Amtes vom November 1925 zur Beendigung Locarnos entwarf. Der Locarnopakt, so hieß es da, müsse einer Überprüfung unterzogen werden, wenn Deutschland weiter erstarkt sei. Dann werde England auf eine „Beseitigung“ Locarnos drängen, und Deutschland und England könnten gemeinsam die französische Vormacht brechen142 . Einen anderen Weg, den Rheinpakt von Locarno zu beenden, entwickelten die deutschen Völkerrechtsgelehrten. Ihr Weg führte über Artikel 10 des Rheinpaktes, wonach der Vertrag erst in Kraft trat, wenn das Deutsche Reich ein Mitglied des Völkerbundes geworden sei. Dies, so folgerten sie, gelte auch im umgekehrten Falle. Sollte Deutschland aus der Genfer Liga ausscheiden, so trete Locarno außer Kraft143 . Freilich wurde diese Argumentation, die im Herbst 1933 kurzzeitig von Bedeutung war, nicht von allen Beobachtern geteilt. Der Rheinpakt und die entmilitarisierte Zone würden vom deutschen Austritt aus dem Völkerbund unberührt bleiben, schrieb beispielsweise Graf Kuno Westarp, der lange für die DNVP im Reichstag saß, im Herbst 1933 und verwies darauf, dass der deutsche Vorschlag, in den Sicherheitspakt ein Kündigungsrecht auf140 141

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Aufzeichnung Luther, Berlin, 10. 3. 1925, AdR Luther, Bd. 1, Nr. 43, S. 159. AdR Luther, Bd. 2, Nr. 223, S. 864. Vgl. auch die Stellungnahme des Auswärtigen Amtes kurz nach der „Kündigung“ des Rheinpaktes: Aufzeichnung Woermann, London, 2. 4. 1936, Documents on German Foreign Policy 1918-1945 (künftig: DGFP), Serie C (1933–1937). The Third Reich: First Phase, Bd. V: March 5–October 31, 1936, London 1966, Nr. 248, S. 369–373. AdR Luther, Bd. 2, Nr. 215, S. 8. [Auswärtiges Amt:] Der Sinn von Locarno. Urkunden und Erläuterungen, Berlin 1925, S. 33; vgl. Nellen: Locarno, S. 27; Wehberg: Entmilitarisierung, S. 56.

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2. Die Ausgangslage (1925–1933)

zunehmen, das an die deutsche Zugehörigkeit zum Völkerbund gekoppelt war, von den Alliierten ausdrücklich abgelehnt wurde144 . So verwundert es nicht, dass ein deutscher Diplomat schon im Jahr 1931 eine dritte Variante zur Beendigung Locarnos ins Spiel brachte. Wenn Frankreich weiterhin gegen den Geist von Locarno verstoße, indem es auf eine dauerhafte Kontrolle des Rheinlandes beharre, so schrieb er, könne das Reich den Pakt als juristisch gebrochen und als nicht mehr bindend bezeichnen, um der französischen Argumentation die rechtliche Basis zu entziehen145 . Dies sollte im März 1936 eine nicht unerhebliche Rolle spielen.

2.2 Der Zerfall des Locarnokompromisses in Deutschland ab 1930 Im August 1929 schrieb der britische Diplomat Harold Nicolson mehrere Briefe mit brisantem Inhalt aus Berlin. In den an den Premierminister und hohe Beamte des Foreign Office adressierten Schreiben warnte er vor einer bevorstehenden Remilitarisierung des Rheinlandes. Nach dem Rückzug der alliierten Streitkräfte, so Nicolson, würde die Reichswehr sofort beginnen, geheime Verteidigungsanlagen in der Zone aufzubauen. Keine deutsche Regierung, wie auch immer sie heißen möge, könnte die Reichswehr davon abhalten, weil militärische Maßnahmen zur Sicherung des Rheinlandes und des Ruhrgebiets die Unterstützung der Bevölkerung genössen146 . Nicolson wies aber auch darauf hin, wie der Druck der Öffentlichkeit auf die politische Führung zunahm. Nationalistische Gruppen forderten eine härtere Gangart in der Revision und eine unnachgiebige Haltung in Verhandlungen mit den Alliierten. Viele Parteien, die bereits seit Jahren die Locarnoverträge als Spitze der „Erfüllungspolitik“ bekämpften147 , nahmen jetzt, nach dem Abzug der alliierten Truppen aus dem Rheinland, die Forderung nach dem Ende der entmilitarisierten Zone in ihre Programme auf148 . Gleichzeitig traten deutsche 144 145 146 147 148

Graf K. Westarp: Deutschlands Austritt aus dem Völkerbund im Lichte des Rechts, in: DJZ 38 (1933), Sp. 1389–1394, hier Sp. 1392. Meyer: Kampf, S. 39, S. 143 u. S. 213f. Nicolson an Henderson, Berlin, 9. 8. 1929, BDFA, II, F, Bd. 40, Nr. 80, S. 246; Nicolson an Sargent, Berlin, 7. 8. 1929, DBFP, 1a. Serie, Bd. VI, Nr. 294, S. 488–490. Meyer: Kampf, S. 15. Sargent an Rumbold, London, 14. 10. 1930, DBFP, 2. Serie, Bd. I, Nr. 327, S. 517f.; Manifest der Deutschen Staatspartei, Berlin, 22. 8. 1930, W. Treue: Deutsche Parteiprogramme seit 1861 (Quellensammlung zur Kulturgeschichte, Bd. 3), Göttingen u. a. 1954, Nr. 34, S. 148. So übermittelte der Vorsitzende des „Deutschen Rheins e. V.“ dem Auswärtigen Amt im Oktober 1930 ein „rheinisches Revisionsprogramm“. Darin forderte der Verein

2.2 Der Zerfall des Locarnokompromisses in Deutschland ab 1930

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Zeitungen eine Kampagne los, die das Ende der entmilitarisierten Zone und die Rückgabe des Saargebiets forderte149 . Reichsminister Treviranus brachte diese Entwicklung in einer Denkschrift an das Auswärtige Amt auf den Punkt, wenn er sagte, erst nach der Räumung des Rheinlandes werde dem deutschen Volk die Entmilitarisierung richtig bewusst150 . In seinen Briefen umriss Nicolson das Dilemma, dass der innenpolitische Konsens, der die Locarnopolitik bis dahin getragen hatte, am Zerbröckeln war. Zu Recht wurde darauf hingewiesen, dass die Locarnopolitik das Werk einer kleinen Gruppe von Spitzenbeamten war, die sich um Schubert, Gaus, Köpke und Karl Ritter, dem Leiter der Wirtschaftsabteilung, sammelten151 . Erstaunlich ist allerdings, Bülow an die Spitze derer zu stellen, die dem Locarnopakt skeptisch gegenüber standen152 . Sicher war Bülow kein glühender Verfechter Locarnos, aber er lehnte den Vertrag auch nicht grundsätzlich ab, ja er warnte davor, in den Völkerbund einzutreten, ohne das „Entgelt“ des Rheinpaktes erhalten zu haben153 . Dies bezog sich auf die Anlage F, mit der Bülow sehr zufrieden war154 . Bülows Kritik richtete sich bei Locarno auf zwei Umstände. Erstens bemängelte er, dass es nicht gelungen war, ein Ende der alliierten Rheinlandbesetzung zu erreichen155 . Und zweitens sei der Rheinpakt von einem „Geburtsmakel“ betroffen, weil Frankreich und England entgegen den Versprechungen, mit Deutschland auf gleichberechtigtem Fuß

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die Befreiung des Saargebiets, die Rückgliederung Eupen-Malmedys und die Beseitigung der entmilitarisierten Zone, Tätigkeitsbericht des Deutschen Rheins e. V., Oktober 1930, PA AA, R 74587. G. Bonnet: Le Quai d’Orsay sous trois Républiques 1870–1961, Paris 1961, S. 105. Treviranus an das Auswärtige Amt, Berlin, 24. 6. 1930, Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik. Die Kabinette Brüning I und II. 30. März 1930 bis 10. Oktober 1931. 10. Oktober 1931 bis 1. Juni 1932 (künftig: AdR Brüning), Bd. 1: März 1930 bis Februar 1931, bearbeitet von T. Koops, Boppard a. Rh. 1982, Nr. 55, S. 235. So Krüger: Versailles, S. 127; ders.: Locarno – Vorgeschichte und Ergebnis, in: M. Breuer/ N. Weiß (Hg.): Das Vertragswerk von Locarno und seine Bedeutung für die internationale Gemeinschaft nach 80 Jahren. Ergebnisse eines interdisziplinären Rundtischgesprächs (Studien zum Öffentlichen Recht, Völker- und Europarecht, Bd. 13), Frankfurt/M. 2007, S. 77–110, hier S. 88. Vgl. Krüger: Versailles, S. 147. Bülow an Stresemann, Berlin, 21. 4. 1925, PA AA, R 96751; vgl. Graml: Bülow, S. 61. Wie sehr geneigt Bülow war, auf die Wirksamkeit der Anlage F zu vertrauen, zeigt eine Meinungsverschiedenheit aus dem Jahr 1927. Während Schubert meinte, Deutschland müsse nun mit positiven Vorschlägen zur Sicherheitsfrage hervortreten und könne sich nicht länger hinter der Anlage F verschanzen, bemerkte Bülow, diese Argumentation „reicht so lange aus, als die heutige gewaltige Rüstungsdisparität fortbesteht.“ ADAP, B, Bd. VII, Nr. 246, S. 600 Anm. 11. So schrieb Bülow an Köpke am 31. Oktober 1925: „Locarno-Pakt, weil wir nicht warten konnten, sonst hätten wir das ganze Rheintal freibekommen.“ PA AA, NL Köpke, Bd. 1; vgl. Graml: Bülow, S. 61ff.

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2. Die Ausgangslage (1925–1933)

zu verhandeln, geheime Nebenabreden mit Polen getroffen hätten. „Von dieser Schuld“, so bekannte Bülow gegenüber einem Kollegen, „wird man niemals die Locarnomächte freisprechen können.“156 Andere gingen mit ihrer Kritik viel weiter. So zeigte sich der deutsche Reichspräsident sehr unzufrieden mit den Verhandlungsergebnissen, die Stresemann und Luther aus Locarno mitbrachten. Bevor Deutschland dem Völkerbund beitreten könne, so lautete der Tenor der Denkschriften, mit denen Hindenburg im Herbst 1925 den Reichskanzler und das Auswärtige Amt bombardierte, müsse die deutsche Seite darauf drängen, dass der Pakt noch einmal nachverhandelt wird. In einem zehn Punkte umfassenden Papier vom November kritisierte er den Verzicht auf Elsass-Lothringen, die Festschreibung der entmilitarisierten Zone und den Eintritt in den Völkerbund. Das Kündigungsrecht, so Hindenburg, sei illusorisch und echte Gleichberechtigung sei in Locarno nicht erreicht worden157 . Und Anfang Dezember 1925 forderte er, die deutschen Ansprüche auf Kolonien, Räumung des Rheinlandes und Angleichung der Rüstungen müssten erfüllt werden. Außerdem bestand Hindenburg darauf, dass die Gegenseite die Geltung der Anlage F des Locarnoschlussprotokolls ausdrücklich anerkannte158 . Ganz ähnlich vertraute Weizsäcker seinem Tagebuch an: „Überschwänglich kann ich von Locarno nicht denken.“159 Deutschland sei gezwungen worden, die entmilitarisierte Zone nochmals zu bestätigen, so Weizsäcker, im Tausch für Verabredungen, die nicht präzise genug seien, dass sich daraus ein Rechtsanspruch konstruieren ließe160 . Vollends diskreditiert wird die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes in den Memoiren Gottfried Treviranus‘, Reichsminister unter Brüning. Ihm zufolge hätten Schubert, Gaus und Ritter ihre Locarnopolitik im Stile einer Geheimdiplomatie geführt, selbstherrlich und ohne sie dem

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Bülow an Dieckhoff, Berlin, 8. 4. 1926, PA AA, R 32366. Aufzeichnung Hindenburg, Berlin, 2. 11. 1925, AdR Luther, Bd. 2, Nr. 214, S. 825–827. Zur Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vgl. ebenda, Nr. 215, S. 827–831. Hindenburg an Luther, Berlin, 4. 12. 1925, W. Hubatsch (Hg.): Hindenburg und der Staat. Aus den Papieren des Generalfeldmarschalls und Reichspräsidenten von 1878 bis 1934, Berlin u. a. 1966, Nr. 37 c, S. 221–223. Zur Kritik Hindenburgs am außenpolitischen Kurs Stresemanns vgl. ausführlich H. Zaun: Paul von Hindenburg und die deutsche Außenpolitik 1925–1934, Köln u. a. 1999 (Diss. phil. Köln 1998). Tagebuch Weizsäcker, 16. 10. 1925, Hill: Weizsäcker, Bd. 1, S. 372. Tagebuch Weizsäcker, 23. 1. 1926, ebenda, S. 374; Weizsäcker: Erinnerungen, S. 69. In die gleiche Kerbe schlug Rheinbaben, der behauptete, Luther und Stresemann hätten den Kabinettsbeschluss, der ein Junktim zwischen Sicherheitspakt und Rheinlandräumung herstellte, ignoriert, Rheinbaben: Kaiser, S. 237–239.

2.2 Der Zerfall des Locarnokompromisses in Deutschland ab 1930

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Kabinett zur Genehmigung vorzulegen, finanziert von obskuren Geheimfonds. Erst Brüning habe diesen Praktiken ein Ende gemacht161 . Angesichts der Kritik aus den eigenen Reihen wurde es zu einer entscheidenden Voraussetzung für das Auswärtige Amt, die Unterstützung der Militärs für den Locarnokurs zu erhalten. Nach dem Abgang Seeckts, der Stresemanns Politik bekämpft hatte162 , kamen im Reichswehrministerium Männer ans Ruder, die bereit waren, ihre Rüstungsvorstellungen dem Primat der Außenpolitik unterzuordnen. Sie erkannten, dass Stresemanns Locarnokurs unter den gegebenen Umständen ohne Alternative war163 . Nur die vertragliche Sicherung im Westen, und nicht das kleine Häuflein Soldaten, über das Deutschland verfügte, war in der Lage, ein Debakel wie den Ruhreinmarsch 1923 zu verhindern164 . Ganz in diesem Sinne lag es, die Bestimmungen der Artikel 42 und 43 des Versailler Vertrages zu achten und damit den Aufbau des Landesschutzes im Westen des Reiches zur politischen Disposition zu stellen165 . Als sich die preußische Regierung im Winter 1926 an den Reichskanzler wandte, der Grenzschutz sei in seiner jetzigen Form nicht mehr durchführbar166 , sah die Reichswehrspitze die Gelegenheit, „über den Friedensvertrag hinausgehende Sicherungsmaßnahmen“ durchzusetzen; immerhin räumten die Militärs ein, das Kabinett müsse darüber entscheiden167 . Das sah man auch im Auswärtigen Amt so. Als man dort von den Planungen des Reichswehrministeriums168 161 162 163

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G. R. Treviranus: Das Ende von Weimar. Heinrich Brüning und seine Zeit, Düsseldorf u. Wien 1968, S. 146. Vgl. Seeckts Ausführungen vor dem Kabinett am 13. Oktober 1925, AdR Luther, Bd. 2, Nr. 187, S. 735ff. Vgl. K. D. Bracher/W. Sauer/G. Schulz: Die nationalsozialistische Machtergreifung. Studien zur Errichtung des totalitären Herrschaftssystems in Deutschland 1933/34, Köln u. Opladen, 2., durchges. Aufl., 1962, S. 775f.; G. Post jr.: The civil-military fabric of Weimar Foreign Policy, Princeton 1973, S. 151. Geßler an Stresemann, Berlin, 28. 10. 1927, ADAP, B, Bd. VII, Nr. 53, S. 128–132. Zum Grenzschutz in den zwanziger Jahren vgl. ausführlich J. Nakata: Der Grenz- und Landesschutz in der Weimarer Republik 1918–1933. Die geheime Aufrüstung und die deutsche Gesellschaft (Einzelschriften zur Militärgeschichte, Bd. 41), Freiburg 2002; T. Vogelsang: Reichswehr, Staat und NSDAP. Beiträge zur deutschen Geschichte 1930– 1932 (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, Bd. 11), Stuttgart 1962, S. 16ff., S. 31ff. u. S. 157ff.; R. Bergien: Die bellizistische Republik. Wehrkonsens und Wehrhaftmachung in Deutschland 1918–1933 (Ordnungssysteme. Studien zur Ideengeschichte der Neuzeit, Bd. 35), München 2012 (Diss. phil. Potsdam 2008). Braun an Marx, Berlin, 20. 12. 1926, AdR Marx III/IV, Bd. 1, Nr. 163, S. 467–483. Bis dahin war der Grenzschutz in Preußen gemäß den von Severing und Geßler im Juni 1923 ausgehandelten Richtlinien gehandhabt worden, Ursachen und Folgen, Bd. VII, Nr. 1605 b, S. 462f.; C. Severing: Mein Lebensweg. Vom Schlosser zum Minister, Bd. 2, Köln 1950, S. 129f.; vgl. R. Bergien: Staat im Staate? Zur Kooperation von Reichswehr und Republik in der Frage des Grenz- und Landesschutzes, in: VfZ 56 (2008), S. 643–678. AdR Marx III/IV, Bd. 1, Nr. 130, S. 376–378. Ebenda, Nr. 190, S. 554–560.

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2. Die Ausgangslage (1925–1933)

erfuhr, sah sich der Leiter der Westabteilung zu einer scharf formulierten Denkschrift veranlasst, in welcher er den Primat der Außenpolitik gegenüber den militärischen Planungen einklagte. Die deutschen Rüstungen seien kein Selbstzweck, so Köpke, sondern seien stets unter außenpolitischen Gesichtspunkten zu bewerten. Dies gelte gleichermaßen für den Bereich der Sicherheitspolitik. Die Verteidigung der Lebensinteressen Deutschlands, ermahnte er die Militärs, sei nicht die Sache der Reichswehr, sondern der auswärtigen Politik169 . Deutlicher konnte man den Militärs kaum ins Stammbuch schreiben, wer für die Sicherheit des Reiches sorgte. Praktisch war damit allen Plänen, die auf eine militärische Landesverteidigung abzielten170 , der Boden entzogen, noch bevor das Reichskabinett am 26. April 1929 die förmliche Entscheidung vollzog, keinen Grenzschutz in der entmilitarisierten Zone einzurichten171 . Doch die Zustimmung der Reichswehr zu Locarno hatte auch eine funktionale Seite. Mit Locarno, so glaubten die Militärs, hielten sie den Schlüssel in der Hand, das Problem der deutschen Rüstungen in einem für Deutschland vorteilhaften Sinne zu lösen. Dies war der Inhalt der Denkschrift vom 6. März 1926, mit der Stülpnagel das Auswärtige Amt auf die Ziele des Reichswehrministeriums einschwören wollte172 . Das Ziel der deutschen Außenpolitik müsse es sein, so Stülpnagel, unter Verweis auf die erbrachten Sicherheitsleistungen und die Entwaffnung Deutschlands, Frankreich und seine Verbündeten ihrer überragenden Militärmacht zu entkleiden. Am Erfolg dieser Strategie wurde auch das Bekenntnis zur Locarnopolitik gemessen173 . Solange sich die Reichswehr zu diesem Kurs bekannte, waren die Reichsregierungen entschlossen, „die Rechtsgültigkeit Locarnos weder völkerrechtlich noch staatsrechtlich in Zweifel zu ziehen“174 . Erst zur Zeit des Kabinetts Brüning, dessen Geschäftsgrundlage es war, eine härtere Gangart in der Revisionspolitik anzuschlagen175 , rüttelte die Reichswehr an dieser Linie. Drei Entwicklungen waren signifikant dafür. 169 170 171

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Aufzeichnung Köpke, Berlin, 21. 11. 1927, ADAP, B, Bd. VII, Nr. 122, S. 295ff. Aufzeichnung Forster, Berlin, 12. 5. 1928, ADAP, B, Bd. IX, Nr. 17, S. 31–34. AdR Müller II, Bd. 1, Nr. 181, S. 583f.; vgl. R. Absolon: Die Wehrmacht im Dritten Reich, Bd. I: 30. Januar 1933 bis 2. August 1934. Mit einem Rückblick auf das Militärwesen in Preußen, im Kaiserreich und in der Weimarer Republik (Schriften des Bundesarchivs, Bd. 16/I), Boppard a. Rh. 1969, S. 37. Immerhin gestand Stresemann der Reichswehr zu, „gewisse Vorbereitungen“ in den Grenzgebieten zu treffen, ADAP, B, Bd. VII, Nr. 122, S. 299 Anm. 6. Vgl. ausführlich H. W. Gatzke: Stresemann and the Rearmament of Germany, Baltimore 1954, S. 50ff.; Post: Weimar, S. 183f. Stülpnagel an Bülow, Berlin, 6. 3. 1926, ADAP, B, Bd. I, 1, Nr. 144, S. 341–350. Vgl. die Richtlinien für die deutsche Delegation auf der Vorbereitenden Abrüstungskonferenz, ADAP, B, Bd. IV, Nr. 246, S. 539–545. So in den Richtlinien für die Bildung des vierten Kabinetts Marx vom Januar 1927, AdR Marx III/IV, Bd. 1, Nr. 177, S. 516 Anm. 3. Dies hatten Brüning und Schleicher bereits an Ostern 1929 für den Fall einer Regie-

2.2 Der Zerfall des Locarnokompromisses in Deutschland ab 1930

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Erstens fand die Reichswehr mehr und mehr zu einem traditionellen Sicherheitsbegriff zurück, nach dem die Sicherheit eines Landes nicht durch Verträge gewährleistet, sondern an der Stärke seiner Streitkräfte gemessen wurde176 . Die Militärs wollten aufrüsten, und vertragliche Bindungen konnten nur stören. Welchen Platz Locarno in diesem Sicherheitskonzept einnahm, war mehr als unklar177 . Keinen Platz, das war die zweite Entwicklung, fand die entmilitarisierte Zone. Ihr Stellenwert als Revisionsziel stieg umso höher, je drückender die Militärs die Last der Zone für die einsetzende Aufrüstung empfanden. Daher begann das Reichswehrministerium sogleich nach dem Ende der alliierten Besatzung im Rheinland, geheime militärische Vorbereitungen für die Landesverteidigung zu treffen178 , und bedrängte das Auswärtige Amt, die ganze Energie auf die Abschaffung der Artikel 42 und 43 des Versailler Vertrages zu richten. Das dritte und wichtigste Motiv für das Reichswehrministerium, sich fortan vom Konzept der Locarnopolitik zu lösen, war das Ausbleiben der „Rückwirkungen“, die Stresemann den Deutschen als Folge der Locarnodiplomatie verheißen hatte. So war es mit Hilfe des Locarnopaktes weder gelungen, das Rheinland schnell und ohne Auflagen von militärischen Beschränkungen zu befreien179 , noch war der Rheinpakt zum Startschuss einer internationalen Abrüstung geworden. Dies zeigte der Verlauf der internationalen Abrüstungsgespräche in Genf. Als die Vorbereitende Abrüstungskonferenz im Dezember 1930 den Entwurf einer Abrüstungskonvention vorlegte, waren die Militärs wie vom Donner gerührt. In allen entscheidenden Punkten hatte sich die französische Sicherheitsthese durchgesetzt und keine der deutschen Forderungen

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rungsübernahme Brünings vereinbart, H. Brüning: Memoiren 1918–1934, Stuttgart 1970, S. 145ff. Aufzeichnung des Reichswehrministeriums, Berlin, o. D. [Januar 1933], PA AA, NL Nadolny, Bd. 6/2. Die um 1930 einsetzenden Bemühungen der Reichswehr, Stahlhelm-Verbände als Grenzschutz im Westen aufzubauen, deuten an, dass die Armeeführung aufhörte, den Rheinpakt als Sicherheitsfaktor zu veranschlagen, vgl. G. Castellan: Le réarmement clandestin du Reich 1930–1935. Vu par le 2e Bureau de l’Etat-major Français, Paris 1954, S. 317; Bergien: Wehrkonsens, S. 360f. Tirard an Briand, Koblenz, 11. 5. 1930, AMAEE, Serie Z, La rive gauche du Rhin, Bd. 265 u. 266; Aufzeichnung Massigli, Paris, 15. 8. 1930, ebenda; Aufzeichnung des 2. Büros des Generalstabes, Paris, 10. 6. 1932, Service Historique de la Défense, Paris-Vincennes (künftig: SHD), 7 N 2520. Das war eine der Hauptforderungen, die die Reichswehr mit Locarno verband, Tagebuch Bredow, 17. 10. 1925, Strenge: Bredow, S. 178 Anm. 1; Hindenburg an Luther, Berlin, 4. 12. 1925, Hubatsch: Hindenburg, Nr. 37 c, S. 221–223; Rumbold an Henderson, London, 26. 2. 1931, BDFA, II, F, Bd. 42, Nr. 24, S. 33–39.

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2. Die Ausgangslage (1925–1933)

war erfüllt worden180 . Die Politik des Auswärtigen Amtes, so resümierte eine Denkschrift für Schleicher, war gescheitert181 . Daraufhin änderten die Militärs ihre Taktik in der Sicherheits- und Militärpolitik, und nun, Ende 1930, begann die Entwicklung, die später als „Militarisierung der Außenpolitik“182 bezeichnet wurde. Das erste Opfer dieser Volte war der Vertrag von Locarno. „Mit dem berühmten Locarno-Geist“, konstatierte die Reichswehrführung im Jahr 1931, sei nun „nichts mehr anzufangen“183 . Unter dem doppelten Druck von Reichswehr und Öffentlichkeit stehend wandelte sich die Politik des Auswärtigen Amtes. Begleitet von personellen Wechseln auf wichtigen Posten184 verschloss sich das Auswärtige Amt nicht länger dem Drängen nach einer starken Außenpolitik und begrub damit die Prämissen der Politik Stresemanns. Das Vertragswerk von Locarno, so schien es zunächst, war davon nicht betroffen. So waren Reichsregierung und Auswärtiges Amt auch nach 1930 entschlossen, am Rheinpakt von Locarno festzuhalten185 . Ihnen ging es dabei vor allem um die Rückwirkungen, die es auf den Verlauf der Genfer Abrüstungskonferenz haben könne, wenn man den Rheinpakt in Zweifel zog186 . Denn dort fuhr das Reich mit einer Verhandlungstaktik auf, nach der die großen Staaten nicht länger die Abrüstung hinauszögern dürften, weil nach dem Abschluss einer Reihe von Vertragsinstrumenten wie Locarnovertrag, Kelloggpakt und die „Generalakte zur friedlichen Beilegung völkerrechtlicher Streitigkeiten“ von 1928 allen Staaten hinreichende Sicherheit gegeben sei187 . Zweifel am Rheinpakt hätten diese Argumentation im Ansatz zerstört. 180

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Bülow an Bernstorff, Berlin, 30. 11. 1930, ADAP, B, Bd. XVI, Nr. 36, S. 84–86. Zu den französischen Forderungen vgl. auch Französisches Memorandum über die allgemeine Beschränkung der Rüstungen, 15. 7. 1931, Ursachen und Folgen, Bd. VIII, Nr. 1747, S. 271–273. Aufzeichnung Geyer, o. O., 28. 11. 1929, BA-MA, N 42/33. Geyer: Aufrüstung, S. 240. Denkschrift der Reichswehrführung, Berlin, August 1931, W. Michalka/G. Niedhart (Hg.): Deutsche Geschichte 1918–1933. Dokumente zur Innen- und Außenpolitik, Frankfurt/M. 2002, Nr. 146, S. 247. AdR Brüning, Bd. 1, Nr. 26, S. 93f. Vgl. G. Schulz: Zwischen Demokratie und Diktatur. Verfassungspolitik und Reichsreform in der Weimarer Republik, Bd. III: Von Brüning zu Hitler. Der Wandel des politischen Systems in Deutschland 1930–1933, Berlin u. New York 1992, S. 308f. Riesser an das Auswärtige Amt, Paris, 20. 8. 1930, ADAP, B, Bd. XV, Nr. 193, S. 476f.; Rumbold an Henderson, Berlin, 28. 5. 1930, DBFP, 2. Serie, Bd. I, Nr. 188, S. 324; Rumbold an Sargent, Berlin, 16. 10. 1930, ebenda, Nr. 328, S. 518. Curtius an das Auswärtige Amt, Genf, 20. 9. 1931, ADAP, B, Bd. XVIII, Nr. 198, S. 435f.: „Wir (. . . ) dürfen aber Geltung des Rheinpaktes (. . . ) [nicht] verneinen. Wir würden dadurch die ganze Sicherheitsfrage in einer für unsre Position auf der Abrüstungskonferenz äußerst ungünstigen Weise aufrollen.“ Stumm an Bülow, Berlin, 13. 7. 1931, PA AA, R 29468; Bülow an Hoesch, Berlin,

2.2 Der Zerfall des Locarnokompromisses in Deutschland ab 1930

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Folgerichtig verzichtete das Auswärtige Amt darauf, die Frage der entmilitarisierten Zone, die ein wichtiges Fundament Locarnos bildete, auf den Genfer Abrüstungstagungen zur Sprache zu bringen. Als der Reichswehrminister dem Auswärtigen Amt am 16. März 1931 die Ziele des Reichswehrministeriums auf der Konferenz übermittelte, in welcher auch die Beseitigung der rheinischen Entmilitarisierung gefordert wurde, bestand Curtius darauf, das Problem der Rheinlandzone zu verschieben188 . Noch um die Jahreswende 1932/33 hielt die deutsche Führung an dieser Linie fest. Im Dezember 1932 erklärte ein Mitarbeiter der Reichskanzlei dem französischen Botschafter, die entmilitarisierte Zone werde auf der Abrüstungskonferenz keine Rolle spielen. Man erwarte, diese Frage in acht bis zehn Jahren, im Rahmen einer deutsch-französischen Verständigung, zu klären189 . Und im Januar 1933 schrieb Außenminister Neurath an Nadolny, es sei inopportun, die Beseitigung der entmilitarisierten Zone zu fordern, wie dies die Militärs vorgeschlagen hatten190 . Bei gleichzeitiger Behandlung von Locarnokomplex und Abrüstungsfrage, so Neurath, wären fatale Rückwirkungen für das Weiterbestehen des Locarnopaktes zu erwarten. Außerdem wolle man die Abrüstungskonferenz nicht mit der Rheinlandzone belasten191 . Aus denselben Gründen unterließ man es, der deutschen Forderung nach Gleichberechtigung Nachdruck zu verleihen, indem man die Einrichtung einer entmilitarisierten Zone auf französischer Seite forderte192 , wie dies vom Reichs-

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6. 12. 1930, PA AA, R 29512; Aufzeichnung Bülow, Berlin, 8. 11. 1927, ADAP, B, Bd. VII, Nr. 84, S. 195; Bülow an die deutsche Botschaft in Washington, Berlin, 14. 11. 1930, ADAP, B, Bd. XVI, Nr. 55, S. 143; DBFP, 2. Serie, Bd. III, Nr. 215, S. 483–486; Das Auswärtige Amt an das Reichswehrministerium, Berlin, 18. 1. 1932, Michalka/Niedhart: Geschichte, Nr. 149, S. 253. Der britische Diplomat Cadogan berichtete, Frohwein habe ihm in einem Gespräch erklärt, Deutschland habe mit Locarno bereits genug für die europäische Sicherheit getan, Cecil an Reading, Genf, 28. 9. 1931, DBFP, 2. Serie, Bd. III, Nr. 218, S. 490. Vgl. E. W. Bennett: German Rearmament and the West 1932–1933, Princeton/New Jersey 1979, S. 54. Vgl. auch Schönheinz an Mackensen, Berlin, 10. 3. 1931, ADAP, B, Bd. XVII, Nr. 8, S. 27–29. François-Poncet an Herriot, Berlin, 16. 12. 1932, AMAEE, Série Z, La rive gauche du Rhin, Bd. 265 u. 266. Neurath an Nadolny, Berlin, 10. 1. 1933, BA-MA, RH 2/980. Aufzeichnung Nadolny, Berlin, 13. 1. 1933, ADAP, B, Bd. XXI, Nr. 256, S. 541; Aufzeichnung Neurath, Berlin, 14. 1. 1933, ebenda, Nr. 257, S. 547. Ähnlich hatte sich Neurath schon im Sommer und Herbst 1932 geäußert, Neurath an Nadolny, Berlin, 20. 6. 1932, ADAP, B, Bd. XX, Nr. 151, S. 331; BDFA, II, J, Bd. 4, Nr. 40, S. 95f. Schon auf der Versailler Konferenz hatten die Deutschen die Einrichtung einer „truppenfreien Zone“ in Frankreich und Belgien gefordert, und diese Idee wurde seither immer wieder in die Debatte geworfen, Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik. Das Kabinett Scheidemann 13. Februar bis 20. Juni 1919, bearbeitet von H. Schulze, Boppard a. Rh. 1971, Nr. 49, S. 193ff.; AdR Marx III/IV, Bd. 2, Nr. 437, S. 1343; ADAP, B, Bd. IV, Nr. 246, S. 542 Anm. 7.

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2. Die Ausgangslage (1925–1933)

wehrministerium193 und von Teilen des Außenamtes194 vertreten wurde. Köpke urteilte in einer Vorlage vom 7. Mai 1931, der Vorschlag sei problematisch, weil er das „Locarno-Problem“ aufwerfen würde195 ; daran habe Deutschland im Augenblick kein Interesse. Diese Ausführungen sollen nicht darüber hinwegtäuschen, wie weit sich die deutsche Führung bereits von den Prämissen der Locarnopolitik verabschiedet hatte. Die Männer im Auswärtigen Amt um Curtius und Bülow hielten nicht aus Prinzip, sondern nur aus funktionalen Gründen an Locarno fest, um die deutsche Verhandlungsposition in Genf nicht zu gefährden. Brünings Regierungsprogramm, er wolle weiter daran arbeiten, Revisionen nur auf dem Verhandlungsweg zu erreichen196 , war ja nur eine Prämisse der Locarnopolitik. Die andere Prämisse war, dies auf der Grundlage einer stabilen europäischen Ordnung zu schaffen. Nach 1930 indes griff in der deutschen Führung mehr und mehr die Überzeugung Platz, vor dem Hintergrund einer weltweiten Krise leichter und schneller die Revision des Versailler Vertrages vollziehen zu können197 . Das war der geistige Grund, auf dem die neuen Konzeptionen des Auswärtigen Amtes erwuchsen, die schwerlich als Fortsetzung der Locarnodiplomatie interpretiert werden konnten. 1930 legte Rheinbaben eine Denkschrift mit dem Titel „Deutsche Revisionspolitik“ vor, die er in Absprache mit Schlei193 194

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Schönheinz an Mackensen, Berlin, 10. 3. 1931, ADAP, B, Bd. XVII, Nr. 8, S. 29; Aufzeichnung Köpke, Berlin, 7. 5. 1931, ebenda, Nr. 118, S. 303f. Tagebuch D’Abernon, 7. 2. 1924, D’Abernon: Botschafter, Bd. III, S. 63; Aufzeichnung Weizsäcker, Berlin, 2. 3. 1931, ADAP, B, Bd. XVII, Nr. 1, S. 7. Auch Bülow scheint kurzzeitig erwogen zu haben, eine „bilaterale Umsetzung“ der entmilitarisierten Zone auf die Agenda zu setzen, Rumbold an Henderson, Berlin, 18. 8. 1930, DBFP, 2. Serie, Bd. I, Nr. 317, S. 500. Aufzeichnung Köpke, Berlin, 7. 5. 1931, ADAP, B, Bd. XVII, Nr. 118, S. 303f. Vgl. Brünings Regierungserklärungen vom 1. April und 16. Oktober 1930. Zum Gesamtkomplex vgl. J. Becker: Probleme der Außenpolitik Brünings, in: Ders./K. Hildebrand (Hg.): Internationale Beziehungen in der Weltwirtschaftskrise 1929–1933. Referate und Diskussionsbeiträge eines Augsburger Symposiums 29. März bis 1. April 1979, unter Mitarbeit von K. L. Prem, M.-L. Recker und R. Wenzel (Schriften der Philosophischen Fakultäten der Universität Augsburg, Bd. 18), München 1980, S. 265–286. Erstmals deutlich formuliert finden sich diese Gedankengänge in einer anonymen Denkschrift vom 5. September 1928. Die deutsche Locarnopolitik, hieß es hier, sei auf ganzer Linie gescheitert. Die deutsche Interpretation Locarnos sei durch den französisch-britischen Akkord hinfällig geworden. Jetzt gelte die Auslegung Frankreichs, wonach Locarno den Status quo sichern solle. „Wir brauchen außenpolitische Spannung“, forderte die Denkschrift, wenn Deutschland Locarno aufgebe und den Kampf gegen die französische Locarnopolitik aufnehme, komme die Welt wieder in Bewegung, Aufzeichnung, o. V., Paris, 5. 9. 1928, IfZ, ED 93, Bd. 28. In ähnlicher Weise hatte sich zwei Jahre zuvor der deutsche Gesandte in Warschau, Rauscher, ausgedrückt, als er sagte, dass Danzig und der Korridor niemals auf Grund wirtschaftlicher Entwicklungen zum Reich zurückkehren werden, sondern „nur infolge eines Krieges und der damit verbundenen machtpolitischen Erschütterung Polens“. ADAP, B, Bd. II, 1, Nr. 23, S. 77–79.

2.2 Der Zerfall des Locarnokompromisses in Deutschland ab 1930

71

cher verfasst hatte198 . Darin forderte er eine „kräftigere“ Außenpolitik, deren Kennzeichen es sein sollte, durch die Formulierung „nationaler Ziele“ Schlagkraft nach außen zu gewinnen und gleichzeitig den Rückhalt im Innern zu sichern199 . Dabei lehnte Rheinbaben große Forderungskataloge ab und plädierte dafür, einen „Mindestzustand“ herzustellen, von dem aus Deutschland seine weitere Revisionspolitik angehen konnte. Dazu empfahl er, in Abstimmung mit den Russen das Problem der Ostgrenzen anzuschneiden, „ehe wir vor ein Ostlocarno gestellt werden“. Im Westen, so Rheinbaben, solle der Locarnopakt „als Prinzip bejaht werden“, um den Verständigungsfaden nach Paris nicht abreißen zu lassen. Langfristig, so schloss er seine Darlegungen ab, müsse es das Ziel der deutschen Politik sein, das Reich als stabilisierenden Faktor in der Neuordnung Europas aufzubauen200 . Deutlicher als Rheinbaben wurde eine Denkschrift, die in der Umgebung Hindenburgs entstanden ist und die der Reichspräsident am 5. März 1931 an Außenminister Curtius übermittelte201 . Darin wurde der deutsche Versuch, zu einem Ausgleich mit Frankreich zu kommen, als „Irrweg“ angeprangert. Locarno bilde für Frankreich eine Etappe auf dem Weg zur vollständigen Unterwerfung Deutschlands, während die deutsche Politik, die sich durch den Rheinpakt freie Hand im Osten sichern wollte, sich nun mit der Forderung Frankreichs konfrontiert sah, ein Ostlocarno abzuschließen. Vor diesem Hintergrund forderte die Denkschrift, die „Politik der Vorleistungen“ zu beenden und Verträge nur abzuschließen, wenn greifbare Vorteile heraussprängen. Gleichzeitig begannen die verantwortlichen Beamten in der Wilhelmstraße die Parameter der deutschen Sicherheit neu zu vermessen. Wie im Bendlerblock erwartete man im Auswärtigen Amt, dass die Genfer Konferenz keine weltweite Abrüstung zu Wege bringen würde und stattdessen den Deutschen die Erlaubnis bringen musste, eigene Aufrüstungsschritte zu vollziehen. Damit ergab sich die Möglichkeit, die als prekär eingeschätzte vertragliche Sicherheit durch den Ausbau der militärischen Sicherheit zu verstärken; dazu gehörte aus Sicht des Auswärtigen Amtes auch die Abschaffung der entmilitarisierten Zone202 . Ei198 199

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Rheinbaben an Schleicher, Berlin, 13. 12. 1930, BA-MA, N 42/33; Rheinbaben: Deutschland, S. 292. Zur selben Zeit forderte auch Weizsäcker, das nationalistische Geschrei der Straße als Folie herzunehmen, auf der die deutsche Führung umso wirksamer ihre Revisionsforderungen artikulieren könne, Weizsäcker an seine Mutter, Genf, 26. 12. 1930, W. Elz (Hg.): Quellen zur Außenpolitik der Weimarer Republik 1918–1933, Darmstadt 2007, Nr. 108, S. 201f. BA-MA, N 42/33. Meissner an Curtius, Berlin, 5. 3. 1931, PA AA, R 28035. Verfasser der Denkschrift war der preußische DNVP-Politiker Oskar v. d. Osten-Warnitz. „Es muss das Ziel der deutschen Politik sein“, hieß es wenige Tage nach Unterzeichnung der Locarnoverträge in einer Stellungnahme des Auswärtigen Amtes, „die Artikel 42–44 [des Versailler Vertrages] zu beseitigen.“ AdR Luther, Bd. 2, Nr. 215, S. 829.

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2. Die Ausgangslage (1925–1933)

ne Aufzeichnung der Abteilung II, die im April 1932 an General Schönheinz, dem Vertreter des Reichswehrministeriums auf der Genfer Abrüstungskonferenz, gegeben wurde, umschrieb diesen Sachverhalt so: „Deutsche Sicherheit ist nicht vorhanden, solange weite deutsche Grenzgebiete der Entmilitarisierung unterliegen, während sein Nachbarstaat bis unmittelbar an die Grenze nicht nur ständige Befestigungsanlagen vorschiebt, die mit Geschützen und Maschinengewehren deutsches Land und deutsche Menschen bedrohen, sondern auch seine Truppen dort garnisonieren kann, die in wenigen Stunden in ungeschütztes deutsches Land vorbrechen können.“203

Daraus schloss man in Teilen des Amtes, dass die deutsche Taktik auf der Abrüstungskonferenz darauf abstellen musste, entweder die Rheinlandzone abzuschaffen oder aber die Einrichtung entmilitarisierter Zonen als „generelle Maßnahmen“ umzusetzen204 , was aus deutscher Sicht vor allem die Schaffung eines entmilitarisierten Streifens auf französischem Territorium bedeutet hätte205 . Exakt auf dieser Linie liegend wies Brüning im Verlaufe eines Gipfeltreffens in Bessinge, an dem MacDonald und Stimson teilnahmen, seine Gesprächspartner auf die Grenzbefestigungen Frankreichs und Polens hin und forderte für Deutschland die „Freiheit der Befestigung“, auch für das Rheinland206 . Schließlich entfernte sich das Auswärtige Amt von den Wurzeln der Locarnopolitik, als die Bereitschaft wuchs, die illegalen Rüstungsmaßnahmen der Reichswehr zu decken. In einer Chefbesprechung vom 30. Oktober 1930 zur deutschen Rüstungspolitik erläuterte Reichsaußenminister Curtius in einer Erklärung mit grundsätzlichem Charakter, er sei entschlossen, die deutsche Aufrüstung gegenüber dem Ausland zu decken207 . Hier nahm die deutsche Abschirmungspolitik ihren Ausgang208 – und stürzte das Auswärtige Amt in ein tief greifendes Dilemma. Denn wollte man das Anwachsen der republikfeind203 204 205

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Aufzeichnung, o. V.: „Bemerkungen zur deutschen Sicherheit“, Berlin, 19. 4. 1932, PA AA, R 32303. So Nadolny im Februar 1932, ADAP, B, Bd. XIX, Nr. 242, S. 558 Anm. 7. Im Juli 1932 bekannte ein Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes, es sei die deutsche Taktik auf der Abrüstungskonferenz, zunächst das prinzipielle Recht auf Gleichberechtigung zu erhalten und dann in einem zweiten Schritt die Beseitigung der entmilitarisierten Zone zu fordern, Mehrmann an Schwendemann, Berlin, 12. 12. 1932, PA AA, R 32248. Das gleiche meinten wohl auch Schleicher und Nadolny mit der Bemerkung, man wolle die Gleichberechtigung zum Ausgangspunkt weiterer Revisionen des Versailler Vertrages machen, Nadolny an Schleicher, Berlin, 29. 11. 1932, BA-MA, N 42/33. Brüning: Memoiren, S. 559; Aufzeichnung Brüning, Blickling Hall, 24./26. 6. 1939, H. Brüning: Briefe und Gespräche 1934–1945, hg. v. C. Nix unter Mitarbeit von R. Phelps u. G. Pettee, Stuttgart 1974, S. 267. AdR Brüning, Bd. 1, Nr. 158, S. 593. So auch P. Krüger: „Man lässt sein Land nicht im Stich, weil es eine schlechte Regierung hat“ – Die Diplomaten und die Eskalation der Gewalt, in: Broszat/Schwabe: Eliten, S. 180– 225, hier S. 193, der aber die Abschirmung auf den Aufstieg der NSDAP beschränkt.

2.2 Der Zerfall des Locarnokompromisses in Deutschland ab 1930

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lichen Kräfte und den Umbau der Reichswehr nach außen hin abschirmen, brauchte man den Rheinpakt von Locarno, dem aber eben jene Tendenzen das Fundament entzogen. In der entmilitarisierten Zone am Rhein offenbarte sich das Dilemma ganz augenfällig, in welches das Auswärtige Amt sich mit seiner Politik manövrierte. Den Rheinpakt zu erhalten erforderte, die Bestimmungen der Artikel 42 und 43 des Versailler Vertrages zu beachten, wozu die Diplomaten ihre Bereitschaft im In- und Ausland erklärten. In Wahrheit fehlten dem Auswärtigen Amt die Mittel, dem zunehmenden Druck der Militärs standzuhalten und das Reichswehrministerium an illegalen Maßnahmen, die auf eine „kalte Militarisierung“209 des Rheinlandes abzielten, zu hindern. So trat am 9. Oktober 1930 der Reichswehrminister mit der Bitte an das Auswärtige Amt heran, fortan Militärtransporte durch das Gebiet der entmilitarisierten Zone zu erlauben, weil damit Kosten gespart werden könnten210 . Bülow konnte gegen solche Transporte nur protestieren, sie aber nicht verhindern211 . Gleichzeitig häuften sich die französischen Beschwerden über Reichswehr- und Polizeimanöver in der Zone. Als der französische Botschafter im September 1932 Bülow mit den Informationen, die Paris über deutsche Verstöße gegen die Artikel 42 und 43 des Versailler Vertrages gesammelt hatte, konfrontierte, gab dieser vor, keine Ahnung davon zu haben. Zwar versprach Bülow, sogleich Untersuchungen einzuleiten212 , aber die von Köpke wenige Wochen später dem französischen Botschafter übermittelte Note, in welcher die Behauptungen Frankreichs kategorisch abgestritten wurden, lag ganz auf der Linie der Abschirmungspolitik, die das Auswärtige Amt nunmehr praktizierte213 . In welchem Ausmaß das Auswärtige Amt die Verfügungsgewalt über die entmilitarisierte Zone verlor, zeigen zwei weitere Vorfälle, die sich bereits Ende der zwanziger Jahre abgespielt haben. Erstens war dies das Verfahren zur Entsendung von Militärkapellen ins Rheinland. Gemäß einem Abkommen aus dem Jahr 1927 sollten die Deutschen Reichswehrkapellen bei der Pariser Botschafterkonferenz anmelden, bevor diese in der entmilitarisierten Zone spielen durften214 . Nach dem letzten Zusammentritt der alliierten Botschafterkonfe209 210 211 212

213 214

Geyer: Aufrüstung, S. 385. Groener an Curtius, Berlin, 9. 10. 1930, PA AA, R 33532. Bülow an das Reichswehrministerium, Berlin, 5. 11. 1930, ebenda. Aufzeichnung Bülow, Berlin, 6. 9. 1932, PA AA, R 29452; François-Poncet an Herriot, Berlin, 6. 9. 1932, Documents Diplomatiques Français 1932–1939 (künftig: DDF), 1. Serie (1932–1935), Bd. I: 19. Juli–14. November 1932, Paris 1964, Nr. 147, S. 275. Vermerk Köpke, Berlin, Oktober 1932, PA AA, R 29452; François-Poncet an Herriot, Berlin, 27. 10. 1932, DDF, 1. Serie, Bd. 1, Nr. 280, S. 597f. Mitteilung an die Presseabteilung, Berlin, 29. 6. 1927, PA AA, R 74525; AdR Marx III/ IV, Bd. 1, Nr. 6, S. 12. Dem Modus vivendi von 1927 war ein jahrelanger Streit darüber vorangegangen, ob die Spielmannszüge der Reichswehr als forces armées im Sinne der

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2. Die Ausgangslage (1925–1933)

renz im Januar 1931 begann das Reichswehrministerium, Musikkapellen in solcher Zahl in die Rheinlandzone zu schicken, dass das Auswärtige Amt nicht mehr hinterherkam, die Konzerte in Paris zur Genehmigung vorzulegen. Auf eine Beschwerde des französischen Botschafters hin bat das Auswärtige Amt, die Reichswehr möge die Auftritte von Militärkapellen einschränken, aber ohne Erfolg215 . Daraufhin erklärten die Vertreter des Auswärtigen Amtes in einer Besprechung mit den Militärs im Sommer 1933, ehe man der Botschafterkonferenz verspätet Bescheid sage und damit den Unmut der Alliierten auf sich zöge, sei es klüger, gar nichts zu sagen und darauf zu hoffen, dass die Reichswehrkapellen unbemerkt blieben216 . Zweitens war dies das Stahlhelmverbot im Rheinland und in Westfalen vom Oktober 1929. Obwohl bekannt war, dass sich rheinländische Stahlhelmgruppen illegal am Grenz- und Landesschutz in der entmilitarisierten Zone beteiligten, griffen die preußische Regierung und das Auswärtige Amt nicht ein217 . Erst als der Stahlhelm am 21. und 22. September 1929 bei Langenberg eine große Grenzschutzübung abhielt, sah sich die preußische Regierung – nach Absprache mit dem Auswärtigen Amt, das keine Bedenken erhob218 – gezwungen, den Stahlhelm im Rheinland und in Westfalen zu verbieten und am 8. Oktober aufzulösen219 . Sofort brach ein Sturm der Entrüstung in Deutschland los. Deutschnationale und völkische Gruppen warfen der preußischen Regierung „Verfassungsbruch“ vor und forderten in einer Interpellation im Reichstag die Aufhebung des Verbots. Gleichzeitig bombardierten sie den Reichspräsidenten, seines Zeichens Ehrenmitglied im Bund der Frontsoldaten, mit Briefen und Eingaben, um ihn für eine Verbotsaufhebung zu gewinnen. Hindenburg verschloss sich den Bitten der Kameraden nicht und bearbeitete nun seinerseits den Reichskanzler, den Stahlhelm wieder zuzulassen220 . Hindenburg drohte sogar damit, seine Teilnahme an den Feiern zur Rheinlandräumung abzusagen,

215

216 217 218 219

220

Artikel 42 und 43 des Versailler Vertrages zu gelten hätten, vgl. das Material in PA AA, R 28358 k; PA AA, R 74525. PA AA, R 74530. Vgl. J. Heideking: Areopag der Diplomaten. Die Pariser Botschafterkonferenz der alliierten Hauptmächte und die Probleme der europäischen Politik 1920–1931 (Historische Studien, Bd. 436), Husum 1979 (Diss. phil. Tübingen 1978). Aufzeichnung Bülow, Berlin, 10. 6. 1933, PA AA, R 74530; Aufzeichnung Köpke, Berlin, 20. 6. 1933, ebenda. Aufzeichnung Grzesinski, Berlin, 24. 10. 1929, BArch, R 43 I/2734; Aufzeichnung, o. V., [Berlin], o. D. [Dezember 1929], BArch, R 43 I/2735. Schubert an Köpke, Berlin, 15. 10. 1929, PA AA, R 29154 k; Chefbesprechung, 30. 10. 1929, AdR Müller II, Bd. 2, Nr. 333, S. 1073–1083. König an Severing, Berlin, 26. 9. 1929, PA AA, R 29154 k; Bülow an Severing, Berlin, 30. 9. 1929, ebenda; Marshall-Cornwall an Rumbold, London, 9. 12. 1929, BDFA, II, F, Bd. 40, Nr. 167, S. 386ff. Vgl. ausführlich V. R. Berghahn: Der Stahlhelm. Bund der Frontsoldaten 1918–1935, Düsseldorf 1966, S. 136ff. u. S. 148ff. Hindenburg an Müller, Berlin, 22. 10. 1929, BArch, R 43 I/2734.

2.2 Der Zerfall des Locarnokompromisses in Deutschland ab 1930

75

wenn das Stahlhelmverbot bis dahin nicht aufgehoben wäre221 . Daraufhin trafen sich unter Vermittlung Brünings Vertreter der preußischen Staatsregierung und des Stahlhelms, um über eine Aufhebung der Verbotsorder zu reden222 . Unterdessen hatte man im Auswärtigen Amt die Lust am Stahlhelmverbot verloren. Es sei der Eindruck entstanden, als ginge das Verbot auf das Amt zurück, so hieß es aus der Wilhelmstraße, dabei habe man nur um Prüfung gebeten, ob die Übung von Langenberg gegen die Bestimmungen der entmilitarisierten Zone verstoße223 . Man sei vom Stahlhelmverbot überrascht worden, notierte sich Pünder nach Rücksprache mit Forster, das Verbot schade der Linie des Auswärtigen Amtes, wonach den Militärverbänden im Westen kein militärischer Wert zukäme224 . Derart alleingelassen musste auch die preußische Regierung zurückrudern. Man werde den Stahlhelm im Rheinland wieder zulassen, schrieb Ministerpräsident Braun am 15. Juli 1930, wenn der Stahlhelm im Gegenzug erkläre, künftig auf „gesetzeswidrige Betätigung“ zu verzichten. Schon am folgenden Tag kam die Erklärung zustande, dass der Stahlhelm sich fortan wieder in der Rheinprovinz engagieren dürfe225 . Vor diesem Hintergrund klang die Erklärung Bülows, es bestünden in Deutschland keine Absichten, die entmilitarisierte Zone zu beseitigen, was man daran erkennen könne, dass lediglich Teil V des Versailler Vertrages durch eine Konvention ersetzt werden solle und nicht Teil III, der die Entmilitarisierungsbestimmungen enthielt, nicht überzeugend und war kaum dazu angetan, die Gemüter im Ausland zu beruhigen226 . Die vermeintliche Trennung der Teile III und V, die dem Staatssekretär als lahme Versicherung galt, hinderte deutsche Nationalisten jedenfalls längst nicht mehr, über die Beseitigung der Rheinlandzone, die über die Artikel 180 und 213 des Versailler 221 222 223 224 225

226

Hindenburg an Braun, Berlin, 15. 7. 1930, Ursachen und Folgen, Bd. VIII, Nr. 1718 c, S. 224f. Ebenda, Nr. 1718 e, S. 226. Pünder an Meissner, Berlin, 15. 10. 1929, BArch, R 43 I/2734; WTB-Meldung, 10. 10. 1929, PA AA, R 29154 k. Vermerk Pünder, Berlin, 15. 10. 1929, BArch, R 43 I/2734. Ministerbesprechung, 15. 7. 1930, AdR Brüning, Bd. 1, Nr. 79, S. 320f.; Braun an Hindenburg, Berlin, 15. 7. 1930, Ursachen und Folgen, Bd. VIII, Nr. 1718 d, S. 225f.; Amtliche Meldung über die Reise des Reichspräsidenten Hindenburg in das befreite Rheinland, 17. 7. 1930, ebenda, Nr. 1718 e, S. 226. Bülow an Scheffer, Berlin, 14. 9. 1932, ADAP, B, Bd. XXI, Nr. 52, S. 116. Zumal die Position des Auswärtigen Amtes in dieser Frage nicht einheitlich war. Auch die Bestimmungen über Helgoland waren im Teil III geregelt. Trotzdem vertrat das Auswärtige Amt später die Meinung, mit der Aufhebung des Teils V durch eine Rüstungskonvention kämen auch diese Bestimmungen in Wegfall, Aufzeichnung Bülow, Berlin, 29. 10. 1932, ADAP, B, Bd. XXI, Nr. 129, S. 276; Köpke an das Reichswehrministerium, Berlin, 22. 2. 1935, PA AA, R 32242.

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2. Die Ausgangslage (1925–1933)

Vertrages in den Teil V hineinragte, im Rahmen der Verhandlungen über die deutsche Gleichberechtigung zu spekulieren227 .

2.3 Locarno in den außenpolitischen Konzeptionen Frankreichs und Englands Neben den Verhandlungserfolgen der deutschen Diplomatie und der Abkehr der Reichswehr vom außenpolitischen Kurs Stresemanns war es die Locarnopolitik Frankreichs und Englands, die die Ausgangslage der deutschen Politik im Frühjahr 1933 prägte. Frankreich schien der Hauptprofiteur des Locarnopaktes zu sein. Die Sicherheitsversprechen des Locarnopaktes waren dreifach. Erstens enthielt der Rheinpakt die Verpflichtung des östlichen Nachbarn, Frankreich niemals anzugreifen. Zweitens übernahm Großbritannien eine Garantie für die Grenzen, wie sie in Versailles gezogen worden waren; damit hatte Frankreich den Ausfall des anglo-amerikanischen Garantiepaktes von 1919 scheinbar erfolgreich kompensiert. Drittens sicherte der Rheinpakt ausdrücklich den Bestand der entmilitarisierten Zone, deren Bestimmungen das Reich diesmal freiwillig anerkannte228 . Bald aber wurde den Verantwortlichen in Paris bewusst, dass diese Bestimmungen allein nicht ausreichen würden, Deutschland dauerhaft in Schach zu halten. Der Rückzug der alliierten Truppen vom Rhein, die beginnende Aufrüstung der Reichswehr sowie die härtere Gangart der deutschen Regierungen unter Brüning, Papen und Schleicher bedrohten zunehmend die Sicherheit Frankreichs, was der Locarnopakt nicht verhindern konnte. Folgerichtig drehten sich die Bemühungen der Franzosen darum, Locarno zu verstärken. Im Kern ging es den Franzosen darum, ein System von Sicherheit zu errichten, das ihnen militärischen Beistand in den ersten Tagen eines Krieges gewährte (denn genau dies leistete Locarno nicht)229 . Diese Versuche kreisten um Ideen, ein festes System von Konsultationen aller Locarnopartner zu installieren oder den in Artikel 4 des Rheinpaktes stipulierten Beistand effizienter und schneller zu gestalten, indem man sich im Voraus mit Brüssel und London auf gemeinsame Operationspläne verständigte230 . Zu diesem Zweck setzte die französische Diplomatie die Belgier fortwährend unter Druck, sich auch in Zukunft zu den Abmachun227

228 229 230

Mehrmann an Schwendemann, Berlin, 12. 12. 1932, PA AA, R 32248. Artikel 180 des Versailler Vertrages bestimmte die Abrüstung und Schleifung aller innerhalb der entmilitarisierten Rheinlandzone befindlichen Festungen. Aufzeichnung des 2. Büros des Generalstabes, Paris, 27. 6. 1934, SHD, 7 N 3559. Tyrrell an Simon, Paris, 7. 6. 1933, TNA, FO 411/16. Wobei sich die französische Regierung selbst nicht im Klaren war, ob sie Generalstabsbesprechungen als mit dem Rheinpakt vereinbar ansehen wollte oder nicht. Ging man in

2.3 Locarno in den außenpolitischen Konzeptionen Frankreichs und Englands

77

gen des Militärakkords von 1920 zu bekennen, und richtete ihre Fühler über den Kanal, um London zu derartigen Vereinbarungen zu bewegen. So setzte im Sommer 1932 der Generalsekretär im französischen Außenministerium einem britischen Gesprächspartner die Pistole auf die Brust, um eine britische Erklärung zur entmilitarisierten Zone zu erhalten. Jede Konzession an Deutschland werde neue Forderungen hervorrufen, so prophezeite Léger, und so werde es bald zu einer flagranten Verletzung der entmilitarisierten Rheinlandzone kommen. England und Frankreich, so seine Forderung, müssten gemeinsam den Deutschen sagen: „Thus far and not further.“231 Die französische Locarnokonzeption hatte aber auch ihre Schwächen. Tatsächlich stand Locarno im Schnittpunkt zweier widerstreitender Konzeptionen, die nur scheinbar eine „harmonische Verbindung“232 eingingen. Bestand der „Geist von Locarno“ auf der einen Seite in dem Bestreben, Sicherheit durch einen Ausgleich mit Deutschland zu erringen, wurde auf der anderen Seite mit der Unterzeichnung der Bündnisverträge mit Warschau und Prag die Linie der französischen Politik festgeschrieben, die Sicherheit gegen Deutschland erlangen wollte233 . Letztlich bestätigte Locarno nur den deadlock234 der französischen Politik, da Paris weder bereit war, den politischen Preis für die deutsche Sicherheitsgarantie zu bezahlen (Revision von Versailles; Abrüstung), noch über die militärischen Möglichkeiten verfügte, die Sicherheitsversprechen an seine östlichen Alliierten notfalls im Alleingang – London hatte in Locarno keine Grenzgarantie für Osteuropa übernommen – zu erfüllen. Dieses Dilemma wurde bald nach der Unterzeichnung Locarnos im Verhältnis zu Brüssel offenbar. Indem der Rheinpakt das Ende der belgischen Neutralität festschrieb, wurde Locarno zur Charta des internationalen Statuts Belgiens, das seine Rechte und Verpflichtungen bestimmte. Deshalb war die belgische Führung 1933 wie eh und je entschlossen, am Rheinpakt von Locarno festzuhalten. König Albert und Ministerpräsident Vandervelde sagten dem deutschen

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Paris allgemein von der Zulässigkeit zweiseitiger Absprachen aus, gab es nichtsdestotrotz stets Gegenstimmen, die das leugneten. Im Mai 1934 legte eine Denkschrift des Außenministeriums fest, militärische Absprachen müssten parallel mit England und Deutschland erfolgen, damit „die Symmetrie von Locarno gewahrt bleibt“, DDF, 1. Serie, Bd. VI, Nr. 265, S. 578–581; Aufzeichnung, o. V., für Gamelin, Paris, 11. 1. 1933, SHD, 7 N 3559. Campbell an Simon, Paris, 23. 8. 1932, TNA, FO 371/15939; DBFP, 2. Serie, Bd. IV, Nr. 46, S. 102. Aufzeichnung Köpke, Berlin, 1. 7. 1935, PA AA, Botschaft Paris 464 b; Taylor: Ursprünge, S. 76. Vgl. P. Jardin: Locarno und Frankreichs Nachkriegskonzeption, in: Schattkowsky: Locarno, S. 53–65, hier S. 65. A. P. Adamthwaite: France and the coming of the Second World War 1936–1939, London 1977, S. 21.

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2. Die Ausgangslage (1925–1933)

Gesandten im Februar, Belgien stehe fest zu Locarno235 ; für Belgien gelte: „Tout Locarno, mais rien que Locarno.“236 Dagegen hatte Brüssel nichts einzuwenden, wenn sich die Großmächte über Locarno hinaus vertraglich banden, wie das z. B. im Viererpakt der Fall war237 . Um aber nicht ins französische Schlepptau zu geraten, geschweige denn den Eindruck zu vermitteln, man sei ein Bündnis mit Paris eingegangen238 , betrieb Brüssel innerhalb des Locarnogefüges eine Politik der Äquidistanz zu allen Nachbarn239 . Zu dieser Politik gehörte es, Deutschland über den wahren Wert des französisch-belgischen Bündnisses zu beruhigen, indem man ihm den Charakter technischer Absprachen zur Umsetzung des Locarnofalls verlieh240 . Dadurch verhinderte Brüssel gleichzeitig, an die Leine Frankreichs gelegt zu werden. Auch der Streit um die Frage, ob Frankreich unter Locarno das Recht besaß, seine Truppen durch belgisches Staatsgebiet zu senden – was Brüssel bestritt –, diente dazu, sich französischen Avancen in der Sicherheitsfrage zu entziehen. Damit betrieb Belgien eine „Neutralitätspolitik ohne neutral zu sein“241 , die ihren sinnfälligsten Ausdruck darin fand, dass die belgischen Diplomaten versuchten, den Casus foederis unter Locarno auf solche Fälle zu beschränken, in denen belgisches Territorium unmittelbar verletzt wurde242 . 235 236 237 238

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Lerchenfeld an das Auswärtige Amt, Brüssel, 25. 2. 1933, ADAP, C, Bd. I, 1, Nr. 39, S. 82– 84. Cartier an Hymans, London, 24. 2. 1933, DDB, Bd. III, Nr. 11, S. 56. Bräuer an das Auswärtige Amt, Brüssel, 28. 12. 1933, PA AA, R 32235. Diesen Gedanken hätte der Wortlaut des Artikels 2 des Rheinpaktes nahelegen können, wonach auf der einen Seite Deutschland, auf der anderen Seite Frankreich und Belgien ihren Verzicht auf Angriff und Krieg aussprachen. Von den belgischen Versuchen, den Text zu modifizieren, nahmen die Großmächte keine Notiz, Hymans an Gaiffier, Brüssel, 17. 2. 1933, DDB, Bd. III, Nr. 6, S. 39–48; Zuylen: Les Mains, S. 213f. Richthofen an das Auswärtige Amt, Brüssel, 4. 8. 1936, DGFP, C, Bd. V, Nr. 494, S. 867– 869. Deren Zulässigkeit unter Locarno die belgische Regierung niemals bezweifelte, AdR Luther, Bd. 2, Nr. 173, S. 677; Telegramm Bräuer, Brüssel, 3. 3. 1931, PA AA, R 53009; Aufzeichnung Köpke, Berlin, 7. 3. 1931, ADAP, B, Bd. XVII, Nr. 4, S. 18–20; DDB, Bd. II, Nr. 239, S. 699ff.; DDF, 1. Serie, Bd. II, Nr. 394, S. 788f.; Aufzeichnung, o. V., o. O., o. D. [November 1930], Bundesarchiv Koblenz (künftig: BAK), N 1310/95; Die deutsche Gesandtschaft in Brüssel an das Auswärtige Amt, Brüssel, 8. 2. 1936, PA AA, R 70242; DBFP, 1a. Serie, Bd. I, Nr. 143, S. 249–251; DDF, 2. Serie, Bd. I, Nr. 54, S. 80f. P.-H. Spaak: Memoiren eines Europäers, Hamburg 1969, S. 31f.; vgl. J. Willequet: Die Regierung König Alberts und die Wiederaufrüstung Deutschlands 1932–1934, in: Becker/ Hildebrand: Weltwirtschaftskrise, S. 129–153, hier S. 129f. In Berlin tendierte man dazu, diese Seite der belgischen Politik zu übersehen. In einer grundlegenden Analyse vom Dezember 1932 urteilte der deutsche Gesandte, Brüssel sei durch den französisch-belgischen Militärpakt fest an das westliche Lager gebunden, und prognostizierte, Belgien werde sich umso mehr an Paris anlehnen, je mehr die deutsche Stärke zunehme. Dies allein garantiere, so Lerchenfeld, dass eine französische Militäraktion zur Verteidigung Belgiens bereits bei der Verletzung der entmilitarisierten Zone

2.3 Locarno in den außenpolitischen Konzeptionen Frankreichs und Englands

79

Als Hitler im Januar 1933 die Macht errang, stand diese Diskussion gerade an ihrem Anfang. Eine weitere Schwäche der französischen Locarnokonzeption bestand darin, dass die widersprüchliche Haltung zur entmilitarisierten Zone eine klare Linie erschwerte. In Paris herrschte Uneinigkeit darüber, wie hoch der Wert der Zone als Schutzfaktor zu veranschlagen sei. Eine Strömung sah in der Entmilitarisierung des Rheinlandes nur eine funktionale Größe, indem ein Verstoß gegen sie als Bündnisfall eines multilateralen Sicherheitspaktes galt, der als eigentliche Sicherheit interpretiert wurde243 ; dagegen erblickte eine andere Strömung in der Entmilitarisierung an sich bereits eine so vornehme Garantie französischer Sécurité, dass ihre Bestätigung durch das Reich als größter Gewinn Locarnos empfunden wurde244 . Auf dieser Linie lag es, für den Erhalt der Zone zu kämpfen, indem man für permanente Überwachungsorgane eintrat oder in der Zone Investigationen gemäß Artikel 213 des Versailler Vertrages forderte. Indes besaßen beide Strömungen keine Antwort auf die Frage, welche Rolle die entmilitarisierte Zone für die Landesverteidigung spielen sollte. Während das Institut der Entmilitarisierung dazu gedacht war, durch offensive Vorstöße ins Reich eine kriegerische Drohung präventiv zu bekämpfen und den Krieg auf deutschen Boden zu tragen245 , begünstigten der Kriegsverzicht des Rheinpaktes und der Bau der Maginotlinie, der Ende der zwanziger Jahre begann, ein strategisches Denken, das den Einsatz der französischen Armee darauf beschränkte, defensiv das französische Mutterland zu verteidigen246 . Folgerichtig stammten die letzten Pläne zu einer pris des gages, d. h. zu einer Besetzung deutschen Gebiets als Reaktion auf einen deutschen Vertragsbruch, aus dem

243

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245 246

einsetze, Lerchenfeld an das Auswärtige Amt, Brüssel, 10. 12. 1932, ADAP, B, Bd. XXI, Nr. 216, S. 457. So z. B. Herriot an Fleuriau, Paris, 6. 1. 1933, AMAEE, Série Z, La rive gauche du Rhin, Bd. 265 u. 266; V. M. Milenkovitch: Le Problème de la Sécurité Européenne d’après les Accords de Locarno. Etude de droit international public, Paris o. J. [1927], S. 44. Dieser Meinung waren u. a. Daladier und Paul-Boncour, DDF, 1. Serie, Bd. IV, Nr. 175, S. 298f.; BDFA, II, F, Bd. 36, Nr. 106, S. 87–89; BDFA, II, F, Bd. 43, Nr. 168, S. 282ff.; J. PaulBoncour: Entre Deux Guerres. Souvenirs sur la Troisième République, Bd. II: Les lendemains de la victoire 1919–1934, Paris 1945, S. 101; ders.: Entre Deux Guerres. Souvenirs sur la Troisième République, Bd. III: Sur les Chemins de la Défaite 1935–1940, Paris 1946, S. 30. Tagebuch Weygand, September 1931, F. Guelton (Hg.): Le „Journal“ du Général Weygand 1929–1935, Montpellier 1998, S. 221; vgl. Watt: Rhineland, S. 244. Vgl. ausführlich M. S. Alexander: In Defence of the Maginot Line. Security policy, domestic politics and the economic depression in France, in: R. Boyce (Hg.): French Foreign and Defence policy, 1918–1940. The decline and fall of great power, London u. New York 1998, S. 164–194; M. Vaïsse: La ligne stratégique du Rhin (1919–1930). De la réalité au mythe, in: K.-G. Faber et al. (Hg.): Problèmes de la Rhénanie 1919–1930. Die Rheinfrage nach dem Ersten Weltkrieg. Actes du Colloque d’Otzenhausen 14–16 Octobre 1974, Metz 1975, S. 1–13; Thomas: Appeasement, S. 14; Michalon/Vernet: Crise, S. 308f.

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2. Die Ausgangslage (1925–1933)

Sommer 1932. Damals unterschied der Generalstab zwischen der „Operation Saar“, die eine schnelle Besetzung Saarbrückens und Merzigs vorsah, und der „Operation Rheinland“, die einen raschen Vorstoß über Trier auf die Linie Koblenz-Kaiserslautern-Landau (einschließlich der Besetzung Luxemburgs) zum Inhalt hatte. Diese Pläne wurden seitdem nicht mehr überarbeitet und im April 1935 vollends aufgegeben247 . Zu diesen konzeptionellen Unzulänglichkeiten kam das Problem, dass die Sicherheiten aus dem Rheinpakt nur solange von Wert waren, wie die deutsche Führung ebenfalls daran festhielt. Die Franzosen hatten ein Gespür dafür, wie Politiker und öffentliche Meinung in Deutschland zum Rheinpakt standen. So registrierte man besorgt, wie sich die deutschen Kabinette seit Brüning sukzessive von den Vorgaben der Locarnopolitik Stresemanns entfernten248 . Daher versuchte Paris, die Deutschen durch eine Neufassung Locarnos wieder an die kurze Leine zu legen. In diesem Sinne erklärte François-Poncet im Auswärtigen Amt, Locarno habe seine volle Wirkung noch nicht erreicht, man solle prüfen, ob Ergänzungen möglich seien. So ein „Neuanstrich Locarnos“, wie Poncet es nannte, könne etwa in einem den Rheinpakt ergänzenden Konsultationsabkommen bestehen249 . Auf der Abrüstungskonferenz kamen von Seiten der französischen Delegation immer wieder Vorschläge, Deutschland solle das in Locarno gegebene Versprechen, die Ostgrenzen nicht mit Waffengewalt zu ändern, wiederholen250 . Und noch im März 1933 appellierte Paul-Boncour an die Adresse Berlins, die deutsch-französische Einigung mit den „Methoden Locarnos“ zu erreichen251 . Dies hätte aus Sicht Frankreichs den Vorteil gehabt, das Minus an Sicherheit, das die Rheinlandräumung im Sommer 1930 gebracht hatte, wieder auszugleichen. Indessen bewirkten diese Entwicklungen, dass die entmilitarisierte Zone 247

248

249 250 251

Vgl. Schuker: Remilitarization, S. 329; W. Wiese: Frankreich und die Remilitarisierung des Rheinlandes, in: J. Köhler et al. (Hg.): Lokale Konflikte und internationale Spannungen. Zur Haltung der Großmächte zum Aggressionskrieg in Äthiopien und zur Rheinlandbesetzung (1935/36). Kolloquium der Sektion Geschichte der Humboldt-Universität zu Berlin am 6. Februar 1986, Berlin 1986, S. 62–68, hier S. 63; R. A. Doughty, The Seeds of Disaster. The development of French army doctrine 1919–1939, Hamden/Connecticut 1985, S. 36; Michalon/Vernet: Crise, S. 295f. Vgl. die Berichte über französische Besorgnisse in: Curtius an Hoesch, Berlin, 7. 8. 1930, PA AA, R 29512; Telegramm der deutschen Botschaft in Paris, Paris, 12. 8. 1930, PA AA, R 74587; Aufzeichnung Massigli, Paris, 15. 8. 1930, AMAEE, Série Z, La rive gauche du Rhin, Bd. 265 u. 266; Campbell an Henderson, Paris, 13. 8. 1930, BDFA, II, F, Bd. 41, Nr. 95, S. 203f. Aufzeichnung Bülow, Berlin, 15. 3. 1932, PA AA, R 29451; Aufzeichnung Bülow, Berlin, 13. 5. 1932, ADAP, B, Bd. XX, Nr. 82, S. 180. Dufour-Feronce an Bülow, Genf, 12. 6. 1932, PA AA, R 29518. Köster an das Auswärtige Amt, Paris, 25. 3. 1933, PA AA, R 28470; Artikel Paul-Boncour, Paris, o. D., PA AA, R 53009.

2.3 Locarno in den außenpolitischen Konzeptionen Frankreichs und Englands

81

in Frankreich bald als Hauptgarantie der französischen Sicherheit galt. Im Quai d’Orsay sah man sie deshalb als „besonders unantastbare Bestimmung“252 , deren Beachtung den Deutschen umso schwerer fallen musste, je argwöhnischer die Franzosen ins Rheintal blickten. Wenige Tage nach der „Machtergreifung“ meldete sich Köster mit warnenden Worten aus Paris. Die Entmilitarisierung des Vorgeländes sei eine zentrale Voraussetzung der französischen Sicherheit, schrieb er in seinem Bericht vom 3. Februar 1933, jedes deutsche Vorgehen dort würde als Auftakt einer offensiven Politik gegenüber Frankreich interpretiert werden253 . Ähnlich widersprüchlich wie die Konzeption Frankreichs präsentierte sich die britische Locarnostrategie. Obwohl sich London mit der Unterschrift zu Locarno bereit erklärt hatte, die entmilitarisierte Zone als vitales britisches Interesse anzuerkennen254 , hatte Chamberlain den Service Departments untersagt, operative Pläne für den Fall einer Verletzung der Artikel 42 und 43 des Versailler Vertrages auszuarbeiten255 . Der schlechte Zustand der britischen Streitkräfte machte die militärische Umsetzung der Locarnoverpflichtungen ohnehin undenkbar256 . Das Foreign Office maß den Erfolg Locarnos allein in politischen Parametern. Die Ziele, die man mit Locarno verband, waren der Wunsch, den Völkerbund zu stärken und die allgemeine Abrüstung zu ermöglichen. Der Pakt sollte die Unabhängigkeit Belgiens sichern und Paris von Alleingängen gegen Deutschland abhalten257 . Außerdem knüpfte sich die Absicht an Locarno, Deutschland als gleichberechtigten Partner in den Kreis der Großmächte zurückzuführen und bildete damit einen wichtigen Hebel der sich abzeichnenden Appeasementkonzeption258 . Gleichzeitig war Locarno, 252 253 254 255

256

257 258

Hoesch an das Auswärtige Amt, Paris, 12. 8. 1930, PA AA, R 74587. Köster an das Auswärtige Amt, Paris, 3. 2. 1933, PA AA, R 32040. BDFA, II, F, Bd. 36, Nr. 194, S. 176–180; DBFP, 1. Serie, Bd. XXVII, Nr. 385, S. 623f.; Foreign Office Aufzeichnung, London, 10. 1. 1926, DBFP, 1a. Serie, Bd. I, Nr. 1, S. 9. Man erinnere sich an den berühmten Satz Chamberlains, Locarno sei ein Friedens-, kein Kriegspakt, vgl. Emmerson: Rhineland, S. 24. Vgl. auch Foreign Office Memorandum, London, 16. 5. 1935, TNA, FO 371/18840. Die mangelnden Rüstungen waren eine Auswirkung der so genannten Ten Year Rule. Ihr zu Folge sollte das britische Kabinett beim Entwurf von Haushaltsplänen davon ausgehen, „dass das britische Imperium während der nächsten zehn Jahre in keinen großen Krieg verwickelt wird und dass kein Expeditionskorps für diesen Zweck erforderlich ist.“ Zit. bei Schmidt: Außenpolitik, S. 37. Sargent an Simon, London, 3. 11. 1933, TNA, FO 371/16741. Vgl. G. Niedhart: Großbritannien und die Sowjetunion 1934–1939. Studien zur britischen Politik der Friedenssicherung zwischen den beiden Weltkriegen (Veröffentlichungen des Historischen Instituts der Universität Mannheim, Bd. 2), München 1972, S. 169. Zur Appeasementkonzeption vgl. ausführlich: G. Niedhart: Appeasement: Die britische Antwort auf die Krise des Weltreichs und des internationalen Systems vor dem Zweiten Weltkrieg, in: HZ 226 (1978), S. 67–88; ders.: Friede als nationales Interesse. Großbritannien in der Vorgeschichte des Zweiten Weltkrieges, in: NPL XVII (1972), S. 451–470;

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2. Die Ausgangslage (1925–1933)

wie scharfsinnige Beobachter bemerkten, der Ursprung des No commitmentGedankens259 . England verweigerte jedes Engagement in Osteuropa und war in Westeuropa nicht bereit, Verpflichtungen über die Bestimmungen Locarnos hinaus auf sich zu nehmen. Aus diesem Grund wollte London nicht an Generalstabsgesprächen oder technischen Abkommen teilnehmen260 . Zwischen diesen gegensätzlichen Zielen wurde die britische Locarnopolitik zerrieben. Dass es nicht gelungen war, die belgische Sicherheit abzustützen, zeigte der Versuch Brüssels, die britische Locarnogarantie durch den Abschluss eines britisch-belgischen Sonderabkommens zu verstärken. Derlei Bemühungen setzten kurz nach der Unterzeichnung Locarnos ein. Im Dezember 1925 meldete der britische Botschafter aus Brüssel, die Belgier hätten bei ihm wegen technischer Arrangements zur Umsetzung der Locarnogarantie angefragt261 . Im Foreign Office war man gar nicht erfreut. Tyrrell und Lampson ließen die Belgier lapidar wissen, man möchte keine Stabsgespräche haben. Ähnlich wies Chamberlain einen weiteren Fühler aus dem Jahre 1927 zurück. Britischbelgische Stabsgespräche seien keine natürliche Folge der französisch-belgischen Treffen, so instruierte Chamberlain seinen Vertreter in Brüssel, denn diese basierten auf der französisch-belgischen Militärkonvention und nicht auf Locarno. Die dort von England übernommene Rolle als Garant schließe es im Gegenteil aus, solche bilateralen Gespräche abzuhalten. Alle Anfragen Vanderveldes seien zurückzuweisen262 . Erst die Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933 und der deutsche Austritt aus dem Völkerbund im Oktober verliehen dem belgischen Wunsch, London fest an sich zu binden, neue Schubkraft. Genauso wenig war es der britischen Locarnopolitik gelungen, Frankreich auf eine Politik der Zusammenarbeit und der moralischen Abrüstung festzulegen. Europa sei „still riddled with pre-war thought“, musste Vansittart im Mai 1930 das Scheitern der britischen Locarnokonzeption einräumen, trotz Locarno führe Frankreich seine Politik weiter im Stile der alten Diplomatie, die sich auf Militärallianzen und Machtgleichgewichte stütze263 .

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R. A. C. Parker: Chamberlain and Appeasement. British policy and the coming of the Second World War, Neuausg., Basingstoke u. a. 2001; Schmidt: Außenpolitik, S. 232–243; B.-J. Wendt: Economic Appeasement. Handel und Finanz in der britischen DeutschlandPolitik 1933–1939, Düsseldorf 1971. R. Cecil: A Great Experiment. An Autobiography by Viscount Cecil, New York 1941, S. 167ff. DBFP, 1a. Serie, Bd. III, Nr. 211, S. 330f. Grahame an Chamberlain, Brüssel, 12. 12. 1925, DBFP, 1a. Serie, Bd. I, Nr. 143, S. 249– 251. Chamberlain an Grahame, London, 24. 5. 1927, DBFP, 1a. Serie, Bd. III, Nr. 211, S. 330f. Aufzeichnung Vansittart, London, 1. 5. 1930, DBFP, 1a. Serie, Bd. VII, Appendix, S. 834– 852.

2.3 Locarno in den außenpolitischen Konzeptionen Frankreichs und Englands

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Schließlich musste die britische Locarnopolitik scheitern, weil London sich weigerte, praktische Schritte zur Sicherung der entmilitarisierten Zone zu unternehmen. Bereits im Sommer 1929 erklärte ein britischer Diplomat, die Rheinzone sei nicht mehr von „vital importance to Britsh interests“ und warnte davor, in eine Zwickmühle zu geraten, wenn die Franzosen London zu einer gemeinsamen Aktion wegen der Zone auffordern sollten264 . Damit ruhte der Bestand der Rheinlandzone, den die Briten in Locarno zugesichert hatten, nach 1930 allein auf dem goodwill der Deutschen oder der Bereitschaft der Franzosen, ins Rheinland einzumarschieren265 ; England hatte keinen Einfluss mehr auf die Entwicklung266 . Nach 1933 trat die Diskrepanz zwischen rechtlichen Verpflichtungen und politischen Interessen, die die britische Locarnopolitik kennzeichnete, immer deutlicher zu Tage. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten und nach dem deutschen Austritt aus dem Völkerbund wurde es praktisch undenkbar, dass die englische Regierung Deutschland unter Locarno zu Hilfe kam, um gegen Frankreich zu kämpfen. Es sei absurd zu glauben, so brachte Lord Lothian dieses Dilemma auf den Punkt, dass die britische Armee ein von den Nationalsozialisten beherrschtes Deutschland gegen ein demokratisches Frankreich verteidigen würde267 . Umgekehrt wurde es zunehmend unwahrscheinlicher, dass England in der Lage sein würde, Frankreich zu Hilfe zu kommen. Seit 1930 wiesen die Chiefs of Staff wiederholt darauf hin, es sei angesichts der Schwäche der britischen Armee ausgeschlossen, die in Locarno übernommenen Beistands-

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Nicolson an Sargent, Berlin, 7. 8. 1929, DBFP, 1a. Serie, Bd. VI, Nr. 294, S. 488–490. Vgl. C. Barnett: The Collapse of British Power, London 1972, S. 336; Meyers: Remilitarisierung, S. 316; G. Schmidt: Strategie und Außenpolitik des „Troubled Giant“, in: MGM 14 (1973), S. 200–220, hier S. 220. Schon im Herbst 1929 hatte eine Studie des War Office offengelegt, dass die Reichswehr in dem Augenblick, wo die alliierte Besetzung ende, Schritte unternehmen werde, um die Entmilitarisierungsbestimmungen zu unterlaufen, z. B. Grenzschutz, geheime Luftabwehr oder speziell trainierte Polizeieinheiten, Aufzeichnung Calthrop, London, 26. 9. 1929, TNA, WO 190/71. Die ganze Hilfslosigkeit Londons offenbarte sich in einem Schreiben Sargents vom August 1929. Gegen den Druck der Reichswehr und der deutschen Öffentlichkeit auf Abschaffung der Zone könne man nichts ausrichten, urteilte er, am besten wäre es, die Rheinlandzone rücke ein paar Jahre in den Hintergrund. Man könne dann hoffen, dass sich in dieser Zeit „etwas tut“, z. B. ein Gesinnungswandel in Deutschland, die Zone um des höheren Gutes (Locarno) willen zu respektieren, oder die Bereitschaft Frankreichs, eine entmilitarisierte Zone im Elsass zu akzeptieren, DBFP, 1a. Serie, Bd. VI, Nr. 325, S. 554–556. Vgl. auch Chamberlain an Hilda, London, 9. 11. 1930, A. Chamberlain: The Austen Chamberlain Diary Letters. The correspondence of Sir Austen Chamberlain with his sisters Hilda and Ida, 1916–1937, hg. v. R. C. Self (Camden Fith Series, Bd. 5), Cambridge 1995, S. 359: „In this last 12 months or so, Great Britain seems to have lost all influence on the Continent [and] at Geneva.“ Vgl. J. R. M. Butler: Lord Lothian (Philip Kerr) 1882–1940, London 1960, S. 199.

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2. Die Ausgangslage (1925–1933)

verpflichtungen im Ernstfall zu erfüllen268 . Aber genau dieser Fall rückte nach der NS-Machtergreifung immer näher, und die britische Führung musste bald einsehen, dass der moral value der britischen Locarnogarantie allein nicht im Stande war, den Frieden Europas zu wahren.

2.4 Die deutsche Diskussion um eine mögliche Revision der entmilitarisierten Zone um 1932/33 Schließlich wurde die Ausgangslage der Regierung Hitler im Januar 1933 von der Tatsache geprägt, dass um die Jahreswende 1932/33 eine internationale Debatte über die Gültigkeit Locarnos tobte. Dies betraf zwei Fälle. Als sich sofort nach der Fünfmächteerklärung vom 11. Dezember 1932 die ersten Stimmen in Deutschland (z. B. im Bendlerblock269 ) meldeten, Deutschland solle unter Verweis auf die Gleichberechtigung die Beseitigung der Rheinlandzone fordern270 , fragte der französische Botschaftsrat Arnal einen Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes an Weihnachten 1932, ob die deutsche Regierung jetzt die entmilitarisierte Zone auf die Agenda setzen wolle, und kündigte eine offizielle Demarche nach Neujahr an271 . Auch die Briten – angestachelt von den Franzosen272 – argwöhnten, die Deutschen wollten die Zone in Kürze beseitigen. Der britische Botschafter berichtete Mitte Januar 1933 über die deutschen Revisionsforderungen nach London. Deutschland sei verärgert, so fasste Rumbold die Stimmung im Land zusammen, über Grenzverstärkungen in Ostfrankreich, während die Entmilitarisierung deutschen Gebiets andauere; so werde nie echte Gleichheit erreicht273 . Vor dem Hintergrund dieser Meldungen sondierten Briten und Franzosen in den ersten Januartagen angestrengt, wie die deutsche Position zur entmilitarisierten Zone aussah. In Berlin bedrängte Poncet nacheinander Köpke, Bülow und Nadolny, sie sollten ihm sagen, wie es um die deutschen Revi268 269 270

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Aufzeichnung, o. V., London, 31. 3. 1931, TNA, CAB 24/220. Vgl. ausführlich Barnett: Collapse, S. 298, S. 337 u. S. 342f. Aufzeichnung Nadolny, Berlin, 13. 1. 1933, ADAP, B, Bd. XXI, Nr. 256, S. 541. Entsprechende Pressekommentare befinden sich in PA AA, R 32248; AMAEE, Série Z, La rive gauche du Rhin, Bd. 265 u. 266. So forderte der deutsche Publizist Hellmut v. Gerlach auf einer Vortragsreise durch Frankreich die Einrichtung einer beiderseits der Grenze entmilitarisierten Zone, Vermerk Voigt, Berlin, 10. 2. 1933, PA AA, R 74530. Vgl. M. Salewski: Zur deutschen Sicherheitspolitik in der Spätzeit der Weimarer Republik, in: VfZ 22 (1974), S. 121–147, hier S. 138. Aufzeichnung Woermann, Berlin, 24. 12. 1932, PA AA, R 70102. Herriot an Fleuriau, Paris, 6. 1. 1933, AMAEE, Série Z, La rive gauche du Rhin, Bd. 265 u. 266. Rumbold an Simon, Berlin, 10. 1. 1933, DBFP, 2. Serie, Bd. IV, Nr. 274, S. 484f.

2.4 Die deutsche Diskussion um eine Revision der entmilitarisierten Zone 1932/33

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sionsforderungen stünde274 , und Köster berichtete aus Paris, er sei darauf angesprochen worden, ob das Reich die Frage der Entmilitarisierung auf der Genfer Abrüstungskonferenz anschneiden wolle275 . Am 6. Januar 1933 versicherte zwar Schleicher dem französischen Botschafter bei einem Gespräch in der Reichskanzlei, Deutschland habe zurzeit kein Interesse daran, die Frage der neutralen Zone in Genf oder anderswo anzuschneiden276 ; aber Ende Januar 1933 wurde der Druck auf Deutschland zu groß. Nachdem die Gerüchte nicht verstummen wollten, sah sich das Auswärtige Amt am 21. Januar 1933 dazu veranlasst, in einem offiziellen Kommuniqué mitzuteilen, dass das Deutsche Reich nicht beabsichtige, die Frage der entmilitarisierten Zone am Rhein auf der Genfer Abrüstungskonferenz auf die Tagesordnung zu setzen277 . „Die Frage der entmilitarisierten Rheinlandzone“, hieß es in dem entsprechenden Erlass für Nadolny vom 19. Januar 1933, „ist auf der Abrüstungskonferenz im Hinblick auf die Folgen, die sich hieraus für das Weiterbestehen des LocarnoRheinpaktes ergeben könne, nicht anzuschneiden.“278 Damit war die entmilitarisierte Zone kein Thema in Genf279 , und selbst Neuraths Idee, „gelegentlich auf Ungleichheit und Ungerechtigkeit“ der entwaffneten Zone hinzuweisen280 , war kaum noch umzusetzen. Der zweite Fall ereignete sich wenige Wochen später. Auf Anregung des britischen Außenministers war in die Genfer Fünfmächteerklärung vom 11. Dezember 1932 ein Passus aufgenommen worden, wonach sich Deutschland, Frankreich, England und Italien bereiterklärten, Streitfragen künftig unter keinen Umständen mit Gewalt zu lösen281 . Die sich anschließenden Verhandlungen über eine förmliche Gewaltverzichtserklärung, den so genannten No Force-Pakt, begannen im Februar 1933 im Politischen Ausschuss der Abrüstungskonferenz. Auf dem Tisch lag zunächst eine Formel des griechischen Völkerrechtlers Politis, die der deutsche Verhandlungsführer Göppert annehmbar fand. Doch davon wollte man im Auswärtigen Amt nichts wissen. Unter der Führung von Gaus hatte man sich hier entschieden, eine harte Linie zu fahren und keiner Fassung zuzustimmen, die einer nochmaligen Bestäti274

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ADAP, B, Bd. XXI, Nr. 241, S. 509–511, Nr. 262, S. 557ff. u. Nr. 262, S. 559 Anm. 6. Rumbold sprach derweil mit Vertretern des Reichswehrministeriums über die Frage, Rumbold an Sargent, Berlin, 11. 1. 1933, TNA, FO 371/16729. PA AA, R 32040. Aufzeichnung Planck, Berlin, 6. 1. 1933, Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik. Das Kabinett Schleicher (1932/33) (künftig: AdR Schleicher), bearbeitet von A. Golecki, Boppard a. Rh. 1986, Nr. 46, S. 191–194; Aufzeichnung Thorne, Berlin, 18. 1. 1933, BDFA, II, J, Bd. 4, Nr. 68, S. 155–157. Rumbold an Sargent, Berlin, 25. 1. 1933, TNA, FO 371/16729. ADAP, B, Bd. XXI, Nr. 256, S. 541 Anm. 9. Strantz an Bülow, Berlin, 23. 1. 1933, PA AA, R 29473. Neurath an Nadolny, Berlin, 10. 1. 1933, BA-MA, RH 2/980. Berber: Diktat, Bd. 2, Nr. 405, S. 1083.

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2. Die Ausgangslage (1925–1933)

gung der entmilitarisierten Zone gleichkommen würde282 . Das Konzept schien aufzugehen, als es Göppert und Rheinbaben in einer Unterredung mit Mitgliedern der britischen Delegation am 23. Februar gelang, Verständnis für die deutsche Haltung zu wecken283 . Doch das reichte nicht aus. Kurz zuvor hatte die französische Delegation einen eigenen Vorschlag für einen No Force-Pakt präsentiert, der eine Bestätigung aller bestehenden Verträge enthielt284 . In der Sitzung vom 23. Februar lehnte Göppert, auf Grund der Weisungen von Gaus, den Entwurf ab. Wie ein Konferenzteilnehmer berichtete, sprang Göppert mit einer theatralischen Geste auf und rief: „Sprechen Sie nicht davon [von der entmilitarisierten Zone]! Sie können nicht von uns verlangen, noch einmal eine solche einseitige Bestimmung zu unterschreiben.“285 Nach diesem Eklat warfen Franzosen und Belgier den Deutschen vor, sich von Locarno sowie den Bestimmungen der Artikel 42 und 43 des Versailler Vertrages lösen zu wollen286 . Erstaunt über den starken Gegenwind, der ihnen ins Gesicht blies, versuchten die Mitglieder der deutschen Delegation sofort neue Instruktionen aus Berlin zu erhalten. Niemand erwarte, dass Deutschland nochmals die „einseitig übernommenen Klauseln des Locarnopaktes“ bestätige, schrieb Nadolny am 24. Februar an das Auswärtige Amt, aber wenn das Reich auf materielle Änderungen Locarnos bestünde, „könnte der Eindruck entstehen, als ob wir die ganze Frage der Rheinlandzone jetzt aufrollen und überdies diese Aktion zum Ausgangspunkt für ein Vorgehen gegen den Locarnopakt (. . . ) nehmen wollten“287 . Neurath antwortete postwendend, es bestünden im Auswärtigen Amt keine Absichten, Locarno zu ändern. Der deutsche Standpunkt gehe dahin, so Neurath, eine Formel zu erhalten, die auf den Kelloggpakt verwies288 . 282

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Göppert an Gaus, Genf, 18. 2. 1933, PA AA, R 29461; Aufzeichnung Gaus, Berlin, 20. 2. 1933, PA AA, R 53933. Ehemalige Weggefährten bestätigen, dass sich Gaus schon kurz nach der Machtergreifung durch eine „stramme“ und unnachgiebige Haltung ausgezeichnet habe, vgl. W. Haas: Lebenserinnerungen, Privatdruck, o. O., o. J., S. 91. Göppert an Gaus, Genf, 23. 2. 1933, PA AA, R 53933. Aloisi an Mussolini, Genf, 21. 2. 1933, I Documenti Diplomatici Italiani (künftig: DDI), 7. Serie: 1922–1935, Bd. XIII (1.. Januar–15. Juli 1933), Rom 1989, Nr. 122, S. 124f.; DDF, 1. Serie, Bd. II, Nr. 361, S. 716–718. Aufzeichnung Bourquin, Genf, März 1933, DDB, Bd. III, Nr. 14, S. 61–65. Im Original auf Französisch. Vgl. auch Tagebuch Aloisi, 23. 2. 1933, P. Aloisi: Journal (25 juillet 1932– 14 juin 1936). Traduit de l’italien par M. Vaussard. Introduction et notes par M. Toscano, Paris 1957, S. 70; vgl. C. Loosli-Usteri: Geschichte der Konferenz für die Herabsetzung und die Begrenzung der Rüstungen 1932–1934. Ein politischer Weltspiegel, Zürich 1940, S. 331. Paul-Boncour an Fleuriau, Paris, 1. 4. 1933, DDF, 1. Serie, Bd. III, Nr. 75, S. 128–130; Lerchenfeld an das Auswärtige Amt, Brüssel, 25. 2. 1933, ADAP, C, Bd. I, 1, Nr. 39, S. 82f.; DDI, 7. Serie, Bd. XIII, Nr. 122, S. 124f. Vgl. auch die Artikel der belgischen Presse in: PA AA, R 70241. Nadolny an das Auswärtige Amt, Genf, 24. 2. 1933, ADAP, C, Bd. I, 1, Nr. 36, S. 77–79. Neurath an Nadolny, Berlin, 24. 2. 1933, ebenda, Nr. 37, S. 79–81.

2.4 Die deutsche Diskussion um eine Revision der entmilitarisierten Zone 1932/33

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So stand es auch in dem Memorandum, das noch am selben Tag den Briten übergeben wurde. Man zweifle nicht an Locarno, hieß es da, aber man wolle die No Force-Erklärung auch nicht unnötig komplizieren, sondern denke an eine einfache Erklärung, möglicherweise in Anlehnung an den Kelloggpakt289 . Auf diese Weise gelang es tatsächlich, ein drohendes Scheitern der Verhandlungen abzuwenden, als Eden kurz darauf mit einer Formel hervortrat, die genau jene Bekräftigung der Kelloggverpflichtungen enthielt, auf die es die Deutschen abgesehen hatten290 .

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DBFP, 2. Serie, Bd. IV, Nr. 282, S. 497f.; BDFA, II, J, Bd. 4, Nr. 78, S. 172. Abgedruckt bei Bruns: Verträge, Bd. 2, II, Nr. XIII, E, g, S. 503. Vgl. Göppert an das Auswärtige Amt, Genf, 25. 2. 1933, ADAP, C, Bd. I, 1, Nr. 38, S. 81f.; Gibson an Stimson, Genf, 2. 3. 1933, FRUS, 1933, Bd. I, S. 21. Vgl. H.-J. Rautenberg: Deutsche Rüstungspolitik vom Beginn der Genfer Abrüstungskonferenz bis zur Wiedereinführung der Allgemeinen Wehrpflicht 1932–1935, Diss. phil. Bonn 1973, S. 122f.

3. Die Haltung Hitlers und der Reichswehr zum Rheinpakt von Locarno und zur entmilitarisierten Zone (1933–1936) Am 7. März 1936 saß Thomas Mann vor seinem Rundfunkgerät und hörte, wie Hitler vor der Welt die „Kündigung“ Locarnos und die Besetzung der entmilitarisierten Zone bekanntgab. „Grässlich“, fand er Hitlers Sprache, „aber schlau“; Hitler spreche von „Ehre und Frieden“ in einer „Mischung aus larmoyanter Biederkeit und Verdrehung“. Damit, meinte Mann, der noch vor Kurzem über einen Putsch der Armee spekuliert hatte, sei das Regime wieder gerettet1 . Aber steckten wirklich jene „innerdeutschen Vorgänge“ hinter der Rheinlandaktion, wie Mann vermutete, oder vollzog Hitler nur die planmäßige „Kündigung“ eines Vertrages2 , von dem er bereits in den zwanziger Jahren geschrieben hatte, er bedeute „unseren Tod“3 ? Bereits wenige Tage nach seiner Amtsübernahme hatte Hitler dem Reichsaußenminister, dem Reichswehrminister und einigen hochrangigen Generälen4 Vortrag über seine außenpolitischen Ziele gehalten5 . Exakt auf der Linie liegend, die er schon in den zwanziger Jahren in seinen Büchern „Mein Kampf “ und dem so genannten „Zweiten Buch“ dargelegt hatte, führte er aus, er wolle das Russische Reich in einem großen Lebensraumkrieg vernichten und dort deutsche Kolonisten ansiedeln, um dadurch die Lebensgrundlage des deutschen Volkes auf lange Zeit zu sichern6 . Innenpolitische Voraussetzungen für 1

Tagebuch Mann, 22. 1. 1936, Th. Mann: Tagebücher 1935/36, hg. v. P. de Mendelssohn, Frankfurt/M. 1978, S. 245; Tagebuch Mann, 7. 3. 1936, ebenda, S. 268f. 2 So schrieb Braubach im Jahr 1955: „Als unzweifelhaft kann man auch ohne eindeutigen Quellenbeleg annehmen, dass in Hitlers außenpolitischem Programm von vornherein die baldmögliche Annullierung der Artikel des Versailler Vertrags und der entsprechenden Festsetzungen von Locarno über die Entmilitarisierung der deutschen Grenzlande im Westen vorgesehen war.“ Braubach: Einmarsch, S. 7. 3 Hitler: Kampf, Bd. 2, S. 761; ders.: Reden, Schriften, Anordnungen Februar 1925 bis Januar 1933, Bd. II: Vom Weimarer Parteitag bis zur Reichstagswahl Juli 1926. Mai 1928, Teil 2: August 1927. Mai 1928, hg. v. B. Dusik, München 1992, Nr. 258, S. 787. 4 Eine Tischordnung findet sich in BArch, 43/4018. 5 Abgedruckt bei T. Vogelsang: Neue Dokumente zur Geschichte der Reichswehr 1930–1933, in: VfZ 2 (1954), S. 397–436, Nr. 8, S. 434f.; A. Wirsching: „Man kann nur Boden germanisieren“ Eine neue Quelle zu Hitlers Rede vor den Spitzen der Reichswehr am 3. Februar 1933, in: VfZ 49 (2001), S. 517–550. Vgl. auch die literarische, aber nichtsdestoweniger auf authentischen Quellen fußende Darstellung bei H. M. Enzensberger: Hammerstein oder der Eigensinn. Eine deutsche Geschichte, Frankfurt/M. 2008. 6 A. Hitler: Mein Kampf, Bd. 1: Eine Abrechnung, München 341 1938, S. 143ff.; ders.: Kampf, Bd. 2, S. 757; A. Hitler: Hitlers Zweites Buch. Ein Dokument aus dem Jahr 1928 (künftig:

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3. Die Haltung Hitlers und der Reichswehr

dieses asiatische Armageddon und dem Lebensraumkrieg zeitlich vorgeschaltet waren nach Meinung Hitlers der innere Umbau des deutschen Staatswesens, die Ausrottung des Marxismus sowie die „Wiederwehrhaftmachung“ des Reiches7 . Diese Phase war die Achillesferse im „Stufenplan“ Hitlers8 , denn hier würde sich zeigen, „ob Frankreich Staatsmänner hat“; dann nämlich, so war Hitler überzeugt, würde Frankreich nicht tatenlos zusehen, wie das Reich sich bewaffnete, sondern würde die Aufrüstung Deutschlands durch einen Präventivkrieg stoppen9 . Eine Lösung für dieses Dilemma hatte er indes nicht anzubieten. Da Hitler glaubte, dass die Sicherheit des Reiches niemals durch völkerrechtliche Verträge10 , sondern nur militärisch zu gewährleisten sei, und Frankreich, solange es nicht auf kriegerischem Wege niedergerungen war, stets eine Bedrohung im Westen sei, fand er sich wohl oder übel damit ab, dass es Sicherheit für das Reich erst nach dem Abschluss seines außenpolitischen Programms geben könne11 . In diesem Sinne lehnte Hitler auch den Locarnopakt als Mittel der französisch-deutschen Aussöhnung ab, weil er Deutschland weder in den Besitz „brachialer Machtmittel“12 brachte, um die Ausgangslage für einen Krieg gegen Frankreich zu verbessern, noch würde er Frankreich im Ernstfall davon abhalten, nach Deutschland einzumarschieren13 . Der Locarnopakt, für den Lü-

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Zweites Buch), eingeleitet und kommentiert von G. L. Weinberg, mit einem Geleitwort von H. Rothfels (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, Bd. 7), Stuttgart 1961, S. 218. Wörtlich schrieb er: „Außenpolitik ist die Kunst, einem Volk den Lebensraum zu sichern.“ Vogelsang: Dokumente, Nr. 8, S. 434f.; Hitler: Kampf, Bd. 1, S. 368; ders.: Kampf, Bd. 2, S. 688; Zweites Buch, S. 111. Hillgruber prägte diesen Begriff für das außenpolitische Programm Hitlers, vgl. Schmidt: Außenpolitik, S. 125. Vogelsang: Dokumente, Nr. 8, S. 434; Zweites Buch, S. 160. Zur Einstellung Hitlers zum Völkerrecht, insbesondere zum Selbstbestimmungsrecht der Völker vgl. J. Fisch: Adolf Hitler und das Selbstbestimmungsrecht der Völker, in: HZ 290 (2010), S. 93–118; ders.: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Die Domestizierung einer Illusion, München 2010; L. Palleit: Völkerrecht und Selbstbestimmung. Zum Begriff des Selbstbestimmungsrechts der Völker in der deutschen und österreichischen Völkerrechtswissenschaft 1918–1933, Baden-Baden 2008. Hitler: Kampf, Bd. 2, S. 695f. u. S. 699; Zweites Buch, S. 82, S. 113, S. 146–148, S. 150 u. S. 160; Rede auf einer NSDAP-Versammlung in München, 17. 4. 1928, Hitler: Reden, Bd. II, 2, Nr. 258, S. 781. Aussage vor dem Landgericht München I, 14. 2. 1930, ders.: Reden, Schriften, Anordnungen. Februar 1925 bis Januar 1933, Bd. III: Zwischen den Reichstagswahlen Juli 1928 bis September 1930, Teil 3: Januar 1930 bis September 1930, hg. v. Ch. Hartmann, München 1995, Nr. 13, S. 72f. Weiter führte Hitler aus, er bekämpfe Locarno nicht, weil der Vertrag einen Verzicht bedeute, sondern weil dieser Verzicht kein praktisches Ergebnis bewirkt habe. Hitler: Reden, Bd. III, 3, Nr. 6, S. 34. Vgl. die Ansicht Ritter v. Epps (Leiter des Wehrpolitischen Amtes der NSDAP), Frankreich habe niemals die Absicht besessen, Locarno einzuhalten, zit. bei K.-M. Wächter: Die Macht der Ohnmacht. Leben und Politik des Franz

3. Die Haltung Hitlers und der Reichswehr

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gen „Vorspanndienste“ leisten mussten, war aus der Sicht Hitlers kein Vertrag, sondern eine Erpressung, und er war nicht bereit, diesen Pakt anzuerkennen14 . Außerdem schrieb Locarno die Entmilitarisierung des Rheinlandes fest, „ohne dass der Gegner dasselbe tut“, was Hitler „unerhört“ fand15 . Deshalb erklärte Hitler schon am 3. Februar 1933, er beabsichtige, die entmilitarisierte Zone abzuschaffen, weil dies eine „Vorbedingung zur Schaffung einer starken Wehrmacht“ sei16 . Der Ausweg, auf den Hitler verfiel, war eine „Politik der Täuschungen“17 und der Camouflage. Der erste Begriff verweist auf die in zahlreichen „Friedensreden“ eingesetzte Strategie, die friedlichen Absichten Deutschlands zu betonen und gleichzeitig ein Bild der Stärke vorzugaukeln, um das Ausland von kriegerischen Aktionen gegen das Reich abzuhalten18 . Den Erfolg dieser Strategie umschrieb Goebbels im Jahr 1940 so: „Bis jetzt ist es uns gelungen, den Gegner über die eigentlichen Ziele Deutschlands im unklaren zu lassen (. . . ). [M]an hat uns durch die Gefahrenzone hindurch gelassen. (. . . ) 1933 hätte ein französischer Ministerpräsident sagen müssen (und wäre ich französischer Ministerpräsident gewesen, ich hätte es gesagt): der Mann ist Reichskanzler geworden, der das Buch ,Mein Kampf‘ geschrieben hat, in dem das und das steht. Der Mann kann nicht in unserer Nachbarschaft geduldet werden. Entweder er verschwindet, oder wir marschieren. Das wäre durchaus logisch gewesen. Man hat darauf verzichtet. Man hat uns gelassen, man hat uns durch die Risikozone ungehindert durchgehen lassen, und wir konnten alle gefährlichen Klippen umschiffen, und als wir fertig waren, gut gerüstet, besser als sie, fingen sie den Krieg an.“19

Dazu kam der Wille Hitlers, die deutsche Aufrüstung im Verborgenen zu betreiben. Es sei Unsinn, so erläuterte er am 3. Februar 1933 die Marschroute, in Genf auf die Gleichberechtigung zu pochen und damit die deutschen Rüstun-

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Xaver Ritter von Epp (1868–1946) (Europäische Hochschulschriften, III, Bd. 824), Frankfurt/M. 1999 (Diss. phil. Bonn 1997), S. 146. Hitler: Reden, Bd. III, 3, Nr. 109, S. 398; Aufzeichnung über eine Unterredung mit Hitler, Führerhauptquartier, 18. 1. 1942, A. Hitler: Monologe im Führerhauptquartier 1941–1944. Die Aufzeichnungen Heinrich Heims, hg. v. W. Jochmann, Hamburg 1980, Nr. 99, S. 213. Hitler: Reden, Bd. II, 2, Nr. 258, S. 788. Vgl. auch Hitlers Aussagen gegenüber dem britischen Botschafter im Dezember 1933, Tagebuch Phipps, 5. 12. 1933, G. Johnson (Hg.): Our man in Berlin. The diary of Sir Eric Phipps, 1933–1937, Basingstoke u. New York 2008, S. 32–34. Aufzeichnung Richter, Hamburg, 20. 12. 1959, IfZ, ZS 1954. So der Titel eines Buches zur NS-Pressepolitik: F. Sänger: Politik der Täuschungen. Missbrauch der Presse im Dritten Reich. Weisungen, Informationen, Notizen 1933–1939, Wien 1975. Vgl. ausführlich W. Wette: Ideologien, Propaganda und Innenpolitik als Voraussetzungen der Kriegspolitik des Dritten Reiches, in: Deist/Messerschmidt/Volkmann/Ders.: Weltkrieg, Bd. I, S. 23–173. Zit. bei Schmidt: Außenpolitik, S. 25.

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gen offenzulegen. Besser sei, im Geheimen zu rüsten, um erst dann hervorzutreten, wenn alle Rüstungsmaßnahmen vollendet seien20 . Auf Grund dieser Schwächen in seinem Programm und seiner anfänglichen Unsicherheit auf diplomatischem Parkett hielt Hitler im Frühjahr 1933 an Locarno fest und folgte damit seinen Beratern aus dem Auswärtigen Amt21 . Dazu gehörte, den Wert der vertraglichen Sicherheit im Westen, der durch die Garantie Locarnos geschaffen wurde, außerordentlich zu betonen, um gleichzeitig auf die Gefahren im Osten hinzuweisen, wo eine solche Regelung fehlte22 . Sich ganz auf dieser Linie bewegend erläuterte Hitler dem italienischen Botschafter in einem seiner ersten Empfänge als Reichskanzler, Deutschland verlasse sich bei einem französischen Angriff voll auf die britisch-italienische Garantie des Rheinpaktes. Eine solche Garantie wünsche er sich auch für den Osten, so Hitler, aber solange London nicht bereit sei, Commitments in Osteuropa zu übernehmen, brauche Deutschland die Hilfe Russlands gegen Polen23 . Ähnlich ließ sich Hitler am 8. April 1933 gegenüber Norman Davis, dem amerikanischen Delegationsführer auf der Genfer Abrüstungskonferenz, vernehmen. Dem Loblied auf Locarno folgte der Hinweis Hitlers, dass Deutschland einen solchen Schutz im Osten nicht genieße, sondern der ständigen Gefahr einer polnischen Attacke ausgesetzt sei24 . Schließlich bekräftigte er in seiner Reichstagsrede vom 17. Mai die Absicht, Deutschland werde alle übernommenen Sicherheitsverpflichtungen einhalten25 . Im Herbst 1933, als die Genfer Abrüstungskonferenz in die entscheidende Phase ging, nutzte Hitler jede Gelegenheit, die Geltung Locarnos zu bekräftigen26 . Am 14. September 1933 erklärte Neurath gegenüber 20

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Mellenthin an Foertsch, München, 4. 6. 1951, IfZ, ZS 105. Ganz in diesem Sinne sprach Hitler im Kabinett am 9. Februar 1933 davon, die deutsche Aufrüstung sei so lange zu tarnen, bis das Reich stark genug wäre, um Bündnisse mit anderen Nationen einzugehen, AdR Hitler, Bd. I, 1, Nr. 19, S. 63. Zu Nadolny soll der Reichskanzler im Frühjahr 1933 gesagt haben, er, Hitler, verstehe nichts von Außenpolitik und werde sich erst in einigen Jahren darum kümmern, R. Nadolny: Mein Beitrag, Wiesbaden 1955, S. 130. Dieser Kniff gehörte zum Standardprogramm deutscher Staatsleute seit der Regierung Brüning, DBFP, 2. Serie, Bd. I, Nr. 188, S. 324; Denkschrift des Reichsinnenministeriums, Berlin, 17. 2. 1930, AdR Müller II, Bd. 2, Nr. 448, S. 1463. Cerruti an Mussolini, Berlin, 15. 2. 1933, DDI, 7. Serie, Bd. XIII, Nr. 95, S. 98–100. In den deutschen Akten findet sich keine Aufzeichnung über diese Unterredung. Aufzeichnung Davis, Berlin, 8. 4. 1933, FRUS, 1933, Bd. I, S. 85–89. Domarus: Hitler, Bd. I, 1, S. 276. Zur Taktik Hitlers, in der ersten Zeit den Vorgaben des Auswärtigen Amtes zu folgen, gehörte es, dass er die Verlängerung der Fakultativklausel, die Anfang 1933 anstand, ausdrücklich billigte. Am 9. Februar 1933 unterzeichnete der deutsche Vertreter in Genf ein Protokoll, das die Bindung des Reiches an die Fakultativklausel um weitere fünf Jahre verlängerte, Aufzeichnung Kordt, Berlin, 10. 2. 1933, PA AA, R 29461; Keller an das Auswärtige Amt, Genf, 9. 2. 1933, PA AA, R 28431; Aufzeichnung Lohmann, Berlin, 5. 1. 1938, PA AA, R 43132.

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dem französischen Botschafter, das Reich habe nicht die Absicht, an Locarno zu rütteln; tags darauf wiederholte Hitler – im Beisein Neuraths – diese Aussage27 . Kurze Zeit später arbeitete die Abteilung II sogar an einer offiziellen Erklärung, weder Locarno noch die entmilitarisierte Zone in Frage stellen zu wollen, die jedoch nicht veröffentlicht wurde28 . Auch nach dem Verlassen des Völkerbundes hielt Hitler an Locarno fest. Am 24. November 1933 erklärte er dem französischen Botschafter, Locarno sei ein frei ausgehandelter Vertrag und die deutsche Regierung werde nicht daran rütteln29 . Im Dezember 1933 gaben die Deutschen den Italienern die Versicherung, Deutschland werde den Locarnopakt nicht in Zweifel ziehen. So erklärten die Vertreter der Reichswehr auf einer Tagung deutscher und italienischer Militärs, die entmilitarisierte Zone werde in den diplomatischen Gesprächen zur Abrüstungsfrage nicht berührt, weil sie durch den Vertrag von Locarno garantiert sei30 . Im Februar 1934 erklärten Hitler und Neurath gegenüber dem französischen Botschafter, Deutschland fühle sich an Locarno gebunden31 . Das gleiche bekam Eden zu hören, als er am 20. und 21. Februar 1934 zu Rüstungsgesprächen in Berlin weilte32 . Zusätzlich gab Hitler dem englischen Abgesandten weitreichende Versicherungen über den militärischen Charakter von SA und SS, die geeignet waren, französische Befürchtungen hinsichtlich der entmilitarisierten Zone zu zerstreuen33 . Am 9. März 1934 versicherte Hitler auch dem Gesandten Belgiens, der seit eini-

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DDF, 1. Serie, Bd. IV, Nr. 212, S. 358f. u. Nr. 215, S. 365–367; François-Poncet: Botschafter, S. 154. Aufzeichnung Schwendemann, Berlin, 12. 10. 1933, PA AA, R 32040; Vermerk Köpke, Berlin, 13. 10. 1933, ebenda. DDF, 1. Serie, Bd. V, Nr. 52, S. 105f.; DBFP, 2. Serie, Bd. VI, Nr. 79, S. 123–125 u. Nr. 295, S. 433f. Aufzeichnung, o. V., Berlin, 13. 12. 1933, PA AA, R 32235. Phipps an Simon, Berlin, 18. 2. 1934, DBFP, 2. Serie, Bd. VI, Nr. 295, S. 433f.; FrançoisPoncet an Barthou, Berlin, 15. 2. 1934, DDF, 1. Serie, Bd. V, Nr. 392, S. 725–727; FrançoisPoncet an Paul-Boncour, Berlin, 16. 2. 1934, ebenda, Nr. 393, S. 727–729. Demnach traf der französische Botschafter am 15. Februar 1934 auf Neurath und am folgenden Tag auf Hitler, die ihm beide versicherten, die deutsche Regierung beabsichtige, an Locarno festzuhalten. Die deutschen Akten enthalten keine Aufzeichnungen über diese Unterredungen. Unmittelbares Ergebnis der Besprechungen war jedoch eine Sprachregelung Neuraths, in welcher er erklärte, dass „wir die Gültigkeit [des] Locarnovertrags nicht in Frage gestellt haben.“ ADAP, C, Bd. II, 2, Nr. 266, S. 493. AdR Hitler, Bd. I, 2, Nr. 305, S. 1143–1149 u. Nr. 307, S. 1156–1159; Phipps an Simon, Berlin, 21. 2. 1934, DBFP, 2. Serie, Bd. VI, Nr. 302, S. 448f.; A. Eden (Earl of Avon): Angesichts der Diktatoren. Memoiren 1923–1938, Köln u. Berlin 1962, S. 89. ADAP, C, Bd. II, 2, Nr. 271, S. 504. Hitler war bereit, folgende Bestimmungen für die Behandlung der SA zu akzeptieren: Kein Waffenbesitz; keine Ausbildung an der Waffe; keine Felddienstübungen; keine Zusammenziehung in Lagern; keine Verwendung von Ausbildungspersonal der Reichswehr.

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ger Zeit auf eine deutsche Erklärung drängte, Deutschland stehe voll und ganz zum Rheinpakt34 . Dass die Bekenntnisse Hitlers, am Locarnovertrag festzuhalten, durchaus ernst gemeint waren, verdeutlichen mehrere Indizien. Erstens spielte Hitler im Herbst 1933 mit dem Gedanken, den Locarnopakt als taktischen Trumpf einzusetzen, wie der Verlauf der Rüstungsgespräche zeigt. Nach dem Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund verlagerte sich das Geschehen von Genf weg in die Hauptstädte der Großmächte, wo um eine Fortsetzung der Rüstungsverhandlungen gerungen wurde. Am 18. Dezember 1933 trat Hitler mit einem eigenen umfassenden Rüstungsvorschlag hervor, der darauf abzielte, die deutsche Aufrüstung im Zusammenspiel mit England und gegen den Willen Frankreichs international zu legalisieren35 . Sollte es aber gelingen, London weg von Paris zu bringen36 , war Deutschland gezwungen, den Locarnopakt zu bekräftigen, was der britische Botschafter schon im November als Voraussetzung für eine Rüstungskonvention genannt hatte37 . „Hitler taktiert gut“, resümierte Goebbels den Erfolg von Hitlers Vertragstreue, „England am Scheidewege, schon halb von Frankreich weg.“38 Ebenfalls eine Rolle spielte der Locarnopakt in den Verständigungsbemühungen gegenüber Frankreich39 , die Hitler in die Formel der „Generalbereinigung“40 goss. Er griff damit Überlegungen auf, die ein Jahr zuvor der damalige 34

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DGFP, C, Bd. II, Nr. 310, S. 580; vgl. P. Klefisch: Das Dritte Reich und Belgien 1933–1939 (Europäische Hochschulschriften, III, Bd. 351), Frankfurt/M. u. a. 1988 (Diss. phil. Köln 1987), S. 56f. Vgl. G. Meinck: Hitler und die deutsche Aufrüstung 1933–1937, Wiesbaden 1959, S. 55. Tagebuch Goebbels, 14. 12. 1933, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 2/III, S. 336. Tagebuch Phipps, 21. 11. 1933, Johnson: Phipps, S. 30. Im Dezember unterstrich Phipps diesen Punkt in einer Note an den Reichskanzler, Phipps an Hitler, Berlin, 20. 12. 1933, BArch, R 43 I/534. Tagebuch Goebbels, 16. 12. 1933, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 2/III, S. 338. Zu Hitlers Frankreichpolitik vgl. K. Hildebrand: Die Frankreichpolitik Hitlers bis 1936, in: Francia 5 (1977), S. 591–625; E. Jäckel: Frankreich in Hitlers Europa. Die deutsche Frankreichpolitik im Zweiten Weltkrieg (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, Bd. 14), Stuttgart 1966; ders.: Warum Frankreich Hitler nicht den Weg versperrte. Von der Remilitarisierung des Rheinlands bis zum Krieg, in: F. Knipping/E. Eisenfeld (Hg.): Eine ungewöhnliche Geschichte: Deutschland – Frankreich seit 1870, mit einem Geleitwort von L. Späth, Bonn 1988, S. 123–127; W. v. Schramm: . . . sprich vom Frieden, wenn du den Krieg willst. Die psychologischen Offensiven Hitlers gegen die Franzosen 1933 bis 1939. Ein Bericht, Mainz 1973. Größte Unterstützung für das Konzept der Generalbereinigung fand der Reichskanzler bei Ribbentrop. Der schlug im Jahr 1935 sowohl Frankreich als auch Polen umfassende Lösungen vor. Bei abschließender Klärung aller deutsch-polnischen Territorialfragen, so stellte er Paris in Aussicht, werde Deutschland auf Eupen und das Elsass verzichten und Garantieerklärungen an Holland und Belgien abgeben. Drei Jahre später schlug Ribbentrop dem polnischen Botschafter in einer Unterredung am 24. Oktober 1938 eine Generalbereinigung aller Differenzen vor. Diese sah vor die Rückgabe Danzigs an das Reich, eine

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Reichskanzler Papen angestellt hatte. Im Sommer 1932 hatte Papen Frankreich einen groß angelegten politisch-wirtschaftlichen Ausgleich vorgeschlagen, der in einem antisowjetischen Bündnisblock gipfeln sollte41 . Auf dieser Welle ritt nun Hitler. Eine deutsch-französische Generalbereinigung, so stellte er sich vor, würde in einer Klärung aller zwischenstaatlichen Streitigkeiten auf dem Wege der „unmittelbaren Verständigung“ bestehen42 . Sie könnte die Rüstungsfrage, die territorialen Differenzen und die Sicherheitsfrage mit einem Schlag einer Lösung zuführen. Vereinbarungen über eine Rüstungsbeschränkung, schrieb Hitler am 11. Dezember 1933 ganz auf dieser Linie liegend an den britischen Botschafter in Berlin43 , sollten „durch ein System gegenseitiger und allgemeiner Nichtangriffspakte“ gekrönt werden, die „all questions political, territorial and economic“ abdecken sollten44 . Derartig auf Gewaltanwendung verzichtend würde den europäischen Mächten die Pflicht auferlegt, alle Probleme „auf dem Wege des friedlichen diplomatischen Verkehrs“ zu lösen45 . In diesem Sinne hatte Hitler bereits im September 1933 zu dem französischen Journalisten Fernand de Brinon, einem Vertrauten von Ministerpräsident Edouard Daladier, Kontakt aufgenommen und dem Franzosen in einem Neunpunkteprogramm seine Vorstellungen einer deutsch-französischen Verständigung dargelegt, welches auch die Bestätigung Locarnos enthielt. Im Oktober wiederholte Hitler sein Angebot an Daladier, in vertraulichen Gesprächen den Grundstein zu einer deutsch-französischen Aussöhnung zu legen46 . Und Rib-

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exterritoriale Verkehrsanbindung Ostpreußens durch den Korridor und den Beitritt Polens zum Antikominternpakt. Als Gegenleistung bot das Reich eine Grenzgarantie für Polen, eine Verlängerung des Nichtangriffspaktes sowie die Einrichtung eines polnischen Freihafens in Danzig. Vgl. W. Michalka: Ribbentrop und die deutsche Weltpolitik 1933–1940. Außenpolitische Konzeptionen und Entscheidungsprozesse im Dritten Reich (Veröffentlichungen des Historischen Instituts der Universität Mannheim, Bd. 5), München 1980, S. 127f.; Schmidt: Außenpolitik, S. 317f. Elz: Quellen, Nr. 123, S. 219ff.; G. Tabouis: They called me Cassandra, New York 1973, S. 132f.; vgl. Graml: Präsidialkabinette, S. 208ff. A. François-Poncet: Der Weg von Versailles bis Potsdam. Geschichte der Jahre 1919 bis 1945, Mainz u. Berlin, 2., durchges. Aufl., 1964, S. 242. Hitler hat dieses Dokument – nach Beratungen mit Neurath und Blomberg – selbst abgefasst, ADAP, C, Bd. II, 1, Nr. 107, S. 185f. Phipps an Hitler, Berlin, 20. 12. 1933, BArch, R 43 I/534. Vgl. ausführlich R. Ahmann: Nichtangriffspakte: Entwicklung und operative Nutzung in Europa 1922–1939. Mit einem Ausblick auf die Renaissance des Nichtangriffsvertrages nach dem Zweiten Weltkrieg (Internationale Politik und Sicherheit, Bd. 23), Baden-Baden 1988. Hitler an Phipps, Berlin, 11. 12. 1933, ADAP, C, Bd. II, 1, Nr. 117, S. 194–198. François-Poncet an Paul-Boncour, Berlin, 19. 7. 1933, DDF, 1. Serie, Bd. IV, Nr. 16, S. 27; Bonnet: Républiques, S. 128f.; F. de Brinon: Mémoires, Paris 1949, S. 28 u. S. 50; vgl. R. W. Mühle: Frankreich und Hitler. Die französische Deutschland- und Außenpolitik 1933–1935, Paderborn 1995 (Diss. phil. Bonn 1993), S. 114ff. u. S. 122. Vgl. auch Bericht Mastny, Berlin, 21. 12. 1933, Berber: Akten, Nr. 17, S. 26.

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bentrop sekundierte in London, Deutschland sei bereit, auf Elsass-Lothringen zu verzichten, eine deutsch-französische Grenzgarantie zu unterzeichnen und einen Luftpakt abzuschließen47 . Der zweite Grund für Hitler, am Locarnopakt festzuhalten, war seine Angst vor einem französischen Einmarsch ins Ruhrgebiet48 . Während Frankreich unter Locarno keine Rechtstitel fand, in Deutschland einzumarschieren, um die deutsche Aufrüstung zu verhindern49 , konnte ein derartiger Vorstoß, so viel verstand Hitler von Locarno, praktisch nur als Antwort auf eine deutsche Verletzung der entmilitarisierten Zone erfolgen50 . Bereits in der Kabinettssitzung vom 14. Oktober 1933 wurde deshalb beschlossen, besondere Vorsichtsmaßnahmen für die entmilitarisierte Zone zu treffen. Die Anordnung des Reichskanzlers, die am 14. und 15. Oktober über Funk an alle maßgeblichen Stellen im Rheinland erging, lautete: „In Anbetracht der gespannten politischen Lage verbietet der Reichskanzler jede politische oder SA-, SS-, ST-Demonstration, Aufmarsch oder dergleichen in der entmilitarisierten Zone bis auf weiteres. Die staatlichen und kommunalen Polizeibehörden, die Gauleiter der NSDAP und die SA, SS- und ST-Führer in der entmilitarisierten Zone sind sofort zu verständigen.“51

Auf dieser Linie wurden der SA am 19. Oktober alle geländesportlichen Übungen in der entmilitarisierten Zone untersagt und am 3. November erging Anweisung an die Oberpräsidenten, den Zustand in der Zone scharf zu überwachen52 . Zur entscheidenden Weichenstellung kam es am 17. Oktober 1933. An diesem Tag befasste sich das Reichskabinett eingehend mit der Rheinlandzone53 . Dort gab Hitler die Parole aus, dass der „vertragsmäßige Zustand“ in der entmilitarisierten Zone bis auf Weiteres zu beachten sei, „um keine Handhabe für ein militärisches Eingreifen Frankreichs zu liefern“54 . 47 48 49

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Vgl. Schmidt: Außenpolitik, S. 159. DBFP, 2. Serie, Bd. VI, Nr. 101, S. 157 u. Nr. 177, S. 273f.; Hitler: Monologe, Nr. 186, S. 369; Dietrich: Hitler, S. 43. Tagebuch Rosenberg, 8. 6. 1934, H. G. Seraphim (Hg.): Das politische Tagebuch Alfred Rosenbergs aus den Jahren 1934/35 und 1939/40 (Quellensammlung zur Kulturgeschichte, Bd. 8), Göttingen 1956, S. 27. Aufzeichnung Liebmann über die Kommandeurbesprechungen am 15. und 18. Januar 1934, o. O., o. D., IfZ, ED 1, Bd. 1; Aufzeichnung Köpke, Berlin, 13. 11. 1933, PA AA, NL Renthe-Fink, Bd. 7. Aufzeichnung Frohwein, Berlin, 27. 10. 1933, PA AA, R 32040. Pfundtner an die Oberste SA-Führung, Berlin, 19. 10. 1933, PA AA, R 32040; AdR Hitler, Bd. I, 2, Nr. 230, S. 907 Anm. 16. Die Niederschrift in den Akten der Reichskanzlei (AdR Hitler, Bd. I, 2, Nr. 231, S. 908) enthält keine Ausführungen zur Rheinlandzone. Hinweise auf die Beratungsgegenstände finden sich aber in: Aufzeichnung Bülow, Berlin, 21. 10. 1933, PA AA, R 34015; Blomberg an Neurath, Berlin, 1. 11. 1933, ADAP, C, Bd. II, 1, Nr. 39, S. 60–62; Aktenvermerk Krüger, Berlin, 19. 10. 1933, IMT, Bd. XXIX, S. 10–12. Rede Hitler, 18. 10. 1933, Domarus: Hitler, Bd. I, 1, S. 317.

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Es müsse „alles unterbleiben, was der Gegenseite Anlass geben könnte, uns Verstöße vorzuwerfen“55 , denn „militärische Vorbereitungen in der entmilitarisierten Zone [könnten] großen Schaden anrichten“56 . Dieser Beschluss hatte mehrere Facetten. Hitler bestätigte damit das Verbot für alle Wehrverbände und Kriegervereine, in der entmilitarisierten Zone aktiv zu werden. Die SA sollte vollständig aus der Zone „zurückgeführt“ werden. Gleichzeitig kippte die Weisung Hitlers die Pläne der Reichswehr, einen umfassenden Grenzschutz im Westen aufzubauen57 . Außerdem bedeutete der Kabinettsbeschluss, dass die Frage der Aufhebung oder Abänderung der Vorschriften über die entmilitarisierte Zone in den kommenden Verhandlungen über die Rüstungsfrage nicht angeschnitten werden sollte58 . Der Schritt hatte auch eine innenpolitische Facette. Das Festhalten an Locarno erlaubte es Hitler, unter Verweis auf die Lage im Rheinland die militärischen Ambitionen der SA zu vertrösten. Dazu übertrug Hitler dem Reichswehrminister am 17. Oktober 1933 besondere Vollmachten, um „die wehrpolitischen Belange mit den Rücksichten der Außenpolitik in Einklang zu bringen“59 . Gedacht um die Einhaltung der Anordnungen in der Rheinlandzone zu sichern, dienten die Befugnisse aus Sicht der Militärs vor allem dazu, einen geordneten Aufbau des Grenzschutzes im Westen zu gewährleisten und sich gegen die Ambitionen der SA in Stellung zu bringen. An dieser Marschroute änderte sich im Jahr 1934 nichts. Es war nicht vor dem Frühjahr 1935, als Hitler das erste Mal im Gespräch damit drohte, die entmilitarisierte Zone abzuschaffen. Er habe die Entmilitarisierung des Rheinlandes akzeptiert, sagte er am 3. Februar 1935 den Botschaftern Englands und Frankreichs, die sich in der Reichskanzlei eingefunden hatten, um die Ergebnisse der Londoner Konferenz zu übergeben, aber dies werde nicht „eternal“ sein. Wenn Frankreich nicht bald ein wenig Dankbarkeit zeige, so Hitler, dann werde er die Zone abschaffen60 . Noch Tage nach der Unterredung sei Hitler „in energischer Stimmung“ gewesen, berichteten Vertraute, und habe sich beschwert, dass Deutschland noch immer die entmilitarisierte Zone erdulden müsse61 . Es hatte mit der Einschätzung der französischen Politik zu tun, dass Hitler nun 55

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ADAP, C, Bd. II, 1, Nr. 39, S. 61. Tatsächlich registrierten die französischen Behörden in den folgenden Wochen eine nachlassende Aktivität von SA-Truppen in der entmilitarisierten Zone, Aufzeichnung, o. V., Paris, 14. 11. 1933, SHD, 4 N 91. Vortragsnotiz, o. V., Berlin, 12. 2. 1934, BA-MA, RH 2/25. Aufzeichnung Bülow, Berlin, 21. 10. 1933, PA AA, R 34015; Vortragsnotiz, o. V., Berlin, 12. 2. 1934, BA-MA, RH 2/25; Kerchove an Hymans, Berlin, 19. 10. 1933, DDB, Bd. III, Nr. 64, S. 198ff. Aufzeichnung Frohwein, Berlin, 22. 8. 1934, PA AA, R 33725; vgl. Weinberg: Policy, S. 240. ADAP, C, Bd. II, 1, Nr. 39, S. 61. DBFP, 2. Serie, Bd. XII, Nr. 408, S. 488. Tagebuch Rosenberg, 11. 2. 1935, Seraphim: Rosenberg, S. 55.

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von der entmilitarisierten Zone zu sprechen begann62 . Seit November 1934 tönte Hitler im Kabinett und in privaten Gesprächen, Frankreich habe die Gelegenheit für einen Präventivkrieg schon verpasst63 . Im Januar 1935 war es der Erfolg an der Saar, der für Hitler, über dessen Ablösung durch einen Putsch der Reichswehr in den Wochen zuvor wild spekuliert worden war64 , einen Befreiungsschlag ohne Gleichen bedeutete. Die Lösung der Saarfrage, dem letzten zwischen Deutschland und Frankreich schwebenden Territorialproblem, wie Hitler sich ausdrückte, erlöste ihn endgültig vom Alpdruck einer französischen Intervention. Hitler wurde jetzt kecker und kompromissloser65 . In den Tagen nach der Saarabstimmung war er ganz „von Außenpolitik gefangen“ und sprach zunehmend offener über seine Bündnisabsichten mit London66 , und es zeichnete sich ab, dass er nicht mehr bedingungslos an Locarno festhalten würde. Ganz auf dieser Linie lag auch Hitlers Erklärung vor dem Reichstag vom 21. Mai 1935, er sei bereit die entmilitarisierte Zone und den Locarnopakt solange zu halten, „als die anderen Vertragspartner auch ihrerseits bereit sind, zu diesem Pakte zu stehen“67 . Zum Zeitpunkt, als er diese Rede hielt, hatte Hitler schon begonnen, über ein Ende der Rheinlandzone nachzudenken. Hatte er Anfang Januar 1935 noch verlauten lassen, er wolle die Rheinlandfrage erst im Jahr 1936 lösen68 , schien die internationale Lage im Frühjahr 1935 plötzlich günstig zu sein. So wollte er die entmilitarisierte Zone sofort nach Einführung der Wehrpflicht befestigen, und im April dachte er daran, die Genfer Verurteilung der Einführung der Wehrpflicht mit der „Aufkündigung“ Locarnos zu beantworten, was ihm Neurath und die Reichswehr ausgeredet hätten69 . Und im Sommer, das berichten mehrere Quellen, habe sich der Kanzler mit seinen Beratern zur entmilitarisierten 62 63

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Vgl. Mühle: Frankreich, S. 350. Tagebuch Goebbels, 14. 11. 1934, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/I, S. 136; DGFP, C, Bd. III, Nr. 373, S. 706; vgl. Bloch: Außenpolitik, S. 107. Schon im Sommer 1934 hatten geheimdienstliche Berichte nahegelegt, Frankreich habe alle Gedanken an einen Präventivkrieg aufgegeben, Aufzeichnung, o. V., für Canaris, o. O., 18. 8. 1934, BA-MA, N 28/1. Tagebuch Klemperer, 9. 1. 1935, V. Klemperer: Tagebücher 1935–1936, hg. v. W. Nowojski unter Mitarbeit von H. Klemperer, Berlin 1999, S. 6; Tagebuch Klemperer, 15. 1. 1935, ebenda, S. 7; Interview mit Vansittart, 10. 1. 1935, W. P. Crozier: Off the Record. Political interviews 1933–1943, hg. v. A. J. P. Taylor, London 1973, S. 29f. Vgl. dazu Dieckhoff an Bismarck, Berlin, 15. 1. 1935, Otto-von-Bismarck-Stiftung, Friedrichsruh (künftig: OBS), I 31. Tagebuch Goebbels, 22. 1. 1935, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/I, S. 171; Tagebuch Goebbels, 24. 1. 1935, ebenda, S. 172f. Berber: Locarno, Nr. 34, S. 157. OBS, I 31. Telegramm François-Poncet, Berlin, 5. 5. 1935, AMAEE, Série Relations multilatérales, Service français de la Société des Nations, Bd. 756; Aufzeichnung über eine Unterredung mit Hitler, Führerhauptquartier, 16. 8. 1942, Hitler: Monologe, Nr. 175, S. 345.

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Zone besprochen70 , wollte sich aber nicht auf einen festen Zeitplan festlegen. Die entmilitarisierte Zone wolle er in zwei Jahren abschaffen, so erklärte er einem Gesprächspartner, aber vielleicht ergebe sich die Gelegenheit auch früher. Danach sah es zunächst nicht aus, denn Anfang 1936 lehnte er es ausdrücklich ab, die „Frage Rheinlandzone“ in naher Zukunft zu lösen und sprach jetzt wieder davon, er plane die Remilitarisierung des Rheinlandes für das Jahr 193771 . Dazu passt, dass sich der Reichskanzler sehr zurückhaltend äußerte, wenn er das Thema in diplomatischen Gesprächen streifte. Am 1. Januar 1936 gab Hitler im Verlauf des Neujahrsempfangs des Diplomatischen Korps in Berlin ein letztes Mal das Bekenntnis ab, er stehe zum Locarnopakt72 . Der Reichskanzler sei mit der Zukunft des Rheinlandes befasst, notierte sich Phipps nach einer Unterredung mit Hitler am 8. Januar 1936, aber er wolle die Frage der Rheinlandzone nicht anschneiden, solange Laval an der Macht sei. Das gelte selbst für den Fall, wenn Frankreich den französisch-sowjetischen Pakt ratifiziere73 . Deutschland habe im Grunde nichts gegen allgemeine Stabsgespräche, übermittelte Neurath wenige Tage später die Haltung Hitlers, halte den Augenblick aber für ungünstig. Dagegen sei der Kanzler weiterhin der festen Überzeugung, der französischrussische Pakt habe die Idee des Locarnopaktes verletzt74 . Drei Tage später wiederholte Neurath nochmals diese Ansicht und erklärte Phipps ausdrücklich, dies sei die Sichtweise des Reichskanzlers75 . In einer Unterredung, die Hitler am 17. Januar 1936 mit Neurath und Hassell über die deutsch-italienischen Beziehungen führte, kam er auf die Rückwirkungen einer deutschen Locarnoaktion auf das Verhältnis zu Rom zurück76 . Deutschland sei nahezu vollständig isoliert, erläuterte Hitler seine Sicht der Dinge, daher wolle er nichts tun, was die Beziehungen zum Duce verschlechtern könne. Stand also die Besetzung der entmilitarisierten Zone seit 1933 unzweifelhaft auf Hitlers Agenda77 , schob er die Frage vor sich her. Noch im Januar 1936 hatte er keine Entscheidung getroffen, wie die Zukunft des Rheinlandes aussehen solle. 70

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O. Meissner: Staatssekretär unter Ebert-Hindenburg-Hitler. Der Schicksalsweg des deutschen Volkes von 1918–1945, wie ich ihn erlebte, Hamburg 1950, S. 408; P. Schwarz: This man Ribbentrop. His life and times, New York 1943, S. 140. Vgl. Emmerson: Rhineland, S. 76. DDF, 2. Serie, Bd. I, Nr. 1, S. 1. Phipps an Eden, Berlin, 8. 1. 1936, DBFP, 2. Serie, Bd. XV, Nr. 435, S. 547; Tagebuch Phipps, 8. 1. 1936, Johnson: Phipps, S. 154. Aufzeichnung Neurath, Berlin, 14. 1. 1936, PA AA, BA 60967. ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 501, S. 987. Aufzeichnung Hassell, Rom, 20. 1. 1936, PA AA, BA 60967; ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 506, S. 992ff. Daraus den Schluss zu ziehen, während dieser Unterredung sei der Entschluss gefallen, das Rheinland zu besetzen, wie dies Pätzold tut, führt aber zu weit, vgl. K. Pätzold: Das faschistische Regime und die französisch-sowjetischen Beziehungen (1933–1935), in: Dreyfus: Les Relations, S. 381–392, hier S. 390 Anm. 35. Vgl. Braubach: Einmarsch, S. 7; Kuhn: Programm, S. 182.

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Die Militärs waren mit ihren Planungen schon viel weiter. Die Reichswehr hatte seit der Räumung des Rheinlandes durch die Alliierten im Sommer 1930 damit begonnen, die entmilitarisierte Zone in die Vorbereitungen für die Landesverteidigung einzubeziehen. Der 30. Januar 1933 war das Signal, endgültig mit dem Locarnokurs Stresemanns zu brechen. Jetzt stellte die Reichswehrführung die Weichen für ein Sicherheitskonzept, in welchem Locarno keine Rolle mehr spielen sollte. Diese Konzeption hatte zwei Facetten. Erstens war die Reichswehr entschlossen, die Gangart auf der Genfer Abrüstungskonferenz zu verschärfen mit dem Ziel, die Konferenz bis Ende März 1933 zum Abschluss zu bringen78 ; von diesem Zeitpunkt an, so das Kalkül der Militärs, müsse entweder eine Konvention die deutschen Rüstungen legalisieren oder aber das Reich sage sich von allen Bindungen los und rüste ungehindert auf79 . Auf dieser Linie lagen die Instruktionen, die man im Bendlerblock für die deutsche Delegation entworfen hatte. Nationale Sicherheit, hieß es da, gründe sich nicht auf politische Verträge, sondern sei abhängig vom Umfang der Rüstungen. Jeder einseitige Zustand, wie die Entmilitarisierung des Rheinlandes, schade der deutschen Sicherheit und müsse beendet werden. Die bisherigen Rüstungsmaßnahmen verstand man im Reichswehrministerium als „Notprogramm“ außerhalb den Bindungen einer Konvention; eine Abkehr von diesem Programm, um die Außenpolitik zu entlasten, komme nicht in Frage80 . So war es nur folgerichtig, dass die Militärs sich bemühten, die entmilitarisierte Zone als Verhandlungsziel auf die Genfer Agenda zu setzen oder die Einrichtung einer solchen Zone auf französischem und belgischem Gebiet zu verlangen81 . In einem Gespräch mit Neurath verwies Blomberg auf das Drängen der öffentlichen Meinung im Reich, die eine Beseitigung der Rheinlandzone fordern würde82 . Verstärkte Vortragstätigkeit der Reichswehr in der entmilitarisierten Zone sollte diesen Druck noch erhöhen83 . Dass ihre unkontrollierten Aktivitäten in der entmilitarisierten Zone eine zunehmende Gefahr für Locarno darstellten, kümmerte die Reichswehrführung nicht. Locarno habe im Laufe der Jahre an Wert verloren, wischte Blomberg alle Einwände beiseite, denn England werde sich auf jeden Fall die Entscheidung seiner Garantieerfüllung selbst 78 79

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Aufzeichnung, o. V., Berlin, o. D. [Januar 1933], PA AA, NL Nadolny, Bd. 6/2. Gelänge es nicht, die deutschen Rüstungen bis dahin zu legalisieren, rechnete man in Reichswehrkreisen mit einem Präventivkrieg der Westmächte, Tagebuch Bredow, 13. 3. 1933, Strenge: Bredow, S. 73. Aufzeichnung des Reichswehrministeriums, Berlin, o. D. [Januar 1933], PA AA, NL Nadolny, Bd. 6/2. In diesem Sinne sondierte ein deutscher Delegierter bereits zum Auftakt der Genfer Konferenz, ob Frankreich bereit wäre, eine entmilitarisierte Zone auf seinem Gebiet einzurichten, Aufzeichnung Göppert, Genf, 12. 2. 1932, PA AA, NL Göppert, Bd. VI, 2 (9–15). Aufzeichnung Neurath, Berlin, 14. 1. 1933, ADAP, B, Bd. XXI, Nr. 257, S. 546f. Erlass Bredow, Berlin, 21. 1. 1933, BA-MA, RH 1/13.

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vorbehalten84 . Aus dieser Perspektive war der Rheinpakt keine Sicherung mehr, sondern ein Hindernis auf dem Weg zur entmilitarisierten Zone. Zweitens begannen im Frühjahr 1933 im Reichswehrministerium die Maßnahmen, den Grenzschutz im Westen des Reiches auf völlig neue Beine zu stellen85 . Als Erstes richtete man unter dem Dach des Finanzministeriums einen „verstärkten Grenzschutz“ ein, indem zusätzliches Personal auf die einzelnen Zollabschnitte verteilt wurde; binnen Kurzem waren 2000 Mann, die sich hauptsächlich aus den Wehrverbänden rekrutierten, im Zolldienst beschäftigt86 . Als Nächstes bemühten sich die Militärs, die Männer Röhms in den Grenz- und Landesschutz einzubinden87 . Dazu war beabsichtigt, die SA zunächst für die vormilitärische Ausbildung zu nutzen. Nach der Machtergreifung gewannen diese Pläne an Gestalt. Ab April 1933 begann die SA, kleine Kontingente zur Ausbildung an die Reichswehr abzustellen, und im Juli besprachen Hitler, Reichenau und Röhm auf einer Konferenz in Bad Reichenhall die Details. Demnach war es der Wunsch Hitlers, 250 000 SA-Männer so auszubilden, dass sie im Kriegsfall der Reichswehr zugeführt werden könnten. Außerdem war geplant, die SA im Grenzschutz einzusetzen, und zwar schwerpunktmäßig im Westen, wo der Einsatz der Reichswehr auf Grund der entmilitarisierten Zone untersagt war88 . Ausgehend von einer Ausarbeitung Keitels vom 29. Juni 1933 war die Rheinlandzone in verschiedene Abschnitte zu unterteilen, in denen im Kriegsfall die Polizei in Absprache mit den Befehlshabern der Wehrkreise die Zerstörung der Rheinübergänge organisieren sollte. Wegen den außenpolitischen Bindungen, so fügte Keitel hinzu, sei aber in

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Aufzeichnung, o. V., Berlin, Juli 1934, BA-MA, RW 5/414; H. v. Seeckt: Deutschland zwischen West und Ost, Hamburg  1933, S. 19. Die Vorarbeiten hatten im Herbst 1932 begonnen. Nachdem das Kabinett dem Reichswehrminister besondere Vollmachten zur Landesverteidigung erteilt hatte, wurde auf einer interministeriellen Konferenz im Dezember beschlossen, einen Verstärkten Grenzaufsichtsdienst aufzubauen, Aufzeichnung über eine Besprechung am 2. Dezember 1932, o. V., Berlin, o. D. [1932], PA AA, R 34016; Ministerbesprechung, 14. 10. 1932, Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik. Das Kabinett Papen 1. Juni bis 3. Dezember 1932 (künftig: AdR Papen), Bd. 2: September bis Dezember 1932, bearbeitet von K.-H. Minuth, Boppard a. Rh. 1989, Nr. 168, S. 777f.; vgl. Bergien: Wehrkonsens, S. 360f. ADAP, C, Bd. I, 2, Nr. 490, S. 891–893; Ursachen und Folgen, Bd. X, Nr. 2322, S. 34. Aufzeichnung Bredow, Berlin, 19. 12. 1932, IfZ, ED 86, Bd. 5; Aufzeichnung Bredow, Berlin, 21. 12. 1932, ebenda; vgl. auch Schickedanz an Rosenberg, Berlin, 20. 10. 1932, IMT, Bd. XXVII, S. 27–29. Zu diesem Zweck unternahmen Hammerstein und Adam im Sommer 1933 eine Inspektionsreise in die entmilitarisierte Zone, die sie u. a. nach Wiesbaden, Koblenz und Aachen führte, W. Adam: Erinnerungen, Bd. 1 (IfZ, ED 109), BA-MA, N 738/3; vgl. ausführlich Deist: Wehrmacht, S. 407.

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der Zone äußerste Vorsicht und Geheimhaltung zu wahren89 . Am 1. Juli 1933 befahl Hitler, auf dieser Grundlage den Grenzschutz im Westen aufzubauen90 . Nach dem Austritt aus dem Völkerbund intensivierte die Reichswehr ihre Pläne zu einer umfassenden Landesverteidigung91 . Die Heeresleitung begann damit, ihre operative Planung an die Gegebenheiten eines „Sanktionskrieges“ anzupassen, in welchem Frankreich und seine Verbündeten Deutschland in einen Zweifrontenkrieg verwickeln. Dieses Umdenken fand ihren Ausdruck in der Weisung Blombergs an die Wehrmacht vom 25. Oktober 193392 , die am 31. Oktober durch weitere Befehle Hammersteins erweitert und präzisiert wurde93 . Im Falle von Sanktionsmaßnahmen, so lautete der Kern dieser Weisungen, sollte die Reichswehr unabhängig von den Erfolgsaussichten Widerstand leisten94 . Operatives Ziel des Heeres im Westen sollte es sein, mit Unterstützung der Landespolizei die Rhein-Roer-Schwarzwald-Linie95 zu halten. Am 14. Dezember 1933 unterbreitete der Chef der Heeresleitung dem Reichskabinett eine von Beck verfasste Denkschrift, in welcher der Aufbau eines 300 000 Mann-Friedensheeres gefordert wurde verbunden mit der Absicht, zum 1. Oktober 1934 die allgemeine Dienstpflicht einzuführen96 . Beck begründete diesen Schritt mit der militärpolitischen Schwäche des Reiches. Um dem Reich Sicherheit zu geben, so argumentierte er, müsse der Zustand der Wehrlosigkeit schnellstmöglich durchschritten werden, um den Angriff auf Deutschland zu einem nicht kalkulierbaren Risiko für den Gegner werden zu lassen. Vom Locarnopakt war in diesem Zusammenhang nicht die Rede, wohl aber von der entmilitarisierten Zone. So bestätigte Beck die bestehenden Planungen im Hinblick auf die Rheinzone, indem er hervorhob, jeder Widerstand im Westen habe an der Rhein-Schwarzwald-Linie einzusetzen; dafür vorgesehen waren die Landespolizeieinheiten mit Sitz in Frankfurt, Düsseldorf und Stuttgart. „Ohne Grenzschutz kann Deutschland keinen Krieg führen“, 89

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Erlass Keitel, 29. 6. 1933, BA-MA, RH 2/25. Bereits im April 1933 hatte Keitel in dieser Sache Vortrag bei Blomberg gehalten; schon damals ging es darum, den Einfluss der SA in der Landesverteidigung zu beschneiden, W. Keitel: Mein Leben. Pflichterfüllung bis zum Untergang. Hitlers Generalfeldmarschall und Chef des Oberkommandos der Wehrmacht in Selbstzeugnissen, hg. v. W. Maser, Berlin 1998, S. 165. Aufzeichnung, o. V.: „Weisung für die Vorbereitung der Reichsverteidigung“, 1. 7. 1933, BAK, ZSg 133/111; vgl. Bracher/Sauer/Schulz: Machtergreifung, S. 797. Tagebuch Bredow, 2. 11. 1933, Strenge: Bredow, S. 183. BA-MA, RH 2/25, abgedruckt bei IMT, Bd. XXXIV, S. 487–491. Erlass Hammerstein, 31. 10. 1933, BA-MA, RH 2/25. In Ergänzung dieser Weisung erging am 1. November 1933 ein Erlass, wonach im Kriegsfall das rechtsrheinische Gebiet nicht zu räumen sei, Erlass Blomberg, 1. 11. 1933, BA-MA, RW 19/1759. Der Fluss Roer heißt auf deutscher Seite Rur. Hammerstein an Blomberg, Berlin, 14. 12. 1933, AdR Hitler, Bd. I, 2, Nr. 273, S. 1032–1036. Vgl. dazu Deist: Wehrmacht, S. 408–414; Geyer: Revisionspolitik; Müller: Beck, S. 167ff.

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lautete Becks Mantra97 . So lag es auf der Linie Becks genauso wie auf der Schiene des gesamten Rüstungsprogramms, jegliche Zurückhaltung in der Rheinlandzone aufzugeben, und dazu überzugehen, die entmilitarisierte Zone als Revisionsziel zu proklamieren98 . Dazu fuhr der Generalstab fort, im Winter 1933/34 operative Pläne zu erarbeiten, die einem französischen Angriff auf drei Stufen begegnen sollten. Auf der ersten Stufe sollte unter Führung der SA die Räumung des linksrheinischen Gebiets organisiert werden, um daraufhin auf der zweiten Stufe einen „Sicherungsschleier“ am Rhein aufzubauen. Auf der dritten Stufe sollte die Reichswehr im Harzer Raum die französischen Kolonnen in der Flanke angreifen99 . Gleichzeitig begann das Luftfahrtministerium, an Rollfeldern in der Zone zu arbeiten100 . Damit vollzog die Reichswehr den Schwenk weg von einer durch Locarno garantierten Sicherung hin zu einer militärisch definierten Landesverteidigung, die sich nicht um völkerrechtliche Paragraphen scherte. Aber dieses Konzept beinhaltete auch Risiken. Die Logik der neuen Kriegsplanung verlangte, im Rheinland einen Landesschutz aufzubauen, der in Lage war, die französischen Truppen aufzuhalten. Aber in der entmilitarisierten Zone mussten alle militärischen Vorbereitungen unterlassen werden, wenn man Frankreich nicht zum Krieg anstacheln wollte. Die Reichswehr war außerstande, diese Aporie aufzulösen. So führten alle Maßnahmen in der entmilitarisierten Zone, die dem Reich Schutz bringen sollten, zu großen außenpolitischen Gefahren. Dennoch waren die Militärs nicht bereit, von ihren Plänen abzurücken. Alles, was die Militärs tun konnten und wollten, war, die verschiedenen militärischen Maßnahmen in der Rheinlandzone zu tarnen und vor dem Ausland zu verbergen. Der Erlass der Heeresleitung vom 3. November 1933, der die Befehle Blombergs zum Aufbau der „Grenzsicherung West“ umsetzen sollte, versuchte, diesen Überlegungen Rechnung zu tragen. So enthielt der Erlass zahlreiche Bestimmungen zur organisatorischen Einteilung der Zone sowie zum Orts- und Polizeischutz. Sein Kernstück aber, der „Verstärkte Grenzaufsichtsdienst“ (VGAD), wurde einstweilen zurückgestellt. Dazu kam 97 98

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Aufzeichnung Beck, Berlin, 11. 12. 1933, BA-MA, RH 2/25. Vgl. K.-J. Müller: Das Heer und Hitler. Armee und nationalsozialistisches Regime 1933– 1940 (Beiträge zur Militär- und Kriegsgeschichte, Bd. 10), Stuttgart 1969, S. 213ff.; ders.: Biographie, S. 188. Aufzeichnung Siegler, München, 8. 5. 1952, IfZ, ZS 251-1; R. Jordan: Erlebt und Erlitten. Weg eines Gauleiters von München bis Moskau, Leoni 1971, S. 129. So besprach General Liebmann Anfang November 1933 mit dem hessischen Reichsstatthalter, wie sich SA, SS und Polizei im Falle eines französischen Angriffs zu verhalten hätten, Hs. Vermerk, Darmstadt, 7. 11. 1933, Hessisches Staatsarchiv Darmstadt (künftig: HStAD), G 5, Nr. 34. Deutschland-Bericht der Sopade, Prag, 10. 1. 1935, Deutschland-Berichte der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (Sopade) 1934–1940 (künftig: Deutschland-Berichte), Bd. 1: 1934, Frankfurt/M. 1980, S. 772f.

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die ausdrückliche Warnung, alle Maßnahmen in der entmilitarisierten Zone geheim zu halten sowie den Schriftverkehr mit Dienststellen außerhalb der Wehrmacht zu beschränken101 . Doch der Anspruch der Militärs, einen systematischen Grenzschutz aufzubauen102 und dem Reich militärische Sicherheit im Westen zu geben, blieb unerfüllt, sodass ein Reichswehroffizier im Spätherbst 1933 klagte: „Unsere außenpolitische Haltung zur entmilitarisierten Zone legt mir große Beschränkungen auf.“103 Es hatte zwei Gründe, die einen Ausbau der Militärmaßnahmen im Rheinland verhinderten. Erstens stand der bis Sommer 1934 schwelende Streit mit der SA einer ungehinderten Entfaltung des Grenzschutzes im Weg. Die Auswirkungen dieser Auseinandersetzung offenbarten sich bereits kurz nach der NS-Machtübernahme in der Frage der SA-Hilfspolizei in frappierender Weise. Am 22. Februar 1933 bestimmte der preußische Reichskommissar Göring, in Preußen eine Hilfspolizei aufzustellen, die sich aus Mitgliedern der nationalsozialistischen Wehrverbände rekrutierte104 . Gemäß der so genannten „Kuppelungstaktik“ war den regulären Polizeiposten je ein Mann aus der SA/SS-Hilfspolizei beizugeben. Die so in Preußen und bald darauf auch in anderen Ländern (z. B. am 14. März in Bayern) aufgestellte Hilfspolizei hatte den Auftrag, politische Gegner rücksichtslos zu verfolgen und einzusperren, und entwickelte sich damit zu einem wichtigen Instrument der „braunen Revolution“105 . Problematisch war die Aufstellung der Hilfspolizei in der entmilitarisierten Zone am Rhein106 , denn die Zahlenstärken, über welche die deutsche Polizei dort verfügen durfte, waren durch eine Reihe internationaler Abmachungen geregelt. Im Juni 1920 gestatteten die Alliierten in der so genannten Polizeino101 102

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Erlass Hammerstein, 3. 11. 1933, BA-MA, RW 19/1760. Kaether an Meier-Welcker, Karlsruhe, 6. 11. 1933, H. Meier-Welcker: Aus dem Briefwechsel zweier junger Offiziere des Reichsheeres 1930–1938, in: MGM 14 (1973), S. 57–100, Nr. 22, S. 89. Ebenda. Vgl. F. Wilhelm: Die Polizei im NS-Staat. Die Geschichte ihrer Organisation im Überblick, Paderborn u. a. 1997, S. 38 u. S. 47. Innerhalb kurzer Zeit umfasste die preußische Hilfspolizei 50 000 Mann. Zum Gesamtphänomen der Hilfspolizei vgl. Bracher/Sauer/Schulz: Machtergreifung; M. Broszat: Der Staat Hitlers. Grundlegung und Entwicklung seiner inneren Verfassung, München 15 2000; P. Diehl-Thiele: Partei und Staat im Dritten Reich. Untersuchungen zum Verhältnis von NSDAP und allgemeiner innerer Staatsverwaltung 1933–1945 (Münchner Studien zur Politik, Bd. 9), München 1969; O. Domröse: Der NS-Staat in Bayern von der Machtergreifung bis zum Röhm-Putsch (Neue Schriftenreihe des Stadtarchivs München, Bd. 65), München 1974 (Diss. phil. München 1974); J. Klenner: Verhältnis von Partei und Staat 1933–1945. Dargestellt am Beispiel Bayerns (Neue Schriftenreihe des Stadtarchivs München, Bd. 72), München 1974 (Diss. phil. München 1974). Die so genannte Rheinprovinz mit den Regierungsbezirken Koblenz, Düsseldorf, Köln, Trier und Aachen gehörte zu Preußen.

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te von Boulogne dem Deutschen Reich Polizeikräfte im Umfang von 150 000 Mann zu, die das Innenministerium frei über das Reichsgebiet verteilen konnte; damals rechnete man mit einem Bedarf von 14 000 Mann Polizei, um die Ordnung in der entmilitarisierten Zone aufrechterhalten zu können107 . Später wurde diese Regelung um eine Bestimmung ergänzt, die es dem Reich verbot, die reguläre Polizei durch freiwillige Hilfspolizei zu verstärken108 . In einem Notenwechsel vom 10. Januar 1930 klärten das Reich und die alliierten Mächte die Frage, wie viel Polizei das Reich in der entmilitarisierten Zone unterhalten durfte. Darin setzte sich Deutschland mit der Ansicht durch, Polizeieinheiten nicht zu den „bewaffneten Streitkräften“ im Sinne des Artikels 43 des Versailler Vertrages zu rechnen; dennoch wurde die Höchstgrenze für Polizei in der entmilitarisierten Zone auf 30 000 Mann festgesetzt und Deutschland musste sich verpflichten, Verstärkungen den „interessierten Regierungen“ mitzuteilen109 . Genau an dieser Stelle setzte die Kritik der französischen Regierung im Frühjahr 1933 an. Da man den Deutschen schlechterdings vorwerfen konnte, Mobilmachungsmaßnahmen zu betreiben, beklagte man in Paris, die Schaffung der Hilfspolizei überschreite die erlaubten Höchstgrenzen für Polizisten in der Zone und sei zudem der französischen Regierung nicht mitgeteilt worden110 ; damit läge ein Verstoß gegen die Entmilitarisierungsbestimmungen von Versailles und Locarno vor111 . In diesem Sinne bearbeiteten Daladier und PaulBoncour ihre britischen Gäste, als diese am 10. März 1933 auf dem Weg nach Genf in Paris Station machten. Die Umwandlung von SA, SS und Stahlhelm zu Polizeitruppen, so erklärte Paul-Boncour den Briten, verstoße nicht nur gegen die Vereinbarungen von 1920 und 1930, sondern auch gegen den Vertrag von Locarno, der die Unantastbarkeit der Zone garantierte112 . Als der französische Außenminister sogleich eine neue Locarnokonferenz wegen der Frage einberufen wollte, bremsten Simon und Tyrrell den französischen Feuereifer. Man solle abwarten, so die Ansicht der Briten, ob überhaupt eine echte Verletzung der entmilitarisierten Zone vorläge113 . Die Denkschrift, die ihnen die 107 108 109 110

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Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik. Das Kabinett Bauer 21. Juni 1919 bis 27. März 1920, bearbeitet von A. Golecki, Boppard a. Rh. 1980, Nr. 110, S. 416 Anm. 6. Durch eine Note der Botschafterkonferenz an das Deutsche Reich vom 4. Juni 1925, vgl. Wilhelm: Polizei, S. 25 u. S. 65. AdR Brüning, Bd. 1, Nr. 38, S. 148; ADAP, B, Bd. XIV, Nr. 11, S. 29f. u. Nr. 31, S. 78–80; DBFP, 1a. Serie, Bd. VII, Nr. 188, S. 355–363. Tyrrell an Simon, Paris, 7. 3. 1933, TNA, FO 371/16729. François-Poncet hatte schon Mitte Februar vor der Gefahr gewarnt, die die Hilfspolizei für die entmilitarisierte Zone bedeutete, François-Poncet an Paul-Boncour, Berlin, 16. 2. 1933, AMAEE, Série Z, La rive gauche du Rhin, Bd. 281. Aufzeichnung, o. V., Paris, 7. 3. 1933, ebenda. BDFA, II, J, Bd. 1, Nr. 33, S. 142–147; Mollard an Paul-Boncour, o. O., 10. 3. 1933, AMAEE, Série Z, La rive gauche du Rhin, Bd. 265 u. 266. Sargent an Seymour, London, 10. 3. 1933, TNA, FO 800/275.

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Franzosen am folgenden Tag zu dieser Frage zustellten, ließen die Briten unbeantwortet114 . Dies lag exakt auf der Linie, die das Foreign Office in Absprache mit den britischen Militärs entwickelt hatte. Während man Verständnis dafür zeigte, dass die Tragweite des Artikels 43 des Versailler Vertrages überprüft werden müsse, sollte es aber vermieden werden, die Frage der entmilitarisierten Zone auf die politische Agenda zu heben, solange noch Hoffnung auf ein Gelingen der Genfer Abrüstungskonferenz keimte115 . Andernfalls bestünde die Gefahr, so befürchtete London, das Reich zu ermuntern, im Rahmen der deutschen Gleichberechtigung das Ende der entmilitarisierten Zone zu fordern, was bei einer Weigerung Frankreichs den sofortigen Abbruch der Verhandlungen zur Folge haben musste116 . Auch in Deutschland reagierte man verärgert auf die französischen Vorwürfe. Der Außenminister beschied den wegen der Hilfspolizei protestierenden Poncet kühl, das seien doch Bagatellen117 . Der deutsche Botschafter in London bezweifelte gar, dass die französischen Zahlen stichhaltig seien118 . Doch die Deutschen gingen ein gefährliches Spiel ein. Das Auswärtige Amt duldete nämlich in Absprache mit dem Reichswehrministerium seit Längerem, die in der Zone erlaubten Polizeistärken um etwa 10 Prozent zu überschreiten, also in einer Größenordnung, wegen der keine ausländische Regierung Prostest einlegen würde119 ; aber gerade diese Annahme wurde nun brüchig, weil die Hilfspolizei die erlaubten Höchstzahlen noch einmal deutlich überschritt120 . Zudem entging den deutschen Diplomaten, dass es den Franzosen mit zunehmender Dauer gar nicht mehr darum ging, einen zahlenmäßigen Verstoß zu ahnden, demzufolge sich mehr deutsche Polizisten in der Zone aufhielten als erlaubt121 ; 114 115 116 117 118 119 120

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DBFP, 2. Serie, Bd. IV, Nr. 291, S. 507–511; DBFP, 2. Serie, Bd. V, Nr. 18, S. 17 u. Nr. 19, S. 17. TNA, WO 190/185. Vgl. Bennett: Rearmament, S. 366. Aufzeichnung Neurath, Berlin, 1. 3. 1933, PA AA, R 28258 k. Das Auswärtige Amt ließ die französischen Vorwürfe am 17. März durch eine WTB-Meldung zurückweisen. Hoesch an das Auswärtige Amt, London, 15. 3. 1933, ADAP, C, Bd. I, 1, Nr. 86, S. 162f. Vgl. Emmerson: Rhineland, S. 29; S. W. Mitcham jr.: The Rise of the Wehrmacht. The German Armed Forces and World War II, Bd. 1, London 2008, S. 61. Nach Angaben des französischen Geheimdienstes unterhielt Deutschland in den großen Städten im Rheinland an Hilfspolizei: 1000 Mann in Düsseldorf; 2000 Mann in Köln; 900 Mann in Essen; 500 Mann in Trier; 300 Mann in Aachen; 200 Mann in Koblenz sowie jeweils 400 Mann in Mainz und Darmstadt, Aufzeichnung, o. V., Paris, 30. 3. 1933, SHD, 7 N 2625. Vgl. die Stärkemeldungen der Hilfspolizei für die Landkreise in Hessen, „Aufstellung von Hilfspolizei“, o. O., 27. 3. 1933, HStAD, G 12 A, Nr. 22/1. So wurden etwa in Mainz insgesamt 395 Hilfspolizeibeamten verpflichtet, von denen 182 Beamte täglich im Dienst waren, Hessisches Polizeiamt Mainz an den Staatskommissar für das Polizeiwesen, Mainz, 28. 3. 1933, ebenda. Daher gingen die Bemühungen Nadolnys in Genf, London und Paris mit Zahlen über die

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vielmehr änderten die Franzosen ihre Taktik und attackierten nun die Tatsache, dass sich überhaupt Einheiten der SA in der Rheinzone befanden. Kern der Kritik waren die häufigen gewaltsamen Zwischenfälle, in die SA-Leute verwickelt waren. So marschierten Anfang Februar SA-Leute auf eine Brücke in Kehl und pöbelten in Richtung Frankreich und vier Wochen später besetzten dort einige SA-Einheiten leer stehende Kasernen der Reichswehr122 ; Mitte Februar war es bei Hüningen zu einem ähnlichen Zwischenfall gekommen. Weitere Gewalttaten, an denen Sturmabteilungen beteiligt waren, folgten, Mitte Mai in Lauterburg in der Pfalz, wo sich rund 200 Nationalsozialisten versammelten und französische Politiker verunglimpften123 . Solche Übergriffe, argwöhnten die Franzosen, könnten den Deutschen dazu dienen, Verstärkungen ihrer Polizeikräfte in der entmilitarisierten Zone durchzusetzen und so die Hilfspolizei zu legalisieren124 . Damit hätte Paris jede Handhabe verloren, gegen deutsche Polizeikräfte in der Zone vorzugehen. Um diese Absichten zu durchkreuzen, bestürmten französische Staatsmänner weiter die britischen Diplomaten, eine gemeinsame Aktion gegen die Umtriebe in der Zone auszuführen, ohne den Kern des britischen Kalküls erfasst zu haben. Sie blieben im Glauben, London werde eine gemeinsame Protestnote unterstützten, wenn man erst „echte“ Beweise für eine Verletzung der entmilitarisierten Zone lieferte. Deshalb übermittelten sie den Briten am 22. März 1933 ein weiteres Memorandum, in welchem sie die deutschen Verstöße gegen die Bestimmungen der entmilitarisierten Zone, die durch SA-Hilfspolizei verursacht waren, penibel auflisteten125 . Wieder winkten die Briten ab. Dar-

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Polizeistärken in den deutschen Ländern zu beruhigen, am Kern der Sache vorbei und verfehlten ihre Wirkung, DBFP, 2. Serie, Bd. V, Nr. 112, S. 192–195. Das gleiche galt für den Versuch Neuraths und Nadolnys, die Vorwürfe der Westmächte durch einen Sachverständigen der SA auf der Abrüstungskonferenz zu entkräften, Nadolny an das Auswärtige Amt, Genf, 11. 3. 1933, PA AA, R 28432; Neurath an das Reichsinnenministerium, Berlin, 18. 3. 1933, BAK, ZSg 133/109. Zum Auftreten der Sachverständigen für SA und SS, Heydrich und Krüger, in Genf vgl. Nadolny: Beitrag, S. 131; P. Schmidt: Statist auf diplomatischer Bühne 1923–1945. Erlebnisse des Chefdolmetschers im Auswärtigen Amt mit den Staatsmännern Europas, Bonn 1949, S. 261–263. Aufzeichnung Neurath, Berlin, 1. 3. 1933, PA AA, R 28258 k; Aufzeichnung Köpke, Berlin, 10. 3. 1933, PA AA, R 28539; ADAP, C, Bd. I, 1, Nr. 69, S. 133 u. Nr. 70, S. 134f.; DDF, 1. Serie, Bd. II, Nr. 354, S. 708f. u. Nr. 408, S. 812ff. Weiteres Material zur Besetzung der Kaserne in Kehl durch SA-Leute am 8. März 1933 befindet sich in PA AA, R 33311. Aufzeichnung Neurath, Berlin, 11. 5. 1933, PA AA, R 28258 k. In der Zwischenzeit nahmen die Übergriffe solche Ausmaße an, dass sich Außenminister Neurath veranlasst sah, diese Angelegenheit im Reichskabinett anzusprechen, AdR Hitler, Bd. I, 1, Nr. 44, S. 166. Tyrrell an Simon, Paris, 7. 3. 1933, TNA, FO 371/16729. TNA, FO 408/61. Am Tag zuvor hatte Paul-Boncour die britischen Minister MacDonald und Simon zum wiederholten Mal auf die Verletzungen der Rheinzone durch die Hilfspolizei hingewiesen, vgl. K. H. Jarausch: The Four Power Pact 1933, Madison/Wisconsin 1965, S. 70.

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aufhin entschloss man sich in Paris, ohne britischen Beistand in Berlin gegen die Hilfspolizei in der entmilitarisierten Zone zu protestieren. Die Hilfspolizei, so beschwerte sich François-Poncet am 6. April beim deutschen Außenminister, sei ein Verstoß gegen den Artikel 42 des Versailler Vertrages sowie gegen die Artikel 162 und 177 des Versailler Vertrages, die es Polizisten und Angehörigen von Kriegervereinen untersagten, militärische Übungen abzuhalten. Neurath, der die deutschen Verstöße durchaus nicht abstritt, verwies dagegen auf die Note der Botschafterkonferenz vom 4. Juli 1925, worin Deutschland das Recht zugestanden worden sei, durch Polizeiverstärkungen für seine Sicherheit zu sorgen126 . Aufgeregt wurde daraufhin Lord Tyrrell im Quai d’Orsay vorstellig und erklärte, Paris hätte doch besser abgewartet, was das Foreign Office zu dieser Sache zu sagen habe, bevor man irgendwelche Schritte in Berlin unternahm127 . Das offizielle britische Memorandum zur Hilfspolizei, das am 11. April an Paris und Brüssel gerichtet wurde, wiederholte noch einmal eindringlich den Standpunkt, den Simon schon im März gegenüber Daladier und Paul-Boncour geäußert hatte. Die Hilfspolizei stelle möglicherweise eine Verletzung der entmilitarisierten Zone dar, so lautete die Linie der britischen Regierung, aber man wolle mit praktischen Schritten warten, bis der Abschluss der Genfer Konferenzen absehbar sei; im Übrigen sei ja zu erwarten, dass die Polizeifrage durch den MacDonaldplan gelöst werde128 . Die französische Regierung, von der Simon glaubte, sie von seinem Standpunkt überzeugt zu haben129 , konnte der englischen Argumentation nicht folgen. Am 5. Mai 1933 schickten zeitgleich die Franzosen und die Belgier Denkschriften an die Adresse Londons130 . Die Verletzungen der Artikel 42 und 43 des Versailler Vertrages durch die Aufstellung der SA-Hilfspolizei, hieß es in diesen Noten, seien eine Gefährdung für die Sicherheit Frankreichs und Belgiens. Entweder die britische Regierung mache Druck auf Deutschland, die Hilfspolizei aufzulösen, oder man werde die Mechanismen des Völkerbundes und des Locarnopaktes in Gang setzen. Es ist nur vor dem Hintergrund der Konferenzkrise in Genf Mitte Mai 1933 zu verstehen, die man vor allem der deutschen Intransigenz zuschrieb, dass London nun auf die Linie der Franzosen und Belgier einschwenkte. In einer Denkschrift für das Kabinett vom 30. Mai 1933 gestand Simon die Erfolglosigkeit der bisherigen Bemühungen 126

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Aufzeichnung Neurath, Berlin, 7. 4. 1933, PA AA, R 28002; DDF, 1. Serie, Bd. III, Nr. 79, S. 136f. u. Nr. 95, S. 174f. Diese Argumentation hatten die Experten im Auswärtigen Amt im März erarbeitet, Aufzeichnung Heeren, Berlin, o. D. [März 1933], PA AA, R 28539. DBFP, 2. Serie, Bd. V, Nr. 24, S. 28; vgl. Bennett: Rearmament, S. 366. DBFP, 2. Serie, Bd. V, Nr. 26, S. 29f.; DDF, 1. Serie, Bd. III, Nr. 130, S. 229–231. Aufzeichnung Simon, London, 16. 5. 1933, TNA, CAB 24/241. TNA, FO 408/62; TNA, CAB 24/248; DBFP, 2. Serie, Bd. V, Nr. 114, S. 196–199 u. Nr. 115, S. 199f.

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ein, mit Deutschland über die Frage der Hilfspolizei ins Gespräch zu kommen. Es ginge jetzt nur noch um die Frage, so Simon, entweder löse das Reich die SA-Polizeieinheiten auf oder die Westmächte würden den Versailler Vertrag bzw. den Locarnovertrag anwenden131 . Angesichts des britischen Schwenks und der drohenden Formierung einer Front sah sich die deutsche Regierung veranlasst, der Hilfspolizei ein Ende zu bereiten. Als der französische Botschafter Anfang Mai zum wiederholten Male wegen der Hilfspolizei vorsprach und ankündigte, dass Paris bald eine Demarche an die Adresse Berlins schicken wolle, sicherte Neurath zu, die Hilfspolizei in Kürze abzubauen132 , und dem britischen Botschafter sagte Hitler wenige Tage später, er habe militärische Übungen im Rheinland verboten, und die Hilfspolizei sei bereits in Auflösung begriffen133 . Am 11. Mai 1933 fand im Reichsinnenministerium eine Konferenz statt, auf der über die Zukunft der Hilfspolizei beraten wurde. Dort sagte das Reich zu, sich bis zum 14. Mai 1933 an der Finanzierung der Hilfspolizei zu beteiligen. Danach müsse sich die Hilfspolizei auflösen. „Außenpolitische wie finanzielle Gründe“, so führte der Staatssekretär im Reichsinnenministerium, Hans Pfundtner, wörtlich aus, „fordern einen tunlichst baldigen Abbau der Hilfspolizei.“134 Am folgenden Tag wurden die Ministerien der Länder über den Beschluss verständigt135 . In diesem Sinne wandten sich Frick und wenige Tage später Neurath an das bayerische Innenministerium mit der Bitte, die Hilfspolizei zu ermahnen, sich vorsichtig zu verhalten; beide blieben zunächst ohne Erfolg136 . Es bedurfte der persönlichen Intervention Hitlers, um die bayerischen Behörden dazu zu bewegen, einer Auflösung der Hilfspolizei zuzustimmen137 . Am 17. Mai 1933 kündigte Hitler auf seiner Rede vor dem Reichstag an, die 131 132 133 134

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Aufzeichnung Simon, London, 30. 5. 1933, TNA, CAB 24/241. Aufzeichnung Neurath, Berlin, 9. 5. 1933, PA AA, R 28002. Rumbold an Simon, Berlin, 11. 5. 1933, BDFA, II, F, Bd. 44, Nr. 86, S. 170–173. Niederschrift über die unter dem Vorsitz des Staatssekretärs Pfundtner abgehaltene Polizeibesprechung im Reichsinnenministerium am 11. Mai 1933, [Berlin], 11. 5. 1933, HStAD, G 12 A, Nr. 24/3. Die SA-Männer sollten nach dem Willen Pfundtners in die Wirtschaft wechseln oder vom SA-Hilfswerk unterstützt werden. Frick an das Bayerische Staatsministerium des Innern, Berlin, 12. 5. 1933, BArch, R 43 II/395. AdR Hitler, Bd. I, 1, Nr. 182, S. 639 Anm. 6. In Bayern rang sich Ernst Röhm gerademal zu dem Zugeständnis durch, zum 20. Mai 1933 alle „überflüssigen“ Posten der Hilfspolizei zu entlassen, vgl. Klenner: Verhältnis, S. 92. Vermerk, o. V., [Berlin], 16. 5. 1933, BArch, R 43 II/395. Freilich war die Verwirrung, die das Treiben der SA-Hilfstruppen allerorten hervorrief, nicht mehr zu verbergen. So schrieb Nadolny wutentbrannt aus Genf, er sei von einem Mitglied der französischen Delegation mit Meldungen konfrontiert worden, wonach das Hessische Innenministerium im April den Befehl ausgegeben habe, in mehreren Städten kasernierte Hilfspolizei-Bereitschaften aufzustellen. Dies unterminiere die deutsche Linie, nach der die Rekrutierung von Hilfspolizei nur lokal und zur besonderen Verwendung erfolge, schrieb Nadolny und

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Hilfspolizei aufzulösen138 . Mitte Juni kündigte der Reichsinnenminister an, dass künftig keine finanziellen Mittel mehr für die Hilfspolizei zur Verfügung stünden. Ursprünglich für den 30. Juli 1933 geplant, erging dann am 2. August der Auflösungsbefehl für die gesamte Hilfspolizei im Reich mit Wirkung zum 15. August139 . Hatte die historische Forschung bislang innenpolitische Gründe für diesen Schritt angenommen140 , wird nun klar, wie vor allem die außenpolitische Lage, die eine französisch-englische Aktion wegen Verletzung der entmilitarisierten Zone am Rhein wahrscheinlich werden ließ, das Reich dazu brachte, die Hilfskontingente aufzulösen141 . Der ganze Komplex der Hilfspolizei und seine Bedeutung für die künftige Entwicklung der Sicherheit des Deutschen Reichs lassen sich indes nur adäquat erfassen, wenn man die Frage in einen übergeordneten Zusammenhang stellt. Die Existenz der Hilfspolizei allein hätte die Franzosen wohl nicht dazu gebracht, eine derartig intensive diplomatische Aktivität zu entfalten, geschweige denn eine Militäraktion gegen das Reich zu erwägen. Den Umtrieben der Franzosen lagen vielmehr zwei andere Konzeptionen zu Grunde. Zum einen demonstriert der Streit um die Hilfspolizei die französische Taktik, über den Umweg der entmilitarisierten Zone die britische Politik zu Konzessionen in der Abrüstungs- und Sicherheitsfrage zu drängen. So ergingen im Laufe der Genfer Abrüstungskonferenz praktisch vor jeder wichtigen Verhandlungsstufe Denkschriften an die britische Regierung, in denen deutsche Verstöße gegen die entmilitarisierte Zone angeprangert wurden. Im Frühherbst 1932, als die Verhandlungen über die deutsche Gleichberechtigung in die entscheidende Phase gingen142 , beschwerten sich die Franzosen über angebliche Polizeimanöver im

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fuhr fort: Auf diese Weise sei „stabile Interessenvertretung“ in Genf nicht möglich, Nadolny an das Auswärtige Amt, Genf, 19. 5. 1933, BAK, ZSg 133/109. Domarus: Hitler, Bd. I, 1, S. 274. Auch der Reichswehrminister sprach sich zuletzt dafür aus, die Hilfspolizei aufzulösen, Aufzeichnung Blomberg, Berlin, 15. 5. 1933, BArch, R 43 I/534. Vgl. Bracher/Sauer/Schulz: Machtergreifung, S. 880; Wilhelm: Polizei. In Bayern, wo SAChef Röhm seine Hausmacht hatte, bestanden Teile der Hilfspolizei noch bis Ende Dezember 1933, vgl. Klenner: Verhältnis, S. 92. Vgl. H. Höhne: Mordsache Röhm. Hitlers Durchbruch zur Alleinherrschaft 1933–1934, Reinbek b. Hamburg 1984, S. 146f.; Domröse: Bayern. Weisung an die Presse, 8. 8. 1933, NS-Presseanweisungen der Vorkriegszeit. Edition und Dokumentation (künftig: NS-Presseanweisungen), hg. v. G. Toepser-Ziegert, Bd. 1: 1933, München 1984, S. 89. Vor allem in London registrierte man erleichtert und befriedigt die Auflösung der deutschen Hilfskräfte, TNA, WO 190/211. Das Deutsche Reich suspendierte damals seine Teilnahme an der Genfer Konferenz und Frankreich bereitete die Veröffentlichung eines neuen Abrüstungsplans (Herriotplan) vor, vgl. S. Nadolny: Abrüstungsdiplomatie 1932/33. Deutschland auf der Genfer Konferenz im Übergang von Weimar zu Hitler, München 1978, S. 183–201; Rautenberg: Rüstungspolitik, S. 20–35; M. Vaïsse: Sécurité d’abord. La politique française en matière

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Schwarzwald143 und verlangten von den Briten, eine gemeinsame Protestnote an Berlin zu richten144 . Die Beschwerde über die Hilfspolizei erfolgte kurz vor der Veröffentlichung des MacDonaldplans im März 1933. Und im September 1933, wenige Wochen, bevor die Genfer Konferenz wieder zusammentreten sollte, bemühte sich Daladier mit einer ganzen Reihe deutscher Verstöße im Gepäck, die Briten auf ein gemeinsames Vorgehen im Rheinland festzulegen145 . Die Briten wussten, dass es den Franzosen bei ihren Vorstößen darum ging, ihre Verhandlungsposition in Genf zu stärken, und bemühten sich, gelassen zu reagieren146 . So fragte Simon im August 1932 den Berliner Vertreter etwas gelangweilt, was an den „vermeintlichen Wünschen“ Deutschlands dran sei, die Reichswehr in der entmilitarisierten Zone einzusetzen147 , worauf Rumbold postwendend antwortete, Neurath habe ihm versichert, nicht am Status der Rheinlandzone zu rütteln148 . Und im Oktober 1932 erkundigte sich Rumbold beim britischen Generalkonsul in Frankfurt, ob dieser von Polizeimanövern in Baden gehört habe. Sicher wisse er davon, gab der zurück, aber irgendwer müsse

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de désarmement 9 décembre–17 avril 1934, préface de J.-B. Duroselle, Paris 1981, S. 292– 323. Aufzeichnung Bülow, Berlin, 6. 9. 1932, PA AA, R 29452; Instruktionen für den französischen Botschafter in Berlin, Paris, 26. 8. 1932, TNA, FO 371/15939; Aufzeichnung Sargent, London, 3. 9. 1932, ebenda; DDF, 1. Serie, Bd. I, Nr. 53, S. 85f., Nr. 130, S. 238 u. Nr. 280, S. 597f. Der Vorfall fand seine Erledigung durch die Übergabe eines Aide-Memoires an den französischen Botschafter am 26. Oktober 1932, in dem das Auswärtige Amt jegliches Stattfinden von Manövern in Baden abstritt. Ähnlich verliefen zwei weitere Fälle im November und Dezember 1932, als sich vermeintliche Verstöße gegen die Artikel 42 und 43 des Versailler Vertrages bei Seltz am Rhein sowie bei Rastatt nicht bestätigen ließen, Vermerk Bülow, Berlin, 22. 11. 1932, PA AA, R 74530; Aufzeichnung Friedberg, Berlin, 16. 12. 1932, ebenda; Paul-Boncour an Herriot, Paris, 22. 11. 1932, AMAEE, Série Z, La rive gauche du Rhin, Bd. 265 u. 266. Auslöser für den Vorfall waren die Forderungen deutscher Militärs, bei inneren Unruhen Reichswehr in die entmilitarisierte Zone entsenden zu dürfen, ohne eine Verletzung der Versailler Bestimmungen zu begehen; darüber waren die Franzosen, wie ein britischer Beobachter notierte, nicht begeistert, Tagebuch Kennedy, 13. 9. 1932, A. L. Kennedy: The Times and Appeasement. The Journals of A. L. Kennedy, 1932–1939, hg. v. G. Martel (Camden Fith Series, Bd. 16), London 2000, S. 53; vgl. Bennett: Rearmament, S. 195f. DDF, 1. Serie, Bd. IV, Nr. 260, S. 446–454 u. Nr. 261, S. 454–465; DBFP, 2. Serie, Bd. V, Nr. 399, S. 600–606 u. Nr. 406, S. 612–621; Tagebuch Weygand, 25. 9. 1933, Guelton: Weygand, S. 301. Aufzeichnung Hankey, London, 3. 9. 1932, TNA, FO 371/15939; Aufzeichnung Hankey, London, 14. 9. 1932, TNA, FO 371/15940. Simon an Rumbold, London, 25. 8. 1932, DBFP, 2. Serie, Bd. IV, Nr. 47, S. 103f. Die Deutschen hatten zwei Tage zuvor in Paris eine Note zur entmilitarisierten Zone übergeben, aus der die Franzosen solche Forderungen herauslasen, SHD, 4 N 91. Rumbold an Simon, Berlin, 30. 8. 1932, DBFP, 2. Serie, Bd. IV, Nr. 55, S. 113.

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ja die Ordnung in der Zone aufrechterhalten149 . Aber mit zunehmender Dauer und vor dem Hintergrund der inneren Entwicklungen in Deutschland seit Januar 1933 verfehlten die Pressionen aus Paris ihre Wirkung nicht länger. Im Foreign Office sah man, dass es bei dem ganzen Spuk um die entmilitarisierte Zone auch um die Frage der Sicherungen des Locarno-Rheinpaktes ging. Wenn es den Ausbau der Locarnoverpflichtungen weiter ablehnte, würde London gezwungen sein, Sicherheiten auf anderen Gebieten zu liefern; dazu war man an der Themse noch weniger bereit. Im Vorfeld des Simonplans und des deutschen Austritts aus dem Völkerbund spielte dieser Zusammenhang eine wichtige Rolle150 . Zum anderen war die Frage der Hilfspolizei eingebettet in den grundsätzlichen Dissens zwischen Paris und Berlin, ob den Wehrverbänden in Deutschland (SA, SS, Stahlhelm) ein militärischer Charakter zukäme, der bei der Berechnung der Heeresstärken für eine Rüstungskonvention einbezogen werden müsse. Die Franzosen, die genau dieses Ziel auf der Abrüstungskonferenz mit aller Macht verfolgten151 , versprachen sich einen zweifachen Nutzen. Erstens ging es ihnen darum, ein deutsches Heer zu verhindern, welches über ein Millionenpotenzial an Reservisten aus den Wehrverbänden verfügte; die Anrechnung der Verbände als „Heer“ hätte sich beträchtlich auf den Umfang der regulären Truppen ausgewirkt. Zweitens griff die französische Politik noch über dieses Ziel hinaus, was von der Forschung bislang übersehen wurde152 , obwohl es wichtige Auswirkungen auf die französische Taktik hatte. Demnach entsprangen die Versuche des Quai d’Orsay, SA und SS als militärische Formationen zu kennzeichnen, der Sorge, den Status der entmilitarisierten Zone mit allen Mitteln zu erhalten. Dort waren militärische Übungen und Maßnahmen zur Landesverteidigung bekanntlich untersagt. Würde es dem Reich gelingen, Wehrverbände als nichtmilitärische Organisationen anerkennen zu lassen, wäre die deutsche Führung in der Lage gewesen, durch die SA einen Grenzschutz aufzubauen, der nicht im Gegensatz zu den völkerrechtlichen Bestimmun149 150

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Newton an Simon, Berlin, 21. 10. 1932, ebenda, Nr. 164, S. 250f.; Aufzeichnung St. Clair Gainer, München, 12. 10. 1932, ebenda. Dem britischen Botschafter Phipps erklärte Simon im Dezember 1933 die Taktik des Foreign Office auf der Abrüstungskonferenz in Genf folgendermaßen: Um keine neuen Verpflichtungen eingehen zu müssen, sei die britische Regierung gezwungen gewesen, einen „indirekten Beitrag“ zur Sicherheit Europas zu leisten; deshalb habe London nach langem Zögern der französischen Contrôle-Doktrin und der Aufteilung des Abrüstungsprozesses in zwei Perioden zugestimmt, Simon an Phipps, London, 7. 12. 1933, TNA, FO 411/17. Vgl. Absolon: Wehrmacht, Bd. I, S. 123. Die Historiker behandelten die Frage, welche Rolle die SA auf der Abrüstungskonferenz gespielt hat, nur am Rande; sie gingen so selbstverständlich davon aus, dass es ein französisches Konferenzziel gewesen sei, SA/SS als reguläre Truppen anzusehen, dass sie es unterließen, genauer nach dem französischen Kalkül zu fragen.

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gen stand153 ; die Klauseln der entmilitarisierten Zone wären damit einfach unterlaufen154 . Eine große Gefahr für die Franzosen, doch eine Trumpfkarte für die Deutschen, die allerdings mitten in die Auseinandersetzung zwischen Reichswehr und SA zielte, wer den Primat der Landesverteidigung habe. Ein exklusiver SA-Grenzschutz im Westen, bei gleichzeitigem internationalem Verbot für die Reichswehr, sich dort zu betätigen, hätte den Horden Röhms ein Verteidigungsmonopol ermöglicht und einen Prestigeverlust der traditionsbewussten Militärs verursacht. Vor dem Hintergrund der Möglichkeiten und Gefahren eines SA-Grenzschutzes, die der Fall der Hilfspolizei wie in einem Brennglas gezeigt hatte, war die Reichswehrführung im Jahr 1933 gut beraten, vorsichtig zu taktieren. Obwohl Blomberg und Reichenau den SA-Grenzschutz unterstützten, viele Erfahrungen mit der SA in Ostpreußen gesammelt hatten155 und dafür sogar bereit waren, über die Umtriebe der SA hinwegzusehen156 , waren die Fortschritte im Laufe des Jahres 1933 gering, und in der entmilitarisierten Zone wurden überhaupt keine SA-Truppen aufgestellt157 . Dafür gab es mehrere Gründe. So galt es, die Geld- und Materialfrage zu klären und zu entscheiden, ob die SA für den Grenzdienst Waffen aus Wehrmachtsbeständen erhalten sollte, die die Reichswehr aber nur ungern herausgab. Ebenfalls war die Frage zu erörtern, wer für die Bezahlung der Männer und des Materials aufkam158 . Das Misstrauen der Reichswehr gegenüber den SA-Banden hielt auch im Frühjahr 1934 an. Mehrmals ermahnte der neue Chef der Heeresleitung, Fritsch, die Truppenkommandeure, sie sollten Verstöße der SA sorgfältig beobachten und sofort melden159 . Immer wieder verstießen einzelne SATrupps gegen die von der Reichswehr aufgestellten Richtlinien. So ein Fall 153

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Daladier an Paul-Boncour, Paris, 12. 4. 1933, DDF, 1. Serie, Bd. III, Nr. 122, S. 216–220; Newton an Simon, Berlin, 27. 9. 1933, BDFA, II, F, Bd. 44, Nr. 168, S. 318. Vgl. auch Aufzeichnung Frohwein, Berlin, 21. 1. 1935, PA AA, R 33133: „Die deutsche Regierung meint, SA, SS und RAD besäßen keinen militärischen Charakter und ihre Betätigung in der entmilitarisierten Zone widerlaufe nicht Artikel 42 des Versailler Vertrages (. . . ).“ Schon im Herbst 1933 errechnete Weygand, durch SA und SS besitze Deutschland im Westen einen Grenzschutz im Umfang von 15 bis 20 Divisionen, Tagebuch Weygand, 16. 11. 1933, Guelton: Weygand, S. 307. Rundschreiben Reichenau, Berlin, 22. 9. 1933, zit. bei E. Hancock: Ernst Röhm. Hitler’s SA Chief of Staff, New York 2008, S. 135; vgl. Höhne: Mordsache, S. 189. Böckmann an Foertsch, Frankfurt/M., 10. 5. 1957, IfZ, ZS 11; Aufzeichnung Beck, Berlin, 11. 12. 1933, BA-MA, RH 2/25; Blomberg an Beck, Berlin, 3. 5. 1934, ebenda; R. Diels: Lucifer ante portas. Zwischen Severing und Heydrich, Zürich o. J. [1950], S. 219; vgl. Deist: Wehrmacht, S. 407; D. C. Watt: German Plans for the Reoccupation of the Rhineland: A note, in: JCH 1 (1966), S. 193–199, hier S. 196. Vgl. auch die Haltung Schleichers zu dieser Frage: AdR Brüning, Bd. 1, Nr. 206, S. 751ff. Vgl. Bracher/Sauer/Schulz: Machtergreifung, S. 888. IMT, Bd. XXIX, S. 1–12; vgl. Höhne: Mordsache, S. 211. Vgl. Hancock: Röhm, S. 149.

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ereignete sich, als die SA im Februar 1934 so genannte Hilfswerklager in der entmilitarisierten Zone errichtete160 und begann, bewaffnete Stabswachen aufzustellen, die wiederholt die Proteste der Reichswehr hervorriefen. Nachdem die Verfügungen Röhms, den Stabswachen öffentliches Auftreten zu verbieten, wirkungslos geblieben waren, intervenierte Blomberg am 2. März 1934 bei Hitler. Trotz aller Zusicherungen Röhms, so schrieb er an den Kanzler, stünden allein im Wehrkreis VI (Münster) zwischen 6000 und 8000 SA-Männer unter Waffen. Ein derartiges Verhalten, so Blomberg, mache alle Vorsichtsmaßnahmen der Wehrmacht in der entmilitarisierten Zone zwecklos161 . Zur selben Zeit wurde ein hoher Gestapo-Funktionär bei Göring vorstellig. Er legte dem preußischen Ministerpräsidenten eine Denkschrift vor, in welcher Beschwerden verzeichnet waren, die die Oberpräsidenten des Rheinlandes und Westfalens seit Dezember 1933 über die Umtriebe der SA bei ihm abgegeben haben. Göring, der sogleich die Brisanz der Dokumente erkannte, arrangierte einen Empfang bei Hitler für den 12. Januar 1934, um diesem die Situation im Rheinland zu schildern162 . Als weiterer Grund kam hinzu, dass die ersten Erfahrungen, die man mit dem SA-Grenzschutz sammelte, alles andere als ermutigend waren163 . Weil Blomberg und Reichenau wussten, welche Wirkung ihre Pläne für Landesverteidigung haben würden, wenn sie im Ausland bekannt würden, ordneten sie an, alle Maßnahmen des Landesschutzes geheim durchzuführen. Alle Schwierigkeiten sollten „von unten her geglättet werden“164 , damit die Reichswehr überhaupt nicht in Erscheinung treten musste. Glaubte die Reichswehr, sich damit genug abgesichert zu haben, raubte sie gleichzeitig dem Grenzschutz jegliche Durchschlagskraft. Der wichtigste Grund, der den zügigen Ausbau des Grenzschutzes verhinderte, war aber der umfassende Führungsanspruch der SA. Während man im Bendlerblock den Standpunkt vertrat, Grenzschutz und SA unterstünden dem Reichswehrministerium165 , legte die Spitze der SA unter Röhm im Fe160 161 162 163

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IfZ, ZS 251-1; vgl. Absolon: Wehrmacht, Bd. I, S. 103. Blomberg an Hitler, Berlin, 2. 3. 1934, IMT, Bd. XXXVI, S. 73f.; Röhm an Hitler, Berlin, 6. 3. 1934, ebenda, S. 72f. Diels: Lucifer, S. 273-280; Ursachen und Folgen, Bd. X, Nr. 2369, S. 146–149. Müller und Eckardt an Hoßbach, Siegen, 17. 6. 1933, IfZ, ED 33, Bd. 1; Aufzeichnung Fretter-Pico, Sandhausen, o. D. [Oktober 1951], IfZ, ZS 39-1; vgl. I. v. Fallois: Kalkül und Illusion. Der Machtkampf zwischen Reichswehr und SA während der Röhm-Krise 1934 (Beiträge zur Politischen Wissenschaft, Bd. 75), Berlin 1994 (Diss. phil. Göttingen 1993), S. 92; Höhne: Mordsache, S. 191. Die Erfahrungen mit dem SA-Grenzschutz waren sogar so schlecht, dass manch einer meinte, Röhm wolle sich den Grenzschutz durch bewusstes Sabotieren „auf kaltem Wege“ aneignen, IfZ, ZS 105. Ursachen und Folgen, Bd. X, Nr. 2357a, S. 117. Aufzeichnung Liebmann über die Besprechungen am 2. und 3. Februar 1934, o. O., o. D., IfZ, ED 1, Bd. 1.

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bruar 1934 eine Denkschrift vor, die nichts Geringeres als die Umwälzung der deutschen Verteidigungspolitik zum Inhalt hatte. Demnach plante Röhm den Aufbau eines Milizheeres über 300 000 Mann, das im Gegensatz zu den Geheimrüstungen der Wehrmacht durch Vereinbarungen mit den Westmächten international legalisiert sein sollte166 ; gleichzeitig wurde die Aufgabe der Landesverteidigung, deren militärischer Schwerpunkt auf dem Grenzschutz lag, als Domäne der SA reklamiert167 . Dieses Ansinnen lehnte die Reichswehr unter Verweis auf die außenpolitische Lage ab168 – ein deutlicher Seitenhieb auf die Situation im entmilitarisierten Rheinland169 . Das war der Stand, bei dem sich Hitler in die Auseinandersetzung einschaltete. Bislang hatte er in der SA-Frage vorsichtig agiert, um sich der „gefährlichen Greifzange“170 zu entziehen, die der militärpolitische Zielkonflikt, sich zwischen Reichswehr und SA entscheiden zu müssen, für ihn bildete. Hatte er zwischenzeitlich ins Auge gefasst, die Reichswehr in eine Milizarmee umzuwandeln, musste er im Frühjahr 1934 einsehen, dass mit den undisziplinierten Horden Röhms ein Lebensraumkrieg im Osten nicht zu machen war171 . Ende Januar 1934 sprach Hitler auf einer SA-Tagung in Friedrichroda erstmals davon, die SA langfristig in der Reichswehr aufgehen zu lassen172 . Die SA-Miliz sei nicht zur kleinsten Landesverteidigung fähig, untermauerte Hitler im Februar 1934 seine Ziele, er aber brauche eine Armee, die in der Lage sei, kurze Militärschläge nach Westen und Osten durchzuführen173 . Vor diesem Hintergrund war es nicht sinnvoll, weiterhin an Röhm und der SA festzuhalten, und kaum mehr notwendig, die Umtriebe der SA in der entmilitarisierten Zone zu erdulden. Ende März 1934 endete die erst im Frühjahr 1933 begonnene Grenz-

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Aufzeichnung Siegler, München, 8. 5. 1952, IfZ, ZS 251-1; Jordan: Weg, S. 128–130. Die Denkschrift ist nicht erhalten. Hinweise auf ihren Inhalt in Aufzeichnung Selle: „Blombergs Einstellung zu Hitler“, o. O., 1969, BA-MA, MSg 1/2; Aufzeichnung Liebmann über die Besprechungen am 2. und 3. Februar 1934, o. O., o. D., IfZ, ED 1, Bd. 1; Aktenvermerk Krüger, Berlin, 23. 2. 1934, Ursachen und Folgen, Bd. X, Nr. 2367a, S. 135f. Vgl. Fallois: Illusion, S. 105; Hancock: Röhm, S. 144; H. Klotz: Germany’s Secret Armaments, London 1934, S. 71. IfZ, ED 1, Bd. 1. In einer Vortragsnotiz vom 12. Februar 1934 hieß es, im Herbst 1933 sei vereinbart worden, die SA aus der entmilitarisierten Zone zurückzuziehen, weil militärische Vorbereitungen in der Zone großen Schaden anrichten können. Seitdem habe sich die außenpolitische Lage nicht geändert, Vortragsnotiz, o. V., Berlin, 12. 2. 1934, BA-MA, RH 2/25. Schmidt: Außenpolitik, S. 145. Ebenda, S. 139f. u. S. 145f. Tagebuch Goebbels, 24. 1. 1934, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 2/III, S. 361; Klotz: Armaments, S. 71. Aufzeichnung Weichs für Foertsch, Rösberg, o. D. [März 1952], IfZ, ZS 182.

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schutzausbildung, und alle Reichswehroffiziere wurden aus den Wehrlagern der SA abgezogen174 . Gleichzeitig schlossen SA und Reichswehr am 28. Februar 1934 unter der Schirmherrschaft Hitlers ein „Abkommen“, wonach alle Maßnahmen zur Landesverteidigung der Reichswehr unterlagen, und die SA lediglich für eine „Übergangszeit“ (die bis zur Einführung der Wehrpflicht gelten sollte) zu Maßnahmen des Grenzschutzes herangezogen werden sollte175 . Auf dieser Grundlage trafen sich die Spitzen der Reichswehr und der SA zu einer Führerbesprechung in Bad Nauheim vom 7. bis 9. Mai 1934 und stellten dort die letzten Weichen zum Aufbau eines Grenzschutzes. Entsprechend des Abkommens vom Februar 1934 wurde auch die SA in die Planungen einbezogen176 . Das Ziel der Reichswehr war es, Richtlinien zu erarbeiten, die die Zusammenarbeit der Reichswehr mit den nationalsozialistischen Verbänden (SA, SS, NSKraftfahrerkorps, Reichsarbeitsdienst) regelten. Wenige Tage darauf zog auch Reichsaußenminister Neurath die Bedenken zurück, die das Auswärtige Amt bislang gegen den Grenzschutz ins Feld geführt hatte177 . Reichswehrministerium und Reichsinnenministerium verlegten nun zusätzliche Einheiten der Landespolizei in die Rheinlandzone und bereiteten sie auf den militärischen Ernstfall vor. An den Übungen, die zweimal die Woche stattfanden, nahmen auch SA-Stürme teil178 . Im Juni 1934 fiel der Startschuss für den Aufbau des Ortsschutzes in Teilen der entmilitarisierten Zone179 . Gleichzeitig begann das Reichswehrministerium damit, zivile Einrichtungen (Brücken, Baracken, etc.) so anzulegen oder umzuwidmen, dass sie im Krieg strategisch einsetzbar 174 175

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Vgl. Deist: Wehrmacht, S. 410; IMT, Bd. XXXI, S. 162f. u. S. 165–167. Mellenthin an Krausnick, München, 12. 2. 1955, IfZ, ZS 105; Aufzeichnung Foertsch, München, 3. 4. 1952, IfZ, ZS 37; Aufzeichnung Gaertner, o. O., o. D., IfZ, ZS 44; Aufzeichnung Weichs über eine Rede Hitlers am 28. Februar 1934, o. O., o. D., Müller: Dokumentation, Nr. 58, S. 195; vgl. Höhne: Mordsache, S. 204f. BDFA, II, F, Bd. 46, Nr. 3, S. 9f. Vor dem Hintergrund der schwachen Kräfte im Westen hatte der Reichswehrminister schon seit Februar mit dem Gedanken gespielt, einen SAGrenzschutz auf dem linken Rheinufer zuzulassen, Aufzeichnung Liebmann über die Besprechungen am 2. und 3. Februar 1934, o. O., o. D., IfZ, ED 1, Bd. 1. Neurath an Blomberg, Berlin, 16. 5. 1934, ADAP, C, Bd. II, 2, Nr. 452, S. 802f.; vgl. Castellan: Le réarmement, S. 395; Geyer: Aufrüstung, S. 381. Hitler und Blomberg hatten dem Außenminister im Gegenzug versichert, dass die Militärübungen der SA künftig eingeschränkt würden, vgl. Hancock: Röhm, S. 150. Deutschland-Bericht der Sopade, Prag, 17. 5. 1934, Deutschland-Berichte, S. 59f. Weisung Blomberg, 30. 5. 1934, PA AA, R 34015; Aufzeichnung Bülow, Berlin, 15. 6. 1934, ebenda; Deutschland-Berichte, Bd. 1, S. 342. Freilich mussten die Geheimhaltungsvorschriften für den Ortsschutz im Bereich der entmilitarisierten Zone im Herbst 1934 verschärft werden, Hs. Vermerk, o. V., [Berlin], 3. 9. 1934, PA AA, R 34015; Erlass Blomberg, 5. 11. 1934, ebenda; vgl. R. Absolon: Die Wehrmacht im Dritten Reich, Bd. III: 3. August 1934 bis 4. Februar 1938 (Schriften des Bundesarchivs, Bd. 16/III), Boppard a. Rh. 1975, S. 63ff.

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waren180 . Der Reichsarbeitsdienst errichtete entlang der Westgrenze große Arbeitsdienstlager, um dort militärische Baumaßnahmen auszuführen181 . Dem Auswärtigen Amt, das über solche Maßnahmen meist nur im Nachhinein informiert wurde, blieb nichts anderes übrig, als gelegentlich auf die Gefahren hinzuweisen, die ein Auffliegen der Tarnung in der Rheinzone für die Sicherheit des Reiches bedeuten würde182 . Der zweite Grund, warum es der Reichswehr nicht gelang, in Westdeutschland einen tragfähigen Grenzschutz aufzubauen, obwohl die blutige Zerschlagung der SA-Führung am 30. Juni 1934 die Militärs von ihrem gefährlichsten Gegner befreit hatte, war die Tatsache, dass das Auswärtige Amt ab 1934 zunehmend in die Rolle als Bremser gegenüber allen Militärmaßnahmen in der Rheinlandzone schlüpfte. Zunächst war das Auswärtige Amt nur über Einzelmaßnahmen im Bilde und versuchte, mäßigend auf die NS-Wehrverbände einzuwirken183 . Erst Ende September 1933 erfuhr man in der Wilhelmstraße vom ganzen Ausmaß der Reichswehrpläne, die NS-Wehrverbände und den Stahlhelm systematisch zu Grenzschutzaufgaben auch im Westen des Reiches heranzuziehen. Am 30. September 1933 übermittelte der Verbindungsmann zur Reichswehr, Legationsrat Adolf v. Bülow, eine Studie des Bendlerblocks, die sich ausführlich mit dem VGAD beschäftigte. Demnach beabsichtigte die Reichswehr, in der entmilitarisierten Zone ein ganzes Gerüst von Grenzschutzmaßnahmen aufzubauen, das von Zollbeamten und Wehrverbänden getragen sein sollte. Die Diplomaten waren entsetzt. Um die Vereinbarkeit dieser Maßnahmen mit den Bestimmungen der entmilitarisierten Zone sicherzustellen, schrieb Bülow, müsse unbedingt die Beteiligung des Auswärtigen Amtes sichergestellt sein, und bat dringend um Instruktionen für die nächste Sitzung zum Grenzschutz, die für Anfang Oktober geplant war. Schnell wurde man sich im Auswärtigen Amt klar, dass der Aufbau einer von der SA gestellten Grenzarmee im Westen Deutschlands aus außenpolitischen Gründen untragbar sei. Kernpunkt der Kritik war die entmi180 181 182 183

Köpke an das Reichswehrministerium, Berlin, 19. 7. 1934, PA AA, R 30037; DeutschlandBerichte, Bd. 1, S. 788f. Klotz: Armaments, S. 27–29. Vgl. Geyer: Aufrüstung, S. 382. Befehl der Obersten SA-Führung, 25. 7. 1933, IMT, Bd. XXXV, S. 6f.; Frick an die Reichsstatthalter und die Innenministerien der Länder, Berlin, 6. 7. 1933, AdR Hitler, Bd. I, 1, Nr. 182, S. 637–640; Ursachen und Folgen, Bd. X, Nr. 2323, S. 36–38. Am 1. September 1933 alarmierte Bülow das Reichsinnenministerium, es hätte Zwischenfälle mit der SA an der deutsch-schweizerischen Grenze gegeben. Das gleiche galt auch für den Osten Deutschlands. Dort wurde es der SA schon im April 1933 verboten, an der Grenze aufzumarschieren oder in der Nähe der Grenze Waffen zu tragen, Bülow an das Reichsinnenministerium, Berlin, 1. 9. 1933, PA AA, R 34015; Befehl der SA-Gruppe Schlesien, Breslau, 24. 4. 1933, Ursachen und Folgen, Bd. X, Nr. 2348 a, S. 98. Vgl. auch Klotz: Armaments, S. 69f.

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litarisierte Zone. In einer Vorlage der Abteilung II vom 3. Oktober 1933 wurde allen Plänen, dort einen Grenzschutz einzurichten, eine glatte Absage erteilt. Grenzvorbereitungen im Westen, so hieß es, wären niemals in der Lage, einen französischen Vormarsch ins Rheinland zu stoppen. Umgekehrt würden sie die strategische Lage im Kriegsfall verschlechtern, weil jeder Verstoß gegen die entmilitarisierte Zone am Rhein nicht nur die Locarnogaranten England und Italien, sondern auch Polen und die Tschechoslowakei an die Seite Frankreichs treiben würde. Schon in Friedenszeiten, so die Aufzeichnung, sei die Verletzung der entmilitarisierten Zone ein Sicherheitsrisiko für das Reich, weil sie Frankreich das Recht zur Invasion in Deutschland gab. Das ernüchternde Fazit lautete: „Der Grenzsicherung im Westen steht die Gefährdung für das ganze Reich gegenüber.“184 Dem stimmte eine weitere Aufzeichnung vom 4. Oktober 1933 zu und ergänzte, der Grenzschutz im Westen könnte als Neuauflage der SA-Hilfspolizei erscheinen, deren Auflösung doch Hitler im Mai zugesichert hatte. Schließlich erteilte das Auswärtige Amt allen Versuchen, den Grenzschutz im Westen nicht durch SA/SS, sondern durch Beamte der Zollaufsicht durchführen zu lassen, eine Absage185 . Diesem Kurs lag die Erkenntnis zu Grunde, dass die entmilitarisierte Zone „der empfindlichste Punkte innerhalb des Abrüstungsproblems“186 geworden war. Seit August 1933 mehrten sich die Gerüchte, Frankreich habe Material über deutsche Verstöße gegen die Rheinzone gesammelt und wolle London und Genf für ein Vorgehen gegen Deutschland scharfmachen187 . Tatsächlich lag der Quai d’Orsay den Briten seit einem halben Jahr mit deutschen Verfehlungen in den Ohren. Seit April versorgte der Kriegsminister das französische Außenministerium regelmäßig mit Material zur Lage im Rheinland. Anfang Juli 1933 gab Paul-Boncour dem Botschafter in London den Auftrag, die Briten mit den Erkenntnissen vertraut zu machen188 , und knapp vier Wochen später übersandte er eine offizielle Note, die minutiös auf die deutschen Verstöße gegen Teil V des Versailler Vertrages einging, und schlug vor, England und Frankreich sollten ihre Erkenntnisse über die Geheimrüstungen abgleichen189 . Am 13. Septem184 185 186 187

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Aufzeichnung Rintelen, Berlin, 3. 10. 1933, PA AA, R 74530. Aufzeichnung, o. V., Berlin, o. D. [Oktober 1933], PA AA, R 34015; Aufzeichnung Schmieden, Berlin, 4. 10. 1933, ebenda. Ebenda. Aufzeichnung Schwendemann, Berlin, 21. 8. 1933, PA AA, R 32030; Köster an das Auswärtige Amt, Paris, 19. 9. 1933, PA AA, R 32040; Köster an das Auswärtige Amt, Paris, 23. 9. 1933, PA AA, NL Nadolny, Bd. 6/2. Schon seit dem Sommer 1932 hatte der Quai d’Orsay immer wieder damit gedroht, ein Dossier über die deutschen Geheimrüstungen zu veröffentlichen, AdR Papen, Bd. 2, Nr. 163, S. 740. DDF, 1. Serie, Bd. III, Nr. 213, S. 369–372 u. Nr. 448, S. 818–821; DDF, 1. Serie, Bd. IV, Nr. 174, S. 295–298. DBFP, 2. Serie, Bd. V, Nr. 359, S. 540f.; Paul-Boncour an Corbin, Paris, 31. 7. 1933, DDF,

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ber übermittelte Frankreich ein weiteres Schriftstück, welches neue deutsche Verstöße gegen die Bestimmungen des Versailler Vertrages auflistete. Bezüglich der entmilitarisierten Zone kritisierte Paris darin die Vorbereitungen für den Landesschutz sowie bauliche Maßnahmen, die der Anlage von Flugplätzen dienten190 . Solche Verstöße, so wussten Neurath und Bülow, könnten leicht dafür sorgen, dass sich London an die Seite Frankreichs stellte, was nicht nur die deutsche Sicherheit gefährdet, sondern auch die Verhandlungsposition in Genf entscheidend geschwächt hätte191 . In dieser Lage entschlossen sich die Beamten des Auswärtigen Amtes, keine weiteren offiziellen Dementis herauszugeben, deren Nutzlosigkeit vor allem Bülow und Köpke monierten192 , sondern auf die Reichswehr einzuwirken, den Zustand in der Rheinlandzone künftig besser zu beachten. Dies waren die Leitlinien, mit denen das Auswärtige Amt in die Verhandlungen über den Grenzschutz ging. Am 10. Oktober 1933 trafen sich Vertreter aller beteiligten Ministerien, also auch des Auswärtigen Amtes und der Reichswehr, zu einer Besprechung über den Grenzschutz im Bendlerblock. Gegenstand war die Studie vom 28. September 1933, die die Möglichkeiten einer verstärkten Grenzaufsicht im Westen thematisierte193 . Ganz auf der Linie, die die Aufzeichnungen des Auswärtigen Amtes vorgegeben hatten, warnte der Vertreter des Außenamtes, Adolf v. Bülow, vor jedem Verstoß gegen den Rheinpakt von Locarno und den Versailler Vertrag: „Ich wies besonders darauf hin, dass die Westgrenze des Reiches und insbesondere die entmilitarisierte Zone Reichsgebiet ist, in dem (. . . ) alles zu unterbleiben hat, was den Versailler Signatarmächten und insbesondere Frankreich den Vorwand und die Berechtigung geben kann und geben muss, die im Versailler und im Locarno-Vertrag vorgesehenen Zwangsmaßnahmen gegen Deutschland in Gang zu setzen.“194 Weitere Bedenken äußerte Bülow hinsichtlich der Pläne, paramilitärische Verbände in zunehmendem Umfang zur Grenzaufsicht und zum Zolldienst heranzuziehen. Zu materiellen Zugeständnissen konnte Bülow die Militärs

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1. Serie, Bd. IV, Nr. 65, S. 118–128. Darin wurde dem Reich u. a. die Hilfspolizei, Grenzschutz und der militärische Charakter der Polizei vorgeworfen. Paul-Boncour an Cambon, Paris, 13. 9. 1933, DDF, 1. Serie, Bd. IV, Nr. 209, S. 350–353. Das Memorandum trägt das Datum vom 12. September. Wie prekär die Lage schon geworden war, zeigte eine Unterredung Nadolnys mit Mitgliedern der französischen Abrüstungsdelegation am 9. Oktober 1933, in welcher ihm die Franzosen vorwarfen, Deutschland verstoße in der entmilitarisierten Zone gegen Locarno, vgl. Bennett: Rearmament, S. 477. Vermerk Köpke, Berlin, 13. 10. 1933, PA AA, R 32040; Aufzeichnung Frohwein, Berlin, 17. 10. 1933, ebenda. ADAP, C, Bd. I, 2, Nr. 490, S. 891–893. Ebenda, S. 892.

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nicht bewegen, die immerhin versprachen, die Existenz der Studie sowie alle bereits getroffenen Maßnahmen vorläufig geheim zu halten. Das Auswärtige Amt hoffte demgegenüber, einen Kompromiss zu finden zwischen den „außenpolitischen Bedenken“ und den „militärischen Notwendigkeiten“, wozu es Anfang Oktober durchaus einige Anzeichen gab. So entzog Innenminister Frick „im besonderen Auftrag Hitlers“ den SA-Abteilungen alle polizeilichen Kompetenzen, sofern sie nicht ausdrücklich im Grenzdienst tätig waren, und am 10. Oktober 1933 verbot Fritsch mit sofortiger Wirkung alle SA-Übungen in der entmilitarisierten Zone195 . Es gelang dem Auswärtigen Amt aber nicht, die Militärs auf eine gemeinsame Linie einzuschwören: Während Blomberg und Reichenau nur die revolutionären Exzesse verurteilten und glaubten, die SA durch Einbau in den Grenzschutz disziplinieren zu können, lehnten Neurath und Bülow beides – SA-Übergriffe und Grenzschutzpläne – kategorisch ab, weil sie die Sicherheit des Reiches bedrohten. Und so wurde es in der Praxis immer schwieriger, die Grenzschutzvorhaben zu verhindern. War die Weisung Hitlers vom 17. Oktober 1933 im Kern dafür konzipiert, den „vertragsmäßigen Zustand“ in der entmilitarisierten Zone besser überwachen zu können, hatte das Auswärtige Amt damit gleichzeitig die Verfügungsgewalt über die entmilitarisierte Zone verloren. Die dem Reichswehrminister übertragenen Vollmachten, um den „Einklang von Wehr- und Außenpolitik“ sicherzustellen196 , hatten den Effekt, dass dadurch den Reichswehrstellen das Recht vorbehalten war, über jede Änderung am Rhein in letzter Instanz zu entscheiden. Im Auswärtigen Amt war man zunächst gar nicht unglücklich über diese Regelung. „Mit dem Inhalt bin ich durchaus einverstanden“, antwortete Neurath am 6. November 1933 auf die Mitteilungen Blombergs197 . Immerhin versprach die Regelung eine neue „Lastenverteilung“ zwischen den Ministerien. Hatte bislang das Auswärtige Amt den Militärs mit seinen Klagen in den Ohren gelegen, in der Rheinlandzone nicht über die Stränge zu schlagen, war es von nun an die Aufgabe des Reichswehrministeriums, für die Einhaltung der Richtlinien Hitlers zu sorgen, und die Militärs mussten auch gegenüber Röhms SA und Görings Luftwaffe darauf pochen, die gleichen Grundsätze anzuwenden. Indes zeigte sich schnell, dass die Reichswehr die Verfügung vom 17. Oktober nicht als Einschränkung interpretierte, sondern darin einen Freibrief sah, in der entmilitarisierten Zone nach ihren Vorstellungen zu schalten und zu walten. Dagegen versuchte das Auswärtige Amt im Herbst 1933 und Frühjahr 1934 anzukämpfen, wie eine Reihe von Beispielen zeigt. Maßnahmen der Landespolizei, die das Reichswehrministerium in der ent195 196 197

AdR Hitler, Bd. I, 2, Nr. 227, S. 896f. u. Nr. 230, S. 907 Anm. 16. Blomberg an Neurath, Berlin, 1. 11. 1933, ADAP, C, Bd. II, 1, Nr. 39, S. 60–62. Ebenda, S. 62 Anm. 5.

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militarisierten Zone vorantrieb, trafen meist auf das Einverständnis des Auswärtigen Amtes198 . Wenn das Amt einmal Bedenken äußerte, beschränkte es sich meist darauf, die Aktionen so weit als möglich hinauszuzögern, wie bei der Frage der Verlegung mehrerer Hundertschaften Polizei in Standorte der entmilitarisierten Zone im Herbst 1933 (u. a. Aachen, Koblenz, Hanau)199 , die auf Bitten der Diplomaten erst nach einem Nachweis der Notwendigkeit der Verlegungen und dann nicht vor dem 1. Februar 1934 stattfinden sollten200 . Eine aufschiebende Taktik verfolgte das Auswärtige Amt auch in den Verhandlungen über den VGAD. Auf einer Sitzung des Arbeitsausschusses des Reichsverteidigungsrates vom 23./24. Januar 1934 berichtete Beck über die Arbeiten am Grenzschutz im Westen. Der VGAD, so Beck, sei nur „papiermäßig vorbereitet“201 . Er wies aber im weiteren Verlauf seiner Rede auf die hohe Bedeutung des VGAD hin. Nach einem Bericht über die laufenden Aktivitäten (u. a. Bahnschutz, Aufbau eines Kabelnetzes), verlieh er seinem Wunsch Ausdruck, in wenigen Monaten eine Grenzsicherung im Westen des Reiches aufbauen zu können202 . In diesem Sinne fragte wenige Tage später Rudolf Schmundt, damals in der Organisationsabteilung, einen Mitarbeiter des Außenamtes, ob das Veto der Diplomaten gegen die Grenzaufsicht noch gelte. Daraufhin kontaktierte Bülow sofort Sodenstern im Truppenamt, um ihm mitzuteilen, dass sich die Haltung des Auswärtigen Amtes in dieser Frage nicht geändert habe und das Amt sich weiterhin weigere, einen Grenzschutz im Rheinland zu unterstützen. Sodenstern beruhigte ihn, Fritsch und Beck hätten die Sache besprochen und Beck teile den Standpunkt des Auswärtigen Amtes. Eine Entscheidung sei nicht getroffen worden, weil dies die Aufgabe Hitlers sei, aber eine Beteiligung des Auswärtigen Amtes sei selbstverständlich vorgesehen, um den außenpolitischen Bedenken Rechnung zu tragen203 . Eine andere Frage sei es natürlich, fügte Sodenstern hinzu, ob die Wehrverbände dieselbe außenpolitische Zurückhaltung wie die Reichswehr üben würden. Mit dieser Entscheidung blieb der VGAD bis auf Weiteres suspendiert. Darüber hinaus beharrte das Auswärtige Amt darauf, „auf Kundgebungen 198 199 200

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Aufzeichnung Frohwein, Berlin, 9. 11. 1933, PA AA, R 32040. Deutschland-Bericht der Sopade, Prag, 10. 1. 1935, Deutschland-Berichte, Bd. 1, S. 808f. Das Reichsinnenministerium an das Auswärtige Amt, Berlin, 13. 11. 1933, PA AA, R 32040; Aufzeichnung Frohwein, Berlin, 16. 11. 1933, ebenda; Aufzeichnung Frohwein, Berlin, 29. 11. 1933, ebenda; Henrici an Schwendemann, Berlin, 17. 10. 1933, PA AA, R 32058. IMT, Bd. XXXVI, S. 387. Noch im April 1934 stellte Adam in einer Aufzeichnung fest, der Grenzschutz besitze bislang nur „örtlichen Charakter“, vgl. H.-J. Rautenberg: Drei Dokumente zur Planung eines 300 000 Mann-Friedensheeres aus dem Dezember 1933, in: MGM 22 (1977), S. 103–139, hier S. 133 Anm. 116. Bericht über die sechste Sitzung des Ausschusses des Reichsverteidigungsrates vom 23./24. Januar 1934, Berlin, 7. 2. 1934, IMT, Bd. XXXVI, S. 384. Aufzeichnung Bülow, Berlin, 29. 3. 1934, PA AA, R 30037.

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mit militärischem Charakter“ in der entmilitarisierten Zone zu verzichten, solange sich die Abrüstungsfrage in einem akuten Stadium befände204 . Dies zielte nach Lage der Dinge weniger auf Aktionen der Reichswehr, die ja gemäß den Weisungen Blombergs in der Rheinlandzone offiziell nicht in Erscheinung trat, sondern auf die Umtriebe der Wehrverbände und Kriegervereine. So verhinderten im Januar 1934 Außenamt und Reichswehrministerium gemeinsam die Abhaltung eines Reichskriegertages in Frankfurt/M.205 . Dieses Verbot, so die Vorlage Frohweins, gelte auch für alle anderen Städte, die in der entmilitarisierten Zone lagen206 . Als der Kyffhäuserbund wenige Wochen später erneut wegen eines Kriegertages anfragte, entschieden alle beteiligten Ministerien – Auswärtiges Amt, Reichswehrministerium und Propagandaministerium – gemeinsam, Aufmärsche von SA und SS in der entmilitarisierten Zone grundsätzlich zu untersagen. In diesem Sinne sollten die Reichsstatthalter in einer Besprechung mit Hitler am 19. März 1934 instruiert werden207 . Obwohl das Auswärtige Amt auf Mäßigung drängte und auch das Reichswehrministerium die Notwendigkeit einsah, sich in der Zone zurückzuhalten208 , nahm die Zahl solcher Kundgebungen im Sommer 1934 wieder zu209 . Zwar stand auch das Auswärtige Amt auf dem Standpunkt, dass „Erinnerungsfeiern von Regimentsvereinen im kleinen Rahmen“ juristisch keinen Verstoß gegen die Bestimmungen der Artikel 42 und 43 des Versailler Vertrages darstellten und daher keinen Einschränkungen unterworfen seien210 , fand es aber aus politischen Gesichtspunkten sinnvoll, darauf zu achten, dass solche Feierlichkeiten nicht überhandnahmen. „Wir können jetzt wirklich keine Zwischenfälle in der demilitarisierten Zone gebrauchen“211 , umriss Köpke die Haltung des Auswärtigen Amtes, und Bülow ergänzte, der Reichswehrminister habe sich doch eigens Vollmachten geben lassen, damit in der Zone nichts passierte, und fragte ratlos: „Wozu hat er die?“212 Erst jetzt verabschiedeten Auswärtiges Amt und Reichswehrministerium gemeinsam, unter Umgehung der SA, einen Katalog von Regeln, die militärisches Auftreten und Kundgebungen in der entmilitarisierten Zone festlegen sollten. Demnach sollten Paraden mit rein militärischem Charakter sowie das Auftre204 205 206 207 208 209 210 211 212

Aufzeichnung Frohwein, Berlin, 14. 4. 1934, PA AA, R 32040. Das Reichswehrministerium an Frohwein, Berlin, 19. 1. 1934, ebenda. Aufzeichnung Frohwein, Berlin, 22. 1. 1934, ebenda. Aufzeichnung des Auswärtigen Amtes, Berlin, 17. 3. 1934, AdR Hitler, Bd. I, 2, Nr. 317, S. 1186f. Schönheinz an das Auswärtige Amt, Berlin, 21. 4. 1934, PA AA, R 32040. Goebbels an Neurath, Berlin, 16. 6. 1934, ebenda. Aufzeichnung Renthe-Fink, Berlin, 14. 6. 1934, ADAP, C, Bd. III, 1, Nr. 2, S. 3; Aufzeichnung Frohwein, Berlin, 5. 7. 1934, PA AA, R 32040. ADAP, C, Bd. III, 1, Nr. 2, S. 3 Anm. 5. Ebenda.

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ten von SA und SS in der Zone untersagt werden. Erlaubt waren nur „Feiern der Gesamtbevölkerung in einem beschränkten Bezirk“213 . Für das weitere taktische Vorgehen empfahl Frohwein, Reichswehrministerium und Auswärtiges Amt sollten „unter der Hand“ in Erfahrung bringen, was SA und SS in der entmilitarisierten Zone planten, und sich dann über ein gemeinsames Vorgehen abstimmen214 . Ein weiteres Beispiel, das die unterschiedlichen Einstellungen zur entmilitarisierten Zone verdeutlicht, war die Frage von Flugplätzen im Rheinland. In der so genannten Barthou-Note vom 17. April 1934 beendete Paris alle Rüstungsgespräche und erklärte, fortan selbst für seine Sicherheit sorgen zu wollen. Die Forschung hat die Bedeutung dieser Note früh erkannt. In den Augen der Historiker markierte sie das Scheitern der deutschen Versuche, die Aufrüstung durch bilaterale Übereinkommen zu legalisieren215 , und bildete dadurch einen weiteren Schub in der „Spirale der Unsicherheit“216 , die die deutsche Rüstungs- und Militärpolitik seit 1933 ankurbelte. Mit Blick auf Locarno enthielt die Barthou-Note aber noch eine weitere Facette. Begründet wurde dieser Schritt nämlich unter anderem mit dem Vorwurf an Deutschland, heimlich Flugplätze in der entmilitarisierten Zone anzulegen217 . Mit der Offenlegung dieser Geheimrüstungen war der Versuch des Reichswehrministeriums, auf eigene Faust für die Tarnung und Geheimhaltung aller Rüstungsmaßnahmen in der Zone zu sorgen, schon im Ansatz gescheitert. Die Sondervollmachten, die sich das Reichswehrministerium von Hitler hatte geben lassen, erwiesen sich als wertlos. Gleichzeitig entzog die französische Note der Strategie des Auswärtigen Amtes, den Westmächten vorzugaukeln, man halte uneingeschränkt an Locarno fest, den Boden. Entsprechend groß war die Verwunderung in der Wilhelmstraße. Die Diplomaten rieben sich beim Lesen der französischen Note ordentlich die Augen vor Verblüffung, was den Deutschen alles an Vergehen vorgeworfen wurde. Wütend wandte sich Frohwein am 19. April 1934 an alle Wehrministerien und bat um Stellungnahme, was an den Vorwürfen über Flugplätze in der

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Blomberg an Goebbels, Berlin, 30. 6. 1934, PA AA, R 32040. Aufzeichnung Frohwein, Berlin, 12. 9. 1934, ebenda. Vgl. Rautenberg: Rüstungspolitik, S. 292; Müller: Revision, S. 21; ders.: Biographie, S. 190. Geyer: Aufrüstung, S. 380. Note Barthou an die englische Regierung, 17. 4. 1934, K. Schwendemann: Abrüstung und Sicherheit. Handbuch der Sicherheitsfrage und der Abrüstungskonferenz. Mit einer Sammlung der wichtigsten Dokumente, Bd. 2, Berlin  1935, S. 608f. Vgl. U. Bannies: Die französische Außenpolitik vom Januar 1933 bis April 1936. Der Abbau des französischen Widerstandes gegenüber Deutschland, Diss. phil. Hamburg 1957, S. 258. Tatsächlich besaß Paris schon seit dem Herbst 1933 Informationen über verschiedene Flugplätze in der entmilitarisierten Zone, Aufzeichnung, o. V., Paris, 7. 11. 1933, SHD, 7 N 2625.

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entmilitarisierten Zone dran sei218 . Erste Nachfragen im Reichsluftfahrtministerium ergaben, man habe sich bei der Anlegung von Flugfeldern streng an die Auflagen der Botschafterkonferenz gehalten. Bei den französischen Vorwürfen könne es sich nur um einige kleine Flugplätze handeln, die Sportfliegervereine unerlaubt anlegen würden219 . Dies habe man auch so in einer Pressekonferenz am 19. April 1934 im Reichsluftfahrtministerium erklärt220 . Das Auswärtige Amt hatte keinen Anlass diesen Angaben zu misstrauen221 . In einer Aufzeichnung vom 25. April bilanzierte Frohwein, gemäß den Bestimmungen des Luftabkommens vom Mai 1926 habe Deutschland das Recht, in der entmilitarisierten Zone vier Flughäfen (Essen, Köln, Frankfurt/M. und Mannheim) sowie 16 Verkehrslandeplätze anzulegen. Davon seien aber lediglich zehn Rollfelder angelegt. Dagegen gebe es nur eine kleinere Anzahl „wilder Flugplätze“ in Baden (Offenburg, Kehl). Frohwein forderte das Reichsluftfahrtministerium auf, in Zukunft eigenmächtiges Vorgehen zu unterlassen, wollte die Angelegenheit aber nicht weiter vertiefen222 . Indessen kamen jedoch weitere brisante Details ans Licht. Anfang Mai konstatierte Köpke, es gebe weit mehr wilde Flugplätze als bislang bekannt. Anscheinend hatte Gauleiter Wagner die Gemeinden in Baden dazu ermuntert, auf eigene Faust Flugplätze zu errichten. Betroffen seien Rastatt, Kehl, Offenburg, Lahr, Trier, Neustadt an der Hardt und Pirmasens. Gemäß der Kabinettsvollmachten vom Oktober 1933, so Köpke, sei es die Sache Blombergs, Klarheit zu schaffen, damit der vertragsmäßige Zustand in der entmilitarisierten Zone wiederhergestellt werden könne223 . Damit war der Reichsaußenminister überhaupt nicht einverstanden. „So geht die Sache nicht“, vermerkte er wütend auf Köpkes Vorlage, „es muss versucht werden, das Luftfahrtministerium zu veranlassen, die Flugplätze zu verbieten.“224 Erst jetzt übermittelte Göring dem Auswärtigen Amt eine Aufstellung, die über den tatsächlichen Stand der Flugplatzbauten in der 218

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Frohwein an das Reichswehrministerium, die Marineleitung und das Reichsluftfahrtministerium, Berlin, 19. 4. 1934, PA AA, R 32239; vgl. auch Aktennotiz, o. V., Berlin, o. D. [April 1934], PA AA, R 32040. Vermerk Frohwein, Berlin, 21. 4. 1934, PA AA, R 32239. Ebenda, Anlage. Den Versicherungen des Reichsluftfahrtministeriums Glauben schenkend bemühte sich Neurath noch am 27. April vor der Presse, alle Anschuldigungen Frankreichs als haltlos zurückzuweisen. Ähnlich hatte der deutsche Botschafter in Washington erklärt, er könne die französischen Beschwerden gar nicht verstehen, schließlich gebe es schon lange Zeit Landefelder in der entmilitarisierten Zone, Aufzeichnung Phillips, Washington, 20. 4. 1934, FRUS, 1934, Bd. I, S. 55f.; Rede Neurath vor der Berliner Presse, 27. 4. 1934, IMT, Bd. XL, S. 496–499. Aufzeichnung Frohwein, Berlin, 25. 4. 1934, PA AA, R 32239. Aufzeichnung Köpke, Berlin, 4. 5. 1934, ebenda. Vermerk Neurath, Berlin, 9. 5. 1934, ebenda.

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Rheinzone Auskunft gab225 . Daraufhin erbot sich Ribbentrop, sich der Sache anzunehmen und Druck auf das Reichsluftfahrtministerium auszuüben, die Flugplätze alsbald aufzulösen. Angeblich, so vermerkte Frohwein, habe er bereits in dieser Sache mit Blomberg und Hess konferiert226 . Ungeachtet dessen wandte sich Neurath am 15. Mai selbst an Göring und bat ihn, entsprechend der Richtlinie Hitlers, „den vertragsmäßigen Zustand“ in der Rheinzone nicht anzutasten, für die Schleifung der unerlaubten Flugplätze zu sorgen. Die Anlage wilder Flugplätze in der Zone, so Neurath, widerspräche den „Erfordernissen der Außenpolitik227 . Tatsächlich trafen sich jetzt Vertreter des Auswärtigen Amtes mit Ribbentrop und Erhard Milch, dem Vertreter des Reichsluftfahrtministeriums, um die Frage der Flugplätze zu besprechen. Im Verlaufe der Unterredung erklärte Milch sein Einverständnis mit den Punkten der Denkschrift Neuraths und versprach, die Sache in diesem Sinne zu erledigen228 . Schon zwei Tage nach der Besprechung teilte ein Mitarbeiter des Reichsluftfahrtministeriums dem Außenamt mit, dass die ersten Weisungen für die wilden Flugplätze in der Rheinzone ergangen seien; damit seien die Forderungen des Auswärtigen Amtes erfüllt229 . Auch Göring betonte in seiner Antwort an Neurath vom 29. Mai noch einmal, die Frage im Sinne der Bedingungen des Auswärtigen Amtes regeln zu wollen230 . Demnach sollten die Arbeiten an den Flugplätzen in Rastatt, Kehl, Trier, Lachen-Speyerdorf und Pirmasens unverzüglich eingestellt und teilweise rückgängig gemacht werden231 . 225 226 227 228 229 230

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Göring an das Auswärtige Amt, Berlin, 11. 5. 1934, PA AA, R 32240. Vermerk Frohwein, Berlin, 11. 5. 1934, PA AA, R 32239. Dort hieß es weiter: „Der Ausgang dieser Aktionen wird abzuwarten sein.“ Neurath an Göring, Berlin, 15. 5. 1934, AdR Hitler, Bd. I, 2, Nr. 347, S. 1273. Aktennotiz, o. V., Berlin, 16. 5. 1934, PA AA, R 32240. Aufzeichnung Frohwein, Berlin, 18. 5. 1934, ebenda. Göring an Neurath, Berlin, 29. 5. 1934, BArch, R 43 II/696; AdR Hitler, Bd. I, 2, Nr. 347, S. 1275 Anm. 9. Vgl. auch Milch an das Auswärtige Amt, Berlin, 29. 5. 1934, PA AA, R 32240. Nach neuerlichen Vorwürfen Frankreichs wandte sich das Reichsluftfahrtministerium Anfang August 1934 an das Auswärtige Amt und gab zu, weiter an Flugplätzen in der entmilitarisierten Zone zu bauen. Man habe jedoch neue Richtlinien für die Zone erlassen, um die Geheimhaltung in Zukunft besser einhalten zu können. Dem Auswärtigen Amt blieb nichts anderes übrig, als immer wieder darauf hinzuweisen, dass Frankreich den Zustand in der entmilitarisierten Zone argwöhnisch beobachtete, Deutschland-Bericht der Sopade, Prag, 10. 1. 1935, Deutschland-Berichte, Bd. 1, S. 772f.; Aufzeichnung Heywood, Paris, 18. 6. 1934, BDFA, II, F, Bd. 21, Nr. 87, S. 150f.; Milch an das Auswärtige Amt, Berlin, 1. 8. 1934, PA AA, R 32241. Solche Maßnahmen bestanden u. a. darin, mit der Bitte an die Presse heranzutreten, keine Meldungen über den Ausbau von Flugplätzen zu bringen, Weisung an die Presse, 23. 4. 1934, NS-Presseanweisungen, Bd. 2, S. 200; Frohwein an das Reichsluftfahrtministerium, Berlin, 28. 8. 1934, PA AA, R 32040; Aufzeichnung Frohwein, Berlin, 10. 8. 1934, ADAP, C, Bd. III, 1, Nr. 154, S. 298–300.

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Auf Grund der Unfähigkeit des Auswärtigen Amtes, die Dinge im Rheinland zu beeinflussen und angesichts der Tatsache, dass Neurath im Mai gezwungen war, sein Veto gegen den VGAD zurückzunehmen, unternahm das Auswärtige Amt im Sommer 1934 einen Vorstoß, das Reichswehrministerium und das Innenministerium, das für die Landespolizei zuständig war, auf die Gefahren hinzuweisen, die die deutschen Maßnahmen in der Rheinzone bewirken können232 . In mehreren Schreiben an Major Elster vom Amt Ausland im Reichswehrministerium und Ministerialrat Erbe im Reichsinnenministerium233 versuchte Frohwein das Bild zu vermitteln, welchen „empfindlichen Punkt die entmilitarisierte Zone für Frankreich darstellt“234 . „Gerade an diesem Punkt“, schrieb Frohwein am 9. Juli, wäre es für die französische Führung ein Leichtes, die Volksstimmung für ihre Pläne zu nutzen. Die Empfindlichkeit, so ergänzte er zehn Tage später, sei sogar noch größer als vor einem Jahr, als „wir noch darüber nachdachten, die Frage der entmilitarisierten Zone anzuschneiden“235 . Dazu übermittelte er Berichte des deutschen Militärattachés in Paris, in denen dieser warnte, es könne den offensiven Tendenzen in Frankreich Auftrieb geben, „wenn wir uns zu früh von unseren Bindungen, z. B. in der Rheinzone, freimachen“236 . Deswegen gab es aus Sicht des Auswärtigen Amtes zu der Politik, weiterhin jede Provokation durch militärische Maßnahmen im Rheinland zu vermeiden, auch im Spätjahr 1934 keine Alternative. Die deutschen Militärattachés berichteten schon seit einiger Zeit aus Paris und London, wie unwahrscheinlich es sei, dass Frankreich einen Präventivkrieg gegen Deutschland vom Zaun brechen werde. Im August 1934 meldete ein Gewährsmann aus Frankreich, Blum habe ihm in einer Unterredung erklärt, dass man an der Seine alle Gedanken an einen Präventivkrieg aufgegeben habe237 . Allerdings betonten die Attachés, dass die französische Zurückhaltung keine Geltung mehr besitzen würde, wenn sich die deutsche Führung zu Alleingängen in der entmilitarisierten Zone hinreißen ließe. Unter all den Pazifisten in Frankreich gebe es immer noch Männer wie Tardieu und Weygand, die von der Rheinlinie träumten, schrieb Kühlenthal im Juni 1934, sie würden nur auf einen Vorwand wie eine flagrante Verletzung des 232 233 234 235 236 237

Seit Mai 1934 betonte das Auswärtige Amt unablässig die Bedeutung der entmilitarisierten Zone für die Gesamtpolitik, Vermerk Frohwein, Berlin, 9. 5. 1934, PA AA, R 32040. Erbe war Vertreter des Reichsinnenministeriums im Reichsverteidigungsrat. Frohwein an Erbe, Berlin, 11. 8. 1934, PA AA, R 32040; Frohwein an Elster, Berlin, 9. 7. 1934, PA AA, R 30073 a. Frohwein an Erbe, Berlin, 11. 8. 1934, PA AA, R 32040; Frohwein an Elster, Berlin, 17. 7. 1934, PA, AA, R 30073 a. Aufzeichnung Kühlenthal, Paris, 23. 6. 1934, ebenda. Aufzeichnung, o. V., o. O., 18. 8. 1934, BA-MA, N 28/1; vgl. W. Bernhardt: Die deutsche Aufrüstung 1934–1939. Militärische und politische Konzeptionen und die Einschätzung durch die Alliierten, Frankfurt/M. 1969, S. 45.

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Locarnopaktes hoffen, um offensiv gegen Deutschland vorgehen zu können238 . In einem Bericht für das Auswärtige Amt vom 29. Oktober 1934 fasste der deutsche Geschäftsträger in Paris, Forster, alle diese Informationen zusammen239 . Obwohl man in Paris äußerst verstört über die deutsche Aufrüstung sei, so Forster, deute hier nichts auf eine baldige gewaltsame Intervention gegen das Reich hin. Genauso schloss er die Möglichkeit militärischer Drohungen oder Ultimaten aus. Diese Situation könne sich praktisch nur ändern, so Forster, wenn es zu sensationellen Ereignissen kommen würde, wie z. B. die öffentliche Ankündigung deutscher Rüstungsmaßnahmen, Gewaltakte im Saarland oder schwere Verletzungen der entmilitarisierten Zone. Frohwein antwortete Forster postwendend, man habe den Bericht aus Paris mit größtem Interesse gelesen. Er entspräche genau dem Bild, das man in der Wilhelmstraße von der Gesamtsituation habe. Neurath habe Forsters Bericht, so fügte Frohwein persönlich hinzu, sofort an Hitler weitergeleitet240 . Genau diese Analyse der Lage war es, die die Taktik des Auswärtigen Amtes in der Frage der Freimachung des Rheins bestimmte. Dabei handelte es sich um Pläne der Reichswehr, im Kriegsfall jeglichen Schiffsraum von der deutschen Rheinstrecke zu entfernen. Anfang Juni 1934 wandte sich der Reichswehrminister an das Auswärtige Amt und bat um eine Stellungnahme, wie diese Vorhaben vom Standpunkt des Völkerrechts zu bewerten seien241 . Auf einer Konferenz mit den Militärs vom 21. Juni 1934 erfuhr das Auswärtige Amt detailliert von den Plänen und entschied nach einer Reihe von internen Besprechungen, dass die Pläne zur Freimachung des Rheins einen Verstoß gegen Locarno darstellen würden242 . Dennoch trugen die Richtlinien für die Freimachung, die der Reichsverkehrsminister einige Zeit später dem Auswärtigen Amt übermittelte, den Bedenken der Diplomaten in keinster Weise Rechnung243 . Da sich das Auswärtige Amt vor allem an den Rückwirkungen dieser Richtlinien auf die Bestimmungen der entmilitarisierten Zone stieß, nahm Frohwein die Sache zum Anlass, in einer ausführlichen Denkschrift vom 3. Dezember 1934 die deutsche Haltung zu den Artikeln 42 und 43 des Versailler Vertrages zu umreißen244 . „Bei unserem Anspruch auf Gleichberechtigung“, so Frohwein, „haben wir auch auf die Bestimmungen der entmilitarisierten Zone hingewiesen“, aber im Augenblick sei die deutsche Politik an die Ent238 239 240 241 242 243 244

Aufzeichnung Kühlenthal, Paris, 23. 6. 1934, PA AA, R 30073 a. Forster an das Auswärtige Amt, Paris, 29. 10. 1934, DGFP, C, Bd. III, Nr. 281, S. 543–545. Frohwein an Forster, Berlin, 30. 10. 1934, ebenda, Nr. 283, S. 547. Das Reichswehrministerium an das Auswärtige Amt, Berlin, 9. 6. 1934, PA AA, R 34026. Aufzeichnung Bülow, Berlin, 21. 6. 1934, ebenda; Aufzeichnung Bülow, Berlin, 24. 7. 1934, ebenda. Das Reichsverkehrsministerium an das Auswärtige Amt, Berlin, 22. 11. 1934, ebenda. Köpke an das Reichswehrministerium, Berlin, 10. 12. 1933, ebenda. In der Anlage übermittelte Köpke die Aufzeichnung Frohweins vom 3. Dezember 1934.

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scheidung des „Führers“ gebunden, die Klauseln der Rheinlandzone penibel zu beachten. Dies sei notwendig, denn „die Situation in der entmilitarisierten Zone wird einer übelwollenden Kontrolle unterzogen“, da in England keine Neigung bestünde, die Locarnogarantie zu Deutschlands Gunsten wirken zu lassen. Deshalb sei es bei der Freimachung des Rheins erforderlich, wie bei allen militärischen Vorbereitungen in der entmilitarisierten Zone, dass die militärischen Dienststellen nicht in Erscheinung treten dürfen (dies, so Frohwein, habe auch eine mündliche Ressortbesprechung zwischen Außenamt und Reichswehrministerium ergeben). Maßnahmen zur Freimachung seien also an die „Verstärkte Strom- und Schifffahrtspolizei“ zu übertragen, weil diese dem Reichsverkehrsministerium und nicht dem Reichswehrministerium unterstand. Indes erinnerte Frohwein daran, dass auch die Polizei in der entmilitarisierten Zone gewissen Einschränkungen unterworfen sei245 . Auch bei den anderen die entmilitarisierte Zone betreffenden Fragen – Grenzschutz und Regimentsfeiern – blieb das Auswärtige Amt im Herbst 1934 seiner Marschroute treu, Provokationen und allzu offensichtliches militärisches Gebaren im Rheinland zu unterbinden. Bekanntlich hatten sich Auswärtiges Amt und Reichswehrministerium im Sommer 1934 auf gemeinsame Richtlinien geeinigt, wie Militärfeiern und Aufmärsche von Wehrverbänden in der entmilitarisierten Zone zu handhaben seien. Im September 1934 unternahmen Göring und der Oberpräsident der Rheinprovinz einen Vorstoß, gewisse Bestimmungen in der Rheinzone wieder zu lockern246 . Insbesondere sollten Aufmärsche von SA und SS in Zukunft freigegeben werden. Auf einer interministeriellen Konferenz, die am 21. September 1934 im Innenministerium abgehalten wurde, wandten sich Frohwein und der Vertreter des Reichswehrministeriums gemeinsam gegen diese Pläne und wiesen auf die außenpolitischen Gefahren hin, die eine Lockerung des Aufmarschverbots bedeuten würde247 . Daraufhin wurden im Oktober neue Bestimmungen für Veranstaltungen in der Zone erlassen. Militärische Festlichkeiten waren danach grundsätzlich untersagt; Feiern kleiner Kriegervereine nur erlaubt, wenn sie sich im örtlichen Rahmen hielten. Stets sei darauf zu achten, einen „militärischen Charakter“ zu vermeiden, das Tragen von Waffen und Stahlhelm war verboten. Die auf den Kundgebungen gehaltenen Reden sollten der außenpoli-

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Ebenda. Vgl. alle für das entmilitarisierte Gebiet bestehenden Regelungen in: PA AA, R 28486. Nicolai an das Auswärtige Amt, Berlin, 7. 9. 1934, PA AA, R 32040. Aufzeichnung Frohwein, Berlin, 21. 9. 1934, ebenda.

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tischen Linie der Reichsregierung angepasst sein. Ohne Einschränkung erlaubt waren politische und sportliche Veranstaltungen der SA248 . Indes hatte sich das Auswärtige Amt in Grenzschutzfragen nicht nur mit den Plänen der Reichswehr auseinanderzusetzen, sondern musste sich auch den Profilierungsversuchen Görings erwehren. Der nämlich war oberster Dienstherr der Landespolizei, die, weil die Reichswehr nicht im Rheinland in Erscheinung treten durfte und die SA nach dem 30. Juni aus dem Bereich der Landesverteidigung heraus gedrängt worden war249 , eine wichtige Rolle im westlichen Grenzschutz spielte. Waren erst im Juni 1934 neue Bestimmungen für die Polizei im Rheinland erlassen worden250 , traten im November schon wieder neue Maßnahmen für die Landespolizei in Kraft251 . Darüber hinaus hob Göring per Erlass vom 25. Oktober 1934 die Beschränkungen für die Landespolizei, Stahlhelm und feldgrüne Uniform zu tragen, mit sofortiger Wirkung auf252 . Während Blomberg – nachdem Polizeichef Kurt Daluege persönlich bei Hitler vorgesprochen hatte – sich mit der Sache einverstanden erklärte, wandte sich Neurath wütend an Göring und kritisierte, dass diese Bestimmungen ohne Rücksprache mit dem Auswärtigen Amt erlassen worden waren253 . Anfang 1935 kam es, nachdem sich Göring zu einer Besprechung mit Blomberg und Fritsch bereitgefunden hatte, zu einem Kompromiss. Das Tragen des Stahlhelms blieb verboten und die feldgrüne Uniform sollte nicht im Dienst, sondern nur als Ausgehanzug getragen werden254 . Dazu kam im Spätjahr 1934 noch die Diskussion über die Stationierung der so genannten „Österreichischen Legion“ im Rheinland. Dabei handelte es sich um eine SA-Einheit aus Österreich, die verdächtigt wurde, hinter dem Mord an Kanzler Dollfuß zu stehen. Nach dem missglückten Putsch am 25. Juli sollte die Legion aufgelöst werden, blieb jedoch zunächst bestehen, bis die OSAF entschied, sie aus dem Alpenstaat raus zu schaffen255 . Man plante, sie in der Gegend von Aachen in provisorischen Lagern unterzubringen. Hiergegen meldete das Auswärtige Amt außenpolitische Bedenken an, weil sich die Lager auf

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Erlass des Reichsinnenministeriums, Oktober 1934, ebenda. Diese Bestimmungen wurden im Dezember noch einmal bestätigt und ergänzt, Erlass des Reichsinnenministeriums, 13. 12. 1934, ebenda. Aufzeichnung Liebmann über Ausführungen Fritschs am 9. Oktober 1934, o. O., o. D., IfZ, ED 1, Bd. 1. Erlass Göring, 27. 6. 1934, PA AA, R 33532. Vgl. Castellan: Le réarmement, S. 373f. Vermerk Köpke, Berlin, 14. 11. 1934, PA AA, R 33532. Erlass Göring, Berlin, 25. 10. 1934, ebenda. Neurath an Göring, Berlin, 24. 11. 1934, ebenda; Keitel an das Auswärtige Amt, Berlin, 21. 11. 1934, TNA, GFM 33/418. Vermerk Frohwein, Berlin, 23. 1. 1935, PA AA, R 33532. Hitler an Hess, Berlin, 19. 8. 1934, AdR Hitler, Bd. II, 1, Nr. 6, S. 26; ADAP, C, Bd. III, 2, Nr. 347, S. 645f. u. Nr. 362, S. 671f.

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dem Gebiet der entmilitarisierten Zone befanden256 . Anfang Januar 1935 teilte Neurath dem Stabschef der SA mit, der Aufenthalt der Österreichischen Legion in der entmilitarisierten Zone sei untragbar257 . Der Kampf der zögernden Militärs gegen die einflusslosen Diplomaten um die Entwicklung in der Rheinlandzone setzte sich auch im Jahr 1935 unvermindert fort. Einerseits ließ sich das Reichswehrministerium im Januar 1935 vom Auswärtigen Amt überzeugen, die bevorstehenden außenpolitischen Verhandlungen „nicht mit der entmilitarisierten Zone zu belasten“258 , und die Militärs trugen ausdrücklich Sorge dafür, militärische Exzesse im Rheinland zu vermeiden. So wies Beck Ende Februar 1935 noch einmal darauf hin, dass alle „einschränkenden Bestimmungen“ (betreffend Übungen, Geländebesprechungen, etc.) in der Rheinlandzone voll erhalten blieben259 . Und Anfang März erklärte Reichenau dem britischen Militärattaché, Deutschland halte die Bestimmungen zur Entmilitarisierung „zuverlässig“ ein260 . Andererseits arbeiteten die Militärs weiter aktiv daran, die Bestimmungen der Rheinzone zu unterlaufen, weil die bestehenden Maßnahmen einfach nicht ausreichten, die Sicherheitslücke zu füllen. Eine Lageanalyse für Januar 1935 legte das ganze Dilemma frei, in dem die Reichswehr steckte. Die Verstöße gegen die entmilitarisierte Zone seien „nicht wesentlich“, behauptete die Aufzeichnung, dies bedeute aber gleichzeitig, dass Deutschland ohne Befestigungen, ohne Wehrverbände und nur geschützt durch Polizei einem Angriff Frankreichs schutzlos ausgeliefert war261 . Daher begann man kurze Zeit später, neue Grenzschutzbataillone im Schwarzwald aufzustellen262 . Folgerichtig formulierte eine Denkschrift des Truppenamtes vom 6. März 1935, in der das Programm für die kommenden Rüstungsverhandlungen um-

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Aufzeichnung Renthe-Fink, Berlin, 20. 12. 1934, ebenda, Nr. 398, S. 735f. Neurath an Lutze, Berlin, 11. 1. 1935, ebenda, Nr. 424, S. 781f. In dem Schreiben schlug Neurath vor, die Österreichische Legion nach Friesland und Schleswig zu verlegen. Ein Nachspiel hatte die Sache noch: Lutze war gar nicht mit dem Bescheid Neuraths einverstanden und forderte, die Österreichische Legion bei Borken in Westfalen zu stationieren. Da er sich hierbei auf einen vermeintlichen Führerbefehl stützen konnte, gaben Neurath und Blomberg zunächst nach; Anfang März 1935 stellte sich indes heraus, dass keine diesbezügliche Weisung Hitlers vorlag. Das Auswärtige Amt war bereit, die Sache auf sich beruhen zu lassen, unter der Bedingung, dass die Legion nicht für die Landesverteidigung herangezogen wird und keine militärische Ausbildung vornimmt, ADAP, C, Bd. III, 2, Nr. 435, S. 801f., Nr. 510, S. 948 u. Nr. 522, S. 968f. Böckmann an Stülpnagel, Berlin, 23. 2. 1935, BA-MA, RH 2/98. Weisung Beck, 28. 2. 1935, BAK, ZSg 133/113. BDFA, II, F, Bd. 46, Nr. 43, S. 71. Reichenau vergaß indes nicht, darauf hinzuweisen, dass die Franzosen auf ihrer Seite der Grenze weiter aufrüsteten. Aufzeichnung, o. V., Berlin, o. D. [Dezember 1934], BA-MA, RH 2/15. Beck an das Wehrkreiskommando V, Berlin, 18. 2. 1935, BA-MA, RH 2/989.

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rissen wurde, es sei auf jeden Fall erstrebenswert, die entmilitarisierte Zone zu beseitigen263 . Aber vorerst verhallte dieser Ruf ungehört264 . Erst der 16. März 1935 schien den Militärs die Möglichkeit zu eröffnen, die lästigen Einreden der Diplomaten beiseite zu wischen und sich von allen Bindungen in der entmilitarisierten Zone freizumachen265 . Sofort begannen die Militärs, die Rüstungsanstrengungen noch einmal zu erhöhen und die Vorbereitungen in der Rheinlandzone zu intensivieren. Nur auf diese Weise, so lässt sich ihr Kalkül zusammenfassen, sei in absehbarer Zeit die Sicherheit des Reiches militärisch zu gewährleisten. Diese neuen Rüstungsbemühungen hatten zwei Seiten. Auf der einen Seite entschied Fritsch, bereits bis zum Herbst 1935 24 Divisionen aufzustellen, was insbesondere durch die Übernahme der Landespolizei in das Heer ermöglicht wurde266 . Gleichzeitig machte sich die Reichswehrführung Gedanken, die bisher als Risikoheer konzipierte Truppe so schnell wie möglich auf ein Angriffsheer umzurüsten. Die Männer um Fritsch und Beck planten, unter dem Stichwort der „offensiven Abwehr“ den Schwerpunkt der Aufrüstung auf die Schaffung von Panzer-Kampfverbänden zu legen267 . Durch die Entscheidung des Oberbefehlshabers vom 11. Februar 1936 wurde der Kurs Becks angenommen. Praktisch wurde damit der ursprünglich für 1937 geplante Übergang von Defensiv- auf Offensivrüstung um ein Jahr vorverlegt268 . Auf der anderen Seite passte die Reichswehr ihre operative Planung der neuen Bedrohungslage an269 . Am 30. März 1935 forderte Reichenau die drei Wehrmachtsteile auf, zur militärpolitischen Lage des Reiches Stellung zu beziehen270 . Demnach plante man im Reichswehrministerium mit einer 263 264

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Aufzeichnung Beck, Berlin, 6. 3. 1935, Müller: Dokumentation, Nr. 129, S. 287. Die Presseanweisungen dieser Zeit belegen deutlich, dass es die Linie der deutschen Politik blieb, die entmilitarisierte Zone nicht zur Diskussion zu stellen, Weisung an die Presse, 18. 4. 1935, NS-Presseanweisungen, Bd. 3/I, S. 232; Weisung an die Presse, 19. 2. 1935, ebenda, S. 94. In einem Informationsbericht vom April 1935 hieß es, Deutschland habe gar nicht die Absicht, die entmilitarisierte Zone zu beseitigen, denn das Rheinland käme als Aufmarschgebiet gegen Frankreich ohnehin nicht in Frage, weil es im Wirkungsbereich der französischen Festungsartillerie lag. Französischen Berichten zu Folge seien in der Nacht zum 17. März 1935 deutsche Regimenter in die entmilitarisierte Zone einmarschiert, aber 24 Stunden später wieder abgezogen, Aussage Dobler, Paris, 18. 12. 1947, Les événements survenus en France de 1933 à 1945. Témoignages et Documents recueillis par la Commission d’Enquête parlementaire (künftig: Témoignages et Documents). Rapport fait par Ch. Serre, Bd. II, Paris 1947, S. 475. Vgl. Deist: Wehrmacht, S. 418f. u. S. 426. Müller: Beck, Nr. 37, S. 469–477 u. Nr. 39, S. 486–490; vgl. Deist: Wehrmacht, S. 426–431. Geyer: Revisionspolitik, S. 263; Müller: Beck, S. 212. Zum Folgenden vgl. Geyer: Aufrüstung, S. 419ff.; Müller: Beck, S. 225ff. Schon Mitte März 1935 hatte Reichenau angekündigt, das Reichswehrministerium beabsichtige, die Weisung der Wehrmacht im Falle von Sanktionen neu herauszugeben,

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Konfrontation im Westen mit Frankreich und Italien, bei der die Franzosen offensiv über den Rhein marschierten. Im Osten würde gleichzeitig die Tschechoslowakei mobilisieren und den Russen ihre Flugplätze zur Verfügung stellen271 . Nach einer Reihe von vorbereitenden Besprechungen Mitte April erfolgte am 2. Mai 1935 die Weisung für das Unternehmen „Schulung“. Darin behandelte die Reichswehrspitze die Möglichkeit, offensiv gegen die Tschechoslowakei vorzugehen unter gleichzeitiger Defensive im Westen. Dafür wurden die Planungen für den Kriegsfall im Westen sowie die laufenden Vorbereitungen einer Überprüfung unterzogen. In operativer Hinsicht bedeutete das, dass die Hauptverteidigungslinie im Westen an die Rhein-Roer-SchwarzwaldLinie vorgeschoben wurde. Um im Westen eine einheitlich geleitete Abwehr sicherzustellen, urteilte Beck am 3. Mai 1935, müsse die Gewinnung der RheinSchwarzwaldlinie immer das erste Ziel sein272 . Diesen Ausführungen trugen die überarbeiteten Aufmarschanweisungen für den Westen Rechnung. Die „Aufmarsch- und Kampfanweisungen West“ vom 10. Juli 1935273 bestätigten endgültig die Rhein-Schwarzwald-Stellung, die Beck seit 1933 gefordert hatte, als westliche Verteidigungslinie und zurrten damit ein System der Landesverteidigung fest, das keine Rücksicht mehr auf die außenpolitischen Bindungen Locarnos nahm. Damit ging die Auseinandersetzung um die entmilitarisierte Zone in die nächste Runde. Um die für die Verteidigung der Westgrenze erforderliche Zahl von Grenzschutzverbänden zu erhalten274 , hatte die Reichswehrführung Anfang 1935 damit begonnen, wieder verstärkt Wehrverbände für den Grenzschutz in Anspruch zu nehmen. In den Verhandlungen Anfang März 1935 einigten sich die Militärs mit SA275 und SS276 auf gemeinsame Richtlinien für den Grenzschutz277 . Weitere Maßnahmen folgten im Sommer. Auf einer Sitzung des Arbeitsausschusses des Reichsverteidigungsrates vom 26. Juni 1935 stellte Jodl ein umfassendes Maßnahmenpaket für das westliche Grenzland

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Reichenau an Fritsch, Raeder und das Reichsluftfahrtministerium, Berlin, 18. 3. 1935, ADAP, C, Bd. III, 2, Nr. 540, S. 995f. Ebenda, Nr. 568, S. 1085f. Beck an Fritsch, Berlin, 3. 5. 1935, BA-MA, N 28/2. BA-MA, RH 2/420. Aufzeichnung Beck, Berlin, 13. 10. 1933, BA-MA, RH 2/25. Im März 1935 bezifferte Beck den Bedarf zur Verteidigung der Rhein-Schwarzwaldlinie auf neun bis zehn Divisionen; müsse diese Linie länger gehalten werden, so Beck, würde sich der Bedarf gar auf 38 bis 39 Divisionen erhöhen, Aufzeichnung Beck, Berlin, 6. 3. 1935, Müller: Beck, Nr. 24, S. 420. Weisung Fritsch, 7. 1. 1935, BA-MA, RH 2/1236. Aufzeichnung Himmler, Berlin, 14. 2. 1935, ebenda; Fritsch an Himmler, Berlin, 19. 2. 1935, Müller: Dokumentation, Nr. 80, S. 215. Rundschreiben Sodenstern, Berlin, 22. 3. 1935, BA-MA, RH 2/1236; vgl. Absolon: Wehrmacht, Bd. III, S. 3.

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vor278 . Die Vorbereitungen reichten von Mobilmachungsmaßnahmen für die Landespolizei über die Planungen zur Freimachung des Rheins bis hin zu Vorbereitungen des Ortsschutzes, des VGAD und verschiedener Sperrmaßnahmen. Im November wurde der Landespolizei durch einen Erlass Hitlers gestattet, die graugrüne Uniform anzulegen, was ihren militärischen Charakter noch einmal unterstrich279 . Des Weiteren begannen die Militärs, die entmilitarisierte Zone in den Bereich des Heeresaufbaus einzubeziehen280 und Kasernenbauten im Rheinland zu errichten281 . Und im Dezember 1935 berichtete Keitel auf einer Sitzung des Reichsverteidigungsrates, welche Maßnahmen an den westlichen Grenzen zurzeit zur Umsetzung kämen. So meldete er von umfangreichen Maßnahmen der Schutzpolizei, die im Rahmen des Ortsschutzes einen Luftschutzordnungsdienst und einen „Verstärkten Polizeischutz“ organisierte. Dazu habe die Reichswehr angeordnet, im Saargebiet einen VGAD einzurichten. Auf Anregung des Finanzministeriums, so Keitel, prüfe man zudem, Maschinengewehrnester in der entmilitarisierten Zone anzulegen. Alle diese Vorbereitungen, so Keitel, würden der eigenen Sicherheit dienen. Das Ziel sei es, zum 1. April 1936 einsatzbereit zu sein282 . Gleichzeitig mit dem Grenzschutz intensivierte die Reichswehr ihre Anstrengungen im Festungsbau. Waren bereits seit 1934 im Schwarzwald, in der Wetterau und am Rhein nichtarmierte „Gerippstellungen“ entstanden283 , machte sich im Herbst 1935 Manstein erstmals Gedanken über den Ausbau der Landesbefestigungen im Westen284 . In einer von Fritsch am 15. Dezember 1935 verbreiteten Denkschrift der Festungsinspektion VII wurde die Forderung aufgestellt, am 1. April 1936 „schlagartig“ mit dem Bau neuer Festungen zu beginnen285 . Vor dem Hintergrund dieser Maßnahmen lag die Besetzung der entmilitarisierten Zone „in der inneren Konsequenz der bisherigen Aufrüstungs- und Revisionspolitik“ und war der sachlogisch nächste Schritt in der „strukturellen und tempomäßigen Neuakzentuierung der Aufrüstung“286 . Die Rheinlandbesetzung, so urteilte stellvertretend für viele Deutsche Maximilian Fretter-Pico, 278 279 280 281 282 283

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IMT, Bd. XXXVI, S. 434. Vgl. Emmerson: Rhineland, S. 28. Keitel an das Auswärtige Amt, Berlin, 21. 11. 1935, TNA, GFM 33/418. Vortragsnotiz, o. V., Berlin, 28. 10. 1935, BA-MA, RH 2/1007. So entstanden Kasernengebäude in Villingen, Donaueschingen, Radolfzell und Konstanz, Blomberg an das Auswärtige Amt, Berlin, 14. 3. 1936, PA AA, R 32263. IMT, Bd. XXXVI, S. 468f. W. Görlitz (Hg.): Generalfeldmarschall Keitel. Verbrecher oder Offizier? Erinnerungen, Briefe, Dokumente des Chefs OKW, Göttingen 1961, S. 91; vgl. B. Mueller-Hillebrand: Das Heer 1933–1945. Entwicklung des organisatorischen Aufbaues, Bd. I: Das Heer bis zum Kriegsbeginn, Darmstadt u. Frankfurt/M. 1954, S. 39 u. S. 43. E. v. Manstein: Aus einem Soldatenleben 1887–1939, Bonn 1959, S. 231 u. S. 236. Rundschreiben Fritsch, Berlin, 15. 12. 1935, BA-MA, RH 2/989. Müller: Beck, S. 189 u. S. 214; B.-J. Wendt: Großdeutschland. Außenpolitik und Kriegsvorbereitung des Hitler-Regimes, München 1987, S. 108f.

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der im Zweiten Weltkrieg als General der Artillerie am Russlandfeldzug teilnahm, „war eine notwendige Folge der Erstarkung des deutschen Reiches und der wieder eingeführten Wehrhoheit“287 . Divergenzen der Militärs mit Hitler, so hat die Forschung herausgearbeitet, bezogen sich nur auf „Art und Datum“288 des Vorgehens289 . Immerhin waren diese Bedenken aber so gravierend, dass die Reichswehr bis Anfang 1936 eine sofortige Aktion Deutschlands gegen Locarno nicht gefordert hat. Dies lässt sich an einigen Beispielen illustrieren. So bemühten sich die Diplomaten der Wilhelmstraße auch nach dem 16. März 1935, die Reichswehr von allzu krassen Verstößen gegen die Bestimmungen der entmilitarisierten Zone abzuhalten. Das lag insbesondere an der Reaktion der ausländischen Botschafter auf die Verkündung der allgemeinen Wehrpflicht. François-Poncet und Cerruti, die überzeugt waren, dass nur eine feste Front aller Staaten Hitler stoppen konnte, protestierten scharf im Namen ihrer Regierungen290 . Beide fragten zudem, wie es um die Zukunft der entmilitarisierten Rheinzone stünde. Dies wollte auch Kerchove wissen, als er in den Tagen nach dem 16. März bei verschiedenen Diplomaten und Militärs vorsprach. In gleicher Weise wandte sich der britische Militärattaché in Berlin sowohl an Reichenau als auch an Rössing, einen Mitarbeiter Fritschs, um dringend darauf hinzuweisen, welchen Stellenwert die britische Regierung der Tatsache beimesse, dass die entmilitarisierte Zone von den Maßnahmen des neuen Wehrgesetzes nicht betroffen sei. England sei in diesem Punkt sehr empfindlich, sagte Thorne, Deutschland müsse auch künftig die Bestimmungen über die Polizei in der Rheinlandzone beachten291 . Dies war auch der Inhalt eines Runderlasses Reichenaus vom 21. März 1935. Die Sorgen des Auslands, so der Generalmajor, würden sich vor allem um die Frage drehen, ob Deutschland an den Vorschriften zur entmilitarisierten Zone rütteln wolle. Er, Reichenau, müsse deshalb auf den Befehl Blombergs hinweisen, demzufolge

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Eidesstattliche Erklärung Fretter-Pico, Dachau, 2. 7. 1946, IfZ, ZS 39-1. Müller: Beck, S. 214. Schon im April 1935 war Berlin voller Gerüchte, Hitler wolle die entmilitarisierte Zone im Frühjahr 1936 besetzen, Tagebuch Fromm, 2. 4. 1935, B. Fromm: Als Hitler mir die Hand küsste, Berlin 1993, S. 219. Vgl. Schmidt: Außenpolitik, S. 175. François-Poncet und Cerruti kamen bei einem Treffen am 17. März überein, dass es eine feste Reaktion an Deutschland brauche, um die entmilitarisierte Zone zu bewahren, DDI, 7. Serie, Bd. XVI, Nr. 758, S. 805–807. Vermerk Rössing, Berlin, 19. 3. 1935, BA-MA, RH 1/78; Thorne an Phipps, Berlin, 19. 3. 1935, BDFA, II, F, Bd. 46, Nr. 58, S. 91f.; DDF, 1. Serie, Bd. IX, Nr. 438, S. 633f. Noch Anfang Juni 1935 warnte der britische Politiker Lloyd George im Gespräch mit dem deutschen Militärattaché vor einer Verletzung der entmilitarisierten Zone, Aufzeichnung Geyr v. Schweppenburg, London, 1. 6. 1935, PA AA, R 30062 a.

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die militärischen Bestimmungen in der entmilitarisierten Zone wie bisher bestehen blieben292 . Aus den Gesprächen mit den ausländischen Vertretern konnte das Auswärtige Amt ablesen, wie wichtig es den Locarnopartnern war, eine Bestätigung der Bestimmungen der Artikel 42 und 43 des Versailler Vertrages zu erhalten293 . Dementsprechend vorsichtig taktierte man. Genau wie die Militärs gaben die deutschen Diplomaten die Versicherung, trotz der Kündigung von Versailles weiter an den Bestimmungen der entmilitarisierten Zone festzuhalten. So drahtete Neurath am 18. März 1935 an alle Botschaften, der beabsichtigte Erlass des deutschen Wehrgesetzes lasse die Rheinlandzone unberührt294 und dem französischen Botschafter erklärte er am 21. März 1935, Deutschland werde die Rheinlandzone nicht in Frage stellen295 . Zu Phipps sagte Neurath, Deutschland besitze für die Zone keine Pläne „to alter the treaty status“296 . Dieckhoff verstieg sich gegenüber dem britischen Geschäftsträger zur Behauptung, Deutschland wolle die nächsten „20 oder 30 Jahre“ nicht an der Zone rütteln297 . Damit wollte man verhindern, dass Frankreich Maßnahmen gegen die Einführung der Wehrpflicht ergriff. Ein französisches Vorgehen gegen die Einführung der Wehrpflicht, urteilte eine Vorlage Kamphoeveners vom 22. März 1935, käme nur auf der Grundlage der Artikel 164298 oder Artikel 213 des Versailler Vertrages in Frage. Etwas anderes sei es, wenn ein Verstoß gegen die Artikel 42 und 43 des Versailler Vertrages festgestellt würde, dann, so Kamphoevener, käme Locarno ins Spiel299 . Solange Deutschland die Zone beachte, so lautete das Fazit in der Wilhelmstraße, wäre man relativ sicher vor französischen Sanktionen300 . Grundsätzlich glaubten die Diplomaten daran, im Zuge der Militärklauseln auch die Bestimmungen der Rheinzone über Bord werfen zu können. Aber, so bekannten Neurath und Bülow später, die entmilitarisierte Zone sei auch durch den Rheinpakt von Locarno garantiert, welchen man nicht anzweifeln wolle301 . Im März 1935 umging die deutsche Führung dieses Dilemma, indem Hitler seinen Entschluss, sich von allen Klauseln des Versailler Vertrages 292 293 294 295 296 297 298 299 300 301

Runderlass Reichenau, Berlin, 21. 3. 1935, BA-MA, RH 2/980; BA-MA, RW 19/1759; Erlass Blomberg, o. D. [März 1935], BA-MA, RH 2/1013. Aufzeichnung Bülow, Berlin, 20. 3. 1935, ADAP, C, Bd. III, 2, Nr. 547, S. 1009. Vgl. auch Luther an das Auswärtige Amt, Washington, 8. 4. 1935, PA AA, R 32245. ADAP, C, Bd. III, 2, Nr. 537, S. 993. François-Poncet an Laval, Berlin, 21. 3. 1935, DDF, 1. Serie, Bd. IX, Nr. 476, S. 670. Phipps an Simon, Berlin, 19. 3. 1935, DBFP, 2. Serie, Bd. XII, Nr. 615, S. 676. Aufzeichnung Newton, Berlin, 4. 4. 1935, BDFA, II, F, Bd. 46, Nr. 77, S. 120. In diesem Artikel verpflichtete sich das Deutsche Reich, Anordnungen des Völkerbundsrats Folge zu leisten, die auf eine Verringerung der deutschen Streitkräfte abzielten. Aufzeichnung Kamphoevener, Berlin, 22. 3. 1935, PA AA, R 32054. So etwa Bericht Kühlenthal, Paris, 22. 3. 1935, PA AA, R 30074 a. Aufzeichnung Hassell, Rom, 21. 2. 1936, Robertson: Wiederbesetzung, Nr. 4, S. 195. Vgl. auch Témoignages et Documents, Bd. II, S. 469ff.

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loszusagen, vorerst nur „ankündigte“. Das Wehrgesetz, obwohl eigentlich fertiggestellt, wurde im Moment noch nicht erlassen302 . Bis zur Verkündung des Gesetzes hatte die deutsche Regierung also Zeit, sich über die Zukunft der entmilitarisierten Zone, und damit des Rheinpaktes, Gedanken zu machen. Zwei Komplexe standen dabei im Fokus: die Frage des Grenzschutzes und die Durchführung der Wehrpflicht in der Rheinlandzone. Bekanntlich lag der VGAD im westlichen Grenzland seit 1933 auf Eis. Den Grenzschutz übernahmen dort Wehrverbände und Einheiten der Polizei, ohne dass die Reichswehr in Erscheinung trat. Nach der Ausschaltung der SA am 30. Juni 1934 gingen die Kompetenzen mehr und mehr auf die Landespolizei über. Deren Verbände waren kaserniert und militärisch organisiert303 . Sie sollte nach dem Willen der Reichswehr den Grenzschutz in den nächsten Jahren „als Überbrückung“ übernehmen304 . Als am 16. März 1935 dekretiert wurde, die Landespolizei in der Reichswehr aufgehen zu lassen, schien sich die Möglichkeit zu bieten, die Aufgaben der westlichen Landesverteidigung in die Hände der Reichswehr zu legen. Vor diesem Schritt schreckte man aber zurück. Bereits am 19. März 1935 erklärte Reichenau, die Landespolizei im Bereich der entmilitarisierten Zone werde im Gegensatz zur restlichen Landespolizei im Reichsgebiet nicht in das Heer übernommen, sondern bleibe in der jetzigen Form bestehen305 ; am 29. März sanktionierte das Kabinett diese Regelung306 . Freilich konnte dieses Bekenntnis die militärischen Realitäten in der Rheinzone nicht verdecken und war somit nicht in der Lage, Druck von der deutschen Führung zu nehmen. Schon bald häuften sich die Beschwerden über die Landespolizei, deren militärischer Charakter in der Zone immer deutlicher zu Tage trat. Am 26. April 1935 teilte der Regierungspräsident von Köln, Rudolf Diels, dem Auswärtigen Amt mit, der französische Generalkonsul Dobler sei bei ihm vorstellig geworden, um gegen deutsche Verstöße gegen die Bestimmungen der entmilitarisierten Zone zu protestieren307 . Dobler beklagte sich über das vermehrte Herumziehen von SA, SS und Arbeitsdienst in der Zone 302

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306 307

Weisung an die Presse, 18. 3. 1935, NS-Presseanweisungen, Bd. 3/I, S. 151: „Gesetz zum Aufbau der Wehrmacht ist kein Wehrgesetz im eigentlichen Sinne, vielmehr wird dieses Wehrgesetz erst in etwa 14 Tagen erscheinen.“ Thorne an Phipps, Berlin, 3. 7. 1934, BDFA, II, F, Bd. 45, Nr. 152, S. 216; vgl. Absolon: Wehrmacht, Bd. I, S. 47; ders.: Wehrmacht, Bd. III, S. 31. Aufzeichnung Liebmann über Ausführungen Fritschs am 9. Oktober 1934, o. O., o. D., IfZ, ED 1, Bd. 1. François-Poncet an Laval, Berlin, 19. 3. 1935, DDF, 1. Serie, Bd. IX, Nr. 438, S. 633f. Vgl. Absolon: Wehrmacht, Bd. III, S. 32; Castellan: Le réarmement, S. 94. Im Reichswehrministerium sagte man dem britischen Militärattaché sogar, man erwäge eine Zurückziehung der Landespolizei aus der entmilitarisierten Zone, wenn Frankreich Bedenken gegen die jetzige Regelung hege, BDFA, II, F, Bd. 46, Nr. 58, S. 92. AdR Hitler, Bd. II, 1, Nr. 132, S. 490; vgl. Erlass Fritsch, 16. 4. 1935, BA-MA, RH 2/1018. Aufzeichnung, o. V., o. O., 26. 4. 1935, PA AA, R 32040.

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und meinte, in Wahn bei Köln fänden „Kriegsparaden“ statt. Tatsächlich war dort ein Übungsplatz der Landespolizei, auf welchem vor Kurzem bei einem Unfall ein zehnjähriger Junge angeschossen wurde308 . Schließlich warf Dobler der deutschen Seite vor, die Landespolizeiverbände im Rheinland beträchtlich verstärkt zu haben309 . Diels nahm die Anschuldigungen Doblers zum Anlass, bei höheren Stellen zu intervenieren310 . Zuerst erzählte er Göring von dem Vorfall, der ihm versicherte, man wolle „jeden Schein der Verletzung in der entmilitarisierten Zone vermeiden“311 . Mit Hitler, der ihm bereits Mitte April versichert hatte, eine Änderung der Rheinzone komme nicht in Frage312 , traf er sich im Mai 1935, um ihm die Lage im Rheinland auseinanderzusetzen. Diels wies darauf hin, dass die unhaltbaren Zustände am Rhein beendet werden müssten, um Hitler im gleichen Atemzug davon zu überzeugen, dass man „mehr für das Rheinland tun könne“. Deutschland könne, so Diels, kleinere Polizeieinheiten oder Garnisonen in der Zone stationieren, ohne die Bestimmungen des Locarnopaktes zu verletzen. Hitler winkte ab, was aber Diels nicht davon abhalten konnte, gegenüber Dobler über eine Abschaffung der Zone im Frühjahr 1936 zu spekulieren313 . Die Warnungen der Franzosen und die Eigenmächtigkeiten Diels‘ mussten das Auswärtige Amt auf das Äußerste alarmieren. Mit den unverzüglich von Polizeichef Daluege erlassenen Befehlen für die Landespolizei und neuen Verfügungen für Truppenübungsplätze314 war es nicht getan. Auf einer Besprechung vom 29. April 1935, an der Bülow, Köpke, Gaus, Dieckhoff, Frohwein sowie Böckmann für die Reichswehr teilnahmen, vertraten die Männer des 308 309

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Das ganze Material in: PA AA, R 32040 u. R 74530; vgl. auch Témoignages et Documents, Bd. II, S. 483. Aufzeichnung Diels, Köln, 26. 4. 1935, PA AA, R 32040. Vgl. auch Diels: Lucifer, S. 59–62. Im französischen Generalstab setzten bereits die Überlegungen ein, ob man Deutschland wegen der Landespolizei mit Sanktionen belegen solle. Die Landespolizei sei sicher kein flagranter Verstoß gegen Locarno, urteilte eine Vorlage, aber man dürfe nicht den Anschein erwecken, als habe man sich in Paris mit der schleichenden Remilitarisierung des Rheinlandes abgefunden, Aufzeichnung, o. V., Paris, o. D. [1935], SHD, 7 N 3559. Diels, der sich von Göring berufen fühlte, auf korrekte Zustände im Rheinland zu achten, hatte im Juni 1934 schon einmal versucht, eine persönliche Audienz bei Hess zu bekommen, um über die politischen Zustände im Rheinland zu berichten, Diels an Hess, Köln, 12. 6. 1934, Niedersächsisches Landesarchiv-Hauptstaatsarchiv Hannover (künftig: NLAHStAH), VVP 46, Nr. 10. Diels an das Auswärtige Amt, Köln, 30. 4. 1935, PA AA, R 32040; Témoignages et Documents, Bd. II, S. 475–477. Aufzeichnung Diels, Köln, 26. 4. 1935, PA AA, R 32040. Dobler an Flandin, Köln, 12. 3. 1936, Témoignages et Documents, Bd. II, S. 483. Erlass Daluege, 27. 4. 1935, PA AA, R 32040. Demnach sollten Übungsgelände besser abgesperrt werden, Panzerabwehrkanonen nicht in der Zone stationiert werden und die Minenwerferausbildung in geschlossenen Räumen stattfinden.

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Auswärtigen Amtes den Standpunkt, es sei das Beste, die Landespolizei ganz aus dem Rheinland zurückzuziehen und am Rande der entmilitarisierten Zone zu stationieren. Damit forderten die Diplomaten nichts Geringeres als die Aufhebung des gesamten Apparates zur Landesverteidigung im Westen. Ein schwerer Schlag für die Militärs, aber Böckmann versprach, die Sache Blomberg vorzutragen. Der Minister solle sich schnell entscheiden, gab ihm Bülow kühl mit auf den Weg, die Reichswehr habe sich doch eigens besondere Vollmachten für die entmilitarisierte Zone geben lassen, die solle man jetzt verwenden, um auf die OSAF und die Landespolizei einzuwirken315 . Wie versprochen erschienen Böckmann und Reichenau am folgenden Tag beim Minister. Böckmann trug die Bitte des Auswärtigen Amtes vor, und auch Reichenau spielte mit dem Gedanken, die Landespolizei im Rheinland durch blaue Schutzpolizei zu ersetzen316 . Blomberg gab demgegenüber zu bedenken, es würde das Korsett der Landesverteidigung schwächen, wenn die Landespolizei aus der Zone entfernt würde. Er versprach aber, Hitler die Sache Anfang Mai vorzutragen, unter der Bedingung, dass auch Außenminister Neurath den Reichskanzler dahingehend bearbeitete, die „genaue Einhaltung der Vorschriften über die entmilitarisierte Zone“ zu unterstützen. Des Weiteren sagte Blomberg zu, mit Lutze über das Auftreten der SA in der Zone zu sprechen317 . Er wandte sich auch sogleich an das Innenministerium und wies darauf hin, dass die Dinge in der Rheinlandzone außer Kontrolle gerieten318 . Aber den Grenzschutz im Westen wollte Blomberg nicht opfern. Am 4. Mai 1935 kam es beim Chef der Heeresleitung zu einer Besprechung aller Befehlshaber, in der die Zukunft der Landespolizei beraten wurde319 . Man verständigte sich nach langen Verhandlungen darauf, die Landespolizei in der entmilitarisierten Zone zu belassen320 , die Stationierung aber in Einzelfällen zu überprüfen. Dem Druck des Auslands wollten die Militärs begegnen, indem sie die Vorschriften für Tarnung und Geheimhaltung noch einmal verschärften321 . Entsprechend den Ergebnissen der Besprechung vom 4. Mai fuhren die Militärs fort, die Landespolizei militärisch auszurichten. Anfang Mai wurden alte Kasernengebäude von den Zivilisten, die sie übergangsweise bewohnten, ge315 316 317 318 319 320 321

Aufzeichnung Frohwein, Berlin, 29. 4. 1935, PA AA, R 32040. Ebenda. Aufzeichnung Frohwein, Berlin, 30. 4. 1935, ebenda; ADAP, C, Bd. IV, 1, Nr. 57, S. 96f. Böckmann an Erbe, Berlin, 2. 5. 1935, PA AA, R 32040. Aufzeichnung über eine Besprechung bei Fritsch am 4. Mai, Berlin, 8. 5. 1935, BA-MA, RH 2/1160. Vermerk Frohwein, Berlin, o. D. [Juni 1935], PA AA, R 32040. Rundschreiben Reichenau, Berlin, 29. 4. 1935, PA AA, R 34016. Trotz aller Bemühungen der Militärs wandte sich Bülow Anfang Mai 1935 an Blomberg, um eine strengere Befolgung der Geheimhaltungsvorschriften einzufordern, Bülow an Blomberg, Berlin, 8. 5. 1935, PA AA, R 34016.

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räumt und für die Landespolizei hergerichtet322 ; parallel dazu unternahmen ranghohe Landespolizeioffiziere eine Inspektionsreise im Rheinland323 . Anfang Juni begann die Landespolizei, Rekruten mit einjähriger Dienstzeit einzustellen, was den militärischen Charakter dieser Einheiten offenbar werden ließ324 . Solche Maßnahmen blieben den ausländischen Agenten nicht verborgen. Anfang Mai 1935 konfrontierte der belgische Militärattaché Schmit hohe Beamte des Reichswehrministeriums mit Gerüchten, die Besetzung der Zone werde militärisch vorbereitet325 , und am 29. Mai sprach Dobler erneut mit Diels, um ihn vor allzu offensichtlichen Maßnahmen im Rheinland zu warnen326 . Erst jetzt lenkten die Militärs ein, konnten sich aber erneut nur zu einer Kompromissentscheidung durchringen. Ende Mai 1935 meldete sich das Reichswehrministerium beim Auswärtigen Amt und teilte mit, dass man nicht daran denke, die Landespolizei vollständig aus der entmilitarisierten Zone herauszuziehen; dafür aber habe man beschlossen, scharfe Regeln für die Landespolizeiverbände zu erlassen. Die für den Sommer geplanten Verlegungen von Landespolizei in die Rheinlandzone sollten unterbleiben327 , sodass die augenblickliche Stärke der kasernierten Polizei in der entmilitarisierten Zone – z. B. durch Verlegung von Polizei aus dem Reichsgebiet in die Zone – nicht vergrößert wurde. Panzer und Motorwagen wurden nicht im Rheinland stationiert. Schließlich wurde es den Landespolizisten untersagt, im Dienst graugrüne Uniform und Stahlhelm zu tragen328 . In seiner Antwort vom 6. Juni 1935 schrieb der Staatssekretär, er begrüße den Erlass des Reichswehrministeriums, erinnerte aber an das Versprechen Blombergs, mit dem SA-Chef zu sprechen329 . Denn während sich die Reichswehr Anfang Juni an das Innenministerium wandte und darum nachsuchte, die SAFeldjäger vollständig aus der entmilitarisierten Zone herauszunehmen330 , hatte das seit Ende April anvisierte Spitzengespräch mit Lutze noch nicht stattge322 323 324 325 326 327 328

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DNB-Meldung, 10. 5. 1935, PA AA, R 32040; DBFP, 2. Serie, Bd. XIII, Nr. 170, S. 233f. Daluege an das Auswärtige Amt, Berlin, 25. 5. 1935, PA AA, R 32040; Köpke an Kerchove, Berlin, 28. 5. 1935, ebenda. Aufzeichnung Frohwein, Berlin, 20. 6. 1935, ebenda. Vermerk Rössing, Berlin, 7. 5. 1935, ebenda. Dobler an Laval, Köln, 30. 5. 1935, DDF, 1. Serie, Bd. X, Nr. 482, S. 716–719. Erlass Fritsch, 31. 5. 1935, BA-MA, RH 2/1018. Das Reichskriegsministerium an das Auswärtige Amt, Berlin, 29. 5. 1935, ADAP, C, Bd. IV, 1, Nr. 118, S. 226f.; Erlass des Reichskriegsministeriums, 27. 5. 1935, Absolon: Wehrmacht, Bd. III, Nr. 17, S. 378. Gemäß dieser Weisung galt die „Zurückhaltung“ in der entmilitarisierten Zone auch für den Reichsarbeitsdienst und die Ersatzorganisation für das Reichsheer. Anfang Juni 1935 wurden weitere Bestimmungen für die Landespolizei in der Rheinlandzone erlassen, Aufzeichnung Frohwein, Berlin, 4. 6. 1935, PA AA, R 32040. Bülow an das Reichskriegsministerium, Berlin, 6. 6. 1935, ebenda. Das Reichskriegsministerium und der Oberbefehlshaber der Wehrmacht an das Reichsinnenministerium, Berlin, 3. 6. 1935, ebenda.

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funden331 . Erst am 22. Juni teilte Böckmann dem Auswärtigen Amt mit, dass Stabschef Lutze zugesagt habe, fortan alle militärischen und paramilitärischen Betätigungen der SA in der entmilitarisierten Zone zu unterlassen332 . Damit waren die Forderungen des Auswärtigen Amtes wenigstens für das Wirken der Wehrverbände erfüllt, Einfluss auf die Verhandlungen hatten die Diplomaten indes nicht nehmen können. Dies sollte ihnen auch beim zweiten Problemkreis nach dem 16. März 1935 so ergehen: die Frage, ob die allgemeine Wehrpflicht in der Rheinlandzone gelten solle. Dies war von großer politischer Tragweite. Denn die ehrgeizigen Heerespläne, die Hitler im März in die Welt posaunte, wurden durch die entmilitarisierte Zone auf zweifache Weise empfindlich gestört. Erstens sah das neue Wehrgesetz vor, ein 36 Divisionen-Heer mit einem Umfang von 500 000 Mann aufzustellen. Diese Stärke war nur zu erreichen, wenn das Reichswehrministerium zur Deckung des Personalbedarfs in der Lage war, auf die Bevölkerung des Rheinlandes zurückzugreifen. Zweitens war vorgesehen, die 36 Divisionen auf zwölf Wehrkreise zu verteilen. Wenn man davon ausging, dass in der Rheinlandzone keine Heeresverbände aufgebaut werden durften, drohte ein schlichtes Platzproblem die Gesamtplanung zu Fall zu bringen. Bei den Vorarbeiten zur Wehrpflicht seit Herbst 1934 hatten sich die Militärs bemüht, die Bestimmungen der entmilitarisierten Zone zu beachten. So wurden in der Rheinlandzone zunächst keine Bezirkskommandos und lediglich drei Ersatzinspektionen errichtet333 . Noch im März 1935 stellte das Reichswehrministerium in zwei streng geheimen Direktiven fest, dass das Verbot militärischer Vorbereitungen in der entmilitarisierten Zone auch die Wehrpflicht gemäß Artikel 173 des Versailler Vertrages umfasse334 . Jetzt freilich forderte Beck in einem Schreiben an die Heeresleitung vom 2. April 1935, die Ersatzorganisation in die entmilitarisierte Zone vorzuschieben. Dies sei „militärisch notwendig“, so Beck und meinte, die politische Führung, also Hitler, solle entscheiden335 . In diesem Sinn schrieb Böckmann am 11. April an das Auswärtige Amt und versicherte, es sei der Standpunkt des Reichswehrministeriums, dass die Einführung der Wehrpflicht keinen Verstoß gegen 331 332 333

334 335

Hs. Vermerk Frohwein, Berlin, o. D. [Juni 1935], ebenda. Böckmann an das Auswärtige Amt, Berlin, 22. 6. 1935, ebenda; ADAP, C, Bd. IV, 1, Nr. 147, S. 291 Anm. 6. Rundschreiben Blomberg, Berlin, 12. 11. 1934, PA AA, R 34016; Aufzeichnung Liebmann über Ausführungen Fritschs am 9. Oktober 1934, o. O., o. D., IfZ, ED 1, Bd. 1; Keitel: Leben, S. 170; vgl. Meinck: Aufrüstung, S. 91. Vgl. Robertson: Policy, S. 59. Beck an Fritsch, Berlin, 2. 4. 1935, Müller: Dokumentation, Nr. 131, S. 289f. Blomberg hatte per Erlass vom 30. März um Vorschläge gebeten, wie das Ersatzgeschäft in der entmilitarisierten Zone umzusetzen sei, Erlass Blomberg, o. D. [März 1935], BA-MA, RH 2/1013.

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den Teil III des Versailler Vertrages darstelle, in welchem die Entmilitarisierung des Rheinlandes geregelt ist. In seiner Antwort vom 16. April erklärte Bülow, es sei auch der Standpunkt des Auswärtigen Amtes, dass die allgemeine Wehrpflicht die entmilitarisierte Zone umfassen müsse. So einfach sei die Sache aber nicht. Es gelte vielmehr, so Bülow, einen Weg zu finden, in welcher Weise das Ersatzgeschäft technisch durchzuführen sei, ohne die Vorschriften der entmilitarisierten Zone zu verletzen. Hier wies Bülow darauf hin, dass die Rheinlandzone momentan im Mittelpunkt der internationalen Diskussion stünde und daher besondere Vorsicht einzuhalten sei. Bülow empfahl daher, das Ersatzgeschäft in der Rheinzone durch zivile Behörden durchführen zu lassen. Dies war der Stand der Dinge, als Blomberg am 6. Mai bei Hitler die Sache vortrug. Der Reichskanzler folgte der Anregung des Außenamtes und entschied, die allgemeine Wehrpflicht in der entmilitarisierten Zone von den Behörden der inneren Verwaltung durchführen zu lassen336 . Zufrieden vermerkte Frohwein tags darauf, das neue Wehrgesetz trage den Bedenken des Auswärtigen Amtes Rechnung337 . Als die Franzosen kurze Zeit später anfragten, wie es um die Wehrpflicht in der entmilitarisierten Zone stünde338 , antwortete das Auswärtige Amt unter Verweis auf Paragraf 12 Absatz 2 des Wehrgesetzes vom 21. Mai, wonach die allgemeine Dienstpflicht im Rheinland von zivilen Behörden durchgeführt werde339 ; gegen diese Regelung hatte Paris nichts einzuwenden340 . Sollte der Eindruck entstehen, die Diplomaten hätten mit ihrem Drängen auf Zurückhaltung Erfolg gehabt, so ist einzuwenden, dass die entmilitarisierte Zone im Sommer 1935 nur aus dem Grund nicht abgeschafft wurde, weil die Militärs nun selbst kalte Füße bekamen. Eine Aufzeichnung von Carl-Heinrich v. Stülpnagel vom 11. April 1935 über die militärpolitische Lage Deutschlands 336

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TNA, GFM 33/418. So sagte Frohwein zum französischen Botschafter, der Kriegsminister wollte die entmilitarisierte Zone in seine Pläne einbeziehen, aber Reichskanzlei und Auswärtiges Amt hätten gemeinsam erreicht, eine Sonderregelung für die Rheinlandzone zu erlassen, DDF, 1. Serie, Bd. XI, Nr. 110, S. 161–163. Aufzeichnung Frohwein, Berlin, 7. 5. 1935, PA AA, R 33727. Eine Ministerbesprechung vom 17. Mai 1935 bestätigte dieses Regelung, sodass das Wehrgesetz wie geplant am 21. Mai 1935 erlassen werden konnte, PA AA, R 33727; AdR Hitler, Bd. II, 1, Nr. 159, S. 580f. u. Nr. 162, S. 590ff. Aufzeichnung Bülow, Berlin, 17. 6. 1935, PA AA, R 31622; Phipps an Sargent, Berlin, 18. 6. 1935, TNA, FO 371/18847. Aufzeichnung Bülow, Berlin, 17. 6. 1935, PA AA, R 29456; Köpke an die deutsche Botschaft in London, Berlin, 21. 6. 1935, ADAP, C, Bd. IV, 1, Nr. 163, S. 330f. Weiteres Material dazu befindet sich in: PA AA, R 46941. Die Franzosen hatten schon Anfang Juni angekündigt, aus der Wehrpflicht im Rheinland keine große Sache machen zu wollen, Phipps an Sargent, Berlin, 5. 6. 1935, TNA, FO 371/18845.

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3. Die Haltung Hitlers und der Reichswehr

legte schonungslos offen, wie schlecht es um die Verteidigungsfähigkeit des Landes stand. Auf Grund der entmilitarisierten Zone, schrieb Stülpnagel, könne ein französischer Einmarsch nach Deutschland nicht aufgehalten werden. Daher seien Provokationen im Rheinland unbedingt zu unterlassen341 . Jeder Anschlag auf die Rheinlandzone führe unweigerlich zum Krieg mit Frankreich und Belgien342 . Der Chef der Heeresleitung übernahm diese Gedankengänge. Die entmilitarisierte Zone, führte Fritsch am 24. April aus, „sei das heißeste Eisen, an dem nicht gerührt werden darf “343 . Am folgenden Tag unterrichtete das Wehrministerium das Auswärtige Amt von diesem Standpunkt344 , der auch den neuen Bestimmungen für die Landespolizei vom 27. Mai 1935 zu Grunde lag. Zur Begründung der Weisung hieß es dort wörtlich: „Die augenblickliche gespannte Lage macht es allen Stellen zur besonderen Pflicht, alles zu vermeiden, was die Gegenseite als einen Verstoß gegen die militärischen Bindungen in der entmilitarisierten Zone auslegen könnte. Der Wert der militärischen Maßnahmen in der entmilitarisierten Zone steht in keinem Verhältnis zu der großen Gefahr, die aus dem Bekanntwerden dieser Dinge dem Reich erwachsen würden.“345

Vier Wochen später wurde der Schwenk der Reichswehrpolitik auf einer Sitzung des Arbeitsausschusses des Reichsverteidigungsrates offiziell bekanntgegeben. Die entmilitarisierte Zone erfordere eine „besondere Behandlung“, so Jodl, denn Frankreich warte nur auf einen Vertragsbruch im Rheinland, um gegen Deutschland mobilisieren zu können. Daher würden alle militärischen Vorarbeiten in der entmilitarisierten Zone fortan unter dem Grundsatz „Deckung geht vor Wirkung“ bewertet werden346 . Damit, so schien es, hatte sich die Argumentation, die das Auswärtige Amt seit Herbst 1933 vertrat, durchgesetzt. Sicher sei die „Periode der Präventivkriegsgefahr“ vorüber, schrieb ein Beamter der Abteilung II am 8. Oktober 1935, aber er plädiere dafür, die Zurschaustellung militärischer Macht zu beenden, weil sie mehr schade als nütze347 . Und am 2. November 1935 nahm Bülow die Gerüchte, Frankreich wolle London zu einem gemeinsamen Vorgehen wegen der entmilitarisierten Zone anstacheln348 , 341

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Aufzeichnung Stülpnagel, Berlin, 11. 4. 1935, Müller: Dokumentation, Nr. 132, S. 290f. Ein Mitarbeiter der deutschen Botschaft in Paris berichtete, eine unmittelbare Kriegsgefahr bestünde, „von Provokationen [in der entmilitarisierten Zone] einmal abgesehen“, nicht, Speidel an Stülpnagel, Paris, 12. 4. 1935, BA-MA, RH 2/2933. DDI, 7. Serie, Bd. XVI, Nr. 873, S. 928ff. IfZ, ED 1, Bd. 1. Vermerk, o. V., o. O., 25. 4. 1935, PA AA, R 32040. ADAP, C, Bd. IV, 1, Nr. 118, S. 226. IMT, Bd. XXXV, S. 435. Aufzeichnung Schwendemann, Berlin, 8. 10. 1935, PA AA, R 32257. Der Vorschlag Schwendemanns stieß auch im Auswärtigen Amt auf einhellige Ablehnung; so hieß es, Paraden und Uniformen seien wichtig für das Nationalbewusstsein der Bevölkerung. DNB-Meldung, 24. 9. 1935, PA AA, R 32040; Bräuer an das Auswärtige Amt, Brüssel, 2. 10. 1935, ebenda; Bismarck an das Auswärtige Amt, London, 14. 10. 1935, ebenda.

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zum Anlass, um einen Vertreter der Reichswehr zu ermahnen, das Auswärtige Amt sehe die Lage in der entmilitarisierten Zone ernst an, und er fürchte, dass schwerer Schaden „für Volk und Reich“ entstehen könne, wenn die militärischen Bindungen nicht eingehalten würden349 . Angesichts solcher Kassandrarufe drang auch die Reichswehrspitze darauf, mit der Rheinlandfrage zu warten. Bei den Manövern in der Lüneburger Heide im Herbst 1935, so berichtete ein teilnehmender Reichswehroffizier, habe Fritsch alle Anstrengungen unternommen, um Hitler eine Aktion in der neutralen Zone auszureden, „ohne dass dabei der eigene Nimbus eine zu starke Einbuße erlitt“350 . Die abwartende Haltung wird schließlich deutlich in den Bemühungen der Militärs um den zeitgerechten Aufbau eines 21 Divisionen-Heeres, der durch die Existenz der entmilitarisierten Zone empfindlich behindert wurde. Diese Einschränkung umfasste das fehlende Personal351 und den mangelnden Platz genauso wie das industrielle Potenzial des Ruhrgebiets, welches zur Herstellung von Rüstungsgütern gebraucht wurde. Daher hatten bereits die ursprünglichen Planungen zum Rüstungsprogramm deutlich gemacht, dass die Planziele nur zu erfüllen seien, wenn das Rheinland bis spätestens 1936/37 remilitarisiert werde352 . Als der Chef des Generalstabes im Herbst 1935 mit seinen Plänen hervortrat, das Heer in den kommenden Jahren auf ein Angriffsheer umzurüsten, und er damit nicht nur Ausmaß, sondern auch Geschwindigkeit dieser Rüstungen noch einmal steigerte353 , wurde die Frage der Rheinlandzone mit einem Mal akut. Ende Oktober 1935 beschäftigte sich der Generalstab erstmals theoretisch mit den Möglichkeiten des Heeresaufbaus „bei Wegfall der Locarnobindungen“354 . Diese Überlegungen konkretisierten sich im Laufe des Winters. Am 15. Januar 1936 legte Beck dem Oberbefehlshaber eine Denkschrift zum Heeresaufbau vor. Beck und Fritsch einigten sich darauf, ab Herbst 349

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Keitel an Frohwein, Berlin, 19. 11. 1935, ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 420, S. 822f. Das Reichskriegsministerium erließ daraufhin eine Verfügung, wonach alle militärischen Maßnahmen in der Rheinlandzone streng überprüft werden müssten und insbesondere das Treiben der Landespolizei zu überwachen sei. M. v. Faber du Faur: Macht und Ohnmacht. Erinnerungen eines alten Offiziers, Stuttgart 1953, S. 188f. Der Erlass über die neue „Verordnung zur Musterung und Aushebung“, der Anfang 1936 bearbeitet wurde, machte die Einschränkungen des Ersatzwesens durch die Rheinlandzone erneut deutlich, Schreiben Fritsch, Berlin, 3. 2. 1936, PA AA, R 46942. Vgl. Geyer: Revisionspolitik, S. 252–254; ders.: Aufrüstung, S. 381; Müller: Beck, S. 167 u. S. 214. Müller: Beck, Nr. 37, S. 469–477 u. Nr. 39, S. 486–490. Aufzeichnung, o. V., Berlin, 28. 10. 1935, BA-MA, RH 2/1007. Zur selben Zeit behauptete das Reichskriegsministerium gegenüber dem Auswärtigen Amt, es gebe noch keine Pläne für die Belegung der entmilitarisierten Zone, Vermerk Frohwein, Berlin, 31. 10. 1935, PA AA, R 32040.

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1936 zwei Divisionen vollständig auf dem Gebiet der entmilitarisierten Zone aufzubauen, wobei der Generalstabschef bemerkte, dass „die Belegung der entmilitarisierten Zone vor dem Herbst 1936 einige Änderungen“ erfordern könne355 . Die Berücksichtigung der Zone im Aufbauvorschlag, so erklärte Beck am 22. Januar 1936, sorge dafür, dass die Heeresaufstellung jederzeit durchgeführt werden könne356 . In die zeitliche Perspektive dieser Planungen passte es, dass die Spitzen der Reichswehr, wie man aus französischen Diplomatenberichten vom Januar 1936 erfährt, vom Auswärtigen Amt erwarteten, dass die entmilitarisierte Zone bis spätestens Herbst 1936 und auf dem Weg von Verhandlungen abgeschafft würde357 . Es dürfe nicht „zu einem radikalen Zug in der Außenpolitik“ kommen, war sich ein Offizier der Abwehr noch im Januar 1936 im Gespräch mit Brüning einig, das gelte vor allem für eine mögliche Wiederbesetzung der entmilitarisierten Zone358 . Waren es also bis zum Frühjahr 1936 weder der zaudernde Hitler noch die Militärs, die die Abschaffung der entmilitarisierten Zone vorantrieben, muss sich der Blick nun auf den dritten Akteur der deutschen Sicherheitspolitik richten, das Auswärtige Amt.

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Aufzeichnung, o. V., Berlin, 7. 1. 1936, BA-MA, RH 2/1007. Beck an Fritsch, Berlin, 15. 1. 1936, ebenda; Bemerkungen des Oberbefehlshabers des Heeres zum Heeresaufbau 1937, Berlin, 22. 1. 1936, BA-MA, RH 2/1015; Beck an Fritsch, Berlin, 22. 1. 1936, ebenda. Vgl. auch B. R. Kroener: „Der starke Mann im Heimatkriegsgebiet“. Generaloberst Friedrich Fromm. Eine Biographie, Paderborn u. a. 2005, S. 251– 254. DDF, 2. Serie, Bd. I, Nr. 59, S. 85f. u. Nr. 91, S. 134–136. Aufzeichnung Brüning, o. O., Januar 1936, Brüning: Briefe, S. 103f.

4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936) 4.1 Das Bekenntnis der Diplomaten zum Locarnopakt (1933–1935) Am 19. Februar 1936 befand sich Staatssekretär Bernhard Wilhelm von Bülow abends im Dienstzimmer des Reichsaußenministers. Neurath kam gerade aus der Reichskanzlei, wo er mit Hitler über die bevorstehende Remilitarisierung des Rheinlandes gesprochen hatte. Bülow hatte keine Einwände gegen die geplante Aktion. Die entmilitarisierte Zone, war er sich mit Neurath einig, wäre am 16. März 1935 gefallen, „wenn sie eben nicht außer durch Versailles auch durch Locarno gestützt wäre“1 . Mit dieser Entscheidung endete eine dreijährige Auseinandersetzung, in der das Auswärtige Amt versucht hatte, die Reichswehr, die Landespolizei und die SA von allzu krassen Verstößen gegen die völkerrechtlichen Bestimmungen der entmilitarisierten Zone abzuhalten. Dabei ging es nicht um ein kurzfristiges Kalkül, Frankreich von einer Invasion nach Deutschland zu hindern, sondern diese Politik war eingebettet in die Bemühungen, dem Reich ein stringentes Sicherheitskonzept zu verleihen. Unter der Ägide von Staatssekretär Bülow, der als Gegenspieler des zögernden Reichskanzlers und der Militärs, die auf eine Beendigung der entmilitarisierten Zone hinarbeiteten, auftrat, hatten sich die Spitzen des Außenamtes zunächst bemüht, den Rheinpakt von Locarno als Sicherungsinstrument in ihre Konzeption einzubauen und diesen erst zu „kündigen“, wenn Deutschland in der Lage war, seine Sicherheit auf anderen Wegen zu gewährleisten. Wie aber passte die Bereitschaft Bülows, das Vorgehen Hitlers mitzutragen, zu seiner bisherigen Politik und zur Lehrmeinung, das Auswärtige Amt habe bis 1936 uneingeschränkt an Locarno festgehalten2 ? Tatsächlich war der Locarnopakt zunächst ein wichtiges Element im Konzept Bülows. Ausgangspunkt dieser Konzeption, die Bülow in den Jahren 1933/34 formulierte, war der Gedanke, dass die Sicherheit des Deutschen Reiches am besten durch militärische Machtmittel gewährleistet sei, wozu auch die Abschaffung der entmilitarisierten Zone gehörte. Dabei musste die militärische Sicherheit des Reiches so bemessen sein, dass sie die bestehende politische Sicherheit nicht gefährdete. So tangierte jede Rüstungsmaßnahme in der Zone die Sicherheitsgarantien aus Locarno, weshalb die deutsche Führung auf der 1 2

Robertson: Wiederbesetzung, Nr. 4, S. 195. So Knipping: Diplomatie.

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

Genfer Abrüstungskonferenz darauf verzichtete, die Rheinlandzone in ihren Forderungskatalog aufzunehmen. Gleichzeitig mussten die Bestimmungen einer Rüstungskonvention so gefasst sein, dass die deutsche Aufrüstung in den kommenden Jahren durchgeführt werden konnte, ohne die Statuten der entmilitarisierten Zone zu gefährden. Vor diesem gedanklichen Hintergrund hatte Bülow bereits im Frühjahr 1932 die grundsätzliche Linie der deutschen Politik skizziert. Ziel müsse es sein, schrieb Bülow damals, Teil V des Versailler Vertrages abzuschaffen und durch eine (für alle Nationen gleichermaßen geltende) Rüstungskonvention zu ersetzen. Zentrales Kriterium sei, die prinzipielle Rüstungsfreiheit zu erhalten, das Recht auf praktische Rüstungsschritte sei – weil nicht umzusetzen – für den Moment verzichtbar. Wichtig sei zudem, so Bülow, eine kurze Konventionsdauer von fünf Jahren3 . Damit entwarf Bülow ein Programm, das es ermöglichen sollte, den Aufbau einer militärischen Sicherheit organisch auf dem System der vertraglichen Sicherheiten (Völkerbund, Locarnopakt, Kelloggpakt) zu vollziehen. Gleichzeitig war Bülow überzeugt, dass sich Deutschland nicht zur Gänze aus allen völkerrechtlichen Bindungen lösen dürfe, wie das Blomberg und Beck favorisierten, sondern dass „die Ruhe und die Ordnung“4 , die Deutschland für seine Aufrüstung benötigte, am besten durch einen „vertraglichen Zustand“5 gewährleistet seien. Dieser Zustand müsse so abgefasst sein, dass er den deutschen Revisionsinteressen nicht abträglich war, und könne etwa im Abschluss einer Rüstungskonvention oder der Teilnahme Deutschlands an einem neuen Sicherheitspakt bestehen. Bis ein solcher Zustand erreicht sei, so die Maxime Bülows, müsse Deutschland am Rheinpakt von Locarno festhalten6 . Diese Alternativen in einen Ansatz einschmelzend betonte Bülow seit dem Frühjahr 1933 in seinen sicherheitspolitischen Denkschriften immer wieder die Wichtigkeit der Locarnoverträge für die Sicherheit Deutschlands. Das Ziel der deutschen Außenpolitik, so schrieb Bülow in seiner bekanntesten Denkschrift

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Bülow an Hoesch, Berlin, 27. 2. 1932, ADAP, B, Bd. XIX, Nr. 271, S. 609; Brüning: Memoiren, S. 556. Vgl. auch Bülow an Neurath, Berlin, 4. 5. 1932, BAK, N 1310/95. So Bülow im September 1932, ADAP, B, Bd. XXI, Nr. 52, S. 114. Vgl. Krüger: Versailles, S. 172. Aufzeichnung Silberstein, Berlin, 18. 1. 1933, IfZ, ED 93, Bd. 33. OBS, I 31. Zur Haltung Bülows gegenüber den Problemen Sicherheit und Revision vgl. M. M. Lee: Disarmament and Security: The German Proposals in the League of Nations, 1926–1930. A Study in revisionist aims in an international Organization, in: MGM 25 (1979), S. 35–45.

4.1 Das Bekenntnis der Diplomaten zum Locarnopakt (1933–1935)

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vom 11. März 19337 , müsse es sein, den Vertrag von Versailles zu beseitigen8 ; aber diese Zielsetzung beinhalte eine Reihe von Gefahren. Zum einen war der deutsche Manövrierraum durch den Versailler Vertrag beschränkt. Diese Feststellung bezog sich einmal auf die militärische Schwäche des Reiches, die ihm durch die Versailler Entwaffnungsklauseln auferlegt wurden. Gleichzeitig erkannte Bülow aber, dass die Militärpolitik der Reichswehr Deutschland in außenpolitische Schwierigkeiten stürzen könnte, ohne Sicherheit zu bieten9 . Schließlich waren der deutschen Politik enge Grenzen gesetzt, weil jede Revision das Reich der Gefahr einer französisch-polnischen Präventivaktion aussetzte10 . Zum anderen erblickte Bülow ein Hindernis für eine aktive Revisionspolitik in den politischen Umwälzungen in Deutschland. Die Konzentration auf den „inneren Umbau“, so Bülow, absorbiere Kräfte und schwäche seine außenpolitische Situation, sodass er davon abriet, die „gleichzeitige Aufrollung großer außenpolitischer Fragen“ zu versuchen11 . Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse skizzierte Bülow eine sicherheitspolitische Strategie, die auf zwei Komponenten aufbaute. Als ersten Baustein zeigte Bülow einen Weg auf, wie die Risiken der Revisionen zu minimieren seien. Laut Bülow waren mehrere Bedingungen zu erfüllen, um eine erfolgreiche Revisionspolitik zu führen. So waren Einzelrevisionen, die in einem außenpolitisch günstigen Moment nach dem „Artischockenprinzip“ umzusetzen waren, einer Totalrevision vorzuziehen, bei der man immer „nur zehn Prozent bekomme“12 . Dazu empfahl Bülow, auf die Vierzehn Punkte Wilsons zurückzugreifen, um deutsche Revisionsvorhaben propagandistisch abzufedern. Die Betonung der Vierzehn Punkte habe den Vorteil, so hatte Bülow schon September 1931 er-

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Bülow an Neurath, Berlin, 13. 3. 1933, PA AA, BA 60966; Aufzeichnung Bülow, Berlin, o. D. [März 1933], ebenda; abgedruckt bei G. Wollstein: Eine Denkschrift des Staatssekretärs Bernhard von Bülow vom März 1933. Wilhelminische Konzeption der Außenpolitik zu Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft, in: MGM 13 (1973), S. 77–94. Zur Haltung Bülows gegenüber dem Friedensvertrag vgl. auch F. v. Prittwitz und Gaffron: Zwischen Petersburg und Washington – ein Diplomatenleben, München 1952, S. 233–237. Aufzeichnung Silberstein, Berlin, 18. 1. 1933, IfZ, ED 93, Bd. 33. Wörtlich schrieb er, Frankreich dürfe sich nicht von Deutschland bedroht fühlen, damit es „uns nicht in den Arm fällt.“ Aufzeichnung Bülow, Berlin, o. D. [Februar 1933], PA AA, R 29532. Den Gedanken vom inneren Umbau formulierte Bülow noch in einem weiteren Schriftstück. In einem niemals abgesandten Rücktrittsgesuch vom Frühjahr 1933 kam er zu dem Ergebnis, dass die momentane deutsche Politik im Gegensatz zu Sicherheit und Frieden stehe. Um die deutsche Erstarkung abzusichern, so Bülow, bedürfe es viel stärker der „inneren Anpassung an die äußeren Gegebenheiten“, zit. bei Krüger/Hahn: Loyalitätskonflikt, S. 397. IfZ, ED 93, Bd. 33.

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

klärt, dass dort die einseitige Demilitarisierung des linken Rheinufers nicht vorgesehen war und „daher unzulässig“ sei13 . Die Schwäche Deutschlands und der Widerstand Frankreichs gegen jede Veränderung des Versailler Statuts hätten schließlich zur Folge, dass Revisionen praktisch nur mit Hilfestellung Englands und immer auf friedlichem Wege durchzuführen waren, weil die deutsche Politik an die Bestimmungen des Locarno- und Kelloggpaktes gebunden war14 . Revisionsvorhaben, die dazu führen würden, dass Frankreich oder Belgien sich bedroht fühlten, seien zurückzustellen15 . Dies, so Bülow, gelte insbesondere für Elsass-Lothringen16 , Eupen-Malmedy und die entmilitarisierte Zone am Rhein. Der zweite Baustein im Konzept Bülows war der Entwurf einer Sicherheitsstrategie, die mehrere Seiten aufwies. Zunächst erteilte er förmlichen Bündnissen als Instrument deutscher Sicherheitspolitik eine klare Absage. Deutschlands militärische Schwäche würde das Reich immer auf die Rolle des Juniorpartners festlegen. Im Fall einer Niederlage, so Bülow, hätte Deutschland als schwächstes Glied die Kosten zu tragen. Deutschland müsse vielmehr aus eigener Kraft erstarken. Zur Absicherung empfahl Bülow die „elastische Anlehnung“ an wechselnde Partner, die ein gemeinsames Interesse verfolgten, in Form von „mehrseitigen Abmachungen ohne feste Vereinbarungen“, etwa im Rahmen eines Viererpaktes der Großmächte17 . Die bestehenden völkerrechtlichen Instrumente wie Völkerbund, Schiedsverträge und Kelloggpakt lehnte Bülow nicht ab, bezeichnete sie aber als „problematischen Schutz“. Einen Austritt aus dem Völkerbund hielt er in der augenblicklichen Lage für nicht ratsam, wie er generell dafür plädierte, außenpolitische Konflikte zu vermeiden18 . Wirtschaftliche und innenpolitische Maßnahmen sollten danach 13 14

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Aufzeichnung Bülow, Berlin, 25. 9. 1931, ADAP, B, Bd. XVIII, Nr. 209, S. 458ff. Aufzeichnung Bülow, Berlin, o. D. [Februar 1933], PA AA, R 29532. Auf ähnliche Weise hatte Bülow bereits einige Tage zuvor den deutschen Botschafter in Paris instruiert, DGFP, C, Bd. I, Nr. 19, S. 41f. Trotz dieser punktuellen Selbstbeschränkungen war Bülow grundsätzlich davon überzeugt, politische und wirtschaftliche Krisensituationen nutzen zu können, um schneller zu einer Erstarkung Deutschlands zu gelangen, als dies unter stabilen Verhältnissen der Fall wäre. Die Unterstellung, Bülows Ausführungen zu Elsass-Lothringen würden ihn als Gegner Locarnos entlarven, schießt über das Ziel hinaus. Locarno war konzipiert als Verpflichtung, die Westgrenzen niemals durch Gewalt zu verändern, nicht aber, Ansprüche auf das Elsass dauerhaft aufzugeben. Vgl. Messerschmidt: Kriegsvorbereitung, S. 570. Bereits Brüning und Curtius hatten diese Konzeption vertreten. So die Ausführungen Curtius’ am 22. November 1930 gegenüber dem ungarischen Ministerpräsidenten Graf Bethlen: „Richtlinien der deutschen Politik: keine Bündnisse oder neue Kombinationen, sondern nutzbringende Zusammenarbeit.“ ADAP, B, Bd. XVI, Nr. 76, S. 190; vgl. auch Aufzeichnung Pünder, Berlin, 13. 5. 1930, AdR Brüning, Bd. 1, Nr. 38, S. 150 Anm. 14. Auf dieser Linie lag es, dass Deutschland im Frühjahr 1933 die Geltung der Fakultativklausel um fünf Jahre verlängerte, PA AA, R 43132.

4.1 Das Bekenntnis der Diplomaten zum Locarnopakt (1933–1935)

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beurteilt werden, ob sie mit den Erfordernissen der Außenpolitik vereinbar waren19 . Bülow sah die deutsche Sicherheit am besten gewährleistet durch den Locarnopakt mit seiner britisch-italienischen Garantie im Westen sowie das gute Verhältnis zu Russland im Osten. Deshalb riet er dringend dazu, die Bestimmungen der entmilitarisierten Zone zu beachten und die deutschrussischen Beziehungen weiterhin freundschaftlich zu pflegen. Auch im Jahr 1934 hielt Bülow am Locarnopakt fest. Verschiedene Sondierungen der ungarischen Regierung, ob Deutschland bereit wäre, mit Budapest einen Nichtangriffspakt zu schließen20 , nahm Bülow zum Anlass, den deutschen Standpunkt in der Sicherheitsfrage zu umreißen. In einer handschriftlichen Aufzeichnung vom Mai 1934 führte er aus, das Reich besitze im Westen Locarno und im Osten den deutsch-polnischen Pakt, an weiteren Initiativen in der Sicherheitsfrage bestünde im Augenblick kein Interesse21 . Das Prinzip der deutschen Sicherheit, so hatte Bülow dem ungarischen Abgesandten schon im Januar 1934 erklärt, bestünde darin, bilaterale Pakte mit den Gegnern Deutschlands zu schließen, um gewisse politische Konflikte zu entschärfen, mit dem Ziel, langfristig die militärische Freiheit zu erringen22 . Bülow offenbarte damit, im Rheinpakt von Locarno eine taktische Aushilfe zu sehen, die das Deutsche Reich beim Durchschreiten der Gefahrenzone abschirmen sollte. Letzten Endes glaubte auch Bülow, die deutsche Sicherheit auf Grund des „mangelnden Abrüstungswillens der anderen“ nur auf militärischem Weg gewährleisten zu können23 . Diesen Zusammenhang drückte ein deutscher Diplomat im Winter 1933 dahingehend aus, es sei doch unlogisch, dass Frankreich seine Sicherheit auf massiven Rüstungen und einem gewaltigen Festungswerk gründe, während von Deutschland erwartet wurde, „sich auf Locarno zu verlassen“24 . In diesem Sinne beschied Köpke seine ungarischen Gesprächspartner am 23. Mai 1934, die zu Rüstungsgesprächen nach Berlin gekommen waren. An weiteren Nichtangriffspakten habe Deutschland kein Interesse, so Köpke, die von Hitler bekundete Bereitschaft zum Abschluss solcher Pakte sei als leitender Gedanke der deutschen Politik zu verstehen, 19 20 21 22 23

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Diesen Gedanken äußerte Bülow explizit in einer Denkschrift zur deutschen Außenwirtschaftspolitik vom 24. März 1933, PA AA, BA 60966. ADAP, C, Bd. II, 1, Nr. 175, S. 327ff., Nr. 192, S. 370f. u. Nr. 216, S. 407ff.; ADAP, C, Bd. II, 2, Nr. 313, S. 568 u. Nr. 327, S. 597f. Aufzeichnung Bülow, Berlin, 22. 5. 1934, PA AA, R 32240. Aufzeichnung Bülow, Berlin, 24. 1. 1934, DGFP, C, Bd. II, Nr. 216, S. 418. Vgl. verschiedene Äußerungen Bülows vom Herbst 1933. Die Nichtbeachtung der Gleichberechtigung durch die Alliierten, schrieb er da, sei eine Diskriminierung und nicht vereinbar mit der deutschen Sicherheit, Bülow an die deutsche Botschaft in Washington, Berlin, 5. 10. 1933, PA AA, R 32367; Rundschreiben Bülow, Berlin, 29. 10. 1933, DGFP, C, Bd. II, Nr. 29, S. 46f. Köster an das Auswärtige Amt, Paris, 12. 12. 1933, AdR Hitler, Bd. I, 2, Nr. 268, S. 1021.

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

enthalte jedoch keine aktuelle politische Zielsetzung25 . Ganz auf dieser Linie lag es im April 1934, Fühler zu einem deutsch-französischen Nichtangriffspakt zurückzuweisen26 , und beeinflusste die Reaktion Bülows im Mai 1934, als Briten und Belgier wegen eines deutsch-belgischen Nichtangriffspaktes sondierten. Mit der Haltung, vorerst zum Locarnopakt zu stehen, korrespondierte es, die Frage der entmilitarisierten Zone in den internationalen Rüstungsverhandlungen nicht anzuschneiden, weil Deutschland dadurch den theoretischen Schutz Locarnos verlieren würde, wie Bülow am 1. Dezember 1934 dem Generalstabschef Beck erklärte27 . Belgien, so der Staatssekretär, werde dann unwiderruflich an die Seite Frankreichs getrieben. Nach diesem Gespräch beauftragte Bülow sogleich Frohwein, eine Denkschrift aufzusetzen, in welcher der gegenwärtige Stand der Abrüstungsgespräche zusammengefasst wurde. Sie wurde am 10. Dezember 1934 an Böckmann übergeben, der sie in den folgenden Tagen mit Blomberg und Reichenau durchsprach28 . Am 17. Dezember traf sich Böckmann mit Frohwein, um ihm die Ergebnisse dieser Unterredungen zu zeigen. Im Reichswehrministerium, so Böckmann, denke man daran, „ganz großzügige neue Forderungen“ aufzustellen. Das schlösse die Abschaffung der Rheinlandzone ein. Frohwein entgegnete, es sei besser, an die Forderungen Hitlers in den Frühjahrsverhandlungen anzuknüpfen, denn damals, so hatte es Frohwein bereits in seiner Denkschrift formuliert, habe Deutschland zugestanden, den Rheinpakt von Locarno einzuhalten29 . Da dieser Pakt hauptsächlich auf der Entmilitarisierung ruhe, wäre dies ein radikaler Wechsel der bisherigen Taktik der Reichsregierung und würde dafür sorgen, dem Rheinpakt die Grundlage zu entziehen. Frankreich und Belgien, so Frohwein, würden diese Forderungen schwerlich akzeptieren. Frankreich betrachte die Entmilitarisierung des Rheinlandes als Noli me tangere und Belgien sehe in der britisch-italienischen Garantie Locarnos die Festschreibung seines internationalen Statuts. England schließlich sei an der Sicherung Belgiens interessiert, die der Rheinpakt gewährleiste. Das Problem der entmilitarisierten Zone, so resümierte Frohwein gegenüber Böckmann, könne zum jetzigen Zeitpunkt nicht ohne ernste Gefahren aufgegriffen werden30 . 25

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Aufzeichnung Schwendemann, Berlin, 23. 5. 1934, PA AA, R 32240. Ganz ähnlich hatte sich bereits Renthe-Fink im Dezember 1933 gegenüber dem ungarischen Gesandten Masirevich geäußert, ADAP, C, Bd. II, 1, Nr. 95, S. 164 Anm. 7. Köster an Köpke, Paris, 6. 4. 1934, PA AA, R 30182 b; Köpke an Köster, Berlin, 24. 4. 1934, ebenda. Aufzeichnung Bülow, Berlin, 1. 12. 1934, Müller: Beck, Nr. 17, S. 397f. PA AA, R 32257; DGFP, C, Bd. III, Nr. 393, S. 744 Anm. 1. Aufzeichnung Frohwein, Berlin, 17. 12. 1934, ADAP, C, Bd. III, 2, Nr. 393, S. 725f. Aufzeichnung Frohwein, Berlin, 8. 12. 1934, PA AA, R 32257; ADAP, C, Bd. III, 2, Nr. 393, S. 725 Anm. 1.

4.1 Das Bekenntnis der Diplomaten zum Locarnopakt (1933–1935)

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Noch Anfang 1935 meinte Bülow, der Zeitpunkt sei nicht günstig, um über Locarno zu reden. Auf einem Treffen von Auswärtigem Amt und Reichswehr im Januar 1935 kamen die Vertreter der beiden Ministerien überein, am Locarnopakt „unbedingt“31 festzuhalten. Außerdem setzte sich das Auswärtige Amt mit der Forderung durch, dass es im Augenblick nicht opportun sei, im Rahmen der Abrüstungsverhandlungen eine Beseitigung der entmilitarisierten Zone zu fordern32 . Auch im Sommer 1935 behielt Bülow den Gedanken im Hinterkopf, dass an eine Auflösung des Locarnovertrages erst zu denken war, wenn ein neuer Sicherheitspakt unterzeichnet war, und die entmilitarisierte Zone bis dahin als Revisionsobjekt ausscheiden musste. Durch den Schritt vom 16. März 1935, schrieben Bülow und Gaus in einer Denkschrift vom März 1935, sei die deutsche Gleichberechtigung endgültig erreicht33 ; nun gelte es, die deutsche Position durch eine „exakte Rechtsthese“34 zu untermauern, indem man den Fokus weg vom Fait accompli hin zu einem völkerrechtlich legitimierten Anspruch bewegte. Im Kern ging es darum, den deutschen Schritt vom 16. März mit der alten Behauptung zu rechtfertigen, Deutschland habe ein Recht zur Aufrüstung, weil die anderen Staaten ihr Abrüstungsversprechen nicht erfüllt hätten35 . Im Zusammenhang mit der deutschen Gleichberechtigung erwähnte Bülow, „die Engländer würden es begrüßen, wenn wir noch einmal erklären, die entmilitarisierte Zone unangetastet zu lassen“36 . Eine solche Erklärung hätte aus der Sicht Bülows einen doppelten Zweck gehabt. Erstens würde Deutschland Provokationen in der Rheinlandzone, die nach dem 16. März 1935 im Zentrum der internationalen Diskussion stand, vermeiden. Wenn Deutschland die Zone nicht respektiere, so glaubte auch Weizsäcker, würden die Westmächte darin einen Anlass zum „Händelanfangen“ sehen37 . Wichtiger war zweitens, dass Deutschland mit einem solchen Schritt die ent-

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Die Stelle ist im Original unterstrichen. Böckmann an Stülpnagel, Berlin, 23. 2. 1935, BA-MA, RH 2/98. In diesem Sinne erklärte Reichenau Anfang Februar 1935 gegenüber dem belgischen Gesandten in Berlin, die deutsche Führung beabsichtige nicht „to raise the difficult and ticklish question of the demilitarized zone“, DBFP, 2. Serie, Bd. XII, Nr. 405, S. 486. Aufzeichnung Bülow und Gaus, Berlin, März 1935, PA AA, BA 60960. Bülow an Neurath, Berlin, 17. 4. 1935, PA AA, BA 60959; Aufzeichnung Neurath, Berlin, o. D. [Mai 1935], PA AA, BA 60966. Vgl. die Stellungnahme Fretter-Picos nach dem Krieg: „Es kann also gar keinem Zweifel unterliegen, dass Deutschland zur Aufrichtung der Wehrhoheit berechtigt war, nachdem das Versailler Diktat durch die Signatarmächte gebrochen und der Völkerbund nicht für einen Rüstungsausgleich eingetreten war.“ IfZ, ZS 39-1. PA AA, BA 60960. Tagebuch Weizsäcker, 10. 5. 1935, Hill: Weizsäcker, Bd. 2, S. 89.

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

militarisierte Zone als nächstes Revisionsziel ausschalten würde38 , um damit implizit zu erklären, sich künftig in Ruhe um seine innere Erstarkung kümmern zu wollen. Nach dem Gewinn der Wehrfreiheit, urteilte ganz auf dieser Schiene fahrend eine Denkschrift zur deutschen Haltung zum Völkerbund, die Weizsäcker am 30. April 1935 dem Auswärtigen Amt übermittelte, trete die deutsche Politik in eine „Periode der Sicherung dieser Freiheit“ ein. Es gelte nun, das Vertrauen in die deutsche Politik wieder zu stärken, auch unter Opfern. Dazu gehöre, so Weizsäcker, dass „Kardinalfragen“ wie die entmilitarisierte Zone eine Zeit lang ruhen müssten39 . Hitler wollte davon nichts wissen. Sofort nach Bekanntgabe der Völkerbundsresolution vom 17. April 1935, in welcher das deutsche Vorgehen vom 16. März scharf verurteilt wurde und Gegenmaßnahmen angekündigt wurden für den Fall, dass Deutschland eine weitere Vertragsverletzung unternähme, rief Hitler noch in der Nacht Bülow aus Berchtesgaden an und trug ihm auf, sich beim britischen Botschafter über die Genfer Resolution zu beschweren40 . Dann rief er Neurath nach München und verhandelte dort mit ihm, Goebbels, Göring, Blomberg und Ribbentrop über die weiteren Schritte. Hitlers Absicht war es, den Westmächten durch eine Brandrede zu antworten41 , alle Rüstungsanstrengungen zu intensivieren (z. B. Verdopplung der Luftwaffe) und den Locarnopakt zu kündigen42 . Wie der britische Botschafter später erfuhr, sei es Neurath nur mit Mühe gelungen, den Reichskanzler von unüberlegten Schritten abzuhalten, indem er Hitler überzeugte, die Reichstagsrede zu verschieben und stattdessen durch die Übergabe einer förmlichen Note zu antworten43 . So richtete Deutschland am 20. April 1935 einen Protest an die Westmächte, in dem dem Völkerbund und den alliierten Regierungen das 38 39

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Am 4. Mai 1935 erklärte Bülow, die Rheinlandzone bliebe von der Lossagung vom Teil V „bekanntlich unberührt“, BAK, ZSg 133/11. Weizsäcker an das Auswärtige Amt, Bern, 30. 4. 1935, PA AA, R 97127. Köpke leitete den Brief Weizsäckers an Hitler, Neurath und Bülow weiter, Köpke an Weizsäcker, Berlin, 27. 5. 1935, ebenda. BDFA, II, F, Bd. 46, Nr. 86, S. 130f.; DDI, 8. Serie, Bd. I, Nr. 36, S. 30. Hitlers außenpolitische Proklamation war zunächst für den 20. April 1935 geplant, wurde dann aber verschoben, Aufzeichnung Kausch, Berlin, 18. 4. 1935, NS-Presseanweisungen, Bd. 3/I, S. 231. Telegramm François-Poncet, Berlin, 5. 5. 1935, AMAEE, Série Relations multilatérales, Service français de la Société des Nations, Bd. 756. Phipps an Baldwin, Berlin, 17. 4. 1935, BDFA, II, F, Bd. 46, Nr. 86, S. 130f.; Phipps an Hoare, Berlin, 12. 6. 1935, ebenda, Nr. 120, S. 181; François-Poncet an Laval, Berlin, 25. 4. 1935, DDF, 1. Serie, Bd. X, Nr. 254, S. 412–415; Tagebuch Dodd, 19. 4. 1935, W. E. Dodd: Diplomat auf heißem Boden. Tagebuch des USA-Botschafters William E. Dodd in Berlin 1933–1938, hg. v. W. E. Dodd jr. u. M. Dodd, mit einer Einführung von Ch. A. Beard, Berlin o. J., S. 269f.; Weisung an die Presse, 18. 4. 1935, NS-Presseanweisungen, Bd. 3/I, S. 232. Vgl. G. Falanga: Mussolinis Vorposten in Hitlers Reich. Italiens Politik in Berlin 1933–1945, Berlin 2008, S. 58.

4.1 Das Bekenntnis der Diplomaten zum Locarnopakt (1933–1935)

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Recht abgesprochen wurde, eigenmächtig über Deutschland zu richten. Die deutsche Regierung sehe darin eine erneute Diskriminierung und behalte sich eine weitere Stellungnahme vor44 . Erst in den folgenden Wochen zeigte sich Hitler den Vorschlägen Bülows zugänglicher. Aus Angst vor einem Krieg45 plante Hitler, wie im Mai 1933, die außenpolitischen Gewitterwolken mit einer versöhnlichen Rede beiseite zu schieben. Jetzt griff er, auch von Neurath bedrängt46 , die Anregungen des Auswärtigen Amtes auf und erging sich in seiner Reichstagsrede vom 21. Mai 1935 in langen Ausführungen über den Stand und die Zielsetzung der deutschen Rüstungen. So erklärte er, dass Deutschland alle Auflagen aus dem Versailler Vertrag erfüllt habe, während die anderen Staaten dies nicht getan hätten. Dennoch sei Deutschland zu weiteren Abrüstungsschritten bereit. Gleichzeitig erklärte er feierlich, am Locarnopakt und an der entmilitarisierten Zone festhalten zu wollen. Die „unvermeidlichen Revisionen“, so ließ sich Hitler vernehmen, wolle das Reich auf dem Weg der friedlichen Verständigung durchführen. Die zwischen 1933 und 1935 immer wieder geäußerte Forderung Bülows, am Rheinpakt von Locarno festzuhalten, und die Bemühungen, die entmilitarisierte Zone als Revisionsziel zurückzustellen, entsprangen einer Reihe von Überlegungen. Erstens wurde das Bekenntnis Bülows diktiert vom Verlauf der internationalen Entwicklungen. Sie zwangen den Staatssekretär im Frühjahr 1933, den traditionellen Kurs des Auswärtigen Amtes, aus funktionalen Gründen am Rheinpakt festzuhalten, fortzusetzen, um die deutsche Position bei den Genfer Abrüstungsverhandlungen und in den Besprechungen über den Viermächtepakt nicht zu gefährden. Dort diente der Locarnopakt schon lange als Hebel, der das Tor zur allgemeinen Abrüstung mit dem Argument aufstoßen sollte, die Sicherheit Europas sei durch den Rheinpakt ausreichend gewährleistet47 . 44 45

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Meissner: Staatssekretär, S. 402; Note der Reichsregierung, 20. 4. 1935, Berber: Locarno, Nr. 30, S. 111. Bericht Grimm, Paris, 13. 3. 1935, F. Grimm: Frankreich-Berichte 1934 bis 1944, hg. v. Kreis seiner Freunde, Ulm 1972, S. 32; Tagebuch Goebbels, 5. 4. 1935, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/I, S. 212; Tagebuch Goebbels, 7. 4. 1935, ebenda, S. 213. PA AA, BA 60966. Dass das Festhalten Bülows am Locarnopakt zu diesem Zeitpunkt vor allem taktisch motiviert war, ist auch daran abzulesen, dass der Wunsch des Staatssekretärs, gestützt auf eine starke nationalistische Regierung, eine forcierte Revisionspolitik zu betreiben, die auch vor kalkulierten Vertragsverletzungen nicht zurückschreckte, sich kaum mit der Maxime Locarnos vereinbaren ließ, Revisionen auf der Grundlage einer stabilen europäischen Ordnung und nur in Abstimmung mit den europäischen Großmächten durchzuführen. So ventilierte Bülow im Sommer 1933 die Idee, durch „ungefährliche Vertragsverletzungen“ kleine Löcher in den Versailler Vertrag zu reißen, um so die Frage der deutschen Aufrüstung „ins Rutschen zu bringen“. In diesem Sinne sprach er mit dem amerikani-

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Ganz in diesem Sinne kam der Locarnopakt bei den Rüstungsverhandlungen im Jahr 1933 immer wieder zur Sprache. Obwohl Hitler glaubte, dass „die Frage der Herstellung der Wehrmacht (. . . ) nicht in Genf “ entschieden würde48 , sprach er sich im Frühjahr 1933 aus taktischen Rücksichten dafür aus, konstruktiv zu verhandeln. Die Genfer Delegation wies er an, die Verhandlungen nicht zu sabotieren und auf einen positiven Abschluss hinzuarbeiten. Dafür war er sogar bereit, Locarno und die entmilitarisierte Zone noch einmal anzuerkennen49 . Darin folgte ihm der Leiter der deutschen Abrüstungsdelegation, Rudolf Nadolny, der schon im Januar 1933 die Position der Deutschen auf der Konferenz scharfsinnig umrissen hatte. Die Fünfmächteerklärung habe die deutsche Verhandlungsführung nachhaltig beeinflusst, so Nadolny, jetzt bliebe nur noch das Scheitern der Konferenz oder der Abschluss einer Konvention. Letzteres sei der bessere Weg und werde durch einen methodischen Wechsel in den Verhandlungen erreicht50 . Der Reichsaußenminister meldete sofort Bedenken an51 . Die Ideen Nadolnys hatten keinen Platz in der von ihm und Blomberg vereinbarten Taktik, alle Vermittlungsvorschläge zu blockieren, Frankreich das Scheitern der Konferenz anzulasten und gegebenenfalls einen Konferenzabbruch zu riskieren52 . Zwar sollte die entmilitarisierte Zone nicht auf die Tagesordnung gesetzt werden, aber eine Anerkennung Locarnos schied von vornherein aus. Da Deutschland der Entmilitarisierung des Rheinlandes zugestimmt hatte und den Locarnopakt unterzeichnet hatte, umriss der Reichswehrminister diese Taktik, sei die Sicherheit der anderen Staaten erfüllt. „Die Zeit der Diskriminierung Deutschlands“, so die Forderung, müsse nun vorbei sein53 . Diese Vorgabe bestimmte die deutsche Taktik in der Behandlung des Abrüstungsplans, den der britische Premierminister Ramsay MacDonald am 16. März 1933 vorlegte. Neurath lehnte den Plan, der die Angleichung der europäischen Truppenstärken und damit die deutsche Gleichberechtigung erst nach einer Übergangszeit von fünf Jahren

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schen Botschafter, Deutschland werde sich ohne Rücksicht auf den Versailler Vertrag Abwehrwaffen besorgen, wenn Frankreich seine offensive Rüstung fortsetzte, und dem italienischen Botschafter Cerruti gestand er im Juni 1933, Deutschland habe bereits mit der Aufrüstung begonnen, Bülow an Neurath, Berlin, 5. 7. 1933, BAK, N 1310/20; Tagebuch Dodd, 23. 8. 1933, Dodd: Diplomat, S. 51; Cerruti an Mussolini, Berlin, 14. 6. 1933, DDI, 7. Serie, Bd. XIII, Nr. 831, S. 867f. Vgl. ausführlich Rautenberg: Rüstungspolitik, S. 91; Schmidt: Außenpolitik, S. 140. Rede vor führenden Industriellen, 20. 2. 1933, W. Michalka (Hg.): Das Dritte Reich. Dokumente zur Innen- und Außenpolitik, Bd. 1: „Volksgemeinschaft“ und Großmachtpolitik 1933–1939, München 1985, Nr. 143, S. 177. DGFP, C, Bd. I, Nr. 97, S. 180. Aufzeichnung Nadolny, Genf, [18. 1. 1933], ADAP, B, Bd. XXI, Nr. 263, S. 560–562. Ebenda, S. 562 Anm. 5. Vgl. Schmidt: Außenpolitik, S. 144. Aufzeichnung Blomberg, Berlin, 15. 5. 1933, BArch, R 43 I/534.

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vorsah, schroff ab. Dieser Kurs führte im Laufe des Aprils, als sich eine allgemeine Zustimmung für den britischen Abrüstungsplan abzeichnete, geradewegs in die Krise; nur Hitlers versöhnliche Töne, die er in seiner Rede am 17. Mai anstimmte, konnten die Wogen glätten. Dieselbe Taktik lag auch dem deutschen Verhalten in der Frage des Viermächtepaktes zu Grunde. Dieser Pakt, den Mussolini am 14. März 1933 der deutschen Seite präsentierte, zwei Tage später den Briten und am 18. März der Weltöffentlichkeit vorstellte, sah vor, auf der Basis des Kelloggpaktes ein Direktorium der vier westlichen Großmächte einzurichten, das England, Frankreich, Deutschland und Italien nutzen können, um die Gleichberechtigung Deutschlands auszuhandeln und Absprachen zur Vorbereitung von Revisionen zu treffen54 . Die deutsche Seite sah in dem Plan, wie sie die Italiener sogleich wissen ließ, eine „geniale Konzeption“55 , schien er doch ganz auf der Linie Bülows liegend, Deutschlands Sicherheit durch mehrseitige Abmachungen ohne feste Bindungen zu gewährleisten. Dazu schien sich die Möglichkeit zu bieten, den Locarnopakt weiter zu entwickeln, indem man ihn vom Völkerbund löste und die Staaten Osteuropas ausschloss56 . Gleichzeitig versprach der Viererpakt Gleichberechtigung und Revisionen, was sich mit Blick auf den Rheinpakt nur auf die entmilitarisierte Zone beziehen konnte57 . Dass aus diesen Plänen nichts geworden ist, hat mit drei Umständen zu tun. Erstens waren dies die französischen Bemühungen, den Viermächtepakt zu „entschärfen“ und „in eine Waffe gegen Deutschland“ umzuformen58 . Bereits die erste Überprüfung des Projekts förderte so viele Punkte zu Tage, dass es unmöglich schien, den Pakt in dieser Form anzunehmen. Der Pakt sei ein Schlag gegen den Völkerbund und gegen das französische Bündnissystem, analysierte Massigli am 18. März, und kompromittiere alle Versuche, eine echte europäische Union zu schaffen. Daher warfen die Franzosen ihr ganzes diplomatisches Gewicht in die Waagschale, um die Paragrafen des Viermächtepaktes zu modifizieren59 . Ende März 1933 bedrängten sie den britischen Ministerpräsiden54

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Aufzeichnung Neurath, Berlin, 14. 3. 1933, PA AA, R 28470; ADAP, C, Bd. I, 1, Nr. 83, S. 157–160; DDI, 7. Serie, Bd. XIII, Nr. 208, S. 225f.; DDF, 1. Serie, Bd. III, Nr. 2, S. 15ff.; Tagebuch Aloisi, 8. 3. 1933, Aloisi: Journal, S. 83f. ADAP, C, Bd. I, 1, Nr. 84, S. 161. Aufzeichnung Bülow, Berlin, 24. 4. 1933, PA AA, R 29452. Vgl. R. Ahmann: Sicherheitsprobleme Ostmitteleuropas nach Locarno 1926 bis 1936, in: Schattkowsky: Locarno, S. 183– 200, hier S. 197. François-Poncet an Paul-Boncour, Berlin, 30. 3. 1933, DDF, 1. Serie, Bd. III, Nr. 70, S. 118– 124; Chamberlain an Hilda, London, 24. 4. 1933, Chamberlain: Letters, S. 437; Chamberlain an Ida, London, 12. 6. 1933, ebenda, S. 442; Stresemann: Sicherheitsfrage, S. 41; vgl. Jarausch: Pact, S. 10 Anm. 4; Stuby: Gaus, S. 324. Schmidt: Außenpolitik, S. 149. Aufzeichnung Massigli, Paris, 18. 3. 1933, DDF, 1. Serie, Bd. III, Nr. 7, S. 21–25. Vgl. auch

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ten, auf die französischen Forderungen Rücksicht zu nehmen. In der Tat wies MacDonald sogleich das Foreign Office an, einen Viererpakt zu entwerfen, der für Paris annehmbar war60 . Am 10. April 1933 trat Paris zusätzlich mit einem eigenen Entwurf hervor, der außer der Bekräftigung aller bestehenden Sicherheitssysteme wie Völkerbund, Locarno und Kelloggpakt keine substanziellen Bestimmungen enthielt61 . Das war die Situation, in der das Auswärtige Amt mit einem Vorschlag in einer „annehmbaren Fassung“ hervortrat. Auf der Grundlage eines „Minimalprogramms“, das Papen und Hassell gemeinsam mit Aloisi in Rom erstellt hatten62 , modellierten in Berlin der Vizekanzler, Bülow und Gaus ihre Vorstellungen zu einem Viererpakt. Der deutsche Entwurf, der Anfang Mai 1933 nochmals von Gaus überarbeitet wurde, betonte die Zusammenarbeit der Großmächte und bestand auf die Gewährung der Gleichberechtigung, war aber sonst kompromissbereit formuliert, was insbesondere daran abzulesen ist, dass er einen ausdrücklichen Bezug zum Locarnopakt herstellte63 . Da wurde als zweiter Umstand von Bedeutung, dass Deutschland in dieser Phase der Verhandlungen von Hermann Göring vertreten wurde. Göring fuhr Mitte Mai 1933 nach Rom, um Mussolini und anderen italienischen Politikern das deutsche Viermächtepaktprojekt vorzustellen, aber es gelang ihm nicht, an den gemeinsamen Sitzungen der italienischen, französischen und britischen Botschafter teilzunehmen64 . So nimmt es nicht wunder, dass der neue Entwurf, den die Italiener am 20. Mai veröffentlichten, die deutschen Anregungen überhaupt nicht zur Kenntnis nahm65 . Stattdessen hieß es nun, die Franzosen wollten dem Viermächtepakt ein Garantieprotokoll beigeben, das die enge Verbindung des Viererpaktes zum Völkerbund und einen Revisionsverzicht festschreiben sollte; dazu käme noch eine Klausel, wonach der Viererpakt das Funktionieren der französischen Bündnisverträge nicht beeinträchtigen dürfe66 . Das war der Stand, als sich am 23. Mai 1933 Hitler, Blomberg, Papen, Göring

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die Analysen Légers und Jouvenels, Aufzeichnung, o. V. [Léger], Paris, 31. 3. 1933, AMAEE, Série Z, Grande-Bretagne, Bd. 295, 296 u. 297; Jouvenel an Paul-Boncour, Rom, 26. 5. 1933, DDF, 1. Serie, Bd. III, Nr. 319, S. 571–575. DGFP, C, Bd. I, Nr. 132, S. 238f.; DDF, 1. Serie, Bd. III, Nr. 30, S. 55f. u. Nr. 35, S. 65–68. Ebenda, Nr. 48, S. 84–87, Nr. 108, S. 195–198 u. Nr. 133, S. 233f. DGFP, C, Bd. I, Nr. 164, S. 300f.; Tagebuch Aloisi, 18. 4. 1933, Aloisi: Journal, S. 111f. ADAP, C, Bd. I, 1, Nr. 170, S. 311–313 u. Nr. 208, S. 374f.; DDI, 7. Serie, Bd. XIII, Nr. 446, S. 485–487. In Berlin besprachen Gaus und Köpke den deutschen Entwurf ausführlich mit dem französischen Geschäftsträger, DDF, 1. Serie, Bd. III, Nr. 199, S. 344–350. Ebenda, Nr. 169, S. 297f.; DDI, 7. Serie, Bd. XIII, Nr. 506, S. 557ff.; Tagebuch Aloisi, 19. 5. 1933, Aloisi: Journal, S. 123f.; Tagebuch Aloisi, 20. 5. 1933, ebenda, S. 124. DDI, 7. Serie, Bd. XIII, Nr. 447, S. 487–496 u. Nr. 588, S. 647f.; DBFP, 2. Serie, Bd. V, Nr. 165, S. 271. ADAP, C, Bd. I, 2, Nr. 272, S. 495; Tagebuch Kennedy, 24. 7. 1933, Kennedy: Journals, S. 100.

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und Neurath zu einer Besprechung in der Reichskanzlei versammelten, um die weitere Taktik in den Viererpaktverhandlungen zu justieren. Der Reichsaußenminister setzte sich mit dem Vorschlag durch, den Viermächtepakt von nun an dilatorisch zu behandeln und mit der Unterzeichnung bis nach dem Ende der Genfer Abrüstungsverhandlungen zu warten. Außerdem wurde vereinbart, seinerseits ein ergänzendes Protokoll zu fordern, das die Art und Weise der Konsultationen sowie einen Fahrplan zur Verwirklichung der Gleichberechtigung festlegen sollte67 . Drittens war es die ungeschickte Verhandlungsführung Hitlers, die die Situation innerhalb weniger Tage auf den Kopf stellte. Entgegen der verabredeten Taktik, hinhaltend zu verhandeln, legte sich Hitler unnötigerweise fest. Hatte sich Hitler bereits in seiner Reichstagsrede vom 17. Mai positiv über den „weitsichtigen und richtigen“ Mussolinipakt geäußert68 , ließ er im Gespräch mit dem italienischen Botschafter Cerruti alle Zurückhaltung fahren. Er wolle den Viermächtepakt zeichnen, erklärte er dem Italiener am 29. Mai, um Frankreich die Sicherheit zu geben, die es brauche, um der deutschen Gleichberechtigung zuzustimmen. Im Gegenzug wünsche er die Zusage Mussolinis, einen festen Fahrplan für die deutsche Gleichberechtigung zu unterstützen69 . Als Cerruti am nächsten Tag mit der gewünschten Botschaft des Duce wiederkam, brach das Kartenhaus Hitlers in sich zusammen. Mussolini weigerte sich, sich vor den deutschen Karren spannen zu lassen, und warnte, dass ein Scheitern des Viererpaktes nicht automatisch freie Hand für die deutsche Aufrüstung bedeute70 . Jetzt war es Hitler, der die Unterschrift verweigern wollte, sich indes von Neurath belehren lassen musste, dass man den Pakt jetzt zeichnen müsse, wenn man nicht sein Gesicht verlieren wolle, indem man alle bisherigen Zusagen desavouierte71 . Das Spiel wiederholte sich wenige Tage später, als es zu Verwirrung darüber kam, welche Vertragsskizze die maßgebende sei. Während die Italiener von ihrem Entwurf vom 20. Mai ausgegangen waren, hatten die Franzosen ihren eigenen Text als Verhandlungsgrundlage gesehen. Dieses „Versehen“ hatte zur Folge, dass der italienische Text ein weiteres Mal an Hand der französischen Formulierungen revidiert werden musste72 . Der Pakt, der daraufhin am 67 68 69 70 71 72

ADAP, C, Bd. I, 2, Nr. 260, S. 477; vgl. Jarausch: Pact, S. 133f. Domarus: Hitler, Bd. I, 1, S. 277. Anfang Mai 1933 forderte Hitler die sofortige Unterzeichnung des Viermächtepaktes, ADAP, C, Bd. I, 1, Nr. 208, S. 374 Anm. 1. Aufzeichnung Neurath, Berlin, 29. 5. 1933, PA AA, R 28002; Cerruti an Mussolini, Berlin, 29. 5. 1933, DDI, 7. Serie, Bd. XIII, Nr. 735, S. 785–788. DGFP, C, Bd. I, Nr. 269, S. 497, Nr. 274, S. 502 u. Nr. 276, S. 504; DDI, 7. Serie, Bd. XIII, Nr. 741, S. 793f.; vgl. Falanga: Vorposten, S. 35; Rautenberg: Rüstungspolitik, S. 150. DGFP, C, Bd. I, Nr. 274, S. 502; Tagebuch Aloisi, 30. 5. 1933, Aloisi: Journal, S. 127f. Hassell an das Auswärtige Amt, Rom, 4. 6. 1933, PA AA, R 96508; Hassell an das Auswärtige Amt, Rom, 5. 6. 1933, ebenda; Aufzeichnung Köpke, Berlin, 6. 6. 1933, IfZ, MA 804/1; DDF,

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7. Juni 1933 in Rom paraphiert wurde, hatte mit der ursprünglichen Initiative Mussolinis nichts mehr gemein. Neurath und das Auswärtige Amt, am Ende alleingelassen vom schwankenden Hitler73 und dem gleichgültigen Blomberg74 , plädierten dennoch für eine Teilnahme Deutschlands am Pakt, weil einerseits der internationale Druck ein Zurückweichen nicht mehr zuließ75 und um andererseits den Schein einer klaren Richtlinie zu wahren76 ; in Wahrheit war den Diplomaten im entscheidenden Augenblick die Verhandlungsführung entglitten. Vor dem Hintergrund, dass die Konzeption des Auswärtigen Amtes beim Viererpakt einen Dämpfer erlitten hatte, wurde es von ausschlaggebender Bedeutung für die deutsche Sicherheitspolitik, dass der Konsens in der Rüstungsfrage, der Auswärtiges Amt und Reichswehr bis jetzt verbunden hatte, im Vorfeld des Wiederzusammentritts der Abrüstungskonferenz zerbrach. Hitlers Friedensrede vom 17. Mai und die Paraphierung des Viererpaktes am 7. Juni entschärften noch einmal die Sicherheitslage Deutschlands. Im Sommer bekräftigten Auswärtiges Amt und Reichswehrministerium die im Februar vereinbarte Taktik. Gemeinsam verabschiedeten sie Anfang Juli ein Papier, in dem es hieß, Deutschland werde in Genf weiterhin positiv mitarbeiten. Wenn die Vermittlungsaktion Hendersons77 scheitere, werde man nicht sofort den Gang in die Rüstungsfreiheit antreten, sondern versuchen, die bereits eingeleiteten Aufrüstungsmaßnahmen zu legalisieren78 . Zu diesem Zweck wollte man auch im Völkerbund verbleiben. Er sehe die Leistungen des Völkerbundes kritisch, so fasste Neurath am 12. September 1933 vor dem Kabinett die Position des Auswärtigen Amtes zusammen, aber in der jetzigen Situation wäre es fatal, „das Feld dem Gegner zu überlassen“. Ein Austritt Deutschlands komme erst in Frage, wenn die Rüstungsverhandlungen geplatzt seien und die Saarfrage gelöst sei79 . Im Gegenzug, so die Richtlinien, müsse Paris aufgefordert werden, eigene

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1. Serie, Bd. III, Nr. 335, S. 602f., Nr. 336, S. 603–605, Nr. 362, S. 655f. u. Nr. 363, S. 657; vgl. Jarausch: Pact, S. 149. Tagebuch Goebbels, 4. 6. 1933, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 2/III, S. 195; Tagebuch Aloisi, 7. 6. 1933, Aloisi: Journal, S. 130. Ursachen und Folgen, Bd. X, Nr. 2357 a, S. 118. Vor Befehlshabern der Reichswehr sagte Blomberg wörtlich: „Weder Genf noch Mussolini-Plan werden uns irgend etwas Greifbares (. . . ) bringen.“ Cerruti und Rumbold drängten wiederholt auf die deutsche Unterschrift zum Viererpakt, Aufzeichnung Köpke, Berlin, 6. 6. 1933, IfZ, MA 804/1; Aufzeichnung Bülow, Berlin, 6. 6. 1933, PA AA, R 30268; Rumbold an Bülow, Berlin, 7. 6. 1933, ebenda. Aufzeichnung Neurath, Berlin, 7. 6. 1933, DGFP, C, Bd. I, Nr. 290, S. 532. Der Präsident der Abrüstungskonferenz besuchte im Juli 1933 alle europäischen Hauptstädte, um den Spielraum für eine Rüstungskonvention auszuloten. Aufzeichnung Frohwein für Neurath und Bülow, Berlin, 5. 7. 1933, PA AA, R 32030. AdR Hitler, Bd. I, 2, Nr. 208, S. 734.

4.1 Das Bekenntnis der Diplomaten zum Locarnopakt (1933–1935)

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Abrüstungsmaßnahmen einzuleiten, denn Frankreich sei durch Locarno und die entmilitarisierte Zone geschützt80 . Diesen Argumenten wollten die Militärs nicht mehr folgen. Seit einiger Zeit spielten sie mit dem Gedanken, zusätzlich zum Verlassen der Abrüstungskonferenz auch die Mitgliedschaft im Völkerbund zu beenden, um die deutsche Aufrüstung ungestört fortsetzen zu können81 . Anfang September schlug Blomberg einen „neuen Kurs“82 vor. Zurückgreifend auf die taktischen Absprachen zwischen Neurath und Blomberg vom Februar, wonach bei einem ungünstigen Konferenzverlauf die Gleichberechtigungskarte gespielt werden solle, um den plötzlichen Abbruch der Verhandlungen herbeizuführen, forderte Blomberg jetzt eine Marschroute, die sich in dem Satz zusammenfassen ließ: „Überall austreten, wo uns Gleichberechtigung abgesprochen wird“83 , und damit nicht nur die Abrüstungskonferenz verlassen, sondern auch den Völkerbund. Während Neurath und das Auswärtige Amt den Zeitpunkt für verfrüht hielten und weiter auf Mäßigung drangen84 , ließ sich Hitler von den Argumenten der Militärs überzeugen. Der Reichskanzler, der sich seit April zunehmend von den Vorgaben des Außenamtes entfernt hatte, schwenkte auf die Linie Blombergs ein und begann selbst, auf die Eskalation in Genf hinzuarbeiten, weil er auf den innenpolitischen Effekt zielte, den der Auszug aus Genf auf die Deutschen haben würde. Seit Juli suchten er und Goebbels einen geeigneten Vorwand, um im Herbst das deutsche Volk in einer großen Propagandaaktion hinter die Fahnen des Nationalsozialismus zu scharen. Eine spektakuläre Aktion in Genf bot die ideale Gelegenheit. Zeitgleich zu dem Genfer Schritt planten sie deshalb, den Reichstag aufzulösen, Neuwahlen abzuhalten und die Wähler über ein „Programm des Friedens“ abstimmen zu lassen85 ; die außenpolitische 80 81

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Ebenda; Aufzeichnung, o. V., Berlin, 1. 8. 1933, PA AA, R 32367. Vgl. die Äußerungen Hitlers und Blombergs im Kabinett am 12. Mai 1933, Tagebuch Goebbels, 13. 5. 1933, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 2/III, S. 185; AdR Hitler, Bd. I, 1, Nr. 126, S. 446ff. Auch abgedruckt bei ADAP, C, Bd. I, 1, Nr. 226, S. 405–407. Vgl. auch AdR Schleicher, Nr. 25, S. 116; AdR Hitler, Bd. I, 1, Nr. 188, S. 650ff. Bereits Anfang März 1933 hatte ein Reichswehroffizier davon gesprochen, „Deutschland [werde] ja wahrscheinlich die Abrüstungskonferenz verlassen müssen“, Vermerk, o. V., o. O., 8. 3. 1933, PA AA, R 74530. Tagebuch Goebbels, 13. 9. 1933, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 2/III, S. 266. Tagebuch Goebbels, 12. 10. 1933, ebenda, S. 290. Noch Ende September 1933 nahm das Auswärtige Amt gegenüber dem Abrüstungsprogramm Mussolinis einen sehr verhandlungsbereiten Standpunkt ein. Da diente die entmilitarisierte Zone nicht als Sprengsatz, um die Genfer Verhandlungen zum Scheitern zu bringen, sondern als Zugeständnis für die Alliierten, damit diese der Kündigung von Teil V des Versailler Vertrages zustimmten, Bülow an die deutsche Delegation in Genf, Berlin, 23. 9. 1933, PA AA, R 32357. Tagebuch Goebbels, 12. 10. 1933, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 2/III, S. 290; Tagebuch Goebbels, 28. 7. 1933, R. G. Reuth (Hg.): Joseph Goebbels Tagebücher, Bd. 2: 1930–1934, München 1992, S. 823. Bereits im Juli 1933 erließ die Reichsregierung ein „Gesetz über Volksabstimmung“.

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Seite der Aktion lag vollständig in den Händen Blombergs. So entschieden Hitler und der Reichswehrminister in einer Unterredung am 4. Oktober ohne Beteiligung des Auswärtigen Amtes, in Genf ultimativ die Gleichberechtigung für Deutschland zu fordern, andernfalls aber Konferenz und Völkerbund zu verlassen86 . Den Anlass für das deutsche Vorgehen bildeten die britisch-französischen Rüstungsgespräche vom September 1933. Dort hatte man vereinbart, Deutschland die militärische Gleichberechtigung erst nach Ablauf von vier Jahren, einer so genannten période d’épreuve, zuzugestehen. Ursprünglich hatte Daladier auf britische Garantien zur Erhaltung der entmilitarisierten Zone gedrängt, die ihm Simon aber nicht geben wollte87 . In Berlin war man erzürnt, nicht an den Verhandlungen beteiligt worden zu sein. Das Prinzip der Gleichberechtigung, so urteilte beispielsweise Hoesch, sei durch die Berücksichtigung neuer Sicherheitswünsche Frankreichs und die Einführung einer „Probezeit“88 „verunstaltet“ worden; damit sei England von den Abmachungen der Fünfmächtevereinbarung vom Dezember 1932 abgerückt89 . Die von Hitler, Blomberg und Nadolny am 6. Oktober verabschiedeten Richtlinien sahen vor, Verhandlungen über den neuen Abrüstungsplan (Simonplan) abzulehnen und die sofortige Verwirklichung der Gleichberechtigung zu fordern; andernfalls wäre Deutschland gezwungen, aus der Abrüstungskonferenz und aus dem Völkerbund auszutreten90 . „Die Entscheidung über die Verwirklichung der Andeutung [aus dem Völkerbund auszutreten]“, so schloss die Weisung, „behält sich der Kanzler vor.“91 Dies geschah wenige Tage später, als es am 11. Oktober zur wegweisenden Kabinettssitzung kam92 . Hitler trug seine Pläne vor, bei ausbleibender Gleich86 87 88

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ADAP, C, Bd. I, 2, Nr. 479, S. 872. Staatssekretär Bülow wurde erst hinzugezogen, als die Entscheidung zum Austritt bereits getroffen war. DBFP, 2. Serie, Bd. V, Nr. 399, S. 600ff. u. Nr. 406, S. 612ff.; DDF, 1. Serie, Bd. IV, Nr. 227, S. 384f. u. Nr. 260, S. 446–454. Gerade durch die Einführung einer „Probezeit“ für die deutsche Wiederaufrüstung war ein zentrales deutsches Verhandlungsziel gescheitert. Neurath hatte schon im März 1933 klargestellt, dass „etappenweise Bestimmungen“ zur deutschen Rüstung nicht in Frage kämen, Aufzeichnung Neurath, Berlin, 27. 3. 1933, BAK, ZSg 133/12. Hoesch an das Auswärtige Amt, London, 21. 10. 1933, ADAP, C, Bd. II, 1, Nr. 19, S. 30–32. Aufzeichnung, o. V., Berlin, 6. 10. 1933, ADAP, C, Bd. I, 2, Nr. 484, S. 877f. Ebenda. Bereits in den Tagen zuvor hatte Bülow alle Missionen über den neuen deutschen Kurs informiert. Zwar sollte ein „ultimativer Charakter“ vermieden werden, aber Bülow erklärte auch, dass zahlenmäßige Beschränkungen der deutschen Rüstung nicht vereinbar mit der deutschen Sicherheit und eine „Diskriminierung“ wären, PA AA, R 32367; ADAP, C, Bd. I, 2, Nr. 480, S. 873f. Augenscheinlich hatte sich Hitler in den Tagen zuvor, in der Vertrautheit der Münchner Umgebung, endgültig dazu entschlossen, Abrüstungskonferenz und Völkerbund zu verlassen, vgl. C. Fraser: Der Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund, seine Vorgeschichte und seine Nachwirkungen, Diss. phil. Bonn 1969, S. 230f.

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berechtigung Konferenz und Völkerbund umgehend zu verlassen, gleichzeitig den Reichstag aufzulösen und ein landesweites Referendum durchzuführen. Neurath verharrte zunächst auf seinem Standpunkt, auch bei einem Rückzug von der Abrüstungskonferenz weiterhin im Völkerbund zu verbleiben93 , ließ sich aber nach langen Debatten umstimmen94 . Damit waren die Würfel gefallen und die letzten Versuche Neuraths und Nadolnys, den Reichskanzler und Hindenburg umzustimmen, scheiterten an der Sturheit Hitlers und der Entschlossenheit der Reichswehr, es auf den Bruch ankommen zu lassen95 . Die Zusammenkünfte des Kabinetts am 13. Oktober sowie am 14. Oktober morgens, als Hitler noch einmal ausführlich auf die deutsche Entscheidung einging, brachten keine neue Wendung mehr. Immerhin nutzte Neurath die Gelegenheit, Hitler und das Kabinett davon zu überzeugen, das deutsche Fait accompli außenpolitisch abzufedern. Diese Absicherung hatte zwei Facetten, die sich beide um den Locarnopakt drehten. Erstens setzte der Reichsaußenminister durch, dass die entmilitarisierte Zone im Rheinland, eines der Symbole für die Ungleichbehandlung Deutschlands, nicht zur Begründung für den deutschen Schritt hergenommen wurde. Hitler und Neurath verwiesen in ihren Stellungnahmen vom 14. Oktober 1933 nur in allgemeiner Form auf die 14 Punkte Wilsons und die Diskriminierungen gegenüber dem Reich, ohne die Rheinlandzone zu erwähnen96 . Zweitens gelang es Neurath, dass alle Kundgebungen in der entmilitarisierten Zone bis auf Weiteres untersagt wurden97 . Der Rest der Inszenierung stand fest: Am Nachmittag des 14. Oktober 1933 verkündete Deutschland seinen Austritt aus der internationalen Staatengemeinschaft in Genf. 93

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Hassell schrieb aus Rom, er sei bis zuletzt davon ausgegangen, Deutschland sei lediglich aus der Abrüstungskonferenz ausgetreten, Hassell an das Auswärtige Amt, Rom, 16. 10. 1933, ADAP, C, Bd. II, 1, Nr. 4, S. 5. Tagebuch Goebbels, 12. 10. 1933, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 2/III, S. 290; IMT, Bd. XVI, S. 371. Den Ausschlag gab möglicherweise der Gedanke, dass nach dem Verlassen der Abrüstungskonferenz ein Verbleib im Völkerbund ohnehin problematisch sei; diese Meinung vertrat Neurath später auch in Nürnberg, Cerruti an Mussolini, Berlin, 18. 10. 1933, DDI, 7. Serie, Bd. XIV, Nr. 298, S. 325–327; vgl. Bracher/Sauer/Schulz: Machtergreifung, S. 232. Zur Intervention Nadolnys bei Hindenburg vgl. Nadolny: Beitrag, S. 139–141; Tagebuch Goebbels, 9. 3. 1937, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 4, S. 42. Zu den Auseinandersetzungen zwischen Neurath und Blomberg über die Taktik auf der Abrüstungskonferenz vgl. Rautenberg, Rüstungspolitik, S. 154f. Vgl. dazu auch Tagebuch Goebbels, 7. 10. 1933, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 2/III, S. 286: „Abrüstungsfrage: Gegensätze zum AA. Aber da hat das RWM zu bestimmen.“ ADAP, C, Bd. II, 1, Nr. 1, S. 1f.; Domarus: Hitler, Bd. I, 1, S. 308–314; Aufruf an das deutsche Volk, Berlin, 14. 10. 1933, Ursachen und Folgen, Bd. X, Nr. 2325 b, S. 41f. AdR Hitler, Bd. I, 2, Nr. 230, S. 907; ADAP, C, Bd. I, 2, Nr. 499, S. 905–909; vgl. G. Wollstein: Vom Weimarer Revisionismus zu Hitler. Das Deutsche Reich und die Großmächte in der Anfangsphase der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland, Bonn u. Bad Godesberg 1973, S. 197.

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

Die Bedeutung des 14. Oktober 1933 war immens und wurde zu Recht von der historischen Forschung immer wieder herausgestrichen. Mit Blick auf die Rheinlandkrise von 1936 bleiben mehrere Punkte festzuhalten. Jener 14. Oktober unterminierte die Strategie Bülows, den Locarnopakt funktional als Werkzeug einzusetzen, um die militärische Erstarkung des Reiches herauszuspielen. Stattdessen ruhte das ganze Gewicht der deutschen Sicherheit jetzt auf dem Locarnopakt98 , der jedoch von einer doppelten Gefahr bedroht wurde. Einerseits war unklar, ob er durch den deutschen Austritt aus Genf unwirksam geworden sei, andererseits waren die Militärs dabei, durch die Missachtung der Rheinlandzone den Pakt an seinem Fundament zu durchlöchern. Gleichzeitig war der 14. Oktober das endgültige Aus für den Viererpakt Mussolinis; damit war das von Bülow favorisierte Konzept, Deutschland durch ein lockeres Vertragswerk Sicherheit zu geben, zu einem frühen Zeitpunkt diskreditiert worden. Vor dem Hintergrund dieser doppelten Hypothek war die zweite Überlegung Bülows, dass Deutschland am Rheinpakt von Locarno festhalten müsse, um eine französische Militäraktion im Westen zu verhindern. Frankreich, so hatte er bereits im März 1933 diktiert, dürfe sich nicht bedroht fühlen, damit es „uns nicht in den Arm fällt“99 . Deshalb trat Bülow noch am Tage des Auszugs aus dem Völkerbund mit der Initiative hervor, die deutsche Regierung solle von einer formellen Austrittserklärung absehen, um den Auszug zwar politisch anzuzeigen, nicht aber juristisch zu besiegeln. Damit, so Bülow, schaffe man einen „De-facto-Zustand“, der verhindere, dass die Westmächte schon jetzt die Locarnofrage aufrollen würden (worunter Bülow in erster Linie die Möglichkeit verstand, dass England und Italien sich ihrer Garantieverpflichtungen gegenüber Deutschland entziehen könnten)100 . In einer weiteren Notiz vom selben Tag vertiefte er diesen Gedanken und wies noch einmal eindringlich auf die Gefahren hin, die ein deutscher Austritt aus dem Völkerbund auf die Geltung Locarnos haben würde. Durch das Ausscheiden Deutschlands aus dem Völkerbund, so orakelte Bülow, werde auch der Rheinpakt von Locarno hinfällig, obgleich der Wortlaut des Vertrages dies nicht ausdrücklich erwähne. Dann, so Bülow, werde der Artikel 44 des Versailler Vertrages wieder in vollem Umfange in Kraft treten, der Frankreich bei jedem noch so geringen Verstoß das Recht gab, militärische Maßnahmen gegen das Reich einzuleiten101 . Ganz auf dieser Linie lagen die Weisungen Neuraths, die dieser am 14. Oktober ausgab. „Im Hinblick auf den Artikel 44 des Versailler Vertrages“, schärfte er seinen Kabinettskollegen ein, müssten alle militärischen Demonstrationen

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Tagebuch Bredow, 26. 10. 1933, Strenge: Bredow, S. 177. PA AA, BA 60966; vgl. Knipping: Diplomatie, S. 499. Aufzeichnung Bülow, Berlin, 14. 10. 1933, BAK, ZSg 133/110. Vermerk Bülow, Berlin, 14. 10. 1933, PA AA, R 28435.

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in der entmilitarisierten Zone unbedingt vermieden werden102 . Tatsächlich verzichteten die Westmächte auf eine Militäraktion, sodass das Auswärtige Amt schon am 23. Oktober 1933 dem Reichswehrministerium mitteilen konnte, dass ein Militärschlag gegen Deutschland unter Locarno im Moment für wenig wahrscheinlich gehalten werde. Allerdings bat das Auswärtige Amt darum, weiterhin besondere Vorsicht in der entmilitarisierten Zone obwalten zu lassen103 . Neben den in erster Linie taktisch motivierten Überlegungen vom Frühjahr 1933, den Locarnopakt zu halten, um die Rüstungsverhandlungen nicht zu gefährden, sowie der Absicht, Locarno als Schutzschild vor einer Invasion Frankreichs hochzuhalten, drehte sich die dritte Überlegung Bülows, die für ein Festhalten an Locarno sprach, um die Rolle Belgiens innerhalb der Locarnosystematik. Ein Ende des Rheinpaktes, so fasste der Staatssekretär im Juli 1934 das Verhältnis Locarnos zum internationalen Status Belgiens zusammen, hätte zur Folge, dass Belgien an die Seite Frankreichs getrieben würde. Im Kriegsfall würde dann Brüssel seine Tore für den Durchmarsch französischer Truppen öffnen. Zudem würde London ein Erlöschen Locarnos zum Anlass nehmen, sich aus allen Verpflichtungen auf dem Kontinent zurückzuziehen. Da Berlin und London in der belgischen Frage teilweise sich überschneidende Interessen hätten, so schrieb Bülow am 9. Juli 1934, würde dies eine empfindliche Schwächung der deutschen Position bedeuten104 . Daraus zog Bülow die Schlussfolgerung, dass alle Pläne, die darauf abzielten, die Locarnoverträge (und damit auch die entmilitarisierte Zone) zu beseitigen, so lange nicht durchzuführen waren, bis eine vernünftige Regelung für den Status Belgiens gefunden wäre. Bülows Ideen kreisten vor allem um die Möglichkeit, zum Status von 1839 zurückzukehren, in dem die fünf Großmächte (Preußen, Österreich, Frankreich, England und Russland) in einem Vertrag mit Belgien vom 19. April 1839 die Selbstständigkeit des belgischen Königreiches und seine dauernde Neutralisierung anerkannt hatten105 . Diese Gedanken bestimmten die deutsche Taktik im Fall des deutsch-belgischen Nichtangriffspaktes im Frühjahr/Sommer 1934. Seit mehreren Monaten nährten zwei Quellen die Aussichten auf eine solche Konstellation: das waren die eigenmächtige Diplomatie des belgischen Gesandten in Berlin, Graf André Kerchove de Denterghem, sowie der diplomatische Spagat Englands, den

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DGFP, C, Bd. I, Nr. 499, S. 926. Das Auswärtige Amt an das Reichswehrministerium, Berlin, 23. 10. 1933, zit. bei Robertson: Policy, S. 17 u. S. 25. Bülow an Hoesch, Berlin, 9. 7. 1934, ADAP, C, Bd. III, 1, Nr. 73, S. 144. Vgl. G. Engel: Begründung und Beendigung der belgischen Neutralität, Diss. jur. Würzburg 1967.

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

Verlust an Sicherheit, den der deutsche Auszug aus Genf bewirkt hatte, aufzufangen, ohne neue Verpflichtungen zu übernehmen. Seit dem deutschen Austritt aus dem Völkerbund bemühte sich Brüssel, den Rheinpakt von Locarno, umso mehr als im Oktober 1933 beunruhigende Nachrichten aus Berlin und London eintrafen, die es aussehen ließen, als ob diese Regierungen laut über ein Ende Locarnos nachdachten106 , zu untermauern und zusätzlich abzustützen. Dieser Weg führte zunächst nicht zu dem Versuch, sich mit dem Reich bilateral zu verständigen, wie Historiker lange annahmen107 , sondern geradewegs nach London, Paris und Rom108 . Dort wurden die belgischen Vertreter vorstellig und ventilierten die Idee, die Gültigkeit Locarnos, an der die belgischen Juristen keinen Zweifel hegten109 , mittels einer gemeinsamen englisch-französisch-italienisch-belgischen Erklärung nochmals zu bekräftigen. Auf diese Weise, so kann man das Kalkül des belgischen Außenministers, Paul Hymans, umschreiben, werde Deutschland gezwungen, weiter am Locarnopakt festzuhalten; gleichzeitig wäre ausgeschlossen, dass die anderen Locarnopartner den deutschen Austritt aus dem Völkerbund zum Anlass zu nähmen, selbst die Verpflichtungen am Rhein zu „kündigen“. So entstünde eine feste Entente, die Deutschland politisch in Schach halten und Druck auf das Reich ausüben könnte, die Aufrüstung zu bremsen110 . Die Aktion war ein glatter Fehlschlag. In Paris erklärte ein hoher Beamter des Quai d’Orsay, es sei nicht sinnvoll, Locarno nochmals zu bekräftigen, weil es aussehen könnte, als ob der Vertrag durch den deutschen Austritt unwirksam geworden sei111 . Ähnlich argumentierte man in Rom. Aloisi, der noch vor einigen Wochen selbst eine Bekräftigung Locarnos angeregt hatte, lehnte jede gemeinsame Erklärung unter Verweis auf die unkalkulierbaren Folgen ab; sie könne Deutschlands Furcht vor der Einkreisung wecken, so Aloisi, und Hitler zu unbedachten Taten anstacheln112 . In London verweigerte Wigram, dem der belgische Botschafter am 25. Oktober ein Aide-Memoire zur Locarnofrage übergab, dem Plan die Zustimmung, weil sich die britische 106

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Die britische Hauptstadt wurde seit mehreren Wochen von einer Pressekampagne zur Kündigung Locarnos bewegt und aus Berlin berichtete Kerchove, im Auswärtigen Amt prüfe man, ob der Rheinpakt durch den Genfer Austritt unwirksam geworden sei, DDB, Bd. III, Nr. 63, S. 197f., Nr. 64, S. 198–201 u. Nr. 65, S. 202–204. So Rautenberg: Rüstungspolitik, S. 264; H. Lademacher: Die Niederlande und Belgien in der Außenpolitik des Dritten Reiches, 1933–1939 – ein Aufriss, in: Funke: Hitler, S. 654– 674, hier S. 668. Vgl. Klefisch: Belgien, S. 43. Runderlass Hymans, Brüssel, 4. 11. 1933, DDB, Bd. III, Nr. 77, S. 227–230. Ebenda, Nr. 62, S. 195–197, Nr. 67, S. 208f., Nr. 68, S. 210f. u. Nr. 69, S. 211f. Gaiffier an Hymans, Paris, 28. 10. 1933, ebenda, Nr. 73, S. 219f.; DDF, 1. Serie, Bd. IV, Nr. 370, S. 660. Albert de Ligne an Hymans, Rom, 31. 10. 1933, DDB, Bd. III, Nr. 75, S. 224–226. Vgl. Klefisch: Belgien, S. 67.

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Regierung erst selbst klar werden müsse, welche Haltung sie künftig gegenüber dem Rheinpakt einnehmen werde113 . Ein glühender Verfechter der Idee, Deutschland durch eine gemeinsame französisch-britisch-italienisch-belgische Demarche zu einer Bestätigung Locarnos zu bewegen, war der belgische Gesandte in Berlin, Graf Kerchove. Bei einem Scheitern dieses Weges, das hatte Kerchove aber schon frühzeitig angemahnt, bliebe indes nur die Möglichkeit, eine Anerkennung Locarnos von Hitler selbst zu erlangen114 . So ventilierte er in einem Gespräch mit Köpke vom Dezember 1933 die Idee, Hitler solle sich öffentlich zu Locarno erklären115 . Am 5. Januar 1934 bat Kerchove seinen Minister um die Erlaubnis, Hitler zum Rheinpakt von Locarno zu befragen116 . Ohne klare Stellungnahme, so orakelte Kerchove in seinem Schreiben, würden Hitler und das Auswärtige Amt sich nicht mehr an Locarno gebunden fühlen und versuchen, die entmilitarisierte Zone zu beseitigen. In seiner Antwort vom 12. Januar 1934 ermächtigte Hymans seinen Berliner Vertreter, bei Köpke herauszufinden, ob Deutschland den Artikel 2 des Rheinpaktes durch Nichtangriffspakte ersetzen möchte117 ; einen Schritt gegenüber Hitler hielt er dagegen für nicht opportun118 . Dennoch fuhr Kerchove in den nächsten Tagen fort, bei Meissner und Lammers wegen einer deutschen Anerkennung Locarnos zu sondieren119 . Auch die deutschen Noten an England und Frankreich, so begründete er seinen Schritt, hätten keine Präzisierungen zu Locarno enthalten. Dies sei jedoch umso dringender, als Deutschland bereits begonnen habe, die Remilitarisierung der Rheinlande vorzubereiten120 . Inzwischen hatten auch die Engländer Wind von der Sache bekommen. Sargent riet im Gespräch mit dem belgischen Botschafter in London dringend von einer Demarche ab. Es sei nicht sinnvoll, so Sargent, von Hitler eine Erklärung zu Locarno zu erwarten121 . Der belgische Außenminister Hymans griff die britische Steilvorlage sofort auf. In einer Depesche an Kerchove vom 10. Februar 1934 schloss er jeden Schritt der belgischen Regierung gegenüber Deutschland aus. Die deutsche Regierung, so fasste der Außenminister seine Überzeugung zusammen, werde Locarno „kündigen“, wenn sie der Meinung sei, England und Frankreich würden nicht mehr daran festhalten122 . Deutsche 113 114 115 116 117 118 119 120 121 122

Aufzeichnung Wigram, London, 25. 10. 1933, TNA, FO 371/16741. Kerchove an Hymans, Berlin, 19. 10. 1933, DDB, Bd. III, Nr. 64, S. 198ff. Kerchove an Hymans, Berlin, 29. 12. 1933, ebenda, Nr. 102, S. 288f. Ebenda, Nr. 104, S. 291ff. Ebenda, Nr. 107, S. 299f. Hymans an Kerchove, Berlin, 18. 1. 1934, ebenda, Nr. 109, S. 304–306. Aufzeichnung Bülow, Berlin, 23. 1. 1934, PA AA, R 70241. Kerchove an Hymans, Berlin, 22. 1. 1934, DDB, Bd. III, Nr. 111, S. 308–313. Cartier an Hymans, London, 24. 1. 1934, ebenda, Nr. 112, S. 313–315. Hymans an Kerchove, Brüssel, 10. 2. 1934, ebenda, Nr. 115, S. 319f.

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

Treueschwüre könnten daran nichts ändern. Daher werde sich Belgien von nun an in London und Paris darum bemühen, neue Sicherheitsgarantien zu erhalten. Das war die Schlussfolgerung, die man in der Brüsseler Zentrale aus dem Desaster um die gemeinsame Demarche aller Locarnopartner zog. Im Februar 1934 begannen die belgischen Vertreter in den Hauptstädten zu sondieren, wie sich die britische Regierung zu dem Versuch stellte, die Sicherheit aus Locarno durch ein britisch-belgisches Militärabkommen zu komplettieren123 . In der Anfang März stattfindenden außenpolitischen Generaldebatte im belgischen Parlament verkündete die Regierung öffentlich den Kurswechsel. Auf Grund der rasch fortschreitenden Aufrüstung der deutschen Wehrmacht, so führte Seghers, Hymans’ Nachfolger im Außenamt, in seiner Rede aus, sei es unerlässlich, die Sicherheit besser zu organisieren. Dazu gehöre die strikte Einhaltung der Artikel 42 und 43 des Versailler Vertrages genauso wie der Versuch, den Locarnopakt durch zusätzliche Absprachen zu verstärken124 . Dieses Vorhaben brachte die britische Regierung unter Zugzwang. Denn hier hatte man sich – das ist der zweite Ursprung des deutsch-belgischen Paktes – seit einiger Zeit mit der Frage beschäftigt, mit welchen Mitteln die friedenssichernden Elemente Locarnos erhalten werden könnten. Während die britische Regierung es ablehnte, die Bestimmungen der entmilitarisierten Zone zu bekräftigen, nahm man stattdessen das Projekt in den Blick, die Sicherheit Belgiens durch ein politisches Manöver abzustützen. Während die Experten des Foreign Office auch die Möglichkeiten studierten, zweiseitige Abkommen technischer Art abzuschließen125 , entschied sich die Regierung dazu, eine einseitige Erklärung zu Gunsten der Unabhängigkeit Belgiens abzugeben. So schrieb Sargent am 24. April 1934 an seinen belgischen Kollegen van Zuylen, der zu Sondierungen auf die Insel gekommen war126 , auf der Linie der belgischen Vorschläge, Locarno durch ein britisch-belgisches Militärabkommen zu verstärken, seien keine Verhandlungserfolge zu erwarten127 . Trotz dieser ungünstigen Vorzeichen traf der belgische Außenminister im Mai 1934 zu einem Besuch in London ein. In zwei Unterredungen Hymans’ und Zuylens mit

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Adelmann an das Auswärtige Amt, Brüssel, 21. 7. 1934, IfZ, ED 91, Bd. 1; DDB, Bd. III, Nr. 116, S. 321–325 u. Nr. 117, S. 325; Zuylen: Les Mains, S. 295. Clerk an Simon, Paris, 9. 3. 1934, BDFA, II, F, Bd. 30, Nr. 41, S. 58–60; Aufzeichnung Schwendemann, Berlin, 8. 3. 1934, PA AA, R 32237. Zu den in Belgien herrschenden Zweifeln, ob der Locarnopakt stark genug sei, um Deutschland in Schach zu halten vgl. L. Dermine: L’Esprit de Locarno. Discours prononcé le 15 décembre 1928 à l’occasion de la Séance solennelle de Rentrée de la Conférence Jeune Barreau de Charleroi, Charleroi o. J. [1928]. Aufzeichnung Sargent, London, 26. 3. 1934, TNA, FO 371/17746. Aufzeichnung Leeper, London, 24. 4. 1934, ebenda; Zuylen: Les Mains, S. 297. Sargent an Zuylen, London, 24. 4. 1934, TNA, FO 371/17746.

4.1 Das Bekenntnis der Diplomaten zum Locarnopakt (1933–1935)

167

Simon, Hailsham, Neville Chamberlain, Wigram und Leeper128 unterbreiteten die beiden Belgier Vorschläge für ein britisch-belgisches Garantieabkommen, die sich ganz in dem Rahmen bewegten, der im Jahre 1922 bereits einmal Gegenstand bilateraler Verhandlungen war129 . Demnach sollte Großbritannien zusagen, Belgien gegen einen deutschen Angriff zu verteidigen. Im Gegenzug verpflichtete sich Belgien, seine Grenzen gegenüber allen Nachbarn zu schützen. Belgien wäre wieder zu einer Barriere in Westeuropa geworden, vergleichbar mit dem völkerrechtlichen Status, den es durch die Verträge von 1839 eingenommen hatte130 . Die Briten reagierten zögerlich. Während sie der von den Belgiern vorgebrachten These, London müsse die belgische Sicherheit entweder durch eine Konvention oder durch eine Deklaration abstützen, grundsätzlich zustimmten, lehnten sie es im gleichen Atemzug ab, eine förmliche Konvention zu unterzeichnen, weil dies so aussehen könnte, als ob London nicht mehr zu Locarno stünde. Man habe sich dafür entschieden, so Simon, lediglich eine Erklärung an die Adresse Brüssels abzugeben131 . Eher beiläufig fragte Simon am 31. Mai 1934 seinen belgischen Kollegen in Genf, wo die britisch-belgischen Gespräche fortgesetzt wurden, ob die Belgier schon mal daran gedacht hätten, einen deutsch-belgischen Nichtangriffspakt abzuschließen132 . Die Idee eines Nichtangriffspaktes zwischen Berlin und Brüssel war indes mitnichten eine Idee der Briten133 , wie die Deutschen zunächst argwöhnten, sondern entsprang vielmehr der Fantasie des belgischen Gesandten in Berlin. Denn die Entscheidung des Brüsseler Außenministeriums, keine Demarche bei Hitler zu unternehmen und stattdessen in Verhandlungen mit London einzutreten, hatte Kerchove nicht davon abgehalten, weiter daran zu arbeiten, die Unterschrift Hitlers zur Sicherung Belgiens zu erhalten. Anfang März machten sich seine Bemühungen erstmals bezahlt, als Hitler ihm gegenüber erklärte, er wolle am Locarnopakt festhalten134 . Dieses Lippenbekenntnis genügte dem belgischen Gesandten aber nicht. Inoffiziell begann Kerchove nun, bei hohen NS-Funktionären – unter Umgehung des Auswärtigen Amtes – nachzufragen, ob das Reich bereit sei, einen deutsch-belgischen Nichtangriffspakt zu 128 129 130 131 132 133

134

Die Gespräche fanden am 16. und am 23. Mai 1934 statt. Zu den damaligen Verhandlungen vgl. DDB, Bd. I, Nr. 202, S. 451–453, Nr. 203, S. 455 u. Nr. 229, S. 505f. DDB, Bd. III, Nr. 130, S. 366–376; Hymans: Mémoires, Bd. II, S. 689f. Simon an Ovey, London, 17. 5. 1934, BDFA, II, F, Bd. 30, Nr. 44, S. 64–67; Zuylen: Les Mains, S. 306–313. DDB, Bd. III, Nr. 132, S. 384f. Anfang Juli bestritt Simon gegenüber Hoesch, dass es eine britische Initiative gegeben habe; es bestünde lediglich ein „allgemeines Interesse“ an Belgien, Aufzeichnung Simon, London, 3. 7. 1934, TNA, CAB 24/250. Aufzeichnung Neurath, Berlin, 9. 3. 1934, ADAP, C, Bd. II, 2, Nr. 310, S. 564.

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

unterstützen. Ein solcher Pakt, so lässt sich das Kalkül Kerchoves umschreiben, könne den Friedenswillen Hitlers einer Nagelprobe unterziehen, da dieser selbst wiederholt angeboten hatte, Nichtangriffspakte mit allen Nachbarn abzuschließen. Aus der Sicht Kerchoves wäre dies auch keine Schwächung Locarnos gewesen135 , weil ein Pakt mit dem Reich zwingend eine Bestätigung aller bestehenden Vertragsinstrumente, d. h. auch des Rheinpaktes, in sich schließen müsste136 . Ende März 1934 sprach er mit Goebbels über die Möglichkeit eines zweiseitigen Paktes137 . Im Mai unterhielt er sich mit Göring138 , im Juni mit Ribbentrop, Papen139 , Röhm140 und noch einmal mit Goebbels141 über die Sache. Goebbels versprach, die Pläne dem Reichskanzler vorzutragen142 . Zu diesem Zeitpunkt hatten die Engländer auch gegenüber den Deutschen das Stichwort fallengelassen. Es waren Simon und Eden, die gegenüber Ribbentrop, der Anfang Mai 1934 zu Abrüstungsgesprächen an der Themse weilte, die Möglichkeit erwähnten, mittels eines Nichtangriffspaktes die belgische Sicherheit zu stärken143 . Damit standen die Ideen Kerchoves, die dieser in mehreren Privatunterredungen geäußert hatte, plötzlich als offizieller Verhandlungsgegenstand im Raum. Das Kalkül, welches die britische Führung bei diesem Vorstoß leitete, schien auf der Hand zu liegen. Wie Kerchove sahen auch Simon und Eden in einem derartigen Pakt den Test, wie ernst es Hitler mit seinen Offerten, kontinentale Nichtangriffspakte zu schließen, war. Noch wichtiger war die Aussicht, das Problem der belgischen Sicherheit, das nach dem Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund akut geworden war, zu lösen, ohne ein eigenes Commitment einzugehen. Während in London Einigkeit darüber bestand, dass etwas für die belgische Sicherheit getan werden müsse, konnte sich die Regierung auf keinen Weg festlegen. Nach der Ablehnung einer britisch-belgischen Konvention tauchten bald Zweifel an einer einseitigen Deklaration auf. Eine Erklärung an Brüssel, so führte Simon im Kabinett aus, binde die britische Politik auch über das Ende Locarnos hinaus. Außerdem 135

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Schon im Dezember 1933 hatte die belgische Regierung die Linie ausgegeben, die von Deutschland vorgeschlagenen Nichtangriffsverträge dürften auf keinen Fall an die Stelle Locarnos treten; daran wagte auch Kerchove nicht zu rütteln, vgl. Willequet: Wiederaufrüstung, S. 143. Aufzeichnung Renthe-Fink, Berlin, 16. 6. 1934, PA AA, R 32256. Tagebuch Goebbels, 22. 3. 1934, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 2/III, S. 389. Claudel an Barthou, Brüssel, 11. 5. 1934, DDF, 1. Serie, Bd. VI, Nr. 207, S. 475f. Phipps an Simon, Berlin, 21. 6. 1934, TNA, FO 371/17747; Tagebuch Fromm, 26. 5. 1934, Fromm: Hitler, S. 189. Phipps an Simon, Berlin, 2. 7. 1934, TNA, FO 371/17747. Tagebuch Goebbels, 13. 6. 1934, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/I, S. 61. Ebenda. Aufzeichnung, o. V., London, 10. 5. 1934, ADAP, C, Bd. II, 2, Nr. 443, S. 789; Aufzeichnung Eden, London, 10. 5. 1934, DBFP, 2. Serie, Bd. VI, Nr. 421, S. 695f.; Eden: Diktatoren, S. 120.

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wolle man Belgien keine „single-handed guarantee“ geben, sondern legte großen Wert darauf, dass auch Paris an der Maas engagiert blieb144 . Diese Klippen konnte ein Vertrag ohne englische Beteiligung umschiffen. Doch so einfach war die Sache nicht. Ein deutsch-belgischer Nichtangriffspakt, so vermerkte Sargent am 25. Juni 1934, stelle noch keine Verstärkung Locarnos dar145 . Zu erreichen wäre dies nur, wenn er mit einer britischen Garantie, vergleichbar dem Rheinpakt, versehen wäre. Dies sei allerdings eine neue Verpflichtung für die britische Politik. Dazu kam, dass ein deutsch-belgischer Pakt mit der britischen Erklärung zur belgischen Unabhängigkeit, an dem die Beamten des Foreign Office seit Monaten arbeiteten, zeitlich und sachlich koordiniert werden müsste, um nicht wirkungslos zu verpuffen. Gegenüber dem belgischen Gesandten, der nach London kommen wollte, um nach der britischen Haltung zu fragen, solle man ausweichend auftreten und Festlegungen vermeiden146 . Dies entsprach auch der Taktik der Deutschen. Nachdem er mit Eden und Simon gesprochen hatte, wandte sich Ribbentrop hilfesuchend an das Auswärtige Amt. In Berlin besprach er sich mit Hitler und Neurath, woraufhin der Außenminister den deutschen Botschafter in London anwies, gegenüber den Briten die grundsätzliche Bereitschaft zu erklären, einen Nichtangriffspakt mit Belgien zu schließen, ohne allerdings ein allzu großes „Empressement“ in der Frage zu zeigen147 . So fanden die Deutschen problematisch, dass es sich um einen britischen Vorstoß handelte. So lange nicht Belgien selbst den Wunsch an das Auswärtige Amt richte, einen Vertrag mit dem Reich zu schließen, so resümierte Köpke die Situation, könne Deutschland keine förmlichen Verhandlungen eröffnen. Viel wichtiger war jedoch die Sorge des Auswärtigen Amtes, ob ein deutsch-belgischer Nichtangriffspakt neben dem Locarnovertrag, der an sich bereits die Nichtangriffsidee deckte, überhaupt Platz hatte148 . Entlang dieser Weisungen führte Hoesch mehrere Unterredungen mit Vansittart am 25. Mai sowie mit Simon am 27. Mai und am 4. Juni über einen möglichen Pakt149 . Die Briten, die sich sehr zufrieden über die deutsche Haltung zeigten, würden nun, so die Überzeugung im Auswärtigen Amt, schnurstracks zu den Belgiern laufen und gemeinsam über die Sache beraten. „Für uns“, bilanzierte Köpke diese Phase der Verhandlungen, „dürfte die Angelegenheit damit einstweilen erledigt

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Aufzeichnung Simon, London, 29. 6. 1934, TNA, CAB 24/249; Ministerbesprechung, 29. 6. 1934, ebenda. Aufzeichnung Sargent, London, 25. 6. 1934, TNA, FO 371/17747. Vgl. aber Simon an Campbell, London, 8. 11. 1933, BDFA, II, J, Bd. 5, Nr. 69, S. 97. TNA, FO 371/17747. Aufzeichnung Ribbentrop, Berlin, 25. 5. 1934, PA AA, R 32256. Köpke an Adelmann, Berlin, 12. 6. 1934, ADAP, C, Bd. II, 2, Nr. 497, S. 875. Ebenda, Nr. 464, S. 824–826 u. Nr. 467, S. 829–831.

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sein. Es kam für uns (. . . ) nur darauf an, die erste Frage Simons nicht unbeantwortet zu lassen.“150 Tatsächlich war die Frage noch nicht vom Tisch, denn Simon weihte die Belgier am 31. Mai in seine Planspiele ein, die er bislang hinter ihrem Rücken betrieben hatte, und im Juni intensivierte Kerchove noch einmal sein Liebeswerben in Berlin, einen deutsch-belgischen Sicherheitspakt abzuschließen. Vor diesem Hintergrund kam es in Deutschland zum Streit darüber, welche Richtung in den Verhandlungen einzuschlagen sei. Dabei standen sich der Reichswehrminister und ein Großteil der NS-Prominenz auf der einen und Staatssekretär Bülow auf der anderen Seite gegenüber. Viele Vertraute Hitlers, wie Göring, Goebbels und Ribbentrop, sowie die Spitzen der Reichswehr um Blomberg und Fritsch befürworteten das Konzept eines deutsch-belgischen Nichtangriffspaktes. Um die deutsche Aufrüstung abzustützen, so lautete ihr Argument, brauche man genau die Art der „schnellen Sicherheit“, die der Nichtangriffspakt bot. Sollte das Projekt scheitern, könne das Reich immerhin auf seinen guten Willen verweisen. Dem Einwand, ein Nichtangriffspakt mit Brüssel entwerte Locarno, setzte diese Fraktion die Behauptung entgegen, der Rheinpakt von Locarno habe im Laufe der Jahre ohnehin an Wert verloren, weil England niemals auf deutscher Seite in den Krieg eintreten werde151 . Bülow sah die Sache ganz anders. Er vertrat die Auffassung, dass es langfristig das Ziel der deutschen Politik sein müsse, Belgien in einen Status zu versetzen, der demjenigen von 1839 ähnelte152 . Eine solche Neutralisierung Belgiens sei nur mit einer britischen Garantie möglich. Die Unterzeichnung eines deutsch-belgischen Vertrages könne London zum Anlass nehmen, sich aus der belgischen Frage zurückzuziehen. Dies, so argwöhnte Bülow, sei genau die Absicht Simons gewesen, als er Ribbentrop auf einen belgischen Pakt ansprach. Simon wollte die „unbequeme belgische Forderung“153 auf Deutschland abwälzen, so Bülow, und Ribbentrop, „der Sinn und Tragweite von Locarno nur schwer versteht“154 , sei prompt in diese Falle getappt. Ein Nichtangriffspakt besitze eben nicht, wie Ribbentrop anzunehmen schien, die Vorzüge Locarnos, die laut Bülow darin bestanden, England am belgischen Problem zu interessieren (und damit der deutschen Politik die Möglichkeit zu bieten, London gegen die französischen Interessen in Stellung zu bringen) und Frankreich von einem Durchmarsch über belgisches Territorium abzuhalten. Ein Nichtangriffspakt

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Ebenda, Nr. 497, S. 875. Aufzeichnung, o. V., Berlin, Juli 1934, BA-MA, RW 5/414. Vgl. dazu im einzelnen Engel: Neutralität; H. Lademacher: Die belgische Neutralität als Problem der europäischen Politik 1830–1914, Bonn 1971. ADAP, C, Bd. III, 1, Nr. 73, S. 143. Ebenda.

4.1 Das Bekenntnis der Diplomaten zum Locarnopakt (1933–1935)

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enthielt nichts, was nicht im Rheinpakt geregelt wäre, und würde diesen nur vollends entwerten155 . Exakt auf dieser Linie verliefen die weiteren Verhandlungen. Hoesch, der nicht recht an ein planvolles Vorgehen Englands glauben wollte156 , sprach am 30. Juni 1934 mit Simon, der ihm erklärte, England lege seine politische Priorität darauf, eine Erklärung zu Gunsten der belgischen Sicherheit abzugeben. Die Deklaration könne freilich, so erläuterte Simon seine persönlichen Gedanken, mit einer deutsch-belgischen Verständigung verknüpft werden, indem entweder ein deutsch-belgischer Nichtangriffspakt geschlossen werde, auf den die britische Erklärung Bezug nehmen würde, oder die deutsche Regierung gebe gemeinsam mit England ein gleichlautendes Statement an die Adresse Belgiens ab. Bezeichnenderweise vermied es Hoesch, prononciert auf den Nichtangriffspakt einzugehen, sondern beschwor den britischen Außenminister, keine Erklärung abzugeben, die das Gleichgewicht von Locarno einseitig zu Gunsten Belgiens verschieben könne. Simon beteuerte, dies sei nicht seine Absicht157 . Damit war die Sache beinahe erledigt, als sich Ribbentrop in die Verhandlungen einschaltete. Anfang Juli 1934 telefonierte er mehrmals mit Hoesch, um dem Botschafter neue Weisungen zu erteilen, wozu er angeblich von Hitler autorisiert worden sei. Er, Ribbentrop, werde einen Sendboten nach London schicken, um diese Instruktionen zu überbringen. Demnach solle Hoesch bei Simon vorsprechen, um ihm nochmals die deutsche Bereitschaft zu versichern, einen deutsch-belgischen Nichtangriffspakt abzuschließen. Des Weiteren sei das Reich bereit, eine „wechselseitige Garantie“ abzugeben, deren Sinn und Tragweite weder Hoesch noch Bülow verstanden158 . Da solche Pläne nur von Hitlers Bündnisträumen mit Großbritannien bekannt sind159 , kann man mutmaßen, dass es Ribbentrop darum ging, im Spiel über die belgische Bande zu einem Arrangement mit England zu kommen160 . Unbeeindruckt von Hitlers Bündnisplänen pfiffen Neurath und Bülow den Abrüstungskommissar sofort zurück. Am 5. Juli schrieb Neurath nach London, es werde keine Änderungen an den bestehenden Weisungen geben161 . Deutsch155 156 157 158 159 160

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Aufzeichnung, o. V., Berlin, Juli 1934, BA-MA, RW 5/414; Bülow an Hoesch, Berlin, 9. 7. 1934, ADAP, C, Bd. III, 1, Nr. 73, S. 143. Hoesch an Bülow, London, 17. 7. 1934, ebenda, Nr. 94, S. 178. Hoesch an das Auswärtige Amt, London, 30. 6. 1934, ebenda, Nr. 47, S. 101–103. Aufzeichnung Bülow, Berlin, 5. 7. 1934, ebenda, Nr. 60, S. 124f. Vgl. Henke: England; Hildebrand: Kalkül, S. 19ff. u. 30ff.; Messerschmidt: Kriegsvorbereitung, S. 535ff. Ribbentrop hatte bei seinem letzten Englandaufenthalt im Mai seinen britischen Gesprächspartnern erklärt, Hitler wünsche Freundschaft mit England „für 500 Jahre“, Tagebuch Kennedy, 11. 5. 1934, Kennedy: Journals, S. 138. Am 3. Juli hatte Neurath den deutschen Botschafter gebeten, in folgender Weise mit dem britischen Außenminister zu reden: Das Deutsche Reich habe gegen eine britische Bekräftigung Locarnos nichts einzuwenden, vorausgesetzt die Rolle als unparteiischer

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land, wiederholte der Minister die deutsche Position, sei grundsätzlich bereit, einen Vertrag mit Brüssel einzugehen, und freue sich, wenn London dabei vermitteln wolle. Momentan sei aber keine Initiative geplant. Deutschland begrüße jede Bekräftigung Locarnos durch England, werde sich jedoch einer einseitig gegen das Reich gerichteten Erklärung aufs schärfste widersetzen162 . Damit waren, im Einklang mit der Locarnokonzeption Bülows, die Gespräche über einen deutsch-belgischen Nichtangriffspakt vorerst zum Stillstand gekommen163 . Die vierte und letzte Überlegung, die Bülow davon überzeugte, nach 1933 am Locarnopakt festzuhalten, war die zunehmende Bedeutung der Anlage F für die deutsche Sicherheit. Der in den zwanziger Jahren unternommene Versuch, das französische Allianzsystem auf der Genfer Bühne zu diskreditieren – von Bülow ohnehin skeptisch beurteilt – war mit dem 14. Oktober 1933 endgültig gescheitert. Ein Stoß gegen die Ostbündnisse konnte nur noch außerhalb des Völkerbundes erfolgen; dazu diente die Anlage F. Folgerichtig betonte Bülow, die Anerkennung Locarnos, die das Reich in seiner Note vom 16. April 1934 ausgesprochen hatte, schlösse auch die Bestätigung der Anlage F mit ein164 . Damit griff Bülow Überlegungen auf, die ihn bereits im Jahr 1932 beschäftigt hatten. In einer ausführlichen Denkschrift für den Reichskanzler vom 8. Juni 1932 hatte Bülow eine Strategie entworfen, mit deren Hilfe er die Bestrebun-

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Schiedsrichter bleibe gewahrt, was, so Neurath, insbesondere dadurch zum Ausdruck kommen müsse, dass die britische Garantieverpflichtung sowohl zu Gunsten Frankreichs und Belgiens als auch zu Gunsten Deutschlands wirken könne; deshalb solle Hoesch auch auf die Gefahr französisch-britischer Stabsgespräche hinweisen; schließlich solle er Simon von der Idee abbringen, ein deutsch-belgischer Nichtangriffspakt ließe sich als Korrelat zur britischen Belgien-Erklärung aufbauen, DGFP, C, Bd. III, Nr. 52, S. 113–115. Neurath an die deutsche Botschaft in London, Berlin, 5. 7. 1934, ADAP, C, Bd. III, 1, Nr. 63, S. 127f. Zu dem Zeitpunkt, als das Auswärtige Amt entschied, den Pakt mit Belgien auf die lange Bank zu schieben, hatte auch Brüssel das Interesse an einem Abkommen mit Berlin verloren. Schon Hymans hatte Ende Mai gegenüber Simon erklärt, so ein Pakt wäre überflüssig, da der Rheinpakt alle notwendigen Vorkehrungen enthalten würde. Im Juni fegte eine Regierungskrise Hymans aus dem Amt, und Jaspar, sein Nachfolger als Außenminister, lehnte ein Separatabkommen mit Deutschland ab. In den Augen Jaspars müsste ein derartiger Pakt als Gegenstück eine britisch-belgische Übereinkunft haben. Jaspars wiederholte Vorstöße, zu belgisch-britischen Verhandlungen nach London zu kommen, blockte die britische Führung indes ab. England zögere auf die belgischen Sicherheitswünsche einzugehen, klagte ein hoher Beamter des belgischen Außenministeriums im Juli, der Standpunkt Londons sei, man habe bereits genug getan, Adelmann an das Auswärtige Amt, Brüssel, 21. 7. 1934, IfZ, ED 91, Bd. 1; TNA, CAB 23/79; DBFP, 2. Serie, Bd. XII, Nr. 64, S. 60f.; BDFA, II, F, Bd. 30, Nr. 49, S. 72; DDB, Bd. III, Nr. 132, S. 384f.; vgl. Klefisch: Belgien, S. 71f. In diesem Sinne war Bülows Bekenntnis zu Locarno ein echter Teil seiner Sicherheitsstrategie. Die Annahme, die Anerkennung Locarnos vom Frühjahr 1934 sei lediglich „taktischer Vollzug der Strategie der Selbstverharmlosung“ gewesen, greift damit zu kurz, vgl. Lademacher: Belgien, S. 666.

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gen Frankreichs, sein Bündnissystem durch Einschaltung der assistance mutuelle165 vom Völkerbund legalisieren zu lassen, abwehren wollte. Anders als sein Amtsvorgänger Schubert, der den französischen Allianzen ihren Zahn in Genf ziehen wollte, beschritt Bülow schon damals den Weg außerhalb der Völkerliga. Er empfahl den Abschluss eines Konsultativpaktes zwischen England, Frankreich, Deutschland und Italien166 und riet dazu, die Anlage F gegen das Genfer Sanktionsverfahren in Stellung zu bringen. Demnach sollte die Interpretation des Artikels 16 der Völkerbundssatzung „im Einklang mit der Anlage F“ geklärt werden167 . Damit, so Bülow, besäße Deutschland ein politisches Instrument, das sich je nach Lage als Sand ins Getriebe französischer Sanktionsgelüste streuen ließ oder als Hebel einsetzbar war, um das Recht zur Aufrüstung herauszuschlagen168 . Auf diese Argumentation kam Bülow nach dem Austritt aus dem Völkerbund im Herbst 1933 zurück. Anlass war die Forderung Frankreichs, die von Hitler offerierten Nichtangriffspakte dürften nicht den Bestimmungen der Völkerbundssatzung widersprechen. Wie Bülow wusste, zielte diese Bemerkung darauf, dass nach französischer Lesart die Anwendung des Artikels 16 der Völkerbundssatzung kein Verstoß gegen einen Nichtangriffspakt sein durfte169 . Dieser Sichtweise hatte eine Denkschrift des Quai d’Orsay vom 5. Februar 1932 in klassischer Weise Ausdruck verliehen. Die Frage der Vereinbarkeit der Völkerbundssatzung mit einzelnen Pakten, so hieß es da, sei durch die Artikel 20 und 21 der Völkerbundssatzung gelöst, wonach Abmachungen, „welche die Erhaltung des Friedens sicherstellen“, nicht unvereinbar mit der Satzung seien. Dies gelte auch für Ententen, aber ausdrücklich nicht für Nichtangriffspakte.

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Die „assistance mutuelle“ war die am Verfahren der Artikel 10 und 16 der Völkerbundssatzung orientierte Beistandsleistung der französischen Bündnisverträge mit Polen, Rumänien, Jugoslawien und der Tschechoslowakei, vgl. Barandon: Staatsverträge, S. 222ff. u. S. 226ff.; Mandelsloh: Pakte, S. 41ff. u. S. 49ff. Bülow an Planck, Berlin, 8. 6. 1932, BArch, R 43 I/448. Freilich musste auch Bülow in seiner Aufzeichnung anerkennen, dass der beste Weg, das französische Bündnissystem lahmzulegen, die Forderung nach einer einstimmigen Ratsentscheidung zur Anwendung des Artikels 16 der Völkerbundssatzung wäre. Diese Argumentation sollte noch im Zusammenhang mit dem französisch-sowjetischen Beistandspakt große Bedeutung gewinnen. Vgl. dazu eine ausführliche Denkschrift der Rechtsabteilung zur Wirkungsweise des Artikels 16 der Völkerbundssatzung, Aufzeichnung, o. V.: „Material zur Frage der Anwendung und Auslegung des Artikels 16 der Völkerbundssatzung insbesondere seiner Bedeutung für Deutschland“, Berlin, 4. 4. 1932, PA AA, R 53902. Aufzeichnung Bülow, Berlin, 24. 11. 1932, ADAP, B, Bd. XXI, Nr. 177, S. 383. Vgl. Runderlass Bülow, Berlin, 22. 11. 1932, PA AA, R 53902; Frohwein an Kamphoevener, Berlin, 12. 11. 1932, PA AA, R 96755. ADAP, C, Bd. II, 1, Nr. 111, S. 189 u. Nr. 141, S. 253.

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Solche Pakte, so die Aufzeichnung, widersprächen den Verpflichtungen unter Artikel 16 der Völkerbundssatzung170 . Bülow muss gemerkt haben, dass die französischen Forderungen, das europäische Sicherheitssystem auszubauen, nicht mehr in Genf, sondern nur außerhalb des Völkerbundes wirkungsvoll zu bekämpfen waren, und dass das von Hitler favorisierte Instrument der Nichtangriffspakte dafür nicht herzunehmen war. Dazu stand den Deutschen nur die Anlage F zu Gebote. So schrieb er in seiner sicherheitspolitischen Skizze vom 22. Mai 1934, die Anlage F von Locarno gelte weiterhin, und solange könne es in Europa kein System automatischer Sanktionen geben171 . Die Idee, die Anlage F des Locarnoschlussprotokolls gegen die Technik des „gegenseitigen Beistandes“ der französischen Bündnisverträge auszuspielen und damit Locarno langfristig der deutschen Sicherheit dienstbar zu machen, war Gegenstand eines Vorstoßes des Staatssekretärs im Sommer 1934. Anlass war das französisch-sowjetische Projekt eines kollektiven Ostpaktes, das Barthou und Litwinow im Juni 1934 vorstellten. Deutschland, kabelte Neurath sofort nach Bekanntwerden des Ostpaktes die deutsche Haltung an alle Missionen, sehe sich außer Stande, an einem System mit der Verpflichtung zu gegenseitiger Unterstützung teilzunehmen, solange die Ungleichheit der Rüstungen in Europa fortbestünde; dieses Recht sei klar in der Anlage F zum Ausdruck gebracht worden172 . Die Taktik des Auswärtigen Amtes bestand zunächst darin, die Ostpaktfrage dilatorisch zu behandeln und eine eindeutige Stellungnahme zu vermeiden173 , aber diese Linie war Ende Juli nicht länger durchzuhalten. Jetzt wandte sich Bülow an die deutschen Botschafter in London, Paris und Rom, Deutschland müsse sich bald dem Ostpakt zuwenden. Dazu bat er die Missionschefs den Vertrag zu prüfen und zu melden, welche Konstruktionsfehler „am absurdesten“ seien174 . Am 23. Juli 1934 schrieb er außerdem direkt an Neurath, um 170

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Aufzeichnung, o. V., Paris, 5. 2. 1932, AMAEE, Série Relations multilatérales, Service français de la Société des Nations, Bd. 26, 27 u. 28. So auch O. Bam: Der Krieg um Genf, mit einem Anhang: Dokumente zur Völkerbundsreform, Wien u. Leipzig 1936, S. 128ff. Aufzeichnung Bülow, Berlin, 22. 5. 1934, PA AA, R 32240. Runderlass Neurath, Berlin, 8. 6. 1934, ADAP, C, Bd. II, 2, Nr. 491, S. 868. Diese Punkte beruhten auf einer Aufzeichnung Bülows, in welcher er darauf hinwies, „dass die Anlage F zum Locarno-Vertrag für uns immer noch von großer Bedeutung sei, da mangels allgemeiner Abrüstung die deutsche Unterlegenheit im Kriegsfalle noch ein Jahrzehnt andauern könne“, ADAP, C, Bd. II, 2, Nr. 486, S. 862 Anm. 3. Vgl. auch K. Schwendemann: Gleichberechtigung und Sicherheit, in: Europäische Revue XI, 1 (1935), S. 17–21, hier S. 19. Aufzeichnung, o. V., Berlin, 9. 6. 1934, PA AA, R 32240; Aufzeichnung Neurath, Berlin, 17. 7. 1934, ADAP, C, Bd. III, 1, Nr. 93, S. 177. Bülow an Hassell, Berlin, 28. 7. 1934, PA AA, R 29519; Bülow an Hoesch, Berlin, 28. 7. 1934, ebenda; Bülow an Köster, Berlin, 28. 7. 1934, PA AA, Botschaft Paris 464 b.

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ihm klarzumachen, dass Deutschland nicht beliebig lange mit der Antwort auf die französischen Ostpaktvorschläge warten könne175 . Die deutsche Regierung, so Bülow, müsse auf jeden Fall vor der Generalversammlung des Völkerbundes, die am 10. September 1934 begann, antworten. Viel entscheidender war aber, die Taktik in der Ostpaktfrage mit dem Rüstungskalender abzustimmen. Je länger das Auswärtige Amt warte, so Bülow, desto mehr sei die deutsche Stellungnahme gezwungen, sich nach den Erfordernissen der deutschen Rüstungspolitik zu richten176 . Wenn die Tarnung zum 1. Oktober 1934 fallen würde, so erläuterte Bülow, sei es sinnlos, über den Ostpakt zu verhandeln, denn wenn einmal die Entscheidung für die autonome Aufrüstung gefallen war, dann müsse das Reich diesen Weg alleine gehen. Außenpolitische Manöver würden die Sache nur verschlimmern. Wenn es indes gelänge, die Reichswehr davon zu überzeugen, ihre Pläne zum Ablegen der Tarnkappe aufzugeben und die Rüstungszahlen der deutschen Note vom 16. April 1934 vorläufig nicht zu überschreiten, so die Überzeugung Bülows, hätte Deutschland die Möglichkeit, dem Ostpakt grundsätzlich beizutreten (natürlich nicht ohne Veränderungen zu fordern) und damit die Gleichberechtigung zu erreichen177 . In diesem Fall würde das Reich das Prinzip der assistance mutuelle nicht rundweg ablehnen, sondern lediglich eine Übergangsperiode gemäß Anlage F von Locarno fordern. Mittelfristig, so schloss Bülow seine Argumentation ab, müsse Deutschland bestrebt sein, den Pakt dahingehend zu modifizieren, dass England und Italien beitreten und so eine Art Viererpakt entstünde178 . Solche Pläne kursierten schon einige Zeit in der Abteilung II. Die Stellungnahme zum Ostpakt falle zu ablehnend aus, resümierte Frohwein in einer Vorlage vom 20. Juli 1934, besser wäre es, den Sanktionsmechanismus unter Artikel 16 der Völkerbundssatzung nicht grundsätzlich abzulehnen, sondern zu erklären, die Anwendung von Sanktionen sei so lange nicht zu verwirklichen, wie die Entwaffnung Deutschlands fortbestünde. Voraussetzungen für ein System gegenseitiger Unterstützung, so Frohwein, seien gleiche Rüstungen aller Staaten und ein ausbalanciertes Vertragssystem wie in Locarno. Solche Vorstellungen würden natürlich auf den Widerstand Frankreichs treffen. In diesem Fall aber,

175 176

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Bülow an Neurath, Berlin, 23. 7. 1934, ADAP, C, Bd. III, 1, Nr. 109, S. 209. Am selben Tag wandte sich auch Hassell an Neurath, um ihn auf die politische Isolierung Deutschlands hinzuweisen. Deutschland brauche Zeit und außenpolitische Erfolge, schrieb Hassell, die am besten auf den Gebieten der Ostpaktfrage und der Gleichberechtigung einzufahren seien, Hassell an Neurath, Rom, 23. 7. 1934, PA AA, BA 60952. Zwei Tage zuvor hatte auch Hoesch vorgeschlagen, den Ostpakt auf diese Weise zu behandeln, Hoesch an das Auswärtige Amt, London, 21. 7. 1934, DGFP, C, Bd. III, Nr. 104, S. 206–208. Ebenda, Nr. 109, S. 214ff.

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so Frohweins Beobachtungen, könnten die Engländer den Ostpakt für gescheitert erklären, und der Weg für eine weniger weitgehende Lösung wäre frei179 . Der Hinweis Bülows auf das Rüstungsprogramm der Reichswehr kam nicht von ungefähr. Bülow war sich bewusst, dass eine Ablehnung des Ostpaktes unter Verweis auf die weiterhin bestehende Rüstungsungleichheit nicht glaubhaft zu vertreten war, wenn die Reichswehr fortfuhr, ohne Rücksicht auf internationale Abmachungen aufzurüsten. Als Ende Juli 1934 bekannt wurde, dass man im Bendlerblock plante, bereits zum 1. Oktober 1934 die Tarnung zu beenden (statt wie geplant zum 1. April 1935), die Allgemeine Wehrpflicht einzuführen und ein Rüstungsprogramm aufzulegen, das die Zahlen, die Hitler in allen diplomatischen Gesprächen genannt hatte, deutlich überschreiten würde180 , wandte sich Bülow sofort an den Reichsaußenminister und warnte ihn vor den unabsehbaren Folgen eines solchen Schritts181 . Ungeachtet seiner Warnungen brachte das Reichswehrministerium am 25. Juli 1934 den Entwurf für ein Wehrgesetz in Umlauf182 , und am 27. Juli antwortete Neurath, er habe in der Rüstungsfrage weder von Hitler noch von Blomberg etwas gehört und gehe davon aus, dass Deutschland wie vereinbart zum 1. April 1935 die Tarnung fallenlassen werde. Immerhin versprach er, Hitler auf die Sache anzusprechen, und bat Bülow, dasselbe bei Blomberg zu tun183 . Da dieser nicht in Berlin war, traf sich Bülow am 30. Juli mit Beck und teilte ihm seine Sorgen mit. Die Aufrüstung habe das Reich in die Isolation getrieben, ermahnte er Beck, so wie die Dinge lägen, würde es entweder bald zu Sanktionen unter französischer Führung kommen, die einen „hoffnungslosen Endkampf “ zur Folge haben mussten, oder Deutschland müsse sich dem internationalen Druck beugen. Dann wäre „alles mit der Zeit mühsam in der Aufrüstungsfrage erreichte“ verloren184 . Dazu rückte die Entschließung hinsichtlich des Ostpaktes immer näher; auch da habe sich die deutsche Situation „erheblich verschlechtert“. Um alle diese Fragen zu klären, regte Bülow deshalb einen gemeinsamen Vortrag Neuraths, Blombergs und Görings bei Hitler an185 . Gleichzeitig bat er die Abteilung II um eine Stellungnahme zu dem geplanten 179 180 181 182 183

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Aufzeichnung Frohwein, Berlin, 20. 7. 1934, PA AA, R 32253. Erlass Blomberg, 25. 7. 1934, PA AA, R 33725. Bülow an Neurath, Berlin, 21. 7. 1934, PA AA, R 28457; DGFP, C, Bd. III, Nr. 105, S. 208f. PA AA, R 33725; ADAP, C, Bd. III, 1, Nr. 163, S. 322 Anm. 4. Neurath an Bülow, Leinfelden, 27. 7. 1934, PA AA, R 28457; DGFP, C, Bd. III, Nr. 126, S. 257f. Neurath sprach Hitler in Bayreuth auf Ostpakt und Rüstungsplanung an, der jedoch unter Verweis auf das Fehlen Blombergs nicht darüber sprechen wollte, Aktennotiz Bülow, Berlin, 30. 7. 1934, ADAP, C, Bd. III, 1, Nr. 134, S. 263f. Vgl. auch Deist: Wehrmacht, S. 411. Aufzeichnung Beck, Berlin, 30. 7. 1934, Müller: Beck, Nr. 12, S. 358. Ebenda. Die Idee des gemeinsamen Vortrags des Außen- und Wehrministers bei Hitler wurde auch von Teilen der Reichswehr vertreten, wie die Bemerkungen des deutschen Militärattachés in London gegenüber Bülow zeigen, ADAP, C, Bd. III, 1, Nr. 98, S. 184.

4.1 Das Bekenntnis der Diplomaten zum Locarnopakt (1933–1935)

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Wehrgesetz. Frohwein, der vier Wochen später die angeforderte Aufzeichnung vorlegte, fragte konsterniert, ob denn das Wehrgesetz ohne Rücksichtnahme auf die internationalen Verhandlungen verkündet werden solle. Diese Entscheidung könne nur gemeinsam vom Reichskanzler, vom Außenminister und vom Reichswehrminister getroffen werden. Aber auch dann, so Frohwein, sei unbedingt an der entmilitarisierten Zone festzuhalten. Hitler habe entschieden, die Frage der Rheinlandzone nicht im Rahmen der Rüstungsgespräche zu erörtern, und dabei bleibe es, denn es sei „aus politischen Gründen“ unmöglich, „die internationale Lage noch mit der Aufrollung des Rheinlandproblems zu belasten“186 . Kurz darauf sprach Frohwein mit Oberst Schönheinz vom Reichswehrministerium, der Neuigkeiten von Blomberg überbrachte. Demnach seien die Pläne, die Tarnkappe schon im Herbst fallen zu lassen, vom Tisch187 . Die Reichswehr werde sich weiter an die Zahlen vom 16. April halten. Im Übrigen erachte es der Reichswehrminister zweckdienlich, dem Ostpakt zuzustimmen, um weiter in Ruhe rüsten zu können188 . Das Ergebnis dieser Unterredungen musste bei Bülow gemischte Gefühle erzeugen. Einerseits bedeutete das Zurückweichen der Militärs einen Punktsieg für das Auswärtige Amt, andererseits konnte Bülow nicht sicher sein, ob sich das Reichswehrministerium an seine Zusagen halten würde. Die Zahlen zum Rüstungsprogramm, die er aus dem Reichswehrministerium und Reichsluftfahrtministerium höre, schrieb er an Neurath, seien unklar und nicht einheitlich189 . Daher arbeitete er weiter fieberhaft an einem Sicherheitskonzept für das Reich, das sich vom „Konzept einseitiger Aufrüstungspolitik“, wie es der Generalstab betrieb, abhob. Fluchtpunkt aller Überlegungen Bülows blieb die Idee eines gemeinsamen Vortrages Blombergs und Neuraths bei Hitler, bei dem der Außenminister den Reichskanzler von den Vorstellungen des Auswärtigen Amtes überzeugen sollte. Am 10. August traf sich Bülow mit Gaus, Meyer und Frohwein, um das weitere Vorgehen in der Ostpaktfrage zu diskutieren. Sie waren sich einig, dass die deutsche Stellungnahme zu dem Projekt wesentlich von der Frage abhing, welchen Kurs die Aufrüstung in den nächsten Monaten steuern würde. Das Ergebnis dieser Besprechung fasste Bülow in einem Schriftsatz zusammen, in dem er in detaillierter Weise drei Möglichkeiten skizzierte, wie sich die deutsche Füh186 187

188 189

Aufzeichnung Frohwein, Berlin, 22. 8. 1934, PA AA, R 33725. Stattdessen verschärfte die Reichswehr im Herbst 1934 noch einmal ihre Maßnahmen zur Tarnung, vgl. Der Chef des Stabes des Wehrkreises V an die Oberpräsidenten der Rheinprovinz, Lüninck, und der Provinz Hessen-Nassau, Philipp v. Hessen-Rumpenheim, Stuttgart, 10. 9. 1934, Ursachen und Folgen, Bd. X, Nr. 2338, S. 78f.; DeutschlandBericht der Sopade, Prag, 10. 1. 1935, Deutschland-Berichte, Bd. 1, S. 813. Aufzeichnung Frohwein, Berlin, 14. 8. 1934, DGFP, C, Bd. III, Nr. 159, S. 316f. ADAP, C, Bd. III, 1, Nr. 162, S. 316.

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rung gegenüber dem Barthou-Litwinow-Projekt verhalten könne190 . Die erste Möglichkeit, so Bülow, bestünde darin, an den Rüstungszahlen vom 16. April 1934 festzuhalten und dem Ostpakt beizutreten, dessen Wortlaut freilich überarbeitet werden müsste. Notwendige Veränderungen seien die Ausweitung der Konsultativpflichten auf England und Italien, weitere Vorschläge zur Kriegsverhütung und die Ablehnung sowohl einer sowjetischen Locarnogarantie als auch einer französischen Ostpaktgarantie. Schließlich müsste dafür gesorgt sein, dass die kleineren Vertragsstaaten (Tschechoslowakei und die Randstaaten) nicht als Gleichberechtigte, sondern als Schutzbefohlene am Ostpakt teilnehmen würden, durch die Übernahme von „Verpflichtungen, die ihre Kraft übersteigen“. Die zweite Möglichkeit bestand laut Bülow darin, das Rüstungsprogramm vom April 1934 einzuhalten, den Ostpakt hingegen abzulehnen. In diesem Fall wäre es nötig, die Gleichberechtigung Deutschlands zu fordern, den Pakt aber mit der Begründung abzulehnen, man werde nicht an Verträgen über assistance mutuelle und so genannten Regionalpakten teilnehmen. Dagegen sollte man die Bereitschaft zum Abschluss von Schiedsgerichtsverträgen191 und Nichtangriffspakten erklären. Die dritte Möglichkeit, so fuhr Bülow fort, bestünde in dem Willen, das Programm vom 16. April zu durchbrechen und das Ausmaß der Rüstungen deutlich zu erweitern. In diesem Fall bliebe nur die Ablehnung des Ostpaktprojekts. Argumente dafür seien die Forderung nach allgemeiner Abrüstung, die Kritik am Völkerbund sowie die vermeintliche Gefahr eines französisch-russischen Zusammengehens. Außerdem, so Bülow, könne man erklären, die Gleichberechtigung sei nicht nur eine politische, sondern auch eine technische Voraussetzung zum Abschluss neuer Sicherheitsverträge192 . Die Resultate der Besprechungen im Auswärtigen Amt übermittelte Bülow wenige Tage später dem Außenminister. In zwei Schreiben an Neurath vom 16. August verlieh er seiner Überzeugung Ausdruck, dass es in den nächsten Jahren keine militärische Sicherheit für das Reich geben könne. Sicherheit für Deutschland, so Bülow, könne nur eine kluge, umsichtige Politik geben und das Bestreben, Provokationen aller Art zu vermeiden, um dem Ausland nicht Gelegenheit zu geben, Deutschland mit Sanktionen zu belegen. Auf dieser Grundlage formulierte Bülow eine Politik, die auf zwei Pfeilern ruhte. Der erste Pfeiler formte Ausmaß und Tempo der deutschen Rüstungen. Es sei wichtig, schrieb er, nicht von den Zahlen vom 16. April 1934 und von dem, 190

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Aufzeichnung, o. V. [Bülow], Berlin, o. D. [1934], BAK, ZSg 133/108. Die Autorenschaft Bülows und die Datierung ergeben sich aus: Aufzeichnung Bülow, Berlin, 11. 8. 1934, BAK, ZSg 133/112. Dieser Hinweis war allerdings nicht ganz ernst gemeint, wie die Bemerkung zeigt, die Offerte von Schiedsverträgen sollte in einer „für die Sowjetunion unannehmbaren Form“ erfolgen. So konnte die russische Ablehnung das Reich von der Pflicht entheben, neue Verträge einzugehen. BAK, ZSg 133/108.

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was man Eden im Februar gesagt hatte, abzuweichen, um den fortgesetzten Verdächtigungen der anderen Mächte zu entgehen. Damit wollte Bülow in gewisser Weise zu der politischen Verlässlichkeit zurückkehren, die die deutsche Diplomatie während der Locarnoära ausgezeichnet hatte. Deshalb versuchte Bülow, Einfluss auf die Rüstungsplanung der deutschen Führung zu nehmen. Dieser Punkt im Programm Bülows zielte in das Herz des traditionellen Politikverständnisses der konservativen Eliten im Reich. In seiner Märzdenkschrift von 1933 hatte Bülow kein Wort darüber verloren, wie Ausmaß und Tempo der deutschen Aufrüstung auszusehen hatten, und lag damit ganz auf der Linie einer „wilhelminischen Konzeption deutscher Außenpolitik“193 , deren Grundsatz in der Trennung von „Staatskunst und Kriegshandwerk“194 bestanden hatte. Im Sommer 1934, angesichts der krisenhaften Zuspitzung der deutschen Sicherheitslage, warf Bülow dieses Vermächtnis über Bord. Aus der Sicht Bülows war die „übertriebene Aufrüstung“ der Reichswehr dabei, „einen Ring von Gegnern um uns“ zu bilden195 , der die Sicherheit Deutschlands bedrohte. Daher trat er im Sommer selbst mit einem Rüstungsprogramm hervor, welches den Sicherheitsinteressen des Reiches aus seiner Sicht am besten genügte. Unter Rückgriff auf den deutschen Katalog vom 16. April 1934 forderte er, die Produktion von Bombenflugzeugen einzustellen, die Erprobung von Panzern und schweren Geschützen auszusetzen und auf die Wiedereinführung der Wehrpflicht einstweilen zu verzichten196 . Damit hatte Bülow nichts Geringeres im Sinn, als die politische Sicherheit aus Locarno und die auf den Rüstungen beruhende militärische Sicherheit wieder in Gleichklang zu bringen. Dazu gehörte auch die Forderung Bülows, die bestehenden strategischen Konzeptionen zu überdenken. Eine kriegerische Intervention Frankreichs, so Bülow, dürfe niemals einen Kriegsgrund für das Reich bilden. Zwar stand auch Bülow auf dem Standpunkt „sich nichts gefallen zu lassen“, und empfahl den Einsatz von SA/SS und Polizei, die am Rhein Gegenmaßnahmen ergreifen könnten, wollte aber den Schwerpunkt auf eine diplomatische Antwort gelegt wissen197 . Damit wandte sich Bülow nicht nur gegen die operative Planung der Militärs, nach welcher Widerstand gegen Angriffe auch ohne Erfolgsaussichten zu leisten sei198 , sondern formulierte auch die ideologische Gegenposition zu den Vorstellungen Hitlers vom Notwehr als Recht, die dieser in „Mein 193 194 195 196 197 198

Wollstein: Denkschrift, S. 77. G. Ritter: Staatskunst und Kriegshandwerk. Das Problem des „Militarismus“ in Deutschland, Bd. 1–4, München 1954–1968. ADAP, C, Bd. III, 2, Nr. 369, S. 682. ADAP, C, Bd. III, 1, Nr. 163, Anlagen 1 u. 2, S. 322. So Bülow gegenüber Beck in einem Gespräch am 15. November 1934, Aufzeichnung Beck, Berlin, November 1934, Müller: Beck, Nr. 16, S. 393–395. Vgl. Watt: Plans, S. 197.

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Kampf “ ausführlich geschildert hatte. In den Augen Hitlers ging bei einem französischen Angriff auf das Reich die Vernichtungsabsicht von Paris aus, und Berlin habe in so einem Fall das Recht, darauf seinerseits militärisch zu reagieren. So hat Hitler den Ruhreinmarsch 1923 als – aus seiner Sicht verpasste – Gelegenheit für Deutschland interpretiert, sich gegenüber Frankreich freizukämpfen und gleichzeitig den Marxismus im Innern auszurotten199 . Nur mit Mühe war es dem Auswärtigen Amt im Herbst 1933 gelungen, dem Reichskanzler derlei Ideen auszureden und ihn stattdessen zu der Erklärung zu bewegen, ein französischer Einmarsch ins Ruhrgebiet als Reaktion auf den deutschen Völkerbundsaustritt sei kein Casus belli für die deutsche Führung. Er wisse allerdings nicht, so hatte Hitler damals vielsagend gegenüber Dodd erklärt, ob er in einem solchen Fall auch das deutsche Volk werde zurückhalten können200 . Als im Zusammenhang mit der bevorstehenden Abstimmung im Saargebiet erneut Gerüchte über französische Invasionspläne auftauchten, war Bülow von Beginn an darauf aus, Hitler auf einen friedlichen Kurs festzulegen. Der zweite Pfeiler von Bülows Konzeption war seine Stellungnahme zum Ostpakt. Es sei absurd, so erläuterte Bülow seinen Entwurf, dem Ostpaktplan zuzustimmen, wenn man weiterhin autonom aufrüsten wolle. Deshalb enthielt das Memorandum nochmals das ausdrückliche Bekenntnis, an den Zahlen des Rüstungsprogramms vom 16. April 1934 festzuhalten. Für den Ostpakt sei die einzig richtige Taktik, so Bülow, das Prinzip der assistance mutuelle zwar abzulehnen, aber offen für weitere Verhandlungen zu sein201 . Kernpunkt dieser Konzeption war die Strategie, das Institut der assistance mutuelle unter Verweis auf Anlage F für den Moment als nicht durchführbar zu erklären. Der mangelnde Rüstungsstand Deutschlands als Grund für die Nichtteilnahme an einem System auf gegenseitigen Beistand, so hatte er Köster schon Ende Juli eingeschärft, sei ein wertvolles Argument, das vorsichtig anzuwenden sei202 . Aus der Sicht Bülows war diese Verhandlungsstrategie flexibler als die Methode, alle Beistandspakte von vornherein abzulehnen. So hielt der Staatssekretär auch nichts von der Idee, die Forderung auf Gleichberechtigung den Verhandlungen über eine assistance mutuelle voranzustellen. Es würde der Eindruck entstehen, 199 200

201 202

Vgl. B. Zehnpfennig: Hitlers Mein Kampf. Eine Interpretation, München 2000, S. 269f. Tagebuch Dodd, 17. 10. 1933, Dodd: Diplomat, S. 72. Gleichlautende Berichte sandten Phipps und François-Poncet an ihre Minister. Demnach habe Hitler erklärt, bei einer französischen Besetzung des Rheinlandes werde Deutschland nicht zu den Waffen greifen; stattdessen wolle er die Mächte bitten, eine internationale Konferenz zur Klärung des Streits einzuberufen, François-Poncet an Paul-Boncour, Berlin, 24. 10. 1933, DDF, 1. Serie, Bd. IV, Nr. 358, S. 637; Phipps an Hankey, Berlin, 25. 10. 1933, BDFA, II, F, Bd. 44, Nr. 184, S. 350–354. Bülow an Neurath, Berlin, 16. 8. 1934, DGFP, C, Bd. III, Nr. 162, S. 328 u. S. 330; Bülow an Neurath, Berlin, 16. 8. 1934, ebenda, Nr. 163, S. 331. Bülow an Köster, Berlin, 24. 7. 1934, ebenda, Nr. 113, S. 227–229.

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so schrieb er am 3. September, „als ob unsere Gleichberechtigung noch eine offene Frage wäre“203 . Außerdem sei der Hinweis auf die Gleichberechtigung kein geeignetes Instrument, um daraus konkrete Verhandlungen zu spinnen. Bülow wollte aber auch verhindern, dass die Reichsregierung ihr Angebot von Nichtangriffspakten wiederholte, weil man meinte, damit den französischen Beistandspakten das Fundament entziehen zu können. Dieses von Hitler und der Reichswehr favorisierte Konzept hielt Bülow für unklug, weil es langfristig die deutsche Verhandlungsposition schwächen musste. Es gehörte ja seit Jahren zum deutschen Standardrepertoire, überall herumzuerzählen, der jetzige Stand der Sicherheit reiche aus, um eine allgemeine Abrüstung durchzuführen. Dieses Diktum, das wusste Bülow, musste umso fragwürdiger werden, je mehr Nichtangriffspakte das Reich abschloss. Mit seiner Konzeption verfolgte Bülow ein doppeltes Ziel. Das Bekenntnis zum 16. April und das vorsichtige Taktieren in der Ostpaktfrage sollten dem Reich den Kredit wiedergeben, den es durch die überhitzte Aufrüstung (und den NS-Gräueltaten vom Sommer) verspielt hatte; dies würde die Sicherheit des Reiches erhöhen, indem es militärische und wirtschaftliche Sanktionen unwahrscheinlich machte. Gleichzeitig begriff er den Ostpakt als Chance, politischen Manövrierraum zurückzugewinnen. Die Konstruktion des Ostpaktes sei so absurd, umschrieb Bülow diesen Gedanken, dass es durch geschicktes Verhandeln möglich werde, die im Juni geschlossene französisch-britisch-italienische Front wieder aufzulösen204 . Damit bewegte sich Bülow entlang einer Linie, die im Auswärtigen Amt weithin akzeptiert wurde. Dies zeigen die Überlegungen des späteren Staatssekretärs Ernst v. Weizsäcker, die dieser etwa zur selben Zeit wie Bülow formulierte205 . Die Rüstungen, die das Reich für seine Sicherheit brauche, hätten Deutschland in die Isolation geführt, so schrieb er im Juni 1934, aber eine unmittelbare Kriegsgefahr bestünde nicht. Die Westmächte zielten vielmehr darauf ab, das Reich politisch-wirtschaftlich zu knebeln. Demgegenüber sah Weizsäcker einige Momente, die zu Gunsten Deutschlands wirkten. Die „rückschrittliche Allianzpolitik Frankreichs“ erleichtere dem Auswärtigen Amt die Annäherung an Staaten wie Polen, Italien oder Ungarn, die der Westorientierung Russlands misstrauten, oder wie den Engländern, die Allianzen aus ideologischen Erwägungen heraus ablehnten. Zudem könne eine stetige, einheitliche und vor allen Dingen friedliche Politik das Vertrauen im Ausland 203 204

205

ADAP, C, Bd. III, 1, Nr. 190, S. 370. Hieran lässt sich nochmals der Zusammenhang zwischen Rüstungs- und Bündnispolitik bei Bülow aufzeigen: Es mache nur Sinn, die gegnerische Front auseinanderzudividieren, wenn man sich an das vereinbarte Rüstungsprogramm halte; würde man nämlich autonom rüsten, fände die antideutsche Front sofort wieder zusammen. Aufzeichnung Weizsäcker, Bern, Juni 1934, Hill: Weizsäcker, Bd. 2, S. 81–83.

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wiederherstellen. Wichtig hierbei, wie Weizsäcker betonte, sei die Beteiligung des Auswärtigen Amtes206 . Das Heft des Handelns durch ein „Bündnis“ mit der Reichswehr wieder in die Wilhelmstraße zu holen, war auch das Ziel Bülows207 . Zum Schluss seines Schreibens vom 16. August an den Außenminister betonte Bülow noch einmal, wie nötig es sei, einen sofortigen Entschluss Hitlers herbeizuführen, welchen Kurs und welches Tempo die deutsche Aufrüstung „in der nächsten Zeit“ steuern werde, und die Taktik in den Ostpaktverhandlungen damit abzustimmen. Er warnte dringend davor, diese Entscheidung weiter aufzuschieben: „Keinen Entschluss zu fassen, wäre in der gegenwärtigen Lage von allen Entschließungen die gefährlichste.“ Bülows Entscheidung darüber war bereits gefallen: Verhandlungen über den Ostpakt in einer Richtung, „die mit unseren Interessen vereinbar ist“ und die sich je nach Lage mal positiver, mal negativer ausrichten ließe mit dem Ziel, die antideutsche Front auseinanderzubrechen. Und: Festhalten an den deutschen Rüstungen, die im Frühjahr 1934 im Einvernehmen mit England und Italien ausgehandelt worden waren. „Für mich ist ganz klar“, schrieb Bülow am 16. August, „dass der Gewinn aus einer Erweiterung des Programms vom 16. April niemals groß genug sein kann, um die Gefahren zu lohnen, die für Deutschland damit verbunden sind.“208 Um diese Absichten zu verdeutlichen, legte Bülow seinen beiden Briefen vom August umfangreiches Aktenmaterial bei, das Neurath bei seinem Vortrag beim Reichskanzler brauchen könnte209 . Eine Gruppe von Akten beschäftigte sich mit den deutschen Rüstungsmaßnahmen210 , eine weitere Gruppe mit dem Ostpakt und den militärischen Bündnissen in Europa211 . In der dritten – und umfangreichsten – Aktengruppe ging es um die Frage, welche Reaktionen die deutsche Rüstung im Ausland hervorrief. Das erste Dokument war ein Privatbrief Hoeschs aus London, in welcher er die britischen Reaktionen auf die deutsche Luftrüstung thematisierte und dringend dazu riet, sich an die Zahlen des Aprils – worin Deutschland auf Bomberflugzeuge verzichtet hatte – zu halten212 . Es folgten weitere Berichte aus London vom 26. Juli und 1. August 1934, dazu noch ein Telegramm von Geyr v. Schweppenburg, in welchem 206 207 208 209 210

211

212

Ebenda. Vgl. Müller: Beck, S. 177f.; ders.: Biographie, S. 195. BAK, N 1310/47. Vermerk Siegfried, Berlin, 16. 8. 1934, ebenda. In seinem Schreiben erwähnt Bülow eine Zusammenstellung, die vergleicht, was das Reich in den Frühjahrsverhandlungen gefordert hat und was nun, im Sommer 1934, an tatsächlichen Rüstungsmaßnahmen umgesetzt wurde. Darunter befand sich mit Sicherheit auch Bülows Entwurf für eine deutsche Stellungnahme zum Ostpakt, vgl. François-Poncet an Piétri, Berlin, 20. 8. 1934, DDF, 1. Serie, Bd. VII, Nr. 125, S. 198–201. Hoesch an Bülow, London, 19. 7. 1934, ADAP, C, Bd. III, 1, Nr. 99, S. 186.

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dieser berichtete, die Nachrichten über die deutsche Luftrüstung hätten die britische Regierung bewogen, in Stabsgespräche mit Frankreich und Belgien zur Umsetzung des Locarnofalls einzutreten213 . Weitere Dokumente betrafen Äußerungen des Italieners Suvich, Mitteilungen über französisch-ungarische Militärgespräche214 sowie Aussagen schweizerischer Armeeangehöriger, die der deutsche Militärattaché in Bern übermittelt hatte. Schließlich legte Bülow dem Schreiben an Neurath noch eine Aufzeichnung Meyers vom 16. August 1934 bei, in welcher dieser den Stand der Ostpaktverhandlungen resümierte. Angesichts der zurückhaltenden Aufnahme der Ostpaktidee in den meisten Staaten, so Meyers Schluss, sei die „Ostpaktfront“ beileibe nicht so monolithisch, wie es den Anschein habe. Unter den Großmächten sei es vor allen Dingen Italien, das sich dagegen verwahre, Russland in die Systematik des Rheinpaktes einzuführen. Man hätte in Rom erkannt, so Meyer, dass der Ostpakt die Locarnogarantie einseitig zu Gunsten Frankreichs erweitere und dass Paris seine Verpflichtungen aus dem Ostpakt hernehmen könne, um sein in Locarno gegebenes Nichtangriffsversprechen zu umgehen215 . Nach Bülows Brandbrief vom 16. August wandte sich Neurath an den Reichskanzler. Die Stellungnahme zum Ostpakt sei nicht länger hinauszuschieben, schrieb er Hitler am 18. August 1934 und bat um einen gemeinsamen Vortrag mit Reichswehrminister Blomberg, den er bereits in Tannenberg informiert habe216 , für den 24. oder 25. August217 . Das Gespräch, das am 23. August 1934 auf dem Berghof Hitlers stattfand218 , hatte mit Blick auf die vorstehenden Ausführungen ein umfassendes Programm zu bewältigen. Es ging nicht nur darum, wie sich die deutsche Regierung zum französischen Ostpakt stellen wollte, sondern es ging auch um die Frage, wie schnell und in welchem Ausmaß sich die deutsche Aufrüstung fortan vollziehen sollte. Damit drehte sich der Vortrag am 23. August nicht nur um einzelne Projekte oder Zahlen, sondern betraf die grundsätzliche Ausrichtung deutscher Sicherheitspolitik in den nächsten Jahren. Endlich ging es bei der Unterredung 213 214 215 216 217 218

Ebenda, Nr. 138, S. 268. Aufzeichnung Frohwein, Berlin, 23. 7. 1934, PA AA, R 32346. Aufzeichnung Meyer, Berlin, 16. 8. 1934, BAK, N 1310/47. Am 7. August 1934 fand die Beisetzung Hindenburgs beim Tannenbergdenkmal in Ostpreußen statt. Neurath an Hitler, Leinfelden, 18. 8. 1934, DGFP, C, Bd. III, Nr. 164, S. 332f. Lange Zeit meinte die Forschung, die Unterredung habe niemals stattgefunden, vgl. N. Reynolds: Beck. Gehorsam und Widerstand. Das Leben des deutschen Generalstabschefs 1935–1938, München 1977, S. 83. Ein Vermerk Lammers’ auf dem Schreiben Neuraths bestätigt jedoch, dass eine Besprechung Hitlers mit Neurath und Blomberg für den folgenden Tag angesetzt wurde, Vermerk Lammers, Berchtesgaden, 22. 8. 1934, AdR Hitler, Bd. II, 2, Nr. 31*, S. 1018; TNA, GFM 33/3027. Ein weiterer Aktenvermerk des Staatssekretärs vom 23. August lautete: „Vortrag hat heute stattgefunden.“ BArch, R 43 I/449.

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

auch um den Rheinpakt von Locarno, der formal Deutschlands Sicherheit im Westen garantierte und die Geltung der Anlage F verbürgte, dessen juristische Bestimmungen aber tagtäglich von den Deutschen so unterlaufen und durchlöchert wurden, dass es immer wahrscheinlicher wurde, dass die Westmächte sich unter Verweis auf deutsche Verstöße von Locarno zurückziehen und das Reich schutzlos zurücklassen könnten. Leider sind keine Aufzeichnungen über die Unterredung des 23. August 1934 erhalten. Man kann nur versuchen, aus den vorhandenen Dokumenten sowie aus den Reaktionen der beteiligten Personen Rückschlüsse auf den Verlauf der Besprechungen zu ziehen. So drängt sich der Verdacht auf, dass keiner der Gesprächsteilnehmer vom 23. August die Sorgen des Staatssekretärs im Auswärtigen Amt ernstnahm. Während aus dem Konvolut an Akten die Erwartungen Bülows hervorstechen, welche Themen Neurath gegenüber Hitler und Blomberg zur Sprache bringen sollte, scheint der Reichsaußenminister seinen Vortrag auf die deutsche Stellungnahme zum Ostpakt verkürzt zu haben. Der Grund dafür war, dass Neurath weder Bülows Angst vor Sanktionen teilte noch die Ansicht seines Staatssekretärs stützte, es sei gefährlich, das Rüstungsprogramm vom 16. April zu verlassen219 . Als Bülow Alarm schlug, es werde wegen der deutschen Aufrüstung zu Sanktionen der Westmächte kommen, wies ihn Neurath zurück: „Ich bin anderer Ansicht.“220 In dem Schreiben Neuraths an Hitler vom 18. August setzte sich diese Tendenz fort. Da bemerkte er zu dem Ostpaktentwurf des Auswärtigen Amtes, er enthalte zwar alle wichtigen Punkte, sei aber „etwas lang geraten“221 . In diesem Sinne fiel das ausdrückliche Bekenntnis zum 16. April in dem endgültigen Memorandum heraus. Dagegen sprach Bülow am Tag nach dem Vortrag Neuraths gegenüber dem französischen Geschäftsträger davon, Deutschland wolle die Ostverhandlungen mit der Forderung nach militärischer Gleichberechtigung verbinden222 . Auch Blomberg verweigerte den Ideen Bülows die Zustimmung, weil diese dem von ihm und Beck vertretenen Konzept einer einseitig ausgeführten 219

220 221 222

Dies wird aus den Marginalien Neuraths deutlich, die sich auf dem Exemplar des Briefes finden, der im Nachlass Neuraths im Bundesarchiv lagert. Ähnlich äußerte sich Neurath schon im Frühjahr 1934, Tagebuch Krogmann, 15. 1. 1934, C. V. Krogmann: Es ging um Deutschlands Zukunft 1932–1939. Erlebtes täglich diktiert von dem früheren Regierenden Bürgermeister von Hamburg, Leoni  1977, S. 196. Vgl. Rautenberg: Rüstungspolitik, S. 290. BAK, N 1310/47. ADAP, C, Bd. III, 1, Nr. 164, S. 323. Arnal an Piétri, Berlin, 24. 8. 1934, DDF, 1. Serie, Bd. VII, Nr. 139, S. 225f. Ähnlich äußerte sich Bülow Anfang September 1934 gegenüber Messimy. Deutschland, so der Staatssekretär, werde an keinem Pakt auf gegenseitigen Beistand teilnehmen, ohne zuvor die Gleichberechtigung erhalten zu haben, Arnal an Barthou, Berlin, 6. 9. 1934, DDF, 1. Serie, Bd. VII, Nr. 252, S. 379f.

4.1 Das Bekenntnis der Diplomaten zum Locarnopakt (1933–1935)

185

Aufrüstungspolitik ohne internationale Bindungen zuwiderliefen. Die Militärs verfolgten das Ziel, Deutschland möglichst schnell aus dem Zustand militärischer Schwäche herauszuholen. Erst eine gerüstete Armee, so war Beck überzeugt, sei im Stande, Deutschland Sicherheit vor Angriffen zu geben. Auf dieser Gedankenschiene lag es, alle militär- und bündnispolitischen Maßnahmen der Gegenseite seinerseits mit neuerlichen Rüstungsmaßnahmen zu beantworten223 . Dazu hatte die Reichswehr im Dezember 1933 ein Rüstungsprogramm für ein 300 000 Mann starkes Friedensheer aufgelegt, dessen Kader zunächst bis 1935 stehen sollten, doch schon im Mai 1934 war dieser Termin auf den 1. Oktober 1934 vorverlegt worden224 . Außerdem hatte Hitler damals die Forderung aufgestellt, die allgemeine Wehpflicht zum 1. April 1935 einzuführen225 . Ein wichtiger Bestandteil dieses Konzepts war der Aufbau eines Grenzschutzes; er sollte in der Lage sein, einen Ersatz für die vertraglichen Sicherungen des Völkerbundes und des Locarnopaktes zu schaffen226 . Zu dieser Frage war Beck schon Mitte Oktober 1933 mit einer umfangreichen Denkschrift hervorgetreten, in welcher er die Eckpunkte eines militärischen Grenzschutzes für das westliche Reich niederlegte227 . Deutschland fehle die „fortifikatorische Stärke“, urteilte Beck, und entwarf als operative Aushilfe das Konstrukt einer „Hauptstellung“, die von der holländischen Grenze am Roer, bei Jülich an den Rhein, und von dort bis in den Schwarzwald und die deutsch-schweizerische Grenze verlief. Entlang dieser „Rhein-Roer-Schwarzwaldlinie“ sollten zwölf Grenzschutzverbände, bestehend aus Einheiten der Polizei, einen Vormarsch Frankreichs aufhalten228 . Aber trotz aller Bemühungen und ungeachtet der Ergebnisse der Nauheimer Besprechungen vom Mai, musste der Wehrmachtführung im Sommer 1934 klargeworden sein, dass derartige Aushilfen die Sicherheit des Reiches nicht gewährleisten konnten. Die Wehrmacht, so das vernichtende Urteil eines hochrangigen Offiziers im Truppenamt auf einem Vortrag am 9. Mai 1934, sei kein Machtfaktor für die Außenpolitik. Die schlechte Rüstungslage lasse eine Diskussion über defensive oder offensive Kriegsführung gar nicht erst zu und gefährde die Ziele der Außenpolitik. Deshalb forderte das Truppenamt

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224 225 226 227 228

Die Warnungen des deutschen Militärattachés in London, dass die deutschen Rüstungen das Verhältnis zu England belasten würden, soll Blomberg mit der Bemerkung in den Wind geschlagen haben: „Dann eben: Viel Feind, viel Ehr“, Faber du Faur: Erinnerungen, S. 159. Vgl. ausführlich Deist: Wehrmacht, S. 412; Rautenberg: Dokumente, S. 114. Vgl. Deist: Wehrmacht, S. 411. Vgl. Geyer: Revisionspolitik, S. 251–253. Aufzeichnung Beck, Berlin, 13. 10. 1933, BA-MA, RH 2/25. Ebenda.

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

„eine grundlegende Wandlung der wehrpolitischen Lage im Westen“229 , also die Abschaffung der entmilitarisierten Zone. Eine Bestätigung Locarnos auszusprechen, um sich den Trumpf der Anlage F nicht aus der Hand schlagen zu lassen, wie es der Vorschlag Bülows vorsah, kam für die Militärs nicht in Frage. Schließlich war es der Reichskanzler, der die Befürchtungen Bülows nicht teilte. Hitler hat in den anderthalb Jahren seiner Amtszeit kaum Anlass gefunden, seine sicherheitspolitischen Vorstellungen zu revidieren. Sein Instinkt musste ihn darin bestärken, weiter vorsichtig zu taktieren und Rückschläge wie den 30. Juni oder den 25. Juli zu vermeiden230 . Deswegen sprach er sich dafür aus, die deutschen Rüstungen nicht vor der Saarabstimmung offenzulegen und die großen Entscheidungen bis in das Frühjahr 1935 hinein zu vertagen. Das war der Gedanke, den Hitler im Herbst 1934 stets betonte. Deutschland müsse stur und unbeeindruckt weiterrüsten, so ließ er sich immer wieder vernehmen, und im Jahr 1935 werde die deutsche Rüstung dann so weit fortgeschritten sein, dass keine Gefahren für die Außenpolitik mehr zu erwarten seien231 . Die Tragweite politischer Absicherungen beurteilte er weiterhin sehr begrenzt. Göring und Goebbels, die im November wegen eines deutsch-belgischen Nichtangriffspaktes bei ihm vorsprachen, bügelte er kurzerhand ab232 . Im Herbst 1934 war er mehr denn je davon überzeugt, dass nicht Verträge Sicherheit brachten, sondern nur ein bis an die Zähne bewaffnetes Reich in der Lage war, den Frieden zu sichern. Deshalb sah er zwar keinen Grund, von seinem Wunsch nach schneller Wiederaufrüstung abzurücken, wusste aber, dass er bis auf Weiteres vorsichtig taktieren musste. Die Aufrüstung Deutschlands, hatte Hitler noch vor Kurzem doziert, gelinge entweder durch den Abschluss einer Konvention oder durch „stille Tolerierung“ der anderen Mächte; andernfalls werde Frankreich einen Präventivkrieg auslösen, um die deutschen Rüstungen zu stoppen233 . Ganz auf dieser Linie liegend erklärte er den versammelten Reichsstatthaltern am 1. November 1934, die Lage des Reiches sei nicht mehr so ernst wie im Jahr 1933, aber weiterhin gefährlich. Erst im Jahr 1936, so Hitler, werde die deutsche Aufrüstung so weit fortgeschritten sein, dass kein Land mehr wagen würde, Deutschland alleine anzugreifen234 . In einer Ministerbesprechung vom 28. November 1934 schärfte er den Anwesenden zum wiederholten Male ein, in Rüstungsfragen nicht nachzugeben und die Nerven zu behalten. Nur eine starke Armee könne den Frieden bewahren. Er forderte indes auch, das Ausland nicht zu 229 230 231

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Zit. bei Rautenberg: Dokumente, S. 134 Anm. 129; vgl. Deist: Wehrmacht, S. 414. Vgl. Conze: Amt, S. 89. Vgl. die Aufzeichnung Goebbels aus dieser Zeit: „Wenn unsere Armee steht, sprechen wir uns wieder. Frühjahr 1935 können wir uns verteidigen.“ Tagebuch Goebbels, 16. 11. 1934, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/I, S. 138. Tagebuch Goebbels, 14. 11. 1934, ebenda, S. 136. Aufzeichnung Bülow, Berlin, 10. 4. 1933, DGFP, C, Bd. II, Nr. 393, S. 744. AdR Hitler, Bd. II, 1, Nr. 33, S. 136.

4.1 Das Bekenntnis der Diplomaten zum Locarnopakt (1933–1935)

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provozieren235 . Dies war mit Sicherheit auf die Situation in der entmilitarisierten Zone gemünzt, wo jeder Verstoß Frankreich das Recht gab, das Reich mit Sanktionen zu belegen. Vorerst blieb Hitler bei seiner Linie, die Revision der entmilitarisierten Zone von der Liste der aktuellen Forderungen zu streichen, um dort keine Zwischenfälle zu erregen236 . Da Hitler in Rüstungsdingen aus den genannten Gründen keine Abstriche machen wollte, war er am 23. August 1934 nicht bereit, den Vorschlägen Neuraths (wenn dieser die Anregungen Bülows überhaupt vorgetragen hat) zu folgen. So hatte er gleich nach Bekanntwerden der Pläne Bülows erklärt, ein Verzicht auf Bomberflugzeuge komme nicht in Frage237 . Nach der Besprechung mit Hitler sandte Neurath neue Instruktionen an seinen Staatssekretär, wie dieser die Denkschrift zum Ostpakt gestalten sollte. Bülow antwortete am 31. August. „Um das Memorandum mit ihren Besprechungen mit Hitler und Blomberg in Einklang zu bringen“, schrieb er da, sei der Schriftsatz nochmals im Benehmen mit dem Reichswehrministerium überarbeitet worden und so hätten wesentliche Punkte „einen anderen Dreh bekommen“238 . Dies galt vor allem für die Rüstungsfrage, wo jeder Hinweis auf das Programm vom 16. April 1934 gestrichen und Verhandlungen über die Gleichberechtigung ausgeschlossen wurden. Deutschland, so hieß es nun, sehe seine Gleichberechtigung als erreicht an und werde darüber nicht weiter 235 236

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Tagebuch Goebbels, 30. 11. 1934, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/I, S. 145. So hieß es in einer Vorlage der Abteilung II, Anfang 1933 habe man im Auswärtigen Amt darüber nachgedacht, die Frage der entmilitarisierten Zone anzuschneiden, „was auf Anordnung des Führers fallen gelassen wurde“, Frohwein an Erbe, Berlin, 11. 8. 1934, PA AA, R 32040. Vgl. Geyer: Aufrüstung, S. 338f. Schon im Juni 1934, so berichtet Rosenberg, habe sich Hitler sehr über den deutschen Botschafter in London geärgert, weil dieser vor den Auswirkungen einer übertriebenen Luftrüstung gewarnt hatte, Tagebuch Rosenberg, 28. 6. 1934, Seraphim: Rosenberg, S. 31. Hitler wollte die aus der Ostpaktfrage resultierenden Gefahren abbiegen, indem er sich mit den Polen unter der Hand auf eine Ablehnung des Paktes einigte. Am 27. August 1934 empfing Hitler den polnischen Botschafter Lipski, um ihn zu fragen, wie sich die Polen zum Ostpakt stellten. Im Fall einer ablehnenden Haltung, ventilierte Hitler, könnten sich Berlin und Warschau in einem gemeinsamen Schritt gegen den Ostpakt wenden. Die polnische Antwort, die der Botschafter Bülow am 30. August überbrachte, war eine herbe Enttäuschung. Lipski erklärte, in Warschau finde man den Ostpakt unklar und stehe im Übrigen auf dem Standpunkt, der Pakt vom 26. Januar bilde den Angelpunkt der deutsch-polnischen Beziehungen. Auf das Angebot Hitlers ging er mit keiner Silbe ein. Erst Anfang September gelang es Neurath, dem polnischen Außenminister Beck eine ablehnende Stellungnahme zum Ostpakt zu entlocken, Aufzeichnung Neurath, Berlin, 27. 8. 1934, ADAP, C, Bd. III, 1, Nr. 177, S. 349f.; Lipski an Beck, Berlin, 27. 8. 1934, J. Lipski: Diplomat in Berlin 1933–1939, hg. v. W. Jędrzejewicz, New York u. London 1968, Nr. 30, S. 155f.; Aufzeichnung Bülow, Berlin, 30. 8. 1934, ADAP, C, Bd. III, 1, Nr. 184, S. 360; Aufzeichnung Neurath, Leinfelden, 6. 9. 1934, ebenda, Nr. 194, S. 374f. Ebenda, Nr. 188, S. 366.

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

sprechen. Gestrichen wurde auch die elegante Taktik Bülows, unter Verweis auf die Anlage F die Idee der assistance mutuelle zu torpedieren und damit die französisch-britisch-italienische Front zu brechen. Der neue Wortlaut lehnte jedes System gegenseitiger Unterstützung auf ganzer Linie ab, schloss Verhandlungen dazu kategorisch aus und verwies stattdessen wie gewohnt auf die deutsche Bereitschaft, zweiseitige Nichtangriffspakte abzuschließen239 . Immerhin war die Idee, die Rüstungstarnung zum 1. Oktober 1934 fallenzulassen, vom Tisch. Man kam überein, mit diesem Schritt mindestens bis nach der Lösung der Saarfrage im Frühjahr 1935 zu warten240 . Das Memorandum241 , das am 8. September 1934 in den Hauptstädten Europas übergeben wurde, konnte, genau wie dies Bülow befürchtete, keinen Beitrag dazu leisten, das deutsche Sicherheitsdilemma zu lösen. Dem vagen Bekenntnis, an Locarno festzuhalten, und den substanzlosen Angeboten der Reichsregierung, Nichtangriffspakte abschließen zu wollen, stand die Entschlossenheit gegenüber, weiterhin ungebremst aufzurüsten, sich in keiner Weise völkerrechtlichen Verpflichtungen zu unterwerfen und weiter an Maßnahmen zu arbeiten, die tagtäglich den Bestimmungen in der entmilitarisierten Zone zuwiderliefen. Diese Unklarheit durchzog die deutsche Politik im Herbst/ Winter 1934/35.

4.2 Die Rückwirkungen des deutschen Völkerbundsaustritts auf den Rheinpakt (1933–1935) Am 20. Januar 1936 war Joseph Goebbels wie so oft Gast an Hitlers Mittagstafel in der Reichskanzlei. Während es sonst die Angewohnheit des „Führers“ war, über Kunst und Architektur zu schwärmen oder über Vegetarismus zu dozieren242 , hatte er heute Sensationelles zu verkünden. Er sei bereit, die Rheinlandfrage einmal plötzlich zu lösen, so ließ er sich vernehmen, aber nicht jetzt, denn die Zeit sei aus zwei Gründen noch nicht reif243 . Erstens wolle er den anderen Mächten keine Gelegenheit geben, vom Abessinienkonflikt abzulenken, 239 240

241 242 243

Ebenda. DDF, 1. Serie, Bd. VII, Nr. 387, S. 615–619. Der Außenminister leitete das Memorandum am selben Tag an Hitler weiter, Neurath an Hitler, Leinfelden, 31. 8. 1934, BArch, R 43 I/449. Ursachen und Folgen, Bd. X, Nr. 2345, S. 91f. Vgl. A. Zoller (Hg.): Hitler privat. Erlebnisbericht seiner Geheimsekretärin, Düsseldorf 1949, S. 50ff., S. 56ff. u. S. 72ff. Tagebuch Goebbels, 21. 1. 1936, Goebbels: Tagebücher: I, Bd. 3/I, S. 366.

4.2 Die Rückwirkungen des Völkerbundsaustritts auf den Rheinpakt

189

und zweitens sei die Begründung des Auswärtigen Amtes, wie sich Goebbels Hitlers Worte notierte, „zu formaljuristisch“244 , was sich nach Lage der Dinge nur auf die Pressekampagne beziehen konnte, in der die deutsche Seite behauptet hatte, die französisch-britischen Stabsgespräche und der französischsowjetische Beistandspakt seien unvereinbar mit dem Locarnopakt. Daher, so Hitler, solle man derweil nicht von einer Wiederbesetzung sprechen245 . Diese Szene, eine der wenigen Quellen für die Frühphase der Rheinlandentscheidung, ist symptomatisch für die Lage, in der sich Hitler im Januar 1936 befand. Erstens zeigt sie deutlich, wie sich die deutsche Führung intensiv mit der Frage beschäftigte, Locarno und die entmilitarisierte Zone zu „kündigen“, sodass Beobachter schon vom „Taktikwechsel über Neujahr“ sprachen246 . Dies wird noch durch weitere Zeugnisse belegt. So führte der deutsche Gesandte in Wien, Papen, Anfang Februar 1936 ein Gespräch mit dem ungarischen Außenminister, in dessen Verlauf er Kanya erklärte, Hitler denke seit einiger Zeit daran, das Rheinland zu remilitarisieren. Auslöser sei die Demarche Phipps’ vom 13. Dezember 1935 gewesen, in der dieser behauptet hatte, Frankreich und England hätten sich grundsätzlich auf einen Militärpakt verständigt, der vorsah, britische Luftstützpunkte auf französischem Boden zu errichten. Hitler habe demgegenüber erklärt, dies sei nicht vereinbar mit Locarno247 . Der Reichskanzler, so vermerkte der Reichsaußenminister am Rande einer Vorlage, beschäftige sich mit der Remilitarisierung, seit ihn François-Poncet am 1. Januar 1936 auf den Locarnopakt angesprochen habe248 . Zweitens legt die Szene nahe, dass das Auswärtige Amt – nicht der Kanzler oder die Reichswehr – mit dem Gedanken spielte, unter Verweis auf „formaljuristische“ Gründe, die sich auf die Frage der Vereinbarkeit der französisch244

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In der früheren Edition der Goebbels-Tagebücher hieß es noch: „Auch zu formaljuristisch“ und der Bezug auf das Auswärtige Amt fehlte, Tagebuch Goebbels, 21. 1. 1936, Goebbels: Fragmente, I, Bd. 2, S. 567. Ebenda. Die Reaktion kam sofort. Am 22. Januar 1936 erging eine Weisung an die Presse, wonach nicht über Fragen der entmilitarisierten Zone berichtet werden solle; Deutschland, so hieß es, habe keine Veranlassung, diese Frage zur Zeit aufzugreifen, Weisung an die Presse, 22. 1. 1936, NS-Presseanweisungen, Bd. 4/I, S. 68. Dinichert an Motta, Berlin, 18. 1. 1936, Documents Diplomatiques Suisses. Diplomatische Dokumente der Schweiz. Documenti Diplomatici Svizzeri 1848–1945 (künftig: DDS), Bd. 11 (1934–1936) 1. Januar 1934–31. Dezember 1936, Bern 1989, Nr. 202, S. 604–607. Tagesbericht über die Besprechungen zwischen Papen und Kanya, o. O., 5. 2. 1936, Diplomáciai iratok magyarorzág külpolitikájához 1936–1945 (künftig: Diplomàciai iratok), Bd. I: A Berlin-Ròma tengely kialalulàsa és Ausztria annexiòja 1936–1938, hg. v. L. Kerekes, Budapest 1962, Nr. 27, S. 104. Vgl. auch eine Unterredung Hoeschs mit Eden Anfang Januar 1936, in welcher der deutsche Botschafter ausdrücklich erwähnte, es sei die Ansicht Hitlers, ein französisch-britischer Pakt würde den Geist von Locarno nicht korrekt wiedergeben, BDFA, II, F, Bd. 47, Nr. 3, S. 4. Marginalie Neuraths auf einer Vorlage Aschmanns vom 10. Januar 1936, PA AA, BA 60967.

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

britischen Militärbesprechungen sowie des französisch-sowjetischen Vertrages mit Locarno beriefen, die „Rheinlandfrage“ anzupacken. Sucht man nach einer Erklärung, warum die Männer der Wilhelmstraße um die Jahreswende 1935/36 begannen, auf ein Ende Locarnos hinzuarbeiten, nachdem sie sich in den Jahren zuvor nach Kräften bemüht hatten, den Rheinpakt als Sicherheit für Deutschland zu erhalten, stößt man auf ein Detail, welches alle Locarnodebatten nach 1933 durchzog und das aber von der Forschung, die vom Festhalten der Diplomaten an Locarno überzeugt war, ignoriert wurde. So hatten die Pläne Bülows, Locarno als Sicherheit für Deutschland auszuspielen, einen folgenschweren Makel, der sich umso deutlicher einstellte, je weiter die Zeit voranschritt. Denn die Zweifel, ob der Rheinpakt noch in vollem Umfang wirksam war und die ihm von den Deutschen zugedachten Aufgaben noch erfüllen konnte, wuchsen von Jahr zu Jahr, und mit ihnen stellte sich die Frage, wie sinnvoll es war, die deutsche Sicherheit weiter auf den Locarnovertrag zu gründen. Drei Faktoren waren es, die aus Sicht des Auswärtigen Amtes den Vertrag von Locarno sowohl in rechtlicher als auch in politischer Hinsicht schwer belasteten und den Kurs, am Rheinpakt festzuhalten, zunehmend unterminierten. Der erste Faktor, der den Rheinpakt in rechtlicher Hinsicht belastete, war der Zusammenhang zwischen Locarnopakt und Völkerbund, mit dem sich das Auswärtige Amt vor dem 14. Oktober 1933 kaum beschäftigt hatte249 , der sich aber ab Herbst 1935 verhängnisvoll auf die Pläne Bülows auswirken konnte. Dabei ging es um die Frage, ob der Rheinpakt nach dem deutschen Austritt überhaupt noch gültig war. Wäre dies nicht der Fall, so Kamphoevener in einer Aufzeichnung vom 21. Oktober 1933, wäre der Rheinpakt „kein politisch brauchbares Instrument“ mehr250 . Auch der deutsche Botschafter in London, der sich einige Tage zuvor direkt an Gaus gewandt hatte, wollte wissen, wie es um den Locarnopakt stünde, da dieser eng mit der Völkerbundssatzung verknüpft war. Hoesch dachte dabei vor allem an den Artikel 10 des Rheinpaktes, der das Inkrafttreten des Paktes vom deutschen Beitritt zum Völkerbund abhängig machte. Galt dies, so griff Hoesch die Gedankenspiele deutscher Völkerrechtler auf, auch andersherum251 ? Wenige Tage später erstellte Kamphoevener eine Liste mit Stichworten für eine geplante Ressortbesprechung am 24. Oktober. Hier war Locarno ebenfalls ein Thema. Der Austritt aus dem Völkerbund, schrieb Kamphoevener, habe große Auswirkungen auf den Rheinpakt, denn die 249

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Wenige Tage vor dem Austritt aus dem Völkerbund soll Hitler den Rechtsexperten Gaus beauftragt haben, ein Memorandum über mögliche Rückwirkungen des deutschen Ausscheidens anzufertigen; ob darin auch vom Rheinpakt die Rede war, ist unbekannt, vgl. J. W. Wheeler-Bennett: The Pipe Dream of Peace, New York 1971, S. 180. Aufzeichnung Kamphoevener, Berlin, 21. 10. 1933, PA AA, R 97124. Hoesch an Gaus, London, 17. 10. 1933, PA AA, R 53941.

4.2 Die Rückwirkungen des Völkerbundsaustritts auf den Rheinpakt

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Kronjuristen der Gegenseite könnten behaupten, dass der Vertrag nach Ablauf der zweijährigen Frist, wenn der Austritt gemäß Artikel 1 Absatz 3 der Völkerbundssatzung rechtskräftig würde, erledigt wäre. Locarno, so Kamphoevener, wäre dann politisch am Ende252 . Die Antwort, die die Experten des Auswärtigen Amtes fanden, war unmissverständlich. Auch wenn der Wortlaut nicht eindeutig sei, urteilte Bülow am 14. Oktober 1933, sei es „objektiv schwerlich zu verneinen“, dass der Rheinpakt durch den deutschen Auszug aus Genf hinfällig geworden sei253 . Ganz in diesem Sinne beschied Bülow kurze Zeit später den Generalstabschef. Die Bemerkungen des französischen Außenministers, Locarno sei voll gültig, so Bülow, seien „wider besseren Wissens“ erfolgt254 . Das Funktionieren des Locarnopaktes, so schrieben Bülow und Gaus einige Monate darauf in einer gemeinsamen Aufzeichnung, setze zwingend die Zugehörigkeit zum Völkerbund voraus255 , was sich auf die Bestimmungen des Artikels 4 des Rheinpaktes bezog, wonach jeder Verstoß gegen den Rheinpakt vor den Völkerbundsrat zu bringen war. Als Nichtmitglied war das Deutsche Reich bei einem Völkerbundsverfahren zwei Handicaps ausgesetzt. Erstens konnte Berlin im Fall einer Aggression durch einen anderen Staat nicht ohne weiteres vor den Völkerbundsrat ziehen256 . Zweitens fanden die Instrumente der Streiterledigung der Völkerbundssatzung erst auf Deutschland Anwendung, nachdem das Land gemäß Artikel 17 der Völkerbundssatzung geladen wurde257 . In dieser Situation traten die deutschen Diplomaten die Flucht nach vorne 252 253

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Aufzeichnung Kamphoevener, Berlin, 21. 10. 1933, ebenda. Auch Gaus urteilte rückblickend: „Vom Rechtsstandpunkt aus wurde das Locarnowerk schon dadurch gesprengt, dass Hitler im Herbst 1933 (. . . ) den Entschluss zum Austritt aus dem Völkerbund fasst[e]. Der Mechanismus des Rheinpakts von Locarno war ganz in den Mechanismus des Völkerbundes eingebaut und von der Mitgliedschaft Deutschlands im Völkerbund abhängig. Der Pakt konnte, sobald Deutschland aus dem Völkerbund austrat, nicht mehr funktionieren.“ Zit. bei Stuby: Gaus, S. 333. Eine andere Meinung vertritt F. Berber: Sicherheit und Gerechtigkeit. Eine gemeinverständliche Einführung in die Hauptprobleme der Völkerrechtspolitik, Berlin 1934, S. 105. BDFA, II, F, Bd. 21, Nr. 2, S. 17; Bülow an Beck, Berlin, 15. 11. 1933, BA-MA, RH 2/98. Aufzeichnung Bülow und Gaus, Berlin, März 1935, PA AA, BA 60960. Aus demselben Grund hatte Belgien in den zwanziger Jahren versucht, einen ständigen Ratssitz für sich zu erhalten, um stets an den Locarnositzungen teilnehmen zu können, DDB, Bd. II, Nr. 122, S. 355f., Nr. 162, S. 454–457, Nr. 163, S. 458f., Nr. 164, S. 459f. u. Nr. 165, S. 460f.; DBFP, 1a. Serie, Bd. IV, Nr. 38, S. 85. Vgl. Bam: Genf, S. 63. Aber auch in dem Fall, dass ein solches Verfahren zu Stande kam, war es unwahrscheinlich, dass der Völkerbund zu Gunsten Deutschlands entschied oder die Völkerbundsmitglieder ihre Mittel gegen ein Bundesmitglied zu Gunsten eines Nichtmitglieds einsetzten. Man denke etwa an den Artikel 10 der Völkerbundssatzung, in dem sich die Angehörigen der Staatenliga verpflichteten, die „Unversehrtheit des Gebietes und die bestehende politische Unabhängigkeit aller Bundesmitglieder“ gegen einen Angriff von außen zu verteidigen.

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

an. Es gelang ihnen in den nächsten Wochen und Monaten nicht nur, zu verhindern, dass sich die Westmächte von Locarno lossagten, sondern sie nahmen die rechtliche Unklarheit als Ausgangspunkt für ein außenpolitisches Manöver, um durch die abermalige Anerkennung Locarnos London und Paris zu Konzessionen in der Sicherheitsfrage zu bewegen. In der für den 24. Oktober 1933 anberaumten Ressortbesprechung, auf der die Details des deutschen Völkerbundsaustritts geklärt werden sollten, kam die Frage nach der Gültigkeit des Rheinpaktes gar nicht zur Sprache258 . Auch Gaus ließ in seiner Antwort an Hoesch vom 30. Oktober keinerlei Zeichen der Nervosität erkennen. Kaltblütig zeigte er zwei Szenarien auf, wie die Haltung der deutschen Politik zu Locarno künftig ausschauen könne259 . Einerseits, so Gaus, seien die Garantien des Rheinpaktes in den Rahmen des Völkerbundes eingebaut, woraus sich ohne Weiteres ableiten ließe, dass der Locarnopakt am Ende sei. Andererseits sage der Artikel 10 des Rheinpaktes nichts über ein Außerkrafttreten des Paktes, wenn Deutschland aus dem Völkerbund ausscheide. In diesem Fall, so Gaus, sei das Funktionieren des Rheinpaktes so lange gesichert, wie das Reich formelles Mitglied in Genf war (bis Oktober 1935). Die Rechtslage, meinte Gaus, lasse für beide Standpunkte Raum260 . Die politische Führung müsse entscheiden, ob sie ein Interesse an den Sicherungen der Artikel 2 und 4 des Rheinpaktes habe oder sich von den Bindungen des Rheinpaktes, d. h. den Bestimmungen der entmilitarisierten Zone, lossagen möchte. Diese Entscheidung, so schloss Gaus seine „persönlichen Gedanken“ ab, brauche man nicht ohne zwingende Notwendigkeit dem Ausland bekanntgeben. Damit formulierte Gaus genau jene Doppelstrategie, die das Auswärtige Amt in den nächsten Monaten in Bezug auf den Rheinpakt praktizierte. Zwei Umstände begünstigten die Taktik des Auswärtigen Amtes. Zum einen war die „Entscheidung der höchsten Stelle“261 , die Gaus in seinem Schreiben verlangt hatte, ausgeblieben. Während Hitler die Parole ausgab, die Bestimmungen der entmilitarisierten Zone zu beachten, wollte er sich nicht festlegen, ob er auch den Locarnopakt halten wolle oder nicht262 , und so hatte das Auswärtige Amt 258 259 260

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Aufzeichnung über die Ressortbesprechung am 24. Oktober, Berlin, 27. 10. 1933, PA AA, R 97124; Runderlass des Auswärtigen Amtes, Berlin, 18. 10. 1933, ebenda. Gaus an Hoesch, Berlin, 30. 10. 1933, PA AA, R 53941. In Berlin erzählten sich die Diplomaten den Witz, Gaus könne sowohl behaupten, Locarno sei hinfällig, als auch den Standpunkt vertreten, der Rheinpakt sei vom Austritt aus dem Völkerbund unberührt, Phipps an Simon, Berlin, 22. 11. 1933, DBFP, 2. Serie, Bd. VI, Nr. 67, S. 110f.; Kerchove an Hymans, Berlin, 17. 11. 1933, DDB, Bd. III, Nr. 82, S. 238– 242. PA AA, R 53941. Noch am 20. Dezember 1933 erklärte Gaus dem polnischen Botschafter, der deutsche Austritt treffe durchaus den Rheinpakt von Locarno. Der Vertrag sei aber bindend, weil das Reich noch zwei Jahre formelles Mitglied im Völkerbund sei. Gaus schloss Modifi-

4.2 Die Rückwirkungen des Völkerbundsaustritts auf den Rheinpakt

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freie Hand, eine Strategie umzusetzen, die darauf abzielte, gerade aus der rechtlichen Unklarheit politisches Kapital zu schlagen. Zum anderen waren die anderen Locarnomächte zu der Überzeugung gekommen, dass der Rheinpakt nach wie vor in Kraft sei. In London hatte der deutsche Völkerbundsaustritt enorme Auswirkungen auf die Locarnostrategie, was daran abzulesen ist, wie schwer sich London damit tat, seine Position den neuen Umständen anzupassen. Die Taktik Londons, Europa ohne eigenes Commitment zu befrieden, indem die ehemaligen Weltkriegsgegner ihre Streitigkeiten im Völkerbund bereinigten, war gescheitert. Sicherheit vor Deutschland konnte es jetzt nur noch durch vertragliche Verständigung mit dem Reich oder durch Absprachen unter Deutschlands Gegnern geben. Um sich diese Tatsachen nicht eingestehen zu müssen, hielten die britischen Diplomaten an der Fiktion fest, Deutschland sei ja für weitere zwei Jahre formelles Mitglied im Genfer Bund und werde ohnehin bald dorthin zurückkehren263 , weshalb Änderungen an der britischen Deutschlandpolitik nicht notwendig seien. Es gab aber auch Stimmen, die sich dafür aussprachen, endlich den Realitäten ins Auge zu blicken. Vor dem Hintergrund der scharfen Pressekampagne der Beaverbrook-Rothermere-Presse264 plädierten sie für eine Revision Locarnos. Der Rheinpakt von Locarno sei unter Bedingungen gezeichnet worden, die nicht länger Geltung besäßen, schrieb Lord Lothian in einem Artikel für den Round Table, heute sei England unter Locarno gezwungen, einen Krieg zu führen, der nicht den britischen Interessen entspräche. Es könne nicht sein, so führte er als Beispiel an, dass England gegen Frankreich in den Krieg ziehen müsse, weil Paris in einem Konflikt mit Deutschland als erster die entmilitarisierte Zone besetzt habe265 . Auch Churchill machte sich dafür stark, die Haltung zu Locarno zu überdenken, weil die Aufrüstung Deutschlands eine neue Situation geschaffen habe. Als Hebel wollte er den Artikel 10 des Rheinpaktes ansetzen, der das Inkrafttreten Locarnos an den Beitritt Deutschlands zum Völkerbund koppelte. Dabei müsse es das Ziel Englands sein, das Ausmaß

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kationen an Locarno nicht aus, meinte aber, dies sei eine Frage der allgemeinen Politik, Lipski an Beck, Berlin, 20. 12. 1933, Lipski: Diplomat, Nr. 19, S. 115–117. Ovey an Hymans, Brüssel, 7. 11. 1933, DDB, Bd. III, Nr. 79, S. 232f. Vgl. auch die Ergebnisse der Kabinettssitzung vom 6. November 1933 in: TNA, CAB 23/77. Vgl. H. S. Rothermere: Warnungen und Prophezeiungen, Zürich 1939, S. 16ff.; Telegramm Corbin, London, 13. 10. 1933, AMAEE, Série Z, Grande-Bretagne, Bd. 295, 296 u. 297; DDB, Bd. III, Nr. 63, S. 197f.; Weisung an die Presse, 19. 9. 1933, NS-Presseanweisungen, Bd. 1, S. 121; vgl. ferner A. J. P. Taylor: Beaverbrook, London 1972. Lord Lothian: The Recoil from Freedom, in: Round Table 91 (1933), S. 477–496.

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

der britischen Verpflichtungen zu begrenzen und die Freiheit des Handelns in der Hand zu halten266 . Vor diesem Hintergrund entwarf die britische Regierung ihren Standpunkt zum Rheinpakt. Gleich nach dem deutschen Austritt urteilten die Rechtsexperten des Foreign Office, die Gültigkeit des Rheinpaktes sei durch den deutschen Schritt nicht tangiert267 . Immerhin, so ergänzte eine Denkschrift des Foreign Office vom 30. Oktober 1933, habe Baldwin erst kürzlich, in einer Rede am 6. Oktober, feierlich erklärt, Großbritannien stehe zu den Verpflichtungen des Rheinpaktes268 . Doch es gab auch Zweifel. Eine Vorlage für das Kabinett vom 20. Oktober gestand zwar zu, dass der Artikel 1 des Rheinpaktes unberührt bleibe, und zudem der Artikel 17 der Völkerbundssatzung es erlaube, Nichtmitgliedern (lies: Deutschland) die Teilnahme an einem Völkerbundsverfahren (lies: Locarnoverfahren) zu ermöglichen, gab aber auch zu bedenken, ob der deutsche Auszug aus dem Genfer Bund nicht ein derartig unerwartetes Ereignis sei, durch welches entweder der Pakt in toto automatisch beendet werde oder es zumindest einem Kontrahenten erlaube, den Pakt zu „kündigen“, weil er nicht mehr anwendbar sei269 . Angesichts solcher Gedankenspiele wollte sich Simon nicht allein auf die Expertisen seines Ministeriums verlassen, sondern sah sich gezwungen, die Frage der Rückwirkungen des deutschen Austritts auf den Locarnopakt den Law Officers of the Crown zur Entscheidung vorzulegen. Nur ihre Stimme, so Simons Kalkül, besäße so viel Gewicht im Land, dass die Locarnokritiker verstummen würden. Am 1. November 1933 übermittelte Wigram den Kronjuristen die Frage, ob der deutsche Austritt aus dem Völkerbund den Locarnopakt beträfe, und bat sie insbesondere darauf einzugehen, ob Locarno automatisch enden könne, wie manche Politiker behaupteten. Der Briefwechsel Simons und Wigrams, den die beiden mit den Kronjuristen führten, legt die britischen Intentionen in der Locarnofrage offen. Simon, der sogar Austen Chamberlain, dessen Wort in allen Locarnofragen Geltung besaß, um Rat fragte270 , traf sich am 2. November mit Inskip, einem Mitglied der Kronjuristen, um 266

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Rede Churchill, 23. 3. 1933, W. S. Churchill: While England slept. A survey of World Affairs 1932–1938, with a preface and notes by R. S. Churchill, New York 1938, S. 47–56; Corbin an Paul-Boncour, London, 23. 10. 1933, DDF, 1. Serie, Bd. IV, Nr. 355, S. 632–634. Vgl. die Gutachten Malkins und Becketts in: TNA, FO 371/16741. Foreign Office Memorandum, London, 30. 10. 1933, ebenda; vgl. Bennett: Rearmament, S. 473. TNA, CAB 24/243. Wilson an Simon, London, 3. 11. 1933, TNA, FO 800/288. Chamberlain schrieb seiner Schwester, Simon habe ihn gefragt, ob Locarno durch den deutschen Austritt aus dem Völkerbund berührt sei. Chamberlain habe ihm daraufhin gesagt, es sei unhaltbar zu behaupten, Locarno sei unwirksam geworden, während man durchaus vertreten könne, London sei seiner Pflichten gegenüber Deutschland ledig. Die beste Politik sei zweifellos, das hätten auch Simon und Eden so gesehen, von der Weitergeltung des Vertrages auszugehen, Chamberlain an Hilda, London, 11. 11. 1933, Chamberlain: Letters, S. 453. Vgl.

4.2 Die Rückwirkungen des Völkerbundsaustritts auf den Rheinpakt

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ihm seine Sicht der Dinge zu schildern. Aufgebracht über „this perplexing Locarno question“ schärfte er Inskip ein, wie dringend die Frage sei, und erklärte ihm, die Antwort müsse um jeden Preis positiv ausfallen. Jeder Zweifel an Locarno, so Simon, sei geeignet, den ausbalancierten Charakter des Vertrages zu stören. Das hätte zur Folge, dass Deutschland weiter aufrüsten würde, weil es sich nur auf die Sicherung durch Waffen verlassen würde; Frankreich würde wieder näher an Polen rücken, und innenpolitisch wären Vorbehalte gegen den Pakt Wind in den Segeln derer, die ein Ende Locarnos forderten271 . Wigram wurde noch deutlicher. Die britischen Verpflichtungen gegenüber Deutschland, so schrieb er am 2. November 1933, seien nach dem Austritt schwerer umzusetzen als gegenüber Frankreich und Belgien. Damit habe Deutschland die britische Last vergrößert und könne schlecht erwarten, dass England in einem Krieg zu seinen Gunsten eingriff. Allerdings könne man nicht daraus folgern, dass die britischen Verpflichtungen gegenüber dem Reich automatisch beendet seien, denn dann sei nicht nur der Artikel 8 des Rheinpaktes umgangen, sondern auch der gegenseitige Charakter Locarnos zerstört272 . Das alles klang nicht ermutigend und die Befürworter Locarnos schienen an Boden zu verlieren, als ein Memorandum Sargents, das er dem Außenminister am 3. November übermittelte, den Ausschlag gab, an Locarno festzuhalten. In der Denkschrift malte er, ohne auf die rechtlichen Spitzfindigkeiten einzugehen, ein düsteres Bild einer möglichen britischen „Kündigung“ des Locarno-Rheinpaktes273 . Ein solcher Schritt, so Sargent, käme dem vollständigen Rückzug Londons aus der europäischen Sicherheitspolitik gleich. Seiner Meinung nach habe die britische Politik mit Locarno vier Ziele verfolgt: Einen deutsch-französischen Krieg verhindern; die internationale Abrüstung ermöglichen; den Völkerbund stärken; und schließlich die belgische Unabhängigkeit, die ein vitales britisches Interesse sei, absichern. Dieses ganze Konzept würde bei einem britischen Rückzug zusammenfallen wie ein Kartenhaus. Denn damit würde sich London an der Existenz der entmilitarisierten Zone desinteressieren, die doch das Hauptbollwerk der belgischen Unabhängigkeit bildete. Letzte verbleibende Schutzmacht Belgiens wäre Frankreich, das nach dem Ausfall Englands auch seine Beziehungen zu Polen intensivieren würde. Die Folgen dieser Entwicklung, so Sargent, konnten nur eine deutsch-französische Verständigung oder eine französisch-

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auch A. Chamberlain: Englische Politik. Erinnerungen aus fünfzig Jahren, dt. Ausg. hg. v. F. Pick, mit einem Geleitwort von N. Chamberlain, Essen 1938, S. 662–683. Simon an Inskip, London, 2. 11. 1933, TNA, FO 800/288; vgl. auch M. Cowling: The Impact of Hitler. British Politics and British Policy 1933–1940, London 1975, S. 72. Wigram an die Law Officers of the Crown, London, 2. 11. 1933, TNA, FO 371/16741. Sargent an Simon, London, 3. 11. 1933, ebenda.

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

sowjetische Annäherung sein, beides Kombinationen, an denen die britische Regierung keine Möglichkeit zur Mitsprache bekäme274 . Der Bericht, den die Kronjuristen am 3. November 1933 vorlegten275 , lag zur Erleichterung aller Beteiligten ganz auf der Linie des Foreign Office276 . Die Auswirkungen des deutschen Austritts aus dem Genfer Bund auf den Locarnopakt seien schwer zu bestimmen, so lassen sich die Ergebnisse des Gutachtens zusammenfassen, aber ein automatisches Ende aller Locarnoverpflichtungen komme mit Sicherheit nicht in Frage. Anders verhalte es sich mit den Verpflichtungen Londons gegenüber Berlin. Wenn Deutschland erklären sollte, nicht mehr an Locarno gebunden zu sein, habe England das Recht, vom Vertrag zurückzutreten277 . Dies sei aber nicht eine juristische Frage, sondern eine politische Entscheidung278 . Mit dem Urteil der Juristen in der Tasche erschien Simon am 6. November zum Vortrag im Kabinett und verkündete, Locarno sei weiterhin voll gültig279 . Anschließend verabschiedete das Kabinett eine Stellungnahme der Regierung, die der Schatzkanzler bereits am 2. November 1933 eingebracht hatte280 . Demnach sei die britische Regierung überzeugt, der deutsche Schritt vom 14. Oktober habe keine Auswirkungen auf die Geltung Locarnos oder die Vertragspflichten der einzelnen Parteien; freilich sei das endgültige Ausscheiden Deutschlands aus dem Völkerbund (nach Verstreichen der zweijährigen Frist) ein Ereignis mit so weit reichendem Charakter, dass die Folgen heute noch nicht abzusehen wären. Diese Formel war auch Bestandteil der Erklärung, die Simon am 7. November vor dem britischen Unterhaus abgab. Die britische Regierung, so Simon, habe nicht die Absicht, den Vertrag von Locarno zu „kündigen“, dessen Rolle „als Beitrag zur Stabilisierung Europas“ sei noch nicht ausgespielt281 . Auch in Paris war man überzeugt, Locarno sei trotz des deutschen Rückzugs aus Genf juristisch gültig. In einer Einschätzung des Rechtsberaters am Quai d’Orsay, Basdevant, vom 20. Oktober 1933 hieß es, die „Kündigung“ Locarnos sei im Artikel 8 des Rheinpaktes abschließend geregelt. Der Rheinpakt sei zwar auf vielfältige Weise mit dem Völkerbund verwoben, aber auch nach dem

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Ebenda. In einer Aufzeichnung vom 4. November 1933 drückte Malkin seine volle Übereinstimmung mit dem Bericht der Kronjuristen aus, TNA, FO 371/16741. Das ganze Material in: TNA, FO 834/42. In so einem Fall, das ergab eine Unterredung zwischen Chamberlain und Eden, wolle England den Völkerbund anrufen, Chamberlain an Ida, Chartwell, 22. 10. 1933, Chamberlain: Letters, S. 450. Bericht der Law Officers of the Crown, London, 3. 11. 1933, TNA, FO 371/16741. TNA, CAB 23/77. Entwurf einer Erklärung, 2. 11. 1933, ebenda. Unterhauserklärung Simon, 7. 11. 1936, Berber: Locarno, Nr. 22, S. 87.

4.2 Die Rückwirkungen des Völkerbundsaustritts auf den Rheinpakt

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deutschen Austritt voll anwendbar282 . Massigli, dem diese Ausführungen wohl etwas zu vage waren, bat um Präzisierung, worauf Basdevant am 4. November eine weitere Denkschrift vorlegte283 . Darin beharrte er auf dem Standpunkt, dass die „Kündigung“ Locarnos durch Artikel 8 des Rheinpaktes erschöpfend geregelt sei. Der Austritt eines Signatars aus dem Völkerbund sei daher kein Kündigungsgrund und sei in Analogie zu Artikel 3 des türkisch-irakischen Vertrages von 1923 zu handhaben. Danach sollte eine Streitfrage (damals ging es um die Grenzziehung zwischen der Türkei und dem Irak) in gütlicher Übereinkunft zwischen den Parteien gelöst werden. Sollte dies nicht innerhalb der üblichen Fristen möglich sein, käme die Frage vor den Völkerbund. Ein Ende Locarnos auf Grund nicht durchgeführter Abrüstungsmaßnahmen lehnte Basdevant ebenfalls ab. Die betreffenden Ausführungen der Präambel des Schlussprotokolls von Locarno seien lediglich als moralische Verpflichtung anzusehen284 . Die französischen Diplomaten hatten zwei Gründe, an der Gültigkeit Locarnos festzuhalten. Erstens fürchtete man in Paris, dass Deutschland nach dem Rückzug aus den Rüstungsgesprächen sofort daran gehen würde, die Abschaffung der entmilitarisierten Zone zu betreiben. Aus Sicht der Franzosen zielte der Vorschlag Hitlers, einen bilateralen Nichtangriffspakt abzuschließen, genau hierhin285 . Der Rheinpakt von Locarno war, nachdem Daladier im September bei dem Versuch, neue Garantien für die entmilitarisierte Zone herauszuschlagen, gleich dreimal Schiffbruch erlitten hatte286 , das letzte Bollwerk, das die Deutschen daran hinderte, ihre Westgrenze zu befestigen. Der zweite Grund für die Chefplaner im Quai d’Orsay, an Locarno festzuhalten, war die Absicht, die Mechanismen des Vertrages politisch anzuwenden. Um die unkalkulierbaren Folgen wissend, die die Präventivkriegspläne

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Aufzeichnung Basdevant, Paris, 20. 10. 1933, DDF, 1. Serie, Bd. IV, Nr. 335, S. 608f. Aufzeichnung Basdevant, Paris, 4. 11. 1933, AMAEE, Série Relations multilatérales, Service français de la Société des Nations, Bd. 755; Runderlass Paul-Boncour, Paris, 8. 11. 1933, DDF, 1. Serie, Bd. IV, Nr. 411, S. 730f. Ebenda. P.-E. Flandin: Politique Française 1919–1940, Paris 1949, S. 69; Wheeler-Bennett: Dream, S. 194. Zunächst bei den französisch-britischen Gipfeltreffen am 18. und 22. September 1933, in deren Verlauf Baldwin immerhin versprach, die Sache im Kabinett zu beratschlagen. Die endgültige Absage kam am 26. September 1933, als der französische Delegierte Massigli, der wieder wegen der Rheinlandzone anfragte, kurzerhand von Cadogan abgebügelt wurde, es werde keinen automatischen Beistand und auch keine neuen Prozeduren geben, denn Locarno sei kompliziert genug, DDF, 1. Serie, Bd. IV, Nr. 227, S. 384f., Nr. 240, S. 406–408, Nr. 260, S. 446ff. u. Nr. 261, S. 454–465; DBFP, 2. Serie, Bd. V, Nr. 399, S. 600ff., Nr. 406, S. 612ff. u. Nr. 413, S. 637–639; Tagebuch Weygand, 25. 9. 1933, Guelton: Weygand, S. 301f.

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

Weygands und Gamelins287 für Europa haben würden, arbeitete man in den französischen Studierstuben an einer geschmeidigeren Lösung. Zwei Wege erschienen aussichtsreich. Ausgangspunkt der ersten Überlegung war das Recht Frankreichs aus Artikel 2 des Rheinpaktes, bei einer Verletzung der Bestimmungen der entmilitarisierten Zone selbstständig gegen Deutschland vorgehen zu dürfen, was sich Paris im September 1933 ausdrücklich von London bestätigen ließ288 . Ein solcher Schritt wäre kein Präventivkrieg, sondern die Reaktion auf eine deutsche Verfehlung und damit vom Völkerrecht gedeckt. Der andere Weg ging dahin, die Ständige Vergleichskommission anzurufen, die der deutsch-französische Schiedsvertrag von 1925 eingerichtet hatte289 . Hier, so das französische Kalkül, könnten alle Verstöße gegen die Versailler Rüstungsbestimmungen, und nicht nur diejenigen gegen die entmilitarisierte Zone, zum Gegenstand eines Verfahrens gemacht werden, vorausgesetzt Deutschland stimmte zu, ein Verfahren gegen sich einzuleiten. Zwingende Voraussetzung für beide Verfahrensweisen, das stellten die Rechtsexperten des Quai d’Orsay klar, waren eindeutige Beweise für deutsche Verstöße gegen die Artikel 42 und 43 bzw. gegen Teil V des Versailler Vertrages. Ihrer Ansicht nach waren Beweise, die vor einem internationalen Tribunal standhielten, nur über ein Investigationsverfahren gemäß Artikel 213 des Versailler Vertrages zu beschaffen. Hier kam London ins Spiel. Um ein Verfahren einzuleiten, war die britische Zustimmung notwendig, wollte man politisch auf der sicheren Seite stehen290 . Aus den Entwicklungen in London und Paris zogen die deutschen Diplomaten die Schlussfolgerung, dass Frankreich und England den Rheinpakt auch nach dem deutschen Austritt aus dem Völkerbund für voll rechtskräftig hielten291 , obwohl die Expertisen Bülows und Gaus’ gerade das Gegenteil ergeben hatten292 . „Die Frage bleibt offen“, meinte Neurath, „was passiert, wenn Deutschlands Austritt rechtskräftig wird.“293 Die Debatte zeige jedoch, so die Sprachregelung Neuraths vom 27. November 1933, dass London und Paris „über die Grundgedanken Locarnos hinweg nicht geneigt sind, abenteuerliche 287 288 289 290 291

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DDI, 7. Serie, Bd. XIV, Nr. 145, S. 154–156; DBFP, 2. Serie, Bd. V, Nr. 508, S. 732–737. Vgl. Wollstein: Revisionismus, S. 230. Köster an das Auswärtige Amt, Paris, 19. 9. 1933, PA AA, R 32040. Aufzeichnung Basdevant, Paris, 21. 11. 1933, DDF, 1. Serie, Bd. V, Nr. 39, S. 70–73; Aufzeichnung Basdevant, Paris, 4. 1. 1934, ebenda, Nr. 194, S. 405–407. Fouques-Duparc an Paul-Boncour, Paris, 12. 1. 1934, ebenda, Nr. 226, S. 456f.; vgl. auch Aufzeichnung Hankey, London, 21. 3. 1934, TNA, CAB 24/248. Hoesch an das Auswärtige Amt, London, 8. 11. 1933, PA AA, R 32233; Runderlass Frohwein, Berlin, 11. 11. 1933, ebenda; Köster an das Auswärtige Amt, Paris, 16. 11. 1933, ebenda; Köster an das Auswärtige Amt, Paris, 16. 11. 1933, PA AA, R 70512; Köster an das Auswärtige Amt, Paris, PA AA, R 32238; Die deutsche Gesandtschaft in Brüssel an das Auswärtige Amt, Brüssel, 19. 3. 1934, ebenda. Bülow an Beck, Berlin, 15. 11. 1933, PA AA, R 29470; BA-MA, RH 2/98. Aufzeichnung Neurath, Berlin, 27. 11. 1933, AdR Hitler, Bd. I, 2, Nr. 256, Anlage, S. 981.

4.2 Die Rückwirkungen des Völkerbundsaustritts auf den Rheinpakt

199

Aktionen gegen Deutschland zu starten“294 , und allen Zweifeln zum Trotz bereit waren, am Rheinpakt festzuhalten. Damit eröffnete sich die Möglichkeit, dass Frankreich und England bereit sein könnten, einen politischen Preis für die deutsche Anerkennung der Gültigkeit Locarnos zu bezahlen. Dies bildete die Folie des diplomatischen Doppelspiels, das die Deutschen jetzt kunstvoll inszenierten. Einerseits war das Auswärtige Amt bereit, die „materiellen Regeln“ des Rheinpaktes – gemeint war die Nichtangriffsverpflichtung – zu halten295 , und verkündete, die Reichsregierung fühle sich an Locarno gebunden296 , andererseits schwärmten die deutschen Diplomaten aus und erklärten, das Amt sei „unsicher“, was die Anwendung der Artikel 15 und 16 der Völkerbundssatzung auf das Reich beträfe297 . So erklärte Köpke dem belgischen Gesandten am 19. Oktober 1933, der Rheinpakt sei durch die erledigte Mitgliedschaft im Völkerbund „caduc“ geworden, aber Hitler und Neurath wären entschlossen, am Rheinpakt festzuhalten298 . In einer weiteren Unterredung am 17. November versicherte Köpke, Deutschland denke nicht an die „Kündigung“ Locarnos, halte aber an dem Wunsch fest, einige Artikel des Rheinpaktes zu „polieren“. Hierbei könne es sich um Richtigstellungen in der Redaktion handeln, so erklärte er Kerchove, während die Prinzipien des Paktes erhalten bleiben würden299 . Und Neurath erklärte dem britischen Lordsiegelbewahrer, als dieser im Februar 1934 auf seiner Europareise in Berlin Station machte, Deutschland stehe zu Locarno, es könne aber sein, dass einige technische Veränderungen notwendig würden, „when Germany had ceased to be a member of the League under two years hence“300 , aber Eden war vorsichtig genug, um darauf nicht einzugehen301 . 294 295 296

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Ebenda; Bülow an Beck, Berlin, 15. 11. 1933, PA AA, R 29470. Runderlass Neurath, Berlin, November 1933, PA AA, NL Renthe-Fink, Bd. 7. So die Äußerungen Hitlers gegenüber Poncet am 24. November und Phipps am 8. Dezember, ADAP, C, Bd. II, 1, Nr. 107, S. 185f.; DDF, 1. Serie, Bd. V, Nr. 52, S. 104ff.; DBFP, 2. Serie, Bd. VI, Nr. 79, S. 123–125. Zum Urteil der zeitgenössischen Literatur vgl. auch A. Grabowsky: Deutschlands Austritt aus dem Völkerbund und die Abrüstungsfrage, in: R. Schmidt/Ders. (Hg.): Deutschlands Kampf um die Gleichberechtigung. Tatsachen und Probleme über Abrüstung und Gleichberechtigung 1933/34, Berlin 1934, S. 43–57. Runderlass Neurath, Berlin, November 1933, PA AA, NL Renthe-Fink, Bd. 7; Bülow an Beck, Berlin, 15. 11. 1933, BA-MA, RH 2/98. Vgl. auch Köster an das Auswärtige Amt, Paris, 28. 1. 1934, PA AA, R 32236. Kerchove an Hymans, Berlin, 19. 10. 1933, DDB, Bd. III, Nr. 64, S. 198–201. Kerchove an Hymans, Berlin, 17. 11. 1933, ebenda, Nr. 82, S. 238–242. Aufzeichnung Eden, Berlin, 20. 2. 1934, BDFA, II, J, Bd. 5, Nr. 208, S. 252. In der Vorlage, die die Politische Abteilung des Auswärtigen Amtes für die Besprechungen mit Eden fertigte, hieß es: „Wir haben Locarno nie in Zweifel gezogen (. . . ), es sei aber zu prüfen, ob die Verträge nicht in juristisch-technischer Hinsicht zu modifizieren seien (ohne Tragweite abzuschwächen), da ihr Funktionieren vielfach auf die Mitwirkung der Völkerbundsorgane abgestellt ist.“ Aufzeichnung, o. V., Berlin, 18. 2. 1934, PA AA, R 32236. DDF, 1. Serie, Bd. V, Nr. 419, S. 789f.

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

In einer Vorlage des Außenministeriums vom 11. Dezember 1933, die der Vorbereitung des Deutschlandbesuchs des Unterstaatssekretärs im italienischen Außenamt, Suvich, diente, wurde die deutsche Haltung prägnant zusammengefasst. Wenn sich Suvich für die Gültigkeit Locarnos interessiere, so lautete die Aufzeichnung, solle man ausweichend antworten. Das Problem der Gültigkeit Locarnos werde erst in zwei Jahren akut, wenn Deutschland endgültig aus dem Völkerbund ausscheiden werde, bis dahin werde die deutsche Führung nichts unternehmen, was den Rheinpakt verletzen könnte302 , was sich natürlich auf die Bestimmungen der Rheinlandzone bezog. Zusätzlich zu der Frage, welche Rückwirkungen der Auszug aus Genf auf den Rheinpakt hätte, deuteten die Deutschen bei jeder sich bietenden Gelegenheit an, dass auch die Nichtangriffspakte, die Hitler nach dem 14. Oktober immer wieder vorschlug, rechtliche Rückwirkungen auf den Locarnopakt haben könnten. So wies das deutsche Memorandum vom 18. Dezember 1933 auf die Möglichkeit hin, dass der Inhalt der Nichtangriffspakte, die Deutschland mit seinen Nachbarn zu schließen bereit sei, die Bestimmungen des Rheinpaktes tangieren könnte. Dies, so die Denkschrift, sei eine „juristisch-technische Frage, die der späteren Einzelverhandlung vorbehalten bleiben kann“303 . Dies zielte nach Lage der Dinge auf zwei Fälle. Der erste Fall betraf den möglichen Abschluss von Nichtangriffsverträgen mit Frankreich und Belgien. Das Reich war gegenüber diesen Staaten bereits durch die Nichtangriffsverpflichtung des Rheinpaktes gebunden, eine neuerliche Verpflichtung schien daher überflüssig. Hier kam nun die „Unsicherheit“, die das Auswärtige Amt hinsichtlich der Auswirkungen des Völkerbundsaustritts auf den Locarnopakt plagte, ins Spiel. Da die Verpflichtungen Locarnos durch den Auszug in Mitleidenschaft gezogen sein könnten, so versuchte man den Franzosen und Belgiern einzureden, böte sich mit einem Nichtangriffspakt die Möglichkeit, diese Verpflichtungen zu erneuern und zu bekräftigen, indem man alle Verbindungen zum Völkerbund aus den Texten strich. So wären zweiseitige Verträge mitnichten eine Schwächung, sondern eine Bestätigung Locarnos304 . Am deutlichsten formulierte das Auswärtige Amt diesen Gedanken in einem Memorandum vom 13. März 1934. Die angebotenen Nichtangriffspakte, so hieß es da, seien nicht dazu da, den Locarnopakt abzuschwächen. Gedacht sei lediglich an „juristischtechnische Modifikationen“, um das Funktionieren Locarnos zu sichern, ohne den politischen Gehalt zu ändern305 . Der zweite Fall drehte sich um den Pakt mit Polen. Am 15. November 1933 302 303 304 305

Aufzeichnung, o. V., Berlin, 11. 12. 1933, BAK, ZSg 133/110. Berber: Diktat, Bd. 2, Nr. 410, S. 1105; DDF, 1. Serie, Bd. V, Nr. 154, S. 298–300. François-Poncet an Paul-Boncour, Berlin, 17. 12. 1933, DDF, 1. Serie, Bd. IV, Nr. 149, S. 290. Ursachen und Folgen, Bd. X, Nr. 2333 c, S. 68f.; BDFA, II, J, Bd. 5, Nr. 260, S. 308.

4.2 Die Rückwirkungen des Völkerbundsaustritts auf den Rheinpakt

201

fand eine Unterredung statt, bei der Hitler und der polnische Botschafter vereinbarten, künftig auf Gewalt zwischen ihren Staaten zu verzichten. In dem Kommuniqué über das Gespräch, das am selben Tag veröffentlicht wurde, hieß es: „(. . . ) [Hitler] (. . . ) begrüße die Anregung Marschall Piłsudskis [die deutsch-polnischen Beziehungen durch unmittelbare Aussprache freundschaftlicher zu gestalten], und er sei seinerseits zu einer Erklärung durchaus bereit, dass die Deutsche Regierung die Absicht habe, auf eine gewaltsame Lösung der zwischen Deutschland und Polen schwebenden Fragen zu verzichten.“306

Zwei Tage später trat Hitler mit der Idee an Neurath heran, er wolle den Gewaltverzicht des deutsch-polnischen Kommuniqués in feste vertragliche Formen gießen307 . Das war die Chiffre für einen deutsch-polnischen Nichtangriffspakt, über den sich die Experten im Auswärtigen Amt fortan die Köpfe zerbrachen. In einer undatierten Aufzeichnung beschäftigte sich Gaus ausführlich mit dem Komplex308 . Als Vorlage diente ihm dabei der Rheinpakt von Locarno, der einzige Nichtangriffspakt, den das Reich bis dahin abgeschlossen hatte. Indem er die Bindekraft Locarnos sehr hoch einschätzte, gelangte Gaus zu unliebsamen Ergebnissen für einen möglichen deutsch-polnischen Pakt. Ein solcher Pakt, argumentierte Gaus, könne als Anerkennung der deutschen Grenzen im Osten aufgefasst werden. Denn wäre das nicht der Fall, würde Warschau die Unterzeichnung davon abhängig machen, eine Territorialklausel einzufügen. Daher schlug das Auswärtige Amt vor, nicht einen Nichtangriffspakt zu unterzeichnen, sondern einer deutsch-polnischen Gewaltverzichtserklärung den Vorzug zu geben309 . Sie schließe keine Anerkennung der Grenzen in sich, so erläuterte die Vorlage für den Reichskanzler, und erfordere keine Ausnahmeregelungen für bestehende Verträge, die auf eine deutsche Anerkennung des französischpolnischen Bündnisses hinauslaufen könnten. Unklar waren aber die Rückwirkungen auf den in Locarno unterzeichneten deutsch-polnischen Schiedsgerichts- und Vergleichsvertrag vom 16. Oktober 1925. Darin hatten sich die Kontrahenten verpflichtet, Streitigkeiten vor einem Schiedsgericht auszutragen. In den Verhandlungen über einen deutschpolnischen Gewaltverzicht wollte Gaus nicht den Eindruck entstehen lassen, Deutschland wolle vom Locarnopakt loskommen. Dennoch ließ er durchblicken, wie sich das Reich die Sache dachte. Da die Rückwirkungen des 306 307

308 309

Ursachen und Folgen, Bd. X, Nr. 2348 d, S. 103. Darüber wurde wahrscheinlich während einer Ministerrunde am 17. November gesprochen, DGFP, C, Bd. II, Nr. 70, S. 130 Anm. 4; François-Poncet an Paul-Boncour, Berlin, 22. 11. 1933, DDF, 1. Serie, Bd. V, Nr. 44, S. 80–88; vgl. M. Wojciechowski: Die polnischdeutschen Beziehungen 1933–1938 (Studien zur Geschichte Osteuropas, Bd. XII), Leiden 1971, S. 76. Aufzeichnung, o. V., Berlin, November 1933, ADAP, C, Bd. II, 1, Nr. 77, S. 136–138. Ebenda, Nr. 81, S. 142f.

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

deutschen Völkerbundsaustritts mitnichten geklärt seien, so Gaus am 20. Dezember 1933, könne er nicht ausschließen, dass Modifikationen am deutschpolnischen Schiedsvertrag notwendig würden. Er persönlich, so fuhr Gaus fort, wäre dafür, einen neuen Schiedsvertrag zwischen Berlin und Warschau abzuschließen310 . Diese Idee hatte auch Neurath gegenüber Lipski ventiliert311 . Hier leisteten die Polen unerwartete Schützenhilfe, indem sie ihrerseits einen Bezug auf Locarno vermeiden wollten und erklärten, „dass man in Warschau die Kellogg-Pakt-Idee bevorzuge“312 . Ganz auf dieser Linie lag der Paktentwurf, den der polnische Gesandte am 9. Januar 1934 in Berlin übergab. Als Gaus und Lipski diesen Entwurf am 16. Januar 1934 besprachen, bemühte sich der deutsche Kronjurist, sich nicht aus der Reserve locken zu lassen. Das Auswärtige Amt könne die Absicht Warschaus nicht mittragen, den deutschpolnischen Schiedsvertrag von Locarno außer Kraft zu setzen, so blieb Gaus seiner bisherigen Verhandlungslinie treu, seiner Überzeugung nach könnten alle Schwierigkeiten, die durch den deutschen Austritt aus dem Völkerbund entstünden, leicht „durch eine geringfügige Korrektur des ursprünglichen Vertragstexts in Ordnung gebracht werden“313 . In zwei weiteren Besprechungen Gaus’ mit Lipski und dem polnischen Völkerrechtler Makowski am 20. und 22. Januar wurde über diese Punkte völlige Übereinstimmung erzielt314 . So wurde der am 26. Januar 1934 geschlossene Vertrag zu einem großen Erfolg. Beide Regierungen erklärten darin ihre Absicht, sich in allen Fragen unmittelbar zu verständigen. Praktisch wurden damit alle deutsch-polnischen Konflikte nicht nur dem Völkerbund, sondern auch dem deutsch-polnischen Schiedsgericht entzogen315 . Das Ziel, dass die Deutschen mit ihrer Inszenierung verfolgten, lag auf der Hand. Das Auswärtige Amt versuchte, obwohl scheinbar geplagt von juristischen Zweifeln, den Westmächten eine förmliche Anerkennung Locarnos in Aussicht zu stellen, um auf diese Weise Konzessionen in der Sicherheitsfrage zu erhalten316 . „Wir dächten nicht daran, Vorleistungen zu bringen“, so umschrieb Bülow Anfang 1934 diese Taktik, „sondern wollten für unsere Anerkennung 310 311 312

313 314 315 316

Lipski an Beck, Berlin, 20. 12. 1933, Lipski: Diplomat, Nr. 19, S. 116. Lipski an Beck, Berlin, 16. 12. 1933, ebenda, Nr. 17, S. 109–111. Aufzeichnung Neurath, Berlin, 16. 12. 1933, ADAP, C, Bd. II, 1, Nr. 131, S. 229. Piłsudski hatte sogleich beim ersten Durchlesen des deutschen Vertragsentwurfes erklärt, ihn störe „die Bezugnahme auf den Schiedsvertrag von Locarno, der in Polen keinen guten Klang habe“, Moltke an das Auswärtige Amt, Warschau, 28. 11. 1933, ADAP, C, Bd. II, 1, Nr. 90, S. 153f. Aufzeichnung Gaus, Berlin, 16. 1. 1934, ebenda, Nr. 186, S. 356–358. Aufzeichnung Gaus, Berlin, 22. 1. 1934, ebenda, Nr. 203, S. 384–387. DDF, 1. Serie, Bd. V, Nr. 293, S. 560f. u. Nr. 320, S. 610f. Aufzeichnung Bülow, Berlin, 23. 1. 1934, PA AA, R 70241; Aufzeichnung Köpke, Berlin, 13. 11. 1933, DGFP, C, Bd. II, Nr. 65, S. 121.

4.2 Die Rückwirkungen des Völkerbundsaustritts auf den Rheinpakt

203

des Locarnovertrags eventuell ein Entgegenkommen der anderen Seite einhandeln.“317 Für ein solches Entgegenkommen boten sich verschiedene Szenarien an. So schrieb Neurath in einer Sprachregelung vom November 1933, die deutsche „Unsicherheit“ bezöge sich nicht auf die Nichtangriffsverpflichtung318 . Da aber das Deutsche Reich aus Sicht des Auswärtigen Amtes über den Angriffsverzicht hinaus keine Verpflichtungen in Locarno übernommen hatte319 , konnten sich die deutschen Zweifel nur auf die Beistandsverpflichtungen Großbritanniens und Italiens gegenüber Deutschland beziehen. Es hätte also nahegelegen, im Gegenzug für die deutsche Anerkennung Locarnos eine Erklärung Londons zu verlangen, worin die Briten ihrerseits bekräftigten, voll und ganz zu den Verpflichtungen des Rheinpaktes zu stehen. Außerdem gäbe es den Weg, den Rheinpakt vollständig von den Regeln des Völkerbundes abzulösen, falls die Zweifel an der Funktionsweise des Rheinpaktes zu stark würden. Diese Möglichkeit war Gegenstand eines Vorstoßes des Leiters der Politischen Abteilung im Auswärtigen Amt, Gerhard Köpke. Der sprach im Dezember 1933 gegenüber Kerchove davon, Deutschland wolle den Locarnopakt halten, man brauche aber eine Formel, die verhindere, dass Deutschland einem Völkerbundsverfahren unterworfen werden könne. Er, Köpke, habe bereits mit Neurath darüber gesprochen, der angeregt habe, vielleicht könnten die Alliierten eine Formel finden, die das Verfahren des Rheinpaktes vom Völkerbund trennen würde320 . Noch einen Schritt weiter ging Hitler in seiner Reichstagsrede vom 30. Januar 1934, als er als Bedingung für eine formelle Anerkennung des Locarnopaktes eine vorzeitige Rückgabe des Saargebiets an Deutschland nannte321 , wobei nicht klar ist, ob er in Absprache mit dem Auswärtigen Amt handelte322 . Die Konzeption des Auswärtigen Amtes, die rechtliche Unklarheit Locarnos durch ein raffiniertes Doppelspiel abzubiegen und für eine frische Anerken317

318 319 320 321

322

PA AA, R 70241. In ähnlicher Weise hatte Bülow schon im Frühjahr 1933 erklärt, wenn Deutschland gezwungen sei, neue Bindungen einzugehen, müsse die Gegenseite Konzession dafür machen, IfZ, ED 93, Bd. 33. PA AA, NL Renthe-Fink, Bd. 7. So Gaus in einer Aufzeichnung vom Sommer 1936, ADAP, C, Bd. V, 2, Nr. 515, S. 857. Kerchove an Hymans, Berlin, 29. 12. 1933, DDB, Bd. III, Nr. 102, S. 288f. Regierungserklärung, 30. 1. 1934, Domarus: Hitler, Bd. I, 1, S. 352–362. Wörtlich führte Hitler aus: „(. . . ) Deutschland und Frankreich möchten gemeinsam schon jetzt das Saarproblem bereinigen. Diese Frage ist die einzige, die territorial zwischen den beiden Ländern noch offen steht. Die deutsche Regierung ist nach Lösung dieser Frage bereit und entschlossen, die äußere Formulierung des Locarno-Paktes auch innerlich zu akzeptieren (. . . ).“ Ursachen und Folgen, Bd. X, Nr. 2317, S. 20. Die Vorschläge des Auswärtigen Amtes für den außenpolitischen Teil der Rede enthielten im Zusammenhang mit der Saarfrage keinen Hinweis auf den Locarno-Rheinpakt, Aufzeichnung, o. V., Berlin, 28. 1. 1934, PA AA, R 28032.

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

nung Locarnos Zugeständnisse der Westmächte zu erhalten, scheiterte im Frühjahr 1934. Um der deutsch-englischen Annäherung in der Rüstungsfrage neue Schubkraft zu verleihen, lancierte die britische Regierung im April 1934 einen Notenentwurf, der den deutschen Standpunkt, so wie ihn die Briten auffassten, zusammenfasste. In der Erklärung, der die deutsche Regierung am 16. April ihre Zustimmung erteilte, hieß es lapidar: „The German Government continue to recognise the Treaties of Locarno.“323 Dieses Anerkenntnis bildete den Schlussstein in einer Serie von Teilrückzügen, nachdem bereits führende Nationalsozialisten wie Hitler, Papen und Neurath in Gesprächen erklärt hatten, Deutschland stehe zum Locarnopakt324 . Die Folgen der Note vom 16. April waren eminent. Nicht nur war von der Idee Bülows, sich für die „Anerkennung des Locarnovertrages eventuell ein Entgegenkommen der anderen Seite einhandeln“325 zu können, keine Rede mehr326 . Viel wichtiger war die Tatsache, dass diese Erklärung die Rollen von Schuldner und Gläubiger einfach umdrehte. Nun konnte man in der Wilhelmstraße nicht länger darauf hoffen, sich die Zweifel an Locarno von den Westmächten in barer Münze abkaufen zu lassen; jetzt war es Deutschland, das gezwungen war, zum Rheinpakt zu stehen, ohne zu wissen, ob die anderen Staaten dies ebenfalls taten. Vor dem Hintergrund dieses diplomatischen Dilemmas musste die Ansicht Bülows, der Rheinpakt sei mit dem deutschen Austritt aus dem Völkerbund rechtlich erledigt, mehr und mehr die Zweifel nähren, ob der Pakt noch seine politischen Funktionen erfüllen konnte. Niemand konnte nach 1933 garantieren, dass die anderen Signatare zu ihren Vertragspflichten stehen würden. Mit der im Frühjahr 1934 ausgesprochenen bedingungslosen Anerkennung der Geltung Locarnos durch Deutschland vergrößerte sich der Riss zwischen politischem Anspruch und rechtlicher Wirklichkeit, der umso weiter klaffte, je wichtiger das reibungslose Funktionieren des Rheinpaktes für die deutsche Sicherheit wurde. Im Herbst 1935 war die letzte Gelegenheit, die juristischen Unklarheiten an Locarno zu beheben. Zwar hatten alle Locarnomächte immer wieder erklärt, am Rheinpakt festhalten zu wollen, aber das waren politische Entscheidungen gewesen, die nur für den Moment in der Lage waren, die juristischen Zwei323

324 325 326

ADAP, C, Bd. II, 2, Nr. 399, S. 726; F. Berber (Hg.): Deutschland – England 1933–1939. Die Dokumente des deutschen Friedenswillens (Veröffentlichungen des Deutschen Instituts für Außenpolitische Forschung, Bd. VII), Essen 1940, Nr. 9, S. 41. Deutschland-Berichte, Bd. 1, S. 488f.; DDB, Bd. III, Nr. 92, S. 260f.; DDF, 1. Serie, Bd. V, Nr. 392, S. 725–727. Aufzeichnung Bülow, Berlin, 23. 1. 1934, PA AA, R 70241. Gleichzeitig ließ auch die DDPK verlautbaren, die Verträge von Locarno seien nach wie vor in Kraft, vgl. G. F. Werner: Deutschlands Austritt aus dem Völkerbunde. Eine völkerrechts-politische Abhandlung, Diss. jur. Göttingen 1936, S. 60.

4.2 Die Rückwirkungen des Völkerbundsaustritts auf den Rheinpakt

205

fel beiseite zu schieben. Das Funktionieren des Rheinpaktes, hatte Neurath demgegenüber schon im November 1933 formuliert, sei ohne den Völkerbund nur denkbar, so lange Deutschland noch formelles Mitglied war327 . Diese Frist endete im Oktober 1935328 . Die neue Situation würde von der „Eigentümlichkeit“ Locarnos gekennzeichnet sein, dass Großbritannien keinen militärischen Beistand gegen ein Völkerbundsmitglied (Frankreich) zu Gunsten eines Nichtmitglieds (Deutschland) leisten konnte329 . Die Teilnahme an einem Deutschland betreffenden Locarnoverfahren vor dem Genfer Rat sei grundsätzlich durch die Regelung des Artikels 17 der Völkerbundssatzung gewährleistet, hatte Gaus schon im Mai 1935 geurteilt, weshalb eine Änderung der Satzung nicht erforderlich sei330 . Für ein reibungsloses Funktionieren des Rheinpaktes, so Gaus weiter, sei indes eine gesonderte Erklärung der Locarnomächte nötig. Jeder Eingeweihte musste daher wissen, dass, solange eine solche Erklärung ausblieb, das politische Überleben Locarnos am seidenen Faden hing331 . Kein Land würde seine politischen Verpflichtungen erfüllen, wenn die völkerrechtliche Vertragsgrundlage mehr als fragwürdig war. Für den politischen Manövrierraum Berlins bedeutete dies: Entweder es gelänge, England und die anderen Locarnopartner – mit welchen Mitteln auch immer – auf eine Neuformulierung Locarnos festzulegen oder der Rheinpakt würde wertlos werden und aufhören zu existieren. Vor diesem Hintergrund hatte die deutsche Seite einen entsprechenden Passus in ihren Luftpaktvorschlag vom 25. Mai 1935 aufgenommen. „Die Hohen Vertragsschließenden Teile“, lautete der Artikel 1, „bekräftigen aufs neue die Gültigkeit der von ihnen unterzeichneten Verträge von Locarno.“332 Und weiter hieß es, die anderen Signatare sollten darauf hinwirken, dass Deutschland bei einem Locarnoverfahren als gleichberechtigte Macht an den Beratungen des 327 328 329 330 331

332

Runderlass Neurath, Berlin, November 1933, PA AA, NL Renthe-Fink, Bd. 7. Vgl. auch Bam: Genf, S. 70. Tagesmeldung, 12. 10. 1935, Keesings Archiv der Gegenwart (künftig: AdG), 1935, bearbeitet von H. v. Siegler, Wien o. J., S. 2256. PA AA, BA 60960. Gaus an Hoesch, Berlin, 27. 5. 1935, PA AA, R 53010. Der deutschen Presse war es streng verboten, über mögliche Rückwirkungen des Völkerbundsaustritts des Deutschen Reiches auf den Locarnopakt zu spekulieren. Ein Interview Austen Chamberlains, wonach der Rheinpakt nicht von dem Austritt beeinträchtigt sei, durfte gedruckt, aber nicht kommentiert werden, Weisung an die Presse, 12. 10. 1935, NSPresseanweisungen, Bd. 3/II, S. 663; Weisung an die Presse, 18. 10. 1935, ebenda, S. 680; Weisung an die Presse, 22. 10. 1935, ebenda, S. 690. Die interne Meinung im Auswärtigen Amt zur Behauptung Chamberlains, der Rheinpakt sei unverändert in Kraft, war, dass sich der Brite in „auffallender Weise“ eines Kommentars über die möglichen Rückwirkungen des deutschen Völkerbundsaustritts enthalte, Hs. Vermerk Woermann, Berlin, 19. 12. 1935, PA AA, R 53009. ADAP, C, Bd. IV, 1, Nr. 106, Anlage, S. 198.

206

4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

Völkerbundsrates teilnehmen könne333 . Seitdem warteten die Deutschen auf Antwort. Erst am 2. Oktober 1935 versprach ein Beamter des britischen Foreign Office gegenüber Bismarck, sich in den nächsten Tagen mit den Rückwirkungen des deutschen Völkerbundsaustritts auf Locarno beschäftigen zu wollen334 . Am 7. Oktober bestätigte Wigram, dass sich das Foreign Office mit dem Problem auseinandersetzte335 . Am 9. Oktober beauftragte Wigram das Legal Department, die Frage zu prüfen, ob Locarno durch den deutschen Austritt aus dem Völkerbund berührt würde336 . Bereits am folgenden Tag erklärte Beckett in einem Gutachten, es seien keine „amendments“ für den Locarnopakt notwendig. Die deutsche Teilnahme an einem Völkerbundsverfahren, das Locarno betraf, sei über den Artikel 17 Absatz 1 der Völkerbundssatzung sichergestellt337 . Dies war der Inhalt einer Note, die Phipps am 19. Oktober 1935 im Auswärtigen Amt übergab. Darin hieß es: „I have now been instructed to inform Your Excellency that, if such a question be put [parlamentarische Anfrage betreffend der Funktionsweise Locarnos nach dem deutschen Ausscheiden aus Genf], Sir Samuel Hoare will reply that, under Article 17 of the League Covenant, the provisions of the articles of the Covenant which are referred to in the Locarno Treaty can become applicable to disputes where one of the parties is not a member of the League and that there is therefore a means by which all the provisions of the Treaty of Locarno can still receive their due application in the new circumstances.“338

Damit war Reichsaußenminister Neurath überhaupt nicht einverstanden. Er rief den britischen Botschafter am 23. Oktober zu sich und erklärte ihm, er sei nicht zufrieden mit der Art und Weise, wie England diesen Fall erledigen möchte. Er habe „alle Reserven“ [!] gegenüber Artikel 17 der Völkerbundssatzung, schnaubte Neurath und verwies dagegen auf den deutschen Luftpaktvorschlag vom 25. Mai 1935. Dort stünde, so Neurath, „wie wir uns die Bereinigung der Angelegenheit dächten“339 . Die Enttäuschung Neuraths wird schnell verständlich, wenn man einige Wochen zurückblickt. Seit Anfang Oktober 1935 meldeten die deutschen Vertreter aus London und Genf, dass das Foreign Office sich intensiv mit den

333 334 335 336 337 338 339

Ebenda, S. 199. OBS, I 31. ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 336, S. 695. Wigram an Beckett, London, 9. 10. 1935, TNA, FO 371/18850. Aufzeichnung Beckett, London, 10. 10. 1935, ebenda; Bam: Genf, S. 63f. u. S. 70. ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 376, S. 756 Anm. 1; Phipps an Neurath, Berlin, 19. 10. 1935, PA AA, R 53011. Aufzeichnung Neurath, Berlin, 23. 10. 1935, ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 376, S. 757; Neurath an die deutsche Botschaft in London, Berlin, 23.10. 1935, PA AA, R 53011; Phipps an Hoare, Berlin, 23. 10. 1935, DBFP, 2. Serie, Bd. XIII, Nr. 537, S. 691.

4.2 Die Rückwirkungen des Völkerbundsaustritts auf den Rheinpakt

207

Locarnoverträgen befasste340 . Es zeichnete sich ab, dass London bald offiziell in Berlin anfragen wolle, um über Locarno zu sprechen341 . Die Engländer wollten gemeinsam mit den Deutschen eine Juristenkonferenz abhalten, so berichtete das Konsulat in Genf am 16. Oktober 1935, um zu prüfen, „ob die Locarnoverträge noch die Absichten der Partner erfüllen“342 . Und die Meldungen Geyrs, in London bestünde Interesse am Luftpakt und an einer neuen Form des Völkerbundes, ließen sich als britische Bereitschaft interpretieren, auf deutsche Revisionswünsche einzugehen343 . Es schien, als könne es gelingen, mit den Briten über eine Modifizierung Locarnos zu sprechen. Schon im September hatte der deutsche Geschäftsträger in London gegenüber einem französischen Gesprächspartner skizziert, wie sich die Deutschen das zu verhandelnde Programm vorstellten344 . Locarno, so Bismarck, bleibe die Basis der deutsch-französischen Beziehungen, müsse aber verbessert werden345 . Dazu gehöre das Verbot französisch-britischer Separatabkommen genauso wie das Ende aller Bestrebungen, den Rheinpakt durch Ost- und Donaupakt ergänzen zu wollen. Tatsächlich schienen die deutschen Avancen Früchte zu tragen, als Wigram vertraulich mitteilte, in London stehe man auf dem Standpunkt, die Rolle des Völkerbundes sei ausgespielt. Man prüfe die Möglichkeit, ob die Organisierung des Friedens nicht zweckmäßiger durch eine enge Zusammenarbeit Englands, Frankreichs, Deutschlands und Italiens erreicht werden könne. Dazu, so Wigram, beschäftige man sich im Foreign Office intensiv mit der „Stellung der westlichen Großmächte zueinander“346 . Diese Hoffnungen wurden durch die britische Note vom 19. Oktober zerstört: London wollte nicht mit Berlin über den Rheinpakt sprechen. Nach der Unterredung Phipps’ mit Neurath vermerkte Wigram am 25. Oktober, den deutschen Schritt vom 28. Mai habe er ganz vergessen, aber das mache keinen Unterschied. Er sehe keinen Anlass, deswegen die britische Haltung zu ändern347 . Das sah auch Beckett so, der sich am selben Tag nochmals mit der Thematik befasste. Deutschland sei vielleicht nicht an Artikel 17 der 340 341 342

343 344 345 346 347

Forster an das Auswärtige Amt, Paris, 12. 10. 1935, PA AA, R 53011; Bismarck an das Auswärtige Amt, London, 12. 10. 1935, ebenda. Krauel an das Auswärtige Amt, Genf, 8. 10. 1935, PA AA, R 53941. Das deutsche Konsulat in Genf an das Auswärtige Amt, Genf, 16. 10. 1935, ebenda. Schon im September hatte ein Mittelsmann aus London gemeldet, in England bestünde die Neigung, aus dem Locarnopakt auszusteigen, PA AA, R 76988. Aufzeichnung Geyr v. Schweppenburg, London, 10. 10. 1935, PA AA, R 30062 b. Corbin an Laval, London, 30. 9. 1935, AMAEE, Série Z, Allemagne, Bd. 716, 717, 718 u. 719. Wörtlich habe Bismarck erklärt, der Locarnopakt müsse „passer à quelque chose plus positif “. ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 336, S. 695. Hs. Aufzeichnung Wigram, London, 25. 10. 1935, TNA, FO 371/18850.

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

Völkerbundssatzung gebunden, so schrieb er, dafür jedoch an den Rheinpakt. Dies schließe die Verpflichtung in sich, im Locarnofall ein Verfahren gemäß Artikel 17 der Völkerbundssatzung einzuhalten348 . Dementsprechend abgefasst war die Mitteilung Hoares an den Botschafter in Berlin. Entgegen dem, was Neurath behaupte, so schrieb Hoare am 30. Oktober, sei der Artikel 17 der Völkerbundssatzung völlig ausreichend, um die weitere Anwendung der Locarnoverträge zu garantieren. Es gebe keine Notwendigkeit für neue Regeln, und die britische Regierung sei daher nicht bereit, die Angelegenheit weiter zu verfolgen349 . In einem langen Memorandum vom 15. November 1935 fasste Wigram die Locarnogespräche zusammen. Die Äußerungen Neuraths hinsichtlich der Funktionsweise Locarnos, so Wigram, könnten sich nur darauf beziehen, wie der Locarnopakt in Zukunft nach dem Ausscheiden Deutschlands aus dem Völkerbund arbeiten würde. Diese Frage, so war er überzeugt, habe die britische Regierung unter Verweis auf den Artikel 17 der Völkerbundssatzung hinreichend geklärt350 . Die französische Haltung entsprach exakt der britischen Auslegung. Eine Aufzeichnung vom 11. Oktober 1935 ergab, dass der deutsche Rückzug aus dem Völkerbund nicht gleichzeitig das Ende Locarnos bedeuten würde351 . In einer Note vom 31. Oktober 1935 stimmte die französische Botschaft zudem mit den Briten überein, dass ein Verfahren unter Artikel 17 der Völkerbundssatzung auch künftig die Anwendbarkeit der Locarnoverträge sicherstelle352 . Damit waren die Versuche des Auswärtigen Amtes, nach dem deutschen Austritt aus dem Völkerbund eine Diskussion über die rechtliche Gültigkeit Locarnos anzustoßen, ohne Resonanz geblieben. Aus Sicht der Deutschen war der Rheinpakt hinfällig, und sie machten die britische Regierung dafür verantwortlich353 ; dies sollte nicht ohne Auswirkungen auf die Vorgeschichte der Rheinlandkrise bleiben.

348 349 350 351 352 353

Aufzeichnung Beckett, London, 25. 10. 1935, ebenda. Hoare an Phipps, London, 30. 10. 1935, DBFP, 2. Serie, Bd. XIII, Nr. 544, S. 696f. Aufzeichnung Wigram, London, 15. 11. 1935, TNA, FO 371/18851. Aufzeichnung, o. V., Paris, 11. 10. 1935, AMAEE, Série Relations multilatérales, Service français de la Société des Nations, Bd. 756. Die französische Botschaft in London an das Foreign Office, London, 31. 10. 1935, TNA, FO 371/18850. Tagebuch Kennedy, 5. 3. 1936, Kennedy: Journals, S. 199; Tagebuch Kennedy, 11. 3. 1936, ebenda, S. 204.

4.3 Die Locarnokonzeptionen in England und Frankreich

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4.3 Die Locarnokonzeptionen in England und Frankreich: Entwicklung und Rezeption durch die Deutschen (1933–1936) Die Versteifung der deutschen Haltung, die auf eine Beendigung Locarnos hinarbeitete und um die Jahreswende 1935/36 eine einseitige Aktion nicht mehr ausschloss, ist indes nur zu verstehen, wenn man neben der Sichtweise, der Locarnopakt sei durch das endgültige Verlassen des Völkerbundes hinfällig geworden, noch zwei weitere Faktoren in den Blick nimmt, die den Rheinpakt in politischer Hinsicht schwer belasteten und so für die Vorgeschichte der Rheinlandkrise von großer Bedeutung wurden. Der eine Faktor war die Vermutung der Deutschen, Frankreich und England hätten sich „über Locarno hinaus“354 militärisch verbunden. Einen Höhepunkt erlebte diese Sichtweise im Verlauf der Abessinienkrise, die seit dem Sommer 1935 offen schwelte und Anfang Oktober in einen bewaffneten Konflikt umschlug. Dieser Unruheherd hatte immense Rückwirkungen auf die Sicherheitsfrage in Europa. „Ich glaube nicht“, brachte Austen Chamberlain, einer der Schöpfer der Locarnoverträge, in einer Rede im Jahr 1935 den Zusammenhang zwischen dem aktuellen Krisengebiet in Afrika und den vertraglichen Sicherheitsstrukturen in Europa zum Ausdruck, „dass wir die von uns benötigte Form der Sicherheit durch Garantieversprechen erhalten können, die schlechthin für jeden Krieg, ganz gleichgültig, wann, wo und aus welchem Grunde er ausgebrochen ist, bindend sind. Nach meiner Überzeugung geht es über die Kraft der Menschheit, derartig weitreichende und allumfassende Verpflichtungen zu übernehmen (. . . ). Ich neige deshalb sehr viel mehr zu einem Typ von Regionalvereinbarungen, die die Verpflichtungen eines jeden Landes auf ein engeres Gebiet konzentrieren, ein Gebiet, in dem nach der unzweifelhaften Überzeugung des betreffenden Landes keine Störung des Friedens eintreten kann, ohne dass seine eigene Sicherheit auf dem Spiele steht.“355

Solche Äußerungen waren es, die die Fantasie der Deutschen beflügelten. Wenn England sich im Zuge der Äthiopienkrise vom Völkerbund abwandte, so die Berliner Gedankenspiele, würden die Briten dann auch den Locarnopakt „kündigen“, wie es Agentenberichte nahelegten356 , oder wollten sie die britische Politik fester als zuvor auf den Rheinpakt gründen, wie es Chamberlain anzudeuten schien. Wohin steuerten England und Frankreich, wenn die Schwächung der Stresafront „mathematisch“ eintrat, wie sich mancher deut-

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Aufzeichnung Geyr v. Schweppenburg, [Irschenhausen], o. D., IfZ, ED 91, Bd. 7/2. Zit. bei E. Fraenkel: Regionalpakte und Weltfriedensordnung. Zur völkerrechtlichen Entwicklung der Nachkriegszeit, in: VfZ 2 (1954), S. 34–54, hier S. 36. „Bericht unseres Vertrauensmanns in London“, London, September 1935, PA AA, R 76988.

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

sche Diplomat sicher war357 ? Tatsächlich deuteten die Zeichen seit Längerem darauf hin, dass London und Paris entschlossen waren, ihre Sicherheit künftig ohne den Rheinpakt von Locarno zu gewährleisten. Frankreich, meldete Forster im Oktober 1935 von der Seine, beschäftige sich mit den Auswirkungen des deutschen Völkerbundsaustritts auf den Locarnopakt. Man sei in Sonderverhandlungen mit England eingetreten, um eine Aussprache über Locarno herbeizuführen358 . Schon seit das Deutsche Reich im April 1934 unter dem Druck der Umstände gezwungen worden war, die Gültigkeit des Locarnopaktes anzuerkennen, beobachteten die deutschen Diplomaten genau die Einstellungen zu Locarno in Paris und London. Was die Deutschen im Jahr 1934 sahen, war die zunehmende Skepsis der Westmächte an der Wirkungsweise des Rheinpaktes. In Paris war das französische Bekenntnis zu Locarno schon um die Jahreswende 1933/34 ins Wanken gekommen359 . Das hatte zwei Gründe. Erstens hatte die französische Locarnopolitik den Unmut der Belgier auf sich gezogen. In Brüssel war man seit einiger Zeit in Aufruhr über die französische Auslegung Locarnos, wonach jede Verletzung des Rheinpaktes Frankreich das Recht gebe, mit französischen Truppen auf belgisches Territorium vorzustoßen360 , weil man fürchtete, in einen Krieg hineingezogen zu werden, der Belgien nichts anging361 . Im Februar 1933 wandte sich der belgische Außenminister an London und warb um Verständnis für die belgische Haltung. Eine Verletzung der entmilitarisierten Zone sei nicht zwingend eine Verletzung Belgiens, so Hymans, weshalb Paris kein Recht daraus ableiten könne, Truppen durch belgisches Territorium zu schicken. Ein solches Vorgehen setze ein „vorhergehendes Abkommen“ (accord préalable) zwischen dem garantierenden und dem garantierten Staat voraus362 . Simon und Eden verstanden die belgischen Bedenken, meinten

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Dirksen an Zechlin, Tokio, 14. 10. 1935, PA AA, NL Dirksen, Bd. 2; vgl. aber auch Tagebuch Weizsäcker, 24. 10. 1935, Hill: Weizsäcker, Bd. 2, S. 92. Telegramm Forster, Paris, 12. 10. 1935, PA AA, R 53011. Im Februar stellte eine Denkschrift des Generalstabs fest, die Sicherheit Frankreichs ruhe auf seiner Armee und seinen Verbündeten, aber nicht auf Locarno, DDF, 1. Serie, Bd. V, Nr. 321, S. 611–614. Die Belgier rieben sich an Äußerungen Pétains, der erklärt hatte, die französische Verteidigungslinie liege zwischen Maas und Sambre, also auf belgischem Territorium, DDB, Bd. III, Nr. 4, S. 35f.; Zuylen: Les Mains, S. 274ff.; vgl. H. Lademacher: Belgien – die Freiheit, den Partner zu wählen, in: E. Forndran/F. Golczewski/D. Riesenberger (Hg.): Innen- und Außenpolitik unter nationalsozialistischer Bedrohung. Determinanten internationaler Beziehungen in historischen Fallstudien, Opladen 1977, S. 216–238, hier S. 219. Simon an Bland, London, 10. 7. 1932, TNA, FO 371/16741. Hymans an Gaiffier, Brüssel, 17. 2. 1933, DDB, Bd. III, Nr. 6, S. 39ff.; Corbin an PaulBoncour, London, 10. 3. 1933, DDF, 1. Serie, Bd. II, Nr. 394, S. 788f.; Zuylen: Les Mains, S. 284.

4.3 Die Locarnokonzeptionen in England und Frankreich

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aber, der Zeitpunkt für eine Demarche in Frankreich sei nicht günstig363 . Über das britische Zaudern hinwegsehend schrieb Hymans im März 1933 an den französischen Botschafter und erläuterte die Haltung Brüssels zur Wirkungsweise Locarnos. Auch unter den Bedingungen Locarnos, so Hymans, kämpfe Belgien nur für seine Unabhängigkeit. Für die Umsetzung der Garantien brauche man einen Akkord zwischen garantierendem und garantiertem Staat364 . In der Praxis würde dies bedeuten, dass Frankreich nicht ohne Zustimmung Brüssels in Belgien einmarschieren konnte. Dabei ging es nicht um irgendein vertracktes Locarnoproblem; vielmehr rührten die belgischen Darlegungen an den Fundamenten der französischen Verteidigungspolitik. Deren Planungen sahen vor, bei einer deutschen Aggression auf der ganzen Länge der deutschen Westgrenze aufzumarschieren, also auch an der deutsch-belgischen Grenze. Am dritten Tag nach Ausbruch von Feindseligkeiten, so legten es die Operationspläne fest, sollten die französischen Truppen im Raum Hirson-Mézières-Carignan aufmarschiert und bereit sein, nach Belgien vorzurücken365 . Dieser Zeitplan geriet in Gefahr, wenn man auf einen belgischen Appell warten musste bzw. wenn Brüssel darauf verzichtete, Locarno anzurufen366 . Um dieses Dilemma zu umgehen, verfielen die französischen Juristen auf einen Trick. Einer deutschen Aggression gegen Frankreich und Belgien, so argumentierten sie, ginge zwingend eine Verletzung der entmilitarisierten Zone voraus, deren Bestand Brüssel im Artikel 1 des Rheinpaktes zugesichert hatte. Diesen Verpflichtungen könne sich Brüssel nicht entziehen und sei daher zum Beistand verpflichtet367 . Ganz auf dieser Linie lag die Antwort Paul-Boncours, die er am 21. August 1933 nach Brüssel schickte. Bei einer Verletzung der Artikel 42 und 43 des Versailler Vertrages, unabhängig davon, an welchem Punkt der entmilitarisierten Zone sie geschah, so schrieb der Außenminister, habe Frankreich stets das Recht, ohne Zustimmung Belgiens militärisch vorzugehen368 . Im Herbst 1933 setzte Brüssel zu einem neuen Versuch an. Im November 1933 übersandten die Belgier eine Note an Frankreich, worin sie noch363 364 365

366

367 368

DDB, Bd. III, Nr. 9, S. 51–53, Nr. 12, S. 57f. u. Nr. 40, S. 134–136. Aufzeichnung Hymans, Brüssel, 10. 3. 1933, ebenda, Nr. 13, S. 59f.; DDI, 7. Serie, Bd. XV, Nr. 68, S. 88f. Aufzeichnung, o. V., für Massigli, Paris, 11. 1. 1934, AMAEE, Série Relations multilatérales, Service français de la Société des Nations, Bd. 755; DDF, 1. Serie, Bd. V, Nr. 220, S. 445– 447. Massigli erklärte gegenüber Eden, „[the] extent of their assistance [d. h. Frankreichs] must depend on rapidity with which Belgian Government made up their mind that they needed it.“ BDFA, II, J, Bd. 6, Nr. 8, S. 9. Aufzeichnung, o. V., Paris, 19. 10. 1933, AMAEE, Série Z, Grande-Bretagne, Bd. 295, 296 u. 297. DDF, 1. Serie, Bd. IV, Nr. 126, S. 220.

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

mals ihren Standpunkt darlegten, Frankreich habe bei einer Verletzung der entmilitarisierten Zone nicht das Recht, „proprio motu“ in Belgien einzumarschieren369 . Wieder war die Antwort eine Enttäuschung. Jeder Verstoß gegen Locarno, schrieben die Franzosen, sei auch ein Verstoß gegen den Versailler Vertrag, sodass dessen Sanktionen in Anwendung kämen370 . Das war deutlich auf den Artikel 44 des Versailler Vertrages gemünzt, wonach jeder Verstoß gegen die Entmilitarisierung einen feindlichen Akt darstellte und als Aggression gegen alle Vertragsstaaten gewertet wurde. Nach dieser Abfuhr wandte sich Brüssel hilfesuchend an England. Das fundamentale Prinzip des Rheinpaktes, hieß es in dem belgischen Aide-Memoire, das Whitehall im Dezember 1933 auf die Schreibtische flatterte, sei das Gebot, sich bei einer Vertragsverletzung an den Völkerbund zu wenden. Das Instrument des sofortigen Beistands, auf das sich Paris berief, sei nur ein Ausnahmefall. Die Definition darüber, wann ein feindlicher Akt vorläge, so das belgische Papier, gebe nicht Artikel 44 des Versailler Vertrages, sondern Artikel 2 des Rheinpaktes. Demnach bringe jeder Verstoß gegen die entmilitarisierte Zone zuallererst den Locarnopakt ins Spiel, dessen gültiger Interpretation zu Folge jeder Staat selbst darüber entscheiden müsse, wie gravierend dieser Verstoß war371 . Das rüttelte an den Grundfesten Locarnos und tangierte damit das französische Sicherheitsverständnis. Sargent äußerte sich zurückhaltend, als van Zuylen im Dezember 1933 zu einer Aussprache nach London kam, um die britische Haltung zu einem accord préalable zu sondieren. Konsultationen der Garantiemächte bei einem Verstoß gegen Locarno seien eine Selbstverständlichkeit, so erklärte Sargent seinem belgischen Kollegen, aber von einem Abkommen zwischen garantierendem und garantiertem Staat halte er nichts. Allein der Begriff sei so stark, dass man dahinter neue Verpflichtungen vermuten könne372 . Auch über die Definition des feindlichen Akts, auf den ihn Zuylen ansprach, verlor Sargent nicht viele Worte. Die Analyse der Rechtsexperten, so sagte der Brite, habe ergeben, dass der Gehalt des Artikels 44 des Versailler Vertrages nicht durch Locarno modifiziert worden sei373 . Erst nach und nach merkten die Briten, worum es in dem Streit zwischen Paris und Brüssel überhaupt ging, und worauf die Franzosen in ihrer Argumentation abzielten. Es sei nicht die Absicht von Locarno gewesen, so schrieb der Rechtsexperte des Foreign Office in einem Memorandum vom 9. Januar 1934374 , 369 370 371 372 373 374

Paul-Boncour an Claudel, Paris, 27. 11. 1933, DDF, 1. Serie, Bd. V, Nr. 57, S. 113f. Claudel an Hymans, Brüssel, 2. 12. 1933, DDB, Bd. III, Nr. 86, S. 247f. Vgl. Klefisch: Belgien, S. 33. DDB, Bd. III, Nr. 89, S. 253f. Aufzeichnung Sargent, London, 15. 12. 1933, TNA, FO 371/16741; Zuylen an Hymans, Brüssel, 18. 12. 1933, DDB, Bd. III, Nr. 96, S. 269–274. Aufzeichnung Malkin, London, 20. 12. 1933, TNA, FO 371/16741. Aufzeichnung Malkin, London, 9. 1. 1934, TNA, FO 408/64.

4.3 Die Locarnokonzeptionen in England und Frankreich

213

Frankreich bei jedwedem Verstoß gegen die entmilitarisierte Zone das Recht zuzusprechen, Deutschland mit einem Angriff zu überziehen. Artikel 44 des Versailler Vertrages sei nur anwendbar, so Malkin, wenn der Völkerbundsrat dies empfehlen sollte. Diese Auslegung beruhte auf der Sichtweise, dass der Artikel 44 des Versailler Vertrages lediglich auf ein Verfahren gemäß Artikel 16 der Völkerbundssatzung verwies375 und keine eigenständige Rechtsgrundlage bildete, wie das die Franzosen glaubten. Die auf dieser Grundlage getroffene Empfehlung des Rates, so Malkin, basiere auf einem zweistufigen Verfahren. So müsse der Rat zunächst an Hand der Fakten feststellen, ob tatsächlich ein Verstoß vorläge, und sei dann erst aufgerufen, über die Art und Weise einer militärischen Aktion zu entscheiden. Außerdem müsse der festgestellte Verstoß der Rheinzone unter die Ausnahmen des Artikels 2 des Rheinpaktes fallen, d. h. es musste sich dabei um einen flagranten Verstoß handeln, der eine nicht provozierte Angriffshandlung darstellte und wegen der Zusammenziehung von Streitkräften in der entmilitarisierten Zone ein sofortiges Handeln notwendig machte376 . Damit hatte sich das Foreign Office faktisch der belgischen Auslegung des Locarnopaktes angeschlossen. So schickte die belgische Regierung Anfang Februar 1934 eine Note an Paris, in welcher sie den Franzosen ihre Interpretation Locarnos mitteilte und in der sich alle Punkte der Denkschrift Malkins wiederfanden377 . Locarno sehe grundsätzlich immer ein Völkerbundsverfahren vor, so hieß es dort, Artikel 44 des Versailler Vertrages sei nicht mehr maßgebend. Die geltende Umschreibung eines acte hostile richte sich nach den Bestimmungen des Artikels 2 des Rheinpaktes. Demnach oblag es den einzelnen Staaten, darüber zu entscheiden, wie schwer die Verletzung der Rheinlandzone tatsächlich war und ob militärische Gegenmaßnahmen erforderlich wären. Hier berief sich die belgische Note auf den Präzedenzfall der preußischen Hilfspolizei vom Frühjahr 1933, der bekanntlich nicht vor den Völkerbund gebracht worden war, nachdem die britische Regierung zu dem Ergebnis gekommen war, dass kein flagranter Bruch der Artikel 42 und 43 des Versailler Vertrages vorlag378 . Der französische Außenminister Barthou nahm die belgischen Gravamina sehr ernst, weil er wohl ahnte, worauf die Aufführung Brüssels abzielte. Den Belgiern ging es in diesem Notenkampf nicht nur darum, die Reichweite der belgischen Verpflichtungen einzuschränken. Genauso wichtig war es ihnen, unter Verweis auf die vermeintlichen Unzulänglichkeiten Locarnos, England 375 376 377 378

So eine Denkschrift des Foreign Office vom 30. Mai 1933, DBFP, 2. Serie, Bd. V, Nr. 185, S. 289–298. TNA, FO 408/64. Claudel an Barthou, Brüssel, 13. 2. 1934, DDF, 1. Serie, Bd. V, Nr. 377, S. 699f.; Simon an Newton, London, 2. 5. 1934, TNA, FO 408/64. Ebenda.

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

durch den Abschluss ergänzender Konventionen zu einer Modifizierung Locarnos zu bewegen, was aber gleichzeitig bedeuten musste, dass Brüssel sich aus der französischen Abhängigkeit löste. Die Reaktion Barthous auf diese Bestrebungen konnte kaum schärfer ausfallen. Ein Kennzeichen Locarnos sei es, so instruierte Barthou den französischen Vertreter in Brüssel am 4. April 1934, die flagrante Verletzung der entmilitarisierten Zone auf eine Stufe mit dem flagranten Verstoß belgischen Gebiets zu stellen379 . Die Versuche Brüssels, seine Sicherheit durch ein Abkommen mit London zu sichern, konnten daher nur das Ziel haben, Unterschiede in der Beistandsleistung zu schaffen. Denn dann wäre Brüssel bei einem Bruch der Artikel 42 und 43 des Versailler Vertrages, der nicht gleichzeitig eine Invasion belgischen Territoriums darstellte, in der Lage, sich seinen Garantiepflichten unter Locarno zu entziehen. Der Botschafter, so Barthou, möge in Brüssel darauf hinweisen, dass Frankreich keinen Schaden an Locarno dulden werde. Angesichts dieser Herausforderungen bestand die französische Taktik darin, die belgischen Beschwerden über die Unzulänglichkeiten Locarnos durchaus anzuerkennen und die belgischen Wünsche nach neuen Abkommen auf die französischen Mühlen zu lenken. Man brauche keine neuen Texte, so eine Vorlage vom 23. März 1934, sondern technische Vereinbarungen in Form von Generalstabsbesprechungen380 . Damit, so erläuterte Barthou auf einer französisch-belgischen Konferenz Ende März, könnte man Verletzungen in der entmilitarisierten Rheinzone feststellen381 . Diese Bestrebungen kamen jedoch im Sommer 1934 zum Erliegen382 . Der zweite Grund für Paris, seine Locarnoparameter zu überdenken, waren die Planungen der französischen Führung, ein Locarnoverfahren gegen die deutsche Aufrüstung einzuleiten. Die französischen Studien hatten ergeben, dass ein solches Verfahren, wenn es sich gegen die deutsche Rüstung richtete, nur über den Umweg des Artikels 213 des Versailler Vertrages zu erreichen war, der wiederum die britische Unterstützung brauchte. Dieses Ansinnen lehnte die britische Regierung am 28. November 1933 endgültig ab383 . Die Briten bissen 379 380 381 382

383

Barthou an Claudel, Paris, 4. 4. 1934, DDF, 1. Serie, Bd. VI, Nr. 60, S. 151–153. Aufzeichnung Massigli, Paris, 23. 3. 1934, ebenda, Nr. 32, S. 77–81. Ebenda, Nr. 41, S. 105-111. Damit lag auch der französisch-belgische Streit über die Wirkungsweise Locarnos für die kommenden Monate auf Eis. Erst unter dem Eindruck der Wiedereinführung der Wehrpflicht in Deutschland kam es im April 1935 zu einer Vereinbarung zwischen französischen und belgischen Militärs, um die Auslegung des Rheinpaktes zu klären. Demnach wurde der französischen Seite das Recht eingeräumt, im Falle einer flagranten Verletzung der Rheinlandzone durch deutsche Streitkräfte, ihrerseits Truppen durch Belgien zu senden, vgl. Defrasne: L’événement, S. 248; J. A. Gunsburg: „Vaincre ou mourir“: The French High Command and the defeat of France 1919–May, 1940, Diss. phil. Duke University 1974, S. 81; Klefisch: Belgien, S. 33. DDF, 1. Serie, Bd. V, Nr. 60, S. 121f.; vgl. O. Hauser: England und das Dritte Reich. Eine

4.3 Die Locarnokonzeptionen in England und Frankreich

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sich einfach auf dem Standpunkt fest, den sie bereits vor dem 14. Oktober eingenommen hatten. Solange der Hauch einer Hoffnung bestünde, mit Deutschland zu einer Rüstungskonvention zu kommen, so lautete das britische Mantra, werde man keine Aktion unter Artikel 213 des Versailler Vertrages oder unter Locarno unterstützen384 . Der Ausweg, auf den man im Quai d’Orsay verfiel, war, nicht die deutsche Aufrüstung insgesamt anzugreifen, sondern lediglich die Rüstungsmaßnahmen anzuprangern, die das Reich in der entmilitarisierten Zone durchführte. Diese Maßnahmen waren, wenn auch noch so geringen Ausmaßes, immer auch ein Verstoß gegen den Rheinpakt. In so einem Fall, so das Kalkül der Franzosen, könne sich England schwerlich der Einleitung eines Locarnoverfahrens entziehen. Zu diesem Zweck sammelte das französische Außenministerium alle Fälle deutscher Verstöße gegen die entmilitarisierte Zone, die in einer umfassenden Denkschrift vom 28. Dezember 1933 vorgelegt wurden385 ; damit wollte man London überzeugen. Tatsächlich war die britische Führung über die meisten Verstöße bereits informiert, ohne die Notwendigkeit des Handelns zu sehen386 . Zwar besitze man keine Beweise über die Aktivitäten von SA/SS oder über die Errichtung von Flugplätzen in der entmilitarisierten Zone, so bekundete Simon auf einem französisch-britischen Treffen am 22. Dezember 1933, aber dies ändere nichts daran, dass England keine Veranlassung sehe, eine Aktion gemäß Artikel 213 des Versailler Vertrages oder unter Locarno einzuleiten387 . Paris machte aus der Not eine Tugend und bemühte sich, gerade solche Verstöße nachzuweisen, die durch SA-Truppen begangen wurden oder die widerrechtliche Anlage von Flugplätzen in der Zone betrafen. Am 27. Januar 1934 legte das Außenministerium eine Denkschrift vor, die die große Rolle der SA in Angelegenheiten des Grenzschutzes betonte388 . Seit Januar 1934 wies Barthou den Kriegsminister mehrmals auf die steigenden Aktivitäten der SA in der entmilitarisierten Zone hin und ersuchte ihn, die Sache im Auge zu behalten389 . Mit der gleichen Bitte trat Barthou an den Luftfahrtminister heran. Der berichtete am 23. Februar

384

385 386 387 388 389

dokumentarische Geschichte der englisch-deutschen Beziehungen von 1933 bis 1939 auf Grund unveröffentlichter Akten aus dem britischen Staatsarchiv, Bd. 1: 1933 bis 1936, Stuttgart 1972, S. 53. Tyrrell an Simon, Paris, 27. 12. 1933, BDFA, II, J, Bd. 5, Nr. 103, S. 124f.; Vansittart an Campbell, London, 12. 9. 1933, DBFP, 2. Serie, Bd. V, Nr. 387, S. 584f. Zumal auch im Foreign Office seit Längerem Zweifel darüber bestanden, ob der Artikel 213 des Versailler Vertrages auf die entmilitarisierte Zone anwendbar sei, BDFA, II, F, Bd. 36, Nr. 134, S. 116f. DDF, 1. Serie, Bd. V, Nr. 175, S. 368–371. DBFP, 2. Serie, Bd. VI, Nr. 313, S. 473–479. DDF, 1. Serie, Bd. V, Nr. 167, S. 330–338 u. Nr. 178, S. 376–378; BDFA, II, J, Bd. 5, Nr. 103, S. 124f.; DBFP, 2. Serie, Bd. VI, Nr. 313, S. 473ff. DDF, 1. Serie, Bd. V, Nr. 281, S. 544f.; Tagebuch Weygand, 16. 11. 1933, Guelton: Weygand, S. 306f. Pétain an Barthou, Paris, 20. 2. 1934, DDF, 1. Serie, Bd. V, Nr. 411, S. 774–776.

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

1934, Deutschland sei dabei, drei Flugplätze und vier Flugfelder in der Rheinzone zu vergrößern; dazu komme die Errichtung elf neuer Flugplätze und die Wiederinbetriebnahme vier aufgegebener Flugfelder390 . Anfang März meldeten französische Agenten, es stünden insgesamt 50 000 Mann Polizei in der Rheinlandzone und die Hilfspolizei, die man im Sommer 1933 als rechtswidrig entlarvt hatte, sei gar nicht aufgelöst, sondern existiere unter anderen Namen weiter391 . Jede Information, die die Franzosen über deutsche Verstöße besaßen, erzählten sie brühwarm den Engländern. Am 17. Februar 1934 fragte Doumergue seine britischen Gäste theatralisch, was aus der entmilitarisierten Zone würde, wenn die Deutschen fortführen, dort neue Flughäfen zu bauen392 . In dieselbe Kerbe schlug Barthou, als er Eden am 1. März erklärte, Paris sei nicht zu Konzessionen in der Rüstungsfrage bereit, solange die SA in der entmilitarisierten Zone tue, was sie wolle, und die Deutschen dort weiterhin neue Flugplätze anlegen würden393 . Indes, es half nichts. England ließ sich nicht bewegen, wegen dieser Verstöße ein Locarnoverfahren gegen Deutschland einzuleiten. Zwei Gründe gaben den Ausschlag. Erstens interpretierten die Verantwortlichen im Foreign Office die Absicht, den Artikel 213 des Versailler Vertrages anzuwenden, als eine Rückkehr zur Vorkriegskonstellation, in der sich England und Frankreich gemeinsam gegen Deutschland stellten394 ; das gleiche galt aus Sicht des Foreign Office für ein Locarnoverfahren, das nicht durch ein Votum Frankreichs und Englands losgetreten werden könne, sondern nur durch einen Beschluss des Völkerbundsrates395 . Diese Politik sollte so lange als möglich verhindert werden. Zweitens waren die Briten nicht länger bereit, sich wegen der Rheinlandzone wie ein Tanzbär herumführen zu lassen. Seit der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland hatten Franzosen und Belgier immer wieder versucht, die Briten in ein gemeinsames Manöver einzuspannen. Im März 1933 forderte Brüssel, man solle sich auf eine gemeinsame Linie hinsichtlich der Artikel 42 und 43 des Versailler Vertrages einigen396 . Im Sommer 1933 beklagten sich Paris und Brüssel über die Hilfspolizei, und im September bemühte sich Daladier unter Verweis auf deutsche Verstöße in der entmilitarisierten 390 391 392 393

394 395 396

Denain an Barthou, Paris, 23. 2. 1934, ebenda, Nr. 427, S. 804–806. Aufzeichnung Mollard, o. O., 7. 3. 1934, AMAEE, Série Z, La rive gauche du Rhin, Bd. 281. DDF, 1. Serie, Bd. V, Nr. 402, S. 740–751. Ebenda, Nr. 452, S. 849–855. Nach den Aufzeichnungen des britischen Botschafters behauptete Barthou, „that violation of the demilitarized zone was becoming increasingly flagrant“, DBFP, 2. Serie, Bd. VI, Nr. 323, S. 491f. Aufzeichnung Simon, London, 9. 3. 1934, TNA, CAB 24/248. Foreign Office Memorandum, London, 9. 2. 1934, ebenda. Aufzeichnung Huxley, London, 3. 3. 1933, TNA, FO 371/16740.

4.3 Die Locarnokonzeptionen in England und Frankreich

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Zone, England auf ein förmliches Sanktionsverfahren festzulegen397 . Die Briten dagegen meinten, sie hätten mit ihrer Zustimmung zur période d’épreuve des Simonplans genug getan gegen die Bedrohungen, denen Frankreich durch die fortdauernden Verletzungen der entmilitarisierten Zone ausgesetzt war398 . Weitere Zugeständnisse, mochten die Franzosen auch noch so klagen, wollten die Briten wegen der Rheinlandzone nicht machen. Vor diesem Hintergrund entschied die französische Führung, auf weitere Bemühungen zu verzichten. Mit Locarno könne er nichts anfangen, bekannte Weygand im April gegenüber einem britischen Gesprächspartner399 . In der Note vom 17. April, mit der Paris alle weiteren Rüstungsgespräche unterbrach, diente der Hinweis auf die Anlage verbotener Flugplätze in der entmilitarisierten Zone nur noch dazu, den eigenen Schritt zu rechtfertigen, es waren keine Forderungen mehr daran geknüpft. Auch in London hatten sich schon bald nach dem deutschen Austritt aus dem Völkerbund ernste Zweifel geregt, ob das britische Bekenntnis zu Locarno vom November ausreichte, den entmilitarisierten Status des Rheinlandes zu sichern. Eine Aufzeichnung des Foreign Office vom 29. November 1933 stellte fest, dass Deutschland unter Verweis auf seine Gleichberechtigung jederzeit die Entmilitarisierungsklauseln in Frage stellen könne und daher über die britische Erklärung hinaus eine Bekräftigung Locarnos durch Hitler notwendig sei400 . Wie zutreffend diese Einschätzung war, wurde klar, als nach der Unterzeichnung des deutsch-polnischen Nichtangriffspaktes Nachrichten nach London drangen, die von geheimen militärischen Vorbereitungen der Deutschen in der entmilitarisierten Zone sprachen401 . Angesichts solcher Berichte vermerkte Wigram am 9. März 1934, das Kabinett müsse sich über eine Politik zur Rheinlandzone klarwerden. „If we attach importance to the demilitarization of the Rhineland”, urteilte er in einer Vorlage für den Minister, „it seems to me that it is time to realize that, as things are going, we may very shortly lose it.“402 Kurz darauf nahm Sargent den Ball auf und erklärte, die Existenz der entmilitarisierten Zone sei in der Tat wichtig; er empfahl, den deutschen Botschafter deswegen zu warnen403 . 397 398

399 400 401 402 403

DBFP, 2. Serie, Bd. V, Nr. 399, S. 600ff. u. Nr. 406, S. 612ff. Frankreich hatte seit Beginn der Abrüstungskonferenz immer wieder auf Verletzungen der entmilitarisierten Zone hingewiesen und britische Gegenmaßnahmen gefordert, Simon an Phipps, London, 7. 12. 1933, TNA, FO 411/17. Tagebuch Kennedy, 13. 4. 1934, Kennedy: Journals, S. 135. Foreign Office Memorandum, London, 29. 11. 1933, BDFA, II, J, Bd. 1, Nr. 37, S. 162–167. Phipps an Simon, Berlin, 13. 3. 1934, DBFP, 2. Serie, Bd. VI, Nr. 347, S. 545. Aufzeichnung Wigram, London, 9. 3. 1934, TNA, FO 371/17694. Aufzeichnung Sargent, London, 27. 3. 1934, ebenda. Noch Anfang April 1934 erklärte Vansittart in einer Denkschrift, in der er sich ausführlich mit der künftigen Politik Deutschlands befasste, es sei nur eine Frage der Zeit, bis Deutschland in der entmili-

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

Die Entscheidung, die das Kabinett auf das Drängen des Foreign Office im Frühjahr 1934 traf, hatte grundsätzliche Bedeutung für die weitere Entwicklung. Hier entschied man nämlich, entgegen den Empfehlungen des Foreign Office, eine direkte Bestätigung der entmilitarisierten Zone zu vermeiden und stattdessen eine Erklärung über die Sicherheit Belgiens abzugeben. Praktisch erlosch damit das britische Interesse am Erhalt der entmilitarisierten Zone. Dies belegen mehrere Aufzeichnungen vom März 1934, die Außenminister Simon zur Unterrichtung des Kabinetts anfertigte. In einer Denkschrift vom 21. März 1934 untersuchte er ausführlich den Stand der deutschen Aufrüstung und ihre Rückwirkungen auf die britische Politik404 . Scharfsinnig legte er das Dilemma frei, in dem die deutsche Führung steckte. Die deutschen Rüstungen, so Simons Verdikt, seien weiterhin ungenügend, um eine französische Intervention aufzuhalten oder das Rheinland zu sichern. Im Gegenteil bilde ihre Illegalität „a source of diplomatic weakness“. Daher werde der deutschen Führung früher oder später nichts anderes übrig bleiben, als bei England und Frankreich um den Abschluss einer Konvention nachzusuchen. Dabei, da war sich Simon sicher, würde die Existenz der Rheinlandzone auf der Strecke bleiben. Die effektive Demilitarisierung des Rheinlandes, so Simon resigniert, sei praktisch seit 1927, mit dem Abzug der IMKK aus Deutschland, problematisch geworden405 . Damit traf Simon faktisch die Entscheidung, die entmilitarisierte Zone am Rhein zur Disposition zu stellen. Dem entsprach eine Interpretation der internationalen Verpflichtungen Londons, die darauf abzielte, die völkerrechtlichen Bindungen der Rheinlandzone auf die britische Politik kleinzureden. Diesen Schritt vollzog Simon in einer weiteren Denkschrift vom 23. März 1934, in welcher er die Verpflichtungen Englands unter Locarno resümierte406 . Darin hatte sich die Auffassung Malkins durchgesetzt, wonach der Völkerbund über jeden Bruch des Artikels 2 des Rheinpaktes genauso wie der Artikel 42 und 43 des Versailler Vertrages zu entscheiden habe407 . Wenn der Völkerbund keine einstimmige Entscheidung treffe, würde auch keine Verpflichtung zum Beistand erwachsen. In jedem Fall bleibe London Herr über seine Entscheidungen408 . Im Übrigen, so Simon, seien die Artikel des Locarnopaktes als ergänzende Bestimmungen zur Völkerbundssatzung gedacht, die Verpflichtungen des Rheinpaktes

404 405 406 407 408

tarisierten Zone losschlagen werde; Hoesch, der vor seiner Zeit in London deutscher Botschafter in Paris gewesen ist, habe recht offen darüber gesprochen, TNA, CAB 24/248. Aufzeichnung Simon, London, 21. 3. 1934, BDFA, II, F, Bd. 45, Nr. 43, S. 85–91. Ebenda. Aufzeichnung Simon, London, 23. 3. 1934, TNA, CAB 24/248. TNA, FO 408/64. Zu dieser Sichtweise vgl. auch Aufzeichnung Hurst, London, 13. 5. 1925, DBFP, 1. Serie, Bd. XXVII, Nr. 317, S. 490f. Aufzeichnung Basdevant, Paris, 6. 11. 1933, AMAEE, Série Relations multilatérales, Service français de la Société des Nations, Bd. 755. Die Denkschrift entstand anlässlich einer Rede Edens im Herbst 1933, bei welcher dieser ähnliche Gedanken äußerte wie Simon.

4.3 Die Locarnokonzeptionen in England und Frankreich

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würden stets aus Fällen erwachsen, in welchen der Völkerbundsrat unter einem Artikel der Satzung zu entscheiden hätte409 . Entsprechend den Markierungen, die Simon in seinen Denkschriften gesetzt hatte, blieb dem Kabinett, das sich am 22. März 1934 traf, um den künftigen Kurs der britischen Sicherheitspolitik abzustecken, keine andere Wahl, als die entmilitarisierte Zone fallenzulassen. England, so führte der Außenminister aus, habe in Europa überhaupt nur zwei Sicherheitsinteressen, nämlich erstens den Schutz der Hauptstadt London vor feindlichen Angriffen; diese Aufgabe ruhte allein auf den Schultern der britischen Streitkräfte. Und zweitens die Integrität Belgiens, zu welcher sich England durch die Völkerbundssatzung sowie den Locarnopakt verpflichtet hatte410 . Am Ausbau von weiteren Sicherheitsinstrumenten bestünde kein Interesse (zumal auch, wie immer wieder betont wurde, die Dominions keine weitere Verpflichtungen übernehmen würden). Immerhin erklärte sich das Kabinett bereit, zwei alternative Vorschläge zu prüfen (diese Aufgabe sollte ein dafür eingerichtetes Ministerial Committee übernehmen). Der erste Weg drehte sich um die Möglichkeit, die belgische Sicherheit durch eine Erklärung zur belgischen Unabhängigkeit und durch die Aufnahme von Stabsgesprächen zu verstärken. Dieser Weg führte – über den Umweg deutsch-belgischer Verhandlungen zu einem Nichtangriffspakt – zu der Erklärung vor dem Unterhaus, die Simon im Juli 1934 zu Gunsten Belgiens abgab411 . Die andere Möglichkeit bestand darin, den Franzosen zusätzliche Versicherungen zu geben. Man könne beispielsweise, so Simon, über eine allgemeine Bekräftigung Locarnos reden, von der die Rheinlandzone aber ausgeklammert bleiben sollte412 . Ganz auf dieser Linie lag die Denkschrift, die Sargent Ende März 1934 zur Locarnofrage vorlegte413 . Während er die entmilitarisierte Zone nicht erwähnte, sah er die Möglichkeit, den Locarnopakt zu Gunsten Frankreichs zu erweitern, indem man die Garantien des Rheinpaktes entweder auf eine Rüstungskonvention oder auf alle Grenzen Deutschlands ausdehnte. Abschließend visierte er sogar die Möglichkeit an, „technische Arrangements“ mit 409 410

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Diese Argumentation ist bereits Anfang der dreißiger Jahre im Foreign Office entwickelt worden, Aufzeichnung Beckett, London, 22. 9. 1930, TNA, FO 371/14994. Kabinettssitzung, 22. 3. 1934, TNA, CAB 23/78; Aufzeichnung Simon, London, 29. 6. 1934, TNA, CAB 24/249; vgl. M. L. Roi: Alternative to Appeasement. Sir Robert Vansittart and Alliance Diplomacy, 1934–1937, Westport/Connecticut u. London 1997, S. 61. Ebenda, S. 36. Demnach erklärte London, dass die belgische Unabhängigkeit ein wichtiger Faktor der britischen Politik bleibe. Dies implizierte eine Bekräftigung Locarnos und die Bereitschaft, die Integrität Belgiens auch mit Waffengewalt zu verteidigen. Aufzeichnung Simon, London, 9. 5. 1934, TNA, CAB 24/249. Auf dieser Linie lag die Entscheidung des Kabinetts, die französisch-belgischen Militärkontakte nicht zu blockieren, TNA, CAB 23/78. Aufzeichnung Sargent, London, 26. 3. 1934, TNA, FO 371/17746.

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

Frankreich und Belgien abzuschließen414 . Dieser Option wurde durch die Note vom 17. April, mit der Paris aus den Rüstungsgesprächen ausstieg, der Boden entzogen, denn laut Beschluss vom 22. März sollte an neue Garantien für Frankreich nur gedacht werden, wenn Paris im Gegenzug dafür bereit war, ein „Minimum“ an deutscher Aufrüstung zu akzeptieren415 . Mit dem Scheitern der Franzosen, Belgien und England enger an sich zu binden, und der Entscheidung des britischen Kabinetts, keine Bestandsgarantie für die entmilitarisierte Zone abzugeben, hatten sich die britischen und französischen Politiker und Diplomaten im Jahr 1934 ein gutes Stück von den Fundamenten Locarnos gelöst. Die Folge des deutschen Völkerbundsaustritts war also nicht eine französisch-britisch-belgische Annäherung, wie die Deutschen argwöhnten, sondern eine weitere Auflösung der Locarnostrukturen. So ist der Einschätzung des britischen Weltkriegspremiers, David Lloyd George, zuzustimmen, der im Sommer 1934 auf die Frage eines Journalisten, ob der Locarnopakt tot sei, zurückgab: „So it is. There is no doubt about that.“416 Umso überraschender kam die Wende, als London und Paris im Jahr 1935 zu einem letzten Versuch ansetzten, die Sicherheit Europas wieder in die Hände Locarnos zu legen. Die Idee, Europa einen neu geschmiedeten Locarnopanzer anzulegen, hatte ihren Ursprung in den britisch-französischen Sicherheitsgesprächen in London vom 1. bis 3. Februar 1935. Seit dem Spätjahr 1934 hatte sich London bemüht, den Gesprächsfaden zu einer internationalen Rüstungskonvention wieder neu anzuknüpfen. Am 20. November 1934 instruierte Simon den Botschafter in Berlin, sofort Hitler aufzusuchen und ihm die britischen Sorgen über die deutschen Rüstungen darzulegen417 . Die Aufrüstung Deutschlands, so hieß es in der Weisung Simons, blockiere jede Aussicht auf eine friedliche Lösung. Im Übrigen stelle sich London allen Versuchen entgegen, das Rüstungsproblem mit der Saarfrage zu verknüpfen. Die Demarche, die Phipps am 27. November 1934 beim Reichskanzler ausführte, geriet zum Desaster. Ohne auf die Vorstellungen des Briten einzugehen, holte Hitler zu langen Reden aus, um seine grenzenlose Bereitschaft zur Verständigung zu beweisen. Aber die anderen Mächte, so klagte er, seien nie auf seine Angebote eingegangen. Stattdessen, so Hitler, habe der britische Außenminister erklärt, die englische Grenze liege am Rhein, und Frankreich sei ein Militärbündnis mit Moskau wie vor dem Krieg eingegangen. Nun bemühe sich England, alle Mächte in einer gemeinsamen Front gegen Deutschland zu verbinden; dies schaffe aus deutscher Sicht eine ernste Situation418 . Ohne 414 415 416 417 418

Ebenda; Ministerbesprechung, 29. 6. 1934, TNA, CAB 24/249. TNA, CAB 23/78. Interview mit Lloyd George, 10. 5. 1934, Crozier: Record, S. 20. Simon an Phipps, London, 20. 11. 1934, BDFA, II, F, Bd. 45, Nr. 250, S. 378f. DGFP, C, Bd. III, Nr. 358, S. 681; BDFA, II, F, Bd. 45, Nr. 253, S. 380f.

4.3 Die Locarnokonzeptionen in England und Frankreich

221

Ergebnis zog Phipps von dannen. Zwar ließ ihn Neurath am folgenden Tag zu sich kommen, um den Äußerungen Hitlers in vernünftigen Worten die Schärfe zu nehmen419 , aber London hatte seine Lehren aus der Unterredung bereits gezogen. Statt nach Berlin führte der britische Weg jetzt nach Paris. Frankreich und England, so lautete der Kern des Planes, den das Kabinett am 12. Dezember 1934 beschloss und den Simon am 22. Dezember den Franzosen vorschlug, sollten sich auf ein gemeinsames Programm in der Rüstungs- und Sicherheitsfrage verständigen, auf dessen Grundlage dann in Dreiergesprächen mit Deutschland verhandelt werden könne. Der britische Plan kreiste um zwei Bereiche. Die Standpunkte Frankreichs und Englands seien nur anzunähern, so die Überzeugung Whitehalls, wenn beide Seiten zu Konzessionen bereit wären. Erst dann wäre es in einem zweiten Schritt möglich, mit Deutschland zu einem General Settlement zu kommen, also einer Regelung, die Abrüstung und Sicherheit gleichermaßen umfasste420 . Auf eine kurze Formel gebracht sah der britische Plan vor, Deutschland das Recht auf Aufrüstung anzuerkennen, um das Reich im Gegenzug in den Völkerbund zurückzubringen421 . Fortan drehte sich die Diskussion in London um die Frage, wie mögliche Konzessionen an Frankreich und Deutschland aussehen könnten. Schnell standen die Verträge von Locarno im Mittelpunkt der Debatte. Schon Mitte Dezember 1934, als das Committee on German Rearmament seine Arbeit mit der Empfehlung beendet hatte, in Sachen deutsche Aufrüstung mit Paris in Kontakt zu treten, war Simon mit dem Gedanken vorgeprescht, man könne Frankreich einige Verbesserungen an Locarno als Zugeständnis dafür anbieten, dass Paris eine Aufrüstung Deutschlands billige. Dazu zählte er die Zusicherung unmittelbarer Hilfe an Frankreich bei einer flagranten Verletzung genauso wie die Aufnahme von regelmäßigen Gesprächen zwischen den britischen, französischen und belgischen Generalstäben. Außerdem schlug er vor, die britische Regierung könne den Erhalt der entmilitarisierten Zone zum vitalen Interesse Englands erklären422 . Mit solchen Planspielen stand Simon im Kabinett aber alleine da. Keine seiner Anregungen schaffte den Sprung in

419 420 421

422

Tagebuch Dodd, 30. 11. 1934, Dodd: Diplomat, S. 226f.; BDFA, II, F, Bd. 45, Nr. 255, S. 381. Vgl. N. H. Gibbs: Grand Strategy, Bd. I: Rearmament Policy, London 1976, S. 142–144; Roi: Alternative, S. 73. Aufzeichnung Perowne, London, 21. 12. 1934, DBFP, 2. Serie, Bd. XII, Nr. 308, S. 346– 350. In diesem Sinne wandte sich Simon am 19. Januar 1935 an den König. Das Jahr 1935, schrieb er Georg V., werde ein entscheidendes Jahr. England habe die Wahl zwischen der ungebremsten Aufrüstung Deutschlands oder dem Abschluss eines Abkommens, das die Änderung der Friedensverträge und die Rückkehr Deutschlands in die Völkerrechtsgemeinschaft vorsah, zit. bei I. Colvin: Vansittart in Office. An historical survey of the origins of the Second World War based on the papers of Sir Robert Vansittart, London 1965, S. 40. Vgl. D. Dutton: A political biography of Sir John Simon, London 1992, S. 187–189.

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

den Abschlussbericht des Komitees vom 18. Dezember 1934423 . Doch Simon ließ sich nicht entmutigen. Am 9. Januar 1935 übersandte er seinen Kabinettskollegen zur Vorbereitung des französisch-britischen Gipfeltreffens ein Memorandum, in dem er mögliche Beiträge Londons zur Sicherheitsarchitektur Europas thematisierte424 . Darin ventilierte er die Idee, eine Erklärung abzugeben, die nicht weniger als die Neudefinition der britischen Locarnoverpflichtungen im Auge hatte. Getreu dem Motto, keine neuen Bindungen zu übernehmen, aber bestehende Verpflichtungen zu intensivieren425 , gab Simon die Anregung, die englische Regierung könne Paris versprechen, im Fall einer flagranten Verletzung des Rheinpaktes durch Deutschland Frankreich „unmittelbar“ (immediate) und „mit allen Mitteln“ (by all her means in her power) militärischen Beistand zu leisten. Weiter solle London erklären, die belgische Unversehrtheit und die entmilitarisierte Rheinzone zu beachten und sich für ihren Bestand einzusetzen426 . Das waren die Werkzeuge, mit denen Simon das Dach Europas abstützen wollte, aber das Kabinett, das am 14. Januar 1935 über die Vorlage Simons beriet, brachte dem Außenminister eine schallende Ohrfeige bei427 . Allen Plänen, die darauf abzielten, dem Locarnopakt „Zähne zu geben“, wurde eine eindeutige Absage erteilt. Das Versprechen unmittelbarer Hilfe unter Locarno, so führte Kriegsminister Hailsham aus, sei eine Falle. Es ändere die britische Position gegenüber Belgien und lege London an die französische Leine, weil man die Entscheidung darüber, ob eine Verletzung Locarnos vorläge, der Pariser Führung überlasse. Ebenfalls wurden Stabsgespräche zwischen England und Frankreich abgelehnt. Solche Besprechungen, entschied die Kabinettsmehrheit, seien unvereinbar mit der britischen Politik, Deutschland zurück in den Völkerbund zu bringen. Schließlich kippte das Kabinett auch Simons Pläne zur entmilitarisierten Zone. Der Fortbestand der entmilitarisierten Rheinzone, so wurde auf Antrag von Neville Chamberlain beschlossen, sei kein vitales Interesse der britischen Politik. Dieser Kabinettsbeschluss war nicht die große Zäsur, die die Forschung in ihm sehen wollte, sondern bestätigte nur die Linie, die die britische Politik seit längerem verfolgte. Faktisch hatte die britische Regierung bereits im Frühjahr 1934 aufgehört, die entmilitarisierte Zone als grundlegenden Bestandteil für Englands Sicherheit zu betrachten428 . Im Laufe des Jahres 1934 hatte sich diese Haltung noch weiter verfestigt. Die Briten nahmen es den Franzosen und 423 424 425 426 427 428

TNA, CAB 27/572. Aufzeichnung Simon, London, 9. 1. 1935, TNA, CAB 24/253. Hoesch an Bülow, London, 17. 7. 1934, OBS, I 31. Ebenda; vgl. Barnett: Collapse, S. 400; Gibbs: Strategy, Bd. I, S. 146. TNA, CAB 23/81; vgl. Barnett: Collapse, S. 400; Gibbs: Strategy, Bd. I, S. 228. Vgl. Emmerson: Rhineland, S. 57; Gibbs: Strategy, Bd. I, S. 146f. Dazu passt es, dass das britische Weißbuch vom 1. März 1935 die verteidigungspolitischen Maximen, die das Kabinett im Frühjahr 1934 ausgegeben hatte, festschrieb, indem es die Verteidigung Londons

4.3 Die Locarnokonzeptionen in England und Frankreich

223

Belgiern übel, dass beide immer wieder versuchten, unter Verweis auf deutsche Verstöße gegen die Entmilitarisierungsbestimmungen die britische Regierung zu gemeinsamen Aktionen gegen das Reich anzustacheln. Erst im November 1934 hatte die belgische Regierung versucht, durch den Nachweis deutscher Militärvorbereitungen im Rheinland neuen Schwung in die Debatte über einen britisch-belgischen Garantiepakt zu bringen429 . Die Briten reagierten auf solche Vorstellungen mit Unverständnis430 . Der Kabinettsbeschluss vom 14. Januar 1935 war aber genauso wenig der Auftakt einer Kampagne, die entmilitarisierte Zone als Tauschobjekt für deutsche Zugeständnisse in der Sicherheitsfrage einzusetzen, wie in der Literatur häufig zu lesen ist431 . Eine solche Sichtweise verkennt die Absichten Londons. Der Kern der britischen Strategie zielte gerade darauf ab, den Fortbestand der entmilitarisierten Zone zu sichern, indem man Deutschland den Teil V des Versailler Vertrages als Verhandlungsmasse anbot. Die Ersetzung des Teils V durch eine Rüstungskonvention, hieß es folgerichtig in einem Bericht MacDonalds vom 11. Dezember 1934, tangiere ausdrücklich nicht den Status der Rheinlandzone432 . Ganz auf dieser Linie urteilte Phipps, die entmilitarisierte Zone „may yet be saved for the present particularly if German requirements elsewhere are granted“433 . War damit die Taktik der britischen Unterhändler in den französischbritischen Gespräche, die vom 1. bis 3. Februar 1935 in London stattfanden, insbesondere darauf ausgelegt, alle Verpflichtungen abzulehnen, die die britische Politik zu sehr binden könnten, bemühten sich demgegenüber die französischen Delegationsführer, Ministerpräsident Pierre-Etienne Flandin und Außenminister Pierre Laval, alle denkbaren Sicherheitsinstrumente, die die französische Rüstkammer bot, in die Diskussion zu werfen, um so viel Sicherheit wie möglich in das Abschlusskommuniqué zu packen. Dazu diente Lavals Theorie von den „drei Arten der Sicherheit“. Danach unterschied Laval erstens „diplomatische Sicherheit“, die im Westen durch den Locarnopakt garantiert sei, aber noch keine Entsprechung im Osten gefunden habe. Zweitens gebe es „militärische Sicherheit“, die auf dem Verhältnis der Streitkräfte beruhe. Drittens, so Laval, sei das Sicherheit durch Ausführungsgarantien,

429 430 431 432 433

sowie Integrität „bestimmter Territorien am Kanalufer“ als „vital interests“ der britischen Militärpolitik bestätigte. Vgl. dazu ausführlich Gibbs: Strategy, Bd. I, S. 170ff. DBFP, 2. Serie, Bd. XII, Nr. 195, S. 222 Anm. 3. Aufzeichnung, o. V., London, 14. 11. 1934, TNA, WO 190/277. So Meyers: Locarno, S. 315. Bericht MacDonald, London, 11. 12. 1934, TNA, CAB 27/572. Wörtlich hieß es dort: „There would be no tampering with the clause which dealt with the demilitarised zone.“ DBFP, 2. Serie, Bd. XII, Nr. 556, S. 628. Phipps hatte freilich im Januar 1935 noch geurteilt, ein Abkommen über die deutsche Gleichberechtigung würde wahrscheinlich „the militarisation of the Rhine“ in sich schließen, BDFA, II, F, Bd. 46, Nr. 9, S. 17.

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

die in der Lage seien, Frankreich Schutz vor Aggressionen zu geben434 . Vor diesem Hintergrund forderten die Franzosen nicht nur Deutschlands Rückkehr in den Völkerbund, sondern bedrängten die Briten auch, neue politische Sicherheiten zu unterstützen. Aus der Sicht Lavals boten sich hier verschiedene Möglichkeiten. Das nächstliegende war es, die Rüstungskonvention mit einem Regionalpakt über gegenseitigen Beistand zu koppeln (so genannte Ausführungsgarantien)435 . Ein Staat, der die Rüstungsklauseln der Konvention breche, werde militärische Sanktionen der anderen Signatare auf sich ziehen. Des Weiteren ventilierten Laval und Flandin die Idee, einen Vertrag über die Definition des Angreifers zu unterzeichnen und den Locarnopakt zu bestätigen. Schließlich verlangten die französischen Politiker von London, die laufenden Paktprojekte wie Ostpakt436 und Donaupakt437 wohlwollend zu behandeln438 . Damit lagen sie genau auf der Schiene, die die französische Diplomatie seit einiger Zeit verfolgte und die sich aus zwei Erkenntnissen speiste. Erstens waren aus der Sicht Frankreichs die Sicherheitsversprechen Locarnos vor dem Hintergrund der deutschen Rüstungen nicht mehr zeitgemäß439 . Im Sommer 1934 konstatierte eine Denkschrift des Quai d’Orsay, Locarno habe seinen vollen Wert verloren und es sei an der Zeit, über Alternativen nachzudenken440 . Die Englandreise Barthous hatte ergeben, dass London, vor die Wahl gestellt, ob es eine quantitative Erweiterung oder eine qualitative Verbesserung Locar434 435 436

437

438 439 440

DDF, 1. Serie, Bd. IX, Nr. 136, S. 211. Aufzeichnung Strang, London, 8. 1. 1935, TNA, FO 371/18823; DDF, 1. Serie, Bd. VIII, Nr. 340, S. 514–518; BDFA, II, J, Bd. 6, Nr. 118, S. 212. Die Aufnahme des französisch-sowjetischen Ostpaktprojekts, das Barthou und Litwinow im Sommer 1934 vorgestellt hatten, in das britisch-französische Papier war ein notwendiger Schachzug, um die Unterstützung Moskaus zu erhalten und die französisch-sowjetische Annäherung nicht zu gefährden. Die sowjetische Führung reagierte am 20. Februar 1935 durch eine Note, in welcher das britisch-französische Kommuniqué begrüßt wurde. Wenn alle Abrüstungsbestrebungen scheitern würden, so hieß es, brauche man regionale Pakte mit gegenseitiger Unterstützungspflicht, J. Degras (Hg.): Soviet Documents on Foreign Policy, Bd. III: 1933–1941, New York 1978, S. 118–120; vgl. M. Beloff: The Foreign Policy of Soviet Russia 1929–1941, Bd. 1: 1929–1936, London u. a. 1949, S. 149f. Das Projekt eines Donaupaktes war Gegenstand der „Römischen Abkommen“, die Laval und Mussolini im Januar 1935 unterzeichnet hatten, vgl. Th.-P. Friedl: Die geheimen Zusatzprotokolle in den „Accords de Rome“ vom 7. Januar 1935. Französische und italienische Interessen in Afrika und Europa und das Scheitern der Sicherstellung der österreichischen Unabhängigkeit (Europäische Hochschulschriften, XXXI, Bd. 388), Frankfurt/M. u. a. 1999 (Diss. phil. München 1999). Aufzeichnung Bülow, Berlin, 16. 1. 1935, PA AA, R 29456. Aufzeichnung Geyr v. Schweppenburg, o. O. [Irschenhausen], o. D., IfZ, ED 91, Bd. 40. Aufzeichnung, o. V., für Massigli, Paris, 3. 7. 1934, AMAEE, Série Relations multilatérales, Service français de la Société des Nations, Bd. 755.

4.3 Die Locarnokonzeptionen in England und Frankreich

225

nos (die auf eine französisch-britisch-belgische Defensivallianz hinauslief441 ) bevorzuge, es ablehnte, neue Commitments über Locarno hinaus zu übernehmen. Weil dieser Weg auf Grund der deutschen Ablehnung des Ostpaktes vom September 1934 auf Eis lag, schien nun der Zeitpunkt gekommen, in London auf qualitative Verbesserungen Locarnos zu pochen. Zweitens sah man in Paris die Statuten der entmilitarisierten Zone durch den Rheinpakt nicht mehr ausreichend gesichert. Während auf einer Sitzung des Haute comité militaire am 23. Januar 1935 Einigkeit unter den Militärs bestand, dass die entmilitarisierte Zone unter allen Umständen gehalten werden müsse442 , blieb völlig offen, wie diese Vorgabe umzusetzen sei. Die Stellungnahmen der Wehrministerien, die Ende Januar 1935 den Quai d’Orsay erreichten, waren voll von deutschen Verstößen gegen die Entmilitarisierungsbestimmungen und verwiesen auf die Notwendigkeit, Klarheit von England zu erhalten, unter welchen Bedingungen der Locarnobeistand zum Tragen käme443 . In einem zukünftigen Krieg, so versuchte Flandin einem britischen Gesprächspartner die französischen Befürchtungen klarzumachen, werde ein möglicher Aggressor so schnell zuschlagen, dass dem Gegner keine Zeit bliebe, militärisch zu reagieren. „In such circumstances“, so Flandin, „Locarno would be useless if it involved discussion at Geneva before action could be taken.“444 Eine Aufzeichnung des Generalstabes vom 26. Januar 1935 brachte das ganze Dilemma, in dem die französische Führung steckte, auf den Punkt. Die Bestimmungen der entmilitarisierten Zone, so hieß es da, müssten unter allen Umständen intakt bleiben, aber dies könne nur erreicht werden, wenn es gelänge, England zum automatischen Beistand bei jedweder Verletzung der entmilitarisierten Zone zu bewegen. Hierfür, so die Note weiter, benötige man ein festes Verfahren, um Verletzungen in der Rheinlandzone schnell feststellen zu können445 . Damit war der Verhandlungsspielraum für London abgesteckt. Viele Bestimmungen des Rheinpaktes, so stellte eine Aufzeichnung vom 26. Januar 1935 fest, seien nicht geregelt und könnten Gegenstand von Präzisierungen sein446 . So sei im Rheinpakt weder niedergelegt, wie eine Verletzung der entmilitarisierten Zone festgestellt würde, noch seien die Modalitäten des militärischen Beistandes definiert. Dazu kämen unklare Begriffe wie „acte non provoqué d’agression“ und „rassemblement de forces armées“. Das läge daran, dass England bislang vermieden habe, sich festzulegen. Entsprechend unklug 441 442 443 444 445

446

Ebenda. DDF, 1. Serie, Bd. IX, Nr. 57, S. 90. Ebenda, Nr. 101, S. 151–155 u. Nr. 102, S. 155–162. Aufzeichnung Harvey, London, 25. 1. 1935, DBFP, 2. Serie, Bd. XII, Nr. 371, S. 419. Aufzeichnung des Generalstabes, Paris, 26. 1. 1935, SHD, 7 N 3559; Aufzeichnung, o. V., für Massigli, Paris, 31. 1. 1935, AMAEE, Série Relations multilatérales, Service français de la Société des Nations, Bd. 756. Aufzeichnung, o. V., Paris, 26. 1. 1935, ebenda.

226

4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

sei es, so die Aufzeichnung, London mit der Bitte nach einem zweiseitigen Militärakkord zu verschrecken. Besser sei es, begriffliche Klarstellungen zu verlangen, in dem Sinn, dass London eine authentische Interpretation eines „nicht provozierten Angriffs“ ablieferte oder automatische Hilfe für den Fall eines Luftangriffs versprach. Weitere Ideen, die Massigli Ende Januar 1935 auf den Schreibtisch flatterten, drehten sich um die Ausarbeitung einer verbindlichen Liste mit Verstößen gegen die Artikel 42 und 43 des Versailler Vertrages, bei denen England zwingend zu militärischer Hilfeleistung verpflichtet wäre, und um eine automatische Beistandserklärung an Belgien447 . Aber noch bevor die Londoner Konferenz begann, zerplatzten die meisten der französischen Seifenblasen. Bereits im Vorfeld hatten die Briten klargemacht, nicht über mögliche britisch-französische Generalstabsbesprechungen zur Umsetzung des Locarnovertrages reden zu wollen448 . Gleiches galt für die entmilitarisierte Zone. Das Kabinett hatte den britischen Unterhändlern keine Ermächtigung erteilt, über die Probleme des Rheinlandes zu sprechen449 . Ausführungsgarantien lehnte die britische Seite ab, weil sie neue Verpflichtungen bedeutet hätten. Positiv äußerten sich die Engländer eigentlich nur zu den Bemühungen, Deutschland zurück nach Genf zu lotsen, sowie zum Ostpaktprojekt, das man schon im Sommer 1934 unterstützt hatte und nun schlecht ablehnen konnte, zumal die Franzosen signalisierten, weitere Veränderungen am Ostpakt vorzunehmen450 . Das Kommuniqué vom 3. Februar 1935451 , das die Punkte der Verhandlungen zusammenfasste, stellte einen Kompromiss der dargestellten Positionen dar. Von Generalstabsgesprächen oder den Bestimmungen der entmilitarisierten Zone war darin keine Rede mehr, wie überhaupt jede Erwähnung des Rheinpaktes vermieden wurde. Stattdessen entwarf das Kommuniqué das Bild eines frei ausgehandelten General Settlement zwischen Deutschland und den Westmächten. Auf der Grundlage der Fünfmächteerklärung vom 11. Dezember 1932 sollten die Parteien übereinkommen, den Teil V des Versailler Vertrages durch eine Rüstungskonvention zu ersetzen, im Austausch gegen ein Sicherheitssystem, welches Deutschlands Rückkehr in den Völkerbund sowie die Zustimmung zu Ost-, Donau- und Luftpakt vorsah. Bedeutsam für alle Sicherheitsgespräche im Jahr 1935 wurden zwei Hinterlassenschaften der Londoner Gespräche. Das erste Vermächtnis war das Projekt eines Luftpaktes aller Locarnomächte, der die Möglichkeit für eine Neuinter447 448 449 450 451

Vialet an Massigli, Paris, 31. 1. 1935, ebenda; Aufzeichnung, o. V., für Massigli, Paris, 31. 1. 1935, ebenda. Aufzeichnung Strang, London, 8. 1. 1935, TNA, FO 371/18823. Kabinettssitzung, 14. 1. 1935, TNA, CAB 23/81. Clerk an Simon, Paris, 21. 2. 1935, DBFP, 2. Serie, Bd. XII, Nr. 482, S. 550f. Abgedruckt bei Hauser: England, Bd. 1, Nr. 11, S. 275f.

4.3 Die Locarnokonzeptionen in England und Frankreich

227

pretation Locarnos bot. Denn ganz entgegen dem Diktum Simons, der Luftpakt enthalte im Grunde nichts Neues452 , versuchten die Franzosen über den Umweg des Luftpaktes Modifizierungen am Locarnopakt durchzusetzen. Dass es dieser Pakt überhaupt in das Abschlusskommuniqué von London geschafft hatte, verdankte sich weniger dem diplomatischen Druck der Franzosen, sondern ist auf eine Intrige des britischen Außenministers zurückzuführen, der die eigenen Kabinettskollegen hinterging. Die Franzosen nämlich, eingeschüchtert von der Vehemenz der britischen Ablehnung, wollten bei den Londoner Besprechungen auf die meisten ihrer Planspiele, die eine Verbesserung Locarnos im Auge hatten, gar nicht mehr zurückkommen. So hatte Wigram einem Mitarbeiter der französischen Botschaft erklärt, Frankreich werde sich auf jeden Fall eine Abfuhr holen, wenn es die Frage von Generalstabsbesprechungen anschnitt, deutete aber gleichzeitig an, dass man die Idee eines Luftpaktes grundsätzlich billige453 . Die Franzosen verstanden den Wink. Ende Januar setzte Flandin den britischen Außenminister davon in Kenntnis, dass man beabsichtige, den Locarnopakt um eine Klausel für unmittelbaren Beistand in der Luft zu ergänzen. Simon, der erkannte, auf diesem Weg Teile seiner ursprünglichen Konzeption durch die Hintertür auf die Londoner Agenda setzen zu können, gab den Franzosen grünes Licht, ohne seinen Kabinettskollegen Bescheid zu geben454 . Und so präsentierten die Franzosen am 1. Februar 1935 der – mit Ausnahme Simons – ziemlich überraschten britischen Delegation einen Paktentwurf, der unmittelbaren militärischen Beistand stipulierte, wenn ein Locarnostaat Opfer eines Luftangriffs werden sollte455 . In einer noch am selben Abend anberaumten Kabinettssitzung blieb der britischen Regierung nichts anderes übrig, als das Projekt im Grundsatz gutzuheißen, unter der Bedingung, dass der Luftpakt keine über den Rheinpakt hinausgehenden Verpflichtungen für England enthielt456 und verbunden mit dem Auftrag an Malkin, einen Luftpakt zu entwerfen, der den britischen Interessen entgegenkam457 . Der setzte sich gleich hin, um den französischen Entwurf mit einer Reihe von Ausnahmen vollzupacken. Demnach sollte der gegenseitige Beistand gegen Luftangriffe nicht für Staaten gelten, die ihrerseits Vertragsverpflichtungen verletzt hatten. Der Luftpakt sollte nicht auf die entmilitarisierte Zone anwendbar sein und nicht über den Rahmen des Artikels 4 des Rheinpaktes hinausgehen; England und Italien 452 453 454 455

456 457

ADAP, C, Bd. III, 2, Nr. 555, S. 1051. Aufzeichnung Margerie, London, 26. 1. 1935, DDF, 1. Serie, Bd. IX, Nr. 87, S. 129–131. DBFP, 2. Serie, Bd. XII, Nr. 388, S. 447–451; vgl. Dutton: Simon, S. 194f. DDF, 1. Serie, Bd. IX, Nr. 136, S. 205ff.; DBFP, 2. Serie, Bd. XII, Nr. 397, S. 463 u. Nr. 398, Anlage 1, S. 473f.; vgl. N. Th. Wiggershaus: Der deutsch-englische Flottenvertrag vom 18. Juni 1935. England und die geheime deutsche Aufrüstung 1933–1935, Diss. phil. Bonn 1972, S. 268. TNA, CAB 29/146; DDF, 1. Serie, Bd. IX, Nr. 142, S. 228–233. DBFP, 2. Serie, Bd. XII, Nr. 399, S. 476.

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

sollten keine Verpflichtungen übernehmen, sich gegenseitig zu unterstützen458 . Dieses Versprechen, so dachte man sich das im Foreign Office, enthalte nichts, was nicht schon im Vertrag von 1925 festgelegt sei459 . Mit weiter reichenden Zielen gingen die Franzosen an die Sache. Ihnen bot sich in den Luftpaktverhandlungen die Möglichkeit, Veränderungen der Locarnosystematik zu verlangen, die auf den alten Rheinpakt zurückstrahlen würden. Ihr Luftpaktentwurf, den sie den Briten am 28. Februar 1935 unterbreiteten, enthielt nicht nur eine Reihe von Kautelen, die die Annahme des Luftpaktes von deutschen Zusicherungen in der Rüstungsfrage abhängig machte, sondern bestimmte in seinem Artikel 4, den Parteien sei freigestellt, bilaterale Abkommen zur technischen Umsetzung der Beistandsleistung abzuschließen460 . Damit hätte Paris erreicht, militärtechnische Absprachen als integralen Bestandteil des Vertragswerks von Locarno einzuführen, wogegen sich London und Berlin seit 1925 gesperrt hatten461 . Aber genau dagegen formierte sich nun Widerstand in London. Maurice Hankey, einflussreicher Sekretär des Committee of Imperial Defence, erzürnt, von Simon in der Luftpaktfrage übergangen worden zu sein, nutzte sein ganzes Prestige, um Modifizierungen am Luftpakt durchzusetzen und den Entwurf in den kommenden Wochen entlang der britischen Interessen umzuformen462 . Unterstützung fand Hankey bei den Militärs, die im Laufe des Frühjahrs so viel Theater machten, dass der Entwurf immer wieder verändert werden musste463 . Unter den Bestimmungen des Luftpaktes, so der Tenor der Stellungnahmen, die Hankey und die Chiefs of Staff dem Foreign Office zukommen ließen, werde England mit all seinen Streitkräften in einen Krieg hineingezogen, an dem es kein Interesse habe, ohne entscheiden zu können, ob überhaupt ein „unprovoked act of aggression“ vorläge. England lade Verpflichtungen auf sich, ohne zu wissen, ob die anderen Staaten zu ihren Garantien stünden. Schließlich lehnten es Hankey und der Generalstab ab, den Luftpakt an Locarno zu koppeln. Locarno habe nicht die erwarteten Resultate erbracht, schrieb Hankey, und sollte nicht weiter ergänzt werden. Dies gelte 458 459

460

461 462

463

DBFP, 2. Serie, Bd. XIII, Appendix II, Anlage 4, S. 937f. So notierte Simon am 25. Februar in sein Tagebuch, die Luftpaktverpflichtungen entsprächen genau den Bestimmungen Locarnos, unter denen England selbst entscheiden würde, ob eine nicht provozierte Angriffshandlung vorläge; der Luftpakt solle lediglich als Abschreckung dienen, damit der Locarnofall nicht einträte, zit. bei Dutton: Simon, S. 217 Anm. 195. Aufzeichnung des Generalstabes, Paris, 20. 6. 1935, SHD, 7 N 3559; DDF, 1. Serie, Bd. IX, Nr. 234, S. 369–371 u. Nr. 304, S. 459–461. Die Militärs stimmten dem Entwurf kurze Zeit später zu, ebenda, Nr. 495, S. 694ff. DBFP, 2. Serie, Bd. XII, Nr. 529, S. 604f. Vgl. E. R. McCane: Anglo-German Relations, January 1933–March 1936, Diss. phil. University of Kentucky 1982, S. 265; A. R. Peters: Anthony Eden at the Foreign Office 1931– 1938, New York 1986, S. 84ff.; Roi: Alternative, S. 75. Spaight an Malkin, London, 24. 4. 1935, TNA, FO 371/18837.

4.3 Die Locarnokonzeptionen in England und Frankreich

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vor allem für die entmilitarisierte Zone, deren Statuten bekanntlich tagtäglich verletzt würden464 . Der zentrale Streitpunkt, um den sich die innerbritische Auseinandersetzung zum Luftpakt fortan drehte, war indes die Frage, ob die Convention aller Signatare von zweiseitigen Abmachungen einzelner Staaten begleitet sein würde. Zur Klärung dieser Frage schlug Sargent Ende April 1935 vor, die Westmächte sollten ein Juristentreffen arrangieren465 . So trafen sich am 28. Mai die Kronjuristen Frankreichs, Italiens, Englands und Belgiens in Genf, um die rechtlichen Details eines europäischen Luftpaktes zu klären466 . Dies brachte in der Folgezeit auch eine Annäherung der politischen Standpunkte. Bereits die gemeinsame Erklärung der Stresamächte vom 14. April 1935, die auf maßgeblichen Druck des Foreign Office hin zustande kam467 , erwähnte die Möglichkeit, den Luftpakt durch „bilateral agreements“ zu ergänzen468 . Auf dieser Schiene fahrend übergaben die Franzosen am 7. Juni und noch einmal Ende Juni 1935 in London Texte für ein Luftabkommen, welches neben der allgemeinen Konvention für alle Locarnopartner das Projekt eines französisch-britischen Abkommens enthielt. Dies lag exakt auf der französischen Position, wonach der Luftpakt überhaupt nur sinnvoll sei, wenn er eine Verbesserung des Locarnoverfahrens mit sich bringe469 . Das bedeutete, wie eine Vorlage Jean Paul-Boncours vom 3. Juni 1935 offen ansprach, dass der Luftpakt erlaube, im Rahmen des Rheinpaktes bilaterale Absprachen abschließen zu dürfen470 . Aber genau solche Pakte versuchte Deutschland um jeden Preis zu verhindern471 , und auch die Briten hatten bislang gegen technische Absprachen votiert. Doch auf Druck der profranzösischen Fraktion im Foreign Office kam es im Sommer zu einer spektakulären Wende. Auf eine Anfrage des War Office 464 465 466

467 468 469 470 471

Foreign Office Memorandum, London, 21. 2. 1935, DBFP, 2. Serie, Bd. XII, Nr. 483, S. 552– 559. DBFP, 2. Serie, Bd. XIII, Nr. 134, S. 203 Anm. 7; DDI, 8. Serie, Bd. I, Nr. 218, S. 235; DDF, 1. Serie, Bd. X, Nr. 327, S. 503f. Aufzeichnung Malkin, London, 1. 6. 1935, DBFP, 2. Serie, Bd. XIII, Appendix II, S. 931– 938; DDF, 1. Serie, Bd. X, Nr. 468, S. 697–701. Am 30. April 1935 hatte Simon das Kabinett daran erinnert, dass man bald eine Position in der Luftpaktfrage formulieren müsse, TNA, CAB 24/255. Bericht Geyr v. Schweppenburg, London, 24. 4. 1935, PA AA, R 30062 a; Vansittart an Hankey, London, 27. 5. 1935, TNA, CAB 21/540. Abgedruckt bei Hauser: England, Bd. 1, Nr. 13, S. 277. Aufzeichnung der Völkerbundsabteilung, Paris, 21. 6. 1935, DDF, 1. Serie, Bd. XI, Nr. 115, S. 168f. Ebenda, Nr. 15, S. 17f. Am 24. Juni 1935 erklärte Neurath dem britischen Botschafter: „Man könne von uns nicht verlangen, einer Durchlöcherung des Locarno-Paktes durch den Abschluss von bilateralen Verträgen zwischen einem Partner des Locarno-Vertrages und anderen Staaten stillschweigend zuzusehen.“ ADAP, C, Bd. IV, 1, Nr. 167, S. 343.

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

hin, wie die britische Politik zu Locarno konzipiert sei, antwortete das Foreign Office am 16. Mai 1935 mit einer ausführlichen Denkschrift, in welcher die britische Haltung zum Locarnopakt klargestellt wurde. Der Rheinpakt von Locarno, so liest man da, hätte den Abschluss einer Militärkonvention erfordert, aber es habe damals keine Bedrohung gegeben. Dagegen sei der vermeintliche gegenseitige Charakter kein Argument gegen zweiseitige Militärgespräche gewesen. Wenn die Aggression aus einer Richtung komme, so die Denkschrift, dann sei es legitim, die nötigen Arrangements dagegen zu treffen. Dadurch werde auch der gleichseitige Charakter Locarnos nicht zerstört, denn militärische Absprachen schüfen keine Verpflichtungen, die nicht bereits unter Locarno und der Völkerbundssatzung bestünden. Solche Gespräche, resümierte das Papier, sollten daher mit Paris stattfinden472 . So war es keine große Überraschung mehr, als der britische Botschafter in Paris, Clerk, am 9. Juli 1935 eine Demarche im Quai d’Orsay übergab, in welcher das Foreign Office erklärte, grundsätzlich mit dem Abschluss bilateraler Militärabsprachen im Rahmen des Locarno-Luftpaktes einverstanden zu sein. Auf ein Vertragsschema, so Clerk, wolle sich die britische Regierung indes noch nicht festlegen473 . Aber bald musste man einsehen, dass man sich verrannt hatte. Aus Angst vor einem französisch-britischen Defensivbündnis bestand das Kabinett darauf, den Abschluss bilateraler Engagements an Bedingungen zu knüpfen. So war vorgesehen, dass Separatabkommen nur in Kraft treten würden, wenn alle Vertragsparteien zugestimmt hätten. Freilich musste den Briten klar sein, dass die Deutschen niemals einer solchen Klausel zustimmen würden474 . In seiner Unterredung mit Bismarck am 2. Oktober 1935 bemühte sich Wigram nach Kräften, den Deutschen davon zu überzeugen, wie widerstrebend London der französischen Forderung nach zweiseitigen Ergänzungsabkommen nachgegeben habe. Im Grunde seien solche Abreden Unsinn, sagte Wigram, wenn man das Beispiel britischer Luftbasen auf dem Kontinent hernehme. Diese, so Wigram, brauche man nur gegen Deutschland und nicht gegen Frankreich. Dennoch bat er Bismarck, die bilateralen Abkommen nicht sofort abzulehnen, denn es würden sich noch Tausend andere Möglichkeiten finden, diese abzuschaffen475 . In dieser Situation trat das War Office hervor und erhöhte den Druck auf das Foreign Office, sich im Sinne einer prodeutschen Option festzulegen. Kernstück dieser Konzeption war, den Erhalt der entmilitarisierten Zone (und damit Locarnos) zu sichern, indem man Deutschland im Austausch für einen westlichen 472 473 474 475

Aufzeichnung, o. V., London, 16. 5. 1935, TNA, FO 371/18840. DDF, 1. Serie, Bd. XI, Nr. 232, S. 352f.; DDPK-Meldung, 23. 4. 1936, PA AA, R 53011. Vgl. G. H. Kappel: Air Diplomacy: British Policy and the Air Pact Proposal of 1935, Diss. phil. University of West Virginia 1987, S. 124 u. S. 149. Aufzeichnung Bismarck, London, 2. 10. 1935, OBS, I 31.

4.3 Die Locarnokonzeptionen in England und Frankreich

231

Luftpakt erlauben würde, Artillerie zur Luftabwehr im Rheinland zu stationieren476 . Darüber hinaus, so eine Denkschrift des Kriegsministeriums vom 4. Oktober 1935, könne man sich mit Deutschland auf einen Zeitplan verständigen, der eine stufenweise Abschaffung der Entmilitarisierung vorsähe. Demnach könnte dem Aufbau der Luftabwehr eine zweite Phase folgen, in welcher die Reichswehr Garnisonen östlich des Rheins einrichten dürfe. In einer dritten Phase, ab 1941, sollte das Reich die Erlaubnis erhalten, auch das Westufer besetzen477 . Der Streit zwischen Foreign Office und War Office, ob der Weg zum Luftpakt über Berlin oder über Paris führen sollte, sorgte dafür, dass die Luftpaktgespräche im Herbst 1935 einfach einschliefen. Zwar erklärte Außenminister Hoare in einer programmatischen Rede vom 11. Juli 1935, der Abschluss eines westeuropäischen Luftpaktes sei ein Kernpunkt seiner politischen Agenda478 , und kündigte an, allen interessierten Mächten einen Fragebogen zukommen zu lassen, in welchem sich alle Staaten zu den strittigen Punkten äußern könnten479 . Und noch am 2. Oktober 1935 teilte Wigram dem deutschen Geschäftsträger in London, Bismarck, vertraulich mit, England halte sowohl den Ostpakt als auch den Donaupakt für erledigt. Lediglich der Luftpakt, an dem die britische Regierung ein Interesse habe, habe noch Chancen, verwirklicht zu werden480 . Aber ohne die Entscheidung, ob man den Luftpakt über Zugeständnisse an Berlin oder Paris erkaufen wollte, war kein Fortkommen möglich. Daher sagte Vansittart am 25. November 1935 dem französischen Botschafter, der im Foreign Office nicht zum ersten Mal gefragt hatte, wie es um den Luftpakt stünde, es gebe nichts Neues. Die britische Regierung, so Vansittart, halte einen entsprechenden Schritt für sinnlos, solange die Abessinienkrise nicht bereinigt sei481 . Der katastrophale Verlauf der Hitler-Phipps-Unterredung bestätigte die Briten in ihrer abwartenden Haltung. Nach dieser Unterredung, so erklärte Baldwin vor dem Parlament, habe die britische Regierung den Eindruck gewonnen, dass Fortschritte beim Luftpakt im Moment nicht möglich seien482 . Die zweite Hinterlassenschaft der Londoner Konferenz waren die nicht eingelösten Forderungen Frankreichs, den Locarnopakt durch Stabsgespräche 476

477 478 479 480 481 482

Aufzeichnung, o. V., London, 7. 11. 1935, TNA, WO 190/364; Bericht Geyr v. Schweppenburg, London, o. D. [November 1935], IfZ, ED 91, Bd. 3. Das War Office wusste, dass die deutschen Vorbereitungen dazu bereits liefen, Aufzeichnung, o. V., London, 14. 1. 1936, TNA, WO 190/380. Aufzeichnung, o. V., London, 4. 10. 1935, TNA, WO 190/365. Viscount Templewood (S. Hoare): Nine Troubled Years, London 1954, S. 168. DGFP, C, Bd. IV, Nr. 225, S. 483. Aufzeichnung Bismarck, London, 2. 10. 1935, OBS, I 31. Zur Abkehr der Briten von der Londoner Agenda vgl. McCane: Relations, S. 299. Corbin an Laval, London, 25. 11. 1935, DDF, 1. Serie, Bd. XIII, Nr. 285, S. 413f. Bismarck an das Auswärtige Amt, London, 19. 12. 1935, BArch, R 43 I/536.

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

und weitere Garantien für die entmilitarisierte Zone zu verstärken. Dieses Versäumnis des Londoner Kommuniqués versuchten die Franzosen in den kommenden Wochen gutzumachen483 . Anlässlich neuerlicher französischbritischer Gespräche in der britischen Botschaft in Paris, die am 28. Februar stattfanden484 , überreichte Léger den Engländern ein Memorandum, worin der Quai d’Orsay zu allen Problemen des Londoner Kommuniqués Stellung bezog. Auch das Problem der Rheinlandzone wurde erwähnt. Paris und London sollten ihre Politik hinsichtlich der entmilitarisierten Zone abstimmen, so Léger, um alle Möglichkeiten, den Locarnopakt von den Artikeln 42 und 43 des Versailler Vertrages zu trennen, auszuschließen485 . Simon entgegnete, voll auf der Linie des Kabinettsbeschlusses vom 14. Januar liegend, die entmilitarisierte Zone sei im Moment „not a matter for discussion“486 . Vier Wochen später starteten die Franzosen den nächsten Versuch. Zur Vorbereitung der Deutschlandreise Simons kam Eden am 23. März 1935 nach Paris, um mit Laval und einem italienischen Vertreter die Verhandlungspunkte für Berlin durchzugehen. Laval präsentierte seinen Gesprächspartnern eine Liste, die deutsche Verstöße gegen die entmilitarisierte Zone verzeichnete, und forderte, die westlichen Regierungen sollten vorab ein Verfahren festlegen, das angewendet würde, wenn Deutschland die Zone verletzte487 . Insbesondere forderte Laval die Briten dazu auf, eine unnachgiebige Haltung einzunehmen, wenn Hitler die Frage der entmilitarisierten Zone anschneiden sollte488 . Zeitgleich bedrängte Flandin den britischen Botschafter wegen der Zone und forderte, man solle sich auf einen französisch-britischen „Aktionsplan“ für den Fall einer Verletzung der Rheinlandzone verständigen489 . Dieses Ziel verfolgte Laval auch auf der französisch-britisch-italienischen Konferenz, die vom 11. bis 14. April 1935 in Stresa tagte. In einer Vorlage vom 5. April zur Vorbereitung des Treffens hieß es, das Ziel Stresas müsse es sein, das Londoner Programm vom 3. Februar an die Lage anzupassen, die durch den deutschen Schritt vom 16. März entstanden war. Dies erfordere, so das Papier, dass sich Paris, London und Rom auf ein gemeinsames Vorgehen festlegten, falls das Reich gegen 483 484 485

486 487 488 489

Vgl. Gibbs: Strategy, Bd. I, S. 228. DBFP, 2. Serie, Bd. XII, Nr. 517, S. 590ff. Aufzeichnung Léger, Paris, 28. 2. 1935, BDFA, II, J, Bd. 6, Nr. 120, S. 215. Etwa zur selben Zeit bearbeitete François-Poncet einen Mitarbeiter der britischen Botschaft in Berlin. „Wenn wir Deutschland nicht bald binden“, so waren sich die Gesprächspartner einig, dann sei das Ende der entmilitarisierten Zone nah, DDF, 1. Serie, Bd. IX, Nr. 375, S. 557– 560. Hs. Vermerk Wigram, London, 20. 3. 1935, TNA, FO 371/18830. Vgl. Gibbs: Strategy, Bd. I, S. 147. DDI, 7. Serie, Bd. XVI, Nr. 796, S. 845–847; DBFP, 2. Serie, Bd. XII, Nr. 642, S. 695; Eden: Diktatoren, S. 164. Jahresbericht für 1935, o. V., Paris, o. D. [Januar 1935], BDFA, II, F, Bd. 22, Nr. 2, S. 9. Clerk an Simon, Paris, 24. 3. 1935, DBFP, 2. Serie, Bd. XII, Nr. 645, S. 697f.

4.3 Die Locarnokonzeptionen in England und Frankreich

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die Entmilitarisierungsklauseln verstieß. Dazu empfahl die Aufzeichnung, gegenseitige technische Absprachen für einen solchen Fall zu treffen490 . Ganz auf dieser Marschroute liegend erschien der französische Ministerpräsident in Stresa wieder mit einem Schriftstück im Gepäck, das nach altbekannter Manier militärische Maßnahmen verzeichnete, die die Deutschen in der entmilitarisierten Zone betrieben. Demnach seien Polizei- und Reichswehreinheiten in Düsseldorf und Koblenz verstärkt worden, Festungen würden ausgebaut und die Luftaktivitäten im Rheinland nähmen drastisch zu491 . Unterstützung erhielten die Franzosen aus Brüssel und Rom. Die Belgier, obwohl nicht Teilnehmer der Londoner Konferenz und der Stresafront, teilten den französischen Standpunkt. Im Vorfeld der Londoner Besprechungen zwischen England und Frankreich ließ Brüssel verlauten, aus belgischer Sicht müsse es das Ziel der Gespräche sein, den Locarnopakt weiter zu konsolidieren492 . Vor den Berliner Besprechungen drängten sie die britische Regierung, Hitler auf den Status der entmilitarisierten Zone anzusprechen, was England unter Verweis darauf, dass die Frage nicht aktuell sei, ablehnte493 . Brüssel begrüßte die Ergebnisse von Stresa, weil die belgische Regierung darin eine Bestätigung Locarnos und der entmilitarisierten Zone erblickte494 . Schließlich waren es die Italiener, die in diesen Chor einstimmten. Ihre ungewöhnlich scharfe Reaktion gegen die Ankündigung Deutschlands, die allgemeine Wehrpflicht wieder einzuführen, diente als Kulisse, hinter der Mussolini die eigenen Kriegsvorbereitungen in Ostafrika kaschieren wollte495 . Zu dieser Taktik gehörte es, in Paris und London auf die Gefahr hinzuweisen, Deutschland könne als nächsten Schritt die entmilitarisierte Zone besetzen496 . Ende März fragte Suvich den französischen Botschafter in Rom, was Paris bei einer deutschen Verletzung der Rheinzone unternehmen werde497 . Anfang April spekulierte Mussolini in einem Interview mit dem Temps offen über eine baldige Remilitarisierung des Rheinlandes498 . Und in Stresa preschte Mussolini nach vorne und erklärte, er sei überzeugt, dass Deutschland die Remilitarisierung

490 491 492 493 494 495 496

497 498

DDF, 1. Serie, Bd. X, Nr. 128, S. 179–188. Note Laval, 12. 4. 1935, TNA, FO 371/18836; Eden: Diktatoren, S. 220. Cartier an Hymans, London, 30. 1. 1935, DDB, Bd. III, Nr. 149, S. 426f. Vermerk Wigram, London, 20. 3. 1935, TNA, FO 371/18830; Ovey an Simon, Brüssel, 19. 3. 1935, DBFP, 2. Serie, Bd. XII, Nr. 614, S. 675f. DDB, Bd. III, Nr. 151, S. 429f. Vgl. H. Höhne: Die Zeit der Illusionen. Hitler und die Anfänge des Dritten Reiches 19331936, Düsseldorf u. a. 1991, S. 315; Messerschmidt: Kriegsvorbereitung, S. 596. So berichtete Drummond nach London, Mussolini wolle in Stresa über künftige Vertragsverletzungen Deutschlands reden, Drummond an Simon, Rom, 9. 4. 1935, DFBP, 2. Serie, Bd. XII, Nr. 707, S. 851. Chambrun an Laval, Rom, 30. 3. 1935, DDF, 1. Serie, Bd. X, Nr. 69, S. 105f. Chambrun an Laval, Rom, 3. 4. 1935, ebenda, Nr. 101, S. 140f.

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

der Zone vorbereite, und forderte verbindliche Absprachen der drei Regierungen für diesen Fall499 . Angesichts des französisch-belgisch-italienischen Dauerfeuers war das Foreign Office gezwungen, seine ausweichende Haltung zu überdenken und eine klare Linie im Hinblick auf den Stellenwert Locarnos zu formulieren. Bekanntlich hatte das britische Kabinett im Januar 1935 entschieden, die entmilitarisierte Zone sei kein vitales Interesse Großbritanniens, und es abgelehnt, in Verhandlungen einzutreten, die das Rheinland zum Gegenstand haben. So kam die Zone weder bei den Londoner Besprechungen mit Flandin und Laval noch beim Besuch Simons in Berlin zur Sprache. Aber Mitte März begann die britische Haltung zu bröckeln, als es den Verantwortlichen auf der Insel dämmerte, dass die Remilitarisierung des Rheinlandes unmittelbar bevorstehen könnte500 . In einem gemeinsamen Memorandum vom 19. März 1935 erklärten Strang und Sargent, die Frage der Rheinlandzone sei vom Foreign Office noch nicht bedacht worden, äußerten aber ihre Ansicht, London würde sich mit den Locarnopartnern abstimmen, wenn Deutschland die Frage aufwerfen sollte501 . Wigram erklärte dazu, er sei mit diesem Standpunkt nicht einverstanden, und beharrte weiter auf der Linie, die Rheinlandzone aus allen Verhandlungen herauszuhalten502 . Aber wenige Tage darauf kritisierte Sargent erneut, dass die Zonenfrage bis jetzt umgangen worden sei503 , und Vansittart ergänzte am selben Tag, es sei erforderlich, dass sich das Kabinett schnellstens über einen Standpunkt klar werde, auch wenn es „a most disagreeable necessity“ sei504 . Dieser Sinneswandel hatte zwei Ursachen. Zum einen verdichteten sich die Anzeichen, dass Laval in Stresa erneut mit der Forderung an England herantreten werde, sich auf ein Vorgehen bei einer Zonenverletzung einzulassen505 . Im Foreign Office ging man davon aus, dass sich der französische Ministerpräsident diesmal nicht mit Lippenbekenntnissen zufrieden geben würde. Zum anderen bestand in der britischen Hauptstadt Einigkeit darüber, dass die Rheinlandzone vorerst erhalten bleiben sollte. Dies war Zweck der Londoner Agenda gewe499 500 501 502 503 504

505

Ebenda, Nr. 186, S. 295–310; Buti an Suvich, Rom, 2. 4. 1935, DDI, 7. Serie, Bd. XVI, Nr. 852, S. 902–908; ebenda, Nr. 862, S. 915–917. Vgl. McCane: Relations, S. 281. Aufzeichnung Strang und Sargent, London, 19. 3. 1935, TNA, FO 371/19661. Aufzeichnung Wigram, London, 18. 3. 1935, ebenda; Aufzeichnung Wigram, London, 20. 3. 1935, TNA, FO 371/18830. Aufzeichnung Sargent, London, 26. 3. 1935, DBFP, 2. Serie, Bd. XII, Nr. 645, S. 698 Anm. 3. Aufzeichnung Vansittart, London, 26. 3. 1935, ebenda. Wigram kommentierte den Meinungsumschwung am 27. März 1935. Freilich sei die entmilitarisierte Zone bedroht, schrieb er nicht ohne Sarkasmus, aber England könne doch ohnehin nichts entgegensetzen, wenn Hitler dort zuschlug, Aufzeichnung Wigram, London, 27. 3. 1935, TNA, FO 371/18828. TNA, CAB 24/255; DBFP, 2. Serie, Bd. XII, Nr. 696, S. 821.

4.3 Die Locarnokonzeptionen in England und Frankreich

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sen. War Office und Foreign Office, wo schon Überlegungen angestellt wurden, Deutschland wegen Verstößen in der Zone eine förmliche Warnung zukommen zu lassen506 , hielten unverändert an Locarno und der entmilitarisierten Zone fest. Doch gerade hier lag eine große Gefahr, als sich nach dem 16. März 1935 zeigte, dass Deutschland alles daran setzen würde, die entmilitarisierte Zone rasch zu beseitigen507 . Indes konnte sich das britische Kabinett wieder nur zu einer Kompromissentscheidung durchringen508 . Der Grund dafür lag in der ambivalenten Einschätzung der deutschen Ziele durch die britische Diplomatie. Auf der einen Seite wussten die Briten nur zu gut, dass die entmilitarisierte Zone nicht auf ewig zu halten war. Dafür waren die strategischen Einschränkungen für die deutsche Kriegführung sowie die moralischen Diskriminierungen durch die Zone einfach zu groß509 . Nur wenn England deutlich mache, unbedingt hinter den Bestimmungen Locarnos zu stehen, so drückte es der Berliner Botschafter Anfang April 1935 aus, bestünde Aussicht darauf, die Zone noch eine Zeitlang zu halten510 . Ohne ein britisches Bekenntnis zum Rheinpakt, so schrieb er weiter, sei es nicht unwahrscheinlich, dass Hitler mit Locarno genauso verfahre wie mit Versailles. Auf der anderen Seite glaubten die Briten, dass die Deutschen den Rheinpakt immer noch als Schutz gegen französische Angriffe benötigten511 . Deutschland werde die entmilitarisierte Zone erst dann gewaltsam abschaffen, wenn alle Versuche, dies im Einvernehmen mit London zu erreichen, gescheitert seien512 , und, so argumentierte beispielsweise Vansittart, wenn die deutsche Wehrmacht soweit aufgerüstet sei, dass keine französische Gegenreaktion zu

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508 509 510 511

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TNA, FO 371/18852; vgl. Colvin: Vansittart, S. 42; P. Neville: A Prophet scorned? Ralph Wigram, the Foreign Office and the German Threat 1933–36, in: JCH 40 (2005), S. 41–54, hier S. 44. So konnte es sich Hitler am 25./26. März 1935 gegenüber seinen britischen Gästen nicht verkneifen, auf die Bürde der entmilitarisierten Zone hinzuweisen und daraus Forderungen für die deutsche Heeresstärke abzuleiten. Neurath übergab dem britischen Botschafter einige Tage später Kartenmaterial, mit welchem er die durch die Rheinlandzone verursachte Verteidigungsschwäche des Reiches nachzuweisen suchte, Runderlass Neurath, Berlin, 29. 3. 1935, ADAP, C, Bd. III, 2, Nr. 564, S. 1077; Phipps an Simon, Berlin, 4. 4. 1935, DBFP, 2. Serie, Bd. XII, Nr. 692, S. 812. Das Kabinett lehnte die Idee, eine förmliche Warnung an Deutschland wegen der entmilitarisierten Zone zu schicken, als „most unwise“ ab, vgl. Emmerson: Rhineland, S. 58. Vgl. Miller: Responsibility, S. 69f. Phipps an Simon, Berlin, 6. 4. 1935, BDFA, II, F, Bd. 46, Nr. 78, S. 122f. So schrieb Phipps am 6. April nach London: „I have good reason to believe that Herr Hitler attributes the safety of his regime during the early months of its existence to the Locarno treaty, which prevented France from launching a war of aggression against him.“ BDFA, II, F, Bd. 46, Nr. 78, S. 123. Phipps an Sargent, Berlin, 26. 9. 1935, DBFP, 2. Serie, Bd. XIII, Nr. 506, S. 648f.

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

erwarten sei513 . Dazu kam, dass man sich in London nicht vorstellen konnte, dass Hitler die guten Beziehungen zu England wegen der Rheinlandzone gefährden würde. „We should be committed to no action“, versuchte Vansittart aus Hitlers Bündnisabsichten eine Bestandsgarantie für die Zone herauszuspielen, „if we intimated to them that a violation of their obligations in this respect would be a handicap to such relations.“514 Um eine stringente Politik gegenüber der Rheinlandzone zu formulieren, so lassen sich diese Gedankengänge resümieren, bestünde noch genügend Zeit. Diese Strömungen exakt abbildend hatte der Beschluss des britischen Kabinetts zum Rheinland zwei Facetten. Einerseits entschied man, nicht mit den Deutschen über Änderungen am Locarnopakt reden zu wollen515 , und machte ihnen damit – ohne eine direkte Warnung auszusprechen516 – deutlich, dass die „dritte selbstständige Handlung“517 nicht folgenlos bleiben werde. Eine weitere deutsche Vertragsverletzung könnte einen Schwenk der öffentlichen Meinung bewirken, schrieb etwa der deutsche Militärattaché aus der britischen Hauptstadt. Eine Verletzung der entmilitarisierten Zone, so habe man ihm zu verstehen gegeben, sei „mit 90 Prozent Wahrscheinlichkeit“ der Kriegsfall für England518 . Und Hoesch telegrafierte, London werde die Loslösung des Reiches von den Entmilitarisierungsbestimmungen auf jeden Fall mit wirtschaftlichen Sanktionen beantworten, vielleicht sogar mit Krieg519 . Damit gab das Kabinett den Teilen im Foreign Office nach, die bereits seit Längerem forderten, man solle eine scharfe Warnung an die Adresse Berlins schicken, nicht gegen die Klauseln der entmilitarisierten Zone zu verstoßen. Andererseits waren die Briten nicht bereit, auf die französisch-italienischen Forderungen einzugehen, wonach die Rheinlandzone unter ein besonderes Schutz- und Trutzbündnis zu stellen sei. England, so umschrieb Simon am 4. April 1935 die englische Verhandlungslinie in Stresa, werde sich nicht an „hypothetischen Diskussionen“ über eine mögliche Verletzung der Rheinzone beteiligen und keine Absprachen für solche Fälle treffen. Man sei lediglich dazu bereit, gemeinsam mit Italien die bestehenden Verpflichtungen aus Locarno in allgemeiner Form – d. h. ohne Hinweis auf die entmilitarisierte Zone – feierlich zu bekräftigen520 . Eine derartige Erklärung bildete das magere Ergebnis der 513 514 515 516 517 518 519 520

Aufzeichnung Vansittart, London, 5. 2. 1935, DBFP, 2. Serie, Bd. XII, Nr. 412, S. 491 Anm. 2. Aufzeichnung Vansittart, London, 28. 2. 1935, zit. bei Colvin: Vansittart, S. 42. DBFP, 2. Serie, Bd. XII, Nr. 564, S. 634 u. S. 639f. Vgl. P. Neville: Hitler and Appeasement. The British Attempt to Prevent the Second World War, London 2006, S. 70. Bericht Geyr v. Schweppenburg, London, 9. 5. 1935, IfZ, ED 91, Bd. 2. Geyr v. Schweppenburg an Stülpnagel, London, 17. 4. 1935, ebenda. Hoesch an das Auswärtige Amt, London, 16. 4. 1935, PA AA, R 32040. Aufzeichnung Simon, London, 4. 4. 1935, TNA, CAB 24/255.

4.3 Die Locarnokonzeptionen in England und Frankreich

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Stresakonferenz. Demnach bekräftigten England und Italien ihre Verpflichtungen als Garantiemächte Locarnos und erklärten ihre Absicht, diese getreulich zu erfüllen. Von der Rheinzone war genauso wenig die Rede wie von der Art und Weise, wie eine mögliche Garantieerfüllung aussehen könnte521 . Damit stand die Solidarität von Stresa von Beginn an auf tönernen Füßen, was vor allem an den Briten lag522 . Dafür gab es zwei Gründe. Erstens hatte die britische Stresaerklärung eine deutliche funktionale Seite, indem sie die Absicht verfolgte, den französisch-sowjetischen Paktplänen den Wind aus den Segeln zu nehmen523 . Es ging also nicht darum, den Locarnopakt als Sicherheitswerkzeug aufzurichten, sondern ihn als Hebel anzusetzen, um zu verhindern, dass Frankreich sich zu stark an Russland band und im Fall eines osteuropäischen Konfliktes der Funke nach Westeuropa überspränge. Zweitens begann das Foreign Office sofort nach dem Ende der Konferenz die politische Tragweite der Stresaerklärung im Hinblick auf die Verpflichtungen zur Rheinlandzone auszuloten. Am 23. April 1935 beschäftigte sich Sargent in einer Denkschrift ausführlich mit dem Problem der entmilitarisierten Zone. Seine Überlegungen gipfelten in der Frage, welche Verpflichtungen auf England im Falle eines Verstoßes gegen die entmilitarisierte Zone zukommen würden524 . Malkin, der Rechtsberater des Foreign Office, antwortete zwei Tage später525 . Die Rheinlandzone, so schrieb er in einer Aufzeichnung vom 25. April, sei eine demilitarisierte Zone und keine neutrale Zone. Dies sei ein gravierender Unterschied, denn ihre Bestimmungen verlören im Fall eines Krieges ihre Raison d’être. Wenn Deutschland Truppen ins Rheinland entsende, um einem französischen Angriff zu widerstehen, sei dies keine Verletzung der Artikel 42 und 43 des Versailler Vertrages und die britische Garantie käme daher nicht zum Tragen. In Fällen der Artikel 3 und 4 des Rheinpaktes sei England, entweder unmittelbar oder als Ratsmacht im Völkerbund, stets in der Position, selbst über die Erfüllung seiner Verpflichtungen entscheiden zu können. Schließlich, und damit griff Malkin seine Argumentation vom Januar 1934 auf, müsse der Völkerbund entscheiden, ob ein Verstoß des Rheinpaktes vorläge, und dann Beschlüsse dazu treffen, welche Schritte dagegen zu unternehmen seien526 . Dies war auch die Ansicht Sargents. In einer Aufzeichnung vom 25. April kommentierte er die Ausführungen Malkins und urteilte, dass die Auslegung, wonach der Völkerbundsrat zwei getrennte Entscheidungen zu 521 522 523 524 525 526

Berber: Locarno, Nr. 27 II, S. 107; DBFP, 2. Serie, Bd. XII, Nr. 722, S. 862–914; vgl. Gibbs: Strategy, Bd. I, S. 154. Vgl. Schmidt: Außenpolitik, S. 175. Aufzeichnung Vansittart, London, 1. 4. 1935, DBFP, 2. Serie, Bd. XII, Nr. 678, S. 795 Anm. 5. Aufzeichnung Sargent, London, 23. 4. 1935, TNA, FO 371/18842. Aufzeichnung Malkin, London, 25. 4. 1935, DBFP, 2. Serie, Bd. XIII, Nr. 135, S. 204–206. Ebenda.

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

treffen habe, nämlich ob ein Verstoß vorläge und welche Maßnahmen zu ergreifen seien, den britischen Locarnointeressen am besten entgegenkomme527 . Damit war das Ergebnis von Stresa nicht etwa eine Bekräftigung Locarnos, wie die Zeitgenossen annahmen, sondern in Wahrheit ein weiterer Schritt Englands, sich von den Locarnoverpflichtungen zu lösen. Während die Stresafront Illusion blieb, bot sich den Franzosen eine letzte Möglichkeit, zu einer Neuinterpretation Locarnos zu kommen, in Form des äthiopischen Pulverfasses, das im Sommer 1935 kurz vor der Explosion stand. Es diente dem französischen Ministerpräsidenten als Hebel, um Gespräche mit der britischen Regierung anzubahnen, die nichts Geringeres im Sinn hatten, als die britische Form des Locarnobeistands vertraglich festzulegen528 . Nachdem er wenige Tage zuvor bei Eden vorgefühlt hatte529 , wies Laval am 8. September 1935 seinen Botschafter in London an, dieser möge im Foreign Office fragen, ob die Briten bereit seien, im Falle einer deutschen Aggression den Artikel 16 der Völkerbundssatzung anzuwenden. Des Weiteren solle Corbin in Erfahrung bringen, ob Frankreich mit der Unterstützung Großbritanniens rechnen könne, wenn es Opfer von Gewaltanwendung würde oder wenn eine Verletzung der Völkerbundsstatuten vorläge530 . Diese Fragen stellte Corbin am 10. September dem Unterstaatssekretär Vansittart, und noch am selben Tag übergab der Quai d’Orsay der britischen Botschaft in Paris eine entsprechende Note. Der französische Schritt, so hieß es dort, solle in Erfahrung bringen, ob England bei einem Kriegsausbruch in Europa einschreiten und sich beispielsweise London bereiterklären würde, im Fall eines Bruches des No Force-Paktes Sanktionen gegen den paktbrechenden Staat anzuwenden531 . In Whitehall rannte Laval mit seiner Frage offene Türen ein. Die Briten waren, wie Laval richtig einschätzte, nur zu versessen darauf, sich der französischen Unterstützung zu versichern, wenn es in Afrika oder am Mittelmeer zu Kampfhandlungen käme. London selbst hatte bereits durch seinen Botschafter und seinen Luftattaché in Paris anfragen lassen, wie es dort um die Bereitschaft stünde, zweiseitige Militärbesprechungen abzuhalten, um Vorkehrungen für die Abessinienkrise zu treffen532 . Demgemäß fiel die Antwort auf die französische Anfrage, die dem Botschafter Ende September übergeben wurde533 , durchweg positiv aus. Gleichzeitig wollte die britische Seite nun bei den Franzo527 528 529 530 531 532

533

Aufzeichnung Sargent, London, 25. 4. 1935, ebenda, S. 206 Anm. 9. Zum Folgenden vgl. Bannies: Außenpolitik, S. 234ff. u. S. 284f. Am 2. September in Genf, vgl. Eden: Diktatoren, S. 307. Laval an Corbin, Paris, 8. 9. 1935, DDF, 1. Serie, Bd. XII, Nr. 132, S. 172–174. Ebenda, Nr. 145, S. 196. Ausgangspunkt waren die Stellungnahmen der Chiefs of Staff vom 3. und 9. August 1935, die zu dem Ergebnis kamen, dass England bei der Umsetzung des Artikels 16 der Völkerbundssatzung die Hilfe Frankreichs benötigen werde, vgl. Barnett: Collapse, S. 362f. Abgedruckt bei Bruns: Verträge, Bd. 1, Nr. 170 a, S. 446–450.

4.3 Die Locarnokonzeptionen in England und Frankreich

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sen in Erfahrung bringen, ob London mit französischer Unterstützung rechnen könne, auch in einem Fall, wo der Artikel 16 der Völkerbundssatzung noch nicht anwendbar sei. Als Corbin diese Note in den Händen hielt, erkannte er sogleich die Tragweite der britischen Anregung. Die britische Antwort, so schrieb Corbin am 25. September nach Paris, verdeutliche, dass man sich in London genau wie im Quai d’Orsay mit der Frage beschäftige, auf welche Weise sich das Institut der gegenseitigen Unterstützung künftig enger und ohne Verzögerungen gestalten ließe. Es sei immer das Ziel Frankreichs gewesen, fuhr der Botschafter fort, derartige Verbesserungen in den Rheinpakt von Locarno aufzunehmen. Hier und heute, so schlussfolgerte er, eröffne sich die einzigartige Möglichkeit, dies auf allgemeiner Ebene, d. h. ohne Beschränkung auf den afrikanischen Kriegsschauplatz, umzusetzen534 . Im Quai d’Orsay beurteilte man die Relevanz der britischen Note in ähnlicher Weise. Die britische Anfrage drehe sich um dasselbe Problem wie die Luftpaktverhandlungen, urteilte die Politische Abteilung einen Tag nach Corbin, da es das Ziel der französischen Politik sei, Verbesserungen am Rheinpakt zu erhalten, werde es die Taktik sein, die Frage ohne Bezug auf Italien zu verallgemeinern535 . Der Vorschlag Hoares, so resümierte eine weitere Vorlage vom 27. September 1935, wäre ein gegenseitiges Engagement unter Artikel 16 der Völkerbundssatzung und liefe damit auf eine französisch-englische Defensivallianz hinaus, deren Eckpunkte die Verpflichtung, sich im Locarnofall zu konsultieren, und gegenseitige Assistenz wären. Dies, so die Aufzeichnung weiter, bedeute die Erneuerung der britischen Locarnogarantie536 . Damit, so schien es, hielt man endlich den Schlüssel in der Hand, das Dilemma aufzulösen, das sich seit Locarno 1925 stellte, nämlich ob die britische Locarnogarantie ohne ein zuvor abgehaltenes Völkerbundsverfahren wirken könne537 . Der französischen Antwortnote kam eine richtungsweisende Bedeutung zu. Eine geschickte Formulierung der Note konnte dafür sorgen, dass Großbritannien im Austausch für französische Hilfszusicherungen im Mittelmeerraum sich nicht nur bereit erklärte, seine Locarnoverpflichtungen zu unterstreichen, sondern auch einer Verbesserung des Locarnoverfahrens zustimmte. Gleichzeitig musste die Note so bemessen sein, dass sie nicht den militärischen Ver534

535 536 537

Corbin an Laval, London, 25. 9. 1935, DDF, 1. Serie, Bd. XII, Nr. 235, S. 330f. Im Gespräch mit dem italienischen Botschafter bekannte Léger offen, dass sich die französischen Planspiele vor allem um einen deutsch-französischen Konflikt drehten, DDI, 8. Serie, Bd. II, Nr. 219, S. 203f. Die Politische Abteilung an die französische Botschaft in London, Paris, 26. 9. 1935, AMAEE, Série Relations multilatérales, Service français de la Société, Bd. 24 u. 25. Aufzeichnung der Politischen Abteilung, Paris, 27. 9. 1935, DDF, 1. Serie, Bd. XII, Nr. 255, S. 367–370. Vgl. Emmerson: Rhineland, S. 43. Vgl. Soutou: Sécurité, S. 149.

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pflichtungen, die man gegenüber Italien eingegangen war, widersprach. Denn hier war es auf der Linie, die die Römischen Abkommen vom Januar vorgezeichnet hatten538 , im Laufe des Jahres 1935 zu einer Reihe von Absprachen gekommen. Bereits wenige Tage nach dem Abschluss des französisch-italienischen Abkommens sagte Badoglio dem französischen Militärattaché, Rom wünsche den baldigen Beginn bilateraler Militärgespräche539 . Diesem Ansinnen stimmte das französische Kabinett in seiner Sitzung vom 20. Februar 1935 zu540 . Am 12./13. Mai 1935 unterzeichneten französische und italienische Unterhändler eine Konvention, die eine Zusammenarbeit der Luftstreitkräfte im Fall einer deutschen Aggression vorsah541 . Ende Juni 1935 folgte ein durch Gamelin und Badoglio unterzeichnetes Abkommen. Darin sicherte Rom militärische Unterstützung zu, falls Deutschland einen Angriff über den Rhein oder durch belgisches Territorium startete542 . Und noch wenige Wochen vor Ausbruch des Abessinienkrieges, am 12. September 1935, trafen sich Vertreter der französischen und italienischen Generalstäbe in Paris, um die Details der Luftkonvention vom Mai zu klären. Dort bestätigten die Italiener noch einmal ihre Bereitschaft, den Franzosen Luftunterstützung zu gewähren, wenn diese Opfer eines deutschen Angriffs werden sollten543 . Die französische Antwortnote auf die britische Anfrage musste daher eine doppelte Hürde überwinden. Einerseits mussten die französischen Zusicherungen an England so konkret sein, dass London im Gegenzug bereit wäre, bindende Zusagen zur Umsetzung des Locarnofalls zu geben544 . Andererseits durften die Zusagen Frankreichs an London sich nicht in einer Weise gegen Italien richten, dass sich die italienische Führung entschließen könnte, ihre bereits gegebenen Zusagen, die den Rheinpakt unterfütterten, zurückzuziehen. Genau auf dieser Linie lag die französische Note, die Laval am 4. Oktober nach London sandte und die Corbin am folgenden Tag dem britischen Außenminister übergab. Ohne Italien zu erwähnen545 , erklärte die französische Seite darin, zu den Verpflichtungen der Artikel 16 und 17 der Völkerbundssatzung zu stehen. Weiter bekräftigte die französische Note, uneingeschränkt am Rhein538 539 540 541 542 543 544 545

Frankreich und Italien verhandelten bereits seit Sommer 1934, DDF, 1. Serie, Bd. VII, Nr. 290, S. 428f.; vgl. Friedl: Zusatzprotokolle, S. 172ff. Maurin an Flandin, Paris, 28. 1. 1935, DDF, 1. Serie, Bd. IX, Nr. 99, S. 149f. Ebenda, Nr. 247, S. 387–389. DDI, 8. Serie, Bd. I, Nr. 196, S. 214–217; Tagebuch Aloisi, 13. 5. 1935, Aloisi: Journal, S. 270. Gamelin an Fabry, Paris, 29. 6. 1935, DDF, 1. Serie, Bd. XI, Nr. 179, S. 282–284; Tagebuch Aloisi, 28. 6. 1935, Aloisi: Journal, S. 284. DDI, 8. Serie, Bd. II, Nr. 99, S. 82–87. Vgl. A. Géraud (Pertinax): The Gravediggers of France. Gamelin, Daladier, Reynaud, Pétain, and Laval. Military Defeat, Armistice, Counterrevolution, New York 1944, S. 383. BDFA, II, F, Bd. 21, Nr. 191, S. 364.

4.3 Die Locarnokonzeptionen in England und Frankreich

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pakt von Locarno festzuhalten. Bevor Maßnahmen unter Locarno eingeleitet werden, werde sich Paris mit allen Locarnomächten konsultieren546 . Der britische Vorschlag vom 24. September, so die Note weiter, sei geeignet, eine Lücke im System der kollektiven Sicherheit zu schließen, und werde von der französischen Regierung begrüßt. Drei Anmerkungen seien aber angebracht. Erstens müsse die Verpflichtung zum militärischen Beistand gegenseitig aufgebaut sein, also Frankreich genauso wie Großbritannien binden. Zweitens müsse der gegenseitige Beistand durch alle Arten von Angriffen, sei es zu Lande, zu Wasser oder aus der Luft, ausgelöst werden. Drittens müsse die Verpflichtung zum gegenseitigen Beistand sich auch auf Fälle erstrecken, in denen ein Nichtmitglied des Völkerbundes (gemeint war Deutschland) zum Angriff schreiten würde547 . Der Eindruck, den die Note in Whitehall hinterließ, war verheerend. Dies hatte eine Reihe von Gründen. Einmal war das Manöver viel zu durchsichtig, als dass es von den Briten nicht durchschaut worden wäre. England wollte aber weder über Verstärkungen Locarnos reden noch war man bereit, für französische Hilfszusagen im Mittelmeer einen derart hohen Preis zu bezahlen. Noch schlimmer erwies sich, dass man in London das Gefühl bekam, Laval sei für britische Militärzusagen sogar bereit, Italien mit seiner Aggression in Afrika davonkommen zu lassen. Damit hätte Laval nicht nur das System kollektiver Sicherheit politisch entwertet, sondern auch alle moralischen Grundsätze der europäischen Politik mit Füßen getreten548 . Frankreich stehe am Scheideweg, lautete das scharfsinnige Urteil des britischen Botschafters in Paris, es müsse sich entscheiden, ob es zusammen mit England den Völkerbund unterstützen wolle oder für die Freundschaft mit Italien eine Aggression hinnehmen. Eine wichtige Rolle bei der Wahl, so Clerk, werde der Locarnopakt spielen549 . England, so belehrte Vansittart den französischen Botschafter, finde die französische Erklärung betreffend Artikel 16 der Völkerbundssatzung nicht ausreichend. Wenn Frankreich nicht voll und ganz hinter dem Sanktionsartikel stehe, so erklärte er in Übereinstimmung mit dem Kabinett550 , könne dies schlimme Folgen haben. Ausdrücklich erwähnte Vansittart den Rheinpakt von Locarno. Der Pakt stehe nach dem Austritt Deutschlands ohnehin „nicht auf unangreifbarer Basis“, so der Brite, und die britische Regierung könne – auf Druck der Öffentlichkeit hin – geneigt sein, sich von Locarno zu lösen551 . 546 547 548 549 550 551

Laval an Corbin, Paris, 4. 10. 1935, DDF, 1. Serie, Bd. XII, Nr. 331, S. 470f.; Mandelsloh: Pakte, S. 62. Note des französischen Botschafters, 5. 10. 1935, Bruns: Verträge, Bd. 1, Nr. 170 b, S. 450– 452. Eden: Diktatoren, S. 334f. Clerk an Hoare, Paris, 8. 10. 1935, BDFA, II, F, Bd. 21, Nr. 192, S. 365 u. S. 368. Kabinettssitzung, 16. 10. 1935, TNA, CAB 23/82; vgl. Barnett: Collapse, S. 364. Corbin an Laval, London, 16. 10. 1935, DDF, 1. Serie, Bd. XIII, Nr. 8, S. 9f.; Grandi an Mussolini, London, 26. 12. 1935, DDI, 8. Serie, Bd. II, Nr. 918, S. 905ff.

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Hastig versuchte Paris, den schlimmen Eindruck in mehreren Verbalnoten an die Adresse Londons gerade zu rücken. In einer ausführlichen Note vom 18. Oktober 1935 listete die französische Regierung die Verpflichtungen auf, die Frankreich an den Artikel 16 der Völkerbundssatzung banden552 . So erreichte man zwar immerhin, dass die französisch-britischen Stabsgespräche Ende Oktober beginnen konnten, aber sie waren streng auf den ostafrikanischen Kriegsschauplatz begrenzt553 . Von einer „Neuauslegung Locarnos“554 war keine Rede mehr. England, so umschrieb Sargent die britische Haltung in den französisch-britischen Gesprächen, habe versucht die Locarnofrage herauszuhalten. London habe kein Interesse, über mögliche Verstärkungen der Locarnobestimmungen zu reden555 . Dies war gelungen, und Laval hatte das Nachsehen. Waren damit alle Versuche gescheitert, das Netz Locarnos mit Hilfe einer französisch-britischen Annäherung neu zu knüpfen, hatten diese Bemühungen dennoch enorme Auswirkungen auf die weitere Entwicklung. Denn die Deutschen machten sich ein völlig anderes Bild von ihnen. Sie riefen nicht nur das Misstrauen der Deutschen hervor, England hätte sich im Rahmen Locarnos einseitig zu Gunsten Frankreichs festgelegt, sondern sie implizierten auch eine Reihe von Schlussfolgerungen, die die Deutschen aus diesen Treffen für die Geltung des Locarnopaktes zogen556 . Exakt auf der seit den zwanziger Jahren vom Auswärtigen Amt verfochtenen Linie, wonach eine „französisch-britische Entente“ gegen Deutschland „an den Grundlagen Locarnos rühren“557 würde, stellte sich in der Wilhelmstraße mehr und mehr das mulmige Gefühl ein, dass, nachdem der Locarnopakt juristisch erloschen war, England und Frankreich den Rheinpakt auch politisch aufgegeben hätten. Seit Deutschland im April 1934 gezwungen worden war, die Gültigkeit Locarnos anzuerkennen, waren die Besorgnisse des Auswärtigen Amtes und der 552 553

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DDF, 1. Serie, Bd. XIII, Nr. 39, S. 51–55; P. Laval: The Diary of Pierre Laval, with a preface by J. Laval, New York 1948, S. 14. Vom 29. Oktober bis zum 9. November 1935 fanden Gespräche britischer und französischer Marinevertreter statt, ab 9. Dezember wurden die Besprechungen auch auf Heer und Luftwaffe ausgedehnt; einziges Ergebnis der Stabsgespräche war ein Akkord der Seestreitkräfte vom 15. Januar 1936, vgl. Gibbs: Strategy, Bd. I, S. 202–211; Ph. Masson: Les conversations militaires Franco-britanniques (1935–1938), in: H. Michel (Hg.): Les relations Franco-britanniques de 1935 à 1939. Communications aux colloques francobritanniques tenus à Londres du 18 au 21 octobre 1971, Paris du 25 au 29 septembre 1972, Paris 1975, S. 119–126, hier S. 122; P. Fridenson/J. Lecuir: La France et la Grande-Bretagne face aux problèmes aériens (1935–mai 1940), Vincennes 1976. DNB-Meldung, 16. 10. 1935, PA AA, R 70102. Aufzeichnung Sargent, London, 18. 11. 1935, TNA, FO 371/18851. Vgl. Weisung an die Presse, 30. 9. 1935, NS-Presseanweisungen, Bd. 3/II, S. 628; Weisung an die Presse, 8. 10. 1935, ebenda, S. 654. Stresemann: Reichstagsreden, S. 275f.

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Reichswehr wegen der Kontakte zwischen England und Frankreich stetig gewachsen558 . Deutschland müsse aufpassen, so schrieb Neurath am 3. Juli 1934 an die Botschaft in London, dass die Sicherheit aus Locarno nicht entwertet würde559 . Anlass für die Befürchtungen Neuraths waren die andauernden Gerüchte über französisch-britische bzw. britisch-belgische Abmachungen über gegenseitige Militärzusammenarbeit. Ihren Ursprung hatten diese Nachrichten im Besuch des französischen Oberbefehlshabers Maxime Weygand in London. Der war im Juni 1934 auf der Insel, um mit verschiedenen Militärvertretern über die allgemeine Lage zu sprechen560 . Die deutschen Militärattachés berichteten, es handele sich nicht um einen „Höflichkeitsbesuch“561 . Zweck sei, die Bereitstellung eines englischen Expeditionskorps in einem europäischen Konflikt zu regeln. Möglicherweise sei darüber gesprochen worden, Belgien und Holland zu neutralisieren, wenn es zu einem Krieg in Westeuropa käme. Dass London und Paris Pläne zur Umsetzung des Locarnofalls ausarbeiteten, sei dagegen unwahrscheinlich, lautete die Einschätzung Geyrs vom 27. Juni 1934, gehe doch die Tendenz der britischen Operationsabteilung dahin, von Locarno loszukommen562 . Im Herbst 1934 waren die Deutschen überzeugt – dies wurde von ausländischen Diplomaten bestätigt563 –, Paris, London und Brüssel hätten sich im Laufe des Sommers zu einer Defensivallianz und zu einem Dreier-

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Geyr v. Schweppenburg schrieb nach dem Zweiten Weltkrieg, der Anlass für das deutsche Misstrauen, England und Frankreich hätten sich über Locarno hinaus verbündet, sei ein Aktenirrläufer des Foreign Office gewesen. Auf diese Weise seien im Jahr 1934 britische Akten aus dem Jahr 1925 in deutsche Hände gelangt, die belegt hätten, wie sich Belgien und England um eine militärische Zusammenarbeit bemühten. Kopien dieser Dokumente befinden sich in: IfZ, ED 91, Bd. 1. ADAP, C, Bd. III, 1, Nr. 52, S. 110. Zum begrenzten Ertrag dieser Gespräche vgl. Tagebuch Weygand, 20. 6. 1934, Guelton: Weygand, S. 329f. Bericht Kühlenthal, Paris, 3. 7. 1934, PA AA, R 30073 a. Aufzeichnung Geyr v. Schweppenburg, London, 27. 6. 1934, PA AA, R 30061 b; Bülow an die deutsche Botschaft in London, Berlin, 26. 6. 1934, PA AA, R 32250; DNB-Meldung, 25. 6. 1934, ebenda; Telegramm, o. V., o. O., 30. 6. 1934, BA-MA, RW 5/414. Es fände ein Gedankenaustausch zwischen England, Frankreich und Belgien statt, berichtete Geyr vier Wochen später, der einen accord défensif und die Festschreibung der Rheingrenze zum Zweck habe, Geyr v. Schweppenburg an das Reichswehrministerium, London, 31. 7. 1934, ADAP, C, Bd. III, 1, Nr. 138, S. 268. Tagebuch Dodd, 17. 11. 1934, Dodd: Diplomat, S. 221. Demnach habe ihm Lipski in einer Unterredung erklärt, im Juli sei ein französisch-britisch-belgischer Pakt geschlossen worden.

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

Luftpakt verbündet564 , obwohl der Locarnopakt „solche Vereinbarungen schon ausschließen müsste.“565 Umso schärfer fielen die politischen Konsequenzen aus, die man im Auswärtigen Amt aus der Weygand-Reise und den britisch-französischen Gesprächen zog. Die Frage einer möglichen britisch-französischen Militärallianz, die Weygand in London angeschnitten habe, so urteilte Neurath, verdeutliche die Rückkehr der französischen Politik zu den Methoden der Vorkriegszeit, Deutschland mittels fester Allianzen einzukreisen. Tangiere dies den vertraglichen Schutz, den Deutschland unter Locarno genoss, so Neurath, müsse man „intervenieren“566 . Solche Gespräche, so ergänzte Bülow, würden das Fundament des Locarnopaktes zerstören, denn dort sei England als unparteiischer Schiedsrichter vorgesehen567 . Aber genau diese Rolle Londons schien ausgespielt, als weitere Berichte kursierten, wonach England bindende Abkommen mit Frankreich, Belgien und Holland eingegangen sei, um die Zusammenarbeit der Streitkräfte und die Neutralisierung der Niederlande und Belgiens im Konfliktfall zu regeln568 . Ein Gewährsmann versorgte Ribbentrop Anfang Juli 1934 sogar mit Einzelheiten dieser Abkommen. Demnach habe sich Belgien verpflichtet, im Kriegsfall seine Grenze acht bis zehn Tage zu halten, bis dann die englisch-französische Unterstützung eintreffen würde. Im Gegenzug habe sich Frankreich bereit erklärt, seine Nordgrenze in gleicher Weise wie die Ostgrenze zu befestigen569 . Weitere Gerüchte besagten, Brüssel habe der Royal Air Force Flugbasen auf belgischem Boden zur Verfügung gestellt570 . Mitten in diese Spekulationen platzte die berühmte Rede Baldwins vom 31. Juli 1934, in welcher er den Rhein als Grenze des britischen Königreiches bezeichnete571 . Diesmal war es Hoesch, der sich besorgt fragte, ob dies einer Preisgabe der Ideen von Locarno gleichkäme, und empfahl, mit einer scharfen Demarche in Whitehall zu antworten572 . Als der Botschafter einige Tage später auf Baldwin 564

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Aufzeichnung, o. V., Berlin, 30. 1. 1935, BA-MA, RH 1/78; Aufzeichnung Geyr v. Schweppenburg, [Irschenhausen], o. D., IfZ, ED 91, Bd. 7/2; Geyr v. Schweppenburg an das Reichswehrministerium, London, 12. 12. 1934, PA AA, R 30061 b; Bericht Geyr v. Schweppenburg, London, 27. 12. 1934, PA AA, R 30062 a; Tagebuch Dodd, 18. 10. 1934, Dodd: Diplomat, S. 202f.; Bam: Genf, S. 42. NS-Presseanweisungen, Bd. 2, S. 493. Neurath an die deutsche Botschaft in London, Berlin, 3. 7. 1934, ADAP, C, Bd. III, 1, Nr. 52, S. 108ff. Bülow an die deutsche Botschaft in London, Berlin, 26. 6. 1934, PA AA, R 32250. Aufzeichnung Pappenheim, Berlin, 16. 7. 1934, PA AA, R 33532; Geyr v. Schweppenburg an das Reichswehrministerium, London, 31. 7. 1934, ADAP, C, Bd. III, 1, Nr. 138, S. 267f. Frh. v. Pidoll an Ribbentrop, o. O., 9. 7. 1934, PA AA, BA 60975. Adelmann an das Auswärtige Amt, Brüssel, 16. 8. 1934, PA AA, R 30593 k. Abgedruckt bei Berber: England, Nr. 12, S. 45. Hoesch an das Auswärtige Amt, London, 1. 8. 1934, PA AA, R 32255. Vgl. die Erinnerungen des Militärattachés: Hoesch sei entrüstet über Baldwins Erklärung gewesen und habe

4.3 Die Locarnokonzeptionen in England und Frankreich

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traf, sprach er ihn sogleich auf dessen Rede an. Die britische Festlegung auf die Rheingrenze, so Hoesch, wäre eine endgültige Verschiebung des Locarnogleichgewichts. Das Wort von der „Luftrheingrenze“, versuchte ihn Baldwin zu beruhigen, sei „technisch“ gemeint; es bestünde kein Bündnis Englands mit Frankreich573 . Der Argwohn der Deutschen hielt sich im Jahr 1935, aber beweisen ließ sich nichts. Die Briten bestritten, auf die wiederholten Anfragen der deutschen Vertreter hin, dass militärische Besprechungen mit den Franzosen stattgefunden hätten574 . Alle Gerüchte über britisch-französische Militärkontakte seien unwahr, fasste das Reichswehrministerium im Mai 1935 seinen Kenntnisstand zusammen, zudem habe das Air Ministry geleugnet, dass ein britisch-belgischer Luftpakt geschlossen worden sei575 , und noch im Oktober versprach Außenminister Hoare, England werde nichts tun, was die Basis des Locarnopaktes kompromittieren könnte576 . Solche Beteuerungen konnten aber nicht verhindern, dass die Londoner Besprechungen vom Februar 1935 in Deutschland als Wiedergeburt der Entente wahrgenommen wurden577 , die das Ziel verfolgten, Deutschland mit neuerlichen „Erpressungen“ zu konfrontieren578 . Dieser Eindruck sollte sich mit der Stresafront weiter erhärten579 . Die „Bekräftigung von Locarno“, ordnete ein Beamter der Abteilung II die Bedeutung der eben zu Ende gegangenen Konferenz in das außenpolitische Koordinatensystem ein, verfolge den Zweck, den Deutschen zu zeigen, dass man sich für den Erhalt der entmilitarisierten Zone einsetze580 . Stresa habe eine neue Lage zur Folge, urteilte der

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gesagt: „Ich habe ernste Zweifel, ob Baldwin weiß oder auf der Karte nachgesehen hat, wo der Rhein liegt.“ Vortrag Geyr v. Schweppenburg, o. D., IfZ, ED 91, Bd. 42. Hoesch an das Auswärtige Amt, London, 7. 8. 1934, PA AA, R 32346; Hoesch an das Auswärtige Amt, London, 30. 6. 1934, DGFP, C, Bd. I, Nr. 47, S. 104ff. Vgl. auch Bismarck an das Auswärtige Amt, London, 15. 11. 1934, BA-MA, RW 5/405: Der britische Kriegsminister Hailsham, so der deutsche Geschäftsträger, habe Baldwins Wort von der „Luftrheingrenze“ so ausgelegt, dass niemals ein Angriff auf England von Belgien oder Frankreich ausgehen dürfe. Bericht Geyr v. Schweppenburg, London, 9. 5. 1935, IfZ, ED 91, Bd. 2; Geyr v. Schweppenburg an Paget, London, 10. 5. 1935, ebenda; Bericht Geyr v. Schweppenburg, London, 13. 5. 1935, PA AA, R 30062 a. Rössing an das Auswärtige Amt, Berlin, 17. 5. 1935, ebenda. Der deutsche Militärattaché in Paris hatte bereits im Herbst 1934 gemeldet, zu einem möglichen Luftabkommen zwischen England, Frankreich und Belgien könne er nichts sagen, Bericht Kühlenthal, Paris, 17. 11. 1934, PA AA, R 30073 b. Hoare an Phipps, London, 17. 10. 1935, DBFP, 2. Serie, Bd. XV, Nr. 104, S. 123f. H. Speidel: Aus unserer Zeit. Erinnerungen, Berlin u. a. 1977, S. 62. Tagebuch Weizsäcker, 27. 1. 1935, Hill: Weizsäcker, Bd. 2, S. 88. So sagte Hassell im November 1935, „Stresa klinge in unseren Ohren schlecht. Er bedeute für uns Front gegen oder mindestens ohne Deutschland (. . . )“, ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 414, S. 808; vgl. auch Dirksen: Erinnerungen, S. 204. Frohwein an das Reichswehrministerium, Abteilung Ausland, das Reichsluftfahrtminis-

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

deutsche Militärattaché in London, Locarno werde als unverändert hingestellt, aber dies stimme wohl nur in der Theorie581 . Seit Sommer 1935 wuchs in Berlin das Misstrauen gegenüber der französisch-britischen Annäherung weiter582 . Im Mai kamen beunruhigende Nachrichten aus Brüssel. Wie ein Gewährsmann erfuhr, war man im dortigen Außenministerium alarmiert über Locarnobesprechungen zwischen England und Frankreich. England, so hieß es, sei dabei, sich der französischen Auslegung Locarnos anzuschließen, wonach es jeder Bruch des Rheinpaktes rechtfertige, mit Truppen durch Belgien zu marschieren583 . Die französische Note vom 5. Oktober 1935, so lautete Geyrs Verdikt jetzt, sei der Versuch, England in die französische Einkreisungspolitik einzuspannen, indem man den Briten feste Beistandszusagen entlockte584 . Anfang Oktober 1935 berichtete ein Vertrauensmann an das Reichskriegsministerium, London habe im Gegenzug für eine französische Unterstützung in der Abessinienkrise den Franzosen eine „verkürzte Stresafront“ und bindende Zusagen für den Fall einer deutschen Verletzung der entmilitarisierten Zone geboten585 . Sofort protestierte die deutsche Diplomatie scharf. In der „Deutschen diplomatischpolitischen Korrespondenz“ (DDPK), dem offiziellen Sprachrohr der Wilhelmstraße, hieß es, solche Absprachen unter Rheinpaktstaaten seien wohl kaum zulässig586 , und Hoesch wies die Briten darauf hin, dass die französische Note vom 5. Oktober 1935 die deutsche Regierung „sehr verstimmt“ habe. Das dort angepeilte Verfahren, so erklärte er Hoare und Vansittart, wäre die Zerstörung des Gleichgewichts des Locarnovertrages zu Ungunsten Deutschlands und könne vom Auswärtigen Amt nicht hingenommen werden587 . England und Frankreich, so vermutete man in der Wilhelmstraße, hätten ein Gentlemen’s Agreement geschlossen, das die militärische Zusammenarbeit für bestimmte Fälle regelte588 . Im Dezember hieß es aus einer Quelle in Paris, Laval und Hoare

581 582 583 584 585 586 587 588

terium und das Reichsinnenministerium, Berlin, 18. 4. 1935, PA AA, R 32244; Hoesch an das Auswärtige Amt, London, 16. 4. 1935, PA AA, R 70515; Bismarck an das Auswärtige Amt, London, 25. 4. 1935, ADAP, C, Bd. IV, 1, Nr. 46, S. 79–82; Tagebuch Weizsäcker, 10. 5. 1935, Hill: Weizsäcker, Bd. 2, S. 89. Bericht Geyr v. Schweppenburg, London, 24. 4. 1935, PA AA, R 30062 a. Aufzeichnung Etzdorf, Berlin, 3. 8. 1935, BAK, N 1310/10; Krauel an das Auswärtige Amt, Genf, 12. 9. 1935, ADAP, C, Bd. IV, 1, Nr. 293, S. 618. Adelmann an das Auswärtige Amt, Brüssel, 4. 5. 1935, PA AA, R 70242. Vgl. auch Politische Übersicht Nr. 5, Berlin, 2. 5. 1935, PA AA, R 70027. Aufzeichnung Geyr v. Schweppenburg, London, 10. 10. 1935, PA AA, R 30062 b. Vermerk Stülpnagel, Berlin, 2. 10. 1935, BA-MA, RH 1/78. Vgl. auch DNB-Meldung, 12. 10. 1935, PA AA, R 70102; DNB-Meldung, 16. 10. 1935, ebenda. DDF, 1. Serie, Bd. XIII, Nr. 154, S. 221f. u. Nr. 194, S. 278–286. Hoesch an das Auswärtige Amt, London, 17. 10. 1935, ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 355, S. 722; DBFP, 2. Serie, Bd. XV, Nr. 104, S. 123f.; vgl. Emmerson: Rhineland, S. 34f. Politische Übersicht Nr. 11, Berlin, 26. 11. 1935, PA AA, R 70027; Mandelsloh: Pakte, S. 62.

4.3 Die Locarnokonzeptionen in England und Frankreich

247

hätten in der französischen Hauptstadt über die Wiederherstellung der Entente Cordiale verhandelt; als erster Schritt sei beschlossen worden, im Februar 1936 eine Demarche in Berlin zu unternehmen, um Deutschland zu einer Stellungnahme in der Rüstungsfrage zu bewegen589 . Und noch im Januar 1936 schrieb Frohwein in einer Vorlage, Bülow solle Beck darauf hinweisen, dass England in einem europäischen Konflikt niemals neutral sein werde590 . Als der britische Botschafter Mitte Dezember 1935 gegenüber Hitler und Neurath erklärte, „die englische Regierung denke (. . . ) daran, dass sie mit Frankreich und Belgien gewisse Abmachungen über die Anlage und Benutzung von Flugplätzen in diesen Ländern abschließen müsse“591 , schien man erstmals den Beweis dafür zu haben, Paris und London hätten sich bereits „über Locarno hinaus“ militärisch aneinander gebunden592 . Bestärkt wurden die Deutschen von den Italienern unter Führung des italienischen Botschafters in London, Dino Grandi. Der meldete am Neujahrstag 1936 seine Einschätzung der Dinge nach Rom. England sei bereits durch einen Luftpakt mit Frankreich verbunden, so Grandi, und Phipps habe von seiner Regierung den Auftrag bekommen, Deutschland davon zu überzeugen, dass dieser Pakt nicht im Gegensatz zu Locarno stehe. Die Weigerung Hitlers, einem solchen Pakt seinen Segen zu erteilen, so Grandi, nehme man in London als carte blanche, um weitere britisch-französische Militärabsprachen zu treffen593 . Nach den Äußerungen Phipps’ war Grandi überzeugt, dass England und Frankreich Absprachen zur militärischen Zusammenarbeit geschlossen haben, die sich auf Grund der politischen Großwetterlage nur gegen die italienische Abessinienpolitik richten konnten. Da ein Protest Italiens dagegen wenig ausrichten konnte – ein Vorstoß Roms, die französische Militärpolitik sei nicht vereinbar mit den Akkorden vom 7. Januar 1935, war schon im Dezember gescheitert594 –, gab es aus Sicht Grandis nur die Möglichkeit, einen Widerspruch der französisch-britischen Absprachen zum Locarnopakt zu konstruieren und darauf zu hoffen, dass die deutsche Diplomatie diese Steilvorlage aufnehmen würde. Auf dieser Linie lagen die Berichte, die Grandi Anfang Januar 1936 nach Rom schickte. So erläuterte Grandi am 1. Januar, welches Kalkül London 589 590 591 592

593

594

Vermerk Stülpnagel, Berlin, 23. 12. 1935, BA-MA, RH 1/78. Frohwein an Dieckhoff, Berlin, 28. 1. 1936, PA AA, R 34016. ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 462, S. 900. Wenige Tage zuvor hatte sich Neurath noch zurückhaltend über die Tragweite der französisch-britischen Gespräche geäußert; dies unterstreicht, dass die Hitler-Phipps-Unterredung vom 13. Dezember 1935 als Wendepunkt anzusehen ist, Attolico an Mussolini, Berlin, 11. 12. 1935, DDI, 8. Serie, Bd. II, Nr. 838, S. 821f. Grandi an Mussolini, London, 1. 1. 1936, DDI, 8. Serie, Bd. III, Nr. 2, S. 3–5. An dieser Sichtweise hielt Grandi auch nach dem Krieg fest, D. Grandi: Il mio paese. Ricordi autobiografici, a cura di R. de Felice, Bologna 1985, S. 397ff. DDI, 8. Serie, Bd. II, Nr. 862, S. 851; DDF, 1. Serie, Bd. XIII, Nr. 205, S. 294f.

248

4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

und Paris bei ihren Absprachen verfolgten595 . Am 2. Januar berichtete er, die französisch-britischen Militärgespräche würden fortgesetzt596 . Am 10. Januar lieferte er den nächsten Bericht dazu und prüfte die Möglichkeit, ob Italien mit einem Austritt aus dem Völkerbund auf die Besprechungen reagieren sollte597 . In Berlin übernahm Attolico die Aufgabe, dem Auswärtigen Amt die Gefahren einer britisch-französischen Verständigung auszumalen. Mehrmals kontaktierte er Neurath und Bülow, um sie über die Berichte seines Londoner Kollegen zu informieren. Am 15. Januar 1936 suchte Attolico den Reichsaußenminister auf, um ihn über die Unterredung Hitlers mit Phipps zu befragen. Mit Hilfe einiger Telegramme Grandis aus London versuchte er dann nachzuweisen, dass „bereits jetzt zwischen Frankreich und England ein Militärbündnis bestehe“598 . Neurath entgegnete, seiner Meinung nach bezögen sich diese Verabredungen auf den Fall, dass England und Italien in Konflikt kommen. Er gab indes zu, dass Deutschland „im Abschluss von militärtechnischen Verabredungen zweier Locarnomächte einen Verstoß gegen den Sinn des Locarnovertrages“ erblicke. Das Auswärtige Amt habe dies den englischen und französischen Botschaftern in Berlin ausdrücklich mitgeteilt599 . Einige Tage später unterhielt sich Attolico mit Bülow darüber. Die französisch-britische Militärkonvention, so Attolico, stelle den ersten Schritt in einem mehrstufigen Plan dar. Dem Abschluss der Konvention folge die Liquidierung der Abessinienkrise und in einem dritten Schritt der Abschluss einer förmlichen Allianz zwischen England, Frankreich und Italien, die den Locarnopakt ablösen solle600 . Kurz darauf erschien Attolico erneut bei Bülow mit einem Bericht Grandis in der Tasche. Darin hieß es nun, London und Paris hätten dauerhafte Abmachungen getroffen, die die Zusammenarbeit der Land-, See- und Luftstreitkräfte regeln sollen601 . Ihr Ziel, Deutschland gegen die französisch-britische Militärzusammenarbeit in Stellung zu bringen, indem sie die Bedeutung dieser Besprechungen maßlos übertrieben und nicht davor zurückschreckten, mit einem endgültigen Abgleiten Italiens in das westliche Lager zu drohen, hatten die Italiener erreicht. Misstrauisch geworden durch die Bemerkungen Phipps‘ vom Dezem595 596 597

598 599 600 601

DDI, 8. Serie, Bd. III, Nr. 2, S. 3–5. Ebenda, Nr. 4, S. 6f.; vgl. J. Petersen: Hitler-Mussolini. Die Entstehung der Achse BerlinRom 1933–1936, Tübingen 1973, S. 472. DDI, 8. Serie, Bd. III, Nr. 38, S. 46–50. Ende Januar war es Mussolini selbst, der auf den Zug mit aufsprang. Im Popolo d’Italia erschien am 26. Januar ein Artikel, in welchem er die Meinung vertrat, die französisch-britischen Militärabreden würden das Gleichgewicht von Locarno zerstören, Robertson: Wiederbesetzung, Nr. 5, S. 197. Aufzeichnung Neurath, Berlin, 16. 1. 1936, PA AA, BA 60967. Aufzeichnung Neurath, Berlin, 16. 1. 1936, ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 498, S. 984f. Aufzeichnung Bülow, Berlin, 20. 1. 1936, PA AA, R 29458. Aufzeichnung Bülow, Berlin, 25. 1. 1936, ebenda.

4.4 Ostlocarno und französisch-sowjetischer Beistandspakt (1934/35)

249

ber 1935 sowie den Berichten mehrerer britischer Zeitungen (z. B. Manchester Guardian, News Chronicle) vom Anfang Januar 1936, wonach eine vertiefte französisch-britische Militärzusammenarbeit im Entstehen sei602 , musste das Auswärtige Amt glauben, England und Frankreich hätten sich über Locarno hinweggesetzt und ein förmliches Bündnis gegen das Reich geschlossen603 . Die Aussagen Phipps’ bestärkten das Auswärtige Amt in der Überzeugung, England und Frankreich hätten sich in einem Militärpakt gegen Deutschland verbündet und hätten damit den Ring der Einkreisung um das Reich fest geschlossen, ja man musste in Berlin den Eindruck gewinnen, England selbst sei Antreiber der Allianz gewesen, und die Phipps-Demarche habe nur als Fassade gedient, hinter der sich London mit Frankreich verbündet hätte604 . Die Äußerungen Phipps’ gegenüber Hitler, so resümierte eine Vorlage Frohweins vom 14. Januar 1936, zeigten, dass Frankreich im Laufe der Generalstabsbesprechungen mit den Briten die Frage einer „luftmilitärischen Kooperation“ gegen Deutschland angeschnitten habe. Der britische Botschafter habe den Punkt erwähnt, weil er geglaubt habe, vom Reichskanzler eine Legalisierung der von Paris gewünschten zweiseitigen Vereinbarungen zu erhalten605 . Und Neurath vertraute dem italienischen Botschafter an, man habe Frankreich und England deutlich gemacht, dass Deutschland in den militärtechnischen Vereinbarungen zwischen Paris und London einen Verstoß gegen Locarno erblicke606 .

4.4 Ostlocarno und französisch-sowjetischer Beistandspakt (1934/35) Am 16. Juni 1934 trafen sich Louis Barthou und Joachim v. Ribbentrop in der Villa eines französischen Pressemoguls. Den beiden Gesprächspartnern, die sich immer wieder ihrer Bewunderung der Musik von Richard Wagner ver602 603 604

605 606

Die deutsche Botschaft in London an das Auswärtige Amt, London, 17. 1. 1936, PA AA, R 32038. Vgl. Hauser: England, Bd. 1, S. 169. Graeffe an Zeeland, Berlin, 8. 1. 1936, DDB, Bd. IV, Nr. 1, S. 37–40. Aufzeichnung Frohwein, Berlin, 14. 1. 1936, PA AA, BA 60967. Dass das Auswärtige Amt um die Jahreswende 1935/36 England für die treibende Kraft hinter der französisch-britischen Verständigung hielt, zeigen die Äußerungen von Friedrich Gaus gegenüber einem britischen Journalisten. Dort behauptete Gaus, es sei nicht Hitler, sondern Phipps gewesen, der sich am 13. Dezember 1935 skeptisch gegenüber weiteren Verhandlungen gezeigt habe. Deutschland halte den französisch-sowjetischen Pakt für nicht vereinbar mit Locarno, fuhr Gaus fort, aber der britische Rechtsexperte Malkin habe erklärt, die beiden Pakte seien vereinbar, und die Juristen der anderen Locarnomächte seien ihm widerspruchslos gefolgt, Tagebuch Kennedy, 27. 4. 1936, Kennedy: Journals, S. 219f. Aufzeichnung Frohwein, Berlin, 14. 1. 1936, PA AA, BA 60967. Aufzeichnung Neurath, Berlin, 16. 1. 1936, ebenda.

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

sicherten, merkte man nicht an, wie viel auf dem Spiel stand. Barthou, seit einigen Monaten Außenminister im „Kabinett der Greise“607 , bemühte sich, den Eindämmungsring gegen Deutschland neu zu schmieden und hatte Anfang Juni gemeinsam mit Litwinow das Projekt eines Ostlocarnos vorgestellt. Ribbentrop, Günstling des „Führers“ und vor Kurzem zum Abrüstungskommissar aufgestiegen, tourte pausenlos durch Europa, um außenpolitische Erfolge einzufahren, die seine Position bei Hitler weiter absichern sollten. Pakte zur gegenseitigen Unterstützung, erklärte Ribbentrop, als die Unterredung auf den Ostpakt kam, seien mit Deutschlands Sicherheit schwer zu vereinbaren. Das Locarnosystem, das einen wichtigen Faktor für Deutschland bilde, werde durch den Einbau Russlands von Grund auf verändert. Barthou, so notierte Ribbentrop in der Aufzeichnung über diese Unterredung, „übergeht diesen Punkt mit einer Handbewegung“608 . Damit ist der andere Faktor, der den Rheinpakt in politischer Hinsicht belastete und dadurch Bülows Pläne, den Rheinpakt als Garantie im Westen einzusetzen, zunehmend Makulatur werden ließ, umrissen. Die Deutschen hielten jedes französische Engagement im Osten Europas für unvereinbar mit Locarno, denn die Franzosen hatten in Locarno versprochen, nicht militärisch gegen das Reich vorzugehen. Die Franzosen hingegen wollten nicht auf die deutschen Beschwerden eingehen. Diese Auseinandersetzungen, die im März 1936 zur einseitigen „Aufkündigung“ Locarnos führen sollten, reichten bis in das Jahr 1934 zurück, als der französische Außenminister Barthou und der sowjetische Volkskommissar Litwinow mit ihren Vorschlägen zur Errichtung eines kollektiven Sicherheitssystems in Osteuropa hervortraten. Seit der nationalsozialistischen Machtergreifung im Jahr 1933 bestand in Paris der Wunsch, die Vertragsbeziehungen zu Moskau weiter auszubauen. Im Juli 1933 bot sich erstmals die Gelegenheit dazu, als die sowjetische Regierung Paris vorschlug, ein Abkommen zu schließen609 , aber das Manöver war allzu offensichtlich als Störfeuer gegen den Viermächtepakt gedacht, als dass man in Paris darauf eingehen konnte. Echte Verhandlungen begannen erst nach dem deutschen Austritt aus dem Völkerbund610 , aber noch bremsten die häufigen Regie607 608

609 610

Schmidt: Außenpolitik, S. 161. Aufzeichnung über die Unterredung von Herrn von Ribbentrop mit dem französischen Außenminister Barthou, o. O., [Juni 1934], PA AA, BA 60975; ADAP, C, Bd. III, 1, Nr. 31, S. 74. Aufzeichnung der Politischen Abteilung, Paris, 19. 7. 1933, DDF, 1. Serie, Bd. IV, Nr. 20, S. 32f. Am 31. Oktober 1933 besprach Außenminister Paul-Boncour die Möglichkeiten eines französisch-sowjetischen Paktes mit Litwinow auf dessen Durchreise durch Paris und kurze Zeit später entschied Moskau, in Vertragsverhandlungen mit Paris einzusteigen, vgl. J. Haslam: The Soviet Union and the Struggle for Collective Security in Europe, 1933–39, London u. Basingstoke 1984, S. 28; M. Mourin: Les Relations Franco-Soviétiques 1917–

4.4 Ostlocarno und französisch-sowjetischer Beistandspakt (1934/35)

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rungswechsel in Frankreich, die Männer mit unterschiedlichen Konzeptionen an die Macht spülten, eine entschlossene Linie ab. Dabei haben die Fachleute des Quai d’Orsay frühzeitig darauf hingewiesen, dass ein Ostpakt mit Russland zwei Bedingungen erfüllen müsse. Erstens, so eine Vorlage vom 5. Dezember 1933, sei unerlässlich, dass die Sowjetunion dem Völkerbund beitrete611 . Dann käme sie in den Geltungsbereich des Artikels 10 der Völkerbundssatzung, der ihr die territoriale Integrität garantierte; denn nur bei Verletzung dieser Bestimmung konnte Frankreich militärischen Beistand an Russland leisten, der durch die Artikel 16 und 15 Absatz 7 der Völkerbundssatzung gedeckt war (die so genannte assistance mutuelle612 ). Dies musste aber immer der Fall sein, wenn Frankreich militärisch gegen Deutschland vorginge, andernfalls wäre der Angriff eine Verletzung des Rheinpaktes gewesen613 . Zweitens zielte die französische Politik darauf ab, den Ostpakt mit den völkerrechtlichen Regeln im Westen zu verbinden, um eine gesamteuropäische Lösung auf den Weg zu bringen. Dies hatte juristische und politische Gründe. Politisch spielte der Gedanke eine Rolle, dass ein europäisches Paktsystem Deutschland besser in Schach halten könne als getrennte Regeln für Ost und West. Das lag vor allem daran, dass ein solches System das britische Königreich indirekt an die politischen Fragen Osteuropas gebunden hätte. Juristisch ging es darum zu verhindern, dass sich die Regeln des Ostpaktes mit den Bestimmungen Locarnos verheddern könnten. Eine Verbindung von West- und Ostpakt führte dazu, beide Verträge zu harmonisieren und ihre Casus belli anzugleichen. Diese Vorgaben umsetzend konzipierte die französische Führung in den kommenden Monaten ihre Politik. Daladier dachte daran, den Viermächtepakt im Westen mit der Konvention über die Definition des Angreifers im Osten zu verbinden614 . Diese Verträge hatte Moskau am Rande der Londoner Weltwirtschaftskonferenz am 3./4. Juli 1933 mit einer Reihe von osteuropäischen Staaten unterzeichnet. Eine Analyse der Konventionen ergab jedoch, dass ein französischer Beitritt keine Vermehrung der Sicherheit bedeuten würde. Im Gegenteil, so eine Vorlage vom 17. Oktober 1933, könnte dies unerwünschte Rückwirkungen auf den Locarnopakt zeitigen, weil das Angriffsverbot der Londoner Konvention viel weitreichender als Locarno war615 . Mehr Erfolg

611 612 613 614 615

1967, Paris 1967, S. 186; W. E. Scott: Alliance against Hitler. The Origins of the FrancoSoviet Pact, Durham 1962, S. 135. Aufzeichnung der Politischen Abteilung, Paris, 5. 12. 1933, DDF, 1. Serie, Bd. V, Nr. 84, S. 165–168. Vgl. Barandon: Staatsverträge, S. 222ff. Vgl. Mandelsloh: Pakte, S. 42ff. DDF, 1. Serie, Bd. IV, Nr. 48, S. 91. Ebenda, Nr. 324, S. 591. Dennoch erlebte das Projekt während der Amtszeit Daladiers als Ministerpräsident im Januar 1934 ein kurzes Comeback, weil dieser einen Pakt mit Moskau scheute; diese Episode blieb aber ohne Auswirkungen auf die weitere Politik, Attolico

252

4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

versprach da der Weg, den Locarnopakt im Westen mit einem Ostpakt zu verbinden, indem man Russland einlud, die Rolle als „dritter Garant“ Locarnos einzunehmen. Genau um diese Konstellation kreisten fortan alle französischen Gedanken. Paul-Boncour, der schon Ende Oktober 1933 Sondierungsgespräche mit dem sowjetischen Botschafter in Paris führte, befürwortete das Konzept, dem Ostpakt den Charakter einer assistance mutuelle zu verleihen616 . Am 15. Dezember 1933 richtete die französische Regierung die Frage an Russland, ob Verhandlungen über einen Beistandspakt und einen Beitritt Russlands zum Völkerbund möglich seien. Die Formel, die man den Russen daraufhin unterbreitete, unterschied mehrere Ebenen. Auf der einen Ebene verpflichteten sich alle Paktstaaten mit Ausnahme Frankreichs – also Deutschland, Russland, Polen, die Tschechoslowakei, die baltischen Länder –, sich gegenseitig nicht anzugreifen, aber militärischen Beistand zu leisten, wenn ein benachbarter Staat Opfer einer kriegerischen Aggression wurde617 . Auf der zweiten Ebene verpflichteten sich Frankreich und Russland in einer Spezialkonvention zu gegenseitigem Beistand für den Fall, dass einer von ihnen angegriffen wurde oder ein Staat die Nichtangriffsklausel der Generalkonvention brach. Die Garantie Frankreichs für den östlichen Nichtangriffspakt sollte ihre Entsprechung darin finden, dass Russland die Rolle einer Garantiemacht im Rahmen Locarnos übernahm618 . Auf diese Weise, so das französische Kalkül, käme die russische Militärhilfe im Westen nur bei einer flagranten Verletzung des Rheinpaktes zum Tragen. Umgekehrt wäre die militärische Assistenz an die UdSSR auf die Fälle der Artikel 16 und 15 Absatz 7 der Völkerbundssatzung beschränkt, nach denen ein französischer Einmarsch nach Deutschland keine Verletzung des Rheinpaktes bedeutete. Dieses Konzept blieb, obwohl die Russen Anfang Juni 1934 mit einem eigenen Vorschlag konterten619 , die Diskussionsgrundlage zwischen Paris und Moskau und schlug sich im endgültigen Text, den Barthou und Litwinow am 8. Juni 1934 der Öffentlichkeit präsentierten, deutlich nieder. Demnach war das ganze Vertragssystem auf drei Abkommen verteilt620 . Das erste Abkom-

616

617 618 619 620

an Mussolini, Moskau, 19. 1. 1934, DDI, 7. Serie, Bd. XIV, Nr. 584, S. 667. Vgl. Scott: Alliance, S. 152. Bullitt an Roosevelt, Paris, 1. 1. 1934, O. H. Bullitt (Hg.): For the President. Personal and Secret. Correspondence between Franklin D. Roosevelt and William C. Bullitt, with an Introduction by G. F. Kennan, Boston  1972, S. 61–73. Zur Entwicklung der assistance mutuelle vgl. Barandon: Staatsverträge, S. 223–225. DDF, 1. Serie, Bd. VI, Nr. 54, S. 133–135. Ebenda, Nr. 154, S. 376–378. Aufzeichnung der Politischen Abteilung, Paris, 3. 6. 1934, ebenda, Nr. 278, S. 602–604. DGFP, C, Bd. III, Nr. 85, Anlage 1, S. 166f. Zu den Verhandlungsschritten vgl. P. S. Wandycz: The Twilight of French Eastern Alliances, 1926–1936. French-Czechoslovak-Polish Relations from Locarno to the Remilitarization of the Rhineland, Princeton/New Jersey 1988, S. 356ff.

4.4 Ostlocarno und französisch-sowjetischer Beistandspakt (1934/35)

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men war ein regionaler Beistandspakt zwischen Polen, Russland, Deutschland, der Tschechoslowakei, Finnland und den baltischen Staaten. Diese Staaten verpflichteten sich dazu, im Einklang mit dem Völkerbund einem anderen Vertragsstaat unverzüglich militärische Hilfe zu leisten, wenn dieses Land angegriffen würde. Das sollte auch gelten, wenn der Angriff von einem Nichtsignatar ausginge. Fallengelassen wurde die Formel, wonach nur die Nachbarn des Opfers zum Beistand gehalten seien. Lag eine Angriffsdrohung vor, verpflichteten sich die Staaten, unverzüglich in Konsultationen einzutreten. Des Weiteren sollten alle Kontrahenten für die volle Umsetzung der Artikel 10 und 16 der Völkerbundssatzung sorgen. Der Sinn dieser Bestimmung wird offenbar, wenn man den zweiten Vertrag betrachtet. In diesem französischsowjetischen Pakt versprach Russland, gegenüber Frankreich (aber nicht gegenüber Deutschland) dieselben Verpflichtungen zu übernehmen, die England und Italien unter Locarno an Frankreich banden. Umgekehrt sagte Frankreich zu, gemäß den Bestimmungen der Artikel 16 und 15 Absatz 7 der Völkerbundssatzung an einer Beistandsleistung im Rahmen des Regionalpaktes teilzunehmen. Im Falle von Konsultationen wäre Frankreich aufgerufen, daran teilzunehmen. Das dritte Abkommen bestand in einer Generalakte aller teilnehmenden Staaten. Diese erklärten, dass der Ostpakt keine Auswirkungen auf die Rechte und Pflichten des Völkerbundes haben sollte. Schließlich wurde bestimmt, dass der Vertrag erst in Kraft treten solle, wenn die Sowjetunion dem Völkerbund beigetreten war. Man hat im Ostlocarnoprojekt Barthous ein Manöver sehen wollen, das eine deutsche Ablehnung provozieren und so in einer Allianz mit Russland münden sollte621 . Tatsächlich stand am Ende dieser Verhandlungen kein kollektiver Ostpakt, sondern der französisch-sowjetische Beistandspakt vom 2. Mai 1935. Aber so folgerichtig, wie die Forschung das haben wollte, war die Entwicklung nicht. Die Akten zeigen vielmehr, dass alle in der Ostpaktfrage engagierten Staaten – Deutschland, Frankreich, England – ihr Äußerstes taten, um ein französisch-sowjetisches Bündnis zu hintertreiben. Die ersten waren die Briten, die mit argwöhnischen Blicken darüber wachten, dass aus dem Ostpaktprojekt von Barthou nicht eine militärische Allianz wurde, die Europa in feindliche Lager spaltete622 . Schon die erste Reaktion des Foreign Office fiel kühl aus. Frankreich, so schrieb der britische Vertreter am 14. Juni 1934 aus Paris, käme es vor allem darauf an, das Ostlocarno mit dem Locarno des Westens zu verbinden und den Beitritt Russlands zum Völkerbund zu erreichen623 . Dahinter stecke die traditionelle Linie Frankreichs, erst die Sicherheitsfrage zu lösen, bevor man über Schritte in der Abrüstung rede. In 621 622 623

So Mühle: Frankreich, S. 218 u. S. 364. Vgl. Niedhart: Sowjetunion, S. 255f. Clerk an Simon, Paris, 14. 6. 1934, DBFP, 2. Serie, Bd. VI, Nr. 455, S. 753–756.

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

seiner Antwort vom 19. Juni empfahl Simon kühle Reserve. Im Moment gebe es keine Einwände gegen den französischen Plan, man wolle abwarten, ob er ein weiteres Stadium erreiche624 . Hinter den Kulissen begann derweil das Ringen um eine einheitliche Linie. Während sich die Experten im Foreign Office, aufgeschreckt vom italienischen Botschafter625 , sorgten, welche Rückwirkungen der Ostpakt auf die Verpflichtungen Englands unter Locarno haben würde626 , hegte die Führungsspitze um Simon, Eden und Vansittart, keine diesbezüglichen Zweifel627 . Simons Sorgen drehten sich eher um die Frage, welchen Charakter der Pakt annehmen werde. England werde keine Allianz gegen Deutschland unterstützen, so Simon. Der Ostpakt müsse das gleiche „gegenseitige Prinzip“ wie Locarno im Westen enthalten, um auf einen Beitritt Deutschlands und damit letztendlich auf Verwirklichung hoffen zu können628 . Schließlich setzte sich die Empfehlung Sargents durch, man solle vorsichtig in der Sache agieren und die Franzosen fragen, wie es um die britischen Locarnoverpflichtungen und das Prinzip der Gegenseitigkeit stünde629 . So schickte die britische Seite am 4. Juli eine Denkschrift nach Paris, worin sie einige Klarstellungen hinsichtlich des Ostpaktes forderte630 . Paris antwortete postwendend. Der vorgeschlagene Pakt, so die Note, folge im Wesentlichen dem Muster des Modellvertrages D, den das Sicherheitskomitee des Völkerbundes im Jahr 1928 verabschiedet hatte631 , angereichert um eine Klausel zur Definition des Angreifers sowie einer Bestimmung über die „flagrante Verletzung“, wie es Artikel 4 des Rheinpaktes bestimmte. Ein militärisches Eingreifen der Sowjetunion, so hieß es zur Beruhigung Londons, komme nur in Frage, wenn Deutschland gleichzeitig die entmilitarisierte Zone und die Unversehrtheit Belgiens verletze632 . Diese Argumente waren Gegenstand des französisch-britischen Gipfeltreffens am 9./10. Juli 1934 in London, wo die Briten sich weiter bemühten, die 624 625

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Ebenda, Nr. 461, S. 762. Mussolini hatte Grandi gebeten, er möge die Aufmerksamkeit der Briten auf mögliche Rückwirkungen des Ostpaktes auf die Stellung der Locarnogaranten lenken, Runderlass Mussolini, Rom, 23. 6. 1934, DDI, 7. Serie, Bd. XV, Nr. 432, S. 458. Zum Gespräch Vansittart-Grandi am 5. Juli 1934 vgl. DDI, 7. Serie, Bd. XV, Nr. 487, S. 515. Aufzeichnung Wigram, London, 28. 6. 1934, TNA, FO 371/17747; Aufzeichnung Malkin, London, 29. 6. 1934, ebenda. Corbin an Barthou, London, 28. 6. 1934, DDF, 1. Serie, Bd. VI, Nr. 398, S. 806. DBFP, 2. Serie, Bd. VI, Nr. 487, S. 803–809 u. Nr. 497, S. 833f. Aufzeichnung Sargent, London, 22. 6. 1934, TNA, FO 371/17747. Sargent an Cambon, London, 4. 7. 1934, DBFP, 2. Serie, Bd. VI, Nr. 481, S. 785–787. Der Mustervertrag D war ein Kollektivvertrag über gegenseitige Hilfeleistung. Er gliederte sich in Abschnitte über Nichtangriff, gegenseitigen Beistand sowie Bestimmungen über die friedliche Beilegung von Konflikten, Bruns: Verträge, Bd. 2, II, Nr. IX, D, a, S. 175ff. Barthou an Corbin, Paris, 6. 7. 1934, DDF, 1. Serie, Bd. VI, Nr. 441, S. 905–907. Vgl. auch die deutsche Analyse des Ostpaktes: Aufzeichnung Frohwein, Berlin, 16. 7. 1934, PA AA, R 32253.

4.4 Ostlocarno und französisch-sowjetischer Beistandspakt (1934/35)

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Franzosen von der Allianzidee abzubringen. In den Gesprächen gelang es den Briten, zwei wichtige Veränderungen am Ostpaktschema durchzusetzen633 . Erstens bestand Simon darauf, der Garantie eine zweiseitige, auf Gegenseitigkeit beruhende Wirkung zu geben. Das bedeutete, dass die russische Locarnogarantie sowohl für Deutschland als auch für Frankreich wirken solle; entsprechend musste Barthou zusagen, die französische Garantie Ostlocarnos gleichermaßen für Deutschland und für Russland zu geben. Zweitens verständigte sich Simon mit den Franzosen darauf, auf der Grundlage des Ostpaktes die Gespräche über eine internationale Rüstungskonvention, die seit April ruhten, wieder aufzunehmen634 . Damit, so schien es, setzte die britische Seite ihren Standpunkt auf ganzer Linie durch635 . Dem italienischen Botschafter gegenüber erklärte Simon, er habe auf der Konferenz zwei Ziele verfolgt, nämlich an der Tatsache festzuhalten, dass die Sicherungssysteme in Ost und West deutlich voneinander getrennt bleiben, sowie Barthou klar zu machen, dass England eine französisch-sowjetische Defensivallianz niemals gutheißen würde636 . Diese Ziele habe er mit den Zusagen Barthous erreicht, der erklärt habe, Frankreich werde nicht als Kontrahent des östlichen Nichtangriffspaktes auftreten, der Pakt bleibe getrennt von Locarno und Deutschland werde von Beginn an in die Verhandlungen einbezogen. Nach der deutschen Ablehnung des Ostlocarnoprojekts vom September 1934 sowie der daraufhin eintretenden Verhandlungspause erteilten die Briten bei den Londoner Besprechungen vom Februar 1935 dann zum zweiten Mal ihren Segen für den Ostpakt, nachdem sich der Quai d’Orsay – auf britischen Druck hin – bereit erklärt hatte, den Ostpakt „geschmeidig zu machen“637 . Konkret äußerten die Franzosen die Bereitschaft, die Bestimmungen zum Nichtangriff stärker zu akzentuieren und es den Staaten offen zu lassen, ob sie einem System der assistance mutuelle beitreten wollen638 . Aber erst im April 1935 ging die Auseinandersetzung über ein französischsowjetisches Abkommen in die letzte Runde. Die Briten hatten der Aufnahme 633 634

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DGFP, C, Bd. III, Nr. 85, Anlage 2, S. 168. Aufzeichnung Simon, London, 10. 7. 1934, TNA, CAB 24/250; Aufzeichnung Dew, London, 17. 10. 1934, BDFA, II, F, 45, Nr. 225, S. 332–335; Simon an Phipps, London, 12. 7. 1934, DBFP, 2. Serie, Bd. VI, Nr. 497, S. 833f. Sogar Austen Chamberlain, sonst kein Freund Simons, überhäufte den Außenminister mit Lob, dieser hätte aus dem französischen Plan ein „echtes Locarno“ gemacht, Chamberlain an Ida, London, 15. 7. 1934, Chamberlain: Letters, S. 464. Grandi an Mussolini, London, 12. 7. 1934, DDI, 7. Serie, Bd. XV, Nr. 512, S. 542f. DDF, 1. Serie, Bd. IX, Nr. 296, S. 447–451. Der Titel der Vorlage lautete: „Assouplissement du projet de pacte de l’Est“ Aufzeichnung Bargeton, Paris, 30. 1. 1935, ebenda, Nr. 123, S. 190f.; BDFA, II, F, Bd. 22, Nr. 2, S. 8f.

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

des Ostpaktes in das Londoner Kommuniqué nur deshalb zugestimmt, um eine direkte Verbindung Paris-Moskau zu sabotieren. Das Bündnis mit dem Bolschewismus zu verhindern, war besonders das Ziel des stellvertretenden Leiters des Central Department im Foreign Office, Orme Sargent, der sich im Frühjahr 1935 in mehreren Denkschriften mit diesem Problem befasste. England dürfe den französisch-sowjetischen Pakt nicht unterstützen, urteilte Sargent am 29. Januar 1935, „denn eine Rückkehr zu den Vorkriegsallianzen ist das Schlimmste, was passieren kann“639 . Insbesondere die Umsetzung Locarnos werde durch eine derartige Allianz schwierig, denn der Locarnopakt habe Frankreich auf eine defensive Politik festgelegt, während der neue Vertrag, so die Begründung Sargents, dem Land Verpflichtungen auflade, die den defensiven Charakter der französischen Politik stören könnten. In einer weiteren Aufzeichnung vom Februar verlieh Sargent seiner Überzeugung Ausdruck, dass der Abschluss einer französisch-sowjetischen Allianz das Startsignal zu einer Neugruppierung der europäischen Mächte wäre. Europa falle zurück in die Politik, in der antagonistische Allianzen nach einem Gleichgewicht strebten; damit, so Sargent, wäre das Ende der kollektiven Sicherheit besiegelt640 . Schließlich fasste er in einer Aufzeichnung vom 1. April 1935 noch einmal seine Haltung zu einer französisch-sowjetischen Allianz zusammen641 , die er aus vier Gründen ablehnte. Erstens bemerkte Sargent, dass die britische Öffentlichkeit sich an die Situation von 1914 erinnern könnte, als England auf Grund vertraglicher Verpflichtungen, und nicht wegen seiner Interessen in den Weltkrieg eingetreten war. So könnte es wieder enden, wenn London unter Locarno verpflichtet wäre, in einen europäischen Konflikt einzugreifen. Zweitens hielt Sargent das Argument, die Russen würden sich den Deutschen an den Hals werfen, wenn der Pakt mit Paris scheiterte, für unglaubwürdig; der französisch-sowjetische Pakt habe eher den Abschluss einer deutsch-japanischen Allianz zur Folge, die eine Gefahr für die britischen Überseeinteressen darstellte. Drittens glaubte er nicht, dass ein Bündnis mit Moskau die Sicherheit Frankreichs verbessere. Wahrscheinlicher sei, dass Frankreich gezwungen war, Russland militärische Hilfe zu leisten, wenn das Reich nach Osteuropa ausgriff. Viertens könnte Deutschland versucht sein, in den Donauraum auszuweichen, wo es zu Auseinandersetzungen mit Italien kommen könne. Dies, so Sargent, beträfe die britische Politik unmittelbarer als Kriege in Osteuropa642 . Doch die harte Haltung der Briten bröckelte. Vor dem Hintergrund der Ber639

640 641 642

Aufzeichnung Sargent, London, 28. 1. 1935, DBFP, 2. Serie, Bd. XII, Nr. 380, S. 441. Vansittart kommentierte zustimmend, die britischen Politiker müssten „dissuade the French from a pre-war formation“, ebenda, S. 442 Anm. 4. Aufzeichnung Sargent, London, 28. 2. 1935, TNA, FO 371/18827. DBFP, 2. Serie, Bd. XII, Nr. 678, S. 793–795. Ebenda.

4.4 Ostlocarno und französisch-sowjetischer Beistandspakt (1934/35)

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liner Gespräche zwischen Simon und Hitler deutete sich ein Kurswechsel an. Dort hatte der deutsche Reichskanzler den französischen Ostpakt aufs schärfste abgelehnt, dem Luftpakt aber Chancen eingeräumt643 . Deshalb verfielen die Briten auf die Idee, den Ostpakt vom General Settlement zu trennen. Der Abschluss eines zweiseitigen Ostpaktes, so das britische Kalkül, würde die Franzosen zufriedenstellen und den Weg zu einem Luftpakt mit Berlin freimachen644 . Voraussetzung für dieses Wechselspiel war, dass der französisch-sowjetische Pakt – genau wie der geplante Ostpakt – sich den Regeln des Völkerbundes unterordnete und keinen Verstoß gegen Locarno bildete. Hierauf richteten sich nun die britischen Gedanken. In einer Aufzeichnung vom 4. April 1935 behauptete Simon, die britische Haltung zum Ostpakt sei die gleiche wie im Sommer 1934. Demnach dürfe Frankreich keine Verpflichtungen übernehmen, die eine Erweiterung der britischen Pflichten nach sich ziehen würde. Frankreich habe dafür zu sorgen, so Simon, dass eine militärische Unterstützung Russlands keine Verletzung Locarnos in sich berge, nach welcher London gezwungen sein könnte, zu Gunsten Deutschlands Krieg zu führen645 . London, resümierte der französische Botschafter die britische Haltung, sei auch unter den Bedingungen des Ostpaktes fest entschlossen, seine Locarnoverpflichtungen zu erfüllen, wenn Frankreich das Opfer eines militärischen Angriffs würde646 . Exakt auf dieser Linie liegend erklärte der französische Ministerpräsident, der die Punkte des französischsowjetischen Paktes in Stresa ausführlich den Briten erläuterte, er wolle ausdrücklich darauf achten, dass der Pakt nicht mit den Bestimmungen Locarnos in Konflikt gerate647 . Durch Lavals Zusicherungen beruhigt gaben die Briten Mitte April grünes Licht648 . Aber bereits wenige Tage später gelang es dem Auswärtigen Amt, neue Zweifel über einen französisch-sowjetischen Pakt nach London zu tragen. Als der britische Botschafter am 16. April die Ergebnisse der Stresakonferenz in der Wilhelmstraße überbrachte, erklärte ihm Bülow, wie sehr das Deutsche Reich die britisch-italienische Demarche, an Locarno festhalten zu wollen, begrüße. Diese Mitteilung, so Bülow, sei „im gegenwärtigen Augenblick besonders wertvoll, wo Frankreich sich auf gefährliche militärische Verbindungen mit Russland einlasse“649 . Die Anspielung auf den Rheinpakt verfehlte ihre Wirkung 643 644 645

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ADAP, C, Bd. III, 2, Nr. 555, S. 1027f., S. 1030ff. u. S. 1052f. Aufzeichnung, o. V., o. O., 23. 4. 1935, PA AA, R 54050; vgl. Hauser: England, Bd. 1, S. 146. Aufzeichnung Simon, London, 4. 4. 1935, TNA, CAB 24/255. Ähnlich hatte sich der Außenminister bereits im Zusammenhang mit einem möglichen Pakt zur Sicherheit Österreichs geäußert, DBFP, 2. Serie, Bd. XII, Nr. 108, S. 115f. Corbin an Laval, London, 8. 4. 1935, DDF, 1. Serie, Bd. X, Nr. 152, S. 224–226. DBFP, 2. Serie, Bd. XIII, Nr. 120, S. 190. Vgl. Bannies: Außenpolitik, S. 248. Aufzeichnung Bülow, Berlin, 16. 4. 1935, ADAP, C, Bd. IV, 1, Nr. 33, S. 60; Phipps an

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

auf der Insel nicht650 . Aufs Neue entflammten die britischen Ängste, die französische Politik steuere auf eine Revitalisierung der Vorkriegsallianzen zu und konterkariere damit die britischen Bestrebungen, Deutschland zurück in das System kollektiver Sicherheit zu bringen651 . Der Argwohn der Briten hatte eine politische und eine juristische Seite. Die juristische Seite bestand in der Absicht, keine neuen Commitments einzugehen, welche die britische Politik für „nicht absehbare Eventualfälle“652 binden könnten. Das Foreign Office wollte vermeiden, unter den Bestimmungen des Locarno-Rheinpaktes gezwungen zu sein, auf deutscher Seite in einen Krieg eingreifen zu müssen. Nachdem Deutschland aus dem Völkerbund ausgetreten war, blieb es eine Konstante der britischen Politik, diesen Fall zu verhindern. Ebenso wichtig war es, nicht in osteuropäische Streitigkeiten hinein gezogen zu werden. Deshalb forderte London, der französisch-sowjetische Pakt müsse eine Klausel enthalten, die verhütete, dass der Rheinpakt ins Spiel käme, wenn Frankreich seine Verpflichtungen militärisch erfüllte. Wenn Großbritannien an einem Krieg in Osteuropa teilnehmen würde, so fasste Simon das britische Kalkül zusammen, „it will be because we judge our vital interests to be gravely affected and not because the Treaty of Locarno requires us to do so“653 . Die politische Seite des britischen Misstrauens gegenüber einem Bündnis zwischen Paris und Moskau bezog sich auf dessen mögliche Rückwirkungen auf die deutsche Politik. Deutschland, so mutmaßte man im Foreign Office, würde die französisch-sowjetische Allianz als Versuch werten, zur politisch-militärischen Einkreisung der Vorkriegszeit zurückzukehren, und würde dann umso argwöhnischer nach England blicken. Wenn Deutschland die britische Locarnogarantie nicht mehr wertschätzen würde, so fasste Sargent am 1. Mai 1935 die Folgen eines profranzösischen Kurses Londons zusammen, dann hätte der Rheinpakt seinen Wert für das Reich verloren und würde nur noch ein Hindernis dafür bilden, die Westgrenze des Reiches mit Truppen zu sichern. Es sei nicht auszuschließen, so Sargent, dass Deutschland als Antwort auf die franzö-

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Simon, Berlin, 16. 4. 1935, DBFP, 2. Serie, Bd. XII, Nr. 726, S. 920. Das gleiche sagte Bülow einen Tag später auch dem italienischen Botschafter, Cerruti an Mussolini, Berlin, 17. 4. 1935, DDI, 8. Serie, Bd. I, Nr. 34, S. 28. Auch dem französischen Botschafter entging das deutsche Manöver nicht. So schrieb er nach Paris: „(. . . ) le traité de Locarno lui est devenu précieux, depuis qu’elle y voit une sorte de sauvegarde contre le danger d’une alliance franco-russe trop étroit.“ DDF, 1. Serie, Bd. X, Nr. 267, S. 428. Vgl. I. Plettenberg: Die Sowjetunion im Völkerbund 1934 bis 1939. Bündnispolitik zwischen Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung in der internationalen Organisation für Friedenssicherung: Ziele, Voraussetzungen, Möglichkeiten, Wirkungen, Köln 1987, S. 180. Schmidt: Außenpolitik, S. 175. Aufzeichnung Simon, London, 4. 4. 1935, TNA, CAB 24/255.

4.4 Ostlocarno und französisch-sowjetischer Beistandspakt (1934/35)

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sisch-sowjetische Allianz versuchen könnte, Locarno und die entmilitarisierte Zone zu „kündigen“654 . Angesichts dieser doppelten Gefahr erhöhte England den Druck auf die französische Führung. Zweimal sandte die Londoner Führung im April ihre Pariser Vertreter los, um den Franzosen den Ernst der Lage klarzumachen. Das erste Mal schrieb Simon am 18. April 1935 nach Paris und forderte, Laval solle London wie vereinbart ein Schriftstück über den Beistandspakt übergeben655 . In diesem Sinne sprach Campbell tags darauf mit Laval. Der Ministerpräsident versicherte ihm, dass kein automatisches Verfahren angepeilt sei. Der im Vertrag stipulierte Beistand käme nur zum Tragen, wenn ein einstimmiger Beschluss des Völkerbundes vorliegen würde. Sei dies nicht der Fall, würde der Beistand unter Artikel 15 Absatz 7 der Völkerbundssatzung erfolgen, vorausgesetzt eine solche Aktion verstoße nicht gegen Locarno. Dies bezog sich auf die Ausnahme des Artikels 2 Absatz 2 Ziffer 3 des Rheinpaktes, wonach eine Aktion unter Artikel 15 der Völkerbundssatzung nicht gegen das Nichtangriffsversprechen des Rheinpaktes verstieß, wenn der betreffende Staat als erster zum Angriff geschritten und diese Attacke nicht provoziert war. Damit habe Frankreich, so erklärte Laval, die doppelte Absicherung, nichts unternehmen zu müssen, was im Widerspruch zur Völkerbundssatzung oder zu Locarno stünde656 . Schriftlich wollte Laval dies den Briten allerdings nicht geben und verwies auf die Unterbrechung der Verhandlungen, die die Abreise Litwinows bewirkt habe. Deswegen schrieb Simon am 26. April 1935 ein zweites Mal an den Botschafter in Paris. Laval dürfe keinen Pakt unterschreiben, so lautete die Warnung, der Frankreich zwingen könnte, Krieg gegen Deutschland zu führen. Dies, so Simon, sei unter Artikel 2 des Rheinpaktes nicht erlaubt657 . Am Tag darauf ging Clerk los, um im Quai d’Orsay auf die britischen Befürchtungen hinzuweisen. Dort traf er Léger, der ihm nochmals feierlich versicherte, die Bestimmungen des Beistandspaktes seien verträglich mit den Verpflichtungen des Locarnopaktes658 . In das gleiche Horn stieß Laval, als er sich einige Tage später mit Campbell besprach. Während der Brite eindringlich darauf hinwies, dass der französisch-sowjetische Pakt mit Artikel 2 des Rheinpaktes vereinbar sein müsse, entgegnete ihm der Ministerpräsident, dies sei unbedingt der Fall, denn man wolle Deutschland keinen Vorwand geben, den Rheinpakt zu „kündigen“659 . 654 655 656 657 658 659

Aufzeichnung Sargent, London, 1. 5. 1935, TNA, FO 371/18838. DBFP, 2. Serie, Bd. XIII, Nr. 120, S. 190; V. M. Dean: The Origins of the Locarno Crisis, in: Foreign Policy Reports XII (1936), S. 78–92, hier S. 81. Clerk an Simon, Paris, 19. 4. 1935, DBFP, 2. Serie, Bd. XIII, Nr. 122, S. 191f. Simon an Clerk, London, 26. 4. 1935, ebenda, Nr. 139, S. 210. Clerk an Simon, Paris, 27. 4. 1935, ebenda, Nr. 145, S. 212–214; BDFA, II, F, Bd. 22, Nr. 2, S. 21. DBFP, 2. Serie, Bd. XIII, Nr. 149, S. 216. Vgl. H. Azeau: Le Pacte Franco-Soviétique (2 mai 1935), Paris 1969, S. 178.

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

Unterdessen hatten die Russen von den britischen Vorstößen Wind bekommen. Ende April 1935 kam der sowjetische Botschafter in London, Ivan Maisky, nach Whitehall und fragte, was es mit der britischen Einflussnahme auf Laval auf sich habe. Er wollte wissen, ob England verpflichtet sei, Frankreich in einem europäischen Krieg zu unterstützen. Malkin meinte, dies sei eine günstige Gelegenheit, mit der britischen Antwort die französische Position in den Paktverhandlungen zu stärken660 . Ganz auf dieser Linie lag die Antwort, die Vansittart661 am 30. April 1935 an Maisky überreichte und die einem förmlichen Bündnis zwischen Paris und Moskau eine klare Absage erteilte. Wenn Frankreich Deutschland angreife, hieß es dort, sei England unter den Bedingungen Locarnos verpflichtet, militärischen Beistand an Deutschland zu leisten. Dies ließe sich nur umgehen, wenn der französische Angriff auf Deutschland unter die Artikel 16 oder 15 Absatz 7 der Völkerbundssatzung falle bzw. wenn der französischen Aktion ein einstimmiger Völkerbundsbeschluss zu Grunde läge662 . Wollte es also scheinen, als sei der französisch-sowjetische Pakt auf britischen Druck seinem Allianzcharakter entkleidet worden, werfen die französischen Akten ein anderes Licht auf die Absichten, die sich in Paris mit dem Ostpakt verbanden. Zwei Dinge stechen ins Auge. Erstens zeigt sich, dass die Ostpaktkonzeption Barthous, genau wie die Allianzen mit Polen und der Tschechoslowakei, immer vom Westen her gedacht war. Ausgangspunkt aller Überlegungen war der Locarnopakt. Frankreich wünsche Verbesserungen am Rheinpakt, so legte eine Aufzeichnung vom 27. Juni 1934 die Verhandlungsziele für Barthous Englandreise im Sommer 1934 fest, entweder in der Quantität oder in der Qualität663 . Quantitativ bedeute dies die Ausdehnung der Mechanismen Locarnos auf andere Gegenden Europas wie den Osten oder den Donauraum. Qualitativ, so dachte man an der Seine, käme eine neue Redaktion für den Artikel 4 des Rheinpaktes oder eine britische Festlegung auf einen Modus für den militärischen Beistand in Frage. Das war genau die Alternative, vor die Barthou seine britischen Gesprächspartner im Juli 1934 stellte. Zweitens suchte die französische Diplomatie schon seit einiger Zeit nach Alternativen zu dem Modell der starren Bündnisverträge, das die zwanziger Jahre

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Aufzeichnung Malkin, London, 29. 4. 1935, TNA, FO 371/18838. Vansittart hatte schon im Februar 1935 argumentiert, London müsse Frankreich in der Ostpaktfrage unterstützen, um eine direkte französisch-sowjetische Allianz zu verhindern, Aufzeichnung Vansittart, London, 21. 2. 1935, BDFA, II, F, Bd. 46, Nr. 30, S. 50– 53. Vansittart an Maisky, London, 30. 4. 1935, BDFA, II, A, Bd. 12, Nr. 293, S. 393f.; DDF, 1. Serie, Bd. X, Nr. 281, S. 452f. Aufzeichnung des 2. Büros des Generalstabes, Paris, 27. 6. 1934, SHD, 7 N 3559.

4.4 Ostlocarno und französisch-sowjetischer Beistandspakt (1934/35)

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geprägt hatte664 . Unter dem dominierenden Einfluss von Marschall Foch hatte die französische Diplomatie damals versucht, ein defensives Allianzsystem bestehend aus Frankreich, Belgien, Polen, Tschechoslowakei und Großbritannien zu schmieden, welches Deutschland von kriegerischen Abenteuern abhalten sollte665 . Diese Konzeption war gescheitert. Die Verpflichtungen gegenüber Polen, so urteilte eine Vorlage vom Sommer 1929, könnten Paris eines Tages in ein schweres Dilemma stürzen, wenn sie die französische Führung entweder mit den eigenen Interessen oder aber mit der Auslegung, die die anderen Staaten der Völkerbundssatzung und dem Locarnopakt gaben, in Konflikt bringen würden. Schon damals empfahl der Quai d’Orsay, alle zweiseitigen Allianzen in einen einzigen Pakt unter Beteiligung Deutschlands einzuschmelzen666 . Vor diesem Hintergrund entpuppen sich die scheinbaren Zugeständnisse an England allesamt als Elemente, die ohnehin als Bestandteile des Ostpaktes gedacht waren. Die von den Engländern geforderte Konformität des Ostpaktes mit den Spielregeln Locarnos und des Völkerbundes waren Kernpunkte der französischen Konzeption. Barthou dachte nie daran, gleichsam die alte Allianz von 1894 wieder aufzurichten667 ; niemand in Europa wünschte eine Rückkehr der alten Allianzpolitik der Vorkriegszeit, auch die Franzosen nicht668 . Während eine klassische Allianz Moskau ein Mitspracherecht an den Problemen in Ostmitteleuropa eingeräumt hätte, zielte die Konzeption Barthous darauf ab, Russland als „passives Druckmittel“669 einzusetzen. Auf diese Weise, so das französische Kalkül, würde man einen Keil zwischen Berlin und Mos664

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Vgl. ausführlich K. Hovi: The French Alliance Policy 1917–1927: A Change of Mentality, in: J. Hiden/A. Loit (Hg.): Contact or Isolation? Soviet-Western Relations in the interwar period. Symposium organized by the Centre for Baltic Studies October 12–14, 1989, University of Stockholm, Uppsala 1991, S. 93–99; A. T. Komjahty: The Crises of France’s East Central European Diplomacy 1933–1938, New York 1976. Aufzeichnung Foch, Paris, 15. 4. 1924, zit. bei Jardin: Frankreich, S. 59. Aufzeichnung Lucien, Paris, 24. 6. 1929, AMAEE, Série Relations multilatérales, Service français de la Société des Nations, Bd. 755; Géraud: Gravediggers, S. 343. Insofern diente der gerne vorgebrachte Hinweis, wenn der Ostpakt nicht zu Stande käme, sei ein direktes französisch-sowjetisches Bündnis die Folge, eher dazu, die Briten auf Linie zu bringen, und enthielt keine aktuelle politische Zielsetzung, Corbin an Barthou, London, 11. 7. 1934, DDF, 1. Serie, Bd. VII, Addendum, S. 953–965; Twardowski an das Auswärtige Amt, Moskau, 18. 6. 1934, ADAP, C, Bd. III, 1, Nr. 11, S. 19f.; Bericht Osusky, Paris, 15. 6. 1934, Berber: Akten, Nr. 28, S. 34. In ähnlicher Weise erklärten die Franzosen jedem, der es hören wollte, wenn der Ostpakt scheitere, würden sich Deutschland und Russland zu einer Allianz verbinden, Campbell an Vansittart, Paris, 26. 7. 1934, DBFP, 2. Serie, Bd. VI, Nr. 537, S. 875–877. Aufzeichnung der Politischen Abteilung, Paris, 13. 12. 1933, DDF, 1. Serie, Bd. V, Nr. 120, S. 234–236; vgl. aber auch A. Messemer: André François-Poncet und Deutschland. Die Jahre zwischen den Kriegen, in: VfZ 39 (1991), S. 505–534. Geyer: Aufrüstung, S. 426. Dass dies auch in Deutschland erkannt wurde, zeigt eine Aufzeichnung des Reichswehrministeriums vom Oktober 1934, BA-MA, RW 5/461.

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

kau treiben, der eine deutsch-russische Allianz verhinderte. Gleichzeitig ließ sich Russland als Hebel ansetzen, um entweder Deutschland in ein multilaterales Sicherheitssystem zu zwingen oder als Tauschmasse einzusetzen, die man sich für eine Erhöhung des britischen Verteidigungsbeitrags abhandeln lassen konnte670 . Die Abkehr vom Allianzgedanken bedeutete somit keine Schwächung der französischen Sicherheitsarchitektur, sondern entsprach viel besser der französischen Interessenlage als die Bündnisse der zwanziger Jahre. Barthou war sorgfältig darauf bedacht, ein Gebilde zu schaffen, das mit dem Völkerbundsrecht harmonierte671 . Erst die Verbindung mit dem Völkerbund machte die Pakte salonfähig und damit politisch unanfechtbar. Es greift zu kurz, dies als Fassade abzutun; damit wird auch die oft kolportierte Bezeichnung Barthous als „Machtpolitiker der alten außenpolitischen Tradition“672 brüchig. Vielmehr erweist sich Barthous Konzeption in diesem Punkt erstaunlich modern, indem er versuchte, auf der Grundlage Locarnos und der Völkerbundssatzung die alte Versailler Ordnung – freilich zu Gunsten Frankreichs – weiterzuentwickeln. Nach der deutschen Ablehnung im September, dem Ostpakt beizutreten, fuhren Paris und Moskau im Herbst 1934 alleine fort, ihre politisch-militärischen Beziehungen zu intensivieren673 . Anfang Dezember unterzeichneten Laval und Litwinow ein gemeinsames Protokoll in Genf. Darin versprachen sich die Parteien, keine zwei- oder mehrseitigen Verträge abzuschließen, durch die die Vorbereitungen zum Ostpakt kompromittiert werden könnten. Freilich suchte Laval, der die Sache mit dem Ostpakt schon im Herbst 1934 beinahe fallen gelassen hatte674 , den Weg zu einer Verständigung mit Berlin offenzuhalten. So appellierte er Anfang Dezember 1934 noch einmal an Deutschland, einem kollektiven Ostpakt beizutreten675 . Den Ostpakt aufzugeben, wäre sein politisches Ende, vertraute er Köster im Januar 1935 an, aber er wisse einfach nichts damit anzufangen. Eine Lösung für dieses Dilemma, so Laval, biete sich nur über die Teilnahme Deutschlands an676 . Auf dieser Linie wollte Laval die Ostpaktverhandlungen mit Deutschland, 670

671

672 673 674 675 676

Vgl. E. R. Cameron: Alexis Saint-Léger Léger, in: G. A. Craig/F. Gilbert (Hg.): The Diplomats 1919–1939, Princeton  1960, S. 378–405, hier S. 386; Geyer: Aufrüstung, S. 419 u. S. 426. Das unterstreicht eine handschriftliche Notiz Barthous vom April 1934, DDF, 1. Serie, Bd. VI, Nr. 90, S. 218 Anm. 2; vgl. auch M. G. Gamelin: Servir, Bd. 2: Le Prologue du Drame (1930–août 1939), Paris 1946, S. 131; Géraud: Gravediggers, S. 343. Friedl: Zusatzprotokolle, S. 126. Aufzeichnung, o. V., Berlin, 15. 10. 1934, BA-MA, RW 5/461; Die deutsche Botschaft in Paris an das Auswärtige Amt, Paris, 6. 7. 1934, ebenda. Bullitt an LeHand, Moskau, 6. 10. 1934, Bullitt: Correspondence, S. 96f. BDFA, II, F, Bd. 21, Nr. 126, S. 217. Köster an das Auswärtige Amt, Paris, 25. 1. 1935, PA AA, R 31629.

4.4 Ostlocarno und französisch-sowjetischer Beistandspakt (1934/35)

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die seit dem vergangenen September ruhten, wieder aufnehmen. Mitte Januar 1935 übergab die französische Regierung den Deutschen ein Memorandum, das die Antwort auf die deutsche Note vom September 1934 enthielt677 . Darin wies Frankreich alle Vorwürfe zurück, die das Auswärtige Amt gegen den Ostpakt erhoben hatte. An der entscheidenden Stelle der Note wandte sich Frankreich gegen die deutsche These, die Locarno einen exzeptionellen Charakter zuschrieb. Locarno sei nicht das einzige Sicherheitssystem Europas, hieß es in der französischen Note, es hätten noch andere Verträge neben Locarno Platz. Erst als die deutsche Antwort ausblieb, begannen die Unterhändler, über einen zweiseitigen Pakt zu verhandeln. Das französische Kabinett beschloss am 20. März, den Ostpakt auf Eis zu legen und einen Vertrag mit der Sowjetunion abzuschließen678 . Am 25. März 1935 setzte das französische Außenministerium eine Note auf, die mögliche Konsequenzen der deutschen Ostpaktablehnung untersuchte679 , und am 28. März erarbeitete der Quai d’Orsay eine Vorlage für Laval, die die politischen und juristischen Voraussetzungen für einen zweiseitigen Ostpakt zwischen Paris und Moskau untersuchte. Aus juristischer Sicht, so die Aufzeichnung, bestünden keine Bedenken, statt eines Kollektivvertrages ein bilaterales Bündnis zu schließen. Der einzige Punkt, den es zu beachten gelte, sei, dass militärische Hilfe Frankreichs an Russland nur möglich sei, wenn eine solche Aktion auch unter Locarno erlaubt wäre. Dies bedeutete, dass diese Aktion entweder unter den Artikel 15 Absatz 7 der Völkerbundssatzung fiel oder durch einen einstimmigen Beschluss des Völkerbundsrates legitimiert war680 . Am 30. März nahmen Laval und der sowjetische Botschafter in Paris, Potemkin, die Verhandlungen auf. Das Paket, auf das sich die beiden Unterhändler einigten, hatte zwei Seiten. Erstens verständigte man sich grundsätzlich darauf, einen zweiseitigen Pakt ohne weitere Teilnehmer zu schließen. Das zugrundeliegende Vertragsschema sah vor, französische Hilfe an Russland nur zu gewähren, wenn dies der Völkerbundsrat empfehlen sollte. Nicht erwähnt wurde der Artikel 15 der Völkerbundssatzung, der als Ausnahme zum Angriffsverbot Locarnos nur in Frage kam, wenn Deutschland der Aggressor war. Dies zu entscheiden, so eine Vorlage des Quai d’Orsay vom 5. April 1935, sei jedoch die Aufgabe der Locarnogaranten Italien und England, nicht Frankreichs oder Russlands. Genau das war die Sorge, die die Franzosen in den folgenden Wochen umtrieb: Militärische Hilfe an Russland dürfe niemals gegen das Nichtangriffsversprechen verstoßen, das man Deutschland in Locarno gegeben hatte,

677 678 679 680

DDF, 1. Serie, Bd. IX, Nr. 8, S. 9f. Tagesmeldung, 20. 3. 1935, AdG, 1935, S. 1944. Vgl. Azeau: Le Pacte, S. 170; Scott: Alliance, S. 235. DDF, 1. Serie, Bd. X, Nr. 13, S. 12–17. Aufzeichnung der Politischen Abteilung, Paris, 28. 3. 1935, ebenda, Nr. 59, S. 75–83.

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und musste daher unter die Ausnahmen des Artikels 2 Absatz 2 des Rheinpaktes fallen681 . Um den französisch-sowjetischen Pakt trotzdem effektiv zu gestalten, indem man ihn von seiner Abhängigkeit von einem schwerfälligen Völkerbundsverfahren löste, einigten sich Laval und Potemkin zweitens darauf, auf eine Modifizierung der Völkerbundssatzung hinzuarbeiten. Im Gespräch waren die Artikel 10, 16 und 17 der Völkerbundssatzung682 . Während das französische Kabinett dieses Verhandlungspaket am 9. April billigte683 , ließen auf einmal die Russen verlauten, sie hätten Zweifel am angepeilten Verfahren. Litwinow erklärte dem französischen Botschafter in Moskau, er sehe nicht ein, warum die französische Hilfe an die Sowjetunion von der Zustimmung der Locarnopartner oder des Völkerbundes abhängig sein müsse684 , und Mitte April begannen die Russen, ihre Forderungen in die Höhe zu schrauben685 . Der sowjetische Paktentwurf, den Litwinow am 15. April den Franzosen in Genf übergab, versuchte ein System des automatischen Beistandes zu errichten, indem er jede Bezugnahme auf den Rheinpakt von Locarno strich686 . Insbesondere enthielt der russische Vorschlag, wie der französische Rechtsberater am 16. April feststellte, keine Aussage darüber, dass die Angriffshandlung „nicht provoziert“ sein dürfe, aber gerade das sei ein zentrales Kriterium bei der Beurteilung darüber, wer unter den Bedingungen Locarnos als Aggressor anzusehen sei. „Die Anerkennung der Locarnopartner für unsere Sicht des Aggressors“, so fuhr die Aufzeichnung fort, sei der entscheidende Maßstab dafür, ob der Beistandspakt mit Moskau in Anwendung komme687 . In einem Rechtsgutachten vom 24. April 1935 schloss sich der französische Generalstab dieser Auslegung an. Frankreich, so hieß es da, könne in ein Allianzverhältnis mit Russland nur treten, wenn der militärische Beistand die Form einer völkerbundskonformen assistance mutuelle als Antwort auf eine nicht provozierte Angriffshandlung tragen würde. Damit die Beistandsleistung darüber hinaus keinen Verstoß gegen den Locarnopakt darstelle, so hieß es weiter, müsse der Pakt präzisieren, dass die französische Unterstützung nur wirksam werden würde, nachdem der

681 682 683 684 685 686 687

Ebenda, Nr. 127, S. 177f.; DDI, 8. Serie, Bd. I, Nr. 74, S. 69; ADAP, C, Bd. IV, 1, Nr. 44, S. 75ff. DNB-Meldung, 10. 4. 1935, PA AA, R 32254; DDF, 1. Serie, Bd. X, Nr. 183, S. 290–292. Vgl. Bannies: Außenpolitik, S. 216. DDF, 1. Serie, Bd. X, Nr. 251, S. 406f. Bullitt an Roosevelt, Paris, 7. 4. 1935, Bullitt: Correspondence, S. 103ff.; Bullitt an Moore, Paris, 7. 4. 1935, ebenda, S. 106ff. DDF, 1. Serie, Bd. X, Nr. 197, S. 322–325. Aufzeichnung Basdevant, Paris, 16. 4. 1935, ebenda, Nr. 202, S. 332f.

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Völkerbundsrat festgestellt hätte, dass entweder ein Sanktionsfall unter Artikel 16 oder ein Fall gemäß Artikel 15 Absatz 7 der Völkerbundssatzung vorlag688 . Die Franzosen präsentierten ihrerseits am 16. April einen neuen Entwurf689 . Den lehnten nun die Russen ab. Sie beharrten darauf, dass die Beistandsleistung automatisch und ohne Referenz auf den Artikel 16 der Völkerbundssatzung erfolgen müsse. Damit waren die Verhandlungen an einem kritischen Punkt angelangt. Zwar erarbeiteten der französische und der sowjetische Rechtsberater am 18. April einen gemeinsamen Entwurf690 , doch die Gespräche auf der politischen Ebene waren vorerst unterbrochen691 . Den französischen Unterhändlern muss in diesem Moment klargeworden sein, dass die Russen keinen Pakt abschließen würden, der nicht in irgendeiner Form eine Erklärung Frankreichs darüber enthielt, wie sich der gegenseitige Beistand gestaltete, wenn keine Empfehlung des Völkerbundes vorlag692 . Der Ausweg, auf den die Franzosen verfielen, war die Idee, dem eigentlichen Pakt ein Protocol de Signature beizufügen. Ein solches Protokoll, so das Kalkül, böte die Möglichkeit, alle Gegensätze in weitschweifigen Formulierungen einzuschmelzen. Die Verhandlungen dazu begannen am 27. April 1935693 . Wieder musste Laval sich nach Kräften bemühen, russische Wünsche abzuwehren, die auf Einschaltung einer automatischen Beistandsverpflichtung abzielten. Potemkin legte am 29. April den Entwurf für ein Zeichnungsprotokoll vor, der genau das vorsah. Der sowjetische Vorschlag, urteilte eine Vorlage des französischen Außenamtes, sei nicht vereinbar mit Locarno und der Völkerbundssatzung, weil die russische Auslegung der Artikel 15 Absatz 7 und 16 der Völkerbundssatzung der gängigen Praxis widerspreche. Aus Sicht der Franzosen musste aber das Verfahren dieser Artikel strengstens eingehalten werden, weil sich der Beistand des französisch-sowjetischen Paktes gegen einen Staat richtete, der selbst nicht Teilnehmer des Vertrages war694 . Am 30. April – nachdem sich der ehemalige Ministerpräsident Herriot als Vermittler eingeschaltet hatte – lenkten die Russen ein695 . Der vom französischen Ministerrat am selben Tag verabschiedete Text entsprach im Wesentlichen 688 689 690 691

692 693 694 695

Aufzeichnung des 2. Büros des Generalstabes, Paris, 24. 4. 1935, ebenda, Nr. 248, S. 398– 404. Ebenda, Nr. 203, S. 333ff. Ebenda, Nr. 245, S. 394 Anm. 4. Tagesmeldung, 22. 4. 1935, AdG, 1935, S. 2000. Am 19. April verließ Litwinow Paris, ohne den Pakt unterzeichnet zu haben, vgl. Scott: Alliance, S. 244; Attolico an Mussolini, Moskau, 25. 4. 1935, DDI, 8. Serie, Bd. I, Nr. 74, S. 69. Köster an das Auswärtige Amt, Paris, 11. 5. 1935, PA AA, R 31620. DDF, 1. Serie, Bd. X, Nr. 268, S. 429–433. Ebenda, S. 431f. E. Herriot: Jadis. D’une guerre à l’autre 1914–1936, Paris 1952, S. 531; vgl. Scott: Alliance, S. 246. Das entscheidende Tass-Kommuniqué wurde bereits am Abend zuvor verbreitet. Demnach bestehe Einigkeit zwischen Paris und Moskau, dass die Beistandsleistung des

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der Position, wie sie Laval als Verhandlungslinie ausgegeben hatte, und wurde mit geringfügigen redaktionellen Änderungen am 2. Mai 1935 von Laval und Potemkin unterzeichnet. Im Artikel 1 des Vertrages696 verpflichteten sich Frankreich und die Sowjetunion, sich bei einer Angriffsdrohung durch einen europäischen Staat zu konsultieren. Nach Artikel 2 würden sich die Staaten „unverzüglich“ Hilfe leisten, wenn einer von ihnen Opfer eines nicht provozierten Angriffs würde, der unter die Bedingungen des Artikels 15 Absatz 7 der Völkerbundssatzung fiel. In Artikel 3 versprachen sie sich, Hilfe und Beistand zu leisten, wenn einer von ihnen Gegenstand einer Aggression wurde, die unter die Artikel 16 oder 17 Absatz 1 und 3 der Völkerbundssatzung fiel. Artikel 4 bestimmte, dass der vorliegende Vertrag nicht so ausgelegt werden könne, als ob er die Aufgaben des Völkerbundes einschränke. Artikel 5 schließlich bestimmte zur Dauer des Paktes einen Zeitraum von fünf Jahren, der sich, sofern kein Partner in dieser Zeit kündigte, danach unbegrenzt verlängerte. Dazu kamen noch die vier Ziffern des Zeichnungsprotokolls. Hier wurde unter anderem bestimmt, dass die Beistandsverpflichtung sich nur auf einen Angriff gegen das eigene Gebiet bezog (Ziffer 1), mithin keine Verpflichtung für Moskau enthielt, sich einer Besetzung der entmilitarisierten Zone entgegenzustellen697 . Ziffer 2 hatte die Form einer Generalreserve, wonach die Bestimmungen des Paktes keine Anwendung finden sollten, wenn sie mit den Verpflichtungen aus anderen Verträgen unvereinbar wären und die vertragsschließenden Parteien dadurch internationalen Sanktionen aussetzen würden698 . In Ziffer 3 billigten sich die Vertragsparteien ausdrücklich das Recht zu, über den vorliegenden Pakt hinaus vertragliche Verpflichtungen in Osteuropa, die die Organisierung der Sicherheit zum Zweck hatten, einzugehen. Die letzte Ziffer enthielt einen Hinweis auf das alte Ostpaktprojekt, das Barthou und Litwinow im Sommer 1934 vorgeschlagen hatten. Die Verpflichtungen des französisch-sowjetischen Beistandspaktes, so hieß es jetzt, seien so zu verstehen, dass sie nur in den Grenzen angewandt werden sollten, wie sie in dem zuvor geplanten Dreierabkommen gezogen waren. Das bedeutete, so ist weiter zu lesen, wenn Frankreich oder Russland Gegenstand einer Aggression durch eine nicht im damaligen Ostpakt erwähnten Macht würden, sei dies kein Casus foederis des vorliegenden Paktes; in einem solchen Fall käme die

696 697 698

Paktes von der Völkerbundssatzung abhing und damit im Einklang mit Locarno stand, Degras: Documents, Bd. III, S. 96f. Abgedruckt bei Berber: Locarno, Nr. 31, S. 114; Ursachen und Folgen, Bd. X, Nr. 2438, S. 337. Aufzeichnung Schulenburg, Moskau, 8. 5. 1935, PA AA, Botschaft Moskau 175. Dieser Artikel sollte die Vereinbarkeit mit Locarno sicherstellen, vgl. Azeau: Le Pacte, S. 193.

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Neutralitätsverpflichtung des französisch-sowjetischen Nichtangriffspaktes vom 29. November 1932 zum Tragen699 . Die entscheidende Passage des Protokolls war jedoch der zweite Absatz der Ziffer 1. Dort hieß es: „Es besteht gleichermaßen Einverständnis (. . . ), dass, wenn der Rat [des Völkerbundes] (. . . ) aus irgendeinem Grund keinen Vorschlag macht oder zu keinem einstimmigen Beschluss gelangt, die Beistandsverpflichtung deshalb nicht weniger Anwendung erfährt.“700

Man hat dieser Bestimmung vorgeworfen, aus dem Pakt mit Moskau „quasi eine Allianz“ zu machen, aber so versteckt, dass das französische Volk den Vertrag akzeptierte701 . Tatsächlich war dieser Satz aber das entscheidende Zugeständnis an die russische Seite. Um die Bedeutung und die Tragweite dieser Bestimmung zu erfassen, muss man sich ihr auf zwei Wegen annähern. Erstens muss man wissen, wie die französischen Beistandspakte gebaut waren. Zentrales Kennzeichen dieser Verträge war, dass sich ihre Art der Beistandsleistung am Instrument der gegenseitigen Hilfe, wie sie der Völkerbund vorschrieb, orientierte. Notwendig wurde dies, da Frankreich als Völkerbundsmitglied „bestimmte Verpflichtungen“ übernommen hatte, nicht zum Krieg zu schreiten. Demnach war es Frankreich und seinen Bundesgenossen nur erlaubt, im Rahmen ihrer Bündnisse Krieg zu führen, wenn zuvor ein Versuch zur friedlichen Streiterledigung vor dem Völkerbund unternommen worden war oder wenn dieser Krieg die Reaktion auf eine nicht provozierte Aggression des Kontrahenten bildete702 . Zweitens ist von Bedeutung, wie die gängige Auslegung des Artikels 16 der Völkerbundssatzung lautete. Dort war die militärische Streiterledigung des Völkerbundes niedergelegt. Demnach zog ein Bundesmitglied, welches entgegen den Bestimmungen der Artikel 12, 13 und 15 der Völkerbundssatzung zum Krieg geschritten war, militärische Sanktionen der restlichen Bundesmitglieder auf sich. Während die Völkerbundssatzung bestimmte, dass der Rat einstimmig über die zu ergreifenden Maßnahmen zu entscheiden hatte, war es ein gewohnheitsrechtlicher Grundsatz, dass die Entscheidung des Rates lediglich eine Empfehlung darstellte, und die Staaten letztlich selbst darüber entschieden, ob ein Konflikt vorlag, wer der Angreifer sei und welche Maßnahmen ergriffen werden sollten703 . Aus dieser Diskrepanz erwuchsen zwei spezifische Probleme. Erstens 699 700 701 702 703

Berber: Locarno, Nr. 19, S. 72. Ebenda, Nr. 31, S. 116. Bullitt an Roosevelt, Paris, 7. 4. 1935, Bullitt: Correspondence, S. 103ff. Vgl. H. Wehberg: Die Völkerbundsatzung. Erläutert unter Berücksichtigung der Verträge von Locarno, des Kriegsächtungspaktes usw., Berlin 1929, S. 23, S. 92ff. u. S. 117ff. Vgl. O. Hoijer: Le Pacte de la Société des Nations. Commentaire théorique et pratique. Préface de A. Weiss, Paris 1926, S. 306–308; W. Schiffer: L’Article 16 du Pacte de la Société des Nations. Son interprétation à la lumière de sa genèse, Paris o. J. [1940], S. 6f. u. S. 14.

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war unklar, ob die Bundesmitglieder sich einer Sanktionsmaßnahme entziehen konnten, obwohl eine einstimmige Ratsempfehlung vorlag. Zweitens war strittig, ob einzelne Bundesmitglieder zu Sanktionsmaßnahmen greifen durften, obwohl keine einstimmige Ratsempfehlung zu Stande gekommen war. In diese Lücke stießen die französischen Bündnisverträge. Indem sie die Staaten vorab auf den Casus foederis gemäß Artikel 16 der Völkerbundssatzung verpflichteten, verhinderten sie, dass sich einzelne Staaten einer Beistandsleistung entzogen, weil keine oder nur eine anderslautende Ratsempfehlung vorlag704 . Vor dem Hintergrund dieser Analyse lassen sich als Ergebnis drei Kernpunkte fassen: Erstens unterschied sich der französisch-sowjetische Beistandspakt an dieser Stelle tatsächlich von den Beistandspakten, die Frankreich mit Polen und der Tschechoslowakei verbanden. Dort war bestimmt, dass im Fall einer nicht einstimmigen Ratsentscheidung der gegenseitige Beistand im Rahmen des Artikels 15 Absatz 7 der Völkerbundssatzung, d. h. nach Ablauf von drei Monaten, zu leisten sei. Diese Bestimmung schien durch Ziffer 1 des Zusatzprotokolls umgangen zu sein, sodass sich Frankreich – so mussten die Russen glauben – auf diese Weise den Weg zu einer automatischen Beistandsleistung offengehalten habe. Zweitens ist jedoch festzuhalten, dass die französische Seite in Ziffer 1 des Zusatzprotokolls nichts zugestanden hatte, was nicht der gängigen Auslegung der Völkerbundssatzung entsprochen hätte. Die Entscheidung über die Anwendung des Artikels 16 der Völkerbundssatzung lag anerkanntermaßen bei den Einzelstaaten, die nicht gehalten waren, einer einstimmigen Ratsempfehlung zu folgen, geschweige denn einen solchen Vorschlag überhaupt abzuwarten705 . Schließlich gilt es noch einen dritten Punkt zu beachten. Das formal richtige Verfahren, ein Sanktionsverfahren auch ohne einstimmige Ratsentscheidung einleiten zu können, stieß unter den Bedingungen des Locarnopaktes an seine Grenzen, wenn Frankreich auf der einen und England als Garant des Rheinpaktes auf der anderen Seite zu unterschiedlichen Ansichten kämen, wer als Aggressor zu gelten habe. Bereits in den Ostpaktverhandlungen hatten die französischen Juristen auf dieses Problem hingewiesen706 . Gelöst wurde es durch Einfügung der Ziffer 2 des Zusatzprotokolls, wonach der Beistand des französisch-sowjetischen Paktes nur zur Anwendung kam, wenn 704

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Tagesmeldung, 2. 5. 1935, AdG, 1935, S. 2024: „In der Presse wird darauf hingewiesen, dass dieser Vertrag [der französisch-sowjetische Beistandspakt] die Lücke der §§ 15 und 16 der Völkerbundsatzung schließt, hervorgerufen durch die Bestimmung, dass, falls bei Streitfragen im Völkerbundsrate keine einstimmige Entschließung erreicht würde, den Mitgliedern entsprechende Schritte zur Wahrung ihres Rechts vorbehalten blieben.“ O. Martin: Welche Kriege sind nach der Völkerbundssatzung erlaubt und welche verboten?, Diss. jur. Würzburg, 1932, S. 19, S. 55 u. S. 58; G. Scelle: Die Rechtmäßigkeit des französisch-russischen Pakts, in: Völkerbund und Völkerrecht 2 (1935), S. 222–227, hier S. 225. DDF, 1. Serie, Bd. VI, Nr. 442, S. 911.

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dadurch keine anderen Vertragspflichten verletzt würden. Praktisch wurde damit die Entscheidung, wer in einem (deutsch-sowjetischen) Konflikt als Aggressor zu gelten habe, dem Völkerbundsrat entzogen und in die Hände des Locarnogaranten England gelegt. Der vermeintlich automatische Beistand, den die Franzosen den Russen in Ziffer 1 zugesichert hatten, erwies sich als Bluff, mit dem sich Laval die Zustimmung der Russen zum französisch-sowjetischen Vertrag erkauft hatte. Der französisch-sowjetische Hilfeleistungsvertrag, dessen Schöpfer die Absicht hatten, die politische Landschaft in Europa umzupflügen, wurde zu einem der größten Fehlschläge der Zwischenkriegszeit. Dies hatte mehrere Gründe. Zunächst scheiterte der Versuch, das Abkommen als Instrument zur Einkreisung Deutschlands herzunehmen, weil Laval verhindert hatte, dem Pakt echte Schlagkraft zu verleihen. Laval, wie vor ihm schon Barthou, dachte gar nicht daran, eine echte Allianz mit den Russen einzugehen, sondern wollte den russischen Koloss in die Waagschale legen, um das eigene politische Gewicht zu erhöhen707 . So stipulierte der Vertrag keinen automatischen Beistand und gab auch keine Definition des Angreifers. Der Abschluss einer Militärkonvention wurde von den Franzosen verzögert und kam schließlich überhaupt nicht zustande708 . Umgekehrt gelang es den Franzosen nicht, den Vertrag mit Moskau als echtes Instrument kollektiver Sicherheit zu verkaufen. Die Anspielungen auf das alte Ostpaktprojekt Barthous konnten nicht verhindern, dass die Deutschen den Vertrag als gegen das Reich gerichtete Allianz ansehen. Das Kalkül Lavals, nach dem Abschluss des Vertrages die ungeliebte Erbschaft loszuwerden, um endlich freie Hand für eine deutsch-französische Verständigung zu haben, scheiterte somit schon im Ansatz709 . Genauso wenig konnte die Bezugnahme auf den Völkerbund vertuschen, dass da ein reguläres Bündnis unter Großmächten geschlossen wurde. Der französisch-sowjetische Pakt, urteilte ein amerikanischer Diplomat, sei „just an old-fashioned alliance camouflaged by a smear of League

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FRUS, 1935, Bd. I, S. 176–178; Gamelin: Servir, Bd. 2, S. 132. Vgl. ausführlich W. E. Scott: Balance of Power as a perennial Factor: French Motives in the Franco-Soviet Pact, in: R. Hilsman/R. Crocker Good (Hg.): Foreign Policy in the Sixties: The Issues and the Instruments. Essays in Honor of Arnold Wolfers, Baltimore 1965, S. 207–228. DNB-Meldung, 6. 5. 1935, PA AA, R 31620; Aussage Reynaud, Paris, 11. 6. 1947, Témoignages et Documents, Bd I, S. 89f. Vgl. A. A. Gromyko: Geschichte der sowjetischen Außenpolitik 1917 bis 1945, Berlin 1980, S. 387. Laval selbst brüstete sich im Jahr 1937 damit, er habe so viele „Querversicherungen“ in den französisch-sowjetischen Beistandspakt eingebaut, dass der Vertrag praktisch keine Bedeutung mehr habe, ADAP, C, Bd. VI, 2, Nr. 283, S. 607f.; vgl. J. Köhler: Die Haltung Frankreichs zum italienischen Überfall auf Äthiopien, in: Ders.: Konflikte, S. 26–32, hier S. 29. Tagebuch Phipps, 24. 6. 1935, Johnson: Phipps, S. 111; Tabouis: Cassandra, S. 254.

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

of Nations paint“710 . Die Verschiedenartigkeit der angestrebten Ziele machten den Pakt von Beginn an zur nutzlosen Waffe711 . Als entscheidend für das weitere Schicksal des französisch-sowjetischen Paktes sollte sich die Reaktion der Deutschen erweisen. Sie wandten sich am 25. Mai 1935 in einem Memorandum an alle Locarnomächte, um gegen die Bestimmungen des französisch-sowjetischen Beistandspaktes zu protestieren, der aus der Sicht Berlins nicht mit den Verpflichtungen Locarnos vereinbar war. Und im März 1936 nahmen sie den französisch-sowjetischen Beistandspakt zum Anlass, um den Locarnopakt zu „kündigen“. Das alles kam indes nicht überraschend. Schon die Reaktionen in Deutschland auf den ursprünglichen Ostpaktvorschlag Barthous waren ausschließlich negativ ausgefallen. Die französische Konzeption widersprach gänzlich den Interessen der deutschen Politik, die darauf abzielte, eine neue Ordnung in Europa zu schaffen, indem man die Zerstörung von Versailles betrieb712 . Im Ostpakt, so urteilte Bülow im Juli 1934, verstecke sich nicht weniger als eine französischsowjetische Allianz713 . Bülow sah zwei Gründe für dieses Versteckspiel. Erstens würde ein offenes Bündnis gegen die Bestimmungen des Völkerbundes verstoßen. Zweitens seien beide Partner schlichtweg zu unterschiedlich, um sich in einer förmlichen Militärallianz zu verbünden714 . Bezeichnend für die Reaktionen in Deutschland ist das Verhalten des deut710 711

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Bullitt an Roosevelt, Paris, 8. 4. 1935, Bullitt: Correspondence, S. 109f. Vor diesem Hintergrund zerbrach auch der innenpolitische Konsens, der den Pakt mit Moskau bis dahin trug und die öffentliche Meinung spaltete sich. Konservative und Militärs, unter deren Ägide der Pakt zu Stande gekommen war, lehnten ihn jetzt ab, während Sozialisten und Kommunisten weiter am Moskau-freundlichen Kurs festhielten, vgl. R. v. Albertini: Zur Beurteilung der Volksfront in Frankreich (1934–1938), in: VfZ 7 (1959), S. 130–162; L. Blum: Blick auf die Menschheit, Zürich 1947, S. 76; Bannies: Außenpolitik, S. 225; Beloff: Russia, Bd. 1, S. 160; D. Caute: Les compagnons de route 1917–1968, Paris 1979; J. E. Dreifort: The French Popular Front and the Franco-Soviet Pact: A dilemma in Foreign Policy, in: JCH 11 (1976), S. 217–236; Duroselle: France, S. 259–261; Ch. A. Micaud: The French Right and Nazi Germany 1933–1939. A Study of public Opinion, New York 1972, S. 67ff. u. S. 85ff. Dirksen: Erinnerungen, S. 204: „Überdies verriegelte der Ostpakt die Tür zur Revision der Ostgrenzen und höhlte dadurch den Locarno-Vertrag aus.“ Bülow an Neurath, Berlin, 23. 7. 1934, DGFP, C, Bd. III, Nr. 109, S. 214; Aufzeichnung, o. V., für Canaris, o. O., 18. 8. 1934, BA-MA, N 28/1; Dodd an Hull, Berlin, 24. 7. 1934, FRUS, 1934, Bd. I, S. 498ff. Bülow an Nadolny, Berlin, 12. 2. 1934, ADAP, C, Bd. II, 2, Nr. 251, S. 463ff.; Bülow an Neurath, Berlin, 23. 7. 1934, ADAP, C, Bd. III, 1, Nr. 109, S. 207ff. Vgl. auch Hassell an das Auswärtige Amt, Rom, 27. 12. 1933, PA AA, R 28308 k; Dirksen an Twardowski, Tokio, 10. 12. 1934, PA AA, NL Dirksen, Bd. 1; Köpke an Hassell, Berlin, 23. 10. 1934, ADAP, C, Bd. III, 1, Nr. 267, S. 511; DDI, 7. Serie, Bd. XVI, Nr. 18, S. 19–21. Dass es auch andere Stimmen gab, beweist die Korrespondenz Dirksens. Am 16. August 1934 schrieb ihm Twardowski, die französisch-russische Annäherung, bestehend aus Militärallianz und wirtschaftlicher Kooperation, stehe in greifbarer Nähe. Twardowski warnte, Deutschland

4.4 Ostlocarno und französisch-sowjetischer Beistandspakt (1934/35)

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schen Botschafters in London, der, als er im Gespräch mit Simon von dem Ostpaktschema erfuhr, aufgeregt nach Berlin telefonierte und Gaus fragte, ob es sich bei der russischen Locarnogarantie nicht um einen Übermittlungsfehler handele715 . In der Berliner Zentrale waren die ersten Eindrücke des Projekts wenig freudestrahlend. Eine Analyse des Paktes durch Neurath förderte so viele Punkte zu Tage, dass es unmöglich schien, dass Deutschland daran teilnahm. Deutschland werde durch den Ostpakt gezwungen, in den Völkerbund zurückzukehren, ohne ein Entgegenkommen in der Rüstungsfrage zu erhalten, schrieb Neurath in seinen handschriftlichen Bemerkungen, dagegen konserviere der Pakt die Sonderrechte Frankreichs und gab Russland Rückendeckung für seine kriegerischen Abenteuer. Wie bei den zweiseitigen Beistandspakten der zwanziger Jahre ziele die französische Strategie darauf ab, die Wirkungsweise der Artikel 10 und 16 der Völkerbundssatzung einseitig zu Gunsten der Vertragspartner zu erweitern716 . Ganz auf dieser Linie lag die offizielle Stellungnahme des Auswärtigen Amtes. Während das Reich nichts gegen Konsultationen und Nichtangriffspakte einzuwenden habe, so Neurath und Bülow, lehne man es ab, an einem Vertrag über gegenseitige Unterstützung teilzunehmen. Ein solches System sei mit der geographischen und militärischen Lage Deutschlands nicht vereinbar, drahtete Neurath am 8. Juni 1934 an alle Botschaften und verwies auf den Grundgedanken der Anlage F von Locarno, deren Geltung das Reich im Frühjahr 1934 zugesichert hatte. Die deutsche Politik komme daher nicht umhin, die Ostpaktidee dilatorisch zu behandeln717 . Schienen die Deutschen anfangs darauf zu hoffen, dass sich die Schwaden des Ostpaktes von alleine verflüchtigten718 , wurden sie Anfang Juli 1934 eines Besseren belehrt. Am 12. Juli kam der britische Botschafter in die Wilhelmstraße, um Neurath über die Ergebnisse der Simon-Barthou-Gespräche zu informieren. Nachdem Frankreich auf den Druck Londons hin einige Änderungen am Ostpaktschema vorgenommen hätte, so führte Phipps aus, habe sich die britische Regierung bereit erklärt, das Projekt zu billigen und es Deutschland zur Annahme zu empfehlen. London, so Phipps, werde freilich nicht am Ostpakt teilnehmen719 . Der Eindruck in Berlin war verheerend. England, so mussten die Deutschen

715 716 717 718 719

dürfe die Beziehungen zu Russland nicht länger schleifen lassen, Twardowski an Dirksen, Moskau, 16. 8. 1934, PA AA, NL Dirksen, Bd. 1. ADAP, C, Bd. II, 2, Nr. 502, S. 882 Anm. 3; DBFP, 2. Serie, Bd. VI, Nr. 450, S. 746f. Hs. Aufzeichnung Neurath, Berlin, 1934, PA AA, BA 60991. Runderlass Neurath, Berlin, 8. 6. 1934, ADAP, C, Bd. II, 2, Nr. 491, S. 866–868; Aufzeichnung, o. V., Berlin, 9. 6. 1934, PA AA, R 32240. ADAP, C, Bd. III, 1, Nr. 93, S. 177. Aufzeichnung Neurath, Berlin, 12. 7. 1934, ADAP, C, Bd. III, 1, Nr. 85, S. 159–162; BDFA, II, F, Bd. 45, Nr. 156, S. 228f. u. Nr. 157, S. 229.

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

glauben, war auf die französisch-sowjetische Linie eingeschwenkt720 . In einer Sprachregelung vom 13. Juli fasste Neurath die deutsche Kritik am Ostpakt zusammen721 . Die Möglichkeit einer internationalen Abrüstung werde nicht erwähnt, bemängelte Neurath, dagegen werde stillschweigend vorausgesetzt, dass Deutschland in den Völkerbund zurückkehren würde. Die größten Bedenken hegte das Auswärtige Amt aber hinsichtlich Locarnos. Der Rheinpakt, so Neurath, werde durch den Einbau einer russischen Garantie verfälscht. Umgekehrt sei die französische Garantie für die deutsche Ostgrenze ohne Wert. In den folgenden Tagen arbeitete das Auswärtige Amt daran, diese Bedenken weiter zu präzisieren. Vor allem der Leiter der Ostabteilung, Meyer, hielt mit seiner Kritik am Ostpakt nicht hinter dem Berg. Der Pakt sei ein verkapptes französisch-sowjetisches Bündnis, vertraute er einem amerikanischen Gesprächspartner an, die Bestimmungen des Ostpaktes zwängen das Reich, gegen andere Staaten Krieg zu führen oder einen Durchmarsch französisch-russischer Truppenverbände zu dulden722 . Aus diesem Grund lehnte Meyer das Institut der assistance mutuelle generell ab723 . Am 16. Juli 1934 besprachen der Reichskanzler und die Minister die in der Ostpaktfrage einzuschlagende Taktik. Hitler lehnte den Ostpakt auf das entschiedenste ab, weil dieser eine Anerkennung der Ostgrenzen in sich schlösse, und er nichts unterschreiben wolle, was fremden Truppen das Recht gebe, über deutsches Territorium zu marschieren. Die Bedenken Neuraths, eine Ablehnung des Ostpaktes bedeute wohl den Abschluss eines französischsowjetischen Paktes, wischte der Reichskanzler mit der Bemerkung beiseite, das sei unvermeidlich724 . Das Ergebnis dieser Beratungen war ein weiterer Runderlass Neuraths vom 17. Juli, in dem er sich ausführlich mit dem Ostpaktprojekt auseinandersetzte725 . Neuraths Kritik umfasste vier Punkte. Erstens rieb er sich am diplomatischen Prozedere, welches bisher fast ausschließlich mündlich zwischen Paris, Moskau und London verlaufen war. Die Ausschaltung Deutschlands, so vermutete Neurath, solle verhindern, Gegenleistungen für eine deutsche Unterschrift geben zu müssen. Zweitens betonte er noch einmal die Unmöglichkeit einer französischen Garantie für den Osten des Reiches; ähnliche Vorstöße habe das Reich bereits in Locarno 1925 bekämpft. Drittens wandte sich Neurath entschieden dagegen, durch den Einbau einer russischen Garantie die Grundlage Locarnos zu modifizieren. Der Rheinpakt sei ein „an sich ausbalanciertes System“, welches durch die Teilnahme der 720 721 722 723 724 725

Dirksen: Erinnerungen, S. 204. Runderlass Neurath, Berlin, 13. 7. 1934, ADAP, C, Bd. III, 1, Nr. 86, S. 163f. Dodd an Hull, Berlin, 24. 7. 1934, FRUS, 1934, Bd. I, S. 498–502. DDF, 1. Serie, Bd. VIII, Nr. 233, S. 347f. ADAP, C, Bd. III, 1, Nr. 93, S. 177; BDFA, II, F, Bd. 45, Nr. 169, S. 247f. Runderlass Neurath, Berlin, 17. 7. 1934, ADAP, C, Bd. III, 1, Nr. 92, S. 171–177.

4.4 Ostlocarno und französisch-sowjetischer Beistandspakt (1934/35)

273

Sowjetunion – die im Übrigen, wie Neurath betonte, überhaupt kein Interesse am Rhein besitze – verfälscht werde. Der Wert Locarnos werde zusätzlich durch die Tatsache gemindert, dass Frankreich in beiden Pakten, England aber nur in einem Vertragswerk Partei sei. Viertens, so der Außenminister weiter, lehne das Reich jede Teilnahme an einem System gegenseitiger militärischer Unterstützung a limine ab. Deutschland, lautete deshalb das Fazit Neuraths, erhalte mitnichten eine erhöhte Sicherheit, denn diese sei durch die bestehenden Verträge ausreichend gewährleistet. Im Westen, so der Minister, besäße das Reich den Locarnopakt, im Osten den Vertrag mit Polen; außerdem würde sich Warschau jedem Durchmarsch russischer Truppen widersetzen726 . Ganz auf dieser Linie liegend lehnte die deutsche Regierung in einem Memorandum vom 8. September 1934 das französisch-sowjetische Ostpaktprojekt ab727 . In der Folgezeit behandelten die Deutschen die Ostpaktfrage dilatorisch. Ausgehend von einer Denkschrift Bülows728 legte Neurath Ende Januar 1935 die deutsche Position in einem Geheimerlass an alle Missionen dar729 . Die deutsche Stellungnahme zu den Paktfragen, schrieb der Außenminister, müsse so ausfallen, dass eine möglichst gute Verhandlungsbasis in der Rüstungsfrage erreicht werde. Dazu diene die Erklärung, dass die Gleichberechtigung erfüllt sei und keine aktuelle Forderung mehr beinhalte. Des Weiteren sollten die Paktverhandlungen in die Länge gezogen und alle Wünsche, eine internationale Konferenz abzuhalten, abgeblockt werden. Taktisch empfahl Neurath, erst auf den Donaupakt einzugehen und das französische Ostpaktmemorandum, mit dem Laval im Januar 1935 die Verhandlungen mit Deutschland neu ankurbeln wollte, vorerst unbeantwortet zu lassen730 . Am 22. Februar 1935 rief Laval den deutschen Botschafter zu sich und bat ihn, Deutschland möge seine Ansichten zu Ostpakt und assistance mutuelle in einem offiziellen Schriftstück darlegen. Köster erklärte dem französischen Premierminister, wie schon Ende Januar, Deutschland werde keine Sonderabkommen über gegenseitige Hilfeleistung unterzeichnen731 . Im Frühjahr 1935 bekräftigte die deutsche Regierung noch einmal ihre Ablehnung des französisch-sowjetischen Ostpaktprojekts. Ein DNB-Kommuniqué vom 13. April stellte klar, dass Deutschland nicht bereit sei, an Verträgen 726

727 728 729 730 731

Ebenda. Um die hinhaltende Taktik zu untermauern, gab Bülow in einer ergänzenden Aufzeichnung vom selben Tag die Anregung, ein Weißbuch zur Ostpaktfrage herauszugeben, um zu zeigen, „wie schlecht wir beteiligt werden“, Aufzeichnung Bülow, Berlin, 17. 7. 1934, PA AA, R 29462. ADAP, C, Bd. III, 1, Nr. 200, S, 385ff. ADAP, C, Bd. III, 2, Nr. 454, S. 832–837. Erlass Neurath, Berlin, 27. 1. 1935, PA AA, R 32347. Ebenda. Köster an Neurath, Paris, 29. 1. 1935, PA AA, R 28810; Köster an das Auswärtige Amt, Paris, 25. 1. 1935, PA AA, R 31629.

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

über gegenseitige Hilfeleistung teilzunehmen, und solche Verträge unter anderen Staaten nicht gutheißen könne. Die Begründung, die das Auswärtige Amt für diesen Standpunkt lieferte, ging in seinem Wortlaut: „Die von verschiedenen Regierungen als nötig erachtete Ergänzung von Nichtangriffs- und Gewaltausschließungspakten durch militärische Beistandsverpflichtungen beruht auf einem Widerspruch in sich. Entweder man glaubt an freiwillig übernommene Verpflichtungen oder man glaubt an sie nicht. Glaubt man an sie, dann ist die Notwendigkeit solcher militärischen Abmachungen nicht einzusehen. Zweifelt man aber an der aufrichtigen Einhaltung einer übernommenen Nichtangriffsverpflichtung, dann ist dieser Zweifel genauso berechtigt, wie gegenüber der sinngemäßen Einhaltung der ergänzenden militärischen Verpflichtungen solcher Friedenspakte.“732

Ganz auf dieser Schiene liegend erklärte ein hoher Beamter des Auswärtigen Amtes dem französischen Botschafter, die Stellungnahme Neuraths vom 12. April zu den aktuellen Paktfragen beinhalte keine Kursänderung der deutschen Politik. Das Reich sei gegen bilaterale Beistandspakte, so der Diplomat, aber Deutschland könne die anderen Mächte nicht davon abhalten, solche Verträge zu schließen733 . Diesen Standpunkt wiederholte Ende April die DDPK. Demnach sei Deutschland weiterhin bereit, am System der kollektiven Sicherheit mitzuarbeiten. Hier ziehe das Reich die Anwendung des Artikels 16 der Völkerbundssatzung im Rahmen des Völkerbundes dem Abschluss zweiseitiger Pakte vor. Solche Pakte, so war schon im Kommuniqué vom 13. April zu lesen, stellten aus Sicht des Auswärtigen Amtes kein Element der kollektiven Sicherheit oder eine Garantie des Friedens dar. Als Laval am 2. Mai 1935 den zweiseitigen Beistandsvertrag mit Moskau einging, legte die deutsche Seite wenige Wochen später Verwahrung gegen die Bestimmungen des neuen Paktes ein. Der deutsche Protest vollzog sich in zwei Schritten. Der erste Schritt erfolgte während der großen außenpolitischen Rede, die Hitler am 21. Mai 1935 hielt734 . Die Beistandspakte der Nachkriegszeit, erklärte er den Mitgliedern des Reichstages, würden sich in nichts von den militärischen Allianzen der Vorkriegszeit unterscheiden. Die Reichsregierung halte solche Pakte für nicht vereinbar mit dem Geist und dem Buchstaben des Völkerbundsstatuts. Dies sei umso bedauerlicher, so Hitler, weil der kürzlich geschlossene französisch-sowjetische Pakt ein Element der Rechtsunsicherheit in den Vertrag von Locarno getragen habe. Deshalb wünsche die Reichsregierung, „eine authentische Interpretation der Rückwirkungen und Auswirkungen des französisch-russischen Militärbündnisses auf die Vertragspflichten der einzelnen Vertragspartner des Locarno-Paktes zu erhalten“. Was das Reich betraf, so sei man bereit, „alle aus dem Locarnopakt sich ergebenden Verpflichtungen so 732 733 734

ADAP, C, Bd. IV, 1, Nr. 29, S. 52f.; Berber: Locarno, Nr. 28, S. 109. François-Poncet an Laval, Berlin, 13. 4. 1935, DDF, 1. Serie, Bd. X, Nr. 184, S. 292f. Reichstagsrede Hitler, 21. 5. 1935, Berber: Locarno, Nr. 34, S. 123–162.

4.5 Die deutschen Vorstöße zu einer verhandelten Locarno-Lösung (1935/36)

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lange zu halten und zu erfüllen, als die anderen Vertragspartner auch ihrerseits bereit sind, zu diesem Pakte zu stehen“735 . Dieses Bekenntnis schloss ausdrücklich die Bereitschaft mit ein, die Bestimmungen der entmilitarisierten Zone zu achten, auch wenn Hitler sich genötigt sah, auf die Truppenvermehrungen an der französischen Grenze hinzuweisen. Der zweite Schritt war ein von Bülow und Gaus verfasstes Memorandum736 , das wenige Tage nach der Rede Hitlers in den Hauptstädten aller Locarnomächte übergeben wurde. Die deutsche Regierung, so hieß es da, sei gezwungen, die Bestimmungen des französisch-sowjetischen Paktes mit den Verpflichtungen zu vergleichen, die Frankreich in früheren Verträgen, d. h. im Locarnopakt, gegenüber Deutschland eingegangen war. Denn dort hatte Frankreich versichert, niemals gegen das Reich Krieg zu führen, mit Ausnahme der in Artikel 2 Absatz 2 des Rheinpaktes genannten Fälle. Der französisch-sowjetische Pakt, so der deutsche Vorwurf, passe sich nur scheinbar diesen Bestimmungen an. Denn die französische Seite habe sich in dem neuen Pakt verpflichtet, den Russen auch dann unter Artikel 16 der Völkerbundssatzung Beistand zu leisten, wenn keine Empfehlung des Völkerbundsrates vorlag. Dies, so die Deutschen, würde eine flagrante Verletzung des Rheinpaktes darstellen737 . Damit habe sich Frankreich in einer Weise über die Regeln des Rheinpaktes hinweggesetzt, so die Argumentation der Deutschen, dass dieser Vertrag praktisch aufgehört habe, zu existieren738 .

4.5 Die deutschen Vorstöße zu einer verhandelten Locarno-Lösung (1935/36) 4.5.1 Bülows Konzeption eines „vertraglichen Zustandes“ (Februar–August 1935) Im Sommer 1936 resümierte ein vom Auswärtigen Amt inspirierter Artikel das „Ende von Locarno“. Der Zustand, den man die „Krise der Locarno-Po735

736 737 738

Ebenda, S. 157. Auf wen diese berühmte Formulierung zurückgeht, ist unklar. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass sie aus dem Auswärtigen Amt stammte. Der britische und der französische Botschafter berichteten an ihre Minister, Hitler habe bei seiner Rede ausführlich auf die Vorlagen der Experten aus dem Auswärtigen Amt (vor allem Friedrich Gaus und Karl Schwendemann) zurückgegriffen, François-Poncet an Laval, Berlin, 22. 5. 1935, DDF, 1. Serie, Bd. X, Nr. 438, S. 657; Phipps an Simon, Berlin, 16. 5. 1935, DBFP, 2. Serie, Bd. XIII, Nr. 208, S. 262. Vgl. Stuby: Gaus, S. 334. Berber: Locarno, Nr. 35 I, S. 163–165. ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 462, S. 900; ADAP, C, Bd. V, 1, Nr. 3, S. 11 u. S. 16.

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

litik“ genannt habe, so kann man da lesen, habe im Oktober 1933 begonnen, als Deutschland die internationale Gleichberechtigung verweigert wurde, und sich im Laufe des Jahres 1934 mit dem Scheitern der Rüstungsgespräche und der französisch-britischen Annäherung fortgesetzt. Ihren Höhepunkt habe die Locarnokrise indes erst mit der Unterzeichnung des französisch-sowjetischen Beistandspaktes erreicht739 . Doch der geschmähte „Russenpakt“ allein oder der daraus resultierende Glaube, die Westmächte würden den Locarnopakt als juristisch erledigt betrachten und hätten den Rheinpakt bereits mit ihrer Militär- und Bündnispolitik durchbrochen, hätten für sich genommen nicht ausgereicht, das Auswärtige Amt um die Jahreswende 1935/36 in eine politische Lage zu manövrieren, die keine Alternative zur einseitigen „Kündigung“ Locarnos ließ. Hier rückt die Behauptung, der französisch-sowjetische Beistandspakt sei unvereinbar mit dem Rheinpakt, in den Fokus. Sie diente als Rechtfertigung zur Rheinlandbesetzung und dennoch ist sie eine der am wenigsten beachteten Episoden der NS-Außenpolitik geblieben. Der Rechtsstandpunkt sei unerheblich, urteilte stellvertretend für die ganze Historikerzunft der Bonner Hochschullehrer Max Braubach im Jahr 1957, das sei ein „Streit für Juristen“740 . Ohnehin war man sich einig, dass „die Rechtslage gegen Deutschland war“741 . Einen differenzierteren Blick, der sich indes nicht von jeder Apologetik freimachen konnte, entwickelten die bundesdeutschen Völkerrechtler. Ein völkerrechtlicher Vertrag sei nicht schon deshalb nichtig, urteilte der Münchner Jurist Friedrich Berber im Jahr 1960, weil er gegen einen anderen Vertrag verstoße. Eine Vertragspartei sei nur zum Rücktritt berechtigt, wenn das Vertragswerk als solches gefährdet wäre. Dies sei im Jahr 1936 durchaus der Fall gewesen, meinte Berber, denn der französisch-sowjetische Beistandspakt habe das in Locarno errichtete Gleichgewichtssystem zerstört742 . Die Indifferenz der Forschung gegenüber der rechtlichen Begründung war getragen von dem Glauben, die „Kündigung“ Locarnos sei von Beginn an das Ziel des deutschen Protests gegen den französisch-sowjetischen Pakt gewesen, sei also tatsächlich jene Camouflage gewesen, hinter der die Deutschen die „Kündigung“ Locarnos betrieben hätten743 . Dabei musste der Forschung zwangsläufig entgehen, dass der deutsche Protest nicht jene durchkalkulierte, auf den Vertragsbruch fixierte Strategie war, die man in ihr sehen wollte. Vielmehr war der Schritt die Reaktion auf eine vielgestaltige Bedrohungslage, die aus dem zu erwartenden rechtlichen Erlöschen des Locarnopaktes im 739 740 741 742 743

Artikel: „Das Ende von Locarno“, 30. 6. 1936, PA AA, R 102274. Braubach: Vorgeschichte, S. 118. Vgl. auch ders.: Einmarsch, S. 11. Fiedler: Stunden, S. 168. Berber: Völkerrecht, Bd. I, S. 439ff. u. S. 457ff.; ders.: Völkerrecht, Bd. II, S. 34. So François-Poncet: Versailles, S. 257; Gibbs: Strategy, Bd. I, S. 236.

4.5 Die deutschen Vorstöße zu einer verhandelten Locarno-Lösung (1935/36)

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Herbst 1935 sowie der aus Sicht der Deutschen bereits vollzogenen Abkehr Frankreichs und Englands vom Rheinpakt resultierte. Das Deutsche Reich, so schien es den Verantwortlichen im Auswärtigen Amt im Jahr 1935, stand vollständig isoliert da und sah sich einer gegnerischen Front gegenüber, zu deren Abschluss nur noch der Beitritt Englands fehlte744 . Die Reichswehr war, trotz des spektakulären Schritts vom März 1935, weiterhin nicht in der Lage, dem Reich militärische Sicherheit zu gewährleisten. „Wir müssen der Tatsache ins Auge blicken“, resümierte der Reichswirtschaftsminister im September 1935, „dass wir uns (. . . ) in einer sehr verwundbaren Lage befinden.“ Das Reich müsse alles vermeiden, was dem Ausland „Angriffspunkte gegen uns“ böte745 . Gleichzeitig war der deutsche Schritt vom 21./25. Mai 1935 eingebunden in ein diplomatisches Gegenmanöver, welches das Auswärtige Amt in Szene setzte, um Locarno als Sicherheitsfaktor für das Reich zu erhalten und die gegnerische Front auseinander zu sprengen. Dieses Manöver zerfiel in zwei Phasen. Die erste Phase stand unter den Vorzeichen von Bülows Konzeption des „vertraglichen Zustandes“, wonach der auslaufende Locarnopakt durch alternative vertragliche Konstruktionen ersetzt werden sollte. Stationen dieser Phase waren der deutsche Vorschlag zu einem Ostpakt vom März 1935, das Luftpaktschema vom Mai sowie der Protest gegen die vermeintliche Unvereinbarkeit des französisch-sowjetischen Beistandspaktes mit Locarno. Die zweite Phase prägte Neurath mit seinem Programm der „schrittweisen Evolution“, dessen Kernelemente um die Alternative kreisten, entweder mit England zu einer „Anpassung“ Locarnos zu kommen oder aber den Locarnopakt in einer einseitigen Aktion zu „kündigen“. Seine Hebel waren die Kampagne gegen die französisch-britischen Stabsgespräche und der Protest gegen den französisch-sowjetischen Hilfeleistungsvertrag. Erst der Übergang von Bülows Richtung zur Konzeption Neuraths bedeutete jene Verschärfung des deutschen Kurses, der direkt in den 7. März 1936 einmündete. Die erste Phase begann, als Bülow im Januar 1935 auf einer Besprechung mit Angehörigen der Reichswehr erstmals von der Idee sprach, er beabsichtige, den Locarnopakt innerhalb eines anderen Sicherheitssystems aufgehen zu lassen. Aus zwei Gründen war dieses Treffen geboten. In zeitlicher Perspektive ging es darum, den Kurs für die kommenden Rüstungsverhandlungen abzustecken, denn seit Monaten erzählte das Auswärtige Amt jedem, der es hören wollte, nach der Rückgabe des Saargebiets an das Deutsche Reich sei man bereit, die Verhandlungen über die Rüstungsfrage wieder aufzunehmen und über den Ab744 745

E. Kordt: Wahn und Wirklichkeit. Die Außenpolitik des Dritten Reiches. Versuch einer Darstellung, Stuttgart 1948, S. 72f. Entwurf einer Rede des Reichswirtschaftsministers Schacht, September 1935, Michalka: Volksgemeinschaft, Nr. 151, S. 186f.

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schluss neuer Sicherheitsverträge nachzudenken746 . Alle Botschafter Europas liefen schon die Wilhelmstraße auf und ab und warteten darauf, die deutsche Führung an ihr Wort zu erinnern. Auch in den Ministerien tickten die Uhren. Im Sommer 1934 hatte Hitler entschieden, mit der Verkündung der Wehrpflicht bis nach der Saarabstimmung zu warten. Jetzt rückte der Augenblick zum Handeln näher. So sah es auch die Reichswehr. Die Militärs erzählten seit einiger Zeit herum, nach der Saarabstimmung werde Hitler den Reichstag einberufen, um ein neues Wehrgesetz zu verkünden747 . Sachlich wurde es um die Jahreswende 1934/35 notwendig, die sicherheitspolitischen Konzeptionen der Diplomaten und der Militärs, die sich seit dem Sommer immer weiter auseinanderbewegt hatten, wieder auf einen Nenner zu bringen. Die offene Ablehnung Locarnos durch die Militärs war im Herbst 1934 nicht mehr zu überbieten. Der Rheinpakt von Locarno garantierte die entmilitarisierte Zone, die ein Hindernis für die deutsche Aufrüstung und den Aufbau eines effektiven Grenzschutzes im Westen (Verteidigung der Rhein-RoerSchwarzwald-Linie) bildete; dazu waren die Garantieverpflichtungen Großbritanniens aus Sicht der Reichswehr wertlos geworden. Locarno habe sich im Laufe der Jahre abgenutzt, urteilte eine Vorlage des Reichswehrministeriums vom Juli 1934, England werde sich die Entscheidung darüber, ob es seine Locarnogarantie erfüllen werde, in jedem Fall selbst vorbehalten748 . Für England, so lautete auch das nüchterne Fazit des Wehrmachtsattachés an der Themse, habe der Locarnopakt nur noch praktische Bedeutung „als Handhabe gegen Deutschland und als Beruhigungsarznei für politisch Schlafbedürftige“749 . Im Oktober 1934 berichtete ein Gewährsmann, dass Deutschland im Falle eines französischen Angriffs nicht mit englischer Hilfe unter Locarno rechnen brauche. Es bestünden Abmachungen zwischen den britischen und französischen Generalstäben, die eine solche Hilfe ausschlössen750 . In einem Gespräch mit Staatssekretär Bülow am 1. Dezember 1934 legte Beck schließlich die Karten auf den Tisch751 . In nie dagewesener Deutlichkeit erklärte der Generalstabschef, das Reichswehrministerium würde es vom Standpunkt der Landesverteidigung aus begrüßen, die entmilitarisierte Zone alsbald zu beseitigen, sei es im Zuge 746 747 748 749 750

751

DDI, 7. Serie, Bd. XVI, Nr. 256, S. 268 Anm. 1; BDFA, II, F, Bd. 45, Nr. 249, S. 378 u. Nr. 261, S. 386f. Renondeau an Maurin, Berlin, 20. 12. 1934, DDF, 1. Serie, Bd. VIII, Nr. 300, S. 452–455. Aufzeichnung, o. V., Berlin, Juli 1934, BA-MA, RW 5/414. Aufzeichnung Geyr v. Schweppenburg, London, 27. 6. 1935, PA AA, R 30061 b. DBFP, 2. Serie, Bd. XII, Nr. 195, S. 221f.; Aufzeichnung, o. V., Berlin, 13. 10. 1934, BAMA, N 28/1. Fritsch berichtete Bülow am 15. Oktober 1934 von den Ausführungen des Gewährsmanns; Bülow hielt diesen freilich für einen „Geschaftlhuber minderen Grades“, wenn er auch die Berichte im Kern nicht anzweifeln wollte, Vermerk Fritsch, Berlin, 15. 10. 1934, BA-MA, RH 1/78. Aufzeichnung Bülow, Berlin, 1. 12. 1934, ADAP, C, Bd. III, 2, Nr. 369, S. 681f.

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von Rüstungsverhandlungen, sei es auf einem anderen Weg752 . Bülow gelang es nicht, Beck von der Gefahr eines solchen Schritts zu überzeugen. Während die Militärs also begannen, die Beseitigung Locarnos zu fordern, hatten sie aber keine realistische Alternative dafür anzubieten, wie die Sicherheit des Reiches „nach Locarno“ zu gewährleisten sei. Deutschland sei schwach, schrieb ein Reichswehroffizier im Sommer 1934, die innere Desorganisation und die außenpolitische Lage würden die deutsche Sicherheit bedrohen753 . Zu diesem Fazit gelangte auch Stülpnagel, der in einer Denkschrift vom September 1934 die Möglichkeiten untersuchte, Deutschland militärische Sicherheit zu geben. Deutschland könne auf das Friedensbedürfnis der anderen Länder hoffen, indes zweifelte Stülpnagel nicht, dass die französische Führung bereit wäre, „bei [einer] Provokation seitens Deutschlands (. . . ) die Gunst der Lage auszunutzen“754 . Selbstverständlich dachte er dabei an die Situation in der entmilitarisierten Zone am Rhein. So berichtete Anfang 1935 ein Gewährsmann über eine Unterredung mit einem französischen Politiker. Frankreich wisse von den militärischen Vorbereitungen in der entmilitarisierten Zone, habe der ihm gesagt, Paris sähe sich zu einer Militäraktion gezwungen, wenn sich die Verstöße häufen würden755 . Fast schon verzweifelt wirkten da die Versuche, die militärischen Maßnahmen in der entmilitarisierten Zone unter strengster Geheimhaltung vor sich gehen zu lassen. Dies war das zentrale Ergebnis der Zusammenkunft der deutschen Militärattachés, die vom 31. Oktober bis zum 3. November 1934 in Berlin stattfand756 . Die Militärattachés waren einhellig der Meinung, dass die deutsche Wiederaufrüstung nur gelingen könne, wenn alle Staats- und Parteistellen einmütig zusammenarbeiten und alle „Eigenmächtigkeiten“757 in der entmilitarisierten Zone und im Saargebiet unterbleiben würden758 . Gebetsmühlenartig wiederholten fortan die deutschen Militärs gegenüber ausländischen Diplomaten und Militärvertretern, Deutschland werde Locarno und die Bestimmungen zur Zone im Rheinland beachten759 . So erklärte der deutsche Militärattaché in Paris, Kühlenthal, am 752 753 754 755 756 757 758 759

Ebenda, S. 682. Stieff an seine Frau, Stuttgart, 12. 8. 1934, H. Rothfels (Hg.): Ausgewählte Briefe von Generalmajor Helmuth Stieff, in: VfZ 2 (1954), S. 291–304, Nr. 3, S. 298. Aufzeichnung Stülpnagel, Berlin, September 1934, Müller: Beck, Nr. 14, S. 368. Telegramm, o. V., an das Amt Ausland, o. O., 25. 2. 1935, BA-MA, RW 5/411. Erlass, o. V., 27. 10. 1934, BA-MA, RW 5/348. Dies bezog sich freilich in erster Linie auf die Avancen der SA im Bereich der Landesverteidigung, Aufzeichnung, o. V., Berlin, 25. 10. 1934, ebenda. Aufzeichnung Böckmann, Berlin, 31. 10. 1934, ebenda; Das Reichswehrministerium an das Auswärtige Amt, Berlin, 2. 11. 1934, DGFP, C, Bd. III, Nr. 293, S. 564. Dies kam auch in den taktischen Anweisungen für die Kriegsspielstudie West im Dezember 1934 zum Ausdruck. Die Mobilmachungsmaßnahmen im Westen sahen u. a. die Verlegung einzelner Truppenteile an den Ostrand der entmilitarisierten Zone vor; das Betreten der Rheinzone wurde hingegen strengstens untersagt, Aufzeichnung, o. V., Ber-

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2. November 1934, der Chef der Heeresleitung habe Befehle an alle Wehrkreise ausgegeben, keine Zwischenfälle in der entmilitarisierten Zone zu provozieren760 . Reichenau, der bereits im September dem ehemaligen französischen Kriegsminister Messimy ähnliche Versicherungen gegeben hatte761 , beteuerte im November 1934 im Gespräch mit dem britischen Militärattaché, Hitler habe die Richtlinie ausgegeben, Locarno und die Entmilitarisierung am Rhein zu beachten, und die Reichswehr halte sich daran762 . Dasselbe bekam auch ein Mitarbeiter des britischen War Office zu hören, der Ende November zu Gesprächen mit Reichenau, Beck und Stülpnagel in Berlin weilte. Aufrüstung, so dozierte Reichenau, sei der beste Weg, Sicherheit für das Reich zu erlangen. Dabei würde die entmilitarisierte Zone, auch wenn sie mit der deutschen Souveränität schwer verträglich war, auf Geheiß Hitlers weiter beachtet. Die Präsenz von Polizei und SA/SS im Rheinland diene nicht dazu, die Remilitarisierung vorzubereiten, versicherte Reichenau seinem britischen Kollegen, sondern trage ausschließlich defensiven Charakter763 . Derartige Beruhigungspillen, so war die Reichswehrführung überzeugt, würden Frankreich davon abhalten, einen Präventivkrieg gegen das Reich zu führen764 . Demgegenüber hielt das Auswärtige Amt auch im Herbst 1934 an der Konzeption Bülows fest, den Rheinpakt als Schutzschild vor französischen Angriffen einzusetzen. Dies war das Substrat der Überlegungen Bülows, nach denen Deutschland nicht mit militärischen Mitteln zu verteidigen sei, sondern im Gegenteil im Winter 1934/35 – rüstungsbedingt – in eine Phase äußerster Schwächung einträte765 . Dabei fürchtete Bülow weniger eine französische Kriegserklärung, als vielmehr die Bildung einer politischen Front aller Großmächte gegen Deutschland. Eine derartige Staatengruppe isoliere das Reich

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lin, 7. 12. 1934, BA-MA, RH 2/15.In einem anderen Vorfall wurde ein Reichswehroffizier, der sich über eine baldige Remilitarisierung des Rheinlandes geäußert hatte, vom Oberbefehlshaber des Heeres persönlich gemaßregelt, Aufzeichnung Fritsch, Berlin, 25. 10. 1934, BA-MA, RH 1/78. François-Poncet an Laval, Berlin, 3. 11. 1934, DDF, 1. Serie, Bd. VIII, Nr. 17, S. 21–27. François-Poncet an Barthou, Berlin, 11. 9. 1934, DDF, 1. Serie, Bd. VII, Nr. 298, S. 437– 440. Phipps an Simon, Berlin, 19. 11. 1934, DBFP, 2. Serie, Bd. XII, Nr. 195, S. 221f. BDFA, II, F, Bd. 45, Nr. 246, S. 370. In einer Aufzeichnung vom 23. November bestätigte der britische Militärattaché, dass die Deutschen planten, im Fall eines Angriffs Polizei und SA als „covering force“ im Rheinland einzusetzen, ebenda, S. 371. Aufzeichnung Stülpnagel für Fritsch und Beck, Berlin, 7. 11. 1934, Müller: Dokumentation, Nr. 127, S. 285. Hier unterschied sich die Lagebeurteilung Bülows von der Einschätzung Hitlers, der glaubte, dass „der Winter unser Schutz“ sei. Hitler fürchtete einzig und allein eine kriegerische Invasion Frankreichs und Polens; der Winter indes, das wusste Hitler, kam als Angriffstermin nicht in Frage, Tagebuch Goebbels, 14. 11. 1934, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/I, S. 136.

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und könne jederzeit den politischen Druck auf Deutschland erhöhen, bis hin zur Verhängung von Wirtschaftssanktionen, die – anders als Krieg – auch in den Wintermonaten einsetzbar waren766 . Katalysator einer solchen Entwicklung wäre insbesondere ein deutscher Schritt gegen den Locarnopakt und die entmilitarisierte Zone gewesen767 . Die Ergebnisse der Konferenz vom Januar 1935 hat ein Mitarbeiter der deutschen Botschaft in London festgehalten. Diesen Aufzeichnungen zu Folge war es das Ziel Bülows, Auswärtiges Amt und Reichswehr auf eine gemeinsame Linie für die kommenden Verhandlungen einzuschwören. In der Tat demonstrierten beide Seiten Einigkeit in den wichtigen Fragen, und Bülow bemühte sich mehrmals im Verlaufe der Unterredung, Ribbentrop als denjenigen zu brandmarken, der durch seine Ungeschicktheiten die gemeinsame Linie von Diplomaten und Militärs unterminiere. Diese Linie hatte zwei Facetten. Einerseits ging es darum, Zielkorridore für die erwarteten Rüstungsverhandlungen festzulegen. Entsprechend der Linie Bülows vom „vertraglichen Zustand“ bemühten sich die Diplomaten, die Militärs grundsätzlich auf den Abschluss einer Rüstungskonvention festzulegen. Nur mit Mühe gelang es, diesen Kurs, der auch im Auswärtigen Amt nicht unumstritten war, bei den Militärs durchzusetzen768 . So versicherte Reichenau dem britischen Botschafter Phipps, Deutschland strebe den Abschluss einer Konvention an769 . Andererseits mussten sich Diplomaten und Militärs einigen, wie es mit dem Rheinpakt von Locarno weiterginge. England, so fasste Bülow die Aufgabenstellung für die nächsten Monate zusammen, werde nach der Saarabstimmung auf Locarno drängen, selbst wenn es in dieser Frage allein stünde770 . Für die Zukunft des Rheinpaktes zeigte er zwei alternative Szenarien auf. Eine Idee ging dahin, den Locarnopakt an die Geltung einer Rüstungskonvention zu koppeln. Dadurch, so das Kalkül Bülows, könne man den Vertrag auf zehn Jahre terminieren und Revisionsmöglichkeiten einbauen. Die andere Möglichkeit bestand darin, den Locarnopakt durch ein neues Sicherheitssystem zu ersetzen. Deutschland, so erläuterte Bülow diesen Weg, könne den Kelloggpakt und die

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Bülow an Neurath, Berlin, 16. 8. 1934, BAK, N 1310/47. Vgl. auch die Ausführungen Weizsäckers, der glaubte, die Westmächte versuchten, das Reich „wirtschaftlich-politisch zu knebeln“; eine unmittelbare Kriegsgefahr sah er indes nicht, Aufzeichnung Weizsäcker, Bern, Juni 1934, Hill: Weizsäcker, Bd. 2, S. 82. ADAP, C, Bd. III, 1, Nr. 281, S. 529. OBS, I 31; DDF, 1. Serie, Bd. VIII, Nr. 188, S. 281–284. Immerhin ließ auch Hitler in diesen Tagen noch verlautbaren, er strebe den Abschluss einer Rüstungskonvention an, FrançoisPoncet an Laval, Berlin, 23. 1. 1935, DDF, 1. Serie, Bd. IX, Nr. 60, S. 95–99. Tagebuch Phipps, 31. 1. 1935, Johnson: Phipps, S. 85. Neurath und Bülow erwarteten schon seit Herbst 1934 eine englische Note, BDFA, II, F, Bd. 45, Nr. 242, S. 365; DDF, 1. Serie, Bd. VIII, Nr. 188, S. 281ff.

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Gewaltsverzichtserklärung von 1933 bestätigen, gleichzeitig aber den Rheinpakt durch einen um Polen ergänzten Viererpakt ersetzen771 . Zum Startschuss, hinter den Kulissen den Spielraum für Paktkonstellationen auszuloten, an denen Deutschland teilnehmen könne, ohne seine Revisionsinteressen zu gefährden, wurde der sensationelle Schritt vom 16. März 1935, weil er Bülows Pläne auf zweifache Weise konditionierte. Erstens verschüttete die einseitige Verkündung der Wehrfreiheit alle Aussichten, zu einer internationalen Rüstungskonvention zu gelangen; Entspannungsbemühungen waren nur noch in der Sicherheitsfrage möglich. Zweitens war die bis dahin vertretene Taktik, in der Sicherheitsfrage auf Zeit zu spielen, nicht mehr fortzuführen772 . Die Gleichberechtigung in der Landrüstung sei endgültig erreicht, schrieb etwa der deutsche Botschafter in London, Leopold v. Hoesch, nun gelte es, diese Errungenschaft zu sichern773 . Der Schlüssel dazu liege in England, so Hoesch, denn als letzter europäischer Staat habe sich England noch nicht der antideutschen Staatengruppe, die sich um die Achse Paris-Rom-Moskau drehe, angeschlossen. Um die vollständige Einkreisung Deutschlands und ein wildes Wettrüsten zu vermeiden, gebe es nur einen Weg: Deutschland müsse einer Rüstungsbeschränkung zustimmen und sich bereit erklären, konstruktiv an der europäischen Friedenssicherung mitzuarbeiten (eine Ausnahme machte Hoesch lediglich für den „dreisten (. . . ) Ostpakt“)774 . Ganz ähnlich äußerte sich Köster aus Paris. Sofort nach der Einführung der Wehrpflicht intervenierten Köster und Speidel, der Stellvertreter des Militärattachés, über einen Mittelsmann bei Hitler, die Deutsche Regierung möge in nächster Zeit von „selbstherrlichen Aktionen“ Abstand nehmen775 . Der 16. März, so schrieb der Botschafter kurze Zeit später in seinem Bericht für das Amt, habe in Paris wie eine Explosion gewirkt. Frankreich werde sich nun Russland zuwenden und weiterhin versuchen, durch immer neue Paktvorschläge „Deutschland das Tempo vor[zu]legen“. Diesem Kreislauf zu entgehen, sei die Aufgabe der

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OBS, I 31. Hoesch hatte schon im Januar 1935 geurteilt, eine dilatorische Behandlung der verschiedenen Paktprojekte sei nicht mehr möglich, Hoesch an das Auswärtige Amt, London, 15. 1. 1935, ADAP, C, Bd. III, 2, Nr. 434, S. 795. Ganz ähnlich hatte der Leiter der Westabteilung, Köpke, im Oktober 1934 erklärt, es sei das deutsche Ziel, „sich wieder in das internationale Geschäft einzuschieben“, damit Frankreich nicht ungestört sein „Einkreisungsnetz“ um Deutschland spinnen könne, Köpke an Hassell, Berlin, 23. 10. 1934, ADAP, C, Bd. III, 1, Nr. 267, S. 510. Hoesch an das Auswärtige Amt, London, 19. 3. 1935, ADAP, C, Bd. III, 2, Nr. 542, S. 997. Ebenda; W. G. Edler Herr zu Putlitz: Unterwegs nach Deutschland. Erinnerungen eines ehemaligen Diplomaten, Berlin 1974, S. 172. Ganz ähnlich äußerte sich Hoesch in einem weiteren Bericht vom folgenden Tag, Hoesch an das Auswärtige Amt, London, 20. 3. 1935, PA AA, R 33276. IfZ, ZS 579. Vgl. auch Speidel: Erinnerungen, S. 62f.

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deutschen Politik, so Köster, aber es gelte unter allen Umständen, Spannungen zu vermeiden776 . Diese Meldungen verfehlten ihre Wirkung in der Wilhelmstraße nicht. „Hinhaltende Erklärungen“, so schrieben Bülow und Gaus in einer gemeinsamen Denkschrift vom März 1935, würden nicht verhindern, dass England sich der antideutschen Gruppe anschlösse777 . Stattdessen rieten sie dazu, die vorgeschlagenen Paktprojekte zwar abzulehnen, aber im Gegenzug mit eigenen Vorschlägen hervorzutreten, die so viel Substanz hatten, dass sie langfristig einen Ersatz für den erlöschenden Locarnopakt bieten konnten778 . Gleich mehrere Vertragsschemata standen für eine solche Vorgehensweise zur Verfügung. Eine Möglichkeit, so Bülow und Gaus, bestünde darin, ein Vertragssystem auf der Grundlage der bestehenden Instrumente, wie dem Viermächtepakt oder dem Kelloggpakt zu errichten779 . Diese Schiene verfolgend hatte Bülow bereits im Juni 1932 gegenüber einem Vertrauten des damaligen französischen Ministerpräsidenten den Abschluss eines Viermächte-Konsultativpaktes angeregt, der auch eine Bestätigung Locarnos in sich schließen könne780 und im Jahr darauf versucht, konstruktiv an den Viererpaktverhandlungen mitzuarbeiten781 . Auch nach dem Scheitern von „Mussolinis Lieblingsidee“782 unternahm Bülow mehrere Vorstöße, eine Zusammenarbeit der vier Großmächte auf der Basis des Kelloggpaktes, angereichert um Konsultationsabkommen, einzurichten783 , die auf ein elastisch organisiertes Konzert der Großmächte ohne feste Verfahrensregeln abzielte. Nach dem deutschen Austritt aus dem Völkerbund spielte Bülow immer häufiger mit dem Gedanken, die europäische Friedenssicherung in die Hände 776

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Die deutsche Botschaft in Paris an das Auswärtige Amt, Paris, 6. 4. 1935, PA AA, R 30059. Vgl. auch Speidel an Stülpnagel, Paris, 12. 4. 1935, BA-MA, RH 2/2933. Speidel schrieb, der Bericht Kösters gebe die Auffassung des Militärattachés wieder. Aufzeichnung Bülow und Gaus, Berlin, März 1935, PA AA, BA 60960. Dazu passt, dass um dieselbe Zeit Göring beim belgischen Gesandten „mit Blick auf die künftig geplante Aufkündigung des Locarno-Paktes“ wegen eines zweiseitigen Nichtangriffspaktes sondierte, Kerchove an Hymans, Berlin, 25. 3. 1935, zit. bei Klefisch: Belgien, S. 79. PA AA, BA 60960. Schon in einer Sprachregelung des Auswärtigen Amtes vom November 1933 hieß es, der Kelloggpakt und der Viererpakt „in seiner ursprünglichen Form“ seien akzeptable Werkzeuge, AdR Hitler, Bd. I, 2, Nr. 256, S. 980f. Vgl. C. J. Kitching: Britain and the Geneva Disarmament Conference. A Study in international History, Basingstoke 2003, S. 76. Damals hatte Köster den Franzosen ganz offen erklärt, es sei das Ziel der deutschen Politik, den Völkerbund abzuschaffen und durch ein Viermächtekonzert zu ersetzen, DDF, 1. Serie, Bd. III, Nr. 185, S. 320f. ADAP, C, Bd. I, 1, Nr. 109, S. 197. So gegenüber Cerruti am 23. Januar 1934 und gegenüber Dodd am 18. Juni 1934, ADAP, C, Bd. II, 1, Nr. 208, S. 396; Tagebuch Dodd, 18. 6. 1934, Dodd: Diplomat, S. 135f.

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eines Viermächtepaktes zu legen, der auf den Gedanken des „politisch reinen“ Kelloggpaktes784 basierte und eventuell um Polen, Japan und die USA erweitert werden könnte785 . Anfang Dezember 1933 schrieb eine Vorlage aus dem Außenamt erstmals davon, die deutsche Richtlinie sei die Errichtung einer „politischen Organisation im Bereich des Viererpaktes“, aber ohne feste Verfahrensregeln786 . Wenige Tage später wurden diese Elemente als offizielle Linie an alle Missionen ausgegeben. Der Völkerbund habe versagt, hieß es in einem Rundschreiben Köpkes vom 18. Dezember 1933, besser sei „ein elastisch organisiertes Konzert der Großmächte“ auf der Basis des Viermächteabkommens oder des Kelloggpaktes; gerade der letztere Vertrag zeichne sich durch „realpolitische Klugheit“ aus, da er auf einen Sanktionsapparat verzichtete. Mögliche Ergänzungen, so Köpke, kämen im Bereich der Konsultationen und der Definition des Angreifers in Betracht787 . Exakt auf dieser Linie lag ein Memorandum der deutschen Regierung, das am 12. Februar 1934 den Italienern übergeben wurde. Eine Reform des Völkerbundes müsse aus deutscher Sicht die Loslösung von Versailles bringen, so lautete das vom Auswärtigen Amt konzipierte Dokument, langfristig sei die Umwandlung der Genfer Liga in ein „elastisches Konzert der Großmächte“ anzustreben; dies könnte z. B. durch eine Erweiterung des Kelloggpaktes geschehen788 . Im Laufe des Frühjahres 1934 ventilierte Bülow diese Pläne gegenüber Cerruti und Dodd, und im Sommer empfahl er Neurath, Deutschland könne eine Art Viererpakt anbieten, um das französisch-sowjetische Ostpaktprojekt zu torpedieren und die französisch-britisch-italienische Front aufzulösen789 . Als Alternative zu einem Viererpakt skizzierten Bülow und Gaus im Früh784 785

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Aufzeichnung Bülow, Berlin, 24. 10. 1933, PA AA, R 97124. In einem Privatschreiben vom 30. November 1933 äußerte Bülow seine Meinung: „Ich halte es nicht für unmöglich, dass hierbei etwas zustande kommt etwa auf der Basis der Entpolitisierung des bestehenden Völkerbundes und seiner Satzung, Umwandlung des Verfahrens in das eines permanenten Kongresses, wobei das Schwergewicht der Verhandlungen auf die Beratungen der ständigen Gesandten beim Kongress verlegt würde. Den Großmächten müsste etwa im Sinne des Rompaktes eine Sonderstellung eingeräumt werden.“ Zit. bei Krüger: Eskalation, S. 213. Kamphoevener an Bülow, Berlin, 9. 12. 1933, PA AA, R 28274 k; Aufzeichnung, o. V., Berlin, 11. 12. 1933, BAK, ZSg 133/110. Entlang dieser Richtlinien führten Neurath und Bülow am 12. Dezember 1933 ein Gespräch mit Suvich und Cerruti, Aufzeichnung Bülow, Berlin, 12. 12. 1933, PA AA, R 29454; Suvich an Mussolini, Berlin, 16. 12. 1933, DDI, 7. Serie, Bd. XIV, Nr. 485, S. 545. Rundschreiben Köpke, Berlin, 18. 12. 1933, PA AA, R 97125. Aufzeichnung, o. V., Berlin, 12. 2. 1934, PA AA, R 53941. Bülow an Neurath, Berlin, 23. 7. 1934, DGFP, C, Bd. III, Nr. 109, S. 218; vgl. auch ADAP, C, Bd. III, 2, Nr. 392, S. 723. Weizsäcker, der etwa um dieselbe Zeit sein außenpolitisches Programm formulierte, sprach davon, einen globalen Konsultativpakt als Ersatz für den Völkerbund aufzurichten; diese Idee ist mit Sicherheit nicht weit entfernt von den Gedankengängen Bülows, dessen Viererpaktidee auch um weitere, außereuropäische Staaten

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jahr 1935 die Grundzüge eines „Sechsmächtepaktes“, dem neben England, Deutschland, Frankreich und Italien auch Polen und Russland angehören könnten790 . Artikel 1 des Sechsmächtepaktes glich einer Präambel, indem er die besondere Bedeutung hervorhob, die das Zusammenwirken der Großmächte für den Frieden Europas habe. Artikel 2 institutionalisierte diese Zusammenarbeit auf der Basis des Kelloggpaktes. Artikel 3 führte den Grundsatz ein, dass der Status quo Europas nicht geändert werden könne, ohne dass eine Fühlungnahme der Sechserpaktstaaten im Rahmen regelmäßiger Konsultationen (Artikel 4) stattgefunden hätte. Im Artikel 5 erklärten die Paktstaaten ihre Bereitschaft, politische Gegensätze nicht festzuschreiben, sondern sich stets von dem Bestreben leiten zu lassen, einen Ausgleich zu finden. Artikel 6 bestimmte, dass einem Aggressor keine Unterstützung gewährt werden dürfe. Artikel 7 schließlich legte eine zehnjährige Geltungsdauer fest. Für den Osten Europas legten Bülow und Gaus ein weiteres Vertragsschema auf, das die Grundlagen für einen auf dem Gedanken des Kelloggpaktes fußenden, mehrseitigen Ostpakt legte. In seinen fünf Artikeln sah er folgende Verpflichtungen vor: Die Signatarstaaten verpflichteten sich, untereinander nicht zur Gewalt zu schreiten; alle Teilnehmer schlossen Schiedsgerichts- und Vergleichsverträge ab; würde ein Staat Opfer einer militärischen Bedrohung werden, sollten alle Paktstaaten sofort eine Konferenz einberufen; der Aggressor sollte nicht von den anderen Staaten unterstützt werden; schließlich sollte die Geltung des Vertrages zehn Jahre betragen791 . In einem Begleitschreiben für Neurath mit dem Titel „Entwurf eines Ostpakts ohne assistance mutuelle“ erläuterten die Verfasser die Tragweite des deutschen Entwurfs. Für Deutschland gebe es zwei gangbare Wege für einen Ostpakt. Zum einen könne Deutschland zweiseitige Nichtangriffspakte mit allen östlichen Nachbarn abschließen. Schwierigkeiten ergäben sich hier, weil die Gegenseite dies nicht als Ersatz für den Ostpakt anerkennen würde. Außerdem wolle man im Auswärtigen Amt keine Verträge mit Litauen, Russland und der Tschechoslowakei abschließen und es vermeiden, die Tragweite des deutsch-polnischen Paktes abzuschwächen. Vielversprechender erschien da der zweite Weg eines mehrseitigen Paktes. Dieser Vertrag könne die Elemente Nichtangriff, Konsultationen und Schiedsgerichtsbarkeit enthalten und die Nebenwirkungen zweiseitiger Abkommen umgehen. Deutschland, so die Autoren, müsse allein darauf achten, Sonderabreden der anderen Partner zu unterbinden. Damit

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ergänzt werden sollte, Aufzeichnung Weizsäcker, Bern, Juni 1934, Hill: Weizsäcker, Bd. 2, S. 83. Entwurf eines Sechsmächtepaktes, o. D. [1935], PA AA, BA 60960. ADAP, C, Bd. III, 2, Nr. 564, S. 1079f.; DDF, 1. Serie, Bd. X, Nr. 27, S. 38f.

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zielte das Auswärtige Amt auf eine Abkehr von der „Strategie der bilateralen Außenpolitik“792 ab. Schließlich entwarfen Bülow und Gaus das Modell eines zehnjährigen Luftpaktes unter den Staaten Westeuropas, der unverzügliche Unterstützung mit Luftstreitkräften stipulierte, wenn ein Signatar Opfer eines Luftangriffs werden sollte. Besonderes Merkmal des Luftpaktes war eine Klausel, die den Vertragsstaaten verbot, untereinander Sonderabreden einzugehen793 . Dieser Entwurf bildete die Grundlage für den deutschen Luftpaktvorschlag, den das Deutsche Reich im Mai 1935 in London übergab. Diese Paktvorschläge standen im Mittelpunkt von Bülows Bemühungen, dem Deutschen Reich Sicherheit zu geben, indem man es vertraglich band, und in diesem Kontext ist auch die erste Phase des deutschen Protests gegen den französisch-sowjetischen Beistandspakt zu sehen. Ausgangspunkt zu diesem diplomatischen Manöver bildeten die Verhandlungen über einen mehrseitigen Ostpakt. In einem ersten Anlauf übergab Neurath den beiden britischen Ministern, die am 25. und 26. März 1935 bei Hitler zu Besuch waren, den Entwurf für den Ostpakt, den das Auswärtige Amt erarbeitet hatte. Als Hitler und Neurath den Briten ihre Idee schilderten, waren Simon und Eden sichtlich zufrieden794 , und Hitler war nach den Besprechungen ganz berauscht von seinem Erfolg. In langen Gesprächen mit Goebbels und anderen Ministern erläuterte er die Grundzüge seiner Englandpolitik, in der dem deutschen Ostpakt eine wichtige Rolle zugedacht war. Sein Vorschlag, erklärte der Reichskanzler, habe die Form eines Konsultativ- und Nichtangriffspaktes, sei aber kein Beistandspakt795 . Damit schien sich nicht nur die Möglichkeit zu einer Neuverhandlung Locarnos zu bieten, sondern es sah auch so aus, als sei die „Aktionsfreiheit im Osten“796 , die Hitler von England wollte, zugesichert797 . Indes verflogen die deutschen Hochgefühle schnell. Anfang April 1935 zeigte sich, dass die Westmächte nicht auf Hitlers Vorschlag eingehen würden, sondern einen weiteren Versuch unternahmen, Polen in ein französisch dominiertes Ostpaktsystem einzuspannen, als Eden nach Warschau fuhr, um dort einen

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Messerschmidt: Kriegsvorbereitung, S. 580. „Entwurf einer Vereinbarung zwischen den westeuropäischen Mächten zur Verhütung von Luftangriffen“, März 1935, PA AA, BA 60960. Vgl. aber auch die Zweifel Phipps’ an den Absichten Hitlers, Tagebuch Phipps, 28. 3. 1935, Johnson: Phipps, S. 93–95. Tagebuch Goebbels, 26. 3. 1935, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/I, S. 206. Michalka: Volksgemeinschaft, Nr. 181, S. 237. Memorandum Brüning für Messersmith, Harvard, 23. 1. 1939, Brüning: Briefe, S. 506ff.; Tagebuch Phipps, 28. 3. 1935, Johnson: Phipps, S. 94.

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„neuen Ostpakt“ vorzuschlagen798 . Als Polen am 17. April 1935 für die Völkerbundsresolution stimmte, hatte sich das Blatt gegen Deutschland gewendet799 . Deswegen und vor dem Hintergrund der sich anbahnenden Stresakonferenz unternahm die deutsche Führung einen zweiten Anlauf, um die Briten für das deutsche Projekt zu gewinnen. Am 12. April 1935 kam der britische Botschaftsrat in Berlin zu Neurath und berichtete dem Außenminister über den Stand der Gespräche in Stresa. Dabei erkundigte sich Newton beiläufig, ob nach wie vor die Bereitschaft bestünde, einen Ostpakt gemäß den deutschen Vorschlägen vom März abzuschließen. Neurath bejahte dies und fügte hinzu, Deutschland könne, um seinen guten Willen zu beweisen, sogar erklären, keine Einwendungen zu erheben, wenn einzelne Mitglieder eines osteuropäischen Kollektivvertrages zweiseitige Separatabkommen über gegenseitige militärische Hilfeleistung abschließen würden800 . Er, Newton, könne seinem Minister mitteilen, so Neurath wörtlich, „dass wir bereit wären, einem Ostpakt (. . . ) beizutreten, auch wenn einige Mitunterzeichner dieses Paktes unter sich Separatabkommen über die gegenseitige militärische Unterstützung abschließen würden“801 . Als Neurath direkt im Anschluss dem Reichskanzler Bericht erstattete, erklärte sich dieser mit der Antwort ausdrücklich einverstanden802 . Indes geriet die deutsche Demarche innerhalb weniger Stunden zum Desaster. Newton meldete die Antwort Neuraths sofort nach Stresa, wo die Nachricht einschlug wie eine Bombe. Mit dieser Erklärung, so urteilten Beobachter, wende sich Deutschland von seiner Politik der zweiseitigen Verträge ab und erkläre sich zum Abschluss mehrseitiger Vertragssysteme bereit803 . Auf diese Weise interpretierten auch die Franzosen den deutschen Schritt und glaubten, Hitler und das Auswärtige Amt hätten ihren Widerstand gegen einen zweiseitigen Vertrag zwischen Paris und Moskau aufgegeben. Aus ihrer Sicht war damit die letzte Hürde gefallen, die noch auf dem Weg zu förmlichen Paktverhandlungen mit Moskau stand804 . Noch schlimmer war die Wirkung in Polen. Neuraths Aussagen gegenüber Newton nährten in Warschau den Verdacht, es stünde eine deutsch-britische Verständigung über den Ostpakt bevor, und das Reich könnte die gemeinsame 798

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BDFA, II, F, Bd. 46, Nr. 75, S. 118; DDI, 7. Serie, Bd. XVI, Nr. 855, S. 909; Tagebuch Goebbels, 3. 4. 1935, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/I, S. 211; Tagebuch Goebbels, 5. 4. 1935, ebenda, S. 212; Tagebuch Szembek, 2. 4. 1935, J. Szembek: Journal 1933–1939. Traduit du polonais par J. Rzewaska et T. Zaleski. Préface du L. Noël, Paris 1952, S. 53. Tagebuch Goebbels, 19. 4. 1935, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/I, S. 219. Aufzeichnung Neurath, Berlin, 12. 4. 1935, ADAP, C, Bd. IV, 1, Nr. 24, S. 44f.; Tagebuch Dodd, 12. 4. 1935, Dodd: Diplomat, S. 265; Tagesmeldung, 12. 4. 1935, AdG, 1935, S. 1985. ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 25, S. 45. ADAP, C, Bd. IV, 1, Nr. 24, S. 45 Anm. 2. DDF, 1. Serie, Bd. X, Nr. 181, S. 288f. Vgl. Dean: Locarno, S. 81; Beloff: Russia, Bd. 1, S. 152.

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Abwehrfront mit Polen verlassen. Die Folge war eine schlimme Vertrauenskrise zu Warschau, die Hitler nur abmildern konnte, indem er sofort Lipski zu sich rief und ihm vertraulich die Kernpunkte seiner Polenpolitik schilderte805 . Vor dem Hintergrund dieser katastrophalen Wirkung stellt sich die Frage nach den deutschen Motiven für die Demarche vom 12. April. Dass die Reichsregierung mit ihrem Schritt das französisch-sowjetische Bündnis absegnen wollte, ist unwahrscheinlich806 . Daher lancierte das Auswärtige Amt schon am folgenden Tag ein Kommuniqué, um den „irreführenden Auslegungen“ hinsichtlich des deutschen Standpunktes zum Ostpakt zuvorzukommen807 . Darin bekundete das Reich seine unveränderte Bereitschaft, an einem Vertrag teilzunehmen, dessen Verpflichtungen um die Elemente Nichtangriff und Konsultationen kreisten. Dagegen werde das Reich nicht an einem Paktgebilde teilnehmen, welches für einige oder alle seiner Teilnehmer die Verpflichtung zur militärischen Beistandsleistung enthielt. Die Äußerungen des Reichsaußenministers vom Vortrag seien dahingehend zu verstehen, so behauptete die deutsche Seite jetzt, dass Deutschland jederzeit dazu bereit sei, Nichtangriffspakte mit allen Staaten abzuschließen, unabhängig davon, ob diese Länder bereits durch Defensivallianzen gebunden seien808 . Der deutsche Schritt vom 12. April 1935 ist vielmehr als Versuch zu lesen, England in die Rolle eines Protegés für das deutsche Ostpaktprojekt zu manövrieren. Vor dem Hintergrund der Bemühungen Bülows, einen „vertraglichen Zustand“ zur Absicherung der deutschen Aufrüstung herzustellen, entschied sich die deutsche Führung dazu, einen multilateralen Ostpakt ohne assistance mutuelle anzubieten. England sollte beim Abschluss des Paktes Geburtshilfe leisten, um die internationale Atmosphäre zu beruhigen. Da London selbst kein Interesse am Ostpakt besäße, so das deutsche Kalkül, würden sich zu große Bindungen vermeiden lassen809 . Die Äußerungen Neuraths, die sich nur auf den deutschen Vorschlag bezogen810 , sollten dem Projekt in einem Moment Schwung verleihen, als sich anzudeuten schien, dass sich die Westmächte in Stresa auf einen „antideutschen“ Ostpakt einigen würden. Dazu kam noch ein weiterer Punkt. Vor einiger Zeit hatte das Auswärtige Amt erfahren, dass Frankreich und Russland den Ostpakt fallengelassen hatten und nun über einen zweiseitigen Pakt verhandelten811 . Der deutschen Seite 805 806 807 808 809 810 811

Vgl. Wojciechowski: Beziehungen, S. 181f. Dies brachte Hoesch gegenüber Simon deutlich zum Ausdruck, DGFP, C, Bd. IV, Nr. 17, S. 22f.; vgl. auch BDFA, II, F, Bd. 46, Nr. 138, S. 204. ADAP, C, Bd. IV, 1, Nr. 29, S. 51–53; Berber: Locarno, Nr. 28, S. 107ff. Ebenda. PA AA, BA 60960. ADAP, C, Bd. IV, 1, Nr. 24, S. 45; Aufzeichnung Neurath, Berlin, 20. 5. 1935, BAK, ZSg 133/12. Schulenburg an das Auswärtige Amt, Moskau, 11. 4. 1935, ADAP, C, Bd. IV, 1, Nr. 23, S. 44.

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war klar, dass Paris die Gelegenheit in Stresa benutzen würde, die Briten dafür zu gewinnen, einen französisch-sowjetischen Pakt gutzuheißen. Vor diesem Hintergrund war die deutsche Demarche vom 12. April 1935 ein Manöver, die Briten von der nach wie vor bestehenden Verhandlungsbereitschaft zu überzeugen, indem man sich in einem strittigen Punkt konzessionsbereit zeigte. Die Briten, so die deutsche Rechnung, würden sofort losgehen und die Franzosen bedrängen, so lange am Ostpakt festzuhalten (und damit auf die Allianz mit Moskau zu verzichten) wie Aussicht auf eine deutsche Teilnahme bestünde. Das Manöver schlug jedoch fehl, weil die Deutschen die britische Haltung falsch einschätzten. Zwar lehnte London eine Rückkehr zur alten Allianzpolitik der Vorkriegszeit ab812 , aber das bedeutete nicht, dass England einen französischen Pakt mit Moskau um jeden Preis bekämpfen würde. Die Briten gaben schon kurz nach den Londoner Verhandlungen zu erkennen, dass sie nicht an die Verwirklichung eines mehrseitigen Ostpaktes unter Einschluss Deutschlands, wie ihn das Londoner Kommuniqué vorschlug, glaubten813 . Damit fand sich London praktisch mit einem zweiseitigen Ostpakt ab, vorausgesetzt, Paris gebe die Versicherung, im Einklang mit den Locarnoregeln zu handeln, damit ausgeschlossen sei, dass ein osteuropäischer Konflikt nach Westen übergriff814 . Dieses Ziel wurde in Stresa erreicht. Vor diesem Hintergrund lief die deutsche Demarche nicht nur einfach ins Leere, sondern gab auf französischer Seite noch Anlass zu dem Glauben, Deutschlands Zustimmung zu den Verhandlungen erhalten zu haben. Nach dem Scheitern der deutschen Vorstöße und dem Abschluss des französisch-sowjetischen Paktes war die Aussicht auf einen Ostpakt nach dem deutschen Modell dahin815 . In diesem Zusammenhang ist der Protest gegen die vermeintliche Unvereinbarkeit des französisch-sowjetischen Beistandspaktes mit dem Rheinpakt von Locarno, der ein integraler Bestandteil der Gesamtstrategie Bülows war, zu sehen. Schon die Zeitgenossen nahmen an, die deutsche Seite suche lediglich nach einem Vorwand, um den Locarnopakt zu „kündigen“816 , und die Forschung folgte dieser Auslegung. Dabei hat der deutsche Schritt vom 25. Mai 1935 eine viel komplexere Entstehungsgeschichte und hatte zunächst anderes im Sinn, als eine „Kündigung“ des Rheinpaktes zu

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Am 3. April hatte Szembek dem deutschen Botschafter in Warschau gesagt, der Ostpakt in seiner bisherigen Form sei erledigt, ebenda, Nr. 8, S. 8. Vgl. Niedhart: Sowjetunion, S. 255. Corbin an Laval, London, 8. 2. 1935, DDF, 1. Serie, Bd. IX, Nr. 182, S. 299–301; Interview mit Vansittart, 10. 1. 1935, Crozier: Record, S. 30. Aufzeichnung, o. V., London, 3. 7. 1936, TNA, FO 371/19910; Kabinettssitzung, 22. 11. 1938, TNA, CAB 23/96. Vgl. Niedhart: Sowjetunion, S. 254–256. Aufzeichnung Neurath, Berlin, o. D. [Mai 1935], PA AA, BA 60966. So etwa Deutschland-Bericht der Sopade, Prag, 12. 6. 1935, Deutschland-Berichte, Bd. 2, S. 639.

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

legitimieren. Vielmehr ging es dem Auswärtigen Amt darum, den Rheinpakt von Locarno wieder so in Stellung zu bringen, dass er der deutschen Sicherheit diente und den Kontakt nach London erhielt, und ist als Versuch zu lesen, England im Spiel über die Bande zu verbindlichen Aussagen über die künftige Funktionsweise Locarnos zu bewegen. Um den deutschen Protest aus dem Kontext der Rheinlandkrise zu lösen und ihn als eigenständige Strategie zu verstehen, sollen im Folgenden fünf Komplexe behandelt werden. Dies sind erstens die Entstehung des deutschen Protests von den ersten Konferenzen im Auswärtigen Amt bis zum offiziellen Schritt vom 25. Mai 1935, zweitens die Gründe für den Schritt sowie drittens die Stichhaltigkeit der deutschen Argumentation. Als vierter Komplex ist die Reaktion Frankreichs und Englands auf den deutschen Protest zu untersuchen. Fünftens wird zu fragen sein, welche Konsequenzen das Auswärtige Amt aus dem Verlauf des deutschen Protests zog. Zunächst zur Entstehungsgeschichte. Als Laval am 3. Mai 1935 den Vertragstext den Deutschen zur Verfügung stellte817 , war die Reaktion zunächst vorsichtig. Mehrere deutsche Vertreter im Ausland waren sich sicher, dass Laval jede Verletzung Locarnos vermieden und die russischen Wünsche nach automatischem Beistand abgeblockt habe. Den Bluff Lavals durchschauend vermerkte etwa der deutsche Botschafter in Moskau, Schulenburg, als er die Denkschrift von Gaus, in der die Unvereinbarkeit des französisch-sowjetischen Paktes mit Locarno behauptet wurde, gelesen hatte: „Ich kann der Auffassung von Herrn Gaus nicht zustimmen.“ Seiner Ansicht nach band der französischsowjetische Pakt die Partner zu nichts. Im Kriegsfall, so Schulenburg, stünden so viele Hintertüren offen, dass Frankreich tun könne, was ihm am zweckmäßigsten erscheine818 . Ähnlich sah es Twardowski. Es sei Frankreich und Russland gar nicht darum gegangen, ein schlagkräftiges Bündnis zu formen, lautete seine Charakterisierung der Ziffer 1, man wolle nur Druck auf Deutschland ausüben819 . Auch der Botschafter in Paris wandte sich Hilfe suchend an Gaus. Laval habe sehr geschickt operiert, schrieb Köster am 10. Mai 1935, indem er die automatische Bündnisleistung unter Verweis darauf verhindert habe, dass dies gemäß Völkerbundssatzung und Rheinpakt von Locarno nicht erlaubt sei820 . Damit waren Bülow und Gaus nicht einverstanden. Sie wollten nicht glau-

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Telegramm, o. V., Paris, 3. 5. 1935, PA AA, R 32254. Auch die Briten erhielten den Vertragstext vorab, Aufzeichnung Baxter, London, 3. 5. 1935, TNA, FO 371/18838. Erst einen Tag später besprach der französische Botschafter in London, Corbin, den Text offiziell mit Simon, DDF, 1. Serie, Bd. X, Nr. 301, S. 475f. Hs. Vermerk Schulenburg, Moskau, o. D. [Mai 1935], PA AA, Botschaft Moskau 175. Twardowski an Dirksen, Moskau, 16. 5. 1935, PA AA, NL Dirksen, Bd. 2. Köster an Gaus, Paris, 10. 5. 1935, PA AA, Botschaft Moskau 175.

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ben, dass die Ziffer 1 des Zeichnungsprotokolls ein Trick sei, um die Russen verhandlungswillig zu machen. Vielmehr waren sie von der Unvereinbarkeit des französisch-sowjetischen Paktes mit Locarno überzeugt. Sofort nach Erhalt des Vertragstextes setzten sich Bülow und Gaus hin und examinierten den Vertrag Artikel für Artikel821 . Die Ergebnisse stellte Gaus am folgenden Tag bei einer internen Konferenz im Auswärtigen Amt vor, an der auch ein Vertreter der Reichswehr teilnahm. Der französisch-sowjetische Beistandspakt, erklärte Gaus den versammelten Zuhörern, sei ein Allianzvertrag mit offensiv gegen das Reich gerichtetem Charakter822 . Der Völkerbund diene nur als Kulisse, in Wahrheit hätten sich Frankreich und Russland volle Handlungsfreiheit zugesichert823 . Indem der Pakt die Einkreisung Deutschlands vollende, bilde er den Todesstoß sowohl für das System kollektiver Sicherheit als auch für den Rheinpakt von Locarno. Bei der Formulierung des Paktes habe sich im Wesentlichen die russische Auffassung durchgesetzt und die kurze Vertragsdauer von fünf Jahren bedeute sogar noch eine Verschärfung. Die Lage sei ernst, so schloss Gaus seine Beobachtungen ab, was vor allem auf die Äußerungen des britischen Außenministers Simon vor dem Parlament zurückzuführen sei, wonach der französisch-sowjetische Pakt die Briten nichts anginge. Unter den Bedingungen Locarnos, so hielt Gaus dagegen, sei England in jedem Fall verpflichtet, in einem deutsch-französischen Konflikt Stellung zu nehmen824 . Die Resultate dieser Unterredung fasste Gaus in einer Denkschrift zusammen, die Bülow am 7. Mai 1935 an alle deutschen Vertretungen übersandte825 . Wenn man den französisch-sowjetischen Beistandspakt aus seiner wortreichen Verkleidung herauslöse, so Gaus in der Aufzeichnung mit dem Titel „Der französische-russische Bündnisvertrag“826 , erhalte man das Bild eines gegen Deutschland gerichteten Bündnisses. Diese Verschleierungen hätten einen 821 822

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Vgl. Stuby: Gaus, S. 334. Anfang Juli präzisierte Gaus diesen Punkt in einer Aufzeichnung, in der es hieß, die Konsultationen des französisch-sowjetischen Beistandspaktes dienten der Vorbereitung des Artikels 10 der Völkerbundssatzung und erhielten dadurch eine „gewisse offensive Färbung“, Aufzeichnung, o. V. [Gaus], Berlin, 3. 7. 1935, PA AA, R 53049. Dies war besonders die Meinung Bülows. Er erklärte am 7. Mai 1935 dem italienischen Botschafter, der französisch-sowjetische Beistandsvertrag sei eine gegen das Reich gerichtete Allianz. Dies sei die Rückkehr Frankreichs zu den alten Methoden der Vorkriegszeit, mit dem Unterschied, dass man nicht mehr von „Krieg“ spreche, sondern von „Sanktionen“, DDI, 8. Serie, Bd. I, Nr. 155, S. 164–168. Aufzeichnung Böckmann, Berlin, 4. 5. 1935, BA-MA, RH 1/78. Vgl. Ph. W. Fabry: Die Sowjetunion und das Dritte Reich. Eine dokumentarische Geschichte der deutsch-sowjetischen Beziehungen von 1933 bis 1941. Prolegomena von E. Deuerlein, Stuttgart 1971, S. 51; Gibbs: Strategy, Bd. I, S. 236. Runderlass Bülow, Berlin, 7. 5. 1935, ADAP, C, Bd. IV, 1, Nr. 72, S. 130. Aufzeichnung Gaus, Berlin, o. D. [Mai 1935], PA AA, R 32245.

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dreifachen Zweck. Erstens werde verborgen, dass der Vertrag eine Spitze gegen das Reich enthielt. Dies sei an der widersprüchlichen Formulierung des Paktes zu erkennen. Während der Artikel 1 für alle Fälle, in denen eine Angriffsdrohung vorlag, Konsultationen vorsähe, so die Analyse von Gaus, bestimme dagegen das Protokoll, die Partner seien nur dann zum militärischen Beistand verpflichtet, wenn dies auch im Rahmen des ursprünglichen Ostpaktes der Fall gewesen wäre. Damit, so Gaus, käme der Beistandspakt nur bei einem deutschrussischen oder deutsch-französischen Konflikt in Anwendung827 . Zweitens solle der Schein gewahrt bleiben, der Pakt sei den Spielregeln des Völkerbundes untergeordnet. Hier sei es die „gängige Methode Frankreichs“, die Bündnisfälle seiner Verträge in Anlehnung an die Artikel 15 bis 17 der Völkerbundssatzung zu formulieren. Das Problem, dass die Genfer Satzung keine sofortige Unterstützung ermögliche, weil erst ein Verfahren vorgeschrieben sei, hätten Paris und Moskau mit der Ziffer 1 des Protokolls umgangen. Demnach komme die Verpflichtung zur Beistandsleistung auch dann zur Anwendung, wenn Genf keinen einstimmigen Beschluss getroffen hatte. Gaus argwöhnte, dass die beiden Partner bei der Formulierung des Paktes genau auf diese Konstellation abgezielt hätten, denn als ständigen Ratsmitgliedern im Bund wäre es ihnen natürlich ein Leichtes, nicht genehme Beschlüsse zu verhindern. Drittens, so fuhr Gaus fort, wolle Frankreich dem Vorwurf entgehen, man habe sich über den Rheinpakt von Locarno hinweggesetzt828 . Hier habe sich Frankreich gleich doppelt abgesichert. Erstens solle hierzu die Generalreserve der Ziffer 2 des Protokolls dienen, wonach die Verpflichtungen nicht wirksam werden sollten, wenn sie gegen die Bestimmungen aus früheren Verträgen verstoßen würden. Zweitens erwähnte der französisch-sowjetische Beistandspakt – im Gegensatz zu den Verträgen mit Prag und Warschau – den Artikel 17 der Völkerbundssatzung. Dies, so Gaus, habe den Grund, dass der Locarnopakt ein Völkerbundsverfahren vorschrieb. Zu diesem musste Deutschland als Nichtmitglied des Bundes zuvor gemäß Artikel 17 der Völkerbundssatzung geladen werden; erst dann könne die Beistandsleistung in Kraft treten. Im Übrigen, so Gaus, ginge dies auch die Garanten Locarnos etwas an. Denn die Erklärung Simons vom 2. Mai 1935, wonach die britischen Verpflichtungen unter Locarno durch den französisch-sowjetischen Pakt nicht vergrößert würden829 , sei nur formal richtig. Gaus hielt dem entgegen, dass der Eintritt der britischen Locarnogarantie umso wahrscheinlicher sei, je weiter sich die französischen 827

828 829

W. W. Hartlieb: Das politische Vertragssystem der Sowjetunion 1920–1935 (Abhandlungen des Instituts für Politik, ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht an der Universität Leipzig, Bd. 48), Leipzig 1936, S. 226; Barandon: Staatsverträge, S. 231f.; Merkel: Nichtangriffspakte, S. 42. PA AA, R 32245. Die Rede Simons ist abgedruckt bei Berber: Locarno, Nr. 32, S. 117ff.

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Bündnisverpflichtungen erstreckten. Deshalb forderte er, England müsse den französisch-sowjetischen Pakt ebenfalls einer genauen Prüfung unterziehen. Noch am 4. Mai 1935 unterrichtete das Auswärtige Amt – auf Veranlassung Bülows830 – in einer weiteren Konferenz die Vertreter der deutschen Presse831 . Drei Punkte, erklärte Aschmann, der Leiter der Presseabteilung im Auswärtigen Amt, den anwesenden Journalisten, verbunden mit der Aufforderung, dies in Zeitungsartikeln zu verwerten, seien es, die das Auswärtige Amt am französisch-sowjetischen Pakt störten. Erstens sei der Pakt von einer geheimen Militärkonvention begleitet. Zweitens sei der Pakt einzig und allein gegen das Deutsche Reich gerichtet. Drittens müsse sich das Reich auf das Schärfste gegen die Auslegung verwahren, die der britische Außenminister Simon dem Locarnopakt gegeben habe, wonach England nicht verpflichtet sei, Deutschland zu helfen, in einem Fall, wo Frankreich militärisch gegen das Reich vorging, um seine Beistandsverpflichtungen gegenüber Russland zu erfüllen832 . Es sei unter den Bedingungen Locarnos kein Fall denkbar, so gab Aschmann die Worte Gaus’ wieder, in dem nicht die Verpflichtung Englands in Kraft trete, sich mit Deutschland zu konsultieren, wenn Streitigkeiten zwischen Paris und Berlin ausbrächen. Der französisch-sowjetische Bündnisvertrag, so bilanzierte Aschmann die Haltung des Auswärtigen Amtes, sei ein Rückfall in die französische Vorkriegspolitik. Der Pakt bestätige den Missbrauch des Völkerbundes als Machtinstrument der ehemaligen Ententemächte; schließlich schreibe er militärische Sanktionen vor für den Fall, wo kein einstimmiger Völkerbundsbeschluss gefasst wurde, also streng rechtlich gesehen kein Angriff vorläge und daher keine Sanktionen erlaubt seien833 . In dem Schreiben, mit welchem Bülow am 7. Mai die Analyse Gaus’ an 830

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Gaus erklärte am 4. Mai 1935, Staatssekretär Bülow halte den französisch-sowjetischen Pakt für eine „Ungeheuerlichkeit“ und habe Anweisung an die Presse gegeben, den Vertrag scharf anzugreifen, BA-MA, RH 1/78. Weisung an die Presse, 4. 5. 1935, NS-Presseanweisungen, Bd. 3/I, S. 260f. Währenddessen versuchte Gaus auf die deutschen Völkerrechtler Einfluss zu nehmen. Dem Professor für Völkerrecht in Breslau, Freytagh-Loringhoven, ließ er exklusiv ein Exemplar des deutschen Memorandums zukommen, damit dieser es in seiner Zeitschrift „Völkerbund und Völkerrecht“ verwerten könne. Freytagh-Loringhoven äußerte zunächst Zweifel an der deutschen These. Erst als Gaus ihm die Sache nochmals darlegte, nahm Loringhoven die Sichtweise des Auswärtigen Amtes an; auf dieser Linie lag schließlich auch der Aufsatz Loringhovens in „Völkerbund und Völkerrecht“, Freytagh-Loringhoven an Meyer, Breslau, 25. 5. 1935, PA AA, R 53010; Freytagh-Loringhoven an Gaus, Breslau, 29. 5. 1935, ebenda; A. Frh. v. Freytagh-Loringhoven: Rechtswidrigkeit des französisch-russischen Pakts, in: Völkerbund und Völkerrecht 2 (1935/36), S. 227ff. Berber: Locarno, Nr. 32, S. 118. Entsprechende Zeitungsartikel befinden sich in: PA AA, R 53010. Zwei Tage später wurden diese Anweisungen noch einmal bestätigt und verschärft, Weisung an die Presse, 6. 5. 1935, NS-Presseanweisungen, Bd. 3/I, S. 267.

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die deutschen Vertretungen übermittelte, erklärte er den Zweck des deutschen Schritts. Geplant sei kein Protest gegen den französisch-sowjetischen Beistandspakt „in dem Sinne, dass er eine direkte Verletzung des Rheinpakts darstellt“834 , sondern lediglich eine Demarche, in der das Reich gegen jede einseitige Auslegung von Locarno Verwahrung einlege. Alle Locarnosignatare müssten den Pakt prüfen, und man wolle „die Aufmerksamkeit der Garanten auf ihre Verantwortung lenken“835 . „Darf Frankreich ohne Ratsbeschluss gegen Deutschland vorgehen“, so beschrieb Bülow die deutschen Bedenken, „und diese Aktion als gemäß Artikel 16 hinstellen?“836 Der deutsche Protest sollte allerdings erst nach der großen außenpolitischen Kundgebung Hitlers, die für Mitte Mai geplant war, erfolgen. Vorher sei nichts zu unternehmen. Man könne aber durchblicken lassen, so fügte Köpke in einem Schreiben an Hassell hinzu, dass man im Auswärtigen Amt genauestens prüfe, ob der französischsowjetische Pakt mit den Regeln des Rheinpaktes vereinbar sei837 . Schließlich erläuterte Gaus in einem Privatdienstschreiben an Köster, zu welchen Ergebnissen er und Bülow gekommen waren. Es sei schlechterdings unmöglich gewesen, so schrieb Gaus am 14. Mai, eine Klausel über automatischen Beistand in den Vertrag aufzunehmen, weil über militärische Hilfe der Völkerbundsrat an erster Stelle zu entscheiden habe. Die vermeintliche Unterordnung unter den Völkerbund sei jedoch Kulisse. Dies begründete Gaus folgendermaßen: Eine Aktion unter Artikel 16 der Völkerbundssatzung galt als Ausnahme vom Locarno-Kriegsverzicht. Nach deutscher Auffassung sei dazu aber ein Beschluss des Völkerbundsrates notwendig, während der französisch-sowjetische Beistandspakt stipulierte, militärische Hilfe auch dann zu gewähren, wenn kein einstimmiger Ratsbeschluss erzielt würde838 . Voraussetzung für die geplante Aktion war die Frage, ob sich der Reichskanzler von der These der Unvereinbarkeit des französisch-sowjetischen Paktes mit dem Rheinpakt und der Notwendigkeit eines Protests überzeugen ließe839 . Bereits kurz nach der Unterzeichnung war der Pakt ein Thema in den Unterredungen des Reichskanzlers. „Pakt Paris-Moskau: Eine juristische Anomalität“, 834 835 836 837 838

839

Runderlass des Auswärtigen Amtes, o. V., Berlin, 10. 5. 1935, PA AA, R 32245. Aufzeichnung Neurath, Berlin, o. D. [Mai 1935], PA AA, BA 60966. Bülow an die deutsche Botschaft in Paris, Berlin, 4. 6. 1935, PA AA, R 53010. Köpke an die deutsche Botschaft in Rom, Berlin, 7. 5. 1935, ADAP, C, Bd. IV, 1, Nr. 71, S. 129f. Gaus an Köster, Berlin, 14. 5. 1935, PA AA, Botschaft Moskau 175. Diesen Ausführungen stimmte Köster, nachdem er zuvor gezweifelt hatte, zu, Köster an Gaus, Paris, 17. 5. 1935, ebenda. Ungeteilte Zustimmung erhielten die Diplomaten von Seiten der Reichswehr. Im Reichswehrministerium, so bekannte Jodl nach dem Krieg, hätten keine rechtlichen Zweifel bestanden, dass die vertraglichen Bindungen zwischen Frankreich, Russland und der Tschechoslowakei den Locarnopakt „illusorisch“ gemacht hätten, IMT, Bd. XV, S. 386.

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notierte sich Goebbels am 5. Mai 1935, als er von einem Treffen mit Hitler kam, „man muss abwarten, was daraus wird.“840 Anfang Mai 1935 übermittelte Neurath die Exegese Gaus’ über den französisch-sowjetischen Beistandspakt nach Berchtesgaden und erläuterte dem Reichskanzler die zentralen Punkte841 . Der französisch-sowjetische Beistandspakt, so schrieb Neurath, sei nicht weniger als ein gegen Deutschland gerichtetes Bündnis. Der Pakt basiere auf der „bedenklichen Methode“ der gegenseitigen Hilfeleistung und schade damit dem Gedanken der kollektiven Sicherheit; die Aussichten, auf Grundlage der deutschen Vertragsskizze zu einem Ostpakt zu kommen, seien dahin. Ebenso wichtig sei es, das Verhältnis des neuen Vertrages zum Rheinpakt von Locarno zu klären. Alle Locarnomächte, so Neurath, müssten den französisch-sowjetischen Pakt überprüfen. Deutschland solle mittels einer „diplomatischen Demarche“, so erläuterte Neurath die Absichten des Auswärtigen Amtes, Verwahrung gegen das französischsowjetische Bündnis einlegen und die Aufmerksamkeit der Locarnogaranten auf die Verantwortung lenken, die sie unter Locarno trugen. „Die anderen Mächte wollten immer wissen, wie wir zu Locarno stehen“, schloss er seine Darlegungen ab, „jetzt wollen wir wissen, wie sie dazu stehen.“842 Aber Hitler war unsicher, wie er auf den französisch-sowjetischen Pakt reagieren solle. Einerseits beabsichtigte er in seiner Reichstagsrede, alle Argumente gegen den Bolschewismus zusammenzutragen843 , und die Kritik des Auswärtigen Amtes am französisch-sowjetischen Pakt konnte nur Munition für seine Waffen sein. Die Männer seiner Umgebung – Goebbels, Papen, Ribbentrop – sprachen sich unisono gegen den neuen Vertrag aus und schlossen sich der Ansicht des Auswärtigen Amtes an, der Pakt habe Locarno wertlos gemacht844 . Hitler selbst ließ schon seit einiger Zeit – in Abstimmung mit dem Auswärtigen Amt – keine Gelegenheit aus, Beistandsverträge als „gefährlich“ zu brandmarken, da sie kriegerische Konflikte nicht eindämmten, sondern im Gegenteil ausweiteten. So war ihm der französisch-sowjetische Vertrag noch Anfang Mai gerade recht gekommen, als er in einem Schreiben an Lord Rothermere ausführlich darlegte, warum er Beistandspakte ablehnte845 . 840 841 842 843 844

845

Tagebuch Goebbels, 5. 5. 1935, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/I, S. 227. Aufzeichnung Neurath, Berlin, o. D. [Mai 1935], PA AA, BA 60966; PA AA, R 31621; Tagebuch Dodd, 15. 5. 1935, Dodd: Diplomat, S. 277. PA AA, BA 60966. Tagebuch Goebbels, 9. 5. 1935, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/I, S. 229. DBFP, 2. Serie, Bd. XIII, Nr. 202, S. 256f.; DDI, 8. Serie, Bd. I, Nr. 219, S. 236; DDF, 1. Serie, Bd. X, Nr. 413, S. 618f.; Tagebuch Phipps, 15. 5. 1935, Johnson: Phipps, S. 105f. Ähnlich äußerte sich Göring, der in einer Rede am 10. Mai 1935 drohte, Locarno und die entmilitarisierte Zone abzuschaffen, DBFP, 2. Serie, Bd. XIII, Nr. 212, S. 268. Vgl. I. Kershaw: Hitlers Freunde in England. Lord Londonderry und der Weg in den Krieg, München 2005, S. 82.

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

Andererseits war er im Augenblick nicht gerade gut auf das Auswärtige Amt zu sprechen. Die Reaktion der Diplomaten auf die Resolution des Völkerbundes war ihm noch in lebhafter Erinnerung. Ebenfalls enttäuscht hatte ihn das Verhalten der Diplomaten, als der Vertrag zwischen Moskau und Paris unterzeichnet wurde846 . Nach dem Zeugnis Meißners wollte Hitler bereits die Unterzeichnung des französisch-sowjetischen Paktes als Vorwand nehmen, Locarno sofort zu „kündigen“847 . Diesen Schritt habe ihm der Außenminister ausgeredet. Am 3. Mai bekannte Neurath gegenüber dem polnischen Botschafter, er habe alle Hände voll zu tun, Hitler vor unbedachten Schritten abzuhalten. Hitler sei deshalb wütend auf die Diplomaten, notierte Goebbels am 9. Mai in sein Tagebuch, „die nichts tun und nichts können“848 . Kein Wunder, dass Hitler in diesen Tagen wieder einmal mit dem Gedanken spielte, die Führungsebene des Auswärtigen Amtes auszutauschen und die wichtigsten Botschafterposten neu zu besetzen849 . Dass es den Beamten des Auswärtigen Amtes gelang, Hitler von ihrem Kurs zu überzeugen, lag an zwei Argumenten. Erstens war dies die Ansicht, der Beistandspakt sei in Wahrheit eine auf fünf Jahre geschlossene Militärallianz gegen Deutschland. Aus der Perspektive Hitlers, wonach ein Bündnis überhaupt nur Sinn mache, wenn es zum Zwecke kriegerischer Eroberungen geschlossen wurde850 , bedeutete dies, dass Frankreich und Russland beschlossen hatten, in den nächsten fünf Jahren Krieg gegen Deutschland zu führen. Hitler glaubte, dieses Bündnis nicht hinnehmen zu können. „Man habe uns über die Tragweite des französisch-russischen Pakts getäuscht“, beklagte er sich beim britischen Botschafter, daher gelte die deutsche Ostpakterklärung vom 12. April 1935 nicht mehr und auch der Locarnopakt sei in seinem Wert gemindert851 . Das zweite Argument, das Hitler überzeugen konnte, war die Aussicht, im Spiel über die Locarnobande zu einer Verständigung mit England zu kommen. So bot er dem britischen Botschafter im Juni 1935 an, seine Erklärung über die Bereitschaft an einem multilateralen Pakt zu wiederholen, wenn London im Gegenzug die

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850 851

Tagebuch Goebbels, 9. 5. 1935, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/I, S. 229. Meissner: Staatssekretär, S. 408. Das schrieb auch der französische Botschafter nach Paris, François-Poncet an Laval, Berlin, 5. 5. 1935, AMAEE, Série Relations multilatérales, Service français de la Société des Nations, Bd. 756. Vgl. Emmerson: Rhineland, S. 34. Tagebuch Goebbels, 9. 5. 1935, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/I, S. 229. Tagebuch Rosenberg, 12. 3. 1935, Seraphim: Rosenberg, S. 59; Arnal an Laval, Berlin, 13. 6. 1935, DDF, 1. Serie, Bd. XI, Nr. 64, S. 91f. Schon einige Zeit zuvor hatte Hitler überlegt, die Botschafterposten in London und Paris neu zu besetzen, Tagebuch Goebbels, 8. 2. 1935, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/I, S. 181. Vgl. Zehnpfennig: Kampf, S. 252. Tagebuch Phipps, 13. 12. 1935, Johnson: Phipps, S. 141f.

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These von der Unvereinbarkeit des französisch-sowjetischen Paktes mit Locarno unterstützen würde852 . Mit der Rückendeckung Hitlers konnte die Aktion beginnen. Ende Mai 1935 legten Hitler und das Auswärtige Amt offiziell gegen die Bestimmungen des französisch-sowjetischen Vertrages Protest ein. Dieser Schritt erfolgte in zwei Schüben. Erst äußerte Hitler in seiner Reichstagsrede vom 21. Mai ernste Bedenken über die möglichen Auswirkungen des Vertrages auf die Bestimmungen des Rheinpaktes. Dies war nicht, wie man lange annahm, an Frankreich gerichtet, sondern war eine Drohung an die Adresse Englands, seine Locarnoverpflichtungen gegenüber Deutschland nicht auf dem Altar französischer Bündnispläne zu opfern. Und wenige Tage später übergab das Auswärtige Amt ein Memorandum bei allen Locarnomächten, um die Unvereinbarkeit der beiden Vertragswerke ausführlich zu begründen. Diese Denkschrift, die das Datum vom 25. Mai 1935 trug, hatte zum Ziel, „einer einseitigen, von uns für unrichtig gehaltenen Auslegung des Rheinpaktes von Locarno rechtswirksam vorzubeugen“853 . Dabei ginge es nicht darum, Frankreich vom deutschen Standpunkt zu überzeugen, wie der Reichsaußenminister in seinem Begleitschreiben zugab; die Denkschrift war vielmehr der Reflex auf die Gefahr, dass die „beiden Garantiemächte, insbesondere England, die Richtigkeit der französischen Auffassung direkt und ausdrücklich bestätigten“854 . Deutschland, so Neurath, habe aber absichtlich kein Petitum gestellt, um nicht den Eindruck entstehen zu lassen, es handele sich um den Auftakt einer Kampagne mit dem Ziel, die entmilitarisierte Zone abzuschaffen. Der französisch-sowjetische Beistandspakt sei einzig gegen das Reich gerichtet, so die Denkschrift, und es stelle sich die Frage, „ob der neue Vertrag mit den Verpflichtungen in Einklang steht, die der eine oder andere der beiden Vertragspartner in früheren Verträgen gegenüber Deutschland übernommen hat“. Gemeint war der Rheinpakt von Locarno, nach welchem Frankreich nur Krieg gegen Deutschland führen durfte, wenn es sich um eine Aktion gemäß Artikel 16 der Völkerbundssatzung, eine Unternehmung auf Grund einer Ratsentscheidung oder eine Aktion unter Artikel 15 Absatz 7 der Völkerbundssatzung handelte. Hier setzte die deutsche Kritik an. Während der Casus foederis des Beistandspaktes auf die Fälle der Artikel 15 und 16 der Völkerbundssatzung abgestellt sei, so legten die Deutschen die inneren Widersprüche des Vertragswerks frei, bestimmte die Ziffer 1 des Zeichnungsprotokolls, dass 852 853 854

Tagebuch Phipps, 20. 6. 1935, ebenda, S. 110. Neurath an die deutsche Botschaft in London, Berlin, 25. 5. 1935, ADAP, C, Bd. IV, 1, Nr. 107, S. 200. Vgl. dazu auch das Schreiben Bülows vom 4. Juni, PA AA, R 53010. Freilich meinte Bülow, die „Rheinpakt-Lage“ habe sich, selbst wenn man von der „Loyalität Englands ausgehe“, durch den französisch-sowjetischen Pakt für das Reich verschlechtert.

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die Beistandsleistung des vorliegenden Paktes auch dann zur Entfaltung komme, wenn der Völkerbundsrat aus irgendeinem Grunde keine einstimmige Empfehlung abgegeben habe. Dies könne man nur so verstehen, schrieb die deutsche Seite jetzt, dass Frankreich die Freiheit für sich in Anspruch nahm, im Falle eines deutsch-russischen Konfliktes auf Grund von Artikel 16 der Völkerbundssatzung militärisch gegen Deutschland vorzugehen, auch wenn es sich nicht auf eine Empfehlung des Rates berufen konnte. Frankreich nehme sich damit die Befugnis heraus, nach freiem Ermessen zu entscheiden, wer in einem Konflikt der Angreifer war. Dies galt auch, so die deutsche Note, ohne dass es zuvor zu einer Ladung Deutschlands vor den Völkerbund gemäß Artikel 17 Absatz 1 der Völkerbundssatzung gekommen war. Eine unter solchen Umständen eingeleitete Militäraktion gegen das Reich sei nicht von den Bestimmungen des Artikels 16 der Völkerbundssatzung gedeckt und sei mithin eine flagrante Verletzung des Rheinpaktes. Daran ändere auch die allgemeine Reserve der Ziffer 2 des Protokolls nichts, so erläuterte Neurath in seinem beigefügten Schreiben, denn es bestünde theoretisch die Möglichkeit, dass sich Frankreich mit den Garanten Locarnos über eine objektiv unrichtige Auslegung des Rheinpaktes verständigen könnte. Im letzten Abschnitt der Denkschrift spielte das Auswärtige Amt den Ball an die anderen Mächte. Die deutsche Regierung, so hieß es da, hoffe, dass alle Signatare darin übereinstimmten, „dass die Bestimmungen des Rheinpaktes von Locarno von keinem seiner Partner durch einen Vertrag mit einem dritten Staat rechtswirksam geändert oder interpretiert werden können“855 . Vor dem Hintergrund der Forderungen, die Gaus in den internen Besprechungen an die britische Politik gestellt hatte, und wenn man sich die Äußerungen Hitlers vom 21. Mai vergegenwärtigt, wird deutlich, dass das politische Manöver, die Unvereinbarkeit vom Rheinpakt von Locarno und dem französisch-sowjetischen Hilfeleistungsvertrag zu behaupten, einzig an die Adresse Londons gerichtet war. Ein Versuch, den Pakt zu verhindern oder die entmilitarisierte Zone abzuschaffen, war es (zu diesem Zeitpunkt) nicht. Mochte die Unterzeichnung des französisch-sowjetischen Paktes als wohlfeiler Anlass dienen, die französische Politik zu diskreditieren und eine Bresche in die Systematik des Rheinpaktes zu schlagen, so konnten Zeitpunkt und Motivation des deutschen Schrittes niemanden überraschen. Tatsächlich sprach gleich eine Reihe von Gründen – der zweite zu untersuchende Komplex – dafür, jetzt eine Entscheidung darüber herbeizuführen, wie der Rheinpakt künftig funktionieren solle. Der erste Grund war die in wenigen Wochen auslaufende Völkerbundsmitgliedschaft Deutschlands. Schon im März 1935 hatten Bülow und Gaus in einer 855

ADAP, C, Bd. IV, 1, Nr. 107, S. 204.

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gemeinsamen Denkschrift ihrer Auffassung Ausdruck verliehen, England sei lediglich aus dem Grund bestrebt, Deutschland in den Völkerbund zurückzubringen, um das weitere Funktionieren des Rheinpaktes zu sichern. „Das Eigentümliche an Locarno“, so schrieben sie damals, sei es, dass England nicht einem Nichtmitglied Beistand gegen ein Völkerbundsmitglied gewähren könne856 . Aus deutscher Sicht würde damit der Rheinpakt in seiner jetzigen Form von Herbst 1935 an, wenn das Reich endgültig aus der Liga austrat, wertlos werden857 . Um das Funktionieren des Paktes zu gewährleisten, gab es nur die Möglichkeit, nach Genf zurückzukehren oder aber den Westpakt neu zu redigieren858 . Da die Deutschen eine Rückkehr in den Genfer Völkerbund kategorisch ausschlossen859 , blieb nur den Weg, den Locarnopakt neu abzufassen. Der zweite Grund war die Furcht Bülows, dass sich London von Locarno und vom System der kollektiven Sicherheit zurückziehen und sich stattdessen der antideutschen Front um Frankreich, Italien und Russland anschließen könnte860 . Das Gerüst der Einkreisung sei nahezu lückenlos aufgerichtet, warnte Hoesch wiederholt in seinen Berichten, die er zwischen März und August 1935 an die Spree sandte, es läge jetzt an England, ob die völlige Einkreisung gelänge oder nicht. Nur London könne die politische Einheitsfront gegen Deutschland verhindern861 . Unter den Bedingungen Locarnos gesprochen bedeutete das die Frage, ob England weiterhin bereit wäre, seine Rolle als unparteiischer Garant zu spielen, oder ob die Briten künftig versuchen würden, dem Rheinpakt eine einseitige, zu Gunsten Frankreichs wirkende Auslegung zu geben. Das Funktionieren Locar856 857

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Aufzeichnung Bülow und Gaus: „Unterlagen für die deutsch-englischen Besprechungen“, Berlin, März 1935, PA AA, BA 60960. Dazu passt, dass der deutsche Protest vom Mai 1935 sich gegen die Anwendung des Artikels 16 der Völkerbundssatzung richtete, von dem Reichsaußenminister Neurath bereits kurz nach dem deutschen Austritt aus dem Völkerbund erklärt hatte, die künftige Auslegung des Artikels 16 der Völkerbundssatzung habe ein „Element der Unsicherheit“ in den Rheinpakt getragen, Runderlass Neurath, Berlin, November 1933, PA AA, NL Renthe-Fink, Bd. 7. Deshalb plante man Anfang Mai zunächst, die Demarche nur gegenüber England auszuführen, Aufzeichnung Neurath, Berlin, o. D. [Mai 1935], PA AA, BA 60966. So beispielsweise Köpke und Gaus am 15. Mai 1935, DBFP, 2. Serie, Bd. XIII, Nr. 208, S. 262. Schon im April hatte Bülow den englischen Botschafter gewarnt, dass eine Rückkehr Deutschlands in den Völkerbund nicht in Betracht komme, wenn die Diskriminierungen gegenüber dem Reich weitergingen, Aufzeichnung Bülow, Berlin, 17. 4. 1935, ADAP, C, Bd. IV, 1, Nr. 37, S. 67. Tagebuch Dodd, 6. 5. 1935, Dodd: Diplomat, S. 275. Hoesch an das Auswärtige Amt, London, 20. 3. 1935, PA AA, R 33726. Ähnlich hatte sich der Botschafter bereits in einem Bericht an das Auswärtige Amt vom 19. März 1935 ausgedrückt, ADAP, C, Bd. III, 2, Nr. 542, S. 997ff.

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nos, so hatte Neurath schon vor Jahresfrist erklärt, hänge ab von der „Grundverpflichtung“ zwischen Deutschland und Frankreich, sich nicht anzugreifen, sowie der Bereitschaft Englands, diese Verpflichtung zu überwachen862 . Diese Konstellation schien in Gefahr zu sein. Die Erklärung Simons vor dem Unterhaus am 2. Mai 1935, der zu Folge das britische Königreich in einem französisch-deutschen Konflikt nicht gehalten sei, dem Reich gemäß Artikel 4 des Rheinpaktes Beistand zu gewähren863 , wurde in Deutschland als Indiz aufgefasst, dass England grundsätzlich nicht bereit war, seine Locarnoverpflichtungen zu Gunsten Deutschlands wirken zu lassen864 . Eine andere Episode, die sich bereits im März 1935 zugetragen hatte, schien vor dem Hintergrund der Äußerungen Simons im Parlament ihren wahren Charakter zu entfalten. Im Verlauf des britischen Staatsbesuchs hatte Göring Eden gefragt, ob England unter Locarno aufrichtig bereit sei, Deutschland militärische Hilfe zu gewähren. Eden fragte den preußischen Ministerpräsidenten dagegen, wie er, Göring, sich das vorstelle, England habe doch gar keine Soldaten865 . Eden versicherte zunächst, das sei ein joke gewesen866 , als er jedoch merkte, wie entsetzt die Deutschen reagierten, ließ er in der Wilhelmstraße durch den Botschafter offiziell dementieren. Eden habe solche Bemerkungen niemals gemacht, so hieß es nun, es handele sich um ein politisches Manöver Görings867 . Im Auswärtigen Amt beruhigte dies niemanden. Man wusste, dass sich Eden im Verlaufe seiner Russlandreise gegenüber Stalin ähnlich geäußert hatte. Damals versicherte er dem sowjetischen Staatschef, wenn Deutschland Krieg im Osten führe und Frankreich seinen östlichen Verbündeten zu Hilfe komme, würde England dies nicht als Bruch des Rheinpaktes interpretieren868 . Der dritte Grund für die deutsche Locarnonote war der Fortbestand der 862 863 864

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Neurath an Lammers, Berlin, 18. 7. 1934, TNA, GFM 33/3027; ADAP, C, Bd. III, 1, Nr. 92, S. 174. Berber: Locarno, Nr. 32, S. 118; Hoesch an das Auswärtige Amt, London, 3. 5. 1935, PA AA, R 32245. Phipps an Simon, Berlin, 3. 5. 1935, DBFP, 2. Serie, Bd. XIII, Nr. 164, S. 227f.; FrançoisPoncet an Laval, Berlin, 9. 5. 1935, DDF, 1. Serie, Bd. X, Nr. 340, S. 515f.; François-Poncet an Laval, Berlin, 9. 5. 1935, ebenda, Nr. 345, S. 522–527. Bestärkt wurden diese Befürchtungen, als Mitte Mai ein Vertrauensmann berichtete, es sei die Überzeugung Simons, England könne nicht länger Unparteiischer zwischen Deutschland und Frankreich sein, Bericht des Aufklärungs-Ausschusses Hamburg-Bremen an das Auswärtige Amt, o. O., 14. 5. 1935, PA AA, R 32038. Phipps an Simon, Berlin, 28. 3. 1935, DBFP, 2. Serie, Bd. XII, Nr. 661, S. 755f. Ebenda, Nr. 667, S. 764; DBFP, 2. Serie, Bd. XIII, Nr. 167, S. 231. Simon an Phipps, London, 8. 5. 1935, ebenda, Nr. 178, S. 239f. Die deutsche Botschaft in Paris an das Auswärtige Amt, Paris, 2. 4. 1935, PA AA, R 32244. Anfang Mai 1935 vertraute Litwinow dem amerikanischen Botschafter an, Laval habe lange nur zögernd verhandelt, weil er verhindern wollte, dass Frankreich bei einer Beistandsleistung an Russland britischen Sanktionen ausgesetzt wäre; Eden habe den Russen entsprechende Versicherungen gegeben, aber man habe auf eine öffentliche Erklärung ge-

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entmilitarisierten Zone. Die Rheinlandzone, so schrieb der Staatssekretär Anfang Mai noch einmal ausdrücklich, bleibe vom Schritt vom 16. März 1935 unberührt und bilde somit keinen Gegenstand für Verhandlungen869 . Wenn aber die anderen Mächte nicht mehr zum Rheinpakt von Locarno stünden – worauf einiges hindeutete –, dann verlöre die Rheinlandzone den besonderen Schutz, den sie unter Locarno genoss. Nichts fürchtete man im Auswärtigen Amt so sehr, als dass die Zone wieder unter die Bestimmungen des Artikels 44 des Versailler Vertrages fallen könnte, wonach ein noch so winziger Verstoß gegen die Entmilitarisierungsbestimmungen Frankreich das Recht geben würde, gegen Deutschland vorzugehen870 . Angesichts der Vorbereitungen, die die Wehrmacht dort seit dem 16. März verstärkt betrieb, wäre dies ein schwerer Schlag gegen die Sicherheit Deutschlands gewesen. Diese, den Rheinpakt gefährdenden Momente lösten zunehmend Unbehagen unter den deutschen Diplomaten aus, seien aber, wie Bülow meinte, kein Grund zur Panik. Bereits am 4. Mai 1935, an ebenjenem Tag, als er mit Gaus den französisch-sowjetischen Pakt examinierte, legte Bülow das politische Programm, das dem deutschen Protest gegen den französisch-sowjetischen Beistandspakt zu Grunde lag, dar871 . Trotz der beunruhigenden Nachrichten aus London, schrieb Bülow, müsse die deutsche Politik jetzt ihre Nerven behalten und dürfe keine Fehler machen, denn England habe sich noch nicht von seiner Vermittlerrolle abgewandt, die es unter den Bedingungen des Locarnopaktes eingenommen habe; die englischen Politiker wollten weiterhin die Verständigung mit dem Reich. Der französisch-sowjetische Pakt, so war sich Bülow sicher, werde England zu denken geben und bilde geradezu den Anlass für die Insel, den Ring der Einkreisung bis auf Weiteres offenzuhalten872 . Dies sei der Ansatzpunkt für eine deutsch-britische Annäherung mit dem Ziel, „mit englischer Duldung oder Hilfe alles durchzusetzen, was wir anstreben“873 . Ihren Niederschlag, so Bülow, könne eine solche Politik etwa in einem Luftpakt zwischen Deutschland, England, Frankreich und Italien finden874 . Vor diesem Hintergrund war der Protest die Nagelprobe, ob England „loyal“ zu seinen Locarnoverpflichtungen stünde875 , was einerseits bedeutete, unparteiischer Schiedsrichter zu sein und sich nicht mit einer Locarnomacht gegen einen

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drängt; die habe Simon am 2. Mai 1935 abgegeben, Bullitt an Hull, Moskau, 4. 5. 1935, FRUS, 1935, Bd. I, S. 270–272. BAK, ZSg 133/11. Vermerk Bülow, Berlin, 14. 10. 1933, BAK, ZSg 133/110. Aufzeichnung Bülow, Berlin, 4. 5. 1935, BAK, ZSg 133/11. Auch Weizsäcker urteilte, das Techtelmechtel Frankreichs mit Russland sei ein Fehler, weil es England verärgere, Tagebuch Weizsäcker, 24. 3. 1935, Hill: Weizsäcker, Bd. 2, S. 89. BAK, ZSg 133/11. Ebenda; Schwarz: Ribbentrop, S. 118. Bülow an die deutsche Botschaft in Paris, Berlin, 4. 6. 1935, PA AA, R 53010.

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anderen Signatar zu verbünden, und sich andererseits darauf bezog, dass London auch nach dem deutschen Austritt aus dem Völkerbund bereit sei, für die Gültigkeit des Rheinpaktes einzustehen. Ein Manöver zur Abschaffung der Zone war der deutsche Schritt nicht, wie aus der Aufzeichnung Bülows vom 4. Mai hervorgeht876 . Dies zeigt sich auch beim dritten Komplex. Er betrifft die rechtliche Begründung, die die Deutschen gegen den französisch-sowjetischen Pakt ins Feld führten. Gerade diese Argumente wurden stets vom Ende her interpretiert, wurde also gefragt, ob sie stichhaltig wären, um die „Kündigung“ Locarnos zu rechtfertigen. Dabei zeigten die Entstehung des deutschen Protests und die Gründe dafür, dass das Auswärtige Amt im Sommer 1935 nicht beabsichtigte, die „Kündigung“ des Rheinpaktes herbeizuführen. Dazu kam, dass man sich im Auswärtigen Amt weniger am französisch-sowjetischen Pakt rieb, als vielmehr die Haltung Londons zu dem Vertragswerk kritisierte. So werden Zielsetzung und Tragweite des Bülowschen Vorhabens noch klarer, wenn man sich die Argumente des deutschen Protests, wie sie in Hitlers Rede und der Denkschrift des Auswärtigen Amtes niedergelegt waren, vergegenwärtigt. Deutschland, so Hitlers Forderung an die Adresse Londons, wünsche eine „authentische Interpretation“ der Verpflichtungen aus dem Rheinpakt, um einer einseitigen und unrichtigen Auslegung Locarnos vorzubeugen. Worin diese Auslegung bestand, sieht man, wenn man die einzelnen Kritikpunkte der deutschen Denkschrift vom 25. Mai freilegt und der Reihe nach analysiert. Der erste Vorwurf, den die deutsche Seite an das französisch-sowjetische Abkommen richtete, war, dass der Vertrag zwischen Paris und Moskau nichts weniger sei als eine „reine Militärallianz“, deren Bestimmungen sich ausschließlich gegen Deutschland richteten. Das französisch-sowjetische Militärbündnis, urteilte etwa der deutsche Militärattaché in Wien, Muff, nehme das Reich in die Klammer wie vor dem Weltkrieg. Der einzige Unterschied, so Muff, sei, dass Russland und Deutschland keine gemeinsamen Grenzen mehr besaßen und deshalb die Tschechoslowakei mit in das Bündnissystem gezwungen wurde877 . Dabei war es aus deutscher Sicht unerheblich, dass sich der Text des französisch-sowjetischen Paktes formal an die Bestimmungen der Völkerbundssatzung anlehnte. Wie bei einer klassischen Allianz, so urteilte der stellvertretende Militärattaché in Paris, setze die Beistandsleistung des Ver-

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Wörtlich schrieb er: „Rheinlandzone bleibt bekanntlich unberührt.“ BAK, ZSg 133/11. Bericht Muff, Wien, 12. 6. 1935, PA AA, NL Renthe-Fink, Bd. 7; vgl. auch Bericht Schindler, Warschau, 24. 5. 1935, ebenda. Neurath hatte dem italienischen Botschafter schon im Jahr 1934 erklärt, ein französisch-sowjetischer Zweierpakt trage zweifellos einen aggressiven Charakter, DDI, 7. Serie, Bd. XV, Nr. 260, S. 281f.

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trages den Kontakt der Generalstäbe in Friedenszeiten voraus878 . Deshalb war man in der Wilhelmstraße überzeugt, dass der Pakt von einer geheimen Militärkonvention begleitet sei879 . Damit lag dieser Vorwurf in der Kontinuität der Völkerrechtskritik, die deutsche Politiker und Gelehrte seit Anfang der zwanziger Jahre übten. Demnach seien regionale Bündnisse und Gruppenallianzen mit der Völkerbundssatzung unvereinbar, weil sie den universellen Charakter des Bundes störten und gegen den Artikel 20 der Völkerbundssatzung, wonach Sonderpakte unter den Mitgliedern des Völkerbundes verboten waren, verstießen. Die deutsche Politik hat diesen Standpunkt seit Gründung der Völkergemeinschaft und verstärkt seit dem Beitritt des Reiches zum Völkerbund im September 1926 vertreten, ohne indes einen Rechtsanspruch einzuklagen oder ein bestimmtes Ziel zu verfolgen880 . Schon Ende der zwanziger Jahre hatte Gaus weiter ausgeholt und die Theorie aufgestellt, Sonderallianzen unter Staaten Locarnos, die sich gegen einen Signatar des Rheinpaktes richteten, seien nicht mit dem Sinn des Locarnovertrages zu vereinen. Aber während dieser Vorwurf in den internen Beratungen von Anfang Mai noch einen zentralen Platz eingenommen hatte, diente er in dem Memorandum vom 25. Mai lediglich als Vehikel, der den eigentlichen Vorwurf in Position bringen sollte. Der zweite Vorwurf der deutschen Denkschrift, der den französisch-sowjetischen Vertrag aus deutscher Sicht mit dem Locarnopakt kollidieren ließ, bezog sich auf die Ziffer 1 des Zeichnungsprotokolls und die Art und Weise, wie die Beistandsleistung des französisch-sowjetischen Paktes aktiviert wurde. Die Beistandsleistung, so hieß es dort, komme auch dann in Anwendung, wenn kein einstimmiger Beschluss des Völkerbundsrates vorliegen würde. Dabei behaupteten die Deutschen gar nicht, Frankreich und Russland hätten sich automatischen Beistand zugesichert, denn dies war unter den Bestimmungen des Völkerbundes „schlechterdings unmöglich“881 . Umgekehrt war klar, dass die Satzung des Völkerbundes für den Fall, dass keine einstimmige Ratsempfehlung zu Stande käme, den streitenden Parteien nach Ablauf von drei Monaten das Recht zur freien Kriegsführung zurückgab. Diese Bestimmung, die der Artikel 15 Absatz 7 der Völkerbundssatzung stipulierte, wurde auch vom Auswärtigen Amt nicht angezweifelt. Nach einer Unterredung Hassells mit seinem briti878 879 880

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Speidel an Stülpnagel, Paris, 12. 4. 1935, BA-MA, RH 2/2933; Cerruti an Mussolini, Berlin, 7. 5. 1935, DDI, 8. Serie, Bd. I, Nr. 155, S. 164ff. So Aschmann auf einer Pressekonferenz am 4. Mai, NS-Presseanweisungen, Bd. 3/I, S. 260f. Vgl. ausführlich Berber: Gerechtigkeit, S. 84 u. S. 101; ders.: Die völkerrechtspolitische Lage Deutschlands (Schriften der Deutschen Hochschule für Politik, Bd. 21), Berlin 1936, S. 7 u. S. 22. Gaus an Köster, Berlin, 14. 5. 1935, PA AA, Botschaft Moskau 175.

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schen Kollegen in Rom, in deren Verlauf Drummond meinte, der französischsowjetische Pakt sei durch den Artikel 15 Absatz 7 der Völkerbundssatzung gedeckt882 , schrieb Staatssekretär Bülow am 11. Juni 1935 nach Rom, um die deutsche Argumentation noch einmal ausführlich zu erläutern. Die Frage des Artikels 15 der Völkerbundssatzung, schrieb er da, werde vom Auswärtigen Amt nicht aufgeworfen. Der deutsche Protest beschränke sich allein auf den Fall des Artikels 16 der Völkerbundssatzung. Im Kern bedeutete dies, dass die deutsche Seite ihre Kritik nicht darauf bezog, Frankreich und Russland würden sich die Entscheidung über Krieg und Frieden vorbehalten, denn dieses Recht stand ihnen unter Artikel 15 Absatz 7 der Völkerbundssatzung ohnehin zu; vielmehr richtete sich der deutsche Protest auf die Tatsache, dass Paris und Moskau sich das Recht herausnähmen, Krieg zu führen, bevor die Frist von drei Monaten abgelaufen sei. Der französisch-sowjetische Beistandsvertrag, so formulierte es ein Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes im Februar 1936, lösche die „Sicherungsfrist des Artikels 15 Absatz 7 der Völkerbundssatzung“ aus883 . Es ging den Deutschen also um die Bestimmungen des Artikels 16 der Völkerbundssatzung. Die Klausel, zunächst ein Völkerbundsverfahren abzuwarten, dem Vertragspartner unter Artikel 16 der Völkerbundssatzung aber auch dann Beistand zu leisten, wenn eine anderslautende bzw. überhaupt keine Empfehlung des Völkerbundrates vorlag, so die Ansicht Gaus’, beruhe auf einer falschen Auslegung des Artikels 16 der Völkerbundssatzung884 . Damit nehme sich Frankreich das Recht heraus, eigenständig darüber zu entscheiden, wer in einem Konflikt als Angreifer anzusehen sei. Ohne eine Empfehlung des Völkerbundsrates, so die Überzeugung der Deutschen, dürfe Frankreich keine Aktion gemäß Artikel 16 der Völkerbundssatzung starten, also auch nicht gemäß Artikel 2 Absatz 2 Ziffer 2 des Rheinpaktes gegen Deutschland vorgehen; eine solche Aktion wäre eine flagrante Verletzung des Rheinpaktes885 . Mit dieser Auslegung kehrten Bülow und Gaus zu den Wurzeln ihrer Völkerbundspolitik zurück, die sie lange vor dem Eintritt Deutschlands in die Genfer Staatengemeinschaft formuliert hatten. In einer gemeinsamen Denkschrift für Stresemann hatten der Chef der Rechtsabteilung und der damalige Leiter der Völkerbundsabteilung ihre Position zum Artikel 16 der Völkerbundssatzung umrissen, von der sie in der Folgezeit nicht mehr abrücken sollten. Wer in einem Konflikt der Angreifer sei und welche Sanktionen zum Einsatz kämen,

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Drummond an Vansittart, Rom, 17. 6. 1935, TNA, FO 371/18847. Weisung an die Presse, 13. 2. 1936, NS-Presseanweisungen, Bd. 4/I, S. 160f. Vgl. o. V.: The Locarno Treaty and the Franco-Soviet Treaty, in: BYIL 17 (1936), S. 167– 171. Barandon: Staatsverträge, S. 233.

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so schrieben sie am 17. April 1925886 , darüber entscheide der Völkerbundsrat. Dieser gebe dann zwar eine einstimmige Empfehlung ab, aber über die endgültige Einleitung einer Bundesexekution müsse jeder Staat selbst entscheiden. Wenn keine einstimmige Empfehlung des Rates zu Stande käme, läge es im freien Ermessen der Staaten zu entscheiden, wer der Angreifer sei. Aber in einem solchen Fall, und genau dieser Punkt war es, den Gaus und Bülow an Ziffer 1 des Zusatzprotokolls kritisierten, könne sich kein Staat das Recht herausnehmen, sofort zu militärischen Maßnahmen zu greifen, denn dafür, so die Argumentation vom April 1925, sei immer eine Empfehlung des Rates notwendig887 . Allerdings wussten Bülow und Gaus, dass die Ziffer 1 von der Völkerrechtspraxis gedeckt war. Praktisch alle Entscheidungen, die sich mit der Frage beschäftigt haben, ob der Völkerbundsrat oder die Einzelstaaten über die Anwendung des Artikels 16 der Völkerbundssatzung zu entscheiden hätten, sprachen den Mitgliedern des Bundes das Recht zu, darüber zu befinden, ob sie an einer Bundesexekution teilnehmen möchten oder nicht; der Rat könne nur eine nicht bindende Empfehlung aussprechen. Umgekehrt erlaubte die Völkerrechtspraxis auch dann eine „militärische Einzelaktion“, wenn keine Empfehlung des Rates vorlag888 . Dies hatten z. B. die Ratsempfehlungen von 1921 klar zum Ausdruck gebracht889 . Richtungsweisend in dieser Diskussion wurde indes die Anlage F, die während der Sicherheitsverhandlungen in Locarno im Herbst 1925 ausgehandelt wurde. In Artikel 16 der Völkerbundssatzung, so lautete die entscheidende Passage der Anlage F, verpflichteten sich die Bundesmitglieder, „loyal und wirksam mitzuarbeiten, um der Satzung Achtung zu verschaffen und jeder Angriffshandlung entgegenzutreten“890 . Diese Vereinbarung, so urteilten Politiker und Juristen in der Folgezeit, gebe den Staaten die Freiheit, gemäß Artikel 16 der Völkerbundssatzung militärisch gegen einen Aggressor vorgehen zu dürfen, ohne dass ein Beschluss des Völkerbundes vorliegen müsse. Damit war der Anschauung zum internationalen Durchbruch verholfen, wonach die Mitgliedstaaten selbst über die Anwendung des Sankti-

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Aufzeichnung Bülow und Gaus, Berlin, 17. 4. 1925, PA AA, R 96751; ADAP, A, Bd. XII, Nr. 268, Anlage, S. 706ff. Ebenda. Fasold: Wandlung, S. 84; Scelle: Rechtmäßigkeit, S. 225. Zu diesem Ergebnis kam auch eine Studie der Rechtsabteilung vom 7. Juni 1935, PA AA, R 53010. Vgl. Hartlieb: Sowjetunion, S. 215ff., der aber meint, die Staaten seien durch ein „negatives Gebot“ gebunden, nicht über die Ratsempfehlung hinauszugehen. Dettweiler: Machtmittel; H. Neuhold: Internationale Konflikte – verbotene und erlaubte Mittel ihrer Austragung. Versuche einer transdisziplinären Betrachtung der Grundsätze des Gewalt- und Interventionsverbots sowie der friedlichen Streitbeilegung im Lichte der UN-Prinzipiendeklaration 1970 der modernen Sozialwissenschaften (Forschungen aus Staat und Recht, Bd. 37), Wien u. New York 1977, S. 64f.; Yearwood: Guarantee, S. 355. Berber: Dikat, Bd. 1, Nr. 47, S. 143.

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onsartikels zu entscheiden haben, und nicht vom Rat dazu gezwungen werden konnten891 . Schließlich hatten die Deutschen selbst, auf deren Wunsch hin die Anlage F zu Stande gekommen war, geurteilt, jedem Staat stünde es frei, nach eigenem Ermessen über die Beteiligung an Sanktionen zu entscheiden892 . Gaus erklärte dazu in seiner grundlegenden Denkschrift vom September 1925, es bestünde keine Bindung an einen Beschluss des Völkerbundes, der die Einleitung von Sanktionen gegen einen Angreifer enthielte. Die Entscheidung darüber behalte sich jeder Staat de jure selbst vor, denn, wie Gaus schrieb, Artikel 16 der Völkerbundssatzung sei eine lex imperfecta893 . Übereinstimmend urteilte Staatssekretär Schubert, es sei ein anerkannter Grundsatz des Völkerrechts, dass jeder Staat entscheiden würde, was er tun wolle894 . Deutschland hatte also im Hinblick auf die Anwendung des Artikels 16 der Völkerbundssatzung die volle Handlungsfreiheit erreicht, aber um den Preis, dass auch Frankreich die freie Entscheidung über sein Handeln erhalten blieb. Deutsche Völkerrechtler wie Fasold895 , Gramsch896 , Kaeuffer897 , Mandelsloh898 und Strupp899 haben das freie Entscheidungsrecht der Staaten in der Folgezeit immer wieder betont900 . Indes geriet dieses formal rechtmäßige Verfahren an der Stelle auf dünnes Eis, wo im Völkerbundsrat keine einstimmige Entscheidung zu Stande kam, weil England und Italien nicht die Meinung Frankreichs teilten. Wenn Frankreich in so einem Fall über die Empfehlung des Bundes hinausging, lief es Gefahr, von den Garantiestaaten Locarnos für den Aggressor gehalten zu werden. Dafür hatten die Franzosen die Generalreserve der Ziffer 2 des Zeichnungsprotokolls installiert, wonach ein militärisches Eingreifen 891 892 893

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Hoijer: Commentaire, S. 306ff.; Schiffer: L’Article 16, S. 6ff. u. S. 33ff; Soutou: Sécurité, S. 135f. Diesen Standpunkt vertrat Stresemann auf der sechsten Sitzung in Locarno am 12. Oktober 1925, AdR Luther, Bd. 2, Nr. 182, S. 712ff. u. Nr. 188, S. 739f. Aufzeichnung Gaus, Berlin, o. D. [1925], BArch, R 601/1168. Nach einem Vermerk wurde die Denkschrift am 24. September 1925 dem Reichspräsidenten vorgelegt; AdR Luther, Bd. 1, Nr. 158, S. 556 Anm. 21. Schubert an Kempner, Locarno, 14. 10. 1925, AdR Luther, Bd. 2, Nr. 188, S. 739f. Fasold: Wandlung, S. 84. Gramsch: Kriegsverhütungsrecht, S. 65. Kaeuffer: Europawende, S. 17. Mandelsloh: Pakte, S. 44. Strupp: Locarno, S. 75f. Eine abweichende Meinung vertrat der Würzburger Jurist Gerhard, der in seiner 1934 eingereichten Dissertation davon ausging, die in Artikel 4 des Rheinpaktes verlangte Einstimmigkeit der Ratsentscheidung solle die Lücke des Artikels 16 der Völkerbundssatzung schließen, der die Ansicht der Staaten über die Maßnahmen entscheiden ließ, Gerhard: Vermittlung, S. 69.

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gegen Deutschland nur dann zum Zuge käme, wenn sich Frankreich durch sein Verhalten keinen Sanktionen anderer Mächte aussetzte, was unter den Bedingungen Locarnos gesprochen bedeutete, dass Italien und England die Deutschen ebenfalls für die Angreifer hielten. Aber Gaus und Bülow kritisierten dieses Verfahren aus drei Gründen. Erstens habe die Generalreserve keinerlei praktische Bedeutung, wie Bülow in einer Denkschrift formulierte, weil die Absprache Frankreichs mit England zwar politische Bedeutung besäße, aber keine rechtliche Bindekraft entfalte901 . Zweitens würden in so einem Fall England und Italien darüber entscheiden, wer in einem deutsch-französischen Waffengang als Angreifer zu gelten habe. Diese Befugnis, so argumentierte das Auswärtige Amt, stehe unter den Bestimmungen Locarnos nur dem Rat des Völkerbundes zu (mit Ausnahme der flagranten Verletzung). Dies bilde nach deutscher Auffassung einen Widerspruch gegen die Bestimmung des Artikels 2 Absatz 2 Ziffer 2 des Rheinpaktes902 . Bei einem derartigen Verstoß Frankreichs gegen den Rheinpakt wäre England gemäß Artikel 4 des Rheinpaktes verpflichtet, Deutschland unmittelbaren Beistand zu gewähren. Aber, und dies bildete den dritten Kritikpunkt gegen die Ziffer 2 des Zeichnungsprotokolls, Simon hatte in seiner jüngsten Rede erklärt, dass England keinen automatischen Beistand an Deutschland gewähren müsse, wenn Frankreich auf Grund des französisch-sowjetischen Paktes militärische Hilfe an Russland leiste. Damit hatte Simon der Generalreserve des französisch-sowjetischen Beistandspaktes, die von Fall zu Fall gelten sollte, im Voraus die uneingeschränkte Billigung erteilt. Diese Diskrepanz, so erläuterte Hitler die deutschen Bedenken im Gespräch mit dem britischen Botschafter, schaffe einen „Faktor der Unsicherheit der zu übernehmenden Verpflichtungen“903 . Der dritte Vorwurf richtete sich gegen die Bestimmungen des französischsowjetischen Vertrages, wonach der gegenseitige Beistand gemäß Artikel 16 der Völkerbundssatzung auch zum Tragen kam, ohne dass zuvor ein Verfahren gemäß Artikel 17 gelaufen war. Bei einem Konflikt mit einem Nichtmitglied, so hatten demgegenüber Gaus und Bülow in ihrer Denkschrift vom April 1925 geschrieben, komme ein besonderes Verfahren zum Einsatz. Demnach müsse der Rat das Nichtmitglied auffordern, sich einer schiedsrichterlichen Lösung zu fügen. Erst wenn der Staat dieser Aufforderung nachkäme, könne es zu einem Verfahren gemäß Artikel 16 der Völkerbundssatzung kommen904 . In all diesen Fällen ging es um die Frage, ob England bereit wäre, in einem unter den Artikeln 16 und 17 der Völkerbundssatzung zu Stande gekommenen deutsch-französischen Konflikt seine Locarnoverpflichtungen zu erfüllen 901 902 903 904

Aufzeichnung Bülow, Berlin, 1. 7. 1935, PA AA, R 53010. Poli: Unvereinbarkeit, S. 61. ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 462, S. 900. ADAP, A, Bd. XII, Nr. 268, Anlage, S. 706.

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und militärische Hilfe an Deutschland zu leisten. In jedem dieser Fälle, so hatte Gaus bereits Anfang Mai 1935 erklärt, müsse England gemäß den Vereinbarungen Locarnos entweder für oder gegen Deutschland Stellung beziehen, weshalb die Erklärungen des britischen Außenministers aus deutscher Sicht nicht zutreffend seien. England, so Gaus, müsse seine Locarnoverpflichtungen einer Überprüfung unterziehen905 . Damit richtete sich der deutsche Protest nur vordergründig gegen die Bestimmungen des französisch-sowjetischen Paktes, wonach sich Frankreich und Russland das Recht herausnähmen, nach eigenem Ermessen gegen das Reich vorzugehen. In Wahrheit zielten die deutschen Argumente darauf ab, ob England in so einem Fall seine Locarnopflichten getreulich erfüllen würde, war der deutsche Protest nicht weniger als ein Test für die „Loyalität Englands“906 ; zur „Kündigung“ des Rheinpaktes taugten sie nicht. Betrachtet man viertens die Reaktionen im Ausland auf den deutschen Protest, so schien es zunächst, als sollte sich das Diktum Bülows, der französischsowjetische Pakt werde London an die Seite Berlins treiben, bewahrheiten. Wie in den Luftpaktverhandlungen war es das britische War Office, das sich für eine Alternative zum profranzösischen Kurs des Foreign Office stark machte907 . Die Militärs hielten mehr denn je am Rheinpakt fest und standen treu zu dem Grundsatz, dass die britische Garantie gleichermaßen gegenüber allen Vertragspartnern Anwendung fände908 . „If Locarno goes, all goes“909 , lautete die Haltung des britischen Generalstabes und deshalb herrschte dort Unbehagen über die französisch-russischen Abmachungen. Der Pakt sei zwar keine Verletzung des Buchstabens, aber eine solche des Geistes von Locarno910 , und die Art des Vertragsabschlusses hat die militärischen Kreise in England sehr verstimmt911 . Eine im Juli 1935 für das Foreign Office angefertigte Denkschrift legte schonungslos offen, welche Konsequenzen aus dem Ende Locarnos erwachsen würden. Die französischen Bündnisverträge, so kann man da lesen, zwängen Deutschland, seine eigene Sicherheit zu verbessern, indem es aufrüste und selbst Bündnisse abschließe. Dann werde Deutschland die entmilitarisierte Zone besetzen, weil die antagonistische Politik der Bündnisse dem Prinzip Locarnos widerspräche. England indes habe gezeigt, nicht für die Zone kämpfen zu wollen. Damit, so das Papier, werde die deutsche Sicherheit auf Kosten der

905 906 907 908 909 910 911

PA AA, R 32245; BA-MA, RH 1/78. Bülow an die deutsche Botschaft in Paris, Berlin, 4. 6. 1935, PA AA, R 53010. Vgl. C. L. Mowat: Britain between the Wars 1918–1940, London 1966, S. 537. Vgl. auch Tagebuch Rosenberg, 14. 3. 1935, Seraphim: Rosenberg, S. 60. Bericht Geyr v. Schweppenburg, London, 25. 7. 1935, PA AA, R 30062 a. Bericht Geyr v. Schweppenburg, London, 9. 5. 1935, IfZ, ED 91, Bd. 2. Ebenda; Aufzeichnung, o. V., London, 2. 7. 1935, IfZ, ED 91, Bd. 3. Bericht Kühlenthal, Paris, 31. 5. 1935, PA AA, R 30074 a.

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anderen Staaten steigen912 . Auf der Suche nach einer Alternative zur profranzösischen Linie des Foreign Office entwickelten die Militärs im Sommer 1935 eine eigenständige Konzeption der Deutschlandpolitik913 . Den Ausgangspunkt bildeten zwei Überlegungen. Die französische Sicherheit beruhe, so umriss eine Denkschrift des War Office vom 14. Juni 1935914 den ersten Gedanken, nur „der Form halber“ auf der Völkerbundssatzung, in Wahrheit jedoch auf einem „system of interlocking mutual assistance pacts“, die praktisch eine Neuauflage der Vorkriegsallianzen darstellten. Solange der Völkerbund schwach blieb, gebe es keine Alternative dazu. Dazu kam zweitens die Feststellung, dass sowohl der Locarnopakt als auch die entmilitarisierte Zone am Rhein wichtige Faktoren für die britische Sicherheit darstellten und daher erhalten werden sollten. Das Problem sei, so die Vorlage weiter, dass die Rheinzone mit dem Rheinpakt verbunden sei. Aus diesen Beobachtungen zog das War Office mehrere Folgerungen. Erstens müsse der Völkerbund gestärkt werden, um den französischen Allianzen das Wasser abzugraben. Zweitens müsse die entmilitarisierte Zone, deren Existenz mit der Souveränität Deutschlands auf Dauer nicht vereinbar war, vom Locarnovertragswerk getrennt werden. Auf dieser Grundlage erstellte das War Office ein präzises Programm für die britische Deutschlandpolitik, das um mehrere Schwerpunkte kreiste. Auf dem Gebiet der Rüstung seien weiterhin Rüstungskonventionen für Heer, Marine und Luftwaffe anzustreben. In Bezug auf die Sicherheit sei zu versuchen, das Gewicht des Völkerbundes zu stärken, indem die britische Politik die Genfer Liga vorbehaltlos unterstützte und Deutschland zurück in den Bund brachte – im Austausch gegen wohlwollende Neutralität in Fragen des Artikels 19 der Völkerbundssatzung. Locarnopakt und entmilitarisierte Zone seien zu erhalten, solange es ging (wobei man den Franzosen zu verstehen geben sollte, dass die britische Regierung nicht bereit sei, mit militärischen Mitteln für den Erhalt der Zone einzutreten). Hier böten die Verhandlungen über ein Luftlocarno die Möglichkeit, den Deutschen für eine Bestätigung Locarnos im Gegenzug zu erlauben, Luftabwehreinheiten im Rheinland zu stationieren915 . In dem Fall, dass die Deutschen Locarno „kündigten“, könne man einen Garantievertrag mit Frankreich schließen, der aber erlöschen sollte, wenn Frankreich in Osteuropa Krieg führte. Die Haltung gegenüber den Problemen in Osteuropa 912

913 914 915

Entwurf einer Aufzeichnung für das Foreign Office, London, 2. 7. 1935, TNA, FO 371/18849. Kurze Zeit später entstand eine weitere Fassung der Denkschrift, Entwurf einer Aufzeichnung für das Foreign Office, London, 23. 7. 1935, ebenda. Vgl. W. K. Wark: The Ultimate Enemy. British Intelligence and Nazi Germany, 1933–1939, Ithaca u. London 1985, S. 80ff. Aufzeichnung, o. V., London, 14. 6. 1935, TNA, WO 190/335. In diesem Sinne berichtete Geyr v. Schweppenburg nach Berlin, der britische Generalstab wünsche ein „erweitertes Locarno“, Bericht Geyr v. Schweppenburg, London, o. D. [November 1935], IfZ, ED 91, Bd. 3.

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bildete das letzte Element in der Strategie des Generalstabes. Großbritannien solle weiterhin keine Commitments übernehmen. Darüber hinaus ventilierte das War Office den Gedanken, in östlichen Kriegen neutral zu bleiben und sich gegenüber deutschen Aggressionen gleichgültig zu geben. Auf dieser Grundlage trat das War Office unter Umgehung des Foreign Office Anfang Mai 1935 an die deutsche Botschaft in London heran, um eine vertrauliche Aussprache über Locarno anzuregen. Am 31. Mai 1935 traf sich der deutsche Militärattaché in London, Geyr v. Schweppenburg, mit Einverständnis des deutschen Botschafters (der ihm geraten hatte, in Fragen des französischsowjetischen Beistandspaktes äußerste Zurückhaltung zu üben916 ), mit Mitgliedern des britischen Generalstabes917 . In den Gesprächen bemühte sich Geyr die militärpolitische Bedeutung Locarnos hervorzukehren. Vergleiche man die deutschen West- und Ostgrenzen, so führte Geyr aus, trete der vertragliche Schutz der Westgrenze Deutschlands klar hervor, und folgerte daraus die strategische Wichtigkeit eines klaren und unveränderten Rheinpaktes. Es sei essenziell, beschwor er seine britischen Kollegen, die Balance des Locarnopaktes zu wahren und nicht durch bilaterale Pakte umzuwerfen918 . Dabei wies Geyr auf die vermeintlichen britisch-französischen und britisch-belgischen Militärbesprechungen hin, die nach deutscher Lesart dieses Gleichgewicht zerstörten919 . Die Briten versicherten, die Regierung sei weiterhin fest entschlossen, zu ihren Locarnoverpflichtungen zu stehen920 . Trotz dieser aussichtsreichen Gespräche gelang es den Deutschen nicht, in ernsthafte Verhandlungen mit den Briten einzusteigen. Dies scheiterte am Widerstand des Foreign Office, wo man entschieden hatte, nicht auf die deutschen Beschwerden einzugehen. Erst kurz zuvor war eine Unterredung Bülows mit dem britischen Botschafter geendet mit dem „gegenseitigen Bedauern, den Standpunkt des anderen nicht annehmen zu können“921 . Und Ende April 1935 hatte Bülow darüber geklagt, dass England den Sinn der deutschen Aufrüstung falsch einschätze. Man müsse den Briten klar machen, so Bülow, dass Deutschland den Frieden wolle, sich aber Sicherheit vor Invasionen verschaffen müsse, nachdem sich Deutschlands Gegner in Militärbündnissen verschworen

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Vortrag Geyr v. Schweppenburg, London, o. D., IfZ, ED 91, Bd. 42. Notiz Geyr v. Schweppenburg, London, 31. 5. 1935, IfZ, ED 91, Bd. 7/1. Geyr informierte auch die Berliner Stellen vorab über das geplante Gespräch, Bericht Geyr v. Schweppenburg, London, 30. 5. 1935, BA-MA, RH 2/1883. Aufzeichnung Geyr v. Schweppenburg, London, 1. 6. 1935, PA AA, R 30062 a; Aufzeichnung, o. V., London, 31. 5. 1935, IfZ, ED 91, Bd. 2; vgl. auch zum Zweck der Unterredung: Geyr v. Schweppenburg an Stülpnagel, London, 30. 5. 1935, IfZ, ED 91, Bd. 2. Geyr v. Schweppenburg an Paget, London, 10. 5. 1935, ebenda. Paget an Geyr v. Schweppenburg, London, 17. 5. 1935, BA-MA, RH 67/72. Aufzeichnung Bülow, Berlin, 17. 4. 1935, PA AA, R 28230 k.

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hätten922 . Tatsächlich war man im Foreign Office entsetzt, wie scharf sich die deutsche Presse gegen den französisch-sowjetischen Beistandspakt wandte und die deutsche Führung aufforderte, die entmilitarisierte Zone zu besetzen923 . So gab gleich eine Reihe von Gründen den Ausschlag, nicht auf die deutsche Behauptung der Unvereinbarkeit des französisch-sowjetischen Paktes mit dem Rheinpakt einzugehen. Erstens wollte man es den Deutschen nicht abkaufen, dass es ihnen bei ihrer Demarche um das Wohlergehen Locarnos ginge. „Ich glaube den Deutschen kein Wort“, schrieb Maurice Hankey wenige Tage nach der „Friedensrede“, in der Hitler den Locarnopakt feierlich bekräftigt hatte, an Vansittart924 und Austen Chamberlain meinte, Hitlers Rede sei wie das curate’s egg der bekannten Karikatur, das zwar verdorben sei, aber dennoch in Teilen vorzüglich schmecke925 . Die Deutschen sprächen nur vom Frieden, um Zeit zu gewinnen, war auch Vansittart überzeugt, in Wahrheit würden bereits die Planungen laufen, um das entmilitarisierte Rheinland zu besetzen926 . Deshalb hatte Simon schon am 5. Mai 1935 angeordnet, alle deutschen Äußerungen zum Locarnopakt zu sammeln. Das Ergebnis war ernüchternd. Die Beweise nähmen zu, hieß es in einer Aufzeichnung des Foreign Office vom 21. Mai, dass Deutschland bald behaupten werde, die anderen Mächte hätten den Locarnopakt gebrochen; dies würde den Vorwand für die deutsche Führung bilden, um die entmilitarisierte Zone zu besetzen927 . Zweitens wollte man im Foreign Office den rechtlichen Argumenten der 922

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Aufzeichnung Bülow, Berlin, 25. 4. 1935, PA AA, R 29462. Dass London sich nicht nur an der deutschen Aufrüstung rieb, sondern auch über die innenpolitische Entwicklung im Reich äußerst beunruhigt war, wurde von Bülow völlig übersehen, Göring an Diels, Berlin, 20. 5. 1935, NLA-HStAH, VVP 46, Nr. 10. Phipps an das Foreign Office, Berlin, 20. 5. 1935, TNA, FO 371/18841; Phipps an Simon, Berlin, 3. 5. 1935, DBFP, 2. Serie, Bd. XIII, Nr. 164, S. 227f.; Phipps an Simon, Berlin, 7. 5. 1935, ebenda, Nr. 176, S. 237f.; Phipps an Simon, Berlin, 20. 5. 1935, ebenda, Nr. 215, S. 270. Im Kabinett hieß es, die Deutschen hätten „a rather formidable indictment“ gegen den französisch-sowjetischen Pakt erhoben, Kabinettssitzung, 29. 5. 1935, TNA, CAB 23/81. Hankey an Vansittart, London, 28. 5. 1935, TNA, CAB 21/540. Vgl. auch Fisher an Vansittart, London, 28. 5. 1935, ebenda; Rede Churchill, 22. 5. 1935, Churchill: England, S. 183. Chamberlain an Ida, London, 25. 5. 1935, Chamberlain: Letters, S. 483. Vansittart an Hankey, London, 23. 5. 1935, TNA, CAB 21/540. Auf dieser Linie meldete der deutsche Marineattaché schon Anfang Mai aus London, das Foreign Office mache Stimmung gegen Deutschland; vor allem die Zukunft der entmilitarisierten Zone werde mit zunehmender Skepsis gesehen, Bericht Wassner, London, 1. 5. 1935, PA AA, R 30065 b. Foreign Office Memorandum, London, 21. 5. 1935, TNA, FO 408/65. Genau dieses Ergebnis hatte Wigram schon am 16. Mai 1935 vorausgesagt, Vermerk Wigram, London, 16. 5. 1935, TNA, FO 371/18840.

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Deutschen nicht folgen. Dies hatte mehrere Gründe. Zeitlich kam der deutsche Protest schlicht zu spät, denn London hatte sich in der Zwischenzeit selbst Versicherungen aus Paris eingeholt. Wie Gaus und Bülow waren auch die Experten im Foreign Office beunruhigt, Paris und Moskau könnten eine gegen Deutschland gerichtete Militärallianz geschlossen haben. So urteilte Baxter, ein Mitarbeiter Malkins im Foreign Office, nach der Analyse des französisch-sowjetischen Paktes, die Ausführungen der Ziffer 4 des Protokolls könnten nur so aufgefasst werden, dass der Vertrag sich allein gegen eine deutsche Aggression richte928 . Deutlicher äußerte sich Wigram wenige Tage später. Der französischsowjetische Beistandspakt, so schrieb er am 9. Mai an Vansittart, sei einzig und allein gegen Deutschland gerichtet. Diese Bestimmungen seien nur umhüllt von einem „Mäntelchen der Gegenseitigkeit“, nach dem die englische Politik selbst verlangt hatte. Kein Deutscher werde sich davon täuschen lassen, wie schon die „Gegenseitigkeit“ des Locarnopaktes niemanden habe blenden können929 . Diese Ausführungen veranlassten das Foreign Office, von Frankreich Klarstellungen hinsichtlich des Beistandspaktes zu fordern. Vansittart wandte sich noch am 9. Mai an den britischen Botschafter in Paris, er möge Laval fragen, wie der letzte Abschnitt von Ziffer 1 sowie die Ziffer 4 des Protokolls zum französisch-sowjetischen Pakt in ihrer Bedeutung zu verstehen seien930 . Der Leiter der Politischen Abteilung im Quai d’Orsay gab tags darauf im Gespräch mit Clerk unumwunden zu, dass der Beistandspakt gegen Deutschland gerichtet sei931 . Daraus, schrieb die französische Regierung in einem Memorandum, welches am 29. Mai 1935 in London übergeben wurde, könne aber kein Widerspruch zu Locarno erwachsen932 . Die französische Regierung, so war da zu lesen, habe versucht, jeden Verstoß gegen Locarno zu vermeiden. Hierfür sei der Bündnisfall auf die Ausnahmen des Artikels 2 Absatz 2 Ziffer 2 und 3 des Rheinpaktes abgestellt worden. Dazu käme noch die Generalklausel der Ziffer 2 des Protokolls. Artikel 16 der Völkerbundssatzung, so versicherten die Franzosen, sei natürlich an eine Ratsempfehlung gebunden. Auch bei einer nicht einstimmigen Ratsentscheidung sei die Beistandsleistung im Rahmen des Paktes nicht willkürlich, sondern fest umrissen. Denn gemäß Ziffer 2 des Zeichnungsprotokolls komme der Beistand des französisch-sowjetischen Paktes nur in Gang, wenn er konform zu den vertraglichen Verpflichtungen (lies: Locarnopakt) des Staates war. Außerdem, so schloss die Note, werde sich

928 929 930 931 932

Aufzeichnung Baxter, London, 3. 5. 1935, TNA, FO 371/18838; so auch Hartlieb: Sowjetunion, S. 226. Wigram an Vansittart, London, 9. 5. 1935, TNA, FO 371/18838. Vansittart an Clerk, London, 9. 5. 1935, ebenda; DBFP, 2. Serie, Bd. XIII, Nr. 183, S. 242f. Clerk an Simon, Paris, 10. 5. 1935, DBFP, 2. Serie, Bd. XIII, Nr. 187, S. 244f. DDF, 1. Serie, Bd. X, Nr. 474, S. 706f.

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Frankreich in jedem Fall an England und Italien wenden, um sicherzustellen, dass seine Auslegung mit derjenigen der Locarnogaranten übereinstimme. In sachlicher Hinsicht wurde entscheidend, dass die Briten die deutsche Kritik an der Art und Weise, wie die Beistandsleistung des französisch-sowjetischen Paktes aktiviert wurde, nicht teilten. Dieser Befund betraf erstens die Behauptung, Frankreich und Russland hätten sich in ihrem Vertrag darauf verständigt, militärischen Beistand zu leisten, ohne dass ein Verfahren gemäß Artikel 17 der Völkerbundssatzung eingeleitet worden wäre. Hier erklärten die Franzosen ausdrücklich, der Artikel 17 der Völkerbundssatzung bliebe von den Bestimmungen der Ziffer 1 des Zeichnungsprotokolls unberührt933 . Damit lag die französische Auslegung exakt auf der Linie der Briten. Die Rechtsexperten des Foreign Office hatten schon im Herbst 1933, unmittelbar nachdem Deutschland aus dem Völkerbund ausgetreten war, erklärt, künftig werde der Artikel 17 der Völkerbundssatzung sicherstellen, dass Deutschland an einem Locarnoverfahren vor dem Völkerbund teilnehmen könne. Diese Sicht wiederholten Malkin und Beckett im Sommer 1935. Das in dem Vertrag angepeilte Verfahren, so eine Vorlage Becketts vom 30. Mai, sei mit den Regeln des Völkerbundes konform. Deutschland werde gemäß Artikel 17 der Völkerbundssatzung daran teilnehmen, und der Rat werde eine Empfehlung gemäß Artikel 16 der Völkerbundssatzung abgeben; letzten Endes entscheide jeder Staat selbst, ob und in welchem Ausmaß er an Sanktionen teilnehmen möchte934 . Malkin stimmte diesen Ausführungen vollumfänglich zu935 . Zweitens galt das für die Behauptung, Frankreich und Russland hätten sich am 2. Mai 1935 auf eine objektiv falsche Auslegung des Artikels 16 der Völkerbundssatzung verständigt, indem sie sich über den Grundsatz hinweggesetzt hätten, wonach allein der Rat des Völkerbundes beschließen könne, Sanktionen des Bundes in Gang zu setzen936 . Auch hier mochte die britische Position der deutschen Auslegung nicht folgen. Dabei traf der deutsche Vorstoß einen neuralgischen Punkt, denn die Engländer hatten es seit der Gründung des Völkerbundes vermieden, eine Stellungnahme über die Funktionsweise des Artikels 16 der Völkerbundssatzung abzugeben937 . Die Verpflichtungen des Völkerbundes, so war von Beamten des Foreign Office immer wieder zu hören, könnten nicht in Kraft treten, „until the League Council had indicated what members were to do“938 , und in den Verhandlungen über das Genfer 933 934 935 936 937

938

Berber: Locarno, Nr. 35 II, S. 168. Aufzeichnung Beckett, London, 30. 5. 1935, TNA, FO 371/18844. Aufzeichnung Malkin, London, 6. 6. 1935, ebenda. Gaus an Köster, Berlin, 14. 5. 1935, PA AA, Botschaft Moskau 175. Vgl. E. Most: Großbritannien und der Völkerbund. Studien zur Politik der Friedenssicherung 1925 bis 1934 (Europäische Hochschulschriften, III, Bd. 156), Frankfurt/M. 1981, S. 252 u. S. 335. Wilson an Hardinge, London, 30. 7. 1920, zit. bei Yearwood: Guarantee, S. 165.

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Protokoll 1924 und den Viererpakt 1933 taten die Briten alles, um eine automatische Auslegung des Artikels 16 der Völkerbundssatzung zu verhindern939 . An diese Strömungen appellierten die Deutschen, doch sie übersahen ein wichtiges Detail: Den Briten ging es bei ihren Einlassungen immer nur darum, zu verhindern, an einer Bundesexekution teilzunehmen, an der London kein Interesse besaß, und niemals darum, das freie Entscheidungsrecht der Staaten darüber, ob ein Fall gemäß Artikel 16 der Völkerbundssatzung vorlag, zu beschneiden. Dies wird beim Blick auf die britische Auslegung des Artikels 16 der Völkerbundssatzung deutlich. Frankreich, so hatte Malkin schon im April 1935 den Zusammenhang zwischen Locarno und dem französisch-sowjetischen Beistandspakt erläutert, könne erst dann zur Unterstützung Russlands schreiten, nachdem ein Völkerbundsverfahren gelaufen sei940 . Dies sei in Artikel 3 des französisch-sowjetischen Paktes klar zum Ausdruck gebracht worden941 . Das Votum, das der Völkerbund abgab, hätte jedoch keine bindende Wirkung. Daher fand Malkin in seiner Prüfung nichts, was nicht zu den Regeln Locarnos passen würde. Ziffer 1 des Zeichnungsprotokolls sei eine Klausel „for shortcircuiting a decision by the council“942 , wie ein Beobachter meinte, aber diene nicht dazu, automatischen Beistand ohne eine Völkerbundsentscheidung zu stipulieren. Wenn die Ratsempfehlung nicht einstimmig ausfalle, so Malkin, sei es die gängige Auslegung des Artikels 16 der Völkerbundssatzung, dass jeder Staat eigenständig über dessen Anwendung entscheiden würde943 . Bei einer nicht einstimmigen Ratsentscheidung, so bemerkte auch Wigram nach einem Blick in die alten Locarnoakten, sei ein französisch-russisches Vorgehen durch Artikel 15 Absatz 7 der Völkerbundssatzung gedeckt944 . Damit lagen Malkin und Wigram auf einer Linie, die der langjährige Rechtsberater im Foreign Office, Cecil Hurst, bereits Mitte der zwanziger Jahre vorgezeichnet hatte. Unter Artikel 16 der Völkerbundssatzung, so schrieb Hurst in einem grundlegenden Memorandum vom Juli 1925, sei jeder einzelne Staat berechtigt, unverzüglich zu Militärmaßnahmen zu greifen, wenn er der Meinung war, dass ein Angriff vorliege. Erst die Frage, ob daraus eine Kollektivaktion des gesamten Völkerbundes würde, müsse durch einen einstimmigen Beschluss des Völkerbundsrates entschieden werden945 . Während sich die Engländer im Fall des Artikels 16 der Völkerbundssatzung hinter der formalen Rechtmäßigkeit verschanzen konnten, hatte White939 940 941 942 943 944 945

Vgl. Most: Völkerbund, S. 281f.; Yearwood: Guarantee, S. 327. Aufzeichnung Malkin, London, 24. 4. 1935, TNA, FO 371/18835. Berber: Locarno, Nr. 31, S. 114. A. L. Kennedy: Britain faces Germany, London 1937, S. 133. Aufzeichnung Malkin, London, 4. 5. 1935, TNA, FO 371/18838. Aufzeichnung Wigram, London, 9. 5. 1935, DBFP, 2. Serie, Bd. XIII, Nr. 176, S. 237 Anm. 3. Aufzeichnung Hurst, London, 11. 7. 1925, DBFP, 1. Serie, Bd. XXVII, Nr. 411, S. 672.

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hall gegen die Generalreserve aus Ziffer 2 des Zusatzprotokolls politisch nichts einzuwenden. Wenn Frankreich nach einem Völkerbundsverfahren946 auf der Grundlage des Artikels 16 der Völkerbundssatzung947 gegen Deutschland vorgehen wolle, käme der britischen Haltung die ausschlagende Bedeutung zu. Denn dann, so urteilte Malkin in einer Denkschrift vom Mai, sei es wiederum die Aufgabe des Völkerbundsrates zu entscheiden, ob ein Verstoß gegen Locarno vorliegen würde948 . Da England als ständige Ratsmacht an jeder Ratsentscheidung beteiligt sei, säße das Land sowohl bei einer Entscheidung über die Anwendung des Artikels 16 der Völkerbundssatzung als auch bei der Frage, ob eine Verletzung des Locarno-Rheinpaktes vorläge, mit am Tisch949 . Entsprechend schrieb das Foreign Office in der Note vom 5. Juli 1935: „Das Vereinigte Königreich [habe] kraft des Locarnovertrags und als einer seiner Garantiemächte das Recht und die Pflicht (. . . ), im Einklang mit den Feststellungen und Empfehlungen des Völkerbundsrats zu entscheiden, wann und ob die Umstände derart sind, dass ihre Garantie nach Recht und Pflicht in Wirksamkeit tritt.“950

Dieses Recht sei durch den französisch-sowjetischen Beistandspakt nicht in Mitleidenschaft gezogen, weshalb die britische Seite keinen Widerspruch zu diesen Klauseln erkennen konnte. Demnach stipulierte der französisch-sowjetische Pakt keinen automatischen Beistand, sondern ordnete die Beistandsleistung einem Völkerbundsbeschluss gemäß Artikel 16 der Völkerbundssatzung unter. Selbstverständlich habe der Völkerbundsrat über einen Locarnoverstoß zu entscheiden, brachte Malkin in einer Aufzeichnung vom 16. Mai 1935 diese Sichtweise auf den Punkt, aber er könne nicht sehen, was der französisch-sowjetische Pakt an dieser Prozedur ändere951 . Außerdem war klar, dass der Völkerbund auch in einem Streit unter Locarnostaaten nur eine Empfehlung aussprechen könne. Die Geschäftsgrundlage Locarnos, so das britische Urteil, war, dass letztendlich jeder Staat selbst entschied, welches Land in einem Konflikt als Aggressor anzusehen sei952 . Das war gemeint, als Simon vor dem Unterhaus erklärte, der französisch-sowjetische Pakt habe die

946 947 948 949

950 951 952

Aufzeichnung Malkin, London, 24. 4. 1935, TNA, FO 371/18835. Aufzeichnung Beckett, London, 30. 5. 1935, TNA, FO 371/18844; Aufzeichnung, o. V., London, 10. 7. 1935, TNA, FO 371/18848. Aufzeichnung Malkin, London, 16. 5. 1935, TNA, FO 371/18839. Kennedy: Britain, S. 49f. Diesen Standpunkt hatte Simon bereits im Jahr 1932 vertreten, Die deutsche Botschaft in London an das Auswärtige Amt, London, 27. 10. 1932, PA AA, R 53009. Berber: Locarno, Nr. 35 III, S. 170. Aufzeichnung Malkin, London, 16. 5. 1935, TNA, FO 371/18839; Chamberlain: Politik, S. 673. Aufzeichnung des Central Department, London, 13. 11. 1925, DBFP, 1a. Serie, Bd. I, Nr. 99, S. 146.

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britischen Verpflichtungen nicht erweitert, und London könne im Konfliktfall nicht gezwungen werden, Deutschland unter Locarno zu Hilfe zu kommen953 . Während die mangelnde rechtliche Überzeugungskraft und das britische Desinteresse verhinderten, dass es zu weiteren deutsch-britischen Gesprächen kam, begannen Ende Mai 1935 die anderen Locarnomächte, die Antwort auf die deutsche Denkschrift abzustimmen. In Brüssel konnte man der deutschen Auslegung des Artikels 16 der Völkerbundssatzung nicht folgen. Die Anlage F von Locarno, so urteilte der Justiziar im belgischen Außenministerium am 3. Juni 1935, gebe den Staaten die Freiheit, auch vor einem Völkerbundsbeschluss handeln zu dürfen954 . Die Belgier, bei denen in jüngster Vergangenheit die Befürchtungen hinsichtlich der entmilitarisierten Zone wieder verstärkt aufgetreten waren955 , äußerten deshalb den Verdacht, Deutschland wolle den französisch-sowjetischen Pakt als Vorwand nehmen, um Locarno anzuzweifeln und die entmilitarisierte Zone mit Truppen zu besetzen. Schon am 15. Mai 1935 trat Kerchove an das Auswärtige Amt heran, um mit Köpke und Gaus die Rechtslage zu besprechen956 . In einer weiteren Unterredung vom 25. Mai versuchte Köpke seinen belgischen Kollegen hinsichtlich der Absichten, die das Deutsche Reich im Rheinland habe, zu beruhigen, machte indes deutlich, dass die deutsche Regierung ihre Bedenken bezüglich des französischsowjetischen Paktes in vollem Umfange aufrecht erhalten werde957 . Daher ventilierten die Belgier die Idee, Deutschland mit einer gemeinsamen britisch-französisch-belgischen Erklärung zu konfrontieren, um die deutsche Auslegung zurückzuweisen958 . Mit dieser Möglichkeit beschäftigte man sich auch in London. Laval, so forderte Simon bereits am 23. Mai, solle sich in allen Locarnofragen mit den Garantiemächten England und Italien abstimmen959 . Aus der Sicht Simons hätte dies einen mehrfachen Zweck gehabt. Vor dem Hintergrund der deutschen Kampagne gegen den französisch-sowjetischen Pakt könnten die Locarnomächte, so lässt sich das Kalkül Simons umschreiben, nicht nur die Behauptung von der juristischen Unvereinbarkeit zurückweisen, sondern die Erklärung wäre auch ein politischer Fingerzeig an Berlin gewesen, den französisch-sowjetischen Pakt nicht als Bedrohung gegen die Sicherheit des Reiches aufzufassen. Eine einmütige Zurückweisung der deutschen Argumente würde 953 954 955 956 957 958 959

Zu diesem Ergebnis kam auch eine Studie des War Office, Aufzeichnung, o. V., London, 27. 5. 1935, TNA, WO 190/331. Laroche an Massigli, Brüssel, 18. 6. 1935, AMAEE, Série Relations multilatérales, Service français de la Société, Bd. 24 u. 25; vgl. Soutou: Sécurité, S. 136. Vermerk Rössing, Berlin, 7. 5. 1935, PA AA, R 32040; DDB, Bd. III, Nr. 154, S. 433f. Phipps an Simon, Berlin, 16. 5. 1935, DBFP, 2. Serie, Bd. XIII, Nr. 208, S. 262. Aufzeichnung Köpke, Berlin, 25. 5. 1935, ADAP, C, Bd. IV, 1, Nr. 108, S. 205. Laroche an Laval, Brüssel, 14. 6. 1935, DDF, 1. Serie, Bd. XI, Nr. 74, S. 106f. Simon an Patteson, London, 23. 5. 1935, DBFP, 2. Serie, Bd. XIII, Nr. 226, S. 276.

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gleichzeitig verhindern, dass die Franzosen mit einer Note vorpreschten, die die Deutschen brüskieren und das Locarnogefüge beschädigen konnte. Schließlich, so Simon, würde die Kollektivnote ein Signal an die britischen Militärs sein, nicht auf das deutsche Lamento hereinzufallen und über Veränderungen an Locarno zu sprechen. Als Simon Ende Mai nochmals auf eine Note aller Locarnomächte drängte960 , meldete Clerk aus Paris, Laval begrüße die Idee einer gemeinsamen Interpretation Locarnos961 , und am 4. Juni berichtete der Botschafter, die französische Antwort auf das deutsche Memorandum sei bald fertiggestellt. Am folgenden Tag jedoch, als Simon noch einmal den Wunsch nach einer konzertierten Aktion unterstrich962 , wurde in London bekannt, dass Laval gegenüber dem deutschen Botschafter bereits Umrisse der französischen Antwort mitgeteilt habe963 . Damit hatte Paris die Möglichkeit einer gemeinsamen Note verschüttet. Der Grund war, dass die französische Regierung im Locarnostreit ein anderes Ziel als die Briten verfolgte. Auch an der Seine bemerkte man, dass sich die deutschen Verstöße gegen die entmilitarisierte Zone wieder häuften964 , und argwöhnte, dass es sich bei der deutschen Aktion um ein Manöver handele, um eine Bresche in das System von Locarno zu schlagen965 . Juristisch hegte man daher im Quai d’Orsay zu keinem Zeitpunkt auch nur den leisesten Zweifel, dass der Pakt mit Moskau mit den Regeln der Völkerbundssatzung und des Locarnopaktes konform sei. Die französische Delegation, so eine Vorlage der Politischen Abteilung vom 20. Juni 1935, habe penibel darauf geachtet, nicht gegen die Verpflichtungen, die Frankreich gegenüber Deutschland im Rheinpakt eingegangen war, zu verstoßen. Demgemäß sei die Beistandsleistung des französisch-sowjetischen Paktes auf die Fälle der Artikel 16 und 15 Absatz 7 der Völkerbundssatzung beschränkt, die ja der Artikel 2 Absatz 2 des Rheinpaktes als Ausnahmen vom allgemeinen Angriffsverbot zuließ. Was die Anwendung des Artikels 16 der Völkerbundssatzung beträfe, so erklärte die Vorlage, hätten in der Vergangenheit sowohl die Empfehlungen des Rates von 1921 als auch der Bericht des belgischen Juristen Brouckère aus dem Jahr 1926 festgestellt, dass eine Ratsempfehlung wünschenswert sei, aber nicht juristisch notwendig, 960 961 962 963 964

965

Ebenda, Nr. 249, S. 295. Clerk an das Foreign Office, Paris, 28. 5. 1935, TNA, FO 371/18843. Simon an Clerk, London, 5. 6. 1935, DBFP, 2. Serie, Bd. XIII, Nr. 302, S. 357. Simon an Campbell, London, 5. 6. 1935, ebenda, Nr. 295, S. 353. Das Gespräch zwischen Laval und Köster fand am 3. Juni in Paris statt, ADAP, C, Bd. IV, 1, Nr. 129, S. 243–246. Flandin an Laval, Paris, 17. 5. 1935, AMAEE, Série Z, La rive gauche du Rhin, Bd. 267 u. 268; Dobler an Laval, Köln, 18. 5. 1935, ebenda; Aufzeichnung des 2. Büros des Generalstabes, Paris, 29. 5. 1935, ebenda; Flandin an Laval, Paris, 12. 6. 1935, ebenda; Aufzeichnung Massigli, Paris, 2. 4. 1935, AMAEE, PAAP 217, Bd. 7. Telegramm François-Poncet, Berlin, 5. 5. 1935, AMAEE, Série Relations multilatérales, Service français de la Société des Nations, Bd. 756.

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um eine Bundesexekution ins Rollen zu bringen966 . Dazu käme die Ziffer 2 des Zeichnungsprotokolls, wie Léger dem deutschen Botschafter schon am 1. Juni 1935 erklärt hatte. Wenn der Völkerbund zu keinem einstimmigen Ergebnis komme, sei Frankreich verpflichtet, sich mit den Locarnogaranten abzustimmen, ob Deutschland einen nicht provozierten Angriff vorgenommen habe. Dies bedeute nicht Handlungsfreiheit, dozierte Léger, sondern es handele sich um eine weitere Sicherung, nicht gegen den Rheinpakt zu verstoßen967 . Politisch stand für Frankreich noch viel mehr auf dem Spiel als die Frage, ob zwei Verträge in ihrem rechtlichen Gehalt zu vereinbaren seien. Der deutsche Protest vom 25. Mai zielte vielmehr in das Herz der französischen Sicherheitskonzeption als solche. Die Konzeption der Sécurité bestand im Grunde aus zwei Formen von Sicherheit, die sich gegenseitig widersprachen. Der Idee, Sicherheit durch eine Verständigung mit Deutschland zu erreichen, stand das Vermächtnis aus Versailles gegenüber, bei dem es darum ging, ein abgerüstetes Reich dauerhaft durch Allianzen zu knebeln. Eingeebnet wurde dieser Widerspruch durch zwei Rechtsfiguren, die beide eng mit dem Locarnovertragswerk verknüpft waren. Einmal war dies die Ausnahme gemäß Artikel 2 Absatz 2 Ziffer 2 des Rheinpaktes, wonach eine Aktion auf Grund des Artikel 16 der Völkerbundssatzung keine Verletzung des Locarnokriegsverzichts darstellte. Dazu kam die spezielle Auslegung des Sanktionsartikels, nach welcher jeder Staat selbst über die Einleitung einer Aktion unter Artikel 16 der Völkerbundssatzung entschied. Dieser Anschauung war durch die Anlage F von Locarno zum Durchbruch verholfen worden968 , weshalb sich Paris immer wieder bemühte, London auf die Gültigkeit Locarnos und besonders der Anlage F festzulegen969 . Gelänge es aber den Deutschen, in London Zweifel an der Geltung der Anlage F und der herrschenden Auffassung zum Artikel 16 der Völkerbundssatzung zu säen, wäre dies eine große Gefahr für die französische Verteidigungsdoktrin. Denn es ging nicht allein um die Frage, ob Frankreich unter den Bedingungen des Locarnopaktes das Recht besaß, ohne einen Beschluss des Völkerbundes 966

967 968 969

Aufzeichnung der Politischen Abteilung, Paris, 20. 6. 1935, DDF, 1. Serie, Bd. XI, Nr. 108, S. 152–155. Zur Auslegung des Artikels 16 der Völkerbundssatzung vgl. Bruns: Verträge, Bd. 2, I, Nr. III, 4, A, a, S. 128f., Nr. III, 4, A, b, S. 130ff., Nr. III, 4, A, d, S. 135ff., Nr. III, 4, A, g, S. 170ff. u. Nr. III, 4, A, i, S. 180ff.; Dettweiler: Machtmittel; Fasold: Wandlung; Z. Steiner: The League of Nations and the Quest for Security, in: R. Ahmann/A. M. Birke/ M. Howard (Hg.): The Quest for Stability. Problems of West European Security 1918– 1957, London 1993, S. 35–70, hier S. 44ff. Köster an das Auswärtige Amt, Paris, 1. 6. 1935, PA AA, R 53010. Vgl. Soutou: Sécurité, S. 151. So im Frühsommer 1934, als die Franzosen den Präsidenten der Abrüstungskonferenz als Mittelsmann nach London schickten, um den Briten eine schriftliche Bestätigung der Anlage F zu entlocken, BDFA, II, J, Bd. 5, Nr. 329, S. 384.

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gegen Deutschland vorzugehen, sondern ob dieses Recht (das zu besitzen die Franzosen glaubten) im Anwendungsfall gegen den politischen Willen Londons durchsetzbar wäre. Da der Locarnopakt einen deutschen Angriff auf die Sowjetunion nicht erwähnte, könnte England Paris für den Aggressor halten, wenn französische Truppen im Fall eines deutsch-sowjetischen Konflikts gegen das Reich vorgingen970 . Dies war der neuralgische Punkt des gesamten französischen Bündnissystems, und in diesem Sinne bildete der deutsche Protest gleichermaßen Gefahr wie Chance, diese Frage ein für allemal zu entscheiden. Vor diesem Hintergrund lehnte Paris eine gemeinsame Locarnonote ab. Frankreich musste darauf bedacht sein, seine Interpretation des Artikels 16 der Völkerbundssatzung in Berlin zu notifizieren; eine Absprache mit London hätte nur einen unbefriedigenden Kompromiss erbracht. Dazu kam, dass Laval Rücksicht auf seine sowjetischen Bündnispartner nehmen musste. Mitte Juni erreichte Laval eine Nachricht aus der sowjetrussischen Botschaft, die sich mit der deutschen Denkschrift vom 25. Mai beschäftigte. Die deutschen Vorwürfe seien unhaltbar, so die Note, Deutschland wolle nur Misstrauen zwischen Paris und Moskau säen. Die Antwort ans Reich solle auf jeden Fall kurz ausfallen, und die Russen lieferten ihre Vorstellungen gleich mit. Demnach sollte Frankreich den Deutschen erklären, dass die Definition des Angreifers aus dem Beistandspakt nicht notwendigerweise mit derjenigen des Rheinpaktes übereinstimmen müsse; außerdem gebe es nichts im Pakt, was über Locarno die Oberhand gewönne971 . Aber Stalin trieb ein Doppelspiel. Während er in Paris auf eine feste Haltung drang, sandte er gleichzeitig beruhigende Töne an die Adresse Berlins. Der französisch-sowjetische Pakt, so hieß es in den Instruktionen, die er seinem Sondergesandten David Kandelaki am 5. Mai 1935 für dessen Berliner Mission mit auf den Weg gab, sei nur deshalb zu Stande gekommen, weil sich Deutschland einer vertraglichen Regelung entzogen hätte. Der Pakt sei indes so gefasst, dass er Deutschland nicht schaden könne und damit guten Beziehungen zu Moskau nicht im Weg stände972 . Wie solche Beziehungen aussehen könnten, zeigte eine Unterredung zwischen Litwinow und Schulenburg vom 970

971 972

Vgl. Soutou: Sécurité, S. 146. Seit den Tagen Locarnos beschäftigte sich Frankreich mit diesem Dilemma. Schon damals bemerkte ein Mitarbeiter im französischen Außenministerium, dass „England sich niemals ins Schlepptau des französisch-belgischen Paares begeben“ werde. Der französischen Politik müsse es darum gehen, „dass Großbritannien bei einer Aktion, an der es nicht teilnehmen will, uns [d. h. Frankreich] allein handeln ließe.“ Zit. bei Zimmermann: Studien, S. 56. DDF, 1. Serie, Bd. XI, Nr. 75, S. 107–109. Vgl. L. Besymenski: Stalin und Hitler. Das Pokerspiel der Diktatoren, Berlin 2002, S. 72f. Zur Mission Kandelakis vgl. auch Weinberg: Policy, Bd. I, S. 220ff.; L. Besymenski: Geheimmission in Stalins Auftrag? David Kandelaki und die sowjetisch-deutschen Beziehungen Mitte der dreißiger Jahre, in: VfZ 40 (1992), S. 339–357.

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Mai, in welcher der Volkskommissar den Abschluss eines deutsch-sowjetischen Nichtangriffspaktes anregte973 . Eine gemeinsame Note der Locarnomächte, so musste Laval aus den russischen Aktivitäten herauslesen, würde die Russen brüskieren und in die Arme der Deutschen treiben. Daher ging es Laval gar nicht darum, eine Kollektivnote zu Wege zu bringen; sein Ziel war es, die Zustimmung Italiens, Belgiens und Englands für eine französische Note zu erhalten. Die Italiener waren die ersten, die grünes Licht gaben. Rom blieb seiner Linie treu, sich in Locarnofragen an die Rockschöße Londons zu hängen. Die Entscheidung fiel, als Grandi am 5. Juni 1935 aus dem Foreign Office erfuhr, dass die Briten keine Widersprüche zwischen den Bestimmungen Locarnos und den französischen Verpflichtungen aus dem Pakt mit Moskau finden konnten974 . Kurz darauf teilte die italienische Regierung in einem halboffiziellen Schreiben sowohl den Briten als auch den Franzosen mit, man sehe keine Unvereinbarkeit zwischen dem Rheinpakt und dem französisch-sowjetischen Pakt975 . Auch die Belgier hatten gegen das geplante Vorgehen nichts einzuwenden. Belgien sei kein Kontrahent des französisch-sowjetischen Paktes, lautete die Parole in Brüssel, daher seien die belgischen Vertragspflichten von dem neuen Pakt nicht berührt976 . Außerdem urteilte das belgische Außenamt in einem Gutachten vom 3. Juni 1935, es sei die Sache der Einzelstaaten über die Anwendung des Artikels 16 der Völkerbundssatzung zu entscheiden977 . Blieb noch, die Zustimmung der Briten einzuholen, die sich zuvor für eine gemeinsame Antwort ans Reich stark gemacht hatten. Hier half der Wechsel auf dem Posten des Außenministers den Weg zu ebnen. Während Simon ein Befürworter der gemeinsamen Note war, sah es sein Nachfolger Samuel Hoare, der am 1. Juni seinen Posten angetreten hatte, lieber, sich nicht zu weit in die Sache zu verstricken. Mitte Juni legten die Franzosen ihre Antwort den Briten vor978 , und am 17. Juni kabelte Hoare nach Paris, er sei durchaus einverstanden, wie die Franzosen ihre Antwort formuliert hätten979 . Auf dieser Linie lag es, den Franzosen am 19. Juni ein offizielles Aide-Memoire zukommen zu las973 974 975

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978 979

Vgl. Haslam: Struggle, S. 82. Grandi an Mussolini, London, 5. 6. 1935, DDI, 8. Serie, Bd. I, Nr. 339, S. 346. DDF, 1. Serie, Bd. XI, Nr. 76, S. 109–111; DBFP, 2. Serie, Bd. XIII, Nr. 349, S. 432f. Dabei hatte Mussolini noch kurz zuvor dem deutschen Botschafter erklärt, der französisch-sowjetische Pakt verstoße gegen den Geist von Locarno, ADAP, C, Bd. IV, 1, Nr. 121, S. 230– 232. Ovey an Simon, Brüssel, 4. 6. 1935, BDFA, II, F, Bd. 30, Nr. 64, S. 108f.; DDF, 1. Serie, Bd. XI, Nr. 313, S. 461. Laroche an Massigli, Brüssel, 18. 6. 1935, AMAEE, Série Relations multilatérales, Service français de la Société des Nations, Bd. 24 u. 25; Aufzeichnung des belgischen Außenministeriums, Brüssel, 3. 6. 1935, ebenda. Aufzeichnung Beckett, London, 12. 6. 1935, TNA, FO 371/18845. DBFP, 2. Serie, Bd. XIII, Nr. 341, S. 421.

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sen, worin ausgeführt wurde, das Foreign Office habe in seiner Analyse keine Widersprüche zwischen Beistandspakt und Locarno entdeckt. Die Note schlug vor, alle Locarnostaaten sollten ihre Übereinstimmung mit der französischen Position erklären980 . Die Möglichkeit einer gemeinsamen Note war damit endgültig vom Tisch. Am 25. Juni 1935, exakt einen Monat nach dem deutschen Protest, übergab Laval dem deutschen Botschaftsrat in Paris die französische Antwort981 . Diese Note hatte eine weitgesteckte Zielsetzung. Sie versuchte sowohl Deutschland von der Rechtmäßigkeit des neuen Bündnisses zu überzeugen als auch England zu beweisen, dass man sich auf den Völkerbund verlasse. Damit sich London nicht einer französisch-sowjetischen Militäraktion gegen Deutschland in den Weg stellte, musste die Note die französische Auslegung des Artikels 16 der Völkerbundssatzung verdeutlichen, aber moderat genug sein, um Deutschland nicht zu überstürzten Aktionen gegen Locarno oder die Rheinlandzone anzustacheln. So bemessen war das Papier. Zunächst stimmte die französische Seite der deutschen Argumentation zu, wonach kein Vertrag mit einer dritten Macht dazu führen könne, den Rheinpakt von Locarno abzuändern oder anders auszulegen. Daraus könne man allerdings keinen Beleg für die deutsche These ableiten, der zu Folge der französisch-sowjetische Pakt und der Locarnopakt nicht vereinbar seien. Frankreich entkräftete die deutsche Behauptung auf zwei Ebenen. Einmal stellte die französische Note fest, dass es der deutschen Regierung bei ihrem Protest gar nicht um die Ausnahmen des Rheinpaktes vom Nichtangriffsversprechen (Artikel 2 Absatz 2 des Rheinpaktes) ging, sondern um die Art und Weise, wie der Artikel 16 der Völkerbundssatzung in Gang gesetzt wurde. Dem deutschen Einwand, dass Frankreich sich das Recht anmaße, auch ohne Völkerbundsbeschluss militärisch gegen das Reich vorzugehen, entgegnete Paris, dass in einem solchen Fall die Ziffer 2 des Zeichnungsprotokolls zum Zuge käme, wonach die Beistandsleistung des französisch-sowjetischen Paktes nicht gelte, wenn sich die Parteien dadurch den Sanktionen anderer Mächte aussetzen würden. Außerdem, so erinnerte die Note, sei nach gängiger Auslegung nicht unbedingt eine Ratsempfehlung für die Anwendung des Artikels 16 der Völkerbundssatzung vonnöten. Zweitens, so stellte die Note fest, befürchte die deutsche Regierung eine Anwendung des Artikels 16 der Völkerbundssatzung gegen das Reich, ohne dass Deutschland unter Artikel 17 der Völkerbundssatzung zu einem Verfahren geladen würde. Dies sei nicht der Fall. Ziffer 1 des Protokolls beträfe nur den Artikel 16 der Völkerbundssatzung und lasse das Prozedere unter Artikel 17 der Völkerbundssatzung unberührt. Frankreich sei gewillt, dieses 980 981

Aide-Memoire der britischen Botschaft, Paris, 18. 6. 1935, AMAEE, Série Relations multilatérales, Service français de la Société des Nations, Bd. 756. ADAP, C, Bd. IV, 1, Nr. 169, S. 345f. u. Nr. 170, S. 346ff.

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Verfahren, welches nach dem Austritt aus dem Völkerbund Deutschland die Teilnahme an einem Locarnoverfahren sicherte, auch unter den Bedingungen des französisch-sowjetischen Paktes einzuhalten982 . Kurze Zeit später antworteten die anderen Locarnomächte auf das deutsche Memorandum vom 25. Mai. Am 5. Juli übergaben England983 , am 15. Juli Italien984 und am 19. Juli 1935 die belgische Regierung985 ihre Stellungnahmen zum deutschen Protest. Alle drei Noten verzichteten auf eine juristische Analyse der deutschen Argumente, sondern begnügten sich damit, ihre Zustimmung zum französischen Memorandum vom 25. Juni, wonach kein Verstoß gegen den Rheinpakt vorläge, auszudrücken. Einig mit dem deutschen Standpunkt waren sich die Regierungen nur in der Feststellung, dass die Auslegung Locarnos nicht durch einen Vertrag mit einem Dritten geändert werden könne. Mit den Antworten der Locarnomächte auf den deutschen Protest war die erste Runde des Notenaustausches zu Ende, ohne dass die deutsche Regierung etwas erreicht hätte986 . Die Locarnomächte, so argwöhnten die Deutschen, hätten ihre Stellungnahmen heimlich miteinander abgestimmt, um die deutschen Gravamina einmütig zurückzuweisen987 . Trotzdem musste eine Entscheidung darüber getroffen werden, wie der weitere Kurs aussehen sollte. Gleich nach der Übergabe des französischen Memorandums am 25. Juni gab Hitler den Befehl, ein juristisches Gutachten auszuarbeiten, welches die französischen Argumente untersuchen sollte988 . Am 1. Juli 1935 legten sowohl Gaus als auch Bülow ihre Expertisen vor. Bündnisverträge seien mit der Satzung des Völkerbundes unvereinbar, schrieb Gaus in seiner Vorlage, ohne überhaupt auf die französische Beweisführung einzugehen. Die Regeln des Artikels 16 der Völkerbundssatzung seien unvollkommen989 , so Gaus, und Frankreich mache sich diesen Umstand „in umgekehrter Richtung“ zu Nutze: Nach dem Willen 982 983

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Berber: Locarno, Nr. 35 II, S. 166–169. Ebenda, Nr. 35 III, S. 169f. Einige Tage nach Übergabe des Memorandums fasste eine Aufzeichnung des Foreign Office noch einmal alle Argumente zusammen; wieder war das Ergebnis, dass unter Artikel 16 der Völkerbundssatzung jeder Staat selbst entscheiden und hiermit kein Verstoß gegen den Rheinpakt vorliegen würde, Foreign Office Memorandum, London, 10. 7. 1935, TNA, FO 371/18848. Berber: Locarno, Nr. 35 IV, S. 170f. Ebenda, Nr. 35 V, S. 171f. Schon Anfang Juni kam eine Aufzeichnung der Rechtsabteilung, die die Meinungen verschiedener Völkerrechtler zum Artikel 16 der Völkerbundssatzung zusammenstellte, zu dem Ergebnis, dass die deutsche Anschauung von der Unvereinbarkeit keine Stütze in der juristischen Literatur fand, Aufzeichnung Vogel, Berlin, 7. 6. 1935, PA AA, R 53009. DDPK-Meldung, 23. 4. 1936, PA AA, R 53011. Vermerk, o. V., Berlin, 3. 7. 1935, PA AA, R 53010. So lautete auch schon die Feststellung Gaus’ im Jahre 1925. Vgl. dazu Ch. G. Fenwick: The Relation of the Franco-Soviet Pact to the Locarno Treaty, in: AJIL 30 (1936), S. 265–270, hier besonders S. 268; Hartlieb: Sowjetunion, S. 214.

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der französischen Politiker sollte die Entscheidung darüber, ob militärischer Beistand gewährt wird, nicht bei einem zwischenstaatlichen Organ ruhen, sondern der Freiheit der einzelnen Staaten obliegen. „Auf dieser falschen Auslegung“, schrieb Gaus, „beruht das französische Bündnissystem.“ Bezüglich des französisch-sowjetischen Paktes sei Rechtsverwahrung eingelegt, urteilte Gaus und wollte den politischen Ertrag der Aktion nicht vernachlässigt wissen. Frankreich stehe treu zu Locarno und werde keine Intervention gegen Deutschland unternehmen, ohne das Einverständnis der Locarnogaranten einzuholen990 . Dies wertete man in der Wilhelmstraße als Zeichen dafür, dass in Frankreich keine Neigungen bestanden, den Artikel 44 des Versailler Vertrages gegen Deutschland in Stellung zu bringen. Auch Bülow betonte in seiner Denkschrift vom 1. Juli 1935, dass es wichtig war, Rechtsverwahrung gegen den französisch-sowjetischen Pakt eingelegt zu haben. Die Erklärungen der französischen Regierung zum Artikel 17 der Völkerbundssatzung seien durchaus zufriedenstellend991 , schrieb Bülow in seinem Gutachten, dagegen seien die Ausführungen zum Artikel 16 der Völkerbundssatzung nicht in der Lage, die Bedenken des Auswärtigen Amtes auszuräumen992 . Der Automatismus, den Frankreich für sich reklamiere, gelte nur für wirtschaftliche Maßnahmen, so Bülow, und nicht bei Krieg; hier gehe die Tendenz des Völkerrechts dahin, das freie Recht der Staaten einzuschränken (Bülow nannte das Beispiel des Artikels 4 des Rheinpaktes). Die vorherige Beratung mit den Garanten Locarnos, urteilte Bülow, habe keinerlei rechtliche Bedeutung genauso wenig wie die Generalreserve der Ziffer 2 des Zeichnungsprotokolls. Dass das deutsche Manöver gegen den französisch-sowjetischen Beistandspakt in seiner ersten Phase kein Vorwand war, um die entmilitarisierte Zone zu besetzen, sondern ein kühl eingefädeltes Spiel, um die Briten auf ihre Rolle als unparteiischer Locarnogarant festzulegen, zeigt schließlich der fünfte Komplex, nämlich die Analyse der Verhandlungen, die sich parallel zum deutschen Protest entwickelten. Im Sommer 1935 bildete sich eine Fraktion im Auswärtigen Amt, die sich dafür aussprach, den Protest gegen den französisch-sowjetischen Pakt in den Gesprächen über einen Locarno-Luftpakt bzw. einen multilateralen Ostpakt zu nutzen. Entsprechend der Linie Bülows, die Ablehnung des französisch-sowjetischen Bündnisses zum Ansatzpunkt einer deutsch-britischen Verständigung zu machen, die sich am besten im Rahmen

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Aufzeichnung, o. V. [Gaus], Berlin, 1. 7. 1935, PA AA, R 31622. Diese Anschauung hatte Bülow kurz zuvor schon dem französischen Botschafter vertraulich mitgeteilt, François-Poncet an Laval, Berlin, 29. 6. 1935, DDF, 1. Serie, Bd. XI, Nr. 178, S. 281. So auch Bülow an Cerruti am 17. Juli, DDI, 8. Serie, Bd. I, Nr. 556, S. 583.

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eines Luftpaktes niederschlagen könne993 , gab das Auswärtige Amt in einem Erlass vom Ende Juni 1935 bekannt, man werde die Frage der Unvereinbarkeit des französisch-sowjetischen Paktes mit Locarno wieder in den Verhandlungen über den Luftpakt aufgreifen994 . Die Verhandlungen über einen Luftpakt hatten begonnen, als die Botschafter Englands und Frankreichs am 4. Februar 1935 die Ergebnisse der Londoner Besprechungen in Berlin überbrachten. Die deutschen Reaktionen waren durchaus positiv. Hitler konnte den Vorschlag nicht gut ablehnen, hatte er selbst den Briten vor Jahresfrist einen ganz ähnlichen Vorschlag gemacht, und im Herbst 1934 hatte er Curt v. Lersner und Ribbentrop nach London entsandt, um für einen deutsch-britischen Luftpakt zu werben995 ; zur selben Zeit hatte sich Göring in einem Interview mit Ward Price für einen solchen Pakt stark gemacht996 . Auch die Reichswehr hielt den Luftpaktvorschlag für bedenkenswert. Anders als bei Ost- und Donaupakt schien sich mit dem Luftpakt die Möglichkeit zu eröffnen, „schnelle Sicherheit“ zu schaffen, ohne neue Verpflichtungen zu übernehmen997 . Schließlich war man im Auswärtigen Amt entschlossen, in versöhnlichen Tönen auf das Kommuniqué zu antworten. So stand fest, dass der neue Luftpakt im Kreise der Locarnopartner gezeichnet würde998 , womit sich die Absicht verband, keine neuen Verpflichtungen übernehmen zu müssen999 . Außerdem stellte der Locarnorahmen sicher, dass Großbritannien und Italien als Unterzeichner am Vertrag teilnahmen und sich nicht aus der Verantwortung stahlen. Dazu kam noch eine weitere Überlegung. Ein Pakt über gegenseitigen Beistand in der Luft setzte eine gewisse Stärke der Luftwaffe voraus. Da Deutschland nach dem Versailler Vertrag keine militärische Luftflotte besitzen durfte, sah man die Möglichkeit, die Bestimmungen des Luftpaktes als Hebel anzusetzen, um die in-

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Aufzeichnung Bülow, Berlin, 4. 5. 1935, BAK, ZSg 133/11. Als „Ideallösung“ einer deutsch-britischen Annäherung, schrieb Bülow, betrachte er einen Luftpakt zwischen Frankreich, Italien, England und Deutschland. Informationsschreiben Frohwein, Berlin, 25. 6. 1935, PA AA, R 32245. Cerruti an Mussolini, Berlin, 17. 11. 1934, DDI, 7. Serie, Bd. XVI, Nr. 156, S. 164f. Vgl. Rautenberg: Rüstungspolitik, S. 294f.; Wiggershaus: Flottenvertrag. Weisung an die Presse, 18. 10. 1934, NS-Presseanweisungen, Bd. 2, S. 422. Freilich fehlte dem Luftpaktentwurf, der nun vorlag, das Kernelement von Hitlers Vorschlag, die deutsch-britische Verständigung in Luftfragen zum Ausgangspunkt einer deutsch-britischen Generalkonvention zu machen. In diesem Sinne sprach Böckmann am 4. Februar 1935 mit Frohwein, DGFP, C, Bd. III, Nr. 479, S. 904f. Phipps an Simon, Berlin, 6. 2. 1935, DBFP, 2. Serie, Bd. XII, Nr. 422, S. 498. Übereinstimmung in diesem Punkt ergab ein deutsch-britischer Notenwechsel vom 10. April 1935, Phipps an Neurath, Berlin, 10. 4. 1935, PA AA, R 28810; vgl. auch Aufzeichnung Neurath, Berlin, 15. 2. 1935, PA AA, R 32242.

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ternationale Erlaubnis für den Bau einer Luftstreitmacht herauszuschlagen1000 . Das Reich brauche die Bomber, so lässt sich das deutsche Kalkül umschreiben, um seinen „Verteidigungsbeitrag“ unter den Bestimmungen des Locarno-Luftpaktes erfüllen zu können. Vor diesem Hintergrund waren für das Auswärtige Amt zwei Imperative leitend. Erstens musste die deutsche Antwort auf das Londoner Kommuniqué so bemessen sein, dass sich die anschließenden Verhandlungen möglichst lange hinzögen, um der Reichswehr Zeit für die Rüstung zu verschaffen. Zweitens galt es, die Bestimmungen des Rheinpaktes so in Stellung zu bringen, dass sie die Bildung einer englisch-französisch-russischen Gegenfront verhinderten1001 . Es musste also vermieden werden, dass sich England im Rahmen eines Luftabkommens einseitig zu Gunsten Frankreichs festlegte, während aus deutscher Sicht der Locarnopakt „solche Vereinbarungen schon ausschließen müsste“1002 . Durch „Rückfragen und Vorbehalte“, so hatte Neurath schon am 17. Januar 1935 die Marschroute für die künftigen Verhandlungen festgelegt, solle der Wunsch Frankreichs auf Sonderabreden unterwandert werden. „Es darf sich nicht wiederholen“, so begründete er dieses Vorgehen, „was wir in Locarno und Lausanne erlebten, als uns nach Vollzug unserer Unterschrift die anderen Mächte mitteilten, sie hätten gleichzeitig Sonderabreden untereinander ohne uns (und gegen uns) abgeschlossen.“1003 Die entscheidenden Passagen der Notiz, die Bülow daraufhin entwarf, drehten sich um die deutsche Haltung zur Rüstungsfrage und zum Locarnopakt. Deutschland, so hieß es in Übereinstimmung mit den Besprechungen, welche die Militärs und die Diplomaten im Januar geführt hatten1004 , sehe seine Gleichberechtigung als erreicht an, müsse aber die anderen Staaten daran erinnern, nicht ihre Vertragspflichten zu verletzen, indem sie nicht abrüsteten. Und zum Luftpakt hieß es, dieser werde von der deutschen Führung begrüßt, „(. . . ) so verstanden, dass die im Rheinpakt übernommenen Pflichten präzisiert und ergänzt werden sollten, nach den Grundsätzen völliger Gegenseitigkeit, das würde insbesondere in sich schließen, dass keine Sonderabreden zwischen einzelnen kontrahierenden Mächten geschlossen würden.“1005

Am 7. Februar 1935 teilte Bülow dem italienischen Botschafter vertraulich mit,

1000 1001 1002

1003 1004 1005

Hoesch an das Auswärtige Amt, London, 5. 2. 1935, PA AA, R 32347. Hs. Vermerk Neurath, o. O., o. D. [Februar 1935], PA AA, BA 60991. Weisung an die Presse, 13. 11. 1934, NS-Presseanweisungen, Bd. 2, S. 493; Tagesmeldung, 18. 1. 1935, AdG, 1935, S. 1818; vgl. E. Deuerlein: Die informatorischen Aufzeichnungen des Auswärtigen Amts 1918–1939. Eine bisher unbekannte Geschichtsquelle, in: Außenpolitik 4 (1953), S. 376–384, hier S. 380. Rundschreiben Neurath, Berlin, 17. 1. 1935, PA AA, R 32241. Aufzeichnung Bismarck, o. O., o. D. [Januar 1935], OBS, I 31. Entwurf einer Notiz, o. V. [Bülow], o. O., o. D. [Februar 1935], PA AA, R 28810.

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er habe eine Antwort auf das Londoner Kommuniqué entworfen, die im Moment von Hitler und Neurath geprüft werde1006 . Da geschah das Unerwartete. Hitler lehnte – via Blomberg – die Vorlage Bülows ab und erklärte, er wolle einen eigenen Entwurf erstellen1007 . Gleichzeitig wies er Ribbentrop an, die deutsche Note zu entwerfen1008 . Der bemühte sich in Zusammenarbeit mit Albrecht Haushofer1009 prompt, Hitlers außenpolitischen Absichten Ausdruck zu verleihen1010 . So bemessen war die deutsche Antwort auf das Londoner Kommuniqué, die den Franzosen und den Briten am 14. Februar 1935 übergeben wurde1011 . Sie enthielt eine klare Ablehnung aller Bestrebungen, Deutschlands Rüstungen zu begrenzen oder das Reich in unliebsame Bündnisse zu zwängen. Eine deutsche Rückkehr in den Völkerbund wurde kategorisch ausgeschlossen. Nur das Projekt eines Luftpaktes wurde gelobt. Zum Schluss der Note enthüllten Hitler und Ribbentrop, worauf es ihnen eigentlich ankam. Die deutsche Regierung habe das Bedürfnis, so hieß es, auch einmal mit einem Locarnogaranten zu konferieren, und rege daher einen deutsch-englischen Gedankenaustausch an1012 . Während die deutsche Antwort in der Umgebung Hitlers gelobt wurde1013 , war man im Auswärtigen Amt erschüttert. Das Reich habe sich viel zu weit aus der Deckung gewagt, urteilten die Diplomaten, das Angebot deutsch-britischer Gespräche setze das Reich unter Zugzwang und brüskiere darüber hinaus Frankreich1014 . Um wie viel größer war die Überraschung, als Ende Februar die Nachricht eintraf, Simon werde nach Berlin kommen, um mit Hitler über das Londoner Programm zu verhandeln1015 . Bei diesen Gesprächen, die am 25. und 26. März 1935 stattfanden, wurde auch die Frage des Luftpaktes behandelt. Simon begann die Diskussion mit der Erklärung, man beabsichtige 1006 1007 1008 1009

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1013 1014 1015

Cerruti an Mussolini, Berlin, 7. 2. 1935, DDI, 7. Serie, Bd. XVI, Nr. 561, S. 591–593. Blomberg an Neurath, Berlin, 9. 2. 1935, PA AA, BA 60991. Befragung Gaus, Nürnberg, 16. 3. 1947, IfZ, ZS 705; DDF, 1. Serie, Bd. IX, Nr. 218, S. 351f.; Tagebuch Kennedy, 3. 6. 1935, Kennedy: Journals, S. 179. Der „Englandexperte“ Haushofer war kurz zuvor bei der Unterredung Hitlers mit Lord Lothian anwesend gewesen, ADAP, C, Bd. III, 2, Nr. 468, S. 864–866. Vgl. auch Butler: Lothian, S. 202f. u. S. 330–337. E. Kordt: Nicht aus den Akten. . . , Stuttgart 1950, S. 92; vgl. M. Bloch: Ribbentrop, London u. a. 1994, S. 67. IMT, Bd. XL, S. 501–503. Hitler hatte Neurath am 11. Februar über die Antwort Ribbentrops in Kenntnis gesetzt, PA AA, BA 60991. Ribbentrop rief in diesen Tagen alle seine Bekannten in London an, sie möchten sich für einen britischen Ministerbesuch bei Hitler einsetzen; ausdrücklich erwähnte er, die Briten sollten sich an den Geist von Locarno erinnern, Tagebuch Kennedy, 16. 2. 1935, Kennedy: Journals, S. 161. Tagebuch Goebbels, 16. 2. 1935, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/I, S. 184. François-Poncet an Laval, Berlin, 21. 2. 1935, DDF, 1. Serie, Bd. IX, Nr. 259, S. 404f. Schmidt: Statist, S. 292.

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einen Pakt unter den Locarnomächten abzuschließen, der sofortigen Beistand aller Signatare vorsah für den Fall, dass ein Staat Opfer eines plötzlichen Luftangriffs geworden sei. Der Pakt solle indes kein „selbstständiges Dokument“ sein, sondern lediglich als Teil eines General Settlement fungieren. Demgegenüber bekundete Hitler seine Bereitschaft, an einem Luftlocarno teilzunehmen, verwahrte sich jedoch gegen die Absicht, den Vertrag an ein Rüstungsabkommen zu koppeln. Ihm erscheine es praktischer, so erklärte er Simon und Eden, einen Luftpakt mit einer Bestimmung zu verbinden, die allen Staaten die gleiche Luftwaffenstärke einräumen würde1016 . Den Vorschlag eines Luftpaktes, den Bülow und Gaus kurz zuvor entworfen hatten, griff Hitler in den Gesprächen mit Simon nicht auf. Nach dem deutsch-britischen Gipfeltreffen dümpelte die Luftpaktfrage bald wieder vor sich hin. Während sich Hitler gegenüber Simon und Eden bereit gezeigt hatte, einen Locarno-Luftpakt abzuschließen, erklärte Bismarck den Briten wenige Tage später, man müsse sich erst darüber einigen, ob der Luftpakt von bilateralen Abkommen begleitet sein solle1017 . Und als Außenminister Neurath die Briten am 2. Mai 1935, dem Tag, an dem der französischsowjetische Pakt unterzeichnet wurde, aufforderte, sofort in Luftpaktverhandlungen einzusteigen1018 , schien dies nur ein Reflex auf die französischrussische Annäherung gewesen zu sein, denn innerhalb weniger Tage nahm das Auswärtige Amt seine aufschiebende Haltung wieder ein. Am 8. Mai 1935 instruierte Neurath den deutschen Botschafter in London, Deutschland werde keinen Schritt in der Luftpaktfrage unternehmen, bis die durch den französisch-sowjetischen Beistandspakt entstandene Lage geklärt sei1019 . So ging Hoesch zwei Tage später nach Whitehall, um den Engländern zu erklären, man sei dem Luftpakt gegenüber nach wie vor sehr aufgeschlossen, warte indes mit konkreten Schritten, bis die Prüfung des französisch-sowjetischen Beistandspaktes abgeschlossen sei1020 , und in Berlin erklärte Ribbentrop dem französischen Botschafter, der französisch-sowjetische Pakt sei „skandalös“ und der Luftpakt sei jetzt nicht mehr zu machen1021 . Erst nach der Reichstagsansprache Hitlers vom 21. Mai, in welcher der Kanzler erneut seine Bereitschaft zu einem Luftpakt erklärte, kam Bewegung in die Verhandlungen. Am 25. Mai 1935 – also gleichzeitig mit dem Memorandum über die Unvereinbarkeit des französisch-sowjetischen Paktes mit dem Rheinpakt von Locarno – übergab der deutsche Botschafter in London auf Anweisung 1016 1017 1018 1019 1020 1021

ADAP, C, Bd. III, 2, Nr. 555, S. 1051–1053. Aufzeichnung Bismarck, London, 17. 4. 1935, PA AA, R 33046. Phipps an Simon, London, 2. 5. 1935, BDFA, II, F, Bd. 46, Nr. 101, S. 148. Neurath an Hoesch, Berlin, 8. 5. 1935, PA AA, R 33046. ADAP, C, Bd. IV, 1, Nr. 82, S. 144. Cerruti an Mussolini, Berlin, 15. 5. 1935, DDI, 8. Serie, Bd. I, Nr. 219, S. 236.

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Neuraths einen Entwurf zu einem Luftpakt. Der „Pakt der westeuropäischen Mächte zur Bekräftigung der Verträge von Locarno und zur Verhütung von Luftangriffen“1022 bestätigte in seinem Artikel 1 die volle Gültigkeit der Verträge von Locarno. Die Vertragsstaaten versprachen zudem, dafür zu sorgen, dass Deutschland jederzeit als gleichberechtigte Macht an einem Locarnoverfahren im Völkerbund teilnehmen könne. Artikel 2 enthielt die Klausel, nach der ein Staat, der Opfer eines Luftangriffs geworden sei, sogleich die Unterstützung der anderen Partner erhalten sollte. Artikel 3 bestimmte, dass die Beistandsleistung im Einvernehmen mit dem angegriffenen Staat gewährt würde, was raffiniert auf die Befindlichkeiten der Belgier abgestellt war. Gemäß Artikel 4 sollten es die Vertragsstaaten unterlassen, bilaterale Sonderabreden untereinander zu schließen, „um nicht das Vertrauen in die gleichmäßige Anwendung der vorstehenden Artikel 2 und 3 zu beeinträchtigen“1023 . Artikel 5 schließlich koppelte die Dauer des Paktes an die Geltungsdauer der Locarnoverträge. Der westeuropäische Luftpakt, schrieb Neurath in seiner Erklärung zu dem Entwurf, sei seiner Natur nach eine Ergänzung zum Locarno-Rheinpakt, und fuhr fort: „Es liegt daher nahe, bei dieser Gelegenheit die Frage der Rückwirkungen zu regeln, die unser Ausscheiden aus dem Völkerbund auf das Funktionieren des Locarno-Systems haben würde.“1024 Dies lag auf der Linie, die Bülow und Gaus schon im März 1935 vorausgesehen hatten. Demnach wünsche England die deutsche Rückkehr nach Genf, so hatten sie in einer Vorlage für Neurath geschrieben, da der Rheinpakt von Locarno die Zugehörigkeit zum Völkerbund voraussetze1025 . Und am 27. Mai schrieb Gaus an Hoesch, wenn die Engländer fragen würden, wie sich Deutschland den Artikel 1 des Luftpaktes denke, solle man ihnen sagen, damit sei keine Änderung der Völkerbundssatzung gemeint. Zwar ergebe sich die Beteiligung Deutschlands an einem Locarno-Völkerbundsverfahren aus Artikel 17 der Völkerbundssatzung, so Gaus, aber das Auswärtige Amt würde es begrüßen, wenn die anderen Mächte ausdrücklich versprechen würden, sich für eine deutsche Beteiligung einzusetzen1026 . Der Locarno-Luftpakt und die dortigen Vorkehrungen für die Zeit nach dem endgültigen deutschen Abschied aus Genf, so lässt sich das Kalkül der Deutschen fassen, sollten als Hebel in London dienen, um eine Diskussion über die künftige Funktionsweise Locarnos anzuschieben und

1022 1023

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ADAP, C, Bd. IV, 1, Nr. 106, S. 196ff. Dieser Artikel war aus deutscher Sicht der Kernpunkt des Luftpaktentwurfs und sollte bereits im Februar Bestandteil der deutschen Antwort auf das Londoner Kommuniqué sein, Entwurf einer Notiz, o. V., Berlin, o. D. [Februar 1935], PA AA, R 28810. Neurath an die deutsche Botschaft in London, Berlin, 25. 5. 1935, ADAP, C, Bd. IV, 1, Nr. 106, S. 196. Aufzeichnung Gaus und Bülow, Berlin, März 1935, PA AA, BA 60960. Gaus an Hoesch, Berlin, 27. 5. 1935, PA AA, R 32260. Vgl. auch PA AA, R 53010.

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die britische Regierung zu dem Bekenntnis zu bewegen, dass man weiter zu Locarno stehe. Aber der Entwurf scheiterte auf ganzer Linie. Dies lag einmal daran, dass mehrere Bestimmungen für London und Paris nicht annehmbar waren. Artikel 1 bot zwar den Signataren Locarnos eine bedingungslose Bestätigung des Rheinpaktes durch die deutsche Regierung, aber gleichzeitig hätte dieser Artikel das deutsche Ausscheiden aus dem Völkerbund festgeschrieben. Artikel 4 war den französischen Locarnointeressen vollständig entgegengesetzt, und auch London hatte kürzlich zu erkennen gegeben, mit zweiseitigen Abkommen im Rahmen des Luftpaktes einverstanden zu sein. Dazu übergab Berlin den deutschen Entwurf nur in London und nicht in den anderen Hauptstädten der Locarnomächte, was sich mit dem Bestreben deckte, mit England in zweiseitige Verhandlungen einzutreten, die in der einen oder anderen Form den Locarnopakt zum Gegenstand hatten. Viel verheerender für das Schicksal des Luftpaktes erwies sich der Abschluss des deutsch-britischen Flottenabkommens vom 18. Juni 1935. Obwohl in Berlin als „großer Erfolg“ gefeiert1027 , würde dieser Vertrag, wie Bülow schon wenige Tage nach der Unterzeichnung General Beck anvertraute, langfristig den politischen Spielraum gegenüber London verschütten. Der Erfolg des Flottenvertrages, so Bülow, lasse sich nicht beim Luftpakt wiederholen1028 . Die englische Politik, so berichtete Hoesch von der Themse, sei in Bedrängnis, weil sie von der Abessinienkrise und den Auswirkungen des Marineabkommens zermahlen würde1029 . Das Auswärtige Amt, so schrieb Neurath deshalb wenige Tage später in einem Runderlass, erwarte für die nächste Zeit eine kühlere Haltung Englands gegenüber dem Reich, denn dies sei das Prinzip der englischen „Pendelpolitik“1030 . An eine Verwirklichung des deutschen Luftpaktvorschlags, das erfasste Bülow1031 , war im Moment nicht zu denken. Während es den Deutschen nicht gelang, mit dem Luftpakt deutsch-briti1027

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So urteilte Weizsäcker, die Militärklauseln des Versailler Vertrages seien nun „keinen Sous“ mehr wert; England ermögliche Paris, im britischen Windschatten einen Ausgleich mit Deutschland zu finden, Tagebuch Weizsäcker, 20. 6. 1935, Hill: Weizsäcker, Bd. 2, S. 90. Aufzeichnung Beck, Berlin, 22. 6. 1935, BA-MA, N 28/2. An Neurath schrieb der Staatssekretär, die Engländer würden sich jetzt wieder Frankreich annähern, „zum Ausgleich für ihren Fehltritt eines Flottenabkommens mit Deutschland.“ ADAP, C, Bd. IV, 1, Nr. 234, S. 496. Hoesch an das Auswärtige Amt, London, 5. 7. 1935, PA AA, R 76988. Hitler las den Bericht am 16. Juli. Runderlass Neurath, Berlin, 15. 7. 1935, ADAP, C, Bd. IV, 1 Nr. 207, S. 440. Am selben Tag berichtete der deutsche Marineattaché aus London, England werde in nächster Zeit wieder mehr Rücksicht auf Frankreich nehmen, Bericht Wassner, London, 15. 7. 1935, PA AA, R 30065 b. Aufzeichnung Etzdorf, o. O., 3. 8. 1935, BAK, N 1310/10.

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sche Gespräche anzustoßen, plädierte eine Strömung im Auswärtigen Amt, zu der vor allem Bülow, Gaus, Köpke und Meyer zählten, dafür, den politischen Ertrag des deutschen Protests zu kassieren, solange die Westmächte bereit waren, einen Preis dafür zu entrichten, indem man eine deutsche Teilnahme an einem östlichen Kollektivvertrag ins Auge fasste. Hintergrund waren die Bestrebungen Englands und Frankreichs, die deutschen Bedenken gegen den französisch-sowjetischen Beistandspakt zu zerstreuen, indem sie den Deutschen den alten Ostpakt wieder schmackhaft machen wollten. Schien das Projekt des kollektiven Ostpaktes durch den Abschluss des zweiseitigen Paktes zwischen Paris und Moskau endgültig begraben zu sein, wollte Laval, der ohnehin kein glühender Anhänger des Paktes war, die Sache nicht auf sich beruhen lassen. Am 3. Juni 1935 übergab er dem deutschen Botschafter eine Note, in welcher er das Auswärtige Amt aufforderte, weiter über einen Ostpakt unter Beteiligung Deutschlands zu verhandeln1032 . Der Vertrag sei noch nicht vom Tisch, so Laval, schließlich habe Deutschland am 12. April seine Bereitschaft erklärt, einem östlichen Kollektivpakt auf der Basis von Nichtangriff, Konsultationen und Nichtunterstützung des Angreifers beizutreten1033 . Auch für Frankreich sei mit dem französisch-sowjetischen Pakt die Tür zu einer Vereinbarung mit dem Reich noch nicht geschlossen, denn in Ziffer 3 des Protokolls hieß es ausdrücklich, dass der französisch-sowjetische Pakt fortfalle, wenn ein Ostlocarno zu Stande käme1034 . Diese Bestimmung war durchaus keine Phrase, sondern entsprach der Linie des Quai d’Orsay. Ein Ostpakt unter Teilnahme Deutschlands sei weiterhin das Ziel der französischen Diplomatie, bestimmte eine Vorlage der Politischen Abteilung vom 19. Juli 1935, weil die französischen Verpflichtungen unter dem zweiseitigen Pakt schwerer wögen als unter einem Ostpakt, an welchem noch Polen und die baltischen Staaten teilnähmen1035 . Aus ähnlichen Gründen fanden sich im Laufe der Sommermonate auch die Briten bereit, den französischen Bemühungen beizuspringen, das Deutsche Reich in den Ostpakt zu drängen. War es London zunächst nicht gelungen, eine zweiseitige Allianz zwischen Paris und Moskau zu verhindern, blieb das Foreign Office entschlossen, weiter den kleinsten Strohhalm zu ergreifen, Deutschland in eine östliche Kombination zu zwingen, um so den Zerfall Europas in rivalisierende Blöcke zu verhindern. Wie den Franzosen diente auch den Briten die Erklärung Neuraths vom 12. April 1935, wonach Deutschland über einen östlichen Nichtangriffspakt zu verhandeln bereit sei, als Hebel,

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ADAP, C, Bd. IV, 1, Nr. 127, S. 238f. Ebenda; vgl. Beloff: Russia, Bd. 1, S. 158. ADAP, C, Bd. IV, 1, Nr. 172, S. 350. DDF, 1. Serie, Bd. XI, Nr. 312, S. 459f.

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das Tor zu Gesprächen aufzustoßen1036 . Die britische Regierung, so hieß es in einem Aide-Memoire, welches dem Auswärtigen Amt am 5. August 1935 übergeben wurde, hoffe inständig, dass Deutschland bereit sei, einen kollektiven Nichtangriffspakt mit den Staaten Osteuropas abzuschließen, wie es der Reichsaußenminister im April erklärt hatte. Eine deutsche Ablehnung hingegen würde nicht nur einen beklagenswerten Eindruck in der Öffentlichkeit machen, sondern auch dem Luftpaktprojekt, an welchem auch Hitler sein Interesse bekundet hat, den Boden entziehen1037 . In Berlin lösten diese Bemühungen eine rege Geschäftigkeit aus. Anfang August brachte der Leiter der Ostabteilung, Richard Meyer, in einem Schreiben an den Botschafter in London die Anregung hervor, ob Deutschland möglicherweise einen Ostpakt zeichnen könne, um im Gegenzug die britische Teilnahme am Luftpakt zu erhalten1038 . Mit ähnlichen Gedanken war auch Staatssekretär Bülow befasst. Ausgehend von seinem Konzept des „vertraglichen Zustandes“ und darauf spekulierend, dass ein kollektiver Ostpakt den französisch-sowjetischen Beistandspakt ablösen und damit den Widerspruch zu Locarno heilen würde, dachte Bülow seit Ende Juni 1935 laut darüber nach, einen mit den bestehenden Vertragssystemen vereinbaren Ostpakt abzuschließen1039 . Dazu bat er die Abteilungen um eine Prüfung, ob es sinnvoll für Deutschland wäre, in der Ostpaktfrage materiell weiter zu verhandeln1040 . Am 3. Juli 1935 legten Gaus und Meyer ihre Stellungnahmen vor. Die Aufzeichnung der Rechtsabteilung stellte fest, dass ein nach dem deutschen Muster konzipierter Ostpakt kaum neue Verpflichtungen enthalte; seine Funktion als „Bremse“ für den französisch-sowjetischen Beistandspakt sei eher unwahrscheinlich1041 . Ähnlich urteilte die Vorlage der Abteilung IV. Der Ostpakt, so schrieb Meyer, würde den französisch-sowjetischen Beistandspakt nur dann „überwölben“, wenn eine Vertragsklausel dies ausdrücklich bestimme1042 . Daher lehnte er den Ostpakt als solchen ab. Man 1036

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Ende Juli 1935 rief Hoesch aus London an und teilte mit, Wigram habe ihn auf den Ostpakt festnageln wollen, zu dem sich Deutschland im April bereit erklärt hätte. Der Brite habe gar behauptet, Deutschland habe sich am 12. April mit dem Abschluss von Offensivabreden einverstanden erklärt. Dies stellte sich indes als Übermittlungsfehler heraus, Aufzeichnung Bülow, Berlin, 30. 7. 1935, PA AA, R 31623; Aufzeichnung Bülow, Berlin, 30. 7. 1935, PA AA, R 29462. Aufzeichnung Bülow, Berlin, 5. 8. 1935, ADAP, C, Bd. IV, 1, Nr. 248, S. 527f. Meyer an Hoesch, Berlin, 9. 8. 1935, ebenda, Nr. 259, S. 544f. Tagebuch Phipps, 24. 6. 1935, Johnson: Phipps, S. 112. Wörtlich erklärte Bülow: „[I]t might be possible to begin considering the numerous technical difficulties in the way of an Eastern Pact, and how it could be brought into harmony with the already existing, vast net-work of pacts converging Moscow, Berlin and Warsaw respectively.“ Bülow an Barandon, Berlin, 28. 6. 1935, PA AA, R 53049. Aufzeichnung der Abteilung V, o. V. [Gaus], Berlin, 3. 7. 1935, ebenda. Aufzeichnung Meyer, Berlin, 3. 7. 1935, ebenda.

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

könne sich freilich überlegen, so schloss Meyer seine Darlegungen ab, welche Rolle der Ostpakt in der deutschen Gesamtpolitik spielte und ob Vorteile auf anderen Gebieten herausspringen könnten1043 . Ganz anders argumentierte der Leiter der Westeuropaabteilung, der sich am 1. Juli in einer grundlegenden Denkschrift mit der französischen Taktik in der Ostpaktfrage befasste1044 . Das Festhalten des Quai d’Orsay am Ostpakt (obwohl der französisch-sowjetische Pakt bereits unter Dach und Fach war) zeige, so Köpke, dass es der deutschen Politik gelungen sei, die französische Politik auf die letzte „Rückzugslinie“ zu drängen. Wenn dieser Ostpakt scheitere, wäre das der Abschluss dieser Politik; damit stünde Frankreich am Scheideweg. Frankreich habe bislang, so Köpke, eine zweigleisige Politik gegenüber Deutschland verfolgt. Auf der einen Seite errichteten Männer wie Foch und Poincaré ein gegen das Reich gerichtetes Bündnissystem. Auf der anderen Seite stehe das „Erbe Briands“, das in dem Versuch gipfelte, Deutschland in den „Genfer Rahmen“ einzupassen1045 . Beide Schienen seien in Locarno eine scheinbar harmonische Verbindung eingegangen. Diese Zweigleisigkeit stünde auf dem Spiel. Frankreich müsse sich entscheiden, ob es seine Bündnisse lediglich als Rückversicherung betrachten wolle, für den Fall, dass der Völkerbund und Locarno versagen würden, oder ob es die Allianzen zur Dominante seiner Politik erheben wolle. Hier entfalte sich, so Köpke, ein „Gegensatz der Doktrin“ zwischen Frankreich und Deutschland. Die Sicherheit Frankreichs beruhe auf Kollektivverträgen über gegenseitigen Beistand, während Deutschland bislang erklärt hatte, bilateralen Abmachungen den Vorzug zu geben. Genau an dieser Stelle setzte Köpke mit seiner Kritik an. Das Verharren auf dem bilateralen Standpunkt sowie der Hinweis auf den französisch-sowjetischen Bündnisvertrag sei auf Dauer keine erfolgreiche Strategie. Besser, so Köpke, sei eine größere Allgemeinheit der Verträge zu fordern, wie es das Auswärtige Amt in den Verhandlungen über den Kelloggpakt erfolgreich betrieben hatte1046 . Jetzt läge es an Deutschlands Verhalten gegenüber dem Ostpakt, so der Appell Köpkes, darüber zu entscheiden, ob Frankreich das Erbe Briands bewahre oder 1043

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In einer auf den 2. Juli datierten, vorläufigen Version der Aufzeichnung, die sich im Nachlass Lieres befindet, wurden als solche Vorteile genannt: Schiedsvertrag mit Russland; Prestigegewinn für Deutschland; Luftpakt als Preis; Nagelprobe gegenüber Frankreich, was bei einer deutsch-französischen Verständigung herausspränge, Aufzeichnung, o. V., Berlin, 2. 7. 1935, PA AA, NL Lieres und Wilkau, Karton 531, Nr. 12. Aufzeichnung, o. V., Berlin, 1. 7. 1935, PA AA, R 31622. Dass Köpke der Autor der Denkschrift war, ergibt sich auf einer Abschrift, die sich in den Akten der Botschaft Paris befindet, PA AA, Botschaft Paris 464 b. Ebenda. Vgl. Speidel: Erinnerungen, S. 63. Aufzeichnung, o. V., Berlin, 1. 7. 1935, PA AA, R 31622. Hier irrt Ahmann, der annimmt, Köpke plädiere in seiner Denkschrift für zweiseitige Nichtangriffspakte, vgl. Ahmann: Sicherheitsprobleme, S. 199.

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ob die Bündnisse mit Polen und Russland wieder zum dominierenden Faktor der französischen Politik würden1047 . In dieser Lage unternahm Bülow – trotz aller Zweifel1048 – einen letzten Versuch, dem Deutschen Reich ein tragfähiges Sicherheitskorsett zu verpassen, indem er sich mit warnenden Worten an seinen Chef wandte. „Wie wir schon vor Monaten vorausgesehen [haben]“, schrieb er am 30. Juli 1935 an Neurath, „bringen uns diese Sommerwochen in eine unbequeme Situation in Bezug auf die verschiedenen Paktfragen.“1049 Die ausweichende Haltung Deutschlands, so Bülow, werfe ein schlechtes Licht auf die deutsche Führung und schweiße die Stresafront wieder zusammen. Man müsse sich im Auswärtigen Amt darüber klar werden, welche Ziele man verfolge und wie man diese erreichen wolle. Zwei Gründe waren es, die Bülow klarmachen mussten, dass die ausweichende Haltung nicht länger fortzusetzen war. Erstens war dies die Erkenntnis, dass die Aufgabe, dem Reich in den nächsten Monaten Sicherheit zu verschaffen, allein auf den Schultern des Auswärtigen Amtes ruhte (da die Armee nach wie vor nicht stark genug war). Durch dilatorische Verhandlungen, so musste es Bülow immer wieder predigen, war diese Sicherheit zusätzlich gefährdet. Dies lag vor allem am französisch-sowjetischen Beistandspakt. Am 25. Mai 1935 hatte das Auswärtige Amt bei allen Locarnopartnern eine Demarche unternommen und behauptet, das neue Vertragsinstrument sei mit dem Rheinpakt von Locarno nicht vereinbar. Als das Auswärtige Amt Ende Juli alle Antworten darauf in der Hand hielt, kam man nicht umhin, die Aktion als völligen Fehlschlag zu bezeichnen. Nichts war erreicht, und die Engländer, wie Neurath am 7. August 1935 klagte, hätten die deutschen Absichten völlig missverstanden1050 . Vor allem, und das war das Entscheidende, war eine weitere Verzögerung der Paktverhandlungen unter Verweis auf die Unverträglichkeit des französisch-sowjetischen Paktes mit Locarno schlechterdings nicht mehr möglich. Zweitens kam die – aus Sicht der Zentrale – ungeschickte Verhandlungsführung des deutschen Botschafters in Paris, Roland Köster. Der hatte sich Ende Juli mit Laval und Léger über den Ostpakt unterhalten und war über den Rahmen seiner Instruktionen weit hinausgeschossen. Köster hatte unter anderem die Frage angeschnitten, welche Staaten am Ostpakt teilnehmen sollen und 1047 1048

1049 1050

Aufzeichnung Köpke, Berlin, 1. 7. 1935, PA AA, Botschaft Paris 464 b. So mochte Bülow den französischen Versicherungen über die Tragweite des französisch-sowjetischen Beistandspaktes nicht recht glauben. Ein Ostpakt, so vertraute er dem italienischen Botschafter Mitte Juli 1935 an, werde den französisch-sowjetischen Beistandspakt wohl nicht ersetzen; der solle als „Annex“ zum Ostpakt fortbestehen, Cerruti an Mussolini, Berlin, 17. 7. 1935, DDI, 8. Serie, Bd. I, Nr. 556, S. 583. Bülow an Neurath, Berlin, 30. 7. 1935, ADAP, C, Bd. IV, 1, Nr. 234, S. 496; vgl. Wendt: Großdeutschland, S. 89. ADAP, C, Bd. IV, 1, Nr. 252, S. 533.

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hatte die Möglichkeit einer französischen Garantie für den Ostpakt angesprochen1051 . „Mit Ihrem Telegramm“, schrieb Bülow am 30. Juli aufgeregt nach Paris, „haben Sie uns einen schönen Schrecken eingejagt.“1052 Kösters Unterredungen hätten einen viel zu offiziellen Charakter gehabt. Es habe den Anschein, so lautete der Vorwurf Bülows, als sei Deutschland zum Abschluss eines Ostpaktes auf der von Köster skizzierten Grundlage bereit. Bülow musste in diesem Moment klar geworden sein, dass es kaum möglich sein würde, in den Paktfragen hinhaltend zu verhandeln, ohne sich zu verheddern1053 . Es gebe, schrieb er angesichts dieser Analyse der Lage am 30. Juli an den urlaubenden Außenminister, drei Möglichkeiten, wie das Auswärtige Amt die Paktverhandlungen angehen könne. Erstens könne man die Projekte rundweg ablehnen. Die zweite Möglichkeit bestünde darin, zum Schein Verhandlungen einzuleiten, um diese dann in einem günstigen Moment platzen zu lassen. Der dritte Weg wäre, den Ost- oder Donaupakt so weit zu verwässern, dass man bedenkenlos unterschreiben könne1054 . Welcher Weg einzuschlagen sei, darüber müsse Hitler bestimmen1055 . „Solange die entscheidende Richtlinie des Führers und Reichskanzlers nicht vorliegt“, schrieb Bülow am 10. August, „können wir in sachliche Besprechungen weder mit den Franzosen noch mit den Engländern eintreten, da wir uns dabei sehr leicht in falscher Richtung festlegen würden.“1056 War die Richtlinie der obersten Führung nicht zu bekommen, so Bülow, solle man gegenüber dem Ausland offen erklären, wegen der Ferienzeit sei mit einer deutschen Stellungnahme in allen Paktfragen vor Oktober nicht zu rechnen1057 . Statt weiter zu verhandeln, so regte er gegenüber Neurath an, sei es angezeigt, dass der Reichskanzler im Rahmen seiner Kundgebung auf dem Nürnberger Reichsparteitag einige Worte zur „Götterdämmerung der Kollektivpakte“ sage1058 . Dies, so Bülow, wäre die angemessene Reaktion auf „das allmählich immer deutlicher werdende Versagen der kollektiven Methode der Friedenssicherung“1059 . 1051 1052 1053

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DGFP, C, Bd. IV, Nr. 223, S. 475 u. Nr. 225, S. 482f.; BDFA, II, F, Bd. 46, Nr. 153, S. 230f. ADAP, C, Bd. IV, 1, Nr. 235, S. 499. Köster traf am 1. August nochmals mit Laval zusammen, um den schlechten Eindruck seiner vorangegangenen Unterredungen abzumildern, Köster an Bülow, Paris, 1. 8. 1935, PA AA, R 29519. Bülow an Neurath, Berlin, 30. 7. 1935, ADAP, C, Bd. IV, 1, Nr. 234, S. 497. So erklärte Bülow dem britischen Geschäftsträger, das entscheidende Gespräch zwischen Hitler und Neurath darüber, wohin der deutsche Kurs fortan gehe, finde erst nach den Sommerferien statt, Newton an Hoare, Berlin, 22. 8. 1935, DBFP, 2. Serie, Bd. XIII, Nr. 480, S. 615f. Bülow an Köster, Berlin, 10. 8. 1935, ADAP, C, Bd. IV, 1, Nr. 260, S. 545. Ebenda, Nr. 234, S. 498. Bülow an Neurath, Berlin, 31. 8. 1935, ebenda, Nr. 280, S. 594. Die deutschen Zeitungen erhielten schon Mitte Juli den Hinweis, über die Problematik

4.5 Die deutschen Vorstöße zu einer verhandelten Locarno-Lösung (1935/36)

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Bülow, der von sich selbst sagte, „dies ewige Ausweichen“1060 satt zu haben, sprach sich für dafür aus, nicht alle Gesprächsfäden zu kappen, sondern einen internationalen Pakt unter der Bedingung zu zeichnen, dass der Vertrag den deutschen Revisionsinteressen nicht schade. Unterstützung erhielt Bülow von Köpke und Gaus. In einer Aufzeichnung über den Donaupakt vom 5. August 1935 betonte Köpke, es sei dringend erwünscht, „nunmehr das Endziel der Verhandlungen über beide Pakte [d. h. Ost- und Donaupakt] festzulegen“1061 . Gaus stimmte diesem Ansinnen ausdrücklich zu1062 . Diese Schiene aufgreifend plädierte Bülow dafür, sich jetzt festzulegen und dem Ost- oder Donaupakt beizutreten. „Auch ich“, so schrieb er am 5. August 1935 an Neurath, „möchte die Dringlichkeit einer Marschroute betonen.“1063 Wenn die deutsche Regierung nicht wisse, was sie wolle, so der Staatssekretär, würden sich ihre Argumente einmal gegen sie selbst richten. Und in einem Zusatz für Neurath auf der Vorlage Köpkes schrieb Bülow, beide Pakte könnten gefahrlos vom Reich gezeichnet werden, denn sie würden nur bestehende Tatsachen bestätigen und seien „materiell ohne Bedeutung“1064 . Gegen den Vorstoß Bülows regte sich Widerstand im Auswärtigen Amt. Die Gruppe, zu der Neurath, Hassell, Hoesch und Frohwein gehörten, befürwortete den Kurs, alle weiteren Verhandlungen mit dem Hinweis auszusetzen, die Rückwirkungen des französisch-sowjetischen Beistandspaktes auf Locarno seien nicht zufriedenstellend geklärt. So hatte Hassell schon im Mai gegenüber Suvich erklärt, der französisch-sowjetische Pakt sei eine klare Allianz und nicht vereinbar mit dem Locarnopakt. Das, so Hassell, habe auch Rückwirkungen auf den geplanten Donaupakt1065 . Ähnlich hatte sich Hoesch ausgesprochen. Das Auswärtige Amt, so ließ er sich gegenüber Simon vernehmen, sehe im Pakt mit Moskau ein Bündnis, dessen Casus foederis allein auf Deutschland abgestellt sei. Bis die rechtliche Prüfung abgeschlossen sei, werde das Auswärtige Amt keine Initiative in der Sicherheitsfrage übernehmen1066 . Die Erklärung Neuraths vom April, so Hoesch wenige Wochen später, sei durch den Abschluss des französisch-sowjetischen Beistandspaktes obsolet geworden. Maßgebend seien nun die Punkte, die der Reichskanzler am 21. Mai 1935 verkündet hat-

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der Kollektivverträge zu berichten und dabei insbesondere auf den Locarnopakt einzugehen, der durch den französisch-sowjetischen Pakt einen „Knacks“ erhalten habe, Weisung an die Presse, 13. 7. 1935, NS-Presseanweisungen, Bd. 3/I, S. 430. ADAP, C, Bd. IV, 1, Nr. 234, S. 497. Aufzeichnung Köpke, Berlin, 5. 8. 1935, ebenda, Nr. 249, S. 530. Ebenda, S. 530 Anm. 5. Bülow an Neurath, Berlin, 5. 8. 1935, BAK, N 1310/10. Ebenda. Hassell an das Auswärtige Amt, Rom, 10. 5. 1935, ADAP, C, Bd. IV, 1, Nr. 81, S. 141–143. Hoesch an das Auswärtige Amt, London, 10. 5. 1935, ebenda, Nr. 82, S. 143–145.

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te und in denen keine Rede von multilateralen Nichtangriffspakten war1067 . Und in einem Privatschreiben an Meyer gab er zwar zu, dass ein deutscher Beitritt zum Ostpakt den deutschen Interessen kaum Schaden zufügen würde, aber aus „Gründen der politischen Moral und aus Gründen der Selbstachtung“, so Hoesch, müsse er sich gegen den Ostpakt aussprechen. Frankreich wolle nur, so begründete er seine Ablehnung, dass Deutschland das französisch-sowjetische Bündnis im Nachhinein legitimiere1068 . Schließlich ließ auch Köster kein gutes Haar an dem Flirt mit dem Ostpakt. Die Konstante der französischen Politik, so bemerkte er am Rande der Denkschrift Köpkes, sei seit den Zeiten Barthous das Bündnis mit Russland. Die Aussicht auf eine französisch-deutsche Verständigung, die sich mit dem Namen Lavals verband, sei nur ein Hintertürchen für Frankreich und sei kaum ernst gemeint1069 . In einer Aufzeichnung mit dem Titel „Stichworte betreffend den Ostpakt“ sprach sich auch Frohwein für eine Fortsetzung der dilatorischen Haltung aus. Der französisch-sowjetische Pakt, so hieß es da, schaffe eine neue Sachlage, die Deutschland zwänge, den Ostpakt abzulehnen. Unter Verweis auf die vielen problematischen Punkte – Frohwein nannte u. a. die Spitze gegen das Reich, das Verhältnis zu Völkerbund und Locarno – könne es gelingen, die Verhandlungen in die Länge zu ziehen, um die Unterschiede zwischen Frankreich und Russland bloßzulegen1070 . Angesichts dieser breiten Ablehnung des Ostpaktes mochte Neurath den Argumenten seines Staatssekretärs nicht folgen. Deutschland werde den Franzosen bezüglich des Ostpaktes nicht antworten, so vertraute Neurath dem britischen Botschafter an, bevor Frankreich in der Frage des französischsowjetischen Bündnisvertrages geantwortet habe1071 . Und am 7. August 1935 schrieb er Bülow aus Leinfelden, der Versuch der Westmächte, Deutschland in Paktfragen unter Druck zu setzen, sei ein Manöver, um von der Abessinienkrise abzulenken. Frühzeitige Festlegungen seien zu vermeiden. Er könne daher dem Reichskanzler nicht raten, jetzt eine definitive Stellungnahme abzugeben. Dagegen wies Neurath seinen Staatssekretär an, eine Weisung an alle Missionen zu verschicken, wonach keine deutsche Stellungnahme bis Oktober zu

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Aufzeichnung Neurath, Berlin, 20. 5. 1935, BAK, N 1310/171; ADAP, C, Bd. IV, 1, Nr. 236, S. 502. Hoesch an Meyer, London, 15. 8. 1935, ebenda, Nr. 262, S. 551. PA AA, Botschaft Paris 464 b. Aufzeichnung Frohwein, Berlin, 29. 7. 1935, PA AA, R 32254. Aufzeichnung Neurath, Berlin, 24. 6. 1935, ADAP, C, Bd. IV, 1, Nr. 167, S. 343; Phipps an Hoare, Berlin, 24. 6. 1935, TNA, FO 371/18847; Tagebuch Phipps, 24. 6. 1935, Johnson: Phipps, S. 111. Bereits am 5. Juni hatte Bülow in einem Runderlass angekündigt, man wolle mit der Antwort auf den Ostpakt noch eine Weile warten, PA AA, R 31621.

4.5 Die deutschen Vorstöße zu einer verhandelten Locarno-Lösung (1935/36)

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erwarten sei1072 . Am selben Tag setzte der Reichsaußenminister den in Oberbayern weilenden Hitler in Kenntnis1073 . In seinem Schreiben wiederholte er die These, Paris und London schöben die Paktfrage in den Vordergrund, um die „klägliche Rolle des Völkerbunds in der Abessinienfrage zu vertuschen“. Es bestehe keine Veranlassung, sich auf Verhandlungen einzulassen, die nur dazu dienen sollten, Deutschland als Störenfried dastehen zu lassen. Er, Neurath, habe Anweisung gegeben, vorerst keine Stellungnahme zu den Paktfragen abzugeben und entsprechende Anfragen „kaltblütig“ zu beantworten1074 . Angesichts der Kritik aus dem Auswärtigen Amt war auf der Linie Bülows kein Fortkommen möglich. Stattdessen wies Neurath am 27. Juli die deutschen Botschafter in Paris, London und Rom sowie den Gesandten in Brüssel an, eine mündliche Erklärung abzugeben des Inhalts, dass Deutschland alle Antworten auf die deutsche Demarche vom 25. Mai 1935 erhalten habe, sich jedoch nicht in Lage sehe, sich mit den dort ausgeführten Rechtsdarlegungen einverstanden zu erklären. Indes sehe man keinen Nutzen darin, weiter Denkschriften auszutauschen, behalte sich aber vor, die Frage der Unvereinbarkeit des Beistandspaktes mit Locarno im Rahmen anderweitiger Verhandlungen anzuschneiden1075 . Zusätzlich ging am 9. August 1935 ein Erlass heraus, der alle Verhandlungen suspendierte. An diesem Tag drahtete das Auswärtige Amt an die Botschaften in Paris, London, Warschau, Moskau und Rom, die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Paktprojekten (Ost-, Luft- und Donaupakt) und den allgemeinen weltpolitischen Fragen seien derartig eng, dass diese Komplexe nicht getrennt erörtert werden könnten. Zuvor müsse man diese Fragen gründlich und sachlich prüfen, was – auf Grund der Ferienzeit – nicht vor Oktober abgeschlossen sein würde1076 . Dieser so genannte Bremserlass bildete die Grundlage für die „Politik des toten Mannes“1077 , die nicht nur zum Signum der deutschen Politik im Herbst und Winter 1935 wurde, sondern gleichzeitig das endgültige Scheitern der politischen Konzeptionen Bülows, den scheidenden Locarnopakt durch einen anderen „vertraglichen Zustand“ zu ersetzen, markierte. Der Mann, der im Frühjahr 1933 angetreten war, die deutschen Interessen gegen alle nationalsozialistischen Schlechtigkeiten zu verteidigen, musste im September 1935 nach

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Neurath an Bülow, Leinfelden, 7. 8. 1935, ADAP, C, Bd. IV, 1, Nr. 252, S. 533. AdR Hitler, Bd. II, 2, Nr. 527*, S. 1117. Neurath an Hitler, Leinfelden, 7. 8. 1935, ADAP, C, Bd. IV, 1, Nr. 253, S. 535. Ebenda, Nr. 230, S. 483f.; Informationsschreiben Frohwein, Berlin, 25. 6. 1935, PA AA, R 32245; Etzdorf an Dirksen, Berlin, 29. 6. 1935, PA AA, NL Dirksen, Bd. 2. ADAP, C, Bd. IV, 1, Nr. 252, S. 533 Anm. 5. Noch am 16. September erklärte Neurath dem britischen Botschafter, man warte mit der Ostpaktantwort auf „ruhigere Zeiten“, vgl. Beloff: Russia, Bd. 1, S. 159. Aufzeichnung Hassell, Rom, 14. 2. 1936, Robertson: Wiederbesetzung, Nr. 3, S. 192.

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all den Enttäuschungen und Rückschlägen frustriert eingestehen: „Man muss sich schämen ein Deutscher zu sein.“1078 4.5.2 Neuraths Programm der „schrittweisen Evolution“ (September 1935. Januar 1936) Trotz des Ringes der Einkreisung, der in London und in Stresa geschmiedet worden war, und des französisch-sowjetisch-tschechischen Bündnisses sei die Situation besser als im Sommer 1934, fasste der junge Diplomat Hasso v. Etzdorf in einem Privatschreiben an den deutschen Botschafter in Tokio, Herbert v. Dirksen, am 29. Juni 1935 die Lage zusammen, dies liege am „Gewinn aus London“1079 . Das Flottenabkommen, so urteilte Etzdorf, sei nicht nur ein Schlag gegen den Versailler Vertrag, sondern sei die Grundlage für ein „ausbaufähiges Zusammengehen“ mit England. Hier erblickte Etzdorf die Aufgaben für die deutsche Politik. In der weiteren Anlehnung an London liege der Schlüssel für die deutsche Sicherheit und die Durchsetzung weiterer Revisionen. Gleichzeitig müsse die deutsche Politik alles vermeiden, was einen „Tatbestand“ zur Anwendung des französisch-sowjetischen Paktes liefern würde1080 . Damit umriss Etzdorf genau die Aufgaben, vor die sich Reichsaußenminister Neurath im Sommer 1935 gestellt sah. Die Sorgen Bülows um Deutschlands Sicherheit teilte Neurath nicht, weshalb er alle Mahnungen, das Reich vertraglich zu binden, in den Wind schlug. Dagegen bezog Neuraths Programm aus zwei ganz anderen Quellen Kraft. Erstens schien der Erfolg Ribbentrops zu zeigen, dass die Zeit reif für ein Zusammengehen mit England sei. Seit er im Frühjahr 1934 zum „Kommissar für Abrüstungsfragen“ ernannt worden war und damit begonnen hatte, ein eigenes Büro aufzubauen, war Ribbentrop mehr und mehr dazu übergegangen, eine selbstständige, parallel zum Auswärtigen Amt geführte Außenpolitik ins Werk zu setzen1081 . Im Herbst 1934 reiste Ribbentrop nach London und Paris, um mit den dortigen Außenministern zu konferieren1082 . Gerüchten zu Folge hatte er einen Vorschlag Hitlers im Gepäck, wonach sich das Deutsche Reich bereit erklären würde, nach der Rückgabe des Saarlandes an Deutschland in den Genfer Völkerbund zurückzukehren, wenn die Alliierten im Gegenzug einer Abschaffung der entmilitarisierten Zone zustimmen würden1083 . Botschafter Hoesch 1078 1079 1080 1081 1082 1083

Tagebuch Fromm, 15. 9. 1935, Fromm: Hitler, S. 233. Etzdorf an Dirksen, Berlin, 29. 6. 1935, PA AA, NL Dirksen, Bd. 2. Ebenda. Vgl. Schmidt: Außenpolitik, S. 69–78. Vgl. Bloch: Ribbentrop, S. 62–66. Ribbentrop an Hitler und Neurath, London, 16. 11. 1934, ADAP, C, Bd. III, 2, Nr. 333, S. 622–624. Tatsächlich bot Ribbentrop im November 1934 gegenüber seinen britischen

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beschwerte sich sogleich bei Neurath über die plumpe Verhandlungsführung des Gesandten1084 , woraufhin der Außenminister Ribbentrop drängte, ein Dementi herauszugeben. Am Locarnopakt zu rütteln, gefährdete nicht nur die Sicherheit Deutschlands, sondern war auch dazu angetan, das taktische Vorgehen des Auswärtigen Amtes in der Saarfrage im Ansatz zu zerstören. Hier hatte das Auswärtige Amt einige Tage zuvor eine Demarche an alle Locarnomächte geschickt. Darin wandte sich die deutsche Seite entschieden gegen Pläne Frankreichs, im Falle von Unruhen Streitkräfte ins Saargebiet zu entsenden, nachdem Informanten der Reichswehr berichtet hatten, die französische Armee führe Truppenverschiebungen an der Grenze zum Saarland durch1085 . Deutschland verwies dagegen darauf, dass ein Einmarsch ins Saargebiet Frankreich unter den Bedingungen Locarnos ins Unrecht setzen würde1086 . Dieser Protest war Teil einer diplomatischen Gesamtstrategie1087 , mit der das Auswärtige Amt versuchte, bis zur Saarabstimmung für Ruhe zu sorgen, indem man für die Zeit danach Verhandlungsbereitschaft und den Willen zu neuen Verträgen signalisierte. Ribbentrops Verhandlungsangebote1088 , die in der Tradition von Hitlers Idee einer Generalbereinigung standen, gefährdeten diese Linie1089 . Im Frühjahr 1935 wuchs der Einfluss des NS-Gesandten weiter, als die Antwort auf das Londoner Kommuniqué und der Entschluss zur Verkündung der Wehrpflicht unter maßgeblicher Beteiligung Ribbentrops zu Stande kamen1090 . Seinen größten Erfolg aber feierte er im Sommer 1935 – er war inzwischen

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Gesprächspartnern einen zweiseitigen Rüstungsausgleich, der von einem Nichtangriffspakt begleitet sein könnte; damit bewegte er sich auf der Linie des von Hitler im Herbst 1933 favorisierten Konzepts der Generalbereinigung, erhielt aber keine Rückendeckung von Hitler, der sich auf eine dilatorische Taktik festgelegt hatte, vgl. Michalka: Ribbentrop, S. 88f. Hoesch an Neurath, London, 16. 11. 1934, OBS, I 31. Aufzeichnung Bülow, Berlin, 15. 11. 1934, ADAP, C, Bd. III, 2, Nr. 328, S. 615f. Neurath an Köster, Berlin, 5. 11. 1934, ebenda, Nr. 297, S. 555; Adelmann an das Auswärtige Amt, Brüssel, 8. 11. 1934, PA AA, R 70241; DDF, 1. Serie, Bd. VIII, Nr. 3, S. 3f., Nr. 32, S. 50f., Nr. 65, S. 89f. u. Nr. 82, S. 111–113; Weisung an die Presse, 7. 11. 1934, NSPresseanweisungen, Bd. 2, S. 476f. Zu dieser Strategie gehörte es z. B. auch, die Aktivitäten der SA sowie der Frontkämpferverbände bis nach der Saarabstimmung einzuschränken, Neurath an Hess, Berlin, 19. 11. 1934, BArch, R 43 II/1438; Anordnung Hess, 20. 10. 1934, IMT, Bd. XXXI, S. 113; Erlass Bürckel, 2. 11. 1934, Ursachen und Folgen, Bd. X, Nr. 2424 d, S. 295f. Im Herbst 1934 soll Ribbentrop gegenüber Otto Abetz erklärt haben, Ziel seiner Außenpolitik sei es, ein „gutes Einvernehmen zwischen den Signatarmächten des Viererpakts“ herzustellen, O. Abetz: Das offene Problem. Ein Rückblick auf zwei Jahrzehnte deutscher Frankreichpolitik, Köln 1951, S. 51. Vgl. Neuraths Äußerungen, Ribbentrop zeige „zu viel Hast“, BDFA, II, F, Bd. 45, Nr. 266, S. 393. Vgl. Schmidt: Außenpolitik, S. 170.

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mit Wirkung zum 1. Juni in den Rang eines Botschafters erhoben worden1091 –, als es ihm gelang, ein zweiseitiges Flottenabkommen mit England abzuschließen. In der Gunst Hitlers machte er damit einen großen Schritt nach vorne1092 . Auf dieser Welle reitend bereiste er im Herbst 1935 alle westlichen Hauptstädte und Warschau, um weitere Verhandlungen einzuleiten1093 . Das Angebot, das er in der Tasche hatte, bestand aus mehreren Komponenten. Erstens sah es vor, die Westmächte sollten sich mit dem Reich auf ein gemeinsames Revisionsprogramm einigen. Dazu gehörte auch die Modifizierung Locarnos, denn die Existenz der entmilitarisierten Zone sei eine „für das deutsche Selbstbewusstsein untragbare Situation“1094 . Zweitens ging die Konzeption Ribbentrops davon aus, den Völkerbund durch eine Serie zweiseitiger Nichtangriffspakte zu ersetzen, die schließlich auch den Rheinpakt von Locarno ablösen sollten1095 . Die dritte Komponente im Sicherheitssystem Ribbentrops war ein Abkommen der vier westlichen Großmächte, um die dauerhafte Neutralisierung Belgiens und Hollands zu garantieren1096 , sowie ein deutsch-britischer Luftpakt, der den Grundstein für eine generelle Regelung mit der Insel legen sollte1097 . Gelänge es nicht, sich entlang dieser Linien zu verständigen, so erklärte Ribbentrop seinen Gesprächspartnern, werde das Reich im Alleingang für seine Sicherheit sorgen1098 . 1091 1092

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Aufzeichnung, o. V., Bonn, 10. 11. 1965, IfZ, ZS 1021. Vgl. Conze: Amt, S. 91. Gleichzeitig sank das Prestige des Auswärtigen Amtes wieder einmal ein Stück. Ende Oktober 1935 gipfelten die Auseinandersetzungen mit Ribbentrop über eine mögliche Reform des Auswärtigen Dienstes in einem Demissionsangebot Neuraths an Hitler. Es sei ein großer Fehler, lautete die genervte Reaktion des Reichskanzlers, dass Neurath sich gegen „notwendige Reformen personeller Art“ sträube, Neurath an Hitler, Berlin, 25. 10. 1935, IMT, Bd. XL, S. 470f.; Aufzeichnung Hassell, o. O., o. D. [ca. 1939], Schlie: Hassell, S. 225. Vgl. Heineman: Neurath, S. 138f. Cerruti an Mussolini, Paris, 8. 11. 1935, DDI, 8. Serie, Bd. II, Nr. 586, S. 565f. Vgl. Bloch: Ribbentrop, S. 77; Haslam: Struggle, S. 89. Michalka: Ribbentrop, S. 150. Tagebuch Kennedy, 24. 11. 1934, Kennedy: Journals, S. 152; Kennedy an Ebbutt, o. O. [London], 29. 11. 1934, ebenda, S. 153f. In diesem Punkt wurde Ribbentrop auch vom Außenpolitischen Amt Rosenbergs unterstützt, BAK, ZSg 133/45. Graf Vernarecci di Fossombrone an Jacomoni, Rom, 11. 11. 1935, DDI, 8. Serie, Bd. II, Nr. 608, S. 588–591; Bericht Ribbentrop, London, 1. 5. 1937, Michalka: Volksgemeinschaft, Nr. 178, S. 232; Hauptbericht „London A 5522“ Ribbentrop, London, 28. 12. 1937, ebenda, Nr. 184, S. 241f.; Abetz: Problem, S. 51. DDI, 8. Serie, Bd. I, Nr. 720, S. 731–733. Den Auftrag, in Luftpaktverhandlungen mit London einzutreten, hatte er direkt von Hitler bekommen. So erklärte Ribbentrop bei einem Abendessen in London, nach dem Abschluss des Flottenpaktes werde er sogleich daran gehen, in London und in Paris Verhandlungen wegen des Luftpaktes aufzunehmen, Tagebuch Kennedy, 17. 6. 1935, Kennedy: Journals, S. 180; Aufzeichnung Vansittart, London, 19. 6. 1935, BDFA, II, F, Bd. 46, Nr. 125, S. 186. Informationsbericht Dertinger, Berlin, September 1935, BAK, ZSg 133/45; J. v. Ribbentrop: Zwischen London und Moskau. Erinnerungen und letzte Aufzeichnungen, aus

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Die Diplomatie Ribbentrops deckte sich mit Neuraths eigener Beurteilung der britischen Politik, die eine deutsch-britische Verständigung zu ermöglichen schien. England unterstütze den „Gedanken der fortschreitenden Evolution des politischen Geschehens“, schlussfolgerte der Reichsaußenminister am 30. September 1935 aus dem bisherigen Verlauf des britisch-französischen Notenwechsels, sei aber gegen weitreichende Bindungen eingestellt. Gemäß ihrem Grundsatz, kollektive Sicherheit „elastisch“ anzuwenden, werde die britische Regierung Sanktionen nur gegen „aggressive Gewalt“ befürworten1099 . Zweitens führte Neurath eine Politik an ihr Ziel, deren Kernideen er seit 1932/33 mit sich herumtrug. Mehr als Bülow war er überzeugt, dass nur militärische Stärke die Grundlage für eine erfolgreiche Außenpolitik bilden kön-

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dem Nachlass hg. v. A. v. Ribbentrop, Leoni 1961, S. 78; vgl. Goldman: Rhineland, S. 23. Nach dem Erfolg des Flottenabkommens gelang es Ribbentrop nur mit Belgien, ernsthafte Verhandlungen anzubahnen. Ende September 1935 reiste Ribbentrop nach Brüssel, um mit verschiedenen Politikern zu sprechen. So empfing ihn am 27. September auch Ministerpräsident van Zeeland. Der Inhalt dieser „privaten“ Unterredung ist nicht abschließend zu klären. Ribbentrop habe eine Reihe versöhnlicher Erklärungen abgegeben, wonach Deutschland keinen Krieg im Westen plane, weiter an eine deutsch-französische Verständigung glaube und treu zu Locarno stehe, aber gleichzeitig klargemacht, dass Deutschland die französischen Erklärungen zum Beistandspakt mit Moskau als unzureichend erachte. Über einen bilateralen Nichtangriffspakt sei nicht gesprochen worden, dagegen habe Ribbentrop angeboten, den Locarnopakt zu „verstärken“. Außerdem habe er das Desinteresse der deutschen Regierung an Eupen klar zum Ausdruck gebracht. Erich Kordt, der Ribbentrop auf dessen Belgienreise begleitete, behauptet in seinen Erinnerungen, es sei Hitler und Ribbentrop darum gegangen, im Gegenzug für die Aufgabe Eupens eine Neutralitätszusicherung Belgiens zu erhalten. Ribbentrop selbst schrieb nach dem Krieg, er habe von der Notwendigkeit gesprochen, den Locarnopakt einer Revision zu unterziehen. Ob er dabei an einen Nichtangriffspakt dachte, wie es sein Bericht bei Hitler nahelegt, oder daran, das Luftpaktprojekt zu revitalisieren, wie der britische Botschafter mutmaßte, muss offen bleiben. Die belgische Seite, das berichtet wiederum Kordt, habe Ribbentrop eine Erklärung vorgelegt, die auf eine feierliche Bekräftigung des Rheinpaktes hinauslief, ohne die Möglichkeit einer belgischen Neutralität zu erwähnen; dies hätten Hitler und Ribbentrop einmütig abgelehnt. Die unmittelbare Reaktion auf Ribbentrops Vorstoß war eine Demarche Kerchoves, der während seiner Abschiedsaudienz bei Hitler am 25. Oktober 1935 vorschlug, Deutschland und Belgien sollten eine gemeinsame Erklärung zu Locarno abgeben. Belgien könne darin erklären, keine Bindungen über die Locarnoverpflichtungen hinaus einzugehen. Im Gegenzug könne die deutsche Führung bestätigen, am Rheinpakt festzuhalten und keine territorialen Ansprüche gegenüber Belgien zu haben. Hitler lehnte ab. Während Deutschland zu Locarno stünde, erklärte er dem Belgier, sei eine Bestandserklärung für das belgische Territorium wegen Eupen-Malmedy nicht möglich, Aufzeichnung Meissner, Berlin, 25. 10. 1935, PA AA, R 70242; DDF, 1. Serie, Bd. XII, Nr. 264, S. 379f., Nr. 270, S. 385f., Nr. 298, S. 418f. u. Nr. 330, S. 468f.; Tagebuch Goebbels, 1. 10. 1935, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/I, S. 301; Kordt: Akten, S. 119 u. S. 128; Ribbentrop: Erinnerungen, S. 78; Klefisch: Belgien, S. 88– 94. Aufzeichnung Neurath, Berlin, 30. 9. 1935, ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 313, S. 658f. Vgl. auch Schreiben Raeder, Berlin, 15. 7. 1935, IMT, Bd. XLI, S. 5.

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ne1100 . Dagegen lehnte er den Völkerbund und den Locarnopakt als Mittel der Friedenssicherung auf das entschiedenste ab1101 ; er hatte ja sein Amt mit dem ausdrücklichen Bekenntnis angetreten, den „üblen Nachlass des Stresemannschen Jonglierens“1102 zu überwinden. Umso mehr trafen die Ausführungen des Kanzlers vom 3. Februar 1933 über den Primat der Wiederwehrhaftmachung auf das Einverständnis Neuraths; noch nach dem Krieg äußerte er seine ausdrückliche Billigung der Methode der deutschen Aufrüstung1103 . Dies drückte sich auch in Neuraths Verhältnis zur Reichswehr aus. Um die Zustimmung der Militärs für die in Genf ausgehandelte Fünfmächteerklärung zu erhalten, war Neurath im Dezember 1932 einen „Pakt“ mit Schleicher eingegangen, wonach die Reichswehr die Erklärung zur Gleichberechtigung akzeptieren würde1104 , wenn der Reichsaußenminister im Gegenzug bereit war, fortan mit einer Taktik in Genf aufzufahren, die auf ein „Aufplatzen“ der Abrüstungskonferenz abzielte1105 . Die Fünfmächteerklärung, so Neurath vor dem Kabinett, stärke die Verhandlungsposition Deutschlands. Wenn der Grundsatz der Gleichberechtigung nicht eingehalten werde, könne das Reich jederzeit der Genfer Konferenz den Rücken kehren1106 . In diesem Sinne erklärte Neurath am 21. Dezember 1932, die deutsche Gleichberechtigung sei als Prinzip der Abrüstungskonferenz anerkannt. Nun müssten Verhandlungen über den „Umbau der Landesverteidigung“ folgen, denn es könne nicht mehr „zweierlei Recht in Wehrfragen“ geben1107 . Zwischenlösungen seien unannehmbar, hieß es daher in den Instruktionen für die Abrüstungsdelegation vom 15. Februar 1933, gelänge es nicht, der Konferenz einen günstigen 1100

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AdR Hitler, Bd. I, 1, Nr. 107, S. 381. In einem Schreiben an den deutschen Vertreter beim Heiligen Stuhl bekannte Neurath, ein Anhänger des Risiko-Gedankens der deutschen Rüstungen zu sein, ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 408, S. 799f. Und im Herbst 1935 lobte Hitler seinen Minister gar, er sei in der Rüstungsfrage „standfester als die Generäle“, Aufzeichnung Hassell, o. O., o. D. [ca. 1939], Schlie: Hassell, S. 225. Nach Ansicht Neuraths waren „bestimmte Paragraphen“ des Locarnopaktes ohne Wert, da Frankreich für sich das Recht der Selbstverteidigung reklamieren würde; dies konnte sich nach Lage der Dinge nur auf einen Fall beziehen, wo Frankreich gegen Deutschland mobilisierte (etwa nach dem Beginn deutsch-polnischer Feindseligkeiten), ohne dass Deutschland zuvor den Locarnopakt verletzt hatte, DGFP, C, Bd. I, Nr. 37, S. 81. Müller an Neurath, Bern, 4. 11. 1932, BAK, N 1310/164. Aufzeichnung Neurath: „Die Ziele meiner Politik“, Spandau, April 1950, BAK, N 1310/242. Vgl. die Ausführungen Schleichers im Dezember 1932 in Vogelsang: Dokumente, Nr. 6, S. 428f. sowie Meier-Welcker an Kaether, Tübingen, 6. 1. 1933, Meier-Welcker: Briefwechsel, Nr. 15, S. 85. Zur Kritik am Kurs Schleichers vgl. Schönheinz an Schleicher, Berlin, 1. 12. 1932, BA-MA, N 42/33. So Blomberg vor den Oberbefehlshabern am 3. Februar 1933, Müller: Dokumentation, Nr. 22, S. 159; vgl. Messerschmidt: Kriegsvorbereitung, S. 572. Ministerbesprechung, 14. 12. 1932, AdR Schleicher, Nr. 24, S. 92. IMT, Bd. XL, S. 482–490; DDF, 1. Serie, Bd. II, Nr. 130, S. 300f.

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Verlauf zu geben, dann müsse Deutschland rechtzeitig mit der Forderung nach „Verwirklichung unserer Gleichberechtigung“ hervortreten, worüber es wahrscheinlich zum Zusammenbruch der Konferenz kommen werde1108 . Die Taktik für die Abrüstungsverhandlungen, auf die sich Neurath mit den Militärs verständigte, war fortan daran ausgerichtet, ob sie die Umrüstung der Reichswehr nach außen abschirmen konnte. Dies war die Folie, auf der Blomberg und Neurath Anfang Februar 1933, unter Umgehung Hitlers, die Weichen für ein verschärftes Vorgehen auf der Genfer Konferenz stellten, das auf eine forcierte deutsche Aufrüstung ohne internationale Bindungen abzielte1109 . Die entmilitarisierte Zone spielte eine wichtige Rolle in dieser Strategie. Bekanntlich verwendete Außenminister Neurath die Aufzeichnungen seines Staatssekretärs als Vorlage für seinen Kabinettsvortrag über den künftigen Kurs der deutschen Außenpolitik vom 7. April 19331110 . Dabei sprach Neurath mit keiner Silbe davon, die entmilitarisierte Zone als Revisionsziel zurückzustellen. Neurath mochte insgeheim hoffen, doch noch zu einer Beseitigung der Artikel 42 und 43 des Versailler Vertrages zu kommen1111 . Wichtiger war es jedoch, die Rheinlandzone in ihrer Funktion für die deutsche Strategie, die Genfer Abrüstungskonferenz bei einem ungünstigen Verlauf unter Verweis auf die Gleichberechtigung Deutschlands auffliegen zu lassen, zu erhalten. Als der Leiter der Genfer Delegation Ende April 1933 in Berlin anfragte, ob man nicht die französische Delegation unter Druck bringen könne, indem man eine beiderseits der Grenze entmilitarisierte Zone forderte1112 , nahm dies Neurath zum Anlass, die Rolle der entmilitarisierten Zone für die Rüstungsverhandlungen zu umreißen. Deutschland werde die Rheinzone auf der Abrüstungskonferenz nicht zur Sprache zu bringen, schrieb Neurath am 2. Mai, da man Deutschland vorwerfen könne, die Konferenz zu sabotieren. Außerdem, so Neurath, könnten die Alliierten auf die Idee kommen, eine entmilitarisierte Zone auch im Osten Deutschlands zu fordern. Aber er sei überzeugt, echte Gleichberechtigung für das Reich könne es erst nach Abschaffung der Zone geben. Daher sei die Rheinzone ein Trumpf (Atout), den Deutschland auf der Hand halte, aber 1108

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Neurath an Nadolny, Berlin, 15. 2. 1933, ADAP, C, Bd. I, 1, Nr. 20, S. 43; Cerruti an Mussolini, Berlin, 16. 2. 1933, DDI, 7. Serie, Bd. XIII, Nr. 96, S. 100. Vgl. auch die Feststellung Bullitts, Neurath bleibe im Amt, um die „Dezember-Politik“ auszuführen, Bullitt an Roosevelt, Berlin, 30./31. 1. 1933, Bullitt: Correspondence, S. 27f. Vgl. L. Lüdicke: Griff nach der Weltherrschaft. Die Außenpolitik des Dritten Reiches 1933–1945, Berlin 2009, S. 39f.; R. F. Schmidt: Struktur, Rahmenbedingungen und Praxis der nationalsozialistischen Außenpolitik in ihren Anfängen (1933/1934), in: P. März et al.: Die Anfänge der braunen Barbarei, München 2004, S. 21–44, hier S. 33f.; ders.: Außenpolitik, S. 143ff. AdR Hitler, Bd. I, 1, Nr. 93, S. 311–327. Meist heißt es, Neurath habe Bülows Denkschrift „gekürzt“ wiedergegeben, vgl. Michalka: Ribbentrop, S. 181f. Mehrmann an Neurath, Berlin, 27. 2. 1933, PA AA, R 53933. Nadolny an das Auswärtige Amt, Genf, 29. 4. 1933, ADAP, C, Bd. I, 1, Nr. 200, S. 362.

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noch nicht ausspiele1113 . Dadurch wurde die Rheinlandzone zu einer wichtigen Karte für die deutsche Strategie, die Gleichberechtigung Deutschlands als Sprengsatz für die Genfer Gespräche herzunehmen1114 . Obwohl man im Herbst 1933 davor zurückschreckte, die entmilitarisierte Zone als Symbol für die verwehrte Gleichberechtigung Deutschlands ins Feld zu führen, hielt Neurath an seiner „Atout-Politik“ fest. Anders als Bülow, der die entmilitarisierte Zone aus allen Diskussionen heraushalten wollte, wies der Reichsaußenminister gebetsmühlenartig auf die Schutzlosigkeit der deutschen Westgrenzen hin, wenn es darum ging, die französischen Militärmaßnahmen an der deutsch-französischen Grenze als Bedrohung für die Sicherheit Deutschlands darzustellen. So übergab er kurz nach dem Besuch Simons und Edens bei Hitler dem britischen Botschafter Kartenmaterial zur entmilitarisierten Zone, um die defencelessness des Reiches zu demonstrieren1115 . Und Anfang Mai 1935 unterrichtete ihn Fritsch über Verstärkungen französischer Truppen in den Grenzforts1116 . Ganz auf dieser Linie stellte Hitler in seiner Rede vom 21. Mai 1935 die entmilitarisierte Zone im Rheinland dem französischen Festungsgürtel der Maginotlinie gegenüber1117 . Im Sommer 1935, nach der Verkündung der Wehrpflicht, erspähte Neurath die Gelegenheit, die „Ungerechtigkeit“1118 an der deutsch-französischen Grenze einer Revision zu unterziehen. Nach wie vor hielt der Außenminister weder etwas davon, das Tempo der Aufrüstung zu bremsen, noch die Schlagzahl der Revision zu reduzieren. Deutschland habe die Bereitschaft erklärt, einem Paktsystem beizutreten, selbst wenn einzelne Mitglieder durch Militärallianzen verbunden seien, erklärte Neurath dem rumänischen Gesandten Anfang Mai 1935 die deutsche Marschroute, aber dies sei von den anderen Mächten in Stresa und Genf nicht honoriert worden. Von nun an würde Deutschland, so der Außenminister, die Maßnahmen, die für seine Sicherheit erforderlich seien, selbst treffen. In der Zwischenzeit würden von Deutschland keine Initiativen ausgehen und man werde abwarten, wie sich die Lage entwickele1119 . Das aus den langfristigen politischen Maximen und den jüngsten Erfahrungen destillierte Programm der „schrittweisen Evolution“1120 , mit dem der 1113 1114 1115 1116 1117 1118 1119 1120

Neurath an Nadolny, Berlin, 2. 5. 1933, ebenda, Nr. 202, S. 365. Um Frankreich nicht zu reizen, forderte auch Neurath, provokatorische Kundgebungen im Rheinland zu unterlassen, AdR Hitler, Bd. I, 1, Nr. 93, S. 318. DBFP, 2. Serie, Bd. XII, Nr. 692, S. 812. Diese Argumentation entwickelte Hitler auch in der Unterredung mit Simon, PA AA, BA 60968. Aufzeichnung Tippelskirch, Berlin, 10. 4. 1935, PA AA, R 34019; BDFA, II, F, Bd. 46, Nr. 101, S. 148. Berber: Locarno, Nr. 34, S. 157. Neurath an Nadolny, Berlin, 10. 1. 1933, BA-MA, RH 2/980. Aufzeichnung Neurath, Berlin, 2. 5 1935, ADAP, C, Bd. IV, 1, Nr. 64, S. 114. W. v. Blücher: Gesandter zwischen Diktatur und Demokratie. Erinnerungen aus den

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Außenminister die Initiative ergriff, umfasste mehrere Kernpunkte. Sein politisches Ziel, so erklärte Neurath den ersten Punkt gegenüber dem designierten Gesandten für Finnland im Mai 1935, sei die Beseitigung aller bestehenden Diskriminierungen, wie z. B. der entmilitarisierten Zone1121 . Dies sollte auf dem Wege der „schrittweisen Evolution“ erfolgen1122 , was nichts anderes bedeutete, als dass Neurath den Fahrplan Hitlers akzeptierte, der nach dem Erlass des Wehrgesetzes zwingend die Besetzung der entmilitarisierten Zone vorsah, und sich damit gegen die Anregung Bülows stellte, die Rheinlandzone zu schonen1123 . Ganz auf dieser Linie hatte schon die deutsche Note vom 20. April 1935 erklärt, die deutsche Regierung sehe im Beschluss des Völkerbundes vom 17. April „den Versuch einer erneuten Diskriminierung Deutschlands“ und behalte sich vor, zu den „Einzelfragen“ in Kürze Stellung zu nehmen1124 . Zweitens sollte England in die Rolle eines Unterstützers deutscher Ansprüche geschoben werden, um die Abschaffung der Diskriminierungen zu erreichen1125 . Eine „sichtbare Anlehnung“ an England, so erklärte der persönliche Sekretär Neuraths im Juni 1935 diesen Punkt, würde die deutsche Sicherheit erhöhen und den deutschen Revisionsforderungen „Durchschlagskraft“ geben. Dies sollte auf dem Weg einer Modifizierung Locarnos, d. h. einer „entsprechenden Anpassung des Vertragswerks (. . . ) an die heutige Lage“1126 geschehen. Wie Ribbentrop glaubte Neurath zunächst, dies mittels eines deutsch-britischen Luftpaktes erreichen zu können. Als Hebel in London sollten die Gefahr des Bolschewismus und der französisch-sowjetische Pakt dienen1127 . Ebenfalls unter Verweis auf den Vertrag zwischen Paris und Mos-

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Jahren 1935–1944, Wiesbaden 1951, S. 12; Niederschrift über eine Unterredung mit Konstantin v. Neurath, Nürnberg, 12. 7. 1946, L. Goldensohn: Die Nürnberger Interviews. Gespräche mit Angeklagten und Zeugen, hg. v. R. Gellately. Mit einem Vorwort von W. Benz, Düsseldorf u. Zürich 2005, S. 236. Schon im Sommer 1934 hatte eine Vorlage der Rechtsabteilung festgestellt, die „Neutralisierung des Rheinlandes“ sei eine der letzten „noch andauernden Diskriminierungen“, Aufzeichnung Woermann, Berlin, 24. 7. 1934, PA AA, R 52327. Blücher: Erinnerungen, S. 12; vgl. auch Weizsäcker: Erinnerungen, S. 134. Dort heißt es, Neuraths Programm sei die „friedliche Evolution“ gewesen. Vgl. auch Heineman: Neurath, S. 48; Petersen: Mussolini, S. 422. Vgl. R. Blasius: Das Alte Amt und die neue Zeit. Die Freiherren von Neurath und von Weizsäcker in der Außenpolitik des „Dritten Reiches“, in: Haus der Geschichte BadenWürttemberg (Hg.): Adel und Nationalsozialismus im deutschen Südwesten, Karlsruhe 2007, S. 104–131, hier S. 113. Berber: Locarno, Nr. 30, S. 111. Bülow-Schwante an Heineman, Bonn, 5. 9. 1963, IfZ, ZS 1021; BDFA, II, F, Bd. 45, Nr. 217, S. 311–313. ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 440, S. 857. PA AA, NL Dirksen, Bd. 2; IfZ, ZS 1021; BAK, N 1310/242; IMT, Bd. XIV, S. 158. Dem amerikanischen Botschafter Dodd erklärte Neurath, das Ziel der deutschen Politik im Osten sei es, die Kontrolle über die Ostsee zu erhalten und Russland „abzuriegeln“; dazu

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

kau, so lautete der dritte Punkt im Programm Neuraths, sollten alle anderen Paktkonstruktionen, die auf den Erhalt des Status quo abzielten, zurückgewiesen werden, solange nicht alle Revisionsforderungen des Reiches erfüllt waren1128 . Vor diesem Hintergrund entzog der Reichsaußenminister den Entspannungsbemühungen Bülows – die er anfangs noch mitgetragen hatte, weil er gehofft hatte, der französisch-sowjetische Pakt könnte England an die Seite Deutschlands drängen1129 – Anfang August 1935 die Unterstützung. „Ich kann dem Reichskanzler (. . . ) nicht raten“, entgegnete Neurath den wieder einmal vorgetragenen Bitten Bülows nach einer klaren Verhandlungsrichtlinie, „sich zu einer endgültigen Stellungnahme jetzt schon zu entscheiden.“1130 An die Stelle der Strategie Bülows trat im Herbst die Pressionsstrategie Neuraths, die mittels einer Taktik der Lockung und Drohung England dazu bewegen sollte, sich mit Deutschland auf eine Modifizierung Locarnos zu einigen. Anders als Bülow, der nach einem Ersatz für Locarno suchte und dies durch Entwürfe zu verschiedenen Vertragsschemata unterstrich, wollte Neurath keine neuen Bindungen eingehen, sondern zielte allein auf eine Auflockerung der Locarnoverpflichtungen ab, indem er die Locarnopolitik Frankreichs und Englands kritisierte, aber keine eigenen Vorschläge unterbreitete. Sollte sich England dem deutschen Drängen entziehen, so lässt sich das Kalkül Neuraths formulieren, würde sich Deutschland in eigener Regie der Verpflichtungen im Rheinland entledigen1131 . Gleichzeitig endete mit der Entscheidung, das britisch-französische Entgegenkommen in der Ostpaktfrage zu ignorieren und den Protest gegen den französisch-sowjetischen Beistandspakt fortan herzunehmen, alle anderen Paktprojekte zu sabotieren, die erste Phase der deutschen Aktion1132 . Im Herbst wurde es zunächst ruhig sowohl um den Ostpakt als auch um den deutschen Protest gegen den französisch-sowjetischen Pakt. Die Sache schien erledigt, wenn auch deutsche Politiker und Diplomaten gelegentlich auf die vermeintliche Unvereinbarkeit des Vertrages mit Locarno hinwiesen. So schimpfte Hitler am 21. November 1935 gegenüber Poncet über den „Russenpakt“1133 , und Renthe-Fink erklärte zur selben Zeit einem Mitarbeiter der französischen Botschaft, Deutschland halte seine Bedenken gegen den französisch-

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brauche man eine deutsch-britische Entente, Tagebuch Dodd, 6. 7. 1935, Dodd: Diplomat, S. 294. Tagebuch Phipps, 24. 6. 1935, Johnson: Phipps, S. 111f. Aufzeichnung Neurath, Berlin, [Mai 1935], PA AA, BA 60966. ADAP, C, Bd. IV, 1, Nr. 252, S. 533; AdR Hitler, Bd. II, 2, Nr. 527*, S. 1117. Vgl. Neuraths Äußerungen im Mai 1935, ADAP, C, Bd. IV, 1, Nr. 64, S. 114. Vgl. Graml: Bülow, S. 168f. François-Poncet an Laval, Berlin, 21. 8. 1935, DDF, 1. Serie, Bd. XII, Nr. 7, S. 12–15. DDF, 1. Serie, Bd. XIII, Nr. 265, S. 384–386.

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sowjetischen Beistandspakt vollumfänglich aufrecht. Dabei ginge es nicht um eine rein juristische Frage, so Renthe-Fink, vielmehr sei man im Auswärtigen Amt irritiert über die neue Orientierung der französischen Politik1134 . Aus der Wilhelmstraße hieß es unverändert, man werde dem französischsowjetischen Pakt seinen Segen nicht erteilen und auf jeden Fall auf die Frage zurückkommen1135 . Erst Mitte Dezember 1935 kam es zur entscheidenden Wende. Aus der ursprünglichen Konzeption, durch die Anmeldung juristischer Zweifel der britischen Locarnotreue auf den Zahn zu fühlen und möglicherweise Modifizierungen am Locarnoverfahren herbeizuführen, wurde unter dem Einfluss von Neuraths Pressionsstrategie die diplomatische Camouflage, hinter der die deutsche Führung die einseitige „Kündigung“ des Locarnopaktes vorbereitete und umsetzte. Vor dem Hintergrund der möglichen Rückwirkungen der beendeten Völkerbundsmitgliedschaft auf den Rheinpakt und der Gerüchte über eine enge Zusammenarbeit der französischen und britischen Militärs verschärfte die deutsche Führung ihre Gangart, um England zu einer Revision des Locarnopaktes zu drängen. Als der französische Botschafter Ende November 1935 in die Wilhelmstraße kam, um die baldige Ratifizierung des französisch-sowjetischen Beistandspaktes vor der französischen Kammer anzukündigen1136 , begann die zweite Phase des deutschen Protests gegen die Bestimmungen des französisch-sowjetischen Paktes. Die erste Etappe dieser neuen Strategie bildete die Audienz des Reichskanzlers vom 13. Dezember 1935 für den britischen Botschafter. Der hatte am 4. Dezember 1935 nach London gemeldet, der deutsche Außenminister habe ihm erklärt, Deutschland sei wegen der Abessinienkrise nicht bereit, die Rüstungsgespräche fortzusetzen1137 . Am folgenden Tag versah ihn der Außenminister mit neuen Instruktionen. Die Bemerkung, Rüstungsgespräche seien bis zur Beendigung der Abessinienkrise sinnlos, „können wir nicht glauben“, schrieb Hoare und wies Phipps an, sofort eine Unterredung mit Hitler zu arrangieren, um die Motive des deutschen Kanzlers zu ergründen1138 . Gleichzeitig sollte er den französischen Botschafter über den britischen Schritt in Kenntnis setzen1139 . Die Unterhaltung mit Hitler, die daraufhin im Beisein 1134 1135 1136

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Ebenda, Nr. 300, S. 436–440. ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 418, S. 817–819 u. Nr. 423, S. 825f.; DDF, 1. Serie, Bd. XIII, Nr. 274, S. 402f. Aufzeichnung Neurath, Berlin, 19. 11. 1935, ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 418, S. 817ff. Am 10. Dezember 1935 wurde der französisch-sowjetische Pakt der Kammer zugeleitet, vgl. Azeau: Le Pacte, S. 221. Phipps an Hoare, Berlin, 4. 12. 1935, BDFA, II, F, Bd. 46, Nr. 262, S. 371; DBFP, 2. Serie, Bd. XV, Nr. 302, S. 378. Hoare an Phipps, London, 5. 12. 1935, BDFA, II, F, Bd. 46, Nr. 263, S. 372f. Ebenda, Nr. 264, S. 373.

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Neuraths am 13. Dezember 1935 stattfand, ist in ihrer Bedeutung für die weiteren Ereignisse nicht zu unterschätzen1140 . Phipps begann die Unterredung – nach den Aufzeichnungen Neuraths vom folgenden Tag1141 – mit der Bemerkung, er sei von seiner Regierung angewiesen, in Erfahrung zu bringen, wie die deutsche Führung zum Londoner Kommuniqué vom 3. Februar 1935 stünde. Er wolle insbesondere wissen, ob Deutschland weiterhin bereit sei, eine Rüstungskonvention zu unterzeichnen oder einem Luftpakt beizutreten, auch wenn dieser durch zweiseitige Abkommen ergänzt sei. Auf die Frage Hitlers, wie sich die britische Regierung solche Abkommen denke, entgegnete Phipps, man peile Verträge mit Frankreich und Belgien an, um die Benutzung der dortigen Flugplätze für die Royal Air Force zu regeln. Hitler antwortete mit längeren Ausführungen über den Bolschewismus und die russische Gefahr, um dann auf den sowjetischen Pakt mit Paris zu kommen. Der französisch-sowjetische Pakt, so belehrte er den britischen Botschafter, habe den Locarnovertrag eigentlich schon durchbrochen. Dieser Pakt, so Hitler, sei ein „militärischer Allianz-Vertrag mit der eindeutigen Spitze gegen Deutschland“ und trage einen „Faktor der Unsicherheit der zu übernehmenden Verpflichtungen“ in den Rheinpakt hinein1142 . Diese Tatsache, so Hitler weiter, müsse das Reich bei der Bemessung seiner Heeresstärken berücksichtigen. Rüstungsverhandlungen schloss er daher kategorisch aus. Dagegen sei er weiterhin bereit, mit Frankreich und England über einen Luftpakt zu verhandeln. Während des Gesprächs ergriff Neurath nur ein einziges Mal das Wort und sagte dem Botschafter, wenn die englische Luftwaffe Basen in Frankreich und Belgien beziehen würde, wäre auch Deutschland gezwungen, seine Luftabwehr an die belgisch-französische Grenze vorzuschieben. „Das würde also dann die Aufgabe der entmilitarisierten Zone bedeuten“, hieß es in Neuraths Protokoll der Unterredung, „und ich ersuchte ihn [Phipps], dies seiner Regierung klar zum Ausdruck zu bringen.“1143 Die Aufzeichnungen des britischen Botschafters bestätigen im Wesentlichen den Verlauf der Unterredung, lassen die Aussagen der Deutschen aber um ei1140

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Die Brisanz der Unterredung vom 13. Dezember wurde noch deutlicher, als einige Tage später Gerüchte über eine zweite Unterredung auftauchten, die zwischen Hitler und Phipps stattgefunden habe. Zeitungen berichteten, der Brite habe am 20. Dezember den Kanzler aufgesucht und einen bilateralen Luftpakt angeboten. Tatsächlich handelte es sich um ein Treffen des Botschafters mit Staatssekretär Bülow, bei der keine neuen Vereinbarungen getroffen wurden, Aufzeichnung, o. V., Berlin, 28. 12. 1935, PA AA, R 76989; Weisung an die Presse, 27. 12. 1935, NS-Presseanweisungen, Bd. 3/II, S. 899f.; Clerk an Eden, Paris, 30. 12. 1935, BDFA, II, F, Bd. 21, Nr. 204, S. 400f.; Cambon an Laval, London, 28. 12. 1935, DDF, 1. Serie, Bd. XIII, Nr. 505, S. 733f. Aufzeichnung Neurath, Berlin, 14. 12. 1935, ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 462, S. 899–902. Ebenda, S. 900. Ebenda, S. 902.

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niges schärfer erscheinen. Demnach habe Phipps erklärt, das Gleichgewicht Locarnos solle auch nach dem Abschluss zweiseitiger Abkommen gewahrt bleiben. Dennoch sei Hitler bei seiner Weigerung geblieben, der Luftpakt sei durch den französisch-sowjetischen Pakt unmöglich geworden, und Neurath drohte, die entmilitarisierte Zone abzuschaffen, worauf Hitler einwarf, er hätte die Rheinlandzone bereits am 16. März 1935 ohne Krieg abschaffen können1144 . In einem weiteren Telegramm an London ergänzte Phipps die Mitteilungen um einige Punkte und schrieb noch ganz unter dem niederschmetternden Eindruck der deutschen Aussagen stehend: „I fear that the zone will be re-occupied whenever a favourable excuse presents itself.“1145 In den folgenden Tagen erhöhte die deutsche Seite den Druck noch weiter. Die zweite Etappe von Neuraths Pressionsstrategie bildete eine vom Auswärtigen Amt lancierte Pressekampagne gegen die französisch-britischen Besprechungen1146 . Wenn diese Gespräche über den Rahmen des Artikels 16 der Völkerbundssatzung hinausgingen, so lautete die Anweisung für die Presse, wären sie ein Bruch des Locarno-Rheinpaktes1147 . In diesem Sinne berichteten z. B. die Börsenzeitung am 5. Januar 1936 und mehrere Ausgaben der DDPK. Jedes Beistandsversprechen im Voraus, so schrieben die deutschen Blätter, sei ein Verstoß gegen Geist und Buchstaben Locarnos. Außerdem sei die Allianzpolitik Frankreichs nicht mit dem Prinzip der kollektiven Sicherheit vereinbar. Schließlich fragten sich die deutschen Journalisten, warum Frankreich sich über die deutschen Nichtangriffspakte beschwere, wo es selbst eine Politik zweiseitiger Abkommen betreibe1148 . Die Masche zog. Die LocarnoDebatte sei in Fluss gekommen, notierte eine weitere Anweisung zufrieden, alle ausländischen Zeitungen hätten über die deutsche Haltung zu Locarno berichtet1149 . „Maßvoll und theoretisch“ könne die Diskussion nun fortgesetzt werden1150 . 1144 1145 1146 1147 1148 1149

1150

Phipps an Hoare, Berlin, 16. 12. 1935, DBFP, 2. Serie, Bd. XV, Nr. 383, S. 488–493. Ebenda, Nr. 404, S. 514–516. Tagesmeldung, 13. 1. 1936, AdG, 1936, S. 2377; DDF, 2. Serie, Bd. I, Nr. 3, S. 3–9, Nr. 24, S. 31–34 u. Nr. 25, S. 34f. Weisung an die Presse, 8. 1. 1936, NS-Presseanweisungen, Bd. 4/I, S. 23f. DDF, 2. Serie, Bd. I, Nr. 11, S. 16f. Umfangreiches Material in PA AA, R 32040; PA AA, Botschaft Paris 660. Den Eindruck der deutschen Pressekampagne illustrieren mehrere Details. Am 23. Januar notierte der deutsche Wehrmachtsattaché in London: „In den letzten 14 Tagen bin ich wiederholt von verantwortlicher Stelle im War Office auf die Beziehungen des russisch-französischen Paktes zu Locarno und die demilitarisierte Zone angezapft worden.“ Und am 29. Januar bat die belgische Gesandtschaft in Berlin um authentisches Aktenmaterial über den Rheinpakt von Locarno, Aufzeichnung Geyr v. Schweppenburg, London, 23. 1. 1936, IfZ, ED 91, Bd. 4; Aufzeichnung Woermann, Berlin, 7. 2. 1936, PA AA, R 54353. Weisung an die Presse, 11. 1. 1936, NS-Presseanweisungen, Bd. 4/I, S. 34. Tatsächlich gingen die Mutmaßungen im Ausland dahin, die Pressekampagne gegen Locarno die-

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

Die dritte Etappe von Neuraths Strategie setzte ein, als die Deutschen das Thema auf diplomatischem Parkett aufgriffen. Am 10. Januar 1936 suchte der französische Botschafter François-Poncet, dem Hitler noch am 1. Januar versichert hatte, Deutschland beabsichtige nicht, an Locarno zu rütteln1151 , den Staatssekretär im Auswärtigen Amt auf und beschwerte sich über die Kampagne der deutschen Presse gegen die französisch-britischen Verhandlungen. Er warf Bülow vor, Deutschland suche einen Vorwand zu schaffen, um das Rheinland zu remilitarisieren. Bülow entgegnete, er verstehe die Vorwürfe nicht, Hitler habe stets erklärt, an Locarno festzuhalten. Er merkte indes an, dass man die bilateralen Pakte zwischen Paris und London im Auswärtigen Amt für unvereinbar mit dem Rheinpakt halte, und zwar auch, wie er später gegenüber Attolico gestand, wenn sich diese Abmachungen im Rahmen des Artikels 16 der Völkerbundssatzung bewegten1152 . Er fühle sich an die Zeit vor 1914 erinnert, erklärte Bülow, auch damals sei unter dem Deckmantel technischer Absprachen ein politisches Bündnis gegen Deutschland zu Stande gekommen. Außerdem hätten sich London und Paris auf eine „leichtfertige“ Interpretation des französisch-sowjetischen Paktes eingelassen; auch diese Sache, so Bülow, sei noch nicht bereinigt1153 . Am 13. Januar befragte der deutsche Gesandte in Brüssel den Generalsekretär im belgischen Außenministerium über die Gerüchte, England wolle Flugplätze auf belgischem Gebiet anlegen. Eindringlich warnte er Van Langenhove, es sei die Ansicht Deutschlands, bilaterale Pakte, die sich gegen einen Signatar Locarnos richteten, verstießen gegen den Rheinpakt1154 . Am selben Tag traf Poncet erneut auf Bülow und knüpfte sogleich an das vorherige Gespräch an. Es sei offensichtlich, wiederholte der Franzose seine alten Vorwürfe, dass Deutschland nach einem Vorwand suche, um den Locarnovertrag als von Frankreich und England verletzt hinzustellen und infolgedessen die Rheinlandzone militärisch zu besetzen. Wie zuvor begegnete Bülow den Vorwürfen unter Verweis auf die Entstehungsgeschichte der englisch-französischen Entente von 1904. Darauf entgegnete Poncet, er sei von seiner Regierung zu der Erklärung autorisiert, Frankreich sehe sich berechtigt, im Rahmen des Locarnovertrages zweiseitige Abkommen abzuschließen, um die Durchführung des Rheinpaktes sicherzustellen1155 . Dieser Auffassung widersprach

1151 1152 1153 1154 1155

ne dem Zweck, ein deutsches Vorgehen in der entmilitarisierten Zone zu rechtfertigen, DDB, Bd. IV, Nr. 3, S. 42–44, Nr. 5, S. 46–48, Nr. 6, S. 48–50, Nr. 7, S. 51f., Nr. 9, S. 57–61 u. Nr. 12, S. 67–70. François-Poncet an Laval, Berlin, 1. 1. 1936, DDF, 2. Serie, Bd. I, Nr. 1, S. 1f. Aufzeichnung Bülow, Berlin, 8. 2. 1936, PA AA, R 29458. Aufzeichnung Bülow, Berlin, 10. 1. 1936, PA AA, R 32246; François-Poncet an Laval, Berlin, 10. 1. 1936, DDF, 2. Serie, Bd. I, Nr. 30, S. 40–42. DDB, Bd. IV, Nr. 2, S. 40ff. Dies bezog sich auf Instruktionen, die Poncet wenige Tage zuvor von Laval erhalten hatte.

4.5 Die deutschen Vorstöße zu einer verhandelten Locarno-Lösung (1935/36)

351

Bülow auf das entschiedenste. Der Locarnovertrag lasse zweiseitige Abkommen nicht zu, erklärte er dem Franzosen, und es sei unzulässig, solche Abkommen zu schließen, ohne dies dem Vertragspartner mitzuteilen oder ihn über den Inhalt der Abmachungen in Kenntnis zu setzen. Mit dem Abschluss zweiseitiger Abkommen, so Bülow weiter, nehme sich Frankreich das Recht heraus, den Locarnopakt autonom auszulegen. Dies sei ein Rückfall in die Versailler Mentalität. Zum Abschluss der Unterredung bat François-Poncet, das Auswärtige Amt möge auf die Presse einwirken, um die Kampagne gegen Locarno zu beenden. Erst unter „Ausschluss einer lauten Begleitmusik der Presse“ sei es möglich, über die deutsche Sichtweise des Locarnopaktes vernünftig zu verhandeln. Bülow sagte dies zu1156 . In ähnlicher Weise bearbeitete der britische Botschafter Phipps den Außenminister, den er am 14. Januar 1936 aufsuchte. Neurath erklärte, in Deutschland sei man sehr beunruhigt über die französisch-englischen Gespräche, versprach indes ein baldiges Ende der Pressekampagne1157 . Am folgenden Tag erschien Phipps wieder in der Wilhelmstraße, um Neurath an sein Versprechen zu erinnern1158 . Tatsächlich klangen – per Weisung an die Presse vom 15. Januar 1936 – die Kommentare über Locarno und Generalstabsbesprechungen langsam ab1159 , aber in der Wilhelmstraße hatte man die politischen Konsequenzen aus dem Fall bereits gezogen. Der Rheinpakt von Locarno, so erläuterte Staatssekretär Bülow die Sachlage, schaffe zwischen den Garantiemächten und den garantierten Staaten „juristisch und moralisch“ den gleichen Abstand. Der Vertrag erlaube es nicht, dass zwei Staaten sich durch Militärabsprachen so nahe aneinander banden, dass „sie zusammen im Bett liegen können“ (coucher ensemble)1160 . „Wir betrachten dies [die französisch-britischen Gespräche] als eine Verletzung Locarnos“, so schlussfolgerte Bülow, um die Alliierten vor die Wahl zu stellen: Entweder zögen sie Deutschland zu den Verhandlungen hinzu oder das Reich werde sich nicht länger an die Klauseln zur entmilitarisierten

1156

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Demnach seien die zweiseitigen Besprechungen kein Verstoß gegen Locarno, weil sich die Gespräche in den Bahnen des Artikels 16 der Völkerbundssatzung bewegten; zudem seien technische Absprachen zur Umsetzung des Rheinpaktes seit den Klarstellungen, die das Luftpaktprojekt gebracht habe, nicht mehr als unvereinbar zum Rheinpakt anzusehen, Laval an François-Poncet, Paris, 8. 1. 1936, DDF, 2. Serie, Bd. I, Nr. 18, S. 24f. Aufzeichnung Bülow, Berlin, 13. 1. 1936, ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 494, S. 977–980; François-Poncet an Laval, Berlin, 14. 1. 1936, DDF, 2. Serie, Bd. I, Nr. 49, S. 71–76; vgl. auch François-Poncet: Botschafter, S. 246f. u. S. 254. Phipps an Eden, Berlin, 14. 1. 1936, BDFA, II, F, Bd. 47, Nr. 15, S. 11. Ebenda, Nr. 16, S. 11f.; DDB, Bd. IV, Nr. 8, S. 52–56. Weisung an die Presse, 15. 1. 1936, NS-Presseanweisungen, Bd. 4/I, S. 43. Zum Ende der Pressekampagne vgl. auch DDF, 2. Serie, Bd. I, Nr. 95, S. 141; DDB, Bd. IV, Nr. 8, S. 52ff. Attolico an Mussolini, Berlin, 25. 1. 1936, DDI, 8. Serie, Bd. III, Nr. 117, S. 149–151.

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

Zone gebunden fühlen1161 . Aber auch diese letzte Warnung an Frankreich und England, in der Locarnofrage auf Deutschland zuzukommen, da man sonst gezwungen sei, die entmilitarisierte Zone abzuschaffen, blieb ohne Resonanz. In Paris und London verbanden sich so unterschiedliche Zielsetzungen mit dem Rheinpakt und der entwaffneten Zone, dass sich die Frage auf ein Eingehen auf die deutschen Vorstöße gar nicht stellte. Die Briten reagierten überrascht auf die neuerlichen Vorwürfe und waren nicht bereit, sich aufs Neue auf das Thema einzulassen1162 . Die Frage der Rückwirkungen des französisch-sowjetischen Paktes hielten sie nach dem Notenwechsel im Sommer für geklärt. Dass Deutschland wegen des Beistandspaktes nun auch keinen Luftpakt mehr abschließen wolle, so urteilten Eden und Wigram, sei „befremdend“ und sei von Hitler in seiner Reichstagsrede nicht erwähnt worden1163 . Tatsächlich schienen die Briten Recht zu behalten, als Neurath einige Tage später erklärte, das Ganze sei ein Missverständnis gewesen. Deutschland sei durchaus bereit zu einem Luftpakt, übermittelte der Außenminister Hitlers Gedanken, einzig eine Begrenzung der Luftstreitkräfte sei wegen des französisch-sowjetischen Paktes derzeit nicht umsetzbar1164 . In einer Denkschrift vom 18. November 1935 bekräftigte Sargent, dass England nicht die Absicht habe, mit irgendjemandem über Locarno zu reden, und erteilte damit den Versuchen Neuraths, das deutsche Ausscheiden aus dem Völkerbund und den französisch-sowjetischen Pakt zum Ansatzpunkt von Locarnogesprächen zu machen, eine deutliche Absage1165 . So entschied man sich in Whitehall dafür, nicht auf die deutschen Beschwerden einzugehen. Diese Haltung hatte zwei Facetten. Auf der einen Seite nahm die britische Regierung um die Jahreswende eine „neutrale Haltung“ zum französisch-sowjetischen Pakt ein. Dies spiegelte die Uneinigkeit im Foreign Office wider1166 . 1161 1162

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So ein NKWD-Bericht vom 15. Januar 1936, zit. bei Shore: Hitler, S. 10. Das Original befindet sich in BArch, N 2273/29. Lediglich im War Office interessierte man sich um die Jahreswende verstärkt für die Beziehungen des Locarnopaktes zum französisch-sowjetischen Beistandspakt, Notiz Geyr v. Schweppenburg, o. O. [London], 23. 1. 1936, IfZ, ED 91, Bd. 4. ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 484, S. 954; DBFP, 2. Serie, Bd. XV, Nr. 382, S. 464. ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 496, S. 982f. Aufzeichnung Sargent, London, 18. 11. 1935, TNA, FO 371/18851. Gleichzeitig verpuffte damit auch der letzte Appell Lavals vom November, man brauche eine französisch-britische Zusammenarbeit, um die Remilitarisierung des Rheinlandes zu verhindern, DBFP, 2. Serie, Bd. XV, Nr. 235, S. 293ff. Vgl. W. N. Medlicott: Britain and Germany: The Search for Agreement 1930–1937, London 1969, S. 14. Diese Haltung entsprach der Situation bei den regierenden Konservativen, wo sich Befürworter und Gegner des französisch-sowjetischen Beistandspaktes die Waage hielten, DDF, 2. Serie, Bd. I, Nr. 163, S. 232f.; Tagebuch Brooks, 29. 1. 1936, N. J. Crowson (Hg.): Fleet Street, Press Barons and Politics. The Journal of Collin Brooks, 1932–1940 (Camden Fith Series, Bd. 11), London 1998, S. 154f.

4.5 Die deutschen Vorstöße zu einer verhandelten Locarno-Lösung (1935/36)

353

Während Männer wie Sargent eine solche Allianz aufs äußerste ablehnten, weil Hitler dies mit der Besetzung der Rheinlandzone beantworten könnte1167 , sahen andere wie Vansittart und Laurence Collier, Chef des Northern Department im Foreign Office, die Möglichkeit, unter dem Mantel der kollektiven Sicherheit zu einer Zusammenarbeit mit Russland zu kommen, um Deutschland künftig einzudämmen1168 . So erklärte man den Deutschen, dass England unter keinen Umständen am französisch-sowjetischen Abkommen teilnehmen werde1169 , und verzichtete auf jede Kommentierung der Ratifizierung des Vertrages. England, so gab ein Mitarbeiter des Foreign Office zu verstehen, habe niemals ein schriftliches Einverständnis für den Beistandspakt mit Moskau erteilt1170 . Dazu kam, wie die Experten im Foreign Office feststellten, dass die Frage, ob der französisch-sowjetische Beistandspakt mit dem Locarnopakt vereinbar sei, eine Streitfrage zwischen Deutschland und Frankreich wäre, und nicht im Locarnorahmen verhandelt werden könne1171 . Gleichzeitig dementierten die Briten nach Kräften, dass ein französischbritischer Militärpakt geschlossen worden sei. Als gleich nach Neujahr der deutsche Militärattaché in London ins War Office ging, um sich über die Tragweite der französisch-britischen Besprechungen zu erkundigen, sagte man ihm, diese Gespräche hätten weder den Artikel 16 der Völkerbundssatzung zum Gegenstand noch seien sie gegen das Reich gerichtet1172 . Das gleiche bekam der deutsche Luftattaché zu hören, der Anfang Januar 1936 ausführliche Gespräche im Air Ministry führte1173 . Ganz auf dieser Linie liegend ließ Wigram, unzufrieden mit der Art und Weise, wie Phipps seine Demarche ausgeführt hatte, in einem ungewöhnlichen Schritt dem Auswärtigen Amt am 30. Januar 1936 die Instruktionen zugehen, die der Demarche des Botschafters zu Grunde lagen. In dem Papier ging es um die Frage, ob sich die deutsche Regierung bereit erklären könne, dem Abschluss zweiseitiger Abkommen im Rahmen eines Fünfer-Luftpaktes zuzustimmen. Gegenstand solcher Abkommen, so lautete die Instruktion, könne es sein, 1167 1168

1169 1170 1171 1172

1173

DBFP, 2. Serie, Bd. XV, Nr. 493, S. 624ff. Roi: Alternative, S. 92 u. S. 104. Vgl. auch die Ideen Churchills zu einer Grande Alliance, D. Aigner: Das Ringen um England. Das deutsch-britische Verhältnis. Die öffentliche Meinung 1933–1939. Tragödie zweier Völker, München u. Esslingen 1969, S. 156f. Vgl. Meyers: Sicherheit, S. 429; Niedhart: Sowjetunion, S. 214. Kennedy an Deakin, [London], 16. 2. 1936, Kennedy: Journals, S. 192f. Vgl. Hill: Rhineland, S. 82. Aufzeichnung Malkin, London, 28. 2. 1936, TNA, FO 371/19886. Aufzeichnung Geyr v. Schweppenburg, London, 4. 1. 1936, PA AA, R 30062 b; Notiz Geyr v. Schweppenburg, London, 15. 1. 1936, IfZ, ED 91, Bd. 7/1. Geyr kam Ende Januar 1936 eigens zu einem Kurzbesuch nach Berlin, um Bericht zu erstatten, Notiz Geyr v. Schweppenburg, o. O. [London], 29. 1. 1936, IfZ, ED 91, Bd. 7/1. Aufzeichnung Wenninger, London, o. D. [Januar 1936], PA AA, R 30069; Aufzeichnung Wenninger, London, 9. 1. 1936, ebenda.

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

Regelungen über die Benutzung französischer und belgischer Luftbasen für die Royal Air Force zu treffen oder den Luftattachés der Vertragsstaaten wechselseitige Kontrollrechte zur Überwachung der Luftstärken einzuräumen. Durch den Patzer Phipps’, so erläuterte Wigram den Inhalt der Weisung, sei der Eindruck entstanden, als ob es sich dabei um Forderungen der britischen Regierung handele, wo es sich doch tatsächlich nur um „wahlweise“ zu treffende Vorschläge drehe1174 . Schließlich stritt der neue Außenminister Eden in seiner ersten Unterredung mit dem deutschen Botschafter alle Gerüchte über einen britisch-französischen Militärpakt ab. Es hätten Besprechungen zwischen Paris und London stattgefunden, so Eden, aber es seien keine Abmachungen gegen das Reich getroffen worden1175 . Dieser Ansicht schloss sich Hoesch in einem ausführlichen Bericht vom 25. Januar 1936 an. Die englische Regierung, so hieß es da, habe eine Ausweitung der Gespräche geleugnet. Es sei die Auffassung der Botschaft, dass keine Abreden in Bezug auf Deutschland getroffen wurden1176 . Diesen Eindruck bestätigte er einige Tage später. Beim Begräbnis für König Georg habe der belgische Kriegsminister gegenüber britischen Offizieren angeregt, Vereinbarungen zwischen den Generalstäben der belgischen und britischen Armee einzugehen, sei jedoch abgeblitzt. Die Briten, so Hoesch, hätten erklärt, derartige Besprechungen seien unter Locarno unzulässig1177 . Im Verlaufe der Beisetzungsfeierlichkeiten hatte sich zudem die Möglichkeit für Eden ergeben, dem deutschen Außenminister persönlich zu versichern, dass die französisch-britischen Besprechungen in keiner Weise gegen Deutschland gerichtet seien1178 . Ähnlich äußerte sich der deutsche Militärattaché in Paris. Juristisch betrachtet handele es sich bei den britisch-französischen Besprechungen um keine Militärabmachungen, so Kühlenthal, das System kollektiver Sicherheit diene der „Einkreisung Deutschlands in defensiver Natur“. Diese Abmachungen würden lediglich den Zweck verfolgen, Versailles und Locarno zu garantieren. Damit, so 1174

1175 1176

1177 1178

Hoesch an das Auswärtige Amt, London, 30. 1. 1936, ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 529, S. 1033. Tatsächlich waren die britischen Dokumente nicht in der Lage, den deutschen Argwohn zu zerstreuen, England und Frankreich hätten sich in einem Militärpakt verbündet. Hoesch an das Auswärtige Amt, London, 6. 1. 1936, ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 484, S. 952– 954. Hoesch an das Auswärtige Amt, London, 25. 1. 1936, PA AA, R 32246. Damit ignorierte Hoesch den Bericht eines Londoner Vertrauensmanns vom 12. Januar 1936, worin dieser mitteilte, es bestünden detaillierte Abreden zwischen den englischen und französischen Flotten. Die Vereinbarungen würden jetzt auf Luftwaffe und Heer ausgedehnt und bezögen sich zunehmend auf Deutschland, Bericht, o. V., London, 12. 1. 1936, PA AA, R 76989. Hoesch an das Auswärtige Amt, London, 30. 1. 1936, PA AA, R 32246. Aufzeichnung Neurath, Berlin, 27. 1. 1936, ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 523, S. 1018f.; Eden an Phipps, London, 27. 1. 1936, DBFP, 2. Serie, Bd. XV, Nr. 486, S. 614–616; Aufzeichnung Frohwein, Berlin, 31. 1. 1936, PA AA, R 32054.

4.5 Die deutschen Vorstöße zu einer verhandelten Locarno-Lösung (1935/36)

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brachte es die Beurteilung Kühlenthals auf den Punkt, entspräche die Situation eben nicht derjenigen von 1914, als sich das Reich einer Front von Offensivbündnissen gegenübersah1179 . Dazu passte, dass auch die Italiener von ihrer konfrontativen Linie abrückten. In Rom unterhielt sich Hassell mit Suvich, der ihm erklärte, er glaube nicht an französisch-englische Abmachungen, die nicht mit den Erklärungen Edens und Flandins in Einklang stünden1180 . Anfang Februar musste dies auch Attolico gegenüber Bülow zugeben. Die französisch-britischen Abmachungen, erklärte der Botschafter, gingen nicht über den Rahmen des Artikels 16 der Völkerbundssatzung hinaus1181 . Freilich regten sich in London bald Zweifel, ob die dauernden Dementis ausreichen würden, die Deutschen von einer Rheinlandaktion abzuhalten. Tatsächlich war mit der Entscheidung, weder mit Frankreich noch mit Deutschland über eine Modifizierung Locarnos zu verhandeln, ein Tiefpunkt erreicht, der die Realitätsferne der britischen Locarnokonzeption offenbarte. Während das Foreign Office, in Abstimmung mit den Richtlinien des Kabinetts, dem Locarnopakt eine zunehmend unverbindliche Auslegung gegeben hatte, ignorierte London die Beschwerden der anderen Signatare und verlangte von ihnen, uneingeschränkt am Rheinpakt festzuhalten. Dieses Dilemma wurde im Foreign Office durchaus erkannt. Ein Rückzug Englands aus den laufenden Verhandlungen, so schrieb Sargent in seiner Denkschrift vom 18. November 1935, berge die Gefahr einer direkten deutsch-französischen Verständigung in sich, und es sei deshalb an der Zeit, die britische Position zum Rheinpakt zu klären1182 . Dazu legten Sargent und Wigram am 21. November 1935 ein gemeinsames Memorandum vor1183 . Das Wiedererstarken Deutschlands, so die beiden Autoren, sei die bestimmende Entwicklung Europas in den letzten Jahren gewesen und werde es weiterhin bleiben. Denn, so hieß es weiter, Deutschland richte sein Augenmerk bereits auf die nächsten Ziele, wie das entmilitarisierte Rheinland, die ehemaligen Kolonien sowie Mittel- und Osteuropa. Vor diesem Hintergrund stünden der britischen Regierung drei politische Strategien zu Gebote. Erstens könne man einfach abwarten und sehen, was Deutschland als nächstes plane. Eine solche „policy of drift“ wäre allerdings ein 1179 1180 1181

1182 1183

Bericht Kühlenthal, Paris, 20. 2. 1936, PA AA, R 30075. Hassell an das Auswärtige Amt, Rom, 25. 1. 1936, PA AA, R 96760. Aufzeichnung Bülow, Berlin, 8. 2. 1936, PA AA, R 29458. Vgl. auch: Das Auswärtige Amt an die deutschen Botschaften in London und Rom, Berlin, 6. 2. 1936, Robertson: Wiederbesetzung, Nr. 2, S. 191. Aufzeichnung Sargent, London, 18. 11. 1935, TNA, FO 371/18851. Aufzeichnung Sargent und Wigram, London, 21. 11. 1935, DBFP, 2. Serie, Bd. XV, Appendix I a, S. 713–724; in deutscher Übersetzung abgedruckt bei F. Kießling (Hg.): Quellen zur deutschen Außenpolitik 1933–1939, mit einem Vorwort von G. Schöllgen, Darmstadt 2000, Nr. 39, S. 112–117.

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

Ausdruck purer Hoffnungslosigkeit. Zweitens könne sich Großbritannien den Mächten anschließen, die für eine politisch-militärische Einkreisung Deutschlands eintreten. Diese Option liefe praktisch auf ein Bündnis mit Frankreich und Russland hinaus und wäre damit nichts anderes als die Fortsetzung der Defensivallianzen der Vorkriegszeit, die, genau wie vor 1914, die Bildung eines Gegenblocks hervorrufen würden. Die dritte denkbare Strategie sei es, in irgendeiner Weise mit Deutschland ins Geschäft zu kommen. Eine solche Politik sei es gewesen, die im Jahr 1925 zur Unterzeichnung Locarnos geführt und 1932 die Gewährung der Gleichberechtigung Deutschlands ermöglicht hatte, und sie sei auch jetzt, davon waren Sargent und Wigram überzeugt, das einzig taugliche Mittel, um die Sicherheit Europas zu gewährleisten. Auf die Frage, welche Spielräume die britische Politik besaß, um deutsche Zusicherungen auf dem Gebiet der Sicherheit auszuhandeln, gaben Sargent und Wigram eine Reihe von Antworten. Zunächst bemerkten sie, dass Verhandlungen auf Grundlage des Londoner Programms vom 3. Februar nicht mehr vorstellbar seien; dieser Agenda sei durch den deutschen Schritt vom 16. März 1935 der Boden entzogen worden. In Betracht käme dagegen ein Kolonialabkommen. Besser erschien den beiden Autoren aber die Möglichkeit, durch den Abschluss eines Luftpaktes in Verbindung mit einer Kontrolle der Luftrüstungen zu einer Einigung mit Deutschland zu gelangen. Ein derartig konzipierter Luftpakt könnte zudem von einer Reform des Völkerbundes begleitet sein, in dem Sinne, dass die Genfer Gemeinschaft ihre Rolle als Verteidiger des Status quo aufgab und in Zukunft „die Notwendigkeit einer Flexibilität registrierte“. Ausdrücklich kein Bestandteil des Luftabkommens sollte es sein, den Status der entmilitarisierten Zone in Frage zu stellen1184 . Zwei Tage später fertigte Sargent eine weitere Aufzeichnung, in der er die Ziele Hitlers analysierte. Darin erklärte er, am wahrscheinlichsten sei es, dass Hitler die Verwirrung um die Abessinienkrise ausnutzen werde, um freie Hand für die Remilitarisierung des Rheinlandes zu bekommen1185 . Vansittart fand diese Gedankengänge „sehr überzeugend“1186 . Damit hatte das Foreign Office das Koordinatensystem für die kommenden Wochen beisammen. Auf eine kurze Formel gebracht galt es, mit dem Reich in Luftpaktverhandlungen einzutreten, um eine bevorstehende Wiederbesetzung der entmilitarisierten Zone am Rhein zu verhindern1187 . An dieser Stelle hat eine Kritik der britischen Konzeption anzusetzen, die 1184

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Damit erledigt sich die lange Zeit von deutschen Historikern vertretene These, der Gedanke, die entmilitarisierte Zone als Tauschobjekt in den Luftpaktverhandlungen einzusetzen, habe „frühzeitig eine Rolle gespielt“, vgl. Hauser: England, Bd. 1, S. 146. Aufzeichnung Sargent, London, 23. 11. 1935, TNA, FO 371/18851. Aufzeichnung Vansittart, London, 23. 11. 1935, ebenda. In diesem Sinne sprach Wigram schon Ende Dezember 1935 mit einem Mitarbeiter der deutschen Botschaft. England wünsche den Abschluss eines „elastic working agreement“

4.5 Die deutschen Vorstöße zu einer verhandelten Locarno-Lösung (1935/36)

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sich um zwei Punkte dreht. Erstens hatte die Idee, mit Deutschland zu einer verhandelten Sicherheitslösung, wie sie Sargent und Wigram vorschwebte, unübersehbare Schwächen. Die von ihnen aufgelisteten Erfolge dieser Politik stammten allesamt aus einer Zeit, als noch demokratisch gewählte Führer die Geschicke des Reiches gelenkt hatten. Das NS-Regime war bislang den Beweis schuldig geblieben, zu solchen Verhandlungslösungen bereit zu sein. Das war nicht der einzige Knackpunkt. Die Grundidee des „coming to terms with Germany“ sei selbstverständlich, schrieben Sargent und Wigram am 21. November, dass die ehemaligen Alliierten zu einer Einigung darüber kämen, wie die Probleme mit Deutschland „durch wechselseitiges Geben und Nehmen“ aus der Welt geschafft werden könnten. Diese Idee steckte bereits hinter der Genese des Londoner Kommuniqués, als sich England und Frankreich über ein Verhandlungsprogramm einigten, mit welchem sie dann an die deutsche Führung herantraten. Das Dilemma, das in diesem Vorgehen schlummerte und für das die Beamten des Foreign Office im Grunde keine Lösung anzubieten hatten, war, dass Hitler und das Auswärtige Amt ein solches Prozedere stets als Einkreisung empfinden würden, von der Sargent und Wigram in ihrer Denkschrift zu Recht annahmen, dass sie kein gangbarer Weg sei, um mit Deutschland zu einer friedlichen Zusammenarbeit zu kommen1188 . Der zweite Kritikpunkt betrifft die Haltung Englands zum Locarnopakt. Mit der Entscheidung Sargents vom 18. November, weder mit Berlin noch mit Paris über Locarno sprechen zu wollen, schränkten die Briten nicht nur ihren Verhandlungsspielraum für ein europäisches settlement ein, sondern verschlossen auch ihre Augen vor den politischen Realitäten in Europa1189 . Es war praktisch aussichtslos, aus dem morschen Gebälk des Rheinpaktes, der keinem der Partner mehr als Sicherheit genügte, eine allgemeine Friedensregelung zu zimmern. Dies zeigte sich deutlich an der britischen Konzeption, den Luftpakt zum Kristallationspunkt eines sicherheitspolitischen Arrangements mit Deutschland zu machen. Obzwar Einigkeit darüber bestand, dass der Luftpakt nur im Rahmen der Locarnomächte Aussicht auf einen Abschluss hatte1190 , mutet es erstaunlich an, dass man im Foreign Office glaubte, mit dem Locarno-Luftpakt ein Mittel zu besitzen, um die entmilitarisierte Zone am Rhein erhalten zu können. Erst nach der verunglückten Demarche Phipps’ bei Hitler am 13. Dezember dämmerte es den Briten, das künftig keine Luftpaktverhandlungen stattfinden könnten, ohne das Problem der entmilitarisierten Zone anzuschneiden1191 .

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zwischen Deutschland, Frankreich und Großbritannien, welches ein Luftabkommen enthalten sollte, Braun v. Stumm an Neurath, London, 28. 12. 1935, PA AA, R 76989. Phipps an Simon, Berlin, 8. 2. 1935, DBFP, 2. Serie, Bd. XII, Nr. 443, S. 506f. Aufzeichnung Sargent, London, 18. 11. 1935, TNA, FO 371/18851. Freilich war nach wie vor ungeklärt, ob zweiseitige Abkommen erlaubt sein sollten und ob auch England im Kriegsfall die Hilfe der anderen Staaten zu erwarten habe. Aufzeichnung Wigram, London, 16. 12. 1935, DBFP, 2. Serie, Bd. XV, Nr. 382, S. 487.

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

Angesichts dieser konzeptionellen Schwächen und vor dem Hintergrund des unglücklichen Verlaufes der Unterredung Phipps’ mit Hitler regte sich Kritik am Kurs Wigrams und Sargents. Viele Beamte im Foreign Office meinten, dass es unklug sei, mit Deutschland isoliert zu verhandeln. Gespräche mit Deutschland seien sinnlos, urteilte etwa Collier, sie würden nur die Zerstörung der französisch-britischen Beziehungen zur Folge haben1192 . Das sah auch Vansittart so, der immerhin zugab, dass Gespräche mit Deutschland der einzige Weg wären, die Wiederbesetzung der entmilitarisierten Zone aufzuhalten1193 . Künftig solle man aber zu dritt, unter Hinzuziehung Frankreichs, verhandeln. Außerdem, so Vansittart, solle man warten, bis die Aufrüstung der britischen Streitkräfte weiter fortgeschritten sei, um so eine stärkere Verhandlungsposition in den Gesprächen zu bekommen1194 . Indes erschien es sehr fraglich, ob die Zeit ausreichen würde, um ein solches Szenario aufzubauen. Denn nach London drangen zunehmend Gerüchte, Deutschland wolle die entmilitarisierte Zone besetzen1195 . Auf der Grundlage der Kabinettsbeschlüsse aus den Jahren 1934 und 1935 war klar, dass ein kriegerisches Eingreifen Englands nicht zur Debatte stand. Im Falle einer plötzlichen Remilitarisierung des Rheinlandes, umriss Malkin am 30. Januar 1936 noch einmal die britische Position, sollten die Locarnomächte den Völkerbundsrat und die Vergleichskommissionen aus Locarno heranziehen1196 . Unterdessen hatte sich auch die französische Politik derart entwickelt, dass ein Eingehen auf die deutsche Pressionsstrategie nicht in Frage kam. So waren sämtliche Versuche Frankreichs, ein deutsches Plazet für den französischsowjetischen Pakt zu bekommen, gescheitert. Seit Herbst 1935 hatte sich der französische Ministerpräsident Laval, nachdem sein Versuch, England über die abessinische Bande zu Modifikationen am Locarnopakt zu bewegen, gescheitert war, bemüht, den Gesprächsfaden nach Berlin neu anzuknüpfen und alle Kanäle ausgelotet, um zu einer Verständigung mit Deutschland zu kommen1197 . Er wolle keinen Krieg mit Deutschland, hatte er einem deut-

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Dabei hatte Phipps schon im Januar 1935 angedeutet, dass ein Agreement mit dem Deutschen Reich aller Voraussicht nach die Abschaffung der Rheinlandzone beinhalten müsse, um von den Deutschen akzeptiert zu werden, BDFA, II, F, Bd. 46, Nr. 9, S. 17. Aufzeichnung Collier, London, 22. 11. 1935, DBFP, 2. Serie, Bd. XV, Appendix I b, S. 729f. Aufzeichnung Vansittart, London, 1. 12. 1935, ebenda, Appendix I c, S. 732; Memorandum Vansittart, London, 3. 2. 1936, ebenda, Appendix, IV b, S. 790. Ebenda, Nr. 195, S. 239; Aufzeichnung Sargent, London, 18. 12. 1935, ebenda, Nr. 398, S. 508. Churchill, der von Wigram mit Geheiminformationen des Foreign Office versorgt wurde, schrieb am 17. Januar 1936 an seinen Sohn, alle Zeichen würden darauf hindeuten, dass die Remilitarisierung des Rheinlandes bevorstünde, zit. bei W. Manchester: Churchill. Allein gegen Hitler 1932–1940, München 1990, S. 239. Aufzeichnung Malkin, London, 30. 1. 1936, TNA, FO 408/66. Vgl. dazu Weinberg: Policy, S. 219.

4.5 Die deutschen Vorstöße zu einer verhandelten Locarno-Lösung (1935/36)

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schen Mittelsmann im September 1934 anvertraut, sondern eine „direkte und ehrenhafte Verständigung“1198 . Im Jahr 1935 nutzte er die Versicherung, der französisch-sowjetische Beistandspakt verstoße nicht gegen den Rheinpakt von Locarno, als Ansatzpunkt, um mit den deutschen Diplomaten ins Gespräch zu kommen. Der französisch-sowjetische Pakt sei nicht gegen das Reich gerichtet, betonte er immer wieder in diesen Wochen gegenüber deutschen Gesprächspartnern, im Gegenteil bleibe es das Hauptziel seiner Politik, eine deutsch-französische Entspannung herbeizuführen1199 . Schon im September 1935 hatten Mitarbeiter Lavals zu einem deutschen Mittelsmann Kontakt aufgenommen und signalisiert, Laval sei an einer deutsch-französischen Verständigung und am Abschluss eines Nichtangriffspaktes interessiert. Laval habe bereits einen Intimus bei der Nachrichtenagentur Havas beauftragt, die französisch-deutsche Annäherung „pressemäßig“ vorzubereiten1200 . Im Oktober versicherte er einem weiteren Mittelsmann, das Ziel seiner Politik sei eine enge Zusammenarbeit der vier Westmächte1201 und wenig später schickte Laval den Journalisten Brinon, der bereits im Jahr 1933 für Daladier die Kontakte mit der deutschen Führung hergestellt hatte, nach Berlin, um mit dem Reichskanzler zu sprechen. Aber Hitler bügelte den Franzosen in einer halben Stunde ab, ohne konkrete Probleme anzusprechen1202 . Weitere Diskussionen, so soll er Brinon erklärt haben, werde es erst geben, wenn die Diskriminierungen aus Versailles aufgehört hätten1203 . Nach diesem Fehlschlag startete Laval sogleich das nächste Manöver. In einer Unterredung mit Köster vom 16. November 1935 ließ Laval das Stichwort fallen. Deutschland und Frankreich, so schlug er dem Deutschen vor, sollten gemeinsam ein „diplomatisches Dokument“ veröffentlichen, um die zweisei1198

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ADAP, C, Bd. III, 1, Nr. 240, S. 459; vgl. G. Warner: Pierre Laval and the eclipse of France, London 1968, S. 60f. Bereits im Jahr 1931, während seiner kurzen Amtszeit als Ministerpräsident, hatte er versucht, zu einem direkten Ausgleich mit Deutschland zu gelangen, AdR Brüning, Bd. 2, Nr. 489, S. 1745ff., Nr. 490, S. 1748ff. u. Nr. 491, S. 1751ff. So gegenüber Köster und dem deutschen Journalisten Sieburg, ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 415, S. 809ff. u. Nr. 430, S. 843ff. Das gleiche sagte Arnal am 25. November 1935 gegenüber einem deutschen Gesprächspartner und verglich den französisch-sowjetischen Pakt mit dem Berliner Vertrag von 1926, Aufzeichnung Heimburg, Berlin, 25. 11. 1935, PA AA, R 30183. Aufzeichnung Eiken, Berlin, 7. 9. 1935, BArch, NS 51/1; Lammers an Neurath, Berlin, 15. 11. 1935, BAK, ZSg 133/45; Rosenberg an Lammers, Berlin, 29. 1. 1936, ebenda; vgl. auch Tagebuch Dodd, 7. 11. 1935, Dodd: Diplomat, S. 314. Géraud: Gravediggers, S. 423f. ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 384, S. 766f. Weiteres Material zu der Unterredung in PA AA, R 70516. Zu den Verständigungsbemühungen Brinons vgl. C. Franz: Fernand de Brinon und die deutsch-französischen Beziehungen 1918–1945 (Pariser Historische Studien, Bd. 54), Bonn 2000 (Diss. phil. Bonn 1997). Brinon: Mémoires, S. 32.

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

tigen Beziehungen auf eine neue Basis zu stellen. Dies sollte nach dem Willen Lavals ein Text sein, in dem die beiden Staaten ihre gutnachbarlichen Beziehungen feierlich bekräftigten1204 . Auf der Grundlage eines deutsch-französischen Nichtangriffspaktes1205 könnte Deutschland erklären, keine aggressiven Ansichten gegen die Sowjetunion zu hegen und den französisch-sowjetischen Beistandspakt nicht als gegen das Reich gerichtetes Instrument zu interpretieren. Im Gegenzug, so Laval, könne das „diplomatische Dokument“ so angesehen werden, als sei es als „Präambel“ für Locarno und die weiteren Verhandlungen (Laval nannte Rüstungen und Luftpakt) konzipiert. Damit ließ er die Katze aus dem Sack. Für die deutsche Anerkennung des französisch-sowjetischen Beistandsvertrages war Laval im Austausch bereit, über Veränderungen an den Locarnoverträgen nachzudenken. So weit war noch kein französischer Ministerpräsident gegangen. Aber trotz aller Kühnheit verpuffte der Vorstoß folgenlos. Dafür gab es zwei Gründe. Zum einen stieß der Vorschlag Lavals auf große Skepsis im Auswärtigen Amt. Am 19. November legte die Abteilung II ihre Stellungnahme vor. Es sei nicht zu erkennen, so die von Köpke gezeichnete Denkschrift, welchen Nutzen eine schriftliche Erklärung für Deutschland haben könne. Das Reich würde nicht nur den Abschluss des französisch-sowjetischen Paktes sanktionieren, sondern auch seine Einwendungen gegen den Vertrag zurückziehen, von dem man im Auswärtigen Amt doch weiterhin überzeugt sei, dass er mit dem Geist des Locarnovertrages im Widerspruch stünde. Demgegenüber sei der Hinweis, die Erklärung könne als „Präambel“ für weitere Locarnoverhandlungen dienen, viel zu schwach formuliert. Nach Auffassung der Abteilung II dürfe sich eine solche Präambel nicht im deklamatorischen erschöpfen, sondern müsse bereits bindende Zusicherungen enthalten. Denkbar wäre, so Köpke, eine Erklärung Frankreichs, wonach die französische Politik in Zukunft auf das Instrument des Beistandspaktes zur Einkreisung Deutschlands verzichten wolle1206 . Am folgenden Tag beschäftigte sich Bülow mit dem Angebot Lavals. Deutschland müsse es ablehnen, so Bülow, für den französisch-sowjetischen Pakt Pate zu stehen. Anstatt ein „diplomatisches Dokument“ zu unterzeichnen, solle man den Franzosen deutlich zu verstehen geben, dass man den französisch-sowjetischen Pakt ablehne, und zwar, wie Bülow sich ausdrückte, „einmal als Methode und dann weil er deutlich gegen uns gerichtet sei“. Dagegen führte Bülow zum Ende der Aufzeichnung seine Sicht der Dinge aus. Deutschland halte an Locarno fest, so schrieb er, „weil die Zusammenarbeit der vier Locarnomächte die 1204 1205 1206

Köster an das Auswärtige Amt, Paris, 18. 11. 1935, ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 415, S. 809– 813; AdR Hitler, Bd. II, 2, Nr. 710*, S. 1153. Phipps an Hoare, Berlin, 21. 11. 1935, BDFA, II, F, Bd. 46, Nr. 249, S. 352. Aufzeichnung Köpke, Berlin, 19. 11. 1935, ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 419, S. 820f. Die Vorlage war von Rintelen entworfen worden.

4.5 Die deutschen Vorstöße zu einer verhandelten Locarno-Lösung (1935/36)

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einzige sichere und nützliche Grundlage für die Gestaltung der europäischen Politik abgebe“, vorausgesetzt dies erfolge auf der Basis der Gleichberechtigung und des Vertrauens. Von Erklärungen, sich gegenseitig nicht anzugreifen, hielt Bülow wenig, „solange die Methode bedenklicher Allianzen Anwendung finde“. Zu diesen „alten falschen Methoden“ zählte Bülow auch den Völkerbund1207 . Zum anderen musste Lavals Vorstoß scheitern, weil er vom französischen Vertreter in Berlin torpediert wurde. Nach dem Krieg behauptete FrançoisPoncet, er habe dem Ministerpräsidenten vorgeschlagen, man solle auf Hitlers Vorschläge eingehen, als klar geworden sei, dass die Deutschen einen Schritt im Rheinland planten; so hätte man Hitlers wahre Absichten entlarven können. Er habe geraten, den Deutschen anzubieten, gewisse Modifizierungen an Locarno zuzulassen, gegen das Versprechen, keine Festungen in der entmilitarisierten Zone zu erbauen. Damit, so Poncet, sei er im Quai d’Orsay abgeblitzt1208 , denn dort habe man den Standpunkt vertreten, dass eine Debatte über Locarno nur den Anlass für England und Italien bilden könne, sich vom Rheinpakt zu lösen1209 . Indes zeigen die Akten etwas anderes. Er habe dem Ministerpräsidenten die Idee eines deutsch-französischen Nichtangriffspaktes ausgeredet, vertraute er dem britischen Botschafter an, denn es gebe ja den Locarnopakt1210 . Gleichzeitig wollte Poncet jegliche Diskussionen über Locarno vermeiden. Weder im Gespräch mit Neurath noch in der Unterredung mit dem Reichskanzler sei das Stichwort Locarno gefallen, berichtete François-Poncet am 23. November 1935 nach Paris1211 und lieferte die Begründung wenige Tage später nach. In der Wilhelmstraße, so schrieb Poncet am 26. November an Laval, glaube man, dass der französisch-sowjetische Pakt die Vorteile zerstöre, die das Reich unter Locarno genieße. Es bliebe nur die Bürde der entmilitarisierten Zone, für die das Reich keine Gegenleistungen bekomme. Wenn Frankreich jetzt eine Diskussion eröffne, die Änderungen am Locarnopakt zum Ziel habe, dann werde Deutschland in den Verhandlungen darauf drängen, die Rheinzone abzuschaffen oder, schlimmer noch, die Bestimmungen der Zone einseitig aufkündigen. Daher, so

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Aufzeichnung Bülow, Berlin, 20. 11. 1935, ebenda, Nr. 423, S. 825f. Die Denkschrift war für Köpke bestimmt. Hitler, den Neurath unverzüglich über das Angebot Lavals, ein diplomatisches Dokument zu unterzeichnen, unterrichtete, schien die Sache gar nicht zu interessieren. Beim Empfang für den französischen Botschafter vom 21. November kam die Angelegenheit überhaupt nicht zur Sprache, und Hitler äußerte sich auch später nicht dazu, ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 415, S. 813 Anm. 7. Vgl. Emmerson: Rhineland, S. 45; Goldman: Rhineland, S. 52–54. Témoignages et Documents, Bd. III, S. 766; François-Poncet: Botschafter, S. 253. BDFA, II, F, Bd. 46, Nr. 249, S. 352. François-Poncet an Laval, Berlin, 23. 11. 1935, DDF, 1. Serie, Bd. XIII, Nr. 274, S. 402f.

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

folgerte Poncet, dürfe die Frage Locarnos nicht angeschnitten werden1212 . Damit war das Projekt eines diplomatischen Dokuments erledigt1213 . Schließlich unternahm Laval Anfang 1936, im Angesicht seiner drohenden Demission, einen letzten Versuch, zu einer Einigung mit Deutschland zu kommen. Am 16. Januar 1936 kündigte Laval an, den Ratifizierungsprozess für den seit Mai brachliegenden französisch-sowjetischen Beistandspakt einzuleiten1214 . Dieser Entschluss entsprang einer Doppelstrategie, die innen- wie außenpolitische Züge aufwies. Auf der einen Seite versuchte Laval, dessen politisches Überleben nach dem Bekanntwerden des Hoare-Laval-Plans auf dünnem Eis stand, seine innere Machtbasis zu vergrößern, indem er den Vertrag mit Moskau, den die französischen Kommunisten begrüßten, auf den Weg brachte1215 . Damit gab er gleichzeitig dem Drängen Moskaus nach, den Vertrag schnellstens zu ratifizieren. Der Druck Russlands hatte die Bewegungsfreiheit Frankreichs zunehmend eingeengt1216 . Deshalb gab Laval seine bisherige Strategie auf, die Ratifizierung zu verzögern. Auf der anderen Seite blieb es die Absicht Lavals, zu einer Verständigung mit dem Deutschen Reich zu kommen. Dafür hatte Laval die Ratifizierung des französisch-sowjetischen Paktes über ein halbes Jahr verzögert und sich so den Weg nach Berlin theoretisch offengehalten. Aber als im Januar Gerüchte an die Seine drangen, Hitler plane die Rheinlandbesetzung für den 30. Januar 19361217 , wurde dieses Konzept brüchig. Nun galt es, ein gewaltsames Ende der Zone zu verhindern und die Deutschen davon zu überzeugen, dass der französisch-sowjetische Pakt keine Bedrohung für das Reich darstellte. Dazu unternahm Laval eine letzte Anstrengung1218 . Im Dezember 1935 empfing Laval den deutschen Abgesandten Ribbentrop zu einem geheimen Treffen im Quai d’Orsay, um über die Zukunft 1212 1213

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François-Poncet an Laval, Berlin, 26. 11. 1935, ebenda, Nr. 293, S. 423–428. Nach der Unterredung zwischen Hitler und Poncet vom 21. November kam es – auf Vorschlag Poncets – lediglich zur Abfassung eines gemeinsamen Pressekommuniqués, welches jedoch nach übereinstimmender Meinung in Berlin und Paris nicht als die von Laval gewünschte „Präambel“ gesehen werden sollte, DDF, 1. Serie, Bd. XIII, Nr. 252, S. 367. Témoignages et Documents, Bd. III, S. 574. Vgl. E. R. Cameron: Prologue to Appeasement. A Study in French Foreign Policy 1933– 1936, Diss. phil. Philadelphia 1942, S. 183. So hatte Litwinow im Herbst 1935 in Paris verkünden lassen, Moskau sehe in den Ausgleichsbemühungen Lavals gegenüber Berlin einen Verstoß gegen die französischsowjetischen Vereinbarungen, vgl. Haslam: Struggle, S. 89; Hill: Rhineland, S. 43f. Dies meldeten u. a. der französische Botschafter in Bern sowie ein französisch-deutscher Doppelagent, Clauzel an Laval, Bern, 10. 1. 1936, DDF, 2. Serie, Bd. I, Nr. 27, S. 37f.; Clauzel an Laval, Bern, 18. 1. 1936, ebenda, Nr. 79, S. 113; P. Paillole: Notre espion chez Hitler, Paris 1985, S. 104. Zuvor war Lavals letzter Versuch, mit England ins Gespräch zu kommen, gescheitert. Ende November 1935 fragte ein Mitarbeiter der französischen Botschaft bei Sargent, wie England über den Rheinpakt denke. Die britische Haltung sei nach wie vor dieselbe,

4.5 Die deutschen Vorstöße zu einer verhandelten Locarno-Lösung (1935/36)

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der entmilitarisierten Zone und die Revision des Locarno-Rheinpaktes zu sprechen1219 . Er wolle einen zweiseitigen Pakt mit Deutschland, erläuterte Laval sein Programm, der eine Grenzgarantie stipuliere und Bestimmungen zu den Rüstungen enthalte1220 . Greifbares Ergebnis der Unterredungen war, dass Laval im Januar 1936 einen seiner Vertrauten, den linksgerichteten Abgeordneten Jean Montigny, zu einer „Informationsreise“ nach Deutschland entsandte1221 . Im Verlaufe seiner zehntägigen Reise bekam Montigny die Gelegenheit, mit verschiedenen Persönlichkeiten über das deutsch-französische Verhältnis zu sprechen. Am 9. Januar 1936 traf er sich mit Dieckhoff und erläuterte ihm die innenpolitische Situation in Frankreich. Ein Sturz als Ministerpräsident sei möglich, erklärte Montigny, aber Laval werde unter allen Umständen Außenminister bleiben. Ganz besonders versuchte er seinem deutschen Gesprächspartner klarzumachen, dass der französisch-sowjetische Beistandspakt nicht unvereinbar mit dem Locarnopakt sei. Aber das war noch lange nicht alles. Gegenüber einem Vertrauensmann – möglicherweise ein Mitarbeiter der Dienststelle Ribbentrop – äußerte sich Montigny über die französische Haltung zur entmilitarisierten Zone. Eine Verletzung der Rheinzone, so wird Montigny zitiert, sei nicht zwingend ein Kriegsgrund für Paris. Man sehe, dass Deutschland eine Veränderung der Verhältnisse erstrebe, und sei bereit, dies hinzunehmen, wenn das Reich den Verhandlungsweg beschreite und von „einer provozierenden Übermilitarisierung an den französischen Grenzen“ absehe1222 . Damit wurde das Kalkül Lavals offenbar, die deutsche Anerkennung des französisch-sowjetischen Paktes gegen die französische Einwilligung zu tauschen, das Rheinland mit deutschen Streitkräften zu besetzen1223 . Vor diesem Hintergrund leitete Laval am 16. Januar die Parlamentsdebatte zur

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belehrte ihn der Brite, England werde nicht über Locarno sprechen, Hoare an Clerk, London, 28. 11. 1935, DBFP, 2. Serie, Bd. XV, Nr. 276, S. 346. Géraud: Gravediggers, S. 385. Vgl. auch die Ausführungen Ribbentrops in seinen Erinnerungen, wonach er im Herbst und Winter 1935/36 vielen Leuten in Paris und London erklärt habe, es sei notwendig, sich alsbald auf eine Revision Locarnos zu verständigen, Ribbentrop: Erinnerungen, S. 78. Gamelin: Servir, Bd. 2, S. 180. Vgl. Montignys eigene Ausführungen in: J. Montigny: Le Complot contre la Paix 1935– 1939, o. O. [Paris] 1966, S. 23f. Aufzeichnung Aschmann, Berlin, 10. 1. 1936, PA AA, BA 60967; vgl. dazu Shore: Hitler, S. 5–7. Mitte Januar 1936 drangen die Gerüchte über die deutsch-französischen Sondierungen nach London. Am 16. Januar übergab ein Mitarbeiter der französischen Botschaft Wigram „ganz privat“ zwei Schriftstücke zum Rheinland und erklärte, die entmilitarisierte Zone sei „die Frage der Stunde“, Aufzeichnung Wigram, London, 16. 1. 1936, TNA, FO 371/19883. Bei den Anlagen handelt es sich um eine Aufzeichnung Margeries vom 11. Januar sowie um eine Havas-Meldung vom Januar 1936.

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

Ratifizierung des französisch-sowjetischen Vertrages ein1224 . Der Sturz Lavals als Ministerpräsident und Außenminister wenige Tage später, am 22. Januar, verschüttete aber alle Möglichkeiten, auf dieser Grundlage zu einem deutschfranzösischen Ausgleich zu kommen. Inzwischen waren in Berlin längst die politischen Weichen gestellt worden, die auf eine baldige Beendigung Locarnos zuführten. Dies lag exakt auf der taktischen Schiene, die das Auswärtige Amt unter Führung Neuraths seit einigen Wochen fuhr und die darauf abzielte, durch steigende Drohungen die Westmächte zu bewegen, in Verhandlungen über eine Revision des LocarnoRheinpaktes einzuwilligen. Nach der Abessinienkrise, so hatte Neurath Anfang Dezember 1935 erklärt, müsse es zu einer „Anpassung des Vertragswerks von Locarno“ kommen, denn der französisch-sowjetische Pakt gefährde den Rheinpakt, weil er gegen Deutschland gerichtet sei und damit jedes Nichtangriffsversprechen seitens Frankreich wertlos mache1225 . Wie es das Konzept der „schrittweisen Evolution“ Neuraths vorsah, bildete die Abschaffung der entmilitarisierten Zone den nächsten zwingenden Schritt auf dem Weg der Erstarkung Deutschlands. Umso dringender wurde dieser Schritt, weil die Situation durch zwei Umstände verschärft wurde. Auf der einen Seite war der Locarnopakt aus deutscher Sicht vor einigen Wochen unwirksam geworden, als das Deutsche Reich am 21. Oktober 1935 endgültig den Völkerbund verlassen hatte. Auf der anderen Seite mehrten sich die Zeichen, dass die Westmächte das vermeintliche Erlöschen Locarnos sogleich zum Anlass genommen hatten, ihre Sicherheit durch militärische Absprachen gegen Deutschland zu gewährleisten. So erhielt Neurath um die Jahreswende 1935/36 Informationen von einem französischen Operationsplan, der einen Einmarsch ins Rheinland und weiter nach Deutschland entlang der Mainlinie vorsah, und ein Vertrauensmann versorgte das Auswärtige Amt mit Einzelheiten eines französisch-sowjetischtschechischen Luftabkommens, das die Bestimmungen des französisch-sowjetischen Beistandspaktes umsetzen sollte1226 . Solche Vereinbarungen, hatte Neurath dem britischen Botschafter am 13. Dezember 1935 erklärt, verstärkten die „Schutzlosigkeit unserer westlichen Industrie“. Deutschland wäre gezwungen, seine eigene Luftabwehr an die Grenze vorzurücken. Dies, so Neurath, wäre die Aufgabe der entmilitarisierten Zone1227 . Hinter diesen Worten verbarg sich die Entschlossenheit, diesen Schritt notfalls in eigener Regie auszuführen, wenn sich England den deutschen Re1224 1225 1226

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Vgl. Azeau: Le Pacte, S. 222. ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 423, S. 825f. u. Nr. 440, S. 856f. Roediger an Schulenburg, Berlin, 24. 12. 1935, PA AA, R 31623; Aussage Neurath, Nürnberg, 24. 6. 1946, IMT, Bd. XVI, S. 686; Plädoyer Lüdinghausen, Nürnberg, 24. 7. 1946, IMT, Bd. XIX, S. 303. Vgl. Bernhardt: Aufrüstung, S. 46. Informationserlass Neurath, Berlin, 17. 12. 1935, PA AA, R 32246.

4.5 Die deutschen Vorstöße zu einer verhandelten Locarno-Lösung (1935/36)

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visionswünschen entzöge. Diese Situation war um die Jahreswende 1935/36 eingetreten. Damit endete gleichzeitig die erste Phase des deutschen Protests gegen die Bestimmungen des französisch-sowjetischen Beistandspaktes, der das Ziel verfolgt hatte, die Westmächte zu einer Modifizierung Locarnos zu bewegen. Die zweite Phase hatte kein politisches Ziel mehr im Auge, sondern sollte nur noch dazu dienen, die Planungen zur „Kündigung“ Locarnos, die nun einsetzten, abzufedern. Unmittelbar im Anschluss an die Unterredung am 13. Dezember 1935 kam es zu einer Kabinettssitzung, auf der Hitler eingehend über die Unterredung mit Phipps berichtete und die Minister auf das kommende Ziel einschwor. England wünsche, die Gespräche über eine Begrenzung der Rüstungen wieder aufzunehmen, führte Hitler aus, er habe dem Botschafter jedoch erwidert, dass er sowohl Rüstungsverhandlungen als auch einen Luftpakt problematisch finde, solange „Russland das Maß seiner Rüstungen selbst bestimme“. Dabei mochte Hitler Rüstungsgespräche nicht grundsätzlich ablehnen, knüpfte diese aber an die Erwartung, „dass es im Interesse sowohl Englands wie Frankreichs liegen dürfte, in die Aufhebung der Bestimmungen über die entmilitarisierte Zone einzuwilligen“1228 . Einige Tage später begann Neurath, die deutschen Vertretungen über die Ergebnisse der britischen Demarche vom 13. Dezember zu unterrichten. In einem Informationserlass für die Botschaften in London, Paris, Rom, Moskau und Warschau vom 17. Dezember ging Neurath ausführlich auf die Unterredung Hitlers mit Phipps ein. Der französisch-sowjetische Beistandspakt sei nicht hinzunehmen, schrieb Neurath, dieser Vertrag sei ein Bruch Locarnos, außerdem wirke er sich auf die zur Verteidigung erforderlichen Rüstungsstärken aus. Deutschland sei auch nicht bereit, französisch-englische Sonderabmachungen zu akzeptieren; englische Luftstützpunkte in Frankreich und Belgien würden die Schutzlosigkeit der westlichen Industrien noch vergrößern. In einem nur für London bestimmten Zusatz zog Neurath die Folgerung aus diesen Ausführungen. Wenn England seine Luftflotte an die Grenze verlegen würde, schrieb Neurath da, so wäre Deutschland ebenfalls gezwungen, seine Luftabwehr an die belgisch-französische Grenze vorzuschieben; dies wäre das Ende der entmilitarisierten Zone1229 . Diesen Hinweis auf die Londoner Vertretung zu beschränken, war der letzte Wink an die britische Regierung, in Verhandlungen mit der deutschen Führung einzutreten und zeigte gleichzeitig, 1228

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ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 460, S. 897; AdR Hitler, Bd. II, 2, Nr. 281, S. 987; Meissner: Staatssekretär, S. 411. Das Urteil von Goebbels über die Unterredung lautete: „Führer hatte Gespräch mit Phipps, England möchte internationales Gespräch auf uns konzentrieren, Hitler hat Phipps kalt abfahren lassen.“ Tagebuch Goebbels, 15. 12. 1935, Goebbels: Fragmente, I, Bd. 2, S. 553. Informationserlass Neurath, Berlin, 17. 12. 1935, PA AA, R 32246.

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4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

welchen Preis die Deutschen für ein Entgegenkommen in der Rüstungsfrage erwarteten1230 . In den folgenden Tagen unterrichteten die Deutschen die ausländischen Diplomaten über das Ergebnis der Unterredung vom 13. Dezember. Am 14. Dezember lieferte Bülow dem italienischen Botschafter einen Bericht der Unterredung, ohne auf die Entmilitarisierungsbestimmungen des Rheinlandes einzugehen. Bülow beschränkte sich auf die Bemerkung, wie absurd englische Luftstützpunkte an der deutschen Grenze seien, wovon Attolico „begeistert“ war1231 . Erst Anfang Januar 1936 weihte Neurath den Abgesandten Roms in den vollständigen Inhalt des Gesprächs ein. Wenn England und Frankreich Luftbasen gegen Deutschland errichten würden, so der Außenminister am 13. Januar 1936, sehe sich Deutschland von den Verpflichtungen der entmilitarisierten Zone befreit, weil solche Abmachungen gegen Geist und Buchstaben von Locarno verstoßen würden. Dies habe der Reichskanzler dem britischen Botschafter deutlich zu verstehen gegeben1232 . Den polnischen Botschafter Lipski empfing Hitler am 18. Dezember 1935, um ihn über die Details der britischen Demarche aufzuklären, beschränkte sich aber darauf, den französischsowjetischen Bündnisvertrag zu geißeln1233 . Jedoch hatte Neurath selbst, als er Lipski zu einem Vorbereitungsgespräch am 16. Dezember begrüßte, bereits unmissverständlich klargemacht, wenn England Luftbasen auf dem Kontinent errichten wolle, dann wäre dies das Ende der entmilitarisierten Zone1234 . Und den französischen Vertretern in Berlin erklärte man, wenn Frankreich den Locarnovertrag breche – die Deutschen wiesen insbesondere auf den französisch-sowjetischen Pakt und die französisch-britischen Gespräche hin –, werde man den Rheinpakt als hinfällig betrachten und die entmilitarisierte Zone besetzen1235 . 1230

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Der deutsche Militärattaché in London notierte sich in aller Kürze über das Gespräch Hitler-Phipps: „Neurath: Vorverlegung der Reichswehr in die entmil[itarisierte] Zone. Reg[ierung] aufmerksam machen.“ Hs. Notiz Geyr v. Schweppenburg, [London], Dezember 1935, IfZ, ED 91, Bd. 3. Aufzeichnung Bülow, Berlin, 14. 12. 1935, ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 464, S. 902f.; DDI, 8. Serie, Bd. II, Nr. 857, S. 841–844. Attolico an Mussolini, Berlin, 13. 1. 1936, DDI, 8. Serie, Bd. III, Nr. 53, S. 71. Aufzeichnung Neurath, Berlin, 19. 12. 1935, ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 470, S. 911f. Lipski an Beck, Berlin, 16. 12. 1935, Lipski: Diplomat, Nr. 55, S. 239. Renondeau an Fabry, Berlin, 15. 1. 1936, SHD, 7 N 2597; DDF, 2. Serie, Bd. I, Nr. 58, S. 84f. Von den brisanten Äußerungen Hitlers gegenüber Phipps schienen die Franzosen, das legen die verfügbaren Quellen nahe, dagegen erst Anfang Februar 1936 durch die Russen erfahren zu haben. Sowjetische Diplomaten, schrieb Alphand am 9. Februar 1936 aus Moskau, hätten ihm eine neue Version der Unterredung Hitlers mit Phipps erzählt, wonach der Reichskanzler gedroht habe, die entmilitarisierte Zone zu besetzen, wenn England Luftstützpunkte auf französischem Territorium errichtete, Alphand an Flandin, Moskau, 9. 2. 1936, DDF, 2. Serie, Bd. I, Nr. 160, S. 230.

4.5 Die deutschen Vorstöße zu einer verhandelten Locarno-Lösung (1935/36)

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Zur selben Zeit erzählte der deutsche Sondergesandte in Wien, Papen, dem ungarischen Außenminister von den Ergebnissen der Hitler-Phipps-Unterredung. Die wiederholten Konzessionen Englands an Frankreich, so gab er Hitlers Worte wieder, hätten das Locarnogleichgewicht zu Ungunsten Deutschlands verschoben. Er, Hitler, sei gezwungen, die jüngsten Verträge Frankreichs zum Anlass zu nehmen, um zu prüfen, ob der Rheinpakt und die Bestimmungen zur entmilitarisierten Zone noch verpflichtend seien1236 . Gleichzeitig bereiteten sich die Militärs auf ein baldiges Ende der entmilitarisierten Zone vor. Bislang hatte die Losung gegolten, bei militärischen Vorbereitungen in der Zone auf die Einhaltung der Entmilitarisierungsbestimmungen zu achten1237 , oder wie Beck noch am 18. November 1935 in soldatischer Kürze formulierte: „Entmilitarisierte Zone: keine Lockerung.“1238 Diese Konzeption wurde jetzt zu den Akten gelegt und die entmilitarisierte Zone rückte in den Fokus. Bei den Besprechungen der Militärattachés Mitte Dezember wurde erstmals über die Zukunft der Rheinlandzone beraten1239 . Kurz vor Weihnachten 1935 lud Fritsch den Chef der Operationsabteilung, Manstein, und Otto Stapf von der Organisationsabteilung auf sein Gut bei Fallingbostel, um ihnen von den Plänen Hitlers zu berichten, die entmilitarisierte Zone im Rheinland zu besetzen. Fritsch, der bei dieser Unterredung vor allem auf die außenpolitischen Gefahren einer solchen Aktion hinwies, stellte klar, dass es sich um einen politischen Akt handele und es dabei höchstens zu einer symbolischen Besetzung kommen könne1240 . Kurz darauf deutete Oberst Gallenkamp, der am Operationsplan zur Besetzung der Zone mitarbeitete1241 , in einem öffentlichen Vortrag an, dass militärische Maßnahmen zur Verteidigung des Rheinlandes existierten1242 . 1236 1237

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Diplomàciai iratok, Bd. I, Nr. 27, S. 104. Dies ergaben jüngst noch einmal die operativen Anweisungen für die Kriegsspielstudie West im Herbst 1935. Demnach waren „militärische Vorausmaßnahmen“ im Westen nur erlaubt, sofern diese keine „eklatante Verletzung der entmilitarisierten Zone“ darstellen, Die Organisationsabteilung an die Abteilung 1, Berlin, 11. 11. 1935, BA-MA, RH 2/14. Aufzeichnung Liebmann über eine Besprechung bei Fritsch am 18. November 1935, o. O., o. D., IfZ, ED 1, Bd. 1. Dies belegen Notizzettel, die sich im Nachlass des Londoner Militärattachés befinden, Aufzeichnung Geyr v. Schweppenburg: „Besprechungspunkte mit Generalmajor Stülpnagel“, o. O. [London], o. D. [Dezember 1935], IfZ, ED 91, Bd. 3. Vgl. auch Tagebuch Goebbels, 19. 12. 1935, Goebbels, Fragmente, I, Bd. 2, S. 555; Faber du Faur: Erinnerungen, S. 195f. Aufzeichnung Siegler, München, 27. 6. 1952, IfZ, ZS 152. Manstein behauptet in seinen Erinnerungen, er und Stapf seien erst am 5. März 1936 von Beck instruiert worden, Manstein: Soldatenleben, S. 236. Vgl. J. Benoist-Méchin: Geschichte der deutschen Militärmacht 1918–1946, Bd. 3: Auf dem Wege zur Macht 1925–1937, Oldenburg u. Hamburg 1965, S. 292. Phipps an Eden, Berlin, 30. 12. 1935, TNA, FO 371/19883.

368

4. Die Locarnopolitik des Auswärtigen Amtes (1933–1936)

Aber noch fehlte die Unterstützung Hitlers. Während Hitler genauestens über die Gespräche der deutschen Botschafter in der Locarnofrage informiert war und die Taktik ausdrücklich billigte, den Druck auf England zu erhöhen1243 , zögerte er noch, die Konsequenzen aus dem britischen Schweigen zu ziehen. Auch er wolle die Rheinlandfrage lösen, erklärte er am 20. Januar 1936, aber das Vorgehen des Auswärtigen Amtes stelle zu sehr auf die rechtlichen Beziehungen ab. Man solle daher noch warten1244 . Anfang Februar 1936 war er bereit zu Handeln.

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Frohwein an das Reichskriegsministerium, Abteilung Ausland, den Oberbefehlshaber der Marine und an das Reichsluftfahrtministerium, Berlin, 18. 1. 1936, PA AA, R 32260. Tagebuch Goebbels, 21. 1. 1936, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/I, S. 366.

5. Entscheidung und Aktion (Februar–März 1936) 5.1 Die deutschen Planungen zur „Kündigung“ Locarnos (Februar 1936) Anfang Februar 1936, so berichtet Friedrich Hoßbach, damals Wehrmachtsadjutant im Gefolge des Reichskanzlers, habe sich Hitler in Bayern entschieden, mit dem Locarnopakt zu brechen und die entmilitarisierte Zone am Rhein zu besetzen1 . Hitler befand sich einige Tage in seinem Münchner Domizil, bevor er am 5. Februar 1936 im Sonderzug nach Garmisch fuhr, um am nächsten Tag die Olympischen Winterspiele zu eröffnen. Nach der Eröffnungszeremonie habe er dem Reichskriegsminister von seinen Plänen erzählt, das Rheinland mit Truppen zu besetzen2 . Mehrere Zeugnisse bestätigen diese These. Im Jahr 1950 schrieb ein ehemaliger Reichswehrangehöriger an den früheren Militärattaché in London, Geyr v. Schweppenburg, was er über die Vorgeschichte der Rheinlandkrise wusste. Demnach habe ihm Keitel während eines Jagdausfluges im Jahre 1937 erzählt, er, Fritsch und Blomberg seien am Rande der Olympischen Winterspiele zu Hitler gerufen worden. Der Kanzler habe ihnen eröffnet, dass er beabsichtige, das entmilitarisierte Rheinland zu besetzen. Er wolle die Militärs gar nicht in der Sache um Rat fragen, weil es sich um einen festen Entschluss handele, sondern möchte lediglich von ihnen wissen, wie viele Tage vor der Besetzung – die auf jeden Fall an einem Samstag stattfinden solle – er die Befehle für die Reichswehr herausgeben müsse3 . Dass Keitel frühzeitig in die Planungen der Rheinlandbesetzung einbezogen war, wovon er in seinen Erinnerungen nichts berichtet4 , wird durch eine weitere Quelle bestätigt. So berichtete der französische Politiker Bardoux vor dem Untersuchungsausschuss der Nationalversammlung, der die Ursachen der französischen Niederlage im Jahr 1940 freilegen sollte, ein Beamter des Secret Service habe ihn damals in Paris aufgesucht und ihm mitgeteilt, Keitel habe ihm in einer Unterredung am 10. Februar 1 2 3 4

Hoßbach: Wehrmacht, S. 83. Vgl. Cartier: Weltkrieg, S. 381; Giro: Remilitarisierung, S. 67. Beide geben fälschlicherweise den 5. Februar als Tag der Eröffnung der Winterspiele an. Grass an Geyr v. Schweppenburg, o. O., 10. 4. 1950, IfZ, ED 91, Bd. 8. Keitel: Leben. Eine weitere Stelle unterstreicht, dass Keitel eng mit der Rheinlandbesetzung befasst war. So berichtet Keitel in seinen Erinnerungen, er sei im März 1936 zusammen mit Neurath und Fritsch zum Reichskanzler gerufen worden, um die Frage zu prüfen, ob man als Zugeständnis an England darauf verzichten könne, Befestigungen im Rheinland anzulegen, ebenda, S. 193.

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5. Entscheidung und Aktion (Februar–März 1936)

1936 erzählt, Deutschland werde in den nächsten Wochen die entmilitarisierte Zone besetzen5 . Schließlich war es der französische Botschafter in Deutschland, André François-Poncet, der aus den Unterhaltungen, die er in Garmisch mit Hitler, Göring und Goebbels führte, schon im Februar 1936 die Schlussfolgerung zog, Deutschland plane ein Fait accompli in der entmilitarisierten Rheinlandzone6 . Die Forschung hat ein ganzes Bündel an Faktoren zusammengetragen, die Hitler und die deutsche Führung im Frühjahr 1936 bewogen haben sollen, das Rheinland in einer Blitzaktion zu besetzen. Für den Reichskanzler war die Situation im Frühjahr 1936 aus mehreren Gründen günstig. Als erster Grund sind persönliche Motive des Kanzlers zu erkennen. Die Quellen zeigen, wie sein Wunsch, aus der Passivität herauszutreten, und sein Glaube an den günstigen Moment das ganze Handeln Hitlers bestimmten. Die außenpolitische Lage beschäftigte den Reichskanzler schon einige Zeit. Seit dem Heraufziehen der Abessinienkrise spürte Hitler, wie sich die Bedingungen zur Umsetzung seiner außenpolitischen Pläne besserten7 . „Europa ist wieder in Bewegung“, hatte er den Mitgliedern des Kabinetts und den Reichswehrspitzen schon Mitte Oktober 1935 erklärt, Deutschland müsse weiter rüsten und bereit sein, die Situation auszunutzen, dann „werden wir die Gewinner sein“8 . Im November und Dezember 1935, das bestätigen die Aufzeichnungen von Goebbels, beschäftigte sich Hitler intensiv mit außenpolitischen Fragen9 und dabei streifte er wohl immer wieder das Problem der entmilitarisierten Zone10 . Im Frühjahr 1936 schien die Gelegenheit, das Rheinland zu besetzen, günstig

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Témoignages et Documents, Bd. V, S. 1410. Aufzeichnung des 2. Büros des Generalstabes, Paris, 24. 2. 1936, SHD, 7 N 2521. Zum Zusammenhang zwischen den Plänen Hitlers, das Rheinland zu remilitarisieren, und dem Verlauf der Kampfhandlungen in Äthiopien vgl. Funke: 7. März; ders.: Sanktionen und Kanonen. Hitler, Mussolini und der internationale Abessinienkonflikt 1934–1936, Düsseldorf 1970, S. 82ff. Tagebuch Goebbels, 19. 10. 1935, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/I, S. 313. Die Versammlung fand am 17. Oktober 1935 statt. Tagebuch Goebbels, 27. 11. 1935, ebenda, S. 335; Tagebuch Goebbels, 21. 12. 1935, ebenda, S. 351. Belege dafür sind die Ausführungen Papens gegenüber dem ungarischen Außenminister, Hitler beschäftige sich seit der Unterredung mit Phipps mit der Frage, ob er das Rheinland remilitarisieren solle, sowie ein Bericht des britischen Botschafters vom Dezember 1936, Hitler habe bei der jährlichen Zusammenkunft der Militärattachés in Berlin (11.–19. Dezember 1935) durchblicken lassen, er widme sich gerade der Rheinlandfrage. Dazu kommt noch eine Notiz des US-amerikanischen Botschafters, der zu Folge sich seit Mitte Dezember 1935 eine Front aus hohen Staatsbeamten und Militärs gebildet habe, die die Besetzung des Rheinlandes und die Zerschlagung des französisch-sowjetischen Paktes forderte, Diplomàciai iratok, Bd. I, Nr. 27, S. 104; BDFA, II, F, Bd. 47, Nr. 313, S. 402f.; Tagebuch Dodd, 11. 4. 1936, Dodd: Diplomat, S. 374.

5.1 Die deutschen Planungen zur „Kündigung“ Locarnos (Februar 1936)

371

zu sein11 , wie Hitlers Einschätzung der ausländischen Mächte zeigt. Zunächst war es die Beurteilung der französischen Politik, die Hitlers Handeln bestimmte. Frankreich, so führte der Reichskanzler aus, werde „nicht viel“ machen, denn es sei sowohl innerpolitisch zerfahren als auch außenpolitisch ohne Führung12 . Seit einiger Zeit erwartete Hitler, dass Laval stürzen und einer Linksregierung unter Herriot Platz machen würde13 . Darin erblickte Hitler eine große Gefahr14 . Während er Laval zugetraut hatte, das Zustandekommen des französisch-sowjetischen Paktes zu verhindern15 , würde die neue Regierung völlig in den Sog des Bolschewismus geraten. Dies, so lautete sein Urteil, mache Frankreich zum „Agenten“ Moskaus und stürze das Land in die Krise16 . Eine „schwache“ Regierung in Paris, so befürchtete Hitler, könnte die Flucht nach vorne antreten und ins Rheinland einfallen17 . Vor dem Hintergrund dieser Bedrohungssituation sah Hitler den doppelten Imperativ, einer französischen Besetzung zuvorzukommen und das Rheinland gegen eine künftige französisch-sowjetische Aggression zu sichern. Russland, so setzte Hitler seinen Überblick fort, sei im Moment darauf erpicht, im Westen Ruhe zu haben, weil im Osten der Krieg mit Japan bevorstünde18 . Aber die militärische Kraft der Sowjetunion werde mit jedem Jahr zunehmen19 , und solange gelte es, die eigene Aufrüstung zu vollenden. „1941 sind wir ganz fertig“, verkündete Hitler, und dann werde die Auseinandersetzung mit dem Bolschewismus kommen20 . Außerdem war es die Beurteilung Italiens, die Hitlers Standpunkt bestärkte. 11

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Hitler traf sich in den Wochen vor dem 7. März 1936 häufig mit dem Chef der Abwehr, Canaris, der ihn über die Lage im Ausland auf dem Laufenden hielt, vgl. M. Mueller: Canaris. Hitlers Abwehrchef, Berlin 2006, S. 188. Fell an Leitgen, Paris, 16. 2. 1936, BArch, NS 10/200. Bericht Grimm, Paris, 1. 12. 1935, Grimm: Frankreich-Berichte, S. 35. Goebbels notierte sich nach einer Unterredung mit Hitler: „In Paris große und gefährliche Demonstrationen. Dieses Land taumelt von Krise zu Krise in den Abgrund. Wir müssen aufpassen, dass diese Krankheit nicht zu uns herüber schlägt. Das ist die Gefahr!“ Tagebuch Goebbels, 31. 12. 1936, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/II, S. 310. Auch im Auswärtigen Amt glaubte man, dass Frankreich nach dem Abgang Lavals eine deutschfeindliche Politik führen werde, DNB-Meldung, 24. 1. 1936, PA AA, R 32040. Vgl. den Bericht Geyrs vom 18. November 1935, PA AA, R 30062 b; vgl. ferner Meissner: Staatssekretär, S. 409. Tagebuch Goebbels, 21. 1. 1936, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/I, S. 366; Tagebuch Goebbels, 17. 10. 1936, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/II, S. 215; Tagebuch Goebbels, 2. 12. 1936, ebenda, S. 272f.; Tagebuch Goebbels, 28. 4. 1937, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 4, S. 113f. Tagebuch Phipps, 21. 11. 1933, Johnson: Phipps, S. 29; Tagebuch Phipps, 5. 12. 1933, ebenda, S. 33. Tagebuch Goebbels, 9. 6. 1936, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/II, S. 102; Tagebuch Goebbels, 2. 8. 1936, ebenda, S. 146. Robertson: Wiederbesetzung, Nr. 3, S. 192. Tagebuch Goebbels, 15. 11. 1936, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/II, S. 251.

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5. Entscheidung und Aktion (Februar–März 1936)

Aus Wut über die Reaktionen der Westmächte auf seine Abessinienpolitik hatte der Duce im Herbst 1935 laut darüber nachgedacht, die italienischen Locarnoverpflichtungen gegenüber Belgien zu kündigen21 und erzählte jedem, der es hören wollte, die Stresafront sei eine erledigte Sache22 . In inoffiziellen Gesprächen ließen die Italiener sogar die Bereitschaft erkennen, sich am Rheinland zu desinteressieren23 . Aber schon um die Jahreswende kehrte Rom zu seiner alten Strategie zurück, in Locarnofragen der britischen Auslegung zu folgen. Anfang Dezember 1935 fragte ein Mitglied der italienischen Botschaft bei Sargent nach, wie es um die Gültigkeit Locarnos bestellt sei, nachdem das Deutsche Reich endgültig aus Genf ausgeschieden war. Sargent antwortete unter Verweis auf Artikel 17 der Völkerbundssatzung und behauptete, die Locarnoverträge würden weiter reibungslos funktionieren24 . Diese Aussagen verfehlten ihre Wirkung in Rom nicht. So teilte der italienische Botschafter in Berlin am 14. Dezember 1935 vertraulich mit, man habe in Rom von einer möglichen „Kündigung“ Locarnos Abstand genommen25 . Dies bestätigte Suvich gegenüber Hassell in einem Gespräch vom 25. Januar 1936. Italien habe im Moment nicht die Absicht, so der Italiener, Locarno zu „kündigen“ oder aus dem Völkerbund auszutreten26 . Diese plötzlichen Umschwünge der italienischen Haltung, so war Hitler überzeugt, seien nur vor dem Hintergrund des Verlaufes der Abessinienkrise zu erklären. Während Hitler noch im Januar 1936 mit Rücksicht auf die Abessinienkrise davon abgeraten hatte, im Rheinland aktiv zu werden, schienen die italienischen Erfolge im Februar anzudeuten, dass der Krieg bald entschieden war. Mussolini werde dann aber, so Hitler, weniger kompromissbereit sein, und könnte weder dazu gebracht werden, bei der „Locarnokündigung“ vorzupreschen, noch würde er eine deutsche Aktion decken27 . Am wichtigsten war indes die Einschätzung der britischen Politik, die Hitlers Entscheidung beeinflusste. England sei militärisch in schlechtem Zustand, so Hitler, und sei im Mittelmeer und in Palästina gebunden, sodass es Frankreich nicht unterstützen könne. Wahrscheinlich, so Hitler, werde man in London sogar froh sein, wenn die entmilitarisierte Zone verschwinde28 . Hitler begründete das damit, dass mit dem Amtsantritt König Edwards die prodeutsche Fraktion 21 22 23 24 25 26 27 28

DDI, 8. Serie, Bd. II, Nr. 466, S. 440f. Hassell an das Auswärtige Amt, Rom, 16. 11. 1935, ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 414, S. 808. Eschmann an Renthe-Fink, Berlin, 12. 11. 1935, PA AA, R 72766. Sargent an Vitteti, London, 4. 12. 1935, TNA, FO 371/18851. Aufzeichnung Bülow, London, 14. 12. 1935, ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 464, S. 902f.; DDI, 8. Serie, Bd. II, Nr. 623, S. 603–605. Hassell an das Auswärtige Amt, Rom, 25. 1. 1936, ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 519, S. 1014. Robertson: Wiederbesetzung, Nr. 4, S. 195; vgl. Funke: 7. März, S. 301ff. Tagebuch Goebbels, 4. 3. 1936, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/II, S. 31; Robertson: Wiederbesetzung, Nr. 3, S. 192.

5.1 Die deutschen Planungen zur „Kündigung“ Locarnos (Februar 1936)

373

in der City das Sagen bekommen habe29 . Dieses Lager sehe nicht in Deutschland, sondern im bolschewistischen Russland die Gefahr für Europa; deshalb, so Hitler, lehne diese Fraktion das französisch-sowjetische Bündnis ab und würde Deutschland nicht in den Arm fallen30 . Der „Führer“ witterte, dass er die prodeutsche Einstellung Edwards zu seinen Gunsten nutzen konnte31 . Die Nachrichten, die Ende Januar 1936 von den Beisetzungsfeierlichkeiten für König Georg zur Kenntnis Hitlers gelangten, bestärkten ihn in dieser Ansicht. Am 30. Januar erstattete Neurath dem Kanzler seinen Bericht über die Ereignisse in London32 . Dort hatte Neurath die Gelegenheit wahrgenommen, mit Eden, König Edward und anderen Staatsmännern über das künftige Schicksal der entmilitarisierten Zone zu sprechen33 . Am Tag zuvor war der Militärattaché in London, Geyr v. Schweppenburg, eigens nach Berlin gekommen, um über seine Londoner Eindrücke zu berichten34 . Geyrs Bericht bestärkte die Ansicht Hitlers, dass England militärisch gebunden sei und daher ein kriegerisches Eingreifen im Fall einer deutschen Besetzung des Rheinlandes nicht in Frage käme. „Ist Ihnen nicht auch der Gedanke gekommen“, fragte er die anwesenden Militärs, „es sei nun der richtige Zeitpunkt, das Rheinland zu besetzen?“35 29

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Neurath und Hoesch bearbeiteten den Reichskanzler schon seit einiger Zeit, die deutschen Hoffnungen auf Edward zu setzen, Hoesch an Neurath, London, 3. 12. 1935, PA AA, BA 60957; vgl. Haraszti: Invaders, S. 48. Es fällt auf, dass just an dem Tag, als die Krankheit König Georges V. bekannt wurde, Hitler erstmals von der Rheinlandfrage sprach, Tagebuch Goebbels, 21. 1. 1936, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/I, S. 366. Aufzeichnung, o. V.: „Die Lage in England“, London, Januar 1936, BAK, ZSg 133/45; H. Eberle/M. Uhl (Hg.): Das Buch Hitler. Geheimdossier des NKWD für Josef W. Stalin, zusammengestellt aufgrund der Verhörprotokolle des Persönlichen Adjutanten Hitlers, Otto Günsche, und des Kammerdieners Heinz Linge, Moskau 1948/49. Aus dem Russischen von H. Ettinger, mit einem Vorwort von H. Möller, Bergisch Gladbach 2007, S. 58. Am 7. März, auf der Zugfahrt nach München, erklärte Hitler, der britische König werde dafür sorgen, dass die Rheinlandaktion friedlich ausgehe. Wörtlich führte Hitler aus: „Der englische König greift nicht ein. Er hält, was er versprochen hat.“ A. Speer: Erinnerungen, Frankfurt/M. u. Berlin 1969, S. 85; vgl. auch Protokoll Speer, Kransberg, 7. 9. 1945, U. Schlie (Hg.): Albert Speer. Die Kransberg-Protokolle 1945. Seine ersten Aussagen und Aufzeichnungen (Juni–September), München 2003, S. 219. Aufzeichnung Frau v. Mackensen, o. O., 1940, BAK, ZSg 133/14. Dodd an Hull, Berlin, 6. 2. 1936, FRUS, 1936, Bd. I, S. 188f.; Eden: Diktatoren, S. 390f.; vgl. Heineman: Neurath, S. 113. Notiz Geyr v. Schweppenburg, o. O. [London], 29. 1. 1936, IfZ, ED 91, Bd. 7/1. Geyr behauptete nach dem Krieg, der Bericht sei nicht durch ihn, sondern durch Rundstedt erfolgt, der ebenfalls den Trauerfeiern beigewohnt hatte, vgl. die Marginalie Geyrs auf: Grass an Geyr v. Schweppenburg, o. O., 28. 5. 1952, IfZ, ED 91, Bd. 8; vgl. R. G. Huber: Gerd von Rundstedt. Sein Leben und sein Wirken im Spannungsfeld gesellschaftlicher Einflüsse und persönlicher Standortbestimmung, Frankfurt/M. 2004, S. 124. Grass an Geyr v. Schweppenburg, o. O., 10. 4. 1950, IfZ, ED 91, Bd. 8. Damit zeigt sich, dass die These, die Rheinlandbesetzung sei ein Test für das Verhalten Englands gewesen, eindeutig zu kurz greift.

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5. Entscheidung und Aktion (Februar–März 1936)

Bei einer derartig günstigen Lage fühlte sich Hitler förmlich verpflichtet zu handeln. „Passivität sei auf die Dauer keine Politik“36 , erläuterte Hitler im Februar 1936 sein politisches Bewegungsgesetz, „die Zeit ist reif “, so Hitler, „nun muss gehandelt werden“37 . Deshalb traf er den „kühnen Entschluss“, das Rheinland zu remilitarisieren. Dies leitet direkt über zu einem weiteren Motiv für die Entscheidung Hitlers. Der Wunsch, aus der passiven Haltung herauszutreten und politisch aktiv zu werden, war stark beeinflusst von der inneren Lage des Deutschen Reiches. Schon Außenminister Neurath argwöhnte, Hitler fühle die sinkende Stimmung für das Regime und suche eine nationale Parole, „um die Massen neu zu entflammen“38 . Ähnlich sah es Hassell, der Hitler vorwarf, dieser habe nicht abwarten können, weil der Heldengedenktag (8. März 1936) die Folie für die Remilitarisierung bilden sollte39 . Tatsächlich gingen die Umfragewerte für das NS-Regime seit geraumer Zeit in den Keller und dies galt insbesondere für die Stimmung in der rheinischen Bevölkerung40 . So verzeichneten die Lageberichte der Staatspolizeistelle für den Regierungsbezirk Aachen seit Sommer 1935 eine stete Verschlechterung in der Volksstimmung. Die miserable Wirtschaftslage, die Verteuerung der Lebensmittel und Repressalien gegen katholische Geistliche seien dafür ausschlaggebend. Vor allem die Kirche opponiere offen gegen den NS-Staat41 . Ähnliches meldete der Reichsstatthalter aus Hessen. Weite Kreise der Bevölkerung seien „missmutig und gereizt“, hieß es im Bericht für September und Oktober 1935, was insbesondere der wirtschaftlichen Notlage geschuldet sei42 . „Immer wieder muss darauf hingewiesen werden“, hatte es in einem anderen Bericht gelautet, „dass der größte Teil des Landes in der entmilitarisierten Zone liegt und fast keine Staatsaufträge erhält.“43 Die Folgen der Entmilitarisierung 36 37 38 39 40

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Aufzeichnung Hassell, Rom, 21. 2. 1936, Robertson: Wiederbesetzung, Nr. 4, S. 195. Tagebuch Goebbels, 21. 2. 1936, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/I, S. 383; Tagebuch Goebbels, 2. 3. 1936, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/II, S. 30. Aufzeichnung Hassell, Rom, 23. 2. 1936, Robertson: Wiederbesetzung, Nr. 8, S. 203. Aufzeichnung Hassell, o. O. [Rom], 15. 3. 1936, ebenda, S. 205. Vgl. Kershaw: Hitler, Bd. 1, S. 730f.; ders.: „Volksgemeinschaft“. Potenzial und Grenzen eines neuen Forschungskonzepts, in: VfZ 59 (2011), S. 1–17, hier S. 11; Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4, S. 647–649. Lagebericht der Staatspolizeistelle für den Regierungsbezirk Aachen für den Monat Juni 1935, Aachen, 5. 7. 1935, Vollmer: Volksopposition, S. 237; Lagebericht der Staatspolizeistelle für den Regierungsbezirk Aachen für den Monat Oktober 1935, Aachen, 7. 11. 1935, ebenda, S. 301f.; Lagebericht der Staatspolizeistelle für den Regierungsbezirk Aachen für den Monat Februar 1936, Aachen, 5. 3. 1936, ebenda, S. 359. Vgl. auch Evans: Reich, Bd. II/2, S. 652f. Berichterstattung in politischen Angelegenheiten. Lagebericht für September und Oktober 1935, Darmstadt, 13. 11. 1935, HStAD, G 5, Nr. 105. Berichterstattung in politischen Angelegenheiten über die Monate Juli und September

5.1 Die deutschen Planungen zur „Kündigung“ Locarnos (Februar 1936)

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im Rheinland, beschrieb ein junger Reichswehroffizier Ende Dezember 1935 die Lage, gingen „tiefer und weiter“, als man allgemein annehme44 . Die ganzen schlechten Nachrichten wollte Hitler mit einem außenpolitischen Schlag beiseite fegen, um die Bevölkerung, zumal die rheinische, aufs Neue für das Regime zu begeistern. Angeblich wurde in Parteikreisen schon länger gemunkelt, dass der „Führer“ bald mit einer spektakulären Aktion hervortreten wolle. Bereits im Dezember 1935 hätten die NSDAP-Ortsgruppen im Rheinland ein geheimes Rundschreiben erhalten, in welchem die Parteileitung eine Besetzung der demilitarisierten Zone für das Jahr 1936 ankündigte45 . Und der damalige Militärattaché in London, Geyr v. Schweppenburg, berichtet, Ende Februar 1936 habe er als Fahrer für Christian Weber, einem hochrangigen SS-Offizier, gedient, der ihm angedeutet habe, Hitler werde bald etwas unternehmen46 . Ausdrücklich kein Motiv Hitlers, wie oft in der Literatur zu lesen ist47 , war es, die militärstrategische Lage des Reiches zu verbessern. Ausgehend von seinem Gedanken, dass die militärgeographische Lage im Westen so lange ungünstig bleiben musste, wie dahinter ein Frankreich lauerte, dessen Politik auf die „Balkanisierung“ Deutschlands und die Erlangung der Rheingrenze ausgerichtet war, mochte er an eine Sicherheitspolitik, die auf der defensiven Abriegelung im Westen beruhte, nicht glauben; erst ein „in Schranken gewiesenes Frankreich“, so war Hitler überzeugt, könne Sicherheit für Deutschland bedeuten48 . Ganz auf dieser Linie lag es, dass Hitler im Jahr 1942 im Rückblick auf die Rheinlandkrise eine völlig andere Stufenfolge anlegte. „Das Vorschieben der deutschen Militärgrenze im Westen an den Rhein“, so dozierte er, sei ein notwendiger Schritt auf dem Weg zur „nationalen Einigung“ gewesen; erst diese Einigung, so Hitler, habe die „spätere Kraftanwendung“ ermöglicht, deren Zweck es sein sollte, die militärgeographische Lage des Reiches zu verbessern49 .

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1935, Darmstadt, 11. 9. 1935, ebenda. Zur schlechten wirtschaftlichen Lage im Reich vgl. auch Lagebericht der Staatspolizeistelle Hannover an das Geheime Staatspolizeiamt, Hannover, 3. 8. 1935, Ursachen und Folgen, Bd. XI, Nr. 2492 a, S. 49–51. Kaether an Meier-Welcker, Karlsruhe, 23. 12. 1935, Meier-Welcker: Briefwechsel, Nr. 28, S. 98. Forest-Divonne an Maurin, Bern, 12. 2. 1936, SHD, 7 N 3083. L. Frh. Geyr v. Schweppenburg: The Critical Years, foreword by L. Hore-Belisha, London 1952, S. 55. Vgl. Weinberg: Policy, S. 240; Wendt: Großdeutschland, S. 108f. Hitler: Kampf, Bd. 2, S. 696, S. 699, S. 736, S. 741 u. S. 765; Zweites Buch, S. 113, S. 146f., S. 150ff. u. S. 218. Geheimrede Hitlers vor dem deutschen Offiziersnachwuchs, 30. 5. 1942, H. Picker: Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier 1941–1942, neu hg. v. P. E. Schramm, in Zusammenarbeit mit A. Hillgruber und M. Vogt, Stuttgart 1963, S. 501. Vgl. auch die Ausführungen Hess’ vor Offizieren des Nationalpolitischen Lehrganges der Wehrmacht vom Januar 1937, Ursachen und Folgen, Bd. X, Nr. 2443, S. 363.

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5. Entscheidung und Aktion (Februar–März 1936)

Nach Hitler nahm die historische Forschung die Männer aus der Umgebung Hitlers, die Hitler Anfang Februar 1936 in seine Rheinlandpläne einweihte, in den Blick. Schon die Zeitgenossen waren überzeugt, dass diese Männer einen wichtigen Einfluss auf die Entscheidung Hitlers hatten50 . Göring, der schon Anfang Februar in Garmisch von Hitlers Rheinlandplänen erfuhr, galt den Zeitgenossen als Scharfmacher, der sich beim Reichskanzler für eine militärische Aktion ausgesprochen haben soll51 . Spätere Biographen des Reichsmarschalls vertraten eher die Meinung, Göring habe zu denen gehört, die vor einem riskanten Abenteuer gewarnt hätten52 . Dafür gibt es allerdings kaum Beweise53 . Tatsächlich sprach Göring frühzeitig davon, der Locarnopakt sei durch den französisch-sowjetischen Beistandspakt unwirksam geworden54 , und Neurath berichtete kurz nach dem 7. März 1936, Göring habe den Truppeneinmarsch ins Rheinland gefordert55 . Allerdings trat Göring stets dafür ein, den deutschen Coup durch diplomatische Schritte nach außen abzusichern56 . Auch den Propagandaminister hielten die zeitgenössischen Beobachter für einen „Falken“57 . Tatsächlich erfuhr Goebbels zu spät von der geplanten Aktion, um den Gang der Ereignisse entscheidend beeinflussen zu können, und plädierte sogar anfangs bei Hitler dafür, einen günstigeren Moment abzuwarten58 . Indes ließ er sich mit jedem Tag mehr und mehr von der Richtigkeit von 50 51

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Aufzeichnung Ward Price, London, 14. 3. 1936, BDFA, II, F, Bd. 47, Nr. 85, S. 107–109. DBFP, 2. Serie, Bd. XVI, Nr. 60, S. 80; Chamberlain an Hilda, London, 15. 3. 1936, Chamberlain: Letters, S. 502; vgl. W. Bußmann: Maßstäbe diplomatischer Urteilsbildung im Foreign Office während der Rheinlandkrisis 1936, in: L. Kettenacker et al. (Hg.): Studien zur Geschichte Englands und der deutsch-britischen Beziehungen. Festschrift für Paul Kluke, München 1981, S. 263–280, hier S. 267. Vgl. A. Kube: Pour le merité und Hakenkreuz. Hermann Göring im Dritten Reich (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, Bd. 24), München 1986, S. 140. Die von Kube zitierte Stelle im „Tagebuch“ von Görings Staatssekretär im Reichsluftfahrtministerium, die Görings Zweifel beweisen sollen, entpuppt sich als Terminkalender, in welchem Milch unter dem 7. Oktober 1935 lediglich ein Treffen mit dem britischen Luftwaffenexperten Christie festhielt, BA-MA, N 179/36. DDF, 2. Serie, Bd. I, Nr. 162, S. 231f.; DBFP, 2. Serie, Bd. XV, Nr. 504, S. 637. Schon im Mai 1935, während der Beisetzungsfeierlichkeiten für Marschall Piłsudski in Warschau, erklärte Göring gegenüber dem französischen Ministerpräsidenten Laval, der französischsowjetische Beistandspakt habe den Rheinpakt von Locarno zerstört, Schmidt: Statist, S. 307ff. Tagebuch Kennedy, 10. 3. 1936, Kennedy: Journals, S. 202; vgl. auch Phipps an das Foreign Office, Berlin, 4. 3. 1936, BDFA, II, F, Bd. 47, Nr. 56, S. 62; Tagebuch Dodd, 29. 2. 1936, Dodd: Diplomat, S. 353. Robertson: Wiederbesetzung, Nr. 3, S. 192. DBFP, 2. Serie, Bd. XVI, Nr. 60, S. 80; Chamberlain an Hilda, London, 15. 3. 1936, Chamberlain: Letters, S. 502. Goebbels’ Furcht vor einer unkalkulierbaren Aktion führte sogar dazu, dass er den französischen Botschafter am 27. Februar 1936 geradezu anflehte, Frankreich möge die

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Hitlers Entscheidung überzeugen und schließlich waren es die Aussichten auf den Wahlkampf, die Goebbels’ letzte Zweifel beiseite wischten. „Es ist wieder was los, und es gibt wieder was zu tuen [!]“, notierte er Anfang März befriedigt in sein Tagebuch, „darauf freue ich mich vor allem.“59 Früher als Goebbels erfuhr Ribbentrop von den Locarnoplänen des Kanzlers60 . Das Bild, das ihm anhaftete, war das eines rückgratlosen Höflings, der in allen Beratungen Hitler nach dem Mund redete und unfähig war, eine eigene Meinung zu entwickeln. Mag dies in der Gegenwart Hitlers die Art und Weise gewesen sein, um seine Treue gegenüber dem „Führer“ zu beweisen, erlebten ihn andere Beobachter in den Wochen vor der Remilitarisierung wesentlich vorsichtiger und überlegter. Gegenüber einem Korrespondenten der Times im Februar 1936 übte er sich in gemäßigten Tönen und warb für eine deutschfranzösisch-britische Verständigung61 . Und Kordt berichtet, Ribbentrop habe ihn am 15. Februar 1936 ausführlich zu den rechtlichen und politischen Bestimmungen des Locarnopaktes befragt62 . Dass die Pläne Hitlers dennoch seine Zustimmung finden mussten, lag vielmehr daran, dass sie seinen eigenen politischen Vorstellungen entsprachen. Seit Herbst 1934 sprach er gegenüber britischen und französischen Staatsmännern in aller Offenheit darüber, es sei sein politisches Ziel, den Rheinpakt aufzugeben und in ein System von Nichtangriffspakten umzuwandeln63 . Erst um die Jahreswende 1935/36 hatte er einen solchen Vorstoß in Brüssel und Paris unternommen64 . Die Konservativen, die in Hitlers Umgebung verblieben waren, hatten keine Einwände gegen die Pläne des Kanzlers. Papen befand sich in den Tagen vor der Rheinlandkrise mehrmals in Hitlers Nähe65 und der Reichskanzler weihte ihn ausführlich in seine Planungen ein. Die Tatsache, dass sich Papen in seinen Erinnerungen über die Vorgeschichte von „Winterübung“ ausschweigt, deutet darauf hin, dass er nicht zu den Bedenkenträgern gehörte. Dies tat auch Staatssekretär Meißner nicht, der überzeugt war, die Rheinlandbesetzung sei keine

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Ratifizierung des „Russenpaktes“ verschieben, Tagebuch Goebbels, 29. 2. 1936, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/I, S. 388. Tagebuch Goebbels, 6. 3. 1936, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/II, S. 34. Gegenüber Hassell erklärte Hitler am 14. Februar, er habe bereits mit Ribbentrop über die Rheinlandfrage gesprochen, Robertson: Wiederbesetzung, Nr. 3, S. 192. Tagebuch Kennedy, 21. 2. 1936, Kennedy: Journals, S. 193. Kordt: Akten, S. 129. Weiter berichtet Kordt, Ribbentrop habe ihm gegenüber auf den „psychologischen Wert“ der entmilitarisierten Zone hingewiesen. Demnach könne die Zone bei einem Konflikt in Osteuropa Frankreich davon abhalten, einen Krieg gegen Deutschland zu beginnen, vgl. Meinck: Aufrüstung, S. 156. Tagebuch Kennedy, 24. 11. 1934, Kennedy: Journals, S. 152; Tagebuch Kennedy, 28. 11. 1934, ebenda, S. 153. Ribbentrop: Erinnerungen, S. 77. So am 28. Februar und am 1. März 1936.

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große Sache. Das Rheinland sei deutsches Land, so lautete Meißners Überzeugung, ein paar Garnisonen hin oder her würden nicht viel ausmachen66 . Seit den siebziger Jahren verwiesen zudem die Militärhistoriker darauf, welchen Einfluss die Reichswehr auf die Entscheidung zur Auslösung von „Winterübung“ hatte. Sie konnten zeigen, dass Hitlers Vorhaben mit den Vorstellungen der Wehrmacht korrespondierte. Seit Langem bedrängten das Reichskriegsministerium und der Generalstab den Reichskanzler, Schritte einzuleiten, um die entmilitarisierte Zone abzuschaffen. Der am 2. Mai 1935 geschlossene französisch-sowjetische Beistandspakt, dem zwei Wochen später die Tschechoslowakei beitrat, so die These der Militärhistoriker, habe die „Grenzen militärischer Machtpolitik“67 , wie sie das Reichswehrministerium seit 1933 betrieb, offenbart. Dieses Diktum bedeutet zweierlei. Erstens konnte der Theatercoup vom März 1935 nicht verdecken, dass die deutsche Rüstung in der Klemme steckte. Es fehlte an allen Ecken an Rohstoffen, sodass wirtschaftliche Unabhängigkeit vom Ausland nicht zu erreichen war. Auf dieser Basis, so legte eine Ausarbeitung des Reichswehrministeriums schonungslos offen, war es nicht möglich, Krieg zu führen68 . Zweitens hatte die deutsche Aufrüstung eine internationale Konstellation heraufbeschworen, die mit militärischen Mitteln nicht zu kontern war. Auf die französische Strategie, dem Reich sowohl mit einem Rüstungswettlauf als auch mit vertraglichen Absicherungen Paroli zu bieten, hatte die Reichswehrführung keine stringente sicherheitspolitische Antwort. Alles, was die Militärs tun konnten, war die operative Planung an die neuen Gegebenheiten anzupassen und die Rüstungsanstrengungen noch einmal zu erhöhen69 . Diese Planungen und Maßnahmen traten im Frühjahr 1936 in ein Stadium, in dem die Existenz der entmilitarisierten Zone jede weitere Expansion behinderte. Sie erschwerte den Aufbau von Verteidigungsstellungen im Westen, die der Abwehr einer französisch-belgischen Invasion dienen sollten, denn alle Maßnahmen zum Grenzschutz, die die Reichswehr vornahm, waren völkerrechtswidrig und mussten geheim gehalten werden. Je weiter fortgeschritten diese Vorbereitungen waren, umso weniger war es möglich, ihre Geheimhaltung zu gewährleisten. Spätestens seit Herbst 1935 wussten die Franzosen und Briten mit Sicherheit, welche Schritte das Reich in der Zone unternahm70 . Die 66 67 68 69 70

Aufzeichnung, o. V.: „Conversation with Meissner“, o. O. [Nürnberg], 23. 7. 1945, IfZ, ZS 1726. Geyer: Aufrüstung, S. 412. Aufzeichnung des Reichswehrministeriums, Berlin, [11.] 3. 1935, AdR Hitler, Bd. II, 1, Nr. 112, S. 416–419; Tagebuch Goebbels, 7. 4. 1935, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/I, S. 213. Dodd an Hull, Berlin, 8. 2. 1936, FRUS, 1936, Bd. I, S. 191; Tagebuch Brüning, 12. 3. 1935, Brüning: Briefe, S. 63. Vgl. ausführlich Geyer: Aufrüstung, S. 380ff. u. S. 419ff. Vgl. Adamthwaite: France, S. 37; Handel: Surprise, S. 47; Hill: Rhineland, S. 32; Knapp: Rhineland, S. 76; Michalon/Vernet: Crise, S. 291f.; Baumont: Rhineland, S. 161. Dem

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bisherige Losung „Deckung geht vor Wirkung“ war bereits ein halbes Jahr, nachdem sie ausgerufen worden war, auf ganzer Linie gescheitert. Vor diesem Hintergrund ordnete Beck im Februar 1936 die Anfertigung einer Studie an, um zu prüfen, wie schnell im Kriegsfall ein Aufmarsch deutscher Truppen durchgeführt werden könne71 . Die daraufhin erstellte Denkschrift vom 14. Februar 1936, die einen zentralen Platz in der Argumentationskette der Militärhistoriker einnimmt72 , kam zu einem vernichtenden Ergebnis73 . Wegen der entmilitarisierten Zone, hieß es dort, sei die Grenzsicherung im Westen besonders schwierig. Bei einem deutsch-französischen Konflikt werde es zu einem „Rennen um den Rhein“74 kommen, welches Deutschland unweigerlich verlieren müsse, weil die deutschen Truppen die entmilitarisierte Zone erst betreten durften, wenn der Gegner die Zone verletzt hätte. Auf dieser, völkerrechtskonformen Grundlage, so bilanzierte die Aufzeichnung, gebe es keine Gewähr für Sicherheit im Westen. Daher müsse man andere Mittel einsetzen. Dazu unterbreitete die Aufzeichnung drei Vorschläge75 . Erstens könne man aktive Divisionen in Kriegsstärke, die weitgehend motorisiert sein müssten, am Ostrand der Zone stationieren, damit diese im Kriegsfall schnell zum Rhein vorstoßen könnten. Diese Anregung war angesichts der Lage der Reichswehr völlig illusorisch. Zweitens, so der Autor der Studie, sei daran zu denken, die Grenzschutzmaßnahmen westlich des Rheins weiter auszubauen und am Rhein selbst einen zusätzlichen Aufsichtsdienst einzurichten. Freilich hätten solche Maßnahmen die Situation im Rheinland nur verschärft. Blieb drittens der Vorschlag, die entmilitarisierte Zone entweder ganz oder mindestens ostwärts des Rheins aufzuheben76 . Vom Standpunkt der Landesverteidigung aus gesehen, so das Fazit, sei die Wiederbesetzung der entmilitarisierten Zone eine Notwendigkeit77 . Die „zeitliche Koinzidenz“ zwischen der

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deutschen Generalstab war die Tatsache, wie viel Informationen über die militärischen Vorbereitungen in der entmilitarisierten Zone nach draußen drangen, nicht verborgen geblieben; seit 1935 unterhielt die Abwehr ein dichtes Netz an Agenten im linksrheinischen Gebiet, vgl. BA-MA, RH 2/3002; G. Buchheit: Der deutsche Geheimdienst. Geschichte der militärischen Abwehr, München 1966, S. 118. Aufzeichnung, o. V., Berlin, 12. 2. 1936, BA-MA, RH 4/175. Vgl. Deist: Aufrüstung, S. 560; Müller: Beck, S. 216. Aufzeichnung Zorn, Berlin, 14. 2. 1936, BA-MA, RH 4/175. Die Annahme, dass es zu einem Wettlauf zum Rhein kommen müsse, lag den deutschen Planungen seit Oktober 1934 zu Grunde; schon damals wurde der Vorschlag gemacht, die operative Verwendung der Grenzschutzverbände zu verändern, Das Gruppenkommando 2 an das Reichswehrministerium, Kassel, 7. 11. 1934, BA-MA, RH 2/21. BA-MA, RH 4/175. Auch der französische Generalstab wusste von den deutschen Plänen, die Entmilitarisierung der Rheinlande nur teilweise aufzuheben, Colson an Laval, Paris, 24. 12. 1935, AMAEE, Série Z, La rive gauche du Rhin, Bd. 267 u. 268. Eine mögliche vierte Alternative wurde von der Reichswehrführung zu keinem Zeitpunkt

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Denkschrift des Truppenamtes sowie der Ankündigung Hitlers, die Rheinlandfrage zu lösen, war es, aus der die Militärhistoriker folgerten, die Spitzen der Reichswehr hätten im Frühjahr 1936 den entscheidenden Druck auf den Kanzler ausgeübt, den Status der entmilitarisierten Zone zu revidieren78 . Beim Überblick über die krisentreibenden Akteure landet man schließlich beim Reichswirtschaftsministerium und den Vertretern der rheinischen Wirtschaft. Sie wurden von der Forschung bislang nicht mit der „Kündigung“ Locarnos in Verbindung gebracht, doch auch das Wirtschaftsressort spielte eine wichtige Rolle für die Entscheidung des Kanzlers, denn das Ministerium gehörte seit einiger Zeit zu den Stimmen im Chor derer, die ein Ende der rheinischen Entmilitarisierung forderten. Seit Langem ging man davon aus, dass das Gebiet der entmilitarisierten Zone wirtschaftlich benachteiligt sei79 . Dieser Trend verstärkte sich nach 1933 weiter, als die Rüstungsindustrie aus der Rheinlandzone abgezogen und vorrangig in Mitteldeutschland aufgebaut wurde. Dies führte seit 1935 zu krisenhaften Entwicklungen. Die Preise auf Lebensmittel stiegen, während die Löhne sanken. Die Absatzzahlen des rheinischen Einzelhandels brachen ein80 . Aus diesen Gründen hatte sich schon im Herbst 1934 der Reichsstatthalter in Baden, Robert Wagner, an Hitler gewandt, um auf die beunruhigenden Entwicklungen in der badischen Wirtschaft hinzuweisen81 . Zur gleichen Zeit begann die Reichswehr, die Beschränkungen für rüstungswirtschaftliche Vorarbeiten im westlichen Grenzland, speziell im Ruhrgebiet, zu lockern, weil das Ausklammern der entmilitarisierten Zone nicht länger den Anforderungen entsprach82 . Unter Federführung von Reichsinnenminister Frick begannen Planungen, Betriebe gezielt im westlichen

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in Betracht gezogen. Aus der Erkenntnis heraus, dass die deutsch-französische Grenze keine optimale Verteidigungslinie bildete, hätte man Pläne ausarbeiten können, die dem Gegner das linksrheinische Gebiet überlassen und am Rhein eine Verteidigungsstellung aufbauen. Dies wurde aber wegen der industriellen Kapazitäten des Ruhrgebiets und der moralischen Wirkung auf die deutsche Bevölkerung abgelehnt, Vortrag, o. V.: „Die deutsche Landesbefestigung“, o. D. [1937], BA-MA, RH 2/766. Vgl. Kroener: Fromm, S. 252; Müller: Beck, S. 216. Insbesondere Geyer sieht eine Koinzidenz zwischen den Aussagen Hitlers, er habe ursprünglich 1937 als Zeitpunkt für die Remilitarisierung anvisiert, und den Planungen der Militärs, den Termin für die Umstellung auf Offensivrüstung um ein Jahr vorzuziehen, vgl. Geyer: Revisionspolitik, S. 263. Vgl. J. Wilden: Von Versailles bis Locarno. Die Notzeit der Düsseldorfer Wirtschaft, Düsseldorf 1926. Deutschland-Bericht der Sopade, Prag, Oktober 1935, Deutschland-Berichte, Bd. 2, S. 1128–1130; Deutschland-Bericht der Sopade, Prag, November 1935, ebenda, S. 1251f. Wagner an Hitler, Karlsruhe, 12. 10. 1934, AdR Hitler, Bd. II, 2, Nr. 92*, S. 1031. Aufzeichnung, o. V.: „Notwendigkeit der Einbeziehung des Ruhrgebiets zur Deckung des erhöhten Bedarfs der Wehrmacht an Rohstoffen“, Berlin, o. D. [1934], BA-MA, RW 19/1760; Erlass Thomas, 17. 10. 1934, ebenda.

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Grenzland anzusiedeln, um den Abzug der rüstungsrelevanten Industrien nach Mitteldeutschland auszugleichen83 . Im Juli 1935 trat Wagner mit der Anregung hervor, die entmilitarisierte Zone – als Ersatz für das Militär – verstärkt mit Einheiten von Polizei, Arbeitsdienst und Parteigliederungen zu belegen. Hitler erklärte sich damit „sehr einverstanden“84 . Diese Maßnahmen wurden im Oktober 1935 auf weitere Bereiche ausgedehnt85 , aber die Krise konnte nicht überwunden werden. Deshalb verfasste der Oberpräsident der Rheinprovinz, Terboven, am 5. Februar 1936 eine ausführliche Denkschrift, die sich in den Akten des Auswärtigen Amtes befindet. Darin thematisierte er ausführlich die wirtschaftlichen Folgen der Entmilitarisierung auf die rheinländischen Verwaltungsbezirke und machte eine Reihe praktischer Vorschläge, wie der Krise abzuhelfen sei86 . Daraufhin kam es im Wirtschaftsministerium zur Einrichtung eines Sonderreferats für das linksrheinische Gebiet87 . Parallel dazu verhandelten Frick und der Reichstatthalter in Bayern, Ritter v. Epp, mit Reichsfinanzminister Schwerin v. Krosigk darüber, die Mittel für die „Westhilfe“88 aufzustocken. Derartig bedrängt war Hitler gut beraten, nach Lösungen zu suchen, die „wirtschaftliche Schwelle“ zwischen der entmilitarisierten Zone und dem übrigen Reich abzubauen89 . So eindrucksvoll sich diese Sammlung an Motiven ausnimmt, so konnte die Forschung doch bislang nicht schlüssig klären, warum Hitler sich gerade jetzt, im Februar 1936, dafür entschied, die Locarnofrage zu lösen. Er selbst hatte es bis zu diesem Zeitpunkt nicht eilig gehabt, die Frage der entmilitarisierten Zone auf die Tagesordnung zu setzen. Er verfolgte weder eine klare Politik gegenüber der Rheinzone noch hatte er einen Zeitplan90 . Im Jahr 1935 erklärte er, er wolle die Frage im Jahr 1936 anpacken, und zu Beginn des Jahres 1936 rechnete er 83 84 85 86

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Chefbesprechung im Reichsinnenministerium, 22. 11. 1934, AdR Hitler, Bd. II, 1, Nr. 45, S. 178–183. AdR Hitler, Bd. II, 2, Nr. 501*, S. 1112. Runderlass Schacht, 1. 10. 1935, ebenda, Nr. 233, S. 816–819. Denkschrift des Oberpräsidenten der Rheinprovinz, Terboven, Köln, 5. 2. 1936, PA AA, R 32041. Terboven gehörte schon seit langer Zeit zu den Warnern, die sahen, wie dramatisch sich die wirtschaftliche Benachteiligung des linksrheinischen Gebiets auf die Stimmung in der Bevölkerung auswirkte, vgl. Tagebuch Goebbels, 25. 10. 1934, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/I, S. 126. Rundschreiben Schacht, 19. 2. 1936, TNA, GFM 33/418. Unter Westhilfe wurden generell alle Finanzhilfen für die Industrie und die Landwirtschaft im deutschen Westen verstanden. Darunter fielen Instrumente wie der „Westgrenzfonds“ 1927, das Westprogramm 1928 sowie die „Reichswesthilfe“ in der Ära Brüning und in der NS-Zeit, vgl. ausführlich F. Blaich: Grenzlandpolitik im Westen 1926–1936. Die „Westhilfe“ zwischen Reichspolitik und Länderinteressen (Schriftenreihe der Vierteljahrshefte, Bd. 36), Stuttgart 1978. Ebenda, S. 117. Vgl. Hildebrand: Frankreichpolitik, S. 610 u. S. 620; Kuhn: Programm, S. 182.

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fest damit, das Problem im Jahr 1937 zu lösen91 . Sonst gab es von Hitler nur das übliche Lamento zu hören, welch schwere Bürde die entmilitarisierte Zone für die deutsche Sicherheit sei und dass dies nicht auf ewig so weitergehen könne92 . Ein ähnlicher Befund gilt für die Reichswehr. Zwar konnten die Militärhistoriker zeigen, dass die Militärs die Entmilitarisierungsklauseln ablehnten und seit Jahren alles dafür taten, um diese Bestimmungen zu unterlaufen, aber sie konnten keinen schriftlichen Beleg liefern, der bezeugt hätte, dass die Reichswehr im Februar 1936 bei Hitler auf ein Ende der entmilitarisierten Zone drängte. So zeigte sich etwa, dass die Befehlshaberbesprechung vom 28. Februar 1936, von der man annahm, sie habe der Vorbereitung der Remilitarisierung gedient93 , in Wahrheit wehrwirtschaftliche Belange zum Gegenstand hatte, während die entmilitarisierte Zone nicht thematisiert wurde94 . Dazu kommt, dass die entscheidende Wende von der Defensiv- zur Offensivrüstung, die als Movens für die Rheinlandbesetzung gedient habe, sich erst mit der Bekanntgabe des neuen Rüstungsprogramms vom August 1936 vollzog95 . Tatsächlich hatten die Militärs noch Anfang 1936 den Diplomaten eine „Frist“ bis zum Herbst 1936 eingeräumt, die entmilitarisierte Zone auf dem Verhandlungswege zu beseitigen96 . Dies lag ganz in der zeitlichen Dimension des geplanten Heeresaufbaus und im Kalkül des Generalstabes, außenpolitische Verwerfungen und kriegerische Aktionen so lange zu vermeiden, bis die Wehrmacht stark genug war97 . Erst wenn man den Blickwinkel auf die Einschätzungen und Planungen, die sich im Auswärtigen Amt mit dem Locarnopakt verbanden, ausdehnt, ist es möglich, die Frage nach dem Zeitpunkt der „Locarnokündigung“ angemessen zu beantworten. Tatsächlich traten die Männer im Auswärtigen Amt seit einiger Zeit dafür ein, den Locarnopakt in einer einseitigen Aktion zu „kündigen“98 . Ihnen bot sich um die Jahreswende 1935/36 eine Rahmensituation, die eine Aufhebung Locarnos geradezu notwendig machte und die von mehre91

Aufzeichnung, o. V. [Bismarck], o. O., o. D. [Januar 1935], OBS, I 31; Hitlers Geheimrede vor den Truppenkommandeuren, 10. 2. 1939, Michalka: Volksgemeinschaft, Nr. 201, S. 268. Vgl. die Erinnerungen Diels’, zu dem Hitler im Sommer 1935 gesagt haben will, er habe sich vorgenommen, die Rheinlandfrage in zwei Jahren, also 1937, zu lösen, aber wahrscheinlich werde sich bereits vorher einmal die Möglichkeit ergeben, die Sache anzupacken, Diels: Lucifer, S. 62. 92 So Hitler am 4. Februar 1935, DBFP, 2. Serie, Bd. XII, Nr. 408, S. 488. 93 So R. J. O’Neill: The German Army and the Nazi Party, New York 1966, S. 128. 94 Rundschreiben Jodl, Berlin, 26. 2. 1936, BA-MA, RW 19/1762. 95 Vgl. Deist: Wehrmacht, S. 436. 96 Forest-Divonne an Maurin, Bern, 25. 2. 1936, DDF, 2. Serie, Bd. I, Nr. 228, S. 323f. Frühling und Sommer 1936 wollte die Reichswehr nutzen, um die Gebäude und Einrichtungen in der entmilitarisierten Zone weiter auszubauen. 97 Aufzeichnung Brüning, o. O., Januar 1936, Brüning: Briefe, S. 103f. 98 Damit bestätigt vorliegende Analyse die Forschungsergebnisse von Heineman und Shore,

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ren Faktoren geprägt war. Erstens war der Locarno-Rheinpakt aus der Sicht des Auswärtigen Amtes nach dem endgültigen Ausscheiden Deutschlands aus dem Völkerbund kein brauchbares sicherheitspolitisches Instrument mehr, sondern bildete, weil der Vertrag die Existenz der entmilitarisierten Zone festschrieb, eine Belastung und eine Gefahr99 . Diese „Politik des Eingreifens in deutsche Verhältnisse“, resümierte eine Denkschrift des Auswärtigen Amtes vom 10. Februar 1936, „muss einmal ein Ende haben.“100 Dies wurde zweitens durch den Umstand verschärft, dass man in der Wilhelmstraße glaubte, England und Frankreich hätten sich bereits auf Sicherheitsmaßnahmen „über Locarno hinaus“101 verständigt, wovon der Abschluss des französisch-sowjetischen Beistandspaktes und die französisch-britischen Gespräche beredtes Zeugnis ablegten102 . Der französisch-sowjetische Pakt wäre einzig und allein gegen das Deutsche Reich gerichtet gewesen und hätte damit die Kriegsgefahr erhöht, fasste Neurath rückblickend die deutsche Motivlage zusammen, die zum Ende Locarnos führte, während vom Locarnopakt nur die „diskriminierende [und] die deutsche Sicherheit am meisten bedrohende Bestimmung“ übrigblieb103 . Als dritter Faktor tritt hinzu, dass das Auswärtige Amt im Jahr 1935 verschiedene Versuche unternommen hatte, zu einer Anpassung Locarnos zu kommen. Zunächst hatte sich Bülow bemüht, den Locarnopakt durch ein alternatives Vertragssystem zu ersetzen. Nachdem diese Vorstöße gescheitert waren, schwenkte das Auswärtige Amt unter Führung Neuraths seit Herbst 1935 auf einen konfrontativen Kurs ein, der nur die Wahl ließ zwischen einer Modifizierung Locarnos im Einvernehmen mit England oder einer einseitigen Aktion Deutschlands. Leider gibt es kein schriftliches Zeugnis, wann genau das Auswärtige Amt gegenüber Hitler die Möglichkeit einer deutschen Aktion gegen den Locarnopakt ins Spiel brachte104 , aber durch mehrere Hinweise lässt sich ein Zeitraum abstecken, in dem der Vorstoß des Amtes erfolgt sein musste. Am 13. Dezember 1935 war es Neurath – nicht Hitler –, der mit der Aufgabe der entmilitarisierten Zone drohte, falls England und Frankreich Locarno-widrige Abmachungen eingehen sollten105 . In den Tagen danach, so beobachtete der US-amerikanische Botschafter, hätten sich hohe Staatsbeamte und Militärs für eine Besetzung der

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die an Hand der Quellen zeigen konnten, dass Neurath zu einer einseitigen Aktion geraten hat. Vgl. Freytagh-Loringhoven: Außenpolitik, S. 90. Aufzeichnung Gaus, Berlin, 10. 2. 1936, PA AA, R 32040. Aufzeichnung Geyr v. Schweppenburg, [Irschenhausen], o. D., IfZ, ED 91, Bd. 7/2. Bam: Genf, S. 70ff. u. S. 94–99. IMT, Bd. XVI, S. 685. Auch Shore, der annimmt, Hitler habe die Entscheidung zur Rheinlandbesetzung auf Anraten Neuraths getroffen, nennt kein Datum, vgl. Shore: Hitler, S. 10. ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 462, S. 902.

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entmilitarisierten Zone ausgesprochen, weil der französisch-sowjetische Pakt Locarno verletzt habe106 . Hitler selbst erklärte im Januar 1936 seine Bereitschaft, die Rheinlandfrage zu lösen, meinte indes, die Konzeption des Auswärtigen Amtes sei „zu formaljuristisch“107 . Das entscheidende Indiz aber stammt vom deutschen Außenminister. Die Entscheidung zur „Kündigung“ Locarnos, so gab Neurath im Sommer 1946 vor dem Nürnberger Kriegsverbrechertribunal zu Protokoll, sei gefallen, als der französische Ministerpräsident Laval am 16. Januar 1936 ankündigte, er wolle nach seiner Rückkehr aus Genf den Ratifizierungsprozess für den Pakt mit Moskau einleiten108 . Unabhängig vom Zeitpunkt der Entscheidung und trotz der zwischenzeitlichen Ablehnung Hitlers, die Rheinlandfrage sogleich zu lösen, belegen mehrere Dokumente, dass man sich im Auswärtigen Amt weiter mit der Frage der entmilitarisierten Zone beschäftigte109 . Mitte Januar erreichte das Amt der Bericht eines ehemaligen Marineoffiziers über einen Aufenthalt in Genf, in dem er ausführlich auf Gespräche zur Rheinlandzone einging. Die Erwartung der meisten Völkerbundsvertreter, so die Aufzeichnung, gehe dahin, dass Frankreich mit der Aufhebung der entmilitarisierten Zone einverstanden sei. Vor dem Hintergrund der britisch-französischen Militärgespräche, so das Urteil des Offiziers, sei das aber eher unwahrscheinlich110 . Am 14. Januar 1936 fertigte das Auswärtige Amt eine Denkschrift für eine nicht namentlich genannte Person, die sich über die französischen Rüstungsmaßnahmen ausließ und dabei auch ausführlich auf die entmilitarisierte Zone einging. Deutschland sei schwach, hieß es da, weil viele seiner Bodenschätze und große Teile seiner Industrie im entmilitarisierten Gebiet lägen. Die Rheinlandzone ermögliche Frankreich, jederzeit offensiv gegen Deutschland vorzugehen, während es selbst durch Festungen an seiner Grenze geschützt war111 . Und schon Ende Januar 1936 bemühte sich

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Tagebuch Dodd, 11. 4. 1936, Dodd: Diplomat, S. 374; vgl. auch François-Poncet an Laval, Berlin, 24. 12. 1935, DDF, 1. Serie, Bd. XIII, Nr. 492, S. 707ff. Der Regierungspräsident von Düsseldorf zeigte sich bereits Ende Januar 1936 überzeugt, dass Deutschland die Ratifizierung des französisch-sowjetischen Paktes mit der „Kündigung“ Locarnos beantworten werde, Henry an Flandin, Düsseldorf, 31. 1. 1936, DDF, 2. Serie, Bd. I, Nr. 122, S. 172. Tagebuch Goebbels, 21. 1. 1936, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/I, S. 366. Aussage Neurath, Nürnberg, 24. 6. 1946, IMT, Bd. XVI, S. 684; DBFP, 2. Serie, Bd. XV, Nr. 436, S. 548. Vgl. Phipps an Eden, Berlin, 27. 2. 1936, BDFA, II, F, Bd. 47, Nr. 51, S. 58. Damit erledigt sich auch die lange vertretene Ansicht, die Rechtsabteilung des Auswärtigen Amtes sei nicht zur „Kündigung” Locarnos befragt worden, vgl. G. A. Craig: The German Foreign Office from Neurath to Ribbentrop, in: Ders./Gilbert: Diplomats, S. 406–436, hier S. 426; P. Seabury: Die Wilhelmstraße. Die Geschichte der deutschen Diplomatie 1930– 1945, Frankfurt/M. 1956, S. 140. Aufzeichnung Nolda, Berlin, Januar 1936, PA AA, R 97119. Aufzeichnung, o. V., Berlin, o. D. [14. 1. 1936], PA AA, R 32045.

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Hassell in Gesprächen mit Mussolini und Suvich nach Kräften, die Festigkeit der italienischen Locarnohaltung abzuklopfen112 . Anfang Februar 1936, also noch bevor der Reichskanzler in Bayern die Entscheidung zur Remilitarisierung traf, entstanden im Auswärtigen Amt weitere Denkschriften zur Rheinlandzone. Am 3. Februar fertigte ein Mitarbeiter der Rechtsabteilung eine Aufzeichnung, in welcher die völkerrechtliche Stellung verschiedener entmilitarisierter Zonen (Tibet/Birma; Norwegen/Schweden; Åland-Inseln) untersucht wurde113 . Am 10. Februar legte Gaus eine umfangreiche Denkschrift vor, in welcher er die Haltung des Auswärtigen Amtes zur entmilitarisierten Rheinzone darlegte114 . Einleitend stellte er fest, dass ein Vergleich der Rheinlandzone mit anderen entmilitarisierten Zonen nicht statthaft sei, da die Rheinzone nicht auf Freiwilligkeit basiere, sondern dem Reich durch den Versailler Vertrag aufgezwungen wurde. Das liege daran, so Gaus, dass die Rheinlandzone nicht dem europäischen Frieden diene, sondern einzig den Interessen Frankreichs. Ein Ziel liege in der wirtschaftlichen Knebelung des Reiches. Dazu komme der militärische Zweck der Zone, einen deutschen Aufmarsch gegen Frankreich zu verhindern und gleichzeitig einer französischen Truppenkonzentration gegen Deutschland das Glacis zu sichern. Damit stellte Gaus die Entmilitarisierung in eine Linie mit der französischen Rheinpolitik, um dann gegen den Locarnopakt loszuziehen. Dieser Pakt sei unterschrieben worden, um die Verständigung mit Frankreich zu erreichen und nicht um die Entmilitarisierung zu verewigen. Der Rheinpakt sei an dieser Stelle ungleich, und dieser Zustand sei untragbar. Daher, so forderte Gaus, müsse die entmilitarisierte Zone abgeschafft werden oder es müsse eine zweiseitige Umsetzung erreicht werden115 . Gleichzeitig arbeiteten die Beamten im Auswärtigen Amt fieberhaft an der Begründung für die deutsche Aktion. Dazu feilten sie weiter an dem Protest, der französisch-sowjetische Pakt sei nicht vereinbar mit Locarno, der im Dezember 1935 in seine zweite Phase eingetreten war. Nun standen nicht mehr die rechtlichen Argumente im Vordergrund, mit dem Ziel, gemeinsam mit England die Grundlagen für den Erhalt Locarnos zu schaffen, sondern ging es nur darum, einen geeigneten Vorwand für die „Kündigung“ Locarnos zu bekommen. Es sei an der Zeit, das deutsche Memorandum vom Mai 1935 zu veröffentlichen, verlieh eine Vorlage der Abteilung IV der neuen Haltung Ausdruck, eine juristische Diskussion werde man zwar nicht lostreten können, aber dies sei ein 112 113 114 115

DDI, 8. Serie, Bd. III, Nr. 110, S. 142f. Aufzeichnung Eckardt: „Entmilitarisierte Zonen“, Berlin, 3. 2. 1936, PA AA, R 32040. Die Denkschrift wurde am 7. Februar noch einmal überarbeitet. Aufzeichnung Gaus: „Gedanken zur Frage der entmilitarisierten Zone“, Berlin, 10. 2. 1936, ebenda. Ebenda.

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wichtiger Schachzug, wenn man gegen Locarno oder im Rheinland aktiv werden wolle116 . Tatsächlich bot die Idee, die „Kündigung“ Locarnos auf die durch den französisch-sowjetischen Beistandspakt geschaffene Lage zu gründen, drei handfeste Vorteile. Der erste Vorteil betraf die zeitliche Einordnung. So begannen am 11. Februar 1936 im französischen Parlament die Beratungen zur Ratifizierung des französisch-sowjetischen Paktes, sodass man die deutsche Aktion als Reaktion auf die Entscheidung der Pariser Abgeordneten verkaufen konnte. Zweitens hatte die deutsche Seite bereits bei der Unterzeichnung des Paktes im Mai 1935 Protest eingelegt und konnte so auf eine gewisse Kontinuität verweisen. Der dritte Vorteil bestand darin, dass diese Art der Argumentation unzweifelhaft die Unterstützung Hitlers genoss. Schon in der Unterredung mit Phipps im Dezember 1935 hatte der Kanzler erklärt, der Locarnopakt sei durch den französisch-sowjetischen Pakt durchbrochen. Unter den Bedingungen des französisch-sowjetischen Paktes, so Hitler, entscheide jeder Kontrahent selbst, ob ein Angriff vorläge, dies mindere den Wert Locarnos als Sicherungsinstrument und müsse von der deutschen Regierung bei der Berechnung der neuen Heeresstärken berücksichtigt werden. Dazu spürte Hitler instinktiv, dass die britischen Antipathien gegenüber den Allianzen Frankreichs sich zu Gunsten Deutschlands auswirken könnten. Wenn es gelänge, die deutsche „Kündigung“ Locarnos als durch den französisch-sowjetischen Beistandspakt verursachte Aktion und damit als Teil des Kampfes gegen den Bolschewismus darzustellen, so kalkulierte Hitler auf der Grundlage von Informationen, die ihm aus London vorlagen117 , werde die englische Führung das deutsche Vorgehen nicht verhindern. Dieser Eindruck wird von zeitgenössischen Beobachtern bestätigt. Nicht so sehr der Abessinienkonflikt, schrieb der damalige deutsche Militärattaché an den Historiker Manfred Funke, der in seinen Büchern einen Zusammenhang zwischen den ostafrikanischen Kampfhandlungen und der Entscheidung Hitlers zur Remilitarisierung herstellte, habe Hitler zum Handeln angestachelt, sondern vielmehr die Ratifizierung des französisch-sowjetischen Akkords118 . Aber es gab auch Kritik an dieser Auslegung. „Hieb- und stichfest ist unsere Begründung nicht“, klagte ein deutscher Diplomat119 und der französische Botschafter höhnte gar, die juristische Position Deutschlands im Locarnostreit 116 117

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Vermerk Roediger, Berlin, 21. 2. 1936, PA AA, R 31624. Im Januar 1936 war dem Reichskanzler eine Denkschrift zugespielt worden, in welcher es hieß, England sei vor allem mit der bolschewistischen Gefahr befasst. Deutschland müsse ein klares antibolschewistisches Programm vorlegen, so ist in dem Dokument zu lesen, wenn es Freundschaft mit England wünsche, Aufzeichnung, o. V.: „Die Lage in England“, Januar 1936, BAK, ZSg 133/45. Geyr v. Schweppenburg an Funke, [Irschenhausen], 21. 8. 1967, IfZ, ED 91, Bd. 8. Braun v. Stumm an Bülow, Berlin, 9. 3. 1936, PA AA, R 29473.

5.1 Die deutschen Planungen zur „Kündigung“ Locarnos (Februar 1936)

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sei „sehr schwach“120 . Und nach dem Krieg urteilte Emil v. Rintelen, damals Legationsrat Erster Klasse, das Argument der juristischen Unvereinbarkeit habe Hitler nicht berechtigt, „von sich aus den Locarno-Vertrag einfach als aufgehoben [zu] erblicken“121 . Um also den juristischen Spitzfindigkeiten des ursprünglichen Protests zu entgehen und dem Kanzler eben die Propagandawaffe an die Hand zu geben, die er für seine große Reichstagsrede brauchte, musste das Auswärtige Amt die deutsche Argumentation in einigen Punkten umschreiben. Drei Vorwürfe kristallisierten sich in dieser zweiten Phase des deutschen Protests heraus. Erstens blieb der Rekurs auf das Memorandum vom Mai 1935 Bestandteil der deutschen Argumentation. Am 13. Februar 1936, genau einen Tag bevor Hitler gegenüber Hassell in München davon sprach, den französischsowjetischen Pakt zum Anlass für die „Kündigung“ Locarnos herzunehmen, instruierte der Chef der Presseabteilung im Auswärtigen Amt, Gottfried Aschmann, die deutschen Pressevertreter ausführlich über den Standpunkt, den die Experten des Auswärtigen Amtes in der Locarnofrage entwickelt hatten. Demnach habe der Locarnopakt eine Mauer zwischen Deutschland und Frankreich errichtet, die nur durch die Lücken der Artikel 15 Absatz 7 und 16 der Völkerbundssatzung unterbrochen war. Der französisch-sowjetische Beistandspakt, so Aschmann, reiße nun ein großes Loch in diese Mauer, weil er die Sicherungsfrist des Artikels 15 Absatz 7 der Völkerbundssatzung umgehe. Abgesehen von dem Fall, wo sich England ausdrücklich auf die Seite Deutschlands schlagen würde, hätten sich Frankreich und Russland völlige Handlungsfreiheit zugesichert122 . Mit dem zweiten Vorwurf entfernte sich das Amt weiter von der von Bülow und Gaus vertretenen, auf rechtlichen Argumenten beruhenden Auslegung, der französisch-sowjetische Beistandspakt verstoße gegen Locarno. Am 21. Februar 1936 wurde in einem vom Auswärtigen Amt lancierten DNB-Kommuniqué noch einmal der deutsche Standpunkt dargelegt. Nach einigen kurzen Ausführungen zu den rechtlichen Fragen lautete der entscheidende Absatz der Meldung: „Noch offenkundiger als die in dem deutschen Memorandum allein erörterte rechtliche Verletzung des Locarno-Paktes durch den neuen Pakt ist die von der Deutschen Regierung von vornherein betonte Unvereinbarkeit der beiden Pakte von allgemeinen politischen Gesichtspunkten aus.“123

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ADAP, C, Bd. V, 1, Nr. 169, S. 207. Rintelen an Hesse, Düsseldorf, 15. 1. 1952, BAK, N 1322/14. So auch Kordt: Akten, S. 130. Weisung an die Presse, 13. 2. 1936, NS-Presseanweisungen, Bd. 4/I, S. 160f.; François-Poncet an Flandin, Berlin, 20. 2. 1936, AMAEE, Série Relations multilatérales, Service français de la Société des Nations, Bd. 756. DNB-Meldung, 21. 2. 1936, Berber: Locarno, Nr. 38, S. 185.

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Ganz auf der Linie dieser politischen Unvereinbarkeit hieß es nun, der französisch-sowjetische Pakt habe eine Änderung der politischen „Gesamtkonstellation“, wie sie durch den Rheinpakt errichtet worden war, herbeigeführt124 . Die militärpolitische Lage des Deutschen Reiches, so folgerte man, habe sich durch den französisch-sowjetischen Pakt derartig verschlechtert, dass dieser Umstand nur mittels der militärischen Befestigung des Rheinlandes aufgefangen werden könne125 . Der französisch-sowjetische Beistandspakt sei einzig gegen Deutschland gerichtet gewesen, erklärte Neurath nach dem Krieg die deutsche Auffassung von der Unvereinbarkeit, aber im Fall kriegerischer Verwicklungen wäre die deutsche Westgrenze ungeschützt gewesen; dieser Zustand sei nicht tragbar gewesen126 . Jetzt kam die Rede immer öfter darauf, der französisch-sowjetische Beistandspakt habe den „Geist von Locarno“ verletzt, indem er die „rechtlichen und politischen Voraussetzungen des Rheinpaktes“ beseitigt habe127 . Die „militärische Allianz“ zwischen Frankreich und Russland, so erklärte man den Briten im Mai 1936, habe dem Locarnopakt das „Fundament“ entzogen, dass keine andere Wahl blieb, als das Rheinland zu besetzen128 . Dies lag exakt auf der Linie, die einige Diplomaten seit Anfang der dreißiger Jahre vertraten und die auf der Idee beruhte, den Rheinpakt als „nicht mehr bindend“ zu bezeichnen, wenn offenkundig würde, dass Frankreich dem „Locarnogeist zuwiderhandle“129 . Schließlich entwickelte das Auswärtige Amt einen dritten Vorwurf, der erstmals in dem deutschen Memorandum vom 7. März 1936 auftauchte. Es ging dabei um die Behauptung der deutschen Seite, die Ausnahmen des Artikels 2 Absatz 2 Ziffer 2 und 3 des Rheinpaktes, wonach eine Kriegshandlung unter 124

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Bülow an die deutsche Botschaft in Santiago de Chile, Berlin, 18. 3. 1936, ADAP, C, Bd. V, 1, Nr. 150, S. 182. An den designierten Pariser Botschafter, Graf Welczek, schrieb Bülow im April 1936: Der französisch-sowjetische Beistandspakt steigere die Sicherheit Frankreichs und sei eine Bedrohung für Deutschland. Es sei aus politischen und militärischen Gesichtspunkten heraus – unabhängig von der Rechtsfrage – unmöglich gewesen, dies hinzunehmen, Aufzeichnung Bülow, Berlin, 24. 4. 1936, ADAP, C, Bd. V, 1, Nr. 292, S. 432–434. Bereits im November 1935 hatte sich ein hoher Beamter des Auswärtigen Amtes in diesem Sinne geäußert. Demnach sei der französisch-sowjetische Pakt keine rein juristische Frage; was Deutschland vielmehr an dem Vertrag störe, sei die neue Orientierung der französischen Politik, die er beinhalte, DDF, 1. Serie, Bd. XIII, Nr. 300, S. 436– 440. Eine Argumentation, die auch von der Reichswehr und Teilen des Auswärtigen Amtes seit Anfang 1935 vertreten wurde. Vgl. Runderlass Dieckhoff, Berlin, 20. 6. 1936, DGFP, C, Bd. V, Nr. 392, S. 658ff.; Tagebuch Kennedy, 16. 3. 1936, Kennedy: Journals, S. 207. IMT, Bd. XVI, S. 685. ADAP, C, Bd. V, 1, Nr. 207, S. 264. „Resümee einer dem Britischen Botschafter mündlich zu erteilenden Antwort“, [Berlin], o. D. [Mai 1936], PA AA, BA 60957. Meyer: Kampf, S. 39 u. S. 143.

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Artikel 15 Absatz 7 und Artikel 16 der Völkerbundssatzung keinen Verstoß gegen das Nichtangriffsgebot des Rheinpaktes darstellte, seien einzig und allein zu dem Zweck formuliert worden, das Funktionieren der französisch-polnischen und französisch-tschechischen Beistandsverträge (beide unterzeichnet am 16. Oktober 1925) zu gewährleisten130 . Mit dem Abschluss des französischsowjetischen Hilfeleistungsvertrages, so behaupteten die deutschen Juristen jetzt, habe die französische Seite zu den zwei im Locarnopakt vorgesehenen Bündnisfälle noch einen dritten Casus foederis hinzu genommen, der von den Vertragsparteien im Jahr 1925 nicht vorgesehen war131 . Damit, so die Männer im Auswärtigen Amt, setze sich Paris über den Geist (nicht den Buchstaben) des Vertrages hinweg, indem sich der Quai d’Orsay die „abstrakte Formulierung“132 des Rheinpaktes zu Nutze machte133 . All diese Denkschriften belegen, dass man sich im Auswärtigen Amt mit dem Ende der entmilitarisierten Zone beschäftigte und an der rechtlichen Begründung zur „Kündigung“ Locarnos feilte, noch ehe Hitler seine Berater Mitte Februar mit der Absicht konfrontierte, eine Rheinlandaktion zu starten. Die ersten Besprechungen, die Hitler mit seinen Beratern zur Frage der Rheinlandbesetzung führte, drehten sich um drei Aspekte. Der erste Aspekt betraf die Rechtfertigung der Aktion. „Es handle sich darum“, empfing Hitler den deutschen Botschafter Ulrich v. Hassell am 14. Februar 1936 in seiner Münchner Wohnung134 , um ihn in seine Planungen einzuweihen,

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Memorandum der Reichsregierung an die Signatarmächte des Locarno-Paktes, 7. 3. 1936, Berber: Locarno, Nr. 41, S. 227. Ebert: Unvereinbarkeit, S. 57; Poli: Unvereinbarkeit, S. 56; B. Schenk Graf v. Stauffenberg: Die Vorgeschichte des Locarno-Vertrages und das russisch-französische Bündnis, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 6 (1936), S. 215–234, hier S. 227; vgl. François-Poncet: Botschafter, S. 249. Ebert: Unvereinbarkeit, S. 57. Im Anschluss an diesen Tatbestand entwickelte die Rechtswissenschaft die Figur vom „Wegfall der Geschäftsgrundlage“. In Anlehnung an § 242 BGB hieß es nun, Locarno sei als Abkommen der vier Westmächte gedacht gewesen, dessen Geschäftsgrundlage durch die Hinzuziehung Russlands erschüttert worden sei. Deutschland, so brachte Hitler diese Ansicht auf den Punkt, hätte den Rheinpakt niemals unterzeichnet, wenn damals bereits ein französisch-sowjetisches Abkommen bestanden hätte, Rede vor dem Reichstag, 7. 3. 1936, Domarus: Hitler, Bd. I, 2, S. 590 u. S. 594; Berber: Völkerrecht, Bd. I, S. 459. Eine handschriftliche Aufzeichnung dieser Unterredung befindet sich in den Handakten des Reichsaußenministers (PA AA, BA 60966) und trägt den Vermerk „Anfang Februar“. Die hieraus abgeleitete Annahme Shores, das Gespräch müsse bereits früher stattgefunden haben, ist jedoch als falsch zurückzuweisen. Hassell erwähnt gegenüber Hitler eine Unterredung, die er „vorgestern“ mit Aloisi gehabt habe; diese Unterhaltung fand nach den Aufzeichnungen beider Teilnehmer am 12. Februar 1936 statt, Hassell an das Auswärtige Amt, Rom, 12. 2. 1936, ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 553, S. 1096–1098; Tagebuch Aloisi, 12. 2. 1936, Aloisi: Journal, S. 350.

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„ob Deutschland die Pariser Ratifizierung des Russenpakts (bzw. auch schon einen zustimmenden Kammerbeschluss) zum Anlass nehmen solle, Locarno zu kündigen und die entmilitarisierte Zone wieder mit Truppen zu belegen.“135

Neben der Idee, den französisch-sowjetischen Pakt als Vorwand zu nehmen, war der zweite Aspekt die Idee des Reichskanzlers, Italien bei der „Kündigung“ Locarnos vorangehen zu lassen. Am 13. Februar fand eine Unterredung zwischen Hitler, Göring und Blomberg statt136 , in deren Verlauf der Reichskriegsminister erklärte, bei einer Aktion gegen das Rheinland sei auf die Haltung der Locarnogaranten England und Italien zu achten, und den Vorschlag äußerte, Göring solle nach Rom fahren, um die Unterstützung Mussolinis für die geplante Aktion zu sichern137 . Sofort wurde Neurath von der Idee informiert, der noch am selben Tag beim deutschen Vertreter auf dem Quirinal anrief, um ihn für den nächsten Tag nach München zu bestellen138 . Bei dieser Unterredung erklärte Hitler dem Botschafter: „Er frage sich nun, ob er nicht an Mussolini mit Anregung herantreten solle, die Verfälschung der Locarno-Verpflichtungen durch das Hereinziehen Russlands seinerseits zum Anlass der Kündigung zu nehmen, worauf dann Deutschland folgen würde. Die politischen Vorteile für beide Teile lägen auf der Hand (. . . ).“

Um den Duce zusätzlich unter Druck zu setzen, so Hitler, solle eine Drohkulisse aufgebaut werden, indem man Mussolini sagte, Deutschland beabsichtige unter allen Umständen, Locarno zu „kündigen“ und die Beendigung Locarnos mit einer Militäraktion zu verknüpfen, auch ohne das Mitgehen Italiens139 . Dem stand indes ein dritter Aspekt entgegen. So bestanden die Berater Hitlers in den ersten Besprechungen darauf, dass die Aktion unter allen Umständen ohne militärische Gewaltanwendung vonstattengehen müsse. Die Rheinlandbesetzung dürfe keine „militärische Kraftprobe“ werden, hatte Fritsch den Abteilungsleitern im Generalstab sogleich nach Bekanntwerden von Hitlers Rheinlandplänen erklärt, es handele sich um eine politische Angelegenheit, die eingesetzten Truppen dürften lediglich „symbolischen Charakter“ tragen140 . Ganz auf dieser Linie lagen die Ausführungen Fritschs, als der Reichskanzler ihn am 12. Februar 1936 mit seiner Absicht konfrontierte, die entmilitarisierte Zone zu besetzen. Hierauf bemerkte der Oberbefehlshaber des 135 136 137

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Aufzeichnung Hassell, Rom, 14. 2. 1936, Robertson: Wiederbesetzung, Nr. 3, S. 192. Sie schauten das Eishockeyspiel zwischen Großbritannien und Ungarn an. Aufzeichnung Hassell, Rom, 14. 2. 1936, Robertson: Wiederbesetzung, Nr. 3, S. 192; vgl. H. S. Hegner: Die Reichskanzlei 1933–1945. Anfang und Ende des Dritten Reiches, Frankfurt/M. 1959, S. 199. Außenminister Neurath hatte ihn am Tag zuvor, den 13. Februar, in Rom angerufen und gesagt, Hitler möchte ihn am 14. Februar in München sprechen, Aufzeichnung Hassell, o. O. [Rom], 23. 2. 1936, Robertson: Wiederbesetzung, Nr. 8, S. 202. Aufzeichnung Hassell, Rom, 14. 2. 1936, ebenda, Nr. 3, S. 193. IfZ, ZS 152.

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Heeres, dies sei vom Standpunkt der Landesverteidigung aus gesehen eine militärische Notwendigkeit, müsse jedoch auf jeden Fall ohne Krieg durchgeführt werden141 , denn, wie auch Blomberg den Kanzler ermahnte, die Wehrmacht sei nicht bereit142 . Das sahen auch die Diplomaten so. Bülow und Forster lehnten eine Militäraktion ausdrücklich ab143 . Hitler selbst musste zugeben, dass der schwache Zustand der Reichswehr „für den Aufschub spreche“144 . Dieser Linie blieben die Diplomaten in den nächsten Besprechungen, die der Reichskanzler Mitte Februar 1936145 mit den deutschen Vertretern in Rom und Paris führte, treu146 . Das erste Treffen war eine Konferenz des Reichskanzlers mit Neurath, Blomberg und Ribbentrop, zu der noch Dirk Forster, Geschäftsträger in Paris und nach dem Tode Kösters Leiter der Botschaft147 , hinzugezogen 141

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Dagegen sprach Manstein in Nürnberg die Unwahrheit, als er behauptete, „die Besetzung sei von militärischer Seite nicht gefordert worden“, IMT, Bd. XX, S. 657; vgl. Braubach: Einmarsch, S. 16. IfZ, ED 91, Bd. 8. Auch Generalstabschef Beck sprach sich gegen eine militärische Besetzung der Zone aus, Aufzeichnung Meissner, o. O., o. D., IfZ, ZS 1726. DDF, 2. Serie, Bd. I, Nr. 95, S. 141. Robertson: Wiederbesetzung, Nr. 3, S. 192. Zu Hassell sagte Hitler am 14. Februar, er wolle am Dienstag (den 18. Februar) fortfahren, über die Rheinlandzone zu sprechen. Es gehört zu den Merkwürdigkeiten im Vorfeld der Rheinlandkrise, dass Hitler in dieser ersten Phase der Beratungen keine Erkundigungen aus London eingeholt haben soll. Während die Missionschefs von Paris, Forster (Köster war am 31. Dezember 1935 verstorben), und von Rom, Hassell, Anfang Februar nach Berlin bzw. München kamen, um Bericht zu erstatten, war kein Vertreter der Mission in England, der wichtigsten Locarnomacht, zugegen. Hoesch, so lautet die Lehrmeinung bis heute, sei im Vorfeld der Rheinlandbesetzung nicht über das Vorgehen informiert worden und sei derartig gekränkt gewesen, dass er kurz darauf einem Herzschlag erlag. All das ist erstaunlich, als Hoesch – was bislang unbekannt war – Anfang Februar für 14 Tage nach Garmisch fuhr, um dort, nach Hoeschs eigener Aussage, Hitler und viele Engländer zu treffen. Es ist wenig wahrscheinlich, dass Hoesch in dieser Zeit weder von Hitler noch von Neurath oder Bülow einen Hinweis darauf erhalten haben soll, dass interne Besprechungen über die Kündigung Locarnos im Gange waren. Dies gilt umso weniger, als ein Bericht Hoeschs vom 25. Februar 1936 deutlich zum Ausdruck bringt, dass der Botschafter mit einem baldigen Aufrollen der Rheinlandfrage rechnete, Eden an Phipps, London, 11. 2. 1936, DBFP, 2. Serie, Bd. XV, Nr. 510, S. 643; Hoesch an das Auswärtige Amt, London, 25. 2. 1936, PA AA, R 97136; H. G. Sasse: 100 Jahre Botschaft in London. Aus der Geschichte einer Deutschen Botschaft, Bonn 1963, S. 67. Dabei gibt es eine Reihe von Indizien, die nahelegen, dass Hoesch in die Beratungen zur Rheinlandaktion eingeweiht war. So berichtete ein Vertrauter Hoeschs gegenüber Heinrich Brüning, Hoesch habe im Vorfeld der Remilitarisierung mit den Briten verhandelt, um eine Militäraktion im Rheinland zu verhindern. Und der deutsche Diplomat Vico v. Bülow-Schwante, damals zuständig für Protokollfragen, behauptete, die Berichte Hoeschs seien stets vorbildlich gewesen, lediglich während der „Rheinlandphase“ habe er falsch gelegen, IfZ, ZS 1021; Brüning: Briefe, S. 114 Anm. 1. O. Bräutigam: So hat es sich zugetragen. . . Ein Leben als Soldat und Diplomat, Würzburg 1968, S. 239.

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5. Entscheidung und Aktion (Februar–März 1936)

wurde148 . Forster hatte sich Anfang Februar dadurch hervorgetan, dass er immer wieder vor der großen Intimität der französisch-englischen Besprechungen gewarnt hatte. Briten und Franzosen hätten die Frage der Berechtigung zweiseitiger Militärabkommen im Rahmen Locarnos sehr vertieft, schrieb er beispielsweise am 29. Januar 1936, angeblich fänden juristische Besprechungen zur Klärung dieser Frage statt149 . Am 6. Februar 1936 meldete sich Forster mit weiteren Beweisen für französisch-britische Besprechungen. Die kürzlich stattgefundenen Gespräche zwischen Eden und Flandin hätten nicht Italien zum Objekt gehabt, sondern die Frage, welche Haltung die britische Regierung annehme, wenn Deutschland zu einem Gewaltakt im Rheinland schreite. Dies, schrieb Forster, habe ihm der belgische Botschafter in Paris, Graf Kerchove, bestätigt150 . Darüber musste Forster nun Hitler persönlich Auskunft geben. Außerdem befragte ihn Hitler zur innenpolitischen Situation in Frankreich und wollte wissen, ob die französische Führung eine deutsche Aktion im Rheinland

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Die Datierung dieser Unterredung ist unklar. Forster selbst strich auf dem Schriftsatz die Angabe „Anfang Februar“ und ersetzte sie durch „Mitte Februar“, um schließlich handschriftlich die Datumsangabe „12. 2.“ hinzuzufügen. Dieser Termin ist aus mehreren Gründen zweifelhaft. Hitler machte an diesem Tag aus Schwerin kommend nur kurz in der Reichshauptstadt Station, um abends nach Garmisch weiterzufahren. Laut Goebbels betrug die Dauer des Aufenthalts lediglich zwei Stunden, die Hitler nutzte, um den Oberbefehlshaber des Heeres zum Rheinland zu befragen, wie wiederum Hoßbach berichtet. Dort heißt es zudem, Blomberg habe erst am 13. Februar von Hitlers Plänen erfahren, während er dem Zeugnis Forsters nach bei der Konferenz mit dem Reichskanzler anwesend war, PA AA, NL Forster, Bd. 1; Hoßbach: Wehrmacht, S. 83f.; Tagebuch Goebbels, 14. 2. 1936, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/I, S. 379. Es ist wahrscheinlich, dass die Unterredung mit Forster nach dem 16. Februar, an dem Hitler von der Garmischer Olympiade nach Berlin zurückgekehrt ist, stattgefunden hat. Nur so erklärt sich ein Schreiben Renthe-Finks, der seit einiger Zeit mit Forster wegen der Rheinlandzone korrespondierte, vom 25. Februar 1936, in welchem er schrieb: „Es tat mir sehr leid, dass wir dich nicht bei uns sehen konnten, auch hätte ich dich natürlich gern gesprochen, um deine persönlichen Eindrücke zu hören.“ Forster selbst hat nach Krieg gegenüber Braubach angegeben, er sei unmittelbar nach Hitlers Rückkehr aus München zum Reichskanzler beordert worden. Hier wird die These vertreten, dass die Unterredung Hitler-Forster am 18. Februar 1936 stattgefunden hat. An diesem Tag wollte Hitler nach eigener Aussage seine Rheinlandgespräche fortsetzen. Die Akten der Reichskanzlei bestätigen, dass er sich an jenem Tag mit der französischen Politik befasst hat, Renthe-Fink an Forster, Berlin, 25. 2. 1936, PA AA, Botschaft Paris 660; Robertson: Wiederbesetzung, Nr. 3, S. 193; AdR Hitler, Bd. III, Nr. 89*, S. 818 u. Nr. 92*, S. 818; Braubach: Einmarsch, S. 13f. u. S. 14 Anm. 23 a. Forster an das Auswärtige Amt, Paris, 29. 1. 1936, PA AA, R 32246. Forster an das Auswärtige Amt, Paris, 6. 2. 1936, PA AA, Botschaft Paris 660. Schmidt schreibt in seinen Erinnerungen, Forster sei vom Auswärtigen Amt aufgefordert worden, einen Bericht über die möglichen Rückwirkungen einer Rheinlandaktion zu fertigen, Schmidt: Statist, S. 93.

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hinnehmen werde, ohne mit kriegerischen Mitteln zu reagieren, was Forster indes verneinte151 . Der deutsche Vertreter auf dem Quirinal wurde am 19. Februar um die Mittagszeit im Beisein Neuraths und Ribbentrops vom Reichskanzler empfangen. Nachdem Hassell einige allgemeine Ausführungen zur italienischen Politik gemacht hatte, die im Kern darauf hinaus liefen, dass Mussolini sich nicht an einer Locarnoaktion beteiligen werde, begann Hitler, seine Sicht der Dinge darzulegen. Er vertrat den Standpunkt, dass die entmilitarisierte Zone allmählich zu einer Art unantastbarer Einrichtung werde. Daher müsse man nun handeln („Angriff sei die bessere Strategie“) und, so Hitler, man solle den französischsowjetischen Beistandspakt zum Anlass nehmen. Ausdrücklich lehnte es Hitler ab, die Ratifikation des französisch-sowjetischen Paktes durch Warnungen in Paris zu verhindern, weil er diese „als Plattform für seine Aktion“ benötigte. Um der Gegenseite die Möglichkeit zu nehmen, das deutsche Vorgehen als Angriff zu interpretieren, wolle er eine Reihe von Friedensangeboten unterbreiten. Demnach sei er bereit, einen Nichtangriffspakt mit Frankreich, einen Luftpakt sowie ein Abkommen zur Unversehrtheit Belgiens abzuschließen. Weiter erwog der Reichskanzler, den „Grundgedanken“ des Viermächtepaktes vom Sommer 1933 aufzugreifen, aber auf „die unmittelbaren Fragen des Westens“ beschränkt. Schließlich bot er den „Fortbestand“ der entmilitarisierten Zone unter der Voraussetzung, dass auch Frankreich eine solche Zone errichten würde152 . Am Abend des 19. Februar 1936 wurden Neurath und Hassell nochmals zu Hitler gerufen. Gemeinsam gingen sie die Leitlinien durch, entlang derer der Botschafter seine Unterredung mit Mussolini zu führen habe. Hitler ging dann dazu über, an seiner eigenen Rede zur Rechtfertigung des deutschen Schrittes zu arbeiten. Sein Eindruck sei gewesen, notierte Hassell später, dass Hitler „schon zu mehr als 50 Prozent entschlossen war“ und „sich immer mehr in die Lage einer Kündigung Locarnos hinein fantasierte“153 . Eher am Rande erwähnte Hassell, dass die Frage des Zeitpunktes zum „Losschlagen“ noch nicht feststand. Hitler „erwog“, so Hassell, Locarno zu „kündigen“, wenn die französische Kammer den Pakt mit Moskau ratifiziert hätte. Neurath und Hassell hielten dagegen, man müsse abwarten, bis auch der französische Senat dem Vertrag zugestimmt habe, „um festen Boden unter den Füßen zu haben“154 . Damit waren diese Unterredungen von mehreren Kennzeichen geprägt, die für die deutsche Entscheidungsfindung von eminenter Bedeutung waren. 151 152 153 154

Aufzeichnung Forster, o. O. [Deisenhofen], o. D. [1966], PA AA, NL Forster, Bd. 1; vgl. Braubach: Einmarsch, S. 14 Anm. 23a u. S. 15. Robertson: Wiederbesetzung, Nr. 4, S. 195. Ebenda, Nr. 8, S. 204. Ebenda, Nr. 4, S. 196.

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5. Entscheidung und Aktion (Februar–März 1936)

Erstens war die ursprüngliche, vom Auswärtigen Amt skeptisch beurteilte Taktik155 , Italien bei der „Kündigung“ Locarnos vorangehen zu lassen, vom Tisch, noch bevor Hassell seine Demarche beim Duce unternommen hatte156 . Vielmehr konzipierten Hitler und Neurath die Instruktionen für Hassell dahingehend, dass dieser bei Mussolini vorsprechen solle, um die Haltung Roms bei einer deutschen Aktion gegen Locarno herauszufinden157 . Zweitens sollte die Aktion aus einer politischen Demonstration bestehen, eine militärische Besetzung der entmilitarisierten Zone – auch wenn darüber gesprochen wurde – wurde zu diesem Zeitpunkt nicht beschlossen. Mochte der Reichskanzler anfangs eine militärische Aktion erwogen haben, weil ihm die Wiederbesetzung der Zone wichtiger war als die „Kündigung“ des Locarnovertrages158 , so wiesen die Diplomaten und die Militärs in allen Gesprächen auf die Gefahren eines solchen Schrittes hin. Forster erklärte, keine französische Regierung, wie schwach sie auch sein möge, könne die Remilitarisierung des Rheinlandes ohne Widerstand hinnehmen, und Hassell wies auf die „in der Besetzung liegende Drohung“159 hin. Das schreckte den Kanzler für den Moment ab. Neurath wies Ende Februar gegenüber Dodd ausdrücklich darauf hin, über die Rheinzone solle „auf diplomatischem Wege verhandelt werden“, so Neurath, es sei ihm gelungen, Hitler von der „brutalen Methode“ abzubringen160 . Dies wird durch das Angebot des „Fortbestandes“ der entmilitarisierten Zone unterstrichen, das nur glaubwürdig war, solange keine deutschen Truppen im Rheinland standen. Tatsächlich sprachen Mitte Februar auch außenpolitische Argumente gegen eine Militäraktion, wie ein Bericht der deutschen Botschaft in London zeigt. Bismarck erzählte am 14. Februar 1936 von einem Gespräch mit einem nament-

155 156

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159 160

Sztójay an Kanya, Berlin, 21. 2. 1936, Diplomáciai iratok, Bd. I, Nr. 45, S. 132f.; Sztójay an Kanya, Berlin, 1. 3. 1936, ebenda, Nr. 58, S. 147f. Hassell hatte lediglich die Gelegenheit gehabt, am 17. Februar eine längere vertrauliche Aussprache mit einem namentlich nicht genannten italienischen Gewährsmann zu führen. Dieser versicherte ihm, dass sich Italien einer deutschen Aktion im Rheinland nicht widersetzen werde. Für den Fall einer deutschen Kündigung Locarnos sehe sich Rom von seinen Locarnoverpflichtungen befreit, Aufzeichnung, o. V., Rom, 20. 2. 1936, ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 574, S. 1137f.; vgl. Petersen: Mussolini, S. 474. Aufzeichnung Hassell, o. O. [Rom], 21. 2. 1936, Robertson: Wiederbesetzung, Nr. 4, S. 195f. Vgl. die Aufzeichnungen Hassells vom 14. Februar 1936: „Es handle sich darum, ob Deutschland die Pariser Ratifizierung des Russenpakts (. . . ) zum Anlass nehmen solle, Locarno zu kündigen und die entmilitarisierte Zone wieder mit Truppen zu belegen. Letzteres sei (. . . ) eine unbedingte Notwendigkeit.“ Robertson: Wiederbesetzung, Nr. 3, S. 192. Ebenda, Nr. 4, S. 196. Vgl. auch Schmidt: Statist, S. 93 u. S. 320. Tagebuch Dodd, 29. 2. 1936, Dodd: Diplomat, S. 355; François-Poncet an Flandin, Berlin, 6. 3. 1936, DDF, 2. Serie, Bd. I, Nr. 292, S. 403f.

5.1 Die deutschen Planungen zur „Kündigung“ Locarnos (Februar 1936)

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lich nicht genannten Gewährsmann über die politische Lage in England161 . Die Situation auf der Insel, so Bismarcks Gesprächspartner, sei von drei Merkmalen gekennzeichnet. Die Hauptsorge Englands sei die Wiederaufrüstung Deutschlands, die dazu geführt habe, die ehemals günstige Haltung zu Deutschland in ihr Gegenteil zu verkehren. Umgekehrt sei eine „weitgehende Verbesserung des Verhältnisses zwischen Russland und England“ eingetreten. Dies habe drittens seinen Ausdruck dadurch gefunden, dass Litwinow und Eden in London über mögliche Reaktionen Englands auf eine Remilitarisierung des Rheinlandes gesprochen hätten162 . Das Telegramm Bismarcks, so bekannte ein Beamter des Auswärtigen Amtes, sei auf großes Interesse in der Wilhelmstraße gestoßen. Der Außenminister legte den Bericht am 18. Februar, als sich Hitler wieder der Locarnofrage zuwandte, dem Reichskanzler vor163 . Neurath und Bülow warnten eindringlich vor der Aussicht einer englisch-russischen Kooperation, von der auch Geyr v. Schweppenburg berichtete164 , um die Remilitarisierung des Rheinlandes zu verhindern. In der Wilhelmstraße legte man Wert darauf, zu wissen, wer der Gesprächspartner Bismarck gewesen war, weil dies „für die Beurteilung von gewisser Wichtigkeit“ sei165 . Zeitgleich gelangten Nachrichten der NSDAP-Auslandsorganisation zu Hitler, nach denen Frankreich nicht gewillt sei, eine mögliche Remilitarisierung des Rheinlandes ohne Reaktion hinzunehmen. Angeblich hätte der sowjetische Volkskommissar für Verteidigung, Marschall Michail Tuchatschewski, in London mit Vertretern Englands, Frankreichs und der Tschechoslowakei darüber gesprochen, wie der französisch-sowjetische Beistandspakt gegen einen deutschen Vertragsbruch im Rheinland in Stellung gebracht werden könne166 . Tatsächlich hatte in London nicht nur Tuchatschewski167 , sondern auch Litwinow bei den Beisetzungsfeierlichkeiten des Königs bei Eden vorgefühlt, wie die Aussichten auf eine britisch-sowjetische Kooperation seien. Und Anfang Februar 1936 war der sowjetische Botschafter in London, Ivan Maisky, gleich zweimal im Foreign Office erschienen, um gegenüber Eden das Angebot eines 161 162 163 164

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Bismarck an das Auswärtige Amt, London, 14. 2. 1936, ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 563, S. 1116–1118. Ebenda; vgl. Tagebuch Szembek, 3. 2. 1936, Szembek: Journal, S. 156–158. Rüter an Bismarck, Berlin, 2. 3. 1936, PA AA, R 76990; ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 563, S. 1118 Anm. 5. Bericht Geyr v. Schweppenburg, London, 13. 2. 1936, IfZ, ED 91, Bd. 4. Wörtlich schrieb Geyr, er habe „sicheren Grund zur Annahme, dass in den letzten acht bis zehn Tagen eine vorläufig politische Annäherung zwischen England und Russland stattgefunden hat.“ PA AA, R 76990. Fell an Leitgen, Paris, 16. 2. 1936, BArch, NS 10/200. Vgl. V. Alexandrow: Der Marschall war im Wege. Tuchatschewski zwischen Stalin und Hitler, Bonn 1962, S. 104f.

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5. Entscheidung und Aktion (Februar–März 1936)

französisch-britisch-sowjetischen Abkommens zu unterbreiten, aber der Außenminister hatte ihn abblitzen lassen168 . Drittens war es Neurath und Hassell gelungen, den Zeitpunkt der Aktion offen zu halten. Hatte Hitler zunächst daran gedacht, schon einen positiven Kammerbeschluss zum Anlass für eine Aktion gegen Locarno zu nehmen, machte der Reichsaußenminister demgegenüber geltend, dass die „Beschleunigung den Einsatz nicht lohne“169 . Man solle auf jeden Fall den Beschluss des Senats abwarten, so stimmte er mit Hassell überein, um festen Boden unter den Füßen zu haben. Dieser Sicht, das zeigen die Aufzeichnungen Goebbels’, schloss sich Hitler vorläufig an170 . Viertens trugen die Friedensvorschläge, die Hitler am 19. Februar formulierte, eindeutig die Handschrift des Auswärtigen Amtes171 . Ein Kriegsverzicht im Westen, die Garantieerklärung an Belgien sowie der Abschluss eines Viererpaktes waren allesamt Elemente, die auf der konzeptionellen Schiene Bülows lagen, die darauf abzielte, Deutschland durch lockere Verträge einzubinden172 . Hatte Neurath diesen Ideen im Sommer 1935 die Unterstützung versagt und die Weichen auf einen konfrontativen Kurs gestellt, schien sich nun die Möglichkeit zu bieten, Bülows Konzept des „vertraglichen Zustandes“ mit Neuraths Programm der „schrittweisen Evolution“ zu versöhnen. Dies lag vor allem an der konzeptionellen Annäherung Bülows an Neurath, die sich Ende November 1935 in einer Denkschrift des Staatssekretärs niederschlug. Darin machte sich Bülow Gedanken über die Zukunft des Locarnopaktes173 , der durch das endgültige Ausscheiden Deutschlands aus dem Völkerbund auf rechtlich dünnem Boden stand. Deutschland halte am Locarnopakt fest, schrieb Bülow, knüpfe dies aber an eine Reihe von Bedingungen. Erstens sprach Bülow davon, die Grundlage Locarnos bestünde in der Zusammenarbeit der vier Großmächte, womit er implizit davon ausging, dass Belgien in absehbarer Zeit aus dem Verband der Locarnomächte ausscheiden würde und der Status Belgiens einer separaten Regelung vorbehalten bliebe. Zweitens müsse diese Zusammenarbeit auf den Grundsätzen von Gleichberechtigung und Vertrauen basieren. Gerade der Wunsch nach Gleichberechtigung zielte natürlich auf die „ungerechten“ 168

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Vgl. Plettenberg: Sowjetunion, S. 182. Maisky hatte sich schon im Herbst 1935 in einem Interview für eine französisch-britisch-sowjetische Zusammenarbeit ausgesprochen, Interview mit Maisky, 21. 11. 1935, Crozier: Record, S. 54–56. Robertson: Wiederbesetzung, Nr. 4, S. 194. Tagebuch Goebbels, 29. 2. 1936, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/I, S. 388. Hesse behauptet in seinem Buch, Hess, Keppler und Bülow hätten ihm bestätigt, dass die Friedensvorschläge vom Auswärtigen Amt konzipiert waren, F. Hesse: Das Spiel um Deutschland, München 1953, S. 55. Aufzeichnung Bülow, Berlin, o. D. [März 1933], PA AA, BA 60966; vgl. Hesse: Spiel, S. 55; Schwarz: Ribbentrop, S. 145. Aufzeichnung Bülow für Köpke, Berlin, 20. 11. 1935, ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 423, S. 825f.

5.1 Die deutschen Planungen zur „Kündigung“ Locarnos (Februar 1936)

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Bestimmungen des Rheinpaktes, unter denen die entmilitarisierte Zone herausstach und die dementsprechend abgeschafft werden musste174 . Eine weitere solche Bestimmung, die Ausnahmen vom Kriegsverzicht in Artikel 2 Absatz 2 Ziffer 2 und 3 des Rheinpaktes, verwies auf die dritte Bedingung, an die Bülow den Fortbestand Locarnos knüpfte. Wenn Frankreich weiterhin an Locarno festhalte, so Bülow, dann müsse es sich von der „bedenklichen Methode“ der Allianzen abwenden. Solange diese Bündnisse bestünden, seien alle deutschfranzösischen Erklärungen, sich nicht angreifen zu wollen, nutzlos175 . In einem Telegramm vom 3. Dezember 1935 an die Botschaft in Paris nahm Neurath die Gedanken Bülows auf und legte seine Vorstellungen über die künftigen Verhandlungen dar176 . Wenn die Abessinienkrise beigelegt sei, so schrieb er, käme der Zeitpunkt, zu dem die vier Großmächte die Grundlagen ihrer Zusammenarbeit überprüfen müssten. Dies könne erfolgen durch eine „entsprechende Anpassung“ der Locarnoverträge an die neue Lage – ein Gedanke, den Neurath bereits Anfang November geäußert hatte177 – oder durch neue Konstruktionen, entweder durch eine Reform des Völkerbundes oder außerhalb der Liga. Das „alte Genfer System mit seiner Ergänzung durch Beistandspakte“, so viel war sich Neurath sicher, habe ausgedient. Was ihm vorschwebte, war ein „Reformwerk zur Sicherstellung einer friedlichen Weiterentwicklung Europas“, an welchem sich Deutschland auf jeden Fall beteiligen wolle178 . Lediglich die Idee einer beiderseits der Grenzen eingerichteten entmilitarisierten Zone wurde in der Wilhelmstraße skeptisch beurteilt. Noch im Herbst 1934 hatte das Amt den Standpunkt vertreten, dass ein solcher Vorschlag sinnlos wäre, da er von Frankreich abgelehnt werden würde und, wenn die Idee von Hitler käme, den Verdacht erregen musste, Deutschland wolle die französische Sicherheit durchlöchern179 . Auf der Linie der Unterredungen vom 18. und 19. Februar lagen die Empfehlungen, die Hassell am 23. Februar 1936 an den Außenminister sandte und in denen er sich kritisch zu den bisherigen diplomatischen Vorbereitungen äußerte. Auf Grund der Instruktionen Hitlers, so Hassell, habe er gegenüber 174 175

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Vgl. Aufzeichnung Woermann, Berlin, 24. 7. 1934, PA AA, R 52327. ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 423, S. 825f. Köpke urteilte, Bülows Konzeption sei zu programmatisch auf die Zusammenarbeit zwischen Deutschland, Frankreich, England und Italien ausgelegt; man solle lieber abwarten, welche Konstellationen sich in naher Zukunft ergäben, ebenda, S. 826 Anm. 4. Neurath an die deutsche Botschaft in Paris, Berlin, 3. 12. 1935, ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 440, S. 856f. Phipps an Hoare, London, 8. 11. 1935, DBFP, 2. Serie, Bd. XV, Nr. 199, S. 244; FrançoisPoncet an Laval, Berlin, 3. 11. 1935, DDF, 1. Serie, Bd. XIII, Nr. 157, S. 224f. Vgl. auch die Ausführungen Goebbels’: „In England November Neuwahlen. Bis dahin steht Außenpolitik.“ Tagebuch Goebbels, 26. 10. 1935, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/I, S. 315. ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 440, S. 857. Haeften an Park Lewis, Washington, 20. 9. 1934, PA AA, R 32368.

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5. Entscheidung und Aktion (Februar–März 1936)

Mussolini nicht deutlich zum Ausdruck bringen können, dass Deutschland einen Schlag gegen Locarno oder die Remilitarisierung des Rheinlandes plane. Er bleibe daher auf dem Standpunkt (wie in München), bevor man eine Aktion starte, seien mehrere Bedingungen zu erfüllen: Einmal müsse die wirtschaftliche Seite mit Reichswirtschaftsminister Schacht besprochen werden, des Weiteren solle man auf das Votum des französischen Senats zum französischsowjetischen Pakt warten und schließlich solle man die Verschärfung der Völkerbundssanktionen gegen Italien abwarten180 . Tatsächlich verfehlten die Ergebnisse der bisherigen Beratungen ihre Wirkung auf den Kanzler nicht. Für den 19. und 20. Februar 1936 notierte Goebbels in sein Tagebuch, Hitler überlege „im tiefsten Dunkel“, ob er das Rheinland remilitarisieren solle. Die Zeit sei reif, so lassen sich Hitlers Gedankengänge zusammenfassen, denn Frankreich und England würden nichts machen. Unklar war, ob er bereits aktiv werden solle, wenn die Kammer in Paris den französisch-sowjetischen Beistandspakt ratifizierte181 . Auch in den folgenden Tagen drehten sich alle Gedanken des Reichskanzlers um die „schwere Entscheidung bezgl. des Rheinlandes“182 . Ende Februar, so erinnerten sich zwei Mitarbeiter aus Hitlers Entourage, traf sich Hitler mehrfach zu Besprechungen in der Reichskanzlei, an denen Heß, Goebbels, Göring, Blomberg und Neurath teilnahmen, um die Remilitarisierung des Rheinlandes zu erörtern183 , und die Tochter Neuraths schrieb während des Krieges, im Februar 1936 sei ihr Vater beinahe täglich zu Besprechungen bei Hitler gewesen, um die Rheinlandfrage zu diskutieren184 . Am 27. Februar, als in Paris die Deputiertenkammer zur Abstimmung zusammentrat, beriet sich Hitler mit Goebbels und Göring. Er sprach dabei die Erwartung aus, es sei „noch etwas zu früh“, die Remilitarisierung des Rheinlandes anzugehen185 . Bereits am nächsten Morgen schwankte er wieder. „Hitler ringt mit sich“, notierte Goebbels, er sei unschlüssig, ob er nach der Kammerratifizierung seine Aktion starten solle. Als er am Abend des 28. Februar 1936 mit dem Zug nach München fuhr, be180

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Hassell an Neurath, Rom, 23. 2. 1936, PA AA, BA 60952. Hassell hatte seine Bedenken am 20. Februar auch Fritsch mitgeteilt. Demnach drehten sich Hassells Sorgen um das innenpolitische Motiv, die mangelnde Einbindung Schachts sowie die Bedenken, die Neurath gegen die Aktion hege, Ursachen und Folgen, Bd. X, Nr. 2453 c, S. 418. Tagebuch Goebbels, 21. 2. 1936, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/I, S. 383. Tagebuch Goebbels, 29. 2. 1936, ebenda, S. 388. Eberle/Uhl: Hitler, S. 57. Aufzeichnung Frau v. Mackensen, o. O., 1940, BAK, ZSg 133/14. Der US-amerikanische Botschafter notierte sich kurz vor der Remilitarisierung in sein Tagebuch, man staune in Berlin „über die häufigen Meetings des Diktators und seiner Mitarbeiter“, Tagebuch Dodd, 6. 3. 1936, Dodd: Diplomat, S. 357. Tagebuch Goebbels, 29. 2. 1936, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/I, S. 387. Ebenfalls am 27. Februar notierte sich Lammers, die nächste Kabinettssitzung sei für den 20. März geplant, AdR Hitler, Bd. III, Nr. 110*, S. 822.

5.1 Die deutschen Planungen zur „Kündigung“ Locarnos (Februar 1936)

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sprach sich Hitler mit Goebbels über die Sache. Der Propagandaminister riet ihm, nicht vorschnell zu handeln. Man solle die Entwicklungen in Genf und die Zustimmung des Senats abwarten. Erst wenn der französisch-sowjetische Pakt endgültig ratifiziert sei, so Goebbels’ Begründung, habe man eine Handhabe gegen Locarno. Dann solle man die Gelegenheit beim Schopfe packen. „So wird’s wohl auch gemacht werden“, notierte Goebbels zufrieden186 . Obwohl Hitler bis Ende Februar 1936 noch keine Entscheidung getroffen hatte, wann er im Rheinland losschlagen solle, und entgegen der Lehrmeinung, das Auswärtige Amt sei nicht in die Vorbereitungen zur „Locarnokündigung“ eingebunden gewesen, sammelte man in der Wilhelmstraße seit geraumer Zeit alle Nachrichten aus dem Ausland, die mit dem Rheinland in Verbindung standen und die Hinweise darauf liefern könnten, wie die Westmächte auf einen deutschen Coup reagieren könnten. Frankreich, so meldete ein deutscher Diplomat ganz auf der Linie liegend, auf der Montigny im Januar die Möglichkeit einer deutsch-französischen Verständigung gesehen hatte, werde sich mit der Remilitarisierung abfinden, wenn diese in Etappen und in Abstimmung mit den Locarnopartnern vollzogen würde187 . Daneben waren es Anfang Februar die Berichte Forsters, die auf große Resonanz im Auswärtigen Amt stießen. Am 5. Februar berichtete er, dass die neue Regierung Sarraut-Flandin Gespräche hinsichtlich der entmilitarisierten Zone angestoßen hätte188 . Ein Telegramm vom 6. Februar 1936, worin Forster von französisch-britischen Gesprächen über die entmilitarisierte Zone sowie Äußerungen Kerchoves über eine mögliche deutsche Remilitarisierung berichtete189 , „fand hier großes Interesse“190 , wie ein Beamter der Abteilung II gestand. Noch einmal schrieb Forster am 10. Februar über die Pariser Besprechungen in die deutsche Hauptstadt. Das Ergebnis von Flandins Bemühungen, eine feste Front gegen eine deutsche Rheinlandaktion herzustellen, so lautete Forsters Urteil diesmal, gehe nicht über Parolen hinaus191 . Gleichzeitig fiel in der Wilhelmstraße der Startschuss zur diplomatischen Vorbereitung des Coups. Bereits Anfang Februar 1936 hatte das Auswärtige Amt einen wichtigen Versuchsballon steigen lassen. Der ehemalige britische Luftfahrtminister, Lord Londonderry, befand sich im Winter 1936 – wahrscheinlich auf Veranlassung der „Dienststelle Ribbentrop“ – für zwei Wochen in Deutschland und traf dort u. a. mit Neurath, Göring, Heß und Ribbentrop zusammen. Den Höhepunkt der Reise bildete ein Empfang bei Hitler 186 187 188 189 190 191

Tagebuch Goebbels, 29. 2. 1936, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/I, S. 388. Aufzeichnung Braun v. Stumm, Berlin, 4. 2. 1936, PA AA, R 70517. Forster an das Auswärtige Amt, Paris, 5. 2. 1936, PA AA, R 70095. Forster an das Auswärtige Amt, Paris, 6. 2. 1936, PA AA, Botschaft Paris 660. Renthe-Fink an Forster, Berlin, 11. 2. 1936, ebenda. Forster an das Auswärtige Amt, Paris, 10. 2. 1936, PA AA, R 97147.

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5. Entscheidung und Aktion (Februar–März 1936)

am 4. Februar 1936192 . Die Unterredung drehte sich besonders um die Rolle Russlands in Europa, während über das Rheinland, wie Londonderry später behauptete, nicht gesprochen wurde193 . Ganz anders las sich die Meldung, die das DNB über den Besuch des Briten am 7. Februar 1936 herausgab. Dort hieß es, Hitler und Londonderry hätten über eine „gestattete Wiedermilitarisierung der Rheinlande“ gesprochen194 . Weder London noch Paris reagierten auf diese Meldung, woraus das Auswärtige Amt wichtige Rückschlüsse über die französische und britische Haltung ziehen konnte. Zwei Wochen später wurden diese Maßnahmen weiter intensiviert. Am 21. Februar 1936 empfahl ein Beamter der Abteilung IV, der Zeitpunkt sei günstig, das deutsche Memorandum vom 25. Mai 1935, in dem die Unvereinbarkeit des französisch-sowjetischen Paktes mit dem Rheinpakt von Locarno festgestellt wurde, zu publizieren. Damit würde der Weltöffentlichkeit der deutsche Standpunkt vor Augen geführt. Auf die Parlamentsdebatte werde dies keinen Einfluss haben, so schrieb die Vorlage ausdrücklich, sei aber ein wichtiger Kunstgriff, wenn auf die französische Ratifikation „von deutscher Seite Schritte bezüglich Locarno, Rheinland, etc. folgen sollten“195 . Tatsächlich wurde noch am selben Tag ein DNB-Kommuniqué veröffentlicht, in welchem die deutsche Regierung eindringlich auf ihren Standpunkt verwies, der französisch-sowjetische Beistandspakt sei nicht vereinbar mit dem Rheinpakt von Locarno196 . Jetzt wurden auch die Missionen auf die bevorstehende Aktion eingestimmt. In einer Aufzeichnung vom 26. Februar 1936 empfahl Kamphoevener Maßnahmen zur Beeinflussung der ausländischen Presse in Fragen der entmilitarisierten Zone197 . Auf dieser Linie versandte Dieckhoff am 28. Februar ein Rundschreiben an alle Missionen, das umfangreiches Material zur Rheinlandzone enthielt. Erstens übermittelte er ein Exemplar des Buches Geographic Disarmament von John H. Marshall-Cornwall198 . Darin untersuchte der Autor, der in den zwanziger Jahren eine Zeit lang britischer Militärattaché in Berlin gewesen ist, die ideengeschichtliche und praktische Entwicklung des Begriffes 192 193 194

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Schmidt: Statist, S. 333ff. The Marquess of Londonderry: England blickt auf Deutschland. Um die deutsch-englische Verständigung, Essen 1938, S. 126. DNB-Meldung, 7. 2. 1936, PA AA, R 32040. Richtig ist lediglich, dass Göring und Londonderry in ihrer Unterredung am 31. Januar 1936 dieses Thema anschnitten. Demnach habe Göring gesagt, Frankreich drohe dem Reich beim kleinsten Verstoß in der entmilitarisierten Zone mit Krieg, worauf Londonderry erwiderte, vielleicht könne man das Problem durch eine beiderseits der Grenze entmilitarisierte Zone lösen, Londonderry: England, S. 90–92. Vgl. Kershaw: Freunde, S. 165–167. Aufzeichnung Roediger, Berlin, 21. 2. 1936, PA AA, R 31624. Berber: Locarno, Nr. 38, S. 184f. Aufzeichnung Kamphoevener, Berlin, 26. 2. 1936, PA AA, R 32041. Rundschreiben Dieckhoff, Berlin, 28. 2. 1936, ebenda.

5.1 Die deutschen Planungen zur „Kündigung“ Locarnos (Februar 1936)

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der „Demilitarisierung“. Bei seinem Überblick über verschiedene entmilitarisierte Zonen ging Marshall-Cornwall auch ausführlich auf das Problem des entmilitarisierten Rheinlandes ein (Kapitel XII: The Problem of the Rhineland). Er kam zu dem Schluss, die entmilitarisierte Zone am Rhein sei ein einseitiger Akt, bei welchem das Prinzip der Gegenseitigkeit bewusst außer Acht gelassen wurde. Die dauerhafte Einrichtung der Rheinzone, so Marshall-Cornwall, sei nicht vereinbar mit den Friedensbeziehungen souveräner Staaten199 . Besser sei, so schlug Cornwall vor, einen Streifen französischen Territoriums in einer Tiefe von zehn Kilometern ebenfalls zu entmilitarisieren. Eine Kommission des Völkerbundes sowie eine internationale Schutztruppe sollten die Einhaltung der Entmilitarisierungsbestimmungen auf beiden Seiten der Grenze überwachen. Damit griff Marshall-Cornwall Ideen auf, die der britische General Spears im Laufe der zwanziger Jahre entwickelt hatte200 . Zuletzt war Spears im Frühjahr 1935, kurz nach der Saarabstimmung, mit dem Vorschlag vorgeprescht, eine entmilitarisierte Zone beiderseits des Rheins unter Aufsicht des Völkerbundes einzurichten, um die deutsch-französischen Grenzprobleme ein für allemal zu beheben201 . Während die Militärs Interesse zeigten202 , witterte man im Auswärtigen Amt eine Falle. Die entmilitarisierte Zone auf französischem Gebiet sei so bemessen, dass der Festungsgürtel an der Grenze unberührt bliebe, urteilte Bismarck, andernfalls würde Frankreich einer solchen Zone niemals zustimmen203 . Immerhin einigten sich das Auswärtige Amt und das Reichswehrministerium darauf, den Kontakt zu Spears zu halten, weil sich dies „noch nützlich“ erweisen könnte204 . Dieser Zeitpunkt schien gekommen, als Dieckhoff alle Missionen bat, die Ideen Spears’ und Cornwalls zu „verwerten“. Es dürfe aber nicht der Eindruck entstehen, so Dieckhoff, als ginge es darum, eine Kampagne für die Remilitarisierung des Rheinlandes zu starten205 . 199 200

201 202 203 204 205

J. H. Marshall-Cornwall: Geographic Disarmament. A study of regional demilitarization, London 1935, S. 149. E. L. Spears: Eine englische Auffassung des Problems der Rüstungen, in: Europäische Revue 1 (1925), S. 225–231; Marshall-Cornwall: Disarmament, S. 149–151. Mit seinen Überlegungen zu einer beiderseitig entmilitarisierten Zone inspirierte Spears in den zwanziger Jahren den britischen Botschafter in Berlin, Lord D’Abernon, zu dessen eigenen Vorstellungen eines „Eisernen Vorhangs“ zwischen Frankreich und Deutschland; diese Ideen waren bekanntlich durch den Abschluss des Rheinpaktes hinfällig geworden, Tagebuch D’Abernon, 20. 7. 1925, D’Abernon: Botschafter, Bd. III, S. 208. Spears war Mitte der zwanziger Jahre zeitweise Mitglied eines Unterkomitees des CID, das sich mit der Zukunft von entmilitarisierten Zonen beschäftigte, TNA, CAB 16/68. Marshall-Cornwall: Disarmament, S. 153f. Boehm an Beck, Berlin, 20. 2. 1935, BA-MA, RH 2/98. Bismarck an das Auswärtige Amt, London, 29. 1. 1935, PA AA, R 32040. Böckmann an Stülpnagel, Berlin, 23. 2. 1935, BA-MA, RH 2/98. Rundschreiben Dieckhoff, Berlin, 28. 2. 1936, PA AA, Botschaft Paris 660. Vgl. die Ausführungen bei Geyr v. Schweppenburg: Erinnerungen, S. 85.

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Zweitens übermittelte Dieckhoff einen Artikel des Manchester Guardian vom 1. Februar 1936, welcher ausführlich die britische Haltung zu Locarno und zur entmilitarisierten Zone behandelte206 . Drittens enthielt der Rundbrief Dieckhoffs eine Aufzeichnung mit dem Titel „Stichworte zur Frage der entmilitarisierten Rheinzone“207 . Die Denkschrift legte noch einmal ausführlich die Haltung des Auswärtigen Amtes zur Zone dar, wie sie Gaus in seiner Vorlage vom 10. Februar umrissen hatte. Demgemäß sei die entmilitarisierte Zone insbesondere ein Instrument zur wirtschaftlichen Knebelung Deutschlands, weil im Rheinland bedeutende wirtschaftliche Kraftzentren lagen. Außerdem, so die „Stichworte“, falle der wesentliche Grund weg, der 1919/20 zur Schaffung der Zone geführt hatte, nämlich die Verzögerung eines deutschen Angriffs auf Frankreich. Damit sei die Rheinzone „militärisch überholt“ und zeuge lediglich von einer „bestimmten Geisteshaltung“, deren einziges Ziel sei, Deutschland am Boden zu halten208 . Ganz auf der Linie des zur Verfügung gestellten Materials bearbeiteten die Männer des Auswärtigen Amtes alle Stellen im Ausland. So sprach Hassell in Rom am 17., 20., 22. und 26. Februar 1936 mit verschiedenen Persönlichkeiten über die Art, wie die deutsche Führung auf die Ratifizierung des französischsowjetischen Paktes reagieren werde209 . Der Höhepunkt von Hassells Initiativen bildete die Entrevue mit Mussolini am 22. Februar 1936. Die Stresafront, so versicherte der Duce einmal mehr, sei erledigt210 . Wenn das Deutsche Reich im Gegenzug zur Ratifizierung des französisch-sowjetischen Paktes irgendeinen Schritt unternehme, werde sich Italien nicht an einer Gegenaktion des Völkerbundes oder der Westmächte beteiligen. Zusätzlich gab er zu verstehen, dass Italien bei einer Verschärfung der internationalen Sanktionen aus dem Völkerbund austreten würde; damit wären automatisch, so Mussolini, die Locarnoverpflichtungen Roms erledigt211 . Trotz dieser Aussagen Mussolinis gelang es Hassell nicht, den Italienern bindende Zusagen zu entlocken. Ein Vertrauter Mussolinis riet dem deutschen Botschafter eindringlich, mit einer Aktion gegen den Rheinpakt und die entmilitarisierte Zone noch eine Weile zu warten212 . Gleichzeitig verzögerten die Italiener die Veröffentlichung des Kommuniqués der Unterredung vom 22. Februar 1936. Am 26. Februar teilte Suvich dem erstaunten Hassell mit, man beabsichtige im Palazzo Chigi den Wortlaut der Unterredung Mussolinis mit dem

206 207 208 209 210 211 212

PA AA, R 32041. Der erste Entwurf der „Stichworte“ stammte vom 20. Februar 1936. Aufzeichnung, o. V., Berlin, 28. 2. 1936, PA AA, R 32041. DDI, 8. Serie, Bd. III, Nr. 241, S. 302–304 u. Nr. 275, S. 347f. Ebenda, Nr. 241, S. 302–304 u. Nr. 275, S. 347f. Hassell an das Auswärtige Amt, Rom, 22. 2. 1936, ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 579, S. 1148ff. Ebenda, Nr. 574, S. 1135ff.

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Deutschen noch einmal zu redigieren. Den Text wolle er Mussolini vorlegen, bevor er veröffentlicht werden könne213 . Erst am 3. März erhielt Hassell den überarbeiteten Schriftsatz, den er zwei Tage später nach Berlin übermittelte214 . In Polen ergriff Göring während eines Jagdausfluges Ende Februar 1936 die Gelegenheit, um über den französisch-sowjetischen Vertrag zu schimpfen und über mögliche Konsequenzen zu spekulieren215 . Bereits zuvor hatten Abwehrchef Canaris und Hans Frank, ein Vertrauter Hitlers, bei polnischen Persönlichkeiten dafür geworben, dass nach der Zeichnung des französisch-sowjetischen Paktes Deutschland und Polen näher zusammenrücken216 . Vielversprechende Gespräche zur Modifizierung des Locarnopaktes schließlich führten – wobei unklar bleiben muss, ob und inwieweit Hoesch in die Berliner Planungen eingeweiht war – die Mitarbeiter der deutschen Botschaft in London. Am 4. Februar ließ Wigram gegenüber Hoesch durchscheinen, das britische Kabinett arbeite an einem britisch-französisch-deutschen Abkommen217 . Am 12. Februar 1936 suchte Wigram den deutschen Botschaftsrat in London, Fürst Bismarck, auf, um ihm die Ergebnisse der letzten Kabinettssitzung mitzuteilen, wozu er eigentlich „nicht befugt“ sei. Das Kabinett, so Wigram, habe das Foreign Office beauftragt, eine Denkschrift für ein working agreement auszuarbeiten, auf dessen Grundlage eine Verständigung der drei Westmächte möglich wäre. Das Wesentliche der Übereinkunft wäre die Erklärung Deutschlands, bestehende Verhältnisse nicht durch Gewalt verändern zu wollen. Schriftlichen Niederschlag würde das working agreement in einem Luftpakt erhalten, den man dadurch besonders interessant gestalten könne, „dass man Dinge herausließe, die im Locarnovertrag stünden“218 , was sich nach Lage der Dinge nur auf die entmilitarisierte Zone oder die Verbindung des Rheinpaktes zum Völkerbund beziehen konnte. In ähnlicher Weise wie Wigram sprach am 15. Februar der Parlamentarische Unterstaatssekretär im Foreign Office, Lord Cranborne, mit Bismarck219 . Cranbornes Stellung verlieh dem Gespräch einen deutlich offizielleren Charakter, zumal dieser versicherte, 213 214

215

216 217 218 219

Aufzeichnung Hassell, Rom, 26. 2. 1936, ebenda, Nr. 592, S. 1177–1179. Hassell an das Auswärtige Amt, Rom, 3. 3. 1936, ebenda, Nr. 603, S. 1194; Hassell an das Auswärtige Amt, Rom, 5. 3. 1936, ADAP, C, Bd. V, 1, Nr. 5, S. 19f.; vgl. Robertson: Hitler, S. 260. ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 591, S. 1175–1177; BDFA, II, F, Bd. 56, Nr. 151, S. 251f.; vgl. R. Breyer: Das Deutsche Reich und Polen 1932–1937. Außenpolitik und Volksgruppenfragen (Marburger Ostforschungen, Bd. 3), Würzburg 1955, S. 155f.; Kube: Göring, S. 117. Tagebuch Szembek, 10. 2. 1936, Szembek: Journal, S. 159; Tagebuch Szembek, 12. 2. 1936, ebenda, S. 161. Vgl. Neville: Wigram, S. 46. Bismarck an Dieckhoff, London, 13. 2. 1936, ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 562, S. 1112–1115. Vgl. Emmerson: Rhineland, S. 64. Bismarck an das Auswärtige Amt, London, 15. 2. 1936, ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 568, S. 1123–1125; Eden: Diktatoren, S. 394.

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5. Entscheidung und Aktion (Februar–März 1936)

er sei von Eden persönlich zu dieser Unterredung beauftragt worden. Allerdings konnte der Brite nichts mitteilen, was Bismarck nicht schon von Wigram gehört hätte. Einen Sonderfall in der diplomatischen Vorbereitung der Remilitarisierung des Rheinlandes stellten die deutschen Bemühungen gegenüber Frankreich dar220 . Zur Beeinflussung der französischen Politik gab Hitler am 21. Februar 1936 dem französischen Journalisten Bertrand de Jouvenel ein Interview. Das Gespräch war das Ergebnis der Bemühungen von Otto Abetz221 , der sich seit einiger Zeit in Frankreich befand, um im Auftrag Ribbentrops deutsch-französische Kontakte herzustellen und für einen prodeutschen Kurs zu werben. Am 29. Januar 1936 fragte Jouvenel bei ihm an, ob Hitler zu einem Interview mit dem Paris-Soir bereit wäre. Anfang Februar gab Abetz die Zusage, Hitler könne ihn Ende des Monats empfangen222 . Das Gerede von der deutsch-französischen Erbfeindschaft, diktierte ein versöhnlich klingender Hitler dem Franzosen in die Feder, sei völliger Unsinn; er selbst wolle an der Verständigung arbeiten. Allerdings warnte er Paris vor der Ratifizierung des französisch-sowjetischen Beistandspaktes und betonte, dieser Pakt habe eine neue internationale Lage zur Folge, die sich zwangsläufig auf die deutsch-französischen Beziehungen auswirken müsse223 . Das Interview wurde am 29. Februar – nach der Kammerratifizierung des französisch-sowjetischen Paktes – veröffentlicht, aber nicht im Paris-Soir, sondern im auflagenschwächeren Paris-Midi. Lange Zeit war es die Ansicht der Historiker, Hitler habe mit dem Interview eine Warnung an die Adresse Frankreichs senden wollen, um die Ratifizierung des Vertrages mit Moskau zu torpedieren. Diese Absicht sei durch eine Intrige Flandins, die Veröffentlichung des Gesprächs bis nach der Kammerdebatte zu verzögern, durchkreuzt worden224 . Neuere Forschungen haben gezeigt, dass Ribbentrop und Abetz selbst keine Eile damit hatten, den Text vor der Kammerabstimmung zu publizieren. Ihnen ging es weniger darum, Einfluss auf die Kammerdebatte zu nehmen, als sich vielmehr eine Rückversicherung für die Zeit nach der „Locarnokündigung“ zu 220

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223 224

Es hält sich das Gerücht, der deutsche Botschafter habe den Franzosen Anfang 1936 einen zweiseitigen Nichtangriffspakt geboten, wenn Paris im Gegenzug den französischsowjetischen Beistandspakt fallenließe; dafür gibt es keinen schriftlichen Beleg, vgl. Benoist-Méchin: Militärmacht, Bd. 3, S. 282; J.-P. Cointet: Pierre Laval, Paris 1993, S. 205; P. Lazareff: Dernière Edition (Histoire d’une époque), New York o. J. [1938], S. 273. Zu den Verständigungsbemühungen von Abetz vgl. Abetz: Problem; J. E. Wallace: The Case of Otto Abetz, Diss. phil. University of Southern Mississippi 1969. Vgl. R. Ray: Annäherung an Frankreich im Dienste Hitlers? Otto Abetz und die deutsche Frankreichpolitik 1930–1942 (Studien zur Zeitgeschichte, Bd. 59), München 2000 (Diss. phil. Tübingen 1996), S. 199; Lazareff: Edition, S. 273. Domarus: Hitler, Bd. I, 2, S. 579–581; Ursachen und Folgen, Bd. X, Nr. 2453 b, S. 416. Lazareff: Edition, S. 274; Abetz: Problem, S. 78.

5.1 Die deutschen Planungen zur „Kündigung“ Locarnos (Februar 1936)

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besorgen, um auf den mangelnden Verständigungswillen jenseits des Rheins verweisen zu können225 . Dies lag exakt auf der Linie Hitlers, der, wie Hassell berichtet, es ausdrücklich ablehnte, „durch Warnungen in Paris und London die Ratifikation zu verhindern“226 , und passte in das Denkmuster des Kanzlers, der gar nicht versuchte, eine außenpolitisch günstige Situation zu schaffen, sondern die Diplomatie darauf beschränkte, die Reaktionen der anderen Mächte auf den deutschen Coup abzufedern227 . Ein weiterer Punkt ist hervorzuheben. Vor dem Hintergrund der geschilderten Besprechungen und Vorbereitungen sieht man, dass das Interview, was die Forschung bislang ignorierte, ganz auf der Schiene der diplomatischen Aktivitäten lag, die das Auswärtige Amt seit Anfang Februar betrieb, um die „Kündigung“ Locarnos vorzubereiten228 . Neurath selbst sagte in Nürnberg aus, er habe das Interview für Jouvenel ausführlich mit Hitler besprochen229 . So verwundert es nicht, dass Hitlers Ausführungen zum Stellenwert von „Mein Kampf “ und zu den Auswirkungen des französisch-sowjetischen Paktes auf die deutsche Politik allesamt Elemente waren, die das Auswärtige Amt bereits seit längerer Zeit propagierte230 . Der Umgang der Diplomaten mit dem Rheinlandproblem in den letzten Februartagen illustriert deutlich, wie die Frage das Stadium der Vorüberlegungen verließ und in die Phase der konkreten Maßnahmen überging. Einige Nationalsozialisten sprächen laut von der „Kündigung“ Locarnos, berichtete der britische Botschafter aus Berlin231 und Paul Schmidt, in den dreißiger Jahren als Dolmetscher im Auswärtigen Amt tätig, gab in Nürnberg unter Eid zu Protokoll, er habe zwei oder drei Wochen vor der Remilitarisierung davon erfahren und auch darüber gesprochen232 ; damals wurde er von Neurath als „Hellseher“ abgestempelt233 . Der war aber sehr wohl eingeweiht, wie die 225 226 227

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233

Vgl. Ray: Annäherung, S. 200f. Robertson: Wiederbesetzung, Nr. 8, S. 204. Tagebuch Goebbels, 6. 3. 1936, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/II, S. 34: „Der Führer fasst die Situation mit Ernst auf. Frankreich wird ja irgendwie reagieren. Er bietet auch entmilitarisierte Zonen an, aber auf beiden Seiten und paritätisch.“ IMT, Bd. X, S. 247. Aussage Neurath, Nürnberg, 24. 6. 1947, IMT, Bd. XVI, S. 684. So hatte ein Beamter des Auswärtigen Amtes dem französischen Botschafter im Dezember 1934 erklärt, maßgebend für den deutschen Kurs seien nicht die Ausführungen aus „Mein Kampf “, sondern „die tatsächliche Politik des Führers“, Aufzeichnung Köpke, Berlin, 20. 12. 1934, ADAP, C, Bd. III, 2, Nr. 399, S. 738. Vgl. auch Weisung an die Presse, 5. 2. 1936, NS-Presseanweisungen, Bd. 4/I, S. 118. BDFA, II, F, Bd. 47, Nr. 51, S. 58. IMT, Bd. X, S. 247. Dagegen enthalten Schmidts Erinnerungen keine Ausführungen darüber, inwieweit das Auswärtige Amt an den Vorbereitungen zur Wiederbesetzung des Rheinlandes beteiligt war, Schmidt: Statist, S. 318ff. IMT, Bd. XVII, S. 50f. Er, Neurath, habe erst eine Woche vor der Aktion von Hitlers Entschluss erfahren.

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Dokumente zeigen. Am 20. Februar 1936 wandte sich Innenminister Frick an das Auswärtige Amt und fragte an, ob es außenpolitische Bedenken gäbe, österreichische SA-Einheiten in der entmilitarisierten Zone zu stationieren234 . Dazu vermerkte Bülow am 22. Februar: „Der Vorschlag ist m. E. umso sinnloser, als die österreichische SA bei Wiederbesetzung des Rheinlandes sofort von der Reichswehr deplaciert werden würde.“235 Dem stimmte Neurath zu und schrieb, eine Verlegung österreichischer SA-Gruppen sei nicht tragbar, „solange die Frage der demilitarisierten Zone nicht positiv entschieden ist“236 . Per Schreiben vom 27. Februar lehnten Neurath und Bülow den Vorstoß des Innenministeriums ab. Aber auch subalterne Beamte des Auswärtigen Amtes wussten von den angeblich „im tiefsten Dunkel“237 sich vollziehenden Planungen, wie eine interessante Korrespondenz zeigt. Am 7. Februar 1936, einen Tag nach seinem offiziellen Bericht, informierte Forster den stellvertretenden Leiter der Abteilung II, Renthe-Fink, in einem persönlichen Schreiben über die Unterredungen, die er mit dem belgischen Botschafter in Paris über die Folgen, die eine deutsche Rheinlandaktion haben würde, geführt hatte238 . Kerchove sei dafür bekannt, antwortete Renthe-Fink am 11. Februar, mit „ungebetenen Warnungen“ um sich zu werfen, was aber nicht besagen solle, so Renthe-Fink weiter, „dass er im vorliegenden Fall grundlose Befürchtungen geäußert hat“. Im Auswärtigen Amt wisse man, welch „heißes Eisen“ die Remilitarisierung des Rheinlandes darstelle239 . Am 25. Februar schrieb er erneut an Forster und kündigte an, „in der bewussten Angelegenheit“ werde ihm, Forster, ein Bericht Hassells240 und ein Schreiben Dieckhoffs241 zugehen242 . Dieckhoff selbst, der erst vor einigen Wochen die kommissarische Leitung

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Erbe an das Auswärtige Amt, Berlin, 16. 3. 1936, ADAP, C, Bd. V, 1, Nr. 132, S. 162f. Ebenda, S. 162 Anm. 1. Ebenda. Tagebuch Goebbels, 21. 2. 1936, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/I, S. 383. Forster an Renthe-Fink, Paris, 7. 2. 1936, PA AA, R 32040. Renthe-Fink an Forster, Berlin, 11. 2. 1936, PA AA, Botschaft Paris 660. Wahrscheinlich die Aufzeichnung Hassells über die Unterredung mit Mussolini am 22. Februar 1936, Robertson: Wiederbesetzung, Nr. 5, S. 196–199. Das Schreiben ist nicht erhalten. Es beweist aber, dass Dieckhoff wegen der Locarnofrage in engem Briefkontakt mit Forster stand, vgl. ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 604, S. 1195 Anm. 3. Renthe-Fink an Forster, Berlin, 25. 2. 1936, PA AA, Botschaft Paris 660. Mitte Februar 1936 scheint auch Albrecht Haushofer, der Hitler und Ribbentrop in Englandfragen beriet, von der geplanten Aktion gegen die Rheinlandzone erfahren zu haben, Haushofer an seine Mutter, Berlin, 16. 2. 1936, Laack-Michel: Haushofer, Nr. 60, S. 327.

5.1 Die deutschen Planungen zur „Kündigung“ Locarnos (Februar 1936)

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der Abteilung II übernommen hatte, schrieb am 1. März 1936 in einem Brief an seine Eltern, die Situation sei günstig, um das Rheinland zu remilitarisieren243 . Es ist evident, dass man im Auswärtigen Amt seit Ende Februar 1936, also zu einem Zeitpunkt, als Hitler noch keine endgültige Entscheidung getroffen hatte, fest mit einer irgendwie gearteten Aktion gegenüber Locarno rechnete. Man erwartete, dass Deutschland den französisch-sowjetischen Beistandspakt als Bruch des Rheinpaktes von Locarno ansehen und mit einer entsprechenden Demarche bei den Westmächten hervortreten werde, wenn die endgültige Ratifizierung des französisch-sowjetischen Paktes vollzogen war244 . Dies geht auch aus der diplomatischen Korrespondenz hervor. So sagte Göring dem britischen Botschafter in Berlin, die deutsche Regierung werde in Kürze die Franzosen informieren, dass sie im französisch-sowjetischen Beistandspakt eine Verletzung des Geistes von Locarno sehe245 . Dem Vertreter Washingtons in Berlin teilte ein Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes mit, Deutschland halte den Pakt für einen Bruch Locarnos, wobei es sich eher um den „Geist“ als den „Buchstaben“ der Verträge drehe246 . Zwei Tage nach der Konferenz bei Hitler, am 21. Februar, traf sich Neurath mit dem italienischen Botschafter. Deutschland, so fasste er die momentanen Überlegungen zusammen, denke über das Verhältnis zwischen französisch-sowjetischem Pakt und Locarno nach247 . Und am 27. Februar 1936 erklärte Bülow gegenüber Phipps, Deutschland werde die Ratifizierung des französisch-sowjetischen Hilfeleistungsvertrages nicht ohne Antwort verstreichen lassen; eine Entscheidung darüber, wie diese Antwort aussehe, sei indes noch nicht getroffen worden248 . Ein solcher Schritt, so lässt sich das Kalkül des Auswärtigen Amtes zusammenfassen, hätte der Entmilitarisierung am Rhein die „Rechtsgrundlage“ entzogen und somit die Zone zur Disposition gestellt249 . Ihre Abschaffung wäre Gegenstand folgender Verhandlungen gewesen250 . Nur deshalb konnte 243 244 245 246 247 248

249 250

Vgl. S. Taschka: Diplomat ohne Eigenschaften? Die Karriere des Hans Heinrich Dieckhoff (1884–1952) (Transatlantische Historische Studien, Bd. 25), Stuttgart 2006, S. 151. Graeffe an Zeeland, Berlin, 7. 3. 1936, DDB, Bd. IV, Nr. 29, S. 109ff. DBFP, 2. Serie, Bd. XV, Nr. 504, S. 637; DDF, 2. Serie, Bd. I, Nr. 162, S. 231f. FRUS, 1936, Bd. I, S. 199. Attolico an Mussolini, Berlin, 21. 2. 1936, DDI, 8. Serie, Bd. III, Nr. 269, S. 342. DBFP, 2. Serie, Bd. XV, Nr. 549, S. 702. Das gleiche hatte der Staatssekretär wenige Tage zuvor auch den Botschaftern Frankreichs und Ungarns erklärt und am 28. Februar kündigte Rosenberg in einem offiziellen Statement für die deutsche Regierung an, die Ratifizierung des „Russenpaktes“ werde „ernste Konsequenzen“ haben, DDF, 2. Serie, Bd. I, Nr. 214, S. 311; DDI, 8. Serie, Bd. III, Nr. 322, S. 383ff.; vgl. Haraszti: Invaders, S. 73. Zur Geschichte dieser Argumentation vgl. Meyer: Kampf, S. 213f. Attolico an Mussolini, Berlin, 20. 2. 1936, DDI, 8. Serie, Bd. III, Nr. 261, S. 335–337. Vgl. das Urteil Krügers, der annimmt, Neurath habe bis zuletzt versucht, eine gütliche Übereinkunft mit den Westmächten über die Aufhebung der Entmilitarisierung zu erreichen, Krüger: Eskalation, S. 218.

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5. Entscheidung und Aktion (Februar–März 1936)

der Außenminister am 25. Februar den Botschafter in London beauftragen, er solle bei Eden sondieren, wie die Briten mit ihrer Idee eines working agreement vorankämen251 . Zwar hatte Hitler in der Besprechung am 19. Februar den englischen Fühler mit einem Achselzucken weggewischt, aber noch bot das geplante Vorgehen, den Locarnopakt auf diplomatischem Weg zu „kündigen“, die Möglichkeit, auf der Grundlage der britischen Vorschläge weiter zu verhandeln. Dieses Kalkül geht aus weiteren Quellen hervor. Zum einen war die Argumentation Gegenstand einer Unterredung, die Außenminister Neurath am 29. Februar 1936 mit dem US-amerikanischen Botschafter führte. Bei völliger Herstellung der deutschen Gleichberechtigung, erklärte er Dodd, könne das Reich darüber nachdenken, in den Völkerbund zurückzukehren. Dies erfordere die Rückgabe der deutschen Kolonien, Flottenparität sowie die Beseitigung der entmilitarisierten Zone252 . Letzteres könne durchaus auf dem Verhandlungsweg geschehen, die Ratifizierung des französisch-sowjetischen Beistandspaktes sei kein Anlass für die deutsche Führung, dies auf kriegerische Weise zu tun. Es sei ihm, Neurath, gelungen, Hitler von solchen Gedanken abzubringen. Überhaupt, so Neurath, sei der französisch-sowjetische Pakt „keine ernste Sache“253 . Zum anderen fertigte Bülow am 29. Februar eine Notiz für Neurath, in der er auf Nachrichten verwies, wonach Frankreich beabsichtige, die Londoner Flottenkonferenz zum Ausgangspunkt westeuropäischer Verhandlungen zu machen. Es könne dort, so vermerkte der Staatssekretär ausdrücklich, über einen Luftpakt und über die Abschaffung der entmilitarisierten Zone gesprochen werden254 . Erst vor diesem Hintergrund erhielt das Vorhaben, dem Ausland eine Reihe von Friedensvorschlägen zu unterbreiten, sein volles Gewicht. Die „Kündigung“ Locarnos bot demnach die Möglichkeit, die Großmächte unter dem Dach eines Viermächtepaktes zu vereinen255 . Dieses Konzept galt schon lange als taugliches Mittel, die deutsche Forderung nach Gleichberechtigung mit 251 252 253

254 255

Neurath an die deutsche Botschaft in London, Berlin, 25. 2. 1936, ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 583, S. 1161. Vgl. ähnliche Äußerungen Neuraths und Rosenbergs, DDF, 2. Serie, Bd. I, Nr. 237, S. 334 u. Nr. 267, S. 376. Aufzeichnung Neurath, Berlin, 29. 2. 1936, PA AA, R 97127; Tagebuch Dodd, 29. 2. 1936, Dodd: Diplomat, S. 355; François-Poncet an Flandin, Berlin, 6. 3. 1936, DDF, 2. Serie, Bd. I, Nr. 292, S. 403f.; Schwarz: Ribbentrop, S. 147. Anfang März 1936 hatte Dodd den französischen Botschafter über die Unterredung mit Neurath am 29. Februar in Kenntnis gesetzt. Aufzeichnung Bülow für Neurath, Berlin, 29. 2. 1936, PA AA, R 30066 b; DDF, 2. Serie, Bd. I, Nr. 198, S. 296; DBFP, 2. Serie, Bd. XIII, Nr. 662, S. 842–844. Hassell an Neurath, Rom, 19. 3. 1936, ADAP, C, Bd. V, 1, Nr. 161, S. 193.

5.2 Hitlers Entschluss zur militärischen Besetzung der entmilitarisierten Zone

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dem europäischen Sicherheitsbedürfnis zu vereinen. Daher passt es, dass der Vorstoß Mussolinis das letzte Projekt gewesen war, an dem die Experten des Auswärtigen Amtes intensiv mitgewirkt haben. Auch in der Folgezeit war das Auswärtige Amt – geführt von einer Gruppe um Bülow, Weizäcker, Hoesch und Hassell – immer wieder mit der Anregung hervorgetreten, mit den Westmächten einen Viermächtepakt zu schließen. Diese Vorschläge waren bislang nicht ernsthaft in Erwägung gezogen worden, und die „Kündigung“ des Rheinpaktes bot zum letzten Mal die Chance, Verhandlungen hierüber einzuleiten256 . Demgegenüber war nicht geplant, die Rheinlandzone in einem überraschenden Manöver mit deutschen Streitkräften zu besetzen. Hitler mochte dies anfangs erwogen haben, aber Neurath und die Militärs rieten ihm dringend davon ab. Folgerichtig spielten militärische Fragen bei den Beratungen im Februar keine Rolle257 ; die erste Sitzung Hitlers mit den Spitzen der Wehrmachtsabteilungen (Blomberg, Fritsch, Raeder, Göring) fand am 2. März 1936 statt. Dies also – „Kündigung“ Locarnos und Angebot eines Viermächtepaktes – waren die Korsettstangen des geplanten deutschen Vorgehens, auf das sich die deutsche Führung in den Februarberatungen verständigt hatte258 . Anfang März warf Hitler alles um.

5.2 Hitlers Entschluss zur militärischen Besetzung der entmilitarisierten Zone (März 1936) „Ich erwartete es [das Ende der entmilitarisierten Zone] seit langem“, schrieb der ehemalige Reichskanzler Heinrich Brüning wenige Tage nach der Remilitarisierung, am 9. März 1936, an den Schriftsteller und Historiker John WheelerBennett. Aber der sonst so gut informierte Brüning, der im Exil mit vielen deutschen Persönlichkeiten in brieflichem Kontakt stand, musste zugeben: „(. . . ) Nach dem, was ich von der Wehrmacht gehört habe, dachte ich, es würde auf

256 257

258

Hassell an Neurath, Rom, 9. 3. 1936, PA AA, BA 60952. Am 19. Februar ging Hitler nur in allgemeiner Weise auf die militärische Situation im Rheinland ein. Die „3 Brigaden Polizei“, von denen Hitler sprach, bezogen sich auf die drei Inspektionen der Landespolizei, die den Grenzschutz im Westen bildeten; sie sind nicht zu verwechseln mit den drei Bataillonen, die am 7. März den Rhein überschritten, um Aachen, Saarbrücken und Trier zu besetzen. Tagebuch Phipps, 12. 3. 1936, Johnson: Phipps, S. 164. Auf dieser Linie berichtete auch der britische Korrespondent Kennedy, der sich in den Tagen vor der Rheinlandbesetzung in Berlin befand, in der deutschen Führung sei man geteilter Meinung über die Methoden Hitlers; die „Moderaten“ seien der Ansicht, es sei nicht nötig, den ganzen Locarnopakt zu „kündigen“, Kennedy: Britain, S. 135.

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5. Entscheidung und Aktion (Februar–März 1936)

ganz andere Weise bewerkstelligt.“259 Die Erfahrung mussten auch all jene machen, die bei den Beratungen im Februar anwesend waren, dass die Aktion des 7. März wenig mit dem gemein hatte, was zuvor besprochen worden war. Ein Mann hatte innerhalb weniger Tage alle Planungen umgestoßen und der Aktion seinen unverwechselbaren Stempel aufgedrückt: Hitler. Ende Februar hatte die deutsche Regierung entschieden, als Reaktion auf die Ratifizierung des französisch-sowjetischen Beistandspaktes den LocarnoRheinpakt zu „kündigen“, aber im Gegenzug ein Friedensprogramm anzubieten, dessen Kern ein Abkommen der vier Großmächte England, Frankreich, Italien und Deutschland sein sollte. Aber bis jetzt hatte sich Hitler weder abschließend zu einer Aktion entschlossen noch hatte er darüber entschieden, wann ein solches Unternehmen stattfinden sollte; eine militärische Besetzung der entmilitarisierten Zone war zu diesem Zeitpunkt nicht Gegenstand der deutschen Planungen260 . Hitler werde am Samstag, den 7. März, den Reichstag einberufen, um eine Kundgebung zum französisch-sowjetischen Pakt abzuhalten, lautete ein interner Bericht des Propagandaministeriums von Anfang März, dort werde der „Führer“ feststellen, dass dieser Pakt eine neue Lage geschaffen habe und die Schlussfolgerung ziehen, Locarno sei nicht mehr vorhanden. „Soweit reichen die zuverlässigen Informationen“, schloss der Bericht, ob gleichzeitig „Regimenter marschieren“, sei mehr als ungewiss261 . Genau dies war die Situation um die Monatswende. „Frage Rheinland. Noch kein Entschluss“, notierte sich Goebbels nach einem Treffen mit Hitler am 29. Februar262 . Die Fragen, von denen das deutsche Handeln abhinge, so umschrieb er Hitlers Überlegungen, seien die Ratifizierung des französisch-sowjetischen Paktes durch den französischen Senat sowie das Ende der Ratstagung in Genf263 . Das erste Element betraf die juristische Begründung, mit welcher die deutsche Regierung die „Kündigung“ Locarnos rechtfertigen wollte. Die Diplomaten des Auswärtigen Amtes, aber auch Goebbels, hatten dazu geraten, die endgültige Ratifizierung des französisch-sowjetischen Paktes abzuwarten, um die Argumentation, dieser Pakt habe Locarno zerstört, abzusichern. Dieser Sichtweise hatte sich der Reichskanzler zunächst angeschlossen264 . 259 260

261 262 263 264

Brüning an Wheeler-Bennett, New York, 9. 3. 1936, Brüning: Briefe, S. 113. Diesen Stand der Dinge meldete François-Poncet noch am 2. März 1936 nach Paris, fügte aber hinzu, manche Männer in Hitlers Entourage sprächen sich für schärfere Maßnahmen aus; der Reichskanzler, so Poncet, habe noch nicht entschieden, Telegramm François-Poncet, Berlin, 2. 3. 1936, AMAEE, Série Z, La rive gauche du Rhin, Bd. 270. Informationsbericht, o. V., Berlin, 5. 3. 1936, NS-Presseanweisungen, Bd. 4/I, S. 247. Tagebuch Goebbels, 1. 3. 1936, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/II, S. 29. Ebenda. Tagebuch Goebbels, 29. 2. 1936, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/I, S. 388.

5.2 Hitlers Entschluss zur militärischen Besetzung der entmilitarisierten Zone

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Die zweite Frage verwies auf den Charakter der deutschen Aktion als überraschendes Manöver. Platzte der deutsche Coup in die Genfer Tagung, wo alle entscheidenden Mächte zusammensaßen, um über Sanktionen gegen Italien zu verhandeln, würde sich die Tagesordnung sogleich der Locarnofrage zuwenden. Der Überraschungseffekt, den Hitler anpeilte, und die verzögerte Reaktion der Westmächte, weil die Aktion an einem Wochenende stattfand, wären hinfällig gewesen. Deshalb galt es abzuwarten. Doch dann warf Hitler alles um. Nach der Ratifizierung des französisch-sowjetischen Beistandspaktes durch die Pariser Kammer am 27. Februar zog sich Hitler zwei Tage zurück, um sich die Sache zu überlegen, dann entschied er sich zu handeln265 . Am Morgen des 1. März erschien Hitler bei Goebbels und Papen und erklärte, er sei nun fest entschlossen, Locarno zu „kündigen“ und das Rheinland zu remilitarisieren266 . Dieser Tag bildete den eigentlichen Wendepunkt in der Vorgeschichte des Rheinlandunternehmens. Genau an jenem 1. März traf Hitler in München, fernab der Wilhelmstraße, zwei weit reichende Entscheidungen. Ohne Neurath oder Blomberg heranzuziehen, warf er die ganze bisherige Planung um und begann, das Unternehmen nach seiner Fasson aufzuziehen; jetzt begann er, „Vorwand, Durchführung und Absicherung“267 der Aktion gegen alle Bedenken durchzudrücken, Warnungen waren von diesem Zeitpunkt an nicht mehr erwünscht268 . Die erste Entscheidung des Reichskanzlers war, sofort loszuschlagen, ohne einen günstigeren Moment abzupassen. Hitler wollte weder die Ratifizierung des französisch-sowjetischen Paktes durch den Senat abwarten, noch die italienische Reaktion auf das Genfer Geschehen beobachten. Die Italiener, die das Kommuniqué zur Unterredung Hassells mit Mussolini immer noch zurückhielten, hätten „unser Vertrauen missbraucht“, schimpfte Hitler im Kabinett, sie bräuchten „auf keine Rücksicht zu rechnen“269 . Die Wende Hitlers implizierte zugleich den Entschluss, die Beseitigung der entmilitarisierten Zone unter allen Umständen durch ein einseitiges Manöver umzusetzen. Für Verhandlungen ließ die Beschleunigung des Vorgehens keinen 265

266

267 268 269

Ribbentrop: Erinnerungen, S. 78. Angeblich hat Hitler zwei Tage und zwei Nächte lang nicht geschlafen, vgl. Benoist-Méchin: Militärmacht, S. 290; H. Hoffmann: Hitler wie ich ihn sah. Aufzeichnungen seines Leibfotografen, München u. Berlin 1974, S. 94. Tagebuch Goebbels, 2. 3. 1936, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/II, S. 30. Vgl. die Aussage Jodls in Nürnberg, Hitler habe sich am 1. oder 2. März zur Besetzung des Rheinlandes entschieden, IMT, Bd. XV, S. 386. Auch Aussagen von Diplomaten kurz nach der Remilitarisierung legen nahe, dass Hitler an diesem Tag die Entscheidung traf, mit Streitkräften ins Rheinland einzumarschieren, DDF, 2. Serie, Bd. I, Nr. 417, S. 543f., Nr. 472, S. 621f. u. Nr. 519, S. 690f. Conze: Amt, S. 91. Seydoux: Erinnerungen, S. 52; vgl. Heineman: Neurath, S. 113. Tagebuch Goebbels, 4. 3. 1936, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/II, S. 31.

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5. Entscheidung und Aktion (Februar–März 1936)

Raum mehr. Stattdessen griff Hitler wieder den Gedanken einer militärischen Operation auf, der ihn schon Anfang Februar beherrscht hatte (und den er möglicherweise niemals aufgegeben hatte270 ) und plante nun, die Wiederherstellung der deutschen Hoheit im Rheinland durch den Einsatz der Reichswehr unmittelbar in Erscheinung treten zu lassen271 . Als Hitler am 2. März in der Reichskanzlei seine Pläne vorstellte, waren die Spitzen von Heer, Marine und Luftwaffe – es war überhaupt das erste Treffen mit allen militärischen Beratern – sowie Ribbentrop und Goebbels als Vertraute Hitlers anwesend, der Reichsaußenminister fehlte. Neurath war erst am 3. oder 4. März, wie François-Poncet vermutete272 , bei einer Sitzung des Kabinetts anwesend. Auch die zweite Entscheidung fiel ohne Neurath in München. Dort nämlich, so berichtet Ribbentrop in seinen Memoiren, hatte Hitler den Einfall, den Westmächten die Rückkehr Deutschlands in den Völkerbund anzubieten, um die Schockwellen des außenpolitischen Coups abzufedern273 . Während der Besprechung am 2. März teilte Hitler den Ministern seine Idee mit. Die Entscheidung, mit der deutschen Rückkehr nach Genf zu winken statt, wie ursprünglich besprochen274 , einen neuen Viermächtepakt anzubieten, desavouierte nicht nur das ursprüngliche Friedensangebot, wie es unter Beteiligung Neuraths und Hassells am 19. Februar zu Stande gekommen war275 , sondern bildete auch die Wende von einem ernst gemeinten Bündel an Vorschlägen für eine neue Sicherheitsordnung hin zu einer „Wundertüte an Versprechungen“276 , die nur auf den propagandistischen Effekt abzielte. Zu Recht sprach Hassell nach dem 7. März davon, das Angebot an Sicherungen sei viel zu hoch und werde langfristig der Glaubwürdigkeit Hitlers schaden277 . Zwei Gründe trieben Hitler zur Eile. Erstens beobachtete er die Genfer Ver270

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So lassen sich die Bemerkungen Goebbels’, alle Überlegungen Hitlers, das Rheinland zu remilitarisieren, gingen „im tiefsten Dunkel“ vor sich, auch dahin deuten, dass der Kanzler die Gedanken an eine militärische Besetzung insbesondere vor seinen diplomatischen und militärischen Beratern geheim gehalten habe, Tagebuch Goebbels, 21. 2. 1936, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/I, S. 383. François-Poncet an Flandin, Berlin, 13. 3. 1936, DDF, 2. Serie, Bd. I, Nr. 417, S. 543f. Tagebuch Kennedy, 4. 6. 1936, Kennedy: Journals, S. 229. Ribbentrop: Erinnerungen, S. 80. Ribbentrop behauptet, Hitler und er hätten gleichzeitig die Idee gehabt, in den Völkerbund zurückzukehren. Vgl. Emmerson: Rhineland, S. 94f. Vgl. die Aufzeichnungen Hassells, ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 575, S. 1139ff. Hassells Bemerkung: „Dieser Punkt war ursprünglich schärfer im Sinne des Viererpaktes formuliert, wurde aber auf meine Anregung (im Hinblick auf Polen) abgeschwächt.“ zeigt, dass die Diplomaten aktiv an der Formulierung des Friedensangebots mitgewirkt haben. B. Johannes: Zwischen Isolationismus und kollektiver Sicherheit. Probleme der Formulierung britischer Europapolitik zwischen Rheinlandbesetzung und Ausbruch des Spanischen Bürgerkrieges, Diss. phil. Berlin 1978, S. 203. Aufzeichnung Hassell, o. O. [Rom], 15. 3. 1936, Robertson: Wiederbesetzung, Nr. 8, S. 205; vgl. auch Hassell an Neurath, Rom, 9. 3. 1936, PA AA, BA 60952.

5.2 Hitlers Entschluss zur militärischen Besetzung der entmilitarisierten Zone

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handlungen mit zunehmender Sorge. Ihr Ausgang musste aus der Sicht Hitlers in jedem Fall seinen Plänen abträglich sein. Gelänge es England und Frankreich sich mit Mussolini zu verständigen, würde Italien wieder seine Rolle als Locarnogarant einnehmen. Käme es dagegen in Genf zu einem Bruch, so Hitler, dann würde Italien den Locarnopakt „kündigen“ und Deutschland sähe sich allein einer französisch-britischen Front gegenüber278 . Dies leitet über zum zweiten Grund, der Hitlers Hast hervorrief. Das war die Absicht, mit der überraschenden Besetzung des Rheinlandes der Bildung einer französisch-britischen Front mit dem Ziel, eben diese Besetzung zu verhindern, zuvorzukommen279 . Während sich die Berichte über eine englischrussische Zusammenarbeit, die Hitler noch im Februar zu denken gegeben hatten, als übertrieben herausstellten280 , deutete sich Anfang März eine Wende Londons hin zu Frankreich an. Offenbar hatten Informanten der „Dienststelle Ribbentrop“ kurz vor dem Coup Meldungen vorgelegt, wonach die englischfranzösischen Militärgespräche über das Rheinland unmittelbar vor dem Beginn standen281 . Am 10. März sollte die entscheidende Sitzung in Genf stattfinden, auf der Flandin das britische Bündnis erzwingen konnte, wenn er bereit war, bei der Verschärfung der Ölsanktionen mitzugehen282 . Das war das Zeitfenster, in dem Hitler handeln musste. Jetzt begann die Uhr zu ticken, als Hitler die Weichen nicht nur für eine politische Demonstration, sondern auch für eine Militäraktion stellte; jetzt nahm die Aktion den Charakter an, der das Bild von Hitlers Politik „vollendeter Tatsachen“ bis heute prägt; jetzt war nicht mehr die Rede von der „Kündigung“ des Locarnopaktes wie noch im Februar, sondern ausschließlich von der Remilitarisierung des Rheinlandes; schließlich gab es von jetzt an keine Beratungen 278

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BDFA, II, F, Bd. 47, Nr. 83, S. 106; DDF, 2. Serie, Bd. I, Nr. 286, S. 399f.; DDS, Bd. 11, Nr. 202, S. 607 Anm. 8; Tagebuch Phipps, 12. 3. 1936, Johnson: Phipps, S. 165; Tagesmeldung, 4. 3. 1936, AdG, 1936, S. 2451. Dieses Kalkül scheint klar aus dem Informationsbericht für die Presse heraus, der zwei Tage vor der Remilitarisierung in Umlauf gebracht wurde, Informationsbericht Dertinger, Berlin, 5. 3. 1936, NS-Presseanweisungen, Bd. 4/I, S. 247. Wörtlich hieß es dort: „Gleichzeitige Besetzung des Rheinlandes (. . . ), ist insofern logisch, als sie nach Fertigstellung des französisch-britischen Abwehrplans nicht mehr umzusetzen sei.“ Unter den Zeitgenossen war es besonders der US-amerikanische Botschafter, der die Meinung vertrat, die Aussicht auf ein englisch-französisches Arrangement habe Hitler zum Handeln angestachelt, Dodd an Hull, Berlin, 8. 3. 1936, FRUS, 1936, Bd. I, S. 214–216; BDFA, II, F, Bd. 47, Nr. 108, S. 151; vgl. Bannies: Außenpolitik, S. 267; Goldman: Rhineland, S. 108. ADAP, C, Bd. V, 1, Nr. 2, S. 7–9. Vgl. Plettenberg: Sowjetunion, S. 182. Dinichert an Motta, Berlin, 8. 3. 1936, DDS, Bd. 11, Nr. 202, S. 607 Anm. 8; Schwarz: Ribbentrop, S. 148; Tagebuch Kennedy, 23. 4. 1936, Kennedy: Journals, S. 218; vgl. Goldman: Rhineland, S. 108. Zur Rolle geheimdienstlicher Informationen für die Entscheidung Hitlers zur Remilitarisierung vgl. Handel: Surprise, S. 56. Dean: Locarno, S. 88; Eden: Diktatoren, S. 387; K. Heiden: Adolf Hitler, Bd. 2: Ein Mann gegen Europa. Eine Biographie, Zürich 1937, S. 297f.; Hesse: Spiel, S. 54.

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mehr, sondern nur noch Vorträge Hitlers zu seinen Motiven sowie Erlasse und Weisungen, die seine Mitarbeiter widerspruchslos auszuführen hatten. Für den 2. März berief Hitler für elf Uhr eine Sitzung in der Reichskanzlei ein, an welcher Göring, Blomberg, Fritsch, Raeder, Ribbentrop und Goebbels teilnahmen, wohingegen der Reichsaußenminister fehlte283 . Hitler erklärte den Anwesenden, er wolle am Samstag, den 7. März, die Remilitarisierung des Rheinlandes proklamieren und gleichzeitig den Westmächten ein Friedensangebot unterbreiten. Gegen alle Vereinbarungen, die Gegenstand der Besprechungen im Februar waren, legte Hitler damit den Grundstein für eine Militäraktion und raubte seinem „Friedensprogramm“ jede Substanz. Der Dreierpakt im Westen war bis zum Platzen vollgestopft mit Garantien und Versicherungen, der Viererpakt wurde durch das Angebot einer Rückkehr in den Völkerbund ersetzt und darüber hinaus bot Hitler den Staaten in Osteuropa Nichtangriffspakte an284 . Schließlich wurde das Angebot einer zweiseitig entmilitarisierten Zone vor dem Hintergrund des deutschen Gewaltakts zur Farce285 . Dann legte er die Gründe dar, warum er den Beschluss der französischen Deputiertenkammer zum Anlass nehmen wolle, die entmilitarisierte Zone zu besetzen. Frankreich werde kaum zu einer Gegenreaktion in der Lage sein und auf Italien, „das unser Vertrauen missbrauchte“, müsse keine Rücksicht genommen werden. England schließlich, so lautete Hitlers Überzeugung, werde froh sein, dass die entmilitarisierte Zone endlich verschwinde. Von der Ratifizierung des französischen Senats war nun genauso wenig die Rede mehr wie von der Idee, Mussolini könne bei der „Locarnokündigung“ vorausgehen. Obwohl klar war, dass die Aktion an einem Samstag stattfinden sollte286 , war der Termin immer noch ungewiss. Hitler verwies auf die Genfer Ratstagung als „einzig unsicheren Faktor“, denn solange die Mächte in Genf konferierten, so der Kanzler, könne man nicht handeln287 . Am Abend desselben Tages kam die Ministerrunde – abermals fehlte 283 284 285

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Tagebuch Goebbels, 4. 3. 1936, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/II, S. 31. ADAP, C, Bd. V, 1, Nr. 3, S. 16f. Hitler hat dies möglicherweise erkannt und schien kurzzeitig erwogen zu haben, den Punkt zu streichen. Es fällt jedenfalls auf, dass Goebbels die Zone nach Hitlers Kabinettsvortrag nicht erwähnte, aber für den 5. März, als Hitler ihm am Abend sein Memorandum vorlas, ausdrücklich vermerkte, Tagebuch Goebbels, 4. 3. 1936, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/II, S. 31; Tagebuch Goebbels, 6. 3. 1936, ebenda, S. 34. F. Wiedemann: Der Mann der Feldherr werden wollte. Erlebnisse und Erfahrungen des Vorgesetzten Hitlers im 1. Weltkrieg und seines späteren Persönlichen Adjutanten, o. O. 1964, S. 188. Hitler sagte später zu einem Vertrauten, es sei die Idee Ribbentrops gewesen, das Rheinland an einem Samstag zu besetzen, BDFA, II, F, Bd. 47, Nr. 149, S. 200. Exakt diesen Verlauf der Beratungen meldete der französische Botschafter am 6. März nach Paris. Demnach habe Hitler am 2. März die Oberkommandierenden der Wehrmacht gefragt, wie lange die Reichswehr brauche, das Rheinland zu besetzen; dann habe er hinzugefügt, eine deutsche Aktion werde es erst geben, wenn Italien den Locarnopakt

5.2 Hitlers Entschluss zur militärischen Besetzung der entmilitarisierten Zone

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Neurath – noch einmal zusammen288 . Jetzt legte Hitler – nachdem Fritsch erklärt hatte, er brauche sechs Tage Zeit, um die Details des Aufmarsches auszuarbeiten289 – einen Zeitplan bis Samstag (den 7. März)290 fest, weil er augenscheinlich hoffte, dass die Verhandlungen in Genf bis dahin geplatzt seien. Aber Hitler war noch nicht restlos überzeugt. „Ungewiss ist nur noch der Termin“, notierte Goebbels zur Abendsitzung des Kabinetts291 und ließ damit die grundsätzliche Bereitschaft Hitlers erkennen, die Aktion zu einem anderen Termin durchzuführen. Dies war auch zwei Tage später noch der Stand der Dinge, wie eine Weisung an die Presse vom 4. März zeigt292 . Der Reichskanzler, so lautete die Instruktion, werde den Reichstag kommende Woche einberufen, spätestens jedoch am 12. März, um zum französisch-sowjetischen Pakt Stellung zu nehmen. Augenblicklich warte man mit der Einberufung so lange, bis Mussolini die Genfer Verhandlungen abbräche, denn „erst dann würde die außenpolitische Aktion ihr Gewicht erhalten“293 . Gleichzeitig und allen Imponderabilien zum Trotz gab Hitler im Verlauf der Abendsitzung vom 2. März 1936 den „Befehl zur überraschenden Besetzung der entmilitarisierten Zone des Rheinlands“294 . Demnach habe der französisch-sowjetische Beistandspakt die Artikel 42 und 43 des Versailler Vertrages hinfällig gemacht. Deutschland werde Teile des V., VI. und IX. Armeekorps in die Zone, östlich des Rheins, entsenden. Dazu würden drei Bataillone, westlich des Rheins, geschickt. Die Inspektionen der Landespolizei im Gebiet der entmilitarisierten Zone sollten dem Chef der Heeresleitung unterstellt werden. Die Luftwaffe werde zwei Jagdgeschwader nach Köln und Koblenz entsenden sowie die Luftabwehr an allen Rheinübergängen in Gefechtsbereitschaft versetzen. Diese Befehle enthielten kein Datum, was unterstreicht, dass Hitler

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kündige, François-Poncet an Flandin, Berlin, 6. 3. 1936, DDF, 2. Serie, Bd. I, Nr. 286, S. 399f. François-Poncet an Flandin, Berlin, 3. 3. 1936, AMAEE, Série Z, Grande-Bretagne, Bd. 298, 299 u. 300. In der Nacht von Freitag auf Samstag sollten die Reichswehrtruppen in die entmilitarisierte Zone transportiert werden, getarnt als SA-Verbände und Abteilungen der Deutschen Arbeitsfront. Bereits in den Tagen vor dem 7. März waren zahlreiche Reichswehrangehörige zum Urlaub ins Rheinland geschickt worden, Eberle/Uhl: Hitler, S. 61. Schwarz nimmt an, zunächst sei der 13. März als Termin geplant gewesen; dafür gibt es aber keinen Beleg, Schwarz: Ribbentrop, S. 143. Dagegen legte eine andere Episode nahe, dass Hitler bereits seit einigen Tagen mit dem 7. März als Termin für seine Rheinlandaktion rechnete. Als ein britischer Lord im Februar anfragte, ob er vom Reichskanzler am 6. oder 7. März empfangen werden könne, ließ Lammers am 28. Februar ausrichten, Hitler habe keine Zeit „wegen dringender Regierungsgeschäfte und bereits getroffener Reisedispositionen“, AdR Hitler, Bd. III, Nr. 116*, S. 823. Tagebuch Goebbels, 4. 3. 1936, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/II, S. 31. Weisung an die Presse, 4. 3. 1936, NS-Presseanweisungen, Bd. 4/I, S. 246f. Ebenda. IMT, Bd. XXXIV, S. 644–647.

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noch entschlossen war, das Ende der Genfer Ratstagung abzuwarten295 . Der Zeitpunkt für die Besetzung der Zone, so legte es die Weisung fest, solle zwei Tage vor dem Beginn der Aktion ausgegeben werden. Am nächsten Tag, dem 3. März, stieg die Spannung noch weiter. Auf der einen Seite legte der britische Vorstoß in Genf, Italien und Abessinien auf einen Kompromiss festzulegen, der deutschen Führung nahe, den Termin für die Rheinlandbesetzung zu verschieben; zu einem schnellen Bruch in Genf, der die Folie von Hitlers Aktion bilden sollte, würde es nicht kommen296 . „Leider, leider“, lautete der Kommentar Goebbels’, „denn der Samstag geht am besten.“297 Auf der anderen Seite fuhr Hitler ungeniert fort, die nötigen Vorbereitungen für die Aktion zu veranlassen. Am 3. März erging die Einladung an alle Mitglieder des deutschen Reichstages, sich am 6. März 1936 zu einem Bierabend in Berlin einzufinden. Das Treffen diente als Camouflage, hinter welcher der Reichstag zusammengetrommelt werden konnte, ohne den Abgeordneten Einzelheiten über die geplante Sitzung mitteilen zu müssen. Ebenfalls am 3. März rief Hitler die Mitglieder des Kabinetts zu sich, um ihnen in Einzelgesprächen298 seine Pläne zur Remilitarisierung mitzuteilen299 . Ribbentrop war der erste, der Hitler in seinen Absichten bestärkte und felsenfest behauptete, es werde zu keiner kriegerischen Antwort Frankreichs kommen300 . Auch Goebbels und Göring signalisierten, Hitlers Vorhaben unter allen Umständen unterstützen zu wollen. Ebenso hatten Schacht und Schwerin v. Krosigk, die diese Episode in ihren Erinnerungen unerwähnt lassen, keine Einwände vorzubringen301 . Dagegen bekamen auf einmal Papen302 und Blomberg kalte Füße. Vor allem der Reichskriegsminister hatte die Nacht vom 2. auf den 3. März genutzt, um sich allerlei Gegenargumente zurechtzulegen. Die 295 296 297 298

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Ebenda. Robertson: Wiederbesetzung, Nr. 6, S. 201; Tagebuch Goebbels, 4. 3. 1936, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/II, S. 31f.; Eden: Diktatoren, S. 387. Tagebuch Goebbels, 4. 3. 1936, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/II, S. 32. DDB, Bd. IV, Nr. 18, S. 89. Ein Bericht Graeffes von der belgischen Botschaft legt nahe, dass bei den Gesprächen Neurath, Blomberg, Goebbels und Göring zur Unterstützung Hitlers anwesend waren, Graeffe an Zeeland, Berlin, 7. 3. 1936, ebenda, Nr. 29, S. 109– 114. Tagebuch Goebbels, 4. 3. 1936, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/II, S. 32; Tagebuch Phipps, 12. 3. 1936, Johnson: Phipps, S. 165; vgl. Goodman: Rhineland, S. 153. Im Jahr 1942 erinnerte sich Hitler rückblickend, im Vorfeld der Rheinlandbesetzung habe er die Minister einzeln gewinnen müssen, Aufzeichnung Picker, Führerhauptquartier, 21. 5. 1942, Picker: Tischgespräche, Nr. 129, S. 370. Ribbentrop: Erinnerungen, S. 58; Putlitz: Erinnerungen, S. 180; Schwarz: Ribbentrop, S. 147. H. Schacht: Abrechnung mit Hitler, Hamburg 1948; L. Graf Schwerin v. Krosigk: Memoiren, Stuttgart 1977. Picker: Tischgespräche, Nr. 129, S. 370.

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Wehrmacht sei nicht bereit, sagte Blomberg jetzt, und sprach sich gegen den Militäreinsatz aus303 . „Die Militärs sind am bedenklichsten“, hielt Goebbels am 4. März fest304 , und Hitler zeterte, die Einwände Blombergs seien unfassbar: „Im nationalsozialistischen Staat muss die Armee die kämpferische Seite sein.“305 In dieser Situation kam der Haltung Neuraths ausschlaggebende Bedeutung zu. Er allein musste entscheiden, ob das Auswärtige Amt die Tempoverschärfung Hitlers mitging, während hohe Beamte wie Bülow und Gaus vom Entscheidungsprozess ausgeschaltet waren306 . Am Tag zuvor war Neurath aus allen Wolken gefallen, als er von Hitlers Entscheidung erfahren hatte, die „Kündigung“ Locarnos mit einem Militäreinsatz zu verbinden307 , von dem er Hitler im Februar vehement abgeraten hatte. Daher hatte Neurath nicht nur abgelehnt, an der Kabinettssitzung vom 2. März teilzunehmen308 , sondern sogar seine Demission erwogen309 . Dazu hatte er gute Gründe. Persönlich musste ihn kränken, dass er nicht an der Entscheidung beteiligt war. „Ich wusste oft nicht über militärische Dinge Bescheid“, schrieb Neurath nach dem Krieg, weil Hitler keine Geduld besessen und zu Geheimniskrämerei geneigt habe310 . Gravierender war der Rückschlag auf der sachlichen Ebene. Alle Elemente, die bis hierher eine Beteiligung des Auswärtigen Amtes sichergestellt hatten, wurden jetzt von Hitler rücksichtslos beiseite gefegt. Jedes einseitige Vorgehen solle vermieden werden, hatte Bülow wenige Wochen vor der Aktion dem Exkanzler Brüning die Richtlinie des Auswärtigen Amtes anvertraut311 . Und noch in den ersten Beratungen mit Hitler äußerten die Diplomaten ihre Bedenken gegen eine überstürzte Abschaffung der Zone, die ihrer Meinung nach ohnehin in ein bis zwei Jahren verschwinden würde. Forster sprach sich in dem Treffen mit Hitler ausdrücklich gegen eine gewaltsame Remilitarisierung aus und empfahl, eine Verhandlungslösung zu suchen. Da sei der Kanzler in Sarkasmus verfallen,

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IfZ, ED 91, Bd. 8; Eberle/Uhl: Hitler, S. 57; BDFA, II, F, Bd. 47, Nr. 73, S. 94. Tagebuch Goebbels, 4. 3. 1936, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/II, S. 31. Eberle/Uhl: Hitler, S. 58. Vgl. dazu Aussage Schmidt, Nürnberg, 28. 3. 1946, IMT, Bd. X, S. 247f. IMT, Bd. XVII, S. 50f. Die Entscheidung dazu muss Neurath unmittelbar vor der Sitzung getroffen haben, denn noch am Morgen des 2. März hatte er gegenüber Poncet angegeben, er müsse um elf Uhr zu einer wichtigen Konferenz beim Reichskanzler. Wahrscheinlich erfuhr der Außenminister erst danach, worum es in der Sitzung gehen sollte, Tagebuch Kennedy, 19. 4. 1936, Kennedy: Journals, S. 216; Tagebuch Kennedy, 4. 6. 1936, ebenda, S. 229. Dean: Locarno, S. 89; Schwarz: Ribbentrop, S. 147; Aussage Köpke, Nürnberg, 26. 6. 1946, IMT, Bd. XVII, S. 123. Aufzeichnung Neurath, Spandau, April 1950, BAK, N 1310/242. Brüning: Briefe, S. 114 Anm. 1.

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so beschrieb Forster die Reaktion Hitlers, und habe gespöttelt, die Diplomaten wären nur glücklich, wenn sie verhandeln könnten312 . Das gleiche Schicksal erlitt die Konzeption des Auswärtigen Amtes, den Rheinpakt zu „kündigen“ und durch einen modifizierten Viererpakt zu ersetzen. War es den Diplomaten zunächst gelungen, in langen Gesprächen mit Hitler zu erreichen, dass das Viermächtekonzept wenigstens Bestandteil der Friedensvorschläge blieb, entschied sich Hitler unter dem Einfluss Ribbentrops313 in München dazu, das Angebot zu streichen und stattdessen die deutsche Rückkehr in den Völkerbund in Aussicht zu stellen314 . Umso erstaunlicher mutet das Bekenntnis Neuraths nach dem Krieg an, als er in seiner Spandauer Gefängniszelle über die Ziele seiner Politik räsonierend notierte, der Einmarsch in die Rheinlandzone sei von ihm gebilligt worden, und zwar auch in den angewandten Mitteln315 . Auch Mitarbeiter aus Hitlers Entourage erinnerten sich nach 1945, es sei Neurath gewesen, der Hitler und den zögernden Militärs erklärt habe, der Zeitpunkt für eine Besetzung des Rheinlandes sei günstig, und den Reichskanzler vor die Wahl gestellt habe: „Jetzt oder nie“316 . Es gibt kein schriftliches Zeugnis dafür, warum der Reichsaußenminister sich trotz der doppelten Kränkung durch Hitler entschloss, Hitler bei der Rheinlandbesetzung beizustehen. Man kann nur auf dem Wege der Motivforschung die Entscheidungssituation erhellen, in der sich Neurath am 2. und 3. März 1936 befand. Auf diese Weise lassen sich mehrere Gründe heraus präparieren, die den Außenminister bewogen, Hitlers Verschärfung mitzutragen. Erstens ist auf die laufenden Planungen im Auswärtigen Amt zu verweisen. Seit Anfang Februar 1936 arbeitete man in der Wilhelmstraße fieberhaft an der Rechtfertigung und der diplomatischen Vorbereitung zur „Kündigung“ Locarnos. Diese Anstrengungen waren getragen von der echten Überzeugung, dass die entmilitarisierte Zone – ohnehin ein traditionelles Revisionsziel der Konservativen317 – ein unzumutbares und mit dem Völkerrecht nicht zu vereinendes Servitut sei318 und Deutschland berechtigt sei, die Zone aufzuheben319 . Dies galt umso mehr, als der französisch-sowjetische Pakt den Locarnopakt wertlos gemacht habe. Den Plänen des Reichskanzlers jetzt die Unterstützung zu versagen, hätte bedeutet, all diesen Vorbereitungen den Boden zu entziehen, 312 313 314 315 316 317 318 319

Forster: Details, S. 48. Schwarz: Ribbentrop, S. 148; Robertson: Wiederbesetzung, Nr. 8, S. 205. DDB, Bd. IV, Nr. 74, S. 199–203. Aufzeichnung Neurath, Spandau, April 1950, BAK, N 1310/242. Eberle/Uhl: Hitler, S. 58. H. v. Herwarth: Zwischen Stalin und Hitler. Erlebte Zeitgeschichte 1931 bis 1945, Frankfurt/M. u. a. 1982, S. 116. Davignon an Zeeland, Berlin, 22. 4. 1936, DDB, Bd. IV, Nr. 74, S. 199–203. Schmitt: Locarno-Gemeinschaft, Sp. 339.

5.2 Hitlers Entschluss zur militärischen Besetzung der entmilitarisierten Zone

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zumal die Entscheidung Hitlers, bereits den Kammerbeschluss zum Anlass zu nehmen, zwar eine Schwächung der deutschen Argumentation bedeutete, aber nichts an den grundsätzlichen Bedenken änderte, die das Auswärtige Amt gegenüber dem französisch-sowjetischen Beistandspakt hegte320 . Zweitens war es die britische Haltung, die Neurath beeinflusste. Neigte der Außenminister zunächst dazu, die britischen Sondierungen nach einem working agreement ernst zu nehmen und in ihnen eine Chance zu erblicken, über die Abschaffung der entmilitarisierten Zone zu verhandeln, tendierte er seit der zweiten Februarhälfte dazu, dies als ein „Querschießen“ Englands zu betrachten321 , weil die Gefahr einer deutschen Reaktion auf die Ratifizierung des französisch-sowjetischen Paktes in der Luft liege322 . Anfang März schließlich war er überzeugt, dass England nie die Absicht besessen habe, ernsthaft mit Deutschland zu verhandeln, sondern dass es sich lediglich um ein „Alibi“ gehandelt habe, um die deutsche Aktion zu hintertreiben und der Welt zu zeigen, man habe alle diplomatischen Mittel ausgereizt323 . Wenn man den Blickwinkel auf die kommenden Jahre ausdehnt, findet man ein drittes Motiv für Neurath, sich trotz der rüden Methoden Hitlers für eine Rheinlandaktion auszusprechen. Betrachtete man die Besetzung des Rheinlandes unter dem Blickwinkel, den Westen abzuriegeln und das Ruhrgebiet vor einem französischen Angriff zu schützen, um im Gegenzug freie Hand für eine

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Dazu kam, dass neue Nachrichten aus Paris hoffnungsfroh stimmten. So erfuhr das Auswärtige Amt am 2. März 1936, dass alle Pläne, die Ratifizierung des französisch-sowjetischen Paktes durch den Senat bis nach den Wahlen zu verschieben, vom Tisch waren, und der Senat beabsichtige, den Vertrag schnellstmöglich zu verabschieden. Damit hätte die deutsche Rechtfertigung wieder eine einigermaßen solide Basis erhalten, Aufzeichnung Bülow, Berlin, 2. 3. 1936, PA AA, R 29458. Besonders da die Meldungen aus London weitere Zweifel an der Aufrichtigkeit der Briten nährten. So berichtete Hoesch unter dem 25. Februar, in England verbreite sich die Meinung, man müsse schnell die Abessinienkrise liquidieren, damit Italien wieder seine Rolle als Locarnogarant einnehmen könne, Hoesch an das Auswärtige Amt, London, 25. 2. 1936, PA AA, R 97136. Aufzeichnung Hassell, Rom, 21. 2. 1936, Robertson: Wiederbesetzung, Nr. 4, S. 195. Neurath an die deutsche Botschaft in London, Berlin, 29. 4. 1936, PA AA, R 76995. Dafür sprach auch das Gespräch Hoeschs mit Eden am 27. Februar, das ohne greifbare Ergebnisse verlaufen war, ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 594, S. 1181–1183; BDFA, II, F, Bd. 47, Nr. 49, S. 51. Vgl. auch Aufzeichnung Geyr v. Schweppenburg: „Bemerkungen zu Braubach, Der Einmarsch deutscher Truppen in die entmilitarisierte Zone am Rhein im März 1936“, [Irschenhausen], o. D., IfZ, ED 91, Bd. 8. Geyr schrieb, Neurath habe sehr gute Kontakte nach England besessen und habe die britische Politik gut einschätzen können.

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aktive Politik im Osten zu bekommen324 , so kann man das Kalkül Neuraths umschreiben, dann könne die Remilitarisierung des Rheinlandes, trotz der momentanen Schockwirkung, langfristig der Sicherheit Deutschlands dienen. Einzige Bedingung war, dass man sich künftig im Westen auf eine defensive Grundhaltung beschränkte, die wiederum nur einnehmbar war, wenn man es im Osten nicht übertrieb, weil die „Ostziele (. . . ) im Westen erkämpft werden [müssten]“325 . Dieser Zusammenhang zeigte sich ab 1938, als die Ziele Hitlers immer maßloser wurden. Der Einmarsch in Österreich, die „Wochenendkrise“ im Mai 1938 und die sich seit dem Frühjahr 1938 abzeichnende Sudetenkrise verschärften den Gegensatz zu den Westmächten326 . Die deutsche Expansion in Osteuropa, so resümierte eine Denkschrift des Auswärtigen Amtes vom Sommer 1938, werde unweigerlich dazu führen, dass England und Frankreich kriegerisch gegen das Reich vorgingen327 . Was exakt der Stufenfolge des von Hitler entworfenen Programms entsprach, wonach dem Lebensraumkrieg im Osten ein Kampf gegen Frankreich im Westen vorzuschalten sei328 , war aus Sicht des Auswärtigen Amtes ein Szenario, das durch die militärische Befestigung des Rheinlandes gerade verhindert werden sollte. Damit wäre der politische Ertrag der Rheinlandbesetzung dahin gewesen: „Unsere defensive Abriegelung im Westen“, so schrieb Weizsäcker 1938, „hätte ihren politischen Präventivzweck und vielleicht auch z. T. ihren militärischen Sinn verfehlt.“329 So kann man die Remilitarisierung des Rheinlandes als Versuch der tonangebenden Männer im Auswärtigen Amt lesen, dem Reichskanzler einen

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Unmittelbar nach der Remilitarisierung des Rheinlandes formulierte Albrecht Haushofer diesen Gedanken in einer Denkschrift, die er im April 1936 an Ribbentrop übergab, Aufzeichnung Haushofer, Berlin, April 1936, Laack-Michel: Haushofer, Nr. 97, S. 368. Hitler selbst bezeichnete im November 1939 die Remilitarisierung des Rheinlandes und die Anlage von Befestigungen im Westen als notwendige Schritte seines Programms, um dann einschränkend zuzufügen: „Wir können dann erst gegen Russland kämpfen, wenn wir im Westen frei sind.“ Daher habe er sich entschlossen, gegen Frankreich und England Krieg zu führen – zumindest an diesem Punkt war der Stufenplan Hitlers nicht so folgerichtig, wie es scheint, Ansprache Hitlers an die Oberbefehlshaber, 23. 11. 1939, IMT, Bd. XXVI, S. 327ff. Ganz in diesem Sinne urteilte Westphal schon 1950, als er schrieb, der Bau der Westbefestigungen war ein „gigantischer Bluff “, dessen abschreckende Wirkung half, Sudetenkrise und Polenfeldzug ohne ein Eingreifen der Westmächte durchzuführen; echte Sicherheit konnte der Westwall nicht bieten, S. Westphal: Heer in Fesseln. Aus den Papieren des Stabschefs von Rommel, Kesselring und Rundstedt, Bonn 1950, S. 117f. Aufzeichnung Weizsäcker, Berlin, 8. 6. 1938, Hill: Weizsäcker, Bd. 2, S. 130. Vgl. Schmidt: Außenpolitik, S. 247ff. u. S. 258ff. Weizsäcker an Ribbentrop, Berlin, 26. 8. 1938, IMT, Bd. XXXIX, S. 99. Vgl. Hitlers Ausführungen im November 1937, Ursachen und Folgen, Bd. XI, Nr. 2598 a, S. 548. IMT, Bd. XXXIX, S. 99.

5.2 Hitlers Entschluss zur militärischen Besetzung der entmilitarisierten Zone

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schnellen Propagandaerfolg zu verschaffen, um ihn dadurch langfristig auf eine defensive Politik festzulegen330 . Dieses Kalkül scheint deutlich aus den Aussagen des Außenministers heraus, die er im Mai 1936 gegenüber einem US-amerikanischen Diplomaten tätigte. Trotz des vertragswidrigen Vorgehens und des Schlages gegen die Glaubwürdigkeit Hitlers war Neurath überzeugt, dass sich auf lange Sicht der politische Ertrag der Aktion auszahlen werde. Deutschland werde „nichts Aktives unternehmen, bis das Rheinland verdaut worden sei“, so erklärte Neurath, aber dann werde sich eine „neue Konstellation“ entwickeln. „So bald unsere Festungswerke aufgebaut sind und die Länder in Mitteleuropa erkennen werden, dass Frankreich in deutsches Gebiet nicht nach Belieben eindringen kann“, so sagte er dem Amerikaner, „werden alle diese Länder anfangen, über ihre Außenpolitik ganz anders zu denken.“331 Viertens ist zu erwähnen, dass der Außenminister seine Unterstützung nur unter zwei Bedingungen gewährte. Erstens musste Hitler versichern, das Rheinlandunternehmen „persönlich und auf eigenes Risiko“ zu wagen332 . Bei einem Fehlschlag, so musste der Kanzler dem Minister und den Militärs versprechen, würde er die volle politische Verantwortung übernehmen333 . Damit bestätigte sich die Rolle der Diplomaten und Militärs334 , wonach Hitler die politischen Entscheidungen fasste, während die Spezialisten des Außenamtes als technische Berater lediglich für die Umsetzung des politischen Beschlusses sorgten335 . Genau hierauf sollten sich die Diplomaten nach dem Krieg erfolgreich berufen. Die zweite Bedingung war, nur mit kleinen Truppenabteilungen ins Rheinland zu marschieren, wie dies die Militärs von Beginn an gefordert hatten336 . Damit verfolgte man einen doppelten Zweck. Erstens wahrte die Entsendung „symbolischer Kontingente“ dem Rheinlandunternehmen den Schein als „politische Aktion“ und nahm der Gegenseite die Möglichkeit, das deutsche 330

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Auch Goebbels entwickelte im März 1936 ähnliche Gedanken: „Wir werden zwar moralisch verurteilt, aber praktisch muss es eine andere Entscheidung geben. Und dann soll ein langer Frieden anbrechen. Neue fertige Tatsachen können wir dann nicht mehr schaffen. Das Reich ist frei und souverän.“ Tagebuch Goebbels, 19. 3. 1936, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/II, S. 45. Aufzeichnung über eine Unterredung zwischen dem amerikanischen Botschafter, William C. Bullitt, mit Reichsaußenminister Neurath, Berlin, 18. 5. 1936, Ursachen und Folgen, Bd. X, Nr. 2460 g, S. 474f. Vgl. auch Aufzeichnung Krofta, Prag, 2. 4. 1936, Berber: Akten, Nr. 63, S. 61. Heiden: Hitler, S. 187. Schwarz: Ribbentrop, S. 149; Manchester: Churchill, S. 244. So habe Hitler dem zaudernden Fritsch erklärt, er übernehme die volle Verantwortung, Schwarz: Ribbentrop, S. 149; vgl. Cartier: Weltkrieg, S. 382. So äußerte sich Bülow wenige Tage nach der Remilitarisierung gegenüber François-Poncet, DDF, 2. Serie, Bd. I, Nr. 472, S. 621f. Vgl. Heineman: Neurath, S. 114.

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5. Entscheidung und Aktion (Februar–März 1936)

Vorgehen als „flagrante Verletzung“ des Rheinpaktes hinzustellen, die es den Franzosen erlaubt hätte, unmittelbare Gegenmaßnahmen einzuleiten. Dagegen würde ein „einfacher Verstoß“ gegen die Artikel 42 und 43 des Versailler Vertrages, der keine Mobilmachung gegen Frankreich darstellte, die anderen Locarnomächte auf den Weg nach Genf verweisen, um dort die Sache vor den Völkerbund zu bringen. Zweitens sorgte die geringe Truppenanzahl dafür, dass die Streitkräfte im Falle von französischen Gegenangriffen schnell wieder zurückgenommen werden konnten. Dabei ging es nicht darum – wie man lange vermutete –, bei Gegenwehr das ganze Unternehmen abzublasen337 ; vielmehr erhielten die Truppenkommandeure derjenigen Bataillone, die auf linksrheinisches Territorium vorstoßen sollten, den Befehl, sich hinter den Rhein in vorbereitete Stellungen zurückzuziehen, um dort der französischen Armee entgegenzutreten. Im rechtsrheinischen Gebiet war es entsprechend den Weisungen für den Kriegsfall, die das Reichswehrministerium erarbeitet hatte, die Aufgabe paramilitärischer Verbände und der Polizei, Sperrmaßnahmen und Sabotageakte auszuführen, um den feindlichen Vormarsch zu verzögern338 . „Als wir mit einer Handvoll Bataillone ins Rheinland einmarschierten“, erklärte Hitler rückblickend die deutsche Strategie, „damals habe ich viel riskiert. Wenn Frankreich damals marschiert wäre, hätten wir uns zurückziehen müssen, vielleicht 60 Kilometer; dann hätten wir sie auch damals aufgehalten.“339 Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass sich in den Gesprächen vom 2. und 3. März keiner der Minister den Plänen Hitlers widersetzte340 . Alle hatten das Gefühl, so umschrieb der Reichsfinanzminister die Stimmungslage im 337

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Aufzeichnung Richter, Hamburg, 20. 12. 1959, IfZ, ZS 1954; H. Frank: Im Angesicht des Galgens. Deutung Hitlers und seiner Zeit auf Grund eigener Erlebnisse und Erkenntnis, Neuhaus bei Schliersee  1955, S. 203; vgl. die Diskussion bei Giro: Remilitarisierung, S. 79ff. Laut Schmidt soll Hitler noch Jahre später immer wieder gesagt haben: „Wären die Franzosen damals ins Rheinland eingerückt, hätten wir uns mit Schimpf und Schande wieder zurückziehen müssen, denn die militärischen Kräfte, über die wir verfügten, hätten keineswegs auch nur zu einem mäßigen Widerstand ausgereicht.“ Schmidt: Statist, S. 320. Weisung Fritsch, 3. 3. 1936, TNA, GFM 33/3526; Aussage Jodl, Nürnberg, 6. 6. 1946, IMT, Bd. XV, S. 489–492; François-Poncet: Botschafter, S. 266; vgl. Watt: Plans, S. 194f. Ein an Winterübung beteiligter Kommandeur berichtete später, er habe Befehle gehabt, bei Gegenangriffen „den Rückmarsch in das alte Gebiet anzutreten“, Aufzeichnung Richter, Hamburg, 20. 12. 1959, IfZ, ZS 1954. K. Schuschnigg: Ein Requiem in Rot-Weiß-Rot, Wien 1978, S. 43. Laut François-Poncet sei nur Schacht dagegen gewesen, Neurath und einige Generäle hätten kleinere Zweifel gehabt, Göring, Goebbels, Lutze und Himmler hätten für die Pläne des Reichskanzlers gestimmt, DDF, 2. Serie, Bd. I, Nr. 349, S. 460 u. Nr. 367, S. 482. Indes könnte die rätselhafte Bemerkung Goebbels’: „Sein Saal in der Reichskanzlei ist fertig. Und die Diplomaten? Kommen sie?“ als Indiz dafür aufgefasst werden, dass der Reichsaußenminister und sein Staatssekretär die Entscheidung, ob sie Hitlers Pläne unterstützen

5.2 Hitlers Entschluss zur militärischen Besetzung der entmilitarisierten Zone

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Kabinett, dass das deutsche Volk hinter der Entscheidung stünde, weil es die deutschen Forderungen als gerechtfertigt ansähe und die Notwendigkeit des Handelns anerkenne341 . Nun wussten die führenden Männer im Staat über die bevorstehende Aktion Bescheid342 . Am 4. März befand sich erneut eine „große Gesellschaft“ bei Hitler343 , in deren Anwesenheit der Reichskanzler unverdrossen an seiner Rede zur „Kündigung“ Locarnos arbeitete, obwohl mittlerweile klar war, dass die Genfer Sitzung nicht vor Samstag beendet sein würde344 . Aber Hitler war nun entschlossen, die Aktion unabhängig vom Genfer Geschehen am Samstag durchzuführen. „Peinlich für uns, wir handeln trotzdem“, fasste Goebbels die Gemütslage Hitlers an diesem Tage zusammen345 . Aber alle, die jetzt noch kamen, um Hitler den Ratschlag zu geben, man solle mit der Aktion warten, bis die Genfer Beratungen geplatzt seien, wurden vom Reichskanzler kurzerhand als „Angstmeier“ abgebügelt. Sie seien „unfähig zu kühnem Entschluss“, soll Hitler laut Goebbels seinen Kritikern entgegen geschleudert haben. Der Propagandaminister selbst fuhr ungeniert fort, den Wahlkampf auszuarbeiten, und begann am 4. März, seine engsten Mitarbeiter in Kenntnis zu setzen346 . Doch die Warnungen blieben, was Goebbels verschweigt, durchaus nicht ohne Auswirkung auf Hitlers Standhaftigkeit. Obwohl er am 4. März den Entschluss gefasst hatte, am Samstag loszuschlagen, unterließ er es zunächst, die Befehle zu erteilen. Laut Weisung Blombergs vom 2. März 1936 musste Hitler den Zeitpunkt für den Beginn von „Winterübung“ spätestens zwei Tage vor der Aktion bekanntgeben. Sollte diese wie geplant am Samstag stattfinden, musste der Reichskanzler die Weisung spätestens am Donnerstag, den 5. März 1936, an die Wehrmacht herausgeben. Jetzt bekam Hitler Bedenken. Vielleicht wäre es sinnvoller, so musste er sich fragen, mit der militärischen Besetzung zu warten, bis das Votum des französischen Senats vorlag und sich die Teilnehmer

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wollten, bis zum letzten Moment hinausgezögert haben, Tagebuch Goebbels, 4. 3. 1936, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/II, S. 32. Schwerin v. Krosigk an Hitler, Berlin, 30. 9. 1938, Military Tribunals, Bd. XII, S. 509– 514. Ein anderer Beobachter, der ehemalige DDP-Politiker Koch-Weser, schrieb nach dem 7. März, die Aktion Hitlers sei viel klüger, als es zunächst den Anschein gehabt hätte. Die Besetzung sei unschön, so Koch, habe aber einmal kommen müssen, Tagebuch KochWeser, 12. 3. 1936, BAK, N 1012/21. Vgl. dazu auch Funke: 7. März, S. 306. Dass damit ein Ministertreffen gemeint war, legen die Aussagen des französischen Botschafters nahe. Laut Poncet habe nämlich am 4. März erstmalig eine Vollsitzung des Kabinetts stattgefunden, bei welcher Hitler seine Pläne zur Rheinlandbesetzung besprochen hätte, Tagebuch Kennedy, 4. 6. 1936, Kennedy: Journals, S. 229. Am 3. März beschloss der Achtzehnerausschuss in Genf, den Kriegsparteien noch eine weitere Woche Frist zur Beilegung des Konflikts zu geben. Vgl. Funke: Sanktionen, S. 126. Tagebuch Goebbels, 6. 3. 1936, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/II, S. 33. Ebenda, S. 34.

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5. Entscheidung und Aktion (Februar–März 1936)

der Genfer Tagung auf der Heimreise befanden. Dazu kamen beunruhigende Nachrichten aus London und Paris. Am 5. März wurde bekannt, dass der britische Außenminister den deutschen Botschafter, Hoesch, für den folgenden Tag zu sich bestellt hatte, um ihm eine wichtige Mitteilung zu machen, die sich nach Lage der Dinge nur auf die deutschen Vorbereitungen zur Wiederbesetzung der entmilitarisierten Zone beziehen konnte. Weitere Gerüchte besagten, England und Frankreich hätten sich auf einen Aktionsplan für den Fall einer Rheinlandremilitarisierung geeinigt347 . Dann wäre Hitler ins offene Messer gelaufen. Daher rief er am 5. März den Adjutanten der Wehrmacht, Hoßbach, zu sich und fragte ihn – im Beisein Ribbentrops –, ob der Transport der Truppen ins Rheinland, wenn er einmal angelaufen war, wieder aufgehalten werden könne und wie lange dies dauern würde. Hoßbach bejahte die erste Frage, meinte aber zur zweiten, er könne nicht sagen, wie viel Zeit dies in Anspruch nehmen würde348 . Diese Antwort schien Hitler zufrieden zu stellen, denn am selben Tag noch bestimmte er den 7. März 1936 zum Z-Tag von Winterübung. Die Remilitarisierung des Rheinlandes war jetzt nicht mehr aufzuhalten. Als Hitler den Termin für die Aktion festgelegt hatte, begannen die letzten Szenen so abzulaufen, wie von der deutschen Spitze vorgesehen. Die militärischen Vorbereitungen liefen bereits seit Dienstag auf Hochtouren. Am 3. März hatte Fritsch die Befehle zur Besetzung des Rheinlandes und den genauen Zeitplan formuliert und am folgenden Tag an die Oberkommandierenden weitergegeben349 . Am 5. März traf der Befehl „Winterübung“ bei den Generalkommandos der V., VI., VII. und IX. Armeekorps ein. Am gleichen Tag erhielt Manstein den Befehl, den Operationsplan auszuarbeiten350 . Am 6. März 1936 wurde die Erste Staffel in Marschbereitschaft versetzt; sie sollte in den Morgenstunden des 7. März in die entmilitarisierte Zone einmarschieren351 . Ebenfalls am 6. März 1936 gab der Oberbefehlshaber der Marine den „Sonderbefehl“ aus, die Flotte für den folgenden Tag in Alarmbereitschaft zu halten. Demnach war am 7. März eine besondere Luftaufklärung in der Deutschen Bucht auszuführen (Maßnahme „Ludolf “) sowie eine U-Boot-Aufklärungslinie zu legen (Maßnahme „Urian“)352 . 347

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BDFA, II, F, Bd. 47, Nr. 108, S. 151. Vgl. Emmerson: Rhineland, S. 102. Hitler selbst bekannte ein Jahr nach dem Coup, er sei kurz davor gewesen, die Rheinlandbesetzung rückgängig zu machen, als François-Poncet und Phipps sich bei ihm ansagten; letztlich sei dies aber „harmlos“ gewesen, Tagebuch Goebbels, 9. 3. 1937, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 4, S. 43. Hoßbach: Wehrmacht, S. 84. Erlass Fritsch, 3. 3. 1936, BA-MA, RH 2/1007; Weisung Fritsch, 3. 3. 1936, TNA, GFM 33/3526. Manstein: Soldatenleben, S. 236; IMT, Bd. XX, S. 657. BA-MA, RH 2/1007. IMT, Bd. XIV, S. 22f.; vgl. Braubach: Einmarsch, S. 19.

5.2 Hitlers Entschluss zur militärischen Besetzung der entmilitarisierten Zone

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Unterdessen waren auch die politischen Maßnahmen angelaufen. Am 5. März wurde das deutsche Memorandum per Sonderkurier in die Hauptstädte der Locarnomächte London, Paris, Brüssel und Rom gebracht353 . In dem beigefügten Schreiben erklärte Neurath, Hitler werde am 7. März 1936 die Wiederherstellung der deutschen Souveränität in der entmilitarisierten Zone proklamieren. Die Remilitarisierung, so heiß es, sei das Äquivalent zum französischen Bündnissystem in Osteuropa. Man plane, so Neurath weiter, dies durch den Einmarsch gewisser Wehrmachtskontingente „noch am Sonnabend“ in Erscheinung treten zu lassen. Dabei handele es sich nicht um eine „flagrante Verletzung“ des Rheinpaktes, wie der Minister an die Adresse London hinzufügte, England möge Frankreich von „unüberlegten Aktionen“ abhalten354 . Zusätzlich versandte die Berliner Zentrale am 6. März 1936 eine Sprachregelung an alle Missionen, um den Botschaftern weitere Argumente für den deutschen Schritt zu liefern355 . Hitler selbst konzentrierte sich am Abend des 6. März darauf, seine Rede für den deutschen Reichstag, die er seit Mittwoch überarbeitete und der neuen Lage anpasste, fertigzustellen; sie wurde noch in derselben Nacht in alle wichtigen Sprachen übersetzt356 . Schließlich war es der Motor der riesigen Propagandamaschine des „Dritten Reiches“, der am 5. März angeworfen wurde, um die Stimmung im In- und Ausland zu beeinflussen. „Heute kann ich meine Mitarbeiter instruieren“, vermerkte Goebbels für den 5. März in sein Tagebuch357 . Die Arbeit des Propagandaministers begann damit, das Gerücht zu streuen, der Reichstag sei für den 13. März einberufen worden. So sollte der Eindruck entstehen, Hitler werde seinen Feldzug gegen Locarno erst starten, wenn die Entscheidung des französischen Senats vorlag358 . Parallel dazu begannen die Planungen, die einzelnen Radioprogramme am Samstag zu einer einzigen Reichssendung zusammenzufassen359 . Am 6. März fand im Propagandaministerium die entscheidende Sitzung statt, auf der Goebbels die Marschroute für die nächsten Tage vorgab. Am späten Abend des 6. März gab der Minister dann bekannt, dass 353 354 355 356

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ADAP, C, Bd. V, 1, Nr. 3, S. 9ff.; Grünau an die deutsche Botschaft in Paris, Berlin, [März 1936], PA AA, Botschaft Paris 660. Vgl. Funke: 7. März, S. 308. ADAP, C, Bd. V, 1, Nr. 3, S. 12f. Ebenda, Nr. 7, S. 21f. Tagebuch Goebbels, 6. 3. 1936, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/II, S. 33; E. Hadamovsky: Hitler kämpft für den Frieden. Ein Tagebuch von Adolf Hitlers Kampf für Frieden und Gleichberechtigung, München 5 1937, S. 30f. Tagebuch Goebbels, 6. 3. 1936, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/II, S. 34. Ebenda; Tagebuch Dodd, 6. 3. 1936, Dodd: Diplomat, S. 357; Tagebuch Shirer, 5. 3. 1936, W. L. Shirer: Berliner Tagebuch. Aufzeichnungen 1934–1941, hg. v. J. Schebera, Lepzig u. Weimar 1991, S. 53; vgl. H. Michels: Ideologie und Propaganda. Die Rolle von Joseph Goebbels in der nationalsozialistischen Außenpolitik bis 1939 (Europäische Hochschulschriften, III, Bd. 527), Frankfurt/M. 1992 (Diss. phil. Trier 1991), S. 241. Hadamovsky: Frieden, S. 21.

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der Reichstag bereits für den nächsten Tag einberufen sei. Derweil versammelte Goebbels in den Räumen seines Ministeriums eine handverlesene Gruppe von Journalisten, die – ohne zu wissen, was vor sich ging – in der Nacht von Freitag auf Samstag im Amtsgebäude festgehalten wurden. Die Journalisten sollten am Samstagmorgen mit zwei Flugzeugen ins Rheinland fliegen, um die Reaktionen der Bevölkerung auf den Einmarsch der Wehrmacht in exklusiven Storys zu verarbeiten360 . Inmitten all dieser Vorbereitungen und geheimer Abläufe rief Hitler noch einmal seine Minister in der Reichskanzlei zusammen. Am Abend des 6. März erklärte der Reichskanzler dem Kabinett, der französisch-sowjetische Beistandspakt sei ein Bruch des Rheinpaktes von Locarno, der damit aufgehört habe zu existieren. Daher beabsichtige er in den Morgenstunden des 7. März die entmilitarisierte Zone mit Truppen zu belegen und die vollständige Wiederherstellung der deutschen Souveränität über dieses Gebiet zu verkünden. Das Kabinett billigte den Beschluss einstimmig361 . So überrascht, wie Goebbels behauptet, konnten die Regierungsmitglieder aber nicht gewesen sein362 , waren sie doch bereits seit Dienstag über das geplante Vorgehen Hitlers informiert363 . Die langen Gesichter einiger Minister können sich nur auf die Beschleunigung der Handlung zurückführen lassen, wenn sie nach wie vor davon ausgegangen waren, man werde den Senatsentscheid sowie das Ende der Genfer Ratstagung abwarten. Zudem könnte sich ihre Bestürzung auch darauf beziehen, dass Hitler beschlossen hatte, Wehrmachtstruppen ins Rheinland marschieren zu lassen, wenn die Minister darauf gehofft hatten, der Kanzler werde eine Protestnote an die Westmächte richten und den Rheinpakt einseitig „aufkündigen“, vor einer Militäraktion aber zurückschrecken. Doch für eine Umkehr war es nun zu spät. Die führenden Politiker im Reich hatten es versäumt, den Wagen aufzuhalten, als er noch langsam fuhr, nun da er volle Fahrt aufgenommen hatte, war es unmöglich, ihn noch zu stoppen.

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Vgl. dazu Weisung an die Presse, 7. 3. 1936, NS-Presseanweisungen, Bd. 4/I, S. 252f.; Hadamovsky: Frieden, S. 32ff.; Hoffmann: Hitler, S. 94; Aussage Fritzsche, Nürnberg, 7. 1. 1946, IMT, Bd. XXXII, S. 316f. AdR Hitler, Bd. III, Nr. 39, S. 165. Tagebuch Goebbels, 8. 3. 1936, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/II, S. 35. Unrichtig ist mithin auch, Hitler habe das Kabinett erst nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Kenntnis gesetzt, wie das Lammers während der Nürnberger Prozesse behauptete, IMT, Bd. XI, S. 48.

5.3 Die Rheinlandbesetzung und das deutsche „Krisenmanagement“

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5.3 Die Durchführung der Rheinlandbesetzung und das deutsche „Krisenmanagement“ (März 1936) Im Morgengrauen des 7. März 1936 betraten die deutschen Truppen die entmilitarisierte Zone. Im Ganzen nicht mehr als 19 Bataillone Infanterie und 13 Artillerieabteilungen, unterstützt von den 30 000 Mann Landespolizei, die sich in der Zone befanden, stießen in mehreren Kolonnen zum Rhein vor364 . Vormittags kreisten die ersten Maschinen der deutschen Luftwaffe über Köln, drehten aber wieder ab, weil keine geeigneten Landemöglichkeiten bestanden365 . Mittags trafen die Streitkräfte in Duisburg, Düsseldorf, Mainz und anderen Städten am Rhein ein. Just in dem Moment, als Hitler vor dem Reichstag die Annullierung des Locarnopaktes verkündete, überquerten die deutschen Truppen mit Servicewägen und Kavallerie den Rhein auf der Hohenzollernbrücke in Köln und zogen vorbei am Bahnhof bis zur Hauptpost, wo sie vom Kölner Oberbürgermeister empfangen wurden. Lediglich drei Bataillone, insgesamt weniger als 3000 Mann, rückten vom Rhein weiter westwärts vor und erreichten am Nachmittag die Städte Aachen, Trier und Saarbrücken366 . Als am Abend dieses Tages das fast 16 Jahre entwaffnete Land wieder unter militärischer Besatzung stand, kam es überall im Reich zu spontanen Jubelfeiern und Kundgebungen367 . Während sich noch die Wehrmachtskolonnen im Westen dem Rhein näherten, rief Außenminister Neurath in der Reichshauptstadt um kurz nach zehn Uhr die Botschafter Englands, Frankreichs und Italiens zu sich und übergab ihnen das deutsche Memorandum zur „Kündigung“ Locarnos368 . Deutschland, so hieß es da, habe sogleich nach der Unterzeichnung des französisch364

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Das Reichskriegsministerium an das Auswärtige Amt und das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, Berlin, 7. 3. 1936, ADAP, C, Bd. V, 1, Nr. 23, S. 41; DDF, 2. Serie, Bd. I, Nr. 300, S. 412f. IMT, Bd. IX, S. 83 u. S. 321; N. v. Below: Als Hitlers Adjutant 1937–1945, Mainz 1980, S. 14. Vgl. Giro: Remilitarisierung, S. 70; Haraszti: Invaders, S. 112; H. Matzerath: Köln in der Zeit des Nationalsozialismus 1933–1945 (Geschichte der Stadt Köln, Bd. 12), Köln 2009, S. 145; Schmidt: Außenpolitik, S. 197. Eine detaillierte Schilderung des Ablaufs findet sich zudem bei P. Bourdrel: Nous avons fait Adolf Hitler, Paris 1983, S. 118–120. Tagebuch Klemperer, 8. 3. 1936, Klemperer: Tagebücher, S. 80; Tagebuch Solmitz, 7. 3. 1936, zit. bei Evans: Reich, Bd. II/2, S. 769. Zu anderslautenden Reaktionen in der deutschen Bevölkerung auf den Einmarsch vgl. Deutschland-Bericht der Sopade, Prag, März 1936, Deutschland-Berichte, Bd. 3, S. 300ff. u. S. 314ff. DGFP, C, Bd. V, Nr. 11, S. 29, Nr. 12, S. 29f. u. Nr. 13, S. 30f. Zur gleichen Zeit übergaben die deutschen Missionschefs in London, Rom, Paris und Brüssel das deutsche Memorandum den dortigen Ministern, DGFP, C, Bd. V, Nr. 14, S. 31f., Nr. 17, S. 34f., Nr. 18, S. 36–38 u. Nr. 21, S. 41–43.

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5. Entscheidung und Aktion (Februar–März 1936)

sowjetischen Beistandspaktes darauf hingewiesen, dass die Verpflichtungen, die Frankreich in dem Pakt auf sich genommen hatte, mit den französischen Verpflichtungen aus dem Rheinpakt nicht vereinbar seien. Frankreich sei gegenüber der Sowjetunion Bindungen eingegangen solcher Art, „als ob weder die Völkerbundssatzung noch der Rheinpakt (. . . ) in Geltung wären“. „Damit hat der Rheinpakt von Locarno (. . . ) praktisch aufgehört zu existieren“, so die Denkschrift, deshalb sehe sich das Deutsche Reich von seinen Vertragspflichten befreit369 . Gleichzeitig wurden die Militärattachés der Locarnomächte ins Reichskriegsministerium einbestellt, wo ihnen General Pappenheim, der Chef der Attachégruppe, Auskünfte über die Stärke und die Standorte der deutschen Truppen im Rheinland gab370 . Ihren Höhepunkt erreichte die „rheinische Ouvertüre“371 , als der Reichskanzler mittags um zwölf Uhr die Rednerbühne des deutschen Reichstages bestieg und vor aller Welt das Ende des Locarnopaktes bekanntgab. Ausgehend von dem „Unheil“, das der Versailler Vertrag über Deutschland gebracht hatte, ging Hitler in seiner Rede auf die „deutsche Frage“ ein, die, so wie sich ihm stellte, aus zwei politischen Problemkreisen zusammengesetzt war372 . Das eine Problem bestand laut Hitler darin, dass in Deutschland 67 Millionen Menschen auf so engem Raum leben müssten, dass die Ernährung dieser Menschen künftig immer schwieriger würde. Das andere Problem, das aus Sicht Hitlers die „deutsche Frage“ konstituierte, war die Tatsache, dass dem Deutschen Reich seit dem Weltkrieg die außenpolitische Gleichberechtigung versagt werde. Dies, so erklärte er den Abgeordneten, kristallisiere sich insbesondere im deutschfranzösischen Verhältnis. Während er, Hitler, seit seiner Machtübernahme nach Wegen gesucht habe, zu einer Verständigung mit Paris zu gelangen, habe die französische Regierung alles getan, um die „Versailler Diskriminierung“ fortzuschreiben373 . Die Instrumente dieser französischen Politik, so der Kanzler, seien der Locarnopakt, der Deutschland „seine Gleichberechtigung raubte“, sowie die französischen Bündnisverträge mit Polen, der Tschechoslowakei und neuerdings der Sowjetunion. Heute „in dieser geschichtlichen Stunde“, schleuderte er den Reichstagsabgeordneten sodann entgegen, werde er die Konsequenzen aus der französischen Bündnispolitik ziehen und den „Kampf um die deutsche Gleichberechtigung“ zu seinem Ende führen. Ohne selbst von der „Kündigung“ Locarnos zu sprechen, verlas Hitler daraufhin das Memorandum des Auswärtigen Amtes, in welchem behauptet wurde, der Rheinpakt habe „seinen inneren Sinn verloren“ 369 370 371 372 373

Berber: Locarno, Nr. 41, S. 226 u. S. 228. Eberle/Uhl: Hitler, S. 59f. Fiedler: Stunden, S. 170. Rede vor dem Reichstag, 7. 3. 1936, Berber: Locarno, Nr. 41, S. 202ff. u. S. 210ff. Ebenda, S. 218ff.

5.3 Die Rheinlandbesetzung und das deutsche „Krisenmanagement“

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und Deutschland fühle sich nicht mehr an diesen „erloschenen Pakt“ gebunden. Soeben, ergriff nun wieder Hitler das Wort, bevor minutenlanger Beifall der Abgeordneten durch den Saal tobte374 , bezögen „in den westlichen Provinzen des Reiches deutsche Truppen (. . . ) ihre künftigen Friedensgarnisonen“375 . Damit war der doppelte Vertragsbruch vollzogen und die nächsten Tage standen im Zeichen des „Krisenmanagements“376 , um eine französischbritische Militäraktion gegen das Reich zu verhindern. Hitler hat sich dieser Aufgabe weitgehend entzogen377 . Seiner Ansicht nach hatte er mit der Bekanntgabe seiner Friedensvorschläge am 7. März 1936 genug getan, um die internationale Atmosphäre zu beruhigen. So brachte denn auch das Interview, das er zwei Tage nach dem Coup dem Briten Ward Price gewährte, nur eine Wiederholung der aus seiner Rede bekannten Punkte. Der französisch-sowjetische Pakt, so schwadronierte der Reichskanzler, habe auch den Buchstaben Locarnos verletzt, indem er dem Rheinpakt eine andere Auslegung gegeben habe. Den Einmarsch ins Rheinland wollte er damit rechtfertigen, dass dieser die Annahme seiner Friedensvorschläge wahrscheinlicher mache378 . Weitere Schritte zur Entspannung der Lage – im Gespräch war die Möglichkeit, die Stärke der Rheintruppen bekannt zu geben379 – lehnte der Reichskanzler entschieden ab. Zu große Zugeständnisse, schilderte Hitler später immer wieder seine ganz eigene Sicht auf den Verlauf der Krise, hätten nur dafür gesorgt, den militärischen Bluff im Rheinland aufzudecken380 . Hitlers Hauptsorge nach dem 7. März bestand darin, zusammen mit Goebbels den Wahlkampf für den Volksentscheid am 29. März 1936 zu planen. Aber Hitlers Kaltblütigkeit war nur gespielt. Als sich wenige Tage nach dem Coup die Gerüchte häuften, England und Frankreich seien zum Krieg entschlossen381 , verlor Hitler die Nerven. Er erlitt einen Zusammenbruch und war drauf und dran, die ganze Aktion wieder rückgängig zu machen382 . 374 375 376 377 378 379 380

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Tagebuch Shirer, 7. 3. 1936, Shirer: Aufzeichnungen, S. 55ff. Berber: Locarno, Nr. 41, S. 230. Emmerson: Rhineland, S. 150. Hitler verließ noch am Abend des 7. März mit dem Sonderzug Berlin, um sich auf dem Obersalzberg zu verschanzen. Domarus: Hitler, Bd. I, 2, S. 598–601; DNB-Meldung, 11. 3. 1936, PA AA, R 76995. ADAP, C, Bd. V, 1, Nr. 104, S. 131f.; vgl. Benoist-Méchin: Militärmacht, Bd. 3, S. 300. Tagebuch Goebbels, 29. 1. 1945, J. Goebbels: Die Tagebücher von Joseph Goebbels, im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte und mit Unterstützung des Staatlichen Archivdienstes Russland hg. v. E. Fröhlich, Teil II: Diktate 1941–1945, Bd. 15: Januar–April 1945, bearbeitet von M. Gschaid, München u. a. 1995, S. 263; Hitler: Monologe, Nr. 115, S. 240. Mitteilung Schumann, Berlin, 13. 3. 1936, PA AA, R 28822; Tagebuch Goebbels, 10. 3. 1936, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/II, S. 36f.; Kühlenthal an das Reichskriegsministerium, Paris, 12. 3. 1936, ADAP, C, Bd. V, 1, Nr. 88, S. 111ff. H. B. Gisevius: Bis zum bitteren Ende, Bd. I: Vom Reichstagsbrand zur Fritsch-Krise, Darmstadt 1947, S. 302; Schmidt: Statist, S. 93.

430

5. Entscheidung und Aktion (Februar–März 1936)

Auch dem Reichskriegsminister gelang es nicht, das Heft in der Hand zu halten. „Alles scheiterte immer an Blomberg, der hilflos treibt“, urteilte ein Beobachter kurz nach der Besetzung383 . Als sich am 13. März 1936 die drei in London akkreditierten Militärattachés in einem gemeinsamen Telegramm – unter Umgehung des Dienstweges – an das Auswärtige Amt wandten, dass die Lage außerordentlich ernst sei und sich in den nächsten Tagen noch weiter verschlechtern könne384 , verließen Blomberg die Nerven. Dreimal schickte er an diesem Tag den Adjutanten der Wehrmacht zu Hitler, um diesen auf die Gefahren hinzuweisen, in denen das Reich schwebte, und um vorzuschlagen, die Truppen ganz aus Aachen, Saarbrücken und Trier zurückzuziehen, dreimal schickte der Reichskanzler Hoßbach wieder fort, ohne sich die Berichte Blombergs anzuhören385 . Dennoch verbot der Kriegsminister den Soldaten in einem fünf Kilometer breiten Abschnitt entlang der französisch-belgischen Grenze mit Uniform aufzutreten386 . Gleichzeitig preschte Blomberg immer wieder mit unausgegorenen Verhandlungsangeboten nach vorne. Am 27. März schrieb er an Neurath, zur Beruhigung der Lage könne Deutschland seine Bereitschaft erklären, künftig an Aktionen unter Artikel 16 der Völkerbundssatzung mitzuarbeiten und über die Einrichtung einer internationalen Militärkommission zur Feststellung der militärischen Situation im Rheinland nachzudenken387 . Der Außenminister zerriss diese Ideen förmlich in der Luft388 . Zugeständnisse im Rheinland würden die Gefahr der Verewigung in sich bergen, so Neurath, außerdem dürfe Deutschland nicht den Eindruck erwecken, „als ob Frankreich und Belgien von uns bedroht würden und einen Anspruch auf eine Entschädigung für die Verminderung ihrer Sicherheit hätten“389 . Einzig der Vorschlag, Deutschland könne

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Stülpnagel an Geyr v. Schweppenburg, Berlin, 21. 3. 1936, IfZ, ED 91, Bd. 40. Geyr v. Schweppenburg, Wassner und Wenninger an das Auswärtige Amt, London, 13. 3. 1936, ADAP, C, Bd. V, 1, Nr. 98, S. 123f.; Tagebuch Goebbels, 17. 3. 1936, Goebbels: Fragmente, I, Bd. 2, S. 587f. Geyr selbst behauptete später, der Text des Telegramms sei verfälscht worden. Ursprünglich habe es geheißen, es stünde 50 zu 50 zwischen Krieg und Frieden, Geyr v. Schweppenburg an Funke, [Irschenhausen], 21. 8. 1967, IfZ, ED 91, Bd. 8; Geyr v. Schweppenburg an Carstens, o. O., 6. 7. 1966, ebenda; Geyr v. Schweppenburg: Erinnerungen, S. 87; Tagebuch Hassell, November 1939, Hassell: Deutschland, S. 103. Görlitz: Keitel, S. 90; Hoßbach: Wehrmacht, S. 84f.; Keitel: Leben, S. 192. Vgl. Höhne: Illusionen, S. 330; Schmidt: Außenpolitik, S. 200. Erlass Blomberg, 31. 3. 1936, BA-MA, RH 1/59. ADAP, C, Bd. V, 1, Nr. 230, S. 309f. Neurath an Blomberg, Berlin, 28. 3. 1936, PA AA, R 28822. Ebenda.

5.3 Die Rheinlandbesetzung und das deutsche „Krisenmanagement“

431

für eine Übergangszeit darauf verzichten, Festungen im Rheinland anzulegen, wurde zeitweise ernsthaft erwogen390 . Wo Hitler und Blomberg ausfielen, blieb es die Aufgabe des Auswärtigen Amtes, die Gemüter im Ausland zu beruhigen. „Von allen Beratern [Hitlers]“, so schrieb Curt Liebmann, zu der Zeit Kommandeur der Kriegsakademie in Berlin, rückblickend über die Rheinlandkrise, „sei nur der dickschädelige Schwabe Neurath für Durchhalten gewesen.“391 Am 12. März besprachen Neurath, Bülow und Beck die deutsche Strategie für die kommenden Tage. Die Marschroute dafür hatte Bülow bereits am Tag zuvor ausgegeben. Deutschland sei politisch erledigt, schrieb er an den Generalstabschef, wenn es zu seinen Angeboten etwas hinzufüge und damit den Eindruck erwecke, dass sie ungenügend seien. Ebenso wenig kämen Konzessionen in Frage, die die deutsche Souveränität im Rheinland touchierten. Dann, so war der Staatssekretär überzeugt, würden die Forderungen der Gegenseite ins Unermessliche wachsen392 . Gleichzeitig sei darauf zu achten, so legte es eine Weisung Neuraths fest, dass sich die internationalen Gespräche vom deutschen Vertragsbruch wegbewegten und „dass wir das Hauptgewicht auf unsere konstruktiven Vorschläge legen“393 . Exakt auf dieser Schiene lag das Krisenmanagement des Auswärtigen Amts, das mehrere Seiten aufwies. Erstens lehnte der Reichsaußenminister gegenüber Hitler und Blomberg ab, die deutschen Truppen aus dem Rheinland zurückzunehmen, bevor ein Ultimatum der Gegenseite vorlag, das dies verlangen würde, denn das hätte die Schwäche der deutschen Aktion offenbart394 . „Ich war gegen diesen Schritt“, soll der Außenminister dem Zeugnis Schachts nach zu Hitler gesagt haben, „aber nachdem du ihn getan hast, musst du stehen bleiben.“395 So war Neurath nicht bereit, aus dem erwähnten Telegramm der Wehrmachtattachés die Schlussfolgerung zu ziehen, Deutschland müsse seine Truppen aus dem Rheinland zurückziehen. „Nervosität wird hier nicht geteilt“, vermerkte 390 391

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Tagebuch Goebbels, 28. 3. 1936, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/II, S. 50; Keitel: Leben, S. 193. Aufzeichnung Liebmann, o. O., November 1939, IfZ, ED 1, Bd. 1; Geyr v. Schweppenburg: Erinnerungen, S. 88. Hierfür ist Neurath von Hitler mit dem „Goldenen Parteiabzeichen“ belohnt worden, vgl. F. Raberg: Das Aushängeschild der Hitler-Regierung. Konstantin Freiherr von Neurath, Außenminister des Deutschen Reiches (1932–1938), in: M. Kißener/J. Scholtyseck (Hg.): Die Führer der Provinz. NS-Biographien aus Baden und Württemberg (Karlsruher Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus, Bd. 2), Konstanz 1997, S. 503–538, hier S. 525. Bülow an Beck, Berlin, 11. 3. 1936, Müller: Beck, Nr. 40, S. 491f. ADAP, C, Bd. V, 1, Nr. 119, S. 145. Aufzeichnung, o. V., o. O., 20. 11. 1965, IfZ, ZS 1021; Gisevius: Ende, Bd. I, S. 302; Herwarth: Zeitgeschichte, S. 116; Rheinbaben: Deutschland, S. 345; Schwerin v. Krosigk: Deutschland, S. 310; Weizsäcker: Erinnerungen, S. 134. Aussage Vocke, Nürnberg, 3. 5. 1946, IMT, Bd. XIII, S. 67.

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5. Entscheidung und Aktion (Februar–März 1936)

ein Beamter des Auswärtigen Amtes auf dem Telegramm396 und der Außenminister soll in seinem besten Schwäbisch gesagt haben: „Jetzt sind mer drinne und bleibet drinne.“397 Genauso wenig komme ein Verzicht auf Befestigungen in Frage, so Neurath, denn dies wäre ein Anerkenntnis der Diskriminierung Deutschlands und beinhalte außerdem die Gefahr der Verewigung398 . In diesem Sinne weigerten sich die deutschen Vertreter, über Konzessionen zu reden, sondern beschränkten sich darauf, ihren Gesprächspartnern die rechtliche Begründung für das deutsche Fait accompli auseinanderzusetzen399 . Zweitens bemühten sich die Diplomaten den friedensmäßigen Charakter der ganzen Aktion darzustellen. Es handele sich nicht um einen Aufmarsch an der Grenze, um einer französischen Invasion zuvorzukommen400 , schrieb Bülow am 14. März 1936, die Entsendung der kleinen Wehrmachtskontingente trage symbolischen Charakter, um die Wiederherstellung der deutschen Souveränität zu demonstrieren401 . Und Neurath sekundierte gegenüber dem US-amerikanischen Vertreter, alles vollziehe sich in bester Ordnung. Er hoffe, nach den Wahlen in Frankreich werde es zu neuen Verhandlungen zwischen Deutschland und den Westmächten kommen402 . Die bis heute umstrittenste Episode der deutschen Krisenbewältigung ist der vermeintliche Anruf König Edwards beim deutschen Botschafter Hoesch, in welchem dieser dem Deutschen versichert haben soll, dass es wegen der Rheinlandfrage zu keinem Krieg zwischen Deutschland und England kommen werde. Diese vom damaligen DNB-Vertreter in London, Fritz Hesse, kolportierte Geschichte403 stieß bei den deutschen Nachkriegshistorikern auf einhellige Ablehnung404 . Es sei ein „besonders starkes Stück“, so schimpften sie, anzunehmen, die Rücktrittsdrohung Edwards hätte im März 1936 den Krieg verhindert405 . 396

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ADAP, C, Bd. V, 1, Nr. 98, S. 124 Anm. 2. Ganz ähnlich urteilte Bülow am folgenden Tag, die „überhitzte Phantasie“ der Londoner Vertreter sehe „Gespenster“; in Berlin sei nichts über Kriegsvorbereitungen oder Sanktionen gegen Deutschland bekannt, Aufzeichnung Bülow, Berlin, 14. 3. 1936, PA AA, R 32263. Geyr v. Schweppenburg: Erinnerungen, S. 88. Goebbels schrieb in seinen Tagebüchern, angesichts der Panikmache aus London seien nur Göring, Ribbentrop und Neurath fest geblieben, Tagebuch Goebbels, 15. 3. 1936, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/II, S. 41f. ADAP, C, Bd. V, 1, Nr. 233, S. 315f.; Rheinbaben: Deutschland, S. 345f. Hoesch an das Auswärtige Amt, London, 13. 3. 1936, ADAP, C, Bd. V, 1, Nr. 103, S. 130f. Den Missionschefs wurde ausdrücklich verboten, dieses Argument in ihren Unterredungen zu verwerten, ADAP, C, Bd. V, 1, Nr. 93, S. 120 Anm. 1. Aufzeichnung Bülow, Berlin, 14. 3. 1936, PA AA, R 32263. Tagebuch Dodd, 18. 3. 1936, Ursachen und Folgen, Bd. X, Nr. 2456 c, S. 449. Vgl. Hesse: Spiel, S. 61. Vgl. Braubach: Zeitgeschichte, S. 233ff.; H. G. v. Studtnitz: Spiel mit der Geschichte. Anmerkungen zu Fritz Hesse: „Das Spiel um Deutschland“, in: Außenpolitik 4 (1953), S. 716– 726. H. Krausnick: Legenden um Hitlers Außenpolitik, in: VfZ 2 (1954), S. 217–239, hier S. 220.

5.3 Die Rheinlandbesetzung und das deutsche „Krisenmanagement“

433

Ganz aus der Luft gegriffen ist die Geschichte nicht. Hoesch, der den Thronfolger von der gemeinsamen Schulzeit her kannte, bemühte sich seit einiger Zeit, Edward für einen prodeutschen Kurs zu gewinnen, und stand hierfür in regelmäßigem Kontakt mit ihm406 . Darüber hinaus gibt es eine Aufzeichnung, die Hesse am 11. März 1936 über die Episode anfertigte und die heute im Nachlass Hesses im Bundesarchiv lagert. Demnach sei Hoesch am Tag zuvor beim König gewesen, um ihn zu überreden, auf die britische Regierung einzuwirken. Am 11. März rief Edward in der Botschaft an, um die gewünschten Versicherungen abzugeben407 . Jedoch existieren darüber weder eine offizielle Aufzeichnung noch ein Schreiben Hoeschs an Bülow, wie Hesse behauptet408 . Dafür befindet sich in den Akten des Auswärtigen Amtes ein Bericht Hoeschs vom 11. März 1936, in welchem er schrieb, er sei in „indirekte Verbindung“ mit dem Hof getreten. Dort habe man Verständnis für den deutschen Standpunkt, so Hoesch, und werde dafür sorgen, dass es zu keinen Verwicklungen komme409 . Mochte Hoesch in der Tat jeden Hebel in Bewegung gesetzt haben, um ein kriegerisches Eingreifen Englands zu verhindern, so lässt sich ein direkter Kontakt des Botschafters mit dem britischen König nicht nachweisen. Tatsächlich verzichteten die Westmächte darauf, die deutsche Rheinlandaktion militärisch zu kontern, und mit dem Zusammentritt des Völkerbundsrates Mitte März 1936 war die Rheinlandkrise „aus dem Stadium der akuten Kriegsgefahr herausgetreten“410 . Der Krieg war verhindert, wie Weizsäcker befriedigt feststellte, und nun beginne das „zähe Verhandeln“411 . So kann also das Fazit lauten, dass es den Bemühungen der deutschen Diplomaten zu verdanken ist, dass im Frühjahr 1936 ein Krieg vermieden wurde, und nicht an Hitlers großzügiger Offerte eines „Super-Locarnos“412 , dessen Charakter als politisches Manöver zu durchsichtig war, um von England und Frankreich ernstgenommen zu werden. Dass die Westmächte von einer Militärintervention absahen und wider besseres Wissen bereit waren, auf der Grundlage der deutschen Vorschläge in Verhandlungen einzusteigen, hatte ganz andere Gründe. 406

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Hoesch an Neurath, London, 3. 12. 1935, PA AA, BA 60957. Eine Marginalie Neuraths bestätigt, dass der Außenminister den Reichskanzler über die deutschfreundliche Haltung des Kronprinzen in Kenntnis gesetzt hat. Aufzeichnung Hesse, London, 11. 3. 1936, BAK, N 1322/1. Ein damaliger Mitarbeiter der deutschen Botschaft gab später zu Protokoll, er könne sich nicht an ein derartiges Telefonat erinnern, es sei aber immerhin möglich, dass sich Edward und Hoesch in diesen Tagen getroffen hätten, Fries an Krausnick, Wiesbaden, 3. 3. 1954, IfZ, ZS 1608. Aufzeichnung Hesse, [München], o. D. [1953], IfZ, ZS 917. Hoesch an das Auswärtige Amt, London, 11. 3. 1936, ADAP, C, Bd. V, 1, Nr. 77, S. 98. Vgl. auch Haraszti: Invaders, S. 110 mit weiteren Belegen. Hoesch an das Auswärtige Amt, London, 21. 3. 1936, ADAP, C, Bd. V, 1, Nr. 178, S. 218. Tagebuch Weizsäcker, 22. 3. 1936, Hill: Weizsäcker, S. 95. Höhne: Illusionen, S. 325.

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5. Entscheidung und Aktion (Februar–März 1936)

5.4 Präventive Planungen und Reaktion auf das deutsche Fait accompli in England und Frankreich (Januar–März 1936) Als der deutsche Militärattaché in London, Leo Geyr v. Schweppenburg, wenige Tage nach der Rheinlandbesetzung zu einem Routinebesuch im britischen War Office eintraf, erwartete ihn ein frostiger Empfang. Alle Bediensteten und Beamten straften ihn mit Schweigen. England, so erläuterte endlich General John Dill, der Chef der Aufklärungsabteilung im Kriegsministerium, die Verstimmung der Briten, habe bereits über die Abschaffung der Rheinlandzone nachgedacht, die im Gegenzug für einen westlichen Luftpakt erreicht worden wäre. Diese „gute Absicht“, so Dill, sei durch das deutsche Vorgehen zerstört413 . Der Vorwurf musste dem Deutschen sonderbar im Ohr klingen, waren es die Briten selbst gewesen, die im Herbst 1935 allen Locarnogesprächen einen Riegel vorgeschoben hatten. Was Geyr nicht wusste, war, dass man im Foreign Office auch nach der Absage vom November weiter fieberhaft an Plänen gearbeitet hatte, mit dem Reich zu einer schnellen Verständigung zu kommen. Mitte Januar 1936, als neue beunruhigende Äußerungen zur entmilitarisierten Zone in London eintrafen414 , begannen die britischen Diplomaten darüber nachzudenken, die entmilitarisierte Zone am Rhein als Preis für eine vertragliche Sicherheitsregelung mit dem Reich einzusetzen. Deutschland werde die Rheinlandzone so oder so abschaffen, kommentierte Wigram, die britische Aufgabe müsse es sein, dafür zu sorgen, dass dies auf friedlichem Weg geschehe415 . Ausführlicher setzte er sich in einer Aufzeichnung vom 16. Januar 1936 mit der britischen Haltung zur Rheinzone auseinander. Die Einrichtung der entmilitarisierten Zone sei ja gut und schön, schrieb er, aber ein wiederaufgerüstetes Deutschland werde sich auf Dauer nicht davon abhalten lassen, die Besetzung der Zone zu fordern. Deshalb empfahl Wigram, England solle die Zone her schenken, im Austausch für „some little benefit“416 . Wigram deutete auch sogleich an, es habe den Vorschlag gegeben, ein Luftlocarno zu formulieren, ohne die entmilitarisierte Zone zu erwähnen. Erstmals auf einer Konferenz vom 23. Januar 1936 war die Idee ein Thema, die entmilitarisierte Zone gegen einen Luftpakt unter deutscher Beteiligung einzutauschen417 . Aber noch waren die Briten zögerlich. Die Option, die Zone für einen 413 414 415 416 417

Geyr v. Schweppenburg: Erinnerungen, S. 84f. u. S. 90. Foreign Office Memorandum, London, 9. 1. 1936, TNA, FO 371/19883; vgl. auch Notiz Geyr v. Schweppenburg, o. O. [London], 23. 1. 1936, IfZ, ED 91, Bd. 4. Vermerk Wigram, London, 9. 1. 1936, TNA, FO 371/19883. Aufzeichnung Wigram, London, 16. 1. 1936, DBFP, 2. Serie, Bd. XV, Nr. 455, S. 565. TNA, FO 371/19884.

5.4 Präventive Planungen und Reaktion in England und Frankreich

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Luftpakt aufzugeben, sollte ausdrücklich erst gezogen werden, wenn „wir zu Verhandlungen gezwungen werden“418 , also nur wenn das deutsche Verhalten vorgezogene Verhandlungen notwendig machen würde. Dies schien zunächst nicht der Fall zu sein. Deutschland werde keine Aktion in der entmilitarisierten Zone unternehmen, so schrieb Phipps an Wigram, ohne zuvor einen letzten Versuch unternommen zu haben, zu einem Ausgleich mit England zu kommen419 , und gegenüber François-Poncet behauptete er, Hitler habe am 13. Dezember 1935 erklärt, an Locarno festzuhalten420 . Und am 30. Dezember 1935 schrieb Phipps, die allgemeine Erwartung, die Remilitarisierung des Rheinlandes stünde unmittelbar bevor, werde von der Botschaft nicht geteilt421 . Außerdem wollten die Diplomaten auf jeden Fall die Gutachten des Generalstabes über den Wert der Entmilitarisierung abwarten, bevor sie die Zone auf die Agenda setzten422 . Als sich am 31. Januar 1936 William Strang in einer Aufzeichnung über die Möglichkeiten der britischen Deutschlandpolitik dafür aussprach, die entmilitarisierte Zone in absehbarer Zeit gegen einen Luftpakt mit Deutschland einzutauschen423 , vermerkte Vansittart dazu einige Tage später, er wäre schon bereit, die Rheinzone herzugeben, aber man solle sich vorher darüber klar werden, wie ein Arrangement mit Deutschland aussehen könne424 . Noch am 5. Februar wandte sich Phipps in einem persönlichen Schreiben an den Außenminister und unterbreitete ihm Vorschläge für die britische Deutschlandpolitik. Die britische Regierung, so Phipps, solle keinen isolierten Schritt gegenüber Deutschland unternehmen. Da die französische Regierung derzeit handlungsunfähig sei, schlug er vor, bis nach den französischen Kammerwahlen im April und Mai 1936 hinhaltend zu taktieren, um dann zu einem settlement mit Deutschland zu gelangen425 . In dieser Situation gab die Meinung des neuen Außenministers, Anthony Eden, den Ausschlag. Kurz nach seiner Amtsübernahme unternahm Eden in einem grundsätzlichen Memorandum den Versuch, die vorherrschenden Strömungen im Foreign Office, ob man sogleich in Verhandlungen mit dem Reich einsteigen oder auf Zeit spielen solle, um die Rüstungen zu beenden, in einen einzigen politischen Ansatz einzuschmelzen. Es müsse das Ziel der britischen 418 419

420 421 422 423 424 425

DBFP, 2. Serie, Bd. XV, Nr. 476, S. 597. Tagebuch Phipps, 14. 12. 1935, Johnson: Phipps, S. 144. Vgl. M. Jaroch: „Too much wit and not enough warning“? Sir Eric Phipps als britischer Botschafter in Berlin von 1933 bis 1937 (Europäische Hochschulschriften, III, Bd. 846), Frankfurt/M. u. a. 1999 (Diss. phil. Bonn 1998), S. 223; Kershaw: Freunde, S. 165. DDF, 1. Serie, Bd. XIII, Nr. 414, S. 602f. Phipps an Eden, Berlin, 30. 12. 1935, TNA, FO 371/19883. DBFP, 2. Serie, Bd. XV, Nr. 476, S. 597f. Aufzeichnung Strang, London, 31. 1. 1936, ebenda, Nr. 490, S. 620. Aufzeichnung Vansittart, London, 3. 2. 1936, ebenda, S. 620 Anm. 3. Phipps an Eden, Berlin, 5. 2. 1936, ebenda, Nr. 497, S. 631.

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5. Entscheidung und Aktion (Februar–März 1936)

Außenpolitik sein, so Eden, die Aufrüstung schnellstmöglich zu beenden und gleichzeitig zu einem Modus vivendi mit Deutschland zu kommen426 . Eden profitierte davon, dass Ende Januar 1936 die Stellungnahmen der Service Departments vorlagen, wie hoch der Stellenwert der entmilitarisierten Zone für die britische Sicherheitspolitik zu veranschlagen sei427 . Der Luftfahrtminister urteilte in seinem Gutachten vom 27. Januar 1936, die Zone habe vom Standpunkt der Luftwaffe aus betrachtet keinen besonderen Wert. Bei einem deutschen Angriff könnten deutsche Bomber das Rheinland in wenigen Minuten überfliegen. Umgekehrt bilde sie kein Einfallstor für die Royal Air Force, weil Deutschland bereits Flugabwehreinheiten in der Zone stationiert habe. Positiver äußerte sich der Kriegsminister in einer Denkschrift vom selben Tag. Die entmilitarisierte Zone erschwere die Verteidigung des Reiches und schränke die Möglichkeiten der deutschen Truppen ein, Frankreich in einem Überraschungsstreich zu überfallen. Das sprach für die Zone, aber die Aufzeichnung des War Office machte deutlich, dass der Wert der Rheinzone ein abgeleiteter war: Die entmilitarisierte Zone verstärke die britische Sicherheit, weil sie die französische Sicherheit steigere. Ob und mit welchen Mitteln sich England für den Erhalt der entmilitarisierten Zone verbürgen solle, wurde vom War Office nicht thematisiert428 . Auf dieser Grundlage formulierte Eden seine Strategie. Sein Ziel sei, schrieb er am 11. Februar 1936, ein Arrangement mit Deutschland zu treffen unter der Bedingung, „that we offer no sops to Germany“. Er sei bereit, weit reichende Zugeständnisse zu machen, beschrieb er seine Politik gegenüber Nicolson, damit die Deutschen eine Abrüstungskonvention unterschreiben und in den Völkerbund zurückkehren würden429 . Man müsse sich aber klar darüber werden, was man Hitler im Gegenzug für seine Unterschrift bieten könne. Die britische Regierung, so lautete Edens Antwort, solle sich darauf einstellen, die entmilitarisierte Zone aufzugeben, solange Deutschland noch bereit ist, einen politischen Preis dafür zu bezahlen430 . Auf dieser Linie lag das Konzept eines working agreement, welches das Foreign Office in den folgenden Tagen ausarbeitete. Ein solches Arbeitsabkommen sollte es ermöglichen, die deutschen und 426 427 428 429 430

Aufzeichnung Eden: „The German Danger“, London, 17. 1. 1936, TNA, CAB 24/259; vgl. ausführlich Bußmann: Urteilsbildung, S. 264ff.; Meyers: Sicherheit, S. 426ff. Dies ging auf eine Anregung Wigrams vom Dezember 1935 zurück, TNA, FO 371/18852. DBFP, 2. Serie, Bd. XV, Nr. 482, S. 606–608 u. Nr. 483, S. 609f.; vgl. Gibbs: Strategy, Bd. I, S. 231f. Zit. bei N. Thompson: The Anti-Appeasers. Conservative Opposition to Appeasement in the 1930s, Oxford 1971, S. 43. Wörtlich hieß es: „It would be preferable for Great Britain and France to enter betimes into negotiations with the German Government for the surrender on conditions of our rights in the zone while such a surrender still has got a bargaining value.“ Vgl. Emmerson: Rhineland, S. 66.

5.4 Präventive Planungen und Reaktion in England und Frankreich

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die britischen Vorstellungen so weit anzunähern, dass alsbald – nach Hinzuziehung Frankreichs – ein allgemeines westliches Abkommen zu Stande kommen könne. Essential Elements des working agreement, so eine Denkschrift des Foreign Office vom 15. Februar 1936, seien der Abschluss eines Luftpaktes unter Einschluss Hollands, das Verschwinden der entmilitarisierten Zone, eine Vereinbarung über die Begrenzung der Luftrüstungen und wirtschaftliche Zugeständnisse an Deutschland; schließlich könne man sich über ein Programm zur Reform des Völkerbundes einigen431 . Am 17. Februar 1936 beschloss das Cabinet Committee on Germany, auf dieser Basis die Verhandlungen mit Hitler zu eröffnen432 . Tatsächlich hatten Wigram und Cranborne schon am 12. und 15. Februar 1936 die Deutschen in ihre Planungen eingeweiht. Aber so ambitioniert sich diese beiden Vorstöße ausnahmen, bleibt doch festzuhalten, dass die Strategie des working agreement vor allem eine Konzeption war, die auf Zeitgewinn setzte, sodass, wie schon Hauser 1972 feststellte, „die letzte Konsequenz fehlte“433 , in schnelle Verhandlungen mit dem Reich einzutreten. Wigram, der mit seinen Äußerungen vom 9. Januar 1936, die britische Regierung solle „beruhigend“ auf Paris und Berlin einwirken, um eine friedliche Abschaffung der Entmilitarisierungsbestimmungen zu erreichen434 , das Kabinett auf die Idee gebracht hatte, die entmilitarisierte Zone im Gegenzug für deutsche Leistungen im Bereich der Abrüstung aufzugeben, schrieb wenige Tage später, seine persönliche Ansicht sei, dass den britischen Interessen am besten mit der Aufrechterhaltung der entmilitarisierten Zone gedient sei435 . Das glaubte auch Sargent, der schon im November mit Wigram versucht hatte, einen Weg aufzuzeigen, den Bestand der entmilitarisierten Zone zu sichern. Nach dem Fiasko der Phipps-Demarche bei Hitler wollte Sargent nicht mehr daran glauben, in isolierten Verhandlungen mit Deutschland zum Durchbruch zu kommen436 . Auch Phipps wollte auf Zeit spielen437 . In der Annahme, dass Deutschland keinen Schritt im Rhein431 432 433

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DBFP, 2. Serie, Bd. XV, Nr. 522, S. 661f. Ebenda, Nr. 524, S. 667–671; vgl. Miller: Responsibility, S. 61f. Hauser: England, Bd. 1, S. 182. Mitte Februar 1936 gab Rex Leeper dem Korrespondenten der Times, Kennedy, einen Überblick über die britische Deutschlandpolitik. Das Foreign Office sei gegen eine Einkreisung Deutschlands, so Leeper, sondern suche einen Weg, Deutschland die volle Gleichberechtigung zu verschaffen; dies, so sagte er vertraulich, schließe auch den Status der entmilitarisierten Zone mit ein. Auf den Zeitplan des Foreign Office angesprochen meinte Leeper, „it may take most of this year to evolve a definite policy“, Kennedy an Deakin, [London], 16. 2. 1936, Kennedy: Journals, S. 192. Aufzeichnung Wigram, London, 9. 1. 1936, TNA, FO 371/19883. Aufzeichnung Wigram, London, 16. 1. 1936, ebenda. Aufzeichnung Sargent, London, 18. 12. 1935, DBFP, 2. Serie, Bd. XV, Nr. 398, S. 508. Die unglückliche Rolle von Phipps im Vorfeld der Rheinlandkrise kann nicht genug betont werden. Nachdem er durch seine ungeschickte Verhandlungsführung am 13. Dezember 1935 den Stein ins Rollen gebracht hatte, wurde er danach nicht müde zu

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5. Entscheidung und Aktion (Februar–März 1936)

land plane438 , empfahl er am 5. Februar dem gerade ins Amt gekommenen Außenminister Eden, keinesfalls einen isolierten Schritt gegenüber Deutschland zu unternehmen. London solle das Reich in ein waiting game verwickeln, so Phipps, um dann im Sommer, nach den französischen Wahlen, zu einem allgemeinen settlement mit Deutschland zu kommen439 . Von Vansittart endlich, der am 3. Februar vollmundig erklärt hatte, die entmilitarisierte Zone sei eine „Brennnessel“, die man jäten müsse, bevor sie jemanden verbrenne, war in den entscheidenden Tagen des Februars wenig zu hören. Man könne die Zone schon hergeben, lautete sein oben zitiertes Wort, wenn man sich klar darüber sei, was man dafür bekomme440 . In dieser Situation erinnerten sich die Briten plötzlich an den französischsowjetischen Pakt. Seine Ratifizierung, das hatten die Deutschen immer wieder klargemacht, würde das Ende Locarnos bedeuten und wäre damit eine große Gefahr für die auf Zeitgewinn ausgerichtete britische Strategie. Wenn es aber gelänge, die Ratifizierung auf die lange Bank zu schieben, hätte man einen passablen Hebel, den Deutschen das Arbeitsabkommen als Alternative zur französisch-sowjetischen Einkreisungspolitik zu verkaufen441 . So hatte man in London wohlwollend registriert, dass Laval den Pakt mit Moskau nicht durch den Präsidenten, sondern vom Parlament ratifizieren lassen wollte; dies, bemerkte Wigram befriedigt, sorge für lange Verzögerungen442 . Im Februar 1936 kam die Frage wieder aufs Tableau. Besorgt empfahl Sargent am 14. Februar, man solle Paris drängen, die Ratifizierung des französisch-sowjetischen Paktes zu verschieben. Solange die Ratifikation nicht vollzogen sei, so Sargent, diene der französisch-sowjetische Pakt als Druckmittel gegenüber dem Reich443 . Auf dieser Linie instruierte Wigram die britische Botschaft in Paris, den Franzosen mitzuteilen, die britische Regierung habe niemals schriftlich erklärt, den französisch-sowjetischen Pakt zu billigen444 . Aber das Manöver misslang. Anfang März 1936 bekamen die Briten die

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behaupten, es gäbe keine Anzeichen dafür, dass eine Remilitarisierung drohe. Wollte er damit dem Vorwurf entgegenwirken, Hitler zu einer Aktion im Rheinland provoziert zu haben, erzeugte er aber in London die trügerische Sicherheit, es stünde ausreichend Zeit zur Verfügung, eine stringente Deutschlandpolitik zu formulieren, Kennedy an Deakin, [London], 16. 2. 1936, Kennedy: Journals, S. 192. Zur Vorbereitung einer London-Reise übersandte Phipps am 22. Januar 1936 eine Denkschrift mit den nächsten Zielen der NS-Außenpolitik; Locarno und der Rheinpakt kamen nicht darin vor, DBFP, 2. Serie, Bd. XV, Nr. 471, S. 582ff. Phipps an Eden, Berlin, 5. 2. 1936, ebenda, Nr. 497, S. 631; Tagebuch Dodd, 12. 2. 1936, Dodd: Diplomat, S. 348. DBFP, 2. Serie, Bd. XV, Nr. 490, S. 620 Anm. 3 u. Nr. 493, S. 624ff. Kennedy an Deakin, [London], 16. 2. 1936, Kennedy: Journals, S. 192. Vermerk Wigram, London, 30. 11. 1935, DBFP, 2. Serie, Bd. XV, Nr. 230, S. 289 Anm. 5. Aufzeichnung Sargent, London, 14. 2. 1936, TNA, FO 371/19885. Wigram an Peake, London, 21. 2. 1936, zit. bei Hill: Rhineland, S. 82. Vgl. auch die Aus-

5.4 Präventive Planungen und Reaktion in England und Frankreich

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Quittung für ihre zaghafte Politik. Nachdem die Reaktion der Deutschen auf den Vorstoß eines working agreement ausgeblieben war, versuchten die Briten in den ersten Märztagen von ihren Vorschlägen zu retten, was noch zu retten war. Die Annahme eines waiting game bis nach den französischen Wahlen, um dann mit Frankreich an seiner Seite und begonnener Aufrüstung in eine neue Verhandlungsrunde mit dem Reich einzutreten, war mit der Ratifizierung des französisch-sowjetischen Paktes in sich zusammengebrochen. Jetzt war ein baldiger Schritt Hitlers unvermeidlich445 . Dazu kam, dass Flandin dem britischen Minister am 3. März 1936 die Pistole auf die Brust setzte. Vor dem Hintergrund der britischen Bemühungen in Genf, die internationalen Sanktionen gegen Rom zu verschärfen, teilte der französische Außenminister ultimativ mit, Frankreich werde ein Embargo nur unterstützen, wenn London im Gegenzug versicherte, seine Locarnoverpflichtungen auch ohne italienische Unterstützung zu erfüllen, und bindende Zusagen für den Fall einer deutschen Rheinlandbesetzung machte446 . Diesen Realitäten stellte sich das britische Kabinett am 5. März 1936. Das Kabinett nehme als wahrscheinlich an, hieß es im Protokoll der Sitzung, dass Deutschland den Rheinpakt mit der Begründung „kündigen“ werde, der französisch-sowjetische Beistandspakt habe Locarno zerstört447 . Auf dieser Grundlage beschloss das Kabinett, ein Komitee zu bilden, das die rechtlichen Fragen im Zusammenhang mit Locarno erörtern solle. Insbesondere sei zu klären, wie sich die juristische Position Englands ausnahm in dem Falle, wo entweder Deutschland oder Italien den Rheinpakt „kündigten“. Darüber hinaus instruierte das Kabinett den Außenminister, unverzüglich Luftpaktverhandlungen mit dem Reich aufzunehmen. Parallel dazu sollte Eden die Franzosen aufsuchen und ihnen „in a realistic spirit“ auseinandersetzen, wie die königliche Regierung die britischen Verpflichtungen unter Locarno interpretierte, was nicht weniger bedeutete, als dass der Außenminister den Franzosen erklären sollte, dass London nicht bereit war, für den Erhalt der entmilitarisierten Zone mit militärischen Mitteln zu kämpfen448 . Derartig beauftragt rief Eden am folgenden Tag Hoesch zu sich und erklärte ihm, man habe den baldigen Abschluss eines Luftpaktes als erstes Stadium einer deutsch-französisch-britischen Annäherung anvisiert. Dabei könne man, so Eden, großzügig Rücksicht

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sagen Leepers gegenüber einem britischen Journalisten, Kennedy an Deakin, [London], 16. 2. 1936, Kennedy: Journals, S. 192. Dass die Beamten im Foreign Office nur zu gut wussten, was passieren würde, zeigt ein Gespräch Sargents mit dem Privatsekretär Zeelands, in welchem die Reaktionen auf eine Remilitarisierung besprochen wurden, Eden an Ovey, London, 3. 3. 1936, TNA, FO 408/66. Eden: Diktatoren, S. 387. Vgl. Emmerson: Rhineland, S. 55. TNA, CAB 23/83; vgl. dazu Gibbs: Strategy, Bd. I, S. 234; Meyers: Remilitarisierung, S. 319. TNA, CAB 23/83; Eden: Diktatoren, S. 396f.

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auf die deutschen Bedenken nehmen. So sei nicht zwingend, dass der Luftpakt von einem Rüstungsabkommen begleitet sei, genauso wenig, wie der Pakt von bilateralen Abkommen flankiert sein müsse. Er, Eden, bitte die Reichsregierung „um eine zustimmende Stellungnahme zur Luftpaktidee“. Hoesch, der bis dahin keinen Ton gesagt hatte, bat Eden, ihn für den nächsten Tag, am 7. März 1936, zur Entgegennahme einer Erklärung zu empfangen449 . Der britische Vorstoß war zu spät gekommen450 . In der Zwischenzeit waren auch die letzten Versuche Frankreichs, die Rheinlandbesetzung zu verhindern, gescheitert. Noch während der Amtszeit Lavals, dessen Annäherungsversuche an Hitler allesamt verpufft waren, wurde der Ruf nach deutschlandpolitischen Alternativen laut. Am 17. Januar 1936 beschäftigte sich eine Denkschrift des französischen Außenministeriums mit der Wirkungsweise der Locarnoverträge451 . Das Ziel der französischen Locarnopolitik, so schrieb der Leiter der Politischen Abteilung, müsse es sein, zu verhindern, dass sich London vom Rheinpakt zurückzöge. Die Aussichten dafür hätten sich verbessert, seit England nach langem Zögern dem Abschluss von bilateralen Pakten (innerhalb des Locarnorahmens) zugestimmt habe. Paris müsse nun, so Bargeton weiter, einen Vorstoß zu einem französisch-britischen Abkommen unternehmen, ausdrücklich auch um den Preis, dass Deutschland sich vom Locarnopakt lossagen könnte452 . Aber das Memorandum Bargetons fand genauso wenig Gehör wie die Warnungen des französischen Generalkonsuls in Köln, Jean Dobler, der seit Sommer 1935 regelmäßig über die militärischen Vorbereitungen, die die Deutschen in der entmilitarisierten Zone betrieben, berichtete453 . Am 17. Januar 1936 berichtete Dobler aus Köln, er habe sich mit dem NS-Gauleiter im Rheinland, Terboven, und mit Diels unterhalten. Beide hätten betont, die deutsche Führung wünsche, bald zu einem gutnachbarlichen Verhältnis mit Frankreich zu kommen454 . Dies könne in Form eines Abkommens geschehen, welches auch Änderungen am Status der entmilitarisierten Zone enthalte. Daraus schloss Dobler, dass Deutschland bereits für das Frühjahr 1936 eine Aktion im Rheinland

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Hoesch an das Auswärtige Amt, London, 6. 3. 1936, ADAP, C, Bd. V, 1, Nr. 8, S. 22–24; Eden an Phipps, London, 6. 3. 1936, DBFP, 2. Serie, Bd. XVI, Nr. 29, S. 39–41. Vgl. Emmerson: Rhineland, S. 70f. DDF, 2. Serie, Bd. I, Nr. 78, S. 111f. Ebenda, S. 112. Dobler an Flandin, Köln, 12. 3. 1936, Témoignages et Documents, Bd. II, S. 482–485; vgl. Handel: Surprise, S. 47ff. Wörtlich hieß es: „Le Président Terboven (. . . ) m’a manifesté (. . . ) le désir de l’Allemagne d’arriver le plus tôt possible à un accord de bon voisinage avec la France.“

5.4 Präventive Planungen und Reaktion in England und Frankreich

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plante, und bat daher dringend, für einen persönlichen Vortrag nach Paris kommen zu dürfen455 . Die Kassandrarufe Doblers passten jedoch nicht in das politische Kalkül Lavals, weil sie drohten, seine Pläne zur schrittweisen Aufgabe der entmilitarisierten Zone frühzeitig zu enthüllen. Deswegen ließ er Dobler durch seine Mitarbeiter abweisen und als Dobler weiter drängte, beschied er ihn brüsk: „Wir können Ihnen nicht erlauben, Ihren Posten zu verlassen.“456 Nach dem Abgang Lavals Ende Januar 1936 wurde eine Regierung unter Albert Sarraut installiert, von der hauptsächlich erwartet wurde, dass sie die Geschäfte führte, bis die Wahlen im April und Mai eine neue mehrheitsfähige Regierung bringen würden457 . Pierre-Etienne Flandin, der Außenminister der neuen Administration, erbte zwei politische Themen von Laval: den französisch-sowjetischen Beistandspakt und die allgemeine Erwartung, dass Deutschland in Kürze das entmilitarisierte Rheinland besetzen und befestigen werde458 . Flandin wählte unterschiedliche Herangehensweisen, um mit dem Nachlass Lavals umzugehen. Den Ratifizierungsprozess für den Pakt mit Stalin, der nach mehrmonatiger Verzögerung am 11. Februar 1936 begann, ließ er laufen, ohne ihn zu beschleunigen oder zu blockieren. Er selbst griff nur ein einziges Mal mit einer moderaten Rede in die Debatte ein. Am 25. Februar verteidigte der Minister vor der Kammer den Abschluss des französisch-sowjetischen Hilfeleistungsvertrages und wies alle Anschuldigungen Deutschlands zurück. Gleichzeitig bot er an, die Frage der vermeintlichen Unvereinbarkeit zwischen dem Pakt und dem Locarno-Rheinpakt dem Haager Gerichtshof zur Prüfung vorzulegen459 . Am 27. Februar 1936 ratifizierte die französische Abgeordnetenkammer den Pakt mit 353 zu 164 Stimmen (bei 45 Enthaltungen)460 . Anders gestaltete sich seine Politik in Bezug auf die Rheinzone, auf die Flandin in den kommenden Wochen seine ganze Energie verwandte. Ausgangspunkt seiner Strategie waren die Drohungen gegen die entmilitarisierte 455 456

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Dobler an Laval, Köln, 17. 1. 1936, DDF, 2. Serie, Bd. I, Nr. 75, S. 107f.; Témoignages et Documents, Bd. II, S. 479f. Ebenda, S. 480. Doblers Bericht über die zunehmenden Verletzungen der entmilitarisierten Zone vom 31. Januar 1936 scheint erst Anfang März die maßgeblichen Stellen in Paris erreicht zu haben, Renondeau an Fabry, Berlin, 4. 3. 1936, SHD, 7 N 2597. Zur innenpolitischen Situation in Frankreich im Februar 1936 vgl. Bannies: Außenpolitik, S. 250ff.; Giro: Remilitarisierung, S. 120ff.; Goodman: Crisis, S. 86ff.; Sakwa: Remilitarization, S. 131. So eine Vorlage der Politischen Abteilung für Flandin kurz nach dessen Amtsantritt, Aufzeichnung der Politischen Abteilung, Paris, 27. 1. 1936, DDF, 2. Serie, Bd. I, Nr. 105, S. 151f.; Cameron: Appeasement, S. 180. Rede Flandin, 25. 2. 1936, Documents on International Affairs, 1936, hg. v. St. Heald u. J. W. Wheeler-Bennett, Oxford u. London 1937, S. 22–35. Vgl. Bannies: Außenpolitik, S. 261. Tagesmeldung, 28. 2. 1936, AdG, 1936, S. 2444.

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5. Entscheidung und Aktion (Februar–März 1936)

Rheinzone, die nun beinahe täglich im Quai d’Orsay eintrafen461 . Schon am 21. Oktober 1935 hatte sich Dobler in einem Schreiben sorgenvoll an seine Vorgesetzten gewandt. Darin berichtete er über die deutschen Vorbereitungen in der entmilitarisierten Zone. Alle Informationen würden darauf hindeuten, so Dobler, dass die Remilitarisierung bis spätestens Herbst 1936 geplant sei462 . Am 10. Dezember 1935 resümierte der Militärattaché in Berlin, auf eine Anfrage des Kriegsministers vom 6. Dezember hin, die Möglichkeiten einer baldigen Besetzung der entmilitarisierten Zone463 . Die Reichswehrführung dränge auf die Abschaffung der Zone, so lautete sein Fazit, habe aber die Geduld, auf den richtigen Augenblick zu warten, weil technisch gesehen erst im Jahr 1937 der Punkt erreicht sei, an welchem die Einbeziehung der Zone für die weitere Aufrüstung notwendig sei. Andernfalls gab Renondeau zu bedenken, dass man sich in Berlin frage, ob nicht der Zeitpunkt günstig sei, unter Verweis auf den französisch-sowjetischen Beistandspakt die Rheinlandfrage durch ein Fait accompli zu lösen464 . Vor diesem Hintergrund folgte Flandin zwei Maximen. Erstens ging er davon aus, dass die entmilitarisierte Zone unter allen Umständen zu halten sei465 . Zweitens war es seine Absicht, eine große Koalition von Staaten zu schmieden, die sich für den weiteren Erhalt der Rheinzone einsetzte466 . Gleich nach seinem Amtsantritt nahm Flandin Kontakt zu den Belgiern auf, um die Haltung Brüssels in der Rheinlandfrage zu erkunden. Die Belgier, die vorgaben, keine Anzeichen für eine baldige Remilitarisierung zu besitzen467 , bekannten sich grundsätzlich zum strategischen Wert der entmilitarisierten Zone und waren bereit, sich für den Erhalt der Artikel 42 und 43 des Versailler Vertrages einzusetzen468 . Doch ließ das belgische Drängen, von dem Laroche am 1. Februar 1936 berichtete, wonach sich insbesondere England und Frankreich um

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Aufzeichnung des 2. Büros des Generalstabes, Paris, o. D. [Oktober 1935], AMAEE, Série Z, La rive gauche du Rhin, Bd. 267 u. 268; Aufzeichnung des 2. Büros des Generalstabes, Paris, 20. 12. 1935, ebenda; Aufzeichnung des 2. Büros des Generalstabes, Paris, 4. 2. 1936, SHD, 7 N 2521; Aufzeichnung des 2. Büros des Generalstabes, Paris, 10. 2. 1936, ebenda; DDF, 2. Serie, Bd. I, Nr. 173, S. 251f. Vgl. dazu ausführlich Goodman: Rhineland, S. 51–78; Handel: Surprise, S. 47ff.; Haraszti: Invaders, S. 31; R. J. Young: In Command of France. French Foreign Policy and Military Planning, 1933–1940, Cambridge/Massachusetts u. London 1978, S. 114. Vgl. Goldman: Rhineland, S. 49f. Renondeau an Fabry, Berlin, 10. 12. 1935, DDF, 1. Serie, Bd. XIII, Nr. 380, S. 566–568. Ebenda. Vgl. Emmerson: Rhineland, S. 44. Flandin: Politique, S. 188; vgl. Thomas: Appeasement, S. 25. Laroche an Flandin, Brüssel, 2. 3. 1936, AMAEE, Série Z, La rive gauche du Rhin, Bd. 270; DDB, Bd. IV, Nr. 7, S. 51f. DDF, 2. Serie, Bd. I, Nr. 137, S. 196–198 u. Nr. 146, S. 211–213.

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die Sache kümmern sollten469 , bereits erahnen, dass Brüssel nicht bereit sein würde, sich zu sehr in der Rheinlandfrage zu exponieren. Mitte Februar wurde bekannt, dass Belgien im Falle einer deutschen Vertragsverletzung zunächst den Artikel 4 des Rheinpaktes und den Rat in Genf anrufen werde, bevor man über Sanktionen gegen das Reich redete470 . Diese Haltung hatte sich seit Längerem abgezeichnet. Noch im Mai 1935 hatte man in Brüssel einiges darauf gegeben, der Hüter einer „unverfälschten“ Auslegung der Locarnoverträge zu sein471 , doch im Herbst 1935 war es um die belgische Locarnodiplomatie still geworden. Brüssel äußerte sich weder zu den Rückwirkungen, die der deutsche Austritt aus dem Völkerbund auf Locarno haben musste, noch zu den französisch-britischen Stabsgesprächen, die unmittelbar darauf abzielten, die Wirkungsweise Locarnos zu verändern. Die belgische Haltung im Herbst war von zwei Momenten gekennzeichnet. Auf der einen Seite stieg die Angst der Belgier, eine Remilitarisierung des Rheinlandes durch das deutsche Militär stünde unmittelbar bevor. Die Berichte über die militärischen Vorbereitungen in der entmilitarisierten Zone verbanden sich mit Gerüchten, der deutsche Generalstab arbeite an einem „Super-Schlieffen-Plan“, um Frankreich und Belgien niederzuwerfen472 . Auf der anderen Seite bemühte sich die belgische Führung, aus diesen Berichten die Konsequenzen für die eigene Sicherheit zu ziehen. Nachrichten über einen möglichen deutsch-belgischen Nichtangriffspakt tauchten wieder auf473 . Diese Gerüchte vertieften das belgische Dilemma, bei einer deutschen Aktion im Rheinland ohne echte Sicherheiten da zu stehen. Dann würde man entweder zwischen allen Fronten sitzen oder wäre gezwungen, die Politik der Äquidistanz zu den Locarnopartnern aufzugeben. Im Januar 1936 zog die belgische Regierung die Reißleine und stellte die belgische Sicherheitspolitik auf eine völlig neue Grundlage. Als Hebel diente Brüssel die – aus belgischer Sicht – fehlerhafte Auslegung des Locarnopaktes durch die Franzosen. Nach französischer Lesart habe Paris das Recht, bei einer Verletzung des Rheinpaktes, ein Verstoß gegen die entmilitarisierte Zone etwa, militärisch gegen Deutschland vorzugehen und dabei ohne Zustimmung aus Brüssel belgisches Territorium als Aufmarschgebiet zu benutzen. Dies hatte die belgische Regierung in einem langwierigen Notenwechsel bestritten – ohne Erfolg. Anfang 1936, unter dem Eindruck sich ver-

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Ebenda, Nr. 123, S. 173. Ebenda, Nr. 169, S. 244f., Nr. 241, S. 339f. u. Nr. 263, S. 371f. So Van Langenhove an den deutschen Gesandten, Bräuer an das Auswärtige Amt, Brüssel, 28. 5. 1935, PA AA, R 53010. Aufzeichnung Pappenheim, Berlin, 27. 11. 1935, BA-MA, RH 2/981. Bräuer an das Auswärtige Amt, Brüssel, 15. 8. 1935, PA AA, R 70242; vgl. Klefisch: Belgien, S. 79.

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5. Entscheidung und Aktion (Februar–März 1936)

schärfender Konflikte im Innern474 , ging das Kabinett den umgekehrten Weg. Da an eine „Kündigung“ des Locarnopaktes nicht zu denken war, geriet das französisch-belgische Militärabkommen von 1920 in den Fokus der belgischen Staatsmänner. Indem man die Wirkungsbreite dieses Abkommens auf die in Locarno genannten Fälle eingrenzte, so das belgische Kalkül, gelänge es quasi durch die Hintertür, Frankreich auf eine gemeinsame Auslegung des Rheinpaktes festzulegen475 . Mitte Januar 1936 ließ der belgische Militärattaché in Paris durchblicken, dass man in Brüssel damit liebäugle, das Abkommen von 1920 zu beenden. Ende Januar beschloss das Kabinett, diese Schiene weiter zu verfolgen476 . So kam es am 15. Februar 1936 zu einer Unterredung zwischen Zeeland und Flandin über die Zukunft des Abkommens. Der Pakt von 1920 sei veraltet, erklärte Zeeland dem französischen Außenminister, es sei an der Zeit, die Klauseln zu überarbeiten. Denkbar, so Zeeland, wäre eine Vereinbarung über regelmäßige Treffen der Generalstäbe, um die unter Locarno vorgesehenen Fälle militärisch vorzubereiten und umzusetzen477 . Flandin, der auf Zeit spielen wollte, indem er die Belgier auf die drohende Remilitarisierung des Rheinlandes hinwies, bekam einige Tage später Besuch vom belgischen Botschafter. Der hatte das Projekt für eine französisch-belgische Erklärung in der Tasche, wonach beide Parteien anerkannten, dass der Pakt vom September 1920 veraltet und aufgehoben sei. Künftig würden nur die Klauseln angewendet, die militärische Studien zum Locarnofall im Auge haben478 . Da Paris nichts Besseres einfiel, als mit einem eigenen Entwurf zu antworten, kam am 26. Februar Van Langenhove eigens nach Paris, um im Quai d’Orsay über die Beendigung des Paktes zu sprechen479 . Nach zähen Verhandlungen setzte sich der belgische Standpunkt praktisch vollständig durch. Am 6. März, genau einen Tag vor der deutschen Besetzung des Rheinlandes, besiegelten Frankreich und Belgien in einem Notenwechsel zwischen Zeeland und Laroche – und nicht in einer gemeinsamen Erklärung, ein Zugeständnis an Paris – das Ende des Militärabkommens von

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Zu den innenpolitischen Konfliktlinien in Belgien vgl. ausführlich Kieft: Neutrality; Laurent: Reversal; K. Vetter: Die Rückkehr Belgiens zur Neutralitätspolitik 1936, in: Köhler: Konflikte, S. 75–80. Das Kalkül, über den Umweg der Kündigung des französisch-belgischen Militärabkommens die belgischen Verpflichtungen unter Locarno einzudämmen, offenbarte sich am sinnfälligsten in einer Unterredung, die der französische Militärattaché in der Schweiz mit dem dortigen Gesandten Belgiens am 6. März 1936 führte. Demnach sei die bevorstehende Remilitarisierung des Rheinlandes ein wichtiger Grund für die Beendigung des Militärpaktes gewesen, Forest-Divonne an Maurin, Bern, 6. 3. 1936, SHD, 7 N 3083. Vgl. Klefisch: Belgien, S. 135. DDB, Bd. III, Nr. 163, S. 456ff. Kerchove an Flandin, Paris, 21. 2. 1936, ebenda, Nr. 165, S. 462–465. Das belgische AideMemoire trägt das Datum vom 19. Februar. Ebenda, Nr. 171, S. 482–484; Zuylen: Les Mains, S. 337.

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1920. Übrig blieb das Versprechen, regelmäßige Generalstabsbesprechungen abzuhalten, um die Fälle des Rheinpaktes zu studieren480 . Während damit Belgien als echter Bündnispartner ausfiel, galt die nächste Sorge Flandins Polen. Am 17. Februar 1936 rief er den polnischen Botschafter zu sich und fragte ihn, welche Haltung Warschau im Falle einer Remilitarisierung des Rheinlandes einnehmen würde481 . An die Rolle erinnernd, die die entmilitarisierte Zone für die Sicherheit Polens spielte, regte Flandin an, Frankreich und Polen sollten eine gemeinsame Demarche unternehmen, um das Reich vor einer Aktion im Rheinland zu warnen. Chłapowski antwortete ausweichend, entsprechend der von Beck ausgegebenen Linie, wonach die polnische Führung nicht davon ausgehe, dass die deutsche Besetzung bevorstünde482 . In Wahrheit wusste man es besser483 , aber in Warschau war man entschlossen, auf Zeit zu spielen, um sich eine angemessene Strategie auszudenken. Dies glich der Quadratur des Kreises. Während man auf der einen Seite die französische Unterstützung gegen einen deutschen Angriff nicht verlieren wollte und am Erhalt der Rheinlandzone durchaus ein gewisses Interesse besaß, galt es auf der anderen Seite zu verhindern, das gute Einvernehmen mit der deutschen Führung (die „Politik des 26. Januar“) zu gefährden, wenn man vorschnell in das französische Kriegsgeschrei einstimmte484 . Ehe man Zusagen an die Adresse Frankreichs abgab, wollte Warschau prüfen, inwieweit man politisch und moralisch verpflichtet sei, an der Seite Frankreichs zu marschieren. Insbesondere ging es um das Problem, ob eine Remilitarisierung des Rheinlandes durch Deutschland einen Casus foederis im Sinne des französischpolnischen Paktes bildete485 . Die Tatsache, dass die polnischen Rechtsberater bei der Beantwortung dieser Frage zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen kamen486 , vertiefte noch einmal das polnische Dilemma und verdeutlichte, dass mit polnischem Beistand an Frankreich in der Rheinlandfrage kaum zu rechnen war. Im Grunde blieb nur die Unterstützung der Tschechoslowakei, auf die 480 481 482 483 484 485

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Zeeland an Laroche, Brüssel, 6. 3. 1936, DDB, Bd. III, Nr. 176, S. 494f.; Zuylen: Les Mains, S. 338. Vgl. Wojciechowski: Beziehungen, S. 269. Davignon an Zeeland, Warschau, 12. 2. 1936, DDB, Bd. IV, Nr. 14, S. 74–76. BDFA, II, F, Bd. 56, Nr. 151, S. 241f.; Noël: Polen, S. 116. Vgl. Breyer: Polen, S. 162. Am 4. Februar wies Beck die Rechtsberater im Außenministerium an, zu untersuchen, ob die Besetzung des Rheinlandes einen Casus foederis des französisch-polnischen Paktes bildete, vgl. H. Roos: Polen und Europa. Studien zur polnischen Außenpolitik 1931–1939 (Tübinger Studien zur Geschichte und Politik, Bd. 7), Tübingen 1957, S. 233. Potulicki und Gwiazdoski sagten, die Verletzung der entmilitarisierten Zone sei der Bündnisfall; Kulski und der Außenminister widersprachen dem, Tagebuch Szembek, 2. 3. 1936, Szembek: Journal, S. 165; Tagebuch Szembek, 7. 3. 1936, ebenda, S. 168; vgl. Breyer: Polen, S. 157; Roos: Polen, S. 235.

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Flandin von Beginn an zählen konnte. Die tschechische Regierung hatte zu keinem Zeitpunkt einen Zweifel daran gelassen, in der Remilitarisierung der Rheinlandzone einen Casus foederis für das französisch-tschechische Bündnis zu sehen. Wie der französische Botschafter berichtete, werde sich Prag jeder deutschen Vertragsverletzung entgegenstemmen, weil man an der Moldau nur zu gut wusste, dass sich Hitler nach der Befestigung des Rheinlandes nach Osten wenden würde487 . Doch all das war nicht genug, um Deutschland in Schach halten zu können. Als Flandin Anfang Februar 1936 die Spitzen der französischen Armee aufforderte, sich darüber klar zu werden, welchen Kurs die französische Politik im Falle einer Remilitarisierung des Rheinlandes einschlagen werde, konnte er noch selbstsicher behaupten, auf Grund der bestehenden Verträge bekomme Frankreich bei einer deutschen Verletzung der Entmilitarisierungsbestimmungen militärische Unterstützung durch Belgien, Italien, Polen sowie der Kleinen Entente488 , worauf Kriegsminister Maurin nur fragte: „Sicher werden wir versuchen, England für unsere Pläne zu gewinnen?“489 England wurde zum zentralen Baustein in Flandins Bemühungen um eine Abwehrfront gegen die Remilitarisierung, ohne den britischen Beitrag wäre das Häuflein der französischen Bundesgenossen kaum schlagkräftig. Bereits bei seinem ersten Gespräch als Außenminister mit seinem britischen Amtskollegen legte Flandin die Karten auf den Tisch. Für die nahe Zukunft befürchte er eine deutsche Aktion im Rheinland, vertraute er Eden am 27. Januar 1936 an, und er wolle wissen, was England in so einem Fall zu tun gedenke490 . Eden erklärte ausweichend, als Erstes müsse sich Frankreich selbst überlegen, welchen Wert man der entmilitarisierten Zone beimesse491 . Bei dieser Haltung blieben die Briten in den folgenden Wochen492 . Der britische Botschafter in Paris, Clerk, mit dem Flandin noch Anfang Februar 1936 ausführlich über die entmilitarisierte Zone und die Schritte der französischen Politik gesprochen hatte, erhielt am 13. Februar die Anweisung aus London erhalten, sich auf keine „hypotheti487

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Vgl. Emmerson: Rhineland, S. 119; Wandycz: Twilight, S. 434. Freilich konnte der tschechische Einsatz auch nicht verhindern, dass die Kleine Entente als Ganzes eher lau auf die französischen Forderungen nach Waffenhilfe reagierte. Die Hilfszusagen der Kleinen Entente nach dem 7. März 1936 gingen nicht über das Deklamatorische hinaus; insbesondere Jugoslawien sprach sich gegen Sanktionen gegen Deutschland aus, vgl. G. Reichert: Das Scheitern der Kleinen Entente. Internationale Beziehungen im Donauraum von 1933 bis 1938 (Veröffentlichungen des Sudetendeutschen Archivs in München, Bd. 6), München 1971, S. 65–68. DDF, 2. Serie, Bd. I, Nr. 155, S. 221; vgl. Duroselle: France, S. 249; Goodman: Rhineland, S. 118–120. Maurin an Flandin, Paris, 12. 2. 1936, DDF, 2. Serie, Bd. I, Nr. 170, S. 247. Eden an Clerk, London, 27. 1. 1936, DBFP, 2. Serie, Bd. XV, Nr. 484, S. 611. Eden: Diktatoren, S. 391. Vgl. Cairns: March, S. 237.

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schen Diskussionen“ mit den Franzosen über eine mögliche Remilitarisierung des Rheinlandes einzulassen493 . War damit der Gedanke einer großen Abwehrkoalition gegen die deutschen Rheinlandpläne an seiner Nahtstelle zerstört, drehten sich die französischen Bestrebungen in den Tagen vor dem deutschen Coup darum, die politische Unterstützung Londons im Fall einer deutschen Vertragsverletzung zu erlangen. Diesem Ziel dienten die Demarchen Flandins am 3. März bei Eden, bei welcher er die Briten ultimativ fragte, ob sie Frankreich im Falle einer Rheinlandbesetzung beistehen würden494 , und des französischen Botschafters in Berlin bei Hitler am 2. März 1936. Die Demarche François-Poncets war die Reaktion Frankreichs auf das Interview Hitlers, das dieser im Februar dem französischen Journalisten Bertrand de Jouvenel gegeben hatte und das am 28. Februar 1936 im Paris-Midi veröffentlicht wurde. Nachdem die Reportage publiziert war, telegrafierte der Außenminister nach Berlin, François-Poncet möge um eine Audienz bei Hitler ersuchen, um die Ernsthaftigkeit von Hitlers Verständigungswillen zu erproben495 . In der Nachkriegshistoriographie – zumal der französischen – erschien der Schritt Flandins als Zeugnis französischer Verhandlungsbereitschaft, auf jeden Wink aus Berlin einzugehen, um eine friedliche Lösung aller Probleme zu finden. Ganz so einfach war die Sache freilich nicht. Leichtfertig auf die Vorschläge Hitlers einzugehen, verbot sich schon deshalb, weil täglich neue Nachrichten in Paris eintrafen, welche Vorbereitungen die deutschen Behörden in der entmilitarisierten Zone trafen. Nach diesen Informationen stand eine deutsche Aktion unmittelbar bevor496 , und den Franzosen konnte es nicht darum gehen, auf deutsche Äolsharfen hereinzufallen, deren Klängen man ohnehin nicht glaubte, sondern eine breite Front gegen deutsche Vertragsverletzungen aufzubauen. Genau diese Absicht war es, die hinter der Demarche Poncets bei Hitler am 2. März 1936 steckte. Poncet eröffnete das Gespräch, indem er sagte, die französische Regierung habe mit Interesse vom JouvenelInterview Kenntnis genommen. Auch Frankreich wünsche, so François-Poncet, freundschaftliche Beziehungen zu Deutschland „unter Aufrechterhaltung ihrer alter Freundschaften und abgeschlossenen Verträge“. Dann wollte der Botschafter wissen, welche konkreten Vorschläge Hitler machen könne497 . 493 494 495 496

497

Eden an Clerk, London, 13. 2. 1936, DBFP, 2. Serie, Bd. XV, Nr. 517, S. 652f.; Eden: Diktatoren, S. 393. Edmond an das Foreign Office, Genf, 4. 3. 1936, DBFP, 2. Serie, Bd. XVI, Nr. 12, S. 22f. DDF, 2. Serie, Bd. I, Nr. 265, S. 373 Anm. 2; Flandin: Politique, S. 197. DDF, 2. Serie, Bd. I, Nr. 245, S. 351ff. u. Nr. 277, S. 390ff. Wenige Tage vor dem deutschen Coup erhielt die französische Journalistin Tabouis den Anruf eines deutschen Diplomaten von der schweizerischen Grenze, der eine Besetzung des Rheinlandes für den 7. März ankündigte, Tabouis: Cassandra, S. 273. Aufzeichnung Neurath, Berlin, 3. 3. 1936, ADAP, C, Bd. IV, 2, Nr. 604, S. 1195.

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5. Entscheidung und Aktion (Februar–März 1936)

Diese Äußerungen legten lediglich die starre Haltung Frankreichs frei und waren kaum geeignet, Hitler aus der Reserve zu locken. Es ging also weniger darum, in echte Verhandlungen mit dem Reich einzutreten; Poncets Vorstoß sollte vielmehr einen positiven Einfluss auf die britische Haltung haben, indem man den Briten demonstrierte, dass man alle Möglichkeiten auf Frieden ausgelotet habe498 . Flandin hat diese Zielsetzung nach dem Krieg in seiner Aussage vor dem Untersuchungsausschuss des Parlaments klar zum Ausdruck gebracht499 . Am 5. März instruierte Flandin François-Poncet, schnellstmöglich mit Neurath Kontakt aufzunehmen, um die Ergebnisse der Unterredung mit Hitler vom 2. März zu konkretisieren500 . Aber das deutsche Interesse an weiteren Gesprächen war erlahmt. Neurath bestellte Poncet für den 7. März zu sich, aber die Mitteilungen, die er zu machen hatte, sollten die Situation von Grund auf ändern. Während also die Briten nicht bereit waren, die Remilitarisierung des Rheinlandes zu verhindern, blieb noch die Möglichkeit, allein und gestützt auf die französische Militärmacht gegen ein deutsches Fait accompli vorzugehen. Hier schien sich die Situation günstiger zu gestalten. Seit einer Inspektionsreise Pétains in den nordöstlichen Grenzregionen im August 1935 erstellte der Generalstab die Pläne für den Fall einer plötzlichen Remilitarisierung des Rheinlandes durch Deutschland501 . Bereits Mitte September standen die ersten Planungen für Sofortmaßnahmen wie Grenzverstärkungen und schnellere Aufrüstung, die in den kommenden Monaten immer wieder überarbeitet wurden. Mit der Herausgabe eines umfassenden Maßnahmenkatalogs Mitte Februar 1936 waren diese Arbeiten abgeschlossen502 . Doch es gab einen Haken. So imposant diese Militärmaßnahmen sein mochten, sie konnten weder die deutsche Rheinlandbesetzung aufhalten noch sie rückgängig machen, wenn sie einmal stattgefunden hatte. Auf einer Sitzung des Militärkomitees am 18. Februar 1936 sagten die Militärs dem Außenminister offen ins Gesicht, dass sie über keine Pläne für eine deutsche Remilitarisierung des Rheinlandes verfügten; alle Operationspläne bezögen sich auf einen Angriff gegen das französische Kernland503 . Spätestens hier musste Flandin klar geworden sein, dass das Diktum Maurins, britischen Beistand beizubringen, weniger eine politische 498

499 500 501 502

503

Attolico an Mussolini, Berlin, 3. 3. 1936, DDI, 8. Serie, Bd. III, Nr. 355, S. 419f. Daher hatte es François-Poncet sehr eilig damit, den Briten Mitteilung über die „geheime“ Unterredung zu machen, BDFA, II, F, Bd. 47, Nr. 55, S. 61f. Témoignages et Documents, Bd. I, S. 145. DDF, 2. Serie, Bd. I, Nr. 281, S. 395. Aufzeichnung, o. V., Paris, 13. 8. 1935, SHD, 7 N 3437. Aufzeichnung des Generalstabes, Paris, 15. 9. 1935, ebenda; Aufzeichnung, o. V., für Gamelin, Paris, 24. 1. 1936, ebenda; Aufzeichnung des Generalstabes, Paris, 15. 2. 1936, ebenda. Flandin: Politique, S. 195f.; vgl. Emmerson: Rhineland, S. 50f.

5.4 Präventive Planungen und Reaktion in England und Frankreich

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Zielsetzung enthielt, sondern den Militärs als Rückversicherung für die Zeit nach einer deutschen Besetzung galt; wenn man der Armee dann Untätigkeit vorwarf, so das Kalkül Maurins, konnte man auf die mangelnde Unterstützung Englands verweisen. Und so biss Flandin an allen Ecken auf Granit. Ohne den festen Willen der Militärs und ohne die Unterstützung der Briten blieb dem französischen Kabinett nichts anderes übrig, als am 22. Februar 1936 den förmlichen Beschluss zu fassen, im Falle einer deutschen Remilitarisierung des Rheinlandes keine isolierte Militäraktion zu unternehmen, sondern den Völkerbundsrat in Genf anzurufen und weitergehende Schritte nur im Einvernehmen mit den Garanten Locarnos zu unternehmen504 . Das Ergebnis dieser Kabinettssitzung teilte Flandin am 27. Februar dem belgischen Vertreter in Paris505 und am 3. März dem britischen Außenminister in Genf mit506 . Demnach werde sich Paris jeder selbstständigen Aktion enthalten, wenn Deutschland das Rheinland besetzte, und sich stattdessen mit den Locarnopartnern abstimmen und den Völkerbund anrufen. Paris behielt sich aber das Recht vor, vorbereitende Maßnahmen zu treffen. An dieser Stelle gruben sich die Franzosen ein. Die letzten Tage vor dem deutschen Coup verbrachten die Franzosen damit, bange Blicke ins Rheinland werfen, um zu sehen, was die Deutschen dort vorhatten507 . Gleichzeitig betonte der Quai d’Orsay in mehreren Denkschriften für Ministerpräsident Sarraut die Richtigkeit der französischen Politik der letzten Monate. Eine Aufzeichnung vom 4. März stellte noch einmal die Vereinbarkeit des Rheinpaktes mit dem französisch-sowjetischen Beistandspakt fest. Eine Verschiebung der Ratifizierung, so hieß es in einer weiteren Vorlage, käme unter keinen Umständen in Frage508 . Auf Grund des Widerstandes, den die Briten und die Spitzen der französischen Armee seinen Plänen entgegensetzten509 , konnte auch Flandin das Scheitern der französischen Rheinlandstrategie nicht verhindern. Erstens ver504 505 506 507

508 509

Aufzeichnung des 2. Büros des Generalstabes, Paris, 24. 2. 1936, SHD, 7 N 2521; vgl. Müller: Frankreich, S. 22. Kerchove an Zeeland, Paris, 27. 2. 1936, DDB, Bd. IV, Nr. 17, S. 85–89; DDF, 2. Serie, Bd. I, Nr. 241, S. 339f. Edmond an das Foreign Office, Genf, 4. 3. 1936, DBFP, 2. Serie, Bd. XVI, Nr. 12, S. 22f. Guerin an Flandin, Karlsruhe, 20. 2. 1936, AMAEE, Série Z, La rive gauche du Rhin, Bd. 281; Bericht Monnard, o. O., 22. 2. 1936, AMAEE, Série Z, La rive gauche du Rhin, Bd. 270; DDF, 2. Serie, Bd. I, Nr. 245, S. 351–355; vgl. Müller: Frankreich, S. 25. Am berühmtesten ist das Telegramm geworden, das am Morgen des 7. März die französische Hauptstadt erreichte und in welchem gleichzeitig behauptet wurde, die Remilitarisierung habe stattgefunden und sie habe nicht stattgefunden, DDF, 2. Serie, Bd. I, Nr. 297, S. 409. Aufzeichnung, o. V., für Sarraut, Paris, 4. 3. 1936, AMAEE, Série Z, Grande-Bretagne, Bd. 298, 299 u. 300; Aufzeichnung, o. V., Paris, 4. 3. 1936, ebenda. Vgl. Emmerson: Rhineland, S. 53.

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schüttete die starre Konzeption Flandins, unter allen Umständen am Status der Rheinzone festzuhalten, Handlungsalternativen in Bezug auf das Rheinland. Dadurch beging Flandin denselben Fehler wie Laval. Am 1. Februar 1936 beschäftigte sich eine Vorlage des Quai d’Orsay ausführlich mit den deutschen Verletzungen in der entmilitarisierten Zone. Ganz zum Schluss ging die Denkschrift auf die Möglichkeiten ein, wie Frankreich auf eine plötzliche Remilitarisierung reagieren könne, doch diese Ausführungen hatten es in sich. Frankreich könne die Sache vor den Völkerbund bringen, fasste die Aufzeichnung die herrschende Meinung in allen Pariser Zirkeln zusammen, aber unter dem Strich stünden die Karten nicht gut in Genf. Die Mitglieder des Völkerbundes, so die Befürchtung, könnten die Schutzlosigkeit Deutschlands ansprechen und damit nicht nur das deutsche Streben nach Sicherheit anerkennen, sondern auch die französische Theorie der Sécurité endgültig zerstören, wonach Frankreich Sicherheit vor Deutschland erlangen müsse und nicht umgekehrt. Die Denkschrift schlug einen anderen Kurs vor. Demnach solle sich die französische Diplomatie bereit erklären, den Deutschen gewisse Zugeständnisse in der entmilitarisierten Zone zu machen, wenn sich dafür im Gegenzug eine grundsätzliche Bestätigung der Entmilitarisierungsklauseln durch Hitler erreichen ließe510 . Damit lag die Denkschrift auf einer Linie, die auch von Teilen der Armee vertreten wurde. Mitte Februar empfahl eine Denkschrift des Generalstabes, den Bestand der entmilitarisierten Zone im Grundsatz zu sichern, indem man den Deutschen erlaubte, an bestimmten Punkten im Rheinland Luftabwehr zu errichten oder Garnisonen zu stationieren. Diese Ausführungen fußten auf dem Gedanken, dass man die Remilitarisierung des Rheinlandes nicht aufhalten könne, aber wenn es so weit wäre, müsse Frankreich den größtmöglichen Nutzen aus der Situation ziehen. So war aus dem Kriegsministerium schon länger zu hören, dass man die entmilitarisierte Zone ruhig aufgeben könne, wenn Paris dafür eine Defensivallianz mit London erhielte511 . Manche Militärs wünschten geradezu einen deutschen Vertragsbruch im Rheinland, um diesen für die eigenen Zwecke instrumentalisieren zu können. Im Januar 1936 legte General Colson eine Denkschrift vor, in welcher er die Idee ventilierte, die Schockwirkung, die eine Besetzung der entmilitarisierten Zone im französischen Volk auslösen würde, dahin auszunutzen, umfangreiche Kredite für ein langfristiges Rüstungsprogramm vom Parlament

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Aufzeichnung der Politischen Abteilung, Paris, 1. 2. 1936, DDF, 2. Serie, Bd. I, Nr. 125, S. 174–176. Vgl. Adamthwaite: France, S. 40; Emmerson: Rhineland, S. 46f.; Sakwa: Remilitarization, S. 133.

5.4 Präventive Planungen und Reaktion in England und Frankreich

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gewährt zu bekommen512 . Und am 15. Februar 1936 offenbarten die Militärs in einer Denkschrift, die sich eigentlich mit den Gegenmaßnahmen bei einer deutschen Rheinlandaktion beschäftigen sollte, worauf sie es abgesehen hatten. Locarno sei ineffektiv, denn es verbiete die militärische Zusammenarbeit zwischen Paris und London. Besser wäre ein „neues Locarno“, das den Kern einer französisch-britisch-belgischen Defensivallianz bilden könne, und die Militärs waren nur zu gerne bereit, dafür das „rheinische Niemandsland“ aufzugeben513 . Tatsächlich schien ein Fortkommen auf dieser Linie möglich, als am 13. Februar 1936 Flandin – auf Druck Londons – den Oberbefehlshaber der Armee beauftragte, eine Studie auszuarbeiten, unter welchen Bedingungen Frankreich eine Remilitarisierung gestatten könne. Doch die Antwort Gamelins zählte so viele Bedingungen auf, dass sie auf ein glattes Nein hinauslief. Damit hatte sich innerhalb der Armee die Richtung durchgesetzt, die die entmilitarisierte Zone unter allen Umständen bis 1940/42 halten wollte514 . Dies wiederum stärkte die rigide Haltung Flandins. Deshalb ignorierte er die Bemühungen des französischen Generalkonsuls in Köln, der an einem deutsch-französischen Modus vivendi im Rheinland arbeitete. Dobler hatte sich im Januar 1936 vergeblich bemüht, von Laval empfangen zu werden, um ihm seine Befürchtungen im Hinblick auf das Rheinland mitzuteilen. Erst Ende Januar/Anfang Februar, nach dem Sturz Lavals, wurde Dobler zu einem mündlichen Vortrag nach Paris vorgelassen. Dobler sprach im Quai d’Orsay vor und berichtete über die Vorbereitungen Deutschlands, die entmilitarisierte Zone zu besetzen. Doblers Erfolg blieb bescheiden. Flandin und Bargeton gaben gegenüber Dobler an, keine Informationen über eine bevorstehende Remilitarisierung zu besitzen und hielten dessen Warnungen für übertrieben. Nur Georges Mandel, Postminister im Kabinett Sarraut und eine Art Graue Eminenz der Regierung515 , nahm die Warnungen Doblers ernst und bat den Konsul, ihn, Mandel, weiter auf dem Laufenden zu halten. Demgemäß versorgte Dobler den Minister in den nächsten Wochen in vertraulichen Berichten über die Lage im entmilitarisierten Rheinland. Am 23. Februar 1936 sandte er Mandel eine Depesche, die an Deutlichkeit nicht zu überbieten war. Die ihm vorliegenden Informationen, schrieb Dobler, würden drei Schlussfolgerungen zulassen: Die Remilitarisierung des Rheinlandes sei beschlossene Sache; die

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Aufzeichnung des Generalstabes, Paris, 24. 1. 1936, SHD, 7 N 3437; DDF, 2. Serie, Bd. I, Nr. 223, S. 317f. Vgl. P. Jackson: France and the Nazi Menace. Intelligence and Policy Making 1933–1939, Oxford u. New York 2000, S. 174; Schuker: Remilitarization, S. 326f. Aufzeichnung des 2. Büros des Generalstabes, Paris, 15. 2. 1936, SHD, 7 N 2521. DDF, 2. Serie, Bd. I, Nr. 203, S. 302; vgl. auch Aufzeichnung des 2. Büros des Generalstabes, Paris, 31. 7. 1935, SHD, 7 N 2520. Vgl. Goodman: Rhineland, S. 90.

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militärischen Vorbereitungen seien so weit gediehen, dass die Remilitarisierung jederzeit durchgeführt werden könne; als Vorwand würde der deutschen Seite die Ratifizierung des französisch-sowjetischen Beistandspaktes dienen516 . Die Konzeption, die Dobler angesichts dieser Herausforderung entwickelte, offenbarte sich im Laufe einer Unterredung, die er am 10. Februar 1936 mit dem Schriftleiter des Westdeutschen Beobachters, Erdmann, hatte. Demnach sei man in Paris entschlossen, sich einer gewaltsamen Militarisierung des Rheinlandes zu widersetzen, indem man die Sanktionen des Völkerbundes gegen Deutschland in Gang setze. Allerdings könne man darüber nachdenken, die entmilitarisierte Zone auf dem Verhandlungswege abzuschaffen, wenn es gelänge, Deutschland, Frankreich und Großbritannien in einem „kombinierten Abkommen“ zusammen zu führen. Ein solches Abkommen, so Dobler, müsse eine Regelung aller politischen Fragen unter gleichzeitiger „Berücksichtigung der militärischen Lage“ beinhalten. Darunter verstand Dobler die Forderung, das Revisionsproblem erst lösen zu können, wenn Deutschland einer internationalen Rüstungskonvention beiträte. Als Zugeständnisse an das Reich schloss Dobler die Rückgabe von Kolonien ausdrücklich aus und ventilierte dagegen die Möglichkeit, die deutsche Wirtschaft mit französischen Krediten zu stützen. Schließlich empfahl er, Frankreich und Deutschland sollten zunächst „inoffizielle Kontakte“ knüpfen, bevor man England hinzuziehe517 . Noch schwerer wog ein zweiter Punkt, der die starre Konzeption Flandins zum Fehlschlag werden ließ, nämlich dass sie nicht im Stande war, die zeitgemäßen strategischen Interessen Frankreichs abzubilden. Als die französischen Militärs im April 1935 beschlossen, Pläne für einen offensiven Vorstoß ins Reich aufzugeben, verlor die entmilitarisierte Zone ihren militärischen Wert und hörte auf, ein relevanter Faktor in der Sicherheitspolitik Frankreichs zu sein518 . Schon damals legte eine Denkschrift des Generalstabes das Dilemma, dass Politik und militärische Planung nicht zusammenpassten, schonungslos offen. Die entmilitarisierte Zone sei faktisch abgeschafft, hieß es da, um die Remilitarisierung des Rheinlandes noch aufzuhalten, bliebe Frankreich nur die Möglichkeit, das System der assistance mutuelle weiter auszubauen, um aber sogleich einzuschränken, dass die Hilfe der meisten Staaten „prekär“ sei. Russland sei zu weit weg vom Rheinland, Tschechien zu sehr mit sich selbst beschäftigt und Italien nicht interessiert am Erhalt der Zone; Belgien komme nur als defensiver Akteur in Frage. Es bliebe, so die Aufzeichnung, allein die Unterstützung Englands, die

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Dobler an Mandel, Köln, 23. 2. 1936, Témoignages et Documents, Bd. II, S. 480f. Aufzeichnung Erdmann, Köln, 10. 2. 1936, BArch, NS 10/199. Gamelin: Servir, Bd. 2, S. 165. Vgl. Adamthwaite: France, S. 39; Knapp: Rhineland, S. 76; Neville: Appeasement, S. 73; Shore: Battle, S. 54; Watt: Rhineland, S. 245.

5.4 Präventive Planungen und Reaktion in England und Frankreich

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die strategische Position Frankreichs entscheidend verbessern konnte; um sie galt es sich zu bemühen519 . Die französische Führung versäumte es, die strategischen Schlussfolgerungen aus dieser Analyse zu ziehen und die Entmilitarisierung genauso wie die gesamte Sicherheitsarchitektur einer Überprüfung zu unterziehen. Stattdessen hielt man daran fest, dass die entmilitarisierte Zone bestehen bleiben müsse520 . Dazu basierte die neue Politik der Bündnisse, die Paris im Mai 1935 reaktivierte, auf der Fiktion, Paris sei jederzeit in der Lage, seinen Bundesgenossen im Osten Europas militärisch zu Hilfe zu eilen. Allein die Existenz der entmilitarisierten Zone hauchte dieser Illusion weiterhin Leben ein521 . So traf der 7. März 1936 die Franzosen zwar nicht unerwartet, aber völlig unvorbereitet. Schon am Morgen war Paris voller Gerüchte, deutsche Truppen hätten die entmilitarisierte Zone besetzt522 , lange bevor der französische Botschafter beim Reichsaußenminister eintraf, um das deutsche Memorandum zur „Kündigung“ Locarnos entgegenzunehmen. Noch am 7. März 1936 traf sich Sarraut mit seinen wichtigsten Ministern – unter ihnen Flandin, Maurin, Mandel und Paul-Boncour – zu mehreren Krisensitzungen im Amtssitz des Ministerpräsidenten. Dort wurden unter der Führung Boncours und Mandels, die auf eine energische Antwort Frankreichs drängten, die Weichen für eine militärische Aktion gestellt523 . Auf dieser Schiene beschloss das Kabinett in seiner Sitzung vom 8. März, die französische Armee in Alarmbereitschaft zu versetzen, die an der Maginotlinie stationierten Truppen zu verdoppeln und eine Luftüberwachung entlang der deutsch-französischen Grenze einzurichten524 . Gleichzeitig begann der Außenminister, bei den Bundesgenossen wegen einer Militäraktion zu sondieren. Der erste, der Flandin die volle Unterstützung erklärte, war der tschechische Botschafter525 . Auch der Vertreter Russlands sprach sich für eine „Demütigung“ Deutschlands aus und sagte zu, Frankreich dabei zu helfen526 . Überraschender war, dass die Polen zu ihren Vertrags519 520 521

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Aufzeichnung des Generalstabes, Paris, [22. 3. 1935], DDF, 1. Serie, Bd. IX, Nr. 494, S. 691; Gamelin: Servir, Bd. 2, S. 159f.; vgl. Davis: Mesentente, S. 516. DDF, 1. Serie, Bd. XI, Nr. 369, S. 520–522; DDF, 1. Serie, Bd. XII, Nr. 26, S. 39–48. Noël: Polen, S. 119. Wie Flandin taten auch die Militärs um Maurin und Gamelin nichts, um dieses Dilemma aufzulösen, sondern verlangten weiterhin von der politischen Leitung, die Rheinzone unbedingt zu erhalten. DDF, 2. Serie, Bd. I, Nr. 297, S. 409 u. Nr. 298, S. 410f.; vgl. Müller: Frankreich, S. 25. Gamelin: Servir, Bd. 2, S. 202f.; Ursachen und Folgen, Bd. X, Nr. 2455 a, S. 432f.; vgl. Adamthwaite: France, S. 38; Braubach: Einmarsch, S. 26ff. Kühlenthal an das Reichskriegsministerium, Paris, 12. 3. 1936, ADAP, C, Bd. V, 1, Nr. 88, S. 111–113; vgl. Benoist-Méchin: Militärmacht, Bd. 3, S. 296. DDF, 2. Serie, Bd. I, Nr. 307, S. 419; P. Reynaud: Mémoires, Bd. II: Envers et contre tous 7 mars 1936–16 juin 1940, Paris 1963, S. 55. Alphand an Flandin, Moskau, 8. 3 1936, DDF, 2. Serie, Bd. I, Nr. 329, S. 438f. Vgl. Beloff: Russia, Bd. 2, S. 50; Niedhart: Sowjetunion, S. 342.

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pflichten standen. In gleichlautenden Erklärungen versicherten der polnische Geschäftsträger in Paris und der polnische Außenminister Beck in Warschau, dass Polen im deutschen Vorgehen den Bündnisfall für das französisch-polnische Abkommen sehe und Frankreich militärische Unterstützung gewähren werde527 . Am zögerlichsten reagierten die Belgier. Man interpretiere das deutsche Vorgehen als Vertragsbruch, so die belgischen Diplomaten, lehne eine Militäraktion aber ab528 . Daher appellierte Brüssel am 8. März 1936 an den Völkerbund, dieser möge sich mit dem deutschen Schritt befassen. Am Abend desselben Tages hielt Ministerpräsident Sarraut eine von den Hardlinern im Quai d’Orsay verfasste Rundfunkansprache, in der er das deutsche Vorgehen scharf verurteilte. Gleichzeitig lehnte er es ab, über die deutschen Friedensvorschläge zu verhandeln, solange deutsche Streitkräfte im Rheinland standen. Die Rede gipfelte in den berühmten Worten: „Nous ne sommes pas disposés à laisser placer Strasbourg sous le feu des canons allemands.“529 War diese Rede dazu gedacht, die öffentliche Meinung in Frankreich zu „galvanisieren“530 und eine vereinigte Front herzustellen, die sich gegen die Remilitarisierung wandte, entpuppten sich die Worte Sarrauts bald als leere Phrasen. Unterdessen hatten sich nämlich Zweifel an der Durchführbarkeit einer Militäraktion eingestellt. Den Anfang machten die französische Presse und die Öffentlichkeit, die sich sogleich und einhellig gegen einen militärischen Gegenschlag aussprachen531 . Natürlich müsse man den Deutschen Einhalt gebieten, ging die Meinung sowohl im Volk als auch unter den Intellektuellen, aber erstens hatte man Verständnis für das deutsche Streben nach Souveränität und zweitens sei ein Militärschlag ohne Verbündete nicht denkbar532 . Viel wichtiger wurde die zögernde Haltung der Militärs. Den Zustand der 527

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DDF, 2. Serie, Bd. I, Nr. 303, S. 415f. u. Nr. 327, S. 436f.; Beck: Rapport, S. 113; J. Łukasiewicz: Diplomat in Paris 1936–1939, hg. v. W. Jedrzejewicz, New York u. London 1970, S. 6–8; vgl. Breyer: Polen, S. 157f. Laroche an Flandin, Brüssel, 7. 3. 1936, DDF, 2. Serie, Bd. I, Nr. 302, S. 414f.; vgl. Kieft: Neutrality, S. 58. Radioansprache Sarraut, 8. 3. 1936, R. Mennevée (Hg.): Recueil de Documents Diplomatiques et Politiques sur la Dénonciation de l’Accord de Locarno par l’Allemagne et la Réoccupation de la Rhénanie démilitarisée, Paris 1936, Nr. 6, S. 27. Vgl. R. Ulrich: René Massigli and Germany, 1919–1938, in: Boyce: Decline, S. 132–148, hier S. 144. Flandin: Politique, S. 201. Vgl. Giro: Remilitarisierung, S. 193ff.; Adamthwaite: France, S. 37; Duroselle: France, S. 253; M. Vaïsse: Der Pazifismus und die Sicherheit Frankreichs 1930–1939, in: VfZ 33 (1985), S. 590–616, hier S. 600ff.; J. M. d’Hoop: Frankreichs Reaktion auf Hitlers Außenpolitik 1933–1939, in: GWU 15 (1964), S. 211–223, hier S. 221ff. Vgl. C. v. Buddenbrook: Friedrich Sieburg (1893–1964). Ein deutscher Journalist vor der Herausforderung eines Jahrhunderts. Mit einer Einleitung von J. Altwegg, Frankfurt/M. 2007, S. 121; G. Sonnabend: Pierre Viénot (1897–1944). Ein Intellektueller in der Politik (Pariser Historische Studien, Bd. 69), München 2005 (Diss. phil. Bonn 2001/02), S. 336– 338.

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französischen Armee in Rechnung stellend und exakt auf der Linie der operativen Planungen liegend, die die französische Armee seit 1930 entwickelt hatte, wurde es zum obersten Gebot Gamelins und Maurins, unter allen Umständen eine kriegerische Verwicklung der französischen Streitkräfte zu vermeiden. Dazu fuhren sie mit einer ganzen Reihe von Argumenten auf, die gegen eine Militäraktion sprachen. Das erste Manöver war, die Stärke der im Rheinland stationierten deutschen Truppen maßlos zu übertreiben533 . Zu den 30 000 Mann der Reichswehr, die am 7. März in die Zone einmarschiert waren, so rechnete der Generalstab vor, kämen noch 30 000 Landespolizisten, ebenso viele Männer des Reichsarbeitsdienstes, 150 000 SA-Männer, 25 000 Angehörige der SS sowie 30 000 Mitglieder des NS-Kraftfahrerkorps534 . Alles in allem kalkulierte der Generalstab mit einer Truppenstärke von 295 000 Mann, also dem fünffachen der tatsächlichen Besatzung. Dazu kam, dass die französische Armee lediglich über militärische Planungen verfügte, die sich auf einen Angriff auf das französische Mutterland bezogen. Als die Militärs im Kabinett gefragt wurden, welche militärischen Möglichkeiten der französischen Führung zu Gebote stünden, griffen Maurin und Gamelin zum Äußersten. In einer gemeinsamen Note für das Kabinett unterbreiteten sie den Ministern zwei Operationen, die als Polizeiaktion in Frage kämen, nämlich ein Vorstoß über Saarbrücken bis Merzig oder ein Vorstoß ins Rheinland unter Wegnahme Luxemburgs535 . Tatsächlich waren diese Pläne veraltet und seit geraumer Zeit nicht mehr überarbeitet worden. Aber das war noch nicht alles. Da es in Folge einer solchen Aktion zum Krieg mit Deutschland kommen könne, so argumentierten Maurin und Gamelin, müsse jede pris des gages von einer Generalmobilmachung begleitet sein, um schnellstens Reservisten nachführen zu können536 . Die Minister fielen aus allen Wolken. Eine allgemeine Mobilmachung sechs Wochen vor den Kammerwahlen, das war allen klar, die am 8. März beisammensaßen, war nicht weniger als eine 533 534 535 536

Vgl. Jackson: Intelligence, S. 172. DDF, 2. Serie, Bd. I, Nr. 392, S. 505. Ebenda, S. 504 u. Nr. 393, S. 506–508. Gamelin: Servir, Bd. 2, S. 198, S. 204 u. S. 208f.; Aussage Daladier, Paris, 21. 5. 1947, Témoignages et Documents, Bd. I, S. 26. Nach dem Krieg behaupteten die Militärs, sie hätten in den Tagen nach dem deutschen Schritt lediglich die Couverture gefordert, Aussage Gamelin, Paris, 9. 12. 1947, Témoignages et Documents, Bd. II, S. 392; Ursachen und Folgen, Bd. X, Nr. 2455 a, S. 435. In dem entsprechenden Dokument des Obersten Kriegsrates hieß es wörtlich: „Pour réaliser cette préparation indispensable, il faudrait: 1. Au minimum mettre sur pied la couverture (. . . ) 2. Etre en mesure de lancer en même temps nos fabrications de guerre (. . . ) 3. Se tenir prêt à passer sans délai, dans le cas où l’Allemagne ne céderait pas, de la couverture à la mobilisation (. . . ).“ Aufzeichnung Gamelin, Paris, 28. 3. 1936, Ch. Serre (Hg.): Rapport fait au nom de la Commission chargée d’enquêter sur les événements survenus en France de 1933 à 1945, Teil I: Les événements du 7 mars 1936, [Paris 1947], S. 54.

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„Verrücktheit“537 , die die ohnehin prekäre innenpolitische Situation weiter zugespitzt hätte. Außerdem bot die angeschlagene Wirtschaftslage in Frankreich keinen finanziellen Spielraum für eine großangelegte Militärdemonstration. Ohne eine Abwertung des Franc, erklärten die Finanzexperten auf die Frage Sarrauts, was die Generalmobilmachung kosten würde, sei ein Krieg nicht zu bezahlen538 . Das dritte Argument, das die Vertreter der Armee gegen eine Militäraktion ins Feld führten, war, dass Frankreich nicht allein gegen Deutschland antreten könne. Als sich die führenden Militärs am Abend des 8. März in der Wohnung Gamelins versammelten, um über das weitere Vorgehen zu beraten, kamen sie zu dem Ergebnis, dass ein deutsch-französischer Konflikt eine Situation hervorrufen musste, in der Deutschland – auf Grund seines größeren industriellen Potenzials – langfristig die Nase vorn hätte539 . Die französische Politik, so waren sich alle Anwesenden einig, müsse deshalb den Völkerbund in Genf anrufen, um die französischen Bündnispartner Polen, Russland und die Tschechoslowakei zu binden, und alles daran setzen, die übrigen Locarnomächte – England, Belgien, Italien – an die Seite Frankreichs zu ziehen540 . Damit war der Ball nach London gespielt. Hier musste sich entscheiden, ob es wegen der Remilitarisierung des Rheinlandes zu einer bewaffneten Auseinandersetzung kommen würde. Tatsächlich waren die Würfel gegen den Krieg gefallen, lange bevor Flandin am 10. März 1936 den nach Paris entsandten Vertretern, Eden und Halifax, erklärte, Frankreich sehe den deutschen Schritt als „flagranten Bruch“ Locarnos, der einen französischen Gegenschlag rechtfertige und den militärischen Beistand der Locarnogaranten verlange541 . Schon am 7. März 1936, am Tag von Hitlers Gewaltcoup, waren verschiedene einflussreiche Politiker, unter ihnen Lord Lothian, Lord und Lady Astor, Thomas Inskip, Arnold Toynbee und Thomas Jones, in London zusammengekommen, um die britische Reaktion auf die Rheinlandbesetzung abzustimmen542 . Es dürfe wegen des Rheinlandes zu keinem Krieg kommen, erklärte Jones am folgenden Tag Baldwin die Beschlüsse des „Schattenkabinetts“, deshalb solle man den Einmarsch verurteilen, aber nicht als aggressiven Akt bewerten, sondern auf Hitlers Friedensvorschläge eingehen. Verhandlungen, so Jones, hätten den doppelten Vorteil, dass man Hitlers guten Glauben 537 538 539 540 541 542

Flandin: Politique, S. 199. Paul-Boncour: Souvenirs, Bd. III, S. 32–34. Ursachen und Folgen, Bd. X, Nr. 2455 c, S. 433. Gamelin: Servir, Bd. 2, S. 201, S. 206 u. S. 211. Vgl. Bolen: Rhineland, S. 262. Noch in der Nacht zum 7. März erhielt Vansittart einen Anruf des ehemaligen Luftwaffenattachés in Berlin, Malcolm Christie, der ihn detailliert über den Einmarsch in die entmilitarisierte Zone und die Truppenstärke informierte, Aufzeichnung Christie, o. O., 7. 3. 1936, zit. bei Wark: Enemy, 52.

5.4 Präventive Planungen und Reaktion in England und Frankreich

457

prüfen könne und gleichzeitig die Zeit nutzen, um weiter aufzurüsten543 . Ganz auf dieser Linie lag die Konzeption Edens, die er am 9. März dem Kabinett vorstellte und im britischen Unterhaus vertrat. Bereits am Tag zuvor hatte Eden eine Denkschrift zirkulieren lassen, in welcher er die britische Haltung prägnant zusammenfasste. „Nun ist der Mythos geplatzt“, schrieb Eden, „dass Hitler nur Verträge nicht anerkennt, die Deutschland unter Zwang auferlegt sind.“544 Damit werde das letzte Vertrauen in Hitlers Vertragstreue erschüttert. Da die deutsche Aktion indes keine „Drohung mit Feindseligkeiten in sich schließt“, so Eden, dürfe es wegen der Rheinlandkrise nicht zu einem Krieg kommen, sondern man solle diese letzte Chance nutzen, mit Deutschland ein „dauerhaftes und weitreichendes Abkommen“ zu schließen545 . Deshalb empfahl Eden einen Kurs, der drei Facetten hatte. Erstens müsse verhindert werden, dass Frankreich wegen des Rheinlandes einen Krieg vom Zaun brach. Dazu gelte es, beruhigend auf die Franzosen einzuwirken und einen Beschluss des Völkerbundes herbeizuführen, der so bemessen war, dass er Frankreich zufrieden stellte, sich aber keine Notwendigkeit zum militärischen Handeln daraus ableiten ließe. Im Gegenzug für den Verzicht Frankreichs, militärische Gegenmaßnahmen zu ergreifen, müsse man anderweitige „Schritte zur Genugtuung“ in den Blick nehmen, die etwa in einem teilweisen Rückzug der deutschen Truppen bestehen könne. Drittens solle man Deutschlands guten Willen prüfen, indem man die deutschen Angebote ernsthaft erwäge und bald in Verhandlungen mit Hitler eintrete546 . Dass das britische Kabinett die Marschroute Edens am 9. März so schnell absegnete547 , hat mit drei Gründen zu tun, die diesen Kurs praktisch alternativlos machten. Erstens war die öffentliche Meinung in England gegen den Krieg eingestellt548 . Deutschland habe schließlich nur eine große Ungerechtigkeit beendet, indem es den Fuß in den eigenen back-garden setzte549 , ging die landläufige Meinung, und habe das „letzte scheußliche Überbleibsel“ von Versailles getilgt. Damit eröffne sich die „Chance to rebuild“, wie die Times titelte, den Aufbau einer gerechten und dauerhaften Friedensordnung in Europa550 . 543 544 545 546 547 548

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Jones an Lady Grigg, London, 8. 3. 1936, Th. Jones: A Diary with Letters 1931–1950, London 1954, S. 180f. Aufzeichnung Eden, London, 8. 3. 1936, zit. bei Hauser: England, Bd. 1, S. 207. Berber: Locarno, Nr. 47, S. 248f.; Hauser: England, Bd. 1, S. 207. Aufzeichnung Eden, London, 8. 3. 1936, Kießling: Quellen, Nr. 43, S. 130f. Vgl. Hauser: England, Bd. 1, S. 208. In einer Umfrage des Daily Express gaben 55 Prozent der Befragten an, das deutsche Vorgehen sei rechtmäßig. Lediglich 24 Prozent meinten, Frankreich besitze das Recht zum Gegenschlag, zit. bei Goldman: Rhineland, S. 198. Eden: Diktatoren, S. 406; B. H. Liddell Hart: Lebenserinnerungen, Düsseldorf u. Wien 1966, S. 365; vgl. P. W. Doerr: British Foreign Policy 1919–1939. „Hope for the best, prepare for the worst.“, Manchester u. New York 1998, S. 211 Anm. 3. Chamberlain schrieb gleich am 7. März 1936, es dürfe wegen der „Kündigung“ Locar-

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5. Entscheidung und Aktion (Februar–März 1936)

Das gewaltsame Vorgehen Hitlers entschuldigte man, indem man den Franzosen die Verantwortung an der Situation gab. Die Sturheit der französischen Regierung und das unzeitgemäße Festhalten an den Entmilitarisierungsbestimmungen hätten eine friedliche Lösung unmöglich gemacht551 . Zweitens waren es die britischen Militärs, die sich gegen eine kriegerische Aktion aussprachen. Solange die britischen Rüstungen ungenügend waren und die wenigen Streitkräfte im Mittelmeer gebunden waren, so hieß es in einem Bericht der Stabschefs vom 12. März, sei „jede Frage eines Krieges mit Deutschland (. . . ) äußerst gefährlich“. In einem Waffengang gegen das Reich, bestätigte ein weiterer Bericht wenige Tage später, sei die Insel deutschen Angriffen aus der Luft und zur See praktisch schutzlos ausgeliefert552 . Der dritte Grund war, dass die Entscheidung, mit Waffengewalt gegen das deutsche Fait accompli vorzugehen, der gesamten politischen Strategie, die London seit 1933 verfolgte, widersprochen hätte. Seit dem deutschen Austritt aus dem Völkerbund schlug England einen Kurs ein, der auf eine Auflockerung der Locarnoverpflichtungen abzielte, um nicht wegen der entmilitarisierten Zone in einen Krieg verwickelt zu werden553 . Bezog sich diese Politik zunächst auf eine Konstellation, in der die britische Armee gezwungen sein konnte, das faschistische Deutschland gegen ein demokratisches Frankreich zu verteidigen, wuchs die Angst vor kriegerischen Verwicklungen seit dem Sommer 1935 mehr und mehr und drehte sich nun auch um die Sorge, für französische Interessen in den Krieg ziehen zu müssen. Dies lag an den Gerüchten, Deutschland wolle in Kürze die Rheinlandzone besetzen, genauso wie am Abschluss des französischsowjetischen Paktes. Da Frankreichs Sicherheit bereits durch die Maginotlinie gegeben sei, so schlussfolgerte man auf der Insel, könne die entmilitarisierte Zone nur dem Zweck dienen, gemeinsam mit Moskau offensiv gegen das Reich vorzugehen554 . Die Kriegsfurcht ging so weit, dass die englischen Diplomaten erwogen, die Rheinlandzone herzugeben, wenn hierfür eine angemessene Entschädigung gezahlt würde. Angesichts dieser Motivlage praktizierte London eine Politik, die zwei Stoßrichtungen besaß. Auf der einen Seite bemühte sich Eden gegenüber Deutschland, Hitler zur Abgabe einer versöhnlichen Erklärung zu bewegen, um die Aufnahme von Verhandlungen zu erleichtern. Der Reichskanzler, so lautete Edens Vorschlag gegenüber Hoesch am 11. März, könne beispielsweise

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nos zu keinem Krieg kommen, vgl. Cairns: March, S. 240; Baumont: Rhineland, S. 166; Thompson: Anti-Appeasers, S. 103. Vgl. Miller: Responsibility, S. 70f. Eden: Diktatoren, S. 417. Vgl. Gibbs: Strategy, Bd. I, S. 242; Hill: Rhineland, S. 117f.; Jaroch: Phipps, S. 243f.; Peters: Crisis, S. 32. Templewood: Years, S. 201. Vgl. Kennedy: Britain, S. 133; Miller: Responsibility, S. 70.

5.4 Präventive Planungen und Reaktion in England und Frankreich

459

erklären, die Truppenanzahl im Rheinland vorerst nicht zu erhöhen und die entmilitarisierte Zone nicht zu befestigen, solange die Paktverhandlungen andauerten555 . Auf der anderen Seite bemühte sich Eden nach Kräften, die Franzosen von kriegerischen Ideen abzubringen. Gleich am Morgen des 7. März traf er sich mit Austen Chamberlain, der ihm riet, solange man nicht genau wisse, was Hitler vorhabe, solle man keine „irreparable action“ unternehmen556 . In diesem Sinne sprach Eden sogleich mit dem französischen Botschafter in London, Corbin, und erklärte ihm, die britische Regierung sei dabei, das deutsche Memorandum vom 7. März 1936 zu studieren, und er, Eden, hoffe, dass sich Frankreich in dieser Zeit zu keiner unbedachten Handlung verleiten ließe. Und als Flandin wenige Tage später den britischen Premierminister überzeugen wollte, eine Strafexpedition gegen das Reich zu unterstützen, beschied ihn Baldwin: „If there is one chance in a hundred that war would follow from your police action, I have not the right to commit England.“557 In den folgenden Tagen gelang es Eden, die Franzosen von ihrer unnachgiebigen Haltung abzubringen. Hatte der französische Außenminister auf den beiden Treffen der Locarnomächte in Paris am 10. März bzw. in London am 12. März zunächst darauf bestanden, ein Ultimatum an Deutschland zu richten, in welchem unter Androhung von militärischen Sanktionen der Abzug aller Truppen aus dem Rheinland gefordert wurde, erreichte Eden nach zähen Verhandlungen, dass der Völkerbund mit der Sache betraut wurde. Der Rat des Völkerbundes traf sich am 14. März 1936 zu einer Tagung in London, die mit der Empfehlung schloss, Deutschland zu einer Verhandlung des Völkerbundes einzuladen, die sich der Prüfung des Vorwurfs, Deutschland habe die Artikel 42 und 43 des Versailler Vertrages verletzt, widmen solle. In dieser Situation blieb den Franzosen nichts anderes übrig, als den Völkerbund mit der Rheinlandfrage zu betrauen und auf eine militärische Gegenaktion zu verzichten558 . Damit schwenkte Flandin in den Tagen nach dem 7. März auf die Linie derjenigen Militärs ein, die die entmilitarisierte Zone seit Langem abgeschrieben hatten und deren Gedanken darum kreisten, welche Konzessionen für die Preisgabe der Zone in England herauszuspielen seien. Vor diesem Hintergrund fuhr der französische Außenminister bei den Londoner Locarnoverhandlungen mit einer Taktik auf, die mittels Säbelrasseln und al-

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ADAP, C, Bd. V, 1, Nr. 81, S. 102f.; vgl. Hill: Rhineland, S. 151. Den gleichen Vorschlag äußerte auch Lord Lothian gegenüber dem deutschen Botschafter, ADAP, C, Bd. V, 1, Nr. 74, S. 95f. Chamberlain an Ida, London, 7. 3. 1936, Chamberlain: Letters, S. 501. Zit. bei Miller: Responsibility, S. 66. Telegramm des französischen Außenministers Flandin an den Generalsekretär des Völkerbundes, Paris, 8. 3. 1936, Ursachen und Folgen, Bd. X, Nr. 2455 d, S. 444.

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5. Entscheidung und Aktion (Februar–März 1936)

lerlei Drohungen die englischen Unterhändler zu bilateralen Beistandszusagen für den Fall künftiger Vertragsbrüche Deutschlands bewegen sollte559 . Damit hatte Flandin Erfolg. In den Londoner Vorschlägen vom 19. März 1936, die die Beratungen der Locarnomächte über den deutschen Schritt abschlossen, kamen England, Frankreich, Belgien und Italien überein, dass der Locarnopakt ungeachtet des deutschen Fait accompli weiterhin in Kraft sei. Die Regierungen erklärten, ihre Generalstäbe anzuweisen, die technischen Bedingungen für die Umsetzung des Locarnofalles auszuarbeiten560 . Was das hieß, erläuterte der „Beistandsbrief “ vom 1. April 1936. Im Fall einer Aggression gegen Frankreich oder Belgien, hieß es da, werde England „immediately come to (. . . ) assistance“. Zur Vorbereitung dieses Falles sollen regelmäßige Treffen der Generalstäbe abgehalten werden561 . Mit der Erfüllung dieser Forderung Frankreichs war gleichzeitig die Rheinlandkrise beendet. Jetzt hatte jeder, was er wollte: die Deutschen das Rheinland, die Franzosen das Bündnis mit England und die Briten ihre Ruhe. All dem war Locarno zuletzt im Weg gestanden, und so ist es kein Wunder, wie schnell und wie glatt der Rheinpakt verschwand.

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Vgl. Emmerson: Rhineland, S. 177. Berber: Locarno, Nr. 63, S. 333ff. Hauser: England, Bd. 1, Nr. 27, S. 305. Vgl. die Ausführungen Norman Angells vor dem Royal Institute of International Affairs: „(. . . ) Deutschlands Ausscheiden aus dem Locarnopakt [habe] diesen automatisch in ein Bündnis England-Frankreich-Belgien (. . . ) verwandelt (. . . ).“ N. Angell: Frieden und Sicherheitspakte, Paris 1936, S. 30.

6. Zusammenfassung der Ergebnisse „This step was inevitable“, kommentierte der britische Journalist und Rothermere-Vertraute Collin Brooks die Rheinlandbesetzung am 8. März 1936 und fügte erleichtert hinzu: „[A]nd although there was a whiff of cordite in the air, peace was never really at stake to-day.“1 Dies traf ziemlich genau die Stimmung in der Londoner City. Dabei hatten manche Beobachter im März 1936 eine militärische Reaktion der Westmächte gefordert. Frankreich, so warf Papst Pius IX. dem französischen Vertreter im Vatikan vor, hätte 200 000 Mann nehmen und die Deutschen einfach wieder aus der Zone rauswerfen sollen2 . Solche Äußerungen haben seit je die Fantasie der Zeitgenossen und der Historiker beflügelt. Hätte eine einfache Polizeiaktion gereicht, um Deutschland ohne großen Krieg in die Schranken zu weisen und das Regime Hitlers zu Fall zu bringen3 ? Hätten die Millionen Opfer, die der Zweite Weltkrieg forderte, an einem einzigen Tag im Frühling 1936 verhindert werden können? Richtig ist, und das hat die auf der Grundlage der zeitgenössischen Quellen arbeitende Geschichtsschreibung bestätigt, dass die Option einer kriegerischen Reaktion auf den deutschen Schritt im Frühjahr 1936 nicht bestand. Wie Schuker schon Mitte der achtziger Jahre nachwies, ließen der Zustand der französischen Armee, die Krise des Franc und die Abkühlung zu den Partnern England und Italien einen Gegenschlag überhaupt nicht zu4 . Wenn man den Blick auf die Entwicklung des Rheinpaktes in den Jahren 1933 bis 1936 ausdehnt, wird darüber hinaus klar, wie aufgeweicht die Locarnostrukturen um die Jahreswende 1935/36 bereits waren, sodass sich kein Signatar bereitfand, für die Erhaltung des Rheinpaktes zu militärischen Mitteln zu greifen. Der Gewaltstreich Hitlers war eben nicht die Vernichtung der letzten Sicherheit Europas, nicht jenes „Stoßtruppunternehmen, [das] mit außenpolitischen Maßstäben weder zu rechtfertigen noch zu begreifen ist“5 , sondern 1 2 3

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5

Tagebuch Brooks, 8. 3. 1936, Crowson: Brooks, S. 160. Charles-Roux an Flandin, Rom, 17. 3. 1936, DDF, 2. Serie, Bd. I, Nr. 447, S. 579. F. v. Eckardt: Ein unordentliches Leben. Lebenserinnerungen, Düsseldorf u. Wien 1967, S. 80f.: „Mir selbst wurde 1936 klar, dass nur noch ein großer Krieg Hitler in seinem Siegeszug aufhalten konnte.“ Schuker: Remilitarization, S. 338. Vgl. auch Thomas: Appeasement, S. 34; R. Höhne: Innere Desintegration und äußerer Machtverfall. Die französische Politik in den Jahren 1933– 1936, in: K. Rohe (Hg.): Die Westmächte und das Dritte Reich 1933–1939. Klassische Großmachtrivalität oder Kampf zwischen Demokratie und Diktatur?, Paderborn 1982, S. 157– 179; G. Kiersch/R. A. Höhne: Frankreich – Innerer und äußerer Machtverfall einer bürgerlichen Demokratie, in: Forndran/Golczewski/Riesenberger: Determinanten, S. 32–57. So E. Nolte: Der Faschismus in seiner Epoche. Die Action française. Der italienische Faschismus. Der Nationalsozialismus, München 1963, S. 426.

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6. Zusammenfassung der Ergebnisse

bildete den letzten Akt in einer seit 1925 währenden Entwicklung, die eine immer stärker werdende Entfremdung der Mächte vom Instrument des Locarnopaktes bewirkte. Dabei zeigt der Vergleich der ursprünglichen Locarnokonzeptionen mit den Vorstellungen des Auswärtigen Amtes nach 1933, der das Objekt der ersten erkenntnisleitenden Frage bildete, dass die Politik, die die deutsche Führung im Zeitraum von 1925 bis 1936 führte, obschon in diese Spanne so umwälzende Ereignisse fielen wie die Weltwirtschaftskrise, die Machtergreifung Hitlers und die Durchsetzung des „faschistischen Mainstreams“ in Europa6 , erstaunlich geradlinig war. Das lag daran, dass der Rheinpakt von Locarno nicht der Höhepunkt einer willenlosen „Erfüllungspolitik“7 war, wie die zeitgenössische Polemik glaubte, sondern dem Kalkül einer deutschen Sicherheitspolitik entsprang, die die geographische Lage des Reiches und die Hypotheken aus der Weltkriegsniederlage genauso in Rechnung stellte, wie die aus dieser Situation sich ergebenden Sicherheitsoptionen. Die „Locarnokonzeption“, die die Männer des Auswärtigen Amtes um Schubert und Gaus Mitte der zwanziger Jahre entworfen hatten, schuf eine dreifache Sicherheit: Der Rheinpakt schützte das Reich vor einer französischen Invasion, weil er eine britisch-italienische Garantie stipulierte und indem er den Artikel 44 des Versailler Vertrages aufweichte; ferner zurrte er den Status der entmilitarisierten Zone fest und verhinderte so eine weitere Abspaltung des Rheinlandes vom Reich; und schließlich verhinderte die Anlage F des Schlussprotokolls, dass Deutschland künftig in einen „Völkerbundskrieg“8 verwickelt werden konnte. Diese Sicherheiten mussten nicht durch eine Festschreibung des Status quo erkauft werden, sondern der Pakt ließ Raum für weitere Revisionen. Als „Rückwirkungen“ Locarnos erhofften sich die Deutschen eine vorzeitige Räumung des Rheinlandes, die Angleichung des Rüstungsniveaus durch die Abrüstung der Versailler Mächte sowie die Auflösung des französischen Bündnissystems. Erst als diese Folgen nicht wie erhofft eintraten, bröckelte der innerdeutsche Konsens, der die Locarnodiplomatie bislang getragen hatte. Die Reichswehr schlug einen Kurs ein, der die Sicherheit Deutschlands allein auf militärische Stärke gründen wollte, und im Auswärtigen Amt hielt man nur aus dem Grund an Locarno fest, weil man um die Folgen einer „Kündigung“ fürchtete. Die Konsequenzen dieses Auflösungsprozesses wurden um die Jahreswende 1932/33 spürbar, als es schien, Deutschland wolle die politische Lage ausnutzen, um eine Revision der Rheinlandzone zu erreichen. Das Auswärtige Amt war indes auch nach der „Machtergreifung“ ent6 7 8

Schmidt: Außenpolitik, S. 27. Meyer: Kampf, S. 15. J. C. F. Fuller: Der erste der Völkerbundskriege. Seine Zeichen und Lehren für das Kommende, Berlin 1937.

6. Zusammenfassung der Ergebnisse

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schlossen, am Rheinpakt von Locarno festzuhalten, um diesen als vertragliche Sicherheit im Westen zu erhalten, solange die militärpolitische Situation des Reiches dies erforderte. Diese Sicherungsfunktion, wie sie der Staatssekretär des Auswärtigen, Bernhard Wilhelm v. Bülow, in mehreren sicherheitspolitischen Denkschriften 1933/34 umriss, betraf weniger die britisch-italienische Garantie gegen einen französischen Angriff, weil man in der Wilhelmstraße zu Recht Zweifel daran hatte, dass England in einem deutsch-französischen Konflikt seine Streitmacht gegen Frankreich in Bewegung setzen würde. Der Wert Locarnos bemaß sich aus der Sicht Bülows vielmehr an der Beifügung einer „Provokationsklausel“ für den Artikel 44 des Versailler Vertrages, der Festschreibung der Rolle Belgiens sowie der Anlage F. Diese Instrumente sind bereits Bestandteil der ursprünglichen Locarnokonzeption von 1925 gewesen. So war es geradezu ein Kernpunkt der Ideen von Gaus und Schubert, die Aufnahme der entmilitarisierten Zone in den Sicherheitspakt anzustreben, um damit allen Versuchen, die auf eine Veränderung der staatsrechtlichen Stellung des Rheinlandes abzielten, die Spitze zu nehmen. Gleichzeitig entschärften die Klausel der „flagranten Verletzung“ und die (in Locarno missglückte und erst auf der Haager Konferenz vom August 1929 bestimmte) Aufnahme der Entmilitarisierungsbestimmungen in den Bereich des deutsch-französischen Schiedsgerichts den Artikel 44 des Versailler Vertrages, der Frankreich bei jedem Verstoß gegen die Rheinlandzone das Recht gegeben hatte, gegen Deutschland vorzugehen. Eine weitere Sicherungsfunktion Locarnos bestand laut Bülow darin, die britische Politik an die belgische Kugel zu ketten, und so ein Abgleiten Brüssels in das französische Fahrwasser zu verhindern. Bei einer Beendigung Locarnos, so war Bülow überzeugt, musste dieses Problem gelöst werden, weshalb ein deutsch-belgischer Nichtangriffspakt, der im Frühsommer 1934 greifbar nahe schien, nicht in Frage kam, weil er dieses Problem nur vertagt hätte. Genauso wichtig wurde die Anlage F, die auf deutschen Wunsch hin in das Locarno-Schlussprotokoll aufgenommen wurde. Ging es zunächst darum, zu verhindern, an einer Völkerbundsexekution gegen die Sowjetunion teilnehmen zu müssen, erweiterte sich der Interpretationsrahmen der Anlage in den kommenden Jahren. Nachdem in den zwanziger Jahren der Versuch Schuberts gescheitert war, das französische Allianzsystem mit den Instrumenten der Völkerliga zu diskreditieren und Frankreich, wenn man so will, mit seinen eigenen Waffen zu schlagen, wuchs der Anlage F mehr und mehr die Aufgabe zu, diesen Kampf außerhalb von Genf fortzusetzen. Die von Bülow entworfene Konzeption sah vor, die Anlage F gegen die assistance mutuelle der französischen Bündnisverträge ins Feld zu führen, um damit den Aufbau eines gegen das Deutsche Reich gerichteten Sanktionssystems zu hintertreiben, ohne den Spielraum zu Verhandlungen zu verschütten. Allerdings scheiterte der Vorstoß Bülows vom Sommer 1934, den Ostpakt unter Verweis auf die Anlage

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6. Zusammenfassung der Ergebnisse

F abzulehnen, am Widerstand Hitlers und der Reichswehr, weil dieses Konzept erfordert hätte, die Entmilitarisierungsbestimmungen penibel einzuhalten sowie das deutsche Rüstungsprogramm und die operativen Planungen so zu modifizieren, dass sie nicht die politische Sicherheit des Reiches gefährdeten. Indes galt das Bekenntnis Bülows zu Locarno weder bedingungslos noch, wie die Forschung bislang annahm9 , unverändert bis März 1936. Nach 1933 stiegen die deutschen Zweifel an Locarno. Die Analyse der zweiten erkenntnisleitenden Frage zeigte, dass die Geltung des Rheinpaktes gleich von drei Seiten her gefährdet war. Einen gravierenden Einfluss auf die Sicherheitslage des Reiches und damit einen Wandel in der Locarnobewertung durch die Deutschen musste erstens der deutsche Austritt aus dem Völkerbund vom Oktober 1933 bringen, weil dieser Schritt die Balance zwischen Völkerbund und Locarno, die bis dahin bestanden hatte, gefährdete. So kamen die Experten des Auswärtigen Amtes schnell zu dem Schluss, dass mit dem Ende der deutschen Völkerbundsmitgliedschaft auch die Existenz des Rheinpaktes von Locarno aufhörte. Allein die Übergangsperiode von zwei Jahren, in welcher das Reich noch formelles Mitglied der Genfer Runde war, erlaubte es, die Fortgeltung des Locarnopaktes politisch abzusichern. Die Ungewissheit über die Rückwirkungen des Völkerbundsaustritts auf den Rheinpakt wollte das Auswärtige Amt nutzen, um in einem diplomatischen Doppelspiel den Vertrag als Schutzschild zu erhalten und gleichzeitig Zugeständnisse der Gegenseite zu bekommen. Doch schon im April 1934 scheiterte dieses Konzept, als keine Alternative mehr zu dem Schritt blieb, die Geltung des Locarnopaktes einseitig, und ohne dass dies die anderen Locarnostaaten ebenfalls taten, anzuerkennen. Zweitens war der Rheinpakt durch die Gerüchte über eine britisch-französische Militärzusammenarbeit gefährdet. Seit der Anerkennung Locarnos durch die deutsche Regierung im April 1934 war die deutsche Locarnopolitik der ständigen Gefahr ausgesetzt, dass die anderen Mächte sich von Locarno lösen oder dem Rheinpakt eine „antideutsche“ Auslegung geben würden. Nachdem sich schon im Jahr 1934 zäh die Gerüchte hielten, die Generalstäbe Englands und Frankreichs würden Pläne zur Umsetzung des Locarnofalls ausarbeiten und ein französisch-britisch-belgischer Luftpakt sei geschlossen worden, deutete im Herbst 1935 alles darauf hin, England und Frankreich hätten sich in einer „verkürzten Stresafront“ gegen das Reich verbündet. Zeitgleich erfuhren deutsche Nachrichtendienste von französischen Militärplänen, über das Rheinland nach Mitteldeutschland einzumarschieren10 . In Deutschland herrschte der Eindruck vor, dass die Westmächte sich für die Post-Locarnoära rüsteten, nachdem der 9 10

So Knipping: Diplomatie, S. 506–508. IMT, Bd. XIX, S. 302f.

6. Zusammenfassung der Ergebnisse

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Rheinpakt durch das deutsche Ausscheiden aus dem Völkerbund hinfällig geworden war. Während die Bedeutung der britisch-französischen Militärkontakte von der deutschen Seite missverstanden und überschätzt wurde, lief der Rheinpakt von Locarno drittens Gefahr, von den anderen Mächten unterlaufen zu werden, als Paris einen Beistandspakt mit Moskau schloss, der aus deutscher Sicht den „Todesstoß für (. . . ) den Locarnopakt“11 bildete. Dabei war die Stichhaltigkeit dieser Argumentation, die bekanntlich als Rechtfertigung der Aktion vom 7. März 1936 diente, bei den Zeitgenossen wie bei den Historikern umstritten. Während die Völkerrechtler der dreißiger Jahre dem Standpunkt der Reichsregierung beipflichteten, haben sich die Historiker nach 1945 kaum mit der Frage auseinandergesetzt. Der Vertragsbruch Hitlers schien so offenkundig zu sein und die rechtliche Begründung in den Augen Hitlers so wenig eine Rolle zu spielen, dass sich eine Bewertung der deutschen Argumente von vornherein erübrigen musste12 . Dabei wurde übersehen, dass der deutsche Protest in zwei Phasen zerfiel, die jeweils unterschiedlichen Motivlagen entsprangen. Die erste Phase begann mit der Unterzeichnung des französisch-sowjetischen Beistandspaktes im Mai 1935 und endete um die Jahreswende 1935/36. Der deutsche Schritt vom Mai 1935, wie ihn Bülow und Gaus konzipiert hatten, verfolgte den Zweck, eine politische Diskussion über die Zukunft des Locarnopaktes nach dem endgültigen Ausscheiden Deutschlands aus dem Völkerbund loszutreten. Ihre auf rechtlichen Argumenten beruhende These, Frankreich und Russland hätten sich auf eine falsche Auslegung des Artikels 16 der Völkerbundssatzung verständigt, sollte London dazu bringen, seine Stellung innerhalb des Locarnopaktes zu überdenken. Dafür sprechen mehrere Indizien. Erstens finden sich in den Akten keine Hinweise, die belegen würden, dass der deutsche Protest vom Mai 1935 bereits die Besetzung der entmilitarisierten Zone zum Ziel hatte. Zweitens deuten die internen Beratungen im Vorfeld der deutschen Demarche darauf hin, dass die Deutschen nicht den französisch-sowjetischen Pakt an sich kritisierten, sondern sich daran störten, wie die Briten ihre Rolle unter den Bedingungen Locarnos interpretierten. Daher war der Protest und die Art und Weise seiner juristischen Argumentation vor allem an die Adresse Londons gerichtet. Drittens machte sich eine Fraktion im Auswärtigen Amt im Sommer 1935 dafür stark, die Früchte des deutschen Protests zu ernten, indem man einen Luftpakt oder einen östlichen Nichtangriffspakt zeichnete, ohne neue Verpflichtungen auf sich zu nehmen. Dies gilt es zu beachten, wenn man die Stichhaltigkeit des deutschen Pro11 12

BA-MA, RH 1/78. Vgl. Braubach: Vorgeschichte, S. 118.

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6. Zusammenfassung der Ergebnisse

tests untersucht. Der Protest zielte im Kern darauf, dass die französische Seite den Russen auch dann Beistand zugesichert habe, wenn der Völkerbundsrat keine oder eine gegenteilige Empfehlung abgegeben habe. Indes ging die geltende Auslegung des Artikels 16 der Völkerbundssatzung seit Jahren dahin, dass der Einzelstaat darüber befand, ob und wie der Sanktionsparagraf zur Entfaltung käme. Die auf deutschen Wunsch hin zu Stande gekommene Anlage F von Locarno bestätigte diese Entwicklung noch. Der Vorwurf der Deutschen, dass Frankreich auch dann zu Sanktionen greifen könne, wenn eine gegenteilige Ratsempfehlung vorlag, zielte in moralischer Sicht auf ein Kernproblem des Völkerbundsrechts13 ; rein rechtlich war dieses Vorgehen aber einwandfrei, worauf sich Frankreich und auch England in ihren Antwortnoten beriefen. Aus der Sicht Lavals erfüllte die Ziffer 1 des Zusatzprotokolls die Funktion, die Russen verhandlungswillig zu stimmen, und bedeutete keine Verpflichtung zu einer automatischen Beistandsleistung. So interpretierten auch die Briten die Klausel. Militärischer Beistand gemäß des französisch-sowjetischen Paktes, so argumentierten Malkin und die anderen Experten des Foreign Office, könne erst geleistet werden, wenn ein Verfahren vor dem Völkerbund stattgefunden habe, wäre aber nicht an den Ausgang des Verfahrens gebunden. Die zweite Phase der deutschen Behauptung, der französisch-sowjetische Hilfeleistungsvertrag sei unvereinbar mit Locarno, setzte, ausgelöst durch die Ankündigung, die französische Regierung wolle den Beistandspakt mit Moskau in Kürze ratifizieren, im Dezember 1935 ein. Jetzt ging es nicht mehr darum, die Voraussetzungen für eine „Anpassung“ Locarnos zu schaffen, sondern nur mehr darum, der deutschen Politik einen Vorwand zu liefern, um sich von den Bindungen des Rheinpaktes loszusagen. Die Ausnahmen vom LocarnoKriegsverzicht, so hieß es jetzt, seien für die Verträge Frankreichs mit Warschau und Prag formuliert worden, ihre Anwendung zu Gunsten des französischsowjetischen Paktes verfälsche den Locarnopakt. Deutlichstes Indiz dieses Paradigmenwechsels wurde es, dass die deutsche Seite zunehmend darauf verzichtete, die juristischen Argumente auszubreiten, sondern sich auf die Behauptung beschränkte, der französisch-sowjetische Pakt habe eine Verschlechterung der militärpolitischen Lage des Reiches herbeigeführt, die die Besetzung der deutschen Westgrenze notwendig mache. Die skizzierten Bedrohungen des Rheinpaktes stürzten die deutsche Politik in ein tiefes Dilemma. Während Deutschland auf der einen Seite gezwungen worden war, den Locarnopakt bedingungslos anzuerkennen, und der Rheinpakt für die deutsche Sicherheit zunehmend wichtiger wurde, musste es den Deutschen auf der anderen Seite so scheinen, als sei nach dem Ende der rechtli-

13

Vgl. dazu R. Aron: Frieden und Krieg. Eine Theorie der Staatenwelt. Mit einem Geleitwort zur Neuausgabe von R. Löwenthal, Frankfurt/M. 1986.

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chen Gültigkeit nun auch „politisch (. . . ) die Preisgabe der Idee von Locarno“14 durch die anderen Mächte erfolgt. Deshalb musste die deutsche Diplomatie im Jahr 1935 handeln, doch das Auswärtige Amt stellte die Weichen noch nicht auf „Kündigung“, wie die Beantwortung der dritten Frage beweist. Zunächst entwarf Staatssekretär Bülow im Frühjahr 1935 eine Konzeption, die mehrere Seiten aufwies. Die Teilnahme an einem multilateralen Sicherheitspakt und der Verzicht auf militärische Maßnahmen in der entmilitarisierten Zone sollten dem Reich politische Sicherheit geben. Der Protest gegen den französisch-sowjetischen Beistandspakt sollte England an die Rolle als Locarnogarant erinnern und dafür sorgen, dass London die deutschen Revisionsforderungen unterstützte. Doch Bülow stieß auf Widerstand. Die deutsche Bereitschaft zu einem Ostpakt wurde von den Westmächten genauso ignoriert wie der deutsche Luftpaktvorschlag vom Mai 1935 und schließlich schloss sich London nicht der These an, der französischsowjetische Pakt sei nicht vereinbar mit Locarno. Innenpolitisch wurde der Kurs Bülows unterminiert, weil die Reichswehr keine Notwendigkeit sah, die Maßnahmen im Rheinland einzuschränken. Im Sommer 1935, nachdem Bülow ein letztes Mal dafür plädiert hatte, einem Ostpakt beizutreten, entzog Reichsaußenminister Neurath seinem Staatssekretär die Unterstützung und trat mit einem eigenen Konzept hervor, das sich aus zwei Quellen speiste. Dies war erstens der Erfolg Joachim v. Ribbentrops. Ausgehend von dem Gedanken, dass das System kollektiver Sicherheit vor dem Ableben stand, glaubte er, den Locarnopakt in eine Serie bilateraler Pakte umwandeln zu können. Auf dieser Linie war es ihm im Juni 1935 gelungen, ein Flottenabkommen mit den Briten zu schließen, worauf er sofort begann, für einen deutsch-britischen Luftpakt zu werben. Zweitens waren das Neuraths eigene außenpolitische Überzeugungen. Schon im Jahr 1933 hatte Neurath geplant, die entmilitarisierte Zone als Sprengsatz zu verwenden, um die Genfer Abrüstungsverhandlungen zum Scheitern zu bringen, und damit eine schnelle Revision des Locarnopaktes nicht ausgeschlossen. Im Herbst 1935 setzte er zu einer Pressionsstrategie gegenüber London und Paris an. Eine Pressekampagne gegen die französisch-britischen Stabsgespräche sowie kalkulierte Drohungen in den diplomatischen Unterredungen sollten den Westmächten die Möglichkeit einer einseitigen Absage des Locarnovertrages durch Deutschland ausmalen und so zum Ausgangspunkt von Locarnogesprächen werden. Nach der britischen Weigerung, über den Locarnopakt zu sprechen, griff Neurath um die Jahreswende 1935/36 auf den deutschen Protest gegen den französisch-sowjetischen Beistandspakt zurück, der nun als Camouflage für die „Kündigung“ Locarnos dienen sollte. 14

So Gaus im Jahr 1950, zit. bei Stuby: Gaus, S. 333.

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Vor diesem Hintergrund wird auch klar – ein weiteres Ergebnis dieser Arbeit –, dass man den Zeitpunkt für „Winterübung“ nur einordnen kann, wenn man den deutschen Schritt vom 7. März 1936 weniger als Militäraktion, sondern vor allem als „Kündigung“ des Rheinpaktes versteht. Hitler hat nach 1933 keine aktiven Schritte unternommen, um den Locarnopakt abzuschaffen. Hitlers Idee war das Konzept der Generalbereinigung, die alle Revisionsforderungen und die Sicherheitsfrage in einem einzigen Abkommen regeln sollte. Dafür wäre der Reichskanzler sogar bereit gewesen, den Locarnopakt nochmals zu bestätigen. Auch in der Folgezeit tat Hitler keine aktiven Schritte gegen den Rheinpakt. Locarno bestand für ihn in der Tatsache, die Existenz der entmilitarisierten Zone festzuzurren. Hitler verstand, dass eine Verletzung dieser Bestimmungen Frankreich einen willkommenen Vorwand liefern würde, Deutschland den Krieg zu erklären, und so hörte der Reichskanzler auf die Warnungen des Auswärtigen Amtes, Reichswehr und Wehrverbände müssten absolute Zurückhaltung in der entmilitarisierten Zone üben; noch im Januar 1936 ließ er verlauten, die Rheinlandfrage in nächster Zeit nicht angehen zu wollen. Erst Anfang Februar 1936 entschied er sich dazu, Locarno zu „kündigen“ und die Rheinlandzone zu besetzen. Auch die Militärs waren nicht die Initiatoren des 7. März 1936. Aus Sicht der Reichswehr war der Locarnopakt schon um 1930 zum Anachronismus geworden. Enttäuscht von einem Vertrag, der dem Reich weder Sicherheit noch die Erlaubnis zur Aufrüstung gegeben, sondern nur völkerrechtliche Bindungen eingebracht hatte, begann man im Bendlerblock, eine Politik zu konzipieren, die allein auf der Grundlage militärischer Sicherheit beruhte. Da die Rheinlandzone die solcherart definierte Sicherheit gefährdete, musste der Westpakt, der die Entmilitarisierung festschrieb, verschwinden. Alle Maßnahmen, die die Reichswehr nach 1933 umsetzte, unterminierten mehr und mehr den Locarnopakt. Das fatale an dieser Politik war, dass sie nicht nur den theoretischen Schutz, den das Reich noch unter Locarno besaß, beiseite räumte, sondern die Sicherheit des Reiches überdies aufs äußerste bedrohte, weil sie die Bestimmungen der Artikel 42 und 43 des Versailler Vertrages verletzte. Die Umstellung der operativen Planung nach dem 14. Oktober 1933, wonach ein französischer Einmarsch an der Rhein-Roer-Schwarzwaldlinie – also im Bereich der entmilitarisierten Zone – aufzuhalten sei, erforderte den Aufbau eines umfassenden Grenzschutzes. Dazu lancierte die Reichswehr ein ganzes Bündel von Maßnahmen, die von bewaffnetem Zolldienst über heimliche Flugplätze bis hin zur Anlage von Kasernen und Festungswerken reichten. Das Kernstück des Grenzschutzes aber, der „Verstärkte Grenzaufsichtsdienst“ (VGAD), wurde vorerst nicht ausgeführt. Das hatte eine Reihe von Gründen. Neben den Bemühungen des Auswärtigen Amtes, allzu offensichtliche Verletzungen der entmilitarisierten Zone zu vermeiden, war dies die Weisung Hitlers vom 17. Oktober 1933, den „vertragsmäßigen Zustand“ im Rheinland

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zu beachten, um Frankreich keinen Anlass zu einem Präventivkrieg gegen das Reich zu liefern. Schließlich musste sich der Aufbau des VGAD solange verzögern, wie die Auseinandersetzung zwischen der Reichswehr und der SA um den Primat der Landesverteidigung nicht entschieden war. Erst in den Monaten nach Verkündung der Wehrhoheit vom März 1935 spitzte sich die Situation so weit zu, dass nur die Wahl blieb zwischen der Enttarnung aller Militärmaßnahmen in der Rheinlandzone und damit einem außenpolitischen Desaster oder dem baldigen Wegfall der Locarnobindungen und der Rückgabe der Freiheit, ungehindert in der Zone aufrüsten zu können. Dagegen lag es ganz auf der Linie der konzeptionellen Überlegungen im Auswärtigen Amt, dass die Wilhelmstraße ab Herbst 1935 aktiv auf ein Ende Locarnos hinarbeitete. Die Perzeption der Lage um die Jahreswende 1935/36 traf auf Überzeugungen, die das Auswärtige Amt schon während der Entstehung der Locarnoverträge entwickelt hatte. Demnach sei es legitim, den Locarnopakt für aufgehoben zu erklären, wenn die Gegenseite gegen den Geist des Abkommens verstieß15 . Nach dem Scheitern der am Rheinpakt orientierten Strategie Bülows und dem Erfolg Ribbentrops in den deutsch-britischen Verhandlungen, war es Außenminister Neurath, der auf dieser Linie die Initiative ergriff und auf eine Eskalierung der Locarnogespräche abzielte, um England zu einer Modifizierung Locarnos zu bewegen oder sich mit einem Vorwand auszustatten, um den Locarnopakt einseitig zu „kündigen“. Die Methoden dieser Pressionsstrategie um die Jahreswende 1935/36 waren kaum verhüllte Drohungen gegenüber Phipps und anderen Botschaftern, Deutschland könne die entmilitarisierte Zone im Alleingang besetzen, sowie eine vom Außenamt initiierte Pressekampagne, welche die Zerstörung Locarnos durch die britischfranzösischen Militärgespräche anprangerte. Schließlich begannen im Januar 1936 – zu einem Zeitpunkt, als Hitler eine Rheinlandaktion ausdrücklich ablehnte – im Auswärtigen Amt die Arbeiten, die auf ein Ende der entmilitarisierten Zone abzielten und eine rechtliche Begründung zur „Kündigung“ Locarnos formulierten16 . Begünstigt wurde das deutsche Vorhaben durch die Entwicklung der Locarnokonzeptionen in England und Frankreich, die zur Folge hatte, dass sich im Verlaufe des Jahres 1934 die Locarnobindungen des Deutschen Reiches ohne sein Zutun lockerten. Das Damoklesschwert des Artikels 44 des Versailler Ver15

16

Dieser Befund verdeutlicht noch einmal, dass der Beitrag Hitlers zum 7. März 1936 insbesondere in dem unbedingten Willen zur militärischen Aktion bestand, während das diplomatische Vorgehen auf einer Linie lag, die das Auswärtige Amt bereits in den zwanziger Jahren vorgezeichnet hatte. Daher greift die Behauptung zu kurz, das Auswärtige Amt hätte Hitlers Revisionspolitik „nur technisch“ vorbereitet, vgl. K. Doß: Germany. The History of the German Foreign Office, in: Z. Steiner (Hg.): The Times Survey of Foreign Ministries of the World, London 1982, S. 225–257, hier S. 242.

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trages, dessen Wirkungsbereich schon in den zwanziger Jahren eingeschränkt worden war, verkümmerte endgültig zur stumpfen Waffe und verschwand praktisch von der völkerrechtlichen Bühne; im März 1936 sollte sich Paris nicht einmal mehr darauf berufen. Ein Verfahren auf Grund von Locarno zur Abwehr deutscher Rüstungsmaßnahmen war nicht zu Stande gekommen und würde es auch in Zukunft nicht, solange Deutschland das Flämmchen einer verhandelten Rüstungslösung am Leben erhielt. Das britische Königreich, nach seiner Bestätigung des Rheinpaktes im Herbst 1933, begann im Frühjahr 1934, sich innerlich von der entmilitarisierten Zone zu lösen, und war fortan immer weniger bereit, aktive Schritte für den Erhalt der Zone zu unternehmen. Das decision-making zur Rheinlandbesetzung lässt sich deutlich in zwei Phasen trennen. In der ersten Phase beriet sich Hitler im Februar 1936 ausführlich mit seinen außenpolitischen und militärischen Beratern. In diversen Konferenzen kam man überein, den französisch-sowjetischen Beistandspakt als Vorwand zu nehmen, um den Rheinpakt von Locarno zu „kündigen“. Um der Aktion ihren bedrohlichen Charakter zu nehmen, wurde vereinbart, sich insbesondere gegenüber Italien diplomatisch abzusichern und das Vorgehen mit einer Reihe von Friedensvorschlägen zu verbinden, die dem Kontinent eine neue Sicherheitsordnung geben sollten. Eine Militäraktion war zwar Gegenstand der Debatte, wurde aber von den Diplomaten und Militärs einmütig abgelehnt. Eine Reihe von Indizien zeigt, dass es dem Auswärtigen Amt gelungen war, den Reichskanzler davon zu überzeugen, den Schwerpunkt auf eine diplomatische Aktion zu legen. Erstens besprach sich Hitler im Februar fast ausschließlich mit seinen außenpolitischen Beratern. Waren Militärs zugegen, wurden sie nur oberflächlich zum Stellenwert der entmilitarisierten Zone befragt, aber nicht über den Ablauf einer möglichen Militäraktion. Zweitens lagen die Friedensvorschläge, die Hitler am 19. Februar vorstellte, exakt auf der konzeptionellen Schiene, die das Auswärtige Amt seit 1933 vertrat. Damit unterschieden sich diese Ideen von Hitlers späteren Vorschlägen, mit denen er sich an „die Völker, und nicht an die Juristen wenden“17 wollte und deren Reichweite er mit den Worten umschrieb: „Wir haben Zeit und damit alles gewonnen.“18 Drittens sticht ins Auge, dass auf der Grundlage der Vereinbarungen vom 19. Februar im Auswärtigen Amt tags darauf die Vorbereitungen anliefen, um den Coup diplomatisch abzufedern. Viertens ist zu konstatieren, dass zu diesem Zeitpunkt nicht feststand, wann die deutsche Aktion über die Bühne gehen solle. So ging die Meinung der Beteiligten in dieser Verhandlungsphase dahin, man solle die Ratifizierung des französisch-sowjetischen Beistandspaktes durch den Pariser Senat abwarten. Die zweite Phase setzte am 1. März 1936 mit der Entscheidung Hitlers ein, 17 18

Tagebuch Goebbels, 31. 3. 1936, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/II, S. 53. Tagebuch Goebbels, 4. 4. 1936, ebenda, S. 55.

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die „Kündigung“ Locarnos mit einer Truppendemonstration zu verbinden und gleichzeitig den Termin für die Aktion vorzuziehen. Dies also, und nicht die „Kündigung“ des Rheinpaktes, die vorwiegend von den Diplomaten betrieben wurde, war „das größte außenpolitische Risiko der Vorkriegszeit“, von dem Hitler in späteren Jahren immer wieder sprach19 . Parallel zur Erhöhung des Risikos schraubte Hitler seine Friedensversprechungen in die Höhe, die jetzt im Angebot gipfelten, das Deutsche Reich werde nach der Erringung der Gleichberechtigung in den Genfer Völkerbund zurückkehren. Ohne dass die neuen Beschlüsse Gegenstand echter Beratungen gewesen waren, ergingen am 2. und am 5. März die Weisungen Hitlers zu der politisch-militärischen Doppelaktion. Vor diesem Hintergrund ist die Frage der ausschlaggebenden Potenz bei der Remilitarisierung des Rheinlandes nicht in einem Satz zu beantworten. Sicher war es Hitler, der die endgültige Entscheidung getroffen hat; diese Befugnis kam ihm auf Grund seiner staatsrechtlichen Stellung als Reichskanzler und seiner Rolle als „Führer“ der Staatspartei unzweifelhaft zu. Dennoch ist es übertrieben zu behaupten, der Reichskanzler habe von Beginn an „Vorwand, Durchführung und Absicherung“ selbstständig geplant und seinen Beratern vorgeschrieben20 . So waren die Vertreter aus Reichswehr und Diplomatie im Februar intensiv an allen Gesprächen beteiligt, und Hitler hatte insbesondere Neurath und Bülow gebeten, sie sollten ihm „alle denkbaren Einwände“21 , die gegen eine Aktion sprächen, auseinandersetzen. Nach Lage der Dinge konnten sich solche Einreden aber nur auf die Art und Weise der Aktion, niemals auf das Ziel beziehen, waren doch sowohl Bendlerblock als auch Wilhelmstraße zu Befürwortern einer Abschaffung Locarnos geworden. Es ergibt sich mithin das Bild, dass in den Februargesprächen keiner der anwesenden Minister grundsätzliche Bedenken gegen die geplante Aktion äußerte. Den vorbehaltlosen Unterstützern der Aktion (Blomberg22 , Ribbentrop) standen diejenigen gegenüber, die eine Aktion im Prinzip bejahten und lediglich forderten, die Abstimmung des französischen Senats bzw. die Verschärfung des Genfer Ölembargos gegen Italien abzuwarten (Neurath, Goebbels), Mussolini einzuweihen (Göring, Hassell) oder nur symbolische Truppenteile in die entmilitarisierte Zone zu entsenden, um einen kriegerischen Charakter des Schritts zu vermeiden (Fritsch23 , Beck). Nur wenige Diplomaten (Bülow,

19 20 21 22 23

Hoßbach: Wehrmacht, S. 20; B. v. Loßberg: Im Wehrmachtführungsstab. Bericht eines Generalstabsoffiziers, Hamburg 1949, S. 11. So Conze: Amt, S. 91. Robertson: Wiederbesetzung, Nr. 8, S. 204. Niederschrift über eine Unterredung mit Keitel, Nürnberg, 6. 4. 1946, Goldensohn: Interviews, S. 225. Hassell berichtet, Fritsch sei besorgt wegen der Aktion, habe aber gesagt: „Wir wollen den Daumen halten, dass es gut geht!“ Ursachen und Folgen, Bd. X, Nr. 2453 c, S. 418.

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Forster, vielleicht Gaus24 und Hoesch) sprachen sich gegen eine einseitige Aktion aus25 , wurden aber in der entscheidenden Phase im März 1936 kaltgestellt. Keiner der Genannten hielt seine Bedenken für so gravierend, um die Aktion als solche in Frage zu stellen. Die „Kündigung“ Locarnos war bereits Ende Februar 1936 beschlossene Sache. Erst mit der Verschärfung und Beschleunigung des Vorgehens durch Hitler am 1. März 1936 erhielt die Aktion das Gepräge, das sich bis heute mit der Rheinlandbesetzung verbindet. Jetzt begann Hitler, seine Weisungen ohne vorherige Beratungen zu erteilen und allen Warnern Angst und Schwachheit vorzuwerfen; jetzt war es allein Hitler, der das Tempo und das Ausmaß der Aktion vorgab, sodass man allein für diesen Abschnitt davon sprechen kann, „alles, was für den Gewaltcoup notwendig war, war in Hitlers Planung bereits enthalten“26 . Jetzt wurde aus dem von allen diplomatisch-militärischen Zirkeln unterstützten Unterfangen die Aktion Hitlers, aus der politischen Affäre ein Pokerspiel, das Hitler mit höchstem Einsatz zu spielen gedachte27 . Den führenden Diplomaten und Militärs war es, nachdem sie im Januar und Februar 1936 selbst auf die Eskalation gedrängt hatten, nicht möglich, den Zug anzuhalten. Ribbentrop, Göring und Goebbels unterstützten das Vorhaben des Kanzlers weiterhin bedingungslos. Blomberg hatte Bedenken, war Hitler aber zu ergeben, um sich dessen Plänen ernsthaft zu widersetzen. Schließlich fand sich auch Neurath, der der Kabinettssitzung vom 2. März 1936 demonstrativ ferngeblieben war, bereit, die Tempoverschärfung Hitlers mitzugehen. Die „Identität mit Hitlers Nahzielen“28 , die Einschätzung der britischen Politik sowie der Glaube, den Reichskanzler nach einem Erfolg im Rheinland langfristig auf eine friedliche Politik festlegen zu können, gaben den Ausschlag, dass der Reichsaußenminister den Gewaltcoup Hitlers billigte und in den Tagen nach 7. März dafür sorgte, dass es bei den papiernen Protesten der Westmächte blieb. Wie dem deutschen Kabinett hatte die Beschleunigung Hitlers den Politikern Frankreichs und Englands den Boden unter den Füßen weggezogen. Die Legende vom „perfekten Zeitpunkt“ des Hitlerschen Fait accompli29 , mit der 24

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28 29

Ende März 1936 berichtete François-Poncet, ein deutscher Diplomat habe ihm erzählt, die Funktionäre des Auswärtigen Amtes wie Dieckhoff und Gaus seien nicht in die Vorbereitungen des 7. März einbezogen gewesen, DDF, 2. Serie, Bd. I, Nr. 519, S. 690f. Brüning: Briefe, S. 114 Anm. 1. Conze: Amt, S. 91. So urteilte Hitler rückblickend: „Jeder würde die Nerven verloren haben! Einzig meine Sturheit und Frechheit haben uns geholfen. Ich musste lügen: Wenn bis nächsten Tag nicht eine Entspannung eintritt, lasse ich weitere sechs Divisionen einmarschieren! Dabei hatte ich nur vier Regimenter! Den nächsten Tag schrieben die englischen Zeitungen: Eine Entspannung der Lage ist eingetreten!“ Hitler: Monologe, Nr. 115, S. 240. Schmidt: Außenpolitik, S. 140. So Eden: Diktatoren, S. 399f.

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die Politiker nach dem Krieg ihre Untätigkeit rechtfertigen wollten, war falsch und richtig zur selben Zeit. Gerade die Erwartung, Hitler werde den perfekten Augenblick nutzen, um das Rheinland zu remilitarisieren, düpierte die Verantwortlichen in Paris und London, als Hitler Anfang März den Zwang verspürte, aus seiner Passivität herauszutreten und daran ging, die Wiederbesetzung des Rheinlandes im denkbar ungünstigsten Zeitpunkt auszuführen. Damit rechnete niemand und es blieb keine Zeit mehr, taugliche Gegenmaßnahmen zu planen. Die französischen Militärs, die seit Monaten von den deutschen Vorbereitungen in der entmilitarisierten Zone wussten, verfügten über keine Pläne, um einer Rheinlandbesetzung zu entgegnen. Tatsächlich hatten sie längst aufgehört, die Zone als relevanten Faktor der französischen Sicherheit zu veranschlagen. Dem entsprach, dass die französischen Diplomaten nicht glaubten, dass der Locarnopakt Frankreich Sicherheit vor Deutschland geben konnte. Als im Jahr 1935 alle Versuche gescheitert waren, England zu einer Neuumschreibung seiner Locarnoverpflichtungen zu bewegen, hatte das Vertragswerk seine Rolle für die Sécurité ausgespielt. So ging die Taktik der Pariser Führung in den Tagen nach dem 7. März dahin, England zu einem möglichst hohen Preis für die Aufgabe der Rheinlandzone zu bewegen. Die Regierung in London war nur allzu bereit, diesen Preis zu entrichten. Um einen Krieg zu verhindern, den die britische Öffentlichkeit nicht wollte und für den die Militärs nicht gerüstet waren, hatte das Foreign Office seit Wochen an einer Strategie gearbeitet, die eine friedliche Abschaffung der entmilitarisierten Zone ermöglichen sollte. Das so im Februar 1936 entwickelte Konzept des working agreement lag exakt auf der Linie, die das Foreign Office seit dem deutschen Austritt aus dem Völkerbund vertrat. Einerseits hielten die Briten an der theoretischen Gültigkeit Locarnos fest (und verweigerten daher alle Gespräche mit Frankreich und Deutschland, die auf eine Modifizierung Locarnos abzielten), andererseits lösten sie sich immer weiter aus den Bindungen Locarnos, um nicht wegen der entmilitarisierten Zone in einen Krieg verwickelt zu werden. Die Strategie des working agreement war indes zu stark auf Zeitgewinn ausgelegt, um Hitler und die Deutschen, die auf die Aktion drängten, auf den Verhandlungsweg festlegen zu können. So blieb den Briten im März nichts anderes übrig, als den deutschen Gewaltcoup hinzunehmen, die Franzosen zu beschwichtigen, die Angebote des „Führers“ ernsthaft zu erwägen und selbst immer neue Verhandlungsangebote zu unterbreiten, in der Hoffnung, dass die Deutschen einmal zugreifen würden. Dies leitet über zum vierten und letzten Komplex dieser Arbeit, nämlich der Frage nach dem Gewicht des Auswärtigen Amtes in den außenpolitischen Entscheidungen des „Dritten Reiches“. Mochte die Rheinlandbesetzung tatsächlich

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sowohl ein Punkt in Hitlers außenpolitischem Programm gewesen sein30 als auch in der „Konsequenz der Sachzwänge“31 gelegen haben, die die Aufrüstung der deutschen Politik seit 1933 auferlegte, so ist die Annahme übertrieben, diese Zwangslagen hätten jeden außenpolitischen Handlungsspielraum verschüttet. Weder Hitler noch die Reichswehr drängten im Frühjahr 1936 auf eine rasche Lösung der Rheinlandfrage, sodass das Auswärtige Amt die Möglichkeit besessen hätte, Alternativen zu entwickeln. Das Versäumnis der Diplomatie liegt darin, diese Handlungsspielräume nicht ausgelotet zu haben32 . Stattdessen drängte das Auswärtige Amt seit Herbst 1935 selbst auf die Eskalation. Der Glaube, keine Wahl zur „Kündigung“ Locarnos zu besitzen, basierte auf der Sichtweise, dass der Ausstieg aus dem Völkerbund den Rheinpakt unwirksam gemacht hatte, sowie auf einer Perzeption der außenpolitischen Lage Deutschlands, der zu Folge die deutsche Aufrüstung einen französischsowjetisch-britischen Einkreisungsring hervorgerufen habe, der bereits mit der Locarnotradition gebrochen habe. Schließlich setzte sich im Auswärtigen Amt mehr und mehr die Überzeugung durch, dass an einer vertraglich vereinbarten Anpassung Locarnos weder bei Hitler noch bei den Westmächten Interesse bestanden habe33 . Trotzdem gelang es den Diplomaten nicht, sich mit dieser Taktik im Zentrum der Macht zu halten. Für den Erhalt des „Professionalismus“, wie Wendt für die Reichswehr festgestellt hat und wie es ohne Weiteres auf das Auswärtige Amt übertragbar ist, zahlten die Diplomaten den Preis der „Ausschaltung (. . . ) aus dem außenpolitischen Kompetenzbereich“34 . Noch einmal offenbarte sich das Versagen des Auswärtigen Amtes im Verlaufe der Rheinlandkrise. Obwohl die Initiative zur „Kündigung“ Locarnos im Januar 1936 unzweifelhaft von der Wilhelmstraße ausging, mussten die Diplomaten zwei Niederlagen einstecken, von denen sich das Amt nicht mehr erholen sollte. Innenpolitisch war dies der Unwille Hitlers, den taktischen Vorgaben seiner diplomatischen Berater zu folgen. So war er weder bereit, die endgültige Ratifizierung des französisch-sowjetischen Beistandspaktes abzuwarten, noch 30

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In seiner Rede am 7. März 1936 erklärte Hitler, seit 1933 sei sein Ziel gewesen, „Deutschland aus der Verstrickung eines Vertrags [des Locarnopaktes] [zu] lösen“, Berber: Locarno, Nr. 41, S. 220. Wendt: Großdeutschland, S. 97. So in Abgrenzung zu Krüger, der behauptet, die Diplomaten hätten nach 1933 überhaupt keine neuen Konzepte entwickelt, P. Krüger: Hitlers Machtergreifung und der Verfall der Diplomatie, in: Bohemia 25 (1984), S. 279–294. Vgl. die Klage Bülows im Februar 1936, Hitler behandle alles, was ihm nicht ins Konzept passe, mit Indifferenz, Robertson: Wiederbesetzung, Nr. 8, S. 204. Gleichzeitig klagten Neurath und Bülow wiederholt, Verhandlungen mit Frankreich über ein Ende der entmilitarisierten Zone wären mit Sicherheit gescheitert, DDB, Bd. IV, Nr. 74, S. 199ff. Wendt: Großdeutschland, S. 89.

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wollte er auf das Genfer Geschehen Rücksicht nehmen, wie ihm Neurath und Hassell rieten. Gleichzeitig rückte er von der zunächst von ihm gebilligten Idee des Viererpaktes ab und ließ sich in München von Ribbentrop überzeugen, zur Besänftigung Londons die Rückkehr in den Völkerbund anzubieten. Schließlich bestimmte der Reichskanzler Anfang März 1936 gegen den Rat Neuraths und Blombergs, die „Kündigung“ Locarnos mit einer Militäraktion zu verbinden. Außenpolitisch manifestierte sich das Scheitern des Auswärtigen Amtes in dem missglückten Versuch, London mittels einer Taktik der Lockung und Drohung zu Modifikationen am Locarnopakt zu bewegen. England war nicht bereit, an den anderen Partnern vorbei über Veränderungen am Rheinpakt zu sprechen. Es war eine Fehleinschätzung der Wilhelmstraße, dass die französische Bündnispolitik London zurück in seine Rolle als Vermittler drängen würde, genauso wie es nicht stimmte, dass der britische Grundsatz, keine Verpflichtungen über Locarno hinaus anzunehmen, im Umkehrschluss bedeutete, dass Großbritannien sich einer Auflockerung der Locarnostrukturen zumindest nicht widersetzen würde. Da der britische Vorstoß zu einem working agreement in erster Linie taktisch motiviert war, wurde auch das Kalkül des Auswärtigen Amtes hinfällig, den Rheinpakt zu „kündigen“, um über die entmilitarisierte Zone verhandeln zu können. Damit kommt der Rheinlandkrise vom März 1936 nicht nur in den internationalen Beziehungen der Zwischenkriegszeit ein Wendepunktcharakter zu, sondern genauso auch im Stil der nationalsozialistischen Außenpolitik35 . Nicht 1937, als Hitler im November den Ministern seine Kriegsabsichten schilderte, war das „Wendejahr“36 , die entscheidende Zäsur stellte bereits der März 1936 dar. Hatte Hitler bislang alle außenpolitischen Schritte mit seinen Beratern besprochen, überzeugte ihn der Erfolg im Rheinland davon, dass nur sein eigenes „außenpolitisches Genie“ Deutschland den Erfolg bringen konnte. Jetzt „traten Erpressung und Einschüchterung an die Stelle von Diplomatie“37 . Jetzt begann er, alle großen Entscheidungen selbstherrlich zu treffen, während er sich dem lästigen Tagesgeschäft mehr und mehr entzog38 . Gleichzeitig fing er an, immer offener über seine politischen Endziele zu sprechen. Lange vor dem 5. November 1937, als Hitler in der von Friedrich Hoßbach überlieferten Konferenz den Spitzen der Wehrmacht seine Kriegsabsichten mitteilte39 , kündigte er seinen Vertrauten und Ministern an, wohin die Reise gehen würde. So hielt er bereits am 1. Dezember 1936 einen langen Vortrag vor den Kabinettskollegen, in dem er die politische Lage darlegte, wie sie sich ihm stellte. Europa sei in zwei Lager 35 36 37 38 39

Vgl. Robertson: Wiederbesetzung, S. 188. Vgl. auch die kritischen Bemerkungen bei Schmidt: Außenpolitik, S. 218–225. Ders.: Der Zweite Weltkrieg. Die Zerstörung Europas, Berlin 2008, S. 11. Vgl. auch Beck: Rapport, S. 273. Ursachen und Folgen, Bd. XI, Nr. 2598 a, S. 545ff. Vgl. Schmidt: Außenpolitik, S. 222–225.

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gespalten, erklärte Hitler, in wenigen Jahren werde die große Krise kommen, die mit Waffengewalt ausgetragen werde. Dann würden alle Staaten, die nicht krisenfest seien – Polen, Österreich, Ungarn –, von der Landkarte verschwinden40 . Und wenige Wochen später wurde er noch deutlicher, als er seine Überzeugung kundtat, dass es bald zu einer großen Weltauseinandersetzung kommen werde, in deren Verlauf er den „Westfälischen Frieden liquidieren“ wolle. „Deutschland werde im Kampf siegen“, so stellte er schon damals die Alternativen klar, „oder wird nicht mehr leben.“41 Der letzte Blick gilt den beiden Männern, die sich am Tag nach der Rheinlandbesetzung in Berlin trafen. Die Klagen, Diplomatie und Reichswehr seien nicht an der Rheinlandaktion beteiligt gewesen, sind als haltlos zurückzuweisen. Genau wie die Militärs, die lange vor der NS-Machtergreifung einen Kurs steuerten, der auf die Beseitigung der entmilitarisierten Zone abzielte, lösten sich die Diplomaten nach 1933 Stück für Stück von den Vorgaben Locarnos. Der Glaube, der Rheinpakt sei durch den Völkerbundsaustritt ungültig geworden, und das Scheitern aller Versuche, im Zusammenspiel mit England zu einer Anpassung Locarnos zu gelangen, gaben ihnen ein hohes Maß an Mitverantwortung für die Auslösung der Rheinlandkrise. Genau wie Beck bemühte sich Bülow, das Ausmaß der Beteiligung des Auswärtigen Amtes zu kaschieren. Die Remilitarisierung des Rheinlandes war eben nicht die „rheinische Ouvertüre“ eines Solisten, sondern ist von den Experten aus Diplomatie und Reichswehr seit Langem gefordert und im Frühjahr 1936 geplant und ausgeführt worden. Neben den Militärs, die die Zone für ihre Aufrüstungspläne brauchten, waren es zuletzt auch die Diplomaten, die, in der Annahme, Locarno sei obsolet und die anderen Mächte hätten bereits alternative Paktkonstruktionen ausgearbeitet, um die Jahreswende 1935/36 auf ein Ende Locarnos zusteuerten. Dazu besprachen sie sich seit Dezember 1935 mit dem Reichskanzler über mögliche Vorgehensweisen, sammelten Nachrichten, wie die anderen Mächte auf einen deutschen Coup reagieren würden, und begannen im Februar 1936 mit einer Kampagne, um den Schritt diplomatisch abzufedern. Es stimmt zwar, dass Hitler seine Berater eine Woche vor dem Coup mit der Idee überrumpelte, die „militärische Besetzung“42 durchzuführen (worauf sich die Diplomaten und Militärs nach 1945 immer beriefen), und damit einen Gewaltcoup inszenierte, der mit den ursprünglichen Planungen nichts mehr gemein hatte; dabei verschwiegen Männer wie Neurath und Blomberg nach dem Krieg geflissentlich, 40 41

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Tagebuch Goebbels, 2. 12. 1936, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 3/II, S. 272f. Tagebuch Goebbels, 28. 1. 1937, ebenda, S. 349; Tagebuch Goebbels, 23. 2. 1937, ebenda, S. 389. Schon damals sprach Hitler offen über seine nächsten Revisionsziele, als er ankündigte, Österreich und die Tschechoslowakei „zur Abrundung unseres Gebiets“ annektieren zu wollen, Tagebuch Goebbels, 15. 3. 1937, Goebbels: Tagebücher, I, Bd. 4, S. 52. So Schwerin v. Krosigk: Deutschland, S. 203.

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dass sie gar nicht erst versuchten, Hitler von seinem Kurs abzubringen, sondern ihre Sorge allein der Möglichkeit galt, die politische Verantwortung auf Hitler abwälzen zu können, für den Fall, dass das Unternehmen scheitern würde. Dies ist das wahre Motiv der Aussagen Becks und Bülows vom 8. März 1936. Bülow und Beck glaubten beide, dass der Krieg unvermeidlich sei43 , aber anders als Hitler wollten sie ihn nicht. Die beiden Männer, die in den ersten Jahren des „Dritten Reiches“ – jeder auf seine Weise – darum kämpften, dem Reich die Sicherheit zu verschaffen, die es zur Durchführung der Revisionen brauchte, mussten geahnt haben, dass Hitler sie eines Tages übertölpeln würde. Die politischen Sicherheiten, die ihm Bülow bot, nahm der Reichskanzler an, solange er schwach war, um sie dann über Bord zu werfen; die militärischen Mittel, die Beck ihm zur Sicherung des Reiches schuf, benutzte er, um seinen blutigen Lebensraumkrieg zu führen. So wie Beck und Bülow auf diese Weise an Hitler scheiterten, so scheiterten sie aber genauso an sich selbst – dies zeigt die Geschichte der Rheinlandkrise ganz deutlich.

43

Vgl. Hesse: Spiel, S. 31.

Quellen- und Literaturverzeichnis Ungedruckte Quellen Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Berlin Büro Reichsminister R 28002: Sammlung von Aufzeichnungen, Bd. 3 R 28032: Reden des Herrn Reichskanzlers, Bd. 8 R 28035: Reden des Herrn Reichspräsidenten und Vorträge, Bd. 3 R 28230 k: England, Bd. 12 R 28258 k: Frankreich, Bd. 27 R 28274 k: Italien, Bd. 10 R 28308 k: Russland, Bd. 29 R 28358 k: Besetzte Rheinlande, Bd. 9 R 28431: Völkerbund, Bd. 32 R 28432: Völkerbund, Bd. 33 R 28433: Völkerbund, Bd. 34 R 28435: Völkerbund, Bd. 36 R 28457: Abrüstung, Bd. 21 R 28470: Mussolini-Pakt, Bd. 1 R 28486: Saargebiet, Bd. 6 R 28539: Militärwesen, Bd. 3 R 28810: Die römischen Beschlüsse, etc. R 28822: Sammlung betr. Remilitarisierung des Rheinlandes R 29154 k: Innerpolitisches, insb. Verbot des Stahlhelms in Rheinland-Westfalen Büro Staatssekretär R 29451: Aufzeichnungen Bülows A-K, Bd. 3 R 29452: Aufzeichnungen Bülows A-K, Bd. 4 R 29454: Aufzeichnungen Bülows A-K, Bd. 6 R 29456: Aufzeichnungen Bülows A-K, Bd. 8 R 29458: Aufzeichnungen Bülows A-K, Bd. 10 R 29461: Aufzeichnungen betr. interne Dienstanweisungen, Bd. 1 R 29462: Aufzeichnungen betr. interne Dienstanweisungen, Bd. 2 R 29468: Briefe Bülows in politischen Angelegenheiten, Bd. 4 R 29470: Briefe Bülows in politischen Angelegenheiten, Bd. 6 R 29473: Briefe Bülows in politischen Angelegenheiten, Bd. 9 R 29512: Politischer Schriftwechsel mit Beamten A-K, Bd. 1 R 29518: Politischer Schriftwechsel mit Beamten A-F, Bd. 7 R 29519: Politischer Schriftwechsel mit Beamten G-K, Bd. 8

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Quellen- und Literaturverzeichnis

Politische Abteilung I Völkerbund R 102274: Garantie- und Sicherheitsfragen. Locarno-Konferenz 1936 Abteilung II R 70027: Sammlung der im Auswärtigen Amt aufgestellten Politischen Übersichten, Bd. 10 R 70093: Zwischenstaatliche außenpolitische Probleme, Bd. 3 R 70095: Zwischenstaatliche außenpolitische Probleme, Bd. 5 R 70102: Sicherheitsfrage und Konferenz von Locarno, Bd. 7 R 70113: Vorschlag eines Ostpakts, Bd. 3 R 70216: Bestrebungen des „Deutschen Rheins e. V.“ R 70241: Politische Beziehungen Belgiens zu Deutschland, Bd. 9 R 70242: Politische Beziehungen Belgiens zu Deutschland, Bd. 10 R 70510: Politische Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland, Bd. 30 R 70512: Politische Beziehung zwischen Frankreich und Deutschland, Bd. 32 R 70515: Politische Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland, Bd. 35 R 70516: Politische Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland, Bd. 36 R 70517: Politische Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland, Bd. 37 R 72766: Politische Beziehungen Italiens zu Deutschland, Bd. 10 Abteilung II Besetzte Gebiete R 74525: Rheinland, Neutrale Zone, Bd. 1 R 74530: Rheinland, Neutrale Zone, Bd. 6 R 74587: Politische Angelegenheiten, Bd. 39 Abteilung II-F Abrüstung R 32030: Material Allgemeines, Bd. 33 R 32038: Material England, Bd. 2 R 32040: Entmilitarisierte Zone, Bd. 1 R 32041: Entmilitarisierte Zone, Bd. 2 R 32045: Material Frankreich, Bd. 4 R 32046: Freimachung des Rheins R 32054: Völkerbundangelegenheiten, Bd. 2 R 32058: Militärisch organisierte Verbände, Bd. 2 R 32117: Komitee für Schiedssprechung und Sicherheit, Bd. 2 R 32233: Mussolini-Vorschläge/Abrüstungsverhandlungen, Bd. 1 R 32235: Mussolini-Vorschläge/Abrüstungsverhandlungen, Bd. 3 R 32236: Mussolini-Vorschläge/Abrüstungsverhandlungen, Bd. 4 R 32237: Mussolini-Vorschläge/Abrüstungsverhandlungen, Bd. 5 R 32238: Mussolini-Vorschläge/Abrüstungsverhandlungen, Bd. 6 R 32239: Mussolini-Vorschläge/Abrüstungsverhandlungen, Bd. 7 R 32240: Mussolini-Vorschläge/Abrüstungsverhandlungen, Bd. 8 R 32241: Mussolini-Vorschläge/Abrüstungsverhandlungen, Bd. 9 R 32242: Mussolini-Vorschläge/Abrüstungsverhandlungen, Bd. 10 R 32244: Mussolini-Vorschläge/Abrüstungsverhandlungen, Bd. 12 R 32245: Mussolini-Vorschläge/Abrüstungsverhandlungen, Bd. 13

Ungedruckte Quellen

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R 32246: Mussolini-Vorschläge/Abrüstungsverhandlungen, Bd. 14 R 32248: Sicherheitsfrage, Bd. 1 R 32250: Sicherheitsfrage, Bd. 3 R 32253: Ostpakt/Französisch-russischer Pakt, Bd. 1 R 32254: Ostpakt/Französisch-russischer Pakt, Bd. 2 R 32255: Ostpakt R 32256: Nichtangriffspakte Deutschlands R 32257: Umbau der Wehrmacht R 32260: Luft-Locarno R 32261: Proklamierung der deutschen Souveränität in der entmilitarisierten Zone, Bd. 1 R 32263: Proklamierung der deutschen Souveränität in der entmilitarisierten Zone, Bd. 3 R 32303: Abrüstungsdelegation, Sicherheit R 32346: Abrüstungsdelegation, Verhandlungen nach dem Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund, Bd. 1 R 32347: Abrüstungsdelegation, Verhandlungen nach dem Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund, Bd. 2 R 32367: Schriftwechsel zur Abrüstungsfrage, Bd. 7 R 32368: Schriftwechsel zur Abrüstungsfrage, Bd. 8 R 33133: Entmilitarisierung des Saargebiets R 34013: Maßnahmen für die Reichsverteidigung R 34015: Verstärkter Grenzaufsichtsdienst Westen R 34016: Mobilmachungsmaßnahmen R 34019: Lageberichte Abteilung II-F Luft R 33046: Luftpakt Abteilung II-F Militär und Marine R 33053: Die Völkerbundskontrolle durch Artikel 213, Bd. 4 R 33311: Kehler Zwischenfall R 33532: Sicherheitspolizei in der neutralen Zone, Bd. 4 R 33725: Allgemeine Wehrpflicht, Bd. 1 R 33726: Allgemeine Wehrpflicht, Bd. 2 R 33727: Allgemeine Wehrpflicht, Bd. 3 Abteilung II Völkerbund R 96631: Schiedsgerichts- und Vergleichsverträge, Bd. 1 R 96751: Völkerbundssatzung Artikel 16, Bd. 1 R 96755: Völkerbundssatzung Artikel 16, Bd. 5 R 96760: Völkerbundssatzung Artikel 16, Bd. 10 R 97119: Länderakten, Deutschland, Bd. 18 R 97124: Deutschlands Austritt aus dem Völkerbund, Bd. 1 R 97125: Deutschlands Austritt aus dem Völkerbund, Bd. 2 R 97127: Länderakten, Deutschlands Wiedereintritt in den Völkerbund R 97136: Länderakten, England, Bd. 5 R 97147: Länderakten, Frankreich, Bd. 4

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Quellen- und Literaturverzeichnis

Abteilung III R 76988: Politische Beziehungen zwischen England und Deutschland, Bd. 14 R 76989: Politische Beziehungen zwischen England und Deutschland, Bd. 15 R 76990: Politischen Beziehungen zwischen England und Deutschland, Bd. 16 R 76995: Aufkündigung von Locarno R 95598: Friedensvertrag, Rheinlande Abteilung IV R 31620: Französisch-russischer Ostpaktvorschlag, Bd. 10 R 31621: Französisch-russischer Ostpaktvorschlag, Bd. 11 R 31622: Französisch-russischer Ostpaktvorschlag, Bd. 12 R 31623: Französisch-russischer Ostpaktvorschlag, Bd. 13 R 31624: Französisch-russischer Ostpaktvorschlag, Bd. 14 Rechtsabteilung (Abteilung V) R 43132: Fakultativklausel, Bd. 1 R 46941: Wehrgesetze von 1935, Bd. 1 R 46942: Wehrgesetze von 1935, Bd. 2 R 52327: Friedensvertrag Allgemeines, Bd. 9 R 53006: Locarno, Bd. 3 R 53009: Locarno, Bd. 6 R 53010: Locarno, Bd. 7 R 53011: Locarno, Bd. 8 R 53019: Sicherheitsverhandlungen R 53049: Ostlocarno und Ostpakt R 53295: Schiedsverträge Allgemeines, Bd. 3 R 53902: Völkerbund, Abrüstung, Artikel 16, Bd. 2 R 53906: Der Abschluss eines Konsultativpaktes in Abrüstungsangelegenheiten R 53933: Pakt gegen Gewaltanwendung R 53941: Völkerbund: Austritt Deutschlands R 54050: Einberufung einer außerordentlichen Ratstagung durch den Völkerbund aus Anlass der Verkündung des deutschen Wehrgesetzes und der deutschen Militärluftfahrt R 54353: Völkerrecht, Sicherheitsfragen Geheimakten 1920–1936 R 30037: Landesverteidigung R 30059: Allgemeine Wehrpflicht, Bd. 3 R 30061 b: Militärattaché London, Bd. 1, Teil II R 30062 a: Militärattaché London, Bd. 2, Teil I R 30062 b: Militärattaché London, Bd. 2, Teil II R 30065 b: Marineattaché London, Bd. 2, Teil II R 30066 b: Marineattaché London, Bd. 3, Teil II R 30069: Luftattaché London R 30073 a: Militärattaché Paris, Bd. 2, Teil I R 30073 b: Militärattaché Paris, Bd. 2, Teil II R 30074 a: Militärattaché Paris, Bd. 3, Teil I

Ungedruckte Quellen R 30075: Militärattaché Paris, Bd. 4 R 30182 b: Frankreich, Bd. 3, Teil II R 30183: Politische Beziehungen Frankreich-Deutschland, Bd. 4 R 30268: Viermächtepakt, Bd. 4 R 30593 k: Politische Beziehungen Englands zu Deutschland, Bd. 6 R 31629: Materialien zum Ostpakt, Bd. 3 Handakten Neurath BA 60952: Italien BA 60953: Frankreich BA 60959: Völkerbund BA 60960: Unterlagen zur Außenpolitik BA 60966: Allgemeine Außenpolitik II BA 60967: Aufzeichnungen über politische Gespräche BA 60968: Besuch des englischen Außenministers Sir John Simon BA 60975: Geheimakten Ribbentrop BA 60991: Allgemeine Außenpolitik I Handakten Köpke R 35598: Belgisch-französischer Geheimpakt Handakten Dirksen R 35809: Utrechter Tagblatt Botschaft Paris 464 b: Ostpakt 659 a: Deutsches Garantieangebot/Sicherheitspakt, Bd. 6 660: Deutsches Garantieangebot/Sicherheitspakt, Bd. 12 Botschaft Moskau 175: Französisch-sowjetischer Regionalpakt, Bd. 1 181: Litwinow-Barthou-Ostpakt, Bd. 3 Nachlässe Herbert v. Dirksen Dirk Forster Otto Göppert Gerhard Köpke Joachim v. Lieres und Wilkau Rudolf Nadolny Cecil v. Renthe-Fink

Bundesarchiv, Koblenz Nachlässe Erich Koch-Weser (N 1012) Konstantin v. Neurath (N 1310) Fritz Hesse (N 1322)

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Quellen- und Literaturverzeichnis

Sammlung Jacobsen ZSg 133/11: Neurath, Besprechungen ZSg 133/12: Neurath, Besprechungen ZSg 133/14: Neurath, Reden und Korrespondenz ZSg 133/45: APA, Allgemeines, Bd. 4 ZSg 133/108: Paktsysteme, Bd. 2 ZSg 133/109: Abrüstung-Sicherheit, Bd. 1 ZSg 133/110: Abrüstung-Sicherheit, Bd. 2 ZSg 133/111: Abrüstung-Sicherheit, Bd. 3 ZSg 133/112: Abrüstung-Sicherheit, Bd. 4 ZSg 133/113: Abrüstung-Sicherheit, Bd. 5

Bundesarchiv, Berlin-Lichterfelde Reichskanzlei R 43 II/395: Schutzpolizei und Landjägerei, Bd. 1 R 43 I/448: Sicherheitsfrage, Bd. 4 R 43 I/449: Sicherheitsfrage, Bd. 5 R 43 I/534: Allgemeine Abrüstung, Bd. 7 R 43 I/2734: Stahlhelm. Bund der Frontsoldaten, Bd. 1 R 43 I/2735: Stahlhelm. Bund der Frontsoldaten, Bd. 2 R 43 II/696: Luftfahrt und Flugwesen im Allgemeinen, Bd. 7 R 43 I/53: Belgien, Bd. 2 R 43 II/1438: Frankreich, Bd. 1 Handakten Lammers 43/4018 Büro des Reichspräsidenten/Präsidialkanzlei R 601/1168: Locarno, Bd. 2 Adjutantur des Führers NS 10/199: Zuschriften von Privatpersonen aus dem Inland, E NS 10/200: Zuschriften von Privatpersonen aus dem Inland, F Außenpolitisches Amt NS 43/149: Rapallo Kanzlei des Führers der NSDAP NS 51/1: Deutsch-französische Beziehungen Nachlässe Werner v. d. Schulenburg (N 2273)

Ungedruckte Quellen

Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg i. Br. Oberbefehlshaber des Heeres RH 1/13: Geheimakten, Bd. 6 RH 1/42: Reisen ObdH, Bd. 1 RH 1/59: Außenpolitik, Rheinland RH 1/78: Außenpolitik Oberkommando des Heeres/Generalstab des Heeres RH 2/14: Kriegsspielstudie West 1935 RH 2/15: Kriegsspielstudie West 1934/35 RH 2/21: Grenzsicherung West: Übungsreise RH 2/25: Landesverteidigung RH 2/98: Dienstlicher Schriftwechsel, Bd. 1 RH 2/420: Aufmarsch- und Kampfanweisung für die Westgrenze RH 2/766: Landesbefestigungen RH 2/980: Außenpolitik, Bd. 1 a RH 2/981: Außenpolitik, Bd. 1 b RH 2/989: Reichsverteidigung RH 2/1007: Entmilitarisierte Zone, Bd. 1 RH 2/1013: Umbau des Heeres, Bd. 1 RH 2/1015: Umbau des Heeres, Bd. 3 RH 2/1018: Heeresaufbau, Bd. 3 RH 2/1160: Landespolizei RH 2/1236: Verstärkter Grenzaufsichtsdienst RH 2/1883: Schriftwechsel mit Londoner Militärattaché RH 2/2933: Militärattaché Paris RH 2/3002: Luftwaffe Chef des Transportwesens RH 4/175: Transportübungsaufgabe, Bd. 3 Militärattachés RH 67/72: Schriftwechsel mit dem War Office, Bd. 1 Allgemeines Wehrmachtsamt RW 6/82: Abrüstungsangelegenheiten OKW/Amt Ausland/Abwehr RW 5/348: Außenpolitische Berichte RW 5/405: Berichte des Militärattachés in London RW 5/411: Frankreich, Bd. 4 RW 5/414: Belgien RW 5/461: Sowjetunion OKW/Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt RW 19/1759: Landesverteidigung RW 19/1760: Vorbereitung der Landesverteidigung RW 19/1762: Landesverteidigung

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Quellen- und Literaturverzeichnis

Militärgeschichtliche Sammlungen MSg 1/2: Blombergs Einstellung zu Hitler Nachlässe Ludwig Beck (N 28) Kurt v. Schleicher (N 42) Erhard Milch (N 179) Wilhelm Adam (N 738)

Institut für Zeitgeschichte, München Sammlungen und Nachlässe MA 155: Auswärtiges Amt, Teil I, Abrüstung, Allgemeines MA 804/1: Auswärtiges Amt, Teil I, Mussolini-Pakt ED 1: Nachlass Curt v. Liebmann ED 33: Müller/Eckardt ED 86: Nachlass Ferdinand v. Bredow ED 91: Nachlass Leo Freiherr Geyr v. Schweppenburg ED 93: Nachlass Hans Schäffer ED 109: Nachlass Wilhelm Adam Zeugenschrifttum ZS 11: Zeugenschrifttum Walter v. Böckmann ZS 37: Zeugenschrifttum Hermann Foertsch ZS 39-1: Zeugenschrifttum Maximilian Fretter-Pico ZS 44: Zeugenschrifttum Franz v. Gaertner ZS 105: Zeugenschrifttum Horst v. Mellenthin ZS 152: Zeugenschrifttum Otto Stapf ZS 182: Zeugenschrifttum Maximilian v. Weichs ZS 251-1: Zeugenschrifttum Max Jüttner ZS 579: Zeugenschrifttum Hans v. Speidel ZS 705: Zeugenschrifttum Friedrich Gaus ZS 917: Zeugenschrifttum Fritz Hesse ZS 1021: Zeugenschrifttum Vico v. Bülow-Schwante ZS 1608: Zeugenschrifttum Werner v. Fries ZS 1726: Zeugenschrifttum Otto Meißner ZS 1954: Zeugenschrifttum Conrad Albrecht

Hessisches Staatsarchiv Darmstadt Reichsstatthalter G 5 Nr. 34: Unterredung mit dem Wehrkreiskommando Stuttgart (General Liebmann) mit Sprenger über Spionageabwehr und das Verhalten von Reichswehr, SA, SS und Schutzpolizei bei einem etwaigen Einmarsch Frankreichs und Polens

Ungedruckte Quellen

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G 5 Nr. 105: Zweimonatsberichte des Reichsstatthalters in Hessen an den Reichs- und Preußischen Minister des Innern Polizei G 12 Nr. 22/1: Stärkemeldungen der Hilfspolizei G 12 Nr. 24/3: Kosten der Hilfspolizei

Niedersächsisches Landesarchiv – Hauptstaatsarchiv Hannover Nachlass Rudolf Diels VVP 46, Nr. 10: Korrespondenz aus der Zeit als Regierungspräsident in Köln und Hannover

Otto-von-Bismarck-Stiftung, Friedrichsruh Nachlass Otto (II.) von Bismarck I 31: Politisches 1931–1935

Les Archives du Ministère des Affaires étrangères et européennes, Paris-La Courneuve Affaires politiques, Série Z Europe, Allemagne Bd. 716, 717, 718 u. 719: Dossier général Affaires politiques, Série Z Europe, Grande-Bretagne Bd. 295, 296 u. 297: Pacte de Sécurité Bd. 298, 299 u. 300: Pacte de Sécurité, Dénonciation par l’Allemagne Affaires politiques, Série Z Europe, La rive gauche du Rhin Bd. 265 u. 266: Zone démilitarisée, Dossier général Bd. 267 u. 268: Zone démilitarisée, Dossier général Bd. 270: Zone démilitarisée, Dossier général Bd. 275: Nazis en Zone démilitarisée Bd. 281: Zone démilitarisée, Police Affaires politiques, Série Relations multilatérales, Service français de la Société des Nations Bd. 24 u. 25: Artikel 16 Bd. 26, 27 u. 28: Artikel 19 Bd. 755: Interpretation des Locarnopaktes Bd. 756: Mögliche Revision des Locarnopaktes Papier d’agents – Archives privées 217: René Massigli

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Quellen- und Literaturverzeichnis

Service Historique de la Défense, Paris-Vincennes Conférence des Ambassadeurs au Quai d’Orsay 4 N 91: Notes du secrétaire français Etat-major de l’armée 7 N 2520: Relations et crises internationales 7 N 2521: Relations et crises internationales 7 N 2625: France, Etudes et Notes 7 N 3083: Suisse 7 N 3437: Programme de renforcement de l’armée 7 N 3559: La Question du contrôle des armements

The National Archives, London-Kew Cabinet Papers CAB 16/68 CAB 21/540 CAB 23/77 CAB 23/78 CAB 23/79 CAB 23/81 CAB 23/82 CAB 23/83 CAB 23/96 CAB 24/220 CAB 24/241 CAB 24/243 CAB 24/248 CAB 24/249 CAB 24/250 CAB 24/253 CAB 24/255 CAB 24/259 CAB 27/572 CAB 29/146 Foreign Office General Correspondence FO 371/14994: Political Correspondence, League of Nations 1930 FO 371/14365: Political Correspondence Germany 1930 FO 371/15939, 15940: Political Correspondence Germany 1932 FO 371/16729, 16740, 16741: Political Correspondence Germany 1933 FO 371/17694, 17746, 17747: Political Correspondence Germany 1934

Gedruckte Quellen

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FO 371/18813, 18823, 18827, 18828, 18830, 18835, 18836, 18837, 18838, 18839, 18840, 18841, 18842, 18843, 18844, 18845, 18847, 18848, 18849, 18850, 18851, 18852: Political Correspondence Germany 1935 FO 371/19883, 19884, 19885, 19886, 19910: Political Correspondence Germany 1936 FO 371/19661: Political Correspondence, League of Nations 1935 Confidential Print FO 408/61, 62: Correspondence respecting Germany 1933 FO 408/64: Correspondence respecting Germany 1934 FO 408/65: Correspondence respecting Germany 1935 FO 408/66: Correspondence respecting Germany 1936 FO 411/16: Correspondence respecting the League of Nations FO 411/17: Correspondence respecting the League of Nations FO 834/42: Reports by the Law Officers of the Crown Private Papers FO 800/258: Austen Chamberlain FO 800/275: Orme Sargent FO 800/288: John Simon War Office Directorate of Military Operations and Intelligence: German and adjacent Countries Military Situations Reports (Appreciation Files) WO 190/71: Special Questionnaire regarding the demilitarized zone WO 190/185: Nazi Forces in the Demilitarized Zone WO 190/211: German Infractions of the Peace Treaty WO 190/277: Comments on the Note from the Belgian Ambassador, dated November 12, 1934 WO 190/331: Minute on Definition of aggressor and action be taken under Locarno treaty WO 190/335: German and British Security in the Future WO 190/364: Military advantages of the demilitarized zone WO 190/365: Considerations of British Policy in relation to the Demilitarized Zone in the Rhineland WO 190/380: Anti Aircraft Artillery in the Demilitarized Zone German Foreign Ministry GFM 33/418: Abteilung II-F, Entmilitarisierte Zone GFM 33/3027: Reichskanzlei, Sicherheitsfrage GFM 33/3526: Archiv der Marine, Spannungszeit bei Einmarsch Rheinzone

Gedruckte Quellen Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik. Das Kabinett Scheidemann 13. Februar bis 20. Juni 1919, bearbeitet von H. Schulze, Boppard a. Rh. 1971. Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik. Das Kabinett Bauer 21. Juni 1919 bis 27. März 1920, bearbeitet von A. Golecki, Boppard a. Rh. 1980.

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Quellen- und Literaturverzeichnis

Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik. Das Kabinett Cuno 22. November 1922 bis 12. August 1923, bearbeitet von K.-H. Harbeck, Boppard a. Rh. 1968. Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik. Die Kabinette Stresemann I und II. 13. August bis 6. Oktober 1923. 6. Oktober bis 30. November 1923, Bd. 1: 13. August bis 6. Oktober 1923, bearbeitet von K.-D. Erdmann u. M. Vogt, Boppard a. Rh. 1978. Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik. Die Kabinette Marx I und II. 30. November 1923 bis 3. Juni 1924. 3. Juni 1924 bis 15. Januar 1925, Bd. 1: November 1923 bis 15. Januar 1925, bearbeitet von G. Abramowski, Boppard a. Rh. 1973. Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik. Die Kabinette Luther I und II. 15. Januar 1925 bis 20. Januar 1926. 20. Januar 1926 bis 17. Mai 1926, Bd. 1: Januar 1925 bis Oktober 1925; Bd. 2: Oktober 1925 bis Mai 1926, bearbeitet von K.-H. Minuth, Boppard a. Rh. 1977. Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik. Die Kabinette Marx III und IV. 17. Mai 1926 bis 29. Januar 1927. 29. Januar 1927 bis 29. Juni 1928, Bd. 1: Mai 1926 bis Mai 1927; Bd. 2: Mai 1926 bis Januar 1927, bearbeitet von G. Abramowski, Boppard a. Rh. 1988. Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik. Das Kabinett Müller II. 28. Juni 1928 bis 27. März 1930, Bd. 1: Juni 1928 bis Juli 1929; Bd. 2: August 1929 bis März 1930, bearbeitet von M. Vogt, Boppard a. Rh. 1970. Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik. Die Kabinette Brüning I und II. 30. März 1930 bis 10. Oktober 1931, 10. Oktober 1931 bis 1. Juni 1932, Bd. 1: März 1930 bis Februar 1931; Bd. 2: März 1931 bis Oktober 1931, bearbeitet von T. Koops, Boppard a. Rh. 1982. Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik. Das Kabinett Papen 1. Juni bis 3. Dezember 1932, Bd. 2: September bis Dezember 1932, bearbeitet von K.-H. Minuth, Boppard a. Rh. 1989. Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik. Das Kabinett Schleicher (1932/33), bearbeitet von A. Golecki, Boppard a. Rh. 1986. Akten der Reichskanzlei. Regierung Hitler 1933–1945. Die Regierung Hitler, Bd. I, 1 und I, 2: 1933/34, bearbeitet von K.-H. Minuth; Bd. II, 1, und II, 2: 1934/35, bearbeitet von F. Hartmannsgruber; Bd. III: 1936, bearbeitet von F. Hartmannsgruber, Boppard a. Rh. u. München 1983–2002. Akten zur deutschen Auswärtigen Politik 1918–1945, Serie A: 1918–1925, Bd. VI–XIV, Göttingen 1988–1995. Akten zur deutschen Auswärtigen Politik 1918–1945, Serie B: 1925–1933, Bd. I–XXI, Göttingen 1966–1983. Akten zur deutschen Auswärtigen Politik 1918–1945, Serie C: 1933–1937. Das Dritte Reich: Die ersten Jahre, Bd. I–VI, Göttingen 1971–1981. Berber, F. (Hg.): Locarno. Eine Dokumentensammlung, mit einer Einleitung von J. v. Ribbentrop, Berlin 1936. Berber, F.: Das Diktat von Versailles. Entstehung, Inhalt, Zerfall, Bd. 1 u. 2, Essen 1939. Berber, F. (Hg.): Deutschland – England 1933–1939. Die Dokumente des deutschen Friedenswillens (Veröffentlichungen des Deutschen Instituts für Außenpolitische Forschung, Bd. VII), Essen 1940. Berber, F. (Hg.): Europäische Politik 1933–1938 im Spiegel der Prager Akten, Essen  1942. British Documents on Foreign Affairs. Papers and Reports from the Foreign Office Confidential Print, Teil II: From the First to the Second World War, Serie A: The Soviet Union, 1917– 1939, Bd. 12: The Soviet Union, Januar 1934. Juni 1935, o. O. 1986.

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Abkürzungsverzeichnis AA ADAP AdG AdR AJIL AMAEE Anm. APA Art. BAK BA-MA BArch Bd. BDFA BYIL bzw. CAB CEH CID DBFP DDB DDF DDI DDP DDPK DDS Ders./Dies. DGFP d. h. Diss. jur. Diss. phil. DJZ DNB DNVP dt. Ausg. durchges. Aufl. EJIH

Auswärtiges Amt Akten zur deutschen auswärtigen Politik 1918–1945 Keesings Archiv der Gegenwart Akten der Reichskanzlei American Journal of International Law Archives du Ministère des Affaires étrangères et européennes Anmerkung Außenpolitisches Amt Artikel Bundesarchiv Koblenz Bundesarchiv-Militärarchiv Bundesarchiv Lichterfelde Band British Documents on Foreign Affairs British Yearbook of International Law beziehungsweise Cabinet Papers Central European History Committee of Imperial Defence Documents on British Foreign Policy 1919–1939 Documents Diplomatiques Belges 1920–1940 Documents Diplomatiques Français 1932–1939 I Documenti Diplomatici Italiani Deutsche Demokratische Partei Deutsche diplomatisch-politische Korrespondenz Documents Diplomatiques Suisses Derselbe/Dieselbe Documents on German Foreign Policy 1918–1945 das heißt Rechtswissenschaftliche Dissertation Geisteswissenschaftliche Dissertation Deutsche Juristen-Zeitung Deutsches Nachrichtenbüro Deutschnationale Volkspartei deutsche Ausgabe durchgesehene Auflage Electronic Journal of International History

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Abkürzungsverzeichnis

EHQ erw. Aufl. et al. etc. f./ff. FHS FO Francia Frh. FRUS GFM GG GiW GMCC GWU Hg./hg. v. HJ HJB HL HMRG Hs. HZ IfZ IMKK IMT JCH jr. Kap. m. E. MGM MSg NF NKWD NL NLA-HStAH NPL Nr. NSDAP ObdH OBS o. D.

European History Quarterly erweiterte Auflage et alii et cetera folgende French Historical Studies Foreign Office Francia. Forschungen zur westeuropäischen Geschichte Freiherr Foreign Relations of the United States German Foreign Ministry Geschichte und Gesellschaft Geschichte im Westen Guerres mondiales et conflits contemporains Geschichte in Wissenschaft und Unterricht Herausgeber/herausgegeben von The Historical Journal Historisches Jahrbuch Heeresleitung Historische Mitteilungen der Ranke-Gesellschaft Handschriftlich Historische Zeitschrift Institut für Zeitgeschichte Interalliierte Militärkontrollkommission International Military Tribunal Journal of Contemporary History junior Kapitel meines Erachtens Militärgeschichtliche Mitteilungen Militärgeschichtliche Sammlung Neue Folge Narodny kommissariat wnutrennich del Nachlass Niedersächsisches Landesarchiv-Hauptstaatsarchiv Hannover Neue Politische Literatur Nummer Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Oberbefehlshaber des Heeres Otto-von-Bismarck-Stiftung ohne Datum

Abkürzungsverzeichnis

o. J. o. O. OSAF o. V. PA AA PAAP PS RAD RhVjBll. RWM S./Sp. SA SHD SS ST TNA u. u. a. USA v. VfZ VGAD Vgl. vollst. überarb. Aufl. WO WTB z. B. Zit. bei ZS ZSg z. T.

ohne Jahr ohne Ort Oberste SA-Führung ohne Verfasser Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes Papier d’agents – Archives privés Politische Studien Reichsarbeitsdienst Rheinische Vierteljahrsblätter Reichswehrministerium Seite/Spalte Sturmabteilung Service Historique de la Défense Schutzstaffeln Stahlhelm The National Archives und und andere Vereinigte Staaten von Amerika von Vierteljahrhefte für Zeitgeschichte Verstärkter Grenzaufsichtsdienst Vergleiche vollständig überarbeitete Auflage War Office Wolffs Telegraphenbüro zum Beispiel Zitiert bei Zeugenschrifttum Zeitgeschichtliche Sammlung zum Teil

523

Personenregister Abetz, Otto 404 Albert I. 77 Aloisi, Pompeo 156, 164 Arnal, Pierre-Albert 84 Aschmann, Gottfried 293, 387 Astor, Nancy 456 Astor, William Waldorf, Viscount Astor 456 Attolico, Bernardo 248, 350, 355, 366 Badoglio, Pietro 240 Baldwin, Stanley 26, 194, 231, 244, 456, 459 Bardoux, Jacques 369 Bargeton, Paul 440, 451 Barthou, Louis 29, 123, 174, 178, 213–216, 224, 249f., 252f., 255, 260–262, 266, 269– 271 Basdevant, Jules 196 Baxter, Charles W. 312 Beck, Jozef 445, 454 Beck, Ludwig 9f., 102, 121, 130–132, 140, 143f., 146, 150, 176, 184f., 247, 278, 280, 329, 367, 379, 431, 471, 477 Beckett, Eric 206f., 313 Berber, Friedrich 30, 276 Bismarck, Otto (II.) v. 27, 206f., 230f., 327, 394f., 401, 403f. Blomberg, Werner v. 13, 89, 100, 102f., 113f., 120, 122, 124f., 129, 134, 138f., 141, 146, 150, 152, 154–156, 158–160, 170, 176f., 183–185, 326, 343, 369, 390f., 398, 411, 414, 416, 423, 430f., 471f., 475f. Blum, Léon 126 Böckmann, Walter v. 137f., 140, 150 Braubach, Max 276 Braun, Otto 75 Briand, Aristide 41, 45, 57f., 332 Brinon, Fernand de 95, 359 Brooks, Collin 461 Brouckère, Louis de 317 Brüning, Heinrich 65f., 72, 75f., 80, 144, 409, 417 Bülow, Adolf v. 117, 119, 121 Bülow, Bernhard Wilhelm v. 9f., 32–34, 48, 63f., 70, 73, 75f., 84, 119f., 122, 135,

137–139, 141f., 145–153, 155f., 162–164, 170–186, 198, 202, 204, 244, 247–250, 257, 270f., 273, 275, 277–286, 289–291, 293f., 298–302, 304–306, 310, 312, 322– 331, 333–338, 341, 344–346, 350–352, 355, 360f., 366, 383, 387, 391, 395–397, 406–409, 417, 431–433, 463–465, 467, 469, 471, 477 Campbell, Ronald 259 Canaris, Wilhelm 403 Cerruti, Vittorio 92, 134, 157, 284 Chamberlain, Austen 41f., 58, 81f., 194, 209, 311, 459 Chamberlain, Neville 167, 196, 222 Chłapowski, Alfred v. 445 Churchill, Winston 193 Clerk, George 230, 241, 259, 312, 317, 446 Collier, Laurence 353, 358 Colson, Louis-Antoine 450 Corbin, Charles 238–240, 459 Cuno, Wilhelm 39, 53 Curtius, Julius 69–72 D’Abernon, Edgar Vincent Viscount 53, 55, 61 Daladier, Edouard 95f., 105, 108, 111, 160, 197, 251, 359 Daluege, Kurt 129, 137 Davis, Norman 92 Dieckhoff, Hans Heinrich 135, 137, 363, 400–402, 406 Diels, Rudolf 136–139, 440 Dill, John 434 Dirksen, Herbert v. 338 Dobler, Jean 136f., 139, 440–442, 451f. Dodd, William E. 180, 284, 383, 394, 408 Dollfuß, Engelbert 129 Doumergue, Gaston 216 Drummond, Eric 304 Eden, Anthony 87, 93, 168f., 199, 210, 232, 238, 254, 286, 300, 327, 344, 352, 354f., 373, 392, 395, 408, 435–440, 446f., 456–459 Edward VIII. 372f., 432f.

526

Personenregister

Elster, Botho 126 Epp, Franz Xaver Ritter v. Erbe, Hans 126 Erdmann 452 Etzdorf, Hasso v. 338 Everts, Robert 45

381

Fasold, Rudolf W. 306 Flandin, Pierre-Etienne 223–225, 227, 232, 234, 355, 392, 399, 404, 413, 439, 441–454, 456, 459f. Fleuriau, Aimé de 47 Foch, Ferdinand 261 Forster, Dirk 27, 75, 127, 210, 391–394, 399, 406, 417, 472 Frank, Hans 403 François-Poncet, André 69, 73f., 80, 84f., 93, 97, 106, 108f., 134f., 189, 346, 350f., 361f., 370, 412, 447f., 453 Fretter-Pico, Maximilian 133 Freytagh-Loringhoven, Axel v. 30 Frick, Wilhelm 110, 120, 381, 406 Fritsch, Werner v. 14, 113, 121, 129, 131, 133f., 138, 142–144, 170, 344, 367, 369, 390, 409, 414f., 424, 471 Frohwein, Hans 32, 122–128, 137, 141, 150, 175, 177, 247, 249, 335f. Fromageot, Henri 59 Gallenkamp, Curt 367 Gamelin, Maurice 198, 240, 451, 455f. Gascoyne-Cecil, Robert, Viscount Cranborne 403, 437 Gaus, Friedrich Wilhelm 21f., 31, 35, 40, 44, 49, 54f., 58f., 63f., 85, 137, 151, 156, 177, 190–193, 198, 201f., 205, 271, 275, 283–286, 290–295, 298, 303–308, 312, 316, 322f., 327, 329–331, 335, 385, 387, 402, 417, 462f., 465, 472 Georg V. 354, 373 Geyr v. Schweppenburg, Leo 27, 182, 207, 236, 243, 246, 310, 369, 373, 375, 395, 434 Goebbels, Joseph 27, 91, 94, 152, 159, 168, 170, 186, 188, 286, 295f., 370, 376, 396, 398f., 410–412, 414–417, 423, 425f., 429, 471f. Göppert, Otto 85f. Göring, Hermann 104, 114, 120, 124f., 128f., 137, 152, 156f., 168, 170, 176, 186,

300, 324, 370, 376, 390, 398f., 403, 407, 409, 414, 416, 471f. Grahame, Georg 82 Gramsch, Werner 306 Grandi, Dino 247f., 254f., 320 Groener, Wilhelm 69, 73 Hammerstein-Equord, Kurt v. 102 Hankey, Maurice 228f., 311 Harmsworth, Harold, Viscount Rothermere 295, 461 Hassell, Ulrich v. 27, 99, 156, 303, 335, 355, 372, 374, 385, 387, 389f., 393f., 396– 398, 402f., 405f., 409, 412, 471, 475 Haushofer, Albrecht 326 Henderson, Arthur 158 Herriot, Edouard 52, 265, 371 Heß, Rudolf 399 Hesse, Fritz 432f. Hindenburg, Paul v. 61, 64, 71, 74f., 161 Hitler, Adolf 9–11, 13–17, 19–22, 25, 32f., 84, 89–101, 109f., 114–116, 118, 120– 123, 128f., 133–135, 137f., 140f., 143– 145, 150, 152–158, 164f., 167, 169–171, 173f., 176f., 179–190, 192, 197, 199–201, 203f., 220, 231–233, 235f., 247f., 250, 257, 272, 274f., 278, 280, 282, 286–288, 294–298, 302, 307, 311, 322, 324, 326f., 331, 334, 337–340, 343–350, 352, 356f., 359, 361f., 365–377, 380–387, 389–400, 403–405, 407–431, 433, 436f., 439f., 446–448, 456–458, 461, 465, 468–477 Hoare, Samuel, Viscount Templewood 206, 208, 231, 239, 246, 320, 347, 362 Hoesch, Leopold v. 45, 160, 169, 171, 182, 190, 192, 236, 245f., 271, 282, 299, 310, 327–329, 335f., 338, 354, 403, 409, 424, 433, 439f., 458, 472 Hogg, Douglas, Viscount Hailsham 167 Hoßbach, Friedrich 27, 369, 424, 430, 475 Hurst, Cecil 58f., 314 Hymans, Paul 45, 164–167, 210 Inskip, Thomas

194, 456

Jodl, Alfred 11, 132, 142 Jones, Thomas 456 Jouvenel, Bertrand de 404f., 447 Kaeuffer, Karl

306

Personenregister Kamphoevener, Kurt v. 135, 190f. Kandelaki, David 319 Kanya, Kalman 189, 367 Kaufmann, Erich 31 Keitel, Wilhelm 101, 133, 369 Kerchove de Denterghem, André 93, 134, 163, 165–168, 170, 199, 316, 392, 399, 406 Kerr, Philip, Marquess of Lothian 83, 193, 456 Köpke, Gerhard 32, 45, 63, 66, 70, 73, 84, 119, 122, 124f., 137, 149, 169, 199, 203, 284, 294, 316, 330, 332f., 335f., 360 Köster, Roland 81, 85, 180, 262, 273, 282f., 290, 294, 333f., 336, 359, 391 Kordt, Erich 377 Kühlenthal, Erich 126f., 279, 354 Lampson, Miles 82 Laroche, Jules 442, 444 Laval, Pierre 99, 223f., 232, 234, 238, 240– 242, 246, 257, 259f., 262–266, 269f., 273f., 290, 312, 316f., 319f., 330, 333, 336, 358–364, 371, 384, 438, 440f., 450f., 466 Leeper, Reginald 167 Léger, Alexis 77, 232, 259, 312, 318, 333 Lerchenfeld, Hugo Graf v. 78 Lersner, Curt v. 324 Liebmann, Curt 431 Lipski, Jozef 201f., 288, 366 Litwinow, Maxim 174, 178, 250, 252, 262, 264, 266, 319, 395 Lloyd George, David 220 Luther, Hans 35, 50, 61, 64 Lutze, Viktor 138f. MacDonald, Ramsay 26, 52, 72, 154, 156, 223 Maisky, Ivan 260, 395 Makowski, Waclaw 202 Malkin, William 212, 218, 227, 237, 260, 312–315, 358, 466 Mandel, Georges 451, 453 Mandelsloh, Asche Graf v. 306 Mann, Thomas 89 Manstein, Erich v. 133, 367, 424 Marshall-Cornwall, John H. 400f. Massigli, René 55, 155, 197, 226 Maurin, Louis 446, 448, 453, 455f.

527

Meißner, Otto 296, 377f. Messimy, Adolphe 280 Meyer, Richard 177, 183, 272, 330f., 336 Milch, Erhard 125 Moltke, Helmuth v. 9 Montigny, Jean 363, 399 Müller, Hermann 58 Muff, Wolfgang 302 Mussolini, Benito 12, 99, 155–157, 162, 233, 283, 371f., 385, 390, 394, 402, 409, 411, 413–415, 471 Nadolny, Rudolf 69, 84–86, 154, 160f., 343 Neurath, Konstantin v. 14, 19f., 26f., 32, 34, 69, 85f., 89, 92f., 98–100, 106, 108f., 111, 119f., 124–127, 129, 135, 138, 145, 152, 154f., 157–159, 161–163, 169, 171f., 174, 176–178, 182–184, 198f., 201–207, 221, 243f., 247–249, 271–273, 277, 284– 289, 295–298, 300, 325–330, 333–339, 341–352, 361, 364–366, 373f., 376, 383f., 388, 390f., 393–399, 405–409, 411–415, 417–421, 425, 427, 430–432, 448, 453, 467, 471f., 475f. Newton, Basil 287 Nicolson, Harold 62f., 436 Papen, Franz v. 76, 94f., 156, 168, 189, 204, 295, 367, 377, 411, 416 Pappenheim, Friedrich-Carl Rabe v. 428 Paul-Boncour, Jean 229 Paul-Boncour, Joseph 80, 105, 108, 118, 211, 252, 453 Pétain, Philippe 448 Pfundtner, Hans 109 Phipps, Eric 94f., 97, 99, 135, 152, 189, 206f., 220, 223, 231, 235, 247–249, 271, 281, 296, 336, 347–349, 351, 353f., 357f., 365, 367, 386, 407, 435, 437f., 469 Pilsudski, Jozef 201 Pius IX. 461 Politis, Nikolaos 85 Potemkin, Wladimir 263, 265 Pünder, Hermann 75 Raeder, Erich 409, 414, 424 Reichenau, Walter v. 101, 113f., 120, 130f., 134–136, 150, 280f. Renondeau, Gaston 442 Renthe-Fink, Cecil v. 346, 406

528

Personenregister

Rheinbaben, Werner v. 70, 86 Ribbentrop, Joachim v. 32, 96, 125, 152, 168–171, 244, 249, 281, 295, 324, 326f., 338–341, 345, 362f., 377, 391, 393, 399, 404, 412, 414, 418, 424, 467, 469, 471f., 475 Rintelen, Emil v. 387 Ritter, Karl 63f. Röhm, Ernst 101, 113f., 120, 168 Rössing, Freiherr v. 134 Rogge, Heinrich 35 Rosenberg, Frederic v. 54 Rumbold, Horace 84, 109, 111 Sargent, Orme 165f., 169, 195f., 212, 217, 219, 229, 234, 237f., 242, 254, 256, 258, 352f., 355–358, 372, 437f. Sarraut, Albert 399, 441, 449, 451, 453f., 456 Schacht, Hjalmar 277, 398, 416, 431 Schleicher, Kurt v. 68, 76, 85, 342 Schmidt, Paul Otto 405 Schmit 139 Schmitt, Carl 30 Schmundt, Rudolf 121 Schönheinz, Curt 72, 177 Schubert, Carl v. 31, 35, 39, 42f., 46, 48, 53f., 59, 63f., 306, 462f. Schulenburg, Friedrich-Werner Graf v. d. 290, 319 Schwerin v. Krosigk, Lutz Graf 10, 13, 381, 416, 422 Seeckt, Hans v. 65 Seghers 166 Simon, John 85, 105, 108f., 111, 160, 167– 171, 194–196, 210, 215, 218–222, 227f., 232, 234, 236, 254f., 257–260, 271, 286, 291–293, 300, 307, 311, 315f., 320, 326f., 335, 344 Sodenstern, Georg v. 121 Spears, Edward 401 Speidel, Hans 282 Stalin, Josef 300, 319, 441 Stapf, Otto 367 Sthamer, Friedrich 44, 59 Stimson, Henry L. 72

Strang, William 435 Stresemann, Gustav 10, 29, 31, 35, 40, 42f., 47, 49f., 52, 56, 64f., 67f., 76, 100, 304, 342 Strupp, Karl 306 Stülpnagel, Carl-Heinrich v. 141, 279f. Stülpnagel, Otto v. 66 Suvich, Fulvio 183, 200, 233, 335, 355, 372, 385, 402 Tardieu, André 126 Terboven, Josef 381, 440 Thorne, Andrew 134 Toynbee, Arnold 456 Treviranus, Gottfried 63f. Tuchatschewski, Michail 395 Twardowski, Fritz v. 290 Tyrrell, William 45, 47, 82, 105, 108 Van Langenhove, Fernand 350, 444 Vandervelde, Emile 77, 82 Vane-Tempest-Stewart, Charles, Marquess of Londonderry 399 Vansittart, Robert 82, 169, 231, 234–236, 238, 241, 246, 254, 260, 311f., 353, 356, 358, 435, 438 Wagner, Richard 249 Wagner, Robert 124, 380 Ward Price, George 324, 429 Weber, Christian 375 Wehberg, Hans 30 Weizsäcker, Ernst v. 20, 64, 151f., 181, 409, 420, 433 Westarp, Graf Kuno 61 Weygand, Maxime 126, 198, 217, 243f. Wheeler-Bennett, John W. 409 Wigram, Ralph 164, 167, 194f., 206–208, 217, 227, 230f., 234, 312, 314, 352–358, 403, 434, 437f. Wilson, Woodrow 147, 161 Wood, Edward, Earl of Halifax 456 Zeeland, Paul van 444 Zuylen, Pierre van 166, 212