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German Pages XVI, 153 [161] Year 2020
Pascal Croset Markus Dobler
Die rechtssichere Abmahnung Arbeitspsychologisch kommentierter Leitfaden für Personaler und Geschäftsführer 4. Auflage
Die rechtssichere Abmahnung
Pascal Croset · Markus Dobler
Die rechtssichere Abmahnung Arbeitspsychologisch kommentierter Leitfaden für Personaler und Geschäftsführer 4., aktualisierte Auflage Unter Mitwirkung von Miriam Zinvirt und RA Marinus J. Stehmeier
Pascal Croset Berlin, Deutschland
Markus Dobler Leipzig, Deutschland
ISBN 978-3-658-30998-5 ISBN 978-3-658-30999-2 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-30999-2 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2012, 2016, 2018, 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Ulrike Loercher Springer Gabler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany
Vorwort aus arbeitsrechtlicher Sicht
In der Praxis erweisen sich circa 70 % der ausgesprochenen Abmahnungen als unwirksam! Auch ohne belastbare Statistiken bestätigen arbeitsrechtliche Praktiker – Personaler, Arbeitsrichter und Fachanwälte für Arbeitsrecht – diese traurige Quote einhellig. Die sträfliche Vernachlässigung der Abmahnung als Vorstufe der Kündigung führt zu bösen Überraschungen im Kündigungsschutzprozess. Häufig ist es nicht der Kündigungssachverhalt an sich, der die Kündigung zu Fall bringt, sondern die vorangegangene mangelhafte Abmahnung. Das Bundesarbeitsgericht hat zur Erstellung einer ordnungsgemäßen, formal und inhaltlich wirksamen Abmahnung klare Regeln aufgestellt. Vorliegendes Buch zeigt diese Leitlinien strukturiert auf. Sie erhalten Vorschläge zum Aufbau einer Abmahnung sowie Hinweise auf typische, vermeidbare Fehler. Klare Formulierungsbeispiele unterstützen Sie unmittelbar bei der praktischen Umsetzung. In dieser 4. Auflage haben wir insbesondere die aufgrund der DSGVO eingetretenen Neuerungen berücksichtigt. Für die Beratung hinsichtlich dieser datenschutzrechtlichen Fragestellungen möchten wir dem Kollegen Marinus J. Stehmeier aus der Kanzlei Herting Oberbeck Rechtsanwälte Partnerschaft (www.datenschutzkanzlei.de) danken. Ferner behandelt die Nachauflage nun auch die sogenannte „betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung“. Zudem haben wir in unseren Rechtsprechungsübersichten die aktuellen Urteile der Arbeitsgerichtsbarkeit aller Instanzen berücksichtigt. Unserer Rechtsreferendarin Miriam Zinvirt gilt unser Dank für die tatkräftige Unterstützung bei der Sichtung und Einarbeitung der aktuellen Rechtsprechung. Ich wünsche Ihnen, dass Sie mithilfe dieses Buches den in der ersten Zeile genannten Durchschnitt verbessern! Berlin
Pascal Croset Fachanwalt für Arbeitsrecht
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Vorwort aus arbeitspsychologischer Sicht
Nun wird das Thema „Rechtssichere Abmahnung“ zum 4. Mal neu aufgelegt. Die Verkaufszahlen zeigen, wie präsent dieses Thema nach wie vor und immer wieder in deutschen Unternehmen ist. Wir betreuen mittlerweile über 150 verschiedene Kunden in 75 Branchen und können konstatieren, dass sich weder die Abmahnenden noch die Abgemahnten bei diesem Thema wohl fühlen. Dies mag vor allem daran liegen, dass das Thema in den meisten Köpfen negativ besetzt ist. Denn die Abmahnung ist eine (zumeist schriftliche) Beanstandung eines arbeitsvertragswidrigen Verhaltens, bei dem der Arbeitgeber im Falle einer Wiederholung mit negativen Rechtsfolgen droht – dies löst bei den Betroffenen verständlicherweise Angst und Unsicherheit aus. Fälschlicherweise verortet man „die Betroffenen“ allerdings eher auf der Arbeitnehmerseite. In Wahrheit sind jedoch beide Seiten gleichermaßen betroffen, und beide Seiten werden häufig von Unsicherheit geplagt: Die Arbeitnehmer sind sich nicht sicher, welche Konsequenzen die Abmahnung nun für ihre weitere Karriere bzw. für ihr weiteres Dasein im Unternehmen hat, und die Arbeitgeber haben (häufig begründeterweise) Sorge, ob die Abmahnung auch wirklich rechtlich korrekt verfasst wurde, und wie und mit welchen Worten sie dem Arbeitnehmer gegenüber ausgesprochen werden sollte. Hinzu kommt die Angst harmoniebedürftiger Führungskräfte, dass die Abmahnung zu dauerhafter Missstimmung führt. Führungskräfte hingegen, die mehr an den Ergebnissen, als an Harmonie interessiert sind, fürchten, dass die Leistung der abgemahnten Mitarbeiter aufgrund von Wut oder Frustration massiv abfallen könnte. Dieses Buch dient also zunächst dazu, Unsicherheiten abzubauen, und zwar auf der arbeitsrechtlichen, und auch auf der psychologischen Seite. Daher erörtert und liefert dieses Buch nicht nur arbeitsrechtlich wertvolle Grundlagen und Hinweise, sondern auch arbeitspsychologische Empfehlungen. Dabei achten wir aus Gründen
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Vorwort aus arbeitspsychologischer Sicht
der Anwenderfreundlichkeit sehr darauf, dass der sprachliche Duktus nicht zu wissenschaftlich ausfällt. Schließlich handelt es sich um ein Praxishandbuch, und nicht um eine wissenschaftliche Abhandlung zu diesem Thema. In diesem Sinne wünschen wir Ihnen, liebe Leser, viele Impulse. Leipzig
Markus Dobler
Zur männlichen/weiblichen Form Schildert ein Text, wie „der/die Mitarbeiter/-in als Kaufmann/-frau seine/ihre Arbeitsleistung“ nicht ordnungsgemäß erbringt, so sorgt dies für mehr Worte und weniger Übersichtlichkeit. Daher haben wir uns zur besseren Lesbarkeit für eine Geschlechterform entschieden. Wir tun dies aus der Überlegung heraus, dass mit „Mitarbeiter“ oder „Arbeitnehmer“ nicht in erster Linie eine Frau oder ein Mann gemeint ist, sondern ein Mensch.
Inhaltsverzeichnis
1 Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.1 Gesetzliche Regelungen und Rechtsprechung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.2 Bedeutung der Abmahnung im Arbeitsrecht: betrieblich und prozessual. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 2 Führen und Mitarbeiterkommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 2.1 Abmahnung als Mitarbeiterkommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 2.2 Grundsätze des Abmahnungsgespräches. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 3 Anforderungen an eine wirksame Abmahnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 3.1 Formale Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 3.1.1 Abmahnungsberechtigte Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 3.1.2 Form der Abmahnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 3.1.3 Zugang der Abmahnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 3.1.4 Fristen: Zeitpunkt der Abmahnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 3.1.5 Vorweggenommene Abmahnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 3.1.6 Mangelnde Deutschkenntnisse: Übersetzung erforderlich? . . . . 16 3.1.7 Anhörungsrecht des Arbeitnehmers. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 3.1.8 Beteiligungsrecht des Betriebsrates bzw. Personalrates . . . . . . . 18 3.1.9 Beteiligungsrecht der Schwerbehindertenvertretung bei Abmahnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 3.2 Inhalt der Abmahnung (drei Funktionen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 3.2.1 Dokumentationsfunktion: Pflichtverstoß des Arbeitnehmers . . . 21 3.2.2 Hinweisfunktion: Aufzeigen des vertragsgerechten Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 3.2.3 Warnfunktion: Androhung von Konsequenzen im Wiederholungsfall. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 3.3 Rechtsfolgen der Unwirksamkeit der Abmahnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 3.4 Abgrenzung zur Ermahnung/Verwarnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
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Inhaltsverzeichnis
4 Abmahnung und Kündigung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 4.1 Grundsatz: keine verhaltensbedingte Kündigung ohne einschlägige Abmahnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 4.1.1 Personenbedingte und betriebsbedingte Kündigung: keine Abmahnung erforderlich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 4.1.2 Verhaltensbedingte Kündigung: Negativprognose durch Abmahnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 4.1.3 Einschlägige Abmahnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 4.2 Wie viele vorangegangene Abmahnungen sind erforderlich?. . . . . . . . . . 37 4.2.1 Einzelfallbetrachtung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 4.2.2 „Abmahnungs-Inflation“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 4.3 Wann ist der Ausspruch einer Abmahnung entbehrlich?. . . . . . . . . . . . . . 43 4.3.1 Abgrenzung zwischen Leistungs- und Vertrauensbereich. . . . . . 43 4.3.2 Grundsatz: Abmahnung im Vertrauensbereich entbehrlich. . . . . 44 4.3.3 Ausnahme: Abmahnung im Vertrauensbereich erforderlich. . . . 49 4.4 Sonderfall: Die sog. „betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung“. . . . . . 57 5 Sonderfall: Korrekturvereinbarung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 5.1 Was ist eine Korrekturvereinbarung?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 5.2 Gegenüberstellung Korrekturvereinbarung – Abmahnung . . . . . . . . . . . . 60 5.3 Vorteile einer Korrekturvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 5.4 Inhalt einer Korrekturvereinbarung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 5.4.1 Dokumentation des Sachverhaltes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 5.4.2 Eingeständnis der Pflichtverletzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 5.4.3 Versprechen für die Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 5.4.4 Vereinbarung konkreter Maßnahmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 5.4.5 Konsequenzen/Sanktionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 5.5 Leitfaden für ein Personalgespräch über eine Korrekturvereinbarung . . . 69 5.6 Scheitern der Korrekturvereinbarung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 5.6.1 Umsetzung einer inhaltlichen Konsequenz. . . . . . . . . . . . . . . . . 71 5.6.2 Ausspruch einer Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 5.7 Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 6 Vorgehen des Arbeitnehmers gegen eine ausgesprochene Abmahnung. . . . . 73 6.1 Anspruch des Arbeitnehmers auf Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 6.1.1 Formell nicht ordnungsgemäßes Zustandekommen . . . . . . . . . . 73 6.1.2 Unrichtige Tatsachenbehauptung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 6.1.3 Unrichtige rechtliche Bewertung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 6.1.4 Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. . . . . . . . . 75 6.1.5 Kein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers am Verbleib in der Personalakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76
Inhaltsverzeichnis
6.2
6.3 6.4
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Frist zur Geltendmachung des Entfernungsanspruches. . . . . . . . . . . . . . . 78 6.2.1 Entfernungsanspruch im bestehenden Arbeitsverhältnis. . . . . . . 78 6.2.2 Entfernungsanspruch im beendeten Arbeitsverhältnis. . . . . . . . . 79 6.2.3 Entfernungsanspruch: typische Praxis-Konstellationen . . . . . . . 80 Gerichtliche Geltendmachung des Entfernungsanspruches. . . . . . . . . . . . 81 Rechtsfolgen der gerichtlichen Durchsetzung des Entfernungsanspruches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 6.4.1 Entfernung und Vollstreckung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 6.4.2 Entfernung und Warnfunktion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
7 Checkliste Abmahnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 7.1 Checkliste Abmahnungsgespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 7.2 Checkliste schriftliche Abmahnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 8 Musterabmahnungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 8.1 Abmahnung wegen alkoholbedingten Fehlverhaltens (Alkoholverbot). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 8.2 Abmahnung wegen Verweigerung der Teilnahme an einer ärztlichen Untersuchung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 8.3 Abmahnung wegen Erstattung einer Anzeige. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 8.4 Abmahnung wegen Verstoß gegen Arbeitsschutzvorschriften. . . . . . . . . . 96 8.5 Abmahnung wegen Verstoß gegen Anzeigepflicht (Arbeitsunfähigkeit I). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 8.6 Abmahnung wegen Verstoß gegen Nachweispflicht (Arbeitsunfähigkeit II). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 8.7 Abmahnung wegen genesungswidrigen Verhaltens (Arbeitsunfähigkeit III). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 8.8 Abmahnung wegen Vorlage einer gefälschten AU-Bescheinigung (Arbeitsunfähigkeit IV). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 8.9 Abmahnung wegen Androhung Krankfeiern (Arbeitsunfähigkeit V). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 8.10 Abmahnung wegen Arztbesuch während Arbeitszeit (Arbeitsunfähigkeit VI). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 8.11 Abmahnung wegen Arbeitszeitbetrug. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 8.12 Abmahnung wegen Beleidigung (eines Kollegen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 8.13 Abmahnung wegen Verweigerung von Überstunden. . . . . . . . . . . . . . . . . 114 8.14 Abmahnung wegen Verstoß gegen Datenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 8.15 Abmahnung wegen Selbstbeurlaubung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 8.16 Abmahnung wegen Diebstahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 8.17 Abmahnung wegen Spesenbetrug. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122
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8.18 Abmahnung wegen privater Internetnutzung I (ausdrückliches Verbot). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 8.19 Abmahnung wegen privater Internetnutzung II (kein ausdrückliches Verbot). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 8.20 Abmahnung wegen mangelnder Körperhygiene. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 8.21 Abmahnung wegen sexueller Belästigung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 8.22 Abmahnung wegen unangemessener Kleidung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 8.23 Abmahnung wegen Arbeitsverweigerung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 8.24 Abmahnung wegen Nebentätigkeit ohne Zustimmung. . . . . . . . . . . . . . . 136 8.25 Abmahnung wegen Verletzung der Wahrheitspflicht. . . . . . . . . . . . . . . . . 138 8.26 Abmahnung wegen Verstoß gegen Wirtschaftlichkeitsgebot. . . . . . . . . . . 140 8.27 Abmahnung wegen Betriebsrat, fehlende Abmeldung I . . . . . . . . . . . . . . 142 8.28 Abmahnung wegen Betriebsrat, fehlende Abmeldung II. . . . . . . . . . . . . . 144 8.29 Abmahnung wegen Missbrauch Dienstwagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 8.30 Muster einer Korrekturvereinbarung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 8.31 Muster einer Ermahnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
Über die Autoren
Pascal Croset ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht. Seine auf Arbeitsrecht spezialisierte Kanzlei Croset – Fachanwälte für Arbeitsrecht betreut bundesweit kleine, mittelständische und große Unternehmen mit bis zu 4000 Mitarbeitern, ebenso wie Angestellte aller Einkommensklassen, Führungskräfte, leitende Angestellte und Geschäftsführer bei arbeitsrechtlichen Fragestellungen.
Dr. Markus Dobler ist Arbeits- und Organisations-Psychologe, sowie Diplom-Kaufmann. Er blickt auf eine 20-jährige Berufserfahrung als Unternehmer und Führungskraft zurück. Als Inhaber der Dr. Dobler-Optimierung liegt sein Schwerpunkt in den Bereichen Führungskommunikation und Profiling.
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Abkürzungsverzeichnis
a. A. anderer Ansicht Abs. Absatz AG Arbeitgeber AGG Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz AN Arbeitnehmer ArbG Arbeitsgericht ArbSchG Arbeitsschutzgesetz ArbZG Arbeitszeitgesetz AU Arbeitsunfähigkeit BAG Bundesarbeitsgericht BAT Bundesangestelltentarifvertrag BDSG Bundesdatenschutzgesetz BEEG Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz BetrVG Betriebsverfassungsgesetz BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGBl. I Bundesgesetzblatt Teil I BPersVG Bundespersonalvertretungsgesetz BR Betriebsrat BUrlG Bundesurlaubgesetz bzw. beziehungsweise DB Der Betrieb (Zeitschrift) d. h. das heißt EFZG Entgeltfortzahlungsgesetz evtl. eventuell etc. et cetera gem. gemäß GewO Gewerbeordnung GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung i. d. R. in der Regel i. H. v. in Höhe von XV
XVI
i. S. d. im Sinne des i. V. m. in Verbindung mit KSchG Kündigungsschutzgesetz LAG Landesarbeitsgericht LPersVG Landespersonalvertretungsgesetz MDR Monatsschrift für Deutsches Recht (Zeitschrift) NZA Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (Zeitschrift) o. Ä. oder Ähnliches PersVG Personalvertretungsgesetz SGB Sozialgesetzbuch StGB Strafgesetzbuch st. Rspr. ständige Rechtsprechung TVG Tarifvertragsgesetz TVöD Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst TV-L Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst der Länder TzBfG Teilzeit- und Befristungsgesetz z. B. zum Beispiel ZPO Zivilprozessordnung
Abkürzungsverzeichnis
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Grundlagen
1.1 Gesetzliche Regelungen und Rechtsprechung Der Abmahnung kam im Arbeitsrecht der Bundesrepublik Deutschland von Anfang an eine bedeutende Rolle zu. Erstmalig Erwähnung findet die Abmahnung im Rahmen der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes (BAG) in einer Entscheidung vom 03.12.19541. In der Folgezeit arbeiteten Rechtsprechung und Literatur die Konturen der Abmahnung als Ausfluss des sogenannten Ultima-Ratio-Prinzips immer präziser heraus, bis das BAG (soweit ersichtlich) erstmalig in seiner Entscheidung vom 29.07.19762 den allgemeinen Leitsatz aufstellte, dass vor einer ordentlichen Kündigung „in der Regel“ eine Abmahnung erforderlich sei. Eine zumindest ansatzweise gesetzliche Regelung erfolgte erst durch das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26.11.20013 im Rahmen der §§ 314 Abs. 2, 323 Abs. 2 BGB. Die für die Personalpraxis relevanten rechtlichen und tatsächlichen Anforderungen an die Abmahnung muss der Personaler indes weiterhin exklusiv der facettenreichen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes entnehmen.
1BAG,
Urteil vom 03.12.1954 – 1 AZR 150/54. Urteil vom 29.07.1976 – 3 AZR 50/75. 3BGBl. I 2001, Seite 3138. 2BAG,
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 P. Croset und M. Dobler, Die rechtssichere Abmahnung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30999-2_1
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1 Grundlagen
1.2 Bedeutung der Abmahnung im Arbeitsrecht: betrieblich und prozessual Die praktische Bedeutung der Abmahnung für das Arbeitsrecht ist erheblich – und zwar sowohl unter betrieblichen als auch unter prozessualen Gesichtspunkten. Wer die Abmahnung allein als rechtliches Instrument zur Vorbereitung einer Kündigung sieht, verkennt ihren erheblichen betrieblichen Einfluss. Die Abmahnung dient in erster Linie als klares Signal an den Arbeitnehmer, dass der Arbeitgeber ein bestimmtes Verhalten missbilligt. Gleichzeitig drückt sie dessen unmissverständliche Entschlossenheit aus, für die Zukunft Änderung bzw. Abhilfe zu verlangen. Eine Abmahnung hat also eine erhebliche psychologische Wirkung – nicht nur auf den konkreten Arbeitnehmer, sondern auch auf die gesamte Belegschaft! Daneben kommt der Abmahnung erhebliche rechtliche und dort vor allem prozessuale Bedeutung zu. Denn im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) muss eine ordentliche Kündigung stets auf betriebs-, personen- oder verhaltensbedingte Gründe gestützt werden, eine außerordentliche Kündigung sogar auf einen sogenannten wichtigen Grund. Wenngleich die Mehrzahl der in der Praxis ausgesprochenen Kündigungen auf betriebsbedingten Gründen beruht (oder zumindest vordergründig auf solche gestützt wird), kommt der verhaltensbedingten Kündigung stets eine herausragende Rolle zu. Denn die „Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers“ beruhen in aller Regel auf einem schweren Vorwurf gegen den Arbeitnehmer. Sie sind daher mit persönlichen Reibungen zwischen den beteiligten Personen verbunden und führen in aller Regel zu erheblicher Unruhe im Betrieb. Dem Arbeitgeber bzw. der mit der Kündigung befassten Personalabteilung droht im Falle des Ausspruches einer unwirksamen verhaltensbedingten Kündigung stets erheblicher Gesichtsverlust. Zudem ist die erfolgreiche gerichtliche Durchsetzung einer verhaltensbedingten Kündigung mit großen Schwierigkeiten verbunden. In der gerichtlichen Praxis stellt sich dabei das Erfordernis der ordnungsgemäßen Abmahnung regelmäßig als die gefährlichste Klippe dar.
Arbeitsrechtlicher Hinweis Die Erfahrung zeigt, dass circa 70 % der ausgesprochenen Abmahnungen unwirksam sind!
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Führen und Mitarbeiterkommunikation
Die Leistung eines Mitarbeiters hängt von mehreren Voraussetzungen ab. So benötigt ein Mitarbeiter zum Beispiel eine Mindestklarheit über seine Aufgabenstellung. Ebenso braucht er alle Informationen für die Ausführung seiner Aufgabenstellung (Informationsgrad) sowie Arbeitsmittel und einen gewissen Gestaltungsspielraum, der ja über die Organisation definiert wird. Diese Voraussetzungen für die Leistung muss der Arbeitgeber schaffen. Eine weitere Voraussetzung für eine Leistungsabgabe (neben dem Können und der Methodik) ist die Leistungsbereitschaft (das Wollen), welche sich unter anderem aus der Triebmotivation (innere Motivation) und der Reizmotivation (äußere Motivation) zusammensetzt. Viele Führungskräfte sind der Ansicht, dass das Unternehmen auch dafür zuständig sei, den Mitarbeiter zu motivieren. Doch die Erfahrungen zeigen, dass man Mitarbeiter nicht extra motivieren muss, wenn sie eine Tätigkeit ausüben, die ihnen Spaß macht. Mitarbeiter sind in aller Regel ausreichend motiviert. Jemand, der in seiner Freizeit seiner Leidenschaft (Hobby) frönt, muss ja auch nicht speziell motiviert werden. Das Unternehmen ist lediglich dafür verantwortlich, die von den Mitarbeitern mitgebrachte Motivation nicht zu zerstören. Führungskräfte können nur dann führen, wenn ihnen die Mitarbeiter auch folgen (wollen). Denn ein Bergführer, dem keiner folgt, führt nicht, sondern geht lediglich seinen Weg. Damit jemand einem Bergführer folgt, ist eine Motivation (Wollen) erforderlich. Fehlt die Motivation, einer Führungskraft zu folgen, wird echtes Führen nicht mehr möglich. Dann nämlich wird die Führungskraft zum (An-)Treiber, ähnlich einem Hirtenhund, der ständig verhindern muss, dass Schafe aus der Herde ausbrechen. Dies ist nicht nur kraftraubend, sondern auch ineffizient: In der Zeit, in der der Hirtenhund hinter bzw. neben seiner Herde läuft, bleibt die Spitze eben ungeführt und die „Schafe“ treiben führerlos.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 P. Croset und M. Dobler, Die rechtssichere Abmahnung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30999-2_2
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2 Führen und Mitarbeiterkommunikation
Einfacher ist es, wenn die Mitarbeiter der Führungskraft folgen, weil sie der Führungskraft folgen wollen. Einer der Antriebe des Wollens ist Überzeugung. Überzeugung wird vor den Taten stets durch die Kommunikation erzeugt! Daher ist Führungskommunikation heute ein zentrales, wenn nicht das zentrale Steuerungsinstrument. Es geht bei der Führungskommunikation also vor allem darum, Einzelleistungen zu mobilisieren, zu kanalisieren und dabei die Motivation nicht zu zerstören. Dies ist an sich schon eine Kunst und wird noch schwieriger, wenn der Mitarbeiter anfängt, Regeln zu verletzen. Hier beginnt ein weitaus anspruchsvolleres Kapitel der Führungskommunikation. Führungskommunikation muss nun Grenzen deutlich aufzeigen, ohne Motivation zu zerstören.
2.1 Abmahnung als Mitarbeiterkommunikation Auch die Erteilung einer Abmahnung ist Führungskommunikation. Hier werden in aller Deutlichkeit Grenzen aufgezeigt. Jede Abmahnung hat ihre psychologische Signalwirkung für den Mitarbeiter. Doch auch in der Belegschaft kommt eine Signalwirkung an, denn die Erfahrung zeigt, dass kaum ein Mitarbeiter die Abmahnung für sich behält, sondern diese schnell in die Belegschaft trägt. Ziel einer Abmahnung ist es ja letztlich, dem Mitarbeiter eine Warnung zukommen zu lassen. Eine Abmahnung ist auch immer mit der Hoffnung verbunden, dass eine Verhaltensveränderung eintritt. Es gilt also gut abzuwägen, inwieweit eine Abmahnung zielführend ist oder ob sie am Ende mehr Schaden als Nutzen anrichtet.
2.2 Grundsätze des Abmahnungsgespräches Eine Abmahnung sollte, wenn man die vorhandene Motivation eines Mitarbeiters nicht zerstören möchte, stets von Angesicht zu Angesicht erfolgen. Diese Form ist nicht nur eine Frage der Wertschätzung, sondern signalisiert auch die Bedeutung der Grenzverletzung. Die Übergabe der schriftlichen Abmahnung sollte daher in einem Abmahnungsgespräch erfolgen. Vor jedem Abmahnungsgespräch sollte sich daher die Führungskraft darüber im Klaren sein, ob sie die Motivation des Mitarbeiters noch aufrechterhalten möchte oder ob sie dem Mitarbeiter innerlich bereits gekündigt hat und sich lieber trennen möchte. Die Botschaften unterscheiden sich in einem solchen Fall erheblich. Die Gemeinsamkeit in den Botschaften liegt lediglich in der Klarheit der Formulierung.
2.2 Grundsätze des Abmahnungsgespräches
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Gehen Sie niemals in ein Abmahnungsgespräch, bevor Sie Klarheit für sich erlangt haben, ob Sie mit dem Mitarbeiter künftig noch weiter zusammenarbeiten möchten oder nicht. Eine Abmahnung ist ein deutliches Signal und zeigt psychologisch eine klare Entschlossenheit auf, künftige Grenzverletzungen nicht mehr zu dulden. Daher ist es unabdingbar, diese Botschaft nicht mit Relativierungen zu „verwässern“. Viele Führungskräfte lamentieren während des Gespräches, bagatellisieren die Abmahnung als Formalie und zeigen bei der Aushändigung einer Abmahnung alle Anzeichen von Unwohlsein, bis hin zu einem schlechten Gewissen. Genau dies registriert der abgemahnte Mitarbeiter. Es muss zwangsläufig der Eindruck entstehen, dass die Abmahnung in Wahrheit nicht rechtens und damit ungerecht sei – da ja noch nicht einmal der Vorgesetzte dahintersteht. Eine Abmahnung mit Entschlossenheit zu übergeben, ist selten einfach und wird umso schwieriger, je besser das Verhältnis zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter ist. Hier wird die Wichtigkeit der eigenen Klarheit erneut deutlich. Erst wenn Ihnen selbst klar ist, was Sie von Ihrem Mitarbeiter eigentlich wollen, können Sie dies auch vermitteln. Und dies können und sollten Sie auch vor einer Abmahnung bereits tun, denn die Erfahrung zeigt, dass die meisten Abmahnungen das vorläufige Zwischenprodukt einer Kette von Führungsversäumnissen sind – ein erster Hilfeschrei des Vorgesetzten in einer Beziehung zu einem seiner Mitarbeiter. Als Faustregel in der Führungskommunikation und damit auch für jedes Abmahnungsgespräch gilt: Machen Sie sich vor jedem Gespräch klar, was Sie wollen und was nicht. Sagen Sie deutlich, was Sie künftig wollen, sagen Sie, was Sie künftig auf keinen Fall wollen, und sagen Sie, welche Konsequenzen welches Verhalten hat. Sagen Sie dies mit Ihrer inneren Überzeugung und in aller Deutlichkeit, aber stets wertschätzend oder zumindest respektvoll. Wenn Sie sich an diese Faustregel halten, sind Sie für jedes Abmahnungsgespräch gut gewappnet!
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Anforderungen an eine wirksame Abmahnung
3.1 Formale Voraussetzungen 3.1.1 Abmahnungsberechtigte Person Eine Abmahnung ist nur wirksam, wenn sie von einer abmahnungsberechtigten Person erteilt wird. Mit dem Ausspruch einer Abmahnung wird nicht in den Bestand des Arbeitsverhältnisses eingegriffen, vielmehr soll der betroffene Arbeitnehmer zu einer Verhaltensänderung bewegt werden. Daher sind nicht nur kündigungsberechtigte Personen abmahnungsberechtigt, sondern alle Mitarbeiter, die aufgrund ihrer Aufgabenstellung dazu befugt sind, verbindliche Anweisungen bezüglich des Ortes, der Zeit sowie der Art und Weise der arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeitsleistung zu erteilen.1 Es ist somit entscheidend, auf das sogenannte Direktionsrecht (Weisungsrecht) des Arbeitgebers abzustellen: Zum Ausspruch einer Abmahnung ist berechtigt, wer das Direktionsrecht ausübt. Dies ist neben dem Arbeitgeber selbst bzw. dem Organ einer juristischen Person (z. B. Geschäftsführer einer GmbH) auch jeder weisungsbefugte Vorgesetzte gegenüber den ihm unterstellten Mitarbeitern. Von der Rechtsprechung werden folgende Personen exemplarisch als abmahnungsberechtigt angesehen: • Abteilungsleiter2 gegenüber Mitarbeitern, • Chefarzt3 gegenüber nachgeordneten Assistenzärzten,
1BAG,
Urteil vom 18.01.1980 – 7 AZR 75/78. Düsseldorf, Urteil vom 08.01.1980 – 8 Sa 509/79. 3BAG, Urteil vom 18.01.1980 – 7 AZR 75/78. 2LAG
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 P. Croset und M. Dobler, Die rechtssichere Abmahnung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30999-2_3
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3 Anforderungen an eine wirksame Abmahnung
• Meister4 gegenüber unterstellten Mitarbeitern, • Personal-, Filial- und Zweigstellenleiter sowie leitende Angestellte i. S. d. § 5 Abs. 3 BetrVG.
Arbeitspsychologischer Hinweis Soll die Abmahnung durch einen Vorgesetzten unterhalb der Geschäftsführungsebene ausgesprochen werden, kann es psychologisch vorteilhaft sein, den Vorgesetzten schriftlich zu bevollmächtigen. Dieser kann die Vollmacht dem Mitarbeiter dann „der Form halber“ vorlegen. Dem Mitarbeiter wird dadurch ein möglicher Hoffnungsschimmer genommen, die Angelegenheit mit dem nächsthöheren Vorgesetzten zu seinen Gunsten zu klären.
3.1.2 Form der Abmahnung Eine Abmahnung setzt keine bestimmte Form voraus. Es bestehen somit verschiedene Möglichkeiten, eine Abmahnung zu erteilen. Diese reichen von der Versendung per einfachem Brief, Einschreiben, Fax, E-Mail und SMS bis hin zu einem persönlichen Gespräch oder einer mündlichen Nachricht auf dem Anrufbeantworter. In der Praxis wird häufig eine mündliche Abmahnung ausgesprochen, insbesondere bei erstmaligen Verstößen. Dadurch kann es jedoch in einem späteren Kündigungsprozess zu Beweisschwierigkeiten kommen. Denn der Arbeitgeber trägt die volle Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen einer ordnungsgemäßen Abmahnung. Bestreitet der Arbeitnehmer später, ordnungsgemäß abgemahnt worden zu sein, muss derjenige, der die Abmahnung ausgesprochen hat (z. B. Personalleiter, Vorgesetzter), als Zeuge aussagen. Dabei lässt sich häufig nicht zweifelsfrei beweisen, ob alle drei Funktionen der Abmahnung erfüllt waren (s. dazu Abschn. 3.2). Einem erfahrenen Arbeitnehmeranwalt wird es daher zumeist gelingen, durch geschickte Fragen an den Zeugen Zweifel beim Gericht zu wecken. Diese gehen zulasten des Arbeitgebers! Selbst die Anfertigung eines Gesprächsvermerkes hilft nur begrenzt. Für die Praxis ist daher uneingeschränkt die schriftliche Erteilung der Abmahnung zu empfehlen. Auf diese Weise kann der Arbeitgeber die oben genannten prozessualen Risiken vermeiden.
Arbeitspsychologischer Hinweis Schriftliche Dokumente haben stets eine nachhaltigere Wirkung als mündliche Mitteilungen. Mündliche Verwarnungen oder Abmahnungen werden
4LAG
Düsseldorf, Urteil vom 08.01.1980 – 8 Sa 509/79.
3.1 Formale Voraussetzungen
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im Laufe der Zeit je nach Persönlichkeitsstruktur in der Erinnerung des Mitarbeiters entsprechend „zurechtgebogen“ und können daher schnell an psychologischer Wirkung verlieren. Sie können zudem sogar kontraproduktiv werden, weil sich der Mitarbeiter gar nicht mehr oder nicht mehr richtig daran erinnert. Der Arbeitgeber darf die Abmahnung jedoch nicht „öffentlich“ erteilen. Sie darf weder am Schwarzen Brett ausgehängt werden noch z. B. in einer entsprechenden Rundmail mit dem Verteiler „an alle“ versendet werden. Denn der Arbeitgeber würde durch die Bloßstellung des abgemahnten Mitarbeiters in der Öffentlichkeit in unzulässiger Weise in dessen Persönlichkeitsrecht eingreifen. Der Arbeitnehmer könnte hiergegen einen gerichtlichen Unterlassungstitel erwirken.5
Arbeitsrechtlicher Hinweis Abmahnungen sollten stets schriftlich ausgesprochen werden, mündliche Abmahnungen bergen erhebliche prozessuale Risiken!
3.1.3 Zugang der Abmahnung Die Abmahnung ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung6. Sie wird daher erst wirksam, wenn sie dem Adressaten gem. § 130 BGB zugeht. Der Arbeitgeber trägt für den Zugang der von ihm erklärten Abmahnung die Darlegungs- und Beweislast.7 Er muss also in einem etwaigen späteren Prozess den Zugang der Abmahnung beweisen. Bereits an dieser Hürde scheitern Arbeitgeber häufig. Bei den in der Praxis am häufigsten gewählten Zugangsarten treten nämlich regelmäßig folgende Beweisschwierigkeiten auf: • Mündliche Abmahnung: Der Arbeitnehmer bestreitet, dass ein Gespräch überhaupt stattgefunden hat, bzw. er bestreitet den konkreten Inhalt des Gespräches. • Abmahnung per Brief: Der Arbeitnehmer bestreitet, den Brief erhalten zu haben. • Einwurf-Einschreiben: Der Arbeitnehmer behauptet, der Brief sei zwar angekommen, jedoch leer gewesen oder habe nur „Werbung“ enthalten. • Übergabe-Einschreiben: Trifft der Postbote den Arbeitnehmer nicht persönlich an, wird eine Benachrichtigungskarte in seinen Briefkasten eingeworfen. Diese
5ArbG
Regensburg, Beschluss vom 28.07.1989 – 3 BVGa 1/89 L. BGB-Stoffels, § 626, Rn. 60. 7Kleinebrink, Abmahnung, Rn. 411. 6BeckOK
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3 Anforderungen an eine wirksame Abmahnung
Abb. 3.1 Empfangsvermerk Arbeitnehmer
enthält die Information, dass eine Einschreibe-Sendung zur Abholung in der Postfiliale bereitliegt. Diese Benachrichtigungskarte bewirkt indes nicht den Zugang der Abmahnung! Die Abmahnung ist erst dann zugegangen, wenn der Arbeitnehmer die Einschreibe-Sendung tatsächlich in der Postfiliale abholt. Holt der Arbeitnehmer den Brief nicht ab, geht die Abmahnung nicht zu! • E-Mail: Der Arbeitnehmer bestreitet, die E-Mail bekommen zu haben. • Telefax: Der Arbeitnehmer beruft sich darauf, dass das Fax nicht angekommen oder dass nur eine „weiße Seite“ eingegangen sei. Ein Fax-Sendeprotokoll des Arbeitgebers hat lediglich einen sehr eingeschränkten Beweiswert. Um von Anfang an Rechtssicherheit zu schaffen, empfiehlt sich folgendes Vorgehen: • Persönliche Übergabe der Abmahnung gegen schriftliche Bestätigung des Arbeitnehmers (s. unter Abschn. 3.1.3.1: Empfangsvermerk Arbeitnehmer). • Bei Weigerung: persönliche Übergabe der Abmahnung in Anwesenheit von Zeugen (s. unter Abschn. 3.1.3.2: Übergabevermerk Zeuge). • Bei Abwesenheit: Übersendung der Abmahnung durch einen Boten (s. unter Abschn. 3.1.3.3: Zustellungsvermerk Bote).
3.1.3.1 Persönliche Übergabe gegen schriftliche Bestätigung des Arbeitnehmers Eine schriftliche Abmahnung geht dem Empfänger regelmäßig dann zu, wenn sie ihm übergeben wird. Um diese Tatsache später vor Gericht auch beweisen zu können, sollte
3.1 Formale Voraussetzungen
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Abb. 3.2 Übergabevermerk Zeuge
der Empfang im optimalen Falle vom Arbeitnehmer selbst bestätigt werden. Hierfür bietet sich ein Empfangsvermerk auf einer Kopie der Abmahnung an. Durch den Empfangsvermerk auf einer Zweitschrift wird der Beweis über den Zugang und den konkreten Inhalt (!) der Abmahnung erbracht (s. Abb. 3.1).
3.1.3.2 Übergabe in Anwesenheit von Zeugen Weigert sich der Arbeitnehmer jedoch, den Empfang der Abmahnung zu bestätigen, sollte ihm diese in Anwesenheit von Zeugen übergeben werden. In diesem Falle bietet es sich an, den Zeugen einen schriftlichen Übergabevermerk unterzeichnen zu lassen. Entscheidend ist auch hier, dass Zugang und Inhalt der Abmahnung beweisbar sind, sodass der Adressat nicht behaupten kann, er habe z. B. ein ganz anderes Schriftstück erhalten. Hierfür bietet sich wie in Abb. 3.2 dargestellt ein Übergabevermerk auf einer Kopie der Abmahnung an. Sollte der Arbeitnehmer in einem späteren Prozess dennoch den Zugang der Abmahnung bestreiten, kann dem Zeugen mit dem Übergabevermerk ein entsprechender Vorhalt gemacht werden.
Arbeitspsychologischer Hinweis Arbeitnehmer verweigern die Empfangsbestätigung häufig aus dem Reflex heraus, „nichts unterschreiben“ zu wollen, begleitet von der Angst, juristisch eine Zustimmung erteilt zu haben. In diesem Fall empfiehlt sich der Hinweis, dass der Arbeitnehmer zur Empfangsbestätigung zwar nicht verpflichtet ist, jedoch nichts dagegen spricht: Mit der Empfangsbestätigung ist keine inhaltliche Bestätigung verbunden.
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3 Anforderungen an eine wirksame Abmahnung
Abb. 3.3 Zustellungsvermerk Bote
Zudem sollte darauf hingewiesen werden, dass der Arbeitnehmer den Arbeitgeber durch sein Verhalten zwingt, aus Gründen der Rechtssicherheit einen Kollegen als Zeugen hinzuzuziehen. Vielen Arbeitnehmern ist dies peinlich und sie geben daraufhin ihre Verweigerungshaltung auf.
3.1.3.3 Übergabe durch einen Boten Ist eine persönliche Übergabe nicht möglich (z. B. wegen Krankheit), empfiehlt es sich, einen Boten einzuschalten. Die Beauftragung eines Boten bietet den entscheidenden Vorteil, dass der eingesetzte Bote die persönliche Aushändigung der Abmahnung oder den Einwurf derselben in den Hausbriefkasten bezeugen kann. Entscheidend ist hier erneut, dass der Bote nicht nur den Zugang, sondern auch den Inhalt der Abmahnung bestätigen können muss. Die Zustellung sollte daher in einem Zustellungsvermerk festgehalten werden, welcher auf einer Kopie der Abmahnung angebracht wird (s. Abb. 3.3). Auch in diesem Falle kann der Bote in einem etwaigen späteren Kündigungsprozess als Zeuge gehört und ihm ein entsprechender Vorhalt gemacht werden.
3.1 Formale Voraussetzungen
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Erfahrungsgemäß müssen die Zeugen im Prozess allerdings nicht gehört werden. Denn die Vorlage des Empfangsvermerkes (bzw. des Übergabe- oder Zustellungsvermerkes) führt regelmäßig dazu, dass der Arbeitnehmer sein Bestreiten bezüglich des Zugangs der Abmahnung nicht mehr aufrechterhält.
Arbeitsrechtlicher Hinweis Bei der Zustellung einer Abmahnung gilt es, dieselbe Sorgfalt walten zu lassen wie bei der Zustellung eines Kündigungsschreibens!
3.1.4 Fristen: Zeitpunkt der Abmahnung Die Abmahnung unterliegt als Ausprägung des vertraglichen Rügerechts keiner Frist. Die in der Praxis weitverbreitete Fehlannahme, eine Abmahnung müsse binnen eines Monats ausgesprochen werden, hat keine rechtliche Grundlage. Das BAG hat ausdrücklich klargestellt, dass eine solche „Regelausschlussfrist“ nicht besteht.8
Arbeitspsychologischer Hinweis Es empfiehlt sich, die Abmahnung so zeitnah wie möglich auszusprechen, um die erwünschte Verhaltensveränderung nachhaltiger zu erwirken.
Besonders relevant ist dies, wenn der Arbeitgeber feststellt, dass eine in der Vergangenheit ausgesprochene Abmahnung unwirksam ist. Diese Unwirksamkeit kann dadurch korrigiert werden, dass eine neue wirksame Abmahnung bezüglich desselben vertragswidrigen Verhaltens nachgeschoben wird. Es besteht hierfür weder eine zeitliche Beschränkung noch gilt das Abmahnungsrecht als bereits verbraucht. Selbstverständlich entfaltet diese neue Abmahnung indes erst ab Zugang Wirkung, eine Rückwirkung zum Zeitpunkt des Zugangs der ursprünglichen Abmahnung findet nicht statt. Allerdings unterliegt das Recht zum Ausspruch einer Abmahnung der Verwirkung. Die Verwirkung setzt nach ständiger Rechtsprechung des BAG neben einem sogenannten Zeitmoment auch ein sogenanntes Umstandsmoment voraus. Das Abmahnungsrecht ist danach verwirkt, wenn der Arbeitgeber seit dem Zeitpunkt, ab dem die Erteilung der Abmahnung erstmalig möglich gewesen wäre, längere Zeit verstreichen lässt (Zeitmoment) und zugleich besondere Umstände vorliegen, aufgrund derer die verspätete Geltendmachung gegen Treu und Glauben verstoßen würde (Umstandsmoment). Das Umstandsmoment setzt also voraus, dass der Arbeitgeber durch sein Verhalten den Eindruck erweckt, er wolle sein Recht nicht mehr geltend machen, sodass der Arbeitnehmer sich darauf eingerichtet hat und ihm die verspätete Hinnahme einer Abmahnung nicht
8BAG,
Urteil vom 15.01.1986 – 5 AZR 70/84.
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3 Anforderungen an eine wirksame Abmahnung
mehr zugemutet werden kann.9 Zwar wird nach Verstreichen etlicher Monate das Zeitmoment durchaus gegeben sein, ein Umstandsmoment setzt hingegen ein zusätzliches, besonderes Verhalten des Arbeitgebers voraus.10 Arbeitsrechtlicher Hinweis Der Arbeitgeber kann selbst Monate nach dem Pflichtverstoß noch eine Abmahnung aussprechen. Eine unwirksame Abmahnung kann so „repariert“ werden!
3.1.5 Vorweggenommene Abmahnung Eine Abmahnung muss nicht zwangsläufig erst nach dem Fehlverhalten eines Arbeitnehmers ausgesprochen werden. Mit der sogenannten „vorweggenommenen“ oder auch „antizipierten“ Abmahnung kann erreicht werden, dass eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung sofort zur Kündigung berechtigt. Von einer „vorweggenommenen Abmahnung“ spricht man, wenn der Arbeitgeber ankündigt, dass ein bestimmtes vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers die Kündigung ohne vorherige Abmahnung zwingend nach sich zieht.
3.1.5.1 Voraussetzungen der vorweggenommenen Abmahnung Teilweise hat die Rechtsprechung sich auf den Standpunkt gestellt, dass bereits ein allgemeines Rundschreiben oder ein Betriebsaushang die erforderliche Warnfunktion erfüllen könnten und somit als vorweggenommene Abmahnung tauglich seien.11 Diese Ansicht hat sich allerdings nicht durchsetzen können. Denn ein lediglich pauschaler Hinweis, der zumal mehrere Varianten einer Pflichtverletzung erfasst, ist zu unspezifisch und kann daher keine ausreichende Warnfunktion entfalten.12 Der allgemeine Hinweis in einem Rundschreiben oder Betriebsaushang unterscheidet sich kaum von einem im Arbeitsvertrag enthaltenen Verbot. Er bleibt letztlich abstrakt. Eine Abmahnung wird ihrer Funktion hingegen nur gerecht, wenn sie konkrete, individuelle arbeitsvertragliche Pflichtverstöße rügt. Die wirksame vorweggenommene Abmahnung unterscheidet sich von einem herkömmlichen Verbot dadurch, dass sie sich auf ein vertragswidriges Verhalten bezieht, welches zukünftig konkret ansteht und somit bereits inhaltlich und zeitlich Gestalt
9BAG,
Urteil vom 13.10.1988 – 6 AZR 144/85. Nürnberg, Beschluss vom 14.06.2005 – 6 Sa 367/05. 11LAG Köln, Urteil vom 06.08.1999 – 11 Sa 1085/98. 12LAG Düsseldorf, Urteil vom 25.03.2004 – 11 (6) Sa 79/04. 10LAG
3.1 Formale Voraussetzungen
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angenommen hat. Dies setzt voraus, dass der Arbeitnehmer ausdrücklich ankündigt, zu einem konkreten Zeitpunkt werde ein inhaltlich bestimmtes Verhalten erfolgen. Stuft der Arbeitgeber dieses zu erwartende Handeln als Pflichtenverletzung ein, so braucht er nicht den Eintritt des Verstoßes abzuwarten, bevor er aktiv wird. Er kann prophylaktisch darauf hinweisen, dass der Arbeitnehmer für den Fall, dass er seine Ankündigung wahr macht, mit einer Kündigung zu rechnen hat.
Arbeitsrechtlicher Hinweis In der arbeitsrechtlichen Praxis besonders relevant sind die Konstellationen der Selbstbeurlaubung13 und der eigenmächtigen Arbeitsreduzierung.14 In der ersten Variante teilt der Arbeitnehmer mit, er werde seinen Urlaub zum Tag X antreten, obwohl der Arbeitgeber diesen nicht genehmigt hat. In der zweiten Variante kündigt er an, seine Arbeitszeit gem. § 8 TzBfG zum Tag X zu reduzieren, obwohl der Arbeitgeber diesen Wunsch aus betrieblichen Gründen abgelehnt hat. Beiden Varianten ist gemeinsam, dass der Arbeitnehmer davon ausgeht, dass sein Handeln rechtmäßig sei. Dementsprechend kündigt er an, ab einem bestimmten Zeitpunkt keine Arbeitsleistung zu erbringen. Der Arbeitgeber geht hingegen unter rechtlichen Gesichtspunkten von einem rechtswidrigen Handeln aus (Arbeitsverweigerung). Er muss also befürchten, dass zu einem konkreten Zeitpunkt eine inhaltlich bestimmte Pflichtenverletzung des Arbeitnehmers erfolgen wird. In diesen Fällen kann der Arbeitgeber prophylaktisch, also noch bevor der Verstoß (Urlaubsantritt bzw. Arbeitsreduzierung) begangen wird, darauf hinweisen, dass der Arbeitnehmer für den Fall, dass er seine Ankündigung wahr macht, mit einer Kündigung zu rechnen hat.
Arbeitspsychologischer Hinweis Es empfiehlt sich, vor der Erteilung einer vorweggenommenen Abmahnung zu klären, inwieweit der Mitarbeiter die Aussage bzw. Androhung wirklich ernst meint. Gelegentlich erfolgen derartige Ankündigungen lediglich aus einem Affekt heraus. Ein zeitnah geführtes Personalgespräch gibt dem Arbeitnehmer die Gelegenheit, seine Ankündigung zu korrigieren bzw. zu relativieren. Je schneller Sie dieses Gespräch mit dem Mitarbeiter führen, desto geringer ist die Gefahr, dass er sein Vorhaben in die Belegschaft trägt.
13LAG B erlin-Brandenburg, Urteil vom 26.11.2010 – 10 Sa 1823/10; LAG Hamm, Urteil vom 12.09.1996 – 4 Sa 486/96. 14Beckschulze, DB 2000, 2598, 2604.
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3 Anforderungen an eine wirksame Abmahnung
3.1.5.2 Wirkung der vorweggenommenen Abmahnung Mit dem Ausspruch einer „vorweggenommenen“ Abmahnung führt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Kündigungsrelevanz des seinerseits angekündigten Verhaltens deutlich vor Augen! Der Arbeitnehmer kann sich nicht mehr darauf berufen, die Erheblichkeit seines (Fehl-)Verhaltens nicht gekannt zu haben. Setzt der Arbeitnehmer sein Vorhaben trotz vorweggenommener Abmahnung in die Tat um, so setzt er sich vorsätzlich über alle Bedenken hinweg und gibt damit zu erkennen, dass mit einer Verhaltensänderung auch in Zukunft nicht zu rechnen ist.15 Dieses besonders beharrliche Handeln berechtigt den Arbeitgeber ggf. sogar zu dem Ausspruch einer fristlosen Kündigung.16
Arbeitsrechtlicher/Arbeitspsychologischer Hinweis Der Ausspruch einer „vorweggenommenen“ Abmahnung wird von Arbeitnehmern häufig als besonders eindringliche Warnung wahrgenommen, die zu einem Innehalten führt. Arbeitnehmer, die sich hierüber hinwegsetzen, gehen ein erhebliches rechtliches Risiko ein. Regelmäßig sehen Arbeitnehmer davon ab, ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen, sondern führen stattdessen eine rechtliche (z. B. gerichtliche) Klärung des Sachverhaltes durch. Gerade emotional besonders aufgeheizte Situationen können so auf eine sachliche Ebene zurückgeführt werden.
3.1.6 Mangelnde Deutschkenntnisse: Übersetzung erforderlich? Teilweise wird unter Bezugnahme auf eine ältere Entscheidung des BAG17 vertreten, dass eine Abmahnung gegenüber einem Arbeitnehmer, der der deutschen Sprache nicht mächtig ist, nur durch Beifügen einer entsprechenden Übersetzung wirksam werde.18 Dem ist nicht zu folgen. Tatsächlich hatte das BAG geurteilt, dass zur Wirksamkeit einer Abmahnung über ihren Zugang hinaus auch die Kenntnisnahme des Empfängers von ihrem Inhalt erforderlich sei. Ein der deutschen Sprache nicht mächtiger Arbeitnehmer könne indes von der Abmahnung zunächst keine Kenntnis nehmen. Gleichzeitig stellte das BAG jedoch klar, dass der Arbeitnehmer eigenständig für eine Übersetzung zu sorgen habe. Tue er dies nicht, müsse er so behandelt werden, als ob ihm der Inhalt der Abmahnung bekannt gewesen sei.
15BAG,
Urteil vom 05.04.2001 – 2 AZR 580/99. Hamm, Urteil vom 21.10.1997 – 4 Sa 707/97. 17BAG, Urteil vom 09.08.1984 – 2 AZR 400/83. 18Vgl. Schmid, NZA 1985, 409. 16LAG
3.1 Formale Voraussetzungen
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Arbeitsrechtlicher Hinweis Eine einem nicht deutschsprachigen Arbeitnehmer erteilte Abmahnung entfaltet regelmäßig auch ohne Beifügung einer Übersetzung Wirksamkeit. Gleichwohl ist der Arbeitgeber gut beraten, durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass der Arbeitnehmer die Abmahnung inhaltlich versteht, da andernfalls mit einer Verhaltensänderung nicht zu rechnen ist.
3.1.7 Anhörungsrecht des Arbeitnehmers Ein Arbeitnehmer muss vor Erteilung einer Abmahnung grundsätzlich nicht angehört werden. Ein allgemeines Anhörungsrecht ist weder gesetzlich vorgesehen noch von der Rechtsprechung anerkannt. Lediglich Tarifverträge können entsprechende Anhörungsrechte eines Arbeitnehmers vorsehen. Im Bereich des öffentlichen Dienstes leitete das BAG aus § 13 Abs. 2 BAT ein Anhörungsrecht des Arbeitnehmers her.19 In § 3 Abs. 5 TVöD ist indes keine Anhörungspflicht mehr vorgesehen. Nunmehr sieht nur noch § 3 Abs. 6 S. 4 TV-L für alle Beschäftigten der Länder ein Anhörungsrecht vor. Ein dem TV-L unterliegender Arbeitgeber muss einen Beschäftigten demnach anhören, bevor er eine Abmahnung zur Personalakte nimmt.
Arbeitspsychologischer Hinweis Besteht zwischen Arbeitgeber und Mitarbeiter eine gut funktionierende Kommunikation, empfiehlt es sich nicht nur aus Gründen der Fairness, sondern auch aus psychologisch motivierten Gründen, vorher das Gespräch zu suchen. Dabei ist es erfahrungsgemäß wichtig, dieses Gespräch mit einer weiteren Person aus der Personalabteilung zu führen. Dabei sollten Sie dem Mitarbeiter deutlich machen, dass dies lediglich eine Anhörung ist und er nun die Möglichkeit hat, die Dinge aus seiner Sicht darzulegen, und erst im Anschluss nach Klärung aller Fakten entschieden wird, ob es zu einer Abmahnung kommt. Bei dieser Methode hat bereits die unsichere Wartezeit einen gewissen „erzieherischen“ Effekt, denn dieses Prozedere macht die Bedeutung der Angelegenheit mehr als deutlich. Sollte der Mitarbeiter nicht in der Lage sein, eine spontane Stellungnahme abzugeben, geben Sie ihm Zeit für eine schriftliche Stellungnahme – jedoch in der Regel nicht mehr als ein bis drei Tage.
19BAG,
Urteil vom 16.11.1989 – 6 AZR 64/88.
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3 Anforderungen an eine wirksame Abmahnung
Verletzt der Arbeitgeber jedoch das Anhörungsrecht des Beschäftigten, so behält die Abmahnung dennoch ihre kündigungsrelevante Warnfunktion!20 Denn auch im Falle einer fehlenden Anhörung ist ein Arbeitnehmer hinreichend gewarnt worden, dass der Arbeitgeber das Fehlverhalten auf keinen Fall dulden werde.
Arbeitsrechtlicher Hinweis Das Ergebnis überrascht! Der Arbeitnehmer kann zwar gerichtlich die Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte erzwingen, der Arbeitgeber kann gleichwohl eine Kündigung auf diese (formell unwirksame) Abmahnung stützen.
3.1.8 Beteiligungsrecht des Betriebsrates bzw. Personalrates 3.1.8.1 Beteiligungsrechte des Betriebsrates bei Abmahnung Abmahnungen unterliegen grundsätzlich nicht der Mitbestimmung des Betriebsrates.21 Denn bei einer Abmahnung handelt es sich um eine individualrechtliche Rüge des Arbeitgebers. Auch ein „schwächeres“ Informations- bzw. Unterrichtungsrecht des Betriebsrates wird von der Rechtsprechung nicht angenommen. Der Arbeitgeber ist daher nicht verpflichtet, dem Betriebsrat vor dem Ausspruch einer Abmahnung eine Fotokopie zukommen zu lassen bzw. diesen vorher zu informieren. Dem Arbeitgeber bleibt es aber selbstverständlich unbenommen, den Betriebsrat dennoch zu informieren. Dies kann durchaus empfehlenswert sein. Zum einen ist es möglich, dass auch der Betriebsrat auf den Arbeitnehmer einwirkt, sodass dieser zukünftig bestimmte Fehlverhaltensweisen unterlässt. Zum anderen ist der Arbeitgeber im Kündigungsfalle ohnehin gem. § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG verpflichtet, dem Betriebsrat die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Die Mitteilung betrifft auch einschlägige Abmahnungen. Eine vorzeitige Mitteilung bietet insofern den Vorteil, dass umfangreiche Darlegungen zur Vorgeschichte des Kündigungssachverhaltes entbehrlich sein können. 3.1.8.2 Beteiligungsrechte des Betriebsrates bei Betriebsbußen Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates gem. § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG besteht jedoch dann, wenn der Arbeitgeber über den vertraglichen Warnzweck einer Abmahnung hinaus das Fehlverhalten des Arbeitnehmers gesondert sanktionieren will.22
20BAG,
Urteil vom 21.05.1991 – 2 AZR 551/91. Urteil vom 30.01.1979 – 1 AZR 342/76. 22BAG, Beschluss vom 17.10.1989 – 1 ABR 100/88. 21BAG,
3.1 Formale Voraussetzungen
19
Beispiel
Es besteht ein betriebliches Rauchverbot. Jeder Verstoß dagegen soll mit einer Geldbuße von 5 € belegt werden. ◄ Der Arbeitgeber rügt in diesem Fall nicht nur das Fehlverhalten des Arbeitnehmers, er ahndet es auch. Begrifflich ist in einem solchen Fall daher nicht mehr von einer Abmahnung zu sprechen, sondern von einer Betriebsbuße, die eine betriebliche Disziplinarmaßnahme mit Strafcharakter darstellt. Eine Abgrenzung, wann von einer mitbestimmungsfreien Abmahnung und wann von einer mitbestimmungspflichtigen Betriebsbuße auszugehen ist, nimmt die Rechtsprechung anhand des Einzelfalles vor. Entscheidend sind dabei der Wortlaut, die Begleitumstände und der Gesamtzusammenhang der Erklärung. Als Betriebsbußen, die auf einer Bußordnung beruhen müssen, kommen speziell Geldbußen, aber auch Verweise, Missbilligungen oder Verwarnungen in Betracht. So stellt nach Ansicht der Rechtsprechung die Verweigerung einer vorher angekündigten Beförderung aufgrund einer ausgesprochenen Abmahnung eine mitbestimmungspflichtige Betriebsbuße dar.23
3.1.8.3 Beteiligungsrecht des Personalrates Das BPersVG sieht ebenso wie das BetrVG eine Mitbestimmung des Personalrates bei einer Abmahnung nicht vor. Anders hingegen die zahlreichen Landespersonalvertretungsgesetze für den öffentlichen Dienst, welche häufig eine Beteiligung des Personalrates vorschreiben.24
3.1.9 Beteiligungsrecht der Schwerbehindertenvertretung bei Abmahnung Im Grundsatz unterliegen Abmahnungen, die gegenüber schwerbehinderten Arbeitnehmern ausgesprochen werden, nicht dem Beteiligungsrecht der Schwerbehindertenvertretung. Aus § 167 Abs. 1 SGB IX ergibt sich kein Beteiligungsrecht, da eine Abmahnung gerade nicht als Schwierigkeit im Arbeitsverhältnis zu werten ist. Eine Abmahnung ist auf eine reibungslose Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses gerichtet, verbraucht als individualrechtliche Warnung den Kündigungsgrund und gefährdet das Arbeitsverhältnis somit nicht.25
23LAG 24Vgl.
Hessen, Beschluss vom 18.10.1988 – 5 TaBV 168/88. nur § 78 Abs. 2 S. 1 Nr. 15 LPersVG Rheinland-Pfalz; § 68 Abs. 1 Nr. 1 PersVG Branden-
burg. 25LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 07.04.2017 – 7 TaBV 1/17.
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3 Anforderungen an eine wirksame Abmahnung
Auch aus § 178 Abs. 2 SGB IX ist im Grundsatz kein Beteiligungsrecht abzuleiten, da die Abmahnung im Normalfall keinen behinderungsbedingten Nachteil darstellt, der durch die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung ausgeglichen werden müsste.26 Sofern die Abmahnung die Belange schwerbehinderter Menschen in keiner anderen Weise berührt als nicht schwerbehinderte Beschäftigte besteht also keine Unterrichtungspflicht.27 Etwas anderes kann sich im Einzelfall ergeben, wenn das abzumahnende Verhalten auf der Behinderung beruht oder beruhen könnte. In diesem Fall wäre ein behinderungsbedingter Nachteil im Sinne des § 178 Abs. 2 SGB IX gegeben, der ein Beteiligungsrecht der Schwerbehindertenvertretung auslösen würde.28 Arbeitsrechtlicher Hinweis Bei Abmahnung eines Arbeitnehmers mit Schwerbehinderung müssen Arbeitgeber nunmehr stets prüfen, ob ein Zusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Behinderung besteht. Sofern ein Zusammenhang zumindest möglich erscheint, sollte die Schwerbehindertenvertretung vorsorglich beteiligt werden.
3.2 Inhalt der Abmahnung (drei Funktionen) Eine wirksame Abmahnung erfordert, dass der Arbeitgeber in einer für den Arbeitnehmer hinreichend erkennbaren Art und Weise seine Beanstandungen vorbringt und damit den Hinweis verbindet, dass im Wiederholungsfall der Inhalt oder der Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet ist. Nur dann weiß der Arbeitnehmer, dass der Arbeitgeber ein ganz bestimmtes Verhalten als nicht vertragsgemäß ansieht und dies künftig nicht mehr hinnehmen will. Eine Abmahnung ist daher nach der ständigen Rechtsprechung des BAG nur wirksam, wenn sie drei elementare Funktionen erfüllt: • Dokumentationsfunktion, • Hinweisfunktion, • Warnfunktion.
26LAG
Baden-Württemberg, Beschluss vom 07.04.2017 – 7 TaBV 1/17. Beschluss vom 17.08.2010 – 9 ABR 83/09; BAG, Beschluss vom 14.03.2012 – 7 ABR
27BAG,
67/10. 28Evermann, NZA-RR 2017, 639.
3.2 Inhalt der Abmahnung (drei Funktionen)
21
3.2.1 Dokumentationsfunktion: Pflichtverstoß des Arbeitnehmers Eine Abmahnung muss in der sogenannten Dokumentationsfunktion das beanstandete Verhalten genau bezeichnen. Das BAG geht dabei davon aus, dass dem Arbeitnehmer sein Fehlverhalten so eindeutig und unmissverständlich aufgezeigt werden muss, dass er weiß, welches konkrete fehlerhafte Verhalten er ab sofort unterlassen bzw. welche konkrete Verhaltensänderung er ab sofort vornehmen soll. Der Arbeitgeber muss daher das exakte zeitlich und örtlich individualisierte Fehlverhalten des Arbeitnehmers so konkret wie möglich darlegen. Erforderlich sind in der Regel (soweit wie möglich) Angaben zu: • Zeitpunkt, • Ort, • Art bzw. Inhalt, • Auswirkungen des Fehlverhaltens.
Arbeitsrechtlicher Hinweis In der Praxis lassen sich Fehler in der Dokumentationsfunktion am einfachsten durch Verwendung des folgenden allgemeinen Einleitungssatzes vermeiden: „Am [Datum] um [Uhrzeit] in [Ort] haben Sie [Verhalten] …“
3.2.1.1 Zeitpunkt des Fehlverhaltens Der konkrete Zeitpunkt des Pflichtverstoßes ist stets so exakt wie möglich anzugeben. Dazu sind das Datum und ggf. die Uhrzeit zu benennen. Folgende in der Praxis häufig anzutreffende Formulierungen sind in jedem Fall zu vermeiden: • neulich, • häufig, • in letzter Zeit, • zum wiederholten Mal. Stattdessen sollten Arbeitgeber folgende praxisbewährte Formulierungen verwenden: • Am 11.02.2014 um 16:04 Uhr sagten Sie … • Am 11.02.2014 gegen 16:00 Uhr …. • Am 11.02.2014 zwischen 16:00 und 19:00 Uhr … Gelegentlich ist eine so genaue Konkretisierung des Zeitpunkts nicht möglich, etwa weil der Arbeitgeber nur das Ergebnis eines Fehlverhaltens feststellen kann, nicht aber den
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3 Anforderungen an eine wirksame Abmahnung
konkreten Zeitpunkt der „Tatbegehung“. Dann ist zu prüfen, ob zumindest eine möglichst konkrete Zeitspanne angegeben werden kann. In jedem Fall sollte der Arbeitnehmer ausdrücklich aufgefordert werden, seinerseits Angaben zum Zeitpunkt seiner Handlung zu machen. Verweigert er diese Angaben bzw. beruft er sich auf mangelndes Erinnerungsvermögen, sollte dies in der Abmahnung ausdrücklich erwähnt werden. Damit sichert sich der Arbeitgeber gegen spätere Erklärungsversuche bzw. Ausreden ab. Beispiel
„Aufgrund einer mündlichen Anweisung des Unterzeichners vom 2. Februar 2015 befestigten Sie im Laufe des Monats Februar 2015 die Türscharniere des Kellerverschlages Nr. 17 in der Huberstraße 5, 89315 München. Auf die heutige Nachfrage des Unterzeichners, wann genau Sie diese Türscharniere befestigten, antworteten Sie, sich an den konkreten Tag nicht erinnern zu können. Anlässlich einer Beschwerde des Mieters Meier führte der Unterzeichner am 23. Februar 2015 eine Prüfung der Scharniere durch und stellte dabei fest, dass Sie …“ ◄
3.2.1.2 Ort des Fehlverhaltens Auch der Ort des Fehlverhaltens ist stets so exakt wie möglich anzugeben. Zur Vermeidung jeglicher Unklarheiten empfiehlt sich die Angabe • • • •
der Straße, der Stadt nebst Postleitzahl, ggf. des Gebäudes, ggf. des konkreten Büros, Arbeitsplatzes, Geschäftes etc.
Dies wird häufig übertrieben genau wirken. Indes zeigt die betriebliche und vor allem arbeitsgerichtliche Praxis, dass Abmahnungen oft mit der Begründung angegriffen werden, diese hätten Raum für Zweifel gelassen. Durch fantasievollen Vortrag des Arbeitnehmers dazu, wie man die Abmahnung hätte „missverstehen“ können, kann eine Abmahnung hier in der gerichtlichen Prüfung durchfallen. Vorsorglich erhöhte Präzision kappt derartige Risiken an der Wurzel.
3.2.1.3 Art bzw. Inhalt des Fehlverhaltens Eine Abmahnung dient dem Arbeitgeber dazu, zum Ausdruck zu bringen, dass er ein bestimmtes Verhalten des Arbeitnehmers als vertragswidrig ansieht. Gleichzeitig dient sie dazu, den Arbeitnehmer zu einer Verhaltenskorrektur für die Zukunft aufzufordern. Daher kann eine Abmahnung sich stets nur auf Vertragsverletzungen beziehen, die der Arbeitnehmer beeinflussen kann (sogenanntes steuerbares Verhalten). Hinsichtlich nicht steuerbarer Umstände ist der Arbeitgeber zum Ausspruch einer Abmahnung weder berechtigt noch verpflichtet. Denn bei solchen kommt keine verhaltensbedingte, sondern
3.2 Inhalt der Abmahnung (drei Funktionen)
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Tab. 3.1 Formulierungsvorschläge Falsch
Richtig
„… sind Sie zu spät gekommen.“
„Laut Dienstplan war Dienstbeginn um 09:00 Uhr, Sie erschienen jedoch erst um 09:37 Uhr.“
„… haben Sie Ihren Kollegen beleidigt.“
„… haben Sie Ihren Kollegen als Idioten bezeichnet.“
„… haben Sie die Düse falsch montiert.“
„… haben Sie an der Düse die Schraube X nicht entsprechend dem Fertigungsauftrag mit einer Y-Mutter befestigt.“
nur eine personenbedingte Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 S. 1 Var. 1 KSchG in Betracht, welche keine Abmahnung voraussetzt (s. Abschn. 4.1.1). Damit scheidet die Erteilung einer Abmahnung in folgenden Fällen von vornherein aus: • Krankheit; • Fehlen behördlicher Genehmigungen zur Ausübung der Tätigkeit; • Fehlen bestimmter Fertigkeiten (z. B. Sprachkenntnisse), sofern nicht ausnahmsweise vertraglich geschuldet.
Arbeitsrechtlicher Hinweis Nur ein vom Arbeitnehmer steuerbares Verhalten kann Gegenstand einer Abmahnung sein.
Entscheidend ist, dass das Fehlverhalten im Rahmen der Dokumentationsfunktion zunächst neutral, d. h. ohne jegliche Wertung oder Bewertung geschildert wird. Der Sachverhalt muss ausschließlich faktenbasiert und beschreibend wiedergegeben werden. Eine negative Wertung des Sachverhaltes ist der Hinweisfunktion (s. Abschn. 3.2.2) vorbehalten. Beispiel
Falsch: Am 16.03.2015 um 16:55 Uhr haben Sie im Hauptgebäude Huberstraße 5, 89315 München, aus dem Konferenzraum (Zimmer Nr. 4321, 4. Etage) ein Mobiltelefon der Marke XXX gestohlen. Richtig: Am 16.03.2015 um 16:55 Uhr betraten Sie im Hauptgebäude Huberstraße 5, 89315 München, den Konferenzraum (Zimmer Nr. 4321, 4. Etage). Sie steckten ein Mobiltelefon der Marke XXX in Ihre Tasche und verließen den Raum wieder. Dieses Mobiltelefon war Eigentum des Herrn Peter Well. ◄
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3 Anforderungen an eine wirksame Abmahnung
Zur Schilderung des Sachverhaltes sind konkrete Fakten und Geschehnisse zu nennen. In jedem Fall ungenügend sind pauschale oder schlagwortartige Formulierungen. Tab. 3.1 zeigt typische unwirksame Formulierungen und Vorschläge für wirksame Alternativen.29
Arbeitsrechtlicher Hinweis Im Rahmen der Dokumentationsfunktion ist das steuerbare Verhalten des Arbeitnehmers so detailliert wie möglich neutral und faktenbasiert zu schildern. Eine Wertung unterbleibt!
3.2.1.4 Auswirkungen des Fehlverhaltens Das Fehlverhalten des Arbeitnehmers kann unter Umständen gravierende Konsequenzen gehabt haben. So mag eine verspätete Arbeitsaufnahme zu Produktionsausfällen geführt haben, ein fehlerhaft montiertes Teil zu Reklamationen eines Kunden. Häufig wird indes eine nennenswerte Konsequenz in Form eines materiellen oder immateriellen Schadens ausgeblieben sein, etwa weil das fehlerhaft montierte Teil vor Auslieferung entdeckt und ausgetauscht wurde. Insofern stellt sich die Schilderung der durch das Fehlverhalten eingetretenen Konsequenzen – anders als Zeit, Ort, Art und Inhalt des Fehlverhaltens – nicht als ein rechtlich zwingender Bestandteil der Dokumentationsfunktion der Abmahnung dar.
Arbeitspsychologischer Hinweis Allerdings zeigt die Erfahrung, dass viele Arbeitnehmer dazu neigen, ihr Fehlverhalten im Nachhinein zu rationalisieren und/oder zu bagatellisieren. Unter psychologischen Gesichtspunkten kann es daher sinnvoll sein, diese Konsequenzen ausdrücklich zu benennen. Dadurch wird dem Arbeitnehmer die Tragweite seines Fehlverhaltens im Nachgang noch einmal verdeutlicht und einer Bagatellisierung vorgebeugt.
3.2.1.5 Mehrere Pflichtverstöße in einer Abmahnung („Sammelabmahnung“) Arbeitgeber fassen in der Praxis häufig mehrere arbeitsvertragliche Pflichtverstöße in einer einzigen Abmahnung zusammen (sogenannte Sammelabmahnung). Das Aussprechen einer Sammelabmahnung birgt für den Arbeitgeber allerdings erhebliche Risiken! Ist auch nur ein Pflichtverstoß unzutreffend oder lässt er sich vor Gericht nicht beweisen, so ist die gesamte Abmahnung unwirksam.30 Ob die anderen aufgeführten
29Die Formulierungsvorschläge sind zur besseren Veranschaulichung stark verkürzt wiedergegeben. Ausführliche Formulierungsvorschläge finden Sie in den Musterabmahnungen. 30BAG, Urteil vom 13.03.1991 – 5 AZR 133/90.
3.2 Inhalt der Abmahnung (drei Funktionen)
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Vorwürfe hingegen berechtigt sind, wird vom Gericht dann nicht mehr geprüft. Zwingt der Arbeitnehmer den Arbeitgeber daraufhin z. B. gerichtlich zur Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte (s. Abschn. 6.1), so führt dies zu einem Gesichts- und Autoritätsverlust. Zudem wird bei der Belegschaft vorschnell der Eindruck entstehen, dass das Fehlverhalten des abgemahnten Mitarbeiters letztlich doch erlaubt gewesen sei und der Arbeitgeber insgesamt zu Unrecht abgemahnt habe. Ein unbedachtes Handeln kann den Arbeitgeber insofern nicht nur Zeit und Geld kosten, sondern ihm auch einen empfindlichen, vermeidbaren Verlust an Glaubwürdigkeit einbringen. Eine Sammelabmahnung ist jedoch nicht allein aus diesem Grunde kritisch zu bewerten. Im Zweifelsfall geht aus ihr auch nicht eindeutig hervor, ob der Arbeitgeber eine Kündigung für den Fall angedroht hat, dass der Arbeitnehmer sämtliche in der Abmahnung genannten Pflichtverstöße erneut begeht, oder ob sich die Kündigungsandrohung bereits auf jeden einzelnen Verstoß bezieht. Eine solche Unklarheit wird ein geschickter Arbeitnehmeranwalt vor Gericht für seinen Mandanten nutzen und beim Gericht Zweifel an der Wirksamkeit einer später darauf gestützten Kündigung erzeugen. Arbeitsrechtlicher Hinweis Von dem Aussprechen einer Sammelabmahnung ist dringend abzuraten. Vielmehr empfiehlt es sich, jede Pflichtverletzung in eine gesonderte Abmahnung aufzunehmen.
Arbeitspsychologischer Hinweis Von einer Sammelabmahnung ist auch aus psychologischer Sicht abzusehen. Denn die meisten Mitarbeiter registrieren die einzelnen Verstöße bei Zusammenfassung in einer Abmahnung als einen einzigen Verstoß. Die Erfahrung zeigt, dass es psychologisch wirksamer ist, die einzelnen Verstöße auch einzeln mit einer Abmahnung zu hinterlegen. Die Quantität prägt den beim Arbeitnehmer hinterlassenen Eindruck!
3.2.2 Hinweisfunktion: Aufzeigen des vertragsgerechten Verhaltens Eine Abmahnung muss den Arbeitnehmer in der Hinweisfunktion darauf hinweisen, dass das im Rahmen der Dokumentationsfunktion beschriebene Verhalten vertragswidrig ist und welches Verhalten von ihm in Zukunft erwartet wird. Hierzu ist in der Abmahnung die Vertragswidrigkeit – d. h. der konkrete Normverstoß – zu erläutern und ggf. eine klare Handlungsalternative aufzuzeigen. Dadurch erhält der Arbeitnehmer die Möglichkeit, die Vertragsverletzung als solche zu erkennen und zukünftig sein Verhalten hin zu einer vertragsgerechten Pflichterfüllung zu ändern.
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3 Anforderungen an eine wirksame Abmahnung
Die Hinweisfunktion sollte die Antwort auf zwei Fragen enthalten: • Aus welchen Gründen war das vorgeworfene Verhalten vertragswidrig? • Welches Alternativverhalten ist vertragsgemäß und wird zukünftig erwartet?
Der Hinweis auf das vertragswidrige Verhalten sollte stets unter möglichst konkreter Nennung der verletzten Verhaltenspflicht, Vertragsklausel, Betriebsvereinbarung, Gesetzesnorm etc. erfolgen. Der Hinweis sollte dabei so genau wie möglich sein und die einschlägigen Paragrafen/Ziffern/Klauseln konkret bezeichnen. Hier ist besondere Vorsicht geboten: Behauptet der Arbeitgeber im Rahmen der Hinweisfunktion, dass ein Verstoß gegen eine bestimmte Vertragspflicht oder ein bestimmtes Gesetz vorliegt, so muss auch seine rechtliche Wertung zutreffend sein. Andernfalls hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte (s. Abschn. 6.1.3). Verhaltenspflichten und Leistungserwartungen werden regelmäßig in • Arbeitsverträgen, • Stellenausschreibungen, • Stellenprofilen, • betrieblichen Richtlinien, • Betriebsvereinbarungen, • Tarifverträgen, • Zielvereinbarungen, • schriftlichen oder mündlichen Arbeitsanweisungen, • branchentypischen Gepflogenheiten, • berufsbildspezifischen Gepflogenheiten definiert. Sofern die verletzte Verhaltenspflicht sich aus einem solchen schriftlichen Regelwerk ergibt, sollte dieses der Abmahnung als Anlage beigefügt werden! Denn damit wird dem Arbeitnehmer im Falle eines späteren erneuten Verstoßes der Einwand abgeschnitten, er habe das schriftliche Regelwerk (z. B. Betriebsvereinbarung etc.) nicht gekannt oder sei von einer älteren Version ausgegangen o. Ä. Das Beifügen von Anlagen ist indes keine Voraussetzung im rechtlichen Sinne.
Arbeitspsychologischer Hinweis Das Beifügen einer Anlage veranschaulicht dem Arbeitnehmer den Ernst der Lage. Dies erhöht die Verbindlichkeit der Abmahnung. Mit der Verbindlichkeit erhöht sich auch die Aussicht auf die gewünschte Verhaltensänderung!
3.2 Inhalt der Abmahnung (drei Funktionen)
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3.2.3 Warnfunktion: Androhung von Konsequenzen im Wiederholungsfall Eine Abmahnung muss in der Warnfunktion einen Hinweis auf die Folgen erneuter Pflichtverletzungen enthalten. Der Arbeitgeber muss dem Arbeitnehmer unmissverständlich vor Augen führen, dass weiteres gleichartiges vertragswidriges Verhalten zur Kündigung führt. Eine Abmahnung wird daher auch häufig als Kündigungsandrohung bezeichnet („Warnschuss“). Bei der sprachlichen Gestaltung der Warnfunktion muss der Arbeitgeber • personaltechnische, • psychologische und • rechtliche Gesichtspunkte berücksichtigen. Die in der Praxis häufig zu beobachtende Beschränkung auf rechtliche Gesichtspunkte greift hier zu kurz.
3.2.3.1 Personaltechnische Gesichtspunkte der Warnfunktion Der Arbeitgeber ist im Fall einer Kündigung häufig der größte Verlierer. Denn ihn treffen ggf. erhebliche Kosten für Beschaffung, Auswahl, Ausbildung und Einarbeitung neuer Mitarbeiter. Daher wird der Arbeitgeber gerade besonders gut ausgebildetes bzw. eingearbeitetes Personal selbst im Falle eines neuerlichen Verstoßes nicht sofort verlieren wollen. Vielmehr tendieren Arbeitgeber im Eigeninteresse dazu, solchen Mitarbeitern selbst bei schweren Verstößen weitere Gelegenheit zur Korrektur des Verhaltens zu geben. Dies gilt gerade bei typischen betriebs- oder branchenspezifischen Verstößen, wie z. B. Alkoholkonsum in einer Brauerei oder Zuspätkommen in Schichtbetrieben. Arbeitgeber sind in diesen Fällen besser beraten, bei Abmahnungen im Rahmen der Warnfunktion die Stufen der Warnwirkung schrittweise zu verschärfen. Eine solche sprachliche Eskalation kann dem Arbeitnehmer anschaulich vor Augen führen, dass sein Verhalten nicht geduldet wird, sodass eine Verhaltenskorrektur notwendig ist – falls er seinen Arbeitsplatz nicht verlieren will. 3.2.3.2 Psychologische Gesichtspunkte der Warnfunktion Die Abmahnung soll den Arbeitnehmer zu einer Verhaltenskorrektur bewegen. Er soll „umdenken“. Eine besonders harsch formulierte Abmahnung (z. B. sofortige Androhung der Kündigung des Arbeitsverhältnisses im Wiederholungsfall) kann bei Arbeitnehmern hingegen auf Unverständnis stoßen. Gerade bei langjährigen Mitarbeitern und/oder bei leichteren Pflichtverstößen kann dies zu erheblicher Demotivation führen. Die Abmahnung wirkt dadurch kontraproduktiv. Gleichzeitig besteht für den Arbeitgeber die Gefahr erheblichen Autoritätsverlustes. Hat der Arbeitnehmer nämlich bei vorangegangenen Verstößen von Kollegen erlebt, dass der Arbeitgeber bei einem Folgeverstoß gerade keine Kündigung ausgesprochen hat,
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3 Anforderungen an eine wirksame Abmahnung
sondern ein oder zwei weitere Abmahnungen (z. B. aus personaltechnischen Gründen), so wird er die Androhung der Kündigung nicht ernst nehmen. Der psychologische Effekt der Abmahnung verpufft. Der Arbeitgeber ist besser beraten, durch schrittweise Eskalation eine Verhaltenskorrektur anzustoßen.
Arbeitspsychologischer Hinweis Häufig befürchten Arbeitgeber, dass eine besonders harsch formulierte Abmahnung (sofortige Androhung der Kündigung des Arbeitsverhältnisses im Wiederholungsfall) bei Arbeitnehmern auf Unverständnis stoßen wird und zu erheblicher Demotivation führt – gerade bei langjährigen Mitarbeitern und/oder bei leichteren Pflichtverstößen. Hierzu sollte der Arbeitgeber sich vor Augen führen, dass die Erteilung einer Abmahnung ein einschneidender Schritt ist, der ja gerade dazu dienen soll, dem Mitarbeiter deutlich zu machen, dass sein Vergehen in Zukunft nicht geduldet wird und man sich im Wiederholungsfall von ihm trennen wird. Daher ist es wichtig, sich vor Erteilung einer Abmahnung klarzumachen, inwieweit dieser Schritt für die weitere Zusammenarbeit zielführend ist. Gegebenenfalls ist es sinnvoller, ein Ermahnungsgespräch zu führen, wenn der Verstoß keinen wirklichen Schaden angerichtet hat. Bei schweren Verstößen des Arbeitnehmers wirkt eine Abmahnung ohne klar formulierte Konsequenz jedoch widersprüchlich und schädigt die Autorität des Arbeitgebers.
3.2.3.3 Rechtliche Gesichtspunkte der Warnfunktion In der Regel wird nur bei sehr schweren Verstößen eine einzige vorhergehende Abmahnung genügen. Je nach Ausgestaltung der Umstände des Einzelfalles (beanstandungsfreie Dauer des Arbeitsverhältnisses, Art und Schwere des Pflichtverstoßes, arbeitsvertragliche Haupt- oder Nebenpflicht, Verschulden, Rechtfertigungsgründe, Entstehung eines Schadens etc.) können auch zwei oder drei einschlägige Abmahnungen erforderlich sein. Droht ein Arbeitgeber hier nach langjährigem beanstandungsfreiem Bestehen des Arbeitsverhältnisses bereits bei einem erstmaligen Verstoß gegen eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht, die der Arbeitnehmer lediglich „übersehen“ hatte, für den Wiederholungsfall eine Kündigung an, so ist dies offensichtlich überzogen. Unter rein rechtlichen Gesichtspunkten schadet dies der Wirksamkeit der Abmahnung gleichwohl nicht. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann eine unwirksame (verhaltensbedingte) Kündigung grundsätzlich auch in eine Abmahnung umgedeutet werden, sofern sie deren Voraussetzungen erfüllt, d. h. insbesondere der Warnfunktion
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3.2 Inhalt der Abmahnung (drei Funktionen) Tab. 3.2 Eskalationsstufen Stufe
Inhalt
Formulierung
0 Keine Warnwirkung
Keine Drohung: bloße Ermahnung
„Wegen dieses Verstoßes ermahnen wir Sie und fordern Sie auf, sich zukünftig regelkonform zu verhalten.“
1 Sehr milde Drohung: Geringe Warnwirkung Die Folge „Kündigung“ wird nicht ausdrücklich genannt Formel kann mit Nennung konkreter Maßnahmen unterhalb einer Kündigung verbunden werden
„Bei weiteren Verstößen müssen Sie mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen rechnen.“ „Bei weiteren Verstößen müssen Sie mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen, insbesondere mit einer Versetzung in die Abteilung X/ mit der Entziehung der Zeichnungsbefugnis/mit der Installation einer Internetsperre auf Ihrem Computer, rechnen.“
2 Gängige Drohung: Mittlere Warnwirkung Die Folge „Kündigung“ wird ausdrücklich genannt Leicht verschärfte Variante: Nur die Folge „Kündigung“ wird ausdrücklich genannt
„Bei weiteren Verstößen müssen Sie mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis hin zur Kündigung rechnen.“ Oder „Wir behalten uns vor, bei weiteren Zuwiderhandlungen entsprechende personelle Maßnahmen bis hin zur Kündigung zu ergreifen.“ „Bei weiteren Verstößen müssen Sie mit der Kündigung des Angestelltenverhältnisses rechnen.“
3 Hohe Warnwirkung
„Wir weisen Sie letztmalig darauf hin, dass wir bei einem weiteren Verstoß unausweichlich eine Kündigung aussprechen werden.“ „Wir weisen Sie daraufhin, dass wir bei einem weiteren Verstoß unausweichlich mit einer außerordentlichen, fristlosen Kündigung reagieren werden.“
Scharfe Drohung: Die Folge „Kündigung“ wird als zwingende Konsequenz genannt Verschärfte Variante: Die Folge „außerordentliche Kündigung“ wird als zwingende Konsequenz genannt (Extremsituation)
Genüge tut. Letzteres ist jedenfalls dann gegeben, wenn die Tatsachen, auf die die vorhergehende Kündigung gestützt wurde, feststehen und die Kündigung aus anderen Erwägungen als sozialwidrig erachtet wurde.31
31BAG,
Urteil vom 07.09.1988 – 5 AZR 625/87; BAG, Urteil vom 31.08.1989 – 2 AZR 13/89.
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3 Anforderungen an eine wirksame Abmahnung
3.2.3.4 Formulierungsvorschläge für die Warnfunktion Die Anforderungen, die die Rechtsprechung an die Formulierung der Warnfunktion stellt, werden in der Praxis häufig übersehen oder unterschätzt. Die folgenden in der Praxis immer wieder anzutreffenden Formulierungen genügen der Warnfunktion nicht: • • • •
„Weitere Vertragsverstöße werden wir nicht dulden.“ „Das haben wir zum letzten Mal tatenlos mit angesehen!“ „Bei weiterem Fehlverhalten drohen Ihnen arbeitsrechtliche Konsequenzen.“ „Erscheinen Sie bitte künftig pünktlich an Ihrem Arbeitsplatz.“
Denn sie zeigen dem Arbeitnehmer nicht hinreichend deutlich, dass ein weiteres gleichartiges vertragswidriges Verhalten zur Kündigung führt. Der Arbeitnehmer kann im Prozess geltend machen, dass Zweifel an der konkreten Konsequenz erneuten Fehlverhaltens bestehen konnten. Mangels Erfüllung der Warnfunktion kann die Abmahnung dann die Kündigung nicht tragen. Daher empfiehlt es sich, durch Verwendung anerkannter Standardformeln jegliches Risiko einer Unklarheit oder unerwünschten Auslegung auszuschließen. Der Arbeitgeber sollte daher unter Abwägung der personaltechnischen, psychologischen und rechtlichen Gesichtspunkte unter den folgenden verbalen Eskalationsstufen wählen (s. Tab. 3.2).32 Erläuterungen zu den einzelnen Stufen: 3.2.3.4.1 Stufe 0 – keine Warnwirkung Eine bloße Ermahnung hat keine Warnwirkung im Hinblick auf eine spätere Kündigung (Einzelheiten s. Abschn. 3.4). 3.2.3.4.2 Stufe 1 – geringe Warnwirkung Es handelt sich um eine abgemilderte Form der Abmahnung. Dem Arbeitnehmer werden für den Fall eines erneuten Pflichtverstoßes lediglich allgemein „arbeitsrechtliche Konsequenzen“ angedroht. Die Folge „Kündigung“ wird nicht ausdrücklich erwähnt. In rechtlicher Hinsicht hat dies eine Selbstbindung des Arbeitgebers zur Folge. Der Arbeitnehmer kann darauf vertrauen, dass bei einem erneuten Pflichtverstoß zunächst mildere Folgen als eine Kündigung drohen. Eine Kündigung wäre daher regelmäßig unverhältnismäßig. Der Arbeitgeber müsste zunächst eine weitere – diesmal schärfer formulierte – Abmahnung aussprechen, auf die bei einem weiteren Verstoß ggf. eine Kündigung folgen könnte. Gerade bei leichteren Verstößen kann es aus personaltechnischen und psychologischen Gründen angezeigt sein, von der Ermahnung über die abgemilderte Drohung
32Es handelt sich dabei lediglich um praxisbewährte Formulierungsvorschläge. Selbstverständlich steht es jedem Arbeitgeber frei, eigene oder modifizierte Formulierungen zu verwenden.
3.2 Inhalt der Abmahnung (drei Funktionen)
31
bis zur klaren Kündigungsandrohung (Stufe 0 bis 2) die volle Eskalationskette zu durchlaufen. Arbeitspsychologischer Hinweis Im Rahmen einer abgemilderten Formulierung der Warnfunktion (Stufe 1) kann es im Einzelfall zweckdienlich sein, dem Arbeitnehmer eine ihm im Wiederholungsfall konkret drohende Konsequenz ausdrücklich zu benennen. Die schriftliche Mitteilung dieser Konsequenz prägt sich stärker ein und führt häufig zu einem stärkeren Bewusstsein für die drohende Gefahr. Dieses Bewusstsein fördert eine Konzentration des Arbeitnehmers auf die Verhaltenskorrektur. Je nach Branche und Art des Betriebes kann beispielsweise die Entziehung der Zeichnungsbefugnis eine erhebliche Schwächung des sozialen Ansehens im Kollegenkreis oder bei Kunden bedeuten. Dies wirkt psychologisch häufig stärker – und motivierender! – als eine Kündigungsandrohung.
3.2.3.4.3 Stufe 2 – mittlere Warnwirkung Die ausdrückliche Nennung der drohenden Konsequenz „Kündigung“ entspricht der „klassischen“ Abmahnung (Abmahnung im engeren Sinne). Unter rein rechtlichen Gesichtspunkten kann der Arbeitgeber stets diese Formulierung verwenden. Eine Abweichung kann jedoch aus personaltechnischen und psychologischen Gründen angezeigt sein. Arbeitsrechtlicher Hinweis Unter rein rechtlichen Gesichtspunkten genügt eine Abmahnung bei Verwendung der Stufe 2 regelmäßig den Anforderungen.
3.2.3.4.4 Stufe 3 – hohe Warnwirkung Im Unterschied zu Stufe 2 wird hier die Konsequenz „Kündigung“ nicht als möglich, sondern als sicher dargestellt. Dem Arbeitnehmer wird unmissverständlich vor Augen geführt, dass es sich um die „allerletzte Warnung“ handeln soll. Unter rechtlichen Gesichtspunkten hat eine solche Formulierung der Warnfunktion erstens zur Konsequenz, dass der Arbeitnehmer besonders intensiv gewarnt ist. Zweitens tritt aber auch eine Selbstbindung des Arbeitgebers ein. Bei einem weiteren einschlägigen Fehlverhalten muss er tatsächlich die Kündigung aussprechen. Reagiert er hingegen erneut mit einer Abmahnung, ist sein Verhalten widersprüchlich und schwächt die Warnfunktion der Abmahnung. Denn bei dem betroffenen Arbeitnehmer erweckt dies den Eindruck, dass das abgemahnte Fehlverhalten doch nicht so gravierend sei, als dass bei einem weiteren Verstoß mit einer Kündigung gerechnet werden müsste. Der Arbeitnehmer kann sich nunmehr darauf berufen, er habe im Wiederholungsfall mit einer Abmahnung rechnen dürfen.
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3 Anforderungen an eine wirksame Abmahnung
Arbeitsrechtlicher Hinweis Ist der Arbeitgeber in der Situation, dass er bereits eine Abmahnung mit Androhung einer Kündigung als sichere Folge (Warnstufe 3) ausgesprochen hat und nunmehr angesichts eines neuen Verstoßes gleichwohl erneut abmahnen will, statt zu kündigen, so befindet er sich in einer Zwickmühle: Diese neue Abmahnung wäre in ihrer Warnfunktion entwertet. Beim nächsten Verstoß könnte der Arbeitgeber somit hierauf keine Kündigung stützen. Gegenmaßnahme: Um eine vollwertige Warnfunktion der neuen Abmahnung aufrechtzuerhalten, kann der Arbeitgeber die außergewöhnlichen Gründe für sein „mildes“ Verhalten ausdrücklich nennen und klarstellen, dass beim nächsten Pflichtverstoß unausweichlich eine Kündigung ausgesprochen werden wird.
Arbeitspsychologischer Hinweis Eine solche „letztmalige“ Abmahnung sollte sodann aber auch eine solche bleiben! Mehrfach ausgesprochene „letztmalige“ Konsequenzen wirken spätestens nach dem zweiten Mal unglaubwürdig. Der Arbeitgeber verliert dadurch seine Glaubwürdigkeit nicht nur gegenüber dem einzelnen Arbeitnehmer, sondern gegenüber der gesamten Belegschaft. Mit dieser absoluten Formulierung der Warnfunktion sollte daher sparsam umgegangen werden!
3.3 Rechtsfolgen der Unwirksamkeit der Abmahnung Ist eine Abmahnung formell oder materiell unwirksam, so hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Entfernung aus der Personalakte, den er ggf. gerichtlich durchsetzen kann (s. Abschn. 6.1). Unabhängig davon behält die Abmahnung unter Umständen jedoch ihre Warnfunktion und kann gegebenenfalls eine später ausgesprochene Kündigung stützen (s. Abschn. 6.4.2).
3.4 Abgrenzung zur Ermahnung/Verwarnung Einem Arbeitgeber stehen mehrere Möglichkeiten offen, auf ein Fehlverhalten eines Arbeitnehmers zu reagieren. Nicht bei jedem Pflichtverstoß muss er eine scharf formulierte Abmahnung aussprechen, die den Weg für eine spätere Kündigung bereitet. Gerade bei leichteren arbeitsvertraglichen Pflichtverletzungen ziehen Arbeitgeber es häufig vor, eine geringere Eskalationsstufe zu wählen und dem Arbeitnehmer zunächst eine Ermahnung (z. T. auch als Verwarnung bezeichnet) zu erteilen.
3.4 Abgrenzung zur Ermahnung/Verwarnung
33
Rechtlich gesehen stellt eine Ermahnung lediglich eine einfache Vertragsrüge des Arbeitgebers dar, die dieser aufgrund seiner Gläubigerstellung aussprechen darf. Sie ist als Vorstufe zur Abmahnung das mildeste Rügemittel. Arbeitgeber können davon Gebrauch machen, wenn sie auf ein Fehlverhalten noch nicht massiv mit einer Abmahnung reagieren möchten. Eine Ermahnung kommt insbesondere in den Fällen in Betracht, in denen der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine Abmahnung unter Androhung von kündigungsrechtlichen Konsequenzen verbietet (sogenannte „Bagatellverstöße“, s. 6.1.4). Im Gegensatz zu einer Abmahnung enthält eine Ermahnung keine Androhung konkreter arbeitsrechtlicher Konsequenzen (insbesondere Kündigung). Daraus folgt naturgemäß, dass eine verhaltensbedingte Kündigung nicht auf eine vorangegangene einschlägige Ermahnung gestützt werden kann. Es empfiehlt sich gleichwohl, die Ermahnung aus Beweisgründen schriftlich auszusprechen und zur Personalakte zu nehmen. Denn in Verbindung mit einer späteren Abmahnung dokumentiert sie eine Eskalation, die sodann eine Kündigung stützen kann. Ein Anspruch des betroffenen Arbeitnehmers auf Entfernung aus der Personalakte (s. unter 6.1) besteht regelmäßig nur in Ausnahmefällen33.
Arbeitsrechtlicher Hinweis Der Arbeitgeber kann eine Ermahnung nutzen, um dem Arbeitnehmer seine Missbilligung eines leichten arbeitsvertraglichen Pflichtverstoßes auszudrücken. Eine Ermahnung bietet jedoch keine hinreichende Grundlage für eine spätere Kündigung!
33ArbG Freiburg, Urteil vom 27.01.1987 – 2 Ca 386/86; ArbG Passau, Urteil vom 14.01.1988 – 2 Ca 390/87.
4
Abmahnung und Kündigung
4.1 Grundsatz: keine verhaltensbedingte Kündigung ohne einschlägige Abmahnung 4.1.1 Personenbedingte und betriebsbedingte Kündigung: keine Abmahnung erforderlich Wie bereits unter Abschn. 3.2.1.3 ausgeführt, darf eine Abmahnung nur auf Vertragsverletzungen gestützt werden, denen ein steuerbares Verhalten des Arbeitnehmers zugrunde liegt. Spiegelbildlich besteht das Abmahnerfordernis nur bei der verhaltensbedingten Kündigung. Für die Wirksamkeit einer personen- oder betriebsbedingten Kündigung kann eine Abmahnung daher grundsätzlich weder positive noch negative Bedeutung entfalten. Arbeitsrechtlicher Hinweis Personenbedingte und betriebsbedingte Kündigungen setzen grundsätzlich nicht das Aussprechen einer Abmahnung voraus! 1
Ist die Ursache der Verletzung arbeitsvertraglicher Haupt- oder Nebenpflichten eine psychische Erkrankung, stellt dies für Arbeitgeber eine besondere Herausforderung dar.
1Es
kann allerdings im Einzelfall offen sein, ob eine Vertragsverletzung auf steuerbarem Verhalten beruht oder nicht: Bei alkoholbedingtem Fehlverhalten weiß der Arbeitgeber z. B. nicht, ob der Arbeitnehmer ein Alkoholiker ist (dann wegen Krankheit keine Steuerbarkeit) oder ob er „nur so“ zu viel getrunken hat (dann Steuerbarkeit). In derartigen Fällen kann eine vorsorgliche Abmahnung sinnvoll sein. Dies erfordert jedoch genaue Sachverhaltsermittlung und sehr behutsames, durchdachtes Vorgehen des Arbeitgebers.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 P. Croset und M. Dobler, Die rechtssichere Abmahnung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30999-2_4
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4 Abmahnung und Kündigung
Denn in aller Regel hat der Arbeitgeber keine ausreichende Kenntnis von Bestehen oder Umfang einer psychischen Erkrankung. Vorsorglich sollten Arbeitgeber bei Vorliegen entsprechender Hinweise daher zweigleisig Vorgehen: Erstens sollte die objektive Vertragsverletzung abgemahnt werden, damit im Wiederholungsfall eine verhaltensbedingte Kündigung hierauf gestützt werden kann. Wendet der Arbeitnehmer sodann im Prozess ein, aufgrund einer psychischen Erkrankung sei ihm sein Verhalten nicht vorwerfbar, kann der Arbeitgeber die Kündigung hilfsweise auf personenbedingte Gründe stützen. Dafür muss er jedoch deren Voraussetzungen eingehalten haben (insbesondere zweigleisige Betriebsratsanhörung, ggf. betriebliches Eingliederungsmanagement). Wiegt das nicht steuerbare (schuldlose) Verhalten so schwer, dass die Beendigungsinteressen des Arbeitgebers unter Berücksichtigung der weitreichenden und schwerwiegenden Störungen der Betriebsabläufe und des Betriebsfriedens im Ergebnis der Interessenabwägung überwiegen, kann ggf. die Möglichkeit zur fristlosen verhaltensbedingten Kündigung eröffnet sein.2
4.1.2 Verhaltensbedingte Kündigung: Negativprognose durch Abmahnung Nach ständiger Rechtsprechung des BAG setzt eine verhaltensbedingte Kündigung regelmäßig eine oder auch mehrere einschlägige bzw. gleichartige Abmahnungen voraus. Denn die verhaltensbedingte Kündigung dient nicht als Sanktion für die begangene Pflichtverletzung, sondern zur Vermeidung künftiger Pflichtverstöße. Ihre Wirksamkeit hängt also davon ab, ob in der Zukunft weitere Verstöße zu befürchten sind (sogenannte Negativprognose).3 Verletzt der Arbeitnehmer die gleiche arbeitsvertragliche Pflicht trotz Abmahnung erneut, so kann hieraus der Schluss gezogen werden, dass er seinen entsprechenden arbeitsvertraglichen Pflichten auch in Zukunft nicht oder nicht ordnungsgemäß nachkommen werde.4 Unter rein rechtlichen Gesichtspunkten schafft ein Arbeitgeber durch den Ausspruch einer Abmahnung regelmäßig die Voraussetzung für eine spätere verhaltensbedingte Kündigung. Dabei sollten alle Beteiligten jedoch nicht aus dem Auge verlieren, dass es dem Arbeitgeber in der Regel in erster Linie darum geht, dem Arbeitnehmer eine Vertragsverletzung vor Augen zu führen und ihn zur Verhaltenskorrektur anzuhalten. Beherzigt der Arbeitnehmer den Warnschuss und passt er sein Verhalten den arbeits-
2Dies
kann der Fall sein, wenn ein Arbeitnehmer durch sein schuldloses Fehlverhalten die Sicherheit des Betriebes gefährdet oder durch fortlaufende Tätlichkeiten eine Weiterbeschäftigung unzumutbar macht. Ausführlich dazu Anton-Dyck/Böhm, „Vorwerfbarkeit von Pflichtverletzungen bei psychischen Erkrankungen“, ArbRB 2018, 310 unter Verweis auf LAG Thüringen, Urteil vom 11.06.2009 – 3 Sa 22/07 und BAG, Urteil vom 21.01. 1999 – 2 AZR 665/98. 3BAG, Urteil vom 26.11.2009 – 2 AZR 751/08; BAG, Urteil vom 10.06.2010 – 2 AZR 541/09. 4BAG, Urteil vom 10.11.1988 – 2 AZR 215/88; BAG, Urteil vom 09.06.2011 – 2 AZR 323/10.
4.2 Wie viele vorangegangene Abmahnungen sind erforderlich?
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vertraglichen Vereinbarungen an, so wird das Arbeitsverhältnis ungetrübt fortgeführt: Der Arbeitgeber hat sein Ziel erreicht und der Arbeitnehmer muss keine Kündigung seines Arbeitsverhältnisses fürchten.
4.1.3 Einschlägige Abmahnung Aus dem seitens des BAG entwickelten Erfordernis der Negativprognose ergibt sich konkret im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses, dass nur diejenigen Abmahnungen eine verhaltensbedingte Kündigung stützen können, die sich auf ein einschlägiges Fehlverhalten beziehen. Vorangegangene Abmahnungen, die keinen Zusammenhang zum aktuellen Fehlverhalten aufweisen, bleiben zunächst unberücksichtigt. Die der (bzw. den) vorangegangenen Abmahnung(-en) zugrunde liegende Pflichtverletzung muss indes mit der aktuellen Pflichtverletzung nicht identisch sein, damit eine Einschlägigkeit angenommen werden kann. Ausreichend, aber auch erforderlich ist vielmehr eine Gleichartigkeit der Pflichtverletzungen.5
Arbeitsrechtlicher Hinweis Eine verhaltensbedingte Kündigung kann nur auf einschlägige Abmahnungen gestützt werden. Dies erfordert die Gleichartigkeit der Pflichtverletzungen.
Wann eine solche Gleichartigkeit vorliegt, kann im Einzelfall schwer abzugrenzen sein. Tab. 4.1 gibt einen Überblick. Es handelt sich stets um Einzelfälle ohne bindende Wirkung.
4.2 Wie viele vorangegangene Abmahnungen sind erforderlich? In der Praxis herrscht regelmäßig erhebliche Ungewissheit über die Frage, wie viele Abmahnungen ausgesprochen worden sein müssen, bevor auf einen erneuten Pflichtverstoß mit einer wirksamen Kündigung reagiert werden kann.
4.2.1 Einzelfallbetrachtung Das sich hartnäckig haltende Gerücht, dass der Arbeitgeber vor Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung in der Regel drei Abmahnungen aussprechen müsse,
5BAG,
Urteil vom 10.11.1988 – 2 AZR 215/88; BAG, Urteil vom 09.06.2011 – 2 AZR 323/10.
38
4 Abmahnung und Kündigung
Tab. 4.1 Gleichartigkeit Entscheidung
Sachverhalt, der abgemahnt wurde
BAG, Urteil vom 16.09.2004 – 2 AZR 406/03
Abmahnung: verspätete Anzeige der Arbeitsunfähigkeit Kündigung: Zuspätkommen sowie verspätete Anzeige der Arbeitsunfähigkeit Einschlägigkeit: allgemeine Unzuverlässigkeit des AN
LAG Baden- Württemberg, Urteil vom 08.09.2004 – 2 Sa 66/04
Abmahnung: häufiges Zuspätkommen Kündigung: verspätete Anzeige der Arbeitsunfähigkeit Einschlägigkeit: allgemeine Unzuverlässigkeit des AN
LAG Berlin, Urteil vom 05.12.1995 – 12 Sa 111/95
Abmahnung: unberechtigtes Fehlen Kündigung: berechtigtes, aber nicht angezeigtes Fernbleiben von der Arbeit Einschlägigkeit: Beeinträchtigung der Dispositionsbefugnis des AG, da dieser im Ungewissen bleibt, ob und wann die Arbeit aufgenommen wird
LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 15.09.2010 – 6 Sa 47/10
Abmahnung: AN (Busfahrer) macht mit dem Linienbus auf dem Betriebshof mit einem Minderjährigen Fahrübungen Kündigung: AN fährt zwischen zwei Haltestellen mit offener Vordertür, während seine Kinder neben ihm im vorderen Einstiegsbereich des Busses sitzen Einschlägigkeit: Verstoß gegen Verkehrsregeln
LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 20.11.2008 – Abmahnung: AN (Musiklehrer) sendet 2 Sa 384/08 einen Brief an seine Kollegen, der Tatsachen über einen vom AG geführten Rechtsstreit unzutreffend wiedergibt und den AG beleidigt Kündigung: AN setzt sich über das religiöse Glaubensbekenntnis einer Schülerin hinweg, indem er ein Würgen am Hals der Schülerin andeutet und dabei bemerkt, ob Gott es auch wolle, wenn er sie jetzt umbringe Einschlägigkeit: AN zeigte durch abfällige und beleidigende Äußerungen nachhaltig, nicht bereit zu sein, Ehre, Persönlichkeit und Anschauungen anderer Menschen zu achten (Fortsetzung)
4.2 Wie viele vorangegangene Abmahnungen sind erforderlich?
39
Tab. 4.1 (Fortsetzung) Entscheidung
Sachverhalt, der abgemahnt wurde
LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 08.10.2008 – 6 Sa 158/08
Abmahnung: AN legt mehrere Rohre unsachgemäß ab Kündigung: AN wirft eine Spraydose mit der Aufschrift „hochentzündlich“ in einen Container mit der Aufschrift: „HEISS“. In dem Container sollten nur Schnittreste entsorgt werden Einschlägigkeit: Verstoß gegen Sicherheitsvorschriften
BAG, Urteil vom 15.03.2001 – 2 AZR 147/00
Abmahnung: Zuspätkommen Kündigung: unentschuldigtes Fernbleiben von der Arbeit Einschlägigkeit: Verletzung der Arbeitspflicht
LAG Hessen, Urteil vom 07.07.1997 – 16 Sa 2328/96
Abmahnung: verspätete Anzeige der Arbeitsunfähigkeit Kündigung: Weigerung, zu einem Personalgespräch zu erscheinen, um den Einsatz des AN zu besprechen Einschlägigkeit: AN hinderte den AG daran, den Arbeitseinsatz des Klägers zu disponieren
BAG, Urteil vom 9.06.2011 – 2 AZR 323/10
Abmahnung: Schlag auf Gesäß Kündigung: wiederholte (vier) Bemerkungen sexuellen Inhalts gegenüber einer AN Einschlägigkeit: sexuelle Belästigung; ein die Integrität des Betroffenen missachtendes, erniedrigendes Verhalten
ist jedenfalls unzutreffend. Ein solcher Grundsatz besteht nicht einmal in Form einer „Faustregel“. Die Rechtsprechung lehnt jegliche pauschale Festlegung auf eine bestimmte Anzahl vorangegangener Abmahnungen ab und stellt stattdessen eine Einzelfallbetrachtung an. Im Rahmen dieser Einzelfallbetrachtung werden insbesondere folgende Umstände einbezogen: • störungsfreier Verlauf des Arbeitsverhältnisses, • sozialer Bestandsschutz des Arbeitnehmers (insbesondere Betriebszugehörigkeit), • Art und Schwere des aktuellen und der vorangegangenen (wirksam abgemahnten) Pflichtverstöße, • Häufigkeit der Pflichtverstöße.
40
4 Abmahnung und Kündigung
Je schwerer und häufiger die arbeitsvertragliche Pflicht verletzt wurde, desto weniger Abmahnungen muss der Arbeitgeber erteilen. Das Bedürfnis für eine Wiederholung der Abmahnung ist umso mehr gegeben, je länger die Abmahnung zurückliegt und je geringer das Gewicht der abgemahnten Pflichtverletzung ist. Als Richtlinie kann gelten, dass der Arbeitgeber bei besonders schwerwiegenden, offensichtlichen oder vorsätzlichen Pflichtverstößen in der Regel lediglich eine Abmahnung wird aussprechen müssen. Bei Pflichtverstößen, die nur knapp die Schwelle zur reinen Bagatelle überschreiten, wird der Arbeitgeber hingegen bis zu drei Abmahnungen aussprechen müssen. Der Ausspruch von mehr als drei Abmahnungen wird dem Arbeitgeber hingegen allenfalls bei besonders langjährigen Mitarbeitern oder in sonstigen außergewöhnlichen Konstellationen zuzumutensein. Bei besonders schweren Pflichtverstößen kann eine Abmahnung sogar gänzlich entbehrlich sein (s. Abschn. 4.3). Arbeitsrechtlicher Hinweis Es gibt keine allgemeine Faustregel, wie viele einschlägige Abmahnungen einer wirksamen verhaltensbedingten Kündigung vorauszugehen haben. Es erfolgt stets eine Einzelfallbetrachtung!
Tab. 4.2 gibt einen Überblick über die Anzahl der von der Rechtsprechung für erforderlich gehaltenen Abmahnungen. Es handelt sich stets um Einzelfälle ohne bindende Wirkung.
4.2.2 „Abmahnungs-Inflation“ Gleichzeitig muss vor dem Ausspruch zu vieler Abmahnungen gewarnt werden. Durch eine „inflationäre“ Abmahnpraxis wird die Warnfunktion einer Abmahnung abgeschwächt.
4.2.2.1 Entfallen der Warnfunktion Wird ein Arbeitnehmer wegen eines gleichartigen Pflichtverstoßes zu häufig abgemahnt, so kann er sich im Falle einer späteren Kündigung erfolgreich darauf berufen, dass er mit einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr ernsthaft rechnen musste. Aufgrund der Vielzahl der erfolgten Abmahnungen durfte er dann damit rechnen, dass auch auf einen weiteren Pflichtverstoß nicht etwa die angedrohte Kündigung, sondern eine weitere Abmahnung folgen würde („leere Drohung“)6. Aus Sicht des BAG wird die Warnfunktion der Abmahnung entwertet.7
6LAG
Rheinland-Pfalz, Urteil vom 23.04.2009 – 10 Sa 52/09. Urteil vom 15.11.2001 – 2 AZR 609/00.
7BAG,
4.2 Wie viele vorangegangene Abmahnungen sind erforderlich?
41
Tab. 4.2 Anzahl erforderlicher Abmahnungen Gericht, Aktenzeichen
Anmerkungen
LAG Hessen, Urteil vom 07.07.1997 – 16 Sa 2328/96 Arbeitsverweigerung
1 Abmahnung ausreichend: Verweigerung der Teilnahme an Personalgespräch
LAG München, Urteil vom 13.11.2008 – 2 Sa 699/08 Arbeitsverweigerung
1 Abmahnung ausreichend: AN (Zeugin Jehovas) verweigerte aus religiösen Gründen Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Organisation von Kindergeburtstagen
BAG, Urteil vom 09.06.2011 – 2 AZR 323/10 Belästigung
1 Abmahnung ausreichend: Belästigung einer Mitarbeiterin durch einen Schlag auf das Gesäß
LAG Hamm, Urteil vom 08.11.2007 – 15 Sa 271/07 Arbeitsverweigerung
1 Abmahnung nicht ausreichend: AN verweigerte aus religiöser Überzeugung Sonntagsarbeit. Die Kündigung war unwirksam, da der AG ohne Weiteres eine Schichtplanänderung hätte vornehmen können
LAG Hamm, Urteil vom 25.09.1997 – 8 Sa 557/97 Arbeitsverweigerung
1 Abmahnung nicht ausreichend: AN verweigerte die Zusammenarbeit mit einem bestimmten Kollegen. Aufgrund der Besonderheiten des Konfliktes verneinte das Gericht eine „hartnäckige Arbeitsverweigerung“. Es hätte vor Kündigung einer weiteren Abmahnung („letzte Warnung“) bedurft
LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15.10.2008 – 1 Abmahnung nicht ausreichend: Kündigung 8 Sa 345/08 unwirksam, da AG nach Ausspruch der Minderleistung Abmahnung der AN („Low Performerin“) nicht genügend Zeit zur Verhaltensänderung gegeben hatte. LAG Köln, Urteil vom 13.03.2006 – 14 (8) Sa 4/06 Schlechtleistung
2 Abmahnungen ausreichend: Putzkraft führte Reinigungsaufgaben fortgesetzt schlecht aus
LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 02.11.2010 – 5 Sa 105/10 Alkoholbedingtes Fehlverhalten
2 Abmahnungen ausreichend: Erneutes alkoholbedingtes Fehlverhalten nach zwei Abmahnungen rechtfertigt die ausgesprochene außerordentliche Kündigung nicht, diese wurde aber in eine wirksame ordentliche Kündigung umgedeutet
LAG Köln, Urteil vom 16.08.2018 – 7 Sa 793/17 Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
2 Abmahnungen nicht ausreichend: Weigerung des AN nach Ablauf des Entgeltfortzahlungsraumes weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorzulegen nicht ausreichend, da AG nach Tarifvertrag das (vorrangige) Recht zur Anordnung einer ärztlichen Untersuchung gehabt hätte (Fortsetzung)
42
4 Abmahnung und Kündigung
Tab. 4.2 (Fortsetzung) Gericht, Aktenzeichen
Anmerkungen
LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21.01.2010 – 2 Abmahnungen nicht ausreichend: Erneutes 10 Sa 562/09 Überziehen der Pausenzeiten nach zwei Arbeitszeitverstoß Abmahnungen rechtfertigte – im Hinblick auf 30-jährige Betriebszugehörigkeit des AN – keine Kündigung [milde Einzelfallentscheidung]
Arbeitsrechtlicher Hinweis Zu viele Abmahnungen führen zur Unwirksamkeit einer späteren Kündigung!
Tab. 4.3 gibt einen Überblick über Fälle, in denen die Rechtsprechung über eine Entwertung der Warnfunktion zu entscheiden hatte. Es handelt sich stets um Einzelfälle ohne bindende Wirkung.
Tab. 4.3 Entwertung der Warnfunktion BAG, Urteil vom 16.09.2004 – 2 AZR 406/03 3 Abmahnungen
Kündigung wirksam, denn bei als leicht empfundenen Pflichtverstößen kann in aller Regel nicht bereits die 3. Abmahnung als „entwertet“ angesehen werden, auch wenn alle 3 Abmahnungen Kündigungsandrohungen enthalten. Entscheidend ist, dass alle 3 Abmahnungen deutlich zum Ausdruck bringen, AG sehe in den erwähnten Verhaltensweisen ernsthafte vertragsgefährdende Pflichtverstöße
LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 23.04.2009 – Obwohl AG die vorletzte Abmahnung als 10 Sa 52/09 „letztmalig“ bezeichnet hatte, sprach er eine weitere Abmahnung aus. Die darauf folgende 5 Abmahnungen Kündigung war unwirksam, weil der AN nicht mit einer solchen rechnen musste („leere Drohung“). LAG Brandenburg, Urteil vom 29.04.2003 – 1 Sa 645/02 7 Abmahnungen
Kündigung unwirksam, denn AN musste aufgrund der Anzahl der ausgesprochenen Abmahnungen nicht mit einer Kündigung rechnen, zumal die letzte Abmahnung auch nicht besonders eindringlich gestaltet war
BAG, Urteil vom 15.11.2001 – 2 AZR 609/00 7 Abmahnungen
Kündigung wirksam, denn AN musste trotz der Anzahl der ausgesprochenen Abmahnungen mit einer Kündigung rechnen, weil die letzte Abmahnung besonders eindringlich formuliert war („letztmalige Abmahnung“)
4.3 Wann ist der Ausspruch einer Abmahnung entbehrlich?
43
4.2.2.2 Abhilfe: Wiederherstellung der Warnfunktion Ist der Arbeitgeber in der Situation, dass durch Aussprechen einer Vielzahl von Abmahnungen in der Vergangenheit deren Warnfunktion bereits so entwertet ist, dass er angesichts eines aktuellen Pflichtverstoßes nicht mit einer wirksamen Kündigung reagieren kann, bietet sich ihm folgender Ausweg: Durch Aussprechen einer besonders eindringlich formulierten Abmahnung kann er die Warnfunktion für die Zukunft wieder herstellen.8 Diese Abmahnung muss dem Arbeitnehmer unter Bezugnahme auf die vorangegangenen „inflationären“ Abmahnungen unmissverständlich vor Augen führen, dass er – anders als bisher – im Falle eines wiederholten Verstoßes nicht mit einer weiteren Abmahnung rechnen kann, sondern unausweichlich eine Kündigung erfolgen wird (s. Musterabmahnung 21).
Arbeitsrechtlicher Hinweis Mit einer besonders eindringlich formulierten Abmahnung kann der Arbeitgeber die Warnfunktion für die Zukunft wieder herstellen. Jedoch unterwirft er sich dadurch rechtlich gesehen einer Selbstbindung: Begeht der Arbeitnehmer sodann tatsächlich einen weiteren einschlägigen Pflichtverstoß, muss der Arbeitgeber seine Kündigungsandrohung wahr machen. Andernfalls entwertet er seine Kündigungsandrohung für die Zukunft nachhaltig.
4.3 Wann ist der Ausspruch einer Abmahnung entbehrlich? Aus dem im Kündigungsrecht stets zu beachtenden Ultima-Ratio-Prinzip folgt, dass vor Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung grundsätzlich mindestens eine Abmahnung ausgesprochen worden sein muss.9 Von diesem Grundsatz werden allerdings auch Ausnahmen anerkannt: Gewisse Pflichtverstöße sind so schwer, dass dem Arbeitnehmer ohne Weiteres klar sein musste, dass diese eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses nach sich ziehen.
4.3.1 Abgrenzung zwischen Leistungs- und Vertrauensbereich Die Rechtsprechung unterschied dabei früher zwischen dem sogenannten Leistungs- und dem sogenannten Vertrauensbereich. Danach war eine Abmahnung im Vertrauensbereich (z. B. Straftaten wie Diebstahl, Betrug etc.) grundsätzlich entbehrlich, währenddessen
8BAG, 9BAG,
Urteil vom 11.12.2001 – 2 AZR 609/00. Urteil vom 11.12.2001 – 2 AZR 609/00.
44
4 Abmahnung und Kündigung
im Leistungsbereich (z. B. Unpünktlichkeit, eigenmächtige Urlaubsverlängerung etc.) eine Abmahnung regelmäßig für erforderlich gehalten wurde. Diese oftmals schwierige Abgrenzung zwischen den beiden Bereichen hat die höchstrichterliche Rechtsprechung inzwischen aufgegeben und stellt jetzt entscheidend auf den Einzelfall ab.10 Danach prüfen die Gerichte nunmehr auch bei einer Beeinträchtigung im Vertrauensbereich, ob eine Abmahnung anstatt einer Kündigung nicht ausnahmsweise gereicht hätte, um das künftige Verhalten des Arbeitnehmers positiv zu beeinflussen.11
Arbeitsrechtlicher Hinweis Als Faustregel hat jedoch weiterhin Bestand, dass eine Abmahnung im Leistungsbereich nur im Ausnahmefall entbehrlich und im Vertrauensbereich nur im Ausnahmefall erforderlich sein wird.
4.3.2 Grundsatz: Abmahnung im Vertrauensbereich entbehrlich Bei Verstößen im Vertrauensbereich kann eine Kündigung in der Regel auch ohne vorherige Abmahnung ausgesprochen werden. Denn wenn der Arbeitnehmer eine solche schwere Pflichtverletzung begangen hat und er unter keinen Umständen damit rechnen durfte, dass der Arbeitgeber das Fehlverhalten tolerieren würde, ist dem Arbeitgeber eine Abmahnung unzumutbar.12 Die Abmahnung ist aber auch dann entbehrlich, wenn der beabsichtigte Erfolg (vertragsgerechtes Verhalten) mit ihr von vornherein nicht erreicht werden kann: Dies ist der Fall, wenn ein Arbeitnehmer nicht willens ist, sich vertragsgetreu zu verhalten.13 Die beharrliche Weigerung, bestimmte Arbeitsaufgaben auszuführen, kann daher eine Abmahnung entbehrlich machen, weil der Arbeitnehmer zu erkennen gibt, dass er sein Verhalten nicht ändern werde. In diesen Fällen liefe die Warnfunktion leer. Tab. 4.4 gibt einen Überblick über Fälle, in denen die Rechtsprechung bei Verstößen im Vertrauensbereich eine (weitere) Abmahnung für entbehrlich hielt. Es handelt sich stets um Einzelfälle ohne bindende Wirkung.
10BAG,
Urteil vom 11.12.2001 – 2 AZR 609/00. Schleswig-Holstein, Urteil vom 29.09.2010 – 3 Sa 233/10. 12BAG, Urteil vom 08.06.2000 – 2 AZR 638/99. 13BAG, Urteil vom 17.02.1994 – 2 AZR 616/93. 11LAG
4.3 Wann ist der Ausspruch einer Abmahnung entbehrlich?
45
Tab. 4.4 (Weitere) Abmahnung entbehrlich Urteil
Fehlverhalten
Alkoholgenuss LAG Nürnberg, Urteil vom 17.12.2002 – 6 Sa 480/01
Busfahrer hatte Blutalkoholwert in Höhe von 0,46 Promille während der Arbeitszeit Bei einem Busfahrer, der Personen im öffentlichen Nahverkehr transportiert, ist selbst ein Blutalkoholwert „im unteren Bereich“ untolerierbar
Angekündigte, vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit BAG, Urteil vom 05.11.1992 – 2 AZR 147/92
Küchenhilfe drohte dem Arbeitgeber mit „Krankheit“, falls dieser ihr den beantragten Urlaub nicht gewährt
Arbeitsverweigerung BAG, Urteil vom 17.07.1984 – 2 AZR 290/83
AN blieb trotz mehrfacher Aufforderung zur Arbeitsaufnahme über einen längeren Zeitraum der Arbeit fern Eine solch beharrliche Arbeitsverweigerung rechtfertigt eine außerordentliche Kündigung
Arbeitszeitbetrug BAG, Urteil vom 09.06.2011 – 2 AZR 381/10
ANin gibt an mehreren Tagen hintereinander (insgesamt 7) systematisch und vorsätzlich falsche Arbeitszeiten von jeweils 13 bis 28 min an
Arbeitszeitbetrug, Hausbesuche LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 23.07.2015 – 5 Sa 68/15
Betreuerin dokumentiert zwei Hausbesuche mit ca. 2 h, die sie nicht tätigt
Außerbetriebliches Verhalten [Beleidigung] LAG Berlin, Urteil vom 03.03.2006 – 13 Sa 1906/05
AN beleidigte und bedrohte eine Kollegin auf einer privaten Feier. Da die Feier nur unter Kollegen stattfand, wies diese ausnahmsweise einen betrieblichen Bezug auf
Ausländerfeindlichkeit BAG, Urteil vom 01.07.1999 – 2 AZR 676/98
Ein Auszubildender sang vor einem türkischen Kollegen ein „Auschwitz-Lied“ Die Hinnahme eines ausländerfeindlichen und allgemein menschenverachtenden Verhaltens ist selbst im Ausbildungsverhältnis offensichtlich ausgeschlossen. Dies musste dem Auszubildenden ohne Weiteres erkennbar sein
Ausländerfeindlichlichkeit AN beleidigte türkischen Arbeitskollegen mit ArbG Stuttgart, Urteil vom 29.11.2018 – 11 Ca den Aussagen: „Jede Kostenstelle braucht ihren 3738/18 Türken“, „Du stinkst“, „Du hässlicher Türke“, „Ziegenficker“, „Du hast keine Vorhaut, heute gibt es Vorhautsuppe“. Ferner zeigte der AN dem Kollegen mehrmals den Mittelfinger Ausländerfeindlichkeit BAG, Urteil vom 01.07.1999 – 2 AZR 676/98
Azubi fertigt für Kollegen das Schild „ARBEIT MACHT FREI TUERKEI SCHOENES LAND”; Singen rechtsradikaler Lieder (Fortsetzung)
46
4 Abmahnung und Kündigung
Tab. 4.4 (Fortsetzung) Urteil
Fehlverhalten
Ausländerfeindlichkeit AN versendete verschiedene rassistische ArbG Stuttgart, Urteil vom 14.03.2019 – 11 Ca WhatsApp-Nachrichten an seinen türkischen 3737/18 Arbeitskollegen; u. A. eine Bilddatei einer Rittersport Marzipan Schokoladentafel mit der Beschriftung „Hitler“ und „Nazipan“ nebst Adolf Hitler Abbildung, sowie eine Bilddatei mit einem Schützen aus dem zweiten Weltkrieg mit einem Schnellfeuergewehr über dem Satz „Das schnellste deutsche Asylverfahren lehnt bis zu 1400 Anträge in der Minute ab!“ Belästigung BAG, Urteil vom 19.04.2012 – 2 AZR 258/11
AN sendete 120 E-Mails, MMS und SMS an eine Kollegin, um sie zu privatem Kontakt mit ihm zu bewegen. Die Nachrichten enthielten zum Teil auch Drohungen Angesichts dessen, dass die Kollegin dem AN deutlich mitgeteilt hatte, dass er sie nur noch im unbedingt notwendigen dienstlichen Rahmen kontaktieren solle, und angesichts des Umstands, dass der AG zwei Jahre zuvor wegen eines ähnlichen Falls ein Beschwerdeverfahren gegen den AN durchgeführt (allerdings keine Abmahnung ausgesprochen) hatte, konnte der AN nicht mehr darauf vertrauen, dass der AG dies tolerieren werde
AN greift einem Leiharbeitnehmer an die Belästigung, sexuelle BAG, Urteil vom 29. Juni 2017 – 2 AZR 302/16 Genitalien und kommentiert diese (sexualisierte Gewalt) Beleidigungen LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 17.05.2001 – 5 Sa 315/00
Altenpflegerin beschimpfte zwei von ihr betreute Patienten mit den Worten: „Reiß endlich Dein Maul auf, ich will die Zähne einsetzen“ und: „Nimm endlich den Arsch hoch“
Drogenkonsum BAG, Urteil vom 18.10.2000 – 2 AZR 131/00
Heimerzieher ermöglichte von ihm betreuten Jugendlichen den Konsum von Cannabis, trotz eines generellen Drogenverbots im Heim Heimerzieher sollte die Jugendlichen gegen Drogenkonsum schützen – schwerer Vertrauensbruch
Heimliche Aufnahme LAG Hessen, Urteil vom 23.08.2017 – 6 Sa 137/17
AN nimmt heimlich ein Personalgespräch zwischen ihm und seinem Vorgesetzten auf (Fortsetzung)
4.3 Wann ist der Ausspruch einer Abmahnung entbehrlich?
47
Tab. 4.4 (Fortsetzung) Urteil
Fehlverhalten
Illoyales Verhalten BAG, Urteil vom 01.06.2017 – 6 AZR 720/15
Geschäftsführerin eines Vereins informiert alle Mitglieder über persönliche Differenzen mit dem Präsidenten und instrumentalisiert Vereinsmitglieder um Rücktritt/Abwahl des Präsidenten durchzusetzen
Internet, private Nutzung BAG, Urteil vom 07.07.2005 – 2 AZR 581/04
AN rief während der Arbeitszeit in einem erheblichen Umfang pornografische Websites auf Angesichts des erheblichen zeitlichen Umfangs der privaten Nutzung während der Arbeitszeit („ausschweifende Nutzung“) konnte der AN nicht mehr darauf vertrauen, dass der Arbeitgeber dies tolerieren werde
Internet, private Nutzung LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 06.05.2014 – 1 Sa 421/13
AN lud während der Arbeitszeit 17.429 private Dateien auf seinen Arbeitsplatzrechner herunter AN hat durch den massiven Download das Betriebssystem der erheblichen Gefahr der Vireninfizierung ausgesetzt. Bei einer derart exzessiven, zeitintensiven Nutzung und dem so umfangreichen Download konnte AN nicht mehr annehmen, sein Handeln werde vom AG toleriert. Mangels ausdrücklicher Regelung der Internetnutzung war hier darauf abzustellen, ob AN damit rechnen konnte, dass sein Verhalten vom Einverständnis des AG gedeckt ist
Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25.09.2017 – 10 Sa 899/17
AN im öffentlichen Dienst liest Originalausgabe des Buches „Mein Kampf“ mit Hakenkreuz auf dem Bucheinband im Pausenraum
Loyalitätsverstoß BAG, Urteil vom 21.02.2001 – 2 AZR 139/00
AN in evangelischem Kindergarten warb in der Öffentlichkeit aktiv für eine andere Glaubensgemeinschaft, deren Lehre von den Glaubenssätzen der evangelischen Kirche erheblich abwich Die Verletzung der arbeitsvertraglich übernommenen Verpflichtung zur Loyalität gegenüber der evangelischen Kirche wog angesichts der evangelischen Ausrichtung des Kindergartens besonders schwer (Fortsetzung)
48
4 Abmahnung und Kündigung
Tab. 4.4 (Fortsetzung) Urteil
Fehlverhalten
Mobbing LAG Thüringen, Urteil vom 15.02.2001 – 5 Sa 102/2000
AN nahm gegenüber einem untergeordneten Mitarbeiter Mobbinghandlungen (Beleidigungen etc.) vor, die zu einem Suizidversuch führten Die systematische, schwerwiegende Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Mobbingopfers war so gravierend, dass mit einer Hinnahme durch den Arbeitgeber nicht gerechnet werden konnte
Schmiergelder BAG, Urteil vom 21.06.2001 – 2 AZR 30/00
Leiter einer Wirtschaftsabteilung nahm ungerechtfertigte Sonderzahlungen entgegen und manipulierte Belege, um nicht entstandene Betriebskosten abzurechnen Angesichts der besonders schwerwiegenden Verstöße war von einem völligen Vertrauensverlust des AG auszugehen
Spesenbetrug LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 09.06.2009 – 5 Sa 430/08
Abteilungsleiterin erstellte fiktive Reisekostenabrechnungen (Spesenbetrug) Die strafbare Handlung führte zu einem völligen Vertrauensverlust des AG
Tätlichkeiten BAG, Urteil vom 06.10.2005 – 2 AZR 280/04
AN ohrfeigte grundlos seine schwerbehinderte Arbeitskollegin und versuchte mehrfach, diese zu küssen Strafbare Handlungen im Betrieb, insbesondere Tätlichkeiten, sowie sexuelle Belästigung gegenüber Kollegen sind untolerierbar
Üble Nachrede LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 14.03.2019 – 17 Sa 52/18
AN verbreitete per WhatsApp gegenüber einer anderen Kollegin die unzutreffende Behauptung, ein Arbeitskollege sei wegen Vergewaltigung verurteilt worden. Der AN handelte in Unkenntnis über die Unwahrheit der Behauptung und verwirklichte somit zugleich den Tatbestand des § 186 StGB
Vollmachtsüberschreitungen LAG Köln, Urteil vom 28.03.2001 – 8 Sa 405/00
AN überschritt in einem erheblichem Umfang die ihr eingeräumten Kompetenzen und schädigte dadurch den Ruf des AG (Verwicklung des AG in polizeiliche Ermittlungen) Überschreitet ein AN in gehobener Stellung offensichtlich seine Vollmachten in Wahrnehmung eigener – gegenüber seinem AG nicht schützenswerter – Interessen und bringt er hierdurch seinen Arbeitgeber in Misskredit, so ist dies ein schwerwiegender Vertragsverstoß
4.3 Wann ist der Ausspruch einer Abmahnung entbehrlich?
49
4.3.3 Ausnahme: Abmahnung im Vertrauensbereich erforderlich Von dem Grundsatz, dass bei Verstößen im Vertrauensbereich eine Kündigung ohne vorherige Abmahnung ausgesprochen werden kann, macht die Rechtsprechung jedoch einige Ausnahmen. Folgende Umstände können dazu führen, dass bei einer Pflichtverletzung im Vertrauensbereich eine Abmahnung ausnahmsweise erforderlich wird: • besonders lange, beanstandungsfreie Beschäftigungszeit des Arbeitnehmers; • geringer Wert der entwendeten Sache/geringer Schaden; • vorgeworfene Pflichtverletzung war dem Arbeitnehmer nicht eindeutig verboten bzw. bekannt; • die Gesamtumstände der vorgeworfenen Pflichtverletzung.
4.3.3.1 Besonders lange, beanstandungsfreie Beschäftigungszeit des Arbeitnehmers Nach Ansicht des BAG erwirbt ein Arbeitnehmer durch eine langjährig beanstandungsfrei erbrachte Arbeitsleistung eine Art „Vertrauenskapital“. Je länger die Vertragsbeziehung ungestört bestanden hat, desto eher soll danach die Prognose berechtigt sein, dass der dadurch erarbeitete Vorrat an Vertrauen durch einen erstmaligen Vorfall nicht vollständig und unwiederbringlich aufgezehrt wird.14 Eine lange Beschäftigungszeit wird in der Regel bereits ab zehn Jahren anzunehmen sein. Jedenfalls wird eine Betriebszugehörigkeit von 20 Jahren als außergewöhnlich lang einzustufen und damit besonders zu berücksichtigen sein. Tab. 4.5 gibt einen Überblick über Fälle, in denen die Rechtsprechung aufgrund langer Beschäftigungszeit eine Kündigung mangels vorangegangener einschlägiger Abmahnung für unwirksam erklärt hat. Es handelt sich stets um Einzelfälle ohne bindende Wirkung.
Arbeitsrechtlicher Hinweis Die Beschäftigungszeit gilt als beanstandungsfrei, wenn sich der Arbeitnehmer im entsprechenden Zeitraum nichts Erhebliches hat zuschulden kommen lassen, ihm insbesondere keine Abmahnungen erteilt wurden. Hierbei sind gerade auch nicht einschlägige Abmahnungen zu berücksichtigen! Denn sie belegen, dass der Arbeitnehmer an anderer Stelle Anlass zur Beanstandung gegeben hat, sodass das Arbeitsverhältnis auch hinsichtlich anderer Aspekte belastet war.
14BAG,
Urteil vom 10.06.2010 – 2 AZR 541/09.
50
4 Abmahnung und Kündigung
Tab. 4.5 Abmahnung erforderlich (lange Beschäftigungszeit) Entscheidung
Beschäftigungszeit/Sachverhalt
LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 02.05.2017 – 11 Sa 2062/16
32 Jahre BZ: Zerspanungsmechaniker konsumiert trotz Alkoholverbot Alkohol in der Pause, überschreitet die Pause um 20 min und leugnet den Vorfall
LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 26.02.2016 – 30 Jahre BZ: Koordinator für Bautechnik 1 Sa 358/15 unterrichtet AG entgegen vereinbarter Compliance-Regelungen nicht über den Versuch einer Fremdfirma ihn zu einem Verstoß gegen das Schmiergeldverbot zu bewegen und weigert sich Namen von anderen Kontraktoren herauszugeben, die ähnliche Versuche unternommen haben BAG, Urteil vom 19.04.2012 – 2 AZR 186/11
15 Jahre BZ: Abteilungsleiter nutzt trotz Verbot das betriebliche Internet privat und lädt pornografisches Bildmaterial herunter
LAG Hessen, Urteil vom 14.07.2009 – 15 Sa 173/09
17 Jahre BZ: Tankstellenmitarbeiter verschenkt Ware (Kaffee).
BAG, Urteil vom 02.06.2010 – 2 AZR 541/09
30 Jahre BZ: Kassiererin unterschlägt Leergutbons („Emmely-Fall“)
LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 09.12.2010 – 25 Sa 1801/10
19 Jahre BZ: Straßenreiniger begeht beharrliche Arbeitsverweigerung
LAG Hamm, 04.11.2010 – 8 Sa 711/10
19 Jahre BZ: Kochgehilfe verzehrt zwei zum Verkauf bestimmte Frikadellen
LAG Schleswig-Holstein, 29.09.2010 – 3 Sa 233/10
19 Jahre BZ: Pfleger isst ein Stück Pizza eines Patienten
LAG Berlin-Brandenburg, 16.09.2010 – 2 Sa 509/10
40 Jahre BZ: Zug-Ansagerin legt eine falsche Rechnung für ihre Jubiläumsfeier vor
4.3.3.2 Geringer Wert der entwendeten Sache/geringer Schaden Bei Vermögensdelikten betreffend geringwertige Güter hat die Instanzrechtsprechung teilweise angenommen, dass eine vorherige Abmahnung ausnahmsweise erforderlich sei. Zwar erschüttere ein Verhalten des Arbeitnehmers, welches Eigentum und Vermögen seines Arbeitgebers vorsätzlich und rechtswidrig verletzt, dessen Vertrauen. Sei diese Verletzung jedoch gering geblieben, könne der damit verbundene Vertrauensverlust unter Umständen als reparabel anzusehen sein.15 Eine feste Wertgrenze, wann noch von einer geringwertigen Sache („Bagatellbereich“) auszugehen ist, lässt sich nicht ziehen. Jedenfalls ist ein Betrag von 50 €
15BAG,
Urteil vom 10.06.2010 – 2 AZR 541/09.
4.3 Wann ist der Ausspruch einer Abmahnung entbehrlich?
51
Tab. 4.6 Vermögensdelikte (geringwertige Güter) Gericht
Tat/Abmahnung erforderlich oder entbehrlich
ArbG Lörrach, Urteil vom 16.10.2009 – 4 Ca 248/09
Tat: Mitnahme von sechs Maultaschen Abmahnung entbehrlich, da ausdrückliches Verbot bestand
LAG Köln, Urteil vom 27.11.007 – 9 Sa 866/07 Tat: Mitnahme von zwei Kartons fehlerhafter Fliesen durch Baumarktverkäufer Abmahnung entbehrlich, da ausdrückliches Verbot bestand BAG, Urteil vom 11.12.2003 – 2 AZR 36/03
Tat: Mitnahme von 62 Miniflaschen (20 €) mit Alkoholika durch Verkäuferin Abmahnung entbehrlich, da AN in einem Warenhausbetrieb ohne besonderen Hinweis durch den AG davon ausgehen müssen, dass Diebstahl/Unterschlagung auch geringwertiger Sachen zur Kündigung führen
ArbG Hamburg, Urteil vom 27.08.1998 – 27 Ca Tat: Diebstahl einer Dose Fanta aus der 262/98 Betriebskantine Abmahnung erforderlich, da geringwertig (50 Cent) LAG Köln, Urteil vom 30.09.1999 – 5 Sa 872/99
Tat: Verwendung von 3 Briefumschlägen Abmahnung erforderlich, da geringwertig (1,5 Cent) und AN von Duldung ausgehen durfte
LAG Hessen, Urteil vom 02.03.2006 – 5/11 Sa 764/05
Tat: Mitnahme von vier abgelaufenen Bechern Joghurt Abmahnung erforderlich,, da keine klare Regelung bestand
LAG Hamm, Urteil vom 02.09.2010 – 16 Sa 260/10
Tat: Aufladen eines Elektrorollers im Betrieb (1,8 Cent) Abmahnung erforderlich, denn das Aufladen von Elektrogeräten (z. B. Mobiltelefone) durch AN wurde geduldet, sodass keine klare Regelung bestand
LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 10.02.2010 – 13 Sa 59/09
Tat: Mitnahme eines Kinderreisebetts, welches zur Entsorgung vorgesehen war (aus dem Müll), durch einen Müllmann Abmahnung erforderlich, obwohl ein ausdrückliches Verbot bestand, da kein wirtschaftliches Interesse des AG verletzt wurde (das Bett wäre als Müll vernichtet worden) (Fortsetzung)
52
4 Abmahnung und Kündigung
Tab. 4.6 (Fortsetzung) Gericht
Tat/Abmahnung erforderlich oder entbehrlich
BAG, Urteil vom 10.06.2010 – 2 AZR 541/09
Tat: Einlösen von Leergutbons im Wert von 0,48 und 0,82 € („Emmely-Fall“) Abmahnung erforderlich, wegen Einmaligkeit der Pflichtverletzung und beanstandungsfreier Betriebszugehörigkeit seit über 30 Jahren
nicht mehr geringwertig16. In der Praxis wird man die Grenze unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalles wohl im Bereich zwischen 5 und 10 € ziehen müssen. Die Geringwertigkeit der entwendeten Sache entscheidet jedoch niemals alleine über die Entbehrlichkeit der Abmahnung! Sie ist jeweils im Zusammenhang mit weiteren Faktoren – Dauer der beanstandungsfreien Beschäftigungszeit, Bestehen klarer betrieblicher Verbotsregelungen – zu werten. Setzt sich der Arbeitnehmer bewusst über ein ausdrückliches Verbot hinweg, so ist der mit einem Diebstahl einhergehende Vertrauensverlust des Arbeitgebers trotz Geringwertigkeit so schwerwiegend, dass eine Abmahnung entbehrlich sein kann.17 Tab. 4.6 gibt einen Überblick über Fälle, in denen die Rechtsprechung über Vermögensdelikte betreffend geringwertige Güter entschieden hat. Es handelt sich stets um Einzelfälle ohne bindende Wirkung.
4.3.3.3 Vorgeworfene Pflichtverletzung war dem Arbeitnehmer nicht eindeutig verboten bzw. bekannt Von entscheidender Bedeutung ist insbesondere, ob im Betrieb eine ausdrückliche Regelung hinsichtlich der Zulässigkeit einer Verwendung bzw. eines Verzehrs der geringwertigen Güter besteht. Solche Verbote können in Arbeitsverträgen, in einem Aushang am Schwarzen Brett, in Betriebsvereinbarungen oder Tarifverträgen etc. aufgenommen werden. Fehlt ein derartiges ausdrückliches Verbot, kann der Arbeitnehmer sich ggf. darauf berufen, dass er von einer Duldung durch den Arbeitgeber ausgehen durfte.18 Bei bewusster Verletzung eines ausdrücklichen Verbotes wird der dadurch verursachte Vertrauensverlust des Arbeitgebers in der Regel als so schwerwiegend anzusehen sein, dass eine Abmahnung entbehrlich wird.19
16LAG
Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16.09.2010 – 25 Sa 1080/10. Lörrach, Urteil vom 16.10.2009 – 4 Ca 248/09. 18ArbG Lörrach, Urteil vom 16.10.2009 – 4 Ca 248/09. 19ArbG Lörrach, Urteil vom 16.10.2009 – 4 Ca 248/09. 17ArbG
4.3 Wann ist der Ausspruch einer Abmahnung entbehrlich?
53
Tab. 4.7 Interessenabwägung Gericht
Sachverhalt
LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 02.05.2017 – 11 Sa 2062/16
Kündigung eines Zerspanungsmechanikers, der in der Pause trotz Alkoholverbot Alkohol konsumiert, die Pause um 20 min überschreitet und später den Vorfall leugnet Umstände: beanstandungsfreie Beschäftigungszeit von 32 Jahren; einmaliger Vorfall
LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 29.06.2017 – 5 Sa 5/17
Kündigung eines Dienststellenleiters, der trotz Verbot der Privatnutzung von Dienstfahrzeugen einen Bundesfreiwilligendienstleistenden anwies ein Sakko abzuholen und einen Auszubildenden anwies ihn am Wohnort abzuholen und nach dem Dienst wieder zurückzubringen Umstände: nur kurzer Stopp ohne nennenswertem Umweg auf dem Rückweg einer Dienstfahrt; Abholen und Zurückbringen lassen initiiert um zum Dienst zu kommen, d. h. mit dienstlichem Bezug
LAG Köln, Urteil vom 24.03.2017 – 4 Sa 876/16
Kündigung eines Lagerarbeiters wegen Missachtung der Anweisung, sämtliche Waren erst bei Verladung in den jeweiligen Lastwagen zu scannen, die dazu führte, dass mehrere Container fehlten und der Lkw teilweise wieder ausgeladen werden musste Umstände: zwar vier vorangegangene Abmahnungen wegen Verletzungen arbeitsvertraglicher Pflichten, aber davor beanstandungsfreie Beschäftigungszeit von 16 Jahren; Unterhaltspflicht des AN für fünf Kinder; lediglich „Arbeitsfehler“, der jedem AN einmal unterlaufen kann
LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 26.02.2016 – Kündigung eines Koordinators für Bautechnik, 1 Sa 358/15 der entgegen vereinbarter ComplianceRegelungen seinen AG nicht von Bestechungsversuchen hinsichtlich Auftragsvergaben unterrichtete und sich weigerte Namen von Kontraktoren zu nennen, die in der Vergangenheit ähnliche Versuche unternommen haben Umstände: keine Annahme des Bestechungsangebotes; 30 Jahre beanstandungsfreie Beschäftigungszeit (Fortsetzung)
54
4 Abmahnung und Kündigung
Tab. 4.7 (Fortsetzung) Gericht
Sachverhalt
Hessisches LAG, Urteil vom 17.10.2017 – 8 Sa Fristlose Kündigung eines Zweigstellen1444/16 leiters wegen Verstößen gegen Aufsichts- und Kontrollpflichten bzgl. Lastschriften bei nicht gedeckten Konten und bzgl. Kreditengagements, sowie wegen Kompetenzüberschreitung Umstände: keine Absicht sich oder Dritte zulasten des AG zu bereichern; keine positive Kenntnis bzgl. mangelnder Deckung; mangelndes Kontrollsystem lag schon vor Übernahme der Leitung vor; keine Bestimmbarkeit der Schlechtleistungen im Verhältnis zur gesamten Arbeitsaufgabe ArbG Düsseldorf, Urteil vom 13.01.2017 – 14 Ca 3558/16
Kündigung eines Abteilungsleiters Finanz- und Rechnungswesen wegen Nichteinhaltung von Stichtagen für geforderte Bilanzen, wegen Nichteinstellung trotz Personalmangels, wegen mangelnder Anweisungen der Mitarbeiter der Finanzbuchhaltung und wegen mangelnder Überprüfung und Steuerung der Liquidität von Tochtergesellschaften Umstände: keine verschuldete Schlechtleistung, da nicht erkennbar ob dem AN bessere Leistung möglich war; Pflichtverletzung in Form von Schlechtleistung ergibt sich aus dem ggf. fiktiven horizontalen Vergleich zu anderen Mitarbeitern und nicht allein aus der Abmahnung
LAG Hessen, Urteil vom 14.07.2009 – 15 Sa 173/09
Kündigung eines Tankstellenmitarbeiters, der einmalig kostenlos Kaffee an Polizisten ausgeschenkt hatte Umstände: beanstandungsfreie Beschäftigungszeit von 17 Jahren, hohes Lebensalter, „Höflichkeitshandlung“ (Besucher, die aus dienstlichem Anlass kommen, zu bewirten) (Fortsetzung)
4.3 Wann ist der Ausspruch einer Abmahnung entbehrlich?
55
Tab. 4.7 (Fortsetzung) Gericht
Sachverhalt
LAG Thüringen, Urteil vom 10.03.2010 – 4 Sa 432/09
Kündigung eines AN, der entgegen einer ihm vom AG vorgegebenen Abrechnungstabelle gegenüber Kunden geringere Entgelte berechnete, weil er sich im Dienst des Kunden für berechtigt hielt, möglichst kostengünstige Lösungen zu finden Umstände: AN konnte aus vertretbaren Gründen annehmen, von der vom AG vorgegebenen Abrechnungstabelle abweichende, kostengünstigere Vereinbarungen mit Kunden treffen zu dürfen
BAG, Urteil vom 10.06.2010 – 2 AZR 541/09
Kündigung einer Kassiererin, die zwei Pfandbons im Wert von 1,30 € unterschlagen hatte („Emmely-Fall“) Umstände: beanstandungsfreie Beschäftigungszeit von 30 Jahren, einmalige Pflichtverletzung, keine „Heimlichkeitstat“
LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 30.03.2006 – Kündigung eines Tiefbaufacharbeiters wegen 11 Sa 892/05 dreimaligen ganztägigen unentschuldigten Fernbleibens vom Arbeitsplatz Umstände: beanstandungsfreie Beschäftigungszeit von 15 Jahren, Lebensalter 48 Jahre, verheiratet und Unterhaltspflicht gegenüber zwei minderjährigen Kindern, vor kurzem Wegfall der Mitfahrgelegenheit zur Arbeit LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.11.2005– 9 Sa 485/05
Kündigung eines AN, der seiner Meinung nach nicht mehr verkaufsfähiges Eigentum des AG (zwei beschädigte Hochruckreiniger, ein beschädigter Fahrradträger) entsorgen wollte Umstände: AN war als Abteilungsleiter befugt zu entscheiden, welche Ware als nicht mehr verkaufsfähig zu entsorgen ist; keine „Heimlichkeitstat“; Verletzung des Eigentums fand nicht statt
BAG, Urteil vom 23.06.2009– 2 AZR 103/08
Kündigung einer AN, die mit einer ihr als Sachbezug zugewendeten Geldgutschrift Einkauf tätigt, um auf dem Weg des sofortigen Umtauschs Bargeld zu erhalten Umstände: keine eindeutige Negativprognose; AN musste nicht zwingend damit rechnen, ihr Fehlverhalten werde von AG als so schwerwiegend angesehen; AG hätte durch geeignete Vorkehrungen vergleichbare Pflichtverletzungen ausschließen können (Fortsetzung)
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4 Abmahnung und Kündigung
Tab. 4.7 (Fortsetzung) Gericht
Sachverhalt
BAG, Urteil vom 19.04.2012 – 2 AZR 186/11
Kündigung eines Abteilungsleiters, der trotz Verbot das betriebliche Internet in hohem Umfang privat genutzt und pornografisches Bildmaterial heruntergeladen hat Umstände: beanstandungsfreie Beschäftigungszeit von 15 Jahren, dem AG ist kein konkreter Schaden entstanden, bei Abmahnung hätte keine Wiederholungsgefahr bestanden
BAG, Urteil vom 25.10.2012 – 2 AZR 495/11
Kündigung eines Chefarztes, der während laufender Operationen im Operationssaal privat telefonierte Umstände: Das dienstliche Telefonieren im Operationssaal war erlaubt, das private nicht ausdrücklich verboten. Die privaten Telefonate dauerten maximal zwei Minuten
4.3.3.4 Die Gesamtumstände der vorgeworfenen Pflichtverletzung Die Gesamtumstände der vorgeworfenen Pflichtverletzung können dazu führen, dass, obwohl „an sich“ ein Kündigungsgrund vorliegt, der Arbeitgeber dazu verpflichtet ist, als milderes Mittel eine Abmahnung auszusprechen. Die Rechtsprechung nimmt hierfür eine umfassende Interessenabwägung im Einzelfall vor. Die Interessenabwägung muss alle wesentlichen Umstände berücksichtigen, die für und gegen eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf seinem bisherigen Arbeitsplatz sprechen. Entscheidend ist demnach: • • • • • • •
das Motiv, die Wiederholungsgefahr, die Chancen des Arbeitnehmers auf dem Arbeitsmarkt, die beanstandungsfreie Beschäftigungszeit, der Wert der entwendeten Sache bzw. der wirtschaftliche Schaden, bestehende Unterhaltspflichten, der soziale Besitzstand (z. B. Ansprüche auf betriebliche Altersvorsorge).
Ein Arbeitgeber hat demnach besonders zu prüfen, ob die Gesamtumstände der Tat im Rahmen der Interessenabwägung ihn im Einzelfall nicht doch ausnahmsweise dazu verpflichten, dem Arbeitnehmer eine zweite Chance in Form einer Abmahnung zu gewähren, anstatt eine Kündigung auszusprechen.
4.4 Sonderfall: Die sog. „betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung“
57
Tab. 4.7 gibt einen Überblick über Fälle, in denen die Rechtsprechung im Rahmen der Interessenabwägung zur Unwirksamkeit einer ohne vorherige Abmahnung ausgesprochenen Kündigung kam. Es handelt sich stets um Einzelfälle ohne bindende Wirkung.
4.4 Sonderfall: Die sog. „betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung“ In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob eine sog. „betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung“ zulässig ist. Teile der Literatur gehen davon aus, dass ein Arbeitgeber gegenüber einem Betriebsratsmitglied (oder dem gesamten Gremium) eine betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung aussprechen darf und ggf. vorrangig muss, wenn er diesem die Verletzung von Pflichten nach dem BetrVG vorwirft. Die Androhung individualarbeitsrechtlicher Konsequenzen durch eine „normale“ Abmahnung wäre in diesem Fall unzulässig, da die Pflichtverletzung des Arbeitnehmers nicht seinen individualarbeitsvertraglichen Pflichtenkreis betrifft, sondern seinen betriebsverfassungsrechtlichen Pflichtenkreis. Die betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung soll dann gegenüber dem Ausschluss eines einzelnen Mitglieds aus dem Betriebsrat (bzw. der Auflösung des gesamten Betriebsrats nach § 23 Absatz 1 BetrVG) die mildere Maßnahme sein.20 Gegen eine Abmahnung wird angeführt, dass diese eine Behinderung der Betriebsratsarbeit im Sinne des § 78 S. 1 BetrVG darstelle.21 Nach dieser Auffassung wäre der Ausspruch einer sog. „betriebsverfassungsrechtlichen Abmahnung“ daher unzulässig. Die Streitfrage, ob eine sog. betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung erforderlich oder vielmehr unzulässig ist, muss aktuell als offen eingestuft werden. Arbeitgeber befinden sich insofern bei angenommenen Verstößen des Betriebsrates in einem Dilemma. Klar ist nur: Spricht Arbeitgeber eine derartige Abmahnung aus, so ist diese jedenfalls nicht in die individuelle Personalakte des Betriebsratsmitglieds aufzunehmen.22
20ArbG Berlin, Beschluss vom 10.01.2007 – 76 BV 16593/06; ArbG Hildesheim, Beschluss vom 01.03.1996 – 1 BV 10/95; Schleusener, NZA 2001, 640; Kania, NZA 1996, 374. 21BAG, Urteil vom 26.01.1994 – 7 AZR 640/92; Richardi/Thüsing, BetrVG, § 23, Rn. 1; Moll/Eisenbeis, Münchener Anwaltshandbuch Arbeitsrecht, § 18, Rn. 62; Fischer, NZA 1996, 633. 22ArbG Stuttgart, Beschluss vom 30.04.2019 – 4 BV 251/18.
5
Sonderfall: Korrekturvereinbarung
Wie bereits unter Abschn. 2.1 ausgeführt, gilt es gut abzuwägen, ob eine Abmahnung zielführend ist oder am Ende mehr Schaden als Nutzen anrichtet. Nicht selten entwickeln Arbeitnehmer nach Erhalt einer Abmahnung eine Abwehrhaltung gegenüber dem Arbeitgeber und gehen zum „Dienst nach Vorschrift“ über, weil sie die Abmahnung als Vertrauensbruch oder Angriff empfinden. Vor diesem Hintergrund kann als Alternative zu einer klassischen einseitigen Abmahnung mit dem betreffenden Arbeitnehmer eine verbindliche gemeinsame Absprache in Form einer sogenannten Korrekturvereinbarung sinnvoll sein.1
5.1 Was ist eine Korrekturvereinbarung? Eine Korrekturvereinbarung ist eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, welche die Anpassung des Verhaltens des Arbeitnehmers zum Inhalt hat. Sie wird in Form eines Vertrages, an welchem beide Parteien mitwirken, geschlossen. Arbeitgeber und Arbeitnehmer • dokumentieren einen gewissen Sachverhalt, aus dem sich die Pflichtverletzung des Arbeitnehmers ergibt; • halten fest, dass in diesem Sachverhalt eine Pflichtverletzung des Arbeitnehmers liegt;
1Erstmalig
ausdrücklich erwähnt und empfohlen wurde die Korrekturvereinbarung, soweit ersichtlich, in dem Aufsatz von Wetzling/Habel, AuA 2011, S. 654 ff., und sodann durch HoffmannRemy in seinem Buch „Die Korrekturvereinbarung“ aufgegriffen. In der Praxis hat dieses arbeitsrechtliche Instrument jedoch kaum Verbreitung gefunden.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 P. Croset und M. Dobler, Die rechtssichere Abmahnung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30999-2_5
59
60
5 Sonderfall: Korrekturvereinbarung
• legen gemeinsam das in Zukunft zu erreichende vertragsgemäße Alternativverhalten fest; • vereinbaren ggf. konkrete Maßnahmen zur Umsetzung und Erreichung dieses Ziels • und vereinbaren konkrete Konsequenzen bis hin zu Sanktionen, für den Fall, dass der Arbeitnehmer die vereinbarten Ziele nicht erreicht.
5.2 Gegenüberstellung Korrekturvereinbarung – Abmahnung Die inhaltlichen Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen einer Korrekturvereinbarung und einer Abmahnung lassen sich am anschaulichsten durch eine synoptische Gegenüberstellung darstellen (s. Tab. 5.1 Synopse). Das Muster einer Korrekturvereinbarung findet sich zudem in Kap. 8, Ziffer 30.
5.3 Vorteile einer Korrekturvereinbarung Eine Korrekturvereinbarung kann erhebliche arbeitspsychologische Vorteile mit sich bringen: • Der unter Umständen als demotivierend und strafend empfundene Charakter einer Abmahnung wird vermieden. • Im Vordergrund steht nicht die Distanzierung vom angeblichen Versagen des Arbeitnehmers, sondern die gemeinsame Feststellung einer Abweichung. In den Fokus rückt die gemeinsame Überzeugung, dass die zuletzt gezeigten Verhaltensweisen nicht akzeptiert werden können und eine Besserung des Verhaltens oder der Arbeitsleistung erforderlich ist. • Der Arbeitnehmer fühlt sich nicht mehr als „Opfer“ einer Abmahnung, sondern wird zum Akteur der Veränderung. • In der Praxis kann regelmäßig eine positive Auswirkung auf das Betriebsklima im Arbeitsumfeld des Arbeitnehmers festgestellt werden. • Der Arbeitnehmer fühlt sich stärker an seine „Zusage“ gebunden. Dies führt zu einem größeren Änderungserfolg. Eine Korrekturvereinbarung kann auch in arbeitsrechtlicher Hinsicht vorteilhafter sein als eine Abmahnung. • Beweisbarkeit: Die Korrekturvereinbarung ermöglicht es dem Arbeitgeber, das Fehlverhalten des Arbeitnehmers zu beweisen. Dies stellt in einem etwaigen Kündigungsschutzprozess einen erheblichen Vorteil dar (s. hierzu Abschn. 5.4.1). • Maßnahmen: Es können konkrete Maßnahmen zur Erreichung des Soll-Zustandes festgelegt werden, z. B. Lohnkürzung (s. hierzu Abschn. 5.4.4).
Zur erfolgreichen Fortsetzung ihres Arbeitsverhältnisses schließen die Parteien die folgende Korrekturvereinbarung: Die Parteien stellen fest, dass sich folgender Sachverhalt ereignet hat. Am 01.06.2011 fand von 10:00 bis 10:30 Uhr das Teammeeting der Abteilung des Arbeitnehmers in Konferenzraum 223, Rosenstraße 17, 13425 Berlin, statt. Der Kollege des Arbeitnehmers, Herr Bernd Tiffert, präsentierte dabei seine Vorschläge zur „Kampagne Wind“. Im Anschluss an seine Präsentation äußerte der Arbeitnehmer – für alle anwesenden Kollegen gut hörbar – wörtlich: „Das war die absolut beschissenste Präsentation, die ich je gesehen habe.“ Auf Herrn Tifferts Bitte um Begründung dieser Einschätzung antwortete der Arbeitnehmer: „Weil Sie der unfähigste und dämlichste Mensch in diesem Team sind.“ Die Parteien sind sich einig, dass der Arbeitnehmer durch diese Aussagen Herrn Tiffert in seiner Ehre verletzt und vor dem gesamten Team bloßgestellt hat. Sie sind sich ferner einig, dass im Unternehmen ehrverletzendes oder bloßstellendes Verhalten nicht geduldet wird.
Dokumentation/Eingeständnis des Sachverhalts
Eingeständnis der Pflichtverletzung
Korrekturvereinbarung
Einleitung
Tab. 5.1 Synopse
Hinweisfunktion: Vorwurf der Pflichtverletzung Durch diese Aussagen haben Sie Herrn Tiffert in seiner Ehre verletzt und vor dem gesamten Team bloßgestellt. Wir sind nicht bereit, in unserem Unternehmen ehrverletzendes oder bloßstellendes Verhalten zu dulden.
(Fortsetzung)
Dokumentationsfunktion
Am 01.06.2011 fand von 10:00 bis 10:30 Uhr das Teammeeting Ihrer Abteilung in Konferenzraum 223, Rosenstraße 17, 13425 Berlin, statt. Ihr Kollege, Herr Bernd Tiffert, präsentierte dabei seine Vorschläge zur „Kampagne Wind“. Im Anschluss an seine Präsentation äußerten Sie – für alle anwesenden Kollegen gut hörbar – wörtlich: „Das war die absolut beschissenste Präsentation, die ich je gesehen habe.“ Auf Herrn Tifferts Bitte um Begründung dieser Einschätzung antworteten Sie: „Weil Sie der unfähigste und dämlichste Mensch in diesem Team sind.“
Einleitung Sehr geehrter Herr …, leider sehen wir uns gezwungen, Ihnen aus den folgenden Gründen eine Abmahnung zu erteilen:
Abmahnung
5.3 Vorteile einer Korrekturvereinbarung 61
Die Parteien vereinbaren, dass der Arbeitnehmer in Zukunft derartiges Verhalten unterlässt und stattdessen kollegial und respektvoll mit Vorgesetzten, Kollegen und Kunden umgehen wird. Für das gemeinsame Ziel der weiteren, erfolgreichen Zusammenarbeit ist ein kollegiales und respektvolles Verhalten des Arbeitnehmers unerlässlich. Daher vereinbaren die Parteien folgende Maßnahmen: – Der Arbeitnehmer wird im Monat Januar 2015 die „Kampagne Natur“ zusammen mit Herrn Tiffert betreuen – Der Arbeitnehmer wird sich unverzüglich förmlich vor dem gesamten Team bei Herrn Tiffert entschuldigen Diese Korrekturvereinbarung stellt eine Chance für den Arbeitnehmer dar, sich zu bewähren und verloren gegangenes Vertrauen wiederherzustellen. Verstößt der Arbeitnehmer allerdings gegen diese Korrekturvereinbarung, so ist der Bestand seines Arbeitsverhältnisses gefährdet. Er muss mit einer Kündigung seines Arbeitsverhältnisses rechnen. Unterschrift Arbeitgeber Unterschrift Arbeitnehmer
Maßnahmen
Konsequenzen/Sanktionen
Unterschrift
Korrekturvereinbarung
Versprechen „WIRD“
Tab. 5.1 (Fortsetzung)
Unterschrift Arbeitgeber
Sollten Sie in Zukunft erneut einen Vorgesetzten, Kollegen oder Kunden in seiner Ehre verletzen oder bloßstellen, müssen Sie mit einer Kündigung Ihres Arbeitsverhältnisses rechnen.
Unterschrift
Warnfunktion
Hinweisfunktion Wir fordern Sie auf, in Zukunft der„SOLL“ artiges Verhalten zu unterlassen und stattdessen kollegial und respektvoll mit Vorgesetzten, Kollegen und Kunden umzugehen.
Abmahnung
62 5 Sonderfall: Korrekturvereinbarung
5.4 Inhalt einer Korrekturvereinbarung
63
• Inhaltliche Konsequenz: Zudem kann in einer Korrekturvereinbarung für den Fall eines erneuten Pflichtverstoßes eine konkrete inhaltliche Konsequenz vereinbart werden, z. B. der Fortfall der Zeichnungsbefugnis oder des Dienstwagens (s. hierzu Abschn. 5.4.5).
5.4 Inhalt einer Korrekturvereinbarung In einer Korrekturvereinbarung sollten sich die drei Funktionen der Abmahnung (Dokumentations-, Hinweis- und Warnfunktion) widerspiegeln.2
5.4.1 Dokumentation des Sachverhaltes Zunächst muss auch in einer Korrekturvereinbarung das beanstandete Verhalten genau bezeichnet werden. Es gelten insoweit dieselben Grundsätze wie bei der Dokumentationsfunktion einer Abmahnung (s. Abschn. 3.2.1). Der Unterschied zur Abmahnung liegt hierbei darin, dass der Arbeitgeber nicht einseitig ein bestimmtes Verhalten des Arbeitnehmers als gegeben voraussetzt, sondern dass die Parteien gemeinsam feststellen, welches konkrete (Fehl-)Verhalten der Arbeitnehmer an den Tag gelegt hat. Daher sollte die Dokumentation des Sachverhaltes in einer Korrekturvereinbarung eingeleitet werden mit der Formulierung: Beispiel
Die Parteien stellen fest, dass sich folgender Sachverhalt ereignet hat:.. ◄ Der Vorteil einer Korrekturvereinbarung gegenüber einer Abmahnung liegt in Bezug auf die Dokumentation des Sachverhaltes insbesondere darin, dass der Arbeitnehmer später nicht erfolgreich leugnen kann, dass sich der dokumentierte Sachverhalt ereignet hat. Denn da er die Korrekturvereinbarung mitgestaltet und anschließend unterschrieben hat, kann er den dokumentierten Sachverhalt nicht mehr glaubhaft abstreiten. Kommt es also im Falle eines erneuten Fehlverhaltens zum Ausspruch einer Kündigung und infolgedessen zu einem Kündigungsschutzprozess, kann der Arbeitgeber das Fehlverhalten des Arbeitnehmers anhand der Korrekturvereinbarung beweisen.3
2Unsere
praktischen Vorschläge und Muster bauen zum Teil auf den Ansätzen und Anregungen von Wetzling/Habel, AuA 2011, S. 654 ff., und Hoffmann-Remy („Die Korrekturvereinbarung“) auf. 3Fuhlrott, von/Mückl-Figura/Tietje, S. 495.
64
5 Sonderfall: Korrekturvereinbarung
Arbeitsrechtlicher Hinweis Gerade bei einer unsicheren Beweislage, die in eine „wacklige“ Abmahnung münden würde, erweist sich die Korrekturvereinbarung als sichere Alternative.
5.4.2 Eingeständnis der Pflichtverletzung Nach der Dokumentation des Sachverhaltes sollte in der Korrekturvereinbarung festgehalten werden, dass sich beide Parteien darüber einig sind, dass in dem geschilderten Sachverhalt eine Pflichtverletzung des Arbeitnehmers liegt. Dieser Teil der Korrekturvereinbarung entspricht dem ersten Teil der Hinweisfunktion einer Abmahnung, welcher den Vorwurf der Pflichtverletzung beinhaltet (s. Abschn. 3.2.2). Da es sich bei einer Korrekturvereinbarung indes nicht um einen einseitigen Vorwurf seitens des Arbeitgebers handelt, sondern sich die Parteien über die Pflichtverletzung einigen, empfiehlt sich folgende Formulierung: Beispiel
Die Parteien sind sich einig, dass der Arbeitnehmer durch dieses Verhalten seine Pflicht […] verletzt hat. ◄ Hier liegt der Vorteil einer Korrekturvereinbarung gegenüber einer Abmahnung darin, dass der Arbeitnehmer später nicht mehr erfolgreich einwenden kann, sein Handeln sei nicht als Verstoß zu werten gewesen.4 Er kann sich also z. B. im Fall einer Ehrverletzung nicht darauf berufen, dass alles „nur Spaß“ gewesen sei. Optional kann in diesem Teil der Korrekturvereinbarung eine Erklärung des Arbeitnehmers aufgenommen werden, aus welcher sich der Grund für sein Verhalten ergibt, zum Beispiel: Beispiel
Der Arbeitnehmer erklärt sein Verhalten damit, dass er an diesem Tag mit familiären Problemen belastet und daher derart gereizt war, dass er sich zu der oben beschriebenen Wortwahl hinreißen ließ. Gleichwohl kommen die Parteien überein, dass dieser Umstand das Verhalten des Arbeitnehmers nicht entschuldigt. ◄
4Fuhlrott,
von/Mückl-Figura/Tietje, S. 495.
5.4 Inhalt einer Korrekturvereinbarung
65
Arbeitspsychologischer Hinweis Es ist durchaus sinnvoll, die Motivation des Arbeitnehmers bzw. die Ursache, warum er dieses abweichende Verhalten an den Tag gelegt hat, in die Korrekturvereinbarung aufzunehmen. Dies kann ebenfalls dazu führen, dass sich der Arbeitnehmer verstanden fühlt und sich im Anschluss weniger als Opfer sieht, sondern eher als das, was er in Wahrheit ist: nämlich Partner. Wichtig hierbei ist, dass die Parteien an dieser Stelle in die Korrekturvereinbarung mit aufnehmen, dass dieser Grund keine Entschuldigung für das Verhalten des Arbeitnehmers darstellt und die Pflichtverletzung nicht entfallen lässt (s. Formulierung in dem obigen Beispiel).
5.4.3 Versprechen für die Zukunft Sodann gilt es, den in Zukunft zu erreichenden Soll-Zustand festzulegen. Dieser Aspekt ist vergleichbar mit dem zweiten Teil der Hinweisfunktion in einer Abmahnung (s. Abschn. 3.2.2). Auch aus einer Korrekturvereinbarung muss sich für den Arbeitnehmer ergeben, welches Verhalten von ihm in Zukunft erwartet wird. Der Unterschied zwischen Korrekturvereinbarung und Abmahnung liegt insoweit darin, dass der Arbeitnehmer nicht einseitig aufgefordert wird, sein Verhalten zu ändern, sondern dass die Parteien ein gewisses zukünftiges Verhalten des Arbeitnehmers gemeinsam vereinbaren. Zum Beispiel: Beispiel
Die Parteien vereinbaren, dass der Arbeitnehmer in Zukunft das Rauchen im Lager unterlässt. ◄
Arbeitspsychologischer Hinweis Das schriftliche Festhalten einer Vereinbarung führt nahezu zwangsläufig dazu, dass sich der Arbeitnehmer deutlich stärker an seine „Zusage“ gebunden fühlt. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit erheblich, dass der Arbeitnehmer sein Verhalten künftig ändern wird.
5.4.4 Vereinbarung konkreter Maßnahmen Das Besondere an einer Korrekturvereinbarung im Gegensatz zu einer Abmahnung stellt die Möglichkeit dar, mit dem Arbeitnehmer gemeinsam konkrete Maßnahmen zur Umsetzung und Erreichung des zuvor beschriebenen Soll-Zustandes festzulegen.
66
5 Sonderfall: Korrekturvereinbarung
Tab. 5.2 Konkrete Maßnahmen (Beispiele) Der Arbeitnehmer… Schulung/Fortbildung
… wird an einer Schulung zum Thema „Gerätesicherheit“ teilnehmen
Berichtspflichten
… wird wöchentlich montags bis 12:00 Uhr an Herrn X eine schriftliche Mitteilung über den Fortgang des Projektes P1 machen
Verhaltenspflichten
… wird in Zukunft Tabak und Feuerzeug im Spind lassen und diese Gegenstände nicht ins Lager mitnehmen (praxiserprobtes Beispiel bei Rauchen in Verbotszonen!)
Lohnkürzung
… stimmt einer Absenkung seiner monatlichen Vergütung in Höhe von 200 € für die Monate Juli 2014 bis Dezember 2014 zu
Hier besteht arbeitgeberseits großer Spielraum. So kann z. B. im Falle eines Low Performers eine Entgeltreduzierung für einen gewissen Zeitraum vereinbart werden, bis das gewünschte Leistungsniveau wieder erreicht wird5. Konkrete Maßnahmen sind beispielhaft in Tab. 5.2 aufgelistet.
Arbeitsrechtlicher Hinweis Hier entfaltet die Korrekturvereinbarung ihren Vorteil gegenüber der Abmahnung! Da sie einvernehmlich geschlossen wird, kann der Arbeitgeber Maßnahmen wirksam vereinbaren, die ansonsten einseitig nicht wirksam umsetzbar gewesen wären. Insbesondere wäre eine einseitig vorgenommene Lohnkürzung unwirksam. Stimmt der Arbeitnehmer einer Lohnkürzung indes im Rahmen einer Korrekturvereinbarung zu, so kann die Lohnkürzung wirksam umgesetzt werden.
Ebenso zu beachten ist allerdings, dass es in manchen Fällen faktisch nicht möglich ist, Maßnahmen festzulegen, z. B. wenn das Fehlverhalten des Arbeitnehmers im Z u-spätzur-Arbeit-Erscheinen liegt. Hier würden Maßnahmen zu sehr in das Privatleben des Arbeitnehmers eingreifen („Wecker kaufen“). Dann können in die Korrekturvereinbarung ggf. keine Maßnahmen zur Umsetzung und Erreichung des Soll-Zustandes aufgenommen werden.
5.4.5 Konsequenzen/Sanktionen Wie in einer Abmahnung sollten auch in einer Korrekturvereinbarung die Konsequenzen bzw. Sanktionen für den Fall, dass der Arbeitnehmer die vereinbarten Ziele nicht erreicht bzw. gegen die Korrekturvereinbarung verstößt, festgelegt werden.
5s.
hierzu auch Hoffmann-Remy, Die Korrekturvereinbarung, S. 163.
5.4 Inhalt einer Korrekturvereinbarung
67
Es gelten insoweit dieselben Grundsätze wie bei der Warnfunktion einer Abmahnung (s. Abschn. 3.2.3), nur dass die Konsequenzen bzw. Sanktionen nicht einseitig angedroht, sondern gemeinsam vereinbart werden. Analog zu einer klassischen Abmahnung (vgl. dazu Abschn. 3.2.3.4) können der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer in der Korrekturvereinbarung festhalten, dass der Arbeitnehmer im Wiederholungsfall mit einer Kündigung seines Arbeitsverhältnisses rechnen muss. Zudem können sie für den Wiederholungsfall eine konkrete inhaltliche Konsequenz (z. B. Fortfall der Zeichnungsbefugnis oder des Dienstwagens) vereinbaren.
5.4.5.1 Inhaltliche Konsequenz Als Sanktion im Wiederholungsfall können die Parteien eine konkrete inhaltliche Konsequenz vereinbaren, z. B.: • • • •
Fortfall der Zeichnungsbefugnis, Entzug des Dienstwagens, Versetzung in die Abteilung X, Installation einer Internetsperre auf dem Dienstcomputer.
Die Vereinbarung einer inhaltlichen Konsequenz ist oftmals wirkungsvoller als eine Kündigungsandrohung. Insbesondere die Entziehung der Zeichnungsbefugnis oder die Entziehung des Dienstwagens können eine erhebliche Schwächung des sozialen Ansehens im Kollegenkreis oder bei Kunden bedeuten, was erheblich stärker wirkt als eine Kündigungsandrohung. Allerdings müssen die zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber festgelegten inhaltlichen Konsequenzen den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Billigkeit entsprechen. Lässt sich der Arbeitgeber unverhältnismäßige Vertragsstrafen oder überzogene Sanktionen versprechen, so würde deren Durchsetzung vor dem Arbeitsgericht aller Voraussicht nach keinen Erfolg haben. Die Grenzen der Verhältnismäßigkeit richten sich nach den Umständen des Einzelfalls. Die Sanktionen müssen einen inhaltlichen Bezug zum Fehlverhalten aufweisen und dürfen nicht offensichtlich überzogen sein. Beispiel 1
Mit dem Arbeitnehmer ist vereinbart worden, dass er seinen Dienstwagen alle zwei Wochen von außen und innen reinigt. Er hat dies indes nicht getan. Für den Fall eines weiteren Verstoßes wurde der Entzug des Dienstwagens vereinbart. Dementsprechend darf der Arbeitgeber bei einem erneuten Verstoß den Dienstwagen zurückfordern. ◄ Beispiel 2
Wie zuvor, jedoch ist mit dem Arbeitnehmer vereinbart worden, dass für den Fall eines weiteren Verstoßes der Dienstwagen entzogen wird und der Arbeitnehmer eine
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5 Sonderfall: Korrekturvereinbarung
Strafe in Höhe von 3000 € zu zahlen hat. Diese Strafzahlung wäre unverhältnismäßig, d. h. unwirksam. ◄
Arbeitsrechtlicher Hinweis Auch hier entfaltet die Korrekturvereinbarung ihren Vorteil gegenüber der Abmahnung. Da sie einvernehmlich geschlossen wird, kann der Arbeitgeber inhaltliche Konsequenzen wirksam vereinbaren, die er im Wege der Abmahnung nicht wirksam hätte einseitig umsetzen können.
Zwar ist es auch im Rahmen einer Abmahnung möglich, eine inhaltliche Konsequenz anzudrohen (s. Abschn. 3.2.3.4, Stufe 1 „geringe Warnwirkung“). Die einseitige Umsetzung einer solchen Konsequenz ist allerdings nicht immer wirksam möglich. Wird beispielsweise in der Abmahnung die inhaltliche Konsequenz angedroht, dass bei einem erneuten Verstoß der Dienstwagen, der dem Arbeitnehmer auch zur privaten Nutzung überlassen wurde, entzogen wird, so wäre die Umsetzung dieser Konsequenz nicht wirksam möglich, da es sich bei einem auch privat genutzten Dienstwagen um einen Gehaltsbestandteil handelt, welcher in aller Regel nicht wirksam einseitig durch den Arbeitgeber entzogen werden kann. Die Kehrseite der Medaille ist jedoch, dass der Arbeitgeber insofern an die getroffene Vereinbarung gebunden ist. Er kann also in der Regel keine schärfere Sanktion einleiten als die vereinbarte. Etwas anderes gilt nur, wenn der Verstoß gegen die Korrekturvereinbarung deutlich intensiver ausfällt als erwartet. Arbeitsrechtlicher Hinweis Wird in einer Korrekturvereinbarung eine konkrete inhaltliche Konsequenz vereinbart, so sperrt dies in aller Regel die Einleitung schwerwiegenderer Konsequenzen!
5.4.5.2 Kündigung als Sanktion Parallel zu der Warnfunktion in einer Abmahnung kann auch in einer Korrekturvereinbarung für den Fall eines erneuten Verstoßes der Ausspruch einer Kündigung angedroht werden. Es kann indes mit dem Arbeitnehmer nicht wirksam vereinbart werden, dass bei einem zweiten Verstoß eine Kündigung in jedem Fall wirksam sein soll. Dies wäre unverhältnismäßig und daher von vornherein unwirksam. Denn wie bereits unter Abschn. 4.2 dargestellt, hat bei einem erneuten Verstoß des Arbeitnehmers zunächst eine Einzelfallbetrachtung stattzufinden. Im Rahmen dieser gilt es sodann abzuwägen, ob nunmehr der Ausspruch einer Kündigung möglich ist (s. hierzu ausführlich unten unter Abschn. 5.6.2). Soll in eine Korrekturvereinbarung eine Kündigungsandrohung aufgenommen werden, empfiehlt sich folgende Formulierung:
5.5 Leitfaden für ein Personalgespräch über eine Korrekturvereinbarung
69
Beispiel
Verstößt der Arbeitnehmer allerdings gegen diese Korrekturvereinbarung, so ist der Bestand seines Arbeitsverhältnisses gefährdet. Er muss mit einer [fristlosen] Kündigung seines Arbeitsverhältnisses rechnen. ◄
Arbeitsrechtlicher Hinweis Die Korrekturvereinbarung kann daher kündigungstechnisch die Wirkung einer Abmahnung nicht übertreffen!
5.5 Leitfaden für ein Personalgespräch über eine Korrekturvereinbarung Die Korrekturvereinbarung ist ein Vertrag und kommt daher auch wie ein solcher zustande. Das bedeutet, dass die Parteien sich auf einen konkreten Inhalt einigen, diesen schriftlich fixieren und unterschreiben. Die Festlegung des Inhalts der Korrekturvereinbarung sollte in einem gemeinsamen Gespräch zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber stattfinden. Wie bereits hinsichtlich des Abmahnungsgespräches dargelegt (s. Abschn. 2.2), gestalten sich Gespräche, die ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers thematisieren, schwierig. Denn letztlich geht es in diesen Gesprächen um Kritik – niemand wird indes gerne kritisiert. Nichtsdestotrotz ist Kritik notwendig, da sonst keine Veränderung erfolgen kann. Arbeitspsychologischer Hinweis Die Erfahrung hat gezeigt, dass eine Korrekturvereinbarung nur im Anschluss an ein vertrauensvolles Personalgespräch erreicht wird!
Für ein erfolgreiches Gespräch empfiehlt sich daher folgendes Vorgehen: In größeren Bertrieben ist es üblich und sinnvoll, den Arbeitnehmer schriftlich zu einem Personalgespräch einzuladen. In kleineren Betrieben und wenn es Unternehmenskultur ist, kann diese Einladung durchaus auch mündlich erfolgen. Das Thema des Gespräches sollte in der Regel allgemein umrissen werden, damit der Arbeitnehmer sich vorbereiten kann. Die Korrekturvereinbarung hat wie zuvor bereits dargestellt unter anderem zum Ziel, dass sich der Arbeitnehmer nicht wie bei einer Abmahnung als Opfer fühlt. Dafür ist es unerlässlich, dass der Arbeitnehmer die Korrekturvereinbarung aktiv mitgestalten kann. Die Korrekturvereinbarung ist letztlich eine alternative Maßnahme zu einer berechtigten Abmahnung. Hier empfiehlt es sich, dass der Vorgesetzte bzw. der Personalverantwortliche dies auch so deutlich macht. Die Wahrscheinlichkeit ist deutlich höher, dass der Arbeitnehmer sich einer Korrekturvereinbarung positiv öffnet, wenn er weiß, dass sein Verhalten so oder so sanktioniert wird, und er sich der Sanktionsalternative bewusst
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5 Sonderfall: Korrekturvereinbarung
ist. In der Praxis könnte sich diese Aussage ggf. wie folgt darstellen: Der Personalverantwortliche resümiert, was vorgefallen ist. Dieses Resümee sollte jedoch ohne Wertung stattfinden. Eine Wertung ist ohnehin nicht nötig, da es ja einen Soll-Zustand gibt, der deutlich und nachweisbar vom Ist-Zustand abweicht. Als Nächstes ist es wichtig, dass der Personalverantwortliche erklärt, wozu dieses abweichende Verhalten geführt hat. Erst dann kann der Arbeitnehmer auch den Schaden oder das Risiko ermessen, der/das sein Verhalten ausgelöst hat. Ebenso wichtig ist, dass diese Verhaltensabweichung weder jetzt noch künftig toleriert werden kann und wird. An dieser Stelle ist es sinnvoll, die Optionen aufzuzählen, die der Personalverantwortliche nun grundsätzlich hat. Diese Optionen sind u. a.: den Vorfall ignorieren, den Vorfall abmahnen oder eben miteinander reden und gemeinsam eine Lösung finden. Der Personalverantwortliche sollte deutlich kommunizieren, für welche Variante er sich entschieden hat: Variante 3. Ab jetzt kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nach seiner Motivation befragen und ihn, dies ist besonders wichtig, nach seiner Strategie befragen, wie er gedenkt, dieses Verhalten künftig nicht mehr an den Tag zu legen. Entscheidend ist, die Lösung vom Arbeitnehmer zu fordern und möglichst wenig eigene Impulse zu geben. Alles, was vom Arbeitnehmer kommt, wird er in der Regel eher akzeptieren. Erst wenn der Arbeitnehmer selbst keine eigenen Ideen entwickeln kann oder will, sollte der Arbeitgeber Vorschläge mit einbringen. Im Anschluss kann der Arbeitgeber nun den Vorschlag machen, diese Vereinbarung schriftlich festzuhalten. Dabei ist es wichtig, diese gleich vor dem Arbeitnehmer – d. h. zusammen mit diesem! – zu schreiben. Wenn die formalen Dinge bereits vorab vorbereitet wurden, geht dies auch recht schnell. Der Arbeitnehmer ist so zudem Akteur und Zeuge des ganzen Vorgangs, und dies reduziert das Gefühl, es sei „etwas“ vorbereitet worden, was für ihn von Nachteil ist. Es ist zudem sinnvoll, den Arbeitnehmer an einigen Stellen gleich selbst zu fragen, wie WIR dieses oder jenes formulieren sollen. Sodann wird dem Arbeitnehmer das Protokoll zur Korrektur, Vervollständigung und Freigabe vorgelegt. Hier kann er erneut aktiv mitgestalten und Sätze ggf. noch einmal ändern. Arbeitspsychologischer Hinweis Am Ende steht eine Korrekturvereinbarung, an der der Arbeitnehmer aktiv mitgewirkt hat. Sie ist Produkt seiner Mitgestaltung und spiegelt eine gemeinsame Wahrnehmung der vergangenen Ereignisse und Zukunftserwartungen wider.
Diese gemeinsam erstellte Korrekturvereinbarung können beide Parteien gleich unterschreiben. Hier stellt sich die Frage, ob dem Mitarbeiter eine Überlegungsfrist eingeräumt werden soll. Insoweit gibt es keine eindeutig „richtige“ Antwort. Wenn der Mitarbeiter dem Verfahren einer Korrekturvereinbarung grundsätzlich zugestimmt hat und diese mit ihm zusammen – vor seinen Augen – erstellt wird, gibt es kaum ein logisches Argument für eine Überlegungsfrist. Die Äußerung des Arbeitnehmers, sich überlegen zu wollen, ob er die Zusicherung, das Fehlverhalten nicht mehr zu wiederholen, wirklich abgeben will, würde eine Korrekturvereinbarung ad absurdum führen.
5.6 Scheitern der Korrekturvereinbarung
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Viele Arbeitnehmer fürchten indes, dass sie etwas unterschreiben, was ihnen arbeitsrechtlich später zum Nachteil gereichen könnte. Daher wollen sie häufig noch einmal Rücksprache halten mit „Experten“ aus dem Bekanntenkreis (oder z. B. dem Ehepartner). Die Motivation einer Verzögerung ergibt sich also demnach weniger aus logischen, sondern eher aus psychologischen Gründen. Aus diesem Betrachtungswinkel ist der Wunsch nach einer Überlegungsfrist verständlich. Der Arbeitgeber sollte diese allein schon deshalb gewähren, um den Vorwurf zu vermeiden, er habe eine Drucksituation aufgebaut, in der der Arbeitnehmer nicht anders konnte, als zu unterschreiben. Die Überlegungsfrist sollte jedoch maximal 3 bis 4 Tage betragen.
5.6 Scheitern der Korrekturvereinbarung Der Arbeitgeber verfolgt mit dem Abschluss der Korrekturvereinbarung das Ziel, das Arbeitsverhältnis erfolgreich fortzusetzen. Hält der Arbeitnehmer sich an die Verpflichtungen, welche er in der Korrekturvereinbarung konkret eingegangen ist, so war die Korrekturvereinbarung erfolgreich. Verstößt der Arbeitnehmer jedoch erneut gegen die dort geregelten Verpflichtungen, so wird der Arbeitgeber eine Konsequenz ziehen wollen.
5.6.1 Umsetzung einer inhaltlichen Konsequenz Soweit der Arbeitgeber in der Korrekturvereinbarung für den Fall eines weiteren Verstoßes eine inhaltliche Konsequenz vereinbart hat, kann er diese in der Regel jetzt einleiten. Voraussetzung ist lediglich, dass die getroffene Vereinbarung den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Billigkeit entsprach (s. Abschn. 5.4.5.1)! Gleichzeitig steht es dem Arbeitgeber frei, im Hinblick auf diesen neuen Verstoß nunmehr eine Abmahnung auszusprechen. Denn anders als die Abmahnung, die eine Verzicht auf eine Kündigung wegen des gleichen Sachverhaltes darstellt6, stellt eine Korrekturvereinbarung, die eine konkrete inhaltliche Konsequenz für den Wiederholungsfall vorsieht, keinen Verzicht auf eine entsprechende Abmahnung dar. Selbstverständlich kann der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer alternativ zum Ausspruch einer Abmahnung eine neue Korrekturvereinbarung anbieten. Dies wird jedoch lediglich im Ausnahmefall zweckmäßig sein. Zielführender dürfte hier eine Abmahnung sein, da diese gegenüber der ursprünglichen Korrekturvereinbarung bereits eine Eskalationsstufe darstellt.
6BAG,
Urteil vom 10.11.1988 – 2 AZR 215/88.
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5 Sonderfall: Korrekturvereinbarung
5.6.2 Ausspruch einer Kündigung Der Arbeitgeber kann im Wiederholungsfalle auch eine Kündigung aussprechen, wenn er die Kündigung in der Korrekturvereinbarung angedroht hatte, s. Abschn. 5.4.5.2. Dabei gilt es jedoch Folgendes zu beachten: Der Arbeitgeber kann bei einem weiteren Verstoß des Arbeitnehmers nicht automatisch eine Kündigung aussprechen, selbst wenn der Arbeitnehmer dem in der Korrekturvereinbarung so zugestimmt hatte. Vielmehr ist eine Einzelfallbetrachtung dahingehend vorzunehmen, ob der Ausspruch einer Kündigung gerechtfertigt ist. Dabei ist zu prüfen, ob es sich bei dem erneuten Verstoß um eine so gravierende Pflichtverletzung handelt, dass diese den Ausspruch einer Kündigung rechtfertigt. Denn wie bereits unter Abschn. 4.3 dargelegt, muss vor Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung grundsätzlich mindestens eine Abmahnung ausgesprochen worden sein. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz besteht dann, wenn es sich um einen besonders schwerwiegenden Verstoß handelt, der eine Abmahnung entbehrlich macht. Fraglich ist demnach, ob die Korrekturvereinbarung arbeitsrechtlich dieselbe Wirkung entfaltet wie eine Abmahnung. Nach der überwiegenden Auffassung in der juristischen Literatur7 hat die Korrekturvereinbarung die Wirkung einer Abmahnung, wenn • die Korrekturvereinbarung alle Funktionen der Abmahnung, insbesondere die Warnfunktion, welche bei einem erneuten Verstoß als Folge eine Kündigung androht, erfüllt; • der Arbeitnehmer die Korrekturvereinbarung unterschrieben hat. Wenn also die Korrekturvereinbarung die o. g. Elemente beinhaltet, kommt sie einer Abmahnung gleich, sodass bei einem erneuten Verstoß (je nach Schwere des Verstoßes) eine Kündigung ausgesprochen werden kann.
5.7 Fazit Auch wenn die Korrekturvereinbarung noch relativ wenig verbreitet ist, so ist sie doch eine echte Alternative zu der klassischen Abmahnung. Ihr Nutzen liegt klar im psychologischen Bereich, aber auch arbeitsrechtlich bietet sie diverse Vorteile. Der Einsatz einer Korrekturvereinbarung ist daher uneingeschränkt zu empfehlen!
7ErfK-Müller-Glöge,
§ 626 BGB, Rdnr. 29a; Wetzling/Habel, AuA 2006, S. 654 ff.; Fuhlrott, von/ Mückl-Figura/Tietje, S. 495.
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Vorgehen des Arbeitnehmers gegen eine ausgesprochene Abmahnung
6.1 Anspruch des Arbeitnehmers auf Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte Nach ständiger Rechtsprechung des BAG haben Arbeitnehmer einen Anspruch auf Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte, sofern diese rechtswidrig vom Arbeitgeber erteilt wurde. Die Rechtsprechung leitet den Anspruch aus dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers her und stützt diesen auf die §§ 12, 862, 1004 BGB analog.1 Eine Abmahnung ist danach aus der Personalakte zu entfernen, wenn: • sie formell nicht ordnungsgemäß zustande gekommen ist (s. Abschn. 6.1.1) oder • sie unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält (s. Abschn. 6.1.2) oder • sie auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht (s. Abschn. 6.1.3) oder • sie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt (s. Abschn. 6.1.4) oder • kein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers am Verbleib der Abmahnung in der Personalakte mehr besteht (s. Abschn. 6.1.5).
6.1.1 Formell nicht ordnungsgemäßes Zustandekommen Formelle Fehler, die einem ordnungsgemäßen Zustandekommen entgegenstehen, sind insbesondere:
1BAG,
Urteil vom 13.04.1988 – 5 AZR 537/86.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 P. Croset und M. Dobler, Die rechtssichere Abmahnung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30999-2_6
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74
6 Vorgehen des Arbeitnehmers gegen eine ausgesprochene Abmahnung
• falscher Unterzeichner, • fehlende Anhörung (öffentlicher Dienst), • fehlender Zugang der Abmahnung. Wegen der Einzelheiten wird auf die Ausführungen unter Abschn. 3.1 (formale Voraussetzungen) verwiesen.
6.1.2 Unrichtige Tatsachenbehauptung Eine unrichtige Tatsachenbehauptung liegt vor, wenn die Abmahnung einen unzutreffenden Sachverhalt enthält. Dies betrifft also Mängel in der Dokumentationsfunktion. Beispiel
„Sie entnahmen am 02.03.2015 aus Ihrer Kasse drei Zehneuroscheine und behielten diese.“ ◄ Hat der Arbeitnehmer tatsächlich am 02.03.2015 lediglich zwei Zehneuroscheine entnommen, so enthält die Abmahnung eine unzutreffende Sachverhaltsangabe und ist aus der Personalakte zu entfernen. Sie kann aber selbstverständlich durch eine neu zu erteilende Abmahnung mit zutreffender Sachverhaltsschilderung (02.03.2015/zwei Zehneuroscheine) ersetzt werden.
6.1.3 Unrichtige rechtliche Bewertung Eine unzutreffende rechtliche Bewertung liegt vor, wenn die Abmahnung zwar einen zutreffenden Sachverhalt schildert, hieraus jedoch juristisch falsche Schlüsse zieht. Diese beruhen meist darauf, dass die Grenzen der bzgl. des Arbeitnehmers bestehenden Verbotsnormen bzw. arbeitsvertraglichen Pflichten falsch gezogen werden, sodass eine Handlung irrtümlich als eine (bestimmte) Verletzung des Arbeitsvertrages dargestellt wird. Dies betrifft also Mängel in der Hinweisfunktion. Beispiel 1
„Sie verweigerten die Ableistung von zwei Überstunden. Hierdurch verletzten Sie Ihre arbeitsvertragliche Arbeitspflicht.“ ◄ Enthält der Arbeitsvertrag keine Regelung zu Überstunden, so hat der Arbeitnehmer zwar die Arbeitsleistung verweigert, jedoch zu Recht, da ihn keine vertragliche Arbeitspflicht traf.
6.1 Anspruch des Arbeitnehmers auf Entfernung einer
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Beispiel 2
„Sie entnahmen aus Ihrer Kasse drei Zehneuroscheine und behielten diese. (…) Hierdurch haben Sie einen Diebstahl begangen.“ ◄ Hat die Entnahme der Scheine stattgefunden, so stellt dies keinen Diebstahl gem. § 242 StGB dar, sondern eine Unterschlagung gem. § 246 StGB. Die Abmahnung ist aus der Personalakte zu entfernen. Sie kann aber selbstverständlich durch eine neu zu erteilende Abmahnung mit zutreffender rechtlicher Wertung (Unterschlagung) ersetzt werden.
6.1.4 Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit Bei der Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten durch den Arbeitnehmer liegt es grundsätzlich im Ermessensspielraum des Arbeitgebers als Gläubiger der Arbeitsleistung zu entscheiden, ob und ggf. wie er auf ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers reagieren will. Ihm obliegt die Entscheidung, ob er auf die arbeitsvertragliche Pflichtverletzung überhaupt reagieren will, ob er es bei einer bloßen Ermahnung belassen oder eine Abmahnung aussprechen möchte. Dabei kommt es grundsätzlich nicht auf die Schwere der Pflichtverletzung an. Ein Arbeitgeber kann vielmehr selbst bestimmen, ob er auf ein – ggf. auch geringfügiges – Fehlverhalten mit einer Abmahnung reagieren will, um deutlich zu machen, dass das beanstandete Verhalten unter keinen Umständen geduldet wird. Als Mindestgrenze hat der Arbeitgeber bei Ausspruch einer Abmahnung lediglich das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu beachten.2 Dieses besagt, dass eine Abmahnung nur dann die angemessene Reaktion des Arbeitgebers darstellt, wenn dem Arbeitnehmer dadurch nicht unverhältnismäßige Nachteile zugefügt werden und keine anderen weniger einschneidenden Maßnahmen möglich gewesen waren („keine völlig überzogene Reaktion“). Eine solche Unverhältnismäßigkeit nehmen die Gerichte grundsätzlich aber nur in krassen Ausnahmefällen an. Regelmäßig werden daher nur sogenannte Bagatellabmahnungen durch die Rechtsprechung für unverhältnismäßig erklärt. Die Frage, wann von einer unverhältnismäßigen Bagatellabmahnung auszugehen ist, ist im Einzelfall schwierig zu beantworten. Selbstverständlich ist irrelevant, dass das gerügte Fehlverhalten im Wiederholungsfall nicht für eine Kündigung ausreichen würde, denn es ist eine typische Konstellation, dass vor Ausspruch einer Kündigung unter Umständen mehrere Abmahnungen erforderlich sind.3 Eine Bagatelle kann auch nicht bereits dann angenommen werden, wenn der Arbeitgeber über den Pflichtverstoß auch hätte hinwegsehen können4 oder wenn der Fehler
2BAG,
Urteil vom 13.11.1991 – 5 AZR 74/91. Urteil vom 13.11.1991 – 5 AZR 74/91. 4Vgl. BAG, Urteil vom 31.08.1994 – 7 AZR 893/93. 3BAG,
76
6 Vorgehen des Arbeitnehmers gegen eine ausgesprochene Abmahnung
„jedem hätte passieren können“. Der Arbeitgeber muss auch einen Verstoß, der aus der Sicht des Arbeitnehmers vielleicht harmlos erscheint, zum Anlass nehmen können, seine Qualitätsansprüche durchzusetzen und kompromisslos deutlich zu machen, dass ein bestimmtes Verhalten unter keinen Umständen geduldet wird.5 Regelmäßig dürfte daher nur bei erstmaligen und völlig bedeutungslosen Pflichtverstößen von einer Unverhältnismäßigkeit auszugehen sein. Beispiel
Eine Sekretärin druckt ein zweiseitiges Schreiben versehentlich doppelt. Der Arbeitgeber mahnt sie wegen „Verschwendung“ bzw. mangelnder Sparsamkeit ab. ◄ Die Pflichtverletzung ist hier verschwindend gering, beruht auf leichtester Fahrlässigkeit und führt zu einem vollkommen vernachlässigbaren Schaden. Die Abmahnung dieses „Bagatellversehens“ erscheint daher als unverhältnismäßig.
Arbeitsrechtlicher Hinweis Der Arbeitgeber darf die Einhaltung der von ihm gemachten Vorschriften streng und konsequent einfordern sowie mittels Abmahnung sanktionieren! Lediglich in krassen Ausnahmefällen („Bagatelle“) ist es ihm verwehrt, eine Abmahnung auszusprechen.
Tab. 6.1 gibt einen Überblick über Fälle, in denen die Rechtsprechung eine (weitere) Abmahnung für nicht überzogen hielt. Es handelt sich stets um Einzelfälle ohne bindende Wirkung.
6.1.5 Kein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers am Verbleib in der Personalakte Früher wurde teilweise vertreten, dass ein Arbeitnehmer automatisch nach zwei Jahren einen Entfernungsanspruch gerichtlich geltend machen könne.6 Einzige Voraussetzung für diese Regelfrist sei, dass dem Arbeitnehmer innerhalb der zwei Jahre keine weiteren (einschlägigen) Abmahnungen erteilt wurden. Diese Ansicht hat sich allerdings nicht durchsetzen können! Es gibt keine allgemeine Regel, wonach eine Abmahnung gegenstandslos geworden und damit aus der Personalakte zu entfernen ist, wenn sich der betroffene Arbeitnehmer längere Zeit einwandfrei verhalten hat. Entscheidend sind vielmehr stets die Umstände des Einzelfalls.7
5LAG
Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 23.06.2009 – 5 Sa 341/08. Hamm, Urteil vom 14.05.1986 – 2 Sa 320/86; Brill, NZA 1985, 109, 110. 7BAG, Urteil vom 27.01.1988 – 5 AZR 604/86; BAG, Urteil vom 18.11.1986 – 7 AZR 674/84. 6LAG
6.1 Anspruch des Arbeitnehmers auf Entfernung einer
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Tab. 6.1 (Weitere) Abmahnung verhältnismäßig Gericht Datum, Aktenzeichen
Sachverhalt
LAG Hamm, Urteil vom 12.07.2007 – 17 Sa 64/07
Maklerbetreuer wurden unterdurchschnittliche Leistungen in dem Bereich der Neuanbindung von Vertragspartnern vorgeworfen
LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 26.10.1995 – 4 Sa 467/95
Pflegehelfer trägt entgegen bestehender Unfallverhütungsvorschriften Schmuck während der Arbeitszeit
LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 06.08.2008 – Kraftfahrer vergisst, das sogenannte Schau8 Sa 122/08 blatt (Tachoscheibe) aus dem Kontrollgerät des von ihm zuletzt benutzten Kraftfahrzeugs zu entnehmen LAG Berlin, Urteil vom 26.03.2004 – 6 Sa 2490/03
Kassenmitarbeiterin erzielte mit ihrer Kasse am Ende eines Arbeitstages eine Minusdifferenz von 10 €
LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 04.12.2006 – 15 Sa 81/06
Fließbandmitarbeiter trat seinen Schichtdienst einmalig zu spät an und verließ zweimal das Fließband, um auf die Toilette zu gehen, ohne auf seine Ablösung zu warten
LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 23.06.2009 – 5 Sa 341/08
Baumarktleiter stellte einen neuen Arbeitnehmer befristet ein, entgegen bestehender Anordnung, ohne die Unternehmensleitung darüber zu informieren
LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 14.06.2007 – Im Stationsbereich Psychosomatik tätige 2 Sa 102/07 Krankenschwester unterließ es, das Fehlen eines Patienten beim Mittagessen in der Patientenakte zu dokumentieren und das zuständige Stationspersonal zu informieren LAG Hamm, Urteil vom 10.05.2000 – 2 Sa 1669/99
Tischlermeister täuschte einem behinderten Mitarbeiter vor, ihn „anzupinkeln“ (scherzhaft mit Wasser)
LAG Düsseldorf, Urteil vom 26.06.2019 – 4 Sa Redakteur eines Wirtschaftsmagazins ver970/18 öffentlichte einen Beitrag, ohne Einwilligung des Arbeitgebers, in einem anderen Printmedium
Das BAG berücksichtigt bei der Abwägung folgende Kriterien: • Art und Intensität der abgemahnten Verfehlung des Arbeitnehmers (geringfügige oder schwerwiegende Vertragsverletzungen); • ob sich der Arbeitnehmer im Anschluss an die Abmahnung beanstandungsfrei verhalten hat; • die beanstandungsfreie Zeit des Beschäftigungsverhältnisses insgesamt;
78
6 Vorgehen des Arbeitnehmers gegen eine ausgesprochene Abmahnung
• ob der Arbeitgeber im Vorfeld der erteilten Abmahnung ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass er das abgemahnte Verhalten nicht tolerieren wird; • ob die Interessenabwägung im Einzelfall ergibt, dass die weitere Aufbewahrung zu unzumutbaren beruflichen Nachteilen für den Arbeitnehmer führen kann; • ob der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse an der Dokumentation der gerügten Pflichtverletzung hat. Hiervon strikt zu unterscheiden ist allerdings, dass eine Abmahnung infolge Zeitablaufs regelmäßig ihre Kündigungsrelevanz bzw. ihre Warnfunktion verliert! Eine Abmahnung erfüllt ihre Funktion als Kündigungsvoraussetzung nicht unbefristet. Zweck einer Abmahnung ist es, den Arbeitnehmer (wieder) zu einem vertragsgerechten Verhalten zu bewegen. Wenn er allerdings die Missbilligung des Arbeitgebers beherzigt und sein Verhalten danach einrichtet, so hat er sich von der Abmahnung merklich beeindrucken lassen. Der Zweck der Abmahnung ist damit erreicht, gleichzeitig verblasst die Warnfunktion mit fortschreitendem Zeitablauf. Wie lange solche vertragsgerechten Zeiträume andauern müssen, ist stets anhand der Umstände des Einzelfalls zu bestimmen. Auch hier gilt: Je schwerwiegender die Pflichtverletzung, desto länger bleibt die Warnfunktion erhalten. Als vagen Orientierungspunkt kann man eine „Bewährungszeit“ von zwei Jahren betrachten. Arbeitsrechtlicher Hinweis Es gibt keine allgemeine Regel, dass eine Abmahnung nach zwei Jahren aus der Personalakte zu entfernen ist!
Gleichwohl gilt, dass eine Abmahnung mit „verblasster“ Warnfunktion keineswegs belanglos geworden ist. Denn sie dokumentiert weiterhin, dass das Arbeitsverhältnis jedenfalls nicht beanstandungsfrei war (s. Abschn. 4.3.3.1). Eine Abmahnung kann für eine spätere Interessenabwägung auch dann noch Bedeutung haben, wenn sie ihre kündigungsrechtliche Warnfunktion verloren hat.8 Die Entfernung einer zu Recht ergangenen Abmahnung setzt demnach nicht nur voraus, dass die Warnfunktion aufgrund Zeitablaufs verloren gegangen ist, sondern, dass der Arbeitgeber unter keinen Gesichtspunkten mehr Interesse an der Dokumentation der Pflichtverletzung hat.
6.2 Frist zur Geltendmachung des Entfernungsanspruches 6.2.1 Entfernungsanspruch im bestehenden Arbeitsverhältnis Der Arbeitnehmer ist – im Rahmen eines noch bestehenden Arbeitsverhältnisses – bezüglich der Geltendmachung eines Entfernungsanspruchs an keine Frist gebunden.
8BAG,
Urteil vom 19.07.2012 – 2 AZR 782/11.
6.2 Frist zur Geltendmachung des Entfernungsanspruches
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Ein Arbeitgeber kann gegen einen gerichtlich geltend gemachten Entfernungsanspruch nicht einwenden, dass der Arbeitnehmer monate- bzw. jahrelang nichts gegen die unberechtigte Abmahnung unternommen habe. Ein rechtlich schützenswertes Vertrauen des Arbeitgebers entsteht dadurch regelmäßig nicht, da ein Arbeitnehmer zwar berechtigt, nicht aber verpflichtet ist, gegen eine Abmahnung gerichtlich vorzugehen.9 Zudem unterliegt der Entfernungsanspruch des Arbeitnehmers auch keiner ggf. auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren tariflichen Ausschlussfrist.10 Eine in der Personalakte befindliche unberechtigte Abmahnung stellt eine fortwirkende bzw. dauerhafte Beeinträchtigung der beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten des Arbeitnehmers dar. Er kann sich also auch noch Jahre nach einer unwidersprochen hingenommenen Erteilung der Abmahnung auf den Entfernungsanspruch berufen.
Arbeitspsychologischer Hinweis Eine unwirksame Abmahnung sollte auch in Bezug auf das Vertrauensverhältnis aus der Akte entfernt werden. Wenn Sie sich dazu entschlossen haben, empfiehlt es sich, die Abmahnung zusammen mit dem Mitarbeiter zu vernichten. Dies fördert bzw. repariert ein Vertrauensverhältnis in gewisser Weise.
6.2.2 Entfernungsanspruch im beendeten Arbeitsverhältnis Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses hat der Arbeitnehmer hingegen regelmäßig keinen Anspruch mehr auf Entfernung einer etwaigen unberechtigten Abmahnung. Dem Arbeitnehmer fehlt es dann nämlich an einem schützenswerten Interesse, weil sein berufliches Fortkommen bei dem bisherigen Arbeitgeber durch die bestehende Abmahnung nicht mehr erschwert wird. Etwas anderes gilt nur dann, wenn objektive Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Abmahnung dem Arbeitnehmer auch noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses schaden kann. Eine solche Konstellation ist häufig im öffentlichen Dienst anzutreffen. Dort „verfolgt“ die Personalakte den Beschäftigten, sodass ausnahmsweise auch nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses ein Entfernungsanspruch bestehen soll. Dies gilt jedenfalls, wenn der Bewerber aufgefordert wird, sich mit der Vorlage der beim bisherigen öffentlichen Arbeitgeber geführten Personalakte einverstanden zu erklären.11
9BAG,
Urteil vom 13.03.1987 – 7 AZR 601/85. Urteil vom 14.12.1994 – 5 AZR 137/94. 11Auf die Besonderheiten des öffentlichen Dienstes hinweisend: BAG, Urteil vom 14.09.1994 – 5 AZR 632/93; Falkenberg, NZA 1988, 489, 491. 10BAG,
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6 Vorgehen des Arbeitnehmers gegen eine ausgesprochene Abmahnung
6.2.3 Entfernungsanspruch: typische Praxis-Konstellationen Die Erfahrung zeigt, dass Arbeitnehmer von der Möglichkeit, die Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte (gerichtlich) geltend zu machen, sehr zurückhaltend Gebrauch machen. Erfahrungsgemäß erfolgt dies in der betrieblichen Praxis in folgenden Fällen:
6.2.3.1 Klärung der Vertragspflichten Zwischen den Arbeitsvertragsparteien wird z. T. streitig sein, ob der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer ein bestimmtes Tun oder Unterlassen verlangen kann. Beispiel
Der Arbeitgeber verlangt von einem laut Arbeitsvertrag als Kraftfahrer angestellten Arbeitnehmer, dass dieser seinen Lieferwagen wäscht. Dies sei eine branchentypische Nebenpflicht. Der Arbeitnehmer meint hingegen, er sei nur als Fahrer angestellt, nicht als „Autowäscher“. ◄ Mahnt der Arbeitgeber die Weigerung des Arbeitnehmers, die Handlung weisungsgemäß vorzunehmen, ab, droht dem Arbeitnehmer im Falle der fortgesetzten Unterlassung die Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Er hat nunmehr ein erhebliches Interesse an der Klärung, ob das ihm vorgeworfene Fehlverhalten tatsächlich vertragswidrig ist oder ob er vielmehr berechtigt ist, dieses Verhalten zu wiederholen bzw. fortzusetzen. Häufig wird der Arbeitnehmer sich der Weisung daher vorläufig beugen, jedoch parallel die Abmahnung unverzüglich gerichtlich angreifen.
6.2.3.2 Sachlich grob unrichtige Vorwürfe Arbeitnehmer empfinden eine Abmahnung, die einen sachlich grob unrichtigen Vorwurf (unrichtige Tatsachenbehauptung) enthält, häufig als unerträglich. Beispiel
Der Arbeitgeber wirft dem Arbeitnehmer vor, er habe einen von ihm erstellten Kassenbeleg nicht ordnungsgemäß abgeheftet. Der Kassiervorgang sei eindeutig dem Arbeitnehmer zuzuordnen, da dessen Magnetkarte verwendet worden sei. Der Arbeitnehmer hatte jedoch zu diesem Zeitpunkt Urlaub und hatte seine Magnetkarte weisungsgemäß der ihn vertretenden Aushilfe ausgehändigt. Der Fehler unterlief daher der Aushilfe. ◄
6.3 Gerichtliche Geltendmachung des Entfernungsanspruches
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6.2.3.3 Querulanten/Rechthaber Gerade querulatorisch veranlagte Mitarbeiter sind häufig nicht bereit, berechtigte sachliche Kritik an ihrer Arbeit zu akzeptieren. Äußert sich die Kritik in einer förmlichen Abmahnung, wird diese häufig „aus Prinzip“ angegriffen. Beabsichtigt der Arbeitgeber, derartige Arbeitnehmer abzumahnen, so empfiehlt es sich, den zugrunde liegenden Sachverhalt und die arbeitsvertraglichen Grundlagen besonders genau zu prüfen. Zudem ist spezielles Augenmerk auf die Dokumentation zu legen, um eine spätere prozessuale Beweisbarkeit sicherzustellen. Arbeitspsychologischer Hinweis Nicht jeder „Querulant“ ist auch so veranlagt. Häufig werden solche Menschen vom Betrieb auch nur als querulatorisch empfunden, weil sich niemand mit ihrer Kritik auseinandersetzen will. Einige Mitarbeiter neigen jedoch tatsächlich zur Rechthaberei und sind nicht in der Lage, sich selbst zu reflektieren. Diese Mitarbeiter empfinden eine Abmahnung daher häufig als persönlichen Angriff. Dies werden Sie als Arbeitgeber nicht verhindern können. Daher ist es besonders wichtig, in einem der Erteilung der Abmahnung vorausgehenden Gespräch dem Arbeitnehmer das Fehlverhalten exakt darzulegen. Zu diesem Gespräch sollten Sie entsprechende Beweise griffbereit haben. Lassen Sie sich auf keinerlei Diskussionen ein, sondern halten Sie sich in solchen Gesprächen nur an die Fakten.
6.2.3.4 Prozessualer Druck In der arbeitsgerichtlichen Praxis ist zu beobachten, dass Arbeitnehmer häufig im Zuge einer eingelegten Kündigungsschutzklage zusätzlich zuvor erhaltene Abmahnungen angreifen. Dies dient aus Sicht des erfahrenen Prozessvertreters auf Arbeitnehmerseite dazu, einerseits den prozessualen Druck auf den Arbeitgeber zu erhöhen, andererseits eine umfassende Klärung der das Arbeitsverhältnis belastenden Aspekte herbeizuführen.
6.3 Gerichtliche Geltendmachung des Entfernungsanspruches Der Entfernungsanspruch des Arbeitnehmers kann beim zuständigen Arbeitsgericht geltend gemacht werden. Im Entfernungsprozess trägt der Arbeitgeber die volle Darlegungs- und Beweislast dafür, dass es tatsächlich zu einer konkreten Pflichtverletzung gekommen ist, die Abmahnung dem betroffenen Arbeitnehmer zugegangen ist und die formellen Voraussetzungen einer Abmahnung eingehalten wurden. Gelingt es dem Arbeitgeber nicht, zweifelsfrei diese Voraussetzungen hinreichend darzulegen, wird er verurteilt, die Abmahnung aus der Personalakte zu entfernen.
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6 Vorgehen des Arbeitnehmers gegen eine ausgesprochene Abmahnung
6.4 Rechtsfolgen der gerichtlichen Durchsetzung des Entfernungsanspruches Die gerichtlich erzwungene Entfernung hat jedoch deutlich geringere Konsequenzen als häufig angenommen!
6.4.1 Entfernung und Vollstreckung Wie die Entfernung geschieht, bleibt grundsätzlich dem Arbeitgeber überlassen. Allerdings genügt es nicht, wenn der Arbeitgeber lediglich die strittige Passage nur überklebt.12 In der Regel wird der Arbeitgeber, sofern er die klassische papiergebundene Personalakte führt, die betroffene Abmahnung buchstäblich aus der Personalakte herausnehmen müssen. Sofern der Arbeitgeber eine elektronische Personalakte führt, wird eine Löschung des Dokumentes erforderlich. Entfernt der Arbeitgeber die Abmahnung trotz Verurteilung nicht, so droht ihm die Durchsetzung im Wege der Zwangsvollstreckung. Die Zwangsvollstreckung des Entfernungsanspruches selbst richtet sich nach § 888 ZPO13. Danach muss der Arbeitgeber zwar nicht befürchten, dass der Gerichtsvollzieher selbst die Abmahnung aus der Personalakte vor Ort entfernt, jedoch können ein Zwangsgeld oder eine Zwangshaft angeordnet werden.
Arbeitsrechtlicher Hinweis Dem Arbeitgeber ist allerdings selbstverständlich gestattet, die im Zusammenhang mit dem Gerichtsverfahren angelegte Akte aufzubewahren. Die in dieser Prozessakte befindliche Abmahnung muss nicht entfernt oder gar vernichtet werden, weil sie nicht Teil der Personalakte ist.14
6.4.2 Entfernung und Warnfunktion Die aus der Personalakte zu entfernende Abmahnung büßt ihre Warnfunktion nicht zwingend ein! Weist eine Abmahnung formelle oder materielle Fehler auf, aufgrund derer der Arbeitnehmer die Entfernung aus der Personalakte verlangen könnte (oder bereits erfolgreich durchgesetzt hat), so kann diese Abmahnung gleichwohl ihre Warnfunktion
12LAG
Köln, Urteil vom 04.07.1988 – 6 Sa 305/88. Hessen, Beschluss vom 09.06.1993 – 12 Ta 82/93; Ascheid/Preis/Schmidt-Dörner/Vossen, § 1 KSchG Rn. 419; BeckOK ArbGG-Hamacher, § 62 Rn. 37.3. 14BAG, Urteil vom 08.04.1992 – 5 AZR 101/91; Hoß, MDR 1999, 333, 339. 13LAG
6.4 Rechtsfolgen der gerichtlichen Durchsetzung des Entfernungsanspruches
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entfalten. Die aktuelle Rechtsprechung differenziert dabei insbesondere danach, ob der Arbeitnehmer den vorgeworfenen Pflichtverstoß tatsächlich begangen hat. Liegt der abgemahnte Pflichtverstoß gar nicht vor, kann die Abmahnung die Warnfunktion nur sehr eingeschränkt erfüllen, ähnlich einer antizipierten Abmahnung (s. Abschn. 3.1.5).15 Anders verhält es sich, wenn der Arbeitnehmer die abgemahnte Vertragspflichtverletzung tatsächlich begangen hat und sich die Fehlerhaftigkeit der Abmahnung nur auf Details des Verstoßes, z. B. auf das genaue Datum, bezieht. In diesem Fall kann der Arbeitnehmer zwar die Entfernung der fehlerhaften Abmahnung aus der Personalakte verlangen, jedoch sich nicht mehr darauf berufen, die ihm gegenüber erhobenen Vorwürfe und die angedrohten Konsequenzen nicht ernst genommen zu haben.16 Der Arbeitnehmer hat dann eine entsprechende „Warnung“ erhalten und ist vor einer „Überraschungskündigung“ ausreichend geschützt. Bei einem erneuten, einschlägigen Fehlverhalten kann eine verhaltensbedingte Kündigung daher auch auf die Warnfunktion einer aus der Personalakte zu entfernenden oder bereits entfernten Abmahnung gestützt werden.
Arbeitsrechtlicher Hinweis Der Arbeitgeber sollte beachten, dass der Ausspruch einer Kündigung auch auf eine Abmahnung gestützt werden kann, deren Entfernung aus der Personalakte zuvor (gerichtlich) erzwungen wurde.
15LAG Düsseldorf, Urteil vom 15.08.2012 – 12 Sa 697/12; LAG Hessen, Urteil vom 06.11.2015 – 14 Sa 364/13. 16LAG Hessen, Urteil vom 06.11.2015 – 14 Sa 364/13; LAG Nürnberg, Urteil vom 16.10.2007 – 7Sa 233/07; offengelassen von BAG, Urteil vom 23.06.2009 – 2 AZR 283/08.
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Checkliste Abmahnung
7.1 Checkliste Abmahnungsgespräch 1. Ist Ihnen wirklich klar, ob Sie die Motivation des Mitarbeiters noch aufrechterhalten möchten oder ob Sie dem Mitarbeiter innerlich bereits gekündigt haben und Sie sich lieber trennen möchten? [Wenn nicht, gehen Sie auf keinen Fall in das Abmahnungsgespräch!] 2. Ist Ihnen klar, was Sie künftig wollen und was genau Sie künftig nicht mehr wollen? 3. Sind alle Fakten geklärt? Verbleiben keine widersprüchlichen Angaben? [Wenn nein, macht ein Abmahnungsgespräch wenig Sinn.] 4. Haben Sie dem Mitarbeiter die Möglichkeit einer Stellungnahme gegeben? 5. Halten Sie das Abmahnungsgespräch nie spontan oder zwischen „Tür und Angel“ – machen Sie einen Termin und führen Sie dieses Gespräch stets im Sitzen an einem neutralen Tisch. [Niemals an Ihrem Schreibtisch!] 6. Bagatellisieren Sie die Angelegenheit nicht im Gespräch. Zeigen Sie keine Unsicherheit oder Anzeichen von schlechtem Gewissen. Verfallen Sie nicht in Rechtfertigungen: nur Zahlen, Daten, Fakten. Zählen Sie den Soll-Zustand auf, anschließend das Verhalten des Mitarbeiters. Erläutern Sie dann die Feststellung der Abweichung und begründen damit die Abmahnung. Gehen Sie nicht auf andere „Kriegsschauplätze“ ein, die der Mitarbeiter eröffnet.
Arbeitspsychologischer Hinweis Ein mangelhaft vorbereitetes Abmahnungsgespräch ist kontraproduktiv!
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 P. Croset und M. Dobler, Die rechtssichere Abmahnung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30999-2_7
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7 Checkliste Abmahnung
7.2 Checkliste schriftliche Abmahnung Die Abb. 7.1 liefert Ihnen eine Checkliste zur Erstellung einer schriftlichen Abmahnung. Empfohlene Standardformulierungen zur rechtssicheren Zusammenstellung einer Abmahnung finden Sie in Abb. 7.2.
Einleitungssatz mit Anrede Die ausdrückliche Verwendung des Fachterminus „Abmahnung“ schafft Klarheit. Sie entzieht dem Versuch, die Abmahnung durch Auslegung zur bloßen Ermahnung (welche eine spätere Kündigung nicht trägt) zu degradieren, die Grundlage.
Dokumentationsfunktion Der Arbeitgeber muss das exakte zeitlich und örtlich individualisierte Fehlverhalten des Arbeitnehmers so konkret wie möglich darlegen. Keine pauschalen Formulierungen! Keine Wertung! Nur ein Verstoß, keine Sammelabmahnung!
Hinweisfunktion Der Arbeitgeber muss auf die Vertragswidrigkeit hinweisen. Der Arbeitgeber muss ggf. das rechtmäßige Alternativverhalten aufzeigen. Schriftliche Regelwerke als Anlage beifügen!
Warnfunktion Der Arbeitgeber muss Konsequenz (i. d. R. Kündigung) im Wiederholungsfall androhen! Warnstufe 0 bis 3 personaltechnisch, psychologisch und rechtlich abwägen!
Abschlussformel Hinweis auf Personalakte: rechtlich irrelevant, psychologisch wirksam. Höfliche Abschlussformel trotz Kritik – keine Wut zeigen, Haltung wahren! Unterschrift eines Abmahnungsberechtigten (Vorgesetzter)!
Abb. 7.1 „Baukasten“ Abmahnung
7.2 Checkliste schriftliche Abmahnung
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Sehr geehrter Herr__, leider sehen wir uns gezwungen, Ihnen aus folgenden Gründen eine Abmahnung zu erteilen: ”
„Am [Datum] um [Uhrzeit] in [Ort] haben Sie [Art bzw. Inhalt des Fehlverhaltens]... Datum
Straße
steuerbares Verhalten
Uhrzeit
Stadt nebst Postleitzahl,
so detailliert wie möglich
ggf. Gebäude
faktenbasiert
ggf. Büra, Arbeitsplatz, Geschäft etc.
„Indem Sie (...), haben Sie gegen [Klausel des Arbeitsvertrages, des Tarifvertrages, der Betriebsvereinbarung etc.] verstoßen. ”
”
„Wir erwarten von Ihnen, dass Sie in Zukunft ...
„Bei weiteren Verstößen müssen Sie mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis hin zur Kündigung rechnen. ”
Diese Abmahnung nehmen wir zu Ihrer Personalakte. Mit freundlichen Grüßen
(Unterschrift) Abb. 7.2 „Baukasten“ Abmahnung – Beispiele
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Musterabmahnungen
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 P. Croset und M. Dobler, Die rechtssichere Abmahnung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30999-2_8
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8 Musterabmahnungen
8.1 Abmahnung wegen alkoholbedingten Fehlverhaltens (Alkoholverbot) Sehr geehrter Herr…, leider sehen wir uns gezwungen, Ihnen aus folgenden Gründen eine Abmahnung zu erteilen: Am 27.06.2019 waren Sie im Rahmen des Bauvorhabens Koch AG, Königstraße 6, 12107 Berlin, damit beauftragt, Abwasserleitungen im Einfahrtbereich zu verlegen. Um 10:30 Uhr beobachtete der Baustellenleiter, Herr Wilhelm Fischer, Sie dabei, wie Sie dort aus einer Glasflasche tranken. Als Herr Fischer Sie unmittelbar zur Rede stellte, sah er in Ihrer Hand eine halbleere Flasche der Marke „Südbrand Krongold“, Volumen 0,7 L, Alkoholgehalt 32 %. Als Herr Fischer Sie auf das Alkoholverbot hinwies, antworteten Sie, dass Sie „nur einen kleinen Schluck“ aus der Flasche genommen hätten und durchaus noch in der Lage seien, Ihre Arbeit unbeeinträchtigt auszuführen. Indem Sie wie vorbeschrieben Alkohol konsumierten, haben Sie gegen § 8 Ihres Arbeitsvertrages verstoßen, der auszugsweise wie folgt lautet: § 8 Alkoholverbot: Dem Arbeitnehmer ist es untersagt, alkoholische Getränke während der Arbeits- und Pausenzeiten zu sich zu nehmen.
Aufgrund dieses absoluten Alkoholverbotes dürfen Sie während der Arbeits- und Pausenzeiten keinen Alkohol konsumieren. Dies gilt für sämtliche alkoholischen Getränke, auch für Bier. Es bestehen keine Ausnahmen von dem Alkoholverbot. Selbst mit dem Konsum kleiner Mengen Alkohol verstoßen Sie bereits gegen § 8 Ihres Arbeitsvertrages. Es kommt insoweit nicht darauf an, ob der Alkoholkonsum Ihre Leistungsfähigkeit beeinträchtigt. Sollten Sie in Zukunft erneut gegen das arbeitsvertragliche Alkoholverbot verstoßen, müssen Sie mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis hin zur Kündigung Ihres Arbeitsverhältnisses rechnen. Diese Abmahnung nehmen wir zu Ihrer Personalakte. Mit freundlichen Grüßen (Unterschrift)
8.1 Abmahnung wegen alkoholbedingten Fehlverhaltens (Alkoholverbot)
Arbeitsrechtlicher Hinweis Besteht im Betrieb ein wirksames (!) Alkoholverbot, so stellt schon der bloße (minimale) Konsum einen Vertragsverstoß dar. Die Verursachung konkreter Beeinträchtigungen des Arbeitsablaufes oder eine Schmälerung der Arbeitsleistung muss der Arbeitgeber dann nicht darlegen. Daher kommt es hier nur bei einem Nichtbestehen eines Alkoholverbotes auf eine Beeinträchtigung der Arbeitsleistung an. Eine vorhergehende Abmahnung ist in der Regel entbehrlich, wenn bei einer unter Alkoholeinfluss ausgeführten Tätigkeit konkrete Gefährdungen von Rechtsgütern des Arbeitgebers oder Dritter drohen, was insbesondere bei Berufskraftfahrern anzunehmen ist.1 Gerade bei einem Berufskraftfahrer darf der Arbeitgeber erwarten, dass dieser nüchtern zum Fahrtantritt erscheint und auch während der Fahrt keine alkoholischen Getränke zu sich nimmt.2 Bei einer auf Alkoholabhängigkeit (Krankheit!) beruhenden Pflichtverletzung des Arbeitnehmers kommt nur eine Kündigung aus personenbedingten Gründen in Betracht.3 Insbesondere wenn alle Versuche des Arbeitnehmers, sich erfolgreich von der Alkoholabhängigkeit zu lösen, scheitern, kann der Arbeitgeber eine wirksame krankheitsbedingte Kündigung aussprechen.4 Auch bei einer auf Alkoholabhängigkeit beruhenden Pflichtverletzung des Arbeitnehmers ist es ratsam, vor Ausspruch einer personenbedingten Kündigung vorsorglich abzumahnen und die Kündigung hilfsweise auf verhaltensbedingte Gründe zu stützen.
Arbeitspsychologischer Hinweis Neben gesundheitlichen Aspekten und der allgemeinen Gefährdung bestehen bei Alkohol am Arbeitsplatz weitere Aspekte, die eher auf der individuellen Interpretationsebene der einzelnen Persönlichkeit zu finden sind und in der Außenwirkung des Unternehmens. Lässt man Alkoholkonsum während der Ausübung einer Tätigkeit zu, setzt dies beispielsweise auch ein Signal in Bezug auf die Wertigkeit der Tätigkeit in ihrer Außenwirkung. Die Erlaubnis könnte von Mitarbeitern so ausgelegt werden, dass der Anspruch an die Qualifikation so gering ist, dass man sie selbst halb betrunken ausüben kann. Ebenso könnte ein Außenstehender zum Schluss kommen, dass das Arbeitsklima nur mit Alkohol zu ertragen sei. Grundsätzlich ist jedoch die Alkoholkrankheit von der oben beschriebenen Abmahnung zu unterscheiden. Wenn Sie einen solchen Verdacht bei einem Mitarbeiter haben, sollten Sie sich diesbezüglich professionell beraten lassen. Diese Thematik würde den Rahmen dieses Buches schlicht sprengen.
1LAG
Sachsen-Anhalt, Urteil vom 12.04.2010 – 6 Sa 361/09. Rheinland-Pfalz, Urteil vom 11.01.2007 – 6 Sa 731/06. 3BAG, Urteil vom 26.01.1995 – 2 AZR 649/94; Urteil vom 09.04.1987 – 2 AZR 210/86. 4LAG Köln, Urteil vom 17.05.2010 – 5 Sa 1072/09. 2LAG
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8.2 Abmahnung wegen Verweigerung der Teilnahme an einer ärztlichen Untersuchung Sehr geehrter Herr…, leider sehen wir uns gezwungen, Ihnen aus den folgenden Gründen eine Abmahnung zu erteilen: Im Jahr 2019 wies Ihr Arbeitsverhältnis durch Arbeitsunfähigkeit begründete Fehlzeiten von insgesamt zehn Wochen auf. Daher haben wir Sie mit dem nochmals als Anlage beigefügten Schreiben vom 19.02.2020 aufgefordert, sich am 03.03.2020, 10:00 Uhr, bei unserem Betriebsarzt, Dr. Arno Milz, Wallstr. 99, 12035 Berlin, zur Untersuchung vorzustellen. Mit Schreiben vom 06.03.2020 teilten Sie uns mit, dass Sie der Untersuchung ferngeblieben seien, da Sie die Untersuchung durch einen Ihnen nicht bekannten Arzt als Verletzung Ihrer Intimsphäre empfänden. Sie seien nur zu einer Untersuchung durch Ihren Hausarzt Dr. Stein bereit. Indem Sie unserer Weisung, am 03.03.2020 eine Untersuchung durch Dr. Milz vornehmen zu lassen, nicht Folge leisteten, haben Sie Ihre arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt. Gemäß § 3 Abs. 4 S. 1 TVöD sind wir bei begründeter Veranlassung berechtigt, Sie zu verpflichten, uns durch ärztliche Bescheinigung nachzuweisen, dass Sie zur Leistung der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit in der Lage sind. Gemäß § 3 Abs. 4 S. 2 TVöD können wir hierbei die Untersuchung durch einen Betriebsarzt bestimmen. Sie sind daher nicht berechtigt, sich auf eine hausärztliche Untersuchung zu berufen, sondern vielmehr verpflichtet, die betriebsärztliche Untersuchung durchführen zu lassen. Dem Umstand, dass es sich hierbei um einen Eingriff in Ihre Intimsphäre und körperliche Unversehrtheit handelt, trägt § 3 Abs. 4 Satz 1 TVöD dadurch Rechnung, dass die Anordnung nur „bei begründeter Veranlassung berechtigt“ ist. Ihre erheblichen durch Arbeitsunfähigkeit bedingten Fehlzeiten stellen sich hier als begründete Veranlassung dar. Wir fordern Sie auf, sich entsprechend dem als Anlage beigefügten Schreiben am 15.05.2020 um 09:00 Uhr bei Dr. Milz zur Untersuchung einzufinden. Sollten Sie diesen Termin unentschuldigt nicht wahrnehmen, müssen Sie mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis hin zur Kündigung Ihres Arbeitsverhältnisses rechnen. Diese Abmahnung nehmen wir zu Ihrer Personalakte. Mit freundlichen Grüßen (Unterschrift)
8.2 Abmahnung wegen Verweigerung der Teilnahme an einer ärztlichen ...
Arbeitsrechtlicher Hinweis Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes sind aufgrund ihrer Fürsorgepflicht gehalten zu prüfen, ob das Leistungsvermögen des Arbeitnehmers mit den gesundheitlichen Anforderungen seines Arbeitsplatzes in Übereinstimmung steht. Zur Feststellung fehlen den Arbeitgebern in der Regel sowohl das notwendige medizinische Fachwissen als auch detaillierte Kenntnisse vom konkreten Krankheitsbild des Arbeitnehmers. Daher stellt die betriebsärztliche Untersuchung regelmäßig den einzigen aussichtsreichen Weg dar, sich eine klare Tatsachengrundlage für weitere Maßnahmen zu verschaffen. Besondere Bedeutung kommt stets den Anforderungen zu, die an das Vorliegen einer „begründeten Veranlassung“ zu stellen sind. Denn kann der Arbeitgeber eine solche nicht nachweisen, ist die Aufforderung gemäß § 3 Abs. 4 TVöD unwirksam, sodass dem Arbeitnehmer keine Pflichtverletzung zur Last fällt.5 Dem Arbeitnehmer droht die Gefahr, dass die Untersuchung gerade nicht den Nachweis der Befähigung zur Leistung der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit erbringt. Der Arbeitgeber kann hierauf arbeitsrechtliche Maßnahmen von der Versetzung bis hin zur krankheitsbedingten Kündigung stützen. Dementsprechend ist in der Praxis zu beobachten, dass gerade Arbeitnehmer mit besonders schweren gesundheitlichen Einschränkungen versuchen, die Untersuchung zu vereiteln bzw. deren Zeitpunkt möglichst lange hinauszuschieben. Dem kann der Arbeitgeber nur durch konsequente fortgesetzte (Neu-)Ladung, ggf. flankiert durch Abmahnungen, Rechnung tragen.
Arbeitspsychologischer Hinweis Bitten Sie den Arbeitnehmer zu einem persönlichen Gespräch. In diesem gilt es zu klären, ob ggf. andere Ursachen für die Fehlzeiten vorliegen. In der Regel sind dies motivationsbedingte Ursachen. Ggf. steckt der Mitarbeiter in einem massiven offenen Konflikt mit seinem/n Vorgesetzten bzw. der Konflikt ist noch verdeckt und unter der Oberfläche. Ggf. wird der Mitarbeiter durch seine Kollegen gemobbt. Hier ist es wichtig, dass Sie dem Mitarbeiter keine Vorwürfe machen oder mit sogenannten Du-Botschaften konfrontieren, wie z. B. „Sie sind doch …“ oder „Sie haben bestimmt gedacht…“. In solchen Fällen ist stets ein hohes Maß an Feingefühl und Einfühlungsvermögen gefragt. Zudem sollten Sie darauf hinweisen, dass es Ihre Fürsorgepflicht ist, die die Anordnung der Untersuchung gebietet.
5BAG,
Urteil vom 27.09.2012 – 2 AZR 811/11.
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8 Musterabmahnungen
8.3 Abmahnung wegen Erstattung einer Anzeige Sehr geehrter Herr…, leider sehen wir uns gezwungen, Ihnen aus den folgenden Gründen eine Abmahnung zu erteilen: Am 19.03.2020 um 14:57 Uhr riefen Sie beim Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit Berlin (LaGetSi) an. Sie erstatteten gegenüber dem Mitarbeiter des LaGetSi, Herrn Olaf Schulz, gegen unser Unternehmen eine Anzeige „wegen Missachtung der Arbeitsschutzvorschriften“. Sie behaupteten, dass der zulässige Lärmpegel bei Ihren täglichen Arbeiten mit der Stanzmaschine überschritten sei und wir Ihnen daher einen Gehörschutz zur Verfügung hätten stellen müssen. Bisher hatten Sie uns auf diesen Umstand nicht angesprochen. Das LaGetSi wird nun durch fachkundige Personen den Lärmpegel messen lassen, um zu klären, ob es arbeitsschutztechnischer Maßnahmen bedarf. Ein Ergebnis steht noch aus. Durch das vorgenannte Verhalten haben Sie Ihre arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht aus den §§ 242, 241 Abs. 2 BGB verletzt. Die sofortige Erstattung einer Anzeige bei der zuständigen Behörde (hier: LaGetSi) stellt eine unverhältnismäßige Reaktion auf eine von Ihnen angenommene Verletzung von Rechtsvorschriften dar. Dies gilt unabhängig davon, ob die Prüfung des LaGetSi hier ergibt, dass entsprechend Ihrer Annahme arbeitsschutztechnische Vorschriften verletzt wurden. Sofern Sie nämlich annehmen, dass in unserem Unternehmen Rechtsvorschriften verletzt werden, haben Sie uns zunächst auf die innerbetrieblichen Missstände hinzuweisen und sodann eine angemessene Frist zur Prüfung und ggf. zur Abhilfe zu setzen. Sollten Sie in Zukunft erneut gegen Ihre arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht verstoßen, insbesondere durch sofortige Erstattung einer Anzeige bei der zuständigen Behörde ohne vorherigen Hinweis an uns über eine von Ihnen angenommene Verletzung von Rechtsvorschriften, müssen Sie mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis hin zur Kündigung Ihres Arbeitsverhältnisses rechnen. Diese Abmahnung nehmen wir zu Ihrer Personalakte. Mit freundlichen Grüßen (Unterschrift)
8.3 Abmahnung wegen Erstattung einer Anzeige
Arbeitsrechtlicher Hinweis Stellen Arbeitnehmer bei ihrem Arbeitgeber Missstände fest, insbesondere Gesetzesverstöße, so dürfen sie hierauf nicht sofort mit einer Anzeige reagieren. Zunächst muss der Arbeitgeber auf den Missstand hingewiesen und ihm eine angemessene Frist zur Abhilfe gesetzt werden.6 Ein solcher Hinweis ist nur dann ausnahmsweise entbehrlich, wenn der Arbeitnehmer Kenntnis von schwerwiegenden Straftaten erhält oder Abhilfe berechtigterweise nicht zu erwarten ist. Der Arbeitnehmer verstößt gegen seine Rücksichtnahmepflicht nicht nur durch die Erstattung einer Anzeige, sondern bereits durch die Drohung mit einer solchen.7
Arbeitspsychologischer Hinweis Der hier beschriebene Fall deutet psychologisch auf ein stark gestörtes Vertrauensverhältnis zwischen Vorgesetzten und Mitarbeiter hin. Die eine Partei hat hier offensichtlich sämtliche Vorstufen eines normalen Konfliktverlaufes übersprungen und sich für die sofortige und vor allem offene Eskalation entschieden. Die unmittelbare Abmahnung stellt lediglich eine erwartete erste Reaktion eines „Gegenschlags“ dar. Hier stellt sich die grundsätzliche Frage, inwieweit es für einen Vorgesetzten noch zumutbar ist, unter diesen Umständen mit dem Mitarbeiter weiterzuarbeiten. Es ist jedoch auch nicht auszuschließen, dass die Anzeige des Mitarbeiters lediglich das vorläufige Ende einer Handlungskette aufgrund eines unablässigen Spannungsaufbaus zwischen Vorgesetzten und Mitarbeiter war. Es ist auf jeden Fall dringend erforderlich, eine Klärung herbeizuführen – notfalls durch externe Hilfe.
6BAG,
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Urteil vom 03.07.2003 – 2 AZR 235/02. Rheinland-Pfalz, Urteil vom 17.11.2004 – 10 Sa 1329/03; LAG Köln, Urteil vom 10.06.1994 – 13 Sa 237/94.
7LAG
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8 Musterabmahnungen
8.4 Abmahnung wegen Verstoß gegen Arbeitsschutzvorschriften Sehr geehrter Herr…, leider sehen wir uns gezwungen, Ihnen aus den folgenden Gründen eine Abmahnung zu erteilen: Am 26.03.2020 forderte Ihr Vorarbeiter, Herr Olaf Schulze, Sie auf, in dem Objekt Neue Kantstr. 20, 14057 Berlin, im Erdgeschoss die Handläufe neu zu lackieren. Diese wiesen noch Reste einer in weiten Teilen abgeplatzten Lackierung auf, welche mit einer Schleifmaschine zu entfernen war, bevor ein neuer Lack aufgebracht werden konnte. Sie führten die Schleifarbeiten mittels einer Schleifmaschine Typ SM-3 unter Verwendung einer einfachen Staubmaske durch. Die Durchführung der Schleifarbeiten unter Verwendung einer einfachen Staubmaske stellte sich als Verletzung von Vorschriften des Arbeitsschutzes dar. Gemäß § 15 Abs. 2 ArbSchG sind Sie verpflichtet, bei Schleifarbeiten zur Lackentfernung eine Atemschutzmaske nach der Europäischen Norm EN 149 FFP2S anzulegen. Eine solche Atemschutzmaske war auf der Baustelle zu diesem Zeitpunkt verfügbar. Die von Ihnen verwendete Staubmaske entsprach nicht der o. g. Norm und war nicht geeignet, Sie vor den beim Schleifen freigesetzten gesundheitsschädlichen Partikeln zu schützen. Wir erlauben uns den Hinweis, dass diese Arbeitsschutzvorschrift dem Schutz Ihrer Gesundheit dient. Denn bei Schleifarbeiten zur Lackentfernung entstehen Staubnebel, welche Nase, Hals und den oberen Atemwegen schwere Schäden zufügen können. Die freigesetzten feinen Partikel können in die Lunge vordringen und Gewebeschäden verursachen, in schlimmeren Fällen sogar Nasenkrebs, Silikose und Asbestose. Wir erwarten daher von Ihnen, dass Sie die Arbeitsschutzvorschriften zukünftig stets einhalten, insbesondere bei Schleifarbeiten eine ordnungsgemäße Atemschutzmaske tragen. Als Anlage haben wir Ihnen daher vorsorglich die Broschüre „Arbeitsschutz im Betrieb“ beigefügt. Sollten Sie in Zukunft erneut gegen Arbeitsschutzvorschriften verstoßen, müssen Sie mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis hin zur Kündigung Ihres Arbeitsverhältnisses rechnen. Diese Abmahnung nehmen wir zu Ihrer Personalakte. Mit freundlichen Grüßen (Unterschrift)
8.4 Abmahnung wegen Verstoß gegen Arbeitsschutzvorschriften
Arbeitsrechtlicher Hinweis Die gesetzlichen Regelungen des Arbeitsschutzes richten sich in erster Linie an den Arbeitgeber: Er hat seinen Betrieb so zu organisieren, dass Arbeitnehmer keinen Schaden an Leib und Leben erleiden. Bei Verstößen drohen dem Arbeitgeber erhebliche Konsequenzen, die von Geldbußen (z. B. § 209 Abs. 3 SGB VII) bis zur Einstellung des Betriebes (§ 22 Abs. 3 ArbSchG) reichen können. Auch Normen, die lediglich die Gesundheit des Einzelnen schützen (z. B. Tragen einer Atemschutzmaske), stehen nicht zur Disposition des Arbeitnehmers. Der Arbeitgeber muss die Einhaltung der Sicherheitsvorschriften durch den Arbeitnehmer überwachen und dies ggf. durch arbeitsrechtliche Sanktionen sicherstellen. Prüfen die zuständigen Behörden im Anschluss an einen Arbeitsunfall den allgemeinen Stand der betrieblichen Arbeitssicherheit, so kann der Arbeitgeber durch Vorlage entsprechender Abmahnungen sein ernsthaftes Bemühen objektiv belegen. Bei Verstößen gegen Regelungen des Arbeitsschutzes sollte der Arbeitgeber stets auch prüfen, ob der direkte Vorgesetzte Kenntnis von dem Verstoß hatte. Diesem ist dann stets auch eine Abmahnung zu erteilen, weil er die Anweisung missachtet hat, auf die Einhaltung von arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften zu achten.
Arbeitspsychologischer Hinweis Die Einhaltung der Vorgaben des Arbeitsschutzes ist insbesondere in Unternehmen des produzierenden Gewerbes ein leidiges Dauerthema. Nicht selten wird diese Thematik als Bühne für Profilierungen unter Kollegen oder postpubertäre Machtspielchen zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern missbraucht. Als Arbeitgeber bzw. Vorgesetzter dürfen Sie sich auf keinen Fall darauf einlassen. Beim Arbeitsschutz gilt stets das Prinzip der Nulltoleranzgrenze, denn jede punktuelle Toleranz führt zu einer Argumentationskette gegenüber anderen Arbeitnehmern. Maßnahmen des Arbeitsschutzes werden von Arbeitnehmern häufig als belastend oder gar sinnlos empfunden, da z. B. eine Atemschutzmaske das Atmen erschwert. Der Arbeitgeber sollte daher deutlich machen, dass er eine soziale Verantwortung gegenüber dem Arbeitnehmer hat, diesen insbesondere vor gesundheitlichen Gefahren schützen muss. Die Aufnahme einer konkreten Schilderung gesundheitlicher Schäden, welche bei Verletzung der Arbeitsschutzvorschrift eintreten können (z. B. Nasenkrebs, Silikose etc.), kann zu einer höheren Akzeptanz seitens des Arbeitnehmers führen.
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8.5 Abmahnung wegen Verstoß gegen Anzeigepflicht (Arbeitsunfähigkeit I) Sehr geehrter Herr…, leider sehen wir uns gezwungen, Ihnen aus den folgenden Gründen eine Abmahnung zu erteilen: Am 16.04.2020 erschienen Sie zum Schichtbeginn um 07:00 Uhr nicht zur Arbeit. Erst gegen 11:30 Uhr teilten Sie Herrn Otto Herb telefonisch mit, dass Sie „für mindestens eine Woche krank“ seien. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hätten Sie bereits per Post an uns versendet. Herr Herb fragte Sie, warum Sie uns dies nicht bereits vor Schichtbeginn mitteilten. Daraufhin antworteten Sie, dass Sie um 10:00 Uhr einen Termin bei Ihrem Arzt hatten und zunächst dessen Diagnose abwarten wollten. Es sei sinnvoll gewesen, uns im Anschluss an den Arzttermin eine konkrete Dauer der Arbeitsunfähigkeit mitzuteilen. Für Sie sei nicht erkennbar gewesen, ob diese lediglich zwei oder bis zu sieben Tagen andauern würde. Durch dieses Verhalten haben Sie Ihre Anzeigepflichten nach dem EFZG verletzt. Gem. § 5 Abs. 1 S. 1 EFZG sind Sie verpflichtet, uns eine Arbeitsunfähigkeit nebst voraussichtlicher Dauer unverzüglich mitzuteilen. In der Regel müssen Sie uns bereits am ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit schnellstmöglich – wenn möglich noch vor dem Zeitpunkt der geplanten Arbeitsaufnahme – informieren. Unsere Personalabteilung ist werktäglich ab 05:00 Uhr telefonisch erreichbar. Wenn Sie also bereits wissen, dass Sie nicht zur Arbeit erscheinen können, dürfen Sie nicht erst eine ärztliche Diagnose abwarten, sondern müssen uns bereits zu diesem Zeitpunkt informieren. Zudem sind Sie zu diesem Zeitpunkt verpflichtet, eine Einschätzung zur Dauer der Arbeitsunfähigkeit abzugeben (Selbstdiagnose). Im Anschluss an einen Arzttermin sind Sie sodann verpflichtet, uns die ärztliche Prognose zur Dauer der Erkrankung mitzuteilen. Wir fordern Sie nachdrücklich dazu auf, in Zukunft Ihre Anzeigepflichten gem. § 5 Abs. 1 EFZG zu erfüllen. Sollten Sie in Zukunft erneut gegen Ihre Pflichten in Verbindung mit einer Arbeitsunfähigkeit verstoßen (insbesondere Anzeige- und Nachweispflichten gem. § 5 Abs. 1 EFZG), müssen Sie mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis hin zur Kündigung Ihres Arbeitsverhältnisses rechnen. Diese Abmahnung nehmen wir zu Ihrer Personalakte. Mit freundlichen Grüßen (Unterschrift)
8.5 Abmahnung wegen Verstoß gegen Anzeigepflicht (Arbeitsunfähigkeit I)
Arbeitsrechtlicher Hinweis Die Verletzung von Anzeige- und Nachweispflichten im Rahmen der Entgeltfortzahlung ist in der Praxis weitverbreitet. Für den Arbeitgeber sind mit der Arbeitsunfähigkeit besondere Belastungen verbunden. Die Arbeitskraft des Arbeitnehmers fällt für ihn überraschend aus, sodass er kurzfristig durch betriebliche Umorganisation Abhilfe schaffen muss. Da der Arbeitnehmer nicht verpflichtet ist, die konkrete Art und Ursache seiner Erkrankung zu offenbaren, kann der Arbeitgeber die Dauer des Ausfalls zudem nur schlecht prognostizieren. Dem Arbeitnehmer wird in § 5 Abs. 1 S. 1 EFZG nur eine sehr beschränkte Anzeigepflicht auferlegt. Daher sind Arbeitgeber gut beraten, die Einhaltung des gesetzlichen Mindeststandards hinsichtlich Anzeigepflichten des EFZG konsequent einzufordern.
Arbeitspsychologischer Hinweis Arbeitgeber sollten sehr genau abwägen, ob eine Abmahnung als Reaktion auf eine Verletzung von Anzeige- und Nachweispflichten tatsächlich zielführend ist. Sofern es sich um einen erstmaligen Verstoß handelt, ist das Risiko einer temporären oder gar dauerhaften Demotivation hoch. Deshalb ist es regelmäßig vorzuziehen, zunächst eine Ermahnung zu erteilen und erst im Wiederholungsfall zur Abmahnung zu greifen. In jedem Fall sollte dem Arbeitnehmer in einem Gespräch deutlich gemacht werden, dass er ein Fehlverhalten an den Tag gelegt hat, welches zwar „nur“ einen Formfehler betrifft, gleichwohl nicht vernachlässigbar ist. Allgemein zeigt die Erfahrung, dass der Arbeitgeber gut beraten ist, von seinen Arbeitnehmern eine persönliche telefonische Krankmeldung bei einem bestimmten Vorgesetzten zu verlangen. Damit wird die Möglichkeit, sich in der „anonymen“ Telefonzentrale abzumelden oder z. B. eine E-Mail zu senden, ausgeschlossen. Diese Vorschrift belastet wirklich arbeitsunfähige Arbeitnehmer nicht, erhöht jedoch die Hemmschwelle für „Blaumacher“.
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8 Musterabmahnungen
8.6 Abmahnung wegen Verstoß gegen Nachweispflicht (Arbeitsunfähigkeit II) Sehr geehrter Herr…, leider sehen wir uns gezwungen, Ihnen aus den folgenden Gründen eine Abmahnung zu erteilen: Am 08.11.2019 um 11:15 Uhr teilten Sie dem Personalleiter, Herrn Ingo Salz, telefonisch mit, dass Sie für voraussichtlich 2 bis 4 Tage arbeitsunfähig seien. Am 10.11.2019 gegen 14:30 Uhr teilten Sie Herrn Salz sodann telefonisch mit, dass Ihr behandelnder Arzt Sie bis 22.11.2019 krankgeschrieben habe. Am 16.11.2019 erreichte uns eine entsprechende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung der Praxis Dr. Berthold. Durch Ihr Verhalten haben Sie Ihre gesetzlichen Nachweispflichten gem. § 5 Abs. 1 S. 2 EFZG verletzt. Sie sind verpflichtet, bei einer länger als 3 Kalendertage dauernden Arbeitsunfähigkeit spätestens an dem darauf folgenden Arbeitstag eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit sowie über deren Dauer vorzulegen. Dementsprechend hätten Sie hier dafür Sorge tragen müssen, dass diese Bescheinigung spätestens am 11.11.2019 (und nicht erst am 16.11.2019) in der Personalabteilung, Werkstraße 12, 12549 Berlin, eingeht. Sollten Sie in Zukunft erneut gegen Ihre Pflichten in Verbindung mit einer Arbeitsunfähigkeit verstoßen (insbesondere Anzeige- und Nachweispflichten gem. § 5 Abs. 1 EFZG), müssen Sie mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis hin zur Kündigung Ihres Arbeitsverhältnisses rechnen. Zudem behalten wir uns vor, zukünftig gemäß § 5 Abs. 3 EFZG die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung ab dem ersten Tag der Erkrankung zu verlangen. Diese Abmahnung nehmen wir zu Ihrer Personalakte. Mit freundlichen Grüßen (Unterschrift)
8.6 Abmahnung wegen Verstoß gegen Nachweispflicht (Arbeitsunfähigkeit II)
Arbeitsrechtlicher Hinweis Die Verletzung von Anzeige- und Nachweispflichten im Rahmen der Entgeltfortzahlung ist in der Praxis weitverbreitet. Wegen der mit der Arbeitsunfähigkeit verbundenen besonderen Belastungen8 sind Arbeitgeber gut beraten, die Einhaltung des gesetzlichen Mindeststandards hinsichtlich Anzeigepflichten des EFZG konsequent einzufordern. Häufig hegen Arbeitgeber erhebliche Zweifel am Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit, insbesondere, wenn diese gehäuft oder typischerweise im zeitlichen Zusammenhang mit einem Wochenende, Urlaub oder Feiertagen eintritt. Der Arbeitgeber kann dem Arbeitnehmer gem. § 5 Abs. 1 S. 3 EFZG auferlegen, bereits ab dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit eine A U-Bescheinigung vorzulegen. Hierdurch wird der Arbeitnehmer verpflichtet, bereits am ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit einen Arzt aufzusuchen und die AU-Bescheinigung noch am selben Tag dem Arbeitgeber zu übermitteln. Das Verlangen nach vorzeitiger Vorlage einer AU-Bescheinigung kann vom Arbeitgeber entweder im Hinblick auf eine aktuell bestehende Arbeitsunfähigkeit erfolgen oder aber „abstrakt“ im Hinblick auf die nächste Arbeitsunfähigkeit. Ein entsprechendes Verlangen des Arbeitgebers ist zwar nicht an bestimmte Voraussetzungen geknüpft und bedarf auch keiner Begründung. Der Arbeitgeber sollte jedoch darauf achten, sich nicht dem Vorwurf der Willkür oder Diskriminierung auszusetzen, und daher einen Anlass bei Bedarf dokumentieren können.
Arbeitspsychologischer Hinweis Macht der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Auflage, bereits ab dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit eine AU-Bescheinigung vorzulegen, so stellt dies eine erste Eskalationsstufe dar. Der Arbeitgeber macht damit Zweifel an der Krankheit des Arbeitnehmers sehr deutlich. Zuvor ist ein offenes Gespräch über den Verdacht angebracht. In diesem sollte der Arbeitgeber zunächst klar nachfragen, ob ggf. andere Gründe vorliegen, die den Arbeitnehmer veranlassen, möglichst häufig der Arbeitsstelle fernzubleiben (z. B. ein schlechtes Verhältnis mit seinem Vorgesetzten oder Kollegen, Unter- bzw. Überforderung). Bei Nachfragen hinsichtlich der Krankheit ist besondere Vorsicht angebracht: Echte Fürsorge und Empathie führen in der Regel zu einer Öffnung des Arbeitnehmers, Schnüffelei und Neugierde werden von Arbeitnehmern sehr wohl erkannt und führen meist zu einem nachhaltigen Misstrauen gegenüber dem Arbeitgeber.
8S.
dazu Musterabmahnung 05.
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8 Musterabmahnungen
8.7 Abmahnung wegen genesungswidrigen Verhaltens (Arbeitsunfähigkeit III) Sehr geehrter Herr…, leider sehen wir uns gezwungen, Ihnen aus den folgenden Gründen eine Abmahnung zu erteilen: Am 07.02.2020 erhielten wir von Ihnen eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den Zeitraum 06.02.2020 bis 27.02.2020. Sie erschienen in diesem Zeitraum nicht zur Arbeit. Am 15.02.2020 beobachtete der von uns beauftragte Privatdetektiv, Herr Bert Beck, Sie dabei, wie Sie vor Ihrem Haus in der Heinstraße 12, 10349 Berlin, von 11:03 Uhr bis 12:17 Uhr durchgehend Holz hackten. Gegen 12:17 Uhr unterbrachen Sie Ihre Tätigkeit, da ein Lieferfahrzeug der Firma ABC GmbH einen Kühlschrank und eine Waschmaschine anlieferte. Beide Geräte trugen Sie gemeinsam mit Ihrem Sohn Karsten in das Haus. Direkt im Anschluss setzten Sie das Holzhacken zwischen 12:53 Uhr und 15:26 Uhr fort. Als wir Sie heute mit diesem Vorfall konfrontierten, erklärten Sie, dass Ihr Arzt ein akutes Stadium einer Polyarthritis diagnostiziert habe, das zu einer Arbeitsunfähigkeit führe. Er habe daher körperliche Schonung zur Förderung der Rekonvaleszenz angeraten. Durch die von Ihnen am 15.02.2020 ausgeübten Tätigkeiten (Holzhacken, Tragen der Geräte) haben Sie Ihre arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht verletzt. Danach muss ein arbeitsunfähig erkrankter Arbeitnehmer sich so verhalten, dass er bald wieder gesund wird. Dazu hat er alles zu unterlassen, was seine Genesung verzögern könnte. Sie haben jedoch dem ärztlichen Rat zur körperlichen Schonung zuwidergehandelt. Das Hacken von Holz und das Tragen schwerer Gegenstände über einen längeren Zeitraum stellen sich als eine körperliche Belastung dar. Wir erwarten von Ihnen, dass Sie zukünftig im Falle einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit ein der baldigen Gesundung zuträgliches Verhalten an den Tag legen und die Genesung verzögernde, insbesondere körperlich anstrengende Tätigkeiten unterlassen. Sollten Sie in Zukunft erneut gegen Ihre Pflichten in Verbindung mit einer Arbeitsunfähigkeit verstoßen (insbesondere durch genesungswidriges Verhalten), müssen Sie mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis zur Kündigung Ihres Arbeitsverhältnisses rechnen. Diese Abmahnung nehmen wir zu Ihrer Personalakte. Mit freundlichen Grüßen (Unterschrift)
8.7 Abmahnung wegen genesungswidrigen Verhaltens (Arbeitsunfähigkeit III)
Arbeitsrechtlicher Hinweis Die Rechtslage im Umfeld des Verhaltens während einer Arbeitsunfähigkeit ist sehr komplex, mehrere Sachverhalte sind genau auseinanderzuhalten: Geht der Arbeitnehmer während Arbeitsunfähigkeit einer anderen Beschäftigung nach, so rechtfertigt dies in der Regel den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung, insbesondere wenn die Tätigkeit bei einem Wettbewerber erfolgt.9 Geht ein Arbeitnehmer während des Zeitraums einer attestierten Arbeitsunfähigkeit einer anderen Arbeitstätigkeit nach, erschüttert dies den Beweiswert der AU-Bescheinigung. Kann der Arbeitnehmer daraufhin das Bestehen der gesundheitlichen Einschränkungen nicht substanziiert darlegen, ist von einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit auszugehen, welche den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung rechtfertigt.10 Kann der Arbeitnehmer hingegen substanziiert darlegen, dass er arbeitsunfähig war, kann der Arbeitgeber ihm nur die grob gesundheitswidrige Verhaltensweise, die den Heilungsprozess verzögert, vorwerfen. Den Nachweis für eine grob gesundheitswidrige Verhaltensweise kann der Arbeitgeber auch durch die Beauftragung eines Detektivs führen. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass ein begründeter Verdacht für eine entsprechende Verhaltensweise vorliegt.11 Der Arbeitnehmer hat dann u. U. sogar die entstandenen Detektivkosten zu ersetzen.12 Nach teilweise vertretener Ansicht soll der Arbeitnehmer gehalten sein, auch nicht an unangemessenen privaten Veranstaltungen teilzunehmen.13
Arbeitspsychologischer Hinweis In einem solchen Fall wird erfahrungsgemäß offensichtlich, dass der Arbeitnehmer sich nicht oder nicht mehr mit seiner Arbeitsstelle identifiziert und bereits innerlich gekündigt hat. Es ist in einem solchen Fall absolut erforderlich, ein sofortiges und deutliches Gespräch mit dem Arbeitnehmer zu führen. Die Erfahrungen zeigen weiterhin, dass das Verhältnis zwischen Vorgesetzten und Arbeitnehmer meist nachhaltig gestört ist. In diesem Fall empfiehlt es sich, einen externen Coach einzubinden, der mit dem Arbeitnehmer in einer oder zwei Einzelsitzungen die Beweggründe für ein solches Verhalten klärt. Ebenfalls sollte geklärt werden, ob der Mitarbeiter weiterhin im Unternehmen bleiben will oder ob er dieses verlassen möchte. Denn Arbeitnehmer, die innerlich gekündigt haben, haben zwar bereits eine Entscheidung getroffen – ziehen jedoch nicht die Konsequenzen im Sinne einer tatsächlichen Kündigung, sondern in Form einer Art „Sabotage“.
9LAG
Frankfurt, Urteil vom 15.08.1985 – 12 Sa 963/84. Rheinland-Pfalz, Urteil vom 12.02.2010 – 9 Sa 275/09. 11LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15.06.1999 – 5 Sa 540/99. 12BAG, Urteil vom 17. 9. 1998 – 8 AZR 5/97. 13LAG Niedersachsen, Urteil vom 01.09.1983 – 11 Sa 20/83: Linienrichter beim Fußball. 10LAG
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8 Musterabmahnungen
8.8 Abmahnung wegen Vorlage einer gefälschten AU-Bescheinigung (Arbeitsunfähigkeit IV) Sehr geehrter Herr…, leider sehen wir uns gezwungen, Ihnen aus folgenden Gründen eine Abmahnung zu erteilen: Am 05.02.2020 gegen 09:00 Uhr teilten Sie Ihrem Vorgesetzten, Herrn Tim Prall, telefonisch mit, dass Sie wegen Kopfschmerzen nicht zur Arbeit erscheinen. Am 10.02.2020 sendeten Sie uns durch Boten eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, ausgestellt am 07.02.2020 durch die Praxis Dr. Berg, Kohlplatz 7, 13457 Berlin. Eine Kopie hiervon ist als Anlage beigefügt. Da Herrn Prall als Patient dieser Praxis zufällig bekannt war, dass freitags keine Sprechstunde ist, erfolgte dort eine Rückfrage unter Beifügung des Originals Ihrer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Herr Dr. Berg teilte uns mit, dass am 07.02.2020 keine Bescheinigungen ausgestellt wurden. Auf Nachfrage des Herrn Prall sagten Sie am 13.02.2020 um 10:30 Uhr, Sie seien krank gewesen. Da Sie es nicht rechtzeitig zum Arzt geschafft hätten, hätten Sie zur Vermeidung eines Verstoßes gegen Ihre Nachweispflicht nach § 5 EFZG die vorliegende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung selbst erstellt. Durch Ihr Verhalten haben Sie Ihre arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt. Die Vorlage einer gefälschten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zum Zwecke der Erschleichung einer Lohnfortzahlung gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG stellt eine Urkundenfälschung gemäß § 267 Abs. 1 StGB dar. Wir fordern Sie auf, zukünftig im Rahmen des Arbeitsverhältnisses keine unechten Urkunden herzustellen, keine echten Urkunden zu verfälschen sowie keine unechten oder verfälschten Urkunden zu gebrauchen, um uns oder Dritte damit im Rechtsverkehr zu täuschen. Verwenden Sie ausschließlich authentische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen! Sollten Sie in Zukunft erneut gegen Ihre Pflichten in Verbindung mit einer Arbeitsunfähigkeit verstoßen (insbes. Vorlage einer falschen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung), müssen Sie mit der Kündigung Ihres Arbeitsverhältnisses rechnen. Zudem behalten wir uns vor, zukünftig gemäß § 5 Abs. 3 EFZG die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung ab dem ersten Tag der Erkrankung zu verlangen. Diese Abmahnung nehmen wir zu Ihrer Personalakte. Mit freundlichen Grüßen (Unterschrift)
8.8 Abmahnung wegen Vorlage einer gefälschten AU-Bescheinigung ...
Arbeitsrechtlicher Hinweis Im Zuge der Verbreitung immer hochwertigerer Farbdrucker versuchen Arbeitnehmer zunehmend, selbst erstellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorzulegen. Häufig hätte der Arbeitnehmer rechtlich gesehen eine solche gar nicht vorlegen müssen, etwa, weil er nur drei Tage abwesend war. Auch ohne Pflicht zur Vorlage stellt sich die tatsächliche Vorlage einer „Fälschung“ dann jedoch als Pflichtverletzung dar. Damit ist indes noch nicht bewiesen, dass der Arbeitnehmer nicht tatsächlich arbeitsunfähig war (d. h. krankgefeiert hat). Der Arbeitgeber muss hier vor Erstellung der Abmahnung den konkreten Verstoß genau feststellen, z. B. durch Befragen des Arbeitnehmers. Behauptet der Arbeitnehmer, arbeitsunfähig gewesen zu sein, und lässt sich das Gegenteil nicht beweisen, sollte der Arbeitgeber nur wegen Vorlage der gefälschten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen abmahnen.14
Arbeitspsychologischer Hinweis Sie sollten dem Arbeitnehmer deutlich machen, dass er mit der Urkundenfälschung eine Grenze überschritten hat, die weder für Sie noch für das Unternehmen hinnehmbar ist! Zeigen Sie ihm auf, dass Sie auch weiterhin mit ihm zusammenarbeiten möchten, diese Urkundenfälschung jedoch ein schwerer Vertrauensverstoß ist. Machen Sie deutlich, dass es an ihm ist, dieses einseitig gestörte Vertrauensverhältnis wieder herzustellen. Des Weiteren sprechen Sie den Mitarbeiter direkt darauf an, weshalb er ein so geringes Vertrauen in seinen Vorgesetzten hat, dass er zu solchen Mitteln greift, anstatt die Fakten auf den Tisch zu legen. Hier sind ggf. vorher bereits vertrauensschädigende Entscheidungen bzw. Handlungen seitens des Unternehmens vollzogen worden, die unbedingt reflektiert werden sollten!
14Zur
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Möglichkeit, gem. § 5 Abs. 1 S. 3 EFZG dem Arbeitnehmer aufzuerlegen, bereits ab dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit eine AU-Bescheinigung vorzulegen, s. Musterabmahnung 06.
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8 Musterabmahnungen
8.9 Abmahnung wegen Androhung Krankfeiern (Arbeitsunfähigkeit V) Sehr geehrter Herr…, leider sehen wir uns gezwungen, Ihnen aus den folgenden Gründen eine Abmahnung zu erteilen: Am 17.03.2020 um 12:15 Uhr sprachen Sie Ihren Vorgesetzten, Herrn Tim Taube, in der Kantine an und baten ihn, Ihnen für den Folgetag Urlaub zu gewähren. Herr Taube lehnte dies im Hinblick auf die aktuelle Personalsituation ab. Daraufhin erklärten Sie, die Beurlaubung besonders dringend zu benötigen, da Ihr Pkw überraschend in die Werkstatt müsse. Herr Taube lehnte erneut ab. Nunmehr äußerten Sie wörtlich: „Das sollten Sie sich noch einmal genau überlegen. Ich könnte nämlich Kopfschmerzen bekommen und wäre dann vielleicht sogar zwei bis drei Tage krank. Also – was ist nun mit meinem Urlaub?“ Herr Taube blieb bei seiner Ablehnung. Durch diese vorgenannte Aussage haben Sie Ihre arbeitsvertraglichen Pflichten besonders schwer verletzt. Sie haben Herrn Taube für den Fall der Ablehnung Ihres Urlaubsantrages mit dem Eintritt einer Erkrankung gedroht. Da tatsächlich keine Anzeichen für den Eintritt einer Erkrankung vorlagen, kann dies nur als Ankündigung einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit gewertet werden. Diese Drohung wollten Sie zur Erzwingung der Genehmigung Ihres Urlaubsantrages missbrauchen, da Sie im Hinblick auf die Kurzfristigkeit Ihres Verlangens offensichtlich keinen rechtlichen Anspruch auf Gewährung eines Urlaubstages zum gewünschten Datum hatten. Wir fordern Sie auf, in Zukunft gegenüber Ihren Kollegen und Vorgesetzten keine Drohungen auszusprechen, insbesondere nicht mit dem Inhalt, dass eine vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit erfolgen werde. Des Weiteren fordern wir Sie auf, sich bei der Einreichung Ihrer Urlaubsanträge an die Regeln des § 7 Abs. 1 BUrlG zu halten und von dem Ausspruch von Drohungen abzusehen. Wir weisen darauf hin, dass wir Ihr Verhalten nur im Hinblick auf Ihre langjährige Betriebszugehörigkeit nicht zum Anlass nehmen, eine außerordentliche Kündigung auszusprechen. Sollten Sie jedoch in Zukunft erneut Drohungen gegenüber Vorgesetzten aussprechen, müssen Sie mit einer Kündigung Ihres Arbeitsverhältnisses rechnen. Diese Abmahnung nehmen wir zu Ihrer Personalakte. Mit freundlichen Grüßen (Unterschrift)
8.9 Abmahnung wegen Androhung Krankfeiern (Arbeitsunfähigkeit V)
Arbeitsrechtlicher Hinweis Die Androhung einer Arbeitsunfähigkeit bei Nichtgewährung von Urlaub stellt regelmäßig einen Grund für eine außerordentliche Kündigung dar.15 Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Arbeitnehmer seine Drohung wahr macht und am eigentlichen „Urlaubstag“ tatsächlich nicht zur Arbeit erscheint. Bereits die bloße Drohung genügt regelmäßig als Kündigungsgrund. Zudem bedarf es nicht unbedingt einer offenen Drohung. Es kann genügen, wenn der Arbeitnehmer die Ankündigung der nahenden Arbeitsunfähigkeit und seinen Urlaubswunsch so in Zusammenhang stellt, dass ein verständiger Dritter dies nur als Hinweis werten kann, dass die Krankschreibung Folge einer Nichtgewährung des Urlaubs sein soll.16 Macht der Arbeitnehmer allerdings seine Drohung wahr und erscheint nicht, obwohl er arbeitsfähig ist, so liegt ein weiterer Pflichtverstoß vor, der eine Kündigung bzw. Abmahnung rechtfertigt.
Arbeitspsychologischer Hinweis Eine solche Androhung ist stets ein Alarmsignal. Der Mitarbeiter macht deutlich, dass er nicht davor zurückschreckt, zu extremen Mitteln zu greifen. Dadurch setzt er einseitig die elementaren Regeln des fairen und vertrauensvollen Umgangs außer Kraft. Bevor eine weitere fruchtbare Zusammenarbeit erfolgen kann, müssen diese buchstäblich wieder „in Kraft gesetzt“ werden. Nehmen Sie dieses Alarmsignal ernst und prüfen Sie mit dem Arbeitnehmer zusammen, inwieweit sich dieser noch mit seinem Umfeld und seiner Aufgabe identifiziert. Führen Sie ihm vor Augen, dass sein Verhalten auf eine mangelnde Loyalität schließen lässt. Machen Sie deutlich, dass es dem Arbeitnehmer obliegt, sich von seiner Drohung zu distanzieren und für die Zukunft auf derartige Grenzverletzungen zu verzichten.
15BAG, 16BAG,
Urteil vom 05.11.1992 – 2 AZR 147/92. Urteil vom 17.06.2003 – 2 AZR 123/02.
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8 Musterabmahnungen
8.10 Abmahnung wegen Arztbesuch während Arbeitszeit (Arbeitsunfähigkeit VI) Sehr geehrter Herr…, leider sehen wir uns gezwungen, Ihnen aus den folgenden Gründen eine Abmahnung zu erteilen: Am 17.02.2020 teilten Sie Ihrem Vorgesetzten, Herrn Theo Beil, mündlich mit, dass Sie am Folgetag voraussichtlich erst um 12:00 Uhr zur Arbeit erscheinen könnten. Als Grund nannten Sie einen wichtigen Arzttermin. Am 18.02.2020 erschienen Sie nicht zum betriebsüblichen Arbeitsbeginn um 09:00 Uhr, sondern erst um 11:37 Uhr. Der Unterzeichner bat Sie sofort zu einer Unterredung ins Personalbüro. Auf Nachfragen erklärten Sie, von 09:15 Uhr bis 10:50 Uhr einen Arzttermin wahrgenommen zu haben. Auf die Aufforderung hin, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen, erklärten Sie, dass es sich um eine wichtige Routineuntersuchung gehandelt habe, wobei keine dringende oder akute Situation vorlag. Indem Sie am 18.02.2020 zwischen 09:00 Uhr und 11:37 Uhr nicht zur Arbeit erschienen, haben Sie Ihre vertragliche Arbeitspflicht verletzt. Ihr Verhalten ist als unentschuldigtes Fehlen zu werten. Arztbesuche führen nur zu einem Fortfall der Arbeitspflicht, wenn sie während einer festgestellten Arbeitsunfähigkeit erfolgen. Sonstige Arztbesuche sind grundsätzlich der privaten Lebensführung zuzuordnen und müssen daher außerhalb der Arbeitszeit wahrgenommen werden. Eine Ausnahme gilt, wenn der Termin besonders dringend ist und nicht auf einen Zeitpunkt außerhalb der Arbeitszeit verschiebbar ist. Dies war vorliegend nicht der Fall. Wir erwarten von Ihnen, dass Sie Ihre Arzttermine in der Zukunft entsprechend dieser Vorgaben wahrnehmen. Sollten Sie in Zukunft erneut gegen Ihre Arbeitspflicht verstoßen (insbesondere Arzttermine ohne Dringlichkeit während der Arbeitszeit wahrnehmen), müssen Sie mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen rechnen. Diese Abmahnung nehmen wir zu Ihrer Personalakte. Mit freundlichen Grüßen (Unterschrift)
8.10 Abmahnung wegen Arztbesuch während Arbeitszeit (Arbeitsunfähigkeit VI)
Arbeitsrechtlicher Hinweis Eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit macht in der Regel das Aufsuchen eines Arztes zum Zwecke der Behandlung bzw. Ausstellung einer AU-Bescheinigung erforderlich. Daher ziehen Arbeitnehmer häufig den Rückschluss, dass jeglicher Arzttermin zu einer bezahlten Freistellung von der Arbeit führe, und nehmen Arzttermine während der Arbeitszeit wahr. Es empfiehlt sich daher, die Arbeitnehmer durch Aushang (Schwarzes Brett, Intranet) ausdrücklich über die rechtlichen Rahmenbedingungen und die betriebliche Handhabung zu informieren.
Arbeitspsychologischer Hinweis Arbeitnehmern ist erfahrungsgemäß nicht klar, dass sie einen Pflichtverstoß begehen. Zwar kann der Arbeitgeber trotzdem eine Abmahnung erteilen, da hierfür der objektiv vorliegende Verstoß genügt. In der Regel sollte der Arbeitgeber jedoch zunächst eine bloße Ermahnung erteilen, um den Arbeitnehmer nicht nachhaltig zu demotivieren. Sofern der Arbeitgeber allerdings eine ausdrückliche Aufklärung der Arbeitnehmer durch Aushang, persönlichen Hinweis oder Ermahnung vorgenommen hatte, sollte der Arbeitgeber mittels Ausspruch einer Abmahnung konsequent durchgreifen. Andernfalls setzt der Arbeitgeber seine Glaubwürdigkeit aufs Spiel.
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8.11 Abmahnung wegen Arbeitszeitbetrug Sehr geehrter Herr…, leider sehen wir uns gezwungen, Ihnen aus den folgenden Gründen eine Abmahnung zu erteilen: Am 13.04.2020 um 07:28 Uhr beobachtete der Filialleiter, Herr Christian Teich, den Angestellten Simon Schulz dabei, wie er zum Schichtbeginn zuerst seine und dann auch Ihre RFID-Chipkarte (Nr. 1234567) vor das Zeiterfassungsgerät in Raum A-03 (Hauptgebäude Antonstraße 13, 14537 Berlin) hielt. In unserem Zeiterfassungssystem wurde Ihr Arbeitsbeginn am 13.04.2020 für 07:28 Uhr erfasst. Herr Teich beobachtete Sie jedoch erst um 08:02 Uhr dabei, wie Sie mit Ihrem Pkw auf das Gelände des Unternehmens fuhren. Bei einer noch an diesem Tag von Herrn Teich durchgeführten Anhörung gaben Sie sofort zu, Herrn Schulz an diesem Tag gegen 07:15 Uhr telefonisch gebeten zu haben, für Sie „mitzustempeln“, da Sie für die Geburtstagsfeier Ihrer Tochter noch dringend eine Torte aus der Bäckerei abholen müssten. Indem Sie einen Kollegen beauftragten, für Sie einen von Ihrer tatsächlichen Arbeitsaufnahme abweichenden Arbeitsbeginn in unserem Zeiterfassungssystem erfassen zu lassen, haben Sie Ihre arbeitsvertragliche Pflicht zur ordnungsgemäßen Arbeitszeiterfassung verletzt. Sie sind verpflichtet, jeweils Beginn und Ende Ihrer Arbeitszeit und jeweils Beginn und Ende Ihrer Pausen durch unser Zeiterfassungssystem ordnungsgemäß, d. h. der Realität entsprechend, erfassen zu lassen. Dazu haben Sie Ihre RFID-Chipkarte unmittelbar, bevor Sie die Arbeit aufnehmen, unmittelbar, nachdem Sie die Arbeit beenden, unmittelbar vor Antritt Ihrer Pausen und unmittelbar nach Beendigung Ihrer Pausen persönlich, d. h. eigenhändig vor das Zeiterfassungsgerät in Raum A-03 zu halten. Keinesfalls dürfen Sie Kollegen bitten, das Zeiterfassungsgerät für Sie zu bedienen. Sollten Sie in Zukunft erneut gegen Ihre arbeitsvertragliche Pflicht zur ordnungsgemäßen Zeiterfassung verstoßen, insbesondere indem Sie einen anderen Mitarbeiter bitten, einen von Ihrer tatsächlichen Arbeitsaufnahme abweichenden Arbeitsbeginn in unserem Zeiterfassungssystem erfassen zu lassen, müssen Sie mit der Kündigung Ihres Arbeitsverhältnisses rechnen. Diese Abmahnung nehmen wir zu Ihrer Personalakt Mit freundlichen Grüßen (Unterschrift)
8.11 Abmahnung wegen Arbeitszeitbetrug
Arbeitsrechtlicher Hinweis Die Manipulation von Zeiterfassungssystemen stellt ebenso wie das vorsätzlich falsche Ausstellen entsprechender Formulare (z. B. Stundenzettel) in aller Regel einen schweren Vertrauensmissbrauch dar. Dabei kommt es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Würdigung, sondern auf den mit der Pflichtverletzung verbundenen schweren Vertrauensbruch an.17 In der Regel wird bei einem erstmaligen Verstoß jedoch eine Abmahnung erforderlich sein. In besonders schweren Fällen, z. B. wenn der Arbeitszeitbetrug fortgesetzt über einen längeren Zeitraum erfolgte und der Arbeitnehmer vehement sein Fehlverhalten leugnet, kann eine vorhergehende Abmahnung entbehrlich sein.18
Arbeitspsychologischer Hinweis Arbeitszeitbetrug ist kein Kavaliersdelikt. Dies wird jedoch erfahrungsgemäß von vielen Arbeitnehmern nicht so gesehen. Viele Arbeitnehmer glauben durch solche Handlungen, eine gefühlte Ungerechtigkeit ein wenig zu kompensieren. Das Motto lautet häufig: „Ich nehme mir nur, was mir zusteht.“ Den meisten Arbeitnehmern ist dabei gar nicht bewusst, dass sie einen klassischen Betrug und damit eine Straftat begehen. Hier ist es deshalb wichtig, dies dem Arbeitnehmer im Gespräch deutlich zu machen, ebenso, dass Sie ein solches Verhalten weder jetzt noch künftig dulden werden und Sie ernsthaft überlegt haben, eine Strafanzeige zu erstatten. Durch diese „Dramatik“ wird die Chance wesentlich erhöht, dass der Arbeitnehmer die Schwere seiner Handlung erkennt. Im Übrigen sollte dieser Vorfall auch innerbetrieblich bekanntgegeben werden, um evtl. Nachahmungstäter prophylaktisch von solchen Ideen abzuhalten. Auch ist es wichtig, die Frage zu klären, mit welchen Handlungen oder Maßnahmen der Mitarbeiter das durch ihn gestörte Vertrauen wieder herzustellen gedenkt. Siehe hier auch Arbeitspsychologischer Hinweis zu Musterabmahnung 17.
17BAG, 18BAG,
Urteil vom 12. 08.1999 – 2 AZR 832/98. Urteil vom 24.11.2005 – 2 AZR 39/05.
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8 Musterabmahnungen
8.12 Abmahnung wegen Beleidigung (eines Kollegen) Sehr geehrter Herr…, leider sehen wir uns gezwungen, Ihnen aus den folgenden Gründen eine Abmahnung zu erteilen: Am 03.06.2019 fand von 10:00 bis 10:30 Uhr das Teammeeting Ihrer Abteilung in Konferenzraum 223, Rosenstrasse 17, 13425 Berlin, statt. Ihr Kollege, Herr Bernd Tiffert, präsentierte dabei seine Vorschläge zur Kampagne „Wind und Sonne“. Im Anschluss an seine Präsentation äußerten Sie – für alle anwesenden Kollegen gut hörbar – wörtlich: „Das war die absolut beschissenste Präsentation, die ich je gesehen habe.“ Auf Herrn Tifferts Bitte um Begründung dieser Einschätzung antworteten Sie: „Weil Sie der unfähigste und dämlichste Mensch in diesem Team sind.“ Durch diese Aussagen haben Sie Herrn Tiffert in seiner Ehre verletzt und vor dem gesamten Team bloßgestellt. Wir sind nicht bereit, in unserem Unternehmen ehrverletzendes oder bloßstellendes Verhalten zu dulden. Wir fordern Sie auf, in Zukunft derartiges Verhalten zu unterlassen und stattdessen kollegial und respektvoll mit Vorgesetzten, Kollegen und Kunden umzugehen. Sollten Sie in Zukunft erneut einen Vorgesetzten, Kollegen oder Kunden in seiner Ehre verletzen oder bloßstellen, müssen Sie mit einer Kündigung Ihres Arbeitsverhältnisses rechnen. Diese Abmahnung nehmen wir zu Ihrer Personalakte. Mit freundlichen Grüßen (Unterschrift)
8.12 Abmahnung wegen Beleidigung (eines Kollegen)
Arbeitsrechtlicher Hinweis Abmahnungen wegen Beleidigung von Kollegen, Vorgesetzten, Kunden oder Dritten erweisen sich häufig als unwirksam, da bereits ihre Dokumentationsfunktion nicht ausreichend erfüllt ist. Arbeitgeber scheuen sich nämlich häufig, die beleidigenden Worte oder Gesten in der Abmahnung zu wiederholen, insbesondere wenn diese Gossensprache, Kraftausdrücke oder sexuelle bzw. unappetitliche Vergleiche beinhalten. Da dem Arbeitnehmer sein Fehlverhalten jedoch konkret dargelegt werden muss, gibt es keine Alternative zu einer (annähernd) wörtlichen Wiederholung der beleidigenden Äußerung bzw. genauen Beschreibung der Geste o. Ä. Eine falsche rechtliche Bewertung des Verstoßes kann zu einer Unwirksamkeit der Abmahnung führen. Vor Erteilung der Abmahnung sollten Arbeitgeber daher stets durch einen Juristen prüfen lassen, ob tatsächlich bereits eine (strafbare!) Beleidigung vorliegt oder z. B. lediglich eine distanzlose bzw. unangemessene Äußerung. Ein bloßstellendes Verhalten muss nicht zwangsläufig eine Ehrverletzung darstellen, kann eine solche jedoch verstärken. Die ausführliche Darstellung der einzelnen Konstellationen würde den Rahmen dieses Buches sprengen.
Arbeitspsychologischer Hinweis Machen Sie dem Arbeitnehmer in aller Deutlichkeit klar, dass Sie ein solches Verhalten nicht noch einmal dulden werden. Weisen Sie ausdrücklich auf die besondere Bedeutung eines respektvollen Umgangs für das Betriebsklima hin. Beziehen Sie auch den beleidigten Kollegen mit ein: Informieren Sie diesen über die von Ihnen eingeleitete Konsequenz der Abmahnung. Erklären Sie ihm, dass die Wiederholung der beleidigenden Worte in der Abmahnung rechtlich erforderlich ist und dass die Erteilung der Abmahnung dazu dient, seine Ehre gerade wieder herzustellen und die Situation zu klären. Sofern die Beleidigung wie im Beispiel vor Kollegen stattgefunden hat, halten Sie nach einer solchen Grenzüberschreitung eines Mitarbeiters eine kurze Rede an das betroffene Team. Verkünden Sie deutlich, dass der beleidigende Mitarbeiter für sein Verhalten abgemahnt worden ist, die Sache damit aber auch erledigt ist. Diese Signalwirkung ist auch für das Team wichtig. Sofern die Beleidigung durch einen Vorgesetzten erfolgte, sollten Sie prüfen, ob die Führungsposition richtig besetzt ist. Führungskräfte mit einem solch menschenverachtenden Führungsstil vernichten letztlich Geld, indem sie die vorhandene Motivation der Mitarbeiter zerstören. „Ein solcher Vorfall kann auch als Anlass dienen, diese Führungskraft einer Potenzialanalyse zu unterziehen.“
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8 Musterabmahnungen
8.13 Abmahnung wegen Verweigerung von Überstunden Sehr geehrter Herr…, leider sehen wir uns gezwungen, Ihnen aus den folgenden Gründen eine Abmahnung zu erteilen: Am 20.01.2020 gegen 18:00 Uhr sprach Ihr Vorgesetzter, Herr Torsten Laube, Sie im Lager an und teilte Ihnen mit, dass soeben ein Großauftrag der Firma ABC GmbH eingegangen sei. Daher müssten noch 150 Stühle des Typs „Omega 2“ versandfertig gemacht und auf den Lkw aufgeladen werden, um diese am Folgetag ausliefern zu können. Herr Laube ordnete gegenüber Ihnen sowie den Kollegen Erwin Blau und Karsten Schuh je zwei Überstunden an, abzuleisten von 18:00 Uhr bis 20:00 Uhr. Sie teilten daraufhin mit, dass Sie nicht bereit seien, die Überstunden abzuleisten. Dies begründeten Sie damit, dass Sie bereits in der letzten Woche vier Überstunden geleistet hätten. Zudem genüge es aus Ihrer Sicht, wenn der Lkw erst am nächsten Tag beladen würde, sodass die Auslieferung am frühen Nachmittag erfolge. Sodann verließen Sie gegen 18:15 Uhr den Betrieb. Indem Sie sich weigerten, die angeordneten Überstunden zu leisten, haben Sie Ihre arbeitsvertragliche Arbeitspflicht verletzt. In § 6 Abs. 1 Ihres Arbeitsvertrages heißt es wörtlich: „Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, auf Anordnung Überstunden im angemessenen Umfang zu leisten.“ Ihre Pflicht zur Ableistung von Überstunden ergibt sich also aus dem Arbeitsvertrag, konkretisiert durch die Anordnung Ihres Vorgesetzten. Die Entscheidung, wann welche Arbeiten erledigt werden müssen bzw. insbesondere, ob Arbeiten auf den Folgetag verlegt werden können, obliegt im Rahmen der unternehmerischen Entscheidung der Geschäftsleitung bzw. dem von dieser beauftragten Vorgesetzten, nicht hingegen Ihnen. Sollten Sie in Zukunft erneut Anweisungen eines Vorgesetzten missachten, insbesondere die Ableistung angeordneter Überstunden verweigern, müssen Sie mit einer Kündigung Ihres Arbeitsverhältnisses rechnen. Diese Abmahnung nehmen wir zu Ihrer Personalakte. Mit freundlichen Grüßen (Unterschrift)
8.13 Abmahnung wegen Verweigerung von Überstunden
Arbeitsrechtlicher Hinweis Der Arbeitgeber kann die Ableistung von Überstunden nur verlangen, wenn er sich dies im Arbeitsvertrag vorbehalten hat (Ausnahme: Notfälle). Andernfalls schuldet der Arbeitnehmer lediglich die arbeitsvertraglich vereinbarte Arbeitszeit. Enthält der Arbeitsvertrag eine Verpflichtung zur Ableistung von Überstunden, so hat der Arbeitgeber lediglich die Grenze des billigen Ermessens (§ 315 BGB) zu berücksichtigen, die Höchstarbeitszeiten des § 3 ArbZG einzuhalten sowie ggf. den Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG zu beteiligen. In der Praxis ist die Anordnung von Überstunden häufig unwirksam, da zuvor keine Beteiligung des Betriebsrates erfolgte. Eine Pflichtverletzung des Arbeitnehmers scheidet dann aus. Der Arbeitgeber ist gut beraten, eine entsprechende Betriebsvereinbarung über Modalitäten der Anordnung von Überstunden zu treffen.
Arbeitspsychologischer Hinweis Das Thema Überstunden ist in vielen Betrieben ein Reizthema. Die Ursachen liegen nicht selten in der mangelnden Wertschätzung, die den Mitarbeitern gegenüber gezeigt wird. Oftmals ist nicht geklärt, ob und wie Überstunden abgegolten werden. Dies führt regelmäßig zu Frust und zu Unsicherheit. Beide finden ihren Höhepunkt in einer Verweigerung künftiger Überstunden und führen zu Unverständnis seitens des Arbeitgebers. Versuchen Sie, die Sicht des Mitarbeiters zu verstehen, und zeigen Sie dies auch. Machen Sie dem Mitarbeiter jedoch deutlich, dass Sie zwar seine Sicht verstehen können, Sie jedoch keine Arbeitsverweigerung hinnehmen können und wollen, sodass Sie deshalb die Abmahnung erteilen müssen, um ein deutliches Signal zu setzen.
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8 Musterabmahnungen
8.14 Abmahnung wegen Verstoß gegen Datenschutz Sehr geehrter Herr…, wir müssen Ihnen aus folgenden Gründen eine Abmahnung erteilen: Am 06.01.2020 um 19.12 Uhr kopierten Sie an Ihrem Rechner in Büro 312 aus dem Verzeichnis D:\Kunden die Datei Kunden.xls, welche Informationen zu 112 Kunden (Name, Adresse) enthielt, auf einen USB-Stick. Am 08.01.2020 versendeten Sie Einladungsbriefe zu einer Weinprobe, die am 24.01.2020 im Weinladen Ihrer Frau („Vino 1“) stattfand. Eine Kopie des Einladungsbriefs liegt als Anlage bei. Dabei schrieben Sie auch die 112 in der o. g. Datei gespeicherten Kunden an. Durch dieses Verhalten haben Sie gegen die Verpflichtung auf die Vertraulichkeit personenbezogener Daten verstoßen. Diese untersagt Ihnen, personenbezogene Daten entgegen der Weisung Ihres Arbeitgebers zu verarbeiten und insbesondere unbefugt zu erheben, zu verwenden oder anderweitig zu nutzen. Unbefugt ist jede Nutzung von Daten außerhalb des Zwecks, für den sie aufgrund der Zustimmung der betroffenen Person gespeichert wurden. Die Daten unserer Kunden wurden zu dem Zweck gespeichert, die Abwicklung von deren Verträgen mit uns rationell zu gestalten. Indem Sie die o. g. Datei auf Ihrem USB-Stick speicherten, verarbeiteten Sie die darin enthaltenen personenbezogenen Daten. Indem Sie sich der Adressdaten im Rahmen der Versendung der Einladungen bedienten, nutzten Sie die personenbezogenen Daten. Beides geschah unbefugt, denn es bestand kein Bezug zur Abwicklung von Verträgen mit unserem Unternehmen. Bei Unterzeichnung Ihres Arbeitsvertrages wurden Sie auf Vertraulichkeit verpflichtet und haben die entsprechende Verpflichtung auf die Vertraulichkeit unterzeichnet. Sie bestätigten mit Ihrer Unterschrift, über die sich aus der DSGVO und dem BDSG ergebenden Verhaltensweisen und Verpflichtungen unterrichtet worden zu sein. Zudem erhielten Sie das Merkblatt „Datenschutz im Betrieb“. Sie erhalten dieses Merkblatt, dem Sie Ihre datenschutzrechtlichen Pflichten entnehmen können, nochmals als Anlage. Wir fordern Sie auf, in Zukunft die Vorgaben des Datenschutzes nach der DSGVO und dem BDSG einzuhalten. Sollten Sie in Zukunft erneut einen Verstoß gegen datenschutzrechtliche Pflichten begehen, insbesondere das Datengeheimnis verletzen, müssen Sie mit einer Kündigung Ihres Arbeitsverhältnisses rechnen. Diese Abmahnung nehmen wir zu Ihrer Personalakte. Mit freundlichen Grüßen (Unterschrift)
8.14 Abmahnung wegen Verstoß gegen Datenschutz
Arbeitsrechtlicher Hinweis Angesichts der verschiedenen Datenschutzskandale, die jüngst die Presse beschäftigten, hat dieses Thema besondere Sensibilität gewonnen. Verstöße gegen den Datenschutz, insbesondere gegen die Vertraulichkeit der verarbeiteten Daten, können sich besonders negativ auf das öffentliche Bild eines Unternehmens auswirken. Dem Arbeitnehmer sollte klar kommuniziert werden, dass es sich hierbei nicht um Kavaliersdelikte handelt. Häufig ist gerade bei der Vervielfältigung von Dateien kaum Unrechtsbewusstsein bei den Arbeitnehmern vorhanden. Vor Ausspruch einer Abmahnung wegen eines Verstoßes gegen Vorschriften des Datenschutzes sollte der Arbeitgeber jedoch prüfen, ob er selbst seine Pflichten erfüllt hat. Erfahrungsgemäß ist häufig die Verpflichtung auf die Vertraulichkeit unterblieben, sodass dem Arbeitnehmer kein Vorwurf gemacht werden kann. Denn der Arbeitnehmer wird sich in der Regel auf Unkenntnis berufen können, soweit nicht besonders eklatante Verstöße im Raum stehen. Es bietet sich daher an, den Arbeitnehmer bereits bei Vertragsschluss eine entsprechende Verpflichtungserklärung unterschreiben zu lassen.
Arbeitspsychologischer Hinweis Wie schon im arbeitsrechtlichen Hinweis angedeutet, empfinden viele Mitarbeiter Datenschutz als lächerliche Lappalie und einen Verstoß dagegen höchstens als Kavaliersdelikt. Doch hier geht es um weitaus mehr als um einen Datenschutzverstoß. Hier geht es um einen Vertrauensbruch an jedem der betroffenen Kunden. Vertrauen ist die Basis einer jeden geschäftlichen Beziehung. Wird diese gestört oder gar zerstört, wird auch die Basis für weitere Geschäftsbeziehungen mit diesem Kunden, aber auch mit potenziellen anderen Kunden nachhaltig gefährdet. Mit dieser Gefährdung wird das Unternehmen bedroht und damit alle Arbeitsplätze und somit alle betroffenen menschlichen Schicksale. Machen Sie dies dem Mitarbeiter deutlich. Erfahrungsgemäß wird dem Arbeitnehmer die Schwere seiner Tat so besser bewusst. Ebenso ist es wichtig, diesen Vorfall innerbetrieblich bekannt zu machen.
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8 Musterabmahnungen
8.15 Abmahnung wegen Selbstbeurlaubung Sehr geehrter Herr…, leider sehen wir uns gezwungen, Ihnen aus den folgenden Gründen eine Abmahnung zu erteilen: Am 17.01.2020 gegen 16:20 Uhr baten Sie mich im Personalbüro um Gewährung von Urlaub im Zeitraum 10.02. bis 16.02.2020. Ich lehnte den Urlaubsantrag ab mit der Begründung, dass sich eine entsprechende Urlaubsgewährung mit dem zuvor eingereichten Urlaubsantrag der Kollegin Elfi Meier für den Zeitraum 07.02. bis 21.02.2020 überschneiden würde. Sie und Frau Meier betreuen das Projekt „EKZ II“. Es muss stets einer von Ihnen beiden erreichbar sein, Parallelbeurlaubungen sind zu vermeiden. Am 27.01.2020 baten Sie mich erneut um eine Sondergenehmigung für den begehrten Urlaub. Sie begründeten dies mit „persönlichen Gründen“, die Sie jedoch auf Nachfrage nicht erläuterten. Ich lehnte daher erneut ab. Im Zeitraum 10.02. bis 16.02.2020 erschienen Sie nicht zur Arbeit. Am 17.02.2020 teilten Sie mit, dass Sie sich im vorgenannten Zeitraum in die Türkei begeben hätten, um an der Geburtstagsfeier Ihres Großvaters teilzunehmen. Dessen gesundheitlicher Zustand habe sich altersbedingt seit Längerem verschlechtert. Da nunmehr eine akute Erkrankung aufgetreten sei, hätten Sie fürchten müssen, dies könne sein letzter Geburtstag sein. Daher hätten Sie den „Urlaub“ ohne Genehmigung genommen. Indem Sie im Zeitraum 10.02. bis 16.02.2020 nicht zur Arbeit erschienen und „Urlaub“ nahmen, ohne dass dieser zuvor gewährt wurde, haben Sie Ihre arbeitsvertragliche Arbeitspflicht verletzt. Ich weise darauf hin, dass ein Urlaubsantritt voraussetzt, dass Sie zuvor mittels Urlaubserteilung von der Arbeitspflicht befreit wurden. Lediglich im Hinblick auf die besonderen sozialen und familiären Umstände, welche Ihrer Selbstbeurlaubung zugrunde lagen, habe ich vom Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung abgesehen. Ich weise Sie darauf hin, dass ich bei einem weiteren Verstoß unausweichlich mit einer außerordentlichen, fristlosen Kündigung reagieren werde. Für den Zeitraum 10.02. bis 16.02.2020 haben Sie keinen Vergütungsanspruch, Ihr Gehalt wurde daher gekürzt. Diese Abmahnung nehme ich zu Ihrer Personalakte. Mit freundlichen Grüßen, (Unterschrift)
8.15 Abmahnung wegen Selbstbeurlaubung
Arbeitsrechtlicher Hinweis Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG rechtfertigt die Selbstbeurlaubung eines Arbeitnehmers in der Regel eine außerordentliche Kündigung gemäß § 626 BGB.19 Zugunsten des Arbeitnehmers kann im Rahmen der Interessenabwägung lediglich eine willkürliche Urlaubsverweigerung seitens des Arbeitgebers zu berücksichtigen sein. In der Regel wird der Ausspruch einer Abmahnung wegen Selbstbeurlaubung entbehrlich sein. Entscheidet sich der Arbeitgeber jedoch bewusst dafür, lediglich eine Abmahnung auszusprechen, so sollte er die Warnfunktion entsprechend scharf ausgestalten.20 Gleichzeitig sollte der Arbeitgeber aus der Selbstbeurlaubung die zutreffenden finanziellen Konsequenzen ziehen. Für den Zeitraum der Selbstbeurlaubung erhält der Arbeitnehmer mangels Arbeitsleistung gemäß § 326 Abs. 1 BGB keine Vergütung. Zudem steht ihm kein Urlaubsentgelt zu, da die Selbstbeurlaubung den gesetzlichen Urlaubsanspruch gemäß § 1 BUrlG nicht erfüllt. Es ist den Arbeitsvertragsparteien auch nicht gestattet, nachträglich die ErfüllunVertrauensbereich berührt, ist eine vorhergehendegswirkung zu vereinbaren, da dies gegen § 13 Abs. 1 BUrlG bzw. § 4 Abs. 6 TVG verstoßen würde. Eine solche Vereinbarung dürfte sich nur auf den arbeitsvertraglichen Mehrurlaubsanspruch beziehen.21
Arbeitspsychologischer Hinweis Weisen Sie den Arbeitnehmer darauf hin, dass aus der Selbstbeurlaubung finanzielle Konsequenzen gezogen werden. In absoluten Zahlen sind diese zwar gering. Sie machen jedoch deutlich, dass das Fehlverhalten unter keinem Gesichtspunkt auch nur ansatzweise geduldet wird.
19BAG,
Urteil vom 16.03.2000 – 2 AZR 75/99; BAG, Urteil vom 20.01.1994 – 2 AZR 521/93. 3, s. Abschn. 3.2.3.4. 21Henssler/Willemsen/Kalb-Schinz, § 7 BUrlG, RN 16 f. 20Stufe
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8 Musterabmahnungen
8.16 Abmahnung wegen Diebstahl Sehr geehrter Herr…, leider sehen wir uns gezwungen, Ihnen aus den folgenden Gründen eine Abmahnung zu erteilen: Am 17.04.2020 waren Sie in unserer Filiale in der Bergstraße 17, 12349 Berlin, tätig. Gegen ca. 16:40 Uhr nahmen Sie sich ein Stück Bienenstich-Kuchen aus der Auslage und aßen dies. Gleichwohl entrichteten Sie hierfür nicht den Kaufpreis laut Auszeichnung in Höhe von 1,65 €. Auch in den Folgetagen holten Sie dies nicht nach. Ihre Kollegin, Frau Dagmar Peter, hat Sie beim Verzehr des Kuchenstücks beobachtet. Indem Sie das Kuchenstück gegessen haben, ohne es zu bezahlen, haben Sie eine Unterschlagung begangen und dadurch Ihre arbeitsvertraglichen Pflichten in besonders schwerwiegendem Maße verletzt. Es spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle, dass das von Ihnen verzehrte Kuchenstück mit einem Wert von unter einem Euro relativ geringwertig ist. Ihr Verhalten stellt sich gleichwohl eindeutig als Unterschlagung gemäß § 246 StGB dar. Durch Ihr Verhalten haben Sie das in Sie gesetzte Vertrauen in besonderem Maße verletzt. Wir fordern Sie auf, in Zukunft keinerlei Waren, Rohstoffe, Vorprodukte oder sonstiges Eigentum unseres Unternehmens unbefugt an sich zu nehmen, sei es durch Verbrauch, Mitnahme oder in sonstiger Weise. Lediglich im Hinblick darauf, dass das Arbeitsverhältnis mit Ihnen nunmehr bereits seit 22 Jahren im Wesentlichen unbeanstandet besteht, haben wir auf den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung verzichtet. Sollten Sie in Zukunft erneut Straftaten zulasten unseres Unternehmens begehen (insbesondere Unterschlagung bzw. Diebstahl), werden wir Ihr Arbeitsverhältnis unweigerlich außerordentlich kündigen. Des Weiteren ziehen wir Ihnen der guten Ordnung halber von der nächsten Lohnabrechnung eine Schadensersatzforderung i. H. v. 1,65 € ab. Diese Abmahnung nehmen wir zu Ihrer Personalakte. Mit freundlichen Grüßen (Unterschrift)
8.16 Abmahnung wegen Diebstahl
Arbeitsrechtlicher Hinweis Straftaten gegen das Vermögen oder das Eigentum des Arbeitgebers (Diebstahl, Unterschlagung, Betrug etc.) rechtfertigen in aller Regel den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung, auch wenn lediglich eine geringwertige Sache betroffen ist.22 Allerdings hat das BAG jüngst in seinem Urteil vom 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 („Emmely“) darauf hingewiesen, dass der Arbeitnehmer sich durch ein langjährig beanstandungsfrei verlaufenes Arbeitsverhältnis einen „Vorrat an Vertrauen“ erarbeitet, der nicht schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig aufgezehrt wird.
Arbeitspsychologischer Hinweis Der Zusatz „Lediglich im Hinblick (…) verzichtet“ hat erhebliche psychologische Bedeutung. Hierdurch wird dem Arbeitnehmer deutlich gemacht, dass sein Verhalten keineswegs tolerierbar ist, das Unternehmen jedoch an ihm festhält und auf seine rechtlichen Sanktionsmittel verzichtet. Dies ist ein wichtiges Signal für die weitere Zusammenarbeit und die Motivation des Mitarbeiters. Auch die psychologische Bedeutung des Lohnabzuges ist nicht zu unterschätzen. Der Abzug zeigt die Ernsthaftigkeit und die Entschlossenheit des Unternehmens, eine solche Tat nicht einfach hinzunehmen.
22BAG,
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Urteil vom 13.12.2007 – 2 AZR 537/06; BAG, Urteil vom 12.08.1999 – 2 AZR 923/98.
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8 Musterabmahnungen
8.17 Abmahnung wegen Spesenbetrug Sehr geehrter Herr…, leider sehen wir uns gezwungen, Ihnen aus den folgenden Gründen eine Abmahnung zu erteilen: Am 17.04.2020 reichten Sie bei unserem Buchhalter, Herrn Siegfried Franz, die dieser Abmahnung als Anlage beigefügte Rechnung vom 13.04.2020 über ein Essen im „Alten Fritz“, Reberstraße 17, 89127 München, über einen Betrag von 51,73 € ein. Auf deren Rückseite hatten Sie eingetragen, dass es sich bei dem in der Rechnung angeführten Verzehr um ein Geschäftsessen mit Dr. Hans Baum, dem Geschäftsführer der ABC GmbH, gehandelt habe. Auf Nachfrage des Herrn Franz erklärte Dr. Baum indes, er sei am 13.04.2020 in London gewesen und habe definitiv nicht mit Ihnen gespeist. Nachdem Herr Franz Sie am 22.04.2020 hiermit konfrontierte, erklärten Sie, dass der Anlass des betreffenden Essens privat gewesen sei. Durch die Einreichung der genannten Rechnung haben Sie Ihre arbeitsvertragliche Nebenpflicht zur ordnungsgemäßen Spesenabrechnung verletzt. Sie sind arbeitsvertraglich verpflichtet, Spesen korrekt abzurechnen. Insbesondere dürfen Sie nur solche Rechnungen, Quittungen und Belege einreichen, die aufgrund Ihrer dienstlichen Tätigkeit entstanden sind. Sollten Sie in Zukunft erneut gegen Ihre arbeitsvertragliche Pflicht zur ordnungsgemäßen Spesenabrechnung verstoßen, müssen Sie mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis hin zur Kündigung Ihres Arbeitsverhältnisses rechnen. Diese Abmahnung nehmen wir zu Ihrer Personalakte. Mit freundlichen Grüßen (Unterschrift)
8.17 Abmahnung wegen Spesenbetrug
Arbeitsrechtlicher Hinweis Da ein Spesenbetrug den Vertrauensbereich berührt, ist eine vorhergehende Abmahnung in der Regel entbehrlich.23 Dabei kommt es auf die Höhe des Schadens regelmäßig nicht an. Entscheidend ist der mit der Vermögensschädigung verbundene Vertrauensverlust. Letzteres gilt indes nur, wenn dem Arbeitnehmer die Absicht zur Manipulation bzw. zum Betrug nachweisbar ist. Bloße Irrtümer des Arbeitnehmers schaffen keinen Kündigungsgrund. Entscheidend kann auch die bisherige Handhabung im Betrieb sein: Wurde im Rahmen der Spesenabrechnung Großzügigkeit praktiziert, ist eine Änderung dieser Praxis allgemein bekannt zu geben.24
Arbeitspsychologischer Hinweis Die Situation und die damit verbundenen Reaktionsmuster ähneln denen in Musterabmahnungen 08, 11 und 16. Machen Sie auch hier deutlich, dass es sich keinesfalls um ein Kavaliersdelikt, sondern um eine Straftat handelt. Machen Sie darüber hinaus deutlich, dass eine solche Handlungsweise das Vertrauen in den Mitarbeiter stark stört und dass Vertrauen, analog einer Geschäftsbeziehung, auch hier die Basis einer fruchtbaren Zusammenarbeit ist. Daher ist es auch mit der Abmahnung eben nicht getan. Denn die Abmahnung stellt das gestörte Vertrauen nicht wieder her. Daher fragen Sie den Mitarbeiter bei dieser Gelegenheit, wie er gedenkt, dieses Vertrauen, welches ja durch ihn zerstört wurde, wieder herzustellen. Wie bei allen durch Arbeitnehmer verübten Straftaten ist es wichtig, die Handlungsinitiative dem Mitarbeiter als Verursacher zu übergeben.
23BAG,
Urteil vom 18.03.1982 – 2 AZR 692/79; Urteil vom 10.06.1980 – 6 AZR 180/78.
24ArbG
Cottbus, Urteil vom 27.01.2010 – 7 Ca 868/09.
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8 Musterabmahnungen
8.18 Abmahnung wegen privater Internetnutzung I (ausdrückliches Verbot) Sehr geehrter Herr…, leider sehen wir uns gezwungen, Ihnen aus den folgenden Gründen eine Abmahnung zu erteilen: Am 06.01.2020 um 19:00 Uhr überprüfte ich im Rahmen meiner Kontrollbefugnis nach § 26 Abs. 1 S. 1 BDSG den betrieblichen E-Mail-Datenverkehr stichprobenartig auf die Einhaltung des Verbots der Nutzung des betrieblichen E-Mail-Systems zu privaten Zwecken. Aus dem Postausgangsprotokoll ergab sich, dass am 03.01.2020 um 10:34 Uhr von Ihrem Dienst-PC eine E-Mail mit der Betreffzeile „Hochzeit Tante Agathe“ an den Empfänger mit der E-Mail-Adresse [email protected] gesendet wurde. Absender war die Ihnen persönlich betrieblich zugewiesene E-Mail-Adresse Karl.Mueller@firma. de. Zugriff auf diesen passwortgeschützten E-Mail-Account sowie auf Ihren Dienst-PC in Ihrem Büro D27 haben nur Sie persönlich. Bei Abschluss des Arbeitsvertrages haben wir Sie auf eine gemäß BDSG zulässige Einsichtnahme durch uns in den betrieblichen Datenverkehr hingewiesen. Indem Sie von Ihrem betrieblichen E-Mail-Account die o. g. E-Mail versendeten, haben Sie gegen § 12 Ihres Arbeitsvertrages verstoßen. Dieser lautet wie folgt: § 12: Eine private Nutzung des betrieblichen Internetanschlusses und des betrieblichen E-Mail-Systems ist nicht gestattet. Der Zugang zum Internet und das Versenden von E-Mails dürfen ausschließlich zu dienstlichen Zwecken erfolgen.
Ausweislich der Betreffzeile der o. g. E-Mail handelte es sich bei dieser um eine private Nachricht. Die Nutzung des betrieblichen Internetanschlusses und des betrieblichen E-Mail-Systems darf nur in Bezug auf Ihre dienstlichen Aufgaben erfolgen. Eine Nutzung zu privaten Zwecken ist untersagt. Sollten Sie erneut gegen das Verbot, den betrieblichen Internetanschluss oder das betriebliche E-Mail-System zu privaten Zwecken zu nutzen, verstoßen, müssen Sie mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis hin zur Kündigung Ihres Arbeitsverhältnisses rechnen. Diese Abmahnung nehme ich zu Ihrer Personalakte. Mit freundlichen Grüßen (Unterschrift)
8.18 Abmahnung wegen privater Internetnutzung I (ausdrückliches Verbot)
Arbeitsrechtlicher Hinweis Besteht ein ausdrückliches Nutzungsverbot (Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung etc.) hinsichtlich des betrieblichen Internet- und E-Mail-Systems zu privaten Zwecken, stellt jegliche private Nutzung – unabhängig von Art und Dauer – einen Verstoß dar. Schwierigkeiten ergeben sich in der Praxis insbesondere hinsichtlich der Beweisbarkeit. Die Kontrollmöglichkeiten des Arbeitgebers werden durch die Vorschriften des Datenschutzes und des Telekommunikationsrechts drastisch eingeschränkt. Die Befugnisse des Arbeitgebers richten sich danach, ob und inwieweit er die private Nutzung erlaubt hat. Hat der Arbeitgeber die private Nutzung verboten, darf er in jedem Fall die sogenannten äußeren Verbindungsdaten wie Uhrzeit, Datum, Datenmenge und E-Mail-Adresse des Empfängers erfassen. Ist die Internetnutzung nicht geregelt, darf der Arbeitgeber nur bei einem offensichtlichen betrieblichen Interesse die Internetnutzung kontrollieren. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn dem Arbeitgeber konkrete Anhaltspunkte für den Aufruf strafrechtlich relevanter Inhalte durch seinen Arbeitnehmer vorliegen.25 Es ist ratsam, klare Nutzungsregelungen hinsichtlich Internet und Telekommunikationsanlagen aufzustellen. Andernfalls entstehen erhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten hinsichtlich der Frage, ob überhaupt ein abmahnfähiges Verhalten vorliegt.26
Arbeitspsychologischer Hinweis Hier ist die Sachlage recht eindeutig: Es gibt eine Regel und ein Arbeitnehmer hat dagegen verstoßen. Lassen Sie sich nicht auf eine Diskussion ein, inwieweit ein solches Verbot sinnvoll ist oder nicht. Der Mitarbeiter hat diese Regel beim Unterzeichnen seines Arbeitsvertrages so akzeptiert und muss demnach bei einem Verstoß auch die Konsequenzen tragen.
25Im 26S.
Einzelnen stark umstritten, einen guten Überblick gibt Howald, öAT 2014, 49. Musterabmahnung 19.
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8 Musterabmahnungen
8.19 Abmahnung wegen privater Internetnutzung II (kein ausdrückliches Verbot) Sehr geehrter Herr…, leider sehen wir uns gezwungen, Ihnen aus den folgenden Gründen eine Abmahnung zu erteilen: Am 17.02.2020 gegen 17:00 Uhr betrat der Unterzeichner Ihr Büro C31. Er sah, wie Sie sich auf Ihrem Dienst-PC im Internet ein Video pornografischen Inhalts anschauten. Wir überprüften am selben Tag mit Ihrem Einverständnis über den Router die Internetverlaufstatistik und fanden folgenden Log-File: [192.168.156.36 – [17/Feb/2020:15:05:09 + 0100] „GET/ HTTP/1.1“ 200 25641 „http:// www.porn_os.de“ „Mozilla/4.0“ (compatible; MSIE 5.5; Windows ME; DigExt)] 192.168.156.36 bezeichnet darin die anfordernde Host-Adresse, Host-Adresse Ihres Dienst-PCs in Ihrem Büro C31 entspricht.
welche
der
Indem Sie über Ihren Dienst-PC den betrieblichen Internetanschluss dazu nutzten, sich ein Video pornografischen Inhalts anzusehen, haben Sie gegen Pflichten aus dem Arbeitsvertrag verstoßen. Ihnen ist es nicht gestattet, über den betrieblichen Internetanschluss Texte, Videos, Bilder etc. mit pornografischen, gewaltverherrlichenden, diskriminierenden und/oder rassistischen Inhalten aufzurufen. Sollten Sie in Zukunft erneut gegen Ihre Pflichten aus dem Arbeitsvertrag verstoßen, insbesondere indem Sie den betrieblichen Internetanschluss nutzen, um sich Videos mit pornografischem Inhalt anzusehen, müssen Sie mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis hin zur Kündigung Ihres Arbeitsverhältnisses rechnen. Diese Abmahnung nehmen wir zu Ihrer Personalakte. Mit freundlichen Grüßen (Unterschrift)
8.19 Abmahnung wegen privater Internetnutzung II (kein ausdrückliches Verbot)
Arbeitsrechtlicher Hinweis Besteht kein ausdrückliches Nutzungsverbot hinsichtlich des betrieblichen Internet- und E-Mail-Systems zu privaten Zwecken, so ist im Umkehrschluss eine private Nutzung während der Arbeitszeit grundsätzlich gestattet.27 Dabei bestehen zwei Einschränkungen: Der Arbeitnehmer darf keine anstößigen Inhalte aufrufen, insbesondere keine Texte, Videos, Bilder etc. pornografischer, gewaltverherrlichender, diskriminierender oder rassistischer Natur. Zweitens darf die private Nutzung nur in einem so geringen Ausmaß erfolgen, dass dies der zeitnahen, ordnungsgemäßen Erfüllung der Arbeitsaufgaben nicht entgegensteht. Besteht kein ausdrückliches Nutzungsverbot, so setzt eine Abmahnung voraus, dass der Arbeitnehmer die o. g. inhaltlichen bzw. zeitlichen Grenzen überschreitet. Bei besonders schweren Verstößen kann eine Abmahnung entbehrlich sein, z. B. bei zeitlich intensiver („ausschweifender“) Nutzung.28 und bei dem Besuch von Internetseiten strafbaren Inhalts.29 Das bloße Aufrufen pornografischer Seiten lässt das Abmahnungserfordernis nicht entfallen30, wohl aber das Herunterladen pornografischer Dateien.31
Arbeitspsychologischer Hinweis Die Nutzung des betrieblichen Internetanschlusses zu privaten Zwecken wird von Arbeitnehmern häufig als zu vernachlässigender Verstoß angesehen. Ein Nutzungsverbot wird oft als kleinlich eingestuft. Der Arbeitgeber sollte daher darauf achten, dem Arbeitnehmer im persönlichen Gespräch besonders deutlich die Gründe des Verbotes aufzuzeigen. Einer der Hauptgründe ist die Ver(sch)wendung von Arbeitszeit für eine Tätigkeit, für die der Arbeitnehmer nicht bezahlt wird: Die Auswirkungen ähneln denen eines Arbeitszeitbetruges. Steht gar das Aufrufen pornografischer Seiten im Raum, könnte der Arbeitgeber an das Scham- und Ehrgefühl des Arbeitnehmers appellieren. Dies ist jedoch stets heikel und sollte je nach Situation abgewogen werden. Der Arbeitgeber kann dem Arbeitnehmer jedoch alternativ dazu die möglichen Folgen der Entdeckung seines Handelns durch Kollegen aufzeigen. Erhielten Kollegen des Arbeitnehmers Kenntnis von dessen sexuellen Interessen, so könnte dies das kollegiale Verhältnis deutlich belasten. Zudem dürfte dadurch regelmäßig das Scham- und Ehrgefühl des Arbeitnehmers betroffen sein. In jedem Fall sollte der Arbeitgeber sich dem Arbeitnehmer gegenüber jeglicher moralischer Bewertungen enthalten und diesen lediglich eindringlich auffordern, das Aufrufen pornografischer Seiten auf seine Privatzeit und seinen privaten Internetanschluss zu beschränken.
27BAG,
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Urteil vom 07.07.2005 – 2 AZR 581/04; LAG Köln, Urteil vom 11.02.2005 – 4 Sa 1018/04. Urteil vom 07.07.2005 – 2 AZR 581/04. 29Howald, öAT 2014, 49. 30LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 18.12.2003 – 4 Sa 1288/03. 31BAG, Urteil vom 07.07.2005 – 2 AZR 581/04. 28BAG,
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8 Musterabmahnungen
8.20 Abmahnung wegen mangelnder Körperhygiene Sehr geehrter Herr…, leider sehen wir uns gezwungen, Ihnen aus den folgenden Gründen eine Abmahnung zu erteilen: Ihr Vorgesetzter, Herr Dieter Kühl, bemerkte während Ihrer Arbeitszeit am 11.04., 12.04., 13.04. und 14.04.2020, dass Sie schwarze Ränder unter den Fingernägeln hatten und erheblich nach Schweiß rochen. Am 14.04.2020 um 11:00 Uhr waren Sie für unseren Kunden, Herrn Michael Berger, in der Burgstraße 1, 23789 Hamburg, tätig. Dieser beschwerte sich in seiner an unseren Kundendienst am 14.04.2020 um 13:04 Uhr versandten – dieser Abmahnung als Anlage beigefügten – E-Mail darüber, dass Sie „unangenehm schweißig gerochen“ und außerdem schwarze Ränder unter den Fingernägeln gehabt hätten. Indem Sie mit schwarzen Rändern unter den Fingernägeln sowie mit erheblichem Schweißgeruch zur Arbeit erschienen sind, haben Sie Ihre arbeitsvertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme auf unsere berechtigten Interessen verletzt. Wir haben ein berechtigtes Interesse daran, dass Sie als Angestellter im Kundendienst ein gepflegtes Äußeres einschließlich gebührender Körperhygiene aufweisen. Sie repräsentieren im persönlichen Kontakt mit unseren Kunden unseren Konzern und müssen daher insbesondere darauf achten, dass Ihre Fingernägel sauber und gepflegt sind und dass Sie nicht nach Schweiß riechen. Sollten Sie in Zukunft erneut gegen Ihre Pflichten aus dem Arbeitsvertrag verstoßen, insbesondere indem Sie eine mangelnde Körperhygiene aufweisen, müssen Sie mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis hin zur Kündigung Ihres Arbeitsverhältnisses rechnen. Diese Abmahnung nehmen wir zu Ihrer Personalakte. Mit freundlichen Grüßen (Unterschrift)
8.20 Abmahnung wegen mangelnder Körperhygiene
Arbeitsrechtlicher Hinweis Die Rücksichtnahmepflicht des Arbeitnehmers umfasst auch die Beachtung gebührender Körperhygiene. Insbesondere wenn der Arbeitnehmer in persönlichem Kontakt zu Kunden des Arbeitgebers steht, hat er auf Körperhygiene und ein gepflegtes Äußeres zu achten. Eine Abmahnung wegen mangelnder Körperhygiene ist dann nicht sittenwidrig oder diskriminierend, da der Arbeitgeber mit ihr berechtigte Interessen verfolgt.32 Allerdings ergeben sich in der Praxis erhebliche Beweisprobleme, da die Beurteilung der Körperhygiene weitgehend auf subjektiven Empfindungen beruht. Erfolgsaussichten bestehen hier vor allem bei klar wahrnehmbaren und objektiv feststellbaren Mängeln (z. B. schwarze Ränder unter den Fingernägeln). Eher subjektiv geprägte Eindrücke, wie z. B. ein bestimmter Geruch, müssen von Kollegen, Vorgesetzten, Kunden etc. ausreichend deutlich bezeugt werden können. Diese sollten zu Beweiszwecken um schriftliche Stellungnahmen gebeten werden.
Arbeitspsychologischer Hinweis Menschen mit unangenehmem Körpergeruch sind psychologisch ein sehr heikles Thema. Zum einen ist es belästigend für die Kollegen, zum anderen ist es in aller Regel unangenehm für den Verursacher. Von Büroangestellten, die keinerlei körperlicher Anstrengung ausgesetzt sind, kann man erwarten, dass sie nicht nach Schweiß riechen bzw. durch geeignete hygienische Maßnahmen einen auftretenden Geruch überdecken. Körpergeruch wird nicht zwingend durch mangelnde Hygiene hervorgerufen, sondern u. U. auch durch eine Krankheit verursacht. Daher ist in jedem Fall ein persönliches Gespräch in vertraulicher Atmosphäre erforderlich. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass es den meisten Menschen schwerfällt, andere auf unangenehmen Körpergeruch hinzuweisen. Hier hilft stets die Frage, ob Sie persönlich möchten, dass man Sie anspricht, wenn Sie einen unangenehmen Geruch verbreiten, oder ob Sie lieber möchten, dass es alle für sich behalten und den Kontakt mit Ihnen meiden. Interessanterweise möchten über 99 % aller Befragten, dass man sie anspricht, jedoch nur 40 % würden dies auch tun. Bei gewerblichen Arbeitnehmern ist die Angelegenheit schwieriger. Denn diese kommen aufgrund körperlicher Tätigkeit fast zwangsläufig ins Schwitzen. Ebenso werden die Fingernägel durch die Tätigkeiten schnell verunreinigt. Hier folgt häufig das berechtigte Argument, dass der Arbeitnehmer nicht alle fünf Minuten zum Waschen und Reinigen der Fingernägel die Arbeiten unterbrechen könne. Dieser Argumentation ist schwer etwas entgegenzusetzen. Es kann jedoch hilfreich sein, dem Arbeitnehmer seine Außenwirkung gegenüber dem Kunden deutlich zu machen und ihn zu bitten, wenigstens beim Kunden mit sauberen Fingernägeln etc. zu erscheinen.
32Vgl.
dazu ArbG Köln, Urteil vom 25.03.2010 – 4 CA 10458/09.
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8 Musterabmahnungen
8.21 Abmahnung wegen sexueller Belästigung Sehr geehrter Herr…, leider sehen wir uns gezwungen, Ihnen aus den folgenden Gründen eine Abmahnung zu erteilen: Am 04.05.2020 gegen 11:00 Uhr äußerten Sie gegenüber Ihrer Kollegin, Frau Britta Siebert, auf dem Flur vor Ihrem Büro 312, Salzerstr. 12, 23478 Hamburg, den Satz: „Sie würde ich nicht von der Bettkante stoßen.“ Frau Siebert wies diesen Satz empört zurück. Ihre o. g. Äußerung war sexuellen Inhalts. Sie deuteten Frau Siebert damit an, mit ihr sexuelle Handlungen vollziehen zu wollen. Dies stellt eine Benachteiligung in Form einer sexuellen Belästigung gemäß § 3 Abs. 4 AGG dar. Eine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz stellt eine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten dar. Sie haben jedes vorsätzliche, sexuell bestimmte Verhalten, das die Würde von Beschäftigten am Arbeitsplatz verletzt, zu unterlassen. Dazu gehören sexuelle Handlungen und Verhaltensweisen, die nach den strafgesetzlichen Vorschriften unter Strafe gestellt sind, sowie sonstige sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie Zeigen und sichtbares Anbringen von pornografischen Darstellungen, die von den Betroffenen unerwünscht sind. Sollten Sie in Zukunft erneut gegen Pflichten aus dem AGG verstoßen, insbesondere indem Sie Kolleginnen oder Kollegen sexuell belästigen, werden wir unausweichlich eine außerordentliche Kündigung aussprechen. Diese Abmahnung nehmen wir zu Ihrer Personalakte. Mit freundlichen Grüßen (Unterschrift)
8.21 Abmahnung wegen sexueller Belästigung
Arbeitsrechtlicher Hinweis Eine Abmahnung ist in der Regel entbehrlich, wenn eine massive sexuelle Belästigung in Wort und Tat oder ein zum Beispiel aus der Vorgesetztenstellung heraus erzwungenes sexuelles Entgegenkommen einer untergebenen Person vorliegt.33 Bei „bloßer“ verbaler Belästigung wird hingegen regelmäßig zunächst eine Abmahnung erforderlich sein.
Arbeitspsychologischer Hinweis Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist ein typisches Thema der modernen Zeit und beinhaltet viel „Sprengstoff“. Es ist ohne Frage inakzeptabel, wenn ein Mann oder eine Frau einen Kollegen oder gar einen Untergebenen durch körperlich sexuelle Handlungen bedrängt, belästigt oder gar nötigt. Hier haben Sie als Arbeitgeber die Pflicht, Ihre Mitarbeiter und den Ruf Ihres Unternehmens zu schützen und rigoros durchzugreifen. Dies gilt ebenso für eindeutige verbale Kommentare, die ein anderer als anzüglich empfindet, insbesondere dann, wenn dies vor Kollegen geschieht. Die Schwierigkeit beginnt hier jedoch bei der Definition, was als anzüglich gilt, die Würde des anderen verletzt bzw. als unzumutbar gilt. Die Gefahr besteht in der Unsicherheit (insbesondere für Männer), wo z. B. ein Kompliment aufhört und die sexuelle Belästigung anfängt. Diese Unsicherheit führt dann zu einer verhängnisvollen Reduktion sämtlichen privaten Austausches, was die Leistung eines Teams nachhaltig negativ beeinflussen kann. In vielen Betrieben (z. B. in Handwerksbetrieben) ist es gang und gäbe, sich gegenseitig zotige Witze zu erzählen. Ich habe auch in vielen Betrieben als Berater selbst erlebt, dass die weibliche Belegschaft diese Art von zotigem Nischenhumor zwar nicht teilt, jedoch gut damit umgehen kann – selbst dann, wenn sie Teil dieses Humors wird. Eine Abmahnung würde dort zu einer spürbaren und nachhaltigen Veränderung des Betriebsklimas führen. Es gibt für den Umgang mit dieser „Grauzone” kein Patentrezept. Das Wichtigste ist wohl, das richtige Maß für alle Beteiligten zu finden, die Betroffenen (häufig überwiegend die Frauen) regelmäßig zu befragen und die Antworten auch ernst zu nehmen.
33BAG,
Urteil vom 25.03.2004 – 2 AZR 341/03.
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8 Musterabmahnungen
8.22 Abmahnung wegen unangemessener Kleidung Sehr geehrter Herr…, leider sehen wir uns gezwungen, Ihnen aus den folgenden Gründen eine Abmahnung zu erteilen: Am 15.04.2020 traten Sie um 09:00 Uhr Ihre Arbeit in der Abteilung „Lampen & Beleuchtung“ an. Gegen 09:15 Uhr sprach Sie der Unterzeichner darauf an, dass Sie weder Krawatte noch Sakko trugen, sondern ein Hemd mit offenem Kragen. Daraufhin erklärten Sie, nicht jeden Tag Krawatte und Sakko tragen zu wollen, da beides nicht mehr zwingender Bestandteil eines gehobenen Kleidungsstils sei. Trotz Aufforderung durch den Unterzeichner, dennoch entsprechende Kleidungsstücke anzulegen, blieben Sie bei Ihrer Ansicht. Durch die vorgenannte Bekleidungsform haben Sie eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht verletzt. Unser Einrichtungshaus vertreibt Möbel und Accessoires für gehobene Ansprüche bzw. des oberen Preissegmentes. Daher erwarten wir von unseren Mitarbeitern mit Kundenkontakt, dass diese bei Gesprächen mit Kunden stets gepflegt und in einer Art und Weise auftreten, die dem gehobenen Stil unserer Produkte entspricht. Hinsichtlich der Bekleidung erwarten wir insbesondere die tägliche Einhaltung folgender Mindeststandards: 1. Anzug oder Kombination aus Hose und Sakko (keine Jeans), 2. Gürtel, 3. Hemd und Krawatte oder Fliege, 4. zu 1. passende, farblich auf den Gürtel abgestimmte Schuhe (keine Turnschuhe!).
Sollten Sie in Zukunft erneut gegen die in unserem Betrieb bestehenden Mindeststandards der Bekleidung verstoßen, müssen Sie mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis hin zur Kündigung rechnen. Diese Abmahnung nehmen wir zu Ihrer Personalakte. Mit freundlichen Grüßen (Unterschrift)
8.22 Abmahnung wegen unangemessener Kleidung
Arbeitsrechtlicher Hinweis Bestehen in einem Betrieb verbindliche Regeln hinsichtlich der Kleidung, z. B. in Form einer Betriebsvereinbarung über das Tragen einer einheitlichen Dienstkleidung, hat der Arbeitnehmer diese einzuhalten. Der praktisch häufigste Fall ist indes, dass die Arbeit in Kleidung verrichtet wird, die dem Arbeitnehmer gehört und welche dieser typischerweise auch außerhalb der Arbeitszeit trägt („Freizeitkleidung“). Hier erkennt das BAG ein nachvollziehbares Interesse des Arbeitgebers an, den Erwartungen der Kunden nach einem einheitlichen Erscheinungsbild der Arbeitnehmer Rechnung zu tragen. Der Arbeitgeber kann daher kraft seines Weisungsrechts von Arbeitnehmern mit Kundenkontakt verlangen, sich entsprechend dem Charakter des Betriebs und des Kundenstamms branchenüblich zu kleiden.34 Daher kann der Arbeitgeber den „Stil des Hauses“ vorgeben und durch Einzelanweisung regeln, jedoch unter Beachtung des Persönlichkeitsrechtes der Arbeitnehmer. Soweit im Betrieb ein Betriebsrat besteht, sind dessen Mitbestimmungsrechte nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG zu beachten. Eine ohne diese Mitbestimmung aufgestellte Kleiderordnung ist unwirksam, sodass der AN nur der vertraglichen Rücksichtnahmepflicht gemäß § 241 Abs. 2 BGB unterliegt.35
Arbeitspsychologischer Hinweis Dieses Thema führt häufig zu kontroversen Diskussionen, weil in den meisten Betrieben nicht klar definiert wurde, was der Arbeitgeber unter einem gehobenen Kleidungsstil versteht. Daher ist es wichtig, den erwarteten Kleidungsstil bereits im Voraus z. B. schriftlich zu fixieren. Dies ist hier offensichtlich nicht geschehen, ansonsten hätte der Arbeitnehmer nicht darüber diskutiert, was heute als gehobener Standard gilt. Fehlende eindeutige Informationen führen in solchen Fällen gerne zu Gelegenheiten einer gegenseitigen Machtprobe. Setzt sich der Arbeitgeber hier nicht durch, führen diese Diskussionen schnell zu einer Art „Flächenbrand“ im Betrieb. In diesem Fall empfiehlt es sich, prophylaktisch den Fall (anonym) inkl. der Konsequenzen (Abmahnung) innerbetrieblich bekannt zu geben, z. B. in der nächsten Betriebsversammlung. So wird nochmals die Wichtigkeit der Vorschrift deutlich gemacht.
34BAG, 35BAG,
Urteil vom 10.10.2002 – 2 AZR 472/01. Urteil vom 10.10.2002 – 2 AZR 472/01.
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8 Musterabmahnungen
8.23 Abmahnung wegen Arbeitsverweigerung Sehr geehrter Herr…, leider sehen wir uns gezwungen, Ihnen aus den folgenden Gründen eine Abmahnung zu erteilen: Am 22.05.2020 wurden Sie gegen 14:20 Uhr von Ihrem Schichtleiter, Herrn Robert Perle, angewiesen, vor dem Gebäude Holzstr. 5, 27439 Hamburg, unmittelbar mit dem Ausheben einer 0,7 m tiefen Grube mit den Abmessungen 2 m × 2 m zu beginnen. Als Herr Perle Sie um 17:00 Uhr fragte, warum Sie mit dem Ausheben der Grube nicht einmal begonnen hätten, erklärten Sie, dem Kollegen Berkel beim Reinigen der Arbeitsgeräte geholfen zu haben, da Ihnen dies vorrangig erschien. Die Grube könne auch am Folgetag ausgehoben werden. Indem Sie der Aufforderung Ihres Vorgesetzten, mit dem Ausheben der Grube unmittelbar zu beginnen, nicht Folge leisteten, begingen Sie eine Arbeitsverweigerung und verletzten dadurch Ihre Pflicht zur Arbeitsleistung. Aufgrund des mit uns geschlossenen Arbeitsvertrages unterliegen Sie einem Weisungsrecht gemäß § 106 GewO und sind verpflichtet, den Anweisungen von Vorgesetzten Folge zu leisten. Arbeitsaufträge sind umgehend wie angeordnet auszuführen. Die Entscheidung über die Reihenfolge der Ausführung anstehender Aufgaben obliegt Ihren Vorgesetzten, nicht Ihnen. Sollten Sie erneut Arbeitsanweisungen missachten, die Arbeit verweigern oder in ähnlicher Weise Ihre arbeitsvertraglichen Pflichten verletzen, müssen Sie mit einer Kündigung Ihres Arbeitsverhältnisses rechnen. Diese Abmahnung nehmen wir zu Ihrer Personalakte. Mit freundlichen Grüßen (Unterschrift)
8.23 Abmahnung wegen Arbeitsverweigerung
Arbeitsrechtlicher Hinweis Eine Arbeitsverweigerung liegt vor, wenn der Arbeitnehmer eine konkrete Weisung seines Arbeitgebers missachtet, welche vom Weisungsrecht gemäß § 106 GewO gedeckt war. Daher ist vor Erteilung einer entsprechenden Abmahnung stets zu prüfen, ob der Weisungsgeber zur Erteilung der Weisung erkennbar berechtigt war (berechtigt sind nur der Arbeitgeber selbst oder Vorgesetzte). Zudem muss die Weisung im durch § 106 GewO i. V. m. dem Arbeitsvertrag gesteckten Rahmen erfolgen, d. h. insbesondere „billigem Ermessen“ entsprechen. Dem Arbeitnehmer muss die Erfüllung der Weisung auch möglich sein: Bleibt er hinter mengenmäßigen Vorgaben zurück, so kann er allenfalls wegen dieser Leistungsschwäche abgemahnt werden, nicht aber wegen Arbeitsverweigerung. In Extremfällen kann eine beharrliche Arbeitsverweigerung sogar eine vorhergehende Abmahnung entbehrlich machen und unmittelbar den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung rechtfertigen, insbesondere wenn der Arbeitnehmer nicht willens ist, sich vertragsgetreu zu verhalten.36
Arbeitspsychologischer Hinweis Arbeitspsychologisch ist zu unterscheiden zwischen einer bewussten und einer nicht bewussten Arbeitsverweigerung. Bei einer bewussten Arbeitsverweigerung kündigt der Arbeitnehmer offen und klar an, dass er sich weigert, die ihm vorgegebene Arbeit zu verrichten. Zunächst sollten Sie prüfen, ob für diese Verweigerungshaltung nachvollziehbare rechtliche oder tatsächliche Gründe bestehen, d. h., ob die Arbeitsanweisung ggf. unwirksam oder diskriminierend ist. Bestehen keine solchen Gründe, sollten Sie dem Arbeitnehmer deutlich machen, dass er sich in eine offene Konfrontation begibt und direkt auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zusteuert. Bei der nicht bewussten Arbeitsverweigerung glaubt der Mitarbeiter, selbst über prioritäre Tätigkeiten entscheiden zu können, und stellt eine Aufgabe als „nicht so wichtig“ zurück. Hier ist dem Arbeitnehmer deutlich zu machen, dass eine solche Entscheidungsgewalt vorher mit dem jeweiligen Vorgesetzten abgesprochen sein muss. Ist der Entscheidungsspielraum seitens des Arbeitnehmers überschritten worden, ist damit auch eine Grenze überschritten worden, die vom Arbeitgeber unmittelbar aufgezeigt werden muss. Setzen Sie den Schwerpunkt zunächst lieber auf die Klärung, im Wiederholungsfall ist eine klare Grenzsetzung durch Abmahnung aber unumgänglich.
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36Vgl. dazu Abschn. 4.3.2 Grundsatz: Abmahnung im Vertrauensbereich entbehrlich sowie BAG, Urteil vom 17.07.1984 – 2 AZR 290/83.
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8 Musterabmahnungen
8.24 Abmahnung wegen Nebentätigkeit ohne Zustimmung Sehr geehrter Herr…, leider sehen wir uns gezwungen, Ihnen aus den folgenden Gründen eine Abmahnung zu erteilen: Am 13.03.2020 arbeiteten Sie auf der Messe „ITB – Internationale Tourismusbörse“ auf dem Messegelände unter dem Funkturm, Messedamm 22, 14055 Berlin, als Promoter für die Reiseland GmbH. Der Kollege Birk Schulze sah Sie an diesem Tag um 15:00 Uhr sowie um 16:30 Uhr auf dem Messestand der Reiseland GmbH in Halle 12, Stand 16, beim Verteilen von Prospekten. Hierin liegt eine Nebentätigkeit, durch die Sie gegen § 9 Ihres Arbeitsvertrages verstoßen haben. Letzterer lautet wie folgt: § 9 Nebentätigkeit: Nebentätigkeiten bedürfen der vorherigen Zustimmung des Arbeitgebers. Die Zustimmung ist zu erteilen, wenn berechtigte Interessen des Arbeitgebers nicht entgegenstehen.
Vor Aufnahme der Nebentätigkeit hätten Sie daher unsere Zustimmung einholen müssen. Ihr Einwand, dass es sich bei der Reiseland GmbH nicht um ein Konkurrenzunternehmen handelt, sodass wir die Zustimmung ohnehin hätten erteilen müssen, verfängt nicht. Denn unabhängig von dieser unsererseits bestehenden Zustimmungspflicht haben Sie jedenfalls die Ihrerseits bestehende Pflicht zur vorherigen Einholung der Zustimmung verletzt. Wir fordern Sie auf, in Zukunft vor Aufnahme einer Nebentätigkeit unsere Zustimmung einzuholen. Sollten Sie in Zukunft erneut einer Nebentätigkeit nachgehen, ohne zuvor unsere Zustimmung einzuholen, oder in sonstiger Form gegen die vertraglichen bzw. gesetzlichen Bestimmungen zur Ausübung einer Nebentätigkeit verstoßen, müssen Sie mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis hin zu einer Kündigung Ihres Arbeitsverhältnisses rechnen. Diese Abmahnung nehmen wir zu Ihrer Personalakte. Mit freundlichen Grüßen (Unterschrift)
8.24 Abmahnung wegen Nebentätigkeit ohne Zustimmung
Arbeitsrechtlicher Hinweis Arbeitnehmer entscheiden sich zunehmend für die Aufnahme einer Nebentätigkeit, in Niedriglohnbranchen sind sie hierauf häufig sogar regelmäßig angewiesen. Arbeitgeber können dies nicht vertraglich untersagen. Sie haben jedoch ein berechtigtes Interesse, sich gegen negative Auswirkungen auf das Hauptarbeitsverhältnis zu schützen. Arbeitgeber sind daher gut beraten, in den Arbeitsvertrag ein „Nebentätigkeitsverbot mit beschränktem Erlaubnisvorbehalt“ aufzunehmen. Diese Klausel macht die Verweigerung der Zustimmung von „berechtigten Interessen“ abhängig. Zwar muss der Arbeitgeber die Zustimmung im Regelfall erteilen, die Klausel normiert jedoch faktisch eine Anzeigepflicht des Arbeitnehmers. Infolge der Anzeige kann der Arbeitgeber prüfen, ob im Einzelfall eine Untersagung der Nebentätigkeit (z. B. wegen Wettbewerbsverbot, Überschreitung der Höchstarbeitszeiten gem. § 3 i. V. m. § 2 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 ArbZG) in Betracht kommt. Zudem kann der Arbeitgeber jede Aufnahme einer Nebentätigkeit ohne vorherige Anzeige mit der vorliegenden Abmahnung sanktionieren – unabhängig davon, ob die Zustimmung zu erteilen gewesen wäre. Fehlt im Arbeitsvertrag eine entsprechende (wirksame) Klausel, ist der Arbeitnehmer nur in Ausnahmefällen tarifvertraglich oder gesetzlich (z. B. § 15 Abs. 4 S. 3, 4 BEEG) verpflichtet, jede Nebentätigkeit anzuzeigen. Aus seiner allgemeinen arbeitsvertraglichen Treuepflicht folgt lediglich eine Anzeigepflicht, soweit durch die Nebentätigkeit Interessen des Arbeitgebers konkret bedroht sind (z. B. Wettbewerbsverbot oder Nebentätigkeit während des Urlaubs).
Arbeitspsychologischer Hinweis Hier hat der Arbeitgeber erfahrungsgemäß dem Arbeitnehmer gegenüber ein Argumentationsproblem. Denn Arbeitnehmer argumentieren in solchen Fällen fast immer damit, dass sie in ihrer Freizeit machen könnten, was sie wollen, und der Arbeitgeber kein berechtigtes Interesse habe, diesbezüglich informiert zu werden. Daher ist es wichtig, dem Arbeitnehmer deutlich zu machen, dass hier ein berechtigtes Informationsinteresse besteht, weil Sie als Arbeitgeber auch eine Art Schutzpflicht dem eigenen Unternehmen und Ihren Mitarbeitern gegenüber haben. Sie könnten beispielsweise so argumentieren, dass Sie als Verantwortlicher und damit Repräsentant des Unternehmens zwangsläufig den Überblick haben müssen, wer, wo und wann arbeitet und vor allem für wen. Ohne diese Registrierung würden Sie den Überblick verlieren und könnten beispielsweise nicht rechtzeitig eingreifen, wenn ein Kollege Leistungen für die Konkurrenz abliefert. In einem solchen Fall würde dies auch den anderen Mitarbeitern schaden. Ebenso können Sie argumentieren, dass Sie als Arbeitgeber auch die Pflicht haben, die maximalen Arbeitsstunden, die ein Arbeitnehmer gesetzlich leisten darf, zu überwachen. Auch dies geht nur, wenn Sie vorher informiert werden.
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8 Musterabmahnungen
8.25 Abmahnung wegen Verletzung der Wahrheitspflicht Sehr geehrte Frau…, leider sehen wir uns gezwungen, Ihnen aus den folgenden Gründen eine Abmahnung zu erteilen: Am 10.01.2020 teilte Ihnen der Unterzeichner im Rahmen einer in Besprechungsraum 1407 gegen 13:00 Uhr geführten Arbeitsbesprechung mit, dass er beabsichtige, für das auf den 30.03.2020 angesetzte Seminar „Europa 2020“ Räume im Hotel „Zur Sonne“, Heimgasse 15, 63459 Frankfurt, zu reservieren. Daraufhin erklärten Sie, dass Sie dort bereits nachgefragt hätten, woraufhin Ihnen der Veranstaltungschef des Hotels „Zur Sonne“ mitgeteilt habe, dass an diesem Tag bereits alle Räume ausgebucht seien. Zwei Tage später erfuhr der Unterzeichner in anderem Zusammenhang durch Zufall von dem Direktor dieses Hotels, dass am 30.03.2020 noch Räume frei seien. Auch habe es aus unserem Haus keine Anfrage gegeben. Auf Nachfrage räumten Sie gegenüber dem Unterzeichner ein, zuvor im Hotel „Zur Sonne“ keine Terminabfrage durchgeführt zu haben. Sie begründeten Ihre wahrheitswidrige Aussage damit, dass aus Ihrer Sicht die Seminarräume im Hotel „Bergmann“ vorzugswürdig seien. Durch das vorgenannte Verhalten haben Sie eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht, die Wahrheitspflicht, verletzt. Sie sind verpflichtet, im Betrieb sämtliche Informationen, welche betriebliche Belange betreffen, wahrheitsgemäß wiederzugeben und diesbezüglich keine erlogenen oder in sonstiger Weise unwahren Tatsachen zu behaupten oder zu verbreiten. Sollten Sie in Zukunft erneut gegen die Wahrheitspflicht verstoßen, müssen Sie mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis hin zur Kündigung Ihres Arbeitsverhältnisses rechnen. Diese Abmahnung nehmen wir zu Ihrer Personalakte. Mit freundlichen Grüßen (Unterschrift)
8.25 Abmahnung wegen Verletzung der Wahrheitspflicht
Arbeitsrechtlicher Hinweis Will der Arbeitgeber eine Abmahnung wegen Verletzung der Wahrheitspflicht erteilen, so kann er sich nicht damit begnügen, die objektive Unrichtigkeit der Aussage festzustellen. Vielmehr muss auch bewiesen sein, dass der Arbeitnehmer subjektiv vorsätzlich handelte, sich also zum Zeitpunkt der Aussage über deren Unrichtigkeit bewusst war. Sofern der Arbeitnehmer die Lüge daher nicht zugibt, muss der Arbeitgeber erhöhten Aufwand betreiben, um die objektive Unrichtigkeit der Aussage sowie den Vorsatz des Arbeitnehmers zu beweisen. Häufig wird die Lüge zudem dazu dienen, ein anderweitiges Fehlverhalten des Arbeitnehmers zu decken. Bezüglich dieses Fehlverhaltens sollte der Arbeitgeber in jedem Fall eine gesonderte Abmahnung erteilen37.
Arbeitspsychologischer Hinweis Der Schritt, hier eine Abmahnung zu erteilen, ist aus arbeitspsychologischer Sicht problematisch und nur dann gerechtfertigt, wenn derartige Verstöße bereits mehrfach vorgekommen sind. Die Problematik liegt in der Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen den Beteiligten. Hier handelt es sich offenbar um eine Assistenztätigkeit. Dabei ist die Frage der Organisationskongruenz zu klären, welche Aufgaben, welche Kompetenzen und welche Verantwortungsbereiche die Assistenz innehat. Liegen diese in der Entlastung des Vorgesetzten, so müsste die Assistenz zwangsläufig auch die Entscheidungskompetenz haben. Dies scheint hier jedoch nicht der Fall zu sein. Offensichtlich scheint die Aufgabe dieser Assistenz sich darauf zu beschränken, Informationen und Entscheidungsgrundlagen zu beschaffen. Wenn dem so ist, muss dies auch deutlich von Anfang an kommuniziert werden. Fehlt diese Information, ist die Abmahnung zwar rechtlich korrekt, jedoch nicht aus Führungssicht. Die Motivation des Arbeitnehmers betreffend wäre sie sogar kontraproduktiv. Eine Abmahnung wäre hier nur dann gerechtfertigt, wenn die Aufgabenstellung (Informationsbeschaffung für Entscheidungsgrundlagen) von Anfang an klar definiert wurde.
37S. Abschn.
3.2.1.5.
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8 Musterabmahnungen
8.26 Abmahnung wegen Verstoß gegen Wirtschaftlichkeitsgebot Sehr geehrter Herr…, leider sehen wir uns gezwungen, Ihnen aus den folgenden Gründen eine Abmahnung zu erteilen: Am 26.03.2020 waren Sie von 11:20 Uhr bis 14:15 Uhr zur Auftragsnummer 3714392 bei unserem Kunden, der Troll GmbH, Rellstraße 17, 84489 Burghausen, tätig, um einen Büro-Einbauschrank zu installieren. Entsprechend dem Auftrag waren dazu zwei Querstücke mit den Maßen 127 × 15 × 3 cm zu fertigen und anzubringen. Gegen 15:00 Uhr kehrten Sie in die Werkstatt zurück und warfen ein solches Querstück in den BrennholzContainer. Auf Nachfrage Ihres Vorgesetzten, Herrn Hell, teilten Sie mit, dass Sie zusätzlich zu den im Auftrag genannten zwei Querstücken noch ein drittes gefertigt hätten. Dies sei „vorsorglich“ geschehen für den Fall, dass eines beim Einbau beschädigt und dadurch unbrauchbar werde. Sodann hätten Sie die zwei Querstücke eingebaut, sodass für das dritte keine Verwendung bestand und Sie es daher als Brennholz entsorgten. Durch das vorgenannte Verhalten haben Sie eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht verletzt. Der Grundsatz des wirtschaftlichen Handelns verpflichtet Sie zum möglichst sparsamen Umgang mit Arbeitsmitteln, Rohstoffen und sonstigen betrieblichen Ressourcen. Hieraus ergibt sich insbesondere, dass mittels der betrieblichen Rohstoffe (z. B. Holz) nur solche Werkstücke und Bauteile herzustellen sind, die zur Erstellung des betreffenden Werkes (z. B. Büro-Einbauschrank) tatsächlich benötigt werden. Sollten Sie in Zukunft erneut gegen den Grundsatz des wirtschaftlichen Handelns verstoßen, müssen Sie mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis hin zur Kündigung Ihres Arbeitsverhältnisses rechnen. Zusätzlich behalten wir uns im Wiederholungsfall die Geltendmachung von Schadensersatz vor. Diese Abmahnung nehmen wir zu Ihrer Personalakte. Mit freundlichen Grüßen (Unterschrift)
8.26 Abmahnung wegen Verstoß gegen Wirtschaftlichkeitsgebot
Arbeitsrechtlicher Hinweis Das Bundesarbeitsgericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass Arbeitnehmer aufgrund ihrer arbeitsvertraglichen Treuepflicht verpflichtet sind, alles zu unterlassen, was dem Arbeitgeber oder dem Betrieb abträglich ist, und Schaden von diesen abzuwenden.3w8 Arbeitnehmer verletzen daher den Arbeitsvertrag, soweit sie bewusst oder aus Unachtsamkeit Kosten verursachen, die bei ordnungsgemäßer, vorschriftsmäßiger Verrichtung der Tätigkeit nicht entstanden wären, z. B. bei Verschwendung von Rohstoffen. Dies bedeutet indes nicht, dass Arbeitnehmer bereits dann ein Vorwurf gemacht werden kann, wenn sie nicht das optimale Ergebnis bringen. Arbeitnehmer sind lediglich an ihren persönlichen Möglichkeiten zu messen, gleichfalls muss der Arbeitgeber den üblichen Schwund bzw. Ausschuss hinnehmen. Besondere Vorsicht ist stets geboten, wenn dem Arbeitnehmer in der Abmahnung Schadensersatzansprüche angedroht werden sollen. In diesem Fall ist klarzustellen, dass die zukünftigen Schadensersatzforderungen neben die arbeitsrechtlichen Konsequenzen (z. B. Kündigung) treten. Eine zweideutige Formulierung in der Abmahnung führt dazu, dass diese ihre Warnfunktion verliert! Der Arbeitnehmer kann sich darauf berufen, er habe geglaubt, ein erneuter Verstoß werde zu einer Schadensersatzforderung führen, nicht aber zu einer Kündigung.
Arbeitspsychologischer Hinweis Auch wenn hier eine Abmahnung rechtlich zulässig ist, bleibt sorgfältig abzuwägen, inwieweit es der durch Verschwendung von Ressourcen eingetretene Schaden rechtfertigt, ein ggf. gutes Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu gefährden. Sofern eine weitere Zusammenarbeit erfolgen soll, kann ein klärendes Gespräch aus psychologischer Sicht wesentlich sinnvoller sein als eine Abmahnung. In diesem Fall sollten Sie den Mitarbeiter ggf. für sein „Mitdenken“ loben, jedoch gleichzeitig deutlich machen, dass die Verschwendung von Ressourcen nicht geduldet werden kann.
38BAG,
Rz 347.
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Urteil vom 17.10.1969 – 3 AZR 442/68; H enssler/Willemsen/Kalb-Thüsing, § 611 BGB,
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8 Musterabmahnungen
8.27 Abmahnung wegen Betriebsrat, fehlende Abmeldung I Sehr geehrter Herr…, leider sehen wir uns gezwungen, Ihnen aus den folgenden Gründen eine Abmahnung zu erteilen: Am 16.03.2020 suchte Ihr Vorgesetzter, Herr Hagen Ohl, Sie um 13:20 Uhr an Ihrem Arbeitsplatz in Zimmer 715, Teerweg 12, 14193 Berlin, auf. Sie waren jedoch nicht am Platz. Herr Ohl hinterließ Ihnen einen Zettel mit der Bitte um Rückruf. Gegen 16:30 Uhr meldeten Sie sich telefonisch bei Herrn Ohl und teilten mit, dass Sie „Betriebsratsarbeit“ verrichtet hätten. Auf seine Nachfrage hin erklärten Sie, dass Sie damit „gegen 12:00 Uhr“ begonnen hätten. Auf seine Vorhaltung hin, dass Sie ihn hierüber nicht informiert hätten, erklärten Sie: „Das habe ich leider vergessen.“ Durch das vorgenannte Verhalten haben Sie eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht verletzt. Wir fordern Sie auf, in Zukunft die folgenden Anforderungen an eine Abmeldung und Rückmeldung bei Betriebsratsarbeit zu erfüllen: Sofern Sie sich zur Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben von Ihrem Arbeitsplatz entfernen müssen, sind Sie verpflichtet, sich bei Verlassen des Arbeitsplatzes abzumelden. Hierzu genügt es, wenn Sie Ihrem Vorgesetzten – ohne Spezifizierung der konkret beabsichtigten Tätigkeit – mitteilen, dass Sie zur Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben den Arbeitsplatz verlassen müssen. Daneben haben Sie die voraussichtliche Dauer der Abwesenheit und den Ort der Tätigkeit mitzuteilen. Sofern sich aus der Angabe des Ortes der Inhalt Ihrer Tätigkeit erkennen lässt, sind Sie ausnahmsweise nicht verpflichtet, den Ort zu nennen. Der Vollständigkeit halber weisen wir darauf hin, dass Sie sich nach Beendigung der Betriebsratstätigkeit bei Ihrem Vorgesetzten zurückzumelden haben. Sollten Sie erneut Ihre Ab- und Rückmeldepflichten bei der Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben verletzen, müssen Sie mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis hin zu einer außerordentlichen Kündigung Ihres Arbeitsverhältnisses rechnen. Diese Abmahnung nehmen wir zu Ihrer Personalakte. Mit freundlichen Grüßen (Unterschrift)
8.27 Abmahnung wegen Betriebsrat, fehlende Abmeldung I
Arbeitsrechtlicher Hinweis Will der Arbeitgeber gegenüber einem Betriebsratsmitglied eine Abmahnung aussprechen, welche in einem Zusammenhang mit der Betriebsratstätigkeit steht, hat er stets zu prüfen, welchem Pflichtenkreis die Pflichtverletzung zuzuordnen ist: dem individualarbeitsrechtlichen oder dem betriebsverfassungsrechtlichen. In der Regel sind betriebsverfassungsrechtliche Pflichten betroffen. Im Bereich der Ab- und Rückmeldepflichten hat das BAG eindeutig entschieden, dass diese dem individualarbeitsrechtlichen Bereich zuzuordnen sind.39 Die Ab- und Rückmeldepflichten des Betriebsratsmitglieds sind sehr eingeschränkt: Sie sollen sicherstellen, dass der Arbeitgeber die notwendigen Dispositionen für eine Vertretung des abwesenden Arbeitnehmers treffen kann, ohne dessen Betriebsratsarbeit indirekt zu kontrollieren. Der Arbeitgeber ist gut beraten, vor dem Ausspruch einer Abmahnung gegenüber Betriebsratsmitgliedern die Sachlage vollständig aufzuklären und beweisfest zu dokumentieren. Die Arbeitsgerichte reagieren sehr sensibel, sobald der Verdacht aufkommt, der Arbeitgeber wolle evtl. Druck auf Betriebsratsmitglieder ausüben.
Arbeitspsychologischer Hinweis Sollte sich das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat noch in einer Konstellation des gegenseitigen Konsenses befinden, ist es nicht ratsam, aufgrund eines solchen Vorfalls eine Abmahnung zu erteilen. Im Sinne des Grundsatzes der vertrauensvollen Zusammenarbeit sollte eher ein Hinweis, ggf. auch eine mündliche Ermahnung erfolgen. Denn spätestens die Erteilung einer Abmahnung würde die erste Eskalationsstufe eines dauerhaften Konflikts einläuten. Das Kommunikationsinstrument der Abmahnung sollte erst eingesetzt werden, wenn sich Arbeitgeber und Betriebsrat bereits in einer konfrontativen Situation befinden. Selbst dann sollte der Arbeitgeber allerdings bedenken, dass der Ausspruch einer Abmahnung die Stimmung aufladen und zu „Retourkutschen“ führen kann. In jedem Fall sollte eine Abmahnung nur auf einwandfrei belegbare Verstöße gestützt werden, da Betriebsratsmitglieder erfahrungsgemäß gegen Abmahnungen häufig klagen.
39BAG,
Urteil vom 15.07.1992 – 7 AZR 466/91.
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8 Musterabmahnungen
8.28 Abmahnung wegen Betriebsrat, fehlende Abmeldung II Sehr geehrter Herr…, leider sind wir gezwungen, Ihnen folgende Abmahnung zu erteilen: Am 16.03.2020 teilten Sie Ihrem Vorgesetzten, Herrn Detlef Pohl, gegen 13:30 Uhr wörtlich mit: „Ich melde mich ab, bis ca. 17:00 Uhr mache ich Betriebsratsarbeit.“ Herr Pohl wies daraufhin, dass für die Konferenz „Europa 1“ um 14:00 Uhr noch das Mikrofon in Saal 2 einzustellen sei. Da Sie als Tontechniker dies als Einziger vornehmen können, bat er Sie um Verschiebung der Betriebsratsarbeit um eine Stunde. Nachdem Sie dies mit den Worten „Kommt nicht in Frage!“ ablehnten, forderte er Sie auf zu erklären, was einer Verschiebung entgegenstünde. Sie antworteten wörtlich: „Nicht schon wieder diese Diskussion! Ich lasse mich in meinem Amt nicht behindern.“ Sodann gingen Sie und kehrten gegen 16:45 Uhr zurück. Durch dieses Verhalten haben Sie eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht verletzt. Wir fordern Sie auf, in Zukunft die folgenden Anforderungen an eine Abmeldung und Rückmeldung bei Betriebsratsarbeit zu erfüllen: Bevor Sie sich zur Wahrnehmung von Betriebsratsaufgaben von Ihrem Arbeitsplatz entfernen, haben Sie sich abzumelden. Hierzu genügt es, wenn Sie Ihrem Vorgesetzten – ohne Spezifizierung der konkret beabsichtigten Tätigkeit – mitteilen, dass Sie zur Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben den Arbeitsplatz verlassen. Daneben haben Sie die voraussichtliche Dauer und den Ort der Tätigkeit mitzuteilen. Sofern sich aus der Angabe des Ortes der Inhalt Ihrer Tätigkeit erkennen lässt, sind Sie ausnahmsweise nicht verpflichtet, den Ort zu nennen. Soweit Ihr Vorgesetzter jedoch eine Situation schildert, nach der Sie unabkömmlich sind, sodass betriebsbedingte Gründe eine zeitliche Verlegung der Betriebsratsarbeit verlangen, sind Sie gehalten, eine Aufschiebung zu prüfen. Sofern Sie dies ablehnen, haben Sie die Gründe hierfür stichwortartig darzulegen und Ihren Rechtsstandpunkt zu erklären. Der Vollständigkeit halber weisen wir darauf hin, dass Sie sich nach Beendigung der Betriebsratsarbeit bei Ihrem Vorgesetzten zurückzumelden haben. Sollten Sie bei der Wahrnehmung von Betriebsratsaufgaben erneut Ab- und Rückmeldepflichten verletzen, müssen Sie mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis hin zur Kündigung Ihres Arbeitsverhältnisses rechnen. Diese Abmahnung nehmen wir zu Ihrer Personalakte. Mit freundlichen Grüßen (Unterschrift)
8.28 Abmahnung wegen Betriebsrat, fehlende Abmeldung II
Arbeitsrechtlicher Hinweis Im Wesentlichen kann auf die Ausführungen zu Abmahnung 27 verwiesen werden. Die vorliegende Abmahnung betrifft einen wichtigen Sonderfall der Verletzung der Abmeldepflicht. Im Regelfall muss das Betriebsratsmitglied seine Betriebsratsarbeit nicht näher darlegen oder begründen. Mitunter führt dies dazu, dass Betriebsratsmitglieder – bewusst oder unabsichtlich – ihrer Betriebsratstätigkeit ohne jegliche Rücksicht auf dringende betriebliche Notwendigkeiten nachgehen. Um dem entgegenzuwirken, verlangt das BAG von dem Betriebsratsmitglied, bei „Unabkömmlichkeit“ genau zu prüfen, wie dringend die Betriebsratsarbeit gegenüber anstehenden betrieblichen Bedürfnissen ist. Zudem erlegt das Bundesarbeitsgericht dem Betriebsratsmitglied die Pflicht auf, das Ergebnis der Abwägung gegenüber dem Arbeitgeber stichwortartig darzulegen und „ggf. zu erklären und zu verteidigen“.40 In der betrieblichen Praxis führt diese Rechtsprechung regelmäßig zu ausgewogenen Ergebnissen. Sofern ein Betriebsratsmitglied sich über die erhöhten Anforderungen an die Abmeldepflicht leichtfertig hinwegsetzt, sollte der Arbeitgeber hiergegen konsequent vorgehen. Er ist dabei jedoch gut beraten, vor dem Ausspruch einer Abmahnung gegenüber Betriebsratsmitgliedern die Sachlage vollständig aufzuklären und beweisfest zu dokumentieren. Die Arbeitsgerichte reagieren sehr sensibel, sobald der Verdacht aufkommt, der Arbeitgeber wolle evtl. Druck auf Betriebsratsmitglieder ausüben.
Arbeitspsychologischer Hinweis Es gelten die zu Musterabmahnung 27 gemachten Ausführungen.
40BAG,
Urteil vom 15.03.1995 – 7 AZR 643/94.
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8 Musterabmahnungen
8.29 Abmahnung wegen Missbrauch Dienstwagen Sehr geehrte Frau…, leider sehen wir uns gezwungen, Ihnen aus den folgenden Gründen eine Abmahnung zu erteilen: Am 12.01.2017 haben wir Ihnen einen Pkw Mercedes-Benz A 160, polizeiliches Kennzeichen B-MB 1473, zur Nutzung übergeben. Am 14.02.2020 erhielten wir als Halter dieses Pkw das als Anlage beigefügte Schreiben des Polizeipräsidiums Berlin nebst Foto. Danach wurde der Pkw am 02.02.2020 gegen 07:15 Uhr mit einer Geschwindigkeit von 62 km/h an der Schlüter-/Ecke Bornstraße geblitzt. Auf dem beigefügten Foto ist zu erkennen, dass am Steuer ein Mann saß. Als Sie der Unterzeichner am 17.02.2020 aufforderte, sich zu diesem Vorfall zu äußern, erklärten Sie, Ihr Anwalt habe Ihnen von jeglicher Äußerung abgeraten. Durch das vorgenannte Verhalten haben Sie Ihre Pflichten aus dem Dienstwagenüberlassungsvertrag vom 10.01.2007 (DÜV) verletzt. In § 10 Abs. 2 DÜV heißt es wörtlich: „Die Arbeitnehmerin darf Dritten die Führung des Pkw nicht überlassen. Dies gilt auch für Familienangehörige oder Lebenspartner.“ Aufgrund des Blitzerfotos steht fest, dass am 02.02.2020 gegen 07:15 Uhr ein Mann den Pkw geführt hat. Da keinerlei Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dieser Dritte sich des Pkw gegen Ihren Willen oder Ihr Wissen bemächtigt hat, müssen wir davon ausgehen, dass Sie den Pkw diesem Dritten überlassen haben. Wir weisen daher nochmals darauf hin, dass Sie Ihren Dienstwagen Dritten nicht überlassen dürfen, sondern nur selbst führen bzw. sonstig nutzen dürfen. Den DÜV haben wir nochmalig als Anlage in Kopie beigefügt. Vorsorglich weisen wir daraufhin, dass wir uns gem. § 7 Abs. 1 DÜV vorbehalten haben, bei vertragswidriger Nutzung des Pkw dessen Rückgabe zu verlangen. Im Falle eines erneuten Verstoßes gegen den DÜV müssen Sie daher nicht nur mit dem Entzug des Pkw rechnen, sondern zusätzlich auch mit weiteren arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis hin zu einer Kündigung Ihres Arbeitsverhältnisses. Diese Abmahnung nehmen wir zu Ihrer Personalakte. Mit freundlichen Grüßen (Unterschrift)
8.29 Abmahnung wegen Missbrauch Dienstwagen
Arbeitsrechtlicher Hinweis Gewähren Arbeitgeber ihren Arbeitnehmern einen Pkw, der auch zu privaten Zwecken genutzt werden darf, sollte dessen Nutzung durch einen ausführlichen Dienstwagenüberlassungsvertrag geregelt werden. Angesichts der Vermischung zwischen beruflicher und privater Sphäre, welche durch die berechtigte Nutzung von betrieblichem Eigentum außerhalb der betrieblichen Arbeitszeit entsteht, sind Arbeitgeber gut beraten, eine detaillierte, klare Regelung zu den Grenzen der Nutzung zu treffen. Andernfalls ist der Arbeitnehmer lediglich an allgemeine Grundsätze gebunden, deren Grenzen schwer zu bestimmen sind. (Ist z. B. die Befugnis zur privaten Nutzung allgemein gewährt worden, kann der Arbeitnehmer durchaus argumentieren, dass er den Pkw „wie einen eigenen“ nutzen, d. h. auch Dritten überlassen durfte.) Mangels klarer Grenzziehung fällt die Feststellung eines Fehlverhaltens schwer, wodurch der Ausspruch einer wirksamen Abmahnung erheblich erschwert wird. Im Musterfall konnte der Arbeitgeber der Arbeitnehmerin die Geschwindigkeitsüberschreitung nicht vorwerfen, da diese nicht durch die Arbeitnehmerin (sondern den männlichen Dritten) begangen wurde. Vorwerfbar war nur die Verletzung des Dienstwagenüberlassungsvertrages!
Arbeitspsychologischer Hinweis Hier ist die Sachlage sehr eindeutig und wird erfahrungsgemäß bei Arbeitnehmern zu wenig Gegenwehr führen. Argumentativ hat es sich bewährt, die fehlende Versicherung ins Feld zu führen, wenn nicht berechtigte Personen das Firmenfahrzeug führen.
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8 Musterabmahnungen
8.30 Muster einer Korrekturvereinbarung Korrekturvereinbarung41 Zur erfolgreichen Fortsetzung ihres Arbeitsverhältnisses schließen die Parteien die folgende Korrekturvereinbarung:Die Parteien stellen fest, dass sich folgender Sachverhalt ereignet hat. Am 26.03.2020 forderte der Vorarbeiter des Arbeitnehmers, Herr Olaf Schulze, diesen auf, in dem Objekt Neue Kantstr. 20, 14057 Berlin, im Erdgeschoss die Handläufe neu zu lackieren. Diese wiesen noch Reste einer in weiten Teilen abgeplatzten Lackierung auf, welche mit einer Schleifmaschine zu entfernen war, bevor ein neuer Lack aufgebracht werden konnte. Der Arbeitnehmer führte die Schleifarbeiten mittels einer Schleifmaschine Typ SM-3 unter Verwendung einer einfachen Staubmaske durch. Die Parteien sind sich einig, dass sich die Durchführung der Schleifarbeiten unter Verwendung einer einfachen Staubmaske als Verletzung von Vorschriften des Arbeitsschutzes darstellt. Gemäß § 15 Abs. 2 ArbSchG ist der Arbeitnehmer verpflichtet, bei Schleifarbeiten zur Lackentfernung eine Atemschutzmaske nach der Europäischen Norm EN 149 FFP2S anzulegen. Eine solche Atemschutzmaske war auf der Baustelle zu diesem Zeitpunkt verfügbar. Die vom Arbeitnehmer verwendete Staubmaske entsprach nicht der o. g. Norm und war nicht geeignet, diesen vor den beim Schleifen freigesetzten gesundheitsschädlichen Partikeln zu schützen. Die Parteien vereinbaren, dass der Arbeitnehmer in Zukunft Arbeitsschutzvorschriften stets einhält. Hierzu gehört insbesondere, bei Schleifarbeiten eine ordnungsgemäße Atemschutzmaske zu tragen. Für das gemeinsame Ziel der weiteren, erfolgreichen Zusammenarbeit ist eine strikte Einhaltung der Arbeitsschutzvorschriften durch den Arbeitnehmer unerlässlich. Daher vereinbaren die Parteien folgende Maßnahmen: • Der Arbeitnehmer wird bis 10.06.2020 vorsorglich die Broschüre „Arbeitsschutz im Betrieb“, die ihm heute nochmals übergeben wurde, intensiv lesen. • Der Arbeitnehmer wird am 10.06.2020 vor den Auszubildenden seiner Abteilung einen Vortrag zum Thema „Arbeitsschutz ist Gesundheitsschutz“ halten.
41Die
Korrekturvereinbarung entspricht inhaltlich der Abmahnung 04.
8.30 Muster einer Korrekturvereinbarung
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Diese Korrekturvereinbarung stellt eine Chance für den Arbeitnehmer dar, sich zu bewähren und verloren gegangenes Vertrauen wiederherzustellen. Verstößt der Arbeitnehmer allerdings gegen diese Korrekturvereinbarung, so ist der Bestand seines Arbeitsverhältnisses gefährdet. Er muss mit einer Kündigung seines Arbeitsverhältnisses rechnen. Berlin, den …
Berlin, den …
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(Unterschrift Arbeitgeber)
(Unterschrift Arbeitnehmer)
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8 Musterabmahnungen
8.31 Muster einer Ermahnung Sehr geehrter Herr…, leider sehen wir uns gezwungen, Ihnen aus den folgenden Gründen eine Ermahnung zu erteilen: Am 18.05.2020 wollten wir Ihnen per Boten ein Schreiben an die uns offiziell bekannte und systemseitig hinterlegte Adresse „Neue Kantstraße 20,14057 Berlin“ senden. Unser Bote konnte jedoch ihren Namen nicht an den Briefkästen oder an der Klingel finden. Auf Nachfrage bei einem Nachbarn erfuhr er, dass Sie dort nicht mehr wohnen. Er rief daraufhin bei der zuständigen Personalsachbearbeiterin an, welche in Ihrer Personalakte eine aktuelle Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mit der Adresse „Steinweg 2,14307 Berlin“ fand. Dort traf der Bote sie persönlich an und übergab Ihnen das Schreiben. Auf anschließende Nachfrage bestätigten Sie dem Unterzeichner, dass Sie bereits seit dem 01.01.2020 hierhin umgezogen seien. Durch das vorgenannte Verhalten haben Sie Ihre Pflichten aus § 17 des Arbeitsvertrages vom 24.01.2012 verletzt. Dort heißt es wörtlich: „Änderungen der Wohnanschrift und des Familienstandes sind dem Arbeitgeber unverzüglich unter Vorlage geeigneter Nachweise anzuzeigen“. Dementsprechend hätten Sie uns hier spätestens binnen eines Monats nach Abschluss ihres Umzuges die Änderung ihrer Wohnanschrift unter Vorlage der Ummeldebescheinigung anzeigen müssen. Diesbezüglich ermahnen wir Sie und fordern Sie gleichzeitig auf, bis spätestens Freitag, den 29.05.2020 eine Kopie der Ummeldebescheinigung der Personalabteilung nachzureichen. Bei erneuter Verletzung ihrer Nachweis-und Informationspflichten aus dem Arbeitsvertrag müssen Sie mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis hin zur Abmahnung rechnen. Diese Ermahnung nehmen wir zu Ihrer Personalakte. Mit freundlichen Grüßen (Unterschrift)
8.31 Muster einer Ermahnung
Arbeitsrechtlicher Hinweis Wie bereits unter Abschn. 3.4 ausgeführt, stellt eine Ermahnung (Verwarnung) das mildeste Rügemittel des Arbeitgebers dar. Die Ermahnung kann nicht direkt eine Kündigung stützen. Gerade bei sehr geringfügigen Verstößen vergibt sich der Arbeitgeber gleichwohl nichts. Denn soweit der Verstoß als reine Bagatelle einzustufen ist, wäre eine Abmahnung ohnehin unverhältnismäßig (s. Abschn. 6.1.4). Sofern der Verstoß über eine Bagatelle hinausgeht, würde einer entsprechenden Abmahnung bei Bewertung einer späteren Kündigung ein fast zu vernachlässigendes Gewicht zukommen. Eine Ermahnung kann allerdings die notwendige Eskalation zu einer späteren Abmahnung belegen. Begeht der Arbeitnehmer den entsprechenden Pflichtverstoß nämlich trotz Ermahnung nochmals, rechtfertigt sein wiederholter Verstoß nunmehr ohne Weiteres eine (erhebliche) Abmahnung.
Arbeitspsychologischer Hinweis Eine Ermahnung ist eine deutlichere Eskalation, als ein Gespräch mit dem Mitarbeiter. Arbeitsrechtlich mag sie von geringer Relevanz sein, doch psychologisch macht sie deutlich, dass der Verstoß erheblich genug ist, dass man sich die Mühe macht, ein formales Schreiben aufzusetzen. Es kommt einer Warnung, d. h. einem Signal gleich, dass man als Arbeitgeber die Handlung von Mitarbeitern sehr wohl wahrnimmt, Verstöße nicht überbewertet, doch eben auch bereit ist, weitere Schritte zu gehen, als lediglich Gespräche zu führen, wenn Handlungen einer ernsten Grenzüberschreitung zu nahe kommen.
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Literatur
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© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 P. Croset und M. Dobler, Die rechtssichere Abmahnung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30999-2
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